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I
MLATO-SlÄNroRBsIIVMOll-VMVERSnY
;
Yierteljahrsschrift
fiir
MUSIKWISSENSCHAFT.
Friedrich Chrysander, Philipp Spitta
Guido Adler.
Vierter Jahrgang
Preis 12 Mark.
Leipzig
Druck und Verlag von Breitkopf und H&itel
270vS66
•
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Alle Hechte, inshesandere das der Überseizunff, vorbehalten.
J
Inhalt.
I. Selbständige Abhandlungen.
Seite
Oswald Koller.
Der Liederkodex von MontpeUier. Eine kritische Studie 1
Hermann Deiters.
Briefe Beethoyen's an Ferdinand Ries 83
Friedrich Chrysander.
Eduard Grell als Gegner der Instrumentalmusik, der Orgel, der Tem-
peratur und der Virtuusit&t 99
Wilhelm Bäumker.
Niederländische geistliche Lieder nebst ihren Singweisen aus Hand-
schriften des XV. Jahrhunderts 153
Friedrich Spiro.
Die Entstehung einer Mosarfschen Konzertarie 255
Wilhelm B&umker.
Niederlfindische geistliche Lieder nebst ihren Singweisen aus Hand-
schriften des XV. Jahrhunderts. Mit 3 Notenbeilagen (Schluß] .... 287
Friedrich Chrysander.
Die Oper Don Gioyanni von Gazzaniga imd Ton Mozart 351
Guido Adler.
Ein Satz eines unbekannten Klavierkonzertes von Beethoven 451
Philipp Spitta.
Die Arie »Ach, mein Sinn« aus J. S. Bach's Johannes-Passion 471
IL Kritiken und Referate.
Guido Adler.
Alexander J. EUis. On the history of musical pitch 122
C. Stumpf.
Gustav Engel. Ober den Begriff der Klangfarbe 146
Oscar Fleischer.
J. F. Riano. Gritical and bibliographical notes on early Spanish music. 270
Albert Schatz.
Rudolf von Freisauff. Mozart's Don Juan 1787—1887 278
IV Inhalt.
Seite
Philipp Spitta.
Hermann Ludwig. Johann Georg Kastner. Ein els&ssischer Tondichter,
Theoretiker und Musikforscher. Sein Werden und Wirken 436
Philipp Spitta.
Dr. Otto Eiben. Der yolksthümliche deutsche Männergesang 479
Hermann Deiters.
W. J. von Wasielewsky. Ludwig van Beethoven 496
Hermann Deiters.
Dr. Theodor Frimmel. Neue Beethoveniana 512
Emil Vogel.
O. de Piccolellis. Liutai antichi e modemi 518
Emil Vogel.
Stefano Davari. La musica a Mantova 528
Oscar Fleischer.
A. J. Hipkins. Musical Instruments historic, rare and unique .... 531
C. Stumpf.
W. Wundt. Grundzüge der physiologischen Psychologie. E. Luft. Über
die Unterschiedsempfindlichkeit für Tonhöhen 540
III. Notizen.
Friedrich Spiro. Zu Franz Schubert's Messen 151
IV. Musikalische Bibliographie.
Von F. Aschers on 551
Auszüge aus Musikzeitungen 567
y. Namen- und Sachregister.
Von Dr. A. M. Nüchtern 578
: .•/•• .
_ •
Der Liederkodex von Montpellier.
Eine kritische Studie
von
Oswald KoUer.
I.
Die Publikation des Liederkodex H 196 aus dem Archive der
medicinischen Fakultät *<zu Montpellier durch Coussemaker^ ist eine
der bedeutendsten Erscheinungen auf dem Gebiete der mittelalter-
lichen Musikgeschichte. Denn während man bisher zur Erläuterung
der oft dunklen Theorien der Musikschriftsteller des XII. und XIII.
Jahrhunderts lediglich auf die unzulänglichen Bruchstücke ange-
wiesen war, die sich in diesen Traktaten zerstreut finden, sind hier
zum ersten Mal vollständige Kompositionen geboten, aus denen man
ganz andere Anschauungen und Belehrungen über den Stand der
musikalischen Kunst jener Jahrhunderte gewinnen kann. Leider
entspricht die Coussemaker'sche Ausgabe nicht d6n Anforderungen,
die man an einen kritisch gereinigten Text zu stellen berechtigt ist ;
und auch die vorangehende Abhandlung stellt Behauptungen auf
und geht von Voraussetzungen aus, deren Richtigkeit nicht so ohne
Weiteres auf Treu und Glauben angenommen werden kann.
Wie leichtfertig Coussemaker selbst bei leicht festzustellenden
Thatsachen verfährt, zeigt der Umstand, daß er nicht einmal die
Zahl der im Kodex enthaltenen Kompositionen zu bestimmen im
Stande ist. Nach pag. YIII und pag. 4 enthält der Kodex im
Ganzen 340 Stücke; damit stimmt aber weder die pag. 10 — 12 ent-
haltene Beschreibung des Kodex, noch der pag. 244 — 256 gegebene
Index. Nach pag. 10 — 12 ist die Summe der in den einzelnen Fas-
cikeln enthaltenen Stücke 358, der Index zählt 339 Nummern auf;
' Vart harmonique aux XIV ei XIIP sücles. Par E. de Coussemaker. Paris
1866.
1888. 1
. .••. Ofc^ld 'Koller,
•=■=
-rw
und th^ilt'jgilan'Txach den pag. 10 — 12 gemachten Angaben im Index
die ^nzplnen l^ascikel ab, so ergeben sich folgende bemerkenswerthe
• :uiffeienzen:
• Nach der Inhaltsübersicht pag. 10—12
enthält :
Der I. Fase. 1 7 Stücke, und zwar
» II.
9
» III.
»
» IV.
}»
» V.
»
« VI.
»
» VII.
»
»vin.
»
1 5 dreistimmige,
2 vierstimmige.
17 Stücke.
13 Stücke.
22 Stücke.
110 Stücke, und zwar
1 In seculum und
109 dreistimmige.
75 Stücke.
61 Stücke, und zwar
48 mit französi-
schem, 7 mit la-
teinischem, 6 mit
französischem
und lateinischem
Texte.
43 Stücke, und zwar
1 Dens in adjuto-
riunty 2 1 mit fran-
zösischem, 16 mit
lateinischem , 5
mit gemischtem
Texte.
Zusammen 358 Stücke.
Nach dem Index pag. 244 — 256
enthält:
16 .Stücke, und zwar 15 drei-
stimmige, 1 vierstimmiges.
17 Stücke.
13 Stücke.
22 Stücke.
105 Stücke, und zwar l In secu-
lum und 104 dreistimmige.
75 Stücke.
48 Stücke, und zwar 35 mit fran-
zösischem, 9 mit lateinischem
und .4 mit lateinischem und
französischem Texte.
43 Stücke, und zwar 1 Dens in
adj'utorium, 22 mit franzö-
sischem, 15 mit lateinischem,
5 mit gemischtem Texte.
339 Stücke.
Die Differenz wird dadurch theilweise behoben, daß nach pag.
149 und 189 das zweite Stück des ersten Fascikels, Ja riaimera%
zweimal vorhanden ist, und zwar das eine Mal in Longen und Breven,
das andere Mal in Breven und Semibreven notiert; im Index ist es
nur einmal angeführt. Dadurch erhält der erste Fascikel wirklich
17 Stücke, darunter zwei vierstimmige, und als richtige Zahl der
vorhandenen Kompositionen erscheint 340.
Auch zwischen der Wiedergabe der Facsimiles und der Über-
tragung in moderne Notenschrift bestehen ungelöste Widersprüche.
So löst Coussemaker in einem und demselben Stück, dem Discantus
von Nr. V, ein und dieselbe Notengruppe viermal auf eine und drei-
Der Liederkodex Yon Montpellier.
mal auf eine ganz andere Weise auf, ohne daß in den Anmerkungen
pag. 274, 275 eine Rechtfertigung dieser Verschiedenheit enthalten
wäre. Ganz unmöglich ist die in eben demselben Stück vor-
kommende Übertragung der auf die Textstelle dum litteram regis
Mlenden Noten. Auch sonst bringt der Herausgeber Konjekturen
an, die durch nichts gerechtfertigt sind, so z. B. im Tenor von
Nr. lY, Takt 2 und 36, ebendaselbst im Triplum im siebentletzten
Takt K
Auch mit den Schlüsseln nimmt es Coussemaker nicht genau.
Mitunter ist eine Veränderung derselben aus harmonischen Gründen
gerechtfertigt, wie in Nr. XI Triplum Takt 54 — 58, wo er statt des
Mezzosopranschlüssels den Altschlüssel ansetzt. Ein andermal aber,
z. B. Nr. L Takt 9 — 12 setzt er den Tenor eine Terz tiefer, wodurch
gar nichts für die Besserung gewonnen wird. Ja er setzt sogar
Noten hinzu, die gar nicht im Originale stehen, so in Nr. XXVIII
die letzte Note des Tenors, in Nr. XXXIX die vier ersten Noten
des Tenors, und in Nr. XL füllt er sogar die letzten vier Takte
des Discantus durch eine Komposition eigener Erfindung aus, alles
ohne ein Wort der Rechtfertigung. Da schließlich die Facsimiles
selbst Ungenauigkeiten enthalten, wie Verwechslungen von Bretts
und Longa, mangelnde Anfangsstriche bei den Ligaturen, Willkürlich-
keiten in der Zahl, der Spatien, durch welche ein Pausezeichen
geht; diese Irrthümer aber weder im Texte, noch in den An-
merkungen, noch im Druckfehlerverzeichniß besprochen erscheinen:
so bietet der Zustand des Textes einen beunruhigenden Anblick der
Unsicherheit, da nirgends klar ist, ob man eine der Besserung be-
dürftige Stelle auf Rechnung des Manuskriptes, des Abschreibers
oder des Druckers setzen soll.
Nicht minder bequem macht es sich Coussemaker bei der Be-
stimmung der Autoren. Er geht von dem Grundsatze aus, daß,
wenn der Text eines Liedes von einem namentlich bekannten Autor
herrührt, ihm ohne Weiteres auch die mehrstimmige Komposition
dieses Textes zuzuschreiben sei. Dasselbe Princip wendet er auch
auf die Theoretiker an und schließt aus dem Umstände, daß sich in
irgend einem Traktate ein Stück aus dem Kodex von Montpellier
citiert findet, daß der Autor des Traktates auch der Komponist
des darin angeführten Beispieles sein müsse. Als ob ein Autor nur
seine eigenen Werke eitleren dürfte! Dabei passiert es ihm jedoch,
daß z. B.
1 Auch Adler weist in dieser Zeitechrift II, 294, 296- auf die ungenauen Über-
tragungen Coussemaker's hin.
Oswald Koller^
Nr. VIII i
O Ma7^ virgo davidica
O Maria mari$ Stella
Veritatem
von der Discantus positio vulgaris, von Aristoteles, Petrus Picardus
und Franco,
iPovre secors
Gaude chorus
Angelus
von der Discanttcs positio vulgaris , von Garlandia, Petrus Picardus,
Aristoteles, dem Anonymus secundus und Franco,
Ja n'aimerai
In seculum
vom Anonymus quaitus, Odington, Petrus Picardus und Franco citiert
werden. In den meisten Fällen ist seine Entscheidung willkürlich,
und wo eine Entscheidung unmöglich wird, weiß er sich nicht anders
zu helfen, als durch die köstliche Bemerkung pag. 179 über den
Anonymus von St. Di6. Jedenfalls geht aus den vorgelegten Proben
hervor, daß Coussemaker's Werk mit großer Vorsicht zu benutzen ist,
und daß, bevor man gesicherte Resultate für die Musikwissenschaft
daraus zu ziehen wagt, der Inhalt des Kodex einer ernstlichen
Prüfung zu unterziehen ist.
Im Folgenden soll der Versuch giemacht werden, besser be-
gründete Folgerungen aus dem von Coussemaker dargebotenen Material
zu ziehen.
Nr. XLV I
II.
Die Beschreibung des Kodex ist ungenau, wenngleich immerhin
derart, daß man sich ein leidliches Bild davon zu entwerfen im
Stande ist. Nach pag. 10—12 besteht der Kodex aus acht »Fas-
cikelna; ob das nur Kapitelabtheilungen des Buches oder wirkliche
Lagen sind, ist nirgends gesagt. Bezüglich der Abgrenzung der
Fascikel ist ein Zweifel nur zwischen dem fünften und sechsten
möglich. Der Fascikel V schließt nach Coussemaker auf Fol. 228 a,
der sechste beginnt auf Fol. 231b. Nachdem nun eine Lage weder
auf der ersten Seite eines Blattes aufhören, noch auf der zweiten
Seite eines Blattes beginnen kann, so soll wohl darunter zu verstehen
sein, daß der Text auf Fol. 228a endigt, daß 228 b, femer die beiden
Blätter 229 und 230 leer sind und auf Fol. 231a neue Aufzeichnungen
beginnen. Zweifelhaft ist es, ob diese beiden leeren Blätter dem
fünften oder sechsten Fascikel angehören. Erwägt man nun, daß
mit Ausnahme des ersten Fascikels die Blätterzahl jedes Fascikels
Der Liederkodex yon Montpellier.
durch 8 theilbar ist, so kann man unter der Voraussetzung, daB
noch vor der Pagination ein leeres Blatt des sechsten Fascikels weg-
geschnitten worden ist, eine ursprüngliche Anlage des Kodex in
Lagen von je 8 Blättern annehmen ; und dann gehören die Fol. 229
und 230 dem fünften Fascikel an. Jeder einzelne Fascikel ist durch
gemalte Initialen ausgezeichnet; daß das aber nur am Anfange jedes
Fascikels stattfinde, ist unrichtig. Zweimal finden sich auch inner-
halb des Fascikels Miniaturen und zwar Fol. 5 b mitten im ersten und
Fol. 246 a mitten im sechsten Fascikel. Nimmt man an, daß das
weggefallene Blatt sich entweder zwischen Fol. 230 und 231 oder
zwischen 245 und 246 befunden habe, so bildet auch die Miniatur
Fol. 246 a den Anfang einer neuen Lage zu 8 Blättern. Bis inklu-
sive den sechsten Fascikel macht die Anordnung derselben keine
Schwierigkeiten:
Fase. I. Fol. 1a bis Fol. 22; Initialen Fol. la und 5 b.
n TL, Fol. 23a leer, 23b und 24a Initialen, Text bis Fol. 61a;
61b und 62 leer.
)» ni. Fol. 63a leer, 63b und 64a Initialen, Text bis 86a;
86 b leer.
)) IV. Fol. 87a leer, 87b und 88a Initialen, Text bis 110a;
llOb leer.
» V. Initialen Fol. lila, lllb, 112a, Text bis Fol. 228a; 228 b,
229, 230 leer.
.> VL Initiale Fol. 231a, Text bis 245b; (ein fehlendes Blatt);
Initiale 246 a, Text bis 269a; 269b leer.^
Es enthalten somit
22 Blätter.
40 = 5-8 Blätter.
24 = 3 • 8 »
24 = 3 . 8 D
120 =15-8 »
16—1 (=2.8 Blätter).
24 = 3 8 Blätter.
Bezüglich des siebenten Fascikels erfordert die Pagination einige
Erörterungen. Das Manuskript hat nach pag. 6 eine doppelte Pagi-
nierung, von denen keine gleichzeitig mit der Niederschrift ist.
Die ältere ist in römischen Ziffern, oben in der Mitte der ersten
der Fase,
, I.
;) J>
n.
)) ))
m.
» •»
IV.
» »
V.
n s>
via.
)i w
VIb.
1 Coussemaker sagt pag. 12, daß der Fascikel auf Fol. 270 endige; da aber
schon auf Fol. 270 a das erste Stück des VII. Fascikels, gekennzeichnet durch die
Initiale und eine andere Anordnung der Stimmen, beginnt, so muß man wohl den
Schluß des VI. Fascikels auf Fol. 269b ansetzen.
Oswald Koller,
Seite eines jeden Blattes. Diese Pagination konstatiert zwei Lücken
von je einem Blatt; die erste ist zwischen den Blättern lü^II und
ni^Iin (302 und 303 der modernen Paginierung), die andere zwischen
Fol. m^VII und III «IX (306 und 307). »ia pagination en chiffres
romainSf fährt Coussemaker fort, s'arrSte au feuiUet mar quo X FT^ et
Xlllf c'est-ä-dire au feuillet 331 de la pagination en chiffres arabes.
A partir de lä, la pagination en chiffres romains est abandonnde et
continuSe par la pagination en chiffres arabes, Celle ci commence au
feuillet 334, chiffre acttiel 332 et fimt (den VIII. Fascikel einge-
schlossen) avec le 397^,(1 Daraus geht nun hervor, was Coussemaker
ganz übersieht, daß die Pagination in römischen Ziffern selbst eine
doppelte ist. HI « II bedeutet folium trecentesimum secundum ; es
zeigt also an, daß von den vorhergehenden Blättern keines fehlt
(oder daß, wenn eines fehlt, dieser Verlust schon vor der Pagination
vor sich gegangen sein muß); dann tritt eine neue Pagination ein,
welche wir aus der Bezeichnung XVI" et XIII fiir Fol. 331 (nach
der modernen Zählung, 333 dagegen, wenn die beiden fehlenden
Blätter mitgerechnet werden) ersehen. XVI" et XIII heißt wohl
16 • 20 + 13 d. i. 333, wie es auch die richtige Zahl der Blätter ist.
Die Bezeichnung XVI« et XIII fordert, daß sie mit XVI" et I
anfange. Das fällt auf Fol. 321 der richtigen, 319 der faktischen
Zählung; das letzte Blatt der ersten Paginierungsart war somit 320
= in® XX. Dieser neue Abschnitt wird wichtig, wenn man Cousse-
maker's Notiz pag. 12 dazu hält, daß von Fol. 321 die Hand eines
zweiten, gleichzeitigen Schreibers beginnt. Es hat also das ur-
sprüngliche Manuskript nur bis hierher gereicht und der neue Nach-
trag hat eine neue Paginierung erhalten; daß dieser Nachtrag vor
Verlust der beiden Blätter 303 und 308 stattgefunden hat, ergiebt
sich aus der Übereinstimmung der Zählung. Aber hier ist noch ein
zweiter Nachtrag geschehen; denn diese zweite Pagination mit
römischen Ziffern hört auf Fol. 333 auf und die dem Mskr. voran-
gehende Inhaltsübersicht enthält auch nur die bis ebendahin notierten
Stücke. Es besteht somit der siebente Fascikel aus drei Schichten:
1. Fol. 270a (Initiale) bis Fol. 320. Erste Notation mit römischen
Ziffern.
2. Fol. 321 bis Fol. 333. Zweite Notation mit römischen Ziffern
(zusammen 64 = 8 • 8 Blätter).
3. Fol. 334 bis 349a; 349b leer. Fortsetzung der arabischen
Notation (16 = 2-8 Blätter).
Der achte Fascikel beginnt mit dem durch eine Initiale gleich
der auf Fol. la gezierten Fol. 350a und endet mit Fol. 397. Er
Der Liederkodex von Montpellier.
enthält 48 = 6 • 8 Blätter. Dieser Fascikel hat auBer der durch-
gehenden Paginierung noch eine hesondere mit arabischen Ziffern.
Für die Geschichte des Manuskripts aber ergeben sich fol-
gende Phasen :
1. Ursprünglicher Inhalt bis Fol. 320. Durchlaufende Pagination
mit römischen Ziffern.
2. Erster Nachtrag Fol. 321 — 333; er wird anders paginiert
3. Verfassung des Inhaltsverzeichnisses. Ob zur Zeit dieser Ver-
fassung die beiden Folia III^III und III^VIII schon fehlten,
ist aus Coussemaker's Angaben nicht zu entnehmen.
4. Zweiter Nachtrag Fol. 334 — 349.
5. Dritter Nachtrag, enthaltend den VIII. Fascikel mit selbstän-
diger Paginierung.
6. Nach Verlust der beiden Blätter III^III und III« VIII wird
die gegenwärtige Paginierung mit arabischen Ziffern durch-
geführt.
Wieviel Schreiber an diesem Kodex gearbeitet haben, ist aus
Coussemaker's Angaben nicht genau zu ersehen. Beim zweiten Fas-
cikel, sagt er, sind die Zeilen näher an einander und die Schriftzüge
flüchtiger als im ersten; im dritten ist Schrift und Notation ähnlich
der des vorhe^ehenden. Im siebenten Fascikel endlich erscheint
eine neue Hand auf Fol. 321; ob der achte Fascikel von derselben
Hand geschrieben ist, ist nicht gesagt. Somit sind mindestens drei
Schreiber zu unterscheiden, von denen der erste den ersten Fascikel,
der zweite vom zweiten bis Fol. 320, der dritte von 321 bis zu Ende (?)
geschrieben hat; vielleicht ist die dritte Hand gleich der ersten,
wenigstens deutet darauf der Umstand hin, daß sich die Initiale des
I. Fascikels genau beim VHI. wiederholt und daß (vielleicht nicht die
Komposition, sicher aber) der Text der Anfangsstücke beider Fascikel
derselbe ist. Die Miniaturen selbst scheiden sich in zwei Gruppen;
die der Fascikel I, II, V und VIII sind bloße Miniaturen in einem
Anfangsbuchstaben; bei den Malereien der Fascikel IH, IV, VI und
VII ist jedoch auch der untere Rand der Seite mit einer kleinen bild-
lichen Darstellung geziert.
Auch die Anordntmg der einzelnen Stimmen ist in den einzelnen
Fascikeln verschieden: die Kompositionen des ersten Fascikels sind
partiturartig niedergeschrieben; nur das zweite (und dritte?) Stück
dieses Fascikels (Nr. XLV)] ist nach den Facsimiles pag. XCII und
XCm nicht so notiert, sondern auf der linken Seite steht die erste
Stimme, auf der rechten Seite in zwei Kolumnen die zweite und
dritte, der Tenor auf der letzten Zeile rechts. Im zweiten Fascikel
sind die vier Stimmen auf zwei nebeneinander stehenden Seiten in
^ Oswald Koller,
je zwei Kolumnen geschrieben. Im HI., IV. und V. Fascikel sind
die zwei Stimmen auf zwei nebeneinandet stehenden Seiten, der
Tenor auf der untersten Zeile der linken und rechten Seite notiert.
Im VI. Fascikel, der nur zweistimmige Kompositionen enthält, steht
der Tenor auf der letzten Zeile jeder Seite. ' Im VII. Fascikel stehen
die beiden Stimmen in zwei Kolumnen auf einer Seite und der Tenor
auf der letzten Zeile der rechten Seite, nur in Nr. XXXVI des
siebenten Fascikels, wo auch der Tenor ein vollständig ausgebildeter
Liedtenor ist, sind die drei Stimmen in drei Kolumnen geordnet. Im
VIII. Fascikel stehen die erste und zweite Stimme wie im vorigen
Fascikel, die letzte auf einer langen Zeile darunter. Es weichen also
die einzelnen Fascikel in Bezug auf Schrift, Initialen und Anordnung
der Stimmen von einander ab.
Der Schrift nach gehören zusammen: I; 11, III, IV, V, VT, VII
bis Fol. 320; der Rest von VII und VIEL.
Den Initialen nach gehören zusammen: I, II, V, VIII; III, IV,
VI, vn.
Die Anordnung der Stimmen ist verschieden in I; II; III IV, V;
VI; vn; vm.
Aus dieser Verschiedenheit der Merkmale allein könnte schon
vermuthet werden, daß der Kodex aus mehreren ursprünglichen Be-
standtheilen zusammengesetzt ist ; noch mehr wird diese Vermuthung
gestützt durch Gründe, welche auch Coussemaker pag. 9 anführt. Es
sind folgende:
1. Jeder der acht Fascikel beginnt mit einer oder mehreren durch
Miniaturen ausgezeichneten Majuskeln, und diese finden sich
nirgends anders als eben nur an diesen Stellen.
2. Jeder dieser Fascikel hat eine eigenthümliche Anordnung der
Stimmen (une disposition particuKere dans la notatioti).
3. Die doppelte Fagination des letzten Fascikels, die des ganzen
Kodex und die separate.
4. Jeder Fascikel enthält Kompositionen verschiedenen Charakters ;
man findet Stücke, die ebensogut in dem einen wie in dem
andern Fascikel stehen könnten.
5. Beinahe in jedem Fascikel sind weltliche und geistliche Kom-
positionen gemischt. Wenn der Kopist nicht jedem Fascikel
seinen eigenthümlichen Charakter hätte belassen wollen, so
hätte er gewiß eine andere Anordnung getroffen.
6. Mehrere Stücke finden sich zweimal; das wäre unmöglich, wenn
das Mskr. ein einheitliches Werk wäre.
7. Die Komponisten des 13., 14. und 15. Jahrhunderts beginnen
ihre Sammlungen mehrstimmiger Kompositionen meist mit
Der Liederkodex von Montpellier.
einem religiösen Stück; dieser Gebrauch zeigt sich* im I., IV.,
V. und Vm. Fascikel.
Hierzu ist Folgendes zu bemerken:
ad 1. Die durch Miniaturen ausgezeichneten Initialen finden sich
zweimal auch in der Mitte von Fascikeln, und zwar auf Fol. 5 b
im I. und Fol. 246 a im VI. Fascikel.
ad 2. Die Anordnung der Stimmen ist nicht überall verschieden ; der
m., IV. und V. Fascikel haben gleiche Disposition.
ad 4. Die Gleichheit des Charakters ist doch insoweit gewahrt, als
der IL Fascikel nur vierstimmige, der HI., IV., V., VII. und
Vni. nur dreistimmige Kompositionen enthalten; auch der
I. Fascikel enthält mit Ausnahme des Ja riaimerai nur drei-
stimmige Kompositionen.
ad 6. Aus dem mehrmaligen Vorkommen desselben Stückes in ver-
schiedenen Fascikeln schließt Coussemaker, daß dieselben von
einander unabhängige Sammlungen gebildet haben. Dabei hat
er Kompositionen im Auge wie Deus in adjutorium ^ das auf
Fol. l und 350 im I. und VIII. Fascikel,
IVirgo pia candens
Lis ne glai ne rosier
Amatj
das auf Fol. 227—228 und 293 im Fascikel V und VTI,
(Amours gut si me maistrie
Solem tustitiae
Solem^
das auf Fol. 326 und 390 im Fascikel VII und VIII vorkommt.
Leider wird die Behauptung Coussemaker^s unhaltbar dadurch,
daß sich gleiche Kompositionen auch innerhalb eines und des-
selben Fascikels vorfinden. Das hat statt im V. Fascikel^ und
zwar:
He^ Marotele, allons
En la prairie Robins
Aptatur auf FoL 112—113 und 198—199,
En maij quant rose
Quant vai le dou tans
Latus auf FoL 167—168 und 203—204,
möglicher Weise auch :
p 1 ( Q^e ferai biaus sire j „ , Que ferai^ biau Diex
1 1 5_1 16 1 -^^ P^^ failUr \ ^^l^xi^ ' -^^ P^^^ faillir ä hounour
\ Descendentibus ) l Descendentibus,
I Q Oswald Koller,
Dennoch sind die yorgebrachten Gründe wichtig genug, um die
Frage, ob der Kodex ein einheitliches Werk sei oder nicht, mit voller
Gründlichkeit zu prüfen. Es ist möglich, daß die Untersuchung ältere
und jüngere Bestandtheile nachweist, die vom Kopisten in einen
Kodex zusammengeschrieben wurden, und dann wird man nicht, wie
Coussemaker thut, summarische Resultate aus dem ganzen Manuskript
ziehen dürfen. Coussemaker scheint eine solche Verschiedenheit der
einzelnen Bestandtheile geahnt zu haben; wenigstens macht er pag.
127 darauf aufmerksam, daß die Notation des VH. und Vm. Fas-
cikels einen ganz andern Charakter habe, als die der Torangehenden
und daß sie durchaus der Franconischen Doktrin entspreche. Er
weist auch darauf hin, daß die Notation der Fascikel IV, V und VI
eine solche ist, wie sie von Odington als Manier einer älteren Schule
getadelt wird. Das wäre ein wichtiger Fingerzeig, daß die ver-
schiedenen Fascikel ungleichen Alters sind. Was thut aber Cousse-
maker? Er schreibt dennoch wohlgemuth die Stücke Fol. 88 — 89
und 98—99 (Nr. XVII und XVDI der Facsimiles), die dem IV. Faa-
cikel angehören, Franco von Köln zu.
Bei so bewandten Umständen ist es, bevor man gesicherte Re-
sultate aus dem Kodex von Montpellier ziehen kann, unumgänglich
nothwendig, vorerst die Frage zu entscheiden: Sind die ver-
schiedenen Fascikel des Kodex von Montpellier gleich-
altrig und gleichartig oder enthält der Kodex ältere und
jüngere Bestandtheile?
III.
Das Material, das zur Forschung vorliegt, sind die 51 Stücke,
die von Coussemaker herausgegeben worden sind. Hiervon ist in
Abrechnung zu bringen Nr. XX, der Canon Sumer is icumen in aus
einer Handschrift des British Museum ;i es bleiben somit noch 50
Kompositionen übrig.
Bei allen ist angegeben, auf welchem Blatte der Handschrift sie
sich finden, nur nicht bei den beiden ersten Stücken Alleluja und
Posui adjutorium. Da sie aber partiturartig notiert sind und da sich
nach dem Index ein Alleluja nur auf Fol. 9 und 16, ein Posui nur
auf Fol. 17 b vorfindet, so gehören diese beiden Stücke zweifellos
dem ersten Fascikel an.
Vergl. hierüber ausführlich Adler in dieser Zeitschrift 11, 302 ff.
Der Liederkodex Ton Montpellier.
11
Eb sind an Beispielen vorhanden:
aus dem L Fase. Nr. 1. 2. 3. 45. .
» n.
«
0
» m.
»
»
» IV.
»
»
» V.
»
]»
. VI.
»
j)
t vn.
»
»
vm.
42. 43. 44. 46. 47. 48
4. 7. 9. 37. . . .
5. 6. 8. 14. 17. 18
15. 26. 29. 30. 33
31. 32
10. 11. 12. 13. 16. 24. 25. 27.
34. 35. 36. 39. 40
19. 21. 22. 23. 38. 41 ... .
49. 50. 51
28
4
Stück.
9
»
4
u
6
»
5
»
2
»
14
»
6
»
Zusammen 50 Stück.
Die Auswahl ist insofern genügend, als alle Fascikel durch Bei-
spiele vertreten erscheinen und auch die Beispiele aus dem VII. Fas-
cikel derart gewählt sind, daß auch der erste Nachtrag durch ein
Beispiel (Nr. XXXV Fol. 324—325) und der zweite Nachtrag durch
zwei Beispiele (Nr. XL Fol. 334 und Nr. XXV Fol. 346) vertreten
ist. Nachdem der ganze Kode:^ 340 Stücke enthält, so repräsentieren
die Beispiele beinahe 15 Proc. des gesammten Materials. Der pro-
centuale Antheil der einzebien Fascikel an Beispielen ist jedoch ein
höchst ungleichmäßiger.
Es sind repräsentiert:
die 17 Stücke des I. Fascikels durch 4 Beispiele, d. i. 23,5 Froc.
» 17
»
» n.
»
»
9
»
»
53,0
»
» 13
»
» III.
n
«
4
»
»J
30,8
9
» 22
9
« IV.
))
n
6
D
»
27,2
»
» 105
Ji
» V.
9
i)
5
»
n
4,8
»
» 75
1>
y> VI.
»
n
2
»
n
2,6
»
» 48
»
« VII.
))
))
14
»
D
29,0
»
9 43
»
»vm.
»
»
6
»
»
14,0
»
340
50
Der Procentualsatz des V. und VI. Fascikels ist also ein sehr
ungünstiger, und es bleibt dahingestellt, ob die für diese beiden
Fascikel ermittelten Resultate genügende Sicherheit bieten werden.
Unvergleichlich bevorzugt ist der II. Fascikel; auch der I.. IIL, IV.
und vn. sind mit Beispielen genügend belegt. Die Beispielzahl des
vm. Fascikels entspricht dem procentualen Durchschnitt der Ge-
sammtzahl.
Nachdem in den meisten Beispielen des Kodex von Montpellier
die Notation noch sehr vom Modus abhängig ist, die Zahl und Be-
zeichnung der Modi jedoch bei den verschiedenen Theoretikern ver-
schieden ist — secundum Pranconem quinque, secundum antiquiores
12
Oswald Koller,
sex, nach Pseudo- Aristoteles sogar neun — erscheint es angemessen,
zuvor eine Übersicht derselben zu geben:
Discantns
Modus: . -^risto- Anonymus ^IL^^i. Franco:
teles : quartus : Anonym. YII.
Odington :
lauter longae (moloss.} . . . primua quintus quintus prtmus
longa bretfis (troch.) .... secundus primus prtmus primus
brems longa (iamb.) .... tertius secundus secundtis secundtis
longa brevis brevis (dactyl.) . quartus tertius tertius tertius
brevis brevis longa (anap.) . — quartus quartus quartus
lauter breves u, semibreves . — — sextus quintus
brevis, longa, brevis brevis longa quintus — — —
longa j duae semibreves , duae
breves, longa sextus — — —
lauter breves septimus sexfus — —
semibreves aeqtcales octavus — — —
semibreves inaequales .... nonus — — —
Zwei Merkmale, die sofort in die Augen springen, geben Anlaß
zu einer vorläufigen Klassificierung der Fascikel; das sind die No-
tation des ersten Franconischen Modus und die Geltung der binären
Ligatur cum proprietate et perfectione.
Die Notation der ersten, aus lauter longae bestehenden Art des
ersten Franconischen Modus nach Franco, Odington,^ dem Pseudo-
nymen Aristoteles 2 und dem Anonymus quartus «^ besteht darin, daß
er ohne Ligaturen notiert wird. Doch war früher auch eine andere
1 Quintus modus nan ligatuTj quia est ex omnibus hngis. Scrtptorum de mttsica
medii aevi novo series ed. Coussemaker I, 245. (Ich bezeichne im Folgenden diese
Sammlung immer mit SS.)
2 SS. I, 279. Ex hoc patet igitur
Quod nunquam comprimitur
in ligaturis,
Sed liber excipUur
Et tolus non patitur
Unquam a pressuris;
Regit et non regitur,
Imperans non utitur
Aliorum curis.
Das merkwürdige versificierte Stück über die modi bei Aristoteles ist vielleicht ein
Einschub aus einem andern Traktate.
8 SS. I, 347. Principium quinti perfeeti proeedit per longas sine junctione.
Jedoch : Alius ordo est per tres ligatas cum proprietate et perfectione et una longa
pausatiofie, Sed usus quidem est in tenoribus discantuum sive moteUorum, et hoc
propter pülchritudinem punctandi propter regulam quamdam: quod possumus coti-
f'ungere, non disfungatur.
Der Liederkodex von Montpellier. ] 3
ligierte Notationsart in Geltung, wie Odington^ und der Anonymus
quartus^ mittheüen und die Franco eifrig befehdet. ^ Diese andere
Art der Notation findet sich bei Garlandia. In seinem ersten Traktat
De musica mensurabüi positio SS. I, 101 sagt er von diesem (nach
seiner Bezeichnung fünften] Modus : » Tres cum proprietate et per-
fecHone et cum longa pausatione et hoc fit causa brevttatis. Et non
proprie sumitur ita^ aed usus, ut ita in tenoribus accipiatur.a Und in
dem zweiten Traktate De musica mensurabili SS. I, 179 wiederholt er
beinahe wörtlich : Tres et tres ligate cum proprietate et perfecta cum
longa pausatione; et hoc fit causa brevitatis et non proprie dicitur ita
sed utendum est, quod interioribiAs motetorum accipitur. Erwägt man
nun, daß Garlandia SS. I, 116 auch Ferotinus erwähnt, so ist die
Geschichte der Notation des ersten Modus klar: Zu Zeiten Ferotins
und Grarlandia's, die zeitlich nicht weit von einander abstehen können,
wurde der fünfte Modus noch ligiert ; zu des letzteren Zeit kam all-
mählich auch die nicht ligierte Notation in Schwang; sie wurde zu
Zeiten Aristoteles' und des Anonymus quartus die alleinherrschende
und die ältere Weise von Franco und Odington unbedingt ver-
worfen.
Finden sich nun im Kodex von Montpellier Stücke dieses Modus
ligiert, so ist es ein Zeichen, daß sie der altern Notation angehören,
findet sich der Modus nicht ligiert, so ist es die Notation der späteren
Franconischen Periode.
Im Kodex von Montpellier sind nach diesem Modus notiert ohne
Ligaturen : *
1 SS. I, 245. Invenitur tarnen aliquando in certis tenoribtta, übt non eti diffi-
cuUas.
'^ SS. I, 333. Iterato fuerunt quidam antiqui, qui antiquitus solebant elangare
ill(u tres longas conjunctim cum sua longa pausatione, quare ponehant juxta mate^
riaUm signationem tres hgat<u pro tribus iongis, quamvts sit ista ligatura contra
Ugatas tres in aliis modis .aniecedentibus ei postpositis: sed nullus hoc potuit cogno^
scere nisi juxta armonicam considerationetn superius sibi affributam. JEt iste modus
irium supradictorum et modus notandi conjunctim in inferioribus et in primis in
tenoribus, sed di^unctim in inferioribus et in superioribus , et hoc ab illo tempore,
quo homines incipiebant tdlia cognoscere, veluti in temporibus Perotini magni et
a tempore antecessorum suorum. Et in quantum\ distabat ante ipsos, minus erat
eognitio talium, sed taniummodo operahantur juxta relationem inferius ad superius^
superius ad inferius et hoc juxta sex concordantias armonice sumptas. Et satis
sufßeiebat tunc iemporis eis. Et non erat mirum, quia paucis modis tUebantur juxta
diversitaies ordinum supradictorum,
3 SS. 1, 128. Ex quo sequitur, quod vehementer errant, qui tres longas aliqua
oecasione, ut in tenoribus, invicem ligant,
* Der Kürze halber bezeichne ich durch die römiBche Ziffer den Fascikel,
durch den Index die Nummer, welche das betreffende Stack in der Ooussemaker-
sehen Beispielsammlung trägt. In IV 17 und YIIio gehört die erste Hälfte des
\ 4 Oswald Koller,
die Tenore von 1 1.2.4*. 1142.49. VII loa. 11. 13. ». S4. Vin4i.
zum Theil mit, zum Theil ohne Ligaturen 1X43.44.4«.
mit Ligaturen 1114.37. IVg. 14. 17». is. Vi*. 26.
Außerhalb der Tenore kommt dieser Modus nicht Tor. Es ge-
hören also die Fascikel III IV V der altem Notation, I, VII, VIII
der neueren Notation an. Der Fascikel 11 zeigt beiderlei Notations-»
weisen; in II 49 konnte keine Ligatur angewendet werden, da der
Tenor aus duplices longae besteht; II 42 ist dagegen in Franconischem
Sinne notiert. Es dürfte also die Notation des zweiten Fascikels in
die Übergangszeit von der älteren zur neueren Schreibweise gehören.
Diese strenge Scheidung einer älteren und jüngeren Gruppe zeigt
sich auch bei der andern Art des ersten Modus. Jacobsthal hat be-
züglich Garlandia's^ und Aristoteles ^ nachgewiesen, daß die temäre
Ligatur cum proprietate et perfectione in Terschiedenen Modis ver-
schiedene Geltung hat.
öie gilt nach Franco nach Garlandia nach Aristoteles
, -^ , , . y. ^ longa imperfecta,
im ersten und zweiten ) 7.—^- -^-..v-^^^*^ ^ ^ ^ /
Franconischen Modus
im dritten und vierten
Franconischen Modus
immer 9^ P J^ ^ brevisrecta, longa
brevis ^^^' ^^S" imperfecta
brevis , . . » . brevis recta, brevis
7 brems recta, brevts 7 . 7
longa ,^ ,' altera, longa
altera, hftga ^^^^^^
Die abweichende Geltung dieser Ligatur findet sich im ersten und
zweiten Modus.
In Vniob.27.39. Vni21.22.23 haben diese Ligaturen durchaus
Franconischen Werth.
In 1148.51. IVe. 17b. V29.30. VI31.32 haben diese Ligaturen durchaus
den Werth, der ihnen nach Garlandia und Aristoteles zukommt und
der von Odington^ getadelt wird. Es weist also auch hier der VH.
und Vni. Fascikel eine neuere, der 11., IV., V. und VI. eine ältere
Notationsweise auf.
Die Bedeutung Franco's liegt vorzugsweise in der durch ihn her-
vorgerufenen Umwälzung in der Notenschrift; seine groBe Neuerung
Tenors der ersten, die zweite Hälfte des Tenors der zweiten Art des ersten Franco-
nischen Modus {modus quinttts und prxmus nach Garlandia's Bezeichnung) an. Ich
bezeichne diese Verschiedenheit durch a und b.
1 Die Mensuralnotenschrift des zwölften und dreizehnten Jahrhunderts. Berlin
1871. S. 61, 65.
> Ebendas. S. 77.
3 SS. I, 244. AUi in isto modo faciunt trinariam ligaturam cum proprietate
et binariam similiter et 'sie in temaria proprietas longa, in hinaria brevis est. Quod
ego relinquo tamquam indeeens et rationi dissonum.
Der Liederkodez Ton Montpellier. ] 5
bestand darin, daß er, während bei Garlandia und Aristoteles der
Werth der Ligatur noch von dem Modus abhängt, denselben nicht
Toni Modus, sondern von der Gestalt abhängig machte, so daß eine
Ligatur ihren Werth in allen Modis unverändert beibehielt. Dies
wichtige Ereigniß merkt auch der Anonymus quartus in der musik-
historischen Stelle SS. I 342 an: Libri Perotini erant in usu
usque in tempus magistri Pranconis primi et alteritis magistri Pran-
conis de Coloma^ qui inceperunt in suis libris aliter pro parte
notare.
Ein zweites Kriterium für die Scheidung älterer und jüngerer
Bestandtheile bildet die Geltung der ligatura binaria cum proprietate
perfecta. Bei Franco gilt sie unbestritten brevis longa; doch hat auch
sie früher wechselnde Geltung gehabt. So sagt Odington ^ vom dritten
und vierten Modus: In binaria autem ligatura omnes tettent breves,
donec temaria, vel longa vel longa pausa sequatur. Die beiden Breves
des daktylischen Rhythmengeschlechtes sind die zwei Senkungen des
Versfußes, die Geltung somit bretis recta, brevis altera
3 temp, 1 temp. 2 temp. 3 temp.
brevis brevis
recta altera.
Der Anonymus quartus^ sagt hierüber: üha longa supra syllabam^
due ligate supra alteram syllabam, si brevis ' longa sequaiur, equipollent
tribus Ugatis cum proprietate et sine perfecUone^ d. h. longa ^ brevis,
brevis altera,
Ligatur
Z. vi/ v./ JL
brevis brevis
recta altera.
Aristoteles sagt von dieser Ligatur:^ Prima recta brevis est, secunda
vero longa imperfecta^ ut manifeste patet in quarto quinto et sexto
modo, tarn supra litter am quam sine. In secundo tarnen modo, tertio
et septimo ambe pronuntiantur equales tantummodo supra litteram, nisi
longa precedat. In den daktylischen und den damit verwandten
Rhythmen {modus quartus, quintus et sextus) gelten also die Noten
i SS. I, 245.
« SS. I, 343.
< Soll wohl heißen n longa sequatur; es ist daktylischer Rhythmus gemeint.
« SS. I, 273.
\ ß Oswald Koller,
1 und 2 tempora, es sind wiederum die beiden Senkungen,^ die jedoch
vorher von Odington als brevis recta und altera gefaßt wurden.
Ligatur
d. z — ^— :? j_
3 temp, itemp. 2 temp. 3 temp,
brevis longa
recta imperf.
Im dreizeitigen Rhythmengeschlecht (modus secundus, tertitcs, septi-
mus) haben zwei Senkungen neben einander keinen Raum. Die An-
führung des trochäischen und iambischen Rhythmus kann also nur so
verstanden werden, daß die betonte Länge in zwei Kürzen, Trochäen
und lamben in Tribrachen aufgelöst sind,^ ein Fall, der im Kodex
von Montpellier mehrfach beobachtet werden kann. Hier kann der
Accent entweder auf der ersten oder auf der zweiten Note der L^atur
stehen, es können auch beide Noten unbetont sein:
\l; \j \j \!j • \!j \^ \j \L/ * \!j \^ \J \Ij
Ligatur Ligatur Ligatur
Dasselbe kann natürlich auch im daktylischen Rhythmengeschlecht
statthaben, wenn die zweizeitige Senkung des Daktylus oder Anapästes
in zwei einzeitige aufgelöst wird. Die erste Senkung des Daktylus
hat als Anfang einer Perfektion einen Nebenaccent:
JL '^ \J \j J^ * ,_1_ vi/ N-/ w i_^ • ^ '^ \J \^ \Sy
Ligatur Ligatur Ligatur
Es kann somit die Ligatur gelten :
I. Zwei breves rectae, fallend betont, steigend betont oder unbetont,
sowohl im iambischen als im daktylischen Rhythmengeschlecht
^ ^} "^ ^1 ^ ^ (=1 tempus, 1 tempus).
II. Brevis recta j brevis altera y nur im daktylischen Rhythmen-
geschlecht und nur fallend betont
^
1 temp. 2 temp.
m. Brevis recta, longa — die gewöhnliche Franconische Geltung — ,
steigend betont in beiden Rhythmengeschlechtem , fallend nur
im iambischen.
^ Daß die Longa nicht die Hebung des Daktylus oder Anapästes sein kann,
bezeugt die ausdrückliche Bestimmung, daß sie imperfekt ist.
^ Geht eine Longa voran, so muß, damit ein trochäisches Metrum gewonnen
werden kann, die zweite Tsote der Ligatur longa sein.
Der Liedotkodez von Montpellier. \'J
lambisch-trochäisch: ^i^-v^-; J- \j .J,'
Ligatur Ligatur
Daktylisch -anapästisch: ^^ ^ '^ J^
Ligatur
lY. Brevis altera, limga, nur im daktylischen Rhythmengeschlecht,
mit der zweizeitigen Senkung beginnend, nur steigend betont:
Ligatur
• ' —
1 temp. 2 iemp.
Alle diese Formen kommen auch im Kodex von Montpellier vor
I. Zwei breves rectae.
aj Beide unbetont:
Im iambischen Rhythmus: ^ Ii (2) II43 (1) 1147 (19) II50 (13)
m, (22) IHo (28) III37 (1) IViT (1) V30 (2) V33 (14) — 'zu-
sammen 103 mal.
Im daktylischen Rhythmus: 1144(1) 1146(2) 1149(1) IV5 (6)
IV18 (1) Vis (11) 2 V26 (l) — zusammen 23 mal.
b) Fallend betont:
Im iambischen Rhythmus: II 43 (6) 1147 (2) II 45 (4) IIsi (4)
ni9 (1) m37 (2) IVe (5) IVg (9) IV14 (4) IVi7 (2) \^ (14)
V30 (5) VI31 (6) VI32 (9) — zusammen 73 mal.
Im daktylischen Rhythmus: 1143 (1) II « (1) II 50 (0 + 1) —
zusammen 3 mal.
c) Steigend betont:
Im iambischen Rhythmus: 1117(1) Vjo (1) — zusammen
2 mal.
Im daktylischen Rhythmus: V15 (1) — zusammen Imal.
II. Brevü rectaj brevis altera, daktylisch, fallend betont:
II44 (14 + 3) n46 (12) II47 (0 + 3)» II49 (6) n«, (0 + 2)
m4 (10) m7 (0 + 7) nie (O + 4) IV5 (20) Y^ (5) —.zu-
sammen 86 mal.
1 Die neben der Bezeichnung des Stückes eingeklammerte Zahl bezeichnet,
wie oft die Ligatur in demselben vorkommt. Wo zwei durch das Pluszeichen yer-
bundene Ziffern stehen, bezeichnet, die erste die Häufigkeit, des Vorkommens in d^
diskantierenden Stimmen, die zweite im Tenor. Die Ligatur erscheint gar ni'cht in
I 3 Vit lt. 12. Id. 34. 36. 38 Vin 88. 41.
^ Ich fasse auch den Aristotelischen modus quintus und aextus^ als mit dem
daktylischen Bhythmus verwandt, mit diesem zusammen.
^ In 1147 IIso ni7 III9 ist der Tenor, daktylisch, die übrigen Stimmen iam-
bisch -troch&isch. '
1888. 2
18
Oswald Koller,
III. Brevis recta, longa.
a) Fallend betont, nur iambisch:
ii (34) I2 (88) n« (1) n43 (2) n47 {2) n^ (i) iVh (i)
IVn (0 + 15) V30 (0 + 2) V33 (0 + 13) VHas (2 + 10)
VIIjs (0 + 10) VII39 (0 + 28) Vn4o (0 + 7) — zusammen
216 mal.
b) Steigend betont :
Im iambischen Rhythmus: Ii (9) I2 (129) 1142(1) 1150 (l)
Hsi (1 + 10) ni37 (1) IVe (2 + 22) V29 (5 + 15) V30 (4 + 6)
•VI31 (0 + 4) VI32 (0 + 3) VHio (0 + 9) VHis (0 + 4)
vn27 (0 -+- 6) vnii9 (0 + s) vin2i (6 + 4) TOin (6 + lej
Vni23 (0 + 20) — zusammen 292 mal.
Im daktylischen Rhythmus: IIso (0 + 1) IVig (2) V15 (1)
V26 (1) VIIis (1) — zusammen 6 mal.
IV. Brevis altera, longa^ fallend betont, nur daktylisch;
I45 (10) 'II47 (0 + 2) Hso (0 + 2) m7 (0 + 5) HI» (0 + 4)
IV5 (0 + 4) — zusammen 2 7 mal.
y. Endlich gilt die Ligatur sogar longa brevis^ und zwar 4 mal im
Tenor von VI 32. So sonderbar auch dieser Werth scheint, so
muß man ihn doch gelten lassen, da SS. I, 101 der Tenor von
VI 32 als Beispiel zum ersten Modus von Garlandia genau so
notiert ist (jedoch mit der falschen Textbezeichnung Angelus
statt Balaam),^
Es ergiebt sich folgende Übersicht :
Fascikel
I
n
UI
IV
Y
VI
vn
vm
la. Zwei unbetonte brevea rectae . . .
1 b. Zwei breves reciae fallend betont . .
Ig. Zwei breves rectae steigend betont .
II. Brevis recta, brevis altera ....
lila. Brevis recta, longa, fallend betont .
III b. Brevis recta, longa, steigend betont .
IV. Brevis altera, longa
V. Jjonaa brevis
2
122
138
10
37
19
40
6
14
4
51
3
21
1
9
8
20
1
20
16
26
4
28
19
2
5
15
32
15
7
4
57
20
60
Daraus geht hervor, daß im VII. und VIII. Fascikel die Geltung
der Ligatur ausschließlich brevis longa ist; auch im ersten Fascikel
kommen auf 270 Fälle eben dieser Geltung nur zwei, wq die Ligatur
i Dieselbe falsche Textangabe begegnet auch in der iweiten Redaktion des
Gailandia's^en Traktates SS. I, 179, jedoch ohne die sonderbare Geltung der
Ligatur.
Der Liederkodex von Montpellier.
19
die Geltung brevU hretis hat. Und nachdem später gerade die Stelle,
wo diese beiden Fälle vorkommen, als IJberrest einer altem Notation
nachgewiesen werden virird, so kann man auch hier die acht Fascikel
in zwei Gruppen gliedern: Im I., YII. und VUUL. Fascikel hat die
Ligatur nur den Franconischen Werth href)i8 longa^ im 11., HI., lY.,
y. und VI. Fascikel außer diesem noch den Werth brems brems. Somit
giebt das wieder einen Beweis» daß die Niederschrift der Fascikel I,
YII, Vm neueren Ursprungs, die der übrigen weit älter ist. In den
älteren Fascikeln hat die Ligatur noch eine Menge von Geltungs- und
Betonungsaiten, die nach und nach schwindet. In der unsweifelhaft
Franconischen Epoche (VIII. Fascikel) hat sie nur mehr eine einzige
Geltung — bref>i$ longa\ und nur eine einzige Betonungsart — den
Accent auf der zweiten Note.
Vergleicht man in den fünf altem Fascikeln das Vorkommen
der beiden Werthe der Ligatur in Bezug auf die Vertheilung auf den
Tenor und die diskantierenden Stimmen, so gelangt man zu folgen-
dem Resultate:
Es gilt die Ligatur
in den diskantierenden
Stimmen
im Tenor
hrevxB hrevis
brevis Umga
hrevis hrevis
hrevis longa
Im n. Fascikel
87
9
9
15
» III.
64
1
11
9
» IV.
49
5
—
41
» V.
54
11
— .
36
» VL
16
—
•
7
Es überwiegt die Geltung brems brevis in den diskantierenden
Stimmen, die Geltung brevis longa im Tenor. Im VI. Fascikel gilt
in den diskantierenden Stinuuen die Ligatur ausschließlich brevis
brevis^ beinahe ebenso im III. Fase, wo nur ein einziges Mal, wo
die SchluBnote der Ligatur zugleich Schlußnote des ganzen Stücks
ist, diese Ligatur den Wert brevis longa aufweist. Es bilden die
hreves longae in den Diskantstimmen im IE. und IV. Fase, nur 9 Proc,
im V. Fase. 17 Pioc, während sie im Tenor im III. Fase. 45 Proc,
im IL 62 Proc, im IV., V. und VL 100 Proc. ausmachen.
Es dürfte also die Annahme gerechtfertigt sein, daß diese Ligatur
ursprünglich nur brevis brevis galt und daß erst durch den Einfluß
der Tenornotation die Geltung brevis longa, die dann in der Franco-
nischen Epoche ausschließende Geltung erlangte, eingedrungen ist.
Bekanntlich statuieren die älteren Theoretiker einen Unterschied in
2*
20 Oswald JLoller,
der Notation cum UUera et sine littera. * Erwägt man, daß der Tenor
nach Bedarf des Metrums in verschiedene Notengruppen zerlegt
wird [man beachte z. B. die Terschiedenen Formationen des Angelus,
Regnat, Balaam bei Garlandia SS. I 101 und 179), so kann man
»ich des Gedankens nicht erwehren, daß der Tenor nicht mit Text
{cum littera) gesungen, sondern vielmehr solfeggiert oder vielleicht
auf einem Instrument mitgespielt wurde. ^ Wie soll man sich die
Tenore von VII 24 oder VII 40 vorgetragen denken, wenn nicht etwa
mit einem Pes nach Art des Sumercanons; dann müßte aber doch
ein entsprechender Text vorhanden sein. .
Woher die verschiedene Geltung der Ligatur? Riemann ' pag. 205 ff.
hat zuerst die Zeugnisse dafür gesammelt, daß der Alleinherrschaft des
Tripeltaktes die zweiteilige Mensur voranging; auch in der Notation
der älteren Chansons ist der zweitheilige Takt allein üblich.^ Der
Daktylus der zweitheiligen Mensur | ni ist also f^/. Sobald aber
die Zweitheiligkeit der Perfektion übergeht in die Dreitheiligkeit, wird
die Figur des Daktylus [\SJ \ das ist genau das Verhältniß von longa
perfecta^ brevis recta et altera [longa imperfecta). Es mag also zur
Zeit der Zweitheiligkeit die Ligatur ursprünglich den Werth brevis
brevis besessen haben, beim Eindringen der Dreitheiligkeit* mißt dann
^ Aristoteles SS. I, 273. Prima recta brevis est, secunda vero imperfecta
tam supra literam qtuwi sine. In secundo tarnen modo tertio et septirfio ambe pro-
nuntiantur equales tantummodo supra literam. Ebendaselbst werden noch
mehrere Ligaturen angeführt, bei denen ausdrücklich bemerkt ist, daß sie cum
litera et sine litera dieselbe Geltung haben.
Anon. IV. SS. I, 341. JEt notandum^ quod quedam ßgure aeeipiuntur sine litera
et quedam cum litera. Sine litera conjunguntur in quanium possunt vel poterunt,
cum litera quandoque sie, quandoque non.
Ibid. 343. Notandum est, quod differentia est dicendo cum litera et sine litera^
quoniam sine litera fiat ligatio punctorum quantum plus poterit Cum
litera vero quandoque fit ligatio quandoque non ; sed in maiori parte plus distrahun-
tur quam ligantur,
2 Daß bei mehrstimmigen Gesängen Instrumentalbegleitung üblich war, be«
weisen mehrere Stellen: Jeronimus de Moravia SS. I, 15^ aliu» {modus teniperandi
viellas) necessarius est propter laycos et omnes alios cantus (das werden wohl die
moteta mit diskantiereliden Stimmen über einen weltlichen Text in der Volkssprache
sein), maxime irreguläres, qui frequenter per totam manum {Ouidanis) disnurrere
volunt. Ibid. Finaliter tofnen est notandum ^ quod in hac facultate est diffidlius- et
solemriius meliusque, ut scilicet seiatur, unicuique sono, ex quibus unaqueque melodia
contezitur, cum hordunis (auf der tiefsten Saite der ViellaJ primis consonantiis re-
spondere, quod prorsus facHe est, scita manu secundaria, que scilicet solum provectis
"adhibetur, et eius equante.
8 Studien zur Geschichte der Kotenschrift. Leipzig 1878.
* Ebendas. S. 216.
Der Liederlcodex von Montpellier.
21
pi 3 1 und 2 tempora. Die Diskantstimmen, die dem weltlichen,
volksthümlichen Gesänge der Nationalsprache entnommen wurden,
haben die ältere Notierungsart derselben länger beibehalten, im Tenor,
der der gelehrten Spekulation näher lag, ist die Dreitheiügkeit eher
eingedrungen.
Überreste zweitheiliger Mensur scheinen sich auch noch im
Kodex von Montpellier erhalten zu haben: Yllie läßt sich nicht in
Perfektionen zu 3 tempora abtheilen und die in IV5 öfters vor-
kommende Figur ■ ■ kr ■ (= drei Perfektionen) läßt sich nach
Franconischer Theorie ebenfalls nicht befriedigend erklären, sondern
hat nur dann einen Sinn, wenn die mittlere Perfektion nur zu zwei
tempora gerechnet wird.
IV.
Eine durchgreifende Verschiedenheit weisen auch die übrigen
Ligaturen auf. Ich gebe zunächst das gesammte Ligaturenmaterial,
nach der Geltung geordnet.
Jüngere (Franconische)
Ältere Notation:
Notation:
A. SBwei Semibreves.
1. y 1148. 49. 51. IV5. 6. 17. V15. 29.
VI31.
2.
<n
43. 44. 46. 47. 48. 51. HI 4. 7. 87.
IV5.6. 8. 17. 18. Vi5.26. 30. VI 32.
I3 VIIio. 11. 12. 16. 24. 27. 28. 94. 86. 39.
Vniig. 20. 2«. 41.
I2. 3. 45. Vn 10. 11 . 18. 16. 24.27. 28. 34. 86. 39.
VIII19. 22. 23. 41.
1.
2.
3.
5.
B. Anflmg swei Semibreves, Schlassnote longa ^
(cum opposita proprietate et perfectione}
^ vn». '1^ I,.
'^^ i46. ^\vn4o.
■53 vin22. I^j^vra23.^ vn
25.40. Vllljs.
I
\ ii. vin«.
^2. ^JUs.
4. ^m rVe (ein einziges Mal).
24.
< Bei den Ligaturen cum opposita pröprietcUe fehlt in den Facsimiles oft der
aufirftrts gekehrte Anfangsstrich; daß es Ligaturen cum opposita proprietate sind,
22
Oswald Koller,
C. Anikuig Bwei BemibroFee, flohluBsooto brevis
(cum opposita proprietate sine perfectione}.
■^ I3.Vni2.28.35. Vm22.23.
l.L^Il48.50.ni7.9.IV6.V,3.
2.yvii...m...v».a,.33.Ä.
n42. rvg. V30.
3. ^ HIt.
4. !§^ II43.46. 48. V33.
5. Lj5 1I48.80. in,.«.iv,7.V33.
6.
7.
fs vn«. 28. 35. «. vm,«. [^ I,.
^"^ vm23.
^1 JJIa. V33.VII10.11.1J.14.27.28.34.38.3».
Vin22. 33. 41.
L^ i3.vnj5,35.vni4i.^vnjs.
vm«. ^^
^^ II. 45. VIIio. 12. 13. 24. 27. 28. 35. 38. 40.
VIII21. 22. 23.
^A II43.5O. ^^
D, AnfftTiganote brevlB» SohlusBnote longa
(cum proprietate et perfectione).
1. I" ■ 1X42. 43. 47. 50. 61. IÜt. 9. 37.
rVs. (j. 14. 17. 18. Vis. 26. 29. 30. 33.
VIsi. 82.
2 . ■■ 1147. 49. 50. ni?. 9. IV5. V33.
3. An47.60.in7.9.IV5.V93."%iIl7.
4.
IVi
5.
li. 2. 46. VIIio. 13. 25. 27. 28. 85. 39. 40.
Vini9. 21. 22. 23.
^ Il.2.45.B""l2.Vn25.
B^ vin22.^i5vni22. ^^.^
V1I25. X^ vn25.
A l2.45.Vni3.Vm22."\ VHiS.
■■^ ii. 2. J's^ ii. ^\ vn25.
^^Svn25.
beweist der rhythmische Zusammenhang. Coussemaker hat es in den Transskrip-
tionen stillschweigend yerbessert.
Der Liederkodex toh Montpellier.
23
5. P II47. 50. m,. 9. IVs. Vj,.
6. [^ II47. 60. HIt. j. IVs. 17. Vs3.
7.^^ V:
so.
15.
^i2. 45. i^viite. vm«. nsavn
\ll.2.48. 1^ VHk.
^
vm
19.
TSL AufJangsnote brevis, Bohliuanote breviB
(cum proprietate sine perfectiione) .
^ I2. 3. 45. Vllio. 11. 12. 13. 16. 24. 25. 28. 35.
36.40. Vnii9. 22. 23. 41,
1 • ^ S ^i- ^^' 44. 46. 47. 48. 49. 50. 51.
ni4. 7. 9. 37. IV5. 6. 8. 14. 17. 18. Vi5.
26. 29. 80. 33. VI31. 32. (vgL pag. 15.
16).
2.
3.
jp
33.
4. (SPll42.46.48.ni7.IYl8.
5. 1^ IV,8. Vjj. r*^ Ilio.
6. r^n43.IIIj7.IVM.17.V2».
in ^1- 2- 3- «• ^^^ ^»' VIIlJ. tj. 28. 34.
35. 3«. 3», VULI19. 21. 22. 23.
u^hyiii».3s. t^ ii. i^^ii.
ii.
i..vn,6.2s. vin28.,^ii.vnia.
I|.3. VII13. 16. 25. 28. 3«. 40. VIH«.
21. 22. 38. 41.
II.
1.
F. Anfluiganote longa» SeblÜBsnote longa
(sine proprietate cum perfeetione)
Ii.
2. BT Il48;51. rVe. 17. V29.3O. VIst. 32.
3. billig. 51. rVe. 17. V29. 30. VI31. 32.
^ I,. . n„ vn». vm^
I II. 2. 1148. VIIio. 27. 3«. Vlil21. 22.23.
^% vni„.
24
Oswald Koller,
4. P* II48. M. IVe. 17. V29. so. VIsi.
5. V IV17.
6. 1l V30.
7. Pv n«. rvi6. V». 30.
iQ VIIIll. 22. 13.
% II.
Ti ^2- «• VIÜll. 23.
vni2,.
l.^ll5,.IVi7.Vl3,.
Q. Anfiuigsnote longa, Sohluasnote brevis
(sine proprietate et perfeetione).
■T I«. VIIio. 25. Vmi9. 21. J^ YlJIn
I
^'^ vn25.
Ni vm22.
2. % I45. VIIio. 24. 25.
Die jüngere Notation stimmt genau mit der Francönischen
Theorie, die ältere weicht in mancher Beziehung davon ab, namentlich
in den Gruppen A, C, F. Wie gleiche Notenwerthe in der altem
und jüngeren Notation verschieden bezeichnet wurden, ist oben zu-
sammengestellt; es werden aber auch ungleiche Notenwerthe durch
gleiche Ligaturen bezeichnet.
Ältere Notation.
13 2 semibr., brevis
llrtL 2 semibr.y brevia, brevis
^^ brevis, brevis, longa
^3 brevis, brevis, brevis.
Jüngere Notation.
3 2 semibr., longa
li^l 2 sexnibreyes, brevis, longa
1^^ brevis, brevis, brevis
S brevis, brevis, longa.
Der Unterschied liegt in der SchluBnote; daraus folgte daß der
älteren Notationsweise wohl die proprietas bekannt war, daß jedoch
die perfectio ein erst später aufgekommener Begriff ist, da in der
altem Notation noch keine bestimmten Regeln für die Figuration der
letzten Note existieren. Man vergleiche darin D 4 mit jD 5, ^ 4 mit
Eh] hier hat die Schlußnote verschiedene Notation und doch den-
selben Werth. Umgekehrt gilt dieselbe Gestalt der Schlußnote in
C 1, 4, 5, E h brevis, in Z> 2, 5, jF2, 4 lonffa, in C 2, 3, 7, Cr 2 brevis,
in 5 4, X) 3, 6, 7, ^^3, 6, 7 lonffa; in JS^ 2, 4, Gl brevis, in X) 4 longa.
Der Liederkodex Ton Montpellier. 25
Dieselbe Ligatur hat bei Aristoteles und Garlandia noch nach
dem Modus verschiedene Werthe.^ Was die Ligaturen 2> 4 und EA
anbelangt, so ist zu beachten, daß J)A ein einziges Mal am Anfang
des Tenors von IV5 vorkommt; bei der Wiederholung derselben
Stelle steht 2>5; es kann also auch ein Irrthum des Schreibers sein.
1 Ausführlich bei Jacobathal p. 61 £f. und p. 77. -
Chtrlandia SS. I, 100. 101. Prtma regula primi modi dicitur esse tres ligate ad
mvieem in principio . , . ei hoc totum cum praprietate et perfeetione ; hier gilt also
die Ligatur longa brevis longa. Tertius modtts probatur ita per Jiguras, cum prima
esi longa et postea tres ligate et tres ligate cum proprietate et perfeetione; quartus
modus sumitur hie: tres et tres cum proprietate et perfeetione; hier gilt also die-
selbe Ligatur brevis reeta, brevis altera, longa.
Ebenso im andern Traktate SS. I, 179: Prima regula primi modi dicitur esse
tres ligate ad invicem in principio , . , et hoc totum cum proprietate et perfeetione,
iTertius modus dicitur per ßguram prima longa et tres ligate ut hie cum proprietate,
Quartus didtur ita: tres st tres et tres ligate cum proprietate.
Die Beispiele bei Garlandia sind ziemlieh ungenau, namentlich bezüglich der
Ligaturen sine proprietate und sine perfeetione.
Aristoteles SS. I, 279 :
(Secundus modus) iste sie ligabitur
ei prius dabitur
trina coUeeta,
quam comitabitur
si continuabitur
ducditas ailfscta.
Aus den Versen geht es zwar nicht hervor, wohl aber ist aus dem beigefügten Bei-
spiel zu ersehen, daß es eine Ligatur cum proprietate et perfeetione ist; sie gilt
also longa brevis longa.
Quartus (modus) quatemarium
tenet ßgurarum
et ob hoc post tertium
coüoeqtur parum.
Finis et prineipium
perfecte sunt h€trum,
tnedie sunt brevium
non adequatarum
quedam per se stantium
atque perfeetantm.
semper initium
hie ligaturarum
postea temarium
sumet Hgatarum
unum et post alium;
totum erit darum.
Das folgende Notenbeispiel zeigt dann eine ligatura temaria cum proprietate et
perfeetione in d^r Geltung brevis rceta, brevis altera, longa. Deutlicher drückt sich
Aristoteles aus SS. I, 274: Im ersten Modus prima est longa imperfecta, secunda
recta brevis, teriia prime similis. Im vierten Modus prima profert unwn tempus,
seeunda duo, tertia tria et hoc secundum ordinem quarii modi, — VergL oben S. 14.
26 Oswald KoU«r,
Ebenso steht in Y^-^ nur einmal (74 ^^ statt des sechsmal vor-
kommenden sS ) 6Üi ähnlicher Schreibfehler dürfite in 1119 anzu*
nehmen sein.
Auch J^ 6 ^ in der Bedeutung hnga longa gegenüber ß 2 in
der Bedeutung longa brevü kommt nur ein einziges Mal in ¥30 als
Schluß der obersten Stimme vor, wo natürlich die letzte Note longa
sein muß. ^ hat dreifache Bedeutung; in den Tenored des ersten
Modus gilt diese Ligatur longa brevis longa (jP 4), in denen des 3.
4. 5 aristotelischen Modus brevis brevü longa (Z>5]; nur zweimal in
lY^g und ¥33 kommt sie in der Bedeutung dreier breves vor (E 5);
nun steht aber in IV] g auch |^ (E- 4) in gleicher Bedeutung, es
kann also auch hier und analog dazu in y33 ein Schreibfehler Ter*
muthet werden.
Eine Übereinstimmung zwischen älterer und neuerer Notation
findet sich eigentlich nur in den Ligaturen cum proprietate et per--
fectione\ theilweise stimmen überein die Ligaturen sine petfectione
cum et sine proprietate und die Ligaturen sine proprietate cum perfec^
tione\ gar keine XJbereinstimmung zeigen die Ligaturen cum opposiia
proprietate sine perfectione.
Daraus scheint wieder hervorzugehen, daß die Ligatur cum pro-
prietate et perfectione die älteste ist,^ daß dann erst durch Verwendung
der gegentheillgen Merkmale die Ligatur sine proprietate sich ent-
wickelt hat und daß die feststehende Bezeichnung der perfecüo am
spätesten entstanden ist.
Eigenthümlich ist die Entwicklung Aer ßgura obliqua\ sie tritt
erst in der spätem Notation häufiger auf und zwar beinahe überall,
wo zwei absteigende Noten aufeinander folgen, insofern nicht etwa
der valor der Noten dadurch eine Änderung erfährt. In der altem
Notation steht sie überall zur Vermeidung der Figur '^ in C 4,
5, 7, D 4, 5, 7, £ 4, 5, jP 4 und zur Bezeichnung des Unterschiedes
von D 3 und JE 3, von D 6 und E 6; beidemal bekommt hier die
absteigende oblique Figur die Bedeutung der Imperfektion
E 3
E 6
S> 3 breves m > brevis brevis longa,
I ^6^.1
Somit konnte sich von hier aus die Bedeutung der obliquen Figur
als Bezeichnung der Imperfektion geltend machen gegenüber der ßgura
recta als Zeichen der Perfektion, zumal gerade die Ligaturen cum
^ YergL Biemann a. a. O. S. 244.
Der liederkodex von Montpellier. 27
proprietate et perfectione die am häufigsten gebrauchten waren. Diese
Geltung der obliquen Figur ist dann in der neuern Notation übei^e-
gangen auf die absteigenden Semibreves A 2 und überhaupt auf die
Imperfektion der descendenten Figuren (7 2, 3, 6, 7, E \y 3, 5, 6; G 2.
In der altem Notation erscheinen überhaupt die meisten Liga-
turen cum perfectione y spärlich daneben die Seitenformen sine per-
fectione [D 4, E 2, 3; 5, 6). Es wurde also ursprünglich die letzte
Note immer in der Form der Perfektion notiert, und erst später, als
sich die Nothwendigkeit herausstellte, den wechselnden Werth der
ScUuBnote auch äuBerlich zum Ausdruck zu bringen, differenzierte
sich die Notation derart, daß die althergebrachten Bezeichniingen
üblich blieben zur Bezeichnung einer langen Note (Perfectio]^ während
neuere Nebenformen, namentlich die ßgura obliqua sich zur Be-
zeichnui^ der Imperfektion ausbildeten.
Übergriffe älterer Notation in jüngere Fascikel und umgekehrt
sind äuBerst selten. Ein Beispiel des letzteren ist die Ligatur E 1,
welche in ihrer jüngeren Form p' in älteren Fascikeln, II 43 und
IV5 vorkommt, beidemal vereinzelt neben älterer Notation ; so scheint
in diesen Fascikeln schon der Übergang zu einer neuen Notation an-
gebahnt. Wichtiger ist, daB auch jüngere Fascikel Überreste älterer
Notation zeigen. Hierher gehört G 2, das in seiner älteren Form in
I45 VII24. 25> iii seiner Franconischen Form in VIII 23 erscheint.
Auch in Ij bei der ligatura hinaria ascendens cum proprietate et per-
fectione ist eine solche ältere Geltungsw^ise beobachtet worden. Es
ist also wahrscheinlich, daß die Fascikel I und VII ursprünglich
nach älterer Weise notiert waren und dann in die neuere Notation
umgeschrieben wurden, wobei jedoch einzelne ältere Formen irr-
thümlich stehen geblieben sind. Eine starke Stütze erhält diese
Yermuthung durch die Betrachtung der Tenore des siebenten Fas->
cikels, speciell von VII 12 und VII 35. Die Stücke VIIu und VII 35
stehen im zweiten Franconischen Modus (Jamben) ;i es finden sich
aber unerhörte Ligaturen mit caudae an der mittleren Note, wie sie
von keinem Theoretiker verzeichnet werden. Auch die Geltung
dieser temären Ligaturen ist eine ungewöhnliche: sie sollen hrevii
hmga irevis gelten. Getreu dem Grundsätze omnes medie breves
eifert Franco SS. I 124 gegen solche Geltungen: per quod patei po^^
sitionem ülorum esse faham, qui ponunt in temaria dKquam mediam
esse Umgarn. Der Vorwurf ist gegen Garlandia und Aristoteles ge*
richtet, die in der That solche Werthe von Ligaturen aufstellen.
1 Daß es nicht der vierte Modus ist, seigt klar die 15. und 29. Notengruppe
des Tenors von VII 12.
28
Oswald Koller,
Modus secundtcs
[secundum Aristotelem ieriius),
Garlandia SS. I, 101. 102 Aristoteles SS. I,''274. 280
{Tergl. Jacobsthal a. a. O. pag. 65). (ygL Jacobstlial pag. 78).
J oder Jr
\
» breTis, longa, brevis *
Auch hiei zeigt sieh die schwankende Bezeichnung des Werthes
der letzten Note, der noch unentwickelte Begriff der Perfektion bei
Garlandia, die theilweise bereits feststehende Bezeichnung der Per-
fektion, der Übergai^ zur Franconischen Notation bei Aristoteles.
Die Tenore der beiden fraglichen Stücke VII 12 und VII 35 istimmen
aber weder mit der Garlandia'schen noch mit der Aristotelischen
Notation überein. In VUs5 ist es nur eine einzige Ligatur, die
Schwierigkeiten macht ^in ; bei Aristoteles wie bei Garlandia ist
eine derartige Ligatur immer mit einer ^^ra obliqua notiert. Sie
könnte entstanden sein durch eine vielleicht vom Schreiber nicht
beabsichtigte Zusammenrückung von iB 1 1 und das würde zur Fran-
conischen Notationsweise des zweiten Modus stimmen: aemper due
cum proprtetaie et perfectione et inßne sola brems.
Schwieriger ist die Erklärung von Vllja- Der Text ist offen-
bar zerrüttet. Der Tenor wiederholt dieselbe Melodie dreieinhalb-
mal, und jede Wiederholung ist anders notiert. Die Tenormelodie
Aptatur kommt in den Beispielen des Kodex fünf Mal vor, VII 12,
VII16 IV18 V26 II44, das erste Mal im modus secundus, die übrigen
Male im modus primus. Die drei letzten Notationen stimmen Note
für Note mit einander überein; Vll^g weicht zwar in der 6. und
21. Note davon ab, das ist jedoch ein Fehler. Aus harmonischen
Gründen ist die richtige Note beidemal c statt d^ wie auch Cousse-
maker in der XJbertragung stillschweigend gebessert hat, und dann
stimmt auch Vll^e genau mit den drei übrigen Fassungen. VII 12
aber weicht merklich ab : es hat zu Anfang eine Note, mehr ; die
quatemäre Ligatur heißt hier f ff a ff statt f ff €l f und namentlich
der Schluß differiert mit den übrigen Fassungen. Somit werden auch
noch andere Ungenauigkeiten 2u erwarten sein.
Der Tenor von VII 12 besteht aus acht Gruppen von 3 (und 4'
Der Liederködex von Montpellier. J^
Noten, die dreimal wiederholt werden; die drei ersten Gruppen wieder-^
holen sich noch ein viertes Mal. Diese Gruppen sind
1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8.
"' j^ jT j^ \ \ -f A
j^ Hf s" ^ ^ "1" ^
V <^ fl" =■ Ps ^ "T A
% 1^ in n (als Sohlußnote longa).
Aus der Betrachtung der Gruppen 4 Je und labe geht hervor,
daß das Metrum wirklich brevts longa brevis ist; aus der Betrachtung
der Gruppen- 2, 3, 4, 7 geht aber auch hervor, daß solche Zu-
sammenrückungen oder Auseinanderzerrungen, wie sie oben bei Vlla^
vermuthet wurden, wirklich stattgefunden haben. Die Ligaturen
entsprechen weder der Garlandia'schen noch der Aristotelischen
Notationsweise, wohl aber wird die Schreibweise erklärlich, wenn
man annimmt, daß ein in Franconischer Notation zu schreiben ge-
wohnter Kopist eine in Aristotelischer Notation* verfaßte Vorlage
in ungeschickter Weise abgeschrieben hat. In rein Aristotelischer
Notation müßte der Tenor folgende Gestalt gehabt haben :
- 1* 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8.
"' j^ / / \ \ '^ f'
Nach Franconischer Notation dagegen:
■> j^ s- a- f., y, .f -N
oder mit plica öder
oder pliciert
Als der Kopist zu schreiben begann, sah er die Differenz zu
seinem gewohnten Schreibgebrauch. Die Gruppe 1 ließ er, wie sie
war, vielleicht weil diese binäre Ligatur mit der trochäischen Geltung
nM^in Übung war. 2 a brauchte nicht geändert zu werden. Aber
^ Daß keine Oarlandia'sche Originalnotierung vorlag, ersi^t man aus Gruppe 7,
nach Garlandia müßte ■ ■ yorausgesetzt gern.
30 Oiwald Koller,
Giuppe 31 Der Schieiber war gewohnt sie lonffa brevts hrevia zu
lesen; um die Kürze der ersten Note herauszubringen, ließ er die
cauda weg; das stimmte nicht, drum gab er der mittleren Note noch
einen Strich, um sie als longa zu bezeichnen (3 a), und als sich die-
selbe Ligatur in 4' wiederholte, verzichtete er vorläufig auf jede
Emendation und brachte nur die cauda in der ihm geläufigen Weise
rechts an (4 a). Auch die Gruppe 5 und 6 stimmte nicht zu seinen
gewohnten Regeln; er war gewohnt, die Ligatur longa brevis longa
zu lesen, also gerade das Gegentheü von dem, was sie bedeuten
sollte. Er half sich damit, daß er der ersten Note eine cauda gab;
dadurch wurde die erste Note brevis recta^ die zweite brevis altera
und so war wenigstens nothdürftig eine Übereinstimmung hergestellt
(5 a, 6 a); allerdings stimmte die letzte Note nicht. Die 7. Gruppe
konnte stehen bleiben, die 8. blieb, weil er sich vorläufig keinen
Rath wußte. Bei der Wiederholung blieb li, 25 unangetastet. Bei
3 6 wurde ein neues Experiment angestellt: die cauda wurde wieder
restituiert (36); auch das half nicht aus der Verlegenheit. Endlich
wurde die temaria ligatura in eine binaria und eine einzelne brevis
zerlegt (46) und damit war endlich eine Übereinstimmung mit der
Franconischen Notation erzielt. Dieser Ausweg wurde, auch wo es
nicht nothwendig war, angebracht (76), falsch angeordnet (2c), ein
neuer Versuch mit einer plicierten Ligatur gemacht (3c) und endlich
zur bewährten alten Zerlegung zurückgekehrt (4 c, 7c, 3rf). Bei
Gruppe 8 wurde nach Analogie zu 5 und 6 die Übereinstimmung
nothdürftig hergestellt, indem durch Weglassung der cot^a die Li-
gatur in eine von demselben vahr wie 5 und 6 verwandelt wurde«
Somit giebt dieser Tenor den Beweis, daß die Stücke des VII. Fas-
cikels vorher in Aristotelischer Geltung notiert waren, zu Franco's
Zeit jedoch in die bei ihm giltige Notierimg umgeschrieben wurden.
Überblickt man die Tenore des VII. Fascikels im Zusammen-
hang, so wird die Hjrpothese dadurch gestützt. Zu Fascikel VII ge-
hören :
Fol. 270 Nr. 10. Die longae sind nach Aristoteles und Franco gleich;
bei der Umschreibung brauchte der Kopist nur
die caudae an die ternären Ligaturen anzufügen,
um die Schreibung mit Franco in Überein-
stimmung zu bringen; doch ist ihm hier ^ in
Aristotelischer Geltung stehen geblieben«
I Da die Notation nach Franco und Aristoteles yl«ir'
einstimmt, brauchte der Schreiber keine Änderungen
zu machen.
)) 275 » 34. j
277 9 39. Wie Nr. 10.
Der Liederkodez von Montpellier, 3}
Wie in Nr. 1 1 und 34, nur sind die Aristotelbchen
Pausenzeichen stehen geblieben.
Wie Nr. 11 und 34.
Wie Nr. 10.
Wie Nr. 11 und 34.
Liedtenor, kein cantusßrmus aus dem Gregoria-
nischen Gesang.
319 » 12. Aristotelische Vorlage, miBglückte Translation, ver-
ursacht durch die Schwierigkeit und das 'minder
übliche Metrum.
Wie Nr. 11 und 34.
Die bei Vllia gewonnenen Erfahrungen werden
mit mehr Geschick verwerthet.
Fol.
292 Nr.
28.
»
294 A
24.
9
300 9
27.
»
309 9
16.
»
314 »
.36.
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Wie Nr. 11 und 34.
Aristotelischen Einfluß zeigen noch andere Stücke. Aristoteles
statuiert nämlich noch mehrere besondere Metra, die sonst bei keinem
andern Theoretiker Torkommen: sein modtts qutntus besteht aus
brevis longa brevü brevis longa; sein modus seztus aus longa, semi-
brevis semibrevis brevis brevis longa. Dieser fünfte Modus kommt
vor im Discanius und Triplum von II 44, im Discantus, Triplum und
Quadruplum von 1140, im Discanius und Triplum von Vjs, im Dis-
canius von Y^a, im Tenor von Y^^. Der sechste Aristotelische Modus
kommt vor in Vn24 und Vn4o, jedoch nicht ganz genau; VII 40
zerl^ die erste longa in eine longa imperfecta und brevis {longa
imperf, br. semibr. "semibr. br. br» Iga,), VII24 fügt noch einen Auf-
takt hinzu [br. lg, impf. br. semibr. semibr. br. br, Iga.). Die
Ähnlichkeit der beiden Teiiore in melodischer Beziehung, sowie ihr
Charakter als Pes nach Art des Sumercanons lassen keinen Zweifel
an ihrer nahen Yerwandtschafl zu.
Ist es allzu kühn, wenn man behauptet, daß außer dem VII.
auch noch der II. und V. Fascikel der Aristotelischen Schule ange-
hören? Bezüglich der übrigen Fascikel ist wenigstens von einem
mit Sicherheit zu sagen, daß er nicht Aristotelisch sei. Der Tenor
von rV( ist im dritten (daktylischen) Modus geschrieben mit temären
Ligaturen, deren Werth allerdings bei Aristoteles und Garlandia gleich
ist. Wo jedoch die temäre Ligatur aufgelöst wird in eine brevis
und eine binaria ' p^, ^ J, ist die erste Note dieser Ligatur brevis
altera^ die zweite longa perfecta, während nach Aristoteles^ die
Ligatur ausdrücklich den Werth brevis recta, longa imperfecta hat:
> SS. Ir 273, Tergl. Jaeobsthal p. 75.
32 Oswald Koller,
Prvna recia hrevis est, secunda vero longa imperfecta, ut manifeste
patet in quarto quinto et sexto modo tarn supra liUeram quam sine.
Somit ergiebt sich als Resultat der Untersuchung:
1. Die ältesten Theile des Kodex von Montpellier sind die Fas-
cikel III, IV, VI, von denen wahrscheinlich der ganze IV.
nach Garlandia notiert ist.
2. Der V. Fascikel zeigt durchgehends Aristotelische Notation;
auch der 11. Fascikel ist vorwiegend nach älterer Art, wahr-
scheinlich im Aristotelischen System notiert, doch weist er
schon einige Eigenheiten der Franconischen Theorie auf.
3. Im I. und VII. Fascikel ist die Franconische Schreibweise
zum größten Theile durchgedrungen ; doch reichen diese Fas-
cikel in eine ältere Zeit hinauf und sind erst später in Franco-
nische Notation umgeschrieben worden. In I zeigen sich hie
und da Überreste älterer Notation, VII ist aus einer Aristo-
telischen Vorlage in Franconische Schrift transskribiert.
4. Vin gehört unbestritten der Franconischen Periode an.
V.
Es wirft sich die Frage nach den Autoren der durchweg ano-
nymen Stücke auf. Coussemaker verfährt in höchst unkritischer
Weise, indem er jede Komposition, die überhaupt irgendwo citiert
wird, ohne weiteres mit einem Stücke des Kodex von Montpellier
und den Citator mit dem Komponisten des fraglichen Stückes iden-
tificiert. Auf diese Weise erhält Coussemaker Kompositionen vom
Autor der Discantus positio vulgaris u. a. Es erscheint vorsichtiger,
dort, wo kein Autor genannt ist, auch keinen bestimmen zu wollen,
sondern nur das relative Verhältniß der Fascikel zu den einzelnen
Autoren, deren Schule die Fascikel entstammen, festzustellen. Da
schon aus dem Vorherbesprochenen erhellt, daß jeder Fascikel eine
in sich gleichartige abgeschlossene Individualität zeigt, so darf wohl
im Ganzen das, was bezüglich eines Stückes eines Fascikels fest-
gestellt wird, auch auf den ganzen Fascikel übertragen werden.
I. Discantus positio vulgaris.
SS. I 96. De primo modo: cujus quidam tenor aliquando cofh-
cordat cum moteto in notis ut hie: Virgo decus castitatis. Ei
tunc semper nota longa de motheto note longe correspondet de tenore
et brevis brevi ei e converso, Pausavero utriusque valet unam bt^vem.
Der Liederkodex von Montpellier. 33
-
msi simul pauset uterque cum triplo et tunc pause cantus ecclesiastici
tenentur ad pladtum.
Das stimmt genau zu IVq.
Aliquando vero tenor constat ex notis omnibus longis sicut tenor
moiheti: O Maria maris Stella et tunc semper nota longa cum brevi
de moiketo uni tnntum longe de tenor e correspondent et e conveiso.
Pausa vero utriusque est longa, nist simul cum triplo pauset uterque
et tunc sicut prius.
Auch das stimmt zu lYg.
Item secundi modi tenor aliquando convenit in modis sicut hie in
parte: In omni tuo fratre sum et Gaude chorus omnium,
Coussemaker schreibt auch diese beiden Stücke Uly und III 9
dem Autor der Discantus positio vulgaris zu. Nun stimmt aber der
Text nicht genau überein; er heißt In omni tuo fratre non. Dazu
stehen zwar die diskantierenden Stimmen in beiden Stücken im zweiten
Modus, der Tenor jedoch im vierten. Es muß also dem Autor
der Discantus positio vulgaris eine andere Bearbeitung vorgelegen
haben.
Similiter et tertii modi tenor cum motheto convenit sicut hie: O
na Ho nefandi gener is tunc semper singule note de motheto singulis
notis de tenore et breves brevibus correspondent. Auch das stimmt
genau zu IV5. Die letzte , in der Discantus positio vulgaris citierte
Komposition kommt im Kodex von Montpellier nicht vor.^ Erwägt
man nun, daß alle Stücke , welche mit der Discantus positio vulgaris
übereinstimmen, dem vierten Fascikel angehören, daß alle Stücke, die
damit nicht übereinstimmen, in andern Fascikeln sich finden, daß end-
lich die mit der Discantus positio vulgaris übereinstimmenden Stücke
durch den ganzen vierten Fascikel zerstreut sind und nicht etwa bloß
.eine abgesonderte Gruppe innerhalb desselben Fascikels bilden^: so
kommt man zu dem Schluß, daß der vierte Fascikel als Ganzes
dem Autor der Discantus positio vulgaris vorgelegen haben und, wenn
nicht älter, so doch gleichaltrig mit dem Traktate sein muß. Der
dritte Fascikel dürfte in dieselbe Zeit hinaufreichen, doch lag dem
1 Wohl aber wird sie citiert von AristoteleB SS. I, 280 als Beispiel zum
vierten Modus.
2 Der vierte Fascikel enthält:
Fol. 87. 88 Nr. 5 D. p. v.
Fol. 88. 89 Nr. 8 D. p. v.
Fol. 89. 90 Nr. 17
Fol. 92. 93 Nt. 14
Fol. 96. 97 Nr. 6 D. p. v.
Fol. 98. 99 Nr. 18.
1888. 3
34 Oswald Koller,
Autor der Discanius positio vulgaris jedenfalls eine andere Re-
daktion vor.
Von den Stücken des vierten Fascikels scheint besonders Nr. 8
sehr bekannt gewesen zu sein; es wird noch citiert von Aristoteles
pag. 280 und Franco pag. 127, beidemal die oberste Stimme O Maria
virgo davidica, beidemal als Beispiel zum fünften resp. siebenten
Modus. Auch beim Anonymus III pag. 324 wird es citiert, stimmt
aber nicht in den Noten überein. Ob auch noch andere Stücke des
vierten Fascikels andern Autoren bekannt gewesen sind, läßt sich
nicht entscheiden; IV14 Veni sancte spiritus wird zwar von Aristo-
teles pag. 279 citiert, jedoch ist die Melodie eine abweichende.
n. Johannes de Garlandia.
Die Theorie Garlandia's ist entwickelter als die der Discanius
positio vulgaris, jedoch noch immer unvollkommen. Es kann der
Traktat Garlandia's zeitlich nicht weit von der Discanius positio vulgaris
abliegen ; vielleicht ist der vom Anonymus quartus genannte Johannes
Primarius mit dein älteren Garlandia identisch. Es ist oben darauf
auficnerksam gemacht worden, daß der Tenor von VI 32 mit seiner
ganz eigenthümlichen Notation von Garlandia pag. 101 als Beispiel
für den ersten Modus angeführt wird. Da aber der VI. Fascikel bei
üoussemaker durch eine sehr ungenügende Zahl von Beispielen be-
legt ist, so lassen sich keine sichern Schlüsse ziehen. Beachtens-
werth ist immerhin, daß von den in beiden Traktaten Garlandia^s
als Beispiele verwendeten Tenoren die weitaus größte Zahl auch im
sechsten Fascikel erscheint und zwar Angeltis Fol. 241, Audißlia
Fol. 246, 250, 255. Balaam Fol. 249; Docehii Fol. 260, 265; Domino
Fol. 239, 244, 245, 254, 261; Eius Fol. 258, 261. Ferens Fol. 234.
Fiai Fol. 238, 239, 256; Laius Fol. 232, 235, 244, 263. Omnes Fol.
235, 239.
Außerdem erwähnt Garlandia pag. 1 1 6 noch mit größtem Lobe
des Perotinus und citiert aus dessen Alleluja Posui adjuiorium eine
Stelle mit dem Texte cernens als Beispiel zum sechsten Modus; ^ das
stimmt aber genau zu Takt 14 — 21 der mittleren Stimme von Ii,
jedoch so, daß das Beispiel bei Garlandia in der älteren, das Stück
des Kodex von Montpellier in der jüngeren Notation geschrieben ist.
1 SS. I, 101: Bene prohatur (diese Notationsweise des sechsten Modus) per
exemplum, quod invenitur in aüeluia: Posui adiuiorium in iriplo ui sumitur
in hoc exemplo (folgt das Notenbeispiel pag. 35).
Der Liederkodex von Montpellier. 35
Garlandia
SS. 1 101.
Kodex von
Montpellier —f-
I.. =
Oemens.
Daraus folgt: 1) daß dieses Posui ein Werk Perotins ist; 2) daß
das Stück Garlandia in seiner ursprünglichen älteren Notation vor-
lag, jedoch für den Kodex von Montpellier in neuere Notation um-
geschrieben wurde. Im obigen Citat zeigt sich auch die Stelle, wo
die binäre perfekte Ligatur in der Bedeutung zweier Breven (oben
pag. 19] stehen geblieben ist. Aus der Verwendung des Wortes
Alleluja als Gattungsbegriff, Posui adjutorium als Specialtitel geht
hervor, daß die Stücke Ii und I2, die bei Coussemaker getrennt sind,
ursprünglich ein zusammengehöriges Ganzes gebildet haben.
Über die übrigen Stücke des ersten Fascikels ist aus Garlandia
kein Aufschluß zu holen. Da sie jedoch alle einen gleichmäßigen
Charakter tragen, so mögen im. ersten. Fascikel noch mehrere Stücke
Perotins enthalten sein.
in. Pseudo -Aristoteles.
Von den Stücken des Kodex von Montpellier werden bei Aristo-
teles erwähnt:
Uauirier nCesbatoie j Veni virgo beatissima
Demenant grant joie IV 14 \ Veni sancte spiritus
Manere I Neuma
IAmor vincens amnia
Marie preconio , jedesmal die mittlere Stimme, end-
Aptatur
lieh ein Bruchstück a ma dame que j'^avoie aus dem Anfang der
Povre secors
Gaude chorus omnium
Angelas,
Hiervon- stimmt IV14 gar nicht, Vni2 wohl in den Noten, nicht
aber im Metrum, III 9 zum großen Theile, das einzige Vi 5 voll-
kommen genau überein. Soinit wird, da der DI. und IV. Fascikel
als älter erkannt worden sind und da auch sonst der V. Fascikel,
wie oben pag. 31 erwähnt, mancherlei Aristotelische Beziehungen
zeigt, mit Sicherheit wohl nur der V. Fascikel als Vorlage Aristo-
teles' bezeichnet werden können.
3*
obersten Stimme von III9
36
Oswald Koller,
Außerdem wird jedoch noch ein Hoquet In aeculum erwähnt
und daraus eine Stelle citiert. Da derselbe auch später vom Ano-
nymus quartus, Odington und Franco erwähnt wird und auch der
Kodex von Montpellier unter I45 diesen Hoquet enthält, so ist das
Verhältniß genauer zu untersuchen.
Aristoteles und Odington citieren den Anfang.
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Beide Citate sind ziemlich fiei; doch ist nicht zu verkennen,
daß die Komposition des Kodex Ton Montpellier gemeint ist. Die
beiden Hoquetstimmen sind in beiden Citaten vertauscht , es finden
sich auch Lücken, welche vielleicht davon herrühren, daB Odington
und Aristoteles ihre Beispiele aus dem Gedächtniß aufgeschrieben
haben. Jedenfalls weist der Kodex von Montpellier eine Hinzu-
iugung einer vierten Stimme sowie reichere Ausgestaltung der Mittel-
stimmen auf.
Das Franconische Citat umfaßt die Takte 32 — 41.
38
Oswald Koller,
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Kodex von
Montpellier
I45
Fol. 1. 2.
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Der Liederkodex von Montpellier. 39
Auch hier ergiebt sich dieselbe Erscheinung. Das Franconieche
Gitat ist, namentlich in der Notierung der Pausen, ungenauer, das
Stück des Kodex ist auch hier durch die vierte Stimme erweitert.
Jedenfalls war der Hoquet ursprünglich dreistimmig geschrieben und
ist später durch eine vierte Stimme erweitert worden.
Der Anonymus quartus SS. I, 350 citiert diesen Hoquet, in-
dem er ihn als Beispiel für das Vorkommen der pat$sa semibrevis
anführt: Exemplum pausaiioms setnibrepts paiet eis, qui sciunt re-
ducere vel facere mutando de uno modo alium, t4t Uli gut dicunt se-
cundum modum de quinto et reducuni superiarem vel superiores ad
eundem modum secundum, velut quidam Parieienses fecerunt et adhuc
faciunt de In seculum^ le Hoket gdllice^ quod quidam Hispanus
fecerat. Et Udia phusatio supradicta semie pausatio dicitur. Der
Hoquet zeigt neben dem ersten auch den zweiten (iambischen), stellen-
weise auch den vierten Modus, der Tenor ist im fünften Modus
(lauter longae) geschrieben. Pausae semibreves kommen in dieser
Bearbeitung nicht vor. Coussemaker bemerkt jedoch pag. 149 und
289, daß auf FoL 2 und 3 dasselbe Stück zweimal notiert sei und
zwar das eine Mal in Longen und Breven, das andere Mal in Breven
und Semibreven (vielleicht analog zu VII iß?), und diese zweite vier-
stimmige Bearbeitung dürfte diejenige sein, die der Anonymus er-
wähnt. Im Kodex von Montpellier finden sich aber von diesem
Stück auch noch zwei dreistimmige Bearbeitungen, deren erste auf
Fol. 111,^ deren zweite auf Fol. 188, beide im V. Fascikel stehen;
diese zweite dreistimmige Bearbeitung enthält die erste, dritte und
vierte Stimme des Quadruplums. Ob mit der reduciio quinti modi ad
secundum einfach gemeint ist, daß man in Paris zuerst angefangen
hat, Kompositionen zu schreiben, deren verschiedene Stimmen ver-
schiedenen modis angehören, während früher alle Stimmen im selben
Modus gestanden seien ,2 oder ob es nicht vielmehr heißen soll, daß
in Paris zU der ursprünglich dreistimmigen Bearbeitung im zweiten
Modus noch eine vierte Stimme im fünften Modus hinzugefügt
worden sei — dann wäre aber der Tenor die hinzugefugte Stimme
— weiß ich nicht zu entscheiden. Die Bearbeitungsgeschichte
dieses Stückes stellt sich folgendermaßen dar: Die erste Fassung ist
1 Welche Stimmen des Quadruplums diese Bearbeitung enthält, ist nicht an-
gegeben; Termuthlich die drei untersten.
2 Vielleicht meint das der Anonymus quartus SS. I, 333. Im fünften Modus
quelibet longa coniinei tria iempora, et sie quelibet longa equipoUet longe et hrevi in
primo modOf brevi ei longe in seeundo modo vel ambohu8f ei bene armonice deducan-
tur, quod dif fidle est apud talia scientee, nisi fuerini a longo tempore ad talia
consueti.
40 Oswald Koller,
die dreistimmige Fol. 111 zu Anfang des fünften Fascikels; sie ist
diejenige, welche Aristoteles, Odington und Franco vorlag. Sie
wurde durch eine vierte Stimme erweitert (F*asc. I, Fol. 2, 3j und
in verschiedenen Notenwerthen niedergeschrieben. Diese zweite
Niederschrift in kürzeren Notenwerthen ist die dem Anonymus quar-
tus vorliegende. Eine andere Bearbeitung geschah dadurch, daß die
zweite Stimme weggelassen, der Satz also wieder dreistimmig ge-
macht und der Mittelstimme ein neuer Text Sire dtex, U dos maus
(Fol. 188) untergelegt wurde. Da der Fascikel Y der Aristotelischen
Periode angehört, in dieser aber sowohl die ursprüngliche als auch
die umgearbeitete Komposition erscheinen, so folgt, daß schon die
vierstimmige Umarbeitung dem Zeitalter des Aristoteles, die ursprüng-
liche dreistimmige des anonymen spanischen Kt>mponisten der vor-
aristotelischen Zeit angehören muß. Da der erste Fascikel schon
Stücke Perotins enthält, so muß der spanische Komponist auch in
eine frühere, vielleicht in die Garlandia'sche Epoche gehören^ und
die ursprüngliche Niederschrift des ersten Fascikels ist
älter als der fünfte.
IV. Petrus de Cruce, Franco und seine Abbreviatoren.
Petrus de Cruce wird von Handlo und Hanboys wiederholt
citiert als derjenige, der mehr als drei Semibreven durch ein punc-
tum divisionis unterschieden habe (SS. I, 387, 389, 424). Nachdem
nun sein Hauptverdienst in Reformen der Notation zu bestehen
scheint, so ist die Vermuthung Coussemakers (SS. I, pag. XVIII)
ansprechend, er sei identisch mit Petrus optimus notator, den der
Anonymus quartus pag. 342 und 344 einen Schüler Roberts von
Sabilon nennt und der als unmittelbarer Voi^änger der Franconischen
Periode zu betrachten ist. Johannes de Muris^ citiert mehrere
Stellen aus seinen Werken, die mit VII, o und VII ^ genau überein-
stimmen. Diese beiden Stücke enthalten auch wirklich viele Semi-
breves, die durch puncta divisionis von einander getrennt sind. Auch
Handlo citiert VIIio« Es erscheinen somit VII jq und VIIji als
Werke des Petrus und die in der Anlage damit sehr übereinstimmen-
den Stücke VII 28. 34. 39 weisen darauf hin, daß die Abfassungszeit
wenigstens einiger Stücke des siebenten Fascikels unmittelbar vor die
i In der einzigen Stelle, wo spanische Komponisten erwähnt werden, werden
dieselben unter die antiquiores gezählt. Anonymus quartus SS. I, 345. Sed in libris
quorundam antiquorum nan erat nuUerialis eignatio ttUis signata, sed solo inteüectu
procedehant setnper cum proprietate et perfectione operatoris in eisdem velut in libris
Hispanorum et Pofnpilonensium,
2 Speculum musicae VII, 17. SS. II, 401.
Der Liederkodex von Montpellier. 4|
Fianconische Zeit fallt, was durch die oben angestellten Erwägungen
nur bestätigt erscheint.
In dem Traktate Franco's von Köln erscheinen citiert pag. 120 IV^,
Eximie pater, pag. 127 IVg O maria virgo davitica^ endlich aus III 9
der Anfang povre secors und ein Stück aus der Mitte respondi que
ne leroit^ das letzte in den Pausen etwas abweichend; das sind aber
alles Kompositionen früherer Zeit. Neu ist nur pag. 132 ein Citat
aus dem zweiten Fascikel, II51 mit dem Tenor flos ßlius^ jedoch mit
abweichendem'Diskante: tirgo viget melius statt Vautrier joer rrien alai.
Es ist also auch der zweite Fascikel älter als Franco. Die Abbre-
Tiatoren Franco's von Paris, Petrus Picardus,^ der Anonymus se-
cundus, tertius und septimus bringen nichts wesentlich Neues. Pi-
cardus citiert SS. I 137 ^ ma dame und Gaude chortis, beides aus
Uli). Da der Traktat ohne Notenbeispiele ist, so läßt sich nicht ent-
scheiden, ob diese Citate wirklich dem Kodex von Montpellier ent-
sprechen. Beides wird als Beispiel für die longa imperfecta citiert;
das stimmt wohl bei Gaude, nicht aber bei A ma dame. Dasselbe
Gaude chorus citiert auch der Anonymus secundus, SS. I 307, aber
ziemlich wenig übereinstimmend, ferner VII^^ En grand daulour,
auch beinahe gar nicht übereinstimmend. Der Anonymus septimus
SS. I 279 citiert II43 bone compaignie, ohne Noten, jedoch als Bei-
spiel zum ersten Modus, was stimmt. Da aber alle diese Fascikel
bereits aus früheren Perioden bekannt sind, so bringen diese Citate
nichts Neues.
V. Der Anonymus quartus.
Sein Traktat ist das bedeutendste Werk der ganzen Musik-
litteratur des zwölften Jahrhunderts. Reiche Kenntnisse, sichere
methodische Durchführung, vor allem der weite historische Blick,
der gern den geschichtlichen Entwicklungsphasen nachgeht, zeichnen
den Autor aus. Er ist, wie Coussemaker in den Vorbemerkungen
3sum ersten Bande der SS. überzeugend nachgewiesen hat, ein Zeit-
genosse Franco's, hat seinen Traktat zwischen 1189 und 1215 ge-
schrieben und scheint zu Paris gelebt und gelehrt zu haben. Denn
ein für die mündliche Unterweisung von Schülern bestimmtes Lehr-
buch ist sein Traktat. Darauf weist die häufige Anwendung der
2 Pers. Plur., die direkte Anrede an die Schüler, die methodische
1 Der Anfang von Picaidus' Traktat : Quanican nonnuüi maxime novi audiiores
compendioga hrevitaU letantur, verglichen mit den Anfängen der drei andern Be-
arbeiter Gaudent hrevitaU modemi, scheint darauf hinzuweisen, daß er mit diesen
in naher Verwandtschaft steht.
42 Oswald Koller,
Entwicklung vom Leichteren zum Schwereren, vom Einfachen zum
Komplicierten hin, die, wenn die Sache klar genug erscheint, die
weitere Entwicklung dem häuslichen FleiBe der Zuhörer überläßt,
das zeigt der Hinweis auf die vorhandenen musikalischen Lehrmittel,
vor allem aber der Mangel "an Notenbeispielen und die dadurch
nothwendige umständliche Exemplificierung der vorauszusetzenden
Notentexte. Wäre der Traktat nur zum Lesen bestimmt, so würde
ein einfaches Notenbeispiel viel kürzer zum Ziele gelangen; es
wird aber die Schreibweise einer Ligatur umständlich beschrieben
(SS. I 340, 357)1, i)ei Notenbeispielen werden die einzelnen Noten
nach Höhe und Geltung aufgezählt (ibid. 355, 357) und der Text
überdies diktiert; es ist ein Diktat eines Lehrers, dem keine Schul-
tafel zu Gebote steht, worauf er seine Beispiele aufschreiben könnte;
er muß alles seinen Hörern diktieren. Ich möchte das Ganze für
das Kollegienheft eines Studierenden oder noch besser für das Vor-
lesungsheft eines Vortragenden halten und den Autor unter den
Lehrern der Pariser Universität am Ende des 12. oder am Anfang
des 13. Jahrhunderts suchen.
Der anonyme Autor ist ein vielfach musikalisch gebildeter Mann ;
daß er die Entwicklung seiner Kunst studiert hat, beweisen die beiden
oft citierten musikhistorischen Abschnitte pag. 342 und 344, er ist
auch mit der musikalischen Übung anderer Länder, wie Englands
und Spaniens, vertraut. Er erwähnt die beiden Franco's mit dem
höchsten Lobe; daß er ihre Schüler, ihre Werke nicht nennt, be-
weist, daß er gleichzeitig mit ihnen lebt. Er ist konservativ; wenn
er auch überall die Verdienste der Neueren anerkennt, wenn er auch
auf die Unzulänglichkeit veralteter Schreibweisen hindeutet: sein
Vorbild bleibt doch der große Perotinus, sein Ideal, auf dessen
Kompositionen er überall als auf die vorzüglichsten hinweist, aus
denen er fast ausschließlich seine Beispiele entnimmt, obwohl wir
das Zeitalter Perotins mindestens ein halbes Jahrhundert vor seine
Zeit setzen müssen.
An zwei Stellen zählt der Anonymus Werke Perotins auf; das
eine Mal pag. 342 an der musikhistorischen Stelle, das zweite Mal
pag. 360, wo die Hörer mit der musikalischen Litteratur ihrer Zeit
bekannt gemacht werden. Die beiden Verzeichnisse stimmen nicht
ganz mit einander überein. Daß alles, was im ersten Verzeichniß
steht, Perotins Werke sind, ist klar; an der Spitze des zweiten
^ s. B. t)ag. 340: Fae quadrangrdum et alium quadrangukan jungendo tonum
cum tono sive angulum cum angulo lateraliter protrahendo, iterato alium quadrangu^
lum 8%bi *ungendo et rede eupraponetidOf ut in duabus ligatis tupra dictum €»i etc.
Der Liederkodez von Montpellier.
43
Verzeichnisses stehen zwar auch Werke Perotins, doch könnten in
die Ldtteraturiibersicht auch Werke anderer Komponisten aufge-
nommen sein, wenngleich es sehr befremden müßte, daß diese
anderen Komponisten nicht
beiden Verzeichnisse lauten:
pag. 342:
Ipze vero magister Pero-
tinus fecü quadrupla opti-
ma 9%cut Viderunt et Se-
derunt cum abundantia co-
lorum musice artis.
auch namentlich erscheinen. Diese
Insuper et tripla plurima
nobilissima sicut Alleluia
Posui adjutoriumj Na-
ti Vitas etc.
Fecit etiam ttiplices con-
ductus ut Salvatoris hodie
et duplices conductus sicut
Dum sigillum summt
patris; et simplices con-
ductus cum plufibus aliis
sicut Beata viscera^ Ju-
stitia etc.
pag. 360:
Est quoddam Volumen continens quadru-
plaut Viderunt et Sederunt, que com-
posuit Perotinus magnus^ in quibus
continentur colores et pulchritudines^
Pro maiori parte totius artis huius habea-
tis ipsa in usu cum quibusdam similibus etc.
Et est aliud volumen de triplicibus
maioribus magnis ut Alleluja Dies
sanctificatus, in quo continentur colo-
res et pulchritudines cum abundantia.
Et si quis kaberet servitium divinum
sub tali forma y haberet Optimum volumen
istius artis f de quo volumine tradtabimus
in postposüis in capitulo isto.
Tertium volumen est de conductis tripli-
cibus caudas habentibus sicut Salvatoris
hodie et Religantur ab arca et simi-
Hay in quibus continentur puncta ßnalia
organi in ßne versuum et in quibusdam
non, quos bonus organista scire tenetur.
Et est aliud volumen de duplicibus con-
ductis^ habentibus caudaSy ut Ave Maria
antiquum in duplo et Pater noster com-
miserere vel Hac in die regi natOy in
quo continentur nomina plurium conducto-
rum et similia.
Et est quintum volumen de quadruplici-
bus et triplicibus et duplicibus sine cauda,
quod solebat esse in usu inter minores
cantores et similia.
Et est sextum volumen de organo in duplo
ut Judaea et Jerusalem et Constan-
tis quod quidem nunquam fit in triplo,
velut potest fieri propter quemdam modum
ipsum, quem habet extraneum aliis
Et plura aiia volumina reperiuntur^ sed
in diversitatibus ordinationum cantus et
melodiCj sicut simplices conducttts laici; et
sunt mülia alia plura^ de quibus omnibus in
suis libris vel voluminibus plenius patet. —
44 Oswald Koller,
Die drei ersten Volumina stimmen mit einander überein. Aus
dem folgenden hat Coussemaker den Conductus Beata eiscera mit
III 4 des Kodex von Montpellier identificiert; die Komposition ist
aber gar kein Conducius, sondern ein Motetus.^ Von den hier an-
geführten Texten erscheinen im Kodex von Montpellier nur Viderunt^
Posui und Nativitas. Viderunt im zweiten Fascikel ist entschieden
nicht Perotinisch. Es fehlt dazu das im selben Volumen vorkom-
mende Sederunty das Stück hat keine ahundantia colorum^ et armomce
artis] ferner erwähnt der Anonymus currentes cum antecedente^ ut in
Viderunt y eine solche Konjunktur findet sich aber in II 42 nicht.
Endlich stimmt auch der Tenor nicht ganz überein. Der Anonymus
sagt pag. ^hQ\ fuerunt quidarrij qui notabant et ponebant litteras in
loco punctorum sie /, f, f, a, c, c, d, c, a, rf, c, c quod patet in
antiquis libris super Viderunt omnes. Im Kodex von Montpellier heißt
aber der Tenor f^ f, a, c, c, d, e, a, c, c, c, e, d, c. Bestenfalls
ist also entweder eines oder das andere eine Komposition Perotins;
welches, läßt sich nicht entscheiden.
Bei den übrigen beiden Stücken ist zu bemerken, daß der Ano-
nymus überall Alleluja als Gattungsbegriff gebraucht: pag. 342
Alleluja Posui adjutorium, Nativitas; pag. 360 Alleluja Dies sanctiß-
caius; pag. 361 ut patet in Alleluja Posui adjutorium und qae omnia
ponuntur in Alleluja Posui adjutorium magno triplo et in multis aliis.
Mit einer andern Gattungsbezeichnung steht dieses Stück pag. 354
quandoque dicitur alio modo ut in organo triplo quamvis improprie,
ut in Posui adjutorium. Auch im Kodex von Montpellier sind die
beiden Stücke stets mit einem Alleluja yerbimden; es steht Fol. 9
Alleluja, Fol. 10 Nativitas; Fol. 16 Alleluja, Fol. 17 Posui. Daß
aber dieses Alleluja und Posui wirklich zusammengehören (Cousse-
maker hat sie als Nr. I und II der Beispiele getrennt), beweist eine
Stelle, wo ein Citat aus dem ersten der beiden Stücke dem Posui
^ Der Hauptunterschied zwischen Canduetus und Motetus liegt nach Franco
SS. I, 132 darin, daß der Motetus einen aus dem Gregorianischen Gesang entnom-
menen, der Conductus einen frei erfundenen Tenor hat: In omnibus aliis aceipitur
cantus aliquis prius /actus, qui tenor dicitur, eo quod discantum tenet et ab ipso
ortum habet; in conductis vero non sie, sed ßunt ab eodern cantus et discantus
Qui vult facere conductum primum cantum invenire debet pulchriorem quam potesi;
deinde uti debet iUo ut de tenore faciendo discantum. Beata viscera ist aber die
rituelle Kommunion auf das Fest Visitationis Beatae Mariae Virginis (2. Juli}.
2 Nach Adler in dieser Zeitschrift 11, 291 sind damit Imitationen gemeint.
3 SS. I, 340: Fac quadrangtUum cum tractu uno in parte dextera et junge
obliquo modo in parva distantia duplex vel triplex vel quadrupler elmuahym, et cur-
rentes dicuntur secundum aliquos [ 1 ^ ^ 4 ) *
Der Liederkodex von Montpellier. 45
zugetheilt wird. Der Anonymus sagt pag. 361 yom ersten modus
irreffularis: quorum unus est, qui procedit per unam longam duplicem
vel per semibrevem vel minimam et longam debitam et sie per talem
coniinuando etc., ut paiet in Alleluja Posui ad/utorium; quoniam ibi
panitur loco coptde sub tali forma: duplex longa^ f e conjunctim^ f d
eonjunciim^ e c d f g f cum plica, d c cum plica, a duplex longa cum
€ conjunctim et iste modus dicitur primus irregularis et bene competit
organo puro. Das ist aber, bis auf die fehlende zweite Plica, genau
Takt 44 — 53 der mittleren Stimme von Ii. Somit ist dieses Stück
wirklich als Komposition Ferotins erwiesen, und es ist nicht un-
möglich, daB der ganze erste Fascikel, mit Ausnahme des einge-
schobenen yierstimmigen Stückes, Werke Perotins enthält. Das
einzige französische Lied, welches der Anonymus auch nach seinen
Noten anführt, Jo quiday mes maus celer (SS. I 357) findet sich im
Kodex von Montpellier nicht. Auch von einem zweiten ist es mit
Sicherheit zu bestreiten. Bei Gelegenheit der Besprechung der Tri-
plicia wird der Tenor Omnes pag. 358a angeführt, dazu die Noten eines
Discantus imd Triplum (die beiden letzten ohne Text, das Triplum
nach einem, wie es scheint, eingeschobenen Stück über das zwei-
stimmige Organum noch einmal genauer pag. 359]. Der Tenor und
die ersten Noten stimmen, abgesehen davon, daß es im ersten Modus
steht, mit VII 35 überein, welches jedoch im zweiten Modus geschrieben
ist. Die weitere Folge ist aber so differierend, daß man nicht auf
Identität schließen kann.
Es ist somit die Ausbeute an sichern Komponisten sehr gering.
Fest steht nur Petrus de Cruce mit VIT 10. n» Perotin mit It.2 und
der spanische Anonymus mit I45. Coussemaker ist jedoch in der
Zutheilung an Komponisten freigebiger:
Für Werke Perotins hält er noch I3 1142 1114. I3 übei^eht er
mit Tollständigem Stillschweigen; 1142 Viderunt und III4 Beata vis-
cera ist nach den yorhergegangenen Erörterungen mindestens sehr
asweifelhaft.
Dem Autor der Discantus positio vulgaris schreibt er zu IQ;. 9
IV5. 6. 8- Hiervon ist oben bemerkt, daß IV5. g. g wohl mit der
Discantus positio vulgaris übereinstimmen; deswegen müssen sie aber
noch nicht vom Verfasser dieses Traktates komponiert sein. III 7. 9
gehören ihm nicht an.
Aristoteles werden zugeschrieben II 44 IV14 V,5 Vni2 Vll^ß. IV14
VII 12 stimmen nicht überein; V15 allerdings, doch muß es deswegen
noch keine Komposition Aristoteles' sein. Vilains leves sus soll auch
1 d. h. eine Ligatur.
4g Oswald Koller,
I Vautre j<mr me chevaulchoie
mit Fol. 361 s L^autrier joiant et joli (VIII. Fase.) überein-
I Vüains liive sus o
stimmen; wenn das auch wirklich der Fall ist, so hat es doch nicht
mehr Beweiskraft als Y^j. Am Ende des Aristoteleskodex sind noch
7 Motets angehängt, deren Komposition von Coussemaker Aristoteles
zugeschrieben wird 9 Toutporte d craire, que ces compositians sont de
Vauteur du traitid^ sagt er pag. 155, es wird aber kein einziger Orund
Quant vai la ßoret-e
angeführt. Nachdem in diesem Aristoteleskodex - J^ suis joliete
Aptatur
dreistimmig ist, im Kodex von Montpellier jedoch vierstimmig als
II 44 vorkommt, so wäre eine Bemerkung darüber doch wohl am
Platze gewesen.
In demselben Aristoteleskodex kommen noch vor:
ISahe virgo nohilis
Verbum caro factum Fol. 320 = Couss. VII j3^
Veritatem
IAmor vincens omnia
Mariae praecanio devotio Fol. 319 = Couss. VII 12
Aptatur
I Vautner nCeabanoie
l Demenant grand joie Fol. 111 = Couss. V15
( Manere
ISi fai serti longuement
Trop longuement m'a fault Fol, 128 Fase. V.
Pro patribus
Wenn das wirklich dieselben Stücke sind, wie im Kodex von
Montpellier, so darf man deswegen noch immer nicht Aristoteles
zum Komponisten derselben machen. Es geht nur daraus hervor,
was schon früher erwiesen worden ist, daß der fünfte und siebente
Fascikel auf engere Beziehungen zu Aristoteles hinweisen.
Franco von Köln schreibt Coussemaker zu IV ^7. jg. Daß sie ihm
.nicht angehören können, beweist die vor&anconische Notation.
Franco von Paris wird zugeschrieben VII ^q. Das ist unmöglich
wegen des Mangels der dreitheiligen Mensur; im übrigen ist auch
das Citat SS. I 307 ungenau.
Wichtig erscheint das VerhältniB des Kodex von Montpellier zu
andern von Coussemaker publicierten Stücken. In seiner Hiatoire
^ Im Kodex von Montpellier hat dieses Stück den Tenor Verhu»n.
Der Liederkodex von Montpellier. 47
de Iharmonie au motfenr-äge yeiö£EentIiclit er pag. 262 (Documents
Nr. V) eine anonyme Abhandlung aus dem Kodex Nr. S13 der
Biblioth^ue nationale zu Paris, welche nach SS. I pag. XVIII bei-
nahe wörtlich mit der Abbreviation des Johann Ballox (SS. I 292]
übereinstimmen soll.^ Das ist nun allerdings nicht der Fall, der Traktat
des Kodex 813 stimmt am allerwenigsten zu Ballox, am meisten viel-
mehr mit den Citaten Robert Handlo's (SS. I, 383). Diesem Traktate
im Kodex 813 gehen in französischer Sprache geschriebene Diskan-
tierregeln, Quiconqties veut deschanter voran, welche wieder mit dem
Anhang des dritten Anonymus Quicunque lene et secure dücantare vo-
bierit übereinstimmen. Zwischen diesen Traktaten zerstreut stehen
zwei- und dreistimmige Lieder. Coussemaker beschreibt (Histoire de
Tliarm, 259) den Kodex folgendermaßen: Les setze premiers feuiUets
comprennent treize pidces ä une, deux et trots voix (folgt die Aufzah-
lung derselben bis Fol. 269 b). Sur les marges inferieures des feuil-
lets 269 et 270 se trouve le petit trotte de dechant en langue romane
.qui forme le second de nos documents inedüs (pag. 245). (Nach der
.pag. 244 gemachten Beschreibung reicht dieser Traktat nur bis auf die
erste Seite von FoL 270.) Au verso du feuiüet 210 est ecrit^ de la
mime main que le pricident et egalement sur les marges le trotte de
dechant j dont il s^agit ici; il commence par ces mots nQuando due
note etcn et ßnit ä la marge inferieure au feuillet 275^^ par ceux-
et: rtEn grant dolour.1L Les feuillets 270 ä 288 contiennent des dechants
ä deux et trois voix, dont nous donnons ici les premidres paroles (folgt
die Aufeählung derselben). Viennent ensuite quarante piices ä deux
et trois parties , portant un caractire et un cachet tout particuliers.
JElles forment de curieüx^spicimens du genre de dSchant, appele par
-quelques auteurs dechant ovec paroles differentes (diese Stücke reichen
von Fol. 288 r bis 292 v).
Aus Coussemaker's Beschreibung geht hervor, daß der Theil Fol.
254 — 292 eine Liedersammlung ist, bestehend aus drei verschiedenen
Bestandtheilen : Fol. 252—269, Fol. 270—287, Fol. 288—292. An
die Ränder der mittleren Partie sind die beiden Diskantiertraktate
geschrieben. Sie sind also in ein älteres bereits vollständig ge-
schriebenes Manuskript nachgetragen worden. Da die Traktate in
1 Es ist das eine mit Oaudent breoitate tnodemi beginnende Abbreviation eines
Franconischen Traktates, die in verschiedenen Formen auch als Anonymi aecundi
iraetatuB de diicantu (SS. I, 303), als Anonymi tertii de cantu menturabili (SS. I, 319)
erscheint und von Robert von Handlo (SS. I, 383) und Johannes Hanboys (SS. I, 403)
Eur Grundlage ihrer Interpretationen und Erweiterungen gemacht worden ist. Die
Erörterung des Verhältnisses der verschiedenen Redaktionen muß einer selbstän-
digen Abhandlung überlassen bleiben.
4 g Oswald Koller,
die Franconische Zeit gehören (Bal^ox bezeichnet seinen Traktat als
abbreviatio magistri IVanconis), so muß die Liedeisammlung in eine
frühere Periode hinaufzurücken sein, und wirklich findet sich in den
von Coussemaker (Planche XXYII Nr. 1, 2, 3) gegebenen Beispielen
jene ältere Notation, die ich oben S. 15 nachgewiesen habe: die
ternären Ligaturen cum proprietate et perfectione haben den Werth
longa brevis longa wie bei Garlandia; und nichts hindert uns, diese
Stücke in die Garlandia'sche Zeit hinaufzurücken. Aber auch aus
noch älterer Zeit enthält dieser Kodex Proben. Das Stück Nr. 4
Oustodi nos Domine aus der mittleren Partie der Liedersammlung
zeigt noch eine derartige Notation, daß alles, was auf eine Textsilbe
gesungen wird, sei es longa ^ brevis^ Konjunktur oder Ligatur, einen
und denselben Werth hat; hier steht also die Bezeichnung der
Mensur durch die Notenschrift noch in ihren ersten, unentwickelten
Anfangen. ^
Die Liedersammlung des Kodex 813 besteht aus zweierlei Be-
standtheilen: aus Stücken aus den ersten Anfängen der Mensur (Fol.
252—269; 270—287) und aus der Zeit Grarlandia's (Fol. 288—292).
Aus dieser zweiten Partie finden sich ziemlich viele Stücke im Kodex
von Montpellier wieder; aber was hier vierstimmig ist, ist im Kodex
813 dreistimmig, was hier dreistimmig ist, ist dort zweistimmig.
Soviel sich aus der bloßen Übereinstimmung der Texte schheßen
läßt, sind einander gleich
Kodex 813: Kodex von Montpellier:
FoL288Nr.ll darmir. Fmc. II FoL 44 I ^"f^-^* '"•••"' ^" *
(3-8timmig) | Et vide et inclina au- (4-gtimmig) l t\ • * • • • .
^ \ Et videhü,
Fol 288 Nr. 5 I ^ <^^. Faso. VI Fol. 253 r Trop nCa amoura asaiüi.
(2-8tiinmig} | j^ seetikm. (2-Btimmig) l In seculum,
17 1 ocQ xr T f -^« ««« Ott confortpren- ^, „ ^r ^ , .«. ( ^' '** ^ confart.
Fol. 288 Nr. 7 I ^^^. ^ ^ (?) Faso. V FoL 121 1 Q^% por moi reconfar-
(2-Btimmig) \ ^^ ^^ (3- stimmig) j ter.
[ Et sperabit,
FoL 288 Nr. 8 f Je nCestoie mü en voie. Faso. VI Fol. 265 f Je m'estoie mis m voie.
(2-stimmig) \ lUe vos docebit, (2-stimmig) t Docebit
FoL 288 Nr. 9 I ^^^^ Fase. VI FoL 265 f Pourquoi niavez voz,
(2-8timmig) | Docebit. (2-gtimmig) l Docebit,
^ Ebenso im Agnus JUi Virginia aus dem Ms. 95 der Bibliothek von LiUe
(Planche XXVI. Nr. 2).
Der Liederkodex von Montpellier.
49
Kodex 813:
«
FoL289 Nr. lOfXt^« est
(2-8timmig) \ Doeebit,
Fol 289 Nr. 1 1 / ^/^ ^ "^"'^ *^
(2-rtimimg) [jJ!^^
FoL 289 Nr. lAtJeme euidai hien ienir,
(2-8timmig) \^ gaudebit
Fol. 290 Nr. 17 f Tai irwi qui nCamera,
[2-stimmig) ( Fiat,
FoL 290 Nr. 18 1 ^^^^ ^ ^* ^'^'^'
i2-rtimmig) | jj^ "
Fol. 291 Nr. 28 f (L)e hergier.
(2-8timmig) \ JEius.
Kodex von Montpellier:
TS Tr 17 1 4 JA (Lies et joli sui.
Fase. y Fol. 142 j^ ^,,^. j^.^ ^ ^^
P)Fasc^y Fol 134(2::-%^^
(?)Fa8c.VFoLl59f^^
(3-Btimmig) \ ^.
De JoH euer doit venir.
me quiday bien.
Ei gatidebit
Faso. Vm Fol. 369/ i*" !^ ^. ""T^-
/o 17 • V \ «^ ö» trouvd gut m^amera.
(3-Btimmig) \ p^
Fol 291
(2>8timi
»lNr:3l|-®V?*
iimnig) l^^_
J^n teilten e'eet entre^
Fol. 292 Nr. 36 1 ^J'"**'* "^ ^'^
(2.Btimmig) l^^^;^^^.
FoL 292 Nr. 38 f Bele eane orgueiL
^2-Btimmig) \jEt exaUahit,
Fase. VI FoL 239
(2-8timmig)
FascV FoL 195
(3-8timmig}
Fase. V FoL 141
(3-8timmig)
FascV FoL 121
(3-slimmig)
FascV FoL 133
(3-stinmiig)
{Merri de qui fatendoie,
Fiat
Tot tin matvnet fautrier,
Le bergier ei grant en
vie.
, Eiue,
(Oneques ne ee parti,
En tel lieu e'^eet entre-
mis.
Virgo,
Ne eai ou confort.
Que por tnoi rtecnfor^
ter.
Et eperabit,
{A ce qtCon dit.
Bele eane argueil.
Et
Wie ersichtlich, stellt dei fünfte Fascikel den größten Theil des
Übereinstimmenden bei. So interessant eine Vergleichung all dieser
Stücke wäre, so kann man sie doch nur bei einem einzigen durch-
fuhren, bei dem zuerst angeführten Dieus je ni puis la nuit dormir,
das in der Histoire de Tharmonie auf Planche XXVII aLB Nr. 3^ in
der Art harmonique als Nr. XXXXVlü (II48) erscheint.
Ich setze zur Vergleichung das ganze Stück hierher; unten die
nisprüngltche Bearbeitung im Kodex -813, oben die Umarbeitung im
Kodex Ton Montpellier. Zur bessern Übersicht transponiere ich den
obem Text, so daß in beiden Bearbeitungen die Noten gleich sil^d
and die Varianten leicht erkannt werden können.
1888. * 4 ■ "
50
Oswald Koller,
Kodex von
Montpellier
Fol 44.
(E):
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äi'^-ZJ-&rr;^^^^
Diex! mout me fet sou - vent . fri-mir.
— o f^'a
m\.
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Diex!
Je sui ja pr^s de jo -- ir.
m\ I- r ■ '-
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Diex!
(^)
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Et vide - bit
TP-
fg. ^
Je ni puia la nuit ^ dor-mir,
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. Kodex
Paris. 813
FoL 288.
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je ni puis la nuit . dor-mir,
■^
-^ — « —
Kodex von Montpellier.
'. 1. Stimme: Takt 22 fehlt im Original die Cauda der opposüa proprietaa,
2. Stimme: Takt 2T sind im Original die erste und letzte Note als longae
notiert.
* 3. Stimme: Takt 12 fehlt die Cauda der oppoeikt proprietas, Takt 19 ist im
Original die erste Note brevia cum plica. Takt- 23 fehlt im Original die Pause^
Takt 27 fehlt die Cauda der opposxia proprietas,
Tenor: Takt 16 scheint auch im Kodex 813 falsch. zu sein; ich vermuthe «.
1 akt 27 steht im Original eine duplex longa.
Kodex 813. '
Mittelstimme: Takt 23 dürfte d zu setzen sein (und dahinter eine Pause).
Der Liedeckodeic von Montpellier.
51
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M'a-mis
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Or ni voi, Qui de moi Gu6 - rir s'ap • pa-
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Die Yergleichimg ergiebt, daß die drei unteren Stimmen .mit
Ausnahme weniger Stellen, wo der Kodex von Montpellier eine
reichere Ausgestaltung enthält, dieselben geblieben sind und nur die
oberste Stimme hinzugefügt worden ist. Das bestätigt auch der
Text. In den beiden Mittelstimmen ist der Beim mit peinlicher
Grenauigkeit übereinstimmend; in der obersten Stimme fehlt der
Beim Takt 19. .
£» enthalt also der Kodex 813 Stucke in älterer Gestalt, welche
4*
52
Oswald Koller,
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in jüngerei überarbeiteter Form im Kodex von Montpellier vor-*
kommen. Eine Beihe, aus welcher durch Interpolation die Reihen-
folge der Stücke des fünften Fascikels entstanden wäre, läßt sich
nicht aufstellien. Es scheint also eine direkte GesammtentlehnUng
aus 813 nicht stattgefunden zu haben, sondern die Lieder dürften
durch ändere Vermittlung oder nach und nach m die Fascikel des
Kodex Ton Montpellier Eingang gefunden haben.
Wenn die Stücke des Kodex 813 in die Garlandia'sche Periode
Der Liederkodex von Montpellier.
53
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So - vent, car ele est
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fians par - tir; Mes quant plus me tra - veil
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Et fre - mir; Si que quant je som - meil
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gehören, so sind die zweistimmigen Stücke des sechsten Fascikels
(Fol. 253, 265, 239), die ungeändert geblieben sind, damit gleich-
seitig. Dann fallen die dreistimmigen Stücke des Y. Fascikels, die
aus den zweistimmigen, und das yierstimmige des n. Fascikels, das
aus dem dreistimmigen entstanden ist, in eine spätere, etwa die Ari-
stotelische Zeit, was ja schon früher festgestellt worden ist.
Noch ein anderes Manuskript steht, freilich in loserer Beziehung
aum Kodex von Montpellier. Es ist der Kodex 812 der Biblioth^que
54
Oswald Koller,
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25
SU
am
nationale, aus welchem Coussemaker in der Histoire de Tharmonie
pag. 274 ff. unter den Documents Nr. VI einen Traktat Quaedam de
arte discantandi mittheilt» der sich seinem Inhalte nach auf die
Franconische Theorie stützt; auch die dem Traktate folgenden Musik-
beispiele (Planche XXVIII, XXIX, XXX Nr. 1, 2, 3) weisen
Franconische Notation auf. Von den im Traktate enthaltenen Noten-
beispielen stimmt eines überein mit VIIio ^^ renouveler du jolis tans
des Kodex von Montpellier, auch findet sich der Hoquet des anonymen
Der Liederkodex Ton Montpellier.
55
spanischen Komponisten citiert, diesmal jedocli in der Notation mit
Bremen und Semibreven.
Kodex 8t2
(histoire de
Pharmonie
pag. 285).
B
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^-f — ^-f— f-f r f [" 1*^
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'^^t-r-j-^-j
t
f^=f^
T(5^
Neues zur Bestinunung des Kodex von Montpellier gewährt
dieser Kodex nicht.
Es ergiebt sich somit folgendes definitive SchluBresultat:
Abfassungszeit der Discantus positio vulgaris, Fase. III
und IV sind die ältesten Stücke. Fase. IV hat in seiner gegen-
wärtigen Gestalt, Fase. HI wahrscheinlich in nahverwandter Re-
daktion dem Autor des Traktates vorgelegen.
Zeitalter Perotini Magni. Von ihm und dem anonymen
spanischen Komponisten liegen Werke vor in der ursprüngr
liehen Gestalt des ersten Fascikels.
Zeitalter Garlandia's. Vielleicht gehört hierher der VI.
Fascikel. Entstehungszeit der Kompositionen im Kodex 813.
Zeitalter des Aristoteles. Sammlung des V. Fascikels, Ab-
fassung des n. Fascikels, ursprüngliche Anlage des VIX. Fascikels.
Die Stücke des Kodex 813 werden umgearbeitet und um eine
Stimme vermehrt.
Petrus de Cruce. Von ihm sind wenigstens zwei Stücke,
Vn,o und VII, 1.
Zeitalter der beiden Franco's. Die Fascikel I und VII
werden in Franconische Notation umgeschrieben. Entstehung des
VIII. Fascikels. In den Kodex 813 werden die Marginaltraktate
eingeschrieben. Entstehung des Kodex 812.
VI.
Sind die bisher gewonnenen Kesultate richtig, so muß auch in
der musikalischen Durcharbeitung der Fascikel eine fortschreitende
Entwicklung zu finden sein. Da aus dem Kodex 813 ersichtlich ist,
daß die Stimmen nach aufwärts angesetzt werden, so ist die Ent-
wicklung auch in dieser Richtung zu verfolgen. Zunächst interessiert
das sprachliche Verhältniß der verschiedenen Stimmen; und da die
lateinischen Texte fast ausnahmslos geistlichen, die französischen fast
alle weltlichen Inhalts sind, so ist mit einer solchen Übersicht auch
em Überblick über die V^rweltlichung der Musik gegeben. Es ist
56
Oswald Koller,
der
der
Discantas
das
Triplnm
das
Qnadrnplam
im Fascikel
Tenor
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V
VI
VII
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2
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1
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2
1
21
14
1
16
3
1
12
10
1
Daraus geht hervor, daß auf eine lateinische Unterstimme ent-
weder eine lateinische oder eine französische Oberstimme gesetzt wird;
höchst selten aber auf eine französische Unter- eine lateinische Ober-
stimme. Die Zahl der lateinischen Tenore ist 100 Procent im I., II.,
rV. und VI. Fascikel. Im III. (?) und V. erscheint nur je einmal
ein französischer Tenor, häufiger erscheinen französische Tenore erst
im Vn. und VIII. Fascikel; sie bilden dort 32 und 26 Proc. Man
bedient sich also zuerst ausschließlich lateinischer Tenore und erst
gegen die Franconische Periode werden auch weltliche Liedsätze zum
Cantmßrmus gemacht.
Auf den lateinischen Tenor kann ein lateinischer oder fran«>
zösischer Diskant gesetzt werden. Der lateinische Diskant macht im
IV. Fascikel 100 Proc, im III. 93 Proc, im I. 88 Proc aus; das ist
also wesentlich kirchliche Musik. Ausschließlich französischer Dis-
kant, 100 Proc, findet sich im VI. Fascikel, über 99 Proc im V,,
88 Proc. im II. Fascikel; das ist verweltlichte Musik ; der VIL Fas-
cikel zeigt 33 Proc. lateinische, 67 Proc französische Diskante, ist
also auch wesentlich weltlich. Im VIII. Fascikel halten sich beide
Arten ziemlich das Gleichgewicht; dieser Fascikel zeigt 59 Proc
lateinische und 41 Proc französische Diskante.
Mit fortschreitender Kunst wird über den Discantus noch ein
Triplum und Quadruplum gesetzt; dieses ist meist französisch. Über-
vdegend lateinische Tripla finden sich nur im IV. Fascikel (100
Proc.) und im I. Fascikel (88 Proc). In allen übrigen verweltlicht
sich die Musik; lateinische Tripla (und Quadrupla] sind im VITE.
Fascikel nur mehr 40 Proc, im VII. 23 Proc, im 11. 12 Proc, im
ni. 7 Proc, im V. kaum 2 Proc.
1 Coussemaker giebt pag. 246 für FoL 84. 85 den Tenor nsoierti an. In dem
(mangelhaften) alphabetischen Register pag. 257 ff. findet sich dieser Text weder
unter den französischen noch unter den lateinischen Tenoren. Vielleicht liegt hier
ein Lese- oder Druckfehler vor.
Der Liederkodex von Montpellier.
57
Der Tenor erscheint rhythmisoli indifferent. Aus dem gre-
gorianischen Gesang, t^o überhaupt noch keine Mensur ist, ent-
nommen, wird er nur als formlose Tonmasse behandelt, mit der jede
rhythmische Yerrückung gestattet ist. Man beachte, wie Garlandia
in seinen Beispielen mit den Tenormelodien umgeht; dieselben
Noten sind bald lang, bald kurz, bald betont, bald unbetont, je
nachdem sie in die Form eines Metrums gepreßt werden. Auch der
Kodex von Montpellier enthält solche rhythmisch indifferente Tenore.
Coussemaker fuhrt pag. 109 und 110 Beispiele an; und aus den
edierten Stücken ist zu sehen, wie der Tenor In sectdum im ersten
(trochäischen), ersten (molossischen) und vierten Modus (VI 31, I45,
III7), der Tenor Aptatur im ersten (IVig, Vae, II44), zweiten (VII12)
und fünften Modus (Vllie), Baluam in zwei yerschiedenen Formen
des ersten Modus (Vlaa Vnias), Omnes im zweiten (VII35) und ersten
(VII2&) Modus auseinandei^ereckt und rhythmisch verzerrt werden.
Aber diese Verzerrung findet sich selbst innerhalb eines und
desselben Stückes. So besteht der Tenor von I45 aus einem zwei-
mal wiederholten Motiv von 34 Noten; da dieses jedoch in Gruppen
von je 3 Noten getheilt ist, so kehrt die erste Note der ersten
Gruppe als zweite Note der zwölften Gruppe, die zweite der ersten
Giuppe als dritte der zwölften, die dritte der ersten Gruppe als
erste der dreizehnten Gruppe wieder (Form A A^),
Eine ähnliche einfache Verrückung zeigt sich bei Hlzi i^ d^'
Form A A^ B [A=^ \1 Noten in Gruppen zu je 5).
A
Tenor Ton ^^^
qt
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Begnat
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Femer in V33 in der Form A B B^j in II43 = V15 (eine einzelne
Note, A A^B) ia VIs^ {A A B A^ A^ JBJ, V29 (A B A^ B^ A^),
IVj4 (AA^ A^ Äw); liier werden nach Bedarf einzelne Noten zu dt^li^
ces Umgae gedehnt). Kompliciertere Verbindungen, in denen die Ver*
ruckung des Tenors schwer sichtbar wird, treten auf in IV^, IVg, Va^*
Alle diese verrückten Tenore zeigen sich in den altem Fascikeln
I, in, IV, V, VI. Die übrigen Tenore sind rhythmisch nicht ver-
zerrt. Sie zeigen entweder gar keine Gliederung (Ii I2 1X42.48.49.50
5 g Oswald Koller,
-III 4 IVt?) oder Wiederholung einzelner Motive ohne rhythmische Ver-
-sserrung. Die Form A A (AAA) weisen auf 1144.40 IVe. ig Vje Vlai
VlXio (jedoch mit Wechsel des trochäischen und molossischen erstefii
Modus) Vni2.i3 16.25.34*0 VIII38.41; ^^ Form AA'A'AA IIIt. Ver-
flechtung Äweier Motive weisen auf: A AB Ul^ VII39; A B^Ä (d. h.
das. letzte Motiv unvollständig) Vlllas; ABB 1147.51; A B B A A
VII 27 ; AABAAB VIII 22; A B-A AB AB VII 23. Kompliciertere
■Gliederungen weisen auf VIH x^{ABC CA B), VIII 2i{AABBB' B' C),
yilxx{AB CBDABCBD), Einen Pes nach Art des Sumercanon
hahen Vtl 24.40- Die periodische Gliederung tritt vorzugsweise im
Vn. und VIII. Fascikel auf. Man wird nicht fehl gehen, wenn man
diese fortschreitende Differenzierung in immer kleinere Melodi^lieder
^uf Rechnung des weltlichen, volksthümlichen, in der Nationalsprache
^bge&ßten Liedes setzt. Thatsächlich zeigen mit Ausnahme des ältesten
(II 49) alle französischen Tenore (VII27. 39. 4o Vlllig. 33) eine höchst ein-
fache volksliedmäfiige Periodisierung.
Über den Tenor tritt als zweite Stimme der Discantus. Man
kann die Entwicklung aus dem alten Organum noch recht deutlich
beobachten. Stücke wie das in der Histotre de Vharmonie mitgetheilte
Verbum bonum et suave zeigen noch gar keine eigentliche Mensur^
ebenso ChMtodi me domine aus dem Ms. 813, wo noch jede Noten-
gruppe denselben Werth hat. oder der Tenor Regnat [donc le rieu de
Ja fontaine) ; der Diskant ist schon regelrecht mensuriert, der Tenor
noch willkürlich bezeichnet. Der letzte Überrest dieser ungenauen
Mensur dürfte die oben S. 1 4 ff. besprochene Darstellung des molossi-
schen ersten Modus durch Ligaturen sein. Die Bewegungen der
Diskantstimmen in den Beispielen halten sich im allgemeinen an die
seit der Discantm posiiio vulgaris vorgeschriebene Gegenbewegung;
trotzdem kommen offene Quinten- und Oktavenparallelen fast in jedem
Stücke bis in die jüngsten Fascikel ungescheut vor. Die harmonische
Übereinstimmung liegt nur in den Anfangsnoten der Perfektion ; die
übrigen Durchgangsnoten sind irrelevant und dissonieren oft; bei den
daktylischen und anapästischen Rhythmen liegt die harmonische Über-
einstimmung sogar nur im Anfang jedes zweiten Taktes, d. h. zu
Anfang jedes Versfußes. Das spricht dafür, daß im Diskant ursprüng-
lich nur longa gegen longa gesetzt, wie im Verbum bonum;, und daß
dann erst die Senkungen nach Belieben ausgefüllt wurden.
Wird in einem Tenor ein Motiv wiederholt, so pflegt auch der-
selbe Diskant aufzutreten; das findet sich in den Beispielen des
ni. und VI. Fascikels spärUch, sehr häufig dagegen im IV. Fascikel.
In IVg wiederholt sich dasselbe Tenormotiv Takt 1 — 3; 29 — 31;
53 — 55 und eben hier ist auch der Diskant wiederholt, jedoch mit
Der Liederkodex von Montpellier.
59
yerschiedener melodischer Geltung; Takt 1 — 3 ist es die Anfangs-
phrase einer Periode, Takt 29 — 31 tmd 53 — 55 die Schlußphrase;
das erste Mal wird durch eine Durchgangsnote ein Übergang zum
folgenden gemacht, die beiden andern Male schließt es eine Pause
ab. Ebenso ist im Tenor und Diskant Takt 25—27 = 49—51;
41—43 = 57—59. In IVe ist Takt 43—44 = 55—56, jedoch mit ab-
weichenden Durchgangsnoten. In IV u ist Takt 1 — 3 = 25 — 27 =
41—43; 17—23 = 33—39. In IVn ist Takt 5—7 = 25—27 =
41—43 = 53—55 = 89—91; 17—19 = 97—99; 33—35 = 65—67.
Auch wenn der Tenor repetiert wird, wiederholt sich der Diskant;
80 ist in VI 32 bei der Wiederholung des Tenors auch der Diskant bis
auf die wechselnden Durchgangsnoten in Takt 32 — 42 == 3 — 13. Im
ganzen dritten Fascikel stimmt nur in III 9 bei der Wiederholung
Takt 5 — 8 mit 33 — 36. Häufiger jedoch zeigt sich das im IV. Fascikel.
In IV5 ist bei der Wiederholung des Tenors auch im Diskant gleich
Takt 45—49 = 106—110; 37—41 = 122—126. In IVe wiederholt
rieh Takt 3—14 in 33—44; 20—28 in 50—58. Diese Repetition des
Diskantes ist jedoch ganz mechanisch, schon deswegen, weil dasselbe
Motiv wiederholt wird, unbekümmert darum, ob es Anfangs-, Mittel-
oder ScUuBphrase ist. Noch deutlicher zeigt rieh diese mechanische
Wiederholung bei den rhythmisch verrückten Tenoren.
Es entspricht in IV$:
im Tenor
im Diskant
Takt 1
der
Verrückung
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Takt 29—31 —
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. 10 — 33
auch im Diskant
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Takt 29 31 —
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. 18 — 41
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. 19 — 42
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43
» 22
»
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9
45
^ Jeder vierte Takt ist eine Pause.
' Der Tenor muß richtig /e/ (statt agä) heißen.
60
Oswald Koller,
Und weil im Tenor
Takt 1—3 = 29—31 = 53
25—31 = 49—55
41—47 = 56—64
so ist auch im Diskant
55 Takt 1—3 = 29—31 = 53—55
25—31 =:= 49—55
41—47 = 56—64.
Wäre die Wiederholung nicht rein mechanisch, so konnten z. B. die
ersten diei Takte des Diskantes bei der Wiederholung nicht derart
auseinandergerissen werden, daß zwischen den ersten und zweiten Takt
eine Pause fallt, nur damit derselben Note im Tenor auch dieselbe
Note im Diskanjt entspreche.
Ich setze der besseren Yeranschaulichung wegen XV g hierher:
Kodex von
Montpellier
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(IVs).
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Im Tenor muß Takt 17 — 19 analog zu 39 — 42 sein. Im Original steht
Die vorletzte Note Takt 62. 63 ist zu einer longa duplex zu dehnen.
Der Liedeilcodex von Montpellier.
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Der Liederkodex von Montpellier. g7
Hier stehen sogar analogen Tenormotiren analoge Diskantmotive
■ur Seite. Im Tenor ist Takt 1 — 3 = 25 — 27 = 41—43 analog zu
9 — 11, femer analog zu 17 — 19 = 33 — 35. Gleichen Tenormotiven
entsprechen hier überall gleiche Diskantmotive, ist aber der Tenor
auf eine andere Stufe rersetzt, so macht auch der Discantus die ent-
sprechende Versetzung mit; so erscheint Takt 1 — 7 eine Stufe höher
als Takt 17 — 23 und 33 — 39. Die Anfänge der sechs ersten Kola
sind überhaupt gleich, nur stehen sie auf verschiedenen Tonstufen.
Daraus aber ergeben sich Imitationen innerhalb einer und
derselben Stimme und damit der Ursprung eines der wichtigsten
musikalischen Kunstgesetze. Daß diese Imitationen nicht etwa, wie
aus IV 14 vielleicht gefolgert werden könnte, absichtlich erdacht, son-
dern zunächst absichtslos und zufällig entstanden sind, lehrt IV s»
Durch den zufälligen Gleichklang des Tenors werden auch zufällige
Gleichklänge des Diskantes angeregt; bewußte Nachahmungen zeigen
sich erst später.
Die Tripla fügen sich im allgemeinen diesem Gesetze nicht.
Sie treten zumeist in bewegteren Formen, in Breven und Semibreven
auf und werden auch hier ohne Rücksicht auf etwaige analoge Tenor-
oder Diskantmelodien gesetzt. Daher findet sich hier kaum ein ein-
ziges Kolon, welches einem zweiten gleich wäre, sondern es herrscht
die höchste Verschiedenheit, Ungebundenheit, RegeUosigkeit. Die
Tripla schweifen frei über beide Stimmen hin, ohne noch durch ein
anderes Gesetz gebunden zu sein, als durch die Konsonanz der An-
fangsnote jeder Perfektion. Wo aber das Triplum den rhythmischen
Gleichschritt mit dem Discantus hält, bilden sich ähnliche Imitationen
heraus. So wiederholt sich in IV 14 im Triplum Takt 19 — 21 = 35—37
mit demselben Diskant und Tenor, Takt 27—29 = 43—45 = 56—59
und eine Stufe tiefer Takt 31 — 33. Ja aber weil der Tenor aus fast
lauter ähnlichen Phrasen besteht, entwickelt sich in diesem Stück
ein merkwürdiges Farbenspiel von Imitationen auch zwischen Triplum
und Discantus. Es erscheint Triplum Takt 27 als kanonische Nach-
ahmung des Discantus Takt 25 und wiederum Tripl. 31, Diso. 33,
Disc. 41, Tripl. 43, Diso. 55, Tripl. 57. Aus solchen unbeabsichtigten
Imitationen entwickeln sich dann absichtliche, wie sie im VIII. Fascikel
vorkommen. Da aber schon Garlandia in dem vielcitierten ^ Beispiel
SS. I, 117 ein Beispiel bewußter Imitation giebt, so wird der oben
gemachte Schluß, daß der IV. Fascikel mit seinen unbewußten Imi-
tationen der Zeit der Discantus positto vulgaris , also einer früheren
Periode angehöre, wohl kaum ein Fehlschluß sein.
1 Z. B. Coussemaker, Hisioire de Tharmonie pag. 55, Art hannonique pag. 79,
Adler in dieser Zeitschrift U, 275.
5*
ßg Oswald Koller,
In den ältesten Partien des Kodex von Montpelliei lassen sich
zwei Gruppen unterscheiden. Die erste, welcher der IH. Fascikel
angehört, hat noch einen regellos schweifenden Diskant und ein eben
solches Triplum. Die zweite Gruppe, welcher der IV. und möglicher-
weise auch der VI. Fascikel angehören, zeigt das Bestreben, auf
gleiche Tenore auch gleiche Diskante zu setzen ; aus dieser entwickeln
sich die Ursprünge der Nachahmung.
Da der Diskant sich nach dem Tenor richten muß, so ist es nicht
gut möglich, daß eine schon vorhandene Melodie ohne weiteres mit
dem Tenor zusammenstimme ; sie müßte denn mit manchen Abände-
rungen zugerichtet werden. Der Vorgang ist wohl der, daß zu einem
gegebenen Tenor zuerst die konsonierenden longae des Diskantes ge-
schrieben, dann die Durchgangsnoten hinzugesetzt, schließlich ein
schon vorher gegebener Text untergelegt und die Abschnitte der Vers-
zeilen durch Pausen markiert würden. Dies ist offenbar überall dort
der Fall, wo der Diskant Kola von gleicher Länge aufweist und wo
im Texte selbst eine symmetrische Gliederung wahrnehmbar ist. Daß
der Text des Diskantes früher vorlag und der Tenor nach Bedarf
soweit fortgeführt wurde, als es der unterzulegende Text erheischte,
wird dadurch bewiesen, daß mitunter der Tenor mitten in der Wieder-
holung abbricht. In VII 12 z. B. steht der Tenor dreiundeinhalbmal;
das ist nur dann erklärbar, wenn der textliche Umfang des Diskantes
bereits feststand und der Tenor sich so lange wiederholen mußte, bis
der Diskant zu Ende war. Ahnlich ist auch in VI 32 der Tenor mit
seiner zweiten Wiederholung nicht mehr fertig geworden. In VI 31
hat der Tenor das Regulativ gegeben »terd\ er kommt aber nur zwei-
mal dazu.
Die voraussichtlich sehr häufige Inkongruenz zwischen der Län^
des Tenors . und des Diskantes wird aber auch durch andere Mittel
behoben, durch Zerdehnungen, Auslassimgen, Einschübe.
Zerdehnungen einer Silbe auf mehr als einen Takt im Wider-
spruch gegen die natürliche Betonung finden sich in den drei letzten
Takten des Triplums von IV5; in den letzten Takten des Diskante«
von IVe; in IVs ist im Takt 39 das Triplum durch eine longa und
eine Pause um einen Takt länger gemacht; in IV 14 sind im Triplum
Takt 23 — 25 aus zwei Takten drei gemacht, ebenso im Diskant Takt
51—53.
Auslassungen finden sich sicherlich: in IV 5 im Triplum ein drei-
silbiges Wort vor oder nach »commtssiofn und im Triplum von IV«
nach Jideitatü pluviaa eine Verszeile von vier Hebungen.
Lehrreich bezüglich der Textbehandlung ist III 37. Im Triplum
findet sich eine Reihe metrisch gleicher Verszeilen, die auch rhyth-
Der Liederkodex von Montpellier.
69
misch gleich gebaut sind; nur Takt 93 — 94 ist ein Wort weggelassen,
etwa tous j'ours o. ä.; hier sind auch die drei Takte auf zwei ver-
kürzt:
Kodex von
Montpellier
FoL 78.
vos a-mis se-rai
wahrscheinlich
ursprünglich
vorauszusetzen
vos a-mis tousjours se-rai.
Auch die letzte Periode, Si n'amerai Ja que lui por chose qui soit
nicy die nach Analogie mit den übrigen und nach der natürlichen
Betonung in einem frei erfundenen Gesänge acht Takte (Hebungen)
enthalten sollte, ist durch Breves und Semibreves auf fünf Perfektionen
verkürzt, wenn nicht diese ganze Zeile vielmehr nur Ausfüllung der
fünf fehlenden Perfektionen ist; denn die Pointe des Textes liegt
doch in der vorletzten Zeile und die letzte ist nur eine matte Ver-
Wässerung des Gedankens. Dazu fehlt in der letzten Zeile überdies
noch der Binnenreim. Die rekonstruierte Melodie des Triplums würde
sich folgendermaßen darstellen:
Quant re-pai-re la ver-dor et la pri-me flou-re - te
e
Bin
Que chan-te par grant baudour au ma - tin Va - lo - e - te,
3)
tgferg
^
t
tc
^^
Fat un ma-tin me le-Tai so-spris d'une a -mo-re - te
4)
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(I?);
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t
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Es
i ver-gier m'en en-trai pour oueil - Hr ti - o-le - te,
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5)
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m'-y.
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t
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pizif
U - ne pu- cele a «^ ve nant, bele et plei*8aDt jue-ne - te
70
Oswald Koller.
E
mn
6)
r=^t
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t
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e
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Es
7)
gardai en un
re-quai de leg une es - pi - ne - te,
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t
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t=C:
t
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e
Qui
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a-tent jo -li
vement Son a - mi gent seu-le - te.
£
(S?)
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Ü
=#):
1^
Et dit chan-fo-ne - te
9)
r- — =—
Bm
Fi - nes a - mo - re - tes
Diex, que j'ai et que je sent, Mi tient jo - li - Te - te.
11)
C=p:
]/ n'—t
0^
nj:
Quant je vi la tou - se - te
12)
r-irr^ir^
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=(!?)-
-# — 0-
^ — ^
h— #-
Loig de gent et seu - le - te
13)
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A li m'en a-lai Sans d6-lai en chantant
14)
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Si-la sa-lu-ai, puls li ai dit i-tant:
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Bele, euer et xnoi vos o-troi et pr^-sent.
Der Liederkodez von Montpellier.
71
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V08
17)
a-mis touBJours se-rai, s'il vos piaist et a - gr^ - e,
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t
t
-H-
t
De
fin euer TOS a - me-rai, douce da-meheno-r6 - e.
£-le mi re-spont dou - cement; Si-re, oi^B ma pen-si - e;
19)
e
=f);
t
?=fr
X.
+■
-ß—^
1 — ^-
t
&.
X
§
Pour mon a - mi, que j'aim tant, sui si ma-tin le-y6 - e.
Si - n'a-me-rai ja
que lui porcho - se qui soit n^ > e.
Die Melodie ist fließend gebaut und zeigt moderne Tonalität, ent-
schiedenes G-dur, im Mittelsatze Ausweichung in die Unterdominante,
Rückkehr zur Haupttonart. Dennoch glaube ich hier nicht ein Pro-
dukt origineller Erfindung, sondern nur das Resultat einer allerdings
sehr glücklichen Diskandegung zu sehen. Denn bei allen volksthüm-
lichen Melodien finden sich zu korrespondierenden Verszeilen auch
gleiche Melodien. Das fehlt hier; keine einzige Periode ist gleich
einer andern. Wie ein wirkliches Lied, als Diskant untergelegt, aus-
sieht, lehrt der Diskant von ¥1128} JRohin niaime.
Auch der Diskant von III 37 zeigt gewisse Eigenthümlichkeiten.
80 die gewaltsame Ausdehnung der ersten Textzeile Flos de spina
rumpitur auf sieben und des Textes redimiiur (Takt 61 — 63) auf drei
Takte. Zum Schlüsse ist aus dem Texte Yor ecce maris Stella gewiß
eine Yerszeile, etwa laeto corde exclamo o. ä. ausgefallen. Die Stelle
tnater heata glorificata per cuncii mundi climata erweist sich sowohl
dem Text nach als auch bezüglich der mit dem übrigen nicht zu-
sammenstimmenden Rhythmik als Füllung. Der Diskant konnte eher
ein schon vorhandenes Lied sein; darauf weist die Gleichheit der
zweiten und dritten Periode, ferner die liedmäßige Struktur des
Schlusses von oritur ßdelibus angefangen hin. Wahrscheinlicher sind
72 Oswald Koller,
hier mehrere selbständige Lieder in einen Diskant zusammenge-
schweißt.
Der fünfte Fascikel ist im Ganzen dem dritten Fascikel ziem-
lich ähnlich. Die Tenore zeigen mit Ausnahme von V20 alle rhyth-
mische Verriickungen. Im Diskant finden sich auf gleiche Tenor-
phrasen stets verschiedene Diskante, auch bei der Wiederholung des
Tenorthemas ist der Diskant in der Regel verschieden. Nur selten
findet sich Übereinstimmung; in V15 ist Takt 17—19 = 65—67 und
37—39 = 85—87; in V26 ist Takt 18—23 = 49—55 = 81—87. Auch
die Tripla schweifen regellos und zeigen sich noch sehr wenig durch
ähnliche Motive oder wiederholte Phrasen zu einem einheitlichen
Ganzen verbunden. Doch ist bei allem der Charakter der Diskant-
melodie ein viel freierer, beweglicherer, die Melodiefuhrung ist durch
die Rücksicht auf die Diskantierregeln nicht mehr zu unschönen Me-
lodieschritten gezwungen, es zeigt sich ein durch längere Übung
erworbener Fortschritt gegenüber dem dritten Fascikel. Finige Einzel-
heiten weisen noch auf gemeinsamen Ursprung; so die häufig vor-
kommende Schlußformel ^ ^ "| in 1114 V 15. 26 7 die Geltung einer
Konjunktur, bestehend aus einer longa und drei absteigenden Semi-
breven, ganz im Aristotelischen Sinne gleich zwei Perfektionen, in
eben denselben Stücken.
Auffallend ist auch, daß die Perioden in allen drei Stimmen, in
Vis. 29. 30 zusammenfallen; in V26 und V33 fallen wenigstens die rhyth-
mischen Abschnitte des Tenors und Diskantes häufig zusammen. Das-
selbe zeigt sich auch im III. und IV. Fascikel. Soll man daraus
schließen, daß hier ursprünglich nur zwei Stimmen waren und die
dritte später darübergesetzt wurde, während Vir. 29. 30 gleich ursprüng-
lich dreistimmig gesetzt sind?* Die Übereinstimmung der rhyth-
mischen Abschnitte ist am Anfang der Komposition Regel; gegen
den Schluß sind die Perioden freier gebaut.
Der zweite Fascikel verhält sich zum vierten wie der fünfte
zum dritten.
Zwar finden sich hier keine rhythmisch verrückten Tenore (nur
1143 = Vis), doch zeigt sich wie im vierten Fascikel das Bestreben,
1 In Vi5 und V29 ist der rhythmische Bau des Textes im Diskant und Tripluna
gleich, die Texte haben gleichen Schlußrefrain, sie sind also offenbar gleich an-
fänglich darauf angelegt, mit einander verwendet zu werden. In V26. 30. 33 ist das
nicht der Fall. In den Stücken des IV. Fascikels sind zwar die Texte rhythmisch
ungleichartig, aber doch dem Inhalte nach zusammenpassend. Nur in IV ig zeigen
beide Stimmen auch rhythmisch gleichen Text, so daß auch dieses StQck vielleicht
ursprünglich dreistimmig komponiert ist. Daß die Stücke des IIL Fascikels ur-
sprünglich nur zweistimmig waren, zeigt die gänzliche Verschiedenheit der Texte
sowohl rhythmisch als auch in Bezug auf den Inhalt.
Der LiederlLodez von Montpellier. 73
gewisse Phrasen in den Diskantierstimmen zu wiederholen. So ist in
1143 im Diskant Takt 1—4 = 17—20; 40—45 = 87—92, ohne daß
jedoch der Tenor übereinstimmte; imTriplum ist Takt 1 — 4 = 17 — 20;
21 — 24 = 69 — 72; 6 — 9 = 54—57, das letzte Mal auch bei gleichem
Tenor.
In II 44 ist im Triplum 41 — 43 = 53 — 55, im Quadruplum
46^-49 = 50 — 53, im Ganzen viel ähnliche Motive, aber keine ent-
schiedene Gleichheit; sogar Nachahmungen einer Stimme durch eine
zweite kommen vor, aber nur sehr ausnahmsweise, Diskant 1 — 7 =
Triplum 33 — 39. In II 47 finden sich nur sehr beiläufige Wieder-
holungen, z. B. Triplum 17 — 28 = 29 — 40. In II 51 ist im Diskant
13 — 16 = 21 — 24, im Quadruplum 7 — 12 = 22 — 27, diesmal mit
gleichem Tenor. In II 43 endlich, jenem Stücke, das auch im Pariser
Kodex 813 enthalten ist, stimmen alle vier Stimmen überein in Takt
1 — 2 = 24—25; 2—3 = 6—7; Tenor und Triplum wiederholen sich
in 10—11 = 22—23, Tenor und Diskant in 12—13 = 27—28.
Das Quadruplum ist eine später hinzugefügte Stimme. Auch
wenn das nicht durch II 4$ ad oculos demonstriert wäre, müßte man
es schließen aus der rhythmischen Freiheit, der melodischen Unfrei-
heit. Rhythmisch ist das Quadruplum des II., wie die Tripla des
in., IV., V. Fascikels leicht beweglich, es nimmt an Imitationen
keinen Theil, es schwebt selbständig über den andern Stimmen.
Melodisch ist jedoch seine Kraft versiegt; es entwickelt keine selb-
ständige Melodie, es geht im Unison, in Oktaven- oder Quinten-
parallelen mit andern Stimmen, besonders gern mit dem Tenor.
Es finden sich:
XJnisonoschritte im Quadruplum und Triplum: 1143 Takt 17. 18.
29. 30. 31. 32. 37. 38. 61. 62. 74. 75. II44 Takt 18. 19. 1147 Takt 5. 6.
XJnisonoschritte im Quadruplum und Discantus: II 43 Takt 49.
50. 51. 77. 78. 79. 80—85. 1144 Takt 10." 1147 Takt 21. 22.
Quintenparallelen zwischen Quadruplum und Triplum: 1143 Takt
9. 10. 1144 Takt 10. 16. 17.
QuintenparaUelen zwischen Quadruplum und Discantus: 1143 Takt
20. 21. 45. 46. 73. 74. 1144 Takt 18. 19. 1147 Takt 13. 14. 15.
Quintenparallelen zwischen Quadruplum und Tenor: U43 Takt 9.
10. 13. 14. 25. 26. 27. 29. 30. 73. 74. 81 . 82. 83. II44 Takt 62. 63. 70.
71. 78. 79. 1147 Takt 5. 6. 1149 Takt 22. 23. 24. 25. 26. 27.
Oktavenparallelen zwischen Quadruplum und Discantus: 1143
Takt 37. 38. 1146 Takt 21. 22.
Oktavenparallelen zwischen Quadruplum und Tenor: II 43 Takt
17. 18. 37. 38. 1147 Takt 11. 12. 1148 Takt 1. 2. 4. 5. 6. 8. 9. 10. 11.
13. 14. 15. 24. 25. 26. IIsi Takt 4—11; 16. 17. 21—26.
»^4 Oswald KoUer,
Der siebente Fascikel ist oben als eine Sammlung aus Aiisto-
telischei Zeit erkannt worden, die später in neuere Franconische No-
tation umgeschrieben worden ist. Die technische Behandlung weicht
im Großen und Ganzen nicht viel yon den früheren Fascikeln II und V
ab. Gleiche Diskante auf gleiche Tenore finden sich verhältnißmäßig
wenige, am meisten noch in VII 12. Der Tenor ist hier dreimal wieder-
holt. Takt 1—16 = 17—32 = 33—48, hierbei ist auch im Diskant
gleich Takt 1—2 = 17—18 = 33—34, ferner 21—22 = 37—38, end-
lich 8— 13 = 24—29. Auch in VII 13 fällt im Diskant Takt 9—13 ==
33 — 37 auf dieselbe Stelle des repetierten Tenors und ebenso ist in
Vn^ im Diskant 1—4 = 9 — 12. In VIT 28 ist die Übereinstimmung
zwischen Tenor und Diskant eine außerordentliche. Es entsprechen
einander in beiden Stimmen Takt 1—6 = 15—20 = 25—30; Takt
1—4 = 11—14; Takt 7—10 = 21—24 = 31—34. Der Diskant ent-
hält das Lied JRobin m^aime von Adam de la Haie; gegenüber der
Fassung desselben Liedes im Manuskript La Valli^re [Coussemaker
Art harmonique pag. 87} erscheinen einige Abweichungen, von denen
zwar einige wie Takt 2, 12, 16 durch den Tenor bedingt erscheinen,
einige aber nicht. Im Ganzen verhält sich die Fassung im Manu-
skript La Valliere zu der im Manuskript von Montpellier etwa wie
die beiden Fassungen von U4B; auch hier zeigt der Kodex yon Mont-
pellier reichere Ornamentierung. Ob der Tenor Portare y der nach
Coussemaker noch 12 mal im Kodex von Montpellier vorkommt, nicht
etwa der Fassung des Liedes zu Liebe Änderungen erlitten hat, läßt
sich nicht konstatieren. Merkwürdig wäre aber, daß ein aus dem
gregorianischen Gesang entnommener Tenor eine so sichere perio-
dische liedmäßige Struktur zeigen sollte ; vielleicht ist also der Tenor
des Liedes wegen umgeformt. Daß Adam de la Haie nicht, wie
Coussemaker behauptet, der Komponist dieses dreistimmigen Motetts
sein kann, geht aus den Änderungen des Diskantes hervor, welche
nicht durch die harmonische Nothwendigkeit bedingt sind. Welchen
Grund hätte Adam gehabt, seine eigene Melodie zu ändern? Viel-
leicht ist aber Adam nicht einmal der Komponist des Liedes von
Robin. Er lebte in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts, viele
Gründe sprechen aber dsifur, die Stücke des VII. Fascikels gegen dajs
Ende des 12. zu setzen. Dann müßte man Robin m'aime für ein
schon aus früherer Zeit stammendes echtes Volkslied erklären, wel-
ches von Adam in sein Jeu de Robin et de Marion einfach recipiert
worden ist.
Die Tripla des VH. Fascikels sind wie in den frühem Fascikeln
frei behandelt und zeigen keine Wiederholungen.
Der Liederkodex von Montpellier. 75
Den Stücken VII 12. 13. 27. 28 steht eine andere Gruppe gegenüber,
wo sich gar keine oder fast gar keine Wiederholungen finden. In
VII M findet sich bei der Wiederholung des Tenors nur eine beiläufige
Ähnlichkeit im Triplum Takt 9 — 13 = 47 — 50. In VII 39 ist in allen
drei Stimmen nur gleich Takt 1 — 4 = 40 — 43. Durch das in lauter
Semibreven abgefaßte Triplum stellen sich diese zwei Stücke in nahe
Beeiehung zu VUio und Vlln, den beiden Stücken des Petrus de
Cruce, die gar nirgend Wiederholungen zeigen und ihnen auch in
der Handschrift räumlich am nächsten stehen. Durch den Bau des
Triplums und durch den Mangel an wiederholten Phrasen stellen sich
auch VII 16 und Vn4o zu dieser Gruppe.
Ein eigenthumliches Stück ist VII 36. Der Tenor ist nicht wie
bei allen übrigen dem gregorianischen Gesang entnommen, sondern
ein ausgebildeter Liedtenor; da aber der Diskant und das Triplum
keinerlei Wiederholungen aufweisen, der Diskant also wie ein Triplum
behandelt ist, so liegt der Gedanke nahe, daß, der gegenwärtige Diskant
eigentlich ein Triplum, das gegenwärtige Triplum eigentlich ein
Quadruplum sein könnte und der ursprüngliche Tenor weggelassen
ist. Bestärkt wird diese Annahme noch dadurch, daß der Tenor nicht,
wie es bei einem frei erfundenen und ursprünglich gegebenen Lied-
tenor der Fall sein müßte, eine regelrechte, dem Textaufbau korrespon-
dierende musikalische Periodisierung aufweist, sondern nur einzelne
wiederholte Stellen (Takt 1—6 = 7—12; 1—4 = 26—29; 35—40 =
42 — 47), gleich als ob ein Tenor darunter gelegen wäre, wozu dieses
Lied Cis ä qui je sui amie einen Diskant gebildet hätte. Ist diese
Annahme richtig, so würde dieses Lied in überraschender Weise darauf
hinweisen, wie sich allmählich die mensurierte Musik von den Fesseln
des gregorianischen Cantusßrmus zu freier kontrapunktischer Behand-
lung aller Stimmen emancipiert hat.
Einen großen Fortschritt weist im VII. Fascikel die Behandlung
der Tenore auf. Sie schreiten nicht mehr den steifleinenen Gang
wie früher; sie werden beweglicher, gegliederter, namentlich die Tenore
mit französischem Text. Einen so auch in kleinere Motive gegliederten
Tenor hat VII 23; ii^s Einzelne zergliedert sind auch die Tenore von
VII 39 Bele Ysabelos und VII 27 Nus nHert. In VHio und VII n er-
scheinen sogar schon die ersten Anfänge zu den späteren »Künsten
der Niederländer«. In VIIjo erscheint nämlich der Tenor zweimal,
aber das erste Mal in der molossischen, das zweite Mal in der trochäi-
schen Form des ersten Modus. In VII n wird der Tenor das zweite
Mal mit Auslassung der Pausen wiederholt.^ Die reichste Entwick-
^ Vergl. das Agntts in Josquin's Messe Omme arme »Cktma ne cesset*.
76 Oswald Koller,
lung des Tenors weisen VIT 24 und YU^ auf, indem hier der Tenor
einen kurzen Pes nach Art des Sumercanona immer wiederholt. In
yil35 giebt das zwar zu keinen Imitationen Anlaß, es ist nur im
Diskant Takt 44—51 ähnlich 58—61 und 7—10 ähnlich 70—73, immer
hei gleichem Tenor. Recht häufig tritt dagegen diese Wiederholung
in VII24 auf, ebenfalls bei gleichem Tenor. Es ist im Diskant
Takt 1—4 == 5—8; 9—12 = 13—16; 33—36 = 41 — 44 = 49—52;
46—48 = 58—60. Und im Triplum Takt 1—4 = 13—16 = 17—20;
9—12 = 57—60; 25—28 = 53—55; 33—36 = 41—44. Ja es findet
sich sogar eine Periode Diskant 9 — 12 wieder im Triplum 21 — 24.
So beginnt hier die Imitation in einer andern Stimme ihre ersten Ver-
suche, die dann im VIU. Fascikel entschieden ausgebildet werden.
Die beiden Stücke VII 24 und VII 35 haben überdies jedes noch etwas
Apartes. In VII 24 treten Versuche des Hoquets hervor, auch einer
Form, die im VIII. Fascikel in bedeutenderer Vollendung zu Tage
tritt. In Vif 35 zeigt sich ein neuer Beweis, wie zur Ausfüllung des
Textes ganze Verszeilen eingeschoben wurden. Die beiden Texte von
VIT 35 finden sich nämlich auch bei Heyse, Romanische Inedita, auf
italiänischen Bibliotheken gesammelt, Berlin 1856, pag. 48,^ jedoch
1 Die Sammlung, aus welcher Heyse seine Lieder ediert hat (Ms. Vatican.
eh. 1490, auch beschrieben von Keller, Romvart, Mannheim 1844 pag. 244 — 327),
muß noch in engerer Beziehung bu unserm Kodex von Montpellier stehen. Die
Handschrift enthält zuerst Chansons : Ce sont le8 cancans le roi de nauare. It caste-'
lains de cauci u. s. w. Nach KeUer pag. 244 »ist die erste Strophe eines jeden Liedes
mit Noten versehen oder doch mit Notenlinien, denn die Noten fehlen zum Theilv.
Es wäre interessant zu erfahren, ob die Melodien des Vaticanus mit denen des
Kodex Ton Montpellier übereinstimmen. Von den darin enthaltenen Liedern (heraus-
gegeben von Mätzner, Altfranzösische Lieder, Berlin 1853) stimmt nur der Anfang
eines einzigen Liedes mit einem des Kodex von Montpellier überein: H me cuidoü
hien tenir \on Gaidifer (Keller pag. 269, Mätzner Nr. XIV pag. 25); aber auch nur
diese Zeile, der weitere Verlauf des Gedichtes nicht mehr. (B.. Schwartz, Die
Frottole im 15. Jahrhundert in dieser Zeitschrift H, 442, führt einen analogen Fall
an, daß die Frottolisten mit der ersten Zeile eines Fetrarca'schen Sonettes beginnen,
dann aber weiter frei fortfahren.) In der Handschrift FoL 144 folgen dann »Motei
et roondehf welche von Heyse herausgegeben sind; auch diese sind nach Keller 311
mit Notenlinien versehen, die Noten selbst nicht überall beigeschrieben. Hiervon
sind im Kodex von Montpellier enthalten:
Heyse Nr. 1. H^, amours, morrai ge .... Discantusl FoL 114 115
» 2. AmourotMement me tient . . . Triplum j
. i Dieusvporrai Triplum LonFol.324.325(Vn35)
» 4. (Test amouretes Discantusl
» 5. D0Ü8 rossignoles j'olis Triplum von Fol. 68 (der Diskant
hat lateinischen Text)
» 6. Brunete, cui j'ai mon euer doune Discantus l „^^ 171 «o« ior
m fti / j » rr • 1 >V0n l*Ol. 124. liO
» 7. Trop souvent me duel .... Tnplum |
Der Liederkodex von Montpellier. 77
ist hier überall eine Yerszeile hinzugefügt, die bei Heyse fehlt: Im
Diskant Takt 52 — 55 son piain froftt, son chief luüant. Im Triplum
Takt 24 — 28 Quant je n'ai pemee fors k'ä li,^
Das letzte Stück des YÜ. Fascikels ist VII 25* Das zeigt nun gar
nicht den Charakter der früheren Stücke, sondern, schließt sich an
die unten zu besprechenden Imitationen des YIII. Fascikels an. Er-
wägt man nun, daß der ursprüngliche Kodex nur bis Fol. 320 geht
und dann zwei Nachträge eintreten, daß die beiden Nachträge und
der Yin. Fascikel von einer Hand geschrieben sind, und daß das
Stück YU25,. das dem zweiten Nachtrage angehört, seinem Baue nach
mit den Stücken des YIII. Fascikels übereinstimmt: so muß man zu
dem Resultate gelangen, daß der zweite Nachtrag mit dem
achten Fascikel nicht nur gleichzeitig niedergeschrieben,
sondern auch komponiert worden ist.
Es enthält also der YII. Fascikel selbst jüngere und ältere Be-
standtheile. .
Es haben sich bisher zwei Sichtungen geltend gemacht. Die
eine, in welcher die diskan tierenden Stimmen in regelloser Freiheit
sich entwickelten — Fascikel III und Y, und die andere, wo gleichen
Ueyse Nr. 8. Bele atelis par mattn se leua Triplum 1 „^„ -d^i i q« 1 oq
» 9. HareUy hareu, jou la vo\ la . . DiscantusJ
»11. Bien cuidoie auoir Discantus Ton Fol. 256
» 21. Prendia % garde Triplum und Discantus von Fol.
324. 325 (Vmi9).
Das letzte stimmt aber nur im Kefrain, nicht auch im übrigen Texte. Der Um-
stand, daß im Vatic. die 2u einer und derselben Komposition gehörigen Lieder
unmittelbar beisammen stehen, weist auf ein näheres Verhältniß der beiden Codices,
das vorläufig noch in Dunkel gehüllt ist
1 Die Fassung im Montp. und Vatic weicht . nicht unbeträchtlich ab. Ich gebe
die Varianten:
Heyse Nr. 3 (Triplum von VII 35). 1 Dietta v V Diex ou M. 3 uos dirai V
n*o8 dire M. 4 pense accU V penser ä celi M. 5 que V qui M, hiauU V honU M.
7 eruxmour4 V emprisonnS M. Zwischen 8 und 9 ist in M die Zeile eingeschoben
Quant je rCai pensSe fora JCä U. 9 Je M jou\f houceteV bouchete M. 10 La cou-
low \ et la colour M. 12 hlancete V hlanchete M. 13 flour V flor M. 14 ai
damoure V d'atner et M. 15 soupris V sourpria M. 16 ietta V yex M. 16 traia V
trahia M. 18 kilairea V qui la irea M. 18 par dix \ pour dieu ^L, 19 demiaele V
deairie M. 20 cor aiiea pite V quar aih pitiS M. 21 fehlt in M.
Heyse Nr. 4 (Discantus von VHss). 1 Ceai V che aont M, ki Y qui M.
5 hlance V blanche M, gorgete V gorge M. 6 vautia V votia M. 7 frece bauce riant V
aaffire bauche riana M. 8 ki toua jora diät V qui toua joura dit M. 12 aouriant V
frhniant M. 13 d'ambler V d^enibler M. 14 luiaant V plaiaant M. Nach 14 ist in
M eingeschoben Son piain front y aon chief luiaant. 16 enamorS V enetmouri M.
17 cor V fehlt in M, que V quHl M. 18 A dix V an diex an M, hareu V haro M.
M hat bessere Lesarten als V.
78
Oswald Koller,
Stücken des Tenors auch gleiche diskontierende Stimmen zu ent-
sprechen suchten — Fascikel IV (VI?) und IL Im VII. Fascikel re=-
präsentieren die erste Richtung VII lo. it. le. 40i die zweite VIT 12. 13.24. 27. m.
Ganz scharf scheiden sich diese zweierlei Kompositionen auch im
achten Fascikel. Der ersten Art, mit regellosem Discantus und
Triplum, gehören VIIIss. 41 an; sie zeigen ehenfalls das in Semibreven
bewegte Triplum wie VIIio. 11. Der zweiten Art gehören außer VU»
noch die übrigen Stücke an, Vllljg. 21. 22.23- Prof. G. Adler hat in dieser
Zeitschrift^ darauf hingewiesen, wie in den Stücken VIII21. 22. 23 die
Diskantmelodien durch Stimmenwechsel entstanden sind. Er entwirft
hierfür folgende analytische Bilder:
vni
21
a 6 I «1 *i I flj *j I «I
X X X X X /
h a
l I
li li
I. It|l
vm
22
a b
X
h a
l I
5 5
d
II
4
« / «1
X
l l II
5 5 4
9 A
■
t
Ä g
•
t
X
X
h g
»i
9 *
•
»1
I I
u
I I
II
5 5
4
5 5
4
a^l
h
vm
23
XXX
I I I I
4^
IT 11 11 11
Auch ^^l25 ist ähnlich gebaut, nur daß die einzelnen Phrasen nicht
nacheinander folgen, sondern die zweite schon in der Mitte der ersten
beginnt. In dem Widerspiel der verkürzten dreitaktigen Phrasen des
vierten Abschnittes, die nach je zwei Takten aufeinander folgen,
könnte man schon eine Vorahnung der Engfuhrung sehen.
a
h
c 5,
a d
K K
h h
h— g— 5,— t
I
Etwas anders ist es mit VIIIiq, welches von Adler ebenfalls zer-
gliedert worden ist. Zur Textherstellung Adler's ist zu bemerken,
daß die Emendierung der Stelle in Takt 32 des Diskants, getreu dem
1 Die Wiederholung und Nachahmung in der Mehrstimmigkeit. Vierteljahrs-
Bchrift für Musikwissenschaft. 11, 271. Bezüglich der Erklärung der Bezeichnungen
vergl. daselbst die Anmerkung auf pag. 301.
3 Um eine Quarte tiefer gesetzt.
Der Liederkodex Ton Montpellier.
79
Grundsatze, daß man sich bei Konjekturen so wenig als möglich von
der XJberlieferung entfernen soll, einfacher dadurch erfolgen kann,
daB bei der Ligatur cum opposita proprietate der erste Strich statt
nach aufwärts nach abwärts zu ziehen ist und die folgende Ligatura
wfcendens in keine descendens geändert zu werden braucht. Ferner
hat Adler zwei gleichlautende Phrasen, Tripl. 21. 22 und Disc. 29, 30,
als verschiedene Varianten a^ und a^ bezeichnet. Nachdem aber bei
derselben Phrase a^ in Takt 15. 16 und 29. 30 des Diskantes das Auf-
oder Abwärtsgehen der beiden Semibreves als irrelevant aufgefaßt
worden ist, so fiOlt der Unterschied zwischen a^ und a^ weg. Somit
stellt sich das analytische Bild folgendermaßen dar:
bade
X X
a b e d
e f a j/
1 1
b a a^ a
H-«5 «2 /i-+-
a d a^ — abe
X b a a*
1 1
«+ fl, /i
a £? a^ Og
b a d A +
1 !
II
I 1 I
I
e^ b a d
f 9 ^
II
Stimmenwechsel tritt eigentlich nur bei den vier ersten Phrasen ein.
Das weitere sind wirkliche Imitationen.
baa^ in der 6. 7. 8. Phrase des Discantus und
9. 10. 11. des Triplums,
a^fx adüx in der 10. 11. 12. 13. 14. Phrase des Discantus und
14. 15. 16. 17. 18. des Triplums,
bad in der 16. 17. 18. Phrase des Discantus und
21. 22. 23. des Triplums.
Ob eine Eekonstruktion des Liedes mit Sicherheit möglich ist,
bleibt dahingestellt. Von allen vorhergehenden Stücken hat sich noch
kein einziges herstellen lassen, und das einzige, das wirklich gegeben
war, Robin neiaime (VIl2s), liat auch willkürliche Veränderungen er-
litten. Was Coussemaker pag. 86 an Rekonstruktionen giebt (VII le
IV 17 VT50), ist nicht beweiskräftig; er hat schlauer Weise immer nur
den Anfang citiert und ist den Beweis schuldig geblieben, daß eine
solche Rekonstruktion durch die ganze Komposition durchgeführt
werden kann. Wenn aber irgend ein Stück rekonstruierbar ist, so
ist es VIII19; denn die Wiederkehr symmetrischer Periodenbildungen
weist darauf hin, daß die Grundgestalt des Liedes nicht zu sehr ver-
ändert sein kann, und überdies weist der bei Heyse Nr. 21 edierte
Text wirklich ein ähnliches Lied, wenngleich mit verändertem Text
auf. Nur darf man wohl kaum mit Adler derart rekonstruieren, daß
nur Anfang und Schluß des Discantus mit Auslassung alles dazwischen
Liegenden benutzt werden (abgesehen davon, daß man der so ent-
standenen Melodie keinen sinngemäßen Text unterlegen kann), son-
80
Oswald Koller,
dem man wird von dem Grundsatze ausgehen müssen, daß alles, yivas
beiden Stimmen in Text und Melodie gemeinsam ist, als wesentlichea:
Bestandtheil des ursprünglichen Liedes wird angesehen werden müssen,
daß nur das auszuscheiden ist, was sich textlich und melodisch als
Flickwerk erweist und daß der zu konstruierende Text mit dem Bau
des Textes bei Heyse möglichst koincidieren muß.
Danach bliebe der Anfang des Liedes a b c d unverändert;^
X erweist sich melodisch als Nebenbildung, textlich als inhaltslosei
Einschub, fällt also weg. Zu dem folgenden b a a^ gehört textlicli
als Abschluß des Gedankens ex besser als a^ ; auch musikalisch giebt
e (mit Weglassung der Erweiterung in ^+) einen ausreichenden Ab-
schluß. Für die folgende Gruppe «2^1 «^«i ist der Abschluß text-
lich in — abe des Triplums und a^ des Discantus gleich, melodisch
ist a^ vorzuziehen. Zu dem folgenden b ad scheint, um der geraden
Anzahl der Verszeilen willen, noch einmal Prenes % ffarde z\i passen;
dann bekommt der Re&ain auch die Gestalt, in welcher er bei Grele
vorliegt. Mit diesem Vers ist die lyrische Situation erschöpft und das
folgende h^/^h ist nur ein zur naiven Heiterkeit der verstecken-
spielenden Schäferin nicht ganz passender, etwas lasciver Zusatz.
Auch beim Triplum gelangt man zu demselben Resultate. Die
fünfte Verszeile ist textlich an dieser Stelle unmöglich, sondern gehört
nach baax\ f ay ist textlich außer Zusammenhang und melodisch
Nebenbildung und Wiederholung. Das übrige schließt sich schön an,
nur Zeile 20 ist inhaltsloses Flickwerk und muß durch den Anfang
des Refrains ersetzt werden.
Die rekonstruierte Melodie würde also lauten:
m
L'4JÜUp-f
is:
-V
t
X
t
Pre-n68-i gar -de, fl'on me re - gar -de, s'on me re - gar -de,
d h a
i — w^
t
t
■st
di - tea le moi.
a ^ y
^
:??:
ipini
ISl
1^
m
Car 868 mes gar -de, dontmoutme tar - de,
qu'il m'ait o soi
bien l'a-per-choi.
Et tel chi Yoi,
^ Die von Jaquemar Gr61e im Renart noviel mitgetheilte Melodie (Cousse-
maker 280} hat die Form ab a d.
Der Liederkodex von Montpellier.
81
i
/i
??=#:
ji=# ^
5^^
if— t
Sä^
:<=
t
T
*
qu'il est je croi. Feu d'en-fer l'ar-de, ja - lous de moi;
mala pour 11 d'a - mer ni re - croi.
(Pren^s - i gar - de)
m
nszz.
si
t&
^
ä
t
^^
pour rient m'es-gar-de, bien pert sa gar- de, j'a - rai re -choi.
Ich muß jedoch gestehen, daß mich auch diese Rekonstiuktion
nicht befriedigt; und zwar hauptsächlich deswegen, weil die Text-
gestaltung dieser Rekonstruktion keine genügende ist.
Der erste Fascikel endlich weicht von allen übrigen dadurch ab,
daß er keine Kondukte und Motetten, sondern Organa pura enthält ;
insofern ist die Vergleichung mit andern Fascikeln schwierig, als
nirgends ersichtlich ist, ob für die Organa nicht etwa andere Regeln
der Stimmführung maßgebend waren als für die Motette. In I3 sind
alle Stimmen frei beweglich. In I] wiederholt sich in der Mittelstimme
Takt 14— 19 = 22—27 und in beiden Stimmen Takt 44—50 = 54—60.
In I2 findet sich der auch von Adler bemerkte Stimmenwechsel in
Takt 84 — 88 und 89 — 93. Die Wiederholungen in 1\ unterscheiden
sich nicht von ähnlichen Figuren in andern Fascikeln ; der Stimmen-
wechsel in I2 dagegen mahnt an Garlandia's repetitio diversae vocis.
Das widerspricht nicht den früher gewonnenen Resultaten. Wenn in
den Stücken aus der Zeit der Discantus positio vulgaris die ersten
unbewußten Anfänge der Wiederholung auftreten, wenn Garlandia
schon mit Bewußtsein den Stimmenwechsel gebraucht, so kann im
I. Fascikel, dessen Abfassungszeit zwischen die Discantus positio vul-
garis und Garlandia gesetzt worden ist, wohl auch schon repetitio
aufgetreten sein.
Das Hoquetstück I45 zeigt diese eigenthümliche Kunstform in
einer Ausbildung, wie sie sonst nur im VIII. Fascikel vorkommt;
Vllai ist von dieser Reichhaltigkeit noch weit entfernt. Nachdem
aber der Ochetus schon in der Discantus positio vulgaris erwähnt wird,
allerdings in einer Weise, die nicht genau erkennen läßt, ob die Positio
1888. 6
g2 Oswald .Koller, Der Liederkodex TÖn Montpellier.
mit dem Ochetus denselben Begriff verbindet, wie die späteren Theo-
retiker,^ nachdem auch schon IV» Takt 31 — 33 und" 54 — 55 Ansätze
zum Hoquet erkennen läßt, so bleibt an dem ganzen Stück nichts
erstaunlich als die reiche Durchführung. Die Komposition maß wohl
ein besonders berühmtes und bekanntes Faradestück gewesen sein,
sonst würde sie nicht von Odington, Aristoteles ^ Franco und dem
Diskantiertraktate des Kodex 812 als Beispiel citiert worden sein.
Auf dreifachem Wege, durch Betrachtung der Notation, durch
Auskultation der äußeren Zeugnisse und durch die Untersuchung der
inneren Struktur ist dasselbe Resultat gewonnen worden: Der Kodex
von Montpellier bildet kein einheitliches Ganzes, sondern
besteht aus älteren und jüngeren Stücken.
Mag auch im Einzelnen im Gange der Abhandlung ein Irrthum
untergelaufen sein und mögen auch bei dereinstiger vollständiger Be-
nutzbarkeit des Manuskripts die Resultate entsprechend genauer aus-
fallen, als es bei Benutzung der Coussemaker'schen Stichproben mög-
lich war: das Hauptresultat dürfte kaum mehr umgestoßen werden,
daß im Kodex von Montpellier mehrere Schichten von Kompositionen
durcheinander liegen, welche ein Stück Entwicklungsgeschichte des
mehrstimmigen weltlichen Gesanges repräsentieren.
* SS. I, 97: Ochetus est sitper tefwrem wiius cuiusque modi moietorum ahsque
pausa d heraus et consomts cmttus.
Briefe Beethoyen's an Ferdinand Bies.
Mitgetheilt von
Hermann Deiters.
Die i> Biographischen Notizen über Ludwig van Beethoven« von
Wegeier und Ries (KoUenz, Bädeker 1838) nebst dem Nachtrage
zu denselben von Wegeier (Koblenz 1845] bilden , wie bekannt,
noch immer eine der wichtigsten Grundlagen für die Forschung über
Beethoven's Leben, und die Unmittelbarkeit und Treue dieser Mit-
theilungen von Augenzeugen und Freunden, namentlich aber die
warme Pietät für den unvergeßlichen Freund und Lehrer, welche aus
jeder Zeile spricht, werden dieselben allezeit zu einer anziehenden und
wohlthuenden Lektüre für jeden Verehrer des Meisters machen. Es
ist zu beklagen, daß das längst vergriffene Büchlein immer seltener
wird, und es dürfte ein dankenswerthes Unternehmen sein, wenn
dasselbe durch erneuten Abdruck weiteren Kreisen wieder zugänglich
gemacht würde.
Ferdinand Ries kam gegen Ende 180P im Alter von 17 Jahren
nach Wien und wurde daselbst nicht nur Schüler Beethoven^s, sondern
trat auf Grund der alten Familienbeaiehungen in näheres VerhältniB
zu ihm und empfing von ihm mancherlei Freundschaftsbeweise; Beet-
hoven sorgte für seine äußere Stellung, ließ ihn an manchen seiner
künstlerischen Arbeiten theilnehmen und bediente sich bei Abschriften
und sonstigen Besorgungen wegen derselben seiner Hülfe. 1805 ver-
ließ der junge Ries Wien, da er sich in Folge der Konskription
stellen mußte; nicht angenommen, machte er eine Reise nach Paris
und war 1808 bis 1809 nochmals in Wien. Nach weiteren Reisen
nahm er 1819 London zu seinem Aufenthalte, wo er bis 1824 blieb;
dorthin unterhielt Beethoven eine lebhafte Korrespondenz mit ihm,
< Vergl. Thayer's Biographie Beeth. II, S« 162, \ro die Angabe des Rheinischen
Antiquarius (3. Abth. Bd. IJ, S. 63) richtig gestellt -^rd,
6'
84 H- Deiters,
die sich namentlich auf den Verlag seiner Kompositionen in England
bezog. 1824 kehrte er nach Deutschland zurück, wohnte einige Jahre
in Godesberg bei Bonn und nahm dann Frankfurt am Main zu seinem
Aufenthalte, wo er, nach verschiedenen ferneren Reisen und Unter-
brechungen, 1838 gestorben ist.
Einen Theil der zahlreichen, aus wichtigen oder auch gering-
fugigen Anlässen von Beethoven an ihn gerichteten Briefe hat Ries
in den Notizen (S. 127 ff.) mitgetheilt. Daß diese Mittheilung keine
vollständige sei, hat er selbst in der Vorrede zu den von ihm ge-
gebenen Notizen gesagt; auch die abgedruckten Briefe selbst sind,
wie durch Gedankenstriche angedeutet ist, nicht vollständig ab-
gedruckt.
Die Originale dieser Briefe Beethoven's an Ferdinand Ries scheinen
nach dem Tode des letzteren unter die verschiedenen Mitglieder der
Familie vertheilt worden zu sein. Eine Anzahl derselben befindet
sich im Besitze einer Enkelin von Ries, Frau R. in Eitelsbach bei
Trier. Der gütigen Erlaubniß der Frau R. folgend, hat der Verfasser
dieser Zeilen kürzlich, von seinem Freunde Dr. von Hofis in Trier
in dankenswerther Weise unterstützt, diese Briefe an Ort und Stelle
mit dem Abdrucke in den Notizen vergleichen, die noch nicht ver-
öffentlichten unter denselben jedoch vollständig abschreiben dürfen.
Hinsichtlich der bereits gedruckten ergab sich bald, daß zu einer
Weglassung der damals unterdrückten Stellen gegenwärtig gar keine
Veranlassung mehr vorlag; manche dieser Weglassungen hatten zudem,
wie sich jetzt zeigt, nicht einmal in persönlichen Gründen, sondern
nur darin ihre Veranlassung, daß der Herausgeber die Stellen für
überflüssig und für das Ganze bedeutungslos hielt. Aber auch für
Stellen anderer Art, sowie fiir die noch unveröffentlichten Briefe er-
gab sich keinerlei Grund zur Zurückhaltung; sie betreffen zum Theil
Gegenstände, über welche wir auch sonst unterrichtet sind, und
entsprechen andrerseits ganz der hinlänglich bekannten Art Beet-
hoven's sich auszudrücken und zu urtheilen, so daß uns auch der
zuweilen rücksichtslose Ton heute nicht mehr wundern oder ver-
letzen kann. Außer diesen Weglassungen haben sich auch Stelleu
gefunden, in denen Ries Beethoven's Ausdrucksweise und Satzver-
bindung geändert hat; auch hier war es geboten, die ursprüngliche,
wenn auch nicht immer korrekte Form des uns ohnehin anderweitig
bekannten Beethoven'schen Briefstils herzustellen. An einigen Stellen
war das von Ries gegebene Datum nach dem Original zu berichtigen.
Die Zeitbestimmung der undatirten Briefe und Zettel läßt sich nur
vermuthungsweise, mitunter jedoch mit annähernder Gewißheit geben;
wo in solchen Fällen Ries selbst aus seiner Erinnerung eine Ver-
Briefe Beethoven's an Ferdinand Hies. §5
muthung giebt, wird dieselbe zu beachten sein, da uns die inneren
Fäden nicht erkennbar sind, welche ihn zu derselben führten.
Im folgenden geben wir die sämmtlichen im Besitze der Frau R.
befindlichen Briefe, ^ und fugen bei den von Ries bereits veröffent-
lichten die wichtigsten Abweichungen von dem gedruckten Texte
bei; kleinere Abweichungen hinsichtlich der Schreibung und Inter-
punktion, welche Ries überall der gewöhnlichen Sitte angepaßt hat,
sind hierbei übergangen. Die ganz konstante Gewohnheit Beethoven's,
am Schlüsse der Sätze keinen Punkt zu schreiben, sondern meist nach
einem Gedankenstrich den folgenden Satz mit kleinem Anfangsbuch-
staben folgen zu lassen, ist jedem bekannt, welcher Beethoven'sche
Briefe gesehen hat; dieselbe ist an einigen Stellen, wo eine Ab-
weichung von dem Drucke bei der Vergleichung nicht angemerkt
war, durch Yermuthung hergestellt, da sie in den von uns einge-
sehenen Briefen ebenfalls durchweg geübt ist. Kurze biographische
Erläuterungen sind nur wo sie unumgänglich nöthig erschienen ge-
geben. —
(Kicht veröffentlicht.)
Lieber Rieß. Wählen Sie die 4 bestgeschriebenen Stimmen, und
sehen sie diese erst durch, bezeichnen dann diese mit No. /; — haben
sie dieselben nach der partitur recht durchgesehen und korrigirt, dann
nehmen sie die anderen Stimmen, und sehen sie nach nach den cor-
rigirten Stimmen, ich emphele ihnen so viel achtsamkeit als möglich.
2.3
(Notizen S. 127 unvollständig abgedruckt.)
Hier, lieber Ries, nehmen sie gleich die 4 von mir corrigirte
Stimmen, und sehen sie die anderen abgeschriebenen darnach durch,
^ Von den in den Notizen bereits veröffentlichten Briefen befinden sich 17
nicht in der von uns eingesehenen Sammlung.
2 Ein Zettel ohne Datum. Nr. 1 und 2 gehören ersichtlich zusammen und
beziehen sich auf eine Aufführung. Die Worte über Qraf Browne im zweiten Briefe
zeigen, daß sie der ersten Zeit von Ries' Aufenthalt in Wien angehören, so daß
die Yermuthung von Ries hinsichtlich des Datums richtig sein dürfte. Es wird
hiemach an eine Aufführung des Ballets Prometheus zu denken sein, nur nicht an
die erste, welche schon am 21. März ISOl stattfand. Den dritten Brief darf man
dann wohl auf dieselbe Sache beziehen; das B. z. (oder B. j.) in demselben weiß
ich nicht zu erklären» vielleicht ist »Baßpartie « gemeint Thayer (Bd. 11, S. 1S2)
Betete den zweiten Brief, den er nur in der unvollständigen Gestalt kannte, in den
Anfang 1802.
' Ohne Datum. Nach Ries »wahrscheinlich 1801«.
86 H. DcitcM,
und ^ wenn sie versichert sind, daß 4 von den abgeschrieb^ien Stim-
men recht richtig und genau corrigirt sind, so will ich übermorgen
um die 4 mit N: I bezeichnete Stimmen schicken, dann können
sie die anderen nach den von ihnen durchgesehenen corrigiren —
Hier der Brief an Gr. Browne, es steht drin,^ daß er ihnen die
50 :|:|: vorausgehen muß, weil sie sich equipiren müssen, dies^ ist
eine Nothwendigkeit, die ihn nicht beleidigen kann, denn nachdem
dies geschehen sollen sie künftige Woche schon am Montag mit
ihm nach Baden gehen — Vorwürfe muß ich ihnen denn doch
machen, daß sie sich nicht schon lange an mich gewendet, bin ich
nicht ihr wahrer Freund, warum verbargen* sie mir ihre Noth, Keiner
meiner Freunde darf darben, so lange ich etwas hab', ich hätte ihnen
heute ^ schon eine kleine Summe geschickt, wenn ich nicht auf
Browne hoffte, geschieht das nicht, so wenden sie sich gleich an
ihren Freund Beethoven.
3.«
(Nicht veröffentlicht)
lieber Bieß ich bitte sie inständigst, machen daß ich die B. z.'
noch heute bekomme, sie müssen, ich mag wollen oder nicht, auch
die Violinstimmen durchsehen, und das muß morgen geschehen, weil
sie wohl wissen daß übermorgen Probe ist.
4.8
(Bis auf den Schluß nicht veröffentlicht.)
Haben sie die Güte mir zu berichten, ob's wahr ist, daß Gr.
Brotone die 2 Märsche schon zum Stich gegeben — mir liegt dran
es zu wissen ; — ich erwart unausgesetzt die Wahrheit von ihnen —
nach Heilgstadt* brauchen sie nicht zu kommen, indem ich keine
Zeit zu verlieren habe L v Bthvn.
1 Die Worte »und wenn« bis »corrigiren« fehlen bei Ries.
^ darin R.
3 das R.
* verbergen R.
^ heute fehlt bei R.
^ Kleiner schmaler Zettel ohne Datum.
"^ Undeutlich, vielleicht auch B. j. oder anders.
^ Die wahrscheinlich von Ries beigeschriebene Jahreszahl 1S02 stimmt zu dcnt
Inhalt, vergl. Thayer II, S. 190. Die 1802 von Browne bestellten Märsche er-
schienen 1804.
0 Diese Schlußworte stehen Notizen S. 117. Heiligenstadt R.
Briefe Beethoven's an Ferdinand Kies. §7
5.1
(Nötigen S. 90.)
— und sind sowohl die Zeichen schlecht angezeigt, als auch an
manchen Orten selbst 2 Noten versetzt — also mit Achtsamkeit —
sonst ist die Arbeit wieder umsonst — ch'a detto Tamato bene?
6.3
(Notizen S. 129.)
Lieber Bieß, da Breuning keinen Anstand genommen hat, ihnen
und dem Haußmeister durch sein Benehmen, meinen Karakter von
einer Seite-* vorzustellen, wo ich als ein elender, armseeliger, klein-
licher Mensch erscheine, so suche ich Sie dazu aus, erstens meine
Antwort B: miindUch zu überbringen nur auf einen und den ersten
Punkt seines Briefes, welchen ich nur deswegen beantworte, weil
dieses meinen Charakter nur bei ihnen rechtfertigen soll — sagen sie
ihm also, daß ich gar nicht daran gedacht, ihm Vorwürfe zu machen
wegen der Verspätung des Aufsagens, und daß, wenn wirklich B:
Schuld daran gewesen sei, mir jedes harmonische Verhältniß in der
Welt viel zu theuer und lieb sei, als daß um einige Hundert und
noch mehr ich einem meiner Freunde Kränkungen zufügen würde:
sie selbst wissen, daß ich ihnen ganz scherzhaft vorgeworfen hatte,*
daß Sie Schuld daran wären, daß die Aufsagung durch Sie zu spät
gekommen sei, ich weiß gewiß, daß sie sich dessen erinnern werden ;
bei mir war die ganze Sache vergessen — nun fieng mein Bruder
bei Tische an und sagte, daß er B: Schuld glaube an der Sache;
ich verneinte es auf der Stelle und sagte, daß Sie daran Schuld
waren, ich meine, das war doch deutlich genug, daß ich B: nicht die
Schuld beimesse B: sprang darauf auf wie ein Wüthender, und sagte,
daß er den Hausmeister herauf rufen wollte^ dieses für mich unge-
wohnte Betragen von^ allen Menschen, womit ich nur immer umgehe,
brachte mich aus meiner Fassung, ich sprang ebenfalls auf, warf meinen
sthul nieder; gieng fort — und kam nicht mehr wieder — dieses
1 Ein kleiner Zettel, Fortsetzung eines andern, so daß Anfang und Datum
fehlen. Der Inhalt besieht sich auf die Korrektur der Sonaten Op. 31; die Zeit ist
also der Frühling 1803 (vergl. Th. 11, S. 201). Ries hat den Anfang geändert.
* die Noten R.
d Auf dem Originale steht von anderer Hand (Ries?) die Jahreszahl 1603 mit
einem Fragezeichen. Nach Thayer (II, S. 652) ist der Brief Anfang Juli 1803 ge-
Bchriehen.
* Die Worte »Ton einer Seite« fehlen bei Ries.
^ habe R. ® vor R.
88 H. Deiters,
Betragen nun bewog B:, mich bei ihnen und dem Hausmeister in
ein so schönes Licht zu setzen — und mir ebenfalls einen Brief
zu schicken, den ich übrigens nur mit Stillschweigen beantwortete ; —
Breuning habe ich gar nichts mehr zu sagen — seine Denkungs^
und Handlungsart in Rücksicht meiner beweist, daß zwischen unß
nie ein freundschaftliches Yerhältniß Statt hätte finden sollen , und
auch gewiß nicht ^ Statt finden wird — hiermit habe ich sie bekannt
machen wollen, da ihr Zeugniß meine ganze Denkungs und Hand-
lungsart erniedrigt hat, ich weiß, wann^ sie die Sache so gekannt
hätten, sie es gewiß nicht gethan hätten, und damit bin ich zu-
frieden —
Jetzt bitte ich sie lieber Bieß gleich nach Empfang dieses Briefes
zu meinem Bruder dem Apotheker zu gehen, und ihm zu sagen, daß
ich in einigen Tagen schon Baaden verlasse, und daß er das quartier
in Döblinffj gleich nachdem sie es ihm angekündigt, miethen soll —
fast wäre ich schon heute gekommen, es ekelt mich hier ich bin's
müde — treiben sie um*s Himmelswillen, daß er es gleich mietliet,
weil ich gleich allda in Döhling^ hausen will — sagen sie und zeigen
sie von dem auf der anderen Seite geschriebenen B:* nichts, ich
will ihm von jeder Seite zeigen, daß ich nicht so kleinlich denke
wie er, und habe ihm erst nach diesem d bew® Brief geschrieben —
obschon mein Entschluß von der Auflösung' unserer Freundschaft
fest ist und bleibt — ihr Freimd
Beethoven.
7.8
(Notizen S. 128.)
Daß ich da bin, werden sie wohl "^wissen — gehen sie zu Stein
und hören sie, ob er mir nicht ein Instrument hierher geben kann
— für Geld — ich furchte meins hierher tragen zu lassen — Kom-
men sie diesen Abend gegen Sieben Uhr heraus — meine Wohnung
ist in Oberdöbling No. 4 die Straße links, wo man den Berg hin-
unter nach HeUigenstadt geht. Beethoven.
^ Denkungsart R.
2 nicht ferner R.
3 wenn R.
* »in Döbling« fehlt bei R.
^ Briefe R. ; unrichtige Deutung der Abkürzung.
^ Unleserlich; ich nehme an »den bewußten«. Ries ändert willkürlich »nach
diesem Briefe ct.
"^ der Entschluß zur Auflösung R.
B Ries setzt den (mit Rothstift geschriebenen) Zettel richtig ins Jahr 1S03, in
welchem Beethoven in Oberdöbling wohnte. VergL Thayer II, S. 233.
Briefe Beethoven's an Ferdinand Kies. (^9
8.1
(Notiaen S. 128.)
Lieber Ries, ich bitte sie erzeigen sie mir die Gefälligkeit, dieses
Andante, * wenn auch nur schlecht abzuschreiben, ich muß es morgen
fortschicken, und — da der Himmel weiß, was allenfalls damit vor-
gehen kann, so wünschte ich^s — abgeschrieben — doch muß ich's
morgen gegen Ein Uhr zurück haben — die Ursache, warum ich sie
damit beschwere — ist — weil ein Copist schon mit anderen, wich-
tigen Sachen zu schreiben hat, und der andere ist krank. ^
(Nicht veröffentlicht.)
