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Full text of "Vierteljahrsschrift für musikwissenschaft"

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I 


MLATO-SlÄNroRBsIIVMOll-VMVERSnY 


; 


Yierteljahrsschrift 

fiir 

MUSIKWISSENSCHAFT. 


Friedrich  Chrysander,  Philipp  Spitta 
Guido  Adler. 

Vierter  Jahrgang 
Preis  12  Mark. 


Leipzig 

Druck  und  Verlag  von  Breitkopf  und  H&itel 


270vS66 


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Alle  Hechte,  inshesandere  das  der  Überseizunff,  vorbehalten. 


J 


Inhalt. 


I.  Selbständige  Abhandlungen. 

Seite 

Oswald  Koller. 

Der  Liederkodex  von  MontpeUier.     Eine  kritische  Studie 1 

Hermann  Deiters. 

Briefe  Beethoyen's  an  Ferdinand  Ries 83 

Friedrich  Chrysander. 

Eduard  Grell  als  Gegner  der  Instrumentalmusik,  der  Orgel,   der  Tem- 
peratur und  der  Virtuusit&t 99 

Wilhelm  Bäumker. 

Niederländische   geistliche  Lieder  nebst  ihren   Singweisen   aus  Hand- 
schriften des  XV.  Jahrhunderts 153 

Friedrich  Spiro. 

Die  Entstehung  einer  Mosarfschen  Konzertarie 255 

Wilhelm  B&umker. 

Niederlfindische  geistliche  Lieder  nebst  ihren  Singweisen   aus  Hand- 
schriften des  XV.  Jahrhunderts.    Mit  3  Notenbeilagen  (Schluß]  ....     287 

Friedrich  Chrysander. 

Die  Oper  Don  Gioyanni  von  Gazzaniga  imd  Ton  Mozart 351 

Guido  Adler. 

Ein  Satz  eines  unbekannten  Klavierkonzertes  von  Beethoven 451 

Philipp  Spitta. 

Die  Arie  »Ach,  mein  Sinn«  aus  J.  S.  Bach's  Johannes-Passion 471 

IL  Kritiken  und  Referate. 

Guido  Adler. 

Alexander  J.  EUis.    On  the  history  of  musical  pitch 122 

C.  Stumpf. 

Gustav  Engel.    Ober  den  Begriff  der  Klangfarbe 146 

Oscar  Fleischer. 

J.  F.  Riano.  Gritical  and  bibliographical  notes  on  early  Spanish  music.  270 
Albert  Schatz. 

Rudolf  von  Freisauff.    Mozart's  Don  Juan  1787—1887 278 


IV  Inhalt. 

Seite 

Philipp  Spitta. 

Hermann  Ludwig.  Johann  Georg  Kastner.    Ein  els&ssischer  Tondichter, 

Theoretiker  und  Musikforscher.    Sein  Werden  und  Wirken 436 

Philipp  Spitta. 

Dr.  Otto  Eiben.    Der  yolksthümliche  deutsche  Männergesang 479 

Hermann  Deiters. 

W.  J.  von  Wasielewsky.    Ludwig  van  Beethoven 496 

Hermann  Deiters. 

Dr.  Theodor  Frimmel.     Neue  Beethoveniana 512 

Emil  Vogel. 

O.  de  Piccolellis.    Liutai  antichi  e  modemi 518 

Emil  Vogel. 

Stefano  Davari.     La  musica  a  Mantova 528 

Oscar  Fleischer. 

A.  J.  Hipkins.    Musical  Instruments  historic,  rare  and  unique  ....     531 
C.  Stumpf. 

W.  Wundt.    Grundzüge  der  physiologischen  Psychologie.    E.  Luft.    Über 

die  Unterschiedsempfindlichkeit  für  Tonhöhen 540 

III.  Notizen. 

Friedrich  Spiro.    Zu  Franz  Schubert's  Messen 151 

IV.  Musikalische  Bibliographie. 

Von  F.  Aschers on 551 

Auszüge  aus  Musikzeitungen 567 

y.  Namen-  und  Sachregister. 

Von  Dr.  A.  M.  Nüchtern 578 


:     .•/•• . 


_    • 


Der  Liederkodex  von  Montpellier. 

Eine  kritische  Studie 

von 

Oswald  KoUer. 


I. 

Die  Publikation  des  Liederkodex  H  196  aus  dem  Archive  der 
medicinischen  Fakultät  *<zu  Montpellier  durch  Coussemaker^  ist  eine 
der  bedeutendsten  Erscheinungen  auf  dem  Gebiete  der  mittelalter- 
lichen Musikgeschichte.  Denn  während  man  bisher  zur  Erläuterung 
der  oft  dunklen  Theorien  der  Musikschriftsteller  des  XII.  und  XIII. 
Jahrhunderts  lediglich  auf  die  unzulänglichen  Bruchstücke  ange- 
wiesen war,  die  sich  in  diesen  Traktaten  zerstreut  finden,  sind  hier 
zum  ersten  Mal  vollständige  Kompositionen  geboten,  aus  denen  man 
ganz  andere  Anschauungen  und  Belehrungen  über  den  Stand  der 
musikalischen  Kunst  jener  Jahrhunderte  gewinnen  kann.  Leider 
entspricht  die  Coussemaker'sche  Ausgabe  nicht  d6n  Anforderungen, 
die  man  an  einen  kritisch  gereinigten  Text  zu  stellen  berechtigt  ist ; 
und  auch  die  vorangehende  Abhandlung  stellt  Behauptungen  auf 
und  geht  von  Voraussetzungen  aus,  deren  Richtigkeit  nicht  so  ohne 
Weiteres  auf  Treu  und  Glauben  angenommen  werden  kann. 

Wie  leichtfertig  Coussemaker  selbst  bei  leicht  festzustellenden 
Thatsachen  verfährt,  zeigt  der  Umstand,  daß  er  nicht  einmal  die 
Zahl  der  im  Kodex  enthaltenen  Kompositionen  zu  bestimmen  im 
Stande  ist.  Nach  pag.  YIII  und  pag.  4  enthält  der  Kodex  im 
Ganzen  340  Stücke;  damit  stimmt  aber  weder  die  pag.  10 — 12  ent- 
haltene Beschreibung  des  Kodex,  noch  der  pag.  244 — 256  gegebene 
Index.  Nach  pag.  10 — 12  ist  die  Summe  der  in  den  einzelnen  Fas- 
cikeln  enthaltenen  Stücke  358,  der  Index   zählt   339  Nummern  auf; 


'  Vart  harmonique  aux  XIV  ei  XIIP  sücles.   Par  E.  de  Coussemaker.   Paris 
1866. 

1888.  1 


.  .••.   Ofc^ld 'Koller, 


•=■= 


-rw 


und  th^ilt'jgilan'Txach  den  pag.  10 — 12  gemachten  Angaben  im  Index 
die  ^nzplnen  l^ascikel  ab,  so  ergeben  sich  folgende  bemerkenswerthe 
•  :uiffeienzen: 

•    Nach  der  Inhaltsübersicht  pag.  10—12 

enthält : 

Der    I.  Fase.  1 7  Stücke,  und  zwar 


»    II. 

9 

»  III. 

» 

»    IV. 

}» 

»      V. 

» 

«    VI. 

» 

»  VII. 

» 

»vin. 


» 


1 5    dreistimmige, 
2  vierstimmige. 

17  Stücke. 

13  Stücke. 

22  Stücke. 

110  Stücke,  und  zwar 
1  In  seculum  und 
109  dreistimmige. 

75  Stücke. 

61  Stücke,  und  zwar 
48  mit  französi- 
schem, 7  mit  la- 
teinischem, 6  mit 

französischem 
und  lateinischem 
Texte. 

43  Stücke,  und  zwar 
1  Dens  in  adjuto- 
riunty  2 1  mit  fran- 
zösischem, 16  mit 
lateinischem ,  5 
mit  gemischtem 
Texte. 


Zusammen  358  Stücke. 


Nach  dem  Index  pag.  244 — 256 
enthält: 

16  .Stücke,    und   zwar    15    drei- 


stimmige, 1  vierstimmiges. 

17  Stücke. 
13  Stücke. 
22  Stücke. 

105  Stücke,  und  zwar  l  In  secu- 
lum und  104  dreistimmige. 

75  Stücke. 

48  Stücke,  und  zwar  35  mit  fran- 
zösischem, 9  mit  lateinischem 
und  .4  mit  lateinischem  und 
französischem  Texte. 


43  Stücke,  und  zwar  1  Dens  in 
adj'utorium,  22  mit  franzö- 
sischem, 15  mit  lateinischem, 
5  mit  gemischtem  Texte. 


339  Stücke. 


Die  Differenz  wird  dadurch  theilweise  behoben,  daß  nach  pag. 
149  und  189  das  zweite  Stück  des  ersten  Fascikels,  Ja  riaimera% 
zweimal  vorhanden  ist,  und  zwar  das  eine  Mal  in  Longen  und  Breven, 
das  andere  Mal  in  Breven  und  Semibreven  notiert;  im  Index  ist  es 
nur  einmal  angeführt.  Dadurch  erhält  der  erste  Fascikel  wirklich 
17  Stücke,  darunter  zwei  vierstimmige,  und  als  richtige  Zahl  der 
vorhandenen  Kompositionen  erscheint  340. 

Auch  zwischen  der  Wiedergabe  der  Facsimiles  und  der  Über- 
tragung in  moderne  Notenschrift  bestehen  ungelöste  Widersprüche. 
So  löst  Coussemaker  in  einem  und  demselben  Stück,  dem  Discantus 
von  Nr.  V,  ein  und  dieselbe  Notengruppe  viermal  auf  eine  und  drei- 


Der  Liederkodex  Yon  Montpellier. 


mal  auf  eine  ganz  andere  Weise  auf,  ohne  daß  in  den  Anmerkungen 
pag.  274,  275  eine  Rechtfertigung  dieser  Verschiedenheit  enthalten 
wäre.  Ganz  unmöglich  ist  die  in  eben  demselben  Stück  vor- 
kommende Übertragung  der  auf  die  Textstelle  dum  litteram  regis 
Mlenden  Noten.  Auch  sonst  bringt  der  Herausgeber  Konjekturen 
an,  die  durch  nichts  gerechtfertigt  sind,  so  z.  B.  im  Tenor  von 
Nr.  lY,  Takt  2  und  36,  ebendaselbst  im  Triplum  im  siebentletzten 
Takt  K 

Auch  mit  den  Schlüsseln  nimmt  es  Coussemaker  nicht  genau. 
Mitunter  ist  eine  Veränderung  derselben  aus  harmonischen  Gründen 
gerechtfertigt,  wie  in  Nr.  XI  Triplum  Takt  54 — 58,  wo  er  statt  des 
Mezzosopranschlüssels  den  Altschlüssel  ansetzt.  Ein  andermal  aber, 
z.  B.  Nr.  L  Takt  9 — 12  setzt  er  den  Tenor  eine  Terz  tiefer,  wodurch 
gar  nichts  für  die  Besserung  gewonnen  wird.  Ja  er  setzt  sogar 
Noten  hinzu,  die  gar  nicht  im  Originale  stehen,  so  in  Nr.  XXVIII 
die  letzte  Note  des  Tenors,  in  Nr.  XXXIX  die  vier  ersten  Noten 
des  Tenors,  und  in  Nr.  XL  füllt  er  sogar  die  letzten  vier  Takte 
des  Discantus  durch  eine  Komposition  eigener  Erfindung  aus,  alles 
ohne  ein  Wort  der  Rechtfertigung.  Da  schließlich  die  Facsimiles 
selbst  Ungenauigkeiten  enthalten,  wie  Verwechslungen  von  Bretts 
und  Longa,  mangelnde  Anfangsstriche  bei  den  Ligaturen,  Willkürlich- 
keiten  in  der  Zahl,  der  Spatien,  durch  welche  ein  Pausezeichen 
geht;  diese  Irrthümer  aber  weder  im  Texte,  noch  in  den  An- 
merkungen, noch  im  Druckfehlerverzeichniß  besprochen  erscheinen: 
so  bietet  der  Zustand  des  Textes  einen  beunruhigenden  Anblick  der 
Unsicherheit,  da  nirgends  klar  ist,  ob  man  eine  der  Besserung  be- 
dürftige Stelle  auf  Rechnung  des  Manuskriptes,  des  Abschreibers 
oder  des  Druckers  setzen  soll. 

Nicht  minder  bequem  macht  es  sich  Coussemaker  bei  der  Be- 
stimmung der  Autoren.  Er  geht  von  dem  Grundsatze  aus,  daß, 
wenn  der  Text  eines  Liedes  von  einem  namentlich  bekannten  Autor 
herrührt,  ihm  ohne  Weiteres  auch  die  mehrstimmige  Komposition 
dieses  Textes  zuzuschreiben  sei.  Dasselbe  Princip  wendet  er  auch 
auf  die  Theoretiker  an  und  schließt  aus  dem  Umstände,  daß  sich  in 
irgend  einem  Traktate  ein  Stück  aus  dem  Kodex  von  Montpellier 
citiert  findet,  daß  der  Autor  des  Traktates  auch  der  Komponist 
des  darin  angeführten  Beispieles  sein  müsse.  Als  ob  ein  Autor  nur 
seine  eigenen  Werke  eitleren  dürfte!  Dabei  passiert  es  ihm  jedoch, 
daß  z.  B. 


1  Auch  Adler  weist  in  dieser  Zeitechrift  II,  294,  296-  auf  die  ungenauen  Über- 
tragungen Coussemaker's  hin. 


Oswald  Koller^ 


Nr.  VIII  i 


O  Ma7^  virgo  davidica 
O  Maria  mari$  Stella 
Veritatem 

von  der  Discantus  positio  vulgaris,  von  Aristoteles,  Petrus  Picardus 
und  Franco, 

iPovre  secors 
Gaude  chorus 
Angelus 
von  der  Discanttcs  positio   vulgaris ,   von  Garlandia,  Petrus  Picardus, 
Aristoteles,  dem  Anonymus  secundus  und  Franco, 

Ja  n'aimerai 
In  seculum 

vom  Anonymus  quaitus,  Odington,  Petrus  Picardus  und  Franco  citiert 
werden.  In  den  meisten  Fällen  ist  seine  Entscheidung  willkürlich, 
und  wo  eine  Entscheidung  unmöglich  wird,  weiß  er  sich  nicht  anders 
zu  helfen,  als  durch  die  köstliche  Bemerkung  pag.  179  über  den 
Anonymus  von  St.  Di6.  Jedenfalls  geht  aus  den  vorgelegten  Proben 
hervor,  daß  Coussemaker's  Werk  mit  großer  Vorsicht  zu  benutzen  ist, 
und  daß,  bevor  man  gesicherte  Resultate  für  die  Musikwissenschaft 
daraus  zu  ziehen  wagt,  der  Inhalt  des  Kodex  einer  ernstlichen 
Prüfung  zu  unterziehen  ist. 

Im  Folgenden  soll  der  Versuch  giemacht  werden,  besser  be- 
gründete Folgerungen  aus  dem  von  Coussemaker  dargebotenen  Material 
zu  ziehen. 


Nr.  XLV  I 


II. 

Die  Beschreibung  des  Kodex  ist  ungenau,  wenngleich  immerhin 
derart,  daß  man  sich  ein  leidliches  Bild  davon  zu  entwerfen  im 
Stande  ist.  Nach  pag.  10—12  besteht  der  Kodex  aus  acht  »Fas- 
cikelna;  ob  das  nur  Kapitelabtheilungen  des  Buches  oder  wirkliche 
Lagen  sind,  ist  nirgends  gesagt.  Bezüglich  der  Abgrenzung  der 
Fascikel  ist  ein  Zweifel  nur  zwischen  dem  fünften  und  sechsten 
möglich.  Der  Fascikel  V  schließt  nach  Coussemaker  auf  Fol.  228  a, 
der  sechste  beginnt  auf  Fol.  231b.  Nachdem  nun  eine  Lage  weder 
auf  der  ersten  Seite  eines  Blattes  aufhören,  noch  auf  der  zweiten 
Seite  eines  Blattes  beginnen  kann,  so  soll  wohl  darunter  zu  verstehen 
sein,  daß  der  Text  auf  Fol.  228a  endigt,  daß  228 b,  femer  die  beiden 
Blätter  229  und  230  leer  sind  und  auf  Fol.  231a  neue  Aufzeichnungen 
beginnen.  Zweifelhaft  ist  es,  ob  diese  beiden  leeren  Blätter  dem 
fünften  oder  sechsten  Fascikel  angehören.  Erwägt  man  nun,  daß 
mit   Ausnahme  des  ersten   Fascikels   die  Blätterzahl  jedes  Fascikels 


Der  Liederkodex  yon  Montpellier. 


durch  8  theilbar  ist,  so  kann  man  unter  der  Voraussetzung,  daB 
noch  vor  der  Pagination  ein  leeres  Blatt  des  sechsten  Fascikels  weg- 
geschnitten worden  ist,  eine  ursprüngliche  Anlage  des  Kodex  in 
Lagen  von  je  8  Blättern  annehmen ;  und  dann  gehören  die  Fol.  229 
und  230  dem  fünften  Fascikel  an.  Jeder  einzelne  Fascikel  ist  durch 
gemalte  Initialen  ausgezeichnet;  daß  das  aber  nur  am  Anfange  jedes 
Fascikels  stattfinde,  ist  unrichtig.  Zweimal  finden  sich  auch  inner- 
halb des  Fascikels  Miniaturen  und  zwar  Fol.  5  b  mitten  im  ersten  und 
Fol.  246  a  mitten  im  sechsten  Fascikel.  Nimmt  man  an,  daß  das 
weggefallene  Blatt  sich  entweder  zwischen  Fol.  230  und  231  oder 
zwischen  245  und  246  befunden  habe,  so  bildet  auch  die  Miniatur 
Fol.  246  a  den  Anfang  einer  neuen  Lage  zu  8  Blättern.  Bis  inklu- 
sive den  sechsten  Fascikel  macht  die  Anordnung  derselben  keine 
Schwierigkeiten: 
Fase.      I.  Fol.  1a  bis  Fol.  22;  Initialen  Fol.  la  und  5  b. 

n       TL,  Fol.  23a  leer,  23b  und  24a  Initialen,   Text  bis  Fol.  61a; 
61b  und  62  leer. 

)»      ni.  Fol.    63a    leer,    63b    und    64a   Initialen,    Text  bis    86a; 
86  b  leer. 

))      IV.  Fol.   87a   leer,    87b   und   88a   Initialen,    Text  bis  110a; 
llOb  leer. 

»        V.  Initialen  Fol.  lila,  lllb,  112a,  Text  bis  Fol.  228a;  228 b, 
229,  230  leer. 

.>      VL  Initiale  Fol.  231a,   Text   bis   245b;   (ein  fehlendes  Blatt); 
Initiale  246  a,  Text  bis  269a;  269b  leer.^ 

Es  enthalten  somit 

22  Blätter. 

40  =    5-8  Blätter. 
24  =    3  •  8         » 
24  =    3  .  8         D 
120  =15-8         » 
16—1   (=2.8  Blätter). 

24  =    3     8  Blätter. 

Bezüglich  des  siebenten  Fascikels  erfordert  die  Pagination  einige 
Erörterungen.  Das  Manuskript  hat  nach  pag.  6  eine  doppelte  Pagi- 
nierung, von  denen  keine  gleichzeitig  mit  der  Niederschrift  ist. 
Die  ältere  ist  in  römischen  Ziffern,   oben   in   der  Mitte   der  ersten 


der  Fase, 

,   I. 

;)          J> 

n. 

))         )) 

m. 

»         •» 

IV. 

»          » 

V. 

n          s> 

via. 

)i          w 

VIb. 

1  Coussemaker  sagt  pag.  12,  daß  der  Fascikel  auf  Fol.  270  endige;  da  aber 
schon  auf  Fol.  270  a  das  erste  Stück  des  VII.  Fascikels,  gekennzeichnet  durch  die 
Initiale  und  eine  andere  Anordnung  der  Stimmen,  beginnt,  so  muß  man  wohl  den 
Schluß  des  VI.  Fascikels  auf  Fol.  269b  ansetzen. 


Oswald  Koller, 


Seite  eines  jeden  Blattes.  Diese  Pagination  konstatiert  zwei  Lücken 
von  je  einem  Blatt;  die  erste  ist  zwischen  den  Blättern  lü^II  und 
ni^Iin  (302  und  303  der  modernen  Paginierung),  die  andere  zwischen 
Fol.  m^VII  und  III  «IX  (306  und  307).  »ia  pagination  en  chiffres 
romainSf  fährt  Coussemaker  fort,  s'arrSte  au  feuiUet  mar  quo  X  FT^  et 
Xlllf  c'est-ä-dire  au  feuillet  331  de  la  pagination  en  chiffres  arabes. 
A  partir  de  lä,  la  pagination  en  chiffres  romains  est  abandonnde  et 
continuSe  par  la  pagination  en  chiffres  arabes,  Celle  ci  commence  au 
feuillet  334,  chiffre  acttiel  332  et  fimt  (den  VIII.  Fascikel  einge- 
schlossen) avec  le  397^,(1  Daraus  geht  nun  hervor,  was  Coussemaker 
ganz  übersieht,  daß  die  Pagination  in  römischen  Ziffern  selbst  eine 
doppelte  ist.  HI « II  bedeutet  folium  trecentesimum  secundum ;  es 
zeigt  also  an,  daß  von  den  vorhergehenden  Blättern  keines  fehlt 
(oder  daß,  wenn  eines  fehlt,  dieser  Verlust  schon  vor  der  Pagination 
vor  sich  gegangen  sein  muß);  dann  tritt  eine  neue  Pagination  ein, 
welche  wir  aus  der  Bezeichnung  XVI"  et  XIII  fiir  Fol.  331  (nach 
der  modernen  Zählung,  333  dagegen,  wenn  die  beiden  fehlenden 
Blätter  mitgerechnet  werden)  ersehen.  XVI"  et  XIII  heißt  wohl 
16  •  20  +  13  d.  i.  333,  wie  es  auch  die  richtige  Zahl  der  Blätter  ist. 
Die  Bezeichnung  XVI«  et  XIII  fordert,  daß  sie  mit  XVI"  et  I 
anfange.  Das  fällt  auf  Fol.  321  der  richtigen,  319  der  faktischen 
Zählung;  das  letzte  Blatt  der  ersten  Paginierungsart  war  somit  320 
=  in®  XX.  Dieser  neue  Abschnitt  wird  wichtig,  wenn  man  Cousse- 
maker's  Notiz  pag.  12  dazu  hält,  daß  von  Fol.  321  die  Hand  eines 
zweiten,  gleichzeitigen  Schreibers  beginnt.  Es  hat  also  das  ur- 
sprüngliche Manuskript  nur  bis  hierher  gereicht  und  der  neue  Nach- 
trag hat  eine  neue  Paginierung  erhalten;  daß  dieser  Nachtrag  vor 
Verlust  der  beiden  Blätter  303  und  308  stattgefunden  hat,  ergiebt 
sich  aus  der  Übereinstimmung  der  Zählung.  Aber  hier  ist  noch  ein 
zweiter  Nachtrag  geschehen;  denn  diese  zweite  Pagination  mit 
römischen  Ziffern  hört  auf  Fol.  333  auf  und  die  dem  Mskr.  voran- 
gehende Inhaltsübersicht  enthält  auch  nur  die  bis  ebendahin  notierten 
Stücke.     Es  besteht  somit  der  siebente  Fascikel  aus  drei   Schichten: 

1.  Fol.  270a  (Initiale)  bis  Fol.  320.     Erste  Notation  mit  römischen 
Ziffern. 

2.  Fol.  321  bis  Fol.  333.     Zweite  Notation  mit  römischen  Ziffern 
(zusammen  64  =  8  •  8  Blätter). 

3.  Fol.   334   bis   349a;    349b   leer.      Fortsetzung  der  arabischen 
Notation  (16  =  2-8  Blätter). 

Der  achte  Fascikel  beginnt  mit  dem   durch   eine  Initiale  gleich 
der   auf  Fol.  la   gezierten  Fol.  350a  und  endet  mit  Fol.  397.     Er 


Der  Liederkodex  von  Montpellier. 


enthält  48  =  6  •  8  Blätter.     Dieser  Fascikel  hat  auBer  der  durch- 
gehenden Paginierung  noch  eine  hesondere  mit  arabischen  Ziffern. 

Für  die  Geschichte  des  Manuskripts  aber  ergeben  sich  fol- 
gende Phasen : 

1.  Ursprünglicher  Inhalt  bis  Fol.  320.  Durchlaufende  Pagination 
mit  römischen  Ziffern. 

2.  Erster  Nachtrag  Fol.  321 — 333;    er  wird  anders  paginiert 

3.  Verfassung  des  Inhaltsverzeichnisses.  Ob  zur  Zeit  dieser  Ver- 
fassung die  beiden  Folia  III^III  und  III^VIII  schon  fehlten, 
ist  aus  Coussemaker's  Angaben  nicht  zu  entnehmen. 

4.  Zweiter  Nachtrag  Fol.  334 — 349. 

5.  Dritter  Nachtrag,  enthaltend  den  VIII.  Fascikel  mit  selbstän- 
diger Paginierung. 

6.  Nach  Verlust  der  beiden  Blätter  III^III  und  III«  VIII  wird 
die  gegenwärtige  Paginierung  mit  arabischen  Ziffern  durch- 
geführt. 

Wieviel  Schreiber  an  diesem  Kodex  gearbeitet  haben,  ist  aus 
Coussemaker's  Angaben  nicht  genau  zu  ersehen.  Beim  zweiten  Fas- 
cikel, sagt  er,  sind  die  Zeilen  näher  an  einander  und  die  Schriftzüge 
flüchtiger  als  im  ersten;  im  dritten  ist  Schrift  und  Notation  ähnlich 
der  des  vorhe^ehenden.  Im  siebenten  Fascikel  endlich  erscheint 
eine  neue  Hand  auf  Fol.  321;  ob  der  achte  Fascikel  von  derselben 
Hand  geschrieben  ist,  ist  nicht  gesagt.  Somit  sind  mindestens  drei 
Schreiber  zu  unterscheiden,  von  denen  der  erste  den  ersten  Fascikel, 
der  zweite  vom  zweiten  bis  Fol.  320,  der  dritte  von  321  bis  zu  Ende  (?) 
geschrieben  hat;  vielleicht  ist  die  dritte  Hand  gleich  der  ersten, 
wenigstens  deutet  darauf  der  Umstand  hin,  daß  sich  die  Initiale  des 
I.  Fascikels  genau  beim  VHI.  wiederholt  und  daß  (vielleicht  nicht  die 
Komposition,  sicher  aber)  der  Text  der  Anfangsstücke  beider  Fascikel 
derselbe  ist.  Die  Miniaturen  selbst  scheiden  sich  in  zwei  Gruppen; 
die  der  Fascikel  I,  II,  V  und  VIII  sind  bloße  Miniaturen  in  einem 
Anfangsbuchstaben;  bei  den  Malereien  der  Fascikel  IH,  IV,  VI  und 
VII  ist  jedoch  auch  der  untere  Rand  der  Seite  mit  einer  kleinen  bild- 
lichen Darstellung  geziert. 

Auch  die  Anordntmg  der  einzelnen  Stimmen  ist  in  den  einzelnen 
Fascikeln  verschieden:  die  Kompositionen  des  ersten  Fascikels  sind 
partiturartig  niedergeschrieben;  nur  das  zweite  (und  dritte?)  Stück 
dieses  Fascikels  (Nr.  XLV)]  ist  nach  den  Facsimiles  pag.  XCII  und 
XCm  nicht  so  notiert,  sondern  auf  der  linken  Seite  steht  die  erste 
Stimme,  auf  der  rechten  Seite  in  zwei  Kolumnen  die  zweite  und 
dritte,  der  Tenor  auf  der  letzten  Zeile  rechts.  Im  zweiten  Fascikel 
sind  die  vier  Stimmen  auf  zwei  nebeneinander  stehenden  Seiten  in 


^  Oswald  Koller, 


je  zwei  Kolumnen  geschrieben.  Im  HI.,  IV.  und  V.  Fascikel  sind 
die  zwei  Stimmen  auf  zwei  nebeneinandet  stehenden  Seiten,  der 
Tenor  auf  der  untersten  Zeile  der  linken  und  rechten  Seite  notiert. 
Im  VI.  Fascikel,  der  nur  zweistimmige  Kompositionen  enthält,  steht 
der  Tenor  auf  der  letzten  Zeile  jeder  Seite.  '  Im  VII.  Fascikel  stehen 
die  beiden  Stimmen  in  zwei  Kolumnen  auf  einer  Seite  und  der  Tenor 
auf  der  letzten  Zeile  der  rechten  Seite,  nur  in  Nr.  XXXVI  des 
siebenten  Fascikels,  wo  auch  der  Tenor  ein  vollständig  ausgebildeter 
Liedtenor  ist,  sind  die  drei  Stimmen  in  drei  Kolumnen  geordnet.  Im 
VIII.  Fascikel  stehen  die  erste  und  zweite  Stimme  wie  im  vorigen 
Fascikel,  die  letzte  auf  einer  langen  Zeile  darunter.  Es  weichen  also 
die  einzelnen  Fascikel  in  Bezug  auf  Schrift,  Initialen  und  Anordnung 
der  Stimmen  von  einander  ab. 

Der  Schrift  nach  gehören  zusammen:  I;  11,  III,  IV,  V,  VT,  VII 
bis  Fol.  320;  der  Rest  von  VII  und  VIEL. 

Den  Initialen  nach  gehören  zusammen:  I,  II,  V,  VIII;  III,  IV, 

VI,  vn. 

Die  Anordnung  der  Stimmen  ist  verschieden  in  I;  II;  III   IV,  V; 

VI;  vn;  vm. 

Aus  dieser  Verschiedenheit  der  Merkmale  allein  könnte  schon 
vermuthet  werden,  daß  der  Kodex  aus  mehreren  ursprünglichen  Be- 
standtheilen  zusammengesetzt  ist ;  noch  mehr  wird  diese  Vermuthung 
gestützt  durch  Gründe,  welche  auch  Coussemaker  pag.  9  anführt.  Es 
sind  folgende: 

1.  Jeder  der  acht  Fascikel  beginnt  mit  einer  oder  mehreren  durch 
Miniaturen  ausgezeichneten  Majuskeln,  und  diese  finden  sich 
nirgends  anders  als  eben  nur  an  diesen  Stellen. 

2.  Jeder  dieser  Fascikel  hat  eine  eigenthümliche  Anordnung  der 
Stimmen  (une  disposition  particuKere  dans  la  notatioti). 

3.  Die  doppelte  Fagination  des  letzten  Fascikels,  die  des  ganzen 
Kodex  und  die  separate. 

4.  Jeder  Fascikel  enthält  Kompositionen  verschiedenen  Charakters ; 
man  findet  Stücke,  die  ebensogut  in  dem  einen  wie  in  dem 
andern  Fascikel  stehen  könnten. 

5.  Beinahe  in  jedem  Fascikel  sind  weltliche  und  geistliche  Kom- 
positionen gemischt.  Wenn  der  Kopist  nicht  jedem  Fascikel 
seinen  eigenthümlichen  Charakter  hätte  belassen  wollen,  so 
hätte  er  gewiß  eine  andere  Anordnung  getroffen. 

6.  Mehrere  Stücke  finden  sich  zweimal;  das  wäre  unmöglich,  wenn 
das  Mskr.  ein  einheitliches  Werk  wäre. 

7.  Die  Komponisten  des  13.,  14.  und  15.  Jahrhunderts  beginnen 
ihre    Sammlungen    mehrstimmiger   Kompositionen    meist   mit 


Der  Liederkodex  von  Montpellier. 


einem  religiösen  Stück;  dieser  Gebrauch  zeigt  sich*  im  I.,  IV., 
V.  und  Vm.  Fascikel. 

Hierzu  ist  Folgendes  zu  bemerken: 

ad  1.  Die  durch  Miniaturen  ausgezeichneten  Initialen  finden  sich 
zweimal  auch  in  der  Mitte  von  Fascikeln,  und  zwar  auf  Fol.  5  b 
im  I.  und  Fol.  246  a  im  VI.  Fascikel. 

ad  2.  Die  Anordnung  der  Stimmen  ist  nicht  überall  verschieden ;  der 
m.,  IV.  und  V.  Fascikel  haben  gleiche  Disposition. 

ad  4.  Die  Gleichheit  des  Charakters  ist  doch  insoweit  gewahrt,  als 
der  IL  Fascikel  nur  vierstimmige,  der  HI.,  IV.,  V.,  VII.  und 
Vni.  nur  dreistimmige  Kompositionen  enthalten;  auch  der 
I.  Fascikel  enthält  mit  Ausnahme  des  Ja  riaimerai  nur  drei- 
stimmige Kompositionen. 

ad  6.  Aus  dem  mehrmaligen  Vorkommen  desselben  Stückes  in  ver- 
schiedenen Fascikeln  schließt  Coussemaker,  daß  dieselben  von 
einander  unabhängige  Sammlungen  gebildet  haben.  Dabei  hat 
er  Kompositionen  im  Auge  wie  Deus  in  adjutorium  ^  das  auf 
Fol.  l  und  350  im  I.  und  VIII.  Fascikel, 

IVirgo  pia  candens 
Lis  ne  glai  ne  rosier 
Amatj 

das  auf  Fol.  227—228  und  293  im  Fascikel  V  und  VTI, 

(Amours  gut  si  me  maistrie 
Solem  tustitiae 
Solem^ 
das  auf  Fol.  326  und  390  im  Fascikel  VII  und  VIII  vorkommt. 
Leider  wird  die  Behauptung  Coussemaker^s  unhaltbar  dadurch, 
daß  sich  gleiche  Kompositionen  auch  innerhalb  eines  und  des- 
selben Fascikels  vorfinden.    Das  hat  statt  im  V.  Fascikel^  und 
zwar: 

He^  Marotele,  allons 

En  la  prairie  Robins 

Aptatur  auf  FoL  112—113  und  198—199, 

En  maij  quant  rose 

Quant  vai  le  dou  tans 

Latus  auf  FoL  167—168  und  203—204, 

möglicher  Weise  auch : 

p  1       (  Q^e  ferai  biaus  sire  j    „  ,        Que  ferai^  biau  Diex 

1 1 5_1 16  1  -^^  P^^  failUr  \  ^^l^xi^ '  -^^  P^^^  faillir  ä  hounour 

\  Descendentibus  )  l  Descendentibus, 


I Q  Oswald  Koller, 


Dennoch  sind  die  yorgebrachten  Gründe  wichtig  genug,  um  die 
Frage,  ob  der  Kodex  ein  einheitliches  Werk  sei  oder  nicht,  mit  voller 
Gründlichkeit  zu  prüfen.  Es  ist  möglich,  daß  die  Untersuchung  ältere 
und  jüngere  Bestandtheile  nachweist,  die  vom  Kopisten  in  einen 
Kodex  zusammengeschrieben  wurden,  und  dann  wird  man  nicht,  wie 
Coussemaker  thut,  summarische  Resultate  aus  dem  ganzen  Manuskript 
ziehen  dürfen.  Coussemaker  scheint  eine  solche  Verschiedenheit  der 
einzelnen  Bestandtheile  geahnt  zu  haben;  wenigstens  macht  er  pag. 
127  darauf  aufmerksam,  daß  die  Notation  des  VH.  und  Vm.  Fas- 
cikels  einen  ganz  andern  Charakter  habe,  als  die  der  Torangehenden 
und  daß  sie  durchaus  der  Franconischen  Doktrin  entspreche.  Er 
weist  auch  darauf  hin,  daß  die  Notation  der  Fascikel  IV,  V  und  VI 
eine  solche  ist,  wie  sie  von  Odington  als  Manier  einer  älteren  Schule 
getadelt  wird.  Das  wäre  ein  wichtiger  Fingerzeig,  daß  die  ver- 
schiedenen Fascikel  ungleichen  Alters  sind.  Was  thut  aber  Cousse- 
maker? Er  schreibt  dennoch  wohlgemuth  die  Stücke  Fol.  88 — 89 
und  98—99  (Nr.  XVII  und  XVDI  der  Facsimiles),  die  dem  IV.  Faa- 
cikel  angehören,  Franco  von  Köln  zu. 

Bei  so  bewandten  Umständen  ist  es,  bevor  man  gesicherte  Re- 
sultate aus  dem  Kodex  von  Montpellier  ziehen  kann,  unumgänglich 
nothwendig,  vorerst  die  Frage  zu  entscheiden:  Sind  die  ver- 
schiedenen Fascikel  des  Kodex  von  Montpellier  gleich- 
altrig und  gleichartig  oder  enthält  der  Kodex  ältere  und 
jüngere  Bestandtheile? 


III. 

Das  Material,  das  zur  Forschung  vorliegt,  sind  die  51  Stücke, 
die  von  Coussemaker  herausgegeben  worden  sind.  Hiervon  ist  in 
Abrechnung  zu  bringen  Nr.  XX,  der  Canon  Sumer  is  icumen  in  aus 
einer  Handschrift  des  British  Museum  ;i  es  bleiben  somit  noch  50 
Kompositionen  übrig. 

Bei  allen  ist  angegeben,  auf  welchem  Blatte  der  Handschrift  sie 
sich  finden,  nur  nicht  bei  den  beiden  ersten  Stücken  Alleluja  und 
Posui  adjutorium.  Da  sie  aber  partiturartig  notiert  sind  und  da  sich 
nach  dem  Index  ein  Alleluja  nur  auf  Fol.  9  und  16,  ein  Posui  nur 
auf  Fol.  17  b  vorfindet,  so  gehören  diese  beiden  Stücke  zweifellos 
dem  ersten  Fascikel  an. 


Vergl.  hierüber  ausführlich  Adler  in  dieser  Zeitschrift  11,  302  ff. 


Der  Liederkodex  Ton  Montpellier. 


11 


Eb  sind  an  Beispielen  vorhanden: 
aus  dem    L  Fase.  Nr.  1.  2.  3.  45.    . 


»    n. 

« 

0 

»  m. 

» 

» 

»  IV. 

» 

» 

»      V. 

» 

]» 

.  VI. 

» 

j) 

t  vn. 

» 

» 

vm. 


42.  43.  44.  46.  47.  48 

4.  7.   9.   37.    .    .    . 

5.  6.  8.    14.   17.    18 
15.  26.  29.   30.  33 

31.  32 

10.   11.  12.  13.   16.  24.  25.  27. 

34.  35.  36.   39.  40 

19.   21.  22.  23.   38.  41  ...    . 


49.  50.  51 


28 


4 

Stück. 

9 

» 

4 

u 

6 

» 

5 

» 

2 

» 

14 

» 

6 

» 

Zusammen  50  Stück. 
Die  Auswahl  ist  insofern  genügend,  als  alle  Fascikel  durch  Bei- 
spiele vertreten  erscheinen  und  auch  die  Beispiele  aus  dem  VII.  Fas- 
cikel derart  gewählt  sind,  daß   auch  der  erste  Nachtrag  durch   ein 
Beispiel  (Nr.  XXXV  Fol.  324—325)  und  der  zweite  Nachtrag  durch 
zwei  Beispiele  (Nr.  XL  Fol.  334  und  Nr.  XXV  Fol.  346)  vertreten 
ist.    Nachdem  der  ganze  Kode:^  340  Stücke  enthält,  so  repräsentieren 
die  Beispiele  beinahe  15  Proc.   des  gesammten  Materials.     Der  pro- 
centuale  Antheil  der  einzebien  Fascikel  an  Beispielen  ist  jedoch  ein 
höchst  ungleichmäßiger. 
Es  sind  repräsentiert: 
die  17  Stücke  des     I.  Fascikels  durch  4  Beispiele,  d.  i.  23,5  Froc. 


»  17 

» 

»    n. 

» 

» 

9 

» 

» 

53,0 

» 

»  13 

» 

»  III. 

n 

« 

4 

» 

»J 

30,8 

9 

»  22 

9 

«  IV. 

)) 

n 

6 

D 

» 

27,2 

» 

»  105 

Ji 

»   V. 

9 

i) 

5 

» 

n 

4,8 

» 

»  75 

1> 

y>     VI. 

» 

n 

2 

» 

n 

2,6 

» 

»  48 

» 

«  VII. 

)) 

)) 

14 

» 

D 

29,0 

» 

9     43 

» 

»vm. 

» 

» 

6 

» 

» 

14,0 

» 

340 


50 


Der  Procentualsatz  des  V.  und  VI.  Fascikels  ist  also  ein  sehr 
ungünstiger,  und  es  bleibt  dahingestellt,  ob  die  für  diese  beiden 
Fascikel  ermittelten  Resultate  genügende  Sicherheit  bieten  werden. 
Unvergleichlich  bevorzugt  ist  der  II.  Fascikel;  auch  der  I..  IIL,  IV. 
und  vn.  sind  mit  Beispielen  genügend  belegt.  Die  Beispielzahl  des 
vm.  Fascikels  entspricht  dem  procentualen  Durchschnitt  der  Ge- 
sammtzahl. 

Nachdem  in  den  meisten  Beispielen  des  Kodex  von  Montpellier 
die  Notation  noch  sehr  vom  Modus  abhängig  ist,  die  Zahl  und  Be- 
zeichnung der  Modi  jedoch  bei  den  verschiedenen  Theoretikern  ver- 
schieden   ist  —  secundum  Pranconem  quinque,   secundum  antiquiores 


12 


Oswald  Koller, 


sex,  nach  Pseudo- Aristoteles  sogar  neun  —  erscheint  es  angemessen, 
zuvor  eine  Übersicht  derselben  zu  geben: 

Discantns 

Modus:  .       -^risto-     Anonymus    ^IL^^i.      Franco: 

teles :  quartus :    Anonym.  YII. 

Odington : 

lauter  longae  (moloss.}  .    .    .  primua  quintus  quintus  prtmus 

longa  bretfis  (troch.)    ....  secundus  primus  prtmus  primus 

brems  longa  (iamb.)    ....  tertius  secundus  secundtis  secundtis 

longa  brevis  brevis  (dactyl.)  .  quartus  tertius  tertius  tertius 

brevis  brevis  longa  (anap.)    .  —  quartus  quartus  quartus 

lauter  breves  u,  semibreves    .  —  —  sextus  quintus 

brevis,  longa,  brevis  brevis  longa  quintus  —  —  — 

longa  j   duae  semibreves ,   duae 

breves,  longa sextus  —  —  — 

lauter  breves septimus  sexfus  —  — 

semibreves  aeqtcales octavus  —  —  — 

semibreves  inaequales  ....  nonus  —  —  — 

Zwei  Merkmale,  die  sofort  in  die  Augen  springen,  geben  Anlaß 
zu  einer  vorläufigen  Klassificierung  der  Fascikel;  das  sind  die  No- 
tation des  ersten  Franconischen  Modus  und  die  Geltung  der  binären 
Ligatur  cum  proprietate  et  perfectione. 

Die  Notation  der  ersten,  aus  lauter  longae  bestehenden  Art  des 
ersten  Franconischen  Modus  nach  Franco,  Odington,^  dem  Pseudo- 
nymen Aristoteles  2  und  dem  Anonymus  quartus  «^  besteht  darin,  daß 
er  ohne  Ligaturen  notiert  wird.     Doch  war  früher  auch  eine  andere 

1  Quintus  modus  nan  ligatuTj  quia  est  ex  omnibus  hngis.  Scrtptorum  de  mttsica 
medii  aevi  novo  series  ed.  Coussemaker  I,  245.  (Ich  bezeichne  im  Folgenden  diese 
Sammlung  immer  mit  SS.) 

2  SS.  I,  279.  Ex  hoc  patet  igitur 

Quod  nunquam  comprimitur 
in  ligaturis, 

Sed  liber  excipUur 

Et  tolus  non  patitur 

Unquam  a  pressuris; 

Regit  et  non  regitur, 

Imperans  non  utitur 

Aliorum  curis. 
Das  merkwürdige  versificierte  Stück  über  die  modi  bei  Aristoteles  ist  vielleicht  ein 
Einschub  aus  einem  andern  Traktate. 

8  SS.  I,  347.  Principium  quinti  perfeeti  proeedit  per  longas  sine  junctione. 
Jedoch :  Alius  ordo  est  per  tres  ligatas  cum  proprietate  et  perfectione  et  una  longa 
pausatiofie,  Sed  usus  quidem  est  in  tenoribus  discantuum  sive  moteUorum,  et  hoc 
propter  pülchritudinem  punctandi  propter  regulam  quamdam:  quod  possumus  coti- 
f'ungere,  non  disfungatur. 


Der  Liederkodex  von  Montpellier.  ]  3 


ligierte  Notationsart  in  Geltung,  wie  Odington^  und  der  Anonymus 
quartus^  mittheüen  und  die  Franco  eifrig  befehdet.  ^  Diese  andere 
Art  der  Notation  findet  sich  bei  Garlandia.  In  seinem  ersten  Traktat 
De  musica  mensurabüi  positio  SS.  I,  101  sagt  er  von  diesem  (nach 
seiner  Bezeichnung  fünften]  Modus :  » Tres  cum  proprietate  et  per- 
fecHone  et  cum  longa  pausatione  et  hoc  fit  causa  brevttatis.  Et  non 
proprie  sumitur  ita^  aed  usus,  ut  ita  in  tenoribus  accipiatur.a  Und  in 
dem  zweiten  Traktate  De  musica  mensurabili  SS.  I,  179  wiederholt  er 
beinahe  wörtlich :  Tres  et  tres  ligate  cum  proprietate  et  perfecta  cum 
longa  pausatione;  et  hoc  fit  causa  brevitatis  et  non  proprie  dicitur  ita 
sed  utendum  est,  quod  interioribiAs  motetorum  accipitur.  Erwägt  man 
nun,  daß  Garlandia  SS.  I,  116  auch  Ferotinus  erwähnt,  so  ist  die 
Geschichte  der  Notation  des  ersten  Modus  klar:  Zu  Zeiten  Ferotins 
und  Grarlandia's,  die  zeitlich  nicht  weit  von  einander  abstehen  können, 
wurde  der  fünfte  Modus  noch  ligiert ;  zu  des  letzteren  Zeit  kam  all- 
mählich auch  die  nicht  ligierte  Notation  in  Schwang;  sie  wurde  zu 
Zeiten  Aristoteles'  und  des  Anonymus  quartus  die  alleinherrschende 
und  die  ältere  Weise  von  Franco  und  Odington  unbedingt  ver- 
worfen. 

Finden  sich  nun  im  Kodex  von  Montpellier  Stücke  dieses  Modus 
ligiert,  so  ist  es  ein  Zeichen,  daß  sie  der  altern  Notation  angehören, 
findet  sich  der  Modus  nicht  ligiert,  so  ist  es  die  Notation  der  späteren 
Franconischen  Periode. 

Im  Kodex  von  Montpellier  sind  nach  diesem  Modus  notiert  ohne 
Ligaturen :  * 

1  SS.  I,  245.  Invenitur  tarnen  aliquando  in  certis  tenoribtta,  übt  non  eti  diffi- 
cuUas. 

'^  SS.  I,  333.  Iterato  fuerunt  quidam  antiqui,  qui  antiquitus  solebant  elangare 
ill(u  tres  longas  conjunctim  cum  sua  longa  pausatione,  quare  ponehant  juxta  mate^ 
riaUm  signationem  tres  hgat<u  pro  tribus  iongis,  quamvts  sit  ista  ligatura  contra 
Ugatas  tres  in  aliis  modis  .aniecedentibus  ei  postpositis:  sed  nullus  hoc  potuit  cogno^ 
scere  nisi  juxta  armonicam  considerationetn  superius  sibi  affributam.  JEt  iste  modus 
irium  supradictorum  et  modus  notandi  conjunctim  in  inferioribus  et  in  primis  in 
tenoribus,  sed  di^unctim  in  inferioribus  et  in  superioribus ,  et  hoc  ab  illo  tempore, 
quo  homines  incipiebant  tdlia  cognoscere,  veluti  in  temporibus  Perotini  magni  et 
a  tempore  antecessorum  suorum.  Et  in  quantum\  distabat  ante  ipsos,  minus  erat 
eognitio  talium,  sed  taniummodo  operahantur  juxta  relationem  inferius  ad  superius^ 
superius  ad  inferius  et  hoc  juxta  sex  concordantias  armonice  sumptas.  Et  satis 
sufßeiebat  tunc  iemporis  eis.  Et  non  erat  mirum,  quia  paucis  modis  tUebantur  juxta 
diversitaies  ordinum  supradictorum, 

3  SS.  1,  128.  Ex  quo  sequitur,  quod  vehementer  errant,  qui  tres  longas  aliqua 
oecasione,  ut  in  tenoribus,  invicem  ligant, 

*  Der  Kürze  halber  bezeichne  ich  durch  die  römiBche  Ziffer  den  Fascikel, 
durch  den  Index  die  Nummer,  welche  das  betreffende  Stack  in  der  Ooussemaker- 
sehen  Beispielsammlung  trägt.    In  IV 17  und  YIIio  gehört  die  erste  Hälfte  des 


\  4  Oswald  Koller, 


die  Tenore  von  1 1.2.4*.  1142.49.  VII  loa.  11. 13. ».  S4.  Vin4i. 

zum  Theil  mit,  zum  Theil  ohne  Ligaturen  1X43.44.4«. 

mit  Ligaturen  1114.37.  IVg.  14. 17».  is.  Vi*.  26. 
Außerhalb  der  Tenore  kommt  dieser  Modus  nicht  Tor.  Es  ge- 
hören also  die  Fascikel  III  IV  V  der  altem  Notation,  I,  VII,  VIII 
der  neueren  Notation  an.  Der  Fascikel  11  zeigt  beiderlei  Notations-» 
weisen;  in  II 49  konnte  keine  Ligatur  angewendet  werden,  da  der 
Tenor  aus  duplices  longae  besteht;  II 42  ist  dagegen  in  Franconischem 
Sinne  notiert.  Es  dürfte  also  die  Notation  des  zweiten  Fascikels  in 
die  Übergangszeit  von  der  älteren  zur  neueren  Schreibweise  gehören. 
Diese  strenge  Scheidung  einer  älteren  und  jüngeren  Gruppe  zeigt 
sich  auch  bei  der  andern  Art  des  ersten  Modus.  Jacobsthal  hat  be- 
züglich Garlandia's^  und  Aristoteles ^  nachgewiesen,  daß  die  temäre 
Ligatur  cum  proprietate  et  perfectione  in  Terschiedenen  Modis  ver- 
schiedene Geltung  hat. 

öie  gilt  nach  Franco      nach  Garlandia         nach  Aristoteles 

,  -^      ,  ,  .         y.   ^       longa  imperfecta, 

im  ersten  und  zweiten  )  7.—^-  -^-..v-^^^*^  ^         ^   ^        / 


Franconischen  Modus 

im  dritten  und  vierten 
Franconischen  Modus 


immer        9^      P  J^  ^   brevisrecta,  longa 
brevis       ^^^'  ^^S"  imperfecta 

brevis    ,       .        .     »      .   brevis  recta,  brevis 
7  brems  recta,  brevts        7 .         7 

longa  ,^         ,'  altera,  longa 

altera,  hftga  ^^^^^^ 

Die  abweichende  Geltung  dieser  Ligatur  findet  sich  im  ersten  und 
zweiten  Modus. 

In  Vniob.27.39.  Vni21.22.23  haben  diese  Ligaturen  durchaus 
Franconischen  Werth. 

In  1148.51.  IVe.  17b.  V29.30.  VI31.32  haben  diese  Ligaturen  durchaus 
den  Werth,  der  ihnen  nach  Garlandia  und  Aristoteles  zukommt  und 
der  von  Odington^  getadelt  wird.  Es  weist  also  auch  hier  der  VH. 
und  Vni.  Fascikel  eine  neuere,  der  11.,  IV.,  V.  und  VI.  eine  ältere 
Notationsweise  auf. 

Die  Bedeutung  Franco's  liegt  vorzugsweise  in  der  durch  ihn  her- 
vorgerufenen Umwälzung  in  der  Notenschrift;  seine  groBe  Neuerung 


Tenors  der  ersten,  die  zweite  Hälfte  des  Tenors  der  zweiten  Art  des  ersten  Franco- 
nischen Modus  {modus  quinttts  und  prxmus  nach  Garlandia's  Bezeichnung)  an.  Ich 
bezeichne  diese  Verschiedenheit  durch  a  und  b. 

1  Die  Mensuralnotenschrift  des  zwölften  und  dreizehnten  Jahrhunderts.  Berlin 
1871.  S.  61,  65. 

>  Ebendas.  S.  77. 

3  SS.  I,  244.  AUi  in  isto  modo  faciunt  trinariam  ligaturam  cum  proprietate 
et  binariam  similiter  et 'sie  in  temaria  proprietas  longa,  in  hinaria  brevis  est.  Quod 
ego  relinquo  tamquam  indeeens  et  rationi  dissonum. 


Der  Liederkodez  Ton  Montpellier.  ]  5 


bestand  darin,  daß  er,  während  bei  Garlandia  und  Aristoteles  der 
Werth  der  Ligatur  noch  von  dem  Modus  abhängt,  denselben  nicht 
Toni  Modus,  sondern  von  der  Gestalt  abhängig  machte,  so  daß  eine 
Ligatur  ihren  Werth  in  allen  Modis  unverändert  beibehielt.  Dies 
wichtige  Ereigniß  merkt  auch  der  Anonymus  quartus  in  der  musik- 
historischen Stelle  SS.  I  342  an:    Libri  Perotini erant  in  usu 

usque  in  tempus  magistri  Pranconis  primi  et  alteritis  magistri  Pran- 
conis  de  Coloma^  qui  inceperunt  in  suis  libris  aliter  pro  parte 
notare. 

Ein  zweites  Kriterium  für  die  Scheidung  älterer  und  jüngerer 
Bestandtheile  bildet  die  Geltung  der  ligatura  binaria  cum  proprietate 
perfecta.  Bei  Franco  gilt  sie  unbestritten  brevis  longa;  doch  hat  auch 
sie  früher  wechselnde  Geltung  gehabt.  So  sagt  Odington  ^  vom  dritten 
und  vierten  Modus:  In  binaria  autem  ligatura  omnes  tettent  breves, 
donec  temaria,  vel  longa  vel  longa  pausa  sequatur.  Die  beiden  Breves 
des  daktylischen  Rhythmengeschlechtes  sind  die  zwei  Senkungen  des 
Versfußes,  die  Geltung  somit  bretis  recta,  brevis  altera 


3  temp,    1  temp.   2  temp.   3  temp. 
brevis      brevis 
recta      altera. 

Der  Anonymus  quartus^  sagt  hierüber:  üha  longa  supra  syllabam^ 
due  ligate  supra  alteram  syllabam,  si  brevis '  longa  sequaiur,  equipollent 
tribus  Ugatis  cum  proprietate  et  sine  perfecUone^  d.  h.  longa  ^  brevis, 
brevis  altera, 

Ligatur 
Z.  vi/  v./  JL 

brevis    brevis 
recta    altera. 

Aristoteles  sagt  von  dieser  Ligatur:^  Prima  recta  brevis  est,  secunda 
vero  longa  imperfecta^  ut  manifeste  patet  in  quarto  quinto  et  sexto 
modo,  tarn  supra  litter  am  quam  sine.  In  secundo  tarnen  modo,  tertio 
et  septimo  ambe  pronuntiantur  equales  tantummodo  supra  litteram,  nisi 
longa  precedat.  In  den  daktylischen  und  den  damit  verwandten 
Rhythmen  {modus  quartus,    quintus  et  sextus)  gelten  also  die  Noten 


i  SS.  I,  245. 

«  SS.  I,  343. 

<  Soll  wohl  heißen  n  longa  sequatur;   es  ist  daktylischer  Rhythmus  gemeint. 

«  SS.  I,  273. 


\  ß  Oswald  Koller, 


1  und  2  tempora,  es  sind  wiederum  die  beiden  Senkungen,^  die  jedoch 
vorher  von  Odington  als  brevis  recta  und  altera  gefaßt  wurden. 

Ligatur 

d.       z — ^— :?       j_ 

3  temp,    itemp.    2  temp.    3  temp, 
brevis      longa 
recta      imperf. 

Im  dreizeitigen  Rhythmengeschlecht  (modus  secundus,  tertitcs,  septi- 
mus)  haben  zwei  Senkungen  neben  einander  keinen  Raum.  Die  An- 
führung des  trochäischen  und  iambischen  Rhythmus  kann  also  nur  so 
verstanden  werden,  daß  die  betonte  Länge  in  zwei  Kürzen,  Trochäen 
und  lamben  in  Tribrachen  aufgelöst  sind,^  ein  Fall,  der  im  Kodex 
von  Montpellier  mehrfach  beobachtet  werden  kann.  Hier  kann  der 
Accent  entweder  auf  der  ersten  oder  auf  der  zweiten  Note  der  L^atur 
stehen,  es  können  auch  beide  Noten  unbetont  sein: 

\l;     \j     \j     \!j  •        \!j     \^     \j     \L/  *        \!j    \^     \J    \Ij 


Ligatur  Ligatur  Ligatur 

Dasselbe  kann  natürlich  auch  im  daktylischen  Rhythmengeschlecht 
statthaben,  wenn  die  zweizeitige  Senkung  des  Daktylus  oder  Anapästes 
in  zwei  einzeitige  aufgelöst  wird.  Die  erste  Senkung  des  Daktylus 
hat  als  Anfang  einer  Perfektion  einen  Nebenaccent: 

JL     '^     \J    \j     J^  *        ,_1_     vi/     N-/     w     i_^  •        ^     '^     \J    \^     \Sy 


Ligatur  Ligatur  Ligatur 

Es  kann  somit  die  Ligatur  gelten : 
I.  Zwei  breves  rectae,  fallend  betont,  steigend  betont  oder  unbetont, 
sowohl  im  iambischen  als  im  daktylischen  Rhythmengeschlecht 

^  ^}     "^  ^1     ^  ^    (=1  tempus,  1   tempus). 

II.  Brevis   recta  j    brevis    altera  y    nur    im    daktylischen    Rhythmen- 
geschlecht und  nur  fallend  betont 


^ 


1  temp.   2  temp. 

m.  Brevis  recta,  longa  —  die  gewöhnliche  Franconische  Geltung  — , 
steigend  betont  in  beiden  Rhythmengeschlechtem ,  fallend  nur 
im  iambischen. 


^  Daß  die  Longa  nicht  die  Hebung  des  Daktylus  oder  Anapästes  sein  kann, 
bezeugt  die  ausdrückliche  Bestimmung,  daß  sie  imperfekt  ist. 

^  Geht  eine  Longa  voran,  so  muß,  damit  ein  trochäisches  Metrum  gewonnen 
werden  kann,  die  zweite  Tsote  der  Ligatur  longa  sein. 


Der  Liedotkodez  von  Montpellier.  \'J 


lambisch-trochäisch:     ^i^-v^-;      J-    \j  .J,' 

Ligatur  Ligatur 

Daktylisch -anapästisch:     ^^    ^   '^    J^ 

Ligatur 

lY.   Brevis  altera,  limga,   nur  im  daktylischen  Rhythmengeschlecht, 
mit  der  zweizeitigen  Senkung  beginnend,  nur  steigend  betont: 

Ligatur 


•  ' — 


1  temp.  2  iemp. 

Alle  diese  Formen  kommen  auch  im  Kodex  von  Montpellier  vor 
I.  Zwei  breves  rectae. 
aj  Beide  unbetont: 

Im  iambischen  Rhythmus:  ^  Ii  (2)  II43  (1)  1147  (19)  II50  (13) 
m,  (22)  IHo  (28)  III37  (1)  IViT  (1)  V30  (2)  V33  (14)  —  'zu- 
sammen 103  mal. 
Im  daktylischen  Rhythmus:  1144(1)  1146(2)  1149(1)  IV5  (6) 
IV18  (1)  Vis  (11)  2  V26  (l)  —  zusammen  23  mal. 

b)  Fallend  betont: 

Im  iambischen  Rhythmus:  II 43  (6)  1147  (2)  II 45  (4)  IIsi  (4) 
ni9  (1)  m37  (2)  IVe  (5)  IVg  (9)  IV14  (4)  IVi7  (2)  \^  (14) 
V30  (5)  VI31  (6)  VI32  (9)  —  zusammen  73  mal. 

Im  daktylischen  Rhythmus:  1143  (1)  II «  (1)  II 50  (0  +  1)  — 
zusammen  3  mal. 

c)  Steigend  betont: 

Im    iambischen   Rhythmus:    1117(1)  Vjo  (1)    —  zusammen 

2  mal. 
Im  daktylischen  Rhythmus:  V15  (1)  —  zusammen  Imal. 

II.  Brevü  rectaj  brevis  altera,  daktylisch,  fallend  betont: 

II44  (14  +  3)  n46  (12)  II47  (0  +  3)»  II49  (6)  n«,  (0  +  2) 
m4  (10)  m7  (0  +  7)  nie  (O  +  4)  IV5  (20)  Y^  (5)  —.zu- 
sammen 86  mal. 


1  Die  neben  der  Bezeichnung  des  Stückes  eingeklammerte  Zahl  bezeichnet, 
wie  oft  die  Ligatur  in  demselben  vorkommt.  Wo  zwei  durch  das  Pluszeichen  yer- 
bundene  Ziffern  stehen,  bezeichnet,  die  erste  die  Häufigkeit,  des  Vorkommens  in  d^ 
diskantierenden  Stimmen,  die  zweite  im  Tenor.   Die  Ligatur  erscheint  gar  ni'cht  in 

I  3  Vit  lt.  12.  Id.  34.  36.  38  Vin  88.  41. 

^  Ich  fasse  auch  den  Aristotelischen  modus  quintus  und  aextus^  als  mit  dem 
daktylischen  Bhythmus  verwandt,  mit  diesem  zusammen. 

^  In  1147  IIso  ni7  III9  ist  der  Tenor,  daktylisch,  die  übrigen  Stimmen  iam- 
bisch -troch&isch.  ' 

1888.  2 


18 


Oswald  Koller, 


III.  Brevis  recta,  longa. 

a)  Fallend  betont,  nur  iambisch: 

ii  (34)  I2  (88)  n«  (1)  n43  (2)  n47  {2)  n^  (i)  iVh  (i) 

IVn  (0  +  15)  V30  (0  +  2)  V33  (0  +  13)  VHas  (2  +  10) 
VIIjs  (0  +  10)  VII39  (0  +  28)  Vn4o  (0  +  7)  —  zusammen 
216  mal. 

b)  Steigend  betont : 

Im  iambischen  Rhythmus:    Ii  (9)    I2  (129)    1142(1)    1150  (l) 

Hsi  (1  +  10)  ni37  (1)  IVe  (2  +  22)  V29  (5  +  15)  V30  (4  +  6) 

•VI31  (0  +  4)    VI32  (0  +  3)    VHio  (0  +  9)    VHis  (0  +  4) 

vn27  (0  -+-  6)  vnii9  (0  +  s)  vin2i  (6 + 4)  TOin  (6  +  lej 

Vni23  (0  +  20)  —  zusammen  292  mal. 
Im  daktylischen  Rhythmus:    IIso  (0  +  1)    IVig  (2)    V15  (1) 
V26  (1)   VIIis  (1)  —  zusammen  6  mal. 