Sie müssen die Sache, lieber Hieß sehr klug anstellen, und
absolut darauf dringen, daß sie etwas schriftliches von ihm erhalten
— ich habe geschrieben daß auch Sie die Sache schon im Wirths-
haus hätten hören sagen, aber nicht wußten von wem? — thun
sie dergleichen, und sagen sie, daß sogar die Geschichte auf mich
schon gedeutet worden — daß mir unendlich daran liege, nur die
Wahrheit zu wißen — damit ich meinem Bruder eine Lekzion
geben könne — übrigens soll mein Bruder nicht gewahr werden,
daß Hr. Frosch nur die Wahrheit geschrieben habe s
Nach ihrer Ambassade kommen sie zu mir «
Alles Schöne an die gnädige Frau, ist der Mann zäh, so halten
sie sich an der Frau ^
10.»
(An die Fürstin Liechtenstein, Notizen S. 134.)
■
Verzeihen Sie durchlauchtigste Fürstin! wenn sie durch den Über-
bringer dieses vielleicht in ein unangenehmes Erstaunen gerathen
— der arme Ries mein Schüler muß in diesem unglückseligen
Kriege die Muskete auf die Schultern ^ nehmen, und — muß zugleich
1 »Wahrscheinlich 1S04r sagt Bies.
2 Nach Ries' Vermuthung das Andante der Kreuzersonate. Wahrscheinlicher
wohl das anfänglich für die Cdur- Sonate bestimmte Andante facori (Thayer II,
S. 258).
3 Statt zu schreiben hat u. s.w. ändert Ries: »beschäftiget, und der andere
krank ist«.
4 Auf das Original ist geschrieben: »1804?« Die Beziehungen des Briefes sind
nicht klar. Handelt es sich um die von Ries Notizen S. 117 angedeutete Ver¥rick-
lung, so würde derselbe ins Jahr 1802 g^ehören.
^ »Ohne Datum. Geschrieben einige Tage Tor dem Einzüge der Franzosen
1805«. Der Brief wurde nicht abgegeben (Ries).
8 Schulter R. .
90 K- Beiters,
schon als Fremder in einigen Tagen von hiei fort — er hat nichts,
gar nichts — muß eine weite Reise machen — die Gelegenheit zu
einer Akademie ist ihm in^ diesen Umständen g^uizlich abge-
schnitten — er muß seine Zuflucht zur Wohl thätigkeit nehmen
— ich empfehle ihnen denselben — ich weiß es^ Sie verzeihen mir
diesen Schritt — nur in der äußersten Noth kann ein edler Mensch
zu solchen Mitteln seine Zuflucht nehmen — in dieser Zuversicht
schickte ^ ich ihnen den armen, um nur seine Umstände in etwas zu
erleichtem; er muß zu allen, die ihn kennen, seine Zuflucht nehmen.
Mit der tie&ten Ehrfurcht
L. van Beethoven.
(Adr. Pour Madame la Princesse Liechtenstein etc.)
11.»
(Notizen S. 135.)
Ihre Freunde mein Lieber haben ihnen auf jeden Fall schlecht
gerathen — ich kenne diese aber schon es sind die nemlichen, denen
sie auch die schönen Nachrichten über mich aus Paris geschickt —
die nemlichen, die sich um mein Alter erkundigt, und wovon sie
so gute Kunde zu geben gewußt — die nemlichen, die ihnen bei
mir schon mehrmals jetzt aber auf immer geschadet haben.
Leben sie wohl. B.
12.*
(Notizen S. 136.)
Mittwoch am 22. November. Wien 1815.
Lieber R. Ich eile ihnen zu schreiben, daß ich heute den Ciavier-
Auszug der Sinfonie in A auf die Post an das Hauß Thomas Coutts
& C^ abgeschickt habe, da der Hof nicht hier ist, gehn beinahe gar
keine oder selten Kurire, auch ist dies überhaupt der sicherste Weg.
Die Sinfonie müßte gegen März herauskommen, den Tag werde ich
bestimmen, es ist diesmal zu lange zugegangen, als daß ich den
Termin kürzer bestimmen könnte — mit dem Trio vl,^ der Sonate für
Violin 7 kann es mehr Zeit haben, und beides wird in einigen Wochen
auch in London sein — ich bitte sie recht sehr, lieber Rieß ! sich
anzunehmen um diese Sachen, ^ auch damit ich das Geld erhalte ;
1 unter R. 2 schicke R.
3 Von Ries mit 1809 beseichnet. Vergl Thayer III, S. 140.
* manchmal R. » Vergl. Thayer III, S. 360.
^ Für u. steht bei Ries in. Der Fehler war auch bei der Vergleichung übei^
sehen; ich habe mich aber zu der Änderung berechtigt geglaubt, da das in un-
möglich ist, wie die folgenden Worte zeigen.
7 Op. 97 und 96. « ©sich dieser Sachen anzunehmen« R.
Briefe Beethoven's an Ferdinand Bies. 9 [
es kostet viel; bis^ alles hinkommt u. ^ ich brauche es — ich habe
600 Fl: an meinem Gehalte jährlich eingebüBt zu Zeiten der B. Z.^
war es gar nichts, dann kamen die Einlösungss. und hiebei verlor
ich diese 600 Fl: mit mehreren Jahren Verdruß und gänzlichen Ver-
lust des Gehalts — nun sind wir auf dem Punkte, daß die E. s.
schlechter, als ehmals^ die B. Z. waren, ich bezahle 1000 Fl: Haus-
zins; machen sie sich einen Begriff von dem Elend, welches das
Papiergeld hervorbringt. Mein armer, unglücklicher Bruder ist eben
gestorben, er hatte ein schlechtes Weib, ich kann sagen, er hatte
einige Jahre die Lungensucht, und um ihm das Leben leichter zu
machen, kann ich wohl das, was ich gegeben, auf 10 000 Fl: W.W.
anschlagen das ist nun freilich für einen Engländer nichts — aber
fdr einen armen Deutschen oder vielmehr Oesterreicher sehr viel, der
Arme hatte sich in seinen letzten Jahren sehr geändert, und ich kann
sagen, ich bedaure ihn von Herzen, und mich freut es nunmehr, mir
selbst sagen zu können, daß ich mir in Rücksicht seiner Erhaltung
nichts zu Schulden kommen ließ. — Sagen sie dem Hr: Birchall,
daß er Hr: Salomon und ihnen das Brie^orto, welches ihre Briefe
an mich und die meinigen an sie kosten, vergüte, derselbe kann mir
es abziehen an der Summe, die er mir zu bezahlen, ^ ich habe gern,
daß diejenigen, welche für mich wirken, so wenig als möglich leiden. —
Wellingtons Sieg in der Schlacht bei Vittoria* muß
längst angekommen sein bei Th. Coutts & C^. Hr: Birchall braucht
nicht eher das Honorar zu bezahlen, bis er alle Werke hat. Eilen
sie nur, daß ich die Bestimmung des Tags, wann Hr: Birchall den
Clavier-Auszug herausgibt, erhalte. — Für heute nur noch die wärmste
Anempfehlung meiner Angelegenheiten, ich stehe ihnen, in was nur
immer, zu Diensten. Leben sie herzlich wohl, heber R.
Ihr Freund Beethoven.
13.6
(Nicht veröffentliclit.)
Wien, den 10. Februar 1816.
Werthester Freund.
Ich zweifle nicht, daß Sie meine Zuschrift v. erhalten
haben ; mit gegenwärtigem zeige ich Ihnen blos an, daß ich nunmehr
* »Dies ist zugleich der Titel auf dem Clavier-Auszug.« (Anm. Beethoven's.)
« ehe K. 2 ».u.« fehlt bei R. ^ d. h. Bancozettel. * jemals R.
s »zu bezahlen hat« R.
• Dieser Brief ist von fremder Hand geschrieben, von Beethoven nur unter-
schrieben. Zur Erläuterung ist der Brief vom 20. Januar 18 IG (Notizen S. 13S) zu
vergleichen, dessen Original sich in der von uns eingesehenen Sammlung nicht
92 K. Deiters,
auch linier den 3 dieß,^ das grand Trio und die Sonate an Herrn
Birchall mittelst des Hauses Thomas Cotdts et C^. geschickt habe,
wofür er an letzteres die bedungene Summe von 130 hoU. Ducaten
zu bezahlen hat. Allein außerdem treffen ihn die Auslagen für
Copiatur und das Postporto, zumal letzteres blos seinetwegen, um ihn
schnell zu bedienen, an die Briefpost ausgeleget ward; die diesfällige
Note finden Sie am Ende dieses, — ich bitte Sie angelegentlich Sich
eifrigst zu verwenden, daß H. Birchall gedachten Spesenbetrag in
ij:^ 10 hoU. reducirt, an die Herrn Coutts et Cf. bezahle da der Ver-
lust dieser Summe einen großen Iheil meines ganzen Honorars auf-
zehrte — ich glaube bald Gelegenheit zu finden, H. Birchall auf
andere Art verbinden zu können.
Ich sehe recht bald Ihrer Antwort entgegen und verharre mit
freundschaftlicher Achtung Ihr ergebener Freund
Ludtcig van Beethoven.^
14.
(Notizen S. 141 nur zum Theil veröffentlicht)
Wien am 3. April 1816.
Mein lieber Riese ^ wahrscheinlich wird Herr F". nun das Trio
und Sonate erhalten haben, in den vorigen Briefen habe ich noch
10 Dukaten für die Copiatur und Porto verlangt, wahrscheinlich
werden Sie mir diese 1 0 ij^: noch auswirken — immer habe ich einige
Sorge, daß sie für mich viel für Porto auslegen müssen, ich wünschte
recht sehr, daß sie so gütig wären, mir alle meine Briefe an Sie an-
zurechnen, da ich sie ihnen dann von hier aus vom Hause Frieß an
das Haus Coutts in London will vergüten lassen. — Sollte der Ver-
leger V. kein Hinderniß finden, welches er aber sogleich auf der Post
an mich anzuzeigen ersucht wird, so soll die Sonate mit Violin hier
im Monath Juni am 15***^ desselben herauskommen, das Trio
am 15*®^ Juli, wegen dem Klavierauszug der Si/7fo7iie werde ich es
noch Hr. V. zu wissen machen, wann er herauskommen soll.
— Neate^ muß nun wohl in London sein, ich habe ihm mehrere
Compositionen von mir mitgegeben, und er hat mir die beste Ver-
befindet. Der gegenwärtige, bisher unbekannte Brief ist zur Beurtheilung der von
Thayerlll, S. 378 besprochenen Frage nicht unwichtig; es zeigt sich, daß die For-
derung von 20 # für Porto und Kopiatur vor dem Eintreffen der Kompositionen
gestellt wurde.
* Soll ohne Zweifel heißen »unter dem 3. dieses«, d. h. dem 3, Februar. Vergl
den Brief vom 20. Januar.
2 Unter dem Briefe folgt dann die Kostenberechnung. ^ sie.
* Von hier an Notizen S. 141. Vergl. Ihayer III. S. 38ö.
Briefe Beethoven's an Ferdinand Kies. 93
Wendung davon für mich versprochen, grüßen ^ sie ihn von mir. Der
Erzherzog Rudolph spielt auch ihre Werke mit mir, mein lieber
Ries, wovon mir il sogno besonders wohl gefallen hat. — Leben sie
wohl, mein lieber B. empfehlen sie mich ihrer lieben Frau so wie
allen schönen Engländerinnen, die es freuen von mir kann.^
Ihr wahrer Freund
Beethoven.
15.
(Notizen S. 140 unvollständig mitgetheilt.}
Wien den 8. Mai» 1816.
Meine Antwort kömmt etwas spät auf ihren Brief, ^ allein ich
war krank u.* viel zu thun war® es nicht möglich ihnen eher zu
antworten; — nun erst das Nöthigste — von den 10 :}4: in Gold ist
bis jetzt noch kein Heller angekommen, und ich fange schon an zu
glauben, daß auch die Engelländer nur im Auslande großmüthig
sind, so auch mit dem Prinzregenten, von dem ich fiir meine
überschickte Schlacht nicht einmal die Copiatur- Kosten erhalten, ja
nicht einmal einen schriftlichen noch' mündlichen Dank; Fries ^
zogen mir hier noch 6 fl. Konvenzionsgeld ab. bei dem empfangenen
Gelde von Birchall außerdem für Porto 1 5 fl. Konvenzionsgeld, sagen
Sie dieses B , . — und sehen Sie daß sie noch selbst die Anweisung
auf die 10 4i= erhalten, sonst gehts wie das erstemal — was sie mir
von der Unternehmung von Neate sagen, wäre erwünscht für
mich, ich brauche es, mein Gehalt beträgt 3400 fl. in Papier, 1100
Hauszins bezahle ich, mein Bedienter mit seiner Frau bis beinahe^
900 fl., rechnen sie, was also, noch bleibt, dabei habe ich meinen
kleinen Neflen ganz zu versorgen, bis jetzt ist er im Institute, dies
kostet bis 1100 fl. und ist dabei doch schlecht, so daß ich eine
ordentliche Haushaltung einrichten muß, um ihn zu mir zu nehmen.
— Wie viel man verdienen muß, um hier nur leben zu können ; und
doch nimmt's nie ein Ende, denn — denn — denn — sie wissen es
schon — wegen ^^ der Dedicationen ein andermal — einige Bestel-
lungen, außer einer Akademie, würden mir auch sehr^^ willkommen
* »grüßen — der« fehlt bei R.
2 »die CS freuen kann — von mir« R.
3 Bei Ries (und danach Thayer III. S. 379) unrichtig März. Die Handschrift
hat deutlich Mai
^ »auf ihren Brief« fehlt bei R.
5 u. hatte R. ^ »war — Nöthigste« fehlt bei R. "^ oder R.
8 Die Stelle von »Fries — brauche es« fehlt bei R.
9 Statt bi« beinahe schreibt Ries »das Jahr«.
10 »wegen — andermal« fehlt bei R. ^^ »sehr« fehlt bei R.
^^ H. Deiters,
sein von der philharmonischen Gesellschaft — übrigens sollte sich
mein lieber Schüler Ries hinsetzen und mir was Tüchtiges dedi-
ciren, worauf dann der Meister auch antworten wird und Gleiches
mit Gleichem vergelten. Wie soll ich ihnen mein Portrait schicken?
— ichi hoffe auch bald Nachrichten ron Neate^ treiben sie ihn
etwas an, seien sie übrigens versichert von wahrer Theilnahme an
ihrem Glücke, treiben ja Neate an zum wirken und schreiben
— Alles Schöne an ihre Frau; leider habe ich keine; ich fand nur
eine, die ich wohl nie besitzen werde, bin aber deswegen kein
Weiberfeind. Ihr wahrer Freund
Beethoven.
16.
(Notizen S. 159 mit yielen ^yeglaBSungen abgedruckt.)
Am 5. Febr.2 1823.
Mein lieber guter Ries!
Noch habe ich keine weiteren Nachrichten über die Sinfoniey^
unterdessen können sie sicher daraufrechnen, indem-* ich hier die
Bekanntschaft gemacht habe mit einem sehr liebenswürdigen ge-
bildeten Manne, welcher bei unserer Kaiserl. Gesandtschaft in London
angestellt ist, * so wird dieser es übernehmen, später die Sinfonie von
hier nach London an Sie befördern su helfen, so daß sie bald in
London ist. War ich nicht so arm, daß ich von meiner Feder
leben müßte; ® ich würde gar nichts von der ph. Gesellschaft nehmen,
so muß ich freilich warten, bis für die Sinfonie hier das Honorar
angewiesen ist: um aber einen Beweiß meiner Liebe u. ^ Vertrauens
für diese Gesellschaft zu geben, so habe ich die neue ihnen ^ in
meinem letzten schreib, berührte Ocertüre schon dem oben berührten
Herrn von der Kaiserl. Gesellschaft gegeben. Da dieser in einigen
Tagen von hier abreist, so wird er ihnen mein lieber sie selbst in
London übergeben, man wird wohl bei Goldschmidt ihre Wohnung
wissen, wo nicht, so geben sie selbe dort doch an, damit dieser
so sehr gefällige Mann nicht lange sie aufzusuchen habe — ich
überlasse es der Gesellschaft was sie in Ansehung der Ovet^ttire an-
ordnen wird, sie kann selbe ebenfalls wie die Sinfonie 18 Monathe
1 »ich — schreiben« fehlt bei R. ^ Bei Ries unrichtig September.
3 die neunte Symphonie. ^ »indem — helfen, so« fehlt bei K.
5 Dies ist der im folgenden Briefe erwähnte Bauer. Die Stelle beweist, daß
dieser Brief dem folgenden voranging, und die Reihenfolge bei Ries unrichtig ist.
<^ muß R. ' und des R.
^ »ihnen — aufzusuchen habe« fehlt bei R., welcher willkürlich folgendes hin-
zusetzt: die neue »Ouvertüre schon an sie abgeschickt«. Die Ouvertüre ist ohne
Zweifel Op. 124.
Briefe Beethoven's an Ferdinand Kies. C)5
beh&Iten — hiemacli erst würde ich sie herausgeben, nun noch eine
Bitte ly mein Herr Bruder hier,^ der Equipage hält, hat auch noch
Ton mir ziehen wollen, und so hat er, ohne mich zu fragen, diese
besagte Ooerture einem Verleger namens ^ Bosey in London ange-
tragen, lassen 3 sie ihn nur warten, daß man vor der Hand nicht be-
stimmen könne, ob er die Overture haben könne, ich würde schon
selbst deswegen schreiben — alles kommt hierin auf die philarm.
Gesellschaft an, sagen sie nur gefälligst,^ daß mein Bruder sich ge-
irrt, was die Overture betrifft — was* andere Werke betrifft, wes-
wegen er ihm geschrieb. die könnte er wohl haben, ,er kaufte sie
von mir um damit zu wuchern, wie ich merke, o f rater! — ich®
bitte sie noch besonders der overture wegen, mir sobald sie selbe
erhalten, sogleich zu schreiben, ob die ph. Gesell, solche nimmt,
weil ich sonst sie bald herausgeben würde —
Von ihrer an mich' dedicirten Sinfonie erhielt ich nichts, be-
trachtete ich die Dedicat nicht als eine Art von^ Herausforderung,
worauf ich ihnen Revanche geben muß, so hätte ich ihnen schon
irgend ein Werk gewidmet, so glaubte ich aber noch immer, ihr
Werk erst sehen zu müssen, und wie gern würde ich ihnen durch
irgend etwas meinen Dank bezeigen, ich bin ja ihr tiefer Schuldner
für so viele bewiesene Anhänglichkeit und Gefälligkeit, bessert sich
meine Gesundheit durch eine zu nehmende Bade-:Cur im künftigen
Sommer, 9 dann küsse 18i(4 ihre Frau^^^ in London
ganz ihr Beethoven,
Adresse: A Ferd. Ries
chez B. A. Goldschmidt et Comp,
a Londres (en Angleterre),
17,n
(Notizen S. 154 zum Theil abgedruckt.)
— bei der harten Lage habe ich noch viele Schulden %u be-
zahlen, daher es mir auch lieb sein wird, wenn sie abgeschlossen
haben die Messe betreffend, mir das Honorar auch ebenfalls anzu-
weißen, bis daliin wird die Messe schon für nach London abgeschrieben
«ein, wegen der einigen Souveraifis^ die ein Exempl. davon erhalten,
■ ^ Bruder Johann R. ^ » namens <« fehlt bei li.
3 »lassen — Gesellschaft an« fehlt bei B. * »gefälligst« fehlt bei H.
•* »was — haben« fehlt bei R. « »ich — würde« fehlt bei R.
■^ mir R. * »von« fehlt bei R
^ »im künftigen Sommer« fehlt bei R. ^^ ich ihre Frau 1824 R.
^^ Der Anfang des Briefes ist nicht vorhanden. Derselbe gehört dem Inhalte
sufolge ins Jahr 1S23.
96 H. Deiters,
darf man gar keine Scrupel haben, wenn schon ein hiesiger Verlier
gar -nichts dawider hatte, so dürfte man in London noch weniger sich
deswegen kümmern, da ich mich noch obendrein schrifU. verbinde,
daß übrigens weder im Stich noch auf irgend eine andere Art davon
eine Note nur herauskomme, und der Revers noch obendrein für
alles bürgt. — Betreiben^ sie alles bald für ihren armen Freund,
ihren Reiseplan erwarte ich auch, es ist zu arg geworden, ich bin
ärger beim Cardinal, *^ als früher geschoren, geht man nicht, siehe da
ein crimen legis majestaiisy^ meine ^ Zulage besteht darin, daß ich
den elenden Gehalt noch mit einem Stempel erheben muß. — Da
Sie wie es scheint eine Dedication von mir wünschen, wie gern will-
fahre ich ihnen, lieber als den größten großen Herrn enire nous^
der Teufel weiß wo man nicht in ihre Hände gerathen kann, auf der
neuen Sinfonie erhalten sie die Dedication an Sie — ich hoffe end-
lich die ihrige an mich zu erhalten. —
Bauer ^ erhält hiermit eine neue Schrift an König y in welcher
aber blos von der Schlacht bei Vittoria^ die er gestochen mitgenommen
hat, die Rede ist, von der Messe geschieht keine Erwähnung. Haben
Sie nur die Güte, H. Bauer zu sagen, er solle das erstere öfihen, um
zu sehen wessen Inhalt das Schreiben sei. Die Messe hat H. Bauer
nicht mitbekommen. Es'' heißt nämlich: Bauer soll den von hier
mitgenommenen Brief an den König öffnen, woraus er sehen wird,
was von der Schlacht von Vittoria an den König geschrieben worden,
die nun erfolgte Schrift an ihn erhält^ dasselbige, aber von
der Messe ist gar keine Rede mehr, unser liebenswürdiger Freund
Bauer soll nur sehen, ob er nicht wenigstens ein Schlachtmesser oder
eine Schildkröte dafür erhalten kann, versteht sich, daß das ge-
stochene Partitur Exemplar der Schlacht ebenfalls an den König ge-
geben werde — Bauer^ geht Ende Mai wieder hieher, benach-
richtigen sie ihn also gütigst gleich von dem was ihn angeht — der
heutige Brief kostet sie viel Geld, rechnen sie mir es nur ab von
dem was sie mir schicken, wie leid thut es mir ihnen beschwerlich
^ Von hier an hei Ries.
2 »beim Cardinal« fehlt bei R.
3 So im Original. R. schreibt: »ein crimen laesael»
* »meine — muß« fehlt bei R.
^ Nach enire nous setzt R. einen Punkt, wodurch der Sinn geändert wird.
• Die Worte »Bauer — mitbekommen«, welche bei Ries fehlen, sind von an-
derer Hand geschrieben.
^ Von hier an wieder Beethoven's Hand. Die Worte »Es heißt nämlich« fehlen
bei R. Für Bauer schreibt er nur »b«.
8 So ist geschrieben. R. »enthält«.
0 »Bauer — angeht« fehlt bei R.
Briefe Beethoven's an Ferdinand Ries. 97
fallen zu müssen, — Gott mit ihnen, alles schöne an ihre Frau, bis
ich selbst da bin, geben sie acht, sie glauben ich bin alt,^ ich bin
ein junger alter — wie immer der Ihrige Beethotefi.^
18.3
(Nicht veröffentlicht.)
Lieber Ries!
Sie dringen so sehr auf Antwort, daß ich Ihnen in diesem Augen-
blicke blos das Nöthigste sagen kann. Schon von Kirchhoffer wüßt'
ich, daß Sie London verlassen haben. Meine so gedrängte Lage ließ
mich kaum dazu kommen, Ihnen nur das Mindeste zu schreiben.
JT. übernahm die Symphonie^ welche ganz sicher nicht eher als Ende
Sommers herauskommen kann. Diese jetzigen Veräußerungen sind
nur Präliminarien; die Zeit, welche die Londner Phükarm. Gesell-
schaft sich ausbedungen hat, wird aufs genauste gehalten werden.
Bremen hat sie nie erhalten. Eben so wenig Paris j wie man mir yon
London aus schrieb. Was muß man nicht alles ertragen, wenn man
das Unglück hat, berühmt zu werden! — Nun auf Ihre Wünsche! mit
Vergnügen werde ich Ihnen die Tempi von Christus am Oelherg durch
den Metronom bezeichnen, so wankend auch noch diese Zeitbestim-
mung ist. — Was die Symphonie betrifft, so mache ich Ihnen hierbei
einen mehr ins allgemeine gehenden Vorschlag. Meine Lage macht,
daß ich durch meine Noten aus meinen Nöthen zu kommen suchen
muB.^ Wäre es denn nicht möglich, daß Sie die Sache so einrich-
teten: ich schickte Ihnen die Symphonie in meiner oder einer wohl
abgeschriebenen Partitur, hiezu noch die Messe in Partitur, und die
Ouvertüre, die ich für die Phüh, Gesellschaft schrieb. Auch könnte
ich noch mehrere Kleinigkeiten für Orchesten^ geben; und für Chöre;
so würde ein solcher Verein in Stand gesetzt, statt einer Akademie
2 — 3 zu geben. Vielleicht würden demselben 40 Carolinen nicht zu
viel seyn. Ich überlasse Ihnen die Sache; das Concept hiezu kommt
nicht von mir, sondern von denen, welche mich gern durch meine
Noten aus meinen Nöthen retten wollen. Ich nehme den innigsten
Antheil an Ihrem Besitzthum in Godesberg; kein Mensch kann eine
i »Sie glauben mich alt« K.
2 Der Name fehlt bei R.
3 Der Brief ist von fremder Hand geschrieben und hat kein Datum. Da Kies
1824 aus London nach Deutschland zurückkehrte und die Familienbesitzung in
Oodesberg bezog, wird der Brief in 'dieses Jahr fallen. Die neunte Symphonie
wurde am 7. Mai 1824 zuerst aufgeführt.
* Ein bei Beethoven beliebtes Wortspiel, vergJ. Seyfried, Anhang S. 21. (Thayer
n, S. 655.)
1888. 7
9§ H. Deiters, Briefe Beethoven's an Ferdinand Ries.
neidischere Freude darüber haben, dessen höchste Wünsche ein solcher
Besitz erfüllen würde. Es scheint aber, daß meine Bestimmung ge-
rade nicht so seyn soll, wie ich sie wünsche. Grüßen Sie Ihren
alten Vater herzlich von mir. Ich bin äußerst erfreut über sein Glück;
ich umarme Sie herzlich, und hoffe Ihnen bald Näheres schreiben zu
können. Wie immer Ihr wahrer Freund
Beethoven, ^
Schreiben sie ebenfalls bald.
19.2
(Nicht veröffentlicht)
— am 19. März 1825.
Heut 8 Tage schon, gleich nach Empfang Ihres Schreibens,
wurde die Symphoniey 3 Stücke davon in Partitur ^ und das Finale ganz
in Stimmen geschrieben, mit dem ersten abgehenden Postwagen ab-
geschickt. Ich habe nur meine Partitur ^ daher ich Ihnen das Finale
nur in Stimmen übersenden konnte. Sie erhalten aber mit dem, heut
8 Tage abgehenden Postwagen, das Finale ebenfalls in Partitur, nebst
noch andere Werke, die ich Ihnen sende. Mit der Symphonie wurde
eine Out er iure, und ein Opferlied mit Cliür, letzteres aber wahr-
scheinlich fehlervoll, abgeschickt. Ich werde Ihnen jedoch einVer-
zeichniß der Fehler von hier aus senden. Zum Finale der Symphonie
wird auch noch 1 Contrafagott mitgeschickt.
Dies ist alles, lieber Freund, was ich Ihnen heut sagen kann;
Ich bin zu bedrängt. Für Ihre schönen Anträge werde ich Ihnen
selbst schriftlich danken, welches ich beute einer verbrannten Hand
wegen nicht kann. Alles Schöne an Ihren Vater und Ihre Gattinn.
Sie werden auf jeden Fall zufrieden mit mir sein. Wie immer
Ihr wahrer Freund Beethoven.
Adresse (von anderer Hand) :
An
Seine Hochwohlgeboren Herrn Ferdinand Ries
berühmten Tonkünstler und Compositewr
in Bonn am Niederrhein.
1 Unterschrift und Nachschrift sind von Beethoven's Hand.
2 Von anderer Hand geschrieben, von Beethoven unterschrieben. Der Orts-
name irt verklebt.
Ednard Grell als Gegner der Instrumentalmusik, der
Orgel, der Temperatur und der Virtuosität
Von
Friedrich Chrysander.
Der am 10. August 1886 in hohem Alter gestorbene langjährige
Direktor der Berliner Singakademie hat eine Sammlung von Auf-
sätzen musikalischen Inhaltes hinterlassen. Dieselbe sollte in Folge
testamentarischer Bestimmung nach seinem Tode durch Professor
H. Bellermann zum Druck gebracht werden. Solches ist unlängst
geschehen. ^
Grell legt auf diese Schriftstücke nach seinen eigenen Worten
»einen sehr großen Werth«, aus zwei Gründen. Einmal habe er in
ihnen »so ziemlich klar und vollständig« seine »musikalischen Grund-
ansichten ausgesprochen tf, und sodann finde er diese Ansichten so
richtig und wohl fundamentirt, daß er gegen sie i»bis jetzt nicht den
geringsten Einwand habe herausfinden können«. (S. 1.) »Freilich«,
fugt er hinzu, gehöre »zur wirklichen Vollständigkeit « seiner Grund*
ansichten noch etwas, nämlich »die Nachweisung, daß, wenn die
Musik wirklich gedeihen und ihr Üben und Lehren dem Menschen,
dem Volke, dem Lande Nutzen und Segen bringen soll, sie nicht als
Tfjjrr)^, sondern als ^lovacAi^ gedacht und behandelt werden müsse«.
(S. 1.] Von dieser Nachweisung, also von der Nothwendigkeit, eine
solche Forderung stellen zu müssen, bekennt er sich »so fest über-
zeugt, daß sie keinen Einwand zuläßt«.
Leser, denen die Kunstübung des klassischen Alterthums bekannt
ist, wissen nun recht gut, daß Grell's Grundüberzeugung mehr als
1 Aufs&tze und Gutachten über Musik von Edaard OrelL Nach seinem Tode
herauBgegeben von Heinrich Bellermann. Berlin, Verlag von Julius Springer. 18S7.
XII und 195 S. gr. 8.
7*
]Q() Friedrich Chrysander,
einen Einwand zuläßt, ja in dieser antithetischen Form geradezu un-
richtig ist. Wir sind aber der Mühe überhoben, ihm solches zu be-
weisen, denn sein Schüler und Herausgeber thut dies. In einer An-
merkung zu obigen Worten stellt Bellermann den Sinn der angeführten
griechischen Ausdrücke genauer fest und sagt dann: »Grell hätte
daher für jene Ausdrücke lieber einfach , bildende' und , musische'
Kunst setzen sollen.« Aber wie konnte er das? Dann wäre ja das
»Technische ff, welches er der verhaßten Instrumentalmusik als einen
Makel anheften wollte, für ihn nicht zu haben gewesen. Bellermann
selbst bestätigt dies, indem er seine Anmerkung mit den Worten
schließt: 9 Durch rexvrj will Grell aber das den bildenden Künsten
anhaftende Handwerksmäßige andeuten, indem diese Künste zur Dar-
stellung eines Kunstwerkes nothwendigerweise eines Stoffes und ziir
Bearbeitung des letzteren eines Geräthes oder Handwerkszeuges be-
dürfen, während dies bei den musischen Künsten nicht der Fall ist.
In diesen stellt der Mensch selbst das Kunstwerk dar und es genügen
hierzu nicht nur die Worte, Laute und Bewegungen seines Körpers,
sondern es wird durch die Hinzunahme eines äußeren Geräthes, eines
musikalischen Instrumentes u. s. w. sogar die eigentliche Kunstwirkung
beeinträchtigt und dem Handwerk näher gebracht. Dies ist der Grund-
gedanke, der sich durch alle GrelVschen Aufsätze wie ein rother Faden
hindurchzieht.« (S. 1 und 2, Anm.)
Wer diese Worte des Herausgebers liest, der möchte geneigt sein
zu glauben, daß der Schüler hier den Ansichten seines Lehrers ob-
jektiv gegenüber steht; und ein solcher Glaube, falls er gegründet
wäre, könnte uns nur mit Freude erfüllen. Aber leider ist das nicht
der Fall, wie aus andern Äußerungen in diesem Buche klar hervor-
geht. Was bei Grell ein rother Faden ist, das ist auch ein rother
Faden bei Bellermann; er geht mit seinem Meister durch Dick und
Dünn. Als Beweis dafür mögen die emphatischen Sätze dienen, mit
denen Bellermann sein Vorwort beschließt: »Grell ist nun gestorben.
Vor der Hand ist wenig Aussicht vorhanden, daß man an maßgeben-
der Stelle seine volle Bedeutung und Größe anerkennen und seinen
bahnbrechenden Vorschlägen und Ideen die nöthige und wünschens-
werthe Beachtung schenken wird. Im Gegentheil! Mit seinem Ab-
leben wird nun die reine a-capella-Musik nicht mehr wie bisher an
der königlichen Akademie der Künste gelehrt werden. Die durch
Greirs Tod erledigte Stelle kommt künftig in Wegfall. Dennoch
haben seine Schüler die feste Zuversicht, daß er nicht umsonst gelebt
hat, und daß durch die von ihm vertretenen Grundsätze allein das
Heil der Kunst zu erwarten ist. Die Verschlechterung und die Sinn-
losigkeit der Musik hat in den letzten Jahrzehnten so jäh zugenommen,
Ed. Grell als Gegner der Instrumentalmusik, Orgel, Teml)Öfattir ^J". Virtuosität. ] () J
daß endlich die Zeit der Umkehr kommen muß. Dann' wird mVli
sich nach den ursprünglichen Quellen zurücksehnen und wird^ "la
Orell den Mann erkennen, der schon in unseren Tagen nicht allein
durch seine Lehre, sondern auch durch selbstgeschaffene Werke voll
Wohlklang, Schönheit und Tiefe des Ausdruckes der Kunst den künf-
tigen Weg vorgezeichnet hat.«f (S. XI.) Also durch beides ist Grell
maßgebend, durch Ansichten oder Grundsätze wie durch Komposi-
tionen; und sein Schüler ist sein Apostel. Das ist deutlich genug.
Bei der völligen Übereinstimmung, die hier zwischen Lehrer und
Schüler herrscht, finden wir es für das Verständniß vortheilhaft, auf
die oben citirten Worte der Anmerkung noch etwas näher einzugehen,
da es von besonderer Wichtigkeit ist, den besagten »rothen Faden«
genau kennen zu lernen.
Durch »technea soll »das den bildenden Künsten anhaftende Hand*-
iverksmäBigecr »angedeutet werden, und handwerksmäßig sind diese
Künste, weil sie »zur Darstellung eines Kunstwerkes nothwendiger-
weise eines Stoffes«, und zur Bearbeitung eines solchen Stoffes »eines
Geräthes oder Handwerkszeuges bedürfen« — »während dies (wird
hinzugefügt} bei den musischen Künsten nicht der Fall ist<r. Den
Beweis zu der letzten Behauptung liefert Bellermann in einem Satze,
der für einen solchen Zweck als sehr passend erscheinen muß, da er
in seiner mangelhaften Konstruktion die Mangelhaftigkeit des Be-
weises recht treu wiederspiegelt. Dieser Beweis soll darin liegen, daß
»der Mensch selbst das Kunstwerk« darstellt durch Sprache, Gesang
und Gesten, wobei durch die Mitwirkung musikalischer Listrumente
»die eigentliche Kunst Wirkung beeinträchtigt und dem Handwerk
näher gebracht wird«. Ein Kunstwerk mag ja immerhin durch dies
und das in die Nähe des Handwerks gebracht werden, aber wie eine
Kunst Wirkung solchem Handwerk »nähergebracht« werden könne,
dürfte wohl selbst dem Verfasser der Anmerkung ein Bäthsel bleiben.
Doch wir wollen uns nicht weiter bei den Mängeln des sprachlichen
Ausdrucks aufhalten, sondern auf das eingehen, was der Herausgeber
ausdrückt oder ausdrücken will.
Die bildenden Künste sollen »nothwendigerweise eines Stoffes«
bedürfen, die musischen nicht. Diese erste vermeintliche Grundwahr-
heit ist der erste Grundirrthum. Jede Kunst arbeitet in und mit
einem Stoffe oder Material, darin eben zeigt sich ihre »Tichne«. Dieser
Stoff ist nach den Künsten verschieden , und ebenso verschieden ist
natürlich seine Behandlung. Baukunst und Plastik gebrauchen Stoffe
JQ2 ,•./ •'•.•;• Friedrich Chrysander,
• •
.^ i^urfKcher Ausdehnung; die Malerei hat Mäche und Farbe
.^ • Ti^/hig; dei Stoff der Musik ist der Ton, das Material der Dichtkunst
: -die Sprache. Hierin herrscht unter den verschiedenen Künsten ab*
solute Gleichheit, also können sie nach einem solchen Gesichtspunkte
auch nicht abgeschätzt werden.
Ebenso wenig ist eine derartige Abschätzung möglich oder statt*
hafb nach dem zweiten Gesichtspunkte, nämlich nach der Art wie in
den verschiedenen Künsten das Werk hergestellt, ausgeführt oder
dargestellt wird. Auch hierin besteht kein Unterschied unter den
Künsten, sondern Gleichheit, und sämmtliche vorkommenden Ab*
weichungen sind lediglich Modifikationen, die sich aus der Natur der
betreffenden Kunst ergeben, nicht aber Grundverschiedenheiten, nach
denen sich ein Werthverhältniß feststellen ließe. In jeder Kunst und
in jedem Theile der Kunst spielt das Handwerk eine Bolle, wenn
man die zu aller Kunstübung erforderliche Technik so nennen will.
Also nicht hierdurch unterscheiden sich die musischen Künste
von den bildenden, sondern lediglich durch die Doppelgestalt, welche
die Kirnst bei den ersteren annimmt; denn während die Künste des
Baumes mit ihrem Dasein auch zugleich ihre Darstellung gefunden
haben, sind die Künste der Zeit, Dichtung und musikalische Kom-
position, durch ihr bloßes Dasein noch keineswegs für die genießende
Welt vorhanden, sondern bedürfen der Darstellung als einer beson*
deren Kunst, die als solche auch wieder ihre eigenthümlichen Mittel
und Aufgaben besitzt. Die Dichtkunst reicht hier aus mit einem
schönheitlich entwickelten sprachlichen Vortrag und entsprechend
naturwahren Körperbewegungen; aber die Musik bedarf so umfäng-
licher Mittel, daß dadurch die musikalische Darstellung oder Auf-
fuhrung im Gebiete der Kunstübung eine ungeheure Ausdehnung
und Bedeutung erlangt hat. Entspricht die Partitur einigermaßen
dem Grundriß oder detailirten Plan des Baumeisters, so ist die musi*
kaiische Aufführung der wirklichen Aufrichtung eines Kunstbaues zu
vergleichen und beansprucht, wie diese, eine Fülle technischer oder
handwerksmäßiger Mittel. Diese Hülfsmittel sind nun im Musika-
lischen dadurch eigenthümlicher Art und weit höher stehend, als bei
der Baukunst, daß sie den Ton und damit das Material des Tonwerkes
aus sich erzeugen, und zwar in all der Mannigfaltigkeit, in welcher
dieses Material vorhanden ist. Hierdurch gestalten die tonerzeugen-
den Instrumente sich zu wirldichen Organen, weil sie bei der Dar-
stellimg des Tonwerkes eine lebendige charakteristische Bedeutung
haben.
Die Bezeichnung Organ kann deshalb mit Becht allen Ton-
werkzeugen beigelegt werden. Sieht man aber blos auf die Entstehung
£d. Grell als Gegner der Instrumentalmusik, Orgel, Temperatur u.Yirtuosit&t. |()3
dieser Werkzeuge, so ist ein Unterschied zu machen zwischen der
Singstimme als einem Produkt, welches ohne Zuthun des Menschen
natürlich wächst, und den übrigen Tonkörpem, die durch Menschen-
hand angefertigt sind, und nur dem ersteren kann hiernach der Titel
eines Organes zukommen. Aber dieser Gesichtspunkt ist ein natur*
wissenschaftlicher, nicht ein künstlerischer, hat deshalb auch für eine
ästhetische Beurtheilung kein Gewicht. Wie sämmtliche Tonwerk-
zeuge als Organe zu betrachten sind, so können sie auch Instru-
mente genannt werden, und dieser Ausdruck hat vor dem andern
den Vorzug größerer Brauchbarkeit in der Kunstpraxis. Ein Instru-
ment ist die Singstimme so gut wie jedes andere Tonwerkzeug, nur
komplicirter, aus verschiedeneren Theilen zusammengesetzt und daher
auch schwieriger zu behandeln Alle diese Organe oder Instrumente
erfordern zu ihrer Brauchbarmachung technische Übungen, die im
Wesen gleich und nur nach der Natur der einzelnen Instrumente
verschieden sind. Solche Studien oder Schulübungen sind auf den
untersten Stufen ganz mechanisch und bleiben es auch fernerhin zu
einem großen Theile. Insofern kann sehr wohl von einem Hand-
werke in der Kunst geredet werden, denn die Aneignung der uner-
läßlichen technischen Fertigkeiten bedingt ein solches. Steigert der
ausübende Künstler diese technischen Fertigkeiten über das gewöhn-
liche Maß, dann gelangt er auf die Stufe der Virtuosität, und ent-
wickelt er auf diesem Wege seine Fähigkeiten zu einer wirklich
künstlerischen Individualität oder Charaktergestalt, so hat er damit
in seinem Gebiete die höchste Stufe der ausübenden Kunst erreicht.
Auf eine derartige Virtuosität zielt alle Kunstübung ab. Ob dieses
Gebiet das des Sängers oder das des Trompeters ist, begründet in der
Sache keinen Unterschied: beide müssen zuerst ihr Handwerk erfassen
und sodann in einem gleichen Stufengange zur Virtuosität zu gelangen
suchen. Der specifische Werth des Sängers ist allerdings ein höherer,
als der des Trompeters ; dies richtet sich nach der Stellung, die jeder
von ihnen in dem Kunstwerke einnimmt. Doch davon reden wir
hier nicht, denn an diesem Orte soll lediglich die Frage beantwortet
werden, was Handwerk und Virtuosität in der Kunst bedeuten und
wie weit sie sich erstrecken.
Hieraus ergiebt sich also, daß Handwerk und Virtuosität ebenso
zur praktischen Bethätigung jeder Kunst gehören, wie der stoffliche
Inhalt. Eine Unterscheidung oder gar eine Abschätzung der Künste
nach den Gesichtspunkten, ob Stoff oder kein Stoff, ob Handwerk
und sein Geräth oder nicht, ist also unzulässig, und die Aufstellung
solcher Gesichtspunkte muß als verwerflich bezeichnet werden, wenn
sie zu dem Zwecke unternommen wird, gewisse Kunstthätigkeiten zu
1Q4 Friedrich Chrysander,
erniedrigen und damit verächtlich zu n;iachen. Die Gefahr, daB im
vorliegenden Falle jener Zweck erreicht werde, ist freilich nicht groB,
denn wer sich zu der Behauptung versteigen kann, in den musischen
Künsten stelle »der Mensch selbst das Kunstwerk dar«, bei dem mufi
eine Konfusion in ästhetischen Dingen herrschen, die nicht anziehend
wirken kann. Der Mensch stellt jedes Kunstwerk dar; ob er dies thut
mit mechanischen Geräthen, die er durch Lippen, Hände und Füße
bewegt, oder ob es geschieht mit Gliedern seines Körpers, die er für
diesen Zweck zu einem künstlerischen Instrument ausgebildet hat, ist
wieder ganz gleich. Hierüber weiter zu reden, würde Raumverschwen-
dung sein. Es muß aber noch daran erinnert werden, daB dieser
ästhetische Gegenstand auch eine ethische Seite hat. Die Kunst
wird geübt durch den Menschen, das Instrument wird gespielt durch
den Künstler ; alles was auf die Sache fällt, trifft daher zugleich die
Person, und was die Kunst erniedrigt, degradirt auch den betreffen-
den Künstler. Kann die Instrumentalmusik sich nie ganz vom Hand-
werksmäßigen losmachen, so bleiben Geiger und Bläser ebenfalls
immer mehr oder weniger Handwerker, wie hoch sie es auch in ihrer
Kunst treiben mi^en — Handwerker nicht in dem oben bezeichneten
ehrbaren Sinne technischer Geschicklichkeit, sondern in der erniedri-
genden Bedeutung, nach welcher ihnen versagt bleibt, in ihrer Kunst
das Ideale zu erreichen. Wenn wir beachten, wie Grelles Aufsätze
entstanden sind, so können wir nicht daran zweifeln, daß es wirklich
seine Absicht gewesen ist, mit der Instrumentalmusik zugleich die
Instrumentalisten zu erniedrigen und dadurch von gewissen Wirkungs-
kreisen fern zu halten. Er brachte die Schriftstücke nicht zu Papier
in seiner Klause hinter dem Kastanienwäldchen als beschaulicher
Philosoph, sondern er schrieb das erste imd hauptsächlichste Stück
als ein amtliches Gutachten auf des Kultusministers von Mühlers
Veranlassung, der eben damals im Begriff stand, die »Hochschule für
ausübende Tonkunst« unter Joachim's Leitung in's Leben zu rufen.
Das von Grell Gesagte hatte also eine ganz persönliche Spitze, da es
galt, Eindringlinge abzuwehren. War der von diesen geübte Zweig
der Kunst nicht frei von Tadel, so wurde damit auch den Jüngern
desselben ein Makel angehängt. Wie nichtig, ja leichtfertig die Gründe
sind, welche Grell und Bellermann für die Verwerflichkeit der In-
strumentalmusik anführen, haben wir oben gesehen. Daß aber eine
grundlose Herabsetzung und Verdächtigung, insofern sie zugleich die
Person betrifft, Beschimpfung genannt wird, mag dem sei. Grell und
seinem Herausgeber nicht ganz klar geworden sein.
Dies ist nun, bei Licht besehen, der »rothe Faden «. Nachdem
wir untersucht haben, wie er gesponnen wurde, wird sich Jeder sagen,
Ed. Grell als Gegner der Instrumentalmusik, Orgel, Temperatur u. Virtuosität. 105
dafi mit einem solchen Faden nichts anderes entstehen konnte , als
ein Gewebe von Täuschungen.
Bei der Betrachtung desselben noch etwas verweilend, wollen wir
zunächst das in's Auge fassen, was die Instrumentalmusik und dabei
insbesondere die altberühmte Summa Summarum derselben, die Orgel,
betrifit, um dann zuletzt auf den Gesang überzugehen.
II.
Hinsichtlich der Instrumentalmusik kennt Grell kein Er-
barmen. Sein Ingrimm gegen dieselbe scheint sich mit den Jahren
noch gesteigert zu haben, denn sein letztes Wort in der Sache lautet:
«Daher ist nicht eher ein Segen zu erwarten, als bis aus allen
iinrklichen Kunst -Instituten, namentlich aus Kirchen und Schulen^
jegliches Instrument verbannt ist. Vorstände, welche statt die In-
strumente zu verdrängen, sie fordern und kultiviren, thun ein unver-
zeihliches (!) Unrecht und laden eine sehr schwere Verantwortung auf
sich.« (S. 2.) Es ist bezeichnend für GrelFs Anschauung, daß er
»Kirchen und Schulen (c zwar nicht geradezu Kunstinstitute nennt,
aber doch in die engste Verbindung mit ihnen bringt, die Kirche als
Quelle aller Musik durch ihre »Bitualmusik« (S. 194), die Schulen,
d. h. die allgemeinen Bildungsanstalten, als Orte, welche nicht nur
den besten wissenschaftlichen Unterricht, sondern »auch den aller-
besten Gesangunterricht, der im Staate zu haben ist«, gewähren
können (S. 99) . Wäre hier nur von Kirchen und Schulen als solchen
und nicht in Vermischung mit Kunstinstituten die Bede, so würde
man sich über Grelles Forderung leicht verständigen können, denn
es ist durchaus nützlich, ja nothwendig, dort den Gesang zu üben
und die Instrumente möglichst fem zu halten. Bläserchöre z. B.,
welche in jüngster Zeit hie und da an Gymnasien sich gebildet haben,
um bei Ausflüssen mit Musik marschiren und tuten zu können statt
zu smgen, sind einfach als Unfug zu bezeichnen. Aber derartige Ubel-
stände lassen sich durch Grell'sche Übertreibungen nicht bessern.
Man kommt viel weiter mit der Mahnung, Instrumente da nicht in
die Hand zu nehmen, wo es schlechterdings unmöglich ist, ihr Spiel
in Masse zu einer genügenden Fertigkeit zu bringen, dagegen im Ge-
sänge das angebome Instrument des Menschen zu üben, um hier-
durch schon zur Jugendzeit in den wahren lebendigen Mittelpunkt
der Musik eingeführt zu werden. Durch eine solche Belehrung läßt
ttch der Zweck erreichen, ohne Andere zu schädigen.
Es ist nun besonders die Orgel, welcher Grell hart zu Leibe
geht. «Die Mängel der Orgelmusik« demonstrirt er folgendermaßen:
]Qg Friedrich Chrygander,
dZu einem musikalischen Gedanken gehören drei Dinge, 1. Wort,
2. Harmonie und 3. Rhythmus, welche mit einander auf das engste
verbunden sind und gleichzeitig existiren. Von diesen dreien giebt
das Wort nicht nur die Seele, den Inhalt des Gegenstandes, sondern
auch durch seine Vokale Veranlassung Kur Harmonie und durch seine
Konsonanten Veranlassung zum Bhythmus. Fragt man nun, was
liefert die Orgel zur Darstellung dieser drei Dinge? so lautet die
Antwort ad 1. (Wort): Nichts, ad 2. (Harmonie): mit Ausnahme der
beiden Verhältnisse (wenn nämlich die Orgel nicht verstimmt ist)
1 : 1 und 1 : 2 nicht ein einziges Verhältniß korrekt. Die Klaviatur
und die gleichschwebend temperirte Abstimmung der für sie herge-
richteten zwölf Tonstufen ist nur ein disharmonirendes Surrogat der
wirklichen Harmonie. Was den dritten Punkt, den Rhythmus be-
trifft, so ist zu bemerken, daß die rhythmischen Verhältnisse zwie-
facher Art sind, nämlich Zeitlängen -Verhältnisse und Gewichts-Ver-
hältnisse. Nun vermag die Orgel die letzteren ganz und gar nicht
darzustellen, so daß also statt Wort, Harmonie und Rhythmus darzu-
stellen ihre ganze Brauchbarkeit sich darauf beschränkt, die rhyth-
mischen Zeitverhältnisse darzustellen. Alles übrige vacat entweder
gänzlich, oder ist inkorrekt. a (S. 3.)
Mit solchen Beweisen könnte man leicht den ehrlichsten Mann
an den Galgen bringen. Demnach waren die Puritaner ganz im
Recht, als sie dieses königliche Instrument überall zerschlugen, und
wir sind Thoren, daß wir diejenigen loben, welche hernach die Orgeln
herrlicher wieder aufbauten und ihr Spiel zu einer unvergleichlichen
Vollkommenheit entwickelten. Übrigens war Grell selber von 1816 bis
1854 wohlbestallter Organist an großen Berliner Kirchen, die Orgel
hat ihm also sein halbes Leben lang Brot gegeben, er dürfte daher
von einer gewissen Undankbarkeit schwerlich freizusprechen sein.
Seine contra-Orgel-Gründe sind wieder ganz nach dem Mustei' des
obigen rothen Fadens gesponnen. Zu einem )i musikalischen G^dankenc
soll als erstes und hauptsächlichstes, aus welchem alles übrige ent-
springt, das »Wort« gehören. Aber das Wort als solches gehört über-
haupt nicht zur Musik; es ist das Eigenthum der Dichtkunst. Zur
Musik gehören nur die Elemente des Wortes, die Vokale und Kon-
sonanten; durch diese gelangt das Wort oder vielmehr die Sprache
auch in die Musik und durchdringt sich mit derselben so innig, wie
es einem Organ entspricht, welches für Sprache und Gesang dasselbe
ist. Aus dieser Verschmelzung von Sprache und Ton entstehen die
Gedanken der Vokalmusik. Obwohl also die Sprache hier durchaus
nothwendig ist, auch in der Urzeit des Menschengeschlechts in und
mit dem Tone entstand, muß sie doch da, wo es sich um die £le-
£d. Grell als Gegner der Instrumentalmusik, Orgel, Temperatur u. Virtuosität, j ()7
mente der musikalischen KunBt handelt, von dieser geschieden und
lediglich als ein natürliches und nothwendiges Hülfsmittel des Ge-
sanges angesehen werden. Wer in seinem ästhetisch -musikalischen
Denken diese Unterscheidung nicht machen, also auch den Unter-
schied zwischen rein musikalischen und poetisch -musikalischen Ge-
danken nicht einsehen kann, mit dem ist nicht zu rechten. Hin-
sichtlich des Verhältnisses von Wort und Ton herrscht freilich noch
eine große Unklarheit, weshalb ich bedaure, diesen ^yichtigen und
anziehenden Gegenstand hier nicht ausfuhrlicher besprechen zu können.
Den Gesang so sklavisch an das Wort fesseln, wie Grell es thut, heiBt
denen, welche mit der Instrumentalmusik als der vermeintlich »ab-
soluten Musik tt Abgötterei treiben, Waffen in die Hand liefern. In
den rein musikalischen Gedanken muß das Wort zu Gunsten der
Melodie den Platz räumen. Die herkömmliche Ausdrucksweise, nach
welcher Melodie, Harmonie und Khythmus einen musikalischen Ge-
danken bilden, ist daher ganz richtig. Das wunderbare Verhältniß,
in welchem Wort und Ton zu einander stehen, wird nur sehr mangel-
haft, ja durchaus falsch erklärt, wenn man das »Wort« mit Haut und
Haaren in das musikalische Gebiet hinüberzieht.
So ist es denn auch mchts mit dei weiteren Behauptung, nach
welcher das Wort j) durch seine Vokale Veranlassung zur Harmonie
und durch seine Konsonanten Veranlassung - zum Khythmus a geben
soll. Es kann natürlich dazu Veranlassung geben, nur nicht in dem
Sinne, daß Vokale und Konsonanten als die eigentlichen Quellen der
Harmonie und des Rhythmus anzusehen sind. Diese Quellen sind
ausschließlich musikalischer Art und entspringen lediglich aus der
Natur des Tones. Töne aufeinanderfolgend verbunden, sind Melodien.
Töne gleichzeitig verbunden, sind Harmonien. Betonung oder Stärke-
grade und Zeitmaß ergeben Rhythmen. Dies ist das wirkliche Ver-
Iiältniß, ganz allgemein ausgedrückt, und hierdurch wird jedem der
drei Theile seine Selbständigkeit gesichert. Aus der Selbständigkeit
entspringen dann ihre Rechte, die Niemand antasten darf. Grolls
Kritik ist aber eine solche Antastung.
Er mäkelt im Einzelnen, in Nebendingen und übersieht die Haupt-
suche. Die soeben erwähnte Selbständigkeit besteht nun namentlich
zwischen den beiden wichtigsten Disciplinen, Melodie und Harmonie,
darin, daß sie Gegensätze bilden, deren Vereinigung erst die wahre
Belebung des Ganzen erzeugt. In kontrapunktischen Bildungen ent*
steht aus der Vereinigung verschiedener Melodien die Harmonie. Aber
damit ist der Begriff der letzteren nicht erschöpft, ja nicht einmal
richtig angegeben. Denn nicht die Melodie, sondern der Ton als
solcher ist es, welcher die Harmonie mit allen Kon- und Dissonanzen
J Qg Friedrich Chrysatider,
in 8ich enthält, und diese Harmonie kommt dann in der wirklichen
Musik auf zweierlei Weise zur Geltung. Einmal bildet sie sich durch
die Bewegung der einzelnen Stimmen oder melodisch-kontrapunktisch,
und sodann tritt sie hervor als gleichzeitiges Produkt aus und über
einem Grundtone. Die letztere Weise, als nicht blos ein Erzeugnis
der Kunst, sondern bereits in der Natur des Tones vorgebildet, ist
deshalb die ursprünglichere von beiden, und diese hat man im Sinne,
wenn von der Harmonie im Gegensatze zur Melodie gesprochen wird.
Überdies stehen die genannten beiden Harmonieweisen ebenfalls im
Gegensatze zu einander, aber in einem solchen, dessen Vereinigung
einen höheren Grad von Harmonie erzer^, als jedem einzelnen
Theile für sich möglich ist, die daher auch aufeinander angewiesen
sind und ihre eigentliche Bestimmung erfüllen, indem sie sich aufs
innigste durchdringen. In den Werken, welche für uns die höch-
sten sind, ist eine solche Durchdringung am vollkommensten vor-
handen.
Künstlerische Resultate der letzteren Art sind aber nur erreich-
bar durch ein Zusammenwirken von Singstimmen und Instrumenten.
Und zwar sind die Instrumente dann am wirkungsvollsten und man-
nigfaltigsten, wenn sie als Begleitung unter sich wieder in Gegensatz
treten. Derartige kontrastirende Gruppen werden gebildet einerseits
durch einstimmige Bläser und Streicher, die als solche individuali-
sirender Natur sind, und andererseits durch alle der Mehrstimmigkeit
fähigen Instrumente wie Orgel, Klavier, Theorbe, Harfe und ähn-
liche. Die ersteren geben die individualisirte, die anderen die nicht
individuaUsirte oder akkordliche Harmonie, und diese Gegensätze
decken sich völlig, weil in beiden Gruppen sowohl Blase- wie Saiten-
Instrumente vorhanden sind. Die akkordlichen Saiteninstrumente
(Klavier, Theorbe u. s. w.) sind fiir accentuirende Harmonie und eig-
nen sich dadurch ganz besonders zur Begleitung des Becitativs sowie
überhaupt des Sologesanges, um demselben Halt und dabei doch die
erforderliche freie Beweglichkeit zu gewähren. Das akkordliche Blase-
instrument, die Orgel, ist für eine stetig aushaltende Harmonie und
dadurch bestimmt die Menge zu führen, denn es hält und trägt die
Tonmassen auf starken Armen, die nie erschlaffen. Es stehen also
auch diese beiden Tasteninstrumente — Orgel und Klavier — noch
wieder unter sich im Verhältniß des Kontrastes : und das alles zu-
sammen macht erst den außerordentlichen Reichthum aus und sichert
den Werken dieser Art die erstaunliche Mannigfaltigkeit des Aus-
druckes, welche selbst von denjenigen Hörern instinktiv empfunden
wird, die eine klare Erkenntniß des Sachverhaltes nicht besitzen
können.
Ed. Grell als Gegner der Instrumentalmusik, Orgel, Temperatur u. Virtuosit&t. \ Q9
Dieses Zusammenwirken der verschiedenen musikalischen Kräfte
und Mittel habe ich hier so dargestellt, wie es in anerkannten großen
Werken vorhanden ist, weil in ihnen das Verhältniß aller Tonorgane
die vollkommenste Darstellung gefunden hat. Aber im Grunde ist
damit nur das angegeben, was die gesammte Praxis der Musik von
jeher geübt oder erstrebt hat, Jahrtausende lang in tastenden Ver-
suchen, seit dem Jahre 1600 in zielbewußter Erkenntniß. Einer
solchen Thatsache gegenüber erscheint Grelles Theorie in ihrer gan-
zen Nichtigkeit.
Er verwirft die Orgel (und natürlich auch das Klavier, obwohl
er dieses etwas glimpflicher behandelt), weil »die gleichschwebend
temperirte Abstimmung der fiir sie hergerichteten zwölf Tonstufen
nur ein dissonirendes Surrogat der wirklichen Harmonie« sei, indem
solche temperirte Instrumente nur ein einziges harmonisches Yerhalt-
niß richtig darzustellen vermöchten, das der Oktave. Dieses einzige
Verhältniß ist aber gerade dasjenige, auf welches es ankommt, denn
es bleibt ewig wahr, was schon die Griechen gefunden haben, näm-*
lieh daß das Intervall der Oktave die vollkommenste und in Folge
dessen auch die stärkste Harmonie bildet. Es ist irreleitend, bei An-
gabe der Zahlenverhältnisse für rein gestimmte Intervalle die Sache
80 darzustellen, als ob alle Intervalle von gleicher Bedeutung seien
und deshalb auch die gleiche Genauigkeit hinsichtlich der Erhaltung
ihrer Reinheit beanspruchen dürften. Nur für das einstimmige
Tonorgan sind sämmtliche Töne gleichwerthig, denn es faßt diesel-
ben nicht als harmonische Intervalle auf, sondern eben nur als ein-
zelne, der Zeit nach auf einander folgende Töne, über welche die
Harmonie als solche keine Macht hat. Aber bei den mehrstimmi-
gen Instrumenten ist es anders; hier bedeuten die verschiedenen
harmonischen d. h. gleichzeitig erklingenden Töne ebenso viele ver-
schiedene Grade der Stärke, und alles wird lediglich nach Gewichts-
verhältnissen entschieden. Dies ist maßgebend für jede rein harmo-
nische Betrachtung und bildet den alleinigen Gesichtspunkt, unter
welchem die Tasteninstrumente Klavier und Orgel hinsichtlich ihrer
Reinheit zu beurtheilen sind. Die Oktave, welche sie rein besitzen,
ist in der Naturordnung der harmonischen Töne von einer weit größe-
ren Stärke, als sämmtliche übrigen Harmonie-Intervalle zusammen
genommen. Sie ist daher befähigt, dem Ganzen das Gepräge zu ver-
leihen und die Reinheit der Gesammtharmonie zu verbürgen, falls
Quinten und Terzen temperaturmäßig richtig gestimmt sind, was übri-
gens eine selbstverständliche Voraussetzung ist. In rein melodischen
oder einstimmigen Tonreihen sind noch kleinere Intervalle möglicJii,
als die des Halbtones, und jeder Ton ist an sich von gleicher Stärke
J J () Friedrich Chrysander,
oder kann es doch sein. Aber im Hannonisch-Melirstimmigen bildet
der Halbton die unüberschreitbare Grenze, wobei in der Erzeugung
der harmonischen Stufen, wie die Natur sie hervorbringt und der
gesammten Musik als Grundgesetz unterstellt, die Kraft mit der
Größe der Intervalle abnimmt.
Diese Tonordnung der Natur gehört zu den größten Wohlthaten,
welche dem Menschen verliehen sind, denn ohne ein solches Funda-
ment würde ihm nicht möglich gewesen sein, die Tonkunst voll ixnd
nach allen Seiten hin auszubilden. Unser Ohr ist dadurch im Stande,
von dem einzelnen Sänger oder Spieler die subtilsten Töne in voll-
kommener Reinheit zu vernehmen, respektive zu fordern, und gleicli-
zeitig sich der Harmonie eines mitwirkenden temperirten Instrumentes
zu erfreuen, in welcher die meisten Intervalle nicht in gleicher Kein-
heit sowie nicht entfernt mit derselben Bestimmtheit des Ausdruckes
zu Tage treten. Wer dieses Ertragen einer nachweislichen Unrein-
heit der Mangelhaftigkeit unseres Ohres zuschreiben will, der möge
es immerhin thun, obwohl es nicht richtig ist, denn es stellt sich viel-
mehr dar als eine Doppelthatigkeit unseres musikalischen Auffassungs-
vermögens, nach welcher wir befähigt sind , gleichzeitig melo-
disch und harmonisch zu denken. Ein solches Denken oder
Empfinden wird um so leichter gemacht, je mehr die betreffenden Ton-
organe im Verhältniß des Kontrastes zu einander stehen. Dies ist der
Grund, weshalb die Mitwirkung der temperirten Tasteninstrumente in
so hohem Grade die Gemeinverständlichkeit fordert und Orgel und
Klavier im wahren Sinne des Wortes populäre Instrumente geworden
sind, denn ihre Musik bildet den denkbar vollkommensten Kontrast
zu allem, was Sänger und Orchesterspieler hervorbringen.
Wie wenig die reine und die temperirte Stimmung in der prak-
tischen d. h. wirklichen Musik sich widersprechen, ja wie entschie-
den ihr Zusammenwirken den musikalischen Ausdruck erleichtert,
kann man selbst beim Vortrage einstimmiger Tonreihen wahrnehmen,
wo doch Harmonie als solche gar nicht zu Tage tritt. Nicht selten
kommt es vor, daß in Chören bei Fugeneintritten die Sänger der be-
treffenden Stimme mit der Orgel unisono gehen ohne weitere Beglei-
tung. Hier, wenn irgendwo, müßte sich nun die Unreinheit der tem-
perirten Intervalle als ein störendes »Surrogat« bemerklich machen.
Aber das Gegentheil ist der Fall. Der Orgelton ist nur eine Stiitee,
die mit unzweideutiger Sicherheit den Ton angiebt, und nichts weiter.
Damit erschwert er nicht den Vortrag, sondern erleichtert ihn, denn
der Sänger kann nun seine ganze Kraft auf den Ausdruck sowie auf
die Hervorbringung eines schönen Tones verwenden, und nichts von
dem was er vorträgt geht verloren. Falls alle Theile im richtigen
Ed. Grell als Gegner der Instrumentalmusik, Orgel, Temperatur u. Virtuosität. \\\
Verhältnisse stehen, wird man immer wahrnehmen, daß trotz des
festen Tonhaltens der Orgel die Bestimmung der Intervalle nicht
von ihr ausgeht, sondern von den Sängern. Diese sind vollständig
Herren der Sache, können daher alle Anforderungen erfüllen, welche
das Kunstwerk stellt. Was nun schon bei der einzelnen Stimme zu-
trifft, gilt in erhöhtem Maße da, wo durch Stimmengeflecht Harmonie
entsteht, denn obwohl hier die Orgel der überall bereite Helfer ist,
bleibt sie dennoch für den Hörer so sehr im Hintergrunde, daß er
schließlich nur die Sänger zu vernehmen glaubt. Als wirkliche und
zum Theil ausschlaggebende Macht tritt die Orgel erst da hervor, wo
ohne ihre Hülfe die Kraft der Sänger nicht zureichen oder doch
bald ermatten würde : in starken weittragenden Harmonien. Hier ist
es Orgelmacht und Orgelglanz, wodurch das Herz erfreut wird. Wer
fähig ist, so etwas zu empfinden, wie kann der zweifeln, daß dieses
herrliche Instrument eine wirklich künstlerische Mission erfüllt?
Grelles Abneigung gegen die Orgel, ursprünglich wohl nur das
Resultat eines verkehrten Theoretisirens, wurde zu einem formlichen
Hasse gesteigert, als sich etwa seit dem Jahre 1860 immer mehr die
Meinung geltend machte, daß Oratorien nicht ohne Orgel aufgeführt
werden sollten, in Folge dessen endlich auch die Berliner Sing-
akademie mit sich darüber zu Rathe ging, ob es nicht besser sei,
ebenfalls eine solche Orgel aufzurichten. Als musikalischer Dirigent
jener Akademie wußte Grell dies momentan zu verhindern. Um nun
auch für ewige Zeiten der Orgel den Zugang in den Saal der Sing-
akademie zu versperren, hinterließ er unter seinen Papieren den im
Jahre 1872 geschriebenen »Offenen Brief an die* Singakademie<r, wel*
eher hier S. 79 — 115 gedruckt ist. Der Anfang lautet: »Dir, liebe
Singakademie, drängt es mich, an das Herz zu legen, den wohlerwo-
genen Bath zu geben, Dich anzuflehen, niemals durch Bau oder Be-
nutzung einer Orgel Deinen heiligen Gesang zu entweihen.« (S. 79.)
Dieser lange »Brief» ist eine Sammlung von Spitzfindigkeiten, zu
welchen Grell vermuthlich nicht gekommen wäre, wenn er sich zu-
nächst um das Erkennen des eigentlichen Sachverhaltes bemüht hätte.
Aber was er über die Musik des Alterthums und sodann über die
Werke von Bach und Händel vorbringt, offenbart die dürftigen Fach-
kenntnisse hinsichtlich dieser Gebiete, welche etwa bis zur Mitte
unseres Jahrhunderts verbreitet waren, und zeigt, daß er seit jener
Zeit nichts mehr hinzugelernt hat. Grell meint, was bei Aufführun-
gen HändeFscher und Bach'scher Werke zur Stütze des Gesanges
nöthig sei, könne das Klavier allein besolden, deshalb sei die Orgel
überflüssig. Nun ist aber in Bach's Musik die Orgel für die Charak-
terisirung des Ganzen von grundlegender Bedeutung, bei Händel sind
-112 Friedrich Chiysander,
Orgel und Klavier neben einander wirksam in bestimmt abgegrenzter,
gegensätzlicher Weise , so daß es dem Sinne der genannten Meister
durchaus widersprechen würde und ihren Werken Gewalt angethan
werden müßte, wenn bei dem Einen die Orgel und bei dem Andern
der Kontrast von Orgel und Klavier nicht zur Geltung kommen sollte.
Man kann ganze Oratorien auffuhren mit bloßer Begleitung des Kla-
viers und dennoch die Werke im Wesentlichen richtig darstellen sowie
allen Betheiligten die größte Freude bereiten. Ebenso wird man ein
auf die Mitwirkung der Orgel berechnetes Tonwerk unbeanstandet mit
den übrigen Instrumenten allein produziren, wenn eine Orgel nicht
zu beschaffen ist. Noth hat kein Gebot. Aber ausdrücklich für das
Verkehrte eine Theorie zurecht zimmern, das Mangelhafte als das
Richtige, das Unvollständige als das Vollkommene hinstellen, dem
Meister in seinem eignen Bau das Hausrecht absprechen, sein Werk
schädigen — und das alles bloß deshalb, weil man es besser zu ver-
stehen glaubt, als diejenigen schöpferischen Männer, welche die
Werke aufgerichtet haben und denen wir es doch allein verdanken,
daß wir im höheren Sinne von der Musik überhaupt etwas wissen :
das offenbart einen Grad der Überhebung, welcher wohl geeignet
sein dürfte, Andern zur Warnung zu dienen. Freilich scheint er bei
einigen Schülern Grell's die entgegengesetzte Wirkung hervorgebracht
zu haben, was übrigens erklärlich ist, wenn man die Verheißung liest,
in welche dieser Aufsatz ausläuft. Aus der Singakademie (so schließt
S. 115 der »offene Brief«), wenn sie nur stets beachten wolle, »welch
eine Fundgrube die Instrumentallosigkeit« sei, könnten dermaleinst
noch »Männer hervorgehen«, die «vielleicht sogar die Heroen Bach
und Händel überragen«, denn — wird hinzugefugt — »ein solches
Überragen liegt keineswegs außerhalb des Bereiches der Möglichkeit«.
In der That sehr verlockend für gläubige Schüler; namentlich für
solche, deren Ehrgeiz größer ist als ihre Produktivität. Und an wen
ist diese unglaubliche Verheißung gerichtet? An einen Chorgesang-
verein von Dilettanten!
Wir Übrigen werden auch auf diesem Gebiete einfach bei dem
bleiben müssen, was Pflicht und Recht gebieten. Wer ein Kunstwerk
erzeugt, der besitzt damit das Verständniß von der Harmonie aller
Theile desselben in einem Grade, wie kein Anderer ; sein Urtheil ist
daher das allein maßgebende. Benutzt er nun neben andern Instru-
menten auch Klavier und Orgel zu seinen Tonorganen — nicht zu-
fällig aus äußeren Gründen einmal, sondern beständig und in einer
stilistisch bestimmten Ausprägung — , so können wir beruhigt darüber
sein, daß die gewählte Klangharmonie richtig und ftir menschliche
Ohren erträglich ist. Die Erfahrung hat solches auch noch immer
Ed. Grell als Gegner der Inatrumentalmusik, Orgel, Temperatur u. Virtuosität. ^ ] 3
bestätigt, natürlich nur nach Proben, welche mit richtigen Mitteln
angestellt wurden.
Was nun von den Werken des einzelnen Komponisten gilt^ das
findet in noch höherem Maße seine Anwendung auf die Kunst selbst
in allen ihren Gebieten. Denn sie entspringt aus Kräften, über welche
der Mensch keine Jurisdiktion besitzt. Seine ganze, an sich gewiß
unerschöpfliche Thätigkeit im Üben und Beurtheilen beschränkt sich
auf die Benutzung der Tonmittel , auf die Verwerthung der natur-
gegebenen Möglichkeiten; aber das Kunstdasein als solches, wie es
sich voll und breit entfaltet, ist unabhängig vom menschlichen Ver-
stände, da die Quellen desselben nicht in seiner Machtsphäre liegen.
Vokabnusik und Instrumentalmusik begrifflich zu einander in ein
richtiges Yerhältniß zu setzen, ist eine der wichtigsten Aufgaben der
Musiklehre; aber der Instrumentalmusik absprechen, daß sie eine
wirkliche und für die Menschheit werthvoUe Kunst sei, beweist ein
vollständiges Verkennen der dem menschlichen Urtheil gesetzten
Grenzen. Unser Verstand ist gerade ausreichend, die Modalitäten,
die Mittel und Wege zu beurtheilen, unter denen gegebene Kräfte
wohlthätig oder nachtheilig ins Dasein treten können. Solches gilt
auch fdr die Kunst — und ich will nicht unterlassen hinzuzufügen,
daß der sei. Grell in dieser Hinsicht, indem er den kunstmäßigen
Satz mehrstimmiger Gesänge durch Lehre und Komposition demon-
strirte, zu denen gehört, welche vielfach wohlthätig gewirkt haben.
Ein der Grell'schen Richtung verwandter Gegner der Instru-
mentalmusik war Gervinus. Was ich früher in Anlaß seines, unglück-
licherweise mir gewidmeten Buches »Händel imd Shakespeare« über
den Gegenstand geäußert habe,^ will ich hier nicht wiederholen, son-
dern nur darauf hinweisen. Beide, Grell und Gervinus, bilden den
krassesten Gegensatz zu der noch immer herrschenden Auffassungs-
weise, welche nur die Instrumentalmusik als die reine Musik an-
sieht und in dieser Meinung für dieselbe den sinnlosen Titel »abso-
lute Musik» erfunden hat. In zahllosen Werken großer und kleiner
Meister sind die Gegensätze von Vokal und Instrumental schon längst
ausgeglichen, wenn auch nicht bei allen in gleicher Vollkommenheit.
^ Siehe »Instrumentalmusik«. Allgemeine musikalische Zeitung 1872,
Sp. 1 — 141. — Die Berechtigung, es als ein Unglück für mich zu bezeichnen, daß
Gervinus das genannte Werk mir gewidmet hat, wird mir Niemand absprechen, der
die Dedikation des Verfassers liest. Eine absichtliche Bloßstellung und Disluredi-
timng kdnnte nicht geschickter abgefaßt werden ; der Erfolg hat es gelehrt. Wer
nun aber, wie Oerrinus, seit Jahren wußte, daß meine Ansicht von der Instrumental^
musik eine ganz andere ist, als die seinige, der hätte doch von dem Beginnen,
mich zu seinem Vertheidiger pressen zu wollen, abstehen müssen, sollte man meinen.
Dies ist es, worüber ich mich beschwere.
1888. 8
1 ]^ 4 Friedrich Chrysander,
Mau kann nur wünschen^ das musikalische Urtheil möge auch bald
diejenige Reife erlangen, welche in den genannten Tonwerken bereits
vorgebildet ist. Jedenfalls würde ein solcher Fortschritt für unsere
gesammte Musikübung jetzt der nützlichste sein.
III.
Über Virtuosität und Kunstgesang ist zuletzt noch ein
Wort zu sagen.
Als Joseph Joachim nach Berlin kam und Mitglied der Akademie
der Künste wurde, nannte Grell dies »die Heranziehung des instiu-
mentalen Virtuosenthums zur musikalischen Sektion des Senates der '
Kön. Akademie der Künste«. So lautet der Titel des hier S. 4 — 10
gedruckten Gutachtens, in welchem er der genannten Berufung op-
ponirte. Wir wollen nicht die Gründe hören, welche ihn dazu ver-
anlaßten, denn diese kennen wir bereits ; es ist lediglich die B^eich-
nung »Virtuosenthum«, welche uns hier interessirt. Mit diesen Wor-
ten wollte Grell noch etwas besonders Nachtheiliges ausdrücken. War
ihm schon der gewöhnliche Instrumentalist nur als ein mitunter
nothwendiges Übel erträglich, so mußte ihm ein gefeierter Virtuose
geradezu widerwärtig sein. Auch gefährlich; denn ein solcher zieht
die Menge an sich und führt sie musikalisch in's Verderben. Es blieb
ihm völlig unfaßlich, wozu ein Virtuose eigentlich in der Welt nütze
sei, und diese gänzliche Unverständlichkeit ist fast noch besser ge-
eignet, uns über Grell's künstlerischen Standpunkt aufzuklären, als
alles vorhin Erwähnte.
Daß »Virtuosität ff nichts anderes bedeutet, als die erreichte Voll-
endung in irgend einem Theile der ausübenden Kunst, habe ich
schon im ersten Abschnitt gesagt. Es ist Pflicht, diesem Kunstaus-
druck in unserer Sprache diejenige hohe Bedeutung zu wahren, welche
er besaß, als er sich zuerst allgemein verbreitete. Der Name »Vir-
tuoso« galt im 17. — 18. Jahrhundert als der höchste Ehrentitel für
Musiker, und Bach war mit Recht erbost, als ein Scribent ihm den-
selben verweigerte. Dieser Titel wurde nun besonders hervorragen-
den Sängern und Sängerinnen beigelegt, namentlich solchen, die im
Dienste eines Hofes standen, vertrat also die Stelle unseres heutigen,
ziemlich sinnlosen »Kammersängers«. Es dürfte auch unmöglich sein,
Worte ausfindig zu machen, welche eine so kunstwürdige und reiche
Bedeutung haben, wie Viriuoso und Virtuosiiä, deren Grundwort
Virtü zugleich die ethische Kraft, ohne welche alle Kunst nichtig
ist, aufs Schönste mit zum Ausdruck bringt.
£d. Grell als Gegner der Instrumentalmusik, Orgel, Temperatur u. Virtuosität. } } 5
Ein solcher Virtuose von anerkannt höchstem Range wurde 1869
in Berlin zur Leitung einer »Königlichen Hochschule für ausübende
Tonkunst« ausersehen. Ich hatte damals Gelegenheit, über die Sache
mich zu äußern, und rieth Joachim, die Stellung anzunehmen. Der
Grund, welcher mich wünschen ließ, ihn in einem solchen Amte zu
sehen, war eben sein Virtuosenthum, die Größe und Art desselben.
Schon seit dreißig Jahren nimmt er hierin eine Stellung ein, aus
welcher ihn noch kein Mitbewerber zu verdrängen vermocht hat; und
selbst wenn einmal jüngere Arme seinen Part im Konzertsaal über-
nehmen, wird er trotzdem der anerkannte Meister bleiben. Dieser
schien daher der rechte Mann zu sein, die der ausübenden Musik sich
widmende Jugend zu lehren und zu leiten. Und es stand zu hoffen,
die von ihm erreichte künstlerische Höhe werde auch für die übri-
gen Fächer jener Hochschule ein Sporn sein, einer gleichen Vollen-
dung zuzustreben. Daß ein Geiger und nicht — was mir an sich
heber gewesen wäre — ein Sänger zum Leiter der genannten Hoch-
schule erkoren wurde, lag an Verhältnissen, die niemand ändern
konnte. Die Instrumentalmusik hat sich in unserm Jahrhundert weit
vollkommener und vielseitiger entwickelt, als die Vokalmusik, und
ist dadurch um so viel mäqhtiger geworden; denn auch im Gebiete
der Kunst ist Bildung gleichbedeutend mit Macht und Einfluß. Wer
nun die Mittel, mit denen die Kunst wirkt, in irgend einem Gebiete
am höchsten entwickelt hat, der ist dadurch ohne weiteres der be-
rufene Lehrer und ein Vorbild für Alle, die zur Höhe streben. In
der Kunstpraxis vermag die bloße Lehre wenig; die vorbildliche Per-
sönlichkeit entscheidet alles. Professor Aristoxenos läßt die Kunst-
jünger kühl; aber der Virtuose Orpheus setzt sie in Gluth und lockt
alles hervor, was in ihnen ist.
Für Grell ist Virtuosität gleichbedeutend mit Musikindustrie.
Sein Virtuose geht nur auf Erwerb aus und denkt nicht daran, die
Kunst ihrer selbst wegen zu treiben. Aber hatte der sei. Grell denn
wirklich alle Besonnenheit verloren? Er trieb seine Kunst doch auch
nicht lediglich ihrer selbst wegen, denn sie gab ihm Brot, und zwar
lebenslänglich. Mehr hat der geschmähte Virtuose auch nicht davon,
wenn auch vielleicht der Eine Weißbier, der Andere Champagner
trinkt. Grell möchte am liebsten aller und jeder Virtuosität den
Garaus machen ; er schreibt : »Von Kirche und Theater hat sich jede
Art von Virtuosität fern zu halten. Nur in den Konzertsaal, in den
Salon und in das Privatzimmer darf sie sich in seltenen Fällen ein-
schleichen. Es ist aber besser, sie auch hier fern zu halten und
zu unterdrücken. Es kommt nicht darauf an, so schmeriges zu
bewältigen, was allen anderen unbezwingbar ist, sondern darauf,
8*
I ] Q Friedrieh ChryBander,
das, was alle anderen ebenso korrekt und geläufig auszufuhren ver-
mögen, noch seelenvoller und ausdrucksvoller vorzutragen, als andere
es vermögen, notabene aber, ohne dadurch die Korrektheit im min-
desten zu beeinträchtigen. Keinesweges besteht der Kunstgenuß in
der Wahrnehmung, daß jemand im stände ist, über eine schwierige
Stelle hinweg zu kommen, ohne den Hals zu brechen.« (S. 184.) Da
»man ein modern -europäisches Opern thealer kaum ein Kunstinstitut
nennena kann (S. 99), so hätte Grell wohl in diesem Falle ohne Ge-
fahr liberal sein und demselben die Virtuosität preisgeben können,
denn da, wo ohnehin alles heillos zugeht, weil lediglich auf bezahlte
Vorstellungen hingearbeitet wird, kann es doch auf etwas mehr oder
weniger Kunstunfug nicht ankommen.. Hier und an vielen Stellen
spricht Grell wirklich wie ein alt gewordenes Kind. Aus den citirten
Worten sieht man, wie er sich die Virtuosität vorstellt: als ein Kon-
glomerat von Schwierigkeiten und halsbrechenden Kunststücken,
lediglich producirt, um den erstaunten Zuhörern das Geld aus der
Tasche zu ziehen. Niemand soll nach seiner Theorie mehr können,
als der Andere, er soll es höchstens besser können. Dies ist der Stand-
punkt des mehrstimmigen Gesanges oder des Chorsingens. Daß es
auch noch eine andere Art des Gesanges geben und in dieser die
Virtuosität ihre schönsten Triumphe feiern kann und darf, davon Mdll
Grell nichts wissen. Und hiermit kommen wir auf den eigentlichen
Punkt, durch welchen alles Wunderliche in den Ansichten dieses
merkwürdigen Mannes eine befriedigende sachliche Erklärung findet.
Der Gesang, lesen wir Seite 5, ist schon »seit zwei bis drei Jahr-
hunderten c vernachlässigt. Hätte Grell sich hinsichtlich der Zeit
genauer ausgedrückt, so würde er als Beginn des gesanglichen Ver-
falles ohne Zweifel das Jahr 1600 bezeichnet haben, d. h. diejenige
Epoche in der Entwicklung der Musik, wo der Sologesang und mit
ihm die begleitenden oder auch selbständig auftretenden Instrumente
zuerst frei ihre Flügel ausbreiteten. Den Weg, welchen in der Folge
die Instrumentalmusik nahm, soll das Auge hier nicht weiter ver-
folgen, sondern nur auf den Gesang blicken.
Der Drang der Kunst nach einer anderen Weise des musika-
lischen Ausdruckes wurde in dem letzten Jahrzehnt des 16. Jahrhun-
derts unwiderstehlich und erzeugte bekanntlich die Hauptformen der
modernen Musik. Der Grundtrieb dieses Dranges war aber das Be-
streben, neben dem bisherigen Chorgesange noch eine andere Art dea
Singens in der Kunst zur Geltung zu bringen, den Sologesang. Hier-
auf bezogen sich bewußt oder unbewußt sämmtliche Anstrengungen,
mochten sie nun von weltlicher oder kirchlicher Seite ausgehen. Die
Norm für diesen neuen, im Grunde aber uralten Gesang war auch
£d. Grell als Gegner der Instnimentalmusik, Orgel, Temperatur u. Virtuosität. || 7
bald gefunden. Sie lautete: Ein künstlerischer Sologesang ist
nur möglich, wenn er durch musikalische Instrumente
hegleitet wird. Daher sehen wir von 1600 an zugleich Instrumente
aller Art lebendig werden. Wenn die Italiener, als die allein^en Er-
finder dieser neuen Weise, den Gesang am schönsten entwickelt und
am längsten rein erhalten haben, so liegt dies nicht daran, wie Grell,
Verschiedenartiges zusammenwerfend, meint, »daß die Italiener den
Gesang frei von der Hülle, der Knechtschaft und dem verderblichen
Einfluß der Instrumentalmusik gelassen und ihn am längsten selb-
ständig behandelt, gelehrt, geübt und kultivirt haben« (S. 194), son-
dern daran, daß sie die instrumentale Begleitung eben nur als Hülle
und Gewand des Gesanges ansahen und demgemäß gestalteten. Ihnen,
den Erfindern, war das Ebenmaß, nach welchem Gesang und Be-
gleitung sich ordnen, gleichsam von der Natur verliehen, während
die Künstler anderer Völker es sich mehr oder weniger mühsam er-
werben mußten. Aber keinem Italiener stand jemals die Begleitung,
die richtige Begleitung, im Wege; niemand von ihnen wäre im
Stande sich so auszudrücken, wie Grell es in den angeführten Worten
thut. Denn so kann nur ein mit den Kunstverhältnissen seiner Zeit
zerfallener Nicht- Italiener sprechen.
Zu der Zeit, als nach Grell's Ansicht die »Vernachlässigung des
Gesanges« begann, hatten die Italiener in Caccini ihren ersten großen
Gesanglehrer, dem dann von Carissimi an seit der Mitte des 17. Jahr-
hunderts alle jene bewundemswerthen Männer folgten, von denen in
der besten Zeit viele ebenso große Komponisten wie Sänger und Ge-
sanglehrer waren. Erst durch sie und ihre Schüler erreichte der Kunst-
gesang seine Vollendung und wurde berähigt, allen Regungen der
menschlichen Seele nachzugehen. Wir Ultramontanen, die wir im
Großen und Ganzen niemals einen solchen Gesang voll in unsere
Macht bekommen haben und jetzt der Blüthe desselben auch schon
zeitlich fern stehen, reden uns gern ein, dieser Sologesang in seiner
höchsten Ausbildung sei zum großen Theile nur Künstelei und inso-
fern eine entbehrliche Kunst. Aber die besten vorhandenen Zeug-
nisse lehren vielmehr, daß der genannte Gesang die denkbar glück-
hehste Vereinigung darzustellen vermag von drei Dingen, die selten
beisammen sind, nämlich von geistigem Ausdruck, musikalischer
Schönheit und vollendeter Darstellung der künstlerischen Individua-
lität. Dadurch ist auch die Form, welche dieser Gesang sich gegeben
hat, eine bleibend gültige und fast für alle übrigen Gebiete der Musik
vorbildliche geworden. Aber nur indem der Sologesang die musika-
lischen Instrumente zu Hülfe rief, konnte ihm solches gelingen. Ohne
diese wäre nie etwas aus ihm geworden. Bei ihrer Betheiligung
WS Friedrich Chrysander,
wachsen gleichsam neue Glieder an seinem Leibe; die eine singende
Stimme scheint sich durch konzertirende Begleitung in mehrere Stim-
men zu verwandeln, die den Sinn weiter ausdeuten, verschönern, ver-
tiefen und damit das Vorgetragene in musikalische Femen verbreiten,
welche dem Gesänge als solchem nicht mehr erreichbar sind: und
das alles geschieht oder kann geschehen, ohne den Sänger in seiner
künstlerischen Freiheit und Selbständigkeit irgendwie zu hindern.
Diese Selbständigkeit ist eine so vollkommene, als ob Begleitung
überhaupt nicht vorhanden wäre. In Folge dessen gestaltet sich dem
Solosänger das, was er vorträgt, als eine wirkliche Sprache, nur im
höheren Sinne, und die denkbar feinsten Modifikationen der Stimme
treten hierbei zu Tage. Aber alles dies ist nur mögUch, wenn der
Sänger Virtuose ist, d. h. wenn er in seiner Vortragskunst eine Stufe
der Vollkommenheit erreicht hat, auf welcher er wirklich etwas kann,
was Andere in dieser Art nicht können. Dadurch bereichert ein
solcher Sänger die darstellende Kunst mit neuen Charakterbildern,
und als eine charakteristische Künstler-Individualität sichert er sich
zugleich selber einen Platz in der Kunstgeschichte.
Ein solcher Gesang ist nun für den früheren Dirigenten der
Berliner Singakademie einfach nicht vorhanden, obwohl es sein Amt
war, Werke zur Aufführung zu bringen, welche die schönsten Denk-
male dieses Gesanges enthalten. Grell weiß nicht was Solo-
gesang ist; er kennt theoretisch und praktisch nur Chor-
gesang. Bei ihm braucht ein Sänger nur das zu können, »was alle
anderen ebenso korrekt und geläufig auszuführen vermögen«, und
den Gipfel der Vollkommenheit hat ein solcher erstiegen, wenn er
das Allen Erreichbare »noch seelenvoller und ausdrucksvoller« vor-
tragen kann, als den meisten übrigen möglich ist. So spricht der
Leiter eines Chorvereins, um seine Mitglieder zu ermuntern. Bei
dieser Verherrlichung des Mittelmaßes betrachtet Grell natürlich den
Sologesang lediglich als den Vortrag einer einzelnen, mehr oder
weniger aus der Masse hervorragenden Chorstimme; der Begriff des
kunstmäßigen Einzelgesanges und damit die Einsicht nicht nur in die
Zulässigkeit, sondern auch in die Nothwendigkeit der instrumentalen
Begleitung fehlt ihm. Hiernach begreift man alles.
An mehreren Stellen der S. 172 — 195 abgedruckten »Aphorismena
ist von Gesangunterricht und Sängerkunst die Rede. Über den Triller
liest man S. 184 — 186 verständige, wenn auch nicht ausreichende Be-
merkungen, welche aber durch den Zusatz »Man kann verschiedener
Meinung darüber sein, ob es sich mit dem guten Geschmack ver-
trage, ihn überhaupt zu dulden a (S. 184) für die Praxis werthlos ge-
macht werden, denn deutsche Lehrer und Schüler fühlen sich hier-
£d. Grell als Gegner der Instrumentalmusik, Orgel, Temperatur u. Virtuosität. ^ ] 9
durch aufs neue ermuthigt, ihre Faulheit hinter dem »guten Ge-
schmack« zu verstecken und emphatisch zu erklären, daß sie ihrerseits
den Triller »überhaupt« nicht »dulden«. Seite 183 sagt Grell: »Das
I^te über Behandlung der Stimmen hat Tosi geschrieben.« Nun
schreibt aber dieser selbe Tosi: »Ob der Triller einem, der singen
wiU, nöthig sei, darüber frage man die ersten Meister der Kunst. Wer
entweder gar keinen oder doch nur einen fehlerhaften Triller hervor-
bringen kann, der wird niemals ein großer Sänger werden, wenn er
auch sonst noch so viel verstände. Der Triller ist also den Sängern
unentbehrlich.« ^
Im Grunde ist es unnöthig, derartige Zeugnisse hier zusammen
zu tragen; denn so schlagend sie auch beweisen, daß Grell sich um
keinerlei Gesangskunst bemühte, welche über die Grenzen des Chor-
singens hinaus ging, so ist doch die eine, bereits oben S. 105 ange-
führte Behauptung von ihm, nach welcher die allgemeinen, für die
Jagend bestimmten Bildungsschiden zugleich »auch den allerbesten
Cresangunterricht gewähren« können, »der im Staate zu haben ist«
iS. 99), entscheidender als alles, was man sonst noch vorbringen
könnte, da hierdurch am unzweideutigsten klar gemacht wird, daß es
ausschließlich der Standpunkt des Chorsingens war, welcher GreU's
Gedanken beherrschte. Ich habe auch nur deshalb so eingehend hier-
über gesprochen, um es den Lesern durch allseitige Beleuchtung un-
vergeßlich einzuprägen. Übrigens wird man sich erinnern, daß Grell
schon mit der Verwerfung der Instrumentalmusik zugleich auch den
kunstmäßigen Sologesang abgethan hat. Der Vollständigkeit wegen
hätte ich ihn deshalb auf dem Titel dieses Aufsatzes auch noch als
Gegner des Sologesanges bezeichnen müssen. Es ist unter-
bUeben, um selbst den Schein einer Übertreibung zu vermeiden.
In Vorstehendem ist mehrfach die Berliner Singakademie genannt.
Ich muß mich deshalb noch ausdrücklich dagegen verwahren, als ob
dieselbe damit irgendwie habe beurtheilt werden sollen. Singakademien
als Privatvereine von Musikfreunden können in ihren vier Pfählen
thun und lassen, was sie wollen, und sind nur dann der Kritik unter-
worfen, wenn sie mit Aufführungen vor die Öffentlichkeit treten. Dem
ehrwürdigen Berliner Institut soll diese Freiheit nicht verkümmert
^ vSe 7 TriUo sia necessario a cht canta chieggasi a i primi Professori ....
chi tCe privo (o non Vahhia che difettoao) non sarä mai gran Cantante bench^ sapesse
moUo. Essendo dunque il Trillo ti tanta conseguenza a' Cantori proccurt il Maestro«
etc. Tosi, Osservazioni sopra il eanto ßgurato. [Bologna, 1723.) p. 24 — 25.
]^20 Friedrich Chrysander,
werden. Der seltsame Bath ihres alten Dirigenten lautet: »Glaubt
die Singakademie Bach und Händel ohne Orgel nicht auffuhren zu
dürfen, so thut sie besser auf die Auffuhrung ihrer Werke gänzlich
zu verzichten.« (S. lOS.) Entschließt sich die genannte Akademie nun,
diesem Rathe zu folgen, so wird niemand sie daran hindern. Jeden-
falls hat sie hier bereits halbgebahnten Weg vor sich, da Grelles Auf-
fuhrungen längst die Entbehrlichkeit der Werke von Bach und Hüidel
demonstrirt haben. Es ist sogar nach allen Seiten hin vortheilhaft,
wenn das, was unter Grell jesuitisch versteckt war, jetzt offen hervor
tritt und ein klares Bekenntniß formulirt. Will die Akademie dann
auf der vorgezeichneten Bahn weiter schreiten durch »unausgesetzte
hermetische Absperrung von jeglicher Instrumentalbegleitung« und
»Vermehrung ihrer Mitglieder« bis zu sechs Abtheilungen von je fünf-
hundert, also insgesammt dreitausend Sängern, und damit iiMonstre-
Konzerte von soliderer Art, festerer Basis und großartigerer Wirkung
einrichten, als die jetzt üblichen« (S. 111], d. h. als die auf Musik-
festen und anderswo heutigen Tages zum besten gegebenen Oratorien-
konzerte: so wird man sie auch hierin gewähren lassen und ruhig
den Erfolg abwarten. Selbst wenn es ihr gefallen sollte, die letzten
Konsequenzen aus Grell's Vorschlägen zu ziehen und nach seinen
Angaben ein etwa neu zu erbauendes Konzerthaus »als ein antikes
Amphitheater mit kleiner, aber kreisrunder Arena« zu gestalten in
einer »Größe für zehn- bis zwanzig-, ja bis hunderttausend Personen«,
wo »die Sänger auf den unteren, die Hörer auf den oberen Stufen
Platz« zu nehmen hätten, und zwar so, daß »die Grenze zwischen
Singenden und Hörenden bis zur obersten Stufe hinaufrücken« könnte,
wobei als letztes Ziel zu erstreben wäre, daß jene Grenze auch in
Wirklichkeit immer höher hinauf rücke, bis sich zuletzt im Konzert
überhaupt keine Zuhörer mehr vorfinden oder, wie Grell es ausdrückt,
»bis sich zuletzt auch hier Ein Hirt und Eine Heerde bilden und
Alles am Gesänge theilnehmen wird, was sich zum Konzerte einfindet«
(S. 112 — 113) — selbst wenn dieses das Letzte und Höchste sein sollte,
für dessen Verwirklichung jene Akademie ihre Existenz einzusetzen
bereit wäre : auch dann würden wir die Fassimg nicht verlieren, son-
dern in Geduld der Dinge harren, die da kommen sollen. Nur den
Wunsch wollen wir noch äußern, man möge dieses Amphitheater mit
kreisrunder Arena dann möglichst fern von Nr. 20 der KronenstraBe
errichten, damit es nicht in die Nachbarschaft des Kladderadatsch
geräth.
In Grell's Äußerungen erblickt sein Schüler Bellermann »bahn-
brechende Vorschläge«. Halsbrechende möchte vielleicht * richtiger
sein. An sich würde es Jeder ganz in der Ordnung finden und für
Ed. Grell als Gegner der Instrumentalmusik, Orgel, Temperatur u. Virtuosität. 1 2 1
«ehr wunschenswertli halten, wenn ein in der a-capella-Musik theo-
retisch und praktisch so festgewurzelter Mann wie Grell sich über
die Möglichkeiten, wie dieses Gebiet weiter ausgebaut werden könnte,
aussprechen wollte. Aber daß er einen solchen Zweck nur zu er-
reichen weiß durch Umstürzen und Hinauswerfen alles dessen, was
die übrige Welt an Arten und Weisen der Musik kennt und liebt,
ist das denkbar schlimmste Zeichen für die Stichhaltigkeit seiner
Gründe. Die Instrumentalmusik verwerfen, heißt insbesondere der
deutschen Musik das Herz aus dem Leibe reißen. Hätte doch selbst
Händel, der von allen Deutschen am tiefsten in die Vokalmusik ein-
drang, nie das werden können, was er geworden ist, wenn er nicht
von Haus aus Instrumentalist gewesen wäre.
Es ist nur ein einziger ToUgültiger Beweis denkbar, welcher für
die Schädlichkeit einer Mitwirkung der Instrumente beim Gesänge
angeführt werden könnte, und dieser würde geliefert sein, wenn sich
nachweisen ließe, daß die Instrumente dem Sänger nicht gestatten,
völlig rein zu singen. Mit andern Worten würde dies heißen: daß
wir also jetzt, wo stets Instrumente mitwirken, überhaupt keinen
Sänger mehr vernehmen, der rein zu singen im Stande wäre. Aber
wie die ganze Welt weiß, ist das Gegentheil der Fall. Man singt
noch heute so glockenrein wie jemals; die Musikpraxis beweist es
taglich bei Anwendung temperirter wie nicht temperirter Instrumente.
Der Bund, den Gesang und musikalische Instrumente mit einander
eingegangen sind, ist ein natürlicher, ein Herzensbund. Auf dem
Grunde dieser Harmonie können alle Organe der Musik zusammen
wirken, in Freude und in Frieden.
Kritiken und Keferate.
Alexander J. Ellis, On the history of musical pitch. Reprinted
with corrections and an appendix from the »Journal of the Society
of Arts« for 5 March and 2 April 1880. For private circulation only,
Dec. 1880. An Addendum January 1881.
Es könnte yerspätet erscheinen, auf ein kleines Werkchen, welches vor 7 Jahren
erschien, jetzt noch zurückzukommen. Der innere Werth desselben sowie der Um-
stand, daß es bis auf den heutigen Tag von keiner weiteren Forschung, soweit sie
publicirt vorliegt, überholt, sowie endlich daß es nur einem kleinen Sjreis zu-
gänglich, auf dem Kontinent fast ganz unbekannt blieb, dürften wohl, wenn auch
nicht die Verspätung, so doch die Besprechung rechtfertigen. ^
Alles was Scheibler, Delezenne, Lissajous, Euler, Marpurg, Sauveur u. A. auf
dem Gebiete der Bestimmung von Tonhöhen geleistet haben, die Bemerkungen
die sich darüber in den Werken von Schlick (1511), Zarlino (1562), Salinas (1577),
Praetorius (1619), Mersenne (1636 u. 1648) u. A. finden, stellt der sorgsame Forscher
zusammen mit neuen bisher unbekannten oder nicht zugänglichen Daten, die er
sich von über 100 Personen (Einzel- und juristischen Personen) verschafft hatte.
Er prüft den größten Theü — soweit eben das Material dazu geeignet war —
nach einem einheitlichen Maße und bringt so eine Fülle verläßlicher historischer
Daten zusammen, wie sie bisher noch nie erreicht wurde.
Als »Stimmung« [»pücM) gemeinhin kann man jene Qualität der Tonempfin-
dung bezeichnen, welche objektiv gemessen wird durch die Zahl der doppelten
Schwingungen, vor- und rückwärts, die in einer Sekunde von einem Lufttheilehen
gemacht werden, während der Klang ans Gehör dringt. Die Stimmung eines musi-
kalischen Klanges wird also passender Weise direkt nach der Zahl der zugehörigen
Schwingungen bezeichnet. Während man auf dem Kontinente mit einzelnen d.i.
halben Schwingungen rechnet, zählt Ellis nach englischer Gewohnheit nur Doppel-
schwingungen ^ und bezeichnet sie schlechthin als V [vtbrations), die halben Schwin-
gungen SV.
»Musikalische Stimmung« im eigentlichen Sinne ist die Tonhöhe oder Stim-
mung ( V) irgend einer beliebigen Note, nach welcher die Tonhöhen aller anderen
Noten eines Tonsystemes bestimmt werden und die daher die Stimmung des dasselbe
^ Der mir vorliegende Versuch einer Übersetzung von Fr. Herzog in Wien
blieb — wohl in Folge der unzureichenden Kenntniß der musikalisch-technischen
Ausdrücke — in der beabsichtigten^ kaum angefangenen Drucklegung stecken.
2 Auch in Deutschland und Osterreich wird in physikalischen Schriften zu-
meist mit Doppelschwingungen gerechnet.
On the history of musical pitch yon A. J. Ellis. ' J23
hervorbringenden Instrumentes giebt. EUis schließt sich der allgemeinen Sitte an,
das eingestrichene A {ui) als Nonnalton anzusehen, obwohl Klaviere und Orgeln
h&ufig nach dem zweigestrichenen C (ci) gestimmt werden.
Um eine vollkommene Harmonie zu erzielen, sollten nun die Quinten und
großen Terzen keine Schwebungen oder Unebenheiten hervorbringen. Aber ohne
viel mehr als 12 Töne innerhalb der Oktav könnte diese Wirkung nicht erzielt
werden und gerade 12 Töne sind die gebräuchlichste Zahl auf den gewöhnlichen
Tasteninstrumenten. In Folge dessen wurden mehrfache Versuche gemacht, um
eine entsprechende befriedigende Stimmung zu erzielen. Diese Einfahrungen nennt
man Temperaturen (vom italienischen temper are es stimmen).
In der Geschichte der musikalischen Stimmung muß man folgende Stimmungs-
systeme unterscheiden und als gültig anerkennen:
1. Die natürliche Intonation, in der alle Quinten und Terzen rein sind.
Diese kommt nur bei unbegleitetem Gesänge vor und wird von Theoretikern ge-
braucht; sie stammt von dem Astronomen Ptolemaeus, welcher 166 n. Chr. lebte.
2. Die pythagoreische Temperatur, bei welcher nur die Quinten der
Rdhe nach m, 6, /, c, g, d, a, e, h, ße, eis, gis rein sind, während die großen
Terzen esg^ bd, /a, ce, gh, dßs, acte, e gis um ein Komma (Vso der Schwingungs-
zahl) zu hoch sind. Diese Temperatur wird beim Stimmen der Geige gebraucht.
3. Die mitteltönige Temperatur (meantone temperament) ^ in der alle so-
eben angeführten großen Terzen rein, aber die genannten Quinten ein Yiertheil eines
Kommas (Vszz der Schwinguugszahl) zu tief sind. Diese Temperatur wurde früher
bei allen Orgeln angewendet. Heute noch werden die Orgeln in Spanien so ge-
stimmt. In England wurden bis 1844 alle Harpsichorde und Pianos in derselben
gestimmt. Bis 1854 war sie daselbst die allgemein übliche Orgelstimmung und
noch jetzt sind einige wenige Orgeln daselbst so gestimmt. So lange der Spieler
nicht mehr als 2 Erniedrigungen oder 3 Erhöhungen anwendet, entspricht die
Stinunung den Anforderungen. Aber sobald ein drittes B oder ein viertes Kreuz
gebraucht vrird, so mußte man dieselben mittelst Substitution spielen, und so ent*
standen störende Geräusche, der »Wolf« genannt. Diese mitteltönige Temperatur
war eben nur eine der vielen ungleichschwebenden Temperaturen (sie wurde auch
so bezeichnet), wie sie vor und auch nach 1577, dem Jahre, da Salinas die mittel-
tönige Temperatur fixirte und perficirte, gebräuchlich waren und deren es sehr viele
und mannigfaltig abwechselnde gab. * Im Großen und Ganzen waren sie aber nur
unbedeutende Varianten des mitteltönigen Stinmiungssystems. Es war daher eine
Erlösung aus dem Dilemma, als man auf die folgende Temperatur kam.
4. Die gleichschwebende Temperatur {equal temperament) , in der alle
Quinten ohne Ausnahme um Vii eines Kommas (Vsss ^^^ Schwingungszahl) zu tief
und alle großen Terzen ohne Ausnahme um 7ii eines Kommas (Vi26 der Schwxng-
ungszahl) zu hoch sind. Der Intention nach wird sie jetzt immer und überall an-
gewendet. Sie soll zuerst von Aristoxenos vorgeschlagen worden, aber bereits
jahrhundertelang früher in China in Gebrauch gewesen sein.' Mersenne giebt als
Erster die richtigen Verhältnisse derselben an (Harm, univ: lib 2., prop. XI, S. 132);
1 So war z. B. das alte Klavichord in einer halbmitteltönigen Temperatur,
bei der die natürlichen Töne c d e f g a h in mitteltöniger Stimmung, während
die chromatischen Zwischentöne in Intervallen von je einem halben Mittelton ein-
geschoben waren. Also die meisten Tonarten ähnelten der gleichschwebenden Tem-
peratur.
2 Siehe über denselben Gegenstand das Referat von Prof. Stumpf über EUis'
»The musical scales of tarious nations^ in dieser Zeitschrift, Bd. U, S. 511 ff.
J24 *' Kritiken und Referate.
in den »Genres de la Muetquetf fügt er bei, daß »die gleichschwebende Temperatur
die gebräuchlichste und bequemete sei und daß alle Praktiker gestehen, daß die
Theilung der Oktave in 12 Halbtöne die annehmbarste sei, um Instrumente zu
spielen«. Mersenne giebt auch die mitteltönige Temperatur und deducirt alle seine
Systeme von den Verhältnissen der natürlichen Intonation, wie sie Salinas ausein-
andersetzt Werckmeister (»Orgelprobe« 2. Ausg. 1698' empfahl gleichschwebende
Temperatur und Schnitger machte 16S8 den Versuch, sie in Norddeutschland ein-
zuführen. Obwohl sie von J. S. Bach und E. Bach empfohlen wurde, konnte sie
sich doch lange nicht einleben ; sie wurde immer wieder angefeindet, so Ton Robert
Smith (»harmonies« 2. Aug. 1759) und Dom Bedos 1766. Man kann sagen, daß
erst seit etwas mehr als einem halben Jahrhundert die gleichschwebende Tempe-
ratur allgemein eingeführt, die alleinherrschende ist.^
Ellis giebt einige Methoden an zur Umrechnung der Schwingungszahlen von
^ zu C in den verschiedenen Temperaturen oder umgekehrt. Auch für die
anderen Töne irgend eines Temperatursystemes giebt er die Art an, wie bei der
Berechnung vorgegangen werden kann. Um z. B. C nach A zu berechnen : in natür-
licher Intonation, vermehrt man die V von A um Vs» so giebt A 440 vermehrt um
88 das Natürliche C [NC] 528. In mitteltöniger Temperatur (mit »Jf« bezeichnet)
muß man zuerst das NC suchen, dann subtrahire man 3 auf 1000 und 1 auf 10,000
bis auf zwei Decimalstellen und halte schließlich eine zurück. So findet man von
^440 NC 528 und subtrahire 1-58 oder 3 auf 1000 und auch 0-05 d. L 1 auf 10,000,
im Ganzen also 1-63, woraus sich ergiebt 526-37, daher MC 562*4. ^ 41S giebt
so umgerechnet M C 500. In gleichschwebender Temperatur finde man zuerst NC
und dann subtrahire man 1 auf 111. Für A 440 ergiebt sich NC 528, welches
durch 111 getheilt, 4*76 giebt. Dieses abgezogen ergiebt 523-24, daher das
gleichschwebende JE (Ol E) 523-3 ist.
Umgekehrt um A von C zu. finden:
In natürlicher Intonation subtrahire man Ve ^on C 528, ist 88, dieses subtra-
hirt giebt NA 440. In mitteltöniger Temperatur suche man zuerst NA und ver-
mehre das Resultat um 3 auf 1000 und 1 auf 10,000, so i/e von C 528 ist 87-73,
das subtrahirt giebt 438 • 67 und dazu addirt 1-31 oder auf 1000, und 0 • 4 oder
1 auf 10,000 giebt 440-02, daher das Jtf C440. In gleichschwebender Temperatur
suche man wieder NA und addire hierzu 1 auf 110. So von C 523« 24 ist NA
i EUis gab in seiner Übersetzung von Helmholtz' »Tonempfindungen « 1 . Aus-
gabe. S. 785, 2. Ausgabe 1885. S. 489 eine Regel an, wie man genau gleichschwebend
stimmen kann, und führte sie zu praktischer Verwerthung in »Musical Times« 1879,
1. Oktober S. 520 xmd 521 aus. In Kürze zusammengefaßt lautet sie: Man stimme
die Grundtöne der eingestrichenen Oktave einer Orgel oder eines Harmoniums in
folgender Ordnung : c g d a e h ßa eis gie dis aia eis. Die Quinten mache man zu
eng und die Quarten zu weit, so daß die aufwärts gestimmten Quinten cg, da, eA,
eis gis, dis ais zweimal und die abwärts gestimmten Quarten gd, ae, h ßs, ßs eis,
gis dis, ais eis dreimal in zwei Sekunden schweben. Die Quarte ef wird gar nicht
gestimmt Die Tonhöhe sei welche immer. Die Schwebungen dauern kaum lang
genug, um sich am Klavier zur Geltung zu bringen, weshalb es Ellis nach einem
Harmonium gestimmt wissen wollte. Ellis scheint nur vergessen zu haben, daß
nicht immer jeder Stimmer ein Harmonium zur Hand hat. In England werden
Klaviere nach der Oktave von / zu f^ gestimmt, innerhalb welcher die Schwebungen
nach einer in der 2. Ausgabe der Ellis'schen Übersetzung von Helmholtz' »Ton-
empfindungen« S. 4S9 aufgestellten Tabelle gezählt werden können. EUis hat also
selbst die Unzulänglichkeit seines Rathes eingesehen.
On the history of musioal pitch von A. J. Ellis.
125
436*03 und den 110. Theil oder 3*97 hinsu addirt, giebt Gl A 400. Eine Skala
in natürlicher Intonation kann berechnet werden, indem man für die großen Ganz-
töne 0 df fg, a h je den achten Theil hinEuzfthlt, für die kleinen Oanztöne de^ ga
je den neunten Theil und für die diatonischen Halbtöne e/, he }^ Vi 5.
Eine pythagoreische Skala kann berechnet werden aus einer Reihe auf-
steigender Quinten, indem man für jede Quinte die Hälfte hinzufügt und dort wo
es nothwendig ist, in der Oktave zu bleiben, durch 2 dividirt; oder auch aus einer
Reihe absteigender Quinten, indem man für jede Quinte einen Drittheil subtrahirt
und dort, wo man für die Oktave zurückrechnen muß, das Resultat verdoppelt. Man
kann auf einer beliebigen Stufe anfangen, gehe aufwärts bis G%8 und abwärts bis Es*
Eine mitteltönige Skala kann gebildet werden, indem man wie bei der pytha-
goreischen Skala die reinen Qinten nimmt und um 31 auf 10,000 jede aufsteigende
Quinte vermindert, und jede absteigende vermehrt. So findet man die reine Quinte
von C256, indem man die Hälfte hinzuzählt, also 128 und das giebt N GZ%A,
Nimmt man 3 auf 1000, 1 auf 10,000, so hat man 1*19, das subtrahirt giebt
M G 362 • 81 ; und die reine untere Quart von C 256 findet man, indem man Va
abzieht oder 85 • 33, das giebt NF 170 • 67, verdoppelt 341 • 34. Hierauf ninmit man
3 auf 1000 und 1 auf 10,000, giebt 106; dies ,addirt giebt MF 342-40. Man
kann beginnen wo immer und gehe aufwärts zu Gü und abwärts zu Es, berechne
swei Decimalstellen und behalte eine.
Eine Skala in gleichschwebender Temperatur kann gebildet werden, indem
man zuerst eine Reihe gleichschwebender Oanztöne berechnet vermittelst fortwähren-
der Addirung von 12 Vi Procent, Beweis dessen, daß der sechste so gefundene Ton
selten mehr ist als der doppelte erste. Dann werden die Halbtöne berechnet, in-
dem man 6 Procent zu jedem Ton hinzuzählt und dann 1 auf 2000 subtrahirt. Das
Resultat dürfte nirgends um Vio einer Schwingung unrichtig sein.
Daß alle hier angegebenen Berechnungen nur Approximativgrößen ergeben,
ist klar; sie sind aber durchaus entsprechend. Für Solche, die mit Logarithmen
umgehen können, dürfte die folgende Berechnung noch entsprechender sein:
Tabelle dex Logarithmen temperirter Töne.
Ton
1
N&tftrlicli M]
itt«ltdnig
Gleich- « .
schwebend ^^
hagoreiscb
c
0-
•0
•0
•0
eis
—
01908
•02509
02852
D
•05115
04846
•05017
05115
Es
■^■^^ *
07783
•07626
■07379
E
•09691
09691
•10034
10231
F
•12494
■12629
•12543
•12494
Fü 1
1
14537
•15051
15346
G 1
•17609
17474
•17560
■17609
Gis
t — -
19382
• 20069
20461
A
•22185
22320
•22577
22724
B
.—
' 25258
•26086
-24988
H
• 27300
•27165
• 27594
27840
C-Oktav
•30103
•30103
•30103
1
30103
Den anbei angegebenen Logarithmen füge man den Logarithmus der Fvon C
hei und das Resultat ergiebt die Logarithmen aller korrespondirenden Töne. Wenn
die V von ii^end einem Ton gegeben ist, etwa von E, so subtrahire man den diesem
Ton in der Tabelle gegenüberstehenden Logarithmus vom Logarithmus der V des
j 2ß Kritiken und Referate.
gegebenen Tones. Das Resultat ist der Logarithmus der korrespondirenden Vtoü
C, nach welchem man so vorgeht wie Toiher. Man suche den Logarithmen ent-
sprechende Zahlen bis zu einer Decimalstelle.
Vermittelst einer einfachen Regeldetri kann man auch C von A und umge-
kehrt berechnen. In gleichschwebender Temperatur korrespondirt ^444, C 528 und
umgekehrt In mitteltöniger Temperatur korrespondirt -4 418 C500 und umge-
kehrt, daher korrespondiren für eine vollkommene kleine Terz zwischen A und C,
A 440 und C 528 und umgekehrt.
Wie früher im Anhang zu der Übersetzung des Helmholtz'schen Werkes und
später in seiner Untersuchung über die Skalen verschiedener Völker, so wendet EUis
auch hier zur Messung relativer Tonhöhen gleichschwebende Halbtöne, in Hundert-
stel leenU) getheilt, an.^ Zu jeder Schwingungszahl setzt Ellis ihre Verhältniß-
zahl zu A 370 bei, ein A, welches er als Nullpunkt, als ideell tiefstes A [a^] an-
sieht. So bedeutet A 455 «3, jS 3 • 59, daß dieses A um 3 • 59 gleichschwebende
Halbtöne höher b\b A^IO ist. Dies gewährt eine leichte Differenzberechnung aller
angegebenen Schwingungszahlen. So wird z. B. der Unterschied der Erard'schen
Konzertstimmung A 455 -3, jS 3 • 59 und der HändeVschen Konzertstimmung A 422« 5,
Ä 2 . 30 gefunden, Sl'29 also 1 und »/loo Halbton. 2
^ S. die Charakterisirung dieses Verfahrens in Stumpfs Kritik, Vierteljahrs-
schrift n, 512, Anmerkung 1.
3 Um die Hundertstel in irgend einem Intervall zu berechnen, giebt Ellis Te^
schiedene Verfahren an. 1) Für kleinere Intervalle als ein gleichschwebender Halb-
ton, d. i. also wenn die größere V nicht mehr als 6 Procent größer ist als die
kleinere F; da dividire man die 1 00 malige Differenz der V durch 6 Procent (tbi-
mindert um 1 per 2000) von der kleinen V bis zu der nächsten ganzen Zahl. So,
um den Zwischenraum zwischen ^422*5 und ^ 440 zu finden: die 100 malige
Differenz ist 1750, 6 Procent von 422 • 5 ist 25 • 3 und dieses weniger 0 • 2 (oder
1 per 2000 in 422 • 5} ist 25 - 1 ; dann 1750 durch 25 • 1 dividirt, giebt 70 Hundertstel.
2) Wenn das Intervall größer ist, als ein gleichschwebender Halbton, kann
man fortgesetzt gleichschwebende Töne und Halbtöne bilden oberhalb des tiefsten,
indem man I21/4 Procent für einen Ton und 6 Procent (weniger 1 per 2000) für
einen Halbton hinzufügt, bis man eine V erhält, die kleiner ist als ein gleich-
schwebender Halbton der größeren Zahl. Dann ergeben sich die Hundertstel in
diesem kleineren Zwischenraum nach der letzten Regel und man addire 100 für
jeden gleichschwebenden Halbton, der der tieferen V hinzugefügt ist. So, für
A 422 • 5 und ^ 455 • 3 bildet man einen gleichschwebenden Halbton über 422 • 5,
indem man 25 • 1 zuzählt (oder 6 Procent giebt 25 • 3, weniger 1 per 20U0 d. i. 0*2)
giebt 447 • 6. Dann findet man, im Intervall F447 • 6 zu F455 • 3 die Hundertstel
wie im letzten Fall 29, und man hat für den ganzen Zwischenraum 129 Cents.
3) Für Intervalle, kleiner als eine natürliche große Terz — d. i. wenn die
8 malige größere V nicht größer ist als die 10 malige kleinere V — multiplicire
man 3477 mit der Differenz der beiden V und dividire dies durch deren Summe.
Wenn der Quotient zwischen 150 und 300 liegt, subtrahire man 1 vom Quotienten.
Das Resultat ist genau. So beim letzten Beispiel, 3477 multiplicirt mit der Diffe-
renz 32 • 8 giebt 114045 «6 und dies dividirt durch die Summe 877 • 8 giebt
129 Cents, wie oben. Es ist klar, daß dies Verfahren bei jedem beliebigen Inter-
vall angewendet werden kann, indem man es kontinuirlich um eine natürliche große
Terz reducirt, bis es kleiner ist als eine große Terz. Das geschieht so, indem man
kontinuirlich die 10 mal kleinere F von der 8 mal größeren Fabzieht und 3S6I/3
Hundertstel zu dem Resultate hinzuzählt für jede solche Reduktion. Wenn das
On the history of musioal piich von A. J. Ellis. |27
In Anlehnung an die Beseichnungen der Oigelmacher bedient sieh Ellis der
Längenübertragungen auf die Töne der einzelnen Oktayen. Es ist dies eine rein
konventionelle Bezeichnung, denn diese Namen seigen weder die genaue Länge
der Pfeifen noch die exakte Höhe der Töne an; yielleicht hätte Ellis besser
gethan, anstatt derselben die musikallBch geläufigere Bezeichnung der Kontra-,
großen, kleinen, ein- u. s. w. gestrichenen Oktaven anzuwenden. Das 32 Fuß
C (Sttb Kontra C], 16 Fufi C (Kontra C), S C (große), 4 C (kleine), 2 C (einge-
strichene), 1 C (zweigestrichene), Vs ^ (dreigestrichene), Vi ^ (viergestriehene) u.s.w.
köftnten wohl am passendsten allgemein so bezeichnet werden: d C\ C e ci c^
^3 ^i etc.
Das menschlische TonhöhengedächtniB ist im Allgemeinen schwach und mit
wenigen Ausnahmen sehr kurz. Schon beim Herabsteigen um eine Oktaye fallen
die meisten Sänger in der Stimmung. Daher war es von altershex nothwendig,
Mittel zur Fizirung der Tonhöhen zu haben. Die ältesten Erfindungen solcher
Art und die metallische, cylindrische, offene weiche Orgelpfeife und die gedackte
Stunmpfeife. ^ In späteren Zeiten wurden die Stimmgabel und durchschlagende
Metallzungen gebraucht. Im Orchester dient häufig die Oboe, eine Bohrpfeife,
diesem Zwecke.
Die Stimmgabel wurde von (John Shore, königlich englischem Trompeter,
nil erfunden. 2 Anfangs sehr roh gearbeitet, TenroUkommnete sie sich aUmählioh
und ist wohl das yerläßlichste Stimmungsinstrument. AUe Instrumente, also auch
die Stimmgabel, yariiren in der Stimmung mit der Lufttemperatur.
Die Stimmpfeife wechselt beiläufig um eine Schwingung zu Je 1000 Vibratio-
nen bei je einem Grad Fahrenheit, steigt bei Hitze und fällt bei Kälte. Das ist
schon ein sehr bedeutender Wechsel (der Unterschied der Stimmung im Winter und
Sommer beträgt gewöhnlich einen Halbton); und es müssen daher alle Orgel-
stimmungen reducirt werdeff auf eine Normaltemperatur, für die Ellis 59^ F =.
\lfi C ess 12** 22 festsetzte.^ Die Stimmgabeln altemiren nur um 1 Schwingung zu
Interall eine Oktay Überschreitet, diyidire man die größere V kontinuirlich durch
2, bis sie kleiner ist als die doppelte kleine Fund dann gehe man so yor wie oben
und zähle für jede Diyision durch 2 zum Resultat 1200 hinzu.
4) Die weitaus entsprechendste Methode der Berechnung ist die logarithmische.
Man multiplieire die Differenz der Logarithmen der beiden Fmit 4000 (dies wird
genügend sein, bei InterraUen kleiner als ein* Halbton), korrigire indem man 1
auf 300 und 1 auf 1000 yom früheren Produkt subtrahirt. Das Resultat wird korrekt
sein bis auf Vio eines Cents. So ist log 455 • 3 b= 2 • 65830, log 422 • 5 » 2 • 62583,
Differenz == .03247, was mit 4000 multiplicirt, 129-88 giebt. Man subtrahire 1 auf
300 oder 43 und 1 auf 10000 oder 0 • 1 (Summa 044) und das Resultat ist 129 • 44
Cents oder annäherungsweise 129. Wenn yiele Fälle zu berechnen sind, so ist es
gerathen, eine kleine Tabelle der Vielfachen yon 39-86314 zu bilden und auf diese
Art den Unterschied der Logarithmen mit dieser Zahl zu multipliciren. Ellis
wendet diese Methode an; auf S. 450 der 2. Ausgabe seiner Obersetzung yon Helm-
holtz' »Tonempfindungen« giebt er eine andere Tabelle.
^ Yon Manchen wird behauptet, daß diese Rolle bei dem altjüdischen Gottes-
dienste den Saiteninstrumenten und bei dem antiken Sänger der klassischen Zeit
der Flöte zufiel.
' Shore. war 1714 Sergeanttrompeter beim Einzug Georgs I. und 1715 Lauten-
spieler in der königl. Kapelle, starb 1753.
* Wenn die V einer Orgelpfeife bei irgend einer Temperatur bekannt ist, kann
die V irgend einer anderen Temperatur mit entsprechender Genauigkeit gefunden
]28 Kritiken und Referate.
je 21,000 bei je einem Grad Fahrenheit, fallen bei steigender Wänne und steigen
bei fallender Temperatur (also gerade umgekehrt wie die Stimmpfeifen). Dieser
minutiöse Wechsel kann gewöhnlich außer Acht gelassen werden. ^ Rathsam er-
scheint es immerhin, auch die Stimmgabeln auf ein und dieselbe Normaltempera-
tur SU reduciren. Die Stimmgabel wird, wenn sorgf<ig aufbewahrt, eine Ansahl
Jahre ihre ursprangliche Tonhöhe behalten, da sich durch eine genaue Prafung er-
geben hat, daß etliche Gabeln nicht um i/to einer Schwingung von 1^7 bis 1880
gewechselt haben. Die Schwierigkeiten, swei Gabeln mathematisch genau auf eine
Tonhöhe zu bringen, sind sehr groß; man findet daher selten vollkommen über-
einstimmende Gabeln. Zwei Ursachen bleibenden Xachtheiles sind das Winden
oder Drehen der Zinken und das Rosten. Um sie gegen Rost zu schützen, muß
man sich auch hüten, mit den Fingern über die Zinken zu streichen, wie Musiker
gewöhnlich thun; man spreche nicht über die Gabeln hinweg, schütze sie Tor
Feuchtigkeit (die großen Gabeln auf Resonanzböden in Gemslederüberzügen, die
Kleineren in Futteralen) und öle sie bei Gelegenheit mit einer dünnen Schicht Ton
Büchsenschloßöl. Wenn sich Rost bildet, wende man nicht Sandpapier an, sondern
verhindere nur mittelst Bestreichens von Öl die weitere Ausbreitung des Rostes.
Ellis hat mehrere Versuche mit Anrostung von Gabeln gemacht. Die Ergebnisse
waren, daß wenig Rost unmerklich ist und daß starker Rost die Herabstimmung
um nicht mehr als 4 Schwingungen bei 1000 bewirke. Am Ende der Zinken ist
der Rost weniger nachtheilig für die Stimmung als am StieL
Bei den Orgelpfeifen ist noch zu bemerken, daß neben der Temperatur noch
andere Umstände von Einfluß und Bedeutung für die Stimmung sind. Vorerst die
Lange der Pfeife, gemessen von dem Punkte, wo sie angelötet ist bis zu dem
offenen Ende; femer der innere Durohmesser der Pfeife. EUis giebt die Beredi-
nung der von Cavaill6-Coll {Con^tes retidus, 1860, S. 176) aufgestellten Regel in
englischen Zollen : die V der Pfeife annähernd 20080 genommen, dividirt durch
die Summe der dreifachen Länge und des fünffachen Durchmessers, so bekommt
man in der Zweifaßoktav beim Resultat selten den Fehler eines Kommas (Vso)-
Wenn man die V einer ähnlichen Pfeife findet und sie mit der Summe det drei-
fachen Länge und des fünffachen Durchmessers (in Zoll ausgedrückt) multiplicirt
und dieses Produkt anstatt 20080 gebraucht, so ergiebt sich die Stimmung einer
werden, indem man die erstere V um 4 Procent vermehrt, durch 1000 dividirt bis auf
2 Decimalstellen, das Resultat mit der Anzahl von Graden (Fahrenheit), um welche
die beobachtete Temperatur von der verlangten differenxirt, multiplicirt und endlieh
addirt oder subtrahirt, je nachdem man sie zu einer höheren oder geringeren Tem~
peratur führen will. Was giebt z. B. A 528 bei 59<* F bei 73"* F? Zu 528 hinzu-
gezählt 4 Procent oder 21-12 giebt 549 • 12, durch 1000 bis auf 2 Deeimalen
dividirt, giebt 0 • 55, multiplicirt mit 14 (der Differenz von 73"* und 59^) giebt 7-70
und da die verlangte Temperatur höher ist, muß man diese Zahl zu 528 addiren,
was A 535 • 7 bei 73® F ergiebt. Da der Wind oft eine niedrigere Temperatur
hat, als die Luft um die Orgel herum, und da die Expansion der Luft die Tem-
peratur bewirkt, so ist diese Berechnung nicht immer vollkommen genau, aber Ellis
fand sie entsprechend fOr den vorliegenden Zweck. Ellis räth, eine Orgelpfeife,
sobald man sie berührt oder mit dem Athem des Mtmdes angeblasen hat, eine
Zeitlang auskühlen zu lassen, bevor man deren Tonhöhe bestimmt.
1 Will man genaue Experimente machen, dann ist es rathsam, die Stimm-
gabel nicht mit der bloßen Hand zu berühren, sondern Papier oder Holz da-
zwischen zu nehmen ; sie in der Tasche zu tragen oder häufig anzuschlagen beein-
flußt auch die Stimmung.
On the history of musical pitch von A. J. Ellis. |29
anderen Pfeife derselben Art, die aber um Weniges in L&nge und Durchmesser sich
unterscheidet, indem man dieses Produkt durch die Summe der dreimaligen neuen
L&nge und des fünffachen neuen Durchmessers, beides in Zollen, dividirt. ^
Endlieh muß auch die Stärke des gebrauchten Windes in Betracht gezogen
werden. Die besprochene Regel setzt Toraus, daß der Druck stark genug sei, um
eine ungef&hr 37« Zoll hohe Wassersäule tragen zu können. Nach Experimenten
Yon CavaÜ16-Coll wächst die V ungefähr um 1 in 300 , wenn der Druck varürt
iwischen 2^/4 und 31/4 Zoll, aber bei Schwankungen zwischen 31/4 und 4 Zoll
wächst die V nur um beiläufig 1 in 440. Die ganze Zunahme des Druckes von
2^/4 zu 4 Zoll vermehrt die V um ungefähr 1 in 180. Daher kann die Tonhöhe
Ton A in Folge dieses Umstandes allein schon variiren von Fl zu F2V2«
Auch die Windmasse, welche durch die Qröße der Windspalte und die Öff-
nung am Fuß regulirt wird, ist eine Quelle von Schwankungen in der Schwingungs-
anzdlil. Die Form, besonders aber die Beschattung [tiKading) des MundstQckes,
also das äußerste Ende der Bohre, haben großen Einfluß auf die Stimmung. Daher
wird eine Pfeife, die von der Orgel, wo sie von den anliegenden Pfeifen über-
schattet war, we^enommen wird, oft höher sein. Auch das Reinigen der Orgel
erhöht die Stimmung derselben. Auch nur das Hin- und Zurückstellen einer Pfeife
verändert oft die Stimmung; drückt man die Ränder des offenen Endes ein, wird
lie ein wenig tiefer, drückt man sie nach außen, ein wenig höher, wie man es
beim »Stimmkegel« [iuning emi^ thut. Bedeutende Veränderungen der Pfeife
bringen es also mit sich, daß sie verkürzt oder verlängert werden muß. Man kann
lagen, daß jede Orgel in ihren verschiedenen Theilen verschiedene Stimmungen
hat Historische Orgelstimmungen festzustellen ist daher mit großen Schwierig-
keiten verbunden; aber der äußerste Irrthum wird selten 1 Procent übersteigen.
Ellis wählte zur Bestimmung immer a\ oder c^ des offenen metallenen Principals,
womöglich auf der großen OrgeL
Noch sind zwei Instrumente zu erwähnen, die ebenfalls zur Bestimmung der
Tonhöhen gedient haben. Ellis standen zwei sehr seltene, 100 und 150 Jahr alte
Stimmpfeifen zur Verfügung. Diese unterliegen allen Irrthümem an Orgelpfeifen
und da sie zudem noch mit dem warmen Athem unter sehr verschiedenem Druck
angeblasen werden, sind sie nicht ganz zuverlässig. Der Umstand aber, daß man
sie leicht mit sich tragen kann, und sie durch Ein- und Ausschieben eines Ver-
satzstüokes (pü^on) ein oder zwei Oktaven gaben, machte sie früher Sängern, welche
sonst kein Instrument zur Begleitung hatten, fast unentbehrlich. Die von Flöten,
Klarinetten und Oboen hergeleitete Stimmung ist ebenso unverläßlich. Auch die
in kleine Gylinder gestellten durchschlagenden Metallzungen leiden an derselben
1 Diese Regel, die bei anders gearteten als ursprünglich beabsichtigten
Orgelpfeifen angewendet wird, um aus der Stimmung der vorliegenden Pfeifen die
der zu berechnenden zu bestimmen, fordert für verschlossene und viereckige Pfeifen
eine kleine Abänderung. In viereckigen Pfeifen geht die Tiefe vom Munde bis zur
Rückwand, nach dem inneren Maße. Die vollständige Regel ist: Winddruck unge-
fähr 374 Zoll oder 8 Centimeter. Man dividire 20080, wenn die Maße in Zoll, und
510000, wenn dieselben in Millimetern, durch 1) die dreifache Lfinge addirt zu
dem fünffachen Durchmesser für cylindrisch offene Pfeiffen, 2) die sechsmalige
Länge addirt zum zehnfachen Durchmesser für cylindrisch gedeckte Pfeifen, 3) die
dreifache Länge addirt zur sechsfachen Tiefe in viereckigen offenen Pfeifen, 4) die
sechsfache Länge addirt zur zwölf fachen Tiefe für viereckige gedackte Pfeifen.
Diese Regel genügt, um Orgelpfeifen in annähernder Länge zu schneiden und
zu durchbohren.
1888. 9
] 30 Kritiken und Referate.
Ungenauigkeit, während sie für den Gebrauch noch bequemer sind. Die Metall-
zunge selbst neigt zu Schwankungen und zudem hängt die Tonhöhe sehr Ton der
Windstärke ab.
Vorausgesetzt es liege eine Anzahl Stimmgabeln vor, welche in Einklan^^ ge-
bracht sind mit den verschiedenen A's all der zu bestimmenden Tonhöhen von
Orgeln und anderen Instrumenten, so müssen, da das Ohr zur genauen Bestimxnang
nicht genügt, Methoden zur genauen Bestimmung der Tonhöhen benutzt werden.
£s ^ebt ausgearbeitete Erfindungen zu diesem Zweck; aber nur Eine erschien
EUis leicht anzuwenden: es ist der von J. H. Scheibler (1777 — 1837) erfundene
»Stimmgabel-Tonmesser«. ^ Die mittelst desselben gewonnenen Bestimmungen dif-
feriren kaum um Vio einer Schwingung von den mittelst anderer komplicirter Ap-
parate gefundenen. Die von Mersenne (1648) benutzte Saitenbestimmung erweist
-sich als unverläßlich. Euler und Bemouilli arbeiteten das Problem mathematiseli
•aus und es wurde wiederholt angewendet, so von Euler selbst, dann von Hob.
Smith, Marpurg, Fischer und de Prony, verhältnißmäßig am erfolgreichsten von J.
-H. Oriesbach (1860)* und besonders von Delezenne von Lille.* Immer aber sind
die Schwierigkeiten den Einklang festzustellen, die Längen zu messen, das Gedieht
zu finden und Einheitlichkeit in der Saite zu erhalten sowie die Verlegenheiten,
die durch die Dicke der Saite entstehen, noch solche, daß man diese Methode
besser mit einer anderen vertauscht.
EUis führt noch die anderen Methoden an : die Sirene des Baron Cagnard de
la Tour (verbessert durch einen Zählapparat Gavaill^-GoU's), die optische Methode
von Prof. Herbert McLeod und Lieut. Clarke, * die elektrographische Methode -von
Prof. A. Mayer, <^ sowie diejenige mittelst musikalischer Schwebungen;* er selbst
wendete sie aber nicht an, theils wegen Ungenauigkeit, theils wegen Kostspieligkeit,
^heils wegen allzugroßer Schwierigkeit der Behandlung, benutzte aber die mittelst
1 Joh. H. Scheibler »Der physikalische und musikalische Tonmesser« Essen,
Bädeker 1834. Die von König in »Untersuchungen über die Schwingungen einer
Normalstimmgabel« (Annalen der Physik und Chemie 1880, Keue Folge, Bd. 9,
S. 417) Leipzig, Wiedemann verificirte Methode stimmt im Oesammtergebniß mit
Ellis überein; die Abweichungen erscheinen für den vorliegenden Zweck un-
wesentlich.
2 Journal of (he Society of ArU, 6. April 1860, S. 353.
3 Delezenne bewies vorerst, daß nur der feinste Draht, welcher die Anspan-
nung ertragen konnte, befriedigende Resultate geben kann. 700 Millimeter eines
solchen Drahtes spannte er. auf ein Violoncellgerüst, stimmte es zu Marloy6's Gabel
F 128 und Üieilte dann mittelst eines beweglichen Steges die Länge ab, welche
den Einklang mit einer gegebenen Stimmgabel gab. Nachdem er diese Länge in
Millimeter gemessen, diviuirte er, um V vm finden, 128x700 = 89600 durch diese
Länge. Für Orgelpfeifen stimmte er zuerst eine Gabel mit Schiebern im Einklang
tnit der Pfeife und maß dann die so gestimmte Gabel mit seinem Tonmesser. Für
diejenigen, die Euler's Formel benützen, schätzt D. den Fehler auf ein Komma
oder Fl in F80 oder 125 in FlOOO, indem es nur an der Dicke der Saite liegt,
die nothwendig ist, das Ausdehnungsgewicht zu ertragen. Bei seinen Messungen
schätzt er den Fehler auf 3/,o eines Kommas oder F37 in FlOOO.
* nProceedinga of the Royal Society« für Januar 1874 (Bd. 28, S. 291).
* Vom »Steven» Institute« , Hoboken, New- Jersey (Amerika).
* Sauveur 1713, Cavaill6-Coll {Aasoeiation Scientißque de France, BulleHn
heb. Nr. 81, 16. August 1868, p. 126), Sarti, Henry Willis (Orgelbauer) 1865 be-
dienten sich ihrer theilweise mit Erfolg.
On the histoiy of musical pitch Yon A. J. Ellis. ] 3 1
derselben von Anderen festgestellten Bestimmungen. Am verläßlichsten sind die
optische und die elektrographische Methode ; letztere aber nur für sehr große Gabeln
anwendbar. Der zu den ersten Versuchen yon £llis rerwendete Apparat Ton Ap-
punn in Hanau leigte sich in der Folge, insbesondere durch den Vergleich mit
Königs Untersuchungen, für präcise Bestimmungen unzulftnglich.
Ellis Terschaflte sich Stimmgabeln, wo er sie erreichen konnte, im Original oder
in Kopie, bestimmte die Tonhöhen einer großen Anzahl von Orgeln oder ließ sich
nach ihnen Stimmgabeln fixiren, berechnete nach alten Orgelpfeifen den Xormalton,
konstruirte Pfeifen, deren Dimensionen in älteren Werken angegeben sind, und
benutste die von anderen Forschem (Scheibler, Naeke, Delezenne, Lissajous, Ca-
gnard de la Tour, R. Smith, Fischer, Euler, Marpurg) festgestellten historischen
Maße, die er zu revidiren und korrigiren bestrebt war, und erhielt so über 320 Ton-
höhen, der Zeit nach von 1361 reichend bis auf unsere Tage.
Es ist evident, von welcher Bedeutung die Stimmung für den Vortrag eines
Stückes ist. Die Begrenzung der menschlichen Stimme fordert vor Allem eine
Rücksichtnahme auf die Intonation einer Komposition. Eine ganze Reihe von
Erscheinungen zeigt die Nothwendigkeit einer annähernden Bestimmung der Ton-
höhen, in denen die Meister ihre Kunstwerke erdachten. Sieht man, welche
Differenzen in der Geschiehte der musikalischen Stimmung auftreten, wie ver-
schieden die Intonation nach Ort und Zeit war, welche Hülfsmittel schon die Kom-
ponisten des 16. Jahrhimders wegen der schwankenden Stimmung anwenden mußten
[80 die ehiavi trasportatt) , um den Sängern die Ausführung zu ermöglichen , so
wird man leicht die Wichtigkeit der EUis'schen Arbeit ermessen können.
Um die Normalumfänge der einzelnen menschlichen Stimmgattungen zu er-
mtttdb, schlug Ellis folgendes Verfahren ein, da er sich mit den gewöhnlichen An-
gaben nach Halbtönen nicht zufrieden gab. Er nahm vier Gabeln zu V 507, 522 • 5,
528 und 540 • 7, die als Normal C der Reihe nach entsprechen den A 422 • 5 (Hän-
deis Stimmgabel), 435*4 (französische Normalstimmung), 440 (Scheibler's) und
454 • 7 (gleichschwebendes A der hohen Londoner philharmonischen Stimmung
1874). Die erste und letzte differiren um einen diatonischen Halbton, die beiden
mittleren sind b^^^l^ungsweise um etwas weniger als einen Viertelton von den
äußeren unterschieden.
Den Sängern (von 7 verschiedenen Chorvereinen, im Ganzen 542 Stimmen)
gab Ellis gedruckte Solmisations-Skalen in die Hand, 4 aufsteigende und 4 ab-
steigende, ließ nach den verschiedenen Intonationen dieselben singen und vorerst
die leicht erreichbare und dann die Überhaupt erreichbare Note durch Durch-
streichen bezeichnen. Diese Procedur wurde sowohl beim Auf- als Absteigen vor-
genommen (Mittelstimmen beim Aufsteigen vorerst mit Vermeidung des Falsetts
und dann mit Falsetts Besonders verläßlich waren die Bestimmungen in dem
Tonic Sol-fa Chorverein, der, weil an unbegleiteten Gesang gewöhnt, besonders
rein die Intervalle sang. Indem aus jeder Druckvorlage die leicht und äußerst
erreichbaren Grenzen gezogen wurden, die sich innerhalb eines Vierteltones be-
stimmen ließen, ergab sich durch Addition der Schwingungszahlen und Division
der Stimmanzahl der durchschnittliche Umfang jeder Stimmgattung in Schwingungen
ausgedruckt
Die zwei Tafeln geben die synoptische Übersicht. Die erste giebt die wich-
tigeren leicht erreichbaren Töne in Höhe und Tiefe einer jeden Stimmgattung.
Die mit »Mittel« bezeichnete Kolonne giebt in Name und Zahl der Schwingungen
die mittlere Note, die von den Stimmen der ersteh Kolonne erreicht wird. Die
mit »Wirklich a [aetual] überschriebene Kolonne giebt die effektiv höchste und
tiefste Note aller jener gesungenen Töne an, aus denen die »mittlere« berechnet
9»
132
Kritiken und Referate.
Mittlerer und wirklicher Umfang der menschlichen Stimme.
Anzahl der
beobachteten Stimmen
Leicht erreichbare tiefe Grenxe
Wirkliebe
149 Soprane . .
91 Altstimmen .
107 Tenöre . . .
125 Bässe . . .
145 Soprane . .
83 Altstimmen.
114 Tenöre. . .
120 Bässe . . .
173 Soprane . .
108 Altstimmen.
114 Tenöre. . .
140 Bässe . . .
173 Soprane . .
105 Altstimmen.
112 Tenöre . . .
139 Bässe . .
{
PD *^** 76
HA , . 10O-6
SC ^"
PA , . 253-4
Pe °^" 135-2
Ha ,. 211-3
Se ^" 132
163-3
66
Leicht erreichbare hohe Grenze
Mittlere
Wirklielie
hl 993-2
^2 835-7
C2 520*8
ßsi 375-2
1408
704
1216-4
675-8
608-2
316-9
540-7
293-9
Äußerste tiefe Grenze
Mittlere
I
Wirkliche
es 161-9
d 1471
E 84-7
eis 71-6
{
{
1.0
Fe
Sg
SH
(PH
\SC
PF
PA,
bis
bis
bis
bis
202-8
130
198
123-8
126-7
66
901
56-3
Äußerste hohe Grenze
Mittlere
Wirkliche
eis 3 1124-4
62 951-6
d2 616-9
bi 482-9
i ^O't bi« 8"
\Sg. °" 396
\Sei °^ 330
On the history of musical pitch Ton A. J. Ellis. ] 33
▼ar. Hier bezeichnen die Buchstaben H F'S P die Tonhöhen nach den Intona-
tionen SU Händersy französischen, Scheibler's und philharmonischen Stimmung —
alle in natürlicher Intonation.
Die zweite Tabelle giebt die äußersten Grenzen auf die gleiche Weise; diese
sind aber nicht von solcher Bedeutung und besonders die äußersten hohen Grenzen
Ton Baß und Tenor, die das Falsett einschließen, sind für unsere Kunst mehr
Kuriositäten; nicht aber für die ältere a-capella-Musik , in der das Falsett der
Alti naturali ein der Bruststimme gleichwerthiger Faktor war.
Es ist selbstTerständlich, daß diese Tabelle nicht für künstlerische Zwecke
einen Maßstab bilden kann. Der mittlere Umfang der Stimmen ist gewöhnlich
ein kleinerer und die äußersten Grenzen sind natürlich als Ausnahmstöne nicht
SU verwerthen. Von dem gewöhnlichen Chorumfange bis zu dem Solostimmumfang
bleibt immerhin ein weiter Spielraum. Bemerkenswerth ist, daß der Umfang der
meisten Instrumente bis in unser Jahrhundert hinein sich innerhalb der in der
Tabelle angegebenen äußersten Singstimmgrenzen gehalten hat. Ein Vergleich mit
anderen für die Praxis bestimmten Tabellen ergiebt, daß eine annähernde Über-
einstimmung besteht nur mit den Grenzen der höheren »wirklichen« Form der
Tiefe und der tieferen »wirklichen« Form der Höhe, so in Sopran h 253*4 bis
h "704, Alt a 211 • 3 bis e^ 675 * 8, Tenor e 163-3 bis ei 316 • 9, Baß ^ 105 • 6 bis
<^. Aber auch dies dürfte nicht als Norm für den Umfang der einzelnen Stinun-
gattongen gelten; die Geschichte der Musik zeigt selbst wesentlich yerschiedene
Anforderungen. Im Großen und Ganzen erweiterte sich der Umfang aller Stimmen.
Einzelne Stimmen, wie z. B. der Alt, mußten aber zu GKinsten der hinaufgetriebe-
nen Höhe die Tiefe opfern ; freilich hat man es in alter Zeit nicht mit Frauenalt-
stimmen zu thun. Zum Vergleiche stehe noch die Tabelle eines der größten In-
itrumentalkomponisten unseres Jahrhunderts hier, von Hector Berlioz,^ dessen An-
gaben Ellia nach einer mittleren modernen Instrumentalstimmung [A 446 • 2) genau
bestimmt: ^^n bis
Erster Sopran . . c 2653 . . . . Jj 945*4
Zweiter Sopran h 2506 . . . . g2 7950
Kontra-Alt / 1771 . . . . e«« 6310
Erster Tenor "c 1326 .... bi 4727
Zweiter Tenor c 132*6 . . . . ^i 3975
Baryton oder erster Baß £ 118'2 . . . . /i 354*2
Baß F 88*6 . . . . e«i 315*5.
In zwei Ordnungen giebt Ellis das Material; die erste enthält numerisch
aneinandergereiht von der niedrigsten bis zur höchsten Stimmung zu jeder Zahl
den Stoff, das ganze Ergebniß seiner Forschungen, vom »Nullpunkt«, der ideal
niedrigsten Stimmung {A 370) bis zur höchsten {A 567-3). Die zweite Tabelle
giebt das Material summarisch nach Ländern geordnet. Bevor wir auf die Be-
sprechung der historisch-kritischen Zusammenstellung eingehen, sei ein übersicht-
licher Auszug 2 aus der ersten Tabelle mitgetheilt :
^ Berlioz, Grand Trait^ d'instrumentation et d'orchestration mpdeme (op. 10).
^ Die Kolonne S giebt die Anzahl der Zehntel «Ines gleichschwebenden Halb-
tones, um welche irgend eine Tonhöhe die Eingangsstimmung (den Nullpunkt)
überschreitet, so daß durch Subtraktion der betreffenden Zehntel das Intervall
zweier beliebiger Tonhöhen der Tabelle sich ergiebt. Die Kolonne A giebt die
Jiächste ganze Zahl der Schwingungen von A in numerischer Ordnung vom Tief-
•sten zum Höchsten, im Ganzen eine Quint umfassend. Da es eines Zuwachses
von 2 oder 3 Schwingungen bei diesen Tonhöhen bedarf, um ein Zehntel eines
134
Kritiken und Referate.
Abriß der Geschichte der musikalischen Stimmung.
s
A
0-0
370
0-2
374
0-3
377
1-0
392
M
395
1-2
396
1-4
403
1-5
404
1-6
407
1-7
408
1-7
409
2-0
415
2-1
41S
2-2
420
2-3 422
2-3 423
2*4 424
2-5
2-5
2-6
2-7
2-7
2-8
3-0
31
3-1
3-2
427
428
432
433
434
435
440
442
443
445
Ideal tiefste, nicht beobachtet, sogenannter »Nullpunkt«.
Haspice Comtesse, Lille 1700 (Orgel).
Schlick (tiefe Stimmung) 1511; B^dos 1766; franzö-
sische C-Fuß-Orgeln ; A. Silbermann in Straßburg 1714.
Euler's Chlavichord, St Petersburg, 1739.
Orgel dfes Trinity College, 1759; englische C-Fuß-
Orgeln; römische Stimmpfeifen 1720.
Versailler Kapelle 1789; französische H- Fuß -Orgeln;
De Gaus 1615.
Mersenne, Spinett 1648.
Römische Stimmung nach einer Gabel von 1730.
SauTCur, Paris 1713.
Mattheson, Hamburg 1762.
Pascal Taskin, Hofstimmer Paris, 1783.
Stimmgabel der römisch-kath. Kirchenorgel zu Dresden,
erbaut von G. Silbermann 1722. ,
Dieselbe Orgel von 1878; Euler's Orgeln 1781.
G. Silbermann's Freiberger Orgel 1714; Torje Bosch's
Orgel in der Kathedrale von Sevilla 1785; alle Kirchen-
orgeln in Spanien.
Stein's Stimmgabel für Mozart's Klavier 1780; tiefere
Resonanz der Cremoneser Geigen, 1700; alte Gabel in
Lille, um 1754; Verona und Padua 1780; russische
Hofkirchenkapelle 1860.
Händel's Gabel 1751 ; Green's St. Katharinen-Orgel 1778
und Kew 1790; Dresdner Oper unter Weber 1815—21;
Pariser komische Oper 1820.
Praetorius' Xormalkirchenstimmung (»rechte Chormaß«)
1619; Originalstimmung der philharmonischen Konzerte
in England von 1813—28.
Pariser große Oper 1811.
Renatus Harris' Orgeln 1696; Green's Orgeln in St Ge-
orges Kapelle, in Schloß Windsor 1788; Pariser komi-
sche Oper 1823.
Italienischer Kongreß in Mailand 1880.
Sir George Smart's Gabel 1828.
Pariser große Oper 1829.
Französische Normalstimmung 1859; internationale
Stimmtonkonferenz in Wien 1886.
Scheibler's Stuttgarter Stimmimg 1834; Dresden 1862;
Konservatorium in Paris 1812; Pariser Oper 1829.
Vater Smith's (» Bernhard Schmidts) tiefe Stimmung
im Hampton Court Palace 1690 ; englische 5-Fuß-Orgeln.
Bologna, Lieeo musicale 1869.
Madrider Oper 1858; Neapel Theater S. Carlo 1857.
I. Tiefste
Kirchen-
Stimmung.
n. Tiefe
Kirchen-
stimmung.
ni. Tiefe
Kammer-
Stimmung.
IV.
Mittlere
Stimmung
wfihrend
zweier Jahr-
hunderte.
Englische
JT-Fuß-
Orgeb.
V.
Kompromiß-
Stimmungen.
VI. Moderne
Orchester-
und alte mitt-
lere Kirchen-
stimmung.
Halbtones höher zu kommen, so zeigt sich, daß die gleichen Zehntel verschiede-
nen Sehwingungszahlen entsprechen, sofern sich die letzteren der nächsten ganzen
Zahl nähern.
On the history of muncal pitoh Ton A. J. Mlig.
135
s
ui
32
446
3-3
447
3-4
449
3-5
451
3-5
452
3-5
453
3-6
455
•
36
456
3-7
457
3-8
458
4-3
474
4-5
481
4-6
484
4-8
489
50
494
51
496
5-3
504
5-4
506
7-3
563
7-4
667
Broadwood's MitteUtimmung 1849—80; Pariser große
Oper 1856; Griesbach's A 4457, 1860 für die Society
of Art« in London, anstatt A 444.
Wiener Oper 1878.
Pariser große Oper 1855; Leipziger Gewandhaus-Kon-
zerte 1869; Griesbach's C 5345, 1860 für die Society
of Arts in London anstatt € 528.
Oper in Lille, 1848 und 1854; belgische Armeenormal-
stimmung 1879 ; höhere Resonanz der Cremoneser Gei-
gen um 1700. .
Britische Antieestimmung 1879.
Mittlere Stimmung der Londoner philharmonischen Kon-
zerte unter Sir M. Costa 1846 — 54.
Höchste Londoner philharm. Stimmung 1874, Konzert-
flügelstimmung Ton Broadwood» Erard, Brinsmead und
Steihway (nur für den Kontinent und England) 1880.
Die berühmte hohe Wiener Stimmung von 1859.
Die amerikanischen Flügel Steinway's.
Wien, große Franziskaner-Orgel 1640.
Tomkin's Normalstimmung 1668; B. Sohmidt's hohe
Stimmung der alten Kapell- Orgeln von Durham und
St. James, 1683 und 1708; englische ^-Fuß-Orgeln.
St. Catherine, Hamburg- 1543.
Alte kleinere Orgel in der Kathedrale von Lübeck 1878.
8t. Jacobi, Hamburg 1688.
St. Jacobi, Hamburg 1879.
Rendsbu^er Orgel 1700.
Schliek's hohe Stimmung 1511; Mersenne's »ton de
chapelle« 1636.
Halberst&dter Orgel 1361.
Mersenne's »ton de chambre« 1636.
Allgemeingebräuchliche Kirchenstimmung in Nord-
deutschland um 1619, (nach EUis) irrthümUch von Prae-
torius »Kammerton« genannt. Vermuthlich die Stimmung
der Kirchenmusik von Orlando Gibbons (1583 — 1625).
VI. Moderne
Orchester-
*• und alte mitt-
lere Kirchen-
stimmung.
Vn. Hohe
Kirchen-
stimmung.
vin.
Höchste
Kirchen-
Stimmung.
IX. Äußerste
Kirohen-
und höchste
Kammer-
stimmung.
In diesem Umriß sind die Zeit- und Ortgrenzen sowie das Eintheilungsprincip
der Ellis'schen Geschichte der Stimmung gegeben. Sie beginnt bei jenen Skalen,
welche in der Kirchenmusik des Mittelalters verwendet wurden, sei es die p^'tha-
goreische oder ptolemäische oder eine andere der zahlreichen ungleich temperirten,
welche im direkten Zusammenhang mit den gegenwärtig Üblichen stehen. EUis läßt
die alten Instrumente, welche nicht mit anderen gebraucht wurden und folglich
nur auf die Weise gestimmt wurden, wie gerade das Instrument die Töne am ge-
eignetsten und besten hervorzubringen im Stande war, außer AchtJ
^ Praetorius U, 14 : »Vnd ist anfangs zuwißen, daß der Thon sowol in Orgeln
als andern Instrumentis musicis offt sehr varijre; dann weil bey den Alten das
Concertiren vnd mit allerhand Instrumenten zugleich in einander zu musiciren
nicht gebreuchlich gewesen; sind die blasende Instrumenta von den Instrument-
machern sehr vnterschiedlich eins hoch das ander niedrig intonirt vnd gemacht
worden. Dann je höher ein Instrumentum in suo modo et genere als Zinken
136 Kritiken und Referate.
Die Tonhöhen der Orgelpfeifen, ^reiche, wie Praetorius sagt, wie »Schwalben-
nestern auf einer Säule in der Kirche aufgehängt wurden und die Töne Hcdef
g a h ci di 6] fi oder cdefgahc\dieif\g\ai gaben, sind uns nicht erhalten. Die
älteste uns bekannte Orgelstimmung ist die von der Hauptkirche zu Halberstadt,
die am 23. Februar 1361 von Xikolaas Faber vollendet und 1495 yon Gregor Kleng
restaurirt wurde und noch su Praetorius' Zeiten, wenn auch unbenutzt, bestand
und von ihm beschrieben wurde. Sie war vielleicht die erste Orgel mit 3 Ma-
nualen und einem Pedal. Praetorius giebt die Maße der tiefsten Pfeife J2t, yon
Kleng wahrscheinlich nicht geändert, nach denen Ellis ein Modell im VerhäUniß
eines Sechzehntheiles, also h construiren ließ, bei 590 F unter 3 Zoll Winddruck-
maß und A 284-5 entsprechend Nat. A 595-8 erhielt Das ist eine Stimmung die um
beiläufig V« eines Tones höher ist als die jetzige höchste Orehesterstimmung und eine
kleine Terz über der mittleren modernen Stimmung. Fast derselben Zeit, yielleicht
ein oder zwei Jahrhunderte später ist das e\ einer alten verfallenen Orgel von
Hospice Comtesse bei Lille, von Delezenne gemessen, entsprechend c 112<7 oder
Oi 374-2. Diese beiden a sind S 5>22 also ein Komma mehr als eine gleichschwe-
bende Quart von einander entfernt und es scheint fast unglaublich, daß so ver-
schiedene Klänge jemals mit ein und derselben Note a bezeichnet werden konnten.
Eine Erklärung könnte, in Schlick's Spiegel der Oi^elmacher und Organisten etc.
2. Kapitel gefunden werden : Ist das werck dem Chor gemeß vnd gerecht gestimpt
sey za dem gesang, dan wo sollichs nit bedacht wirt müssen die person offt zu
hoch oder zu nieder singen, der organist woll dan durch die semitonien -spiln. das
doch nit eim iglichen gelegen ist. Wie aber sollieh moß der pfeyffen sein soll
dem gemeß vnd Chor gelegen zu singen, ist nit gantz oder eigentUeh zu geben,
vrsach mann singt an eim ort höher oder nydderer wann an dem andern darnach
die person klein oder groß stymmen haben, yedoch so die lengst pfeiff, das Fa,
vnder dem gamaut ym pedall yr corpus von oben biss vff den fuß disser leng hie-
bey bezeichent, sechsehn het, ^ solt meins bedunokens ein geschickt gut chor moss
sein. Mecht man aber ein werck ein quint größer, so musst das ofaut in dem
pedall soUich leng haben. So man aber noch ein großer werck haben wolt, mag
man der ytz bestimpten meß eins ein octaff größer machen. Uff den fast großen
wercken daran die größt pfeiff XX. XXIV. oder XXX. schuch leng het, alsdan
an vill ortten funden werden. Wellich die alten mit großen kosten gemacht haben,
ist nit woll underschiedlich zu hören was darauff gespilt wirt von wegen der groß
vnd menge der pfeiffen sein. Auch die organisirten nit so frey oder geweitig yr
vbung daruff zäuolbringen als off den kleinen wercken des starcke halb des winds.
der großen venlllL der schern der züig. der wellen vnd ander so sollichs beschwert
als die orgelmecher vnd Organisten wissen etc. ^
Item zu einem zimlichen kleinen werck wolt ich raten die vorig bezeichnet
moß. XVI. theiU, das fa vnder dem gamaut. vnd zu einem großem werck die
Schalmeyen vnd Discant Geigen intonirt seyn, je frischer sie lauten vnd resoniren:
hergegen je tieffer die Posaunen Fagotten Baßaneldi Bombardoni vnd Baßgeigen
gestimbt seyn, je gravitetischer vnd prechtiger sie einherprangen. Dahero es dann
einem Musico, wenn die Orgeln Positiffe, Clavicymbel vnd andere blasende In-
strumenta nicht zugleich in einem vnd rechten Ton stehen, viel mühe machet.«
1 Demnach wäre die ganze Pfeife 4?^ rh. Zoll x 16 ^ 6V2 rhein. Fuß oder
2040 mm lang.
2 Neben dem Texte ist ein Strich von 478 Zoll rhein. Länge mit folgender
Anmerkung: »Diesser leng sechtzehen gut chor moß f. oder C das corpus on den
Fuß.« —
On the history of musical pitch von A. J. EDis. J 37
größt pfeiff noch einst als lang. etc. Vrsach das sich der merer theill chor gesangs
endet in grambus, ^ als in primotono. Salve regina. Aue maris Stella. Gaudeamus.
Vita sanctonim, Tnnd ander der gleichen werden dem chor gerecht vss dem gsol-
reut
EUis konstrnirte dementsprechend eine Orgelpfeife in der zweithöheren Oktav,
nahm an, daß der Durchmesser Vis ^^ Länge sei und fand die Stimmung fi «>
V 301-6 ; demnach ist a\ als vollkommen große Terz »s V 377. Diese Stimmung
entspricht praktisch der Delesenne'schen Berechnung von Hospice Comtesse A 374*2.
Wenn aber, wie nach Schliok's größerer Orgelmaßangabe, 6>/a rheinische Fuß fOr
C\ angenommen wird, erhftlt man A 504*2, was praktisch gleichwerthig ist mit der
Halberst&dter Orgel A 505*8 und in Parallele gebracht werden kann mit der gegen-
wärtigen Stimmung der St Jacobi-Orgel in Hamburg A 494*5 (früher A 489*2).
So ergaben sich nach Schlick selbst die beiden Stimmungen» hoch und
tief, um eine Quart verschieden, je nach Umständen mit Rücksicht auf Sänger,
Spieler und Kirohentonalität, je nach Umfang der disponiblen Singstimmen, zur
bequemen Tastenbehandlung ohne viel Semitonien (chromatische Obertöne in dieser
Bedeutung) und endlich um die sakrosankten Kirchentöne nicht den lästigen Ober-
und Unterhalbtönen auszusetzen.
Ein anderer Faktor vos großer praktischer Bedeutung war aber auch die Ver-
schiedenheit der Fußmaße in den einzelnen Lündem und Distrikten. Wenn man
sieh heute gewöhnt hat die Bezeichnung 8 Fuß C oder 2 Fuß C in bloßer allge-
müner Bedeutung zu betrachten, so war dies frOher anders; mit dieser Beilegung
war auch genau das Maß der Pfeife gegeben. Noch Dom B6dos hält sich in sei-
nem großen Werke über die Orgel (1766) an die stricte Bedeutung; sein 4 Fuß C ist
wirklich eine Pfeife von 4 französischen Fuß Länge.
Eine Zusammenstelluag der verschiedenen Maße giebt einen Anhalt für die
Verschiedenheit der Stimmungen:
Langer alter französischer Fuß (pied de roi) . . 325 mm
{Langer deutscher oder rheinischer Fuß . . . . 3141
Langer österreichischer Fuß 316)
I Englischer Fuß 305 |
l Alter Nürnberger Fuß 304 J
{Altrömischer Fuß (Mittelalter) 295 1
Alter Augsburger Fuß 296 [
Bayerischer Fuß 292 J
{Kurzer sächsischer Fuß 283 1
Kurzer Brunswicker und Frankfurter Fuß . . . 285 \
Kurzer Hamburger und dänischer Fuß .... 286 j
Sehr kurzer alter brabantischer Fuß von 1 1 Zoll 278 m
13 rheinische Zoll 340 »
13 sächsische Zoll 307 »
12 alte brabantische Zoll 303 »
Ein Unterschied von 12 Proeent in der Länge zweier Pfeifen macht eine Diffe-
renz von fast einem ganzen Mittelton in der Tonhöhe. So war der kurze säch*
sische Fuß um einen Mittelton höher als der lange österreichische oder rheinische
»
I)
»
1 Der Herausgeber des Schlick'schen Werkes (Monatshefte f. Musikgeschichte I,
1869, S. 78—114) vermuthet, daß »Grambus« die Transposition des Umus primus
um eine Quart bedeutet. Es läge vielleicht näher anzunehmen, daß grambus eine
Tonfigur in einer Lage sei, die höher ist als die gewöhnliche Finalklausel.
138 Kritiken und Referate.
Fuß. So korrespondiren ^ Proeente einem gleichschwebenden Halbton, 3 Froceat
einem gleichschwebenden Viertelton, 53/« einem Halb-Mittelton, 4Vs Piocent einem
kleinen, 4 Procent einem großen Mittd-Halbton. So ist der englische Fuß fast
um einen großen Halbton höher als der französische Fuß, der rheinische .um £ut
einen kleinen Halbton höher als der franieösische, und der englische um ungefähr
einen gleichsohwebenden Viertelton höher als der rheinische. Welche Varianten
waren in Deutschland allein I
Am verbreitetsten war nach Dom B6dos, der größten noch jetst unerreichten
Autorität auf dem Gebiete der Geschichte der Orgel, die tiefe Stimmung in Frank-
reich; ja die Kapellstimmung scheint fast konstant dem fransösischen Maße^ ent-
sprochen SU haben, das um 2Vs gleichschwebende Halbtöne tiefer ist als die gegen-
wärtige Pariser Xormalstimmung. Das englische Maß ist um einen Halbton höher
als die französische, und die einsige von EUis gefundene dementsprechende Orgd
ist die von Trinity College 1 759 A 395-2 (fast um ^4 eines gleichschwebenden Halb-
tones höher als Dom B^dos' A 376*6).' In Deutschland giebt es wenige so tiefe
Stimmungen (Schlick's A 377 und Salomon de Caus'^ A 396*4). Hier war die Hei-
mat der hohen Stimmungen : Halberstadt 505*8, Sohlick 504*2, gegenw&rtig noch
in der Kathedrale von Lübeck 484*1, St Katherine in Hamburg 480*8, St. Jacob
daselbst 494*5 (ffflher 489). In England ist die alte Ourham-Orgel von Bernhardt
Schmidt 1683 in ^474*1; Schmidt nahm eine einen englischen Fuß lange Pfeife
für A auch in seiner Orgel in St. James, königl. Kapelle u. s. w. ; vor dem Fh>-
tektorate scheint diese Stimmung auch in England Anh&nger gehabt zu haben, so
empfahl sie Tumkins 1668. Unglücklicherweise zerstörten die Puritaner alle Orgek
1644 — 46, so daß es keine konstante Orgeltradition in England giebt. In Frank-
reich fixirt Mersenne die französische 4 Fuß-Pfeife für & als <on <20 thaptUt (koire-
spond. A 503*7) übereinstimmend mit der Halberstädter. Neben dieser für die Kirehe
bestimmten Stimmung [ChorUm^ ton de ehapeüe) bestand eine andere Stimmungs-
kategorie für die weltliche Musik : die Kammerstimmung (Ccmmierton^ Um de dusmhrt,
Chamber piich). Diese umfaßt die in der fürstlichen und bürgerlichen »Kammeiv,
in der Dorfsdienke, überhaupt in der Gesellschaft ausgeführte Musik. Sie über-
schritt die kirchlichen Anforderungen und daher konnte ihr die Kirchenstimmung
nicht genügen, denn die letztere war entweder zu hoch oder zu tief. Eine strenge
Grenzlinie läßt sich allerdings nicht ziehen zwischen diesen beiden Gattungen ; sie
wird noch unbestimmter durch die iil den älteren Werken hervortretende Unsicher-
heit und Willkürlichkeit der Bezeichnung. Die Konfusion wird noch größer durch
die Terminologie von Praetorius, der generell die höhere Stimmung »Kammerton*
nennt, ohne Rücksicht darauf, ob sie in der Kirche oder Kammer verwendet wurde,
und eine neue Stimmung einführt, die er für die Kirche geeignet bezeichnet (•chor-
mäßig«}. Diese höhere Stimmung war zu seiner Zeit besonders in den Kirchen
Norddeutschlands gebräuchlich ; das hindert ihn aber nicht, denselben »Kammertoni
^ Die von A. Silbermann 1714 erbaute Orgel in Straßburg hat das gleiche
Maß. F. A. Gore-Onseley fand die meisten älteren nicht umgebauten Ox^eln Frank-
reichs in dieser Stimmung. Wollte man in Frankreich Orgeln höher stimmen, so
wurde die 1 Fuß -Pfeife anstatt c ein h (wie 1789 in Versailles, ^396} und so
identiflcirte sich die Stimmung mit der englischen Einfußpfeife auf C (wie 1759
im Trinity College in Cambridge).
2 Dies scheint auch annähernd die tiefste römische Stimmung (ungewiß ob
A 395 oder A 404) gewesen zu sein.
3 nLes RaUons des foreee mouvantescf Frankfurt a. M. 1615; UvrelH, fixirt
die /-Pfeife 3 Fuß und c- Pfeife 2 Fuß rheinisch.
On the history of musieal pitoh Ton A. J. EUis. 1 39
SQ nennen. Prüft man den Umfang der von ihm angegebenen Stimmgrenzen, ^ so
ergiebt sieh, daß die Stimmung nieht Über A 567 gewesen sein kann, also eine
Quast höher als die gewöhnliehe mittlere Stimmung, und sich su dersdben etwa
so Terhftlt, wie Sohliek's hohe zu Schliek's tiefer Stimmung. Man findet die von
Fraetorius als »hOdisteK bezeiehneten Noten in der Eirehenmusik seiner Zeit wirk-
lich verwendet und zwar in einer den verschiedenen Lftndem entsprechenden Weise^
so hat z. B. die seit 1640 unberührte Franziskaner-Orgel in Wien A 458.
Es ist nicht zu übersehen, daß beide Stimmungskategorien sowohl hoch als
nieder waren. Da ein- und dieselbe Kapelle sowohl in Kirche als Kammer ver-
wendet wurde' und die Kammerstimmung von der Kirchenstimmung ursprünglich
beeinflußt, ja bestimmt wurde, waren die Unterschiede immer bestimmte Toninter-
valle der Skala, so daß die Transposition oft sehr erschwert und Iftstig wurde.
Die mitteltonige Skala kann als die hauptsächlich damals in Gebrauch stehende
bezeichnet werden, da die zahlreichen anderen Einführungen nur leichte Varianten
waren. Diese Skala unterschied sich von der modernen gleichschwebenden Skala
dadurch, daß sie einen engeren Qanzton und zwei Arten Halbtöne enthielt, den
größeren von A zu e und e zu / und den kleineren von / zu fti, h zu A, d. i. für
chromatische Intervalle. In Schwingungen ausgedrückt war der große Halbton 7
Procent der Schwingungen des tieferen Tones, der kleine Halbton 472 Procent^
wahrend der gleichschwebende Halbton 6 Procent und der natürliche 6^/3 Procent
ist. Der Mittelton (mittlere Ganzton) ist 12 Procent, der gleichschwebende I2V4
Procent. All dies machte die mitteltonige Skala ungenügend für Transpositionen
oder für Verschiebungen der Pfeifen bei Neueinrichtung bestehender Orgeln. Aber
Beides wiederholt sich oft und konstant in früheren Zeiten. Die höhere Kammer-
stimmung war generell um einen großen Halbton bis zu einem Mittelton oder eine
mittlere kleine Terz oder selbst eine Quart tiefer als die ihr korrespondlrende höhere
Kirchenstimmung. Und diese Kammerstimmungen kamen allmählich in Kirchen
zur Verwendung anstatt der höchsten Kirchenstimmungen. Es erscheint fast zweifel-
los, daß die hohen Kirchenstimmungen, ausgenommen die allerhöchste, ähnliche
Herabstimmungen eben dieser letzteren waren. Für Frankreich giebt Mersenne 1636
eine Kammerstimmung A 563, die einen Ton höher ist als seine eigene hohe Kirchen-
Stimmung A 504 und mit der bereits erwähnten höchsten Stimmung von Praetorius
korrespondirt Diese herabgedrückten Kirchenstimmungen waren aber immerhin
noch zu hoch für die größere Anzahl Kammermusik und wurden daher immer
mehr und mehr erniedrigt Die merkwürdigsten Beisinele findet man in Hamburg,
wo die St. Jakobs-Orgel, 1688 erbaut, noch immer in ^489 gestimmt' wurde, und
einen Registerzug bekam (erst 1761 entfernt), der um nicht weniger als eine kleine
Terz tiefer war als die übrige Orgel, das ist also in der an diesem Ort zur dama-
^ Praetorius giebt im Syntagma II, 20 folgende Stimmgrenzen :
l«iebt xn erreichende &vßer8t«
Sopran . . . . ci bis 62 oder /s • • • • ^ bis g% oder a%
Alt f * 9\ " ai . . . . « M 61
Tenor H oder c bis «i .... -4 » /i
Baß C bis a oder h F\ G\ A^ Hx bis c\ oder £?],
wobei zu bemerken, daß die Soprane bezeichnet sind als »wnuchuSf faUeÜBta^ die-
cantisUs» und die Alte männliche Alte {alti naturali) waren, daher man den Maß-
stab nur an die tiefen Stimmen legen kann.
^ Nur in Dresden lassen sich für diesen Zweck zweierlei verschieden ge-
stimmte Instrumente nachweisen: ^424 Orchester der katholischen Kirche, A 437 8
Orchester des Hoftheaters, beide 1862,
140 Kritiken und Referate.
ligen Zeit gebräuchlichen Kammeratimmung gestimmt war. Und Mattheson ließ
die Michaeler Kirchenorgel in Hamburg (su deren Erbauung er 1762 eine namhafte
Summe beisteuerte) in A 408 stimmen — höchstwahrscheinlich die wirkliche Kammer-
Stimmung seiner Zeit. £s ist bemerkenswerth daß Taskin, Hofstimmer Ludwigs XYL
in Frankreich 1783, also beinahe zur selben Zeit einer fast gleichen Stimmung
A 409 sich bediente und daß eine analoge Stimmung A 407 yon Sauveur 1704 ge*
funden wurde. Diese wurde eine tiefe Kammerstimmung und vertrug sieh nicht
mit der von den tiefgestimmten Orgeln abgeleiteten Stimmung;
Das Itesultat dieses Konfliktes scheint die mittlere Stimmung gewesen in
sein. Dieselbe wurde früher von Praetorius als die fOr protestantische Kirchen-
musik passendste eingefahrt (sein 02 ^7 entspricht dem mitteltonigen o^ 424} und an
sie. hielt sich die Londoner philharmonische Gesellschaft von ihrer Gründung 1813
bis 1828. Sie yariirte mehr oder weniger innerhalb der Grenzen ^415 (G. Silber-
mann's Orgel der katholischen Kirche in Dresden 1722 su Folge der auf Geheiß
Friedrich Augusts des Gerechten an dieselbe geketteten Stimmgabeln, die bis 1824
daselbst blieben, ^ diese Orgel gab 187$ A 418) und A 428 der von Renatus Harris
1696 erbauten Listrumente. In der Mitte zwischen diesen Beiden steht die von
Händel benutzte Stimmgabel 422ys, eine Tonhöhe, die noch an verschiedenen Orten
aus derselben Zeit sich findet, so bei der von Delezenne um 1754 gemessenen
LiUer Orgel und noch um 1780 in Padua und Verona; eine erkleckliche Anzahl
englischer Orgeln stimmt damit überein.
Die Stinungabel von dem Klavierbauer Stein, dessen Instrumente Mozart mit
Vorliebe benutzte, war 42IV2; alle spanischen Orgeln, auch die von der Kathedrale
in Sevilla sind noch jetzt in einer analogen Stimmung, ungeffihr A 420, der Ton-
höhe der Freiberger Orgel von G. Silbermann. 1860 war dies auch die Stinmmng
der russischen Hofkapelle. Die Gabel der opera eomique in Paris war 1823 A 423
und 1823 ^428. Die Dresdner Oper hatte unter G. M. v. Weber A 423.1 Li
kurzer Zeit erhielt diese Stinmiung die Oberhand in ganz Europa; ungef&br 60
solcher Stimmungen sind nachweisbar. Die Luftresonanz der Cremoneser Geigen'
zeigt um 1700 zwei Maxima: das erste ungefähr c 270 und das andere nicht so
gut markirte ungefähr c 252 V2» also korrespondirend ^451 und A 422. Das zweite
ist die mittlere Stimmung ; das erstere, um einen großen Halbton höher, war die
korrespondirende Kammerstimmung.
Diese mittlere Stimmung ist historisch deshalb schon bemerkenswerth, weil
die Heroen der Tonkunst ihre Werke zur Zeit der allgemein verbreiteten Gel-
tung dieser Stimmungshöhe schufen; die jetzige Orchesterstimmung steht um einen
großen Halbton höher. Eine merkwürdige Beziehung bezüglich des Maßes führt su
einer benutzenswerthen Klassifikation der alten Orgeln, die in der mitteltonigen
Temperatur stehen. Die mittlere Stimmung entspricht Orgeln mit einer JT-Pfeife,
die einen englischen Fuß lang sind, und Ellis nennt sie direkt »J7- Fuß -Orgeln«
{A 419 bis A 428). Die alte hohe englische Stinmiung B. Schmidt's in Durham
i Auch die Stimmgabel von Weber's Vater {Franz Anton, 1740—1812) war
.4 4241; Marpurg's ^414-4 in Breslau 1776; eine Flöte von Floth 1760—70 in
^418; eine ^Clarinette von Grenser 1783 in 4422.
< Savart machte die Beobachtung, daß die Resonanzkraft der Geigenhöhlung,
die sich zeigt, wenn man eine Gabel vor ein ^Loch hält, indem so der lauteste
Ton erzeugt wird, der Stimmung der betreffenden Zeit entspreche. Seiner Autori-
tät zufolge war C256 die Resonanz der Violinen von Stradivarius und so glaubte
man, daß dieser Geigenbauer für seine Instrumente diese Tonhöhe fixirte — die
Normalstinmiung seiner Zeit.
On the history of musical pitoh von A. J. £llia. ] 4 1
hatte die Ein-Fuß-Pfeife för A, Ellis nennt sie ^-Fuß-Orgeln, die um einen Ton
hdher sind als die Torgenannten, A 468 bis A 475.
Eine vermittelnde Mittelstimmung, von Schmidt für Hampton Court ange-
wendet, in die seine hohe Stimmung hftufig geändert wurde durch Verschiebung
der Pfeifen, hatte die Ein-Fuß-Pfeife fCti B, A 438 bis A 444. Die tiefsten Or-
geln (unter ihnen eine im Trinity College in Cambridge) hatten sogar die Ein-Fuß-
Pfeife für C, und war eine C- Fuß-Orgel, A 395 bis ^404, gleichwerthig einer
fransösischen JET-Fuß- Orgel ^396. Die Varianten der hier angeführten Stim-
mungen entstehen nur durch die Verschiedenheit des Verhältnisses des Durch-
messers einer Pfeife zur L&nge, je nach Gutdünken der Orgelbauer. Natürlich
hat die Einführung der gleichschwebenden Temperatur diese Verhältnisse nur un-
bedeutend modificirt.
Dom B^dos sagt, daß in Frankreich die Kirchenstimmung fixirt sei, aber daß
die Opemstimmung (eine Abart oder Zuwachs der Kammerstimmung) bald steige,
bald falle, V« '^^^ o^®' mehr, je nach dem Umfang der Singstimme. Die Sänger
waren die einsigen, die einer Erscheinung entgegentraten, welche die gefährlichsten
Dimensionen aniunehmen drohte. Das Orchester und das Instrumental-Virtuosen-
thum traten immer selbständiger hervor; es liegt in Beider Interesse, die Stimmung
mögliehst eindringlich au machen, möglichst hell cu leuchten und glänzen. Das
Hinaufschrauben der Stimmung war die natürliche, um nicht zu sagen unnatürliche
Folge davon; das Orchester, die Spieler wurden die Tyrannen des Sängers, von
denen sich Einzelne, wenn sie nicht mehr nachkommen konnten, ausbedangen, daß
die Stimmung nicht höher als nach ihrer Angabe sein durfte.^
Und doch trugen auch die Solosänger, die Virtuosen das Ihrige dazu bei, die
Stimmung hinauf zu treiben, bis sie eben selbst, in ihre eigenen Netze gefangen,
nicht weiter, vielmehr nicht höher konnten. Die Forderungen der Opemkompo-
nisten, die in ihrer Dienstbeflissenheit gegenüber dem genießenden Publikum mit
den Sängern sich wechselseitig überboten, übertrumpften noch ihre gunstbuhlenden
Konkurrenten.
Ellis irrt wohl, wenn er äußerliehen Umständen das entscheidende Gewicht in
dem Hinaufschrauben der Stimmung zuschreibt. Weder das Geschenk, welches
der russische Kaiser Alexander bei seiner Anwesenheit in Wien gelegentlich des
Kongresses 1816 seinem Leibregiment machte: von Stephan Koch in höherer als
der mittleren Stimmung verfertigte Instrumente ; ' noch das gleiche Geschenk eines
österreichischen Erzherzogs an sein Leibregiment Hoch- und Deutschmeister 1 820 ;
noch der Umstand, daß 1821 eine scharfgestimmte Koch'sche Flöte nach [Dresden
kam, noch die willkürliche, »zufällige«, »unvorsätzlichcü^ That des Hornisten Jean
Mengal, der ohne irgend Jemanden zu fragen, sein Hom verkürzte und seine Kol-
legen so zu einer höheren Stimmung verleitete; noch endlich das Beharren einzel-
ner Bläser höher spielen zu wollen — überall und allenthalben zeigt sich das Be-
dürfriiß der Spieler die Stimmung hinaufzutreiben über das klassische Mittelmaß.
1 So wurde 1824 die Stimmung der Großen Oper in Paris für Madame Branchu
von A 427*0 auf A 425 «8 gesetzt, ein für die Stimme kaum merklicher Unterschied ;
Madame Patti will das C3 in der »Dinorah« jetzt absolut nicht mehr in der Schwin-
gungszahl 1070 singen und verlangt 1035*6 — das ist schon ein größerer Unterschied
entsprechend A 446 zu A 433.
2 Darüber berichteten Schindler; Naeke und Kittl, der Direktor des Prager
Konservatoriums, der diesen Umstand als besonders wichtig in seinem Berichte an
die französische Stimmungskommission schilderte.
> wie de La Fage in »fUniU tontque« 1859, S. 7 sagt.
j42 Kritiken und Beferate.
Nicht der blinde Zufall, nicht aiellose wankdmathige Laune, sondern stetige«
wenn auch nicht sicheres Vorw&rts« Tielmehr Hinaufdringen ist in ganx Europa
bemerkbar vom 2. Jahrsehnt unseres Jahrhunderts an, bis sich Bestrebungen Bahn
brachen, diese umherschweifenden Gelüste in ein ruhigerea Mittelmaß lu bringen.
Am auffallendsten tritt die Lust sur Erhöhung, wie schon aus den awei an-
geführten Umstftnden ersichtlich, in Österreich hervor. Schon für 1823 verseichnet
der Dresdner Gesanglehrer Naeke die Wiener Aufführung der »Euryanthe« in A 437- 5,
1834 Kreutzer's Nachtlager in jl 440 und notirte 1861 ein A 466 als eiSTektive Stim-
mung der Wiener Oper während einer Aufführung. Vor 1859 hatte Streieher seine
Normalgabel noch in A 456 • 1. Die Übergangsstimmungen von A 433 -9 bis ^ 445 • 1
sind von Scheibler vor 1834 verseichnet.
Das Pariser Konservatorium brauchte schon 1812 ^439>d (beinahe ^JiTon
höher als die mittlere Stimmung} ; es finden sich sonst keine Anseichen von solcher
Tonhöhe außer die von De-Prony 181^ gemessenen A 438*2 und A 444*5, welche
vielleicht beide nur Laboratoriums-Experimente sind. Immerhin bleibt der Umstand
der Konservatoriumsstimmung auffallend und wird desto gewichtiger, weil er von
der ersten Anstalt des Beiches ausgegangen war. ^440 ist die Stimmung, die
später von Scheibler vorgeschlagen wurde und von einem Physiker-Kongreß in
Straßburg 1834 angenommen wurde, eigentlich eine Wiedererweckung der alten
englischen ^- Fuß -Orgelstimmung. In Frankreich wuchs die Stimmung in ver^
schiedener, mannigfaltig bunter Weise: die Große Oper hatte 1811 AAtl, 1829
A 434 bis 440, blieb so bis 1854 und stieg bis A 448 und 449'im Jahre 1853, in
welchem Jahre die fransösische Regierung sich veranlaßt sah, eine Kommission but
»Erforschung der Mittel behufs Einführung einer einheitlichen Stimmung« zu berufen.^
deren Resultat dieFixirung eines Normaldiapasons ^435^ war. Diese Stimmung
war V4 ToA über der mittleren klassischen Stimmung und ungefähr ebensoviel tiefer
als die damals übliche hohe Orchesterstimmung. So wurde ein trefflicher Mittel«
weg gefunden.
Von der Fixirung war aber noch ein weiter Weg sur wirklichen Annahme,
2um effektiven Durchsetzen dieser Stimmung.
Das Leipziger Gewandhaus hatte 1859 ^448*8, 1869 desgleichen. Dreaden
hatte 1826 ^435 und 1861 (nach Xaeke) ^446; 1862 sprach sidb daselbst eine
Konferenz deutscher Musiker (gegen die Stimme Xaeke's} für die französische Stim-
mung aus. Berlin hielt sich lange Zeit gemäßigt; 1806 — 74 berichtet Wiepreeht
von A 430 • 5 (Ellis vermuthet , daß W. sich geirrt habe , indem er ein gleich-
schwebendes A von C512 anstatt eines j9f^ 428 berechnet habe). Fischer £and
1822 ^ 437* 3 ; 1830 erreichte Berlin A 440 und 1834 nach Scheibler 441 -6, hier-
auf stieg es rasch 1858 ^450*8 und 1859 A 451-8.
Belgien hatte 1859 ein ^455*5, welches nur für Militfirbanden bestimnit
gewesen zu sein scheint ; ^ dagegen die Theaterstimmung A 442 • 5.
In Italien war man der von Osterreich eingeschlagenen Richtung rasch nach-
gefolgt; 1845 hatte Florenz ^ 436 • 7, Turin ^439-9, Mailand ^ 446-6, 185«/-,
^450*3 und ^451*7. 1869 hatte Florenz, Venedig und Neapel ^456 1, Bo-
logna nur .^443*1. Ein Kongreß italienischer Musiker. in Mailand 1880 fizirte
^ In Lille war die Stimmung auf A 452 gestiegen.
^ Ellis und König weisen nach, daß die von Despretz und Lissajous im Auf-
trage der Kommission producirte Gabel A 435 - 4 war.
3 Die Militärmusikstimmung Belgiens war nominell A Abi, bis 1885 für Bel-
gien die Reception de^ französischen Normaldiapasons promulgirt wurde.
On the history of musical pitch von A. J. EUis. 1 43
jl 432, 1 welches von der italienischen Regierung allen königlichen Theatern, Ka-
pellen, Konservatorien sowie sämmtliohen Militärkapellen der italienischen Armee
empfohlen, — man darf wohl nicht sagen »befohlen« wurde.
In England bestimmte offenbar das allgemeine Hinaufschrauben der Stimmung
auch George Smart um 1828 die philharmonische Stimmung zu ändern ; er setzte
«eine Stimmung nach einer Beratiiung mit Sängern auf A 433, sich noch immer
an eine Mittelton-Temperatur haltend. Praktisch stimmt seine Oabel mit dem fran-
s^ischen Normaldiapason überein und das mitteltonige e Smartes stimmt wirklich
mit dem gleichschwebenden c der Franzosen überein. Seine Stimmgabel ging unter
der Firma "»FhiXkanMmic^ in die "Welt und blieb in Ansehen bis 1846 und noch
länger. Unter M. Costa hob sich die Stimmung rasch in die Mittelstimmung, von
1S46 bis 1854 war A 452 V2. I^ie Society of Arts berief 1859, dem Beispiel Frank-
reichs folgend, ein Komitee von Künstlern und Gelehrten, welches sich für C528
entschied, mit dem es irrthümlich anstatt eines gleichschwebenden A 444 ein A 440
also ein natürliches A in Korrespondenz brachte. GMesbach wurde beauftragt, die
Normalgabel zu machen, aber sein C528 wurde ein C534-5 korrespondirend einem
A 449 • 4, welches mittelst eines kurzen Monochordes unkorrekt gestimmt wurde
als A 445-7. So wurde die Stimmung der Society of Arts im öffentlichen Verkehr
eine der sehr hohen Stimmungen, während sie gerade bestrebt war, die Stimmung
herabsusetien. 1874 erreichte die philharmonische Stimmung ihr Maximum in einem
^454*7» und Steinway's Flügel, die in England in Übereinstimmung mit den
Fabrikaten von Broadwood, Erard, Brinsmead u. s. w. dieser Stimmung entspre-
chen, mnd in Amerika bis A 457 gestiegen. Einzelne englische Institute, so die
Covent Garden Oper, entschieden sich für die französische Stimmung, die 1879 auch
officiell in Madrid angenommen wurde.
Aber gerade in Osterreich, von wo die Bewegung zur Erhöhung der Stimmung
ihren Ausgangspunkt genommen hatte, war sie nicht so rasch zum Stillstand zu
bringen. Noch vor 1859 war sie auf A 456 gestiegen, also beinahe die alte hohe
Kirdiensümmung der großen Franziskaner-Orgel in Wien; kaum war sie einzu-
dämmen, wiederholte Versuche brachten sie zwar etwas aber nicht genügend zurück,
so 1878 auf ^ 447.^ So sahen sich die ersten Wiener Kunstinstitute 1886 veran-
1 Die Brochüre » Bulla acelia dt un diapason normale per le musicke e le /an-
fare del Reffio Esereito, 1884 v giebt für die italienische Militärmusik und nur für
diese einen Normalton und zwar ein eingestrichenes b {b[) mit 456 Vibrationen an
(dort 912 einfache Schwingungen). Bereits 1876 hatte Meerens in einer dem Genfer
Institut vorgelegten Abhandlung (separat erschienen n Memoire sur le Diapaeoti^
1877y Brüssel) sich stützend auf eine Untersuchung von E. Ritter (Bd. III der Ver-
handlungen des Genfer Instituts] A 432 vorgeschlagen. Meerens sieht A 432 als
pythagoreisches A entsprechend C512 an, wonach eine Viola gestimmt wurde:
•0 12Sy g 192, d\ 288, a\ 432 und hält dieses A als einzig richtigen Verhältnißton
zum tonischen e, 512, so wie das natürliche A 426^/3 zur Tonalität von F 341V3
gehöre. Dies hängt eben mit seiner Anschauung der Skala zusammen, da er die
C- Skala nicht zusammensetzen will aus 4 Tönen, die vollkommene Quinten f c g d
und den dazu gehörigen großen Terzen a eh, sondern aus den 4 Tönen c gd a als
vollkommene Quinten und den zu den beiden ersteren Tönen gehörigen großen
Terzen eh, aber mit der kleinen Terz / zu d. Es sind dann / und a um ein
Komma höher als in der früheren Berechnung. Hier würde der Unterdominant-
akkord f ae einen kaum erträglichen argen »Wolf« zur Folge haben^
< Eine kaiserliche Entschließung vom Jahre 1862 ordnete in Österreich die
Einführung der Pariser Stimmung an in den Hoftheatem, ein Jahr später in der
}44 Kritiken und Referate.
laßt, bei der Regierung einen Antrag sur Berufung einer Konferenz su steUen,
die diesmal zum ersten Male eine internationale wurde. An derselben betfaeiUgten
sich Deutschland ^ (Preußen, Sachsen, Württemberg), Italien, Rußland, Schweden;*
sie hatte am 16., 17., 18. und 19. November 1885 ihre Sitzungen und ihre Be-
schlüsse ^ wurden mit SthnmeneinheUigkeit gefaßt.
Dieselben lauten:
I. Es soll ein einziger internationaler Normalstimmton bestehen. Dieser Stimm-
ton soll dasjenige A sein, dessen Höhe durch 870 einfache Schwingungen in dec
Sekunde bestimmt ist
Zur Darstellung dieses Tones wird nach wissenschaftlichen Regeln die Kor-
mal-Stimmgabel in der Weise konstruiert, daß dieselbe bei einer Temperatur von
15 Orad Celsius den Normalton giebt.
Zur Durchfilhrung dieses im Interesse der praktischen Musikpflege unbedingt
nothwendigen Beschlusses empfiehlt die Konferenz nachfolgende Maßregeln:
IL Die Annahme und Einführung der Normalstimmung soll eine allgemeine
und obligatorische sein. Insbesondere soll sie sich auf alle öffentlichen und PriTat-
Hofburgkapelle. Tonmessungen, welche 1882 in der Wiener Hofoper, 1883 in der
Hofburgkapelle vorgenommen wurden, zeigten eine Steigerung der Sehwingung»-
zahlen von 435 Vibrationen auf 441*5, bezüglich 441. Die 1885 in der Wiener
Hofoper vorgenommepe Messung ergab eine Steigerung des anbefohlenen Diapasons
Yon 435 auf 449 bis 450 Doppelschwingungen.
1 Daselbst wurde 1884 von der »Zeitschrift für Instrumentenbau« (Leipiigr
Paul de Witt, IV, Nr. 29) ein »Aufruf zur Einführung einer allgemeinen Normal-
stimmung in Deutschland« erlassen, der mit zahlreichen Unterschriften in Qesuchi-
form dem Reichskanzler Fürsten Bismarck überreicht wurde.
2 Auffallend ist, daß weder England noch Frankreich vertreten waren. Einer
gütigen Mittheilung von AI. J. Ellis entnehme ieh, daß in England eben kein
Ministerium besteht, in dessen Ressort diese Angelegenheit gehörte. Im Frühjahr
1886 ernannte die Society of Arte ein Komitee, um über die vorher von derselben
vorgeschlagene Stimmung (s. oben S. 143) neueriich zu berathen, und nunmehr ver-
einigte sich auch dieses Komitee zu Gunsten der französischen Normalstimmung
und, versendete gegen 1900 Fragebogen an die bedeutenderen musikalischen Auto-
ritäten des Landes. Von den 710 Beantwortungen, die zurückkamen, waren 63Q
für die französische, 17 für die ältere hohe Stimmung und die übrigen 63 schlugen
verschiedene mittlere Stimmungen vor. Da nicht das genügende Interesse ueh
dokumentirt hatte, stand das Komitee von jeder weiteren Aktion ab, richtete aber
noch einen Brief an den ersten Kommandeur behufs Einführung der französischen
Stinmiung in der Armee, worauf dieser durch den Qeneraladjutanten die Antwort
gab, daß er nichts dagegen habe, wenn die Auslagen, die auf 10000 Pfund veran-
schlagt sind, vom Staate und nicht von dem Kriegskollegium bestritten würden.
Sämmtliche Auslagen für die Militärbanda werden nämlich in England von den
Offizieren des betreffenden Regiments bestritten, die Regierung sorgt nur für Be-
schaffung von Trommeln und Pfeifen zum Marschiren und für Homer zu Signal-
zwecken. So dürfte die Sache in England, weil auf anderen Verhältnissen ruhend,
Schwierigkeiten haben. Auch die Musikakademien und das College of music werden
nicht von der Regierung, sondern von Privatfonden unterstützt und die Opemtheater
genießen keine öffentliche Subvention.
3 Beschlüsse und Protokolle der internationalen Stimmton-Konferenz in Wien
1885. Veröffentlicht vom k. k. Ministerium für Kultus und Unterricht. Wien, im
k. k. Schulbücher-Verlage. 1885.
i
On the history of musical pitch von A. J. Ellio. 145
Lehranstalten, in welchen Musik gepflegt wird, und in gleicher Weise auch auf
Musikvereine, Theater u. s. w. erstrecken.
Bei den Militärkapellen soll die Normalstimmung sobald als möglich, spä-
testens aber gelegentlich der nächsteh Erneuerung ihrer Holz-Blasinstrumente ein-
gef&hit werden.
Auf die Patrone und Vorstände der Kirchen ist in geeigneter Weise einzu-
wirken, damit sie die Stimmung der bezüglichen Orgeln nach dem Normalton ehe-
stens, jedenfalls aber gelegentlich des Neubaues oder einer umfassenden Beparatur
derselben veranlassen.
III. Rüeksichtlich des Zeitraumes, innerhalb dessen die Einführung des Nor-
mal'Stimmtones vollzogen sein soll, ist von den einzelnen Staaten eine möglichst
kurze Frist festzustellen.
IV. Um den Normal-Stimmton vor Abänderungen zu bewahren, sollen folgende
Maßnahmen getroffen werden:
a) Alle zur Annahme des Normal- Stimmtones verpflichteten Anstalten und Körper-
schaften sollen für die unveräpderte Aufrechthaltung dieser Stimmung in
ihrem Wirkungskreise verantwortlich und gehalten sein, eine verificiertc Stimm-
gabel zu besitzen. Andere tönende Körper, wie Stimmzungen, Stimmpfeifen
u. dergL werden zur authentischen Wiedergabe des Normal-Stimmtones als
nicht geeignet erklärt.
b) Die Regierungen sollen durch berufene Organe den unveränderten Bestand
des Normal-Stimmtons in allen diesen Anstalten einer ständigen Kontrole
unterziehen lassen.
c) Es werde vom Staate eine Behörde mit der Aufgabe betraut, die Normal-
Stimmgabel zu verwahren, nach derselben alle ihr zur Verifikation zukommen-
den Qabeln zu prüfen, eventuell richtig zu stellen und durch Stempelung zu
beglaubigen.
d) Zur Prüfung und Beglaubigung sollen nur solche Stimmgabeln geeignet und
zulässig erklärt werden, welche den nachstehenden Bedingungen entsprechen:
9. Die Gabel muß aus nicht gehärtetem Gußstahl erzeugt sein.
ß. Die Zinken müssen parallel stehen und mindestens einen halben Centimeter
breit sein.
Y. Der zur Anbringung der Steropelungsmarke bcstinmite Raum zwischen dem
Ausschnitte der Zinken und dem Stiele muß mindestens einen Centimeter
betragen.
h. Die zu verificierende Gabel muß rostfrei und weißglänzend poliert oder
blau angelassen sein.
e) Das Verifikations-Amt hat die Richtigkeit der Stimmgabel sowohl mit der
einheitlichen (internationalen) Verifikations-Marke, bestehend aus der von einer
Ellipse umschlossenen Schwingungszahl 870, als auch mit einem den betreffen«
den Staat bezeichnenden Stempel zu beglaubigen.
Einige Additionalbeschlüsse ergänzen dies Regulativ:
Behufs Erhaltung der Normalstimmung sind sämmtliche Theater- und Konzert-
Institute zu nachstehenden Maßregeln anzuhalten:
1. Die von den obengenannten Instituten zu verwendenden Blasinstrumente sollen
bei 24 Grad Celsius auf die Normalstimmung abgestimmt sein. Der Instru-
mentenmacher soll für die in dieser Art abgestimmten Instrumente durch eine
seiner Fabrikmarke beigedruckte Stimmungsmarke die Haftbarkeit über-
nehmen.
2. Das geeignetste Instrument, um in den Orchestern richtig einstimmen zu
lassen und dadurch die Normalstimmung zu konservieren, ist die elektro-
1888. 10
J46 Kritiken und Referate.
magnetisch bewegte StimmgabeL In Ermangelung einer solchen darf naeh
der Oboe erst dann eingestimmt werden, wenn dieselbe gänslich durehw&mit
ist. Dem Konzertmeister ist die Verantwortung für die völlig reine Ein-
stimmung des Orchesters aufzuerlegen.
3. Die Orgeln sollen für jede mittlere Temperatur, welche den besonderen Ver-
hältnissen ihrer Verwendung entspricht, auf die Normalstimmung gebracht sein.
4. Die Creirung von Milit&rmusik-Zentralstellen ist im Interesse der richtigen
Durchführung der von der Konferenz beschlossenen Hauptpunkte unbedingt
geboten, und soll dieselbe daher ehestens vorgenommen werden.
Mit diesen Beschlüssen erscheint die praktische Seite der wichtigen Ange-
legenheit gelöst. Die theoretisch-historische Seite vorbereitet zu haben, ist mit ein
Verdienst des englischen Forschers.
EUis' Arbeit ist ein denkwürdiges Muster wissenschaftlichen Fleißes und
Ausdauer. Wenn auch, wie EUis selbst sagt, die Geschichte der musikalischen
Stimmung mit seiner Abhandlung nicht erschöpft, sondern nur der Orundbau xu
einer solchen gelegt ist, so wird man aber auf Grund derselben leicht und sicher
weiterbauen können. Sie ist eine jener Publikationen der Musikwissenschaft, die ihr
Material selbstfindig zusammentrug, und könnte schon als solche den jet^t bei uns
sich leider immer mehr und mehr in den Vordergrund drängenden Vielschreibern
als Markstein konziser und prägnanter Gedankenarbeit dienen.
Prag. Quido Adler.
Gustav Engel, Prof., über den Begriff der Klangfarbe. Philoso-
phische Vorträge, herausgegeben von der philosophischen Gesellscliaft
zu Berlin. Neue Folge. 12. Heft. Halle a. S., Pfeffer (R. Stricker).
1887. 32 S. gr. 8.
Zu Helmholtz' glänzendsten Thaten gehört die Verbindung des Phänonoena
der Obertöne mit dem der Klangfarbe, deren jedes für sich bereits vorher bekannt
war. Die Brücke bildete die Abhängigkeit der Klangfarbe von der Wellenfonn,
die Abhängigkeit der Wellenform Yon den Obertönen und die wirkliche Existenz
der letzteren in unsrer Empfindung. Während Helmholtz' Erklärung der Harmo*
nie und des ganzen Musiksystems aus den Obertönen vielfachen Bedenken begegnete,
ist der Einfluß der Obertöne auf die Klangfarbe, wenn wir von der speciellen An-
wendung auf die Vokaltheorie absehen, von Sachverständigen kaum jemals be-
stritten worden. 1
1 Eine bemerkenswerthe Modifikation scheint nur aus Rudolph Königes Ver-
suchen (Wiedemann's Annalen d. Physik, Bd. XIV. 1881. S. 374—393) zu folgen.
Die Wellenform ist abhängig von der Zahl und Stärke, außerdem aber auch von
dem Fhasenunterschied der Theilwellen (den Verschiedenheiten in Hinsicht des zeit-
lichen Beginnes der Schwingungen). Aber die letzteren Unterschiede können sich
nach Helmholtz' Prinzipien in der Empfindung nicht geltend machen, und Helm-
holtz stellt auch auf Grund besonderer Versuche solchen Einfluß in Abrede. Da-
gegen wird derselbe von R. König, einem nicht minder ausgezeichneten Beobachter,
nach Untersuchungen an der von ihm konstruirten Wellensirene behauptet. Doch
seien hiedurch nur geringere Unterschiede der Klangfarbe bedingt, ähnlich etwa
denjenigen, die auf einem und demselben Instrumente oder bei demselben Vokal,
wenn ihn verschiedene Menschen sprechen, sich finden. Immerhin fragt sich 's.
über den Begriff der Klangfarbe von G. Engel. ^j 47
Kur über das Wie dieses Einflugses konnte einer, der sich die Sache psy-
chologisch überlegte, immer noch manchen Zweifel hegen. So begreift es sich
troti der Ausführungen, die bereits Helmholts diesem Punkt gewidmet, schwer, warum
Terh<nißm&ßig starke Obertöne so wenig selbständig im Klange hervortreten —
denn wäre nur die Gewöhnung schuld, so müßte das Kind und der Unmusikalische
die Obertöne besser hören. Und femer : wodurch halten wir Geige und Flöte aus-
einander, wenn sie verschiedene Töne gani gleichseitig susammen ansetsen und
aushalten? Wir hören dann swei Grundtöne und dasu eine Summe von Ober-
tönen, die von beiden susammen geliefert werden. Hören wir die Obertöne geson-
dert: woran erkennen wir, welche sum ersten, welche sum zweiten Grundton ge-
hören? Trennen wir sie nicht von den Grundtönen : wie kommt es, daß sich doch
ein Theil mit dem einen, ein anderer Theil mit dem anderen Grundton su einer
besonderen Wirkung in der Empfindung verbindet? Warum entsteht nicht eine
gemeinschaftliche Klangfarbe, der Eindruck eines neuen Instrumentes, das nur ge-
rade eine Doppelnote von sich giebt? Endlich aber: die Klangfarbe erscheint uns
als ein wesentliches Moment der Töne und wird als solches von allen Theoretikern,
auch von Heimholte, neben der Höhe und Stärke angeführt. Aber eine Höhe und
eine Stärke kommt schon jedem einfachen Tone zu, und unmöglich könnte ein
Klang, d. h. eine Vereinigung mehrerer einfacher Töne, eine Stärke haben, wenn
nicht jeder einfache Ton selbst schon eine solche besäße. Von der Klangfarbe
aber wird gesprochen, als wenn sie einem Ton erst durch die Vereinigung mit an-
deren, deren jeder für sich allein auch keine hat, zuwüchse. Die Alchymisten
wollten Gold aus anderen Stoffen machen, hier aber soll ein Etwas gar entstehen
durch Vereinigung von Nullen. Die Schwierigkeit wird noch durch folgende ver-
stärkt: die Klangfarbe scheint etwas Qualitatives, wir beschreiben ihre Unterschiede
durch Ausdrücke wie »sanft, dumpf, melancholisch, hell, grell, näselnd« [u« s. f.
Es scheint sich also um ein Reich von Qualitäten zu handeln, deren jede zwar
gewisse Abstufungen hat, die aber unter sich keineswegs eine bloß quantitative
Reihe bilden. Dennoch sollen diese Unterschiede sämmüich, auch die qualitativen,
durch die bloße Zahl und Stärke der Obertöne, also durch rein quantitative, gra-
duell abgestufte Ursachen bedingt sein. Auch dies macht den Eindruck einer Art
von Hexerei.
Engel wendet seine Aufmerksamkeit der vorletzten unter diesen Fragen zu.
In strenger Konsequenz der Helmholtz'sohen Definition, sagt er, kann Klangfarbe
nur einem Tonkomplex zugeschrieben werden. Schreiben wir sie einem Theil des-
selben, etwa dem Grundton, allein zu, so unterliegen wir einer Sinnestäuschung.
Einfache Töne können sich nach Helmholtz in Hinsicht ihrer Farbe nicht unter-
scheiden. Streichen wir nun aber Stimmgabeln auf Resonanzkästen (deren Ober-
töne, wenn überhaupt welche vorhanden sein sollten, jedenfalls so gering an Zahl
und so schwach sind, daß sie nicht in Betracht kommen), z. B. /S />, /3, f^ : so
wird man doch sagen müssen, daß jeder um eine Oktave höhere Ton heller als
der tiefere klingt. Und Helmholts selbst äußert sich gelegentlich in entsprechen-
der Weise. Im Gegensatz zu seinem Prinzip: »Einfache Töne können nur Unter-
schiede der Stärke, aber nicht der musikalischen Klangfarbe darbieten« sagt er an
wie ein solcher direkter Einfluß der Wellenform auf den Toncharakter theore-
tisch lu begreifen wäre, wenn nicht doch auf irgend einem Wege auch bei diesen
Versuchen Obertöne vermitteln sollten. Man müßte dann Helmholtz* Grundannahme,
daß das Ohr nur pendeiförmige Schwingungen perzipire, einschränken; wie dies
allerdings auch bereits in Rücksicht auf Beobachtungen über Kombinationstöne
mehrfach postulirt worden ist.