IV.  Brevis  altera,  longa^  fallend  betont,  nur  daktylisch; 

I45  (10)  'II47  (0  +  2)   Hso  (0  +  2)    m7  (0  +  5)   HI»  (0  +  4) 
IV5  (0  +  4)  —  zusammen  2  7  mal. 
y.  Endlich  gilt  die  Ligatur  sogar  longa  brevis^   und  zwar  4  mal  im 
Tenor  von  VI 32.     So  sonderbar   auch  dieser  Werth  scheint,  so 
muß  man  ihn  doch  gelten  lassen,  da  SS.  I,  101  der  Tenor  von 
VI  32   als  Beispiel   zum   ersten   Modus  von  Garlandia   genau    so 
notiert   ist    (jedoch    mit  der  falschen  Textbezeichnung  Angelus 
statt  Balaam),^ 
Es  ergiebt  sich  folgende  Übersicht : 


Fascikel 

I 

n 

UI 

IV 

Y 

VI 

vn 

vm 

la.  Zwei  unbetonte  brevea  rectae    .     .    . 

1  b.  Zwei  breves  reciae  fallend  betont .    . 

Ig.  Zwei  breves  rectae  steigend  betont    . 

II.     Brevis  recta,  brevis  altera     .... 

lila.  Brevis  recta,  longa,  fallend  betont    . 

III b.  Brevis  recta,  longa,  steigend  betont  . 

IV.     Brevis  altera,  longa 

V.     Jjonaa  brevis 

2 

122 

138 
10 

37 
19 

40 
6 

14 
4 

51 
3 

21 

1 
9 

8 
20 

1 
20 
16 
26 

4 

28 

19 

2 

5 

15 
32 

15 

7 
4 

57 
20 

60 

Daraus  geht  hervor,  daß  im  VII.  und  VIII.  Fascikel  die  Geltung 
der  Ligatur  ausschließlich  brevis  longa  ist;  auch  im  ersten  Fascikel 
kommen  auf  270  Fälle  eben  dieser  Geltung  nur  zwei,  wq  die  Ligatur 


i  Dieselbe  falsche  Textangabe  begegnet  auch  in  der  iweiten  Redaktion  des 
Gailandia's^en  Traktates  SS.  I,  179,  jedoch  ohne  die  sonderbare  Geltung  der 
Ligatur. 


Der  Liederkodex  von  Montpellier. 


19 


die  Geltung  brevU  hretis  hat.  Und  nachdem  später  gerade  die  Stelle, 
wo  diese  beiden  Fälle  vorkommen,  als  IJberrest  einer  altem  Notation 
nachgewiesen  werden  virird,  so  kann  man  auch  hier  die  acht  Fascikel 
in  zwei  Gruppen  gliedern:  Im  I.,  YII.  und  VUUL.  Fascikel  hat  die 
Ligatur  nur  den  Franconischen  Werth  href)i8  longa^  im  11.,  HI.,  lY., 
y.  und  VI.  Fascikel  außer  diesem  noch  den  Werth  brems  brems.  Somit 
giebt  das  wieder  einen  Beweis»  daß  die  Niederschrift  der  Fascikel  I, 
YII,  Vm  neueren  Ursprungs,  die  der  übrigen  weit  älter  ist.  In  den 
älteren  Fascikeln  hat  die  Ligatur  noch  eine  Menge  von  Geltungs-  und 
Betonungsaiten,  die  nach  und  nach  schwindet.  In  der  unsweifelhaft 
Franconischen  Epoche  (VIII.  Fascikel)  hat  sie  nur  mehr  eine  einzige 
Geltung  —  bref>i$  longa\  und  nur  eine  einzige  Betonungsart  —  den 
Accent  auf  der  zweiten  Note. 

Vergleicht  man  in  den  fünf  altem  Fascikeln  das  Vorkommen 
der  beiden  Werthe  der  Ligatur  in  Bezug  auf  die  Vertheilung  auf  den 
Tenor  und  die  diskantierenden  Stimmen,  so  gelangt  man  zu  folgen- 
dem Resultate: 

Es  gilt  die  Ligatur 


in  den  diskantierenden 
Stimmen 

im  Tenor 

hrevxB  hrevis 

brevis  Umga 

hrevis  hrevis 

hrevis  longa 

Im  n.  Fascikel 

87 

9 

9 

15 

»  III. 

64 

1 

11 

9 

»  IV. 

49 

5 

— 

41 

»    V. 

54 

11 

— . 

36 

»  VL 

16 

— 

• 

7 

Es  überwiegt  die  Geltung  brems  brevis  in  den  diskantierenden 
Stimmen,  die  Geltung  brevis  longa  im  Tenor.  Im  VI.  Fascikel  gilt 
in  den  diskantierenden  Stinuuen  die  Ligatur  ausschließlich  brevis 
brevis^  beinahe  ebenso  im  III.  Fase,  wo  nur  ein  einziges  Mal,  wo 
die  SchluBnote  der  Ligatur  zugleich  Schlußnote  des  ganzen  Stücks 
ist,  diese  Ligatur  den  Wert  brevis  longa  aufweist.  Es  bilden  die 
hreves  longae  in  den  Diskantstimmen  im  IE.  und  IV.  Fase,  nur  9  Proc, 
im  V.  Fase.  17  Pioc,  während  sie  im  Tenor  im  III.  Fase.  45  Proc, 
im  IL  62  Proc,  im  IV.,  V.  und  VL  100  Proc.  ausmachen. 

Es  dürfte  also  die  Annahme  gerechtfertigt  sein,  daß  diese  Ligatur 
ursprünglich  nur  brevis  brevis  galt  und  daß  erst  durch  den  Einfluß 
der  Tenornotation  die  Geltung  brevis  longa,  die  dann  in  der  Franco- 
nischen Epoche  ausschließende  Geltung  erlangte,  eingedrungen  ist. 
Bekanntlich  statuieren  die  älteren  Theoretiker  einen  Unterschied  in 

2* 


20  Oswald  JLoller, 


der  Notation  cum  UUera  et  sine  littera.  *  Erwägt  man,  daß  der  Tenor 
nach  Bedarf  des  Metrums  in  verschiedene  Notengruppen  zerlegt 
wird  [man  beachte  z.  B.  die  Terschiedenen  Formationen  des  Angelus, 
Regnat,  Balaam  bei  Garlandia  SS.  I  101  und  179),  so  kann  man 
»ich  des  Gedankens  nicht  erwehren,  daß  der  Tenor  nicht  mit  Text 
{cum  littera)  gesungen,  sondern  vielmehr  solfeggiert  oder  vielleicht 
auf  einem  Instrument  mitgespielt  wurde.  ^  Wie  soll  man  sich  die 
Tenore  von  VII 24  oder  VII 40  vorgetragen  denken,  wenn  nicht  etwa 
mit  einem  Pes  nach  Art  des  Sumercanons;  dann  müßte  aber  doch 
ein  entsprechender  Text  vorhanden  sein.  . 

Woher  die  verschiedene  Geltung  der  Ligatur?  Riemann  '  pag.  205  ff. 
hat  zuerst  die  Zeugnisse  dafür  gesammelt,  daß  der  Alleinherrschaft  des 
Tripeltaktes  die  zweiteilige  Mensur  voranging;  auch  in  der  Notation 
der   älteren  Chansons  ist  der  zweitheilige  Takt  allein  üblich.^    Der 

Daktylus  der  zweitheiligen  Mensur     |  ni  ist  also  f^/.    Sobald  aber 

die  Zweitheiligkeit  der  Perfektion  übergeht  in  die  Dreitheiligkeit,  wird 
die  Figur  des  Daktylus  [\SJ \  das  ist  genau  das  Verhältniß  von  longa 

perfecta^  brevis  recta  et  altera  [longa  imperfecta).  Es  mag  also  zur 
Zeit  der  Zweitheiligkeit  die  Ligatur  ursprünglich  den  Werth  brevis 
brevis  besessen  haben,  beim  Eindringen  der  Dreitheiligkeit*  mißt  dann 


^  Aristoteles  SS.  I,  273.    Prima  recta  brevis  est,  secunda  vero  imperfecta 

tam  supra  literam  qtuwi  sine.  In  secundo  tarnen  modo  tertio  et  septirfio  ambe  pro- 
nuntiantur  equales  tantummodo  supra  literam.  Ebendaselbst  werden  noch 
mehrere  Ligaturen  angeführt,  bei  denen  ausdrücklich  bemerkt  ist,  daß  sie  cum 
litera  et  sine  litera  dieselbe  Geltung  haben. 

Anon.  IV.  SS.  I,  341.  JEt  notandum^  quod  quedam  ßgure  aeeipiuntur  sine  litera 
et  quedam  cum  litera.  Sine  litera  conjunguntur  in  quanium  possunt  vel  poterunt, 
cum  litera  quandoque  sie,  quandoque  non. 

Ibid.  343.    Notandum  est,  quod  differentia  est  dicendo  cum  litera  et  sine  litera^ 

quoniam  sine  litera  fiat  ligatio  punctorum quantum  plus  poterit Cum 

litera  vero  quandoque  fit  ligatio  quandoque  non ;  sed  in  maiori  parte  plus  distrahun- 
tur  quam  ligantur, 

2  Daß  bei  mehrstimmigen  Gesängen  Instrumentalbegleitung  üblich  war,  be« 
weisen  mehrere  Stellen:  Jeronimus  de  Moravia  SS.  I,  15^  aliu»  {modus  teniperandi 
viellas)  necessarius  est  propter  laycos  et  omnes  alios  cantus  (das  werden  wohl  die 
moteta  mit  diskantiereliden  Stimmen  über  einen  weltlichen  Text  in  der  Volkssprache 
sein),  maxime  irreguläres,  qui  frequenter  per  totam  manum  {Ouidanis)  disnurrere 
volunt.  Ibid.  Finaliter  tofnen  est  notandum  ^  quod  in  hac  facultate  est  diffidlius-  et 
solemriius  meliusque,  ut  scilicet  seiatur,  unicuique  sono,  ex  quibus  unaqueque  melodia 
contezitur,  cum  hordunis  (auf  der  tiefsten  Saite  der  ViellaJ  primis  consonantiis  re- 
spondere,  quod  prorsus  facHe  est,  scita  manu  secundaria,  que  scilicet  solum  provectis 
"adhibetur,  et  eius  equante. 

8  Studien  zur  Geschichte  der  Kotenschrift.   Leipzig  1878. 

*  Ebendas.  S.  216. 


Der  Liederlcodex  von  Montpellier. 


21 


pi  3   1  und  2  tempora.     Die  Diskantstimmen,  die  dem  weltlichen, 

volksthümlichen  Gesänge  der  Nationalsprache  entnommen  wurden, 
haben  die  ältere  Notierungsart  derselben  länger  beibehalten,  im  Tenor, 
der  der  gelehrten  Spekulation  näher  lag,  ist  die  Dreitheiügkeit  eher 
eingedrungen. 

Überreste  zweitheiliger  Mensur  scheinen  sich  auch  noch  im 
Kodex  von  Montpellier  erhalten  zu  haben:  Yllie  läßt  sich  nicht  in 
Perfektionen  zu  3  tempora  abtheilen  und  die  in  IV5  öfters  vor- 
kommende Figur   ■  ■  kr  ■  (=  drei  Perfektionen)   läßt  sich   nach 

Franconischer  Theorie  ebenfalls  nicht  befriedigend  erklären,  sondern 
hat  nur  dann  einen  Sinn,  wenn  die  mittlere  Perfektion  nur  zu  zwei 
tempora  gerechnet  wird. 

IV. 

Eine  durchgreifende  Verschiedenheit  weisen  auch  die  übrigen 
Ligaturen  auf.  Ich  gebe  zunächst  das  gesammte  Ligaturenmaterial, 
nach  der  Geltung  geordnet. 

Jüngere  (Franconische) 


Ältere  Notation: 


Notation: 


A.  SBwei  Semibreves. 


1.    y  1148.  49.  51.    IV5.  6.  17.     V15.  29. 

VI31. 


2. 


<n 


43.  44.  46.  47.  48.  51.    HI  4.  7.  87. 
IV5.6.  8.  17. 18.   Vi5.26.  30.    VI 32. 


I3  VIIio.  11.  12.  16.  24.  27.  28.  94.  86.  39. 
Vniig.  20.  2«.  41. 

I2.  3.  45.  Vn  10. 11 .  18. 16. 24.27. 28. 34. 86.  39. 
VIII19.  22.  23.  41. 


1. 

2. 
3. 


5. 


B.    Anflmg  swei  Semibreves,  Schlassnote  longa  ^ 

(cum  opposita  proprietate  et  perfectione} 

^  vn».  '1^  I,. 
'^^  i46.  ^\vn4o. 

■53  vin22.  I^j^vra23.^  vn 

25.40.    Vllljs. 

I 

\  ii.  vin«. 

^2.       ^JUs. 


4.  ^m    rVe  (ein  einziges  Mal). 


24. 


<  Bei  den  Ligaturen  cum  opposita  pröprietcUe  fehlt  in  den  Facsimiles  oft  der 
aufirftrts  gekehrte  Anfangsstrich;    daß  es  Ligaturen  cum  opposita  proprietate  sind, 


22 


Oswald  Koller, 


C.   Anikuig  Bwei  BemibroFee,  flohluBsooto  brevis 

(cum  opposita  proprietate  sine  perfectione}. 

■^   I3.Vni2.28.35.  Vm22.23. 


l.L^Il48.50.ni7.9.IV6.V,3. 

2.yvii...m...v».a,.33.Ä. 
n42.  rvg.  V30. 

3.  ^  HIt. 

4.   !§^   II43.46. 48.   V33. 

5.  Lj5  1I48.80.  in,.«.iv,7.V33. 


6. 


7. 


fs  vn«.  28. 35. «.  vm,«.  [^  I,. 
^"^  vm23. 

^1  JJIa.  V33.VII10.11.1J.14.27.28.34.38.3». 

Vin22.  33.  41. 

L^  i3.vnj5,35.vni4i.^vnjs. 
vm«.  ^^ 

^^  II.  45.  VIIio.  12.  13.  24.  27.  28.  35.  38.  40. 
VIII21.  22.  23. 


^A   II43.5O.  ^^ 

D,   AnfftTiganote  brevlB»  SohlusBnote  longa 

(cum  proprietate  et  perfectione). 


1.  I"  ■  1X42.  43.  47.  50.  61.  IÜt.  9.  37. 
rVs.  (j.  14.  17.  18.  Vis.  26.  29.  30.  33. 
VIsi.  82. 

2 .  ■■  1147. 49. 50.  ni?.  9.  IV5.  V33. 


3.  An47.60.in7.9.IV5.V93."%iIl7. 


4. 


IVi 


5. 


li.  2.  46.    VIIio.  13.  25.  27.  28. 85.  39.  40. 
Vini9.  21.  22.  23. 


^   Il.2.45.B""l2.Vn25. 

B^  vin22.^i5vni22.  ^^.^ 

V1I25.  X^  vn25. 

A   l2.45.Vni3.Vm22."\   VHiS. 

■■^  ii.  2.  J's^  ii.  ^\  vn25. 
^^Svn25. 


beweist  der  rhythmische  Zusammenhang.    Coussemaker  hat  es  in  den  Transskrip- 
tionen  stillschweigend  yerbessert. 


Der  Liederkodex  toh  Montpellier. 


23 


5.  P  II47.  50.  m,.  9.  IVs.  Vj,. 

6.  [^  II47.  60.  HIt.  j.  IVs.  17.  Vs3. 


7.^^  V: 


so. 


15. 


^i2. 45.  i^viite.  vm«.  nsavn 

\ll.2.48.     1^   VHk. 


^ 


vm 


19. 


TSL  AufJangsnote  brevis,  Bohliuanote  breviB 

(cum  proprietate  sine  perfectiione) . 

^    I2.  3.  45.  Vllio.  11.  12. 13. 16.  24.  25.  28.  35. 
36.40.   Vnii9. 22.  23.  41, 


1  •  ^  S  ^i-  ^^'  44.  46.  47.  48.  49.  50.  51. 
ni4.  7.  9.  37.  IV5.  6.  8. 14.  17. 18.  Vi5. 
26. 29.  80.  33.  VI31.  32.  (vgL  pag.  15. 
16). 


2. 


3. 


jp 


33. 


4.  (SPll42.46.48.ni7.IYl8. 

5.  1^  IV,8.  Vjj.  r*^  Ilio. 

6.  r^n43.IIIj7.IVM.17.V2». 


in   ^1-  2-  3-  «•  ^^^  ^»'  VIIlJ.  tj.  28.  34. 
35.  3«.  3»,   VULI19. 21. 22.  23. 

u^hyiii».3s.  t^  ii.  i^^ii. 

ii. 

i..vn,6.2s.  vin28.,^ii.vnia. 


I|.3.    VII13. 16. 25.  28. 3«.  40.    VIH«. 

21.  22.  38.  41. 

II. 


1. 


F.  Anfluiganote  longa»  SeblÜBsnote  longa 

(sine  proprietate  cum  perfeetione) 

Ii. 


2.  BT  Il48;51.    rVe.  17.   V29.3O.  VIst.  32. 


3.  billig.  51.  rVe.  17.  V29.  30.   VI31.  32. 


^  I,. .  n„  vn».  vm^ 


I         II.  2.  1148.  VIIio.  27.  3«.  Vlil21. 22.23. 

^%  vni„. 


24 


Oswald  Koller, 


4.  P*  II48.  M.  IVe.  17.  V29.  so.  VIsi. 

5.  V  IV17. 

6.  1l  V30. 

7.  Pv  n«.  rvi6.  V».  30. 


iQ  VIIIll.  22. 13. 


%    II. 
Ti  ^2-  «•   VIÜll.  23. 


vni2,. 


l.^ll5,.IVi7.Vl3,. 


Q.   Anfiuigsnote  longa,  Sohluasnote  brevis 

(sine  proprietate  et  perfeetione). 

■T I«.  VIIio.  25.  Vmi9. 21.  J^  YlJIn 

I 

^'^  vn25. 
Ni  vm22. 


2.   %    I45.    VIIio.  24. 25. 


Die  jüngere  Notation  stimmt  genau  mit  der  Francönischen 
Theorie,  die  ältere  weicht  in  mancher  Beziehung  davon  ab,  namentlich 
in  den  Gruppen  A,  C,  F.  Wie  gleiche  Notenwerthe  in  der  altem 
und  jüngeren  Notation  verschieden  bezeichnet  wurden,  ist  oben  zu- 
sammengestellt; es  werden  aber  auch  ungleiche  Notenwerthe  durch 
gleiche  Ligaturen  bezeichnet. 


Ältere  Notation. 
13  2  semibr.,  brevis 

llrtL  2  semibr.y  brevia,  brevis 

^^  brevis,  brevis,  longa 
^3  brevis,  brevis,  brevis. 


Jüngere  Notation. 
3  2  semibr.,  longa 

li^l     2  sexnibreyes,  brevis,  longa 

1^^  brevis,  brevis,  brevis 
S  brevis,  brevis,  longa. 


Der  Unterschied  liegt  in  der  SchluBnote;  daraus  folgte  daß  der 
älteren  Notationsweise  wohl  die  proprietas  bekannt  war,  daß  jedoch 
die  perfectio  ein  erst  später  aufgekommener  Begriff  ist,  da  in  der 
altem  Notation  noch  keine  bestimmten  Regeln  für  die  Figuration  der 
letzten  Note  existieren.  Man  vergleiche  darin  D  4  mit  jD  5,  ^  4  mit 
Eh]  hier  hat  die  Schlußnote  verschiedene  Notation  und  doch  den- 
selben Werth.  Umgekehrt  gilt  dieselbe  Gestalt  der  Schlußnote  in 
C  1,  4,  5,  E  h  brevis,  in  Z>  2,  5,  jF2,  4  lonffa,  in  C  2,  3,  7,  Cr  2  brevis, 
in  5  4,  X)  3,  6,  7,  ^^3,  6,  7  lonffa;  in  JS^  2,  4,  Gl  brevis,  in  X)  4  longa. 


Der  Liederkodex  Ton  Montpellier.  25 

Dieselbe  Ligatur  hat  bei  Aristoteles  und  Garlandia  noch  nach 
dem  Modus  verschiedene  Werthe.^  Was  die  Ligaturen  2>  4  und  EA 
anbelangt,  so  ist  zu  beachten,  daß  J)A  ein  einziges  Mal  am  Anfang 
des  Tenors  von  IV5  vorkommt;  bei  der  Wiederholung  derselben 
Stelle  steht  2>5;  es  kann  also  auch  ein  Irrthum  des  Schreibers  sein. 


1  Ausführlich  bei  Jacobathal  p.  61  £f.  und  p.  77.    - 

Chtrlandia  SS.  I,  100.  101.  Prtma  regula  primi  modi  dicitur  esse  tres  ligate  ad 
mvieem  in  principio  . ,  .  ei  hoc  totum  cum  praprietate  et  perfeetione ;  hier  gilt  also 
die  Ligatur  longa  brevis  longa.  Tertius  modtts  probatur  ita  per  Jiguras,  cum  prima 
esi  longa  et  postea  tres  ligate  et  tres  ligate  cum  proprietate  et  perfeetione;  quartus 
modus  sumitur  hie:  tres  et  tres  cum  proprietate  et  perfeetione;  hier  gilt  also  die- 
selbe Ligatur  brevis  reeta,  brevis  altera,  longa. 

Ebenso  im  andern  Traktate  SS.  I,  179:  Prima  regula  primi  modi  dicitur  esse 
tres  ligate  ad  invicem  in  principio  , .  ,  et  hoc  totum  cum  proprietate  et  perfeetione, 
iTertius  modus  dicitur  per  ßguram  prima  longa  et  tres  ligate  ut  hie  cum  proprietate, 
Quartus  didtur  ita:  tres  st  tres  et  tres  ligate  cum  proprietate. 

Die  Beispiele  bei  Garlandia  sind  ziemlieh  ungenau,  namentlich  bezüglich  der 
Ligaturen  sine  proprietate  und  sine  perfeetione. 
Aristoteles  SS.  I,  279 : 

(Secundus  modus)  iste  sie  ligabitur 

ei  prius  dabitur 
trina  coUeeta, 
quam  comitabitur 
si  continuabitur 
ducditas  ailfscta. 
Aus  den  Versen  geht  es  zwar  nicht  hervor,  wohl  aber  ist  aus  dem  beigefügten  Bei- 
spiel zu  ersehen,   daß  es  eine  Ligatur  cum  proprietate  et  perfeetione  ist;   sie   gilt 

also  longa  brevis  longa. 

Quartus  (modus)  quatemarium 

tenet  ßgurarum 

et  ob  hoc  post  tertium 

coüoeqtur  parum. 

Finis  et  prineipium 

perfecte  sunt  h€trum, 

tnedie  sunt  brevium 

non  adequatarum 

quedam  per  se  stantium 

atque  perfeetantm. 
semper  initium 

hie  ligaturarum 

postea  temarium 

sumet  Hgatarum 

unum  et  post  alium; 

totum  erit  darum. 
Das  folgende  Notenbeispiel  zeigt  dann  eine  ligatura  temaria  cum  proprietate  et 
perfeetione  in  d^r  Geltung  brevis  rceta,  brevis  altera,  longa.  Deutlicher  drückt  sich 
Aristoteles  aus  SS.  I,  274:  Im  ersten  Modus  prima  est  longa  imperfecta,  secunda 
recta  brevis,  teriia  prime  similis.  Im  vierten  Modus  prima  profert  unwn  tempus, 
seeunda  duo,  tertia  tria  et  hoc  secundum  ordinem  quarii  modi,  —  VergL  oben  S.  14. 


26  Oswald  KoU«r, 


Ebenso  steht  in  Y^-^  nur  einmal  (74  ^^  statt  des  sechsmal  vor- 
kommenden sS  )    6Üi  ähnlicher  Schreibfehler   dürfite  in  1119   anzu* 

nehmen  sein. 

Auch  J^  6  ^  in  der  Bedeutung  hnga  longa  gegenüber  ß  2  in 
der  Bedeutung  longa  brevü  kommt  nur  ein  einziges  Mal  in  ¥30  als 
Schluß  der  obersten  Stimme  vor,  wo  natürlich  die  letzte  Note  longa 

sein  muß.    ^   hat  dreifache  Bedeutung;  in  den  Tenored  des  ersten 

Modus  gilt  diese  Ligatur  longa  brevis  longa  (jP  4),  in   denen  des   3. 

4.  5  aristotelischen  Modus  brevis  brevü  longa  (Z>5];  nur  zweimal  in 
lY^g  und  ¥33  kommt  sie  in  der  Bedeutung  dreier  breves  vor  (E  5); 
nun  steht  aber  in  IV] g  auch  |^  (E-  4)  in  gleicher  Bedeutung,  es 
kann  also  auch  hier  und  analog  dazu  in  y33  ein  Schreibfehler  Ter* 
muthet  werden. 

Eine  Übereinstimmung  zwischen  älterer  und  neuerer  Notation 
findet  sich  eigentlich  nur  in  den  Ligaturen  cum  proprietate  et  per-- 
fectione\  theilweise  stimmen  überein  die  Ligaturen  sine  petfectione 
cum  et  sine  proprietate  und  die  Ligaturen  sine  proprietate  cum  perfec^ 
tione\  gar  keine  XJbereinstimmung  zeigen  die  Ligaturen  cum  opposiia 
proprietate  sine  perfectione. 

Daraus  scheint  wieder  hervorzugehen,  daß  die  Ligatur  cum  pro- 
prietate et  perfectione  die  älteste  ist,^  daß  dann  erst  durch  Verwendung 
der  gegentheillgen  Merkmale  die  Ligatur  sine  proprietate  sich  ent- 
wickelt hat  und  daß  die  feststehende  Bezeichnung  der  perfecüo  am 
spätesten  entstanden  ist. 

Eigenthümlich  ist  die  Entwicklung  Aer  ßgura  obliqua\  sie  tritt 
erst  in  der  spätem  Notation  häufiger  auf  und  zwar  beinahe  überall, 
wo  zwei  absteigende  Noten  aufeinander  folgen,  insofern  nicht  etwa 
der  valor  der  Noten  dadurch  eine  Änderung  erfährt.  In  der  altem 
Notation   steht  sie  überall  zur  Vermeidung  der  Figur  '^  in  C  4, 

5,  7,  D  4,  5,  7,  £  4,  5,  jP  4  und  zur  Bezeichnung  des  Unterschiedes 
von  D  3  und  JE  3,  von  D  6  und  E  6;  beidemal  bekommt  hier  die 
absteigende  oblique  Figur  die  Bedeutung  der  Imperfektion 

E  3 
E  6 


S>  3  breves  m       >  brevis  brevis  longa, 

I  ^6^.1 


Somit  konnte  sich  von  hier  aus  die  Bedeutung  der  obliquen  Figur 
als  Bezeichnung  der  Imperfektion  geltend  machen  gegenüber  der  ßgura 
recta  als  Zeichen  der  Perfektion,  zumal  gerade  die  Ligaturen  cum 


^  YergL  Biemann  a.  a.  O.  S.  244. 


Der  liederkodex  von  Montpellier.  27 


proprietate  et  perfectione  die  am  häufigsten  gebrauchten  waren.  Diese 
Geltung  der  obliquen  Figur  ist  dann  in  der  neuern  Notation  übei^e- 
gangen  auf  die  absteigenden  Semibreves  A  2  und  überhaupt  auf  die 
Imperfektion  der  descendenten  Figuren  (7  2,  3,  6,  7,  E  \y  3,  5,  6;  G  2. 

In  der  altem  Notation  erscheinen  überhaupt  die  meisten  Liga- 
turen cum  perfectione  y  spärlich  daneben  die  Seitenformen  sine  per- 
fectione [D  4,  E  2,  3;  5,  6).  Es  wurde  also  ursprünglich  die  letzte 
Note  immer  in  der  Form  der  Perfektion  notiert,  und  erst  später,  als 
sich  die  Nothwendigkeit  herausstellte,  den  wechselnden  Werth  der 
ScUuBnote  auch  äuBerlich  zum  Ausdruck  zu  bringen,  differenzierte 
sich  die  Notation  derart,  daß  die  althergebrachten  Bezeichniingen 
üblich  blieben  zur  Bezeichnung  einer  langen  Note  (Perfectio]^  während 
neuere  Nebenformen,  namentlich  die  ßgura  obliqua  sich  zur  Be- 
zeichnui^  der  Imperfektion  ausbildeten. 

Übergriffe  älterer  Notation  in  jüngere  Fascikel  und  umgekehrt 
sind  äuBerst  selten.  Ein  Beispiel  des  letzteren  ist  die  Ligatur  E  1, 
welche  in  ihrer  jüngeren  Form  p'  in  älteren  Fascikeln,  II 43  und 
IV5  vorkommt,  beidemal  vereinzelt  neben  älterer  Notation ;  so  scheint 
in  diesen  Fascikeln  schon  der  Übergang  zu  einer  neuen  Notation  an- 
gebahnt. Wichtiger  ist,  daB  auch  jüngere  Fascikel  Überreste  älterer 
Notation  zeigen.  Hierher  gehört  G  2,  das  in  seiner  älteren  Form  in 
I45  VII24.  25>  iii  seiner  Franconischen  Form  in  VIII 23  erscheint. 
Auch  in  Ij  bei  der  ligatura  hinaria  ascendens  cum  proprietate  et  per- 
fectione ist  eine  solche  ältere  Geltungsw^ise  beobachtet  worden.  Es 
ist  also  wahrscheinlich,  daß  die  Fascikel  I  und  VII  ursprünglich 
nach  älterer  Weise  notiert  waren  und  dann  in  die  neuere  Notation 
umgeschrieben  wurden,  wobei  jedoch  einzelne  ältere  Formen  irr- 
thümlich  stehen  geblieben  sind.  Eine  starke  Stütze  erhält  diese 
Yermuthung  durch  die  Betrachtung  der  Tenore  des  siebenten  Fas-> 
cikels,  speciell  von  VII  12  und  VII  35.  Die  Stücke  VIIu  und  VII  35 
stehen  im  zweiten  Franconischen  Modus  (Jamben)  ;i  es  finden  sich 
aber  unerhörte  Ligaturen  mit  caudae  an  der  mittleren  Note,  wie  sie 
von  keinem  Theoretiker  verzeichnet  werden.  Auch  die  Geltung 
dieser  temären  Ligaturen  ist  eine  ungewöhnliche:  sie  sollen  hrevii 
hmga  irevis  gelten.  Getreu  dem  Grundsätze  omnes  medie  breves 
eifert  Franco  SS.  I  124  gegen  solche  Geltungen:  per  quod  patei  po^^ 
sitionem  ülorum  esse  faham,  qui  ponunt  in  temaria  dKquam  mediam 
esse  Umgarn.  Der  Vorwurf  ist  gegen  Garlandia  und  Aristoteles  ge* 
richtet,  die  in  der  That  solche  Werthe  von  Ligaturen  aufstellen. 


1  Daß  es  nicht  der  vierte  Modus  ist,  seigt  klar  die  15.  und  29.  Notengruppe 
des  Tenors  von  VII  12. 


28 


Oswald  Koller, 


Modus  secundtcs 
[secundum  Aristotelem  ieriius), 

Garlandia  SS.  I,  101.  102  Aristoteles  SS.  I,''274.  280 

{Tergl.  Jacobsthal  a.  a.  O.  pag.  65).         (ygL  Jacobstlial  pag.  78). 


J  oder   Jr 


\ 


»    breTis,  longa,  brevis    * 


Auch  hiei  zeigt  sieh  die  schwankende  Bezeichnung  des  Werthes 
der  letzten  Note,  der  noch  unentwickelte  Begriff  der  Perfektion  bei 
Garlandia,  die  theilweise  bereits  feststehende  Bezeichnung  der  Per- 
fektion, der  Übergai^  zur  Franconischen  Notation  bei  Aristoteles. 
Die  Tenore  der  beiden  fraglichen  Stücke  VII 12  und  VII 35  istimmen 
aber  weder  mit  der  Garlandia'schen  noch  mit  der  Aristotelischen 
Notation  überein.     In  VUs5   ist  es   nur   eine    einzige  Ligatur,    die 

Schwierigkeiten  macht  ^in  ;  bei  Aristoteles  wie  bei   Garlandia  ist 

eine  derartige  Ligatur  immer  mit  einer  ^^ra  obliqua  notiert.  Sie 
könnte  entstanden  sein   durch   eine  vielleicht  vom   Schreiber  nicht 

beabsichtigte  Zusammenrückung  von  iB  1  1  und  das  würde  zur  Fran- 
conischen Notationsweise  des  zweiten  Modus  stimmen:  aemper  due 
cum  proprtetaie  et  perfectione  et  inßne  sola  brems. 

Schwieriger  ist  die  Erklärung  von  Vllja-  Der  Text  ist  offen- 
bar zerrüttet.  Der  Tenor  wiederholt  dieselbe  Melodie  dreieinhalb- 
mal, und  jede  Wiederholung  ist  anders  notiert.  Die  Tenormelodie 
Aptatur  kommt  in  den  Beispielen  des  Kodex  fünf  Mal  vor,  VII 12, 
VII16  IV18  V26  II44,  das  erste  Mal  im  modus  secundus,  die  übrigen 
Male  im  modus  primus.  Die  drei  letzten  Notationen  stimmen  Note 
für  Note  mit  einander  überein;  Vll^g  weicht  zwar  in  der  6.  und 
21.  Note  davon  ab,  das  ist  jedoch  ein  Fehler.  Aus  harmonischen 
Gründen  ist  die  richtige  Note  beidemal  c  statt  d^  wie  auch  Cousse- 
maker  in  der  XJbertragung  stillschweigend  gebessert  hat,  und  dann 
stimmt  auch  Vll^e  genau  mit  den  drei  übrigen  Fassungen.  VII 12 
aber  weicht  merklich  ab :  es  hat  zu  Anfang  eine  Note,  mehr ;  die 
quatemäre  Ligatur  heißt  hier  f  ff  a  ff  statt  f  ff  €l  f  und  namentlich 
der  Schluß  differiert  mit  den  übrigen  Fassungen.  Somit  werden  auch 
noch  andere  Ungenauigkeiten  2u  erwarten  sein. 

Der  Tenor  von  VII 12  besteht  aus  acht  Gruppen   von  3  (und  4' 


Der  Liederködex  von  Montpellier.  J^ 


Noten,  die  dreimal  wiederholt  werden;  die  drei  ersten  Gruppen  wieder-^ 
holen  sich  noch  ein  viertes  Mal.     Diese  Gruppen  sind 

1.  2.  3.  4.  5.  6.  7.  8. 

"'    j^    jT    j^    \    \    -f  A 


j^    Hf    s"    ^    ^    "1"  ^ 

V    <^  fl"  =■    Ps    ^    "T  A 

%  1^  in  n  (als  Sohlußnote  longa). 


Aus  der  Betrachtung  der  Gruppen  4 Je  und  labe  geht  hervor, 
daß  das  Metrum  wirklich  brevts  longa  brevis  ist;  aus  der  Betrachtung 
der  Gruppen- 2,  3,  4,  7  geht  aber  auch  hervor,  daß  solche  Zu- 
sammenrückungen oder  Auseinanderzerrungen,  wie  sie  oben  bei  Vlla^ 
vermuthet  wurden,  wirklich  stattgefunden  haben.  Die  Ligaturen 
entsprechen  weder  der  Garlandia'schen  noch  der  Aristotelischen 
Notationsweise,  wohl  aber  wird  die  Schreibweise  erklärlich,  wenn 
man  annimmt,  daß  ein  in  Franconischer  Notation  zu  schreiben  ge- 
wohnter Kopist  eine  in  Aristotelischer  Notation*  verfaßte  Vorlage 
in  ungeschickter  Weise  abgeschrieben  hat.  In  rein  Aristotelischer 
Notation  müßte  der  Tenor  folgende  Gestalt  gehabt  haben : 

-  1*  2.  3.  4.  5.  6.  7.  8. 

"'  j^  /  /  \  \  '^  f' 

Nach  Franconischer  Notation  dagegen: 

■>    j^    s-    a-    f.,  y,  .f    -N 

oder  mit  plica  öder 

oder  pliciert 

Als  der  Kopist  zu  schreiben  begann,  sah  er  die  Differenz  zu 
seinem  gewohnten  Schreibgebrauch.  Die  Gruppe  1  ließ  er,  wie  sie 
war,  vielleicht  weil  diese  binäre  Ligatur  mit  der  trochäischen  Geltung 
nM^in  Übung  war.     2  a  brauchte  nicht  geändert  zu  werden.     Aber 

^  Daß  keine  Oarlandia'sche  Originalnotierung  vorlag,  ersi^t  man  aus  Gruppe  7, 
nach  Garlandia  müßte  ■  ■  yorausgesetzt  gern. 


30  Oiwald  Koller, 


Giuppe  31  Der  Schieiber  war  gewohnt  sie  lonffa  brevts  hrevia  zu 
lesen;  um  die  Kürze  der  ersten  Note  herauszubringen,  ließ  er  die 
cauda  weg;  das  stimmte  nicht,  drum  gab  er  der  mittleren  Note  noch 
einen  Strich,  um  sie  als  longa  zu  bezeichnen  (3  a),  und  als  sich  die- 
selbe Ligatur  in  4'  wiederholte,  verzichtete  er  vorläufig  auf  jede 
Emendation  und  brachte  nur  die  cauda  in  der  ihm  geläufigen  Weise 
rechts  an  (4  a).  Auch  die  Gruppe  5  und  6  stimmte  nicht  zu  seinen 
gewohnten  Regeln;  er  war  gewohnt,  die  Ligatur  longa  brevis  longa 
zu  lesen,  also  gerade  das  Gegentheü  von  dem,  was  sie  bedeuten 
sollte.  Er  half  sich  damit,  daß  er  der  ersten  Note  eine  cauda  gab; 
dadurch  wurde  die  erste  Note  brevis  recta^  die  zweite  brevis  altera 
und  so  war  wenigstens  nothdürftig  eine  Übereinstimmung  hergestellt 
(5  a,  6  a);  allerdings  stimmte  die  letzte  Note  nicht.  Die  7.  Gruppe 
konnte  stehen  bleiben,  die  8.  blieb,  weil  er  sich  vorläufig  keinen 
Rath  wußte.  Bei  der  Wiederholung  blieb  li,  25  unangetastet.  Bei 
3  6  wurde  ein  neues  Experiment  angestellt:  die  cauda  wurde  wieder 
restituiert  (36);  auch  das  half  nicht  aus  der  Verlegenheit.  Endlich 
wurde  die  temaria  ligatura  in  eine  binaria  und  eine  einzelne  brevis 
zerlegt  (46)  und  damit  war  endlich  eine  Übereinstimmung  mit  der 
Franconischen  Notation  erzielt.  Dieser  Ausweg  wurde,  auch  wo  es 
nicht  nothwendig  war,  angebracht  (76),  falsch  angeordnet  (2c),  ein 
neuer  Versuch  mit  einer  plicierten  Ligatur  gemacht  (3c)  und  endlich 
zur  bewährten  alten  Zerlegung  zurückgekehrt  (4  c,  7c,  3rf).  Bei 
Gruppe  8  wurde  nach  Analogie  zu  5  und  6  die  Übereinstimmung 
nothdürftig  hergestellt,  indem  durch  Weglassung  der  cot^a  die  Li- 
gatur in  eine  von  demselben  vahr  wie  5  und  6  verwandelt  wurde« 
Somit  giebt  dieser  Tenor  den  Beweis,  daß  die  Stücke  des  VII.  Fas- 
cikels  vorher  in  Aristotelischer  Geltung  notiert  waren,  zu  Franco's 
Zeit  jedoch  in  die  bei  ihm  giltige  Notierimg  umgeschrieben  wurden. 
Überblickt  man  die  Tenore  des  VII.  Fascikels  im  Zusammen- 
hang, so  wird  die  Hjrpothese  dadurch  gestützt.  Zu  Fascikel  VII  ge- 
hören : 

Fol.  270  Nr.   10.     Die  longae  sind  nach  Aristoteles  und  Franco  gleich; 

bei  der  Umschreibung  brauchte  der  Kopist  nur 
die  caudae  an  die  ternären  Ligaturen  anzufügen, 
um  die  Schreibung  mit  Franco  in  Überein- 
stimmung zu  bringen;  doch  ist  ihm  hier  ^  in 
Aristotelischer  Geltung  stehen  geblieben« 
I  Da  die  Notation  nach  Franco  und  Aristoteles  yl«ir' 


einstimmt,  brauchte  der  Schreiber  keine  Änderungen 
zu  machen. 


))     275     »     34.  j 


277     9     39.     Wie  Nr.   10. 


Der  Liederkodez  von  Montpellier,  3} 

Wie  in  Nr.  1 1  und  34,  nur  sind  die  Aristotelbchen 
Pausenzeichen  stehen  geblieben. 
Wie  Nr.   11  und  34. 
Wie  Nr.   10. 
Wie  Nr.  11  und  34. 

Liedtenor,  kein  cantusßrmus  aus  dem  Gregoria- 
nischen Gesang. 
319     »     12.     Aristotelische  Vorlage,  miBglückte  Translation,  ver- 
ursacht durch  die  Schwierigkeit  und  das  'minder 
übliche  Metrum. 
Wie  Nr.  11  und  34. 

Die  bei  Vllia  gewonnenen  Erfahrungen  werden 
mit  mehr  Geschick  verwerthet. 


Fol. 

292  Nr. 

28. 

» 

294  A 

24. 

9 

300  9 

27. 

» 

309  9 

16. 

» 

314  » 

.36. 

320 

i> 

13. 

324 

» 

35. 

334 

» 

40. 

346 

9 

25. 

:} 


Wie  Nr.  11  und  34. 


Aristotelischen  Einfluß  zeigen  noch  andere  Stücke.  Aristoteles 
statuiert  nämlich  noch  mehrere  besondere  Metra,  die  sonst  bei  keinem 
andern  Theoretiker  Torkommen:  sein  modtts  qutntus  besteht  aus 
brevis  longa  brevü  brevis  longa;  sein  modus  seztus  aus  longa,  semi- 
brevis  semibrevis  brevis  brevis  longa.  Dieser  fünfte  Modus  kommt 
vor  im  Discanius  und  Triplum  von  II 44,  im  Discantus,  Triplum  und 
Quadruplum  von  1140,  im  Discanius  und  Triplum  von  Vjs,  im  Dis- 
canius  von  Y^a,  im  Tenor  von  Y^^.  Der  sechste  Aristotelische  Modus 
kommt  vor  in  Vn24  und  Vn4o,  jedoch  nicht  ganz  genau;  VII 40 
zerl^  die  erste  longa  in  eine  longa  imperfecta  und  brevis  {longa 
imperf,  br.  semibr.  "semibr.  br.  br»  Iga,),  VII24  fügt  noch  einen  Auf- 
takt hinzu  [br.  lg,  impf.  br.  semibr.  semibr.  br.  br,  Iga.).  Die 
Ähnlichkeit  der  beiden  Teiiore  in  melodischer  Beziehung,  sowie  ihr 
Charakter  als  Pes  nach  Art  des  Sumercanons  lassen  keinen  Zweifel 
an  ihrer  nahen  Yerwandtschafl  zu. 

Ist  es  allzu  kühn,  wenn  man  behauptet,  daß  außer  dem  VII. 
auch  noch  der  II.  und  V.  Fascikel  der  Aristotelischen  Schule  ange- 
hören? Bezüglich  der  übrigen  Fascikel  ist  wenigstens  von  einem 
mit  Sicherheit  zu  sagen,  daß  er  nicht  Aristotelisch  sei.  Der  Tenor 
von  rV(  ist  im  dritten  (daktylischen)  Modus  geschrieben  mit  temären 
Ligaturen,  deren  Werth  allerdings  bei  Aristoteles  und  Garlandia  gleich 
ist.  Wo  jedoch  die  temäre  Ligatur  aufgelöst  wird  in  eine  brevis 
und  eine  binaria  '  p^,  ^  J,  ist  die  erste  Note  dieser  Ligatur  brevis 
altera^  die  zweite  longa  perfecta,  während  nach  Aristoteles^  die 
Ligatur  ausdrücklich   den  Werth  brevis  recta,   longa  imperfecta  hat: 


>  SS.  Ir  273,  Tergl.  Jaeobsthal  p.  75. 


32  Oswald  Koller, 


Prvna  recia  hrevis  est,  secunda  vero  longa  imperfecta,   ut  manifeste 
patet  in  quarto  quinto  et  sexto  modo  tarn  supra  liUeram  quam  sine. 
Somit  ergiebt  sich  als  Resultat  der  Untersuchung: 

1.  Die  ältesten  Theile  des  Kodex  von  Montpellier  sind  die  Fas- 
cikel  III,  IV,  VI,  von  denen  wahrscheinlich  der  ganze  IV. 
nach  Garlandia  notiert  ist. 

2.  Der  V.  Fascikel  zeigt  durchgehends  Aristotelische  Notation; 
auch  der  11.  Fascikel  ist  vorwiegend  nach  älterer  Art,  wahr- 
scheinlich im  Aristotelischen  System  notiert,  doch  weist  er 
schon  einige  Eigenheiten  der  Franconischen  Theorie  auf. 

3.  Im  I.  und  VII.  Fascikel  ist  die  Franconische  Schreibweise 
zum  größten  Theile  durchgedrungen ;  doch  reichen  diese  Fas- 
cikel in  eine  ältere  Zeit  hinauf  und  sind  erst  später  in  Franco- 
nische Notation  umgeschrieben  worden.  In  I  zeigen  sich  hie 
und  da  Überreste  älterer  Notation,  VII  ist  aus  einer  Aristo- 
telischen Vorlage  in  Franconische  Schrift  transskribiert. 

4.  Vin  gehört  unbestritten  der  Franconischen  Periode  an. 


V. 

Es  wirft  sich  die  Frage  nach  den  Autoren  der  durchweg  ano- 
nymen Stücke  auf.  Coussemaker  verfährt  in  höchst  unkritischer 
Weise,  indem  er  jede  Komposition,  die  überhaupt  irgendwo  citiert 
wird,  ohne  weiteres  mit  einem  Stücke  des  Kodex  von  Montpellier 
und  den  Citator  mit  dem  Komponisten  des  fraglichen  Stückes  iden- 
tificiert.  Auf  diese  Weise  erhält  Coussemaker  Kompositionen  vom 
Autor  der  Discantus  positio  vulgaris  u.  a.  Es  erscheint  vorsichtiger, 
dort,  wo  kein  Autor  genannt  ist,  auch  keinen  bestimmen  zu  wollen, 
sondern  nur  das  relative  Verhältniß  der  Fascikel  zu  den  einzelnen 
Autoren,  deren  Schule  die  Fascikel  entstammen,  festzustellen.  Da 
schon  aus  dem  Vorherbesprochenen  erhellt,  daß  jeder  Fascikel  eine 
in  sich  gleichartige  abgeschlossene  Individualität  zeigt,  so  darf  wohl 
im  Ganzen  das,  was  bezüglich  eines  Stückes  eines  Fascikels  fest- 
gestellt wird,  auch  auf  den  ganzen  Fascikel  übertragen  werden. 

I.    Discantus  positio  vulgaris. 

SS.  I  96.  De  primo  modo:  cujus  quidam  tenor  aliquando  cofh- 
cordat  cum  moteto  in  notis  ut  hie:  Virgo  decus  castitatis.  Ei 
tunc  semper  nota  longa  de  motheto  note  longe  correspondet  de  tenore 
et  brevis  brevi  ei  e  converso,    Pausavero  utriusque  valet  unam  bt^vem. 


Der  Liederkodex  von  Montpellier.  33 

- 

msi  simul  pauset  uterque  cum  triplo  et  tunc  pause  cantus  ecclesiastici 
tenentur  ad  pladtum. 

Das  stimmt  genau  zu  IVq. 

Aliquando  vero  tenor  constat  ex  notis  omnibus  longis  sicut  tenor 
moiheti:  O  Maria  maris  Stella  et  tunc  semper  nota  longa  cum  brevi 
de  moiketo  uni  tnntum  longe  de  tenor e  correspondent  et  e  conveiso. 
Pausa  vero  utriusque  est  longa,  nist  simul  cum  triplo  pauset  uterque 
et  tunc  sicut  prius. 

Auch  das  stimmt  zu  lYg. 

Item  secundi  modi  tenor  aliquando  convenit  in  modis  sicut  hie  in 
parte:  In  omni  tuo  fratre  sum  et  Gaude  chorus  omnium, 

Coussemaker  schreibt  auch  diese  beiden  Stücke  Uly  und  III 9 
dem  Autor  der  Discantus  positio  vulgaris  zu.  Nun  stimmt  aber  der 
Text  nicht  genau  überein;  er  heißt  In  omni  tuo  fratre  non.  Dazu 
stehen  zwar  die  diskantierenden  Stimmen  in  beiden  Stücken  im  zweiten 
Modus,  der  Tenor  jedoch  im  vierten.  Es  muß  also  dem  Autor 
der  Discantus  positio  vulgaris  eine  andere  Bearbeitung  vorgelegen 
haben. 

Similiter  et  tertii  modi  tenor  cum  motheto  convenit  sicut  hie:  O 
na  Ho  nefandi  gener  is  tunc  semper  singule  note  de  motheto  singulis 
notis  de  tenore  et  breves  brevibus  correspondent.  Auch  das  stimmt 
genau  zu  IV5.  Die  letzte ,  in  der  Discantus  positio  vulgaris  citierte 
Komposition  kommt  im  Kodex  von  Montpellier  nicht  vor.^  Erwägt 
man  nun,  daß  alle  Stücke ,  welche  mit  der  Discantus  positio  vulgaris 
übereinstimmen,  dem  vierten  Fascikel  angehören,  daß  alle  Stücke,  die 
damit  nicht  übereinstimmen,  in  andern  Fascikeln  sich  finden,  daß  end- 
lich die  mit  der  Discantus  positio  vulgaris  übereinstimmenden  Stücke 
durch  den  ganzen  vierten  Fascikel  zerstreut  sind  und  nicht  etwa  bloß 
.eine  abgesonderte  Gruppe  innerhalb  desselben  Fascikels  bilden^:  so 
kommt  man  zu  dem  Schluß,  daß  der  vierte  Fascikel  als  Ganzes 
dem  Autor  der  Discantus  positio  vulgaris  vorgelegen  haben  und,  wenn 
nicht  älter,  so  doch  gleichaltrig  mit  dem  Traktate  sein  muß.  Der 
dritte  Fascikel  dürfte  in  dieselbe  Zeit  hinaufreichen,   doch  lag  dem 


1  Wohl  aber  wird  sie  citiert  von  AristoteleB   SS.  I,  280   als  Beispiel  zum 
vierten  Modus. 

2  Der  vierte  Fascikel  enthält: 

Fol.  87.  88  Nr.  5 D.  p.  v. 

Fol.  88.  89  Nr.  8 D.  p.  v. 

Fol.  89.  90  Nr.  17 
Fol.  92.  93  Nt.  14 

Fol.  96.  97  Nr.  6 D.  p.  v. 

Fol.  98.  99  Nr.  18. 

1888.  3 


34  Oswald  Koller, 


Autor    der    Discanius  positio    vulgaris   jedenfalls    eine    andere    Re- 
daktion vor. 

Von  den  Stücken  des  vierten  Fascikels  scheint  besonders  Nr.  8 
sehr  bekannt  gewesen  zu  sein;  es  wird  noch  citiert  von  Aristoteles 
pag.  280  und  Franco  pag.  127,  beidemal  die  oberste  Stimme  O  Maria 
virgo  davidica,  beidemal  als  Beispiel  zum  fünften  resp.  siebenten 
Modus.  Auch  beim  Anonymus  III  pag.  324  wird  es  citiert,  stimmt 
aber  nicht  in  den  Noten  überein.  Ob  auch  noch  andere  Stücke  des 
vierten  Fascikels  andern  Autoren  bekannt  gewesen  sind,  läßt  sich 
nicht  entscheiden;  IV14  Veni  sancte  spiritus  wird  zwar  von  Aristo- 
teles pag.  279  citiert,  jedoch  ist  die  Melodie  eine  abweichende. 

n.    Johannes  de  Garlandia. 

Die  Theorie  Garlandia's  ist  entwickelter  als  die  der  Discanius 
positio  vulgaris,  jedoch  noch  immer  unvollkommen.  Es  kann  der 
Traktat  Garlandia's  zeitlich  nicht  weit  von  der  Discanius  positio  vulgaris 
abliegen ;  vielleicht  ist  der  vom  Anonymus  quartus  genannte  Johannes 
Primarius  mit  dein  älteren  Garlandia  identisch.  Es  ist  oben  darauf 
auficnerksam  gemacht  worden,  daß  der  Tenor  von  VI 32  mit  seiner 
ganz  eigenthümlichen  Notation  von  Garlandia  pag.  101  als  Beispiel 
für  den  ersten  Modus  angeführt  wird.  Da  aber  der  VI.  Fascikel  bei 
üoussemaker  durch  eine  sehr  ungenügende  Zahl  von  Beispielen  be- 
legt ist,  so  lassen  sich  keine  sichern  Schlüsse  ziehen.  Beachtens- 
werth  ist  immerhin,  daß  von  den  in  beiden  Traktaten  Garlandia^s 
als  Beispiele  verwendeten  Tenoren  die  weitaus  größte  Zahl  auch  im 
sechsten  Fascikel  erscheint  und  zwar  Angeltis  Fol.  241,  Audißlia 
Fol.  246,  250,  255.  Balaam  Fol.  249;  Docehii  Fol.  260,  265;  Domino 
Fol.  239,  244,  245,  254,  261;  Eius  Fol.  258,  261.  Ferens  Fol.  234. 
Fiai  Fol.  238,  239,  256;  Laius  Fol.  232,  235,  244,  263.  Omnes  Fol. 
235,  239. 

Außerdem  erwähnt  Garlandia  pag.  1 1 6  noch  mit  größtem  Lobe 
des  Perotinus  und  citiert  aus  dessen  Alleluja  Posui  adjuiorium  eine 
Stelle  mit  dem  Texte  cernens  als  Beispiel  zum  sechsten  Modus;  ^  das 
stimmt  aber  genau  zu  Takt  14 — 21  der  mittleren  Stimme  von  Ii, 
jedoch  so,  daß  das  Beispiel  bei  Garlandia  in  der  älteren,  das  Stück 
des  Kodex  von  Montpellier  in  der  jüngeren  Notation  geschrieben  ist. 


1  SS.  I,  101:   Bene  prohatur  (diese  Notationsweise  des  sechsten  Modus)  per 

exemplum,  quod  invenitur  in  aüeluia:  Posui  adiuiorium  in  iriplo ui  sumitur 

in  hoc  exemplo  (folgt  das  Notenbeispiel  pag.  35). 


Der  Liederkodex  von  Montpellier.  35 


Garlandia 
SS.  1 101. 


Kodex  von  

Montpellier  —f- 

I..     = 


Oemens. 


Daraus  folgt:  1)  daß  dieses  Posui  ein  Werk  Perotins  ist;  2)  daß 
das  Stück  Garlandia  in  seiner  ursprünglichen  älteren  Notation  vor- 
lag, jedoch  für  den  Kodex  von  Montpellier  in  neuere  Notation  um- 
geschrieben wurde.  Im  obigen  Citat  zeigt  sich  auch  die  Stelle,  wo 
die  binäre  perfekte  Ligatur  in  der  Bedeutung  zweier  Breven  (oben 
pag.  19]  stehen  geblieben  ist.  Aus  der  Verwendung  des  Wortes 
Alleluja  als  Gattungsbegriff,  Posui  adjutorium  als  Specialtitel  geht 
hervor,  daß  die  Stücke  Ii  und  I2,  die  bei  Coussemaker  getrennt  sind, 
ursprünglich  ein  zusammengehöriges  Ganzes  gebildet  haben. 

Über  die  übrigen  Stücke  des  ersten  Fascikels  ist  aus  Garlandia 
kein  Aufschluß  zu  holen.  Da  sie  jedoch  alle  einen  gleichmäßigen 
Charakter  tragen,  so  mögen  im.  ersten.  Fascikel  noch  mehrere  Stücke 
Perotins  enthalten  sein. 

in.    Pseudo -Aristoteles. 

Von  den  Stücken  des  Kodex  von  Montpellier  werden  bei  Aristo- 
teles erwähnt: 

Uauirier  nCesbatoie  j  Veni  virgo  beatissima 

Demenant  grant  joie  IV 14  \  Veni  sancte  spiritus 

Manere  I  Neuma 

IAmor  vincens  amnia 
Marie  preconio  ,  jedesmal  die  mittlere  Stimme,  end- 

Aptatur 
lieh  ein  Bruchstück  a  ma  dame  que  j'^avoie  aus   dem   Anfang    der 

Povre  secors 
Gaude  chorus  omnium 
Angelas, 

Hiervon- stimmt  IV14  gar  nicht,  Vni2  wohl  in  den  Noten,  nicht 
aber  im  Metrum,  III 9  zum  großen  Theile,  das  einzige  Vi 5  voll- 
kommen genau  überein.  Soinit  wird,  da  der  DI.  und  IV.  Fascikel 
als  älter  erkannt  worden  sind  und  da  auch  sonst  der  V.  Fascikel, 
wie  oben  pag.  31  erwähnt,  mancherlei  Aristotelische  Beziehungen 
zeigt,  mit  Sicherheit  wohl  nur  der  V.  Fascikel  als  Vorlage  Aristo- 
teles' bezeichnet  werden  können. 

3* 


obersten  Stimme  von  III9 


36 


Oswald  Koller, 


Außerdem  wird  jedoch  noch  ein  Hoquet  In  aeculum  erwähnt 
und  daraus  eine  Stelle  citiert.  Da  derselbe  auch  später  vom  Ano- 
nymus quartus,  Odington  und  Franco  erwähnt  wird  und  auch  der 
Kodex  von  Montpellier  unter  I45  diesen  Hoquet  enthält,  so  ist  das 
Verhältniß  genauer  zu  untersuchen. 

Aristoteles  und  Odington  citieren  den  Anfang. 


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Ja    n'a  me  -  rai    au  -  tre    que      ce  -  le       que    j'ai         de 


Kodex  von     p-^^ ^^ '^^ 

Montpellier 
I45F0I.  1.2. 


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Aristoteles 
SS.  I  281. 


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35 


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Der  Liederkodex  von  Montpellier. 


37 


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Beide  Citate  sind  ziemlich  fiei;  doch  ist  nicht  zu  verkennen, 
daß  die  Komposition  des  Kodex  Ton  Montpellier  gemeint  ist.  Die 
beiden  Hoquetstimmen  sind  in  beiden  Citaten  vertauscht ,  es  finden 
sich  auch  Lücken,  welche  vielleicht  davon  herrühren,  daB  Odington 
und  Aristoteles  ihre  Beispiele  aus  dem  Gedächtniß  aufgeschrieben 
haben.  Jedenfalls  weist  der  Kodex  von  Montpellier  eine  Hinzu- 
iugung  einer  vierten  Stimme  sowie  reichere  Ausgestaltung  der  Mittel- 
stimmen auf. 

Das  Franconische  Citat  umfaßt  die  Takte  32 — 41. 


38 


Oswald  Koller, 


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Kodex  von 
Montpellier 

I45 
Fol.  1.  2. 


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SS.  1 134. 


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Der  Liederkodex  von  Montpellier.  39 

Auch  hier  ergiebt  sich  dieselbe  Erscheinung.  Das  Franconieche 
Gitat  ist,  namentlich  in  der  Notierung  der  Pausen,  ungenauer,  das 
Stück  des  Kodex  ist  auch  hier  durch  die  vierte  Stimme  erweitert. 
Jedenfalls  war  der  Hoquet  ursprünglich  dreistimmig  geschrieben  und 
ist  später  durch  eine  vierte  Stimme  erweitert  worden. 

Der  Anonymus  quartus  SS.  I,  350  citiert  diesen  Hoquet,  in- 
dem er  ihn  als  Beispiel  für  das  Vorkommen  der  pat$sa  semibrevis 
anführt:  Exemplum  pausaiioms  setnibrepts  paiet  eis,  qui  sciunt  re- 
ducere  vel  facere  mutando  de  uno  modo  alium,  t4t  Uli  gut  dicunt  se- 
cundum  modum  de  quinto  et  reducuni  superiarem  vel  superiores  ad 
eundem  modum  secundum,  velut  quidam  Parieienses  fecerunt  et  adhuc 
faciunt  de  In  seculum^  le  Hoket  gdllice^  quod  quidam  Hispanus 
fecerat.  Et  Udia  phusatio  supradicta  semie  pausatio  dicitur.  Der 
Hoquet  zeigt  neben  dem  ersten  auch  den  zweiten  (iambischen),  stellen- 
weise auch  den  vierten  Modus,  der  Tenor  ist  im  fünften  Modus 
(lauter  longae)  geschrieben.  Pausae  semibreves  kommen  in  dieser 
Bearbeitung  nicht  vor.  Coussemaker  bemerkt  jedoch  pag.  149  und 
289,  daß  auf  FoL  2  und  3  dasselbe  Stück  zweimal  notiert  sei  und 
zwar  das  eine  Mal  in  Longen  und  Breven,  das  andere  Mal  in  Breven 
und  Semibreven  (vielleicht  analog  zu  VII  iß?),  und  diese  zweite  vier- 
stimmige Bearbeitung  dürfte  diejenige  sein,  die  der  Anonymus  er- 
wähnt. Im  Kodex  von  Montpellier  finden  sich  aber  von  diesem 
Stück  auch  noch  zwei  dreistimmige  Bearbeitungen,  deren  erste  auf 
Fol.  111,^  deren  zweite  auf  Fol.  188,  beide  im  V.  Fascikel  stehen; 
diese  zweite  dreistimmige  Bearbeitung  enthält  die  erste,  dritte  und 
vierte  Stimme  des  Quadruplums.  Ob  mit  der  reduciio  quinti  modi  ad 
secundum  einfach  gemeint  ist,  daß  man  in  Paris  zuerst  angefangen 
hat,  Kompositionen  zu  schreiben,  deren  verschiedene  Stimmen  ver- 
schiedenen modis  angehören,  während  früher  alle  Stimmen  im  selben 
Modus  gestanden  seien  ,2  oder  ob  es  nicht  vielmehr  heißen  soll,  daß 
in  Paris  zU  der  ursprünglich  dreistimmigen  Bearbeitung  im  zweiten 
Modus  noch  eine  vierte  Stimme  im  fünften  Modus  hinzugefügt 
worden  sei  —  dann  wäre  aber  der  Tenor  die  hinzugefugte  Stimme 
—  weiß  ich  nicht  zu  entscheiden.  Die  Bearbeitungsgeschichte 
dieses  Stückes  stellt  sich  folgendermaßen  dar:  Die  erste  Fassung  ist 


1  Welche  Stimmen  des  Quadruplums  diese  Bearbeitung  enthält,  ist  nicht  an- 
gegeben; Termuthlich  die  drei  untersten. 

2  Vielleicht  meint  das  der  Anonymus  quartus  SS.  I,  333.  Im  fünften  Modus 
quelibet  longa  coniinei  tria  iempora,  et  sie  quelibet  longa  equipoUet  longe  et  hrevi  in 
primo  modOf  brevi  ei  longe  in  seeundo  modo  vel  ambohu8f  ei  bene  armonice  deducan- 
tur,  quod  dif fidle  est  apud  talia  scientee,  nisi  fuerini  a  longo  tempore  ad  talia 
consueti. 


40  Oswald  Koller, 


die  dreistimmige  Fol.  111  zu  Anfang  des  fünften  Fascikels;  sie  ist 
diejenige,  welche  Aristoteles,  Odington  und  Franco  vorlag.  Sie 
wurde  durch  eine  vierte  Stimme  erweitert  (F*asc.  I,  Fol.  2,  3j  und 
in  verschiedenen  Notenwerthen  niedergeschrieben.  Diese  zweite 
Niederschrift  in  kürzeren  Notenwerthen  ist  die  dem  Anonymus  quar- 
tus  vorliegende.  Eine  andere  Bearbeitung  geschah  dadurch,  daß  die 
zweite  Stimme  weggelassen,  der  Satz  also  wieder  dreistimmig  ge- 
macht und  der  Mittelstimme  ein  neuer  Text  Sire  dtex,  U  dos  maus 
(Fol.  188)  untergelegt  wurde.  Da  der  Fascikel  Y  der  Aristotelischen 
Periode  angehört,  in  dieser  aber  sowohl  die  ursprüngliche  als  auch 
die  umgearbeitete  Komposition  erscheinen,  so  folgt,  daß  schon  die 
vierstimmige  Umarbeitung  dem  Zeitalter  des  Aristoteles,  die  ursprüng- 
liche dreistimmige  des  anonymen  spanischen  Kt>mponisten  der  vor- 
aristotelischen Zeit  angehören  muß.  Da  der  erste  Fascikel  schon 
Stücke  Perotins  enthält,  so  muß  der  spanische  Komponist  auch  in 
eine  frühere,  vielleicht  in  die  Garlandia'sche  Epoche  gehören^  und 
die  ursprüngliche  Niederschrift  des  ersten  Fascikels  ist 
älter  als  der  fünfte. 

IV.   Petrus  de  Cruce,  Franco  und  seine  Abbreviatoren. 

Petrus  de  Cruce  wird  von  Handlo  und  Hanboys  wiederholt 
citiert  als  derjenige,  der  mehr  als  drei  Semibreven  durch  ein  punc- 
tum divisionis  unterschieden  habe  (SS.  I,  387,  389,  424).  Nachdem 
nun  sein  Hauptverdienst  in  Reformen  der  Notation  zu  bestehen 
scheint,  so  ist  die  Vermuthung  Coussemakers  (SS.  I,  pag.  XVIII) 
ansprechend,  er  sei  identisch  mit  Petrus  optimus  notator,  den  der 
Anonymus  quartus  pag.  342  und  344  einen  Schüler  Roberts  von 
Sabilon  nennt  und  der  als  unmittelbarer  Voi^änger  der  Franconischen 
Periode  zu  betrachten  ist.  Johannes  de  Muris^  citiert  mehrere 
Stellen  aus  seinen  Werken,  die  mit  VII, o  und  VII ^  genau  überein- 
stimmen. Diese  beiden  Stücke  enthalten  auch  wirklich  viele  Semi- 
breves,  die  durch  puncta  divisionis  von  einander  getrennt  sind.  Auch 
Handlo  citiert  VIIio«  Es  erscheinen  somit  VII jq  und  VIIji  als 
Werke  des  Petrus  und  die  in  der  Anlage  damit  sehr  übereinstimmen- 
den Stücke  VII 28.  34.  39  weisen  darauf  hin,  daß  die  Abfassungszeit 
wenigstens  einiger  Stücke  des  siebenten  Fascikels  unmittelbar  vor  die 


i  In  der  einzigen  Stelle,  wo  spanische  Komponisten  erwähnt  werden,  werden 
dieselben  unter  die  antiquiores  gezählt.  Anonymus  quartus  SS.  I,  345.  Sed  in  libris 
quorundam  antiquorum  nan  erat  nuUerialis  eignatio  ttUis  signata,  sed  solo  inteüectu 
procedehant  setnper  cum  proprietate  et  perfectione  operatoris  in  eisdem  velut  in  libris 
Hispanorum  et  Pofnpilonensium, 

2  Speculum  musicae  VII,  17.    SS.  II,  401. 


Der  Liederkodex  von  Montpellier.  4| 


Fianconische  Zeit  fallt,  was  durch  die  oben  angestellten  Erwägungen 
nur  bestätigt  erscheint. 

In  dem  Traktate  Franco's  von  Köln  erscheinen  citiert  pag.  120  IV^, 
Eximie  pater,  pag.  127  IVg  O  maria  virgo  davitica^  endlich  aus  III 9 
der  Anfang  povre  secors  und  ein  Stück  aus  der  Mitte  respondi  que 
ne  leroit^  das  letzte  in  den  Pausen  etwas  abweichend;  das  sind  aber 
alles  Kompositionen  früherer  Zeit.  Neu  ist  nur  pag.  132  ein  Citat 
aus  dem  zweiten  Fascikel,  II51  mit  dem  Tenor  flos  ßlius^  jedoch  mit 
abweichendem'Diskante:  tirgo  viget  melius  statt  Vautrier  joer  rrien  alai. 
Es  ist  also  auch  der  zweite  Fascikel  älter  als  Franco.  Die  Abbre- 
Tiatoren  Franco's  von  Paris,  Petrus  Picardus,^  der  Anonymus  se- 
cundus,  tertius  und  septimus  bringen  nichts  wesentlich  Neues.  Pi- 
cardus  citiert  SS.  I  137  ^  ma  dame  und  Gaude  chortis,  beides  aus 
Uli).  Da  der  Traktat  ohne  Notenbeispiele  ist,  so  läßt  sich  nicht  ent- 
scheiden,  ob  diese  Citate  wirklich  dem  Kodex  von  Montpellier  ent- 
sprechen. Beides  wird  als  Beispiel  für  die  longa  imperfecta  citiert; 
das  stimmt  wohl  bei  Gaude,  nicht  aber  bei  A  ma  dame.  Dasselbe 
Gaude  chorus  citiert  auch  der  Anonymus  secundus,  SS.  I  307,  aber 
ziemlich  wenig  übereinstimmend,  ferner  VII^^  En  grand  daulour, 
auch  beinahe  gar  nicht  übereinstimmend.  Der  Anonymus  septimus 
SS.  I  279  citiert  II43  bone  compaignie,  ohne  Noten,  jedoch  als  Bei- 
spiel zum  ersten  Modus,  was  stimmt.  Da  aber  alle  diese  Fascikel 
bereits  aus  früheren  Perioden  bekannt  sind,  so  bringen  diese  Citate 
nichts  Neues. 

V.    Der  Anonymus  quartus. 

Sein  Traktat  ist  das  bedeutendste  Werk  der  ganzen  Musik- 
litteratur  des  zwölften  Jahrhunderts.  Reiche  Kenntnisse,  sichere 
methodische  Durchführung,  vor  allem  der  weite  historische  Blick, 
der  gern  den  geschichtlichen  Entwicklungsphasen  nachgeht,  zeichnen 
den  Autor  aus.  Er  ist,  wie  Coussemaker  in  den  Vorbemerkungen 
3sum  ersten  Bande  der  SS.  überzeugend  nachgewiesen  hat,  ein  Zeit- 
genosse Franco's,  hat  seinen  Traktat  zwischen  1189  und  1215  ge- 
schrieben und  scheint  zu  Paris  gelebt  und  gelehrt  zu  haben.  Denn 
ein  für  die  mündliche  Unterweisung  von  Schülern  bestimmtes  Lehr- 
buch ist  sein  Traktat.  Darauf  weist  die  häufige  Anwendung  der 
2  Pers.  Plur.,  die  direkte  Anrede  an  die  Schüler,   die  methodische 


1  Der  Anfang  von  Picaidus'  Traktat :  Quanican  nonnuüi  maxime  novi  audiiores 
compendioga  hrevitaU  letantur,  verglichen  mit  den  Anfängen  der  drei  andern  Be- 
arbeiter Gaudent  hrevitaU  modemi,  scheint  darauf  hinzuweisen,  daß  er  mit  diesen 
in  naher  Verwandtschaft  steht. 


42  Oswald  Koller, 


Entwicklung  vom  Leichteren  zum  Schwereren,  vom  Einfachen  zum 
Komplicierten  hin,  die,  wenn  die  Sache  klar  genug  erscheint,  die 
weitere  Entwicklung  dem  häuslichen  FleiBe  der  Zuhörer  überläßt, 
das  zeigt  der  Hinweis  auf  die  vorhandenen  musikalischen  Lehrmittel, 
vor  allem  aber  der  Mangel  "an  Notenbeispielen  und  die  dadurch 
nothwendige  umständliche  Exemplificierung  der  vorauszusetzenden 
Notentexte.  Wäre  der  Traktat  nur  zum  Lesen  bestimmt,  so  würde 
ein  einfaches  Notenbeispiel  viel  kürzer  zum  Ziele  gelangen;  es 
wird  aber  die  Schreibweise  einer  Ligatur  umständlich  beschrieben 
(SS.  I  340,  357)1,  i)ei  Notenbeispielen  werden  die  einzelnen  Noten 
nach  Höhe  und  Geltung  aufgezählt  (ibid.  355,  357)  und  der  Text 
überdies  diktiert;  es  ist  ein  Diktat  eines  Lehrers,  dem  keine  Schul- 
tafel zu  Gebote  steht,  worauf  er  seine  Beispiele  aufschreiben  könnte; 
er  muß  alles  seinen  Hörern  diktieren.  Ich  möchte  das  Ganze  für 
das  Kollegienheft  eines  Studierenden  oder  noch  besser  für  das  Vor- 
lesungsheft eines  Vortragenden  halten  und  den  Autor  unter  den 
Lehrern  der  Pariser  Universität  am  Ende  des  12.  oder  am  Anfang 
des  13.  Jahrhunderts  suchen. 

Der  anonyme  Autor  ist  ein  vielfach  musikalisch  gebildeter  Mann ; 
daß  er  die  Entwicklung  seiner  Kunst  studiert  hat,  beweisen  die  beiden 
oft  citierten  musikhistorischen  Abschnitte  pag.  342  und  344,  er  ist 
auch  mit  der  musikalischen  Übung  anderer  Länder,  wie  Englands 
und  Spaniens,  vertraut.  Er  erwähnt  die  beiden  Franco's  mit  dem 
höchsten  Lobe;  daß  er  ihre  Schüler,  ihre  Werke  nicht  nennt,  be- 
weist, daß  er  gleichzeitig  mit  ihnen  lebt.  Er  ist  konservativ;  wenn 
er  auch  überall  die  Verdienste  der  Neueren  anerkennt,  wenn  er  auch 
auf  die  Unzulänglichkeit  veralteter  Schreibweisen  hindeutet:  sein 
Vorbild  bleibt  doch  der  große  Perotinus,  sein  Ideal,  auf  dessen 
Kompositionen  er  überall  als  auf  die  vorzüglichsten  hinweist,  aus 
denen  er  fast  ausschließlich  seine  Beispiele  entnimmt,  obwohl  wir 
das  Zeitalter  Perotins  mindestens  ein  halbes  Jahrhundert  vor  seine 
Zeit  setzen  müssen. 

An  zwei  Stellen  zählt  der  Anonymus  Werke  Perotins  auf;  das 
eine  Mal  pag.  342  an  der  musikhistorischen  Stelle,  das  zweite  Mal 
pag.  360,  wo  die  Hörer  mit  der  musikalischen  Litteratur  ihrer  Zeit 
bekannt  gemacht  werden.  Die  beiden  Verzeichnisse  stimmen  nicht 
ganz  mit  einander  überein.  Daß  alles,  was  im  ersten  Verzeichniß 
steht,    Perotins   Werke    sind,    ist   klar;    an   der   Spitze    des  zweiten 


^  s.  B.  t)ag.  340:  Fae  quadrangrdum  et  alium  quadrangukan  jungendo  tonum 
cum  tono  sive  angulum  cum  angulo  lateraliter  protrahendo,  iterato  alium  quadrangu^ 
lum  8%bi  *ungendo  et  rede  eupraponetidOf  ut  in  duabus  ligatis  tupra  dictum  €»i  etc. 


Der  Liederkodez  von  Montpellier. 


43 


Verzeichnisses  stehen  zwar  auch  Werke  Perotins,  doch  könnten  in 
die  Ldtteraturiibersicht  auch  Werke  anderer  Komponisten  aufge- 
nommen  sein,    wenngleich    es   sehr   befremden   müßte,    daß    diese 


anderen   Komponisten    nicht 
beiden  Verzeichnisse  lauten: 

pag.  342: 

Ipze  vero  magister  Pero- 
tinus  fecü  quadrupla  opti- 
ma 9%cut  Viderunt  et  Se- 
derunt  cum  abundantia  co- 
lorum  musice  artis. 


auch   namentlich    erscheinen.      Diese 


Insuper  et  tripla  plurima 
nobilissima  sicut  Alleluia 
Posui  adjutoriumj  Na- 
ti Vitas  etc. 


Fecit  etiam   ttiplices  con- 
ductus  ut  Salvatoris  hodie 


et  duplices  conductus  sicut 
Dum  sigillum  summt 
patris;  et  simplices  con- 
ductus cum  plufibus  aliis 
sicut  Beata  viscera^  Ju- 
stitia  etc. 


pag.  360: 

Est  quoddam  Volumen  continens  quadru- 
plaut  Viderunt  et  Sederunt,  que  com- 
posuit  Perotinus  magnus^  in  quibus 
continentur  colores  et  pulchritudines^ 

Pro  maiori  parte  totius  artis  huius  habea- 
tis  ipsa  in  usu  cum  quibusdam  similibus  etc. 

Et  est  aliud  volumen  de  triplicibus 
maioribus  magnis  ut  Alleluja  Dies 
sanctificatus,  in  quo  continentur  colo- 
res et  pulchritudines  cum  abundantia. 

Et  si  quis  kaberet  servitium  divinum 
sub  tali  forma  y  haberet  Optimum  volumen 
istius  artis  f  de  quo  volumine  tradtabimus 
in  postposüis  in  capitulo  isto. 

Tertium  volumen  est  de  conductis  tripli- 
cibus caudas  habentibus  sicut  Salvatoris 
hodie  et  Religantur  ab  arca  et  simi- 
Hay  in  quibus  continentur  puncta  ßnalia 
organi  in  ßne  versuum  et  in  quibusdam 
non,  quos  bonus  organista  scire  tenetur. 

Et  est  aliud  volumen  de  duplicibus  con- 
ductis^ habentibus  caudaSy  ut  Ave  Maria 
antiquum  in  duplo  et  Pater  noster  com- 
miserere  vel  Hac  in  die  regi  natOy  in 
quo  continentur  nomina  plurium  conducto- 
rum  et  similia. 

Et  est  quintum  volumen  de  quadruplici- 
bus  et  triplicibus  et  duplicibus  sine  cauda, 
quod  solebat  esse  in  usu  inter  minores 
cantores  et  similia. 

Et  est  sextum  volumen  de  organo  in  duplo 
ut  Judaea  et  Jerusalem  et  Constan- 
tis  quod  quidem  nunquam  fit  in  triplo, 
velut  potest  fieri  propter  quemdam  modum 
ipsum,  quem  habet  extraneum  aliis 

Et  plura  aiia  volumina  reperiuntur^  sed 
in  diversitatibus  ordinationum  cantus  et 
melodiCj  sicut  simplices  conducttts  laici;  et 
sunt  mülia  alia  plura^  de  quibus  omnibus  in 
suis  libris  vel  voluminibus  plenius  patet.  — 


44  Oswald  Koller, 


Die  drei  ersten  Volumina  stimmen  mit  einander  überein.  Aus 
dem  folgenden  hat  Coussemaker  den  Conductus  Beata  eiscera  mit 
III 4  des  Kodex  von  Montpellier  identificiert;  die  Komposition  ist 
aber  gar  kein  Conducius,  sondern  ein  Motetus.^  Von  den  hier  an- 
geführten Texten  erscheinen  im  Kodex  von  Montpellier  nur  Viderunt^ 
Posui  und  Nativitas.  Viderunt  im  zweiten  Fascikel  ist  entschieden 
nicht  Perotinisch.  Es  fehlt  dazu  das  im  selben  Volumen  vorkom- 
mende Sederunty  das  Stück  hat  keine  ahundantia  colorum^  et  armomce 
artis]  ferner  erwähnt  der  Anonymus  currentes  cum  antecedente^  ut  in 
Viderunt  y  eine  solche  Konjunktur  findet  sich  aber  in  II 42  nicht. 
Endlich  stimmt  auch  der  Tenor  nicht  ganz  überein.  Der  Anonymus 
sagt  pag.  ^hQ\  fuerunt  quidarrij  qui  notabant  et  ponebant  litteras  in 
loco  punctorum  sie  /,  f,  f,  a,  c,  c,  d,  c,  a,  rf,  c,  c  quod  patet  in 
antiquis  libris  super  Viderunt  omnes.  Im  Kodex  von  Montpellier  heißt 
aber  der  Tenor  f^  f,  a,  c,  c,  d,  e,  a,  c,  c,  c,  e,  d,  c.  Bestenfalls 
ist  also  entweder  eines  oder  das  andere  eine  Komposition  Perotins; 
welches,  läßt  sich  nicht  entscheiden. 

Bei  den  übrigen  beiden  Stücken  ist  zu  bemerken,  daß  der  Ano- 
nymus überall  Alleluja  als  Gattungsbegriff  gebraucht:  pag.  342 
Alleluja  Posui  adjutorium,  Nativitas;  pag.  360  Alleluja  Dies  sanctiß- 
caius;  pag.  361  ut  patet  in  Alleluja  Posui  adjutorium  und  qae  omnia 
ponuntur  in  Alleluja  Posui  adjutorium  magno  triplo  et  in  multis  aliis. 
Mit  einer  andern  Gattungsbezeichnung  steht  dieses  Stück  pag.  354 
quandoque  dicitur  alio  modo  ut  in  organo  triplo  quamvis  improprie, 
ut  in  Posui  adjutorium.  Auch  im  Kodex  von  Montpellier  sind  die 
beiden  Stücke  stets  mit  einem  Alleluja  yerbimden;  es  steht  Fol.  9 
Alleluja,  Fol.  10  Nativitas;  Fol.  16  Alleluja,  Fol.  17  Posui.  Daß 
aber  dieses  Alleluja  und  Posui  wirklich  zusammengehören  (Cousse- 
maker hat  sie  als  Nr.  I  und  II  der  Beispiele  getrennt),  beweist  eine 
Stelle,  wo  ein  Citat  aus  dem   ersten   der  beiden  Stücke   dem  Posui 


^  Der  Hauptunterschied  zwischen  Canduetus  und  Motetus  liegt  nach  Franco 
SS.  I,  132  darin,  daß  der  Motetus  einen  aus  dem  Gregorianischen  Gesang  entnom- 
menen, der  Conductus  einen  frei  erfundenen  Tenor  hat:  In  omnibus  aliis  aceipitur 
cantus  aliquis  prius  /actus,   qui  tenor  dicitur,  eo  quod  discantum  tenet  et  ab  ipso 

ortum  habet;  in  conductis  vero  non  sie,  sed ßunt  ab  eodern  cantus  et  discantus 

Qui  vult  facere  conductum  primum  cantum  invenire  debet  pulchriorem  quam  potesi; 
deinde  uti  debet  iUo  ut  de  tenore  faciendo  discantum.  Beata  viscera  ist  aber  die 
rituelle  Kommunion  auf  das  Fest   Visitationis  Beatae  Mariae  Virginis  (2.  Juli}. 

2  Nach  Adler  in  dieser  Zeitschrift  11,  291  sind  damit  Imitationen  gemeint. 

3  SS.  I,  340:  Fac  quadrangtUum  cum  tractu  uno  in  parte  dextera  et  junge 
obliquo  modo  in  parva  distantia  duplex  vel  triplex  vel  quadrupler  elmuahym,  et  cur- 
rentes dicuntur  secundum  aliquos  [    1  ^  ^  4 )  * 


Der  Liederkodex  von  Montpellier.  45 


zugetheilt  wird.  Der  Anonymus  sagt  pag.  361  yom  ersten  modus 
irreffularis:  quorum  unus  est,  qui  procedit  per  unam  longam  duplicem 
vel  per  semibrevem  vel  minimam  et  longam  debitam  et  sie  per  talem 
coniinuando  etc.,  ut  paiet  in  Alleluja  Posui  ad/utorium;  quoniam  ibi 
panitur  loco  coptde  sub  tali  forma:  duplex  longa^  f  e  conjunctim^  f  d 
eonjunciim^  e  c  d  f  g  f  cum  plica,  d  c  cum  plica,  a  duplex  longa  cum 
€  conjunctim  et  iste  modus  dicitur  primus  irregularis  et  bene  competit 
organo  puro.  Das  ist  aber,  bis  auf  die  fehlende  zweite  Plica,  genau 
Takt  44 — 53  der  mittleren  Stimme  von  Ii.  Somit  ist  dieses  Stück 
wirklich  als  Komposition  Ferotins  erwiesen,  und  es  ist  nicht  un- 
möglich, daB  der  ganze  erste  Fascikel,  mit  Ausnahme  des  einge- 
schobenen yierstimmigen  Stückes,  Werke  Perotins  enthält.  Das 
einzige  französische  Lied,  welches  der  Anonymus  auch  nach  seinen 
Noten  anführt,  Jo  quiday  mes  maus  celer  (SS.  I  357)  findet  sich  im 
Kodex  von  Montpellier  nicht.  Auch  von  einem  zweiten  ist  es  mit 
Sicherheit  zu  bestreiten.  Bei  Gelegenheit  der  Besprechung  der  Tri- 
plicia  wird  der  Tenor  Omnes  pag.  358a  angeführt,  dazu  die  Noten  eines 
Discantus  imd  Triplum  (die  beiden  letzten  ohne  Text,  das  Triplum 
nach  einem,  wie  es  scheint,  eingeschobenen  Stück  über  das  zwei- 
stimmige Organum  noch  einmal  genauer  pag.  359].  Der  Tenor  und 
die  ersten  Noten  stimmen,  abgesehen  davon,  daß  es  im  ersten  Modus 
steht,  mit  VII 35  überein,  welches  jedoch  im  zweiten  Modus  geschrieben 
ist.  Die  weitere  Folge  ist  aber  so  differierend,  daß  man  nicht  auf 
Identität  schließen  kann. 

Es  ist  somit  die  Ausbeute  an  sichern  Komponisten  sehr  gering. 
Fest  steht  nur  Petrus  de  Cruce  mit  VIT  10.  n»  Perotin  mit  It.2  und 
der  spanische  Anonymus  mit  I45.  Coussemaker  ist  jedoch  in  der 
Zutheilung  an  Komponisten  freigebiger: 

Für  Werke  Perotins  hält  er  noch  I3  1142  1114.  I3  übei^eht  er 
mit  Tollständigem  Stillschweigen;  1142  Viderunt  und  III4  Beata  vis- 
cera  ist  nach  den  yorhergegangenen  Erörterungen  mindestens  sehr 
asweifelhaft. 

Dem  Autor  der  Discantus  positio  vulgaris  schreibt  er  zu  IQ;.  9 
IV5.  6.  8-  Hiervon  ist  oben  bemerkt,  daß  IV5.  g.  g  wohl  mit  der 
Discantus  positio  vulgaris  übereinstimmen;  deswegen  müssen  sie  aber 
noch  nicht  vom  Verfasser  dieses  Traktates  komponiert  sein.  III 7.  9 
gehören  ihm  nicht  an. 

Aristoteles  werden  zugeschrieben  II 44  IV14  V,5  Vni2  Vll^ß.  IV14 
VII 12  stimmen  nicht  überein;  V15  allerdings,  doch  muß  es  deswegen 
noch  keine  Komposition  Aristoteles'  sein.     Vilains  leves  sus  soll  auch 


1  d.  h.  eine  Ligatur. 


4g  Oswald  Koller, 


I  Vautre  j<mr  me  chevaulchoie 
mit  Fol.  361  s  L^autrier  joiant  et  joli  (VIII.    Fase.)    überein- 

I  Vüains  liive  sus  o 
stimmen;  wenn  das  auch  wirklich  der  Fall  ist,  so  hat  es  doch  nicht 
mehr  Beweiskraft  als  Y^j.  Am  Ende  des  Aristoteleskodex  sind  noch 
7  Motets  angehängt,  deren  Komposition  von  Coussemaker  Aristoteles 
zugeschrieben  wird  9  Toutporte  d  craire,  que  ces  compositians  sont  de 
Vauteur  du  traitid^  sagt  er  pag.  155,  es  wird  aber  kein  einziger  Orund 

Quant  vai  la  ßoret-e 

angeführt.    Nachdem  in  diesem  Aristoteleskodex  -  J^  suis  joliete 

Aptatur 

dreistimmig  ist,  im  Kodex  von  Montpellier  jedoch  vierstimmig  als 
II 44  vorkommt,  so  wäre  eine  Bemerkung  darüber  doch  wohl  am 
Platze  gewesen. 

In  demselben  Aristoteleskodex  kommen  noch  vor: 

ISahe  virgo  nohilis 
Verbum  caro  factum  Fol.  320  =  Couss.  VII j3^ 

Veritatem 

IAmor  vincens  omnia 
Mariae  praecanio  devotio     Fol.  319  =  Couss.  VII 12 
Aptatur 
I  Vautner  nCeabanoie 

l  Demenant  grand  joie  Fol.  111  =  Couss.  V15 

( Manere 

ISi  fai  serti  longuement 
Trop  longuement  m'a  fault  Fol,  128  Fase.  V. 
Pro  patribus 

Wenn  das  wirklich  dieselben  Stücke  sind,  wie  im  Kodex  von 
Montpellier,  so  darf  man  deswegen  noch  immer  nicht  Aristoteles 
zum  Komponisten  derselben  machen.  Es  geht  nur  daraus  hervor, 
was  schon  früher  erwiesen  worden  ist,  daß  der  fünfte  und  siebente 
Fascikel  auf  engere  Beziehungen  zu  Aristoteles  hinweisen. 

Franco  von  Köln  schreibt  Coussemaker  zu  IV ^7.  jg.  Daß  sie  ihm 
.nicht  angehören  können,  beweist  die  vor&anconische  Notation. 

Franco  von  Paris  wird  zugeschrieben  VII ^q.  Das  ist  unmöglich 
wegen  des  Mangels  der  dreitheiligen  Mensur;  im  übrigen  ist  auch 
das  Citat  SS.  I  307  ungenau. 

Wichtig  erscheint  das  VerhältniB  des  Kodex  von  Montpellier  zu 
andern  von  Coussemaker  publicierten  Stücken.     In  seiner  Hiatoire 


^  Im  Kodex  von  Montpellier  hat  dieses  Stück  den  Tenor  Verhu»n. 


Der  Liederkodex  von  Montpellier.  47 


de  Iharmonie  au  motfenr-äge  yeiö£EentIiclit  er  pag.  262  (Documents 
Nr.  V)  eine  anonyme  Abhandlung  aus  dem  Kodex  Nr.  S13  der 
Biblioth^ue  nationale  zu  Paris,  welche  nach  SS.  I  pag.  XVIII  bei- 
nahe wörtlich  mit  der  Abbreviation  des  Johann  Ballox  (SS.  I  292] 
übereinstimmen  soll.^  Das  ist  nun  allerdings  nicht  der  Fall,  der  Traktat 
des  Kodex  813  stimmt  am  allerwenigsten  zu  Ballox,  am  meisten  viel- 
mehr mit  den  Citaten  Robert  Handlo's  (SS.  I,  383).  Diesem  Traktate 
im  Kodex  813  gehen  in  französischer  Sprache  geschriebene  Diskan- 
tierregeln,  Quiconqties  veut  deschanter  voran,  welche  wieder  mit  dem 
Anhang  des  dritten  Anonymus  Quicunque  lene  et  secure  dücantare  vo- 
bierit  übereinstimmen.  Zwischen  diesen  Traktaten  zerstreut  stehen 
zwei-  und  dreistimmige  Lieder.  Coussemaker  beschreibt  (Histoire  de 
Tliarm,  259)  den  Kodex  folgendermaßen:  Les  setze  premiers  feuiUets 
comprennent  treize  pidces  ä  une,  deux  et  trots  voix  (folgt  die  Aufzah- 
lung derselben  bis  Fol.  269  b).  Sur  les  marges  inferieures  des  feuil- 
lets  269  et  270  se  trouve  le  petit  trotte  de  dechant  en  langue  romane 
.qui  forme  le  second  de  nos  documents  inedüs  (pag.  245).  (Nach  der 
.pag.  244  gemachten  Beschreibung  reicht  dieser  Traktat  nur  bis  auf  die 
erste  Seite  von  FoL  270.)  Au  verso  du  feuiüet  210  est  ecrit^  de  la 
mime  main  que  le  pricident  et  egalement  sur  les  marges  le  trotte  de 
dechant  j  dont  il  s^agit  ici;  il  commence  par  ces  mots  nQuando  due 
note  etcn  et  ßnit  ä  la  marge  inferieure  au  feuillet  275^^  par  ceux- 
et:  rtEn  grant  dolour.1L  Les  feuillets  270  ä  288  contiennent  des  dechants 
ä  deux  et  trois  voix,  dont  nous  donnons  ici  les  premidres  paroles  (folgt 
die  Aufeählung  derselben).  Viennent  ensuite  quarante  piices  ä  deux 
et  trois  parties ,  portant  un  caractire  et  un  cachet  tout  particuliers. 
JElles  forment  de  curieüx^spicimens  du  genre  de  dSchant,  appele  par 
-quelques  auteurs  dechant  ovec  paroles  differentes  (diese  Stücke  reichen 
von  Fol.  288  r  bis  292  v). 

Aus  Coussemaker's  Beschreibung  geht  hervor,  daß  der  Theil  Fol. 
254 — 292  eine  Liedersammlung  ist,  bestehend  aus  drei  verschiedenen 
Bestandtheilen :  Fol.  252—269,  Fol.  270—287,  Fol.  288—292.  An 
die  Ränder  der  mittleren  Partie  sind  die  beiden  Diskantiertraktate 
geschrieben.  Sie  sind  also  in  ein  älteres  bereits  vollständig  ge- 
schriebenes Manuskript  nachgetragen  worden.     Da  die  Traktate  in 


1  Es  ist  das  eine  mit  Oaudent  breoitate  tnodemi  beginnende  Abbreviation  eines 
Franconischen  Traktates,  die  in  verschiedenen  Formen  auch  als  Anonymi  aecundi 
iraetatuB  de  diicantu  (SS.  I,  303),  als  Anonymi  tertii  de  cantu  menturabili  (SS.  I,  319) 
erscheint  und  von  Robert  von  Handlo  (SS.  I,  383)  und  Johannes  Hanboys  (SS.  I,  403) 
Eur  Grundlage  ihrer  Interpretationen  und  Erweiterungen  gemacht  worden  ist.  Die 
Erörterung  des  Verhältnisses  der  verschiedenen  Redaktionen  muß  einer  selbstän- 
digen Abhandlung  überlassen  bleiben. 


4  g  Oswald  Koller, 


die  Franconische  Zeit  gehören  (Bal^ox  bezeichnet  seinen  Traktat  als 
abbreviatio  magistri  IVanconis),  so  muß  die  Liedeisammlung  in  eine 
frühere  Periode  hinaufzurücken  sein,  und  wirklich  findet  sich  in  den 
von  Coussemaker  (Planche  XXYII  Nr.  1,  2,  3)  gegebenen  Beispielen 
jene  ältere  Notation,  die  ich  oben  S.  15  nachgewiesen  habe:  die 
ternären  Ligaturen  cum  proprietate  et  perfectione  haben  den  Werth 
longa  brevis  longa  wie  bei  Garlandia;  und  nichts  hindert  uns,  diese 
Stücke  in  die  Garlandia'sche  Zeit  hinaufzurücken.  Aber  auch  aus 
noch  älterer  Zeit  enthält  dieser  Kodex  Proben.  Das  Stück  Nr.  4 
Oustodi  nos  Domine  aus  der  mittleren  Partie  der  Liedersammlung 
zeigt  noch  eine  derartige  Notation,  daß  alles,  was  auf  eine  Textsilbe 
gesungen  wird,  sei  es  longa  ^  brevis^  Konjunktur  oder  Ligatur,  einen 
und  denselben  Werth  hat;  hier  steht  also  die  Bezeichnung  der 
Mensur  durch  die  Notenschrift  noch  in  ihren  ersten,  unentwickelten 
Anfangen.  ^ 

Die  Liedersammlung  des  Kodex  813  besteht  aus  zweierlei  Be- 
standtheilen:  aus  Stücken  aus  den  ersten  Anfängen  der  Mensur  (Fol. 
252—269;  270—287)  und  aus  der  Zeit  Grarlandia's  (Fol.  288—292). 
Aus  dieser  zweiten  Partie  finden  sich  ziemlich  viele  Stücke  im  Kodex 
von  Montpellier  wieder;  aber  was  hier  vierstimmig  ist,  ist  im  Kodex 
813  dreistimmig,  was  hier  dreistimmig  ist,  ist  dort  zweistimmig. 

Soviel  sich  aus  der  bloßen  Übereinstimmung  der  Texte  schheßen 
läßt,  sind  einander  gleich 

Kodex  813:  Kodex  von  Montpellier: 

FoL288Nr.ll     darmir.  Fmc.  II  FoL  44  I  ^"f^-^* '"•••"' ^"  * 

(3-8timmig)     |  Et  vide  et  inclina  au-  (4-gtimmig)       l  t\  •      *  •      •       •   . 

^  \  Et  videhü, 

Fol  288  Nr.  5  I     ^  <^^.  Faso.  VI  Fol.  253  r  Trop  nCa  amoura  asaiüi. 

(2-8tiinmig}    |  j^  seetikm.  (2-Btimmig)      l  In  seculum, 

17  1  ocQ  xr    T  f  -^«  «««  Ott  confortpren-    ^,  „       ^r  ^  ,  .«.  (  ^'  '**  ^  confart. 
Fol.  288  Nr.  7  I      ^^^.  ^      ^  (?)  Faso.  V  FoL  121 1  Q^%  por  moi  reconfar- 

(2-Btimmig)     \  ^^  ^^  (3- stimmig)       j      ter. 

[  Et  sperabit, 
FoL  288  Nr.  8  f  Je  nCestoie  mü  en  voie.    Faso.  VI  Fol.  265  f  Je  m'estoie  mis  m  voie. 
(2-stimmig)     \  lUe  vos  docebit,  (2-stimmig)       t  Docebit 

FoL  288  Nr.  9  I     ^^^^  Fase.  VI  FoL  265  f  Pourquoi  niavez  voz, 

(2-8timmig)    |  Docebit.  (2-gtimmig)       l  Docebit, 


^  Ebenso  im  Agnus  JUi  Virginia  aus  dem  Ms.  95  der  Bibliothek  von  LiUe 
(Planche  XXVI.  Nr.  2). 


Der  Liederkodex  von  Montpellier. 


49 


Kodex  813: 

« 

FoL289  Nr.  lOfXt^«  est 
(2-8timmig)    \  Doeebit, 

Fol  289  Nr.  1 1  /  ^/^  ^  "^"'^  *^ 
(2-rtimimg)     [jJ!^^ 

FoL  289  Nr.  lAtJeme  euidai  hien  ienir, 
(2-8timmig)     \^  gaudebit 

Fol.  290  Nr.  17  f  Tai  irwi  qui  nCamera, 
[2-stimmig)     ( Fiat, 

FoL  290  Nr.  18 1  ^^^^  ^  ^*  ^'^'^' 
i2-rtimmig)     |  jj^   " 

Fol.  291  Nr.  28  f  (L)e  hergier. 
(2-8timmig)     \  JEius. 


Kodex  von  Montpellier: 

TS        Tr  17  1   4 JA  (Lies  et  joli  sui. 
Fase. y  Fol.  142    j^  ^,,^.  j^.^  ^  ^^ 

P)Fasc^y  Fol  134(2::-%^^ 


(?)Fa8c.VFoLl59f^^ 
(3-Btimmig)       \  ^. 


De  JoH  euer  doit  venir. 

me  quiday  bien. 
Ei  gatidebit 


Faso.  Vm  Fol.  369/  i*"  !^  ^.  ""T^- 
/o   17      •  V       \  «^  ö»  trouvd  gut  m^amera. 
(3-Btimmig)       \  p^ 


Fol  291 
(2>8timi 


»lNr:3l|-®V?* 
iimnig)    l^^_ 


J^n  teilten  e'eet  entre^ 


Fol.  292  Nr.  36 1  ^J'"**'*  "^  ^'^ 
(2.Btimmig)    l^^^;^^^. 

FoL  292  Nr.  38  f  Bele  eane  orgueiL 
^2-Btimmig)    \jEt  exaUahit, 


Fase.  VI  FoL  239 

(2-8timmig) 

FascV  FoL  195 
(3-8timmig} 


Fase.  V  FoL  141 
(3-8timmig) 


FascV  FoL  121 
(3-slimmig) 


FascV  FoL  133 
(3-stinmiig) 


{Merri  de  qui  fatendoie, 
Fiat 

Tot  tin  matvnet  fautrier, 
Le  bergier  ei  grant  en 

vie. 
,  Eiue, 

(Oneques  ne  ee  parti, 
En  tel  lieu  e'^eet  entre- 
mis. 
Virgo, 

Ne  eai  ou  confort. 
Que  por  tnoi  rtecnfor^ 

ter. 
Et  eperabit, 

{A  ce  qtCon  dit. 
Bele  eane  argueil. 
Et 


Wie  ersichtlich,  stellt  dei  fünfte  Fascikel  den  größten  Theil  des 
Übereinstimmenden  bei.  So  interessant  eine  Vergleichung  all  dieser 
Stücke  wäre,  so  kann  man  sie  doch  nur  bei  einem  einzigen  durch- 
fuhren, bei  dem  zuerst  angeführten  Dieus  je  ni  puis  la  nuit  dormir, 
das  in  der  Histoire  de  Tharmonie  auf  Planche  XXVII  aLB  Nr.  3^  in 
der  Art  harmonique  als  Nr.  XXXXVlü  (II48)  erscheint. 

Ich  setze  zur  Vergleichung  das  ganze  Stück  hierher;  unten  die 
nisprüngltche  Bearbeitung  im  Kodex  -813,  oben  die  Umarbeitung  im 
Kodex  Ton  Montpellier.  Zur  bessern  Übersicht  transponiere  ich  den 
obem  Text,  so  daß  in  beiden  Bearbeitungen  die  Noten  gleich  sil^d 
and  die  Varianten  leicht  erkannt  werden  können. 

1888.     *  4    ■        " 


50 


Oswald  Koller, 


Kodex  von 

Montpellier 

Fol  44. 


(E): 


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.  Kodex 
Paris.  813 
FoL  288. 


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Kodex  von  Montpellier. 

'.   1.  Stimme:   Takt  22  fehlt  im  Original  die  Cauda  der  opposüa  proprietaa, 

2.  Stimme:   Takt  2T  sind  im  Original  die  erste  und  letzte  Note  als  longae 
notiert. 

*  3.  Stimme:  Takt  12  fehlt  die  Cauda  der  oppoeikt  proprietas,  Takt  19  ist  im 
Original  die  erste  Note  brevia  cum  plica.  Takt-  23  fehlt  im  Original  die  Pause^ 
Takt  27  fehlt  die  Cauda  der  opposxia  proprietas, 

Tenor:   Takt  16  scheint  auch  im  Kodex  813  falsch. zu  sein;  ich  vermuthe  «. 
1  akt  27  steht  im  Original  eine  duplex  longa. 

Kodex  813.  ' 

Mittelstimme:   Takt  23  dürfte  d  zu  setzen  sein  (und  dahinter  eine  Pause). 


Der  Liedeckodeic  von  Montpellier. 


51 


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Die  Yergleichimg  ergiebt,  daß  die  drei  unteren  Stimmen  .mit 
Ausnahme  weniger  Stellen,  wo  der  Kodex  von  Montpellier  eine 
reichere  Ausgestaltung  enthält,  dieselben  geblieben  sind  und  nur  die 
oberste  Stimme  hinzugefügt  worden  ist.  Das  bestätigt  auch  der 
Text.  In  den  beiden  Mittelstimmen  ist  der  Beim  mit  peinlicher 
Grenauigkeit  übereinstimmend;  in  der  obersten  Stimme  fehlt  der 
Beim  Takt  19.         . 

£»  enthalt  also  der  Kodex  813  Stucke  in  älterer  Gestalt,  welche 

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52 


Oswald  Koller, 


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in  jüngerei  überarbeiteter  Form  im  Kodex  von  Montpellier  vor-* 
kommen.  Eine  Beihe,  aus  welcher  durch  Interpolation  die  Reihen- 
folge der  Stücke  des  fünften  Fascikels  entstanden  wäre,  läßt  sich 
nicht  aufstellien.  Es  scheint  also  eine  direkte  GesammtentlehnUng 
aus  813  nicht  stattgefunden  zu  haben,  sondern  die  Lieder  dürften 
durch  ändere  Vermittlung  oder  nach  und  nach  m  die  Fascikel  des 
Kodex  Ton  Montpellier  Eingang  gefunden  haben. 

Wenn  die  Stücke  des  Kodex  813  in  die  Garlandia'sche  Periode 


Der  Liederkodex  von  Montpellier. 


53 


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gehören,  so  sind  die  zweistimmigen  Stücke  des  sechsten  Fascikels 
(Fol.  253,  265,  239),  die  ungeändert  geblieben  sind,  damit  gleich- 
seitig. Dann  fallen  die  dreistimmigen  Stücke  des  Y.  Fascikels,  die 
aus  den  zweistimmigen,  und  das  yierstimmige  des  n.  Fascikels,  das 
aus  dem  dreistimmigen  entstanden  ist,  in  eine  spätere,  etwa  die  Ari- 
stotelische Zeit,  was  ja  schon  früher  festgestellt  worden  ist. 

Noch  ein  anderes  Manuskript  steht,  freilich  in  loserer  Beziehung 
aum  Kodex  von  Montpellier.    Es  ist  der  Kodex  812  der  Biblioth^que 


54 


Oswald  Koller, 


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nationale,  aus  welchem  Coussemaker  in  der  Histoire  de  Tharmonie 
pag.  274  ff.  unter  den  Documents  Nr.  VI  einen  Traktat  Quaedam  de 
arte  discantandi  mittheilt»  der  sich  seinem  Inhalte  nach  auf  die 
Franconische  Theorie  stützt;  auch  die  dem  Traktate  folgenden  Musik- 
beispiele (Planche  XXVIII,  XXIX,  XXX  Nr.  1,  2,  3)  weisen 
Franconische  Notation  auf.  Von  den  im  Traktate  enthaltenen  Noten- 
beispielen stimmt  eines  überein  mit  VIIio  ^^  renouveler  du  jolis  tans 
des  Kodex  von  Montpellier,  auch  findet  sich  der  Hoquet  des  anonymen 


Der  Liederkodex  Ton  Montpellier. 


55 


spanischen  Komponisten  citiert,  diesmal  jedocli  in  der  Notation  mit 
Bremen  und  Semibreven. 


Kodex  8t2 

(histoire  de 

Pharmonie 

pag.  285). 


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Neues  zur  Bestinunung  des  Kodex  von  Montpellier  gewährt 
dieser  Kodex  nicht. 

Es  ergiebt  sich  somit  folgendes  definitive  SchluBresultat: 

Abfassungszeit  der  Discantus  positio  vulgaris,  Fase.  III 
und  IV  sind  die  ältesten  Stücke.  Fase.  IV  hat  in  seiner  gegen- 
wärtigen Gestalt,  Fase.  HI  wahrscheinlich  in  nahverwandter  Re- 
daktion dem  Autor  des  Traktates  vorgelegen. 

Zeitalter  Perotini  Magni.  Von  ihm  und  dem  anonymen 
spanischen  Komponisten  liegen  Werke  vor  in  der  ursprüngr 
liehen  Gestalt  des  ersten  Fascikels. 

Zeitalter  Garlandia's.  Vielleicht  gehört  hierher  der  VI. 
Fascikel.     Entstehungszeit  der  Kompositionen  im  Kodex  813. 

Zeitalter  des  Aristoteles.  Sammlung  des  V.  Fascikels,  Ab- 
fassung des  n.  Fascikels,  ursprüngliche  Anlage  des  VIX.  Fascikels. 
Die  Stücke  des  Kodex  813  werden  umgearbeitet  und  um  eine 
Stimme  vermehrt. 

Petrus  de  Cruce.  Von  ihm  sind  wenigstens  zwei  Stücke, 
Vn,o  und  VII, 1. 

Zeitalter  der  beiden  Franco's.  Die  Fascikel  I  und  VII 
werden  in  Franconische  Notation  umgeschrieben.  Entstehung  des 
VIII.  Fascikels.  In  den  Kodex  813  werden  die  Marginaltraktate 
eingeschrieben.     Entstehung  des  Kodex  812. 


VI. 

Sind  die  bisher  gewonnenen  Kesultate  richtig,  so  muß  auch  in 
der  musikalischen  Durcharbeitung  der  Fascikel  eine  fortschreitende 
Entwicklung  zu  finden  sein.  Da  aus  dem  Kodex  813  ersichtlich  ist, 
daß  die  Stimmen  nach  aufwärts  angesetzt  werden,  so  ist  die  Ent- 
wicklung auch  in  dieser  Richtung  zu  verfolgen.  Zunächst  interessiert 
das  sprachliche  Verhältniß  der  verschiedenen  Stimmen;  und  da  die 
lateinischen  Texte  fast  ausnahmslos  geistlichen,  die  französischen  fast 
alle  weltlichen  Inhalts  sind,  so  ist  mit  einer  solchen  Übersicht  auch 
em  Überblick  über  die  V^rweltlichung  der  Musik  gegeben.     Es  ist 


56 


Oswald  Koller, 


der 

der 
Discantas 

das 
Triplnm 

das 
Qnadrnplam 

im  Fascikel 

Tenor 

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1 
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14 

1 

16 

3 

1 
12 

10 

1 

Daraus  geht  hervor,  daß  auf  eine  lateinische  Unterstimme  ent- 
weder eine  lateinische  oder  eine  französische  Oberstimme  gesetzt  wird; 
höchst  selten  aber  auf  eine  französische  Unter-  eine  lateinische  Ober- 
stimme. Die  Zahl  der  lateinischen  Tenore  ist  100  Procent  im  I.,  II., 
rV.  und  VI.  Fascikel.  Im  III.  (?)  und  V.  erscheint  nur  je  einmal 
ein  französischer  Tenor,  häufiger  erscheinen  französische  Tenore  erst 
im  Vn.  und  VIII.  Fascikel;  sie  bilden  dort  32  und  26  Proc.  Man 
bedient  sich  also  zuerst  ausschließlich  lateinischer  Tenore  und  erst 
gegen  die  Franconische  Periode  werden  auch  weltliche  Liedsätze  zum 
Cantmßrmus  gemacht. 

Auf  den  lateinischen  Tenor  kann  ein  lateinischer  oder  fran«> 
zösischer  Diskant  gesetzt  werden.  Der  lateinische  Diskant  macht  im 
IV.  Fascikel  100  Proc,  im  III.  93  Proc,  im  I.  88  Proc  aus;  das  ist 
also  wesentlich  kirchliche  Musik.  Ausschließlich  französischer  Dis- 
kant, 100  Proc,  findet  sich  im  VI.  Fascikel,  über  99  Proc  im  V,, 
88  Proc.  im  II.  Fascikel;  das  ist  verweltlichte  Musik ;  der  VIL  Fas- 
cikel zeigt  33  Proc.  lateinische,  67  Proc  französische  Diskante,  ist 
also  auch  wesentlich  weltlich.  Im  VIII.  Fascikel  halten  sich  beide 
Arten  ziemlich  das  Gleichgewicht;  dieser  Fascikel  zeigt  59  Proc 
lateinische  und  41  Proc  französische  Diskante. 

Mit  fortschreitender  Kunst  wird  über  den  Discantus  noch  ein 
Triplum  und  Quadruplum  gesetzt;  dieses  ist  meist  französisch.  Über- 
vdegend  lateinische  Tripla  finden  sich  nur  im  IV.  Fascikel  (100 
Proc.)  und  im  I.  Fascikel  (88  Proc).  In  allen  übrigen  verweltlicht 
sich  die  Musik;  lateinische  Tripla  (und  Quadrupla]  sind  im  VITE. 
Fascikel  nur  mehr  40  Proc,  im  VII.  23  Proc,  im  11.  12  Proc,  im 
ni.  7  Proc,  im  V.  kaum  2  Proc. 

1  Coussemaker  giebt  pag.  246  für  FoL  84.  85  den  Tenor  nsoierti  an.  In  dem 
(mangelhaften)  alphabetischen  Register  pag.  257  ff.  findet  sich  dieser  Text  weder 
unter  den  französischen  noch  unter  den  lateinischen  Tenoren.  Vielleicht  liegt  hier 
ein  Lese-  oder  Druckfehler  vor. 


Der  Liederkodex  von  Montpellier. 


57 


Der  Tenor  erscheint  rhythmisoli  indifferent.  Aus  dem  gre- 
gorianischen Gesang,  t^o  überhaupt  noch  keine  Mensur  ist,  ent- 
nommen, wird  er  nur  als  formlose  Tonmasse  behandelt,  mit  der  jede 
rhythmische  Yerrückung  gestattet  ist.  Man  beachte,  wie  Garlandia 
in  seinen  Beispielen  mit  den  Tenormelodien  umgeht;  dieselben 
Noten  sind  bald  lang,  bald  kurz,  bald  betont,  bald  unbetont,  je 
nachdem  sie  in  die  Form  eines  Metrums  gepreßt  werden.  Auch  der 
Kodex  von  Montpellier  enthält  solche  rhythmisch  indifferente  Tenore. 
Coussemaker  fuhrt  pag.  109  und  110  Beispiele  an;  und  aus  den 
edierten  Stücken  ist  zu  sehen,  wie  der  Tenor  In  sectdum  im  ersten 
(trochäischen),  ersten  (molossischen)  und  vierten  Modus  (VI  31,  I45, 
III7),  der  Tenor  Aptatur  im  ersten  (IVig,  Vae,  II44),  zweiten  (VII12) 
und  fünften  Modus  (Vllie),  Baluam  in  zwei  yerschiedenen  Formen 
des  ersten  Modus  (Vlaa  Vnias),  Omnes  im  zweiten  (VII35)  und  ersten 
(VII2&)  Modus  auseinandei^ereckt  und  rhythmisch  verzerrt  werden. 

Aber  diese  Verzerrung  findet  sich  selbst  innerhalb  eines  und 
desselben  Stückes.  So  besteht  der  Tenor  von  I45  aus  einem  zwei- 
mal wiederholten  Motiv  von  34  Noten;  da  dieses  jedoch  in  Gruppen 
von  je  3  Noten  getheilt  ist,  so  kehrt  die  erste  Note  der  ersten 
Gruppe  als  zweite  Note  der  zwölften  Gruppe,  die  zweite  der  ersten 
Giuppe  als  dritte  der  zwölften,  die  dritte  der  ersten  Gruppe  als 
erste  der  dreizehnten  Gruppe  wieder  (Form  A  A^), 

Eine  ähnliche  einfache  Verrückung  zeigt  sich  bei  Hlzi  i^  d^' 
Form  A  A^  B  [A=^  \1  Noten  in  Gruppen  zu  je  5). 


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Femer  in  V33  in  der  Form  A  B  B^j  in  II43  =  V15  (eine  einzelne 
Note,  A  A^B)  ia  VIs^  {A  A  B  A^  A^  JBJ,  V29  (A  B  A^  B^  A^), 
IVj4  (AA^  A^  Äw);  liier  werden  nach  Bedarf  einzelne  Noten  zu  dt^li^ 
ces  Umgae  gedehnt).  Kompliciertere  Verbindungen,  in  denen  die  Ver* 
ruckung  des  Tenors  schwer  sichtbar  wird,  treten  auf  in  IV^,  IVg,  Va^* 

Alle  diese  verrückten  Tenore  zeigen  sich  in  den  altem  Fascikeln 
I,  in,  IV,  V,  VI.  Die  übrigen  Tenore  sind  rhythmisch  nicht  ver- 
zerrt.    Sie  zeigen  entweder  gar  keine  Gliederung  (Ii  I2  1X42.48.49.50 


5  g  Oswald  Koller, 


-III 4  IVt?)  oder  Wiederholung  einzelner  Motive  ohne  rhythmische  Ver- 
-sserrung.  Die  Form  A  A  (AAA)  weisen  auf  1144.40  IVe.  ig  Vje  Vlai 
VlXio  (jedoch  mit  Wechsel  des  trochäischen  und  molossischen  erstefii 
Modus)  Vni2.i3  16.25.34*0  VIII38.41;  ^^  Form  AA'A'AA  IIIt.  Ver- 
flechtung Äweier  Motive  weisen  auf:  A  AB  Ul^  VII39;  A B^Ä  (d.  h. 
das.  letzte  Motiv  unvollständig)  Vlllas;  ABB  1147.51;  A  B  B  A  A 
VII 27 ;  AABAAB  VIII 22;  A  B-A  AB  AB  VII 23.  Kompliciertere 
■Gliederungen  weisen  auf  VIH x^{ABC CA B),  VIII 2i{AABBB' B' C), 
yilxx{AB  CBDABCBD),  Einen  Pes  nach  Art  des  Sumercanon 
hahen  Vtl  24.40-  Die  periodische  Gliederung  tritt  vorzugsweise  im 
Vn.  und  VIII.  Fascikel  auf.  Man  wird  nicht  fehl  gehen,  wenn  man 
diese  fortschreitende  Differenzierung  in  immer  kleinere  Melodi^lieder 
^uf  Rechnung  des  weltlichen,  volksthümlichen,  in  der  Nationalsprache 
^bge&ßten  Liedes  setzt.  Thatsächlich  zeigen  mit  Ausnahme  des  ältesten 
(II 49)  alle  französischen  Tenore  (VII27. 39. 4o  Vlllig.  33)  eine  höchst  ein- 
fache volksliedmäfiige  Periodisierung. 

Über  den  Tenor  tritt  als  zweite  Stimme  der  Discantus.  Man 
kann  die  Entwicklung  aus  dem  alten  Organum  noch  recht  deutlich 
beobachten.  Stücke  wie  das  in  der  Histotre  de  Vharmonie  mitgetheilte 
Verbum  bonum  et  suave  zeigen  noch  gar  keine  eigentliche  Mensur^ 
ebenso  ChMtodi  me  domine  aus  dem  Ms.  813,  wo  noch  jede  Noten- 
gruppe denselben  Werth  hat.  oder  der  Tenor  Regnat  [donc  le  rieu  de 
Ja  fontaine) ;  der  Diskant  ist  schon  regelrecht  mensuriert,  der  Tenor 
noch  willkürlich  bezeichnet.  Der  letzte  Überrest  dieser  ungenauen 
Mensur  dürfte  die  oben  S.  1 4  ff.  besprochene  Darstellung  des  molossi- 
schen ersten  Modus  durch  Ligaturen  sein.  Die  Bewegungen  der 
Diskantstimmen  in  den  Beispielen  halten  sich  im  allgemeinen  an  die 
seit  der  Discantm  posiiio  vulgaris  vorgeschriebene  Gegenbewegung; 
trotzdem  kommen  offene  Quinten-  und  Oktavenparallelen  fast  in  jedem 
Stücke  bis  in  die  jüngsten  Fascikel  ungescheut  vor.  Die  harmonische 
Übereinstimmung  liegt  nur  in  den  Anfangsnoten  der  Perfektion ;  die 
übrigen  Durchgangsnoten  sind  irrelevant  und  dissonieren  oft;  bei  den 
daktylischen  und  anapästischen  Rhythmen  liegt  die  harmonische  Über- 
einstimmung sogar  nur  im  Anfang  jedes  zweiten  Taktes,  d.  h.  zu 
Anfang  jedes  Versfußes.  Das  spricht  dafür,  daß  im  Diskant  ursprüng- 
lich nur  longa  gegen  longa  gesetzt,  wie  im  Verbum  bonum;,  und  daß 
dann  erst  die  Senkungen  nach  Belieben  ausgefüllt  wurden. 

Wird  in  einem  Tenor  ein  Motiv  wiederholt,  so  pflegt  auch  der- 
selbe Diskant  aufzutreten;  das  findet  sich  in  den  Beispielen  des 
ni.  und  VI.  Fascikels  spärUch,  sehr  häufig  dagegen  im  IV.  Fascikel. 
In  IVg  wiederholt  sich  dasselbe  Tenormotiv  Takt  1 — 3;  29 — 31; 
53 — 55   und  eben  hier  ist  auch  der  Diskant  wiederholt,  jedoch  mit 


Der  Liederkodex  von  Montpellier. 


59 


yerschiedener  melodischer  Geltung;  Takt  1 — 3  ist  es  die  Anfangs- 
phrase einer  Periode,  Takt  29 — 31  tmd  53 — 55  die  Schlußphrase; 
das  erste  Mal  wird  durch  eine  Durchgangsnote  ein  Übergang  zum 
folgenden  gemacht,  die  beiden  andern  Male  schließt  es  eine  Pause 
ab.  Ebenso  ist  im  Tenor  und  Diskant  Takt  25—27  =  49—51; 
41—43  =  57—59.  In  IVe  ist  Takt  43—44  =  55—56,  jedoch  mit  ab- 
weichenden Durchgangsnoten.  In  IV u  ist  Takt  1 — 3  =  25 — 27  = 
41—43;  17—23  =  33—39.  In  IVn  ist  Takt  5—7  =  25—27  = 
41—43  =  53—55  =  89—91;  17—19  =  97—99;  33—35  =  65—67. 
Auch  wenn  der  Tenor  repetiert  wird,  wiederholt  sich  der  Diskant; 
80  ist  in  VI  32  bei  der  Wiederholung  des  Tenors  auch  der  Diskant  bis 
auf  die  wechselnden  Durchgangsnoten  in  Takt  32 — 42  ==  3 — 13.  Im 
ganzen  dritten  Fascikel  stimmt  nur  in  III 9  bei  der  Wiederholung 
Takt  5 — 8  mit  33 — 36.  Häufiger  jedoch  zeigt  sich  das  im  IV.  Fascikel. 
In  IV5  ist  bei  der  Wiederholung  des  Tenors  auch  im  Diskant  gleich 
Takt  45—49  =  106—110;  37—41  =  122—126.  In  IVe  wiederholt 
rieh  Takt  3—14  in  33—44;  20—28  in  50—58.  Diese  Repetition  des 
Diskantes  ist  jedoch  ganz  mechanisch,  schon  deswegen,  weil  dasselbe 
Motiv  wiederholt  wird,  unbekümmert  darum,  ob  es  Anfangs-,  Mittel- 
oder ScUuBphrase  ist.  Noch  deutlicher  zeigt  rieh  diese  mechanische 
Wiederholung  bei  den  rhythmisch  verrückten  Tenoren. 
Es  entspricht  in  IV$: 


im  Tenor 

im  Diskant 

Takt  1 

der 

Verrückung 

Takt  23    .    . 

.      1  =  23 

»     2 

» 

9 

9 

25    .    . 

.     2  —  25 

»     3 

]> 

9 

9 

26    ,    . 

.     3  —  26 

• 

X      51 

9 

9 

» 

27    .     . 

.     5  —  27 

.    (6 

r> 

» 

» 

29)  .    . 

.     6  —  28 

und  weil  im  Tenor 

Ä      7 

» 

9 

» 

30 

Takt   29—31   — 

D       9 

» 

9 

9 

31 

Takt  1—3,  so  ist 

9    10 

9 

)) 

9 

33    .    . 

.   10  —  33 

auch  im  Diskant 

»    11 

a 

9 

9 

34    .     . 

.   11—34 

Takt   29      31    — 

»    13 

9 

9 

9 

35 

• 

Takt  1—3. 

»    14 

» 

0 

9 

37 

• 

»    15 

» 

9 

9 

38 

• 

»    172 

» 

9 

9 

39 

1^    18 

9 

9 

9 

41     .    . 

.   18  —  41 

»    19 

» 

9 

9 

42    .    . 

.   19  —  42 

»   21 

9 

9 

9 

43 

»   22 

» 

9 

9 

45 

^  Jeder  vierte  Takt  ist  eine  Pause. 

'  Der  Tenor  muß  richtig /e/  (statt  agä)  heißen. 


60 


Oswald  Koller, 


Und  weil  im  Tenor 
Takt  1—3  =  29—31  =  53 
25—31  =  49—55 
41—47  =  56—64 


so  ist  auch  im  Diskant 
55     Takt  1—3  =  29—31  =  53—55 
25—31  =:=  49—55 
41—47  =  56—64. 


Wäre  die  Wiederholung  nicht  rein  mechanisch,  so  konnten  z.  B.  die 
ersten  diei  Takte  des  Diskantes  bei  der  Wiederholung  nicht  derart 
auseinandergerissen  werden,  daß  zwischen  den  ersten  und  zweiten  Takt 
eine  Pause  fallt,  nur  damit  derselben  Note  im  Tenor  auch  dieselbe 
Note  im  Diskanjt  entspreche. 

Ich  setze  der  besseren  Yeranschaulichung  wegen  XV  g  hierher: 


Kodex  von 
Montpellier 
Fol.  88.  89  \ 

(IVs). 


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10 


Im  Tenor  muß  Takt  17 — 19  analog  zu  39 — 42  sein.    Im  Original  steht 


Die  vorletzte  Note  Takt  62.  63  ist  zu  einer  longa  duplex  zu  dehnen. 


Der  Liedeilcodex  von  Montpellier. 


61 


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25 


62 


Onrald  Koller, 


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nus    glo  -  ri    -     e. 


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23 


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40 


Der  Liederkodex  von  Montpellier. 


63 


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tes,         Ma-ter    gra 


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a     ml-  ti  -  ga    fi  -  li.-  um, 


Ml  -  ro    mo'do    cu  -  ius  es    fi  -  li- 


32: 


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pec  -  ca     r     ta  sint    ab  -  la     -     ta    per  te     ho     -     di- 


Ut 


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g— £-        ° 1= 

in      con  -  tra  -  ri  -  um, 

M    ^ 

»•  -. ■:         ,    .«..    ^ 

-(5< « TP        ^        ^         ^ 

: 

te  -  pu ;    -      ro      lau-dant 

t      1        -              ..1                 > 

.^ 

-^a. = „, 

-^-                       «•_ 

55 


64 


Oswald  Koller, 


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f  ^.  pT,.  r-  p  r  ■"  i 


Sed   de    e-ter-na    ri-te         pre  -  mi '  -     a. 


i 


E 


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-     te. 


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jm.        <g«       IZS 


2Zi 


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1 


60 


Nocli  interessante!  ist  IYh. 


&.odex  von 
MontpeUiex 
FoL92.93  \ 

(IVi4) 


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Ve-ni    sanc-te    spi-ii-tus,  ve  -  ni    lex  gra-ti  -  e 


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Neuma. 


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^   _.    ^._.     ^           ...      „r^            .,      ^     ^   "-- 

Su— 

-^-^-^-^-f-^-f-^ 

■^          1     r   /*  r         1      ■ 

ma-ier   ho- ne-stis-si-ma 

e  -  gto    no-  big    sem-per 

=fr~ 

-          .— .— ^pu—fff          ^.,.._ 

^ — — — _ 

-;.i^_ 

\ (^  '^"F 

Ve-ni    re-ple    ce-li 
»             »             f 

-  tu8     tu-e    fa-mi-li-e 

t  X« 

>- 

— B».                «^ ^ 

10 


15 


Der  Liederkodex  von  Montpellier. 


65 


-.         ' 

9 

9 

»                                9                                 9 

9               9 

^ 

|V        »      Ä      ^ 

^" 

f^              1^7          ^ 

sTs       ^          ^       sn          ^       \ 

^.* 

1   y                     "      »•             ejm 

'                       1 

1 

1                                  ' 

pro  -  xi  -  ma, 

De-i 

ge  -  ne  -  trix   pi  -  a,      o 

Ma- 

9>y                        r»                       ))» 

^-^     ^j       ^ 

i^ 

1  y        " 

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1                                  j                                  ur                ■              ^              ur           - 

!                                                                    f 

Pec-to  -  ra    ra  -  di  -  ci  -  tus,  pa  -  ter   po  -  ten-  ti  -    e 
»               >               >                 >                1                >               »        » 

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1888. 