10 •
j[48 Kritiken und Keferate.
anderem Orte: »Die Klangfarbe tiefer, einfacher Töne ist ziendich dumpf. Die
einfachen Töne der Sopranlage klingen hell«. Engel weist auch darauf hin, daß
unsere Klayiere, 'wiederum nach Helmholti' eigener Angabe, in venchiedenen
Lagen verschiedene Zusammensetiung von Obertönen besitzen, daß für die höheren
Tonlagen die den einfachen Tönen nahestehenden, ftLr die tieferen die an Ober-
tönen reicheren Wellenformen benutzt werden; was sich nur daraus erklfiren l&ßt,
daß den Tönen je nach ihrer absoluten Höhe ein verschiedener Charakter inne-
wohnt Er argumentirt endlich indirekt: »Will ich ein bitteres Getränk versüßen,
so muß ich einen Stoff hinzumischen, der an sich selber süß ist; will ich einen
dunklen Raum erhellen, so muß ich etwas Leuchtendes hinzubringen; soll ein
dumpfer, matter Ton erhellt werden, so muß sich ein anderer Ton mit ihm ver-
binden, der an sich selbst hell ist.«
Engel zieht nun das VerhÜtniß dieser Ton-Farbe zur Ton -Höhe in Er^
wfigung; und nachdem er die Ausdrücke »extensiv und intensiv« als die seinem
(physikalisch gebildeten) Bewußtsein entsprechendsten für die Unterschiede der
Höhe vorgeschlagen und die Unterscheidungsf&higkeit fQr Höhe und Tiefe in engste
Beziehung zum Intervallensinn gesetzt, diskutirt er den Einfluß der Klangfarbe
auf die Schätzung der Tonhöhe mit Hinblick auf Bd. I, S. 235 f. meiner »Ton-
psychologie«. Die dort nach Direktor Bennewitz berichteten krassen Täuschungen
findet auch er kaum begreiflich (ich möchte sie jetzt wesentlich auf mangelhafte
Übung in der Terminologie zurückführen); weist aber auf einen neuen eklatanten
Fall selbst bei musikalisch Gebildeten hin: Pfeiftöne schätzt man fast unvermeid-
lich um eine (ich kann hinzufügen: sogar um zwei) Oktaven zu tief. Die wahre
Höhe konstatirte Engel durch eine mitschwingende Stimmgabel (/', wenn ein mög-
lichst tiefes / gepfiffen wird). Pfeiftöne sind eben sehr einfach gegenüber den
sonstigen musikalischen, etwa gesungenen, Tönen; und der ganze Tonkomplex
beim gesungenen /*, nämlich />, /*, c^, /3, «3 u, s. w. »ist in der That höher als
das einfache /*«.
Engel wirft die Frage auf, ob wir ein Recht haben, überhaupt noch Tonhöhe
und Tonfarbe zu unterscheiden, wenn doch die einfachen Töne ganz in demselben
Maße heller wie höher werden, und die zusammengesetzten ihre Farbe wie ihre
Höhe von den einfachen erhalten. Er findet als den einzigen Grund für jene
Unterscheidung den, daß es eine Tongrenze nach oben und unten giebt, wofür er
wieder in der Langsamkeit der Schwingungen einerseits, in ihrer Kleinheit andrer-
seits (wie schon in seiner »Ästhetik der Tonkunst«) die Gründe sucht Zu dem-
selben Punkt führt ihn die Frage nach der »besten« (wohlklingendsten) Klangfarbe
zurück : Farbe und Höhe wären identisch, »wenn nicht der Umstand, daß die Ton-
skala von entgegengesetzten Seiten her zur Mitte hin aus dem Nichts sich durch
die Unvollkommenheit hindurch zur Vollkommenheit entwickelt, Unterschiede des
Wohlklanges hervorbrächte «.
Sei es mir nun gestattet, kurz zu sagen, was mir an diesen Ausführungen
des verdienten Forschers als feste Errungenschaft, was als weiterer Überlegung
bedürftig erscheint. Die Zurückführung der Klangfarben auf die Farben einfacher
Töne, auf den Unterschied des »Hellen« und »Dumpfen« zwischen hohen und tiefen
Tönen (wofür ich bereits früher den Ausdruck »Tonfarbe« gebraucht habe, Revue
philosophique 1885, p. 618; Zeitschrift f. Philosophie, Bd. 89, S. 46) bildet auch
nach meiner Überzeugung die nothwendige Konsequenz der Helmholtz'schen Prä-
missen und die Wurzel weiterer psychologischer Erklärungen. EngeVs Beweis-
führung ist klar und bündig. Die oben erwähnten Absonderlichkeiten in der ge-
wöhnlichen Auffassung der Helmholtz'schen Klanglehre verschwinden damit, und
es ist kaum zu zweifeln, daß Helmholtz selbst dieser Fortbildung ohne Weiteres
zustimmen wird, da er ja, wie wir hörten, in mancher Äußerung selbst dahin zielt.
über den Begriff der Klangfarbe von 0. Engel. j 49
Schwieriger und weniger klar liegen die Dinge in Besug auf das Wesen
dieser »Tonfarbe« und ihr Verh<niß sur Tonhöhe. Da beide vollständig parallel
gehen, l&ge es in der That nahe genug, sie einfach su identifiziren. Den Grund,
welchen Engel dagegen anführt, vermag ich nicht zu verstehen. Wenn in der
Mitte der Tonreihe die Farbe am angenehmsten ist, so wird eben einer, der sie
mit Höhe identiflsirt, auch sagen, daß die mittlere Tonhöhe am angenehmsten ist.
Wenn uns dieser Umstand weiter veranlaßt, den tiefen Tönen mehr Obertöne bei-
zufüg^ als den mittleren und hohen, so läßt sich auch dies ebensowohl in der
einen wie anderen Sprache ausdrücken.
Dagegen scheint mir ein anderer Orund von Gewicht, die Tonfarbe als ein
besonderes, nur mit der Höhe parallel laufendes, Moment anzusehen. Die ver-
schiedenen Tonfarben der Obertöne und des Grundtons mischen sich zu einer ein-
heitlichen mittleren Farbe, der Farbe des Klanges. Tonhöhen aber mischen sich
nicht. Wenn sie auch im Fall eines Klanges schwer und gewöhnlich gar nicht
in der Auffassung auseinander gehalten werden, so giebt doch e mit dem Oberton
c* zusammen nicht etwa einen zwischenliegenden Ton / oder g oder ßs. Es kann
in Folge beigefügter Obertöne mit c ^ oder selbst mit c', nicht aber mit ßs ver-
wechselt werden. (In dieser Hinsicht dürfte sich Engel an einer obenangeführten
Stelle nicht ganz vorsichtig ausgedrückt haben. /^ mit Obertönen ist nicht »in
der That höher als das einfache /2«. Es kann wohl anfänglich höher scheinen,
aber das Urtheil wird sich bei genauer Vergleichung der Empfindungen rektifiziren.
Man braucht ja auch nur zu fragen : um wie viel wäre es denn höher? um eine
Quinte, Terz? Darauf kann Niemand antworten.)
Diese Betrachtung leitet auch sogleich weiter zu einer psychologischen Defi-
nition von Tonfarbe und damit auch von Klangfarbe. Während nämlich bei allen
Sinnesempfindungen und Vorstellungen wirkliche Mischung zu einem Mittleren
nicht stattfindet, mischen sich in gewisser Weise unsere Gefühle, sowohl die
komplizirteren und höheren (wo von »gemischten Gefühlen« schon lange die Bede
ist), als auch die einfachen und unmittelbar an Sinneseindrücke geknüpften. Für
den letsteren Fall scheint, wie für manche psychologisch wichtige Thatsache, ge-
rade das Tonreich das lehrreichste Beispiel darzubieten : die Tonfarben sind nichts
Anderes als die einfachen Tongefühle, die Klangfarben sind deren Mischgefühle.
Wir können hier Gefühlserscheinungen geradezu aus ihren Bedingungen voraus-
sagen und konstruiren — Dank der Anordnung der Töne in einer Keihe und der
ihr parallelen Anordnung der elementaren Tongefühle. Übrigens hat bereits Wundt
in seiner »Physiologischen Psychologie« diese Mischung der Tongefühle, sogar mit
Berücksichtigung ihrer relativen Stärke, in einer geometrischen Weise durch Zeich-
nung auf einer Ebene dargestellt; allerdings ohne die Ton- und Klanggefühle mit
den Ton- und Klangfarben zu identifiziren.
Ich habe diese Auffassung der Klangfarbe im ersten Band der »Tonpsycho-
logie« mehrfach ausgesprochen (S. 134, 202—3, 235) und will sie in der Lehre von
den Tongefühlen ausführlicher entwickeln. Überzeugende Kraft gewinnen solche
Versuche eben erst mit der Durchführung in alle Einzelheiten. Naturlich finde
ich in dem Gesagten auch keineswegs die Lösung aller obenerwähnten Schwierig-
keiten. Schon die qualitative Verschiedenheit vieler Klanggefühle, die uns nicht
gestattet, sie sänmitlich in ein graduell abgestuftes System zu bringen, selbst wenn
wir mehrere Dimensionen für dasselbe annehmen, erfordert besondere Erklärungs-
gründe.
Dem Vortrage EngeVs folgen Bemerkungen einiger Mitglieder der Berliner
philosophischen Gesellschaft. Herr Lassen eröffnet seine Rede mit Betrachtungen
über die philosophische Bedeutung der Klangfarbe. Ihm ist dieselbe »etwas Ob-
] 50 Kritiken und Referate.
jektiv<)8, Allgemeingaltiges, dem geistigen Leben Angehöriges, ein Ingrediens des
vernanftigen Universums, und erweist sich als solches durch seine Bedeutung für
unser ästhetisches Verhalten zur Welt und für unsere schöpferische Bethätignng
in der Kunst«. Ihr objektiver Charakter erhellt »nicht aus physikalischen, phjrsio-
logischen oder psychologischen Untersuchungen, sondern allein aus der philoso-
phischen Betrachtung der Tonkunst als eines konstituirenden Momentes der ver-
nünftigen Weltordnungall Lassen »glaubt« nicht an die reine Stimmung in der
Musik, nicht an die Sinusschwingungen als für den musikalischen Ton charak-
teristisch. Ihm sind die Obertöne schon als etwas blos Sinnliches ohne Bedeutung
für die Klangfarbe. Die Variabilität der Klangfarben sei unendlich, die der
Obertonkombinationen endlich (was Engel mit Recht nachher in Abrede stdlt).
Ferner lasse sich durch keine Kombination von Flöten- oder Stimmgabeltönen em
Trompetenton erzeugen. Herr Lassen weiß also nicht, daß Helmholti und seit
ihm noch viele Andere Klangfarben künstlich aus einfachen Tönen erzeugt haben.
£r entdeckt endlich, daß die Klangfarbe auf den im Ton enthaltenen Geräusehen
beruht, und versinkt wieder in Betrachtungen über die ideale Bedeutung dieses
»chaotischen Elementes«. Kr weiß also auch nicht, daß Helmholti und Andere
vor ihm die Geräusche bereits in Rechnung gesogen haben. Sodann spricht Herr
Hoffmann unter Anderem über das Verschwinden der Töne mit der Höhe: »Sie
entschwinden nur der Wirklichkeit, um in die Idee zu gehen, und zwar in die der
Idee adäquate Form, in den Punkt, in welchem dann das Hören stattfindet, ....
wie denn überhaupt, soweit das Weltall reicht, alle Entscheidung im Punkt stattr
findet« — Phrasengetön von der Klangfarbe der Blechpauke, etwas stark selbst füt
das entlegene und zu solchen Übungen sonst wohlgeeignete Feld der musikalischen
Metaphysik. Besser harmonireu die Reden der Herren Dreher und Essen zu dem
von Engel angestimmten Ton. Aber an allen Reden ist das Beste, daß sie diesen
selbst zu weiteren eingehenden Bemerkungen, besonders über die musikalische
Funktion der Geräusche und wieder besonders der Stimmgeräusche veranlassen.
Das sind substanzielle Gerichte, für die man schon Einiges über Idee und Welt
im Allgemeinen mit in den Kauf nimmt.
Halle a. S. C. Stumpf.
Notizen.
Zu Franz Schttberfs Messen. Die Breitkopf und H&rteVsche Gesammtausgabc
von Schubert's Werken hat in ihrer jüngst erschienenen Serie XIII der Welt einen
Schati lugänglich gemacht, dessen Ausbeutung für Geschichte und Praxis hoffent-
lich nicht allzu lange auf sich warten lassen wird. Sie bringt in zwei Bänden
sieben Messen des Meisters, welche bisher zum Theil ganz unbekannt, zum Theil
schwer zugänglich waren, welche aber im Ganzen wie in zahlreichen Einzelheiten
geeignet sind, zu seiner Charakteristik werthvolle Beiträge zu liefern. Büier soll
an die stattliche Publikation nur eine geringe Detailbeobachtung angeknüpft wer-
den, weil sie eine, wie mir scheint, unyermeidliche Konjektur im Gefolge hat.
Die erste Messe, in jP-dur, ist überwiegend homophon gehalten; doch setzt
am Schlüsse des Oioria nach alter Weise bei den Worten Cum sancto sptritu in
ghria Dei patri», Amen eine Fuge ein und das Benedxctus ist ein, freilich in der
einfachsten Weise gesetzter Canon: Tierstiomug im Unisono (resp. in der Okta-vc),
daher für zwei Soprane und zwei Tenöre bestimmt. £r besteht aus viermal
16 Takten; der zweite Tenor beginnt und trägt allein alle vier Perioden vor; am
Schlüsse einer jeden setzt die nächste Stimme ein. Der erste Sopran kommt
inletzt und singt nur die erste Periode. Bezeichnet man die vier sechzekntaktigcn
Perioden der SLeihe nach mit den Buchstaben a, 6, c, d, so ergiebt sich folgende
Disposition :
Sopran I: a
Sopran II: ab
Tenor I: a b c
Tenor 11: a b o d
Die Periode a nimmt nicht denselben Bang ein wie b, e und d, sondcr.i ist
dominirend und durchaus als melodieführende Oberstimme gedacht; deshaVi ist
auch, nachdem sie vom ersten Sopran vorgetragen, der Canon nicht weitergeführt,
weil sonst das a des zweiten Tenors unter dem b und c der Soprane liegen und
die Wirkung zerstört sein würde. Darin unterscheidet sich also dieser Canon von
den sonst ähnlidi organisirten Mozart's, Beethoven's, Cherubini's. Analogien zu ihm
schuf Schubert in seinen Messen noch zweimal, nämlich 1815 im Benedictus der
G^^ur- und 1828 im Credo (bei den Worten Et incarnahu est) der großen Es-dur-
Messe. Diese beiden Canons sind dreistimmig, folglich nur aus drei Perioden be-
stehend, und völlig jenem entsprechend organisirt Es genügt, hier ihre Disposi-
tion anzugeben:
Benedictus für Sopran, Tenor und Baß:
Sopran a b c
Tenor a b
Baß a
Hier liegen b und c so hoch, daß sie für den Baß unausführbar wären.
] 52 Notiaen.
Et IncamattM für Sopran und zwei Tenöre:
Sopran a
Tenor labe
Tenor II • ab
Die beiden Benedictua stimmen auch hinsichtlich der Taktzahl der einzelnen Pe-
rioden und der umgebenden Orehesterpartien Überein. — Die Imitation der Stimmen
ist nun überall genau; um so mehr befremdet es, in dem ersten Canon, der doch
besonders einfach angelegt ist, unmittelbar, vor dem Schlüsse, mitten in der vierten
Periode, die Ordnung gestört zu sehen. Mit dem dritten Viertel des neunten Taktes
dieser Periode (Seite 80, letzter Takt) beginnt die Verwirrung. Die Soprane gehen
ihren vorgezeichneten Weg mit a und b; aber während man im ersten Tenor die
Fortführung von c erwartet, findet man hier, bis zu der zwei Takte später ein-
setzenden Fermate, eine vorher nicht dagewesene Phrase — nach der Fermate geht
es mit den restirenden fünf Takten von c regelrecht weiter. Die Lösung giebt der
zweite Tenor, welcher sonst ebenfalls in Ordnung ist und nur an jener Stelle, wo
der erste etwas Neues bringt, die entsprechenden Takte von c (Seite 79, T. ^—T)
wiederholt. Die Korruptcl ist sehr einfach zu erklären : die beiden Tenorstinmien
sind in diesen Takten beim Niederschreiben entweder durch einen Kopisten, oder
wenn die Ausgabe wirklich mit dem Autograph übereinstimmen sollte, durch den
Komponisten selbst mit einander vertauscht, und man setzt den letzteren nur in
sein Recht ein, wenn man ihnen bei Aufführungen und Neudrucken ihren ord-
nungsmäßigen Platz wiedergiebt.
Berlin. Friedrich Spiro.
Adressen der Herausgeber:
Professor Dr. Spitta, d. Z. geschäftsführender Herausgeber, Bertin, W.
Burggrafenstraße 10; Dr. Friedrich Chrysander, Bergedorf bei Hamburg; Pro-
fessor Dr. Guido Adler, Prag, Weinberge, Jungmannsgasse 25.
Niederländische geistliche Lieder nebst ihren
Singweisen
aus Handschriften des XV. Jahrhunderts .
Von
Wilhelm B&nmker.
Die in der vorliegenden Sammlung dargebotenen Lieder sind zwei Hand-
schriften des XV. Jahrhunderts entnommen. Die eine , welche bis jetzt noch un-
bekannt war, entdeckte der bekannte Dichter und Hymnologe G. M. Drevea auf
der k. k. Fideikommißbibliothek in Wien und benachrichtigte mich sofort von
dem interessanten Funde mit dem Ersuchen, die Lieder der Handschrift heraus-
zugeben. Da ein längerer Aufenthalt in Wien für mich in meiner jetzigen amt-
lichen SteUung zu den Unmöglichkeiten gehört, so war Se. Excellenz der Herr
Kultusminister Dr. von Goßler so freundlich, die Übersendung der Handschrift
seitens der k. k. österreichisch-ungarischen Regierung mir zu erwirken.
Die Texte und Singweisen diesier Wiener Handschrift bilden den Grundstock
meiner Sanmilung.
Die andere Handschrift, welche früher Hoffmann von Fallersleben gehörte
und jetzt im Besitze der königl. Bibliothek in Berlin sich befindet, hat der ge-
nannte Gelehrte zur Publikation seiner »Niederländischen geistlichen Lieder des
XV. Jahrhunderts 1854« benutzt. Indessen enthält dieses Buch nur die Texte
der Lieder, nicht auch die Singweisen. Diese letzteren, sowie auch einige noch
nicht veröffentlichte Texte, habe ich dem Inhalte der Wiener Handschrift hin-
zugefQgt.
Die Lieder sind geordnet nach der Reihenfolge, welche die Handschriften
darbieten.
Bei der Reproduktion der Melodien habe ich statt des alten vierlinigen
Systems das fünflinige und anstatt der häufig in ein und demselben Liede
wechselnden &• und JP-Schlüssel den /k angewandt, im Übrigen aber, so viel als
möglich, die Originalschreibweise beibehalten, weil die Notation aus der Über-
gangsperiode der Choralnotenschrift zur Mensuralnote herrührt
Die IHf und bb über dem Notensystem sind von mir hinzugefügt worden, um
damit anzudeuten, daß der Schreiber der Melodien es vom kundigen Sänger er-
wartete, an den betreffenden Stellen, b, es, ßs oder eis zu singen. Durch weitere
1888. 11
J54 Wilhelm Bäumker,
chromatische Zuthaten die Singweisen zu modeniisiren , lag nicht in meiner
Absieht.
Ursprünglich gedachte ich, nur die Melodien herauszugeben. Da aber Me-
lodien olme Texte nur Stückwerk sind, so entschloß ich mich, die Texte hinzu-
zufügen. Dabei habe ich die urkundliche Schreibweise (selbst u für v und um-
gekehrt) beibehalten, und nur des besseren Verständnisses wegen eine Interpunktion
hinzugefügt.
Sr. Excellenz dem Herrn Kultusminister Dr. Ton Goßler, der k. k. österreich.-
ungar. Regierung, der Verwaltung der k. Bibliothek in Berlin sowie den Herren:
G. M. Dreves in München, Dr. Crecelius (meinem verehrten ehemaligen Lehrer) in
Elberfeld, Dr. Everts, Direktor in Rolduc, Reichsarchivar Sivr^ in Roermond.
P. Bohn, Gymnasiallehrer in Trier, Dr. Otto Kade , großherzogL Musikdirektor in
Schwerin u. a. spreche ich hiermit für die freundliche Unterstützung durch Rath
und That meinen verbindlichsten Dank aus.
Zur Zeit, als die Lieder der vorliegenden Sammlung niedei^e-
schrieben wurden, gehörten die Niederlande zum neuburgundischen
Staate. Unter Johann dem Unerschrockenen (1404 — 1419) und dessen
Sohn Philipp dem Guten (1419 — 1467) kam ein Reich zu Stande,
»welches an Bildung, Kunstsinn, Gewerbfleiß und Wohlstand mit
Italien wetteifern konnte«. Daß in einem solchen Lande Wissen-
schaft und Kunst in der schönsten Blüthe standen, darf uns nicht
Wunder nehmen. Ich erinnere zunächst an die Gründung der Uni-
versität Löwen i. J. 1426 und an den Aufschwung der theologischen
Studien sowohl, wie des religiösen Lebens, hervorgerufen durch die
Pflege der Mystik, welche die Gegenstände des Glaubens, die dem
sinnlicheii Auge sich verbergen, vermittelst frommer Beschaulichkeit
dem Gemüthe nahe zu bringen sucht. Der Boden für diese Rich-
tung war schon vorbereitet worden im XIV. Jahrhundert. Geert Groote
(1340 — 1384), der berühmte Gelehrte, Ascet, Bußprediger und Be-
gründer der Genossenschaft der »Brüder des gemeinsamen Lebens »
(Fraterherrn) hatte durch seine Predigten, zu welchen das Volk von
allen Seiten herbeiströmte, viel zur Hebung des Gottesdienstes und
des religiösen Lebens beigetragen. Sein Freund, der bekannte Mystiker
Johann Ruysbroek (f 1381), »doctor exstaticus« und »contemplator ex-
cellentissimuscr genannt, gelangte nicht bloß durch seine mystischen
Schriften als Theologe zu großer Berühmtheit, sondern erwarb sich
auch zugleich den Ehrennamen eines »Vaters der niederländischen
Prosac, weil er nicht in lateinischer, sondern in seiner Landessprache
schrieb. Bis auf den heutigen Tag lebt im Andenken seines Volkes
noch fort der gewaltige Volksredner Johann Brugman (f 1473 .
Dessen Landsmann, Thomas von Kempen (f 1471), der die christ-
liche Mystik in ihrem tiefsten Wesen erfaßte, hat durch das Büchlein
von der »Nachfolge Christi« sein Andenken für alle Zeiten verklärt.
Niederländische geistliche Lieder nebst ihren Singweisen etc. \ 55
Auf welcher Höhe die Kunst der Malerei sich befand, das be-
weisen die altflandrisehe Malerschule der van Eyck im Anfange des
XV. Jahrhunderts und die brabantische Schule mit den Meistern
Roger van der Weyden, Hans Memling, Quentin Metsys, Lucas van
Leyden und anderen.
Die Architektur feierte ihre Triumphe in der Errichtung pracht-
voller gothischer Kathedralen (Breda, Rotterdam, Utrecht, Delft,
Deventer, Zütphen, ZwoUe) und Rathhäuser (Brüssel, Löwen, Gent,
Gouda) .
Namentlich aber hatton Musik und Yolksgesang ihre gol-
dene Zeit. Bekannt ist, daß die Schule der Niederländer 200 Jahre
lang (1350—1550) in Europa ein gewisses Übergewicht behauptete,
indem sie die Kunst des polyphonen Satzes zu einem der größten
Mannigfaltigkeit fähigen System ausgestaltete und dadurch die Basis
zur modernen Kunst gelegt hat. Die ersten Meister, welche den
Ausgangspunkt dieser Entwicklung bilden, sind: Dufay, Okenheim,
Hobrecht und Josquin de Pres. Goudimel, der Lehrer Palestrina's,
und der »Fürst der Musik« im Norden: Orlandus de Lassus sind
beide Niederländer. Solche Meister konnten aber nur aus einem
musikalisch sehr gut beanlagten Volke hervorgehen. Die in Hand-
schriften und späteren Drucken noch vorhandenen Lieder legen denn
auch Zeugniß ab, daß im XV. Jahrhundert der Volksgesang in großer
Blüthe stand. Trink- und Liebeslieder, Gesänge von des Lebens
Lust und Leid waren in großer Anzahl vorhanden. Noch bis um
die Mitte des XVI. Jahrhunderts blieben diese in Übung, wie der
Italiener Guicciardini bezeugt. Die Singweisen dieser Lieder waren
so beliebt, daß die Tonsetzer der damaligen Zeit dieselben nicht nur
mehrstimmig bearbeiteten, sondern auch ihren geistlichen Kom-
positionen als »cantus firmus« im Tenor zu Grunde legten. Niemand
fand darin etwas Anstößiges. »Mochten die Namen der Messen noch
so wunderlich klingen«, sagt der geistreiche Ambros, »das Alltagleben
hatte einen poetischen Zug, darum büßte das ideale Leben der Kunst
und Frömmigkeit nichts ein, wenn es jenes andere abspiegelte und
zugleich verklärte; das Heilige wurde dadurch dem Niederländer
nicht entweiht, wohl aber umgekehrt das Alltägliche geheiligt.« (Ge-
schichte der Musik HI, 25.)
Das Bild einer Zeit und ihrer Kultur spiegelt sich lebendig ab
in den Volksliedern. Es war deshalb eine natürliche Folge der Ver-
innerlichung des religiösen Lebens, daß eine große Anzahl geist-
licher Lieder entstand. Namentlich begannen um die Mitte des
XV. Jahrhunderts die Rederykers (unsere Meistersinger) den viel-
fach derb-realistischen weltlichen Liedern geistliche gegenüber zu
11^
156 Wilhelm Bftumker,
stellen. Entweder dichtete man die weltlichen Texte geistlich um
(Contrafacta) und behielt die ursprüngliche Singweise bei, oder man
gab den Melodien weltlicher Lieder ganz neu gedichtete geistliche
Texte, ein Verfahren, welches zu gleicher Zeit auch in Deutschland
unter Heinrich von Loufenberg in Übung kam. Auf diese Art und
Weise glaubte man die anstößigen Texte der weltlichen Lieder am
besten verdrängen zu können. In der Berliner Handschrift finden
wir eine große Anzahl geistlicher Lieder, über welchen die Anfangs-
zeilen der weltlichen Lieder, nach deren Melodien sie gesungen
werden sollen, notirt sind.
Die Lieder der Wiener Handschrift haben derartige Über-
schriften zwar nicht, aber es ist anzunehmen, daß der Schreiber
seine Melodien aus derselben Quelle (dem Yolksmunde] bezc^en hat;
denn einige Melodien lassen sich auf diese Quelle zurückfahren,
anderen merkt man es vielfach an, daß sie ursprünglich anderen
Texten eigen gewesen siiid.^
Von eigentlichen Kirchenliedern ist bis jetzt nur Weniges
bekannt geworden : XJbertragungen der Psalmen , des Lobgesanges
Mariae »Magnificat«, des Canticum »Nunc dimittis servum tuum Do-
miue« und des »Stabat materct.^ Indessen glaube ich, daß in den
Niederlanden ebenso wie in Deutschland in der Kirche Lieder in der
Volkssprache gesungen wurden. Nehmen wir z. B. gleich das erste
Lied der Wiener Handschrift »Jhesus Christus, Marien soen«, so
sehen wir, daß es vollständig nach Text und Melodie den Charakter
eines echten Kirchenliedes an sich hat. Zudem enthalten unsere
beiden Handschriften Übersetzungen alt -lateinischer Gesänge und
eine Anzahl von solchen Liedern, welche in späteren katholischen
Gesangbüchern sich wiederfinden.
1. Het is een dach der vrolicheit.
Dies est laetitiae.
2. Een kindekyn is ons gheboren.
3. Magnum nomen Domini. |
4. Mit desen nyvren iare.
1 In den Niederlanden blieb dieses Verfahren in weit größerem Umfange als
in Deutschland bis in das 17. Jahrhundert hinein in Übung. Die Reformirten
sangen ihre Psalmen nach beliebten Volksliederweisen , wie die Souterliedekens
1540 beweisen. Die kathoL Gesangbücher »Het Prieel der GheesteHjke Melodie«,
Brugghe 1609, »Den Boeck der Geesteliicke Sanghen«, Antwerpen 1634, »Het Paradys«,
Antwerpen 1638, enthalten eine ganze Anzahl Melodien weltlicher Lieder. In den
Monatsheften fOr Musikgeschichte 1S84 Nr. 3 und 8 habe ich die Anfänge der
weltlichen Lieder zusammengestellt. Vergl. auch mein Werk: Das kath. deutsche
KirchenUed I, S. 4, 78, 90, 92. H, S. 4, 31 und 35.
2 Publizirt von Meyer und van den Bergh; s. Literaturverseichniß.
Niederländische geistUehe Lieder nebst ihren Singweisen etc.
J57
5. Laet ons mit hartsen reyne.
6. Ons is gheboren nT ter tat
Nobis est natus hodie.
7. In dulci jubilo.
In dem Gesangbuche »Het Paradys«, Antwerpen 1638 finden sich
folgende Lieder: 1, 2, 3 ^ 4, 5. In älteren Gesangbüchern wird man
jedenfalls noch andere entdecken. Das genannte Gesangbuch ent-
hält überhaupt viele ältere Lieder in neuer Überarbeitung. Ich
möchte an dieser Stelle darauf aufmerksam machen, daß ich in dem-
selben einen Leis geftinden habe, der eu den ältesten Kirchenliedern
gehört.
Het Paradys. Antwerpen 1638. Bl. IC.
1 'Z'
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1. Nu zijt wel-le-ko- me Je - su lie - ren Heer.
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Ghy komt van al - soo hoo - ghe, van al - soo veer.
^^^^^^
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Nn züt wel-le - ko - me van den hoo-ghen He-mel neer.
f-H-^=J=^=^T=^=^^^^q^^:
Hier al in dit Aerdtrijk zijt ghy ghesien noyt meer. Kyrie leys.
2. Christe Kyrieleison laet ons singen bly,
Daer meed' oock onse Leysen beginnen vry:
Jesus is ghebooren op den Heylighen Kers-nacht,
Van een' Maghet reyne, die hoogh moet zijn geacht Kyrieleis.
3. D'Herders op den Velde hoorden een nieuw liedt,
Dat Jesus was ghebooren, sy wisten't niet:
Gaet aen geender Straten, en ghy sult hem vinden klaer,
Bethlem is de stede, daer't is geschiedt voorwaer. Kyrieleis.
4. IVHeylige diie Coon'ghen uyt so verren lant
Sy soehten onsen Heere met Offer^hant:
S'Offerden ootmoedelijck Myrrh' Wieroock ende Oout
T'eeren Tan dat Kinde, dat alle ding behout. Kyrieleis.
DaB dieses Lied ein altes ist, beweisen die Melodie , der Vers
und der Schluß »Kvrieleist. Ln Kirchenmusikalischen Jahrbuch für
158 Wilhelm Bäumker,
1887 S. 65 habe ich schon gezeigt, daß hier die Überarbeitung eines
von Hofiinann von Fallersleben in den Schluß des XI. Jahrhunderts
gesetzten Liedes vorliegt.
1. Nun siet uns willekomen, hero Kerst,
Die ihr unser aller hero siet.
Nun siet uns willekomeni lieber hero.
Die ihr in den Kirchen schöne siet. Kyrie-leyson.
2. Nun ist gott geboren unser aller trost,
Der die hölsche phorten mit seinem creutz aufsthoes,
Die Mutter hat geheischen Maria,
Wi in allen Kerstenbucheren geschriben steht K3rrie-ley80n.
So theilt uns Quix (Historische Beschreibung der Münsterkirche
und der Heiligthums-Fahrt in Aachen 1825. S. 119) das Lied mit und
fügt hinzu : >Jn der Christnacht versammelten sich die Herren Scheffen
auf ihrer Gerichtsstube, gingen dann in die Münsterkirche, wo sie
die Chorstühle auf der rechten Seite einnahmen. Nach dem Evan-
gelium stimmte der Scheffenmeister folgendes alte Lied an, welches
vom Chore fortgesungen wurde : Nu siet etc.« Dieses Lied war aber
nicht bloß in Aachen, sondern überhaupt am Niederrhein üblich. Das
geht daraus hervor, daß in der ehemaligen fürstlichen Abtei Thom
an der Maas in der heiligen Nacht die Schiffer des in der Nähe
liegenden Ortes Poll zur Kirche nach Thörn kamen, wo sie minde-
stens drei bis vier Strophen vor dem Altar des hl. Georg sangen.
Dafür erhielten sie von der Äbtissin einen Imbiß und einen Krug
Wein.»
Zum Beweise für meine Behauptung, daß hier eine ältere Melodie
vorliege, führe ich ein handschriftliches Bruchstück des Liedes an.
■f>-
Syt wil - le - komen heir-re kirst want du unser alre here bis.^
Außer den Liedern, die man als Kirchenlieder betrachten kann,
war eine große Anzahl geistlicher Lieder vorhanden, welche der
Privaterbauung dienen mochten: Gesänge zu Weihnachten, Marien-
^ In einem handschriftlichen Rituale dieser Abtei aus dem 17. Jahrhundert»
welches aber nach Mittheilung des Herrn Pfarrers Moubis die Kopie einer älteren
Handschrift ist, heißt es: »In vigilia Nativitatis evangelio finito nautae de Poll
tenentur cantare : »Nu siet willekom herro kerst« etc. ad minimum tres aut quatuor
versus ante altare Sti. Oeorgii, quibus Abbatissa tenetur dare offam et ampho-
ram vini.«
2 Herr Domchordirigent Boeckeler in Aachen sandte mir dieses Fragment,
welches er in einem Evangeliarium Kaiser Otto's III. (980 — 1002) gefunden hatte.
Niederländische geistliche Lieder nebst ihren Singweisen etc. } 59
und Heiligenlie^er, namentlich aber geistliche Minnelieder. Diese
letzteren waren die Frucht der mystischen Richtung, welche, wie
oben gezeigt wurde, bereits im XIV. Jahrhundert sich Bahn zu
brechen begann und später eine leidenschaftliche Begeisterung für
das Klosterleben wachgerufen hatte. Alle diese Lieder behandeln
einen Gedanken: «Christus ist der Bräutigam, nach dem die minnende
Seele sich sehnt. Zur Vereinigung mit ihm gelangt man nur durch
die Lossagung von den Gütern und Freuden der Welt und selbst-
lose Hingabe an den Erlöser.« Mit hinreißender Wahrheit werden
alle Schattirungen des Leides und der Wonne geschildert, welche in
der Seele, die Christum zu minnen anfängt, sich ausprägen. Mit
tiefem Seelenleiden beginnt die Minne, in ruhiger Seligkeit endigt
sie. Dabei wird die Sehnsucht nach dem himmlischen Bräutigam oft
in so bezaubernden Farben dargestellt und mit einer solchen Gluth
durchdrungen, daß man unwillkürlich an das hohe Lied erinnert
wird. Alle diese Lieder bilden einen reizenden Gegensatz zu den
weltlichen Liebesliedem , erfreuten sich aber wegen ihres allzu sub-
jektiven Charakters mit wenigen Ausnahmen keiner besonderen
Popularität.
Was den Inhalt angeht, so können wir die mitgetheilten Texte
folgendermaßen gruppiren :
L Weihnachtslieder Nr. 10, 12, 14, 16, 17, 40, 48; Neujahrs-
lied 47; von den hl. Dreikönigen 13; vom Namen Jesu 15; vom
Leben und Leiden Christi 8, 11, 18; Osterlied 44; Gebet zu Christo 1.
IL Marienlieder: Ihre Freuden und Leiden. Lobgesänge zu
ihr 5, 6, 7, 14a, 23, 31, 56, 61, 62.
m. Heiligenlieder: Von den Heiligen im Allgemeinen 59;
von St. Katharina 27; St. Agnes 28; St. Margaretha 29.
rV. Lieder vom geistlichen Leben: Lossagung von der Welt
und Hinkehr zu Jesus 2, 3, 4, 36 ; vom Streite des Geistes wider die
Natur 41, 42; Bekehrung des Menschen 35; Erlösung 37, 38, 43, 45,
55; geistliche Minnelieder 19, 20, 21, 22, 32, 33/34, 39, 46, 49, 50, 52,
53, 57.
V. Lieder verschiedenen Inhaltes: Vom Tod 6a, 51; vom
Vortheil der Leiden und Widerwärtigkeiten des Lebens 24 , 25 ; von
den Freuden des Himmels 9, 54 ; von der Tugend der Barmherzig-
keit 26; Reinigkeit 58 und Jungfräulichkeit 30.
Von nur wenigen Liedern sind die Verfasser bekannt: Es sind
folgende Namen:
1. Johannes Brugman wird in der Berliner Handschrift bei
zwei Liedern dIc heb gheiaecht myn leven lanc« (Nr. 73) und
9 Mit vroechden laet ons singhen« (Hoffmann, Niederl. Geistl. Lieder
}52 Wilhelm Bäumker,
Liede ein Schema hinzugefügt, auf Grund dessen man sich leicht
Orientiren kann.
Der Endreim ist bisweilen sehr unregelmäßig und fehlt öfters
ganz. Auch wechseln stumpfe und klingende Reime nicht r^^el-
mäßig mit einander ab. Häufig entspricht dem stumpfen Reim ein
klingender und umgekehrt. Nicht selten kommt auch der Binnen- .
reim vor und der Doppelreim (dobbelsteert) ^ wenn zwei Reime den
Vers schließen, z. B. »ewen trewen«.
Wir dürfen überhaupt keinen strengen kritischen Maßstab an
diese Texte anlegen. Ihr Werth ist verschieden. Manche sind nach
Form uAd Inhalt von untei^eordneter Bedeutimg, andere dagegen
ziehen uns an durch die kindlich-naive Auffassung und den poeti-
schen Schwung. Einzelne Stellen sind von überraschender Schönheit :
ein hoher poetischer Hauch weht uns aus ihnen entgegen.
Die Notenschrift stammt aus einer Zeit, in welcher die
Mensuralisten anfingen, die Noten des Gregorianischen Chorals
für ihre Zwecke zu benutzen. Die Noten des Chorals sind be-
kanntlich folgende ■■ ■ ♦. »Ihre verschiedene Gestaltung hat keinen
direkten Bezug auf den Rhythmus, noch viel weniger auf die Mensur
der kirchlichen Gesänge« (Pothier) . Als die Mensuralisten sich dieser
Notenschrift bemächtigten, nannten sie die ^ longa, die ■ brevis,
die ^ semibrevis und fügten, weil sie mit diesen Zeichen nicht
auskamen, nach oben hin die "^ maxima und nach unten die 1
minima und ^ semiminima hinzu, sodaß wir also folgende Noten-
reihe erhalten:
i i . . . ^ -^
Maxima, longa, brevis, semibrevis, minima, semiminima.
In unsern beiden Handschriften kommen bei den lateinischen
Choralgesängen und auch bei einer ganzen Anzahl von Liedern in der
Volkssprache nur diese beiden Noten '^ ♦ vor, welche den oben
notirten longa und brevis entsprechen. Man vergleiche z. B. das
Lied Nr. 1 »Jesus Christus marien soen« auf dem I. Facsimile und
Nr. 70 »Ave Maria maghet pia« auf dem III. Facsimile.
Einzelne Lieder, die ursprünglich nur in Choralnoten notirt waren,
sind von einer späteren Hand mensurirt worden. Die beiden Noten-
gattungen "^ ♦ sind dann gleich werthig als Semibreven zu nehmen,
die neu hinzugekommene 1 als minima. Vgl. No. 64. In anderen
Liedern, z. B. No. 13, ist die ^ zur Minima degradirt worden durch
Anfiigung eines Striches nach oben ^. Die übrigen Zusammenstel-
lungen sind nach der oben notirten Skala leicht zu erkennen.
Niedeiländische geistliche Lieder nebst ihren Singweisen etc.
163
Nur ein Lied äIii dulci jubilo« (vgl. Facsimile III) ist in weißen
Mensuralnoten notirt. Die Reihenfolge derselben entspricht der Skala
in schwarzer Notation:
Mazima, longa, brevis, semibrevis, minima, semiminima, fusa.
R W H ^ i 4^ oder ^ ^
In einigen wenigen Liedern treten an einzelnen Stellen mitten unter
den schwarzen Noten weiße auf (Nr. 4a, 50, 52, 55, 58, 62, 63.)
Da hier überall ein dreitheiliger Rhythmus vorausgeht, so bezeichnen
die weißen Noten den Eintritt der imperfekten zweizeitigen Mensur,
im Gegensatze zur voraufgegangenen perfekten oder dreizeitigen.
Im tempus perfectum galt: Im tempus imperfectum
"~ 6 ■ cq =
i
i
i
= 3
B =
i
4
2
Q
P
♦ =
3
3
3
I
2
2
2
I
^
^ =
In den genannten Liedern sind demnach die weißen Noten zwei-
zeitig zu messen.
Der öfters vorkommende Gang:
wäre demnach in folgender Weise wiederzugeben:
und in Nr. 52
'^i'V^^T
Was die Ligaturen angeht, so habe ich die aufsteigenden mit
wiedergegeben, weil diese Schreib-
und die fallenden mit
I
. ^it Y
weise am meisten der Originalnotation entspricht. (Vgl. die Tafel
I und ni der Facsimilia.) Bei der Übertragung in moderne Takt-
noten ist die Regel zu beachten, daß die genannten Ligaturen, sie
aus zwei oder drei Noten ^ i ^ bestehen, stets
mögen nun
den Werth einer langen Note haben. Bei der aufsteigenden Ligatur
ist der Accent auf die zweite Note zu legen , etwa so l -♦► , bei der
]g4 Wilhelm BAumker,
I
absteigenden auf die erste -^ i . Die Berliner Handschrift giebt diese
letztere in den zweistimmigen Sätzen bald so 4 i b^ild •4' i wieder.
Die Regeln hiefur findet man in £. de Couagemaker, Scripto-
rum de musica medii aevi tom. III, 21, 33, 34, 54, 119. Vgl. auch
Riemann, Dr. H., Studien zur Geschichte der Notenschrift, Leipzig.
1878. S. 225 ff. 282 ff.
Die Rhythmik der vorliegenden Gesänge ist eine sehr verschieden-
artige. Die nicht metrischen Texte in Choralnotation richten sich nach
dem freien Rhythmus der Textdeklamation. Bei den metrischen Texten
ist das Versmaß im Ganzen maßgebend für den musikalischen Rhyth-
mus. Die meisten Lieder stehen im tempus perfectum d. h. im drei-
theiligen Zeitmaß, welches jedoch in ein und demselben Liede zu-
weilen mit dem ZAveizeitigen (tempus imperfectum) abwechselt, wie
aus dem oben Gesagten hervorgeht.
Die Tonarten sind die altkirchlichen.
1) e f g a h c d ^Orandton.
ahcDefga ) ^
Efgahcde \ ^
I.
Dorisch :
II.
Hypodorisch :
111.
Phrygisch :
IV.
Hypophrygisch :
V.
Lydisch :
VI.
Hypolydisch:
VII.
Mixolydisch :
VIII
. Hypomixolydisch:
IX.
Aolisch :
X.
Hypoäolisch :
XI.
Ionisch :
xn.
Hypoionisch :
h c d E f g a h
Fgahcdef\ ^
F q a h c I
c d e F g a h e
Ga/icdefg\
defGahed i
Ahcdefga\
efgAhcde j
Gdefgahc \
gahCdefg )
Mit Vorzeichnung von einem b konnten diese Tonarten um eine
Quint nach unten und eine Quart nach oben transponirt werden.
Jedoch fehlen in unseren Handschriften die Vorzeichnungen des i.
Selbst, wo der Tritonus unmittelbar folgt, fehlt häufig das b. Nach
den Tonarten vertheilen sich die Lieder wie folgt:
Dorisch.
1, 2, 3, 4, 6, 7, 8, 17, 18, 20, 21, 22, 23, 24, 25, 27, 2S,
30, 32, 35, 36, 37, 38, 40, 42, 45, 46, 47, 48, 50, 55, 56, 58, 60, 61,
66, 68, 6^, 73, 75, 76, 77, 79, 80,* 82, 84, 85.
Niederländische geistliche Lieder nebst ihren Singweisen etc. J g5
Phrygisch.
13, 14, 31, 52, 53, 54, 74.
Lydisch.
5, 12, 39, 49, 51, 59, 65, 67.
Mixolydiscli.
9, 11, 15, 19, 41, 44, 57, 72.
Äolisch.
12 (mit ionischem Schluß), 26, 29.
Ionisch.
10, 16, 33, 34, 43, 62, 63, 64, 70, 71, 78, 81, 83, 86.
Die Melodien unserer Texte sind zum großen Theil weltlichen
Liedern entnommen. Man vergleiche die Nummern:
2, 4, 6, 7, 8, 9, 21, 22, 33, 34, 35, 44, 46, 49, 50, 51, 52, 53,
54, 55, 56, 57, 58, 59, 60, 72, 73, 74, 75, 76, 78, 79, 80, 81, 82.
Von lateinischen Kirchengesängen rühren her die Singweisen
zu Nr. 10, U, 14, 16, 36, 40? 68 und 70.
Zweistimmige Lieder bieten uns die Nummern: 16, 36, 40, 47,
63, 64.
Unter diesen meist verschollenen Melodien giebt es einige von
groBer melodischer Schönheit, andere von geringfügigem Werthe.
Die alten Tonarten geben ihnen ihr charakteristisches Gepräge.
Wer nur moderne Lieder gesungen oder gehört hat, dem werden
manche Gesänge sehr hart klingen, wer aber an den Gregorianischen
Charalgesang gewöhnt ist , wird an vielen Melodien großen Gefallen
finden. In diesem Punkte kommt es viel auf die musikalische Er-
ziehung an, die Jemand zu Theil geworden ist. Die mehrstim-
migen Lieder gewähren uns einen interessanten Einblick in die geistige
Werkstätte der Diskantisten des XY. Jahrhunderts. Eine wohlklingende
Harmonie und feine Form werden wir allerdings vergebens darin
suchen. Wir müssen indessen bedenken, daß wir die ersten Ver-
suche im zweistimmigen Kontrapunkte vor uns haben, und trotzdem
sind auch hier einzelne Stellen, wie z. B. die Kadenzen im »Magnum
nomen Dominum von großer Schönheit.
Beschreibung der UandschrifleD.
Die Wiener Handschrift. (A.)
Den Grundstock der vorliegenden Sammlung bildet die Pergament-
handschrift 7970 auf der k. k. FideikommißbibUothek in Wien, ein
Lederband mit Schließen. 14 72 ^^ hoch und 10^2 ^^ breit..
] gß Wilhelm Bäumker,
Sie stammt aus dem XV. Jahrhundert. Eine Notiz über den
Schreiber findet sich nicht darin, ebensowenig die Angabe einer
Jahreszahl. Die Schrift ist gothisch mit schönen Initialen in rotlier
und blauer Farbe. Die Lieder sind in durchgehenden Zeilen und
nicht in abgetheilten Versen geschrieben. Die Strophenanfänge sind
jedoch durch kleine farbige Initialen gekennzeichnet.
Die Handschrift zählt 151 mit römischen Ziffern signirte Blätter,
dann folgt ein Anhang mit 14 nicht gezeichneten Blättern. Blatt
I bis LXXVII stehen 47 Lieder mit ihren Singweisen. Das letzte
Lied »Mit desen nywen iare« ist zweistimmig. Es kommen auch ver-
einzelt Lieder ohne Melodien vor.
Bl. LXXIa »Liidt den tiit al dunkt hi v lanc.«
Bl. LXXIb «Oirlof, oirlof valsche w^erelt.«
Die Handschrift war für den Klostergebrauch bestimmt und ist
viel benutzt worden. Vor den ersten neun Liedern steht jedesmal
als Einleitung eine Betrachtung, deren Schluß die Absingung des
betreffenden Liedes bildet.
Als Beispiel gebe ich die Schlußbetrachtung Bl. XVI b ff:
»Och lieue bruederkyns ende susterkyns dencket in v seinen hoe
scoen en hoe genuechlic dattet hier op eertriic is inder meyentiit
inder daghereit, als die bloemkyns en die roeskyns wytspruten en
hem suetelike op die sonnen toecomste opluyken en beghinnen bouen
maten wel te ruken. Ende alle die bloemekyns syn beuaen mit sue-
ten louerkyns ende bloeyen suuerlic. Ende die sonne beghint scoen
en ciaer te rysen aen dat firmament des hemels. En alle die vogel-
kyns syn vroelic inder lucht en singhen seer blidelic en scoen. Och
-wie mach anders seggen, ten is seer genuechlic in desen voir-
screuen tiit!
Och lieue brueders gesciet dese voerseyde zueticheit hier opp
eertriic in des conincs kerker. Want eertriie en is niet, dan een
diepe kerker, daer wy in syn geset ouermits ons misdaet. Want doe
adam, onse olde vader, ende eua, onse moeder, gods des ewichs coninx
gebot braken, doe worden si wyten paradiis geset in den kerker:
dat is hier op eertriic. Dair om seg ic v, lieue broeders, geschiet
dese voirscreuen sueticheit hier op eertriic, in gods des ewich
coninx kerker; O dencket dan in v seinen, wat groeter sueticheit
moet geschien in gods, des ew^ich coninx, hoeue ende in synre salen,
bouen in hemmelriic. Syn dese roeskyns eü bloemkyns hier dus
suete, ende singhen dese vogelkyns dus scoen ende blidelic op eertriic,
in dese kerker; Och hoe suet en scoen moeten dan die bloemkyns
syn ende roeskyns in des coninx houe en in synre salen! Welke
bloemkyns en roeskyns nymmermeer en vergaen noch en verdorren.
Niederländische geistliche Lieder nebst ihren Singweisen etc. }ß7
O hoe 8coen syn daer die bloemkyns mit sueten louerkyns beuaenl
Ende hoe blidelic ende hoe scoen moeten daer die vogelkyns singen,
daer anders niet en is, dan grote yroude en blüscap ewelic durende.
Tot welke bliiscap ende yioude brenget v ende my tesamen god die
vader^ die soen, eü die heilighe gheest, drie personen, een wesen,
nae deser tiit, die ny ende ewich ouer alle die werrelt moet syn
gebenediit. amen.a
Auf Bl. LXXVIII bis CLI stehen lateinische Gesänge : Sequen-
zen, Hymnen, Antiphonen und Responsorien. Bl. CXLXIIIb. »Media
vita«r mit den Interpolationen »Ach homo perpende fragilis.« (vergl. Mone,
Hymnen 290, ferner W. Bäumker, Das kath. deutsche Kirchenlied
I. Nr. 300.)
Der Anhang (14 Blätter] enthält 1. eine Unterredung zwischen
einem Lehrer und Schüler über das geistliche Leben.
2. das Lied:
HeiUcheit en leyt niet in den schyn,
Mer heilicheit leyt in heilich te syn.
6 achtzeilige Strophen.
3. eine Anzahl Sprichwörter und Sentenzen in Versen über
Lebensweisheit, Ehre, Untreue, irdisches Gut, Krankheit etc.
Zum Beispiel:
Die syn vrient proeuen sal.
Die proeuen in syn ongeual;
Want int geluck is menich vrient,
Die inder noet al niet en dient
Soe wien dunct, dat hi genoech kan,
Hi en werdt nymmermeer wiis man;
En wien dunct, dat hi is wiis,
Die draecht van abe sotheit priis.
Die meeste wiisheit diemen vindt,
Die is dat elc hem seinen kent,
Ende daertoe die meeste riicheit
Dunket my wesen genoegelicheit ;
Want wien genoech is, dat hi heeft,
Hi is die riicste, die daer leeft.
Die alre meeste eer ig trouue,
Trouue is alre eeren vrouue;
Hi is wiis en wel geleert,
Die al dinc ten besten keert.
Weet ghi wat ic gescreuen sach,
Wiltu verwinnen, soe verdrach.
Leert yerdragen, Als ghi verdraecht,
Sonder dagen, Hoe seer men v iaecht,
Wie ghi siit, Ghi W}'nt den striit.
Den Schluß bildet das Lied: »Dies est laetitiaea mit der Melodie.
Als Facsimilia biete ich dem Leser Blatt I mit dem Liede: »Jhesus
cristus Marien soen.ff
Blatt XIII a. »Het is een dach der vrolicheit.«
Blatt LXXVIa und b. »Mit desen nywen iare.«
Die Berliner Handschrift. ^B.)
Die zweite von mir benutzte Handschrift befindet sich jetzt auf
derk. Bibliothek in Berlin, Manuscr. germ. 8. 190, Pergamenthandschrift
] g§ Wilhelm Bäumker,
in Lederband gebunden. Sie zählt 184 (wahrscheinlich vom früheren
Besitzer HofFmann von Fallersieben) signirte Blätter. Sie rührt von
verschiedenen Schreibern her und datirt aus dem Ende des XY. Jahr-
hunderts.
Die 105 niederländischen geistlichen Lieder dieser Handschrift
hat der obengenannte Gelehrte in seinem Büchlein »Bibliotheca Hoff-
manni Fallerslebensis.ee Leipzig. 1846. S. 7 — 14 aufgezählt. Die größte
Anzahl ist abgedruckt in den »Niederl.geistl. Liedern«. Hannover. 1854.
Über den Texten stehen meistens die Anfangszeilen der welt-
lichen Lieder angegeben, nach deren Singweisen die geistlichen ge-
sungen werden sollen. Die Noten dazu stehen durchgehends nicht bei
den vollständigen Texten, sondern sie finden sich Bl. 99 — 109 der
Handschrift mit der ersten Textstrophe besonders aufgezeichnet.
Indessen kann man doch annehmen, daß diese Melodien die an anderer
Stelle über den Texten angegebenen weltlichen Liedweisen re-
präsentiren.
Außer den niederländischen Liedern enthält diese Handschrift,
wie auch die Wiener, eine große Anzahl lateinischer Gesänge mit
den Melodien.
Vergl. Horae Belgicae l. S. 110—113.
Aus diesem Manuskripte gebe ich die Facsimilia BI. 13 a. »In
dulci iubilo.«
Bl. 56a. »Ave maria, maghet pia.«
•
Berliner Handschrift. (C.)
Einigemale habe ich eine dritte Handschrift der Melodieangaben
wegen citirt. Es ist dies die Papierhandschrift Manuscr. germ.
8. 185 auf der königl. Bibliothek in Berlin, welche früher ebenfalls
Hoffmann von Fallersleben zugehörte. Sie zählt 322 Seiten und ent-
hält 92 geistliche Lieder ohne Melodie, jedoch häufig mit Melodie-
angaben weltlicher Lieder. Die Anfänge der Texte findet man ver-
zeichnet in der »Bibliotheca Hoffmanni Fallerslebensis.« Leipzig. 1846
Seite 15—20.
Vgl. Horae belg. L Seite 113 ff.
Literatur.
Acquojßf l)r. J. 6'. jR., Het geestelt/k Lied in de Nederlanden voor de Hervor-
ming. Aantcijzingen en icenken in »Archie/ voor Nederlandsche kerkgeschie-
denift.n Ttoeede deel. S' Gravenhage, 18^6. 8, (Sehr zu empfehlen!)
Albei^dingk-TFtytn, J, A,, Gedichten uit de verschillende tijdperken der Noord-en
Zuid-Nederlandsche Literatuur ete. berste bundeL XI r, XIIU, XI V*", XF* efi
XVI'' eeuw, Amsterdam, 1860, 8,
Niederländische geistliche Lieder nebfit ihren Singweisen etc. } g9
^iöerMnffk^TT^iJnif J. A. en L. J., Oude en nieuwe kerstliederen. Amsterdam,
1852, (Mit Melodien.)
Cfousaemtiker, JE. de, ChanU popwlawce des Fktmanda de France. Gand, 1856.
(mit Melodien).
JSv€rt8, W.j Oeschiedenia der Nederlandsche Letteren; een Handhoek voor Oymna-
»iä» en hoogere Burgerachoien, Derde^ h&rziene Druk. Amsterdam^ 1885.
Cfevtxert, F. A*, Verzameling van. oud^ VTaemeche liederen mif heghiding van piano,
Gentf o, J, 4.
Ooedeke, Karl, Grundriß zur Geschichte* der deutschen Dichtung. Zweite ganz
neu bearbeitete Auflage. I. Bd. Das Hittelalter. Dresden, 1884. S. 457 — 484.
»Niederdeutsche poetische Literatur^«
Hellwald, Ferd. Ton und Schneider, L., Geschichte der niederlfindisehen Littera-
tur. Leipzig, (1887).
SoffintMnn van Fallersieben, De gnüquioribi^ Belgarum literts. Vraiislaviae,
1830, Horae belgicae, pars prima.
Holländische Volkslieder. Breslau, 1833. • Horae Belgiöae, pars seeunda.
Bibliotheea Hoffinanni FaUerslehensis, Leipzig, 1846.
Antwerpener Liederbuch vom Jahre 1544. Hannover, 1854. S^orae helgieae,
pars undecima.
Niederländische geistliche Lieder des XV. Jahrhunderts. Aus gleichzeitigen
Handschriften herausgegeben. Hannover, 1854. Horae Belgicae, pars decima. 8,
In dulci iuhilo, Nun singet und seid froh. £in Beitrag zur Geschichte der
deutschen Poesie. 2. Ausgabe. Hannovjsr, 1861»
Geschichte des deutschen Kirchenliedes bis auf Luthers Zeit. 3. Ausgabe.
Hannover, 1861.
J^anekbloet, Dr, W. J. A., Oeschiedenis der Nederlandsche Letterkunde. Tweeds
geheel omgetcerkte uitgape. Groningen, 1873. 2 Theile.
Le tfettne, Ms. J. C. W., Ldtterkundig Overzigt en JProeven vafi de Nederlandsche
Volkszangen sedert de XV^^ Eeuw. Te JS" Gravenhage , 1828. (Enthält 100
Lieder, darunter einige geistliche; ohne Melodien).
ZiOOtens, A. et Feys, J. M* E», Chants populaires ßamands avee les airs
not4s et poesies populaires diverses, reeueiUis ä Bruges. BrugeSf 1879. (Enthält
eine große Anzahl geistlicher Lieder mit den Melodien.)
Jl£4tifer, G, J. (Hooglesraar ie Groningen)^ De sseven Boetpsalmen en andere stukkeiij
herijmt in de eerste helft der veertiende eeuw. ifituwe Werken van de Maat-*
schappif der Nederlandsche Letterkunde te Leiden V. deel. I. stuk. Te Dard-
. recht, 1838. p. 137 ff.
JHoiif W,, Johannes Brugman en het godsdienstig leven onzer Vadermi in de viffti-
ende eeuw. Afnsterdam, 1854. 2. Theile.
MoM, F. J., Uebersicht der niederländischen Volks-Literatur älterer Zeit. Tübingen,
1838.
Snellfiert, F. A., Oude en nieuwe Liedjes. Gent, 1864. (Mit Melodien).
Van den Bergh, M. L Ph. C., Geestelijke Gedichten von Jacob van Maerlant
en anderen, uit de 13^^ en 14^^ eeuw, Nieuwe Werken van de MaatschappiJ
der Nederlandsehe Letterkunde te Leiden. V. deel, IL Stuk. Dordrecht, 1841.
Van Violen^ J., Gheestelyke Liedekens van Teunis Harmsen van Wevershoef en
Zuster Bartjen van Utrecht. Algemeene Konst- en Letterbode voor het Jaar
1850. I. deel. Te Haarlem, p, 137—143 und 170— -176.
Willems f J. F., Oude vlaemsche Lieder eti ten deele met de melodiBi. • Gent, 1848,
•
1888. 12
170
WOhelm B&umker,
Hdschr. A. BL la.
1.
Jhesns eristnsy m«ri6ii soen.
1 ■ j '.'!'»
Jhe - BUS cri - stus, ma - ri-en soen, Ver - lient die
^Ff
i
le - uen wel
t
-rr-
te doen.
l.JheBus eristus, marien soeiii
Verlient die leuen wel te dfoen.
2. Die syn versceiden van eertriic
Kust YTuechd bi v in hemmelriic.
3. End vree die heilich kerc ghemeen
End al die keraten onder een.
4. End als ona tut hier is gedaen,
Die ewieh croen Tan y tonfaen. Amen.
Zweizeilige Strophe mit folgendem Versmaß :
v-/ — v^ — v/ — v^
\J ^ \J ^ \J — \J
BL la.
2.
Des werrelts myn is al verloren.
^
u
%
^
t — »:
Des wer-relts myn is al ver
±
1
i
lo - ren, Ay! want
$ ^ \~=t
u . i . i-
^
men geen ge - trou
b l^ b.
en vint. Och la - cy ! wat hat ic
i
^
¥
i
i
*
ver - CO - ren, Doe ic haer mit so - laes ont - finc*
l.Des werrelts myn is al verloren,
Ay! want men geen getrou en vint,
Och lacv! wat had ic vercoren,
Doe ic haer mit solaes ontiinc.
2. Och! Bonden heeft sibouen [BLIb.]
maten
Op mi geladen menich iaer,
End nu soud ic haer ffeeme laten,
Dat aceiden valt my alte swaer.
Niederländische geistliche Lieder nebst ihren Singweisen etc. 1 7 1
3. Och sceiden ! dat moet ynuner wesen
Van deser werrelt op eenre tiit,
Dus sucht ic die yan groter vresen,
Want qualie heb ic my geauiit.
4. Ic macn wel suchten ende oeuen»
Als ic sal sceiden van eertriic,
Want reden sal ic moeten ^euen
Van al myn sonden haestelic.
5. Och lacj^ ! ic en weet geen reden
Voer tminste, dat ic heb gedaen,
Och, had ict oerdel wel geleden,
My gruuelt seer ter antwort staen.
6. Och ! mocht ic gracy mi beweruen
Voer al myn sonden, twaer my guet!
Want alst eeeft tiit, dat ic sal steruen,
£n sal ic hebben genen moet.
7. Hür om waert guet, const ic mygeuen,
Te dienen ihesu vlus ter stond,
Want off ic noch een vyr sal leuen,
£n weet ic niet, off syn gesont.
8. Och! hoe bin ic dus traech [Bl. IIa.]
int sceiden
Van deser werrelt idelheit,
Ic weet nochtans, tis scerp te beiden,
Want altees is die doet bereit.
9. Och ! warwerts sei ic my nu keren,
Dair ic sal mögen troest optfaen?
AI eyst myn hert, tis myn begeren,
Des werrelts vroude off te staen.
10. Och! waren ihesu mvn sebeden.
Die ic sal doen, ontiancKelic,
Ende mocht myn ziel comen in vreden
Bi hem, daer bouen in hemelriic!
11. Soe waer ic vry van allen sorgen
£nd ic woud smgen mit ioliit,
Altoes van tsauonts totter morgen :
Jhesus moet syn gebenediit. Amen.
Vierzeüige Strophe;
V^-.V>..\^^V^_
V-/ — V^ — V^ — N^«.
vy — V-/ — \^_-*^-.o
>^' -- v^ _ v^ _ v^ _
In der Berliner Handschrift Bl 73 a. lautet die Ueherschrift : n Adieu myn
vroeehden, adieu solaee.* Möglichertceise gehört die obige Melodie diesem weltU^ien
Liede an.
Textvarianten: i,/. Die xoereU myn. 2,2 ghelaten, 2,3 icse gaem, 2,4 veel te
zwaer. 3,1 vmmer. 3,3 dtts suchte dicke. 5,2 dat ic heb misdaen. 6,3 ic toerdel. 6,4
gruwet teer, 6,1 nv verweruen. 7,2 ihesu tdienen vlusch, 7,3 vre. 8^4 altyt. 9,1 Ach
tcancaert sal ic nv fny. 9,3 AI ist my hart. 9,4 der werelt vroechden af tstaen.
10,3 my siele. 10,4 daer fehlt. 11,3 altyt. Strophe 12:
Des gönne my ihesus so goet,
bouen al so mynlich, suet en lustich,
wies mynne dus my quellen doet,
des nv begheer end bid zeer ynlich.
Bl. Hb.
3.
0 Jliesn heer, keer y tot my.
r-i
*=?^fr
O Jhe-su beer, keer v tot my, Ver -lost my van
vre - een, Die ic heb om te die-nen
12*
4
172
Wilhelm Bftumker,
Myn 80B - den wilt ge - ne - sen.
1. 0 Jhesu heer» keer t tot my,
Verlost mv van die viesen,
Die ic heo om te dienen dy, •
Myn Sonden wilt genesen.
2. JheauB antwert, die suete heer,
Mit groet ontfennherticheit,
Ontsteken tryter mynnen seer,
Och onser ähre salicheit:
3. 0 mensehe, wilt v niet ontsien,
. Die werrelt wilt begeuen,
Yan vresen sal ic v doch vrien,
V Sonden al vergeuen.
Die ziel:
4. 0 ihesu heer, wat groter myn
Word ic van v gewaren,
Beueel ic v myn hert, mjTi syn,
Ghy Bult my wel beuaren.
5. Hier om soe wil ic vroudelic [Bl. Illa]
Die werrelt laten gliden,
Ende dienen v in mynen tiden,
Ghi sult mi wel Teroliden.
Jhesus:
&0.1ieue kynt, des seker siit,
Dat ic v sal verbliden;
le sal T geuen ewich riic,
Wilt nu een luttel striden.
7. V striit sal syn int wederstaen
AI deser werrelts lusten,
£nd oft die viant v eompt raden^
Daer op en wilt niet rüsten.
8. In uwen striit soe roept my aen,
Den viant en wilt niet swichten,
AI laet ic v een wyl begaen,
Schier sal ic v verlieh ten.
9. Nv wilt die werrelt haest ofstaen,
£nd dient my sonder merren;
Ic sal V in myn riic ontfaen,
Bouen dat licnt der sterren.
10. Daer suldi groete vrueohde plyen,
Myn suuerheit aenscouuen;
Wilt my nu mynnen end ontsien^
Ten sei v niet berouuen.
Die ziel:
11.0 ihesu heer, dat «hi gebiet,
In my sei ict bereiten,
End wil die werrelt achten niet.
Van haer soe wil ic sceiden.
12. Addieu werrelt, addieu solaes
In tiitteliken hauen,
Die my maeh geuen ewich paes,
Hern wil ic gaen behagen.
Versmaß: ^— w — v-'_^ —
S-^' _, V-/ ^ ^> -. \^'
V-/ _ •w' _ V^' — \.>
s^ — \y ^ \J ^ \^
BL Illb.
4.
Yerbllit t^ llene susterkyn.
Ver-bliit v, lie-iie sus - ter-kyn, Die tiit is cort,
sal doch syn, Een ye - ge -
sal ont-
Niederländische geistltohe Lieder nebst ihren Sing^eisen etc. 178
s
m
I f
^f^
fiten
loen, van dat hi hier heeft ge-daen.
1. Verbliit v, lieue susterkvn,
Die tut is cort, het sal aoch syn,
Ben jegelic die sal ontfaen
Loen, van dat hi hier heeft gedaen.
2. Mit reoht soe moeehdy syn [Bl. IVa.j
verbliit
In ihesum cristuin tabe tiit,
Die V syn gracy heeft verlient,
Dat ghi die werrelt niet en dient.
3. Die -werrelt is verganekelic,
Haer loen is seer wanckelio,
Wanneert haer dienre waent tontfaen,
Soe comt die doet end sprect hem aen.
4. Och hoe verveerlic ist verdriet
In hem, dan als hiit ouersiet,
Dat al syn bliiscap is gedaen»
End ducht, hi moet ter. heuen gaen.
5. Daer veel tormenten syn bereit
Hem,^ die syn leuen heeft geleyt
AI hiir beneden, op eertric,
In oncuysheit, houeerdelio.
(). Oeh, die tormenten syn soe veel,
Soe wie daer is, die woude wel,
Als ic vermoed nae m}ii verstaen»
Dat hem die doet mocht eomen aen.
7. Soe wie daer is een oech opslach,
Het dunct hem syn soe menigen dach,
Heel meer dan maken dusent iaer;
Dat doet die pyn, die heische vaer.
8. Och dus cricht hie wanhoep» wantrou
End voer syn sonden gheen berou,
Want hi hem niet heeft gedient.
Die syn dienres berou verlient.
9.0 ghy, die hier begeert off viry
Te syn int laetste, hoert na my,
Ic raed, dat ghi die werrelt vliet,
Soe eoemt ghy in dees vrese niet
10. End dient ihesu mit hert, [Bl. IVb.]
mit syn,
Hy sal y geuen guet gew^,
Dat beter syn sal honderfout,
Dan ghi verdient, offwinschen soudt.
11.
12.
13.
14.
15.
16.
17.
18.
19.
20.
Int eyn'd sal hy v doen getrou
End voer v sonden groet berou,
Daer ghy die vrees meed seit verslaen,
Wanneer si v coemt vechten aen.
O denot, wat vruechde v sei syn
Als ghi gedient hebt v termyn
Ibesu, coninc der werrelt wyt,
Die V sei geuen' hemelriic.
0, daer ist also suet, so scoen,
Een yegelie draeeht daer een croen,
Die clarer blincket ongeliic,
Dan eon ende sterren nv ter tut:
Der zielen brugom is soe scoen,
End sit daer in den -hoechsten troen,
Die vroude is onsprekeliic,
Dair hy syn dienres meed verbliit.
Svn suet anscouuen is soe olaer,
Wie bi hem is tien dusent iaer,
Het dunct hem syn een clevne tiit,
Ja veel myn, dan een ogenqUc
Ooh die mocht hören dat geluyt,
Dat daer een yegelie geeft vyt,
Hi soud wel hden alle pyn, [BI. Va.]
Om een vyr in die vroecnde syn.
Nv laet ons roepen an
Ihesum cristum, den sueten naem,
Ende, bidden; dat hi ons yerHen,
Hem hier te dienen sonder vlien.
O ihesu beer, der maechden croen,
Marien wtuercoren soen.
Die suuer bleeft na v geboert,
Van. V begeer wy, tsyn verhoert
O scepper hemels end eertrifc,
Wy biaden v oetmoedelic,
Wilt ons verlierien nv ter tiit,
V hier te dienen mit ioliit.
End als ons tÜt hier is gedaen,
Soe wilt ons mit solaes ontfaen
Bi V, bou^i in hemelriic,
Daer vruechd end vreed is ewelic.
Amen.
Versmaß
\^ —
K> —
V-/ —
In der Berliner HantUehriJt ßndet sich dieselbe Melodie sbu einem andern Texte:
174
Wilhelm Bftumker,
Hdscbr. B. BLlOlb.
4 a.
0 goede ihesa^ wes ons bi.
^^
^
^^
O goe - de ihe - su, wes ons bi mit u-wer zue-ter
1
■♦ — •
3^
min - nen, wat li - den ons dan we - der vaert,
^s
±3E
dat sul - len wie wel ver - win - nen.
Der voüständige Text Bh 146 hat die Überschrift: "het reden twie gheepelen
goet ter heiden, phcken hloemen,« VgL Hoffmann a, a. O. No. 74.
BLVb.
5.
Are marla, maget reyn.
A - ve ma - ri - a, ma-get reyn, Gy su - uer - li - ker
i
^
4-
i^^
^
i
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siit al - leyn Der wer-relts der - heit al - ge - meyn.
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Ont - spre - ke - lic v su - uer - heit Gaet op - ter
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^1 ♦ r "^^_L^
— «^j 1- ^— ^ — t^ ♦ ♦♦
mey-en da - ge - reit, End al dat in haer is be - reit.
1 Vgl. Einleitung S. 163
Niederlftndiflcbe geistUohe Lieder nebst ihren Singweisen etc. |75
In my-nen syn Staet u - we myn. O su * uer maecht,
¥
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^
^
^^
¥
Myn hert myn syn, Soe waer ic bin, ghi wel be-haecht,
$
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^» — r
t
t
f
Yan Y te syn Myn ziel be-claeclit.
l.Ave maria, machet reyn,
G^ suuerliker süt alleyn
Der weirelts cierheid algemeyn.
Ontsprekelic r suuerheit
Oaet opter meyen dagereit,
£nd al dat in haer is bereit.
In mynen syn
Staet uwe myn.
O snuer maeebt,
Myn berty myn syn,
Soe waer ic oin,
ebi wel bebaecht,
Van T te syn myn siel beclaecht.
3. Verlangen neeft my onbeuaen,
Als ic aenscou ster ende maen,
EQ Toert denk, boet mit v macb staen.
Gby siit die edel, suuer bloem,
Dair wt gbesproten is goeds [Bl. VIb.]
soen,
Ibesus beer vanden bogen troen.
Alt bemmelriic
hem seer yerbliit
In V claerbeit,
Want gbi die siit,
Diemen geliiet
der dagbereit
Mit alder vogelen sangberbeit.
3. Ontsprekelic, o edel bruyt,
V suete roec, v suet geluyt
Siet bouen aUe sang end cruyt.
Y macb wel draffen bogen moet,
Die T kiest Toir aat ertsebe guet,
End al tiit uwe wille doet.
Want bi ontfaen
sei sonder waen
Een brugoms croen,
Die niet Tergaen;
Mer als die maen
Sal rayen scoen,
Die gbi bem, edel bruyt, seit doen.
4. Wat sei ic van r denken meer,
Voer allen maecbden bebdie eer,
Yan ihesu, onsen beer.
Gby siit syn moeder, by t kynt,
Die V volcomelike mynt;
AI V begeert gbi aen bem vint.
Maria yrou,
Hier om bi sou,
Die V ter tiit
macb syn getrou,
Van allen row
werden verbliit
Hier nae mit v in bemmebriic.
5.0 suuer maecbt, yerleent [Bl. VII a.]
docb my,
Dat ic y bier getrouue sy,
Bi wien io bin, off wie by m^,
Wat ic aenscow, tis mj al niet,
Hoe scoen tmaob syn, in dit verdriet,
Als ic denc, dat gny scoenre siit!
O lieue maecbt,
oft y behaecbt,
Laet my doob syn
bi y gedaecbt
End niet beclaecbt,
Mer friis end fyn,
Als en brugom in y aenscbyn.
6. 0 coninsbyn, maect dat bereit :
Myn liel, als sy yan bene scbeit,
Moet syn in bemmelriic geleyt,
Daer aUe sielen spannen croen
End blideliken singen scoen
Mit ibesu, uwen lieuen soen.
Diet wel besiet,
Tis groet yerdriet,
Van daen te sien,
Daer yroecbd gescbiet,
End droefbeit yliet
mit alle pyn.
O maecbt; belpt my daer in die sch}ii !
176
Wilhelm 'B&amker,
7. O Trou, wat aal ic aene gaen,
Myn Sonden doen my die verstaen,
Dat myn gebet Word niet ontfaen.
O moeder der ontfarmherticheit,
AI dair die sonder troest op heyt,
troeat my, myn senden sya'my leit!
O lieue maecnt,
ic Word yersaeclit.
Och wat bediet,
Myn hert dat claeeht
Van snaehfl tot daeehs,
Ghi andwort niet^
En_weet, hoe mit my is shesciet.
Marien antwordt.
^. Die saec sei ic v seggen, kynt:
Seer weinix^h hebdy mv gemynt»
Want ydel gedacht v liert yerblint. .
Ic bin soe edel, scoen ende fyn,
Wie dat my mynt, dair wil ic syn
Alleen mit myn deyn kyndekyn.
Hebt my te sin
£nd myn k'ynts myn,
Soe sei V. guet
geschien Tan hym,
£nd daer ic bin,
Ist dat ghy döet,
Suldy hiir namels dragen moet.
9. Wilt alle ydelheit van v slaen,
Gedenket myns end myn kynts naem,
' Soe sal ic v die spreken aen,
End draecht syn iiden in v hert,
Dat hi leet, end die grote smert.
Doch hi om v ghecruset wert.
C)m V leet hy [BL Villa.]
bi sinen ty
Soe groet v erdriet ;
liidt ghi na yry
Alleen om dy,
Dat hi gebiet.
Hier nae sal t wel syn gesciet.
10. Maria' maecht, ic uwen raet
Mit ganseliker tronuen vaet
End wil ontsegg^ alle qnaet
Gaet Tan my, o idelheit,
Maria heeft my waerffeseit,
Want ghi myn hert oicwil Terleyt;
Soe mach die bloem
mit hären soen
My spreken aen
End (^euen loeto :
Een snuer croen.
Als ic sal gaen
Van heen bi haer, bouen die maen. .
11. Daer si is roes Tan paradiis,
Scoen, edel, ciaer, friisch, säet ende
wys,;-
Voer allen maechden draecht ^ prys.
Wye soudmen Tinden haers gäiic,
Die god, ons Taer Tan hraimelriic.
Mit sinen Trucht gebenedüt !
Niemant yoirwaer,
Dat is doch ciaer
Een y^eüic,
want Ua yan haer
Een Sek er maer
Int eertriic,
Dat si is Trou yan hemmelriic.
12. Wairlic, si is die edel Trou,
Diemen mit recht dienen sow,
Want si haer dienres is ffetrow;
Geloeft des Try, soe wie naer dient
End haer mit rechter herten myent,
Si sal hem syn een grote Trient.
Haer si loff, eer
mit onsen beer,
tot alre tiit,
Die ons hier neer
wil maken seer
In hem yerbliit,
End daer nae geuen ewich riic. Amen.
Zeich mit folgendem Versbau f
^• — V^ — N-^ — Vy —
\-^ — \-/ — w — s-/ —
\^ ^ \J ^ \^ — v-/ —
^ — -^ —
w — v^ —
^w^ «. V^ —
v^ — ^ —
»^ — \^ »-
w — w —
v^' — W— v^ — v-/ —
Niederländische geistliche Lieder nebst ihren Singweisen etc. J77
Bl. vmb.
6.
Maria coninghinne.
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r-t j • , • • ■ • i I
Ma - ri - a co - nin-ghia-ne, Myn troest, myn toe - uer-laet,
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' ' I
T*^
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rr-f ->■ T-i-ti-^-f
Ver -criicht my v soens mynne, Be - rou voir myn misoaet.
1 . Maria coninghinne,
Myn troest, myn toeuerlaet,
Vercriicht my v soens mynne,
Berou voir myn misdaet.
2. Des Word ic wel ontwaren,
Dat y kynts myn is guet,
Want si cant tnert yerclaren
£nd gheuen gueden moet.
3. Soe wie yet sal heghinnen
Tot sinen loff end eer,
Staet hi niet in dermynnen, [Bl.
Tsal hem verdrieten seer.
4. Dns ist my in die sinne,
Dat al myn dienst is niet,
Doe icse sonder mynne
Daer traecheit seer offvliet.
ö.Hiir om wilt myns ontfermen,
Maria, edel vrow,
Helpt my, int hert te bemen
Mit ihesus myn end v.
(3.1c mach my wel beclagen,
Bewenen tabre tut,
Dat ic dus yeel dagen
Mit deyne myn bin quyt.
7. Och! had ic my begheuen,
Doe ic was out tien iaer,
In gheesteliken leueH,
le waer syn myn yeel naer.
6. Nu troest my, Iceiserinne,
Maria, suuer maeeht,
Sterct my mit y kynts mynne,
Droeffheit yan my yeriaecht.
Marien antwort.
9. 0 mensch, sich y yan binnen,
Swiicht Stil end hoert my aen,
End scerpt uwe sinnen,
Soe moechdi my yerstaen.
IX]
10. Y clagen end v begeren
Dat heb ic wel yernoert,
Anxt, droefheit y beheren,
Dair ghi my wel [myn]» yoertoert.
11. Ic sei y myn yerwenien
Van ihesu, mvnen Boen,
Draecht int tnert, lieuer [Bl. IX b.]
• Sternen,
Dan tegens hem te doen!
12.'Wanner ghi v cont gheuen
Dair toe mit al v syn,
Soe wilt in yroechden leuen,
Want ^hy hebt myn kynts myn.
13. Och! wie sal my verlenen
Alsoe int therte staen,
Off hoe sal ic verdienen,
soe gueden myn tontfaen.^
14. Och mensch, wair syn dyn synnen,
Hoe dwa«ldi aldus seer?
Wilt doch in y bekennen:
Het heeft verdient v beer.
15. Waer om wilt ghi dus troeren
End v verslaen dus zeer?
Had god V niet vercoren
G^i waert hier nimmermeerf
16. Veel meer, dan ghi cont winsschen,
Heeft hi voer v verdient,
Mer ghi siit traech int eyschen,
Int spreken beer verlient.
17. V gebet sal wel vererigen,
Dat ghy doet myns k^nts eer,
Mach twiuel buten bliuen,
Dat hindert alte seer.
IS. Ghy cont dat niet becheren,
Ist salieh, tsal v geseien;
Mer trowenl soudt v deren,
Ten schiet v een noch ghien!
1 myn ist in dem Verse tkberflOssig. toert ss toemet
178
Wilhelm B&umker,
19. V bidden end begheren [Bl. Xa.]
Laet vliegen van t snel,
Maect anxt, yan hoep gheen Tereii%
Want si doen y groet quel.
20. Ghi moet wel in y herte
trueren yoer y misdaet,
Mer denet, dat myn kynts smerte
Noch yeel te bonen gheet.
21. Wie hem, die dit yergheten,
op hair yerdiente staen,
End dair op hem yermeten,
In myn kynta riic te gaen:
22.Tien dusent iaer beneden
Gheleeft zeer strengelic, •
£n heeft bouen gheen reden,
Te syn een ogenblie.
23. Want beter igt yerolaren
Myns kynts een oech opalach,
Dan in tien dusent iaren
yemant verdienen mach.
24. Mer die troert yoir syn sonden,
Soe lane hem duert eertriic,
End hoept op myn k^ta wonden,
Verdient syn ewich nie.
25. Doet 8oe end weest te yreden,
WiU y niet Beer yerslaen,
Denct wat hi heeft geleden,
AI hebdi yeel misdaen.
26. En dropel van sinen bloede
Ifl weeraioh doch alleen,
Te nemen wt armoede
Die werelt al gemeen. [BL X.b.]
27.Nochtan8 heeft hi te gader
Gestort Toir y misdaet,
End pays tusschen syn yader
End y seer wel gemaeet.
28. Hür om wilt y verbEden
End dient hem trouuelic,
Hi sal in corten tiden
V halen in syn riic. Amen.
Vera maß :
'^ _ v-/ — \^ __ v^'
s^ — v-/ _ v«/ —
w _ v-/ _ vy _ v-/
W _ v-/ — v^ —
Die Berliner Handsekriß B, enthalt Bl 136 b, die Strophen 1, 9, 7 und 8 dea
obigen Liedes mit der Überschrift: »Ic sye des morghens sterre.«^ Vgl Hojpnannj
Niederl geistl Lieder No. 29 und 30. Die Melodie dazu ist folgende :
Hdschr. B. Bl. 103.
-^nrT-^ . . ' — r
Ma - n - a co - nin-ghin-ne; myn troest, myn toeuer-laet,
c 1 \ 1 1
ver - crycht my v kints mynne, be - rou voir mj-n misdaet.
In katholischen Gesangbüchern des 17, Jahrhunderts findet sich diese Singweise
zu verschiedenen Texten,
Bamberger Gesangbuch 1628.
;
T^^ — ^
=35;
S
X=:sr.
$
Ge-grüs-set sey die rech-te Hand, Vn-sers lie - ben Herrn
1 yan hoep = wanhoep. verenP vielleicht gaen veren s fem bleiben.
Niederlftndisohe geistliche Lieder nebst ihren Singweisen etc. |79
^
^
?
^
1^
vnd Hey-landt, Wel-che em-pfieng ein Wun-den gross,
i
W
>
Sein hei - ligs Blut er da ver - goss.
In der »Gath. 0§iHliehen NaMigal, Erffurdt 16669, kommt die Melodie zweimal
vor zu den Liedern ^Gegrüest seysi du Maria rein^i und »Aek by dem Creuh Maria
steht,* Vgl. mein Werk »Dae kath. deutsche Kirchenlied in seinen Singweisen.vi Sd,
II, No. 69 und Bd. I, No, 29.
Das /olgende Lied der Wiener Handschrift, welches ebenfalls die obige Melo-
die trägt, wollen wir an dieser Stelle beifügen:
BLLXIa.
6b.
Slety wy moeten Ternaren.
f^^T~r^r=^^
I
1
Siet, wy moeten ver - ua - ren van tut ter e - wic-heit,
f^H
.1
ff
r
1=^
ver - by gaen on - se ia- ren, och, waer wy wel be - reit!
1 . Siet, wy moeten veruaren
▼an tiit ter ewicheit,
yerby gaen onse iaren,
och, waer wy wel bereit! [BL LXIb.]
2. Seer cort is onse leuen,^
die doet wil eomen schier,
al dinck moet wy besheuen,
ffaeen merren is ons hier,
'awes, eoninc, ionc en out
moeten ymmer stenien,
noch macht, noch cracht, noch goirt
madi respiit yerweruen.
4. Waer syn si ny gebleuen,
die yoir ons waren groet?
niet is yan hem hiir bleuen,
ach sy syn leider doet!
5. AI totter seluen Straten
soe moeten wy alle gaen,
const wy ons oesaten,
die doet wil ons beuaen.
6. Hier om laet ons bereiden
mit naerst al onse leuen,
op als wy hier sceyden,
god syn riie ons moet gheuen. amen.
180
WUhebu B&umket,
Bl. Xb.
7.
Hi trner^ die trueres wiL
1;
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^FT=r*=f
+
Hi truer, die true - lejx xril, Myn trueren is ge-daen:
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IT-»
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Ic heb ghe-8we-gen stil, Ma - li
am wel uei - s taen.
T
l.Hi truer, die trueren wil,
Myn trueren is gedaen;
Ic'heb gheswegen stil,
Mariam wel verstaen.
2. Waer om so soud ic trueren
Off sorgen alte seer?
My dunct, ic bin vercoren
Van Ihesu mynen beer.
3. Dat io hem bin vercoren,
heeft hi gedaen aenschyn,
Went ic most syn verloren,
Deed syn doet end syn pyn.
4. Hi is hier neer gecomen,
Dair in bin ic verbliit,
Misdaet soud my verdoemen,
Syn doet heeft my gequyt.
[Bl. XI a.]
5. Hier om wil ic hem mynnen,
Die my dus heeft verlost,
End in myn hertkyn bynden
Howen voir al myn troest.
6. Ic weet dat wel voirwaer,
Deed syn pyn end syn doet,
AI baea ic dusent iaer,
Twaer al verloren guet.
7. Dus wil ic my verbliden
Seer vroemelic in hem,
Dragen tot allen tiden
Syn doet in mynen sin.
8^ Loff, eer, danc sy marie.
Die edel suu^ maeoht,
Ten was noch wairlic nye,
Dat si my liet versaecht. Amen.
Die Berliner Handschrift B, Bl. 82 enthält die Strophen J, 2, 3, 7 des obigm
Liedes ohne Melodie, mit der Ühersckrift : »Je claem die boem al op, die my thoge.*
HoJ^nann, NiederL geisil. Lieder, No. 73,
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^ —»>./ — V> —
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s^ «. ^y — Vy ^
Verstnafi :
Bl. XI b.
8.
0 Jhesu, wtnercoren beer.
PStlE^^^^i^i^^^
O Jhe - 8u, wt-uer-co - - ren heer, Na v ver-lan-get
Niederländische geistliehe Lieder nebst ihren Singweisen etc. ]^31
my
so seer; Myn hert en al myn syn - - uen
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Be-ghe-ren v tont-faen, End al van gro-ter myn-nen,
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le eni
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Die ghi my hebt ge-daen.
1. O Ihesu, wtuercoren heer,
Na V verlanget my so seer;
Myn hert en al myn synnen
B^heren V tontfaen,
Ena al van groter mynnen,
Die ghi my nebt gedaen.
2. O ihesu lieif, alst v behaecht,
Begheer ie teyn mit rroechd gedaecht
Bi V, m^ troest Tan binnen;
Myn bliisscap, vreed te gaer,
Myn hert dat quelt van mynnen,
Ie woud» ic bi t waer.
3. Qhi siit myn hoep, al myn solaes,
Deed shi, in m^r en waer gheen paes,
T?ant nad ghi niet geleden
Den doet hiii: op eertriic,
In Tond in my {rheen reden, '
te comen in v nie.
4. Ihesu, hoe soud ie ymmermeer
Vergheten v, myn heue beer,
DjLe siat om my bes|K>gen
End yammerlic bespot,
Opt noeft gedut, gelogen,
Gnehouden voer een sot.
5. Och ghi wort Talschelie befaemt,
Oegeselt deerlic, naect [BI. XII b.]
bescaemt ;
Ic denc, eer ghi te degen
Y cleer had weder aen,
Ghi most dat swaer cruys dregen,
Ter bitter doetwart gaen.
6. O unosd lam, ghi ginct beruoet,
Bloets hoeltsi gewont end seer bebloet.
Ic denc, mit bloten armen
Men sUet v hier en daer,
Ghi zeecht die neer, ocharmen, ^
V cruys was veel te swaer.
7. Om mynen wil liet ghi T aen
Voeten, banden dat cruys doerslaen;
Ju siid wort doergesteken,
Van doemen was v croen,
Ohi liet ▼ leedkens breken
Seer bitterliken doen.
8. Wel steenen waerlio is syn hert,
Die hoert off denct v doet, v smert,
End niet en weent wt mynnen,
Tsi weinich, veel of zeer,
Off niet en liidt van binnen
Mit V, vercoren beer.
9. Die V hoert nomen inder tiit^
Mit recht mach hi wel syn vcfbliit,
Want tis hem suet te. hören
Ihesum die suete naem,
Die denct, ic waer ver- [BL XIII a.]
loren,
Had jhesus doet gedaen.
10. O ihesu lieff, t doet, v naem,
Is my int thert alsoe bequaem,
Dat le en weet te vynden
Gheen beter medic^'n.
In my om te verwmnen
Des viants fei fenyn.
11* Hier om bid ic v, waer ic gae,
Off waer ic bin, sit, leg off sta,
Dat ghi tot allen tiden
V naem, ihesus, v myn,
Ju doet end al v liden
Laet comen in myn syn. Amen.
J)ie Berliner Handschrift B, BL 165 b enthält dasselbe Lied ohne Melodie mit
der Überschrift: rDie voghel en die vögeUcyns syn al tXl syn al blide,^
182
Wilhelm B&umker,
Varianten: 2,4 hegheeri v ie otUfaen, 1,6 ende dat. 3,4 hier op aeriry<,
3.5 ic en vonde, 6,1 vaielie beeeaenU, 6,S ghegheeelt deerlike naeet. Es fMt dW
hier ein Wort. 6,4 cleder, 6,6 suMitr. 6,6 dootswert, 6,1 onnoiel. 6,2 doerUoä,
6.6 ghi seecht die neder, 7,1 fyt ghi v vaen. 7,9 ant crujß, 7,3 v sytd wert ddcf
stehen, 7,6 leet v ledekyns, 8,6 of niet en tyt 9^ mach wairlic eyn, 9,3 want hei
ie hem 8oet, 10,6 felU venyn*
Versmaß: ^-w_v-;-w-.
>^ — v> — v/
N-^ — \^ __ \-/ _
W — «o/ — W
V_/ — N«^ _ O —
-• V^
_ \^
BL Xnib.
9.
0 ghy, die ihesius wyngart plant
g^^
J-HtH^-^=:M=
O ghy, die ihe-sus wyn-gart plant, Ver-bliit v op
dat sue-te lant, Daer ghi toe siit ver-co - - - - ren.
^^^^^P
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Die ciei-heit is on - spre - ke
-t-
- lic,
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Die blii-8cap on-
^gji+t+i^p^jiühii^^
be - gri - pe - lic, Die v daer sei ge * bo - - - - ren.
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^
Die claer-heit, vreed, vroechd, su - uer - heit, Die
ihe-sus V
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-W , 1 t i^ i \\'-M,
daer heeft be - reit, en is v niet te no - - - men.
Niederl&ndische geistliehe Lieder nebst ihren Singweisen etc. |g3
1 . O ghy, die ihesus wyngart plant,
Verbhit v op dat suete lant»
Daer ghi toe siit vercoren.
Die cierheit is onsprekelic,
Die bliiseap onbegripelio,
Die y daer sei geboren.
Die elaerheit, vreed, yroechd, suuer-
heit,
Die^ ihesus v daer heeft bereit
en ia v niet te nomen. [Bl. XIV a.]
2. Jherusalem ist lant syn naem,
Veel heilieheden scoen» bequaem,
Veruult mit allen vrueehden.
Van heen en coemt daer niemant in,
Dan die int (t)hert draecht ihesus myn,
£nd is verciert mit doechden.
Dus is hi, die syn wyngart plant,
End neerstich dient, hem seer yerlanot,
Dm corts by hem te comen.
3. Och hoe onsprekelike ciaer,
Dat god daer is, ons lieue yaer,
Is wonder, meer dan wonder.
Hi is, die ewich is geweest,
£nd allen dingen wesen geeft
Daer bouen end hiir onder.
Vyt hem yloyt aUe sueticheit,
Die haer soe yaerd end wyde spreyt
AI tot Üants gülden muren.
4. Syn enich kynt, marien soen,
Is daer soe wonderlike scoen,
Diet tlant y heeft gewonnen.
Hi is soe suet, genuechelic,
Veel seoenre, clarer ongeliic,
Dan hondert dnsent sonnen. .
Hi Sit daer, in dat zuete [Bi. XIVb.]
lant,
Syn lieue yaer ter rechter hant,
Voer allen creaturen.
5. Die hem anscout, is soe yerbliit,
Tien dusent iaer dunct hem gheen tut,
Tis waer, diet can y ersinnen.
Want reden die tut en is daer niet,
Daer nymmermeer en is yerdriet
Van buten noch yan binnen.
Men is daer ewich yroem end bly,
Van allen sorgen is men yry,
Daer inach gheen weeld gebreken.
6. Maria is daer ooninghin,
AI reinen maechden haer gesyn,
Die ihesu syn yercoren.
Mer si is bouen al ghemint
Van eoninx soen, haer lieue kynt.
Als balsom onder doren.
Soe elaer, scoen, friisch end suuerlic,
Dat si daer is in haer kynts nie,
£n is y niet te spreken.
7. Haer croen bleuet daer wonderlike seer,
AI gülden lelien syn haer cleer,
Oout rosen syn haer sampielen.
Recht als die sterren ende maen
Hier yan die sonne licht ontfaen,
Soe doen yan haer die aielen.
Haer roec gaet bouen alle [BLXVa.]
cruyt,
End bouen simbalen haer geluyt
End al gescal der pipen.
8. Die borgers dragen al een croen
End singen, dat klinct in den troen:
Osanna, alleluya.
Mer och der maechden sane is scoen.
Die singen mit des eoninx soen
End mit die maecht maria.
Hoe dat luyt ouer hemmelriic,
Hoe Bcoen, daer, suet end wonderlic,
En mach gheen mensch begripen.
9. Haer croen heeft om een rosen erans,
Si singen mit ihesu aen den dans
End louen sonder merren.
Dat cranskyn heeft soe groet yirtuyt,
Elc roeskyn geeft meer clairheit wyt,
Dan sonne, maen end sterren.
Gheen eruyt op eertriic is soe ^ et,
Dat ruken mach, als cransken doet,
AI waer oncruyt fiolen.
10. Si hören och aat suet geluyt:
Coemt myn j^emynde, suuer bruyt,
End rust y in myn armen.
Si syn beuaen mit ihesus myn,
Als cherubin end seraphin,
Van groter lieft si bemen.
Gheliic die son is haer [Bl. XV b.]
aenschyn,
Si yolgen tsuete lammekyn,
Ghedeet mit witteti stolen.
11. Die engel en zielen syn gemeen
End singen bilde onder een
Den coninc yan den thronen:
Loff eer si y, heer sabaoth,
Almachtidi, ewieh, heilig god,
Een wesen, drie personen.
Ghi siit, die ewich heeft geweest,
End hemel, eertriie mit y gheest
Doet yrolic iubilieren.
12. Och tis hem zeer behachelic,
Te hören yan dat suete nie
Die eerbeirliken leuen
End dienen ihesu trowelic,
S^ wyngart planten wunelic,
Die werrelt si begheuen.
Want als haer tut hier is gedaen,
Sal hi sie liefUc daer ontfaen,
Gheliic die son yercieren.
13*. Tsal ewich duren sonder ow,
Tis seoenre yeel, dant waer yan gow,
Verciert mit gülden bomen.
Die clarer blencken dan die maen,
184
Wilhelm Bftumker,
Die sonne si te bouen gaen
Mit hären sueten bloemen.
Van puren gow ist scoen paueyt,
Mit sueten rosen al doer leyt,
Die sullen ewieh duren.
14. Ic heb soe veel v niet geseit, [BIXYIa.]
Dan tland en is noeh bet bereit,
Dan enich mensch mach denekeo,
Plant rrj, ghy seit daer sjn uerbliit.
Mer Biet, dat ghi ffhestadlich siit,
Ju tut die naect ai lencken.
Als ihesuB y daer sal ontbien,
Ju frerken sal hi ouersien
End nae ▼ doeehden Ionen.
15. Och wairlio, hi is seer verblinty
Die tiitlie Toer ewich mynt,
End wil dat lant vergheten.
Noehtans wel siet syn fundament,
Dat seoen veroierde firmament
Mit sterren end planeten!
Och god, rerleent een yegelio,
Omt lant tedenoken op eertriic
End daemae te bewoenen !
Versmaß:
'^ — W_V^ — v-/ —
v-/ — vy _ W _ O'
. SmaL
Eine zweite Melodie ßndet man unier No. 77. Dort ist der Text als Lied zu
Strophen von drei Zeilen gefaßt. In der vorliegenden Fassung dagegen haben wir
eine neunzeilige Strophe mit Auf- und Ahgesang. In der Berliner Handschrift B.
Bh 177 steht ein gleiches Lied ohne Melodie, vielfach. in anderer f-assung, Soffmann^
Niederl. geistl Lieder No, 102.
In einer dritten Handschrift (C) S. 1 lautet die Ühersf^rift »Dit is de wise:
die meye wil ons mit gelpen bleemen scheneken, des vervrouwen*. Ob die obige Me-
odie ursprünglich diesem Texte angeh&rte, kann nicht festgestellt werden.
Bl. XVIUa.
10.
Het is een dach der TroIicheiL
f
sEHBi^g^fs
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I
I
I
Het is een dach der vto - lic - heit in des co-ninx
I I I • • "1 I
ho - üe, Want daer heeft een maechde-lic - heit ont-fan-gen
T=i=rT=f
van gro - ter lo - ue: Een kynt dat is seer won-der-lic
^^^^^E^^
end al - te-mael ghe-nue-che-lic nae syn-re men-sche-
NiederlfindiBche geistliche Lieder nebst ihren Singweisen etc. Jg5
t t 1 ^ t t ! ^^
lic-he-den, Dat dair leyt on-dach-te-lic end dar-toe
r^T
r=»=T=f
on - be - gri-pe-lic nae syn - re god-lic -he- den.
1. Het is een dach der vrolicheit
in des coninx houe,
Want daer heeft een maechdelicheit
ontfangen yan j;TOter loue
£en kynt, dat is seer wonderlic
end altemael ghenuechelic
nae wpae mensohelicheden,
Dat dair leyt ondachtelic
end daer toe onbegripelic
nae synre godlicheden.
2. Die moeder is dochter tronderlic
Haers soens, want tis haer yader,
Waer hoerde yemant des gheliic?
Hi is ffod ende mensch te gader,
Hi is Knecht end dartoe beer,
Hi is ouer al, dat is meer
Onbegripelic te vinden,
tegenwoerdig ende veer,
Waer hoerde yemant wonder meer?
ten can gheen man bescriuen.
3. Doe Toert quam ihesus gods soen
Tan der maget pure,
gheliic die felien bloyen scoen,
wonder 1 naturen:
Dat hi in die ionc maecht quam,
eer hi enich dinck began,
doen maecte hi hem behagen,
Dat (hi) die borsten der reynicheit
Sauen melc der kuslicheit
en ouden kynt van dagen.
4. Gheliic dat niet en quetst dat glas,
daer die son schynt doere,
geloeff ic, dat si ma^et was
nae end ooc reyn yoire.
die moeder is gebenediit,
in wyens liiff besloten leyt,
Überteizung, Versmaß und Melodie des aUen lateinieehen Weihnachtsgesanges
•Dies est laeiitiaei. {Der Tag der ist so freudenreich!) Die Vorzeichnung des b,
teekhe in allen Oesanghüchem des 16, Jahrhunderts steht, ist hier unterblieben. Vgl.
die goeds soen seboren,
end die bors^s neilich waren,
die god in smen ionge iaren
te suken hat yercoren.
5. Die beer den herdekyn [Bl. XIX a.]
ontboet
des snachts bi hären beesten
mitten engelen bliiscap groet
van des coninx feesten,
die gewonnen had die meecht,
end Inder cribben wel gelocht,
in doekelkyn gewonden;
hi is al der werrelt beer,
van gedaenten scoenre meer,
dan yemant was gheuonden.
6. In den doncker van der nacht
so wast daer alsoe lichte,
die prins wert inden stal gebracht,
die al die werelt stiebte;
men vant hem in den wandelbant,
die sterren maecte mitter hant,
doe hi die hemel wrachte;
hi weende als een kynde mede,
die die wölken donre dede,
ay hy voer op mit erachte.
7. Doe men die werrelt al besoreff,
doe ginc die maecht mit kynde,
te bethleem al dair sie bleeff,
herodes en const niet vinden;
men openbaerdet inden houe,
die glorie sinken mit groten loue
van der weerdichede:
god, hiir bouen in hemmelriic,
verleen ons menschen op eertriic
van gueden wil en yrede. amen.
1 fehlt »der«.
1888.
13
186
Wilhelm Bftumker,
Bäumker, Das kath. deutsche Kirchenlied I, 43. Van den Bergh theüt in seinem
Aufsatze »Oeestelijcke Gediehtem einen fUn/strophigen Text aus einer Handschrift
des 16, Jahrhunderts mit und setzt das Lied m das 14. Jahrhundert, Die Reshen-
folge der Strophen ist 1, 2, 6y 3, 4. Vgl, auch Hofmann a. a, O. Ko. 21, 22, Den
entsprechenden lateinischen Text findet man bei Mone, Hymnen I, 97.
Bl. XIXb.
11.
Heer Tader, hebt den ewigen loff.
Ii^-zpf^^;^
Heer va-der, hebt den e - wi- gen loff, Die ons be-reit
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^^m
4
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-t: — ' .
der en-ge-len hoff, Mit u-wen soen, die ghi ons sant,
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^
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End ons of - doet den heischen brant
I.Heer vader, hebt den ewigen loff,
Die ons bereit der engelen hoff,
Mit uwen soen, die gm ons sant,
End ons ofdoet den heischen brant.
2. Maria vrou, ghi waert alleen
Daer toe yercoren, anders gheen,
Die ons voert bracht emanuel,
Des was die bode gabriel.
3. Kerst was geboren in eertriio
Van eenre maget wonderlic,
Hi leet daer menich bitterheit
Om onser alre salioheit.
4. Hi wert besneden nader wet,
Diet al vermocht, hi woud niet bet,
Hi liet hem yluohten yten land
Om vrese yan herodes band.
5. Als dese maecht gebenediit
Had in geseten haer yoltiit, [Bl. XX a.]
Ginc si ten tempel nader wet,
Die moyses had^ yoergeset.
6. Maria, yrou van hemmelriic,
Enquaemt daer herde willichlic,
Ten had y noch gheen noet gedaen,
Mer ghi woud onder die wet staen.
7. Ohi offerdet daer yoert uwen soen,
Di beer is yanden bogen troen,
Twie deyne tortelduywelk}na ;
des si geloeft y kindekyn.
8. Loff heb dat kynt, die böge beer,
Die wy vol louen n3mmiermeer
En mögen nae syn weerdicheit,
Oeloeft si hi in ewicheit.
9. Maria moeder, maget fyn,
Ghebenediit soe moet ghi syiif
Want mitten soen, die ghi ons bracht,
Ons vaders toem is al gesacht.
10. Maria yrou, doer uwer doecht
Bidt uwen soen, want ghi yermoecht,
Dat hi doer syn barmherticheit
Aensie die cranke menscheUcheit.
11. Heer, doer die bede dynre moeder,
Soe bidden wy, weest onse behoeder,
Soe dat wy inder lester tiit
Mit di worden gebenediit.
12. Dat dit ghescie, soe willen wi louen
Den groten coninc yan hier bouen
End die maghet, yrou maria, [Bl. XXb.]
End sinken ter eren gloria.
13. Gloria tibi domine,
qui natus es de yirgine, ^
cum patre et sancto spiritu
in sempiterna saecula. amen.
1 hadde paßt besser in den Vers.
Niederländische geistliche Lieder nebst ihren Singweisen etc. ]g7
Verwnaßi
Die Singweise ist dem laUiniechen KirchenUede »Te lueia ante terminuim ent-
fiofntnen,
Vesperale Bomanum, Leodii. 1850.
Te lu - eis an - te ter - mi-num, re - rum cre - a - tor,
pos - ci - mus, ut pro tu - a cle - men - ti -
a
sis prae - sul et cus - to - di - a.
Vergl. auch Bftumker, Das kath. deutsche Kirchenlied II. Bd. No. 247 11.
Bl. XX b.
12.
Ons Is een kyndekyn geboren.
r-ri 1 Mm t^^
i
Ons is een kyn - de - kyn ge - bo-ren Tot on - ser
] 1 1 r* f=N
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gro - te ge - win - ne, En waer dat niet, wi wa - ren
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ver - lo - ren, Daer toe dwanc hem die myn - ne.
l.Ons is een kyndekyn geboren
Tot onser grote gewinne,
£n waer dat niet, wi waren Terloren,
Daer toe dwanc hem die [Bl. XXI a.]
mynne.
2. Adam bracht ons in groter noet,
Bi hem waren wi Terioren,
Dat kynt clam wt des vaders scoet
End soende den ouderen toeren.
13
188
Wilhelm Bftumker,
3.Te bethleem een woestieh huys,
Aldaer gelach die moeder
Van eenre k3mde, hiet ihesus,
een bliiscap alder goeder.
4. Hi was geooren ter midder nacht
Van eenre maget pure,
Die heer, die oner al heeft macht,
Een scepper der creature.
5. Bat ysaiaa te voren screeff,
Is nu yeruult te tiiden,
Die moeder suet, die maffet bleefi^
Des willen iri ons yerbliaen.
6. In eenre cribben was hi geleyt
Twischen twien stommen dieren,
In hoy, als die scnftuer ons seit,
Ende si bekendent schieren.
7. Die al die werrelt heeft gemaect
End dat ciaer sonne schäme,
lach in die cribbe bloet, al naect;
Hern vrosen die ledekyns syne.
8. Noch bont noch graw was daer geleit,
noch oic duyrbair ghesmide;
In ioseph oousen was hi geleyt,
Om ons woude hi dit liden [Bl. XXI b.]
9. Groet licht scheen Inder seiner tut
Doe ihesus wert geboren,
Die herdekyns worden seer yerbliit
AI Tter enghelen scaren.
10.[Die enffelen songen allen loff
Mit luaer stemmen dare,
Daer bouen in dat hemelsche hoff,
Dat god geboren wäre.
11. Nt dancken wy ghemeenenüic
Den heer god, yan hiir bouen;
Dat hi ons is worden gheliic,
Des willen wi hem ny louen.
12. Bidden wy, cleyn efi groet,
Desen sueten kynde,
Dat hi ons brenet in abrahams scoet
Ewelic mit hem te sine. amen.
Versmaß:
V./ — N.^ — V> — N.^ —
\j -. y^ ^ \J ^ <j
S^ — 'o' — N> — V-/
Bl. XXIb.
13.
Een kyndekyn is ons geboren.
t — I
Een kyn-de-kyn is ons ge - bo - ren in beth-le-em;
Des had he-ro-des toer - ne, dat scheen aen hem.
Drie co - nin - gen wt oes-ten lan - de qua - men te
I I I
ihe - ru - sa - lern. Sie vraech-den, waer ge - bo - ren was
Niederlftndisehe geisüiohe Lieder nebat ihren Singweisen eto.
189
^^^^l iTTli t^J^
die CO - ninc der io - den. Wy sa-gen in oes-ten
W-J^T-H-t
i
lan - den die ster - re syn, Wy co - men om te
aen - be - den den he - re fyn. Een kyn. etc.
Een kyndekyn is ons geboren
in betUeem,
Des liad herodes toeme;
dat Bcheen aen hem. TBL Xllla.]
l.Drie ooning^en wt oesten lande
auamen te iherusalem.
Sie yraeehden, waer geboren was
die coninc der ioden.
Wy sagen in oesten landen
die sterre syn,
Wy eomen, om te aenbeden
den here fyn.
jBen kyn etc.
2. Herodes vraeohde den vroede syn,
waert kynt geboren was.
Sie seiden in bethleem,
als die prophete las:
In bethleem sal comen
een here groet,
Hi sal syn toIc verlossen
Tt alre noet.
3. Mer als herodes dat yemam,
Dat kynt geboren was,
See wert m toemich en gram
end Termat hem des,
Dat hi Verliesen soude
3n rücke groet
i dochte, noe hi mocht [Bl. XXII b.]
brengen
dat kynt ter doet
4. Heroaes sprae den coningen toe:
yaert wech end soect dat kynt,
Ende al mit ^ter weerdieheit
men seyt hi is coninc,
bouen allen coningen
soe is dat kindekyn,
Men seit, hi sal regieren
dat rike myn.
5. Mer als die coningen quamen
buten iherusalem,
Mit yroeohden dat si sagen
die sterre gaen yoer hem,
Thent dat si daer yonden
een kindekyn,
In doekelkyn gewonden,
mitter moeder syn.
6. Si yonden daer een kyndekyn,
dat was dertien dach out,
Sie broohten hem in offerhanden
mirre, wieroec ende gout
Mit groter weerdioheden,
den here groet
Si yondent daer te male
van hauen bloet.
7. Des snachts, als die coningen sliepen»
soe s^rac die engel tot hem,
Dat si niet keren en souden
doer iherusalem.
AI doer een ander wege
syn si gekeert
In haer oonincs riike,
als men ons leert.
8. Nv laet ons allen louen
dit suete kyndekyn,
Dat hi ons moet brengen
in dat riike syn,
Daer hem die enghelen [BL XXIIIa.]
louen
in alre tiit:
Des moet ons gönnen die vader,
ewelic ghebeneliit! Amen.
190
Wilhdm Biamker,
Versmt^ ttnregebnäfiig
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Refrain.
Die MeMie scheint mir korrumpirt zu «ein. Die h* Vorzeichnung fekU im Ort--
ginal. Die folgende aus der Berliner Handschrift ist singbarer:
Hdschr. B. Bl. 9b.
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Een kin - de - kyn is ons ghe-bo - ren in beth - le - em.
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dat .heeft he - lo - des to - ren, dat echeen an hem.
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Die CO - ninc*gheu wt o - ri - en - ten qua - men te
ihe - ru - sa - lern, si yraech-den: wair is ghe - bo - ren
die CO - ninc der io-deu? wy saghen in o-ri-en-ten
Niederlfindische geistliehe lieder nebst ihren Singweisen etc. ^91
een ster-re scnyn,
1
wy
CO - men om te aen * be * den
^^
I ■ • 7 ▼ >-♦■
dat 8ue - te kin - de - kyn.
Text bei Hoffimmn, Niederländische geisÜ, Lieder No. 7. Das Lied ßndet
mit einer Qhnliehen Melodie in vielen kath, Oesangbüchem Deutschlands und
der Niederlande aus dem 17, Jahrhundert, Vgl BärnnkeTf Das kaih, deutsche
Kirchenlied I, 110,
BLXXnia.
14.
Jhesus is een kyndekyn cleyn.
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Jhe - 8US is een kyn-de-kyn cleyn, Hem myn-nen al - le
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her - ten rein, Laet v
die wer - reit niet be - drie-gen,
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ge-loef-di hoer, si sal v lie-gen.
Sandschriß B, Bl 74 a mit der
l.IhesuB is een kyndekyn cleyn,
Hem mynnen aue herten reyn;
Laet y die werrelt niet bedriegen,
Seloefdi hoer, si sal v liegen,
tiesus is een kyndekyn scoen,
In reinen herten spant hi croen.
Deser worelt moet ghi steruen,
Wü ghi ihesus mynne verweruen.
3. Ihesus is soe ouer soet,
Dat ic hem ymmer mynnen moet.
i fehlt »in«.
VariofUe 1. fe d d c.
Cleynen arbeit mit groet gewyn
Vynt men in ihesus zuete myn.
4. Ihesus is mynre hertkyn troest,
lo Word van allen liden verloest.
Nu laet ons mit herten blide
Ihesum louen in allen tiden.
5. Loff, glory, eer end weer^ [BL XXII b.}
dicheit
Moet ihesu syn* ewicheit.
Want hi syn dienres heeft bereit
Die croen aer ewigher salicheit. amen.
192
Wilhelm Bäumker,
Versmaß'.
Dm Handaehriß B, Bl 74a. enihäU daa$elbe Lied. Text- Varianten findet
man hei Hojfmann, Niederl, geieU. Lieder No. 77.
Das folgende Lied der Berliner Handeckrift hat fast dieselbe Melodie r"
Hdschr. B. El. 36 a.
Kinder ny loeft die maghet marie.
I — I
Kin - der nv loeft die ma - ghet ma - rie, si he - uet
1 1
van die pro - phe - tie, si he -uet enen so - ne, si is
♦ ♦ ♦ ^^
fl 1 ! TT-rrn^
maghet ma-rie, dat won-der en ge-schie ons nye.
Das ist die Weise des alten Hymnus »Conditor ahne siderum.*
Hynmi de tempore et de sanctis. Solesmis 1885. No. 17.
Con - di - tor al - me si - de - mm, Ae - ter - na lux
cre - den - ti - um, Chri - ste Re-demp-tor o - mni - um,
£x-au-di pre-ces sup-pli-cum.
Vgl. auch Bliumker, Das kath. deutsche Kirchenlied I, 4.
Niederlfindisohe geistliehe Lieder nebst ihren Singweisen etc.
193
BL xxnib.
15.
Die lelikyns wit.
I .;>*->^-4^
*
a
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Die le - - - li - kyns wit en - de die
ro-
;i.i;U^l-^^U4-
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kyns roet, Dat syn-se,
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ne. Jhe - sus is
die zue - te naem groet, EEi is van gue - den
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Sin
ne. Com, com, com, com
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i
!
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heer ihe - sus com, Myn - re sie - len bru - de - gom.
1. Die lelikyns wit ende die rooskyns roet,
Dat synse, die ic mynne,
Ihesus is die zTete naem groet,
Hi is van gueden sinne.
Com, com, com,
com heer ihesus com,
Mynre sielen bru- [BL XXIV a.]
degom
2 Ihesus die wil bi ons bliuen,
Ist dat wi hem niet verdrinen,
Hi wil ons syn seinen gheuen
Daer toe mede ewich leuen. Com,
com etc.
3. Ihesus, myn wtuercoren lieff,
Ic bid y, noert doch ny myn brieff,
Want tis my al om y gedaen,
Dat ic dyn yroechde mach ontfiaen.
Com, com etc.
4. Och! myn alre liefste heer,
Na y yerlanget my so seer,
Myn hertken is so ongestelt,
Want tis om y, dattet hier quelt.
Com, com etc.
5. Ach het is soe onmate wee,
Dat oneruloyt ny als die see,
£n dat comt hem al bi tiiden,
Dat ics mach niet langer liden. Com,
com etc.
194
Wühelm Bftamker,
6. Troest xnv doch, ihesu, nv ter tut
£nd geeft my nae v hemmelriic,
Bat ic bequaem daer mach ontfaen
Den croen, end ander dansen gaen.
Com, com etc.
7. Als ic Toer die hemelsche poert
Sal comen hören iheaus woert,
Soe vil ic alsoe lüde singen,
Ist dat hi slaep, hi sal ontspringen.
Com, com etc.
8. End als hi dan ont- [Bl. XXIV b.]
sprongen waer,
Soe wil ic hem bidden daer,
Bat hi syn genade geeft my
End oirloeft te singen melody. Com«
com etc.
9. Heb ic i^n ffenade aldus
Soe vil IC alsoe lüde singen:
Sanctus, sanctus Bominus,
Daer mede wil ic tot hem springen.
Com, com etc.
Versmaß'.
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_ N^ _ v^ _ v^ —
Bl. XXIV b.
16.
Magnum nemen Domini.
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Mag-num no - men do- mi - ni e - ma-nu-el, Quod annun-
^^
T^i > i-ri
:*=«:
ci - a - tum est per ga-bri - el, Ho- di - e ap - pa - ru - it
in is - la - hei, in is-ra-hel, in is- ra - hei per ma-ri-am
♦-f-f-t-I-|-
vir-gi-nem e- ma-nu-el. Hey - o, hey - o, hey-o, hey-o,
»=^^-^t i".-!--^* 1 ' i^
vir - go de - um ge-nu - it, sie - ut di - ui - na vo - lu - it
Niederlfindische geistliche Lieder nebst ihren Singweisen etc.
195
O ihe -flu heer, myn wt-uer-co-ren,
cle-men-ci- a.
13
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i 1 1
ciaer - lic voer my siit ghi ge - bo - ten. Magnum etc.
» ♦ ♦
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Nv
laet dyn doch-ter.
1. Magnum nomen domini emanuel,
Quod annunciatum est per gabriel,
Hodie apparuit in israhel, in israhel,
in isrähel
per mariam Tirginem eoanneL
EEeyo, heyo, heyo, heyo, Virgo deum
g^uit,
sicut diuina voluit clemencia.
O ihesu heer, myn wtuer- [Bl. XXV a]
coren,
Claerlic voer my siit ghi geboren. '
Magnum etc.
2. No laet dvn dochter in yreden
£ä gebruken alle reden.
Magnum etc.
3. Hoe ihesus dat suete woert
Is geworden mensch, dat compt ny^yoert.
Magnum etc.
4. Ende openbaert hem alle luden,
▼oer nyemaat en mach men dat huden.
Magnum etc.
5. Des wil ic my nv yerbliden seer,
En laten varen al myn liden,
Magnum etc.
6. Dat myn hertkyn mach bedrouen,
En m3rn heer niet en soude louen.
Magnum etc.
7. Mer ic wil singen een grote loff,
Dat ment mach hören int hemel«
sehe hoff.
Magnum eto.
8. Ihesu, ihesu, myn lieue here,
Weerdicheit end alle ere
Magnum etc.
9. Moet dy syn van ewen trewen (?)
Nu en nae dit cranke leuen.
Magnum etc.
10. Amen, Amen, Amen, Amen, Amen,
Willen wi singen alle te samen.
Magnum etc.
Da$ ttU8 dem XIV. Jahrhundert stammende Lied »Magnum nomen Domin»
wurde ffewöhnHeh tänoecheehid mit andern JVeihnachteliedem geeungen, u, a. mit
^Iteeonet in laudibue^ und »Joseph lieher Joseph mein^fn (Vgl Bäumker, Das kath.
deutet^ Kirchenlied I, 47), In der vorliegenden Fassung wechselt dasselbe mit zwei
Versen in der Volkssprache ab. Die Melodie datu ist dem V, Fsähnenton eni-
ttommen»
Tonus V.
♦ ^ ^ ^^ ^r=^
^■■» ♦ ^ ^ ^ ^ ♦
Di- xit Do-mi-nus Do-mi-no me-o: se-de a dex-tris me-is.
196
Wilhelm Bftumker,
In derselben Mehdie, um eine Quart erhöhif soüen die nachfolgenden Strophe»
geeungen werden^ sodaß die Fortsetzung also lauten würde:
■^ ^ ^ ^ » -»
» -» ^V ^lZ±
P^
Nv laet dyn dochter in vre-den, En ge-bru-ken al-le re-den.
Nachstehend gehe ich einen zweistimmigen Satz aus der Berliner Handschrt/t:
16 a.
Hdschr. B. Bl. 31a.
f^Tomri^
t
Magnum nomen do-mi- ni e - ma- nu-el,
%.\*\ .1
quod an
- nun-
Li-* J * ; . I ^
+
]!=:*:
±
Cl -
i^
a-tum est per ga-bri-el,
ho - dl - e ap - pa - ru - it
i
« ; * ^ * ' * t
in is - ra - hei, fac-ta est le - ti - ci - a in beth-le -em,
gri > 1 « I « 1 «4-H-r4=^
i_ML-!-4 ♦ rrh-| t 1 .-U
sunt im-ple-ta, quaeprae-di-xit da-ni>el per ma-ri-am,
1^
$^
Wi* i * f-j-rr; «1*1«
Niederlftndisehe geistliche Lieder nebst ihren Singweisen etc.
197
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de ma-ri - a vir - gi - ne na-tus est rex. Ey - a,
ki.__Ui-t=4^=-^=F4=^
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M^
T^
rr-t * i-^U-^
sie - ut dl - ui - na vo - lu - it cle-men- ci - a.
4
pr 1 . 1 > I yt-T-nnt
■H-
OrigindhMü89el :
^^ Vorzeichnung fehlt.
*— ♦—
1 Jm Original steht c d statt de, * femer e h g f statt c a g f,
3 ^ statt o. ^ t4fi<i 0 statt b.
Bl. XXV b.
17.
Een alre lleffelicken een.
Een al - re lief - fe - li - cken een, Dat heb ic wt-
^
^
^
+
t=3:
i
uer - CO - ren« Dat is ihe - sus van na - za - reen,
198
Wilhelm Bäumker,
Repetitio.
i
t * l_^i.»i t [-
E
Is van der ma - get ge - bo - ren. Su-yo, su-yo,
su-yo SU, Su-yo, »u-yo, su-yo su, Su-yo, su - yo^
^nn»-r~f^-^^-^-
SU - yo SU Lie-ue su-sters iß dat
niet nv?
l.Een abe lieffelioken een
Dat heb ic wtuercoren,
Dat 18 ihesus van nazareen,
Is van der maget geboren.
Repetitio.
Suyo, 8uyo, «wyo su,
Suyo, suyo, suyo su,
Suyo, suyo, sujro su,
Lieue susters, is dat niet nv?
2. Des willen wy ny blide wesen
End hebben rroeehde grote,
Want hi is nv ons ghegeuen
wt des vaders scote.
3. Het vas een grote tut van screyen.
Och lange tut hier te voren,
Ende den moet god gheleyen,
Want ihesus is geboren.
4. Wi souden hebben bUis- [Bl. XXVI a.]
ca^ groet,
Const wy ons wel besinnen,
Hoe dat vaderlike woert
is worden mensch yan mynnen.
5. M^'n is wel die meeste scat,
Die ny is hier in deser tut,
- Want wt mynnen quam ons dat,
Dat wy syn dus seer yerbliit.
6. Ons is een kyndekyn geboren
End een soen wel ghegeuen,
Wy syn daer toe wtuercoren,
Dat wy des mynnentlic plegen.
7. Qod die yader heeft gesent
Van mynnen opter eerden
Sinen soen tot een present.
Die scat yan riiker weerden.
8. Van desen sueten ghereohten
Sow wy dicwiil crigen,
Waer wy getrouue knechten,
Dat ons nu moet ontbliuen.
9. Mer onse yader die is nie,
AI si wy arm yan hauen,
Menden wy getrouuelic.
Hl soude ons wel begauen.
10. Hi heeftes ny so seer begonnen,
Const w^ dat wel begheren,
Want die myn heeft hem yerwonnen,
Hi en can hem niet geweren.
11. Och mocht ic bi der cribben
Sitten mit gedachte,
End sien hem daer in liggen
Arm end ongheachte.
12. Als ic hem dan aldus [Bl. XX\i:b.]
yonde,
Wat mocht ic dan beghinnen,
Dan wt reynen groode
Een liedekyn te singen.
13. Als die engelen songen
Mit enen bUden geeste
Wt des hertschen wonnen
Tot des coninx feeste.
14. Dat deden si mit rechte,
Want si wisten ymmer wel,
Dat hi was beer, al scheen hi knechte,
Dat bewisede luter spei.
15. Sie kondichten ons yrede
die lieue engelen syn,
AI woen wy noch beneden,
Wy willens ymmer yennoet syn,
16. Mit recht sal hi yerbliden,
Soe wie ditjguerdenoket,
Dat ons in desen tiiden
Dees graci is gescencket.
17. Men machs mit ghenen sinnen
Nummermeer yolprisen
Die ouergrote xnynne.
Die hi ons woude bewisen.
Niederländische geistliohe Lieder nebst ihren Singweisen eto.
199
18. Want dat luete vaders hert
Heeft die myn ontsloten,
£nd al dat ons gebrac,
Is daer wt genloten.
19. Die langhe was yerloren
Heeft hem laten yynden:
Ood is mensch geboren.
Geworden tot enen kynde.
20. Want des vaders toeren
Was op ons hier alsoe [Bl.|XXyiIa.]
groet,
Dat god is mensoh geboren
£nd sterff so seer der mynnen doet
21. Des wi te louen
Hem hier nv beghinnen,
Op dat wy hier oouen
In mynnen al volbringen.
22. IVant wi synt so rechte cranc
Nu in desen tüden,
Mer waer wy in ons vaders lant,
Soe mochten wy verbliden.
23. Baer sei een yegeiic syn lief
Nae sinen wil gebruken,
End hebben van hem alt gerieff
Alle anderheyt wtsluten.
24. Daer is dat suete vaderlant
Vol van allen vruohten,
Mer dat my is soe onbecant,
Dat doet my die versuchten.
25. Daer werden vrolic in geleyt
Die mynnentlike gasten,^
Die hier nae corten arbeit
Ontfaen die ewige rasten.
26. Daer is dat wesen sonder gront,
Wy konnens niet besinnen,
Het Boude ons wel worden kondt,
Konst wi hem leren mynnen.
27. Ood die vader, die is weert
In des hemels throne,
End al dat mach werden verteert,
Dat heeft betaelt die sone.
28. Daer aal wesen ons eten
Dat ouersuete lammekyn,
Van den woluen gebeten,
End woud ant cruys gebraden syn.
29. Die heilige geest sal [Bl. XXYlIb]
schencker wesen
Van deser sueter mynnen wyn,
Die sieeten oan genesen,
Daer is altoes guet blide te syn.
30. Die lieue seraphinne
Syn te dienst daer al bereyt,
8i louen, dat ic mynne
Mit also groter vrolicheit.
31.Deus! wat is daer feesten
In des alre ouersten hof,
Daer die hemelsche gheesten
Hem altoes singen gioten loff.
32. Och! waer io daer bouen,
Soe waer my alte wel gheschiet,
Soe mooht lo helpen louen
Myn alre ouerste suete lieff.
33. Daer soud ic onbeuangen,
Dat myn hertkyn ommer meent,
Soe waer ooc myn verlangen
Seer saliohlic gheeynt.
34. Mer io moet my liden,
Tis alsoe mit mv gesteh,
End niet te recnt verbliden,
Ic en bin al claer mit hem verselt.
35. Hiir om mach ic wel screyen
End wesen droeuich van synnen,
Daer io dus langh moet beyen,
Eer ic myn lieff gewinne.
36. Mer al is hi daer bouen,
End ic hier beneden,
Hy moet sonwyl comen
End setten my te vreden.
37. Want sonder tiem te leuen
Dünct my syn steruen, [Bl. XXYIIIa]
Ic en waers ooc niet te vreden,
Soud ic hem lange deruen.
38. Hi is soe rechte mj^nentlic,
Ic en mach syns niet onberen,
Hi is myns iielkyns hemmelriic,
Wat mach ic meer begheren!
39. In mynre zielken binnen
Soe moet hi altoes bliuen
Ende mit synre mynnen
Alle anderheit wtdiiuen.
40. Hv quam van hiir bouen
Wt mvnnen hiirbeneder,
End al dat wy vermögen,
Syn wi hem sculdich weder.
41. Hi heeft gearbeit sere
Yoer ons snaohts oec ende dach,
Const wy ons tot hem kere,
* Hi en gneert dair niet meer af.
42. Dat morch van mynre sielen
Dat moet hi al verteren.
In hem om te verwilen,
Is altoes myn begheren.
! 43. Lact ons gheuen hert ende syn
Ihesu, onser alre vrient,
Hi heeft des veel myt synre myn
Op ons altoes seer wel verdient.
44. Die mynnentlike here
Is van sroter weerden,
Ic gheef hem priis end ere
Yoer al dat leeft op eerden.
45. Och ! mocht ic hem mynnen
Hier nae alle myn [Bl. XXYIIIb.)
begheert,
AI coste my dat myn sinnen
Hi waert my alte mael wel wert.
200
Wilhelm Bäumker,
46. Hi heeft ons alsulke myn bewüst
In leuen end in steruen,
Wat niet en staet in synen priis,
Dat mögen wy gheem deruen.
47. Hi heeftes nv soe Beer begonnen
Mit synre groter mynnen lyn,
Bat ic my gheef nv al yerwonnen
End wil altoes syn eyehen syn.
48. Want coem wy Troe ot spade
"Ead hebben lang ghemerret,
Noehtans i« syn genade
Den sonderen, niet ontnerret.
49.1c wil ny myn betrouuen
Setten altoes vast op hem,
Ic hop, hem noch te scowen
In dat hemels iherusalem.
50. Daer is alsoe groet ioliit,
Si leuen in eenre mynnen,
Si syn alre sorgen qnyt
End süeuen bouen synnen.
51. Die ons die yader heeft gesant
"Vft herteliker mynnen,
Die moet ons brengen in dat lant,
AI daer die enffden singen.
52. So soude ic vel mögen cussen
Mit m3mre sielen monde,
Mit also hertliker lusten
Myns gemynden wonde. [Bl. XXIX a.]
I 53. In hem is nv hier al myn hopen,
I Och! dat doet die rüke aeat,
I Die hi nv my heeft ontsloten,
i Doe hem svn suete herte brao.
54.'Doe yloeyde die fonteyne
Der vaderliker mynnen,
Diet al ean maken reyne
Van baten ende van binnen.
■ 55. MTtter menichaoudicheit
Myns gemynden wonden,
Soe wart nae synre behaechlioheit
Qedeylicht al mjn sonden.
56. Want dat syn die rosen
Roet van groter mynnen,
Sy connen wel doen blosen
Den riele die van binnen.
57. Hi heeft den doet yerwonnen
End den hemel opgedaen,
Syn hertk3rn wort ontgonnen,
Om ons daer in te ontfaen.
58.1c bin te deyn te louen
Den beer van svnre mynnen,
Mer ic beueelt nier bouen
Den lieuen seraphinnen.
59. Si synt, diet hem Beer wel Yerataen,
Want siis altoes plegen,
Doer hem soe moeten si ontfaen,
Loff van mynre wegen. Amen.
Versmaß unregelmäßig- v^_w_w_o —
^/^ — v-/ — \> — \J
v^ — v^ _ v^ — vy
Bl. XXIX a.
18.
Ic had 806 gheem den heyllgen gheest.
T t i « ^ ' ^-^-n « ^ t
Ic had soe gheem den hey - li - gen gheest, al bey ic lang,
T«iT^
; I U-^
wy wil-len van heer ihe-sus ma-ken een ny -wen sang.
I 1
»zi=tT~, 1 1 I ^ «-4-h4
Hoe bli- de dat syn moe - der was, doe ihe - sus in haer
Niederländische geistliche Lieder nebst ihren Singweisen etc.
201
i
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^=4=&l
i
^
T
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arm-kyn lach, Dat wer - co - ren, Het heeft ver-lost dat
^^
^
¥
i
^
gioet geslacht, dat was ver - lo - ren. AI on - ver - bor- gen
wye ihe-sus in syn hertkyn draecht, die en der niet sor-gen.
1 . Ic had 8oe gheern den heyli^en gheest,
ai bey ic lang,
Wy willen van heer ihesus maken
een nywen sang,
Hoe bilde dat syn moeder was,
Doe ihesus in haer armkyn lach,
Dat wercoren,
Het heeft verlost dat groet geslacht,
dat was verloren.
AI onverborgen
Wye ihesus in syn hertkyn
draecht,
die en der niet sorgen.
2.Wy willen ons vermyen gaen int pa-
radiis,
Daer sy wy al euen vroet. als euen
wiis,
Van vogelen sanc, van harpen clanc,
Van seraphinnen, die syn daer binnen
AI in den throne.
Och my en mach genoegent niet,
eer ic daer come.
AI onuerborgen etc.
3. Maria is die alre scoenste, si macht
wel syn,
Soe wel hem die daer scouuen mach
haer ciaer aenschyn,
Sy mach ons allen maken vroe
Hier bouen in der engelen choer,
Als wy dair comen;
Yoerwaer dair is gheen twiuel aen,
ten sal onsvromen!
AI onuerborgen etc.
4. Ihesus is die beste weert , dat weet
ic wel,
Daer hi anden tafe) siit, daer vaert-
men wel.
1888.
Hi is die weert, hi willet syn^
Hi gelt die cost, hi quyt die wyn,
hi doetet gheerne.
hoe gheern waer ic nae deser tut
in syn tawemel
AI onuerborgen etc.
5. Doe ihesus Inder cribben lach, die edel
man,
Joseph, syn trou be- [Bl. XXX b.]
hoeder, tot hem quam,
Wat vant hl inder cribben daer?
Een kindekyn scoen en ciaer,
dat was emmanuel.
Maria syn moeder was daer bi
Ende die engel gabriel.
AI onuerborgen etc.
6. Doe ihesus anden cruee hinc, die
edel man,
Hoe mocht die vrou omt herte Byn
end sint iohani
Die moeder had den rou van binnen,
Ihesus sterff ant cruys van mynnen
Mit groter iamerheit.
Och moet ic daer al myn sinnen
aen leggen in weerdicheit!
M onuerborgen etc.
7. Och wie heeft my geholpen aen dit
ongeliic,
Dat ic eertsche dinge mynne voer
hemmelriio I
Ic en wil daer niet meer houden aen ;
Mer ic wil voer den dach opstaen
end gode louen.
Had ic dat al myn tut gedaen,
het soud my vromen.
AI onuerborgen
"Wie ihesus in syn hertkyn draecht,
die en der niet sorgen.
14
202
Wilhelm B&umker,
Versmaß: w_^_- o — ^— v-/_v>,_
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i\^] „ v^ — w
V> W — Vy — N-/_
^/ _ «^ — v-»'
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v^ - ^^ - ^ _ v^ _l J2e^atn.
v-/ ^ v-/ _ y j
Dieser Text ist mit seiner Melodie jedenf aus einem lateinischen Leieke nocft-
gearheüei,
19.
BLXXXIa.
'Wat wonder heeft die mjm gewrachtl
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Wat won-der heeft die myn gewracht?
Sie heeft
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den gods soen ne - dei-bracht, Dat hi doe quam by syn-re
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cracht
AI in der ma-get ma ' - ri - en.
1. Wat wonder heeft die myn gewracht?
Si heeft den gods soen neder bracht,
Dat hi doe quam by synre eracht
AI inder maget marien.
2. Och merct, wat heeft hi aen gegaen !
Syns vaders riio is hi ontgaen,
Liden, dogen heeft hi geuaen
Eß al wt rechter mynnen.
3. God is die myn, dat se^i; sint ian,
Die wtten hemel neder quam,
Doen hi menschelic form aen nam
AI inder maget märien.
4. Och al dit heeft die mvn gewracht,
La et ons dees werrelt laten af
£nd leuen inder mannen dach,
Soe moech wi yrede gecrigen.
5. Ay merct, wat heeft die [BL XXXI b.]
myn ontfaen,
Si deed hem anden oruce slaenl
Hi was roet en swart gedaen,
Om mynen wU woud m dit lien.
6. 0 myn, o myn, o bemende m3m,
Gi staet soe diep in m3men syn !
Niet anders mach dair oomen in,
Wilt my nv niet hier laten glien.
7. 0 myn alre liefste beer,
Altoes gescie v lof end eer!
Doet my doch leuen na uwen leer,
Ontgaet ghi my, dat doet my seer.
8.1c bid y, wilt doch nv verstaen
End laet my uwe myn aen gaen ;
Oec leyd my inden rechte baen,
Dat ic der sonden mach ontgaen.
Niederländische geistliohe Lieder nebst ihren Singweisen etc.
203
9. Och wtuercoren toeuerlaet,
Myn troesty myn hoep end al myn baet,
Seyd in myn hertkyn der mynnen säet,
Soe mach ic meyen, dat daer toe staet.
10. Heb ic d3m ontfermherticheit
In deser swaer ellendicheit,
Des ordels grote strenicheit
Bin ic dan quyt Inder waerheit.
Amen.
Versmaß: v^-v^_\^_v^_
^ — V^ — '^ — V-^ —
V-/ _ V-> — V-^ — v^
£m anderes Lied siehe unter No. 60.
BL XXXII a.
20.
Ic sie den dach int oest opgaen.
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Ic sie den dach iut oest op - gaen,
O ihe-su lief,
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wilt my bi-staen; Ver-leent my, de-sen dach tont-faen
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mit danc-ber - heit in u - we naem, end al - le son-den
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we - der - staen. O ibe - su lief, ic roep v aen,
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wilt my mit v myn be-uaen, op dat ic v mach syn
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be - quam End soe des vi-ants stric ontgaen.
14*
204
Wilhelm Bäumker,
l.Ic sie den dach int oest opgaen,
O ihesu lief, wilt my bistaen;
Verleent my, desen dach tontfaen
Mit dancberheit in uve naem
end alle sonden wederstaen.
O ihesu lief, ic roep v aen,
wilt my mit v myn beuaen,
op dat ic T mach syn bequam
I^d soe des viants stric ontgaen.
2. Die sonne scoen end ciaer opgaet,
Och beer, vergeeft my myn misdaet,
£n weet my anders gnenen raet,
Te comen in der yroechden graed.
Qhi siit myn hoep, myn toeuerlaet,
AI myn genade aen v staet.
O ihesu lief, nv van my slaet
Myn sonden, boesheit ende quaet
End set my in der doechden straet!
3. Die vogelkyns syn blidelic.
Die bloemkjTis oloeyen suuerlic,
Die lelikyns spruten gracelic,
Die roeskyns ruken suetelic,
Hoe scoen moet s\'n in hemmelriic,
Dair aUe dinc onsprekelic
Veel scoenre is, ya ongeliic,
Dant wesen mach hier op eertriic.
Och beer, haelt my daer cortelic.
4. Wat baet des vruechd, diemen aensiet,
Si compt geringh end gaet seeryliet,
Si is ny, end schier is si niet,
Wat ist anders dan ^roet yerdriet,
AI dat hier op eertriic gesciet;
Hier om hi hem seer wel beriet,
Die hem alleen op god yerliet
End deed geliic als hi gebiet.
Der werrelts yruechde after liet
5.0 ihesu, beer der [Bl. XXXIIIb.]
reinicheit,
Ghi siit, daer al myn troest aen leyt,
Ic myn yeel meer y zueticheit,
Dan alder werrelt suuerheit.
Ic bid y guedertierenheit:
Verleent myn hert oetmoedicheit,
Op dat ic y mach syn bereit
End dienen mit gestadicheit.
Loff si y in der ewicheit. Amen.
Versmaß:
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neunmal.
Bl. XXXIII a.
21.
Myn hert dat is in lyden.
Myn hert dat is in ly-den, Alst denct op hem-mel-riic,
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Daer si hem al ver-bli-den Mit ihe-sü e-we-lic End
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syn van sor - gen vry. Och heer hoe we is my,
Alst my coemt in den sin, Dat ic daer niet en bin.
l.Myn hert dat is in lyden,
Alst denct op hemmelriic,
Daer si hem al yerbliden
Mit ihesu ewelic
End syn yan sorgen yry.
Och heer, hoe we is my,
Alst my coemt in den sin,
Dat ic daer niet en bin.
Niederländische geistliche Lieder nehst ihren Singweisen etc.
205
2. Och ic bin hier be- [Bl. XXXIIIb.]
neden,
Daer bouen die ic myn,
Tis lange tut geleden,
En hoerde niet yan hym,
vHoe dattet mit hem staet.
Nu ihesu lief, ontfaet
Myn siel, die aldus seer
om Y quelt, lieue heer.
3. Wie sei myn boetscip dragen
Ihesu, myn suete lief?
Oeh mocnt ic hem behagen,
Dat waer al myn gerief,
Soe woud ic vrolic syn.
Myn hert liit dicwil pyn,
Als ic yt ontgae,
Myn lief niet vast en stae.
4.£n weet gheen beter bode
Te sejnden aen myn Uef,
Dan IC my gheef tot gode,
Mjn hert laet syn myn brief.
Hl seit al wel yerstaen,
Hi is diet hert siet aen
£nd daer na hi verlient
Syn graci, die hem dient
5.0 Ihesu, heer der heren,
Gods wtuercoren soen,
Aensiet doch myn begeren,
Ghelieftet y, wiit doen,
Het is seer mjm begeert,
Te syn geyisitiert
Van y, o lief, te hant
My seer na y yerlanct.
6.1y suete eonsolacy, [Bl. XXXIV a.]
o ihesu, lieue heer,
Is mj een grote gracy,
Ic bid y daerom seer.
Och yuel ic hem in my,
Van sorgen waer ic yry,
TVant hoet thert is gewont,
Si maectet al gesont.
7. Waer bliifdi wtuercoren,
End Word iu niet ontwaer!
Ic bid iu, wilt doch hören,
Myn hert dat is my swaer,
Temael seer ongestelt,
Het is om y dat quelt;
Van rouuen seit yergaen,
Macht iu troest niet ontfaen.
8. Och wilt my niet begheuen,
Myn abre liefste beer,
Want sonder y te leuen,
En wynsch ic nymmermeer.
Ghy siit myn hert, myn syn,
Ic Did y, sprect my in,
Laet my yan y yerstaen,
Hoe ghi wilt syn ontfaen.
9.1c had y also gharen,
O ihesu lief, in my;
Ghi siit myns herts yerclaren.
Mit y soe bin ic bly,
Tis anders groet yerdriet
AI dat in my gesciet,
Hoe scoen, hoe suet mach syn,
Twerd al int laetste pyn.
10. Ny wilt myns doch ontfermen,
Ic heb iu langh yerbeit,
Gomt, doet myn hertken bemen
Mit y in sueticheit. [BL XXXIV b.]
Het is my alsoe bang,
Want ghi toeft alsoe lang;
Des ic bin ongewoent.
Och lief, io bid y, coemt.
11. Och heer, yeel tribulacy
Is my aldus bereyt.
Heb ict yerdienl^ och lacy,
Dat is my waerlich leyt !
My dunct, ghy staet my leech,
Tis ymmer niet alst pleech.
Ic clsiech iu myn yerdriet,
En ghi en troest my niet.
Versmaß: \^ — v^ _ ^ _ w
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v-/ — W _ s./ —
In der Berliner Handschrift (C) S. 117 lautet die Ueberschriß: »Het vryde
een Houesch ridder soe ^nennygen lieuen dach, enes.^ Vielleicht gehört diesem Liede die
ohige Melodie an, Varianten bei Hoßmann a, a. O. No. 84 (13 Str.),
206
Wilhelm B&umker,
BLXXXIVb.
22.
Och, nT mach Ic wel trneren.
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Och, nv mach ic wel trueren, My dunct ic heb ver-lo-rcn
m
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Jhesum myn zue-te lieff. Ic waend hem syn ver-co-ren,
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1 1
Ic sprac en wilt niet troeren, Tis al een an-der brieff
1. Och, nv mach io wel trueren,
My dunct, ic heb verloren
Ihesum myn zuete lieff.
Ic waend hem syn yercoren,
Ic sprac en wilt niet troeren,
Tis al een ander brieff.
2. Myn hert end all myn [Bl. XXXV a.
ginnen
Syn seer beswaert van binnen.
In my is groet verdriet.
Ic waende staen ter mynnen,
My dunct, ziia te begmnnen,
M3m lief en acht my niet.
3. Och wie sei my nv leren,
Aen Wien sei ic my keren,
Daer ic mach troest ontfaen?
Ihesus is m3m begheren,
Van row sei ic verteren,
wil hiis my dus ofgaen.
4. Tis noet, ic wil my keren
Aen haer end troest begeren,
Die moeder is end maecht.
Ic hoep tot synre eren
Sei si my visitieren
End maken onversaecht.
5. Maria coninghinne,
Myns herten troesterinne,
Och hoe ist dus gesciet!
Versmaß :
1
Ic waend in v kynts mynne
Te staen mit hert mit sinne,
Nu dunct my, tis so niet
6. Nv noch in ghenen tiden
En can ic my verbliden,
Tis niet mit my alst pleech.
Ic merct an allen siidien,
Wat ic vemeem, tis liden,
V soen die staet my leeeh.
7. Ic waen van daech te dage,
Nu sei ic hem behagen,
Hi sei my comen bi;
Mer lacy, nae myn dagen,
Dunct my, hem weynich vragen,
Hi bliift te mael van my.
8. Och dus ist scarp te [Bi XXXVb.]
Striaen,
Te kennen syn verbliden,
End droeuicn syn altiit.
Een wyl tiits moch ment liden,
Mer och tot allen tiden
Tis my te scernen striit!
9. Nv maecht, wilt myns ontfermen,
Myn wenen end m)ii karmen
Laet niet verloren syn.
Ic bid, helpt my te bernen
Mit myn in v kynts armen,
Troest my wt dese p3m. Amen.
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Niederländische geistliehe Lieder nebst ihren Singpireisen etc.
207
Der Anfang de* LUdes hat eme voiksthümliehe Weise. Ich finde eie wieder
m$ einem T<igeUede, welches Böhme in seinem äUdeutschen Liederhuehe Nö, HS aus
Joh, OtCs Liederhuehe 1534 mittheilt:
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Wol auff, wir woUens wecken, Weckens ist an der Zeit.
Bl. XXXV b.
23.
0 creatner dyn clagen*
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O cie - a-tuer dyn cla - gen, dyn bidden end dyn via - gen
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heb ic al wel verstaen. Ghi wilt myn kynt be - ha - gen,
mer tcruys mit hem niet dra - gen, dair al die myn leit aen.
Maria.
1 . O Creatuer, dyn clagen,
dyn bidden end dyn Tragen
heb ic al wel verstaen.
Ghy vilt myn kynt behagen,
mer tcruys mit hem niet dragen,
dair al die myn leit aen.
2. Ghi wilt iv hier ver- [BL XXXVI a]
bilden
End oec nae desen tiiden
Myns kynts solaes ontfaen;
Mer ghi en wilt niet striden
in bitterheit, in liden,
Als hie Yoer heeft gedaen.
3.0 denct, ten is gheen reden,
Hebdi luer niet geleden,
Dat ghi coemt in syn riic.
Hierom, wüdi in vreden,
Verdient dat hier beneden
Mit striden yromelic.
Die ziel.
4. Maria, bloem der bloemen,
Dit heb ic wel Temomen,
Het moet soe syn ghedaen;
Mer soudt v kynt niet oomen
End my int striden yromen,
Hoe soud ic bliuen staen!
5. Mi docht die tut verleden,
Als ic deed myn gebeden,
Hi troeste my seer wael;
Mer bin ic ny tontfreden
End bid tot allen steden,
Hi laet mi altemael.
6. Soud hi my dus begeuen
VTat baet waer my te leuen,
Waer ic niet beter doeti
Van anzt mach ic wel heuen.
Wand word ic das yerdreueu,
Soe is gedaen myn moet.
Maria.
7. 0, die ic plech te leren,
Dat ghiy soud yerueren [Bl. XXXVI b.]
End liidsam syn altiit,
Waer is y profiteren,
Dat ghi toent myn kynts eren
In desen eleynen striidt!
208
Wilhelm Bftumker,
8. Wist {^hy myn kynts manieren,
Die hl heeft int regieren
Syn vrienden gyn op eertriic,
Gni Boudt des niet yersieren,
Hoe 8uet, hoe guedertieren
Hi vaer ecn yegelicl
9. Syn dienres int J^eghinnen
Helpt hi die striidt die wynnen,
Op dat si bliuen staen;
Hl geeft hem vroechd van binnen,
Mer nae als si hem mynnen,
Laet hi se wat begaen.
10. Nochtans tot allen tiden
Aensiet hi, hoe si liden
End vechten om die croen;
End die rerwynt mit striden,
Sei hi seer corts Yerbliden
Dair bouen, in den troen.
11. End die die striit Verliesen,
Tsoudt niet syn, roocht si kiesen,
Sy Valien, tis hem leet;
Dees wil hi niet verwysen,
Mer datsi weder riisen,
Maect hi die wech bereet.
12. Dus wilt V nyet veniaren,
Om sinen wil lädt gharen,
Het si, al wes dat si, [Bl. XXXVII a.]
Hi sei V wael verwaren
End binnen corten iaren
Van allen maken vry.
1 3. Ohi siit des niet ontwarer,
AI wort V liden swarer,
Op dat ghi liidsaem siit,
Want dus v loen comnt narer,
V croen wort bouen clarer,
Hier om loeft god altiit.
11. En bidt tot allen tiden,
Bat hi V hier laet liden
Ter eer van sinen naem.
Want als ghi wael coent striden
En sonder syn verbliden,
Soe wort ghi hem bequaem.
Die zieL
15. 0 edel vrou der vrouuen,
Seoen moet syn v anscouuen,
Want iv troest is so suet.
Wel-mach ic v betrouuen,
Deed ghy machschien van rouuen,
Soud my vergaen die moet.
16. Ghi doet myn hext opluken,
Recht als die son doet spruten
Die bloemkyns op dat wout,
Mer een puent doet seer sluten.
Mach V kynt niet ^ebruken,
Vlusch vrees io, tsi myn scont.
1 7. Wist ic, twaer niet verloren.
Als hi, my dunct niet hören,
Mer twaer om myn profiit.
So soud ic weinich [BL XXXVn b.]
troeren,
Mer vlusch comt my te voren
Myn scout, ic bins al quyt.
18. Dit doet my dicwiil suchten
End toerdel doet my duchten,
Oec vrees ic my tontgaen.
Dus, dunct my, moet ic vechten,
Ic vuel weinicn verlichten,
Hoe seel ic hier meed staen.
19. Oec heb io dicwiil vresen,
Hoet na mit my sal wesen,
Tis dus mit my alre;
Want Word ic dan verwesen,
Hoe sei men my genesen,
Is my ter stont dus wee.
Maria.
20. Nv hoert, ic sei v leren,
Mer ^hi moet profitieren;
Wildi corts loen ontfaen,
Wilt dus soe niet begheren,
Noch oec silogiseren,
Laet god mit v begaen.
21. Hi kent veel bet v leuen,
En wat hi v sal gheuen,
Dan ghi doet ymmer meer.
Wil hi, ghi siit verheuen,
Wil hi, ghi wort verdreuen.
Van allen danct hem seer.
22. End wilt v daer toe voegen,
Dat ghi V laet genoegen.
Mit dat hi v toe sent,
Tsi bliiscap, vroechd FBI. XXX Villa.]
01 dogen,
Rou, liden of verbogen.
Van allen siit content.
23. Denct niet dies, myn behoeuen
Had ict, ic wou god louen,
Mer loeft hem talre tiit,
Want hier beneen end bouen.
Des moechdi wel j^elouen,
Aensiet hi v profiit.
24. In hem set al v sorgen,
Vreest niet, hoet syn sal morgen,
Off euer langhe tiit.
Wil hi, ghi moecht vlusch steruen,
Hier om wilt siecht besorgen
Die tiit, daer ghi in syt.
25. Wilt voer v sonden suchten
End voer dat ordel duchten
End vrees hebt v tontgaen.
Want dees drie doen wel vruchten
Sy sint hulpich int vechten.
In sonden wederstaen.
Niederländische geistliche Lieder nebst ihren Singpireisen etc.
209
26. Si doen yeel guets beghinnen,
Daer toe die pyn vermynreny
Die quaetheit neeft Terdient,
Sy reynen thert van binnen,
Van buten al die sinnen;
Lof god, dies y yerlient
27. Op hem wilt y yerlaten.
Hl coemt v die te baten,
AI Word ghüs niet ontwaer.
Des danet hem bouen maten
£nd liden wilt niet baten,
AI wordet y wat [Bl, XXXVIII b.]
swaer.
28. Hi doet iy die syn graoy,
Deet dat, daers gheen temptacy.
Die ghi soud wederstaen,
Mer seiden consolacy,
Want mit y tribuUcy
suldi meer loens onnaen.
29. Hier om gheefs niet yerloren,
AI coemt y druc te yoren
£nd seiden wort yerbliit.
God heeft y doch yercoren,
Al dunct hi y niet boren,
Hi is bi y altiit.
30. Oee moeehdi wel gelouen
£nd soud' enich toeuen,
Hi mynt y wonderlic
End heeft y hier getogen,
Op dat ghi bet soud mögen
Verdienen hemmelriic.
31.Du8 laet y niet bedrie^en,
Die duuel comt die yhegen
End seyd: dy dit en dat.
Denct, dat hi wel can liegen,
V gaime soud bedriegen
Ena brengen in sjm gat.
32. In god hebt guet betrouuen,
In yroechden end in rouuen
Danet hem gelike seer,
Wilt des leer wel onthouuen,
Soe moeehdi oorts aensoouuen
Mit yrolieheit y beer.
Die Ziel.
33. 0, bouen aUen wiuen
Suldi- die liefste bliuen,
Maria, suuer maeoht.
Ic yal, ghi doet my risen, [Bl. XXXIXb.]
Hoe sä ic y yoiprisen,
die my dus wel oehaecht
34. O edel yrou der thronen,
Ghi waerdicht my te tonen
V leer, diet leuen hout,
En mach y niet yol louen;
God loen y scoen der seonen,
Veel meer dan dusant yout. Amen.
Vermiaß'.
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V.; _ V-/ — V-/ — Vm/
^ _ v-/- _ v-/ _
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\J ^ \J — \J -~ \^
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Bl. XXXIX a.
24.
0 Ghi, die nr ter üiden lUdt.
O Ghi, die nv ter tii-den lüdt,
mit recht so
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11 1 1 « «-T
moeehdi syn veibliit, op dat ghi ym-mer liid*saem siit,
210
Wilhelm Bftumker,
^^m
?
^^
Want gni seit corts groet loen ont-faen, En hebt
T~r-rn~r
daer geen twi - uel aen.
1.0 ghi, die nv ter tiiden liidt,
mit recht so moechdi syn Yerbliit,
OD dat ghi ymmer liidsaem siit,
Want ghi seit oorts groet loen ontfaen,
£n hebt daer geen twinel aen.
2. Na myn verstaen als ihenis seyt :
Die liden mit verdul- [m.XXXlXb.]
dicheity
die e-wich croen is hem bereit
End grote yrueohd in hemmelriic,
wel V, die liit verduldelic.
3. Och beer, o god, hoe wel hi staet,
die eygen wil afterlaet
en mjmt om god, die hem doet quaet,
Waerlic, dees is gods lieue soen,
syn loen sal groet syn in den troen.
4. Och beer, dat teyken is so guet,
soe wie men dicwil onrecht doet
en daer op denct mit groter oetmoet :
Myn Sonden hebbent wel verdient»
ic danc den beer, diet my yerlient.
5. Wie soe altiit syn onrecht keert
End anders ghene wraek begeert,
waerlic die is seer wel geleert,
Om bor^er tsyn in hemmelriic,
Want m striit wel eß vroemelic.
6. Die nvmmermeer en heeft yerdiieti
mer aitiit sine wille siet,
ic yrees, dat teyken quaet bediet, .
Want wie vroechd bouen sei ontfaen,
die wort mit liden die beuaen.
7. Dus laet ons liden nlet versmaden,
Tis ons so guet, kond wyt verstaen,
Want tdoet den geest tot gode gaen,
op datmen liit verduldelic, [Bl.ALa.]
Want anders heb ic ongeliic.
Die Handschrift B, Blatt 169 hat nur 11 Strophen in folgender Reihe: /, %
3, ö, 11, 4, ö, 7, 8j 9, 10.
Varianten 1,4 eult, 2,3 ewighe, 2,5 Itftd. 3,1 Och here god. 3,2 toiüe. 3,4 den
is god liefste. 3,5 syn vroechd sei, 4,3 en dair op denck mit gröet. 4,4 mi teel, 4,5 ic
danet, 6,2 ghenen* 6,4 hurgher, 6,6 vromelyc 6,2 einen, 6,4 want vroechd hier bcum
8. Laet ons mit liden syn eontent,
Want als ons ihesas dat toe seynt,
Soe heb wy tscone testament,
dat hi Byn lieue moeder liet,
doe hi van haer andt eruys versdet.
9. Dat testament is ymmer seoen,
dat ons verdienen doet die eroen
end ewich vrueohde in den troen;
En want dat dmo en liden doet,
hier om so syn^ scoen en guet.
10. Mer laey, wy sint die verluint,
Wanneer ons druc of liden vynt^
ons dunct, dat ons god nieten mpt
Ey waer wys vroet, ten is so niet,
Want wie god mynt, heeft die verdriet
il.Het is alsmen bescreuen vynt,
soe wie dat god ons vader mynt,
castiit hi als syn lieue kynt
Mit druc, mit liden dicwil leer,
Hier om in liden dancten beer.
12. Wat hier van liden is geseyt,
Dat 18 besloten ende leyt
In willige oetmoedicheit,
Want hemmelriic is onbereyt
. . . dwang mit onverduldieheit
13. Hier om soe laet ons trouuelic
aenroepen god van hemmelriic
en bidden hem oetmoedelic,
Dat hi ons liden laet hier neer [Bl. XL b.]
Verduldelic tot synre eer.
14.0 ihesu, wtuercoren beer,
wy bidden, ist v wil ende eer,
Dat ghi ons liden laet hier neer
Verduldelic, soet v behaecht,
End daer na haelt ons onuersaecht
amen.
1 fehlt sy.
Niederländische geistliche Lieder nebst ihren Singweisen etc. 211
die wil onifaen. 7,1 Nv laet; verwnaenj 7,2 conden. 7,d wantiet doet 8,2 ioe zefd,
8,3 so heb wi schone, 8,6 ant cruee schiet 9,2 den eroen. 9,3 eR ewighe vroeehde,
9,5 syn si. 10,1 Mar laey, toi eyn diewyl, 10,2 druck eff, 10,4 mar waren wyevroet.
11,2 god den. 11,3 hi so syn.
Versmaß:
V^ — V-Z — V-/ — W —
'^ — ^ — V^_W_
V-^ __ \-/' '— W — w' —
\> v^ \^ \-/_
Bl. XLb.
25.
My yerwondert bonen maten*
f=t=f=F=i^
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My ver - won-dert bou - en ma - ten, Hoe dat e - nich
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rr^-H-*-r"
mensch mach la - ten Ver- such -ten waer-lic ym-mer-meer,
t-f
it
j
T
I i 1 .
Als hi denct, dat hi moet gheu-en re - den corts van
ihi
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-prT~l=«-^^t
al syn leu - en Den strengen rech-ter, e-wich heer.
l.My yerwondert bouen maten,
Hoe dat enich mensch mach laten
Versuchten waerlio ymmermeer,
Als hi denct, dat hi moet gheuen
reden corts van al syn leuen
Den strengen rechter, ewich [Bl. XLl
beer.
2. Och die seker waer venite*
End verlost van dat woert Ite^,
Dat wisen sei der hellen pat,
Als hi ons sei doen verrisen
End na ons verdiente wisen
Hier neer, int dal van iosaphat
3. Die moecht vruechdelike leuen,
Mer na dat ic vynd bescreuen
Van ons en is des nyemant kont,
«0
Of hi weerdich si gods mynne,
Of gehaet van gods gesinne:
Dus moet wy vresen talre stonL
4. Oec ist selioh, den die vresen,
Want si, sullen syn genesen
Van allen vrees seer oortelic,
Als die heer sei neder comen,
Om te troesten en verdomen,
soet heeft verdient een yegelic,
5. Och die dan syn sei verloren.
Mit wat vresen sal hi boren:
Gaet wech van my, vermalediit,
In dat ewich vuer der hellen,
Hem bereit mit syn gesellen.
Die ghi ter werrelt hebt beliit.
212
Wilhelm Bäumker,
6. Dicwil hebdi mit y ogen
gproten honger my sien dogen,
Nochtans hebdi my niet gesaeft.
Des geliic heb ic ^eleden
groten dorst mit bitterheden,
end ^hi en hebt my niet gelaeft.
7. Oec in ander veel yerdrieten
Nie mocht ic v troest genieten,
DuB gaet van my, vermalediit,
In dat ewich vuer der hellen,
Hern bereit mit svn gesellen,
die ghi ter werrelt hebt beliit.
8. Och hoe sei die mensch dan clagen
end mit groter anxte vragen:
Och heer, wanneer is dit gesciet»
Dat ic T dus heb sien liden
honger, dorst tot allen tiden
end niet getroest in y verdrietl
9. Soe na datter steet gescreuen,
sei god dese antwort geuen:
voerwaer, voerwaer, ic segge di,
Also lang ghiis een die mynste
mynre niet en deet of gonste,
so lang oec niet en deed ghiis my.
10. Och hoe sal hi dan beclagen
al syn weerliken hier dagen,
Die hi mit weelden heeft verdaen,
daer hi in mocht dewich leuen
hebben lichtelic vercregen,
had hi die weelden wederstaen.
11. Oec als hi dan siet verheuen FBI. XLIIa.]
al die gheen, die in haer leuen
om ihesus wille syn geauelt,
Sei hi Seggen syn gesellen,
die mit hem dan gaen ter hellen:
o siet, hoe syn dees nv getelt!
12. Dyt syn si, aie wy belachten,
sot waer si in ons gedachten,
Aensiet, hoe dat nv is mutiert:
kynder gods syn si gerekent,
^ des leuens ooec getekent
End mitten heiligen gheert.
13. Wy onsinnich menschen waenden,
als wy op haer leuen raemden,
Dat al haer leuen was yerwoet,
Want si yan haer guet den armen
yrylic deylden sonder karmen
en leden seluer dicwiil noet.
14. Ny och lacy end ocharmen!
god en wil ons niet ontfermen,
Want' des niet wolden doon;
Niet of weinich wy hem gauen,
nochtan had wy grote hauen
Dus is die hei ny onse deeloen^.
15. Och ny syn wy al yerloren
end dese syn yercoren,
Die wy haer leuen waenden quaet,
och dat wy ye syn geboren,
Nummermeer sal ons god hören,
Wat wy yeel bidden, tis [Bl. XLIIb.]
te laet!
16. Wat baet doen ons ny dees drie:
scat, solaes end houerdie
mit ander werrelts ydelheit?
Och hoe wel soudt ons ny comen
had wi daer yoer aengenomen :
druc, armoet mit oetmoedicheit !
17.0 yermalediit moet wesen
al die my hebt aen gepresen
Der werrelts yroechd, naer seat, haer
guet,
lacy, dat heeft my bedrogen
Ende iammerlic getogen
yant ewich leuen totter doet.
18. O yermaledide dagen,
daer in worden ny gedragen
solaes des werrelts ymmermeer,
twaer my beter ongeboren,
dan ic aus moet syn yerloren
ter hellen ewich bemen seerl
19. Ay ny sie ic, dat die armen,
dien ic dicwil hoerde karmen,
Mi souden tiowelic bistaen;
Mer ter werrelt, ic ocharmen,
haer en woud ic niet ontfarmen,
dus laet si my ny oec begaen.
20. 0 ghi, die myns raets wiu plegen,
wilt die yrees doch in y wegen,
gedenct den armen in haer noet!
'omt hem yrilic ny te baten,
nymmermeer sal y god laten
Yant ewich leuen gaen ter doet.
1 Hier ist die Steüe bei Matthaeus XXV, V. 34 gemeint: »Venite henedieti
patris meif poetidete paratum vobis regnum a constitutione mundi.* »Kommt A«r,
ihr Gesegneten meines Vaters^ besitzet das Meich, toelches euch bereitet ist von An-
beginn der Welt.«
^ferner V. 41. nDiscedite (Ite) a me maledicti in ignem aetemum, qui pa-
ratus est diabolo, et angelis ^'us.* »Weichet von mir, ihr VerßuMen, in dae ewige
Feuer, weiches dem Teufel und seinen Anhängern bereitet worden wl«
> fehlt wy. 2 deeloen? entweder deel, was keinen Beim giebt, oder loen.
Niederländische geistliohe Lieder nebst ihren Singweisen etc. 213
Versmaß : —
Bl. XLIII a.
26.
0 wel moeehdi t yerhogen.
^^^^^^^^
O wel moeehdi v ver - ho
gen, die om god
nr^^^ f=^-f^-rT^
na V ver - mo - gen den ar - men troest in haer
^pr=i^gffl'n'mT7i
ver-driet, Tzy mit woer-den of
b
mit wer - - ken,
rt^' * .♦mii^^
voer V doer of voer die ker
I .
ken, 8oe waer dat ghi
^
T^fT^
n^-^
T
f-T
se hoert of siet. Ya-der-lic end mynnent-li - ken sei
^^^
r-^^Tr^
I
i
V god van hemmel-ri - ken daervoer noch in syn riic ontfaen,
^f^
I.
t
m
¥
$
^
daer sei diit pal-laes aen-scou-uen, v ge - tym-mert al
214
Wühehn Biumker,
t
¥
♦ ♦ ♦ t
t
^
XS3t
ciaer gouuen, vant guet, dat ghi hem hebt ge - daen.
1. 0 wel moechdi v verhogen,
die om god na v vermögen
den armen troest in haer terdriet,
Tzy mit woerden of mit werken,
Toer V doer, of voer die kerken,
8oe waer dat ghise hoert of siet.
Vaderlic end mynnentliken
sei Y god van hemmelriken [Bl. XLIII b.]
daer Yoer noch in syn riic ontfaen,
daer sei diit pallaes aenscouuen,
Y getymmert al ciaer gouuen
vant guet, dat ghi hem hebt gedaen.
2.Hoe ghi hem geeft blideliker,
hoet pallaes wort suuerliker,
mit alle aueticheit verciert.
Des menschen hart machs niet gron-
dieren,
hoe ffhi daer seit iubilieren, ^
om oat ght hem nY wel hantiert.
Loff end eer sul zi y geuen
bouen, in dat ewich leuen,
daer Yoer die borgers dancken zeer.
Wonderlic sul si y prisen,
hulp ende troest mit myn bewisen
Yoer ihesum onsen lieuen beer.
3. So dat ghi Yan hem seit hören :
coemt myn vrienden, wtuercoren,
besit myns Yaders ewich riic,
Ju bereit, mit lieft, mit mynne
Vander werrelts aenbeghinne,
want ghiit verdient hebt trouuelic.
Honger, dorst heb ic geleden,
Yeel verdrlets, veel iammerheden,
ghi troeste my in myn gebrec.
Als ic Iy myn noet liet weten,
drincken gaefdi my end eten
daer in en sciede gheen vertrec.
4. Oec in al myn ander dogen
äuam my troest nae v vermoegen,
US coemt, besiit myns vaders riic,
Y bereit mit lieft, mit mynne
vander werrelts aenbeghinne,
want ghiit verdient heot trouuelic.
Hoe wel sei v dat behagen,
blidelic suldi hem vragen :
o heer, wanner is dit gesciet,
dat wy v dus in liden sagen,
honger, dorst mit ander plagent
en troesten v in iv verdriet?
5. Soe sukLi dees antwort hören :
lieue vrienden, wtuercoren;
voerwaer, voerwaer, ic segge iv,
Alzo lang giis een die mvnste
mynre hebt gedaen of [üL XUV b.]
gunste
so lang gesciedet my van v.
O wat vruecht sal v dan wesen,
als V ffod soe heeft gepresen
voer al dat is, of heeft geweest,
Syn priis is waerachteliken,
want si bliift doch eweliken,
mer werrelts priis is idel feest.
6. O, nv wilt doch blideliken
hier beneden op eertriiken
den armen geuen troest en raet,
wie heeft noet end bidt om gode,
laet v dünken, tsi gods bode,
(d waer hl wonderbke quaet.
Als ghi een sult aebnis gheuen,
Is hi guei of quaet van leuen,
al daer en leyt v niet smyts aen,
als ghi so staet in die sinne,
dat ghiit puer geeft om gods mynne,
ghi sult daer of groet loen ontfaen.
7. Wie ghi troest in syn behoeuen
om gods myn, wilt aes gelouen,
hi wort v tymmerman te hant
in dat scoen palaes voerscreuen,
daer ghi in sult syn verheuen
corts bouen in dat suete lant.
Nv god eheeft ons, hier die armen
om dyn wiUe so tontfermen, [Bl. XLVa.]
dat WY noch weerdich moeten syn,
aUe bliiscap mit Venite^
ende verlost van dat woert Ite^
mit al syn vreselike pyn. Amen.
1,2. Vgl. die Anmerkung zu No. 25.
Niederlftndische geisüiche Lied^ nebst ihren Singpf^eisen etc.
215
Versmaß
— «w — V-Z — W — V-^
s^ — \J ^ \^ ^ \J
-.^o'-.V-/ — V> — >^'
v->' ^ v-/ — v-/ — O
— v^ — \^_v^ — v-/
— W — W — v-/-_v>
w — w — w — w
^V^_W — W — w
— W— w_w_w
V-/ — ^W — N-' — V-/
Bl. XLVb.
^^
27.
Een saoer maeeht.
t
Een SU - uei maecbt my wel be - haecht end is myns herto
M' 'Mit * r-t->-r-
^^t^
be-ge-ren. Och of ic waer ter stont bi haer
tot
!LI ' t > 1?4_!_T ' T « l^p
ihe-sus gro-ter e - ren, So soud ic bly oec we - sen
u
't>,.U'MI!-Ll^^^
±*
vry
Van al dat my
mach de - ren.
t^-Vorzeichming fehlt.
l.Een suuer maeeht
my wel behaecht
end is myns herts begeren.
Och of io waer
ter stont bi haer
tot ihesus groter eren,
Soe soud ic bli
oec wesen vry
Van aly dat my mach deren.
2. Si is seer scoen
end draecht een croen,
die heeft haer god gegen en.
Die hoechste troen
dat is haer loen,
daer is si seer verheuen.
Sy heet katryn,
haer ciaer aenschyn
verlieht dat ewioh leuen.
3.0 Jhesu beer,
V groete eer [Bl. XL Via.]
gescie tot allen tiden.
Ic bid, macht syn,
216
Wilhehn B&umker,
laet synt katryn
my troesten in myn liden.
£nd oeo wanneer
ic haer begeer,
laet si my dan verbilden.
4. Qelieftet v,
80 sei ic nv
aen haer doen myn gebeden,
£nd priisen seer,
-want si hier neer
heeft vromelio gestreden,
Tormenten veel
end die geheel
om uven wil geleden.
5.0 maecht katryn,
ciaer, edel ende fyn,
god gruet v scoen, volcomen,
oo menichfout,
als op dat wout
staen rosen ende bloemen.
Soe "wi V mynt
end gracy vynt,
hi mach hem wel veruromen.
6. V dienre tsyn
is my gheen pyn,
och mocht ic v aenscouuen,
Mit sueticheit,
oetmoedicheit,
mit allen doechden trouuen,
Qelieftet goy,
ic naemt wel soy,
twaer my een dinck van gowen.
7. V suete naem
heeft guete faem
dair bouen, oeo beneden.
Men mynt v seer,
men doet y eer
tot menigerhande steden,
In dien dat ghi
hebt wel end vry
voert kerst geloef gestreden.
5. En hoerde nye,
dat vrou was ye [Bl. XLVIb.]
end maecht so van scriifturen,
Dat si Terwan
mit reden ....
mit scriift figuren.
Als ghi, o oloem,
die nv draecht roem
mit recht tot alre vren.
9. Jv oechkyns syn
nv ciaer en f}Ti,
si ihesum contemplieren,
Qods Heue soen,
beer vanden troen,
iv brugom, beer der heren.
O lief katryn.
V daer aenschyn
te sien, is myn begeren.
10. Een suet geluyt,
o.suuer bruyt,
fhi hoert int ewich leuen.
[oert my doch nv,
dat bid ic v,
end wilt my niet begheuen.
Oec maectet soe,
dat ic van goe
by.v mach sjrn ^verheuen.
11. In hemmelriic
seer suetelic
iv synnekyns opluken.
Iv smaec is suet,
iv voelen guet,
in weelden is v^uyken.
O lief katryn,
ic bid, macht syn,
laet my dies wat gebruken.
12. Soe wie v dient,
weest doch syn vrient,
o scoen der creaturen.
So waer ic gae,
sidt, leg of sta,
helpt my in alre vren,
Dat ic verwyn
mit ihesuB TDyn
myns vleyscheliics naturen.
13. Oni siit seer riic
end gracelic,
verlost van allen sorgen. [Bl. XL VII a.
End ic heb noet,
myn scult is groet,
ic bid, wilt my verborgen,
Als ic sal gaen,
ter and wort staen,
tsy nv, of corts, of morgen.
14. O lief katryn,
V doet, V pyn
laet comen my te baten.
Ic heb misdaen,
my seer ontgaen,
besundioht bouen maten.
Het is my leet,
ic bin bereet,
myn quade wil te laten.
15. O reyne maecht,
^hi my behaecht,
laet my v doch behagen
Mit siel mit liiff,
o suuer wiiff,
so mach ic vrolich dragen
Ju brugoms myn
end V daer in,
int hert tot allen dagen.
16. 0 eel en wiis,
ghi draecht nv priis
Niederländische geistliche Lieder nebst ihren Singweisen etc. 217
mit recht int ewich leuen.
Groet loff end eer
ons lieue beer
end V die boreers gheuen.
Het gheeft 'wei reen,
want ghi siit een,
die wonder heeft bedreuen.
n. O Jonge hart,
wat groter smert
gii leet doer ihesus mynne!
iet ouerdenet
en wael bekent,
si gaf y guet beghinne ;
Mer beter eynd,
al wast eilend,
O troesterinne.
tS. O suete troest,
ic bid, verloest
my arme oreature
Van al, dat JÜy
contruV 8i,
als coemt die laetste vre,
Te geuen reden
Tan al myn seden,
dat my aal werden sure.
19.. le my beueel
[BL XLVnb.]
Versmaß:
V-/ — V-/ —
>«/ — v^ _
\y — '^J
W „ >s-/ —
>s-/ — V^ -,
W — \^
\y ^ \J ^
W — ^ —
v^y — v^
T Bcoen end eel,
o roes, 0 guedertieren,
Bidt god Yoer my,
dat ic Word vry
yan allen quae manieren.
£en laet my syn,
o lief katryn,
van dien hi sei vercieren.
20. 0 coninghin,
wt rechter myn
soe is dit myn b^geiei^f
Verbliit syn gheest,
soe wie dit leest
of denct tot uwer eren.
End als hi leit
op syn verscheit,
soe wüt hem visitieren.
21.V sy loff, eer
mit onsen beer,
nv end tot allen tiden,
Die ons hier neer
in hem wil Beer
end oee in v verbliden,
End gheuen loen,
een sauer croen
na deser werrelts liden. amen.
— O' — v-/
_ V^ — v-^
— N^ — V-»
BL XL Villa.
28.
0 Jhesa heer.
^m
k
^i^|H-^-f4^^^
O Jhe - SU heer, verlicht myn sin - nen, Tot u- wer eer
I — I
laet my be - ghin - - nen Een sue-te, suuer me -lo-dy
1888. 15
218
WUhelm B&umker,
Van sint
I. i
a-gniet, v
wt- uer-co-ien, die an-ders niet
en
^=^^^^T T I i^^^^t M
wou-de ho-ren, Dan slechs van v, haers herts ghe-cry.
1 . 0 Jhesu beer, verlieht myn sinnen,
Tot uwer eer laet my beghinnen
Een suete, suuer melody
Van sint agniet, v wtaercoren,
die anders niet en woude hören,
Dan slechs van v, haers herts ghecry.
2. Ghi waert haer sin, al haer begheren,
Si droech v myn mit groter eren,
Ohestadich was si talre tut
End suet van seden end [BL XLVIIIb.]
guedertieren,
Het heeft wel reden in al manieren,
dat si nv mit v verbliit
3. 0 maecht agniet, o coninginne,
gegruet so siet mit ihesus mynne
Veel meer dan hondert dusentfout,
Die V vercoes seer mynnenüicke,
om tsin een roes in hemmelrike,
Int lant, dat alle vruechd in hout.
4. Ghi siit daer scoen, seer wonderlike,
Die hoechste troen dat is v rike,
Die engelen syn v dienres daer,
Ohi siit daer vrou, seer hoech verheuen,
Want ghi getrow waert in v leuen
V brugom ihesu openbaer.
5. Een ^iongelinc v seer begeerde,
Syn *hert verginc, hem docht, tver-
teerde,
Want ghi seer waert in syn gedachte,
Syn guet was veel, hi v aensochte ;
Mer wat iuweel, dat hi v brochte,
Twas al versmayt end niet geacht
6. Want ihesus mvn had v beuangen,
V hert, iv syn nad groet verlangen,
bi hem te wesen ewelic.
Der werrelts vruechd ghy [BL XLIX a.]
weinich achte,
Ohi waert verhuecht in v gedachte
Mit ihesus mynne graceliic.
7. Ghi waert oec eel, van aenschyn scone,
Mer scoenre veel na tscrifts betone
Van guet geloef int hert bereit.
O suuer roes, dat licht v dede
Die V vercoes tot sinen vrede
Van deser werrelts ydelheit.
8. 0 ionge hert, o guuLen lely,
ghi leet groet smart end swaer mai^
tely,
Als ghi waert out licht dertien laer.
Ghi waert seer bout, ghi leet wt
mynnen,
Noch pyn, noch gout en mocht ver-
wynnen
V bruffoms myn, dat is doch daer.
9.0 lief agniet, o suuer herte,
AI V verdriet, v grote smerte
Seer wel ghi leet end vromeliic;
Hier om ghi siit in dusent vruechden
End seer verbliit van al v duechden.
Die ghi ye deedt op eertriic
10. 0 reyne maecht, o suuer bloem.
Mit recht ghi draeeht nv vrolie roem
Bi ihesum christum talre tut. %
Ghi bebt ontfaen die hoechsten troen,
Noch son noch maen en is so scoen
Nu morgen na, als ghi nv siit
11. 0 wys, o scoen, van uwe [BI. XLIXb.l
doechden
der maechden throen heeft groete Troe-
chden
End is verbliit seer mynnentlic
V croen bleuet seer end v sampielen,
Jv aenschyn meer : dus syn die sielen
verbliit van v ontsprekelic.
12. Mit recht een lam, dat is v teiken,
Want ihesus vlam had v ontsteken
Mit m^, mit guedertierenheit.
O conmghyn, o ihesus boele,
Ic bid V myn o scoen fyole,
vercriicht my mit oetmoedieheit.
13.1c hoep, ghy syt alsoe vercoren,
Bid ghi hem yt, hi sei v hören,
al dair en is gheen twiuel aen.
Nu lieue maecht, wilt myns ontfarmen,
Ic bid V, draeeht voer hem myn karmen
End wilt my trouuelic bistaen.
Niederländische geistliehe Lieder nebst ihren Singweisen etc.
219
14. 0 Buuer bruvt, hoert myn gebeden
£nd myn geiuyt tot allen steden
nae uwe piedertierenheit.
le beb nusdaen al bouen maten,
my seer ontgaen, coemt my te baten
In m^e arme cranlicheit. [BL La.]
15. Ic bid T seer, o troesterinne,
dat ghi den beer wt rechter mynne
seer neerstieh bidden wilt Toer my,
Om tayn yerloest van al m3m sonden
£nd wel getroest m3rt sinen wonden,
end 8oe yan heen mach varen yry.
16. 0 SU et end wys der creaturen,
int paradiis tot alre vren
Ghy draecht nv priis en frissehen moet
O uef agniet, helpt my te comen
wt dit Terdriet onder die bloemen,
dair ghi nv machtich siit ende groet.
17. 0 edel end reyn, ghi drinct mit vrue-
chden
Van die fonteyn, daer alle duechden
wt vloyen als wt haer beghin.
Dat is die beer van tewicn leuen,
die V nv seer daer heeft verheuen
End scoen verciert als syn vriendyn.
IS. Oeh suuer maecht, mooht ic aen-
scouuen,
Hoe ghi nv draecht die croen [Bl. Lb.]
van gowen,
Die iv die coninc heeft ffedaen,
Int lant beuaen mit gülden bomen,
die sterren, maen, mit hären bloemen,
die ghi wt reinicheit daer draecht
end oee die son te bouen gaen.
19. 0 duerbair steen, mocht ic oaer comen
end oec aensien die crans van bloemen,
di ghi wt reinicheit dair draecht.
Ic Bow dan bly end vrolie wesen,
Want ic waer vry van allen vresen,
daer ic nv mede bin versaecht
20. Nv Uef agniet, hoert myn begeren,
ic bid, aensiet mit groter eren,
soe wie dit lietdkyn sinct of leest
Als hi sei g[aen voert recht dair bouen,
wilt hem bistaen nae syn behoeuen,
soe dat in vreden coemt syn geest.
21.Lof si den beer tot allen tiden,
die ons hier neer wil seer verbliden
mit hem end v, o sauer maecht,
End alst geeft tut van heen [Bl. LI a]
te liden,
dat wy verbliit dan moppen riden
int lant, daer niemant is versaecht.
Amen.
Versmaß:
V-/_s-^ — V^ — W — V^
V-/ — \-/— V-/ — V^ —
«^ — •v^ — \^ — N.y— V-/'
-^„V-/ — V-/ — V^ — N-/
^>-.V^ — s-/ — v> —
Bl. LIa.
29.
God grnet t^ sauer maecht margriet.
b
t
^^m
±=t:
f
^^m
Grod gruet ▼, su-uer maecht margriet, God gruet v, gods wt-
b
^
^=g^=Fr
t
$
. i
uer-co-ren. Ic bid v, dat ghi my aen-siet end myn
I I I v_
^rTTn"rrr^
^
ge -bet wilt ho - ren. Och troest my doch in myn ver-
15'
220
Wilhelm Bäumker,
1^
-§ — r
driet,
I
¥
¥
Dat my die coemt te vo
ren.
1. Ood gm et y, Buuer maecht margriet,
God ffTuet Y, gods wtuereoren,
Ic bid Y, dat ghi my aensiet
end myn gebet wilt hören.
Ooh troest my doch in myn yerdriet,
Dat my die ooemt te Yoren.
2. le bin bedroeft end seer [BL Üb.]
Yersaecht,
Als ic denc om myn leuen
End reden moet, alst goy behaeoht,
Voer al myn sonden gheuen.
Ic Yrees, ic aal seer syn beclaeoht,
Mit recht mach ic wel beuen.
3. Ny lieue maecht, myn troest sydy
End oec myns herts beseren,
Ic bid Y, staet my nY doch by
Tot uwer brugoms eeren
End bidt hem, dat hi my maeo Yry
Van al, dat my mach deren.
4. Ic bid Y, dat ghi my Ycrbliit,
O scoen der creaturen,
Ic hoep, Y dienre syn altiit,
Soe langh ic sal geduren.
Des Yiant stric an stucken snyt,
Wt syn macht wilt my Yueren.
5. Een draecs figuer so nam hi aen
End quam op y geberen,
Ghi hadt die gracy goeds ontfaen,
Hi en cond y niet Ycrueren.
Ghi waert seer bout end ouuerslaen,
AI waert ghi ionc Yan iaren.
6. Hi wert al seer, al waerdi teer,
Somtiits Yan y gesle^en, [BL Lila]
Ghi worpten neer, hi, sonder weer,
Nam disciplyn te degen;
Van ihesu, onsen lieuen beer,
Had ghi de macht gecregen.
7. Ny lieue maecht, siet my doch aen,
Wilt hören myn gebeden,
Helpt my die ^racy oec tontfaen,
Die ghi hadt mer oeneden :
Den yiant altiit wederstaen.
Mit ihesu te syn in yreden.
8. Loff, eer si y in hemmelriic
End idle goeds yryndinnen,
Helpt broeder geriit trouuelic,
Ena my, die hi wt mynnen,
Tod uwer eer, heeft guetelic
Dit diohtken doen beghinnen.
9. Oec wilt syn broederkyns bistaen,
Syn susterkyns te samen.
Als ic yermoy end waalic waen,
Die alte gaime namen,
Soe yroe als si yan hene gaen,
Dat si yIus bi y q^uamen.
10. 0 heilige drieuoldicheit,
Een Wesen, drie personen,
Lof si y in der ewicheit [BL Lllb]
End yruechd, die mit y wonen,
Verlient ons ny oetmoedieheit
End daemae wilt ons cronen. Amen.
Versmaß: v^ — v^ — w — ^_
o» — vy — V-/ _ w
v-/ — v-^ _ v^ — ^
V> _ »^ _ W — V-/
BL Lllb.
30.
0 Sauer maechdelike staet.
1 — I
ü=^-rTii.T-^
O Su-uer maechde - li - ke staet, Als ghi oet-moe-di-cheit
Niederländische geistliche Lieder nebst ihren Singweisen etc. 221
anvaet, Soe si - dy bloem des blo
men, Veel meere
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gaef en weet ic niet, Als v van go - de dat ge-schiet,
l l ' * « . ,il^^
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Oec nye en heb vei-no
men. V staet die is
al - so ghe
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kynt, AI di
mynt, Dat ihesus, te-wich vaders
I Tl
W^
AI daii of is ge - co - men.
1.0 suuer maechdelike staet»
Als ghi oetmoedicheit anTaet,
Soe sidy bloem der blomen,
Veel meere gaef en weet ic niet,
Als Y van goede dat geschiet»
Oec nye en heb vemomen.
V staet die is also [Bl. LIII a.]
ghemynt,
Dat ihesus, tewich yaders kynt,
AI dair of is gecomen.
2.Hi saeh marien maeehdomheit,
Verciert mit groter oetmodicheit,
In haer was syn behagen.
Hl gabriel liet haesteuc
Haer doen die botscapp gracelic,
Dat si hem soude dragen.
Hi quam in haer en vantse deyn,
Dat is oetmoedich ende dair to reyn
Van alder sonder plagen.
3.Ny is dees edel, suuer maecht,
Die gode dus seer end wel behaecht,
Bi hem int ewich leuen.
Daer is si wonderlike scoen
End coninghinne vanden troen,
Dat heeft naer god gegeuen.
Die borgers synt haer onderdaen,
Want si is hem te bouen [BL IJÖ b.]
gaen,
Op ceraphin verheuen.
4. Haer brugom is die coninc daer,
Haer soen, haer lief, haer troest te gaer
End al haers herts begeren.
Van hem is si alsoe gneert,
Soe wat si daer van hem begheert,
Tgesciet, men machs niet keren.
Soe wie haer trouuelike dient,
Vercriicht vlus gracy als een vrient
Van ihesu thaerre eren.
5. Ny lieue maechden, merct an haer,
Wat Yruechd sal y geschien dan daer,
Want ghi bi haer seit wesen.
Haer brugom sei y brugom syn,
V troest, Y lief, iu mynnekyn
End al y tzherts genesen.
Hi sei Y blidelic ontfaen,
Vercieren bouen son end maen
End maken Yry Yan Yresen.
6. Weest hem gestadich talre tiit
End ist, dat ghi temptacy liit,
Gheefs dair om daer niet yerloren.
222
Wilhelm B&umker»
Hebt moet end bidt hem [Bl. LIV a.]
vrilic aen,
Tgebet van v wort wel ontfaen,
Hoe soud hi y wanhoren!
Hy mynt t wonderlike seer,
Het is V brugom, het is v beer,
Gby siit hem wtuercoren.
7. Syns vaders riic is y bereit,
AiBoe veruult mit sueticheit,
Dat wonder waer te spreken.
Die mynste yruechd, aie daer gesciet,
£n waer y ciaer te seggen niet
In hondert dusent weken.
Want nye die yrueebd oech noch oer
vernam,
Oec menschenhart nye op en clam,
See ons die lerrers preken.
8. Sy hebben grote myn te g^er,
Die meeste sou die mynste daer
Syn yruechd wel con sentieren.
Oec sou die mynste herde noy,
AI mochtet hem gescien yan goey,
Des meestes yruechd begheren.
Want daer yerbliit hem nygeliic
Van Sanders vruechd seer [Bl. LIVb.]
mynnentlic,
Als yan die syn, goots teren.
9. O reine meechden, hoert des gots myn,
Die hem ^ie coninc daer geeft in,
Jy brugom, beer der heren.
Geloefs, die bliiscap is so soet,
Die hem des anders yruechd aendoet,
Oheen hert en machs grondieren.
God danc, sy syn so wel te yreen,
Si ewich, yrolich ondereen
Die ^otheid contemplieren.
10. Dat IS die leuende fonteyn,
daer alle vruechden int gemeyn
wtuloyen, oec beghinnen.
Wie daer of drinct, hem dorst niet meer,
Want hi is dronken in den beer
Altoes yan groter mynnen.
Wie dair wt drinct een ygelic,
Syn hert begeert in hemmelriic,
£n mach gheen mensch yersinnen.
11. Een ygeliic daer ciaer beyynt,
dat m yan goy is meer gemynt,
Dan yan syn selfs persone.
Oec tegens hem geuoelt [Bl. LVIa.]*
hi soe,
Hy mynt hem seinen myn dan goy
End aier ^eliic goeds sone.
Oec dat die een die ander mynt,
Geliic hem seluen is eesint,
Dats ciaer tscriiftuer betone.
12. Ny dus hier wt yerstaet oec wael,
Een tyoirgenoemde principad
Hoe si hem der gelaten.
Hoe dat die een yan tsanders yruechd
Als yan syn selfs daer is yerhuechd
In gods yruechd bouen maten.
Want soe men mynt, is men yerbliit
In anders yruechd tot alre tut,
Wie sow dees yruechd nv vaten?
13. Want ygelic heeft yruechd so veel,
Daer van hem seluen tsynen deel
Meer dan hi can yersinnen.
Hoe mach hi dan yan elkerliic
Syn yruechd begripen in dat riic,
Die hem toecoemt wt mynnen?
Want tis niet tseggen noch tsermoen,
Hoe menich suuer, scoen [BL LVIb.]
persoen
Als hemmelriic heeit binnen!
14. Teerst in die yader end die soen,
Die heilighe geest hem yruechd hi aen-
doen,
Denct selfs, wat yruechd tmach wesen.
Ic waen y tseggen dat verwaer,
AI leuede ghi hondert dusent iair,
Ghi en soudse niet yollesen.
Want tis die meeste yruechd, dats ciaer,
Twaer cleyn, al waer die mynste daer
Op dese manier gepresen.
15. Voert denct, wat yruechd die conin-
ghin,
Wat cherubin end seraphin
Hem doen end ander thronen;
Denct, ian baptist, die heilich man,
Sint peter, die apostel dan
End al, diet riic bewonen.
Denct seif end seynt y hertgen dair,
Twaer my te lanc end oec te swaer,
Soud ict y allen tonen.
16. Bereit y, daer te syn yemoemt,
Wanneer men seyt, die brugom coemt,
Staet op en gaet hem tegen!
End oec dan bly op moget staen
End mit y lamken tegen gaen,
yol olykyns yercresen.
Die ylam daer in aoet [Bl. LYUa.]
bemen scoen,
Dat ciaer mach blencken in den throen,
Dair gby y yruechd seit ple^n. ^
17. Voert lampken neemt iy reinicheit,
Voert oliken oetmoedicheit.
Die ylam wilt mynne noemen.
Dit syn drie duechden hairde scoen,
Die seer wel blencken in den throen,
Als si te samen comen.
^ LV fehlt in der Paginirung.
Niederländische geistliche Lieder nebst ihren Singweisen etc.
223
Dees had die edel conin^hin,
Daer to Teel meer, dan ic besyn,
Maria bloem der bloemen.
18. Gheliict den dwasen meechden niet,
In gheenre wiis, wat y gesciet,
Die priis der verreit pachten.
Ic ml si hebben reinicheit,
Mer lacy si oetmoedicheit
£nd mjnne weinich achten.
Dus bluft haer lamp in ydelheit staen,
V brudegom selse niet ontfaen,
Oroet scand si nv verwachten.
10. Och maechden, wilt y niet yerslaen,
Tsel hier soe yaringj syn gedaen,
y brudegom sal schier comen
End y soe mjnnentlie ont-[BLLyiIb.]
faen,
Vereieren meer dan son end maen
Mit hemmelriicsche bloemen,
Die yer die son te bouen gaen
End al die sterren, oec die maen
Mit hären gülden bomen.
20. Soe seldi hören scoen geseal,
Daer die engelen oueral
V bru^om mede louen;
End hl sei mit dat scoen geluyt
V leiden als syn suuer bruyt
Int scoen palaes daer bouen.
Daer seldi inden hoechsten throen
Ontfaen yan hem der meechden croen,
Diet cranskyn heeft yan rosen.
21. Dat cranskyn reinicheit betoent,
Daer hi die maechden mede loent,
Die eerbarlicken leuen."
Sie slaen der werrelts yruechd gheen
acht,
End diewiil is haer harts gedacht
In hemmelriic yerheuen.
Dus weent si die in mynnen seer.
Bi ihesum, baren lieuen beer,
Be^eren si te wesen.
22. Striidty wise meechden, yromelic
End dient y brugom trou- [Bl.LVIIIa.]
uelic,
Van hem en wilt niet sceiden.
0 denct, hoe wonderlike scoen
Hi, op y eomst, den hoechsten troen,
Die engelen, doet bereiden.
Daer sä y Uchaem claerre syn,
Wel sowenwerff der sonnen sehyn,
Weest liidsaem int yerbeiden.
23. Wat sei dan, denct, y siel ontfaen,
Diet lichaem sei te bouen gaen,
Meer dan ghi soudt yercieren.
Weest bly end maect y wel bereit
Mit dees drie duechden yoergeseit,
Soe wilt y doch yercieren.
Om corts te syn, int suete laut,
Van welc dat ihesus wyngart plant,
Vertelt yeel scoen manieren.
24. Ny god die yader end die soen,
Die iieilige geest wil y behoen,
lu reinicheit bewaren.
Daer toe mit oetmoedicheit.
Mit mynne, mit gestadicheit
lu suuerheit yerclaren.
Des wüt hem bidden talre tiit
End yroliic singen mit ioliit,
Tot synre bliiseap garen.
25. Lof, eer si y beer sabaoth,
Almachtich, ewich, hei- [Bl. LVIIIb.]
lieh god,
Een wesen, drie personen.
V naem moet syn gebenediit
Hier ouer al die werrelt wyt,
Oec bouen in die thronen.
Wy bidden, ist y wü end eer,
Verleent y graey ons, lieue beer,
Hier nae bi y te wonen. Amen.
Versmaß :
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224
Wilhelm B&umker,
Bl. LVnib.
3t.
Wat baet, dat ic yeel clage stel.
Wat baet, dat ic veel cla - ge stel an e - nich mensch, ic
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sie doch wel, dat al myn dach end al myn crüs niet
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^
i
an-ders is dan win-ghe-wiis.
l.Wat baet, dat ic veel clage stel
an enich mensch, ic sie doch wel,
dat al myn elach end al myn criis
niet anders is dan winghewiis.
2. Och wie sal ic dan roepen [BL LIX a.]
aen
in myn yerdrieti om troest tonfaen,
ic bin geuaen, en can ontgaen,
ic ml marien roepen aen.
3. Maria, moeder wtuercoren,
wilt my, bid ic v, nv doch hören
end troest myn arm bedroeftde hart,
dat wairlich is in grote smart.
Verstnqfi: w — >^ — w — v-/_
viermal.
4. Gaet diis my of, vercoren vrou,
so bliif ic midden inden row
end ongetroest in groter noet,
dat my is swaerre, dan die doet.
5. Myns nertzen druc end al myn liden,
dat ic mit tränen claech bi tiden
Yoer V, moeder, seer iammerlick,
dat weet ghi seker . . . yaerlic.
6. Daer om ml ic Tertellen niet
myn druc, myn smart end myn verdriet,
mer liif ena siel mit guet betrou
geef ic y op, o waerde yrou.
Bl. LIX a.
32.
Tis guet in goeds taweerne te gaen«
i
Pf-t ft^
^^-
Tis guet in goeds ta-weei-ne te gaen,
5^
he - ta - len
i^V^-f-^
is daer off gedaen, dat seit ons sin - te io - han,
fa^LLU-.4^=j^=^^
Want ihe-sus kel - re is op gedaen, daer scenct hi ons den
Niederländische geistliche Lieder nebst ihren Singweisen etc.
225
^^
^^
sue-ten traen, want hiit ons wel gan, Wie is die mensche,
^
I
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SU«:
die niet en can wt ihe-sus kel - re diin-ken danl
Repetitio.
fe^
;
^
r-^
TT
Heb ihe-sus lief en - de laet die wer-ielt, tis tiitl
I.Tis gaet in goeds taweeme te gaen,
betafen is daer off ^edaen» [Bl. LIXb.]
dat seit ons sinte lohan,
Want ihesus kebe is op gedaen,
daer scenct hi ons den sueten traen,
Want^ hiit ons wel gan,
Wie is die mensche, die niet en can
wt ihesus kelre drinken dan!
Heb ihesus lief
ende laet die werrelt, tis tiit!
2. Heer ihesus weert, scenct [BLLXa.]
OBS een wyn
al vter milder herten dyn,
die ghi doch hebt betaelt
mitten eruys den pitteren pyn,
laet ons dat mede deelachtich syn,
al hebben wy lanc gedwaelt,
ghi hebt yoir ons so wel betaelt,
wy moeen mit vrouden gaen totdi.
Heb ihesus lieff ...
Sei Soffmaann (NiederL aeistL Lieder,
Mone giebt in seiner »Übersicht« S.
einer Handschrift v. J. 1492.
Versmaß: v-/ _ ^ _ ^
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v-/ — W _ w/
V^ _ V^ __ v-/»
v> _ V^ _
V-/ _ \-f _ v-/
v»/ _ ^ _ v^
s^ _ v-/ _
^ _ v-/ —
3. Waerdyn compt Toert, past ons ge-
lach!
wi hebben gesondicht menich dach,
dat laten waer wel tiit.
doet ons tbetalen een ^erdracht
ende neemt op y, oft wesen mach,
maect ons der sonden quyt.
tsal y geschien, sprac si mit yliit,
hoe yeel des is, ic neemt op my.
Heb ihesus lieff . . .
4. Laet ons gaen danken ons werdyn,
marie, die edel coninghin,
die ons yerbliden can.
laet ons gaen drinken mit bUden syn
in ihesus kelre mit rechter myn,
ende sceyt oec niet yan daen.
die waext heeft ons guetlic gedaen,
op sinen cost, soe gae wy yry.
Heb ihesus lien , . .
1854. No, 100) in veränderter Fassung^
188 das Lied an in 11 Strophen aus
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_ ^ _
— ^ _
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\j -_
— ^-/ _
— ^ _
1 fehlt hi.
226
Wilhelm Bäumker,
Van den Bergh hrinfft in seinem Aufeatze »Oeeetelijke Gedichten* etc. dae vor-
stehende Lied mit den drei ersten Textstrophen aus einer Mandschri/t des XV, Jahr-
hunderts mit folgender Melodie,
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I ♦ »
» » » •»
Tis goet in ihe-sus ta-uaem te gaen.
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be - taelt is
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daer en of ge-daen. dat seit ons sin - te Jo - han. want
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3S=^
ihe-sus kel-ie is 6p ge - daen, daer schenct hy ons den
» »»^♦M=^
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soe - ten traen. Want hyt ons al wel gan. Wie is
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» ~T
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•-fr ^ -» ^ » ^
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die men-sche die niet
Repetitio.
en can. wt ihe-sus kel - re
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1 ^ J
i
i
drin-ken dan. Hebt ihe-sus lief, hebt ihe-sus lief, hebt
i
♦ "» ti
l » l l
ihe - sus lief ende laet die we - reit tis tyt.
Bl. LXb.
33. 34.
Oode wil ic myii hertien op g^euen.
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vrTTj^
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> g i
o-de wil ic myn her-tien op gheuen, ende doen my
1 Der Anfang der zweiten Strophe hat hier noch die Note e.
Niederl&ndische geistliche Lieder nebst ihren Singweisen etc.
227
^
^
^S
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*=^
al-dei menschen of en soe-ken txoest in dat e - wighe
q^K^TF^
yy
leu-en, daer ict ge -du-rich vin - den mach.
l.Oode wil ic myn hertien op gheuen
ende doen my alder menscnen of,
en soeken troest in dat ewighe leuen,
daer ict gedurich vinden mach.
2. Moeht ic dat iresen goeds gebruken
soe mjmentlic inder sielen myn,
soe soud ic al dinc buten sluten,
dat my een hinder mochte syn.
3. Daer en can ic niet toe geraken,
du en woerste my in een stil afgront,
daer ic mach kennen en leren smaken,
hoe lief tot lief can spreken sonder
mont.
4.Hert ende syn wil ic op [Bl. LXIa.]
gheuen.
bouen al, dat ic ffescapen weet,
dat ic soe spade nebbe begonnen,
dat is my Tan gueder horten leet.
5. AI en soud ic nymmermeer syn hulde
yerkrigen,
noch troest ontfaen in gheenre noet,
nochtans wil ic hem gestadich bliuen
totter doet.
6.1c gheue my op, tis meer dan tut,
ic legge myn hoeft in y scoet,
dat ic te mael y eyghen bliue»
ny helpt ons god wt alre noet. amen.
In der Berliner Handschrift steht folgende Melodie:
Hdschr. B. Bl. 102 a.
t-H44-M
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*
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Go - de wil ic myn heitgen op ge-uen, end doen mi
al - re man
en zoe - ken troist in dat
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f-»» I t* *^^^
e - wi - ge le- uen, dair ict ge - du - rieh vin - den mach.
Der vollatändige Text dieser Handschrift steht Bl. 146 mit der Überschrift:
•Ic hin ghescoten mit eenre strael midden im, bei Hoffmann a. a. O. No. 44.
228
Wilhelm Bäumker,
Nach der vorhergehenden Melodie zu urtheilen, müßten an den von mir be-
zeichneten Stellen # # stehen.
Versmaß:
\j — \^ — \j^\j — \^
"w_V^' \^ \J
^ — v-z — v^ — v^ — v^
Bl. LXIb.
35.
Hoe Iiiyde, soe sanc die lerer.
^m
^^m
*=*:
Hoe luyde, soe sanc die le - ler al op der tyn-nen : soe wie
in swa-ren son«den leeft, hi mach hem wel ver-synnen,
i
♦♦ ♦
tTT^" t ! t ! :
1 ■▼-♦--♦- 1 I
dat hi syn bycht toe tii-de doet, eei hem die doet die
I p I 1
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rr
n
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wech on-der-gheet, tsyn vroe-de die des be-ken - nen.
1. Hoe luyde, soe sanc die lerer al op
der tynnen:
soe wie in swaren sonden leeft,
hi mach hem wel versynnen,
dat hi syn bycht toe tiide doet,
eer hem die aoet die wech ondergheet,
tsyn vroede, die des bekennen.
2. Ende dat verhoerde een iongelinc,
ionc Tan iaren:
nu segh my, lerer wael oude,
hoe mochstu dus geberen?
ic mochte leuen soe menigen dach
ende hebben rust ende guet gemac
ende dair toe mit goede varen.
3. Die lerer sprac : dyn yruechd en mach
di niet ^eduren,
des lidens compt alsoe menigerhand
in alsoe curter vren.
och waerstu in die sinne myn,
dat dy dunct ny groet yruechde syn,
dat en waer dy niet dan tmren.
4. Die iongelinc sprac: ic en can my
niet bedwingen,
ic moet gaen bruken myn ionge ioecht
mit dansen en mit springen,
die yeghe syn, die moeten steruen,
wel op, ny laet ons yruechde wenien,
die tiit sal ons yerlengen!
5. Die lerer die sprac : dyn woerde syn
groet yenneten ;
och waer sjn iy gesellen,
die daer bi iy waren geseten?
si waren iuwes geliic,
ende daer to frisch end yerwennentlic,
die wormen hebbens al ghegeten.
Niederl&ndische geistliche Lieder nebst ihren Singweisen etc. 229
6. Die iongelinc sprac: sei my hemmel-
riic ontiaren,
goe is dese'werelt Beer ontkeert
den rechten weeh ter eren,
ic was gewayt al in een wat,
gemist heb ie dat rechte [Bl. LXIIIa.]
pat,
nT weet ic eerst, wat my werret.
7. Die lerer die sprac: woudestu dyn
hertgen neygen
den rechten wech tot gode wart,
8old ic dy alsoe gheeme leiden,
ny houd yoert aen die tien gebode
eii wachte die yoer des yiants daren,
8oe mogestu mit gode yaren.
8. Die iongelinc sprac : ny danc god in
synre gueden,
in
god heeft di seiner al hiir gesant,
om my te leren ende te steruen^,
ny wys my yoert den rechten pat,
dat ic des werrelts af mach laten,
si is my geworden ommaten.
9. Die lerer sprac: ny danc ic god
synre gueden,
dat hem des ionge man heeft bekeert
in also corter yren.
ny houde di aen
10. Die iongelinc sprac mit enen bedroe-
fden sinne:
helpe riic beer god yan hemmelriic,
wat sal ic ny beghinnen?
als ie antreek een grawen roe,
Boe bin ic alder werelt spot —
mitteen toech hi te cloester in. amen.
Versmaß :
v-/ _ \-/ -. <<y ^
N^ — V-/ — V^- _ «^
v^ — v^ — \-/ — W —
v^ — v-^ — v> — v^_
W — w _. v^ _ v^
In der Berliner Handsekriß (B) SU 170 steht das Lied ohne Melodie. Dar-
nach hei Hoffmann, Niederländische geisth Lieder No. 222. Moll theiU in seinem
Werke Über Bmgmann ein ähnliches Lied mit aus einer Handschrift , die dem An-
fange des 16, Jahrhunderts angehört. Im Antwerpener Liederbuch 1544. No. 56
findet sich gleichfalls ein ähnlicher Text in 16 Strophen. (Vgl. Hoffmann, Horae
helgieae p, XI, 8. 81.)
Der Text ist die geistlidke Umdichtung eines Wächterliedes, welches toahrschein'
lieh mit den Worten anfing : f>Hoe luyde, soe sanc die wachter al op der tynnen.« Die
geistliche Umdichtung des Heinrich von Loufenberg, welche Wackemagel (Kirchen-
lied il, 717) nach einer Handschrift des 15. Jahrhunderts mittheilt, hat dem Bear-
beiter des niederländischen Liedes jedenfalls als Grundlage gedient.
Die Singweisen, welche Bähme (Altdeutsches Liederbuch No. 106, 107) nach
einer Straßburger Handschrift und den Souterliedekens 1540 Psakn 90 mittheilt,
gtimmen mit der obigen nicht Überein. (Vgl. Chrysanders Jahrbücher II, S 37).
In der Berliner Handschrift (C) S. 122 lautet die Überschrift zu unserm Liede:
»Hoe lustelie waert der mynnen bant, ontsloten mit groter.*
Vielleicht mag diesem Liede die obige Melodie ursprünglich angehört haben.
BL LXrab.
36.
Droch werrelt.
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?
^r-T
^
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rr^=n^
m
Droch werrelt, . my gri - set voir dyn we - sen, waer syn nv
Wy moeten al op der sel-uer stra-ten, kond wy ons
^ In den andern Handschriften steht sturen sa lenken, was zu »gueden« besser
als Reim paßt.
230
Wilhelm Bäumker,
^4-H-!