66 


Oswald  KoUer, 


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Der  Liederkodex  von  Montpellier.  g7 


Hier  stehen  sogar  analogen  Tenormotiren  analoge  Diskantmotive 
■ur  Seite.  Im  Tenor  ist  Takt  1 — 3  =  25 — 27  =  41—43  analog  zu 
9 — 11,  femer  analog  zu  17  —  19  =  33 — 35.  Gleichen  Tenormotiven 
entsprechen  hier  überall  gleiche  Diskantmotive,  ist  aber  der  Tenor 
auf  eine  andere  Stufe  rersetzt,  so  macht  auch  der  Discantus  die  ent- 
sprechende Versetzung  mit;  so  erscheint  Takt  1 — 7  eine  Stufe  höher 
als  Takt  17 — 23  und  33 — 39.  Die  Anfänge  der  sechs  ersten  Kola 
sind  überhaupt  gleich,  nur  stehen  sie  auf  verschiedenen  Tonstufen. 
Daraus  aber  ergeben  sich  Imitationen  innerhalb  einer  und 
derselben  Stimme  und  damit  der  Ursprung  eines  der  wichtigsten 
musikalischen  Kunstgesetze.  Daß  diese  Imitationen  nicht  etwa,  wie 
aus  IV 14  vielleicht  gefolgert  werden  könnte,  absichtlich  erdacht,  son- 
dern zunächst  absichtslos  und  zufällig  entstanden  sind,  lehrt  IV s» 
Durch  den  zufälligen  Gleichklang  des  Tenors  werden  auch  zufällige 
Gleichklänge  des  Diskantes  angeregt;  bewußte  Nachahmungen  zeigen 
sich  erst  später. 

Die  Tripla  fügen  sich  im  allgemeinen  diesem  Gesetze  nicht. 
Sie  treten  zumeist  in  bewegteren  Formen,  in  Breven  und  Semibreven 
auf  und  werden  auch  hier  ohne  Rücksicht  auf  etwaige  analoge  Tenor- 
oder Diskantmelodien  gesetzt.  Daher  findet  sich  hier  kaum  ein  ein- 
ziges Kolon,  welches  einem  zweiten  gleich  wäre,  sondern  es  herrscht 
die  höchste  Verschiedenheit,  Ungebundenheit,  RegeUosigkeit.  Die 
Tripla  schweifen  frei  über  beide  Stimmen  hin,  ohne  noch  durch  ein 
anderes  Gesetz  gebunden  zu  sein,  als  durch  die  Konsonanz  der  An- 
fangsnote jeder  Perfektion.  Wo  aber  das  Triplum  den  rhythmischen 
Gleichschritt  mit  dem  Discantus  hält,  bilden  sich  ähnliche  Imitationen 
heraus.  So  wiederholt  sich  in  IV 14  im  Triplum  Takt  19 — 21  =  35—37 
mit  demselben  Diskant  und  Tenor,  Takt  27—29  =  43—45  =  56—59 
und  eine  Stufe  tiefer  Takt  31 — 33.  Ja  aber  weil  der  Tenor  aus  fast 
lauter  ähnlichen  Phrasen  besteht,  entwickelt  sich  in  diesem  Stück 
ein  merkwürdiges  Farbenspiel  von  Imitationen  auch  zwischen  Triplum 
und  Discantus.  Es  erscheint  Triplum  Takt  27  als  kanonische  Nach- 
ahmung des  Discantus  Takt  25  und  wiederum  Tripl.  31,  Diso.  33, 
Disc.  41,  Tripl.  43,  Diso.  55,  Tripl.  57.  Aus  solchen  unbeabsichtigten 
Imitationen  entwickeln  sich  dann  absichtliche,  wie  sie  im  VIII.  Fascikel 
vorkommen.  Da  aber  schon  Garlandia  in  dem  vielcitierten  ^  Beispiel 
SS.  I,  117  ein  Beispiel  bewußter  Imitation  giebt,  so  wird  der  oben 
gemachte  Schluß,  daß  der  IV.  Fascikel  mit  seinen  unbewußten  Imi- 
tationen der  Zeit  der  Discantus  positto  vulgaris ,  also  einer  früheren 
Periode  angehöre,  wohl  kaum  ein  Fehlschluß  sein. 

1  Z.  B.  Coussemaker,  Hisioire  de  Tharmonie  pag.  55,  Art  hannonique  pag.  79, 
Adler  in  dieser  Zeitschrift  U,  275. 

5* 


ßg  Oswald  Koller, 


In  den  ältesten  Partien  des  Kodex  von  Montpelliei  lassen  sich 
zwei  Gruppen  unterscheiden.  Die  erste,  welcher  der  IH.  Fascikel 
angehört,  hat  noch  einen  regellos  schweifenden  Diskant  und  ein  eben 
solches  Triplum.  Die  zweite  Gruppe,  welcher  der  IV.  und  möglicher- 
weise auch  der  VI.  Fascikel  angehören,  zeigt  das  Bestreben,  auf 
gleiche  Tenore  auch  gleiche  Diskante  zu  setzen ;  aus  dieser  entwickeln 
sich  die  Ursprünge  der  Nachahmung. 

Da  der  Diskant  sich  nach  dem  Tenor  richten  muß,  so  ist  es  nicht 
gut  möglich,  daß  eine  schon  vorhandene  Melodie  ohne  weiteres  mit 
dem  Tenor  zusammenstimme ;  sie  müßte  denn  mit  manchen  Abände- 
rungen zugerichtet  werden.  Der  Vorgang  ist  wohl  der,  daß  zu  einem 
gegebenen  Tenor  zuerst  die  konsonierenden  longae  des  Diskantes  ge- 
schrieben, dann  die  Durchgangsnoten  hinzugesetzt,  schließlich  ein 
schon  vorher  gegebener  Text  untergelegt  und  die  Abschnitte  der  Vers- 
zeilen durch  Pausen  markiert  würden.  Dies  ist  offenbar  überall  dort 
der  Fall,  wo  der  Diskant  Kola  von  gleicher  Länge  aufweist  und  wo 
im  Texte  selbst  eine  symmetrische  Gliederung  wahrnehmbar  ist.  Daß 
der  Text  des  Diskantes  früher  vorlag  und  der  Tenor  nach  Bedarf 
soweit  fortgeführt  wurde,  als  es  der  unterzulegende  Text  erheischte, 
wird  dadurch  bewiesen,  daß  mitunter  der  Tenor  mitten  in  der  Wieder- 
holung abbricht.  In  VII 12  z.  B.  steht  der  Tenor  dreiundeinhalbmal; 
das  ist  nur  dann  erklärbar,  wenn  der  textliche  Umfang  des  Diskantes 
bereits  feststand  und  der  Tenor  sich  so  lange  wiederholen  mußte,  bis 
der  Diskant  zu  Ende  war.  Ahnlich  ist  auch  in  VI  32  der  Tenor  mit 
seiner  zweiten  Wiederholung  nicht  mehr  fertig  geworden.  In  VI  31 
hat  der  Tenor  das  Regulativ  gegeben  »terd\  er  kommt  aber  nur  zwei- 
mal dazu. 

Die  voraussichtlich  sehr  häufige  Inkongruenz  zwischen  der  Län^ 
des  Tenors  .  und  des  Diskantes  wird  aber  auch  durch  andere  Mittel 
behoben,  durch  Zerdehnungen,  Auslassimgen,  Einschübe. 

Zerdehnungen  einer  Silbe  auf  mehr  als  einen  Takt  im  Wider- 
spruch gegen  die  natürliche  Betonung  finden  sich  in  den  drei  letzten 
Takten  des  Triplums  von  IV5;  in  den  letzten  Takten  des  Diskante« 
von  IVe;  in  IVs  ist  im  Takt  39  das  Triplum  durch  eine  longa  und 
eine  Pause  um  einen  Takt  länger  gemacht;  in  IV 14  sind  im  Triplum 
Takt  23 — 25  aus  zwei  Takten  drei  gemacht,  ebenso  im  Diskant  Takt 
51—53. 

Auslassungen  finden  sich  sicherlich:  in  IV 5  im  Triplum  ein  drei- 
silbiges Wort  vor  oder  nach  »commtssiofn  und  im  Triplum  von  IV« 
nach  Jideitatü  pluviaa  eine  Verszeile  von  vier  Hebungen. 

Lehrreich  bezüglich  der  Textbehandlung  ist  III 37.  Im  Triplum 
findet  sich  eine  Reihe  metrisch  gleicher  Verszeilen,  die  auch  rhyth- 


Der  Liederkodex  von  Montpellier. 


69 


misch  gleich  gebaut  sind;  nur  Takt  93 — 94  ist  ein  Wort  weggelassen, 
etwa  tous  j'ours  o.  ä.;  hier  sind  auch  die  drei  Takte  auf  zwei  ver- 
kürzt: 


Kodex  von 
Montpellier 

FoL  78. 


vos  a-mis  se-rai 


wahrscheinlich 

ursprünglich 

vorauszusetzen 


vos  a-mis  tousjours  se-rai. 


Auch  die  letzte  Periode,  Si  n'amerai  Ja  que  lui  por  chose  qui  soit 
nicy  die  nach  Analogie  mit  den  übrigen  und  nach  der  natürlichen 
Betonung  in  einem  frei  erfundenen  Gesänge  acht  Takte  (Hebungen) 
enthalten  sollte,  ist  durch  Breves  und  Semibreves  auf  fünf  Perfektionen 
verkürzt,  wenn  nicht  diese  ganze  Zeile  vielmehr  nur  Ausfüllung  der 
fünf  fehlenden  Perfektionen  ist;  denn  die  Pointe  des  Textes  liegt 
doch  in  der  vorletzten  Zeile  und  die  letzte  ist  nur  eine  matte  Ver- 
Wässerung  des  Gedankens.  Dazu  fehlt  in  der  letzten  Zeile  überdies 
noch  der  Binnenreim.  Die  rekonstruierte  Melodie  des  Triplums  würde 
sich  folgendermaßen  darstellen: 


Quant    re-pai-re    la      ver-dor    et    la  pri-me  flou-re    -  te 


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Bin 


Que    chan-te  par  grant  baudour  au  ma   -    tin    Va  -  lo  -  e    -  te, 


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70 


Oswald  Koller. 


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gardai   en    un 


re-quai  de  leg       une    es  -  pi  -  ne  -  te, 


E 


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Qui 

8) 


a-tent  jo  -li 


vement  Son  a     -     mi  gent  seu-le  -  te. 


£ 


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5: 


Ü 


=#): 


1^ 


Et        dit  chan-fo-ne  -  te 


9) 


r- — =— 


Bm 


Fi    -    nes    a  -  mo  -  re  -  tes 


Diex,       que  j'ai  et     que  je  sent,      Mi    tient     jo  -  li  -  Te  -  te. 


11) 


C=p: 


]/ n'—t 


0^ 


nj: 


Quant  je  vi     la  tou  -  se  -  te 


12) 


r-irr^ir^ 


e 


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-# — 0- 


^ — ^ 


h— #- 


Loig  de  gent  et    seu  -  le  -  te 


13) 


m^^&^ 


i3 


A  li  m'en  a-lai  Sans  d6-lai  en  chantant 


14) 


=(!?); 


-H — h 


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^—\/—¥^-^- 


X 


B-^' 


y^ 


:pi:^: 


i—y/- 


Si-la  sa-lu-ai,  puls   li    ai  dit  i-tant: 
15) 


E 


»:?*=? 


b|?)ee:^^^ 


t 


g^f  *  i>i- 


-5i-vi 


t=3: 


Bele,  euer  et  xnoi  vos    o-troi  et  pr^-sent. 


Der  Liederkodez  von  Montpellier. 


71 


16) 


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17) 


a-mis  touBJours         se-rai,  s'il  vos  piaist  et   a  -  gr^   -    e, 


m 


t 


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-H- 


t 


De 


fin  euer  TOS  a     -      me-rai,  douce       da-meheno-r6    -    e. 


£-le     mi  re-spont  dou     -     cement;  Si-re,      oi^B  ma  pen-si    -     e; 


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X 


§ 


Pour  mon  a  -  mi,  que       j'aim  tant,  sui  si        ma-tin  le-y6    -     e. 


Si     -      n'a-me-rai  ja 


que  lui  porcho  -  se  qui  soit    n^    >    e. 


Die  Melodie  ist  fließend  gebaut  und  zeigt  moderne  Tonalität,  ent- 
schiedenes G-dur,  im  Mittelsatze  Ausweichung  in  die  Unterdominante, 
Rückkehr  zur  Haupttonart.  Dennoch  glaube  ich  hier  nicht  ein  Pro- 
dukt origineller  Erfindung,  sondern  nur  das  Resultat  einer  allerdings 
sehr  glücklichen  Diskandegung  zu  sehen.  Denn  bei  allen  volksthüm- 
lichen  Melodien  finden  sich  zu  korrespondierenden  Verszeilen  auch 
gleiche  Melodien.  Das  fehlt  hier;  keine  einzige  Periode  ist  gleich 
einer  andern.  Wie  ein  wirkliches  Lied,  als  Diskant  untergelegt,  aus- 
sieht, lehrt  der  Diskant  von  ¥1128}  JRohin  niaime. 

Auch  der  Diskant  von  III 37  zeigt  gewisse  Eigenthümlichkeiten. 
80  die  gewaltsame  Ausdehnung  der  ersten  Textzeile  Flos  de  spina 
rumpitur  auf  sieben  und  des  Textes  redimiiur  (Takt  61 — 63)  auf  drei 
Takte.  Zum  Schlüsse  ist  aus  dem  Texte  Yor  ecce  maris  Stella  gewiß 
eine  Yerszeile,  etwa  laeto  corde  exclamo  o.  ä.  ausgefallen.  Die  Stelle 
tnater  heata  glorificata  per  cuncii  mundi  climata  erweist  sich  sowohl 
dem  Text  nach  als  auch  bezüglich  der  mit  dem  übrigen  nicht  zu- 
sammenstimmenden Rhythmik  als  Füllung.  Der  Diskant  konnte  eher 
ein  schon  vorhandenes  Lied  sein;  darauf  weist  die  Gleichheit  der 
zweiten  und  dritten  Periode,  ferner  die  liedmäßige  Struktur  des 
Schlusses  von  oritur  ßdelibus  angefangen  hin.    Wahrscheinlicher  sind 


72  Oswald  Koller, 


hier  mehrere  selbständige  Lieder  in  einen  Diskant  zusammenge- 
schweißt. 

Der  fünfte  Fascikel  ist  im  Ganzen  dem  dritten  Fascikel  ziem- 
lich ähnlich.  Die  Tenore  zeigen  mit  Ausnahme  von  V20  alle  rhyth- 
mische Verriickungen.  Im  Diskant  finden  sich  auf  gleiche  Tenor- 
phrasen stets  verschiedene  Diskante,  auch  bei  der  Wiederholung  des 
Tenorthemas  ist  der  Diskant  in  der  Regel  verschieden.  Nur  selten 
findet  sich  Übereinstimmung;  in  V15  ist  Takt  17—19  =  65—67  und 
37—39  =  85—87;  in  V26  ist  Takt  18—23  =  49—55  =  81—87.  Auch 
die  Tripla  schweifen  regellos  und  zeigen  sich  noch  sehr  wenig  durch 
ähnliche  Motive  oder  wiederholte  Phrasen  zu  einem  einheitlichen 
Ganzen  verbunden.  Doch  ist  bei  allem  der  Charakter  der  Diskant- 
melodie ein  viel  freierer,  beweglicherer,  die  Melodiefuhrung  ist  durch 
die  Rücksicht  auf  die  Diskantierregeln  nicht  mehr  zu  unschönen  Me- 
lodieschritten gezwungen,  es  zeigt  sich  ein  durch  längere  Übung 
erworbener  Fortschritt  gegenüber  dem  dritten  Fascikel.  Finige  Einzel- 
heiten weisen  noch  auf  gemeinsamen  Ursprung;  so  die  häufig  vor- 
kommende Schlußformel  ^  ^  "|  in  1114  V 15. 26  7  die  Geltung  einer 
Konjunktur,  bestehend  aus  einer  longa  und  drei  absteigenden  Semi- 
breven,  ganz  im  Aristotelischen  Sinne  gleich  zwei  Perfektionen,  in 
eben  denselben  Stücken. 

Auffallend  ist  auch,  daß  die  Perioden  in  allen  drei  Stimmen,  in 
Vis. 29. 30  zusammenfallen;  in  V26  und  V33  fallen  wenigstens  die  rhyth- 
mischen Abschnitte  des  Tenors  und  Diskantes  häufig  zusammen.  Das- 
selbe zeigt  sich  auch  im  III.  und  IV.  Fascikel.  Soll  man  daraus 
schließen,  daß  hier  ursprünglich  nur  zwei  Stimmen  waren  und  die 
dritte  später  darübergesetzt  wurde,  während  Vir.  29. 30  gleich  ursprüng- 
lich dreistimmig  gesetzt  sind?*  Die  Übereinstimmung  der  rhyth- 
mischen Abschnitte  ist  am  Anfang  der  Komposition  Regel;  gegen 
den  Schluß  sind  die  Perioden  freier  gebaut. 

Der  zweite  Fascikel  verhält  sich  zum  vierten  wie  der  fünfte 
zum  dritten. 

Zwar  finden  sich  hier  keine  rhythmisch  verrückten  Tenore  (nur 
1143  =  Vis),   doch  zeigt  sich  wie  im  vierten  Fascikel  das  Bestreben, 

1  In  Vi5  und  V29  ist  der  rhythmische  Bau  des  Textes  im  Diskant  und  Tripluna 
gleich,  die  Texte  haben  gleichen  Schlußrefrain,  sie  sind  also  offenbar  gleich  an- 
fänglich darauf  angelegt,  mit  einander  verwendet  zu  werden.  In  V26.  30. 33  ist  das 
nicht  der  Fall.  In  den  Stücken  des  IV.  Fascikels  sind  zwar  die  Texte  rhythmisch 
ungleichartig,  aber  doch  dem  Inhalte  nach  zusammenpassend.  Nur  in  IV  ig  zeigen 
beide  Stimmen  auch  rhythmisch  gleichen  Text,  so  daß  auch  dieses  StQck  vielleicht 
ursprünglich  dreistimmig  komponiert  ist.  Daß  die  Stücke  des  IIL  Fascikels  ur- 
sprünglich nur  zweistimmig  waren,  zeigt  die  gänzliche  Verschiedenheit  der  Texte 
sowohl  rhythmisch  als  auch  in  Bezug  auf  den  Inhalt. 


Der  LiederlLodez  von  Montpellier.  73 

gewisse  Phrasen  in  den  Diskantierstimmen  zu  wiederholen.  So  ist  in 
1143  im  Diskant  Takt  1—4  =  17—20;  40—45  =  87—92,  ohne  daß 
jedoch  der  Tenor  übereinstimmte;  imTriplum  ist  Takt  1 — 4  =  17 — 20; 
21 — 24  =  69 — 72;  6 — 9  =  54—57,  das  letzte  Mal  auch  bei  gleichem 
Tenor. 

In  II 44  ist  im  Triplum  41 — 43  =  53  —  55,  im  Quadruplum 
46^-49  =  50 — 53,  im  Ganzen  viel  ähnliche  Motive,  aber  keine  ent- 
schiedene Gleichheit;  sogar  Nachahmungen  einer  Stimme  durch  eine 
zweite  kommen  vor,  aber  nur  sehr  ausnahmsweise,  Diskant  1 — 7  = 
Triplum  33 — 39.  In  II 47  finden  sich  nur  sehr  beiläufige  Wieder- 
holungen, z.  B.  Triplum  17 — 28  =  29 — 40.  In  II 51  ist  im  Diskant 
13  —  16  =  21 — 24,  im  Quadruplum  7 — 12  =  22 — 27,  diesmal  mit 
gleichem  Tenor.  In  II 43  endlich,  jenem  Stücke,  das  auch  im  Pariser 
Kodex  813  enthalten  ist,  stimmen  alle  vier  Stimmen  überein  in  Takt 
1 — 2  =  24—25;  2—3  =  6—7;  Tenor  und  Triplum  wiederholen  sich 
in  10—11  =  22—23,  Tenor  und  Diskant  in  12—13  =  27—28. 

Das  Quadruplum  ist  eine  später  hinzugefügte  Stimme.  Auch 
wenn  das  nicht  durch  II 4$  ad  oculos  demonstriert  wäre,  müßte  man 
es  schließen  aus  der  rhythmischen  Freiheit,  der  melodischen  Unfrei- 
heit. Rhythmisch  ist  das  Quadruplum  des  II.,  wie  die  Tripla  des 
in.,  IV.,  V.  Fascikels  leicht  beweglich,  es  nimmt  an  Imitationen 
keinen  Theil,  es  schwebt  selbständig  über  den  andern  Stimmen. 
Melodisch  ist  jedoch  seine  Kraft  versiegt;  es  entwickelt  keine  selb- 
ständige Melodie,  es  geht  im  Unison,  in  Oktaven-  oder  Quinten- 
parallelen mit  andern  Stimmen,  besonders  gern  mit  dem  Tenor. 

Es  finden  sich: 

XJnisonoschritte  im  Quadruplum  und  Triplum:  1143  Takt  17.  18. 
29.  30.  31.  32.  37.  38.  61.  62.  74.  75.    II44  Takt  18.  19.    1147  Takt  5.  6. 

XJnisonoschritte  im  Quadruplum  und  Discantus:  II 43  Takt  49. 
50.  51.  77.  78.  79.  80—85.    1144  Takt  10."    1147  Takt  21.  22. 

Quintenparallelen  zwischen  Quadruplum  und  Triplum:  1143  Takt 

9.  10.     1144  Takt  10.  16.  17. 

QuintenparaUelen  zwischen  Quadruplum  und  Discantus:  1143  Takt 
20.  21.  45.  46.  73.  74.     1144  Takt  18.  19.     1147  Takt  13.  14.  15. 

Quintenparallelen  zwischen  Quadruplum  und  Tenor:  U43  Takt  9. 

10.  13.  14.  25.  26.  27.  29.  30.  73.  74.  81 .  82.  83.    II44  Takt  62.  63.  70. 
71.  78.  79.     1147  Takt  5.  6.     1149  Takt  22.  23.  24.  25.  26.  27. 

Oktavenparallelen  zwischen  Quadruplum  und  Discantus:  1143 
Takt  37.  38.     1146  Takt  21.  22. 

Oktavenparallelen  zwischen  Quadruplum  und  Tenor:  II 43  Takt 
17.  18.  37.  38.  1147  Takt  11.  12.  1148  Takt  1.  2.  4.  5.  6.  8.  9.  10.  11. 
13.  14.  15.  24.  25.  26.     IIsi  Takt  4—11;   16.  17.  21—26. 


»^4  Oswald  KoUer, 


Der  siebente  Fascikel  ist  oben  als  eine  Sammlung  aus  Aiisto- 
telischei  Zeit  erkannt  worden,  die  später  in  neuere  Franconische  No- 
tation umgeschrieben  worden  ist.  Die  technische  Behandlung  weicht 
im  Großen  und  Ganzen  nicht  viel  yon  den  früheren  Fascikeln  II  und  V 
ab.  Gleiche  Diskante  auf  gleiche  Tenore  finden  sich  verhältnißmäßig 
wenige,  am  meisten  noch  in  VII 12.  Der  Tenor  ist  hier  dreimal  wieder- 
holt. Takt  1—16  =  17—32  =  33—48,  hierbei  ist  auch  im  Diskant 
gleich  Takt  1—2  =  17—18  =  33—34,  ferner  21—22  =  37—38,  end- 
lich 8— 13  =  24—29.  Auch  in  VII 13  fällt  im  Diskant  Takt  9—13  == 
33 — 37  auf  dieselbe  Stelle  des  repetierten  Tenors  und  ebenso  ist  in 
Vn^  im  Diskant  1—4  =  9 — 12.  In  VIT 28  ist  die  Übereinstimmung 
zwischen  Tenor  und  Diskant  eine  außerordentliche.  Es  entsprechen 
einander  in  beiden  Stimmen  Takt  1—6  =  15—20  =  25—30;  Takt 
1—4  =  11—14;  Takt  7—10  =  21—24  =  31—34.  Der  Diskant  ent- 
hält das  Lied  JRobin  m^aime  von  Adam  de  la  Haie;  gegenüber  der 
Fassung  desselben  Liedes  im  Manuskript  La  Valli^re  [Coussemaker 
Art  harmonique  pag.  87}  erscheinen  einige  Abweichungen,  von  denen 
zwar  einige  wie  Takt  2,  12,  16  durch  den  Tenor  bedingt  erscheinen, 
einige  aber  nicht.  Im  Ganzen  verhält  sich  die  Fassung  im  Manu- 
skript La  Valliere  zu  der  im  Manuskript  von  Montpellier  etwa  wie 
die  beiden  Fassungen  von  U4B;  auch  hier  zeigt  der  Kodex  yon  Mont- 
pellier reichere  Ornamentierung.  Ob  der  Tenor  Portare  y  der  nach 
Coussemaker  noch  12  mal  im  Kodex  von  Montpellier  vorkommt,  nicht 
etwa  der  Fassung  des  Liedes  zu  Liebe  Änderungen  erlitten  hat,  läßt 
sich  nicht  konstatieren.  Merkwürdig  wäre  aber,  daß  ein  aus  dem 
gregorianischen  Gesang  entnommener  Tenor  eine  so  sichere  perio- 
dische liedmäßige  Struktur  zeigen  sollte ;  vielleicht  ist  also  der  Tenor 
des  Liedes  wegen  umgeformt.  Daß  Adam  de  la  Haie  nicht,  wie 
Coussemaker  behauptet,  der  Komponist  dieses  dreistimmigen  Motetts 
sein  kann,  geht  aus  den  Änderungen  des  Diskantes  hervor,  welche 
nicht  durch  die  harmonische  Nothwendigkeit  bedingt  sind.  Welchen 
Grund  hätte  Adam  gehabt,  seine  eigene  Melodie  zu  ändern?  Viel- 
leicht ist  aber  Adam  nicht  einmal  der  Komponist  des  Liedes  von 
Robin.  Er  lebte  in  der  zweiten  Hälfte  des  13.  Jahrhunderts,  viele 
Gründe  sprechen  aber  dsifur,  die  Stücke  des  VII.  Fascikels  gegen  dajs 
Ende  des  12.  zu  setzen.  Dann  müßte  man  Robin  m'aime  für  ein 
schon  aus  früherer  Zeit  stammendes  echtes  Volkslied  erklären,  wel- 
ches von  Adam  in  sein  Jeu  de  Robin  et  de  Marion  einfach  recipiert 
worden  ist. 

Die  Tripla  des  VH.  Fascikels  sind  wie  in  den  frühem  Fascikeln 
frei  behandelt  und  zeigen  keine  Wiederholungen. 


Der  Liederkodex  von  Montpellier.  75 


Den  Stücken  VII 12. 13. 27. 28  steht  eine  andere  Gruppe  gegenüber, 
wo  sich  gar  keine  oder  fast  gar  keine  Wiederholungen  finden.  In 
VII M  findet  sich  bei  der  Wiederholung  des  Tenors  nur  eine  beiläufige 
Ähnlichkeit  im  Triplum  Takt  9 — 13  =  47 — 50.  In  VII 39  ist  in  allen 
drei  Stimmen  nur  gleich  Takt  1 — 4  =  40 — 43.  Durch  das  in  lauter 
Semibreven  abgefaßte  Triplum  stellen  sich  diese  zwei  Stücke  in  nahe 
Beeiehung  zu  VUio  und  Vlln,  den  beiden  Stücken  des  Petrus  de 
Cruce,  die  gar  nirgend  Wiederholungen  zeigen  und  ihnen  auch  in 
der  Handschrift  räumlich  am  nächsten  stehen.  Durch  den  Bau  des 
Triplums  und  durch  den  Mangel  an  wiederholten  Phrasen  stellen  sich 
auch  VII 16  und  Vn4o  zu  dieser  Gruppe. 

Ein  eigenthumliches  Stück  ist  VII 36.  Der  Tenor  ist  nicht  wie 
bei  allen  übrigen  dem  gregorianischen  Gesang  entnommen,  sondern 
ein  ausgebildeter  Liedtenor;  da  aber  der  Diskant  und  das  Triplum 
keinerlei  Wiederholungen  aufweisen,  der  Diskant  also  wie  ein  Triplum 
behandelt  ist,  so  liegt  der  Gedanke  nahe,  daß,  der  gegenwärtige  Diskant 
eigentlich  ein  Triplum,  das  gegenwärtige  Triplum  eigentlich  ein 
Quadruplum  sein  könnte  und  der  ursprüngliche  Tenor  weggelassen 
ist.  Bestärkt  wird  diese  Annahme  noch  dadurch,  daß  der  Tenor  nicht, 
wie  es  bei  einem  frei  erfundenen  und  ursprünglich  gegebenen  Lied- 
tenor  der  Fall  sein  müßte,  eine  regelrechte,  dem  Textaufbau  korrespon- 
dierende musikalische  Periodisierung  aufweist,  sondern  nur  einzelne 
wiederholte  Stellen  (Takt  1—6  =  7—12;  1—4  =  26—29;  35—40  = 
42 — 47),  gleich  als  ob  ein  Tenor  darunter  gelegen  wäre,  wozu  dieses 
Lied  Cis  ä  qui  je  sui  amie  einen  Diskant  gebildet  hätte.  Ist  diese 
Annahme  richtig,  so  würde  dieses  Lied  in  überraschender  Weise  darauf 
hinweisen,  wie  sich  allmählich  die  mensurierte  Musik  von  den  Fesseln 
des  gregorianischen  Cantusßrmus  zu  freier  kontrapunktischer  Behand- 
lung aller  Stimmen  emancipiert  hat. 

Einen  großen  Fortschritt  weist  im  VII.  Fascikel  die  Behandlung 
der  Tenore  auf.  Sie  schreiten  nicht  mehr  den  steifleinenen  Gang 
wie  früher;  sie  werden  beweglicher,  gegliederter,  namentlich  die  Tenore 
mit  französischem  Text.  Einen  so  auch  in  kleinere  Motive  gegliederten 
Tenor  hat  VII 23;  ii^s  Einzelne  zergliedert  sind  auch  die  Tenore  von 
VII 39  Bele  Ysabelos  und  VII 27  Nus  nHert.  In  VHio  und  VII  n  er- 
scheinen sogar  schon  die  ersten  Anfänge  zu  den  späteren  »Künsten 
der  Niederländer«.  In  VIIjo  erscheint  nämlich  der  Tenor  zweimal, 
aber  das  erste  Mal  in  der  molossischen,  das  zweite  Mal  in  der  trochäi- 
schen Form  des  ersten  Modus.  In  VII  n  wird  der  Tenor  das  zweite 
Mal  mit  Auslassung  der  Pausen  wiederholt.^    Die  reichste  Entwick- 


^  Vergl.  das  Agntts  in  Josquin's  Messe  Omme  arme  »Cktma  ne  cesset*. 


76  Oswald  Koller, 


lung  des  Tenors  weisen  VIT  24  und  YU^  auf,  indem  hier  der  Tenor 
einen  kurzen  Pes  nach  Art  des  Sumercanona  immer  wiederholt.  In 
yil35  giebt  das  zwar  zu  keinen  Imitationen  Anlaß,  es  ist  nur  im 
Diskant  Takt  44—51  ähnlich  58—61  und  7—10  ähnlich  70—73,  immer 
hei  gleichem  Tenor.  Recht  häufig  tritt  dagegen  diese  Wiederholung 
in  VII24  auf,  ebenfalls  bei  gleichem  Tenor.  Es  ist  im  Diskant 
Takt  1—4  ==  5—8;  9—12  =  13—16;  33—36  =  41 — 44  =  49—52; 
46—48  =  58—60.  Und  im  Triplum  Takt  1—4  =  13—16  =  17—20; 
9—12  =  57—60;  25—28  =  53—55;  33—36  =  41—44.  Ja  es  findet 
sich  sogar  eine  Periode  Diskant  9 — 12  wieder  im  Triplum  21 — 24. 
So  beginnt  hier  die  Imitation  in  einer  andern  Stimme  ihre  ersten  Ver- 
suche, die  dann  im  VIU.  Fascikel  entschieden  ausgebildet  werden. 
Die  beiden  Stücke  VII 24  und  VII 35  haben  überdies  jedes  noch  etwas 
Apartes.  In  VII 24  treten  Versuche  des  Hoquets  hervor,  auch  einer 
Form,  die  im  VIII.  Fascikel  in  bedeutenderer  Vollendung  zu  Tage 
tritt.  In  Vif 35  zeigt  sich  ein  neuer  Beweis,  wie  zur  Ausfüllung  des 
Textes  ganze  Verszeilen  eingeschoben  wurden.  Die  beiden  Texte  von 
VIT  35  finden  sich  nämlich  auch  bei  Heyse,  Romanische  Inedita,  auf 
italiänischen  Bibliotheken  gesammelt,  Berlin  1856,  pag.  48,^  jedoch 


1  Die  Sammlung,  aus  welcher  Heyse  seine  Lieder  ediert  hat  (Ms.  Vatican. 
eh.  1490,  auch  beschrieben  von  Keller,  Romvart,  Mannheim  1844  pag.  244 — 327), 
muß  noch  in  engerer  Beziehung  bu  unserm  Kodex  von  Montpellier  stehen.  Die 
Handschrift  enthält  zuerst  Chansons :  Ce  sont  le8  cancans  le  roi  de  nauare.  It  caste-' 
lains  de  cauci  u.  s.  w.  Nach  KeUer  pag.  244  »ist  die  erste  Strophe  eines  jeden  Liedes 
mit  Noten  versehen  oder  doch  mit  Notenlinien,  denn  die  Noten  fehlen  zum  Theilv. 
Es  wäre  interessant  zu  erfahren,  ob  die  Melodien  des  Vaticanus  mit  denen  des 
Kodex  Ton  Montpellier  übereinstimmen.  Von  den  darin  enthaltenen  Liedern  (heraus- 
gegeben von  Mätzner,  Altfranzösische  Lieder,  Berlin  1853)  stimmt  nur  der  Anfang 
eines  einzigen  Liedes  mit  einem  des  Kodex  von  Montpellier  überein:  H  me  cuidoü 
hien  tenir  \on  Gaidifer  (Keller  pag.  269,  Mätzner  Nr.  XIV  pag.  25);  aber  auch  nur 
diese  Zeile,  der  weitere  Verlauf  des  Gedichtes  nicht  mehr.  (B..  Schwartz,  Die 
Frottole  im  15.  Jahrhundert  in  dieser  Zeitschrift  H,  442,  führt  einen  analogen  Fall 
an,  daß  die  Frottolisten  mit  der  ersten  Zeile  eines  Fetrarca'schen  Sonettes  beginnen, 
dann  aber  weiter  frei  fortfahren.)  In  der  Handschrift  FoL  144  folgen  dann  »Motei 
et  roondehf  welche  von  Heyse  herausgegeben  sind;  auch  diese  sind  nach  Keller  311 
mit  Notenlinien  versehen,  die  Noten  selbst  nicht  überall  beigeschrieben.  Hiervon 
sind  im  Kodex  von  Montpellier  enthalten: 

Heyse  Nr.  1.   H^,  amours,  morrai  ge  ....    Discantusl  FoL  114   115 

»    2.   AmourotMement  me  tient    .     .     .    Triplum    j 

.    i    Dieusvporrai Triplum    LonFol.324.325(Vn35) 

»    4.    (Test  amouretes Discantusl 

»     5.  D0Ü8  rossignoles  j'olis Triplum  von  Fol.  68  (der  Diskant 

hat  lateinischen  Text) 
»    6.   Brunete,  cui  j'ai  mon  euer  doune    Discantus l  „^^  171    «o«    ior 

m      fti  /  j      »  rr  •    1  >V0n   l*Ol.   124.   liO 

»    7.    Trop  souvent  me  duel   ....    Tnplum    | 


Der  Liederkodex  von  Montpellier.  77 


ist  hier  überall  eine  Yerszeile  hinzugefügt,  die  bei  Heyse  fehlt:  Im 
Diskant  Takt  52 — 55  son  piain  froftt,  son  chief  luüant.  Im  Triplum 
Takt  24 — 28  Quant  je  n'ai  pemee  fors  k'ä  li,^ 

Das  letzte  Stück  des  YÜ.  Fascikels  ist  VII 25*  Das  zeigt  nun  gar 
nicht  den  Charakter  der  früheren  Stücke,  sondern,  schließt  sich  an 
die  unten  zu  besprechenden  Imitationen  des  YIII.  Fascikels  an.  Er- 
wägt man  nun,  daß  der  ursprüngliche  Kodex  nur  bis  Fol.  320  geht 
und  dann  zwei  Nachträge  eintreten,  daß  die  beiden  Nachträge  und 
der  Yin.  Fascikel  von  einer  Hand  geschrieben  sind,  und  daß  das 
Stück  YU25,.  das  dem  zweiten  Nachtrage  angehört,  seinem  Baue  nach 
mit  den  Stücken  des  YIII.  Fascikels  übereinstimmt:  so  muß  man  zu 
dem  Resultate  gelangen,  daß  der  zweite  Nachtrag  mit  dem 
achten  Fascikel  nicht  nur  gleichzeitig  niedergeschrieben, 
sondern  auch  komponiert  worden  ist. 

Es  enthält  also  der  YII.  Fascikel  selbst  jüngere  und  ältere  Be- 
standtheile.   . 

Es  haben  sich  bisher  zwei  Sichtungen  geltend  gemacht.  Die 
eine,  in  welcher  die  diskan tierenden  Stimmen  in  regelloser  Freiheit 
sich  entwickelten  —  Fascikel  III  und  Y,  und  die  andere,  wo  gleichen 


Ueyse  Nr.  8.  Bele  atelis  par  mattn  se  leua  Triplum    1  „^„  -d^i    i  q«    1  oq 

»    9.   HareUy  hareu,  jou  la  vo\  la  .     .    DiscantusJ 

»11.  Bien  cuidoie  auoir Discantus  Ton  Fol.  256 

»  21.  Prendia  %  garde Triplum  und  Discantus  von  Fol. 

324.  325  (Vmi9). 
Das  letzte  stimmt  aber  nur  im  Kefrain,  nicht  auch  im  übrigen  Texte.    Der  Um- 
stand,  daß  im  Vatic.  die  2u   einer  und  derselben  Komposition  gehörigen  Lieder 
unmittelbar  beisammen  stehen,  weist  auf  ein  näheres  Verhältniß  der  beiden  Codices, 
das  vorläufig  noch  in  Dunkel  gehüllt  ist 

1  Die  Fassung  im  Montp.  und  Vatic  weicht .  nicht  unbeträchtlich  ab.  Ich  gebe 
die  Varianten: 

Heyse  Nr.  3  (Triplum  von  VII 35).  1  Dietta  v  V  Diex  ou  M.  3  uos  dirai  V 
n*o8  dire  M.  4  pense  accU  V  penser  ä  celi  M.  5  que  V  qui  M,  hiauU  V  honU  M. 
7  eruxmour4  V  emprisonnS  M.  Zwischen  8  und  9  ist  in  M  die  Zeile  eingeschoben 
Quant  je  rCai  pensSe  fora  JCä  U.  9  Je  M  jou\f  houceteV  bouchete  M.  10  La  cou- 
low  \  et  la  colour  M.  12  hlancete  V  hlanchete  M.  13  flour  V  flor  M.  14  ai 
damoure  V  d'atner  et  M.  15  soupris  V  sourpria  M.  16  ietta  V  yex  M.  16  traia  V 
trahia  M.  18  kilairea  V  qui  la  irea  M.  18  par  dix  \  pour  dieu  ^L,  19  demiaele  V 
deairie  M.     20  cor  aiiea  pite  V  quar  aih  pitiS  M.    21  fehlt  in  M. 

Heyse  Nr.  4  (Discantus  von  VHss).  1  Ceai  V  che  aont  M,  ki  Y  qui  M. 
5  hlance  V  blanche  M,  gorgete  V  gorge  M.  6  vautia  V  votia  M.  7  frece  bauce  riant  V 
aaffire  bauche  riana  M.  8  ki  toua  jora  diät  V  qui  toua  joura  dit  M.  12  aouriant  V 
frhniant  M.  13  d'ambler  V  d^enibler  M.  14  luiaant  V  plaiaant  M.  Nach  14  ist  in 
M  eingeschoben  Son  piain  front y  aon  chief  luiaant.  16  enamorS  V  enetmouri  M. 
17  cor  V  fehlt  in  M,  que  V  quHl  M.     18  A  dix  V  an  diex  an  M,  hareu  V  haro  M. 

M  hat  bessere  Lesarten  als  V. 


78 


Oswald  Koller, 


Stücken  des  Tenors  auch  gleiche  diskontierende  Stimmen  zu  ent- 
sprechen suchten  —  Fascikel  IV  (VI?)  und  IL  Im  VII.  Fascikel  re=- 
präsentieren  die  erste  Richtung  VII lo.  it.  le.  40i  die  zweite  VIT  12. 13.24. 27. m. 
Ganz  scharf  scheiden  sich  diese  zweierlei  Kompositionen  auch  im 
achten  Fascikel.  Der  ersten  Art,  mit  regellosem  Discantus  und 
Triplum,  gehören  VIIIss. 41  an;  sie  zeigen  ehenfalls  das  in  Semibreven 
bewegte  Triplum  wie  VIIio.  11.  Der  zweiten  Art  gehören  außer  VU» 
noch  die  übrigen  Stücke  an,  Vllljg.  21. 22.23-  Prof.  G.  Adler  hat  in  dieser 
Zeitschrift^  darauf  hingewiesen,  wie  in  den  Stücken  VIII21.  22.  23  die 
Diskantmelodien  durch  Stimmenwechsel  entstanden  sind.  Er  entwirft 
hierfür  folgende  analytische  Bilder: 


vni 


21 


a    6  I  «1     *i  I  flj    *j  I  «I 

X  X  X   X  X  / 


h    a 
l    I 


li    li 


I.    It|l 


vm 


22 


a    b 

X 
h    a 

l    I 
5    5 


d 

II 
4 


«    /  «1 
X 

l    l  II 

5     5  4 


9    A 

■ 

t 

Ä    g 

• 

t 

X 

X 

h    g 

»i 

9    * 

• 

»1 

I    I 

u 

I    I 

II 

5    5 

4 

5    5 

4 

a^l 


h 


vm 


23 


XXX 

I     I     I     I 
4^ 

IT  11 11  11 


Auch  ^^l25  ist  ähnlich  gebaut,  nur  daß  die  einzelnen  Phrasen  nicht 
nacheinander  folgen,  sondern  die  zweite  schon  in  der  Mitte  der  ersten 
beginnt.  In  dem  Widerspiel  der  verkürzten  dreitaktigen  Phrasen  des 
vierten  Abschnittes,  die  nach  je  zwei  Takten  aufeinander  folgen, 
könnte  man  schon  eine  Vorahnung  der  Engfuhrung  sehen. 


a 

h 


c    5, 
a    d 


K   K 


h   h 


h—    g—     5,—    t 
I 


Etwas  anders  ist  es  mit  VIIIiq,  welches  von  Adler  ebenfalls  zer- 
gliedert worden  ist.  Zur  Textherstellung  Adler's  ist  zu  bemerken, 
daß  die  Emendierung  der  Stelle  in  Takt  32  des  Diskants,  getreu  dem 


1  Die  Wiederholung  und  Nachahmung  in  der  Mehrstimmigkeit.  Vierteljahrs- 
Bchrift  für  Musikwissenschaft.  11,  271.  Bezüglich  der  Erklärung  der  Bezeichnungen 
vergl.  daselbst  die  Anmerkung  auf  pag.  301. 

3  Um  eine  Quarte  tiefer  gesetzt. 


Der  Liederkodex  Ton  Montpellier. 


79 


Grundsatze,  daß  man  sich  bei  Konjekturen  so  wenig  als  möglich  von 
der  XJberlieferung  entfernen  soll,  einfacher  dadurch  erfolgen  kann, 
daB  bei  der  Ligatur  cum  opposita  proprietate  der  erste  Strich  statt 
nach  aufwärts  nach  abwärts  zu  ziehen  ist  und  die  folgende  Ligatura 
wfcendens  in  keine  descendens  geändert  zu  werden  braucht.  Ferner 
hat  Adler  zwei  gleichlautende  Phrasen,  Tripl.  21.  22  und  Disc.  29,  30, 
als  verschiedene  Varianten  a^  und  a^  bezeichnet.  Nachdem  aber  bei 
derselben  Phrase  a^  in  Takt  15.  16  und  29.  30  des  Diskantes  das  Auf- 
oder Abwärtsgehen  der  beiden  Semibreves  als  irrelevant  aufgefaßt 
worden  ist,  so  fiOlt  der  Unterschied  zwischen  a^  und  a^  weg.  Somit 
stellt  sich  das  analytische  Bild  folgendermaßen  dar: 


bade 

X    X 

a   b   e   d 


e  f  a  j/ 

1             1 
b   a  a^    a 

H-«5  «2  /i-+- 

a   d   a^  — abe 

X   b  a  a* 

1             1 

«+     fl,  /i 

a    £?    a^    Og 

b   a   d        A  + 

1                        ! 

II 

I            1               I 

I 

e^  b  a  d 

f  9  ^ 
II 


Stimmenwechsel  tritt  eigentlich  nur  bei  den  vier  ersten  Phrasen  ein. 
Das  weitere  sind  wirkliche  Imitationen. 

baa^  in  der  6.  7.  8.  Phrase  des  Discantus  und 
9.  10.  11.  des  Triplums, 
a^fx  adüx  in  der  10.  11.  12.  13.  14.  Phrase  des  Discantus  und 

14.  15.  16.  17.  18.  des  Triplums, 
bad  in  der  16.  17.  18.  Phrase  des  Discantus  und 
21.  22.  23.  des  Triplums. 

Ob  eine  Eekonstruktion  des  Liedes  mit  Sicherheit  möglich  ist, 
bleibt  dahingestellt.  Von  allen  vorhergehenden  Stücken  hat  sich  noch 
kein  einziges  herstellen  lassen,  und  das  einzige,  das  wirklich  gegeben 
war,  Robin  neiaime  (VIl2s),  liat  auch  willkürliche  Veränderungen  er- 
litten. Was  Coussemaker  pag.  86  an  Rekonstruktionen  giebt  (VII  le 
IV 17  VT50),  ist  nicht  beweiskräftig;  er  hat  schlauer  Weise  immer  nur 
den  Anfang  citiert  und  ist  den  Beweis  schuldig  geblieben,  daß  eine 
solche  Rekonstruktion  durch  die  ganze  Komposition  durchgeführt 
werden  kann.  Wenn  aber  irgend  ein  Stück  rekonstruierbar  ist,  so 
ist  es  VIII19;  denn  die  Wiederkehr  symmetrischer  Periodenbildungen 
weist  darauf  hin,  daß  die  Grundgestalt  des  Liedes  nicht  zu  sehr  ver- 
ändert sein  kann,  und  überdies  weist  der  bei  Heyse  Nr.  21  edierte 
Text  wirklich  ein  ähnliches  Lied,  wenngleich  mit  verändertem  Text 
auf.  Nur  darf  man  wohl  kaum  mit  Adler  derart  rekonstruieren,  daß 
nur  Anfang  und  Schluß  des  Discantus  mit  Auslassung  alles  dazwischen 
Liegenden  benutzt  werden  (abgesehen  davon,  daß  man  der  so  ent- 
standenen Melodie  keinen  sinngemäßen  Text  unterlegen  kann),  son- 


80 


Oswald  Koller, 


dem  man  wird  von  dem  Grundsatze  ausgehen  müssen,  daß  alles,  yivas 
beiden  Stimmen  in  Text  und  Melodie  gemeinsam  ist,  als  wesentlichea: 
Bestandtheil  des  ursprünglichen  Liedes  wird  angesehen  werden  müssen, 
daß  nur  das  auszuscheiden  ist,  was  sich  textlich  und  melodisch  als 
Flickwerk  erweist  und  daß  der  zu  konstruierende  Text  mit  dem  Bau 
des  Textes  bei  Heyse  möglichst  koincidieren  muß. 

Danach  bliebe  der  Anfang  des  Liedes  a  b  c  d  unverändert;^ 
X  erweist  sich  melodisch  als  Nebenbildung,  textlich  als  inhaltslosei 
Einschub,  fällt  also  weg.  Zu  dem  folgenden  b  a  a^  gehört  textlicli 
als  Abschluß  des  Gedankens  ex  besser  als  a^ ;  auch  musikalisch  giebt 
e  (mit  Weglassung  der  Erweiterung  in  ^+)  einen  ausreichenden  Ab- 
schluß. Für  die  folgende  Gruppe  «2^1  «^«i  ist  der  Abschluß  text- 
lich in  — abe  des  Triplums  und  a^  des  Discantus  gleich,  melodisch 
ist  a^  vorzuziehen.  Zu  dem  folgenden  b  ad  scheint,  um  der  geraden 
Anzahl  der  Verszeilen  willen,  noch  einmal  Prenes  %  ffarde  z\i  passen; 
dann  bekommt  der  Re&ain  auch  die  Gestalt,  in  welcher  er  bei  Grele 
vorliegt.  Mit  diesem  Vers  ist  die  lyrische  Situation  erschöpft  und  das 
folgende  h^/^h  ist  nur  ein  zur  naiven  Heiterkeit  der  verstecken- 
spielenden Schäferin  nicht  ganz  passender,  etwas  lasciver  Zusatz. 

Auch  beim  Triplum  gelangt  man  zu  demselben  Resultate.  Die 
fünfte  Verszeile  ist  textlich  an  dieser  Stelle  unmöglich,  sondern  gehört 
nach  baax\  f  ay  ist  textlich  außer  Zusammenhang  und  melodisch 
Nebenbildung  und  Wiederholung.  Das  übrige  schließt  sich  schön  an, 
nur  Zeile  20  ist  inhaltsloses  Flickwerk  und  muß  durch  den  Anfang 
des  Refrains  ersetzt  werden. 

Die  rekonstruierte  Melodie  würde  also  lauten: 


m 


L'4JÜUp-f 


is: 


-V 


t 


X 


t 


Pre-n68-i      gar -de,      fl'on    me    re  -  gar -de,  s'on   me    re  -  gar -de, 
d  h  a 


i — w^ 


t 


t 


■st 


di  -  tea    le    moi. 


a ^ y 


^ 


:??: 


ipini 


ISl 


1^ 


m 


Car    868  mes  gar -de,  dontmoutme     tar  -  de, 


qu'il  m'ait  o        soi 


bien  l'a-per-choi. 


Et   tel   chi      Yoi, 


^  Die  von  Jaquemar  Gr61e  im  Renart  noviel  mitgetheilte  Melodie  (Cousse- 
maker  280}  hat  die  Form  ab  a  d. 


Der  Liederkodex  von  Montpellier. 


81 


i 


/i 


??=#: 


ji=#     ^ 

5^^ 


if— t 


Sä^ 


:<= 


t 


T 


* 


qu'il  est  je      croi.         Feu  d'en-fer      l'ar-de,        ja  -  lous    de     moi; 


mala  pour  11      d'a  -  mer     ni     re    -     croi. 


(Pren^s  -  i     gar  -  de) 


m 


nszz. 


si 


t& 


^ 


ä 


t 


^^ 


pour  rient  m'es-gar-de,  bien  pert  sa    gar-  de,      j'a  -  rai    re  -choi. 


Ich  muß  jedoch  gestehen,  daß  mich  auch  diese  Rekonstiuktion 
nicht  befriedigt;  und  zwar  hauptsächlich  deswegen,  weil  die  Text- 
gestaltung dieser  Rekonstruktion  keine  genügende  ist. 

Der  erste  Fascikel  endlich  weicht  von  allen  übrigen  dadurch  ab, 
daß  er  keine  Kondukte  und  Motetten,  sondern  Organa  pura  enthält ; 
insofern  ist  die  Vergleichung  mit  andern  Fascikeln  schwierig,  als 
nirgends  ersichtlich  ist,  ob  für  die  Organa  nicht  etwa  andere  Regeln 
der  Stimmführung  maßgebend  waren  als  für  die  Motette.  In  I3  sind 
alle  Stimmen  frei  beweglich.  In  I]  wiederholt  sich  in  der  Mittelstimme 
Takt  14— 19  =  22—27  und  in  beiden  Stimmen  Takt  44—50  =  54—60. 
In  I2  findet  sich  der  auch  von  Adler  bemerkte  Stimmenwechsel  in 
Takt  84 — 88  und  89 — 93.  Die  Wiederholungen  in  1\  unterscheiden 
sich  nicht  von  ähnlichen  Figuren  in  andern  Fascikeln ;  der  Stimmen- 
wechsel in  I2  dagegen  mahnt  an  Garlandia's  repetitio  diversae  vocis. 
Das  widerspricht  nicht  den  früher  gewonnenen  Resultaten.  Wenn  in 
den  Stücken  aus  der  Zeit  der  Discantus  positio  vulgaris  die  ersten 
unbewußten  Anfänge  der  Wiederholung  auftreten,  wenn  Garlandia 
schon  mit  Bewußtsein  den  Stimmenwechsel  gebraucht,  so  kann  im 
I.  Fascikel,  dessen  Abfassungszeit  zwischen  die  Discantus  positio  vul- 
garis und  Garlandia  gesetzt  worden  ist,  wohl  auch  schon  repetitio 
aufgetreten  sein. 

Das  Hoquetstück  I45  zeigt  diese  eigenthümliche  Kunstform  in 
einer  Ausbildung,  wie  sie  sonst  nur  im  VIII.  Fascikel  vorkommt; 
Vllai  ist  von  dieser  Reichhaltigkeit  noch  weit  entfernt.  Nachdem 
aber  der  Ochetus  schon  in  der  Discantus  positio  vulgaris  erwähnt  wird, 
allerdings  in  einer  Weise,  die  nicht  genau  erkennen  läßt,  ob  die  Positio 

1888.  6 


g2  Oswald  .Koller,  Der  Liederkodex  TÖn  Montpellier. 


mit  dem  Ochetus  denselben  Begriff  verbindet,  wie  die  späteren  Theo- 
retiker,^ nachdem  auch  schon  IV»  Takt  31 — 33  und"  54 — 55  Ansätze 
zum  Hoquet  erkennen  läßt,  so  bleibt  an  dem  ganzen  Stück  nichts 
erstaunlich  als  die  reiche  Durchführung.  Die  Komposition  maß  wohl 
ein  besonders  berühmtes  und  bekanntes  Faradestück  gewesen  sein, 
sonst  würde  sie  nicht  von  Odington,  Aristoteles  ^  Franco  und  dem 
Diskantiertraktate  des  Kodex  812  als  Beispiel  citiert  worden  sein. 

Auf  dreifachem  Wege,  durch  Betrachtung  der  Notation,  durch 
Auskultation  der  äußeren  Zeugnisse  und  durch  die  Untersuchung  der 
inneren  Struktur  ist  dasselbe  Resultat  gewonnen  worden:  Der  Kodex 
von  Montpellier  bildet  kein  einheitliches  Ganzes,  sondern 
besteht  aus  älteren  und  jüngeren  Stücken. 

Mag  auch  im  Einzelnen  im  Gange  der  Abhandlung  ein  Irrthum 
untergelaufen  sein  und  mögen  auch  bei  dereinstiger  vollständiger  Be- 
nutzbarkeit  des  Manuskripts  die  Resultate  entsprechend  genauer  aus- 
fallen, als  es  bei  Benutzung  der  Coussemaker'schen  Stichproben  mög- 
lich war:  das  Hauptresultat  dürfte  kaum  mehr  umgestoßen  werden, 
daß  im  Kodex  von  Montpellier  mehrere  Schichten  von  Kompositionen 
durcheinander  liegen,  welche  ein  Stück  Entwicklungsgeschichte  des 
mehrstimmigen  weltlichen  Gesanges  repräsentieren. 


*  SS.  I,  97:   Ochetus  est  sitper  tefwrem  wiius  cuiusque  modi  moietorum  ahsque 
pausa  d heraus  et  consomts  cmttus. 


Briefe  Beethoyen's  an  Ferdinand  Bies. 


Mitgetheilt  von 

Hermann  Deiters. 


Die  i>  Biographischen  Notizen  über  Ludwig  van  Beethoven«  von 
Wegeier  und  Ries  (KoUenz,  Bädeker  1838)  nebst  dem  Nachtrage 
zu  denselben  von  Wegeier  (Koblenz  1845]  bilden ,  wie  bekannt, 
noch  immer  eine  der  wichtigsten  Grundlagen  für  die  Forschung  über 
Beethoven's  Leben,  und  die  Unmittelbarkeit  und  Treue  dieser  Mit- 
theilungen von  Augenzeugen  und  Freunden,  namentlich  aber  die 
warme  Pietät  für  den  unvergeßlichen  Freund  und  Lehrer,  welche  aus 
jeder  Zeile  spricht,  werden  dieselben  allezeit  zu  einer  anziehenden  und 
wohlthuenden  Lektüre  für  jeden  Verehrer  des  Meisters  machen.  Es 
ist  zu  beklagen,  daß  das  längst  vergriffene  Büchlein  immer  seltener 
wird,  und  es  dürfte  ein  dankenswerthes  Unternehmen  sein,  wenn 
dasselbe  durch  erneuten  Abdruck  weiteren  Kreisen  wieder  zugänglich 
gemacht  würde. 

Ferdinand  Ries  kam  gegen  Ende  180P  im  Alter  von  17  Jahren 
nach  Wien  und  wurde  daselbst  nicht  nur  Schüler  Beethoven^s,  sondern 
trat  auf  Grund  der  alten  Familienbeaiehungen  in  näheres  VerhältniB 
zu  ihm  und  empfing  von  ihm  mancherlei  Freundschaftsbeweise;  Beet- 
hoven sorgte  für  seine  äußere  Stellung,  ließ  ihn  an  manchen  seiner 
künstlerischen  Arbeiten  theilnehmen  und  bediente  sich  bei  Abschriften 
und  sonstigen  Besorgungen  wegen  derselben  seiner  Hülfe.  1805  ver- 
ließ der  junge  Ries  Wien,  da  er  sich  in  Folge  der  Konskription 
stellen  mußte;  nicht  angenommen,  machte  er  eine  Reise  nach  Paris 
und  war  1808  bis  1809  nochmals  in  Wien.  Nach  weiteren  Reisen 
nahm  er  1819  London  zu  seinem  Aufenthalte,  wo  er  bis  1824  blieb; 
dorthin  unterhielt  Beethoven  eine  lebhafte  Korrespondenz  mit  ihm, 

<  Vergl.  Thayer's  Biographie  Beeth.  II,  S«  162,  \ro  die  Angabe  des  Rheinischen 
Antiquarius  (3.  Abth.  Bd.  IJ,  S.  63)  richtig  gestellt  -^rd, 

6' 


84  H-  Deiters, 

die  sich  namentlich  auf  den  Verlag  seiner  Kompositionen  in  England 
bezog.  1824  kehrte  er  nach  Deutschland  zurück,  wohnte  einige  Jahre 
in  Godesberg  bei  Bonn  und  nahm  dann  Frankfurt  am  Main  zu  seinem 
Aufenthalte,  wo  er,  nach  verschiedenen  ferneren  Reisen  und  Unter- 
brechungen, 1838  gestorben  ist. 

Einen  Theil  der  zahlreichen,  aus  wichtigen  oder  auch  gering- 
fugigen  Anlässen  von  Beethoven  an  ihn  gerichteten  Briefe  hat  Ries 
in  den  Notizen  (S.  127  ff.)  mitgetheilt.  Daß  diese  Mittheilung  keine 
vollständige  sei,  hat  er  selbst  in  der  Vorrede  zu  den  von  ihm  ge- 
gebenen Notizen  gesagt;  auch  die  abgedruckten  Briefe  selbst  sind, 
wie  durch  Gedankenstriche  angedeutet  ist,  nicht  vollständig  ab- 
gedruckt. 

Die  Originale  dieser  Briefe  Beethoven's  an  Ferdinand  Ries  scheinen 
nach  dem  Tode  des  letzteren  unter  die  verschiedenen  Mitglieder  der 
Familie  vertheilt  worden  zu  sein.  Eine  Anzahl  derselben  befindet 
sich  im  Besitze  einer  Enkelin  von  Ries,  Frau  R.  in  Eitelsbach  bei 
Trier.  Der  gütigen  Erlaubniß  der  Frau  R.  folgend,  hat  der  Verfasser 
dieser  Zeilen  kürzlich,  von  seinem  Freunde  Dr.  von  Hofis  in  Trier 
in  dankenswerther  Weise  unterstützt,  diese  Briefe  an  Ort  und  Stelle 
mit  dem  Abdrucke  in  den  Notizen  vergleichen,  die  noch  nicht  ver- 
öffentlichten unter  denselben  jedoch  vollständig  abschreiben  dürfen. 
Hinsichtlich  der  bereits  gedruckten  ergab  sich  bald,  daß  zu  einer 
Weglassung  der  damals  unterdrückten  Stellen  gegenwärtig  gar  keine 
Veranlassung  mehr  vorlag;  manche  dieser  Weglassungen  hatten  zudem, 
wie  sich  jetzt  zeigt,  nicht  einmal  in  persönlichen  Gründen,  sondern 
nur  darin  ihre  Veranlassung,  daß  der  Herausgeber  die  Stellen  für 
überflüssig  und  für  das  Ganze  bedeutungslos  hielt.  Aber  auch  für 
Stellen  anderer  Art,  sowie  fiir  die  noch  unveröffentlichten  Briefe  er- 
gab sich  keinerlei  Grund  zur  Zurückhaltung;  sie  betreffen  zum  Theil 
Gegenstände,  über  welche  wir  auch  sonst  unterrichtet  sind,  und 
entsprechen  andrerseits  ganz  der  hinlänglich  bekannten  Art  Beet- 
hoven's  sich  auszudrücken  und  zu  urtheilen,  so  daß  uns  auch  der 
zuweilen  rücksichtslose  Ton  heute  nicht  mehr  wundern  oder  ver- 
letzen kann.  Außer  diesen  Weglassungen  haben  sich  auch  Stelleu 
gefunden,  in  denen  Ries  Beethoven's  Ausdrucksweise  und  Satzver- 
bindung geändert  hat;  auch  hier  war  es  geboten,  die  ursprüngliche, 
wenn  auch  nicht  immer  korrekte  Form  des  uns  ohnehin  anderweitig 
bekannten  Beethoven'schen  Briefstils  herzustellen.  An  einigen  Stellen 
war  das  von  Ries  gegebene  Datum  nach  dem  Original  zu  berichtigen. 
Die  Zeitbestimmung  der  undatirten  Briefe  und  Zettel  läßt  sich  nur 
vermuthungsweise,  mitunter  jedoch  mit  annähernder  Gewißheit  geben; 
wo  in  solchen  Fällen  Ries  selbst  aus  seiner  Erinnerung  eine  Ver- 


Briefe  Beethoven's  an  Ferdinand  Hies.  §5 


muthung  giebt,  wird  dieselbe  zu  beachten  sein,   da  uns  die  inneren 
Fäden  nicht  erkennbar  sind,  welche  ihn  zu  derselben  führten. 

Im  folgenden  geben  wir  die  sämmtlichen  im  Besitze  der  Frau  R. 
befindlichen  Briefe,  ^  und  fugen  bei  den  von  Ries  bereits  veröffent- 
lichten die  wichtigsten  Abweichungen  von  dem  gedruckten  Texte 
bei;  kleinere  Abweichungen  hinsichtlich  der  Schreibung  und  Inter- 
punktion, welche  Ries  überall  der  gewöhnlichen  Sitte  angepaßt  hat, 
sind  hierbei  übergangen.  Die  ganz  konstante  Gewohnheit  Beethoven's, 
am  Schlüsse  der  Sätze  keinen  Punkt  zu  schreiben,  sondern  meist  nach 
einem  Gedankenstrich  den  folgenden  Satz  mit  kleinem  Anfangsbuch- 
staben folgen  zu  lassen,  ist  jedem  bekannt,  welcher  Beethoven'sche 
Briefe  gesehen  hat;  dieselbe  ist  an  einigen  Stellen,  wo  eine  Ab- 
weichung von  dem  Drucke  bei  der  Vergleichung  nicht  angemerkt 
war,  durch  Yermuthung  hergestellt,  da  sie  in  den  von  uns  einge- 
sehenen Briefen  ebenfalls  durchweg  geübt  ist.  Kurze  biographische 
Erläuterungen  sind  nur  wo  sie  unumgänglich  nöthig  erschienen  ge- 
geben. — 

(Kicht  veröffentlicht.) 

Lieber  Rieß.  Wählen  Sie  die  4  bestgeschriebenen  Stimmen,  und 
sehen  sie  diese  erst  durch,  bezeichnen  dann  diese  mit  No.  /;  —  haben 
sie  dieselben  nach  der  partitur  recht  durchgesehen  und  korrigirt,  dann 
nehmen  sie  die  anderen  Stimmen,  und  sehen  sie  nach  nach  den  cor- 
rigirten  Stimmen,  ich  emphele  ihnen  so  viel  achtsamkeit  als  möglich. 

2.3 
(Notizen  S.  127  unvollständig  abgedruckt.) 

Hier,  lieber  Ries,  nehmen  sie  gleich  die  4  von  mir  corrigirte 
Stimmen,  und  sehen  sie  die  anderen  abgeschriebenen  darnach  durch, 


^  Von  den  in  den  Notizen  bereits  veröffentlichten  Briefen  befinden  sich  17 
nicht  in  der  von  uns  eingesehenen  Sammlung. 

2  Ein  Zettel  ohne  Datum.  Nr.  1  und  2  gehören  ersichtlich  zusammen  und 
beziehen  sich  auf  eine  Aufführung.  Die  Worte  über  Qraf  Browne  im  zweiten  Briefe 
zeigen,  daß  sie  der  ersten  Zeit  von  Ries'  Aufenthalt  in  Wien  angehören,  so  daß 
die  Yermuthung  von  Ries  hinsichtlich  des  Datums  richtig  sein  dürfte.  Es  wird 
hiemach  an  eine  Aufführung  des  Ballets  Prometheus  zu  denken  sein,  nur  nicht  an 
die  erste,  welche  schon  am  21.  März  ISOl  stattfand.  Den  dritten  Brief  darf  man 
dann  wohl  auf  dieselbe  Sache  beziehen;  das  B.  z.  (oder  B.  j.)  in  demselben  weiß 
ich  nicht  zu  erklären»  vielleicht  ist  »Baßpartie «  gemeint  Thayer  (Bd.  11,  S.  1S2) 
Betete  den  zweiten  Brief,  den  er  nur  in  der  unvollständigen  Gestalt  kannte,  in  den 
Anfang  1802. 

'  Ohne  Datum.    Nach  Ries  »wahrscheinlich  1801«. 


86  H.  DcitcM, 

und  ^  wenn  sie  versichert  sind,  daß  4  von  den  abgeschrieb^ien  Stim- 
men recht  richtig  und  genau  corrigirt  sind,  so  will  ich  übermorgen 
um  die  4  mit  N:  I  bezeichnete  Stimmen  schicken,  dann  können 
sie  die  anderen  nach  den  von  ihnen  durchgesehenen  corrigiren  — 
Hier  der  Brief  an  Gr.  Browne,  es  steht  drin,^  daß  er  ihnen  die 
50  :|:|:  vorausgehen  muß,  weil  sie  sich  equipiren  müssen,  dies^  ist 
eine  Nothwendigkeit,  die  ihn  nicht  beleidigen  kann,  denn  nachdem 
dies  geschehen  sollen  sie  künftige  Woche  schon  am  Montag  mit 
ihm  nach  Baden  gehen  —  Vorwürfe  muß  ich  ihnen  denn  doch 
machen,  daß  sie  sich  nicht  schon  lange  an  mich  gewendet,  bin  ich 
nicht  ihr  wahrer  Freund,  warum  verbargen*  sie  mir  ihre  Noth,  Keiner 
meiner  Freunde  darf  darben,  so  lange  ich  etwas  hab',  ich  hätte  ihnen 
heute ^  schon  eine  kleine  Summe  geschickt,  wenn  ich  nicht  auf 
Browne  hoffte,  geschieht  das  nicht,  so  wenden  sie  sich  gleich  an 
ihren  Freund  Beethoven. 

3.« 

(Nicht  veröffentlicht) 

lieber  Bieß  ich  bitte  sie  inständigst,  machen  daß  ich  die  B.  z.' 
noch  heute  bekomme,  sie  müssen,  ich  mag  wollen  oder  nicht,  auch 
die  Violinstimmen  durchsehen,  und  das  muß  morgen  geschehen,  weil 
sie  wohl  wissen  daß  übermorgen  Probe  ist. 

4.8 
(Bis  auf  den  Schluß  nicht  veröffentlicht.) 

Haben  sie  die  Güte  mir  zu  berichten,  ob's  wahr  ist,  daß  Gr. 
Brotone  die  2  Märsche  schon  zum  Stich  gegeben  —  mir  liegt  dran 
es  zu  wissen ;  —  ich  erwart  unausgesetzt  die  Wahrheit  von  ihnen  — 
nach  Heilgstadt*  brauchen  sie  nicht  zu  kommen,  indem  ich  keine 
Zeit  zu  verlieren  habe  L  v  Bthvn. 


1  Die  Worte  »und  wenn«  bis  »corrigiren«  fehlen  bei  Ries. 

^  darin  R. 

3  das  R. 

*  verbergen  R. 

^  heute  fehlt  bei  R. 

^  Kleiner  schmaler  Zettel  ohne  Datum. 

"^  Undeutlich,  vielleicht  auch  B.  j.  oder  anders. 

^  Die  wahrscheinlich  von  Ries  beigeschriebene  Jahreszahl  1S02  stimmt  zu  dcnt 
Inhalt,  vergl.  Thayer  II,  S.  190.  Die  1802  von  Browne  bestellten  Märsche  er- 
schienen 1804. 

0  Diese  Schlußworte  stehen  Notizen  S.  117.    Heiligenstadt  R. 


Briefe  Beethoven's  an  Ferdinand  Kies.  §7 


5.1 


(Nötigen  S.  90.) 

—  und  sind  sowohl  die  Zeichen  schlecht  angezeigt,  als  auch  an 
manchen  Orten  selbst  2  Noten  versetzt  —  also  mit  Achtsamkeit  — 
sonst  ist  die  Arbeit  wieder  umsonst  —  ch'a  detto  Tamato  bene? 

6.3 
(Notizen  S.  129.) 

Lieber  Bieß,  da  Breuning  keinen  Anstand  genommen  hat,  ihnen 
und  dem  Haußmeister  durch  sein  Benehmen,  meinen  Karakter  von 
einer  Seite-*  vorzustellen,  wo  ich  als  ein  elender,  armseeliger,  klein- 
licher Mensch  erscheine,  so  suche  ich  Sie  dazu  aus,  erstens  meine 
Antwort  B:  miindUch  zu  überbringen  nur  auf  einen  und  den  ersten 
Punkt  seines  Briefes,  welchen  ich  nur  deswegen  beantworte,  weil 
dieses  meinen  Charakter  nur  bei  ihnen  rechtfertigen  soll  —  sagen  sie 
ihm  also,  daß  ich  gar  nicht  daran  gedacht,  ihm  Vorwürfe  zu  machen 
wegen  der  Verspätung  des  Aufsagens,  und  daß,  wenn  wirklich  B: 
Schuld  daran  gewesen  sei,  mir  jedes  harmonische  Verhältniß  in  der 
Welt  viel  zu  theuer  und  lieb  sei,  als  daß  um  einige  Hundert  und 
noch  mehr  ich  einem  meiner  Freunde  Kränkungen  zufügen  würde: 
sie  selbst  wissen,  daß  ich  ihnen  ganz  scherzhaft  vorgeworfen  hatte,* 
daß  Sie  Schuld  daran  wären,  daß  die  Aufsagung  durch  Sie  zu  spät 
gekommen  sei,  ich  weiß  gewiß,  daß  sie  sich  dessen  erinnern  werden ; 
bei  mir  war  die  ganze  Sache  vergessen  —  nun  fieng  mein  Bruder 
bei  Tische  an  und  sagte,  daß  er  B:  Schuld  glaube  an  der  Sache; 
ich  verneinte  es  auf  der  Stelle  und  sagte,  daß  Sie  daran  Schuld 
waren,  ich  meine,  das  war  doch  deutlich  genug,  daß  ich  B:  nicht  die 
Schuld  beimesse  B:  sprang  darauf  auf  wie  ein  Wüthender,  und  sagte, 
daß  er  den  Hausmeister  herauf  rufen  wollte^  dieses  für  mich  unge- 
wohnte Betragen  von^  allen  Menschen,  womit  ich  nur  immer  umgehe, 
brachte  mich  aus  meiner  Fassung,  ich  sprang  ebenfalls  auf,  warf  meinen 
sthul   nieder;   gieng  fort  —  und  kam  nicht  mehr  wieder  —  dieses 


1  Ein  kleiner  Zettel,  Fortsetzung  eines  andern,  so  daß  Anfang  und  Datum 
fehlen.  Der  Inhalt  besieht  sich  auf  die  Korrektur  der  Sonaten  Op.  31;  die  Zeit  ist 
also  der  Frühling  1803  (vergl.  Th.  11,  S.  201).    Ries  hat  den  Anfang  geändert. 

*  die  Noten  R. 

d  Auf  dem  Originale  steht  von  anderer  Hand  (Ries?)  die  Jahreszahl  1603  mit 
einem  Fragezeichen.  Nach  Thayer  (II,  S.  652)  ist  der  Brief  Anfang  Juli  1803  ge- 
Bchriehen. 

*  Die  Worte  »Ton  einer  Seite«  fehlen  bei  Ries. 
^  habe  R.  ®  vor  R. 


88  H.  Deiters, 

Betragen  nun  bewog  B:,  mich  bei  ihnen  und  dem  Hausmeister  in 
ein  so  schönes  Licht  zu  setzen  —  und  mir  ebenfalls  einen  Brief 
zu  schicken,  den  ich  übrigens  nur  mit  Stillschweigen  beantwortete ;  — 
Breuning  habe  ich  gar  nichts  mehr  zu  sagen  —  seine  Denkungs^ 
und  Handlungsart  in  Rücksicht  meiner  beweist,  daß  zwischen  unß 
nie  ein  freundschaftliches  Yerhältniß  Statt  hätte  finden  sollen ,  und 
auch  gewiß  nicht  ^  Statt  finden  wird  —  hiermit  habe  ich  sie  bekannt 
machen  wollen,  da  ihr  Zeugniß  meine  ganze  Denkungs  und  Hand- 
lungsart erniedrigt  hat,  ich  weiß,  wann^  sie  die  Sache  so  gekannt 
hätten,  sie  es  gewiß  nicht  gethan  hätten,  und  damit  bin  ich  zu- 
frieden — 

Jetzt  bitte  ich  sie  lieber  Bieß  gleich  nach  Empfang  dieses  Briefes 
zu  meinem  Bruder  dem  Apotheker  zu  gehen,  und  ihm  zu  sagen,  daß 
ich  in  einigen  Tagen  schon  Baaden  verlasse,  und  daß  er  das  quartier 
in  Döblinffj  gleich  nachdem  sie  es  ihm  angekündigt,  miethen  soll  — 
fast  wäre  ich  schon  heute  gekommen,  es  ekelt  mich  hier  ich  bin's 
müde  —  treiben  sie  um*s  Himmelswillen,  daß  er  es  gleich  mietliet, 
weil  ich  gleich  allda  in  Döhling^  hausen  will  —  sagen  sie  und  zeigen 
sie  von  dem  auf  der  anderen  Seite  geschriebenen  B:*  nichts,  ich 
will  ihm  von  jeder  Seite  zeigen,  daß  ich  nicht  so  kleinlich  denke 
wie  er,  und  habe  ihm  erst  nach  diesem  d  bew®  Brief  geschrieben  — 
obschon  mein  Entschluß  von  der  Auflösung'  unserer  Freundschaft 
fest  ist  und  bleibt  —  ihr  Freimd 

Beethoven. 

7.8 

(Notizen  S.  128.) 

Daß  ich  da  bin,  werden  sie  wohl  "^wissen  —  gehen  sie  zu  Stein 
und  hören  sie,  ob  er  mir  nicht  ein  Instrument  hierher  geben  kann 
—  für  Geld  —  ich  furchte  meins  hierher  tragen  zu  lassen  —  Kom- 
men sie  diesen  Abend  gegen  Sieben  Uhr  heraus  —  meine  Wohnung 
ist  in  Oberdöbling  No.  4  die  Straße  links,  wo  man  den  Berg  hin- 
unter nach  HeUigenstadt  geht.  Beethoven. 

^  Denkungsart  R. 

2  nicht  ferner  R. 

3  wenn  R. 

*  »in  Döbling«  fehlt  bei  R. 

^  Briefe  R. ;  unrichtige  Deutung  der  Abkürzung. 

^  Unleserlich;  ich  nehme  an  »den  bewußten«.  Ries  ändert  willkürlich  »nach 
diesem  Briefe  ct. 

"^  der  Entschluß  zur  Auflösung  R. 

B  Ries  setzt  den  (mit  Rothstift  geschriebenen)  Zettel  richtig  ins  Jahr  1S03,  in 
welchem  Beethoven  in  Oberdöbling  wohnte.    VergL  Thayer  II,  S.  233. 


Briefe  Beethoven's  an  Ferdinand  Kies.  (^9 


8.1 
(Notiaen  S.  128.) 

Lieber  Ries,  ich  bitte  sie  erzeigen  sie  mir  die  Gefälligkeit,  dieses 
Andante,  *  wenn  auch  nur  schlecht  abzuschreiben,  ich  muß  es  morgen 
fortschicken,  und  —  da  der  Himmel  weiß,  was  allenfalls  damit  vor- 
gehen kann,  so  wünschte  ich^s  —  abgeschrieben  —  doch  muß  ich's 
morgen  gegen  Ein  Uhr  zurück  haben  —  die  Ursache,  warum  ich  sie 
damit  beschwere  —  ist  —  weil  ein  Copist  schon  mit  anderen,  wich- 
tigen Sachen  zu  schreiben  hat,  und  der  andere  ist  krank. ^ 

(Nicht  veröffentlicht.) 

Sie  müssen  die  Sache,  lieber  Hieß  sehr  klug  anstellen,  und 
absolut  darauf  dringen,  daß  sie  etwas  schriftliches  von  ihm  erhalten 

—  ich  habe  geschrieben  daß  auch  Sie  die  Sache  schon  im  Wirths- 
haus  hätten  hören  sagen,  aber  nicht  wußten  von  wem?  —  thun 
sie  dergleichen,  und  sagen  sie,  daß  sogar  die  Geschichte  auf  mich 
schon  gedeutet  worden  —  daß  mir  unendlich  daran  liege,  nur  die 
Wahrheit  zu  wißen  —  damit  ich  meinem  Bruder  eine  Lekzion 
geben  könne  —  übrigens  soll  mein  Bruder  nicht  gewahr  werden, 
daß  Hr.  Frosch  nur  die  Wahrheit  geschrieben  habe  s 

Nach  ihrer  Ambassade  kommen  sie  zu  mir  « 
Alles  Schöne  an  die  gnädige  Frau,  ist  der  Mann  zäh,  so  halten 
sie  sich  an  der  Frau  ^ 

10.» 
(An  die  Fürstin  Liechtenstein,  Notizen  S.  134.) 

■ 

Verzeihen  Sie  durchlauchtigste  Fürstin!  wenn  sie  durch  den  Über- 
bringer  dieses  vielleicht   in   ein  unangenehmes  Erstaunen   gerathen 

—  der  arme  Ries  mein  Schüler  muß  in  diesem  unglückseligen 
Kriege  die  Muskete  auf  die  Schultern  ^  nehmen,  und  —  muß  zugleich 

1  »Wahrscheinlich  1S04r  sagt  Bies. 

2  Nach  Ries'  Vermuthung  das  Andante  der  Kreuzersonate.  Wahrscheinlicher 
wohl  das  anfänglich  für  die  Cdur- Sonate  bestimmte  Andante  facori  (Thayer  II, 
S.  258). 

3  Statt  zu  schreiben  hat  u.  s.w.  ändert  Ries:  »beschäftiget,  und  der  andere 
krank  ist«. 

4  Auf  das  Original  ist  geschrieben:  »1804?«  Die  Beziehungen  des  Briefes  sind 
nicht  klar.  Handelt  es  sich  um  die  von  Ries  Notizen  S.  117  angedeutete  Ver¥rick- 
lung,  so  würde  derselbe  ins  Jahr  1802  g^ehören. 

^  »Ohne  Datum.    Geschrieben  einige  Tage  Tor  dem  Einzüge  der  Franzosen 
1805«.    Der  Brief  wurde  nicht  abgegeben  (Ries). 
8  Schulter  R.    . 


90  K-  Beiters, 


schon  als  Fremder  in  einigen  Tagen  von  hiei  fort  —  er  hat  nichts, 
gar  nichts  —  muß  eine  weite  Reise  machen  —  die  Gelegenheit  zu 
einer  Akademie  ist  ihm  in^  diesen  Umständen  g^uizlich  abge- 
schnitten —  er  muß  seine  Zuflucht  zur  Wohl thätigkeit  nehmen 
—  ich  empfehle  ihnen  denselben  —  ich  weiß  es^  Sie  verzeihen  mir 
diesen  Schritt  —  nur  in  der  äußersten  Noth  kann  ein  edler  Mensch 
zu  solchen  Mitteln  seine  Zuflucht  nehmen  —  in  dieser  Zuversicht 
schickte  ^  ich  ihnen  den  armen,  um  nur  seine  Umstände  in  etwas  zu 
erleichtem;  er  muß  zu  allen,  die  ihn  kennen,  seine  Zuflucht  nehmen. 

Mit  der  tie&ten  Ehrfurcht 

L.  van  Beethoven. 
(Adr.  Pour  Madame  la  Princesse  Liechtenstein  etc.) 

11.» 
(Notizen  S.  135.) 

Ihre  Freunde  mein  Lieber  haben  ihnen  auf  jeden  Fall  schlecht 
gerathen  —  ich  kenne  diese  aber  schon  es  sind  die  nemlichen,  denen 
sie  auch  die  schönen  Nachrichten  über  mich  aus  Paris  geschickt  — 
die  nemlichen,  die  sich  um  mein  Alter  erkundigt,  und  wovon  sie 
so  gute  Kunde  zu  geben  gewußt  —  die  nemlichen,  die  ihnen  bei 
mir  schon  mehrmals  jetzt  aber  auf  immer  geschadet  haben. 

Leben  sie  wohl.  B. 

12.* 

(Notizen  S.  136.) 

Mittwoch  am  22.  November.  Wien  1815. 
Lieber  R.  Ich  eile  ihnen  zu  schreiben,  daß  ich  heute  den  Ciavier- 
Auszug  der  Sinfonie  in  A  auf  die  Post  an  das  Hauß  Thomas  Coutts 
&  C^  abgeschickt  habe,  da  der  Hof  nicht  hier  ist,  gehn  beinahe  gar 
keine  oder  selten  Kurire,  auch  ist  dies  überhaupt  der  sicherste  Weg. 
Die  Sinfonie  müßte  gegen  März  herauskommen,  den  Tag  werde  ich 
bestimmen,  es  ist  diesmal  zu  lange  zugegangen,  als  daß  ich  den 
Termin  kürzer  bestimmen  könnte  —  mit  dem  Trio  vl,^  der  Sonate  für 
Violin  7  kann  es  mehr  Zeit  haben,  und  beides  wird  in  einigen  Wochen 
auch  in  London  sein  —  ich  bitte  sie  recht  sehr,  lieber  Rieß !  sich 
anzunehmen   um  diese  Sachen,  ^  auch  damit  ich   das  Geld  erhalte ; 

1  unter  R.  2  schicke  R. 

3  Von  Ries  mit  1809  beseichnet.   Vergl  Thayer  III,  S.  140. 

*  manchmal  R.  »  Vergl.  Thayer  III,  S.  360. 

^  Für  u.  steht  bei  Ries  in.  Der  Fehler  war  auch  bei  der  Vergleichung  übei^ 
sehen;  ich  habe  mich  aber  zu  der  Änderung  berechtigt  geglaubt,  da  das  in  un- 
möglich ist,  wie  die  folgenden  Worte  zeigen. 

7  Op.  97  und  96.  «  ©sich  dieser  Sachen  anzunehmen«  R. 


Briefe  Beethoven's  an  Ferdinand  Bies.  9  [ 


es  kostet  viel;  bis^  alles  hinkommt  u.  ^  ich  brauche  es  —  ich  habe 
600  Fl:   an  meinem  Gehalte  jährlich  eingebüBt  zu  Zeiten  der  B.  Z.^ 
war  es  gar  nichts,   dann  kamen  die  Einlösungss.  und  hiebei  verlor 
ich  diese  600  Fl:  mit  mehreren  Jahren  Verdruß  und  gänzlichen  Ver- 
lust  des  Gehalts  —  nun   sind  wir  auf  dem  Punkte,   daß  die  E.  s. 
schlechter,  als  ehmals^  die  B.  Z.  waren,  ich  bezahle  1000  Fl:  Haus- 
zins;   machen  sie  sich  einen  Begriff  von   dem  Elend,  welches  das 
Papiergeld  hervorbringt.    Mein  armer,  unglücklicher  Bruder  ist  eben 
gestorben,  er  hatte   ein  schlechtes  Weib,  ich  kann  sagen,   er  hatte 
einige  Jahre  die  Lungensucht,   und  um  ihm  das  Leben  leichter  zu 
machen,  kann  ich  wohl  das,  was  ich  gegeben,  auf  10  000  Fl:  W.W. 
anschlagen  das  ist  nun   freilich  für  einen  Engländer  nichts  —  aber 
fdr  einen  armen  Deutschen  oder  vielmehr  Oesterreicher  sehr  viel,  der 
Arme  hatte  sich  in  seinen  letzten  Jahren  sehr  geändert,  und  ich  kann 
sagen,  ich  bedaure  ihn  von  Herzen,  und  mich  freut  es  nunmehr,  mir 
selbst  sagen  zu  können,   daß  ich  mir  in  Rücksicht  seiner  Erhaltung 
nichts  zu  Schulden  kommen  ließ.  —  Sagen  sie  dem  Hr:  Birchall, 
daß  er  Hr:  Salomon  und  ihnen  das  Brie^orto,  welches  ihre  Briefe 
an  mich  und  die  meinigen  an  sie  kosten,  vergüte,  derselbe  kann  mir 
es  abziehen  an  der  Summe,  die  er  mir  zu  bezahlen,  ^  ich  habe  gern, 
daß  diejenigen,  welche  für  mich  wirken,  so  wenig  als  möglich  leiden.  — 
Wellingtons   Sieg  in  der  Schlacht  bei  Vittoria*  muß 
längst  angekommen  sein  bei  Th.  Coutts  &  C^.    Hr:  Birchall  braucht 
nicht  eher  das  Honorar  zu  bezahlen,   bis  er  alle  Werke  hat.     Eilen 
sie  nur,  daß  ich  die  Bestimmung  des  Tags,  wann  Hr:  Birchall  den 
Clavier-Auszug  herausgibt,  erhalte.  —  Für  heute  nur  noch  die  wärmste 
Anempfehlung  meiner  Angelegenheiten,  ich  stehe  ihnen,  in  was  nur 
immer,  zu  Diensten.     Leben  sie  herzlich  wohl,  heber  R. 

Ihr  Freund        Beethoven. 

13.6 
(Nicht  veröffentliclit.) 

Wien,  den  10.  Februar  1816. 
Werthester  Freund. 
Ich  zweifle   nicht,   daß  Sie   meine   Zuschrift  v.  erhalten 

haben ;  mit  gegenwärtigem  zeige  ich  Ihnen  blos  an,  daß  ich  nunmehr 

*  »Dies  ist  zugleich  der  Titel  auf  dem  Clavier-Auszug.«  (Anm.  Beethoven's.) 
«  ehe  K.  2  ».u.«  fehlt  bei  R.  ^  d.  h.  Bancozettel.  *  jemals  R. 
s  »zu  bezahlen  hat«  R. 

•  Dieser  Brief  ist  von  fremder  Hand  geschrieben,  von  Beethoven  nur  unter- 
schrieben. Zur  Erläuterung  ist  der  Brief  vom  20.  Januar  18 IG  (Notizen  S.  13S)  zu 
vergleichen,  dessen  Original  sich  in  der  von  uns   eingesehenen  Sammlung  nicht 


92  K.  Deiters, 

auch  linier  den  3  dieß,^  das  grand  Trio  und  die  Sonate  an  Herrn 
Birchall  mittelst  des  Hauses  Thomas  Cotdts  et  C^.  geschickt  habe, 
wofür  er  an  letzteres  die  bedungene  Summe  von  130  hoU.  Ducaten 
zu  bezahlen  hat.  Allein  außerdem  treffen  ihn  die  Auslagen  für 
Copiatur  und  das  Postporto,  zumal  letzteres  blos  seinetwegen,  um  ihn 
schnell  zu  bedienen,  an  die  Briefpost  ausgeleget  ward;  die  diesfällige 
Note  finden  Sie  am  Ende  dieses,  —  ich  bitte  Sie  angelegentlich  Sich 
eifrigst  zu  verwenden,  daß  H.  Birchall  gedachten  Spesenbetrag  in 
ij:^  10  hoU.  reducirt,  an  die  Herrn  Coutts  et  Cf.  bezahle  da  der  Ver- 
lust dieser  Summe  einen  großen  Iheil  meines  ganzen  Honorars  auf- 
zehrte —  ich  glaube  bald  Gelegenheit  zu  finden,  H.  Birchall  auf 
andere  Art  verbinden  zu  können. 

Ich  sehe  recht  bald  Ihrer  Antwort  entgegen   und  verharre  mit 
freundschaftlicher  Achtung  Ihr  ergebener  Freund 

Ludtcig  van  Beethoven.^ 

14. 
(Notizen  S.  141  nur  zum  Theil  veröffentlicht) 

Wien  am  3.  April  1816. 
Mein  lieber  Riese  ^  wahrscheinlich  wird  Herr  F".  nun  das  Trio 
und  Sonate  erhalten  haben,  in  den  vorigen  Briefen  habe  ich  noch 
10  Dukaten  für  die  Copiatur  und  Porto  verlangt,  wahrscheinlich 
werden  Sie  mir  diese  1 0  ij^:  noch  auswirken  —  immer  habe  ich  einige 
Sorge,  daß  sie  für  mich  viel  für  Porto  auslegen  müssen,  ich  wünschte 
recht  sehr,  daß  sie  so  gütig  wären,  mir  alle  meine  Briefe  an  Sie  an- 
zurechnen, da  ich  sie  ihnen  dann  von  hier  aus  vom  Hause  Frieß  an 
das  Haus  Coutts  in  London  will  vergüten  lassen.  —  Sollte  der  Ver- 
leger V.  kein  Hinderniß  finden,  welches  er  aber  sogleich  auf  der  Post 
an  mich  anzuzeigen  ersucht  wird,  so  soll  die  Sonate  mit  Violin  hier 
im  Monath  Juni  am  15***^  desselben  herauskommen,  das  Trio 
am  15*®^  Juli,  wegen  dem  Klavierauszug  der  Si/7fo7iie  werde  ich  es 
noch  Hr.  V.  zu  wissen  machen,  wann  er  herauskommen  soll. 
—  Neate^  muß  nun  wohl  in  London  sein,  ich  habe  ihm  mehrere 
Compositionen  von  mir  mitgegeben,   und  er  hat  mir  die   beste  Ver- 


befindet. Der  gegenwärtige,  bisher  unbekannte  Brief  ist  zur  Beurtheilung  der  von 
Thayerlll,  S.  378  besprochenen  Frage  nicht  unwichtig;  es  zeigt  sich,  daß  die  For- 
derung von  20  #  für  Porto  und  Kopiatur  vor  dem  Eintreffen  der  Kompositionen 
gestellt  wurde. 

*  Soll  ohne  Zweifel  heißen  »unter  dem  3.  dieses«,  d.  h.  dem  3,  Februar.  Vergl 
den  Brief  vom  20.  Januar. 

2  Unter  dem  Briefe  folgt  dann  die  Kostenberechnung.  ^  sie. 

*  Von  hier  an  Notizen  S.  141.    Vergl.  Ihayer  III.  S.  38ö. 


Briefe  Beethoven's  an  Ferdinand  Kies.  93 


Wendung  davon  für  mich  versprochen,  grüßen  ^  sie  ihn  von  mir.  Der 
Erzherzog  Rudolph  spielt  auch  ihre  Werke  mit  mir,  mein  lieber 
Ries,  wovon  mir  il  sogno  besonders  wohl  gefallen  hat.  —  Leben  sie 
wohl,  mein  lieber  B.  empfehlen  sie  mich  ihrer  lieben  Frau  so  wie 
allen  schönen  Engländerinnen,  die  es  freuen  von  mir  kann.^ 

Ihr  wahrer  Freund 
Beethoven. 

15. 

(Notizen  S.  140  unvollständig  mitgetheilt.} 

Wien  den  8.  Mai»  1816. 
Meine  Antwort  kömmt  etwas  spät  auf  ihren  Brief,  ^  allein  ich 
war  krank  u.*  viel  zu  thun  war®  es  nicht  möglich  ihnen  eher  zu 
antworten;  —  nun  erst  das  Nöthigste  —  von  den  10  :}4:  in  Gold  ist 
bis  jetzt  noch  kein  Heller  angekommen,  und  ich  fange  schon  an  zu 
glauben,  daß  auch  die  Engelländer  nur  im  Auslande  großmüthig 
sind,  so  auch  mit  dem  Prinzregenten,  von  dem  ich  fiir  meine 
überschickte  Schlacht  nicht  einmal  die  Copiatur- Kosten  erhalten,  ja 
nicht  einmal  einen  schriftlichen  noch'  mündlichen  Dank;  Fries ^ 
zogen  mir  hier  noch  6  fl.  Konvenzionsgeld  ab.  bei  dem  empfangenen 
Gelde  von  Birchall  außerdem  für  Porto  1 5  fl.  Konvenzionsgeld,  sagen 
Sie  dieses  B , .  —  und  sehen  Sie  daß  sie  noch  selbst  die  Anweisung 
auf  die  10  4i=  erhalten,  sonst  gehts  wie  das  erstemal  —  was  sie  mir 
von  der  Unternehmung  von  Neate  sagen,  wäre  erwünscht  für 
mich,  ich  brauche  es,  mein  Gehalt  beträgt  3400  fl.  in  Papier,  1100 
Hauszins  bezahle  ich,  mein  Bedienter  mit  seiner  Frau  bis  beinahe^ 
900  fl.,  rechnen  sie,  was  also,  noch  bleibt,  dabei  habe  ich  meinen 
kleinen  Neflen  ganz  zu  versorgen,  bis  jetzt  ist  er  im  Institute,  dies 
kostet  bis  1100  fl.  und  ist  dabei  doch  schlecht,  so  daß  ich  eine 
ordentliche  Haushaltung  einrichten  muß,  um  ihn  zu  mir  zu  nehmen. 
—  Wie  viel  man  verdienen  muß,  um  hier  nur  leben  zu  können ;  und 
doch  nimmt's  nie  ein  Ende,  denn  —  denn  —  denn  —  sie  wissen  es 
schon  —  wegen  ^^  der  Dedicationen  ein  andermal  —  einige  Bestel- 
lungen, außer  einer  Akademie,  würden  mir  auch  sehr^^  willkommen 


*  »grüßen  —  der«  fehlt  bei  R. 

2  »die  CS  freuen  kann  —  von  mir«  R. 

3  Bei  Ries  (und  danach  Thayer  III.  S.  379)  unrichtig  März.    Die  Handschrift 
hat  deutlich  Mai 

^  »auf  ihren  Brief«  fehlt  bei  R. 

5  u.  hatte  R.  ^  »war  —  Nöthigste«  fehlt  bei  R.  "^  oder  R. 

8  Die  Stelle  von  »Fries  —  brauche  es«  fehlt  bei  R. 

9  Statt  bi«  beinahe  schreibt  Ries  »das  Jahr«. 

10  »wegen  —  andermal«  fehlt  bei  R.  ^^  »sehr«  fehlt  bei  R. 


^^  H.  Deiters, 

sein  von  der  philharmonischen  Gesellschaft  —  übrigens  sollte  sich 
mein  lieber  Schüler  Ries  hinsetzen  und  mir  was  Tüchtiges  dedi- 
ciren,  worauf  dann  der  Meister  auch  antworten  wird  und  Gleiches 
mit  Gleichem  vergelten.    Wie  soll  ich  ihnen  mein  Portrait  schicken? 

—  ichi  hoffe  auch  bald  Nachrichten  ron  Neate^  treiben  sie  ihn 
etwas  an,  seien  sie  übrigens  versichert  von  wahrer  Theilnahme  an 
ihrem  Glücke,   treiben  ja  Neate  an  zum  wirken  und  schreiben 

—  Alles  Schöne  an  ihre  Frau;  leider  habe  ich  keine;  ich  fand  nur 
eine,  die  ich  wohl  nie  besitzen  werde,  bin  aber  deswegen  kein 
Weiberfeind.  Ihr  wahrer  Freund 

Beethoven. 

16. 

(Notizen  S.  159  mit  yielen  ^yeglaBSungen  abgedruckt.) 

Am  5.  Febr.2  1823. 
Mein  lieber  guter  Ries! 
Noch  habe  ich  keine  weiteren  Nachrichten  über  die  Sinfoniey^ 
unterdessen  können  sie  sicher  daraufrechnen,  indem-*  ich  hier  die 
Bekanntschaft  gemacht  habe  mit  einem  sehr  liebenswürdigen  ge- 
bildeten Manne,  welcher  bei  unserer  Kaiserl.  Gesandtschaft  in  London 
angestellt  ist,  *  so  wird  dieser  es  übernehmen,  später  die  Sinfonie  von 
hier  nach  London  an  Sie  befördern  su  helfen,  so  daß  sie  bald  in 
London  ist.  War  ich  nicht  so  arm,  daß  ich  von  meiner  Feder 
leben  müßte;  ®  ich  würde  gar  nichts  von  der  ph.  Gesellschaft  nehmen, 
so  muß  ich  freilich  warten,  bis  für  die  Sinfonie  hier  das  Honorar 
angewiesen  ist:  um  aber  einen  Beweiß  meiner  Liebe  u. ^  Vertrauens 
für  diese  Gesellschaft  zu  geben,  so  habe  ich  die  neue  ihnen ^  in 
meinem  letzten  schreib,  berührte  Ocertüre  schon  dem  oben  berührten 
Herrn  von  der  Kaiserl.  Gesellschaft  gegeben.  Da  dieser  in  einigen 
Tagen  von  hier  abreist,  so  wird  er  ihnen  mein  lieber  sie  selbst  in 
London  übergeben,  man  wird  wohl  bei  Goldschmidt  ihre  Wohnung 
wissen,  wo  nicht,  so  geben  sie  selbe  dort  doch  an,  damit  dieser 
so  sehr  gefällige  Mann  nicht  lange  sie  aufzusuchen  habe  —  ich 
überlasse  es  der  Gesellschaft  was  sie  in  Ansehung  der  Ovet^ttire  an- 
ordnen wird,   sie  kann  selbe   ebenfalls  wie  die  Sinfonie  18  Monathe 


1  »ich  —  schreiben«  fehlt  bei  R.  ^  Bei  Ries  unrichtig  September. 

3  die  neunte  Symphonie.  ^  »indem  —  helfen,  so«  fehlt  bei  K. 

5  Dies  ist  der  im  folgenden  Briefe  erwähnte  Bauer.  Die  Stelle  beweist,  daß 
dieser  Brief  dem  folgenden  voranging,  und  die  Reihenfolge  bei  Ries  unrichtig  ist. 

<^  muß  R.  '  und  des  R. 

^  »ihnen —  aufzusuchen  habe«  fehlt  bei  R.,  welcher  willkürlich  folgendes  hin- 
zusetzt: die  neue  »Ouvertüre  schon  an  sie  abgeschickt«.  Die  Ouvertüre  ist  ohne 
Zweifel  Op.  124. 


Briefe  Beethoven's  an  Ferdinand  Kies.  C)5 


beh&Iten  —  hiemacli  erst  würde  ich  sie  herausgeben,  nun  noch  eine 
Bitte  ly  mein  Herr  Bruder  hier,^  der  Equipage  hält,  hat  auch  noch 
Ton  mir  ziehen  wollen,  und  so  hat  er,  ohne  mich  zu  fragen,  diese 
besagte  Ooerture  einem  Verleger  namens  ^  Bosey  in  London  ange- 
tragen, lassen  3  sie  ihn  nur  warten,  daß  man  vor  der  Hand  nicht  be- 
stimmen könne,  ob  er  die  Overture  haben  könne,  ich  würde  schon 
selbst  deswegen  schreiben  —  alles  kommt  hierin  auf  die  philarm. 
Gesellschaft  an,  sagen  sie  nur  gefälligst,^  daß  mein  Bruder  sich  ge- 
irrt, was  die  Overture  betrifft  —  was*  andere  Werke  betrifft,  wes- 
wegen er  ihm  geschrieb.  die  könnte  er  wohl  haben,  ,er  kaufte  sie 
von  mir  um  damit  zu  wuchern,  wie  ich  merke,  o  f rater!  —  ich® 
bitte  sie  noch  besonders  der  overture  wegen,  mir  sobald  sie  selbe 
erhalten,  sogleich  zu  schreiben,  ob  die  ph.  Gesell,  solche  nimmt, 
weil  ich  sonst  sie  bald  herausgeben  würde  — 

Von  ihrer  an  mich'  dedicirten  Sinfonie  erhielt  ich  nichts,  be- 
trachtete ich  die  Dedicat  nicht  als  eine  Art  von^  Herausforderung, 
worauf  ich  ihnen  Revanche  geben  muß,  so  hätte  ich  ihnen  schon 
irgend  ein  Werk  gewidmet,  so  glaubte  ich  aber  noch  immer,  ihr 
Werk  erst  sehen  zu  müssen,  und  wie  gern  würde  ich  ihnen  durch 
irgend  etwas  meinen  Dank  bezeigen,  ich  bin  ja  ihr  tiefer  Schuldner 
für  so  viele  bewiesene  Anhänglichkeit  und  Gefälligkeit,  bessert  sich 
meine  Gesundheit  durch  eine  zu  nehmende  Bade-:Cur  im  künftigen 
Sommer,  9  dann  küsse  18i(4  ihre  Frau^^^  in  London 

ganz  ihr  Beethoven, 

Adresse:  A  Ferd.  Ries 

chez  B.  A.  Goldschmidt  et  Comp, 

a  Londres  (en  Angleterre), 

17,n 
(Notizen  S.  154  zum  Theil  abgedruckt.) 

—  bei  der  harten  Lage  habe  ich  noch  viele  Schulden  %u  be- 
zahlen, daher  es  mir  auch  lieb  sein  wird,  wenn  sie  abgeschlossen 
haben  die  Messe  betreffend,  mir  das  Honorar  auch  ebenfalls  anzu- 
weißen,  bis  daliin  wird  die  Messe  schon  für  nach  London  abgeschrieben 
«ein,  wegen  der  einigen  Souveraifis^  die  ein  Exempl.  davon  erhalten, 

■  ^  Bruder  Johann  R.  ^  » namens <«  fehlt  bei  li. 

3  »lassen  —  Gesellschaft  an«  fehlt  bei  B.  *  »gefälligst«  fehlt  bei  H. 

•*  »was  —  haben«  fehlt  bei  R.  «  »ich  —  würde«  fehlt  bei  R. 

■^  mir  R.  *  »von«  fehlt  bei  R 

^  »im  künftigen  Sommer«  fehlt  bei  R.  ^^  ich  ihre  Frau  1824  R. 

^^  Der  Anfang  des  Briefes  ist  nicht  vorhanden.  Derselbe  gehört  dem  Inhalte 
sufolge  ins  Jahr  1S23. 


96  H.  Deiters, 

darf  man  gar  keine  Scrupel  haben,  wenn  schon  ein  hiesiger  Verlier 
gar -nichts  dawider  hatte,  so  dürfte  man  in  London  noch  weniger  sich 
deswegen  kümmern,  da  ich  mich  noch  obendrein  schrifU.  verbinde, 
daß  übrigens  weder  im  Stich  noch  auf  irgend  eine  andere  Art  davon 
eine  Note  nur  herauskomme,  und  der  Revers  noch  obendrein  für 
alles  bürgt.  —  Betreiben^  sie  alles  bald  für  ihren  armen  Freund, 
ihren  Reiseplan  erwarte  ich  auch,  es  ist  zu  arg  geworden,  ich  bin 
ärger  beim  Cardinal,  *^  als  früher  geschoren,  geht  man  nicht,  siehe  da 
ein  crimen  legis  majestaiisy^  meine ^  Zulage  besteht  darin,  daß  ich 
den  elenden  Gehalt  noch  mit  einem  Stempel  erheben  muß.  —  Da 
Sie  wie  es  scheint  eine  Dedication  von  mir  wünschen,  wie  gern  will- 
fahre ich  ihnen,  lieber  als  den  größten  großen  Herrn  enire  nous^ 
der  Teufel  weiß  wo  man  nicht  in  ihre  Hände  gerathen  kann,  auf  der 
neuen  Sinfonie  erhalten  sie  die  Dedication  an  Sie  —  ich  hoffe  end- 
lich die  ihrige  an  mich  zu  erhalten.  — 

Bauer  ^  erhält  hiermit  eine  neue  Schrift  an  König y  in  welcher 
aber  blos  von  der  Schlacht  bei  Vittoria^  die  er  gestochen  mitgenommen 
hat,  die  Rede  ist,  von  der  Messe  geschieht  keine  Erwähnung.  Haben 
Sie  nur  die  Güte,  H.  Bauer  zu  sagen,  er  solle  das  erstere  öfihen,  um 
zu  sehen  wessen  Inhalt  das  Schreiben  sei.  Die  Messe  hat  H.  Bauer 
nicht  mitbekommen.  Es''  heißt  nämlich:  Bauer  soll  den  von  hier 
mitgenommenen  Brief  an  den  König  öffnen,  woraus  er  sehen  wird, 
was  von  der  Schlacht  von  Vittoria  an  den  König  geschrieben  worden, 
die  nun  erfolgte  Schrift  an  ihn  erhält^  dasselbige,  aber  von 
der  Messe  ist  gar  keine  Rede  mehr,  unser  liebenswürdiger  Freund 
Bauer  soll  nur  sehen,  ob  er  nicht  wenigstens  ein  Schlachtmesser  oder 
eine  Schildkröte  dafür  erhalten  kann,  versteht  sich,  daß  das  ge- 
stochene Partitur  Exemplar  der  Schlacht  ebenfalls  an  den  König  ge- 
geben werde  —  Bauer^  geht  Ende  Mai  wieder  hieher,  benach- 
richtigen sie  ihn  also  gütigst  gleich  von  dem  was  ihn  angeht  —  der 
heutige  Brief  kostet  sie  viel  Geld,  rechnen  sie  mir  es  nur  ab  von 
dem  was  sie  mir  schicken,  wie  leid  thut  es  mir  ihnen  beschwerlich 


^  Von  hier  an  hei  Ries. 

2  »beim  Cardinal«  fehlt  bei  R. 

3  So  im  Original.    R.  schreibt:  »ein  crimen  laesael» 

*  »meine  —  muß«  fehlt  bei  R. 

^  Nach  enire  nous  setzt  R.  einen  Punkt,  wodurch  der  Sinn  geändert  wird. 

•  Die  Worte  »Bauer  —  mitbekommen«,  welche  bei  Ries  fehlen,   sind  von  an- 
derer Hand  geschrieben. 

^  Von  hier  an  wieder  Beethoven's  Hand.  Die  Worte  »Es  heißt  nämlich«  fehlen 
bei  R.    Für  Bauer  schreibt  er  nur  »b«. 
8  So  ist  geschrieben.    R.  »enthält«. 
0  »Bauer  —  angeht«  fehlt  bei  R. 


Briefe  Beethoven's  an  Ferdinand  Ries.  97 


fallen  zu  müssen,  —  Gott  mit  ihnen,  alles  schöne  an  ihre  Frau,  bis 
ich  selbst  da  bin,  geben  sie  acht,  sie  glauben  ich  bin  alt,^  ich  bin 
ein  junger  alter  —  wie  immer  der  Ihrige  Beethotefi.^ 

18.3 

(Nicht  veröffentlicht.) 

Lieber  Ries! 
Sie  dringen  so  sehr  auf  Antwort,  daß  ich  Ihnen  in  diesem  Augen- 
blicke blos  das  Nöthigste  sagen  kann.  Schon  von  Kirchhoffer  wüßt' 
ich,  daß  Sie  London  verlassen  haben.  Meine  so  gedrängte  Lage  ließ 
mich  kaum  dazu  kommen,  Ihnen  nur  das  Mindeste  zu  schreiben. 
JT.  übernahm  die  Symphonie^  welche  ganz  sicher  nicht  eher  als  Ende 
Sommers  herauskommen  kann.  Diese  jetzigen  Veräußerungen  sind 
nur  Präliminarien;  die  Zeit,  welche  die  Londner  Phükarm.  Gesell- 
schaft sich  ausbedungen  hat,  wird  aufs  genauste  gehalten  werden. 
Bremen  hat  sie  nie  erhalten.  Eben  so  wenig  Paris j  wie  man  mir  yon 
London  aus  schrieb.  Was  muß  man  nicht  alles  ertragen,  wenn  man 
das  Unglück  hat,  berühmt  zu  werden!  —  Nun  auf  Ihre  Wünsche!  mit 
Vergnügen  werde  ich  Ihnen  die  Tempi  von  Christus  am  Oelherg  durch 
den  Metronom  bezeichnen,  so  wankend  auch  noch  diese  Zeitbestim- 
mung ist.  —  Was  die  Symphonie  betrifft,  so  mache  ich  Ihnen  hierbei 
einen  mehr  ins  allgemeine  gehenden  Vorschlag.  Meine  Lage  macht, 
daß  ich  durch  meine  Noten  aus  meinen  Nöthen  zu  kommen  suchen 
muB.^  Wäre  es  denn  nicht  möglich,  daß  Sie  die  Sache  so  einrich- 
teten: ich  schickte  Ihnen  die  Symphonie  in  meiner  oder  einer  wohl 
abgeschriebenen  Partitur,  hiezu  noch  die  Messe  in  Partitur,  und  die 
Ouvertüre,  die  ich  für  die  Phüh,  Gesellschaft  schrieb.  Auch  könnte 
ich  noch  mehrere  Kleinigkeiten  für  Orchesten^  geben;  und  für  Chöre; 
so  würde  ein  solcher  Verein  in  Stand  gesetzt,  statt  einer  Akademie 
2 — 3  zu  geben.  Vielleicht  würden  demselben  40  Carolinen  nicht  zu 
viel  seyn.  Ich  überlasse  Ihnen  die  Sache;  das  Concept  hiezu  kommt 
nicht  von  mir,  sondern  von  denen,  welche  mich  gern  durch  meine 
Noten  aus  meinen  Nöthen  retten  wollen.  Ich  nehme  den  innigsten 
Antheil  an  Ihrem  Besitzthum  in  Godesberg;  kein  Mensch  kann  eine 


i  »Sie  glauben  mich  alt«  K. 

2  Der  Name  fehlt  bei  R. 

3  Der  Brief  ist  von  fremder  Hand  geschrieben  und  hat  kein  Datum.  Da  Kies 
1824  aus  London  nach  Deutschland  zurückkehrte  und  die  Familienbesitzung  in 
Oodesberg  bezog,  wird  der  Brief  in  'dieses  Jahr  fallen.  Die  neunte  Symphonie 
wurde  am  7.  Mai  1824  zuerst  aufgeführt. 

*  Ein  bei  Beethoven  beliebtes  Wortspiel,  vergJ.  Seyfried,  Anhang  S.  21.  (Thayer 
n,  S.  655.) 

1888.  7 


9§  H.  Deiters,  Briefe  Beethoven's  an  Ferdinand  Ries. 

neidischere  Freude  darüber  haben,  dessen  höchste  Wünsche  ein  solcher 
Besitz  erfüllen  würde.  Es  scheint  aber,  daß  meine  Bestimmung  ge- 
rade nicht  so  seyn  soll,  wie  ich  sie  wünsche.  Grüßen  Sie  Ihren 
alten  Vater  herzlich  von  mir.  Ich  bin  äußerst  erfreut  über  sein  Glück; 
ich  umarme  Sie  herzlich,  und  hoffe  Ihnen  bald  Näheres  schreiben  zu 
können.  Wie  immer  Ihr  wahrer  Freund 

Beethoven,  ^ 
Schreiben  sie  ebenfalls  bald. 

19.2 

(Nicht  veröffentlicht) 

—  am  19.  März  1825. 

Heut  8  Tage  schon,  gleich  nach  Empfang  Ihres  Schreibens, 
wurde  die  Symphoniey  3  Stücke  davon  in  Partitur ^  und  das  Finale  ganz 
in  Stimmen  geschrieben,  mit  dem  ersten  abgehenden  Postwagen  ab- 
geschickt. Ich  habe  nur  meine  Partitur ^  daher  ich  Ihnen  das  Finale 
nur  in  Stimmen  übersenden  konnte.  Sie  erhalten  aber  mit  dem,  heut 
8  Tage  abgehenden  Postwagen,  das  Finale  ebenfalls  in  Partitur,  nebst 
noch  andere  Werke,  die  ich  Ihnen  sende.  Mit  der  Symphonie  wurde 
eine  Out  er  iure,  und  ein  Opferlied  mit  Cliür,  letzteres  aber  wahr- 
scheinlich fehlervoll,  abgeschickt.  Ich  werde  Ihnen  jedoch  einVer- 
zeichniß  der  Fehler  von  hier  aus  senden.  Zum  Finale  der  Symphonie 
wird  auch  noch  1  Contrafagott  mitgeschickt. 

Dies  ist  alles,  lieber  Freund,  was  ich  Ihnen  heut  sagen  kann; 
Ich  bin  zu  bedrängt.  Für  Ihre  schönen  Anträge  werde  ich  Ihnen 
selbst  schriftlich  danken,  welches  ich  beute  einer  verbrannten  Hand 
wegen  nicht  kann.     Alles  Schöne  an  Ihren  Vater  und  Ihre  Gattinn. 

Sie  werden  auf  jeden  Fall  zufrieden  mit  mir  sein.  Wie  immer 
Ihr  wahrer  Freund  Beethoven. 

Adresse  (von  anderer  Hand) : 

An 
Seine  Hochwohlgeboren  Herrn  Ferdinand  Ries 
berühmten  Tonkünstler  und  Compositewr 

in  Bonn  am  Niederrhein. 

1  Unterschrift  und  Nachschrift  sind  von  Beethoven's  Hand. 

2  Von  anderer  Hand  geschrieben,  von  Beethoven  unterschrieben.  Der  Orts- 
name irt  verklebt. 


Ednard  Grell  als  Gegner  der  Instrumentalmusik,  der 
Orgel,  der  Temperatur  und  der  Virtuosität 


Von 

Friedrich  Chrysander. 


Der  am  10.  August  1886  in  hohem  Alter  gestorbene  langjährige 
Direktor  der  Berliner  Singakademie  hat  eine  Sammlung  von  Auf- 
sätzen musikalischen  Inhaltes  hinterlassen.  Dieselbe  sollte  in  Folge 
testamentarischer  Bestimmung  nach  seinem  Tode  durch  Professor 
H.  Bellermann  zum  Druck  gebracht  werden.  Solches  ist  unlängst 
geschehen.  ^ 

Grell  legt  auf  diese  Schriftstücke  nach  seinen  eigenen  Worten 
»einen  sehr  großen  Werth«,  aus  zwei  Gründen.  Einmal  habe  er  in 
ihnen  »so  ziemlich  klar  und  vollständig«  seine  »musikalischen  Grund- 
ansichten ausgesprochen  tf,  und  sodann  finde  er  diese  Ansichten  so 
richtig  und  wohl  fundamentirt,  daß  er  gegen  sie  i»bis  jetzt  nicht  den 
geringsten  Einwand  habe  herausfinden  können«.  (S.  1.)  »Freilich«, 
fugt  er  hinzu,  gehöre  »zur  wirklichen  Vollständigkeit «  seiner  Grund* 
ansichten  noch  etwas,  nämlich  »die  Nachweisung,  daß,  wenn  die 
Musik  wirklich  gedeihen  und  ihr  Üben  und  Lehren  dem  Menschen, 
dem  Volke,  dem  Lande  Nutzen  und  Segen  bringen  soll,  sie  nicht  als 
Tfjjrr)^,  sondern  als  ^lovacAi^  gedacht  und  behandelt  werden  müsse«. 
(S.  1.]  Von  dieser  Nachweisung,  also  von  der  Nothwendigkeit,  eine 
solche  Forderung  stellen  zu  müssen,  bekennt  er  sich  »so  fest  über- 
zeugt, daß  sie  keinen  Einwand  zuläßt«. 

Leser,  denen  die  Kunstübung  des  klassischen  Alterthums  bekannt 
ist,  wissen  nun  recht  gut,  daß  Grell's  Grundüberzeugung  mehr  als 


1  Aufs&tze  und  Gutachten  über  Musik  von  Edaard  OrelL  Nach  seinem  Tode 
herauBgegeben  von  Heinrich  Bellermann.  Berlin,  Verlag  von  Julius  Springer.  18S7. 
XII  und  195  S.  gr.  8. 


7* 


]Q()  Friedrich  Chrysander, 


einen  Einwand  zuläßt,  ja  in  dieser  antithetischen  Form  geradezu  un- 
richtig ist.  Wir  sind  aber  der  Mühe  überhoben,  ihm  solches  zu  be- 
weisen, denn  sein  Schüler  und  Herausgeber  thut  dies.  In  einer  An- 
merkung zu  obigen  Worten  stellt  Bellermann  den  Sinn  der  angeführten 
griechischen  Ausdrücke  genauer  fest  und  sagt  dann:  »Grell  hätte 
daher  für  jene  Ausdrücke  lieber  einfach  , bildende'  und  , musische' 
Kunst  setzen  sollen.«  Aber  wie  konnte  er  das?  Dann  wäre  ja  das 
»Technische  ff,  welches  er  der  verhaßten  Instrumentalmusik  als  einen 
Makel  anheften  wollte,  für  ihn  nicht  zu  haben  gewesen.  Bellermann 
selbst  bestätigt  dies,  indem  er  seine  Anmerkung  mit  den  Worten 
schließt:  9 Durch  rexvrj  will  Grell  aber  das  den  bildenden  Künsten 
anhaftende  Handwerksmäßige  andeuten,  indem  diese  Künste  zur  Dar- 
stellung eines  Kunstwerkes  nothwendigerweise  eines  Stoffes  und  ziir 
Bearbeitung  des  letzteren  eines  Geräthes  oder  Handwerkszeuges  be- 
dürfen, während  dies  bei  den  musischen  Künsten  nicht  der  Fall  ist. 
In  diesen  stellt  der  Mensch  selbst  das  Kunstwerk  dar  und  es  genügen 
hierzu  nicht  nur  die  Worte,  Laute  und  Bewegungen  seines  Körpers, 
sondern  es  wird  durch  die  Hinzunahme  eines  äußeren  Geräthes,  eines 
musikalischen  Instrumentes  u.  s.  w.  sogar  die  eigentliche  Kunstwirkung 
beeinträchtigt  und  dem  Handwerk  näher  gebracht.  Dies  ist  der  Grund- 
gedanke, der  sich  durch  alle  GrelVschen  Aufsätze  wie  ein  rother  Faden 
hindurchzieht.«    (S.  1  und  2,  Anm.) 

Wer  diese  Worte  des  Herausgebers  liest,  der  möchte  geneigt  sein 
zu  glauben,  daß  der  Schüler  hier  den  Ansichten  seines  Lehrers  ob- 
jektiv gegenüber  steht;  und  ein  solcher  Glaube,  falls  er  gegründet 
wäre,  könnte  uns  nur  mit  Freude  erfüllen.  Aber  leider  ist  das  nicht 
der  Fall,  wie  aus  andern  Äußerungen  in  diesem  Buche  klar  hervor- 
geht. Was  bei  Grell  ein  rother  Faden  ist,  das  ist  auch  ein  rother 
Faden  bei  Bellermann;  er  geht  mit  seinem  Meister  durch  Dick  und 
Dünn.  Als  Beweis  dafür  mögen  die  emphatischen  Sätze  dienen,  mit 
denen  Bellermann  sein  Vorwort  beschließt:  »Grell  ist  nun  gestorben. 
Vor  der  Hand  ist  wenig  Aussicht  vorhanden,  daß  man  an  maßgeben- 
der Stelle  seine  volle  Bedeutung  und  Größe  anerkennen  und  seinen 
bahnbrechenden  Vorschlägen  und  Ideen  die  nöthige  und  wünschens- 
werthe  Beachtung  schenken  wird.  Im  Gegentheil!  Mit  seinem  Ab- 
leben wird  nun  die  reine  a-capella-Musik  nicht  mehr  wie  bisher  an 
der  königlichen  Akademie  der  Künste  gelehrt  werden.  Die  durch 
Greirs  Tod  erledigte  Stelle  kommt  künftig  in  Wegfall.  Dennoch 
haben  seine  Schüler  die  feste  Zuversicht,  daß  er  nicht  umsonst  gelebt 
hat,  und  daß  durch  die  von  ihm  vertretenen  Grundsätze  allein  das 
Heil  der  Kunst  zu  erwarten  ist.  Die  Verschlechterung  und  die  Sinn- 
losigkeit der  Musik  hat  in  den  letzten  Jahrzehnten  so  jäh  zugenommen, 


Ed.  Grell  als  Gegner  der  Instrumentalmusik,  Orgel,  Teml)Öfattir  ^J".  Virtuosität.     ]  ()  J 

daß  endlich  die  Zeit  der  Umkehr  kommen  muß.  Dann'  wird  mVli 
sich  nach  den  ursprünglichen  Quellen  zurücksehnen  und  wird^  "la 
Orell  den  Mann  erkennen,  der  schon  in  unseren  Tagen  nicht  allein 
durch  seine  Lehre,  sondern  auch  durch  selbstgeschaffene  Werke  voll 
Wohlklang,  Schönheit  und  Tiefe  des  Ausdruckes  der  Kunst  den  künf- 
tigen Weg  vorgezeichnet  hat.«f  (S.  XI.)  Also  durch  beides  ist  Grell 
maßgebend,  durch  Ansichten  oder  Grundsätze  wie  durch  Komposi- 
tionen; und  sein  Schüler  ist  sein  Apostel.    Das  ist  deutlich  genug. 

Bei  der  völligen  Übereinstimmung,  die  hier  zwischen  Lehrer  und 
Schüler  herrscht,  finden  wir  es  für  das  Verständniß  vortheilhaft,  auf 
die  oben  citirten  Worte  der  Anmerkung  noch  etwas  näher  einzugehen, 
da  es  von  besonderer  Wichtigkeit  ist,  den  besagten  »rothen  Faden« 
genau  kennen  zu  lernen. 


Durch  »technea  soll  »das  den  bildenden  Künsten  anhaftende  Hand*- 
iverksmäBigecr  »angedeutet  werden,  und  handwerksmäßig  sind  diese 
Künste,  weil  sie  »zur  Darstellung  eines  Kunstwerkes  nothwendiger- 
weise  eines  Stoffes«,  und  zur  Bearbeitung  eines  solchen  Stoffes  »eines 
Geräthes  oder  Handwerkszeuges  bedürfen«  —  »während  dies  (wird 
hinzugefügt}  bei  den  musischen  Künsten  nicht  der  Fall  ist<r.  Den 
Beweis  zu  der  letzten  Behauptung  liefert  Bellermann  in  einem  Satze, 
der  für  einen  solchen  Zweck  als  sehr  passend  erscheinen  muß,  da  er 
in  seiner  mangelhaften  Konstruktion  die  Mangelhaftigkeit  des  Be- 
weises recht  treu  wiederspiegelt.  Dieser  Beweis  soll  darin  liegen,  daß 
»der  Mensch  selbst  das  Kunstwerk«  darstellt  durch  Sprache,  Gesang 
und  Gesten,  wobei  durch  die  Mitwirkung  musikalischer  Listrumente 
»die  eigentliche  Kunst  Wirkung  beeinträchtigt  und  dem  Handwerk 
näher  gebracht  wird«.  Ein  Kunstwerk  mag  ja  immerhin  durch  dies 
und  das  in  die  Nähe  des  Handwerks  gebracht  werden,  aber  wie  eine 
Kunst  Wirkung  solchem  Handwerk  »nähergebracht«  werden  könne, 
dürfte  wohl  selbst  dem  Verfasser  der  Anmerkung  ein  Bäthsel  bleiben. 
Doch  wir  wollen  uns  nicht  weiter  bei  den  Mängeln  des  sprachlichen 
Ausdrucks  aufhalten,  sondern  auf  das  eingehen,  was  der  Herausgeber 
ausdrückt  oder  ausdrücken  will. 

Die  bildenden  Künste  sollen  »nothwendigerweise  eines  Stoffes« 
bedürfen,  die  musischen  nicht.  Diese  erste  vermeintliche  Grundwahr- 
heit ist  der  erste  Grundirrthum.  Jede  Kunst  arbeitet  in  und  mit 
einem  Stoffe  oder  Material,  darin  eben  zeigt  sich  ihre  »Tichne«.  Dieser 
Stoff  ist  nach  den  Künsten  verschieden ,  und  ebenso  verschieden  ist 
natürlich  seine  Behandlung.    Baukunst  und  Plastik  gebrauchen  Stoffe 


JQ2  ,•./  •'•.•;•     Friedrich  Chrysander, 


•  • 


.^    i^urfKcher  Ausdehnung;    die  Malerei   hat   Mäche   und   Farbe 

.^  •  Ti^/hig;  dei  Stoff  der  Musik  ist  der  Ton,  das  Material  der  Dichtkunst 

:  -die  Sprache.    Hierin  herrscht  unter  den  verschiedenen  Künsten  ab* 

solute  Gleichheit,  also  können  sie  nach  einem  solchen  Gesichtspunkte 

auch  nicht  abgeschätzt  werden. 