V^
^
1
1
I
die re - sen, die ge - ne - sen niet en con-den, sy syn te
ge - sa - ten te ma - - ten, in die len-ge, die wech vb
m
i -
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mael verswonden, des droef ic my. gj j^^^ ^j^ ^^^ ^^^
wyt en en - ge, seer won- der-lic. ''
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4-t--f t t * »^^
^
in lu-sten wa-ien na-der wenelts lo-ue, nv bid-den wy
Mm f=F=f^ ♦;*!*!
crist, want hi seer ver-duldich was an des cru-ces ro - pe.
waer vintmen nv te co - pe die dio - pe des ro-wen, wy
1
f=f
*=*
rt
t
I
I
T^
mo - ten vruchte- lic an - scou-uen al on - se scout.
1 . Droch werrelt, my griset voir dyn "wesen,
Waer gyn nv die resen,
die genesen
niet en conden?
sy syn te mael verswonden,
des droef ic my.
Wy moeten al op der seiner Straten,
kond wy ons gesäten
te maten,
in die len^e,
die wech is wyt en enge,
seer wonderlic. [BL LXIVa.]
Sy syn doet, die haer liifs in lusten
waren
nader werrelts loue,
nv bidden wy crist, want hi seer ver-
duldich was
an des cruces rope;
waer vintmen nv te cope
die drope
des rowen,
wy moten vruchtelic anscouuen
al onse scout.
2. Het waer wel tut, dat wy ons bedochten
end godliken wrochten
na rechten
ons leuens. [BL LXIVb.]
Hi compt, die ons sei gheuen
Niederländische geistliche Lieder nebst ihren Singweisen etc. 231
een ewich loen
Van allen werken ende van woerden,
Och der strengher oerden
des oirdels,
ic duchte,
ic beue ende ic suchte
Yoir sulke noet.
Wanneer ic rise Tter aerden graf,
dair ic in leg besouret,
Och so moet ic voir des stoltes co-
nincs craft,
dat daer ewich duret.
Hoe neer ic des bedencke,
soe truret
myn gemoet,^
soe compt die waerde guetse
eü helpt ons dan.
3. Nu helpt ons moeder en maget re}iie,
ghy syt, die ic meyne,
alleyne,
Handaekrift JB. JBl. 118 mit der Ühersehrift: »Au€ püleherrima regtna, graeta
dtutnaft,
Varianten: 1,4 eannen. 1,5 vershnnen, 1,6 des draue ic myeh. 1,7 r^akfekU;
straeUen. 1^8 ghesaeUen, 1,9^10 in deser eUende, 1,13 die haira leuen lusiich waren,
1,16 eristum, 1,18 die droefheii, 1,19 des rouwen. 1,21 onsen. 2,3 rechte. 2,10
vrutkte, 2,11 efi oie ic euehte, 2,12 euJken. 2,14 dair ic leg bestueret. 2,15 »ochu
fehlt; Bioutes, 2,16 datier, 2,17 ic dat besuere, 2,19 myn ghemoeise. 2^20 so coemt
hi fcairde guetse, 3,1 Nv help. 3,2 toant ghi. 3,4 iroutcen. 3,5 vrauwen, 3,7 Ohi
syt myn toiuereoren toairde, hemelryc eH airde, op airde ons ie vromen, sini cristus
woude comen tot dynre borst, 3,13 drieuoudicheit. 3,16 om dat hi ons vanslike,
woude maken rike, int leste ah toi onse sielen moeten gheesten int ander lani. AntenK
Melodie und Versbau sind dem folgenden lateinischen Leich entnommen, den ich
nath der Berliner Handschrift zweistimmig gebe.
mit truuen,
ghi moet ons ewelick rrouuen
Yoir sulken noet.
Ghi siit myn wtuercoren weerde,
mit eren hemmelriic
ende eerde
V Truchten syn.
cristus wonden comen
tot dynre burst.
Got ontsloet syn heilige [Bl. LXV a.]
drieuoldicheit
also mynnentlike,
hi gaf broet, sinen heimeliken scat,
om ons te maken rike.
och laet ons niet beswigen^
dyn rike
int leste,
als wy onse ziele moeten geesten
int yreemde lant.
Hdschr.B. BL 32 b.
36a.
Are pulcherrima reglna.
WTT-L 1 ««li=^f^FFl^
A - ve pul - cher-ri - ma re - gi - na, gra- ti - a di - vi - na
Te rex le - gum, de - us de - o-rum, di - e - rum mul-to-rum,
^^^^^
^^^
* beswiken?
3 Das Lied steht auch in einer Handschrift des Klosters Ebstorf (XV. Jahrb.).
Vgl. Goedeke I, S. 472.
232
Wilhelm B&umker,
^
P=q:;^x^
T
^
quam tri -na be-a - uit, an - te nee post cre- a -
pro morum vir-tu-te sponsamin lu -ven-tu-
-+ > ♦ -^ ■ ♦ T T 't 1 ♦
uit ma- lo-
te du - xit
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lin i ii
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rem te.
ad se.
Mi-ra les,
ple-na* es
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a
Ö
an-ge-lum e - mi-se-rat,
gra-ci - a quam di - xe-rat
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eHz^zKid
^
F^i * 1 1 . 1
^
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tan-to pla-cu-i-sti; ^j_ per-man-ei-sti, di -xi- sti
pro-lem con-ce - pi-sti, ° '^
^1 i I 1 ,^^^^pi=^^
J
^^^
*
*
i^
se-cundum veibum tu -um ic-cundum fi - at in me.
^-^ 4 i- -t- t j-^j,
t
^
^
Originalschlilssel .*
Jm zweiten Theü «Mira res«
g
^
1 bei plena auf der Silbe a die Note / statt fe.
Niederländische geistliche Lieder nebst ihren Singweisen etc. 233
Der Leieh zählt in der Berliner Handschrift 7 Textstrophen, Die drei ersten
findet man in Dreves, Cmitiones Bohemicae, Leiche, Lieder und Rufe. Leipzig 1S86,
No, 8 ebenfaUe aus Handschriften des X V. Jahrhunderts. Der Anfang lautet hier :
nAte sanctissima reginajm Die im Anhange des Buches unter No, III mitgctheilte
Melodie aus der Prager Handschrift XI. E. 2 ist nicht die obige.
BL LXVa.
37.
Nu sterct ons god.
^s
j
;
Nv sterct ons god
T^
f^
in on-ser noet,
^
Ic beueel my
!_*JJ]-4J_U'n^~T
n^
huyden in dyn ge - boet. Lact ons den dach ge - na-
de - lic aen
^H*
rr
I
schy-nen.
I.Nu sterct ons god in onser noet,
Ic beueel my huyden in dyn geboet.
Laet ons den dach
fenadelic aen schynen.
>er namen drie beueel ic my
In allen noden, so waer ic sy.
des cruees crist
staet my voer allen pinen.
3. Dat svairt, daer simeon of sprac,
Versmaß: \j — ^ — \j
\J ^ s^ — \J
marien reyne hert al hier doer stac,
doe si aensach,
dat eristus stond in noede,
4. Dat stöet my huyden in myn haut,
dat ic bewaert sy voer sond ende voer
scand,
end onueruaert,
waer ic my hene kere. amen.
— \j —
^ \j —
v-/ _ v^ _
v-/ _ \-/ — S-/
Die Limburger Chronik berichtet zum JaJire 1356:
In diser Zit sang man dit Dagelit von der heiligen Passion, unde tcar nuice^
unde machte ez ein Ritter:
»0 starker Got, all unse Not
Befeien wir Herre in din Gebot,
Laß Uns den Dach mit Gnaden oberschinen :
Die Namen dri die sten ufis bi
In allen Nöten tco wir sin.
Die Negel dri, daz Sper und auch die Krone.«
Vgl. Jahrbücher für musikalische Wissenschaft von CJirysandei* I, S, 141.
Dieser Ritter war, wie eine Kolmarer Handschrift des 15. Jahrhunderts angiebt,
1S88. 16
234
WOhelm B&umker,
Graf Feier von Arherg. Die Überechrift lautet nändieh: »Graoe Feiere grmae tage-
wiae,« (Wackemagel, Kirekenlied II, S. 330.J Das Lied war in ganz Damieehiand
und in den Niederlanden verbreitet. (Bartseh, Germania, 18B0 S. 940J. Zicei
Melodien aus einer Strafiburger und Trierer Handschrift findet man in mamem
Buche »Das kaihol, deutsche Kirchenlied^ I, No. 200.
Die vorliegende der Wiener Handschrift bringt nur den ersten Theü der Sing-
weise. Den letzten TheU findet man unter No. 45.
Bl. LXVb.
38.
Ic wil den beer getmuen.
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^fti=4-|-^
■^r-t
n
Ic wil den beer ge - tru - uen, hi en laet my niei, hi
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T
cort my my-nen ro - wen ende myn verdriet.
l.Ic wil den beer getrauen,
hi en laet my niet,
hi cort my mynen rowen
ende myn verdiiet.
2. In groter scult heb ic gesien,
verloren heb ic al dat myn,
ic en macht niet weder halen,
want ic en heb niet;
hi moet voer mi betalen,
diet al versiet.
3. AI heb ic scade groet ontfaen,
ic hope ic sal noch wel ontgaen,
die waerheit sal my nv leren,
[Bl. LXVIa.]
wat dat 81 gebiet,
ic wil tot haer keren,
want siit my riet.
4. Wie is die alle scult betaelt
en gyn scade te mael yerhaelt,
dan ihesus cristus alleine,
die lüde riep,
al'an den cruce so reine
al scult verliet.
5.1c heb die waerheit wel verstaen,»
dat al Tan mynnen is gedaen,
ic wil hiir syn mynne dragen,
wat my gesdet,
die wile dat ic nv sal leuen,
want hiit gebiet.
Versmaß unregelmllfiig :
\j — \j ^ ^ — \j
— \-/ _ w _
W — v^ — V-/ _ W
_ Vy' _ V/ —
Von Strophe 2 an wird die letzte Melodiezeile vom * an wiederholt.
Bl. LXVIa,
39.
Myniieii, louen ende begheren.
^_«-r"^=^
I
?
g^
Myn - nen, lou-en en-de be-ghe-ren en-de vol-
Niederländische geistliche Lieder nebst ihren Singweisen etc.
235
^^^^^^m
gen der o - uer-ster re -
- aen:
der
i:^«4-^-4-ü=^
rrrr^
werrelts myn die is venyn, die haer mynt, die wort be-dro-gen.
^^=»=^=4!
*
?
Het waent die menich die liefste syn, Int eynd so vint
hiit al ge - lo - gen.
l.Mynnen, louen ende begheren
ende volgen der ouerster reden:
der werrelts myn die is [Bl. LXVIb.]
venyn,
die haer mynt, die wort bedrogen.
{Het waent die menich die liefste syn,)
Int eynd so yint hiit al gelogen*, j
)aer om wil ic my niet Verliesen
om enich mensche losen waen,
ic wil den sueten ihesum verkiesen,
van hem wil ic syn trow ontfaen.
3.1c wil hem in myn hertien sluten
ende houden hem daer in al vast,
en laten hi alle dinck van buten
end leuen mit hem in groter rust.
amen.
Vergmaß :
^^^V_V^ — V-' — S^
v.y--'^ — v^ — v>_
\^ \_/ Kj —. \^ — ^^
BL LXVHa.
40.
Ons is geboren hy ter tut.
!
i
Ons is ge - bo - ren nv ter tut ihe - sus cri - stus
' Die beiden letzten Zeilen bilden jedenfalls einen Refrain, der nach Strophe
2 und 3 wiederholt wird.
16*
236
Wilhelm Bäumker,
*=3:
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i
! I I 4 I
f
4^
ge-be-ne-diit; Hi is god en-de mensche, des se-kersiit,
W-U-f-ri=^
die ons van son~den heeft ge-vriit.
1 . Ons is geboren nv ter tut [Bl. LXVIIa.]
ihesus cristus gebenediit;
Hi is god ende mensche, des seker siit,
die ons van Bonden heeft gevriit.
2. Die aerde ende hemel nieteonst ontfaen,
heuet een teder maget säen
in haer waerde liehaem ontfaen,
mit enen woerde heeft siit gedaen.
3. Die maeeht wort moeder en baert een
kynt,
haer maechdom si getieel behielt,
beulect en wart si niet een twinc,
mer si bleef maget yan gode gemynt.
4.Dat k>Tit wies op end [Bl. LXVIIb.]
Word een man,
den heischen drake hi verwan,
mer god end mensche bleef hinoehtan,
daer alle dinc leit an.
5. Nv bidden desen kynde wy,
Wander reyne maget viy
geboren woude waerden, dat hi
ons arme sondairs genadich si.
6. Wy bidden der moeder vanden kynde,
dat si in onser hulpe sende
haer kynt tot onsen lesten eynde,
dat ons die viant niet en seiende.
7. Loff, glorie ende weerdieheit
soe moet hem syn in ewicheit,
want hi allen heeft bereit
die wech der ewigher salicheit. amen.
Versmaß
^ — S-/ — Vy'-^V^' —
HandscJirift B. Blatt 76. Darnach hei Hoffmann ^ Niederl geisil. Lieder.
1854. No. 17.
Wahrscheinlich nach einem lateinisclien Texte »Nobis est natus hodie«^ bear-
beitet. Vgl. Wackernagel, Kirchenlied I, No. 398, 399.
Hdschr. B. Bl. 75b.
40a.
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t=-^
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Ons is ghe-bo-ren nv ter tyt ihe - sus cri - stus
S^lp
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1 fehlt dat.
Niederländische geistliche Lieder nebst ihren Singweisen etc.
237
fe33B
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ghe-be-ne-dyt ; hi is god end mensche, des se-kei syt,
^^
d:
n t 1 |77]:t^-f4=
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*=3:
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die ons van sonden heeft ge - vryt.
^=^
^^
m. Lxviib.
41.
Och! sal die edel siele.
*=*
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Och! sal die e- del sie-le ver-lie-sen eer en-de guet
i
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om der na - tu - ren wil - le, die haer so lei - de doet,
^
\ — ^ ♦♦
die haer so lei - de doet.
i.Och! sal die edel siele
Terliesen eer ende guet
om der naturen wiUe, [Bl. LXVIIIa.]
: die haer so leide doet. : |
2. Die siele soude gheeme liden
end altoes god ontsien,
natuer en wil gheen dinck miden,
! : daer hoer troest mach of geschien. :
3. Die ziel wil haer ontladen
Tander naturen lust,
natuer is niet beraden,
[: te doen so grote cost.
4. Die ziel wil gode mynnen
end hem getruue syn,
natuer leeft na hären sinnen,
t: si wil te vreden syn. :
)ie ziele soude gaime aUene
mit gode rerenicht syn,
natuer wil int gemene
I : mit den gesdscap syn. : |
6. Die siele soude ffeeme vergeten,
dat haer verbeelaen mach,
natuer wil al dinc Treten,
{ : dat si vememen mach. : |
7. Die siele wil gode louen [Bl. LXVIIIb.]
van mynnen dach en nacht,
natuer wil haer selfs nlegen
! : in al dat si vermacn. : 1
238
Wilhelm Bäumker,
8. Die ziele wil gode dienen
e8 alle dino Ternnaen,
natu er en hout van niemant
|: ende en dars niet annegaen.
9. Die ziele wil altoes kiesen
dat beste bouen tut,
uatuer wil niet Verliesen
I : in alder werrelt wyt. : \
10. Die ziel wil doechden mj'nnen
eil armoet bouen al,
die natuer waent ontsinnen,
I : als sie haer volgen sal. : |
11. Die ziel wil cristum volgen
al Inder mynnen pat,
natuer wort soe verbolgen,
|: si soect een ander pat ;
12. Die ziel wil haer verbilden
in al, dat god behaecht,
natuer wil node liden,
I : si wort daer of versaecht,
13. Die ziele wil haer bedrouen,
als hoer die doget ontgach,
natuer laet hoer genogen,
|: des si te vreden staet.
14. AI dat daer sielen lustet,
dats der naturen pjn, [Bl. LXIXa.]
si soud veel Heuer rüsten
I : ende wel te gemake syn. : |
15. AI dat die siele begeert,
en mach nature niet,
si wort so sere verueert,
si vreest, dat haer mischiet : |
. 1
16. Dus is een ewich striden
tuschen desen twien,
al sonder haet en nyden
I: dat en is haer gheen. :
17. Die siele soude geeme verwynnen,
mer si is natuer genoech
eö volcht haer mitten sinnen,
I : dat is wel haer genoech. : \
1 8. Mer sal die siele genesen,
si moets hoer auegaen,
so waer natuer wil wesen,
t : si moets haer weder staen. :
19. Natuer woent inden sinnen
en is van buten al,
die siele moet goede mvnnen,
{: die al verwynnen sal :|
20. Die mynne is sterker vele,
dan der natnren doet
ende harder dan die helle,
i: des is naturen noet. :|
21. Haer steruen is haer leuen,
al ist haer grote pyn,
want sei natuer genesen, [BL LXIXb.]
|: si moet verwonnen syn. :|
22. Bidden wy hem doer sine mynne,
die alle dfuechden geeft,
dat hi ons help verwynnen
|: want hy verwonnen heeft :|
23. Ende dat reden den stritt verwynt
tuschen desen tween,
end leuen vast in synre mynnen,
so come wys ouer een.
Versmaß :
Vy' _ V> _ V __ v.y
>^ — W — \-/ —
v-/ — v-/ — vy —
v> — v> — v-/ _
BLLXIXb.
42.
Coempt ons te hnlpe.
+
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:*=-*:
t
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t
1
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1
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1
^
Coempt ons te hui - pe, guet lief van myn-nen, want wy
synt in sor-gen groet, sel-len wjr de - sen striit ver-wyn-nen,
Niederländische geistliche Lieder nebst ihren Singweisen etc.
289
n~iT^
wy moe-ten steruen me*nig-en doet.
l.Coempt ons te hulpe, guet lief yan
mynnen,
want wy synt in sorgen groet,
•elleB wy desen striit verwynnen,
WT moeten steruen menigen doet.
2. Merwy aldit gheleden daer, [Bl.LXXa.]
Boe valt in ons so groet geruys,
daer sleyt soe menich yiant voer,
die alle stormen op dat huys.
3. Si ffaen ons aen ^ allen siden,
wy oehouen wel guet moet,
sullen wy al haer scut ontvlien,
het moet ons costen yleisch ende bloet
4. Wie op syn hoede niet en steet
ende syn huys laet ongheyriit,
hi wort yerwoxmen cor hiil weet,
want hy syn yiant niet en wyet.
5. Wat wy karmen of wat wy clagen,
ten helpt ons alle gader niet,
dortten wy ons seluen wagen,
soe waer ons liden gheen yerdriet.
6. Wat wy wonschen of wy begeren,
het moet syn geauentuert,
wy moeten yley^sch ende bluet ycrteren,
natuer moet liditi menich smert.
Versmaß :
V_\-/_-v^ — v^ — W
v_/ — \-^ — \-/ _
Bl. LXXIa.
43.
Des ons adam heeft beroeft
r^
T-^
I
n"^=rt-^
Des ons a - dam heeft beroeft, dat heeft ons cri - stus we-dei.
^
^^3-»-*! 4
♦4^
3^ ♦ ♦
ge-loeft mit syn-ie sae-ter myn - ne. Hi is diet al
ge-8capen heeft, hi brenget ons bo-uen sin-nen al in-dei
^
s
f~» ♦ ♦
¥
* * ^
weelden syn. Sue-te ihe-su, lof, eer en-de danc, nv en-de
^ fehlt op oder aen.
240
Wilhelm B&umker,
^^
^¥
^
— I —
ic sei di be - li - en myn memcheit
tot al - len ston-den,
^t
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^
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cranc, spaer mi heer van son-den. Bli - de - li - ke wü ic
r~T~^
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myn-nen di, al - soe al-stu ge-daenheb-ste my doer
g t T 1 ! \^r^
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:*=*
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1
dyn-re groe-ter oet-moe- den, ay ne-re, ver-wan-delt
^=I=I=H=
t
my in dy, te ge - bru-kei» die e - wi - ge gue - den ;
I
scencke he - le den zie - len wyn.
1. Des ons adam heeft beroeft,
dat heeft ons cristus [BL LXXUa.]
weder geloeft
mit synre sueter mynne.
Hi is, diet al gescapen heeft,
hi brenget ons bpuen sinnen
al in der.weelden syn.
Suete ihesu, lof, eer ende danc,
nv efi tot allen stonden,
ic sei di belien myn menscheit cranci
spaer my heer van sonden.
Blidelike wil ic mynnen di,
alsoe alstu gedaen hebste my
4oeT dynre groeter oetmoeden,
ay here, verwandelt my in dy,
te gebruken die ewige gueden;
scencke here den ziäen wyn.
2.0 heer, want ghi my hebt gespaert,
behoudet my opter aerden,
dat ic mach leyden een geestelie leuen
en Truchtbair m te wairaen,
saiet in ons een edel pBL LXXIUa.]
säet,
dat alsoe mynnentlic opgaet
doer dine godlike monae,
efl geeft ons van peniteneien raet»
spaer mi heer van sonde.
scenke heer der sielen wyn.
3. In een penitencie steruende
leuen doet ons here volstaen,
dat ic in kersten ^eloue moet bliuen
en in allen doechaen voertgaen,
soe mach ic totten ouerspronc comen,
dair ic eerste was wtgenomen,
Niederländische geistliche Lieder nebst ihren Singweisen etc.
24 t
doe ic was in dat wesen
al op ten hogen cederboem
dair die anderen wessen,
scenke here der sielen wyn.
4. Die op den hogen cederboem
syn woninge wel can bowen,
die neme synen eersten ouerspronc goem
Versmaß unregelmäßig:
en leue inden scouuen
totter heiliger drieuoldicheit,
drie personen bi Sonderheit,
soe raken wy totter mjrnnen
in eenre hoger listicheit
geuet wiisheit in den sinnen:
scenke beer der sielen wyn.
I. Melodie.
. IL Melodie.
IIL Melodie.
I. Melodie.
* II. Melodie.
Bl. LXXnib.
44.
SUt yroeUc.
^
4=^=>
P^
*=»:
.... ^ .
Siit vroelic, het is ge-wor- den dach, die son-ne die is
^fe£
^^
3r=::t
m
op-ge-gan
gen, die beer die heeft ge-won-nen
2
t
^=^=r^^Tt
den striit, hi heeft verloest die
4
vangen. Nv laet ons
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^^^^^^^^
gaen een vro - lic ganc
In ganser*- wa -rer
242
Wilhelm B&umker,
E^^
5=^
t
} ^— 4
mynne, die doer is op-gedaen, hi wil ons la-ten in - ne.
l.Siit vroelic, het is [Bl. LXXnib.]
geworden dach,
die sonne die is opgeji^angen,
die heer die heeft gewonnen den striit,
hi heeft verlost die Tangen.
Nu laet ons gaen een vrolic ganc
In ganserwarer mj-nne,
die doer is opgedaen,
hi wil ons laten inne.
2. Mynne is dat beste guet, [Bl. LXXI Va.]
dat ymmermeer mach wesen,
die myn den mynnende mensche doet
al sonder arbeit leuen.
3. MjTinen wy goede eenpairlic
ende scuuen der werrelts wegen,
so mögen wy worden Tan doechden liic
end ewelic leuen.
4. Ist dat wy ihesum Tolgen nae
een corte stont in mvnnen,
hi wil ons cronen al hier nae
eü maken coninghinnen.
5. Ihesus mynne, die brede staet,
en machmen niet Tcrbergen,
die ihesus m}iine int herte hat,
mit Trede sei hv steruen.
Nt laet etc.'
Versmaß :
K^ ^ \J ^ ^^ _v^_
\^ — »^ — s../ "■— w
W _ ^ _- V^ _- v^
V^ — N^ — V-/ __ V^
\> _ \^ — V^ _ V^
In der Handschrift B, Bl. 109 h, steht dieselbe Melodie mit folgenden Varumkn:
1. de statt d. 2. ec fehlt. 3. e statt d. 4. c fehlt, BL 147 hat der Text die
Überschrift: »Die mint dat hetn syn hoep ontgaet, die m€uh toel cltL^ien, tcaut 1u
mit sorghen is belast van droueti d^hen». Vgl. Hoffmann, Niederländische geisil
Lieder No. 96,
Alberdingk Thijm theilt in seinen Gedichten S, 22i das obige Lied mit unter
dem Titel »Notinetjes-Paaschliedvi. Die Reihenfolge der Strophen ist hier U^, 4, 3, d.
BL LXXIVä.
45.
0 wassende, bloyende gairde«
m^^^^^^^^'^^TVT^
O was-sen-de, bloy-en-de gair-de der stamme van
+
yes - se, ge-wor-telt wt der aer-den mit ioac-fiou-li-ken
Niederländische geistliche Lieder nebst ihren Singweisen etc.
243
^
pa^
t
W>4
clee, bidt, vrou, voir on - se voir - scult, set ons in gods
i
g
W
.hui - de, o ma - ter gra - ci - e.
Diese Melodie bildet den Schluß der großen Tageweise unter No.S7.
I.O wassende, bloyende gnirde
der staiBSie Tim yesse,
ge^'ortelt wt der aerden [Bl. LXXlVbJ
mit ione&ouliken eiee;
bidt, vrouy voir onse voirscult,
set ons in gods hulde,
o mater gracie.
2. Dat cruus was breet,
daer god an leet,
doe hem syn reine hert doer sneet
der nagden dree, dat speer end oee
die crone.
3. Des bessems swanc,
der gallen dranc,
die bitter doet die menscheit dwanc,
doe hi riep luyd in bermhertelike
doene:
4. Hely, Hely, lamazabatani,
myn god, myn god, waer laetstu my !
des kry
end oech der martelien mede,
5. Dat steet my huyden voer misbair,
voir Sonden, voir scande my god be-
wair,
. . . my keert
syn dines geestes leren.
6. Mit dines geestes leren
verlicht, o nere m^, [Bl. LXXVa].
soe en wort my met te sure
dyn bliiscap n^nuaentlic,
en laet my ni^t Yoir ateruen,
ic en moet doch eerst verweruen
dyn ewich heymelriic.
7.Ö milde orist,
laet my dyn list
genieten, dat my kendich Is, .
dat ic di leuende ken in enen broede.
8. Laet my also
ghi nv siit, o
nere, myn hemelsche deel
bi di, want ic roep lüde in bancgenc-
liken doena
9. 0 edel yorst in hemmelriic,
ontfermt v huyden ouer my,
en laet ontwy,
dyn toem is my te sware.
10. Laet my der sonden een vlotellc vloet
niet ontgelden doer dinen bogen moet
ende weest guet,
doer dvnre moeder eren.
ll.Myns leuens een guet eynde
verleen, o here, my,
ende dat my niet en scende
die duuel en die syn;
wasch my van mynen sonden
mit dinen heiligen wonden,
dat gheer ic an dy.
Die Str. 2, 3, 4, 6, 7, 8, 9, 10 haben die Melodie von No. 37; Str. 6 und 11
die obige.
Das Lied bildet die Fortsetzung von No, 37. Vgl. Wackemagel, Kirchenlied II,
No. 499. Bäumker, Das kath. deutsche Kirchenlied I, No. 200.
BLLXXVb.
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46.
Ic sat wel seer bedroaet.
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Ic sat wel seer be-^dro-uet, ic had so ctan-cke moet/
244
Wahelm ß&umker,
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ic be - gau
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te den-cken op dat my soe wo-de doet,
en-de myn hert dat was verstoert, ic keer-de my tot
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ihe-sus won - den, en - de
l.Ic sat wel seer bedrouet,
ic had 80 crancke moet,
ic began oec te dencken
op dat my soe wode doet,
ende myn hert das was verstoert,
ic keerde my tot ihesus wonden,
en die waren van bloede roet.
2.1c sach oec meed die diepen
al inden banden syn,
ic sach bem seer misuerwet
in synre groter pyn.
eß syn siae was op sedaen,
ic sach syn moeder aroeuich
ende truerich bi bem staen.
3. Ic sach daer maffdalena
soe droeuich mede staen,
ic seide haer daer myn herte
om troest van haer ontfaen,
en dat ic was ongesont
van eenre mensche mynnen,
dair ic was of gewont.
Versmaß :
I
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die wa-ren van bloede roet.
4. O Heue magdalena,
nv luket op iv mont
ende biddet uwen liefsten,
dat hy my maec gesont,
en dat is myn hertiens geer,
dat ic hem dienen möge
en myn hert hi tot hem keer.
5. 0 snete magdalena,
myn hert dat maec bereit
mit uwer sueter beden
tot synre lieflicheit,
en dat ic gevryet moet syn
van ake eertscher mynnen
en van ake hertzen pyn.
6. Ende dat ic nv moet mynnen
die my gescapen heeft
wt al mynre sinnen,
die my gemynnet heeft,
efi is gestoruen doet,
om dat hi my soud verlossen
en vryen van abre noet.
V-/' __ V-/ — \^' __ V-/
v^ — v^' — vy _.
v^ _ W _ v-/ __ s^
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S-> __ V-/ — V-* -_ V^ —
v^ — v^ — v^
S.^" — V> — V-/ __
Das folgende Lied der Berliner Handschrift hat fast dieselbe Melodie,
Hdschr.B. Bl. 106a. 46 a.
Die alre znetste Ihesns.
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Die al - re zuet-ste ihe - eus, die al-re lief-ste heer,
Niederländische geistliche Lieder nebst ihren Singweisen etc.
245
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die mint die rey-ne maechden, die maechden al - so seer
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en sach vanden hemel neei, hoent dat si was ge - daen;
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syn lief, syn har-tsen bruyt.
Der volbtändige Text BL J52 hat die Überaclirift : »ie saeh een suuerlike
deeme, een wonderlüce seone maeekt, ter hoeehster." Vgl. Hoffmatm a. a. O. No. 97.
Bl. LXXVIb.
47.
Mit desen nywen iare.
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Soe wordt ons
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ma - get vrucht - ba
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Wilhelm B&umkrä-,
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heeft
ver - bliit. Geloeft moet syn dat Kyn - de-
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kyn, ge - ert moet syn
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dat meech - de - kyn,
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nv (end) e - we - lic in al - re
tut.
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l.Mit desen nywen iare [Bl. LXXVIb.]
Soe wordt ons openbare,
hoe dat een maget yruchtbare
die werrelt heeft verbliet.
Geloeft moet syn dat kyndekyu,
geert moet syn dat meechdekyn,
nv (end) ewelic in alre tut
2. Hoe ^el was hoer te [BI. LXXVIIb.]
moede,
doe SV in vleysch ende bloede
haer nertsen sach behoeder,
beer god der werrelt wyt
Geloeft etc.
3. Die engelen songen scone :
Handschrift B, Blatt 11 und 12.
Lieder 1854. No. 1.
Versmaß :
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— N^ __
gloria al inden throne,
want ihesus is geboren,
des syt al Yerbfiit
Gelouet etc.
4. Doe acht dage waren geleden.
doe wart dat kynt besneden
al nae der ioedjscher zeden,
des hadden si «roet leyt,
5. Nv laet ons goae louen
ende ihesum synen soen,
dat hi ons wil verlienen
syn hem^riick scoen.
öelouet etc.
Darnach bei Hoffmann , Niederl. geistl
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^ Das c im Original ist Druckfehler.
Niederländische geistliche Lieder nebst ihren Singweisen etc.
247
P^rgamenthandschrift der k. Bibl in Berlin, Ms. Gemu 8. 790« Bl. IIb
und 12 cu
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▼er-blyt. Ghe - loeft moet syn
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kin - de - kyn. ghe-eert moet syn dat maech-
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de-sen nye- wen ia - re. soe wert ons o-pen
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ba - re. hoe dat e-ne maecht vruch - ba - re.
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en-de e-we-lyc. tot al - re tyt.
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Niederlftndisohe geistliehe Lieder nebst ihren Singweisen etc.
249
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i)a <2u ganzt Lied hü auf den SMt{ß in Faesimilirung heüiegt, so gebe ich
eine Zuaammenstellung in moderner Partitur, Weil die Notensekrift eehr ungenau
ietf 80 mußte bei der Übertragung die harmonieehe Übereinstimmung mehr maß^
gebend sein, als die Notation, Der ScMufi in der Wiener Handschrift ist jedenfalls
kormmpirt. Ich fügte deshalb die Lesart der Berliner Handschrift hinzts.
Die Hauptmelodie liegt im Tenor, der Diskant bringt eine mehr ßgurirte
Melodie, Während in der Wiener Handschrift der Tenor an erster Stelle steht,
hat der Berliner Codex zuerst den Diskant und an zweiter Stelle den Tenor,
Einen dritten zweistimmigen Satz, den P, Bohn in der Trierer Caeeüia 1677
p. 28 und in den Monatsheften für Musikgeschichte 1877 p*91 aus einer Trierer
Handschrift des 16, Jahrhunderts ptd>licirt hat, findet man auch in meinem Werke
»Das kath, deutelte Kirchenlied* I, S, 366 abgedruckt. Ebendaselbst hohe ick auch
gezeigt, daß die Hauptmelodie (Tenor) mit einem entsprechenden deutseken Texte
in viele katholische Gesangbücher des 17. Jahrhunderts Überging, so z, B. in die
Cölner 1619, 1634, Würzburger von 1628 an, in das Molsheimer 1669 und Erfurter
1666. Auch in den vlämischen Gesangbüchern ^Het Prieel der Gheestelicker Melodie*
1614 und im »Paradgs der Geestelycke en Kerckelycke Lofiangen» 1638 findet sich
unser Lied.
Es folgen jetst die Lieder der Berliner Handschrift.
Hdschr. B., BL 35 a.
48.
Laet OBS mit hartzen reyne.
i-J-T t ! t « T ^
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Laet ons mit hartzen rey-ne
1988.
lo-uen dat sue-te kin-de-kyn,
17
250
WiUielm Bftuinker,
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het brinct ons wt-en wey-ne. Ons is een kint ghe-bo-ren.
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le-pie-senteert, hi wil die hei - le gaen sto-ren.
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als mensche ghe-fi - gureert, hi wil ons al-len ghe-mey— ne
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ver-los-sen wt- er pi - ne met si-nen bloede al - ley- ae.
Laet ons mit hartzen reyne
louen dat suete kindekyn,
het brinct ons wten weyne.
l.OnB is een kint gheboren,
een sone ghepresenteert,
hi wil die heUe ffaen stören,
als mensche ffhengureert,
hi wil ons allen ghemeyne
verlossen wter pine
met sinen bloede alleyne.
2. Nt moghen wi wel dancken
den maghet, dien droech,
in hare sueter lancken
die TTucht hair niet en verwoech.
weest yrolich groot en cleyne
om dat suete kindekyn,
het behoet ons voer alle weyne.
Laet ons mit etc.
3. Die yader yan hier bouen
sprac sinen enghel an:
io wil die helle gaen Terstoren
en verlossen wyf eß man,
gaet totter schone fonte^ne,
. maria ciaer aensehine,
en aegt hair wat io meyne. [BL 35b.]
Laet ons etc.
4. Gruet si my vriendelike
die suete, suuer iuecht,
en sogt hair blidelike
si mooh wel syn verblyt,
want si, en el nye gheyne,
jfods moeder moet si syn,
IC bin mit haer ghemeyne.
Laet ons etc.
5. AI binnen najsazette
quam denghel gabriel
en sprack totter fioletten
mit Bueten woerden snel:
god gruet t maghet rejrne,
vol gpracien is y aenschine
god es mit v alleyne.
Laet ons etc.
6. Bi y sal nach becliuen
dat adam heeft ontyryt,
want bouen allen wiuen
sidi ghebenedyt,
fhi Salt ontfaen een greyne
m uwer hertsen scryn,
des yaders soen alle3me.
Laet ons etc.
Niederländiflche geistliche Lieder nebst ihren Singweisen etc.
251
7. 8i sprae oetmoedelike :
hoe «onde dat comen by?
16 en ]^ende sekwrlilce
Doyt man, het wondert my,
dat ic, en el nye gheynCi
godfl moeder aoude syn,
myn herte wert cout als steyne.
Laet ons etc.
8. Die enghel sprac tot hare:
o waerde, suuer maecht,
en weest in ebenen yare,
tis wonder, dat ghi claecht,
want gbi sult sonder pyne
baren een kindek3m
eil biiuen een maghet reyne.
Laet ons etc.
9. Die beilige gheett sai oomen
in V wel suete wyf,
ontfiaet doer onse vrome
in y als menschen lyf.
hi wil ons alle ghemeyne
TerloBsen wter p3me
mit sinen bloede alleyne.
Laet ons etc.
10. Die maghet hair conforteerde
in dat naer denghel seit,
gode si respondeerde :
oto si, ic bin bereit,
in uwen woerden aUeyne
set io den wille myn,
siet hier gods dieme cle3me ! [Bl. 36a.]
Laet ons etc.
11. Die enghel schiet Tan hare,
maria bleef bevraeht,
a) sonder pyne of rare,
of sonder nerten sucht
baerde si, die suuer reyne,
den hemelschen drochtyne,
des yaders soen geme^piie.
Laet ons etc.
12. Gheloeft so moet si wesen
ny efi in alder tyt,
bi hair wi syn gnenesen,
si bracht ons groot yolyt.
o waerde maghet reyne,
des sondaers medicyn,
bidt yoer ons allen ghemeyne.
Laet ons etc.
Vermuiß:
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Refrain vor der ersten
Strophe, nach derselben
und nach der zweiten
etc, Strophe tu singen.
BLlOOb.
49.
Wildi hören ran ihesns woirden.
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Wil-di ho-ren van ihesus woirden : rou van son-den is so goet,
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al waii heer ihe-sus noch so gram, hi wort dair me - de wel
17*
252
WOhelm Bftumker,
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4=t
sacht ge-moet. Als ic aen-sie dat gro-te goet, dat mi
beer ihe-sus heeft gedaen, so ist wel recht, dat. ic hem dien
en anden gbeen guet an en gae. Gaet tot hem, tot hem, tot hem.
gaet tot hem eS volcht hem nae, denet dai-rom, dai - tom,
**
rr-^
^->F
dai - rom, hi seit v lo - nen, dat weet voir-wair
l.Wildi hören van ihesus [Bl. 145a.]
woorden :
rou Tan sonden is so goet,
al wair beer ihesus noch so gram,
hi wort dair mede wel saft ghemoet.
Als ic aensi dat grote goet,
dat mj heer ihesus heett ghedaen,
so ist wel recht, dat ic hem dien
en anders gheen goet aen en gae.
Gaet tot hem, tot hem, tot hem,
gaet tot hem eü volcht hem nae,
. denct dairom, dairom, dairom,
hi seit V Ionen, dat weet voir
waer.
2. Ihesus dienst dat beste goet,
dat ymmermeer doch wesen mach;
dat moet m^ syn soe ouersoet,
dat ic hem dien nacht ende dach.
Mar dat solaes, dat hier ghesohiet
na dese lose, yalsche werelt,
dat verheert dick in verdriet,
alsmen mit oghen scouwen mach.
Gaet tot hem etc.
3. Oetmoedicheit so wil ic soeken
alle dese corte tyt, [BL 145b.]
in enicheit so wil ic loepen,
so mach ie worden Tan auediden rye ;
en roepen altcies -ihesum an,
in allen dat mi hier gheschiet;
wanneer ic.biden menschen coemi
so schiet myn hartkyn die Terdriet
Gaet etc.
4. Wanneer ie bi beer ihesu sit,
en denck altois op sinen doot,
' so dünet mj recht, dat bi soet is,
ic woud ic altois bi hem wair,
ic woud ic bi hem wair altois,
en ic altois mooht bi hem syn;
men is dair altois euen Troe,
men drinct dair altois sueten wyn.
Gaet etc.
Der Text dieses Liedes, der BL 145 der Hmdsekrift steht, hat die Übersehriß:
vWilgi hören van mynre coordeti, turf Oi hout*t.
Niederländische geiBtliche Lieder nebet ihren Singweieen eto<
253
Versmaß :
_ ^^ — ^ _ t\j\
— W _ v^ — ?
— \^ — N^ -. I
v./
Refrain,
BL 101 a.
50.
Ay liene ihams^ myn troist alleen.
±=3e:
Ay lie-ue ihe-sus, myn troist al-leen, wout gi myn
hartgen be-wa - ren, dat mi e'n reen der son-den gheen,
k\ . \
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3E^
e9 die mocht la - ten va - len ; want ic my niet
* I ■ I
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be-wa - ren en can,
so com mi doch te hiü-pe
dan, dat ic mi nairstelic keer dair an.
dat ic leef
voirt in doechden vro, ic wü al - so, en can niet yo,
254 Wilhelm Bäumker, Kiederländ. geistL Lieder nebst ihren Singweisen etc.
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en wil mi dair niet in spa - ren.
1. Aj lieue ihesus, myn troest [BL 150a.]
alleen,
woud gl mjn hartoen bewaren,
dat mj en reen der sonden gheen
end die mocht laten varen;
want ic mi niet bewaren en can,
soe com mi doch te hulpe dan,
dat ic my nairstelic keer dair an,
dat ic leef yoert in doechden vro,
ic wil also, en can niet yo,
en wil my daer niet in sparen.
2. O here, mocht to dyn huld verwemen,
soe waer my also wael ghesciet,
en ic my sette al op een steruen
en leefde voirt sonaer yerdriet.
neen, neen, hi en wüs mi [BL 150b.]
henghen niet,
die mi dick doet soe groet yerdriet.
nochtan en wü ics Uten niet,
ic wil mi keren mit ylyt totti.
och bl^ mi bi, dat bid ic di,
help mi, ic sals ghewaghen.
3. Myns hoepens troist en is niet deyn,
dyn trou is alsoe ouer groet,
yander doechd te soeiden is onreyn;
ic neyg myn hoeft in uwen scoet,
dyn min en heeft gheens sorgen«
gaer,
die anxt is seiden sonder haer;
myn wtuercoren suete yair,
djn stadighe min die maect mi yio,
tis also, des bin ic yro,
en sal gheen ontrou an di yinden.
BL 150 steht der vollständige Text mit der Überschrift
hertgen vrouwelynj du fcHstes«.
Versmaß: w — \^_\y— %«/ —
•Du haenste rmfn
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N-/— .>^ — V./ — V-/ —
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\J ^ \^ ^ \y .^ \J —'
V.1/ _ v-/ — V.>' — v^
In JBezug auf die we\flen Note» vergkü^ man die Einleitung. S. 163.
JDie übrigen Lieder der Berliner Handschrift sowie Text -Anmerkungen und
Glossar folgen im IIL Hefte, Seite 287.
ii!^
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■k
Bie Entstehung einer Mozart^schen Eonzertarie.
Von
Friedrieh Spiro.
üntei den Konzeitarien Mozart's nimmt eine nach Fonn und
Inliak eigenthümliche Stellung diejenige ein, welche zuletzt in der
kritischen Gesammtausgahe von Breitkopf und Härtel als Nr. 34 der
sechsten Serie publizirt und in Röchel's thematischem Kataloge als
Nr. 505 aufgeführt ist. Das Autograph, in der königlichen Biblio*
thek zu Berlin befindlich, trägt die tlberschrifk:
Redtativo con Rondo. Composto per la Sig^^ Storace dal suo
servo ed amico W. A. Mozart, U 26 d% dec^ 786.
Sie ist weitaus die längste aller Konzertarien, die Mozart ge-
schaffen hat, und schon dieser äuBere Umstand läßt, wenn man auch
nicht zu viel Werth auf ihn legen darf, immerhin auf eine besondere
Theilnahme des Komponisten an dem Werke schließen. Denn selbst
die mächtigen, zum Theil etwas bombastisch gehaltenen Bravourstiicke,
die er zu verschiedenen Zeiten seines Lebens für Aloisia und für
die Cavalieri schrieb, stehen an äußerer Ausdehnung hinter diesem
Werke zuriick, das dagegen nicht den Anspruch erhebt, ein Bravour-
stück zu sein: die Singstimme bleibt vielmehr von Koloraturen, Or-
namenten etc. fast vollständig frei und liegt für einen Sopran auf-
fsillend tief; nur einmal erscheint gegen den Schluß hin, aus seiner
Umgebung herausfallend und offenbar als letzter j»Effektc, das zwei-
gestrichene i, dessen mühelose Angabe damals durchaus nicht als
eine besondere Leistung galt (brachten es doch die oben erwähnten
Sängerinnen bis zum dreigestrichenen /), so daß wir die Stimme der
Storace durchaus als einen zweiten Sopran anzusehen haben. Was
aber äußerlich an der Arie zu allermeist auffällt, ist, daß sie neben
dem Orchester noch von einem obligaten Klavier begleitet wird;
auch dieses Vorgehen findet in Mozart's Werken nirgend seines
256 Friedrich Spiro,
Gleichen. Dazu kommt; daß das Klavier sich hei näherer Betrach-
tung als nicht eigentlich zur Begleitung gehörig herausstellt; es ist
nicht mit dem Orchester sondern mit dem Conto zusammenzunehmen :
es trägt mit der Singstimme zusammen ein Duett vor und
wird seihst vom Orchester hegleitet.^ Fem steht also Mozart
der rein koloristischen Verwendung des Instrumentes, die dasselbe
bei neueren Komponisten gefunden hat und die nur dazu bestimmt
ist, dem Orchesterensemble durch die Einführung einer eigenartigen
Klangschattirung einen neuen Beiz zu verleihen; er behandelt vielmehr
an dieser Stelle das Klavier genau so wie Ba ch sehr häufig, %. B. in
der 29. und. 35. Kirchenkantate, die Orgel beüandelt, d. h. nach Ana-
logie des der älteren Arie in der Regel beigegebenen obligaten Streich-
oder Blasinstrumentes. Wäre unsere Setina in einer Zeit entstanden,
wo noch alle weltlichen Gesang- und Instrumentalvorträge vom
Cembalo oder einem ähnlichen Instrumente begleitet wurden, so
würde sich Niemand darüber wundem, daß ein Komponist einmal
auf den Einfall käme, dasselbe nicht bloß den Baß mitspielen und
die Harmonie stützen zu lassen, sondern es von der übrigen Beglei-
tung zu trennen und konzertirend zu behandeln. Auch hierzu hatte
ja Bach die Wege gewiesen,^ ohne freilich zu Mozart's Resultat zu
gelangen. Denn immerhin blieb es eine echt Mozart'sche That, den
Klavierpart so zu organisiren, daß er mit dem Gesang in das Ver-
hältniß eines idealen Gefährten trat, daß das Klavier gleichsam die
Person wird, an welche die Singstimme ihre rührend zärtlichen Ab-
schiedsworte richtet. In der That schrieb Mozart ja diese Arie für
das Konzert, mit welchem die Storace sich von Wien verabschiedete,
und in dem er selbst das Klaviersolo vortrug; in seinem eigenen
thematischen Verzeichnisse nennt er sie auch: jd27. Decbr. 1786.
Scena con Rondo mit Claviersolo für Mite Storace und micha, Aber
diese Zeit war eine andere als diejenige Baches; mit neuen musika-
lischen Formen und Prinzipien waren auch neue Arten der Instxn-
^ Über die musikalische Bedeutung des wunderbaren Werkes, über die eha-
rakteristische Verwendung des Klaviers, über die psychologische Wirkung des Kn-
sembles hat, wie natürlich, Otto Jahn kurz und bezeichnend gesprochen. Es ist
belehrend und unterhaltend, nach den von ihm gegebenen Gesichtspunkten die Arie
auf ihre Einzelheiten zu untersuchen und namentäioh die fein empfundenen Besflge
des Gesanges wie des Klaviers auf den Text festzusteUen. Einielne Besultale
solcher Beobachtungen werden im Folgenden gelegentlich mltgetheilt werden.
2 Bekannt ist vor Allem das Arioso aus der Johannespassion mit Orchester
und obligater Laute, aber am n&chsten hierhergehörig, wenn auch kein völlig
genau entsprechender Fall sich findet, sind die weltlichen Kantaten mit Orchester
und Klavier, welche die Baehgesellsohaft in ihrem 11. und 29. Jahrgänge paW-
eirt hat.
Die Entstehung einer Moiart'achen Koniertarie. 257
mentatdon allmählich YOigedruBgen, das Cembalo mit dem General-
baß ak Orehesterstütie existirte nicht mehr, und namentlich bei
Mozart muß eine derartige Zusammenstellung höchst auffallend er-
scheinen. Es verlohnt sich daher, zu untersuchen, was ihn wohl zu
derselben veranlaßt haben könne.
Da ist es nun zunächst bemerkenswerth, daß Mozart gerade den
Text dieser Arie schon einmal komponirt hatte, und zwar etwa ein
halbes Jahr früher. Es handelt sich hier um die Scene, welche er
an den Ajdäxkg des zweiten Aktes der Oper Idomeneo nachträglich
einlegte, und welche in der Breitkopf und Härtel'schen Ausgabe
derselben (Serie V, 13) als Nr. XIII des Anhangs edirt ist, bei Köchel
Nr. 490 J Über ihre Entstehung und Einschiebung ist nach Otto
Jahn wesentlich Neues nicht zu bemerken; nur für ihre Charakte-
ristik sei es mir gestattet, eine Kleinigkeit hinzuzufügen, welche auch
praktisch nicht ohne Konsequenzen bleiben wird. Die Scene ist kurz
diese: Ilia wirft dem Idamante seine Liebe zu Elettra vor; er
antwortet mit dem Recitativ: »CA'io mi scardi dt ieft und schließt
nach einigen Unterbrechungen durch Hia, denen er im Recitativ ant-
wortet, die Arie: TiNon temer, amato benet an (den vollständigen Text
s. weiter unten). Nun befremdet es auf den ersten Blick, daß die
Arie des Idamante, also einer Tenorrolle, welche in jener Auf-
fuhrung vom Baron Pulini gesungen wurde, im Sopranschlüssel ge-
schrieben ist, und Jahn erklärt diese Thatsache daraus, daß die
ganze Partie des Idamante ursprünglich für einen Sopran, folglich
in diesem Schlüssel geschrieben war. Dem ist entgegenzuhalten,
daß, als Mozart seine Oper für jene Wiener Aufführung einer ein-
gehenden Revision und theüweisen Umgestaltung imterzog, er die
Umarbeitung von Idamante's Partie für einen Tenor nicht nur strikte
durchführte, sondern auch in den für diesen Zweck nachkomponirten
mehrstimmigen Sätzen seine Stimme stets im Tenorschlüssel auf-
schrieb. Ich glaube, die Anwendung des Sopranschlüssels hat hier
einen ganz anderen Grund, und zwar den. daß Mozart, obgleich er
seine Arbeit in der Absicht begann, eine Tenorarie zu schreiben,
im Verlaufe derselben durch verschiedene gleich näher zu bezeich-
^ Der S-öchersohe Katalog kann hier insofern irre führen, als in dem Ver-
seichniß der Gesänge nach den Textanf&ngen unter Non Umer nur die Nummern 366
und 505 genannt sind, 505 ist die Arie mit Klavier, 366 die Oper Idomeneo; bei
der Beschreibung der letzteren ist jedoch mit keinem Worte der hier in Rede
stehenden Soene gedacht, welche ihrerseits die Nummer 490 trägt. Vielleicht ver-
anlaßt diese Bemerkung die Herren Verleger, in den noch nicht verkauften Exem-
plaren dieses Kataloges auf Seite 545 unter Non temer die Zahl 490 naditragen
SU lassen.
258 Friedrich Spiro,
nende Momente unwillkürlich von der Voretellung der männlichen
auf die der weiblichen Stimme und so zur Schöpfung einer Sopran-
arie geleitet wurde.*
Vieles trägt dazu bei, diese Hypothese zu unterstützen, nicht nur
der erst so erklärte Sopranschlüssel. Gerade die hier vorliegende Situ-
ation kam in der zeitgenossischen Opera seria so oft vor und hatte
Mozart selbst schon zu so vielen Sopranarien inspirirt, daß man wohl
begreift, wie er auch hier einem altgewohnten, unwiderstehlichen
Triebe folgte, der zudem ganz berechtigt war; denn in der That ent-
sprechen die Textworte einem weiblichen Empfinden besser als dem
eines wenn auch noch so süßlich schmachtenden Operntenors, wie
man ihn in Wien damals liebte. Andere Indicien werden im Ver-
laufe der Analyse zu Tage treten.
Das Recitativ ist noch wirklich für Idamante gedacht, erst im
Verlaufe desselben abstrahirte Mozart von dieser Vorstellung und die
Arie schrieb er dann für einen geahnten, kaum wirklich vorgestellten
Sopran. Beweiskräftig ist hierfür der Text. Hätte Mozart noch an
Idamante und Ilia gedacht, so hätte er jenen singen lassen müssen :
Non temer, amata. Er schreibt aber amato, und zwar regelmäßig,
^ Wenn man ähnlieh von Beethoven erz&hlt, daß er einst aufgefordert ein
Quartett zu schreiben sich zweimal an die Arbeit gemacht, aber das eine Mal ein
Trio, das andere Mal ein Quintett zu Tage gefördert hätte, und mehrere Biographen
auf diese Anekdote die weitgehendsten psychologischen Kombinationen aufgebaut
haben, so l&Ot sieh ihre Wahrheit aus mehreren Gründen bezweifeln. Erstens ist
sie diplomatisch schlecht beglaubig^, und dann sprechen die zum Beleg angefühzten
Werke dagegen. Das Trio soll Op. 3, das Quintett Op. 4 sein. Op. 3 kann nie
anders entworfen gewesen sein, das zeigt die Stimmführung in jedem Satze; zudem
ist es im Kassationsstile gehalten und bekundet sich in Tonart, Anlage und Haltung
als eine ebenso direkte und offene Nachbildung des Mozart'schen Dirertimento
fflr Streichtrio, wie Beethoven's Quintett Op. 16 für Klavier und Blasinstnunente
gegenüber dem gleichartig besetzten von Mozart ; hier wie dort ist Beethoven hinter
Mozart weit zurückgeblieben, wie inmier, wenn er ihn bewußt nachahmte. Hierüber
ein andermal Näheres. — Op. 4 kann schon deshalb nie eine andere Gestalt als die
jetzige im Geiste seines Autors gehabt haben, weil es sehr schnell gearbeitet und
nach dem Oktett für Blasinstrumente Op. 103 arrangirt, audi naehher von Beet-
hoven zum Klaviertrio eingerichtet worden ist (die Echtheit des in die Gesammt-
ausgabe nicht aufgenommenen Op. 64 glaube ich an anderer Stelle erwiesen su
haben) ; überdies folgte Beethoven, und das giebt den Ausschlag, auch bei der Ab-
fassung von Op. 4 genau dem Beispiel Mozart's; denn dieser hat sein schönstes
Oktett, die Serenade in C-moU, nächst der großen in ^-dur wohl das Bedeutendste
was er für Blasinstrumente geschrieben, zu einem Streiohquintett eingerichtet und
mit einem Theile der ^-dur- Serenade den gleichen Prozeß vollzogen. Fällt also
die Analogie Beethoven's fort, so läßt sich eher an Beriioz denken, der, von
Paganini um ein Bratachenkonzert mit Orchester gebeten, unwillkürlich eine Or-
chestersymphonie mit obligater Bratsche producirte.
Die Entstehung öiner MfoBart'schen Koniertarie. 259
SO oft auch diese Antede wiederkehrt.^ Ebenso beweist aber dei
Text, däS das RecitatiT, wie natürlich, noch für Idamante gedacht
war; denn er ruft ans: »che a lei mi donit« Da fiQlt es denn auf,
daB er später fortführt: »Venga la morte, intrepida Tattendoa; und
in der That, das Autograph zeigt untrüglich intrepido. Als Moeart
den Text zum zweiten Male, nun ganz für Sopran komponirte, änderte
er auch ^frohlweislich lei in /m, sowie intrepido in intrqnda\ außer-
dem ließ' er nicht bloß, was sich von selbst rerstand, die Zwischen-
rufe der liia, sondern auch die naive Äußerung Idamante's weg : liFosti
il mio primo amore^ e TtdHmo mraia. Der Zug ist bezeichnend für
die intime Art seines Arbeitens und die Vornehmheit seines Em-
pfindens.
Die Thatsache, daß Mozart denselben Text in einem Jahre zwei-
mal komponirte, konnte der Gelehrsamkeit Otto Jahn 's nicht ent-
gehen^ der sie im zweiten Bande seines Werkes kurz registrirt ; allein
zu einer speziellen Vergleichung der beiden Dokumente hat sie ihn
so wenig wie Köchel veranlaßt. Eine solche wird sich aber in
mehr als einer Beziehung fruchtbringend erweisen; sie wird als
Hauptresultat feststellen, daß die Arie mit Klavier nach dem
Modell der Arie Idamante's bearbeitet ist, während Jahn nur
behauptet hatte, daß sie dieselbe in Ton und Haltung weit über-
träfe; sie wird femer durch die Beobachtung, wie das eine Kunst-
werk allmählich aus dem anderen entsteht, bezeichnende Streif-
lichter auf Mozart's Arbeitsweise fallen lassen und uns somit in einem
'für Mozart, der ja wenig auf dem Papier zu skizziren , vielmehr in
der Regel innerlich auszuarbeiten und erst Fertiges niederzuschreiben
liebtC; sonst nicht leicht erreichbaren Umfange Gelegenheit geben,
dem Grenie auf seinen geheimnißvollen, vielverschlungenen Pfetden
nachzuspüren.
Einen wesentlichen Beleg för unsere Ansicht bietet schon die
Instrumentation. Idamante's Arie ist mit obligatem Violinsolo geschrie-
ben ; aber das Becitativ entbehrt hier desselben wie dort des Klaviers ;
es ist beide Male nur vom Streichquartett begleitet, — ein Beweis übri-
gens, daß dasselbe in der späteren Arie nicht etwa vom Klavier zu
unterstützen ist, worauf man wegen der am Anfange von den Bässen
frei angegebenen Tonica leicht verfallen könnte. Erst zu Beginn
der eigentlichen Arie, des x^Hondo« — und daß dieser Name auf das
.spätere Stück nicht eigentlich paßt, ihm vielmehr nur durch die Er-
1. Baß wirklich immer ctmato dasteht^ kann ieh nach genauer Prüfung des
eben&Hs auf der königlichen Bibliothek zu Berlin befindlichen Autographs ver-
sichern.
260 Friedrich Spiro,
innenmg an das fifihi^e gegeben wurde, wird sich sfftitei heraiu-
stellen — tritt das Soloinstrument und zugleich auch 4i<6. Gruppe
der Blasinstrumente hinzu: beide Male zwei Klarinetten, zwei Fa-
gotte, zwei Hörner, also das damals für Kammermusiken besonden
beliebte Sextett, welches noch Beethoyen sowohl zu seinem Op. 71
selbständig, wie zu den Chören » Opferlied a (erste Strophe) und
»Bundeslied« als Begleitung verwendete.^ Für die spätere Arie ist
hiermit die bewußte Anlehnung an die frühere ersichtlich ; für diese
aber belegt der Einsatz der konzertirenden Violine aufs Sicherste die
oben schon aus andern Gründen vermuthete Trennung des Mozart-
schen Instinktes von dem vorliegenden äußeren Gegenstand und das
Auftauchen der neuen selbständigen Duett^Idee. Hätte nämUch
Mozart noch hier die Anrede des Idamante an Dia im Sinne gehabt,
so hätte er nicht die Violine als imaginäre Person einfähren können,
welche angeredet wird und in ihrer Sprache Antworten giebt. Das
thut sie aber aufs Deutlichste, man beachte nur den Verlauf des
Stückes. Die Idee von dem Duett zwischen Sii^^stimme und Instru-
ment, die ja auch durch manche Musterstücke der älteren Arien-
technik nahe gelegt, aber freilich in so individueller Gestalt noch
nicht ausgeführt war, hat also Mozart nicht erst für das Konzert der
Storäce erfunden, sondern von einer früheren Gelegenheit her über-
tragen und, allerdings in sehr sinngemäßer Weise, ausgebildet. Nun
aber endlich zu den Details, welche ja alle unsere Ansichten eist
bekräftigen müssen.
Schon die Anfangsworte des Redtativs stimmen in der Kompo-
sition genau überein. Ohne daß irgend etwas vorgeeeichnet ist, seist
das Orchester auf dem Asdurdreiklang ein, geht durch die zweite
Versetzung des Dominantseptimenakkordes in diesen über, und wäh-
rend es dann pausirt, singt Idamante:
;r-^ ÜI^T f fS
Ch'io mi 8Cor-di di te !
Fräulein Storace aber:
3
^g^^
*
Ch'io mi Bcor-di di te?
^ Weshalb der Katalog der HfirteFsehen Mosartausgabe su der Arie »Non
temer« eine stärkere Bereitung aiq^ebt, vermag ich ebenso wenig einiuiehen wie
das gleiche Vorgehen bei dem a cappella-Tenett Ser. 7,24.
Die Entstehung einer HosäiVschen Xonsertarie. 26 1
• Während hierauf in der früheren Arie dieee Harmonienfolge
wiederholt und bei der dann fblgefiden Phrase unter neuer Wieder*
holung der Stiihnie durch Erhöhung der Dominante nach F-moU
übergegangen wird, tritt^ in der zweiten dieser Übergang sofort ein;
daran schließen sich die oben angegebenen Auslassungen , welche
auch eine andere Folge der musikalischen Motive bedingten. Bei
den Worten Venga la morte seist beide Male 6-moll mit Forte und
AUegro assai ein, nach intreptdo tattendo aber Es-dur; die nun fol-
genden Worte ma cKio possa stniggenni ad altra face, ad altro oggetio
dwutr gli affetti miei! sind auf fast kongruente Harmonien gesetat,
dort auf:
hier auf:
7
5»-
6
l'
5
b
G
e
/,
«K
51'
7^
>
tt
t>
G
C
/,
worauf zu den Worten Cotne ientarlo? wieder Andante von F-moU
nach OmoU übergegangen wird. Bezeichnend ist es dabei, daß diese
Frage in beiden Arien zweimal, als Sequenz, komponirt ist, offenbar
um in dramatischer Auffassung ihre Dringlichkeit anzudeuten ; freilich
ist der Ausdrück dem Komponisten das zweite Mal durch das Auf-
steigen des Motives sehr viel besser gelungen. Das Becitativ schließt
beide Male in G-moU.
Was den früheren Forschem die Ähnlichkeit der beiden Werke
verschleierte, war einerseits die Tonart des Bondo, welches dort in
B-dur, hier in Es-dur steht, andrerseits die Verschiedenheit des
Themas. Verschieden sind die Hauptthemen wohl in melodischer
Hinsicht) viel weniger aber in harmonischer und rhythmischer, was
man selbst bei flüchtiger Vergleichung leicht erkennt. Zudem wer-
den beide in genau acht Takten vom konzertirenden Soloinstrument
exponirt, ehe die Singstimme es unter den Figurationen des letzteren
übernimmt. Freilich ist es ein Unterschied, daß in der zweiten Arie
das Bitomell auf der Dominante, in der ersten aber auf der Tonica
schließt; doch ist beiden gemeinsam der Übergang des Bitomells in
den Gesang durch die fallenden Terzenskalen einer bis dahin nicht
angewendeten Orchestergruppe. In melodischer Beziehung tritt die
Ähnlichkeit der Themen vom fünften Takte an durch das stufen*
262 Friedrich Spiro,
weise Aufsteigeii, von der Tonica zur Teiz, von dieser aui Quinte,
und durch das Ziuückfallen über die Sexte in den Grundton klar
zu Tage. Im Folgenden ist außer harmonischen Bezügen nament-
lich charakteristisch das amoebaeische Deklamiien einer melodischen
Wendung von anderthalb Takten, wobei (bezeichnenderweise zu dea
Worten Piü non reggo a tonte pene) Singstimme und Instrument mit
dem Dreiklange und Dominantakkorde in der Weise altemiren, daü
sie sich jedesmal zu Beginn des zweiten Taktes mit dem Einsati
ihrer vollen Phrase gegenseitig, echt duettmäBig unterbrechen, bis
bei den Worten talma mia mancando va beide dieses muntere Spiel
verlassen, um vereint und doch getrennt in ausgeführter Kadern
durch ernste Harmonien, theilweise in Moll, zur Grundtonart zu-
rückzukehren. Freilich läßt sich überall erkennen, wie sorgsam
Mozart bei der neuen Schöpfung feilte, verbesserte, ausführte, das
dramatische Element belebte und in den Yordei^rund rückte, das
musikalische ciselirte; gerade die zuletzt erwähnte Stelle mit ihrem
vorzüglich geeigneten Vorwurf bietet einen sprechenden Beleg dafür;
allein gerade je sicherer diese Belege, um so sicherer auch die That-
sache der Umarbeitung. — Und nun folgt der bewundernswürdigste
Moment. Die Violine läßt auf der ersten Versetzung des Dominant-
Septimenakkordes, und das Klavier auf dem Nonenakkorde, kurz
nach einander abgerissene zarte Vorschlagsnoten ertönen,' die um die
Dominante gruppirt, wie Seufzer klingen und dann, beruhigend, auf-
wärts in die beide Male auf dem zweiten Taktviertel einsetzende
Dominante übergehen; darauf ruft die Singstimme: Tu sospiri? —
Die psychische Wirkung dieser Stelle ist unbeschreiblich; zugleich
bestätigt sie aber auch unsere beiden Vermuthungen, erstens das Duett-
verhältniß von Violine und Sopran in der ersten Arie, und dann die
direkte Anlehnung der zweiten an diese ; man halte zu der eben vom
Orchester gegebenen Schilderung noch die Noten des Gesanges, dort:
^S^ I r r ^ — jrH^
hier:
p — " ' — ' '""'• |3
Tu 80 - spi-ri? Tu so - «pi-ri?
Sofort geht es (0 dual funesto!) durch das Seufzermotiv des Instru-
mentes nach G-, beziehungsweise C-moll, aber bei pefisa atmen ivie-
der nach Dur. Auf che istante i queUo ensteht ein drohendes Cre-
scendo, das uns durch F-, beziehungsweise C-moll zu fremden Ton-
arten führt. Es folgt ein beruhigendes Zwischenspiel des Instrumentes,
und zu Non mi posso, oh Dio, spiegar wieder friedliches Dur und
Piano, das uns bequem zu Tonart und Thema des Anfangs geleitet
Die Entstehung einer Mosart'Bchen Konsertarie. 263
Der erste Abschnitt desselben wird wiederholt, «iber ssu anderem Ab-
schliiese gebracht, worauf mit den Worten Stelle bar bare apietate^
perehe mai tanio rigor? zum zweiten, schnelleren Satze übergegangen
wird. Dieser Übergang bleibe, wie der Tempowechsel selbst, nicht
unbeachtet. Beide Male verändert Mozart den Vers Stelle barbare,
spietaie in dramatischer Manier zu den getrennten, und zwar durch
entsprechende Orchesterzwischenspiele getrennten, Ausrufen Stelle
barbare xmd stelle apietate; die Umarbeituo^ wird deutlich, wenn
man beachtet, daß er das Violinsolo mit, das Klaviersolo dagegen
in erregten Oktavenpassagen über dem Orchester gehen läßt. Ja
auf die Gefahr hin, philologischer Kleinigkeitskrämerei beschuldigt
zu werden, gestehe ich, eine gesteigerte Leidenschaft darin zu er*
blicken, daß er hinter stelle spietate das erste Mal, wie sein Text-
dichter, ein Komma, das zweite Mal ein Ausrufungszeichen setzt.
Der Übergang schließt hier wie dort auf der entsprechend vorberei-
teten Dominante.
Der zweite Satz, Allegro moderato, bezw. All^pretto, bringt zu
der Strophe:
Alme helle che vedete
Le tnie pene in tal momentOf
Dite voi, se egual tormento
Pub soffrir un fido cuorf
zunächst je ein neues Thema in der Grundtonart, das wiederum in
acht Takten vom Instrumentalsolo exponirt, dann von der Singstimme
aufgenommen wird. So weit hätte nun diese Übereinstimmung nichts
Auf&Uendes; aber die neuen Themen sind in ihren ersten drei Tönen
wie in ihrem Einsätze identisch ; nachher kommen zwar wieder melo-
dische Abweichungen, rhythmisch aber und harmonisch bleiben sie
einander fast vollständig gleich; man beachte bei beiden den abwärts
schreitenden Dreiklang des Basses. Den ersten acht Takten des
Gesanges gegenüber hält sich das Soloinstrument theils b^leitend,
theils thematisch antwortend. Sofort nach deren Beendigung aber
ergeht sich dasselbe in bewegten Figurationen, die natürlich der je-
weiligen Spielart angemesen sind, aber dennoch zuweilen, wie im
zweiten Takte, einander auf die Note gleichen. Nach weiteren vier
Takten geht es in die Tonart der Dominante, zunächst in deren
Dominantseptimenakkord, der drei Takte lang zu Grunde liegt (in der
ersten Arie ist es seine zweite Versetzimg), dann in ihren Dreiklang.
Die zweite Arie bringt hier einen sechs-, die erste einen zweitaktigen
Rückgang zur Haupttonart und ihrem Thema, von welchem sie acht,
die erste nur vier Takte wiederholt. Hierauf geht es im Forte mit
diatoniiBch absteigendem Basse (nicht nur dieser und seine Takttheile,
264 Friedrieh Spiro,
sondern anch die Harmonien sowie der Kontrapunkt der Geigen
und die Achtelbewegung der Hörner stimmen überein) in die parallele
Molltonart, dort 6, hier C, und unter lebhaften Figuren des Instru--
mentes — auf der Violine steigenden Skalen, auf dem Klarier fallen-
den Arpeggien — singt die Stimme Yon Neuem Stelle barbare etc.,
wieder mit dem beseichnenden Unterschiede in der Interpunktion.
Dieser Zwischensate mit dem anschlieBenden Übergange nimmt in
dem früheren Werke zwölf, in dem späteren zehn Takte ein; die
Harmoniefiihnmg ist sehr ähnlich, bis auf einige Detailzüge über-
einstimmend.
Bis hierher war die Übereinstimmung der beiden Werke in
Anlage und Durchfährung eine wenn auch nicht wörtliche, so doch
stetige; keine umfangreichere Abweichung, keine wirkliche Diskre*
panz war zu konstatiren. Jetzt tritt ein Wendepunkt ein ; die beiden
Werke unterscheiden sich gerade im Nächstfolgenden merklich yod
einander, jedoch so, daß gerade dieser Unterschied als nur durch die
Anlehnung an ein Muster erklärbar, zu einem wesentlichen Beweis-
mittel der Existenz jenes Verhältnisses wird, das wir darcusteUen
suchten. Denn es kommt uns nicht darauf an, Ähnlichkeiten der
zweiten Arie mit der ersten vorzuzeigen, sondern die Thatsache fest-
zustellen, daß sie durch bewußte Benutzung und Bearbeitung aus
jener entstanden sei, daß hier ein Verhältniß vorliege, wie bei den
freien Selbstbearbeitungen Baches oder Beethoven's. Und dazu hilft
uns der folgende Unterschied ebensowohl wie die bisher beobachteten
Ähnlichkeiten.
Es fahrt nämlich jetzt die Arie Idamante's wiederum, echt ron-
domäßig, in ihr erstes Thema zurück, von welchem sie acht Takte
wiederholt, um dann im Qrchester zu einem neuen Abschnitt, einem
dritten Thema, und zwar in der Tonart der Subdominante, überzu-
gehen. Die Arie in Es-dur dagegen, die ja überhaupt den
Nameni»Rondo«^ nur durch ihre Ableitung aus der ersten
empfangen hat, ohne ihn vermöge ihrer Form selbst zu
verdienen, unterläßt diese Wiederholung und geht sofort, nicht
wie jene diatonisch sondern chromatisch im Basse absteigend, in den
neuen Theil über, der aber auch bei ihr in der Subdominante steht;
hier wie dort werden in demselben die Anfangsworte Nan temer etc.
gesungen. Und hier, gegen den Schluß hin. entfaltet sich nun der
künstlerische Flug des schaffenden Geistes immer freier und groß-
^ Der Bondoform hat sich MoEart wie Beethoven mit großer Vorliebe bedient;
n welcher Weise sie dabei gerade nach formaler Seite hin neuerten, bedarf immer
noch der besonderen Untersuchung, die besonders bei Beethoven zu überraschenden
Ergebnissen führen wird.
Die Entstehung einer Mozart'schen Konzertarie. 265
artiger, immer unabhängiger von der Vorlage. Diese neue Kompo-
sition des Non temer ist in der zweiten Arie nicht nur um vier
Takte länger als in der ersten, sondern auch viel bedeutender er-
funden und instrumentirt, nicht nur nach Seite der thematischen Ge-
staltung und Klangschönheit, sondern namentlich wieder nach der
dramatischen hin, der individuell ausmalenden , charakterisirenden.
So wird hier nach den Worten per te setnpre il cuor sarä (S. 112,
Takt 2) nicht wieder in das Hauptthema zurückgegangen, sondern
wieder befreit sich der Komponist von der Fessel des Bondo und
setzt, einmal im Zuge, statt der Anfangsworte eine neue Komposition
derjenigen Worte hierher, welche im ersten Theile des Gedichtes auf
die zuletzt angeführten folgten. Hatte er doch hier in weit höherem
Grade Grel^enheit, seine leidenschaftliche Seelenschilderung in Tönen
durchzufuhren, wenn er die Worte Piü non reggo — a tonte pene —
Talma mia mancando va. Tu sospirif oh duol funesto! etc., die ihm
nicht Opemtext sondern innerste Herzensergießung waren, aufs Neue
mit gesteigerter Erregung nachdichtete. Wie mächtig der Fortschritt
gegen die erste Komposition, wie gewaltig der Ausdruck, wie fein-
sinnig die Verarbeitung auch der einzelnen dort angegebenen Mo-
tive ist, mag man sich durch Nachlesen selbst zu Gemüthe fuhren;
die genaueste Beschreibung könnte doch nur andeuten. Nur auf
eine besonders reizvolle Einzelheit, die noch nicht beobachtet zu sein
scheint, möchte ich mir gestatten aufmerksam zu machen, nämlich
daß in der so zuversichtlich und innig klingenden Antwort des Kla-
viers auf die Worte Non temer ^ S. 111 im drittletzten Takt und
ebenso im zweiten und dritten Takte der folgenden Seite eine offen-
bare Weiterbildung desjenigen Motivs erscheint, welches im Andante
ebenfalls dem Klavier anvertraut war und zwar dort als Antwort auf
den Ruf Pensa almen (S. 104, im vorletzten Takt). — Dieser ganze
Abschnitt also fehlt in der ersten Arie. Man wende nicht ein, daß
er dort durch die Wiederkehr des Ilauptrondothemas ersetzt sei;
dieses tritt nicht an seine Stelle^ sondern folgt derselben: auch in
der Arie mit Klavier erscheint nämlich hier das erste Thema auf
Älme belle etc. ; doch setzt es Mozart, wie eben die Folge der Verse
zeigt, nicht aus formalen Gründen her. So ergab gerade diese Ver-
gleichung aufs Neue nicht nur die direkte Anlehnung Mozarts an
sein früheres Werk, sondern auch die für das spätere erfolgte, aber
nicht in bewußter Arbeit, sondern in unwillkürlichem, leidenschaft-
lichem Drange erfolgte Neukomposition des zuletzt besprochenen Ab-
schnittes. Die Art, wie derselbe mit dem wiederkehrenden Haupt-
thema cverbunden wird, ist charakteristisch für die Stimmung und
Thätigkej;t des Komponisten, nämlich durch den schmerzlichen Aus-
1888. \ IS
26ft Friedrich Spiro,
ruf Ah!^ der, nur Von der zweiten Klarinette unterstützt, mitten in
der soi^am geführten Sequenz mit seinem äs auf das g des Klaviers
stößt. Und so geht es nun fort. Durch die Wiederkehr des ersten
Themas fühlt sich Mozart nicht etwa gebunden; dazu hat ihn die
Leidenschaft schon zu weit fortgerissen. Nur die ersten acht Takte
entsprechen sich vollständig; dann aber wiederholt die erste Arie
auch die folgende Periode von zwölf Takten^ hier auf die Strophe
Alme belle — un fido cuor^ und erst da, wo im Anfange mit SUÜ^
barbare nach G-moll gegangen wurde, verläßt sie ihn, um die Coda
hinzuzufügen. In dem neuen Werke aber komponirte Mozart auch
die Wiederholung jener Worte ganz neu, wie er die Form neu schuf;
und so kann man, wenn man will, in ihm die Coda bereits hier be-
ginnen lassen. Die Worte derselben sind beiden Arien gemeinsam,
und nicht die Worte allein. Die Ähnlichkeit erstreckt sich zwar
nicht mehr auf einzelne melodische und rhythmische Motive — das
war nach dem Vorangegangenen geradezu unmöglich — aber auf
Haltung und Charakter des Ganzen, auf die innere Stimmung und
äußere Gestaltung. Das Wichtigste ist hierbei, daß Mozart sich von
der im Texte ausgesprochenen Situation hier völlig trennt und nicht
mehr auf entsprechende Ausfuhrung der ihm vorgelegten Ideen aus-
geht. Gleichmäßig in beiden Arien, äußerlich wohl noch mehr in
der zweiten, geistig aber ebenso stark in der ersten, schwingt sich
seine Begeisterung allmählich zu einem Jubel, einem Entzücken auf,
das durchaus den Charakter der Bejahung und Erfüllung trägt und
nichts zu thun hat mit dem schmerzlich resignirten Brüten der Frage
se egtial tormento pud soffrir un fido cuor. Zu Beginn der Coda ist
noch die Empfindung des Zweifels und der Frage wohl herauszu-
hören, das erste Mal aus dem Motive
I. D
di - te voi s'e-gual tor - men-to
das zweite Mal:
tri'
'-9^\?ß^-ß=:z
4
AI - me bei - le che ve - de - te
beide liegen über der Tonica, beide werden von. den ersten Geigen
unterstützt. Aber bald löst sich die Empfindung; Takt für Takt
kann man das Anschwellen der freudigen Erregung, den Aufschwung
der Künstler seele verfolgen, die sich in ihrem besseren Triebe über
die monotone Schwermuth des Textes erhebt, Alles was nicht Musik
Die Entstehung einer MoEart'schen Konzertarie.
267
ist weit hinter sich läßt und endlich in einem triumphirenden Ab-
schlüsse erst ihre volle Befriedigung findet. Es ist eine Emanzipation,
ähnlich derjenigen, welche anstatt der geplanten Scena Idamante's
eine Sopranarie entstehen ließ ; so schuf Mozart in dieser Coda ein
Musikstück bei dem der Text, nachdem er seine Schuldigkeit als
anregende, Richtung gebende, aber dadurch auch hemmende Folie
gethan hat, nun im Stich gelassen und nur noch als für die Sing-
stimme unentbehrliches Objekt behandelt wird. Dem entsprechen
auch die Mittel des Ausdrucks, namentlich die sonst in der ganzen
Arie fehlenden aufsteigenden Koloraturen, die in Folge dessen, wie
auch wegen ihrer melodischen Gestaltung, durchaus als integrirender
Bestandtheil, als empfundene Musik, und nicht als virtuose Beigabe,
etwa im Sinne einer applausreizenden Schlußkadenz^ zu fassen sind.
Daß diese Koloraturen ihren Höhepunkt auf soffrir erreichen, ist für
die eben gekennzeichnete Behandlung des Textes durch Mozart recht
charakteristisch. Übrigens haben sie in der ersten Arie eine Gestalt,
in der sie für den Tenor schwierig und undankbar, auch von Mozart
niemals angewendet sind, während sie für den Sopran günstig liegen
und in solcher Verwendung zu den bekanntesten Mitteln Mozartischer
»Manier« gehören.
Die folgende Tabelle hat den Zweck, die Zergliederung beider
Arien nach der Folge ihrer einzelnen Theile einfach und übersicht-
lich dem Leser vor Augen zu führen, ohne auf irgend welche Details
oder auf das rein Musikalische in ihnen und dessen Wechselbe-
ziehungen einzugehen. Sie soll nur die Disposition beider in aller
Kürze klar legen und so das gegenseitige Verhältniß ver£^nschaulicben
helfen; so diene sie dem bisher Gesagten theils zur Erklärung, theils
zur Ergänzung. — I bezeichnet die Arie Idamante's, II die der Sto--
race: das Übereinstimmende ist durch Kursivdruck bezeichnet.
I.
Recitativ^
für Tenor mit Streichquartett,
Langsames Zeitmaß,
Text: CKio mi scordi di tef
— Ah! di dolor morreiy mit Unter-
brechungen durch II ia.
Rondo ^ B-dur,
yUr Sopran mit Streichquartett^
2 Klarinetten, 2 Fagotten, 2 Hör-
nern und Yio\in-Solo,
II.
Mecitativ,
für Sopran mit Streichquartett.
Langsames Zeitmaß.
Text: CKio mi scordi di te?
— Ah ! di dolor morrei. nur sinn-
gemäß verkürzt.
Mo?idoj Es-dur,
für Sopran mit Streichquartett,
2 Klarinetten, 2 Fagotten, 2 Hör-
nern und Klavier-A^ö/o.
IS*
268
Friedrich Spiro,
1) Andante,
Achitaktiges Ritomell des Solo-
instrumentes mit dem Hauptthema.
Hauptthema im Sopran mit Fi-
ffurationen und charakteristisehen
Antworten des Soloinstr.
Text:
Non temer, amato bene,
Per te sempre il cuar sarä;
Piü non reggo a tante pene,
Valma mia mancando va.
Tu sospirif o duol funesto !
Pensa almen che istante e questo,
Non mi posso, oh Dio, spiegar.
Stelle barbarej spietate,
Perche mai tanto rigor?
2) Allegro moderato.
Erstes Thema^ acht Takte^ im
Soloinstr., dann in der Singstimme,
erst einfach begleitet, dann mit be-
wegten Figuren des ersteren.
Text:
Alme belle che vedete
Le mie pene in tal momento
Dite voi, se egual tormenio
Pud soffrir un fido cuor?
Übergang nach der parallelen
Molltonart, Zwischensatz in dieser.
Text: Stelle barbare — perchk
mai tanto rigor? perche? perchh?
Rückgang nach B-dur; erstes
Thema (acht Takte).
Zweiter Mittelsatz in der Ton-
art der Subdominante; Text:
Non ferner — il cuor sara.
Frsf£S Thema, Grundtonart, acht
Takte auf Alme belle etc.; Fort-
setzung der Wiederholung.
Kurze, triumphirende Coda mit
aufsteigenden Koloraturen und Se-
kundentriller.
\ id.
1) Andante.
>id.
2) Allegretto.
Erstes Thema, acht Takte, im
' id.
id.
Übergang nach As-dur.
}
id.
Non temer — perchfe? perche t
Erstes Thema, Grundtanart, acht
Takte auf Ahne beUe etc.;
Ausfuhrliche, triumphirende Co-
da mit aufsteigenden Koloraturen
und Sekundentriller.
Die Entstehung einer Mozart'schen Konzertarie. 269
Die Beispiele einer Umarbeitung eigener Werke durch Mozart
sind im Verhältniß zu der Zahl seiner Kompositionen zwar gering,
aber an sich doch immerhin beträchtlich; gerade unter* den Konzert-
arien befindet sich eine, Un bacio di mano (Ser. VI Nr. 40), kompo-
nirt im Mai 1788, deren Hauptthema in einer Ausdehnung von
sechszehn Takten als Schlußsatz des ersten Theils der bekannten
C-dur- Symphonie wieder erscheint. Die Kürze der Zeit, welche
zwischen beiden Stücken liegt, sowie die ^nzliche Freiheit der Um-
-arbeitung, die das neue Werk als ein ganz selbständiges erscheinen
läßt, geben diesem Schritte eine gewisse Analogie zu dem oben be-
sprochenen. Aber der einzige mir bekannte Fall war es, daß Mozart
ein Violinsolo zu einem Klaviersolo umschuf; eine Arbeit die wir bei
J. S. Bach in zahlreichen Exemplaren sehen, wie ja noch 1807 so-
gar Beethoven, vielleicht nach Baches Muster, sein Violinkonzert zu
einem Klavierkonzert arrangirte. Die Art aber, wie Mozart die Um-
arbeitung vollzog, entfernt sich von der Baches und Beethoven's
gleichmäßig; sie ist für ihren Vefrfasser im höchsten Maße bezeich-
nend und nimmt jedenfalls in der Geschichte der Transskription, die
noch zu schreiben ist, und die, in Bach einen ihrer Höhepunkte er-
blickend, dann bei Mozart wie bei Beethoven mit Interesse zu ver-
weilen hätte, einen ganz eigenartigen und hervorragenden Platz ein.
Mozart's Selbstbearbeitungen sind, wie gesagt, nicht sehr zahlreich,
aber alle lehrreich, wie die Baches, und im Gegensatze zu denen
des letzteren alle von einander verschieden in Stoff, Haltung und
Erfolg.
Kritiken und Referate.
Jvxm F, Riano, Critical and bibliographical notes on early Spa-
nish music. Wil^ numerous illustrations. London, Bernard Quaritch.
1887. 154 S. in 8«.
Die Musikgeschichte ist mit keinem europäischen Kulturlande so wenig Ter-
traut, als mit Spanien. Es erscheint das um so verwunderlicher, als die moderne
Tonkunst diesem Lande mancherlei zu verdanken hat. Besonders treten seit Ende
des fünfzehnten Jahrhunderts Musiker spanischer Herkunft in auffallend großer
Zahl auf, welche nicht bloß dem Musikleben ihrer Zeit, sondern der ganzen mo-
dernen Musik die bedeutsamsten Anregungen gegeben haben. Freilich muß es
zweifelhaft erscheinen, ob wirklich das Vaterland dieser Mfinner einen wesentUehen
Antheil an ihren Verdiensten um die Musik beanspruchen dürfte, denn sie alle
wirkten fast ausschließlich in Italien. Mag man auch die Ansicht haben, daß ein
solches Zusammentreffen musikalischer Genies und Talente ein und derselben Na-
tion einen einheitlichen Grund haben müsse, der am natürlichsten in der gemein-
samen Nationalität und in den Eindrücken, welche sich jenen Männern schon in
der Kindheit einpflanzten, zu erblicken ist, so bleibt diese Ansicht doch eine Ver-
muthung so lange, bis die musikgeschichtliche Entwickelung Spaniens als eine be-
deutende klargelegt ist
Den ersten beachtenswerthen Anlauf zu einer Musikgeschichte Spaniens machte
Don Marcelino Menendez y Pelayo {Hietoria de las Ideas EaUiicas en Espak^
Madrid t 1883). Der zweite Versuch ist das hier vorliegende Werk Biano's; eine
erschöpfende Behandlung des Gegenstandes ist also nicht zu verlangen. Auf eine
solche hat es der Herr Verfasser aber auch nicht im entferntesten abgesehen, da
er, wie er mit gewinnender Bescheidenheit ausdrücklich erklärt, nicht Fachmann
ist. Der Zweck seines Buches ist nicht, Urtheile abzugeben, sondern solche anzu-
regen, indem er die Aufmerksamkeit der Wissenschaft auf die Schätze der spa-
nischen Bibliotheken lenkt. Wir haben es also mit einem bibliographischen Werke
zu thun, einer Art illustrirten Kataloges über mittelalterliche Handschriften und
seltene Drucke früher Zeit.
Schon bei erster Durchsicht des Buches ist man überzeugt, daß die bisherige
Meinung über die Armuth spanischer Bibliotheken an musikalischen Handschriften
eine irrige ist Herr Riano föhrt uns Beschreibungen und meist auch Schriftproben
von über 70 mittelalterlichen Handschriften vor, welche sich zum größten Theil in
den folgenden Bibliotheken befinden : Cathedrale zu Toledo (34) , Bibl. nazionale lu
Madrid (15), Bibl. del Escorial (7), Bibl. de la Real Academia de la Historia (5);
die übrigen Handschriften sind vereinzelt in verschiedenen Büchereien. Auf ^e
einzelnen Jahrhunderte vertheilen sich die Handschriften so: Jahrhundert X/XI. 12,
Critical and bibliographical notes on early Spanish music von J. F. Riaüo. 271
XI/XII. 12, Xm. 10, XIV. 23, XV. 12, XVL 4. Diese stattliche Anzahl von Co-
diee» ist also sehr wohl im Stande, uns einen einigermaßen sicheren Einblick in
die praktische Musik Spaniens vom 10 — 16. Jahrhundert zu geben, und selbst ohne
sie in eigener Person einzusehen, können wir einen flüchtigen Blick wenigstens
über die äußerlichen Bedingungen der spanischen Musikschrift jener Jahrhunderte
durch die Faesimtlia gewinnen, die der Herr Verfasser seinem Werke in reich-
licher Anzahl eingefügt hat. Hierzu dürften einige allgemeinere Bemerkungen nicht
gans unnützlich sein.
Literarische Erscheinungen auf dem Gebiete früherer mittelalterlicher prak-
tischer Musik gehören so sehr zu den Seltenheiten, daß selbst minderwerthige
Forschungen und Veröffentlichungen über diesen Zweig der Musikwissenschaft Be-
achtung erfordern, sobald sie nur einige Aussicht auf Selbständigkeit geben.
Während andere philologische Fächer eine eifrige Thätigkeit im Sammeln yon
Quellen für die Kenntniß des frühen Mittelalters — dessen wissenschaftliche Be-
deutung ja überhaupt erst in unserem Jahrhundert ernstlich ins Auge gefaßt
wurde — enthalten, steht allein die Musikwissenschaft dem Mittelalter etwas ver-
sagt gegenüber. Das Interesse ihrer Untersuchungen richtet sich nahezu aus-
schließlich auf Veröffentlichung oder Beurtheilung der theoretischen Werke mittel-
alterlicher Musik. Aber die Hoflbung, auf diesem Wege zu einer wahren Er-
kenntniß von der Beschaffenheit jener Tonkunst zu gelangen, scheint mir als
trügerisch bezeichnet werden zu müssen. Man möge nie vergessen, daß die
Kunst in erster Linie eine nqa^if, eine Thatkraft ist, und als solche muß die
Forschung sie zuerst zu verstehen und beleuchten suchen. Die yyiaais, die zeitgenös-
sische Theorie kommt also erst in zweite Beihe, schon deshalb, weil dieselbe fast
stets entweder rück- oder vorwärts schaut und für die ihr gleichzeitige Kunstaus-
übung selten eine treue Abbildnerin ist. Ihr Zweck ist hauptsächlich, frühere
Anschauungen für die Zukunft nutzbar zu machen. Die Gegenwart aber gehört
der Praxis. Daher läßt sich aus den idealisirenden Werken der mittelalterlichen
Mnsiktheoretiker eben nur eine vorzugsweise ideelle Musikgeschichte gewinnen;
die reelle Musikgeschichte muß sich vielmehr zumeist an die oft derbe und stück-
weise, sprunghafte Wirklichkeit der praktischen Tonwerke halten. Daß die bis-
herige Forschung überhaupt die Musikgeschichte des Mittelalters theoretisirt hat,
wird am ersten demjenigen fühlbar werden, welcher einmal die so naheliegende
Frage beantwortet zu sehen wünscht: »Wie sah die Musik damals aus und wie
klang sie«? Die Antwort besteht meist in einigen lithographirten Neumenfrag-
menten oder wohl gar Holzschnitten, die vielleicht mehr den Zweck haben, den
Fragesteller durch ihre Kuriosität zu verblüffen und den Beantworter in das
Licht einer geheimnißvoUen Forscherthätigkeit zu setzen, als der Wissenschaft zu
nützen. Deutlich spiegeln sie die Verlegenheit der musikalischen Schriftsteller
wieder, bei denen die geistlose Schriftprobe für eine Probe ihrer Wissenschaft ein-
treten muB. Gewinn ist aus solchen Neumenpröbchen, die sich, oft nur vom Um-
fange einiger Wörter, allerwärts von Praetorius an bis auf die neueste illustrirte
Geschichte der Musik herab vorfinden, nur selten zu ziehen. Ich habe es mir an-
gelegen sein lassen, die bisher veröffentlichten Neumenbruchstücke zu sammeln;
dabei sah ich sehr bald ein, daß es unmöglich ist, dieselben zur Grundlage wissen-
schaftlicher Erforschung der Neumen zu machen. Zum Theil leiden sie an Un-
genauigkeit der Wiedergabe, Mißverständnisse von Zeichen über dem Sprachtexte
die gar keine Neumen sind u. dgl. begegnen öfters, und je lebhafter die Probe das
Interesse erweckt, desto lebhafter entsteht der Wunsch, das Original kennen zu
lernen. So erscheint in den meisten Fällen die Veröffentlichung von kleinen
Neumenbruchstücken als »Proben mittelalterlicher Musik und ihrer Tonscbrift« nur
272 Kritiken und Keferate.
wie eine Zeit- und QeldTerschvrendung, mit welcher man die Neugierde, nielit aber
die 'Wissenschaft befriedigt. Zum mindesten darf man wohl Terlangen, daß da,
wo es an der Fähigkeit geistiger Erfassung des Originales fehlt, um so treuer die
Wiedergabe sei, und Hiano hat ganz Recht, wenn er die Forderung au&tellt, man
solle sich beim Facsimiliren Yon Neumen nur der Photographie u. ä., nicht aber
der lithographischen Nachzeichnung bedienen : Thia study can neeer he auccettßd
tmless made on ihe manuscripU thenuelcea or on good Photographie facsimUes of ikt
same, for I fear the leiters may lose part of their charaeter hy being rsproduced by
engravings. Das Lambillottesche Antiphonar von St. Gallen kann hierzu einen
Beleg geben; denn offenbar hat der Lithograph, der doch von Neumen gewifi
nichts verstand und ohne Aufsicht auf Lambillotte's Bechnung arbeitete, eine wenig
zutrauenerweckende Edition jenes Antiphonars geliefert.
So mag wohl manches Neumenfacsimile gegen den obersten Grundsatz des
philologischen Edirens verstoßen : nämlich den Forschem die Originalhandzdurift
möglichst entbehrlich zu machen. Indessen läßt sich bei einem ausgedehnten
Neumendenkmale, wie es z. B. LambiUotte's Antiphonar eben ist, mancherlei, was
der Kopirende versah, vermöge einer selbständig eingehenden Kritik wieder gut
machen oder wenigstens als unwesentlich ausscheiden. Diese Möglichkeit ist aber
bei Schriftbruchstücken oder gar bei den zweizeilenlangen Pröbchen natürlich aus-
geschlossen ; — und doch bilden gerade diese die große Mehrzahl von dem, was
bisher an Neumenmaterial für umfassende musik-paläographische oder -geschieht*
liehe Studien vorliegt. Das triift sogar schon bei den Originalhandschriften selbst
zu. Ausgedehnte Denkmäler der Neumation sind im Großen und Ganzen nicht
aUzu häufig. Für das frühere Mittelalter finden sich derartige Hauptquellen wohl
ausschließlich nur in den größten Bibliotheken Italiens, besonders Roms, vor ; fOr
das 10. bis 12. Jahrhundert trägt, nach Ausweis des vorliegenden Werkes von Hiano
auch Spanien bei; seit dem 12. Jahrh. kommen die französischen Bibliotheken in
Betracht ; Deutschland wird nur vereinzelte Hauptquellen aufweisen können. Häufig
aber stößt man auf neumirte Fragmente, und ihre Benutzung ist schon dann schwer
genug, wenn man sie im Original vor sich hat. Denn nicht nur jedes Land, son-
dern fast jeder einzelne Musikkulturbezirk, manchmal sogar der einzelne Schreiber
hat seine eigenen Neumenformen, ein Umstand, der ja in der Sprachsehrift sdn
Analogon findet Diese Bruchstücke sind ohne vorangängige Untersuchimg der
Hauptquellen mit Sicherheit nicht zu klassifiziren. Erst wenn man sein Urtheü
gebildet hat an den großen Denkmälern, die der Natur ihrer Bestimmung nach
meist sehr sorgfältig geschrieben sind, erst dann kann man sich an die Beurthei-
lung der flüchtigeren und weniger kontrolirbaren, gewissermaßen vagabondirenden
Bruchstücke wagen. Nur auf diese Weise wird es möglich, die schier endlose
Anzahl verschiedenartigster Neumenformen durch Vergleichung und Sonderung auf
eine weniger umfangreiche Gruppe von Tonwerthzeiohen zurückzuführen, die zwar
unter verschiedenen Gestalten aber immer wieder unter der gleichen Bedeutung
und in gleichem Gebrauche vorkommen. So gelangt man zu einem Einheitsalphabet
der Neumen, das man dann mit leichter Mühe zu einer druckfähigmi Neumation
verwenden kann. Die Druckneumen m'ürden genau in demselben Verhältniß zu
den Schreibneumen stehen, wie imsere Druckschrift der Sprache zu der vielleicht
noch mehr verzweigten Vielgestaltigkeit der Schreibschrift der verschiedenen Zeiten
und Völker. Erst dann, wenn die soeben beschriebene »mittlere Neumation« ge-
funden ist. wird auch die Musikforschung im Stande sein, die praktischen Werke
der mittelalterlichen Tonkunst in den Bereich ihrer allgemeinen Betrachtungen zu
ziehen. Bis dahin ist sie auf den Sammelfleiß und das daraus entspringende
Urtheil Einzelner auf Treu und Glauben angewiesen, — sicherlich ein wenig wissen-
Critical and bibliographical notes on early Spanish music von J. F. Kiano. 273
sehaftHcher Zustand. Denn die Hoheit der Wissenschaft beruht in der Kontroi-
ffthigkeit ihrer Ideen.
Aus den dargelegten Betrachtungen ergiebt sich der Werth des der allgemeinen
Beurtheilung zur Verfügung gestellten und uns Torliegenden Werkes von selbst.
Der Herr Verfasser giebt etwa 30 Kopien Ton Neumenschriftbruchstücken, s&mmtlich
Ton nur geringem Umfange. Das erste Beispiel (Fig. 1) und, weil der ältesten der
angezeigten Handschriften angehörig, auch eines der wichtigsten, besteht aus zwei
Figuralbuchstaben, die dem Musikforscher ziemlich gleichgiltig sein können, und
einigen znsammenhanglosen Sprachsilben mit 4—5 Neumenzeichen. Wie |eine solche
Probe einen Begriff von dem musikalischen Werthe der betreffenden Handschrift,
auf den es doch hier abgesehen ist, erwecken kann, das ist nicht einzusehen.
Ahnlich steht es um andere Beispiele, aber glücklicherweise bilden sie nur Aus-
nahmen. Durchschnittlich halten sich die Proben im Umfange von ä — 4 Schrift-
zeilen, kommen also doch wenigstens den kleinsten Originalbruchstücken an In-
halt ungefähr gleich, sodaß sich die Zugehörigkeit der einzelnen Handschrift zu
dieser oder jener Neumenart meistentheils feststellen läßt. Aber auch das würde
noch nicht genügen, um die Veröffentlichung des Werkes, d. h. die Mühe und
Kosten sowohl der Hersteller als der Käufer, zu rechtfertigen, wenn nicht ein
überaus einfaches, aber bisher noch nie recht angewendetes Verfahren den Herrn
Verfasser allen Tadels überhöbe.
Ich nenne das Verfahren ein einfaches und hier zweckmäßiges, nicht ein durchweg
empfehlenswerthes. Die Anordnung der Beispiele geschieht durch chronologische
Aneinanderreihung der vorgefundenen Handschriften. Da nun dieselben in ihrer
Gesammtheit auf einem einzigen Boden entstanden sind, so erhält man im Verfolg
der Schriftzüge einen leidlich sicheren Überblick der Neumenschriftentwickelung
in Spanien. Würde man in gleicher Weise mit dem deutschen, französischen u. a.
Handschriftenmateriale verfahren, so ließe sieh zweifellos etwas Besseres damit er-
reichen, als man mit allem Eklektizismus bisher erlangt hat; aber unumgänglich
w&re dabei die Forderung zu berücksichtigen, daß solche Nationalstudien sich
mindestens einer gleichen Vollständigkeit befleißigten, als sie in dem Werke des
Spaniers zu Tage tritt. Denn ohne ein ernstes Streben zur möglichsten Zusammen-
fassung des vorhandenen Handschriftenmaterials in den einzelnen Ländern soll man
derartige Dinge am besten gar nicht erst beginnen; und diesen Ernst — eine
Quelle mühe- und entsagungsvoller Arbeit — hat bisher noch niemand gezeigt.
Kein Wimder also, daß auch Herr Kiaüo auf halbem Wege stehen geblieben ist.
Es ist zu glauben, daß Spaniens wichtigste Bibliotheken von ihm im wesentlichen
benutzt worden sind, so daß die hier mit ihren Namen angezeigten Werke \ms
des ungefähren Inhalts derselben versichern, soweit es die Musik betrifft Der
Hauptzweck, welchem das Werk nach der Absicht seines Verfassers dienen sollte,
ist somit zwar erfüllt. Aber dem Musikforscher — und an ihn wendet sich doch
das Buch in erster Linie — werden mit dem Werke Wünsche an die Hand ge-
geben, welche Herr Riano, trotz seiner gegentheiligen Versicherungen, wohl hätte
befriedigen können. Ich meine nicht etwa den Versuch einer Entzifferung der
Neumenwerke, denn dieses Verlangen geht über ein bibliographisches Werk hinaus;
auch nicht die genetischen Erklärungen der westgothischen Chiffem, um die sich
Herr Riaiio so eifrig bemüht und auf welche ich sogleich zurückkommen werde.
Weit leichter, aber auch mehr wünschenswerth, wäre eine Übersieht über die rein
palaographische Entwickelung der Neumenschriften gewesen, wie sie sich in den
vorgeführten Handschriften zeigt. Ohne Einblick in die vollständigen Vorlagen ist
eine klare Gruppirung und Beurtheilung der Handschriften, selbst von der so äußer-
lichen Seite der Paläographie aus, wie gesagt nicht recht möglich; und doch hängt
274 Kritiken und Referate.
von der Überzeugung besüglich des Werthes, und nicht bezüglich der Anzahl der
Handschriften das günstige Urtheil der Wissenschaft über die spanischen Hand-
Schriftenschätze, das Herr Riano herbeiwünscht, durchaus ab. Es ist, wie genügend
betont, äußerst schwer, aus kleinen Neumenprob6n ein allgemeines Urtheil heraa»-
zuziehen, und ich wage deshalb das Versäumte nur insoweit nachzuholen, als es
die Pflicht einer produktiven Kritik erheischt.
Nach den von Riafio gegebenen Proben zu urtheilen übersteigt das Alter
spanischer Handschriften das zehnte Jahrhundert nicht. Die älteste Neumenform
ist eine linienlose, welche, ähnlich der in den kaiolingischen Landen gebrauehtai,
auf irgend ^ine räumliche Anordnung der Tonzeichen gemäß ihrer Tonhöhe keme^
lei Rücksicht nimmt. Der älteste Schriftcharakter Uebt eine liegende Ricktuag
und breite, etwas unklare Formgebung der Zeichen; etwas später, wahrscheinUch
erst im 11. Jahrhundert, tritt eine steile, sehr saubere und zierliche Neumenform
gleicher Gattung auf. War z. B. der Punkt in der ersteren Schriftart plump und rund,
so zeigt er sieh in der letzteren scharf, viereckig und klein. Beide Neumenarten
faßt Herr Riano unter dem Namen der westgothischen Neume zusammen. Ihren
Ursprung leitet, er. aus dem westgothischen Sprachalphabet her, indem er bei dieser
Behauptung auf einigen Vorgängern gleicher Meinung fußt, aber auch betont, daß
er das diesbezüglich entscheidende Wort in keiner Weise für gesprochen erachte,
obwohl er selbst persönlich von der Richtigkeit seiner Ansicht überzeugt sei. In
letzterem Punkte pflichte ich dem Herrn Verfasser durchaus bei. Es ist ja nicht
unwahrscheinlich, daß die westgothische Neume mit dem gleichzeitigen Alphabet
in Spanien in irgend einer verwandten Beziehung steht, wie auch die in den frän-
kischen Ländern vorherrschende Neumation sich zur selben Zeit mit Buchstaben-
elementen verband, die als Romanusbuchstaben trotz der Erklärungen des Notker
Balbulus mir noch eine geheimnißvoUe Rolle zu spielen scheinen. Aber von der,
wenn auch noch so sicher festgestellten, theilweisen Ähnlichkeit von Schriftzeiches
einen AUgemeinschluß auf die Entstehung derselben ziehen zu wollen, halte ich
für überaus bedenklich. Mit diesem Prinzipe würde der phantastischen W^iUkür die
Thür geöffnet. Wer z. B. einen Blick auf die große Anzahl der verschiedenartigsten
Sprachalphabete thut, wird immer einige Zeichen herausfinden, die irgendwelchen
Formen meinetwegen aus dem lateinischen Alphabete von weitem ähneln. Darauf-
hin gleich die Verwandtschaft der so verglichenen Alphabete erklären zu wollen, ist
zum mindesten unwissenschaftlich. F6tis mit seiner Behauptung von der Verwandt-
schaft einer mittelalterlich -griechischen Tonschrift mit dem demotischen Alphabet
der Ägypter wird uns unter anderen warnend entgegen treten. Bloße Zeichenähnlich-
keit beweist nichts, sie kann von jedem, selbst dem Ungebildeten mit ebensoviel
Grund als von dem Wissenschafter, wie behauptet so geleugnet werden. Unb^
denklich darf diese Art physischer Beweisführung nur bei zwei gleichartigen Schriften
heißen, sobald die Ähnlichkeit der Zeichen sich mit wenigstens annähernd gleicher
Bedeutung derselben verbindet Bas kann natürlich zwischen einer Sprach* und
einer Tqnschrift nicht statthaben. Hier müssen also unter allen Umständen noch
andere Übereinstimmungen aufgewiesen werden, um eine Verwandtschaft wahr-
scheinlich zu machen, wie das Übereinkommen in der Nacheinanderfolge der Zeichen
u. ä. Nur durch Nachweis einer gesetzmäßigen Entwickelung des einen aus dem
anderen wird der physische Augenschein aller Zufälligkeit entkleidet.
So interessant also die Nebeneinanderstellung der westgothischen Sprach-
und Tonschrift auch sein mag, so versichert sie uns doch nicht einmal der An-
nahme, daß jene Neumenart spezifisch spanisch sei. Denn abgesehen von einigen
allerdings eigenartigen und westgothischen Schriftcharakteren sehr ähnlichen Zei-
chen, ist doch die Hauptmasse der Neumen dieselbe, als sie in der fränkisches,
Critical and bibliographical.notes on early Spanish music von J. F. Kia&o. 275
ja im Grunde genommen in allen Neumationen erscheint. Logischerweise müßte
man also behaupten, daß die Neumen überhaupt in Spanien ihren Ursprung ge-
funden haben. Dem widerspricht aufs schlagendste, daß ja die westgothische Buch*
stabenschrift nicht einmal daselbst vor dem 10. Jahrh. auftritt, während die Neu-
mationen in anderen Ländern bis in das 7. Jahrh. hinein xu verfolgen sind. Somit
müßte man annehmen, daß umgekehrt die Neumen dem westgothischen Alphabete
ihr Leben gegeben . haben. Ohne mich auf Weiterführung der gegebenen Annahme
oder gar auf Gegenbehauptungen einxulassen, glaube ich doch durch die beige-
brachten Erörterungen genügend den Standpunkt der Frage geklärt zu haben.
Diese sogenannte westgothische Neumation kam nun im 12. Jahrh. außer Ge-
brauch. Nach der Eroberung Spaniens durch Alfonso VI. im Jahre 1085 gelangte
daselbst ein französischer Einfluß zu entschiedener Geltung. Hatte bis dahin der
sogenannte muzarabische Gesang, welcher bis heute in der Kathedrale zu Toledo
traditionell weiter geübt wird, die kirchliche Liturgie beherrscht, so trat jetzt all-
mählich, besonders durch das entschiedene Vorgehen Ton Cluniacenser Mönchen,
der galUkanische Gesang — nicht, wie Herr Kiano vermuthet, der reine gregoria-
nische — mit seiner provenzalischen Neumation an die Stelle des enteren. Im
13. Jahrh. ist, nach Ausweis der Proben bei Biano, die ältere Notation verschwun-
den und dafür die provenzalische Neumation oder sagen wir besser Punktation
völlig durchgedrungen. Sie entwickelt sich, schon von vornherein auf räumliche
Anordnung der wenigen gleichförmigen Zeichen angewiesen, allmählich zu einer
Liniennotation, zuerst mit den Schlüssel-, dann mit größerer Anzahl von Linien, und
dabei verliert sie immer mehr von ihrem Neumencharakter. Ihre Zeichen werden
mit zunehmender Bedeutung der Linien noch bedeutungsloser, als sie ohnehin
schon waren, bis sie schließlich im 14. Jahrh. der ausgebildeten Choralnotation den
Platz räumen muß. Im 15. Jahrh. ist dann der letzte Best der Neumensohrift ver-
sehwunden. Ein Auftreten von Neumengattungen rein fränkischen oder italieni-
schen Charakters in Spanien ist in allen Jahrhunderten wenig ersichtlich.
Hiermit sind wir bei jener Zeit angelangt, wo spanische Musiker anfangen,
sich ganz Europa bemerklich zu machen, nämlich beim Ausgange des 15. Jahr-
hunderts. Auffällig ist dabei zuerst ein entschiedener Einfluß spanischer Musiker
auf die Gestaltung der Musiktheorie in Europa, vorerst in Italien. Schon im
frühen Mittelalter, nämlich im 7. Jahrb., ist Spanien in der Musiktheorie durch
den Eklektiker Isidor von Sevilla vertreten; auch S. Eugenius, demselben Jahr-
hundert angehörig, scheint auf die Musik stark eingewirkt zu haben. Nach dem
10. Jahrhundert mögen die Theorien Alfarabi's in Spanien angefangen haben ihren
Einfluß zu äußern. Im 13. Jahrh. ist auf demselben Gebiete Baimundo Lull von
MalloTca zu nennen, welcher die Errungenschaften Guido's von Arezzo mit Glück
weitergestaltet haben soll. Diesen mehr vereinzelten Erscheinungen reihen sich
nun im Ende des 15. und im 16. Jahrhundert Namen an, welche zu den wichtig-
sten der Musiktheorie überhaupt gehören. Nur im Vorübergehen will ich Marcos
Duran, Fray Vicente de Burgos, Guillermo Podio erwähnen. Stärker als diese
machte sich der Andalusier Bartolom6 Bamos de Pareja durch die Gründung einer
musikalischen Professur in Bologna nennenswerth ; seit jener Zeit ist diese Stadt
für die Musiktheorie bis auf heute von höchster Wichtigkeit geblieben. Nament-
lich aber wirkte Bamos epochemachend durch sein theoretisches Werk »De muaica
practica", Bologna 1482, wovon das einzige bekannte Exemplar sich in der be-
rühmten Bologneser Lyceumsbibliothek befindet. ' Trotz der Angriffe Gafurs und
des Nicolaus Burtius drang seine Forderung einer Temperatur der Töne siegreich
durch, und sie beherrscht ja noch heute das .Tonsystem. Ich verfehle nicht, auf
einen geringfügig scheinenden Umstand besonders hinzuweisen, daß nämlich Bur-
276 Kritiken und Referate.
tius sein den Gedanken des Ramos befehdendes Weik sieh veranlaßt fühlte fol*
gendermaßen lu betiteln: Musiees cpugeulttm cwn defensüme Guidonis Aretmi ad-
versus quendam Hispanum veriUttis praevarieatorem. Hierin läßt sich ein geiriaser
Ideenzusammenhang zwischen Ramos und seinem Landsmann Lull erkennen. Als
sich nun gegen Gafur und Burtius der Schfller des Spaniers, Job. Spartarius ^ er-
hob, brach ein wahrer Krieg zwischen Mailand mit Bundesgenossen und Bologna
aus; aber der neue Gedanke drang schließlich siegreich durch. Schon aus diesen
nackten Thatsachen läßt sich ersehen, daß nicht Gafur, sondern Ramos de Pareja
der Vorgänger Zarlino's ist, — neben welch letzterem dann, als sein bedeutendster
Zeitgenosse auf dem musiktheoretischen Felde, der Spanier Salinas auftrat.
Wie Ramos, praktisch und schülerbildend, trat kurz nach ihm in Neapel ein
anderer spanischer Theoretiker epochemachend auf, Juan de Tapia. Er gab 1537 der
Welt das erste Konservatorium für Musik. Die Selbstaufopferung, welche er dabei
zeigte, sowie die schnelle Entwickelung und der Anklang, welche auch dieser neue
Gedanke fand, zeugen dafür, daß er ein zielbewußter Neuerer war. Man hat sich
bei Beurtheilnng seines Konservatoriums des Gedankens an den heutigen B^riff von
einem solchen zu entschlagen. Heute ist das Konservatorium nur eben eine Musik-
schule, ein Lehrinstitut für Musik ; hätte Juan de Tapia eine solche gegründet, so
wäre er vielleicht nicht der erste gewesen. Indem er aber Armenpflege mit der
der Musik verband, gab er einer sehr gesunden Idee das Leben. Noch heute
finden sich in Italien z. B. Findelhäuser, die wahre Pflanzstätten der Instrumental-
musik im Volke sind. Die Kinder, bei denen sich musikalische Anlagen zeigen
— und den Samen der Musik hat ja die Natur über das ganze Land gestreut, —
werden zu kleinen Orchestern vereinigt, welche mitunter auch öffentlich musiziren.
Aus diesen Waisenkindern rekrutiren sieh dann oft jene Stadtmusikchöre, deren
Mitglieder im Dienste der Polizei wie im Dienste des öffentlichen unentgeltliehen
Vergnügens stehen^ Diese Ideenverbindung, die dem Volke mißliebige SteDung
eines Polizisten auf solche Weise angenehmer zu machen, hat etwas überaus Lebens-
kräftiges. Ob die moderne Einrichtung mit der Gründung Tapia's in geschicht-
lichem Zusammenhange steht, weiß ich nicht zu sagen ; zu vermuthen freilich ist
es, namentlich wenn man die erstaunliche Musikfreudigkeit des neapolitanischen
Volkes, deren Augenblicksschöpfungen der Musiker oft mit froher Verwunderung
lauscht, in Betracht zieht Denn die Zeitgenossen Tapia's, jene Niederländer, die
man unter dem Namen der ersten neapolitanischen Schule zusammenzufassen pflegt,
hätten mit all ihrer Gelehrsamkeit über das gemeine Volk sicherlich nicht den
Einfluß ausüben können, welcher einer musikalischen Wohlthätigkeitsanstalt wie
von selbst zufällt.
Fügen wir nun zu diesen Namen noch diejenigen von Komponisten und prak-
tischen Musikern hinzu, wie Escobedo von Zamora, Esoribano, Morales, Victoria,
denen sich eine Anzahl kleinerer Sterne anreihen, so hat man ein ungefähres Bild
von Spaniens musikalischer Ehre. Wie lückenhaft dies Bild ist, wird man bereits
ersehen haben. Es fehlt ganz insbesondere jenes Mittelglied der Geschichte zwi-
schen dem modernen musikalischen Spanien und dem des 10. bis 12. Jahrhunderts,
denn die spanische Musik der Zwischenzeit zwischen dem 12. und dem Ende des
15. Jahrhunderts ist im Wesentlichen nicht -national. Mit großer Verwunderung
findet man seine Hoffnung auf einige Erklärungen über arabische Einflüsse und
1 Gafur nennt ihn Spatiarius, P. Martini Spadarius, Lichtenthai Spataro,
A. V. Dommer Spatarus. In der Originalausgabe von 1521 (Exemplar z. B. in BibL
S. Cecilia zu Rom] nennt sich der Verfasser Spartarius. Diese Schreibweise wird
maßgebend sein müssen.
Critical and bibliographical notes on early Spanish music von J. F. Riaiio. 277
über mittelalterliche Instrumentalmusik beim Lesen des Riano'schen Werkes ge-
tftuscht. Zwar wird eine Alfarabi- Handschrift aufgeführt, aber damit ist alles
ersdiOpft, was Riaiio über arabische Musik zu berichten weiß. Und doch sollte
man Termuthen, daß die arabische Musik, wenn jemals in Europa, so sicherlich
zuerst in Spanien einige Spuren ihrer Blüthezeit hinterlassen habe.
Um die Instrumentalmusik steht es zwar etwas besser. Hiano führt dreizehn Titel
von Werken über Instrumentalmusik aus dem 16. Jahrhundert an; fast sftmmtliche
dienen dem Spiele der vikueia beziehungsweise teala harpa. Von handschriftlichem
Materiale sind nur einige wenige Nebenquellen, wie Gesetze und Gedichte, erwähnt.
Reichere Ausbeute gewähren die an Bauwerken und als Miniaturmalereien vor-
kommenden Abbildungen von musikalischen Tonwerkzeugen, welche Riaüo zumeist
aus anderen wissenschaftlichen Werken entnommen und hier zusammengestellt hat.
Aber daa, was ich zuerst erhofft hatte, eine sichere Belehrung über die Beziehungen
europäischer zu arabischer Musik geben auch diese nicht. War es möglich, daß
die Theorien eines Alfarabi im 13. Jahrhundert in Frankreich besprochen wurden, *
so sollte man es noch weit natürlicher finden, daß man nicht nur ihn, sondern
überhaupt die arabische, sicherlich nicht zu unterschätzende Musik nicht ganz un-
benutzt %ei Seite liegen ließ. Nach dem Werke Riano's scheint es mir jedoch, als
ob in der That erhebliches direktes Material in dieser Beziehung nicht zu erwarten
steht; denn auch in den italienischen und ostsizilischen Bibliotheken war es mir
nur möglich, das Fehlen Ton solchem festzustellen. Was mir selbst in die Hand
fiel, geht, soweit es nicht schon in Riano's Werke genannt ist, ebenfalls nicht über
die Zeit des 16. Jahrhunderts hinab. Die Forschung wird also hier durch Schlüsse
und Vergleichungen das fehlende Belegsmaterial zu ersetzen oder aber zu zeigen
haben, daß das musikalische Abendland den Arabern nichts wesentliches zu ver-
danken hat Solche Folgerungen hier zu versuchen, ist nicht meine Aufgabe. Ich
glaube dieselbe vielmehr dadurch erfüllt zu haben, daß ich mich bemühte, den
reichen Gehalt des neuen Werkes an bibliographischen Nachweisen behufs seiner
wissenschaftlichen Benutzung zu sondern und zu sichten, da mir das vom Herrn
Verfasser nicht erreicht zu sein schien. Dabei leitete mich der Gedanke, die
musikgeschichtlichen Erscheinungen nicht nur chronologisch, worauf sich der Herr
Verfasser beschränkte, sondern auch geistig mit einander zu verbinden, soweit
dieses bei einem lückenhaften Stoffe möglich ist, um dadurch zu einer einigermaßen
einheitlichen Anschauung der musikgeschichtlichen Bedeutung Spaniens zu gelangen.
Aber gern gestehe ich mit dem Herrn Verfasser : I hy no means eonsider this intern
pretaiion to be the right one ; hut more eompetent Hudenta may he able to
dear up ikU point.
Berlin. Oskar Fleischer.
* Vincentius Bellovacensis, ein Dominikaner, f 1264, giebt in seinem Specu-
lum doctrinale lib. XVII die Definition (Kap. 1) und die Eintheilung der Musik
in aktive und spekulative (Kap. 6) secundum Alpharabium. Siehe Lichtenthai,
Diz^m, 1511. Die Berufung auf Alfarabi begegnet auch sonst in mittelalterlichen
Handschriften des öfteren.
278 Kritiken und Referate.
Rudolf to7i Freisauff^ Mozarts Don Juan 1787-^1887. Ein Beitrag
zur Geschichte dieser Oper. Herausgegeben anläßlich der 1 00jährigen
Jubelfeier der Oper »Don Juan« von der »Internationalen Stiftung
Mozarteum in Salzburg«. Mit 9 Kunstbeilagen. Salzburg, Verlag von
Herrn. Kerber 18S7.
Es stand zu erwarten, daß ein so außergewöhnliches Ereigniß, wie die lOOjähri^e
Jubelfeier der Oper »Don Juan«, nicht vorübergehen würde, ohne die Literatur um
einen Beitrag zu bereichem, der die Entstehungsgeschichte und Bühnenstatistik
dieses hervorragenden Werkes enthält. Schon im Laufe des Sommers wurde durch
die Musikzeitungen darauf hingewiesen, daß seitens der »Internationalen Stiftung
Mozarteum in Salzburg« die Absicht bestehe, eine auf die bevorstehende Feier be-
zügliche Schrift zu veröffentlichen. Wir waren sehr gespannt auf das Erseheinen
derselben und erfreut über die Mittheilung, daß es in der Absicht des Herausgebers
läge, zugleich ein umfassendes statistisches Material über die Aufführungen des
»Don Juan« während der letzten 100 Jahre, auf Orund behördlicher Nachforschungen,
beizufügen. Wir durften hoffen, damit endlich die bisher fehlende authentische Zu-
sammenstellung der »Don Juan- Aufführungen« auf den Bühnen des In- und Auslandes
in möglichst umfassender Weise zu erhalten, sind jedoch erstaunt, trotz der dem
Verfasser gewordenen einflußreichen Beihülfe verhältnißmäßig wenig von dem Er-
warteten vorzufinden. Aus dem, was der Verfasser bringt, geht eigentlich mehr
hervor, daß es den betreffenden Nachforschern unmöglich gewesen ist, hervor-
ragendes neues Material aufzufinden.
Wir begreifen deshalb nicht, warum der Verfasser nicht darauf verfiel, die
vorhandenen Quellen gründlicher zu benutzen. Er würde entschieden nicht nur
seine Arbeit zu einer weit ausgiebigeren gemacht haben, sondern auch zu manchen
anderen Schlüssen gekommen sein. Wir können als Entschuldigung für die Nicht-
benutzung des zugänglichen Materials nur die geringe Zeit von wenigen Wochen
gelten lassen, welche dem Verfasser zur Vollendung seiner Arbeit zur Verfügung
stand. Im Vorwort nennt derselbe diese seine Arbeit einen »bescheidenen Beitrag
zur Geschichte der Oper Don Juan« und empfiehlt sie »der Nachsieht des geneigten
Lesers«. Von diesem Gesichtspunkte aus müssen wir dieselbe demnach, soweit es
die statistischen Beigaben anbelangt, betrachten. Im übrigen freuen wir uns, sagen
zu können, daß wir die Schrift mit großem Interesse gelesen haben. Dieselbe giebt
in hübsch erzählender Weise eine Darstellung xLer Entstehungsgeschichte des »Don
Juan«, und wenn auch darin meistens Bekanntes sich wiederfindet, so müssen wir
nicht außer Augen lassen, daß zunächst das Buch mehr für das größere Laien-
Publikum berechnet ist.
Es würde zu weit führen, wollten wir eine umständliche Ergänzung und Be-
richtigung der statistischen Angaben auf Grund des uns zur Verfügung gewesenen
Materials folgen lassen. Dennoch, im Interesse des Gegenstandes und besonders
in der UofEnung, Anderen, welche ein gleiches Interesse für denselben hegen, damit
eine Anregung zu ähnlichem Hervortreten zu geben, wollen wir in möglichster
K.ürze dasjenige mittheilen, was uns über die Bühnenstatistik des l3on Juan zur
Kenntniß gelangt ist, und werden darin dem Verfasser in seiner Anordnung nach
den Städten folgen.
Bei Abschnitt III, die ersten Don Juan -Aufführungen betreffend, haben wir
besonders hervorzuheben, daß die erste Don Juan-Aufführung in deut-
scher Übersetzung nicht zu Mannheim, sondern zu Mainz, am Sonnabend
den 23. Mai 1789 im Kurfürstlichen National-Theater erfolgt ist
Mozart's Don Juan 1787 — 1887 von Budolf von Freisauff. 279-
{vergl. Theater- Kalender auf das Jahr 1790, Gotha bei Ettinji^er, S. 94; femer: An-
nalen des Theaters, Berlin, F. Maurer 1790. Heft V. S. 68). Hieraus würde der
Verfasser ersehen haben, daß die erste deutsche Übersetzung des Don Juan nicht
Ton Neefe, sondern von Schmieder herrührt. Letzterer, Theaterdichter am Kur-
fürstlichen National-Theater unter Dalberg, ist einer der fruchtbarsten und zugleich
bekanntesten Übersetzer französischer und italienischer Singspiele für die deutsche
Bühne [beispielsweise ist seine ül)ertragung vom »Wasserträger« auf norddeutschen
Bühnen noch heute gang und gäbe). Derselbe lieferte s. Z. die meisten im Ge*
brauch befindlichen Übertragungen fremdländischer Opern; sein Name erscheint
daher in der Theatergeschichte so häufig wieder (auch Dramen, Almanachs und
Theaterjournale hat er verfaßt), daß es uns wundert, wenn dem Verfasser anschei-
nend diese Persönlichkeit unbekannt geblieben ist. £r bezeichnet uns auf S. 150
dessen Namen sogar als »Schmidter«; obgleich in »Feth's Geschichte des Theaters
SU Mainz«, woraus er den Namen anscheinend entlehnt hat, solcher vollständig
korrekt geschrieben steht.
Neben der Schmieder'schen Übersetzung, möchten wir behaupten, daß gleich-
zeitig eine andere, für das Gräflich Erdödy'sche Haustheater in Freßburg entstanden
ist. Im Theaterkalender von 1789, S. 159, steht zu lesen, daß die meisten Über-
setzungen aus dem Italienischen für die genannte Gesellschaft von Herrn Girl^ik
geliefert wurden. Nach dem Tode des Grafen Johann Nepomuk von Erdödy, am
23. Mai 1789, wurde die Gesellschaft, welche seit 1785 unter Direktion von Hubert
Kumpf bestand, für die königl. städtischen Theater von Fest und Ofen engagiert;
im liieaterkalender von 1790, S. 131, steht, daß die ursprünglich für das Theater
in Freßburg erworbene Oper »Don Juan« auf diesen Bühnen einstudiert würde.
Es ist daher sehr wahrscheinlich, daß im Jahre 1789 bereits drei verschiedene
deutsche Übersetzungen des Don Juan existiert haben, bei denen es schwer zu
unterscheiden sein dürfte, welcher das Vorrecht gebührt So viel ist sicher, die
Neefe'sche ül)ersetzung mußte sich sehr bald einer Umarbeitung durch Fr. L. Schröder
unterziehen, während die Schmieder'sche sich sehr lange intakt erhalten hat und
noch später den Aufführungen in Breslau, Dresden, Leipzig etc. zu Grunde lag.
Seite 50, bei Erwähnung der Hamburger Aufführung, wird Schröder als der
spätere Gatte der Sophie Schröder genannt; dem Verfasser scheint hier eine Ver-
wechslung der Mutter mit der Gattin passiert zu sein. Die Mutter hieß: Sophie
Charlotte Ackermann, verw. Schröder, geb. Bierreichel, die Gattin: Anna Christine
Schröder, geb. Hartt.
Zu Artikel V, der Bühnenstatistik des Don Juan übergehend, sind wir im
Stande, nachstehende Ergänzungen zu machen.
Wien.
Erste deutsche Aufführung:
im k. k. Nationaltheater nächst der Burg 16. December 1798.
im k. k. priv. Theater auf der Wieden 5. November 1792.
im k. k. priv. Theater an der Wien 5. Oktober 1802.
Die erste Aufführung mit den Original-Recitativen im Kämthnerthor-Theater
erfolgte am 18. December 1858.
Die erste italienische Aufführung : im Theater an der Wien 9. Juni 1860.
» » » »im Karl-Theater April 1863.
» » » » im Neuen Hofopem-Theater 22. April 1S78.
Eine Aufführung des Don Juan auf dem Theater in der Orangerie des Schlosses
zu Schönbrunn am 9. Oktober 1809 würde hier mit zu erwähnen sein.
2S0 Kritiken und Kefeiate.
Brunn,
Über die Aufführung des Don Juan im städtischen Nationaltheater lu Brunn
hätte der Verfasser sich ebenfalls aus den Oothaer The&terkalendem von 17SS, 179U
und 1791 bessere als die gefundene Information holen können. £r würde danran
erfahren haben, daß Don Juan bereits im December 1789 zu Brunn dargestellt
wurde, jedoch mißfiel Außerdem würde er auf den höchst interessanten Umstand
hingelenkt worden sein, daß es gerade Dittersdorf'sche Opern, und darunter
besonders dessen »Hochzeit des Figaro«, waren, welche dem Don Juan die
Gunst des Publikums streitig machten. Wäre Schreiber dieses nicht im Besitze
eines Textbuches Tom Dittersdorf sehen »Figaro«, so würde man zu dem COauben
reranlaßt werden können, daß dieses gänzUch unbekannt gebliebene und bei den
Brünnem in hoher Qunst befindliche Opus seine Existenz nur einem Druckfehler
im Theaterkalender verdanke, d. h. mit dem Mozart'schen Werke Tcrwechselt wor-
den sei. Es handelt sich in der That aber um ein ganz anderes Werk, von dessen
Vorhandensein sonderbarerweise nicht nur Dittersdorf in seiner Selbstbiographie
schweigt, sondern dessen auch kein anderer Biograph erwähnt
Für Brunn ließe sich auch noch als eine erste Aufführung des Don Juan die
am 1. Januar 1S71 zur Eröfhiung des Interimstheaters auf dem Rawitplatz erfolgte
anführen.
Prag.
Die vom Verfasser erwähnte erste deutsche Aufführung auf der Vaterländischen
Bühne im Hibemer-Kloster erfolgte im Jahre 1791. Dazu dürfte die am 7. Juni
1S59 im Neustädter Theater vor dem Roßthore erfolgte erste Aufführung nachzu-
tragen sein.
Zu zweien, vom Verfasser unerwähnt gelassenen österreichischen Städten
können wir die nachfolgenden erstmaligen Darstellungen ergänzen:
Karlsbad. 23. Juni 179S im Neuen Theater von der Gesellschaft des Ritters
von Steinsberg.
Nachod. 1. Juli 179S im ehemaligen Hoftheater des Herzogs von Curland
und Sag^n.
Ungarn.
Im Voraufgehenden haben wir schon darauf hingewiesen, daß die ersten Auf-
führungen des Don Juan zu Pest und Ofen bereits 1790 durch die gräflich Erdödv-
sche Gesellschaft erfolgt sein werden. Bestimmtes darüber läßt sich erst erlangen,
wenn Jemand im Stande wäre, über die kurze, jedoch außerordentlich reichhaltige
Thätigkeit dieser Gesellschaft genaue Daten beizubringen. Es ist sehr zu bedauern,
daß die Bühnenleitungen der österreichischen Städte dem Verfasser nicht mehr in
die Hand gearbeitet haben ; wirklich hätten wir erwartet, daß die zur Vermittelung
angerufenen Behörden mehr Material zu Tage gefördert haben würden, als der
Verfasser uns in seinem Buche bietet«
Belgien.
Bei der Aufführung in Antwerpen müssen wir darauf aufmerksam machen,
daß das in des Verfassers Quelle ( Gregoir, Pantheon musical populaire) angegebene
Jahr nicht 180S, sondern 1807 heißen muß.
Dänemark.
Die dänische Übersetzung für die E.openhagener Aufführung ist von Prof.
Laurids Kruse. Der erste Darsteller des Don Juan nennt sich nicht Du Guy,
sondern Du Puy, ein in Berlin, Kopenhagen und Stockholm gleich bekannter Sänger
und Komponist.
MoÄart's Don Juan 1787—1887 von Rudolf voi^rcisauff. 281
Deutschland,
Berlin,
Zu den in dieser Metropole stattgehabten Don Juan -Aufführungen können
wir, außer der ersten nach der Schröder'schen Bearbeitung erfolgten, noch nach-
stehende hervorheben:
italienisch: im J^önigsstädf sehen Theater am 24. April 1843.
deutsch: im Friedrich Wilhelmst&dtischen Theater am 31. Mai 1851.
» in Kroll's Theater im August 1868.
» im Nowack-Theater am 19. Februar 1870.
» im Louisenstftdtisohen Theater am 37. M&n 1870.
> im Walhalla -Volkstheater am 24. Januar 1872.
» im Woltersdorff- Theater am 25. September 1877.
» im Wilhelm- (früher Woltersdorff-) Theater am 22. Juli 1882.
» in der Königsstädtischen Oper am Alexanderplatz, 27. Sept. 1884.
Würden wir alle diese an verschiedenen Theatern erfolgten Aufführungen mit
denen der königlichen Theater zusammen summiren, so st&nde es in Frage, ob
Berlin in der Oesammtzahl der Darstellungen nicht dennoch den ersten Platz vor
Prag einnimmt.
BrauMchtoetg,
Der Verfasser beklagt sich, daß er in Ermangelung ausführlicher Daten nicht
in der Lage gewesen sei, über die erste Aufführung des Don Juan hierselbst Aus-
kunft zu geben. Wir können ihm hier, wie bei verschiedenen anderen Städten, den
wiederholten Vorwurf nicht ersparen, daß er anscheinend selber gar keinen Versuch
gemacht hat, das Material zu seiner Arbeit aufzufinden, sondern sich ganz auf das
verließ, was ihm von anderer Seite zugeführt werden würde. Es existiren eine
ganze Anzahl Specialgeschiohten der deutschen Theater, die der Verfasser nicht zu
Rathe gezogen, darunter auch Glaser's Geschichte des Theaters zu Braunschweig.
Hiemach wurde Don Juan zuerst am 10. März 1793 im Hoftheater auf dem Hagen-
markt von der Till/schen Gesellschaft aufgeführt.
DarmHadt,
Hier findet sich als erster Aufführungstag der 7. Juli 1809 angegeben. Nach
Pasqu^'s »Statistik des Dannstädter Hoftheaters« muß dies in »7. JuÜ 1808« um-
geändert werden. Die Aufführung ging im Rrebs'schen Theater in der alten Post-
scheuer vor sich. Im großherzoglichen Hoftheater, im alten Opemhause, fand die
erste Aufführung am 14. Juni 1810 statt Erwähnenswerth ist femer diejenige mit
den Original-Beeitativen am 26. Deoember 1856.
Dessau.
Die Angabe des Verfassers »17. Januar 1797« beruht wahrscheinlich auf einem
Dmckfehler, denn im Verlaufe seines Artikels giebt er den wirklichen Tag »27. Januar
1797« richtig an. Am 23. Februar 1883 wurde die Oper zuerst nach der Diedicke-
schen Bearbeitung auf (}rund der Grandaur'schen Übersetzung gegeben.
Dreedefi.
Zu den Dresdener Angaben sind folgende Berichtigungen zu machen: Die
erste deutsche Aufführung im königlieh sächsischen Theater erfolgte nicht am
13. August 1821, sondem bereits am Sonntag den 27. Juni 1813 durch die Josef
Seeonda'sche Gesellschaft. Die Aufführungen im Jahre 1821 durch die königlich
sächsische Hofschauspieler- Gesellschaft unter C. M. von Weber waren zuerst am
23. September auf dem Theater des Linke'schen Bades und am 8. November im
königlichen Theater.
1888. 19
282 Kritiken und Referate.
;Frahkfurt a, M.
Als erwähnenswerth dürfte hier eioEuschalten sein die erste AuffQhrang in
italienischer Sprache im alten Stadttheater, am 24. Juli 1861, durch die MereQi^he
Gesellschaft; lemer diejenige am 20. Oktober 1880 zur Eröffnung des neuen Openi-
hauses.
Hamburg -AUona,
Zu den Hamburger Auffahrungen ist hinzuzufQgen: die erste im neuen Stadt-
theater-beim Dammthor am 29. Juni 1827, die erste am St. Oeorg-TiToli im Jali
1867 und die erste am Karl Schultze-Theater am 15. Juni 1874. Im Altonaer Na-
tionaltheater, bei -welchem Schmieder seit 1798 als Regisseur und Theaterdichter
wirkte, fand die erste Aufführung im December 1800 statt
Karkrvhe,
Da der Verfasser die ersten Aufführungen mit den Original-Recitatiyen mehr-
fach hervorgehoben hat, so würde hier die am 9. September 1853 erfolgte einzu-
schalten sein.
KasseL
Hinsichtlieh der deutschen Onemaufführungen in dieser Stadt legt der Ver-
fasser eine Tollständise Unkenntnis an^ den Tag. Der mehrfach erwähnte Gothaer
Theaterkalender sowonl, als auch das in Weimar erschienene »Journal des Luxus
und der Moden« geben eine ziemlich genaue Auskunft über die Wirksamkeit der
berühmten Oroßmann'schen TheateYtruppe in diesem und anderen Orten* Hiemadi
wurde Mozart's Meisterwerk bereits am 16. April 1791, also fast uimiittelbar nach
der Aufführung in Hannorer, zur Darstellimg gebracht. Bald darauf, am 8. Juli
desselben Jahres, fand durch dieselbe Gesellsenaft auch die erste Aufführung in
Pyrmont statt.
Leipzig,
Nach der ersten Aufführuns durch die Prager italienische Opem-GesellBchaft
1788 wurde Don Juan in deutscher Sprache zuerst am 3. Januar 1796 durch die-
selbe Josef Seconda'sche GeseUschaft, welche w&hrend der Sommerzeit auf dem
Theater des Linke'sch n Bades in Dresden spielte, zur Darstellung gebracht. Diese
Mittheilung hätte der Verfasser aus Blümner's Geschichte des Leipziger Theaters
schöpfen können. Im Jahre 1854 am 21. Mai war im alten Stadttneater die erste
Aufiührung mit den Griginal-Recitativen; 1868 am 7. Juni solche im neuen Stadt-
theater am Augustusplatz; 1879 am 11. Juni wurde Don Juan im Carola -Theater
zuerst Ton der Hofmann'schen Monatsoper gegeben, und schließlich am 20. Oktober
1882 fand im neuen Stadttheater eine erste Aufführung nach der Grandaur^schen
Übersetzung statt.
Miigdehurg,
Die wenigen statistischen Daten, welche dem Verfasser über Magdeburg Tor-
gelegen haben, können wir durch die Mittheüung ergänzen, daß Don Juan daselbst
im Januar 1795 zuerst durch die Karl Döbbelinsche GeseUschaft zur Aufführung
gebracht wurde. Diese sogenannte königlich preußische generalprivilegirte Gesell-
schaft brachte im selben Jahre noch Aufführungen der Oper zu Stettin und Frank-
furt a. O. zu Stande, sowie im Jahre darauf zu Potsdam im königlichen Theater.
Mainz.
Die Berichtigungen, welche sich auf die Mainzer erste Aufführung beziehen,
haben wir bereits im Vorstehenden erledigt und darauf hingewiesen, daß dieser
Stadt überhaupt das Anrecht gebührt, Mozart's Oper zuerst in deutscher Sprache
gebracht zu haben.
München,
Zu den Münchener Aufführungen lassen sich die folgenden Ergänzungen
hinzufügen: Erste italienische Aufführung im königlichen Hof- und National-
theater an der Hesidenz 21. Mai 1824 und im Nationaltheater am Max Joseph-Platz
24. Mai 1825. Mit den Original-Becitativen ebendaselbst deutsch 18. Oktober 1866,
und mit der Grandaur'schen Übersetzung zuerst 28. Oktober 1874.
Moaart's Don Juan 1787—1887 von Rodolf von Freisauff. 283
Nürnberg,
Über die Nürnberger Tbeatergeschichte hätte der Verfasser durch HyseVs
Specialgeschichte des Theaters in Nürnberg in Erfahrung bringen können, daß die
erste Aufführung des Don Juan daselbst am 20. April 1795 durch die Mihule'sche
Gesellschaft erfolge. Im neuen Stadttheater fand aie erste Darstellung am 14. Ok-
tober 1633 und eine italienische Aufführung am 3. Mai 1863 statt.
Oldenburg,
Aus Dalwigk's Chronik des Theaters in Oldenburg ist zwar nicht ersichtlich,
ob eine Aufführung des Don Juan nach Eröffnung des Theaters am 28. Februar
1833 bis 30. April 1835, während welcher Zeit regelmäßige Opernvorstellungen äÜer
gangbaren Werke stattfanden, zur Darstellung gelangte. Doch ist wahrscheinlich
eine solche im Herbst 1833 erfolgt, da S. 21 des Direktor Gerber's Leistung als
Don Juan besonders hervorgehoben ist.
Schwerin,
Zu den Don Juan -Aufführungen am großherzoglichen Hoftheater in dieser
Stadt haben wir hinzuzufügen: Die erste nach dem Brande des Ballhauses im
Interimstheater am 7. Mai 1833; darauf im neuerbauten Hoftheater am 3. Februar
1836; femer die ihrer Zeit mehrfach beschriebene Fest- Aufführung nach der Qugler^
Wolsogen*schen Bearbeitung am 27. Januar 1889.
Im Anschluß hieran erwähnen wir, daß die Schweriner Hoftheater-Gesellschaft
unter Direktor Krickeberg den Don Juan zuerst in Güstrow, auf dem Theater im
Kathhause, am 21. Oktober 1805 darstellte. Da die Gesellschaft gleichzeitig Rostock,
Doberan und Wismar bereiste, so ist anzunehmen, daß auch diese Städte mit Auf-
führungen des Don Juan bedacht wurden.
Nachweisbar sind folgende erste Aufführungen auf mecklenburgischen Theatern :
G^isfraWf neues Stadttheater, 25. September 1829.
Ijudfcigsluetf Theater im Schützensaal, 28. Decembcr 1836.
Wistnar, neues Stadttheater, 17. Oktober 1842.
Dohertmf großherzogliches Hoftheater, 31. Juli 1862, mit den Original-Kecitativen.
Rastocky Interimstheater im Tivoli, 12. April 1885.
Weimar.
Außer der ersten Aufführung am 30. Januar 1792 in deutscher Sprache fand
noch eine solche in itaUenisoher Sprache 1813 statt. —
Zu den ersten Don Juan -Aufführungen auf deutschen Schaubühnen haben
wir nun in chronologischer Fpljge nachstehende Ergänzungen zu machen:
1789, Oktober 13. Bonn, kurnirsüiehes Hoftheater.
1790, Juni 26. Soest i. W., von der Toscani-Müller'schen Gesellschaft.
IIa?' tT^r ^^' n^^a%i \ von der Wäser'schen GeseUschaft.
1792, Juli 26. Groß-Ologau /
1792, Oktober 24. Bremen, im Schauspielhaus an der Bastion am Osterthore.
NB. im neuen Stadttheater am 31. Oktober 1843.
1793, März. Müneter, kurfürstliches Hoftheater«
1793, MaL Pa9»€m, Hoftheater.
f Düsseldorf \
1793. ^ Köln \ von der Joh. Böhm'schen Gesellschaft
Aachen ]
1793. Königsberg, Ackermann'sches Theater, von der Schuch' sehen
Gesellschaft.
(NB. im Bruinwisch'schen Theater 1804.)
1794, Januar 11. Oels, herzogliches Hoftheater im Keithause, von der Wäser-
schen Gesellschaft (dieselbe gebrauchte ausschließlich die
Schmieder'sche Übersetzung).
1794, September 11. Danzig, von der Schuch'schen Gesellschaft.
1794, Deeember 1. Sehleswia, Hoftheater.
1795, Januar 12. Kiel, Scnleswig'sche Gesellschaft.
19»
2S4 Kritiken und Keferate.
1795, Mai. Erlangen ^ hochfürstliohefl Opemtheater, von der Mihule'echeii
Qeeellschaft
1799, Janaar 1. Sagan, Hoftheater im henoglichen Schlosse.
^^ \ von der Dietrich'schen GeseUschaft
Minden \
1801, Man 18. Coburg, Theater im Ballhause, von der Gesellschaft des Nürn-
berger Nationaltheaters.
1825, December 5. Sonderahausent fOrsÜiohes Hoftheater (Einweihungs-Oper).
Alle diese Daten h&tte der Verfasser theils den mehrfach erwAhnten Theater-
kalendern, theils den Annalen des Theaters, dem Journal des Luxus und der Moden,
sowie Specialgeschiehten entnehmen können.
England.
London,
Die Bflhnenstatistik des Don Juan auf den Londoner Theatern ist eine liem-
lich verwickelte, da naoh der ersten Auffahrung in italienischer Sprache in Tke
King'a-tiieatre in ihe JSmfmarkei, am 12. April 1817, deren mehrere nach- und durch-
einander auf den verschiedenen Bühnen m italienischer, deutscher und engliseher
Sprache erfolgten. Nachstehende weitere sind wir in der Lage mittheilen zu kdunen :
Englisch: 1817, Mai 20. Cooeni- Garden, mit dem Titel »The Liherime^,
von J. Pocock, Musik arr. von Ueiurv Bishop.
j» 1830, Juni 5. Adelphi-iheaire, eingerichtet von W. Hawes.
Deutschi 1832, Juli 11. The King'e-iheatre m the Haymarkei, unter Lei-
tung von Chelard.
Englisch: 1833, Februar 2. Drury-Lane, eingerichtet von Beazley.
Deutsch: 1840, Mai 1. St, Jamei^-iheatre, unter Direktor Schumann.
» 1842, Mai. Covent- Garden, unter Direktion von Göts und
Lebrecht
Italienisch: 1847, Mai 27. Covent-Garden [Royal Italian Opera).
Englisch: 1849, Oktober 1. Princeae' Theaire, Oxford Street,
Deutsch: 1854, Mai 23. Drury-Lane.
Italienisch: 1856, Juli. TTieeire Royal Lyceum.
» 1856, November 15. Drury-Lane.
Aus den übrigen Stfidten England wüßten wir nur Maneheater, Juli 1841,
deutsch unter Direktor Schumann, und Brtghion, 5. November 1873, auf dem neatrt
in the Dome, englisch von der Karl Rosa-Gesellschaft, hervorzuheben.
Frankreich.
Paria.
Die erste Aufführung des Don Juan in Paris fand am Dienstag den 30. Fru-
ctidor an XIII, also am 17. September 1805 statt, und zwar im Thidtre de FAca-
dhnie imperiale de muaique, SaUe du ThSätre National de la rue Richelieu als Drame
lyrique in 3 Akten, nach der Übersetzung von ThOring und Baillot, Musik arrangirt
von Kalkbrenner; daran schließen sich die erste italienisohe im ThMre de rim-
p^atrice ä VOdSon, am Montag den 2. September (nicht 12. Oktober) 1811; femer:
Italienisch: im ThMtre Favart 1814, August 14.
» » » Italim, Sdüe Louvoia 1820.
Französisch: » » Royal de TOdion 1827. December 24. (Übersetzung von
Uastil-Blaze mit Dialog nach Moliäre.)
Deutsch: » » Favart 1831, Mai 26. (Deutsche Opern -GeseUschaft
unter Direktor BoeckeL)
Franz ösisoh: n n de FAeadAnie royale de Muaique, Salhnrovieoire de la
rue Le Peletier 1834, März 10. (Übersetzung von
Deschamps, Blaze de Burv und Castil-Blaze.)
Italienisch: » » Italien, SaUe Ventadour 1842.
Französisch: » » Lyrwue, SaUe de la Place du Chätelet 1866, Mai 8.
[Übersetzt von Trianon, Challamei und Gautier.)
Mosart*8 Don Juan 1787-- 1887 Ton Rudolf von Freisauff. 285
Fransösisoh: im ThMre National de TOpirOj SdUe Ventadour 1874, Januar 19.
» im Nouoel Opira 1875, November 29.
HoOand.
Als Ergftniung zur ersten deutschen AuffOhrunff in Amsterdam können wir
hinsufügen, daß dieselbe am 8. M&n 1794 im bochdeutsclien Theater durch die
Hunnius'sche Gesellschaft stattfand.
Italien.
Florenz,
Unter sftmmtliehen Stftdten Italiens brachte Kloreni den Don Juan suerst
und machte auch die häufigsten Versuche mit Aufführunffen dieses Werkes. Der
Verfasser gedenkt der ersten DarsteUunff im JR. Teatro ai via deUa Pergola 1792,
sowie einiger weiterer. Wir erg&nsen fiMgende: 1817estate, J, R. Teatro de" Biso-
hUi in via di Sta Maria und 1834, December 26, J. B, Teatro Goldoni,
Genua,
Die Tom Verfasser erwAhnte erste Aufführung im Jahre 1824 fimd im Teatro
del Foleone während der Fastenzeit statt, and naäidem dieselbe Oesellsohaft ihre
Vorstellungen naeh dem Teatro da S, Apoetino verlegt hatte, wird eine weitere Auf-
führung im Juni desselben Jahres in diesem Theater veranstaltet worden sein.
Mailand.
Zu den Mailänder Aufführui^en k6imen wir hinzufügen:
1820, Januar 1. Teatro Be in 8. Sakatore
und 1872, November. Teatro Dal Verme.
Neapel.
Zur Vervollständigung der vom Verfasser gemachten Angaben bemerken wir,
daß die erste Auffahrung im Teatro del Fondo am 14. Oktober 1812, sowie die-
jenige im B. Teatro San Carlo am 6. Juli 1834 erfolgte.
Bom.
Erste Aufführung im Teatro deßa Vaüe am 11. Juni 1811, und im Teatro
ApoUo am 4. März 1874.
Turin.
Erste Aufführung im Teatro d'Angennee^ autunno 1815, und im Teatro Ca-
rignano am 14. Oktober 1828.
Die erste Aufführung des Don Juan fand hier im Teatro di 8. BenedeUo im
Frühjahr 1833 statt
Ober weitere DarsteUungen in Italien können wir berichten:
Bologna^ Teatro Badini, eamevale 1818.
Panna, Teatro Dueale, 26. December 1821.
MaHa, Teatro Begio, autunno 1833.
Bußland.
8t, Petersburg.
Über die erste Aufführung in deutscher Sprache ließ, sich bedauerlicherweise
nichts erairen. Die erste russische Darstellung, nach der Übersetzung von Ra|^hael
Sotoff, ist vom Verfasser richtig mitgetheilt; dagegen fand die erste italienische
bereits in der Saison 1829/30, zu Anfang derselben statt
Biga.
Zu diesem Abschnitt ist die erste Aufführung im neuen Stadttheater am
5/17. Mai 1864 nachzufügen.
In Beval gelangte Don Juan bereits 1797 im neuerrichteten Aktientheater zur
Darstellung.
239 Kritiken und Beferate.
Schweden,
StoeKhohn,
Die schwedische Textübersetsung; zur ernten Darstellung im königlichen Opem-
hause rührt von G. Q. Nordforss her und wurde gelegentUä der Aufführung 1S56
von W. Bauck neu bearbeitet.
Die Erwähnung einer Aufführung zu Bergen 1877 durch eine reisende deutsche
Opern-Gesellschaft dürfte nicht ohne Interesse sein.
Spanien
ist von dem Verfasser ganz imberücksichtigt gelassen; wir ergänzen somit:
Madrid, Teairo de la CrtAZ, am 15. December 1834.
» Teatro Real, am 20. April 1864.
Amerika.
Zu den New- Yorker Darstellungen des Don Juan wollen wir nicht unerwähnt
lassen, daß noch zwei erstmalige Aufführungen in italienischer Sprache in der
Aeademy of Mtmc, im April 1857 unter Strakosch, sowie in Pikett Ooera Homt,
im Januar 1868, stattfanden ; dagegen ist zu Buenos Aires im Teairo Coton die erste
italienische Aufführung angeblich am 1. Februar 1869 absolvirt worden.
Wir sind weit davon entfernt zu glauben, mit vorstehenden Berichtigungen
und Ergänzungen die Bühnenstatistik des Don Juan auch nur annähernd erschöpft
zu haben, im Gegentheü, wir glauben, daß noch manche Daten zu Tage gefordert
werden können, und es sollte uns freuen, wenn hiermit eine Anregung dazu ge-
geben wäre. Hoffentlich ist es uns auch gelungen, dem Verfasser zu demonstriren,
daß er zu seiner Arbeit das wesentliche darüber vorhandene Quellenmaterial un-
beachtet gelassen hat. Dasselbe würde auch für seine weiteren Zwecke, in Bezug
auf Rollenbesetzung, Aufnahme seitens des Publikums etc. manche interessante
Aufschlüsse geliefert und ihm zugleich ersichtlich gemacht haben, daß es wirklich
weniger die so oft hervorgehobenen Intriguen Salieri's und seines Anhanges waren,
welche dem Don Juan anuings eine mehr oder weniger laue Aufnahme verschafften,
sondern daß hieran entschieden der damaÜge Geschmack die Hauptschuld trug.
Salieri hatte sich wahrlich nicht darüber zu beklagen, daß ihm bis zum Erscheinen
der Zauberflöte durch Mozart erhebliche Konkurrenz gemacht wurde. Er stand
1787/88 auf der Höhe seines Ruhmes, seine Opern fanden sich in sämmtliohen Ke-
pertoiren vertreten und dominirten selbst da, wo sein persönlicher Einfluß kaum
maßgebend sein konnte. Noch übertroffen jedoch an Zahl der Aufführungen wurden
beide durch Dittersdorf, dessen von 1786—1791 komponirte Singspiele auf allen
deutschen Bühnen, selbst den kleinsten, vorherrschten.
Wider den Geschmack läßt sich schwer kämpfen. Selbst ein Mozart konnte
es erst durch das demselben in seiner Zauberflöte gemachte Zugeständniß zu einem
nachhaltigen Erfolge bringen, dem es vielleicht mit zu verdanken ist, wenn sich
nach seinem Tode allmählich wieder die Aufmerksamkeit auf sein Hauptwerk lenkte,
um es alsdann für das zu erkennen, was es ist, ein Meisterwerk aller Zeiten.
Allen denen, welche auf das statistische Material weniger Gewicht legen,
könren wir das Freisauff'sche Buch nur empfehlen. Die Erzählun^weise ist
fließend und anregend, die Ausstattung der Veranlassung würdig und die Beigaben
sind höchst interessant.
Rostock. Albert Sohats.
Niederländische geistliche Lieder nebst ihren
Singweisen
aus Handschriften des XV. Jahrhunderts.
Von
Wilhelm Bäumker.
Hdschr. B. Bl. 102a. ^^•
Als ic aensie myns leuens lanc.
I — I
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Als ic aen - sie myns leu - ens lanc, so peyns ic oiu
^^
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den doot, dien ic steruen sal, ic en weet hoe - neer,
! 1
ic bid - de god, dat hi
1 . Als ic aensie mvn leuen lane, [Bl. 1 36 a.]
so peyns ic om'den doot, die ic steruen
sal,
ic en weet hoeneer,
ic bidde god, dat hi mi vrys
den naesten keer. ^
2. O mensch, sich aen dyn valsche leuen,
goeden raet sei ic dl gheuen
tot minen ryc:
ISSS.
mi wys den nae - sten keer.
mynne en verdrach dyn euen kersten
als dyn ghelyc.
3. Wi mochten wel peynsen , waren wi
des vroet,
wat ihesus om smenschen wille ver-
droech
tot eenre stont,
doe hi hem van iudas cussen liet
an sinen roden mont.
20
288
Wilhelm Bäumker,
4. Hi letet doer der mynnen brant
die here, die gheen ghenade en vant, I
nooli gheen en socht, |
hi leet dat hem te liden stont di here,
diet al wel vermocht.
5.0 soete maria, wat is dit leuen?
die hier om peynst, syn hart [BL 136b.]
mach beuen.
wi moeten steruen,
Sternen, steruen is onser alre erf,
wi moeten steruen.
6. Help ons maria, waerde rrou^re.
in al deser iirerelt en is gheen trouwe,
haer loen is cranc,
Der vollständige Text Bl. 136 hat die Üherschrift: y>Ic voer tct meyen oueraly
in dat com, in dat cruytii,
Versmaß unregelmäßig:
si seilen vergaen als diese minnen,
tSL cort of lanc.
7. Hi leet dat om des menschen wille.
hi sei noch spreken, al swycht hi
stille,
ten ioncsten daghen,
dair en sei helpen suluer noch gout,
vrienden noch magen.
8. 0 mensche, ic heb v dicke gheseit
Biet, dat ghi v te tide bereit,
eer ic v arre,
ic sende myn bode onder tusscfaen,
al woen ic varre.
v^ _ s-/ —
\^ — v^ _
\^ ^ \^
V-/ _ V^' _
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-H
-H
-H
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Bl. 102 b.
52.
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Heer ihesns eristos, lof ende danc.
4-
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3^=:^
^
jf.m
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t=^f=^
Heer ihe-sus cri-stus, lof ende danc si v tot al - le
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ston - den, ont-fenct myn cleyn lof, al is - set cranc.
S^
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H-;^4^
:*3:
ver-gheeft my al myn son - den.
Man könnte auch (:' -Vorzeichnung nehmen.
1. Heer ihesus cristus, lof en [Bl. 14^a.]
danc
sy ▼ tot alre stonden,
ontfanct myn cleyn lof, al isset cranc,
vergheeft mi al myn sonden.
2. Die werelt te dienen is al verlies,
des lyt myn hartgen rouwe,
ic bid die waerde maecht maria,
dat si my sy ghetrouwe.
3. Myn lief, dat ic vercoren heb,
dat staet in minen sinnen,
tis ihesus cristus marien soen,
?od laten my ghewinnen.
c bid V, maria, voir minen scult,
ic roep aen v ghenaden,
wilt mi verbidden voir uwen kint,
so en mach mi nyemant scaden.
5. Ic rade alle ionge maechden,
i Vgl. S. 163.
Niederländische geistliche Lieder nebst ihren Singweisen etc.
289
dat sy in gode leuen,
60 mögen sy nv en ewelic
mit ihesus syn verheuen.
6.1c rade alle reyne harten,
syn si man of yrouwen,
dat sy in gode leuen altois, [Bl. 150 a.]
ten sal hem nymmermeer rouwen.
Der Text Bl. 149 hat die Überschrift.- »Venus crou gae gys my o/, sa ft/y/ic«.
Versmaß :
\^ ^ <^ ^ \j ^
v-/'
_ S-/
_ \^ _ N>> —
\^ ^ \^ V^
Bl. 102 b.
53.
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lo dronc soe gaerne den zueten most.
&
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4-
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Ic dronc soe gaer - ne den zue - ten most, die dair
i
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t:
vloevt
t ♦ ♦"
wt des va - ders borst mit gro - ter gon-sten.
$
:*=$:
•»—»:
heer ihe-sus be - taelt al myn, al mi-nen cost.
die mensche.
i.Ic dronc so gaime den [Bl. 143b.]
Boeten most,
die dair vloeyt wt des vaders borst
mit groter gunste,
heer ihesus betael al minen cost.
Ihesus.
2- Soud ic al dyn quytscelder syn,
so mostu draghen myn passi en pyn
al in dat harte dyn,
so moechstu blide int eynde syn.
die mensche.
3. 0 heer, du wyste my al opt liden,
ic soude nv gaerne mitti verbliden
ende ewelic mede vrolic svn,
mar steruen dat is grote pyn.
Ihesus.
4. Soe wie dat sterft in corter tyt,
in groter glorien wort hi verblyt
al in dat rike myn,
dair wort verdreuen al hartsen pyn.
die mensche.
5. O heer, het moet al ghestonien syn,
datter lu stich is den yyf synnen myn,
en dat is grote pvn, [Bl. 144a.]
mar tis cleyn, wilstu myn hulper syn.
Ihesus.
6. Och w^oudstu nv dyn harte my eheuen,
ic soud dt cronen int ewighe leuen
mit een vergulden croen,
ghif my dat harte, nem my te loen.
Der voUstHndige Text BL143 hat die Überschrift: nNoch dronc ic so gaerne
die coele tcyn«.
Versmaß :
O' — V- — W_v^__
s^
»_ S-/ _ w —
\^ \J — S-/'
\y' \u \^ — v-/
20*
290
Wilhelm Bftumker,
Bl. 103 a.
54.
Midden indeu hemel.
^
^^
♦ ♦
r t ♦
t
Mid-den in- den he - mel, dair schynt een licht, tb
w^^^T^i 1 n ^ t~^
clair,
men vin-ter al - so me-nich sco-ne ziel
i
* ■> ♦ll
on-trent beer ihe-sum staen,
^^
men vin - ter al - so
t±A . * *n
^
1
me-nich sco - ne ziel ontrent heer ihe-sum staen.
1. Midden inden hemel, ^ FBI. 148 a.]
daer schynt een lieht, tis clair,
men yinter also mennieh scone ziel
ontrent heer ihesum staen.
Men yint etc.
2. Si syn daer also vrolich
ende sinshen also zuetelich [Bl. 148 b.]
ten verariet hem nymmermeer , ten ,
dunct nem oic niet lang
die ouer grote weelde. i
Ten verdriet etc. '
3. Die moeder en reyne maghet,
die gode so wel behaghet,
si singt dair also scoen, si maect so
groit iolyt
voir al die edel scare.
Si singt dair etc.
4. Hier wil ic mi toe keren
wt al myn hartsen gheren,
die bliscap is groit, si duert oec altois,
si al^ altyt vermeren.
Die bliscap etc.
Der vollständige Text der Handschriß Bl 148 hat die Üherschriß: »Midden
in der meyeHf dair spruyt een born, tis dair«.
Versmaß unregelmäßig:
M - ^ - ^ - ^ (-)
\-/ _ ^-/ __ v./ —
v^»_W — V^ — W —
v-/ _ v^ _ v-^ _
^ Schreibfehler für sal.
i
Niederländische geistliche Lieder nebst ihren Sing^eisen etc.
291
Bl. 103 b.
55.
Genaed^ genaed dat Is myn wacht.
i
;
±^
i
3^
:» 4- ♦■
'^^^^
Ge-naed, ge-naed dat is
rr7^i.i.:r^ - 1-^
^^^^^
3BE
myn wacht,
noch hulp noch troest op airden gheen
;
j^r^~^"^^^^=PH
:?:*:
en vind ic, des heb ic ge-dacht, te zoe - ken ihe-sum
^
^^^^^^
cristum dach en-de nacht, tent i-cken vind myn troest al-
ST^Tl
^
■^♦♦^4
leen.
O ihe-su heer, ic bid di zeer,
;
;
^
*
4 4-''^^ »7^rr
wes mi doch tru en help mi nv, end laet mi
sceiden nymmermeer van di, al hin-der van mi keer,
^
i
m
±3^
want an - ders wair myn le - uen gru.
J. Ghenaed, ghenaed dat is [BL151b.]
myn wacht,
noch hulp noch troest op aerden gheen
en vind ic, des heb ic ghedacht,
te zoeken ihesum cristum dach en nacht
tent icken vind myn troest aUeen.
292
Wilhelm Bäumker,
O ihesu heer, ic bid di zeer, I
wes my doch tru eü help mi nv, j
end laet my sceiden nymmer-
meer 2
van di, ftl hinder van my keer,
want anders wair myn leuen gru.
2. Ocharm, ocharm ic heb misdaen..
wat troest wair my verloren gast,
Der Text Bl. 151 hat die Überschrift:
moetfi.
Versfnafi
deed ihesus alleen, sonder waen,
hi is bereit, bereit altois tontfaen.
die hem ontslaet der sonden last.
O ihesu heer etc.
Ic wil in hoepen staen,
altois op ihesus wel ghemoet,
hi sal my nymmermeer ofgaen,
set ic m}'n hart op hem roirtaen,
help suete ihesus nier toe spoet.
O ihesu heer etc.
»Adieu ^ adieu lief, goeden f tackt, nu
.v^.^^.v^^w.
Refrain.
Die Noten ohne Text am Anfange des Liedes scheinen auf eine Instrumental-
einleitung liimuweisen. Iti Bezug auf die weißen Noten vergleiche man die Ein-
leitung, S. 163.
Bl. 104 b.
56.
Der snnerllcster reynre maecht.
;
^
^zr=^TT=l
^
r-»
Der 8u-uer-lic-8ter reynre maecht, der lief-flter bloem, dien
»T ^t »t
^
CT
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i
ic mit o~gen ye ge-sach, dat is ma-ria. Si is een
i^^^^^gffTTTtf=r^
le-uen-de me-di- cyn der hartsen myn, si is so fyn.
v=^
^^
*=*=
^
81
is so hoech ge - bo
ren.
Niederlftndische geistliohe Lieder nebst ihren Sing^eisen etc. 293
l.Der suuerlichster reynre [Bl. 127b.]
maghet,
der liefster bloem,
dien ic mit oghen ye ghesach,
6a^ in maria.
Si is een leuande medieyn
der hartBen myn,
si is so fyn,
si is so hoech gheboren.
2. Myn hart verblyt, myn sin verhuecht,
myn moet verfroyt,
als hären naem mi voren coemt
wt milder schyn.
Si is een lenende medieyn
der hartsen myn,
si is so fyn,
si is so hoech gheboren.
3. Si is die clare morghen starre,
si schynt so schoen,
d lichtet inder aerden
en in des hemels troen.
Als my mach svn
hair dair aenscnyn, [Bl. 128 a.]
so bin ic bli,
ic danc den hoechgheboren.
4.1c mynne maria, die suuer maecht,
mit harten reyn;
want hare reyne maghedom
is een fonteyn,
Daer alle gracie vloyet wt.
si is myn bniyt,
een bloyende spruyt,
wt yesse hoech gheboren.
5. Maria, die alre soetste bloem
des paradys,
hair suete rooc, hair suuerheit
die geeft hair prys.
Si is myn troest, myn toeuerlaet,
daer al myn raet
efi hoep an staet.
ic heb hair wtuercoren.
6. Si is een groene p^lme rys
mit bloeysem scoon,
die soetelib bedouwet is
Yten hoghen troon.
Der iiefster duue die rast in hair.
der enghelen schair
die singhen te gair
in hären hoghen loue.
7. Maria die is een soet prieel,
vol weelden al,
si is een suuerlio lustelic dal,
vol lelien al.
Si is te mael verdriete van [Bl. 128 b.]
mit vruechden dan,
denc ic dair van
myn leet can si verdriuen.
8.Haer eerbaerheit, hair fyer ghelaet,
hair soet aenschyn,
hair edel wesen, hair lieflicheit
beuanghet my.
Si is een duerbair margaryt,
dair al aertryc
of is verblyt
doer hären lieuen zoene.
9. Hier om sei ic in dienste syn
tot hären vil,
al TTfdrt oic al den mynen leet,
oft so gheniL
Want sy mi vrolic leuen doet,
als ic hair gniet
ghifb si my moet,
mocht ic hair noch anscouwen.
Der volUtandige Text der Handechriß Bl 727 hat die Überechrift : »Tliefste
wyf heeft my versaeet, dat maeet my out, dair om«.
Versmaß :
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_- v-/ — s/ _
V-^ _ V^» — s-/
_ v^ _ v^' __
_ Vy» — >-y
294
Wilhelm Bftumker,
Bl. 105 b.
57.
Een nye liet sal ic t leren.
ma-ken kont; tis van ihe-sus on-sen he- re en ran
II II
^ ♦ ♦ i i
I
JF-^
s
i
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ma-ria der ma-get ionc, wel zue-te ihe-sus tot al - re stont
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sceiden wair my confuus. Werelt, nv laet staen
i
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HI*:
cloppen, in myn hert dair woent ihe - sus.
1. Een nye liet sal ic v leren [Bl. 151b.]
en dat sal ic v maken kont;
tis van ihesus onsen here [BL 152 a.]
en van mary der maghet ionc,
wel zuete ihesus tot alre stont
van V te sceiden wair mi confuus.
Werelt, nv laet staen v cloppen,
in myn hart daer woent ihesus.
2. Ihesus min wil ic draghen
en laten aUe creaturen,
ic hebt soe dick scoen hören waghen,
ic vant eheloghen tot alre vren,
die werelt te dienen is niet dan trueren,
van god te sceiden wair my confuus.
Werelt etc.
3. Snachts, ontrent der middemacht,
so salmen dan mit vlyt opstaen
en mit gode syn bedacht;
so salmen ihesum louen eaen,
van minnen heeft hi den doot ontfaen,
van hem te sceiden wair my confuus.
Werelt etc.
4. Als men van allen vrouwen seryft,
so heeft maria die meeste [BL 152b.]
doecht,
want si in also corter tyt
drouighe harten seer verhoecht,
van hair so seryft men altyt doecht,
van hair te sceyden wair my confuai.
Werelt etc.
5. Maria dat was die suetste maecht,
die onter airden ye ghequam,
si haa so groit warachtige minne,
dat ihesus seluer tot hair (|uam,
onser alre salicheit lach dair an,
hair wairde lichaem, dat was syn haus.
Werelt etc.
Der volUtändige Text BL 161 hat die Überschrift; nie sotule so gaenu een
hoeltgen verkiesen, dorst ic tcel auenturen«.
Niederländische geistliohe Lieder nebst ihren Sing^eisen etc. 295
Versmaß:
{
Bl. 107 a.
\j -
\^ .
V^ -
58.
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J2</^atn.
Mi Inst te loaen hoghentlye.
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Mi lust te lou-en ho-ghentlyc
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die rei-nic-heit so pu - re, der en-ghe-len staet maect
i
^
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^*:
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sy ghe-lyc die aertsche cre- a - tu - re. laet ons see
minnen al ghe-lyc, wänt e - del is hair na -tu - re.
1. Mi lust te louen hoghelyc [BL 146 b.]
die reynicheit so pure,
der enghelen staet maect si ghelyc,
die aertsche creatuie,
laet ons se mynnen alle ghelyc,
want edel is hair nature.
2. Si wort ghenoemt een paerle fyn,
waer duse conste ghelisten,
een duerbaer scat, als si is dyn,
en wilse niet yerquisten,
want du bist ryc in armen [Bl. 147a.]
schYn,
behaechUc den hemelschen gheesten.
3. Als groeyt en bloeyt Tan telgen scoon
een boem mit goeder yruchten,
so schyntte Toer ons heren troon,
O reynicheit, wiU niet suchten,
dyn boem brenct hondertfoudich loen,
dyn lampen seilen Toir di lichten.
4.lfen lely, die Toer gode bloeyt^
bistu, o goods yriendynne,
van verwen root, van erachte Yermoeyt,
ses bladen gheel Tan bynnen,
Tan doomen dicwyi seer ghemoeyt,
dit seltu gheestelic Tcrsynnen.
5. Dese duechd heeft oic Tan Toirdel
airtr
dat si den menschen reyne
Tan binnen eil Tan buten bewairt,
daer om mynt hy se alleyne;
god is der harten brudegom sairt,
WCS eer en is niet deyne.
6. Joncfrouscap exempel scone
wi hebben in maria,
» Vgl. S. 163.
296
Wilhelm Bäumker,
doer welc si wan gods zone.
laet ons hem benedien,
hi wort bekent der ionc- [Bl. 147b.]
frouwen loen,
dat dede hair cuyscheit vrye.
T.Marien Tolchde een scaerre groot
Yen ioncfrouwen, die ffheen pine
om god ontsaghen nocn die doot,
als agnes ende katherine.
mar veel te nomen en is gheen noot,
mar begheren mit hem te sine.
8. Si Tolghen ihesum stadelic.
hair cleideren syn so reyne,
si singhen alte suuerlic *
een nyewe liet aUevne
mit harpenspel in ^emelnjc,
hair croon is niet ghemeyne.
Der Text Bl. 146 hat die Überschrift: »Om 18 rerienghet een deeh den dach,
ons doet ghewach cleyn tcout voghelkyn d'maerU.
Versmaß :
^/ — "W — \-/ — 'y^ —
\^ — \-/ v»> \^
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•^ _ v./ — v-/ — v-/
\> _ v> —
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\^ — \J — <-/ — V-/
Das Lied steht nach einer Handschrift des XV. Jahrhunderts facsimilirt zugleich
mit einetn lateinisdien Texte »Me Juvat laudes eanere preclare castitatis* in der
Dietsehen Waratide 1S57 No.l2. Ah Verfasser wird Thsodaripus de Gruter angegeben.
Bl. 131a.
59.
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Ny Is doch heen der heiligen stryt
♦♦ ♦» ■
£^E^
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Nv 18 doch heen der heiligen stryt, si sjn nv
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weel - den. Sy wa - ren vroem en Trel ghe - moet.
**:
rechtuer - dich en - de dair - toe goet al tot - ter
le - ster ston-den. Dat li - den is nv heen ge - g&eii)
Niederländische geistliche Lieder nebst ihren Singweisen etc.
297
^♦--^
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»>♦♦ ♦♦
♦♦ ♦♦
en groot loen heb-ben si ont - faen, al son-der waen,
^4=3:
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in won-der - li - ker min-nen. Men siet haer duechd
^^^-^
♦ ♦ ♦♦
:**;
S±±=»:
SO scbo-ne staen, des wil-len wi - se om-me-uaen,
i
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±>-rr
li«:
¥^
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en ons ont - laen all dat ons bier mach sca - den.
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^
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^
Des wil-len wi ons ver-bli-den in ha-ie zue-ter acht,
i
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szz*:
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men hoirt tot al - len ti - den hair wairder woir-den cracht,
T* ' i . . 1
3CZ*
^*>*
±:mm
hair lief-li - ke le - ren, dat doet ons vroechden me - ren,
I 1
E^ESI^
:*3r
hair lof is me-ni-gher ley - e.
1. Nt is doch heen der heiligen [Bl. 131a.]
stryt,
si syn nv mit god seev verblyt
in ouer groter weelden.
8y varen yroem efi wel ghemoet,
rechtuerdich en dair toe goet
al totter lester stonden.
Dat liden is nv heen gegaen,
efi groot loen hebben si ontfaen
al sonder waen,
298
Wilhelm Bäumker,
in wonderliker minnen.
Men siet haer duechd so [BL 131b.]
schone staen,
des willen wise ommeuaen
en ons ontlaen
all dat ons hier mach scaden.
Des willen wi ons verbilden
in hare zueter acht,
men hoirt tot allen tiden
hair wairder woirden cracht,
hair Heflike leren,
dat doet ons vroechden meren,
hair lof is menigher leye.
2. Die glori goods is ouer clair, [Bl. 132a.]
myn hoep, myn troest, die is al dair
wt al myn hartsen gheren.
Dair is vroechd eß vrolicheit,
blyscap eil zueticheit,
men maehs hier niet versinnen.
Een dach meer yruechden heeft aldair,
dan hier doen hondert dusent iair,
dats ymmer wair,
wantmen vintet so bescreuen.
O wairde, hoghe, edel moet,
die nv hier na syn harte doet,
hi is vroet,
ten sal hem nymmermeer rouwen.
Des willen wi ons verbliden
in deser zueter gedacht
eil laten ons niet ontgliden,
hier aen leit grote macht,
hier om die te dencken
dat is nv groitlic noet,'
willen wi werden bi gode grote.
3. Ic heb tot noch so zeer sedwaelt,
grote scade heb ic behaeit
in vergankeliken dingen.
In my seinen wil ic nv gaen
en alle dingen laten staen
e& wil oic nv beghinnen;
Ten mach hier niet lang gedueren,
die genoecht der creatueren,
in corter vren
ist al hier verloren.
Ic wil nv myns selfs auegaen
en alle dinc te niete slaen
en voirtaen
myn herte tot gode keren.
Nv wil ic mi vernieten
in cristus diep oetmoet,
ic Salt oic eens genieten,
s}!! trou is also groet;
och wair ic van sonden bloet,
dat wair myn ziel so ouer groet,
an hoep staet al m}ii troeste.
Wie die Überschrift besagt^ ist die Melodie dem Liede entnotnmem ^Nu u
doch heen des winters stryt, en ons getutect die zute tyt«.
Versmaß: • ^_v> — v>_^_ |
\-»_V-/ — W — v>__
^> — . N^ _ S^ \^
\^ — \^ — v^ \y —
\^ — \^ — \^ — »^ ,
s> — v-/ __
N^ __ '^ ^•^ _ V^
\^ O' _-. O V-/
S-/ — O — V^' —
N-/ — V.> _->-/_ W
v-/ _ V-/ — V-/ —
v^ _ V-' _ s^ _ V>
^ _ V> _ S-/' \^
O' — ^/ — v.^ __
Bl. 103b.
60.
Wat wonder heeft die mynue ghewrochtl
i
i
i
i
Wat won-der heeft die myn-ne ghewrocht! si heeft die
Niederländische geistliche Lieder nebst ihren Sing^eisen etc.
299
i
*
^tT^^
3m
goeds zoen ne-der ghebrocht, so dat hi is ge - co - men
^
^
mit cracht, al in -der maecht ma - ri - en
1 . Wat wonder heeft die mynne [Bl. 142b.]
gewracht !
die ffods soen si heuet nederghebracbt,
so dat hi is ghecomen
al in der maghet marien.
2. Nt hoert, wat heeft hi meer ghedaen !
syns Taders ryc heeft hi gelaten,
liden, doghen nam hi aen,
eü al om onsen misdaen.
3.1c wil my seinen leren laen
ende dese werelt al yersmaen,
liden, doghen nemen an
en al om cristus Heften.
4. Die minne is goet, sprae sint iohan,
die van den hemel neder quam,
menschen forme nam hi an,
eii al wt rechter minnen.
5. So wie in wairre minnen leeft,
die en sei niemant verdomen,
hi sei dat quade mit goede Ionen,
so dede die eoods zone.
6. So sei hem dan alle goet geschien,
al archeit sei dan yan hem vlien,
so wie mit rennen oghen can sien,
die is zeer goet yan zeden.
7. Wie gode yolcht, di is yroet,
hi draecht die duechd in sinen moet,
wel hem, die dat te tide doet,
want wi moeten schier yan henen.
8. Nv gaet ghi voir, ic yolch [BL 143 b.]
V nair,
nochtan is mi dat sceyden zwair,
maria, ^tou, nv helpt ons dair,
al dair wi svn mit vreden.
Der rolbtilndige Text BL 142 hat die Überschriß
dat goetf tcant ic«.
nWat teil %c sorgen al om
Versmaß :
•^ — v^ — v-Z—v^ —
\^ __ v^ — ^ _ .*>
Man vergleiche No. 19.
Bl. 95b.
61.
Wes ghegruet, o wairde rronwe.
m-
B=3=i^
t
Wes ghe-gruet, o wair-de vrou-we, dien ic min in
! 1 ^^"rH
-1
t
gan - ser trouwe, co - üinc - ghinue van he - mel - ryc,
300
'Wilhelm Bäumker,
i
ri=f=r
dien gheen ma - gliet en es ghe - lyc.
Aue.
l.Wes ghegruet, o wairde [Bl. 95b.]
vrouwe,
dien ic min in gaoser trouwe,
eonineghinne van hemelryc,
dien gheen maghet en es ghelyc.
maria.
2. Maria, sterre ouerclaer,
alle nature wert dyns waer,
die al van di ontfanghen heeft
erachte, wesen end datsi [Bl. 96a.]
leeft.
plena.
3. Vol van doechden, vol van eere,
du, die bist myns hertzen ghere,
gon mi di altoes te louen,
nv in U't, end na hier bouen.
gracia.
4. Van ghenaden is sekerlye
enghel nach mensche d}nis ghelyc,
wanttu baerdste godes sone,
der dinghen al een spieghel scone.
dominus.
5. Die beer heeft di wtuercoren, [Bl. 96b.]
waerstu niet, het bleeft verloren,
alle dat god heeft ghescapen:
mannen, vrouwen, maechden, knapen.
tecum.
6. Mitti es alle doechdlicheit,
caritate, oetmoedicheit,
sweechstu, spraechstu, altoes matich,
revne, stille, lydsaem, zatich.
' Tu.
7. Du biste suet, hoech ghetoghen,
god was altoes voir dyn oghen,
in dyn leuen hier beneden
scamel, wys, van hoghen zeden.
benedicta.
S. Ghebenedvt was die vre,
daer du wordes in een mure
voir onse zielen vast gheset,
die den viant weert ende let.
in mulieribus.
9. Bouen alle wiuen gheeert, [Bl. 97b.]
van alle scrift in god gheleert,
die maghet bleues inder dracht,
teghen alder naturen cracht
et benedietus.
10. Ende ghebenedyt voirwaer
die reynre bist, dan alle gaer
. alle maechden syn, van herten
sonder sonde, sonder smerten.
fructus.
11. Is die vrucht niet begherent- [BL 9Sa.1
Sek,
sueter dan zeme smakeliek,
die dair voirt quam van dyn liae
sonder enichs mans bedriue!
* ventris.
12. Dyns bukes lof, dyn reynicheit,
dvn scouwen hoech, dvn weerdicheit,
hogher dan wi dencken moghen,
moet ons vast in gode voghen.
Ihesus.
13. Ihesus eoninck, keyser mede, [BL 98b.'
wil ons setten hier in vrede,
wil ons gönnen dyn hemelr^^c,
dat bidden wi oetmodelyc ! *
cristus.
14. cristus, die ghesaluet biste,
die verwonnen hebt mit liste
die viant, die ons plach te quellen,
bescherm ons voir die pyn der hellen !
Amen.
15. Amen segghet alle gader,
dat gönne ons mitten vader
die Boen en heüighe ^eest,
die dair syn der enghelen feest
Verstfiaß :
W — \^ V-' v^
_ v-/ — ^-/' — V_/ —
w — \->' — V^" _
Die Melodie ist dieselbe wie die unter No, 4 mit wenigen Varianten.
Niederländische geistliehe Lieder nebst ihren Singweisen etc.
301
Bl 107b.
62.
Myn hnrt is heymelic getoeghen.
^^~^ — y-^
^
'^:
+
Myn hart is hey - me - lic ge - toe - ghen, al
om
te die-nen na ver - moe - ghen ma-rie, der lief-ster
vroii-we mvn, ic wil al - tvt hair dien-re svn,
i
*=$:
ü
±iz*
?
-* — ♦ ^-hr-
oec thar-te myn zeer daer toe voe - ghen.
l.Myn hart h heymelic getoeghen,
al'om te dienen na vermoeghen
marie, der liefster Trouwe myn,
ic wil altyt hair dienre syn,
oco tharte myn zeer daer toe voeghen.
2. O wairde vröu, wil mi verbilden
en oic bewaren tallen tiden,
siet an myn ongheuallieheit,
in uwen dienst wil ic bereit
syn altyt sonder enich miden.
3. äit recht sidi nv seer verhoghet,
wt Y so blencket alle doghet,
f^hi svt die liefste vrouwe myn,
ic wil altyt v dienre syn,
oec therte myn daer toe voeghen.
Versmaß .•
S_/ — v-/ — v^ — v-»-_
\^ V^ — V-*' __ v-/
In Bezug auf die weißen Noten vergleiche die Einleitung S. 163.
Bl. 13 a.
63,
In dalci Inbllo.
I. Melodie.
II. Melodie.
<>• >V N^ ^
T~T"T— I
iS=^=a=:$i±
In dul-ci iu-bi-lo, singhet en-de we-set vro,
i^)-:^
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j^--;g-vv ^ »-frRv_^„.iV_^_l,_»_B
302
Wilhelm B&umker,
(^) =3^ ♦ » ♦:
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I ♦ ^ ^-4~^-
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al on - se hartzen won - ne leit in pre-se - pi-o.
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Dat lich-tet als die zon - ne in ma-tris gie-mi-o.
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Er - go me - ri - to, er - go me - ri - to, des sul-len
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^ (ir;r^~^-i4-i-^ » 'n^
al - le har - tzen zweiten in gau-di - o.
lt^>-^-H-..^t-fl- 1 , » <> j H
Die 1^- Verzeichnung fehlt im Original
Die übrigen Textstropfien ßndet man in Hoffmanns Büchlein : Toln duleijubil»
Hannover 1861, No. 15,
Das obige Lied kommt handschriftlich bereits im XIV. Jahrhundert vor.
(BäumkeTy Das kath deutsche Xirchefilied 7, S. 311J Ein ganz tOmlicher zwei-
stimmiger Satz, den P. Bohi aus einer Trierer Handschrift vom Jahre 14S2 publi-
cirte, steht in dem gefu Werke S. 310,
Niedeilandisehe geistliehe Lieder nebit ihren Sing^eisen etc. 303
Bl. 14 a.
64.
Ornnes bt laet ons gode Ionen«
1 , ; > 1 t ; t4:FF=;
Om-nes nv laet ons go-de lo -uen.
^
de-um ce-le- Stern
i.
^
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r-4"-1=H
^
I
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van hier bo - uen, qui non a - do - rat, Hi is
1
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ver-scouen
1 ^
coti - di-e.
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tzf^rr^
Hi
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18
van een-re ma-iret
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ge - bo - ren, rex
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- n - ae.
i
I
A
i-
$
i^
Schlüssel,' I
i>te weiteren Textstrophen hei Hoffmann »In dulciJubUo« Hannover 1861, No, 26.
^ wahrBcheinlich Druckfehler, soll e Bein.
1888.
21
304
Wilhelm Bftumker,
Bl. 36b.
65.
Ihesas «ristiis Yän nazareyne«
rrrrr ^^~^t-! ' i ♦! t
i
e-sus cri-stus van na-za-rey-ne, hi is ghe-bo-ren van
( 1
I 1
n ! 1 r^^^^^
een-der maghet rey-ne, dair om es god ghe-be - ne-dyt.
Text hei Hoßnatm, Niederl. geütL Lieder 1804, No. 5.
66.
0 saaer maecht ran ysrahel.
Bl37a.
O su-uer maecht van ys - ra - el, wilt zeer ver-bli-den v,
i — -I p
w^^
PH=^
om der schoender
boetscap, die ic v bren-ghe nV
f
:*=t
1 — t-
?^t^=rrf5=r=^^
Be - ne- die - ta tu in mu - li - e - ri - bus, va -
I
la
sus.
^?=f-=f^
f-^H-^
' I I I I -.
va-la-sus! A-ue ple - na gra - ci - a, te-cum do- mi-aus,
I 1 . 1 I j . i
be-ne-dic-ta tu in mu-li - e - ri - bus.
Text bei Hoßmann, Niederl. geisü. Lieder 1864, No. 19.
Niederländische geistüölie Lieder nebit ihren Singweisen etc. 305
BL37h.
67.
Fonteyne^ moeder, magket reyne.
s;£a=i
t
ü
^—m
f
Fon^tey-ne, moeder, maghet rey-ne, bloem der ghe-na-den,
I ib
^
ä
jf=3r
E^
:*^:
e - del greyne, laet ons di lo-uen tal - der tytl
Text bei Hoffmann a, o. O. lio. 36»
Bl.da«,
68.
Laet ons mit hogher Trolicheit«
t— I
I — i
I — I
5i^^
±m
■ ^ — ■ ■ »
^3^
heit lo - uen die
Laet ons mit ho- gher yro-lic
I 1
T [ 1 T^jf^^
I ! t' t I >
ma-ghet der sue- tic-heit, gods mbeder wtuer - co
ren,
n^
•=r-^
^r^
daer ihe-sus af wou-de syn ghe-bo-ren!
Text bei Hoffmann a, a. O. No. 27. Melodie der Antiphon i>Ave marie stellar,
Aye maris Stella.
A - ve ma- ris stel - la,
De - i ma - ter al - ma,
At-quesemper vir-go, Fe-lix coe-li por- ta.
Hymni de Tempore et de Sanctie, Soleemis 1885, S. 189^
21*
306
Wilhelm Biumk^r,
Bl. 38 b.
«9.
Kinder gwyclit«
t I 1 fM.t I T!«tI
Kinder swycht) so moecht di ho-ren, ecHse mun-di gaudi-a!
^=faF=t 1 1 r It^^fy^
hoe heer ihesus is ghe-bo-ien. In te sunt so-lempni-a,
^^^
^^^^
O vir-go ma-ri- a, de - i ple-na gra-ci
Text hei Hoffmann <i« o. O. JVb. iJ.
-ai
Bl. 56 a.
1
70.
Are maria, maghet pia.
^^^^
ff^T=pi
A - ve ma - ri-a, maghet pi - a, ioncfrou-we sis trouwe,
2
^
^
f
X
t
^r 1 -111
da rou-we, moedei in -tac-ta. Eu-ge v-ii-elpa-ter
i=f
t=i
I 1
?=^
1^
^^
i
et nar-phat ma * ter, de welc quam ons an - na
.■y-f't * ^ l^T^"^
^
f
wt fi - li - a, man -na et cunc-to- tum sa - lieh
Niederlftndisehe geistUehe Lieder nebst ihren Sing^ireisen etc. 307
> I
^
1=-^
f-! * ^~r
o - ri - go bo - no - rum. Gau - de ge - ni - tu - ra,
I 1
1 j
^
t ijl
T
r=f
ionc-frou - we pu - ra, ma-ter ieghens na - tu - ra,
I 1
1 1
^.■^-^^It-qzEi^ T ^ U T ! 3
8on-dei cor-rup-tu- ra,
4
1
mi - ra - tur al - le cie-a-tu-ra.
r ■ ■ \
^T T T t ♦ I ^y=I_^_q_B
Ä - ue, seit ga -bri- el, ma - ri - a! e - ma - nu - el
I 1
r '■ I
^^3^
de te wil syn ghe - bo -
die-xe-runt te vo - ren
I 1 I \
ren, die-xe-runt te
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^^^m
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i ■ ■ i
pa-tres et pro - phe - te. Quo mo-do mach dat syn?
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;^^l=t^^^BM^^3fd
an - ge - le, ver-won - dert my ; vi - rum nie gbeen co-gno - ui
I 1 I 1
ib r
|. 1 * I t-f 4:r^^=^3^=^^H^
>
et rey-nicheit vo - ui. ant-woir-de ga - bri - el
308
'WiBtdm BSumk^r,
l4-*4 1-*-H-Tf-Tm=Ffy
0 ma-ri-a, vir-go vol van gra-ci! sanctus spi-ri-tus
b' b
I — r^ ' — r^
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\ ^ ' I
sei om-be-uaen ti - bi, et maghet ma-ne-bis moe-der -
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^^T ' M I !^
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vt f u - 1 - sti. Ec - ce an - eil - la do - mi - ni. moet ic
b b b
1 1
♦t-i 1 1 1 t g^^f^^f^
wor - den, na di-nen dul-ci - a min-li - ke woerden^
^^m
m-
T-f-^
want hu- mi - li - ta - tem syn - re vi - dit an - eil -le.
8
m-t t ^H
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Hine ma-ri. - a it van na - za - reth, vt sa - lu - ta * ret
I I
^^
i
MI l'M'l
e - li - sa-beth. doe sy vemam, vo-ce cla-manit lu-de:
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Q=rrn-i
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t
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ex quo in myn o - ren quam vox moeders de - i, waerdin-ne
^
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l-t-T T ♦ 1 i
coe-li, ex-ul-ta-uit myü ione seer in ven-tre spi-
Niederländische geistliche Lieder nebst ihren Singweisen etc.
3ÖS
^^
■ ■■ ' I .-■«■■. I I. ■ 11 . h I
li - tu - a - li-ter. Hinc an-ge-lus seit den har-de - ren:
%j r
^^3
i - te, ghi sult vin-den beth-le - em, ma-trem ma-ri-am
1~M1 M U
^
m
kin-de heb-ben-de, ihe-sum in pre-se-pe leg-ghen-de,
^
±
^g:*U^
^
re-gnantem nachts, daechs e -ter- na- li-ter. monstra maghet
b 10
i^:Q">"^t ! > ^
f
te moeder et vis we-sen no-stri be-hoester! Fac in
3C=$:
pzco
H=^^
ons pi - e ihe-sum ve-ni-re, wel stel-la mon-stranit
!*^! ♦l!
m.
?^s
a - do - ra - ri. waer-de co-nincghinne, da fi-dem,
r 1
^
^^^
^=^
boep, min - ne et sie - ut ma - gi cri-stum do - mi - ni
11
M-^t-f^^^
^i-^ t-¥
I • 17 •'
mit ga - uen ve - ne - ra - n. cac in
ons vre - de
310
Wilhalm Btumker.
n * ! tU-U ' ! ♦ I ! ♦ tprl
et eendracht me-de, vt de - cet de-uo-tos yn-nich le-Ben.
I 1
^=t^-t-TH
! ' ! ♦ f
da oet - moe-dich we-sen, sa- than-que re - pel - le,
t \
I ♦ |~rmz!z|:
^
traecheit e - uel - le,
cor da tu rey-ne, ghie-ric - heit
12
rr*^
m
^
pro-cul sen - de. lu-ua nos in dit el-len-de,
13
gF^^=^l5E|=thrM-i
kin-der e-ue be-ni-gna, Do-cenos al-toes fa-ce-re
14
^^^^
r^^M"^
dyns soens wil-le, re-gi-na! Da pro-lem va-der vi-de-re,
da sanctum spi-ri-tum in ons al-toes hie ma-ne-re.
15
:«=$=^
' ' T
Da ma-los enri - ste do - le - re
^T=T
*=*
m
et in dyn ryc cum
Niederländiflclie geistHelie Lieder nebst ihren Singweisen etc.
311
b
16
b
r^i * 1 1 t-^l ♦ T rr
e - lec -tis e - we-lic gau-de -re 1 Va - le et a - ue,
I 1
b
T * T *^|ztixt;^g
he-mels co - ninc - ghin-ne^ laet ons yn - ne in ce - le - sti
— ♦ 1 . 1 1 p,.! ♦ T n
thro - ne, v - bi an - ge - li lau - dant dyn so - ne,
r— —»
^^=4
f^
per te nos me - de lau - da - re.
DU Stngweise gehört der Sequenz »Ave praecktra maria steUa» an. Vgl, Bäumker,
Das kath. deutsche Kirchenlied 11, No. 8. In den späteren Gesangbüchern ist ^ der
Melodie vorgezeidinet
Die ganze Seque»iz enthält 9 verschiedene Melodiesätze (ChoräleJ, Der Anfang
sowie der Schluß (Satz 1 und 16) haben besondere Singweisen. Von den übrigen
14 Abtheilungen der Sequenz (No, ^ bis 15) werden je zwei aufeinanderfolgende Sätze
nach demselben Choral gesungen. Vgl. Hoffnwmn »In dulci jubilo«, Jifo, 27.
Bl 76 b.
71.
Begheerte ht Ylieghet.
^^
I — I
^Ji^tLf-^
Be-gheerte nv vlie - ghet ten he-mel op, gruet my
I 1
^ss
m
>^
i-
I
myn lief en segt hem lof I Bex glori - e, de
US
312
WQhebn Btumker,
HHH-rf^"T=^
Bl. 99 a
om-ni po - tens mi - se - ri - cor-di - e.
Text bei Hoffnumrif Niederl. geistl, Lieder 1854, No. 88.
72.
0 Jhesus banty o yarieh brant.
B^B3^
m
■t ^ i
:t
O Jhe-sus bant, o vu-rich brant, och wair-stu in myn hart
^m
i
;
t
*=^
ghe-plant.
80 wair mvn ziel ont - bon
!
den
van me-ni-gen druc, van me-ni-gen bant, dair si is
t
i
^
^
t
meed in viants hant ge - bon
den, dat doen
i . i * 1 ;iTi-fg
Text
a. a.
I
myn gro-te son - - den.
An dieser Stelle der Handschrift steht nur die obige Strophe j Bl. 111 der ganu
mit der Überschrift: »Vrou ventis hant, o vurich brant o^. Bei Hofinatm
O. No, 60 steht ein anderes Lied mit gleichem Anfange,
Bl. 99 a.
73.
Ic heb gheiaecht myn leaen lanc.
m
I — t
i 4 i t"^
^^j^^^:^=f=t
1 m^
Ic beb gheiaecht myn le -uen lanc al om een ioncfrou 8C0-ne,
Niederländische geistliche Lieder nebst ihren Singweiaen etc.
313
m
nri 4 +"^^
^^^
die al - re suet-ste wyn-gaird ranc, die dair is in shemels
^
0
^
thro-ne. mit en-ghe-len is si om-be-set, ic en can
^t-t-T+rirtin
^=t
dair niet bi co - men, myn son-den hebbent mi be-let,
^3
>— N
Ö
des mach ic my be - dro - uen.
Der vollständige Text dieses Liedes steht Bh 111 der Handschrift unter dem
Natnen Brtigman mit der Überschrift: »Na groenre vertue myn hart verlernet •.
Vgl. Hoffmann a, a. O. No. 109.
In der Handschrift C, S. 24 ist als Weise angegeben: n Adieu myn lieft hebt
gueden nacht, dat moet een scheyden syn«,
74
Bl. 99 b.
Die mey spmyt wt den doFren hont.
! .1
in^
^
+
fc>==*
+
±=m:
Die mey spruyt wt den dor - ren hout mit lo- uer bloem-
^m
kyns brey
de, ttiaect menich blo-de her - ten stout
I-
#4=^=-^-=^^
i
en doet-se gbe-nuechlic sin
^^^
ghen. voir al. - le
I
;
^m
^=t
I ■ I'
t
ihe-sus beel - de suet ver-Iicb-ten can ons al - re moet,
314
Wilhelm Bäumkar,
t ! ! . IC
tru - ren van ons zwich - ten.
Der vollständige Text steht Bl. 114 der Handschrift mit der Überschrift: »Die
mey sprujft wt dorren hcui*. VgL Hoffmann a. a. O. No, 106.
Bl. 100 a.
75.
Ic wil my seinen troeston.
Ic wil my sel-iien troesten end ma-ken e - nen moet,
; ♦ t- ^ ^T^ t t ;
m
f
i
want als - et gaet ten quaetsten, so macht noch werden goet;
4-
^^
^==t
P
-M=m.
^=^-^-^t-^
t
van son- den wil ic my ke - ren in myn-re iongher tyt.
^
^=^~I~rt
>=*
1
t
Ic bidge-na-de he-re, want gi ge-na-dich syt.
Der vollständige Text der Handschrift steht Bl, 124 mit der ühersehrift:
»Ic wil my seinen troesten, eü maken enem. Vgl. Hoffmann a, a. O. Na. 62.
In der andern Berliner Handschrift C» Seite 9 heißt es: »dit is die toyse: Lief
hehhen ende rngdenu.
Bl. lüla.
76.
Den edel beer van hemelrye.
4
b
m
m
:**:
ti±=^
±=*:
3»:
Den e-del heer van he-melryc, dien wil ic om-me-xianghen,
;
^-^-rft
t^^
am
ic wil hem bid-den ber-te~lyc, dat hi my neem geuanghen.
Niederlftndische geistliehe Lieder nebst ihren Singweisen etc. 3'15
iy«r vottgtändige Text Bl 130 hat die Überschrift: »Die edele heer van hru-
«■Mmyg, die heeft em kint geuangenm^ Vgl. Hoffmann a. a. O. N'o. 76.
Mmn vergleiche das Kirchmlied »Mein GmUt eerr dürr vnd durstig m<« im
jTT. Bande meines Werkes No. 361, so wird man finden^ daß die Anfänge der Melo-
dien Übereinstimmen.
Bl. 108 a.
77.
0 ghi^ die lliesas wyngaert plant*
O ghi, die ihe-sus wyn-gaert plant, ver-blyt v op dat
i
i
^^-
±^
6ue-te lant, dair ghi toe syt ver-co
>-^r^
ren.
Die erste Hälfte der Melodie stim^nt überein mit dem Liede von den 10 Ge-
boten in Beuttners Gesangbuch »O Herre Gott das seynd dein Gebott«. Vgl. mein
Werk »Das kath. deutsche Kirchenlied« I. Bd. S. 423.
Den weiteren Text findet man unter No. 9.
BL 103 a.
*=»:
*
i*^
78.
Een eort iolyt.
ö
Een cort io - lyt in de - ser tyt, al hier ver-co~ren,
i
3^
i
:öe
=*=>^
3»:
■M^
dats ze - ker - lyc voir he - mel-ryc te veel ver -lo - ren.
Hier nur die ersU Strophe, Der vollständige Text Bl. 1 28 hat die Überschriß
»Tis al ghedaen mgn oestwairts- gaem. Vgl, Heßmann a. a, O, No» 116.
Bl. 104 b.
79.
Doe die rose Yan iherlco.
^
• I •■• •
■^^m
Doe die ro - se van ihe - ri - co den zoen der god - heit
316
Wilhelm BS^umker,
i
sc
>=*
¥
f
t
soud ont - faen, haii lu - ter heit dat wart haii vro,
I
^
^
den he - mel wert hair on -» der - daen.
An dieser Stelle nur eine Strophe, BL 148 steht der vollständige Text mit der
Überschrift: »Myn hoep, tnyn troest, myn toeuerlaet staet aen eenre ionefrtm^e*.
Vgl Hoffinann a. a. O, No, 20.
Bl. 105 a.
80.
Aye maria saete maeclit.
±:=f^
9^
:**:
±=^.
A - ve ma - ri - a, sue - te maecht, ge-denct myns,
I 1
i
3$:
:*^
vrou
, ter le - ste
3«:
:*$:
ster noot, dat ghi die vi - ant Tan mv
:**:
^
:*IE
iaecht, want v ge - na - den syn so groot.
BL 127 steht der voüttUndige Text mit der Überschrift: »Seenct in den try»,
laet drincken vry, tci icillen truretf. Vgl. Hoffmann a. a. O. Ifo. 34.
Bl. Iü5a.
81.
Als ic ml wel rerslnne.
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Als ic mi wel ver-sin-ne, so rout mi zeer den tyt,
dat ic in aertscher min-ne ge - socht heb myn io - ly t.
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Ic vnl gaen ar-bei-den ze - re en die - nen on-seu
Niederländische geistliche Lieder nebst ihren Singweisen etc.
317
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» » ♦♦
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• lie-uen hee - re van al des ic ver-mach.
.BL 129 steht der vollständige Text mit der Überschrift: nie loeets een moU-
narinne, van hartsen also fytr^ in«. Vgl. Hoffmann o. a. O. No, 66,
Bl 106b.
82.
Als wi dair in ons seinen gaen.
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Als wi dair in ons sel-uen gaen, soe vind wi niet dat mach
Uii-^-U:
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bestaen, dair ons die werelt toe dwin
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get; Want si
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be-loeft ons lich-te-lic, lan-ge te le-uen op airden -ryc
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en wat gei^oecht in brin
get. Das trexs ons hart
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be - drie - ghent-lyc, dat wi ver - su-men on - se tyt,
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hoe moech wi des ghe - li
den?
Der vollständige Text Bl, 132 hat die Überschrift : »Ic quam dair ic die meye
vant staen miUt. JSoffmann a, a. O, No, 114.
318
Wilhelm B&uinker,
BLlOSa.
83.
Oeli lieae beer, ie heb geladen.
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jO:
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♦ ♦♦ ♦
Och lie - ue heei, ic heb ge - la - den myn son - dich
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scip mit Yol - 16 last, ic moet doch rei-sen op t
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ge-na-den en va - ren wech alst v gliepast; myn scip
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is lec, cranc is myn mast en myn ge - want te
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ga - der, en oec heb ic die kon-de niet vast, ic
♦♦ ♦ ♦
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en weet niet, waii ic he - ne sal.
Text bei Hoffmann a. a. O. No. 120.
84.
Wi willen ons gaen rerheffen.
Bl. 109 a.
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Wi wil - len ons gaen ver - hef - fen bo - uen
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aert-sc
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ghen en - de clim - men mit on -
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sen
Niederländische geistliche Lieder nebst ihren Singweisen etc.
319
^
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ghe-dach-ten o'n - der die se -ra-phinnen.
JVtir diese eine Strophe/
85.
BL174a
Die werelt hielt mi in hair gewollt.
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3pt
^
Die we-relt hielt mi in hair ge-wout mit ha-ren stricken
^
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i-i-ir^
me - nich - fout, nv hin ic hair ont - co
men.
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Och dat sy seer he-drie-ghe-lic is,
^m
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I- ♦ i ♦
♦ ♦ 4^
dat heb ic wel ver - no
men.
Der volktiindige Text steht Bl. 153b der Handschrift mit der Überschrift:
^dit liedekyn heeft gemaect bairt suster die clusenarinne tvirecht«. Siehe die JEinlei-
iung S. 160. Vg^ Hoffmann^ a. a. O, No. 110.
86.
Ex sinn matris paryaliiB.
Professionale. Papierhandschrift aus dem Kloster Schonenberch. 1533. BL 52 b.
I . . I f . . . I , f
s
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i^-
Ex si-nu ma-tris par - vu - lus est pro-gres-su« Jhesu-lns,
^
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1
Al-soe de son-ne dorch dat glas. Mel-li - co cum hymno,
188S. 22
320
Wilhelitt Btumker,
mel-li-co cum hym-no, nos om-nes cum con-cin-no
I . . I I
+
*==*:
+
m
+
^
pan-ga-mus Su-zi, zu - si, su - zi, zu - si, su - zi,
H-Hi^^^
8U - zi - nyn-no.
2. Per Gabrielem nuncium
virgo concepit filium
eyn ionckfrou reyn kuesch ende zart
Mellieo cum hymno etc.
3. Cognouit bina bestia
Quem cingebat tunc fascia
aat he de hoechste koxinynek iras
Mellieo cum hymno etc.
Ich habe dieses Mischlied aus einer späteren Sandschrift hier beigefügt.
Hdsclir. B., Bl. 66 a.
.87.
Kyrie god is gheeomen.
(Kyrie, magne Deus.)
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Ky
Ky
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ma-gne
CO - men
bo - ren
loe-pen
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ser vro-men,
ghet yeicoien,
der doe-pen,
be - ra - tor
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des sul * len
dair wi bi
god help ons
ho - mi - nis,
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wi tal-len ti-den
syn ont-bon-den yan
voirt ont-ganghen syn
transgres-so - lis
^^^
ver - bli - den,
son - den,
ban - den,
man -da - ti,
e - ley - son.
e - ley - son.
e - ley - son.
e - lev - son.
Niederlftndische geistliehe Lieder nebst ihren Singweisen etc. 321
^^^^
Chri - - ste, me - di * ci - ne on-ser pi - nel
Chri - - ste, on - se brueder en be - bue - der,
Cbri - - ste, 8oen des va - der, ons be - ra - der,
Chri - - ste, sum - mi pa - tris v - ni - ce,
I »
I T I ^ M-^
t
r^
om on - ser
int goe-den
be - gheeft ons
no - stra sa -
noot bleef hi doot
warck maect ons staick.
niet int vei-drieti
Ins et yI - ta.
e
- ley - son.
e
- ley - son.
e
- ley - son.
e
- ley - son.
^^
±
^
Ky - ri - e, god moet be - hoe - den
Ky - ri - e, god moet be - ke - ren
Ky-ri - e, god va - der, soen, hei
Ky-ri - e, ho - mo na - tus
^ I M I
in si - nen dienst
den sun-daer en-
li - gbe gheest, drie
e - ma - nuel, re-
n T^ ''
T
den goe- den,
de le - ren,
per - so - nen
stau-ra - tor,
t
dat hi ons the - mel - sehe e-rue
dat hi syn quade le - uen moet
een god, laet ons lo - uen hier
quod a - dam pri - mus ho - mo
^=^^^^T^
ver-wer - ue! e - ley - son.
be - ghe - uen! e - ley - son.
bo - uen! e - ley - son.
per - di - dit, e - ley - son.
22*
322 ' Wilhelm Bäumker,
Die LigcAuren beziehen sieh auf den lateinischen Text. Dieser steht mit der
Melodie Bl 66 der Berliner Handschrift. Der niederländisdie Text ßndet sieh
Bl. 74 unter Hinweisung auf die Melodie ^Kyrie magna Deu».
Dieser Gesang gehOrt zu den sog. Tropen. Unter Trope (com grie<^is(Aen
Worte TQonof, Wendung, Art und Weise, Sitte, Charakter ^ herkommend) versteht
fnan einmal einen kurzen mit Noten versehenen Satz, z, B, »Quaerite primmn regnum
dein, der dazu dient, dem Choralsänger die Tomxrt eines Stüekes zu charakterisiren.
In den Tonarien der mittelalterlichen Musiksehriftsteller z. B. des Regino ton
Prüm, des Bemo von Reichenau ßndet sich eine ganze Reihe solcher Tropen, mrcA
den Tonarien geordnet, zusammengestellt. Fernerhin bedeutet das Wort Trope audi
eine Einschaltung (Paraphrase oder Interpolation) in die liturgischen Texte des
Kyrie, Sanctus, Agnus Dei etc. Die Tropen entstanden in ähnlicher Weise leie
die Sequenzen. Man legte den reich neumirten Gängen des auf das Graduale fol-
genden liAllektfa'sn längere oder kürzere Texte unter, um die Melodie leichter im
Gedächtnisse behalten zu können. Gerade so verfuhr man mit den texthsen Ge-
sängen des »Kyrie und Christe eleyson: Um die Melodie hesser zu fixiren, st^ob
man passende lateinische Worte ein. Während in dem obigen »Kyrie* alle Noten
von der dritten bis zur vieriletzten auf der Silbe e gesungen zu werden pßegen,
nimmt der eingeschobene Text »magne Deus^ etc. die ganze Notenreihe für sich in
Anspruch und zwar in der Weise, daß auf jede Textsilbe eine Note kommt.
Solche Tropen waren, wie Gerbert (De cantu et musica sacra I, 344 ff.) nat^
weist, seit dem Ende des IX. Jahrhunderts im Gehrauch. Schubiger theilt in seinem
Buche vDie Sängerschule St. Gallens« 1858, No. 42 eine Kyrie- Trope von dem Mffnehe
Tuotilo in St. Gallen (f 9lV fnit.
Unser obiges Kyrie, welches in der mixolydischen Tonart steht y hatte im MitttSr
alter unter dem Namen des »Kyrie magne Deus^ eine ziemlich weite Verbreitung
gefunden, Hermesdorff führt uns dasseä>e aus verschiedenen Codices des XIII. Jahr-
hunderts vor. (ChoralbiBilage zum Gregoriushlatt 1881. No, 12.)
Bekannt ist, daß das »Kyrie eleyson» in Deutsehland ursprünglich die einzige
Art des geistlichen Volksgesanges bildete. Es läßt sich deshalb leicht erklären, daß
die Kyrie- Tropen populär und für den außerliturgischen Gehrauch mit Texten üi
der Volkssprache versehen wurden. Eine Menge derartiger Gesänge ßndet sich üi
den Handschriften und in den Gesangbüchern bis ins XVI L Jahrhundert hinein.
Ich gebe nachstehend denselben Gesang zweistimmig aus einer Handschrift,
welche allerdings jünger ist als die Berliner. F. Kronenburg im Bedemptoristen-
kloster zu Roermond (holländisch Limburg) stellte mir dieselbe zur Verfügung. Sie
ist angebunden an ein Officium sepeliendi mortuos. Aniwerpiae 1589.
Bl. 15 b ff.
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Ky -ri - e, Godt is ge- co-men int aert-ryck tot
Niederländische geistliehe Lieder nebst ihren Singpireisen etc.
323
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on-8er Vro-men, des wil-len wy tal-len ty-den ver-bly-
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kee-ren den sondaer en - de lee- ren : dat hy syn quaede
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Wilhelm B&umker,
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le-uen be-ge-ue, e - ley-son. Chri - - ste,
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me - de - cy- ne on -ser py - ne : om on - se noot bleeft ghy
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doot, e - ley-son. Chri - - ste, soon des Va-ders, on - se
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be -rae-der, int goe-de werck maeckt ons sterck, e -ley-son.
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ste, on - se broe - der en - de be - hoe-der,
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NiederUndische geistliche Lieder nebst ihren Singweisen etc. 325
en be-geeft ons niet int verdriet, e - ley-son. Ky-ri - e,
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wy syn ont-loo-pen den vi - ant in - der doopen, nv helpt
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ons ontgaen syn ge-van-ge-nis, e - ley-son. Ky-ri -e
Godt moet be - hoe-den in si-nen dienst den goeden : dat
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sy dat er-ve ver-wer-uen, e- ley-son. Ky-ri - e,
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326
Wilhelm B&nmker,
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Godt Va - der, soo-ne, heji-gen geest, drie per-so-nen: Godt
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Einleitmigeii za den Liedern der Wiener Handschrift.
(Vgl. S. 166.)
No. 3 nO ihesu beer«.
Wantet die ziel lastelic valt, der werrelts gegenuechten te be-
geuen ende anxt en yrees beeft, aen te nemea enen geestelic leuen
ende nocbtans die werielt begeert te laten, Hür om soe bidt si vreendelic
ibesum cristum, om verlost te wesen van deser ongetempder vresen.
Ende ibesns tioest haer mynliken alsoe, dat si die werrelt vroeme-
liken begeeft; Want bi tegenwoerdicb is den bediucten menseben
van berten.
No. 4. »Verbliit v«.
Want die ziel nv wel ende minlic getroest is van ibesu cristo
ende die werielt vromeliken begeuen beeft, soe troest si oec mede
alle die gbenen, die ibesu dienen ende der werrelts genuecbten bebben
begeuen om dat loen, dat si cortelic suUen ontfaen, en die bitter
pyn der bellen, die si suUen ontgaen.
No. 5. »Ave maria maget reyn«.
Want die ziele die werrelt begeuen beeft en ibesu cristo begint
te dienen, soe wart si swaerlike gbetemptiert mit menigerbande temp-
tacien, Ende biir om soe roep sy nv aen marien, die moeder der
ontfaimberticbeit, die een troestersse is alle der bediucter berten,
end claecbt baer, dat sy ducht, dat baer gebet niet gebeert en wert,
Ende si vraecbt marien, wat dat beduyt, dat si baer niet en antwert,
Niederlfindische geistliche Lieder nebst ihren Singweisen etc. 327
En dat si nochtahs haer druc ende liden claget also dicke; Ende
maria geeft haer di saek te kennen, als dat si in gheen onsuuer
herte wesen en mach, dat becommeit is mit idel gedachten ouermits
haie groete suuerheit. Ende si geeft die ziele raet. als dat si alle
ydele gedachten yan haer keert ende dat si alleen draecht ihesus
myn en passie en liden in hare herten, soe sal si dan haer dicke
visitieren end antword geuen. En die sdel antwert marien, als dat
si hären raet gheliken wil völligen.
No. 7 »Hi truer-.
Want die ziel nv volcomelic getroest is van marien, soe keert
si hair van allen anxt en vresen, die hair soude mögen brengen tot
wanhoep, En si gheeft hair tot hoep en geheel betrouuen in ihesu
eristo. Wair om si wairachtelic en mit recht gueden hoep end guet
betrouuen wel hebben mach in ihesu eristo. Dus wort si ny ge-
logen yan hoep end sprect yan groter bliiscap.
No. 8 »O ihesu wtuercoren beer«.
Want die ziel gecomen is yon anxt tot hoep end geopenbaert
heeft dat groet betrouuen, dat si heeft in ihesu eristo, So wairt si
ny getogen mit desen groten betrouuen tot eenre bemender mynnen
ihesu cristi. End si yertelt ihesu eristo tot synre groter eren, wat
hi geleden heuet om die liefte yan haer, waer om si mit rechte
sculdich is hem te mynnen mit al hare herten; End si geeft hem
te kennen, hoe suetelic en genuechtelic dat is syn naem ihesus en
syn lüden in haer hert te dragen end sprect wit groter Heften aldus.
No. 9 »O ghy, die ihesus wyngart plantfc
Want die ziel gecomen is tot groter mynnen ihesu cristi end
seer begeert bi hem te wesen, soe wert si ny getogen mit deser
groter lieften en begeerten in eenre contemplacien des zuete lants,
daei ewighe bliiscap is, daer men ewelic ihesum cristum aenscouuet
sonder ophouuen ; End mit deser sueticheit, die si yemeemt in hare
contemplacien yan dien lande der ewiger glorien, soe troest si hier
int dit leste hymmekyn allen den ghenen, die ihesu eristo dienen
en sprect aldus.
Am Schluß des Liedes folgt: «Och lieue bruederkynsa etc. S. 166.
Nach No. 42 )>Coempt ons te hulpec
O ghi alle, die liidt den tut, merct der yalscher werrelt spei.
Ic had een scheem omuaen, enen droem had ic getruuet, ic had enen
waen beseten. Ach waer is ny des wanes beelt, des droems geloeft,
des blynden scheems genoechlic aenscouuen? al had ic ny beseten
dusent iaer, als een ogenblic wairt al yergaen. O wy, droch werrelt,
moirderyn, hoe scencstu ny dat suete yenyn, alleen duncstu den
blynden scoen, den gecken suet, den bösen duncstu guet. Du bist
328
Wilhelm B&umker,
der aertscher herten paradiis, mer, die dy vliet die ifl seer wüs, dairom
addieu di droeuich scheem, scheiden is dyn eyghen, ic liid noch, al
ist spaed ten yaderlande. Daer om, o droeuige siele myn, doe op
die doer, onsluyt dyn hert, ward van dinen droem ontwect, hi clopt,
laet in den vrient, die nymmermeer en scheyt yan dy. Sprect hem toe
mit vroechden groet al mitter bruyt dat zuete woirt wt mynnentlike
hertzen we: trahe me post te in dyns yaders rike, tu princepsglorie.
Liidt den tiit,
al dunct hi v lanc,
die myDxie goeds
sei T weten danc,
die wairheit bliift
T onderstant,
al sonder want,
des seker siit
l.Wie geluc efi ere
van mynnen latet staen,
die sei oec ymmermere
den loen van haer ontfaen,
hy moet syn selues auegaen
efi alle dinc te nyete slaen
ende sonder hem te gode gaen,
dats wel gedaen,
hi wart Terbliit.
2. Soe mit creaturen
te gode wil gaen,
dat en mach niet lang dtiren,
hy en wart ran hem geuaen
ende seiden bliift hi ongesehent,
die wairheit bliift hem onbekent,
der mynnen en heeft niet een twint»
al euen blint,
des drage ic nyt.
3. Soe wie die wairheit me3rnen
mit reynen herten yry,
si en laetse niet alleme
si staet hem altoes by,
wel gemoet,
wat mynnen werct
dats al guet
ende wat si doet
in alre tut.
Repetitio: Liidt den tiit etc.
1. Oirlof, oirlof, valsche werrelt,
alle iuwe werken ^aen te niet,
so wie dat Tolget luwen rade,
int eynde heeft hi veel myn dan niet
2. By adams scout hebben wy verloren
om »ynre groter ongehoirsaemheit,
by crlstus wedercomen syn wy be-
houden
om synre groter oetmoedicheit
Ic hebbe ^eiaget, ic wyl my houden
an enen dies my niet of en gaet,
twschen hemel eö der aerden
scoenre beer ic nye ansach.
Die werrelt toent ons een seoen solaes
als wi sie mit ogen aen sien,
mer wat wy loepen of wat wy iagen,
int eynde sal al hier hene vhen.
Oirlof etc.
Jetzt folgt das Lied Nr. 43. »Des ons adanw etc.
Anmerkungen.
S. 156. Anmerkung 1. Ein so eben in meine Hände gelangtes
Büchlein mit dem Titel: »De Keyelaarsche Deyotie tot de H. Maagd
Maria, bestaande in godyruchtige Lofzangen. Te Utrecht, 1841«
belehrt mich, daß bis in die neueste Zeit hinein in Holland geist-
liche Lieder nach weltlichen Singweisen gesungen werden. So heifit
es z. B. S. 18:
Een nieuw Lied, ter eere yan onze lieye Vrouwe yan Keyelaer,
aan haar opgedragen door de Pelgrims yan Utrecht. Stem: Diana
op de Jagt : »0 Heilige moeder Maria !
Wy komen hier al te saam« etc.
Niederlftndische geistliche Lieder nebst ihren Singweisen etc. 329
S. 25. Een nieuw Lied tot de H. Moeder der Barmhertigheid.
Op de wys: Alhier te Nymwegen:
»Maria Koninginne!
Oy zyt, die ik beminne«.
S. 33. Minne-zuchten tot de AUerheiligste Maagd Maria. Stein:
Fluks op de been gy kerders:
»Ochl wat zal ik nu gaan beginnen,
Maria moeder en maget soet« etc.
S. 156. Anmerkung 2. Auch publicirt von Willems, Belgisch
Museum III, 443 ff. Yertalingen van het Kerkgezang »Stabat mater
dolorosaa. Er bq^nt mit dem XIV. Jahrhundert.
S. 160. 3. Zeile 4: lies Nr. 85 statt 8.
S. 167. 2. Das Lied i>Heilicheit en leyt niet in den schyn« hat
Willems in seinem Belgischen Museum VIII, 236 ff. veröffentlicht
nach einem Gebetbuche aus dem Ende des XV. Jahrhunderts.
Nr. Yen Zeile
1, 2, 2 Vielleicht ist rtist su lesen als Objekt su i^yerlient«. VgL Faes. I.
1, 4, 2 ionfaens=^te ontfaen.
2, 11, 3 UaoonU: des Abends. Inklination (Proklisis). Vgl. Franok, S. 22.
2, 12, 3 wies: wessen.
3, 4, 4 bmatren = hewaren,
3, 7, 3 roden ist einsilbig ausBuspreohen (raen), um den Reim auf »taen zu bilden.
4y 3, 3 trann60r< SS ^anneer het.
4, 7, 3 Heel meer kommt nur hier vor, sonst heißt es immer »Veel meeru.
Die Handschrift ist an dieser Stelle nicht ganz klar, sodaß auch
»veel« da gestanden haben kann.
4, 8, i ♦hie = hi.
4, 11, 1 Hdsehr. Int teynd. Doppelte Inklination (£nklisis und Proklisis).
Franck. S. 22.
4, 17, 1 Hinter .»ons« fehlt wahrscheinlich »alle«.
4, 18, 4 5«^6«r es begheren.
5, 2, 13 sangberheit eigentlich Singbarkeit, dann Sang; vielleicht auch ein
^hreibfehler für »sang Dereit«: die Morgenröthe, geziert mit dem
Oesang aller Vögel.
5, 4, 2 *hebdie «» hebdi.
5, S. 175, Melodiezeile 2. Das b zu der Note des Wortes »Myn« ist irr*
thümlioh über das Notensystem gerathen. Es mufi vor h stehen.
5, 6, 9 sien ss syn (esse).
5, 7, 5 heytssheeft.
5, 8, 13 hitr s hier, bildet eigentlich mit dem folgenden ein Wort : hiemamels
hiemach, später.
5, 9, 8 ty (statt tye)^tide (Dativ).
5, 9, 11 om dy darum, um das. Vgl. Franck, S. 149.
5, 10, In der Handschrift fehlt hier die Ueberschrift : »Die ziel« Vgl. Nr. 3.
b, 11, 4 soudmen B= soude men.
5, 11, 12 int. Die Handschrift ist an dieser Stelle unsauber. Man könnte auch die
Buchstaben <m herauslesen. Das wäre dann eine Abkürzung für over.
6, 2, 3 eant ihert. Donpelte Inklination. Vgl. 4, 11, 1.
6, 3, 1 yet: etwas. Haschr. yeet.
6, 4, 3 wenn ich ihn (den Dienst) thue.
* bezeichnet einen Druckfehler.
330
Wilhelm Bäumker.
Nr. Vera
6. 6,
6, 10,
6, 12,
6, 15,
6, 15,
6, 1«,
6, 18,
6, 18.
6, 19,
6, 20,
6. 21,
6, 26,
6b, 6,
8.
8,
9,
9,
9,
3,
5,
5,
6,
r.
8,
3,
3,
3,
II,
12,
9,
13,
9,
13.
9.
14,
10,
1.
10,
3,
10,
3,
10,
4.
10,
4,
10,
5.
10,
6,
10,
7,
11,
3,
13,
2.
13,
6,
15,
1,
15,
7,
10.
2,
16,
9.
n.
13,
17,
21,
17,
21,
17,
23,
«7,
25.
17,
25,
17,
33,
17,
36,
Zeile
3 veel Schreibfehler för vele, weldies besser in den Vers paAt.
4 wofür ihr mir wohl zürnt. Die [ ] steht nicht in der Handschrift.
1 *tcantier = wanneer.
1 und anderswo eigentlich ein Wort: tpoeram,
4 *Hdschr. nnmmermeer.
4 Int sprek^n: oheer verlient!«
3 soudi = Boude het : würde es.
4 Ten «= Het en ; sehtet = geschiet.
3 gheeft für gaen kommt sonst nicht Tor. Vgl. Franck, S. 116.
4 gheet =s gaet.
1 Wü htm: Wehe ihnen, die etc.
1 Hdschr. Een\ £n ist hier Druckfehler, obwohl es an andern Stellen
vorkommt.
3 Hinter op fehlt in der Hdschr. das Wörtchen dat.
Zur Melodie vgl. Böhme, Altdeutsches Liederbuch, No. 190.
4 Deed = Het en deed : Thäte es nicht.
3 bynden = bynnen : in, innerhalb.
4 hotcen =» houden : halten, festhalten.
4 Twaer s Het waer : Es wfire.
2 ?iem wird des Reimes wegen him oder hin heißen sollen.
2 Den maecht, wie in der Hdschr. steht, ist ein Schreibfehler.
2 Thätet ihr es nicht, so wäre u. s. w.
5 Hdschr. £n vond. In ist allerdings kein störender Druckfehler, denn
es ist = Ic etu
8 welche sich so fem u. weit (wir würden sagen »weit u. breit»; ausstreckt
2 Hdschr. on een,
5 wunelic. Die Berliner Hdschr. hat hottdehe. Vielleicht konnte man
aus der Wiener Hdschr., die undeutlich ist, bouvelic herauslesen.
Dieses hat den besten Sinn: »das Bauen nöthig habend«.
ow = oude: Alter (Dativ).
gow = ^oude Qold (Dativ),
^gestadlich = gesiadtch.
goier love, vgl. 7, 6 großen love.
dsohr. 9oen goeds. Die Umstellung erfolgte des Keimes wegen.
8 Die [ ] stehen nicht in der Hdschr.
6 wgene : deren.
9 eigentlich : in sinen iongen iaren. Das n fftllt aber häufig fort^ VgL
Franck S. 138.
5 tneecht = maecht.
10 Die Berliner Hdschr. hat als anstatt o^. Dieses letstere dürfte ein
Schreibfehler sein, da eine Interjektion hier kaum passend ist.
1 Hdschr. hesereeff statt *bescreff.
S. 186, Zeile 5 von oben Mone I, Nr. 47 nicht 97.
1 Hdschr. vasj 12, 5, 2 Hdschr. verult
1 besser vroeden,
4 Hdschr. vieroec.
2 synse: sind sie.
4 *slaep s= slaept.
1 *no =■ nv.
1 ewen trewen (dobbelstert, vgl. S. 162) : von Ewigkeit zu Ewigkeit (?).
3 Das Deminutivum hertscheti kommt nur an dieser Stelle vor.
3 Hdschr. opt dat,
4 Hdschr. volbrengen,
3 alt s= al dat.
1
4
1
3
1
2
5
4
1
geleyt: geführt.
Hdschr.
rtuten\ beide Fonnen sind gebräuchlich.
onbevangen =s omvangen : umarmen, umfangen,
•sonwyf = somwyL
Niederländische geistliche Lieder nebst ihren Singweisen etc.
331
Nr. Vers Zeile
17, 55, 4
17, 56,
18, 1
18, 2,
18, 2,
19, 10
20,
21,
25,
25,
25,
25,
25,
25,
26,
26,
26,
27,
27,
27,
27,
27,
27,
27,
28,
28,
28,
28,
28,
4.
1
21,
21.
21,
21,
22,
21,
23,
23,
23,
23, 11
23, 13.
23, 14,
23, 15,
23, 17,
7,
2,
2,
6,
8,
23, 30,
23, 31
23, 34,
24, 7,
24, 11,
24, 12,
24, 14,
25, 2,
4,
6,
8,
9.
14,
1
2,
5,
6,
8,
10,
11
16,
17j
17,
2,
d|
10,
10,
14.
4
10
1
2
3
2
6
7
1
8
5
5
6
6
5
3
2
1
5
m
O
2
23, 18, 6
23, 28. 2
2
3
6
4
5
5
4
6
1
3
3
4
6
1
10
6
4
7
3
8
9
7
4
5
6
6
4
6
6
gedeylieht s gedeicht: getiljgt
gewöhnlich die ziele (Femininum).
die en der niet: der darf nicht, braucht nicht, Tgl. Franck, S. 114.
Hdschr. vüUn.
*al9 s= al.
strennicheit = strengicheit.
vliet kann wohl von vlieten: fließen herkommen und rasch bedeuten.
tre ss= taee : weh.
nach ic fehlt wohl Ttem.
Wo bleibst du Auserwfthlter und wirst du nichts gewahr I
mackt am mach het : kann es.
leech s= Udich,
ziie: sie ist
hü$ K= hi des : er nun.
*hte s= hi.
• Wand ^ want.
syn vrienden syn. Das zweite syn ist zu tilgen, ygl. das Versmaß.
was nicht der Fall wfize — könnten sie wählen.
ontwarer: Ihr werdet es nicht mehr gewahr, wenn auch u. s. w.
sonder syn vielleicht »en syn sonder verbliden«.
YgL 8, 3, 2. Bas Komma hinter rouuen muß fort.
Bas Komma hinter hi muß fehlen: Wüßte ich, es wäre nicht ver-
geblich, wenn er mich nicht zu hören scheint, sondern es wäre mir
vortheilhaft etc.
seel s=s sei.
*Deei « Deed.
daers =■ daer is. Der Sinn ist »Thäte er das nicht, so gäbe es keine
Versuchung« etc.
*sou^ =s 8wut SS sonder : ohne.
dv =s doe : thne 1 oder es müßte heißen seid v : sagt euch.
^dusant as dusent.
daimen: daß man.
dancien = danct den.
vielleicht hi dwang.
8oet s= 80 het.
Hinter »iosaphat« muß ein Komma stehen.
Auch ist es selig denen, die für^ten, d. h. sind selig, die Furcht haben.
fesae/t: von saeften eigentl. besänftigen.
Ldschr. vanneer.
So lange du es einem der geringsten der meinigen nicht thatest oder
gönntest etc.
geteU\ gezählt d. i. geschätzt, hochgeachtet.
och lacy und ocharmen sind Interjektionen des Mitleidens.
Ba werdet ihr den Palast anschauen,
weil ihr sie (die Armen] jetzt gut behandelt.
giis = ghi des, vgl. 25, 9, 4.
gav =s gode 8. soy : so.
Udschr. scriftuturen.
goe = gode.
dies: davon.
reen = reden : Ursachen, Gründe.
diet «s die het oder die dat,
en SS en (end) und.
hinter nu fehlt jedenfalls das Wort is.
versmayt: versehmäht.
die troen soll wohl heißen den troen (mascuUnum) vgL 30, 22, 5.
Jetzt, morgen und später.
cranlieheit s» crancliäieit : Schwachheit.
332
Wilhdm B&umker,
Nr. Y«r8 Zeil«
2».
2,
29,
9.
30,
1,
30,
3,
30,
7,
30.
8,
30,
8,
30,
9,
30,
11,
30,
12,
30,
12,
30,
18,
30,
18.
30,
19.
30,
22,
30,
23,
31,
1,
31,
4,
33,
3.
35,
5,
35,
6,
35,
10,
36.
41.
8,
41,
15,
41,
16,
42,
2,
42,
2,
43.
1,
43,
3,
44,
5.
45,
9,
58.
2
5
4
1
46,
1
, 4
48,
2,
, 2
48,
9,
3
49,
1,
, 4
49,
3,
» 8
50,
1
, 3
51,
8.
> 3
52,
1,
r 3
52,
3,
4
54,
1,
> 3
55,
1,
5
55,
1,
10
55.
3 goy = gode.
3 vermoy «s vermoede.
4 Ein viel größere Gabe kenne ich nicht
8 Die (Himmels-) Bürger sind ihr unterthan, denn sie hat dieselben über-
troffen, erhoben über die Seraphim.
2 Hdschr. veruli,
4 noy ^ node.
5 goy = gode.
1 des: also, deshalb.
5 Er liebt sich selbst weniger, als (er) Gott (liebt).
1 Das Komma hinter toael muß weg^lallen und am Schlüsse der folgenden
Zeile stehen.
2 der wohl «= daerP Nun also versteht hieraus auch wohl einen Torfaerge-
nannten Hauptpunkt : wie sie sich dort betragen (gegeneinander ver-
3 Hdschr. verreit. halten).
4 Ich will, daß sie u. s. w.
7 ver: fem.
8 sowentoerffssi sewenwerff: siebenmal
3 vereieren MS yenieTen: erdenken.
4 winghewiis?
1 Geht dies mir ab, fehlt mir das, etc.
fooerste «s yoerste.
verwennentUe «> yerwendelie : verwöhnt, üppig.
fewayt «s gewadet
edroef — den,
Anmerkung 3, 16 vantUke = van sltke vom Schlamme, von der Erde ans.
4 dar^^ darf es.
4 eigentlich mieschiet,
4 Das ist ihrer keins, d. h. beide sind voll Haß und Leid.
1 Vielleicht : Eeer tov al dit gdeden doer^ ehe wir alles dieses passirt haben.
3 In der Hdschr. steht »daer s leyt« ; das kann heißen »da lic^ wenn man
das s nicht berücksichtigt; oder »da schlägt« von sleghen: schlagen,
letzte Zeile. Hdschr. eeencken,
9 Hdschr. *aderen; toeesen wachsen.
1 Die Liebe zu Jesus, die große Stadt, etc.
3 statt en (und) ist yielleicht en (nicht) su lesen: nicht laß getrennt
(uns sein) ! Die deutsehen Lieder lauten hier; »Tan mir niet widü
oder »von mir nit entwich«.
toode SS iüede Weh, Kummer.
dien: die ihn.
doer etc. zu unserm Heile,
saft 8SS sacht.
8 Bchiet BS geschiet.
3 reen berühre von rinen (ahd« hrinan).
arre ^i erre oder ame.
In der Handschrift fehlt das Wort »ontfemet«.
loten-, laß ihn.
vinter es vint daer.
tent SS thend: bis.
. schrecklich von gruwen: grauen.
ie am Anfang der Lieder Nr. 55 und 58 yorkommenden Notengfinp
ohne Text können auch MeUemen sein, die auf der ersten Teztsiloe
gesungen werden sollen.
Anmerkune. Hier haben die Texte 10 Strophen.
Theodoriciis de Gruter war Mönch im Augustinerkloster in Dois-
bürg und lebte su Anfang des XV. Jahrhunderts. Er ist auch
Dichter des Liedes »Och heer der hemelen etiekten, welches ebenfalls
an der besagten Stelle mit der Melodie reproducirt ist. (VgL auch
Niederländische geistliche Lieder nebst ihren Singweisen etc. 333
Kr. Y«rs Zeil«
Hoffmann, Nieder!, ^eistl. Lieder No. 59). Die Handsehrift mit
den drei genannten Liedern befindet sieh auf der kgl. Bibliothek zu
BrOssel Ms. 8859 p. 232, 233.
58, 4, 3 vermoeytz stark, mfiontig. 5 ghemoeyi: gequält.
59, 3, 1 tot noch bis jetst.
66. Valastu wahrscheinlich aus Vale und sus susammengesetit, ein Aus-
druck, der eine Art Jodelruf bildet und in Kinderliedem öfter
vorkommt.
76. S. 315 Z. 2 Ton oben brunensm^c Druckfehler für brunensti^c.
S. 326 Zeile 4 Ton unten roep ss roept.
S. 328 »Lädt den tut« 2, 1 Hinter soe wird »wie« zu »ganzen sein.
Glossar.
Yorbemerknng.
Um das Nachschlagen zu erleichtem gebe ich einige Anweisungen auf Grund
des Buches von Dr. £. Verwijs »Körte Midden-Nederlandsche 8praakkunst«r.
e wird vor a, o, u, ou, oe, au sowie in Verbindung mit /, n und r anstatt des
heutigen k gebraucht: can, cout, cttssen, eousen, elinghen, enape, crupen; da-
gegen setzte man klvor e und t.* kerke, kint
c mit der Aussprache des niederländischen t (weiches [tönendes] s) kommt nur
in Fremdwörtern vor: eieren.
Am Ende der Wörter wird oft e geschrieben anstatt des heutigen k: roee, eloec.
ch steht u. a. auch nach ^ n und r: melcken, dancken^ tcercken; doch schrieb man
auch: kerke.
g namentlich vor e und t wird oft als gh geschrieben. Z. B. gheen und geen^ gheliie
und geliic, ghi und gi. Ich habe, um das Aufschlagen mcht zu erschweren, im
Wörterbuch immer ghe . . . geschrieben.
i und y sind verschiedene Formen für denselben Buchstaben. Man schrieb mi und
mf^, meien und meyen. Das jetzige hollftndische doppel ij wird in der Wiener
Handschrift meistens ii geschrieben, in der Berliner als y und ij\ Die Punkte
fehlen bisweilen da, wo sie eigentlich stehen sollten. Aus diesem Gründe habe
ich dieselben überhaupt fortgelassen.
i kommt auch anstatt des J vor : tone, hertien.
s wechselt häufig mit z ab: sedey zede; sieh und ziele,
sc steht für seh (mit westfälischer Aussprache).
u wird häufig anstatt des v gebraucht und umgekehrt Da u im Anfange eines
Wortes sowohl für u als mr v steht, so habe ich das u, welches zu Anfang
der Wörter ein v sein soll, auch als v geschrieben, z. B. verbilden statt uerbliden,
uu wird gewöhnlich w geschrieben wt »= uut
tr und V wechseln oft miteinander ab, z. B. vieroee ^^ wieroee ; tcoeren =^ voeren.
Ich habe an den Stellen, wo im Anfange eines Wortes v anstatt to steht, auch
to ffeschrieben, in den Anmerkungen jedoch die Wörter bezeichnet
X steht für gs und es, z. B. coninx.
Besondere Aufmerksamkeit ist beim Nachschlagen der Wörter der Inklination
zuzuwenden, welche sowohl als Froklisis (Yorlehnung am Anfange des Wortes)
als auch als EnkHsis (Anlehnung am Schluß des Wortes) vorkommt.
Einige bekannte Formen will ich gleich hier anführen:
dats = dai es, das ist
dat, dattet = dat het, daß es.
qiis = gi dies, ihr deß.
%ebdi OS hebt gy, habt ihr.
hiis SS hi dies, er deß.
hiit = hi het, er es.
hoet = hoe het, wie es.
ist, isset sss i$ het, ist es.
fnent=^fnen het, man es.
opt = op het, auf das.
snachs des Nachts.
sottdt ^i soude het^ würde es.
334
Wilhelm Bäumker,
8oei SS 80 het, wie es.
ienBsh^t en, es nicht
tktnd = het kintf das Kind.
tlant s= ?iet lantf da* Land,
UavotU» BB de* aoanU, des Abends.
twa$^=hel wag, es war.
fitenzs:uut den, aus dem.
teerpt SS werpt het, wirft es.
wildi =3 tüilt gi, wollt ihr.
Bisweilen kommen Froklisis und Knklisifl zusammen vor:
int teynd: am Ende, zuletzt int tlant: in das Land.
"Näheres bei Franck § 22.
acht Acht, Obacht, Art und Weise, —
slaen achtgeben, anschlagen.
achter Fräpos. hinter, nach; Adv. dar-
nach, später.
ädere Natter, Ader, Sinn; auch Aehre,
ährenfOrmiges Büschel.
aelmis Almosen.
aen s. an.
aenhidden lu jemand bitten.
aengaen anfangen, unternehmen.
aeneehvn Angesicht, Gegenwart ; offenbar,
deutlich — doen darthun, beweisen.
aenecouufen anschauen.
aeneien ansehen.
aerde Erde, aerdenryc Erdreich.
aert Art, Geschlecht, Art und Weise,
Eigenschaft
aertryc Erdreich.
aertaeh irdisch.
af ab, Ton.
afdoen abthun, wegschaffen.
afaaen weggehen, yerloren gehen, ver-
lassen, fahren lassen, verleugnen.
afgront Abgrund.
afiaten ablassen, unterlassen, verzichten.
a/staen abstehen, sich lossagen von ^twas.
after == achter.
afterlaten hinterlassen, unterlassen.
ai . . . = a0 . . .
ay ach!
al Adj. jeder, ganz; Subst. alles; Adv.
gänzlich; ah im ganzen.
a/ Koni, obwohl.^
aldus also, auf diese Weise.
alienchen allmählich.
als also, als ob; weil, obgleich; als,
wann.
aUt = ah het.
ahülk solch.
alte allzu ; aUemael zusammen, allzumal.
alfyt allzeit.
altoes stets, durchaus, immer.
altois = altoes,
an, ane an; ohne.-
anderheyt fremde Sache, das Fremde.
anegaen =: aengaen.
anvaen angreifen, annehmen, in Besiti
nahmen.
archeit Bosheit.
armkyn Aermchen.
armoede Armuth, Elend.
amen ernten, einsammeln.
arren s. erren*
ave = a/.
aventuren wagen.
avont Abend.
B.
hancgenclik oder hanegenÜic bang.
bant Band, Bund.
baren gebären.
bat besser«
baet, bäte Vortheil, Gewinn.
baien nützen, helfen, frommen.
bebloet blutig gemacht.
beclagen an- be- verklagen.
beeliven kleben, Wurzel fassen, gedeihen,
fortdauern.
beile Gebet, Bitte.
beden bitten.
bedieden bedeuten.
bedouwen bethauen, erfrischen, erquicken.
bedrief Thätigkeit, Betreiben.
bedriven betreiben, verrichten.
bedroeven betrüben, betrübt sein.
beeU, beeide Bild, Vorbild.
beeste Thier.
befamen beschuldigen.
begaen antreffen, anfangen, begehen, thun,
handeln.
begeven verlassen, aufgeben.
begheertfe) Begierde, Wunsch.
bäia[e]chliche%i Behagen, Wohlge&llen.
behagen gefallen, behagen, hem- Gefallen
finden an etwas, sion rühmen.
behalen erlangen.
beheren beherrschen.
behoeder, behoester Beschützer, Beschütse-
rin.
Niederländische geistliche Lieder nebst ihrien Singweisen etc. 335
hehaeden, behoen behüten, beschützen.
behoepen bedürfen, nöthig haben.
J*?*"**^^' >behalten, bewahren, beschützen.
beiden, heyen warten.
bekennen erkennen, einseh en-
heledefi, \ begleiten, führen» Terleiten ;
belMenf hetn sich begeben, verfügen.
beieUen verhindern.
bellen bekennen, beipflichten.
beloven versprechen, geloben.
I^^JI^'V unter, unterhalb; unten.
hequaem passend, tauglich, gefällig.
beraden besorgen, A«m- überlegen.
hemen brennen.
berot>en rauben, berauben.
berou Beue.
berouwen bereuen, gereuen.
bervoei barfüßig.
beeaien 2ur Ruhe, zum Frieden bringen
( Lübben iL Walther, Handwörterbuch),
anordnen, schicken, befestigen (Franck).
beseamen beschämen.
bescureti bedecken, beschützen.
besten besehen, einsehen.
besinnen aussinnen, erfinden.
besluten einschließen, beschließen.
bespien (Part, bespogen) bespeien.
bessern Besen.
besiaen stehen, bestehen, unternehmen,
anfangen.
besturen hindern , hemmen ; einrichten,
besorgen.
besundigen Sünde thun. sich versündigen.
besuren mit Schmerz etwas ausstehen,
leiden.
beswaeri beschwert, bekümmert.
besteigen verschweigen.
beswiken weichen, im Stich lassen; auf-
hören, muthlos werden, unterliegen.
^*^' \ besser
beterf °®®*®''
betien zeihen, beschuldigen.
betonen anzeigen.
betrouwen vertrauen.
becaen, \ umfassen, umfangen, ergreifen,
bevangenfin Besitz nehmen.
beven beben.
bewerven erlangen, bewirken.
beyen, beyden s. beiden.
bi in der Nähe, nahe bei.
bychtCe) Beichte.
bin, binnen in, innerhalb.
bleef Imperf. von bliven.
bly, blide, blidelic fröhlich, heiter.
1898.
bliiscap Freude.
bliven bleiben. .
hloeme, bloemkyn Blume, Blümlein.
bloeyen blühen.
bheyaem Blüthe.
bhet Blut
hloethloß, bloetshoejts mit bloßem Haupte.
bloet, blöde blöde, verzagt.
blosen blühen, erröthen, erglühen.
boec Buch.
boele Buhle.
Kä'} »''*'«""'^*-
bont Pelzwerk.
boren gebühren.
borst Brust. Deminutiv borsgin,
boutf boudelic klug, wacker, brav.
boten oben; über; te boven gaen über-
treffen.
bo[u\wen bauen.
£:$ *^'*'} breit •
; breken brechen.
I brief Brief, Nachricht.
bruederkyn Brüderlein.
bruyt Braut.
: buk Bauch, Leib.
buten außen, außerhalb.
vgl. S. 333 unter c.
cederboem Cederbaum.
eieren zieren, verzieren.
eierheit Zierde, Pracht.
C vgl. K.
caritate Nächstenliebe.
castien strafen, züchtigen, zurechtweisen.
llimmMl ^™P®'^- ^^^' tlimmen, steigen.
ciaer (Kompar^itiv clarer und claerre] klar,
hell, rein.
cleet (Plur. cleeder, eher] Kleider.
ehppen klopfen, pochen.
elusenarinne Klausnerin.
eomst Ankunft.
eonforteren trösten.
eonfutu Verlegenheit, Verwirrung; ver-
legen, verwirrt.
eonine König.
eoninghyny eoninghinne Königin.
eonnen (Imperf. conde und eonste) können,
verstehen, gelernt haben.
eonsentieren übereinstimmen, einwilligen.
23
336
Wilhelm B&umker,
cotisolact/ Trost.
contemplacie Betrachtung.
cofitent zufrieden.
eontrary entgegen, feindlich.
coorde Seil, Strick.
copen kauten, bezahlen.
cort kurz.
corUlic in Kürze, bald; vor Kurzem.
corten kürzen.
corU = cortelic.
co8t Kost, Speise; Preis, Kosten.
cousen Strümpfe, Beinkleider.
cout kalt.
cracht (kraft^ Kraft, Gewalt.
cratik schwach, gering, schlecht.
crancHcheit Schwachheit.
crans, \ j^-^^^^^ Kränzlein.
cran»kyn f '
er iahen erlangen, bekommen.
cri Schrei.
criü Knirschen.
cruus, \ jj.^^^^
cruya f
crusen kreuzigen.
cruyt Kraut.
cuyscheit Keuschheit.
D.
dach Tag.
daen dannen.
daer dahin, dort, wo.
daer-af, daer-of davon.
daerotn darum.
daers = daer is,
dars II. Pers. Indic. von dorren (dürfen).
daertoe dazu.
daghefi auffordern, citiren, auch tagen =
Tag werden.
dagereit Morgenröthe.
dair = daer.
dal Thal.
dalen niedergehen, sinken.
dan dann, darauf; nach Komparativen : als.
dans Tanz. ,
dansen tanzen.
dare =* dere.
dat Art. das; Pron. das, dies; Konj. daß,
so daß, weil, obgleich.
data s= dat is.
datier = dat daer.
datttt = dat het.
dede s. doen.
deel Theil.
deelachtich theilhaftig.
deerlic jämmerlich, erbarmungswürdig.
deerne Mädchen, Dirne (jedoch ohne
schlimme Nebenbedeutung).
dees^^dese: diese.
deae Gedeihen, te degen gehörig, von oben
bis unten.
deigen, deiligen tilgen.
der s. dorren.
dere Schaden.
deren schaden.
dertien dreizehn.
derven darben, nöthig haben, missen, ent-
behren.
dese dieser, diese.
deSf dies, diis deshalb, indem, weil.
deus Gott!
di dir, dich.
die, dicke, dicwiil oft, häufig.
die Art. der, die ; Pronom. dieser, diese
diepe Tiefe.
dier Thier.
diere theuer, werthToll.
dier, diere s der oder dieser (Genitiv und
Dativ).
dieme Dienerin, siehe deerne.
dinc Ding.
disciplyn Zucht, Strafe.
dit dieses, das.
dochte Imperf. von doghen taugen und
dünken dünken, meinen.
doe da, als.
doeeht Tugend.
doechdelicheit Tugendhaftigkeit.
doekf doekelkyn luch, Tüchlein.
doen damals, als, da.
doen (Imperf. daet und dede) thun, han-
deln, schaffen; mit einem folg. Verbum
lassen, befehlen.
doen Ton.
doer durch, hindurch, wegen, um.
doerslaen durchschlagen, Sefestigen.
doetwart zum Tode hin.
doghet Tugend, Tüchtigkeit.
doghen (Imperf. dochte) taugen.
doghen, doeghen dulden, leiden (Imperf.
aoghede).
donker DunkeL
doren Dorn.
dorren (Praes. dar und der, 2. Pers. dart^
ders; Imperf. dorste) wagen; auch in
der Bedeutung: dürfen.
dorven nöthig haben, dürfen (Praes. darf
und der/, Imperf. dorfte und dorste .
dou Thau.
doutcen thauen.
draeht Tracht, Schwangerschaft.
drake Drache.
dragen (Imperf. droech, Part, gedragen und
gedregen) tragen, ertragen.
Niederländische geistliche Lieder nebst ihren Singweisen etc.
337
droch Trug, Betrug ; droch wereU Trug-
Welt.
droMin Herr.
droefheü Betrübniß.
droem Traum.
droevig betrübt.
droeven betrüben, betrübt sein.
dronken trunken, durchdrungen.
druc Ungemach, Traurigkeit.
duckten fürchten.
dueeht Tugend, Tüchtigkeit
duerbaer, \ ^y^ kostbar.
duyrbatr f '
dünken dünken, meinen, denken.
dus so, also, auf diese Weise.
duseni tausend.
duve Taube.
duvel Teufel.
dutcen drücken.
dwälen irren, thöricht sein.
dtcaes thöricht; Narr.
dtcinghen (Imperf. dtoang) zwingen, be-
zwingen.
£.
edel(eel) adelig, edel.
ee früher, eher.
eenich einig, einzig, allein; irgend ein.
eenpaerlik(e) gemeinschaftlich, zusam-
men; fortwänrend.
eer eher, früher, bevor.
eere Ehre.
eeririic Erdreich.
eyschen verlangen, begehren, fordern.
eynde Ende, int — am Ende, zuletzt.
eysen kalt werden, schaudern.
el anders, sonst
en = een .- ein.
en nicht ; bisweilen = icen ich nicht.
ende, end, {eJl für beides) und; bisweilen
fehlt auch der Strich über dem n (en).
enich = eenich.
enicheit Eintracht, Einsamkeit.
erren irre machen, behindern.
ertsch irdisch.
eten essen.
ecen eben.
ecenkersten Mitchrist
etcelic ewig.
F (vergl. V.).
feeate Fest, Freude.
fei grimmig, arg.
fenyn Gift
f^er stolz.
fifn fein, voriüglieh.
^äe}Veilehen.
fanteyne Quelle.
.... foudig . . . faltig.
.... fout . . . fach.
friiSf fr tisch frisch.
^ '? te, zusammen.
gaer / »
gaen (Imperfect ginc) gehen; mit kinde
schwanger sein.
gaerde Gerte.
gaeme gern.
gai .... SS gae . . .
ganc Gang; auch Imperativ von gaen.
gam ganz.
ganselik gänzlich.
gat Loch.
gave Gabe.
ge , . » , siehe ghe . . .
^MfZm} ®^^^ gebärden, benehmen.
gh^ere Gebahren, Benehmen.
ghebeten (Part von biten) gebissen.
gheboren zukommen, widerfahren, zu Theil
werden.
gheboert Geburt.
ghebrec Gebrechen, Mangel.
ghebmken gebrauchen, genießen; hem-
mit d. Genit. ausüben.
ghechet bekleidet.
ghecrigen bekonmien.
ghecry Geschrei.
ghedaen beschaffen.
ghedaente Gestalt, Beschafifenheit, Aus-
sehen.
gheduren dauern, ausdauern, aushalten.
ghedurich dauernd, beständig.
ghedut (von duwen) gedrückt.
gheel =■ ffheheeL
gheel gelo.
gheen kein.
gheen = gcten,
gheeynden z\x Ende bringen.
gheer Begierde.
gheeren begehren.
gheeme gern.
gheeat Geist.
gheeatelic geistlich.
gheesten, Gast sein, zum Gaste machen.
gheet = gaet v. gaen.
gheßgureert gestaltet, in Gestalt von.
gheheel ganz.
ghehengheti zulassen, erlauben.
338
Wilhelm Bäumker,
ghehimäen s. houden,
ghelach Gelage.
ghelaet Gebärde , Ausselien, Benehmen.
gJielaten kern sich benehmen.
ghelden bezahlen, vergelten.
gheleden (Part. t. lidcn) vergangen, über-
standen.
gheletden geleiten, zu Ende führen.
gheleit s. legghen und leiden.
gheliden leiden, ertragen.
gheligghen (Imperfect. ghelach) nieder-
kommen.
gheliic gleich, ähnlich; haera- ihresglei-
chen.
gheliken gleichen, vergleichen.
ghelisten = gheleesten leisten, aufbringen,
erreichen.
gheloven geloben, glauben.
^Ä'} Versprechen. Glaube.
gheluc(ke) Glück.
gheluyt Laut, Stimme, Klang.
gelp glänzend, von heller Farbe.
ghemeen, \ gemein, gemeinsam, allgemein ;
ghemeine f tnt' insgemein, ^eTiröhnlich.
ghemeenentUc gemeinschafthch.
ghetnoet gesinnt; tcel- wohlgemuth.
ghenade Gnade, Hülfe, Erbarmen.
ghefie jener.
ghenesen genesen, heilen.
ghenteten genießen.
ghenoech genug, hinreichend.
^AenoecA^ Genügen, Befriedigung,Freu de.
ghenoegelicheii Zufriedenheit.
ghenuech(e)lic,\ „nffenehm
ghenuechtelic f angenehm.
ghequam = quam s. comen,
gheraken gelangen.
ghereet bereit, fertig; unverzüglich, zu-
gleich.
gheren begehren.
^Aerie/* Bequemlichkeit, Nutzen, VortheiL
Oeriit Gerard.
gheringhe schnell, eilend.
gherugs Geräusch, Lärm.
ghesach = sach Imperfectum von 8%en.
ghesatefif zur Gesetztheit bringen, wohl
einrichten.
?&}«-'><"'-
gheseit gesagt.
ghesyn verlangen, Begehren.
ghesien ^= gewesen,
ghesinne Gesinde.
gheslegen Part. v. slaefi,
ghesmide Sattel, Polster; Geschmeide.
gheetadieh fest, standhaft
ghetellen zählen.
ghetoghen Part. v. tieru
ghevaUefi zufallen, vorfallen.
gJievoelen fühlen.
lÜS^'"-} <-«»--. -«"-•
ghewaghen ss waghen.
ghetceren wehren, vertheidigen ; gewähren.
ghewiise Art und Weise.
ghewonden Part. v. winden,
ghewont verwundet
ghewout Gewalt.
ghewracht s. werken,
ghi, gi ihr.
ghien = gheen,
gl%den,\ «1^^^^^. ^^^. fahren lassen.
glien f ® *
god Gott
godelic gottselig, göttlich.
goedertiere sss guedertiere.
goem Sorge, — nemen aufmerken, Sorge
tragen.
goet gut
gönnen gönnen.
gaut Gold.
gracy Gnade, Verzeihung.
graet Grad, Stufe.
graf Grab.
gram zornig, gram.
graw grau; Pelzwerk.
greyn(e) Korn, Kern, [das franz. ^otJi,
lat. granum],
grisefi grausen.
groet, ]
groitf > groß; sehr.
grot I
groitlic sehr.
gi'oeyen grünen.
grondieren ergründen.
gront Grund.
^Tu Bsgruwelic? grausig, schrecklieb.
grueten grüßen, ansprechen.
guedertiere von guter Art, freundlich,
wohlwollend.
guedertierenheit Güte, Milde.
guet Gut, Vermögen, Besitz.
H.
haer ihr, sie, ihrer etc.
Jiaest Hast, Eile.
Niederländische geistliche Lieder nehst ihren Singweisen etc.
339
haesteUc eilig, schnell.
holen holen.
hont Hand, ie- sofort, eben.
hantieren betreiben, behandeb, besorgen.
t^i} hört, fe-f- «ehr-
harder Hirte.
"^gjf He«, He»chen.
haten hassen.
have Habe, Beichthunii Besitz.
hebhen [Imperf. hadde, Part gehat) haben.
heei ganz, sehr.
heen &= hene.
heüiehede Heiligkeit.
heimelik heimlich, verborgen.
helle Hölle.
Ae^cA höllisch.
hem, sich, ihm, ihn, ihnen etc.
hen, hene hin, van- von hinnen, von hier.
henghen ^ ghehenghen,
hent bis.
herde =harde : sehr.
herdekynf
here Herr.
hertfej hertjen^ hertken, hertschen Herz,
Herzchen vgl. harte,
hertelyc herzlich.
het es.
heten heißen.
heeftundihevet^yoTihehhen ; er, sie, es) hat.
Ä» er.
hiitssshthet: er es.
Atie^, hiit Imperf. von heten,
hymmehfn Liedchen.
Kinder Hindemiß.
hit s het.
hoe wie.
hoede Hut
hoeft Haupt.
hoeneer wann.
hoep(e) Hoffnung.
hoer = haer.
hoeren hören, gehorchen.
hoghejue in honem Grade, feierlich.
hay Gnras, Heu.
honderifout hundertfach.
hi^en noffen.
hauden halten, festhalten, bewahren.
howt hold, freundlich.
hoift Holz.
hoven beherbergen.
hoverdie Hoffart.
höveerdelie hofiiBxtig, übermüthig.
hawen c= hauden.
huden hüten, verbergen.
huyden heute.
htilper Helfer.
hulpich helfend, behülflich.
I, J und ¥.
^'\ Jahr.
tatr f
Jan Johannes.
idelf ydel eiteL
idelheit, ydeOieit Eitelkeit
te, y0 je inmier.
ietj yet etwas.
ieghens gegen.
inkomen hereinkommen, sich stellen.
ynlich «= innich.
innich andächtig, innig.
in, inne innen.
indien wenn, falls, indem, in der Weise.
int := in dat
ioecht Jugend, junges Blut
ioedsch jQdiscL
ionc jung ; das Kind.
K vergl. C.
1^-} jammern, klagen.
keer Kehr, Wendung, Rückkehr, Rich-
tung.
keren wenden, sich wenden ; ändern, ver-
wenden.
Kerst Christus.
keraten christlich, Christ
kiesen (Imperf. cooa oder coor) wählen.
kintf kindekyn Kind.
knape Knabe, ELnappe.
kondiaen verkündigen.
kont kund, kundig.
kry Schrei.
kuslicheit Keuschheit.
kusten zufrieden stellen.
L.
lacy leider.
laen=s loten,
laet spät, laetst letzt, letzthin; int laetete
zuletzt
lampe Lampe.
340
Willielm Bäumker,
lamken Demin. für l^xmpken Lämpehen —
lamken ist eigen tl. Dem. v. lam : Lamm.
lammehyn Lämmlein.
ktncke Lende,- Seite.
kUen (Imperf. Hei) lassen, verlassen, unter-
lassen.
laven laben.
leedken /
leet s. Itden,
leetf leyi leid, Leid.
hech (ledich) ledig, müssig, eitel, leer;
-9taen Abstand nehmen.
legghen (Part, geleit) legen.
^^'V leiten, führen, hinbringen.
led^l ^®^^ machen; leid sein.
,^f%, y Lilie.
lehkyn f
lencken s. aüencketi.
lesen sammeln, erzählen, reden.
lest letzte, zuletzt.
leiten verletzen, hindern, zögern; achtr-
geben.
lejift lie^.
licht leicht; vielleicht.
lichtelic leicht, mühelos.
liden (Imperf. leet) gehen, vorbeigehen,
passiren; leiden, erdulden, hetn- sich
gedulden, zufrieden sein.
liedekyn Liedchen.
lief lieb, Liebchen.
lieflic lieblich, freundlich.
liegen lügen.
Hen = liden.
lien (Imperf. lide) bekennen, aussagen.
^^^^"•}Li«i-
liidsaem geduldig.
liif Leib.
list Klugheit, List.
listicheit Klugheit, Schlauheit
loen Lohn.
lof Lob, Preis.
lof Laub.
loverkyn Laubwerk.
lucht Luft.
lüde Leute.
luiden, lut/deti lauten, klingen.
luken schließen, einschließen.
lusten gelüsten.
luetich angenehm, Freude erregend.
luter lauter, rein.
luttel wenig, gering.
machachien (zusammengesogen aus nutck
geschien} vielleicht.
maeck ^ maghe.
maechdelic jungfräulich.
maechdom Junrfrauschaft.
maechdomheit Jungfräulichkeit.
maecht Maffd, Jungfrau.
nuten Mona.
maer Botschaft, Kunde.
mäer aber, sondern.
fnaghe Verwandte.
maghet Jungfrau, Magd.
maghedam ^ngfrauscnafi;.
male, te zumal, zugleich.
man Mensch, Mann.
maf s^ ma&r,
fnargatyt Edelstein.
martely Marter, Qual.
mate Maß, boven mtUeti über [die Maßen,
übermäßig; temateti nach dem rechten
Maß, recht
maten mäßigen.
matich mäßig.
Ä}°^*' zugleich.
mee, meer, meerder mehr; größer.
meest meist, größte.
meester Meister.
melc Milch.
fnen man.
menen meinen, glauben, gesinnt sein;
lieben.
menich manch.
menichfout mannigfach.
menichvoudicheit Mannigfaltigkeit, Menge.
menigherleye mancherlei.
mer = ^neer,
mer = maer.
tneye Mai, Maibaum.
7¥ieyefi mähen.
meynen s= menen,
merren zögern, säumen.
mi mir, mich.
miden meiden, unterlassen.
mm minder, weniger.
miny myn, minne, mynne Liebe.
minnekyn Liebchen.
minre minder, kleiner, geringer.
minst kleinst, geringst.
myn mein.
mishair Jammer, Klage.
misdoefi Fehler, Unrecht begehen.
misschien etwas Unangenehmes Überkom-
men, Mißgeschick nahen.
missen fehlen, verfehlen.
misverwet entfärbt, bleich.
Niederländische geistliche Lieder nebst ihren Singweisen etc. 34 1
»niiem mit eins, zusammen, zugleich.
mitti mit dir.
moeder Mutter.
snoet Muth, Sinn, Oemüth.
tnoeten sollen, müssen.
moeuen plagen, quälen, mühen.
nw^hen (Präs. mach) Macht haben, können.
moirderyn Mörderin.
snolenarinne Müllerin.
mont Mund.
fnorck Mark.
snure Mauer.
mutieren yerändern.
N.
na, nae (Kompar. naer und narer, Superl.
ftitesi} nahe, nach, nachher; beinane.
naetit nackt; auch 3. Fers. Praes. von
naken,
nach e= noch,
nale]mel8 nachmals, später.
fiaerat Ernst, Eifer.
^Ä'} -•»'-'»•
naest s. nae,
nahen nahen.
^'J. nieder, unten.
neeretich eifrig.
nemen nehmen, empfangen, auf sich
nehmen.
niei nichts, nicht; te niete alaen ver-
nichten.
nye, nie nie; jemals.
^y^j nyewCf nytce neu.
nygeliic = een ygeliie jeder.
nyt Neid.
no noch.
noch noch, außerdem, aufs Neue.
nochtans obendrein, dennoch.
node (no) schwer, ungern./
^00/ / ^^*^' Mangel ; Gewalt.
no[e]men nennen.
nooit niemals, je.
noy = node.
nu nun, jetzt.
nUf nuwe neu.
0.
■
Och ach!
och, ochte oder.
ochte ob.
och BS oec*
oeharm o weh!
^* > auch, überdies.
oech opslach (eigentlich Augaufschlag)
Augenblick.
oer Ohr.
oerdelf 1
oirdel, \ Urtheil, Strafe.
ordel J
oerden Ordnung, Folge, Vorschrift.
ifuZdicheit} Niedrigkeit, Demuth.
off ofie ob, wenn.
o/, ofie oder.
offeren opfern.
offerhamae Opfer.
oghe Auge.
oirloef Erlaubniß, Urlaub, Abschied.
oliej I
oliken > Oel.
olikyn J
olt alt^ Ygl. out
otn, ombe, omme um.
ontbesetten um- und besetzen.
omhevaen, \ umfangen, umfassen, er-
ombevangenf greifen.
ommate s. onmate,
omtreni b. ontrent,
on , . , un . , .
onberen entbehren, yemachlässigen.
onbereyt nicht bereit, nicht zu erlangen.
onbevaen ss ombevaen.
oncruyt Unkraut.
oncuyscheit Unkeuschheit.
ondachtelie undenkbar, unfaßbar (inaesti-
mabilis.)
onder unter.
omdereen untereinander.
ondergaen abschneiden, versperren.
onderstant Hülfe, Beistand; Wesen.
ofifaen = ontfaen,
ongeiiic ungleich, ohne Vergleich.
ongeliic Schaden, Unrecht, Leid; unbillig.
ongeschent ungeschändet, unbefleckt.
ongestett .unpäßlich, verstimmt.
ongheval Unglück.
onghevallieheit Unglückseligkeit.
ongetempt ungebändigt, ungezähmt, un-
mäßig.
onghevriit ohne Beschützun^.
onmate Unmaß, Maßlosigkeit ; adv. ohne
Maß, maßlos.
onreyn unrein, garstig.
oneprekelic unaussprechlich.
ontbiden,\ (Imperf. ontboot) wissen lassen,
ontbien f begrüßen, kommen lassen.
onibinden entbinden, befreien.
ontbliven wegbleiben.
i
342
Wilhelm Bäumker,
ontfaen (Imperf. ontfine) empfangen, an-
nehmen.
ontfanckelic angenehm.
ontfaren davon laufen, entgehen.
ontfermen erbarmen.
ontfarmherticheit Barmherzigkeit
ontgaen weggehen, entgehen, hwi- sich
vergehen, sündigen.
ontgMen entgelten,' büßen.
ontginnen öffnen; verwunden.
TntCu^ ) ^*^^^' behalten, festhalten.
ontkeren entwenden, abwenden, verder-
ben; entgehen.
ontladen entladen, sich entlasten von.
mtla^^ / ®^^1*8*6^» nachlassen.
ontluken dffiien, sich öffnen.
ontrent um, ringsherum; ungefähr.
ontrou Untreue; ungetreu.
ontseggen entsagen.
ontsien (Imperf. ontsach^ 3. Pers. Plur.
ontsaghen) fürchten.
onUirmen von Sinnen kommen.
(mtslaen öffnen, heni- sich entäußern.
ontshiten öffnen, erschließen, sich öffnen.
ontsprekelic unaussprechlich.
ont^rinaen aus dem Schlaf aufspringen,
erwachen.
(mUteken anzünden, sich entzünden.
ontverren entfernen, sich entfernen.
onifrien abnehmen, befreien.
^ZZ'} ««'"'hr (werden).
ontwecken aufwecken.
ontwee entzwei, in Stücken, vernichtet.
ontwy s= ontxcee.
ontwyken entgehen, entweichen,vermeiden.
anverduldicheit Ungeduld, Verzweiflung.
oncervaert unerscnrocken.
op auf.
op dat wenn, wann, insofern, damit.
opgaen aufgehen.
apgheven auf-, hin-, übergeben.
opkoutcen sss ophauden aumören.
opltJ[f/\ken aufschließen, öffnen ; aufgehen.
opalaeh Aufschlag.
opt SS* op dat,
ouersprone =» oerspranc f Ursprung.
out alt
oude Alter.
otc =: ottde.
over über, oberhalb, auf; vor Adjektiven
überaus; overeen überein, zusammen.
oüersla&n überschlagen, überlegen.
overmits wegen, weil.
overste oberste, höchste.
overvloeyen überfließen.
i P.
I paerh Perle.
, ^r; \ Frieden.
paüaea Palast
' p€t88i Leiden.
I pat Pfad.
: paveien pflastern.
' pawes Papst.
I peynsen denken, erdenken. -
penüencie Buße.
I pyn Pein.
I pleech, akt (von pleghen) wie es gewöhn-
lich geschieht.
I pleghen (plach, geploghenj pflegen, ge-
wohnt sein, sich beschäftigen mit, aor-
gen für.
plgcn ^s pleghen.
preken prefugen.
prieel Laube, Lusthaus.
^"i^A Preis, Lob, Ruhm.
proeven prüfen.
puent Punkt, Sache.
paer klar, rein, lauter.
guae = quaet schlimm, böse.
qualic übel, schlecht.
qu€mt Imperf. von comen kommen.
quel Qual.
quelen krank sein, leiden, trauern.
queüen Schmerz verursachen und leiden.
quetsen verletzen, verwunden.
quiiten frei machen, bezahlen ; hem- seine
Pflicht thun, sich aufführen.
quyt frei, verlustig ; — syn verloren haben.
quytseelder Lossprecher, Erlöser.
Tilden rathen.
rayen strahlen.
raken berühren, erreichen, gelangen zu.
ramen planen, sinnen.
rast(e) Ruhe.
recht Recht, Richterspruch, Urtheil; ge-
rade, genau, richtig.
rede Rede ; Recht, Rechenschaft, Ursache.
redefi bereiten, in Bereitschaft halten.
rede^ reden bereits, schon; want reden^
obschon.
reen zusgez. aus reden,
rese Riese.
resptit Frist, Aufschub.
riden reiten.
riicheit Reichthum.
riiaen sich erheben, aufgehen, auferstehen ;
abfallen.
Niederländische geistliche Lieder nebst ihren Singweisen etc. 343
^^*'\ Geruch.
rooc f
roem Kuhm.
roepen rufen.
rooskyn /
roet roth.
roop =. reep Reif, Seil.
rouwe, \ TrübRal, Schmerz, Trauer, Reue.
row f ' ' *
«'^' \ betrüben, schmerzen, reuen.
"**r' \ riechen.
nute Ruhe.
rüsten ruhen.
8.
saeh Plur. saghen: Imperfeetum von sien.
sacht sanft.
sachten besänftigen, stillen, lindem.
»aden sättigen.
saeh Sache.
»aen eilig, alsbald, sofort.
aaet Saat.
soft =■ sacht
saim säen.
salich selig, heilsam.
»ampiele seabellum, Sandale?
»eaae Schaden.
score f
scamel schamhaft, sittsam, eingesogen.
scarp scharf, herb, bitter, streng.
*^den I (^P®'^* *^*) scheiden.
scenken schenken, einschenken.
scenden schänden, ins Unglück stürzen,
Terderben.
seepper Schöpfer.
scerp BS scarp.
scerpen schärfen.
sehcm Sehein.
•^J^' } Plötdich, alsbald, gleich.
schiet oii *^ gesMet,
sehjfn Schein, Olanz.
scip Schiff.
scoet Schoß.
scaut Schuld.
sc&uwen schauen, anschauen.
screyen schreien.
scrtfture Schrift, h. Schrift
scrtven schreiben.
scrynCeJ Schrein.
SCUU sss scotU.
acut Schuß, Angriff.
scutoen scheuen, meiden.
sede Gewohnheit, Sitte.
8eer=ssere angestrengt, schnell, sehr.
seer Verdruß, Schmerz, Kunmier.
aegghen (Imperf. aeide) sagen.
aeyen säen.
::fcy*} ««'»'-•
aelve selbe, selbst.
aermoen Predigt
aea sechs.
aetten setzen, stellen.
aevenwerf siebenmal.
aei/nen segnen, weihen.
ai (ae) sie.
aich Imperat. von aien,
aide Seite.
aiec krank.
aiekte Krankheit
aieU Seele.
aien (Iniperat. aichy Flur, atet^ Imperf.
aachj rlur. aagken) sehen.
aien (Komparat aienre) schön, ansehnlich.
aighen (Imperf. aeech] niedersinken.
atid s= aide.
ailogiaeren schließen, Schlüsse ziehen.
airnbal Cymbel.
«tn, ayn Sinn, Geist, Gemüth.
ayn sein, ihr.
ayn (Verbum) sein.
aint heilig.
aint seit, weil
aitten sitzen.
alaen (Imperf. sloechj Plur. shghen, Part
gesieghen) schlagen.
alapen schlafen.
alecha einfach, bloß, nur allein, ohne
Umstände.
aletiht eben; schlicht, einfältig, fromm.
aluten schließen.
amaec Geschmack.
smakelic schmackhaft.
amyt Flecken, Makel.
aoe sie.
aoe so, also, wie; aoe ujie wer immer.
aoeken suchen.
aoenen versöhnen.
8oei s= aoe het,
soy ^ soe.
aolaes Trost, Erquickung, Vergnügen.
aomtiita manchmal.
acmwyl bisweilen.
JA'} 8«»^-
344
Wilhelm Bäumker,
sonder ohne.
'^'•'' \ Sohn.
noefi I
sorgen befürchten.
sot Thor, Narr; närrisch.
sotheii Thorheit.
eoude Imperf. t. suUen. .
soven ^ seceti : sieben.
sotCf 80U = Boude.
spade spät.
spannen, die croefi, die Krone tragen, Je-
mand übertreffen.
sparen schonen.
spei Spiel.
spoet Eile, Eifer, Glück.
spreien streuen; hem sich verbreiten.
spreken sprechen, Anspruch machen,
fordern.
spruten sprossen, sprießen.
staen stehen, sich befinden. Standhalten;
passen, gebühren.
staet Stand, Zustand.
stat (Plur. stede) Platz, Ort, Stätte, Stelle.
steen Stein.
steenen steinern.
'^'' \ Stern.
sterre /
stickten eründen, bauen, stiften.
stole Stola (ein Priesterkleid).
stont Stunde, Zeitpunkt.
stören zerstören, yemichten.
störten stürzen, niederfallen, yergießen.
stout stolz, kühn.
strael, strale Pfeil.
straet, strate Straße, Weg.
strenicheit Strenge.
suchten seufzen.
sucht Seufzer.
suer, sure sauer, schwer.
suken saugen.
stUlen (Imperf. soude] sollen; vielfach
Hülfszeitwort für das Futurum etc. s»
werden.
sulver Silber.
^ t^*ku 1 Schwester, Schwesterlein.
suver sau Der, keusch, rein.
suverheit Beini^keit.
suverlic rein; zierlich, schön. .
su;aer (Kompar. swaerre) schwer, unan*
genehm.
stvaerlike auf beschwerliche Weise, hef-
tig;, sehr.
stcatrt Schwert.
stvanc Schwung.
Stuart schwarz.
sweven schweben.
sicichten weichen, unterliegen.
swyghen (Imperf. svceech) schweigen.
T.
taverne, \ Wirthshaus, Herberge (lat
taweemel tabema).
te zu; um so.
teerst zuerst.
tegens gegen, entgegen.
tegenwoerdich gegenwärtig.
teyken Zeichen.
tehenen zeichnen, bezeichnen.
telch Ast, Zweig.
telen erzielen, hervorbringen; sorgen.
teUen zählen, nennen.
teniptacy Versuchung.
temptieren versuchen.
ten = te den,
ten =■ het en.
te^s=te der.
J:::::^-.} zufrieden.
taesciet^het geschiet
inend bis.
thronen einer von den 9 Chören der Engel
tien zehn.
tien (Imperf. tooch, Part ghetoghen] ziehen.
tymmeren zimmern.
tynn^ Zinne.
tis =. het is*
t%it(e)lic zeitlieh, weltlich.
toech SS tooeh siehe tien,
toecomst Ankunft.
toeren, \ rj^^
toem(e) ) ^''^'
toemen zürnen.
toeven zaudern.
toeverlaet Zuversicht.
tonen zeigen, merken lassen.
torment Qual, Pein..
tortelduywelkyn Tuiiteltäubchen.
tot zu, bis.
traen Naß, Tropfen, Thräne.
trecken ziehen.
trihulacy Verdruß.
troen Tnron.
troeren trauen.
S'} Trost
Niederländische geistliche Lieder nebst ihren Singweisen etc. 345
••}
irou,
irow, } treu, getreu.
JXT'} Treue.
irouwelie getreu.
trowen in Wahrheit, traun!
truwen trauen, Glauben schenken.
i9%f izjf ■= hei si es sei.
foyn =s te tyn zu sein.
iurf Rasen, Torf.
tuschen zwischen.
twaer in Wahrheit; auchss het waer,
iwinc, \ ein Bischen, etwas ;
iwint f niet een- nicht das Mindeste.
iwivel Zweifel.
U.
u, Ju euch, euer.
unnaael unschuldig.
uut aus.
uuien = uut den.
uutspruten herrorsprossen.
utUtJercoren auserkoren.
uutvloyen ausfließen.
utce euer.
•'ä^'V Uhr, Stunde.
ure / '
wft aus s. uut.
T vgl F.
viten (Imperf. vinc, Part ghevaett) fangen,
anfangen, beginnen.
:r} Vater-
Z^J \ Gefahr, Furcht, Schrecken.
vfMerd end ttyde weit und breit.
varen fahren, gehen.
varing eilig, schnell.
varre = verre,
vasi fest, stark.
vaUHf vatien, fassen, ergreifen, yerstehen.
veech dem Tode nahe.
veel vieL
vennoet Genosse.
venyn Gift.
verbeeiden durch Fhantasiebilder yerleiten
(Franck), einbilden. .
verbeiden warten, erwarten.
verby vorbei.
verbidden Abbitte thun, erbitten.
verbilden erfreuen, fröhlich werden.
verblinden yerblenden.
verbolgen erbittert, zornig.
verborgen yerbürgen, behüten ; kann auch
Farticip. sein Ton verbergen wie im
Deutscnen.
verclaren hell, angesehen werden; er-
hellen.
vercoren (Part, von verkieeen) auserwählt.
vercriigen erlangen.
verdoemeti verdammen.
verdrach Geduld, Aufschub, Verzeihung.
verdraghen (Imperat verdrach) ertragen,
schonen.
verdriet Verdruß.
verdrieten verdrießen.
verdrieven vertreiben, verstoßen.
verduldichjX „^a,.ia:^
verduldelief ^''^''^^'^'
verfreyen erfreuen, sich erfreuen.
vergaen vergehen.
verganckelic vergänglich.
verholen überholen, ersetzen.
verheffen erheben, preisen.
verheven erhoben, erhöht.
verhoecht erhöht, erfreut.
verAo^Atfn erheben ; erfreuen, sich freuen.
verhören erhören, vernehmen.
verhuecht «= verhoecht.
verkeren verändern, sich ändern.
verkiesen erwählen.
verlöten nachlassen.
verleden verUtten, vergangen.
verleyden verleiten, verlocken, betrügen.
verlenaen, verlängern, länger werden, aus-
reicnen.
verlichten glänzen, glänzend machen, er-
leuchten.
verlenen, \
verlienen, > verleihen.
verlien J
verlies Verlust
Verliesen verlieren, zu Grunde richten.
verlos(s)en erlösen.
Z^^'\ '^"'^ '^ Mai) Teriustigen.
vermeren sich vermehren, anwachsen.
vermerren verzögern, versäumen.
vermeten (Imperf. vermat] hetn- sich ver-
messen, anmaßen, einbilden.
vermeten vermessen, kühn.
vermoeden vermuthen.
vermoeyen ermüden.
vermoghen Vermögen, Macht ; stark, mäch-
tig. , .
vernieten vernichten, hem- sich selbst ver-
leugnen.
vemoemt genannt, namhaft, berühmt.
verposen sich erholen.
verquisien zu Grunde richten, verderben.
346
Wilhelm Bäumker,
verre fem, weit.
verrisen auferstehen.
versanken versagt, bekümmert, besorgt
sein und machen.
versahen versagen, entsagen.
versceiden, abgeschieden, gestorben.
verscheit Scheiden, Sterben.
verscoven elend, unglückselig, verworfen.
verseilen vereinigen, verbinoen.
versien bemerken; sorgen.
versieren ausdenken, ausfindig machen,
erinnern.
versinnen begreifen, bedenken, — hem
überlegen.
verslaen oeunruhi^en, beängstigen.
verslinden verschlingen.
versmaden verschmähen.
versmayt verschmäht.
verstaen verstehen, begreifen; hem- sich
verstehen auf.
versuchten => suchten,
verstoren zerstören.
verteilen erzählen.
verteren verzehren, vergehen.
vertrec Verzug.
veruU = vervult erfüllt.
vervctren verziehen.
veroaren, \ in Furcht setzen, hemr beküm-
Ververen f mert, furchtsam, besorgt sein.
verveerlic schrecklich.
verveert erschrocken, bange.
vervromen übertreffen, hem- sich Muth
machen, sich tapfer fühlen.
vervullen erfüllen.
vertcaehten erwarten.
verwaer fürwahr.
verweghen (Imperf. verwoecfC^ drücken,
schwer fallen.
verwaren bewahren, behüten.
verwe Farbe.
vervoendelic herrlich, prächtig, üppig.
vertoennentlic = verwendelic ?
verweren vertheidigen.
vertoerven erwerben, verdienen.
verwinnen gewinnen, überwinden.
verwysen verurtheilen, verdammen.
v&rwoet sinnlos, toll, närriscL
viant Feind, böser Feind, Teufel.
virtuyt Kraft, Eigenschaft
vyt^s uit: aus.
vyr^uyr: Stunde.
vlien fliehen, entweichen.
vlieten (Imperf. vloot Part, gevloten) flie-
ßen.
vlyt Fleiß, Eifer.
vloet Fluth.
vUeyen fließen.
vloteUc fließend, eilend.
vlus, vlusch sofort, flugs.
voeyhen fügen.
voelen fühlen.
voer, \ --
voir ß '
voere Handlung, Benehmen.
votrscreven vorher beschrieben, genannt
voerseit vorher genannt.
üo^' I ^®™®'^» weiter, voran, überdie«.
voertan fortan.
^^'^«^'V fürwahr.
voirwaer f
voet Fu£.
vogelkyn Vöglein.
voahen fügen.
voilesen vollständig lesen, erzählen, auf-
zählen.
voUigefh folgen.
voUoven vollkommen loben.
volprisen vollkommen preisen.
volstaen ausharren, aushalten.
voren vorne, voran, vorauf; te- zuvor.
Z^' \ Frieden machen.
vreen ß
vreendelic =s vriendelic.
vrese Ang^t, Schrecken.
vreselyk schrecklich.
vresen fürchten.
vry frei, befreit von.
vrien befreien.
vrylic frei, freimüthig.
vriendelik freundlich.
vriendyn Freundin.
vrient Freund.
vriesen (Imperf. vroos) frieren.
vroe früh.
vroe froh.
vroeehde Freude.
vroelie fröhlich.
vroet verständig, klug; — syn verstehen.
vrome Vortheil, Nutzen.
vromen nützen, helfen.
vrou, vrow, \ ^ g^
vrouwe f
vroude Freude.
vroudelic fröhlich.
vrouwen erfreuen.
vrucht Furcht, Schrecken.
vrucht Frucht.
vruchUlie furchtsam.
vruehten fürchten.
Niederländische geistliehe Lieder nebst ihren Singweisen etc.
347
vrt^eehdelic in Freuden, freudig.
vtter Feuer.
vueren führen.
vurich feurig.
Wacht Wacht, Hut, Hoffnung.
wachten bewachen, achtgeben, hüten.
wadeti waten, gehen.
we^l == tcel.
waen woher.
tcaen Wahn, Zweifel.
'^^' \ wo, wohin.
watr f '
tcaerdipen würdigen.
waerdtfme, \ winhin.
tcaerlie wahrlich.
tvaert Wirth.
«^'}w5rts,hin.
waeri werth, würdig.
waghen jerwähnen, sagen.
tcaghen wagen.
tcairlic :^ waerlic.
tcairt = waert,
wanekelic wankelmüthig. .
wandelbtMt Wickelband, Wiekelschnur.
tcanen w&hnen, meinen.
tcanhoep Verzweifelung.
wanhoren nicht erhören.
tcant denn, dieweil; wann; bis.
tcantrou Mißtrauen.
«'«•«*<?«'• \ wahrhaftig.
warachitch / °
tcarwerts f
toaaaen (Imperfect. wies, Part, getcassen)
wachsen.
teat was, etwas, ein wenig.
wtäer [tctgt] Wasser.
tcech Weg.
wederataen widerstehen.
wee Weh,. Schmerz.
tceMe Wonne, Genuß.
tceenen weinen.
weer Wehr.
teeerde Würde.
iceerdieh würdig, angesehen.
fceerdicheit Würdigkeit, Ehre.
weerlic weltlich.
weeri Wirth.
weeei seid! (Imperativ).
vreinieh wenig.
tveyne Schmerz.
toeke Woche.
wel wohl, schön.
werden mit dem DatiY : zu Theil werden,
erlangen, erhalten.
werdyn Wirthin.
. . . werf . . . mal.
wereken [Imperfect. wrackte und wrochte,
Part gewracht) wirken, schaffen.
werpen werfen.
werren verwirren.
wert würdig, werth.
Wesen sein; Imperativ wes.
wet Becht, Gesetz.
weten (Imperf. wüte) wissen.
wi wir.
wie wer (Interrogativum} ; wie.
wie SS wee.
wies s. wassent't auch Genitiv v. wie.
xoif Weib.
w%is weise.
wyken weichen, weggehen.
willen (Imperf. wome) wollen.
winden drehen, winden.
winnen, \ (Imperf. wan) gewinnen , em-
toynnen \ pfangen.
wisen (Imperf. wiisde) zeigen, urtheilen.
wiste s. weten.
wit weiß.
tcye a= wie,
wgtf wyde weit.
wyle Weile, Stunde.
wyn Wein.
wys weise, klug.
u}yt ^ uit : aus.
wyter == uit der.
woeden wüthen, rasen.
woet Wuth. .
woert, 1
woirtj > Wort .
woort j
woestich wüst
wonderlic wunderbar.
worm Wurm.
wortelen wurzeln, wachsen.
ipou = woude Imperf. von willeti.
wout Wald.
wrackte s. werken.
wraek Rache, Vergeltung.
wt = uut: aus.
T siehe L
348
Wilhelm B&umker,
Z vgl. S.
^''rft'c/ ( Bescheiden, sittsam.
zede Sitte.
zeer sehr.
zekerlic sicher, ohne Zweifel.
zem Honigseim.
äÜ Seele.
zeechss aee^ Imperfl von sighen : sinkeD.
zoen Sohn.
zuet süß, mild.
ztteiieheit Süßigkeit
ztcaer t^ sw€ur : schnrer.
zweven schweben.
zwickten t^ swichten : weichen.
Register der niederländischen und deutschen Lieder.
Die an erster Stelle notirte Zahl bezeichnet die Nummer. Der schräge Druck gieht
an, daß die Lieder weltlich sind.
Xr.
Seit«
179
292
171
313
Ach bei dem Kreuz Maria steht 6
Adieu, adieu lief^ aoeden nackt . 55
Adieu myn vroeckden 2
Adieu myn lief, kebt guedefi nackt 73
Als ic aensie myn leven lanc . . 51
Als ic my wel versinne .... 81
Als wi daer in ons selven gaen. 82
Ave Maria, maghet pia .... 70
Ave Maria, maghet reyn .... 5
Ave Maria suete maecht .... 80
Ay lieve Jhesus myn troest . . 50
Begheerte nv vliegnet 71
Goempt ons te hulpe 42
Den edel beer van hemelryc . . 76
Der suverlicster rejiire maecht . 56
Der Tag der ist so freudenreich 10 1 185
Des ons Adam heeft beroeft . . 43i
Des werrelts m>Ti is al verloren 2'
Die alrezuetste lliesus 46a
Die edele keer van Brunenswi/c . 76 315
Die lelykyns wit 15
Diemegewilona mit gelpenbloemen 9 184
Die mey spruyt uut 74
Die mey spruyt uut 74 314
Die mint, dat kern syn hoep . . 44 242
Die vogkel ende die vogkeikyna . b 181
Die werelt hielt mi in haer ghe-
wout 85 {
Doe die rose von Jherico . . .791
Droch werelt, my griset . . . .36'
Du kaenate myn kertgen .... 50 1 254
Een alrelieffelicken een .... 17;
Een cort jolyt 78
Een kindekyn is ons gheboren in 1 3
Een nye liet sal ic u leren ... 57
Een suver maecht
Fonteyne, moeder, maghet reyne
Oegrüßet sei die rechte Uana .
Gegrüßt seist du Maria rein . .
Oenad, genad dat is myn wacht
Oode wu ic myn hertjen ....
Ood gruet u, suver maecht Mar-
gne« ............
Heer JhesusChristus, lof ende danc
Heer vader, hebt den ewigen lof
Heilicheit en leyt niet in den sch}m
Het is een dach der vrolicheit .
Het redefi twie gkespelen ....
Het vryde een novesck ridder . .
Hi truer, die trueren wü . . . .
Hoe luyde soe sanc die lerer . .
Hoe luatelic waert der mynnen hont
Ic bin gkescoten mit eenre atrael
Ic claem di boem al op. . , ^ •
Ic dronc so gaeme denzuetenmost
Ic had so gheem den h. gheest .
Ic heb ghej aecht myn leven lanc
Ic quam daer ic die meye vant .
Ic sack een auverlike tleeme • .
Ic sat weel seer bedrouvet . . .
Ic sie den dach int oest opgaen
Ic sie des morgketia aterre , . .
Ic aoude ao gaerne een boettgeti .
Ic voer uut meyen
le xceeU een Zlmarüme ....
Ic wil den beer ghetrouwen . .
Ic wil my selven troesten . . .
Jhesus Christus, Marien soen . .
Jhesus Christus van Nazaieyne.
Sr.
S«ite
271
67
6a
17b
6
179
55
33
29
52
11
/ 167
V329
10
4a 174
21 205
7
35
35 229
33 227
7,180
53'
18
73
82 317
46 245
46
2U
6 17S
57 294
51 2SS
81 317
39
75
1
65
Niederl&ndische geistliche Lieder nebst ihren Singveisen etc. 349
Hr.
Jhesus is een kyndekyn cleyn . 14
In dulci jubilo 63
Kinder nu loeft die maghet Marie 14
Kinder swycht 69
Kyrie god is ghecomen .... 87
Laet ons mit hartzen reyne . . 48
Laet ons mit hogher vrolicheit . 68
Lief hebten ende myden .... 75
Liidt den tiit
Maria conninghinne 6
Mein Gemüth sehr dörr .... 76
Midden in den hemel 54
Midden in der meyen . ... 54
Mi lust te loven noghelie ... 58
Myn hart is hejmelic ghetoeghen 62
Mjn hert dat is in lyden . . . 21
Jkiyn hoep, myn troest 79
Mynnen, loven ende begheren . 39
Mit desen nywen jare 47
My verwondert boven maten . . 25
Na aroenre venoe 73
No^ drane ie so gerne die eoele
wyn . .* 53
Nu is doch heen der heiligen stryt 59
Nu ia doch heen des wintere etryt 59
Nu sterct ons god 37
Nu zijt wellekome
Och lieve beer, ic heb gheladen 83
Och nu mach ic wel trueren . . 22
Och sal die edel siele 41
O creatuer dyn claghen .... 23
O ghy, die Jhesus wyiigart plant 9, 77
O ghy, die nu ter tiiden uidt . 24
O ffoede Jhesus, wes ons by . . 4a
O Herre Gott, das seind dein Ge-
bott
Oirlof, oirlof, valsche werelt . .
O Jhesu beer, keer u tot my. . 3
O Jhesu beer verlieht myn sinnen 28
O Jhesus baut, o Turich brant . 72
O Jhesu, uutvercoren beer ... 8
Omnes nu laet ons gode loven . 64
Solle
192
314
328
329
315
290
316
313
289
298
157
315
32S
Ons is een kindekyn gheboren .
Ons is gheboren nu ter tiit . .
Ons is verlenghet een deels den
dach
O starker Gott
O suver maechdelike staet . . .
O suver maecht van Ysrael . .
O wel moechdi u verhoghen . .
O wassende, bloyende gairde . .
Scenct in den tcyn
Siet, wy moeten vervaren . . .
Siit vroelic, het is gheworden dach
Tis alghedaen myn oestwairts gaen
Tis guet in goeds taweerne te gaen
Tliefste vcyf heeft my versaect .
Vettus vrou pae gys my of , , ,
Verbliit u, beve susterkya,,. . .
Vrou Venus hant .......
Wat baet, dat ic veel claghe stel
Wat teil ic sorghen
Wat wonder heeft die myn ghe-
w f acn V .......••I V,
Wes ghegruet, o wairde vrouwe
Wüdi boren van Jhesus woirden
WHgi hören van mynre coorden .
Wi willen ons gaen verheffen. .
Wolauff wir wollens wecken . .
Lateinische Lieder*
12
40
57
37
30
66
26
45
80
6b
44
78
32
56
52
4
72
31
60
60
61
49
49
8'4
22
Salto
Ave maris Stella
Ave praeclara maris Stella
Ave|P_"i^}5!'!!°'_*l
. 68
. 70
.36a
296
233
316
315
293
2S9
312
299
252
207
192
185
\Sancti88ima / '^^'"* *
Conditor alme siderum 14
Dies est laetitiae 10
£x sinu matris parvulus .... 86
Kyrie, magne Deus 87
Magnum nomen Domini .... 16
Me juvat laudes canere .... 58
Nobis est natus hodie 40 {236
Te lucis ante terminum . . . . 11|1S7
311
296
Namen- und Sachregister.
Bertha (Bertken) Schwester S. 160, 319.
Brugman, Job. 154, 159, 313.
Contrafacta 156, 161.
Fraterherm 154.
Gerard, Bruder 160.
Glossenlieder 161.
Groote, G. 154.
Handschriften, Beschreibung der 165.
Interpolationen 167, 322.
Kirchenlieder 156.
Ligaturen 163.
Loufenberg, H. von 156, 161, 229.
Mehrstimmige Lieder Nr. 16, 36, 40, 47,
63, 64, 87.
350 Niederländische geistliche Lieder nebst ihren Singweisen etc.
Minnelieder 159.
Mischlieder 161.
Niederländische Kunst 155.
Notenschrift 162.
Peter von. Arberg 161, 234.
Fsalmenton 195.
Rederyker 155.
Keim 162.
Repititio (Refrain) 161.
Rhythmik. 164.
Ruysbroek 154.
Sprüche 167.
TageUed 207, 233.
Theodoricus de Oruter 296, 332.
Thomas Yon Kempen- 154.
Tonarten 164.
Tropen 322.
Volksgesang 155.
Wilhelm von Amersfoort 160.
Literatur.
a. Nachtrag zu S. 169.
Acqnoiy Dr* J. G* B*^ Het oude Paaschlied »Christus is opgestanden« overgedruckt
uit het Archief voor Nederlandsche Kerkgeschiedenis, dl I, afL 1, 'sGraven-
hage 1884, biz. 1—36.
, Kerstliedem en Leisen, overgedrukt uit de Veralagen en Meded^lingen der
Koninklijke Akademie van Wetenschappen, Afdeeling Z«^^erA;tin(ie, 3«^« Reeks.
Deel IV. Amsterdam 1887.
ConggemiÜLery £• de^ Chansons religieuses de Th^odoric de Oruter, Moine de
Doesburg au XV« siöde. In der Zeitschrift »DletscheWarande« Revue Ncer-
landaise. Amsterdam 1857. 12® livraison p. 29 ff.
b. Die zu den Anmerkungen und zum Glossar benutzten Bücher.
Hoffknann TOn Fallenleben^ Niederländische Glossare des XIV. und XV. Jahr-
hunderts, nebst einem niederdeutschen. Horaebelg^cae. Pars septima. Lipsiae 184ö.
Glossarium belgicum. Hannover 1856. Horae belgicae. Pars septima, editio
secunda.
Francky Dr. Joh*^ Mittelniederländische Grammatik mit Lesestücken und Glossar.
Leipzig 1883. Diese Grammatik ist denjenigen, welche die mittelniederländische
Sprache studiren wollen, sehr zu empfehlen. Dem Herrn Verfasser statte ich
nachträglich meinen verbindlichsten Dank ab für die Belehrimgen , welche er
mir zu Theü werden ließ.
Lfibben, Dr. A. und Walther , Dr. C. H. F., Mittelniederdeutsches Handwörter-
buch. 2 Theile. Norden, und Leipzig 1885 und 1888. (Das Buch hat mir in
Ermangelung eines mittelniederländischen Handwörterbuches gute Dienste ge-
leistet.)
OademanSy A. C^ Bydrage tot een middel en oudnederlandsch Woordenboek. Am-
hem 1870—1880. 7. Bde. lex. 8.
YerwjSy Dr. £•• Bloemlezin^ uit Middel-nederlandsche Dichters. Zutphen. 1 858. S.
4 Theile neost Grammatik und Glossar.
HSlseher, Dr. B., Niederdeutsche geistliche Lieder und Sprüche aus dem Münster-
lande. Mit Anmerkungen, Wörterbuch und einer Musikbeilage. Berlin 185i
Die Oper Don Gioyanni von Gmaniga nnd von Mozart.
Von
Friedrich Chrysander.
Die nachfolgende Untersuchung beschäftigt sich mit der Bearbei-
tung desselben Gegenstandes durch zwei verschiedene Künstler, von
denen der Vorgänger der Vorarbeiter, der Nachfolger aber der Um-
arbeiter und Verbesserer des Ersten und damit zugleich der Vollender
des betreffenden Kunstwerkes war. Der enge Gesichtspunkt des
Plagiates kommt hierbei für mich nicht in Betracht, weil mein Zweck
lediglich darauf gerichtet ist, einen der Hauptwege zu bezeichnen, auf
welchem Kunstwerke entstehen.
Vor etwa zwanzig Jahren kaufte ich in Lpndon die Partitur der
einaktigen Oper »11 Convitato di pietra« von Gazzaniga, welche man
1794 daselbst auf dem italienischen Theater aufführte, und zwar er-
stand ich das bei dieser Gelegenheit gebrauchte, mit allen Ände-
rungen und Zusätzen versehene Handexemplar. Später erhielt ich
auch noch aus Jahn's Sammlung die Kopie einer in Wien befind-
lichen Handschrift von Gazzaniga's Komposition. Beide Manuskripte,
an sich unvollständig, ergänzen sich in mehreren Nummern, enthalten
in andern aber auch Widersprüche, die aus der Vergleichung der
Musikstücke nicht zu lösen sind. Die beabsichtigte Herausgabe jener
Opempartitur, welche mein seliger Freund Gugler auf meine Bitte
übernehmen wollte, mußte deshalb einstweilen noch unterbleiben.
Das Einige, was bisher aus dieser Musik zum Druck gekommen ist,
sind die zwölf Takte, welche ich in der »Allgemeinen musikalischen
Zeitung« v. J. 1878 (Sp. 577 — 80) mitgetheilt habe. Erst in jüngster
Zeit erfuhr ich, daß das Verlagshaus Ricordi in Mailand ebenfalls
eine Handschrift der genannten Oper besitzt; nähere Nachricht dar-
über sowie die Mittheilung mehrerer Nummern derselben verdanke
ich Dr. Fleischer und Prof. Kretschmar. Diese dritte Handschrift
füllt einige Lücken der beiden oben genannten Kopien aus, ohne
indeß Gazzan^a's Partitur vollständig wieder herzustellen.
Aber was auch sonst noch zweifelhaft bleiben möge, eins geht
aus der Betrachtung dieser Musik bereits klar hervor, nämlich daß
Mozart und sein Textdichter die Oper Gazzaniga's kannten und für
ihre eigne Arbeit mehr oder weniger als Vorlage benutzten. Alles
weitere mußte man von der Auffindung des Original-Textbuches er-
188S. 24
352 Friedrich Chrysander,
hoffen. Sehr erfreulich ist es nun, daß sich dieses Libretto jetzt
gefunden hat; und noch erfreulicher ist es, daß dasselbe alle Rathsel
löst und alle Zweifel beseitigt, welche noch vorhanden waren. Es
kommt daher wahrlich zu guter Stunde.
Zu Anfang des Jahres 1787 erschien in Venedig ein Büchlein
von 71 Oktavseiten, betitelt:
IL CAPRICCIO DRAMATICO. Rappresentazione
per Musica di Giovanni Bertati per la Seconda Opera da
rappresentarsi nel Teatro Giustiniani di S. Moise il Car-
novale dell' anno 1787. In Venezia, appresso Antonio
Casali. Con licenza de' Superiori.
In diesem Stücke, welches »in einer Stadt Deutschlands« spielt,
tritt das Aufführungspersonal der Oper als solches in Scene. Den
Anfang macht der Opemdirektor Policastro, welcher melancholische
Betrachtungen darüber anstellt, daß es ihm mit seiner Truppe nicht
gelingen wolle, den Beifall des fremden (deutschen) Publikums zu
erlangen. Ihr seid alle brave Sänger vom Ersten bis zum Letzten
— sagt er zu den eintretenden Mitgliedern — , die Stücke sind schön,
die Musik ist ausgezeichnet, alles ist gut: aber nichts will gefallen.
Dann liegt die Schuld am Publikum, meint die zweite Primadonna
Ninetta. Ja, was läßt sich dagegen machen? sagt der Impresario:
es bleibt nichts übrig, man muS suchen ihnen zu gefallen. Aber
wie denn? fragt der Sänger Valerio. Impresario: Durch Änderung
der Stücke. Ich habe daher etwas ganz anderes vor, eine musika-
lische Komödie in einem einzigen Akt, die man hier in Deutschland
noch gar nicht gesehen hat, nämlich die Komödie von Don Giovanni
oder dem steinernen Gast. »Uhmü« rufen die Sänger erschreckt
aus. Der Impresario zu Ninetta : Fürchten Sie sich vor dem steinernen
Gast? Ninetta: Sehr; und die Handlung ist unwahrscheinlich, das
Textbuch ist gegen alle Regel, von der Musik weiß man nicht was sie
will, wir werden mit diesem Gast vom Regen in die Traufe kommen.
Impresario: Glaubt Ihr denn, daß die Leute sich um Regeln und
Vernunft kümmern ? Sie gehen dahin wo es ihnen gefällt u^d zahlen
oft für den Unsinn am meisten. Mag sein, Herr Direktor, entgegnet
Valerio; aber den steinernen Gast können wir doch nicht geben.
Impresario: Warum denn nicht? Valerio: Weil uns der Baß-Narr
[Buffo Caricato] fehlt. Impresario: Der Buffo Caricato? den mache
ich selbst. Die Sänger lachend: Sie?? Ah! — Impresario: Ja
lacht nur! diese Partie weiß ich auswendig, und Ihr habt keine
Ahnung davon, was ich als Baßbuffo alles schon geleistet habe. —
Hierauf erzählt er seine Buffo-Heldenthaten in einer ergötzlichen Arie
und beendet damit vorläufig die lustige Verhandlung.
Dem kurzen Bericht darüber lasse ich den vollständigen Text der
beiden ersten Scenen folgen und zwar, wie alle übrigen Textmitthei-
lungen, in buchstäblicher und typographisch genauer Wiedergabe des
Originaldruckes, soweit solches hier möglich und angemessen ist.
Don Giovanni. Oazzaniga und Mozart. 353
ATTO PRIMO.
SCENA I.
Camera di Policaftro.
Policaßro^ che paffeggia malinconico^ poi Ninetta
tndi Calandra^ e Valerio,
PoL ^^la maledetto quando
^^ II Diavolo avverfario
Di fare Tlmprefario
Mi venne un di a tentar!
II Publice talora
Si moftra indulgentiflimo :
Talor difficiliffimo
E^ poi da contentar.
Ma adeffo fiamo in ballo
E quJ convien ballar. In queflo Nzn.
Nin, Riverifco \ Imprefario.
PoL A lei faccio anch' io un' inchino.
Nin, E cosi di buon mattino
Voi mi fate ricercar?
PoL Compatifca quefto incomodo. Con ironia.
Nin, Ma perch^ si di buon' ora?
PoL Ci verranno gli altri ancora
Per che a tutti ho da parlar. In q, CaL,^ e Val,
Cal, e VaL, Siam qui pronti a veder, Signor mio,
Cofa fia quefta gran Novitä.
PoL, Novitä certamente dich' io
Che la tefta girare mi fä.
Nzn. Diventar voi mi fate curiofa.
CaL Io parifco, fe a dirlo tardate.
AT- r- 1 ir 7 fDite, via, piü afpettar non ci fate:
Ntn, CaL Vol. < c..- jx- i. r r ^
[btiamo a udire che cola lara.
24»
354 Friedlich Ohiysander,
p j JTanta voglia, che adeffo moftrate,
\Appagata fra poco farä.
/ " r d i orgafmo mi fento terribile,
^ -^ (Che crefcendo via piü in fen mi vä.
jin me fento una pena indicibile,
^ (Che crefcendo via piü in fen mi vä.
Po/, lo volea veramente,
Per dirvelo afpettar, che gli altri ancora
Qua uniti si trovaffero;
Ma non importa giä:
Vi fpiegherö quäl fia la novitä.
Ntn. Sentiamola, fentiamola.
Po/. La novitä, Signori, e che qui vogliono
Mutazion di fpettacolo.
Parliamoci alla fchietta. lo qui in Germania
Me n'vado confumando
Quelle che in altri tempi ho guadagnato.
Voi non piacete; ed io fon difperato.
NinÄo non piaccio!
Ca/, lo non piaccio!
Po/, Piano, non vi fcaldate.
Del merito voi tutti
lo dico anzi che avete.
Colpa voftra non e fe non piacete.
Ma
Nin. Che ma? Voi parlate in generale.
Po/, Vi dirö . . .
Ca/ Voi direte
Delle infolenze. Non piacete? Oh capperi!
10 faccio la mia parte
Quanto puö farla ogn' altra;
E fe tutti faceffero
Quello che* faccio io, Signor mio caro,
11 Teatro, il Teatro, a parlar fodo,
Se ne andrebbe per certo in miglior modo.
;Aria.] Ho cantato, e ricantato
In Italia, Francia, e Spagna;
In Olanda, in Allemagna.
(
Don Giovanni. Gaszaniga und Mozart. 355
E mi feci fempre onor.
A Milan per sopranome
Mv dicevan la Canerina:
A Turin la Campamna:
A Francfort la Rondinella:
A Madrid la Farfarella ....
Non ftupifca, mio Signor.
Bafta dir che dei Sonetti
A me fatti in piü occafioni
Mi fodrai tr^ Mantiglioni,
Due fottane, due Corpetti;
E qualcun ne avanza ancor. parte,
SCENA II.
Policaßro^ Ninetta^ e Välerto.
Pol. TTCco qua: mi ha lafciato
r^ Terminar il difcorso!
iVm.Sentite, Signor caro, io credo certo
D'effer compatita.
Val. Io poffo dire,
Che a battermi le mani
Ho veduto de Nobili Soggetti;
E a Legnago, ed a Lugo ebbi i Sonetti.
Pol, Volete, o non volete
Lafciarmi terminare,
Che vi venga la rabbia!
Ntn.T>\ti pure.
Val. Ig non parle.
Pol. Voi fiete tutti bravi
Dal primo fin' alP ultimo:
Sono i Drammi belliffimi:
La Mufica e eccellente.
Tutto ^ buono; ma infin non piace niente.
yV/«. Dunque il mal vien dal Publico.
Pol. E che.? Volete ch'io
Col Publico la prenda? Oh non fon pazzo!
Bifogna rifpettarlo;
E tutto sTia da far per contentarlo.
356 Friedrich Chrysander,
VaL Ma contentarlo come ?
Pol, Col mutar lo fpettacolo.
Ntn.^ cofa s'ha da far?
Pol. In quefta Vi^izz^
Non hanno ancor veduta
Quella Commedia in Mufica
Ridotta a un' Atto folo.
Che si fece in Provenza.
Voi tutti la fapete; ond' io vorrei
Che fra noi qui provandola alla prefta,
Quefta fera in Teatro
Si recitaffe poi.
NtnAo . . . per me . . . fate voi.
Val. Fate voi.
PoL Dunque io vado
Di si fatto fpettacolo novello
A fare che fi efponga ora il Cartello. per part,
>iVm. Piano. Quefta Commedia h il Don Giovanni?
PoL Appunto. E^ il Convitato
Di Pietra.
PoL Che.?
Nin. Potrebbe darfi
Che qui in Germania . . . Ma . . .
PoL Temete forfe
Del fuo incontro.?^
Nin, Moltiffimo.
L'azione h inverifimile; il Libretto
E^ fuori delle regole;
La Mufica non so che cofa fia;
Ed in fatti preveggio,
Che con quefta si anderä di male in peggio.
PoL Ma credete voi forfe,
Che fi badi alle regole?
Si bada a quel che piace; e fpeffe volte
Si fanno piü denari
Con delle ftrampalate
Don GioYanni. Gazzaniga und Mozaxt. 357
Di quello che con cofe
Strudiate, regolate, e^ giudiziofe.
VcU. Quel che dite farä ; Ma il Convitato,
O Signor Imprefario,
Certo non s\ puo far.
Pol, Per quäl ragione?
Vol. Perch^ adeffo ci manca
Un BufFo Caricato. E quäl ripiego
C 6 a quefto Signor mio?
Pol. Da BufFo Caricato farö io.
Nin. Voi ?
Val. Voi?
Pol. Io. Io.
Ntn. Ah, ah! 1 «^ ^ ^
Val, Ah, ah!/^^'^^^/^-
Pol, • Ridete ?
Ridete si; ma poi
II BufFo faprö far meglio di voi.
La parte la so a mente, e ci fcometto,
Ch' io cavo piü rifate
Di tutti quanti voi, che recitate.
Quanto al cantar di Mufica
M'ingegnerö ancor io. Non mi confondo.
Ed anzi perche debba
Ciafcun di voi reftar qui ftupefatto,
Voglio cantarvi un' Aria mia ful fatto.
[Aria.] „ In Teatro fiamo adeffo,
„Pronta fl^a la compagnia.
„Suona giä la Sinfonia;
„II Sipario in alto vä.
„Di Bologna un Duttoraz
„Or fon' io, guardate qua;
„ Cofpeüon! cofpeitonazl
„ Afi fe fh ßa fort cPazion
^^Al Dottor de Balanzon^
„ Oh che toch de mafcalzonl
„ Soßerrb le me rafon,
„ Con Marc Tulli Ciceron^
358 Friedrich Chrysander,
„ Can Pittagora^ e Piaion . . .
„Giä vä dentro il Dottorazzo
„Ecco in Sena il Pantalon
„ Son qua^ fon quh^ fia mia f
j^£ cd te digo fia
„ El refto za fe fh,
II Pulcinella or viene
A fare le fue Scene;
£ alla Napolitana
Guardate come fä.
„N^, fik? qui^ quel frabtUta:
„ Sta cch Polecenella,
5, Te caccia la lenguella^
„ E dice fatte ccä ...
„Per far il Buffo or ditemi
„ Ho qualche abilitä }
„Or dunque, miei Signori,
„Se manca un personaggio,
„lo mi darö il vantaggio.
„Di farlo come vä. parte.
Durch obige Auseinandersetzung des Direktors sind die Mitglieder
aber bei weitem noch nicht £iir den »steinernen Gast« gewonnen.
Sein ambulantes Theater besitzt auch in dieser Stadt einen damals
überall vorhandenen und nothwendigen vornehmen Kunstfreund
als Protektor, den Baron von Sturm oder Cavaliere Tempesta, wie
er hier genannt wird. Dieser hat die Plakate gelesen, in welchen
der l^heaterdirektor seine seltsame »musikalische Komödie« ankündigt,
und in seinem gewohnten Morgenbesuche bei der ersten Primadonna
Guerina bringt er die Neuigkeit nebst gewichtigen Bedenken vor. Ich
bin erstaunt zu sehen, sagt er, daß der Direktor angeschlagen hat, eine
»Komödie in Musik« aufiEufiihren, was doch ein Unsinn ist, da Ko-
mödien in Prosa zu schreiben und gesprochen vorzutragen sind; also
werden wir uns wohl auf eine erbauliche Ferkelei (parcheria) gefaßt
machen müssen. Was ! (ruft Guerina zornig aus, der Direktor wagt ein
neues Stück anzukündigen, ohne sich mit mir vorher zu besprechen?
Ihr anwesender Liebhaber Pasquino setzt hinzu : Bin ich nicht Primo
Uomo, den man so zu behandeln wagt? Der Baron giebt ihnen
Recht. Pasquino, gehe sofort zum Impresario (schreit Guerina) und
sage Seiner Hoheit, er möge die Gewogenheit haben zu mir zu kommen,
Don Giovanni. Oazzaniga und Mozart 359
und zwar ein bischen schnell. Pasquino macht sich denn auch nach
einigem Zögern auf den Weg.
Der Text dieses Vorganges lautet:
Paf. Ecco che viene il Cavalier Tempefta,
Protettor del Teatro,
Ridicolo, ignorante,
Non viene che a Seccarci ad ogni iftante.
SC ENA VI.
// Cavalier Tempeßa^ e Detti,
Cav. T)Ella Guerina, addio. Schiavo Pafquino.
Gner. iß Son ferva al Cavaliere.
Pa/. A voi m' inchino.
Cav, Da feder prefto prefto.
Ch' io voglio che parliamo
Die quefta novitä che mi ha forprefo.
Guer. Cos' h quel che di nuovo avete intefor
Cav, Diggiä il nuovo Cartello
Vidi alla Piazza efpofto. Don Giovanni
O fia il Convitato
Di Pietro,
Guer. No. Di Pietra.
Cav. O Pietro, o Pietra,
Cosi dice il Cartello.
Commedia dun fol Atto.
In Mufica. Ah ah! Come^uö elTere
Una Commedia in Mufica/ Le Opere
In Mufica si fan; ma le Commedie
Si fanno fempre in profa; ed io decido
Che quefta voftra fia
Una bella, e ftupenda porcheria.
Guer. E il Signor Imprefario
Senza prima paffar meco parola
Vuol dar nuovo fpettacolo?
Oh, ci fon io, che qua ci mette oftacolo. fi aha
sdegnata.
Cav. Voi avete ragione.
3gO Friedrich Chrysander,
Guer. Egli avrä ben parlato
Con Taltra Prima Donna;
E non parla con me! Si viene a dirmelo,
Adeffo gli rifpondo,
Che non vö recitar, cafcaffe il mondo.
Cav. Voi avete ragione.
Paf. Ed io non fono forfe il primo uomo?
Lo fono; ed alla fin fenza il mio affenfo
Non puö far novitä per quel ch' io penfo.
Cav. Voi avete ragione.
Guer. Pafquino, a cercar tofto
Deir Imprefario andate.
Dite a Sua Signoria, che favorifca
Di portarfi da me: che venga fubito:
Che non tardi: che preme.
Andate; e qua con lui tonate infieme.
Pa/. Ma trovarlo . . . Chi fa . . . Forfe egli fteffo
Se ne verrä fra poco.
Guer. Andate, io dico;
E fat^lo venire.
Hierauf ist im Hause der Guerina eine Versammlung des ganzen
Personals zur Opernprobe. Der Direktor bemüht sich noch einmal,
ihnen den »steinernen Gast« annehmbar zu machen, jedoch yergeben&
»Fort mit Don Giovanni ! « ruft Guerina, und Alle wünschen dasselbe.
Auch der Baron bringt weitere Bedenken vor. Das Stück, meint er,
welches hier als etwas besonders Neues angekündigt werde, behandle
doch nur einen ganz alten und abgedroschenen Gegenstand, der seit
Jahrhunderten als Pöbelstück gedient habe. Der Direktor giebt dies
zu mit dem Bemerken, er habe es aus Tirso de Molina und Meliere
" gezogen ; auch sei es kein Fehler, daß man die ganze Geschichte in
Leinen einzigen Akt gebracht habe, denn für die Musik genüge dies,
und wenn das Stück auch unzweifelhaft an vielen Fehlem leide, so
würden dieselben doch durch die Musik und sonstige Vorzüge hin^
reichend aufgewogen u. s. w. Aber das Personal ist nicht zu be-
kehren. Einer nach dem Anderen kündigt den Gehorsam auf; so
viel auch der arme Impresario — jetzt von dem Baron wacker
unterstützt — bittet und besänftigt, die Rebellion nimmt ihren Fort-
gang und die Katastrophe des allgemeinen Davonlaufens steht bevor.
Da in der höchsten Noth ruft der Direktor : So lauft denn, galoppirt
so schnell es gehen will! aber bildet euch nur nicht ein, daB ihr
Don Giovanni. Oazsaniga und Mozart. 361
beim nächsten Quartal wiederkommen und mir Geld aus der Tasche
ziehen könnt! — Wie ein Zauberwort beschwichtigt dies den Sturm,
so daß alsbald eine allerseits friedliche, freundliche und heitere
Probe beginnen kann.
Diese Verhandlung hat im Textbuche von der zehnten Scene
an folgende Gestalt:
SCENA X.
Policaftro^ Guerina^ Pafquino^ e Detti.
Pol. '\ /\^ v^^» Signori miei,
IVX Come fofte invitati,
Se avefte favorito in cafa mia,
Efpofto ora il Cartello
Senza voftra faputa non faria.
Gtier. A un' ora cosi incomoda
Si aveva da fortire?
Paf. II mio bifogno io non potea dormire;
E tofto una raucedine
Mi farei acquiftata.
Guer. E^ s'io mi foffi alzata
Prima del confueto un' ora fola,
Ora mi fentirei dar mal di gola.
PoL Via, facefte beniffimo
Dunque a ftarvene a cafa.
Ma lafciam di altercare,
E cominciam la Prova.
Guer. Ma cosa pretendete
Di far col Don Giovanni? A terra, a terra.
SCENA XI.
// Cavaliere^ e Detti,
Cav. I ^ A terra dico anch' io.
^^/- I ^ Ma perche Signor mio.?
Cav. Informato mi fon, caro Imprefario:
Che la volete dar per cofa nuova,
Ed 6 vecchia alV oppofto
Piü ancor dell' invenzion del Menarofto.
3ß2 Friedrich Chrysander,
La fanno i Commedianti
Da due fecoli in qua con fchiamazzo,
Ma folamente per il popolazzo.
PoL Signor si, ve Taccordo.
Ma la noftra Commedia
Ridotta com' elV ^, fra la Spagnuola
Di Tirfo de Molina,
Tra quella di Moliere,
. E quella delli noftri Commedianti,
"Qualunque fia, non fu veduta avanti.
Cav, E poi d' un' Atto folo.
Pol. Per la mufica bafta.
Certo che ancora in quefta
Vi fono mille, e mille inconvenienti ;
Ma gli animi gentili
Se quäl cofa di buono
Trovano nella Mufica,
Nelle decorazioni, e nei foggetti,
Compatire fapran gli altri difetti.
Guer, Ma io per quefta fera
Di recitarla non mi trovo al cafo.
PoL Ed io fon perfuafo.
Che piena di clemenza.
Anzi favorirete (Oh che pazienza!)
[Finale.]
Siete cara, e fiete bella,
Siate ancora compiacente,
Ne vogliamo alfin per niente
Star qui infieme ad altercar.
Guer, [Io per me fiffato ho il chiodo.
Paf. <Faccio anch' io quel che fa lei
a 2 (E ragione aver mi par.
Nin, Serva fua, padroni miei:
Non fi prova, e fi contrafta.
Ho afpettato quanto bafta,
E non voglio piü afpettar.
PoL Afpettate.
Cav. Non andate.
C07t tronia.
Don GiovannL Oauaniga und Mozart.
363
Cal,
Pol.
Nm.
Val.
Paf,
Guer.
Anch' io vado con Ninetta.
Non abbiate tanta fretta,
Ma vi prego a pazientar.
Prima donna fono anch' io,
E non fö la puntigliofa.
E^ lei pure una Virtuofa,
N^ s'ha ciö da tollerar.
Anch' io fono un virtuofo,
E non faccio il puntigliofo
Quando s'ha da faticar.
Anche quefta faria bella!
Cofa lei vorrebbe dir?
Cofa c'entra quefta, e quella
addüando CaL
a
VaL
a Policaßro,
Guc^eJ^af.
Nm.
Pol.
CaL
Cav.
VaL
Cav.. e Pol.
Giier.
PoL
Paf.
Cav,
N. C. Paf.
Gue.e VaL
Uno dopo Paltro
volendo a/ndarfe-
ne Pol.^ ed il
Cav. li trauen.^
e li ricond. al Io-
CO primo fito.
a 2
i
I
{
PoL
Cav.
Se ho ragion io di garir?
{Che fen vadano anche fubito
Se non vogliono fentir.
Ecco qua s'io faccio prefto.
Via, non fate.
In qua non refto.
No, reftate.
Io me ne vö.
Via, che tutt' io aggiufterö.
Vado io, non dubitate.
No, Guerina; qua reftate.
Io vö certo.
Nemmen voi.
(Quefte fcene a dirla poi
(Non fi ponno fopportar.
Si dividono di qua^ e di la per
andar/ene^ Policaßro^ ed il
Cav. reßano nel mezzo
adirati.
Ma fe andar volete poi
Io vi mando a far fquartar.
Ma fe vogliono andar poi,
Che fi vadan far fquartar.
354 Friedrich Chrysander.
PoL Prefto, andate galoppate,
Ma il quartale non fp^^ate
Di poter da me tirar.
CaL lo refto, non parto.
Nin, lo fon compiacente.
Val. Son io un' agnellino.
Paf, e Guer. Son io certamente
La fteffa bontä.
r^r.^ PnJ /{Trovato {;: un rimedio,
(Che buoni li fa.)
ciafcuno affettando dol-
cezza ritoma pian
piano al proprio ßto.
Bei der nun folgenden Probe geht alles höchBt artig, freund-
schaftlich und lustig zu. Es wird ein Duett vorgenommen, ein be-
kanntes komisches Stück über den alten xSer Giorgiettoff. Die Nar-
renspossen, welche dabei herauskommen, entstehen hauptsächlich
durch einen neuen Souffleur (suggeritore)^ der für seinen behinderten
Bruder einspringt, aber heftig stottert und nicht mitkommen kann.
Durch all dies wird die Aufführung nur um so bunter und toller.
Der Leser hat vielleicht erwartet, in dieser Probe etwas aus dem
Steinernen Gast zu hören, um welchen sich doch der ganze bisherige
Vorgang drehte. Aber von diesem »Gasttf darf deshalb nichts vor-
kommen, weil derselbe nun als zweiter Akt des Abends in
ganzer Länge vorgeführt wird. Das »Capriccio« bildet also das
Vorspiel zu demselben.
Es bedarf nicht vieler Worte, um die Überzeugung hervor zu
rufen, daß diese Anordnung eine theatralisch sehr geschickte ist,
denn das Vorspiel spannt die En^^artung auf das Folgende und be-
einflußt die Stimmung des Publikums in einem so hohen Grade,
daß schon durch das »Capriccio« der Erfolg dieses neuen Don Gio-
vanni gesichert war. In der That kündigt sich damit unwillkürlich
ein Stück an, durch welches alle bisherigen Theaterspiele, die den spa-
nischen Wüstling zum Gegenstande hatten, verdunkelt werden sollten.
Dem Titel zufolge ist Giovanni Bertati der Verfasser dieses Ca-
priccio, aber es wird nicht gesagt, von wem der Text des Don Gio-
vanni herrührt, ob von ihm oder von einem Andern. Man möchte
auf einen Andern schließen, weil die Musik ebenfalls von zwei ver-
schiedenen Komponisten geschrieben ist. Letzteres wird jedoch im
Textbuche gesagt, wenn auch nur mit den unbestimmten Worten *Ia
Mnsica e tutta nuova di vari Signori Maestrin] dagegen schweigt
dasselbe gänzlich über den Poeten des Don Giovanni. Beachtet man
Don Giovanni. Oazsaniga und Mozart. 3Q^
aber alle Anzeichen, innere wie äußere, so ist es nicht zweifelhaft,
daß auch von diesem Texte nur Bertati der Autor sein kann.
In dem Libretto hat der Text des Don Giovanni bloß einen
Nebentitel, auf welchem keiner der Betheiligten namhaft gemacht
ist; sogar die Sänger muß man errathen. Als der eigentliche und
alleinige Haupttitel des Buches ist das erste Blatt anzusehen.
Daß dieser erste Titel nur das »Capriccioa namhaft macht und da-
durch die Meinung erregt, als ob der in der nächsten Zeile genannte
Autor dieses allein verfaßt habe, ist eine jener Unklarheiten und
Nachlässigkeiten, mit denen die alten Textbücher über die Maßen
angefüllt sind. In Wirklichkeit aber sollte der Verfasser des Capriccio
damit ebenso gewiß auch als der Verfasser des Don Giovanni be-
zeichnet werden, wie die Sänger dieses Capriccio als die Sänger des
ganzen Spiels, obwohl ihre Namen nur bei den Rollen des Vorspiels an-
gegeben sind. Die Opernbesucher von 1787, für welche dieses Text-
buch bestimmt war, werden die Autorschaft Bertati's von dem ganzen
Buche als selbstverständlich angesehen haben. Was aber ihnen da-
mals nicht zweifelhaft gewesen sein kann, braucht es uns heute
ebenfalls nicht zu sein.
In dieser Überzeugung werden wir um so mehr bestärkt, wenn
die inneren Zeugnisse gehört sind. Wir wollen einmal annehmen,
für diesen Text sei überhaupt kein Autorname genannt, und auch
nachträglich ein solcher nicht aufzufinden. Was würde dann wohl
das Einzige sein, das sich aus der Untersuchung des Textes mit
völliger Gewißheit ergeben müßte? Dieses: daß beide Akte oder
Spiele nur von einem und demselben Verfasser herrühren können,
da es undenkbar ist, wie zwei verschiedene Autoren in die Lage
kommen sollten, einen so originellen Text zu Stande zu bringen, der
anscheinend in zwei ganz fremdartige Theile auseinander fällt und
dennoch in seiner Wirkung die entschiedenste, mit sorgfältiger Be-
rechnung herbeigeführte Einheit offenbart. So etwas mag durch
äußerliche Ursachen entstanden sein, wie es wolle, aber seine Ge-
stalt hat es nur erlangen können durch eine einzige ordnende Hand,
deren Züge auch überall bemerkbar sind. Das venezianische Libretto,
durch welches Don Juan zum ersten Male in die höhere musikalische
Sphäre erhoben wurde, ist daher als das Erzeugniß des Giovanni
Bertati anzusehen. Dieser Dichter schrieb den Text zu der Krone
aller Buffo-Opern, der von Cimarosa komponirten »heimlichen Ehe
(11 Matrimonio Segreto)«, war also ein Meister in diesem Fache und
hat sich als ein solcher auch in dem vorliegenden Stücke bewährt.
Die Aufführung erwies sich um so wirksamer, weil sie als die
zweite oder Hauptoper des Karnevals auf dem damaligen ersten
3^6 Friedrich Ohrysander,
Theater Venedigs stattfand und von vortrefilichen Künstlern gegeben
wurde. Den Impresario und später den Pasquariello sang Gxotxum
Morellij der erste Basso Caricato Italiens. Auf Seite 368 ist die voll-
ständige Liste der Sänger und Sängerinnen mitgetheilt, wie sie im
Textbuche steht.
Bon GioYanni.
Wir kommen nun zu dem eigentlichen Spiel , zum steinernen
Gast. Das textliche Material des venezianischen Stückes gedenke
ich erschöpfend mitzutheilen und zwar in möglichst getreuem Nach-
druck des originalen Textbuches so, wie es Mozart und seinem
Dichter vorlag, als sie ihre Oper darnach arbeiteten, wobei aber die
groben Fehler und Nachlässigkeiten des sehr mangelhaften alten
Druckes stillschweigend verbessert sind.
Um auch den Haupttitel und das Yerzeichniß der Mitwirkenden
original-getreu zu übermitteln, sind dieselben dem Don Giovanni-Texte
vorgesetzt. Es folgen hier jetzt auf Seite 367 bis 404 also 44 Seiten
des venezianischen Textbuches, nämlich p. 1 (der Haupttitel}, p. 3
(die Sänger} , p. 4 (die Tänzer} und p. 31 bis 71 (der vollständige
Text des Don Giovanni}.
I
i
m
V
Don Giovanni. Gaszaniga und Mozart. 367
IL CAPRICCIO
DRAMMATICO
RAPPRESENTAZIONE
PER MUSICA
DI GIO VANNI BER TA TI
PER LA SECONDA OPERA
DA RAPPRESENTARSI
NEL TEATRO GIUSTINIANI
DI S. MOISE^
IL CARNOVALE DELL' ANNO 1787.
IN V E N E Z I A,
Appreffo Antonio Cafali.
Coji Licenza di Superiort,
JSfsS. 25
368
Friedrieh Chrysander,
A T T O R L
POLICASTRO, Imprefario.
// Sig. Gicvanni Morelli Virtuofo di S. A. R V Inf ante di
Duca Parnta^ ec.
GUERINA.
La Sig, Giulia GafperinL
NINETTA.
La Stg. Irene Tomeoni
Duttüieu,
Prime Buffe a vicenda.
PASQUINO. Primo mezzo Carattere.
// Sig, Paolo Mandinu
VALERIO.
// Sig, Antonio Baglionu
CALANDRA. \ Altri Attori deir Opera Buffa.
La Sig, Elifabetta Mar-
cheßni,
II Suggeritore delP Opera.
// Sig, Vincenzo Pavia,
IL CAVALIER TEMPESTA Protettore.
// Sig, Antonio MarcJufi,
Un Maeftro di Cembalo, che non parla.
La Scena h, in una Cittä della Germania.
La Mufica h tutta nuova di varj Signori Maeftri
II Scenario h. del Sig. Gerolamo Mauro.
II Veftiario del Sig. Carlo Grifolana.
Don Oioranni. Oazcaniga und Mosart. 369
Inventore, e DIrettore de' Balli
Monfieur ANTONIO
TERADES.
Primi Ballerini.
II Sig. Innocente Parodi La Sig. Giufeppa Ra-
fuddetto. daelli.
Primi Grottefchi.
II Sig. Luigi Chiaveri. La Sig. Violante Gherardini.
Primi Ballerini di mczzo Carattere fuori di Cmicerti,
II Sig. Pietro P^drelli. La Sig. Ifabella Venturini.
Figuranti.
II Sig. Alberto Cavos. La Sig. Nunziata Parodi.
II Sig. Giufeppe Cingherli. La Sig. P'rancefca Chiaveri .
Primi Grotefchi fuori de Concerti,
II Sig. Pietro Bedotti. La Sig. Elifabetta AUegro.
25*
370 Friedrich Cn'sandcr,
DON GIOVANNI
o s I A
IL CONVITATO
DI PIETRA.
Don Giovanni. Oazzaniga und Mozart. 371
A T T O R I.
D. GIOVANNI.
D. ANNA figlia del Comendatore d'Oljola. - ' <
D. ELVIRA Spofa promefla di D. Giovanni.
D. XIMENA Dama di Villena. H
*
IL COMENDATORE Padre di D. Anna.
DUCA OTTAVIO Spofo promeflb della medefima.
MATURINA Spofa promeffa di Biagio. ' ^
PASQUARIELLO Servo confidente di D. Giovanni, ' ^
I —
BIAGIO Contadino Spofo di Maturina.
LANTERNA altro Servo di D. Giovanni.
Servitori diverfi, che non parlano.
La Scena k in Villena nell' Aragona.
372 Friedrich Chrysander,
ATTO PRIMO.
S C E N A I.
Parte di Giardino, a cui corrifponde TAppartamento
di D. Anna con Porta focchiufa.
Pafquariello involto nella fua Cappa^ che pdjfeggia^
indi D. Giovanni^ e D. Anna^ che lo tiene affer^
raio per il mantello,
Pa/. öT A gran beftia e il mio padrone!
JL/Ma il grand' afino fon' io,
Che per troppa foggezione
Non Io mando a far fquartar.
Invaghito di Donn Anna,
La di furto si6 introdotto;
Ed, io gfämo, chiotto, chiotto,
Qui ad attenderlo ho da ftar . . .
Sento fame . . . Sento noja ....
Ma che venga alcun giä parmi . . .
Che fia hii v6 lufingarmi ....
Ma non vogliomi fidar.
St ritira da una parte. In gue/io D. Güh
vanni^ e D, Anna dcUla porta che intro^
duce nelf Appartamento,
D. Gio, Invano mi chiedette,
Ch'io mi difcopra a voi.
Z?. An. Un traditor voi fiete,
Un' Uomo fenza onor.
D. Gio. Se foffe il Duca Ottavio [p-34.]
Nemmeno parlerefte.
D. An, Azioni difonefte
Non fece il Duca ancor.
D. Gio. Lafciatemi.
Z?. An, Scopritevi.
D, Gto. Voi lo fperate in vano.
D. An. Vi ftrapperö il mantello.
Don OiovannL Gazzanifca und Mozart.
373
D. Gio.
D. An.
D, Gto.
Vi ftroppierö la mano.
Ajuto! Son tradita!
Soccorfo, genitor!
Acchetati, impazzita.
Non ho d'alcun timor.
Pa/. Oime! la beftia ardita
Vä ancora a far rumor.
In queßo il Comend. al comparir del mecU
D, Anna lafcia D, Gio. e ß rüira.
SC ENA IL
// ComendcUore^ e D. Giovanni^ che sfodra la Spada^
Pafquariello in dt/parte.
Co7n,
/^^Ual tradimento! Perfido! Indegno!
^^ Sottrarti invano fperi da me.
'^^ Alla prima parola del Comend. D, Gio. con
un colpo gli fmorza il Inme ed alf ofcuro
ß battono.
D, Gio. Vecchio, ritirati, ch'io non mi degno
Del poco fangue, che fcorre in te.
Paß (Ah, che ci fiamo!)
Com, Non fuggirai/
D. Gio. Ch' io da vil fugga non penfar mai. [p. 35]
Sempre combattendo D. Gio. ferißce morlalmente
il Comendatore.
|Un' alma nobile, no, in te non v'6.
(Per dove fuggafi non s6 piü äfft.)
(Ahi, che m'ha infifla mortal ferita ! . . .
Sento a mancarmi diggiä la vita . . .
Sen' fugge Tanima .... Giä v6 ä fpirar . . .)
// Comendatore cade Jopra wt faffo.
(Di mortal piaga ferito ü credo . . .
Che giä traballa fra Tombre io vedo.
Solo fingulti d'udir mi par . . .)
Paß. (Io tremo tutto. Son qui di gelo.
Ad arricciarfi mi fento il pelo ....
Piü non si fentono . . . nemmen fiatar.)
Com.
Paß
Com.
D. Gio.
374 Friedrich Chnsander,
Z?. Gio, Zh, zh?
Paf, Eh ?
/?. Gio, Pafquariello ?
Paf, Siete voi?
D, Gio, Sono io.
Paf, Vivo, o morto?
Z?. Gio. Che beftia!
E non fenti ch'io parlo?
Paf, E il vecchio? Se nMto?
D, Gio, E^ morto, o mortalmente io l'ho ferito.
Paf, Bravo! Due azioni eroiche.
Donn' Anna violentata,
E al padre una ftoccata
D. Gio, Ehi: te Tho detto ancora,
Che non vö rimoftranze.
Seguimi, e taci. Andiamo.
Paf, Si Signore . . .
(Stimolar mi convien perche ho timore.) /.
SCEN A III. [P.36.J
// Duca Ottavio^ e D, Anna precednti da
. Servi con torcie,
D, Ott. I ^Cco col fangue ifteflb . . Ah che rimiro!
\^ tiefte la fpada in mono.
D. An, Oime ! Mifera ! Oime ! Padre ! addio ! Padre !
D. Ott, Signor! Ah! dov e l'empio
Che vibrö il fatal colpo!
D, An. Ah! che di morte
II pallore ful vifo ha giä dipinto . . .
II cor piü non ha moto . . . Ah, il Padre e eftinto!
Code fra le braccia del Duca.
D, Ott, Servi, fervi, togliete agli occhi fuoi
Cosi funefto oggetto. E fe alcun fegno
Scoperfi in lui di vita,
Medica man tofto gÜ porga ajta.
Diie Servi portano in Cafa il corpo del Co-
fnendatore.
Don Giovanni. Qaszani^a und Mozart. 375
i
D. An, Duca, eftinto e mio Padre; e ignoro, o mifera,
L'empio che lo feri.
D. Ott. Ma in quäl maniera
S'introduffe Tiniquo
Ne' voftri Appartamenti ?
D. An. A voi, Duca, ftringendomi
La promeffa di Spofa, lo me ne flava
Ad afpettarvi nel mip Appartamento
Pe '1 noftro concertato abboccamento.
La Damigella ufcita
Era per pochi iftanti; allor che tutto
Nel fuo* mantello involto ' Tp- 37]
Uno ad entrar nella mia ftanza io yedb,
Che al primo tratto, o Duca, io voi lo credo.
D. Ott. Che afcolto mal! Segiiite.
D. An. A me s'accofta, e tacito /
Fra le fue braccia ftringemi. Io arroffifco, ^ \ '
Mi fcuoto, e dico : Ah ! Duca,
Che ofate voi! Che fate!
Ma colui non defifte: anzi .mi chiama I «^^
Suo ben, fua cara, e dicemi, che m'ama
Refto di gelo allora. Egli malnato
Ne volea profittar: io mi difendo:
Lo vö fcoprir, lo afferro: palpitante
Chiamo la Damigella:
Egli allor vuol fuggir : lo feguo : voglio
Smafcherar per lo meno il traditore,
E chiamo in mio foccorfo il Genitöre.
AI fuo apparir io fiiggo; e raffaffino
Per compir Pefecrando fuo delitto,
Mifera, oddio! lo ftefe al fuol trafitto.
D. Ott. Ardo di fdegno, e tutto d' ira avvampo
Per si enorme misfatto. Ignoto a lungo
Non refterä Tiniquo: il fuo caftigo
Sarä eguale al delitto, e voi Donn' Anna,
Se un rio deftino il Genitor v'invola,
Neir amor d'uno Spofo
II foUievo cercate.
376 Friedridi Chij'sander,
D. An. Di ciö Ehica, per or piü non parlate.
Finche il reo non sJ fcopre, e finche ä Padre
Vendicato non refta, in un JRitiro -7)
Voglio paffar i giorni;
Ne alcun mai vi farä, che me n'diftorni.
parte colli Servi,
SC ENA IV. [p.38.]
^_^^ // Dtua folo.
D. Ott. y>/Uando doppio- ecceffo, h queflo
^^ Di fventura per me ! Tutto si facda
Per fcoprir Tempio intanto; e non si lafci
Donn' Anna fenz' ajta in quefto (lato.
Oh difgrazia crudele! Oh avverfo fato!
ü [Aiia.] Vicin fperai T iftante
D' entrar felice in porto;
Ma appena il Lido ho fcorto,
Che torno in alto mar.
Cede Tamore in lei
Ai moti del dolore;
E il mifero mio core
Ritoma a palpitar. parte.
S C E N A V.
Campagna con Cafe ruftiche, e Nobile Cafino,
fuori delle mura di Villena,
D. Giovanni^ e Pa/quariello,
D. Gio. T30fto che non mi parl^i
XT^Piü del Comendatorei, o di Donn' Anna,
La libertä ti lafcio
Di potermi ora dir quello che vuoi.
Pa/. Quand'e dunque cosi, veniamo a noi.
Sapete voi ch'io fon fcandalezzato [pJ9-i
Della vita che fate!
Don Giovanni. G^zaniga und Mozart ^77
D. Gto. Come! Qual vita faccio?
Pa/, Buona. Ma fe non piü, con giuramenti,
Con inganni, e con cabale
Sedur quanto potete,
Cercando tutti i di qualche conquifta,
Mi par che fia una vita alquanto trifta.
E poi, qui difcorrendola, il burlarfi.
Come voi d' ogni legge, o Signor caro. . .
D. Gto. Bafta, Bafta cosi, maftro Somaro.
Sai tu perch^ venuto
Son fuori delle porte?
Pa/. Per non andar a letto;
E per farmi crepar dal patimento.
D. Gto. Come fei tu poltrone!
Tieni, tieni una doppia
Per il fonno che perdi.
Paf. Quefto pö di cordiale
Mi corrobora alquanto. Ebben: fentiamo
Perch^ fiete ora qui.
D. Gto. Perch^ invaghito
Son di Donna Xin^nä. Ella fe 'n venne
Jeri qui al fuo Cafino
Per poter meco aver qualche coUoquio
Con maggior libertä.
Pa/. Prudentemente.
D. Gto. Ma vedi una Signora,
Che fmonta di Carrozza.
Pa/. Dunque pria che qui giunga
Entriamo nel Cafmo
Per non effer veduti.
D. Gto. Oibö. VogP io
Qui in difparte offervar anzi chi fia. [p. 40]
Vieni; e mettiamci qui fuor della via. st rilirano.
c.
378 Friedrich Ghrrsander,
SC ENA VI.
D. Elvira con dtie Servitori^ D. Gio. e Pafquariello in dz/parte.
che poi st avanzano.
D, El. 0 [Aria.] Y)Overe femmine,
XT Noi fiam chiamate,
Cervelli iftabili,
Anime ingräte,
Cori volubili
Nel noftro amor.
Ma fono gli Uomini,
Che fan gli amanti,
Di noi piü deboli,
Pill affai incoftanti;
Anzi fon perfidi,
Son fenza cor.
Siamo pur mifere
Se noi li amiamo,
Se ci fidiamo
Del loro ardor.
In quefto Borgo io penfo
Trattenermi piuttofto,
Ch' entrar neUa Cittä. La in queir albergo
Prenderö alloggio intanto
Che fcopro gli andamenti
Dello Spofo infedele,
Che dopo avermi la fua fe giurata
Mi lafciö il terzo giorno abbandonata.
D. Gio. Oh Cielo! {Reftando forprefo nel riconofcere D.
Elvira) [p. 41]
D.EI. Ah! Don Giovanni.
Paf. Oh! Veh!
D. El. Cotanto,
Vi forprende il vedermi ?
D Gio. Io vi confeffo,
affettando difinvolhira.
Che tutt' altro qui adeffo
Afpettava che voi.
Don Giovanni. Gazzaniga und Mozart. 379
D. EL Ed io tutt' altro
Afpettava d'aver che un tradimento.
Fin a quefto momento
Non fü il mio cheun fofpetto;
Ma la voftra forprefa or qui ad un tratto
Piü non mi lafcia dubitar del fatto.
D. Gio, Donna Elvira, fcufatemi,
Ma voi fofte una pazza a far il viaggio
Con un cosi magnifico equipaggio.
Paf. (A propofito.)
D. El. E^ quefto
Quel che mi rifpondete! Anima ingrata!.
Fate ch'io fenta almen quäl fu il motivo
Che da Burgos pärtifte, abbandonandomi
Tacito, a precipizio,
Dopo la data fö di fpofalizio.
D. Gio, Oh, quanto a quefto poi, qui Pafquariello
Vi dirä la ragione.
Paf. Io!
D. Gio, Si, tu. Digliela . . .
Digliela ...
Paf. Ma . . .
D, Gio, Ti dico
Che gliela dici. Ed io perdon vi chiedo [p. 42.]
Se un premurofo affar, con mio tormento,
Vuol ch'io debba lafciarvi in tal momento.
entra nel Caßno. ^
SC ENA VII.
D. Elvira^ e Pafquariello,
D, El, TT Mi lafcia cosi! Paria tu; dimmi
r^La cagione quäl fü del fuo abbandono;
E penfa ben che difperata io fono.
Paf Per me . . . Sentite ... Vi dirö . . . Siccome . . .
D. EL Non confonderti.
Paf Oibö: non v e pericolo.
Siccome io dico, che Aleffandro il Grande . . .
380
Friedrieh Chr^-sander,
D, EL
Paf,
D.EL
Paf,
D, EL
Paf,
D. EL
Paf
D. EL
E che c'entra Aleffandro?
Centra; e flatevi cheta.
Siccome, io dico, che Aleffandro il Grande
Non era giammai fazio
Di far nuove conquifte, il mio padrone
Se aveffe ancora cento Spofe, e cento,
Sazio non ne faria, ne mai contento;
Egli h il Grande Aleffandro delle femoiine;
Onde per far le fue amorofe imprefe
Speffo, fpeffo cangiar luol di paefe.
Dunque ha dell' altre femmine?
Ih, ih! Se voi volete averle in vifta
Ecco Signora mia, queil' h, la lifta. Gäta una lifla
di aLeuna braccia cU Carla,
[Aria.] Deir Italia, ed Alemagna
Ve ne ho fcrit±e cento, e tante.
Della Francia, e idella Spagna
Ve ne fono non fo quante: [p.43]
Fra Madame, Cittadine,
Artigiane, Contadine,
Cameriere, Cuoche, e Guattere;
-. Perch^ bafta che fian femmine
' Per doverle amoreggiar.
Vi dirö ch'6 utf Uomo tale,
Se attendeffe alle promeffe,
Che il marito univcrfale
Un di avrebbe a diventar.
Vi dirö ch'^ egli ama tutte,
Che fian belle, o che fian brutte:
Delle vecchie folamente
Non fi fente ad infiammar.
Vi dirö . . .
Tu m'hai feccata.
Vi dirö . . .
Non piü: vä via.
Vi dirö che si potria
a 2 Fin domani feguitar.
I (II mio cor da gelofia
[Tutto fento a lacerar.) Paf parU.
Don Oiovanni. Gaszaniga und Mozart. 3^*]
SCEN A VIII.
/?. Elvira fola.
INfelice ch'io fono! E tanti torti
Poträ foffrir queft' anima gelofa?
Nö. II diritto di fpofa
Farö valer; e quäl si fia rivale
Che giungerö a fcoprire,
Farö tremar, nh mi faprö awilire. parte,
S CEN A IX. [p. 44^
D. Giovanni^ e D. Ximena^ dal Caßno,
D. Gio, \yiyi di ciö non fi parli,
X^Dolcezza del mio cor. lo, voftro Spofo,
Nuotando fra i contenti
Sarö il piü fortunato fra i viventi.
D. Xtm. Oh qanto fono dolci
Quelle voftre efpreffioni!
Ma quando iS^iiiranno
I fponfali fra jooi?
D. Gio. Quando? Vorrei che fubito
Qua ci foffe un Notaro,
Riguardo al genio mio; ma un certo affare
Mi obbligherä con fommo mio martire
Ancora qualche giomo a difFerire.
D. Xtm. Ricordatevi bene
II voftro giuramento. Rammentate
Ch'io fon d'umor gelofo:
Che voi fiete mio Spofo;
E che non foffrirei
Nemmen per civiltä, che a un' altra Donna
Voi toccafte la man, nemmen col guanto.
D. Gio. Che dite mai! mi vanto
D'effer io il piü fedele, il piü coftante
Uomo che vi fia al mondo.
Non temete, mio ben, che d'ora in poi
Ogn' altra Donna io fuggirö per voi.
382 Friedrich Chrysander,
[Ana.] Per voi nemmeno in faccia
lo guardarö le belle.
Se foffero ancor ftelle
lo gli occhi abbafferö. [p.4s;
Voi fola, voi mia cara,
Porto fcolpita in petto.
Voi fiete il folo oggetto,
Che amar da me si puö.
Mio Idolo, mio bene,
Mia fiamma, mio teforo,
Per voi mi ftruggo, e moro,
Pill pace al cor non ho.
(Pur quefta nel catalogo
A fcrivere me 'n vö.) parte.
SCENA X.
D. Ximena,
OR che ficura io fon della fua fede,
Chi di me e piü contenta?
Se amor per lui m'impiag^
Amor per lui mi fanarä la piaga. parte.
SCENA XL
McUurina^ Btagto^ e Villani^ che ßionano le Nacchere.
indl Pa/quartello,
[Soli e Coro.]
Mat. T)Ella cofa per una Ragazza
IJE^ il fentirfi promeffa in ifpofa!
Ma piü bella diventa la cofa
In quel giorno che fpofa si ßi.
ITarantan, tarantan, tarantä.
Sü via, allegri balliamo, e faltiamo, Bai
Che quel giorno ben prefto verrä.
Mat, Bella cofa per una r^gazz^. In queßo [p.46]
Pafquariello in difp.
Don Giovanni. Gazzaniga und Mozart. 383
E^ l'aver un' amante che adora!
Ma piü bella diventa in allora
Che in marito a pigliarlo fe'n vä.
ITarantai, tarantai, tarantä.
Sü via, allegri balHamo, e faltiamo, Bai.
Che quel giorno ben prefto verrä.
Pa/qtiartello sl caccia ancK eßb fra li Vtilani^
prende Maturina per la m-ano^ e balla,
Paf, Bella cofa, cofpetto di Bacco,
E' il trovar una femmina bella!
Ma fecendo la tan - taran - tella
Molto meglio la cofa fe 'n vä.
Tuiii. [Tarantan, tarantai, tarantä.
cccettitato Bia, ^Ä^< Via fu allegri balliamo, e faltiamo,
moftra difpetto. [Che un piacere maggior non si da.
Biag. Oh oh! Poffar Diana!
Tralafciate voi altri; e andate in cafa: Li Villani
pariono.
E voi cofa venite, o Signor caro,
A mefchiarvi con noi,
Ed a pigliar per man le noftre femmine?
Paf, Oh oh! Poffar Mercurio,
Che ti faccia andar ftroppio! E crederefti
Ch'io foffi come te qualche facchino?
Son Cavaliero, e fon . . ./Don Giovannino.
Mai, E' un Gentiluomo: fenti? *^'
Dunque lafcialo fare.
Bia, Come lafciarlo farel lo non intendo
Che punto s addomeftichi
CoUe donne, che fono a noi promeffe, [p. 47]
Ne che tarantellar voglia con effe.
SC ENA XII.
D, Giovanni,, Maturina^ Biagio,, e Pafq^tariello.
D, Gio, /^Ofa c'e? cofa c'e?
Pcff' V^^ (Cedo majoribus.)
Bia, Queft' altro Cavaliero
I8S8. 26
384 Friedrich Chrysander,
Vien con la noftra Spofa
A far rimpertinente.
]\Iat. Eh, non ce male, non c e mal per niente.
D, Gio. Quel Cavaliero lä? . . . Querto fi prende
Cosi per una orecchia . . .
Paf. Ahil ahi! Che fate? Biaridefor,
(Diavolo che fe '1 portil)
D, Gto. V'infegnero, Ser Cavaliero Selvatico,
A far rimpertinente
Con le belle ragazze. Biagio feguita a ridere.
Paf. Ma f e . . .
D, Gio, Zitto . . . le belle si accarezzano si accofla
a Mat, la piglia per la inano,
Gentilmente cosi . . . Quanto mai fiete
Vezzofa, e graziofmal
Che delicata, e morbida manina!
Mat. . Ah ! Signor voi burlate . . .
Bia. frapponendoß. Eh ! dico io.
D. Gio, Che dici?
Bia. Dico, Corpo di Baccol
Che voi fate di peggio.
iMat. Biagio, non rifcaldarti.
Bia. Anzi vö rifcaldarmi. Animo, parti.
D. Gio. Eh eh I allotanando Bia. con mia fpinta,
Biag. Come cofpetto 1 A me una fpinta I [p. 4S :
D. Gio, Vä via. GH da uno fchiaffo.
Biag, Come! uno Schiaffo! Paf, ridc for,
D, Gio, Vä via. Gli da un altro fchiaffo, Paf feguita a
Biag, Come! Anche un' altro I . . . ridere for.
E tu trifta lo fopporti?
Niuno m'ha fatto mai fimili torti ! piangendo,
Avete voi ragione,
Che adeffo fon poltrone,
Ma mi vendicherö deir info!enza.
D, Gio. Taci ; e vä via. Minacciano di batterlo ancora. Biag,
ß falva dietro a Mat,
Mat, Vä Biagio; abbi pazienza.
Don Giovanni. QaKzaniga und Mozart. 385
Biag. [Ariatl A me fchiaffi ful mio vifol
^ A me far un tal affrontol . . .
Ma gli schiaffi non li conto,
Quanto conto, frafchettaccia,
Che tu ftai con quella faccia,
A vedermi maltrattar.
Ma afpettate. Ma lafciate. a /?. Gio,
Ch'io mi poffa almen sfogar.
Da tiia madre, da tua zia,
Da tua nonna adeffo io vado,
V6 da tutto il parentado
La facenda a raccontar.
Maledetto fia quel ridere,
Che dl piü mi fa arrabbiar ! ojf. Paß che ride,
Si, fi, vado, piü non refto,
Vado fubito di trotto.
Sento il fangue fopra, e fotto
Che fi vä a rimefcolar. parte.
SCENA XIII. [p. 49]
Maturina^ D, Giovanni^ e Pafquariello,
Mal. /^"^On voftra permiffione.
D, Gio. \^ Oibö. Reftatevi,
Anima mia.
Mat, A me?
D. Gio. Si, a voi, mia cara.
Mat. Signore, io mi vergogno
A fentirmi parlar teneramente
Quando un' altro vi fia che tutto fente.
Paf. Poverina !
D. Gio. Ecco fubito . . . voliandofi a Paf.
Paf. Signore
Non ftate a incomodarvi
Di dirmi niente affatto;
Che capifco per aria, e me la batto.
(Vä, che ftai frefcal) parte.
26*
38() Friedrich Chr}-8ander,
sc ENA XIV.
D. Giovanni, e Maturina.
E
D, Gio. XILrHi? dico? dietro a Paf.
Statene qui d'appreffo . . .
In due foli reftati eccoci adeffo. la prende per la
Mat. Ma Signor . . . ntano.
/?. Gto, Oh mia gioja!
E voi con quegli occhietti cosi belli,
Con quel bocchin di rofe,
^jQuefta fi cara mano ^p- 50
V ' Darete ad un villano?
V '^Z' No, mia dolcezza, no. Voi meritate
Un affai miglior ftato;
E di voi giä mi fento innamorato.
Mat. Ah, Signor! Mi da gufto
Quello che voi mi dite; ed io vorrei,
Che quello che mi dite foffe vero;
Ma fempre mi fu detto,
Che voi altri Signori
Per lo piü fiete falfi, e ingannatori.
D. Gio. Oh! io non fon di quelli. II Ciel me 'n guardil
Mat. Sentite: io fono, 6 vero,
Povera paefana;
Ma perö non per quefto avrei piacere
Di lafciarmi ingannar; e poi il mio onore
Piü di tutto mi preme.
D, Gto, Ed io che aveffi
Un' anima fi trifta
Per ingannarvi, o cara? Oh! in quefto poi
Son troppo delicato.
Son di voi innamorato;
E poffo ben giurarvi
Che mio folo difegno e lo fpofarvi.
Mat. Voi me '1 giurate?
D. Gio. Si, ch'io ve lo giuro
Per il Cielo, o mio ben. E fe volete
Don Giovanni. Gazzaniga und Mozart. 387
Che ve lo giuri ancor per quäl cos' altro,
Ditelo voi.
Mat. No, no. Comincio a credere
A quel che voi mi dite;
E da quefto momento
Innamorata anch' io di voi mi fento.
[Ana"] Se pur degna voi mi fate [p. s'l
Di goder d* un tanto onore,
Sarö voftra, o mio Signore,
E di core v amerö.
Sento giä che in riguardarvi
Tutto il fangue in me fi move.
Tal dolcezza in fen mi piove,
Che fpiegarla, oddio! non fo.
Caro, caro, che vel' dico
Ma di core, ma di voglia!
Niun fia mai che mi diftoglia
Dal gran ben che vi vorro. partoiio cd
entrano in Cafa di McUurina,
SC ENA XV.
Pafquariello^ poi D, Ximena^ indi D. Giovanni,
Paf, TO penfo ad ogni modo
J[ Che il lafciar quefta beftia h neceffario
A cofto ancor di perdere il falario.
Sento- a far un gran ftrepito
Per il Comendator, che fu ammazzato;
E fe il Diavolo f a . . . Servo obbligato.
D, Xim. Pafquariello, mi afcolta,
E fincero mi parla. Anzi ora vedi
Come voglio impegnarti
A parlar fchiettamente. Gli da alcune monete.
Paf, Due doppie! E chi, cofpetto,
Non avrebbe con voi da parlar fchietto?
D. Xim, Innamorata io fon del tuo Padrone
Ei giurö di fpofarmi.
38g Friedrich Chn-sander,
Ma dl lui tante cofe a dirmi io fento, [p. 52 ;
Che da due ore in qua tutta pavento.
Paf, Per efempio, di lui vi avranno detto,
Ch'e un difcolo, un briccone, un prepotente,
Un cane . . . (ä) Oibö : non date" retta a niente.
II mio padrone e un vero galantuomo,
Uno che ha tutti i numeri;
E fe a me non credete . . . Eccolo appunto;
Domandatelo a lui.
D, Gio, Coftui che dice?
Paf. E che ho ha dire? In faccio
Giuftizia al voftro merito
Ma tante male lingue . . .
D, Gio, E che? mia cara,
Forfe talun ...
D. Xim, No, no, fpofo adorato,
Del voftro cor non ho mai dubitato.
SCENA XVI.
D. Elvira^ e Detii.
D, EL C^ Ignor mio, una parola.
D. Gio. ^^ Oh I Donna Elvira . .
D. EL Vi trovo ingrato, alfin . . .
D. Gio, Zitto, tacete,
Adorata mia fpofa. E^ quella Dama
Una che m'importuna; e godo appunto
Della voftra venuta.
Z?. Xim, Don Giovanni?
Che avete voi con quella'^
D, Gio, E' una bisbetica,
Che mi viene a feccar. Entrate in cafa, [p 53
Che fon tofto da voi.
D, Xim, Vado per compiacervi; ma badate
Ch' io vi ftarö a guardar dalla fineftra. par.
(a) Avverteiidofi di D, Gio, che fi avi^anza.
Don Giovanni. Oazzaniga und Mozart. 389
Paf, (Vedo il turbine in aria; e piano piano
Prudentiffimamente mi allontano.) parte.
SCENA XVII.
D, Elvh^a^ e D, Giovamii^ poi Maturhia.
D. EL 1 ^ Crederefte voi d'infinocchiarmi,
\^ Ingratiffimo Spofo?
No. Tremate di me . . .
D, Gio, No: che voi fiete
In errore, mio ben. Statevi cheta,
Che vamo, che v'adoro; e che col rito
lo domani farö voftro marito.
Mal, Con voftra permiffione.
E che parlate voi Signor con quella
Di effere marito?
D, Gio, Anima mia,
Quella Dama 6 una ip3.zz^^
E nella fua pazzia fi raffigura
Di effere mia fpofa.
D, Elv. Favorite.
E quai fegreti avete
Con quella Contadina?
D, Gio, Ah ah! quella mefchina
E^ una povera matta,
Che fi e cacciata in tefta ch'io la fpofi.
Mat, Ma vi prego . . .
D, Gio, E' gelofa
Sin ch'io parli con voi.
D, Elv. Eh, a me badate.
D, Gio. Se vi volete divertire un poco, a D. Elv. [p. 54.]
Con lei parlate. lo intanto pien d'affetto
Spofa, mio bene, a cafa mia vi afpetto . . .
Se volete un puö ridere, et Ma(.
Parlatele di me: Addio, fpofma,
.1 Sponfali farem doman mattina. parle.
390 Friedrich Chrysander,
SC ENA XVIII.
D, Elvira^ e Maiurifia.
[Daetto.]
D. Elv, T)ER quanto ben ti guardo
X^Dawer pietä mi fai.
Ma forfe goiarirai
Col fatti falaffar.
Mat, Proprio cosi vä detta.
Ma c'e una differenza;
Ch'e pazza fua eccellenza
E ftenterä a fanar.
D. Elv, Ah ah! Si, fi, mefchina.
MaL Ah ah! no, no, carina.
a 2
{Ah ah! cosi per ridere . . .
1
La voglio ftuzzicar. apparte,
D. Elv, Giä Don Giovanni, io mi figuro,
Che a te di fpofo la man darä.
Mat, No. Don Giovanni, giä per ficuro
E^ fpofo voftro, che ben fi sä.
D. Eh. Qui non v'e dubbio.
Mat, Ah ah ah ah!
jEcco qua appunto {s^lS'ora} mia,
a 2 <Dove confifte la {fSJ} pazzia!
[Tutto il (So} male ftä dentro lä!
additando la teßa,
Mat. (Che matta vana!) > <,S'\
D. Elv. (Che pazza ardita!)
IVoi vi potete K i j-.
T>. • r r 1 Jleccar le dita;
Fl puoi, nglmola,j
Ma un tal boccone per {\^'} non fä.
D, Eh. Vanne via, va pazzarella,
Ch' ei non ama una fardella.
Mat, Via pur voi correte in fretta,
Ch' ei non ama una polpetta.
D, Eh. Temeraria. Mat. Voi infolente.
Z>. Eh. Mi rifpetta. Mat. Non fö niente.
Don Gioyanni. Gazzaniga und Mozart 391
Mat, fUfi lei piü civiltä.
Z?. iS'/z/. (Faccio or ora una viltä.
IMa no no, che alfin fi tratta
D' altercar con una matta
E mi {^fite"} ben pietä. ' i v ^ ' partono,
S C E N A XIX.
Luogo rimoto circondato di Cipreffi, dove nel mezzo fi erige
una Cupola foftenuta da colcnne con Urna fepolcrale,
•fopra la quäle Statua equeftre del Comendatore.
// Duca Ottavio con carta in mano^ ed un Incifore.
QUefto Maufoleo, che ancor vivente
L' Eroe Comendatore
Appreftare fi fece,
Un mefe non e ancor ch'e terminato;
Ed oh! come ben prefto
Servi di tomba a lui che Tha ordinato:
Sü quella bafe intanto [p. s^.]
A caratteri d'oro
Sian quefte note incife:
dh la Carta allo Scultore^ che va a formar
ri/crizzone.
Tremi pur chi Tuccife,
Se avvien che l'empio mai
Di qua paffi, e le fcorga.
E apprenda almen, che fe occultar fi puote
Alla giuftizia umana,
Non sfuggirä del Ciel l'ira fovrana. parte,
SCENA XX.
D. Giovanni^ e Pafquariello,
Paf, TO non so detto fia
X Con voftra permiflione,
(Se dir me lo lafciate)
Qual diavolo di uom, Signor, voi fiate.
392 Friedrich Chrygander,
D. Gio, E perche?
Paf, Non parliamo
Delle amorofe imprefe,
Che giä fon bagatelle . . .
D. Gio, Oh! bagatelle
Sicuriffimamente. E che?
Paf, Parliamo . . .
Zitto . . . Afpettate . . . Piano . . . Non vi bafta.
lo Scultore in queßo frattempo avendo formata
n/crizione parte.
Che l'abbiate ammazzato,
Che vi viene anche voglia
Di andar vedere la fua fepoltura? ;?• 57
Ma quefto non ^ un far contro natura?
D. Gio. Che ftolido! che fcioccol
Che male c'e fe vengo
A veder per diporto
Come ftä ben di cafa ora ch*e morto?
Ecco ecco. additando il Mausoleo.
Paf, Oh cofpetto! . . . Ora vedete
Tanti, ma tanti ricchi
Per viver nobilmente
Guardan per fino un foldo; e poi non guardano
Di fpendere a migliara li ducati,
Per ftar con nobiltä dopo crepati.
D, Gio. Bravo! Qui dici bene. Ma vediamo
Queir ifcrizion majufcola.
Di colui che mi trajfe a morte ria^ ^^SS^-
Dal Cid gut afpetto la Vendetta mia.
Oh vecchio ftolto! E ancor di lui piü ftolto
Quel che la fece incidere!
La Vendetta dal Ciel? Mi vien da ridere.
Paf. Ah! Signor, che mai dite!
Offervate . . . offervate che la Statua
Par proprio che vi guardi
Con due occhi di foco al naturale.
D. Gio. Ah ah ah! Che animale!
Vä, vä a dire alla Statua,
Don Giovanni. Oazzaniga und Mozart. 393
Che della fua minaccia io non m offendo,
Anzi rido. E perche veda ch'io rido
Di quefto a bocca piena,
Meco l'invita quefta fera a cena.
Paf. Chi?
D. Gzo, U Comendatore.
Pa/, Eh, via! [p. 58.]
/?. Gio. Invitalo, dico: animo, prefto.
Pa/. Ora vedete che Capriccio e quefto!
[Duetio.] Signor Comendatore . . .
(Io rido da una parte,
Dair akra ho poi timore,
E in dubbio me ne ftö.)
D, Gio. E quanto ancora afpetti?
Paf, Adeffo Io faro.
A cena quefta fera
V'invita il mio padrone,
Se avete permiffione
Di movervi di qui.
la Statua china la teßa replicataniente,
Ahi, ahi, ahi, ahi!
D. Gio, Cos' hai?
Paf. La tefta fua e movibile,
E fecemi cosi.
D, Gio. Va via, che tu fei matto.
Paf, Cosi, cosi mi ha fatto.
D. Gio, No.
Paf, Si.
D, Gio, No.
Paf Si.
D, Gio, No.
Paf Si.
fChe oftinazion frehetical
|Che capo h mai quel li!
D, Gio, Afpetta, o ftolido, che per convincerti
Io collä Statua favellerö.
V invito a cena, Comendatore,
Se ci venite mi fate onore.
Ci venirete? [p. 59 I
394
Friedrich Chrvsander,
La Statua.
Paf,
a 2
D. Gio.
Ci venirö.
Ah! mio Signore, per caritä.
Andiamo fubito lontan di qua.
Per me certiffimo piü non ci ftö.
Un illufione queft' e diggiä.
Non poffo crederla mai veritä.
Di te il piü ftolido trovar non so.
par.
SC ENA XXI.
Camera di D. Giovanni.
Lafilerna^ che apparecchia la iavola^ poi D. Elvira.
Lau. TI?^ La gran vita quella di fervire
|j A un padron come il mio! Qui non fi trova
Mai ora deftinata
Ne al dormjf ne al mangiare.
E quello che fä lui bifogna fare.
Guai a chi fa al contrario!
Quello ch'^ peggio, non vien mai il falario.
Qualche mancia cosi per eftro pazzo;
Ma affai piü del denaro e lo ftrapazzo.
fi fente a batlere.
Picchiano .... E chi mai diavolo vucF effere?
Vediamo. Vä ad aprire^ e nel vedere D. Elv. reßaforp.
Oh poffar bacco!
lUuftriffima? Voi?
D. Elv. La tua forprefa
Non e fenza ragione.
Avverti, ch'io qui fono il tuo padrone.
Lan. Non e ancora arrivato, [p. 6a]
Ve'l giuro in veritä . . . Ma zitto . . lo credo
Che giufto adeffo arrivi . . . E^ lui ficuro
Ed in cucina io me ne vado tofto
Perche fi appronti fubito Tarrofto. parte.
Don Giovanni. Oazzaniga und Mozart. 395
SC ENA XXII.
Z?. Giovanni^ e D. Elvira, Pafquariello in dt/parte,
D. Gio. T T'Oi Donna Elvira qui! Brava! La voftra
V E^ una forprefä amena.
Meco cosi reftar potrete a cena.
D. Elv. No, Don Giovanni. In me vedete adeffo
Un altra Donna Elvira
Dalla prima diverfa. lo giä non vengo
Ne piü a rimproverarvi,
Ne piü a cercar da voi T adempimento
Del voftro giuramento,
Ma l'intereffe voftro, il voftro bene
Solo mi guida a voi, che ho tanto amato;
E tutto obblio quel ch'^ fra noi paffato.
Paf, (Povera donna!)
D. Gio. Dite.
D. Elv. A me dei voftri
Prevertiti coftumi
Tutto h noto il compleffo. Ah! che perfino
Da ogn' un voi Tuccifore
Siete creduto del Comendatore.
L'error de' voftri falli
Scoffe il mio core; e del mio error pentita
In un Ritiro io v6 a paffar la vita.
Ma un eftremo dolore
Nel mio ritiro ancora io fentirei [p. 61.]
Se voi, che tanto ämai,
Divenifte, aflai prefto,
Un efempio funefto
Di queir alta giuftizia, e di queir ira
Che fovra di fe ogn' empio al fin s attira.
Paf. (Povera donna!)
D, Gio, Avanti.
D. Elv, Ah! in ricompenfa
Di tanto amor ch'ebbi per voi, non chiedo
Che il voftro pentimento.
Non per me, ma per voi. Si, vi fcongiuro
396 Friedrich Chrj'Sftnder,
Colle lagrime agli occhi
Per queir amor che per me avefte un giorno,
Per quel ch'e piü capace
Di toccare il cor voftro,
Che richiamando la virtü fmarrita,
Penfar vogliate ad emendar la vita.
Paf. (Povera donna!)
D. Gzo, Profeguite.
D. Eh, Ho detto
Quello ch'io dir voleva.
D, Gio, Ebben fa tardi,
O cara Donna Elvira; e perciö anch' lo
Vi prego, vi fcongiuro
Per queir amor che per me avefte un giorno,
E per quel che il cor voftro
Piü movere potria,
Di alloggiar quefta notte in cafa mia.
D, Eh, No, Don Giovanni, no. La mia carozza
Mi attende. lo vado. E fe voi fteffo amate,
A voi foltanto, e non piü a me, penfate.
[Aria.] Spofa piü a voi non fono : [p. 62]
Spento e giä in me Tardore:
Placido fento il core.
L'alma tranquilla ho in me.
Ben v'amerö lontana
Se alla virtü tornate.
lo parto. Addio. Reftate
Fermo tenete il pi6 ....
a D. Gto, che con caricdtura vorrebbe
acconipagnarla.
Ah! vedo che mifero,
Di me vi ridete:
Di Tigre le vifcere
Giä vedo che avete.
Ma forfe che il fulmine
Lontano non e. par.
Don GioTanni. Gaszaniga und Mozart. 397
SCENA XXIII.
D, Giovanni^ Pafquariello^ e Lafiterna,
D. Gio, T O fai, tu Pafquariello,
i ^Che la fua voce languida,
E quegli occhi piangenti
M'aveano quafi quafi in fen fvegliato
Un refto ancora dell' eftinto affetto?
Paf. Ma perö tutto al vento e quel che ha detto.
va a federe alla tavola.
D. Gio. Prefto, prefto, alla cena.
Paf, Si Signor, si Signore.
D. Gio, Per altro, Pafquariello,
Penfar bifogna ad emendarfi.
Paf Oh! quefto
E' quel che anch' io diceva. [p. 63.]
D. Gio, In fede mia
Che bifogna penfarci. Altri trent' anni ^^ ^
Di bella vita, e poi
Sicuramente penferemo a noi. ^
Lanterna porge le piattanze a Paf e queßo le
mette in tavola,
Paf, Tutto ftä, Signor mio,
Che il conto non falliate?
D, Gio. Eh? Che vorrefti dir?
Paf Niente. Cenate.
Nel vieiiere U7i piatto fiilla tavola ß prende
U7ia polpetta^ e la mette in bocca.
D, Gio. Che cos' hai? Tu mi fembra
Ch'abbi una guancia gonfia.
Da quando in qua? Cos' hai?
Paf Niente, Signore.
D. Gio. Ti e venuto un tumor? Lafcia ch'io fenta.
ft alza^ e gli tocca la guancia. Prende il col^
tello, Paf fpnta la polpetta,
E un tumore ficuro;
E tagliarlo convien perch' e maturo.
Ah! briccone che fei!
398 Friedrich Chrysander,
PaJ. In veritä, Signore,
Ch'io foltanto volea fentir un poco
Se troppo fal ci aveva pofto il cuoco.
D, Gio. Bene, bene. Ora via: vedo, mefchino,
Che tu hai molta fame; e dopo cena
lo bifogno ho di te. Siedi pertanto,
E meco mangia qui.
Paf. Dite davvero?
Z?. Gio. Siedi, e mangia. [p. 64,]
Paf. Ubbidifco al dolce impero. fiede alla tavola.
Ehi, Lanterna? Pofata, e tovagliolo.
Lau. (Gode il favor fovrano
Solo coftui perche gli fa il mezzano.)
D. Gio, Olä? finch^ fi mangia
Voglio che il mio concerto di ftromenti
Sentir fi faccia.
Paf. Bravo ! Ottimamente I
Mangiaremo cosi piü allegramente.
Segne concerto di ßromenti, Don Giovanni^ c
Pafquartello mangiano, Lanterna a mifura
che Pafqnariello gira la teßa f7ibtto gli
cambia il piatto.
Paf, Ma potere del mondol
Sei troppo attendo per cambiar di tondo I
Guarda, Lanterna mio, che nel moftaccio
Quefto piatto tal quäle or or ti caccio.
D, Gio, Da bere. viene fervito.
Paf. Animo, prefto
Da bere ancora a me.
U71 fervitore gli prefenta un bicchiere.
Pafq, vuol bere,, e D. Gio, lo tratt.
D, Gio. Fermati piano.
Paf Cofa c e?
D, Gio, Pria di bere
Un brindifi hai da fare.
Paf Ora vengo . . . Afpettate . . . L'ho trovato ....
Alla fahite del mio Signor Nonno.
Don Gioyaimi. Oaxza&iga und Mozart. ^99
D. Gto, Oibö, oibd.
Paf. Ma dunque
A chi farlo conviene?
/?. Gto. V hai da far . . . L' hai da far . . . Sentixni bene.
' [Finale.]
Far devi uiriDrindiTi alla Cittä, O ^{i- ^ (^
Che noi viaggiando di qua, e di lä,
Abbiamo trovato ch-e la miglior.
Dove le femmine, tutte graziofe,
Son le piü belle, le piü vezzofe,
Le piü adorabili del feflb lor.
Paf, Quefto voftr' eftro non difapprovo.
Senza penfarci diggiä la trovo;
E ci fcommetto, che giä la so.
Quest' ^ in Italia.
D, Gio. Dici beniflimo.
Paf. Questa h Venezia.
D. Gto, Bravo braviffimo!
Tu giä Thai detta.
Pa/. Oh benedetta !
Paf, |Io farö il brindifi come potrö.
D. Gio, Ä 3 < Via, fu fa il brindifi, ch' io fentiro.
Lan. \\o viva al brindifi rifponderö.
Pa/. Faccio un brindifi di gufto
A Venezia fingolar.
Nei Signori il cor d'Augufto
Si vä proprio a ritrovar.
V'^ neir ordine civile
Quel che v ha di piü gentile :
E nel ceto anche inferiore
V'6 ü buon core, e il buon trattar.
fuonano gli ßrontenti da ficUo Paf. vtcol
bere^ e D, Gio. lo traUime.
D. Gio, Piano, piano.
Paf, Cos' e ftato?
D, Gio. Tu ti fcordi del bei feffo. [p-66.]
Pria di ber anche allo fteffo
Devi il brindifi indrizzar.
1888. 27
400 Friedrich Chrytander,
Paf. Si Signore. beve tutto il vtno.
D. Gio. Cofa fai?
Paf, Rifondete adeffo il vino.
Mafcolino, e femminino
Non v6 infieme mefcolar.
Vien riempüo di nuovo i btcchier dt Paf.
Paf. [Ana.] Alle donne Veneziane
Quefto brindifi or prefento,
^ Che fon piene di talento, .
Di bellezza, e d'oneftä.
Son tanto leggiadre
Con quei zendaletti.
Che folo a guardarle
Vi movon gli affetti.
Se poi le trattate
n cor ci lafciate,
Non han che dolcezza,
Che grazia, e bontä.
ßwnano li ßrumenti.
Pafquariello beve.
Lan, Signor Signor, fentite.
In queflo fi fente a buttere replicaiamente alla
' porta.
D. Gto. A un' ora fi importuna.
Non ha creanza alcuna
Chi a batter vien cosi.
Lan. Sentite nuovamente;
D. Gto, Vä a dire all' infolente [p. 67.]
Che adeffo non ricevo,
Che torni al nuovo di.
Lan. parte^ poi tarna fpaventato carrendo^ e
cafca in terra,
Paf. Ma fe per accidente
Mai foffe qualche bella?
D, Gio. fSi cangieria favella,
Paf |E fi faria ftar qui.
Lan, Ahim^! ahim^!
D. Gio. Cos' hai?
Don Giovanni. Gaszaniga und Mosart. 401
Lan. Ahim^!
Paß Ma cofa h ftato?
Z>. Gio, Coftui h fpiritato:
Vä tu a veder cos' h,
Pafq. parte^ poi ßibito ritorna fpaventato
ancor effb.
Via parla sü, animale, a Lan.
Che cofa hai tu veduto?
Paß Ahim^! ch'^ qui quel tale
Quel tale, fi k yenuto ....
Cio^ quello .... ahim^, che fpafimo!
Oh poveretto me! . . .
D. Gio, prende il lume^ e vä per affacctarß
alla porta in qtießo il Comendatore: Paf.
fi caccia fi>tto la tavola.
SC ENA XXIV. ^ [p.68.]
// Comendatore^ e deüi.
D. Gio, ^^ledi Comendator. Mai fin ad ora
i^Credere non potei, che dal profondo
Tornaffer Tombre ad apparir nel mondo.
Se creduto Taveffi,
Troverefti altra cena.
Pure fe di mangiar voglia ti fenti,
Mangia; che quel che c'^ foffro di core;
E teco mangierö femsa timore.
Com. Di vil cibo non fi pafce
Chi lafciö Tumana fpoglia.
A te guidami altra voglia,
Ch'^ diverfa dal mangiar.
D, Gio, Pafquariello ? Dove fei?
Torna fubito al tuo fito.
Paf. Non mi fento piü appetito.
D, Gio. Vieni fuori non tardar.
Paf. efce,, e fi mette in difparte.
Paf Se la febre aveffi indofso
Non potrei cosi tremar.
27*
402
Friedrich Chrysander,
D, GtO,
Com,
D. Gio.
D. Gio.
a 2
Pa/.
Com,
D. Gio.
Pa/,
Com.
D, Gio,
Com,
D, Gio,
Com..
D, Gio,
Com.
Pa/.
c
(ii/^
^
/
•j
Tu non mangi, tu non bevi:
a/ Comendatore,
Cofa brami or qui da noi?
Canti, e fuoni, fe tu vuoi,
lo ti pofso far fervir.
Fa pur quello che ti aggrada.
Pafquariello, fatti avanti.
Che fi fuoni, e che fi canti [p. 69.]
Per poterlo divertir.
Tutti i mufcoli ho tremanti,
Non pofs' io piü bocca aprir.
Bafta cosJ. M'afcolta.
Tu m'invitafti a cena:
Ci venni fenza pena :
Or io te inviterö.
Verrai tu a cena meco?
Oibö, Signor, tion puö.
Non ho timore in petto:
Si, che il tuo invito accetto.
Verrö col Servo.
Oibö.
Dammi la man per pegno.
Eccola . . . Oimi, quäl gelo!
Pentiti; e temi il Cielo,
Che (lanco e omai di te.
Lafciami, vecchio infano.
Empio, ti fcuoti in vano.
Pentiti Don Giovanni.
Ahi ! quai crudeli affanni
Ma il cor non trema in me.
Termina, o trifto, gli anni,
Vedi il tuo firi quäl' e.
Ah! di Theriaca i panni
M'empio di fotto äffe.
Segue trasfamiaziofte della Camera in infernale,
reßandovi folo le prime quinte dove Pafq, fparoen-
tato fi rifngia,
D, Giovanni tra le Furie,
Don Giataniii. Oa£zäiiigB Qild Mozart. 408
Ahi, che orrore! che fpävento!
Ah, che barbaro tonnento!
Che infoflfribile martir, [p. 70]
Moftri orrendi, Furie irate,
Di ftraziarmi deh ceffate!
Ah non poffo piü foffrir.
Sparifce f infernale ^ e torna come prima la
Camera di D, Gio,
SCENA ULTIMA.
Lanternaj Maiurina^ D, Elvira^ D, Ximena^
Duca Oüamo^ PafquarieUo.
Mai. Ol |f )Ual ftrepito e quefto, che abbiamo fentito!
Elv. Xi, ^^ Lanterna che dice, che qui ci chiamö.
Paf. lOim^! giä fon morto: giä fono arroftito.
I Un pelo, un capello in me piü non ho.
Lan, Qui qui T ho veduto, ed io fon fuggito.
JLui dicavi il refto, ch'io niente piü so.
Pa/, I diavoli, il foco, il Comendatore . . .
Sentite il fetore, che indoffo averö.
Ott, Che diavolo dici?
E/v, Tu fai confufione.
Xifn. Dov'e Don Giovanni?
Mat, Dov'e il tuo Padrone?
Paf, Signori, afpettate, ch'io tutto dirö.
Di lui, pian pian ve'l dico,
Non fe ne parli piü.
Coi brutti barabai
Qui fe n'^ andato giü.
Ah! non aveffi mai
Veduto quel che fü.
E chi non crede al cafo
A me che accofti il nafo, [p. 71 ]
Che deir odor diabolico
Io credo ancor d'aver.
er/' It ' JM^^^ro' ^^^o eftaticj .
«^ \Ma k meglio di tacer.
404
Friedrich Chrytander,
tuttt
Donne
D. Ott.
Laut,
Paf.
D. OH.
Lant.
Tuttt.
\t
Piü non facciafi parola
Del terribile fucceffo;
Ma penfiamo in vece adello
Di poterci rallegrar . . .
Che potreffimo mai far?
a a, io vö cantare:
vö mettermi a faltar,
La Chitarra lo vö fuonare.
Io fuonar vö il Contrabaffo.
Ancor io per far del chiaffo
n fagotto vö fuonar.
{Tren, tren, trinchete, trinchete tr^,
Flon, flon, flon, flon, flon, flon.
Pu, pu, pu,.pu, pu, pu, pu.
Che bellifiima pazzia!
Che ftraniffima armonia!
Cosi allegri fi va a ftar.
FINE.
Don GioTanni. Oazsauiga und Mozart. 405
Das waT nun der neue Don Juan. Seiner Aufifährung wird man
mit ungewöhnlicher Spannung en^egen gesehen haben, das läBt sich
schon aus der Haltung des Vorspiels schließen. Aber wie groß auch
^ese Spannung gewesen sein mag, die Wirkung der Aufführung
übertraf bei weitem alles, was man erwartet haben mochte. Es wurde
für Italien die Oper des Jahres^ und sie blieb auf Jahre hinaus
wirksam. Der Ziüauf war ungeheuer; wie ein Lauffeuer verbreitete
sich die Kunde Ton diesem Stücke im Lande, und jedes Theater
beeilte sich dasselbe vorsuführen. Schon im nächsten Herbst wurde
es an mehreren Orten gegeben, selbst kleine Nester suchten sich den
Genuß SU verschaffen. Die Aufführung in Yarese, einem Städtchen
unweit Mailand, war eine der frühesten, vielleicht die erste von allen;
man findet sie aber bisher nirgends erwähnt, und so wird uns auch
noch von vielen andern Orten die Kunde fehlen.
Was über die Aufführungen dieses merkwürdigen Stückes zu
erforschen war, ist im folgenden nach den Orten zusammen gestellt.
Varese.
Yon einer Aufführung in Yarese im Herbst 1787 besitze ich
durch gütige Yermittlung des Herrn Albert«Schatz ein Textbuch mit
dem Titel:
n Capriccio Drammatico per il Primo Atto, ed H
Convitato di Pietra, ossi^ il Don Giovanni per il Secondo
Atto. Rappresentazione'',giocosaj per la second' Opera da
rappresentarsi nel Regio Ducal Teatro di Yarese FAu-*
tunno 1787, dedicato a Sua Eccellenza Conte del S. R. J.
il Sig. Carlo Ercole di Castel-Barco Yisconti .... In
Milano nella Stamperia de' Fratelli Pirola, Impressori dell'
Eccma Cittä dicontro al Teatro grande. CoUa permissione.
(66 Seitea kl. 8.)
Dieser Haupttitel verbessert also die Nachlässigkeiten des venezianischen
Titels, nennt aber im übrigen weder Dichter noch Komponisten. Yon
der Musik des »Capriccio« heißt es weiterhin: »La Musica tutta nuova
di diversi Maestri«. Der Komponist des Capriccio für Yenedig war
-Giovanni Yalbntini. Wenn hier in Yarese »mehrere Meister« ihre
Hand im Spiele hatten, so kann sich dies nur auf zwei eingelegte
40Jg Friedrieb Chrysander,
Arien beziehen, welche den neuen Sängern zuliebe zugelassen wurden.
Aber der zweite Akt, der steinerne Gast, blieb in Varese unangetastet;
der Text enthält ihn buchstäblich von Anfang bis zu Ende, und so
wird es auch mit der Musik gewesen sein. Wer Gazzaniga's Partitur
kennt, der weiß auch, dass diese Komposition gerade in dem einheit-
lichen Eindruck, den sie hervor brachte, ihre Hauptstärke besaß.
Die iuin Theü bedeutenden Änderungen, welche an aadem Orten
voigeüonunen. wurden, erklären sich aus der veränderten Besetzimg
und aus sonstigen Bücksichten.
Die Tbeaterspiele in Yaxese wurden von einer Gesellschaft ge-
leitet, denn r>ffli Äs^aciaii del Teatro dt Varese« sind ea, welche dem
gemajvnten Grafen das Textbuch widmen. Und sie meinen, bei den
girqSen Bei&U, welchen das Stück in Venedig erlangt habe, werde es
ihm wohl angenehm, sein. y^VitioanirOy e lapphmo cKebhe la »uddeUa
MßppreaefUama in Vemzia^ (we per la prima veita compari suUe Seene,
fa Ijyro spera/re il Voeiro <iflrtese agf/radimen^,^ Auch das erste Stück
dieses Herbstlaufes, welches ebenfalls ein komisches war, hatten sie
ihm dedicirt; das zweite als Hauptop^r der Saison überreichten sie
ihm nun mit der üusdrücklichen Versicherung, daß der Gregensland
hier auf eine ganz. neue Weise behandelt sei: >£a graxiasa benigmü
eolla qucde TEoeeUenza Vostra ei h degnata di vice vere sotto gli Autare-
-^voli Suoi Auepic; til primo Dramma Giocoeoj che attualtnente ei rappre-
senta nel Teatro dCVarese, incoraggisce gli Associati del suddetto Teatro
a supplicarvi di voler accettare anche la seconda Rappresentanza di un
genere affaito nuove, che si danno fon^e pi preeeniarvi^. So gänzlich
also unterschied sich dieser Don Giovanni von der bisherigen Weise
den Stoff zu behandeln, daß man ein neues Genre darin erblickte.
Dies ist der Standpunkt, den wir einnehmen müssen, um Gazzaniga's
Werk in dem Lichte zu betrachten, in welchem es seinen Zeitgenossen
erschien, denn nur so läßt sich die große momentane Wirkung be-
greifen und das Verhältniß zu Mozart richtig beurtheilen.
Bom.
Von einer römischen Auffuhrung sind wir durch Goethe unter-
richtet, leider fehlt die genaue Zeitangabe. In einem Briefe an Zelter
vom 17. April 1815 bemerkt er, »daß bey lebhafteren Nationen die
Stücke die einmal gegriffen haben, ins Unendliche wiederiiolt werden
können, weil die Schauspieler das Stück und das PubUknm einander
immer mehr durchdring^i, femer auch ein Stadt-Nachbar den andern
aufregt ins Theater zu gehen, und das allgemeine Wocheiigespräch
Buletit die Nothwendigkeit hervorbringt, daß jeder die Neuigkeit ge*
sehen habe^ So. erlebte ich in Bom, daß eine Oper, Don Juan
Don GioTftnni. Gaczaniga und Mozart. 4()^
(nicht der Mozartisehe), rier Wochen, alle Abende gegeben wurde,
wodurch die Stadt so erregt ward, daB die letzten Krämers-Familien,
mit Kind und Kegel iti Parterre und Logen hauseten, und Niemand
leben konnte, der den Don Juan nicht hatte in der Holle braten,
und den GouYerneur, als seligen Geist, nicht hatte gen Himmel
fahren sehen« ^
Im Herbst 1787 kann diese Auffuhrung noch nicht stattgefunden
haben, denn Goethe, welcher in deinen Reisebriefen alles irgend Be
merkenswerthe, was die römischen Theater damals yorfuhrten, nam-
haft macht, hätte ein solches Stuck sicherlich nicht vergessen. Wir
dürfen daher die Aufführung mit Sicherheit in den Januar 178S setzen.
DaB Goethe die merkwürdige Oper in seinen Reisebriefen nicht er-
wähnt, erklärt sich hinreichend aus seinem gänzlichen Stillschweigen
über das Theater in dieser Zeit. nDie Opern unterhalten mich nicht«,
schrieb er am 5; Januar 178S, »nur das innig und ewig Wahre kann
mich nun erfreuen. Es spitzt sich bis gegen Ostern eine Epoche
zu, das führ icha. Dies war die Epoche seiner Bekehrung zu der
allein seligmachenden wahren d. h. bildenden Kunst, welche ihn
momentan gegen das, was doch seinen eigentlichen Beruf ausmachte,
mehr oder wamger gleichgültig stimmte* Aber trota dieaer launischen
Abwendung voih Theater findet sich in den römisdien Briefen der
Beweis, das der »steinerne Grast« sich seiner Phantasie tief eingeprägt
hatte. Goethe yerliefi Rom gegen Ende April 1788. In den letzten
drei Nächten seines dortigen Aufentfialtes »stand der volle Mond am
klarsten Himmel a und in dem »Zauber, der dadurch über die unge-
heure Stadt verbreitet« wurde, durchstreifte er Rom in einer dieser
Nächte ganz allein. »Nachdem ich den langen Korso, wohl zum
letztenmal, durchwandert hatte, bestieg ich das Kapitel, das wie ein
Feenpalast in der Wüste dastand. Die Statue Marc Aurel's rief den
Kommandeur in Don Juan in Erinnerung und gab dem Wanderer
zu verstehen, daß er etwas Ungewöhnliches unternehme, a An Mozart's
Don Juan ist hier nicht zu denken, denn dieser konnte ihm damals
noch nicht dem Namen nach, viel weniger in Wirklichkeit bekannt sein.
Es ist aber sehr zu bedauern, daß Goethe gerade zur Zeit des
Karneval von 1788 gegen das moderne Opemtheater gleichgültig
wurde, oder daß er ni(^t später einmal ausfuhrlicher auf die musika-
lische Behajadlung der Don Juan-Sage eingegangen ist, denn er war
vielleicht der einzige Zeitgenosse, welcher beide Kompositionen, die
italienische und die deutsche, genau kannte und die volle Wirkung
derselben an sich erfahren hatte. Eine vergleichende Abschätzung,
^ Briefwechsel Kwitehen Goethe und Zelter. U, 160.
408 Friedrich Chrysander,
wie er sie hätte liefern können, würde über die Entstehimg des
Mozartidchen Meisterwerkes nach dieser Seite hin ein klares Licht
verbreitet haben, und der Nutzen davon wäre ein mannigfacher ge-
wesen. Die ungesunden romantischen Auswüchse Hofiinann's und
Anderer, welche Mißdeutungen verschiedener Charaktere der Oper
Mozart's zuwege gebracht haben, hätten sich nicht so weit verbreiten
können, wenn der Ursprung des deutschen Werkes aus dem italie-
nischen Vorgänger von Anfang an allgemein bekannt geworden wäre;
auch gewisse Widersprüche oder Dunkelheiten, die bei Da Ponte und
Mozart vorhanden sind, würden durch eine solche technisch-kunst-
mäßige, um nicht zu sagen handwerksmäßige Betrachtung ihre be-
friedigende Erklärung gefunden haben.
Bologna.
Von einer Aufführung in Bologna hat sich ein unvollständiges
Textbuch in der königl. öffentlichen Bibliothek zu Dresden erhalten.
Nach Fürstenau's Mittheilung in einem Aufsatze iZur Don Juan-
Literatur«^ enthält dasselbe nur den zweiten Akt oder den eigent-
lichen Don Giovanni-Text. Aus einer SchluBbemerkung ist aber zu
entnehmen, daß in Bologna ebenso wie in Venedig das »Capriccio«
als erster Akt vorauf ging. Di^ größte Änderung bei der Bologneser
Auffuhrung bestand in dem /Wegfall der heiteren SchluBscene nach
j:^ Don Juan's Höllenfahrt Diese Kürzung dürfte man bald allgemein
vorgenommen haben. Über die Aufführung in Bologna fehlt eine ge-
nauere Zeitangabe; sie hat aber wahrscheinlich im Januar 1788, also
mit der römischen gleichzeitig, stat^efunden.
Ferrara.
Auf ähnliche Weise sind wir von einer Auffuhrung in Ferrara
unterrichtet, nur hier nicht durch das Textbuch, sondern durch die
Partitur. Eine alte Kopie von Gazzaniga's Musik zu Don Giovanni
befindet sich in der Bibliothek der Gesellschaft der Musikfreunde in
Wien und ist von L. v. Sonnleithner beschrieben^. Aus diesem
Manuskript, von welchem ich die für O. Jahn angefertigte Abschrift
besitze, geht hervor, daß dasselbe zu einer Auffuhrung in Ferrara
gebraucht ist. Durch die Weglassung der Schlußscene stimmt es mit
dem Bologneser Textbuche überein, enthält aber sonst noch mancherlei
Abweichungen, die durch Einlagen fremder Musikstücke veranlaßt
1 In den »Monatsheften für Musik-Getchiohte«. 1870. S. 41—47.
2 In dem Aufsätze »Zur Don Juan-Literatur« in den Wiener «Reeensionen
und Mittheilungen über Theater und Musik«. 1860. 8. 588—592.
Don OioTanni. Gazsaniga und Mozart. 409
sind. Wann diese Aufführung stattfand und ob das o Capriccio c einen
Theil derselben bildete, bleibt unbestimmt. Daß »Atto secondo«
auf dem Titel dieser Partitur durchstrichen und durch »Atto solo«
ersetzt ist, berechtigt schwerlich zu der Vermuthung, das genannte
Vorspiel sei in Ferrara nicht mit aufgeführt. Bei dem künstlerischen
Werth des »Capriccio« und seiner innigen Verbindung mit dem fol-
genden Spiel dürfen wir vielmehr voraussetsen, daß dasselbe in Italien
fast überall der unzertrennliche Begleiter des Don Giovanni war.
Kurze Erwähnungen über Auffuhrungen auf andern italienischen
Bühnen besitzen wir aus Bergamo 1788, Mailand 1789 und Lucca
1792, womit aber die Jahreszahl nicht genau und die Liste nicht
entfernt vollständig gegeben ist, denn die Aufführung dieses seltsamen
Musikspiels erstreckte sich schlechterdings über ganz Italien.
Paris.
Die Lebensfähigkeit, welche dieses Stück eine Reihe von Jahren
hindurch bewährte, veranlaßte endlich auch zwei auswärtige italie-
nische Theater, dasselbe vorzuführen. Paris ging 1791 voran; der
junge aufstrebende Cherubini, welcher Musikdirektor an dem dortigen
italienischen Theater war, komponirte ein Quartett »Non ti fidar o
misera« als Einlage. Das Ganze scheint aber trotz des mit großem
Gepränge hergerichteten Schlußspektakels nicht ganz den erwarteten
Erfolg gehabt zuhaben,^ was auch erklärlich ist, denn der »steinerne
Gast« war in der venezianischen Fassung doch eigentlich kein Stück
für das Ausland. Seine einaktige Fassung erwies sich als hinderlich.
Es war an sich ein großes Werk, erforderte auch derartige Vor-
bereitungen und erregte entsprechende Erwartungen, füllte aber nicht
einmal den Abend. Das »Capriccio« war ein unübertreffliches Vor-
spiel zur ersten Einführung, hatte aber nur rechten Sinn vor einem
1 Diese Naehrichten sind von Jahn (Mozart II, 335 u. 336) mitgetheilt;
eigene Untersuchungen habe ich über die Pariser Aufführung nicht anstellen
können. — Cherubini führte im nächsten Jahre (am 31. Mai 1792) im »Th^fttre de
Monsieur« (wie die Bühne der Italiener genannt wurde, weil der Bruder des Königs
ihr Protektor war) abermals eine Oper von Gazzaniga auf, die 1783 für Venedig
geschriebene )»Le Vendemie«. Man üuid, »daß die Musik viel munteres, ange-
nehmes, natürliches und reisendes in der Melodie hat. Man hat einige Stück«
hinzugefügt, die das Werk noch verschönern, unter andern eine vortreffliche Arie
von Mengozzi, die von der Dem. BaUetti vollkommen gut gesungen ward, und ein
Sextett von Cherubini, das vielleicht das schönste Stück ist, das man auf diesem
Theater gehört hat.« Reichardt's Musikal. Wochenblatt. Berlin 1791/92. S. 115.)
So ausgestattet, machte das Werk Glück, wie derselbe Bericht meldet.
410 Friedrich Chrysander,
italienischen Publikum. Ein anderes kleines Stück, weickes eine
passende Beigabe gewesen würe,' £uid sich nicht; denn was man auch
wählen mochte, Alles erwies sich neben Don Giovanni als fremdartig
und nachtheilig.
London.
Dies wurde man nii^ends empfindlicher gewahr, als »in London.
Unter Taylor's Direktion kam Gaxzaniga's Don Gioiranni hier am
1. März 1794 zur Aufführung, sonderbarerweise gerade zu der Zeit, wo
Da Ponte, der Verfasser des Mozartischen Textes, an diesem Theater
als Dichter aiigestellt war. Da Ponte bemuhte sich natürlich, die
Wiener Komposition, welche er mit slcli fährte, statt der venezia-
nischen hier anzubringen, betrieb aber seine Sache, wie gewöhnlidt
ungeschickt und wußte sich überhaupt niemals ein rechtes Ansehen
zu verschaffen.
Diese Londoner Auffuhrung besitzt durch allerlei Nebenumstände
eine ungewöhnliche Bedeutung, weshalb wir etwas ausfuhrlicher auf
dieselbe eingehen müssen.
Das Theater am Haymarket, welches der italienischen Oper
diente, war 1789 durch Feuer zerstört und wurde wieder aufgebaut,
herrlicher als zuvor. Nach allgemeiner Ansicht hatte man damit das
beste existirende Opernhaus gewonnen. »England kann sich jetzt
rühmen, Theater zu besitzen, welche nicht blos die prächtigsten und
geschmackvollsten in Europa sind, sondern auch am besten von allen
für musikalischen Effekt sich eignen. In letzterer Beziehung war
Italien bisher unerreicht; aber durch die Konstruktion des Opern-
hauses findet es sich selbst in demjenigen Theil der baulichen Kunst
übertroffen , auf welchen es bisher am meisten stolz war. « * Nach
Überwindung vieler Schwierigkeiten kamen erst mit dem Jahre 1794
reguläre Opemaufführungen in dem neuen Hause zu Stande. Ter-
sprechungen und Erwartungen waren gleich groß. Die Saison wurde
am 11. Januar 1794 eröffnet mit der hier noch unbekannten komischen
Oper »Die heimliche Ehe fll Hktrimomo Seffreto/n von Cimarosa.
Dieselbe erlebte nur fünf Aufiuhrungen , woraus bereits klar wurde,
daß zum Gelingen noch etwas anderes nöthig war, als ein pompöses
Haus. Kapellmeister Federici mußte nun schnell andere Stucke zu-
sammen flicken. Am 1. Februar 1794 erschien darauf die neue
komische Oper »I contadini bizarrh^ mit Musik von Sarti und Faisiello,
^ The Moming Chronicle (London) vom 20. Mftrz 1794. Dort wird das neu
hergerichtete Theater Drur}' Lane, wo die Oratorien-Konierte stattfanden, eben-
falls zu diesen musikalisch vortrefflichen Bauten gerechnet.
Don OioTftnni. Gauaniga und Mozart. 4] }
und gefiel so gat^ daß sie für die nädifteii beiden Monate zum Lücken-
büBer dienen konnte. Was in London geüedlen sollte, muBte den
Sängern auf den Leib geschnitten sein; eine einheitliche Komposition
war viel weniger erforderlich, ja sie eorwies sich sogar als ein Hindere
nifi, namentlich dann, wenn der Hauptreiz des Werkes in dem leb-
haften Zuaammeawijken aller Betheiligten bestand, wie es bei der
echten opera bufa der Fall ist Diese opeia buffa, die tonangebende
Macht der Zeit und das treibende Element in der damaligen Ent-
Wickelung der Bühnenmusik, war daher für London nur in einzelnen
Effektstücken zu erfiusen, nicht in itaem. Kern. Deishalb gefiel das
genannte Pasticcio, in wachem die gefeierten Buffosänger Morelli
und Bovedino mit populären Gesängen das Publikum fangen konnten;
aber Cimaroea's Meisterwerk blieb unTontanden.^ Mozart's Figaro
würde dasselbe Schicksal gehabt haben.
Man empfiind nun recht gut, daB mit solchen heiteren, übers
Knie gebrochenen Bnffo^Opem nicht weit zu kommen war, sondern
daB Sachen Ton gröfierem Gewicht rorgefohrt werden mufiten. Um
dies mit den Torhandenen, hauptsächlich für die komische Oper ge-
schulten Kräften zu erreichen und zugleich in der Zeitrichtung zu
bleiben, geiieth man auf ein Werk, welches den Sängern von Italien
her geläufig war, auf Gazzaniga's Don Giovanni. Schon am 8. Februar
wurde bei Anzeige der »Contadini» verkündet: »Eine groBe tragi-
komische Oper, genannt Don Giovanni, mit Tänzen verbunden, ist
in Vorbereitung und wird schnellstens angeführt werden. Die neu
engagirte Signora Negri tritt zum erstenmal in diesem Stück auf,
welchem eine komische Oper von einem Akt, genannt II Capriccio
drammatico, voraufgeht mit Musik von Cimarosa. Das Ganze
wird in gänzlich neuen Scenen, Dekorationen und Kleidern heraus-
kommen.«^ Vom 24. Februar an lauten die Anzeigen noch etwas
anders, dringlicher und pomphafter; die Auffuhrung wird für den
1. März verheißen; in dem Stücke wird eine große militärische Be-
gräbniß^^Prozession nach altspanischer Weise in Aussicht gestellt,
und als Autoren der Musik werden Cimarosa, Gazzaniga und Gug-
lielmi genannt
Wenn man diese Anaeigen mit der Absicht verfaßt hätte, das
^ Die Londoner Tageskritfk über den »Matrimonio « ist bezeichnend: »The
music is in many parts very fine. As it [ths opera] is not, however, exhilerated
by incidents, it muflt be ahortened; it was at least an hour too long.« The Mor-
ning Chronicle vom 13. Januar t794. Das ist alles, was über Text und Musik
dieser Oper gesagt wird. Für die Beschreibung der eingeschobenen Tänze hat die
Zeitung den vierfachen Raum!
^ The Moming Chronicle vom S. Februar 1794.
412 Friedrich Cluysander,
Publikum irre zu leiten, so wären sie kaum geschickter xu machen
gewesen. Ein Stück in ^inem Akt wurde als igroBec Oper aus-
posaunt; durch leeren Pomp suchte man die Anziehung desselben
zu erhöhen, riB es dagegen nach Text und Musik in Fetzen und
zerstörte dadurch eben das, was allein seine Wirkung verbürgte.
Hiermit noch nicht zufrieden, wurde das ursprüngliche originelle
Vorspiel beseitigt, wahrscheinlich weil es zu schwierig einzuüben
war, und dafür der schon 1781 von Cimarosa unter demselben Titel >I1
Capriccio drammatico« komponirte Einakter gewählt, welcher ebenialls
auf Don Juan hinwies. Als nämlich Crisobolo, der Impresario, vergeb-
lich Geld zu erlangen sucht und, von anmaBlichen Sängerinnen be-
drängt, sich in's Wasser stürzen will, giebt ihm der Poet ein Bündel Pa-
piere und sagt dabei: »Dann nimm dieslc — »»Was enthalten sie?« —
»Den Don Giovanni! Der wird uns heraus reißen!« — Darauf eilt
der Direktor fort, um die Aufführung noch für denselben Abend in*8
Werk zu setzen. Eine drastische, aber auch sehr plumpe Hinweisung
auf das Stück, die sicherlich nicht geeignet war, die Aufnahme des-
selben günstig zu beeinflussen. Man sieht, diese kopflose Direktion
konnte die Thorheit nicht weiter treiben. Der Erfolg entsprach auch
den Vorbereitungen.
Unter großem Zulauf fand nun am 1 . März, einem Sonnabend,
die erste Auffuhrung statt. bH Capriccio drammatico« machte den
Anfang, dann folgte das Ballet »L^union des Bei^res«. Darauf kam
die »neue groBe tragikomische Oper, genannt Don Giovanni, die
Musik von Gazzaniga. Federici, Sarti und Guglielmi«; mit Tänzen
verwebt und einer großen altspanischen Leichen-Prozession ausge-
stattet, an welcher hundert Personen theilzunehmen bestimmt waren. ^
Die zweite Aufführung mußte um acht Tage verschoben werden, an-
geblich weil die umständliche Maschinerie wegen der am 3. März
stattfindenden Maskerade bei Seite zu schaffen war, in Wirklichkeit
aber, weil man sich genöthigt fand, mit dem Stücke Veränderungen
vorzunehmen; auch wurde für die folgende Vorstellung den jungen
Herren der Zutritt hinter die Scene versagt, indem sich die Maschinen
nicht regieren ließen, »wenn die Bühne gedrängt voll ist von Herren,
wie es am letzten Sonnabend der Fall war«.^
Die genannte Zeitung liefert einen Bericht über die erste Auf-
führung, welcher lehrreich ist. »Die Geschichte von Don Juan,
spanischen Ursprungs und durch Moliäre längst berühmt geworden,
wurde hier letzten Sonnabend mit einigen Änderungen als eine tragi-
^ The Morning Chronicle vom 1. Mftrz 1794.
2 The Morning Chronicle vom 3. März 1794.
Don Giovanni. Gazzaniga und Mozart. 413
komische Oper gegeben. Voran zur Einleitung ging das einaktige
Stück 9II Capriccio drammatico 0 ^ welches die Eitelkeit der Poeten ^
die Anmaßung der Sängerinnen und die Geldnoth des Direktors zum
Gegenstand hat. Die Oper [Don Giovanni] enthält eine große Menge
reisender Musik, welche Federici mit Geschmack auegewählt und an-
gepaßt hat ; sie hat jedoch einen Fehler, der ia ünserm Lande nicht
ertragen wird — sie ist zu lang. Die Vorstellung währte von halb
sieben bis nach zwölf, und der ganze Don Giovanni ging ohne Unter-
brechifng vor sich. Dies muß geändert werden; es ist wenigstens
um eine Stunde zu kürzen, und die Erfahrung des letzten Abends
wird gelehrt haben , welche Scenen ganz oder theilweise wegfallen
können. Die kostspielige Prozession besonders könnte vermieden
werden, denn durch das Gedränge der jungen Leute auf der Bühne
wurde sie' so gestört, daß es ermüdete, wie denn in Wahrheit keine
Maschinerie mit Effekt funktioniren kann, wenn man gestattet daß sich
die Bühne so voll drängt. Die Dekorationen waren bewundernswerth
— namentlich was Hr. Noverre [der Balletmeister] seine ,praktikable
Hölle' nennt, an welcher Marinari sehr schöne Talente offenbart hat.
Es ist wundervoll, welche Wirkung er durch Transparente mit dem
Feuer hervor bringt; die Scene, wie Noverre sie darstellt, ist er-
haben schrecklich. Die Negri [Donna Elvira] sang mit schönem
Geschmack imd Gefühl und wurde sehr warm applaudirt« MoreUi
mußte eine venetianische Ballade wiederholen. Das Haus war in
allen Theilen dicht gefüllt, und die Fackeln, welche mit einem
rothen Reflex von der Scene Blitze in die Logen des Theaters
warfen, machten dadurch einen herrlichen Effekt.«^
Inzwischen besserte und flickte man an dem Stücke hastig
weiter, stopfte alte Löcher und riß neue, die eingeschlagene ver-
kehrte Bahn bis zu Ende verfolgend, und brachte dann das arme
mißhandelte Werk am 8. März zum zweiten Male vor das Publikum,
Von der großen Prozession war jetzt keine Rede mehr; trotzdem
sollte »positiv« keiner der Zuschauer auf die Bühne gelassen werden,
wodurch die ganze vorlaute Jugend in den Zuschauerraum gedrängt
wurde und sich nur um so mehr gegen Vorstellung und Sänger
erregte. Diese zweite verbesserte Vorführung brach dem Unter-
nehmen den Hals. Das Moming Chronicle bestätigte am nächsten
Montag das Todesurtheil des Publikums mit sehr bemerkenswerthen
Worten: »Die Oper von Don Juan kam letzten Sonnabend vor einer
höchst glänzenden Versammlung zum zweiten Mal zur Aufführung,
aber ohne Erfolg. Ein beträchtlicher Theil der Zuhörer drückte sein
1 The Moming Chronicle v. 3. M&n '94.
414 Friedrich Chrysander,
Mißfallen aus, welches noch außerordentlich angefeuert wurde durch
einige Personen, die im wahren Geist italienischer Kabale einoK
Aufruhr in Scene setsten gegen eine Sängerin, w;elche sich kein
Anrecht auf ihre Qunst erworben hatte. Die Negri, obwohl keine
glänzende Opemsäogerin , ist doch eur Zeit die beste in England.
Die Direktoren der: Oper sind sicherlich nicht glücklich gewesen,
denn nachdem sie ohne Frage das schönste Theater von Europa
sich veischafflt haben, sind sie durch die Zeitverhältnisse bisher ge-
hindert) große Sänger für dasselbe zu gewinnen, indem die beiden
Hauptlängerinnen fUr jetzt noch abgehalten werden, hier ihre Ta-
lente zu entfidten. All dies ist jedoch nur vorübergehend, da mit
Ende der nächsten Woche die Btmti und die Morichelli, die beiden
ersten Sängerinnen der Welt für ihre betreffenden Gebiete, in Lon*
don sein werden«.^ Sie kamen auch wie verheißen, und mit ihnen
begann eine Periode der Virtuosen-Schwärmerei, in welcher der nun
endgültig beseitigte Don Juan bald vergessen war, so vollständig
vergessen, daß selbst ein so leidenschaftlicher Besucher und genauer
Kenner der damaligen italienischen Oper in London, wie der Graf
von Mount Edgcumbe, nicht einmal die Erinnerung daran bewahrt
hat.2
Wenn nun hiermit das Verschollene wieder ans Licht geiogen
und eingehend besprochen wird, so geschieht es nicht, um die Schick-
sale einer immerhin denkwürdigen Auffuhrung breit zu beschreiben:
sondern wir verweilen nur deshalb so lange dabei, weil die Vorgänge
von kunstgescbichtlicher Bedeutung sind und eine sehr nachdrück-
liche Lehre enthalten. Was London damals an Opernhäusern be*
saß, war den besten auswärtigen mindestens gleich, und als Sammel-
platz aller ersten Gresangsgrößen konnte sich überhaupt kein anderer
Ort mit ihm messen. Aach die feinsten Instrumentalvittuosen und gute
Musiker aller Art waren in Menge vorhanden. Daß im Publikum
neben den willigen Zahlern die wirklichen Kenner nicht fehlten,
versteht sich für diejenigen von selbst, welche über die dortigen
Verhältnisse auf andere Weise unterrichtet sind, als durch ausländische
Vorurtheile; das Büchlein des Grafen Edgcumbe steht mit den be*
wundernswerth treffenden Urtheilen über Gesang in jener Zeit einzig
da. Der hochgebildete englische Kunstfreund kann in seinen Gren-
zen überhaupt als eine Vollkommenheit gelten.
Wie ist es nun möglich und wie erklärt es sich, daß bei solchen
1 The Morning Chronicle v. 10. März '94.
2 S. Musical Reminiscences, containing an account of the Italian Opera in
England, from 1773. By the Earl of Mount JSdgcumbe. (4. Aufl. London ISW.)
p. 78 ff.
Don Oioyanni. Oazzaniga und Mozart. 4t5
Büttelii, die etwas Vollendetes und Dauerndes zu yerhelBen schienen,
auch der glänzende Anfang von 1794 gleich früheren Versuchen klag*
lieh verlief und über kurz oder lang in allseitigem Ruin endete?
Denn die folgenden Jahrzehnte gehören su den ödesten und cer-
ÜEthrensten in der ganzen neueren englischen Musik. Und wie soll
man es verstehen, daß hingegen die französische Oper, über deren
rohen Gesang Graf Edgcumbe mit Recht spottet, sich in denselben
Jahren unter allen Gräueln der Revolution von Grund aus um-
gestaltete, zu einer erstaunlichen Produktion gelangte und mit Wer*
ken, die noch heute lebensfähig sind, die Theater Europa's beherrschte?
— Sicherlich wirkten mancherlei Ursachen zusammen; doch die
Hauptursache wird gewesen sein, daß die künstlerischen Faktoren
in Paris eine richtige, in London aber eine verkehrte Stellung ein-
nahmen. Denn hier war das Werk der Auffuhrung wegen da, in
Paris und an allen musikalisch produktiven Orten Deutschlands und
Italiens dagegen die Auffuhrung des Werkes wegen, wenigstens so-
weit, daß dem Werke oder der Komposition das erste Recht gewahrt
blieb. In London war die Komposition rechtlos und überhaupt nur
soweit vorhanden, als sie der Aufführung diente ; deshalb konnte sich
hier kein entwicklungsfähiges musikalisches Theater bilden. Die
Londoner Oper war und blieb Virtuosen -Oper, welche trotz der
großen Opfer vornehmer Kunstfreunde niemals zu eignem Leben und
entsprechender Selbständigkeit gelangte, weil das Ideal dieser Kunst-
freunde nicht auf die musikalische Komposition als solche, sondern
lediglich auf Virtuosenleistung und Musikschwelgerei gerichtet war.
Wäre es Da Ponte gelungen, Mozart's Komposition des Don
Giovanni statt der von Gazzaniga zur Annahme zu bringen, so hätte
sich der Erfolg schwerlich besser gestaltet. In der Wiener Oper
war die Oeschichte noch weiter ausgesponnen, also auch mühsamer
einzuüben; dabei fehlten populäre Prunkpartien. Um aber schöne
Melodien von Sängern mittleren Ranges vortn^en zu hören, oder
gar solcher Darsteller wegen den Geist angespannt auf das vor-
geführte Stück zu richten, dazu besuchte der englische Musiken-
thusiast seine italienische Oper nicht. War es schon thöricht, Gazzani-
ga's Werk hier jetzt zu geben, so würde die Aufführung des Mozar-
tischen wohl ein noch größerer Fehlgriif gewesen sein. Mit den
gegenwärtigen Sängern gefiel höchstens das leicht Eingängliche und
Bekannte, am wenigsten aber alles was vom Herkömmlichen abwich
und schwierig zu erfassen war. Konnte Mozart anfangs nicht ein-
mal in Wien durchdringen, wie iii'ürde er hier gefahren sein!
Nur eine einzige Nummer der Wiener Partitur fand Gnade vor
den Augen Federici's und Morelli's und kam deshalb in ihr Flick-
1898. 28
4t6 Friedrich Chr^sander,
werk. Wenn dies bei den Ankündigungen nicht gesagt wurde, so
beweist es nur/ daß Mozart als Opemkomponist noch keine europäische
Popularität erlangt hatte. I)as Londoner Textbuch ist eine Merk-
würdigkeit, und das Merkwürdigste daran ist der Titel — :
^ - .
n Don Giovanni, a Tragi- comic Opera in one Act.
The Müsic by Messrs. Gazzaniga, Sarti, Federici and
Guglielmi. The Words are new, by L da poxtb, poet of
this Theatre, except those that are not marked with in-
verted Commas.
Hiermit ei^et sich also Da Ponte ohne weiteres den Text an,
»ausgenommen diejenigen Zeflen, welche nicht mit Anführungs-
strichen bezeichnet sind.« Letztere, betragen insgesammt 8 Seiten;
Da Ponte's ))neue« Worte fiiUen dagegen 21 Seiten und entstehen
hauptsächlich dadurch, daß er Bertati's Recitative umschreibt und
verkürzt. In welcher Weise .dies geschieht, möge Donna Anna s Er-
zählung von Don Juan's nächtlichem Eindringen bei ihr veran-
schaulichen. Die 17 Zeilen Bertati's, {s. S. 375} sind hier auf elf
gebracht:
D. An. Credo che aiate toi; s'aecosta, e tacito
Fra be braccia ml stringe
Mille cose mi dice,
Riconosco alla voce
Che k un traditor; mi scuoto: ei piü mi serra,
Cerca ma in van di profittar, Fafferro,
Lo vo scoprir, la Cameriera chiamo,
£i Tuol fuggir, lo seguo, ai gridi miei
Vaceorre il genitor, e l'assassino
Per compiere Vorror del suo delitto,
Me lo stende sugli oechi al suol trafitto. (p. 6
Bei vielen andern Stellen schließt er sich noch wörtlicher an den
früheren Text; man sieht keinen Grund zu Veränderungen, die oft
nur Verschlechterungen sind, und erstaunt über die Dreistigkeit,
so etwas als eignes Produkt in Anspruch zu nehmen. Die nahe
liegende Vermuthung, Da Ponte werde so viel i^^e möglich seinen
Wiener Text hier eingeschmuggelt haben, erweist sich als grundlos.