Ebenso  wenig  ist  eine  derartige  Abschätzung  möglich  oder  statt* 
hafb  nach  dem  zweiten  Gesichtspunkte,  nämlich  nach  der  Art  wie  in 
den  verschiedenen  Künsten  das  Werk  hergestellt,  ausgeführt  oder 
dargestellt  wird.  Auch  hierin  besteht  kein  Unterschied  unter  den 
Künsten,  sondern  Gleichheit,  und  sämmtliche  vorkommenden  Ab* 
weichungen  sind  lediglich  Modifikationen,  die  sich  aus  der  Natur  der 
betreffenden  Kunst  ergeben,  nicht  aber  Grundverschiedenheiten,  nach 
denen  sich  ein  Werthverhältniß  feststellen  ließe.  In  jeder  Kunst  und 
in  jedem  Theile  der  Kunst  spielt  das  Handwerk  eine  Bolle,  wenn 
man  die  zu  aller  Kunstübung  erforderliche  Technik  so  nennen  will. 

Also  nicht  hierdurch  unterscheiden  sich  die  musischen  Künste 
von  den  bildenden,  sondern  lediglich  durch  die  Doppelgestalt,  welche 
die  Kirnst  bei  den  ersteren  annimmt;  denn  während  die  Künste  des 
Baumes  mit  ihrem  Dasein  auch  zugleich  ihre  Darstellung  gefunden 
haben,  sind  die  Künste  der  Zeit,  Dichtung  und  musikalische  Kom- 
position, durch  ihr  bloßes  Dasein  noch  keineswegs  für  die  genießende 
Welt  vorhanden,  sondern  bedürfen  der  Darstellung  als  einer  beson* 
deren  Kunst,  die  als  solche  auch  wieder  ihre  eigenthümlichen  Mittel 
und  Aufgaben  besitzt.  Die  Dichtkunst  reicht  hier  aus  mit  einem 
schönheitlich  entwickelten  sprachlichen  Vortrag  und  entsprechend 
naturwahren  Körperbewegungen;  aber  die  Musik  bedarf  so  umfäng- 
licher Mittel,  daß  dadurch  die  musikalische  Darstellung  oder  Auf- 
fuhrung im  Gebiete  der  Kunstübung  eine  ungeheure  Ausdehnung 
und  Bedeutung  erlangt  hat.  Entspricht  die  Partitur  einigermaßen 
dem  Grundriß  oder  detailirten  Plan  des  Baumeisters,  so  ist  die  musi* 
kaiische  Aufführung  der  wirklichen  Aufrichtung  eines  Kunstbaues  zu 
vergleichen  und  beansprucht,  wie  diese,  eine  Fülle  technischer  oder 
handwerksmäßiger  Mittel.  Diese  Hülfsmittel  sind  nun  im  Musika- 
lischen dadurch  eigenthümlicher  Art  und  weit  höher  stehend,  als  bei 
der  Baukunst,  daß  sie  den  Ton  und  damit  das  Material  des  Tonwerkes 
aus  sich  erzeugen,  und  zwar  in  all  der  Mannigfaltigkeit,  in  welcher 
dieses  Material  vorhanden  ist.  Hierdurch  gestalten  die  tonerzeugen- 
den Instrumente  sich  zu  wirldichen  Organen,  weil  sie  bei  der  Dar- 
stellimg  des  Tonwerkes  eine  lebendige  charakteristische  Bedeutung 
haben. 

Die  Bezeichnung  Organ  kann  deshalb  mit  Becht  allen  Ton- 
werkzeugen beigelegt  werden.   Sieht  man  aber  blos  auf  die  Entstehung 


£d.  Grell  als  Gegner  der  Instrumentalmusik,  Orgel,  Temperatur  u.Yirtuosit&t.      |()3 

dieser  Werkzeuge,  so  ist  ein  Unterschied  zu  machen  zwischen  der 
Singstimme  als  einem  Produkt,  welches  ohne  Zuthun  des  Menschen 
natürlich  wächst,  und  den  übrigen  Tonkörpem,  die  durch  Menschen- 
hand angefertigt  sind,  und  nur  dem  ersteren  kann  hiernach  der  Titel 
eines  Organes  zukommen.  Aber  dieser  Gesichtspunkt  ist  ein  natur* 
wissenschaftlicher,  nicht  ein  künstlerischer,  hat  deshalb  auch  für  eine 
ästhetische  Beurtheilung  kein  Gewicht.  Wie  sämmtliche  Tonwerk- 
zeuge als  Organe  zu  betrachten  sind,  so  können  sie  auch  Instru- 
mente genannt  werden,  und  dieser  Ausdruck  hat  vor  dem  andern 
den  Vorzug  größerer  Brauchbarkeit  in  der  Kunstpraxis.  Ein  Instru- 
ment ist  die  Singstimme  so  gut  wie  jedes  andere  Tonwerkzeug,  nur 
komplicirter,  aus  verschiedeneren  Theilen  zusammengesetzt  und  daher 
auch  schwieriger  zu  behandeln  Alle  diese  Organe  oder  Instrumente 
erfordern  zu  ihrer  Brauchbarmachung  technische  Übungen,  die  im 
Wesen  gleich  und  nur  nach  der  Natur  der  einzelnen  Instrumente 
verschieden  sind.  Solche  Studien  oder  Schulübungen  sind  auf  den 
untersten  Stufen  ganz  mechanisch  und  bleiben  es  auch  fernerhin  zu 
einem  großen  Theile.  Insofern  kann  sehr  wohl  von  einem  Hand- 
werke in  der  Kunst  geredet  werden,  denn  die  Aneignung  der  uner- 
läßlichen technischen  Fertigkeiten  bedingt  ein  solches.  Steigert  der 
ausübende  Künstler  diese  technischen  Fertigkeiten  über  das  gewöhn- 
liche Maß,  dann  gelangt  er  auf  die  Stufe  der  Virtuosität,  und  ent- 
wickelt er  auf  diesem  Wege  seine  Fähigkeiten  zu  einer  wirklich 
künstlerischen  Individualität  oder  Charaktergestalt,  so  hat  er  damit 
in  seinem  Gebiete  die  höchste  Stufe  der  ausübenden  Kunst  erreicht. 
Auf  eine  derartige  Virtuosität  zielt  alle  Kunstübung  ab.  Ob  dieses 
Gebiet  das  des  Sängers  oder  das  des  Trompeters  ist,  begründet  in  der 
Sache  keinen  Unterschied:  beide  müssen  zuerst  ihr  Handwerk  erfassen 
und  sodann  in  einem  gleichen  Stufengange  zur  Virtuosität  zu  gelangen 
suchen.  Der  specifische  Werth  des  Sängers  ist  allerdings  ein  höherer, 
als  der  des  Trompeters ;  dies  richtet  sich  nach  der  Stellung,  die  jeder 
von  ihnen  in  dem  Kunstwerke  einnimmt.  Doch  davon  reden  wir 
hier  nicht,  denn  an  diesem  Orte  soll  lediglich  die  Frage  beantwortet 
werden,  was  Handwerk  und  Virtuosität  in  der  Kunst  bedeuten  und 
wie  weit  sie  sich  erstrecken. 

Hieraus  ergiebt  sich  also,  daß  Handwerk  und  Virtuosität  ebenso 
zur  praktischen  Bethätigung  jeder  Kunst  gehören,  wie  der  stoffliche 
Inhalt.  Eine  Unterscheidung  oder  gar  eine  Abschätzung  der  Künste 
nach  den  Gesichtspunkten,  ob  Stoff  oder  kein  Stoff,  ob  Handwerk 
und  sein  Geräth  oder  nicht,  ist  also  unzulässig,  und  die  Aufstellung 
solcher  Gesichtspunkte  muß  als  verwerflich  bezeichnet  werden,  wenn 
sie  zu  dem  Zwecke  unternommen  wird,  gewisse  Kunstthätigkeiten  zu 


1Q4  Friedrich  Chrysander, 


erniedrigen  und  damit  verächtlich  zu  n;iachen.     Die  Gefahr,   daB  im 
vorliegenden  Falle  jener  Zweck  erreicht  werde,  ist  freilich  nicht  groB, 
denn  wer  sich  zu  der  Behauptung  versteigen  kann,  in  den  musischen 
Künsten  stelle  »der  Mensch  selbst  das  Kunstwerk  dar«,  bei  dem  mufi 
eine  Konfusion  in  ästhetischen  Dingen  herrschen,  die  nicht  anziehend 
wirken  kann.  Der  Mensch  stellt  jedes  Kunstwerk  dar;  ob  er  dies  thut 
mit  mechanischen  Geräthen,  die  er  durch  Lippen,  Hände  und  Füße 
bewegt,  oder  ob  es  geschieht  mit  Gliedern  seines  Körpers,  die  er  für 
diesen  Zweck  zu  einem  künstlerischen  Instrument  ausgebildet  hat,  ist 
wieder  ganz  gleich.   Hierüber  weiter  zu  reden,  würde  Raumverschwen- 
dung sein.     Es  muß  aber  noch  daran   erinnert  werden,   daB  dieser 
ästhetische  Gegenstand   auch  eine  ethische  Seite  hat.     Die  Kunst 
wird  geübt  durch  den  Menschen,  das  Instrument  wird  gespielt  durch 
den  Künstler ;  alles  was  auf  die  Sache  fällt,  trifft  daher  zugleich  die 
Person,  und  was  die  Kunst  erniedrigt,  degradirt  auch  den  betreffen- 
den Künstler.    Kann  die  Instrumentalmusik  sich  nie  ganz  vom  Hand- 
werksmäßigen  losmachen,    so  bleiben   Geiger  und   Bläser  ebenfalls 
immer  mehr  oder  weniger  Handwerker,  wie  hoch  sie  es  auch  in  ihrer 
Kunst  treiben  mi^en  —  Handwerker  nicht  in  dem  oben  bezeichneten 
ehrbaren  Sinne  technischer  Geschicklichkeit,  sondern  in  der  erniedri- 
genden Bedeutung,  nach  welcher  ihnen  versagt  bleibt,  in  ihrer  Kunst 
das  Ideale  zu  erreichen.     Wenn  wir  beachten,  wie  Grelles  Aufsätze 
entstanden  sind,  so  können  wir  nicht  daran  zweifeln,  daß  es  wirklich 
seine  Absicht  gewesen  ist,   mit  der  Instrumentalmusik  zugleich  die 
Instrumentalisten  zu  erniedrigen  und  dadurch  von  gewissen  Wirkungs- 
kreisen fern  zu  halten.    Er  brachte  die  Schriftstücke  nicht  zu  Papier 
in  seiner  Klause   hinter  dem  Kastanienwäldchen   als   beschaulicher 
Philosoph,    sondern  er  schrieb  das  erste  imd  hauptsächlichste  Stück 
als   ein   amtliches  Gutachten   auf  des  Kultusministers  von  Mühlers 
Veranlassung,  der  eben  damals  im  Begriff  stand,  die  »Hochschule  für 
ausübende  Tonkunst«  unter  Joachim's  Leitung  in's  Leben  zu  rufen. 
Das  von  Grell  Gesagte  hatte  also  eine  ganz  persönliche  Spitze,  da  es 
galt,   Eindringlinge  abzuwehren.    War  der  von  diesen  geübte  Zweig 
der  Kunst  nicht  frei  von  Tadel,   so  wurde  damit  auch  den  Jüngern 
desselben  ein  Makel  angehängt.  Wie  nichtig,  ja  leichtfertig  die  Gründe 
sind,  welche  Grell  und  Bellermann  für  die  Verwerflichkeit  der  In- 
strumentalmusik anführen,  haben  wir  oben  gesehen.     Daß  aber  eine 
grundlose  Herabsetzung  und  Verdächtigung,  insofern  sie  zugleich  die 
Person  betrifft,  Beschimpfung  genannt  wird,  mag  dem  sei.  Grell  und 
seinem  Herausgeber  nicht  ganz  klar  geworden  sein. 

Dies  ist  nun,  bei  Licht  besehen,  der  »rothe  Faden «.    Nachdem 
wir  untersucht  haben,  wie  er  gesponnen  wurde,  wird  sich  Jeder  sagen, 


Ed.  Grell  als  Gegner  der  Instrumentalmusik,  Orgel,  Temperatur  u.  Virtuosität.     105 


dafi  mit  einem  solchen  Faden   nichts  anderes  entstehen  konnte ,   als 
ein  Gewebe  von  Täuschungen. 

Bei  der  Betrachtung  desselben  noch  etwas  verweilend,  wollen  wir 
zunächst  das  in's  Auge  fassen,  was  die  Instrumentalmusik  und  dabei 
insbesondere  die  altberühmte  Summa  Summarum  derselben,  die  Orgel, 
betrifit,  um  dann  zuletzt  auf  den  Gesang  überzugehen. 

II. 

Hinsichtlich  der  Instrumentalmusik  kennt  Grell  kein  Er- 
barmen. Sein  Ingrimm  gegen  dieselbe  scheint  sich  mit  den  Jahren 
noch  gesteigert  zu  haben,  denn  sein  letztes  Wort  in  der  Sache  lautet: 
«Daher  ist  nicht  eher  ein  Segen  zu  erwarten,  als  bis  aus  allen 
iinrklichen  Kunst -Instituten,  namentlich  aus  Kirchen  und  Schulen^ 
jegliches  Instrument  verbannt  ist.  Vorstände,  welche  statt  die  In- 
strumente zu  verdrängen,  sie  fordern  und  kultiviren,  thun  ein  unver- 
zeihliches (!)  Unrecht  und  laden  eine  sehr  schwere  Verantwortung  auf 
sich.«  (S.  2.)  Es  ist  bezeichnend  für  GrelFs  Anschauung,  daß  er 
»Kirchen  und  Schulen  (c  zwar  nicht  geradezu  Kunstinstitute  nennt, 
aber  doch  in  die  engste  Verbindung  mit  ihnen  bringt,  die  Kirche  als 
Quelle  aller  Musik  durch  ihre  »Bitualmusik«  (S.  194),  die  Schulen, 
d.  h.  die  allgemeinen  Bildungsanstalten,  als  Orte,  welche  nicht  nur 
den  besten  wissenschaftlichen  Unterricht,  sondern  »auch  den  aller- 
besten Gesangunterricht,  der  im  Staate  zu  haben  ist«,  gewähren 
können  (S.  99) .  Wäre  hier  nur  von  Kirchen  und  Schulen  als  solchen 
und  nicht  in  Vermischung  mit  Kunstinstituten  die  Bede,  so  würde 
man  sich  über  Grelles  Forderung  leicht  verständigen  können,  denn 
es  ist  durchaus  nützlich,  ja  nothwendig,  dort  den  Gesang  zu  üben 
und  die  Instrumente  möglichst  fem  zu  halten.  Bläserchöre  z.  B., 
welche  in  jüngster  Zeit  hie  und  da  an  Gymnasien  sich  gebildet  haben, 
um  bei  Ausflüssen  mit  Musik  marschiren  und  tuten  zu  können  statt 
zu  smgen,  sind  einfach  als  Unfug  zu  bezeichnen.  Aber  derartige  Ubel- 
stände  lassen  sich  durch  Grell'sche  Übertreibungen  nicht  bessern. 
Man  kommt  viel  weiter  mit  der  Mahnung,  Instrumente  da  nicht  in 
die  Hand  zu  nehmen,  wo  es  schlechterdings  unmöglich  ist,  ihr  Spiel 
in  Masse  zu  einer  genügenden  Fertigkeit  zu  bringen,  dagegen  im  Ge- 
sänge das  angebome  Instrument  des  Menschen  zu  üben,  um  hier- 
durch schon  zur  Jugendzeit  in  den  wahren  lebendigen  Mittelpunkt 
der  Musik  eingeführt  zu  werden.  Durch  eine  solche  Belehrung  läßt 
ttch  der  Zweck  erreichen,  ohne  Andere  zu  schädigen. 

Es  ist  nun   besonders  die  Orgel,   welcher  Grell  hart  zu  Leibe 
geht.    «Die  Mängel  der  Orgelmusik«  demonstrirt  er  folgendermaßen: 


]Qg  Friedrich  Chrygander, 


dZu  einem  musikalischen  Gedanken  gehören  drei  Dinge,  1.  Wort, 
2.  Harmonie  und  3.  Rhythmus,  welche  mit  einander  auf  das  engste 
verbunden  sind  und  gleichzeitig  existiren.  Von  diesen  dreien  giebt 
das  Wort  nicht  nur  die  Seele,  den  Inhalt  des  Gegenstandes,  sondern 
auch  durch  seine  Vokale  Veranlassung  Kur  Harmonie  und  durch  seine 
Konsonanten  Veranlassung  zum  Bhythmus.  Fragt  man  nun,  was 
liefert  die  Orgel  zur  Darstellung  dieser  drei  Dinge?  so  lautet  die 
Antwort  ad  1.  (Wort):  Nichts,  ad  2.  (Harmonie):  mit  Ausnahme  der 
beiden  Verhältnisse  (wenn  nämlich  die  Orgel  nicht  verstimmt  ist) 
1  :  1  und  1  :  2  nicht  ein  einziges  Verhältniß  korrekt.  Die  Klaviatur 
und  die  gleichschwebend  temperirte  Abstimmung  der  für  sie  herge- 
richteten zwölf  Tonstufen  ist  nur  ein  disharmonirendes  Surrogat  der 
wirklichen  Harmonie.  Was  den  dritten  Punkt,  den  Rhythmus  be- 
trifft, so  ist  zu  bemerken,  daß  die  rhythmischen  Verhältnisse  zwie- 
facher Art  sind,  nämlich  Zeitlängen -Verhältnisse  und  Gewichts-Ver- 
hältnisse. Nun  vermag  die  Orgel  die  letzteren  ganz  und  gar  nicht 
darzustellen,  so  daß  also  statt  Wort,  Harmonie  und  Rhythmus  darzu- 
stellen ihre  ganze  Brauchbarkeit  sich  darauf  beschränkt,  die  rhyth- 
mischen Zeitverhältnisse  darzustellen.  Alles  übrige  vacat  entweder 
gänzlich,  oder  ist  inkorrekt. a  (S.  3.) 

Mit  solchen  Beweisen  könnte  man  leicht  den  ehrlichsten  Mann 
an  den  Galgen  bringen.  Demnach  waren  die  Puritaner  ganz  im 
Recht,  als  sie  dieses  königliche  Instrument  überall  zerschlugen,  und 
wir  sind  Thoren,  daß  wir  diejenigen  loben,  welche  hernach  die  Orgeln 
herrlicher  wieder  aufbauten  und  ihr  Spiel  zu  einer  unvergleichlichen 
Vollkommenheit  entwickelten.  Übrigens  war  Grell  selber  von  1816  bis 
1854  wohlbestallter  Organist  an  großen  Berliner  Kirchen,  die  Orgel 
hat  ihm  also  sein  halbes  Leben  lang  Brot  gegeben,  er  dürfte  daher 
von  einer  gewissen  Undankbarkeit  schwerlich  freizusprechen  sein. 

Seine  contra-Orgel-Gründe  sind  wieder  ganz  nach  dem  Mustei'  des 
obigen  rothen  Fadens  gesponnen.  Zu  einem  )i  musikalischen  G^dankenc 
soll  als  erstes  und  hauptsächlichstes,  aus  welchem  alles  übrige  ent- 
springt, das  »Wort«  gehören.  Aber  das  Wort  als  solches  gehört  über- 
haupt nicht  zur  Musik;  es  ist  das  Eigenthum  der  Dichtkunst.  Zur 
Musik  gehören  nur  die  Elemente  des  Wortes,  die  Vokale  und  Kon- 
sonanten; durch  diese  gelangt  das  Wort  oder  vielmehr  die  Sprache 
auch  in  die  Musik  und  durchdringt  sich  mit  derselben  so  innig,  wie 
es  einem  Organ  entspricht,  welches  für  Sprache  und  Gesang  dasselbe 
ist.  Aus  dieser  Verschmelzung  von  Sprache  und  Ton  entstehen  die 
Gedanken  der  Vokalmusik.  Obwohl  also  die  Sprache  hier  durchaus 
nothwendig  ist,  auch  in  der  Urzeit  des  Menschengeschlechts  in  und 
mit  dem  Tone  entstand,   muß  sie  doch  da,  wo  es  sich  um  die  £le- 


£d.  Grell  als  Gegner  der  Instrumentalmusik,  Orgel,  Temperatur  u.  Virtuosität,      j  ()7 

mente  der  musikalischen  KunBt  handelt,  von  dieser  geschieden  und 
lediglich  als  ein  natürliches  und  nothwendiges  Hülfsmittel  des  Ge- 
sanges angesehen  werden.  Wer  in  seinem  ästhetisch -musikalischen 
Denken  diese  Unterscheidung  nicht  machen,  also  auch  den  Unter- 
schied zwischen  rein  musikalischen  und  poetisch -musikalischen  Ge- 
danken nicht  einsehen  kann,  mit  dem  ist  nicht  zu  rechten.  Hin- 
sichtlich des  Verhältnisses  von  Wort  und  Ton  herrscht  freilich  noch 
eine  große  Unklarheit,  weshalb  ich  bedaure,  diesen  ^yichtigen  und 
anziehenden  Gegenstand  hier  nicht  ausfuhrlicher  besprechen  zu  können. 
Den  Gesang  so  sklavisch  an  das  Wort  fesseln,  wie  Grell  es  thut,  heiBt 
denen,  welche  mit  der  Instrumentalmusik  als  der  vermeintlich  »ab- 
soluten Musik tt  Abgötterei  treiben,  Waffen  in  die  Hand  liefern.  In 
den  rein  musikalischen  Gedanken  muß  das  Wort  zu  Gunsten  der 
Melodie  den  Platz  räumen.  Die  herkömmliche  Ausdrucksweise,  nach 
welcher  Melodie,  Harmonie  und  Khythmus  einen  musikalischen  Ge- 
danken bilden,  ist  daher  ganz  richtig.  Das  wunderbare  Verhältniß, 
in  welchem  Wort  und  Ton  zu  einander  stehen,  wird  nur  sehr  mangel- 
haft, ja  durchaus  falsch  erklärt,  wenn  man  das  »Wort«  mit  Haut  und 
Haaren  in  das  musikalische  Gebiet  hinüberzieht. 

So  ist  es  denn  auch  mchts  mit  dei  weiteren  Behauptung,  nach 
welcher  das  Wort  j)  durch  seine  Vokale  Veranlassung  zur  Harmonie 
und  durch  seine  Konsonanten  Veranlassung  -  zum  Khythmus  a  geben 
soll.  Es  kann  natürlich  dazu  Veranlassung  geben,  nur  nicht  in  dem 
Sinne,  daß  Vokale  und  Konsonanten  als  die  eigentlichen  Quellen  der 
Harmonie  und  des  Rhythmus  anzusehen  sind.  Diese  Quellen  sind 
ausschließlich  musikalischer  Art  und  entspringen  lediglich  aus  der 
Natur  des  Tones.  Töne  aufeinanderfolgend  verbunden,  sind  Melodien. 
Töne  gleichzeitig  verbunden,  sind  Harmonien.  Betonung  oder  Stärke- 
grade und  Zeitmaß  ergeben  Rhythmen.  Dies  ist  das  wirkliche  Ver- 
Iiältniß,  ganz  allgemein  ausgedrückt,  und  hierdurch  wird  jedem  der 
drei  Theile  seine  Selbständigkeit  gesichert.  Aus  der  Selbständigkeit 
entspringen  dann  ihre  Rechte,  die  Niemand  antasten  darf.  Grolls 
Kritik  ist  aber  eine  solche  Antastung. 

Er  mäkelt  im  Einzelnen,  in  Nebendingen  und  übersieht  die  Haupt- 
suche. Die  soeben  erwähnte  Selbständigkeit  besteht  nun  namentlich 
zwischen  den  beiden  wichtigsten  Disciplinen,  Melodie  und  Harmonie, 
darin,  daß  sie  Gegensätze  bilden,  deren  Vereinigung  erst  die  wahre 
Belebung  des  Ganzen  erzeugt.  In  kontrapunktischen  Bildungen  ent* 
steht  aus  der  Vereinigung  verschiedener  Melodien  die  Harmonie.  Aber 
damit  ist  der  Begriff  der  letzteren  nicht  erschöpft,  ja  nicht  einmal 
richtig  angegeben.  Denn  nicht  die  Melodie,  sondern  der  Ton  als 
solcher  ist  es,  welcher  die  Harmonie  mit  allen  Kon-  und  Dissonanzen 


J  Qg  Friedrich  Chrysatider, 


in  8ich  enthält,  und  diese  Harmonie  kommt  dann  in  der  wirklichen 
Musik  auf  zweierlei  Weise  zur  Geltung.  Einmal  bildet  sie  sich  durch 
die  Bewegung  der  einzelnen  Stimmen  oder  melodisch-kontrapunktisch, 
und  sodann  tritt  sie  hervor  als  gleichzeitiges  Produkt  aus  und  über 
einem  Grundtone.  Die  letztere  Weise,  als  nicht  blos  ein  Erzeugnis 
der  Kunst,  sondern  bereits  in  der  Natur  des  Tones  vorgebildet,  ist 
deshalb  die  ursprünglichere  von  beiden,  und  diese  hat  man  im  Sinne, 
wenn  von  der  Harmonie  im  Gegensatze  zur  Melodie  gesprochen  wird. 
Überdies  stehen  die  genannten  beiden  Harmonieweisen  ebenfalls  im 
Gegensatze  zu  einander,  aber  in  einem  solchen,  dessen  Vereinigung 
einen  höheren  Grad  von  Harmonie  erzer^,  als  jedem  einzelnen 
Theile  für  sich  möglich  ist,  die  daher  auch  aufeinander  angewiesen 
sind  und  ihre  eigentliche  Bestimmung  erfüllen,  indem  sie  sich  aufs 
innigste  durchdringen.  In  den  Werken,  welche  für  uns  die  höch- 
sten sind,  ist  eine  solche  Durchdringung  am  vollkommensten  vor- 
handen. 

Künstlerische  Resultate  der  letzteren  Art  sind  aber  nur  erreich- 
bar durch  ein  Zusammenwirken  von  Singstimmen  und  Instrumenten. 
Und  zwar  sind  die  Instrumente  dann  am  wirkungsvollsten  und  man- 
nigfaltigsten, wenn  sie  als  Begleitung  unter  sich  wieder  in  Gegensatz 
treten.  Derartige  kontrastirende  Gruppen  werden  gebildet  einerseits 
durch  einstimmige  Bläser  und  Streicher,  die  als  solche  individuali- 
sirender  Natur  sind,  und  andererseits  durch  alle  der  Mehrstimmigkeit 
fähigen  Instrumente  wie  Orgel,  Klavier,  Theorbe,  Harfe  und  ähn- 
liche. Die  ersteren  geben  die  individualisirte,  die  anderen  die  nicht 
individuaUsirte  oder  akkordliche  Harmonie,  und  diese  Gegensätze 
decken  sich  völlig,  weil  in  beiden  Gruppen  sowohl  Blase-  wie  Saiten- 
Instrumente  vorhanden  sind.  Die  akkordlichen  Saiteninstrumente 
(Klavier,  Theorbe  u.  s.  w.)  sind  fiir  accentuirende  Harmonie  und  eig- 
nen sich  dadurch  ganz  besonders  zur  Begleitung  des  Becitativs  sowie 
überhaupt  des  Sologesanges,  um  demselben  Halt  und  dabei  doch  die 
erforderliche  freie  Beweglichkeit  zu  gewähren.  Das  akkordliche  Blase- 
instrument, die  Orgel,  ist  für  eine  stetig  aushaltende  Harmonie  und 
dadurch  bestimmt  die  Menge  zu  führen,  denn  es  hält  und  trägt  die 
Tonmassen  auf  starken  Armen,  die  nie  erschlaffen.  Es  stehen  also 
auch  diese  beiden  Tasteninstrumente  —  Orgel  und  Klavier  —  noch 
wieder  unter  sich  im  Verhältniß  des  Kontrastes :  und  das  alles  zu- 
sammen macht  erst  den  außerordentlichen  Reichthum  aus  und  sichert 
den  Werken  dieser  Art  die  erstaunliche  Mannigfaltigkeit  des  Aus- 
druckes, welche  selbst  von  denjenigen  Hörern  instinktiv  empfunden 
wird,  die  eine  klare  Erkenntniß  des  Sachverhaltes  nicht  besitzen 
können. 


Ed.  Grell  als  Gegner  der  Instrumentalmusik,  Orgel,  Temperatur  u.  Virtuosit&t.      \  Q9 

Dieses  Zusammenwirken  der  verschiedenen  musikalischen  Kräfte 
und  Mittel  habe  ich  hier  so  dargestellt,  wie  es  in  anerkannten  großen 
Werken  vorhanden  ist,  weil  in  ihnen  das  Verhältniß  aller  Tonorgane 
die  vollkommenste  Darstellung  gefunden  hat.  Aber  im  Grunde  ist 
damit  nur  das  angegeben,  was  die  gesammte  Praxis  der  Musik  von 
jeher  geübt  oder  erstrebt  hat,  Jahrtausende  lang  in  tastenden  Ver- 
suchen, seit  dem  Jahre  1600  in  zielbewußter  Erkenntniß.  Einer 
solchen  Thatsache  gegenüber  erscheint  Grelles  Theorie  in  ihrer  gan- 
zen Nichtigkeit. 

Er  verwirft  die  Orgel  (und  natürlich  auch  das  Klavier,  obwohl 
er  dieses  etwas  glimpflicher  behandelt),  weil  »die  gleichschwebend 
temperirte  Abstimmung  der  fiir  sie  hergerichteten  zwölf  Tonstufen 
nur  ein  dissonirendes  Surrogat  der  wirklichen  Harmonie«  sei,  indem 
solche  temperirte  Instrumente  nur  ein  einziges  harmonisches  Yerhalt- 
niß  richtig  darzustellen  vermöchten,  das  der  Oktave.  Dieses  einzige 
Verhältniß  ist  aber  gerade  dasjenige,  auf  welches  es  ankommt,  denn 
es  bleibt  ewig  wahr,  was  schon  die  Griechen  gefunden  haben,  näm-* 
lieh  daß  das  Intervall  der  Oktave  die  vollkommenste  und  in  Folge 
dessen  auch  die  stärkste  Harmonie  bildet.  Es  ist  irreleitend,  bei  An- 
gabe der  Zahlenverhältnisse  für  rein  gestimmte  Intervalle  die  Sache 
80  darzustellen,  als  ob  alle  Intervalle  von  gleicher  Bedeutung  seien 
und  deshalb  auch  die  gleiche  Genauigkeit  hinsichtlich  der  Erhaltung 
ihrer  Reinheit  beanspruchen  dürften.  Nur  für  das  einstimmige 
Tonorgan  sind  sämmtliche  Töne  gleichwerthig,  denn  es  faßt  diesel- 
ben nicht  als  harmonische  Intervalle  auf,  sondern  eben  nur  als  ein- 
zelne, der  Zeit  nach  auf  einander  folgende  Töne,  über  welche  die 
Harmonie  als  solche  keine  Macht  hat.  Aber  bei  den  mehrstimmi- 
gen Instrumenten  ist  es  anders;  hier  bedeuten  die  verschiedenen 
harmonischen  d.  h.  gleichzeitig  erklingenden  Töne  ebenso  viele  ver- 
schiedene Grade  der  Stärke,  und  alles  wird  lediglich  nach  Gewichts- 
verhältnissen entschieden.  Dies  ist  maßgebend  für  jede  rein  harmo- 
nische Betrachtung  und  bildet  den  alleinigen  Gesichtspunkt,  unter 
welchem  die  Tasteninstrumente  Klavier  und  Orgel  hinsichtlich  ihrer 
Reinheit  zu  beurtheilen  sind.  Die  Oktave,  welche  sie  rein  besitzen, 
ist  in  der  Naturordnung  der  harmonischen  Töne  von  einer  weit  größe- 
ren Stärke,  als  sämmtliche  übrigen  Harmonie-Intervalle  zusammen 
genommen.  Sie  ist  daher  befähigt,  dem  Ganzen  das  Gepräge  zu  ver- 
leihen und  die  Reinheit  der  Gesammtharmonie  zu  verbürgen,  falls 
Quinten  und  Terzen  temperaturmäßig  richtig  gestimmt  sind,  was  übri- 
gens eine  selbstverständliche  Voraussetzung  ist.  In  rein  melodischen 
oder  einstimmigen  Tonreihen  sind  noch  kleinere  Intervalle  möglicJii, 
als  die  des  Halbtones,  und  jeder  Ton  ist  an  sich  von  gleicher  Stärke 


J  J  ()  Friedrich  Chrysander, 


oder  kann  es  doch  sein.  Aber  im  Hannonisch-Melirstimmigen  bildet 
der  Halbton  die  unüberschreitbare  Grenze,  wobei  in  der  Erzeugung 
der  harmonischen  Stufen,  wie  die  Natur  sie  hervorbringt  und  der 
gesammten  Musik  als  Grundgesetz  unterstellt,  die  Kraft  mit  der 
Größe  der  Intervalle  abnimmt. 

Diese  Tonordnung  der  Natur  gehört  zu  den  größten  Wohlthaten, 
welche  dem  Menschen  verliehen  sind,  denn  ohne  ein  solches  Funda- 
ment würde  ihm  nicht  möglich  gewesen  sein,  die  Tonkunst  voll  ixnd 
nach  allen  Seiten  hin  auszubilden.  Unser  Ohr  ist  dadurch  im  Stande, 
von  dem  einzelnen  Sänger  oder  Spieler  die  subtilsten  Töne  in  voll- 
kommener Reinheit  zu  vernehmen,  respektive  zu  fordern,  und  gleicli- 
zeitig  sich  der  Harmonie  eines  mitwirkenden  temperirten  Instrumentes 
zu  erfreuen,  in  welcher  die  meisten  Intervalle  nicht  in  gleicher  Kein- 
heit  sowie  nicht  entfernt  mit  derselben  Bestimmtheit  des  Ausdruckes 
zu  Tage  treten.  Wer  dieses  Ertragen  einer  nachweislichen  Unrein- 
heit der  Mangelhaftigkeit  unseres  Ohres  zuschreiben  will,  der  möge 
es  immerhin  thun,  obwohl  es  nicht  richtig  ist,  denn  es  stellt  sich  viel- 
mehr dar  als  eine  Doppelthatigkeit  unseres  musikalischen  Auffassungs- 
vermögens, nach  welcher  wir  befähigt  sind ,  gleichzeitig  melo- 
disch und  harmonisch  zu  denken.  Ein  solches  Denken  oder 
Empfinden  wird  um  so  leichter  gemacht,  je  mehr  die  betreffenden  Ton- 
organe im  Verhältniß  des  Kontrastes  zu  einander  stehen.  Dies  ist  der 
Grund,  weshalb  die  Mitwirkung  der  temperirten  Tasteninstrumente  in 
so  hohem  Grade  die  Gemeinverständlichkeit  fordert  und  Orgel  und 
Klavier  im  wahren  Sinne  des  Wortes  populäre  Instrumente  geworden 
sind,  denn  ihre  Musik  bildet  den  denkbar  vollkommensten  Kontrast 
zu  allem,  was  Sänger  und  Orchesterspieler  hervorbringen. 

Wie  wenig  die  reine  und  die  temperirte  Stimmung  in  der  prak- 
tischen d.  h.  wirklichen  Musik  sich  widersprechen,  ja  wie  entschie- 
den ihr  Zusammenwirken  den  musikalischen  Ausdruck  erleichtert, 
kann  man  selbst  beim  Vortrage  einstimmiger  Tonreihen  wahrnehmen, 
wo  doch  Harmonie  als  solche  gar  nicht  zu  Tage  tritt.  Nicht  selten 
kommt  es  vor,  daß  in  Chören  bei  Fugeneintritten  die  Sänger  der  be- 
treffenden Stimme  mit  der  Orgel  unisono  gehen  ohne  weitere  Beglei- 
tung. Hier,  wenn  irgendwo,  müßte  sich  nun  die  Unreinheit  der  tem- 
perirten Intervalle  als  ein  störendes  »Surrogat«  bemerklich  machen. 
Aber  das  Gegentheil  ist  der  Fall.  Der  Orgelton  ist  nur  eine  Stiitee, 
die  mit  unzweideutiger  Sicherheit  den  Ton  angiebt,  und  nichts  weiter. 
Damit  erschwert  er  nicht  den  Vortrag,  sondern  erleichtert  ihn,  denn 
der  Sänger  kann  nun  seine  ganze  Kraft  auf  den  Ausdruck  sowie  auf 
die  Hervorbringung  eines  schönen  Tones  verwenden,  und  nichts  von 
dem  was  er  vorträgt   geht  verloren.     Falls  alle  Theile  im   richtigen 


Ed.  Grell  als  Gegner  der  Instrumentalmusik,  Orgel,  Temperatur  u.  Virtuosität.     \\\ 

Verhältnisse  stehen,  wird  man  immer  wahrnehmen,  daß  trotz  des 
festen  Tonhaltens  der  Orgel  die  Bestimmung  der  Intervalle  nicht 
von  ihr  ausgeht,  sondern  von  den  Sängern.  Diese  sind  vollständig 
Herren  der  Sache,  können  daher  alle  Anforderungen  erfüllen,  welche 
das  Kunstwerk  stellt.  Was  nun  schon  bei  der  einzelnen  Stimme  zu- 
trifft, gilt  in  erhöhtem  Maße  da,  wo  durch  Stimmengeflecht  Harmonie 
entsteht,  denn  obwohl  hier  die  Orgel  der  überall  bereite  Helfer  ist, 
bleibt  sie  dennoch  für  den  Hörer  so  sehr  im  Hintergrunde,  daß  er 
schließlich  nur  die  Sänger  zu  vernehmen  glaubt.  Als  wirkliche  und 
zum  Theil  ausschlaggebende  Macht  tritt  die  Orgel  erst  da  hervor,  wo 
ohne  ihre  Hülfe  die  Kraft  der  Sänger  nicht  zureichen  oder  doch 
bald  ermatten  würde :  in  starken  weittragenden  Harmonien.  Hier  ist 
es  Orgelmacht  und  Orgelglanz,  wodurch  das  Herz  erfreut  wird.  Wer 
fähig  ist,  so  etwas  zu  empfinden,  wie  kann  der  zweifeln,  daß  dieses 
herrliche  Instrument  eine  wirklich  künstlerische  Mission  erfüllt? 

Grelles  Abneigung  gegen  die  Orgel,  ursprünglich  wohl  nur  das 
Resultat  eines  verkehrten  Theoretisirens,  wurde  zu  einem  formlichen 
Hasse  gesteigert,  als  sich  etwa  seit  dem  Jahre  1860  immer  mehr  die 
Meinung  geltend  machte,  daß  Oratorien  nicht  ohne  Orgel  aufgeführt 
werden  sollten,  in  Folge  dessen  endlich  auch  die  Berliner  Sing- 
akademie mit  sich  darüber  zu  Rathe  ging,  ob  es  nicht  besser  sei, 
ebenfalls  eine  solche  Orgel  aufzurichten.  Als  musikalischer  Dirigent 
jener  Akademie  wußte  Grell  dies  momentan  zu  verhindern.  Um  nun 
auch  für  ewige  Zeiten  der  Orgel  den  Zugang  in  den  Saal  der  Sing- 
akademie zu  versperren,  hinterließ  er  unter  seinen  Papieren  den  im 
Jahre  1872  geschriebenen  »Offenen  Brief  an  die*  Singakademie<r,  wel* 
eher  hier  S.  79 — 115  gedruckt  ist.  Der  Anfang  lautet:  »Dir,  liebe 
Singakademie,  drängt  es  mich,  an  das  Herz  zu  legen,  den  wohlerwo- 
genen Bath  zu  geben,  Dich  anzuflehen,  niemals  durch  Bau  oder  Be- 
nutzung einer  Orgel  Deinen  heiligen  Gesang  zu  entweihen.«  (S.  79.) 

Dieser  lange  »Brief»  ist  eine  Sammlung  von  Spitzfindigkeiten,  zu 
welchen  Grell  vermuthlich  nicht  gekommen  wäre,  wenn  er  sich  zu- 
nächst um  das  Erkennen  des  eigentlichen  Sachverhaltes  bemüht  hätte. 
Aber  was  er  über  die  Musik  des  Alterthums  und  sodann  über  die 
Werke  von  Bach  und  Händel  vorbringt,  offenbart  die  dürftigen  Fach- 
kenntnisse hinsichtlich  dieser  Gebiete,  welche  etwa  bis  zur  Mitte 
unseres  Jahrhunderts  verbreitet  waren,  und  zeigt,  daß  er  seit  jener 
Zeit  nichts  mehr  hinzugelernt  hat.  Grell  meint,  was  bei  Aufführun- 
gen HändeFscher  und  Bach'scher  Werke  zur  Stütze  des  Gesanges 
nöthig  sei,  könne  das  Klavier  allein  besolden,  deshalb  sei  die  Orgel 
überflüssig.  Nun  ist  aber  in  Bach's  Musik  die  Orgel  für  die  Charak- 
terisirung  des  Ganzen  von  grundlegender  Bedeutung,  bei  Händel  sind 


-112  Friedrich  Chiysander, 


Orgel  und  Klavier  neben  einander  wirksam  in  bestimmt  abgegrenzter, 
gegensätzlicher  Weise ,  so  daß  es  dem  Sinne  der  genannten  Meister 
durchaus  widersprechen  würde  und  ihren  Werken  Gewalt  angethan 
werden  müßte,  wenn  bei  dem  Einen  die  Orgel  und  bei  dem  Andern 
der  Kontrast  von  Orgel  und  Klavier  nicht  zur  Geltung  kommen  sollte. 
Man  kann  ganze  Oratorien  auffuhren  mit  bloßer  Begleitung  des  Kla- 
viers und  dennoch  die  Werke  im  Wesentlichen  richtig  darstellen  sowie 
allen  Betheiligten  die  größte  Freude  bereiten.  Ebenso  wird  man  ein 
auf  die  Mitwirkung  der  Orgel  berechnetes  Tonwerk  unbeanstandet  mit 
den  übrigen  Instrumenten  allein  produziren,  wenn  eine  Orgel  nicht 
zu  beschaffen  ist.  Noth  hat  kein  Gebot.  Aber  ausdrücklich  für  das 
Verkehrte  eine  Theorie  zurecht  zimmern,  das  Mangelhafte  als  das 
Richtige,  das  Unvollständige  als  das  Vollkommene  hinstellen,  dem 
Meister  in  seinem  eignen  Bau  das  Hausrecht  absprechen,  sein  Werk 
schädigen  —  und  das  alles  bloß  deshalb,  weil  man  es  besser  zu  ver- 
stehen glaubt,  als  diejenigen  schöpferischen  Männer,  welche  die 
Werke  aufgerichtet  haben  und  denen  wir  es  doch  allein  verdanken, 
daß  wir  im  höheren  Sinne  von  der  Musik  überhaupt  etwas  wissen : 
das  offenbart  einen  Grad  der  Überhebung,  welcher  wohl  geeignet 
sein  dürfte,  Andern  zur  Warnung  zu  dienen.  Freilich  scheint  er  bei 
einigen  Schülern  Grell's  die  entgegengesetzte  Wirkung  hervorgebracht 
zu  haben,  was  übrigens  erklärlich  ist,  wenn  man  die  Verheißung  liest, 
in  welche  dieser  Aufsatz  ausläuft.  Aus  der  Singakademie  (so  schließt 
S.  115  der  »offene  Brief«),  wenn  sie  nur  stets  beachten  wolle,  »welch 
eine  Fundgrube  die  Instrumentallosigkeit«  sei,  könnten  dermaleinst 
noch  »Männer  hervorgehen«,  die  «vielleicht  sogar  die  Heroen  Bach 
und  Händel  überragen«,  denn  —  wird  hinzugefugt  —  »ein  solches 
Überragen  liegt  keineswegs  außerhalb  des  Bereiches  der  Möglichkeit«. 
In  der  That  sehr  verlockend  für  gläubige  Schüler;  namentlich  für 
solche,  deren  Ehrgeiz  größer  ist  als  ihre  Produktivität.  Und  an  wen 
ist  diese  unglaubliche  Verheißung  gerichtet?  An  einen  Chorgesang- 
verein von  Dilettanten! 

Wir  Übrigen  werden  auch  auf  diesem  Gebiete  einfach  bei  dem 
bleiben  müssen,  was  Pflicht  und  Recht  gebieten.  Wer  ein  Kunstwerk 
erzeugt,  der  besitzt  damit  das  Verständniß  von  der  Harmonie  aller 
Theile  desselben  in  einem  Grade,  wie  kein  Anderer ;  sein  Urtheil  ist 
daher  das  allein  maßgebende.  Benutzt  er  nun  neben  andern  Instru- 
menten auch  Klavier  und  Orgel  zu  seinen  Tonorganen  —  nicht  zu- 
fällig aus  äußeren  Gründen  einmal,  sondern  beständig  und  in  einer 
stilistisch  bestimmten  Ausprägung  — ,  so  können  wir  beruhigt  darüber 
sein,  daß  die  gewählte  Klangharmonie  richtig  und  ftir  menschliche 
Ohren  erträglich  ist.    Die  Erfahrung  hat  solches  auch  noch  immer 


Ed.  Grell  als  Gegner  der  Inatrumentalmusik,  Orgel,  Temperatur  u.  Virtuosität.     ^  ]  3 


bestätigt,   natürlich  nur   nach  Proben,  welche   mit  richtigen  Mitteln 
angestellt  wurden. 

Was  nun  von  den  Werken  des  einzelnen  Komponisten  gilt^  das 
findet  in  noch  höherem  Maße  seine  Anwendung  auf  die  Kunst  selbst 
in  allen  ihren  Gebieten.  Denn  sie  entspringt  aus  Kräften,  über  welche 
der  Mensch  keine  Jurisdiktion  besitzt.  Seine  ganze,  an  sich  gewiß 
unerschöpfliche  Thätigkeit  im  Üben  und  Beurtheilen  beschränkt  sich 
auf  die  Benutzung  der  Tonmittel ,  auf  die  Verwerthung  der  natur- 
gegebenen Möglichkeiten;  aber  das  Kunstdasein  als  solches,  wie  es 
sich  voll  und  breit  entfaltet,  ist  unabhängig  vom  menschlichen  Ver- 
stände, da  die  Quellen  desselben  nicht  in  seiner  Machtsphäre  liegen. 
Vokabnusik  und  Instrumentalmusik  begrifflich  zu  einander  in  ein 
richtiges  Yerhältniß  zu  setzen,  ist  eine  der  wichtigsten  Aufgaben  der 
Musiklehre;  aber  der  Instrumentalmusik  absprechen,  daß  sie  eine 
wirkliche  und  für  die  Menschheit  werthvoUe  Kunst  sei,  beweist  ein 
vollständiges  Verkennen  der  dem  menschlichen  Urtheil  gesetzten 
Grenzen.  Unser  Verstand  ist  gerade  ausreichend,  die  Modalitäten, 
die  Mittel  und  Wege  zu  beurtheilen,  unter  denen  gegebene  Kräfte 
wohlthätig  oder  nachtheilig  ins  Dasein  treten  können.  Solches  gilt 
auch  fdr  die  Kunst  —  und  ich  will  nicht  unterlassen  hinzuzufügen, 
daß  der  sei.  Grell  in  dieser  Hinsicht,  indem  er  den  kunstmäßigen 
Satz  mehrstimmiger  Gesänge  durch  Lehre  und  Komposition  demon- 
strirte,  zu  denen  gehört,  welche  vielfach  wohlthätig  gewirkt  haben. 

Ein  der  Grell'schen  Richtung  verwandter  Gegner  der  Instru- 
mentalmusik war  Gervinus.  Was  ich  früher  in  Anlaß  seines,  unglück- 
licherweise mir  gewidmeten  Buches  »Händel  imd  Shakespeare«  über 
den  Gegenstand  geäußert  habe,^  will  ich  hier  nicht  wiederholen,  son- 
dern nur  darauf  hinweisen.  Beide,  Grell  und  Gervinus,  bilden  den 
krassesten  Gegensatz  zu  der  noch  immer  herrschenden  Auffassungs- 
weise, welche  nur  die  Instrumentalmusik  als  die  reine  Musik  an- 
sieht und  in  dieser  Meinung  für  dieselbe  den  sinnlosen  Titel  »abso- 
lute Musik»  erfunden  hat.  In  zahllosen  Werken  großer  und  kleiner 
Meister  sind  die  Gegensätze  von  Vokal  und  Instrumental  schon  längst 
ausgeglichen,  wenn  auch  nicht  bei  allen  in  gleicher  Vollkommenheit. 

^  Siehe  »Instrumentalmusik«.  Allgemeine  musikalische  Zeitung  1872, 
Sp.  1 — 141.  —  Die  Berechtigung,  es  als  ein  Unglück  für  mich  zu  bezeichnen,  daß 
Gervinus  das  genannte  Werk  mir  gewidmet  hat,  wird  mir  Niemand  absprechen,  der 
die  Dedikation  des  Verfassers  liest.  Eine  absichtliche  Bloßstellung  und  Disluredi- 
timng  kdnnte  nicht  geschickter  abgefaßt  werden ;  der  Erfolg  hat  es  gelehrt.  Wer 
nun  aber,  wie  Oerrinus,  seit  Jahren  wußte,  daß  meine  Ansicht  von  der  Instrumental^ 
musik  eine  ganz  andere  ist,  als  die  seinige,  der  hätte  doch  von  dem  Beginnen, 
mich  zu  seinem  Vertheidiger  pressen  zu  wollen,  abstehen  müssen,  sollte  man  meinen. 
Dies  ist  es,  worüber  ich  mich  beschwere. 

1888.  8 


1  ]^  4  Friedrich  Chrysander, 


Mau  kann  nur  wünschen^  das  musikalische  Urtheil  möge  auch  bald 
diejenige  Reife  erlangen,  welche  in  den  genannten  Tonwerken  bereits 
vorgebildet  ist.  Jedenfalls  würde  ein  solcher  Fortschritt  für  unsere 
gesammte  Musikübung  jetzt  der  nützlichste  sein. 


III. 

Über  Virtuosität  und  Kunstgesang  ist  zuletzt  noch  ein 
Wort  zu  sagen. 

Als  Joseph  Joachim  nach  Berlin  kam  und  Mitglied  der  Akademie 
der  Künste  wurde,  nannte  Grell  dies  »die  Heranziehung  des  instiu- 
mentalen  Virtuosenthums  zur  musikalischen  Sektion  des  Senates  der  ' 
Kön.  Akademie  der  Künste«.  So  lautet  der  Titel  des  hier  S.  4 — 10 
gedruckten  Gutachtens,  in  welchem  er  der  genannten  Berufung  op- 
ponirte.  Wir  wollen  nicht  die  Gründe  hören,  welche  ihn  dazu  ver- 
anlaßten,  denn  diese  kennen  wir  bereits ;  es  ist  lediglich  die  B^eich- 
nung  »Virtuosenthum«,  welche  uns  hier  interessirt.  Mit  diesen  Wor- 
ten wollte  Grell  noch  etwas  besonders  Nachtheiliges  ausdrücken.  War 
ihm  schon  der  gewöhnliche  Instrumentalist  nur  als  ein  mitunter 
nothwendiges  Übel  erträglich,  so  mußte  ihm  ein  gefeierter  Virtuose 
geradezu  widerwärtig  sein.  Auch  gefährlich;  denn  ein  solcher  zieht 
die  Menge  an  sich  und  führt  sie  musikalisch  in's  Verderben.  Es  blieb 
ihm  völlig  unfaßlich,  wozu  ein  Virtuose  eigentlich  in  der  Welt  nütze 
sei,  und  diese  gänzliche  Unverständlichkeit  ist  fast  noch  besser  ge- 
eignet, uns  über  Grell's  künstlerischen  Standpunkt  aufzuklären,  als 
alles  vorhin  Erwähnte. 

Daß  »Virtuosität  ff  nichts  anderes  bedeutet,  als  die  erreichte  Voll- 
endung in  irgend  einem  Theile  der  ausübenden  Kunst,  habe  ich 
schon  im  ersten  Abschnitt  gesagt.  Es  ist  Pflicht,  diesem  Kunstaus- 
druck in  unserer  Sprache  diejenige  hohe  Bedeutung  zu  wahren,  welche 
er  besaß,  als  er  sich  zuerst  allgemein  verbreitete.  Der  Name  »Vir- 
tuoso«  galt  im  17. — 18.  Jahrhundert  als  der  höchste  Ehrentitel  für 
Musiker,  und  Bach  war  mit  Recht  erbost,  als  ein  Scribent  ihm  den- 
selben verweigerte.  Dieser  Titel  wurde  nun  besonders  hervorragen- 
den Sängern  und  Sängerinnen  beigelegt,  namentlich  solchen,  die  im 
Dienste  eines  Hofes  standen,  vertrat  also  die  Stelle  unseres  heutigen, 
ziemlich  sinnlosen  »Kammersängers«.  Es  dürfte  auch  unmöglich  sein, 
Worte  ausfindig  zu  machen,  welche  eine  so  kunstwürdige  und  reiche 
Bedeutung  haben,  wie  Viriuoso  und  Virtuosiiä,  deren  Grundwort 
Virtü  zugleich  die  ethische  Kraft,  ohne  welche  alle  Kunst  nichtig 
ist,  aufs  Schönste  mit  zum  Ausdruck  bringt. 


£d.  Grell  als  Gegner  der  Instrumentalmusik,  Orgel,  Temperatur  u.  Virtuosität.      }  }  5 

Ein  solcher  Virtuose  von  anerkannt  höchstem  Range  wurde  1869 
in  Berlin  zur  Leitung  einer  »Königlichen  Hochschule  für  ausübende 
Tonkunst«  ausersehen.  Ich  hatte  damals  Gelegenheit,  über  die  Sache 
mich  zu  äußern,  und  rieth  Joachim,  die  Stellung  anzunehmen.  Der 
Grund,  welcher  mich  wünschen  ließ,  ihn  in  einem  solchen  Amte  zu 
sehen,  war  eben  sein  Virtuosenthum,  die  Größe  und  Art  desselben. 
Schon  seit  dreißig  Jahren  nimmt  er  hierin  eine  Stellung  ein,  aus 
welcher  ihn  noch  kein  Mitbewerber  zu  verdrängen  vermocht  hat;  und 
selbst  wenn  einmal  jüngere  Arme  seinen  Part  im  Konzertsaal  über- 
nehmen, wird  er  trotzdem  der  anerkannte  Meister  bleiben.  Dieser 
schien  daher  der  rechte  Mann  zu  sein,  die  der  ausübenden  Musik  sich 
widmende  Jugend  zu  lehren  und  zu  leiten.  Und  es  stand  zu  hoffen, 
die  von  ihm  erreichte  künstlerische  Höhe  werde  auch  für  die  übri- 
gen Fächer  jener  Hochschule  ein  Sporn  sein,  einer  gleichen  Vollen- 
dung zuzustreben.  Daß  ein  Geiger  und  nicht  —  was  mir  an  sich 
heber  gewesen  wäre  —  ein  Sänger  zum  Leiter  der  genannten  Hoch- 
schule erkoren  wurde,  lag  an  Verhältnissen,  die  niemand  ändern 
konnte.  Die  Instrumentalmusik  hat  sich  in  unserm  Jahrhundert  weit 
vollkommener  und  vielseitiger  entwickelt,  als  die  Vokalmusik,  und 
ist  dadurch  um  so  viel  mäqhtiger  geworden;  denn  auch  im  Gebiete 
der  Kunst  ist  Bildung  gleichbedeutend  mit  Macht  und  Einfluß.  Wer 
nun  die  Mittel,  mit  denen  die  Kunst  wirkt,  in  irgend  einem  Gebiete 
am  höchsten  entwickelt  hat,  der  ist  dadurch  ohne  weiteres  der  be- 
rufene Lehrer  und  ein  Vorbild  für  Alle,  die  zur  Höhe  streben.  In 
der  Kunstpraxis  vermag  die  bloße  Lehre  wenig;  die  vorbildliche  Per- 
sönlichkeit entscheidet  alles.  Professor  Aristoxenos  läßt  die  Kunst- 
jünger kühl;  aber  der  Virtuose  Orpheus  setzt  sie  in  Gluth  und  lockt 
alles  hervor,  was  in  ihnen  ist. 

Für  Grell  ist  Virtuosität  gleichbedeutend  mit  Musikindustrie. 
Sein  Virtuose  geht  nur  auf  Erwerb  aus  und  denkt  nicht  daran,  die 
Kunst  ihrer  selbst  wegen  zu  treiben.  Aber  hatte  der  sei.  Grell  denn 
wirklich  alle  Besonnenheit  verloren?  Er  trieb  seine  Kunst  doch  auch 
nicht  lediglich  ihrer  selbst  wegen,  denn  sie  gab  ihm  Brot,  und  zwar 
lebenslänglich.  Mehr  hat  der  geschmähte  Virtuose  auch  nicht  davon, 
wenn  auch  vielleicht  der  Eine  Weißbier,  der  Andere  Champagner 
trinkt.  Grell  möchte  am  liebsten  aller  und  jeder  Virtuosität  den 
Garaus  machen ;  er  schreibt :  »Von  Kirche  und  Theater  hat  sich  jede 
Art  von  Virtuosität  fern  zu  halten.  Nur  in  den  Konzertsaal,  in  den 
Salon  und  in  das  Privatzimmer  darf  sie  sich  in  seltenen  Fällen  ein- 
schleichen. Es  ist  aber  besser,  sie  auch  hier  fern  zu  halten  und 
zu  unterdrücken.  Es  kommt  nicht  darauf  an,  so  schmeriges  zu 
bewältigen,   was    allen    anderen    unbezwingbar   ist,    sondern  darauf, 

8* 


I  ]  Q  Friedrieh  ChryBander, 


das,  was  alle  anderen  ebenso  korrekt  und  geläufig  auszufuhren  ver- 
mögen, noch  seelenvoller  und  ausdrucksvoller  vorzutragen,  als  andere 
es  vermögen,  notabene  aber,  ohne  dadurch  die  Korrektheit  im  min- 
desten zu  beeinträchtigen.  Keinesweges  besteht  der  Kunstgenuß  in 
der  Wahrnehmung,  daß  jemand  im  stände  ist,  über  eine  schwierige 
Stelle  hinweg  zu  kommen,  ohne  den  Hals  zu  brechen.«  (S.  184.)  Da 
»man  ein  modern -europäisches  Opern  thealer  kaum  ein  Kunstinstitut 
nennena  kann  (S.  99),  so  hätte  Grell  wohl  in  diesem  Falle  ohne  Ge- 
fahr liberal  sein  und  demselben  die  Virtuosität  preisgeben  können, 
denn  da,  wo  ohnehin  alles  heillos  zugeht,  weil  lediglich  auf  bezahlte 
Vorstellungen  hingearbeitet  wird,  kann  es  doch  auf  etwas  mehr  oder 
weniger  Kunstunfug  nicht  ankommen..  Hier  und  an  vielen  Stellen 
spricht  Grell  wirklich  wie  ein  alt  gewordenes  Kind.  Aus  den  citirten 
Worten  sieht  man,  wie  er  sich  die  Virtuosität  vorstellt:  als  ein  Kon- 
glomerat von  Schwierigkeiten  und  halsbrechenden  Kunststücken, 
lediglich  producirt,  um  den  erstaunten  Zuhörern  das  Geld  aus  der 
Tasche  zu  ziehen.  Niemand  soll  nach  seiner  Theorie  mehr  können, 
als  der  Andere,  er  soll  es  höchstens  besser  können.  Dies  ist  der  Stand- 
punkt des  mehrstimmigen  Gesanges  oder  des  Chorsingens.  Daß  es 
auch  noch  eine  andere  Art  des  Gesanges  geben  und  in  dieser  die 
Virtuosität  ihre  schönsten  Triumphe  feiern  kann  und  darf,  davon  Mdll 
Grell  nichts  wissen.  Und  hiermit  kommen  wir  auf  den  eigentlichen 
Punkt,  durch  welchen  alles  Wunderliche  in  den  Ansichten  dieses 
merkwürdigen  Mannes  eine  befriedigende  sachliche  Erklärung  findet. 

Der  Gesang,  lesen  wir  Seite  5,  ist  schon  »seit  zwei  bis  drei  Jahr- 
hunderten c  vernachlässigt.  Hätte  Grell  sich  hinsichtlich  der  Zeit 
genauer  ausgedrückt,  so  würde  er  als  Beginn  des  gesanglichen  Ver- 
falles ohne  Zweifel  das  Jahr  1600  bezeichnet  haben,  d.  h.  diejenige 
Epoche  in  der  Entwicklung  der  Musik,  wo  der  Sologesang  und  mit 
ihm  die  begleitenden  oder  auch  selbständig  auftretenden  Instrumente 
zuerst  frei  ihre  Flügel  ausbreiteten.  Den  Weg,  welchen  in  der  Folge 
die  Instrumentalmusik  nahm,  soll  das  Auge  hier  nicht  weiter  ver- 
folgen, sondern  nur  auf  den  Gesang  blicken. 

Der  Drang  der  Kunst  nach  einer  anderen  Weise  des  musika- 
lischen Ausdruckes  wurde  in  dem  letzten  Jahrzehnt  des  16.  Jahrhun- 
derts unwiderstehlich  und  erzeugte  bekanntlich  die  Hauptformen  der 
modernen  Musik.  Der  Grundtrieb  dieses  Dranges  war  aber  das  Be- 
streben, neben  dem  bisherigen  Chorgesange  noch  eine  andere  Art  dea 
Singens  in  der  Kunst  zur  Geltung  zu  bringen,  den  Sologesang.  Hier- 
auf bezogen  sich  bewußt  oder  unbewußt  sämmtliche  Anstrengungen, 
mochten  sie  nun  von  weltlicher  oder  kirchlicher  Seite  ausgehen.  Die 
Norm  für  diesen  neuen,   im  Grunde   aber  uralten  Gesang  war  auch 


£d.  Grell  als  Gegner  der  Instnimentalmusik,  Orgel,  Temperatur  u.  Virtuosität.     ||  7 

bald  gefunden.  Sie  lautete:  Ein  künstlerischer  Sologesang  ist 
nur  möglich,  wenn  er  durch  musikalische  Instrumente 
hegleitet  wird.  Daher  sehen  wir  von  1600  an  zugleich  Instrumente 
aller  Art  lebendig  werden.  Wenn  die  Italiener,  als  die  allein^en  Er- 
finder dieser  neuen  Weise,  den  Gesang  am  schönsten  entwickelt  und 
am  längsten  rein  erhalten  haben,  so  liegt  dies  nicht  daran,  wie  Grell, 
Verschiedenartiges  zusammenwerfend,  meint,  »daß  die  Italiener  den 
Gesang  frei  von  der  Hülle,  der  Knechtschaft  und  dem  verderblichen 
Einfluß  der  Instrumentalmusik  gelassen  und  ihn  am  längsten  selb- 
ständig behandelt,  gelehrt,  geübt  und  kultivirt  haben«  (S.  194),  son- 
dern daran,  daß  sie  die  instrumentale  Begleitung  eben  nur  als  Hülle 
und  Gewand  des  Gesanges  ansahen  und  demgemäß  gestalteten.  Ihnen, 
den  Erfindern,  war  das  Ebenmaß,  nach  welchem  Gesang  und  Be- 
gleitung sich  ordnen,  gleichsam  von  der  Natur  verliehen,  während 
die  Künstler  anderer  Völker  es  sich  mehr  oder  weniger  mühsam  er- 
werben mußten.  Aber  keinem  Italiener  stand  jemals  die  Begleitung, 
die  richtige  Begleitung,  im  Wege;  niemand  von  ihnen  wäre  im 
Stande  sich  so  auszudrücken,  wie  Grell  es  in  den  angeführten  Worten 
thut.  Denn  so  kann  nur  ein  mit  den  Kunstverhältnissen  seiner  Zeit 
zerfallener  Nicht- Italiener  sprechen. 