Von fünf bedeutungslosen Zeilen in Scena 7 abgesehen , erscheint
■ derselbe nur einmal — bei Pasquariello's RegiBterarie ; hier steht Da
V Ponte's Text von Anfang bis zu Ende, woraus von selber folgt, dafi
Mozart's Musik gewählt Wurde.
Die Bevorzugung dieser Arie Mozart's hatte zwei Ursachen.
Einmal bildete das Stück eine abgeschlossene Nummer, welche nicht
in einen Zwiegedang auslief, wie bei Gazzaniga, daher dem Sänger
besonders willkommen sein mußte ; und sodann war diese Arie in ihrem
Don Giovanni. Gazzaniga und Mozart 4t 7
überragenden musikalischen Reichthüm zugleich so durch und durch
italienisch, mehr als irgend eine der ganzen Mozartischen Oper, daß
schon daraus der Beifall erklärt wird, welchen sie sofort bei italien-
ischen Sängern fand. Auch das weltbekannte Duett »La ci darem
la mano« und Zerlina^s JtBatti batti« würden sich bequem in das Lon-
doner Stück eingefugt haben und um so leichter, sollte man denken,
weil Da Ponte an beiden Stellen neue Texte für andere Gesänge zu
schreiben, die Versöhnungsscene zwischen dem bäuerlichen Braut-
paare sogar ganz neu zu machen hatte, da sie bei Bertati fehlt.
Aber diese süßen Melodien entbehren eben des specifisch Italienischen
und sind überdies weder in ihrem Schlußtheile so effektvoll, noch in
einer einaktigen Handlung so nothwendig, wie die Registerarie, die
daher als das erste Stück angesehen werden muß, welches aus Mozart's
Don Giovanni in London italienisch gesungen wurde.
Da Ponte war allerdings durch die Praxis der Londoner Thea-
ter gezwungen, mit den Texten der aufzuführenden Stücke rücksichts-
los umzugehen ; aber nichts entschuldigt sein Verfahren, den Namen
des wahren Autors zu unterdrücken und dessen Arbeit sich anzu-
eignen. Nachdem er in seinem Wiener Libretto ein Beispiel durch-
aus selbständiger und rechtmäßiger Umbildung gegeben hatte , legte
er nun hier von demselben Werke ein anderes vor, welches ledig-
lich Ausbeutung war und daher als Diebstahl bezeichnet werden
muß. Daß ihn hierbei zum Theil persönliche Rachsucht leitete,
werden wir im folgenden Abschnitt sehen.
. • >•
Wien.
Nut einen einzigen ausländischen Ort gab es, wo das venezia-
nische Stück so wie es war, ein natürliches Verständniß gefunden
haben würde, und eben dieser Ort blieb ihm verschlössen. Wäre
nicht ein ganz besonderes Hindemiß eingetreten, so würde ohne
Zweifel gerade Wien die erste Aufführung dieses neuen Don Juan
im Auslande veranstaltet haben. Nach Wien verbreitete sich die
Kunde von dem musikalischen Ereigniß des Mose-Theaters ebenso
schneit wie in Italien. Damals war das Theater eine Angelegenheit
der Höfe, und die Berichte der Gesandten über neue Aufführungen
und ihre Erfolge wurden in friedlichen Zeiten mit größerer Spannung
erwartet, ab die Relationen über politische Angelegenheiten. Gesandte
erhielten Aufträge zur Beschaffung des Opernpersonals, spionirten die
Sänger aus und engagirten sie. Schon einige Tage nach der Auf-
führung wird Bertati's Textbuch in Wien gewesen sein, und eine der
erstien Kopien der Partitur ging unzweifelhaft denselben Weg. Wir
28»
41g Friedrieh Chrysander,
dürfen als sicher annehmen, daB früh im Februar 1787 daa geaanunte
Material sich in Wien befand.
Auf deutschen, ako besonders auf österreidiischen Boden wurde
die italienische Wandertruppe yersetet, und für dortige Verhältniase
suchte sie ein wirkungsvolles Spiel extra hersurichteu. Es lag dem*
nach nahe genug, dieses seltsame Theaterstück so bald wie mög^ch
dort vorzuführen, wo es durch das Vorspiel gleichsam schon heimaths*
berechtigt gemacht war. Dichter und Komponist werden nach der
erfolgreichen venezianischen Aufführung auch mit Sicherheit auf
Wien gerechnet haben. Aber merkwürdigerweise sollte ihr Stuck
gerade hier mcht nur eine unüberschreitbare Grenze, sondern su*
gleich die allerschärfste und allein richtige Beurtheilung finden.
Das j) Capriccio«, so bedeutend und unterhaltend es aucdi an sich
ist, konnte doch nicht auf die Dauer lebensfiUiig sein. Sobald das
Publikum diesen Don Giovanni zum erklärten Liebling erhoben
liatte, war dem lustigen Vorspiel die Pointe und damit theatralisch
die Berechtigung genommen. Ein anderes Stück vertrug sich noch
weniger damit. Sollte der »steinerne Gast a dauernd bestehen bleiben,
«0 mußte er ganz allein den Abend beherrschen. Mit andern Worten:
er mußte das sein, was unser Mozart unter Da Ponte's Beihülfe
4ann aus ihm gemacht hat.
Diese Beiden waren es also, welche das venezianische Produkt
in allen seinen Tugenden und Mängeln klar durchschauten und sich
anschickten, den Gegenstand von Gnind aus neu au&ubauen m
einer Zeit bereits, wo außer ihnen alle Welt bei dem neuen Don
Juan nur Lust und Grausen empfand und Niemand an Kritik dachte.
Da Ponte und Mozart mußten bald bemerken, daß die drei männ-
lichen Hauptpersonen — Don Giovanni, Pasquariello und Komthur
— bei Bertati und Gazzaniga wie Säulen standen, an denen kaum
zu rütteln war. Anders verhielt es sich mit den weiblichen Partien
und den nebensächlichen Scenen. Bei diesen fand man leicht, daß
sie sich zum Vortheil des Ganzen besser ordnen oder weiter aus-
bilden ließen, und dcunit war der erforderliche größere Spielraum
gewonnen.
Was bei Da Ponte und Mozart zunächst aus theatralisch-ökono-
mischen Gründen Bedenken erregt haben wird, war die Au&tellung
von nicht weniger als sechs Sängern neben vier Sängerinnen. Der
Ausweg des venezianischen Spiels, diese zehn Rollen von acht Per*
sonen geben zu lassen, konnte ihnen nichts nutzen, denn sie ver-
fugten sowohl in Prag wie später in Wien nur über sieben Sänger.
Weil sie aber an dem Verfahren der Venezianer, den Komthur
d^Oliola und den Hauern Biagio abwechselnd durch densdben Bassisten
Don Giovanni. Oaszaniga und Mozait. 419
singen zu lassen, keinen Anstoß nahmen, konnten sie ihr Spiel leicht
so richten, daB mit sieben Solisten auszukommen war.
Zunächst wurde Lanterna^ der Koch oder zweite Hauptdiener
Don Juan's, einfach gestrichen. Für eine standesgemäße Besetzung
war das freilich kein Gewinn, denn ein so vornehmer Kavalier, der
sich sogar eine Hauskapelle hielt, erschien doch etwas ärmlich, wenn
ein derartiges Faktotum nicht im Hause sichtbar wurde. Von einigem
Nachtheil war dies auch für Don Juan's Begleiter; mußte Leporello
beim Essen lediglich die Teller wechseln und Speisen auftragen, so
büßte er damit etwas von seinem Charakter als xservo confidente«
ein. Nicht nur an Don Juan's Streichen, sondern unter Umständen
auch an seinen Schmausereien hat ein solcher Vertrauensmann theil.
Pasquariello ist ein gründlicher Schmarotzer, der sich einem höher
geborenen Taugenichts anschließt und von diesem alles Mögliche sich
gefitUen läßt, um das schöne flotte Leben mit zu genießen. Beim
Abendessen geräth ihm, wie dem Leporello, allerdings auch etwas
heimlich in die Kehle, aber nachdem sein Herr ihn dafür auf rohe
Art gehänselt hat, ladet er ihn doch ein, mit ihm zu speisen sowie
Toaste auszubringen, und belohnt dadurch die guten Dienste in den
letzten, zum Theil recht schmerigen Affairen. Pasquariello hat also
offenbar einen besseren Dienst, als sein Kollege Leporello, was aber
nicht der Fall sein würde, wenn man den Lanterna in Wien oder
vielmehr in Prag behalten hätte. Doch sind die Nachtheile, welche
sich daraus ergeben, nicht erheblich.
Neben Lanterna wurde in Wien auch eine weibliche Person be-
seitigt, Donna Ximena, und dieser Schnitt griff ungleich tiefer
in das Spiel ein, ja er war es, welcher die Neubildung des deutschen
Don Juan hauptsächlich bewirken half. Eine gewisse Einbuße war
auch hiermit verbunden, weil nun nicht mehr gezeigt werden konnte,
daß dem Verführer die Eroberungen gleich leicht wurden, ob die
Damen adeliger oder bäuerlicher Herkunft waren. Aber dieser Nach-
theil wird nicht nur aufgehoben, sondern in Gewinn verwandelt, i
wenn man erwägt was sich daraus gestaltete. Donna Ximena ver- h
schwand nicht einfach, Avie Lanterna; ihr Part ging der Stimme
nach an Donna Anna , der Handlung nach an Zerlina , zu einem ^ ;
kleinen Theile auch an Donna Elvira über und erhob ^ese drei
Frauen dadurch sämmtlich zu Hauptpersonen, zu bewundemswerthen
Charaktergestalten.
unter ihnen ragt Donna Anna schon äußerlich hervor, noch
mehr aber durch innere Bedeutung. Bei Bertati erscheint sie nur
in der Eingangsscene und tritt dann so vollständig zurück, daß die-
selbe Sängerin die Rolle der Maturina übernehmen konnte. Bei
420 Friedrich Chrysander,
Mozart lYÜrde die Vertreterin der Donna Anna nicht mehr die
Zerlina singen können, auch wenn dies scenisch möglich wäre, so
sehr ist die Gestalt von Grund aus verändert. Als man in Wien
den Gedanken faßte, Donna Ximena aufisugeben und dafür Donna
Anna an dem ganzen Verlaufe der Handlung zu betheiligen, war der
neue Don Juan in der Hauptsache fertig, denn alles weitere lieB
sich aus diesem Keime entwickeln. Es stand nun eine Don Juan
ebenbürtige weibliche Gestalt da, aber im vollen Gegensatze zu ihm :
zwei Pole waren gefunden, um welche sich das Ganze bewegen
konnte. Wer mag der Urheber dieses genialen Gedankens gewesen
sein? Ich zweifle nicht, daß Mozart es war. Aus dem Bericht,
welchen Da Ponte der Nachwelt überliefert hat, läßt sich dies freilich
nicht heraus lesen. Er giebt über die Entstehung des Don Juan-
Textes folgende Erzählung zum Besten.
»Die vorbenannten Kapellmeister Mozart, Martini und Salieri ver-
langten von mir jeder ein Drama, alle drei zu gleicher Zeit. Ich erwog,
ob ich nicht alle drei zu gleicher Zeit zu befriedigen im Stande wäre, und
drei Opern auf einmal schreiben könnte. Salieri forderte von mir kein
Original-Drama. Er hatte in Paris die Oper Tarare geschrieben, woUte
sie sowohl im Charakter wie in der Musik in ein italienisches Stück um-
arbeiten und verlangte daher von mir nur eine freie Übertragung. Mozart
und Martini überließen mir ganz die Wahl [Mozzart e Martini
lasciavano a me interamente la scelta) ; i ch wählte für j enen den Don
Juan, der ihm außerordentlich zusagte, und für Martini den
»Baum der Diana«, weil ich ihm ein angenehmes Sujet geben wollte, das
für seine zarten weichen Melodien passend w&re, die man nur mit der
Seele fühlen kann und die sehr wenige nachzuahmen vermögen. Nach-
dem ich diese drei Sujets gefunden hatte, ging ich zum Kaiser [Joseph U.],
entdeckte ihm meine Pläne und theilte zugleich meine Absicht mit, alle
drei Opern zu gleicher Zeit zu schreiben. Sie werden nicht damit zu
Stande kommen, antwortete er. Vielleicht gelingt es mir nicht, erwiderte
ich, aber ich werde es versuchen. Nachts werde ich für Mozart schreiben,
ich werde mir denken, ich lese die Hölle von Dante ; in der Frühe für
Martini, und meinen, ich studire den Petrarca ; anCi Abend für Salieri,
und mich meines Tasso erinnern. Er fand meine Vergleiche passend,
und als ich kaum zu Hause angelangt war, fing ich an zu schreiben. Ich
setzte mich an meinen Schreibtisch und blieb volle zwölf Stunden daran
sitzen. Ein Fläschchen Tokayer zur Rechten, in der Mitte mein Schreib-
zeug und eine Dose mit Tabak von Sevilla zu meiner Linken. Ein sehr
schönes sechszehnj ähriges Mädchen, die ich nur gleich einer Tochter
lieben wollte, aber — wohnte in meinem Hause mit ihrer Mutter, besorgte
die häuslichen Geschäfte imd kam sogleich in mein Zimmer, wenn ich
die Qlocke schellte, und dieses, in Wahrheit, geschah sehr oft, besonders
wenn ich merkte, dass mein poetisches Feuer erkalten wollte. Sie brachte
mir bald einen Zwieback, bald eine Tasse Kafiee, bald aber auch bloß
Don Giovanni. Gazzäniga und Mozart. 421
' ihr schönes Qesichtchen, das immer voll Heiterkeit und, vöadem freund-
lichsten Lächeln noch verschönert, ganz geschaffen war, poetische Ein-
fälle zu erwecken und sie zu beseelen. Ich blieb auf diese Weise alle
Tage zwölf Stunden bei meiner Arbeit mit ganz kurzen Unterbrechungen
zwei Monate lang, und während dieses ganzen Zeitraums hielt auch sie
sich immer im Nebenzimmer auf, bald mit einem Buch in der Hand,
bald mit Nähen oder Sticken beschäftigt, um immer bereit zu sein, auf
den ersten Glockenton sogleich bei mir erscheinen zu können. Sie setzte
sich auch zuweilen neben mich, ohne sich zu bewegen, ohne den Mund
zu öffnen oder nur den Blick abzuwenden, so fest betrachtete sie mich ;
sie lächelte zärtlich, seufzte und schien manchmal weinen zu wollen.
Kurz, dieses Mädchen war meine Ealliope, während ich diese drei Opern
schrieb, und sie blieb es auch in der Folge bei allen Versen, die ich noch
während voller sechs Jahre dichtete. Anfangs erlaubte ich dergleichen
Besuche sehr häufig ; ich mußte aber später bitten, dass sie seltener statt-
haben möchten, weil ich zu viele Zeit mit ihren Zärtlichkeits- und Liebes-
bezeugungen vertändelte, worin sie vollkommen Meisterin war. Am
ersten Tag aber zwischen Tokayer, Tabak von Sevilla, Kaffee, dem Qlöck-
chen und der jungen Muse, waren die ersten zwei Scenen von Don Juan,
zwei andere vom j)Baum der Dianaa und mehr als die Hälfte des ersten
Aktes vom Tarare (ein Titel, den ich in »Azur, König von Ormus« ver-
wandelt hatte) fertig. Am andern Morgen brachte ich diese Scenen den
drei Komponisten, die kaum möglich glaubten, was sie mit ihren eigenen
Augen sahen und lasen, und in dreiundsechzig Tagen waren die ersten
beiden Opern [Don Juan und Baum der Diana] ganz fertig, und von der
dritten hatte ich über zwei Dritttheüe beendet. »Der Baum der Dianaa
war die erste, die aufgeführt wurde. Sie erfreute sich der glücklichsten
Aufnahme, die wenigstens so gut war, als die der [ebenfalls von Da Ponte
gedichteten und von Martini komponirten] }jCosa rara« ^.u
In. dieser Erzählung fehlt das Unterhaltende nicht, sie ist auch
überaus charakteristisch für den Manu; aber eben das, was wir gern
wissen möchten, hat er verschwiegen. Zunächst wäre nöthig den
Zeitpunkt zu erfahren, wann die drei Komponisten ihn um Text-
bücher ersuchten, denn davon hängt es ab, seine Versicherung, nach
welcher Mozart und Martini ihm i)ganz die Wahl« des Stückes
anheim gaben , richtig schätzen zu können. Wir nehmen an , dies
geschah schon im Jahre 1786, also bevor der venezianische Don Juan
zur Welt kam. Denn da ich beweisen werde, daß Mozart bereits Gaz-
zäniga's Partitur in Händen hatte, als er an die Komposition der
ersten Scene ging, so wäre es absurd anzunehmen, er sei bei dem
Empfang der ersten Verse zugleich mit dem Namen des betreffenden
Stückes überrascht worden und habe bei dieser Gelegenheit erst er-
* Memorie di Lorenzo Da Ponte , da Ceneda. Nuova-Yorca. 1829. (3 Bde.
kL 8.) I, parte 2, pp. 99—101.
422 Friedrich ChrysAnderi
fahren, daß ihm ein Don Giovanni sur Komposition bestimmt war.
Wenn man erwägt, mit welchem eindringenden Verständnis, mit
welcher Lebhaftigkeit und Umsicht Mozart sich um textliche An-
gelegenheiten kümmerte, so ist es nicht glaublich, daß er jemals
ohne äußere Nöthigung einen fertigen Text angenommen oder gar
gewünscht haben sollte; schlechterdings unmöglich aber ist es hier,
wo es sich darum handelte, ein fremdes Stück Schritt vor Schritt zu
ändern und zu bessern. Verlegen wir aber die Aufträge an Da
Ponte in das Jahr 1786, so läßt sich mit seinen Flunkereien einiger-
maßen zurecht kommen.
Daß eine längere Zeit zwischen Auftrag und Ausführung ver-
strichen sein muß, verräth Da Ponte selber. Er erzählt, ein Ver-
ehrer Martini's, Baron von Lerchenheim, habe ihn «halb scherzend,
halb im Ernst« gefragt, »wann denn« Martini seine Verse bekommen
werde — eine Frage, die doch schließen läßt, daß der Komponist
schon seit einiger Zeit darauf wartete. Den eingehenden Bericht,
welchen Da Ponte über Entstehung und Inhalt der Oper »Der Baum
.der Diana t liefert, hat er uns beim Don Juan ohne Zweifel nur
deshalb vorenthalten, weil er hier die Benutzung Bertati's und da-
mit die Hauptsache verheimlichen wollte.
Den Text der beiden ersten Scenen in einem Zuge nieder zu
schreiben, war eben kein Wunderwerk, denn hier konnte der Poet
seinem Vorgänger fast Zeile um Zeile folgen. Bei der dritten Seene,
mit welcher die eigne Arbeit beginnen mußte, pausirte er. Diesen
Anfang mag Da Ponte immerhin auf eigne Hand unternommen
haben, aber jedenfalls wußte Mozart darum. Erst von der dritten
Scene an war ein neuer Weg zu brechen, bei welchem das venezia-
nische Buch wohl noch viel schätzbares Material liefern, aber nicht
mehr Führer sein konnte. Auf diese neue Bahn gelangte man
hauptsächlich durch die Umbildung einer einzigen Gestalt, der Donna
Anna.
Die Venezianer hatten dieselbe unübertrefflich eingeführt, dann
aber im Dunkel des Klosters verschwinden lassen. Letzteres ent-
sprach an sich wohl einer Tochter, welcher der Vater so plötzlich
und so grausam entrissen wurde; aber diese stille Entsagung paßte
doch nicht recht zu der energischen Dame, die in unbedachter
Leidenschaftlichkeit dem Verführer sogar auf die Straße folgte, um
ihn zur Bestrafung zu bringen. Von einer solchen Person war zu
erwarten, daß sie jetzt auch das Werk der Bache persönlich be-
treiben werde: wenigstens konnte man dieses für ein auf zwei Akte
erweitertes Spiel hinzu dichten, ohne dem Charakter Gewalt anzuthun.
Die Wiener folgten daher nur einem ganz natürlichen dramatisch-
Don Giovanni. Gazzaniga und Mozart. 423
musikalischen Gebote, indem sie ihre Donna Anna an allen Phasen
der Handlimg theilnehmen ließen. Aber wer konnte hieraufkommen?
Doch nur der Musiker. Dem Poeten müßte es näher gelegen haben,
die nöthige Breite für swei Akte mehr durch Aufstellung neuer
Büder, als durch Erweiterung der rorhandenen Vorgänge zu ge-
winnen. Man versetze sich dagegen in die Lage des Komponisten.
Wenn er den hoch leidenschaftlichen Ton der beiden ersten Scenen,
welchen er schon bei seinem Vorgänger angeschlagen fand, noch
vertiefte; wie geschehen ist, und dann an die dritte Scene gelangte,
wo Donna Anna ihren ermordeten Vater erblickt, so mußte es ihm
schlechterdings unmöglich sein, die natürliche Steigerung der Leiden-
schaft zu unterdrücken und der Tochter darauf für immer das Wort
zu entziehen. Dies wird Mozart, wenn nicht früher, dann geltend
gemacht haben, als er die beiden ersten Scenen in der Hand hatte
und es sich um diejenige Fortsetzung handelte , von welcher das
Schicksal des ganzen Werkes abhing. Wenn nun hierin, wiä wir
annehmen, der Musiker das entscheidende Wort sprach, so darf man
sich auch nicht wundern, daß Donna Anna ein Charakter von her-
vorragend musikalischem Grehalte geworden ist.
Die Bedeutung dieser Persönlichkeit in Mozart's Werk ist so
groß, daß sie schwerlich überschätzt werden kann. Wohl aber liegt
die Gefahr einer falschen Schätzung nahe, und diese Gefahr er-
klärt sich aus der Art wie der Wiener Opemtext entstand. In ein
fertiges Stück hinein zu arbeiten, ist immer eine mißliche Sache.
Wenn es auch, wie hier, noch so vorzüglich gelingt, bleibt doch
manches nach, was nicht ganz in das neue Facit aufgehen will.
Diese Wahrnehmung macht man oft, wenn ein Autor seine eignen
Werke später umarbeitet, und nicht minder, wenn die Umbildung
sich auf fremde Arbeiten bezieht. Die ersten Entwürfe sind immer
aus dem Vollen gearbeitet, da ihnen der Stoff als Ganzes noch un-
gestaltet vorliegt; wie unvollkommen sie auch in der Ausführung
sein mögen, so beeinflussen und beengen sie doch mehr oder weniger
jede Weiterbildung, die auf diesem Wege erfolgt. Die erste Ge-
staltung ist dem Kleide zu vergleichen, welches aus einem Stück ge-
schnitten wurde. Nimmt man dann später Einfügungen oder Er-
weiterungen vor, so wird sich auch bei der feinsten Arbeit das
Flickwerk nicht ganz vermeiden lassen. Wenn man dies berück-
sichtigt, dann ist die auffallende Thatsache erklärt, wie Donna Anna
trotz ihrer Stellung als weibliche Hauptgestalt doch in dem Werke,
von den ersten Scenen abgesehen, fast nur episodisch zur Geltung
kommen kann. Mit der musikalischen Ausgestaltung, die sie er-
fahren hat, deckt sich ihre Bedeutung völlig, nicht aber mit der
424 Friedrich Chrysander,
dramatischen. Hierin liegt ein neuer Beweis , daß es der Musiker
war, welcher diese Gestalt von Anfang an in die Hand nahm. Zu-
gleich aber läßt sich jetzt verstehen, wie im Laufe der Zeit immer
neue Versuche auftauchen konnten, diese außerordentlich anziehende
Erscheinung psychologisch weiter zu ergründen und dadurch Einheit
und Klarheit in ihren Charakter zu bringen. Daß das meiste daTon
als romantischer Auswuchs zu betrachten ist, lehrt zwar schon ein
unbefangener Anblick des Mozartischen Werkes: aber wir erüediren
aus demselben nicht, wo die Quelle dieser Irrthümer zu suchen ist,
wir werden nicht gewahr, daß sie in dem deutschen Werke selber
liegt, daß letzteres unausgeglichene Partien, Lücken und Spalten be-
sitzt , in welchen die Erklärer ihre Eier ausbrüten können. Die Art
der Entstehung des deutschen Don Juan verbreitet nun über alles
dieses ein helles Licht. Aus dem venezianischen Buche erwächst
uns der unschätzbare Gewinn, die Gestalt der Donna Anna in ihren
einfachsten Zügen erblicken zu können. Niemand wird das Bedürfhiß
empfinden, in Gazzaniga's Donna Anna etwas hinein zu deuten; es
ist eine ganz klare Erscheinung. Nun, die weibliche Hauptperson
in Mozart's Oper sollte nichts anderes sein; sie ist größer und tiefer
gezeichnet, ihr Charakter ist musikalisch bewundernswerth ausge-
prägt, aber in keinem Zuge geändert.
Sehr merkwürdig ist es nun, wie wenig die Wiener Oper bei
dieser Gestalt von Seiten der Handlung hinzuthun konnte, obwohl
Donna Anna statt an drei Scenen nunmehr an dem ganzen Werke
betheil^t war und musikalisch eine gänzliche Neuschöpfung erlebte.
Die Erzählung des nächtlichen Überfalles mit der Erkennung Don
« Juan's zu verbindeu : dieser geniale Zug war und blieb das Einzige,
was als wirklich neu aus dem Innern des Charakters hervor geholt
werden konnte. Die Bedeutung desselben ist allerdings die denkbar
größte, denn hiermit war jener mittelpunktliche Gipfel erreicht, nach
welchem die Höhe des neuen Kunstwerkes zu bemessen ist. Im
weiteren Verlaufe konnte Donna Anna wenig mehr thun; dadurch
daß sie Arm in Arm ihren Octavio begleitet, macht sie diesen nicht
kampffähiger. Ihrem Charakter entsprach es sehr wohl, die Bache,
die Verfolgung selber in die Hand zu nehmen. Sollte das nun in
Wirklichkeit geschehen, so hätten Scenen beschafft werden müssen,
in denen die Tochter des Komthurs mit dem Dolche oder Degen in
der Hand herum fuchtelt. Ein Modemer würde sich diesen Effekt
nicht entgehen lassen. Soweit wollten sich aber die Wiener nicht
vor wagen , und wir haben Ursache ihnen dafür dankbar zu sein.
Wie man sieht, war es fast überall das venezianische Spiel, • welches
ihre Schritte lenkte und ihnen die Grenzen steckte.
Don Giovanni. Oazzaniga und Mozart. 425
Donna Elvira ist von den Wienern mehrfach in>andere Lagen
versetzt, aber in ihrem Charakter ganz unverändert gelassen. In
beiden Stücken ist sie für Don Juan diejenige Person, welche ihm
überall Unglück bringt und keinen seiner Streiche mehr gelingen
läßt; in beiden büßt sie dafür, daß sie dem Manne auf die Straße
nachläuft, ihre Würde ein und wird von Gazzaniga zu einem Zank-
duett mit Maturina (Zerlina), von Mozart zu der Mondschein- Wan-
derung mit Leporello erniedrigt; aber auch in beiden erhebt und
läutert sie sich wieder durch ihren letzten Mahnruf an den früheren
Geliebten.
Daß in der Kunst die reife Ausbildung einer einzigen Gestalt
ungleich mehr bedeutet, als das flache Skizzenwerk einer Vielheit
von Personen, sieht man wieder an Mozart's Zerlina, welcher der
Löwenantheil von Ximenens Partie zufiel, so daß sie als eine Ver-
einigung der beiden venezianischen Geliebten Ximena und Matuiina
angesehen werden muß. Der Liebreiz, welchen diese Gestalt durch
die veredelnde Hand Mozart's erhalten hat, ist ein außerordentlicher.
Im Vergleich damit erscheint die venezianische Maturina bäurisch
roh und gefühllos. Es würde aber ungerecht sein, mit dieser ab-
schätzenden Vergleichung sich zu begnügen, man muß vielmehr
hervorheben, daß Bertati und Gazzaniga eine Bauembraut wie.Zer-
lina in ihrem Spiel gar nicht gebrauchen konnten, da es bei ihnen
auf bunte Vorgänge im Sinne der opera buffa abgesehen war und
Alles in Einem Akt erledigt werden mußte. Also stehen sich hier
nicht etwa Stümperei und Meisterschaft gegenüber, sondern viel-
mehr zwei verschiedene dramatische Zwecke und demnach auch zwei
verschiedene Ausführungen, die beide ihre Berechtigung haben.
Dabei bleibt die Leistung Da Ponte's und Mozart's in ihrem
vollen Werthe bestehen. In der That war diese weitere Ausgestal-
tung und Veredlung des bäuerlichen Verhältnisses der zweite glück-
liche Griff, der ihnen gelang, der zweite neue Grundstein, auf
welchen sie ihren herrlichen Bau stellten. Und das Verdienst hier-
von wollen wir gern Beiden vereint zuschreiben, denn ohne Da
Ponte's Findigkeit in Bühnensachen hätte Mozart hier wenig aus-
richten können.
Mit Zerlina ist auch Masetto erhoben. Sein Vorgänger Biagio
bleibt weit hinter ihm zurück, erscheint überhaupt nur ein einziges
Mal auf dem Schauplatze, um zu erfahren, wie seine Maturina ihn
schmählich verläßt und zugiebt, daß Don Juan ihn mit Prügeln ver-
treibt. Diese Scene ist theatralisch geschickter angelegt, als die ent-
sprechende bei Da Ponte; natürlich konnte man sie in Wien nicht
in solcher Derbheit gebrauchen^ denn Mozart mußte ohnehin schon
426 Friedrich Chrysander,
den vollen Zauber seiner Musik durch die kleine Hexe wirken
lassen, um nicht nur bei Masetto» sondern auch beim Publikum das
Vorgefallene in Vergessenheit zu bringen. Zwischen Biagio und
Maturina eine Aussölmung su bewirken, fehlte der zwingende Grund
und in einem Einakter auch der Baum; Biagio trat nach der einen
Scene ganz aus dem Spiel, und so erblicken wir ihn denn auch nicht
mehr in der heiteren SchluBversammlung aller Interessenten, mit
welcher das yenezianische Stück endet. Im Londoner Texte bringt
Da Ponte eine Versöhnung zwischen dem bäuerlichen Paare zu
Stande, nachdem Don Juan von Don Octavio und den Frauen ent-
larvt war. Für die Sache ist nichts damit gewonnen.
Don Octayio ist in beiden Opern derselbe, nur hat er in
dem Wiener Stücke erheblich mehr zu thun, weil er durcli zwei
Akte gehen muß. Bei einer Vergleichung gewinnt die einfache und
kurze venezianische Fassung, denn erst in der Wiener erscheint Don
Octavio trotz seiner erweiterten Thätigkeit als ein Passivum, weil
ihm nirgends Gelegenheit geboten ist, die von der Braut im Schwur
empfeingene Mission wie ein Mann zu erfüllen. Den Eindruck von
einer passiven Natur empfangt jeder Hörer so unwillkürlich, daß die
Bechtfertigungen der Ausleger nichts dagegen vermögen. Jahn meint
denn auch: »Don Ottavio ist nicht ohne Schuld des Libretto einem
ungünstigen Vorurtheil verfallen., das kaum völlig zu überwinden
sein wird«^. Wir wissen aber jetzt, daß hier nicht einfach ein Ver-
greifen des Librettisten vorlag, sondern daß die Hauptursache in der
venezianischen Vorlage zu suchen ist, deren Kreis man weder zu
durchbrechen noch bei Don Octavio wesentlich reicher zu füllen
vermochte. Auch von ihm gilt, was bereits vorhin von Donna Anna
bemerkt wurde, daß nach den ersten Scenen die Mitwirkung mehr
die einer singenden als die einer handelnden Persönlichkeit ist. Der
Komponist dürfte daher auch hier wieder seine Hand besonders im
Spiele gehabt haben.
Der Komthur ist von allen Personen am wenigsten verändert,
sowohl im lebenden wie im versteinerten Zustande. Die Abwei*
chungen, welche vorhanden sind, ergeben sich lediglich aus der ver-
schiedenartigen musikalischen Behandlung. Beide Spiele stellen ihn
als eine Persönlichkeit hin, die in ihrer aufbrausenden Heftigkeit
unbedacht genug war, mit einem frechen jungen Eindringling im
Dunkeln zu kämpfen. Er und seine Tochter sind von gleichem
Charakter; sie begehen denselben Fehler, der so verhängnißvoU für
sie wurde.
1 Jahn. Mozart II, 376.
Don Giovanni. Oaszaniga und Mozart. 427
Don Giovanni ist in Wien innerlich genau derselbe geblieben,
der er in Venedig war. Man kann daher seinen Charakter aus der
T-enesianischen Oper vollständig abzeichnen. Nicht ein einziger Zug,
der das Bild wesentlich anders gestaltete, ist von Wien aus hin-
zugekommen, so erweitert und verändert hier auch die Vorgänge
sind. Für die Beurtheilung dieses Opernhelden gewinnen wir da-^
durch einen Maßstab, der alle Uebertreibungen, mit denen dieser
Charakter zum Theil in abenteuerlicher Weise bedacht ist, fernerhin
unmöglich machen wird. Nur ist im Auge zu behalten, daB in
Venedig die Absicht natürlich weit mehr auf eine echt italienische
opera buffa gerichtet war, als in Wien. Daher erscheint Gazzaniga's
Don Juan als der rohere von beiden. Außerdem mußte die Hand-
lung in Venedig so geführt werden und ist in der That sehr ge-
schickt so gefuhrt, daß der Geselle den Zuhörern schon mit Einem
Akte für die Holle reif schien. Wenn die Wiener Fassung erheb-
liche Abweichungen zu ergeben scheint, so liegt die Ursache oiicht
darin, daß dieser Persönlichkeit hier ein edlerer Charakter beigelegt
ist, sondern lediglich darin, daß sie mit edleren künstlerischen
Mitteln ausgeprägt wurde, wobei aber der Ausdruck zum Theil un-
bestimmter und unklarer, also auch mehrdeutiger geworden ist.
Letzteres gilt sowohl von der zweiten wie von der vorletzten Scene.
Alles weitere ist bei der Musik zu besprechen.
Ich schließe diese Uebersicht der handelnden Personen mit dem-
jenigen Patron, welcher in beiden Opern das erste und das letzte
Wort hat, hier als Pasquariello, dort als Leporello, und wel-
cher gewissermaßen die Hauptperson, wenigstens die Hauptwürze
beider Spiele ist. Das Erste, was bei einer Durchsicht des venezia-
nischen Stückes in die Augen fällt, ist die Gleichheit der Züge von
Pasquariello und Leporello. So stereotyp ist die Figur, daß alle neuen
Scenen, die Da Ponte für seinen Leporello ersann, nichts als ein-
fache Ausdeutungen dessen sind, was bereits im Pasquariello gegeben
war. Zugleich haben wir in dieser Person den einzigen unver-
fälschten Italiener vor uns, welchen die Oper Don Giovanni enthält.
Das Resultat aus dem Vorstehenden ist leicht zu ziehen. Wie
sehr nicht nur sämmtliche handelnde Personen, sondern auch die
Vorgänge im Großen und Ganzen selbst da in dem venezianischen
Rahmen sich bewegen, wo sie eine durchaus abweichende Be-
handlung erfahren haben, ersieht man nirgends deutlicher, als an
dem Schlüsse beider Stücke. Die tolle Scene, welche Bertati auf
Don Juan's Untergang folgen läßt, wird in Wien von Anfang an ab-
gelehnt sein. Aber trotz dieser richtigen Kritik stand man so gänz-
lich im Bann des Vorgängers, daß man nach der HöUenscene eben-
428 Friedrich Chrysander,
falls einen freundlichen Abschluß für nöthig hielt. Hierdurch wird
die be&emdliche Thateache er^t vers^tändlich, wie Mozart dazu kam.
seinem Werke einen Schluß zu geben, den die Praxis als einen
handgreiflichen Irrthum sofort beseitigte, freilich nicht, ohne immer
aufs neue wieder das Verlangen nach einem harmonischexen Ab-
schlüsse hervor zu rufen und mit allerlei Besserungsversuchen zu-
gleich eine irreleitende Mehrdeutigkeit zu veranlassen. Auch der
veneziajiische Schluß war ein Irrthum, was die Theater bald heraus
&nden. .
So haben denn die Wiener ihren Vorgängern das gesammte
Personal in fest umschriebenen Charakteren entlehnt und von der
ganzen Handlung alle Hauptschritte nachgemacht, selbst die irrigen.
Trotzdem schlugen sie hiermit im Ganzen den richtigen, ja den
einzigen Weg einj, auf welchem ein solches Werk entstehen konnte.
Dies ist ihre Rechtfertigung. Auf jedem andern Wege wäre ihnen
die Hauptsache, nämlich der durch und durch musikalische Cha-
rakter des ganzen Spiels, verloren gegangen. Was Venedig ihnen
bot, lebte und webte in Musik, es bedurfte nur einer noch tiefer
gehenden Gestaltung, um dies alles an's Licht zu bringen.
Gleichsam- als sollten Alle, die noch zweifeln möchten, daß der
Opet Bertati's und Gazzaniga s wirklich ein so großes und eigen-
thümliches Verdienst zukommt, von vorne herein eines besseren be-
lehrt werden, erschien in denselben Tagen zu Venedig noch eine
zweite Oper, welche die Geschichte Don Juan's zum Gegenstand hat:
II nuovo Convitato di Pietra. /Dramma Tragicomico
da rappresentarsi nel Nobile Teatro di San Samuele il
Camovale delV anno MDCCLXXXVIl. [1787.] In Venezia.
MDCCLXXXVII. Appresso Modesto Fenzo, con le debite
permissioni. (64 Seiten kl. 8.)
Dies ist der Titel des Textbuches, welches den Dichter verschweigt
und nur den Komponisten nennt: »La Milfica del celebre Sig.
Maeftro Francefco Gardia. Die Partitur davon befindet sich im
Liceo musicale zu Bologna. Es ist sicher,- daß dieses Stück zur
Aufführung kam. Die Bezeichnung desselben als »il nuovo Con-
vitato« kann doch nur so erklärt werden, daß beide Opern gleich-
zeitig und unabhängig von einander vorbereitet wurden, die des
Moisä-Theaters aber zuerst heraus kam, in bekannter Weise ein-
schlug und nun die Gesellschaft von San Samuele veranlaßte^ zur
Anlockung des Publikums > ihren steinernen Grast als den »neuen*
auszurufen. Hierin hätten wir einen weiteren Beweis des unge-
heuren Erfolges, welcher der Oper Gazzaniga's von Anfang an zu
Theil wurde.
Don Giovanni. Oazzaniga und Mozart. 429
Die Konkarrenz-Oper Gardi's besteht aus zwei großen Akten
nebst Zwischentänzen, füllt also den ganzen Abend. Es treten in
<)er8elbcn neun Personen auf:
der Komthur, aber nur als Statue;
seine Tochter Donna Anna;
die neapolitanische Prinzessin Donna Isabella;
der Neapolitaner Don Juan Tenorio;
sein Secretär Don Masone;
sein Diener Zuccasecca; - .
die Fischerin Tisbea;
die Wirthin Donna Betta, — und
Comino, der Diener der Donna Isabella.
Im Wirthshause der Donna Betta bei Sevilla^ in dessen Nähe und
auf dem Kirchhofe geht die Handlung vor sich. Donna Isabella hat
einigermaßen die Rolle der Elvira, die übrigen Personen sind ganz
entstellt. Die Vier Frauenzimmer treten von Anfang an als diuch
Don Juan verführt auf. Er hat ihnen die Ehe versprochen; eifer-
süchtig auf einander, drängen sie ^ihn nun zur Heirath. Unter ihnen
hat Donna Anna das stärkste Gewicht, weil sie droht, im Falle der
^ichtheirath nach Sevilla zu gehen und den säubern Bräutigam bei
den Gerichten als denjenigen zu denunciren, . der ihren Vater er-
stochen hat:
Ma saprö vendicarmi. Andrö ä Seviglia,
Dirö com' egli il Oenitor m'uccise,
Come con lui mi trasse,
£ come . . . Ma non posso etc., (A. I, Sq. 1.)
Der Komthur ist hier bereits zu* Anfang des Spiels eine Statue; seine
Tochter treibt sich in dem ganzen Stücke unter den übrigen Per-
sonen herum, als ob nichts vorgefallen wäre. In der 10. Scene des
ersten Aktes wird die Statue zum Abendessen geladen, ein Vorgang
•der in allen Don Juan-Stücken so ziemlich derselbe war. In der
SchluBscene dieses Aktes stellt sich nun der Komthur ein, tritt unter
die Gesellschaft, setzt sich sogar zu Tische, findet hier auch sein
holdes Töchterlein, sagt aber doch, als sie beschämt eine Entschul-
digung stammelt:
No padre tuo non bodo
Ya scostati da me. (I, 17.)
»Ich bin nicht mehr dein Vater — geh, entferne dich von - mir 1«
2tim Tröste Aller erhebt er sich endlich, ladet den Gastgeber nun
zu seinem Mahl, was dieser annimmt, und geht wieder von dannen.
J)arauf erblicken wir in dem Finale des letzten Aktes abermals den
430 Friedrich Chrysander,
Kirchhof, aber diesmal die Statue nicht auf dem Pferde, sondern da-
neben an einem Tische, den Gast erwartend. Dieser kommt auch,
doch nicht allein, sondern in großer Gesellschaft, mit denselben sechs
Personen^ die der Komthur früher hei dem Wüstling traf, unter
ihnen Töchterchen Anna. Nach Aufforderung reicht Don Juan ihm
die Hand, will aber nicht bereuen, worauf die Statue yerschwindet
»die Erde öffnet sich und Don Juan stürzt in die Hölle hinab mitten
unter die Furien (s'apre la terra, e Don Giovanni piomba all' in-
ferno in mezzo alle furie.)«, während die Ueberbleibenden das Finale
siebenstimmig zu Ende singen.
Gardi's Oper endet also mit Don Juan's Höllenfahrt. Hatte das
Stück überhaupt eine Wirkung auf die Zeit, so mag es die Theater
veranlaßt haben, Gazzaniga's Oper ebenso zu schließen. Daß man
auch diesen »neuen« Gast alsbald in Wien kennen lernte, ist nicht
zu bezweifeln, es findet sich aber keine Spur von irgendwelcher Rück-
sichtnahme auf denselben, was auch erklärlich ist, denn verglichen
mit dem andern Werke mußte er ihnen wirklich als zu dumm erscheinen.
Auf einen angemesseneren Schluß hätte Gardi's Oper die Wiener
immerhin fuhren können und würde sie auch vielleicht geführt haben,
wenn Mozart und sein Dichter ihrem zweiten Akte dieselbe einheitlich
fortschreitende Gestaltung und sorgfältige Ausarbeitung hätten an-
gedeihen lassen, wie dem ersten. Im übrigen war an dem »neuem
Gast alles schlecht und gemein. Sind bei Gazzaniga und noch
weit mehr bei Mozart die Gestalten durch die künstlerische Behand-
lung gehoben und veredelt, so bemerkt man dagegen in Gardi's Oper
nichts als die Kunst, selbst das ursprünglich Edle mit in den allge-
meinen Schmutz hinab zu ziehen. Hier haben wir also wieder das
alte rohe Pöbelstück, frisch Yon der Straße angegriffen. Es ist vor-
theilhaft, daß ein solches Beispiel jetzt vorliegt; wir können nun die
Leistung der Männer des Mosd-Theaters dagegen stellen.
Jahn's Vermuthung, die Ähnlichkeit zwischen Da Ponte's und
Bertati's Text möge sich vielleicht daraus erklären, daß »beiden eine
gemeinsame Quelle vorlag« > , ist natürlich ohne allen Grund. Der
Ruhm, hier zuerst und allein den Weg gebrochen zu haben, durch
welchen dieses Spiel von der Straße auf die reineren Höhen der
Kunst gelangt ist, wird der Oper Bertati's und Gazzaniga's für immer
bleiben. Mancher Zug dieser Geschichte war allerdings durch lange
Spielübung stereotyp geworden und kam daher in sämmtlichen Don
Juan-Stücken wieder vor. Aber wie wenig eine solche Gemeinsam-
keit ausreichte, um etwas im Sinne wahrer Kunst zu gestalten.
i Jahn, Mozart II, 335.
Don Giovaxmi. Gaszftniga und Mozart 431
wild Gaidi's «neuei steinernei Gast« uns jetct am besten beweisen
können.
Der Bundgang durch den Text ist damit beendet. Daß der Wiener
Don Giovanni seine einzige Quelle in dem Yeneeianiscben hatte, der
ihm die Charaktere wie auch meistens den Gang und die Führung
der Handlung yorzeichnete : dieses Ergebnis der Untersuchung wird
fest stehen. In Anbetracht der Größe des Werkes^ dessen Genesis
hiermit erklärt ist, darf man auch unser Resultat wohl als ein großes
bezeichnen.
Ueber Da Ponte und seinen Vorarbeiter Bertati ist noch etwas
Persönliches beizubringen, weil es manches erklärt, was bisher
dunkel war.
Warum schwieg der redselige Da Ponte so gänzlich über seine Vor-
lage und über den Autor derselben? Es geschah^ weil er den that-
sächlichen Verhalt, ja sogar den Namen des venezianischen Dichters
verschweigen und durch Verschweigen unterdrücken wollte. Der
Grund war gegenseitiger persönlicher Haß. Unser Libretto dürfte
die erste Veranlassung dazu gewesen sein. Bertati war sicherlich
ungehalten über Da Ponte^s Verfahren und wird den Wiener Text
als eine Verhunzung des seinigen angesehen haben. Als dann Da
Ponte nach Joseph's H. Tode den Zorn des neuen Kaisers Leopold H.
erregte imd schimpflich entlassen wurde, kam Bertati an seine Stelle.
Der neue Dichter des kaiserlich italienischen Opemtheaters hatte
außer Da Ponte auch noch den verschlagenen Abate Casti gegen
sich, der die Hofpoetenwürde des verstorbenen Metastasio zu erlangen
strebte. Casti und Da. Ponte, bisher verfeindet, verständigten sich
jetzt und zogen gemeinsam über Bertati her. Da Ponte sah außer-
dem, daß seine Bolle in Wien ausgespielt war, suchte sich daher
durch allerlei Scherze zu belustigen. Als einen solchen Scherz be-
zeichnet er auch seinen Besuch bei Bertati. Er erzählt es ausfuhrlich :
»Der neue Hoftheater-Dichter war noch mehr, als alle Andern, von
der gprOßten Neugierde geplagt, zu wissen, ob ich beabsichtige, Wien
wieder zu verlassen oder mich aufs Neue darin festzusetzen. Ich kannte
zwar seine Opern, ihn selbst aber nicht. Er hatte deren schon eine große
Anzahl geliefert, und durch diese Menge, die er geschrieben hat, ist es
ihm ein wenig gelungen, sich die Kunst anzueigpien, einigen theatralischen
Effekt hervorzubringen. Aber zu seinem Unglück war er nicht zum
Dichter geboren und konnte nicht Italienisch ; dem zu Folge mochte man
seine Opern lieber auf der Bühne sehen, als sie lesen. Nun kam mir die
Phantasie, seine persönliche Bekanntschaft zu machen, und ich begab
mich ganz wohlgemuth zu ihm. Wie ich bei ihm anlangte, stand er unter
seiner Zimmerthüre und unterhielt sich mit einem Sänger. Als ich ihm
1888. 29
432 Friedrich Chiysander,
näher trat, fragte er mich nach meiniem Namen, worauf ich ihm sa^te,
daß ich die Ehre gehabt habe, sein Vorgänger als kaiserlicher Hofthe&ter-
Dichter gewesen zu sein und daß mein Name Da Ponte seL Er schien
wie Yom Blitz getroffen, fragte mich dann mit einer Miene der ersichtlich
größten Verlegenheit und Verwirrung, ob und in was er mir dienen könne,
aber immer unter seiner Zimmerthüre stehend. Als ich nun sagte, daß
ich ihm irgend eine Mittheilung zu machen wünsche, konnte er nicht
mehr umhin, mich eintreten zu lassen, was er aber mit augenscheinlichem
Widerwillen that. Er bot mir an zu sitzen und stellte mir zu diesem
Ende einen Stuhl in die Mitte den Zimmers, ich aber setzte mich bos-
hafterweise an einen Tisch, dessen er sich nach allem Anschein zum
Schreiben bediente. Als er mich sitzen sah, warf er sich auch in seinen
Lehnstuhl und schickte sich in Eile an, mit vieler Geschicklichkeit eine
Menge Schreibereien umzudrehen und Bflcher zuzumachen, mit denen
der Tisch voll lag. Ich hatte indessen gerade noch Zeit, mit Geinftchlicfa-
keit theil weise sehen zu können, welche Bücher es waren. Ein Band
französischer Komödien, ein AVörterbuch, ein Reimbuch, die Grammatik
von Corticulli lagen alle zur rechten Seite des Herrn Dichters ; die zu
seiner Linken konnte ich nicht mehr genau ansehen. Ich glaubte darin
die Gründe gefunden zuhaben, warum er mich nicht gern in seine Arbeits-
stube eingeführt hatte. Er fragte mich wiederholt, was ich eigentlich von
ihm begehre, und da ich keine andere Ausrede in Bereitschaft hatte, so
sagte ich ihm, daß ich bloß gekommen sei, ihm meine Aufwartung zu
machen, um das Vei^nügen zu haben, einen Mann von so vielen Ver-
diensten kennen zu lernen, und um ihn zu gleicher Zeit zu bitten, mir
von allen meinen Opern je ein Exemplar zu geben, was ich bei meiner
Abreise von Wien mitzunehmen vergessen habe. Er antwortete mit einer
Art von Verachtung, daß er nichts mit meinen Opemlibretti zu schaffen
habe, aber daß, so viel er wisse, die Direktion sie nach himderten den
Logenschließern verkaufe. Nachdem ich noch einige Minuten bei ihm
gewesen war und mich überzeugt hatte, daß der Herr Dichter Bertati
weiter nichts sei, als ein aufgeblanener Windsack, verabschiedete ich
mich bei ihm und ging gerades wegs zu dem Logenschließer des Theaters.
Bei diesem entdeckte ich mit ebenso großem Erstaunen als Wohlgefallen,
dass die Libretti von neun meiner Opern sämmtlich waren verkauft wor-
den; daß man sie im Laufe des verflossenen Jahres [1791] immer mit
gleich gutem Erfolge gegeben hatte, und daß, wenn ein neues Drama
nicht geflel, was sehr häufig vorkam, man immer wieder die Zuflucht zu
einem von den meinigen nahm, unter welchen aber die von Mozart, Mar-
tini und Salieri stets den ersten Hang behaupteten. Ich fordere Euch
auf, alle meine Feinde in Wien, die das Zeitliche noch nicht gesegnet
haben, mich Lügen zu strafen wegen des hier Gesagten, wenn Ihr dazu
den Muth und das Recht zu haben glaubt l
»Ich machte dem Casti einen zweiten Besuch, sprach ihm von meiner
Visite bei Bertati, von der Art, mit welcher er mich empfangen, und von
den Zubereitungen, die ich auf seinem Schreibtische gefunden hatte.
Don OioTannL Oazzaniga und Mozart. 433
Nachdem er mich einige Minuten eifrig angehört hatte, sagte er mir: »Er
ist ein armer, schwacher Kopf, und ist im Begriff eine Oper für Cima-
rosa zu machen, eine Ehre, die er offenbar nicht verdient. Ich will Ihnen
dereinst schreiben, wie sie ausgefallen ist.a
)) Als ich schon auf dem Punkt war, Dresden zu verlassen,
erhielt ich noch einen Brief von Casti, in welchem er mich auch von dem
Erfolg der Oper des Bertati benachrichtigte. Hier folgen seihe eigenen
Worte : »Gestern Abend war die erste Aufführung von der heimlichen
Ehe (II matrimonio segreto), zu welcher Bertati für Cimarosa den Text
geschrieben hatte. Die Musik ist bewunderungswürdig schön. Aber der
Text ist noch schlechter, als man je hätte erwarten kGnnen; jedermann
ist damit sehr unzufrieden, am unzufriedensten aber sind die Sänger.
Alle sagen, es ist zu hoffen, da£ Da Ponte diesen Aufgeblasenen nicht
ungestraft lassen werde — ich schicke Ihnen hier das Libretto, damit Sie
es einsehen und schöne Verse machen lernen können 1« Hier folgt
nun auch meine Antwort : »Mein Herr I Ich danke Ihnen zwar für das
Libretto, das Sie mir geschickt haben,, aber ich kann Ihren Kath nicht
befolgen. Sie haben selbst gute Finger, um die Kastanien aus dem Feuer
zu holen. Die Verse des Bertati sind so, wie sie sein müssen. Die Wiener
sollen sich seiner freuen, und was sodann die Sänger anbelangt, so bitte
ich ihnen zu sagen: »Victrix provincia plora«. — Dieses ist die erste
und letzte Oper, die der Herr Poet Bertati in Wien geschrieben hat l Es
verging ganz kurze Zeit, so kehrte er nach Italien zurück, um dem Qa*
merra Platz zu machen ^ .<r
Wenn Da Ponte die Hälfte des Raumes, den diese Erzählung
einnimmt, auf einen Bericht über die Entstehung des Don Juan-
Textes verwandt hätte, so würden wir mehr befriedigt sein. Beitati
hatte seinen Vorgänger nicht verdrängt, sondern "befand sich in Venedig,
als dieser entlassen wurde, und kam erst später nach Wien, hatte
ihm überhaupt persönlich nichts zu Leide gethan, was Da Ponte auch
nicht behauptet. Der Leser der »Memoirena begreift daher diese Feind-
seligkeit nicht. Erst jetzt, wo die Thatsache an's Licht geholt ist,
daß der originale Don Juan-Texft von Bertati herrührt, wird Da Ponte^s
gehässige Verkleinerungssucht verständlich, aber wahrlich nicht zu
seinem Ruhme. Ein solcher Mangel an Gerechtigkeitssinn, Aufrichtig-
keit und Wahrheitsliebe, wie er sich in dieser raffinirten Anschwär-
zung offenbart, raubt seinen Berichten alles Vertrauen. Zugleich liegt
in seinem Gebahren der stärkste indirekte Beweis, daß kein anderer
als Bertati den venezianischen Text geschrieben hat.
Selbst wenn die Unfähigkeit des Mannes, dem Da Ponte die Vor-
lage zum Don Juan-Libretto verdankte, so groß gewesen wäre, wie
er sie darstellt, würde es gerade ihn schlecht angestanden haben.
* Da Ponte, Memorie I. 2 p. 157—158.
29»
434 Friedrich Cltf7«ander,
davon zu reden. Nun verhielt es aich aber ganz anders. Bertati
war kein großer Dichter, aber Da Ponte war ein solcher ebenfalls
nicht. Ersterer hatte sich jedoch bei verschiedenen Gelegenheitai
als ein ausgezeichneter Opem-Librettist be^i^rt, wahrend Da Ponte
in diesem Fache trotz bedeutender Leistungen kein wirkliches Ver-
trauen in ßeine Fähigkeiten zu verbreiten vermochte, denn er bUeb
auch in der Poeterei, was er im Leben war, ein unzuverlässiger
Windbeutel, dem nur mitunter Einiges gelang, dann aber auch wohl
•so ausgezeichnet gelang, daß Alle sich darüber verwunderten. Ab
Dichter stand Casti weit über beiden, aber auf dem Boden der musi-
kalischen Poesie waren alle drei ungefähr gleich, nur gingen ihre
Fähigkeiten nach verschiedenen Seiten. Casti gebot über schöne
Verse und poetische Anmuth, wußte auch, was sich für Musik und
für die Bühne schickt. Da Ponte führte mitunter sämmtliche gute
Eigenschaften eines zur Komposition bestimmten Bühnentextes in's
Feld, und mitunter nicht eine einzige, hatte in glücklichen Stunden
eine wohllautende Sprache, originelle dramatische Einfalle, eine ziem-
liche obwohl nicht ausreichende Standhaftigkeit im Festhalten der
Charaktere, und eine entschiedene Geschicklichkeit in der Verwebung
gleichzeitig auftretender Personen. Bertati's ganze Stärke lag in den
einfachen Strichen, mit denen er Charaktere und Handlung so zeich-
nete wie die Bühne sie gebrauchte. Diese Striche zog er mit sicherer
Hand, und obwohl er hierbei mehr auf italienische Grenzen beschränkt
blieb, als sein Bivale Da Ponte, hat er doch durch sein Don Giovanni-
Libretto am besten bewiesen, daß er die Fähigkeit besaß, in selb-
ständigen Schritten über das Herkömmliche hinaus zu gehen. Dabei
bediente er sich einer Sprache, die weder besonders gewandt, noch
poetisch reich war, aber den Komponisten gerade das bot, was sie
zu haben wünschten. Wenn Da Ponte sagt, man habe Bertati's Opem-
dichtungen lieber auf der Bühne sehen als sie lesen mögen, so cha-
rakterisirt er sie damit ganz richtig, merkt aber nicht, daß ein solcher
Tadel für ein Theaterstück das beste Lob ist. Von einem Metastasio
war Bertati weit genug entfernt, obwohl er wie dieser die Bühnen-
komponisten sich zu Dank verpflichtete, wenn auch auf einem gans
andern Felde. Sein Gebiet war das der opera buffa.
Dies mußte gesagt werden, um Jedem sein Becht zu wahren.
Ich habe obige Bemerkungen jetzt, wo der Name des venezianischen
Librettisten bekannt geworden ist, um so weniger zurück halten dürfen,
weil Jahn dem Da Ponte auf Kosten Bertati^s etwas zuschreibt, was
er nicht besitzt. Von den ihm zuerkannten drei Vorzügen — »über-
legene Geschicklichkeit die Handlung zu fuhren, Charaktere zu
zeichnen, die Situationen für musikalische Behandlung, namentlich
Don OioTanni. Gazzaniga und Mozart. 435
in Ensemblesätzen, günstig zu gruppiren«^ — ist nui der letzte
theilweise vorhanden. In der Führung einer dramatischen Handlung
dagegen, rein technisch betrachtet, ist Bertati durchweg mehr Fach-
mann, als Da Ponte. Und was die Zeichnung der Charaktere an-
langt, so zeigt sich Don Octavio bei Bertati als ein Mann, bei Da
Ponte als ein Schwächling. Natürlich war die Gefahr des Yergreifens
für Da Ponte viel größer, weil er die bei Bertati wenig hervortretende
Gestalt als eine Hauptperson an dem ganzen Spiel zu betheiligen
hatte. Aber wir haben hier nicht die Partien der beiden Octavios,
sondern nur die Mache an sich zu vergleichen, wenn wir über die
Fähigkeiten dieser Autoren als Bühnentechniker Auskunft erhalten
wollen. In der Zeichnung von Bühnencharakteren war Bertati's
Hand- weit sicherer, als die Da Ponte^s; letzterer nahm dafür mit-
unter einen höheren Flug, durch welchen auch seine Gestalten zum
Theil vom beschränkt Italienischen in' ein allgemeineres Gebiet erhoben
wurden, und das wollen wir ihm, soweit es nicht Moaart zu verdanken
ist, bereitwillig als ein bleibendes Verdienst anrechnen. XJbrigens darf
nicht vergessen werden, daß eine vergleichende Abschätzung dieser bei-
den Autoren nach ihren Don Juan-Texten nur dann statthaft wäre, wenn
sie den Gegenstand unabhängig von einander behandelt hätten* Jetzt,
wo der Eine dem Andern als Verbesserer fast auf die Fersen trat,
ist es doch an sich noch kein Verdienst, sondern vielmehr eine selbst-*
verständliche Voraussetzung, daß er die Vorarbeit nun auch wirklich
zu verbessern im Stande war. Das Werthverhältniß dieser Librettisten
und damit eine gerechte Beurtheilüng ihrer Leistungen dürfte also
durch dasjenige Verfahren zu Tage kommen, welches oben bei der
Vergleichung der verschiedenen Personen eingeschlagen wurde und
nun im folgenden Theile mit der Prüfung der einzebien Scenen
seinen Abschluß finden wird.
Eine sorgliche Abwägung der beiderseitigen Verdienste ist hier
um so mehr unsere Pflicht, weil ohne Bertati, Valentini und Gazzaniga
die Oper Don Juan von Mozart in der Gestalt, in welcher sie die Be-
wunderung der Welt erlangt hat, nicht vorhanden sein würde.
1 Jahn, Mozart 11, 337.
Der folgende Theil dieser Abhandlung wird wegen der
umfangreichen Musikbeüagen nicht in dieser Zeitschrift,
sondern in einem besonderen Werke gedruckt werden
Kritiken nnd Keferate.
Hermann Ludtmff, Johann Georg Kästner. Ein elsassischer Ton-
dichter, Theoretiker und Musikforscher. Sein Werden und Wirken.
Zwei Theüe in drei Bänden. Mit einer Portraitradirung Kastners,
Lichtdruck - Abbildungen , Facsimiles und Musikbeilage. Leipxig,
Breitkopf und Härtel. 1886. 8.
»Kästner, Johann Georg, wurde den 9ten März 1810 in Strasburg gebohren. —
Früh schon verrieth er eine vorzügliche Neigung zur Musik. Im sechsten Jahre
erhielt er Unterricht im RlaTier und im Gesänge. Neben seinen Musikbesehafti-
gungen frequentirte er das Strasburger Gymnasium, wo er alle Vorstudien machte,
die zur künftigen Laufbahn, der theologischen nehmlich, der man ihn beatimmte,
[verlangt wurden]. Sein Fleiß und sein Augenmerk war jedoch im besonderen
Maaße auf die Erlernung der Musik gerichtet, ^uch waren seine Fortschritte im
Klavier, nach kurzer Zeit, von erheblichem Erfolge, und als Knabe noch wagte er
schon einige kleine Kompositionsversuche. Zudem lernte er die hauptsftchliehgtcB
Instrumente kennen und behalf sich hiebei selten fremden Rathes. Im Xafaie
1826 kam ihm ein altes Manuscript zu Gesichte, das von Harmonie handelte;
durch diese Schrift angeregt, sah sich K. nach größeren Werken um, und studierte
zu diesem Behufe die vorzüglichsten deutschen Lehrbücher der Tonkunst. — 1S27
wurde er in die Matrikel des theologischen Seminariums aufgenommen. In den
Ferien desselben Jahres schrieb er eine Ouvertüre, Chöre, Märsche, Zwisehenacte ete.
tu einem Drama : »die Erstürmung Missolonghis«, mit Succeß auf der Strasburger
Bühne vorgestellt; wie auch die Ouvertüre, JSntr' actes, Marches etc. des Dramas:
)>der Schreckenstein«. —
Nach vorhergegangenem, glücklich bestandenem Staatsexamen übersandte ihm,
1829, die Pariser Academie das Diplom eines Baechelier-U-lettree. Um dieselbe
Zeit auch erhielt K. vom Kapellmeister Maurer Unterricht in der Instrumentation
und practischen Composition, und 1830 machte ihn der Musikdirector Roener mit
der Lehre des doppelten Contrapunctes und der Fuge bekannt. — Im folgenden
Jahre kam Kastner in den Besitz der Werke Reicha*%t die er studirte. Nebenbei
componirte er mehrere Serenaden für Männerstimmen mit Begleitung von Blech-
instrumenten. 1832 verfaßte er eine große Oper in fünf Acten »Gustav Waem (im
nehmlichen Jähre aufgeführt). Hiermit war aber auch über sein künftiges Leben
entschieden, er trat freiwillig von der Theologie ab, um sich mit ungetheiltem In-
teresse der Tonkunst hinzugeben. 1833 verfasste er eine zweite fünfactige Oper:
»die Königin der Sarmaten«, 1835 vorgestellt. Sodann »der Tod Oscm'%', Oper in
4 Acten, und »der Sarazene«, eine komische Oper in 2 Acten.
Hermann Ludung, Johsna Georg Rastner. 427
1835 begab sieh Kästner nach Paris, wo er sich gleich anfangs mit lUü^ Ter-
band, der, in freundschaftlichem Verkehr, belehrend auf den jungm Künstler einwirkte.
Hierauf veröffentlichte K. nach einander folgende Werke, die sämmtlicfa die
Approbation der Aettdemie roytUe des Beauz^arU de FlnHihii de France erhielten« . . .
Der Leser irrt, wenn er etwa meinen sollte, daß diese biographischen Notisen
aus dem Werke Hermann Ludwig's ausgesogen seien, oder sonst in irgend einem
Zusammenhange mit ihm ständen. Kastneic wurde 1843 auf Meyerbeer's Vorschlag
sum auswärtigen Mitgliede der königlichen Akademie der Kllnste su Berlin er-
wählt Es ist üblich, bei dieser Gelegenheit eine kurze Autobiographie einzureichen,
welche im Archiv der Akademie niedergelegt wird. Mit jener Skizze hat Kastner
dieser Sitte entsprochen. Es folgt dem letzten Satze noch die Aufzählung seiner
theoretischen und praktischen Werke; dann erwähnt er seiner 1840 erfolgten Pro-
motion zum Ehrendoetor der Universität Tübingen und nennt die deutschen und
französischen Zeitschriften, an denen er mitarbeitet. Dem Verfasser der Biographie
ist diese Quelle unbekannt geblieben. Es lohnt sich, sie nachträglich ans licht
zu bringen, weil sie in einigen Einzelheiten seiner Darstellung widerspricht. Ich
maße mir nicht an, zu entscheiden, auf welcher Seite das Recht ist. Sicherlich
verdienen Kastner's eigene Angaben volles Vertrauen. Aber auch der Biograph
hat gewissenhaft gearbeitet, und es ist nicht unerhört, daß sieh jemand über eigne
Erlebnisse nach Jahren im Irrthum befindet. Warten wir also ab, ob der Ver-
fasser sich veranlaßt sieht, in der Sache selbst das Wort zu nehmen.
Die Anregung zu dem biographischen Denkmal, welches Kästner 19 Jahre
nach seinem Tode erhalten hat, ist von. dessen Wittwe ausgegangen. Ihrer Pietät
ist die prachtvolle Ausstattung des Buches zu verdanken; sie ist es jedenfalls auch
zunächst gewesen, die dem Biographen das Material geliefert hat Durch das ver-
einigte Bemühen beider ist ein werthvolles Werk zu Stande gebracht worden. Mit
ihm betritt Hermann Ludwig (von Jan), der als Schriftsteller in Straßburg lebt,
meines Wissens zum ersten Male das Gebiet der Musikwissenschaft. Er hat mehr
zu geben getrachtet, als eine einfache Lebensdarstellung. Er hat gesucht, die
Biographie zum Geschichtsbilde zu erweitern. Hierzu war er, sowohl wegen der
reichen Begabung und Wirksamkeit, als auch wegen der Eigenart Kästners wohl
berechtigt. Diese Eigenart aber beruht auf einer Verquickung germanischen Wesens
mit französischer Kultur, wie sie eben nur an dem Elsässer, oder richtiger : Straß-
burger, unseres Jahrhunderts zu Tage treten konnte. Wenn also der Biograph in
weit ausgreifender Einleitung die politische und geistige Entwickelung des Elsasses
von alter Zeit her darlegt, so hat er sich dadurch nicht nur den Dank aller der-
jenigen Deutschen verdient, welchen nicht gestattet ist, durch eigene Studien und
Erfahrungen sich von diesen Dingen ein Bild zu machen, denen /aber Belehrung
hierüber schon aus vaterländischen Gründen hocherwünscht sein muß. Er hat
durch seine Schilderung zugleich die unentbehrliche Grundlage zum Verständniß
und zur richtigen Würdigung der Persönlichkeit Kastner's gegeben. Ein echter
Sohn des alemannischen Elsaß, aber durch Schicksal und eigene Neigung bestimmt,
in der gallischen Hauptstadt zu leben und zu wirken, gehörte er zu den Talenten^
»welche in frischem und lebendigem geistigen Stoffwechsel ihrer NationdliU morale
und NationaUti politique im Boden des Adoptiv Vaterlandes Früchte trugen, in
denen die durchaus vorwiegende urheimathliche Natur jener zur Ehre, dieser
zu Nutz und Frommen gereichte«. Solche Talente sind »sdten genug, am in ihrer
Eigenart erhöhtes Interesse für ihren Entwicklungs- und Schaffensgang zu er->
wecken« (I, 54). Darum ist es auch sehr wohlgethan, wenn der Verfasser bei der
Erzählung von Kastner's Jugend eingehend verweilt und di^ ihn umgebenden Zu-
stände su breiter Anschaulichkeit gelangen läßt.
4^ Kritiken und Referate.
Sohade nur, daß dsB Bestreben, den Hinteigrund allenthalben recht reieh
ausgufallen, manehmal xu einer Verwischung der Grensen geführt hat, die tmmcben
Biographie und allgemeiner Geschichte bestehen. Wie viel von letsterer einem
Lebensbüde zugesetzt werden darf, dafür giebt es einen sicheren Maßstab. Zu-
stinde oder Bewegungen der Allgemeinheit dürfen sich nur dann vor dem Leser ent-
falten, wenn das Individuum, dessen Leben beschrieben wird, eine Spitze derselben
bildet, in ihnen eine Führerrolle spielt. Die Spitze kann hoch oder niedrig, die
Führerrolle groß oder klein gewesen sein. Je nach diesen Erwägungen wird der
Schriftsteller das Geschichtsbild ausführlicher gestalten oder mehr nur andeuten.
Ist eine bestimmende Betheiligung des Individuums gamieht nachweisbar, so
Auß der tiefe Hintergrund überhaupt verschwinden. Denn er würde die Tlieil-
nähme des Lesers von der Hauptsache abziehen, und eine einheitliche Form des
Lebensbildes wäre unmöglich gemacht. Von diesem Standpunkte aus beurtheilt,
ist die Schilderung der Juli-Revolution (I, 225 — 243) viel zu breit gehalten: man
verliert Kastner zeitweilig ganz aus den Augen« Was gesagt werden mußte, um
klar zu machen, wie sich Kastner's Entwickelung in diese Ereignisse veradilang,
ließ sich auf wenigen Seiten thun. Das gleiche gilt von dem »Blick auf Paris im
Jahre 1835« (II, 3 — 69). Gewann Kastner für die Pariser Gesellschaft unter dem Bürger-
königthum auch nur annähernd eine ähnliche Bedeutung, wie Alfred de Muaeet,
George Sand, Heinrich Heine, wie Auber, Meyerbeer, Liszt, Chopin? Ich glaube:
nein, so hoch auch seine hiervon ganz unabhängigen Verdienste anzuschlagen sind.
Oder wäre es doch der Fall gewesen, so träte es in des Biographen Darstellung
nicht hervor, und dann läge der Fehler da. Außerdem aber : von dem Leserkreis,
welchen sich der Verfasser voigesteUt haben wird, ist wohl anzunehmen, daß er
mit jenen Zuständen mehr oder weniger vertraut ist. Auch mit Rücksicht hierauf
hätte er sieh kürzer fassen können.
Selbst in der strengsten wissenschaftlichen Arbeit soll man niemals die Rflck-
sioht auf die Formgebung gänzlich hintan setzen. Für die Biographie gut das
noch viel mehr. Denn die Biographie ist keine ausschließlich wissenschaftliche Form,
die Kunst hat an ihr einen sehr erheblichen AntheiL Ich meine natürlich nieht,
daß die Strenge der Forschung sich hier auch nur das allergeringste erlassen
dürfte. Aber nothwendig ist auch, daß endlich ein Ganzes entsteht, das als solches
einen proportionirten, wohlgefälligen Eindruck macht. Auch die Schreibart muß
auf einen solchen Eindruck zielen. loh berühre hier eine schwache Seite unseres
Buches. Dem Stil fehlt die Schlichtheit und Natürlichkeit, welche bei einem Tor-
wiegend erzählenden Werke den Grundton abgeben sollte. Die Satzbildung ist
schwerfällig, manchmal labyrinthisch verworren. Man sehe II, 3, von Zeile 14;
U, 361, oben; oder I, 179, von Zeile 6; II, 126, von Zeile 5. Man versuche ein-
mal, diese Sätze vorzulesen, und beobachte, wie viele der Zuhörer sie verstehen.
Ich schreibe sie nicht ab, weil durch das Citiren von Einzelheiten diese leicht un-
verhältnißmäßig hervortreten. Aber wer nachliest, wird mir beistinunen, und ioh
glaube, der Verfieisser selbst dürfte mir nicht Unrecht geben. Ein gesuchtes,
schwülstiges Wesen verstärkt die unerfreuliche Wirkung. Es fehlt dem Schrift-
steller gar nicht an Anschauungen und Bildern ; aber was er häufig vermissen läßt,
ist Maß und Geschmack. Die beiden letzten der angeführten Stellen bieten Be-
lege: hier will er durch bildliche Anwendung musikalisch-technischer Ausdrücke
eine gewisse Stimmung hervorbringen, die den Inhalt der Sätze heben soH. Ich
kann aber nur finden, daß er sich in den Mitteln ganz vergriffen hat. Wie wat
steht er mit diesem Theile seiner Leistung hinter der Stilkunst der Franzosen
zurück ! Und es lag doch so nahe, sich ihrer gerade bei dieser Arbeit zu erinnern.
Eine andere Ausstellung, die ich den Bemerkungen über den Stil des Buches
Hennann Ludwig, Johann Georg Kastner. 439
ansoUieße, betrifft die Art, wie der VerfaBser die Quellen fransösiseher Sprache
benutit hat Daß er sie sehr häufig unyerarbeitet in seine Darstellung einfließen
läßt, soll ihm nioht vorgeworfen werden, obschon ich glaube, er hätte sieh auch
hierin mehr beschränken können. Uniulässig aber müssen die vielen und langen,
oft Seiten langen, Anführungen in der Originalsprache erscheinen. An anderen
Stellen freilich giebt er Verdeutschungen, aber ein Orundsats des Verfahrens ist nicht
erkennbar, und dadurch wird die Sache noch bedenklicher. Die sprachliche Ein-
heit in einem Buche festiuhalten, müßte für jeden Schriftsteller ein Gesets sein,
dem er nur in den dringendsten Fällen und dann nie ohne g^te Begründung lu*
wider handelte. Der Verfasser wird nioht einwenden, daß er bei jedem seiner
Leser die Kenntniß der französischen Sprache habe yoraussetien dürfen. Er weiß
so gut, wie wir, daß der Übergang von einer Sprache sur andern jedesmal auch
einen Umsprung der Stimmung mit sich führt Selbst der geduktigste Leser wird
bei solch sweekloser Tumerei endlich müde, lerstreut, yerdjrossen. Fremdsprachig
ges soll man, wenn die Anführung des Originals wissenschaftlich nothwendig
ist, als Anmerkung oder Anhang geben. Es ist besonders der dritte Band, in dem
der gerügte Übelstand störend entgegentritt Und überhaupt wiU es mir scheinen,
als ob die gründliche Durcharbeitung des Stoffes, welche dem Leser yon Anfang
her ein wohhhuendes Gefühl der Sicherheit giebt, sich yerringere, je mehr es dem
Ende lugeht.
Von dem neunten Abschnitte des dritten Bandes, der im Bückblick ein Ge-
sammtbild des gansen Menschen Kästner yor uns aufsteigen läßt, gilt dies Urtheil
aber nioht. Hermann Ludwig besitzt eine Eigenschaft, welche schwer genug wiegt,
die berührten Mängel ausiugleichen, er besitit Gestaltungskraft Diese seigt sich
nicht nur in dem erwähnten Rückblick, sondern auch in der Einleitung des ersten
Bandes, in Kastner's Jugendgeschichte, in der Erzählung des Lebens Boursault^s
und seiner Tochter, kurz überall da, wo es gilt, aus gegenständlichem Stoff zu
gestalten. Da entstehen unter seiner Feder anschauliche, lebensyolle Bilder, welche
sich der Phantasie des Lesers einprägen, und — • ich wiederhole es — das hier
sich offenbarende Talent ist stark g^nug, um die yon seiner Schreibart ausgehen-
den weniger günstigen Eindrücke einigermaßen zurückzudrängen. Seinen Beruf
zu biographischer Darstellung hat er erwiesen ; möchte es ihm in späteren Arbeiten
gelingen, auch seinen Stil zu der Anmuth und Klarheit durchzubilden, welche man
yon seinem Talente erwarten darf.
Nun wird es yielleicht zu hören befremden, muß aber doch gesagt sein, daß
man trotz alledem eine erschöpfende Vorstellung yon dem, was Kästner war und
wirkte, nicht gewinnt Wir machen die Bekanntschaft eines Charakters yon sel-
tener Tüchtigkeit und widmen ihm gern unsere yolle Hochachtung und Sympatiiie.
Für denjenigen , welcher den Mann aus seinen Werken schon kennt, ist das Buch
anregend und belehrend. Wer aber yon seiner Bedeutung noch nichts oder wenig
gewußt hat — und ich fürchte, die Mehrzahl der Leser ist in dieser Lage — ,
der wird auch nach Lesung des Buches in der Hauptsache nicht yiel besser daran
sein. Der Verfasser, so löblich bestrebt, uns Kastner überall in lebendiger Verbin-
dung mit seiner Mitweit zu zeigen, hat auf eine kritische Prüfung seiner Werke
tMt ganz yerzichtet. Wir erfahren nichts über Stil und Gehalt seiner Jugendkom-
positionen, nichts über die Vorbilder, welche sich in ihnen erkennen lassen. An
einer Stelle werden Weber und Beethoyen als diejenigen Meister genannt, zu denen
er sich am meisten hingezogen fühlte, doch sei sein eigenes Schaffen frei geblieben
yon eigentliohen Anklängen (HI, 273). Sind hiermit nur die Werke Kastner's aus
der Zeit seiner Reife gemeint, oder auch seine Jugendwerke P Und wenn auch in
diesen keine Anlehnung sichtbar wird, worauf stützt sich die Behauptung innerer
440 ELritiken und Referate.
Verwandtschaft? Welche Stellung nimmt er in Paris als Opemkomponist su seinen
Zeitgenossen ein? Wie verhalten sich seine M&nnerehöre za den gleiehieitigen
deutschen? Welcher Art ist der Stil seiner Symphonie-Kantaten? Bei den muflik-
wissenschaftlichen Werken Kastner's fragt man nach der Art der Forsehung, nach
der Bedeutung und Sicherheit der Resultate, nach der Stellung, welche Kaatn^
unter den Musikgelehrten unseres Jahrhunderts einninmit. Aber auf alle diese
Prägen erh< man keine, oder nur eine uneureichende Antwort, und doch lag hier
eine bedeutende und lohnende Aufgabe Tor. Der Verfasser beschx&nkt sich meist
darauf, die Urtheile der Zeitgenossen über Kastner's Werke anzuführen. Wenn
er einmal zur eigenen Analyse eines oLivre-Partitiom ansetzt, so entlehnt er die
Mittel zu .ihr aus den Schriften Richard Wagner's und bringt dadurch unwissent-
lich die ganze Kunst und Wissenschaft Kastner's in ein falsches Licht Wagner*s
Abhandlungen sind reich an ursprünglichen und bedeutenden Gedanken, aber streng
genommen lassep sich diese nur auf seine eigenen Kunstwerke beai^en» Auf
andere Kompositionen passen sie nicht, auf diejenigen Kastner's wohl am aller-
wenigsten. Schlimmer freilich ist es noch, wenn Ton Schopenhauer die Werkseuge
geborgt werden, um in das Innerste d^r Musik einzudringen.
Die Frage, ob Kastner's Musik vorzugsweise deutsches oder französisches
Gepräge zeige, scheint der Verfasser in ersterem Sinne zu beantworten. Er sagt,
daß die Musik im Elsaß immer einen vorherrschend deutschen Charakter getzagen
habe (I, 52 f.), und weiß dies auch bis zu einem gewissen Grade glaubwürdig zu
machen. Daraus könnte denn mit einigem Rechte geschlossen werden, daß auch
Kastner der Musiker in deutschem Wesen wurzle, wozu seine Vorliebe für Beet>
hoven und Weber stimmen würde. Die Wirklichkeit aber widerspricht denk Zwar
seine ungedruckten Jugendwerke sind mir unbekannt; sie sind auch nach dem im
dritten Bande befindlichen Verzeichniß zum größten Theil nicht mehr erhalten;
vielleicht würden vor allem die Sinfonien und Ouvertüren interessante Einblicke in
seine Entwickelung gewahren. Aber wenn das Kind des Mannes Vater ist, so
läßt sich doch von den reifen Werken ein leidlich sicherer Rückschluß wagen.
Diese nun verrathen kaum irgend welche deutsche Einwirkung. Einiges, worin
man Weber's Gpist ahnen möchte, wie der Choeur des Songes in der SymphomB
humoristique: Les Orts de Paris, läßt sich eher noch auf Boieldieu zurüekfOhren.
Von Beethoven vollends nirgends eine Spur; wer die Ouvertüre zur Symphonie-
Kantate La Saint-Julien des M4nHriers geschrieben hat, der stand sicherlich dem
deutschen Sinfoniker gänzlich fem. Ich suche nicht nach Anklängen, sondern naeh
jener tieferen Verwandtschaft, wie sie z. B. fast alle späteren deutschen Musiker
nüt Weber zeigen. Daß sie bei Kastner fehlt, ist um so bemerkenswerther, als
(die von ihm für Gesang und Orchester komponirten größeren Werke sich meisten-
theüs in jenem romantischen Kreise bewegen, der von Weber beherrscht wurde.
Aber man vergleiche nur einmal den Gesang der Sirenen .in Le rSve etOawaüd mit
dem Meermädchengesang im »Oberon«; es ist sofort einleuchtend, daß sieh hier
französiche und deutsche Musik gegenüber stehen. Auch die mehrstimmigen
Männergesänge, welche Kastner unter dem Titel Les ehants delavie herausgegeben
hat, und bei denen er sich deutsche Männerchöre direkt als Muster vorstellte, sind
etwas gänzlich anderes, als diese. Wie konnte aus dem Elsaß, wenn es deatseh
empfand, sang und spielte, ein solcher Musiker hervorgehen, zimial da der Mann
in allen anderen Dingen die germanische Stammesart thatsächlich nirgends ver«
leugnet?
Hier muß man sich erinnern, was denn zu der Zeit da Kastner heranwuchs
von wirklich deutscher Musik in weiteren Kreisen herrschte. Mit der Instrumen-
talmusik der Wiener Meister und den Oratorien Haydn's und Händel's wird man
Hermann J^udwig, Joliann Georg Kastner. 44}
es genannt haben. Nun war die Pflege der Musik in den verschiedenen Oauen
und Stfidten deutschen Wesens eine sehr ungleiche, in Straßburg befand sie sich
damals in offenbarem Verfall. Weder die ^stitute für Chormusik noch die für
Orchesteraufführungen wollten gedeihen. In dieser Beziehung konnte Kaster nach-
haltige Eindrücke kaum empfangen. Deutseher M&nnergesang hat erst nach seiner
Zeit in Straßburg tiefere Wurzeln geschlagen. In der Oper aber gelangte die
deutsche Axt so gut wie gar nicht zur Geltung. Mozart war eine vereinzelte Er-
scheinung geblieben und stand für das große Publikum zu hoch. Beethoven und
Spohr konnten in des Wortes voller Bedeutung überhaupt nicht als Operkompo-
nisten gelten, und verschwanden in dem Strome glänzender Talente, der nach wie
vor von Italien» in zweiter Beihe auch von Frankreich ausging. Weber w&re der
Mann gewesen, die Ausl&nderei in ihre Schranken zu weisen, hätte ihn nicht ein
früher Tod vom Kampfplatz abgerufen, und Marschner's Kraft war nicht nachhaltig
genug, um Webet^s Werk siegreich zu vollenden. Cherubini, Spontini, Bossinl
und BeUini, Mehul, Isouard, Boieldieu und Auber — sie sind es gewesen; die
der damaligen Oper auch in Deutschland die Wege wiesen. Unvergleichlich viel
größer als j^etzt war aber jdamals noch der Einfluß, den die Oper auf das ge-
sammte Musikleben ausübte^ Dasjenige, -^as man die mittlere Tonsprache jener
Zeit nennen kann — eine jede Periode besitzt ein solches auf musikalischem Ge-
meingut beruhendes Idiom — war vorzugsweise durch die Opemmusik gebildet
worden. Da es an bedeutenden Künstlern in Straßburg gänzlich fehlte, Kastner
auf Musiker geringen Ranges oder auf sieh selbst angewiesen war , auch mit
25 Jahren zum ersten Male aus diesen Verhältnissen herausgelangte, so mußte die
Luft musikalischer Mittelmäßigkeit, die er in den Lebensjahren der größten Bild-
samkeit und Empfänglichkeit unausgesetzt einathmete, die Entwickeln ng seines
Geschmackes und seiner Produktionskraft natürlich stark beeinflussen. Sie würde
dies nach der Richtung des Opemhaften auch dann gethan haben, wenn nicht die
Aufführungen der Straßburger Opemgesellschaften verhältniBmäßig noch das Beste
gewesen wären, woran er seinen aufstrebenden Geist nfihren konnte. Daß er mit
besonderer. Begierde sich auf die Opemkomposition warf, ist demnach begreiflich;
offenbar aber fühlte er sich auch für die dramatische Musik von Natur aus am
mebten veranlagt. Ich denke nicht zu irren, wenn ich vermuthe, daß er in seinen
dramatischen Jugendwerken die italiänisch-französisohe Durchschnittssprache seiner
Zeit geredet hat In Paris tritt dann allgemach eine gewähltere Art und der fran-
zösische Accent stärker hervor ; auch dem blendenden Eindruck der Opern Meyer-
beer's hat er sich wohl nicht entzogen.
In gleichem Jahre mit Kastner ist Robert Schumann geboren. Die Jugend-
entwickelung beider bietet Ähnlichkeiten. Hier wie dort Eltern, die der Tonkunst
fem stehen, hier wie dort die Bestimmung für einen wissenschaftlichen Beruf, und
der ungern gemachte Versuch, sieh auf ihn vorzubereiten. Die Ungunst der Um-
gebung, unter der Kastner zu leiden hatte, mußte Schumann in ähnlich starkem
MaBe in seiner sächsischen Provinzialstadt erfahren. Freilich bot ihm das Eltern-
haus selbst viel reichere Quellen der Bildung, früher als Kastner gelangte er in
die Welt hinaus und an eine Stätte althergebrachter Kunstpflege, Nahrungssorgen
blieben ihm erspart, er konnte sieh ungehindert ausleben. Aber bei der Verglei-
chung der Werke beider zeigt sich ein Qualitätsunterschied, zu dessen Erklärung
diese Dinge nicht ausreichen. Bei Schumann bricht eine Welt neuer und ur-
deutscher Kunstideen mit elementarer Gewalt hervor ; hier offenbart sich ein großes
schöpferisches Talent. Kastner kann man als ein solches nicht bezeichnen; ihm
fehlt zwar nicht die Produktionslust, wohl aber die scharf ausgeprägte Eigenart.
Es ist ein Fehler der Biographie, daß diese Thatsache nirgends bestimmt ausge-
442 Kritiken und ReferatiB.
Bproehen wird. Der Leser, weleher nichts von Kastner kennt, sehwebt in unbe-
haglicher Unsicherheit darüber, welch eine kOnstlerisehe Poteni er sich gegenüber
hat. Diese war nicht ersten Ranges; Wäre sie es gewesen, so würde sie sieh
durch die beschränkenden Verhältnisse hindurch ihre Bahn gebrooh«i haben.
Dann hätte auch wahrscheinlich nicht der Oper das Hauptstreben Kastner's ge-
golten, sondern der deutschen Instrumentalmusik in Beethoven's Sinne.
Aber damit soU nicht im entferntesten die Bedeutung des Mannes Terkleinert
werden, die anf seinen Kompositionen nur f u einem geringeren Theile beruht. Ja,
wäre er selbst nichts weiter gewesen, als Komponist, so würde er immer einen
ehrenvollen Fiats unter seinen Zeitgenossen behaupten. Einen Höh^rankt seiner
Leistungen scheint die biblische Oper Le demter rot de Juda zu bedeuten, welche
1844 komponirt und einmal bruchstückweise im Konsertsaal aufgeführt worden,
aber weder als Ganzes auf der Bühne erschienen noeh auch durch den Druck rer-
Öffentlicht ist. Ein Sextett daraus theilt der Biograph als Beilage zum sweiten
Bande mit; ich weiß nicht, ob dies eine glückliche Wahl war. Wer Kastner als
dramatischen Komponisten kennen leinen will, dem bieten die Werke daxu Ge-
legenheit, welche er seinen großen wissensohafüichen Publikationei) beigegeben
hat: La darue maedbre 1852 (in Les dtmses dm morU]^ Stephen ou la harpe d*£oie
1855 (in La harpe d'Eole et la mtteique cosmique), Lee crxe de Pari» 1857 (in Lee
voxx de Parte), Le rive d'Oetoald ou leg Sir^nee 1858 (in Lee Sirenee), La Samt'
Julien dee Min^riee 1866 (in der Pärimiologie mueieale de la langtte franfoiee}.
Weil Kastner für die dritte und vierte dieser Kompositionen die Beieiehnung ^fm-
phonie voeale H iheirumentäle, für die fünfte den Titel Symphtmie^Cantate gewählt
hat, scheint hier und da das Vorurtheil zu bestehen, man habe es bei ihnen mit
jener Mischgattung zu thun, von der Berlioz in Romeo et Julieite ein abstoßendes
Beispiel geliefert hat. Die Bezeichnungen sollen aber nur auf den reichen Antfaeil
hindeuten, welchen das Orchester an der Darstellung des Ganzen nimmt. Die
Werke sind' frei von allen Berlioz'schen Formlosigkeiten und Gewaltsamkeiten:
freilich fehlen auch die genialen Blitze, welche dort über dem chaotischen Wesen
aufleuchten. Kastner verläßt nirgends die bewährten Formen, überall leitet ihn
ein gesunder Sinn für das Natürliche und Angemessene. Hätte jemals in Frank-
reich das Oratorium Pflege gefunden, so würden diese Werke zum Theil wohl in
eine ähnliche Form gebracht worden sein, wie sie Miendelssohn und Sehumann ge-
wissen romantischen Stoffen gegeben haben : die »erste Walpurgisnacht«, »Paradies
und Peri«, die Balladen vom Pagen und der Königstochter sind ihrem Wesen na^
oratorienhaft. Da diese Kunstgattung den Franzosen fremd geblieben ist, hat
Kastner sich überall der dramatischen Form' bedient. Es sind ausgeprägte Opem-
scenen, die sich vor dem Hörer abspielen ; die »Sirenen« kann man sogar eine voll-
ständige Oper nennen. Der Chor spielt in allen, mit Ausnahme der Ikmee maeahre,
welche nur für Solostimmen und Orchester gesetzt ist, eine hervortretendere Rolle,
als man es in der italiänischen und französischen Oper sonst gewohnt ist. Da-
durch bekommen sie ein gewichtigeres Wesen; aber der Stil bleibt auch hier ein
durchaus opemhafter.
Liebenswürdige Musik -^ mit diesem Ausdruck wird man den Inhalt der
Werke wohl am treffendsten bezeichnen. An der Cantate La Saint^JuUen dee Men^
iriere für Minnerstimmen und Orchester interessirt vorzugsweise die Gnveiture,
auf die oben schon hingedeutet wurde. Ein fließendes, glänzendes Musikstück
über Melodien der nachfolgenden Gesangscenen. Aber die Verwendung derselben
ist nicht die, welche man von Weber her kennt, Dodi weniger die Cherubinisehe
Anaereon). Mögen diese Meister sich immerhin vorhandenen Materiales bedienen,
so wissen sie es doch organisch zu verweben und dergestalt in den Dienst einer
Hermann Ludwig» Johann Oeotg Kästner. 448
Grundidee lu stellen, daß Folgeriehtigkeit und Einheit herrschen. Solche höhere
Gesichtspunkte künstlerischer Gestaltung kommen bei Kastner's OuTerture gar
nicht in Fmge ; ungeswuiigen reiht sich Melodie an Melodie, wie man es .etwa bei
Koaaini findet; yieUeicht hat dessen Tell-Ouverture geradem als Muster vorge-
sehwebt, sum wenigsten fOr das Allegro. Fehlt ihm im Gänsen eine tiefere Ur-
sprünglichkeit, so begegnen doch im Einzelnen viele charakteristische Züge. Gegen
die liebliche und gewJÜiUe 'Naivet&t der Boman^e der Eva in den »Sirenen« (»Z0
dumt de la jeuneßüen), die so wirkungsreich gegen den Lockruf der Sirenen kon-
trastirt, wird nicht leicht jemand unempfindlich sein. Der Mittelsats des Quar-
tettes, als man Oswald im Walde sucht und sich dw verrufenen Stelle nfthert (»Au
plus ipak de ees hruyereett)^ trifit einen gewissen unheimlichen Ton sehr gut Li
der Ikaue maeabre ist der eigentliche Bondosats mit seiner eintönigen 'Melodie,
•seiner schwer lastenden Begleitung und dunkeln Farbe von bedeutender Eindrucks-
&higkeit, auch die Beden der Alten, des Soldaten, des Kindes seigen ein be-
merkenswerthes Talent cur Charakterisirung. Das Hübscheste, was Kastner ge-
macht hat, als Games wie im Einseinen, ist nach meinem Geschmacke die Symr
phonie kumoristique : Lee erü de Parts, Hier herrscht so viel fröhliche Laune,
Geist, sicheres Können, Mannigfaltigkeit, die Idee des Gänsen ist, wenigstens in
dieser Gestalt, so originell, die Dichtung so geschickt und anmuthig, daß ich stets
mit Vergnügen an den Tag surück denke, an dem ich dies Werk sum ersten Male
gelesen habe. Die Orchesterfuge, su welcher die Voix eonfuses der Straßenh&ndler
ihre Waaren ausschreien, ist des besten Meisters würdig, und die lustigste Musik,
die man sich denken kann. Fast durch die ganse »Symphonie^ hält sich die Er-
findung auf gleicher Höhe ; nur die Militär- und Tansmusik könnte weniger banal
sein. Besonders fein entwickelt sind die Organe des Komponisten für das instru-
mentale Klangwesen : es ist dies der einzige Punkt, in welchem er sich mit Berlios
berührt. Li jedem Werke stößt man auf neue schöne Effekte; erführe man es
auch nicht ausdrücklich durch die Biographie, daß Kastner siemlich alle Listru-
mente selbst gespielt habe, seine Werke aUein würden offenbaren, daß er die ein-
dringendste Spesialkenntniß ihres Wesens besaß. Wie erfinderisch ist in »Stephen
ou la harpe d'Eole« das bebende Getön der Aeolsharfe nachgeahmt; wie saubwhaft
lispeln die beiden Harfen im Schlußchor der »Oris de Paris al Fremdartig reisend
wirkt das Pianissimo- Tremolo des Pianoforte in der Einleitung sum Chor der
Sirenen (Nr. 6) ; so viel ich mich entsinne ist Kastner der erste, welcher dies In-
strument als ein Organ des modernen Orchesters hat auftreten lassen. Auch die
Saxhömer und das Saxophon finden bei ihm ausgiebige, und namentlich das lets-
tere schöne und eigenthümliche Verwendung, wie er denn auch zu den ersten und
gewichtigsten Autoritäten gehörte, die die Erfindungen von Adolph Sax su wür-
digen verstanden und dies durch kräftiges Eingreifen su seinen Gunsten bethätig-
ten. Die originelle Anwendung der Pansflöte im Sirenenchor verdankt man Kast-
ner's persönlichem Verkehr mit Sax, der über eine Verbesserung dieses uralten
Instrumentes nachsann. Ich weiß nicht, ob er seine Ideen verwirklicht hat (Kast-
ner spricht von ihnen in »Les SirenesK S. 95); auf einer gewöhnlichen Pansflöte
läßt sich das nicht ausführen, was ihr in dem genannten Chore sugemuthet wird.
Opemhaft ist Kastner manchmal auch in seinen Männerchören. In Deutsch-
land, dem Lande des Männergesanges, haben sie sich nicht verbreitet; die Chants
de la vie hat Otto Eiben in seinem Werk über den volksthümlichen deutschen
Männergesang sogar mit unverhohlener Mißbilligung surückgewiesen. Daß sie
nicht von deutscher Art sind, habe ich schon gesagt Aber es ist Unrecht, nun
SU thun, als wären sie überhaupt nichts. Ausdrücklich bestimmt der Komponist
sie auserlesenen, geübten Sängern; es sind mehrstimmige Gesänge für eine
444 Xritiken und Referate.
gewählte Öeselkchaft, auf das Volksthamliche wird von vornherein yeniehteu
Bo angesehen bieten sie doch des Erfreuliehen nicht wenig. Sehr gut gelingt
dem Komponisten auch im M&nnergesang das Anmuthig-Heitere, wie die Trxo-
lienne Primavera (Nr. 11 der CTumts de la vie) beweist. Der Chant de VüMr«
(ebenda Nr. 16j, weicher nach einer Andantino-Einleitung lu Tier Stimmen alt
großer doppelchöriger Marsch einhersohreitet, zeigt wie Kastner auch im kräf-
tigen Genre seinen Mann stellt. Der Gesang 8ur la mort tPun guerrier 'ebenda
Nr. 18) ist recht schön im Charakter des Trauermarsches gehalten und klingt
stimmungsvoll aus. Verführt dureh die Lust an Klangeffekten, wennschon ftoBer-
lieh angeregt durch eine in Deutschland aufgekommene Sitte, läßt Kastner nicht
nur edur viel ä bouehe fermSe singen, sondern auch en inutant leg ifutrwnenU de
auivre; ja vollständige Klavier- oder Orchesterbegleitungen müssen seine Sftnger
nachmachen, und die letzten sechs Stücke der genannten Sammlung sind sogar
durchaus Ckants sans paroles. Daß häufig nur vokalisirt werden soll (Kastner be-
ruft sich etwas gesucht auf die Jubili des mittelalterlichen Kirchengesanges), mag
noch eher angehen. Die Rücksicht allein auf den Klang bestimmt ihn auch, oft-
mals mehr als vier Stimmen anzuwenden, ohne sie doch streng selbständig n
führen. So soll der Gesang der Studenten in den »Sirenen« doppelehörig sein:
allein der zweite Chor geht meistens mit dem ersten zusammen, oder ahmt eine
Instrumentalbegleitung nach. Kleine Lässigkeiten und Freiheiten des Saties, die
unserem wieder strenger gewordenen Geschmaoke nieht behagen, lagen damals in
Zuge der Zeit und gaben keinen Anstoß. Es darf freilich nicht versehwiegen wei^
den, daß über diese Kleinigkeiten hinaus sich bei Kastner, und nicht nur in den
Männergesängen, sondern auch in seinen großen Werken manchmal unlogische
Harmonienfolgen, Stockungen in der harmonischen Entfaltung und Mangel an
dreier und sicherer Bewegung bemerklich machen. Nicht immer verfügte er in
diesem Betracht über die vollste Meisterschaft. Aber er besaß eine leichte Hand
als Komponist', diese führte ihn gewöhnlich über Schwierigkeiten hinweg, in welche
ein tiefer eingreifender Arbeiter sich sicher verwickelt haben würde.
Die ersten Erfolge in der Pariser Musik weit verdankte Kastner seiner Lehr-
thätigkeit. Der Biograph hebt hervor, daß sie sein Emporkommen als Komponist
gehindert hätten, man habe in ihm immerfort nur den Theoretiker gesehen. Das
ist sehr glaublich. Der erste starke Eindruck pfiegt in der Öffentlichkeit auf lange
zu entscheiden. Man mag nachher leisten was man will, das frühere dreifach über-
treffen, ganz andere Wege einschlagen — dem lieben Publikum bleibt man, was
man ihm anfangs zu sein schien. Aber richtig ist nun doch auch, daß Kastner'f
Lehrbegabung eine große und seine Lust zu lehren von frühester Jugend auf eine
außerordentliche war. Über Kastner's zahlreiche Lehrbücher, über das Eigenthüm-
liche seiner Methode und die Verdienste, welche er sich durch sie für das Musik-
leben Frankreichs erwarb, hat Hermann Ludwig Genügendes, wenn auch nieht Er-
schöpfendes gesagt. Er vollzieht einen Akt historischer Gerechtigkeit, wenn er
Kastner's TraiU g^iral d'instrumeniation ^Paris, 1836) und- Cotir« ^inairwmeHia^imk
(Paris, 1837) dem bekannten Werke Berlioz' gegenüber kräftig hervorhebt. Leta-
teres ist genialischer, blendender; aber ohne Kastner's Vorarbeit würde es kaum
vorhanden sein, und es erreicht diese nicht entfernt in Bezug auf sachgemäße,
lehrhafte Methode. Kastner's Instrumentationslehre ist bis auf den heutigen Tag
eine höchst brauchbare Arbeit geblieben. An Werth übertroffen wird sie aber noch
durch sein Manuel genial de mueique militaire (Paris, 1848). Es kann freilich nur
in seinem letzten Theile ein wirkliches Lehrbuch genannt werden, und so bedeu-
tend dieser ist, tritt er doch zurück gegen den ersten Theil, einen Abriß einer
allgemeinen Geschichte der Militärmusik, der das Beste ist, was wir bis jetzt auf
Hermann Ludwig, Johann Georg Kastner. 445
diesem noch so wenig durchforschten Gebiete besitzen. Hier kommen wir auf
Kastner den Musikgelehrten.
Außer der im Manuel g^nSral enthaltenen Abhandlung und einer den ChanU
de la Die vorausgeschiekten Untersuchung Ober die Geschichte des Männergesanges,
dasu etwa noch dem verdienstlichen Versuch einer Geschichte der frans ösischen
Kriegsgesänge, der den 23 ChanU de Tarmie fran^aiee Torhergeht, sind es vor
allem jene großen Werke: Les danses des mortBf La harpe d'iole et la musique
eosmiquef Les voix de Parte, Les Sirhtes und die Parhniologie mueieale de la latigue
franeaise, worauf Kastner den Anspruch gründen kann, unter den Musikforschern
einen hervorragenden Platz einzunehmen. Ein Kritiker der Revue eontemporaine
behauptete, er sei der einzige französische Schriftsteller, der sich auf die von
Deutschland eröffneten Pfade gewagt habe. Das ist nun, wie jeder Historiker
weiß, nicht der Fall. Aber in der Art seiner Wissenschaft steht Kastner aller-
dings allein da. Die ersten und vornehmsten Quellen der Kunstforschung sind
die Kunstwerke selbst. Wer Wesen und Entwickelung der Musik erkennen will,
muß sich demnach zunächst an die Tonschöpfungen vergangener Zeiten wenden
und diese zu verstehen suchen. Dieser Forderung entspricht Kastner nicht. £r
untersucht die Darstellungen der Todtent&nze in Wort und Bild, die Schall- und
Tonerscheinungen des Naturlebens in Luft und Wasser, die im Schrei und im
L&rm des großstädtischen Verkehrs enthaltenen musikalischen Elpmente, die Zau-
berkraft der Musik im Spiegel der Sage, die Krystallisation musikalischer Vor-
stellungen im Sprichwort. Alles Gegenstände, aus deren Durchforschung sieh zwar
sicher ein Gewinn für die Erkenntniß des Wesens der Tonkunst ergiebt, die aber
vom Hauptwege abseits liegen. In dieser Beziehung trägt Kastner's Musikforschung
den Charakter der Liebhaberei. Daß seine Kenntniß von der Musik vergangener
Perioden, ihrer Stilart und Stellung im Völkerleben, vom Leben und Schaffen älte-
rer Meister keine umfassende und eindringende war, geht aus seinen Schriften klar
hervor : es fehlt in ihnen nicht an allerhand Unrichtigkeiten, die bei etwas gründ-
licherem historischen Studium leicht zu vermeiden waren. Auffällig ist, wie wenig
er sich überhaupt für das zu interessiren scheint, was als Kunstwerk im Laufe
der Zeiten entstanden ist. In den Voix de Paris S. 44 ff. behandelt er eine Chan'
son nouveUe de tous les eris de Paris aus dem 16. Jahrhundert, qui se chante sur
la Volte de Provence. Worauf jeder andere Musikgelehrte zuerst losgehen würde,
wäre^ die Melodie dieser Volte de Provence ausfindig zu machen. Kastner macht
dazu nicht die geringsten Anstalten, beschäftigt sich dagegen mit der litterarischen,
philologischen und socialen Seite der Quelle ausführlich. S. 59 ist von Lieblings«
melodien gewisser Pariser Straßensänger am Anfang unseres Jahrhunderts die Rede,
von dem Rondeau JEnfant ch4ri des dames, der Chanson Gh^aman ne connait plus
d'obstacle u. a.; die Melodien selbst lehrt der Verfasser uns nicht kennen. An
dem Menü et von Exaudet geht er vorüber, ohne nur anzudeuten, welche Rolle
dies Stückchen in der Unterhaltungsmusik Frankreichs im 18. Jahrhundert gespielt
hat; daß der S. 67 angeführte Nachtwächterruf Je viens voua avertir der Melodie
des alten Jagdliedes Pour aller ä la chasse entnommen ist, scheint er nicht be-
merkt zu haben. Melodien fremder, unkultivirter Völker faßt er nicht sowohl als
historische Dokumente auf, sondern vielmehr unter dem modern-künstlerischen
Gesichtspunkt größerer oder geringerer Wohlgef&Uigkeit (S. 81 f.). Auf die In-
strumente, deren sich die tanzenden Gerippe mittelalterlicher Darstellungen be-
dienen, geht er ein, aber nirgends scheint ihm nur der Gedanke zu kommen, daß
auch die Frage, was denn mit den Instrumenten musioirt sein könne, ihre Be-
rechtigung habe. Ich sage nicht, daß es ihm hätte gelingen können, sie aus-
reichend zu beantworten ; daß er sie gar nicht aufwirft, ist das bezeichnende. Die
446 XLritikeii und Referate.
Abbildungen der Sirenen würde ein anderer anf ihre y.ntfti»biingwiHt nattr-
sucht und alsdann die auf ihnen dargestellten, selbetiadig wirkenden oder bef^-
tenden Imtrumente mit den Naefariehten lu kombiniren getrachtet habea, wddie
wir fonet Ton der Mufikabung der alten Orieehen und Bömer besitacn. Anf die-
sem Wege w&re es möglieh gewesen, wenigstens su einer Ahnung daTon su ge-
langen, wie jedesmal der betreffende Bildner sich die Musik seiner Sireoen tw-
gesteUt habtti dürfte, und dadurch wfiren unsere Vorstellungen naeh Seite der
Kunst hin kräftiger belebt worden, als durch Anh&ufung anderen ardiftolagisdie&
Stoffes. Kästner unterläßt es, die Quellen in diesem Sinne ausiunutsen. Hu
wird es nun auch begreif lieh finden, warum seine Arbeit über die Geschichte dei
liännergesanges so wenig genügend ausgefallen ist Hier handelte es «idi u
eine Geschichte Ton Kunstformen, die an Kunstdenkmfilem studirt werden mußUm,
und dahin sog ihn seine Neigung nioht
Alle diese Bemerkungen haben nicht den Zweck, Kastner's Forseharthiti|^
keit herabzusetsen , sondern sie lu eharakterisiren. Man muß dem Biographea
dankbar sein für den Nachweis, daß der Drang, »das geheime Band aufsudecken*
welches Natur und Kunst in mehr als einem Punkte Tcreinigt« (Lea vaix de Pkru
S. 81), von früh auf in Kastner lebte und sich mit unauslöschlichen Jugenderinse-
rangen verwebte (I, 143 ff.}. Auch sein Interesse für die Militännusik geht auf
die Jugendjahre lurück, da er die Musikkapelle einer Abtheilung der Strmßbaifer
Bürgerwehr dirigirte und M&rsche für sie komponirte. Für die Barhmiaiogü ist
ebenfalls schon in Straßburg der Grund gelegt (in, 161), gani besonders aber
mußte ihm der Gegenstand der angehängten Symphonie-Kantate von dem elaiss-
sohen »Pfeifertage« her ein vertrauter sein. Das Werk über die Todtent&nxe vei^
dankt einer Anregung aus dem Jahre 1824 seine Entstehung, als in der Neukirehe
flu Straßburg eine Reihe von Todtentanz-Fresken aus dem 15. Jahrhundert ent-
deckt wurde (I, 128 f.). In diesen Thatsachen liegt die tiefere Begründung der
»musikwissenschaftlichen Liebhabereien« Kastner's, wie ich sie vorher nannte. Diese
Eindrücke der Jugend hegte der treue Mann im Innersten seines Wesens und
setste die beste Kraft daran, sie endlich in einer Weise su gestalten, die der
Eigenthümlichkeit seiner Anlage am vollkommensten entsprach. Nicht sun&chii
durch den Trieb nach Erforschung der Wahrheit ist er zur Musikwissenschaft ge-
führt worden; poesievolle Anschauungen waren es, die ihn dahin lockten, und
ihm zugleich sein fest begrenztes Gebiet anwiesen. Es wfire thöricht zu bemin*
geln, daß dieses nur einen kleinen Theil desjenigen einschließt, was zu erkennen
dem Kunstgelehrten das wichtigste sein muß. Man hat einzig und allein zu fragen,
wie Kastner die wissenschafdichen Aufgaben gelöst hat, für welche seine Natur
ihn bestimmte. Und hier braucht mit dem wärmsten Lobe nicht gespart zu wer-
den. Er besaß den unermüdlichen Fleiß und die weite Umsicht, welche nöthig
waren, für dergleichen Arbeiten das Material zusammen zu bringen. Seine Ge-
wissenhaftigkeit im Sammeln trieb ihn bis in die entlegensten Winkel und manch-
mal weiter als nöthig war, so daB es alsdann schwer wurde, ein geschlossenes
Ganze zu erzielen : in den »Sirenen« macht sich dies hier und da in einem gewissen
Mangel an Ordnung und in unklarer Gruppirung von Hauptsachen imd Nebenwerk
bemerkbar. Er besaß aber außerdem gediegene gelehrte Bildung, kritischen
Scharfsinn, die Gabe glücklicher Kombination und lebhafter, fesselnder Darstel-
lung. Auf die Bedeutsamkeit der Resultate hin angesehen verdient das Werk
Leß danses des morU den Preis. Es ist eine Leistung ersten Ranges: inhaltreich,
neu, durchleuchtet von heller Kritik, in Bezug auf das was man wissen kann von
unbestechlicher Ehrlichkeit, und ganz vorzüglich stilisirt Sind es nicht durchaus
musikalische Gegenstände, welche zur Untersuchung kommen, so wird doch audi
Hermann Ludwig, Johann Georg S.aBtner. 447
Jieir Musikgelehrte und gelehrte Musiker wegen der Fülle von künstlerischen An-
schauungen, die sich hier aufthun, mit Theilnahme das Gance studiren. Der Spe-
lialwissenschaft gehört der iweite Theil; die mit dem fünften Kapitel beginnende
Untersuchung Les Instruments de mtmque des Danses des Msrts gestaltet sich lu
einer Beschreibung und Darstellung der mittelalterlichen Musikinstrumente, welche
das Beste genannt werden darf, was über diesen schwierigen Gegenstand gescfaiie-
ben worden ist. Der in der Pwimioiogie Terwirklichte Gedanke, das Sprichwort
als eine Quelle der Musikgeschichte ieu erschließen, ist geistvoU, neu und ergiebig.
Aber auch die übrigen Werke bieten einen gewaltigen Schati Ton Beobachtungen
und öfflfien eine reiche W^t der Anschauungen. Unser Biograph sagt, Kastner
habe in Lo harpe d^Eoh dargestellt, wie sich die instrumentale Tonkunst aua den
Schallerscheinungen der Natur entwickelte, und in Les voix de Paris' sei er dem
Ursprung des Gesanges im Schrei nachgegangen (III, 141). Aber hier sagt er £u
viel. Das Problem von der Entstehung der Musik zu lösen, hat wohl Kühner
gans fern gelegen. Er will nur aufs eigen, dafi iwischen Naturstimmen und Schfei
einerseits, und der Musik andrerseits ein Zusammenhaag bestehe. Auf welchem
Wege aber der Zusammenhang sich hergestellt habe, diese Frage läßt er vorsichtig
unerörtert. Aueh su Gr^rVs Princip, daß der Gesang von der Deklamation ans*
gehe, nimmt er keine entschiedene SteUung.
Man begreift aber jene großen wissenschaftlichen Arbeiten nicht vollst&ndig,
wenn man die Kompositionen außer Acht l&ßt, die sich ihnen anschließen. Es
liegt hier eine zuvor nicht dagewesene Verbindung von wissensehafdichem Werk
und Kunstwerk vor, welche ein französischer Kritiker nicht uneben mit dem
Namen Livre- Partition belegt hat. Die C^nts de la vie und die Chants de TarmSe
francaise dürfen dahin nicht gerechnet werden, bei ihnen ist der wissMsehaMiohe
Theil nur Einleitung und d^ Hauptaccent liegt auf der Musik. Indem aueh diese
einen schwachen doktrinfiren Beigeschmack hat, würde gesagt werden können, daß
die beiden Werke ein Mitü^ding zwischen Lehrbueh und fire&em Kumtwerk dür^
stellten. Livres'Partitions bleiben demnach fünf, ein «echites, Zaßüe d*Odim, ist
unvollendet hintetiassen; ob das vollendete aber nicht veröffentlichte Werk Les
Ramnitsehelsj ttVrame-Sytnphmien in zwei Theilen mit einer Abhandlung über die
Mugik der Zigeuner, auch hierher zu rechnen sein würde, weiß ich nicht. In weU
chem Veih<niß in den Livres-Pariitions die Arbeit des Künstlers tu der Arbeit
des Gelehrten steht, darüber sohaffen die Bemerkungen des Biographen keine rtX^
ständige Klarheit. Ihm seheint auch in ihnen das Kunstwerk ads Veranlassung zu
der wissenschaftlichen Abhandlung, und demnach als der Kern dea Ganzen gel(»n
zu müssen {III, 26; Di, 1^1), so daß der von ihm citirte Ed. Monnais Recht gl^
habt hätte, der die Abhandlung nur eine Voitede der Partitur nennt. Ich glaube
aber, die Sache verhält sich anders, und berufe mich deshalb auf Kastner selb^
Er erzählt in der Vorrede zu Les danses des nvsrts (S. XV), während er sich mehre
Jahre hindurch »it der Erforschung der Todtentänze beschäftigt habe, »ei er von
dem Gegenstande so ergriffen worden, daß det Wunech in Ihm rege ^wordett m
ihn aueh musikalisch darzustellen. In der Vorrede ftu Les SirSnes (8. VII; nennt
er die Kompoiition »eine natürliche Ergänzung« zu den gelehrten Untersuchungen,
und an einer andern Stelle (8. 94 — 95) desselben Werkes bemerkt er, der Gegen-
stand der Untersuchung habe ihn zu einem ähnlidien musikalischen Versnebe vet^
anlaßt, wie er von Mendelssohn in der Ouvertoi« »Hebriden« angestellt worden
sei. Das stimmt gewiß nicht mit dem zusanmien, was Hermann Le^dwig sagt.
Wollte man nun aber den Autor dahm interpretiren, da6 die Kompositionen nur
als eine nebensächliche Zugabe der Untersuchung ansusehen wären, so würde man
dodi aueh etwas unridiüges thun. Bedde sind viefattehr Erseheinungen derselben
Idee auf versdiiedenen G^etcn.^ Ob die künstlerische oder die wissenediaftliche
1888. 30
448 Kritiken und Referate.
äußerlich früher 2ur abschließenden Gestaltung kam, bleibt unwesentlich ; nur der wird
den Verfasser Tollständig begreifen, der sie als im Grunde Eins lu erfassen vennag.
Diese Grundidee kann man wohl mit unserem Biographen eine musikalische nennen,
aber doch nur in dem Sinne, in welchem jedes Geisteswerk höherer Gattung, auch
ein wissenschaftliches, aus einer gewissen allgemeinen Stimmung sieh su bilden
pflegt, in der es als Ganzes dunkel vorgeahnt wird, in der man vorerst noch keine
Gestalten sondern nur Bewegung wahrnimmt, und die insofern dem Urwesen der
Musik ähnelt. In der Grundidee ist Kastner's Doppelbegabung, die künsüerische
wie die gelehrte, latent Äußert sie sich im Fortgang der Entwickelung nach swei
Riehtungen hin, so bleibt doch die Meinung immer diese, daß bei dem Studium
der Abhandlung das Musikstück still in dem Leser weiterklingt, und bei dem Ge-
nüsse des Musikstückes gleichsam der Niederschlag der wissenschaftlichen Unter-
suchungen als eine FüIIb von Vorstellungen und Bildern in der Phantasie fortlebt.
Es ist ein Ineinandertönen und Ineinanderranken geschwisterlicher Gestalten, das
man als eine ganz neue Erscheinung auf dem Gebiete geistigen Schaffens bezeich-
nen muß. Freilich ist nicht daran zu denken, daß diese Form, ein Innerliches
darzustellen, weitere Pflege erfahre. Sie kann immer nur als Ausnahme-Erschei-
nung gelten. Denn wann findet sich jemand, der die Begabung besäße, sie anzu-
wenden? Und — was mehr bedeutet — wo ist denn das Publikum, dem damit
beizukommen wäre?
Damit berühren wir einen Umstand, der bezeichnend genug ist, um eine stär-
kere Hervorhebung zu verdienen. Keine der Kompositionen der Zivrea-Partitiona
ist aufgeführt worden. Kastner selbst hat nie die Hand gerührt, eine Aufführung
zu veranlassen. Bei der angesehenen Stellung, die er in der Pariser Musikwelt
und Gesellschaft einnahm, bei den bedeutenden materiellen Mitteln , über die er
verfügte, wäre ihm solches leicht gewesen. Er hat es verschmäht, auf anderen
Wegen als dem einer einfachen Veröffentlichung seiner Arbeiten, Erfolge zu suchen.
Andere Menschen, die aus eigener Bewegung für ihn eingetreten wären, haben sieh
weder in Frankreich gefunden, noch in Deutschland. Wir verstehen es, wenn man
dies beklagt. Aber die Wahrheit gebietet es auszusprechen, daß sie in der That
unaufführbar sind. Unaufführbar insofern, als eine Aufführung -den Hörern alle
die Wege tum Verständniß des Werkes öffnen soll, auf die der Schöpfer gerechnet
hat Kastner setzt ein Publikum voraus, das seine gelehrten Arbeiten gelesen,
verstanden und sich zu eigen gemacht hat Dies PubHkum existirt nicht Als er
lebte gab es in Paris, hoch gegriffen, einige Dutzend Menschen, die mit seinen
Büchern einigermaßen vertraut waren; jetzt giebt es deren vielleicht in der gansen
Welt noch nicht viel mehr. Solch eine Hand voll Menschen musicirt man nicht
mit Solosängern, Chor und Orchester an. Während um die wissenschaftlichen
Arbeiten Kastner's aufzunehmen ein einzelner Leser sich selbst genug ist, bedarf
derselbe, um sich den organisch zugehörigen musikalischen Theil vermitteln cn
lassen, einer Schaar von mehr als hundert Personen. Nein ! er bedarf ihrer nidit
Derjenige, für den die Livres-Partitiona gedacht sind, liest eben auch die Partitur
wie ein Buch und durchlebt in seiner stillen Klause mit dem Verfasser, was dieser
gewollt und erreicht hat Es liegt mir fern, von der edlen und hohen künstle-
rischen Gesinnung Kastner's, die sich dem Biographen in seiner Zurückhaitang
gegenüber der Öffentlichkeit offenbart, das allergeringste abzudisputiren. Aber ieh
glaube, daß Kastner die unübersteigliche Schranke zwischen seinen Werken und
einem großen Publikum ebenso genau erkannte, wie wir. Das Hohe, Verehrungs-
würdige liegt darin, daß er trotzdem nicht abließ, sich in derjenigen Form su
äußern, welche er als die seinem Wesen gemäßeste erfunden hatte. Darin han-
delte er unpraktisch, idealistisch, deutseh. . Aber er handelte gewissenhaft gegen
sich selbst und pflichtgetreu in der Ausnutzung der ihm verliehenen Gaben.
Hennann Ludwig, Johann Georg Kastner. 449
Dieser pflichtbewußte Ernst, diese bescheidene, allem Scheine abgewendete
Tüchtigkeit sind Eigenschaften, die sein Handeln in allen I^ebenslagen bestimmten.
Der Sohn eines unbemittelten Straßburger B&ckers arbeitet sich unter schwierigen
Verhältnissen und fast nur aus eigener Kraft zu einem respektabeln Musiker durch,
kommt 25 Jahre alt nach Paris, verdient sich durch Musikunterricht sein beschei-
denes Brod. Durch Verheirathung mit einer reichen, hochgebildeten Erbin gelangt
er plötilich in die gl&nzendsten Verhältnisse und die feinsten Kreise der Pariser
Gesellschaft. Aber der Olückswechsel berauscht ihn nicht, macht ihn auch die
alte Heimath nicht vergessen; er veranlaßt ihn nur seinen Fleiß zu verdoppeln,
seine Ziele sich höher zu stecken, der allgemeinen Kunstpflege durch Lehre und
Kath zu dienen, seinen Kunstgenossen förderlich zu sein, den Nothleidenden bei-
sustehen. Ein solches für ideale Zwecke in rastloser Arbeit hingebrachtes Leben,
schon an sich warmer Theilnahme werth, empfängt nun aber seinen schönsten In-
halt erst durch den Reichthum geistiger Gaben, mit denen die Natur den Mann
ausgestattet hatte. Im Mittelpunkt dieser Gaben steht die musikalische, mit ihr
muß alles andere Berührung finden, was zu fruchtbringender Entwickelung in
seinem Innern gelangen soll. Auch fQr das Schaffen eigener Kunstwerke zeigt
sich B€in Talent ergiebig, doch die höhere Kraft entfaltet es in der Durchforschung
der Kunstmittel, in der Musiklehre, in der wissenschaftlichen Untersuchung von
Erscheinungen, die mit der Musik zusammenhängen und ihm im Leben nahe ge-
treten waren. Das eigentliche Kompositionstalent reichte, so scheint es mir, mit
seinen Wurzeln nicht bis in den tiefsten Grund von Kastner's Wesen : nur mittel-
bar und verdünnt durch den Beisatz fremder, von außen herein getragener Ele-
mente kommt sein Ich hier zur Erscheinung. Aber doch gehört es zum Ganzen ;
von diesem Ganzen wird man mit Fug und Recht sagen können, daß es von bester
deutscher Art war. Und so erschiene auch Kastner's Verehrung für ^Beethoven
und Weber, diese ausgeprägt deutschen Künstler, wohl verständlich, wenn er
gleich in seiner eigenen Musik keinen Zusammenhang mit ihnen zeigt.
Daß man zunächst von Deutschland eine gerechte, umfassende und sympa-
thische Würdigung Kastner's erwartete, bezeugt in der Art ihrer Erscheinung die
Biographie selbst. Sie ist von einem Deutschen in deutscher Sprache verfaßt,
während doch Kastner hauptsächlich in Paris gewirkt und, obschon vom Eltern-
hause her des Deutschen mächtig, doch alle seine Hauptwerke in französischer
Sprache und in erster Linie für Franzosen geschrieben hat Auch daß die Wittwe
Frankreich verließ und in Straßburg Wohnsitz nahm, scheint anzudeuten, daß sie
dort mehr Verständniß für die Bedeutung ihres Gatten zu finden hoffte, dessen
Andenken der Rest ihres Lebens gewidmet war. Im Januar dieses Jahres ist die
edle Frau gestorben. Ein Sohn, Georg Friedrich Eugen, in dem der Geist seines
Vaters weiter wirkte, war ihr im Jahre 1882 vorangegangen; ihm ist in der Bio-
graphie des Vaters sinnigerweise ein letzter Abschnitt gewidmet Kastner hat eine
große Bibliothek hinterlassen, und der Kenner seiner Schriften weiß, daß sie sehr
werthvoUe Sachen enthalten muß. Was mit ihr und dem bedeutenden eigenen
handschriftlichen Nachlasse geschehen soll, oder vielleicht (schon geschehen ist,
darüber bin ich nicht unterrichtet. Sollten aber diese Zeilen denen unter die
Augen kommen, welchen die Bestimmung hierüber zusteht, so wünschte ich wohl,
daß sie dazu beitrügen, die allgemeine Nutzbarmachung der Hinterlassenschaft
herbeizuführen. Kastner's Lebenswerk wird fruchtbringend weiter wirken, das ist
sicher, wenn auch zunächst wohl nur im Kreise der Musikgelehrten. Dieser Kreis
ist klein zur Zeit; vielleicht wird er sich bald vergrößern. Wie dem immer sei,
wir werden den wackem Mann in dankbarer, ehrender Erinnerung treu bewahren.
Berlin. Philipp Spitta.
Adressen der Herausgeber:
Professor Dr. Spitta, d. Z. geschftftsfQhrender Heraiisgeber , Berlin, W.
Burggrafenstraße 10; Dr. Friedrich Chrysander, Bergedorf bei Hamburg; FR>-
fessor Dr. Guido Adler, Prag, Weinberge, Jungmannsgasse 25.
Ein Satz eines unbekannten Klavierkonzertes
von Beethoven.
Von
Guido Adler.
In dem Besitze des Studiosus Emil Bezecny in Prag befindet sich
ein Konvolut Orchesterstimmen in Quartformat, das auf dem Um-
schlage den Titel trägt: Concerto in l>-dur | fiir Pianoforte| mit | Or-
chester I von \L. V. Beethoven. \ Im Ganzen sind 17 Orchesterstim-
men; es sind: Violino primo ^ Violino secondo ^ Viola primae Viola
seconda, Violoncello^ Basso, Flauto, Oboa prima, Oboa seconda,
Foffotto pritno , Fagotto secondo, Como primo, Como secondo, Tromba
prima in Dy Tromba seconda in D, Timpani in D (resp. DA),
Die 17. Stimme ist ein Duplikat der ersten Yiolinstimme , beginnend
von Takt 68, mit einigen Varianten, Bereicherungen, vermuthlich die
Primstimme einer aus dem Orchestersatz arrangirten Streichquartett-
begleitung. Alle Stimmen sind von Einer Hand kräftig geschrieben
und haben ein Alter von mindestens 50 Jahren. Nur die erste Oboe-
stimme ist auf anderem Papier von anderer Hand und jüngeren
Datums als die Ersterwähnte. Die Stimmen sind fortlaufend bezeich-
net mit IIb bis Ilr (l. Violine bis Pauke) i Es war also ersichtlich,
daB die Klavierstimme dazu gehörig war und benutzt wurde. Sie
fand sich bei dem Stiefbruder des Obengenannten, dem Geheimrath
Josef von Bezecny in Wien , der den Klavierpart seiner Zeit aus dem
elterlichen Hause mitgenommen hatte und denselben mir freund-
lichst zur Verfugung stellte. Sie trägt auf dem Umschlage die Auf-
schiifi;: ^Beethoven \ Concert in Ddur, \ (J. E«, von derselben Hand
auf dem gleichen starken Quartpapier geschrieben , wie die Orchester-
stimmen; enthält 16 Seiten Noten und auf dem rückwärtigen Um-
1888. 31
452
Guido Adler.
schlagpapier zwei Varianten von Takt 216 — 218 und 331 — 340 J
Bei den Tuttistellen ist im lUavierpart gewöhnlich nur die Baß-
stimme und auch diese nur lückenhaft verzeichnet.
Die einzelnen Änderungen, die an der Klavierstimme. selbst behu6
Erleichterung von verhältnißmäBig schwierigeren Passagen vorgenom-
men wurden, sind leicht erkenntlich; sie rühren von der gleichen Hand
wie der des Schreibers her, nur leichter, feiner geschrieben. Die Vor-
zeichnungen sind genau und gewissenhaft eingetragen, wenige und leicht
zu verbessernde Fehler nachweisbar. Nach der Aussage des Geheim-
raths V. Bezecny sind Orchester- wie Klavierstimmen von der Hand
seines Vaters, Josef Bezecny, ^ eines eiMgen und verständigen Musikers,
der seinem Sohne Unterricht im lUavierspiel ertheilt und mit ihm wie-
derholt das Klavierkonzert, vielmehr den einen Satz gespielt hatte.
Es ist nämlich nur ein Satz »Allegrm in lUavier- und Orchester-
Stimmen erhalten, es ist der erste Satz eines Klavierkonzertes; über
den Verbleib der anderen Sätze, wenn solche überhaupt existirt
haben, was wohl wahrscheinlich ist, konnte nichts ermittelt werden.^
Der einleitende Orchestersatz folge im Auszuge:
Allegro.
(a),
Streichinstr. :
1 Noch an 11 anderen Stellen der Klavierstimme wurden Änderungen vorge-
nommen, ersichtlich behufs Erleichterung. Zur beliebigen Streichung der Takte
167—225 sind am unteren Rande der einzelnen Stimmen einige trockene Überleitungs-
akkorde von adur nach ddur in 6 Takten eingestellt.
2 1803 geboren, 1873 gestorben als Oberlehrer und Leiter der Blindenersiehungs-
anstalt Hradschin in Prag. Von seiner Komposition sind auf der Universitit»-
bibliothek in Prag in einem Sammelbande von Werken Prager Komponisten »IX.
Deutsche T&nze nebst Coda für das Pianoforte Prag 1827n, die einfach im Tonsatse
eine anmuthige Erfindungsgabe zeigen. Sein vierstimmiges »Lied für die Blindem
wird noch gegenwärtig von den Institutszöglingen gesungen.
' Auch im Blindenerziehungsinstitute blieben die Nachforschungen erfolglos.
Ein Satz eines unbekannten' Klavierkonzertes von Beethoven. ' 45^
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Es folgt nunmehr die Ausführung des ersten Theiles im Wech-
selspiel des Klaviers mit dem Orchester. Das Klavier Solo beginnt
(Takt 59) mit dem Hauptthema, welches bei seiner Wiederholung
in der höheren Oktave (Takt 67) von den Streichern begleitet, dann
von den Bläsern (Takt 71) weitergeführt wird, während das Klavier
figurative Läufe ausfuhrt. Das Orchester schließt in der Haupt-
tonart mit dem 2. Theil des Seitenthemas (Motiv i, Takt 76).
Das Klavier greift das Thema in variirter Form auf, worauf die
Streicher das Hauptthema in tonal umgekehrter Folge [emoll —
ddur) aufnehmen und das Klavier mit den kongruenten Tonleitern
dasselbe umspielt. Flöte und Fagott bemächtigen sich nunmehr des
Hauptthemas (Takt 90) , die Streicher begleiten harmonisch mit chro-
matischen Durchgängen, während das Klavier, die erste eigentliche
Verbindung mit dem orchestralen Körper eingehend, in ausgebreite-
ten, durch chromatische Zwischentöne gewürzten Akkordgängen sich
zur Geltung zu bringen sucht.
458
Guido Adler,
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Es scUieBt sich daran ein Triolenlauf des Klayiers Solo, auf
der Dominante von Adur sich haltend, in Sechzehnteln und Achteln
decrescendo und rallentando auslaufend mit dem Motiv g. Nach
der Fermate bringt das Klavier ein neues Zwischenmotiv (l) in a €btr
(Takt 112):
(1) , RTJ ^'^:^^
Ein Satz eines unbekannten Klayierkonzertes von Beethoven.
459
worauf die Saiteninstrumente, in den stärkeren Accentnoten ver-
schärft durch Flöte undHom, das Hauptthema in ac^tir aufiiehmen,
in dessen Pausen kleine Läufe vom Klavier eingestreut sind, und
sodann von diesem eine Cantilene in adwr gebracht wird, welche,
ihrer Bedeutung nach Anspruch hätte als zweites Thema angesehen
zu werden.
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Diese achttaktige Periode, die sich im Vorübergehen gegen
JlsmoU wendet, ist im 1. Theil motivisch gebildet aus dem 2. Theil
des Hauptthemas (Motiv b) , halt sich im 2. Theil (Motiv m)
rhythmisch an das erste Motiv (a) desselben, zeigt aber im Ganaen
eine eigenartige Physiognomie. Motiv m soll später in der Durch-
führung eine große Bolle spielen. Bei der gleich stattfindenden
Wiederholung wird die Cantilene ausgeweitet, länger in ßs moll
gehalten, von den drei oberen Stimmen der Streicher zuerst in
ruhenden Akkorden, dann von Yioloncell und Kontrabaß pizzicato,
460 ^^^^ ^^^^
von Flöte und Oboe mit ausgehaltenen Tönen begleitet. Einige der
kleinen Spielmotive der obigen Klavierfigurationen werden bald mit
gezupften und gestoßenen Orchestralantithesen , bald mit au&teigend
geführten Zwischenmotivchen in der Dominante der Haupttonart zur
stereotypen Trillerkadenz geführt, worauf der erste Theil mit dem
nach adur transponirten Schluß des ersten Tt^^^-Satzes abschlieBt
(Takt 172).
Das Klavier eröfihet Solo die Durchführung mit dem zweiten
Motiv (m) der Cantilene, innerhalb der Periode stufaufwarts stei-
gend; ihm folgen nacheinander in gleicher Weise die Soli einzelner
Instrumente — Violoncell, Fagott, Hom, Flöte, die Oboen in Okta-
ven, unter iigurativer Begleitung des Klavieres und einzelner orche-
straler Füllstimmen. Die Modulation geht von adur nach hmoü
nnd ßsmoUy hier länger verweilend. In dieser Tonart nimmt die
Flöte mit den Geigen und Bratschen das Hauptthema auf, motivisch
gefolgt von dem Klavier; nach drei starken Schlägen auf dem Quart-
sextakkord von fi% moll bereitet das Klavier mit einem harmonisch
ausgefüllten Kettentriller und ritardirenden Läufen den Übergang in
die Haupttonart d dur vor. Es wiederholt sich nunmehr (Takt 225)
der erste Theil vom Einsatz des Klavieres. Doch nicht ganz gleich.
Während dort (Takt 67) das Klavier in der höheren Oktave das Thema
wiederholt, nehmen es hier nach dem ersten Einsätze des Klaviers
die Streicher in der höheren Oktave auf (Takt 233). Während dort
die Modulation sich nach edur und adur wendet, geht sie hier nach
dmoll und fdur^ in welcher Tonart Motiv / eintritt, die Cantilene
folgt mit Wendungen nach dmoll, gmoll^ wieder dmoll. Das fol-
gende hält sich von Takt 296 wieder in der Haupttonart, wie dort
in der Dominantentonart mit allen den entsprechenden Ausweichun-
gen genau wiederholt (dort von Takt 137 — 165 , hier Takt 299 — 340).
Nur die Klaviersolostelle vor der TriUerkadenz erfährt hier eine rei-
chere Ausfuhrung in chromatischen Läufen, Akkordfiguration, gewttizt
mit chromatischen Zwischentönen und den beliebten Aufsprüngen
vom Dominantton in die chromatisch ansteigenden Töne bis zur
Terzdezim. Vor dem Abschluß folgt noch die orchestrale Überlei-
tung zur Bravourkadenz mit den Takten 16 — 23 des ersten 7WA',
und den Akkordschlägen als Aufforderung das Bravourspiel su be-
ginnen. Der Schluß des ersten Orchestertutti (Takt 46 — 58) ist auch
Schluß des Satzes. Nur der letzte Takt ist behufs ausgiebigeren
J^-
I
volleren Abschlusses rhythmisch ausgeweitet I •*• [( I
Gehen wir nunmehr an die Erörterung der Frage, kann dieser
Konzertsatz von Beethoven sein? Sprechen äußere oder innere
Gründe dagegen und welche sprechen für die Echtheit?
Ein Satz eines unbekannten Klavierkonzertes von Beethoven. 461
Von .den vor 1800 Ton Beethoven komponirten Konzerten sind
nur drei bekannt.
Vorerst das 1784 koniponirte Konzert in esdur^ in drei Sätzen.
Das Manuskript 2 ist nicht, wie Thayer^ annimmt, von Knabenhand
geschrieben, sondern eine Abschrift von fremder Hand. Die Auf-
schrift y>un Concert pour le Clavecin ou Forte-piano compose par Lauts
van Beethoven äffe de douze ans^n ist von Knabenhand und zwar der
Beethoven'schen. Auch ist die Stimme von Beethoven revidirt, Vor-
tragszeichen hinzugefügt; femer einzelne Stellen, die wirklich über-
flüssig und modemanierlich sind, mit derselben Tinte wie derjenigen
der Revision gestrichen. Die Revision rührt wahrscheinlich aus einer
späteren Zeit als die Aufschriifb. «Der erste Satz Allegro moderato C;
266 Takte, mit einem marschartigen, im 2. Theil leise an den Marsch
im Fidelio mahnenden Thema. Eingezeichnet sind nur Flöte, Hör-
ner und Violinen ; sowohl Haupt- wie Seitenthema werden von den
Flöten, das erstere mit Begleitung der Hörner gebracht.^ In Anlage
und Ausführung pueril verräth das Konzert an einzelnen Stellen, wie
z. B. im Seitenthema und eingangs der Durchführung in einem neuen
Thema des Klaviersolos das Streben nach Originalität. Allenthalben
machen sich Modefigurationen breit. Überladen mit Verzierungen
ist das Lärffketto cdur^l^, während das Rondo esdur y^ (mit einem
Zwischsatz in es möll) in der »galanten Manierer von Neefe , Ditters-
dorf gehalten ist.
Die beiden anderen sind die bekannten Konzerte in bdur Op.
19 und cdur Op. 15; ersteres nach der Vermuthung Nottebohm's*
im Konzert der Wiener Tonkünstlersocietät am 29. März 1795 ge-
spielt. Aus den Skizzen selbst gehe aber nicht mit Sicherheit hervor,
daß das Jrf«r- Konzert zu diesem Termin fertig war; Nottebohm
stellt nur die Vermuthung auf, da er sonst kein anderes Konzert
kennt. Er weist noch auf das Konzert von 1784 hin, von dem er
es für unwahrscheinlich hält, daß es 1795 von Beethoven noch ge-
spielt wurde. Sicher ist nur erstens, daß das damals von Beethoven
gespielte Konzert für die Wiener »ganz neu« war, zweitens, daß
Beethoven gegen Anfang des Jahres 1799 das Konzert in bdur um-
^ Thayer Chronologisches Verzeichniß der Werke L. v. Beethovens. Nr. 7.
2 Im Besitz von Artaria & Co. in Wien. Es ist nur die Klavierstimme mit in
dieselbe übertragenen Orchesterstellen vorhanden.
^ L. V. Beethovens Leben I S. 128.
* Vgl S. 17.
^ Zweite Beethoveniana S. 69 ff.
4ß2 Guido Adler,
arbeitete ^ und drittens daß nach Beethoren's eigenen Worten in dem
Briefe an die Herren Breitkopf und Härtel vom 22. Aprü 1801 das
bei Hofmeister und Kühnel gegen Ende des Jahres 1801 erschienene
Konzert in b dur früher komponirt ist als das im März desselben
Jahres von T. Mollo u. Comp, in Wien herausgegebene Konzert in
cdur. Die Stelle im Briefe ist auch sonst für uns von Belang:
9 — ich merke dabei bloB an, daß bei Hofmeister eines von mei*
nen ersten Konzerten herauskommt und folglich nicht zu den
besten von meinen Arbeiten gehört, bei Mollo ebenfalls ein
zwar später verfertigtes Konzert, aber ebenfalls noch nicht unter
meinen besten von der Art gehört, dies sei bloß ein Wink fiir
ihre Musikalische Zeitung in Rikksicht der Beurtheilung dieser
Werke, obschon, wenn man sie hören kann, nämlich: gut, man sie
am besten beurtheilen wird. — Es erfordert die musikalische Politik
die besten Konzerte eine Zeitlang bei sich zu behalten.« —
Das Konzert in cdur war 1798 fertig. Dies geht nicht nur aus
der Bemerkung Tomaschek's hervor^, daß Beethoven in diesem Jahre
zwei Konzerte gab, in denen er sowohl sein cdur- als auch sein b dur--
Konzert spielte, sondern wie Nottebohm nachwies, auch aus den
Skizzen. ^
Beethoven hat bis 1800 in Wien, soweit bis jetzt bekannt, an
folgenden Tagen Klavierkonzerte gespielt: 29. März 1795 (ein i» neues
Konzert«), 18. Dezember 1795, 8. Jänner 1796, 27. Oktober 179S,
2. April 1800 (ein neues Konzert).^ Von zwei Konzerten ist aus-
drücklich gesagt, daß sie am Aufführungstage neu waren. DaB
Beethoven einmal (wahrscheinlich 1796) ein Konzert von Mozart ge-
spielt hat, beweist schon der Umstand, daß er zum ersten und letzten
Satz des Mozart'schen d mo//-Konzertes Kadenzen aufgeschrieben hat
Übrigens ist anzunehmen , daß ein Klavierspieler und Tonsetzer
wie Beethoven eine besondere Befriedigui^ in der Aufführung eige-
ner Konzertkompositionen gefunden hat.
1 Vgl. NoUebohm Zweite Beethoveniana S. 47, 66, 69 fg., 229, 479. Thajer,
B«ethoven'g Leben I 238, 286, 2U4, II 128. Die von den beiden Fonehem ange-
nommene Chronologie der an diesen Stellen besprochenen Werke ist vielfach irider-
sprechend. Näher darauf einzugehen, ist hier nicht der Platz. Mit Sicherhett ist
aus den Vorlagen nur das oben Aufgestellte anzunehmen.
3 Libussa, Jahrbuch für 1845, 4. Jahrgang, Prag. »Wenzel Johann Tomaschek.
Selbstbiographie« S. 374. ^
3 Zweite Beethoveniana S. 64 fg.
^ Das Datum des Konzertes der Sängerin Bolla, in welchem BeethoTen ein
Klavierkonzert vortrug, ist nicht sicher gestellt 1796 oder 1798. VgL Hanslick.
Geschichte des Konzertwesens in Wien S. 105. Thayer und Nottebohm.
Ein Satz eines unbekannten Klavierkonzertes von Beethoven. 463
Von derartigen Werken ist vor 1800 noch bekannt: das Rondo
in hdur aus dem Anfange der 90er Jahre, als nachgelassenes Werk
1829 erschienen. Die chronologische Folge der späteren Werke dieser
Crattungist: 1800 Concert cmollop.Zlj 180^4 Tripefconcert op.bß^\S(i^/^
Cancert op. 58 ffduTy ISOYs Olavierumsetzung des VioKnconcertes, 1806
Chorphantasie op. 80, 1809 Concert es dar op. 73. AnjB dem ersten Jahr-
ssehnt unseres Jahrhunderts sind also 6 Klavier-Konzertkompositionen
erhalten zu einer Zeit, da Beethoven's Ruhm als Klaviervirtuose in betrü-
bendem Niedergänge war. Sollte Beethoven von 1784 bis 1795 (wenn
wir dieses Jalu* aJs Komposittonsseit des Konzertes in b dur wirk-
lich annehmen und nicht eine spätere Zeit) kein Klavierkonzert
geschrieben haben? Er spricht selbst in dem oben citirten Briefe
▼on seinen ersten Konzerten; es müssen also, da das c cf«r-Konzert
1798 komponirt ist, neben dem b dur-Konzert noch andere existirt
haben. Und wenn »die musikalische Politik verlangt, daß die besten
Konzerte eine Zeitlang zurückbehalten werden«, umsomehr werden
Werke , odie nicht unter seine besten von der Art gehören,« von ihm
ganz »zurückbehaltene worden sein. Man weiB, wie Beethoven über
Weike aus vorangegangenen Perioden seiner Schaffensthätigkeit zu
sprechen und urtheilen, vielmehr abzuurtheilen liebte, wie er, stetig
wachsend und fortschreitend, die früheren Stadien herabsetzte und
d^radirte. Man darf wohl solchen harten Tadel erhabener Selbst-
kritik weder Beethoven noch anderen Künstlern zum Vorwurf machen.
Zu dem berechtigten Ehrgeiz eines Klaviervirtuosen damaliger
Zeit mit eigenen Kompositionen vor das Publikum zu treten, kam
auch das Verlangen der Hörer , den Spieler auch als Tonsetzer ken-
nen und schätzen zu lernen. Im Verzeichniß der ))kurfdr8tlich-kölni-
schen Kabinets Kapell- und Hofinusik«^ steht: »Klavierkonzerte spielt
Herr Ludwig van Beethoven und Neefe akkompagnirt bei Hofe, im
Theater und in Konzerten.«
Beethoven wird sich wohl nicht begnügt haben, mit seinem
puerilen £8 Konzert von 1784 bei Hofe aufieuwarten, und somit meint
auch schon Thayer^ ». . . . es ist keineswegs eine vage Vermuthung,
daß Beethoven seine Kraft auch in anderen Konzerten für Klavier
und volles Orchester versucht habe, als in dem von 1784.«
Daß aber Prag der Fundort des unbekannten Konzertsatzes ist,
dürfte wiederum nicht auffallen, aus mehrfachen Gründen.
Nicht nur 1798 war Beethoven in Prag und spielte daselbst
seine beiden zum Druck bestimmten Klavierkonzerte. Beethoven war
1 Boflsler »Musikalische Gorrespondenz« 13. Juli 1791.
2 I 236.
4B4 Guido Adler,
auf der Durchreise nach Nürnberg Ende 1795 daselbst* und gab eine
Akademie. Am 19. Februar 1796 schreibt Beethoven an seinen Bru-
der Nikolaus aus Prag: >». . ,\ für's erste geht mir's gut, recht gut.
Meine Kunst erwirbt mir Freunde und Achtung, was will ich mehr.
Auch Geld werde ich diesmal ziemlich bekonmien; ich werde noch
einige woche verweilen hier und dann nach Dresden, Leipzig, Ber-
lin reisen . . . .« Von öffentlichen Koiizerten während dieses mefax-
wöchentlichen Aufenthaltes ist. Nichts bekannt, immerhin düHte
Beethoven auch während dieses zweiten Aufenthaltes neben den Kla-
viersonaten, Kammermusikstücken und freien Phantasien auch ein
Konzert mit einer Privatkapelle in einem adeligen Hause gespielt
haben, vielleicht auch nur mit Streichquartettbegleitung als Ersatz
des ganzen Orchesters. ^ Es dürfte nicht auffallen, daß ein der-
artiges Werk von Musikern kopirt und privatim verbreitet wurde.
Geschriebene Musikalien waren damals noch verbreiteter als heute. ^
Doch holen wir nicht zu weit aus. Es dürfte nach dem Ge-
sagten feststehen, daß kein äußerer Grund gegen die Möglichkeit
der Existenz einer Beethoven'schen Konzertkomposition aus dieser Zeit
spricht, vielmehr Alles dafür, und warum gerade diese Zeit als maß-
gebend gewählt wurde, wird nach der Untersuchung der inneren
Beschaffenheit des Werkes als selbstverständlich angesehen werden.
Nach dem ersten Blick auf die Partitur erkennt man, daß hier
ein Werk vorliegt, welches unter dem direkten Einfluß Mozart's ent-
standen ist, und nach voller Durchsicht der Komposition gewinnt man
die Überzeugung, daß das mächtige Vorbild deutliche Spüren der
Verwandtschaft dem Ableger au%eprägt hat. Schon das Thema ist
mozartisch in der Erfindung. In innigster Beziehung zu demselben
stehen die Themen von zwei Klavierkompositionen Mozart^s. Der
dritte Satz der 1779 komponirten Klaviersonate ^ beginnt:
1 Dlabacz »Künstlerlexikon fQr Böhmen«, Thayer II 6.
2 Nähere Daten iraren bisher nicht nachweisbar. In Prager Zeitungen frnd
ich keine Notiz hierüber. /
3 Musiklehrer versahen häufig selbst das Amt des Kopisten. Um den nahe-
liegendsten Fall zu citiren : Im kleinen Archiv des Blindeninstitutes am Hradsdiio
sind die meisten Musikalien geschrieben, so z. B. : das Largo des c dur-Konzeites
für Klavier allein unter dem Titel »Adagio favorito per il Forte-Piano solo«, da
Stück, das in Wien und Hannover gedruckt und um 30 Kr. resp. 10 Ngr. is
haben war.
^ Köchel Chronol. themat. Verzeichniß der Werke Mozart's, Nr. 330; Breit-
kopf und HärteVs Gesammtausgabe Serie 20 Nr. 10. Die Sonate hat am Autograpb
die Aufschrift »Sonata I«, gehört zu den 3 zuerst erschienenen Sonaten des Meister^
und ist dreisätzig: Allegro moderato, Andante cantabile, Alleg^etto.
Ein Satz eines unbekannten Klavierkonzertes yon Beethoven. 465
Allegretto.
B^
1
^
1
1^
1 y
i
Im dritten Satz der am 29. Mai 1787 komponirten Klaviersonate
zu vier Händen * nimmt Mozart ein ähnliches Thema.
Allegretto.
i
3
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dolce.
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^- T- y- *= *=:
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1 Köchel Nr. 521^ Br. u. H. Serie 19 Nr. 5 in 3 Sätzen— Allegro, Andante,
Allegretto.
466
Guido Adler,
m^
m.
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f=^
^^:r=ii^
p
1
-öt-
I
f
Während Mozart sich streng in der Haupttonart hält, Tonika
und Dominante wechseln läßt und nebenbei die ünterdominante be-
rührt, rückt das Thema im Torliegeuden Konzertsatz gleich in den
Mollton der zweiten Stufe und bringt im zweiten Motiv einen An-
klang an das zweite Motiv des ersten Klaviersolos im ersten Satz des
Klavierkonzertes in c dur von Beethoven J
*s ^^^Z ^ ♦•»U U.8.W,
^^
^
Aber nicht nur im Hauptthema, auch in der ganzen Anlage
nähert sich der Konzertsatz den Mozart'schen Vorbildern. Es ist
unzweifelhaft, daß Beethoven auf die Klavierkonzerte Mozart's ein
sehr gründliches Studium gewendet hat.^ Und wie er noch 1797 in
1 Das Hauptthema des Konzertsatzes selbst hat, allerdin^ nur entfernte Ähn-
lichkeit mit Motiven und Themen einiger anderer Beethoven' scher Kompositionen :
so dem Thema der »sechs leichten Yariationem fOr Klavier in gdnr (über ein Ori-
ginalthema, komponirt um 1800; Br. u. H. Serie 17 Nr. 15), dem Thema der Varia-
tionen im Klavier-Quartett es dur, komponirt 1785 (aus dem Nachlaß herausgegeben.
Br. u. H. Serie 10, Nr. 4), mit dem Anfang des ersten Zwischensatzes im Rondo
der Sonate op. 22 bdur, komponirt 1799—1800 (Br. u. H. XVI, 11) — Alle selb-
ständig geartet trotz ihrer gemeinschafdichen Familiensüge.
« Vgl. Otto Jahn »W. A. Mozart« 1. Ausgabe 4. Theil S. 57. Thayerll, 3«.
Ein Satz eines unbekannten Klavierkonzertes von Beethoven.
467
einer anderen Kunstgattung* entschieden wetteifern wollte mit Mo-
zart , so scheint der vorliegende Konzertsatz direkt hervorgerufen von
einem Mozart'schen Werk , und wenn ich Eines herausgreifen sollte,
vom wunderherrlichen Konzert in dmoll^j mit dessen erstem Satze
er gewisse Analogien hat, und mit welchem Beethoven sich jedes-
falls eingehendst vertraut machte, wie schon die zu demselben aus-
gearbeiteten Kadenzen von ihm beweisen.
Der Konzertsatz steht in seiner Ausdehnung und Eintheilung
zwischen dem ersten Satze des Beethoven' sehen Konzertes von 1784
und dem Mozart'schen ersten Satze, letzterem viel näher als den
ersten Sätzen der Beethoven' sehen Konzerte in b dur und c dur.
In Taktzahlen ausgedrückt:
Erster Theil
Orchester
Tutti
V.l. Kla-
viersolo
Durch-
fahrung
3. Theil
im
Ganzen
Beethoven, Konzert es dur 1. Satz
» Konzertsatz
Mozart, Konzert dmoll I.Satz
Beethoven, Konzert h dur 4. Satz
» » cdur I.Satz
46
58
76
90
106
95
114
99
108
131
45
52
79
87
109
80
138
144
115
132
266
362
398
400
478
Besonders schmalbrüstig ist die Durchführung. Dasjenige ^ worin
Beethoven später der unerreichte Meister werden sollte, wohin er
manchmal den Schwerpunkt der Konzeption verlegt, zeigt sich hier
wie in den meisten anderen Jugendkompositionen in Dürftigkeit,
nicht etwa allein in der Zahl der Takte (das wäre gar nicht maß-
gebend), nein, in der Art der Ausführung.
Wie um den Mangel zu beheben, wird behufs reicherer Ab-
wechslung das erste und zweite Thema im dritten Theil in fdur-
wiederholt; die Überleitung hierzu hat Läufe, aber keinen Körper.
Was Mozart bei der Wiederholung mit dem zweiten Thema in un-
gezwungener Weise vollzieht, indem er es zuerst in fdur einsetzen
und dann erst zu d moll kommen läßt , geschieht hier in äußerlicher
Weise — eine Nachbildung ohne innere Nothwendigkeit. Mozart'sche
Trillerkadenzen und stereotype Läufe kehren in dem Konzertsatze
wieder. Auch die oben S. 458 mitgetheilte Akkordfiguration mit
* Beethoven, Quintett op. 16 in eadur fflr Pianoforte, Oboe, Clarinette, Hom,
Fagott, Mozart, Quintett es dur für dieselben Instrumente, komponirt 17S4 (Köchel
Nr. 452] .
2 Komponirt 1785 in Wien, Köchel 466.
1888. 32
468
Guido Adler,
den durchgehenden chromatischen Tönen scheint, so selbständig sie
sich giebt und so sehr sie in der Führung den Stempel Beethoven *
scher Klaviertechnik trägt, nach Mozart'schem Muster £rei hervor*
gegangen.
mit der gleichen Figuration in der sweitiinteren Oktav für die linke Hand
Es ließen sich diese Analogien weiter verfolgen: wie im Ver-
lauf des Satzes bei Mozart das Klavier mit Akkordfigurationen ein-
fällt, bei Beethoven das Klavier dem Orchester die Weiterfuhrung
der Themen überläßt und mitten hinein figurirt, wie ähnlich die in
die vom Orchester vorgetragenen Themen eingestreuten Klavier-
läufe sind, vide sich die Klaviergänge aus einzelnen Motiven heraus-
entwickeln, bei Mozart in organischer Fortbildung, bei Beethoven
in organischer Gegenbildung. Sogar das Hauptmotiv des Konzert-
satzes von Beethoven ist rhythmisch identisch mit der Umbildung des
zweiten Themas bei Mozart.
^
^ß ß-
"-* > ' I *
:g;
-I-
Die Spielfreudigkeit ist bei Mozart überhaupt feiner, edler; die
Steigerung und Anspannung der Kräfte stetig wachsend bis zum
Schluß, während Beethoven sein Pulver mit dem Eintritt des dritten
Theiles bereits verschossen hat.
Nicht bloß die motivisch thematisch figurale Anlage und Aus-
führung ist mozartisch, auch die orchestrale Führung ist es. Das
Orchester ist in beiden Sätzen identisch: Flauto, Oboi , Fagotti^
Comi in D, Trombe in 2>, Timpani DA und der Streicherchor.
Mozart begann seine Konzertkompositionen mit einem Orchester, das
nur aus Streichquartett, 2 Oboen, 2 Hörnern bestand, und behielt
diese Praxis bis 1784 zumeist bei. Nur in wenigen Ausnahmen ver-
änderte er das Orchester (Streicher, 2 Flöten, 2 Homer) oder be-
reicherte es, nahm zu Oboen und Hörnern 2 Fagotte, oder 2 Trom-
Ein Satz eines unbekannten Klavierkonsertes von Beethoven.
469
peten mit oder ohne Paukeu. Erst 1784 yervollständigt er es dauernd,
nimmt Streicher , 1 Flöte , 2 Oboen, 2 Fagotte, 2 Homer, und dazu
zumeist auch 2 Trompeten und Pauken.
Das ist auch das Orchester des Konzertsatzes. Im bdur-Kon-
zert Beethoveji's vermissen wir die Trompeten und Pauken, während
im c dur^Konzert noch 2 Clarinetten hinzukommen.
Im c mo//-Konzert hat Beethoven das Orchester seiner t. und 2.
Symphonie; nebst den genannten Instrumenten noch eine 2. Flöte.
Nicht nur in der Zusammenstellung des Orchesters, auch in der
Mischung der Farben bieten sich genug Ähnlichkeiten. Es sei nur
der Anfang erwähnt: Wie im e/ »»©//-Konzert Mozart's beginnt auch
hier Tw^^t der Streicher, worauf die Bläser hinzutreten (Hom, Fagott,
Oboe, Flöte), bis im 16. Takt das ganze Orchester ertönt. Auffallend
ist die Bevorzugung der Oboe, die drei Themen einführt — eine
Eigenthümlichkeit, die manche Kompositionen Beethoven's haben.
Bei Mozart ist die Klangwirkung gesättigter, runder, die Vereinigung
der verschiedenen Instrumentalkräfte innerlicher, ein lebendigeres
Entgegentreten einzelner Klangkörper. Wie die Klavierstimme des
Konzertsatzes ab und zu in den Bahnen Wanhal's oder SterkeFs
wandelt, so daß man versucht wäre, in ihr Lager überzulaufen, so
fällt auch die Orchestrirung ab und zu auf das Gebiet der dii mino"
rum gentium. Der zweite Theil des Seitenthemas (Motiv i) ist in
Inhalt und Ausführung ein solcher Überläufer in — ich möchte mich
des barbarischen Ausdruckes bedienen — unbeethoven'sche Regionen ;
das Motiv selbst steht aber nicht tief unter einer Finalklausel im
b rfwr-Konzert Takt S l .
Ä
i
Ä
3:
S:
^^ noch einmal ff.
-12.
D2
-Ä^
«/
8f
Sf
«/
^^^
oder einer ähnlichen im c rf«r-Konzert Takt 95.
Es ist eine nicht zu leugnende Thatsache, daß der Schulzwang
— sei er freiwillig oder unfreiwillig — am auffälligsten in Schlüssen,
Finalklauseln hervortritt. Es bedarf eines mächtigen Selbstbewußt-
seins, strammer Thatkraft, hier selbständig aufzutreten.
Wir sind durch die Gegenüberstellung der Komposition eines
Meisters aus der Zeit seiner vollen Reife .mit der Arbeit eines Jüngers
32*
470 Ouido Adler, Ein Satz eines unbekannten Klavierkonzertes v. Beethoven.
in ein arges, selbstverschuldetes MißverhaltniB geraten. Der Jünger
ist Beethoven: Es steht nach dem Gesagten der Annahme nichts
entgegen, daß der Konzert^atz von diesem sei. Weder äußere
noch innere Gründe sprechen dagegen. Ist es aber sein Werk, dann
kann es nur der Jüngling Beethoven geschaffen haben. Die Unter-
suchung hat unwillkürlich zur Zeitgrenze geführt, innerhalb welcher
das Werk entstanden sein dürfte. Ich möchte als solche die Jahre
knapp um 1790 ansehen, etwa 1788 — 1793. Die verhältnißmäßig
reichere, motivisch mehr durchgearbeitete Ausführung des b dur-Kon-
zertes darf nicht irreführen: Beethoven hat dasselbe 1798 umgear-
beitet, also nach einer Zwischenzeit, in der er viel, sehr viel gear-
beitet, gehört und erfahren hatte. Beethoven, der stets den streng-
sten Maßstab an seine Werke legte, suchte das Konzert nicht mehr
hervor , wie so viele andere seiner Kompositionen aus der Jünglings-
zeit unedirt blieben und nur gegen seinen Willen in späterer Zeit her-
ausgegeben wurden. Was er nicht zu den besten seiner Arbeiten
zählte, wollte er lieber ungedruckt lassen. Und trotz der Mängel
bietet auch dieser Konzertsatz Schönheiten , die uns in hohem Grade
befriedigen und erbauen.
Man kann das Werk lieb gewinnen, ganz abgesehen von dem
hohen historischen Werth einer derartigen Jugendarbeit.
Das Werk schlägt eine Brücke von dem Ufer, auf welchem
das £sdur 'Konzert von 1784 steht, zu dem uns gangbaren Gre-
biete der jugendlichen Beethoven'schen Muse. Der Jüngling hat in
Wien 1787 mannigfache Anregungen bekommen , er sucht sie künst-
lerisch zu verwerthen, komponirt für den Bonner Hof und bereitet
sich für seine Reisen vor. Sobald er zur Veröffentlichung von opus 1
kommt, läßt er Manches liegen, was ihm nicht mehr seiner würdig
scheint. Uns scheint er darob doppelt werth, vorerst weil wir seine
künstlerische Enthaltsamkeit bewundem und dann, weil wir deutlich
wahrnehmen, wie stetig er wächst, wie sehr sein gewaltiges Ringen
Phantasie und Vernunft stärkt und kräftigt, wie unentwegt sein Vor-
wärtsdrängen, wie unvergleichlich sein Vorwärtsdringen. Gerade
solche Werke , wie der Konzertsatz sind hochzuhalten ob der darin
zu Tage tretenden künstlerischen Selbsterziehung; nicht nur ästheti-
sches Gefallen, auch ethische Befriedigung erwecken sie in uns.
Vielleicht gelingt es noch, die fehlenden Sätze des Konzertes auf-
zufinden.
Die Arie „Ach, mein Sinn^^ aus J. S. Bach's
Johannes-Passion.
Von
Philipp Spitta.
Elf Arien sind es, welche Bach im gesammten für die Johannes-
Passion komponirt hat, wenn man nämlich an zwei Stellen ein Arioso
mit der nachfolgenden Arie als Eins zusammenfaßt. Als er dem
Werk die erste Gestalt gab, was wahrscheinlich noch in Cöthen, in
den ersten Monaten des Jahres 1723, geschehen ist, stattete er es mit
neun Arien aus ; ich lasse sie hier in der Ordnung aufziehen, wie sie
in der Passion nach einander erscheinen.
1. Von den Stricken meiner Sünden {Alt),
2. Ich folge dir gleichfalls mit freudigen Schritten (Sopran),
3. Himmel reiße, Welt erbebe [Baß mit Sopran^-ChoTBl),
4. Zerschmettert mich, ihr Felsen und ihr Hügel (Tenor).
5. Ach windet euch nicht so, geplagte Seelen (Tenor).
6. Eilt, ihr angefochtnen Seelen (Baß mit Chor).
7. Es ist vollbracht (AU).
8. Mein theurer Heiland, laß dich fragen (Baß mit C^or-Choral).
9. Mein Herz! indem die ganze Welt (Tenor-Ano&o) und: Zer-
fließe, mein Herze (Sopran- Ane).
Da Bach sich nicht im Besitze einer Passionsdichtung befand,
die seinen Absichten ganz entsprach, auch keine Zeit mehr gehabt
zu haben scheint, sich eine solche zu verschaffen, entlehnte er zu vier
der obigen Arien die Texte aus der Passionsdichtung von Brockes
(Hamburg 1712). Er that damit nicht«, was nicht in seiner Zeit
auch andere thaten; übrigens scheint er die Texte eigenhändig um-
geändert zu haben. Sie gehören zu 1, 6, S und 9. Wie er zu den
472 Philipp Spina.
übiigen fünfen gekommen ist, hat sich bis jetzt nicht ermitteln lassen.
Ich habe an anderm Orte (J. S. Bach II, S. 350 f.) die Vermuthung
zu begründen versucht, daß er sie selbst zusammengestellt habe.
Nun unterwarf er aber nach einigen Jahren die Johannes-Pas-
sion einer durchgreifenden Umarbeitung, welche auch den Bestand
der Arien antastete. 3, 4, und 5 des vorstehenden Verzeiclinisses
wurden einfach entfernt. Der Platz, wo 3 gestanden hatte (liinter
dem Choral S. 31 der Ausgabe der B.-G.), blieb unausgefullt. An
die Stelle von 5 trat ein Baß-Arioso »Betrachte, meine Seelt und eine
Tenor- Arie »Erwäge«; zu beiden Stücken entnahm Bach die Worte
wieder aus Brockes' Gedicht. 4 endlich wurde durch die Arie »Ach,
mein Sinn« ersetzt. Als ich den zweiten Band des »J. S. Bach« schrieb,
war ich noch nicht im Stande, den Verfasser des Textes nachzu-
weisen, dessen sich Bach zu dieser Arie bedient hat. Inzwischen
ist es mir gelungen, ihn zu finden. Zunächst aber möge der Text
selbst hier stehen.
Ach, mein Sinn, wo willt du endlich hin,
Wo soll ich mich erquicken?
Bleib ich hier? Oder wünsch ich mir
Berg und Hügel auf den Rücken?
Bei der Welt ist gar kein Bath,
Und im Herzen stehn die Schmerzen
Meiner Missethat,
Weil der Knecht den Herrn verleugnet hat.
Christian Weise (1642 — 1708), der bekannte Zittauer Schulrektor,
ließ im Jahre 1675 zu Leipzig erscheinen »Der Grünen Jugend Noth-
wendige Gedanken Zu gebührender Nachfolge, so wol in
gebundenen als ungebundenen Keden, allen rt^rtosen Gemüthem re-
commendirtd] eine Anleitung zur Dicht- und Rede-Kunst mit Bei-
spielen. S. 350 ff. handelt er von den Madrigalen und von den ma-
drigalischen Oden; mit diesem letzteren Namen bezeichnet er stro-
phische Gedichte, in welchen aber die Strophe madrigalischen Bau
hat. Solche Oden, sagt er, seien vorzugsweise der Musik wegen in
Aufnahme gekommen. Namentlich wenn es sich darum handle, einer
nArie [d. h. einem Instrumentalstück in Lied- oder Tanzform], Ah-
mande, Courante u. d. g.« einen Text unterzulegen, könne man jene
Art nicht wohl entbehren, denn die Textzeilen müßten sich nach
der Länge der musikalischen Perioden richten, welche bald groß,
bald klein seien. Der ungezwungene Wechsel zwischen längeren
und kürzeren Zeilen war eben ein Merkmal des Madrigals. »Ich will
ein Exempel geben (f, fährt Weise fort, »auff die bewegliche Intrade
Arie aus J. S. Bach's Johannes-Passion. ' 473
Herrn Sebastian Knüpfers, meines sonderbaren und hochgehaltenen
Freundes:
^£z^X^i-^^h^^ .«
Nun folgt ein Gedicht, das ich, obgleich uns zunächst nur dessen erste
Strophe angeht, dennoch ganz hier mittheilen muß, um seinen Ge-
sammtinhalt klar zu machen.
»Der weinende Petrus.
1.
Ach mein Sinn, wo denkstu weiter hin?
"Wo sei ich mich erqyickenP
Bleib ich hier? oder wünsch ich mir
Berg und Hügel auf den Rücken?
Außen find ich keinen Kath,
Und im Hertz en sind die Schmertzen
Meiner Mißethat,
Daß der Knecht den Herren gantz verleugnet hat.
2.
Ach wie sind wir Menschen schwach und blind!
Wir trotzen im Qelücke;
Doch so bald ein Gewitter knallt,
Weicht der Helden-Muth zurücke.
Gestern war ich unverzagt,
Und ich hätte bei der Kette
Leib und Blut gewagt;
Aber nun erschreckt mich eine schwache Magd.
3.
Ist er nicht der Völker Zuversicht,
Der Weg, das Heil, das Leben?
Und ich wil nicht einmahl so viel
Ihm zur Dienstbarkeit ergeben?
Seine Macht ist ewig groß,
Und sein Leiden hilft zu Freuden
In des Vätern Schoß:
Und ich gebe mich von seinem Dienste loß.
4.
• Aber doch mein Jesus lebet noch,
Der kan mich nicht erdrücken,
Und er wird als ein frommer Hirt
Auf sein armes Schäfgen blicken:
474 Philipp Spitta,
Wird mir gleich der Sünden-Hahn
Im Gewißen krehen müssen,
Ach so sieht mich an.
Der mit einem Blicke wieder helffen kan.
5.
Ach mein Hort, ach tritt an meinen Ort
Und hilff mir treulich kämpfen,
Oder laß dieses Thränen-Maß .
Dein erhitztes Feuer dämpfen,
Nim das schwache Löse-Oeld
Und erfreue meine Keue,
£h die gantze Welt
Über mir uncl meiner Schuld zusammen fält.«
Sebastian Knüpfer, einei der würdigsten Vorgänger Bach's im
Leipziger Thomaskantorat, bekleidete dieses Amt von 1657 bis zu
seinem Tode 1676. Weise sagt, er habe die Form vorstehender
madrigalischen Ode zum zweiten Male angewendet für eine Nacht-
musik am 7. Juli 1673; also muß sie selbst vor diesem Datum ge-
dichtet sein. Sie wird wohl in die Zeit vor 1668 fallen, da er in
diesem Jahre Leipzig verließ, um bald darauf (1670) eine Lehrer-
stelle am Augusteum zu Weißenfels anzutreten. Jedenfalls stammt
die Freundschaft mit Knüpfer aus der Zeit seiner Leipziger Studenten-
und Magister-Jahre. Sein Sinn für Musik hat ihn auch später noch
mehren hervorragenden Musikern nahe gebracht. Johann Kri^er,
gleichzeitig mit ihm in Zittau wirkend, setzte auf Dichtungen von
Weise seine »Musikalischen Ergetzlichkeiten«, und ließ sich auch
als Kirchenkomponist von seiner Yerskunst unterstützen; mit dem
älteren Bruder, Johann Philipp Krieger in Weißenfels, war Weise
gleichfalls bekannt ^ Die Intrade nun von Knüpfer's Komposi-
tion, welcher Weise seine madrigalische Ode unterlegte, und deren
Anfang er in Noten mittheilt ^, muß ein tanzartiges Stück gewesen
sein. Weil sie »beweglich« genannt und mit einem geistlichen
Texte verbunden wird, dächte mancher vielleicht lieber an eine
Instrumental -Einleitung zu einer Kirchenmusik. Aber eine solche
heißt in jener Zeit allgemein Sonate oder Sinfonie, und außer-
dem spricht Weise vorher ausdrücklich von AUemanden und Cou-
ranten. Tänze für Gesang einrichten, war durch das ganze 17. Jahr-
^ Christian Weisens CuriOse Qedancken von Deutschen Versen« Leipiig, 1702.
S. 449 und 332.
2 loh bemerke, daß in der Auflage von 1690 dies musikalische Citat fortge-
lassen ist.
Arie aus J. S. Bach's Johafines-Passion. 475
hundert in Deutschland beliebt ; freilich war dies immer noch etwas
anderes, als das von 17(V0 an in Frankreich grassirende Parodiren
von Instrumentalstücken, das dann auch in Deutschland seinen Wie-
derhall fand (Sperontes). Wie gewandt Weise solche Aufgaben zu
lösen wußte, hat er auch in andern Fällen bewiesen >. Knüpfer's
Intrade denkt man sich am schicklichsten als Einleitungstück einer
Folge von Tänzen.
Daß die erste Strophe von Weise's Gedicht der Text zu der Arie
der Johannes-Passion ist, hat der Leser gesehen. Die Abweichungen
des letzteren, welche die Vergleichung ergiebt, machen die Annahme
unmöglich, daß Bach unmittelbar aus dem Buche Weise's geschöpft
haben könne. Fast ausnahmslos sind diese Abweichungen Ver-
schlechterungen, und wir haben keinen Grund zu dem Verdachte,
daß Bach seine Vorlage behufs musikalischer Benutzung muthwillig
entstellt haben sollte. Knüpfer war einer seiner Amtsvorgänger.
Wenn wir erwägen, wie pietätvoll sich Bach gegenüber Kuhnau ver-
hielt, wie er mancherlei aus seinen Werken für sich entnahm, in
Äußerlichkeiten ihn sogar nachahmte, so liegt der Gedanke nicht
fern, das Knüpfer's Intrade mit Weise's Text, die er vielleicht im
Notenschatz der Thomasschule fand, seine Theilnahme anlockte,
und ihn veranlaßte, wenigstens ein Stück der Dichtung für seine
Zwecke gelegentlich neu zu verwenden. Der verderbte Text müßte
dann schon in dieser Vorlage gestanden haben; vielleicht war sie
durch mehrfache Abschriften verfälscht, oder auch theilwmse schwer
leserlich.
Ein Meisterstück des Stils ist die Strophe selbst in ihrer Origi*-
nalgestalt nicht. In Zeile 2 und 3 spielt der Dichter auf das Bibel-
wort an »Dann werden' sie anfangen zu sagen zu den Bergen : Fallet
über uns! und zu den Hügeln: Decket unsl« (Lucas 23, 30). Zu
dem Gedanken bildet die Frage: Bleib ich hier? nicht den richtigen,
oder doch nicht den richtig ausgeprägten Gegensatz. Im übrigen
ist jedoch alles korrekt und klar. Der erste Gewinn, den wir aus
der Vergleichung des Originals mit der Bach'schen Textform ziehen,
ist der, daß wir angeleitet werden, den Wortsinn der letzteren zu
verstehen. Diese Anleitung ist sehr erwünscht; ich bekenne, daß
ich vordem den Text nahezu als Galimathias angesehen habe.
Weise überschreibt das Gedicht »Der weinende Petrus«) legt es
also einer bestimmten Person in einer bestimmten Lage in den
Mund. Hat sich Bach des Dichters Auffassung angeeignet? Es
spricht einiges dagegen. Zunächst die Beschaffenheit der älteren Arie,
' Man sehe Curiifse Gedancken von Deutschen Versen. S. 122 und 123.
476 Philipp Spitta,
die anfänglich an dieser Stelle stand, insofern wir in ihr eine erbau-
liche Betrachtung des frommen Christen vor uns haben, welche an
die Verleugnung des Petrus angeknüpft wird; daß sie dieses ist.
geht klar aus der ermahnenden SchluBzeile hervor. Die biblische
Handlung mit all ihren hervortretenden Momenten zu dem Empfin-
den der christlichen Gemeinde sofort in unmittelbare Beziehung zu
setzen, ist^a überhaupt eine Stileigenthümlichkeit der Passion: an
demselben Punkte der Handlung tritt bekanntlich in der Matthäus-
Passion der herrliche Bußgesang »Erbarme dich« ein. Auch fallen
einige Textänderungen auf. Die Wendung: »Bei der Welt ist gar
kein Rathtr, statt »Außen find ich keinen Rath«r, scheint die pietistische
Anschauung des Gegensatzes wiederzuspi^eln , der zwischen der
»Welt«! und dem allein Friede bringenden Leben in Christo besteht,
eine Anschauung, welche Petrus in jener Situation nicht haben
konnte. »Weil« statt »daß« am Anfang der letzten Zeile könnte
andeuten sollen, daß bei der Vorstellung von dem Fehltritt des
Petrus das Bewußtsein der eigenen Sündhaftigkeit im Christen sich
stärker geltend macht. Aber diese Deutungsversuche sind doch nur
möglich, so lange man jede der Stellen für sich und außer dem Zu-
sammenhange betrachtet. Zu dem Sinn des Ganzen stehen sie in
Widerspruch. Grade daraus entstand zumeist die ünverständlichkeit
des Textes, daß man, wie die madrigalischen Stücke in den Passionen
nun einmal eingefügt und wie sie stilisirt zu werden pflegten, zu-
nächst von der Auffassung ausgehen mußte, man habe es auch hier
mit einer allgemeinen erbaulichen Betrachtung zu thun. Nimmt
man dagegen die Arie als eine Äußerung des reuigen Petrus, so be-
seitigt man dadurch freilich nicht einzelne unklare und ungeschickte
Ausdrücke : das Ganze aber wird nunmehr voll verständlich und
gewinnt einen erhöhten charakteristischen Reiz.
Es verdient Beachtung, daß der Choral, welcher der Arie folgt
und den ersten Theil der Johannes-Passion abschließt, auf die Person
des Petrus, seine Verleugnung und seine Reue direkten Bezug nimmt,
und erst mit der fünften Zeile die Nutzanwendung auf den Christen
macht. In der Johannes- wie in der Matthäus-Passion pflegen die
Choräle nur auf Bibelwort zu folgen, nicht auf madrigalische Dich-
tung. Daß am Schluß der Johannes -Passion dem madrigalischen
Chore noch ein Choralchor angefügt ist, kann nicht in Betracht
kommen; es beruht auf einem alten Brauche, von dem Bach nicht
abweichen wollte (J. S. Bach H, S. 359). In der Matthäus-Passion
fo^ nur einmal ein Choral auf ein madrigalisches Stück, merkwür-
digerweise an derselben Stelle, wo es auch in der Johannes-Passion
geschieht: nach Petri Verleugnung. Dort löst sich das zerknirschte
Arie aus J. S. Bach's Johannes-Passion. 477
Flehen der Altarie schön in die milde, trostvolle Fassung des Chorals
auf. Daß Bach, wenn er schon einmal von seinem Giundsatze be-
tretb Einfügung der Choräle abwich, einen solchen Inneren Zusam-
menhang und Fortgang für unerläßlich hielt, darf man als sicher
annehmen. Davon war nun zwischen der älteren Arie »Zerschmettert
mich, ihr Felsen und ihr Hügel« und dem Chorale »Petrus, der nicht
denkt zurück« keine Spur vorhanden, und diese innere Zusammen-
hangslosigkeit war unzweifelhaft der Grund, warum Bach die Arie ent-
fernte. Nicht einen Ausbruch der Verzweiflung erwartet man hier zu
hören, als Petrus bitterlich weinend hinausgegangen ist, sondern den
Ausdruck eines tiefen, aber in Reue schon gelösten und gelinderten
Schmerzes. Diese Empfindung, welche auch das ganze Gedicht Weise's
zur Darstellung zu bringen sucht, hat Bach mit der Kraft seines
Genius der neuen Arie eingehaucht. Um aber bei der ausnahms-
weisen Verbindung von Madrigal und Choral den psychologischen
Zusammenhang möglichst eng zu machen, konnte er gar kein will-
kommeneres Mittel finden, als dasjenige, welches das Gedicht schon
darbot: die Personifikation. Von der Schwäche und Reue des Petrus
hat der Evangelist eben erzählt; so angekündigt tritt gleichsam
Petrus selber vor uns hin; schließlich faßt der Choral sein Thun
noch einmal zusammen und schließt mit einer erbaulichen Wendung
und Gebet.
Die musikalische Form der Arie »Ach, mein Sinn« ist eine ganz
besondere. Im Grunde finden wir die typische Dreitheiligkeit. Aber
diese ist durch eine andre Formidee überkleidet, die sich am stärk-
sten bemerkbar macht an derjenigen Stelle, wo der dritte Theil sich
dem zweiten anfügt. Man könnte sagen, daß die Idee der Ciacona-
Form mit der Idee der dreitheiligen Arienform hier einen Bund ein-
gegangen ist, nur daß das Ciacona-Thema sonst sich auf vier bis
acht Takte zu beschränken pflegt, und auch lieber in die Unter-
oder Mittelstimmen gelegt wird. In unserer Arie wird es durch das
sechzehntaktige Ritornell dargestellt; ihr Verlauf besteht eigentlich
nur darin, daß dieser Abschnitt sich immer von neuem wiederholt:
von Takt 17 in Fis moll, Takt B2 in Cis moll, Takt 52 in E dur,
Takt 63 in H moll, Takt 74 in Fis moll. Die Wiederholungen sind
zwar nicht immer ganz vollständig und kontinuirlich, da die gleich-
zeitige Rücksicht auf die dreitheilige Arienform dies verbot. Aber
sie fallen doch klar genug ins musikalische Bewußtsein, um hier
die Vorstellung einer Empfindung hervorzurufen, die an einen einzigen
Gegenstand wie festgebannt ist. Man darf wohl fragen, ob Bach auf
ein solches Tonbild gekommen wäre, wenn ihm nicht die Person
des Petrus vorgeschwebt hätte, in dessen Seele zur Stunde nichts
47S Philipp Spitta, Arie aus J. S. Bach's Johannes-Passion.
andres Raum hat, als der eine schmerzliche Gedanke an seine Ver-
leugnung Christi.
Nach all diesem werden wir über die Absicht des Komponisten
nicht im Zweifel sein. Freilich wird nun auch die Erwägung un*
abweisbar, ob das was er beabsichtigte mit dem Stile einer Passions-
musik vereinbar ist. Aber von einer wirklichen Dramatisirung —
die allerdings in ieiner £archenkomposition unstatthaft wäre — hält
sich Bach doch weit genug entfernt. Ein äußeres Merkmal dafür
ist schon der Umstand, daß Petrus, wenn er in der biblischen £r^
Zählung redend eingeführt wird, Baß singt, während unsere Arie für
eine Tenorstimme gesetzt ist. Gewisse dramatische Manieren, welche
den deutsch-protestantischen Komponisten durch das italiänische Orato-
rium vermittelt worden waren, haben auch anderweitig in der Johannes*
Passion, ja selbst in der Matthäus-Passion ihre Spuren zurück ge-
lassen, ohne die Einheitlichkeit des Stils empfindlich zu schädigen.
Im innersten Grunde bleibt man darüber doch nicht im Unklaren;
daß in der Arie »Ach, mein Sinne hinter der EmpfindungsäuBerung
des Petrus das Empfinden der evangelischen Gemeinde steht. Nur
daß dieses in den andern madrigalischen Stücken unmittelbar, hier
aber durch eine Zwischenperson vermittelt zum Ausdruck kommt, ist
nicht unbedenklich. Der Standpunkt, welchen der Hörer sonst ein-
nimmt, muß dieser Arie gegenüber verschoben, so zu sagen weiter
zurück verlegt werden. Dadurch tritt die Arie, es ist nicht zu leug-
nen, um ein weniges aus dem Kreise der andern madrigalischen
Stücke heraus. Aber um den Preis einer Komposition von so
eigenartiger Schönheit werden wir uns die kleine Störung schon
gefallen lassen.
Kritiken und Referate.
I)r, Otto Eiben ^ Der volksthümliche deutsche Männergesang.
Geschichte und Stellung im Leben der Nation ; der deutsche Sänger-
bund und seine Glieder. Zweite Auflage. Tübingen, 1887, Verlag
der H. Laupp'schen Buchhandlung. 8. XII und 478 Seiten.
Der deutsche M&nnergesang hat in unserm Jahrhundert eine so stark heryor*
tretende Rolle gespielt, daß es eine eben so naheliegende wie lohnende Aufgabe ist,
seine Geschichte zu schreiben. Ich nenne die Aufgabe lohnend und fürchte dabei nicht
den Widerspruch derjenigen, welche den Männergesang als Kunstgattung überhaupt
gering achten. Was in sich die Kraft getragen hat, dergestalt in die Höhe und
Breite lu wachsen, das muß in der inneren Natur des deutschen Volkes tief ge-
wurzelt sein und ein Stück seines Wesens offenbaren. Den Bedingungen einer solchen
charakteristischen Erscheinung nachzugehen, ist aber dann besonders anziehend und
erfolgrerheißend, wenn sich zwar ein gewisser Abschluß der Entwicklung erkennbar
macht, ihre Wirksamkeit aber noch so weit fortbesteht, daß man sich des lebendigen
Zusammenhanges mit ihr bewußt ist. Für niemanden möchte dieses in höherem
Grade gelten, als für Otto Eiben. Er hat überall in Deutschland imd über dessen
Grenzen hinaus das deutsche Sfingerleben kennen gelernt, er hat vierzig Jahre
hindurch dem Stuttgarter Liederkranze angehört und hat eben so lange bei dem
Ausbau des Vereinswesens der deutschen Sänger an leitender Stelle mitgewirkt.
Viele bedeutende Einrichtungen desselben sind auf ihn als Urheber zurückzuführen,
mit gewissen Phasen seiner Entwicklung ist er so eng verwachsen, daß ihm bei
ihrer Schilderung zu Muthe gewesen sein mag, als ob er seine Memoiren nieder-
schriebe. Die beiden einschneidendsten Ereignisse der jüngeren Zeit : die Gründung
des deutschen Sängerbundes (1S62) und den großen Krieg nebst der aus ihm ent-
springenden vollen Einigung Deutschlands hat er miterlebt und ist Zeug« der
Wirkungen gewesen, die sich hieraus für das Männergesangswesen ergaben. Dagegen
steht er der ersten, grundlegenden und innerlich gehaltvollsten Periode des Männer-
gesangs, seiner klassischen Zeit so zu sagen, persönlich fem. In Hinsicht auf
diese ist er also jedenfalls in der Lage, zwei zur Lösung der Aufgabe nothwendige
Dinge: innige Theilnahme an der Sache und Objektivität in sich zu vereinigen.
Sein Buch täuscht die Erwartungen nicht, die man auf ihn zu setzen berechtigt
war. Es lehrt aber zur Freude des Lesers noch mehr, nämlich daß er auch da,
wo er persönlich betheiligt und maßgebend gewesen ist, sich die Fähigkeit bewahrt
hat, ruhig und unparteiisch zu urtheilen.
Wenigen Schriftstellern dürfte es vergönnt sein, nach 32 Jahren — die erste
Auflage erschien 1855 — ein Werk zum zweiten Male herauszugeben. Der Ver-
pflichtung, welche dem Verfasser hieraus erwuchs, hat er mit vollem Ernste genügt
430 Kritiken und Keferate.
und darf in der Vorrede sagen, daß die zweite Auflage ein wesentlich neues Bueh
sei. Sie mußte ein solches werden, denn der Wunsch, eine Geschichte des deutschen
Sängerbundes zu haben , bildete ihre äußere Veranlassung, und als die erste Auf-
lage erschien, bestand der Bund noch nicht Aber auch der gesammte Inhalt der
ersten Auflage ist von neuem gründlich durchgearbeitet. Auf S. 60 beginnen die
Erweiterungen größeren Umfanges; ganz neu ist der Abschnitt über Baiem !§ 12*
und Oesterreich (§ 17), neu auch der größte Theil des Abschnitts über die ersten
Feste und Sängerbünde (v. S. 76, unten); einiges ist anders disponirt, rieles
formell und auch inhaltlich umgearbeitet. Von S. 146 — 364 ist alles neue Arbeit;
sie betrifft die Periode von der Mitte des Jahrhunderts bis auf unsere Tage. Für
den Rest des Buches, dessen Hauptinhalt die Würdigung des Männei^esangs als
selbständige Kunstgattung bildet, hat dann wieder vieles aus der ersten Auflage
Benutzung gefunden.
Der deutsche Mannergesang hat eine äußere und eine innere Geschichte. Die
erster e ist größtentheils Geschichte seines Vereinswesens, die letztere Geschichte
seiner Kunstformen. Wenn man die Baum Verhältnisse betrachtet, in welchen
Eiben jene und diese dargestellt hat, so sieht man sogleich, daß die fiußeze
Geschichte den hervorragenderen Platz einnimmt. Dieses braucht nicht von der
Willkür des Verfassers herzurühren. In der That ist die Pflege des Männergesangs
eine viel ausgebreitetere , als bei der Beschränktheit der Kimstmittel und dem
Wesen der durch sie bedingten Kunstformen berechtigt scheinen könnte. Auch
eine noch eingehendere und mit freierem Umblick verfaßte Darstellung des rein
musikalischen Theils der Aufgabe würde ihrem Umfange nach immer noch betTach^
lieh hinter der äußeren Geschichte zurückstehen. Was diese betrifit, so verdient
Eiben wegen des Fleißes seiner Forschung, der Gesundheit seines Urtheils und
der Wärme seiner Darstellung volle Anerkennung. Zwar hatte er — was bei der
ersten Auflage noch vermißt wurde ~ in den Specialgeschichten von Häaeler,
Rosenthal, Hach, Schmidt und andern, in Mittheilungen der Musikzeitungen, fin
Jahresberichten und Festschriften, Programmen und Statuten schätzbare Vorarbeiten
zur Verfügung. Aber abgesehen davon, d^ß es nicht immer leicht sein mochte,
diese für seinen Zweck angemessen zu verwerthen, waren doch auch noeh weite
Strecken übrig, vor welchen er sich auf die eigne Forschung angewiesen sah« Mag
nun selbst jetzt noch manche Lücke offen geblieben sein, sieher ist dieses, daß
man durch Elben's Arbeit zum ersten Male ein wahrheitsgetreues Bild von der
erstaunlichen Ausdehnung erhält, welche der deutsche Männergesang nicht nur im
Vaterlande gewonnen hat, sondern überall auf der Erde, wo Deutsche in größerer
Anzahl zusammenwohnen.
Die Anfänge einer solchen merkwürdigen Erscheinung im Kunst- und Kultur-
leben unseres Volkes sind natürlich der besonderen Aufmerksamkeit des Historikers
werth. Eiben behandelt sie im zweiten Buch seines W^erkes, während er im ersten
nach Anknüpfungspunkten sucht, vermittelst welcher sich der Männergesang unseres
Jahrhunderts mit der Vergangenheit verbinden lasse. Gegen diesen Abschnitt Be-
denken zu erheben wird sich der gewissenhafte Beurtheiler nicht ersparen dürfen.
Wenn Eiben »in der Reihenfolge der deutschen Barden, der Minne- und Meisters&nger
die j etzt überall ausgebreiteten Liederkränze das jüngste Glied« nennenzu können glaubt
und dieses damit begründet, daß ihnen allen der volksthümliche deutsche Zug gemein-
sam sei, so macht er es sich mit dem Nachweise dessen, was die Wissenschaft einen
historischen Zusammenhang nennt, etwas zu leicht. Auf volksthümlich nationaler
Grundlage ist vieles in der deutschen Kunst und im geselligen Leben unseres Volkes
entstanden, was sich mit dem Männergesang durchaus in keine Verbindung bringen
läßt Was aber die Minne- und Meistersänger betrifft — von den Barden sehen
wir ab, denn wir wissen über sie nichts, was hier zu brauchen wäre — so herrscht
Der Yolksthümliche deutsche Männergesang von Dr. Otto Eiben. ^g^
in allen wesentlichen Dingen zwischen ihnen und den heutigen Liederkr&nEen die
größte Verschiedenheit. Man würde es schwer begreifen, wie Eiben eu einer
solchen Zusammenstellung kommen konnte, wenn nicht auf S. 7 und 72 die Er-
klärung 2u finden wäre. Reste der Meistersängersunft haben sieh in Südwest-
Deutschland bis in unser Jahrhundert erhalten. Die Ulmer Meistersänger lösten
sich am 21. Oktober 1839 auf und setzten den Ulmer Liederkrann zu ihrem Nach-
folger ein, die Liedertafel Memmingens erwarb den Schild mit dem Bilde König
Davids, der einst den Meistersängern dieser Stadt als Wahrzeichen gedient hat, und die
1840 gegründete Bürgersängerzunft in München hat für ihre Einrichtung mancherlei
Gebräuche der Organisation der alten Meistersänger humorvoll entlehnt. Eine Art
von äußerlichem Zusammenhang hat sich hier in der That hergestellt, aber damit
nimmermehr auch schon ein innerer. Im eigentlichen Verstände wird auch wohl
Eiben an einen solchen nicht glauben; durch das Spiel des Zufalls angeregt hat
er einem Gedanken Raum gegeben, der allenfalls als wirksames Aper9u zu brauchen
wäre (s. S. 59 die Festrede Karl Pfaff's), nicht aber als geschichtliche Wahrheit.
Ich glaube dies aussprechen zu dürfen, weil er selbst wiederholt betont, der Männer^
gesang sei eine neue, eine unserer Zeit eigenthümliche Erscheinung. Wohlan! so
suche man ihn aus den Bedingungen unserer Zeit zu begreifen. Es begleitet den
Leser durch das ganze erste Buch jenes stille Unbehagen, das man empfindet, wenn
nicht zur Sache gesprochen wird. Dazu kommt ein anderes. Eiben ist offenbar
mit der älteren Musikgeschichte wenig vertraut. Niemand verargt ihm, daß ihm
gewisse Kenntnisse fehlen, deren er zur Lösung seiner Aufgabe gamicht benöthigt
Auch denkt er nicht daran, sich solche anzutäiischen. Er hat für alles seine Ge-
währsmänner an der Hand: Bumey, Forkel, Kiesewetter und andere. Aber er
hat nicht berücksichtigt, daß die Forschung über diese Männer längst hinausge-
schritten ist. So machen seine Auseinandersetzungen obendrein einen wunderlich
veralteten Eindruck.
Können wir diese Dinge einfach auf sich beruhen lassen , so fordert Elben's
Schilderung einiger Musikvereine des 17. Jahrhunderts ein etwas tieferes Eingehen.
Er nennt sie Vorläufer der heutigen Männergesangvereine. Zwei derselben, der
Adjuvantenverein zu Coswig in Anhalt und die Singgesellschaft zu St. Gallen in
der Schweiz, bestehen in veränderter Form noch heute. Aber daß selbst diese
dem modernen Männergesang die Bahn gewiesen hätten, kann man doch nur be-
haupten, wenn man die Formen, welche das gesellige Musiciren im 17. und 18.
Jahrhundert angenommen hatte, ganz außer Acht läßt. Vor allem sind Vereine,
wie die genannten und wie der Verein zu Greiffenberg in Pommern, keine ver-
einzelte Erscheinungen, wie der Verfasser glaubt. Die Liebe zur Musik konnte
in unserm Volke selbst durch die Nöthe des dreißigjährigen Krieges nicht erstickt
werden; nicht nur im 18., auch im 17. Jahrhundert blühten in Deutschland die
Collegia mustca und musikalischen Societäten. Es ist auffallend, daß sie bis jetzt
nur unter der evangelischen Bevölkerung nachgewiesen sind ; indessen die Geschichte
der deutschen Gesangvereine im 17. und 18. Jahrhundert ist noch zu schreiben,
und die Forschungen über diesen Gegenstand sind bis jetzt sehr unvollständig.
Nur so viel sieht man klar, daß die Pflege, welche die Musik innerhalb der pro-
testantischen Kirche fand, sich von dort aus nach außen hin fortsetzte. Die
musikalische Societät des thüringischen Mühlhausen, über welche ich vor Jahren
einmal berichtet habe (Monatshefte für Musikgeschichte, Jahrg. 1870, S. 70 ff.),
ist auf diese Weise entstanden. Adjuvanten nannte man Gemeindemitglieder,
welche freiwillig und unentgeltlich bei der Kirchenmusik mitwirkten. Um sie bei
guter Laune zu erhalten, zahlte die Kirchenkasse einen Beitrag, wenn sie sich —
jährlich einmal — zu einem Festmahle mit Musik versammelten. So wurde in
Mühlhausen das convivium musicale bestritten, und diese Sitte war im 17. Jahr-
4g2 Kritiken und Referate.
hundert zuTerlässig durch ganz Mittel- und Norddeutschland verbreitet. Selbst
im ehstländischen Heval, einem äußersten Vorposten deutscher Kultur, war sie
heimisch, wie aus einem Protokoll hervorgeht, das ich im dortigen Kathsarcbiv
fand. »Anno 1661 d. 18 JuniJ referirete dominus praeses, daB der Cantor Georg
ChrUtophonu Fortschius bey seiner Magnißcetiz gewesen, vnd suverstehen gegeben,
welcher gestalt, bisshero die Music bey dießer Stadt in Kundbarliches Abnehmen
wegen der wenigen Adjuvanten gekommen, dieselbe aber in etwaß wieder au&u-
richten vnd in den vorigen standt zu bringen, solte nicht vndienlich sern, dem
alten nach jährlich einmahl von denen zum inu«tca^chen eonvivio verordneten beyder
Pfarkirchen Gfelder ein klein musicalisch eonvivium anzustellen worauff
einhelliglich decretitet worden, weiln eß von alters so geweßen vnd gehalten worden,
dann auch solcher gestalt die Adjuvanten in etwaß willig gemachet werden könten, alß
soll denen beyden Vorstehern anbefohlen werden, sothane bißhero auffgeloffene gdder
wie auch inß küniftig jährlich die zu solchem eonvivio deputirte gelder, alß 5 Reichs-
thaler von jedweder Kirchen allemahl richtig vnd vnweigerlich außzukehren«. Bei
dem Festmahl wurde nicht nur gespielt, sondern auch gesungen, und nicht nur
geistliche, sondern auch weltliche Musik. Es ist sehr wohl denkbar, daß ein solches
eonvivium den Anstoß gab, sich häufiger zu geselligem Musiciren zu versammebi,
woraus denn dasjenige wurde, was man in Mühlhausen die musikalische Societät
oder auch das musikalische Kränzchen nannte. Der Adjuvantenverein in Coswig
aber hat es nach Elben's Mittheilungen zur Pflege weltlicher Musik während der
vergangenen Jahrhunderte gamicfat einmal gebracht; er war eben ein einfacher
Kirchenchor, wie solche im evangelischen Deutschland überall bestanden, und das
einzig merkwürdige an ihm scheint gewesen zu sein, daß er sich in größerer Selb-
ständigkeit, als es an andern Orten geschah, dem Schülerchor gegenüber gehalten
hat. Dagegen zeigt die Singgesellschaft »zum Antlitz « in St. Qallen wieder den
aufs Kirchliche gegründeten, aber ins Weltliche hinübergreifenden Charakter ; auch
das »Musikmahl« {eonvivium musicale) wird erwähnt. Wenn im Jahr 162u einige
Bürgersöhne der Stadt sich zusammen thaten, um zunächst zu ihrer eignen Übung
und Erbauung den GoudimeVschen mehrstimmigen Psalter in Lobwasser's Über-
setzung zu singen (später wurden diese Tonsätze von ihnen auch in der Kirche
angestimmt), so scheint dies auf eine weiter verbreitete Sitte zu deuten. Im Dorfe
Wilsum in der Grafschaft Bentheim bestand, wie durch Mittheilungen des Pastor
Langen zu Nordhom kürzlich bekannt geworden ist, bis in die neueste Zeit der
Brauch, daß die Bauemsöhne sich regelmäßig versammelten, um die Psalmen nach
GoudimeVs Satz vierstimmig in holländischer Sprache zu singen. Ahnliches wird
auch an andern Orten der Fall gewesen sein, und nicht dieses ist es, was die
St. Gallener Singgesellschaft merkwürdig macht, auch nicht die Musik, auf welche
sie später ihre Übungen ausdehnte ^ sondern ihre zähe, bis auf unsere Zeit dauernde
Lebenskraft. Soviel vom 17. Jahrhundert. Setzt man gar den Fuß über die
Schwelle des folgenden, so findet man die Collegia musica auf Schritt und Tritt.
Namentlich waren sie unter den Studenten häufig. Eins der berühmtesten ist 1704
von Telemann in Leipzig gegründet worden. Auch diese akademischen Musik-
vereine traten gern mit der Kirche in Verbindung und führten zu den Sonn-
oder Festtagen Kirchenmusiken auf, so stark sonst natürlich das weltliche Wesen
in ihnen vorherrschte. Fast ausschießlich weltlich dagegen mochten die Coüegia
^ Sie benutzte, wie Eiben berichtet [S. 15] » Musikbücher von Sagittarius,
Hammerschmidt und Prosius.« Ist es nicht besser, unsern Heinrich Schütz bei
seinem deutschen Namen zu nennen? »Prosius« soll Ambrosius Profe (Profius) sein,
welcher 1641, 1643 und 1616 eine Sammlung von »Geistlichen Concerten« in vier
Theilen herausgab.
Der Yolksthamliche deutsche Männergesang von Dr. Otto Eiben. 483
munca der Beruf smusiker sein. Obschon sie » Spielleute « hießen, wurde doch von
ihnen auch der Gesang gepflegt. Wie es in einem solchen CoUegium susugehen
pflegte, davon geben die Nachrichten ein Bild, die wir über das Musiktreiben auf
den Bach'schen Familientagen besitsen.
Alle diese und ähnliche Vereinigungen eu gemeinsamem Musiciren bestanden
bis um die Mitte des 18. Jahrhunderts nur aus Männern. Frauen waren ausge-
schlossen; höchstens wurden dann und wann Singknaben zugelassen sur Aus-
führung des Discants. Nothwendig waren sie nicht in einer Zeit, da die Kunst
des Falsettirens eifrig geübt wurde, und vor allem die Studenten mochten ihrer
gern entrathen. Also lauter Männergesangvereine. Aber mit dem, was wir heute
90 nennen, haben sie nicht das geringste au schaffen. Denn sie trieben gänzlich
andre Dinge. Immer nahm bei ihnen das Instrumentenspiel einen vornehmen
Fiats ein, und wurde es nicht selbständig geübt, so diente es doch als Begleitung..
Die Gesangskompositionen hatten im 17. Jahrhundert die Form des Konzerts und
der ein- oder mehrstimmigen Arie. Im 18. Jahrhundert pflegte man die großen
und mannigfachen Formen, die sich hieraus und aus der Opemmusik entwickelt
hatten. Sie waren sämmtUch italiänischen Ursprungs. Die Poesie aber, welche
gesungen wurde, besaß nur bei kirchlichen Werken noch einigen Gehalt und
Charakter, insofern hier das Fortwirken des evangelischen Volks- und Gemeindelieds
noch nicht ganz erstorben war. Sonst herrschte auch in ihnen, und in weltlichen
Werken herrschte ganz und gar ein schales, fremdländisches Wesen. Gerade dasjenige,
was beim modernen Männergesang im Mittelpunkt der Pflege steht : das Lied, be-
fand sich in jenen Zeiten völlig in Verachtung. Unbegleiteten Gesang, der hier
die Grundlage der Entwicklung abgegeben hat, kannte man in jenen Vereinigungen
gamicht. Keinem ihrer Poetaster ist es eingefallen, Vaterland und Freiheit zu
besingen. Man nehme aber unsem Männergesängen diese Begriffe, und sehe,
was bleibt.
Es wird also nicht mehr die Rede davon sein können, daß die Muiikgesell«'
Schäften lu Ghreiffenberg, Coswig und St. GaUen Vorläufer der heutigen Männer*
gesangvereine sind. Ganz* und gar haben diese ihre Wurzeln in dem neuen Auf*
Schwünge, welchen gegen die Neige des vorigen Jahrhunderts Wissenschaft, Kunst und
Nationidbewußtsein in Deutschland nahmen. Daß der Deutsche wieder seine Geschichte
kennen lernte, daß er an Herder's Hand seine eigne Art und das Echte und Ewige
seiner Volkspoesie begriff, daß große Dichter eine neue Blüthe herrlicher Lyrik
herbeiführten und Komponisten wieder fähig wurden, volksthümliche Melodien zu
erfinden, daß wir endlich einmal mit Stolz auf unser Vaterland blicken durften und
gezwungen waren, in einem Kampf auf Leben und Tod um unsere Freiheit zu
ringen — das war es, wodurch die Kräfte geweckt wurden, denen der Männergesang
unseres Jahrhunderts sein Dasein verdankt. Der Geschichtschreiber muß also zu-»
nächst auf die deutsehe Liedpoesie am Ende des vorigen Jahrhunderts sein Auge
richten, dann auf die deutsche Liedkomposition, d. h. vor allem auf J. A. P. Schulz
und dessen Lieder im Volkston, femer auf Reichardt, Zelter u. a., und er muß
die Stellung andeuten, welche diese Art des deutschen Liedes im geselligen Leben
einnahm. Hiermit ist der Weg beschritten, der dann ohne Hindemisse zur Berliner
Liedertafel einerseits und zu Kägeli andrerseits hinführt. Ich sage nun nicht,,
daß sich Eiben dieser Einsicht ganz verschlossen hätte. Aber er beweist es nur
an zerstreuten Stellen des Buches und gelegentlich, nicht mit konzentrirtem Nach-
druck in der Einleitung des Buches, wo es geschehen mußte. Hier hat er sieb
durch die beiden Abschnitte »Aus alten Zeiten« selbst den Platz dafür verbaut.
Ich meine, diese Abschnitte hätten ganz gestrichen werden sollen. Nur des ahen
Volksliedes mochte er Erwähnung thun, dann aber in anderm Zusammenhange*
ISSS. 33
4S4 Kritiken und Referate.
Wie es jetzt auf S. 10 und U geschieht, begreift der Leser nicht, warum es über-
haupt nöthig ist, von ihm zu sprechen.
Haben wir uns dem ersten Buche gegenüber ablehnend verhalten müssen, so
können wir mit Inhalt und Gang des zweiten recht wohl einverstanden sein. Nur
macht sich schon hier ein Übelstand fühlbar, der daraus entsteht, daß Eiben die
Geschichte des Vereinswesens von der Geschichte der Kunstformen überall zu
trennen sucht. Für die spätere Periode, wo dar Männergesang mehr in die Breite
als in die Höhe wächst, war diese Trennung wohl geboten. Aber in der älteren
Zeit hängt, wie bei allen Entwicklungen, das Gedeihen in höherem Grade von dem
Wirken einzelner Kraftnaturen ab, und man gelangt zu keinem eindringlichen
Bilde, wenn man dieses nicht in einem Zuge klar legt. Während der Leser am
Anfang des zweiten Buches zu der Zelter'schen Liedertafel als Ausgangspunkt ge-
führt wird und demnach annehmen muß, in ihrem Kreise seien die ersten mehr-
stimmigen Männergesänge entstanden, erfährt er im achten Buche auf S. 396 £,
daß schon vorher solche in Süddeutschland komponirt und sehr beliebt geworden
waren. Hätte Eiben dies am Eingang des zweiten Buches gesagt, und die Art
der Mänuergesänge M. Haydn's, Call's und Eisenhofer's genau charakterisirt , so
wäre klar geworden, warum sie in den Bewegungen des 19. Jahrhunderts ein lebens-
unfähiges Genre bleiben mußten; das national-volksthümliehe Wesen des mo-
dernen Männerchores wäre dadurch zu Tage getreten, und die Zelter'sche Lieder-
tafel hätte einen historischen Hintergrund erhalten, der ihr in der vorliegenden
Darstellung fehlt. Wie das Buch jetzt disponirt ist, muß man Zelter's Würdigung
an zwei verschiedenen Stellen suchen, ebenso diejenige Nägeli's und Silcher's.
Aber die großen Entwicklungszüge in der Entstehungsgeschichte des Männerge-
sangs hat Eiben ohne Zweifel richtig erkannt. Zwei ungefähr zu gleicher Zeit in
Norddeutschland und in der Schweiz bemerkbar werdende Bewegungen streben
einander entgegen. Der Begründer des Schweizer Männergesangs ist NägeU. Be-
dingt durch den Charakter des Gemeinwesens, in welchem er entstand, mußte
dieser Gesang ein durchaus volksthümliches, gemeinverständliches Gepräge tragen.
Durch die Schweizer wurden die Schwaben angeregt. Auch ihr Gesang hat den
volksthümlichen Grundton ; vermöge ihrer herrlichen Dichter und eines melodischen
Talents, wie dasjenige Silcher's war, thaten sie es den Schweizern bald zuvor. Aber
von Anfang an nährten sie sich auch an norddeutschem Geiste; ja, man kann
sagen, daß die am Morgen des 1. Mai 1824 im Walde gesungenen Komer-We-
ber*schen Yaterlandslieder der Funke waren, welcher die Flammen der Begeiste-
rung entzündete, und die Gründung des Stuttgarter Liederkranzes bewirkte.
Die norddeutsche Bewegung aber hebt mit der Berliner, 1808 unter Zelter't
Direktion gebildeten Liedertafel an. Sie setzte zwar als ihren Stiftungstag den
24. Januar 1809 fest. Ihre eigentliche Gründung aber fand schon im vorher-
gehenden Monat statt und zwar nicht am 28. sondern am 21. Dezember, Für das
falsche Datum ist Eiben nicht verantwortlich zu machen, sondern sein Gewährs-
mann Wilhelm Bomemann. Dieser veröffentlichte seine Schrift: »Die Zelter* sehe
Liedertafel in Berlin. Berlin 1851« in hohem Greisenalter und scheint sich dabei
nicht mehr des Protokolls erinnert zu haben, das er 43 Jahre früher selbst auf-
genommen hatte, als am 21. Dezember 1808 »auf freundliche Einladung des Herrn
Professor Zelter mehrere Mitglieder der Singakademie in der Wohnung der Ma-
dame Yoitus sich versammelten, um den Entwurf zur Stiftung einer monathlichen
Tafelgesellschaft zu hören« >. In der Charakterisirung der Berliner Liedertafel
^ Bomemann berichtet überhaupt mehres, was durch die noch vorhandenen
Akten der Liedertafel nicht bestätigt wird. So sollte nach den Statuten das Auf-
nahmegeld nicht zehn sondern einen Thaler betragen, außerdem hatte jedes Mit-
0
Der Yolksthamliche deutsche Männergesang von Dr. Otto Eiben. 485
läßt sieh Eiben durch den Gegensatz des schweixerischen und süddeutschen Gesanges
SU einer gewißen Einseitigkeit verleiten. Wenn er meint (S. 44), der Schöpfer des
eigentlichen Männerchors sei Nägeli gewesen, die Liedertafel mit ihren 24 Mit-
gliedern habe wohl mehrstimmige Lieder gehabt, aber keinen Chor, so ist dem zu
entgegnen, daß es zur Feststellung des ohorm&ßigen Charakters weniger auf die
Masse der Ausführenden, als auf die Haltung des GMichts und der Komposition
ankommt, und unter den nöthigen Voraussetsungen 24 Sänger ebenso gut chor-
mäßig wirken können, wie jene 400, die Nägeli sich wünschte. Die Sänger der
Liedertafel sollten Männer höherer Bildung und Begabung sein: jeder von ihnen
sollte entweder dichten oder komponiren können. Zog diese Bestinmiung den Kreis
enger, so daß in ihm die Individualitäten mehr hervortreten konnten, so verwehrte
sie doch nicht im mindesten die Hingabe der Mitglieder an die großen Ideen der
Zeit und vor allem an die Pflege der Vaterlandsliebe. Unser Verfasser meint, der Ge-
danke des nationalen Aufschwungs sei der Liedertafel nicht su (h'unde gelegt
worden (S. 24) ; allein hierin irrt .er. Der achte Paragraph der Statuten sagt
ausdrücklich: »Die Gegenstände des Vaterlandes und allgemeinen Wohles sind in
ihrem ganzen Umfange Dichter und Komponisten empfohlene Um die Tragweite
dieser Bestimmung su ermessen bedenke man, daß sie in der Zeit des napoleo-
nischen Druckes getroffen wurde. In einem späteren Paragraphen der Statuten
heißt es : »Die Liedertafel sieht sich als eine Stiftung an, die die ersehnte Zurück*
kunft des Königlichen Hauses feiert, wie überhaupt das Lob ihres Königs zu den
ersten Geschäften der Tafel gehört«. Und als die Rückkehr des Königs sich vei-
BÖgert, schreibt Bomemann am 26. April 1809: »Aber dringender wird mit jedem
Tage der Zweck unseres Vereins sur Liedertafel. Sie soll singen dem Könige,
dem Vaterlande, dem allgemeinen Wohle, dem teutschen Sinn, der teutschen
Treue«. Denkt man sich die Schweizer und Schwaben als Gegensatz, so mag man
immerhin die Anfänge des Liedertafelwesens aristokratisch nennen. Aber in Berlin
selbst nahm sich die Sache anders aus, und hierauf kommt es doch zunächst an
Die musikalische Bewegung, welche in den neunziger Jahren des vorigen Jahr-
hunderts mit der Gründung der Singakademie ihren Anfang nahm und sich in der
Liedertafel fortsetzte, war eine Opposition gegen die Art, wie eine verwelsehte
und geistig wie sittlich herabgekommene Hofgesellschaft die Musik trieb und pro-
tegirte. Bisher hatte, auch unter Friedrich dem Großen, in der Musikpflege allein
der Hof den Ton angegeben. Jetzt unternahm es der innerlich tüchtig und gesund
gebliebene Bürger- und Beamtenstand, sich seine eigene Musik zu machen,
Musik wie sie seiner kräftigen und ernsten Natur angemessen war« Es ist dies
eine Bethätigung freien, unverdorbenen Sinnes, zu der man in keiner Residenz-
stadt des damaligen Deutschland ein Seitenstück finden wird. Der typische Re-
präsentant der so in Thätigkeit tretenden Gesellschaftskreise ist Zelter mit seiner
rauhen Tüchtigkeit, seinem Freimuth und derben Humor. Hierin liegt seine Be-
deutung und die Erklärung der herrschenden Stellung, welche er einnahm, nicht
in seinem Musikerthum, in welchem er, wenn man einige Männerchöre und andere
Lieder abzieht, nicht über die Mittelmäßigkeit hinaus kam. Man sieht aber,
daß unter solchen Verhältnissen von dem angeblich aristokratischen Charakter der
Liedertafel wenig übrig bleibt, am allerwenigsten war Zelter eine aristokratische
Natur. In den gebildeten Männern der Liedertafel war das Bewußtsein vom
glied einvn Monatsbeitrag von 12 ggr. zu zahlen. Daß die Gründung der Lieder-
tafel Nachahmung einer russischen Einrichtung sei — eine Unterstellung, gegen
die sich Eiben begreiflicherweise aufs entschiedenste wehrt — ist natürlich voll-
ständig unrichtig. Was Bomemann hierauf bezügliches erzählt, hat mit der
Gründung der Liedertafel ebenso wenig zu thun, als die Erzählung von den Militär-
chören in Potsdam und Neu-Ruppin.
33*
4S6 Kritiken und Referate.
Werthe der deutschen Nation, die Liebe cum Yaterlande, das Streben, die natio-
nalen Tugenden zu pflegen, kurs, waren alle die Ideen, welche dem Mftnnergesaag
seinen hauptsächlichen Inhalt, seinen Schwung und seine nationale Bedeutung ga-
ben, in gleichem Maße lebendig, wie in den südlichen Volksgesangrereinen und
Liederkränzen. Nur äußerten sie sich hier naiver, dort bewußter. Wäre es anden
' gewesen, so wOrde man schwer begreifen, wie der Impuls, durch welchen die Man-
nergesangsfrage plOtzUch unter die hohen Interessen des gesammten deutsohsD
Volkes erhoben wurde, von Berlin und mittelbar von der Liedertafel ausgebeo
konnte. Dies aber ist unbestreitbar geschehen, und was den Impuls gab, warea
Weber's sechs Lieder aus KOmer's »Leyer und Schwert«. Weber war, trotz Zel-
ters bomirter Opposition, schon seit mehren Jahren grade in denjenigen Kreisen
Berlins sehr beliebt, die sich in der Singakademie und der Liedertafel ihre musi-
kalischen Organe geschaffen hatten. Die Anregung, MännerehOre zu schreiben,
konnte ihm damals, als dies Genre noch etwas seltenes war, nur von der Berliner
Liedertafel kommen. Schon hatte er am U. Juni 1812 für diese mit dem «Tur-
nierbankett« ein Werk hingestellt, das als es am 23. Juni 1912 an einem großen
Gastabend der Liedertafel im Sommerlokale bei Kämpfer im Thiergarten vor mehr
als 160 Personen zum ersten Male gesungen wurde, Sänger und H6r6r überzeugen
mochte, daß ein berufener Genius sich der neuen Gattung bemächtigt hatte. Zur
Komposition der K.ömer'schen Lieder wurde er abermals in Berlin begeistert, wo
er sich befand, als 1814 der Konig siegreich aus Frankreich zurückkehrte [unter
Verfasser spricht S. 402 irrthümlieh von 1813). Daß er den Männerchor als Organ
wählte, daran ist wiedenmi die Liedertafel schuld. Die genialen, in der Gluth
der Begeisterung gleichsam hingeblitzten Schöpfungen trugen einen Brand hinai»
in alles deutsche Land, der am norddeutschen Heerde entzündet war. Dieses ge-
schah in den ersten Jahren des Bestands dar Liedertafel. Von der sp&teren Ent-
wicklung des Männergesangswesens freilich hat sie sich abseits gehalten, und in*
sofern ist Elben's Urtheil begründet. Mir lag nur daran festzustellen, daß ne
ursprünglich den volksthümlich-patriotischen Zug in ihrer Art ebenso stark besaß,
wie die Vereine des Südens, und folglich auch im Stande war, ihn anderen Ver^
einen mitzutheilen, die sich nach ihrem Muster bildeten.
Indessen darf man sich, wie ich glaube, die Verbreitung des Männergesanga
in den ersten Jahrzehnten nicht ausschließlich an die Vereine geknüpft denken.
Wie man, aus den einleitenden Sätzen zu den Statuten der Liedertafel zu schließen,
schon vor ihrer Gründung in den singakademischen Kreisen Berlins gelegentlich
mehrstimmigen Männergesang geübt hatte, wird solches auch anderswo geschehen
sein ohne daß ein Verein die Grundlage bildete. Namentlich nachdem Weheres
Lieder erschienen waren. Diese woUten allerorten gesungen und gehört sein, und
wo die Organe dafür nicht bestanden , trat eben eine Sohaar von Sängern eigens
zu dem Zwecke zusammen. So geschah es unter anderm in Hamburg vor Meth-
fessel's Zeit (S. 29). Daß die deutsche Jugend, an der Spitze die Studenten,
allen vorauf war, lag in der Natur der Sache. Als Weber 1820 eine große Kunst-
reise nu&chte, besuchte er nach einander die Universitäten Leipzig, Halle, Göttingen,
Kiel. Er wußte, wo die begeistertesten Anhänger seiner Muse zu finden waren,
und wenn die Studenten ihn feierten, sangen sie ihm seine Lieder aus aLeyer und
Schwert». In Halle und Göttingen bestanden damals schon Studentengesang-
vereine, an andern Universitflten bildeten sie sich bald. Ich hatte gehofft über
diese ergiebigen Aufschluß in Elben's Buche zu finden und bedaure, in meiner
Hoffnung getäuscht zu sein. Nur von den »Paulinem« in Leipzig erfährt man
genaueres, nebenher werden die Vereine von Jena, Halle, Kiel und die aka-
demische Liedertafel in Tübingen erwähnt (S. 30, 218, 220 L, 8St, 56, 63, 138;.
Der akademische Gesangverein in Straßburg (S. 287) und die akademische
Der Tolksthamliche deutsche Mftnnergesang Ton Dr. Otto Eiben. 487
Liedertafel in Berlin (S. 238) kommen hier nicht in Betracht, da sie in neuerer
Zeit gegründet sind. Dies ist aber alles, vas in Elben's reichhaltigem und ver-
dienstvollem Werk über die Studentengesangvereine au finden ist Ich darf den
Mangel nicht verschweigen. Wie die Studenten sich anfangs durch die Begeiste-
rung ausgezeichnet haben, mit der sie vom Mfinnergesang Besitz ergriffen, so
haben sie ihrem Sang bis heute einen besonderen Charakter von Frische und Ur-
sprünglichkeit bewahrt. Daß die in ihrem geselligen Verkehr herrschende Unge-
zwungenheit vielfach auch für die Umgangsformen in den Liedertafeln vorbildlich
geworden ist und eine wohlthfttige Frische imd Jugendlichkeit des Tons daselbst
hervorgerufen hat, ist eine Wahrheit, zu der sich auch unser Verfasser bekennt
(8. 152). Das Mftnnergesangswesen ist seit 1871 in eine bedenkliche Periode ge-
treten. Da sein überraschendes Aufblühen nicht nur rein künstlerische, sondern
auch politische Gründe hatte, so mußte es eine starke Stütae verlieren, als letztere
zu einem großen Theile hinf&llig wurden. Zwar wer gemeint hatte, die Mftnner-
gesangvereine hätten jetzt ihre politische EoUe ausgespielt, der konnte durch den
tosenden Jubel, mit welchem die Vorträge d«s Wiener M&nnergesangvereins am
16. August 1885 in Berlin aufgenommen wurden, eines andern belehrt werden.
Dennoch ist kaum anzunehmen, daß sich ihre Sache auf der früheren Höhe halten
werde, und man thut gut, die Möglichkeit einer rückläufigen Bewegung zeitig ins
Auge zu fassen. Da seheint es mir nun unzweifelhaft, daß die deutschen Studenten
die Festung bilden werden, in welcher der Männergesang den stärksten und
dauerndsten Schutz findet Eine reiche Litteratur ist geschaffen. Augenblicklich
freilich gleicht sie einem ausgetretenen Strome, dessen trübe Gewässer die Gelände
übersehwemmen. Aber sie werden zurücktreten oder auftrocknen und der Männer-
gesang wird wieder als ein heller, erquicklicher Bach erscheinen, an dessen Ufern
auch spätere Generationen mit Behagen ruhen. Als der Männergesang entstand,
war ganz Deutschland jung. Diese Jugend konnte nicht dauern. Aber sie kehrt
wieder in jedem heranwachsenden Qeschlechte, das in seiner Art immer von neuem
erlebt, was damals die Seelen aller erfüllte und begeisterte. Und so wird was
Weber, Marschner, Kreutzer, Sileher von Vaterland und Freiheit, von Kampf und
Sieg, von Andacht, Liebe und Jugendlust gesungen haben, im Munde der deutschen
Studenten immer frisch und durch keine Philisterhaftigkeit getrübt fortleben. Dann
wird man sich einst auch nach einer Geschichte des Studentengesangs umschauen ;
es wäre schade, wenn sie dann, schuld unserer Versäumniß, nicht mehr geschrieben
werden könnte.
Die ergiebige Pflege des Männergesangs außerhalb der Liedertafeln und
Liederkränze möchte ich hier noch an einem glänzenden Beispiele darthun, das
in die zwanziger Jahre des Jahrhunderts fällt und von Eiben nicht gekannt zu
sein scheint. Eine damals an mehren Orten Deutsehlands auftauchende, wie ich
glaube mit den Caveaux der Franzosen zusammenhängende Erscheinung, sind die
»Tunnelgesellschaften«. Ich wende den Namen auf alle an, obgleich eine be-
rühmte, die »Ludlamshöhle« in Wien, ihn nicht führte. Der Berliner »Tunnel
über der Spree« (auch »der Berliner Sonntagsgesellsohaft« genannt) ist 1827 durch
M- G. Saphir gegründet. Er hatte vorwiegend eine litterariseh -journalistische
Tendenz. Die Statuten besagen freilich auch : »Der Gesellschaft hat eine Kapelle,
aus den musikalischen Mitgliedern des Tunnel bestehend«; ich weiß aber nicht,
SU welcher Bedeutung es die Leistungen dieser Kapelle gebracht haben. Später
verwandelte sich der Tunnel unter dem Namen »Berliner Sonntagsverein« in eine
Dichtergesellschaft mit würdigen und ernsten Bestrebungen. Saphir's Persönlichkeit
verbürgt, daß von solchen in den ersten Jahren nicht die Rede sein konnte, und
wenn der in den Statuten angeschlagene Ton für den Verkehr der Mitglieder maß-
gebend geworden ist, so begreift man überhaupt nicht, daß vernünftige Männer
4 SS Kritiken und Referate.
an solch läppischem Treiben Gefallen fanden. Dennoch wurde der Berliner Tunnel
in Leipzig, freilich in einer mehr sympathischen Form, nachgeahmt Im Januar 1828
grQndeten sieben junge Männer »den Sonntagsgesellschaft des Peter» oder »Tunnel über
der Pleiße«. Mehre Qleichgesinnte fanden sich bald herzu. AUsonnabendlieh um
6 Uhr versammelte sich die unter dem Schutzpatronat des Till Eulenspiegel stehende
Gesellschaft, um humoristischen Blödsinn zu treiben. Begonnen wurde danait, daß
der Vorsitzende feierlich einen Stiefelknecht emporhob; dann sangen sie — es
scheint nach der Melodie des God save the king — das Weihelied: »Seht doch,
wie feierlich — Hebt sich der Stiefelknecht, — Nur stiUe, stille; — Stört den Ge-
sellschaft nicht, — Sonst straft den kühnen Wicht — Declination. • Gegen das
Ende senkte sich der Stiefelknecht. Nun mußte der Schriftführer eine Eröffiiungs-
rede halten, das Protokoll der vorigen Sitzung verlesen, eingelaufene Korrespon-
denzen u. drgL mittheilen. Es folgten die sogenannten Späne: Vorträge der einzelnen
Mitglieder, die niedergeschrieben sein mußten und in der nächsten Sitzung einer
rücksichtslosen Diskussion unterworfen wurden. Dabei galt als Grundsatz, das
Schlechte gut, das Gute schlecht zu nennen, und nach dieser Norm die ganze
Terminologie der Beurtheilung einzurichten. Den Beschluß machte der »musikalische
Tunnel«. Daß nun dieser bald das Bedeutsamste in den Sitzungen wurde, geschah
weil die bei weitem hervorragendste Persönlichkeit unter den Tunnelbrüdem ein
Musiker, und kein geringerer als Heinrich Marschner war. Der Tunnelname,
den er gleich allen andern Mitgliedern führen mußte, lautete »Orpheus der
Vampyr«; er hatte nämlich gerade die Oper »Der Vampyr« beendigt, die am
29. März 1828 in Leipzig zum ersten Male aufgeführt wuide. Die andern waren:
Dr. Oleich — Peter der Ameisenbär; Musikalienhändler Hofmeister — Pliniu»
cum notis variorum; v. Alvensleben — Hebel der Liberator; Dr. Birch — Flehte
der Vierfüßige ; Buchhändler Fock — Antinous Torso der Groß-Hadsehi ; Dr. Uerlos-
söhn — Faust der Auerbachshöfling; denen einige Wochen später hinzutraten:
Dr. Meißner — Lucinus Zangenberger ; G. W. Fink (Redacteur der Allgemeinen
Musikalischen Zeitung) — Palestrina der Besenbinder und Schauspieler Kökert —
Lablache der Gründling. Mit der Zeit vergrößerte sich die Gesellschaft noch
durch den Eintritt von W. A. Wohlbrück — Fleck der Kindesmörder; Heinrich
Dom — Gluck der Stachlige ; Hammermeister — Sassaroli Vellatti der gläubige
Bock und andre. Aber schon am 9. Februar 1828 konnte die GeseUsehaft aus
sich ein Männerquartett bilden; Marschner leitete es, sang selbst mit und — was
das wichtigste war — entwickelte für die Tunnelabende eine rege Thätigkeit als Kom-
ponist Aus diesem Kreise sind seine »Tunnellieder« Op. 46 (auch Op. 52) hervorge-
gangen, mit denen er sogleich in die erste Reihe der Männerchorkomponisten trat
Es ist natürlich, daß die Stimmung der lustigen Brüder in vielen dieser Lieder
wiederklingt, die einen Ton anschlagen, der bisher nicht gehört worden war. Der
Humor und die Zechlaune der Berliner Liedertafel kam nicht auf gegen die Ur^
sprünglichkeit von Marschner's temperamentvollem, burschikosem Wesen. Es ist
derselbe Ton, in welchem das berühmte Lied aus dem »Vampyr« gehalten ist:
»Im Herbst da muß man trinken«, ein Lied, das auch im Tunnel häufig ange-
stimmt wurde. Manches was er für ihn komponirt hat, ist nicht weiter bekannt
geworden. So ein von Wohlbrück gedichtetes Duett »Die betrunkenen Handwerks-
burschen«, das er selbst am 31. Januar 1829 mit dem Magister Fischer zusanunen
vortrug. Ein Gedicht, das Herlossohn auf 14 von der Gesellschaft angegebene
Heimworte machen mußte, und das, mit Marschner's Musik am 22. November
1828 vorgetragen, »außerordentlich schlecht befunden und allgemein da capo be-
gehrt wurde«, ist wohl die in Op. 52 befindliche »Liebeserklärung eines Sehneider-
gesellen.« Schon aus diesen Andeutungen sieht man, daß ein kecker Lebens-
übermuth den Genius der Gesellschaft bildete. Als Marschner Leipzig verlassen
Der volkethümliche deutsche Männergesang von Dr. Otto Eiben. 459
hatte, blieb der Tunnel nicht, wag er gewesen war. Er erfuhr eine vollständige
Umgestaltung in eine gewöhnliche Yergnagungs-Gesellschaft und besteht als solche
heute noch. Kunstwerke wie die »Tunnellieder« sind nicht mehr aus ihm her-
vorgegangen. Biese aber haben ihren "Weg zu den Liedertafeln bald gefunden
und, mit Marsohner's späteren Chören vereint, wesentKch geholfen, den deutschen
M&nnergesang zu seiner vollen Eigenartigkeit auszuprägen.
Ich habe bei den ersten beiden Hauptabschnitten des Buches länger verweilt,
in dem Wunsche zu Elben*s tüchtiger Arbeit meinerseits etwas beizutragen. Hierzu
boten sie mehr Gelegenheit, als die meisten folgenden. Im dritten Buche wird
nun das Wachsthum des Vereinswesens bis in die fünfziger Jahre anschaulich und
vollständig dargelegt, worauf im vierten Buche eine Rück- und Umschau gehalten
wird, die von dem klaren Blick des Verfassers ein höchst vortheilhaftes Zeugniß
giebt. Bei der Würdigung der Stellung, welche der Männergesang um jene Zeit
im Leben der Nation einnahm, übersieht er nichts, was zu seinen Gunsten ange-
führt werden kann, verschweigt aber auch nicht die mit Becht getadelten Unzu-
länglichkeiten und Entartungen. Von dem Aufblühen der Liederfeste, die in den
zwanziger Jahren in Süden ihren Anfang nahmen, im folgenden Jahrzehnt auch
in Norddeutschland aufkamen, Gründung von Sängerbünden zur Folge hatten, bis
sich in den vierziger Jahren zuerst große allgemeine Sängerfeste (Würzburg 1845,
Köln 1846) ins Werk setzen ließen — von diesen Festen schweift der Blick un-
willkürlich auf die großen Musikfeste hinüber, die seit 1810 bei uns in Gang ge-
kommen waren. In Berlin hatte sich die Liedertafel aus und an der Singakademie
gebildet. Ähnliches geschah in Magdeburg (1818), und wie es scheint auch in
Breslau. Aber man wird nicht im allgemeinen mit Eiben (S. 74) sagen können,
daß die Singakademien den Boden für die Liedertafeln geebnet hätten, denn ihre
Ziele waren zu verschieden und sie haben sich oft hemmend im Wege gestanden.
So glaube ich denn auch, daß der Anstoß zu den Männergesangsfesten von den
großen Musikfesten nicht einmal theilweise ausgegangen ist, und wenn erstere am
Rhein lange Zeit nicht haben gedeihen können, so ist es, weil sie durch die
letzteren niedergehalten wurden. Wir brauchen auch diese Erklärung nicht, denn
alles nöthige ergiebt sich aus dem Einfluß der Appenzeller Volksgesangsfeste auf
Süd- und Mitteldeutschland. Vor der rein künstlerischen Beurtheilung können die
Männer -Massengesänge nicht bestehen. Zur Aufführung HändeVscher Oratorien
mag man hunderte von Sängern und Spielern zusammenrufen. Hier steht das
Kunstwerk an Form und Inhalt im Verhältniß zu der Menge der ausführenden
Organe. Beim Lied, der Grundform des Männergesangswesens, ist es anders« Es
bleibt immer ein Unding, für den Vortrag solch kleiner Kunstgebilde jenen groß-
artigen Apparat aufzustellen. Es bliebe ein Unding, will ich sagen, wenn nicht
andre außerkünstlerische Ideen hinzuträten, die auf den Männergesangsfesten ver-
wirklicht werden sollten. Der volksbildende, vor allem aber der verbrüdernde
politische Zweck dieser Feste liegt nun aber von Anfang an klar zu Tage und
Eiben hat ihn überall mit Recht stark hervorgehoben. Besonders greifbar tritt
er in und an Schleswig - Holstein hervor. »Die Sängervereine und Sängerfeste in
Deutschland entwickelten sich nach und nach zum Volksthümlichen, zu Volksfesten.
In Schleswig-Holstein gehen das öffentliche Leben und die Volksfeste voran, und
aus denselben heraus bilden sich die Vereine und besonderen Sängerfeste« (S. 86).
Indem nun diese Vereine ins Reich hinein zogen, an den großen Festen sich be-
theiligten, brachten sie die Kunde ihrer Geschichte und Bedrängniß in weite Kreise,
und die leidenschaftliche Theilnahme, welche das deutsche Volk für die Elbherzog^
thümer an den Tag legte, wäre ohne das Sängerwesen schwerlich geweckt worden
(S. 90). Der Einfluß, den die Singvereine auf die politische Entwicklung der
Schweiz ausgeübt haben, ist ebenfalls ein sehr starker und merkwürdiger gewesen
490 Kritiken und Referate.
(S. 123). Aber ich enthalte mich, weiter ins Einzelne zu gehen. Nicht nur die
Männergesangsfeste, auch die für diese geflchaffenen Kompositionen, ja man darf
sagen, die Mehrzahl sämmtlicher M&nnerchöre überhaupt sollte man nie beuitheilen,
ohne sich lebendig Torzustellen, daß sie gleichsam ein Ausruf waren, durch wekboi
ein Volk seinem Empfinden Luft machte, dem die theuersten Wünsche und goldensten
Hoffnungen immer aufs neue versagt und unerfüllt blieben. Wer es nicht mit-
fühlen kann, welch eine Schallkraft selbst das einfieiohste Lied dadurch erhalten
konnte, daß ihm solch ein Resonanzboden untergelegt ifar, der wird freilich dem
M&nnergesange des 19. Jahrhunderts niemals gerecht werden. Es darf nicht auf-
fallen, daß seine Ver&chter sich größtentheils unter den Musikern selbst gefunden
haben und zwar unter denen, welchen man Mangel an Ernst und hohem Stieben
am wenigsten vorwerfen kann. Seit Jahrhunderten haben wir uns gewöhnen mfissen,
die meisten Gattungen unserer Tonkunst wie losgelöst vom Volksleben und in
einer. Welt für sich bestehend anzusehen. So ausschließlich pflegte man ein Ton-
werk auf seinen »rein musikalischen« Werth hin zu prüfen, daß es sogar der Poesie
schwer wurde, in der Gesangsmusik die ihr zukommenden Rechte zurücksuge-
winnen. Daß es vollends zul&ssig sein soll, die Wirkung eines Liedes zum Theil
auch an andere, außerkünstlerische Bedingungen zu knüpfen, mag noch immer
vielen als eine Erniedrigung der reinen Kunst erscheinen. Dieser Ansicht darf
sich aber wohl mit gleicher Berechtigung eine andere entgegenstellen, deren Ideal
eine harmonische Entwicklung aller Kräfte einer Nation ist, dergestalt daß eine
jede dieser Kr&fte in ihrem Bereiche dahin wirke, den Charakter eines Volkes
vollendet aussupr&gen. Das ist nun durch den Männergesang versucht worden,
auf einem kleinen, unscheinbaren Kunstgebiete zwar, unter Mißgriffen, Cbe^
treibungen, Geschmacklosigkeiten mancher Art, und trotzdem mit einem dauernden
und echten Erfolg, der die höchstfliegenden Erwartungen übertroffen hat. Nach-
dem unsere nationale Gesangsmusik in der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts
bis auf die letzten Reste verkümmert war, haben wir im Männergesang eine gans
neue Form für den Ausdruck des Volksempfindens gefunden, welche sich zu einet
Blüthe entfaltet hat, der kein Volk der Erde etwas ähnliches an die Seite setaen
kann. Darum loben wir es wiederholt, daß Eiben den nationalen Charaker dei
Männergesangswesens überall stark betont. Sollten wir betreffs des dritten und vierten
Buches noch einen unbefriedigten Wunsch äußern, so wäre es der nach voll-
ständigerer Mittheilung der Programme der Gesangsfeste. Eine hierdurch gebildete
Statistik, die etwa einen Anhang des Werkes hätte ausmachen können, würde für
die Kunstgeschichte von erheblicher Wichtigkeit gewesen sein, und Eiben hatte,
wie kein anderer, das Material dazu in Händen.
Das fünfte, sechste und siebente Buch behandelt die Neuzeit Ihr glänzendstes
und folgenreichstes Ereigniß, das Nürnberger Sängerfest von 1861, die dadurch
veranlaß te Gründung des deutschen Sängerbundes 1862, das Wirken des Bundes,
die drei Feste in Dresden (1865), München (1874) und Hamburg (1682) — alles
dies wird im fünften Buche erzählt Von der gewonnenen Höhe wird dann wieder-
um ein Umblick gehalten über die Einzelbünde und - Vereine in ganz Deutsch-
land, einschließlich Deutsohösterreiohs und Böhmens (sechstes Buch) und über den
•deutschen Männergesang in Ungarn und Siebenbürgen, in der Schweiz, in England,
Frankreich, Nordamerika, Italien, Griechenland, Türkei, Rumänien, Rußland.
Australien (siebentes Buch) . Hier will ich nur eine kleine Bemerkung anschließen.
Der vorletzte Abschnitt des siebenten Buches hat die Überschrift: »Vordrin^^n
des Männergesangs zu den Franzosen und Engländern«, und soU nicht vom deutschtfi
Gesang in den genannten Ländern handeln , sondern von französischen und en^-
sehen Singvereinen, die in Nachahmung der deutschen dort entstanden, und von
Kompositionen, welche für sie geschaffen sind. Abgesehen davon, daß mit diesem
Der Yolksthflmliche (leutsehe M&nne^fesang Ton Dr. Otto Eiben. 491
Inhalt der Abschnitt nicht an rechter Stelle steht, ist das Thema auch ein solches^
daß es, einmal berührt, eine längere Ausführung verdient hätte. Vor allem durfte
der so eigenthümlich entwickelte skandinavische Männergesang nicht unbeachtet
bleiben. England ist auf einer halben Seite abgehandelt und auch über Frank-
reich ließe sieh mehr sagen. Der wackere Q. Kastner kommt bei Eiben schlecht
weg; ich habe darauf schon an einer andern Stelle hingewiesen (S. 443 dieser
Zeitschrift) und bemerkt, daß ihm Unrecht gethan sei. Allerdings ist Kastner ein
Mann, den man als Ganzes nehmen muß, um für seine einzelnen Leistungen, auch
die schwächeren, den Standpunkt billiger Beurtheilung zu finden.
Über den im engeren Sinne musikalischen Theil des Buches habe ich im
Verlauf der Besprechung nur erst einige gelegentliche Bemerkungen fallen lassen.
An der Bearbeitung, die er für die zweite Auflage erfahren mußte, hat sich
Kapellmeister Schletterer in Augsburg betheüigt. Eiben spricht sich im Vorwort
darüber aus, wie weit Schletterer's Mitwirkung geht : sie betrifft zumeist die neuere
Zeit. Ich habe schon gesagt, daß eine so vollständige Trennung der rein musi-
kalischen Würdigung des Männei^esanges von seiner geselligen, politischen und
nationalen mir nicht unbedenklich erseheint. Nehmen wir aber die Sache hin so
wie sie nun einmal ist, so findet sich auch In diesem Abschnitt manches treffende
Wort und über die Charakteristiken von Nägeli, Zelter, Kreutzer, Siloher kann
man als wohlgelungene erfreut sein. Andere Meister: Schubert, Mendelssohn,
auch Friedrich Schneider, wollen in ihrer Individualität nicht recht klar werden,
und bei Weber fehlt vor allem der Hinweis auf die enorme tonbildliche Kraft,
die er selbst im kleinsten seiner Männerchöre an den Tag legen kann.^ Der
Verfasser hält sich leicht zu sehr im Allgemeinen; eingehendere technische Unter-
suchungen, z. B. über die Behandlung und Erweiterung der Liedform bei den
verschiedenen Meistern und über ihre Art mehrstimmig zu setzen, wären hier sehr
erwünscht und zur gänzlichen Erfüllung der Aufgabe auch unerläßlich. Zur
Belebung der Charakteristik hätte es gedient, wenn von den Dichtungen häufiger
und eingehender die Rede gewesen wäre, denen die Meister ihre Töne gesellt
haben. Auch die Veranlassungen, auf welche, die Zeit und die Verhältnisse, in
welchen gewisse besonders bedeutsame Gesänge entstanden sind, lernte man gern
genauer kennen. Bei den hervorragendsten Meistern vermißt man eine annähernd
vollzählige Angabe ihrer Werke, so weit irgend möglieh «mit Entstehungs- oder
doch Erscheinungsjahr; bei Marschner z. B., der übrigens 1795, nieht 1796 geboren
ist, finde ich nur einen kleinen Theil der Lieder, die unbestritten ersten Ranges
sind, verzeichnet, und bei keinem die Opuszahl, zu der es gehört. Meine Haupt-
einwendungen gegen den ganzen Abschnitt möchte ich in zwei Punkte zusammen-
fassen. Der eine : Der innere Zusammenhang zwischen den einzelnen Komponisten
und somit das eigentlich Musik geschichtliche wird nicht deutlich. Unser Verfasser
theilt allerdings den Stoff in mehre Paragraphen, und was in einem Paragraphen
zusammen abgehandelt wird, soll offenbar auch in einer engeren Beziehung stehen.
Aber ich vermag diese Beziehung in sehr vielen Fällen nicht zu finden und ver-
misse sowohl Princip als Methode der Darstellung. Warum wird in § 61 der
Schwabe Kreutzer (S. 413) von den andern schwäbischen Tonsetzem (S. 417) ab-
* Eiben safft S. 402: »Lützows Jagd ist zum Volkslied geworden mit seinem
hinreißenden, alle Hörer zum Mitsingen einladenden Schluß.« Die letzten Worte
lassen muthmaßen, daß auch er das Laed nur in jener Verunstaltung kennt, welche
den viertaktigen Refrain wiederholt Dann fällt er allerdings hinreichend in die
Ohren. Aber der Zauber des unvergleichlichen Tonbildes — die von fern' heran-
brausenden und wie im Sturmwind mit Hömerffeschmetter vorüberfegenden Reiter —
ist vöUig zerstört. Es ist Zeit, ^egen diese Mißhandlung eines Meisterstücks ein-
mal nacndrücklich Verwahrung emzulegen.
492 Kritiken und Referate.
getrennt, und warum diese -wieder Yon dem Volksliedermanne Silcher (S. 423)?
Zwischen diesem und jenem besteht doch eine augenfällige künstlerische Verwandt^
Schaft. Wie verschieden sind beide von Marschner, wie verschieden alle drei
wieder von Löwe ! Und doch werden unmittelbar nach Kreutzer erst diese letzteren
und dazu noch Methfessel und Reißiger abgehandelt. Schneider dagegen, der un-
zweifelhaft mit ihnen zusammengehört, ist im vorhergehenden Paragraphen be-
sprochen und befindet sich hier zwischen den Beriinem einerseits und Spohr und
Schubert andrerseits. In § 62 wird für einen neuen Zeitabschnitt Mendelssohn
als beherrschende PersönÜchkeit aufgestellt. Unter seinen »Zeitgenossen und
Nachfolgern« finden wir auch — die Brüder Lachner. Man wundert sich darüber
um so mehr, als Franz Lachner vom Verfasser selbst »der letzte Vertreter der
klassischen Zeit« genannt wird. In der That gehört er zur Wiener Schule, ist
Süddeutscher vom Wirbel bis zur Sohle, war also mit seinem Freunde Schubert,
auch mit Kreutzer zusanunen und sammt diesen möglichst in die Nähe Weber's
zu bringen. Aber zwischen ihm und Mendelssohn sind keihe Gemeinsamkeiten.
Unter den Nachzüglern Mendelssohn's, die in recht bunter Reihe vorbeidefiliren,
bemerken wir zu unserer ferneren Überraschung F. Kücken, der freilich in Sachen
des Geschmacks sehr viel von Mendelssohn hätte lernen können, es aber leider
nicht gethan hat und im übrigen außer jedem inneren Kontakt mit ihm steht Kach
dem Ende des Zuges hin wird es dann immer tumultuarischer , auf den letiten
Seiten drängen sich nur noch Namen vorüber, darunter manch einer, der, wenn
auch in Mendelssohn's Gefolgschaft, doch einen aparten Platz verdient hätte,
wie der liebenswürdige, feingebildete Wilhelm Taubert. Solch ein Verfahren
ist auch dem Nachsichtigsten zu bunt. Und erwägt man es genau, so vird
sich finden, daß Mendelssohn die Rolle eines Führers in der Geschichte des
Männergesangs überhaupt nicht beanspruchen kann. Seine Männerchöre sind
ausgezeichnet durch Frische, Gewähltheit und geistvolle Arbeit. Sie ragen durch
ihre künstlerische Vornehmheit hoch hinaus über das Meiste, was um 1840 er-
schien. Dennoch ist von der Grundempfindung, die seit Anfang des Jahrhunderte
im Männergesange Ausdruck suchte, kein starkes Maß in ihnen zu entdecken.
Mit dem ihm eignen wunderbaren Stilgefühl hat er sich auch hier dem CharakUr
der Form angeschmiegt. Aber er erscheint mehr von der Zeitwoge getragen, all
daß er sie sich zu Dienst gezwungen hätte. Eher ließe sich noch behaupten, daB er
mit seinen großen, begleiteten Werken, dem Festgesang an die Künstler und den
beiden Sophokleischen Tragödien neue Wege geöfinet hätte.
Der andere Punkt ist dieser, daß zwischen den verschiedenen Formen, in
welchen Männergesang möglich und im Verlauf der Geschichte auch thatsächlieh
geworden ist, nicht in gebührender Weise unterschieden wird. Wäre es geschehen,
so würde gleich der ganze § 59 nicht vorhanden sein, und wir würden ihn ohne
Bedauern entbehren. Wer nur einigermaßen in der Musik des 15. und 16. Jahi^
hunderts bewandert ist, der weiß^ daß hier Tonsätze, welche nur von Männer-
stimmen ausgeführt werden sollen, etwas ganz gewöhnliches sind« Hätte nun der
Verfasser vom mehrstimmigen weltlichen Liede Senfl's oder Haßler*s gesprochen,'
so wäre zwar festzustellen gewesen, daß dieses in Tonalität, Art der Mehrstimmig-
keit, großentheils auch Besetzung vom Männerchorliede wesentlich verschiedcD ist.
Aber man hätte wenigstens einige Ähnlichkeiten zugeben können. Wo aber diese
bei den polyphonen Messen und Motetten zu finden sein sollen, wenn man sich
nicht eben damit begnügen will, daß manche Stücke ohne Mitwirkung der Sänger
knaben von den männlichen Sängern allein ausgeführt wurden, ist gamicht ein-
zusehen« Mit gleichem Rechte hätten auch alle die Kompositionen, die in den
»Männergesangvereinen« des 17. und 18. Jahrhunderts ausgeführt wurden, genannt
werden können. Welchen Zweck hat es femer, in den Werken HändeFs und
Der Yolksthümliche deutsche M&nnergesang von Dr. Otto Eiben. 493
Haydn's nach Stellen zu suchen, wo einmal nicht der volle Chor, sondern nur die
M&nnerstimmen als Theil desselben verwendet werden? Vollends in den Operh
Gluck's, Mozart's und anderer, da hier der Männerchor oft durch rein dramatische
Gründe bedingt ist? AUe diese Bemühungen führen eher von der Sache ab, als
zu ihr hin, und sind daher eben so wenig am Platze, als das gesammte erste Buch
unseres Werkes, über das ich mich oben weiter verbreitet habe.
Der Grund und Boden des modernen Männergesanges ist das Lied, und swar
das unbegleitete mehrstimmige Lied. Die Vereinigung dieser drei Merkmale ließ
eine Kunstform entstehen, welche am Anfang unseres Jahrhunderts etwas durchaus
neues war. Es gab keinen unbegleiteten Kunstgesang im 18. Jahrhundert, wenn
man nicht etwa die Gesänge der Kurrende ausnehmen will. Wer die Berliner
Singakademie als Pflegerin eines solchen anführt verwechselt das Später mit dem
Früher. Unter Faseh und Zelter, also bis zum Jahre 1832, ist hier niemals ohne
Begleitung gesungen worden; wenigstens war immer ein akkompagnirender Flügel
da. Selbst die ersten Männerchöre, die aus diesem Kreise hervorgingen, sollten
akkompagnirt werden: in zufälliger Ermangelung eines Klaviers nahm man eine
Guitanre, aber das ärmliche Geklimper verschwand in den Massen der kräftigen,
frischen Männerstimmen, die auch ohne Stütze im Ton blieben, und nun erst ging
man wenigstens beim Männergesange und in der bald darauf gegründeten Lieder-
tafel dauernd zum unbegleiteten Gesänge über (Bornemann, a. a. O. S. X). Welche
Folgen die Befreiung des auf sich selbst gestellten Gesanges für die Stimmenfüh-
tujit; und für die Behandlung der Harmonie haben mußte, sieht ein jeder. Sie
bildet aber auch die nothwendige Voraussetzung für eine volksthümliche Entwick-
lung des Männergesanges. Das akkompagnirende Klavier fesselt den Gesang ans
Zimmer : er bleibt Haus- oder Kammermusik. Erst wenn er gelernt hat, sich nur
durch die eignen Schwingen tragen zu lassen, "kann er ausfliegen ins Freie, wie
der Vogel aus dem Käfig. Nun können die Sänger ihr Lied ertönen lassen im
Wandern und in der Waldesruhe, auf der Wogenbahn, unter dem Fenster, im
Lagerleben des Kriegs, wo sie gehen und stehen. Das unbegleitete Gesangstück
mußte von mäßigem Umfang und einfach gegliedertem Wuchs sein, um nicht zu
große Schwierigkeiten für die Ausführung hervorzurufen. Diesen Anforde-
rungen entsprach die I^iedform aufs vollkommenste, und durch eines jener glück-
lichen Zusammentreffen, die immer eintreten, wo etwas bedeutendes entstehen soll,
ereignete es sich, daß die Poesie das Verlangen der Musik in ausgiebigster Weise
befriedigen konnte durch einen Keichthum schönster Lyrik, wie er in Deutschland
niemals größer dagewesen war. Wer nun die musikalische Geschichte des Männer-
gesangs darstellen will, der muß vom unbegleiteten mehrstimmigen Liede nicht
nur ausgehen, sondern es auch in seiner Pflege und in seinen Wandlungen bis
auf die neueste Zeit beständig als Richtschnur nehmen. Dadurch würden gleich
anfangs die meisten und bedeutendsten Kompositionen Franz Sehubert's als nicht
zur Sache gehörig abgetrennt. Gegen ihre rein musikalische Schönheit soll nichts
gesagt und ebensowenig soll es unseren Männergesangvereinen verwehrt werden,
sich gründlich mit ihnen zu beschäftigen. Aber sie gehören in einen ganz andern
geschichtlichen Zusammenhang. Mehrstimmige Gesänge mit Klavierbegleitung,
also fürs Haus oder den Privatsalon bestimmt, waren kurz vorher in Wien auf-
gekommen, und zwar durch Joseph Haydn. Die ausgezeichnet schönen geist-
lichen und weltlichen Gesangstücke, welche man in Band VIII und IX der alten
Breitkopf und Härtel'schen Ausgabe vereinigt findet, begründeten eine neue Gattung
feiner Gesellschaftsmusik. In ihren Kreis gehört zumeist, was Schubert für Frauen-
oder Männerstimmen mit Begleitung komponirt hat, oder es ist doch, wie der
»Nachtgesang im Walde« und der »Gesang der Geister über den Wassern« von diesem
Ausgangspunkte entwickelt, freilich mit Schubert'scher Kühnheit. Es handelt sich
494 Kritiken und Referate.
auch hier nicht eigentlich um Chorgesang, wennschon manche Gesänge eine
stärkere Besetzung vertragen. Aus dieser Darlegung ergiebt sich aber der innere
Grund, warum Schubert's M&nnergesänge im weiten Bereich d» Liedertafeln und
Liederkränse so lange unbeachtet blieben. Nicht einzig aus GleiehgOk^keit dieser
Kreise gegen ihre oft bezaubernde Schönheit geschah es, sondern weil sie eben
eine ganz andre Wurzel hatten, als das volksthümliehe Männerlied, und deshalb
fremdartig anmuthen mußten. Aus dem Wege zu schaffen fQr den geschichtlichen
Entwicklungsgang , wie ich ihn mir denke, wären femer die meisten großen Kom-
positionen far Männerchor und Orchester oder Orgel sät MendeLssohn's Zeit.
Dessen »Festgesang an die Künstler«, Schumann's Motette »Verzweifle nichts Lncsh-
uer's »Sturmesmythen, Brahms' »Binaldo«, Bruch's »Fritfajof«, »Bömisdier Triumph-
gesangta, »Salamis«, pNoimannenfahrt« — alle diese und viele andere Werke er-
scheinen in Formen, die mit der Grundform des Männergesangs nichts zu thun
haben. Wenn die ganze Entwicklung des Männergesangs während der ersten
vierzig Jahre dieses Jahrhunderts nicht vorhanden gewesen wäre, so könnten sie,
auf ihren musikalischen Bau hin betrachtet, dennoch eben so wohl komponirt
worden sein, wie da» Dmoll-Kequiem des Ausländers Cherubim. Natürlioh muß
in solchen Stücken auch der mehrstimmige Vokalsatz ein ganz andrer werden, tot
allem wird die Vierstimmigkeit unhaltbar, die nur im unbegleiteten Gesänge ihre
Berechtigung, wir könnten auch sagen: ihre Entschuldigung findet Die Sadie
liegt doch so, daß nachdem einmal die großen Männerchöre überall in DeotoeUand
entstanden waren, die Komponisten sich diese schönen Organe, nicht entgehen
lassen wollten und sie nun nach ihrem Ermessen verwendeten, nicht aber so, daß
ihre großen Kompositionen eine genetische Fortentwicklung der Formen darstell-
ten, auf die der Männergesang sieh allein gründete und gründen konnte. Häh
man diese Dinge nicht streng auseinander, dann ist es ni^t mögHeh, Gietchichte
zu schreiben; das Verfahren kann nur in einer Zusammenschüttung von Einsei-
heiten bestreben, wobei es möglich wird, sogar die »Rhapsodie« von Brahma unter
die Männeröhor-Kompositionen zu rechnen (S. 447).
Ich brauche mich wohl nicht dagegen zu verwahren, daß ich die künsüetiflche
Berechtigung der vielen vortrefflichen Kompositionen für Männerchor und OrcheBter
an sich nicht angreife. Es handelt sich nur darum, für eine geordnete wissen-
schaftliche Darstellung die Bahn frei zu machen. Die Einförmigkeit seines Klang-
materials wird es dem Männerchor immer verwehren, die Größe seiner Formen
über eine gewisse eng gesteckte Grenze hinaus auszudehnen, wogegen der Stritt
des vielgliedrigen und vielfiarbigen Orchesters sogleich große Dimensionen ermög-
licht. Daß es indessen auch dem unbegleiteten Männerchore nicht unbedingt ver-
sagt ist, sich über die enge Liedform hinaus zu verbreiten, können die beiden
Vokal-Oratorien Lowe's beweisen, und es ist bedauerlich, daß Niemand in dieser
Richtung weiter gearbeitet hat Auch die geistliehen Motetten, Psalmen« Hym-
nen u. s. w., wenn schon sie mehr nur einen praktischen Nothbehelf darsteUen
und von der Entwicklungsbahn des Männergesangs wie der Kirdienmusik gleicher-
maßen abseits liegen, haben doch in manch einem Falle bewiesen, daß das Mate-
rial dehnbar genug ist, um auch für größere Gebilde auszureichen. Lideasen ge-
währte schon die Liedform allein Abwechslungsmöglidikeiten genug, weldie
schöpferische Geister immer wieder von neuem beschäftigen konnten und die
nachzuweisen, eine vornehmste Pflicht der Geschichtsforschung wäre. Darüber
hinaus hat das Männerohorlied die Entstehung andrer Kunstgattungen bewirkt, und
erscheint in dieser Eigenschaft in einem neuen, bedeutsamen Lichte. Dafi mit
der Zeit auch der Frauenchor selbständige Pflege erfuhr, ergab sich schon aus
dem Gegensatze, doch konnten hier die Resultate aus manchen Gründen keine er-
heblichen werden. Aber das mehrstimmige Lied für gemischten Chor ist durch
Ber volksthamliche deutsehe Mätmergef»ang von Dr. Otto Eiben. 495
das Mfinnerchorlied ins Leben gerufen. Bs hat eineli besonderen Reiz» diesem
Hergange nach2us{>üren , nicht lum wenigsten deshalb, weil man dabei wieder
auf die Berliner Liedertafel als ersten Entwioklungsansatzpunkt surflokgefahrt wird.
Bei besonders festlichen Gelegenheiten, z. B« dem Geburtstag des Königs und der
Königin, püegte die Liedertafel Damen des singakademisehen Kreises einzuladen,
welche sieh dann am Gesänge betheiligten« So entstand eine neue Art von Ge-
sellschaftsgestng für vier, fünf, sechs und mehr gemischte Stimmen. Aus den
Bachern der Liedertafel kuin man sieh darüber unterrichten, ich ziehe es vor, auf
Weber's gedruckte Lieder fftr gemischten Chor hinzuweisen. Im Sommer 1812,
zu derselben Zeit also, da er für die Liedertafel das »Turnierbankett« schrieb, kom-
ponirte Weber vier mehrstimmige Lieder theils für Friederike Koch, theils für Frau
Jordan-Friedel und deren Kreis, d. h. den Singakademie-Kreis, denn beide Damen
gehörten ihr als Hauptstützen an, zudem wftren Flemming, der Verlobte der Koeh
(^ 1813, Komponist des Integer vUae\ und der Gatte der Jordan-Friedel eifrige
iiedert&fler. Die liieder sind »Lenz erwacht und Nachtigallena (3» Juni 1812) für
2 Soprane, 2 Tenöre, 2 Bässe, »Zur Freude ward geboren« (17. Juni 1812) für 1 So-
pran, 2 Tenöre und Baß, »Geiger und Pfeifer, hier habt ihr Geld darauf« (6. Aug.
J812) für dieselben Stimmen, »Heiße, stüle Liebe schwebet« (8. Aug. 181^ für die-
selben Stimmen. Schon ein Blick auf die Besetzung zeigt, auf wdchen Weg
sieh die Phantasie des Komponisten hatte leiten lassen. Den Stamm des mehr-
stimmigen Körpers bildet der Männerchor, ihm ist durch Hinzufügung einer So-
pranstimme, oder zweier, gleichsam noch ein Stockwerk aufgesetzt. Darch die
natürliche Beschaffenheit der menschlichen Stimmen und ihr Verhähniß zu einandet
kann eine solche Besetzung nicht hervorgerufen sein, sie muß ihren äußeren
Grund haben, der hier eben die Anknüpfung an den Männerehor der Liedertafel
war. Chorlieder dieser Art entstanden dann fort und fort Auch Marsohner's
drei sechsstimmige Gesänge Op. 55, welche gegen Ende der zwanziger Jahre in der
Zeit seiner »Tunnellieder« komponirt sind, gehören dazu. Sie sind für 2 Soprane,
2 Tenöre, 2 Bässe gesetzt und »der Singakademie zu Berlin sowie deren würdigen
Direktor Herrn Professor Zelter« gewidmet Es versteht sieh schon nach den
Texten von selbst, daß nicht die eigentliche Singakademie gemeint ist, sondern
die Liedertafel in solchen FäUen, wo Damen eingeladen wurden. Das erste Lied
scheint sogar auf die »obligaten klingenden Gläser« eingerichtet zu sein, womit
die Liedertafel manche ihrer Tafelgesänge zu akkompagniren pflegte. Mendels-
sohn's Lieder für gemischten Chor kommen, mit einer früheren Ausnahme, erst
1 S39 zum Vorschein, da also das MännerchorÜed schon seit Jahrzehnten in schönster
Blüthe stand, und Mendelssohn selbst hat sich diesem früher zugewendet, als jener
Gattung. Ob auch bei ihm Berliner Anregungen mitwirkten, bleibe hier dahin-
gestellt Da mittlerweile Überall in Deutschland sieh Vereine für gemischten Chor
gebildet hatten, mußte es in der Luft liegen, das Beispiel der MännCrchörs mit
anderem Materiale nachzuahmen. So gewiß nun das Lied für gemischten Chor
die höhere Kunstgattung von beiden ist, so sicher ist anderseits, daß es in dem
Wettstreit mit dem Männerchoriiede den kürzeren gezogen hat. Es läßt sich dar-
aus wieder einmal erkennen, wie viel in der Geschichte darauf ankommt, daß et-
was zu rechter Zeit erscheint. Weil dies beim Männergesang der Fall war, ist
er zu einer neuen Kunstgattung erwachsen, die nach jeder Seite hin, auch der
technischen, eine vollständige Ausbildung aller ihrer Kräfte zeigt. Wenn es bei
ihm nicht an einzelnen Fällen fehlt, in denen nach einer falschen Richtung ex^
perimentirt ist, so kommt dergleichen in der Entwicklung jeder Kunstgattung vor.
Im allgemeinen muß gesagt werden, daß sich in der Art für Männergesang zu
schreiben eine feste Technik hergestellt hat, die für alle Zeit als Muster gelten
kann. Anders im Lied für gemischten Chor. Es ist nach Mendelssohn's Vorgang
496 Kritiken und Referate.
yiel gepflegt worden. Aber wollen wir ehrlich urtheilen, so ist keiner über das
hinausgekommen I was jener beim ersten Anlauf so glücklich erreicht hat. Die mei-
sten sind weit hinter ihm zurückgeblieben. Die reicheren Mittel des gemischten
Chorlieds sind nicht entfernt so vollständig und sachgemäß ausgenutzt worden,
und wenn man die Blüthe des mehrstimmigen A cappelia-Qenange^ im 16. Jahr-
hundert vergleicht, so darf man, ohne jemandem zu nahe treten zu wollen, doch
wohl sagen, daß unsere Zeit im Belang der Technik sich zu jenem verhält, wie
der Stümper zum Meister. Der Grund mag mit darin liegen, daß jene alten
Muster erst in neuester Zeit anfangen, den Musikern bekannter zu werden, die
meisten also aufs Ezperimentiren angewiesen waren, in dem sie ihr Stilgefühl
nicht immer so sieher leitete, wie Mendelssohn. Aber der Hauptgrund war doch
wohl ein andrer. Das Madrigal der Italiäner, das Lied der Deutschen wäre im
16. Jahrhundert nicht zu jener außerordentlichen Ausbildung gelangt, wenn nicht
— namentlich in Italien — die gesellschaftlichen Verhältnisse sie im höchsten
Maße begünstigt hätten. Im Deutschland unseres Jahrhunderts fehlte diese Gunst
der Verhätnisse. Die Stätten, wo allein das Lied für gemischten Chor eine wirk-
lich fördernde Pflege finden konnte, waren die großen Chorvereine. Sie aber
hatten wichtigexe Auijgaben und konnten das Lied nur als Mitläufer behandeln.
Dagegen traf beim Männergesang alles zusammen, was zur Pfl^e des Liedes nur
irgend gewünscht werden konnte. Nicht an letzter Stelle ist dahin zu rechnen,
daß die Männerchorlyrik sich auf einem unbegrenzten Gebiete bewegen konnte,
während für den gemischten Chor die Wahl der poetischen Gegenstände, eben
weil Frauen sich betheiligten, eine beschränkte sein mußte.
Doch genug von diesen Dingen, die über das Gebiet hinausführen, das zu
bearbeiten unser Verfasser sich vorgesetzt hatte. Was ich angedeutet habe, sollte
nur die Ansicht weiter begründen, daß nicht allein in socialer und politischer
sondern auch in rein künstlerischer Hinsicht die Hauptbedeutung des Männer-
gesangs ganz und gar auf dem Liede beruht. Jetzt, da er sich dem Abschloß
einer großen Periode zu nähern scheint, ist es gut, auf diese Wurzel seiner Kraft
mit Nachdruck hinzuweisen, damit die Kraft nicht in falscher Züchtung vergeudet
wird. Vor solcher Schädigung unseres Volks- und Kunstlebens zu warnen und ihr
zu wehren, läßt sich auch unser sachkundiger Verfasser mit beredten Worten an-
gelegen sein, von dem wir uns nun, die Besprechung seines inhaltretchen Werkes
beschließend, mit aufrichtigem Danke verabschieden.
Berlin. Phüipp Spitta.
W, /. von Wasieletoskij Ludwig van Beethoven. Berlin, Brach-
vogel und Ranft. 1888. 2 Bände. 8.
Nicht ohne eine gewisse Überraschung haben wir obiges Buch zur Hand ge-
nommen« Wasielewski hat in den letzten Jahren eine dankensweithe Thätigkeit auf
dem musikhistoiischen Gebiete entfalttt und Gebiete anzubauen begonnen, die
längst des kundigen Bearbeiters warteten ; die älteste Entwicklung der Instrumental-
formen, von der Violinkomposition ausgehend, hat er sammelnd und ordnend ver-
folgt und in seinen Mittheilungen über Instrumentalmusik des 16. Jahrhunderts
u. s. w. Arbeiten geliefert, die als belangreiche Beiträge zur Anbahnung genauerer
Kenntniß jener Perioden zu begrüßen waren und zu weiteren Erwartungen be^
rechtigten. Wir müssen uns freuen, daß mehr und mehr in der Bearbeitung der
Musikgeschichte das alte dilettantische Treiben überwunden und durch eine ver-
nünftige Arbeitstheilung unter Männer, die ihres Stoffes mächtig sind, von
Ludwig van Beethoven von W. J. von Wasielewski. 497
verBchiedenen Funkten aus einer gründlichen wissenschaftlichen Erkenntniß des
weiten unerforschten Gebietes der Weg geebnet wird. Das gilt namentlich auch
von den Meistern der neueren Epoche; wie Bach, Händel, Haydn, Mozart ihre
berufenen Bearbeiter gefunden haben, so war auch die Erforschung von BeethoverCa
Leben und Schaffen längst in guten Händen ; wir brauchen nur die Namen Thayer
und Nottebohm zu nennen.
Wenn daneben die populäre Schriftstellerei auf musikalischem Gebiete fort-
fährt ihr Wesen zu treiben, so wollen wir das so sehr nicht tadeln, wofern die-
selbe wirklich das Ziel verfolgt, einem weiteren Kreise zweifellose wissenschaftliche
Ergebnisse in entsprechender Form zu vermitteln. Der wissenschaftliche Forscher
hat freilich im allgemeinen Besseres zu thun, er hat durch begonnene Untersuch-
ungen gewissermaßen die Pflicht der Weiterführung übernommen und überlaßt jene
weitere Thätigkeit anderen, welche nach dem Maße ihres Vermögens und Urtheils
das Gold in Münze umsetzen mögen.
Das ist es, warum es uns frappirte, Wasielewski auf dem breiten Wege der
populären Biographie zu begegnen. Es war nicht bekannt, daß er bisher irgendwie
an der Beethovenforschung betheiligt war; er giebt dies auch selbst zu und sein
neues Buch beweist es ebenfalls ; wir glauben ihm daher gern, daß er die ihm an-
getragene Aufgabe nur mit Zögern übernommen hat. Er stellt sich zur Aufgabe,
das Lebensbild Beethoven's auf Grund der vorhandenen und gedruckten Quellen
sa zeichnen, »seinen menschlichen und künstlerischen Charakter zu beleuchten und
Bu erläutern« und aus den scheinbaren Widersprüchen die einheitlich charaktervolle
Gestalt zur Anschauung zu bringen, »bei welcher Persönlichkeit und künstlerisches
Schaffen einander völlig decken«. Wenn ein Schriftsteller und Musiker wie Wasie-
lewski dies unternimmt, so wird er selbst nicht erwarten, daß der Leser mit ge-
ringen Anforderungen an sein Buch geht.
Eine lesbare Erzählung von Beethoven's Leben und Schaffen, welche das bis-
her Erforschte zu einem wahren und lebendigen Bilde gestaltet, kommt sicherlich
einem Bedürfnisse entgegen; nicht jeder Kunstfreund mag in das Detail der Unter-
suchung mühsam eindringen und sich das Bild selbst entwickeln. Unternimmt
dies nun ein wissenschaftlicher Mann, so ist es seine Sache zu fragen, ob die
Untersuchung wirklich abgeschlossen vorliegt, und er muß selbst möglichst Herr
des ganzen Stoffes sein.
Nun unterliegt es doch wohl bei den Kundigen keinem «Zweifel, daß, so lange
Thayer's Biographie nicht abgeschlossen ist, von Vollständigkeit des Materials
für den, der nicht selbst weiter forschen will, keine Rede sein kann; ja auch das Vor-
handene hat zu so mancherlei neuen Fragen und Untersuchungen Anregung und
Anlaß gegeben, daß wer ein getreues Lebensbild nach ihnen zeichnen will, an den-
selben betheiligt sein und in der Sache stehen muß. Wasielewski aber hat nirgend-
wo eine neue Quelle aufgedeckt oder neues Material beigebracht, sondern nur ver-
werthet, was bei einigem Bemühen jedem zugänglich ist. Er hat auch nichts weiter
gewollt; gut; aber er übt doch öfters an seinen Quellen Kritik, äußert Ver-
muthungen, versucht Kombinationen, bei denen der Mangel eingehender Detail-
kenntniiß ihn Irrthümern aussetzen mußte; und doch will er, auch anderen Auf-
fassungen gegenüber, ein zutreffendes menschliches Charakterbild zu geben unter-
nehmen. Auf einem mehr selbständigen Felde bewegt er sich, wo er den Künstler
schildern und die Werke analysiren will ; hier kommt ihm, dem in langer praktischer
Thätigkeit erprobten und erfahrenen Musiker, ausgebreitete Kenntniß der Werke
zu Hülfe. Aber er weiß selbst, daß die Entwicklung des Künstlers von der des
Menschen nicht zu trennen, daß die Entstehung der Werke von ihrer biographi-
schen Voraussetzung nicht zu lösen ist. Auch in dieser Beziehung also muß der.
49S Kritiken und Referate.
welcher dem Bedürfnisse der Kunstfreunde dienen 'will, Tollständig auf der Höhe
des Gegenstandes stehen.
Seine Hauptquellen nennt er selbst: die Mittheilungen der Zeitgenossea, die
Briefe, neuere Darstellungen. Unter ersteren ist vor allem Wegeier und Ries,
dann Schindler zu verstehen, deren Schriften reichlich ausgenutzt sind; namentlich
aus ersterem Büchlein ist Vieles wörtlich aufgenommen. Von Späteren ist es
namentlich Thayet^s Biographie, auf welcher er Überall fußt; dann ist Nottebchm
benutzt, auch aus NoKl manches aufgenommen. Kleinere Beiträge zur Kenntniß
sind auch hier und da verwerthet, aber es scheint ein wenig der Zufall gewaltet
zu haben, ob und wie er dieselben kennen lernte. So weiß er z. B. anscheinend
nichts von Thayer's »kritischem Beitrage«, welcher für die letzten Jahre noch
wichtige Einzelheiten bringt, die gerade für das Charakterbild des Meisters von
Belang sind; auch der Aufsatz Thayer's über die schottischen Lieder, sowie der
unter seiner Mitwirkung entstandene »Beethoven in Oneixendorf« in der Deutschen
Musikzeitung sind ihm unbekannt. Von Nottebohm hat er die ersten und zweiten
Beethoveniana und »Beethoven's Studien« angeführt und benutzt, während er die
beiden Schriften über die Skizzenbüeher von 1802 und 1803, von denen namentlicfa
das letztere für die Beurtheilung der Weise des Schaffens wichtig ist, nicht zu kennen
scheint. O. Jahn hatte leider nur kleine Beiträge geliefert : zu Fidelio, über die Aus-
gaben der Werke, über das Verhältniß zu Bigots, zu Amalie Sebald u. a. ; da er andere
Unbedeutendere citirt, hätte er diesen Namen an den bezeichneten Stellen nicht uner-
wähnt lassen sollen. Das Buch Gerh. v. Breuning"« »aus dem Schwarsspanierhause« ist
ihm bekannt gewesen, aber nicht so geschätzt und benutzt worden, wie es verdiente.
Der Verfasser dieser Zeilen hat vor mehreren Jahren in der Leipziger Sammlung
musikalischer Vorträge einen solchen über Beethoven veröffentlicht, der sieh im
Rahmen dieses Unternehmens hielt und Neues zu bieten nicht beanspruchte, und
dessen Kenntnißnahme er füglich dem Biographen erlassen darf; er hat aber in
demselben ausdrücklich gesagt, daß mehrere Angaben namentlich über die letzten
Lebensjahre auf Mittheilungen Thayer's beruhen, und so durfte wohl von dem Vor-
trage Kenntniß genommen, oder soUte dies doch geschehen sein, an den betreffen-
den Stellen auf ihn Bezug genommen werden. Von sonstigen Einzelbeiträgcn,
welche da und dort zerstreut vorliegen, wollen wir hier absehen.
Auf Grund jener größeren Darstellungen, namentlich Thayer^s, hat nun
Wasielewski das Lebensbild nicht ohne Geschick und Urtheil, in einfadier, von
unklarer Phantasterei freier, vielleicht mitunter zu nüchterner Darstellung zu zeichnen
unternommen. Er beginnt, wie Thayer, mit einer kurzen Darstellung des älteren
kurfürstlichen Bonn, welche er durch Angaben über das neuere Büd der Stadt
nach eigener Ortskenntniß erweitert; für seinen besonderen Zweck war das doch
weniger wesentlich. Dann geht er zu Beethoven's Kindheit, Jünglingsalter und zu
der ersten Wiener Zeit über, in allem wesentlichen dem Plane und den Angaben
Thayer's folgend; später schlägt er dann einen anderen Weg ein, wovon noch zu
reden sein wird. Kleine Ungenauigkeiten und Irrthümer begegnen schon hier
und später mehrfach. Vom Kurfürsten Clemens August soll Swinbume gesagt
haben (I, S. 9;, er habe für die Frauen mehr Geschmack gehabt wie für sein
Brevier; die Äußerung bezieht sich auf Max Friedrich (Th. I, S. 38). Der zweite
Vorgänger des Großvaters Beethoven's in der Kapellmeisterstelle hieß nicht Zudeli^
sondern Zudoli (I, S. 26); so werden auch einzelne andere Namen unrichtig ge-
schrieben. Johann van Beethoven sang nicht erst 1751 (I, S. 28), sondern schon
das Jahr vorher in der Hofkapelle (Th. II, S. 406). S. 24 widerlegt er, wie wenn
es von ihm zuerst geschähe^ die in der AUg. deutschen Musikztg. 1879 enthaltene
Angabe von einem angeblichen N. van Beethoven; er konnte wissen, daß diese
Ludwig van Beethoven von W. J. von Wasielewski. 499
Angabe von dem um die Bonner Lokalforschung verdienten Werner Hesse herrührte^
und bereits in der AUg. Mus. Ztg. 1880 (S. 481) beleuchtet und beseitigt war.
Da er S. 36 die mit dem 11 j&hrigen Knaben unternommene Kunstreise nach Holland
erwähnt, hätte auch die Vorführung des 7 jährigen in einem Konzerte zu Köln nicht
unerwähnt bleiben sollen (Th. II, S. 408). Die Aufzählung seiner Bonner Lehrer ist
nicht vollständig; die Vermuthung, der Knabe sei beim Musikunterrichte wohl
öfter zerstreut gewesen (S. 31), ist durch nichts begründet. Daß für Beethoven
noch 1794 die Rückkehr nach Bonn feststand, hätte wohl S. 71 und 77 etwas
stärker hervortreten können; es ist u. a. auch aus einem Briefe an Simroek vom
2. Aug. 1794 zu entnehmen. Wenn er die Reisen nach Prag und Berlin als die
einzigen zu künstlerischen Zwecken unternommenen darstellt (I, S. 95], so hat er
vielleicht die nach Preßburg und Pesth (Ries S. 109) als solche nicht angesehen.
Von der ersten Wiener Periode an tritt nun in dem Buche eine veränderte
Darstellung ein ; Wasielewski erzählt nicht chronologisch weiter, sondern behandelt
den biographischen Stoff in Gruppen: »Gönner und Freunde«, » Kunstgenossen «,
(warum diese beiden Abschnitte getrennt?) »Lebenslage«, »in Amors Banden« u.s. w.,
welche dann den Stoff über die ganze Lebenszeit hinweg zusammenfassen. Für
einzelne der hier behandelten Gegenstände, z. B. Beethoven's Krankheiten und Taub-
heit, seine Thätigkeit als Klavierspieler und Dirigent, ist dieser Weg angemessen ;
auch in manchen andern Punkten, wie Behandlung der Freundschaften und
Liebesneigungen/ wird es dem Kundigen ganz unterhaltend sein, die ganze Schaar
einmal in einem Überblicke vor sich vorüberziehen zu lassen; ob aber der Leser,
der sich aus dem Buche über Beethoven's Entwickelung unterrichten wiU, dem
Verfasser dankbar sein wird, bleibt fraglich. Die eigentliche Lebenserzählung hört
ja nunmehr ganz auf, das Bild der Entwickelung durch die so sehr verschiedenen
Perioden hindurch wird vollständig zerrissen, und so erreicht der Verfasser doch
den Zweck nicht, das Studium anderer Werke entbehrlich zu machen. So beginnt
der Abschnitt »Freunde und Gönner« mit den Beziehungen zur Breuning'schen
Familie, welche in die erste Jugendzeit zurückreichen, und endet mit der Freund-
schaft mit Holz, welche die letzten Jahre bezeichnet; welche Entwickelung, durch
die verschiedensten Erlebnisse getragen, liegt dazwischen! und wie kann von den
Stufen dieser Entwickelung die Beziehung zu den jedesmaligen Freunden getrennt
werden ? So wird auch in den anderen entsprechenden Abschnitten der Gegenstand,
man möchte sagen von der Geburt bis zum Tode behandelt ; und da, wie wir sehen-
werden, die einzelnen Werke wieder ganz für sich behandelt werden, so kann es
zu einem zusammenhängenden Bilde nicht kommen; man muß immer in verschiedenen
Abschnitten umhersuchen, um die Fäden für das was zusammengehört zu finden
imd zu verknüpfen. Auf Gewinnung eines anschaulichen Bildes von Beethoven's
Leben und Entwicklung ist also verzichtet.
Dies vorausgeschickt, wollen wir gern zugeben, daß die Zusammenstellungen,
wie sie Wasielewski giebt, nicht ohne Fleiß und Geschick gemacht sind. Neues
lernen wir nicht; Auszüge aus Briefen und anderen Darstellungen werden zahl-
reich eingestreut; daneben aber auch mancherlei Betrachtungen eingefügt, welche
auf das richtige Verständniß des Charakters unseres Künstlers hinzielen. Diese
sind nicht selten beachtenswerth und treffend, und es freut uns, die warme Ver-
ehrung für den Künstler überall als leitend zu erkennen. Aber es muß hier doch
ausgesprochen werden, daß in der Beurtheilung der vorhandenen Mittheilungen
nicht selten die Grenzen, welche der biographischen Darstellung gesetzt sind, über-
schritten werden, was wir bei dem Schriftsteller, der in der Mittheilung des That-
^ Monatschr. für rhein. westf. Geschichtsforschung V, S. 200.
1888. 34
500 Kritiken und Referate.
sächlichen nicht als Selbstforscher auftritt, für doppelt bedenklich erklären müssen.
So sucht Wasielewski I, S. 195 den Vorwurf der Selbstsucht von Beethoven abzu-
wenden ; Leute, welche ihm unbequeme Geschäfte besorgten, seien durch den Vor-
zug seines Umgangs entschädigt worden. Auch den Vorwurf des Hochmuihs suclit
er von ihm abzuwehren. Verbürgt ist Beethoven's Wort über Personen, die ihm
nahe standen : »ich taxire sie nach dem was sie mir leisten, betrachte sie als Instra-
mente, auf denen ich wenn's mir gefällt spiele«; verbürgt ebenso, daß er manche
seiner Genossen wirklich so behandelte; verbürgt endlich, daß wo einmal einer gegen
solche Behandlung sich empörte , Beethoven — was seinen tieferen Charakter ja
nur ehren kann — sein Unrecht einzugestehen bereit war. Es muß auch Wasie-
lewski gegenüber entschieden dagegen protestirt werden, daß ein Künstler, und
auch der größte, in seinem menschlichen Verhalten einem anderen Maßstabe wie
dem allgemein menschlichen und sittlichen unterliege; diesen legen wir bei unseren
großen Dichtem und Schriftstellern überall an und können auch beim Tonkünsller
keine Ausnahme gelten lassen. Trotz des Einspruchs, den Wasielewski 11, S. 6S
gegen Thayer erheben zu wollen scheint, bleibt es des letzteren Verdienst, den
Menschen Beethoven, wie er sich unter dem Einflüsse seiner Erziehung und seines
körperlichen Leidens entwickelte, yorurtheilsfrei gezeichnet zu haben, und vir
können dem Verfasser, der selbst in allem Thatsächlichen in Th&jer's Spuren
wandelt, nicht das Recht zuerkennen, auf Grund allgemeiner Betrachtungen das
auf urkundlich erforschte Thatsachen begründete Charakterbild anzuzweifeln. Wir
nehmen keinen Anstoß an Scherzen, die sich Beethoven gegen Zmeskall u. a. ge-
stattete, und dieselben bedürfen der Rechtfertigung nicht (I, S. 162) ; aber wer das
Verfahren gegen Ries bei der Frage des Kasseler Rufes und so manche andere
Ausbrüche unüberlegter und verletzender Heftigkeit entschuldigen will, wird auch
dem Helden seiner Darstellung im höheren Sinne nicht gerecht. Wir meinen» es
muß in Beethoven's Biographie, wenn das BUd ein wahres sein soll, ausgesprochen
werden, daß ihm in Folge seiner Erziehung und seines hohen Selbstbewußtseins,
dann auch seines Leidens, das feinere Taktgefühl im Verkehr mit anderen fehlte,
daß er zu fortgesetzter strenger Selbstbeherrschung eine innere Aufforderung nieht
fühlte; wir wissen, daß er dies oft selbst anerkannt hat, wenn er erkannte Ver-
fehlungen mitunter mehr wie nöthig bereute, und freuen uns des hierin immer
wieder hervorbrechenden edlen Grundzuges seiner Gesinnung.
Unter die gleiche Betrachtung fällt vieles von dem, was Wasielewski in dem
Abschnitte i>der Generalissimus in Donner und Blitz«, besonders aber in dem über
die »äußere Lebenslage« sagt. Auch hier hatte der Verfasser, ehe er Beethoven's
Verhalten zu rechtfertigen suchte, überall die Pflicht, die Thatsachen nicht bloß
kennen zu lernen, sondern objektiv als solche anzuschauen. Wir wollen nieht
darüber rechten, ob das von den drei Fürsten ihm ausgesetzte Gehalt ein Gnaden-
geschenk war oder nicht (II, S. 111); daß aber die Verhandlungen mit den eng-
lischen Verlegern, was die pekuniäre Seite betrifit, Beethoven nicht gerade in
günstiges Licht setzen, ergeben die Thatsachen unumstößlich. Was er vollends
über das Verhältniß zu dem Verleger Steiner (U, S. 137) sagt, ist eine so ekla-
tante Beschönigung von Beethoven's illoyalem Verfahren, daß man auch hier nur
mangelhafte Kenntniß der Thatsachen als Entschuldigung anführen kann. Beethoven
schuldete demselben eine hohe Summe (etwa 3000 Gulden), die ihm für künftig zu
schreibende Werke vorgestreckt war; Steiner hatte den Meister, wie Wasielewski
behauptet, hierdurch »von sich abhängig zu machen gewußt«. Diese durch nichts
bewiesene und zu beweisende Deutung des einfachen Umstandes, daß diese Schuld
bestand, ist wohl durch Schindler's Darstellung (II, S. 41) hervorgerufen, der eben
nur die Thatsache dieser Abhängigkeit betont ; daß sie ein raffinirter Plan Steiner^s
gewesen, dieser Gedanke gehört Wasielewski an. Beethoven selbst hatte jedenfalls
Ludwig van Beethoven von W. J. von Wasielewski. 501
des Verfassers Entschuldigung nicht in Anspruch genommen ; er hat sehr wohl das
Unrecht gefühlt, welches darin lag, daß er trotzdem neue Werke vor Abtragung
dieser Schuld andern Verlegern gab (Schindler a. a. O.). Und warum verschweigt
Wasielewski in diesem Zusammenhange, daß Beethoven ein kleines Vermögen er-
spart hatte (IT, S. 115 kurz erwähnt] und zu den vielen Klagen wegen seiner Be-
drängnisse eigentlich gar .keine Veranlassung vorlag? Auch die Verhandlungen
mit dem Fürsten Galitsin wegen der letzten Quartette werden (II, S. 132) ganz un-
richtig und ohne genaue Kenntniß des Sachverhaltes, unter einseitiger Anlehnung
an Schindler, dargestellt. Alle diese Dinge bilden, wie Schreiber dieser Zeilen sich
früher ausdrückte, ein trübes Blatt in Beethoven's Geschichte, welches, wer ihn ganz
begreifen will, nicht übersehen kann. Will es der Biograph, der für weitere Kreise
schreibt, übergehen oder nur kurz berühren, so wollen wir ihm das überlassen;
auch mag es angemessen scheinen, die Thatsachen einfach hinzustellen und dem
l^eser das Urtheil zu übeiiassen; aber dieses Urtheil durch willkürliche Zusammen-
Tückung und Deutung der Thatsachen zu präoccupiren und so dem Leser ein ge-
färbtes Bild zu geben, das ist es, wogegen auch der Beethovenverehrer sich ver-
wahren muß; auch die höchste Verehrung darf den höchsten Grundsatz der histo-
rischen Darstellung, objektive Wahrheit, nicht außer Augen setzen. Für ihn kann
es auch kein Bedenken haben, alle Züge zu dem Bilde zusammenzustellen, welches
aus dem Ganzen betrachtet inuner ein erhebendes und rührendes bleibt.
Koch manches Einzelne würde in dem biographischen Theile zu erinnern sein.
Das offenbare Versehen bei Thayer fll, S. 62} bezüglich des Alters des Grafen
Brunswick hätte der Verfasser wohl erkennen können (I, S. 165); Beethoven wird
iirohl nicht dem 7 jährigen Knaben die FmoU-Sonate gewidmet und ihm als Freund
geschrieben haben (Th. III, S. 11). Daß Förster zu den Wiener Musikern ge-
hörte, die Beethoven am nächsten standen, ist nicht recht beglaubigt; wir stimmen
aber dem Verfasser bei, wenn er bezweifelt, daß Beethoven bei demselben die
Quartettkomposition noch besonders studirt habe. Über Schubert sagte Beethoven,
«s lebe in ihm »der göttliche Funke« (Schindler S. 136), was in Beethoven's Munde
ausdrucksvoller klingt, als »ein göttlicher Funke«, wie Wasielewski citirt. Den Einfluß,
vrelchen K. Holz zeitweise über Beethoven in nicht erfreulicher Weise gewann, hat
Wasielewski (I, S. 199) nicht hinlänglich gewürdigt S. 127 Anm. wird gesagt,
Hossini habe Beethoven's persönliche Bekanntschaft zu machen gewünscht, dieser
sei aber für ihn »nicht zu haben« gewesen. Wasielewski hätte wissen können, daß
Bossini den Meister besucht hat und von ihm freundlich aufgenommen worden ist.
In dem Abschnitte über Beethoven's Brüder (II, S. 209 fg.), welcher auf die gewöhn-
lichen Darstellungen gegründet ist, wird Bekanntschaft mit Thayer's »kritischem
Beitrage« vermißt, so daß dem Verhältnisse zu dem jüngeren Bruder Johann
wesentliche Züge fehlen. Daß der Neffe Karl schließlich auf bessere Wege ge-
kommen, hätte doch (II, S. 231) gegenüber dem allerdings sehr ungünstigen Bilde
von seiner Jugend nicht unterdrückt werden sollen ; die Angabe über dessen Nach-
kommen an derselben Stelle ist unrichtig (vgl. Breuning a. a. O. S. 127). Die ganze
Lebensweise in Wien, namentlich die Unterbrechung durch die verschiedenen Land-
aufenthalte, tritt durch die vom Verfasser gewählte gruppirende Darstellungsweise
nicht in ihr rechtes Licht; auch was über die äußere Erscheinung und Lebensweise
beigebracht wird, (II, S. 144) hätte noch durch manche Züge verständlicher ge-
macht werden können. Der Abschnitt »in Amors Banden« (S. 146 fg.) ist auf die
vorhandenen Darstellungen nicht ohne Geschick aufgebaut; daß aber zartere
Kegungen auch durch Schiller's Lied an die Freude mit erweckt wurden (S. 146),
ist doch eine seltsame Annahme. Die Cismoll- Sonate ist nicht, wie Wasielewski
nach landläufiger Annahme angiebt (S. 150), Ausfluß seines Verhältnisses zu Julie
Ouicciardi; daß das Fmoll- Quartett unter dem Eindrucke dar Liebe zur Gräfin
502 Kritiken und Referate.
Brunswick, der » Liederkreis « unter dem der Liebe zu Amalie Sebald stand^ wird
richtig bemerkt und war schon von anderen gesagt worden. Den Worten über
Beethoven's sittliche Grundsätze (II, S. 153} kann man eine gewisse Vorsicht nicht
absprechen, gewinnt aber nicht die Überzeugung, daß dem Verfasser die einschla-
genden thatsächlichen Verhältnisse genau bekannt sind. Auch die Angabe, daß
Beethoven vorwiegend zum Ernst und leicht auch zur Schwermuth geneigt habe,
hält vor den Thatsachen nicht stand; Beethoven war oft durch Lebensschicksale
und Verdrießlichkeiten gedrückt, und beim Schaffen ist der Künstler gewiß gehoben
und ernst; der Grundzug seines Wesens aber war ein heiterer und zu Seherxen
geneigter, worüber die Beethovenforscher (Thayer krit. Beitrag S. 45) nicht in
Zweifel sind.^ Zu bedauern bleibt endlich, daß Wasielewski nach früherer Dar-
stellung (NoM III, S. 783) die Worte Beethoven's vor seinem Tode : Plaudite amici,
comoedia finita est, mit dem Empfange der Sterbesakramente in Zusammenhang
bringt (II, S. 294] und dem Meister so am Schlüsse seines Daseins eine Leicht-
fertigkeit imputirt, die nun ganz außerhalb seines Wesens lag. Biet hätte ihn
Breuning's Darstellung (aus dem Schwarzspanierhause S. 104) eines besseren be-
lehren sollen. —
Wir kommen zu dem musikalischen Theile, auf den der Verfasser jedenfalls
größeren Werth legt und wo er sich als Musiker natürlich selbständiger fühlt. \llr
erwarten mit Recht, daß der gebildete Künstler, durch Studium mit -den Formen
und Voraussetzungen des Kunstwerks und durch Hören, Leiten, Ausüben mit den
Werken Beethoven's vertraut, uns in seinen Bemerkungen über dieselben viel
Anregendes und Treffendes bieten wird, und finden uns hierin auch nicht getäuscht.
Auf diesem Gebiete ist der kunstverständige Schriftsteller heutzutage noch ziem-
lich auf sich selbst angewiesen und wir sehen auch Wasielewski kaum auf Vor-
gänger Bezug nehmen. Von den Mittheilungen Nottebohm's hat er, wie bereits
bemerkt, eifrig Gebrauch gemacht; auch Marx, der in seinem Beethoven eigent-
lich kein wesentlich verschiedenes Ziel verfolgt, wird erwähnt und ihm verdankt
der Verfasser jedenfalls vielfache Anregung. Von kleineren, in ihrem Werthe
ziemlich verschiedenartigen Beiträgen, wie Eiterlein über die Sonaten und Sym-
phonien, Alberti über den Fidelio, Heimsöth über die Missa solemnü, Hinrichs
über die Lieder (A. M. Z. 1865 Nr. 1 fg.)> S. Bagge über die letzten Quartette
(Deutsche M. Ztg. 1862) u. s. w., hat er wohl kaum Notiz genommen.
Wenn wir auch in diesem Theile vielfach Bedenken bei der Lektüre nicht
unterdrücken konnten, so finden wir uns hier zu unserem Erstaunen in dem um-
gekehrten Falle, wie bei der biographischen Abtheilung: wir haben hier nicht
mehr optimistische Deutungen von Thatsachen abzulehnen, sondern einer Neigung,
Beethoven's Bedeutung und Leistungen der allgemeinen Anjdcht gegenüber einzu-
schränken, zu begegnen.
BUdung und Studien des Meisters stellt er nach den bekannten Quellen im
ganzen richtig dar; in einzelnen Punkten hätte der Ernst und der Erfolg der-
selben nachdrücklicher betont werden können. Daß er bei dem ersten Unterrichte
zuweilen zerstreut gewesen, daß er über theoretisches Studium geringschätzig gedacht
habe (I. S. 38), sind Vermuthungen , welche nicht durch Thatsachen begründet
werden können. In Bonn konnte ihm nicht alles geboten werden, dessen er zu
seiner vollen Durchbildung bedurfte; eben darum ging er nach Wien, und trieb
hier das theoretische Studium mit Ernst und Fleiß. Das hat auch Wasielewski,
der hier Nottebohm folgt (I. S. 84), nicht verkannt, ebensowenig, daß selbst ein
Lehrer wie Albrechtsberger der Leitung dieses Genius nicht gewachsen war. Wir
stimmen daher auch nicht in das Bedauern ein, daß der Unterricht bei demselben
» Vgl. auch Frimmel, N. Beeth. S. 149.
Ludwig van Beethoven von AV. J. von Wasielewski. b03
vor völliger Beendigung abgebrochen wurde, möchten es vielmehr stark hervor-
heben, daß der 22 jährige Jüngling, der seine hohe Begabung bereits dokumentirt
hatte und auch nicht ohne Vorbildung nach Wien kam, noch über 2 Jahre, wie
die vorhandenen Übungen zeigen, mit anhaltendem Fleiß theoretischen Studien
sich hingegeben hat. Daß in Materien, welche auch der nicht produktiv Begabte
in nicht langer Zeit durch Fleiß erlernen kann, der Genius die Herrschaft schneller
gewinnt, wird Wasielewski gewiß zugeben; sagt er doch selbst: »Genies lernen
im Fluge, was andern viel Mühe und Anstrengung kostet« (I. S. 47j ; und wir
haben ii den Werken — man nehme aus früherer Zeit den 2. Satz des CmoU-
Quartetts Op. 18 oder den Trauermarsch der Eroica — hinl&ngliche Zeugnisse, daß
er diese Herrschaft erworben, mit den technischen Voraussetzungen ausgerüstet war,
deren er zur künstlerischen Darstellung seiner Ideen bedurfte. Dieselben be-
vreisen auch — was übrigens auch sonstige Zeugnisse klar legen — daß Beet-
hoven auf der erworbenen Grundlage selbständig weiter gearbeitet hat, und wir
können nicht einstimmen, wenn Wasielewski II. S. 267 sagt, die fugirte Schreib-
weise sei nicht Beethoven^s stärkste Seite gewesen» was doch wohl einen Tadel
bedeuten soll. Wir beziehen uns auch hier auf Nottebohm, welcher seine Be-
trachtungen (Beeth. Studien S. 201) so schließt: »Beethoven hat auf dem Grunde
seines erworbenen und ererbten Besitzes weiter gebaut. Er hat die überkom-
menen Formen und Ausdrucksmittel in sich verarbeitet, fremde Einflüsse allmäh-
lich ausgeschieden und, dem Drange seiner subjektiven, aufs Ideale gerichteten
Natur folgend, sich einen eigenthümlichen Stil geschaffen«. Daß auch Salieri's
Unterweisung fruchtbringend war, daß Beethoven nicht blos gut deklamiren,
sondern auch sangbar schreiben lernte, darüber nehmen wir ebenfalls auf Notte-
bohm Bezug; es ist ja auch bekannt, wie eifrig er sich stets um Ausdruck und
Prosodie der Worte bemühte. Kurz: es war Beethoven ernstlich um gründlichen
und guten Unterricht zu thun, er hat denselben benutzt, er hat das Empfangene
durch Selbststudium erweitert und für sein eigenes Schaffen verwerthet. Wir
möchten glauben, daß Wasielewski diesem Resultate zustimmen wird.
Zu den Werken selbst übergehend, will Wasielewski die vielfach angenom-
menen drei Schaffensperioden nicht streng scheiden. Er spricht aber doch von dem
entschiedenen Einfluß Mozart's in den ersten Werken — dessen Grenzen er viel-
leicht noch etwas bestimmter nachgehen konnte — , von der neuen Bahn, welche
mit der Eroica beschritten wurde, und betont auch entschieden [Bd. II. S. 263,
270; die besondere Stellung der Werke aus der letzten Zeit. Daß in allen Perio-
den Werke rascherer Konzeption entstanden, die in eine frühere Zeit passen würden,
ändert an der Hauptsache nichts ; auch unterscheidet sich das Es dur-Konzert und
FmoU-Quartett (S. IX) sehr wesentlich von der '9. Symphonie und den letzten
Quartetten ; wir wollen daher nur konstatiren, daß Wasielewski ebenso wie andere
die drei Perioden thatsächlich anerkennt, nur vielleicht hinsichtlich des Beginnes
der dritten von anderen abweicht.
Bei der Besprechung des Schaffens im einzelnen hat der Verfasser wiederum
den Weg eingeschlagen, Ghruppen zu bilden und innerhalb dieser die Werke zu
beschreiben oder, wo es kleinere betrifft, aufzuzählen. Diese Gruppen sind im
1. Bande: Klavier- und Kammermusikwerke 1 ; Symphonien 1 — 3; Fidelio; Klavier-
und Kammermusikwerke 2 ; im 2. : Konzerte und Konzertstücke ; Ouvertüren und
cyklische Kompositionen; Lieder, Gesänge und einzelne Chorsätze; Werke für
Chor- und Sologesang mit Orchester; Symphonien 4 — 9; Klavier und Kammer-
musikwerke 3. Solche übersichtliche Behandlung ist bequem für den, welcher die
Entwicklung des Menschen und Künstlers genau kennt und im Gedächtnisse hat ;
für andere ist aber damit die Gefahr verbunden, die auch Wasielewski nicht ver-
mieden hat, daß ein klares Bild auch der künstlerischen Entwicklung nicht zu
504 Kritiken und Referate.
Stande kommt. Der Meister schafft nicht gruppenweise, das einzelne Werk ist
Ausfluß der jeweiligen Anregung, hängt mit jeweiligen Lebensereignissen zusam-
men und ist ein Glied der Entwicklung , wer diese darstellen will, kann nicht wohl
Werke, die zu verschiedenen Zeiten und unter verschiedenen Voraussetzungen entstan-
den sind, zusammenfassen und so aus dem organischen Zusammenhang lösen. Als
Muster konnte hier dem Verfasser Jahn's Mozart dienen, welcher mit wunderbarem
Geschick beiden Voraussetzungen gerecht wird, und immer uns die Anschauung des
Wachsthums des Künstlers gegenwärtig hält. Wasielewski dagegen betrachtet
und bespricht die Werke eigentlich nur in ihrer Vereinzelung, bespricht sie als
einzeln ihm vorliegende, und der Standpunkt, auf welchem Entwicklung und Stil
des Künstlers gerade steht, verschwindet meist vor unseren Augen. So stehen
z. B. das Streichtrio Op. 3 und das Septett Dp. 20 in der Zeit ziemlich weit von
einander, in die Zwischenzeit fallen vielfache Studien und Übungen, und doch
werden sie hier g^nz nahe zusammengerückt. Wie weit stehen die beiden ersten
Konzerte und das in Es dur von einander ab ! sie werden in demselben Abschnitte
behandelt. Am auffallendsten aber und ganz unbegreiflich ist, daß er die Trauer-
kantate auf Kaiser Josephs Tod, das Werk des 19jährigen Jünglings, spfit im
2. Bande unter den Chorkompositionen bespricht, in demselben Abschnitte mit
der MisBa solemnis. Jenes Werk haben wir jetzt, da es uns glücklicher Zufall
wieder gegeben hat, als den Höhepunkt seines Bonner Schaffens zu erkennen;
aus ihm ist die Art seines Talentes, seiner Vorbilder, und die Stufe die er damals
erreicht hatte, zu entwickeln; es durfte von der Betrachtung der frühesten Stu-
dien und der ersten Werke nicht getrennt werden. Überhaupt werden die Werke
der frühesten Zeit, darunter z. B. die schönen Variationen über Vieni amore^ die
Klavierquartette, nur sehr kurz abgethan; daß sie unter Mozart's Einfluß stehen,
genügt doch nicht und ist auch nicht neu.
Daß Wasielewski bei den Instrumentalwerken gelegentlich auf die ursprung-
lichen Instrumentalformen des 16. und 17. Jahrhunderts zurückgeht, ist eiji An-
klang an seine eigenen verdienstlichen Forschungen über jene Zeit, ist aber im
vorliegenden Zusammenhange wohl unnöthige Gelehrsamkeit; bei der Oper und
den Messen unterläßt er das Entsprechende auch. Jene Anfänge lagen weit zu-
rück und haben für die Beurtheilung Beethoven's gar keine Bedeutung, welcher
die Sonate durch Em. Bach, Haydn und Mozart ausgebildet vorfand und von ihnen
überkam. Über die Art, wie er diese Form selbständig weiter ausbildete, seine
Behandlung des Scherzo im Anschluß an Haydn, die Zufügung der Coda, die
kunstvolle Behandlung des Durchführungssatzes, die höhere Bedeutung des
Finale, dann femer die Individualisirung der Orchesterinstrumente (I S. S6), die
neue kühne Melodiebildung, die neue sorgfältige Art der dynamischen Bezeichnun-
gen wird viel Richtiges beigebracht; dem eigentlich Individuellen in Beethoven's
Kunst und Arbeiten nachzugehen, hat wie überall seine Schwierigkeit, die wir
auch in Wasielewski's Bemühungen nicht verkennen. Ober das Skizziren und
langsame Arbeiten finden wir einmal eine Bemerkung (I, 65), aber das reiche Ma-
terial, was uns Nottebohm zur genaueren Erkenntniß von Beethoven's Arbeitsweise,
der Strenge seiner Selbstkritik, des seltenen Vereins von Reflexion und Phantasie
(Skizzenbuch von 1803, S. 54} geboten hat, ist bei weitem nicht genügend aus-
genutzt. Wenn er die Bezeichnung des »Tondichters« für Beethoven gelten läßt
und die tieferen Absichten des Meisters in vielen seiner Analysen nicht ohne
Glück aufzudecken sucht, so dürfen wir wohl annehmen, daß er mit dem Ausdrucke
der Vorrede : Beethoven habe gezeigt, daß die Tonkunst poetische Ideen »symbolisch-
ausdrücken könne, nichts jenem Widersprechendes habe sagen, sondern nur die
Darstellung der künstlerischen Idee durch das Kunstmittel habe bezeichnen wollen.
Ludwig van Beethoven von W. J. von Wasielewski. 5Q5
Pindet er ja auch in der Schlußbetrachtung »die tiefsten Mysterien des Seelen-
lebens« von dem Meister ausgesprochen.
Ein durchschlagendes Prinzip glaubt freilich Wasielewski für die Beurthei-
lung von Beethoven's Schaffen gefunden zu haben und kommt darauf wiederholt
zurück, indem er als besonders ihm eigenes Kunst^ebiet die Instrumentalmusik
bezeichnet und ihn den Vollender derselben nennt. Daß Beethoven dieser Kuhm
gebührt, ist oft gesagt und zweifellos. Wenn aber hierdurch etwas anderen Gat-
tungen g^enüber Ausschließendes gesagt sein soll, können wir denn doch
unsere Bedenken nicht unterdrücken. Wasielewski will Beethoven schon von
früh an ein spezifisches Talent für Instrumentalmusik zuschreiben, er spricht von
einem »instrumentalen« Denken und Empfinden desselben (II, S. 167) ; dieses Talent
sei gleich von früher Jugend an hervorgetreten und z. B. von Haydn nicht
richtig erkannt worden. Diese Behauptung halten wir für eine ganz willkürliche
und auch historisch unrichtige. Ein solches spezifisches Talent giebt es unserer An-
sicht nach überhaupt nicht, und man hat sich hier vor der Verwechslung zu hüten,
eine vielleicht später auf Grund von Studien und Erlebnissen vorherrschend
-gewordene Neigung ah im besonderen Talente ruhend zu betrachten. Gäbe es
aber auch ein solches spezifisches Talent, so müßte es doch auch die früheste
naiv auftretende Neigung beherrscht haben. Soll ja sogar das erste von Beet-
hoven komponirte Werk eine Kantate gewesen sein (Thayer I, S. 115, der freilich
Bedenken äußert); mehrere Lieder gehören seiner 'Knaben- und Jünglingszeit an,
und den Höhepunkt seiner Jugendarbeiten bezeichnet die Trauerkantate auf Kaiser
Joseph, welche die in Bonn geschriebenen Instrumentalsachen weit überragt! Und
wollte nicht Beethoven schon in Bonn Schiller's Lied »an die Freude^, »und zwar
jede Strophe« komponiren? Wo bleibt da das »spezifisch instrumentale« Talent?
Wir halten aber dieses Hinübertragen des Unterschiedes von Vokal- und In-
strumentalmusik in die Seele und Schöpferkraft des schaffenden Künstlers über-
haupt für ästhetisch unhaltbar. Musik ist hier wie dort Musik, Aussprache des
inneren Seelenlebens durch die gegebenen Mittel der Tonwelt und Tonformen ; der
tiefere Quell, aus welchem der Künstler schöpft, ist derselbe, mag er sich bei der
Aussprache an das Wort anlehnen — w*elches ja zunächst dem Gedanken dient —
oder das Mittel des Tones allein verwenden. Durch Beethoven sind wir allerdings
mehr wie durch einen Meister vor ihm über den Standpunkt hinausgerückt, als
sei die Instrumentalmusik ein bloßes Spiel, welches ohne Worte nichts zu sagen
vermöge ; wir haben durch ihn gelernt, für das was uns Musik im tiefsten Grunde
enthüllt, die Unterscheidung nach dem Mittel als äußerlich anzusehen, da für den
Künstler ein Unterschied dessen was er ausdrücken oder nachahmen will, "bei
beiden Gattungen nicht besteht. So haben denn auch unsere großen Meister der
neuem Epoche, seitdem es eine Instrumentalmusik giebt, mit gleicher Liebe für
beide Gattungen geschrieben ; sind sie in beiden Fällen vielleicht andere gewesen ?
und ist vielleicht das grundlegende Element unserer entwickelten Tonkunst, die Melodie ^
d. h. die harmonisch und rhythmisch gegliederte und begrenzte Tonfolge, in ihrer
musikalischen Wirkung eine innerlich andere, ob sie gesungen oder gespielt wird?
Soweit Klang und Natur des speziellen musikalischen Tonmittels auf Behand-
lung und Wirkung derselben Einfluß übt, muß der Komponist natürlich die
Natur dieses Mittels kennen. Wer für Violine Klavierpassagen , fürs Klavier lang
auszuhaltende Töne setzt, von dem wird man sagen, daß er sein Instrument nicht
gekannt habe. Wer also für Gesang schreibt, muß wissen und empfinden, wie
weit der Umfang der Stimme geht, was dieselbe um wohlklingend zu bleiben aus-
führen kann, welche Ton- und Akkordfolgen für sie wirksam und ausführbar sind ; er
muß femer den Sinn und die Betonung der Worte kennen, welche ihm den Impuls zum
musikalischen Schaffen geben. Wort und Vers bringen überdies meist schon ein.
506 Kritiken und Referate.
musikalisches Element, den Rhythmus, mit. Selbst daran haben sich auch die
größten Meister nicht immer gebunden ; die weitere Gestaltung aber folgt nur mu-
sikalischen Gesetzen, bei denen obige Grundsätze maßgebend bleiben. Dies sind
nun aber alles Dinge, die mit der musikalischen Phantasie und Erfindungskraft
an sich nichts zu thun haben, auch wo sie dieselbe anregen und binden ; sie müssen
und können erlernt werden.
Und dies sollte Beethoven nicht gelernt haben? ein Künstler Ton solchem
Ernste, solcher Energie des WoUens, der zudem in allen Perioden seines Schaffens
aus innerer Neigung auch der Vokalmusik zugewandt war, sollte jene Voraus-
setzungen sich anzueignen nicht sich bemüht haben? sowohl Zeugnisse wie die
Werke selbst widerlegen das. Beethoven hat sich früh dem Gesanglichen mit Er-
folg zugewandt) und mit welchem richtigen Blick und Erfolg, zeigt das schöne,
auch gesanglich schöne Mittelstück der Trauerkantate, Er hat durch seine Stel-
lung in Bonn Opern und kirchliche Kompositionen in ausgedehntem Maße keimen
gelernt. Er hat bei Salieri mit Erfolg Studien in der Gesangkomposition gemacht und
sie auch später, wie die vorhandenen Übungen zeigen, eifrig fortgesetzt. Aus Skixsen
lernen wir, wie er auf richtige Betonung Werth legte, und aus den Werken selbst, wie
trefflich sie ihm so vielfach gelungen ist Und sollen wir hier die Reihe der Gesangs-
kompositionen aufzählen, denen auch Wasielewski Wirkung und Sangbarkeit nicht
abspricht? Ist z. B. die Adelaide, abgesehen von ihrer musikalischen Vollkommen-
heit, nicht auch durch ihre Dankbarkeit für den Sänger so populär geworden?
gilt nicht das gleiche Lob auch für den Liederkreis an die entfernte Geliebte? <
Wird gegen die gesangliche Wirkung der Fideliochöre, der Cdur-Messe — mag
letztere auch musikalisch anderen Werken des Meisters nicht gleichstehen — etwas
einzuwenden sein? von andern Chorwerken, insbesondere der großen Messe gar
nicht zu sprechen. Der Tadel knüpft sich hier und sonst vorzugsweise an gewisse
Stellen des Schlußchors der 9. Symphonie und der großen Messe, die schwer aus-
zuführen — nicht unausführbar — sind, und bei denen der kritische Hörer mit
mehr oder weniger Recht fragen mag, ob Beethoven bei völliger Herrschaft CLber
sein Gehörvermögen so geschrieben haben würde, oder ob er die Forderung, daß
die Stimmen sich seiner poetischen Idee anbequemten, nicht zu rücksichtslos ge-
stellt habe. Aber berechtigt das zu dem harten und durchaus unbewiesenen
Urtheile, Beethoven sei mit den Bedingungen des Vokalsatzes nicht vertraut ge-
wesen? (II S. 201). Was ist Vokalsatz? sollen damit die allgemeinen, schon
oben erwähnten Grundsätze gemeint sein, so müssen wir es für unhaltbar erkennen,
die Kenntniß dieser Dinge Beethoven absprechen zu wollen. Sind aber die von
der älteren Theorie aufgestellten und von den Komponisten vor Beethoven be-
obachteten Gesetze verstanden; nun, w^as war es denn, was er bei Haydn und
Albrechtsberger eifrig studirt hat? war das etwa nicht »Vokalsatz «? und sollte
Beethoven, der sich immer auch zur Vokalkomposition angetrieben fühlte, durch
eine angebliche besondere Art seines Talentes behindert gewesen sein, sich eine
Fertigkeit anzueignen, die auch der nicht produktive Musikschüler durch Anlei-
tung und Fleiß erlernen kann? Zudem unterliegen auch diese Vorschriften der
historischen Entwicklung; wie bei den Instrumenten Technik und Ausführbarkeit
von Schwierigkeiten den Fortschritt zulassen, so lernen auch Stimmen und Chöre
durch die Weiterentwicklung der Kunst bei fortgesetzter Schulung und Übung
manches ausführen, was früher unmöglich schien; ja auch das Gehör bleibt, wo
die Kunst selbst weiterschreitet, nicht stehen, und wenn ganze Gebiete, wie Chro-
matik und Enharmonik, im Anfange der Gesangmusik verschlossen waren, der freie
Eintritt dissonirender Intervalle und manche melodische Folgen als übelklingend
1 Vgl. Schindler II 81 und die dort erwähnte Kritik des Liederkreises.
Ludwig van Beethoven von W. J. von Wasielewski. 5Q7
galten, so hört eme spätere Generation eben anders, und gerade Meister wie
Mozart und Beethoven sind berechtigt, hier das Signal zu Umgestaltungen zu
geben. Wir fürchten, das Wort Vokalsatz gehört in diesem Zusammenhange zu
den Worten, die zur rechten Zeit sich einstellen, wo der klare Begriff fehlt. Wenn
Beethoven in seinen letzten Sonaten, wie man zugeben kann, die Wirkung des
Klanges nicht immer richtig taxirte (II, S. 269), wenn er für das Violoncell Fassagen
schrieb, welche der bewährte Spieler als nicht in der Hand liegend bezeichnete
(»muß liegen« antwortet Beethoven, Thayer II, S. 53), so liegt die Erklärung nach
dem oben Erwähnten nicht fem; wer aber wird nun sagen, er habe den Klavier-
satz, den Yioloncellsatz nicht gekannt?
Was Wasielewski sagt, ist übrigens auch so ganz neu nicht; Marx hat es
bereits in ganz entsprechender Weise gesagt, nur mit anderem Hintergrunde; er
kam nicht auf den Gedanken, ein Unvermögen des Meisters anzunehmen, sondern
Willen und besondere Richtung, die sich während seines Schaffens und zugleich
unter dem Einflüsse seiner Taubheit entwickelt hatte, und damit stehen wir auf
einem ganz anderen Standpunkte, dem wir auch für gewisse Perioden die Berech-
tigung nicht absprechen wollen, wenn nur auch hier nicht Kuweit gegangen wird.
Andere Gesichtspunkte, welche gewisse Abnormitäten in den beiden letzten großen
Werken erklären, mag man bei Schindler nachlesen. Wir wollen in diesem Zu-
sammenhange nur noch eines größeren Werkes erwähnen, welches bei Wasielewski
nur mit kurzer biographischer Erwähnung (II, S. 176) und ohne jede nähere Be-
sprechung abgethan wird: der Kantate »der glorreiche Augenblick« mit ihren
kräftigen und vollklingenden — wir meinen auch geschickt gesetzten — Chören.
Mag auch dieses Werk in der Schätzung Wasielewski's und anderer minder hoch
stehen ; jedenfalls bezeugt gerade diese schnell konzipirte und ausgeführte Arbeit,
daß Beethoven auch auf dem vokalen Gebiete die Mittel seiner Kunst völlig be-
herrschte. Übrigens bedauert Wasielewski selbst (II, 187), daß die Absicht Beet-
hoven's, ein Oratorium zu schreiben, nicht zur Ausführung kam ; »denn was Beet-^
hoven auf der Höhe seines Schaffens im Oratorium hätte leisten können, zeigt
die zweite seiner Messen*. Dann ist also manches, was er über sein »spezifisches«
Talent sagt, nicht so tragisch zu nehmen*
Mag also Einfluß des Gehörleidens, zeitweilige ausschließliche Hingabe an
die instrumentale Komposition, vielleicht auch Willkür und Rücksichtslosigkeit
einzelne auffallende Erscheinungen späterer Werke, und nicht blos vokaler,
erklären — : daß aber aus der Anlage, der Natur und der technischen Ausbildung
unseres Meisters eine Beschränkung bezüglich des vokalen Gebietes hergeleitet
werden soll, dagegen muß, glauben wir, im Interesse einer gerechten Würdigung
Beethoven' s Verwahrung eingelegt werden.
Gut ist übrigens, was II, S. 268 fg. über den Einfluß der Taubheit Beethoven's
auf sein späteres Schaffen gesagt wird. Daß hierdurch das innere Gestalten nicht
beeinträchtigt, sondern eher vertieft war, hatten auch andere (Thayer) hervorge-
hoben; daß aber Beethoven in besseren Zeiten nach dem Hören seiner Werke
noch manches korrigirte, und hierzu später nicht mehr im Stande war, hebt
unsers Erinnems Wasielewski zum erstenmal hervor.
Über das einzelne möchten wir nun, da wir bisher ziemlich ausführlich waren,
uns kurz fassen. Wasielewski fühlt die Schwierigkeit, die Musik zu erklären und
auszulegen, versucht dies, wie er sagt, auf seine Weise, will sich aber mehren-
theils »auf gleichnißartige Andeutungen« beschränken. Vorzugsweise geht er dem
Stinmiungsgehalte und seiner Entwicklung, unter Hinweisung auf die Motive und
Abschnitte der Sätze, nach, und weiß hier, am meisten bei den Symphonien, die
ihm bis ins einzelnste vertraut sind, vielfach treffend zu schildern und anzuregen ;
auch wo er sich kürzer faßt, liest man nicht ungern, was der gebildete und ver-
508 Kritiken und Referate.
ständnißbegabte Musiker unter dem Eindrucke der Werke schreibt, wenn es auch
meist auf Erschöpfung des Gegenstandes nicht abgesehen ist Seine Weise unter-
scheidet sich hiemach nicht wesentlich von derjenigen vieler anderer, die über
die Werke geschrieben haben. Man sieht sich vorzugsweise auf eine Vergleichung
mit Marx hingewiesen, der ja schon vor vielen Jahren einen ganE ähnlichen Plan
verfolg^. Dem Wortschwall und den Phantastereien Marx' geht der Verfasser
aus dem Wege, es ist bei ihm alles einfacher, verstandesmSßiger entwickelt; eine
eigentliche innere Verschiedenheit der Art, Musik zu deuten, tritt eigentUeh nicht
hervor, und einen Fortschritt gegenüber Marx vermögen wir, abgesehen von einer
größeren Ruhe der Beobachtung und Darstellung, nicht zu erkennen. Wenn er,
wie z. B. in der Eroica, künstliche, gedankliche Deutungen bei Marx abweist
und sich an das Musikstück halten wül, so ist das richtig und gut; aber deutet
er nicht auch selbst in anderer Weise, z. B. bei der Chorphantasie (11, S. 49.
und sonst? thun es nicht auch andere musikalische Leute, wie z. B. R. Schumann
(vgl. Oes. W. I, S. 200) ? und sind Wasielewski's Deutxmgsversuche nicht eben£üls
zuweilen sehr bedenklich? So erinnert ihn z. B. der Mittelsatz des O dur-Konserts
an den bösen Geist und Gretohen in Göthe's Domscene (II, S. 35). Dann wire
es doch wunderlich, daß Beethoven den bösen Geist unterliegen und die Klaire
die Oberhand behalten läBt. Man braucht nur nicht die eigene Deutung als die
allein richtige hinzustellen, wie ja auch Wasielewski einsieht, sondern nur als
einen Beweis der eindringliehen Wirkung, die man empfangen; und so entfernt
sich auch Marx, der wieder seinerseits phantasielose Kritiker zu bek&mpfen hatte,
nicht von dem Boden des Musikalisch-Gegebenen; die Begeisterung, mit der er
das Beethoven'sche Schaffen begleitet, thut noch heute wohl, und die Versenkung
in das einzelne läßt seine Analysen immer beachtenswerth erscheinen. Wenn
Wasielewski mit Recht vor allem das Musikstück als solches verstehen lassen will,
so hätten wir gewünscht, daß er wenigstens an einer Stelle einmal eine genaue,
die einzelnen Elemente aufzeigende und ihre Entwicklung verfolgende technische
Analyse gegeben hätte, aus welcher sich, wenn sie richtig ist, der innere poetische
Gehalt ergeben müßte. Zu einer solchen setzt er bei der Eroica an und spricht
über diesdbe auch recht gut, aber es hätte da noch viel mehr gegeben werden
können ; daß eine ausführliche, mit Notenbeispielen verbundene Beschreibung doch
dem musikalischen Leser eine Art Anschauung und ein nützliches Beispiel geben
könne, zeigen manche andere Versuche. So konnte z. B. die Durchführungspaitie
des ersten Satzes, die Coda desselben, die Entwickelung des letzen Satzes noch
mehr in ihre Elemente verfolgt werden; schon im Anfange hätte erwähnt werden
können, daß die synkopirte Bewegung, welche den Durchführungssatz beherrscht,
schon gleich nach dem Hauptthema als gestaltendes Element angedeutet ist. In-
dessen ist auch das Gegebene dankenswerth , und so wird auch über die übrigen
Symphonien hübsch und belehrend gesprochen. Meist ist er kürzer und unter-
läßt es, in die Tiefe zu gehen und nicht nur Beethoven's eigenes Fortschreiten,
sondern auch das Individuelle seiner Kunst gegenüber seinen Vorgängern im ein-
zelnen nachzuweisen, was der heutige Beethoven-Biograph vor allem zu erstreben
hat und was mit Hinweisung auf einzelne schöne Stellen doch nicht abgethan ist.
Auch hat er bei allem Streben nach sachlichem Inhalt die Phrase — wie nahe
liegt die Gefahr beim Sprechen über Musik! — nicht ganz vermieden: gewisse
beliebte Ausdrücke, wie »spirituell«, »inspirirt«, »temperamentvoll«, »schillernder
Reiz«, u. dgL sagen doch dem, der nach innerem Verständnisse verlangt^ nicht
viel. Auch im einzelnen weichen wir mehrfach ab. So soll z. B. das Trio Op. 11
tiefer stehen, wie die Op. 1 ; an Präcision der Behandlung und Neuheit der Mo-
tive bezeichnet es unseres Erachtens einen Fortschritt. Daß die Sonate Op. 24
noch »wenig echt Beethoven'sches« enthalte, hätte doch eines genaueren Nachweises
Ludwig van Beethoven von W. J. von Wasielewski. b09
bedurft; daß die Sonaten Op. 14 tiefer Btehen wie die Fathetiqtte, vermögen wir
nicht zuzugehen. In der F moll-Sonate Op. 2 offenbare sich, sagt er, etwas von
Beethoven's Gefühlsleben, auch in der in Cdur spiele sich »wie so oft« ein psy-
chologischer Prozeß ab. Das ist aber doch wohl immer bei Beethoven der
Fall. Um so auffallender, daß er die, wie wir meinen besonders stimmungsvolle
8onate in Adur (Op. 2, 2) nicht in so glücklicher Stunde empfangen glaubt, in
deren Mittelsatz die tiefe Gefühlswärme des Jünglings, der hier schon merklich
über seine Vorgänger sich erhebt, besonders schön zum Ausdruck konmit. Viel-
leicht wäre gerade bei dieser Sonate auch die charakteristische Art der Klavier-
behandlung hervorzuheben gewesen. Das Arrangement des Trios Op. 3 zu einer
Violoncellsonate (I, S. 99) ist doch wohl nicht von Beethoven. Bei dem Quintett
Op, 16, dessen Konzeption unter Mozarfscher Anregung erfolgte, wird im Auf-
suchen Mozart'scher Anklänge in den Motiven sicher zu weit gegangen; daß das
Quintett Op. 29 dem Mozart'sehen C dur-Quintett den Impuls verdanke, ist uns zwei-
felhaft. Die Streichtrios, die Quartette kommen gleich den Symphonien zu richtiger
Würdigung; besondere Vorliebe hat er für die Serenade Op. 8. Daß es unbe-
kannt sei, wie weit Beethoven an dem Arrangement der Flötenserenade Op. 25 zu
einer Sonate (Op. 41) betheiligt war, sagt er I, S. 129; der Brief an Hoffmeister
(Thayer II, S. 238) konnte ihn aufklären. Die elementare Gestaltung der Haupt-
motive wird als spezifisch Beethoven'sch richtig hervorgehoben; daß im Adagio
der 2. Symphonie Beethoven das Orchester zum erstenmal e zum Ausdrucke
einer poetisch vertieften Stimmung benutzt habe, kann nicht zugegeben werden,
wenn man an die Konzerte und die 1. Symphonie denkt. Die Besprechung des
Fidelio wird man, nachdem hierüber schon so manches gesagt ist, nicht ohne
Erwartung zur Hand nehmen. Das Historische wird wieder einfach nach den ge-
druckten Quellen gegeben, das Musikalische wird in der auch bisher geübten
IfVeise, im Anschlüsse an den Text, in warmer und gehobener Weise behandelt;
über die musikalische Zeichnung der Charaktere und den Aufbau der Sätze und
Scenen hätte man noch eingehenderen Aufschluß erwartet. Sehr kurz wird nament-
lich das 2. Finale abgethan, auch die Gliederung des 1. bedürfte mehr Anschau-
lichkeit, und die musikalischen Mittel, welche den Höhepunkt der Handlung im
Gefängniß bezeichnen, konnten technisch genauer aufgezeigt werden, während das
tief rührende Terzett leider nicht zu voller Würdigung kommt. Übrigens rechnet
er die Kerkerscene »zu dem Höchsten, was musikalisch-dramatische Kunst aufzu-
weisen hat«, was sicher richtig ist ; nur mag der Verfasser zusehen, wie sich sowohl
dieses Lob, wie das den Gefangenen-Chören ertheilte mit seinen anderweitigen
Ausstellungen verträgt Bei Erwähnung des von Beethoven anfänglich beabsichtigten
Namens (• Eleonore « sagt er unrichtig I, S. 266) hätte er wohl O. Jahn citiren
können, dessen Ergebniß er sich aneignet; und wenn er die Oper »wie sie ge-
druckt vorliegt« beschreiben will und wegen der Umgestaltungen sich auf Notte-
bohm bezieht, scheint ihm unbekannt geblieben zu sein, daß sie in ihrer früheren
(2.) Gestalt von O. Jahn mit kritischer Vorrede herausgegeben war. Daß auch
im Allegro der Leonoren-Ouvertüre das Florestan-Motiv anklingt, ist schon früher
bemerkt, von dem Verfasser aber nicht erwähnt worden. Warum er die Einlei-
tung der Leonoren-Ouvertüre, die zu mancherlei Deutung einlädt, unerwähnt
läßt, ist nicht ersichtlich.
In diesem Zusammenhange hätte Wasielewski, wenn er doch einmal gruppiren
wollte, die beiden Festspiele König Stephan und die Ruinen von Athen
besprechen sollen, welche er unter den »cyklischen Orohesterkompositionen« (U,
S. 80 fg.) unterbringt. Wenn auch von Dramatik hier nicht viel die Rede ist, so
bieten sie doch für des Meisters Geschick, den Bühnenerfordemissen gemäß zu
schreiben, sehr bemerkenswerthe Zeugnisse und lehren uns den Meister von ganz
510 Kritiken und Referate.
besonderen, nirgendwo anders wieder bemerkten Seiten kennen. Wasielewski hat
sie vielleicht nicht genauer geprüft» jedenfalls nicht gebührend geschätzt; was
Marx Über dieselben sagt, ist weit besser und treffender. Auch was er über die
Klärchenlieder im Egmont sagt, dürfte allgemeine Zustimmung nicht finden. Beet-
hoven's Unschlüssigkeit, neue Bühnenwerke in Angriff su nehmen, hat so genügend
aufgeklärte biographische Veranlassungen, daß wir eine »ascetische Auffassung
von den Aufgaben der Bühne« (I, S. 292) nicht zu Hülfe zu nehmen haben; den
Macbeth, die Melusine zu komponiren, haben ihn innere Bedenken nicht gehindert.
Über die sonstigen Werke und Wasielewski's Beurtheilung führen wir in
der Kürze noch an, was uns beim Lesen aufgestoßen ist. Die Sonate Op. 54,
die er nicht hoch stellt, möchte er dem Jahre 1802 zuweisen (I, S. 346] ; es sind
ihm Nottebohm's Bemerkungen entgangen (II. Beeth. S. 416;, nach welchen Beet-
hoven noch 1804 daran arbeitete. In der Auffassung des 2. Satzes im FmoU-
Quartett, in der Beurtheilung des Trios Op. 70, 2 stimmen wir mit dem Verfasser
nicht überein; auch die Sonaten Op. 102 hätten wohl etwas liebevollere Behand-
lung verdient. Daß die Sonate Op. 90 »verhältnißmäßig ruhig« beginne I, S. 374}
ist uns so auffallend, daß wir fast an eine Verwechslung denken könnten : kaum
irgendwo wird die innere Unruhe schon in den ersten Takten so «daguerrotTpartig^
(wie sich der Verfasser anderswo einmal ausdrückt) gezeichnet. Daß die Lieder
nach unserer Ansicht nicht durchweg zu ihrem Kechte kommen, hängt mit der
allgemeinen Anschauung des Verfassers von Beethoven's Verhältniß zur Singkom-
position zusammen ; wir wünschen ihm, daß er sie, z. B. die Göthe'schen, oder
das Gellert'sche Bußlied, oder Ah perßdo u. s. w. recht oft und recht gut hören
möge, und freuen uns, daß er dem Liederkreise an die ferne Geliebte auch eine
befruchtende Wirkung für spätere ähnliche Gebilde zuschreibt, wie ja auch Hin-
richs in dem Aufsatze, den wir ihm und anderen wiederholt empfehlen, in dem-
selben eine neue Zeit eröffiiet sieht. Daß er den schönen elegischen Gesang ohne
weitere Besprechung nur erwähnt, haben wir bedauert Dem absprechenden Ur-
theile über die Cdur-Messe können wir, wenn wir an die mittlere Partie des
Gloria und an das Benedictus denken, unter keinen Umständen beipflichten. Über
die Trauerkantate haben wir uns schon geäußert; hier kam es nicht nur auf ob-
jektive Kritik an, hier mußte aufgezeigt werden, wie sich in so früher Zeit Beet-
hoven's erfinderische Kraft zeigte, wohin ihn Talent und Neigung führten, welche
seine Muster waren u. s. w. Jahn hat bei Besprechung der Mozart'schen Werke
Muster gegeben, wie diese als Glieder einer Entwicklung zu behandeln sind xmd
in ihnen das jugendlich Unfertige wie das Konventionelle von dem zu scheiden
ist, was auf den späteren Meister hinweist. Daß ein so früh und vor vollendeten
Studien geschriebenes Werk Mängel habe, ist ja selbstverständlich. Der großen
Messe wird er durchaus gerecht; er wird selbst empfunden haben, wie schwer es
dem Worte ist, diesem höchsten Erzeugnisse ergreifender Tonsprache zu nahen.
Namentlich hätten wir das Benedictus gern noch etwas eingehender behandelt ge-
sehen. Daß die späteren Symphonien mit gutem Verständniß behandelt sind, wurde
schon gesagt; der enge Baum, den sich der Verfasser gesteckt hat, wird ihn ver-
hindert haben, tiefer ins Einzelne zu gehen. Die Bezeichnung des Stimmungs-
gehalts ist durchweg glücklich ,' den »dämonischen« Zug können wir aber im letzten
Satz der 8. Symphonie nicht finden, wenn damit nicht etwa die höchste Steigerung
übermüthigen Humors bezeichnet sein soll. Daß bei der Pastorals}nmphonie auf
das für die ästhetische Beurtheilung wichtige Wort Beethoven's: »mehr Ausdruck
der Empfindung als Malerei« nicht hingewiesen wird, fällt auf; dasselbe hätte von
der Äußerung abhalten dürfen, Beethoven habe hier das Gebiet der Programm-
musik beschritten. Die Besprechung der 9. Symphonie ist, von dem einen früher
berührten Punkte abgesehen, treffend, aber durchaus nicht eine eingehende Ana-
Ludwig Tan Beethoven von W. J. von Wasielewski. bl\
lyse, die man hier wohl gewünscht hätten das Werk wird vielmehr im Vergleich
zu seiner Bedeutung für Beethoven's Kunst ziemlich kurz behandelt. Vielleicht
hätte auf O. Jahn's schöne Worte über dasselbe hingewiesen werden können. Daß
in den späteren Klaviersonaten sich öfter reflektirte Arbeit finde, ist richtig;
manchen anderen Ausstellungeti stimmen wir nicht bei ; den Variationen in Op. 1 1 1
z. B. hätte er wohl gerechter werden dürfen. Den Walzer- Variationen Op. 120
scheint er, wie auch einem Theile der übrigen Klaviermusik, etwas fremd geblieben
zu sein; auch das Rondo Op. 129 wird nur in einer Anmerkung erwähnt; es hätte
wenigstens auf B. Schumann's hübsche Worte (Werke I, S. 171) Bezug genommen
werden können. Über die letzten Quartette, die schon früher Gegenstand aus-
führlicher Analysen gewesen sind, hätte man gern Eingehenderes gelesen; die
beiden herrlichsten Erzeugnisse Beethoven'scher Quartettmusik, das Amoll- und
CismoU-Quartett, sieht man durch die kurze Darlegung des Empfindungsgehalts,
bei denen die Unzulänglichkeit des Wortes recht fühlbar wird, ungern abgethan.
Der langsame Satz des Fdur-Quartetts Op. 135 wird nicht genug gewürdigt; er ist
jenen beiden vollkommen ebenbürtig. —
Ein besonderer Abschnitt behandelt Beethoven als Klavierspieler und Diri>
genten — vielleicht hätte auch Beethoven als Lehrer noch einige besondere Betrach-
tungen verdient, so untergeordnet auch diese Thätigkeit in seinem Leben war.
Über sein Klavierspiel werden die gedruckten Zeugnisse zusammengestellt — daß
Mozart von seinem Klavierspiel »keine hohe Meinung« gehabt habe (II, S. 2) , geht
aus der bekannten Erzählung nicht hervor — und das Resultat gezogen, daß
Beethoven das Klavier in außerordentlicher Weise behandelte, in der Improvisation
unerreicht, aber doch kein eigentlicher Klaviervirtuose war, daß ihm die höchste
Vollendung, gleichmäßige Sicherheit in Beherrschung »verfänglicher Schwierig-
keiten« gefehlt habe. Da Wasielewski bei den einzelnen Werken auf Nottebohm's
Untersuchungen häufig Bezug nimmt, darf man sich wundem, daß er den Ab-
schnitt der 2. Beethoveniana »Klavierspiel« (S. 356) nicht erwähnt, in welchem
Czemy's Urtheil etwas ausführlicher angegeben wird und Beethoven's Bemühungen
um die Klaviertechnik eine interessante Beleuchtung erfahren. Wollte er ja doch
nach Schindler sogar eine Klavierschule schreiben. Die Nachrichten über Beet-
hoven als Dirigenten werden in zweckmäßiger Weise zusammengestellt.
Wenn Wasielewski sein Buch für den weiteren Kreis der Musikalisch-Ge-
bildeten bestimmte, so hat er diesen doch die Gewinnung eines anschaulichen
Lebensbildes durch sein Verfahren, wie wir sahen, erheblich erschwert; der musi-
kalische Theil wird den Wünschen derselben eher entgegenkommen, da jeder über
die oft gehörten und vertrauten Werke gern die Äußerungen eines musikalisch
durchgebildeten und erfahrenen Mannes vernimmt, und der gewöhnliche Leser sich
auch mit der Besprechung des einzelnen gern genügen läßt und auf die für den
Musiker interessantere, freilich auch schwierigere Aufgabe, ein deutliches Bild des
Wachsthumg und der Entwickelungsphasen zu erhalten, eher verzichtet. Die
Mahnung, das Buch mit eigenem Urtheil und auch unter Zuziehung anderer Hülfs-
mittel zu lesen, dürfte nach allem Obigen an der Stelle sein, zumal bei dem
Versuche, der Musik mit Worten zu nahen, der Subjektivität ein so weiter Spiel-
raum bleibt. Erinnert man sich der früheren Biographie Schumann's von dem-
selben Verfasser, so thut die Wärme und Begeisterung wohl, die er in seinem
Beethoven allenthalben für den Meister an den Tag legt. Der Wunsch aber sei
zum Schlüsse noch ausgesprochen, daß Wasielewski zu den, die musikhistorische
Wissenschaft bereichernden Untersuchungen zurückkehren möge, die er glücklich
und vielversprechend begonnen hatte.
Coblenz. Hermann Deiters.
512 Kritiken und Referate.
Dr. Theodor Fr tmmelj Neue Beethoveniana. Wien. Gerold 1888.
8. Vin und 334 Seiten.
Mit der Besprechung des neuen Buches von Frimmel, welches in höchst ele-
ganter Ausstattung anmuthend uns entgegentritt, befinden wir uns auf anderem
Boden. Frimmel hat (außer kleineren Joumalbeiträgen) bereits 1883 eine Stadie
»BeetboTcn und Oöthe« veröffentlicht, in welcher er auf dem Grunde genauer Kennt-
niß sowohl Beethoven's wie der sonst einschlagenden Litteratur, nach streng wissen-
schaftlicher Methode und mit besonnen abwägendem Urtheil ein Resultat gewinnt,
welches eine Anfechtung nicht erfahren dürfte. In gleicher Weise, nur in größerem
Umfange bewährt er sich jetzt wiederum als thätigen Mitforscher über Beethov^i,
den Künstler und Menschen. Von einselnen Punkten ausgehend strebt er die
Kenntniß zu fördern und giebt den von ihm herbeigeschafften Bausteinen, Notte-
bohm folgend, die Bezeichnung »neue BeethoTeniana«; er darf mit Zuversicht er-
warten, daß dieselben gleich denen seines Vorgängers als Stützen und Schmuek
dem Bau eingefügt werden. Der Referent hat hier weniger die Aufgabe, Kritik in
üben, als vielmehr über das, was uns Neues geboten wird, Bericht zu erstatten.
Von den 5 Abschnitten des Buches enthalten zwei ausgeführte Untersuchungen,
die drei übrigen biographische Mittheilungen. Von jenen behandelt die erste, welche
zugleich den Band eröffnet, »Beethoven als Klavierspieler«. Der Verfasser verhehlt
sich nicht die Schwierigkeit, einem Gegenstande nahe zu kommen, der nur dureh
unmittelbare Anschauung, welche niemandem mehr zu Gebote steht, vollständig
beurtheilt werden kann. Was uns hier unwiederbringlich fehlt, ersetzt er durch
gewissenhafte, liebevoll eingehende Zusammenstellung der mittelbaren Quellen:
der vorhandenen Nachrichten der Zeitgenossen, der Mittheilungen über Beethoven's
Bildung und seine Muster, über die in jener Zeit gebräuchlichen Instrumente, and
namentlich auch durch die Bezugnahme auf den Charakter des Meisters und seiner
Musik. Von den frühesten Nachrichten über seinen Unterricht geht er aus ; hier möchten
wir ihm gegenüber (S. 6) den kleinen Beethoven doch auch als Wunderkind betrachtet
wissen; schwerlich würde er sonst bei ungenügendem Unterricht in Ausübung und
Produktion so rasch fortgeschritten sein. Im Anschluß an die Nachrichten über den
frühesten Unterricht namentlich bei Neefe giebt der Verfasser einen Auszug der
bezüglichen Stellen aus Ph. E. Bach's Versuch und gewinnt dadurch eine feste
Grundlage für Beethoven's Erziehung zum Klavierspieler, welche dann weiter durch
Nachrichten Czerny's u. a., durch Hinweisung auf den Einfluß des Orgelspiels er-
gänzt und durch Mittheilungen seitens seiner Jugendgenossen erläutert wird; die
ersten Kompositionen, die Beschaffenheit der Klaviere (Clavichord) vollenden dss
Bild, und wir gelangen zu dem Resultate, daß Beethoven als Klavierspieler im
wesentlichen fertig von Bonn nach Wien kam, daß er aber schon damals die
fertige glatte Technik dem gesangvoUen Spiel und dem Ausdrucke des Innern
unterordnete. Die große Bewunderung, die er in Wien wegen seines alle über^
ragenden Spieles, namentlich wegen seines Improvisirens allenthalben fand, wird
unter sorgfältiger Zusammenstellung der Nachrichten geschildert : wir sehen wie er
noch weiter an der Vervollkommung desselben arbeitet, wie man freilich schon da*
mals mangelnde Akkuratesse und Deutlichkeit neben der Kraft und dem Feuer des
Spiels hervorhebt. Das Gehörleiden begijint gerade hier seinen Einfluß zu üben;
verstärkter Gebrauch des Pedals, auch sonst Willkür und Laune beginnen den
Eindruck seines Vortrags zu beeinträchtigen. Bis 1802 setzt Frimmel die Blüthe-
zeit von Beethoven's Klavierspiel; von 1805 ab glaubt er den Rückgang ansetzen
zu müssen ; ein erst seit kurzem bekannter Brief J. Pleyers aus diesem Jahr erkennt
die Kühnheit des Spiels, welches keine Schwierigkeiten kenne, an, ebenso die
Größe in der freien Phantasie, tadelt aber mangelnde Sauberkeit und will Beethoven
Neue Beethoveniana von Dr. Theodor Frimmel. 513
nicht einmal als eigentlichen Pianisten gelten lassen. Dies war jedenfalls einseitig
und übertrieben; aber wie Beethoven selbst 1814 schreibt, daß er das Klavierspiel
Yemachlässigt habe, so stimmen auch alle Berichte darin überein, daß er zwar im
ausdrucksvollen Vortrage und in der freien Phantasie noch immer bewunderungs-
irürdig war, die technische Sicherheit aber mehr und mehr sehwand und über-
mäßige Kraftanwendung die Wirkung seines Spiels in Frage stellte , so daß
dasselbe in seinen letzten Jahren einen Genuß nicht mehr bot. In diesem Sinne
zieht der Verfasser zum Schlüsse das Resultat seiner verdienstlichen Untersuch-
ung und macht dabei nochmals auf das Individuelle in Beethoven's Spiel, der
nie eines einzigen großen Meisters Schüler gewesen, und auf die schallkräftige
Wirkung desselben, durch die er (wie an einer anderen Stelle bemerkt) auch auf
den Klavierbau Einfluß gewann, aufmerksam. —
Die drei folgenden Beiträge sind biographischer Natur. Der erste enthält
eine neue Sammlung (49) von Briefen, von denen einige (6) bisher unge-
druckt, die übrigen zwar in den letzten Jahren bereits an verschiedenen Stellen,
sum Theil vom Verfasser selbst, veröffentlicht waren, aber so zerstreut und ver-
einzelt, daß sie nur mühsam aufzufinden und zusammenzustellen sind. Dieselben
werden dann mit Hinweisung auf den Besitzer des Originals, den früheren Druck
und biographischen Erläuterungen versehen; dem Ganzen gehen einleitende Worte
voraus, in welchen die Bedeutung der Briefe mit verständigen und treffenden
Worten gewürdigt wird. Hier wird nicht von »cyklopischen Felsblöcken« geredet ;
die Schwächen in Beethoyen's Briefen, bei denen er nie an eine Veröffentlichung
dachte, werden nicht verschwiegen, aber die Bedeutung, welche sie für die Er-
kenntniß von Beethoven's Charakter und für sein Leben haben, richtig bezeichnet.
So haben wir also einen nicht nur interessanten, sondern für den Beethoven-
forscher unentbehrlichen Beitrag erhalten, der sich durch die wissenschaftliche
Methode in der Herausgabe und Erläuterung über die Nohl'schen Briefsammlungen
ejitschieden erhebt. Die Übersicht ist dadurch erleichtert, daß die Briefe, soweit
irgend Fingerzeige sich boten, chronologisch geordnet sind; der erste stammt aas
1794 und ist an Sioarock gerichtet, der letzte, aus Beethoven's Todesjahr 1827, an
Zmeskall. Bisher ungedruckt waren: 1} ein Brief an Zmeskall aus der Zeit bald
nach 1795 (S. 71), in welchem der Freund um Vermittlung wegen eines neuen Werkes
angegangen wird, von welchem Salieri ein Exemplar erhalten soll; 2) ein kurzer
Zettel an Artaria (S. 84), worin um den Klavierauszug des Fidelio gebeten wird;
3) ein Brief an einen unbekannten Freund (S. 85), Widmungen an die Kaiserin
von Bußland betreffend, aus dem Jahr 1814, nur fragmentarisch erhalten; 4) ein
Brief an Giannatasio del Rio aus 1816 (S. 97) , auf die Wirren mit der Mutter
des Neffen Karl bezüglich; 5) ein kurzer Brief an Hauschka (S. 101), vom Ver-
fasser vermuthungs weise ebenfalls ins Jahr 1816 gesetzt, die Aufführung eines
Werkes betreffend; 6) ein kurzer Zettel an Zmeskall mit scherzhafter Namens-
Veränderung (Frau von Seneskall) , auf eine SteUe des FmoU- Quartetts Op. 95
bezüglich. In letzterem wird auf eine nachträgliche Änderung einer Violinfigur
im 1. Satze [Nottebohm 2. Beethov. S. 279 Anm.) hingewiesen, welche im ersten
Druck in der von Beethoven verworfenen Fassung stehen geblieben war. Der 3.
obiger Briefe wirft auf Beethoven's Gesinnungen hohen Personen gegenüber ein
interessantes Licht; diejenigen, welche gern sein schroffes Unabhängigkeitsgefühl
in solchen Fällen hervorzuheben lieben, werden etwas ernüchtert sein durch seine
Worte: »sollte Ir. Majestät mich wünschen spielen zu hören, war es mir die höchste
Ehr, doch muß ich voraus um Nachsicht bitten, da ich mich seit mehrer Zeit mehr
l^los der Autorschaft von Schaffen widmete«. Es versteht sich von selbst, daß wir
von einem Berichte über alles einzelne hier absehen müssen, wir müßten eben das
Ganze auch in diese Anzeige aufnehmen ; fast jeder Brief giebt uns irgend einen
514 Kritiken und Referate.
bemerkenswerthen Beitrag zur Renntniß von Beethoyen's Charakter, oder semer
persönlichen Beziehungen (Fleyel, Bihler, Zeltern, a.), seiner äußeren Verh<niate,
seiner Absichten; kleine Nebenumstände bez. seiner Kompositionen lernen wir
kennen ; auch kleine Musikbeiträge aus dem Nachlaß der Giannatasio del Ilio'schen
Familie erhalten wir (S. 100). Die unerquicklichen Verhältnisse wegen Eraiehnng
des Neffen erhalten weitere Erläuterung in Briefen an Bach (S. 11 6 fg. j. Die Be-
ziehungen zu Schweden y wo Beethoyen zum Ehrenmitglied der Akademie der
Künste ernannt worden war, gewinnen durch Mittheilung des französischen Ori^inal-
wortlauts der Briefe an die Akademie und an den König (S. 132; besondere« In-
teresse; man erinnert sich bei letzterem an Beethoyen's alte Beziehungen %xim
General Bemadotte, die er ebenfalls andeutet. Mehrere wichtige Briefe der letzten
Zeit, in denen Hindeutungen auf neue Werke sich finden, waren yon Nottebohm
bekannt gemacht. In den Erläuterungen, namentlich den Versuchen, die Zeit un-
datirter Briefe zu bestimmen, übt er die größte Besonnenheit des Urtheils ; nirgend-
wo vage Vermuthungen oder yoreiUge Schlüsse; überall wird das Material mit
Sorgfalt beigebracht und, wo sich das Resultat nicht greifbar ergiebt, dem Leser
die Gelegenheit eigenes Urtheil zu üben überlassen. Daher findet der Kritiker
kaum Veranlassung zu Berichtigung oder Ergänzung. Der Brief yom 16. Sept. 1824,
die große Messe betreffend (S. 141) war bereits in Nohl's erster Briefsammlung
(S. 271) veröffentlicht und hätte nach des Verfassers Plane hier wegbleiben müssoi.
Die Bonner Zeitang veröffentlichte am 9. April 1877 ein poetisches Stammbuch-
blatt Beethoven's an Herrn Vocke in Nürnberg vom 22. Mai 1793, unterzeichnet:
»Denken Sie auch femer zuweilen ihres Sie verehrenden Freundes Ludwig BeethoTen
aus Bonn im Kölnischen« ; es ist uns nicht bekannt geworden, ob dasselbe ander-
weitig berücksichtigt worden ist. (Beethoven war 1796 in Nürnberg, Thayer II,
S. 5). Ein Brief Beethoven's an Kotzebue vom 28. Jan. 1812, also kurz vor
der Aufführung der beiden Kotzebue'schen Festspiele in Pesth geschrieben, findet
sich in W. von Kotzebue's Schrift über A. v. Kotzebue (Dresden 1881) S. 15<L
Die »Signale« brachten 1880, No. 46 einen Brief (nebst Quittung) an den Grafen
Oppersdorff vom 3. Febr. 1807 (Besitzer M. Bial in Breslau), durch welchen Thayer^s
Mittheilungen (III, S. 45. 516) in interessanter Weise erglänzt werden; es steht
danach fest, daß ursprünglich die Gmoll- Symphonie für den Grafen Oppersdorff
bestimmt war, wie auch Thayer schon angenommen hatte. Endlich veröffentliehte
die Neue Berliner Musikzeitung 1886, No. 19 einen bisher ungedruckten Brief an
Mad. Bigot. Diese Briefe, die dem Fleiße des Herausgebers entgangen sind, dürften
in einer neuen Auflage, die wir dem Buche wünschen, nachzuholen sein; der Werth
des Gegebenen wird durch das Fehlen um so weniger beeinträchtigt, als ja gewiß
noch manche Briefe des Meisters bisher völlig unbekannt sind.
Der dritte Beitrag, ausschließlich biographischer Art, »aus den Js^ren 1816
und 1817«, ist Überarbeitung und Erweiterung eines bereits 1881 in der Littera-
rischen Beilage der Wiener »Montags-Revue« (No. 50) veröffentlichten Artikels.
Er giebt die Erinnerungen des in eben jenem Jahre verstorbenen Carl Friedrieh
Hirsch, welchem Beethoven End^ 1816 und Anfang 1817 Unterricht in der Har-
monielehre ertheilt hat. Mit Kenntniß und vorsichtiger Überlegung sucht der
Verfasser jene Erinnerungen, welche er persönlich aus dem Munde des alten Herrn
vernahm, mit den sonstigen Nachrichten über jene Zeit zu vereinigen und Un-
sicheres von Glaubwürdigem zu scheiden, und gewinnt auf diese Weise ein rundes
klares Bild dieser kurzen, für jene Periode Beethoven's eigenthümlich charakte-
ristischen Beziehung. Die Besonnenheit der Methode ist auch hier wieder hervor-
zuheben. Wir erhalten einen, auch durch kleine Nebenzüge noch geschmückten,
wichtigen Beitrag zu dem Bilde des einsamen Lebens, welches Beethoven damals
führte, wobei auch die Wohnungsfrage zur Behandlung kommt, daneben aber auch
Neue Beethoveniana von Dr. Theodor FrimmeL 5J5
Musikalisches, wie s. B. Beethoven's Äußerung über Auflösung verminderter Sep-
timenakkorde, gestreift wird.
»Beethoven in Mödling« ist der Titel des folgenden Beitrags, der uns Beet-
hoven in den Jahren 181 B— 20 als Sommergast in dem genannten Orte vorführt
und für seine Lebensgewohnheiten in jener Zeit kleine Züge beibringt, welche
der Verfasser aus mündlicher Tradition gesammelt und gesichtet hat. Das Bild
des zerstreuten, in seinem Äußeren wunderlich vernachlässigten Oastes erhält einen
für uns rührenden Kontrast dadurch, daß es die große Bdur-Sonate und die große
Messe war, woran der Meister damals angestrengt arbeitete. Die Frage der von
Beethoven in Mödling innegehabten Wohnungen und deren Beschaffenheit wird
mit der bei dem Verfasser gewohnten Besonnenheit behandelt.
Den Schluß bildet eine ausgeführte Untersuchung über Beethoven 's Bild-
nisse und äußere Erscheinung; dies ist sicher der werth vollste Theil seines
Buches ; der wichtige Gegenstand wird hier zum ersten Male in seinem ganzen
Umfange eingehend und mit genauer Sachkenntniß behandelt und auf sicheren
Boden gestellt. Dem Verfasser kommt hier außer seinen Beethovenstudien eine
vielseitige Erfahrung und Studium auf dem Gebiete der bildenden Kunst und deren
Geschichte zu Hülfe, so daß er vorzugsweise berufen schien, hier etwas Grund-
legendes und Abschließendes zu bieten. Ausgehend von einem Hinblicke auf das
Wenige, was bisher über den Gegenstand hervorgetreten ist, bespricht er der
Reihe nach die zu Beethoven's Lebzeiten — denn nur diese können für ihn in
Betracht kommen — entstandenen und bekannt gewordenen Bildnisse, giebt über
ihre Entstehung, ihre Nachbildungen nach umfassender Nachforschung genauen
Bericht sowie über die Künstler nähere Nachweisung biographischer oder wenigstens
litterarischer Art, und zieht dabei in möglichster Vollständigkeit heran, was uns
über Beethoven's äußere Erscheinung von Mitlebenden berichtet wird. Die Liebe
und die unermüdliche Sorgfalt« mit welcher der Verfasser den Gegenstand ver-
folgt, verdient höchste Anerkennung; das Interesse, welches der Gegenstand an
sieh erregt, wird gehoben durch anmuthende und lebendige Darstellung, zu-
mal dem kunstverständigen Verfasser die Gabe genauer und anschaulicher Be-
schreibung in besonderem Maße zu Gebote steht. Beschreibung kann ja bildliche
Anschauung nicht ersetzen; dennoch gelingt es dem Verfasser, indem er von
einigen der Darstellung beigegebenen Abbildungen — man möchte deren noch
etwas mehr wünschen — unterstützt wird, in dem Leser durch geschickte Grup-
pirung und stete Vergleichung ein ziemlich deutliches Bild von Beethoven's
äußerer Erscheinung hervorzurufen. Wer seinen Mittheilungen aufmerksam folgt
und sich seine Resultate aneignet, hat nun einen sicheren Maßstab zur Beurthei-
lung der vielen mehr oder weniger getreuen Bildnisse des Meisters. Die beige-
gebenen Bilder sind folgende: 1) Die in Wegeler's Notizen mitgetheilte Silhouette
aus Beethoven's 16. (Thayer meint 19.) Lebensjahr; 2) Die Klein'sche Büste, 1812
nach der von dem lebenden Meister genommenen Gesichtsmaske gefertigt, welche
selbstverständlich den sichersten Maßstab für die Beurtheilung der Bildnisse Beet-
hoven's abgiebt und im Hinblicl^ auf das damalige Lebensalter desselben über-
haupt als das zuverlässigste Abbild des Meisters auf der Höhe seiner Manneskraft
gelten muß ; 3) Der Stich von Blasius Höfel nach Letronne's Zeichnung, aus dem
Jahre 1814, welchen Beethoven besonders werth schätzte und Freunden, wie We-
geier, schenkte (auch die Bonner Lesegesellschaft, wie wir den Angaben S. 238
hinzufügen können, erhielt durch Eichhoff's Vermittlung ein Exempkr von Beet-
hoven zum Geschenke) ; 4) Das Bild von Schimon, gestochen von Eichens, aus
dem Jahre 1819, welches auch der Schindler'schen Biographie vorgedruckt ist;
5) Die Handzeichnung Lyser's aus den zwanziger Jahren, durch Nachbildung in
neuerer Zeit vervielfältigt. Nicht mitgetheilt werden Abbilder des Medaillonbilds
1 S88. 35
516 Kritiken und Referate.
von Hornemann (welches sich vor dem Buche Breuning's »aus dem Schwanfpanier-
hausea findet) , ferner der Gemälde von Klöber, von Stieler, an welchen FrimmcJ. unter
Vergleichung mit der Maske Ejitik übt, der Büste von Dietrich, des Druckes von
Kriehuber und anderer Bilder aus den letsten Lebensjahren des Meisters ; die
durch Klöber und Kriehuber geschaffenen Typen sind ja allbekannt, um bo wich-
tiger wird es sein, das nach beiden Seiten hin maßvoll abgewogene Urdieil des
Verfassers über dieselben zu hören, namentlich auch den absprechenden Worten
Schindler's gegenüber, welcher in diesen Dingen alleinige Autorität su sein be-
anspruchte. Schließlich geht der Verfasser noch auf die nach dem Tode Beet-
hoven's und nach erfolgter Obduktion genommene Maske, sowie auf die genaue
Untersuchung des Sch&dels nach der 1863 erfolgten Ezhumirung ein und bespricht
die Bedeutung, welche dieselben für die Beurtheilung von Beethoven's Äußerem
haben; dieselbe ist seinen Ausführungen nach nur eine geringe. Zum Schluß
resümirt er noch einmal das Oanse, beurtheilt kurz die vorhandenen Bilder nach
ihrem Werthe für das jeweilige Lebensalter, wobei ihm die Frage naeh dem ähn-
lichsten Bilde Beethoven's wegen der immer schwankenden Voraussetsungen eine
müßige scheint, und läßt schließlich auf Orund aller vorhandenen Quellen das
äußere Bild Beethoven's in einer anschaulichen und treffenden Schilderung noch-
mals vor uns erstehen. Wir können von der gansen Abhandlung nur mit lebhaf-
testem Danke für die reiche Belehrung scheiden, welche uns durch dieselbe nach
allen Seiten hin geboten wird. —
Die Bilder, welche nach Beethoven's Tode hervorgetreten sind, lagen außer
dem Bahmen der Betrachtungen des Verfassers, und so finden wir aueh über die
dem Meister gesetaten Denkmäler kein Wort bei ihm. Unter diesen hat daa in
Bonn 1845 enthüllte, von Hähnel gefertigte Monument seiner Zeit manehnlei
Kritik erfahren müssen ; die abfälligste wohl von Schindler, der in seiner gewohnten
anspruchsvollen Weise dasselbe als mit Beethoven's Äußerem gar nicht überein-
stimmend beseichnete (U, S. 295). Schreiber dieser Zeilen besitzt durch die Güte
des verstorbenen Karl Simrock einen Brief Schindler's über diesen Gegen-
stand, und darf sich wohl gestatten, da auch der Verfasser Schindler's Meinung
häufig, wenn auch mit Betonung gerechtfertigten Widerspruchs, heransieht, den
Brief zum Schlüsse dieser Besprechung hier sum Abdruck zu bringen.
«> Aachen den 22. Nov. 44.
»Horchen's mal gefälligst auf, mein verehrter Herr Simrock, was ieh Ihnen
heute mittheile.
Erinnern Sie sich noch, wie Sie mir im Monat Juny sagten, als wir gelegent-
lich von dem Monument Beethoven's zusammen sprachen, wie es in vermuthen
sey, daß es genug Stoff zum Tadel geben werde, wenn es mal aufgestellt ist
Damit hätten wir also das pttnctum quassiianis.
Vor ungefähr 8 — 9 Tagen erhielt ich eine lythographirte Zeidinung des Mo-
numents aus Nürnberg eingeschickt und erblickte zum ersten Mal unsern Mann
von Hähnel dargestellt, wie er in Bonn figuriren soll. Ich sah Be^hoven in so
erstaunlicher Philisterhaftigkeit, daß ich mich des Anblicks schämte. Feme ron
aller poetischen Auffassung, als hätte H. Hähnel irgend einen ehrlichen Bau-
meister oder sonst honetten Spießbürger abkonterfeit! Über die Ähnlichkeit des
Gesichts kann ich nichts sagen, da es auf der Zeichnung nur im Profil su sehen
ist. Aber sie zeigt Beethoven mit kurzem Haar, und doch war das lange, Btnp-
pige Haar ein so wesentlicher Theil seines Kopfes, daß ohne dieses der Kopf
wirklich an Ausdruck verlor. B. selbst fühlte das und mochte sich nicht mit
kurzem Haar sehen, so zwar, daß er sich einstmals (1824) genirte unter die Leute
Neue Beethoveniana yon Dr. Theodor Frimmel. 517
zu gehen, als es ihm der Friseur trotz Ermahnung zu kurz geschnitten hatte.
Die herrorguekende Pantalon an einem Fuße gleioht der Wirklichkeit, wie man
«8 an B. sehen konnte. Aber war denn das Grund um diese Plumpheit plastisch
darzustellen? Kurzum, die ganze Figur ist der Ausdruck, (oder Darstellung)
ordinärer Prosa. Wo ist das unaussprechlich Begeisternde und Begeisterte, das
in seinem ganzen Wesen sich kund gab, wenn er von Musik sprach, oder im
Nachdenken Tersunken war? ja, wenn er selbst nur [über einen andren Gegenstand,
X. B. Aber Politik oder dahin (Gehörendes sprach? PP Sie müssen ja selbst solche
Momente an ihm wahrgenommen haben, denn sie waren ja nicht selten, sondern
t&glich, stündlich. Und dabei war er ja immer ruhig. Wie erst, wenn das innere
Feuer aufzulodern anfing und er sein langes Haar in solchen Augenblicken in
die Höhe zog oder nach der Seite strich, wobei sein ganzes Wesen einen furcht-
bar erhabenen Ausdruck erhielt! So was h&tte H. Hähnel nur einmal sehen sollen.
Gestern erhalte ich die 1. Lieferung einer Broschüre in Berlin gedruckt
»aber Bl&ser's Denkmal BeethoTcn's«. Sie wird in der künstlerischen Welt Auf-
sehen machen, wie es ihr Inhalt verdient. Was ich beim Anblick der Hähnel'schen
Arbeit gefühlt, wird dort mit Beweisen dargethan. Beide Modelle werden Punkt
für Punkt, Theil für Theil, verglichen und das Eesum^ lautet, daß das Hähnel'sche
Modell gar nicht h&tte in die Goncurrenz kommen sollen. Bon, jetzt steht es
aber da ( — Soweit ist der Anfang zu Controyersen gemacht und steht der PhiH-
ster mal auf seinem Postament, so wird man ohne allen Zweifel von allen Seiten
<wo keine Parteigänger sind) beschämt sich fragen: wie war es möglich, um solch
gewöhnliche Prosa so viel Geschrei in der Welt zu machen? Die 4 Basreliefs an
den Seiten, davon ich die Zeichnung in Berlin gesehen und sie ausgezelchtet
schön fand, werden bei solcher (Gestaltung der Hauptfigur wenig oder nicht in
Betracht k(«mien.
Was ich Ihnen hier mittheile, brauchen Sie nicht zu verstecken. Der Ge-
genstand ist von der Art, daß er mich persönlich sehr interessiren muß, darum
ich sehr wahrscheinlich veranlaßt seyn werde, seiner Zeit mehr als dieses hier
darüber öffentlich zu sagen.
In bekannter Hochachtung
Ihr ergebenster
A. Schindler.«
Es ist uns nicht bekannt, ob Schindler die zum Schluß kundgegebene Ab*
flicht ausgeführt hat. Jedenfalls bieten die Äußerungen des Briefes eine will-
kommene Ergänzung der Mittheilungen Schindler's in der Biographie. Ein Urtheil
über die Hähnel'sche Beethovenstatue wird sich jeder, ohne sich von Schindler
beeinflussen zu lassen, selbst bilden können.
Coblen2. Hermann I>eiterB.
35»
51g Kritiken und Referate.
Giovanni de Piccolellis, Liutai antichi e modemi. Note critico-
biografiche. Firenze, coi tipi dei successori Le Monnier, 1885.
XVII und 192 S. Mit 24 Tafeln. Hochquart. —Dazu ein Nach-
trag: Liutai antichi e moderni. Genealogia degli Amati e dei
Guarnieri secondo i documenti ultimamente ritrovati negli atti e
stati d'anime delle antiche parrocchie dei SS. Faustino e Giovita e
di S. Donato di Cremona. Note aggiunte alla prima edizione sui
liutai . . . Firenze, Le Monnier, 1886. 32 S. Hochquart.
Das Interesse für die Geschichte der Musikinstrumente hat besonders in den
beiden letzten Jahrzehnten durch eine nicht geringe Anzahl hierher geh^ger
Arbeiten mannigfache Anregung erhalten. Dem mit der einschlägigen Literatur
bekannten Fachmanne aber wurde mit ihnen nur selten wirklich gedient, denn die
meisten neuen Erscheinungen erwiesen sich als gleich geartete Schwestern der auf
dem großen Markte befindlichen Mehrzahl der Schriften über andere Theüe der
Musikwissenschaft: Altes Gebäude mit neu geputzter Stirnseite, alte Autoren neu
Btilisirt ! Wohl wurden Sebastian Virdung, Martin Agricola, Michael Prätorius und
vielleicht noch Filippo Bonanni fleißig excerpirt und die Resultate des hochver-
dienten F6tis allzu gewissenhaft benutzt, aber selten bequemte man sich zum frei-
lich mühevollen und oft genug nur negative Erfolge erzielenden Quellenstudium.
Von größeren, zumeist auf selbständigen, neuen Forschungen beruhenden Arbeiten
seien diejenigen von Antoine Vidal^ Albert Jacquot^, Julius Rühlmann' und Luigi-
Francesco Valdrighi* erwähnt.
Mit den liutai antichi e moderni hat sich Piccolellis den genannten Gelehrten
nicht nur würdig angeschlossen, sondern dieselben theilweise sogar übertroffen.
Das Gebiet seiner Untersuchungen ist zwar im Vergleich mit demjenigen Jacquofs
und Valdrighi's, ja selbst VidaFs, ein bedeutend beschränkteres. Er hat abä die
gestellte Aufgabe mit großem Fleiße und anerkennenswerthem Erfolge gelöst und
die geschichtliche Forschung um ein beträchtliches Stück gefördert. Seine Studien
kennzeichnen sich vor allem durch Gewissenhaftigkeit. Immer bestrebt, historische
Stützpunkte aufzusuchen, gesteht er dort, wo solche fehlen, den Mangel derselben
unumwunden ein und erweist das Beiwerk, mit welchem das Leben der meisten
großen Instrumentenmacher ausgestattet zu werden pflegte, einfach als Gebilde der
Phantasie. Er beginnt erst mit dem Aufblühen der Brescianer Schule, also gegen
Mitte des 16. Jahrhunderts. Was dieser Periode vorhergeht, wird mit kurzen
* Les instruments ä archet, Paris, Claye, 1876 — 78.
2 La musique en Lorraine. Paris, Quantin, 1682. — 3. Aufl. Paris, JPmcä-
hacher. 1886. Siehe Jahrgang III dieser Zeitschrift, S. 482 ff.
Ä Geschichte der Bogen Instrumente. Braunschweig, Vieioeg, 1882.
* Nomoclieliurgograßa antica e modema ossia elenco di fahhricatori di sirumenii
armonici con note esplicative e documenti estratti dalT archivio di stato in Modena,
Modena, societä tipograßca 1884. Enthält im ersten Theile eine mit großem Fleiß
angefertigte Zusammenstellung von etwa 4000 Instrumentenmachern jeslicher
Specialität, im zweiten Theile erläuternde Anmerkungen und im dritten und letzten
eine reiche Sammlung wichtiger Dokumente aus dem estensischen Staatsarchive.
Abschnitt 1 ist aber nur mit Vorsicht zu gebrauchen, Abschnitt 3 hingegen sieben
dem Buche dauernden Werth. — Dazu desselben Verfassers Ricerche suUa liuttria
e violineria modenese antica e moderna, col catalogo generale dei liuiari e ciolinari
modenesi dal secolo XVI al XIX, Modena, Toschi 1878.
Liutai antichi e moderni von Giovanni de Piccolellis. 519
Andeutungen in der Einleitung skizzirt In einzelnen Fällen greift er zwar bis
zum Anfang des 16. Jahrhunderts zurück, aber doch immer nur ausnahmsweise.
Offenbar leitete ihn die Absicht, erst dort mit seiner Arbeit einzusetzen, wo sich
ihm dokumentarisch b^laubigte Thatsachen darboten ; indessen hätte er hier und
da die Untersuchungen, selbst unter Wahrung jenes Grundsatzes, recht wohl weiter
zurQck ausdehnen können.
Piccolellis' Buch besteht aus fiinf, von einander auch äußerlich abgegrenzten
Theilen. Der erste enthält in alphabetischer Reihenfolge biographisch -kritische
Notizen über die italienischen Lauten- und Geigenmacher < vom 16. Jahrhundert
bis zur Gegenwart. Im zweiten Theile, der gleichfalls der italienischen Schule
gewidmet ist, finden wir eine chronologische Übersicht über die Hauptvertreter
jener Schule, sowie eingehende Beschreibungen ihrer Arbeiten. Die beiden ersten
Abschnitte beschäftigen sich also mit dem gleichen Thema. Ich habe vergeblich
nach Gründen gesucht, welche wohl den Autor bestimmt haben mochten, seinen
Stoff auf solche Weise zu zerreißen. Nach meiner Meinung ist diese Art der
Disposition eine ganz und gar verfehlte. Beide Theile hätten zusammen verarbeitet
werden müssen und zwar nur unter Zugrundelegung chronologischer Ordnung.
Wir hätten dann die allmähliche Entwicklung, die Blüthe und den Niedergang
jener Kunst verfolgen können, die Darstellung wäre einheitlicher und das Bild,
das sich der Leser im Geiste zusammenstellt, klarer, schärfer und deutlicher ge-
worden, während es bei der vom Verfasser beobachteten Form zerstückelt erscheint.
Ein weiterer Mißgriff in der Disposition giebt sich in der ungleichen Behandlung
des Stoffes zu erkennen : Den italienischen Instrumentenmachern sind 152 Seiten einge-
räumt ; die Deutschen, Niederländer, Franzosen und Engländer aber werden allesammt
auf nur 35 Seiten abgethan, die Deutschen imd Niederländer im dritten, die Fran-
zosen vpCL vierten und endlich die Engländer im fünften Abschnitte. Man wird nun
schon aus diesen kurzen Angaben den Schwerpunkt der Piccolellis'schen Arbeit
erkennen: Die Geschichte des italienischen Instrumentenbaues tritt ganz in den
Vordergrund. So Anerkennenswerthes der Verfasser hierin geleistet hat, so wenig
ist er den übrigen Theilen gerecht geworden. Wenn auch zugestanden werden muß, daß
bei jeder eingehenden allgemeinen Behandlung dieses Gegenstandes auf die italie-
nische Kunstfertigkeit das Hauptgewicht fallen wird, so dürfen doch die andern
Nationen nicht vernachlässigt und in ihrer Bedeutung unterschätzt werden. Picco-
lellis hätte auf alle möglichst gleiche Rücksicht nehmen müssen; oder, da ihm
dies augenscheinlich versagt war, so wäre es besser gethan gewesen, den Titel des
Buches anders zu fassen. Der Werth des Werkes hätte sicherUeh nicht gelitten,
wenn es liutai italiani getauft worden wäre ; die letzten drei Kapitel konnten viel-
leicht als Anhang Verwerthung finden.
Gehen wir nun zu den Einzelheiten über. Gleich am Anfange des ersten
Abschnittes weist Piccolellis Irrthümer nach, die sich in aUe Lexica und Special-
werke, F6tis, Vidal und Valdrighi nicht ausgenommen, eingeschlichen hatten.
Acevo (oder Acero) und Sapino sollten piemontesische Geigenmacher gewesen sein.
Das Wort acero fand sich nämlich auf dem Boden einer alten, ehemals dem
Gambenvirtuosen Marin Marais gehörigen Viola ; in einem andern alten Instrument
piemontesischer Herkunft entdeckte man, mit Bleistift geschrieben, das Wort sapino.
Das genügte, um aus acero (oder, wie F^tis las, acevo) und sapino die Namen zweier
^ Der Italiener versteht unter liutai nicht nur Lautenmacher, sondern in
weiterer Bedeutung — und so ist auch der Titel des Piccolellis'schen Buches auf-
zufassen — Verfertiger aller Art Zupf- und Streichinstrumente. Die Übersetzung
Lauten- und Geigetimacher trifft mitnin den Sinn nicht vollständig.
520 Kritiken und Referate.
Ingtrumentenmaeher abzuleiten. F^tis weiß sogar su berichten (Btoyr, tmtv. I, 11,
sowie in Anioine Stradivari, 8. 58), Acevo sei gegen 1630 in Salusso geboren und
ein Schfller Oofiredo Cappa'a gewesen. Natarlieh wurden diese Angaben von allen
denen, die sich berufen fühlten, die Welt mit einer »Qesohiehte der Musikinstru-
mente« SU erfreuen, getreulich abgeschrieben. Und so genießen denn Acevo und
Sapino ein ungestört-fröhlich Leben! Ficcolellis stellt nun aber fest, daß aetro
und sapmo nichts anderes als die betreffenden Holsarten der Insttumententfaeile
bezeichnen: aeero^ Ahomholz und «opino ^ Tannenholz. — Die Lebensverhältnisse
der hervorragendsten Meister sind natürlich mit besonderer Vorliebe behandelt
Was uns Ton der Familie der Amati berichtet wird, übertrifft an Reichhaltigkeit
und Zuverlässigkeit alles, was über dieses Thema bisher geschrieben ist. D^
Nachtrag (die ncie aggiunU, welche durchaus zum Hauptwerke gehören und die
darin gewonnenen Resultate nicht nur vermehren, sondern zum großen Theile be-
richtigen) bietet nicht weniger als 41 d«i versdiiedensten Kirchenarchiven Cre-
mona's entnommene Urkunden über das Geschlecht der Amati. Das für die Ge-
schichte des Geigenbaues so wichtige Geschlecht verfolgen wir durch vier Genera-
tionen. PiccoleUis hat alles hierher Gehörige zusammengestellt: Tauf-, Ehe- und
Sterbedokumente sftmmtlioher Familienmitglieder, soweit sie sich überhaupt noch
in den vorhandenen Kirchenbüchern der genannten Stadt aufgezeichnet finden.
Mittelst dieser Urkunden nun wird fast AUes umgestoßen, was bis jetzt über die
JjebensverhSltnisse der Amati berichtet worden ist Die zahlreichen neuen Aufschlflsse
hier eingehend zu beleuchten, würde zu weit führen. Ich begnüge mich, wenigstens
einen Theil der Stammtafel, und zwar so weit sie die Instrumentenmadier der
Familie betrifft, darzubieten (s. noie aggiunU, S. 9 ff.):
Amati
I
Andrea Nicola
geb. um 1535.
gest. nach dem 10. April 1611.
Giroli
eb. um
gest — gest. 2. Nov. 1630.
Antonio Girolamo
geb. um 1555. geb. um 1556.
Nicola
geb. 3. Dec. 1596.
gest. 12. April 1684.
Girolamo
geb. 26. Febr. 1649.
gest. 21. Febr. 1740.
Wahrscheinlich werden übrigens die Repräsentanten des Instrumentenbaues
innerhalb der Amati-Familie um ein als Geigenmacher bisher unbekanntes Mitglied
^ Sapino (lat. sappinxts, altfranz. sap^ neufranz. sapin) ist wohl allein im
Dialekt der italienisch -französischen Grenzdistrikte zu finden; die itäl. Schrift-
sprache kennt dafür nur äheio.
Liutai anticbi e moderni von Giovanni de PiccoUllis. 521
vermehrt werden müssen. In einem im Jahre 1747 aufgenommenen Instrumenten-
inventar ^ der Benediktinerabtei Kremsmünster wird eine Violine di Francesco
Amati di Crmnona IßdO aufgeführt. Obwohl nun weder F6tis, Vidal, Valdrighi,
noch Piccolellis einen Oeigenmacher Francesco Amati kennen, ist die Richtigkeit
jener Inventamotiz doch nicht ausgeschlossen; denn unter den Söhnen Girolamo
Amati's finden wir einen Francesco Alessandro, der recht gut mit dem oben ge-
nannten Francesco identisch sein kann. Francesco Alessandro wurde am 26. Februar
1 590 geboren {note aggiunte , pag. 3 4) , war also fast sieben Jahre ftlter als sein
Bruder Nicola.
Wie schon erwähnt, kommt Piccolellis in dem Nachtrage theilweise zu ganz
anderen Schlußfolgerungen als im Hauptwerke. Am auffälligsten ist dies bei den
Brüdern Antonio und Qirolamo Amati, den Söhnen Andrea's, der Fall. Es ist
bekannt, daß Antonio und Girolamo gemeinsam arbeiteten und ihre Namen in die
Ton ihnen gebauten Instrumente zusammen eintrugen. Aus der Existenz von
Violinen, welche auf ihren Etlquettes die Namen der beiden Brüder mit den Jahres-
sahlen 1687 und selbst 1698 aufweiseut und die von den kompetentesten Rennern
als »unzweifelhaft echte« bezeichnet worden sind, schloß Piccolellis — und ganz
mit Recht — , daß beide Künstler noch gegen Ende des 17. Jahrhunderts zu-
sammen gelebt und gewirkt haben müssen. Und so gab er denn auch im Haupt-
werke (S. 6 u. 9) dieser Ansicht Raum. Nun aber hat sich herausgestellt, daß
Girolamo schon in dem großen Unglücksjahre 1630 an der Pest gestorben ist.
Antonio*s Todesjahr ist leider nicht bekannt, die Vermuthung ist aber nicht unbe-
gründet, daß auch ihn die entsetzliche Seuche dahingerafft habe — jedenfalls war
nach dem Jahre 1630 ein Zusammenwirken beider Brüder durch den Tod des
einen ausgeschlossen. Wir stehen nun vor der bedeutsamen Frage, was mit
•denjenigen Instrumenten anzufangen sei, welche als »unzweifelhaft echte« gemein-
same Arbeiten Antonio's und Girolamo's ausgegeben werden und doch eine viel
spätere Jahreszahl als 1630 aufweisen. Hierauf an dieser Stelle eine den Gegenstand
erschöpfende Antwort zu geben, kann mir natürlich nicht beikoinmen ; ich möchte nur
die Kenner alter Geigen auf den Widerspruch zwischen dem nunmehr ans Licht ge-
brachten geschichtlichen Faktum und den Etiquetteaangaben aufmerksam machen.
Es ist ja bekannt genug, welch' großer Unfug auf dem Gebiete des Geigenbaues
getrieben worden ist. Man weiß, daß die Modelle alter Meister mit erstaunlicher
Kunstfertigkeit nachgeahmt wurden, daß dann solche Imitationen als Original werke
in den Handel kamen und von der kaufmännischen Spekulation wacker ausgebeutet
wurden. Ich meine, wir dürfen die Thatsache, daß sich nunmehr gewisse Instru-
mente mindestens als sehr zweifelhaft echte ergeben, als ein schätzbares Ergebniß
der historischen Forschung bezeichnen. Oder will man etwa an der Glaubwürdig-
keit der Etiquettes, welche die Namen Antonius <$' Hieronimus Fr, Amati und die
Jahreszahlen 1661, 1687, 1691 und 1698 tragen, immer noch festhalten? Wir können
ruhig die Möglichkeit zugeben, Antonio habe seinen Bruder überlebt und seine
Arbeiten aus alter Gewohnheit noch mit der gemeinsamen Firma in die Welt ge-
^ Vergl. Georg Huemer: Die Pßege der Musik im. Stifte Xremsmänster, Wels
1877, S. 42 ~ sowie MonatshefU für Musikgeschiekte, Jahrgang XX (188S), S. 109.
Ein Theil (46 Nummern) der einst in Kremsmünster aufbewahrten alten Instru-
mente wurde im JaJire 1839 dem Museum Francisco- Carolinum in Linz einverleibt.
Auf meine Anfrage, ob die bezeichnete Violine von Francesco Amati vielleicht
dort noch vorhanden sei, erhielt ich leider eine verneinende Antwort. In Krems-
münster selbst ist sie ebenfalls nicht mehr zu finden; sie wird demnach wahr<-
scheinlich das Schicksal der meisten ehemals dort ansesammelten alten Musikdrucke
getheilt haben, die als »überflüssiges altes Gerumpel « verschleudert wurden.
522 Kritiken und Referate.
schickt. Aber man wolle uns nicht zumuthen, anzunehmen, Antonio habe noch
1661, 16S7, 1691 und gar noch 1698 Instrumente gebaut; er müßte denn beinahe
Methusalem's Alter erreicht haben! Piccolellis, der auffallenderweise diese ganse
Angelegenheit nur sehr kurz und wie beiläufig bespricht, ist offenbar Ton der
Kompetenz seiner Gewährsmänner zu sehr überzeugt; er vermeidet es daher sorg-
fältig, mit den Voten derselben in Konflikt zu gerathen und die Konsequenz aus
seinen Dokumenten zu ziehen. Er hält es für »wahrscheinlich« inoie aggiunte,
S. 8), daß die Instrumente mit den angegebenen späten Jahreszahlen aus dem
Vorrath stammen, der sich nach dem Tode der Meister in ihrer Werkst&tte vor-
fand, und daß die leidigen Daten die Zeit des VerkauÜB bezeichnen. Man wird
zugeben, daß diese Konjektur keine glückliehe genannt werden kann. Sollte etwa
der Nachlaß von Instrumenten ein so großer, oder die Nachfrage nach denselben
so gering gewesen sein, daß der Vorrath noch 30, 50, 60 und fast noch 70 Jahre
nach OiroLamo's Tode hingereicht habe? Das glaube, wer da will! — Von den
übrigen, die Familie der Amati angehenden Dokumenten sei hier noch auf einige
besonders interessante und werthvolle aufmerksam gemacht : In dem am 23. Mai
1645 aufgezeichneten Ehekontrakt Nicola Amati's, Girolamo's Sohn, wird unter
Anderen auch Andrea Guamieri als Zeuge genannt {note aggiunte, S. IT). Eben-
derselbe wird schon im Jahre 1641 {noU aggiunte, S. 21) in den Akten der Paroehie
SS. Faustino e Gioviia als Mitbewohner (Schüler) des Hauses Amati beceidmet
und zwar mit der ausdrücklichen Angabe seines Alters: danni 15. In den gleichen
Dokumenten findet sich zum Jahre 1680 ein Bartohmmeo Cristofori, danni J3
notirt [note aggiunte, S. 21). Der naheliegenden Versuchung, diesen Cristofori mit
dem berühmten Erfinder des Hanmierklaviers zu identificiren, ist natürlich Picco-
lellis nicht ausgewichen. Und wohl nicht mit Unrecht Die Richügkeit dieser
Annahme zugegeben, müßte man also Christofori s Geburtsjahr auf 1667 festsetzen.
Das widerstreitet aber den Angaben Leto Puliti's, der dafür das Jahr 1651 heraus-
gebracht hat^. Es würde zu weit fahren, wollten wir uns hier auf eine definitive
Entscheidung zwischen den beiden sich entgegenstehenden Daten einlassen.
Auf Seite 14 erwähnt Piccolellis den Meister Qiovan Francesco Antognati (!)
aus Brescia als Lautenmacher. Als solcher wird derselbe — soviel ich weiß —
nur von Giovan Maria Lanfranco^ angegeben, doch ist sein Name nicht An-
tognati, sondern Antegnati [Antegnaio schreibt Lanfranco) oder Antignati. Seine
Familie leistete Hervorragendes in der Orgelbaukunst, nicht aber »einer seiner
Nachkommeno (wie P. schreibt', sondern schon sein Vater Bartolomeo, sowie seine
Brüder Giovan Giacobo^ und Giovan Battista und dessen Sohn Graziadio. Lan-
franco ist gleichfalls die einzige Quelle unserer Kenntniß der Brescianer Lauten-
^ Vgl. seinen Aufsatz : Della vita del Serenissimo Ferdinatido dei Medici Gran-
principe di Toscana e della origine del piano/orte, in den Atti delT Accademia del
Jt. Istituto Muaicale di Firetize, A?ino duodecimo. Firenze, CxveUi, 1874. Seite 131
daselbst: A dl 27 gennaio 17 trentuno (1731 ab ine.) Sig. Bartolommeo Cristofori
da Padova dopo daver ricevuto tutti i SS. Sacramentiy mor\ in etä di mmi 80 e^u
sepolto in nostra chiesa [S. Jacopo tra' Fossi] per esser del popolo.
2 Scintille di muaica. Brescia, Lodovico J^ritannicOf 1533. S. Seite 143.
3 Wird ebenfalls von Lanfranco, 1. c. pag. 143, citirt: — gli organi, i quai
sono cosi ben lavorati da Giovan Giacobo frateuo del sopranomato (!) Giovan Fran-^
cesco, che non da mano di huomo, ma da natura creati paiono . . . Giov. Giacobo's
Meisterwerk war die im Jahre 1553 erbaute Orgel für den Dom zu Mailand, 1333
sohon baute er die Orgel für die Kirche Madonna deüe Grazie in Brescia. Der
von P. angeführte Orgelbauer und Organist Costanzo Antegnati war der Sohn
Graziadio's. Vgl. Damiano Muoni : 67t Antignati organari insigni . . . Müano^ 1863.
Liutai antichi e moderni von Giovanni de PiccolelliB. 523
maeher Oiovan Giacobo dalla Coma und Zanetto Montichiaro. P. ciürt dieselben,
von Lanfranco abweichend, DeUa Coma Giovan Paolo und Montechiari (S. 27
u. 60). Über den ebenfalls in Breteia ansftssig gewesenen Giovanni Kerlino er-
fahren wir durch Piecolellis nur sehr wenig und nur Unbestimmtes. Sein Geburtsjahr
und -ort ist ebenso unbekannt wie sein Todesjahr. loh füge den P.'schen Notizen
hinzu, daß Kerlino noch im Juni 1495 in Brescia gelebt haben muß. Die Mark-
gräfin Isabella von Mantua ließ sich n&mlich im genannten Jahre einige Viole von
Kerlino anfertigen und beauftragte den Lautenspieler Giov. Angelo Testagrossa,
sich nach Brescia zu begeben und die bestellten Instrumente zu prüfend
Wie Piecolellis den Amati ein ganz besonderes Interesse zuwendet, so zeichnet
er auch die übrigen großen italienischen Lauten- und Geigenmacher durch ein-
gehende Untersuchungen ihrer Lebenssohicksale aus. Was er über die Guamieri
und Stradivari berichtet, überholt alles, was bis in die neueste Zeit über diese Meister
geschrieben worden ist Uneingeschränkte Anerkennung verdienen namentlich seine
Ouamieri-Studien, mit welchen er, gestützt auf eine große Anzahl bisher völlig
unbekannter Dokumente (s. note aggiuntef S. 23 ff.)» ^^^ unbestimmten und vielfach
von einander abweichenden Angaben älterer Autoren berichtigt. Hiervon nur
einige Beispiele : Giuseppe Giov. Battista wird allgemein als der ältere und Pietro
Qiovanni als der jüngere Sohn Andrea Guamieri's bezeichnet. Nun aber ist fest-,
gestellt worden {note aggiunte, S. 24), daß Pietro Giovanni fast 12 Jahre vor
seinem Bruder geboren wurde. Der allseitig vertretenen Meinung, daß der be-
rühmteste der Guamieri, Giuseppe, genannt del Gesu, Schüler Stradivari's gewesen
sei, widerspricht Piecolellis {note aggiunte, S. 30) und weist die Unhaltbarkeit
derselben nach. Was endlich die Geschichte von Giuseppe del Geeüe Gefangen-
schaft betrifft, aus welcher Zeit die sogenannten violom de la servante stammen
sollen, so ist ihre Glaubwürdigkeit durch nichts gesichert (S. 51). Wir haben
vielmehr, wie Piecolellis in den note aggiunte (S. 30) näher ausführt, begründete
Veranlassung, die Entstehung der romanhaften Erzählung auf eine bloße Namens-
verwechselung zurückzuführen.
Neu sind auch Piecolellis' Angaben über die Rugieri und Rogeri. Zunächst
weist er nach (S. 65), daß hier zwei, von einander ganz verschiedene Familien in
Betracht kommen, die Rugieri (in der Cremoneser Mundart Rugi^r genannt) und
Rogeri, und daß das Zusammenwerfen derselben ebensowenig gerechtfertigt ist
wie die Schreibungen Ruggeri, Ruggieri, Ruggir, Roggier, oder gar Rudger. Zur
Familie der Rugieri gehörten Francesco und Vincenzo, zu derjenigen der Rogeri
Giovanni Battista und Pietro Giacomo^ Da beide Familien mehrere Jahre hindurch
gleichzeitig in Gremona lebten, war es ganz natürlich, daß sie den naheliegenden
Irrthümern in der Namensuntericheidung nach Möglichkeit vorzubeugen suchten.
Francesco Rugieri und sein Sohn Vincenzo fügten auf den Etiquettes ihrer In-
strumente naoh ihren Namen noch detto il Fer^ hinzu, während sich Giovanni
Battista Rogeri, der aus Bologna stammte, Jo Bap. Itogerius Bon, (Bononiensis)
nannte. Pietro Giacomo Rogeri mit den Rugieri in Cremona zu verwechseln, war
weniger zu befürchten, da jener in Brescia arbeitete und daher seine Instrumente
mit fecit Brixiae signirte. Wir dürfen nicht unterlassen, hier Piecolellis' Ver-
dienst hervorzuheben, indem er gegen die überall sich findende falsche Erkläning
1 VgL Stefano Davari: La musica a Mantova. Mantova, Segna, 1884. Se-
paratabzug S. 16.
2 Piecolellis erklärt diesen Beinamen (S. 69) als Provinzialismus für das rein
italienische pero (Birnbaum). Ich erinnere, daß zur Herstellung der Griffbretter,
Saitenhalter, Wirbel und Sättel zumeist das Holz des Birnbaums gebraucht wurde.
524 Kritiken und Referate.
von Bon. auf Giovanni Battista Rogeri's Etiquettes Front macht. Daß das Wort
nur die Abkürzung von Bononienais sein kann, war bisher Niemandem elngeüallen ;
die unglückliche Idee irgend eines phantasiebegabten Autors, der zuerst aus Bon.
detto Ü Bon (Buono) herauslas, wanderte vielmehr in alle Lexica und Spesial-
werke über die Geschichte des Geigenbaues, und seitdem erfreute sich G. B. Bogeri
des auszeichnenden Beiworts deUo il Bon^ genannt der Gute !
Bei der in früherer Zeit häufig auftretenden inkonsequenten Schreibweise der
Eigennamen ist es nicht zu verwundern, daß auch die Namen der Instrumentenmacher
vielfach unsicher überliefert sind. Piccolellis hat sich in anerkennenswerther
Weise bemüht, den vielfachen Schwankungen ein Ende zu machen. Wo er von
der bisher üblichen Schreibweise abweicht, geschieht dies zumeist auf Grund ge-
wichtiger Dokumente. In einzelnen Fällen aber, in denen ihm solche Zeugnisse
unbekannt geblieben sind, muß auch seine Fassung verbessert werden. So heißt
es z. B. nicht Linareüi (S. 54), sondern Linaiolo^; desgleichen nicht Noverei
(S. 61), sondern Noverci^. Ebenso muß wohl auch des jüngeren Sidliani's Vor-
name Gioacchino (wie Piccolellis S. 74 schreibt) in (Hov. Battista korrigirt werden 3.
Es sei mir erlaubt, an dieser Stelle noch die Namen einiger italienischer Lauten-
macher anzuführen, die, soweit ich unterrichtet bin, den meisten neueren Autoren
unbekannt geblieben sind: Paolo Beiami, Antonio Cortaro, Christofilo und Seba-
stiano Bochi und Georgius Sella alla Stella <. Sie werden in Baron's »Untersuchung
des Instruments der Lauten« ^ (S. 93 ff.) citirt, müssen sich demnach durch hervor-
ragende Arbeiten ausgezeichnet haben. »Beiami wohnten — wie Baron schreibt —
»zu Paris und hat sich daselbst .. . . einen unsterblichen Buhm erworben und
fiorirte um das Jahr 1612«. »Antonio Cortaro«, so fährt Baron fort, »hat . . . Anno
1614 in Rom gelebet. Christofilo Rochi (!) und Sebastian Rochi haben beyde
Anno 1620 florirt; der erste lebte zu Padua, der andere aber zu Venedig. Geoi^
gius Sella alla Stella lebte Anno. 1624 zu Venedig«.
Soviel über den ersten, den Haupttheil des Buches. Schon oben ist kurz
über den zweiten Abschnitt berichtet worden. Er handelt, wie wir bereits wissen,
ebenfalls von der italienischen Schule, bringt aber insofern etwas Neues, ab hier
eine vortreffliche Charakteristik der Instrumente der größten italienisehen Meister
dargeboten wird. Piccolellis hat die Merkmale der Arbeiten Gasparo's da Sali»,
Giovan Paolo Maggini's, der Amati, Antonio Stradivari's und endlich Giuseppe
Guamieri's [del Gesü) mit bewundemswerthem Fleiße zusammengestellt ; seine Be-
schreibungen der einzelnen Instrumententypen zeugen von scharfer Beobachtunf^-
gabe und großer Gewissenhaftigkeit. Wir dürfen ihm deshalb auch bezüglich der
Resultate seiner Messungen, die er an Meisterstücken Giovan Paolo Maggini'a,
der Amati und Stradivari's angestellt hat, und welche wir natürlich nicht kontro-
liren können, vollen Glauben schenken.
Ich darf mich über die folgenden Theile kurz fassen. Sie stehen qualitativ
* Vgl. Valdrighi, Nomocheliurgograßa, S. 172. Vidal, 1. c, schreibt gleichfalls
unrichtig ZinetroUi,
2 Siehe das Verzeichniß der florentiner Instrumentenmacher bei Leto Puliti,
l. c. pajT. 172.
^ Siehe den Elenco degli Strumenti musicali antiehi . . . posseduti dal N'ob.
Co. F. C. di Venezia. Ven. Antonelli, 1872. Desgl. Monatshefte für MueiJtae-
schichte, VI (J874), S. 105.
^ Von den genannten Meistern kennt Valdrighi nur diesen. VgL seine Ntnno'
cheliurgograßa, S. 209; S. 64 daselbst ist Sella's Name unrichtig angegeben.
^ Ernst Gottlieb Baron's, candidati juris, historisch-theoretisch und praetiedke
Untersuchung des Instruments der Lauten. Nürnberg, Rüdiger, 1727.
Liutai antichi e modemi yon Giovanni de Piccolellis. 525
und quantitativ in einem ganz und gar ungleichen Verhältnisse- zu dem Vorher-
gehenden. Der Abschnitt über die französischen Instrumentenmacher schließt sich
an Vidal's Arbeit an und derjenige über die englischen geht nicht über Georg
Hart's^ Untersuchungen hinaus. Den Deutschen und Niederländern ist zwar ein
weit größerer Raum als den Franzosen und Engländern gewidmet, allein was er
über jene enthält, ist zumeist unbrauchbar und strotzt geradezu von Irrthümem
aller Art. Ich halte es für meine Pflicht, eben weil ich die vielen Vorzüge des
Buches anerkenne und hochschätze, hier auch eingehend der Mängel zu ge-
denken. Möchte damit wenigstens etwas die nur zu sehr zu fürchtende Fortpflan-
zung der falschen Nachrichten verhindert werden! Ich folge nun der alphabe-
tischen Anordnung des Abschnittes. Seite 155 schreibt Piccolellis wörtlich: Artmann
Wegmann, scolare dt Ernst, lavorb in Gotha nel XVII (sie) seeolo. Lange Zeit
habe ich mich vergeblich bemüht, über die Person dieses wunderlichen Artmann
Wegmann klar zu werden. Bei Georg Hart^ las ich denselben — räthselhaften
Satz, nur natürlich in englischer Sprache, sonst aber nirgends eine zuverlässige
Notiz. Endlich fand ich die Lösung des Räthsels: Wegmann soll den kleinen
Ort Wechmar bei Gotha bedeuten, wo Artmann (Hartmann?)' sein Kunsthand-
werk, das er bei dem bekannten Violinisten und Geigenbauer Franz Anton Ernst
erlernt hatte, mit Eifer pfl^e. Es versteht sich nun auch von selbst, daß wir
sein Wirken nicht in das 17. Jahrhundert, sondern gegen Ende des 18. und
Anfang dieses Jahrhunderts setzen müssen. Falsch ist auch das Todesjahr Carl
Ludwig Bachmann's (S. 155) angegeben, der nicht 1801, sondern 1809 starb.^ Zu
verbessern ist femer der Passus (S. 155) Dechert, Giovanni Nicola, fabbricö . . . a
Ghrohrutenback (!) nel XVII seeolo in Deckert, Oroßbreitenbaoh (bei Arnstadt
im Schwarzburgischen) Ende des 18. und Anfang des 19. Jahrhunderts ;
ebensowenig gehört auch der Darmstädter Nikolaus Diehl (S. 155) dem 17.,
sondern dem 19. Jahrhundert an. Was Piccolellis von dem berühmten tiroler
Oeigenmacher Caspar Tieffenbrucker (Duiffoprugcar) zu sagen weiß, ist nur eine
Wiederholung dessen, was schon Andere vor ihm berichtet haben. Auffallender
Weise nimmt er von Jacquot's Vermuthung^ Tieffenbrucker habe sich um 1560
in Nancy, am Hofe des Herzogs Carl III. von Lothringen aufgehalten, keine
Notiz. Wie der ehrwürdige Wiener Kapellmeister Johann Josef Fuz von Picco-
lellis (S. 158) als Lautenmacher hingestellt werden konnte, ist unbegreiflich. Na-
türlich ist Mathias Fux, »römisch kaiserlicher Majestät Hoflautenmacher in Wien«
gemeint <^. Über Conrad Gerle (S. 158) lesen wir nur zwei Zeilen. Ich verweise
den Leser, der sieh über diesen alten Nürnberger Meister näher unterrichten will,
auf den immer noch nicht überholten Aufsatz J. K. S. Kiefhaber's 7. — Seite 158
^ The violin, London, 1875,
2 L c. Seite 209.
' Der Hallenser »Universitäts-Instrumentenmocher« Jacob August Otto, der
ebenfalls bei Franz Anton Ernst die Kunst des Geigenbaues erlernt hatte, also
Artmann's Mitschüler war, citirt in seiner verdienstvollen Schrift: Über den Bau
und die Erhaltung der Geige . . . Halle und Leipzig, 1817, Seite 31 Artmann, nicht
Hartmann, schreibt aber unrichtig Wegmar,
* Siehe Ledebur: Tonkünstler -Lexikon Berlins, Berl, 1861 y Seite 26. Man
verbessere auch F^tis [hiogr, univ. 1, 209) , der Carl Ludwig mit Anton Bachmann
zusammengeworfen .
* 1. c. Seite 50.
^ Die Benediktinerabtei Kremsmünster bewahrt von ihm eine Laute, »zuge-
richt 1685«. Vergl. Huemer, 1. c. Seite 129.
7 Siehe AUgemeine musikalische Zeitung, Leipzig, 1816 (Band XVIII),
Seite 309 ff.
526 Kritiken und Referate.
citirt Picoolellis als arießce tedeseo einen gewissen Orobitz, Man korrigire sa-
nächst Oroblicz und bemerke dann, daß derselbe ein Pole war. Unrichtig ist
femer die Angabe (Seite 159), daß Johann Anton Hansel »Violinist und Musik-
lehrer in Berlin« gewesen sei; er war vielmehr »Kammermusikus des jungem
Hm. Grafen von Schönburg zu Rochsburg«. ^ Ich übergehe einige geringere Irr-
thümer, die durch Druckfehler^ entstanden sein mögen. Daß aber Piceolellis
unsern wackem Hans Neusidler (Newsidler) zweimal, S. 160 und im Indtce, in
Metmdler umtaufte, darf hier nicht verschwiegen werden. Beiläufig sei bemerkt,
daß uns schon Oeorg Hart^ mit demselben Meusidler beglückt hat. Auf Seite 161
verbessere man den Vornamen Possen's, des »Lautenmachers von Schongau* in
Bayern) in Lucas (Laux),^ femer lese man den Wirkungsort Seheinlein's nicht
Lfmgenfels, sondern Langenfeld (bei Erlangen) und endlich statt ScheU Schelle^.
Unsicher ist der Name des Wiener Instrumentenmachers Statelmann (S. 16S>. Ja-
cob August Otto (1. c. S. 7) schreibt Stateimann, S. 31 aber Stadeimann — viel-
leicht ist Stadhnann die allein richtige Schreibung. Für Tecehler (S. 168> ist
Techler zu setzen, desgleichen fOr Thielche (S. 169; Tielke^ und endlich für WO-
hahn {S. 170) Wethalm?.
£s bedarf wohl keines weiteren Beweises, daß Piceolellis seiner Aufgabe
bezüglich der deutschen Lauten- und Geigenmacher nicht gewachsen gewesen ist
Er fand keine genügende, das umfangreiche Feld auch nur annähernd umfassende
Vorarbeiten, hatte keine Gelegenheit zu Original- und Spezialstudlen und mußte
sich daher mit den spärlichen, und vielfach selbst schon unrichtigen Notizen be-
helfen, die er aus den Werken französischer und englischer Autoren zusammenlas.
Statt weiterer Ausstellungen nehme man die folgenden Zusätze hin ; sie mögen als
kurze Andeutungen angesehen werden, als kleine Kömchen, die zum Gesammt-
werke nur eine bescheidene Beisteuer bilden wollen.
Schon früh hatte sich unsere deutsche Instrumentenbaukunst in Italien be-
merkbar gemacht und die dortige Kunstausübung nicht unwesentlich beeinflußt
Ja, noch mehr: liange Zeit, schon gegen Ende des 15. bis in die Mitte des
16. Jahrhunderts, sind die vomehmsten Vertreter des Lauten- und Geigenbaues
in Italien Männer deutscher Abkunft gewesen. Noch ehe uns nur die Namen
national-italienischer Lautenmacher überliefert werden, blühten schon längst Jo-
hann Kerlino (Kerl?;», Lucas Mahler und später Caspar Tieffenbmcker. Erst in
1 So unterzeichnet er sich selbst am Schluß eines Artikels in der AUgem. nutsi-
hol. Zeitung, Leipzig, 1811. Seite 82.
2 Man schreibe Jatig dt Dresda für Tung dt Lipzia (S. 159,, Kämbi fOr
Xambl (S. 159), Halle u. Leipzig, Ruff für Haue, Reinecke (S. 160;, Ilmenau für
Hilmenau (S. 170). Schon vorher verbessere man S. 11, Note 1 die Zahl ld7i zu
1782, S. 31 Gancino zu Orancino und endlich in den note aggiunte (S. 31; die
Zahl 1652 zu 1682,
> l. c. Seite 204 und 214.
* Vergl. Monateheßef, Musikgeschichte, \1II (1876;. S. 75.
^ Siehe Baron, 1. c. S. 97.
* Nach Baron, a. a. O. Seite 95.
7 Jlach Otto, l. c. Seite 31.
» Über Kerlino's Nationalität waren und sind noch die verschiedensten Mei-
nungen im Umlauf. Daß er kein Italiener gewesen, wird in neuerer Zeit &8t von
allen Seiten zugegeben. Und ganz mit Recht. La Borde erklärte die Vorsilbe
JTer als ein dem Celtischen eigenthümliches Praefix und folgerte daraas, daß
Kerlino's Heimath die Bretagne gewesen sei. Wahrscheinlicher und weniger ge-
zwungen scheint es mir, wenn wir in Kerlitio einfach die Diminutivform von Kerl
Liutai antichi e modemi von Giovanni de Piccolellis. 527
der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts erhob sich der Geigenbau, zunächst in
Brescia, dann in Cremona, zum eigenen, nationalen Kunsthandwerke, sich schnell
zu herrlichster Blüthe entfaltend und alle gleichartigen Bestrebungen anderer
Völker weithin überstrahlend. Ich kann nicht umhin, auf die merkwürdige Ana-
logie hinzuweisen, welche um dieselbe Zeit die Entwicklung der italienischen
Musik zur Erscheinung brachte. Hier wie dort waren es germanische Elemente,
die, auf italienischen Boden übertragen, die Ecksteine des Fundaments bildeten,
auf welchem sich der spätere Prachtbau italienischer Kunst erhob.
Von den oben erwähnten ältesten Lautenmachem ist Lucas Mahler verhält-
nißmäßig am wenigsten bekannt. Piccolellis citirt ihn überhaupt nicht, und was
Andere über ihn angeben, ist durchweg unrichtig. Schon Baron ^ hat Mahler^
Blüthezeit um nicht weniger als 100 Jahre zu früh angesetzt, und seitdem pflanzte
sich dieser Fehler bis in die neueste Zeit fort 2. Lucas Mahler lebte nämlich
nicht schon um 1400, sondern erst um 1500. In der alten, musikliebenden Stadt
Bologna hatte er seine Werkstätte aufgeschlagen ; wie lange er dort gewirkt, ist
nicht bekannt Sicher ist nur, daß er noch im Jahre 1523 in Bologna gearbeitet
hat, und daß sich seine Instrumente eines weitverbreiteten Bufes erfreuten^. —
Der deutsche Geigenbau fand aber nicht nur während der ersten Hälfte des
16. Jahrhunderts in Italien hervorragende Vertreter, sondern auch noch etwa
100 Jahre später, zu einer Zeit also, in welcher die einheimische Kunst schon zu
voller Entwicklung gereift war. Daß unsere deutschen Landsleute damals mit
den Arbeiten ihrer italienischen Kollegen erfolgreich wetteiferten, ist uns durch
Baron verbürgt. Besonders waren es Buchenberg (oder Buckenberg) und Michael
Härtung, die ihren Instrumenten allgemeine Anerkennung zu verschaffen wußten.
Buohenberg lebte um 1600 in Rom. »Man hat«, so berichtet Baron*, »die vor-
trefflichsten Theorben von ihm, die nur zu finden seyn, e. g. Oval-rund, von einer
sehr proportionirlichen Grösse, von einem sehr delicaten durchdringenden metallenen
Thon. Wer das Glück hat von diesem besondrem und vortrefflichen Meister
etwas zu besitzen, der kann nur solches als ein wahres Kleinod von Instrumenten
aufheben. Das Dach oder die Decke ist insgemein mit drey Sternen nach Ko-
mischer Art gezi ehret, damit sie den Thon gut auswerffen können«. »Michael
Härtung«, schreibt Baron weiter, »lebte Anno 1624 zu Fadua. Dieser Härtung-^
hat noch bey dem gants jungem Leonhard Tieffenbrucker welcher auch gar feine
Arbeit gemacht,' welche fast mit des Vendelino Tieffenbrucker's übereinkommt, zu
Venedig gelemet«. — Es hieße die Grenzen dieses Referats ungebührlich über-
(KerU) erblicken und ihn somit dem germanischen Volksstamme zuweisen. Val-
drighi, 1. c. Seite 47, geht sogar noch weiter, indem er ihn für einen Tiroler hält,
fügt aber seiner Angabe vorsichtiger Weise ein Fragezeichen hinzu.
» 1. c. Seite 56 und 92.
^ Auch Valdriffhi, 1. 1. Seite 56, ist in denselben Irrthum verfallen; er citirt
übrigens inkorrekt maUer, Vgl. Jahrg. II dieser Zeitschrift, S. 39.
' Zum Beweise diene die folgende Stelle aus einem Briefe des Markgrafen
Friedrich von Mantua an Don Ercole Gonzaga: — Essendo not uetiuto in desiderio
dt Kauere uno lyuto (!) fatio per mano dt M^^. Luca Mdlher (!), cKh li in Bolognia
pregamo V. S. che voglia esser contenta dare carico ad uno de* suoi seruiiori di
cercar eeso M^o. Luca et uedere se P hauese cosa che fasse a nosiro proposito et il
pretio che ne dimanda aduertendo che noi u&ressimo uno lyuto mezano cio^ che non
Josse arande ne anche piccolo et bono in exceUentia . . . Mantue XIX Martii
MDXXIII, Orig. im Archiv Gonzaga zu Mantua.
* 1. c. Seite 94. Valdrighi, a. a. 0. S. 15, schreibt Buechtenherg.
^ Seite 93 citirt Baron auch einen Schüler Hartung's: Raphael MesL
528 Kritiken und Beferate.
schreiten, venn ich an diesem Orte den in Italien ansfissig gewesenen deutschen
Lauten- und Oeigenmachem noch weitere Beachtung schenken wQrde. Daß das
Thema durch das oben Angegebene nur nothdürftig skisiirt und keineswegs er-
schöpft ist, ist selbstverständlich. Ebensowenig kann ich mieh über die Yon Pic-
colellis und den meisten andern Autoren unbeachtet gebliebenen deutschen Instro-
mentenmacher, die in ihrem Vaterlande lebten und wirkten, ausführlicher verbreiten.
Ich gebe daher nur kurz die Namen der bedeutenderen Meister an, die — wie
ich meine — in einer Abhandlung über die deutschen Instrumentenbauer nieht
übergangen werden dürfen: Aus der ersten Hfilfte des 17. Jahrhunderts Seba-
stian Rausgier, Hans Fiohtholdt und Mathias Epp (in Straßburg) ; aus der sweiten
Hälfte Mathias Regenstun in Wien und Johann Seelos in Linz. Von den Mei-
stern, die in den ersten Jahrzehnten des 18. Jahrhunderts blühten, dürfen
nicht ungenannt bleiben Andreas Bahr in Wien, Sebastian Rauch in Prag, Schmid
(ein Schüler Johann Christian Hoffmann's) in Leipzig, Jacob Weiss in Salzburg,
Mathias Himimel (Schelle's Lehrmeister) in Nürnberg, Johann Blasius Weigertii^
in Linz und endlich die Breslau er Michael Stürtzer und Johann Michael Oüttler'.
Dem allgemeinen Urtheil, das ich Eingangs dieser Besprechung über Pieeo-
lellis' Buch ausgesprochen, wird man nach all dem Gesagten beistimmen. Ich
wiederhole, der Verfasser hätte sich und seiner Arbeit einen größeren Dienst ge-
leistet, wenn er sich auf die Darstellung der Entwicklung des italienischen Lau-
ten- und Geigenbaues beschränkt hätte. Hierin hat er uns das Vortrefflichste
geliefert, was bis jetzt über denselben Gegenstand geschrieben worden ist. Ich
gestehe aber gern, daß selbst alle die angegebenen Ausstellungen die vielen Vorzüge
des Buches nicht verdunkeln können. Möge dasselbe in den Kreisen der Musik-
gelehrten die verdiente Beachtung finden und zu weiteren Studien Veranlassung
geben.
Berlin. Bmil VogeL
Stefano Davari^ La Musica a Mantova. Notizie biografiche di
Maestri di Musica, Cantori e Suonatori presao la Corte di MantoTa
nei secoli XV, XVI e XVII tratte dai documenti dell' Archivio
storico Gonzaga. Separatabdruck aus der »Rivista storica mantovana«,
vol. I. fasc. 1 — 2. Mantova, stab. tipo-lit. Eredi äegna, editori.
1884. 19 S. 80.
Die folgenden Zeilen weisen nicht auf ein größeres, selbständig gedrucktes
Werk hin, sondern auf einen kurzen Aufsatz, der in einer Zeitschrift erschien,
die wohl nur in wenigen Exemplaren in den öffentlichen Bibliotheken außerhalb
Italiens zu finden ist. Es ist mir darum eine umso angenehmere Pflicht, die Leser
der » Vierteljahrsschrift « auf die kleine, oben angeführte Arbeit Stefano Davari's
aufmerksam zu machen und damit wenigstens etwas zu ihrer allgemeineren Ver-
breitung beizutragen. Davari's Musica a Maniova enthält biographische Notizen über
Bartolomeo Tromboncino, Marchetto Cara, Carlo di Launay und Giovan Angelo
Testagrossa, sie führt uns mitten in die Blütheseit der Frottoleliteratur und
schildert uns die vorzügliche Pflege, welche der Musik in Mantua unter der Be-
, ^ 1 Sollte derselbe nicht mit dem von Piccolellis (S. 170) citirten Wikeri iden-
tisch sein?
2 Über die meisten der oben Angeführten vergl. Baron, 1. c. Seite 93 iL
La Musica a Mantova von Stefano Davari. 529
gierung des Markgrafen Franz II und seiner kunstsinnigen Gemahlin Isabella zu
Theil ward. Dasselbe Thema hatte freilieh schon Pietro Canal^ behandelt, aber
doch nicht in so erschöpfender Weise wie es nunmehr von Davari geschehen.
Eine 'Menge der wichtigsten Dokumente, die das Archiv Oonzaga bewahrt, blieb
Canal unbekannt, und so konnte seine Arbeit — so Anerkennenswerthes er damit
geleistet — in einzelnen Kapiteln doch nur einen Theil der gestellten Aufgabe
lösen. Was seinem Buche bezüglich der vier genannten Meister mangelt, hat
Davari mit vieler Sorgfalt zusammengetragen und uns damit ein im Ghroßen und
Ganzen abgeschlossenes Lebensbild jener Männer gezeichnet. Nebenbei aber er-
fahren wir noch zahlreiche höchst schätzbare Nachrichten über diejenigen Meister,
welche zur selben Zeit zum Hofe von Mantua in mehr oder weniger nahen Be-
siehungen gestanden, vor allem über Alexander Agricola, Johannes Martini^ und
Josquin de Pros.
Was Davari über Bartolomeo Tromboncino und Marchetto Cara berichtet, ist
durchweg neu und bereichert unsere Kenntnisse der Lebensumstände der beiden
bedeutendsten Frottolisten ^ in so großem Maße, daß wir über dieselben weit besser
unterrichtet sind als über eine nicht geringe Anzahl von Tonmeistern aus viel jüngerer
Zeit. Der kunstliebende mantuanische Hof, an der Spitze die Markgräfin Isabella,
unterhielt, um ihren Hofmusikern beständig neues Material zu neuen Kompositionen
zu liefern, mit den bedeutendsten Dichtem jener Zeit die regsten Verbindungen,
besonders mit Galeotto del Carretto*, Niccolö di Correggio und Antonio Tebaldeo.
Die uns erhalten gebliebenen Kompositionen^ der beiden Meister dürfen daher nur
als ein geringer Bruchtheil ihrer künstlerischen Fruchtbarkeit angesehen werden.
Gleichfalls neu und werthvoll sind Davari's biographische Notizen über den Sänger
Carlo di Launay und den Lautenspieler Giovan Angelo Testagrossa, Künstler, die
bis jetzt so gut wie unbekannt waren, über welche wenigstens alle näheren Nach-
weise bezüglich ihres Lebens fehlten.
Davari's Aufsatz entspricht allen Anforderungen, die man an eine wissen-
schaftliche Arbeit zu stellen berechtigt ist, und erfüllt uns daher mit umso leb-
hafterem Wimsche, das Begonnene recht bald fortgesetzt zu sehen. Dazu ist der
geschätzte Autor durch seine amtliche Stellung, er ist Archivar am Archivio atorico
Gonzaga, wie kein Anderer begünstigt und berufen. Möge er uns aus dem reichen,
seiner Aufsicht unterstellten Schatze noch recht Vieles darbieten — er darf des
aufrichtigsten Dankes aller Musikhistoriker versichert sein.
Berlin. Emil Vogel.
^ DeUa Musica in Mantova, Veneziaj Antoneüi, 188].
2 Davari giebt der Form Martin den Vorzug. Die Schreibung Joannes Martini
ist aber gebräuchlicher. Vergl. Petrucci's Sammlungen, die sechs Kompositionen
Martini's enthalten, femer den Cod. 59 (Cl. XIX) der Biblioteca Nazionale zu
Florenz, worin Martini mit sieben Stücken vertreten ist, endlich den Liedercodex
im Archivio del Capitolo di S. Pietro in Eom, der zwei Nummern von Martini
aufweist.
^ Über die poetische und musikalische Form der Frottola siehe Rudolf Schwartz :
Dis Frottole im 16. Jahrhrndert. (Vierteljahrsschrift f. Musikwi«sensch. II, S. 427 ff.).
^ Ven^l. Giovanni Oirelli: Rime e lettere inedite di Galeotto del Carretto e
lettere di fsaheUa dEste Gonzaga, Torino, Bona, 1886.
5 Von Tromboncino's Vater, Bernardino Piffero, der in Diensten der Signoria
von Venedig stand, befindet sich eine vierstimmige Komposition, DiusflJ del ciel,
in den Fioretti di frottole . . . libro secondo, stamp. in Napoli, per Joanne anüonio
de Laneto de Pavia 1519. Ein Exemplar besitzt die Bibl, Marucelliana zu Florenz.
g^Q Kritiken und Referate.
A, /. Hipkins, Musical Instruments historic, laie and unique.