Zu  der  Zeit,  als  nach  Grell's  Ansicht  die  »Vernachlässigung  des 
Gesanges«  begann,  hatten  die  Italiener  in  Caccini  ihren  ersten  großen 
Gesanglehrer,  dem  dann  von  Carissimi  an  seit  der  Mitte  des  17.  Jahr- 
hunderts alle  jene  bewundemswerthen  Männer  folgten,  von  denen  in 
der  besten  Zeit  viele  ebenso  große  Komponisten  wie  Sänger  und  Ge- 
sanglehrer waren.  Erst  durch  sie  und  ihre  Schüler  erreichte  der  Kunst- 
gesang seine  Vollendung  und  wurde  berähigt,  allen  Regungen  der 
menschlichen  Seele  nachzugehen.  Wir  Ultramontanen,  die  wir  im 
Großen  und  Ganzen  niemals  einen  solchen  Gesang  voll  in  unsere 
Macht  bekommen  haben  und  jetzt  der  Blüthe  desselben  auch  schon 
zeitlich  fern  stehen,  reden  uns  gern  ein,  dieser  Sologesang  in  seiner 
höchsten  Ausbildung  sei  zum  großen  Theile  nur  Künstelei  und  inso- 
fern eine  entbehrliche  Kunst.  Aber  die  besten  vorhandenen  Zeug- 
nisse lehren  vielmehr,  daß  der  genannte  Gesang  die  denkbar  glück- 
hehste  Vereinigung  darzustellen  vermag  von  drei  Dingen,  die  selten 
beisammen  sind,  nämlich  von  geistigem  Ausdruck,  musikalischer 
Schönheit  und  vollendeter  Darstellung  der  künstlerischen  Individua- 
lität. Dadurch  ist  auch  die  Form,  welche  dieser  Gesang  sich  gegeben 
hat,  eine  bleibend  gültige  und  fast  für  alle  übrigen  Gebiete  der  Musik 
vorbildliche  geworden.  Aber  nur  indem  der  Sologesang  die  musika- 
lischen Instrumente  zu  Hülfe  rief,  konnte  ihm  solches  gelingen.  Ohne 
diese   wäre  nie  etwas    aus    ihm   geworden.     Bei  ihrer   Betheiligung 


WS  Friedrich  Chrysander, 


wachsen  gleichsam  neue  Glieder  an  seinem  Leibe;  die  eine  singende 
Stimme  scheint  sich  durch  konzertirende  Begleitung  in  mehrere  Stim- 
men zu  verwandeln,  die  den  Sinn  weiter  ausdeuten,  verschönern,  ver- 
tiefen und  damit  das  Vorgetragene  in  musikalische  Femen  verbreiten, 
welche  dem  Gesänge  als  solchem  nicht  mehr  erreichbar  sind:  und 
das  alles  geschieht  oder  kann  geschehen,  ohne  den  Sänger  in  seiner 
künstlerischen  Freiheit  und  Selbständigkeit  irgendwie  zu  hindern. 
Diese  Selbständigkeit  ist  eine  so  vollkommene,  als  ob  Begleitung 
überhaupt  nicht  vorhanden  wäre.  In  Folge  dessen  gestaltet  sich  dem 
Solosänger  das,  was  er  vorträgt,  als  eine  wirkliche  Sprache,  nur  im 
höheren  Sinne,  und  die  denkbar  feinsten  Modifikationen  der  Stimme 
treten  hierbei  zu  Tage.  Aber  alles  dies  ist  nur  mögUch,  wenn  der 
Sänger  Virtuose  ist,  d.  h.  wenn  er  in  seiner  Vortragskunst  eine  Stufe 
der  Vollkommenheit  erreicht  hat,  auf  welcher  er  wirklich  etwas  kann, 
was  Andere  in  dieser  Art  nicht  können.  Dadurch  bereichert  ein 
solcher  Sänger  die  darstellende  Kunst  mit  neuen  Charakterbildern, 
und  als  eine  charakteristische  Künstler-Individualität  sichert  er  sich 
zugleich  selber  einen  Platz  in  der  Kunstgeschichte. 

Ein  solcher  Gesang  ist  nun  für  den  früheren  Dirigenten  der 
Berliner  Singakademie  einfach  nicht  vorhanden,  obwohl  es  sein  Amt 
war,  Werke  zur  Aufführung  zu  bringen,  welche  die  schönsten  Denk- 
male dieses  Gesanges  enthalten.  Grell  weiß  nicht  was  Solo- 
gesang ist;  er  kennt  theoretisch  und  praktisch  nur  Chor- 
gesang. Bei  ihm  braucht  ein  Sänger  nur  das  zu  können,  »was  alle 
anderen  ebenso  korrekt  und  geläufig  auszuführen  vermögen«,  und 
den  Gipfel  der  Vollkommenheit  hat  ein  solcher  erstiegen,  wenn  er 
das  Allen  Erreichbare  »noch  seelenvoller  und  ausdrucksvoller«  vor- 
tragen kann,  als  den  meisten  übrigen  möglich  ist.  So  spricht  der 
Leiter  eines  Chorvereins,  um  seine  Mitglieder  zu  ermuntern.  Bei 
dieser  Verherrlichung  des  Mittelmaßes  betrachtet  Grell  natürlich  den 
Sologesang  lediglich  als  den  Vortrag  einer  einzelnen,  mehr  oder 
weniger  aus  der  Masse  hervorragenden  Chorstimme;  der  Begriff  des 
kunstmäßigen  Einzelgesanges  und  damit  die  Einsicht  nicht  nur  in  die 
Zulässigkeit,  sondern  auch  in  die  Nothwendigkeit  der  instrumentalen 
Begleitung  fehlt  ihm.    Hiernach  begreift  man  alles. 

An  mehreren  Stellen  der  S.  172 — 195  abgedruckten  »Aphorismena 
ist  von  Gesangunterricht  und  Sängerkunst  die  Rede.  Über  den  Triller 
liest  man  S.  184 — 186  verständige,  wenn  auch  nicht  ausreichende  Be- 
merkungen, welche  aber  durch  den  Zusatz  »Man  kann  verschiedener 
Meinung  darüber  sein,  ob  es  sich  mit  dem  guten  Geschmack  ver- 
trage, ihn  überhaupt  zu  dulden  a  (S.  184)  für  die  Praxis  werthlos  ge- 
macht werden,  denn  deutsche  Lehrer  und  Schüler  fühlen  sich  hier- 


£d.  Grell  als  Gegner  der  Instrumentalmusik,  Orgel,  Temperatur  u.  Virtuosität.      ^  ]  9 

durch  aufs  neue  ermuthigt,  ihre  Faulheit  hinter  dem  »guten  Ge- 
schmack« zu  verstecken  und  emphatisch  zu  erklären,  daß  sie  ihrerseits 
den  Triller  »überhaupt«  nicht  »dulden«.  Seite  183  sagt  Grell:  »Das 
I^te  über  Behandlung  der  Stimmen  hat  Tosi  geschrieben.«  Nun 
schreibt  aber  dieser  selbe  Tosi:  »Ob  der  Triller  einem,  der  singen 
wiU,  nöthig  sei,  darüber  frage  man  die  ersten  Meister  der  Kunst.  Wer 
entweder  gar  keinen  oder  doch  nur  einen  fehlerhaften  Triller  hervor- 
bringen kann,  der  wird  niemals  ein  großer  Sänger  werden,  wenn  er 
auch  sonst  noch  so  viel  verstände.  Der  Triller  ist  also  den  Sängern 
unentbehrlich.«  ^ 

Im  Grunde  ist  es  unnöthig,  derartige  Zeugnisse  hier  zusammen 
zu  tragen;  denn  so  schlagend  sie  auch  beweisen,  daß  Grell  sich  um 
keinerlei  Gesangskunst  bemühte,  welche  über  die  Grenzen  des  Chor- 
singens hinaus  ging,  so  ist  doch  die  eine,  bereits  oben  S.  105  ange- 
führte Behauptung  von  ihm,  nach  welcher  die  allgemeinen,  für  die 
Jagend  bestimmten  Bildungsschiden  zugleich  »auch  den  allerbesten 
Cresangunterricht  gewähren«  können,  »der  im  Staate  zu  haben  ist« 
iS.  99),  entscheidender  als  alles,  was  man  sonst  noch  vorbringen 
könnte,  da  hierdurch  am  unzweideutigsten  klar  gemacht  wird,  daß  es 
ausschließlich  der  Standpunkt  des  Chorsingens  war,  welcher  GreU's 
Gedanken  beherrschte.  Ich  habe  auch  nur  deshalb  so  eingehend  hier- 
über gesprochen,  um  es  den  Lesern  durch  allseitige  Beleuchtung  un- 
vergeßlich einzuprägen.  Übrigens  wird  man  sich  erinnern,  daß  Grell 
schon  mit  der  Verwerfung  der  Instrumentalmusik  zugleich  auch  den 
kunstmäßigen  Sologesang  abgethan  hat.  Der  Vollständigkeit  wegen 
hätte  ich  ihn  deshalb  auf  dem  Titel  dieses  Aufsatzes  auch  noch  als 
Gegner  des  Sologesanges  bezeichnen  müssen.  Es  ist  unter- 
bUeben,  um  selbst  den  Schein  einer  Übertreibung  zu  vermeiden. 


In  Vorstehendem  ist  mehrfach  die  Berliner  Singakademie  genannt. 
Ich  muß  mich  deshalb  noch  ausdrücklich  dagegen  verwahren,  als  ob 
dieselbe  damit  irgendwie  habe  beurtheilt  werden  sollen.  Singakademien 
als  Privatvereine  von  Musikfreunden  können  in  ihren  vier  Pfählen 
thun  und  lassen,  was  sie  wollen,  und  sind  nur  dann  der  Kritik  unter- 
worfen, wenn  sie  mit  Aufführungen  vor  die  Öffentlichkeit  treten.  Dem 
ehrwürdigen   Berliner  Institut  soll   diese  Freiheit  nicht  verkümmert 


^  vSe  7  TriUo  sia  necessario  a  cht  canta  chieggasi  a  i  primi  Professori  .... 
chi  tCe  privo  (o  non  Vahhia  che  difettoao)  non  sarä  mai  gran  Cantante  bench^  sapesse 
moUo.  Essendo  dunque  il  Trillo  ti  tanta  conseguenza  a'  Cantori  proccurt  il  Maestro« 
etc.    Tosi,  Osservazioni  sopra  il  eanto  ßgurato.    [Bologna,  1723.)    p.  24 — 25. 


]^20  Friedrich  Chrysander, 


werden.  Der  seltsame  Bath  ihres  alten  Dirigenten  lautet:  »Glaubt 
die  Singakademie  Bach  und  Händel  ohne  Orgel  nicht  auffuhren  zu 
dürfen,  so  thut  sie  besser  auf  die  Auffuhrung  ihrer  Werke  gänzlich 
zu  verzichten.«  (S.  lOS.)  Entschließt  sich  die  genannte  Akademie  nun, 
diesem  Rathe  zu  folgen,  so  wird  niemand  sie  daran  hindern.  Jeden- 
falls hat  sie  hier  bereits  halbgebahnten  Weg  vor  sich,  da  Grelles  Auf- 
fuhrungen längst  die  Entbehrlichkeit  der  Werke  von  Bach  und  Hüidel 
demonstrirt  haben.  Es  ist  sogar  nach  allen  Seiten  hin  vortheilhaft, 
wenn  das,  was  unter  Grell  jesuitisch  versteckt  war,  jetzt  offen  hervor 
tritt  und  ein  klares  Bekenntniß  formulirt.  Will  die  Akademie  dann 
auf  der  vorgezeichneten  Bahn  weiter  schreiten  durch  »unausgesetzte 
hermetische  Absperrung  von  jeglicher  Instrumentalbegleitung«  und 
»Vermehrung  ihrer  Mitglieder«  bis  zu  sechs  Abtheilungen  von  je  fünf- 
hundert, also  insgesammt  dreitausend  Sängern,  und  damit  iiMonstre- 
Konzerte  von  soliderer  Art,  festerer  Basis  und  großartigerer  Wirkung 
einrichten,  als  die  jetzt  üblichen«  (S.  111],  d.  h.  als  die  auf  Musik- 
festen und  anderswo  heutigen  Tages  zum  besten  gegebenen  Oratorien- 
konzerte: so  wird  man  sie  auch  hierin  gewähren  lassen  und  ruhig 
den  Erfolg  abwarten.  Selbst  wenn  es  ihr  gefallen  sollte,  die  letzten 
Konsequenzen  aus  Grell's  Vorschlägen  zu  ziehen  und  nach  seinen 
Angaben  ein  etwa  neu  zu  erbauendes  Konzerthaus  »als  ein  antikes 
Amphitheater  mit  kleiner,  aber  kreisrunder  Arena«  zu  gestalten  in 
einer  »Größe  für  zehn-  bis  zwanzig-,  ja  bis  hunderttausend  Personen«, 
wo  »die  Sänger  auf  den  unteren,  die  Hörer  auf  den  oberen  Stufen 
Platz«  zu  nehmen  hätten,  und  zwar  so,  daß  »die  Grenze  zwischen 
Singenden  und  Hörenden  bis  zur  obersten  Stufe  hinaufrücken«  könnte, 
wobei  als  letztes  Ziel  zu  erstreben  wäre,  daß  jene  Grenze  auch  in 
Wirklichkeit  immer  höher  hinauf  rücke,  bis  sich  zuletzt  im  Konzert 
überhaupt  keine  Zuhörer  mehr  vorfinden  oder,  wie  Grell  es  ausdrückt, 
»bis  sich  zuletzt  auch  hier  Ein  Hirt  und  Eine  Heerde  bilden  und 
Alles  am  Gesänge  theilnehmen  wird,  was  sich  zum  Konzerte  einfindet« 
(S.  112 — 113)  —  selbst  wenn  dieses  das  Letzte  und  Höchste  sein  sollte, 
für  dessen  Verwirklichung  jene  Akademie  ihre  Existenz  einzusetzen 
bereit  wäre :  auch  dann  würden  wir  die  Fassimg  nicht  verlieren,  son- 
dern in  Geduld  der  Dinge  harren,  die  da  kommen  sollen.  Nur  den 
Wunsch  wollen  wir  noch  äußern,  man  möge  dieses  Amphitheater  mit 
kreisrunder  Arena  dann  möglichst  fern  von  Nr.  20  der  KronenstraBe 
errichten,  damit  es  nicht  in  die  Nachbarschaft  des  Kladderadatsch 
geräth. 

In  Grell's  Äußerungen  erblickt  sein  Schüler  Bellermann  »bahn- 
brechende Vorschläge«.  Halsbrechende  möchte  vielleicht  *  richtiger 
sein.     An  sich  würde  es  Jeder  ganz  in  der  Ordnung  finden  und  für 


Ed.  Grell  als  Gegner  der  Instrumentalmusik,  Orgel,  Temperatur  u.  Virtuosität.      1 2 1 


«ehr  wunschenswertli  halten,  wenn  ein  in  der  a-capella-Musik  theo- 
retisch und  praktisch  so  festgewurzelter  Mann  wie  Grell  sich  über 
die  Möglichkeiten,  wie  dieses  Gebiet  weiter  ausgebaut  werden  könnte, 
aussprechen  wollte.  Aber  daß  er  einen  solchen  Zweck  nur  zu  er- 
reichen weiß  durch  Umstürzen  und  Hinauswerfen  alles  dessen,  was 
die  übrige  Welt  an  Arten  und  Weisen  der  Musik  kennt  und  liebt, 
ist  das  denkbar  schlimmste  Zeichen  für  die  Stichhaltigkeit  seiner 
Gründe.  Die  Instrumentalmusik  verwerfen,  heißt  insbesondere  der 
deutschen  Musik  das  Herz  aus  dem  Leibe  reißen.  Hätte  doch  selbst 
Händel,  der  von  allen  Deutschen  am  tiefsten  in  die  Vokalmusik  ein- 
drang, nie  das  werden  können,  was  er  geworden  ist,  wenn  er  nicht 
von  Haus  aus  Instrumentalist  gewesen  wäre. 

Es  ist  nur  ein  einziger  ToUgültiger  Beweis  denkbar,  welcher  für 
die  Schädlichkeit  einer  Mitwirkung  der  Instrumente  beim  Gesänge 
angeführt  werden  könnte,  und  dieser  würde  geliefert  sein,  wenn  sich 
nachweisen  ließe,  daß  die  Instrumente  dem  Sänger  nicht  gestatten, 
völlig  rein  zu  singen.  Mit  andern  Worten  würde  dies  heißen:  daß 
wir  also  jetzt,  wo  stets  Instrumente  mitwirken,  überhaupt  keinen 
Sänger  mehr  vernehmen,  der  rein  zu  singen  im  Stande  wäre.  Aber 
wie  die  ganze  Welt  weiß,  ist  das  Gegentheil  der  Fall.  Man  singt 
noch  heute  so  glockenrein  wie  jemals;  die  Musikpraxis  beweist  es 
taglich  bei  Anwendung  temperirter  wie  nicht  temperirter  Instrumente. 
Der  Bund,  den  Gesang  und  musikalische  Instrumente  mit  einander 
eingegangen  sind,  ist  ein  natürlicher,  ein  Herzensbund.  Auf  dem 
Grunde  dieser  Harmonie  können  alle  Organe  der  Musik  zusammen 
wirken,  in  Freude  und  in  Frieden. 


Kritiken  und  Keferate. 


Alexander  J.  Ellis,  On  the  history  of  musical  pitch.  Reprinted 
with  corrections  and  an  appendix  from  the  »Journal  of  the  Society 
of  Arts«  for  5  March  and  2  April  1880.  For  private  circulation  only, 
Dec.  1880.    An  Addendum  January  1881. 

Es  könnte  yerspätet  erscheinen,  auf  ein  kleines  Werkchen,  welches  vor  7  Jahren 
erschien,  jetzt  noch  zurückzukommen.  Der  innere  Werth  desselben  sowie  der  Um- 
stand, daß  es  bis  auf  den  heutigen  Tag  von  keiner  weiteren  Forschung,  soweit  sie 
publicirt  vorliegt,  überholt,  sowie  endlich  daß  es  nur  einem  kleinen  Sjreis  zu- 
gänglich, auf  dem  Kontinent  fast  ganz  unbekannt  blieb,  dürften  wohl,  wenn  auch 
nicht  die  Verspätung,  so  doch  die  Besprechung  rechtfertigen.  ^ 

Alles  was  Scheibler,  Delezenne,  Lissajous,  Euler,  Marpurg,  Sauveur  u.  A.  auf 
dem  Gebiete  der  Bestimmung  von  Tonhöhen  geleistet  haben,  die  Bemerkungen 
die  sich  darüber  in  den  Werken  von  Schlick  (1511),  Zarlino  (1562),  Salinas  (1577), 
Praetorius  (1619),  Mersenne  (1636  u.  1648)  u.  A.  finden,  stellt  der  sorgsame  Forscher 
zusammen  mit  neuen  bisher  unbekannten  oder  nicht  zugänglichen  Daten,  die  er 
sich  von  über  100  Personen  (Einzel-  und  juristischen  Personen)  verschafft  hatte. 
Er  prüft  den  größten  Theü  —  soweit  eben  das  Material  dazu  geeignet  war  — 
nach  einem  einheitlichen  Maße  und  bringt  so  eine  Fülle  verläßlicher  historischer 
Daten  zusammen,  wie  sie  bisher  noch  nie  erreicht  wurde. 

Als  »Stimmung«  [»pücM)  gemeinhin  kann  man  jene  Qualität  der  Tonempfin- 
dung bezeichnen,  welche  objektiv  gemessen  wird  durch  die  Zahl  der  doppelten 
Schwingungen,  vor-  und  rückwärts,  die  in  einer  Sekunde  von  einem  Lufttheilehen 
gemacht  werden,  während  der  Klang  ans  Gehör  dringt.  Die  Stimmung  eines  musi- 
kalischen Klanges  wird  also  passender  Weise  direkt  nach  der  Zahl  der  zugehörigen 
Schwingungen  bezeichnet.  Während  man  auf  dem  Kontinente  mit  einzelnen  d.i. 
halben  Schwingungen  rechnet,  zählt  Ellis  nach  englischer  Gewohnheit  nur  Doppel- 
schwingungen ^  und  bezeichnet  sie  schlechthin  als  V  [vtbrations),  die  halben  Schwin- 
gungen SV. 

»Musikalische  Stimmung«  im  eigentlichen  Sinne  ist  die  Tonhöhe  oder  Stim- 
mung ( V)  irgend  einer  beliebigen  Note,  nach  welcher  die  Tonhöhen  aller  anderen 
Noten  eines  Tonsystemes  bestimmt  werden  und  die  daher  die  Stimmung  des  dasselbe 

^  Der  mir  vorliegende  Versuch  einer  Übersetzung  von  Fr.  Herzog  in  Wien 
blieb  —  wohl  in  Folge  der  unzureichenden  Kenntniß  der  musikalisch-technischen 
Ausdrücke  —  in  der  beabsichtigten^  kaum  angefangenen  Drucklegung  stecken. 

2  Auch  in  Deutschland  und  Osterreich  wird  in  physikalischen  Schriften  zu- 
meist mit  Doppelschwingungen  gerechnet. 


On  the  history  of  musical  pitch  yon  A.  J.  Ellis.      '  J23 


hervorbringenden  Instrumentes  giebt.  EUis  schließt  sich  der  allgemeinen  Sitte  an, 
das  eingestrichene  A  {ui)  als  Nonnalton  anzusehen,  obwohl  Klaviere  und  Orgeln 
h&ufig  nach  dem  zweigestrichenen  C  (ci)  gestimmt  werden. 

Um  eine  vollkommene  Harmonie  zu  erzielen,  sollten  nun  die  Quinten  und 
großen  Terzen  keine  Schwebungen  oder  Unebenheiten  hervorbringen.  Aber  ohne 
viel  mehr  als  12  Töne  innerhalb  der  Oktav  könnte  diese  Wirkung  nicht  erzielt 
werden  und  gerade  12  Töne  sind  die  gebräuchlichste  Zahl  auf  den  gewöhnlichen 
Tasteninstrumenten.  In  Folge  dessen  wurden  mehrfache  Versuche  gemacht,  um 
eine  entsprechende  befriedigende  Stimmung  zu  erzielen.  Diese  Einfahrungen  nennt 
man  Temperaturen  (vom  italienischen  temper are  es  stimmen). 

In  der  Geschichte  der  musikalischen  Stimmung  muß  man  folgende  Stimmungs- 
systeme unterscheiden  und  als  gültig  anerkennen: 

1.  Die  natürliche  Intonation,  in  der  alle  Quinten  und  Terzen  rein  sind. 
Diese  kommt  nur  bei  unbegleitetem  Gesänge  vor  und  wird  von  Theoretikern  ge- 
braucht;   sie  stammt  von  dem  Astronomen  Ptolemaeus,  welcher  166  n.  Chr.  lebte. 

2.  Die  pythagoreische  Temperatur,  bei  welcher  nur  die  Quinten  der 
Rdhe  nach  m,  6,  /,  c,  g,  d,  a,  e,  h,  ße,  eis,  gis  rein  sind,  während  die  großen 
Terzen  esg^  bd,  /a,  ce,  gh,  dßs,  acte,  e  gis  um  ein  Komma  (Vso  der  Schwingungs- 
zahl)  zu  hoch  sind.    Diese  Temperatur  wird  beim  Stimmen  der  Geige  gebraucht. 

3.  Die  mitteltönige  Temperatur  (meantone  temperament) ^  in  der  alle  so- 
eben angeführten  großen  Terzen  rein,  aber  die  genannten  Quinten  ein  Yiertheil  eines 
Kommas  (Vszz  der  Schwinguugszahl)  zu  tief  sind.  Diese  Temperatur  wurde  früher 
bei  allen  Orgeln  angewendet.  Heute  noch  werden  die  Orgeln  in  Spanien  so  ge- 
stimmt. In  England  wurden  bis  1844  alle  Harpsichorde  und  Pianos  in  derselben 
gestimmt.  Bis  1854  war  sie  daselbst  die  allgemein  übliche  Orgelstimmung  und 
noch  jetzt  sind  einige  wenige  Orgeln  daselbst  so  gestimmt.  So  lange  der  Spieler 
nicht  mehr  als  2  Erniedrigungen  oder  3  Erhöhungen  anwendet,  entspricht  die 
Stinunung  den  Anforderungen.  Aber  sobald  ein  drittes  B  oder  ein  viertes  Kreuz 
gebraucht  vrird,  so  mußte  man  dieselben  mittelst  Substitution  spielen,  und  so  ent* 
standen  störende  Geräusche,  der  »Wolf«  genannt.  Diese  mitteltönige  Temperatur 
war  eben  nur  eine  der  vielen  ungleichschwebenden  Temperaturen  (sie  wurde  auch 
so  bezeichnet),  wie  sie  vor  und  auch  nach  1577,  dem  Jahre,  da  Salinas  die  mittel- 
tönige Temperatur  fixirte  und  perficirte,  gebräuchlich  waren  und  deren  es  sehr  viele 
und  mannigfaltig  abwechselnde  gab.  *  Im  Großen  und  Ganzen  waren  sie  aber  nur 
unbedeutende  Varianten  des  mitteltönigen  Stinmiungssystems.  Es  war  daher  eine 
Erlösung  aus  dem  Dilemma,  als  man  auf  die  folgende  Temperatur  kam. 

4.  Die  gleichschwebende  Temperatur  {equal  temperament) ,  in  der  alle 
Quinten  ohne  Ausnahme  um  Vii  eines  Kommas  (Vsss  ^^^  Schwingungszahl)  zu  tief 
und  alle  großen  Terzen  ohne  Ausnahme  um  7ii  eines  Kommas  (Vi26  der  Schwxng- 
ungszahl)  zu  hoch  sind.  Der  Intention  nach  wird  sie  jetzt  immer  und  überall  an- 
gewendet. Sie  soll  zuerst  von  Aristoxenos  vorgeschlagen  worden,  aber  bereits 
jahrhundertelang  früher  in  China  in  Gebrauch  gewesen  sein.'  Mersenne  giebt  als 
Erster  die  richtigen  Verhältnisse  derselben  an  (Harm,  univ:  lib  2.,  prop.  XI,  S.  132); 


1  So  war  z.  B.  das  alte  Klavichord  in  einer  halbmitteltönigen  Temperatur, 
bei  der  die  natürlichen  Töne  c  d  e  f  g  a  h  in  mitteltöniger  Stimmung,  während 
die  chromatischen  Zwischentöne  in  Intervallen  von  je  einem  halben  Mittelton  ein- 
geschoben waren.  Also  die  meisten  Tonarten  ähnelten  der  gleichschwebenden  Tem- 
peratur. 

2  Siehe  über  denselben  Gegenstand  das  Referat  von  Prof.  Stumpf  über  EUis' 
»The  musical  scales  of  tarious  nations^  in  dieser  Zeitschrift,  Bd.  U,  S.  511  ff. 


J24  *'  Kritiken  und  Referate. 


in  den  »Genres  de  la  Muetquetf  fügt  er  bei,  daß  »die  gleichschwebende  Temperatur 
die  gebräuchlichste  und  bequemete  sei  und  daß  alle  Praktiker  gestehen,  daß  die 
Theilung  der  Oktave  in  12  Halbtöne  die  annehmbarste  sei,  um  Instrumente  zu 
spielen«.  Mersenne  giebt  auch  die  mitteltönige  Temperatur  und  deducirt  alle  seine 
Systeme  von  den  Verhältnissen  der  natürlichen  Intonation,  wie  sie  Salinas  ausein- 
andersetzt Werckmeister  (»Orgelprobe«  2.  Ausg.  1698'  empfahl  gleichschwebende 
Temperatur  und  Schnitger  machte  16S8  den  Versuch,  sie  in  Norddeutschland  ein- 
zuführen. Obwohl  sie  von  J.  S.  Bach  und  E.  Bach  empfohlen  wurde,  konnte  sie 
sich  doch  lange  nicht  einleben ;  sie  wurde  immer  wieder  angefeindet,  so  Ton  Robert 
Smith  (»harmonies«  2.  Aug.  1759)  und  Dom  Bedos  1766.  Man  kann  sagen,  daß 
erst  seit  etwas  mehr  als  einem  halben  Jahrhundert  die  gleichschwebende  Tempe- 
ratur allgemein  eingeführt,  die  alleinherrschende  ist.^ 

Ellis  giebt  einige  Methoden  an  zur  Umrechnung  der  Schwingungszahlen  von 
^  zu  C  in  den  verschiedenen  Temperaturen  oder  umgekehrt.  Auch  für  die 
anderen  Töne  irgend  eines  Temperatursystemes  giebt  er  die  Art  an,  wie  bei  der 
Berechnung  vorgegangen  werden  kann.  Um  z.  B.  C  nach  A  zu  berechnen :  in  natür- 
licher Intonation,  vermehrt  man  die  V  von  A  um  Vs»  so  giebt  A  440  vermehrt  um 
88  das  Natürliche  C  [NC]  528.  In  mitteltöniger  Temperatur  (mit  »Jf«  bezeichnet) 
muß  man  zuerst  das  NC  suchen,  dann  subtrahire  man  3  auf  1000  und  1  auf  10,000 
bis  auf  zwei  Decimalstellen  und  halte  schließlich  eine  zurück.  So  findet  man  von 
^440  NC  528  und  subtrahire  1-58  oder  3  auf  1000  und  auch  0-05  d.  L  1  auf  10,000, 
im  Ganzen  also  1-63,  woraus  sich  ergiebt  526-37,  daher  MC  562*4.  ^  41S  giebt 
so  umgerechnet  M  C  500.  In  gleichschwebender  Temperatur  finde  man  zuerst  NC 
und  dann  subtrahire  man  1  auf  111.  Für  A  440  ergiebt  sich  NC  528,  welches 
durch  111  getheilt,  4*76  giebt.  Dieses  abgezogen  ergiebt  523-24,  daher  das 
gleichschwebende  JE  (Ol  E)  523-3  ist. 

Umgekehrt  um  A  von  C  zu.  finden: 

In  natürlicher  Intonation  subtrahire  man  Ve  ^on  C  528,  ist  88,  dieses  subtra- 
hirt  giebt  NA  440.  In  mitteltöniger  Temperatur  suche  man  zuerst  NA  und  ver- 
mehre das  Resultat  um  3  auf  1000  und  1  auf  10,000,  so  i/e  von  C  528  ist  87-73, 
das  subtrahirt  giebt  438  •  67  und  dazu  addirt  1-31  oder  auf  1000,  und  0  •  4  oder 
1  auf  10,000  giebt  440-02,  daher  das  Jtf  C440.  In  gleichschwebender  Temperatur 
suche  man  wieder  NA  und  addire  hierzu  1  auf  110.     So  von  C  523«  24  ist  NA 


i  EUis  gab  in  seiner  Übersetzung  von  Helmholtz'  »Tonempfindungen «  1 .  Aus- 
gabe. S.  785,  2.  Ausgabe  1885.  S.  489  eine  Regel  an,  wie  man  genau  gleichschwebend 
stimmen  kann,  und  führte  sie  zu  praktischer  Verwerthung  in  »Musical  Times«  1879, 
1.  Oktober  S.  520  xmd  521  aus.  In  Kürze  zusammengefaßt  lautet  sie:  Man  stimme 
die  Grundtöne  der  eingestrichenen  Oktave  einer  Orgel  oder  eines  Harmoniums  in 
folgender  Ordnung :  c  g  d  a  e  h  ßa  eis  gie  dis  aia  eis.  Die  Quinten  mache  man  zu 
eng  und  die  Quarten  zu  weit,  so  daß  die  aufwärts  gestimmten  Quinten  cg,  da,  eA, 
eis  gis,  dis  ais  zweimal  und  die  abwärts  gestimmten  Quarten  gd,  ae,  h  ßs,  ßs  eis, 
gis  dis,  ais  eis  dreimal  in  zwei  Sekunden  schweben.  Die  Quarte  ef  wird  gar  nicht 
gestimmt  Die  Tonhöhe  sei  welche  immer.  Die  Schwebungen  dauern  kaum  lang 
genug,  um  sich  am  Klavier  zur  Geltung  zu  bringen,  weshalb  es  Ellis  nach  einem 
Harmonium  gestimmt  wissen  wollte.  Ellis  scheint  nur  vergessen  zu  haben,  daß 
nicht  immer  jeder  Stimmer  ein  Harmonium  zur  Hand  hat.  In  England  werden 
Klaviere  nach  der  Oktave  von  /  zu  f^  gestimmt,  innerhalb  welcher  die  Schwebungen 
nach  einer  in  der  2.  Ausgabe  der  Ellis'schen  Übersetzung  von  Helmholtz'  »Ton- 
empfindungen«  S.  4S9  aufgestellten  Tabelle  gezählt  werden  können.  EUis  hat  also 
selbst  die  Unzulänglichkeit  seines  Rathes  eingesehen. 


On  the  history  of  musioal  pitch  von  A.  J.  Ellis. 


125 


436*03  und  den  110.  Theil  oder  3*97  hinsu  addirt,  giebt  Gl  A  400.  Eine  Skala 
in  natürlicher  Intonation  kann  berechnet  werden,  indem  man  für  die  großen  Ganz- 
töne  0  df  fg,  a  h  je  den  achten  Theil  hinEuzfthlt,  für  die  kleinen  Oanztöne  de^  ga 
je  den  neunten  Theil  und  für  die  diatonischen  Halbtöne  e/,  he  }^  Vi 5. 

Eine  pythagoreische  Skala  kann  berechnet  werden  aus  einer  Reihe  auf- 
steigender Quinten,  indem  man  für  jede  Quinte  die  Hälfte  hinzufügt  und  dort  wo 
es  nothwendig  ist,  in  der  Oktave  zu  bleiben,  durch  2  dividirt;  oder  auch  aus  einer 
Reihe  absteigender  Quinten,  indem  man  für  jede  Quinte  einen  Drittheil  subtrahirt 
und  dort,  wo  man  für  die  Oktave  zurückrechnen  muß,  das  Resultat  verdoppelt.  Man 
kann  auf  einer  beliebigen  Stufe  anfangen,  gehe  aufwärts  bis  G%8  und  abwärts  bis  Es* 

Eine  mitteltönige  Skala  kann  gebildet  werden,  indem  man  wie  bei  der  pytha- 
goreischen Skala  die  reinen  Qinten  nimmt  und  um  31  auf  10,000  jede  aufsteigende 
Quinte  vermindert,  und  jede  absteigende  vermehrt.  So  findet  man  die  reine  Quinte 
von  C256,  indem  man  die  Hälfte  hinzuzählt,  also  128  und  das  giebt  N  GZ%A, 
Nimmt  man  3  auf  1000,  1  auf  10,000,  so  hat  man  1*19,  das  subtrahirt  giebt 
M  G  362  •  81 ;  und  die  reine  untere  Quart  von  C  256  findet  man,  indem  man  Va 
abzieht  oder  85  •  33,  das  giebt  NF  170  •  67,  verdoppelt  341  •  34.  Hierauf  ninmit  man 
3  auf  1000  und  1  auf  10,000,  giebt  106;  dies  ,addirt  giebt  MF  342-40.  Man 
kann  beginnen  wo  immer  und  gehe  aufwärts  zu  Gü  und  abwärts  zu  Es,  berechne 
swei  Decimalstellen  und  behalte  eine. 

Eine  Skala  in  gleichschwebender  Temperatur  kann  gebildet  werden,  indem 
man  zuerst  eine  Reihe  gleichschwebender  Oanztöne  berechnet  vermittelst  fortwähren- 
der Addirung  von  12 Vi  Procent,  Beweis  dessen,  daß  der  sechste  so  gefundene  Ton 
selten  mehr  ist  als  der  doppelte  erste.  Dann  werden  die  Halbtöne  berechnet,  in- 
dem man  6  Procent  zu  jedem  Ton  hinzuzählt  und  dann  1  auf  2000  subtrahirt.  Das 
Resultat  dürfte  nirgends  um  Vio  einer  Schwingung  unrichtig  sein. 

Daß  alle  hier  angegebenen  Berechnungen  nur  Approximativgrößen  ergeben, 
ist  klar;  sie  sind  aber  durchaus  entsprechend.  Für  Solche,  die  mit  Logarithmen 
umgehen  können,  dürfte  die  folgende  Berechnung  noch  entsprechender  sein: 

Tabelle  dex  Logarithmen  temperirter  Töne. 


Ton 

1 

N&tftrlicli          M] 

itt«ltdnig 

Gleich-          «  . 
schwebend       ^^ 

hagoreiscb 

c 

0- 

•0 

•0 

•0 

eis 

— 

01908 

•02509 

02852 

D 

•05115 

04846 

•05017 

05115 

Es 

■^■^^                                * 

07783 

•07626 

■07379 

E 

•09691 

09691 

•10034 

10231 

F 

•12494 

■12629 

•12543 

•12494 

Fü 1 

1 

14537 

•15051 

15346 

G 1 

•17609 

17474 

•17560 

■17609 

Gis 

t         — - 

19382 

•  20069 

20461 

A 

•22185 

22320 

•22577 

22724 

B 

.— 

' 25258 

•26086 

-24988 

H 

•  27300 

•27165 

•  27594 

27840 

C-Oktav 

•30103 

•30103 

•30103 

1 

30103 

Den  anbei  angegebenen  Logarithmen  füge  man  den  Logarithmus  der  Fvon  C 
hei  und  das  Resultat  ergiebt  die  Logarithmen  aller  korrespondirenden  Töne.  Wenn 
die  V  von  ii^end  einem  Ton  gegeben  ist,  etwa  von  E,  so  subtrahire  man  den  diesem 
Ton  in  der  Tabelle  gegenüberstehenden  Logarithmus  vom  Logarithmus  der  V  des 


j  2ß  Kritiken  und  Referate. 


gegebenen  Tones.  Das  Resultat  ist  der  Logarithmus  der  korrespondirenden  Vtoü 
C,  nach  welchem  man  so  vorgeht  wie  Toiher.  Man  suche  den  Logarithmen  ent- 
sprechende Zahlen  bis  zu  einer  Decimalstelle. 

Vermittelst  einer  einfachen  Regeldetri  kann  man  auch  C  von  A  und  umge- 
kehrt berechnen.  In  gleichschwebender  Temperatur  korrespondirt  ^444,  C  528  und 
umgekehrt  In  mitteltöniger  Temperatur  korrespondirt  -4  418  C500  und  umge- 
kehrt, daher  korrespondiren  für  eine  vollkommene  kleine  Terz  zwischen  A  und  C, 
A  440  und  C  528  und  umgekehrt. 

Wie  früher  im  Anhang  zu  der  Übersetzung  des  Helmholtz'schen  Werkes  und 
später  in  seiner  Untersuchung  über  die  Skalen  verschiedener  Völker,  so  wendet  EUis 
auch  hier  zur  Messung  relativer  Tonhöhen  gleichschwebende  Halbtöne,  in  Hundert- 
stel leenU)  getheilt,  an.^  Zu  jeder  Schwingungszahl  setzt  Ellis  ihre  Verhältniß- 
zahl  zu  A  370  bei,  ein  A,  welches  er  als  Nullpunkt,  als  ideell  tiefstes  A  [a^]  an- 
sieht. So  bedeutet  A  455  «3,  jS  3  •  59,  daß  dieses  A  um  3  •  59  gleichschwebende 
Halbtöne  höher  b\b  A^IO  ist.  Dies  gewährt  eine  leichte  Differenzberechnung  aller 
angegebenen  Schwingungszahlen.  So  wird  z.  B.  der  Unterschied  der  Erard'schen 
Konzertstimmung  A  455  -3,  jS  3  •  59  und  der  HändeVschen  Konzertstimmung  A  422«  5, 
Ä  2  .  30  gefunden,  Sl'29  also  1  und  »/loo  Halbton.  2 


^  S.  die  Charakterisirung  dieses  Verfahrens  in  Stumpfs  Kritik,  Vierteljahrs- 
schrift n,  512,  Anmerkung  1. 

3  Um  die  Hundertstel  in  irgend  einem  Intervall  zu  berechnen,  giebt  Ellis  Te^ 
schiedene  Verfahren  an.  1)  Für  kleinere  Intervalle  als  ein  gleichschwebender  Halb- 
ton, d.  i.  also  wenn  die  größere  V  nicht  mehr  als  6  Procent  größer  ist  als  die 
kleinere  F;  da  dividire  man  die  1 00  malige  Differenz  der  V  durch  6  Procent  (tbi- 
mindert  um  1  per  2000)  von  der  kleinen  V  bis  zu  der  nächsten  ganzen  Zahl.  So, 
um  den  Zwischenraum  zwischen  ^422*5  und  ^  440  zu  finden:  die  100 malige 
Differenz  ist  1750,  6  Procent  von  422  •  5  ist  25  •  3  und  dieses  weniger  0  •  2  (oder 
1  per  2000  in  422  •  5}  ist  25  - 1 ;  dann  1750  durch  25  •  1  dividirt,  giebt  70  Hundertstel. 

2)  Wenn  das  Intervall  größer  ist,  als  ein  gleichschwebender  Halbton,  kann 
man  fortgesetzt  gleichschwebende  Töne  und  Halbtöne  bilden  oberhalb  des  tiefsten, 
indem  man  I21/4  Procent  für  einen  Ton  und  6  Procent  (weniger  1  per  2000)  für 
einen  Halbton  hinzufügt,  bis  man  eine  V  erhält,  die  kleiner  ist  als  ein  gleich- 
schwebender Halbton  der  größeren  Zahl.  Dann  ergeben  sich  die  Hundertstel  in 
diesem  kleineren  Zwischenraum  nach  der  letzten  Regel  und  man  addire  100  für 
jeden  gleichschwebenden  Halbton,  der  der  tieferen  V  hinzugefügt  ist.  So,  für 
A  422  •  5  und  ^  455  •  3  bildet  man  einen  gleichschwebenden  Halbton  über  422  •  5, 
indem  man  25  •  1  zuzählt  (oder  6  Procent  giebt  25  •  3,  weniger  1  per  20U0  d.  i.  0*2) 
giebt  447  •  6.  Dann  findet  man,  im  Intervall  F447  •  6  zu  F455  •  3  die  Hundertstel 
wie  im  letzten  Fall  29,  und  man  hat  für  den  ganzen  Zwischenraum  129  Cents. 

3)  Für  Intervalle,  kleiner  als  eine  natürliche  große  Terz  —  d.  i.  wenn  die 
8  malige  größere  V  nicht  größer  ist  als  die  10  malige  kleinere  V —  multiplicire 
man  3477  mit  der  Differenz  der  beiden  V  und  dividire  dies  durch  deren  Summe. 
Wenn  der  Quotient  zwischen  150  und  300  liegt,  subtrahire  man  1  vom  Quotienten. 
Das  Resultat  ist  genau.  So  beim  letzten  Beispiel,  3477  multiplicirt  mit  der  Diffe- 
renz 32  •  8  giebt  114045  «6  und  dies  dividirt  durch  die  Summe  877  •  8  giebt 
129  Cents,  wie  oben.  Es  ist  klar,  daß  dies  Verfahren  bei  jedem  beliebigen  Inter- 
vall angewendet  werden  kann,  indem  man  es  kontinuirlich  um  eine  natürliche  große 
Terz  reducirt,  bis  es  kleiner  ist  als  eine  große  Terz.  Das  geschieht  so,  indem  man 
kontinuirlich  die  10  mal  kleinere  F  von  der  8  mal  größeren  Fabzieht  und  3S6I/3 
Hundertstel  zu   dem  Resultate  hinzuzählt  für  jede  solche  Reduktion.    Wenn  das 


On  the  history  of  musioal  piich  von  A.  J.  Ellis.  |27 


In  Anlehnung  an  die  Beseichnungen  der  Oigelmacher  bedient  sieh  Ellis  der 
Längenübertragungen  auf  die  Töne  der  einzelnen  Oktayen.  Es  ist  dies  eine  rein 
konventionelle  Bezeichnung,  denn  diese  Namen  seigen  weder  die  genaue  Länge 
der  Pfeifen  noch  die  exakte  Höhe  der  Töne  an;  yielleicht  hätte  Ellis  besser 
gethan,  anstatt  derselben  die  musikallBch  geläufigere  Bezeichnung  der  Kontra-, 
großen,  kleinen,  ein-  u.  s.  w.  gestrichenen  Oktaven  anzuwenden.  Das  32  Fuß 
C  (Sttb  Kontra  C],  16  Fufi  C  (Kontra  C),  S  C  (große),  4  C  (kleine),  2  C  (einge- 
strichene), 1  C  (zweigestrichene),  Vs  ^  (dreigestrichene),  Vi  ^  (viergestriehene)  u.s.w. 
köftnten  wohl  am  passendsten  allgemein  so  bezeichnet  werden:  d  C\  C  e  ci  c^ 
^3  ^i  etc. 

Das  menschlische  TonhöhengedächtniB  ist  im  Allgemeinen  schwach  und  mit 
wenigen  Ausnahmen  sehr  kurz.  Schon  beim  Herabsteigen  um  eine  Oktaye  fallen 
die  meisten  Sänger  in  der  Stimmung.  Daher  war  es  von  altershex  nothwendig, 
Mittel  zur  Fizirung  der  Tonhöhen  zu  haben.  Die  ältesten  Erfindungen  solcher 
Art  und  die  metallische,  cylindrische,  offene  weiche  Orgelpfeife  und  die  gedackte 
Stunmpfeife.  ^  In  späteren  Zeiten  wurden  die  Stimmgabel  und  durchschlagende 
Metallzungen  gebraucht.  Im  Orchester  dient  häufig  die  Oboe,  eine  Bohrpfeife, 
diesem  Zwecke. 

Die  Stimmgabel  wurde  von  (John  Shore,  königlich  englischem  Trompeter, 
nil  erfunden. 2  Anfangs  sehr  roh  gearbeitet,  TenroUkommnete  sie  sich  aUmählioh 
und  ist  wohl  das  yerläßlichste  Stimmungsinstrument.  AUe  Instrumente,  also  auch 
die  Stimmgabel,  yariiren  in  der  Stimmung  mit  der  Lufttemperatur. 

Die  Stimmpfeife  wechselt  beiläufig  um  eine  Schwingung  zu  Je  1000  Vibratio- 
nen bei  je  einem  Grad  Fahrenheit,  steigt  bei  Hitze  und  fällt  bei  Kälte.  Das  ist 
schon  ein  sehr  bedeutender  Wechsel  (der  Unterschied  der  Stimmung  im  Winter  und 
Sommer  beträgt  gewöhnlich  einen  Halbton);  und  es  müssen  daher  alle  Orgel- 
stimmungen reducirt  werdeff  auf  eine  Normaltemperatur,  für  die  Ellis  59^  F  =. 
\lfi  C  ess  12**  22  festsetzte.^    Die  Stimmgabeln  altemiren  nur  um  1  Schwingung  zu 


Interall  eine  Oktay  Überschreitet,  diyidire  man  die  größere  V  kontinuirlich  durch 
2,  bis  sie  kleiner  ist  als  die  doppelte  kleine  Fund  dann  gehe  man  so  yor  wie  oben 
und  zähle  für  jede  Diyision  durch  2  zum  Resultat  1200  hinzu. 

4)  Die  weitaus  entsprechendste  Methode  der  Berechnung  ist  die  logarithmische. 
Man  multiplieire  die  Differenz  der  Logarithmen  der  beiden  Fmit  4000  (dies  wird 
genügend  sein,  bei  InterraUen  kleiner  als  ein*  Halbton),  korrigire  indem  man  1 
auf  300  und  1  auf  1000  yom  früheren  Produkt  subtrahirt.  Das  Resultat  wird  korrekt 
sein  bis  auf  Vio  eines  Cents.  So  ist  log  455  •  3  b=  2  •  65830,  log  422  •  5  »  2  •  62583, 
Differenz  ==  .03247,  was  mit  4000  multiplicirt,  129-88  giebt.  Man  subtrahire  1  auf 
300  oder  43  und  1  auf  10000  oder  0  •  1  (Summa  044)  und  das  Resultat  ist  129  •  44 
Cents  oder  annäherungsweise  129.  Wenn  yiele  Fälle  zu  berechnen  sind,  so  ist  es 
gerathen,  eine  kleine  Tabelle  der  Vielfachen  yon  39-86314  zu  bilden  und  auf  diese 
Art  den  Unterschied  der  Logarithmen  mit  dieser  Zahl  zu  multipliciren.  Ellis 
wendet  diese  Methode  an;  auf  S.  450  der  2.  Ausgabe  seiner  Obersetzung  yon  Helm- 
holtz'  »Tonempfindungen«  giebt  er  eine  andere  Tabelle. 

^  Yon  Manchen  wird  behauptet,  daß  diese  Rolle  bei  dem  altjüdischen  Gottes- 
dienste den  Saiteninstrumenten  und  bei  dem  antiken  Sänger  der  klassischen  Zeit 
der  Flöte  zufiel. 

'  Shore.  war  1714  Sergeanttrompeter  beim  Einzug  Georgs  I.  und  1715  Lauten- 
spieler in  der  königl.  Kapelle,  starb  1753. 

*  Wenn  die  V  einer  Orgelpfeife  bei  irgend  einer  Temperatur  bekannt  ist,  kann 
die  V  irgend  einer  anderen  Temperatur  mit  entsprechender  Genauigkeit  gefunden 


]28  Kritiken  und  Referate. 


je  21,000  bei  je  einem  Grad  Fahrenheit,  fallen  bei  steigender  Wänne  und  steigen 
bei  fallender  Temperatur  (also  gerade  umgekehrt  wie  die  Stimmpfeifen).  Dieser 
minutiöse  Wechsel  kann  gewöhnlich  außer  Acht  gelassen  werden.  ^  Rathsam  er- 
scheint es  immerhin,  auch  die  Stimmgabeln  auf  ein  und  dieselbe  Normaltempera- 
tur  SU  reduciren.  Die  Stimmgabel  wird,  wenn  sorgf&ltig  aufbewahrt,  eine  Ansahl 
Jahre  ihre  ursprangliche  Tonhöhe  behalten,  da  sich  durch  eine  genaue  Prafung  er- 
geben hat,  daß  etliche  Gabeln  nicht  um  i/to  einer  Schwingung  von  1^7  bis  1880 
gewechselt  haben.  Die  Schwierigkeiten,  swei  Gabeln  mathematisch  genau  auf  eine 
Tonhöhe  zu  bringen,  sind  sehr  groß;  man  findet  daher  selten  vollkommen  über- 
einstimmende Gabeln.  Zwei  Ursachen  bleibenden  Xachtheiles  sind  das  Winden 
oder  Drehen  der  Zinken  und  das  Rosten.  Um  sie  gegen  Rost  zu  schützen,  muß 
man  sich  auch  hüten,  mit  den  Fingern  über  die  Zinken  zu  streichen,  wie  Musiker 
gewöhnlich  thun;  man  spreche  nicht  über  die  Gabeln  hinweg,  schütze  sie  Tor 
Feuchtigkeit  (die  großen  Gabeln  auf  Resonanzböden  in  Gemslederüberzügen,  die 
Kleineren  in  Futteralen)  und  öle  sie  bei  Gelegenheit  mit  einer  dünnen  Schicht  Ton 
Büchsenschloßöl.  Wenn  sich  Rost  bildet,  wende  man  nicht  Sandpapier  an,  sondern 
verhindere  nur  mittelst  Bestreichens  von  Öl  die  weitere  Ausbreitung  des  Rostes. 
Ellis  hat  mehrere  Versuche  mit  Anrostung  von  Gabeln  gemacht.  Die  Ergebnisse 
waren,  daß  wenig  Rost  unmerklich  ist  und  daß  starker  Rost  die  Herabstimmung 
um  nicht  mehr  als  4  Schwingungen  bei  1000  bewirke.  Am  Ende  der  Zinken  ist 
der  Rost  weniger  nachtheilig  für  die  Stimmung  als  am  StieL 

Bei  den  Orgelpfeifen  ist  noch  zu  bemerken,  daß  neben  der  Temperatur  noch 
andere  Umstände  von  Einfluß  und  Bedeutung  für  die  Stimmung  sind.  Vorerst  die 
Lange  der  Pfeife,  gemessen  von  dem  Punkte,  wo  sie  angelötet  ist  bis  zu  dem 
offenen  Ende;  femer  der  innere  Durohmesser  der  Pfeife.  EUis  giebt  die  Beredi- 
nung  der  von  Cavaill6-Coll  {Con^tes  retidus,  1860,  S.  176)  aufgestellten  Regel  in 
englischen  Zollen :  die  V  der  Pfeife  annähernd  20080  genommen,  dividirt  durch 
die  Summe  der  dreifachen  Länge  und  des  fünffachen  Durchmessers,  so  bekommt 
man  in  der  Zweifaßoktav  beim  Resultat  selten  den  Fehler  eines  Kommas  (Vso)- 
Wenn  man  die  V  einer  ähnlichen  Pfeife  findet  und  sie  mit  der  Summe  det  drei- 
fachen Länge  und  des  fünffachen  Durchmessers  (in  Zoll  ausgedrückt)  multiplicirt 
und  dieses  Produkt  anstatt  20080  gebraucht,  so  ergiebt  sich  die  Stimmung  einer 


werden,  indem  man  die  erstere  V  um  4  Procent  vermehrt,  durch  1000  dividirt  bis  auf 
2  Decimalstellen,  das  Resultat  mit  der  Anzahl  von  Graden  (Fahrenheit),  um  welche 
die  beobachtete  Temperatur  von  der  verlangten  differenxirt,  multiplicirt  und  endlieh 
addirt  oder  subtrahirt,  je  nachdem  man  sie  zu  einer  höheren  oder  geringeren  Tem~ 
peratur  führen  will.  Was  giebt  z.  B.  A  528  bei  59<*  F  bei  73"*  F?  Zu  528  hinzu- 
gezählt 4  Procent  oder  21-12  giebt  549  •  12,  durch  1000  bis  auf  2  Deeimalen 
dividirt,  giebt  0  •  55,  multiplicirt  mit  14  (der  Differenz  von  73"*  und  59^)  giebt  7-70 
und  da  die  verlangte  Temperatur  höher  ist,  muß  man  diese  Zahl  zu  528  addiren, 
was  A  535  •  7  bei  73®  F  ergiebt.  Da  der  Wind  oft  eine  niedrigere  Temperatur 
hat,  als  die  Luft  um  die  Orgel  herum,  und  da  die  Expansion  der  Luft  die  Tem- 
peratur bewirkt,  so  ist  diese  Berechnung  nicht  immer  vollkommen  genau,  aber  Ellis 
fand  sie  entsprechend  fOr  den  vorliegenden  Zweck.  Ellis  räth,  eine  Orgelpfeife, 
sobald  man  sie  berührt  oder  mit  dem  Athem  des  Mtmdes  angeblasen  hat,  eine 
Zeitlang  auskühlen  zu  lassen,  bevor  man  deren  Tonhöhe  bestimmt. 

1  Will  man  genaue  Experimente  machen,  dann  ist  es  rathsam,  die  Stimm- 
gabel nicht  mit  der  bloßen  Hand  zu  berühren,  sondern  Papier  oder  Holz  da- 
zwischen zu  nehmen ;  sie  in  der  Tasche  zu  tragen  oder  häufig  anzuschlagen  beein- 
flußt auch  die  Stimmung. 


On  the  history  of  musical  pitch  von  A.  J.  Ellis.  |29 


anderen  Pfeife  derselben  Art,  die  aber  um  Weniges  in  L&nge  und  Durchmesser  sich 
unterscheidet,  indem  man  dieses  Produkt  durch  die  Summe  der  dreimaligen  neuen 
L&nge  und  des  fünffachen  neuen  Durchmessers,  beides  in  Zollen,  dividirt.  ^ 

Endlieh  muß  auch  die  Stärke  des  gebrauchten  Windes  in  Betracht  gezogen 
werden.  Die  besprochene  Regel  setzt  Toraus,  daß  der  Druck  stark  genug  sei,  um 
eine  ungef&hr  37«  Zoll  hohe  Wassersäule  tragen  zu  können.  Nach  Experimenten 
Yon  CavaÜ16-Coll  wächst  die  V  ungefähr  um  1  in  300 ,  wenn  der  Druck  varürt 
iwischen  2^/4  und  31/4  Zoll,  aber  bei  Schwankungen  zwischen  31/4  und  4  Zoll 
wächst  die  V  nur  um  beiläufig  1  in  440.  Die  ganze  Zunahme  des  Druckes  von 
2^/4  zu  4  Zoll  vermehrt  die  V  um  ungefähr  1  in  180.  Daher  kann  die  Tonhöhe 
Ton  A  in  Folge  dieses  Umstandes  allein  schon  variiren  von   Fl  zu  F2V2« 

Auch  die  Windmasse,  welche  durch  die  Qröße  der  Windspalte  und  die  Öff- 
nung am  Fuß  regulirt  wird,  ist  eine  Quelle  von  Schwankungen  in  der  Schwingungs- 
anzdlil.  Die  Form,  besonders  aber  die  Beschattung  [tiKading)  des  MundstQckes, 
also  das  äußerste  Ende  der  Bohre,  haben  großen  Einfluß  auf  die  Stimmung.  Daher 
wird  eine  Pfeife,  die  von  der  Orgel,  wo  sie  von  den  anliegenden  Pfeifen  über- 
schattet war,  we^enommen  wird,  oft  höher  sein.  Auch  das  Reinigen  der  Orgel 
erhöht  die  Stimmung  derselben.  Auch  nur  das  Hin-  und  Zurückstellen  einer  Pfeife 
verändert  oft  die  Stimmung;  drückt  man  die  Ränder  des  offenen  Endes  ein,  wird 
lie  ein  wenig  tiefer,  drückt  man  sie  nach  außen,  ein  wenig  höher,  wie  man  es 
beim  »Stimmkegel«  [iuning  emi^  thut.  Bedeutende  Veränderungen  der  Pfeife 
bringen  es  also  mit  sich,  daß  sie  verkürzt  oder  verlängert  werden  muß.  Man  kann 
lagen,  daß  jede  Orgel  in  ihren  verschiedenen  Theilen  verschiedene  Stimmungen 
hat  Historische  Orgelstimmungen  festzustellen  ist  daher  mit  großen  Schwierig- 
keiten verbunden;  aber  der  äußerste  Irrthum  wird  selten  1  Procent  übersteigen. 
Ellis  wählte  zur  Bestimmung  immer  a\  oder  c^  des  offenen  metallenen  Principals, 
womöglich  auf  der  großen  OrgeL 

Noch  sind  zwei  Instrumente  zu  erwähnen,  die  ebenfalls  zur  Bestimmung  der 
Tonhöhen  gedient  haben.  Ellis  standen  zwei  sehr  seltene,  100  und  150  Jahr  alte 
Stimmpfeifen  zur  Verfügung.  Diese  unterliegen  allen  Irrthümem  an  Orgelpfeifen 
und  da  sie  zudem  noch  mit  dem  warmen  Athem  unter  sehr  verschiedenem  Druck 
angeblasen  werden,  sind  sie  nicht  ganz  zuverlässig.  Der  Umstand  aber,  daß  man 
sie  leicht  mit  sich  tragen  kann,  und  sie  durch  Ein-  und  Ausschieben  eines  Ver- 
satzstüokes  (pü^on)  ein  oder  zwei  Oktaven  gaben,  machte  sie  früher  Sängern,  welche 
sonst  kein  Instrument  zur  Begleitung  hatten,  fast  unentbehrlich.  Die  von  Flöten, 
Klarinetten  und  Oboen  hergeleitete  Stimmung  ist  ebenso  unverläßlich.  Auch  die 
in  kleine  Gylinder  gestellten  durchschlagenden  Metallzungen  leiden  an  derselben 


1  Diese  Regel,  die  bei  anders  gearteten  als  ursprünglich  beabsichtigten 
Orgelpfeifen  angewendet  wird,  um  aus  der  Stimmung  der  vorliegenden  Pfeifen  die 
der  zu  berechnenden  zu  bestimmen,  fordert  für  verschlossene  und  viereckige  Pfeifen 
eine  kleine  Abänderung.  In  viereckigen  Pfeifen  geht  die  Tiefe  vom  Munde  bis  zur 
Rückwand,  nach  dem  inneren  Maße.  Die  vollständige  Regel  ist:  Winddruck  unge- 
fähr 374  Zoll  oder  8  Centimeter.  Man  dividire  20080,  wenn  die  Maße  in  Zoll,  und 
510000,  wenn  dieselben  in  Millimetern,  durch  1)  die  dreifache  Lfinge  addirt  zu 
dem  fünffachen  Durchmesser  für  cylindrisch  offene  Pfeiffen,  2)  die  sechsmalige 
Länge  addirt  zum  zehnfachen  Durchmesser  für  cylindrisch  gedeckte  Pfeifen,  3)  die 
dreifache  Länge  addirt  zur  sechsfachen  Tiefe  in  viereckigen  offenen  Pfeifen,  4)  die 
sechsfache  Länge  addirt  zur  zwölf  fachen  Tiefe  für  viereckige  gedackte  Pfeifen. 

Diese  Regel  genügt,  um  Orgelpfeifen  in  annähernder  Länge  zu  schneiden  und 
zu  durchbohren. 

1888.  9 


]  30  Kritiken  und  Referate. 


Ungenauigkeit,  während  sie  für  den  Gebrauch  noch  bequemer  sind.  Die  Metall- 
zunge selbst  neigt  zu  Schwankungen  und  zudem  hängt  die  Tonhöhe  sehr  Ton  der 
Windstärke  ab. 

Vorausgesetzt  es  liege  eine  Anzahl  Stimmgabeln  vor,  welche  in  Einklan^^  ge- 
bracht sind  mit  den  verschiedenen  A's  all  der  zu  bestimmenden  Tonhöhen  von 
Orgeln  und  anderen  Instrumenten,  so  müssen,  da  das  Ohr  zur  genauen  Bestimxnang 
nicht  genügt,  Methoden  zur  genauen  Bestimmung  der  Tonhöhen  benutzt  werden. 
£s  ^ebt  ausgearbeitete  Erfindungen  zu  diesem  Zweck;  aber  nur  Eine  erschien 
EUis  leicht  anzuwenden:  es  ist  der  von  J.  H.  Scheibler  (1777 — 1837)  erfundene 
»Stimmgabel-Tonmesser«. ^  Die  mittelst  desselben  gewonnenen  Bestimmungen  dif- 
feriren  kaum  um  Vio  einer  Schwingung  von  den  mittelst  anderer  komplicirter  Ap- 
parate gefundenen.  Die  von  Mersenne  (1648)  benutzte  Saitenbestimmung  erweist 
-sich  als  unverläßlich.  Euler  und  Bemouilli  arbeiteten  das  Problem  mathematiseli 
•aus  und  es  wurde  wiederholt  angewendet,  so  von  Euler  selbst,  dann  von  Hob. 
Smith,  Marpurg,  Fischer  und  de  Prony,  verhältnißmäßig  am  erfolgreichsten  von  J. 
-H.  Oriesbach  (1860)*  und  besonders  von  Delezenne  von  Lille.*  Immer  aber  sind 
die  Schwierigkeiten  den  Einklang  festzustellen,  die  Längen  zu  messen,  das  Gedieht 
zu  finden  und  Einheitlichkeit  in  der  Saite  zu  erhalten  sowie  die  Verlegenheiten, 
die  durch  die  Dicke  der  Saite  entstehen,  noch  solche,  daß  man  diese  Methode 
besser  mit  einer  anderen  vertauscht. 