The selection, introduction and descriptive notes by
Edinburgh (Black) 1888. Mit 50 farbigen Tafeln. 108 S. in fol.
Im Jahre 1885 fand in der Albert-HaU zu London eine bemerkenswerthe Aus^
Stellung musikalischer Instrumente statt, zu welcher Privatleute ebenso wie öffent-
liche Institute, zumeist aus England und Schottland, ihre Schätze beigesteuert
hatten. Dort fand sich zusammen, was ohne besondere Glücksumstände kaum ein
Sterblicher leicht kennen zu lernen Gelegenheit hat; denn in den Händen eng-
lischer, schottischer und welscher Großen findet sich manches einzigartige und
daher mit Argusaugen gehütete Kleinod des Instrumentenbaues. Ein eifriger In-
strumentensammler in Edinburgh, Robert Glen, gab die höchst dankenswertJie An-
regung, die dort nur vorübergehend geschaffene Vereinigung werthvoller Musik-
instrumente wenigstens in Wort und Bild festzuhalten. Hipkins unternahm mit
Hilfe des Malers William Gibb die Ausführung dieses Gedankens. Das Ergebniß
der Arbeit liegt in einem Prachtfolianten vor. Wir würdigen das Verdienst, welches
sich die Verfasser erworben haben, in seiner ganzen Große, wennschon dem Werke,
über dessen Verhältniß zu jener Ausstellung man sich nicht in jedem einzelnen
Falle klar wird, einige Mängel anhaften, welche mit leichter Mühe hätten ver-
mieden werden können, es nunmehr aber um ein erhebliches theurer und trotzdem
weniger brauchbar gemacht haben.
Vor allem leidet es an einer gewissen Planlosigkeit in der Anordnung des
Stoffes. Was Hipkins giebt, ist im Allgemeinen genommen ganz vortrefflich und
zeugt von eigenem, selbständigem Studium. Die Art und Weise jedoch, wie er
seinen Stoff giebt, ja auch das, was er zu sagen unterläßt, zeugt von einem empfind-
lichen Mangel an wissenschaftlicher Schulung. Das Wort »philologische Methode*
mag ja manchem Kunstkenner anstößig klingen. Was aber ihr Fehlen su be-
deuten hat, kann man an unserem Beispiel recht deutlich erkennen. Anstatt daß
die Instrumentenabbildungen nur eine sehr willkommene Stütze der geschichtlichen
Erläuterungen bilden sollten, sind sie vielmehr hier zur Hauptsache, zum Angel-
punkt der ganzen Veröffentlichung geworden. Der Text des Werkes dient nur
als untergeordnetes Beiwerk, sodaß das Ganze auf einen Bilderatlas hinausläuft,
der zwang- und wahllos eine Anzahl von zufällig vorhandenen Instrumenten ab-
malt, und zu welchem schließlich ein Fachmann ebenso zwang- und wahllose
Notizen hinzuschüttet, wie sie ihm gerade schnell beigefallen sind. Erklären läßt
sich dieses Verfahren aus der oben erwähnten Veranlassung des Werkes sehr wohl,
aber nicht entschuldigen. Denn diese Planlosigkeit ist nicht eine scheinbare, wie
sie ein geschickter Stilist wohl mit Absicht hervorbringt, um sich dem Konver-
sationston imd damit seinem Publikum mehr anzunähern ; bei Hipkins ist sie viel-
mehr eine durchgehende Schwäche, die sich bis in kleine Einzelheiten hinein ver-
folgen läßt So stellt die erste Tafel Hörner dar, die zweite und dritte Harfen.
die nächsten Bilder bringen Dudelsackarten , es folgen Clavicytherium , Olifant,
Virginal, Laute, Guitarre, Positiv u. s. f., alles bunt durcheinander. Wer also bei-
spielsweise über Klavierinstrumente etwas zusammenhängendes wissen will, muß
es sich aus allen Gegenden des nicht gerade handlichen Folianten zusammensuchen,
und dann erst stellt sich folgende Keihe von Instrumenten dar:
Tafel 6. Clavicytherium, Anfang 16. Jahrh.
» 8. Virginal, um 1570.
» 11. Positiv, erste Hälfte 17. Jahrh.
Musical Instruments historic, rare and unique von A. J. Hipkins. 53 }
Tafel 12. Regal, Ende 16. Jahrh.
» 13. Portativ, 16)^8, und Bibelregal.
» 18. Virginal, 1622.
» 20. Boppelspinett, ungefthr der Zeit wie Toriges.
» 22. Spinett, Ende 17. Jahrh.
> 34. Clavichord, erste Hälfte 18. Jahrh.
» 35. Harpsiohord, 1773.
Offenbar hatte Hipkins eine seitliche Naoheinanderfolge der Instrumente im
Sinne, aber innegehalten hat er. sie nicht. So stehen die Klavierinstrumente 11
und 13 nicht an ihrer richtigen Stelle. Um ein anderes Beispiel zu geben, ist es
mir ganz unerfindlich, warum die antiken Blasinstrumente Liiuus und Buccina,
die nach chronologischer Anordnimg doch an erster Stelle stehen müßten, erst
den 39. Platz angewiesen bekamen; und wiederum, wenn sie mit einigen ihnen
nachfolgenden Blasinstrumenten eine Gruppe bilden sollten, so sieht man nicht
ein, warum denn dieser Gesichtspunkt nicht auch anderwärts angenoomien worden
ist. Und dabei stehen die genannten beiden Instrumente mitten zwischen später
gebräuchlichen und nach den ihnen gleichartigen. Wie außerordentlich unbequem
ist nun bei diesem Mangel an Ordnung die Benutzung des dicken Buches!
Nirgends bietet sich eine fortlaufende Gedankenreihe ; Notiz folgt auf Notiz, wie
im Kaleidoskop eine Figur auf die andere.
Um die Unübersichtlichkeit nocn zu vermehren, hat Hipkins den erläuternden
Text nochmals gespalten, nämlich in eine Einleitung von 19 Seiten Länge und in
die 50 kleinen Abschnittchen mit Bemerkungen zu den einzelnen Instrumenten. Dabei
konnte es gar nicht ausbleiben, daß er zuweilen in diesen wiederholt, was er in
jener bereits gesagt hatte. Man vergleiche z. B. die Bemerkungen über die Ge-
schichte des Dudelsackes Einleitung S. XIV und Tafel 5. Meiner Meinung nach
wäre es allein richtig gewesen, Text und Bilderatlas jedes geschlossen für sich zu
geben. Der Atlas hätte ja inmierhin dem Beize Bechnung tragen können, welchen
die bunte Mannigfaltigkeit stets neuer Formen dem Auge bietet, aber der Text
mußte als zusammenhängendes Ganze erscheinen. Dadurch hätte sich auch der Preis
des Werkes bedeutend herabmäßigen lassen. Während jetzt der Text dasselbe
kostspielige Papiermaterial beansprucht wie die Bilder, hätte der Druck vielmehr
recht gut und sogar viel besser auf gewöhnlichem Papier als Anhang zum Bilder-
atlas Platz finden können. Hipkins zerschlug aber die einzelnen Aufsätze in lauter
kleine Splitterchen und gab jedem Instrumentenbilde sein Antheilchen gleich bei;
wo dasselbe gar zu winzig ausfiel, steht eine halbe oder sogar ganze Seite des
theuren Pappstoffs leer — der Käufer muß sie mitbezahlen.
Wenn nun der Verfasser die streng chronologische Aufeinanderfolge mit allem
Ernste hätte innehalten wollen, so wäre er während dieser Arbeit von selbst zu
einem höchst bedeutenden Ergebniß gekommen. Eine wichtige Seite der Instru-
mentenkunde, — wenn man überhaupt von einer solchen bisher reden darf — das
Bestimmen der Instrumente nach ihrem Alter, entbehrt noch völlig einer wissen-
schaftlichen, methodisch sicheren Grundlage. Es giebt zwar eine kleine Anzahl
von Fachmännern, welche, meist durch ihren Beruf als Konservatoren von Musik-
instrumentensamnüimgen darauf angewiesen, sich eine tiefergehende Kenntniß der
noch vorhandenen Tonwerkzeuge früherer Zeiten auf praktischem Wege erworben
haben, — ich erinnere nur an den verstorbenen Karl Engel. Daß aber eine so
erworbene Kennerschaft doch nicht in allen Fällen ausreicht, weiß jeder, der einmal
in die Lage gekommen ist, über ein bis dahin noch nicht bekanntes Instrument
ein zeitbestimmendes Urtheil abgeben zu müssen. Da weichen denn auch die
1888. 36
532 Efitiken und Referate.
Autoritäten in ihren Aussagen oft recht erheblich von einander ab. Meist sind es
Faktoren nicht musikgeschichtlicher Natur, welche beim derartigen Besdnunen alter
Instrumente den Ausschlag geben sollen, z. B. die Malerei, welche sich am Instru-
mente befindet, besonders aber eingeklebte ZetteL Das sind aber oft recht trtige-
rische Kennzeichen, denn die Malereien können spftter zugefügt aein und die
Zettel sind sogar sehr häufig gefälscht. Aus seiner eigentlich musikalischen Be-
schaffenheit heraus ein Instrument allseitig zn bestimmen, ist nur auf Grund einer
bisher noch nicht geleisteten exakten Instrumentenkunde möglich. Diese aber hat
zwei Seiten, eine theoretische und eine praktische. Die praktische Instrumenten-
kunde hat es mit der gründlichen Durchforschung und genauen Beschreibung
sämmtlicher noch vorhandener Instrumente früherer Musikepochen zu thun, wäh-
rend die theoretische Instrumentenkunde sich auf die gründliche Erforschung und
vorsichtige Yerwerthung der einschlägigen Literatur stützt. Am reichlichsten
fließen die Hilfsquellen zu der letzteren, weshalb es umso verwunderlicher ist,
daß gerade dieser wichtigste der beiden Theile so verwahrlost daliegt. Noch be-
sitzen wir nicht einmal einen Versuch zu einer Oeschichtschreibung des Instru-
mentenbaues. Ohne eine solche aber sind wir unfähige derartige Allgemeingrund-
sätze aufzustellen, wie sie der praktischen Instrumentenkunde noüi thun, und
dadurch wird diese auf die Beschreibung der Beste des alten Instrumentenbaues
nothwendigerweise einseitig beschränkt. Daß also wenigstens hierin eine strenge
Zuverlässigkeit obwalte, ist die bescheidenste Anforderung, welche man an ein-
schlägige Werke stellen darf. Leider muß ich gestehen, daß Hipkins dieser
Forderung nicht ganz gerecht geworden ist. Das ist um so mehr zu beklagen,
als sich ihm an den hier behandelten Instrumenten ein Beobachtungsstoff bot, wie
er so leicht nicht wieder beisammen angetroffen wird. Denn die große Mehrzahl
der Instrumente aus der seiner Arbeit zu Grunde liegenden Loan-Collection tragen
entweder untrügliche Angaben ihrer Entstehung oder sind Instrumente von einer
allgemein geschichtlichen Bedeutung, über deren Alter und Abstammung sich
Traditionen gebildet haben.
Aus der letzteren Gruppe hebe ich folgende Instrumente hervor : die Harfe der
Maria Stuart mit der Lamont-Harfe spätestens dem 15. Jahrhundert angehörend,
die Guitarre Rizzio's, des Geliebten der Maria Stuart — der Überlieferung nach,
und die Laute der SLönigin Elisabeth von England. Wenn auch um diese In-
strumente die Sage Fäden gewoben hat, welche die Forschung vielleicht zerreißt,
so darf man doch von Glück sagen, überhaupt derartige Traditionen zu besitzen,
denn deren Vorhandensein ist schon an sich der Beweis eines ehrwürdigen
Alters.
Ich möchte hieran eine allgemeine Bemerkung knüpfen. Als sogenannte
Reliquien werden Musikinstrumente, auch wenn sie solche nicht sind, aus zweierlei
Gründen ausgegeben: entweder ihrer schmuckvollen Ausstattung, oder aber ihres
hohen Alters wegen. Zuweilen mögen ja die sagenhaften Überlieferungen be-
gründet sein, aber dem Forscher erwächst aus dieser Möglichkeit nicht die Pflicht,
ohne überzeugende Beweise an sie zu glauben. Je schöner und prächtiger die
Ausstattung des Instrumentes, desto reicher und — im Mittelalter — desto vor-
nehmer die Person, für welche es der Instrumentenmacher verfertigte; bei solchen
liegt die Wahrscheinlichkeit einer geschichtlichen Überlieferung — den ganzen
Verhältnissen des Mittelalters nach — näher, als bei weniger geschmückten In-
strumenten. Bei letzteren steht folglich das höhere Alter zu vermuthen näher. Um
also zu einer ungefähren Altersbestimmung zu gelangen, muß man den Zeitpunkt
möglichst genau zu bestimmen suchen, in welchem die Überlieferung zuerst auftauchte,
denn mit ihm ist ein Anhalt zu ferneren Zeitbestimmungen gegeben. Auf dsr*
Musical Instruments historic, rare and unique von A. J. Hipkins. 533
gleichen Erörterungen verzichtet aber Hipkins ganz, sie schienen ihm vielleicht
zu unfruchtbar. Ich weiß nicht, ob sie es gerade hier gewesen wären, indessen
kann der Leser sich nicht des OefOhlea der Neugierde erwehren, zu erfahren, was
eigentlich an jenen Gerüchten wahr sei, welche von der Harfe Maria Stuarts, der
Guitarre Bizzio's und der Laute Elisabeths reden.
Die zweite Gruppe, welche die Instrumente mit untrüglichen Angaben ihrer
Entstehung bilden, ist reicher vertreten. Für die Instrumentenkunde ist sie über-
aus wichtig, denn gerade die datirten Instrumente bieten die zuverlässigsten und
anmittelbarsten Hilfsmittel, um sich ein Urtheil über den Entwickelungsgang des
Instrumentenbaues zu bilden. Ich bin überzeugt, daß die vorliegende Arbeit, wäre
sie in dem Sinne einer chronologischen Mustertafel für die Instrumentenkunde
aufgefaßt und durchgeführt worden, angesichts ihrer technischen Mittel von
epochemachender Bedeutung für dieselbe geworden wäre. Daran fehlt aber nun-
mehr gar mancherlei.
In erster Linie ist zu bemerken, daß die Klavierinstrumente eine völlig un-
genügende Darstellung erfahren haben. Ich muß darüber meine Verwunderung
aussprechen, denn gerade mit den Klavierinstrumenten hat sich Hipkins schon
seit langem beschäftigt, wie sein Aufsatz über das Pianoforte in Grove's Dictionary
zeigt. Das Innere der Instrumente hat Hipkins offenbar einer Untersuchung
überhaupt nicht für werth gehalten, er beschränkt sich ausschließlich auf die
Darstellung der äußeren Ansicht durch Wort und Bild. Dieses Verfahren ist
laienhaft und, bei den hier in Frage kommenden zum Theil einzigartigen Klavier-
Instrumenten, geradezu unverzeihlich. Wie der Kasten von außen aussieht, das
lehren uns schon die mangelhaften rohen Holzschnitte bei Virdung, Luscinius,
Agricola u. s. w., dazu bedarf es nicht erst eines großen Aufwandes modernen
Farbendruckes. Ob der Kasten mit Gemälden reich verziert ist, wie diese aus-
sehen und was sie darstellen — das sind alles Fragen, die für die Instrumenten-
kunde in allerletzter Linie stehen. Die Hauptsache ist für dieselbe vielmehr die
Untersuchung der Klangfähigkeit eines Instrumentes und der Mittel, welche eine
solche erzeugen, d. h. der (innere) Bau« Für die Klavierinstrumente spielt dabei
der Anschlagsmechanismus eine Hauptrolle, aber von diesen inneren wichtigen
Organen giebt Hipkins weder Konstruktionszeichnung noch Erklärung. Trotz des
Besitzes eines leibhaftigen Clavicytherium aus der Zeit Virdungs wissen wir also
thatsächlich noch nicht mehr, als wir schon so wie so aus den Schriftatellem
wußten. Wir erfahren nur, daß es ein Spinett war, mit Docken von Draht und
nicht von Federspule oder Leder. Aber wie die Docken an den Springern be-
festigt waren, wie die letzteren auf den Tasten auflagen, und wie die nur dem
anfrechtstehenden Spinett eigene seitliche Bewegung zu Stande kam, diese und
viele andere sehr wichtige Fragen zu lösen, bleibt nach wie vor unseren Kombi-
nationen überlassen, welche wir mit Hilfe der gerade hier ziemlich mageren Ab-
bildungen und Angaben von Mersenne und Kircher anstellen. Dasselbe wieder-
holt sich sodann bei jedem einzelnen Klavierinstrument und uns bleibt nur das
Bedauern, einem unfruchtbaren Aufwände an Zeit, Kosten und Mühe gegenüber-
zustehen. Über den Beschreibungen der Malereien, über den Citaten aus Dichtem
und Tagebuchschriftstellem, wie Evelyn und Pepys, hat Hipkins die Hauptsache
vergessen, welche dem Werke erst den bleibenden, ihm allein eigenen Werth
verliehen hätte : die fachmäßige Beschreibung und Darstellung der Instrumente an
der Hand der Fachschriftsteller früherer Zeiten.
Dieser Mangel macht sich natürlich bei den andersartigen Instrumenten, wie
Geigen, Lauten, Guitarren, Hörnern, Pfeifen, nicht so empfindlich bemerkbar. In-
dessen fehlt es auch hier nicht an Verstößen gegen eine sachgemäße, katalogi-
36 ♦
534 Kritiken und Referate.
sirende Beschreibung. Aber glücklicherweise hat der Maler William Oibb so xot-
treffiiches und bisher wohl einzigdastehendes in der bildlichen Wiedergabe der
ihm übergebenen Instrumente geleistet, daß man mit Hilfe der Zeichnungen oft
die Mängel des schriftlichen Textes decken kann. So hat Hipkins auf der trag-
baren Orgel (Tafel 13) die in Elfenbein neben einer orgelspielenden Fran ein-
gegrabene Jahreszahl 1698 übersehen, woraus die oben schon gerügte falsche Ein-
reibung zwischen Instrumpnten aus dem Anfang (statt dem Ende) des 17. Jahrhun-
derts entsprang. Umgekehrt macht Hipkins zur Quintem auf Tafel 23 die Angabe,
das Instrument trüge die Inschrift auf dem mittleren der weißen Spfihne : »Jochim
(nicht Joachim) Tielke Hamburg feeü 1676«, während laut der sehr deutlichen Zeich-
nung die Jahreszahl nicht dabei steht. Eben diese Zeitangabe veranlaßt Hipkins zu
folgender Ausführung: »Indessen führt das Datum zu einem wesentlichen Wider-
spruche, wenn man dazu die Quintern im South Kensington Museum von Joachim Tielke
1539 vergleicht. Engel vermuthet, daß dieser berühmte Fabrikantenname mehrere
Generationen hindurch fortgeführt wurde, um die abweichenden Zeitangaben zu
erklären.« Auffällig ist, daß Hipkins einen Hinweis auf die Viola da gamba auf
Tafel 19 unterläßt, obgleich sie die Angabe »Joachim Tielke Hamburg 170i> auf-
weist. Fast will mir scheinen, daß Engel in dem South-Kensington-Exemplsr
eine Sieben als Fünf gelesen hat, was bei der Ähnlichkeit des ZahlzeichenB fdr 7
im 18. Jahrhundert mit dem für 5 [also t / j Q) ^^^^ geschehen konnte; ganz den
gleichen Vorgang habe ich bei einem Instrument des Berliner Kunstgewerbe-
museums beobachtet. Die andere Jahreszahl aber, 1676, wie sie Hipkins giebt,
beweist nichts; denn neben dem Namen steht sie, wie gesagt, nicht, und sollte
sie sich an anderer Stelle, also allein, vorfinden — was man aber aus Hipkins,
Angabe nicht schließen kann — , braucht man beide nicht auf einander zu beziehen.
Folglich können wir es sehr wohl mit einem und demselben Joachim Tielke aus
dem Anfang des vorigen Jahrhunderts zu thun haben, von welchem 1 ) die Viola auf
Tafel 19 aus dem Jahre 1701, 2) die Quinteme im Kensington-Museum aus dem
Jahre 1739 und 3) vermuthlich auch diese Quinteme auf Tafel 23 ohne Datum
herstammen würden. Ob dem wirklich so ist, läßt sich nur durch den Augen-
schein feststellen; es lag mir aber daran, zu zeigen, wie so gar nicht unwiehtig
die strenge Genauigkeit bei solchen Instrumentenbeschreibungen ist. Es giebt
eine Art von statistischer Vergleichung, welche fast mechanisch selbstthätig auf
die Spur auch solcher Angaben führt, welche scheinbar ganz der persönlidhen
Willkür ihrer Urheber anheimgegeben sind.
Es kann nicht meine Absicht sein, auf eine Vervollständigung der Ton Hip-
kins gegebenen Instrumentenbeschreibungen einzugehen; dazu müßte man die
Originale zu Rathe ziehen. Ich erwähne daher nur noch einige Bedenken oder
Lücken, die zu berücksichtigen hoffentlich Hipkins sich noch nachträglich Teran-
laßt sieht. Die Laute der Königin Elisabeth auf Tafel 9 trägt die an den Zargen
eingelegte Inschrift Cymhalum Decachordwn. Auf dem Bilde zähle ich aber
12 Wirbel, je fünf an den Seiten und zwei in der Mitte; das wiese also auf ein
dodecachordum hin. Es müßte daher festgestellt werden, ob die zwei Wirbel in
der Mitte nicht etwa ein späterer Zusatz sind, wie man wohl vermuthen darf.
Für die lautenartigen Instrumente ist es durchaus nothwendig, ausdrücklich
zu bemerken, ob die Bünde feste sind, d. h. von Querstiften gebildet werden, die
in das Griffbrett eingelegt sind • oder sonst auf ihm unverrückbar aufliegen,
oder aber, ob die Bünde nur aus verrückbaren Saiten oder Fäden bestehen,
die man um den Hals des Instrumentes legte. Man kann das an den Zeich-
nungen nicht immer genau unterscheiden, und doch ist es wesentlich zur
Musical Instruments historic, rare and unique von A. J. Hipkins. 535
Altersbestimmung, weil die älteren Instrumente lose, die sp&teren aber feste BOnde
haben. Unterblieben ist z. B. diese Angabe bei den Chitarroni der 21. Tafel. Der
erste Chitarrone weist auf der Zeichnung keine Bünde auf, obgleich er yermuthlioh
lose Bünde hatte, die aber später abgefallen sind. Es würden sich wohl die
Spuren derselben an den Staubstreifen auf dem Qriffbrette noch erkennen lassen,
jedenfalls müßte ein Wort darüber gesagt werden. Der zweite und dritte Chi-
tarrone derselben Tafel zeigen Bünde auf, aber man kann nicht erkennen, ob sie
eingelegt sind oder nicht. Der zweite hat zudem 7 Bünde, von welchen der
oberste zu nahe am Sattel steht und von dem nächsten so weit absteht, daß man
annehmen muß, es sei ein Bund abhanden gekommen. Auch dieser Umstand ist
nicht ohne Bedeutung, denn ein vorschnelles Urtheil könnte leicht auf eine hier-
dureh bestätigte Verwandtschaft mit der ältesten arabischen Lautenbundeinrichtung
verfallen.
Von der Pandurina auf Tafel 30 behauptet Hipkins, sie habe 5 Paar Saiten,
die Zeichnung weist aber nur 4 Paar und eine einzelne auf, auch hat das Instru-
ment nur 9 Wirbel, nicht 10.
Aus diesen Nachweisen wird man ersehen, daß meine tadelnden Bemerkungen
des Grundes nicht entbehren. Ausdrücklich aber muß ich betonen, daß trotzdem
das Werk sehr viel des Guten bietet, und daß namentlich die Bilder von einer
überraschenden Lebendigkeit und, allem Anscheine nach, auch von zuverlässiger
Treue sind, sodaß man oft den Originalen gegenüber zu stehen glaubt. Ja, man
kann sie bis zu dem bereits bestimmten Grade als wirkliche Originale zu Ver-
gleichungen und selbständigen Studien verwenden. Es stünde zu wünschen, daß
ähnliche Aufnahmen auch von den vielen alten Instrumenten aus der Pariser und
Brüsseler u. a. Sammlungen veranstaltet würden. Um aber zu zeigen, welch ein
weit unterschätzter Werth nicht bloß für die Specialwissenschaft der Musik-
geschichte, sondern vielmehr für die Kultur- und Weltgeschichte der wissenschaft-
lichen Untersuchung alter Musikinstrumente innewohnt, wül ich an die Be-
sprechung einzelner Punkte einige weitergreifende Erörterungen zu knüpfen mir
erlauben.
Man ist allgemein geneigt, die eigentliche Instrumentalmusik nordischer
Völker erst von den Kreuzzügen an zu rechnen, indem man immer wieder auf
den Einfluß hinweist, welchen die Orientalen auf das Abendland geäußert haben.
Hipkins geht sogar soweit, nicht nur die Lauten und Guitarren, sowie die Bogen-
instrumente auf die Orientalen zurückzuführen, — was ja immerhin, wenn auch mit
starkem Vorbehalt zugestanden werden kann — sondern auch die Saekpfeife dem
Orient zuzuschreiben^ denen andere sogar noch die Trompeten und Pauken beifügen.
Obgleich, so meint er, im Abendlande bereits eine einfache Art der Sackpfeife,
nämlich mit Luftbehälter und Pfeife, vorhanden war, kam doch die modernere
Form derselben, nämlich mit hinzugefügter Melodiepfeife, erst durch die Kreuz-
fahrer nach Europa. Er weist zur Begründung auf die Tonleiter der abendländi-
schen namentlich der schottischen Sackpfeife hin, welche eine neutrale Terz (d. i.
eine zwischen großer und kleiner Terz mitteninne liegende = I8/4 Ton) aufweise,
was mit der Theorie des arabischen Musikers Zalzal übereinstimme. Der Grund
läßt sich hören, denn die neutrale Terz des Zalzal hat thatsächlich mehrere Jahr-
hunderte hindurch, nämlich mindestens vom achten bis zum zehnten, die arabische
Volksmusik beherrscht und, was sehr wichtig ist, sie war nicht etwa ein Theorem,
sondern aus der Empirie geschöpft und geht wahrscheinlich auf ein uraltes baby-
1 Einleitung S. XDI f. und Tafel V.
536 Kritiken und Keferate.
Ionisches und syrisches Musiksystem zurück ^ Indessen erscheint nun diese neu-
trale Terz auch bei den Flöten der Araber beständig', und zwar weil das Bohren
der Löcher in der Flöte in der Weise, daß eine natürliche Tonleiter herauskommt.
zu allen Zeiten schwierig gewesen und noch bis heute schwierig ist. Und das
betrifft nicht allein die Terz, sondern auch die Sexte der Durtonleiter 3. Wenig
feingebildete Ohren gewöhnten sich durch das stetige Hören dieser unnatürlichen
Tonleiter so an dieselbe, daß ihnen das Gef&hl für die natürliche Tonleiter
schließlieh ganz abhanden kam, und dieser Fall liegt bei den Orientalen nach
vielfältigen Berichten thatsäohlich vor; denn schon im Alterthume ist so viel von
der kleinasiatischen Flötenmusik die Rede, daß man die Flöte geradezu alz das
orientalische Nationalinstrument bezeichnen kann. Die Araber machen daTOD
keine Ausnahme, denn obgleich sie später ein Saiteninstrument als Nationalinztm-
ment annahmen, so werden uns doch die Araber des Alterthums in musikalischer
Hinsicht einzig und allein als Flötenspieler genannt Die Grieehen redeten sogar
sprichwörtlich von arabischen Flötenspielern. Zudem spricht Alfarabi von >sehr
vielen Arten von Flöten«. Auch war die Laute, weil sie nicht für jeden Ton eine
eigene Saite hatte, wie das bei den Harfen der Fall war, fast denselben Gesetzen
unterworfen, wie die Flöte. Es ist nun gar nichts wunderbares, sondern nur ganz
folgerichtig, wenn Völker mit einem Nationalinstrument von Flötencharakter auch
dementsprechend« Erscheinungen in ihrem Musiksysteme aufzeigen. Andere Völker
jedoch, welche Saiteninstrumente für gewöhnlich oder gar einzig und allein in
Gebrauch nahmen, namentlich wenn dieselben für jeden Ton eine eigene Saite
hatten, wie die Harfen, — und das war bei der indogermanischen Kasse der Fall
-^ wurden durch diese Unfähigkeit des Instrumentenbaues nicht in ihrem natür-
lichen Musikempfinden behindert. Ebendeshalb finden wir auch bei solchen Na-
tionen die reine diatonische Tonleiter, und dieser Umstand verhalf gerade den
nördlichen Stämmen dieser Basse, welche die asiatische Flötenmusik nicht, wie
das zu ihrem Schaden die alten Griechen thaten, bei sich aufnahmen, zu dem
Vollbesitze eines unverbildeten harmonischen Musikgefühles, welches sie schließ-
lich zur vollen Entfaltung der Dreiklangsmusik geführt hat. Diese Auffassung
scheint mir eine völlig ungesuchte; sie führt übrigens, wie ich mich durch viel-
fältige Untersuchungen überzeugt habe, zu den überraschendsten Erklärungen
mancher bisher dunklen Punkte der Musikgeschichte, von welchen ich hier nur
eine leichthin erwähnen möchte. Überall nämlich, wo die indogermanische Basse
die Flötenmusik bei sich aufnahm, war doch das Gefühl für die natürliche Ton-
leiter und für die in ihr verborgene Harmonie so rege, daß es sich thatkrftftig
gegen die unharmonische, weil unnatürliche, Tonleiter der Flötenmusik empörte
und so lange sträubte, als es anging. Man vermied daher möglichst diese haß-
liehen Tonstnfen nun sogar auch bef den Saiteninstrumenten und ließ sie am
liebsten ganz außer Spiel. Das sehen wir z. B. bei den alten Griechen schon an
der sogenannten enharmonischen Tonleiter, welche jene Stufen einfach übersprang,
^ 8. Land, Becherches sur l'histoire de la Gamme arabe, Leide 1S84, S. 64
und S. 53.
2 Ebenda, S. 50.
3 Bei obigen Folgerungen wolle man im Auge behalten, daß der Anfangston
der Tonreihen von Blasinstrumenten seines schlechten Ansprechens wegen tu praxi
meist unberücksichtigt bleibt, in der Theorie aber mitgerechnet zu werden pßeft.
Daraus entspringt eine Unmenge von ^undsätzlichen Unterschieden, die icn hier
nicht näher darlegen kann, weil ich mich dadurch ganz meiner Aufgabe entfremden
würde.
Musical Instruments historic, rare and unique von A. J. Hipkins. 53>7
und ebenso vermeiden die alten schottischen Melodien dieselben nach Möglichkeit.
Und das ist der Qrund, weshalb die altgälische Tonleiter einigermafien an asiatische
Begriffe vom Muaiksysteme erinnert. Füi eine direkte Übertragung im Mittelalter
— und gar erst in der so späten Zeit der Exeuzsüge — haben wir also keinerlei
Beweise, und der oben besprochene Grund ist nur die Folge einer allgemeinen
natürlichen Ursache, welche sich hier wie dort in ähnlicher Weise geltend machen
mußte. Davor möchte ich also ausdracklich gewarnt haben, dem Einflüsse der
KreuzzOge und überhaupt der orientalischen Muäk auf das Abendland zu viel
zuzuschreiben. Der Norden besaß einen Urquell der Musik, welcher lange vor den
Kreuzzügen stetig floß, ebenso lange und sogar reiner als der des klassischen Alter-
thumes, und als das Mittelalter kam, war das musikalische Empfinden vermuthlich
schon so gefestigt, daß es sieh von schnell vorübergehenden Faktoren so leicht
nicht m^hr beeinflussen ließ.
Auch dem, was sonst Hipkins über antike Instrumente beibringt, kann ich
nicht durchweg beistimmen. Antike römische Instrumente, nämlich Lituae^ und
Bucdna, sind auf Tafel 39 dargestellt. Die Zeichnungen wurden aufgenommen
von Nachbildungen, welche der Konservator der großen Brüsseler Musikinstru-
mentensammlung, Victor MahiUon, auf Orund der Originale in Rom und Neapel
anfertigen ließ. Ich muß hier aber bemerken, daß es auch größere Arten der
Buecina im Museo nazionale zu Neapel giebt, die noch eine Querstange auf-
weisen, welche den von der Windung des Bohres gebildeten Kreis in zwei fast
gleiche Hälften zerlegen. Um diese Quer Stange zu halten, hat das Instrument
metallene Querröhren, sodaß die Büocina nicht nur dem Namen nach (mittelalterlieh
franz. buisine, deutsch htMne^ pus(ne, pusUne), sondern auch der Qestalt nach völlig
an unsere Posaune erinnert. Also auch dieses Instrument ist ein ureuropäisches,
übrigens etraskisches, nicht ursprünglich römisches. Sehr richtig ist die Bemerkung
Hipkins', daß es ganz gleichgiltig ist, ob diese Art Instrumente von einem ägyp-
tischen, griechischen oder römischen Munde geblasen werden, zu den Harmonietönen
fahrt das Blasen derselben auf alle Fälle, und — möchte ich hinzufügen — spielt
ein ganzer Chor von solchen Bläsern, so ist sogar die natürliche Dreiklangsharmonie
einfach unvermeidlich. Hipkins greift im wesenüichen auf Karl Engel zurück,
und wo er über diesen hinausgeht, hätte er besser gethan, das ausdrücklich zu
bemerken. So giebt Engel ^ die Abbildung eines jüdischen Homes der großen
Synagoge 8t. James Place, Aldgate, und als Schlußvignettte zur Einleitung in
vorliegendem Werke figurirt ebenfalls ein solches aus derselben Synagoge. Aber
beide Instrumente haben nur das eine mit einander gemeinsam, daß sie eben Hör-
ner sind. Das Instrument bei Hipkins hat eine zackige Verzierung und ist offenbar
ein ziemlich künstliches Erzeugniß von schönem Sdiwunge, während das von Engel
ein kunstloses, einfaches Kuhhom darstellt. Unmöglich können sich die beiden
Abbildungen auf ein und dieselbe Vorlage beziehen, — aber daß ein und dieselbe
Synagoge eben zwei solcher alten Homer besitzt, davon sagt weder Engel noch
Hipkins ein Wort, und an letzterem wäre die Reihe gewesen hier Klärung zu
schaffen. In gleicher Weise widersprechen die mit diesem Home zu blasenden
Signale, wie sie Hipkins giebt, denjenigen, welche Engel notirt; und während
ersterer sagt, daß die spanisch-provenzalischen Juden darin von den deutschen wenig
1 Emil Braun, Die Ruinen imd Museen Roms S. 796 (Ambros I, M6}, erwähnt
einen LituuSf den man 1832 in Vulci gefunden habe, während der hier dargestellte
1827 in Caere entdeckt worden sein soll. Sind beide nicht dasselbe Instrument»
so ist auch die Bemerkung, daß es das einzig bekannte Exemplar sei, ftilsch.
2 The mueic of te mosi ancient natuma, Figur 92d.
538 Kritiken und Referate.
abweichen» sagt Engel das Oegentheil. Wer hat nun Recht? Der Forscher, welcher
über solch abgelegene Gebiete Sicheres lu erfahren die seltene Gelegenheit hat,
sollte gerade hier recht sorgfältige Kritik an dem üben, was bereits von andern
über den gleichen Gegenstand beigebracht wurde.
Ein anderes Hom aus dem Mittelalter ^ erregte in mir lebhafte Aufinerkaam-
keit. Die Buchstaben A.,G. L. A. scheinen mir richtig als die Anfangsbuchstaben
hebräischer Worte gedeutet zu sein; ihr Vorkommen an dieser Stelle erinnert an
den im Exodus vorgeschriebenen Gebrauch der Homer, welcher sich bis anf heute
in den Synagogen erhalten hat. Daraus ist nichts für internationale Besiehungen
SU schließen. Außerdem aber trägt das Instrument den Namen seines Verfertigers:
^Johannes de AUemaine me fecit*. Hier haben wir einen neuen handgreiflichen
Beleg für die auch sonst erwähnte Thatsache, daß England im Mittelalter mit
Deutschland musikalisch in regen Wechsel- und Austauschbesiehungen gestanden
hat. Besonders seit dem Wirken irischer Mönche für die Einführung des Christen-
thumes in Deutschhind dauerte dieser Verkehr (fast durch das ganze Mittelalter
hindurch. Schon im 8. Jahrhundert liegt uns ein Fall vor, in welchem Musiker
aus Deutschland nach England] berufen werden. Der Abt Cuthbert von Were-
mouth und Jarrow schreibt nämlich an den Nachfolger des h. Bonifacius zu Mainz :
»Ich würde mich freuen, hier einen Citharaspieler zu haben, der auf derjenigen
Zitherart spielen könnte, die wir Rotta nennen ; denn ich habe wohl eine Cithara,
aber keinen Künstler dazu. Wenn es dir nicht zu unbequem ist, schicke mir doeh
einen solchen zu.« Als fernerer Beleg und zugleich als Erklärung des enteren
findet sich zu dem Leben des h. Dunstan in einer St. Gallener Handschrift aus dem
11. Jahrhundert die Glosse zu sumpsii cytharam: quam lingua patema (d. i. angel-
sächsisch) hearpan vocamtu ^, Zur selben Zeit waren nacheinander Abte in Köln die
Schotten Halias und Aaron, letzterer ein sehr eifriger Förderer der Musik. Schließ-
lich erscheint die Darstellung des gälischen Crwthinstrumentes an Baudenkmälern
und in Miniaturmalereien Mitteldeutschlands im 12. Jahrhundert des öfteren. Noch
aus dieser Zeit so häufig bezeugter Verbindungen zwischen England und Deutsch-
land stammt denn auch das Hom von Dover und dessen Verfertiger, Johannes der
Deutsche. Alle derartigen Belege dürften für die allgemeine Musikgeschichte üsat
noch wichtiger sein, als für die Instrumentenkunde selbst, und eine pragmatische
Geschichte der Instrumentalmusik wird sie in diesem Sinne mit Leichtigkeit ver^
werthen können, sobald sie auf die Thatsache Rücksicht nimmt, daß für das
Mittelalter — und noch weit darüber hinaus — Deutschland das klassische
Land des Instrumentenbaues gewesen ist. Denn nicht der Römer und nicht der
Araber haben dem europäischen Abendlande zu der so kräftigen Blüthe der In-
strumentalmusik verholfen. Die Grundlage zu diesem, seinem eigentlichsten Eigen-
thume legte vielmehr der Norden selbst und in erster Linie die deutsche Rasse.
Und wie kräftig hat sie ihren Bau zu führen gewußt! Den Entwickelungsgang des
Orgelbaues bezeichnen deutsche Namen von Pipin und Karl dem Großen an, über
Bernhard den Deutschen bis zur Neuzeit. Der Geigenbau beginnt mit den Namen
Lucas Maler und Dieffenbmcker, deutsche Instmmente und deutsche Spieler wer-
den aUerwärts nach Deutschland benannt, und die Theorie der Instmmentalmusik
sähe traurig aus ohne die Namen Hucbald, Notker^, Schlick, . Virdung, Nacht-
1 Tafel 1.
3 Hattemer, St. Gallens altteutsche Sprachschätze. St. Gallen 1S44 — 1849,
Bd. m S. 594.
8 Oder diejenigen deutschen Verfasser, welche wir mit diesen Namen ver-
binden.
Musical Instruments historic, rare and unique von A. J. Hipkins. 539
gall, Agricola u. v. a. Noch im 17. Jahrhundert spendet man dem deutschen In-
strumenbau das Lob der Unübertrefflichkeit, und es klingt aus dem Munde des
Franzosen Mersenne nicht wie Übertreibung. Von der Kunst aber, die Instrumente
2u gebrauchen, ist jedes Wort Überfluß, das man für Deutschland reden würde, —
man weiß, daß Instrumentalmusik und Deutscher im Denken der modernen Na-
tionen unzertrennliche BegrifTe geworden sind. Eine geschichtliche Erscheinung
aber von solcher Breite wird nur durch jahrtausendlanges Streben erzeugt, und
deshalb sei man Torsichtig, ohne ganz zwingende Gründe dem Süden oder Osten
etwas zuzuschreiben, was dort selbst nur bei den uns verwandten Völkern eine
bleibende Heimathst&tte gehabt hat. Die meisten Musikschriftsteller der letzten
Periode mochten ja wohl am liebsten behaupten» daß, wenn Held Roland seinen
Oliphant blies, er ein arabisches Hom mit einer Melodie blies, die er seinen Fein-
den abgelauscht hatte.
Ich schließe mit ein Paar Bemerkungen, von denen ich glaube, daß sie Herrn
Hipkins persönlich angenehm sein werden. In seinem Besitze befindet sich die
Laute des verstorbenen Karl Engel aus dem Jahre 1600^. Die jüngst von der
königl. preußischen Regierung erworbene Sammlung von Musikinstrumenten, früher
dem Herrn Paul de Wit in Leipzig gehörig, enthält u. a. eine Laute, welche fast
ganz mit der ersteren übereinzustimmen scheint, sogar bis auf die kleinen Ver-
zierungen und die Farbengebung. Abweichend ist nur der Kragen, der bei dem
hiesigen Instrumente rechtwinklig vom Hals absteht, und die Anzahl der Saiten,
die bei demselben nur zwölf in paariger Anordnung beträgt. Es scheint mir, als
ob an der Laute des Herrn Hipkins die Vermehrung der Saitenanzahl eine spätere
Änderung des Kragens veranlaßt hätte, der behufs größerer Widerstandsfähigkeit
im stumpfen, statt im rechten Winkel angesetzt wurde. Gerade in der Zeit um 1600
gingen ja, wie auch Hipkins erwähnt, Veränderungen an der Laute durch die Ver-
mehrung des Saitenbezuges vor sich.
Das Harpsichord, welches, wie zur Tafel 35 bemerkt wird, Tsehudi Friedrich
dem Großen bei Gelegenheit des Sieges von Prag übersandte, und welches Hipkins
bei einer special visit in Berlin und Potsdam nicht auffinden konnte, ist wahrschein-
lich dasselbe, welches jetzt im HohenzoUemmuseum steht. Auch scheint seine
Vermuthung richtig zu sein, daß an dem Flügel Kirkmann (oder richtiger Kirck-
mann) mitbetheiligt war, denn es ähnelt in den wesentlichsten Beziehungen, nament-
lich in der inneren Einrichtung, wie sie Hipkins hier auch beschreibt, einem ^arpsi-
chord von Jacob Kirckmann 1761 , welches sich ebenfalls in der obengenannten
früher de Wit'schen Sammlung befindet.
Berlin. Oskar Fleischer.
1 Tafel 15.
540 Kritiken und Referate.
W, Wundtj Grundzüge der physiologischen Psychologie. Dritte
umgearbeitete Auflage. Leipzigs W. Engehnann. 1887. 2 Bände.
XII, 544 S. X. 562 S. gr. 8.
E. Luft, Über die Unterschiedsempfindlichkeit für Tonhöhen.
(»Philosophische Studien«, herausgegeben von W. Wundt. Vierter
Band, 4. Heft. 1888. S. 511—540).
Die Wundt'sche Pgychologie hat sich im In- und AuBlande eine so große
Verbreitung und Autorität errangen, ihr Ruf ist auch in musiktheoretiBche Kreise
so weit eingedrungen, daß es sich rechtfertigen und dem Wunsche vieler Leser ent-
sprechen dürfte, wenn hier aus Anlaß d«r dritten Auflage (der ersten seit dem
Erscheinen gegenwärtiger Vierteljahrssehrift) eine kune Übersicht dessen, was
in den verschiedenen Abtheilungen des Werkes über das Tongebiet gelehrt wird,
versucht wird. Die dritte Auflage fordert umsomehr dasu auf, als sie, wie der
Verfasser hervorhebt, die Lehre von den Oehörsvorstellungen in fast vollständig
erneuerter Gestalt und auch die von den Gehörsempfindungen sehr wesentlidi
umgearbeitet vorträgt Freilich hindert das langjährige Studium, welches der Re-
ferent selbst diesem Gebiete gewidmet hat, ihn an der unbedingten Anerkennung,
welche Andere dem Werke auch von musikalischer Seite spenden mögen, ndthigt
ihn vielmehr, in irielen wesentlichen Punkten dem Berichte Zweifel und Einwen-
dungen hinzuzufügen. Die Wahrheit, wo sie auch liegen möge, wird aber eher da-
durch als durch Loben zu Tage gebracht und der Leser, wie ich hoffe» veranlaßt
werden,, die ausführlicheren Entwickelungen des Buches selbst nicht bloß nach-
zulesen sondern auch darüber nachzudenken.
In Hinsicht der anatomischen Grundlagen des Hörens schließt sich
Wundt (I, 319) im Wesentlichen der neueren Helmholtz'schen Hypotiiese an, wo-
nach nicht die Corti'schen Bogen sondern die Fasern der Grundmembran der
Schnecke die Aussonderung der einzelnen Töne bewirken und die einzelnen Fasern
des Hömerven in Erregung versetzen. Aber Wundt zieht nicht dieselbe Konse-
quenz wie Helmholtz in Hinsicht der sog. spezifischen Energien der Hörnerven-
fasem ^333). Helmholtz lehrt, daß jede solche Faser gleichsam auf einen Ton ab-
gestimmt und nur diese und keine andere Empfindung zu geben im Stande sei.
Wundt stellt sich dagegen vor, daß jede Faser an sich jeden beliebigen Ton. so-
gar jede beliebige andere Empfindung, einen Geruch, Geschmack zu geben ver-
möge. Es komme bloß darauf an, auf welche W^eise sie gewöhnlich in Erregung
versetzt werde. »Die Akusticusfasem sind nach unserer Ansicht nur deshalb die
einzigen, die der Tonempfindung fähig sind, weil allein an den Enden des Hör-
nerven jene Vorrichtungen angebracht sind, welche sich zur Unterhaltung regel-
mäßiger periodischer Beizungen eignen und durch welche daher auch in den Sinnes-
nerven eine spezielle Anpassung an die Formen intermittirender Beizung ein-
treten konnte«.
Es scheint mir, daß der Unterschied beider Ansichten nur die Entstehung
der spezifischen Energien betrifft. Helmholtz sagt darüber nichts, hält sie aber
wohl für angeborene Eigenschaften der Nervenfasern bez. der Ganglienzellen, in
welche diese münden. Nach Wundt sind die Gehömervenfasem durch die Schall-
wellen, die zufolge der Einrichtung des Ohres speziell auf diese Fasern und nicht
auf die Nervenendigungen in der Nase u. s. w. einwirken können, zum Hören
gleichsam erzogen worden. Doch wird diese Anpassung, da Kinder zweifellos
Grundzüge der physiologischen Psychologie von W. Wundt. 541
schon sehr früh Töne unterscheiden können, sich schon in der allerersten Lebenszeit
(ich würde sagen im Mutterleib, wenn da nur Gelegenheit wäre) vollsogen haben.
Beim Erwachsenen müssen in Folge der eingetretenen Anpassung doch auch nach
Wundt jene besonderen Eigenschaften der Nerven, die sie zu bestimmten Empfin-
dungen ausschließlich geeignet machen, vorhanden sein.
Das Argument Wundt' s, daß nach Helmholti »fast(!) unendlich viele« Fasern
vorhanden sein müßten, weil unsere Tonempfindung eine stetige, nicht unvermittelt
von einer Tonhöhe zur andern springende sei, habe ich bereits in meiner Tonpsy-
chologie I, 184 — 5 als unzutreffend erwiesen. Thatsache ist nur, daß wir keinen
Sprung in unseren Tonempfindungen bemerken. Aber kleinste Untersehiede be-
merken wir eben nirgends. Außerdem : wäre das Argument überhaupt beweisend,
so würde es sich ebenso gegen Wundt selbst wenden, da ja die spezifischen Ener-
gien auch nach ihm beim erwachsenen Menschen in gleicher Weise vorhanden sein
müssen.
Von den anatomischen Grundlagen geht Wundt zu den Empfindungen selbst
über und bespricht zuerst deren Intensitäts-Verh<nisse und das sog. Web er-
sehe Gesetz, wonach allemal, wenn wir einen Unterschied zwischen der Stärke
Bweier Empfindungen eben noch bemerken können, die bezüglichen Beizstärken
in einem bestimmten Verhältniß zu einander stehen, welches für jedes Sinnesge-
biet konstant ist. Bei Schalleindrücken ist es etwa 3 : 4. Gerade im Gebiet der
Gehörsempfindungen ist dieses Gesetz in Bezug auf die Stärke der Eindrücke am
besten bestätigt. Wundt's Schüler haben in seinem Laboratorium den älteren Ver-
suchen mit großem Fleiß neue hinzugefügt (364).
Musikalisch wichtiger ist die Lehre von der Qualität der Gehörsempfin-
dungen (415). Die Begriffe Schall, Ton, Klang werden hier auf Grund der Helm-
ho]tz' sehen Bestimmungen definirt (»Geräusch« dagegen in abweichender Weise,
wie überhaupt dieser Begriff" neuerdings mehrfach diskutirt und noch nicht völlig
aufgeklärt ist).
Die Grenzen des Tongebietes hatte Preyer nach unten auf etwa 16,
nach oben auf etwas über 40000 Schwingungen in der Sekunde festgestellt, den
Umfang des Tongebietes also auf gut 11 Oktaven. Wundt ist der Meinung (423),
daß die untere Grenze noch eine volle Oktave tiefbr, auf S Schwingungen gesetzt
werden dürfe, indem er sich auf eine bereits in der ersten Auflage mitgetheilte
eigene Beobachtung beruft, wonach ein Differenzton zweier Labialpfeifen bereits bei
8 Schwebungen (die Zahl der Schwebungen ist bei Differenztönen gleich der der
Schwingungen) als »tieferer« Ton aufgefaßt wurde. In der bezüglichen Stelle der
ersten Auflage (362) sind Ck mit G^ als die primären Töne angegeben, deren
Differenzton C3 s» 8 Schwingungen noch gehört wurde 1. Wer sieh mit ähnlichen
Beobachtungen abgegeben hat, dürfte hiezu ein starkes Fragezeichen machen, wie
denn ein solches in meinem Exemplar der ersten Auflage bereits seit jener Zeit
1 In der zweiten Auflage (1880, I, 394) sagte Wundt selbst mit Berufung auf
Frey er, daß die untere Grenze etwa bei 16 Schwingungen zu liefen scheine, und
citirte seine eigenen früheren Beobachtungen nur in der Form, daß bei zwei La-
bialpfeifen »etwas weniger als 16 Sehwebungen« deutlich als tieferer Ton aufge-
faßt würden. Dies veranlaßte mich auch, in der Tonpsyehologie I, 264 seine An-
gaben als übereinstimmend mit denen von Preyer und Ellis zu bezeichnen. Hätte
ich damals sogleich Wundfs Originalangabe in der ersten Auflage nachgesehen, so
würde ich auch meine Bedenken gegen die Richtigkeit seiner Wahmehmunffen so-
gleich ausgesprochen haben. Fast scheint es aber, als habe Wundt zur Zeit der
zweiten Auflage selbst solche Bedenken gehabt; denn 8 Schwingungen sind doch
nicht bloß »etwas weniger als 16«.
542 Kritiken und Befeiate.
verzeichnet steht und seinen Schweif auch noch auf den folgenden Satz erstreckt,
wo es heißt, daß man bei Benutzung der tiefsten Orgeltöne immer diese ganz tiefen
Kombinationstöne mithöre. Dagegen wird Jeder die Sätze unterschreiben : »Andrer-
seits ist, sobald man nicht einfache Klänge untersucht ( — und die Labialpfeifen
geben keineswegs völlig einfache Klänge — Bef.)> eine Verwechselung mit Ober-
tönen möglich, welche letzteren bei tiefen Tönen eine verhältnißmäßig große Stärke
erreichen. Durch die in den unteren Begionen sehr mangelhafte Unterscheidung
der Tonhöhen wird diese Verwechselung leicht möglich«. Ich möchte darum glau-
ben, daß man die Frage nur durch eine vollständige Tonleiter mit Riesenstimm-
gabeln vom Cs bis zum Q hinab entscheiden könnte, bei welcher der Eindruck
der Vertiefung in seiner gleichförmigen Zunahme kontrolirt und ein Umspringen
in die höhere Oktave leichter als solches erkannt werden könnte. Einzelne CSabeln
schließen nicht jeden Zweifel über Täuschungen der genannten Art aus. Ob dann
nicht weitere Zweifel möglich bleiben (z. B. wegen zu geringer Stärke der tiefsten
Gabeltöne) , ob der Versuch überhaupt durchführbar ist und ob er — die Kosten lohnt,
ist eine andere Frage. Musikalisch wenigstens sind diese Streitigkeiten um die
Tongrenzen von wenig Interesse.
Einer fundamentalen Erneuerung hat Wundt den folgenden, musikalisch
wichtigeren Passus (424) unterzogen, der von der relativen Unterschieds-
empfindlichkeit bei Tönen, m. a. W. von der Frage handelt, ob, wenn wir
einen Unterschied in der Tonhöhe eben noch bemerken können, allemal die be-
züglichen Töne in einem bestimmten gleichbleibenden Verhältniß ihrer Schwin-
gungszahlen stehen, ob also auch für die Qualitäten (Höhen) der Töne das Weber-
sche Gesetz gültig sei. Wundt hatte in den früheren Auflagen nach dem Vor-
gang Weber's und Fechner's diese Frage auf Grund der Thatsache bejaht, daß,
wenn unser Gehör ein Intervall in verschiedenen Tonregionen als das gleiche In-
tervall wiedererkennt, allemal das gleiche Verhältniß, nicht etwa die gleiche Dif-
ferenz, der Schwingungen stattfindet. Ja er hielt dies für die unzweifelhafteste,
weil durch die musikalische Empfindung aller Zeiten beglaubigte. Stütze des
Weber'schen Gesetzes überhaupt. G. E. Müller und der Referent erklärten je-
doch den Schluß schon darum für hinföllig, weil »Intervall« im musikalischen Sinn
keineswegs mit einem bloßen Tonunterschied sich decke und das Gehör bei der
Beurtheilung von musikalischen Intervallen in erster Linie vielmehr durch die sog.
Tonverwandtschaft geleitet werde. Und Frey er und nach ihm auf anderem Wege
der Referent führten Versuchsreihen aus, welche lehrten, daß faktisch die relative
Unterschiedsempfindliehkeit sich nicht gleichbleibt, sondern im Allgemeinen von
der Tiefe bis etwa zur dreigestrichenen Oktave zunimmt. Dies wird auch dem
durch den Eindruck der Eiiahrungen gebildeten Urtheil des Musikers ungefähr
entsprechen: ein Solcher wird sofort zugeben, daß man z. B. einen Achtelton in
mittlerer Lage sehr leicht, in der Kontraoktave nur viel schwerer unterscheiden
kann. Wundt, dem unsere Folgerungen und Versuche nicht sicher genug schie-
nen ^ hat sich nun durch die Untersuchungen seiner Schüler Luft und Lorenz
^ Wundt setzt an meinen Beobachtungen aus, daß sie nicht durchweg mit-
einander im Einklang ständen. Ich weiß nicht, an was er dabei denkt, da ich
doch mit besonderer Umständlichkeit nachwies, daß »das Verhältniß der Tonregio-
nen in Hinsicht der Urtheilszuverlässigkeit selbst bei weitgehender Spezialisirung
nach (Versuchs-) Reihen, Intervallen, Individuen unverändert bleibt«. Vielleicht
denkt Wundt an die Ausnahmen, die nach meiner Beobachtung bei vereinzelten
sehr unmusikalischen Individuen stattfinden, bei denen die tiefe Region vor der
Grundzüge der physiologischen Psychologie von W. Wundt. 543
von der Ungiltigkeit des Weber'schen Gesetzes im Tongebiet überzeugen lassen.
Diejenigen Luft's sind inzwischen ausführlicher in Wundfs »Philosophischen 8tu-
hohen bevorzugt erscheint, ^während der Kegel nach in der Höhe etwas besser und
in der Mitte Yiel besser als in der Tiefe geurtheilt wird (inzwischen ist mir unter
einer größeren Zahl wieder ein Individuum beffe^et, welches in der Tiefe zwar
nicht besser aber auch keineswej^s schlechter urtneilte als in der Höhe). Aber daß
individuelle Verschiedenheiten m Hinsicht der Tonregionen vorhanden sind, ver-
steht sich ja von selbst ; es kann sich nur fragen, welcher Art und wie groß sie
sind, und ich glaubte die Erwähnung auffallender Abweichungen als einen Anfang
derartiger Untersuchungen ansehen zu dürfen. Ja ich möchte das was Wundt als
Vorzug der Beobachtungen Luft's anführt, daß sie sich nftmlich auf Einen Be-
obachter beziehen, in andrer Hinsicht als Mangel betrachten. Wer bürgt dafür,
daß das Verhältniß der Regionen, welches sich bei Einem oder Zweien findet,
das allgeemine oder auch nur durchschnittliche, typische ist?
Luft seihst erhebt in seiner Originalarbeit mehrere Einwände: 1] ich hätte
»die Urtheile über verschiedene Distanzen zusammengeworfen«. Daß dies faktisch
nicht geschah, lehrt schon die obige Formulirung des Ergebnisses. Thatsächlich
sind cTie Urtheile über die verschiedenen benutzten Intervalle überall gesondert
angeführt, aber freilich hervorgehoben, daß sie in Bezug auf das Verhalten des l{r-
theils in verschiedenen Tonregionen bemerkenswerthe Übereinstimmung zeigen.
Das kann man doch nicht ein Zusammenwerfen nennen. 2> meint Luft, wenn
ich die gefundenen Zuverlässigkeitswerthe hinsichtlich verschiedener Tondistanzen
als direkt abhängig von der Unterschiedsempfindlichkeit ansehe, so müsse einer
größeren Tondistanz auch eine größere Unterschiedsempfindlichkeit entsprechen.
Ich stelle dahin, ob man die Art der Abhängigkeit, die ich S. 330 vermutne, eine
direkte nennen wird. Aber es bleibt mir ganz dunkel, wie aus die ser Abhängigkeit
eine solche, an sich freilich lächerliche, Xonsequenz folgen soll. 3) wirft Luft mir
vor, daß ich die Quinte bei den Versuchen bevorzugt habe. Dieser Einwand hat
überhaupt nur unter Voraussetzung des ersten einen Sinn; wenn die Ergebnisse
für die einzelnen Intervalle gesondert sind, fehlt. ihm die Spitze. Warum ich übri-
gens in den zwei ersten Reinen mit der Quinte doppelt soviel Versuche machte als
n»it jedem der anderen, kleineren Intervalle, glaubte ich durch die Bemerkungen
S. 317 und 325 genügend erklärt. Allzugroße Intervalle ließen eben nur richtige
Urtheile, allzukleine zu geringe Unterschiede der Tonregionen erwarten. In der 3.
und 4. Reihe kommt die Quinte gar nicht vor; sie ist aurch den Tritonus ersetzt,
um etwaigen Einfluß der Tonverwandtschaft auszuschließen. Aus ähnlichen Rück-
sichten sind in allen Reihen noch andere, kleinere Intervalle überhaupt dazuge-
nommen, an sich hätte ein mittleres, Quinte oder Tritonus, allein genügt, um die
Unterschiede der Urtheilszuverlässigkeit nach den Regionen zu zeigen.
Was Luft weiter über einen Unterschied meiner Ergebnisse von den Preyer-
schen sagt, habe ich S. 320 selbst ausgesprochen; und die Erklärungsgründe für
die meinigen, die er dann beibringt, S. 332 — 3 als mit den Thatsachen unvereinbar
erwiesen. Ich hätte wenigstens erwarten dürfen, daß die Unzulänglichkeit dieses
Erweises dargethan und mir nicht die eigenen Gedanken als Einwände wieder
vorgesetzt würden.
Übrigens verkenne ich glicht im Mindesten die Vorzüge der Luft'schen Ver-
suche, die nicht bloß regionenweise sondern Oktave für Oktave sehr systematisch
durchgeführt sind, und begrüße sie als willkommene Ergänzung und Bestätigung.
Es ist ja auch kein Zweifel, daß die direkte Fragestellung: »Sind diese zwei Töne
eben noch verschieden?« fQr die Untersuchung der Untersohiedsempfindlichkeit
-weitaus zweckmäßiger ist, als die meinige: »Welcher Ton ist der höhere?« und
daß man zu Versuchen mit jener Fragestellung möglichst Geübte benutzen muß.
Aber mir kam es eben gar nicht bloß darauf an, die Unterschiedsempfindlichkeit
zu messen, sondern ich wollte mir in erster Linie ein Bild verschafien von dem
Bewußtseinszustand unmusikalischer Personen in Bezug auf die relative Höhe zweier
544 Kritiken und Heferate.
dien« veröffentlicht. Sie fußen auf der direkten Fragestellung, ob ein gewisser Ton-
unterschied noch bemerkt werde oder nicht, und scheinen mir im Wesentlichen ein-
wurfsfrei, während ich gegen diejenigen von Lorenz, in denen Wundt gerade die Toll-
kommenste Bestätigung findet, so fleißig auch sie durchgeführt sind, die schwersten
prinzipiellen Bedenken hege. Sie gründen auf der Fragestellung, welcher Ton
zwischen zwei gegebenen in der Mitte liege. Abgesehen davon, ob aus Versuchen
mit dieser Fragestellung überhaupt ein zwingender Schluß auf die Unterschieds-
empfindlichkeit gezogen werden kann, unterliegen die Versuche selbst, die Ant-
worten auf die gestellte Frage rein im Sinne dieser Frage, einer fast unbesiegbaren
Schwierigkeit. Wenn man den mittleren Ton zwischen c und g angeben soll, so giebt
man natürlich e an, das nach dem musikalischen Urtheil den mittleren Ton des
Dreiklangs, und zwar des für unser gegenwärtiges Bewußtsein vorherrschenden
Durdreiklangs, bildet Und so geschah's. Das ist aber kein reines Unterschieds^
(Distanzen-) Urtheil, sondern von dem fatalen Musikbewußtsein beeinflußt, nach
welchem hier nicht gefragt ist. In einem Zeitalter mit vorherrschendem MoUbe-
wußtsein würde wahrscheinlich es als Mitte bezeichnet werden. Mit einer ins Ein-
zelne gehenden Kritik muß ich zurückhalten, bis die Originalarbeit von Lorenz
veröffentlicht sein wird.
Wie dem sei, mit der Änderung der Wundt'schen Anschauung in der Ridi-
tung seiner Vorgänger können diese zufrieden sein. Für Wundt haben die £e-
sultate seiner Schüler noch andere Konsequenzen. Vor allem fallt damit auch
seine frühere Behauptung, daß die Abtheilung des Tonreiches in diskrete Stufen,
die Konstruktion von Leitern sich auch unabhängig von den Thatsachen der Kon-
sonanz und Klangverwandtschaft aus bloßen Abmessungen von Tonunterschieden
ergebe, ja ergeben müsset; wodurch eine Dunkelheit, um nicht zu sagen ein
Widerspruch in die frühere Darstellung kam. Denn es war zum Mindesten nicht
abzusehen, warum dieses Prinzip der bloßen Distanzmessung und das von Wundt
doch auch anerkannte Konsonanzprinzip zu den nämlichen Abtheilungen, Oktaven,
Quinten, Terzen führen müssen. Das Zusammentreffen wäre ein rein zufälliges
und schon darum unglaublich gewesen. Ganz freilich hat Wundt auf die frühere
Ansicht auch jetzt nicht verzichtet und gerade die Lorenz'schen Versuche nun
zum Anlaß genommen, um wenigstens die »Gestaltung der Harmoniea mit auf
»Maßbeziehungen der Tonempfindungen« zu gründen (II, 66). Hierüber sei vor-
Töne. Eine mit der Tonhöhe bis zu c^ wachsende Unterschiedsempfindlichkeit er-
schien mir nur als der wahrscheinlichste Erklärungsgrand für die gefundenen Ux^
theilsthatsachen. Daß die Realität dieses Erklärungsgrundes nun auch unabhängig
davon erwiesen ist, macht ihn gewiß nicht unwahrscheinlicher. Die UrtheUsthat-
sachen aber, die Zuveilässigkeitswerthe in den verschiedenen Regionen, die indi-
viduellen Abnormitäten, die auch Luft überraschend findet, haben daneben ihr
selbständiges Interesse. Sie machen z. B. das geringe Vergnügen begreiflicher,
welches solchen Personen meistens die Musik bereitet. Selbst praktisch kann die
Ermittelung der durchschnittlichen und der individuellen Zuverlässigkeit Unmusi-
kalischer in Hinsicht der relativen Tonhöhe ihre Bedeutung gewinnen, wie bei
der Anwendung akustischer Signale, beim Percutiren u. dgl.
1 1 . Aufl. 364 : »Es ist zwar wahrscheinlich, daß die aus der Klangverwandt-
schaft entspringenden Eigenschaften die sichere Bestimmung der Ton Verhältnisse
unterstützen, aber als die eigentliche Grundlage derselben kann man sie unmöglich
betrachten.« »Die Ordnung der Tonreihe muß also darauf beruhen, daß wir an
Oktave und Grundton. Quinte und Grundton u. s. w. immer dieselben Unter-
schiede der Empfindung erkennen, welche absolute Höhe die Töne auch haben
mögen.,«
Qrundzüge der phyaiologiflchen Psychologie von W. Wundt. 545
läufig nur bemerkt, daß er damit in einen Zirkel gerftth, weil, wie oben ange-
deutet, diese angeblichen Maßbeziehungen selbst sich bereits auf das durch die
Harmonie beeinflußte musikalische Gehör gründen.
Als eine andere unyermeidliche Konsequenz, die Wundt jedoch noch gar
nicht gezogen hat, erscheint mir die Beseitigung seines »allgemeinen Gesetzes
der Beziehung«, welches für das gesammte psychische Gebiet gelten und das
Weber'sche Gesetz als einen besonderen Fall in sich schließen sollte. Wenn
dieses letztere wirklich sich auf jenes allgemeinere Gesetz zurückführen läßt
:was ich nicht beurtheilen kann, da ich den 8inn des Beziehungsgesetses selbst
nie verstehen konnte, — was aber Wundt behauptet i), und wenn die specielle Form
mit Thatsachen im Widerspruch steht, so kann auch das allgemeine Gesetz nicht
mehr gehalten werden, da doch jede Ausnahme ein allgemeines Gesetz als solches
zu Nichte macht
Aus den Luft'schen Versuchen schließt Wundt ferner, daß die äußerste
Grenze für die Unterscheidung zweier Töne, in Differenzen der Schwin-
gungszahlen ausgedrückt, von Preyer, der sie »= 1/3 Schwingung setzte, noch zu
hoch angegeben war, indem sich noch die Hälfte dieses Betrages deutlich unterschei-
den ließ. Indessen gilt dies nur für die Gegend des C, wo 0,15 Schwingung (d. i.
etwa V27 Halbton) unterscheidbar war. Von da stieg die Schwelle im Ganzen bis
e*, wo sie 0,36 Schwingung (d. i. Vsss Halbton) betrug. Höher hinauf hat Luft
nicht untersucht. Übrigens weichen die Beobachtungen Freyer's, wenn man genau
zusieht, nicht wesentlich von diesen ab. Denn Freyer beobachtete in der zwei-
gestrichenen Oktave, wo Luft die Schwelle » 0^5, also V4 Schwingung fand,
und Freyer giebt an (Grenzen der Tonwahmehmung 28) , daß er und ein sehr
geübter Beobachter bei a*, also nahe der zweigestrichenen Oktave, jedesmal noch
*/4 Schwingung erkannten, wenn sie auch nicht sagen konnten welcher Ton der
höhere sei, wonach auch bei Luft nicht gefragt war. Hier mag übrigens auch auf
die Versuche G. Engel's an Joachim u. A. zurückgewiesen werden (vgl. diese
Vierteljschr. 1886, S. 513), wonach von feinsten Ohren selbst 0,1 Schwingung in
der Gegend des c^ noch unterschieden, ja die relative Höhe beider Töne erkannt
würde. Luft hatte sich nur »früher etwas mit Musik und Gesang beschäftigt.«
Es wären also noch weitere Versuche an .Individuen der. genannten Art auszu-
führen, um die äußersten möglichen Grenzen festzustellen.
I I, 377: >Fsychologisch läßt sich nämlich offenbar das Weber'sche Gesetz
auf die allgemeinere Erfahrung zurückführen, daß wir in unserem Bewußtsein kein
absolutes sondern nur ein relatives Maß besitzen fftt die Intensität der in ihm
vorhandenen Zustände, daß wir also je einen Zustand an einem anderen messen,
mit dem wir ihn zunächst zu vergleichen veranlaßt sind. Wir können auf diese
Weise das Weber'sche Gesetz als einen Specialfall eines allgemeineren Gesetzes
der Beziehung oder der RelatiTitat unserer inneren Zustände auffassen .... dessen
GCdtigkeit wir noch auf andern Gebieten, namentlich bei der qualitativen Ver-
gleichung der Empfindungen .... bestätigen werden.«
oJe einen Zustand an einem andern messen, mit dem wir ihn zunächst zu
vergleichen veranlaßt sind« — das ist mir zu unbestimmt ausgedrückt, um
etwas dabei zu denken. Man soUte meinen, daß wir auch Naturgegenstände
nie an etwas Anderem messen als an Solchem, womit wir sie zunächst zu ver-
gleichen veranlaßt sind, sei dies nun ein Meterstab oder sonst ein Gegenstand.
Aber eine solche lächerliche Trivialität kann doch unmöglich Wundt bei der
Schöpfung seines Gesetzes vorgeschwebt haben. Neuerdings sind übrigens auch
von Arwid Grotenfelt (Das Weber'sche Gesetz und die psychische Relativität.
Helsingfors 1888, S. 54 f., 101 f.] die Unbestimmtheiten und Widersprüche Wundt's
in dieser Sache bemerkt und weitläufiger auseinandergesetzt worden.
546 K.ritiken und Referate.
Die Definitionen Ton Zusammenklang, Kombinationston, Sehwe-
bung (434) schließen sich an Helmholts an. Wundt bestreitet aber, daß wir
mehr als 60 Schwebungen in der Sekunde noch wahrnehmen könnten, während
nach Heimholt! bis zu 132 unterschieden werden können. Helmholtz fugt sogar
bei : »Viel höhere und hinreichend starke Töne würden vielleicht noch mehr hören
lassen.« Ich muß mich hier entschieden auf Heimholte' Seite stellen. Nach
meiner Beobachtung und derjenigen mehrerer anderer Personen ist die Rauhigkeit
(denn um eine solche handelt sich's natürlich, nicht um ein Zählen der Inter-
missionen) sogar bei 264 Schwebungen in der Sekunde noch ganz deutlich. Man
gebe nur auf der Orgel (Hohlflöte, Rohrflöte, auch Geigenprindpal 4 Fuß) die
Töne 0^ und ^ oder e'^ und g^ zusammen an und yei^eiche den Eindruck mit
dem eines einzelnen dieser Töne, so wird wohl auch der ungeübte Beobachter
nicht im Zweifel bleiben, daß dem Zusammenklang eine merkliche Rauhigkeit
gegenüber dem Einzelklang anhaftet Das Tonpaar c^ und ^ oder «^ und ^ gieht
aber je 264 Schwebungen ^ Also nicht einmal hervorragende Stärke oder unge-
wöhnliche Höhe ist nötig.
Zuletzt handelt der I. Band noch vom »Qefühlston« der Empfindungen,
dem an die Empfindungen geknüpften Moment der Lust oder Unlust Hier sind
besonders die Gefühle, »die sich an die Klangfarbe anschließen«, aus den einfachen
Tongefühlen abgeleitet, worauf wir schon bei anderer Gelegenheit als auf einen
verdienstlichen Versuch hinwiesen (s. diese Vierteljschr. 1888, 149).
Von den Gehörsempfindungen unterscheidet Wundt nun im II. Band die
Gehörs vor Stellungen, wobei er unter einer Vorstellung »das in unserem Be-
wußtsein erzeugte Bild eines Gegenstandes oder eines Vorganges der Außenwelt-
versteht Es will mir zwar nicht gelingen, diese Definition gerade auf Gehörs-
vorstellungen, auf Intervalle, Akkorde u. s. f. (denn diese werden hier behandelt]
anzuwenden. Doch den Musiker wird die allgemeine Definition der »Vorstellung*
überhaupt weniger interessiren als die der besonderen Phänomene. Hier geht
Wundt aus von der Klangverwandtschaft (43). Verwandt nennt er mit Helm-
holtz Klänge, wenn sie irgendwelche Tonempfindungen gemein haben. Konstant
nennt er die Verwandtschaft, wenn Theiltöne von einer bestimmten unveränder-
lichen Höhe bei einer gewissen Klasse von Klängen wiederkehren (so sind die
gleichartigen Vokalklänge z. B. alle »i« unter sich verwandt) oder auch, wenn dne
bestimmte durch ihre Ordnungszahl charakterisirte Klasse von Theiltönen wieder-
kehrt (wie bei den Klängen eines und desselben Instrumentes, welche z. B. nur gerad-
zahlige Theiltöne enthalten). Variabel nennt er die Klangverwandtschaft, »wenn
zwei Klänge je nach dem Verhältniß ihrer Tonhöhe in wechselndem Grade überein-
stimmen, während der allgemeine Charakter derselben unverändert bleibt« (eine etwas
verschwommene Definition des musikalischen Intervallbegrifles). Diese variable Klang-
verwandtschaft ist wieder direkt oder indirekt, je nachdem die beiden Klänge
gewissä ' Bestandtheile gemein haben oder selbst Bestandtheile eines gemeinsamen
Grundklanges bilden. Dies ist die v. Öttingen'sche Unterscheidung der toni-
schen und phonischen Verwandtschaft. Nur Schade, daß Wundt den Namen ge-
ändert und eine Bezeichnung gewählt hat, welche bereits in einem anderen
durchaus passenderen Sinn verwendet wird (direkt oder unmittelbar verwandt
sind zwei unter sich konsonante Klänge, indirekt verwandt solche, deren jeder
mit einem gemeinsamen dritten konsonirt). Auch die allgemeineren Ausdrücke:
* Die Pfeifen, welche ich hierzu benutzte, waren zum Behuf anderer Versuche
aus der temperirten in die reine Stimmung gebracht, daher ist die obige Zahl für
beide Intervalle genau.
Grundzüge der physiologischen Psychologie von W. Wundt. 547
»konstante und variable Klangverwandtschaft« erscheinen wenig bezeichnend und
mit et^'as kühner Logik gebildet, da ja nicht die Verwandtschaft variabel oder
konstant sein soll, sondern die Theiltöne, durch welche sie hergestellt wird.
Warum sollen wir nicht einfach die thatsächliehen Unterschiede nanihaft machen:
Verwandtschaft durch gleiche oder gleichliegende Theiltöne — Verwandtschaft
durch gemeinsame Theiltöne (Obertöne oder Qrundtöne bez. Differenztöne}.
Ich würde sogar noch 'einfacher statt Verwandtschaft Ähnlichkeit sagen. Das
erstere Wort ist schon eine Hypothese, und von Einigen, auch von mir, wird ge-
leugnet, daß Verwandtschaft im musikalischen Sinne wirklich durch Theiltöne
gegeben sei. Dagegen kann kein Streit darüber sein, daß in allen genannten
Fällen Unterschiede in der Weise, wie zwei Klänge einander ähnlich sein können,
vorliegen. Dieses also wäre die genaueste, den Thatsachen unmittelbar angepaßte
und darum auch verständlichste Ausdrucksweise : Ähnlichkeit durch gleiche (gleich-
liegende) — Ähnlichkeit durch gemeinsame Theiltöne.
Gegenüber den früheren Auflagen giebt die dritte hier übrigens sowohl
Klärungen in den allgemeinen Bestimmungen als Zusätze in der Ausführung,
letztere namentlich hinsichtlich der Vokaltheorie und der direkten Verwandtschaft.
Diese, also z. B. die Verwandtschaft zweier Klänge, um derenwillen einer als
Oktave oder Quinte des anderen bezeichnet^ wird, betrachtet Wundt zugleich als Ur-
sache für den Eindruck der Klangeinheit, der allen harmonischen Intervallen
zukomme. Dieser Eindruck trete um so deutlicher auf, je intensiver die überein-
stimmenden Theiltöne seien. Wenn man dieselben künstlich noch mehr verstärke,
80 wachse auch noch der Eindruck der Klangeinheit. »Bei der Quinte kann dies
soweit gehen, daß sie fast wie ein Einzelklang erscheint.«
Bei diesem wichtigen Punkte müssen wir etwas verweilen, c und g haben
den Theilton g^ gemein. Ich verstärke denselben, indem ich ihn mit den beiden
ersten zusammen angebe: c-g-g^. Eine Erhöhung der Klangeinheit kann ich nicht
bemerken. Höchstens insofern als nun die beiden höheren Töne dieses Zusammen-
klangs eine Oktave untereinander bilden, welche allerdings einheitlicher als die
Quinte erscheint (und zwar, im Widerspruch mit Wundt' s Theorie, auch bei ganz
einfachen Tönen). Aber die Quinte selbst behält genau das Maß von »Klangein-
heit«, welches sie vorher hatte. Und wie, wenn wir eine große Septime nehmen?
c und h haben auch einen gemeinsamen Oberton, h^. Man gebe nun diesen Ton
mit beiden zusammen an und beobachte, ob der Eindruck der Klangeinheit dadurch
erhöht wird!
Wundt sucht von hier aus auch die Empfindung der Klangeinheit bei
Einzelklängen zu erklären. Die gewöhnliche, von ihm selbst früher getheilte
Ansicht, daß die viel größere Stärke des Orundtons gegenüber den Obertönen
Schuld sei, scheint ihm nur in sehr beschränktem Maße richtig, nur insoweit
nämlich, als der Grundton nicht so schwach sein darf, daß er gegen die Obertöne
verschwindet. Die Klangeinheit werde nicht geschwächtt wenn die Obertöne ebenso
dtark, ja einzelne sogar stärker seien als der Grundton. (Nicht also einer Be-
schränkung bedürfte hiernach die gewöhnliche Ansicht, sondern einer Erweiterung.)
»Man kann sich hievon an dem Obertöneapparat überzeugen, wenn man z. B. zuerst
den Durakkord 4:5:6 angiebt und dann dessen drei Untertöne 1, 2, 3 in gleicher
Stärke hinzufügt: die bei dem Dreiklang trotz der auch hier nicht fehlenden
Empfindung der Klangeinheit so ausgeprägte Vorstellung eines Zusammenstimmens
mehrerer Töne hört augenblicklich ganz auf, und man glaubt nur noch einen ein-
zigen Klang von sehr voller Klangfarbe zu hören. Die Bedingung für das Zu-
standekommen der Vorstellung eines Einzelklanges ist also lediglich die, daß in
einer Reihe von Tönen, deren Schwingungszahlen der Reihe der einfachen ganzen
1888. 37
548 Kritiken und Beferate.
Zahlen entsprechen, der Grundton mit der Schwingungssahl 1 in hinreichender
Stärke vorkomme.« (53 — 54). Unter »hinreichender Stärke« ist nach dem Vorigen
zu verstehen, daß er nicht gegen die übrigen versehwinde.
Man muß wissen, daß der Obertonapparat aus einer Beihe von Zungen be-
steht, die lauter gleieh starke Klänge angeben, und nur darum von Appunn Ober-
tonapparat genannt worden ist, weil diese selbständigen gleichstarken SLlänge in
demselben Zahlenverhältniß unter einander stehen wie die harmonischen Theiltöne
eines Klanges. Man kann also lu dem beschriebenen Experiment auch ein Kla-
vier verwenden, nur müssen die bezüglichen Töne, wenn höchste Genauigkeit er-
strebt wird, aus der tempezirten in die reine Stimmung gebracht werden (ganz rein
pflegen sich indessen auch die Zungen nicht zu halten). Töne von dem Verhältniß
1:2:3:4:5:6 sind nun beispielsweise die folgenden :
^
Wundt behauptet also: 1) daß bei den drei oberen Tönen die VorsteUung
eines Zusammenstiomiens mehrerer Töne ausgeprägt sei, während zugleich die
Empfindung der Klangeinheit nicht fehle. Was er damit sagen will, kann ich
mir diesesmal sehr wohl denken ; aber so ausgedrückt sieht es doch einer contra-
dictio in adjecto sprechend ähnlich. In den Ausdrücken »Empfindung« und »Vor-
stellung« kann die Lösung nicht liegen, denn Wundt gebraucht gerade hier »Em-
pfindung der Klangeinheit* und »Vorstellung der Klangeinheit« fortwährend in
gleichem Sinne. Ohnedies würde seine Definition der »Vorstellung« im engeren
Sinn hier keine Anwendung leiden, und ist auch selbstverständlich, daß das Er-
fassen der Einheit und das der Mehrheit Sache einer und derselben psychisdien
Thätigkeit ist, wie man sie auch nenne.
Wundt behauptet 2) daß bei der Hinzufügung der drei unteren Töne die
Vorstellung eines Zusammenstimmens mehrerer Töne augenblicklich ganz
aufhöre und nur die eines einzigen Klanges zurückbleibe. Möge denn Jeder
den Versuch machen — ich kann mich von diesem merkwürdigen Effekt nicht
überzeugen. Gewiß ist es ja, daß sechs Töne weniger leicht zu analysiren und
völlig deutlich auseinanderzuhalten sind, als drei. Wenn man die linke Hand quer
über die ganze kleine Oktave legt, so ist diese Art von Klangeinheit, nämlich die
durch Vermehrung der Töne entstehende Schwierigkeit der Analyse, noch größer.
Auch wächst diese Schwierigkeit, wenn wir den obigen Versuch zwei Oktaven
tiefer machen, weil sehr tiefe Töne an sieh schon schwerer auseinander zu halten
sind, mögen sie in was inmier für Verhältnissen unter sich stehen; in der That
geht es beim Obertonapparat in die Kontraoktave hinab, der Ton 1 ist hier »
Ci. Dazu kommt noch die Unzahl der Obertöne und die mächtigen Stöße dieser
tiefen Klangmasse. Das sind aber alles Nebenumstände, die mit den Schwingungs-
verhältnissen der Grundtöne selbst, 1:2:3:4:5:6, und speziell mit dem Hinzu-
treten des Tones 1 nichts zu thun haben.
Ich gebe zu, daß durch Beifügung der drei unteren Töne der einheitliche
Eindruck des Gesammtklanges noch in anderer Weise, in anderem Sinne erhöht
wird. Es ist nicht gleichgültig, welche Töne man hinzufügt. Die Töne 1, 2 und
4, sowie 3 und 6 stehen untereinander im Oktavenverhältniß. Oktaven klingen
Grundzüge der phydologischen Psyehologie von W. Wundt. 549
assa
aber, wie erwähnt und bekannt, auch bei einfachen Tönen und aus Gründen,
welche der Theorie bisher uniugänglich geblieben sindi nahezu unisono. Der
Oktaveneindruck wird somit im Ganzen herrschend. Aber dies bewirkt wieder
nicht ausschließlich der Ton 1. Auch wenn wir 2 allein hinzufügen, wftehst
dieser Eindruck. Er entsteht ebenso, wenn wir z. B. den Zusammenklang
jsl:
angeben, also 5 : 8 : 16 : 32.
m
-^—
r22:
Ich muß demnach in Abrede stellen, daß gerade der Ton 1 die Kraft (s. z. s.
die spezifische Energie) besitze, aus mehreren Klängen Einen zu machen.
Gegen die Erklärung der Verwandtschaft ebenso wie der sog. Klangeinheit
aus zusammenfallenden Theiltonen ist u. A. eingewandt worden, daß man bei
gleichzeitigem Erklingen von c und g doch nicht wissen kann, daß der Theilton
g^, der gleichzeitig mitklingt, beiden gemeinsam zugehört, g^ ist eben ein schwacher
dritter Ton. Hört man ihn überhaupt heraus, so kann man ihm doch nicht an*
hören, daß er gemeinsamer Oberton der beiden anderen ist. Hört man ihn nicht
heraus, so kann er nur etwa die Klangfarbe des Ganzen mitbestimmen.
Wundt verwahrt sich in der neuen Auflage gegen diesen Einwand. Nicht
dadurch daß der Theilton als beiden Grundtönen zugehörig empfunden werde, ent-
stehe die Vorstellung der Klangeinheit der Grundtöne, sondern dadurch daß er
stärker erklinge, wenn diese zusammen angegeben werden, als wenn einer allein.
Aber damit ist offenbar nicht geholfen: wie soll der Ton, solaüge er eben nur als
ein dritter dabeiist, die Einheit der beiden ersten herstellen oder vermehren und
nicht vielmehr vermindern, und um so mehr, je stärker er ist? Nur wenn er als
ein gemeinsamer Bestandtheil beider erkannt würde, ließe es sich etwa
begreifen. Der Einwand besteht also in seiner vollen Kraft.
Weiter behauptet Wundt noch, daß man durch willkürliche Verstärkung ein-
zelner Theiltöne ein Intervall einem anderen ähnlich machen könne. Jedes Inter-
vall enthält nämlich in den Obertönen Nebenintervalle; z. B. die Klänge c und
f, die eine Quarte lüden, enthalten als Obertöne von e : c\ g^, c-, e*, g"^, und als
Obertöne von f:fK c^, /^, a^, c3. Diese Obertöne bilden unter sich eine große
Anzahl von Nebenintervallen. Durch entsprechende Verstärkungen treten also
diese mehr hervor. Daß aber hiedurch der Intervallcharakter von c — f selbst
etwa dem einer Terz (durch Verstärkung von <ß und e^ oder e^ und g^} oder Sexte
(durch Verstärkung von e^ und c^; oder Sekunde (durch Verstärkung von ^ und
or] genähert «werden könne, kann ich leider wiederum nicht bestätigen. Die Be-
hauptung ist wohl wieder nur ein Ausfluß der Theorie, deren Anhänger nachträg-
lich etwas Derartiges zu finden glauben mögen ; aber das musikalische Ohr bestä-
tigt es nicht, ihm bleibt die Quarte alle Zeit eine Quarte.
Wir übergehen die Lehre von der indirekten Verwandtschaft (56), worin be-
sonders der Unterschied von Moll und Dur aus den Bei tönen hergeleitet wird.
Ein ganz neuer Abschnitt gegenüber den früheren Auflagen fesselt mehr die Auf-
merksamkeit: »Konsonanz und Harmonie« (63). Konsonanz faßt Wundt als
identisch mit direkter Klangverwandtschaft, also beruhend auf identischen Ober-
tönen, während Harmonie »eine Übereinstimmung von Klängen ist, welche auf der
Beziehung verschiedener Töne zu einander beruht, die unmittelbar als eine passende
empfunden wird.« Damit die Erklärung nicht auch auf die Melodie passe, muß
37»
550 Kritiken und Referate.
man jedenfalls die Gleichzeitigkeit der Töne mit hinein nehmen. Ob sie sonst
hinreicht, mag hier dahingestellt bleiben. Zur Harmonie ist nach Wundt's weiteren
Erl&uterungen Konsonanz nicht erforderlich, sie läßt sich auch mit fast völlig
obertonfreien Klängen erzeugen, doch wird sie durch gemeinsame Obertöne und
ebenso durch die Differenztöne unterstützt. Ein mitwirkendes Moment sind auch
die Maßbeziehungen (Entfernungen) zwischen den Tönen. Hier stützt sich Wuodt
auf die Lorenz'schen Versuche und deduzirt daraus Weiteres über Dur und Moll
(67), üder Dominante, Leitton u. dgL
Ein folgender Abschnitt behandelt die rhythmische Verbindung der Schall-
Yorstellungen (72), die Taktarten, die Melodie^; ein letzter Abschnitt in der Lehre
von den Gehörvorstellungen ist deren Lokalisation (80) gewidmet.
Die Betrachtung der ästhetischen Elementargefühle (209) führt kurz wieder
auf musikalische Dinge und zwar wiederum besonders auf Dur und Moll. Die
Bemerkungen über experimentelle Untersuchung des Tongedächtnisses (360) liefern
kaum musikalische Ausbeute. Dann begegnen uns noch einige Zeilen über Musik
im Verhältniß zu den Affekten (427) und Bemerkungen über den Ursprung der
Musik (525, 529), welche freilich auf die eigentlichen Schwierigkeiten dieses Pro-
blems, wie die erste Bildung und die mannigfache Ausgestaltung der Leitern, nicht
eingehen.
Aber dies soll nicht wieder ein Tadel sein. Denn man kann in einem Lehr-
buch der Psychologie nicht Alles erledigen. Vielmehr dürfen wir uns über den
Umfang, in welchem Wundt gegenüber den meisten früheren Psychologen das Ton-
gebiet berücksichtigt und verwerthet, nur freuen. Sein Werk bleibt überhaupt in
Rücksicht auf die ihm zu Grunde liegende Kenntniß der Erscheinungen und der
Litteratur yerschiedenartiger Gebiete alles Ruhmes würdig. Um so mehr ist nur
zu bedauern, daß sich damit nicht zugleich größere Genauigkeit in der Beschrei-
bung der Thatsachen und größere Klarheit in der Definition der Begriffe verbiadet,
als es nach den zahlreichen Erinnerungen, zu denen wir uns gezwungen sahen,
der Fall ist.
HaUe a. 8.
C. Stumpf.
1 Irrthümlich nennt Wundt hier (79) den langen .E^-dur-Akkord zum Anfang
der »Nibelungen« einen »die Grenzen alles Zeitmaues weit überschreitenden Orgel-
punkt««. Dies ist überhaupt kein Orgelpunkt, sondern das Gegentheil davon, da
dem Orgelpunkt gerade die Veränderung der Harmonie während des Liegen-
bleibens einer Stimme wesentlich ist.
Musikalische Bibliographie
Ton
Dn F. Aseherson,
Bibliothekar nnd entern Coitos der Königlichen UniTerslt&te-Bibliothek xn Berlin.
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Roßberg'sche Buchhandlung, n. 4 •#, geb. n. 5 .# 50 Sjf.
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Neue umgearbeitete und verrollst&ndigte Ausgabe. 8. Leipzig, Breitkopf und
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.6. Ergänzungsband. 1880 bis 1886. CXCVIII, 773 S. 4o. Leipzig, Friedlich
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Mit 8 Porträts. 2 Bde. 6. Aufl. XV, 383 u. VH, 400 S. gr. 8. Berlin, B. Behx's
Verlag (E. Bock), n. 12 Jf, geb. n. 14 JH 50 ^.
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träU. Leipzig, M. Hesse's Verlag. Geb. n. 1 UT 20 ^.
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Zibrairie Fischbacher. 3 fr.
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lithogrt^hies originales par M. Fonttn-JLatour, de douze portraits de Heetor
Berlioz, de trois planches hors texte et de 122 gravures, scenes theätrales, cari-
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sänge für eine Singstinmie mit Pianofortebegleitung betrachtet 50 S. gr. 8.
Leipzig, C. F. Kahnt Nachfolger. 60 3jf,
, Anton Rubin stein. Biographischer Abriß nebst Charakteristik seiner Werke.
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Lehrplan für die I., 11. u. IH. Abtheilung des königl. Konservatoriums für Musik
in Dresden. 28 S. gr. 8. Dresden, Qeoig Tamme. n. 10 ^.
Llttencheld, F., Taschenbuch der gebräuchlichsten musikalischen Kunstausdrücke.
66 S. 160. Stuttgart, Karl Grüninger. Kart. n. 30 ^,
Lobe 5 J. C, Katechismus der Kompositionslehre. 5. Aufl. (Weber's illustrirte
Katechismen. Nr. 50). VHI, 196 8. 8. Leipzig, J. J. Weber. Geb. n. 2 Jf.
Hackensie} Sir M., Singen und Sprechen. Pflege und Ausbildung der mensch-
lichen Stimmorgane. Deutsche Ausgabe von J. Michael. XIV, 252 8. 8.
Hamburg, Leopold Voss. Geb. n. 6 Jf.
Marx 5 A. B.. Musikalische Kompositionslehre, praktisch -theoretisch. Neu be-
arbeitet T. H. Riemann. 1. Thl. 9. Aufl. XII, 632 8. gr. 8. Leipzig, Breit-
kopf und HärteL n. 12 Jf, geb. n. 13 Jf 50 ^,
Merky G., Elementar^Gesanglehre. 175 8. gr. 8. Breslau, Ferdinand Hirt, Ver-
lags-Buchhandlung, n. 1 •# 75 ^, geb. baar 2 Jf.
PeteraoUf Tre mtuikaliaka fÖrelä»ningar om rytmen, häUna t kongl, Vetenskaps^
dkademiens hifrsal d, 7., 14. o.21. okt 1887. 147 s. o. 2 munkbilager. 8, Stock-
holm, Biüe. kr. 1.
Proceedings of the MuHcal Asaoeiatian for the tnvesiigation and düeuuüm
of subjects connected with the ort and seience of mueic. Fourteenth Seeeion
1887/8. London, Noveüo, Ewer ^ Co. 1888. Contents: 1) Musical beate and
their rehUion to consonance and dissonance. By J. Hefferman. 2) Hie
differencee bette een ancient and modern art. By J. F. Mowbotham. 3) The
phyeiology of pianoforte playing, with a practieal applietUion of a new theory.
By W, Macdonald Smith. 4) The Tife and work of Sir G. A. Maefarren.
By JE. C. Banister. 5) Soine euggeeted modißeation» of Day^e theory of
harmony. By Ebenezer Prout. 6) The correspondence between Wagner and
Liszt, By J. S. Shedlock. 7) Some poinie of intereet connected with the
558 Musikalidche Bibliographie.
JSnglish achool of the fixteenth Century, By J. H. Mee. 6) Some furiher
dißeationa of Day'a syatem of harmony, suggested from an edtieaiional point of
vietD, By Charles William Pearce.
Proilty £., Elementar-Lehrbuch der Instrumentation. Autorisirte deutsche Über-
setzung T. B. Bachur. 2. Aufl. YU, 144 S. gr. 8. Leipzig , Breitkopf iind
Härtel. n. 3 J(, geb. n. 4 uT 20 ^.
Richter^ A., Aufgabenbuch zu F. Richter's Harmonielehre. 7. Aufl. IV, 54 B.
gr. 8. Leipzig, Breitkopf und Härtel. n. 1 uT, geb. n. 2 uT 20 3jt,
Biemanii} H., Handbuch der Harmonielehre. 2. Aufl. der »Skizze einer neuen
Methode der Harmonielehre«. XII, 239 S. gr. 8. Leipzig, Breitkopf und
Härtel. n. 5 uT, geb. n. 6 uT 20 £gf,
, K., Lehrbuch des einfachen, doppelten nnd imitierenden Kontrapunktes.
Leipzig, Breitkopf und H&rtel. 1888. 8.
Bisohbleter, W., Die Gesetzmäßigkeit in der Harmonik. VII, 169 S. 8. Kegens-
bürg, Alfred Coppenrath. n. 3 •# 50 Sjl,
Both) Philipp, 14. Werk. Violoncell-Schule. Mit einem Anhang: Führer durch
die Violoncell-Litteratur. FoL Leipzig, Breitkopf und Härtel. n. 6 Jl,
Schnellkomponisty der. Untrügliche Anleitung für Jedermann, in kurzer Zeit ein
bedeutender Komponist zu werden. 2. Aufl. der »industriell- musikalfschen
Kompositionlohre von Theophilus Plümpser«. 29 8. 12<). Berlin, BrachTogel
und Ranft, Verlagsbuchhandlung, n. 75 3j(,
Schubert 9 F. L., Kleine theoretisch -praktische Klarinettenschule. 4. Aufl. 4*^.
Leipzig, C. Merseburger. 2 •# 25 ^.
Sohnberthy J., Vollständig erklärendes Fremdwörterbuch aller in der Musik ge-
bräuchlichen Ausdrücke. 18. Aufl. 160. XVI, 138 S. Leipzig, J. Schuberth
und Co. Kart 1 Ji.
Schulz^ F. A., Op. 112. Kleine theoretisch-praktische Guitarre-Schule. 3. Aufl.
40. Leipzig, C. Merseburger. 2 J(.
Struthy A., Theoretisch-praktisohe Flötenschule. 7. Aufl* 4^. Leipzig, 0. Meise*
burger. 2 ulT 25 .^.
Tlersohj 0., Elementarbuch der musikalischen Harmonie- und Modulationslehre.
2. Aufl. IX, 185 S. gr. 8. Berlin, Bobert Oppenheim, n. 4 Jl.
TombOy A., Schule der Technik des Harfenspiels. Herausgegeben von £. Schücker.
Theil II. Fol. Leipzig, Breitkopf und Härtel. 5 uT.
ürbmeh) K., Neue Klayierschule. Theoretisch -praktisches Unterrichtswerk mit
reichem Melodienschatz und Vortragsstücken zu zwei und vier Händen. Cplt.
40. Magdeburg, Heinrich shofen's Verlag, n. 4 uT 50 ^. Theil 1 und 2 ä
2 ur 50 .^.
Yolbaoh) F., Lehrbuch der Begleitung des Gregorianischen Gesanges und de«
deutschen Chorals an den Kirchentonarten nach den Grundsätzen des poly-
phonen Satzes. 56 S. 8. Berlin, J. J. Heine's Verlag, n. 1 uT 60 3jf.
Weinwumiy B., Allgemeine Musiklehre oder musikalische Elementarlehre. 4. Aufl.
IV, 162 S. gr. 8. Wien, Alfred Holder, n. 1 uT 92 ^.
'Weitzmanii) C. F., Handbuch der Theorie der Musik. Herausgegeben von Felix
Schmidt. XVI, 224 S. gr. 8. Berlin, EnsUn. 1888. geb. 6 uT.
Wlllborg, W., Die Grundlage der Technik der Klavierspiels. 70 S. 8. Leipzig,
C. Merseburger. n. 90 3jl.
Wittlngy C, Wörterbuch der in der Musik gebräuchlichen Ausdrücke. Deutsoh-
Engliseh-Französisch. 105 S. 120. Leipzig, C. Merseburger. 75 Sjl,
Wohlfahrt, H., Vorschule der Harmonielehre. 8. Aufl. VI, 74 S. 8. Leipzig,
Breitkopf und HärteL n. 1 UT, geb. n. 1 uT 80 ^.
Musikalisobe Bibliographie. 559
Wohlfarthy Rob., Popul&re Kompositionfllehre. Eine leiohtfassliche Anleitung sum
selbständigen Komponizen kleiner Musikstücke für Dilettanten, sowie zum
Gebrauche in Musikschulen, Seminarien, Pr¶n den- Anstalten etc. II. Theil.
Foi; Leipzig, Robert Forberg, 1 jT 20 ^.
WfiUnery F., Chorübungen der Münchener Musikschule. 2. Stufe. 3. Aufl. 139 S.
gr. 8. München, Theodor Ackennann, Verlags-Oonto. n. 3 jlf. [S. ob. Bd. 2.
S. 264.]
ZiehD> B., Harmonie- und Modulationslehre, gr. 8. Berlin, B. Sulzer. 12 jlf.
Zimmer, Fr., Die Noteniesemaschine. Textheft (über Zweck, Einrichtung und
Gebrauch derselben). Fol. Quedlinburg, Chr. Friedr. Vieweg's Buchhandlung.
(Apparat 10 M.) 30 9.
HL Ästhetik. Physikalisches.
Aphorismeiiy musikalische. Gesammelt und herausgegeben von O. Girschner.
(Uniyersal-Bibliothek. Nr. 2401.) 86 S. Leipzig, Ph. Reclam jun. n. 20^,
geb. n. 60 ^.
Ehrlich; H., Wagner'sche Kunst und wahres Christenthum. Offener Brief an den
Hofprediger und Garnisonspfarrer D. Emil Frommel. 30 S. 8. Berlin, Brach-
vogel und Ranft, Verlags-Buchhandlung, n. 60 ^.
, Aus allen Tonarten. Studien über Musik. VI, 264 S. 8. Berlin, Brach-
vogel und Ranft n. 4 jT 50 ^, geb. n. 5 jT 50 ^.
Renolg j C. R., Beethoven's neunte Symphonie. Eine Analyse. 106 S. gr. 8.
Leipzig, F. E. C. Leuckart n. 1 jT 50 ^.
Kalischer, A. Ch., Musik und Moral. Ein culturhistorischer Essay. 1. Abtheil.
(Deutsche Zeit- und Streitfragen, herausg. von F. v. Holtzendorff. Neue Folge.
2. Jahrg. Heft 14. 15.) 96 S. gr. 8. Hamburg, J. F. Richter. Subscrip-
tionspreis ii n. 75 ^, Einzelpreis n. 2 Jf.
Katalog musikalischer Humoristica. 131 S. gr. 8. Leipzig, Wilhelm Dietrich.
n. 50 ^.
Krlgar- Menzel 9 0., Über die Bewegung gestrichener Saiten. Berliner Inaugural-
DisserUtion d. philos. Fac. v. 24. M&rz 18SS. 40 S. 4». Mit 1 Tafel. Berlin,
Buchdruckerei von M. Niethe.
Mesnard, X., Essais de critique musicah. Hector Berlioz — Johannes Brdhms. 8.
FariSj Lihraire Fischbacher, 2 fr,
Norman f X., Musikaliska upsatser och kritiker. 8. Stockholm^ JBagge, 2 kr.
Blemanii, H., Wie hören wir Musik? Drei Vorträge. IV, 92 S. 8. Leipzig,
M. Hesse. 1888. n. 1 ufT 50 ^.
Stern 9 A., Die Musik in der deutschen Dichtung. XII, 241 S, 8. Leipzig,
C. F. Kahnt Nachfolger. Geb. mit Goldschn. n. 7 Jf.
Wien^ Max, Über die Messung der Tonst&rke. Berliner Inaugural-Dissertation.
1888.
Witts teüi) Th., Grundzüge der mathematisch -physikalischen Theorie der Musik.
IV, 54 S. gr. 8. Hannover, Hahn'sche Buchh. n. 2 »4^.
IV. Ausgaben von Tonwerken.
Baehy J. S., Kantate: »Bleib' bei uns, denn es will Abend werden«. Mit ausge-
führtem Akkompagnement und erweiterter Instrumentation herausgegeben von
R. Franz. Partitur. Fol. Leipzig, Breitkopf und HärteL 7 jT 50 ^.
, Fassionsmusik nach dem Evangelisten Lucas. Partitur. Fol, Leipzig, Breit-
kopf und HärteL n- 15 uff. Orchesterstimmen 25 Jf,
560 MuBikalisehe Bibliographie.
Baehy Sinfoniesats auB einer unbekannten Kirchen -Kantate für Violine. Mit Fiano-
forte von L. Abel. Fol. Leipsig, Robert Forberg. 3 Jl.
• , Werke. Ausgabe der Bach-Oesellsehaft. Jhrg. 34. Kammermusik für Ge-
sang. Kantaten. Partitur. Fol. Leipzig» Breitkopf und UftrteL (Für Mitglieder
15 M) 30 M,
T. Beethoven, Klavier-Sonaten. Kevidirt und beseiehnet von H. Bußmeyer. 40.
Bd. 1 u. 2. Berlin, Schlesinger'sche Musikhandlung, ä 3 »4^.
, Festchor aus der Kantate auf die Erhebung Leopolds 11. sur Kaiserwürde.
Für Mftnnerstimmen mit Pianoforte eingerichtet von R. Weinwunn. Futitax.
gr. 8. 2 jT 50 ^.
• . Sonaten für Pianforte. Nach Q. Nottebohm's Aufseichnungen revidirt v.
E. Mandyzewski. Bd. 1—3. 40. Wien, Jos. Eberle u. Co. ä 3 ulT.
, Symphonien bearbeitet für zwei Pianoforte su 4 Hftnden. Nr. 7. Op. 92 Ton
E. Naumann. Fol. Leipzig, Breitkopf und H&rteL 10 jlf.
, Werke. Vollständige kritisch durchgesehene, überall berichtigte Ausgabe.
Serie XXV. Supplement. Nr. 297—307. Kleinere Stücke für das Hanoforte
FoL Leipzig, Breitkopf und Härtel. 2 M,
, do. Nr. 275—285. Lieder und Oesftnge mit Begleitung des Pianoforte. F<^
Ebda. 2 jT 50 .9'.
, Partitur -Einzelausgabe. Serie 25. Supplem. Bisher ungedruckte Werke.
Nr. 1. Kantate auf den Tod Kaiser Joseph des Zweiten. Für Solo, Chor und
Orchester. 4 jlf 50 ^. Nr. 2. Kantate auf die Erhebung Leopold des Zweiten
zur Kaiserwürde. Für Solo, Chor und Orchester. 3 •#. — Nr. 3. Chor «um
Festspiel: Die Weihe des Hauses. Für Solo, Chor und Orchester. 3 «#. —
Nr. 4. Chor auf die verbündeten Fürsten. Für vier Singstimmen und Orchester.
1 •# 5 ^. — ' Nr. 5. Opferlied. Für drei Solostimmen, Chor und kleines Or-
chester. 45 3jg, — Nr. 6. Zwei Arien für eine Baßstimme mit Orchester. 1 Jl
80 ^. — Nr. 7. Zwei Arien zu J.Umlaufs Singspiel »Die schöne Scfausterin*.
1 uff 50 ^. — Nr. 8. Arie »Primo camore piaeer del ciel** für Sopran mit Or-
chester. 1 uff 80 ^. — Nr. 9. Musik zu Friedrich Duncker's Drama Leonore
Prohaska. 60.^. -^Nr. 10. Abschiedsgesang. Für drei Männerstimmen. 45^.—
Nr. 1 1 . Lobkowitz-Kantate für drei Singstinnnen mit Klavierbegleitung. 45 ^.
— Nr. 12. Ich, der mit flatterhaftem Sinn. 75 ^. — Nr. 13. Merkenstein. 30 ^.
— Nr. 14. Der Gesang der Nachtigall. 30 ^. — Nr. 15. Lied. 30 ^,^
Nr. 16. Lied aus Metastasios's Olimpiade. 30 S^. — Nr. 17. An Minna.
30 ^. — Nr. 18. Gedenke mein. 30 ^. — 19. Trinklied. 30 ^, — Nr. 20.
Klage. 30 ^, — Nr. 21. Elegie auf den Tod eines Pudels. 45 ^. — Nr. 22.
Fünf Kanons. 30 ^. — Nr. 23. Musik zu einem Ritterballet. 1 uT 90 .9'.
— Nr. 24. Zwei Märsche für Militärmusik. Verfaßt zum Karoussel an dem
glorreichen Namensfeste Ihrer k. k. Majestät Maria Ludovika. 60 ^, —
— Nr. 25. Marsch für Militärmusik. 60 ^. — Nr. 26. Polonaise für Militär-
musik. 45 ^. — Nr. 27. Ecossaise für Militärmusik. 30 ^. — Nr. 28. Sechs
Ländler Tänze für 2 Violinen und Baß. 45 ^. — Nr. 29. Marsch für zwei
Klarinetten, zwei Homer und zwei Fagotte. 30 ^. — Nr. 30. Drei Equale
für vier Posaunen. 30 ^. — Nr. 31. Trio für Klavier, Flöte und Fagott.
3 uff 15 ^. ~ Nr. 32. Sonatine für Mandoline. 30 ^. — Nr. 33. Adagio für
Mandoline. 45 ^. — Nr. 34. Zwei Bagatellen für Klavier. 45 ^. — Nr. 35.
Klavierstück in AmoU. 45 9. — Nr. 36. Allegretto in CmoU für Klavier.
45 ^. — Nr. 37. Lustig. Traurig. Zwei kleine Klavierstücke. 30 ^. —
Nr. 38. Klavierstück in Bdur. 30 ^. — Nr. 39. Sechs Ecossaisen für Klavier.
30 ^, — Nr. 40. Walzer in Esdur für Kkvier. 30 ^. — Nr. 41. Walzer in
1
Musikalische Bibliographie. 561
Ddur für Klavier. 30 ^. — Nr. 42. Ecossaise in Esdur für Klavier. 30 £f[,
— Nr. 43. Ecossaise in Qdur für Klavier. 30 ^. — Nr. 44. Allemande in
Adur für Klavier. 30 3^. — Nr. 45. Sechs Deutsche für Klavier und Violine.
CO 3jt. — Nr. 46. Zweistimmige Fuge für Orgel. 30 ^. — Stimmen - Einzel-
ausgabe Serie 25. Supplement. Bisher ungedruckte Werke. — Nr. 1. Kan-
tate auf den Tod Kaiser Josephs des Zweiten. Für Soli, Chor und Orchester.
8 uff 50 ^. — Nt. 2. Kantate auf die Erhebung Leopold des Zweiten zum
Kaiserwürde. Für Soli, Chor und Orchester. 8 uff 85 ^.
0ie ChrStry, Coüeciion complete des Oeuvres de G, publUe par U gouvemement beige.
Livr. 7. Anaereon chez Polycrate, Opira en trois acies, Pariition, Fol. Leipzig^
Breitkopf und Härtel. 32 M. [S. ob. Bd. III S. 620].
Hftndel« 0. F., Werke. Für die deutsche Händelgesellschaft herausgegeben von
Friedrich Chrystnder. Lieferung LI : Italienische Kantaten für eine Solo-
stimme und Baß. Zweiter Band, Nr. 39 — 72. — Lieferung XLVIB : Musika-
lische Scenen zu dem englischen Schauspiel Alceste. — Lieferung LII^ , Ita-
lienische Kantaten mit Instrumentalbegleitung. Erster Band, Nr. 1 — 15. —
Supplemente enthaltend Quellen zu Hftndel's Werken. 1. Magnificat von D.
Erba. 3. Serenata von Alessandro Stradella. Leipzig, Stich und Druck der
Gesellschaft,
Jjfsstf F., Technische Studien für Pianoforte. Unter Redaktion von A. Winter-
berger. Heft 9. Fol Leipzig, J. Schuberth u. Co. 3 uT. [S. ob. Bd. UL S. 617.]
, Heft 10. FoL Ebda, 6 uT. .
, Heft 11. Fol. Ebda. 3 ufT.
Meister^ alte. Sammlung werthvoUer Klavierstücke des 17. und 1 8. Jahrhunderts
herausgegeben von E. Pauer. Vierter Band. Nr. 61. Frescobaldi, O.,
Toccata. 1. u. 2. Fol. Leipzig, Breitkopf und Härtel. 1 uT 25 ^. Nr. 62.
Toccata 3. u. 4. 1 uT 25 ^. Nr. 63. Toccata 5. u. 6. 1 ufT 25 ^. Nr. 64.
Toccata 7. u. 8. 1 ufT 25 S^. Nr. 65. Toccata 9. u. 10. 1 uT 25 ^. Nr. 66.
Toccata 11. u. 12. 1 ufT. Nr. 67. Bach, C. P. E., Coneerto per ü Cembalo
Soh. 2 Jf 75 ^.
Moiart'g Werke. Einzelausgabe. — Stimmen-Serie 3. Kleinere geistliche Oesang-
werke. — Nr. 8. Miserere für Alt, Tenor, Baß u. Orgel mit Haberl's Hinzu-
fOgung von »Quoniam« u. »Benigne fac« 75 ^. — Nr. 25. Offertorium de Tem-
])ore für 4 Singstimmen mit Begleitung. Instrumentalstimmen. 1 uff 50 ^. —
Nr. 26. Offertorium de venerabili sacramento für 2 vierstimmige Chöre mit
Begleitung. 1 uT 95 .^r. — Nr. 27. Graduale ad Festum B. M. V. für 4 Sing-
stimmen mit Begleitung 2 uff 10 ^. — Nr. 29. Hymnus: Justum deduxit
dominus f. 4 Singstimmen, Baß und Orgel. 1 uff 5 ^. [S. ob. Bd. HI S. 621.]
Palestrlna'g Werke. Kritisch durchgesehene Oesammtausgabe. Band 24. Messen.
(Fünfzehntes Buch.) Partitur. Fol. Leipzig, Breitkopf und H&rteL 15 uff.
[S. ob. Bd. ni S. 621). Herausgegeben von Fr. X. Haberl.
, Band 19. Messen. Partitur. Fol. Ebda. 15 ulf. Herausgegeben von Fr.
X. Haberl.
Pvblieatlon älterer praktischer und theoretischer Musikwerke vorzugsweise des 15.
und 16. Jahrhunderts. Herausgegeben von der Gesellschaft für Musikforschung.
Jhrg. XVI. 1888. Abth. 1. Bd. XVI. Olareani Dodeeachordon. BasiUae
MDXL VI, Übersetzt und übertragen von Peter Bohn. FoL Leipzig, Breit-
kopf und Härtel. 12 Ol. [S. ob. Bd. I S. 257].
Schabert, F., Ouvertüren und andere Orchesterwerke. Bearbeitung für Pianoforte
zu vier Händen von J. O. Qrimm. Nr. 4, 5, 6. Fol. Leipzig, Breitkopf und
Härtel. ä 1 uT 50 ^.
562 Musikalische Bibliographie.
Sehabert, Nr. 7. Ouvertüre in Emoll. 1 uT 50 ^. — Nr. 8. Fflnf Menuette mit
sechs Trios. 1 «^ 50 ^. — Nr. 0. Fünf Deutsche mit Coda und sieben Trios.
1 Ulf 50 ^. — Nr. 10. Menuett 50 Sjf.
, Werke. Erste kritisch durchgesehene Gesammt- Ausgabe. Serie I. Symphonie
für Orchester. Nr. 7. Cdur. Fol. Leipzig, Breitkopf und H&rtel. Stimmen.
18 M 75 3jf.
, Serie XV. Dramatische Musik. Daraus einieln: Ouvertüre xu der Oper
Fierabras. Op. 76. 6 ufT 30 ^. Stimmen. 4 ^ 10. J^r
Einzelausgabe. Partitur. Serie XIIl. Messen. Nr. 1. Messe in Fdur. ^ M
30 ^. — Nr. 2. Messe in Gdur. 3 ulT. — Nr. 3. Messe in Bdur. 4 ulT 20 ^.
— Nr. 4. Messe in Gdur. 3 ulT 60 ^. — Nr. 5. Messe in Asdur. 12 M 75 ^.
— Nr. 6. Messe in Esdur. 12 uff 15 ^. — Nr. 7. Gesänge zur Feier des
heiligen Opfers der Messe nebst einem Anhang: Da^Gebet des Herrn. 1 M
50 3jl.
du. Serie IX. Für Pianoforte zu 4 H&nden. Bd. I. Nr. 1 — 7. Märsche, n. 9 •#.
— Bd. II. Nr. 8 — 18. OuTcrturen, Sonaten, Kondos, Variationen, n. 17 ulT.
— Bd. in. Nr. 19 — 32. Divertissements, Polonaisen, Phantasien u. s. v.
n. 20 Jt.
Stimmen. Serie 2. Ouvertüren und andere Orchesterwerke. Nr. 1. Ouvertüre
zum Lustspiele mit Gesang : Der Teufel als Hydraulicus. 2 jlf 40 ^. Nr. 2.
Ouvertüre in Ddur. 6 uT 45 ^. Nr. 3. Ouvertüre in Bdur. 2 ulT 70 Jjr. Nr. 4.
Ouverturelin Ddur. 3 uT 45 ^. Nr. 5. Ouvertüre in Ddur. 4 uT 5 ^. Nr. 6.
Ouvertüre in Cdur. 4 uT 5 ^. Nr. 7. Ouvertüre in Emoll 5 uT 55 ^. Nr. 8.
Fünf Menuette mit sechs Trios. 1 uT 55 ^. Nr. 9. Fünf Deutsche mit Coda
und sieben Trios. 1 ufT 55 ^. Nr. 10. Menuett 75 ^.
Serie 14. Kleinere Kirchenmusikwerke. Partitur. 17 •#,
SchlltSy H.y Cantiones sacrae für vier Singstimmen mit Generalbaß. Stimmen.
Cantus, Alt, Tenor und Baß. FoL Leipzig, Breitkopf und Härtel. je 1 «# 50 .^.
, Sämmtliche Werke. Herausgegeben von Philipp Spitta. Band V: ^^'
phoniae sacrae. Erster TheiL — Band VI : Kleine geistliche Concerte. Erster
und zweiter Theil. — Band VH : Symphontae aaerae. Zweiter TheiL FoL Leipzig,
Breitkopf und HärteL Subscriptionspreis für den Band \h M.
Sehmnann's, Robert, Werke. Kritisch durchgesehene Gesammtausgabe. Heraug-
gegebea von Clara Schumann. Partitur u. Stimmen. Serie V. Für Piano-
forte und andere Instrumente. Band 1. Quintett u. Quartett Fol. Leipzig,
Breitkopf und HärteL 13 uT. Band 11. Trios. 20 uT. Band HI. Duos.
15 uT. [S. ob. Bd. m. S. 622 ff.]
Band I. Nr. 2. Op. 47. Quartett für Pianoforte, Violine, Viola und
Violoncello. 5 uT 70 ^. Band IL Nr. 4. Op. 80. Zweites Trio für Piano-
forte, Violine und Violoncello. 4 ufT 95 ^. Nr. 6. Op. 88. Phantasiestücke
für Pianoforte, Violine und Violoncello. 2 Jf Sb ^. Band 3. Nr. 8. Op. 70.
Adagio und AUegro für Pianoforte und Hom (Violoncello oder Violine ad
lib.). 1 jT 80 ^. Nr. 9. Op. 73. Phantasiestücke für Pianoforte und Klari-
nette (Violine oder Violoncello ad lib.). 2 uT 55 9. Nr. 10. Op. 105. Erste
Sonate für Pianoforte und Violine. 2 jT 25 ^. Nr. 12. Op. 113, Märchen-
Bilder. 4 Stücke für Pianoforte und Viola (Violine ad lib.). 2 jT 40 <^.
Nr. 13. Op. 94. Drei Romanzen für Oboe (Violine ad lib.) und Pianoforte.
IJf 20^, Nr. 14. Op. 102. Fünf Stücke im Volkston für Violoncello (Vio-
line ad lib.) und Pianoforte. 2 ufT 25 ^.
Serie 9. Größere Gesangswerke mit Orchester oder mit mehreren Instru-
menten. Stimmen. Nr. 4. Op. 84. (Beim Abschied zu singen), für Chor mit Oi^
Musikalische Bibliographie. 5^3
ehester oder Fianoforte. 1 «# 95 ^. Nr. 5. Op. 93. Verzweifle nicht im
Schmerzensthal. Motette für doppelten Männerchor mit Orchester und Orgel
ad lib. 9 jT 60 ^. Nr. 7. Op. 108. Nachtlied für Chor und Orchester.
4 Ulf 35 .^r. Nr. 8. Op. 112. Der Rose Pilgerfahrt, für Solostimmen, Chor
u. Orchester. 17 jT 40 ^.. Nr. 10. Op. 116. Der Königssohn. Ballade für Solo-
stimmen, Chor und Orchester. 10 M 80 ^. No. 11. Op. 137. Fünf Gesänge
aus Laube's Jagdbrevier für 4stimmigen Männerchor mit 4 Hörnern ad lib.
1 jT 80 .^. Nr. 13. Op. 140. Vom Pagen und der Königstochter. 4 Balladen
für Solostimmen, Chor und Orchester. 10 ufT 5 ^- Nr. 14. Op. 143. Das
Qlück von Edenhall. Bajlade.für Männerstimmen, Soli und Chor mit Orche-
ster bearbeitet. 9 uff. Nr. 15. Op, 144. Neujahrslied für Chor und Orchester.
8 ur 40 ^.
Schamaiuiy Serie 10. Mehrstimmige Gesangswerke mit Fianoforte* Band 1. Für
2 Singstimmen. Part. 4 M* Band 2. Für mehrere Singstimmen. Part. 13 uff.
t , Serie 11. Für Männerchor. Partitur. 2 ulf.
Serie 12. Für gemischten Chor. Partitur 6 uff.
-, Serie 13. Für eine Singstinmie mit Pianoforte. Band 1. Nr. 2. Op. 25.
Myrthen. Liederkreis. 3 uff 75 ^. Nr. 3. Op. 27. Lieder und Gesänge. Heft 1.
75 ^. Nr. 4. Op. 30. Drei Gedichte. 1 uff 5 ^. Nr. 5. Op. 31. Drei Ge-
sänge. 1 uff 35 ^. Nr. 6. Op. 35. Zwölf Gedichte. 1 uff 95 ^. Nr. 7. Op. 36.
Sechs Gedichte aus dem Liederbuche eines Malers. 1 ulf 35 ^. Bd. 2. Nr. 9.
Op. 39. Liederkreis. Zwölf Gesänge. 1 uff 80 ^. Nr. 10. Op. 40. Fünf
Lieder für eine tiefe Stimme. 1 ulf 5 ^. Nr. 11. Op. 42. Frauenliebe und
Leben. Liedercyklus. 1 uff 35 ^. Nr. 12. Op. 45. Komanzen und Balladen.
Heft 1. 90 ^. Nr. 13. Op. 48. Dichterliebe. Liedercyklus. 2 uT 70 ^.
Nr. 14. Op. 49. Romanzen und Balladen. Heft 2. 90 ^. Nr. 15. Op. 51.
Lieder und Gesänge. Heft 2. 90 3jf. Nr. 16. Op. 53. Romanzen und Bal-
laden. Heft 3. 90 ^. Band 3. Nr. 17. Op. 57. Belsazar. Ballade für
eine tiefe Stimme. 75 ^, Nr. 18. Op. 64. Romanzen und Balladen.
Heft 4. 75 ^. Nr. 19. Op. 77. Lieder und Gesänge. Heft 3. 1 uT 5 ^.
Nr. 21. Op. 83. Drei Gesänge. 90 ^. Nr. 22. Op. 87. Der Handschuh.
Ballade. 60 ^. Nr. 23. Op. 89. Sechs Gesänge. 1 uT 20 <9'. Nr. 24. Op. 90.
Sechs Gedichte und Requiem. 1 ulf 50 ^. Nr. 25. Op. 95. Drei Gesänge
mit Harfe oder Pianoforte. 90 3jl. Nr. 26. Op. 96. Lieder und Gesänge.
Heft 4. 1 uff 5 ^. Band 4. Nr. 28. Op. 104. Sieben Lieder. 1 uff 20 ^.
Nr. 29. Op. 107. Sechs Gesänge. 1 UT 5 ^. Nr. 30. Op. 117.; Vier Husaren-
lieder für Baryton. 75 ^. Nr. 31. Op. 119. Drei Gedichte aus den Wald-
liedem. 75 ^. Nr. 32. Op. 125. Fünf heitere Gesänge. 1 uT 5 ^. Nr. 33.
Op. 127. Fünf Lieder und Gesänge. 90 ^. Nr. 34. Op. 135. Gedichte der
Königin Maria Stuart. 76 ^, Nr. 35. Op. 124. Vier Gesänge. 75 ^. Nr. 36.
Op. 106. Schön Hedwig. Ballade. 60 Sjf. Nr. 37. Op. 122. Zwei Balladen.
90 ^. Nr. 38. Soldatenlied. 30 ^. '
-, Serie 10. Mehrstimmige Gesangswerke mit Pianoforte. Erster Band. Ein-
zelausgabe. Nr. 1. Vier Duette für Sopran und Tenor. Op. 34. 1 uff 35 ^.
Nr. 2. Drei Lieder für zwei Singstimmen. Op. 43. 90 4^. Nr. 3. Vier Duette
für Sopran und Tenor. Op. 78. 1 uT 20 ^. Nr. 4. Mädchenlieder für zwei
Singstimmen. Op. 1D3. 75 ^.
-, Serie 10. Mehrstimmige Gesangffwerke mit Pianoforte. Zweiter Band. Nr. 6-
Romanzen für Frauenstimmen. Heft I. Op. 69. 2 ulf 55 ^. Nr. 7. Romanzen
für Frauenstimmen. Heft H. Op. 91. 2 uT 60 ^. Nr. 8. Spanisches Lieder-
spiel für eine und mehrere Singstimmen. Op. 74. 4 ulf 20 .^. Nr. 9. Minnespiel
1888. 38
564 Musikalische Bibliographie.
aus Fr. Rückert's Liebesfrühling für eine und mehrere Singstimmen. Op. 101.
3 Ji. Nr. 10. Drei Lieder für drei Frauenstimmen. Op. 114. \ M h SgP.
Nr. 11. Spanische Liebeslieder für eine und mehrere Singstimmen mit Piano-
forte SU vier Händen. Op. 138. ^ Ji 60 Sjf, Nr. 12. Der deutsche Rhein.
Patriotisches Lied für eine Singstimme mit Chor. 45 Sjt.
Sohnmaniiy Serie 11. Für Männerchor. Nr. 1. Sechs Lieder für mehrstimmigen
Männergesang. Op. 33. 2 Jf Sb ^. Nr. 2. Drei Lieder für Männerchor.
Op. 63. 1 jT 95 4"- Serie 12. Für Sopran, Alt, Tenor und Baß. Nr. 1.
Fünf Lieder für gemischten Chor. Op. 55. 2 ^ 25 ^. Nr. 2. Vier Gesänge
für gemischten Chor. Op. 59. 2 Jf \0 £^. Nr. 3. Romanzen und Balladen
für gemischten Chor. Heft I. Op. 67. \ J( SO 3^, Nr. 4. Romanzen und
Balladen für gemischten Chor. Heft H. Op. 75. 1 jT 95 ^. Nr. 5. Vier
doppelchorige Gesänge für größere Gesangvereine. Op. 141. 3 «# 75 ^.
Nr. 6. Romanzen und Balladen für gemischten Chor. Heft lU. Op. 145.
1 »4f 95 ^. Nr. 7. Romanzen und Balladen für gemischten Chor. Heft IV.
Op. 146. 2 jT 25 9.
, Serie 1. Symphonien für Orchester. Partitur. Nr. 1. Zweite Symphonie.
Op. 61. 10 JK 35 ^, Nr. 3. Dritte Symphonie. Op. 97. 5 uT 25 4^.
, Serie 3. Nr. 6. Concert-Allegro mit Introduktion für Pianoforte mit Orche-
ster. Op. 134. Partitur. 2 ufT 55 ^. Fianoforte-Stimmen einzeln luTSd^.
Wagner'By R., Werke. Part. Lohengrin in 24 Lieferungen. Fol. Leipzig, Breit-
kopf und Härtel. Lief. 3. 5 J(. Tristan und Isolde in 24 Lief. Lief. 3. 5 Jf.
T. Weber, C. M., Die drei Pintos. Komische Oper in drei Aufzügen. Textbuch.
8. Leipzig, C. F. Kahnt Nachfolger. 50 ^. Klavier- Auszug mit Text gr. 8.
8 ufr.
Antiquarische Kataloge.
Bar & Co.y Frankfurt a. M. 18 Roßmarkt. Nr. 384. Enthält einzelne musikalische
Werke.
BertUng» R., Dresden- A. 3 Johannesplatz. Nr. 3. 3872 Werke, auch Musik älteren
Datums.
Carlebaoh, £. Heidelberg. Nr. 162 enthält von Nr. 377—413 Werke über Musik.
Cohn, A., Berlin W. 53 Mohrenstraße. Nr. 186. Autographen und historische
Documente.
Nr. 189. Autographen und historische Documente (Nr. 11).
Nr. 190. Incunahles (Livrea imprimis avant 150 Ij,
Nr. 191. Autographen und historische Documente (Nr. 12).
EiseiiBtein & Co.» Wien. 2 Währingerstraße. Nr. IH. Auch einzelne Bücher
über Musik.
HarrasBOwitB» O., Leipzig. Nr. 140. Im Ganzen 268 Werke, zumeist ältere,
liiepmannsohiiy L., Berlin 63 Charlottenstraße. Nr. 62. (Zumeist Kammermusik
des 18. Jhdts., seltene Werke). Musikliteratur..
Nr. 65. Musikbibliothek des Prof. Commer. 680 Werke.
Nr. 66. Musikalische Litteratur und Musikalien.
Mampe, A., Berlin W. 91 Wilhelmstr. Nr. X. Von Nr. 739—825 Musik.
Bosenthal» L., München, 16 Hildegardstr. Nr. LIX. Auf S. 149 — 160 zumeist
ältere Druckwerke und eine HdschrfL von 56 Bl.
Bänger, J., Hamburg 5 Gerhof str. Nr. 1. Von Nr. 1799—2045 auch Werke über
Musik.
Mugikalische Bibliographie. 565
"Völoker, K. Th., Frankfurt a. M. 3 Bömerberg. Nr. 28. Musikalien und Bücher
Über Musik.
Vyt, £., Qand. Auktionskatalog der Bibl. des Vieomte de Clerque de Wissocq
de Sousberghe. Besonders Opern des 18. u. 19. Jhdts.
l^elter, H., Paris 59 Rue Bonaparte. Nr. 24 enth< von Nr. 241—297 filtere u.
neuere Werke über Musik, auch Musikalien.
Ordflsere Kritiken ersohienen vom Oktober 1887 bis Oktober 1888 über
folgende Werke.
(Die römischen Ziffern bedeuten den Jahrgang der Zeitschrift, die arabischen die
Nummer).
^gresH, Metodo Uarico-prettieo di canto ecclesiaatico (Mus, sacra, Milano XI, i2
coniin,),
BeethOTen, Supplementband (Neue Ztschrft. f. M. LV, 30).
Bayrenther Tasehenbueh und Kalender 1888 (Mus. Wochenbl. XIX. 5). (Allg.
Mus. Ztg. XIV. 49). (Neue Ztschrft. f. M. LV, 6).
BoTet, Claviersehule (Neue Ztschrft. f. M. LV, 22). (Neue Berl. Mstg. XUI, 5).
Bulthaapty Dramaturgie d. Oper (Mus. Times 539). (Mus. Centralbl. I, 7).
SellaiguCf C, TTn süde de musique fran^aüe (Öaz. Mus. XLII 47, fine).
Brendel, Geschichte der Musik, 7. Auflage (Mus. Centralbl. I, 4).
Curzon, Letires de Mozart, (Menestrel LIV^ 36).
iJoheUf Riss and development of Synagogue Mustc. (Mus. Times 643).
J>alP Olio, C, Studio della compos. tntu. (Qaz. Mus. XLII 48, 60).
Erler, Schumann's Leben. (Mus. Wochenbl. XIX, 7).
fhrliehy Aus allen Tonarten. (Allg. Mus. Ztg. XIV. 40). (Neue Ztschrft f. Mus.
LV, 15).
Eiben, O., Der volksth. deutsche Männergesang. (Siona XII, 12). (Neue Ztschrft
f. Mus. LV, 26.)
Xekardty F.,fDayid u. die Familie Mendelssohn-Barth. (Signale XLVI, 19). (Leipzig.
M. u. Katg. V, 13). (Neue ZUchrft f. Musik LV, 25).
Frimmelf Beethoveniana. (Mus. World LXVI, 21). (Signale XLVI, 10). (Aüg.
Mus. Ztg. XV, 4). (Neue Ztschrß. f. M. LV, 17, Sß)-
Gevaert, Nouveau traiti de rinstrumentation. (Neue Berl. Mztg. XLII, 1, 2, 3).
^llerrleh, Liszt II. (Mus. Wochenbl. XIX, 30). (Neue Ztschrft. t M. LV, 27).
Mipkina, Musical Instruments. (Mus. Times 539).
Hanslieky Musik. Skizsenbuch. (Allg. Mus. Ztg. XV, 12).
Hey, Gesangunterricht (Neue Ztschrft. f. M. LIV, 50, 52. LV, 3).
Jansen, Merkel. (Neue Ztschrft. f. M. LIV, 51).
KlrehenmaglkaUsehes Jahrbneh yon Haberl. (Mus. WochenbL XIX, 6).
Eiensl, Mus. Declamation. (Mus. Rundschau III, 9).
Söhnt, Das Dresdener Hoftheater in der Gegenwart (Leipziger M. u-. Kztg. V, 18).
. , Fr. Wieck. (Neue Ztschrft f. M. LV, 3, 8). (Mus. Centralbl. I, 4).
KÖBtlin, H. A., Geschichte des christlichen Gottesdienstes. (Mus. sacra Witt XXI, 3).
Kretisehmar, Fahrer durch den Concertsaal L (Mus. WochenbL XIX, 14). (Allg*
Mus, Ztg. XV, 15). (Leipziger M. u. Kztg. V, 4).
Klimmerle, Encyklop&die der evang. Kirchenmusik. (Siona Xm, 8).
La Mara, Musikerbriefe. (Mus. Rundschau lU, 4 Schluß).
Langbans, Fortsetzung der Geschichte der Musik von Ambros. (Qaz«Mus. XLII,
44 ff.). (Mus. WochenbL XVm, 43).
38»
566 MuBikalisehe Bibliographie.
LudwigTy Kästner. (Guide mus. XXYTT, 40).
MnslkforeningeoB Festschrift (Neue Berl. Mztg. XLII, 12).
Maurelf A propos de la miae en sc^ne du drame h/r, Oteüo. (Gaz, Mu8. XLIII, 26J^
Morsch, Italienischer Kirohengesang. (Neue Ztschrft. L M. LV, 30).
MelnarduSy Musik im socialen Leben. (Neue Berliner M. XLII, 34;.
Mozart f Lettres, traduites par H. de Cunon. (Gaz, Mua. XLIII, 31 coaUn.),
Michel, Die Bildung der Qesangsregister. (Signale XLV, 65).
I. ProcesMonale fnonasticum» II* Variae preees» Solesmü. (Gregorius-
BIXIII, 9).
Pongiii, Verdi. (Mus. WochenbL XIX, 12).
Bamaiin, Liszt II, 1. (Neue Ztschrft. f. M. LV, 13).
Beissmaniiy Fr. Lux. (Mus. Times 542). (Neue ZUchrft f. M. LV, 26). (Mus. Cen-
tralbl. I, 7). (Allg. Mus. Ztg. XV, 11).
, Musik als Eniehungsmittel. (Neue Ztschrft. t M. LV, 8).
JRiccif I teatri di Roma nel secolo XVII, (Gaz, Mus, XLIII 34 eontm.).
Biemaan, Wie hören wir Musik? (Neue Ztschrft f. M. LV, 35).
Roth, Gebetbuch der hl. Elisabeth yon Schönau. (Monatshefte f. Mg. XX, 3).
jRot^othatn, History of music, Vol, III (Neue ZUchrß. /. M, L V, 16),
Sehoppe, Diätetik der Stimme, (Neue Ztschrft. f. Mus. LV, 12).
Sehnjder Ton Wartensee, Lebenserinnerungen. (Schweiz. Musikctg. XXVin, 5).
(Mus. CentralbL I, 7 4)-
Sehmnann^ Jugendbriefe, englische Übersetzung. (Mus. World LXVI, 1).
Seidly A., Vom Musikalisch-Erhabenen. (Allg. Mus. Ztg. XIV, 51). (Neue Ztschrft.
f. Mus. LV, 11). (Mus. Chronik V, 5). (Bayreuther Bl&tter XI, 6). (Mus.
WochenbL XIX. 37).
Seidel, Die Orgel und ihr Bau, 4. Aufl. t. B. Kothe. (Urania XLV, 3).
Spitta^ Fr., Die Passionen von SchütB. (Siona Xin, 1).
Steinitier, Psycho! Wirkungen der mus. Formen. (Allg. Mus. Ztg. XV, 2j.
Stern, Musik in der deutschen Dichtung. (Neue Ztschrft. f. M. LV, 3, 4)
Stöwe, Klaviertechnik. (Neue Ztschrft. f. M. LIV, 45).
SohfltK, H., Oesammtausgabe s. Werke. (Monatshefte f. Mg. XX, 4).
Hiiersehy Dynamik. (Neue Ztschrft f. Mus. LV, 12).
Töpfer, 0]^elbaukunst, 2. Aufl. von M. Alihn. (Urania XLV, 5 u. 9). (Schweiser
Msztg. XXVIII, 16, 17.)
Van der Straeten, Mus. auz Pays Bas. VIII, 2. (Guide mus, XXXIV, 6),
TierteUahrssehrlft für Masikwissensdiaft in, 3. (Mus. WochenbL XVni, 46).
Wagner-Lisit, Briefwechsel. (Mus. WochenbL XIX, 1, 2, 3, 4, 7). (Allg. Mos.
Ztg. XV, 19fg). (Neue Ztschrft. £ Mus. LV, 1, 2, 7). (Neue Berliner XLU, 29).
(Mus. Randschau III, 10, 11, 12, 15). (Urania XLV, 6). (Mus. World XLVI, 5
u. LXVU. 36 contin.). (Mus. Times 541). (Guide Mus. XXXIV. 1, contin.;.
(Gaz. Mus. Xmi, 7, 8). (Signale XLVI, 12).
Wagner, Jesus yon Nazareth. (Mus. WochenbL XIX, 1, 2, 3, 4). (Allg. Mus. Ztg.
XV, 14 u. 19/20). (Neue Ztschrft. f. M. LV, 17). (Neue Berliner Matg. XLU
15, 16). (Mus. Rundschau III, 7). (Leipziger M. u. Kztg. V, 1.).
Waslelewskiy Beethoven. (Signale XLV, 70). (Allg. Mtts. Ztg. XIV, 49). (Leipsiger
M. u. Kztg. V, 7). (Neue Ztschrft. f. M. LV, 37).
Wohl, J,y Souvenirs d'une Compatriote (de Liszt), (Mus, Timss 642J. (Mt^, World
LXVI, 2J.
Musikalische Bibliographie. 567
Aaszflge aus Masikzeitungen»
(Ghrößere, selbständige Aufsätse.)
^Allgemeine Musik -Zeitung. Red. O. Lessmann. Charlottenburg -Berlin. —
XIV. Nr. 46. Ein Vorläufer von Mozart's »Don Juan«. Von S. Sittard. (Schluß).
Nr. 47. Chr. W. R v. Gluck. Zum 100jährigen Todestag. Von Martin Habe.
(Forts. Nr. 48, 49). — Nr. 49. Intemationaie Musikausstellung in Bologna
1S88. — Instrumental- und Qesangwerke. Besprochen von O. Lessmann und
F. Spiro. (Mit Forts.). — Nr. 50. Das Verhftltniß der Sprache zur Musik.
Von M. E. Sachs. (Forts. Nr. 51, 52). — XV. Nr. 1. Die Nibelungen-Tri-
logie von R. Vl^agner. Entstehung und dramatische Aufführung. Von A. Heints.
(Forts. Nr. 2, 3, 4, 5, 6). — R. Schumann und die Romantiker in der deutschen
Litteratur. Von H. Reimann (Forts. Nr. 5, 7). — Geschichtliches über Berlios'
»Jüngstes Gericht«. Von Santen-Kolff. — Zum 50jährigen Jubiläum von
A. Lortzing's »Czar und Zimmermann«. — »Fierrabras« von Fr. Schubert. Von
E. Spiro. — Nr. 3. Beitrag aur Opemstatistik. Von A. Lesimple. Nr. 4.
M. Wirth's Nibelungenyorträge in Leipsig. (Forts. Nr. 5, 6, 8). — Nr. 6.
Drei unveröffentlichte Briefe Beethoven's (Abdruck aus der »Neuen freien
Presse«). — Nr. 7. Zur Charakteristik der Instrumentalmusik. Von H. Orden-
stein. (Forts. Nr. 8, 9.). — Ein bisher ungedruckter Brief von Mozart (an
seine Cousine Marianne Mozart in Augsburg, Wien 23. October 1781). —
H^T. 9. Schiller's »Glocke« in der Musik. Von R. Musiol. — Nr. 10. R. Wag*
ner über den »dramatischen Gesang«. Von O. Lessmann. — Nr. 11. Lyrische
Sommerfreuden. Von H. v. Wolzogen. (Forts. Nr. 12, 13, 14, 15, 16). —
"Nr. 12. Minna Wagner (Erste Gattin R. Wagner's). Von 0. Lessmann. —
l^T. 13. Kritische Randglossen von Beethoven. Von W. Tappert. — Nr. 14.
Ein bisher ungedruckter Brief Beethoven's (An Treitschke). — Nr. 15. Die
Anakreontiker des 16. Jahrhunderts. Von F. Volbach. (Forts. Nr. 16). —
^t. 16. Turandot, Oper nach Gozzi von Th. Rehbaum. — Nr. 17. Über die
französische große Oper. Von F. Draeseke. (Forts. Nr. 18, 19). — Nr. 18.
R. Wagner's letzte Ideen. Von L. Hartmann. — Nr. 19/20. M. Wirth's Vor-
trag über Wagner u. Liszt. Von Otto Lessmann. — Nr. 21. Die 25. Versamm-
lung des allg. deutschen Musikvereins in Dessau. (Forts. Nr. 22). — Nr. 23.
Das Mozart- Supplement (Breitkopf und Härtel). Von F. Spiro. — Nr. 24.
Der Rhythmus des gesungenen Verses. Von R. Westphal. (Forts. Nr. 25, 26,
27, 28). — Beethoven's drittes Begräbniß. (Am 21. Juni 1888). — Nr. 27.
Beethoven's Streichinstrumente. — Nr. 28. Deutsehland besitzt keine ureigne
Volks- und Kaiserhymne. Von H. Ritter. — Nr. 29/30. Die Sprache in Tristan
und Isolde und ihr Verhältniß zur Musik. Von H. S. Chamberlain. (Schluß
l^r. 31/32). — Liszt's Jugendoper »Don Saneke au U chateau tTamtnira, Von
H. Reimann. — Von der Meistersinger holdseligen Kunst. Von O. Lessmann.
(Forts. Nr. 31/32, 33/34, 35, 37, 38). — Deutsehe Kritik über die Meistersinger.
Von H. V. Wolzogen. — Nr. 31/32. Aus Bayreuth. Von O. Lessmann. (Forts.
Nr. 33/34, 36). - Die Feen. Oper von Wagner. Von H. Reimann. (Forts.
Nr. 33/34, 33. 37). — Nr. 38. Sprache und Musik in der Liebesscene Tristan
und Isolde. Von H^ Reimann. —
Angers»Mu8ical. lUdaeteur Louis de Romain. L Nr, 6. Isabelle ZevaUois,
Drame Igrique et Opira, — Nr. 7. Boidin Puisais. — Nr. 8. I. G, Ropartz,
— Notiees explieatives des profframmes des Coneerts (avec coniinuations), Par
Jules Bordier. — Justin Nie.- — Nr, 9, Faul Lacombe, — Nr, 10, Roger-
56 S Musikalische Bibliographie.
Micloa. — C. De Grandoal -^ Nr, 11, E, Lalo. — Nr, 12, M. J. Philipp,
— E. Lalo, — Nr. 13. Mme. de Viane. — IL Nr, 15. Vincent- Carol. —
J. G, Penavaire, — Nr. 16. Eughie Yeaye. — Thiophile Yeaye. — Nr. 17.
M. P, de WaiUy. — Müe, Steiger. — Nr. 18, Gilbert de Rockes. — MariMe
RueUe, — M. J. Dumon. — M. Luhert. — Nr. 19, M, H. Marteau. — Lude
Palicot. — Nr. 20, F. Blumer, (contin.). — Nr, 21. EmeH Guiraud. — Nr. 24.
Leon Jehin, — r Blanche Deschamps. — Louis Lacombe. — Nr. 27. Oeuvres
exicutees par Vorchestre de F Association artistique d' Angers.
Centralblatt für Musik. August Hettler, Leipsig. — I. Nr. 1. Robert Franz.
Von F. Pfohl. (Mit Forts.) — Marschner-Denkmal in Zittau. Von B. VogeL
— Neues über Gluck — Nr. 2. Musik und Tanz in der Sagenwelt der Arier.
Von E. Veckenstedt. (Mit Forts.). — Nr. 4. Die Koloraturen der Königin der
Nacht. Von M. Wirth. (Mit Forts.) —
Fliegende Blatter für katholiache Kirchexunusik. Red. Franz Witt in Lands-
hut. Regensburg, Pustet. XXIII. Nr. 2. Wie soll man zur Praefation mit
der Orgel einspielen? Von Witt. — Nr. 3. Art des Einspielens in Choralge-
sänge des 1. u. 2. Tones. — Nr. 4. Art des Fräludirens in den 3. u. 4. Kir-
chenton. — Nr. 5. Art des Einspielens in einen Ghoralgesang des 5. u. 6.
Tones. — Der tonus passionis. — Nr. 6. Die Missa »in me transierunt« von
Peter Cler'eau 1554. — Ein Gutachten über Orgelbau. Von E. v. Werra. —
Nr. 8/9. J. Kaspar Aiblinger. Von F. Witt. — Die Orgel bei »FaJsi Bordoni-.
Von F. Witt. — Über Orgelbau in Bayern. —
Oasetta MuBicale di Milano» Ricordi. XLII. Nr. 44. Alb. Franchetti e la sua
sinfonia in mi minore, (contin. Nr. 46, 47, 62). — Nr, 46. La Salamho a
Torino. Di C, Paladino. — Un coüaboraiore di Motart (Da Ponte). Di
Gdbardi. — Nr. 47. Vordinamento degli siudi musicali in ItaUa, Di F. If
Areais. (contin. Nr. 49, 60). — G, A, Macfarren. — Nr. 48. Un organo
modeUo (di easa Lurani a Cemuseo Lombardone). Di E. Bossi. — 17 primo
nConvitato di PietroK e il vero autore del libretto vllßauto magico<u Di G. Sal-
violi. — Nr. 49, Jenny Lind, Di C. Lisei. — II eonvikUo di Pietra. Di Ricci
e Gabardi. — Nr. 60. Salambo. Di A. Cortella. — Enrico Bossi. Di G. B.
Nappi. — JSfarianna Barbieri- Nini, Di G. Gabardi. — XLIII. Nr. I. Bai-
taglia d^organi. Di Tebaldini. — II Convitato di Pietra. Di G. SabnoU. —
Nr, 2. Prospetto deUe opere nuove italiane rappresentate nelT anno 1887. —
Nr. 3. H Convitato di Pietra, Di C, Ricci. — Nr. 4, H teatro Güxpponese.
Di Carlo Paladini. — Nr. 6. Fanfare municipaii. Di A. P. Brozsi, — Nr. 6.
Roderico ultimo, re dei Goii, Opera di Am. Ponchieüi. Di Sajfredini, —
Enrico Panofka. Di Gabardi. — D nuovo organo deUa chiesa parroe^iale di
Casalpusterlengo. Di L. Zuccheüi. — Nr, 7. L'Epistolaria di Wagner e Lissl.
Di A. Untersteiner (contin. Nr. 8). — Enrico Herz, Di A. de Lansieres.
— Nr. 8. Asrael, Legenda in 4 atti, musica di Alb. Franchetti (Fine Nr. 9). —
Nr. 10. H Teatro Re. Di F, Venosta, — Nr. 11, Lohengrin di Wagner nd
teatro di Bologna, e alla Scala di Milano. — H Riordinamento degli istäuti
musicali in ItcUia. — Leandro Campanari. Di Saffredini. — Nr, 12. dro Pen-
suti.» Di Gabardi, — Nr. 13. »Asraeh di Franchetti. (contin. Nr. 16)^ —
Angelo Tessaro. — Nr. 16. Carlo Erba di Riccordi. — Nr, 19. Pietroburgo
musicale. Di E, Pirani, — Le canzone abbruttese. — Nr. 19. Carmosine,
drama lirico di A. Ghislanzoni, musica di Joao Gomes de Aranjo. Di Soffiredini.
— Nr, 21, Esposizione musicale di Bologna, (contin, Nr, 22,) — Lettere suüa
musica a Venezia di E, de Sehoultz-Adaiewsky (contin,), — Amilcare Ponchieüi.
— Nr, 26, Carlo Andreoli, Di Soffredini. — Nr. 26, Tristano ed Isotta. Di
MuBikalische Bibliographie. 569
Biagi (contin,), — Nr. 28. Elia del MendeUsohn in Bologna, Di Roeaer, —
Nr, 29. Di akuni strumwti chinesi. Di C, Filosa, — Nr, 31, La Camer ata
ßorentina di casa Bardi e Jiiccardo Wagner. Di A, Untersteiner, — Nr. 32.
Di una necesearia e radieale riforma delF istruzione musicale. Di A. Ludovieo,
(contin.). — A, Bxizzi-Peccia, — Nr. 34, Asrael, opera die Franchetti dl teatro
grande di Brescia, — Nr. 36, Dei Conservatori e degli iatituti musicali gover-
,nativi tPItalia. Di D. Bertini. (contin,), — Bibliografia deüa cronistoria tea-
trale italiana. (contin.). — Nr. 38, Tito Bicordi, — Za SinfoniorEpitaUanio di
G. SgambatL Di J. Valetta. —
Oregoriiuiblatt. Herausg. H. Böckeier in Aachen. Düsseldorf, Schwann. XIII.
Nr. 1. Leo's ni. Thaten zur Förderung der Kirchenmusik. (Forts. Nr. 3,4.) —
Volksgesang in Prag. Von Q. M. Dreves. — Eine pneumatisch- elektrische
Orgel neuester Konstruktion. Von H. Böckeier. — Nr. 2. Guido y. Areuo. —
Von deutschen Vespern (mit Forts.) — Nr. 3. Palestrina und die Ges. Aus-
gabe 8. Werke. — Eine Au&eichnung der Melodie des Victimae paschali.
Von G. M. Dreves. — Nr. 4. Der goldene Schnitt in der Tonkunst Von "Wid-
mann. — Ein seltenes Regalwerk. — »Ad regias Agni dapes«. Von Schönen.
— Nr. 5. Der Kampf um die Erhaltung der Figural- und Instrumentalmusik
in der Kirche im 18. Jahrhundert — Der Umfang einer Stimme in der Kirchen-
musik. — »Veni Creator spiritus«. Von Schönen. — Nr. 6. Lassus. — Beiträge
zur Geschichte des ältesten mehrstimmigen Tonsatzes. Von G. M. Dreves.
(Forts.). — Sollen die verschiedenen Glockengeläute einer Stadt oder Gegend
in einer Tonart hergestellt werden? Von H. Böckeier. — Franz Schwann.
Von Schönen. — Nr. 7. Das Athmen beim Vortrage der Kirchenmusik. Von
H. Böckeier. — Unbekannte Sequenzen des Mittelalters aus Handschriften
des X — XIV. Jhdts. Von A. Beiners. (Forts.). — Beim Empfang des Ober-
hirten. Von Schönen. — Von deutschen Vespern» — Die Namen der Musik-
instrumente. Von Dreibach. — Conrad von Zabem's Anweisung zum guten
Choralgesange. (Aus Monatsheften f. Musikgesch.). — Glockenguß. — Fange
lingua. Von Schönen. — Das Credo. Von F. Battlogg. — Nr. 9. Dom
P. Gueranger. Von A. Kienle. — Verordnungen über den deutschen Gesang
beim Hochamt — Media vita. Von Schönen. — Eine Betrachtung über das
römische vPangue lingua«. Von R. Schlecht. —
Iie Guide Musical, BruxeUes et Farie, Schott frh'es. XXXIII, Nr. 39. Viotti
et Teeole moderne de violon. (Suites jusqü'ä XXXI Vy Nr 3.) Par A. Fougin,
— R, Wagner dana le$ mAnoires d'une idialiete, Far C, Benoit, — Nr. 43.
Le Centennaire de Don Jouan en Belgique. — Motart a Vienne, — Nr, 44.
Le goüt francais, Far M, Kufferath. — Nr. 46, Faradia et Feri de Schumann
ä Farie, Far B, Claes. — Nr. 47, La decentraliaation mueicale en France. Far
B. Claes. — Nr, 48. Le Centennaire de Gluck au Chatelet. Far B, Claes. — Les
Ficheurs de Ferles de G. Bizet au Mätre de la Monnaie, — Nr. 49. Gioconda
de Fonchieüi. Far 3f. Kufferath. (contin.), — Marie Magdelaine de Massenet
au Chatelet. Far B, Claes. — Le festival Franck et la Messe ä trois voix ä
Bordeaux, — Nr. 50, Jacques de Saint- Luc, ciUbre luthiste Athois. Far E,
van der Straeten, (contin.), — XXXI V, Nr. 1. R. Wagner et Franz Liszt. Far
M. Kufferath. (contin. Nr. 2, 3, 4, 6, 6, 7.). — Gioconda de FionchieUi. —
Nr. 2. Henri Herz. — Nr. 5. La Dame de MonsoreaUy de Gaston Salvaye.
Far V. Wilder. — Nr, 7. Jocelin de Godard, Far M, Kufferath. — Nr, 8,
Les bataiUes en musique. Far M. Brenet, (contin.). — La chanson faoorite de
Charles- Quint. Far E. van der Straeten. — La question des auteurs en Bel-
gique. — AsraSlf musique de Franchetti,
570 Musikalische Bibliographie.
Iieipziger Musik- und Kunstzeitung. Leipzig, Edwin Sehloemp. V, ür. 1.
Bückblicke auf die Geschichte des kgl. Conserv. f. Musik zu Ldpsig. Vod
C. Kipke. (Forts. Nr. 3, 4). — Carl Oehrts. — Nr. 3. Die Paronomaaien in
R. Wagner's Dramen. Von Meinck. — Nr. 6. Die Höfing'sche Patent-Doppel-
Claviatur. — Drei Dirigenten (Wagner, Liszt, Bülow). — Nr. 7. Clotilde £lee-
berg. — Nr. 10. R. Wagner's Meistersinger. Einführung in Dichtung und
Musik von H. Wilsing. (Mit Forts.). — Ferd. Kauer. Von A. Lesimple. —
Nr. 12. Der junge Liszt in Paris. — Nr. 14. Indische Musik. Von M. Rum-
bauer. — Der deutsche Parsifal. Von H. v. Wolzogen. — Nr. 24. Zur Ge-
schichte des Pianoforte. Von Cl. Gerhard. — Zur Theorie der Oper. Von
£. Brausewetter.
Le Menestrel. Paris, Henri Heugd, LIII. Nr. 46, Un grandihSäire a Paris
pendant la r^volution, L'opirO'Comique de 1788 - 1801. Par Arthur Pougin.
C37em0 article) (contin. Nr, 48 - 52). — Deux Dices en Angleterre. (Maefarren.
Jenny Lind). Par F. Htieffer. — Nr. 47, Le Paradis et la Piri de R. Schu-
mann. Par C, Beüaigue. — Deux Souvenirs de Jenny Lind. Par A. Pougin.
— Nr. 48. Un profet th^atral au siech demier. Par M. Brenet. — Higtoire
vraie des hSros ^opira et d'opera- comique. V. Nevers. VL Vempereur Si-
gismond, Nr. 61, Par Edmond Neukomm. — Nr, 49. Le centefiaire de la
mort de Gluck. Par A. Boutarel. — Nr. 50 La Charmente. Opira, musique
de Tsehatkowsky, Par C^ar Oui. — Nr. 52. La musique ä TOdSon, Par
Julien Tiersot, (contin.). — LIV. Nr. 1, Un grand theäire ä Paris pendant
la Revolution. LopSra'Comique de 1788 '1801. Par Arthur Pougin, (43 *^'
article, (contin, Nr. 2, 6, ß) — La musique ä POdSon. Par J, Tiersot, (suües).
— Nr. 3, La messe en re de Beethoven, premih'e audiiion aux coneerU du
Conservatoire, Par J. Tiersot. (contin, Nr. 4), — Nr. 6, La Dame de
Monsoreau, op^a de O, Salvayre. Par A. Pougin. — Nr. 1. Rabelais et les
musieiens ses amis, Par P. Lacome. (contin. Nr. 8) — Histoire vraie des heros
d^opSra et d'opSra-comique. (suite). VII. Charles VI. VIII FaUtaff. Par Ed-
mond Neukomm, (suites -Nr, 8.) IX. Jean de Paris. X. Jean de Nivelles.
Nr. 13 XL Mignon. Nr. 14. XII. Faust, Nr, 15. XIII. Don Juan.
Nr. 16. XIV. La Reine de Cypre. Nr. 17, XV, La Reine de Cypre.
XVI. Ginevra. Nr, 25. XVII. Boecace. Nr. 26, XVIII, Francoü de
Rimini. XIX. Menschikoff, XX. Anne Boleyn. XXL Othello. XXIL
Beatrice di Tenda. XXIII. Stradella. XXIV, Genevieve de Brabant. XXV.
Didon. XXVI, Setniramis. XXVIL Sardanopale, — Nr, 9. Hietoire de
la Chanson popülaire en France (ß^agment, IIP^* partie). Par J, Tiersot.
(contin. Nr. 10, 11, 12, 13, 14, 15, 16, 17, 18, 19, 22, 23, 24, 25, 26, 27, 28,
29, 30, 31, 32, 34, 35). — Jocelyn, opfyra de B, Godard. Par L, Solvay. — Nr.
11. La r> Royal Academy in Londreev, Par F. Hueffer. — Nr. 12, Wagner
ä Londres. Par F. Hueffer. — Nr. 18. Widor ä Londres. Ptn- Fr. Hueffer.
— Nr. 26, Les roi d'Is. Opera de Lalo. Par A. Pougin. — Un pemire
musicien (Hereomer). Par Fr. Hueffer. — Nr. 21. La musique et le thMtre
au salon de 1888. Par C. Le Senne, (contin, Nr. 22, 23, 24). — La •Pas-
sion Selon St. Matthieu« de J. S. Bach. Par J. Tiersot. — Nr. 28. Le
Festival Haendel. Par. Fr. Hueffer. — Nr. 30. Wagner avant les FSes.
Par A. Souhies et Ch. Malherhes. (Fin Nr. 31). — Nr. 36. Le roi d'Ys et
le Roi Arthur. Par P. Lacome. (contin. Nr. 37). — Nr. 38. La musique
au camp du drap d'or , 1520. Par M. Brenet. — Nr. 39. La suzeraineU de
Topera et de la com^die francaise sur les petits thddtres de Paris et sur les
spectacles forains. Par A. Boutarel, (contin.).
MuBikalische Bibliographie. ^11
aSonatahefte für MuBikgesohlchte. Robert Eitner, Templin (U. M.) XX. Nr. 1.
Thomas Baltsar. Von C. StiehL — Beitrag zu Cantor Doles. Von H. Kade. —
Verzeichniß von Abhandlungen über die Geschichte der Musik betreffende
Thesen in wissenseh. Werken u. Ztschrftn. Von A. Quants. (Forts. Nr. 4, 6).
— Katalog der päpstlichen Kapelle. Von HaberL (Forts. Nr. 2, 3). — Das
Buxheimer Orgelbuch. (Forts. Nr. 2, 4. 5, 9). — Nr. 2. Schulwerke von
1535. Von K. Eitner. — Nr. 3. Melchior Schild. Von R. Panum. — Nr. 4.
Zwei Schriften von Conrad von Zabern. Von S. Richter. (Schluß Nr. 7). —
Musikalisches aus Hdschrftn. der K. Landesbibl. zu Wiesbaden. — Beiträge
zur Musiklitteratur des Mittelalters und der Neuzeit. — Katalog der Biblio-
theken in Freiberg i. S. Von O. Kade. (Forts. Nr. 6, 6, 7, 8). — Nr. 5.
Notenmanuscripte im K. sächsischen Hauptstaatsarchive aus den Jahren 1604
— 1610. Von Th. Distel. — Ein Mummenschanz in Krakau 1592. VonR. Kade.
— Ein historischer Irrthum betreffend die Kapelle des Kurfürsten Johann
Friedrich von Sachsen im 16. Jhdt Von Eitner. — Musikhdachrftn. der Darm-
Städter HofbibL Von F. W. E. Roth (Forts. Nr. 6). -r Nr. 6. Über den Ge-
brauch der zufaUigen Versetzungszeichen bis zum 17. Jhdt. Von R. Eitner. —
Nr. 7. Todtenliste des Jahres 1887. (Forts. Nr. 8, 9). — Nr. 8. Gesuch des
Peter Grecke um Verleihung einer Rathsmusikantenstelle. 1672. Von C. Stiehl.
— Johann Gökeritz. Von Th. DisteL — Zur Bibliographie der Musikdrucke
des XV. bis XVII. Jahrhunderts in der Darmstädter Bibliothek. Von F. W. E.
Roth (Forts. Nr. 9). — Nr. 9. Deutsehe Meister.
Iie Monde, artiste, JPorw, Stock, XVIII Atmie, Nr. 4. Lamusique ä Tetranger
en 1887. Par Ch. Meäherbe, — Nr. 6. Nouveüe Messe inedüe Te Deum de
Ch. Gounod. Par J. Tocchet — Nr. 9. Vente ludieiaire {Manuscr. de Meyer-
heery Auber etc, en possession de Brandus). Par Ch. Maiherbe.. — Nr. V2. La
genhe du Boulevard du Temple. Par Paul MahaUn (coniin.) — Nr. 17, La
bibliotheque de 'lOp^a-eamique. Par Ch. Malherbe (eontin. Nr. 20J. — Nr. 26.
La nouveUe Messe de Gounod ä Reims, —
The MiiBical Times. London, Novello JStoer ^ Co, Nr. 538. G. A. Macfarren f.
— Jenny Lind Goldschmidt -i*. — Christmas Carols. — Felicien David. By
Joseph Bennett, (eontin.) — Nr. 539. Johannes Brahms. — The materiai of
music (loith eontin.). — M^rold. By Joseph Bennett, (with eontin.). — Nr. 640.
JSdoard Grieg. — Vemon Lee on musieal suggestiveness and musioal persona-
lity C»Juvenaliati by Vemon Lee). — Nr. 641. The royal Aeademy of musie. —
Centennial musie in Australia. — Nr. 64S. Key colour. By Franz Groenings.
— Nr. 643. May Musie. — The minor notation of the tonic SoUfa^-system, By
W, Pole. — Nr. 644. Henry LUtleton. — Si^wmann (supplemental), By
S. Bennett, (eontin. Nr. 646, 646, 647). — Fanny Mendelssohn. — Nr. 646.
The n Lobgesang n (by Mendelssohn). A comparison of the original and revised
seores. (eontin. Nr. 646, 647). — Musik teachitig. By F, Nieeks.' — Dead musie.
— The Handel Festival. — Nr. 646. The London Musieal Season. — Transeen-
dental music. — Nr. 647. New tcorks at Birmingham. — MehiUe BelPs > Visible
. Speechtt. — Primitive music. By F. Corder. — W. ChappeÜ. By T. X. Southr
gate. — . .
The Musical World. London, Maerae Curtiee. LXVI. Nr. i. Benjamin Godard
(eontin.) — Cn Organ -registering, By Turpin (eontin.). — The salaries of
Westminster Abbey in the olden time. — Nr. 2. Charles Avison. By Brow-
ning. Dr. E, T. Hophins, — Organ spedßcaiions (eontin.). — Nr. 4. Berlioz"
»Les Troyens«. By Andr4 de Temaut (eontin.). — Old London Concert Organs.
— ITie Genius of the Organ. By Turpin (eontin.), ^- Nr. 6. German Opera
5*^2 MuBikalische Bibliographie.
in America (tcith e&ntin.J — St. PauFa Organ and Organist. — Nr. 7. Organ
building. By Th. Casaon. — Rendering visible the form and mwementt of
vibrating strings, — Nr. 8. Musical JElocution, By G. JE. Lake. (wiÜt co$äinJ.
— Nr. 10. Spontini and Wagner. — Nationality in music. — Keyhoard Fing-
ering. — Nr. 11. Marie Roze. — Nr. 12. Tschaikowsky (eoniin.). — Organ
Sonata Form, By Turpin. — Ntkita. — Nr. 13. On figured baseee, By CA.
Frost, — Nr. 15. Robert Franz* Songs. — The organ with additional insiruments.
— False Relations. By Turpin (with eontin.). — Angelo Tessaro (inventor of
ihe liTachigrafo MusicaletJ. — Nr. 17. Copyright Bill. — PaganinCs VioUn. —
Story of the old organ in the Cathedral Beatae Virginis Mariae in Wolfen-
buttel. By Selmar Müller (contin.). — Nr. W. Royal Aeademy of Music.
(Mackenzie*s Address.) — The organ and the classics. By Frank Sawyer'Ceontin.).
— Menry Zittleton. — Paganini and Liszt. By G. Mazzucato (with contin.). —
Nr. 22. Sigrid Amoldson. — Nr. 23. The largest organ in the world (m the
Town Mall of Sidney, New South Wales) by W. MiU and Son. — Joseph
Bamby. — Nr. 28. Hector Berlioz and Jules Janin (contin,). By Anebre de
Temant. — The music of the synagogue, — Organ rendering of orchestral ae-
companiments (contin.). — The inßuence of the renaissance on music (contin.).
— Temple Chureh organ. (contin.). — Nr. 29. The old organ in the Cathedral
in Wolfenbüttel. By S. Müller (contin.). — Wagner in England (contin.). —
Nr, 30. Some recoUections of Germany. By Danieli (contin.) — Nr, 33. Bay-
reuth 1888 (contin.). — Music and its relation to the other ßne arts (contin.).
— Dykes on chureh music (contin.). — Organ positions in Fnglish' Cathedrals.
— Tubulär pneumatic organ by Gray and Davison, London. — Letters ^on
the poetry and music of the italian opera (contin.). — Nr. 35, The chureh Cash
tata. By A. Triehett. — Birmingham Musical Festival, (centin.).
Musioa Baora. flerausg. Franz Witt. Regensburg, Pustet. XXI. Nr. 1. Religiöse
Spiele. Von £. Langer. — Nr. 2. Über das Suppliren des Gesanges durch das
Orgelspiel beim Amte. Von A. Walter. — Ein achtes Volkslied »Da drunt auf
grüner Heide«. Von Witt. — Der Passionssonntag. — Nr. 4. Das Schutzfest
des hL Joseph. — Nr. 5. Das Dreifaltigkeitsfest. — Aus einer Messe von C. Ett
in D-dur. (Forts. Nr. 6). — Nr. 6. Fest des hl. Täufers Johannes. — Nr. 7.
Tonbilder aus modernen Kirchenkompositionen. Von F. Witt (Forts.). —
Nr. 8/9. Das Completorium für den Musik-Chor. Von E. Langer.
MuBica saora. Dir ett. Gaüignani e Tebaldini. Milano. XL Nr. 12. Progetto di
un nuovo organo liturgico-sinfonieo da erigersi nella ins, Basüica di S. Lgnasio
in Roma. — V organo Anelli di Cemusco Lombardone, — XLI. Nr. 1. A pro-
posito di una nuova scuola ^organo (contin. Nr, 2), — Nr, 2. La ^Meesa da
Requiem« di Ed. Mascheroni. — Nuovi organi. (contin.). — Nr. 4. II riordi-
namento degli istituti musicali in Italia. —
MuBikalisohe Chronik. Wien, Emerich Kastner. V. Nr. 1. Das Stift Heiligen-
kreuz. Von H. Eichborn (Schluß Nr. 2]. — Ungedruckte Musikerbriefe. (Würfel
1829) (Forts. Nr. 6. Fr. Brendel). — Nr. 3. Chronologisch-systematisches Yet-
zeichniß sämmtlicher Tonwerke Franz Liszt's. Von L. Friwitzer (Forts. Nr. 4,
5, 6, 7, 8). — GlucVs »Alceste». Von A. Heil. (Forts. Nr. 5). —
MuBikaliBohe Bundsohau. Wien, Em. Wetzler.ül. Nr. 4. Zum Don-Juan- Jubil&um.
(Forts. Nr. 5). — Janka-Claviatur. (Mit Forts.) — Nr. 6. Mendelssohn's
»Paulus«. Von Eusebius Mandyczewski. — Nr. 7. »Der Cid« Oper von Mas-
senet Von E. von Hartmann. — Nr. 8. Verdi's Schaffen bis 1850. Von
Otto Schmid. (Forts.) — über revidirte Ausgaben älterer Tonwerke. Von
E. Chomitzer. — Nr. 9. Ein kleiner Beitrag zu KöchePs »Chron. syst Ven.
MusikalUdhe Bibliographie. 573
8. Werke W. A. Mozart'g« (Nr. 596, 597, 598). Von K. Heuberger. — Nr. 16.
Entwurf einer rationellen Neugestaltung der Theorie und Praxis des kunstge-
mftßen Anschlages (orchestrales Klavierspiel). Von F. Marschner. (Forts. Nr 19,
20, 21, 22, 23). — Nr. 18. »Othello« von Verdi. Von Schönaich. -— Nr. 24.
Stephen Heller. Von H. Schmitt. (Forts.) — Nr. 28. Die Feenoper von
Wagner. Von O. Berggruen. (Mit Forts.). — Die Wiederbestattung der
sterblichen Überreste L. v. Beethoven's. — Nr. 31/32. Bayreuth. 1888. Von
£. V« Hartmann. (Mit Forts.).
MuBikaUsohes Wochenblatt. Leipzig, E. W. FritESch. XVin. Nr. 44. Geist-
liche Chorwerke. Besprochen von H. Xretzschmar. (Forts. Nr. 45, 47, 48).
Nr. 46. Wilhelm Fischer's Stimmvorrichtung an Flügeln und Pianinos. —
»Der Cid« Oper von Massenet. (Forts.). — Nr. 47. Ein ungedrucktes Gedicht
von K. Wagner. Von W. Tappert. — Nr. 48. Der tonische Quartsextaccord.
Von H. Sattler. (Forte. Nr. 49, 50, 51). — Nr. 49. Neue Lieder für eine
Singstimme mit Ciavierbegleitung. Von H. Kretzschmar. — Nr. 50. Das K.
Konservatorium der Musik zu Leipzig. — Ein altes Lied (»An Banden hart«).
Von W. Tappert — Nr. 51. L. Deppe. (Schluß Nr. 52). — XIX. Nr. 1
Wagneriana. Von W. Tappert. (Schluß Nr. 2). — Aloys Schmitt. (Schluß
Nr. 2). — Nr. 3. Die Thiermalerei in der Musik. Von Otto B. Weiß. (Schluß
Nr. 4). — Nr. 4. Die Eröffnung des neuen deutschen Landestheaters in Prag.
— Nr. 5. Die Harmonielehre als elementarer Unterrichtegegenstand an der
Hand des Gesangunterrichtes in den.öffentlichen Schulen. Von M. Loewengard.
— Nr. 9. Einfluß des Tondenkens auf unser Nervensystem. Von H. Sattler.
— Nr. 10. Walhall und der Regenbogen. Von M. Wirth. (Forte. Nr. 11,
12). — Nr. 13. Kompositionen von Richard Strauß. — Nr. 14. Beiträge
zur Geschichte der MiHtärmusik. Von W. Tappert. (Forte. Nr. 15, 16). —
Clotilde Kleeberg. — Nr. 15. Walter Bache f — Werke für Chorgesang a
capella mit Begleitung. Besprochen von Naubert (Mit Forte.). — Nr. 16.
M. Wirth's Vorträge über den »Ring des Nibelungen«. Von F. Pfohl. —
Nr. 17/18. Zum Vortrag von Beethoven's neunter Symphonie. Von G. H.
Witte. — Hermann Ritter. Von O. Girchner. — Marschmusik. (Forts. 19, 21,
23). — Nr. 19. Über Tonschönheit Von H. Sattler. (Forte. Nr. 20). —
Kompositionen von L. C. Wolf. Von H. Kretzschmar. — Nr. 21.. Über die
sympathetischen Klänge der Geigeninstrumente und eine hieraus folgende Theorie
der Wirkung des Bogens auf die Saite. Von H. Schröder. (Fqrte. Nr. 22, 23, 24,
25, 26). — Nr. 22. Tonkünstlerversammlung des AUg. deutschen Musikvereins
vom 10. bis 13. Mai in Dessau. (Forte. Nr. 23, 24). — Nr. 24. Carl Riedel
Von H. Kreteschmar. — Werke für den Ciavierunterricht. Besprochen von
Sigismund, (Mit Forte.). — Nr. 27. Die Phrasirungsbezeichnung. Von H.
Riemann. (Forte. Nr. 28, 29). — Draeseke's »Symphonia tragica«. Von A.
NiggU. — Carl Riedel (Bild). — Nr. 28. Liszt und Wagner. Von M. Wirth.
(Schluß Nr. 29). — Nr. 29. Das Stuttgarter Musikfest. Von R. Pohl. (Forts.)
— Nr. 30. Zwei Bruchstücke aus der ältesten Oper. Von H. Panum. — Die
Bayreuther Künstler von 1888. Nr. 31/32, 33). — Die Feen, Oper von Wagner.
(Mit Forte.) — (Forte. Nr. 31/32). Kundry im »Parsifal«. Von W. Broesel.
(Mit Forte.) — Wagner und Bayreuth in der französischen Romandichtung.
Vop J. von Santen-Kolff. (Mit Forte.). — Ba)Teuth 1888. Von W. Tappert.
(Mit Anhang.) — Nr. 27. Chromatik und Enharmonik. Von H. Sattler.
(Mit Forte.). — C. Czerny's Bedeutung für die Klavierunterrichtelitteratur. —
No. 40. Beethoven's Fisdur- Sonate op. 78. Von H. Riemann. (Forts.). —
574 Musikalische Bibliographie.
Die Missa »in me transierunt« von Cler'eau. Von F. Witt — Pauline Metzlei-
Löwy. Von B. VogeL
Neue Berliner MusiluBeitting. Red. Oscar Eichberg. Berlin, Bote und Boek.
XLI. Nr. 45. Gluck im Urtheile seiner Zeitgenossen. Von A. Morsch. (Forts.
Nr. 46, 47). — Beethoven's Missa solemnis. Von W. Wolf. (Schluß). — Jenny
Lind. — Nr. 46. Zu Bach's »Kunst der Fuge«. Von L. Bußler. — Nr. 48.
Ein Beitrag für die scenische Einrichtung des- Don Juan. Von O. Eichberg.
— Nr. 49. Kritiken neuer mus. Werke. Von H. Dom. (Mit Forts.) —
Nr. 51/52. Ein yerkommener Musiker (J. Ludwig Böhner). Von Th. Rode.
— »Tristan und Isolde« in Berlin. — XLII. Nr. 1. Reisebilder. Von W. Lang-
hans. (Forts. Nr. 2, 3, 4). — Wie Pauline Lucca Sängerin wurde. (Abdruck aus
»An der schönen blauen Donau«.) — Nr. 4. Der Name »Parsifal«. Von W.
Tappert. — Betrachtungen über das Urhebergesetz. Von O. Eichberg. (Forts.
Nr. 6, 7, 8). — Nr. 6. »Turandot«, Oper von Rehbaum. — Nr. 7. » Othello >.
Oper von G. Verdi. Von O. Eichberg. (Forts. Nr. 9, 10, 11, 12, 13, U). -
Nr. 8. Richard Wagpier's ungedruckter Aufsatz über »dramatischen Gesang«
(Abdruck aus dem Berl. Bors. C). — Nr. 9. Vierteltonmusik. Von F. Vogt.
(Schluß Nr. 10.) — Nr. 13. Opemstotistik des Berliner Hoftheaters. — Nr. 16.
Turandot, Oper von Th. Rehbaum. — Nr. 17. »Das Rheingold«, erste Auf-
führung in Berlin. — Nr. 18. Schloß Lützelburg und BerUn's erste Opern-
aufführungen. Von A. Morsch. (Forts. Nr. 19, 20, 21). — Nr. 19. Druckfehler
in Beethoven'schen Sonaten. — Nr. 20. Versammlung des aUg. deutschen
Musikvereins in Dessau. (Schluß Nr. 22). — Nr. 21. — In Tantieme- Ange-
legenheiten. — Nr. 23. Tristan und Isolde in Italien. — Nr. 25. Die Jugend
R. Wagner's. Von W. Langhans. (Forts. Nr. 26, 27). — Nr. 27. R Wagner
und das Plagiat an Mendelssohn's Reformationssymphonie. — Nr. 28. Ame-
rikanische Opemkomponisten. Von R. MusioL — Nr. 30. Bayreuth 18$S.
Von O. Eichberg. (Mit Forts.) — Nr. 31. Bruchstücke aus Heinrich Dom's
Erinnerungen. — Nr. 34. Die Feen, Oper von Wagner. (Forts. Nr. 36). —
Nr. 36. Erste Aufführung der Tannhfiuser-Ouverture in Berlin. Von W. Tappert.
(Schluß Nr. 37).
Neue MuBikseitung. Red. Aug. Reiser. Stuttgart, Grüninger, IX. , Nr. 1.
Clementi- Gramer -Czemy. Von O. NeitzeL — Nr. 2. Fr. Liszt auf seinem
ersten Weltflug. (Briefe von Adam Liszt, Czemy u. s. w.) Von La Mara. (Forts.
Nr. 3, 4). — Nr 3. Erinnerungen an Marianne Brandt. Von Louis Köhler.
— Nr. 4. Das Thüringer Volkslied. (Zwei Briefe von Fr. Kücken). Von
W. Tappert — Denkmal für Fr. Abt — Nr. 5. Sophie Menter. Von L. Hiti.
— Zwei ungedruckte Briefe L. van Beethoven's (an die kgl. Musikakademie
in Stockholm und an Carl XIV, Johan Bernadotte). Von Emil Jonas. —
— Lessing's Beziehungen zur Musik und den Musikern seiner Zeit Von A.
Bock. — Nr. 6. Clotilde Kleeberg. — Schiller's Beziehungen zur Musik. Von
A. Bock. -7- Illustration: Götterdämmerung. — Nr. 7. Heinrich Zöllner — J.
Lind in ihren Briefen. Von E. Jonas. (Forts. Nr. 8). — Aus dem Notizbuch
eines alten Opernfreundes. (Mit Forts.). — lUustr. RuhmeshaUe deutscher
Tondichter. — Nr. 9. Widerlegung von musikhistorischen Unwahrheiten. —
»Turandot« Oper von Rehbaum. Von Moszkowski. — Nr. 10. J. N. Hummel.
Von M. Band. — Die 1 . Tannhäuser- Aufführung in Dresden. Von A. Lesimple.
— Hoch's Conservatorium in Frankfurt a. M. — Nr. 11. Das 65. niederrheinische
Musikfest zu Aachen. — Nr. 12. Ingeborg von Bronsart. Von E. Polko. —
W. A. Mozart Sohn. Von Otto Schmied. — Amalie Seebald, die Geliebte
zweier Tonmeister (Beethoven und Weber). — Nr. 13. Immanuel Faisst* Von
Musikalische Bibliographie. 575
£. Montanus. — Friedrich III. und die Musik. Von F. Schwarz. — Nr. 14.
Das Musikfest in Stuttgart. — Chr. v. Gluck an einem kleinen deutschen
Fürstenhofe. Von L. Molitor. — Kaiser lYilhelm und K. Wagner. Von
F. Braun. — Nr. 15. Peter Cornelius. Von H. Basedow. — Der Eänder-
gesang und seine Pflege. Von A. Beissmann. (Mit Forts.). — Ein Haydn-Auto-
graph. Von E. Jonas. — Nr. 17. F. Zajic. Von E. Frey. — Nr. 18. Hermine
Spies.
TSleue ZeitBChrift für Musik. Red. O. Schwalm. Leipzig, C. F. Kahnt Nach-
folger. UV. Nr. 45. Zum Don -Juan- Jubiläum. Von Feruccio B. Busoni.
(Forts. Nr. 46). — Nr. 46. »Der Barbier von Bagdad« Oper von Cornelius.
Von B. Vogel. (Forts. Nr. 47, 48, 49, 51). — Nr. 47. Über die Hindemisse
der möglichst vollendeten Reproduktion von Ton werken und Vorschläge zur
Abhilfe. Von J. v. Beliczay. — Liszt-Museum in Weimar (Forts. Nr. 49). —
Nr. 48. Eduard Marxsen. Von S. Sittard. — Nr. 49. Fr. Liszt als Lyriker. Von
Bemh. Vogel (Schluß). — Nr. 50. L..v. Beethoven im .Lichte R. Sohumann's.
Von Alfr. Kalischer (Forte. LV, 1, 2, 6). — LV. Nr. 1. Peter Cornelius. — »Die
drei Pintos« von C. M. v. Weber. Von Carl v. Weber. (Forte. Nr. 2, 3, 4, 5, 6). —
Das .Preislied in den Meistersingern. — Nr. 7. Stephen Heller. — Verseiohniß
sämmtlicher musikalischer Werke von Franz Liszt. Zusammengestellt von
A. GöUerioh (Forte, aus dem .vorigen Jahrgang. Forte. Nr. 8, 9, 10, 11.) —
Nr. 8. Der Name »Parsifal«. Von H. v. Wolzogen, — Nr. 9. Für Mozart
geg^n Oazzaniga. Von Otto Neiteel. (Schluß Nr. 10). — Carl Qille in Jena.
— Nr. 11. Die Altetimme im Parsifal. Von M. Wirth. — Nr. 13. Die Ton-
4
maierei in der weltlichen Vokalmusik des 16. Jahrhunderte. Von Fr. Volbach.
(Schluß Nr. 14). — Nr. 14. Für Mozart und Gazzaniga. Von J. Sitterd.
(Fprts. Nr. 16). — Das Wagner -Museum in Wien. Von H. von Wolzogen.
(Forte, Nr. 15, 16, 18/19, 22, 23). — Nr. 18/19. J. Brahms' Vokalwerke mit
Orchester. Von E. Krause (Forte. Nr. 20, 22). — Rückblick auf die Berliner
Musiksaison 1887/88. Von W. Langhans (Forte. Nr. 22, 23). — Original oder
Kopie. (Bach's Luoaspassion). Von Qtto NeitseL (Forte. Nr. 20). — Nr. 20.
25. Versammlung des allg. deutechen Musikv^reins zu Dessau. Von W. Lang-
hans. (Schluß Nr. 21). — Nr. 23. Die internationale Musikausstellung zu Bo-
logna. Von A. Sandberger. (Forte, einer Reihe »Italienische Musikbriefe«). —
Nr. 24. Call Riedel — Kistler's Oper »Kunihild«. Von A. Seidl. — Nr. 27.
Ein Wink für ausübende Musiker. Von O. Neitzel. (Forte. Nr. 28), — Nr. 28.
Das nordische Musikfest in Kopenhagen, — Nr. 29. Zur Tantiämefrage. Von
P. Simon. — Zweites Musikfest in Stuttgart. ^ Nr. .31/32. Die harmonische
Tonleiter. Von O. Neiteel. — Nr. 33. Chinesische Musik. Von H. Werner.
(Schluß Nr. 34). — Zur Geschichte von P. Cornelius' Cid. — Nr. 34. Ein Brief
Beethoven's. Von J. Bock. (Forte. Nr. 35). — Bayreuth 1888. Von F. PfohL —
Nr. 38. R. Wagner in Würzburg. Die Hochzeit Die Feen. Von A. Sand-
berger. (Forte.). — Urvasi, Oper von KienzL Von Naubert. —
Bevue Wagnörienne* Paria, Edouard Ih^ardm. HL Nr, Will, Notes sur
Tristan et Isolde. Par H. S. Chamberlain. — Documents de critique expiri-
meniale: Parsifal, Par C et P, formier.
BohweiBeiiaQbe MuBikaeituni:, Zürich, Hug. XXVIU. Nr. 1. Das Klavier in
seiner gesehichiUohen Entwicklung. Von Adolf Ruthardt — Nr. 2. Das Stu-
dium größerer Chorwerke in Gesangvereinen. Von Aug. Glück. (Schluß Nr. 3) .
— Nr. 4. Der Schute des literarischen Eigenthums und seine Folgen für den
Volksgesang. Von R. Spörri. — Nr. 5. Tonkünstlerisches Können einst und
jetzt. Von S. Bagge. (Forts. Nr. 6, 7). — Nr. 8. J. A. Held, der bflndnerische
576 Musikalische Bibliographie.
Sängervater (1813—88). Von F. Durisch. — Nr. 10. Julius Stockhausen. —
Nr. 11. Schutz des geistigen Eigenthums in der Schweiz. (Mit Forts.) — »Freut
euch des Lebens«. Von W. Tappert. (Mit Forts.) — Carl RiedeL Von A. Rafc-
hardt — Nr. 14. Zu den beiden großen Messen von Bach und Beethoyen.
Von R. Low. (Mit Forts.) — »Freut euch des Lebens«. Replik von Schneider.
— Bayreuth 1888. Von A. Glück. (Mit Forts.). — Nr. 16. Über die Kritik Ton
Tondichtungen. Von B. Widmann. (Mit Forts.) —
Signale für die muBikallsohe Welt. Leipzig, Bartholf Senff. XLV. Nr. 59.
Moses, geistL Oper von Rubinstein. — Nr. 61. Zur Tantiömenfrage der Kon-
zert-Komponisten. — Nr. 62. Jenny Lind. Von Elise Polko. — Nr. 64. Der
Barbier von Bagdad. Oper von Cornelius. Von £. Bemsdorf. — Nr. 65. Die
Theater in Europa. 1) Karlsruhe Qroßhrzgl. Hoftheater (Forts. Nr. 66). Wies-
baden Königl Theater Nr. 69). — XLVL Nr, 1. RQckblick auf das Jahr 1887
(Forts. Nr. 2, 4, 5, 6, 7, 9, 11, 13, 14, 15, 17, 18). — Nr. 8. Die drei Pintos.
Oper von C. M. v. Weber. Von E. Bemsdorf. — Nr. 16. Auf hohen Befdil.
Komische Oper von G. Reinecke. Von E. Bemsdorf. — Nr. 19. Hauptprüfungen
am kgl. Conservatorium der Musik zu Leipzig. (Mit Forts.). — Nr. 31. Mann-
heim. Großherzogl. Hof- und Nationaltheater. (Mit Forts.). — Nr. 35. Die
Feen. Oper von Wagner. — Nr. 36. J. C. Engel. — Nr. 37. Dannstadt
Großherzogl Theater. (Forts. Nr. 38). — Nr. 40. Weimar. GroßherzogL Theater.
(Forts. Nr. 41).
Siona. Herausg. M. Herold in Schwabach. Gütersloh, Bertelsmann. XH. Nr. 11.
Der rhythmische Choralgesang der evangel. Kirche.. Von Herzog. — Nr. 12.
Liturgischer Gottesdienst am Vorabend eines Anstalts-Jubiläums, — Xni.
Nr. 1. Das Verhältniß von Chor- und Gemeindegesang im evangelischen Got-
tesdienst. Von Meuss. (Schluß Nr. 2). — Nr. 2. Eduard Grell. Von M. Blum-
ner. — Nr. 3. Musikalische Passionsfeiem (Forts. Nr. 4, 5). — Nr. 7. Orgel-
fabrik von Steinmayer und Comp. — Herstellung eines einheitliehen evang.
Gemeindegesanges in Deutschland. — Nr. 8. Die Abendmahlsliturgie im Dome
zu Cammin. -Von Lüpke. — Nr. 9, Begräbnißordnung nach dem Diöeesan-
Rituale von Eichstädt 1879. —
n Teatro illustrato e la muaiea popolare« Müano, Edoardo Sanzogna, VIII ,
Nr. 85. (Oennajo 1888). Stefano Dereims. — La regina di Saba, munca di
C. Goldmark. — Camiüo 2ktnoUi. — Tristano e laotta di H, Wagner (coniitu). —
lUustr.: II nuovo treatro Flavio Vespaiiano di Rieti, Teatro aUa Scala (Ja regina
di Saba). — Nr. 86. Emma Calv4. Di A. OaUi. — lUuatr.: Parigi, Uairo deOe
foHes dramaiiques. Sureouf, op^a-eomique, musica di JR. Planqttette. — Nr. 87.
Mattia Battistini. — I tre Pinios, opera di C, M. v. Weber (eon iüuetraxioni).
— niustr.: La Signora di Monsoreau, mueiea di Salvayre. — PVoncetca da
Miminit di Cagnoni. — Nr. 88. Mila Kupfer-Berger. — »Lohengrinm neOa
Scala. — »Nestoriofj opera di O. Öallignani. — »Jacopo^ opera dramatica, poena
e mueica di Leonardi. — lUustr.: Lohengrin. — Nr. 89. Sigrid Amoldsokn.
— Storia della musioa in 12 eonferenze di Ouglielmo Langhans. Traduzüme di
C. PoUini (contin.). — Nr. 90. AI. Talazac. — Tristano e IsoUa nel ieatrü
com. di Bologna. — U libretto (contin. J. — II re D'Ye. Opera di Laio (ilbutr.).
(contin.) — Nr. 91. Esteüa de Vita. — Oli atrumenti mu$icali all espoeizüme di
Bologna. — Album di Costumi. (contin.). — Hfüturo Congresso di Venetia nti
diritti degli autori. — Bianca^ opera di P, Tasca. — Don Pedro, opera di A
Castegnaro. — Nr. 92. Giovanni de BeazkS. — La »ocikta italiana di autori. —
J7 nuovo teatro di Odessa (lUustr.). — H nuovo drama Spagnuolo (contin.). —
Nr, 93. A. Isaac. — JEtnilio Serrano y Ruiz. — La musica in Scandinavia. —
Musikalische Bibliographie. 577
Congresso tntemazionale per la proprietä UtUraria ed artiatica dt Venezia
1888.
Urania. Heiausg. A. W. Qottschalg in Weimar. Erfurt, Otto Conrad. XLV.
Nr. 1. Wilhelm Sauer, Hoforgelbauer. — Herman Langer in Dresden. —
Nr. 2. Die neue Orgel in Hünfeld von H. Hahner in Fulda. — Chr. R.
Pfretzschner. — Vers, der zum hdschrft. Nachläse gehörigen Kompositionen
von W. Volckmar. — Nr. 3. C. W. v. Gluck. Von B. Schrader. — Die Orgel
im Konzertsaal der Philharmonie in Berlin. Von Th. Mann. — Nr. 4. Dispo-
sition der eleotro-magnetischen Orgel in der kath. Kirche zu Forst Ton Veit
und Söhne in Durlach-Karlsruhe. — Orgel in der evang. Stadtkirehe zu Karls-
ruhe. — Die Choralmelodien zu dem][}eyang. Gesangbuch der Provinz Bran-
denburg. Von Th. Mann. — Zum 33. Jahrgang von Seb. Bach's Werken. —
Nr. 5. Die neue Orgel der St. Jacobikirche zu Chemnitz, von Ladegast & Sohn.
C. A. Fischer's 1. Symphonie für Orgel u. großes Orchester. — Nr. 6. Dis-
position der großen Orgel in der St. Marienkirche in Danzig. — Disposition
der neuen Orgel der Synagoge in Danzig, erbaut von TerletzkL — Beitrag
zur Windladenfrage. — Nr. 7. Die neue Orgel in Dittrichswalde. — Die Orgel
des BrüBseler Conservatoriums, erbaut von Cavaille-Coll. — Nr. 8. Die Orgeln
Yon Chemnitz. — Die Logenorgeln Berlins. — Nr. 9. Die Orgel in der St.
Jacobikirche zu Kiel. — Ein Brief Melchior Franek's. —
Namen- und Sachregister.
Zusammengestellt von Br. A« M« Nftohtem*
Aequoy, J. 0. R. 168, 350.
Adam de la Haie 74.
Adler, Guido 3, 10, 44, 78.
A&Ticola, Alexander 529.
AlDerdingk-Thym, J. A.
168.
Alfarabi, 275, 277.
Amati, Familie der 520 ff.
Amati, Antonio 521.-
Amati, Francesco 521.
Amati, Oirolamo 521.
Amersfoort; Wilhelm von
160.
Anonymus, quartus 12, 13,
15, 39, 41 ff.
Antegnati, Familie der 522.
(auch Antognati).
Antegnati, Francesco (Lau-
tenmacher) 522.
Antegnati, Oiov. Qiacobo
(Orgelbauer) 522.
Arberg, Peter von 161.
Arie 472.
Aristoteles (Pseudo-) 12, 14,
15, 25, -ob, 45, 46.
Aiistoxenos 123.
Artmann 525.
Bach, £. 124.
Bach, J. S. Ulf., 124, 256,
471. — Arie »Ach mein
Sinn« aus der Johannes-
Passion 471 ff. — Chr.
Weise's Gedicht: »Der
weinende Petrus« Text
für diese Arie 473, 475. —
Choräle in den Passionen
476.
Bachmann , Carl Ludwig
525.
Bfihr, Andreas 528.
Ballox, Johann 47.
Baron, Ernst Gottlieb 524.
BMos, Dom 137, 138.
Beethoven, L. van 83, 451,
496, 512. — Briefwechsel
mit Ries 83 ff. — Klavier-
kon«erte'461 ff. — Vokal-
kompositionen 505, 506.
— als Klavierspieler 512.
Beiami , Paolo (Lauten-
macher) 524.
Bellermann, Heinrich 99.
Berlioz, Hector 133, 258.
Bemo von Reichenau 322.
Bertati, Giovanni 352 ff.,
431.
Bertken (Bertha) von Ut-
recht 160, 319.
Bezecny, Josef 452.
Bonemann, Wilhelm 484.
Bossler 463.
Brugmann, Johannes 154,
159, 313.
Buccina 537.
Buchenberfi^ (oder Bucken-
berg) Geipenmacher 527.
Burtius, Nicolaus 275.
Cagnard de la Tour 130.
Canal, Pietro 529.
Cara, Marchetto 528.
Carretto, Galeotto del 529.
Caus, Salomon de 138.
Cavaill6 128, 130.
Clarke 130.
Chitarrone 535.
Christofilo, Lautenmacher
524.
Christofori, Bartolomeo
522.
Cimarosa, Dom., erste Auf-
führung der heimlichen
Ehe in London 410, 411.
Clavichord 531.
Clavicytherium 530.
Conductus, Unterschied
zwischen C. und Mote-
tus 44.
Contra&cta 156, 161.
Coma, Giov. Giacobo dalla
523.
Cortaro, Antonio 524.
Coussemaker, £. de Iff.,
169, 350. — Publikation
des Liederkodex V.Mont-
pellier Iff.
Da Ponte , Lorenso 416 ff.
— über die Entstehung
des Don Juan -Textes,
417 ff., 420, 431.
Davari, Stefano 528,
Delezenne 130.
Diehl, Nicolaus 525.
Discantus positio vulgaris
12, 32.
Dittersdorf , eine Oper von
D. »Die Hochzeit des
Figaro« 280.
Don Juan, zur Geschichte
des 278 ff., 351 ff. — von
Francesco Gardi 428. —
von Gazzaniga 351 ff. —
von Mozart 278 fL 417.
— Bühnenstatistik 279.
405 ff. — siehe überhaupt
den Aufsatz: die Oper
Don Giovanni von Gaz-
zaniga und von Mozart
351 ff.
Dudelsack 531.
Eiben, Otto 479.
EUis, A. J. 123 ff.
Engel, Gustav 146.
, Namen- und Sachregister.
579
Engel, Karl 537.
Epp, Mathias 528.
IBmst, Franz Anton (Qei-
genmacher) 525.
IBugenius S. 275.
Everts, W. 169.
Faber, Nicolaus 136.
Fichtholdt, Hans 528.
Flöte, bei den Arabern
536.
Franck, Johann 35Q.
Franco von Köln 12, 24,
40, 55.
Franco von Paris 41, 46, 55.
Fiiaterherm 154.
Frimmel, Theodor 512.
Frottole 76, 528, 529,
Fux, Mathias 525.
Gafur 275, 276.
gallikanischer Gesang 275.
Qardi, Francesco 428.
Oarlandia, Joh. de 13, 14,
25, 34.
Gazsaniga 351 ff.
Gehörsempfindungen 541 ff.
— Weber'sohes Gesetz
541. — Qualität der G.
541.
GehörSTorstellungen 546.
Geige 123, 518 ff. — pytha-
goreische Temperatur bei
der Geige 123.
Geigenmacher 518 ff. —
in Italien 518. — in
Deutschland 526. — vgl
auch Liutai.
Gerard, Bruder 160.
Gerle, Conrad 525.
Gervinus 113.
Gevaert 169.
Goedeke, Karl 169.
Goethe, über eine Auffüh-
rung des Don Giovanni
in Rom 406.
Grambus 137.
Grell, Eduard 99.
Griesbach, H. 130.
Groote, Geert 154,
Guameri, Familie 523.
Guameri, Giuseppe del
Gesü 523.
GüUler, Joh. Mich. 528.
Hansel, Joh. Anton 526.
Hanboys, Joh. 47.
1888.
Handlo. Robert 47.
Harpsichord 123, 531, 539.
— mitteltönige Tempe-
ratur 123.
Harmonie 550.
Hart, Georg 525.
Härtung, Michael 527.
Helmholtz 124, 146, 540.
Heyse , Romanische In-
edita 76.
Hipkins , A. J. 530 ff.
Hölscher, B. 350.
Hören, anatomische Grund-
lage des 540. — Gehörs-
empfindungen 541. —
GenörsTorstellungen 546.
Hoffmann von FaUersleben
169, 350.
Huemer, Georg 521.
Hummel, Mathias 528.
Jacobsthal 14, 25.
Jacquot, Albert 518.
Jahn, Otto 256, 257.
Jeronimus de Moravia 20.
Instrumentenkunde '530 ff.
lnstrumentalmusik,Eduard
Grell über die 105. — Ger-
vinus über die 113. — zur
Geschichte der 530 ff. —
in Spanien 277.
Intonation, natürliche 123.
Joachim, J. 115.
Jonckbloet, W. J. A. 169.
Josquin de Pros 529.
Isidor von Sevilla 275.
Kammer Stimmung (Kam-
merton) 138, 139.
Kastner, Joh. Georg 436,
491 ff.
Kerlino, Giovanni 523, 526.
Kiefhaber, J. K. S. 525.
Klangfarbe, Begriff 146. —
. Einfluß der Obertöne auf
die 146.
Klangverwandtschaft und
Kl^geinheit 546, 547.
Klavichord 123. — Stim-
mung des 123.
Klavierinstrumente 530,
533.
Knüpf er, Sebastian 473,
474.
König, Rudolf 146.
Konsonanz 549.
Kremsmünster, Pflege der
. Musik in 521.
Krieger, Joh. Philipp 474.
Kücken, Friedrich 492.
Kunstgesang , Ed. Grell
über den 1 14 ff.
Kyrie eleison, ursprüng-
lich die einzige ^t des
geistlichen Yolksgesan-
ges 323.
Lachner, . Franz 492.
Lanfranco, Giov. 522.
Launay, Carlo di 528.
Laute 534. — Lauten- u.
Geigenmacher in Italien
518 ff.
Le Jeune, J. C. W. 169.
Lied , unbegleitetes im
Männergesange 493. —
mehrstimmiges Lied mit
Klavierbegleitung . 493.
mehrstimmiges Lied für
gemischten Chor 498.
Ligaturen 14 ff., 163.
Linarolo 524.
Lituus 537.
Liutai, Verfertiger aller
Zupf- und Streichinstru-
mente 518 ff.
Lootens, A. 169.
Loufenberg, Heinrich von
156, 161, 229.
Lübben, A. 350.
Lull, Raimundo von Mal-
lorca 275.
Madrigal 472.
Maggini, Giov. Paolo 524.
Manier, Lucas 527.
Mailand, die Musik in 528.
Männergesang, in Deutsch-
land 479 ff. -— Geschichte
480. — CoUegia musica
481, 482. — Zelter's Lie-
dertafel in Berlin 484,
485.
Marschner, Heinrich 488,
. 491, 495. — Tunnellieder
488.
Martini, Johannes 529.
Mayer, A. 130.
Mc Leod, Herbert 130.
Meijer, G. J. 169.
Mendelssohn 491.
Menendez y Pelago, Mar-
cellino 270.
39
580
Namen- und Sachieginter.
Mensur, zweitheilige yor
der dreitheiligen 20, 21.
— Überreste der Ewei-
Xheiligen M. im Lieder-
kodex y. Montpellier 21.
Menenne 123, laO.
Modus 12. — Übersicht
der Modi 12. — Geltung
der Ligaturen in yer-
schiedenen Modis 14.
Moll, W. 169.
Mone, F. J. 169.
Montechiari 523.
Montpellier , Lieder kodex
yon 1 ff. — Beschreibung
4. — Bur Geschichte 7. —
Überreste zweitheiliger
Mensur im 21. — Notation
12 ff., 32. — Autoren
32 ff., 35. — Sprachliches
Verhältniß der Stimmen
55.
Motetus 44. — Unterschied
zwischen M. und Con-
ductus 44.
Mount, Edgoumbe Graf
von 414.
Mozart, W. A. 255, 278, 351,
464. — Don Juan 278.
351. — Konzert - Arie
(Röchcl 505) und deren
Verhältniß zur Arie : Non
temer a. Idomeneo 255 ff.
Muris, Johannes de 40.
Musikalische Stimmung,
siehe Stimmung. — Ab-
riß der Geschichte der
134 ff.
Musikgeschichte, in Spa-
nien 270 ff.
muzarabischer Gesang 275.
Nägeli, Gründer d. Schwei-
zer Männergesanges 484,
485.
Neefe 279.
Neumen 271 ff. — Ent-
wicklung in Spanien 272,
273. — westgothische N.
274, 275. — Beziehung
d. N. z. Sprachalphabete
274.
Neusiedler, Hans 526.
niederländische Kunst 155.
niederländische geistliche
Lieder nebst ihren Sing-
weisen (XV. Jh.) 153 ff.
287 ff. — Strophenbau
161, — Notation 162.
— Glossen zu dem Auf-
satze 333. ^— Verzeich-
niß der Lieder 348, 349.
— Namen- und Sach-
register 349.
Normalstimmton 144.
Notenschrift , Bedeutung
Franco's für die Entwick-
lung der 14. — Verschie-
dene Ligaturen 21 ff. —
ygl. auch Neumen.
Nottebohm 461, 498, 502,
507.
Noyerci 524.
Obertöne 146, 547. — Be-
deutung der O. für die
Klangfarbe 146. ~Ober-
tonapparat 547, 548.
Ochetus 81, 82.
Odington, Walter 12, 13.
Olifant 530.
Orgel 105 ff., 123, 140. —
Ed. Grell über die O.
105 ff. — mitteltönige
Temperatur bei der O.
123, 140. — Alteste be-
kannte Stimmung 136.
Orgelpfeifen, als Stimm-
mittel 128, 129 ff. — Ver-
schiedenes Maß der 137.
— Tonhöhe 136.
Oudemans, A. G. 350.
Pandurina 535.
Perfektion 24 ff.
Perotinus 13, 34, 43, 45.
Petrus de Cruce 40, 45.
Pioardus, Petrus 41.
Piccolellis,Gioyanni de 518.
Piffero, Bernardino 529.
Portatiy 531.
Positiv 530.
Praetorius 134, 135, 139.
Profe, Ambrosius 482.
Proprietas 24 ff.
Ptolemaeus (Astronom) 1 23.
Puliti, Leto 522.
Baisgier, Sebastian 528.
Kamos, Bartolomd de Pa-
reija 275.
Kauen, Sebastian 528.
Rederyker 155.
Regal 531.
Regensturz, Matthias 528.
Regino yon Prüm 322.
Riano, Juan 270.
Riemann, Hugo 20.
Ries, Ferd. 83 ff.
Robert yon Sabilon 40.
Rochi, Sebastiano 524.
Rogeri, Familie 523.
Rogeri, Gioyanni Battista
523.
Rogeri, ^ietro Giacomo
523.
Rondoform bei Mozart u.
Beethoven 264.
Rugieri, Familie 523.
Rugieri, Francesco 523.
Rugieri, Vincenoo 523.
Rühlmann, Julius 528.
Ruysbroek, Johann 154.
Salieri, Antonio 420.
Salinas, da 123, 124.
Sal6, Gasparo da 524.
Saphir, M. G. 487.
Scheibler, Joh. H. 130.
Schindler, A. 516.
Schlick, Arnold 122, 136.
Schmidt, B. 140.
Schneider, Friedrich 491,
492.
Schnitger 124.
Schmieder (Übersetzung d.
Don Juan) 279.
Schubert, Franz 151. —
Chorkompositionen 491,
493.
Schulz, J. A. P. 483.
Schumann, Robert 441.
Schwingunsren 541. —
Grenze des Töngebietes
mit Rücksicht auf die
bisher gemessenen Seh.
541.
Seelos, Johann 528.
Shore, John 127.
Siciliani, Gioy. Battista 524.
Silcher 484, 491.
Sirene 130.
Smart,. George 143.
Smith, Robert 124.
Snellaert, F. A. 209.
Spanien, Musikgeschichte
in 270. — Entwicklung
der Neumenschrift 273.
— Instrumentalmusik
277.
Spartarius, Joh. 276.
Namen- und Saohregister.
581
Sperontes 475.
Spinett 531.
Stimme, menschliche, Um-
fang 132, 133.
Stimmgabel 127, 128. —
Stimmgabel -Tonmesser,
von J. H. Scheibler 130.
Stimmpfeifen 127, 129.
Stimmung 122 ff. — im All-
gemeinen 122. — musi-
kalische Stimmung 122.
— Stimmungssysteme
123. — Abriß der Ge-
schichte der musikali-
schen St. 134, 135. —
Mittel zur Fixirung der
Tonhöhe 127. — Älteste
bekannte Orgelstimmuns
136. — Kirchen- una
Kammerstimmung 138.
Normalstimmton 143. —
Stimm ton- Konferenz in
Wien 1886 u. deren Be-
schlüsse 144. — vgl. auch
Temperatur und Ton-
höhe.
Stradivari, Antonio 524.
Stürtzer, Michael 528.
Tapia, Juan de 276.
Temperatur 123 ff. — na-
türliche Intonation 123.
— pythagoreische Temp.
123. — mitteltönige T.
123. — gleichschwebende
T. 123. — Umrechnung
der Schwingungszahlen
in den verschiedenen T.
124. — Tabelle der Lo-
garithmen temperirter
Töne 125.
Terz, neutrale 535.
Testagrossa , Qiov. Angclo
528.
Thayer461, 498.
Theodoricus de Gruter 256,
296, 332.
Thomas von Kempen 154.
Tieffenbrucker, Caspar 525.
Tomaschek, Johann Wenzel
462.
Tonem|)findungen 541.
Tongebiet, Umfang des
(Schwingungen) 541.
Tonhöhe 126 ff., 541. —
Messung relativer 126. —
Fixirung der Tonhöhe
und Mittel dazu (Stimm-
gabel, Stimmpfeife, Si-
rene, optische Methode,
elektrographische Me-
thode, mittels musika-
lischer Schwebungen)
127 ff.— Verhältniß der
Tonfarbe zur T. 148. —
Relative Unterschieds-
empfindlichkeit bei Tö-
nen 542.
Tosi 119.
Tromboncino, Bartolomeo
528.
Tropen 322.
Tunnelgesellschaften 487.
Tunnellieder 488.
Yaldrlghi, Luigi 518.
Valentini, Giovanni 405.
Van der Bergh, M. 169.
Van Vloten, J. 169.
Verwys, E. 350.
Vidal, Antoine 518.
Vihuela 277.
Vincentius BeUovacensis
277.
Virffinal 530.
VolKSgesang in den Nie-
derlanden 155 ff.
Wasielewsky, W. J. von
496,
Weber, Carl Maria von 486,
491.
Weber*8ches Gesetz (Inten-
sitats verhältniß der Em-
pfindungen) 541.
Weigerth, Job. Blasius 528.
Weise, Christian 472 ff —
Gedicht: der weinende
Petrus 473. — erste Stro-
She desselben Text der
iach'schen Arie: »Ach
mein Sinn« 475.
Weiss, Jacob 528.
Werckmeister 124.
Willems , J. F. 169.
Wundt, W. 540.
Zalzal 535.
Zelter 483, 484, 485. —
Zelter's Liedertafel in
Berlin 484.
Adressen der Herausgeber:
Professor Dr. Spitta, d. Z. gesch&ftsführender Herausgeber, Berlin, W.
Burggrafenstraße 10; Dr. Friedrich Chrysander, Bergedorf bei Hamburg ; Pro-
fessor Dr. Guido Adler, Prag, Weinberge, Jungmannsgasse 25.
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