EUis  führt  noch  die  anderen  Methoden  an :  die  Sirene  des  Baron  Cagnard  de 
la  Tour  (verbessert  durch  einen  Zählapparat  Gavaill^-GoU's),  die  optische  Methode 
von  Prof.  Herbert  McLeod  und  Lieut.  Clarke,  *  die  elektrographische  Methode  -von 
Prof.  A.  Mayer, <^  sowie  diejenige  mittelst  musikalischer  Schwebungen;*  er  selbst 
wendete  sie  aber  nicht  an,  theils  wegen  Ungenauigkeit,  theils  wegen  Kostspieligkeit, 
^heils  wegen  allzugroßer  Schwierigkeit  der  Behandlung,   benutzte  aber  die  mittelst 


1  Joh.  H.  Scheibler  »Der  physikalische  und  musikalische  Tonmesser«  Essen, 
Bädeker  1834.  Die  von  König  in  »Untersuchungen  über  die  Schwingungen  einer 
Normalstimmgabel«  (Annalen  der  Physik  und  Chemie  1880,  Keue  Folge,  Bd.  9, 
S.  417)  Leipzig,  Wiedemann  verificirte  Methode  stimmt  im  Oesammtergebniß  mit 
Ellis  überein;  die  Abweichungen  erscheinen  für  den  vorliegenden  Zweck  un- 
wesentlich. 

2  Journal  of  (he  Society  of  ArU,  6.  April  1860,  S.  353. 

3  Delezenne  bewies  vorerst,  daß  nur  der  feinste  Draht,  welcher  die  Anspan- 
nung ertragen  konnte,  befriedigende  Resultate  geben  kann.  700  Millimeter  eines 
solchen  Drahtes  spannte  er.  auf  ein  Violoncellgerüst,  stimmte  es  zu  Marloy6's  Gabel 
F  128  und  Üieilte  dann  mittelst  eines  beweglichen  Steges  die  Länge  ab,  welche 

den  Einklang  mit  einer  gegebenen  Stimmgabel  gab.  Nachdem  er  diese  Länge  in 
Millimeter  gemessen,  diviuirte  er,  um  V  vm  finden,  128x700  =  89600  durch  diese 
Länge.  Für  Orgelpfeifen  stimmte  er  zuerst  eine  Gabel  mit  Schiebern  im  Einklang 
tnit  der  Pfeife  und  maß  dann  die  so  gestimmte  Gabel  mit  seinem  Tonmesser.  Für 
diejenigen,  die  Euler's  Formel  benützen,  schätzt  D.  den  Fehler  auf  ein  Komma 
oder  Fl  in  F80  oder  125  in  FlOOO,  indem  es  nur  an  der  Dicke  der  Saite  liegt, 
die  nothwendig  ist,  das  Ausdehnungsgewicht  zu  ertragen.  Bei  seinen  Messungen 
schätzt  er  den  Fehler  auf  3/,o  eines  Kommas  oder  F37  in   FlOOO. 

*  nProceedinga  of  the  Royal  Society«  für  Januar  1874  (Bd.  28,  S.  291). 

*  Vom  »Steven»  Institute« ,  Hoboken,  New- Jersey  (Amerika). 

*  Sauveur  1713,  Cavaill6-Coll  {Aasoeiation  Scientißque  de  France,  BulleHn 
heb.  Nr.  81,  16.  August  1868,  p.  126),  Sarti,  Henry  Willis  (Orgelbauer)  1865  be- 
dienten sich  ihrer  theilweise  mit  Erfolg. 


On  the  histoiy  of  musical  pitch  Yon  A.  J.  Ellis.  ]  3 1 


derselben  von  Anderen  festgestellten  Bestimmungen.  Am  verläßlichsten  sind  die 
optische  und  die  elektrographische  Methode ;  letztere  aber  nur  für  sehr  große  Gabeln 
anwendbar.  Der  zu  den  ersten  Versuchen  yon  £llis  rerwendete  Apparat  Ton  Ap- 
punn  in  Hanau  leigte  sich  in  der  Folge,  insbesondere  durch  den  Vergleich  mit 
Königs  Untersuchungen,  für  präcise  Bestimmungen  unzulftnglich. 

Ellis  Terschaflte  sich  Stimmgabeln,  wo  er  sie  erreichen  konnte,  im  Original  oder 
in  Kopie,  bestimmte  die  Tonhöhen  einer  großen  Anzahl  von  Orgeln  oder  ließ  sich 
nach  ihnen  Stimmgabeln  fixiren,  berechnete  nach  alten  Orgelpfeifen  den  Xormalton, 
konstruirte  Pfeifen,  deren  Dimensionen  in  älteren  Werken  angegeben  sind,  und 
benutste  die  von  anderen  Forschem  (Scheibler,  Naeke,  Delezenne,  Lissajous,  Ca- 
gnard  de  la  Tour,  R.  Smith,  Fischer,  Euler,  Marpurg)  festgestellten  historischen 
Maße,  die  er  zu  revidiren  und  korrigiren  bestrebt  war,  und  erhielt  so  über  320  Ton- 
höhen, der  Zeit  nach  von  1361  reichend  bis  auf  unsere  Tage. 

Es  ist  evident,  von  welcher  Bedeutung  die  Stimmung  für  den  Vortrag  eines 
Stückes  ist.  Die  Begrenzung  der  menschlichen  Stimme  fordert  vor  Allem  eine 
Rücksichtnahme  auf  die  Intonation  einer  Komposition.  Eine  ganze  Reihe  von 
Erscheinungen  zeigt  die  Nothwendigkeit  einer  annähernden  Bestimmung  der  Ton- 
höhen, in  denen  die  Meister  ihre  Kunstwerke  erdachten.  Sieht  man,  welche 
Differenzen  in  der  Geschiehte  der  musikalischen  Stimmung  auftreten,  wie  ver- 
schieden die  Intonation  nach  Ort  und  Zeit  war,  welche  Hülfsmittel  schon  die  Kom- 
ponisten des  16.  Jahrhimders  wegen  der  schwankenden  Stimmung  anwenden  mußten 
[80  die  ehiavi  trasportatt) ,  um  den  Sängern  die  Ausführung  zu  ermöglichen ,  so 
wird  man  leicht  die  Wichtigkeit  der  EUis'schen  Arbeit  ermessen  können. 

Um  die  Normalumfänge  der  einzelnen  menschlichen  Stimmgattungen  zu  er- 
mtttdb,  schlug  Ellis  folgendes  Verfahren  ein,  da  er  sich  mit  den  gewöhnlichen  An- 
gaben nach  Halbtönen  nicht  zufrieden  gab.  Er  nahm  vier  Gabeln  zu  V  507,  522  •  5, 
528  und  540  •  7,  die  als  Normal  C  der  Reihe  nach  entsprechen  den  A  422  •  5  (Hän- 
deis Stimmgabel),  435*4  (französische  Normalstimmung),  440  (Scheibler's)  und 
454  •  7  (gleichschwebendes  A  der  hohen  Londoner  philharmonischen  Stimmung 
1874).  Die  erste  und  letzte  differiren  um  einen  diatonischen  Halbton,  die  beiden 
mittleren  sind  b^^^l^ungsweise  um  etwas  weniger  als  einen  Viertelton  von  den 
äußeren  unterschieden. 

Den  Sängern  (von  7  verschiedenen  Chorvereinen,  im  Ganzen  542  Stimmen) 
gab  Ellis  gedruckte  Solmisations-Skalen  in  die  Hand,  4  aufsteigende  und  4  ab- 
steigende, ließ  nach  den  verschiedenen  Intonationen  dieselben  singen  und  vorerst 
die  leicht  erreichbare  und  dann  die  Überhaupt  erreichbare  Note  durch  Durch- 
streichen bezeichnen.  Diese  Procedur  wurde  sowohl  beim  Auf-  als  Absteigen  vor- 
genommen (Mittelstimmen  beim  Aufsteigen  vorerst  mit  Vermeidung  des  Falsetts 
und  dann  mit  Falsetts  Besonders  verläßlich  waren  die  Bestimmungen  in  dem 
Tonic  Sol-fa  Chorverein,  der,  weil  an  unbegleiteten  Gesang  gewöhnt,  besonders 
rein  die  Intervalle  sang.  Indem  aus  jeder  Druckvorlage  die  leicht  und  äußerst 
erreichbaren  Grenzen  gezogen  wurden,  die  sich  innerhalb  eines  Vierteltones  be- 
stimmen ließen,  ergab  sich  durch  Addition  der  Schwingungszahlen  und  Division 
der  Stimmanzahl  der  durchschnittliche  Umfang  jeder  Stimmgattung  in  Schwingungen 
ausgedruckt 

Die  zwei  Tafeln  geben  die  synoptische  Übersicht.  Die  erste  giebt  die  wich- 
tigeren leicht  erreichbaren  Töne  in  Höhe  und  Tiefe  einer  jeden  Stimmgattung. 
Die  mit  »Mittel«  bezeichnete  Kolonne  giebt  in  Name  und  Zahl  der  Schwingungen 
die  mittlere  Note,  die  von  den  Stimmen  der  ersteh  Kolonne  erreicht  wird.  Die 
mit  »Wirklich  a  [aetual]  überschriebene  Kolonne  giebt  die  effektiv  höchste  und 
tiefste  Note  aller  jener  gesungenen  Töne  an,    aus  denen  die  »mittlere«  berechnet 

9» 


132 


Kritiken  und  Referate. 


Mittlerer  und  wirklicher  Umfang  der  menschlichen  Stimme. 


Anzahl  der 
beobachteten  Stimmen 


Leicht  erreichbare  tiefe  Grenxe 


Wirkliebe 


149  Soprane    .    . 
91  Altstimmen  . 

107  Tenöre .  .  . 
125  Bässe    .    .    . 

145  Soprane    .    . 

83  Altstimmen. 

114  Tenöre.    .    . 

120  Bässe    .    .   . 

173  Soprane    .    . 

108  Altstimmen. 
114  Tenöre.  .  . 
140  Bässe    .   .   . 

173  Soprane  .  . 
105  Altstimmen. 
112  Tenöre .  .  . 
139  Bässe    .   . 


{ 

PD  *^**     76 

HA  , .     10O-6 

SC  ^" 


PA    , .     253-4 
Pe     °^"    135-2 
Ha    ,.     211-3 
Se     ^"    132 
163-3 


66 


Leicht  erreichbare  hohe  Grenze 


Mittlere 


Wirklielie 


hl  993-2 

^2  835-7 

C2  520*8 

ßsi  375-2 


1408 
704 

1216-4 
675-8 
608-2 
316-9 
540-7 
293-9 


Äußerste  tiefe  Grenze 


Mittlere 


I 


Wirkliche 


es  161-9 

d  1471 

E  84-7 

eis  71-6 


{ 


{ 


1.0 
Fe 

Sg 

SH 

(PH 

\SC 

PF 

PA, 


bis 
bis 
bis 
bis 


202-8 

130 

198 

123-8 

126-7 
66 
901 
56-3 


Äußerste  hohe  Grenze 


Mittlere 


Wirkliche 


eis  3  1124-4 
62  951-6 
d2  616-9 
bi       482-9 


i  ^O't  bi«   8" 
\Sg.    °"   396 

\Sei    °^   330 


On  the  history  of  musical  pitch  Ton  A.  J.  Ellis.  ]  33 


▼ar.  Hier  bezeichnen  die  Buchstaben  H  F'S  P  die  Tonhöhen  nach  den  Intona- 
tionen SU  Händersy  französischen,  Scheibler's  und  philharmonischen  Stimmung  — 
alle  in  natürlicher  Intonation. 

Die  zweite  Tabelle  giebt  die  äußersten  Grenzen  auf  die  gleiche  Weise;  diese 
sind  aber  nicht  von  solcher  Bedeutung  und  besonders  die  äußersten  hohen  Grenzen 
Ton  Baß  und  Tenor,  die  das  Falsett  einschließen,  sind  für  unsere  Kunst  mehr 
Kuriositäten;  nicht  aber  für  die  ältere  a-capella-Musik ,  in  der  das  Falsett  der 
Alti  naturali  ein  der  Bruststimme  gleichwerthiger  Faktor  war. 

Es  ist  selbstTerständlich,  daß  diese  Tabelle  nicht  für  künstlerische  Zwecke 
einen  Maßstab  bilden  kann.  Der  mittlere  Umfang  der  Stimmen  ist  gewöhnlich 
ein  kleinerer  und  die  äußersten  Grenzen  sind  natürlich  als  Ausnahmstöne  nicht 
SU  verwerthen.  Von  dem  gewöhnlichen  Chorumfange  bis  zu  dem  Solostimmumfang 
bleibt  immerhin  ein  weiter  Spielraum.  Bemerkenswerth  ist,  daß  der  Umfang  der 
meisten  Instrumente  bis  in  unser  Jahrhundert  hinein  sich  innerhalb  der  in  der 
Tabelle  angegebenen  äußersten  Singstimmgrenzen  gehalten  hat.  Ein  Vergleich  mit 
anderen  für  die  Praxis  bestimmten  Tabellen  ergiebt,  daß  eine  annähernde  Über- 
einstimmung besteht  nur  mit  den  Grenzen  der  höheren  »wirklichen«  Form  der 
Tiefe  und  der  tieferen  »wirklichen«  Form  der  Höhe,  so  in  Sopran  h  253*4  bis 
h  "704,  Alt  a  211  •  3  bis  e^  675  *  8,  Tenor  e  163-3  bis  ei  316  •  9,  Baß  ^  105  •  6  bis 
<^.  Aber  auch  dies  dürfte  nicht  als  Norm  für  den  Umfang  der  einzelnen  Stinun- 
gattongen  gelten;  die  Geschichte  der  Musik  zeigt  selbst  wesentlich  yerschiedene 
Anforderungen.  Im  Großen  und  Ganzen  erweiterte  sich  der  Umfang  aller  Stimmen. 
Einzelne  Stimmen,  wie  z.  B.  der  Alt,  mußten  aber  zu  GKinsten  der  hinaufgetriebe- 
nen Höhe  die  Tiefe  opfern ;  freilich  hat  man  es  in  alter  Zeit  nicht  mit  Frauenalt- 
stimmen zu  thun.  Zum  Vergleiche  stehe  noch  die  Tabelle  eines  der  größten  In- 
itrumentalkomponisten  unseres  Jahrhunderts  hier,  von  Hector  Berlioz,^  dessen  An- 
gaben Ellia  nach  einer  mittleren  modernen  Instrumentalstimmung  [A  446  •  2)  genau 
bestimmt:  ^^n  bis 

Erster  Sopran .    .    c   2653  .   .    .    .    Jj    945*4 

Zweiter  Sopran h   2506  .   .   .   .    g2    7950 

Kontra-Alt /  1771   .   .    .    .    e««  6310 

Erster  Tenor "c   1326  ....    bi    4727 

Zweiter  Tenor c   132*6  .    .    .   .    ^i    3975 

Baryton  oder  erster  Baß £  118'2  .   .    .   .  /i    354*2 

Baß F    88*6  .    .    .    .    e«i  315*5. 

In  zwei  Ordnungen  giebt  Ellis  das  Material;  die  erste  enthält  numerisch 
aneinandergereiht  von  der  niedrigsten  bis  zur  höchsten  Stimmung  zu  jeder  Zahl 
den  Stoff,  das  ganze  Ergebniß  seiner  Forschungen,  vom  »Nullpunkt«,  der  ideal 
niedrigsten  Stimmung  {A  370)  bis  zur  höchsten  {A  567-3).  Die  zweite  Tabelle 
giebt  das  Material  summarisch  nach  Ländern  geordnet.  Bevor  wir  auf  die  Be- 
sprechung der  historisch-kritischen  Zusammenstellung  eingehen,  sei  ein  übersicht- 
licher Auszug 2  aus  der  ersten  Tabelle  mitgetheilt  : 

^  Berlioz,  Grand  Trait^  d'instrumentation  et  d'orchestration  mpdeme  (op.  10). 

^  Die  Kolonne  S  giebt  die  Anzahl  der  Zehntel  «Ines  gleichschwebenden  Halb- 
tones, um  welche  irgend  eine  Tonhöhe  die  Eingangsstimmung  (den  Nullpunkt) 
überschreitet,  so  daß  durch  Subtraktion  der  betreffenden  Zehntel  das  Intervall 
zweier  beliebiger  Tonhöhen  der  Tabelle  sich  ergiebt.  Die  Kolonne  A  giebt  die 
Jiächste  ganze  Zahl  der  Schwingungen  von  A  in  numerischer  Ordnung  vom  Tief- 
•sten  zum  Höchsten,  im  Ganzen  eine  Quint  umfassend.  Da  es  eines  Zuwachses 
von  2  oder  3  Schwingungen  bei  diesen  Tonhöhen  bedarf,  um  ein  Zehntel  eines 


134 


Kritiken  und  Referate. 


Abriß  der  Geschichte  der  musikalischen  Stimmung. 


s 

A 

0-0 

370 

0-2 

374 

0-3 

377 

1-0 

392 

M 

395 

1-2 

396 

1-4 

403 

1-5 

404 

1-6 

407 

1-7 

408 

1-7 

409 

2-0 

415 

2-1 

41S 

2-2 

420 

2-3     422 


2-3      423 


2*4     424 


2-5 
2-5 


2-6 
2-7 
2-7 
2-8 

3-0 

31 

3-1 
3-2 


427 
428 


432 
433 
434 
435 

440 

442 

443 
445 


Ideal  tiefste,  nicht  beobachtet,  sogenannter  »Nullpunkt«. 
Haspice  Comtesse,  Lille  1700  (Orgel). 
Schlick   (tiefe  Stimmung)   1511;    B^dos  1766;    franzö- 
sische C-Fuß-Orgeln ;  A.  Silbermann  in  Straßburg  1714. 
Euler's  Chlavichord,  St  Petersburg,  1739. 
Orgel    dfes  Trinity  College,    1759;    englische   C-Fuß- 
Orgeln;  römische  Stimmpfeifen  1720. 
Versailler  Kapelle  1789;   französische  H- Fuß -Orgeln; 
De  Gaus  1615. 
Mersenne,  Spinett  1648. 

Römische  Stimmung  nach  einer  Gabel  von  1730. 
SauTCur,  Paris  1713. 
Mattheson,  Hamburg  1762. 
Pascal  Taskin,  Hofstimmer  Paris,  1783. 
Stimmgabel  der  römisch-kath.  Kirchenorgel  zu  Dresden, 
erbaut  von  G.  Silbermann  1722.  , 

Dieselbe  Orgel  von  1878;  Euler's  Orgeln  1781. 
G.  Silbermann's  Freiberger  Orgel  1714;   Torje  Bosch's 
Orgel  in  der  Kathedrale  von  Sevilla  1785;  alle  Kirchen- 
orgeln in  Spanien. 

Stein's  Stimmgabel  für  Mozart's  Klavier  1780;  tiefere 
Resonanz  der  Cremoneser  Geigen,  1700;  alte  Gabel  in 
Lille,  um  1754;  Verona  und  Padua  1780;  russische 
Hofkirchenkapelle  1860. 

Händel's  Gabel  1751 ;  Green's  St.  Katharinen-Orgel  1778 
und  Kew  1790;  Dresdner  Oper  unter  Weber  1815—21; 
Pariser  komische  Oper  1820. 

Praetorius'  Xormalkirchenstimmung  (»rechte  Chormaß«) 
1619;  Originalstimmung  der  philharmonischen  Konzerte 
in  England  von  1813—28. 
Pariser  große  Oper  1811. 

Renatus  Harris'  Orgeln  1696;  Green's  Orgeln  in  St  Ge- 
orges Kapelle,  in  Schloß  Windsor  1788;  Pariser  komi- 
sche Oper  1823. 

Italienischer  Kongreß  in  Mailand  1880. 
Sir  George  Smart's  Gabel  1828. 
Pariser  große  Oper  1829. 

Französische    Normalstimmung    1859;     internationale 
Stimmtonkonferenz  in  Wien  1886. 
Scheibler's  Stuttgarter  Stimmimg  1834;  Dresden  1862; 
Konservatorium  in  Paris  1812;  Pariser  Oper  1829. 
Vater  Smith's  (»  Bernhard  Schmidts)  tiefe  Stimmung 
im  Hampton  Court  Palace  1690 ;  englische  5-Fuß-Orgeln. 
Bologna,  Lieeo  musicale  1869. 
Madrider  Oper  1858;  Neapel  Theater  S.  Carlo  1857. 


I.  Tiefste 
Kirchen- 
Stimmung. 

n.  Tiefe 
Kirchen- 
stimmung. 

ni.  Tiefe 
Kammer- 
Stimmung. 


IV. 

Mittlere 
Stimmung 

wfihrend 
zweier  Jahr- 
hunderte. 
Englische 

JT-Fuß- 

Orgeb. 


V. 

Kompromiß- 
Stimmungen. 

VI.  Moderne 

Orchester- 
und  alte  mitt- 
lere Kirchen- 
stimmung. 


Halbtones  höher  zu  kommen,  so  zeigt  sich,  daß  die  gleichen  Zehntel  verschiede- 
nen Sehwingungszahlen  entsprechen,  sofern  sich  die  letzteren  der  nächsten  ganzen 
Zahl  nähern. 


On  the  history  of  muncal  pitoh  Ton  A.  J.  Mlig. 


135 


s 

ui 

32 

446 

3-3 

447 

3-4 

449 

3-5 

451 

3-5 

452 

3-5 

453 

3-6 

455 

• 

36 

456 

3-7 

457 

3-8 

458 

4-3 

474 

4-5 

481 

4-6 

484 

4-8 

489 

50 

494 

51 

496 

5-3 

504 

5-4 

506 

7-3 

563 

7-4 

667 

Broadwood's  MitteUtimmung  1849—80;   Pariser  große 
Oper  1856;   Griesbach's  A  4457,   1860  für  die  Society 
of  Art«  in  London,  anstatt  A  444. 
Wiener  Oper  1878. 

Pariser  große  Oper  1855;  Leipziger  Gewandhaus-Kon- 
zerte 1869;  Griesbach's  C  5345,  1860  für  die  Society 
of  Arts  in  London  anstatt  €  528. 
Oper  in  Lille,  1848  und  1854;  belgische  Armeenormal- 
stimmung 1879 ;  höhere  Resonanz  der  Cremoneser  Gei- 
gen um  1700.  . 

Britische  Antieestimmung  1879. 

Mittlere  Stimmung  der  Londoner  philharmonischen  Kon- 
zerte unter  Sir  M.  Costa  1846 — 54. 
Höchste  Londoner  philharm.  Stimmung  1874,  Konzert- 
flügelstimmung Ton  Broadwood»  Erard,  Brinsmead  und 
Steihway  (nur  für  den  Kontinent  und  England)  1880. 
Die  berühmte  hohe  Wiener  Stimmung  von  1859. 
Die  amerikanischen  Flügel  Steinway's. 
Wien,  große  Franziskaner-Orgel  1640. 
Tomkin's  Normalstimmung  1668;    B.  Sohmidt's  hohe 
Stimmung  der  alten  Kapell- Orgeln  von  Durham  und 
St.  James,  1683  und  1708;  englische  ^-Fuß-Orgeln. 
St.  Catherine,  Hamburg- 1543. 

Alte  kleinere  Orgel  in  der  Kathedrale  von  Lübeck  1878. 
8t.  Jacobi,  Hamburg  1688. 
St.  Jacobi,  Hamburg  1879. 
Rendsbu^er  Orgel  1700. 

Schliek's  hohe   Stimmung  1511;    Mersenne's  »ton  de 
chapelle«  1636. 
Halberst&dter  Orgel  1361. 
Mersenne's  »ton  de  chambre«  1636. 
Allgemeingebräuchliche    Kirchenstimmung    in    Nord- 
deutschland um  1619,  (nach  EUis)  irrthümUch  von  Prae- 
torius  »Kammerton«  genannt.  Vermuthlich  die  Stimmung 
der  Kirchenmusik  von  Orlando  Gibbons  (1583 — 1625). 


VI.   Moderne 
Orchester- 
*•  und  alte  mitt- 
lere Kirchen- 
stimmung. 


Vn.   Hohe 
Kirchen- 
stimmung. 


vin. 

Höchste 
Kirchen- 
Stimmung. 

IX.  Äußerste 
Kirohen- 

und  höchste 
Kammer- 
stimmung. 


In  diesem  Umriß  sind  die  Zeit-  und  Ortgrenzen  sowie  das  Eintheilungsprincip 
der  Ellis'schen  Geschichte  der  Stimmung  gegeben.  Sie  beginnt  bei  jenen  Skalen, 
welche  in  der  Kirchenmusik  des  Mittelalters  verwendet  wurden,  sei  es  die  p^'tha- 
goreische  oder  ptolemäische  oder  eine  andere  der  zahlreichen  ungleich  temperirten, 
welche  im  direkten  Zusammenhang  mit  den  gegenwärtig  Üblichen  stehen.  EUis  läßt 
die  alten  Instrumente,  welche  nicht  mit  anderen  gebraucht  wurden  und  folglich 
nur  auf  die  Weise  gestimmt  wurden,  wie  gerade  das  Instrument  die  Töne  am  ge- 
eignetsten und  besten  hervorzubringen  im  Stande  war,  außer  AchtJ 


^  Praetorius  U,  14 :  »Vnd  ist  anfangs  zuwißen,  daß  der  Thon  sowol  in  Orgeln 
als  andern  Instrumentis  musicis  offt  sehr  varijre;  dann  weil  bey  den  Alten  das 
Concertiren  vnd  mit  allerhand  Instrumenten  zugleich  in  einander  zu  musiciren 
nicht  gebreuchlich  gewesen;  sind  die  blasende  Instrumenta  von  den  Instrument- 
machern sehr  vnterschiedlich  eins  hoch  das  ander  niedrig  intonirt  vnd  gemacht 
worden.     Dann  je  höher  ein  Instrumentum  in   suo  modo    et  genere  als  Zinken 


136  Kritiken  und  Referate. 


Die  Tonhöhen  der  Orgelpfeifen,  ^reiche,  wie  Praetorius  sagt,  wie  »Schwalben- 
nestern auf  einer  Säule  in  der  Kirche  aufgehängt  wurden  und  die  Töne  Hcdef 
g  a  h  ci  di  6]  fi  oder  cdefgahc\dieif\g\ai  gaben,  sind  uns  nicht  erhalten.  Die 
älteste  uns  bekannte  Orgelstimmung  ist  die  von  der  Hauptkirche  zu  Halberstadt, 
die  am  23.  Februar  1361  von  Xikolaas  Faber  vollendet  und  1495  yon  Gregor  Kleng 
restaurirt  wurde  und  noch  su  Praetorius'  Zeiten,  wenn  auch  unbenutzt,  bestand 
und  von  ihm  beschrieben  wurde.  Sie  war  vielleicht  die  erste  Orgel  mit  3  Ma- 
nualen und  einem  Pedal.  Praetorius  giebt  die  Maße  der  tiefsten  Pfeife  J2t,  yon 
Kleng  wahrscheinlich  nicht  geändert,  nach  denen  Ellis  ein  Modell  im  VerhäUniß 
eines  Sechzehntheiles,  also  h  construiren  ließ,  bei  590  F  unter  3  Zoll  Winddruck- 
maß  und  A  284-5  entsprechend  Nat.  A  595-8  erhielt  Das  ist  eine  Stimmung  die  um 
beiläufig  V«  eines  Tones  höher  ist  als  die  jetzige  höchste  Orehesterstimmung  und  eine 
kleine  Terz  über  der  mittleren  modernen  Stimmung.  Fast  derselben  Zeit,  yielleicht 
ein  oder  zwei  Jahrhunderte  später  ist  das  e\  einer  alten  verfallenen  Orgel  von 
Hospice  Comtesse  bei  Lille,  von  Delezenne  gemessen,  entsprechend  c  112<7  oder 
Oi  374-2.  Diese  beiden  a  sind  S  5>22  also  ein  Komma  mehr  als  eine  gleichschwe- 
bende Quart  von  einander  entfernt  und  es  scheint  fast  unglaublich,  daß  so  ver- 
schiedene Klänge  jemals  mit  ein  und  derselben  Note  a  bezeichnet  werden  konnten. 
Eine  Erklärung  könnte,  in  Schlick's  Spiegel  der  Oi^elmacher  und  Organisten  etc. 
2.  Kapitel  gefunden  werden :  Ist  das  werck  dem  Chor  gemeß  vnd  gerecht  gestimpt 
sey  za  dem  gesang,  dan  wo  sollichs  nit  bedacht  wirt  müssen  die  person  offt  zu 
hoch  oder  zu  nieder  singen,  der  organist  woll  dan  durch  die  semitonien  -spiln.  das 
doch  nit  eim  iglichen  gelegen  ist.  Wie  aber  sollieh  moß  der  pfeyffen  sein  soll 
dem  gemeß  vnd  Chor  gelegen  zu  singen,  ist  nit  gantz  oder  eigentUeh  zu  geben, 
vrsach  mann  singt  an  eim  ort  höher  oder  nydderer  wann  an  dem  andern  darnach 
die  person  klein  oder  groß  stymmen  haben,  yedoch  so  die  lengst  pfeiff,  das  Fa, 
vnder  dem  gamaut  ym  pedall  yr  corpus  von  oben  biss  vff  den  fuß  disser  leng  hie- 
bey  bezeichent,  sechsehn  het,  ^  solt  meins  bedunokens  ein  geschickt  gut  chor  moss 
sein.  Mecht  man  aber  ein  werck  ein  quint  größer,  so  musst  das  ofaut  in  dem 
pedall  soUich  leng  haben.  So  man  aber  noch  ein  großer  werck  haben  wolt,  mag 
man  der  ytz  bestimpten  meß  eins  ein  octaff  größer  machen.  Uff  den  fast  großen 
wercken  daran  die  größt  pfeiff  XX.  XXIV.  oder  XXX.  schuch  leng  het,  alsdan 
an  vill  ortten  funden  werden.  Wellich  die  alten  mit  großen  kosten  gemacht  haben, 
ist  nit  woll  underschiedlich  zu  hören  was  darauff  gespilt  wirt  von  wegen  der  groß 
vnd  menge  der  pfeiffen  sein.  Auch  die  organisirten  nit  so  frey  oder  geweitig  yr 
vbung  daruff  zäuolbringen  als  off  den  kleinen  wercken  des  starcke  halb  des  winds. 
der  großen  venlllL  der  schern  der  züig.  der  wellen  vnd  ander  so  sollichs  beschwert 
als  die  orgelmecher  vnd  Organisten  wissen  etc.  ^ 

Item  zu  einem  zimlichen  kleinen  werck  wolt  ich  raten  die  vorig  bezeichnet 
moß.  XVI.  theiU,   das  fa  vnder   dem  gamaut.  vnd  zu  einem  großem  werck  die 


Schalmeyen  vnd  Discant  Geigen  intonirt  seyn,  je  frischer  sie  lauten  vnd  resoniren: 
hergegen  je  tieffer  die  Posaunen  Fagotten  Baßaneldi  Bombardoni  vnd  Baßgeigen 
gestimbt  seyn,  je  gravitetischer  vnd  prechtiger  sie  einherprangen.  Dahero  es  dann 
einem  Musico,  wenn  die  Orgeln  Positiffe,  Clavicymbel  vnd  andere  blasende  In- 
strumenta nicht  zugleich  in  einem  vnd  rechten  Ton  stehen,  viel  mühe  machet.« 

1  Demnach  wäre  die  ganze  Pfeife  4?^  rh.  Zoll  x  16  ^  6V2  rhein.  Fuß  oder 
2040  mm  lang. 

2  Neben  dem  Texte  ist  ein  Strich  von  478  Zoll  rhein.  Länge  mit  folgender 
Anmerkung:  »Diesser  leng  sechtzehen  gut  chor  moß  f.  oder  C  das  corpus  on  den 
Fuß.«  — 


On  the  history  of  musical  pitch  von  A.  J.  EDis.  J  37 


größt  pfeiff  noch  einst  als  lang.  etc.  Vrsach  das  sich  der  merer  theill  chor  gesangs 
endet  in  grambus,  ^  als  in  primotono.  Salve  regina.  Aue  maris  Stella.  Gaudeamus. 
Vita  sanctonim,  Tnnd  ander  der  gleichen  werden  dem  chor  gerecht  vss  dem  gsol- 
reut 

EUis  konstrnirte  dementsprechend  eine  Orgelpfeife  in  der  zweithöheren  Oktav, 
nahm  an,  daß  der  Durchmesser  Vis  ^^  Länge  sei  und  fand  die  Stimmung  fi  «> 
V  301-6 ;  demnach  ist  a\  als  vollkommen  große  Terz  »s  V  377.  Diese  Stimmung 
entspricht  praktisch  der  Delesenne'schen  Berechnung  von  Hospice  Comtesse  A  374*2. 
Wenn  aber,  wie  nach  Schliok's  größerer  Orgelmaßangabe,  6>/a  rheinische  Fuß  fOr 
C\  angenommen  wird,  erhftlt  man  A  504*2,  was  praktisch  gleichwerthig  ist  mit  der 
Halberst&dter  Orgel  A  505*8  und  in  Parallele  gebracht  werden  kann  mit  der  gegen- 
wärtigen Stimmung  der  St  Jacobi-Orgel  in  Hamburg  A  494*5  (früher  A  489*2). 

So  ergaben  sich  nach  Schlick  selbst  die  beiden  Stimmungen»  hoch  und 
tief,  um  eine  Quart  verschieden,  je  nach  Umständen  mit  Rücksicht  auf  Sänger, 
Spieler  und  Kirohentonalität,  je  nach  Umfang  der  disponiblen  Singstimmen,  zur 
bequemen  Tastenbehandlung  ohne  viel  Semitonien  (chromatische  Obertöne  in  dieser 
Bedeutung)  und  endlich  um  die  sakrosankten  Kirchentöne  nicht  den  lästigen  Ober- 
und  Unterhalbtönen  auszusetzen. 

Ein  anderer  Faktor  vos  großer  praktischer  Bedeutung  war  aber  auch  die  Ver- 
schiedenheit der  Fußmaße  in  den  einzelnen  Lündem  und  Distrikten.  Wenn  man 
sieh  heute  gewöhnt  hat  die  Bezeichnung  8  Fuß  C  oder  2  Fuß  C  in  bloßer  allge- 
müner  Bedeutung  zu  betrachten,  so  war  dies  frOher  anders;  mit  dieser  Beilegung 
war  auch  genau  das  Maß  der  Pfeife  gegeben.  Noch  Dom  B6dos  hält  sich  in  sei- 
nem großen  Werke  über  die  Orgel  (1766)  an  die  stricte  Bedeutung;  sein  4  Fuß  C  ist 
wirklich  eine  Pfeife  von  4  französischen  Fuß  Länge. 

Eine  Zusammenstelluag  der  verschiedenen  Maße  giebt  einen  Anhalt  für  die 
Verschiedenheit  der  Stimmungen: 

Langer  alter  französischer  Fuß  (pied  de  roi) .    .  325  mm 

{Langer  deutscher  oder  rheinischer  Fuß   .   .    .   .  3141 

Langer  österreichischer  Fuß 316) 

I  Englischer  Fuß 305  | 

l  Alter  Nürnberger  Fuß 304  J 

{Altrömischer  Fuß  (Mittelalter) 295 1 

Alter  Augsburger  Fuß 296  [ 

Bayerischer  Fuß 292  J 

{Kurzer  sächsischer  Fuß 283 1 

Kurzer  Brunswicker  und  Frankfurter  Fuß  .   .    .  285  \ 

Kurzer  Hamburger  und  dänischer  Fuß    ....  286  j 

Sehr  kurzer  alter  brabantischer  Fuß  von  1 1  Zoll  278     m 

13  rheinische  Zoll 340     » 

13  sächsische  Zoll 307     » 

12  alte  brabantische  Zoll 303     » 

Ein  Unterschied  von  12  Proeent  in  der  Länge  zweier  Pfeifen  macht  eine  Diffe- 
renz von  fast  einem  ganzen  Mittelton  in  der  Tonhöhe.  So  war  der  kurze  säch* 
sische  Fuß  um  einen  Mittelton  höher  als  der  lange  österreichische  oder  rheinische 


» 


I) 


» 


1  Der  Herausgeber  des  Schlick'schen  Werkes  (Monatshefte  f.  Musikgeschichte  I, 
1869,  S.  78—114)  vermuthet,  daß  »Grambus«  die  Transposition  des  Umus  primus 
um  eine  Quart  bedeutet.  Es  läge  vielleicht  näher  anzunehmen,  daß  grambus  eine 
Tonfigur  in  einer  Lage  sei,  die  höher  ist  als  die  gewöhnliche  Finalklausel. 


138  Kritiken  und  Referate. 


Fuß.  So  korrespondiren  ^  Proeente  einem  gleichschwebenden  Halbton,  3  Froceat 
einem  gleichschwebenden  Viertelton,  53/«  einem  Halb-Mittelton,  4Vs  Piocent  einem 
kleinen,  4  Procent  einem  großen  Mittd-Halbton.  So  ist  der  englische  Fuß  fast 
um  einen  großen  Halbton  höher  als  der  französische  Fuß,  der  rheinische  .um  £ut 
einen  kleinen  Halbton  höher  als  der  franieösische,  und  der  englische  um  ungefähr 
einen  gleichsohwebenden  Viertelton  höher  als  der  rheinische.  Welche  Varianten 
waren  in  Deutschland  allein  I 

Am  verbreitetsten  war  nach  Dom  B6dos,  der  größten  noch  jetst  unerreichten 
Autorität  auf  dem  Gebiete  der  Geschichte  der  Orgel,  die  tiefe  Stimmung  in  Frank- 
reich; ja  die  Kapellstimmung  scheint  fast  konstant  dem  fransösischen  Maße^  ent- 
sprochen SU  haben,  das  um  2Vs  gleichschwebende  Halbtöne  tiefer  ist  als  die  gegen- 
wärtige Pariser  Xormalstimmung.  Das  englische  Maß  ist  um  einen  Halbton  höher 
als  die  französische,  und  die  einsige  von  EUis  gefundene  dementsprechende  Orgd 
ist  die  von  Trinity  College  1 759  A  395-2  (fast  um  ^4  eines  gleichschwebenden  Halb- 
tones höher  als  Dom  B^dos'  A  376*6).'  In  Deutschland  giebt  es  wenige  so  tiefe 
Stimmungen  (Schlick's  A  377  und  Salomon  de  Caus'^  A  396*4).  Hier  war  die  Hei- 
mat der  hohen  Stimmungen :  Halberstadt  505*8,  Sohlick  504*2,  gegenw&rtig  noch 
in  der  Kathedrale  von  Lübeck  484*1,  St  Katherine  in  Hamburg  480*8,  St.  Jacob 
daselbst  494*5  (ffflher  489).  In  England  ist  die  alte  Ourham-Orgel  von  Bernhardt 
Schmidt  1683  in  ^474*1;  Schmidt  nahm  eine  einen  englischen  Fuß  lange  Pfeife 
für  A  auch  in  seiner  Orgel  in  St.  James,  königl.  Kapelle  u.  s.  w. ;  vor  dem  Fh>- 
tektorate  scheint  diese  Stimmung  auch  in  England  Anh&nger  gehabt  zu  haben,  so 
empfahl  sie  Tumkins  1668.  Unglücklicherweise  zerstörten  die  Puritaner  alle  Orgek 
1644 — 46,  so  daß  es  keine  konstante  Orgeltradition  in  England  giebt.  In  Frank- 
reich fixirt  Mersenne  die  französische  4  Fuß-Pfeife  für  &  als  <on  <20  thaptUt  (koire- 
spond.  A  503*7)  übereinstimmend  mit  der  Halberstädter.  Neben  dieser  für  die  Kirehe 
bestimmten  Stimmung  [ChorUm^  ton  de  ehapeüe)  bestand  eine  andere  Stimmungs- 
kategorie für  die  weltliche  Musik :  die  Kammerstimmung  (Ccmmierton^  Um  de  dusmhrt, 
Chamber  piich).  Diese  umfaßt  die  in  der  fürstlichen  und  bürgerlichen  »Kammeiv, 
in  der  Dorfsdienke,  überhaupt  in  der  Gesellschaft  ausgeführte  Musik.  Sie  über- 
schritt die  kirchlichen  Anforderungen  und  daher  konnte  ihr  die  Kirchenstimmung 
nicht  genügen,  denn  die  letztere  war  entweder  zu  hoch  oder  zu  tief.  Eine  strenge 
Grenzlinie  läßt  sich  allerdings  nicht  ziehen  zwischen  diesen  beiden  Gattungen ;  sie 
wird  noch  unbestimmter  durch  die  iil  den  älteren  Werken  hervortretende  Unsicher- 
heit und  Willkürlichkeit  der  Bezeichnung.  Die  Konfusion  wird  noch  größer  durch 
die  Terminologie  von  Praetorius,  der  generell  die  höhere  Stimmung  »Kammerton* 
nennt,  ohne  Rücksicht  darauf,  ob  sie  in  der  Kirche  oder  Kammer  verwendet  wurde, 
und  eine  neue  Stimmung  einführt,  die  er  für  die  Kirche  geeignet  bezeichnet  (•chor- 
mäßig«}. Diese  höhere  Stimmung  war  zu  seiner  Zeit  besonders  in  den  Kirchen 
Norddeutschlands  gebräuchlich ;  das  hindert  ihn  aber  nicht,  denselben  »Kammertoni 


^  Die  von  A.  Silbermann  1714  erbaute  Orgel  in  Straßburg  hat  das  gleiche 
Maß.  F.  A.  Gore-Onseley  fand  die  meisten  älteren  nicht  umgebauten  Ox^eln  Frank- 
reichs in  dieser  Stimmung.  Wollte  man  in  Frankreich  Orgeln  höher  stimmen,  so 
wurde  die  1  Fuß -Pfeife  anstatt  c  ein  h  (wie  1789  in  Versailles,  ^396}  und  so 
identiflcirte  sich  die  Stimmung  mit  der  englischen  Einfußpfeife  auf  C  (wie  1759 
im  Trinity  College  in  Cambridge). 

2  Dies  scheint  auch  annähernd  die  tiefste  römische  Stimmung  (ungewiß  ob 
A  395  oder  A  404)  gewesen  zu  sein. 

3  nLes  RaUons  des  foreee  mouvantescf  Frankfurt  a.  M.  1615;  UvrelH,  fixirt 
die /-Pfeife  3  Fuß  und  c- Pfeife  2  Fuß  rheinisch. 


On  the  history  of  musieal  pitoh  Ton  A.  J.  EUis.  1 39 


SQ  nennen.  Prüft  man  den  Umfang  der  von  ihm  angegebenen  Stimmgrenzen,  ^  so 
ergiebt  sieh,  daß  die  Stimmung  nieht  Über  A  567  gewesen  sein  kann,  also  eine 
Quast  höher  als  die  gewöhnliehe  mittlere  Stimmung,  und  sich  su  dersdben  etwa 
so  Terhftlt,  wie  Sohliek's  hohe  zu  Schliek's  tiefer  Stimmung.  Man  findet  die  von 
Fraetorius  als  »hOdisteK  bezeiehneten  Noten  in  der  Eirehenmusik  seiner  Zeit  wirk- 
lich verwendet  und  zwar  in  einer  den  verschiedenen  Lftndem  entsprechenden  Weise^ 
so  hat  z.  B.  die  seit  1640  unberührte  Franziskaner-Orgel  in  Wien  A  458. 

Es  ist  nicht  zu  übersehen,  daß  beide  Stimmungskategorien  sowohl  hoch  als 
nieder  waren.  Da  ein-  und  dieselbe  Kapelle  sowohl  in  Kirche  als  Kammer  ver- 
wendet wurde'  und  die  Kammerstimmung  von  der  Kirchenstimmung  ursprünglich 
beeinflußt,  ja  bestimmt  wurde,  waren  die  Unterschiede  immer  bestimmte  Toninter- 
valle der  Skala,  so  daß  die  Transposition  oft  sehr  erschwert  und  Iftstig  wurde. 

Die  mitteltonige  Skala  kann  als  die  hauptsächlich  damals  in  Gebrauch  stehende 
bezeichnet  werden,  da  die  zahlreichen  anderen  Einführungen  nur  leichte  Varianten 
waren.  Diese  Skala  unterschied  sich  von  der  modernen  gleichschwebenden  Skala 
dadurch,  daß  sie  einen  engeren  Qanzton  und  zwei  Arten  Halbtöne  enthielt,  den 
größeren  von  A  zu  e  und  e  zu  /  und  den  kleineren  von  /  zu  fti,  h  zu  A,  d.  i.  für 
chromatische  Intervalle.  In  Schwingungen  ausgedrückt  war  der  große  Halbton  7 
Procent  der  Schwingungen  des  tieferen  Tones,  der  kleine  Halbton  472  Procent^ 
wahrend  der  gleichschwebende  Halbton  6  Procent  und  der  natürliche  6^/3  Procent 
ist.  Der  Mittelton  (mittlere  Ganzton)  ist  12  Procent,  der  gleichschwebende  I2V4 
Procent.  All  dies  machte  die  mitteltonige  Skala  ungenügend  für  Transpositionen 
oder  für  Verschiebungen  der  Pfeifen  bei  Neueinrichtung  bestehender  Orgeln.  Aber 
Beides  wiederholt  sich  oft  und  konstant  in  früheren  Zeiten.  Die  höhere  Kammer- 
stimmung war  generell  um  einen  großen  Halbton  bis  zu  einem  Mittelton  oder  eine 
mittlere  kleine  Terz  oder  selbst  eine  Quart  tiefer  als  die  ihr  korrespondlrende  höhere 
Kirchenstimmung.  Und  diese  Kammerstimmungen  kamen  allmählich  in  Kirchen 
zur  Verwendung  anstatt  der  höchsten  Kirchenstimmungen.  Es  erscheint  fast  zweifel- 
los, daß  die  hohen  Kirchenstimmungen,  ausgenommen  die  allerhöchste,  ähnliche 
Herabstimmungen  eben  dieser  letzteren  waren.  Für  Frankreich  giebt  Mersenne  1636 
eine  Kammerstimmung  A  563,  die  einen  Ton  höher  ist  als  seine  eigene  hohe  Kirchen- 
Stimmung  A  504  und  mit  der  bereits  erwähnten  höchsten  Stimmung  von  Praetorius 
korrespondirt  Diese  herabgedrückten  Kirchenstimmungen  waren  aber  immerhin 
noch  zu  hoch  für  die  größere  Anzahl  Kammermusik  und  wurden  daher  immer 
mehr  und  mehr  erniedrigt  Die  merkwürdigsten  Beisinele  findet  man  in  Hamburg, 
wo  die  St.  Jakobs-Orgel,  1688  erbaut,  noch  immer  in  ^489  gestimmt' wurde,  und 
einen  Registerzug  bekam  (erst  1761  entfernt),  der  um  nicht  weniger  als  eine  kleine 
Terz  tiefer  war  als  die  übrige  Orgel,  das  ist  also  in  der  an  diesem  Ort  zur  dama- 


^  Praetorius  giebt  im  Syntagma  II,  20  folgende  Stimmgrenzen : 

l«iebt  xn  erreichende  &vßer8t« 

Sopran  .   .   .   .  ci  bis  62  oder  /s  •   •   •    •   ^  bis  g%  oder  a% 

Alt f    *    9\     "     ai   .   .   .   .   «    M    61 

Tenor H  oder  c  bis  «i    ....   -4  »    /i 

Baß C  bis  a  oder  h F\  G\  A^  Hx  bis  c\  oder  £?], 

wobei  zu  bemerken,  daß  die  Soprane  bezeichnet  sind  als  »wnuchuSf  faUeÜBta^  die- 
cantisUs»  und  die  Alte  männliche  Alte  {alti  naturali)  waren,  daher  man  den  Maß- 
stab nur  an  die  tiefen  Stimmen  legen  kann. 

^  Nur  in  Dresden  lassen  sich  für  diesen  Zweck  zweierlei  verschieden  ge- 
stimmte Instrumente  nachweisen:  ^424  Orchester  der  katholischen  Kirche,  A  437  8 
Orchester  des  Hoftheaters,  beide  1862, 


140  Kritiken  und  Referate. 


ligen  Zeit  gebräuchlichen  Kammeratimmung  gestimmt  war.  Und  Mattheson  ließ 
die  Michaeler  Kirchenorgel  in  Hamburg  (su  deren  Erbauung  er  1762  eine  namhafte 
Summe  beisteuerte)  in  A  408  stimmen  —  höchstwahrscheinlich  die  wirkliche  Kammer- 
Stimmung  seiner  Zeit.  £s  ist  bemerkenswerth  daß  Taskin,  Hofstimmer  Ludwigs  XYL 
in  Frankreich  1783,  also  beinahe  zur  selben  Zeit  einer  fast  gleichen  Stimmung 
A  409  sich  bediente  und  daß  eine  analoge  Stimmung  A  407  yon  Sauveur  1704  ge* 
funden  wurde.  Diese  wurde  eine  tiefe  Kammerstimmung  und  vertrug  sieh  nicht 
mit  der  von  den  tiefgestimmten  Orgeln  abgeleiteten  Stimmung; 

Das  Itesultat  dieses  Konfliktes  scheint  die  mittlere  Stimmung  gewesen  in 
sein.  Dieselbe  wurde  früher  von  Praetorius  als  die  fOr  protestantische  Kirchen- 
musik passendste  eingefahrt  (sein  02  ^7  entspricht  dem  mitteltonigen  o^  424}  und  an 
sie.  hielt  sich  die  Londoner  philharmonische  Gesellschaft  von  ihrer  Gründung  1813 
bis  1828.  Sie  yariirte  mehr  oder  weniger  innerhalb  der  Grenzen  ^415  (G.  Silber- 
mann's  Orgel  der  katholischen  Kirche  in  Dresden  1722  su  Folge  der  auf  Geheiß 
Friedrich  Augusts  des  Gerechten  an  dieselbe  geketteten  Stimmgabeln,  die  bis  1824 
daselbst  blieben,  ^  diese  Orgel  gab  187$  A  418)  und  A  428  der  von  Renatus  Harris 
1696  erbauten  Listrumente.  In  der  Mitte  zwischen  diesen  Beiden  steht  die  von 
Händel  benutzte  Stimmgabel  422ys,  eine  Tonhöhe,  die  noch  an  verschiedenen  Orten 
aus  derselben  Zeit  sich  findet,  so  bei  der  von  Delezenne  um  1754  gemessenen 
LiUer  Orgel  und  noch  um  1780  in  Padua  und  Verona;  eine  erkleckliche  Anzahl 
englischer  Orgeln  stimmt  damit  überein. 

Die  Stinungabel  von  dem  Klavierbauer  Stein,  dessen  Instrumente  Mozart  mit 
Vorliebe  benutzte,  war  42IV2;  alle  spanischen  Orgeln,  auch  die  von  der  Kathedrale 
in  Sevilla  sind  noch  jetzt  in  einer  analogen  Stimmung,  ungeffihr  A  420,  der  Ton- 
höhe der  Freiberger  Orgel  von  G.  Silbermann.  1860  war  dies  auch  die  Stinmmng 
der  russischen  Hofkapelle.  Die  Gabel  der  opera  eomique  in  Paris  war  1823  A  423 
und  1823  ^428.  Die  Dresdner  Oper  hatte  unter  G.  M.  v.  Weber  A  423.1  Li 
kurzer  Zeit  erhielt  diese  Stinmiung  die  Oberhand  in  ganz  Europa;  ungef&br  60 
solcher  Stimmungen  sind  nachweisbar.  Die  Luftresonanz  der  Cremoneser  Geigen' 
zeigt  um  1700  zwei  Maxima:  das  erste  ungefähr  c  270  und  das  andere  nicht  so 
gut  markirte  ungefähr  c  252  V2»  also  korrespondirend  ^451  und  A  422.  Das  zweite 
ist  die  mittlere  Stimmung ;  das  erstere,  um  einen  großen  Halbton  höher,  war  die 
korrespondirende  Kammerstimmung. 

Diese  mittlere  Stimmung  ist  historisch  deshalb  schon  bemerkenswerth,  weil 
die  Heroen  der  Tonkunst  ihre  Werke  zur  Zeit  der  allgemein  verbreiteten  Gel- 
tung dieser  Stimmungshöhe  schufen;  die  jetzige  Orchesterstimmung  steht  um  einen 
großen  Halbton  höher.  Eine  merkwürdige  Beziehung  bezüglich  des  Maßes  führt  su 
einer  benutzenswerthen  Klassifikation  der  alten  Orgeln,  die  in  der  mitteltonigen 
Temperatur  stehen.  Die  mittlere  Stimmung  entspricht  Orgeln  mit  einer  JT-Pfeife, 
die  einen  englischen  Fuß  lang  sind,  und  Ellis  nennt  sie  direkt  »J7- Fuß -Orgeln« 
{A  419  bis  A  428).    Die  alte  hohe  englische  Stinmiung  B.  Schmidt's  in  Durham 


i  Auch  die  Stimmgabel  von  Weber's  Vater  {Franz  Anton,  1740—1812)  war 
.4  4241;  Marpurg's  ^414-4  in  Breslau  1776;  eine  Flöte  von  Floth  1760—70  in 
^418;  eine  ^Clarinette  von  Grenser  1783  in  4422. 

<  Savart  machte  die  Beobachtung,  daß  die  Resonanzkraft  der  Geigenhöhlung, 
die  sich  zeigt,  wenn  man  eine  Gabel  vor  ein  ^Loch  hält,  indem  so  der  lauteste 
Ton  erzeugt  wird,  der  Stimmung  der  betreffenden  Zeit  entspreche.  Seiner  Autori- 
tät zufolge  war  C256  die  Resonanz  der  Violinen  von  Stradivarius  und  so  glaubte 
man,  daß  dieser  Geigenbauer  für  seine  Instrumente  diese  Tonhöhe  fixirte  —  die 
Normalstinmiung  seiner  Zeit. 


On  the  history  of  musical  pitoh  von  A.  J.  £llia.  ]  4 1 


hatte  die  Ein-Fuß-Pfeife  för  A,  Ellis  nennt  sie  ^-Fuß-Orgeln,  die  um  einen  Ton 
hdher  sind  als  die  Torgenannten,  A  468  bis  A  475. 

Eine  vermittelnde  Mittelstimmung,  von  Schmidt  für  Hampton  Court  ange- 
wendet, in  die  seine  hohe  Stimmung  hftufig  geändert  wurde  durch  Verschiebung 
der  Pfeifen,  hatte  die  Ein-Fuß-Pfeife  fCti  B,  A  438  bis  A  444.  Die  tiefsten  Or- 
geln (unter  ihnen  eine  im  Trinity  College  in  Cambridge)  hatten  sogar  die  Ein-Fuß- 
Pfeife  für  C,  und  war  eine  C- Fuß-Orgel,  A  395  bis  ^404,  gleichwerthig  einer 
fransösischen  JET-Fuß- Orgel  ^396.  Die  Varianten  der  hier  angeführten  Stim- 
mungen entstehen  nur  durch  die  Verschiedenheit  des  Verhältnisses  des  Durch- 
messers einer  Pfeife  zur  L&nge,  je  nach  Gutdünken  der  Orgelbauer.  Natürlich 
hat  die  Einführung  der  gleichschwebenden  Temperatur  diese  Verhältnisse  nur  un- 
bedeutend modificirt. 

Dom  B^dos  sagt,  daß  in  Frankreich  die  Kirchenstimmung  fixirt  sei,  aber  daß 
die  Opemstimmung  (eine  Abart  oder  Zuwachs  der  Kammerstimmung)  bald  steige, 
bald  falle,  V«  '^^^  o^®'  mehr,  je  nach  dem  Umfang  der  Singstimme.  Die  Sänger 
waren  die  einsigen,  die  einer  Erscheinung  entgegentraten,  welche  die  gefährlichsten 
Dimensionen  aniunehmen  drohte.  Das  Orchester  und  das  Instrumental-Virtuosen- 
thum  traten  immer  selbständiger  hervor;  es  liegt  in  Beider  Interesse,  die  Stimmung 
mögliehst  eindringlich  au  machen,  möglichst  hell  cu  leuchten  und  glänzen.  Das 
Hinaufschrauben  der  Stimmung  war  die  natürliche,  um  nicht  zu  sagen  unnatürliche 
Folge  davon;  das  Orchester,  die  Spieler  wurden  die  Tyrannen  des  Sängers,  von 
denen  sich  Einzelne,  wenn  sie  nicht  mehr  nachkommen  konnten,  ausbedangen,  daß 
die  Stimmung  nicht  höher  als  nach  ihrer  Angabe  sein  durfte.^ 

Und  doch  trugen  auch  die  Solosänger,  die  Virtuosen  das  Ihrige  dazu  bei,  die 
Stimmung  hinauf  zu  treiben,  bis  sie  eben  selbst,  in  ihre  eigenen  Netze  gefangen, 
nicht  weiter,  vielmehr  nicht  höher  konnten.  Die  Forderungen  der  Opemkompo- 
nisten,  die  in  ihrer  Dienstbeflissenheit  gegenüber  dem  genießenden  Publikum  mit 
den  Sängern  sich  wechselseitig  überboten,  übertrumpften  noch  ihre  gunstbuhlenden 
Konkurrenten. 

Ellis  irrt  wohl,  wenn  er  äußerliehen  Umständen  das  entscheidende  Gewicht  in 
dem  Hinaufschrauben  der  Stimmung  zuschreibt.  Weder  das  Geschenk,  welches 
der  russische  Kaiser  Alexander  bei  seiner  Anwesenheit  in  Wien  gelegentlich  des 
Kongresses  1816  seinem  Leibregiment  machte:  von  Stephan  Koch  in  höherer  als 
der  mittleren  Stimmung  verfertigte  Instrumente ; '  noch  das  gleiche  Geschenk  eines 
österreichischen  Erzherzogs  an  sein  Leibregiment  Hoch-  und  Deutschmeister  1 820 ; 
noch  der  Umstand,  daß  1821  eine  scharfgestimmte  Koch'sche  Flöte  nach  [Dresden 
kam,  noch  die  willkürliche,  »zufällige«,  »unvorsätzlichcü^  That  des  Hornisten  Jean 
Mengal,  der  ohne  irgend  Jemanden  zu  fragen,  sein  Hom  verkürzte  und  seine  Kol- 
legen so  zu  einer  höheren  Stimmung  verleitete;  noch  endlich  das  Beharren  einzel- 
ner Bläser  höher  spielen  zu  wollen  —  überall  und  allenthalben  zeigt  sich  das  Be- 
dürfriiß  der  Spieler  die  Stimmung  hinaufzutreiben  über  das  klassische  Mittelmaß. 


1  So  wurde  1824  die  Stimmung  der  Großen  Oper  in  Paris  für  Madame  Branchu 
von  A  427*0  auf  A  425  «8  gesetzt,  ein  für  die  Stimme  kaum  merklicher  Unterschied ; 
Madame  Patti  will  das  C3  in  der  »Dinorah«  jetzt  absolut  nicht  mehr  in  der  Schwin- 
gungszahl 1070  singen  und  verlangt  1035*6  —  das  ist  schon  ein  größerer  Unterschied 
entsprechend  A  446  zu  A  433. 

2  Darüber  berichteten  Schindler;  Naeke  und  Kittl,  der  Direktor  des  Prager 
Konservatoriums,  der  diesen  Umstand  als  besonders  wichtig  in  seinem  Berichte  an 
die  französische  Stimmungskommission  schilderte. 

>  wie  de  La  Fage  in  »fUniU  tontque«  1859,  S.  7  sagt. 


j42  Kritiken  und  Beferate. 


Nicht  der  blinde  Zufall,  nicht  aiellose  wankdmathige  Laune,  sondern  stetige« 
wenn  auch  nicht  sicheres  Vorw&rts«  Tielmehr  Hinaufdringen  ist  in  ganx  Europa 
bemerkbar  vom  2.  Jahrsehnt  unseres  Jahrhunderts  an,  bis  sich  Bestrebungen  Bahn 
brachen,  diese  umherschweifenden  Gelüste  in  ein  ruhigerea  Mittelmaß  lu  bringen. 

Am  auffallendsten  tritt  die  Lust  sur  Erhöhung,  wie  schon  aus  den  awei  an- 
geführten  Umstftnden  ersichtlich,  in  Österreich  hervor.  Schon  für  1823  verseichnet 
der  Dresdner  Gesanglehrer  Naeke  die  Wiener  Aufführung  der  »Euryanthe«  in  A  437-  5, 
1834  Kreutzer's  Nachtlager  in  jl  440  und  notirte  1861  ein  A  466  als  eiSTektive  Stim- 
mung der  Wiener  Oper  während  einer  Aufführung.  Vor  1859  hatte  Streieher  seine 
Normalgabel  noch  in  A  456  •  1.  Die  Übergangsstimmungen  von  A  433  -9  bis  ^  445  •  1 
sind  von  Scheibler  vor  1834  verseichnet. 

Das  Pariser  Konservatorium  brauchte  schon  1812  ^439>d  (beinahe  ^JiTon 
höher  als  die  mittlere  Stimmung} ;  es  finden  sich  sonst  keine  Anseichen  von  solcher 
Tonhöhe  außer  die  von  De-Prony  181^  gemessenen  A  438*2  und  A  444*5,  welche 
vielleicht  beide  nur  Laboratoriums-Experimente  sind.  Immerhin  bleibt  der  Umstand 
der  Konservatoriumsstimmung  auffallend  und  wird  desto  gewichtiger,  weil  er  von 
der  ersten  Anstalt  des  Beiches  ausgegangen  war.  ^440  ist  die  Stimmung,  die 
später  von  Scheibler  vorgeschlagen  wurde  und  von  einem  Physiker-Kongreß  in 
Straßburg  1834  angenommen  wurde,  eigentlich  eine  Wiedererweckung  der  alten 
englischen  ^- Fuß -Orgelstimmung.  In  Frankreich  wuchs  die  Stimmung  in  ver^ 
schiedener,  mannigfaltig  bunter  Weise:  die  Große  Oper  hatte  1811  AAtl,  1829 
A  434  bis  440,  blieb  so  bis  1854  und  stieg  bis  A  448  und  449'im  Jahre  1853,  in 
welchem  Jahre  die  fransösische  Regierung  sich  veranlaßt  sah,  eine  Kommission  but 
»Erforschung  der  Mittel  behufs  Einführung  einer  einheitlichen  Stimmung«  zu  berufen.^ 
deren  Resultat  dieFixirung  eines  Normaldiapasons  ^435^  war.  Diese  Stimmung 
war  V4  ToA  über  der  mittleren  klassischen  Stimmung  und  ungefähr  ebensoviel  tiefer 
als  die  damals  übliche  hohe  Orchesterstimmung.  So  wurde  ein  trefflicher  Mittel« 
weg  gefunden. 

Von  der  Fixirung  war  aber  noch  ein  weiter  Weg  sur  wirklichen  Annahme, 
2um  effektiven  Durchsetzen  dieser  Stimmung. 

Das  Leipziger  Gewandhaus  hatte  1859  ^448*8,  1869  desgleichen.  Dreaden 
hatte  1826  ^435  und  1861  (nach  Xaeke)  ^446;  1862  sprach  sidb  daselbst  eine 
Konferenz  deutscher  Musiker  (gegen  die  Stimme  Xaeke's}  für  die  französische  Stim- 
mung aus.  Berlin  hielt  sich  lange  Zeit  gemäßigt;  1806 — 74  berichtet  Wiepreeht 
von  A  430  •  5  (Ellis  vermuthet ,  daß  W.  sich  geirrt  habe ,  indem  er  ein  gleich- 
schwebendes A  von  C512  anstatt  eines  j9f^  428  berechnet  habe).  Fischer  £and 
1822  ^  437*  3 ;  1830  erreichte  Berlin  A  440  und  1834  nach  Scheibler  441  -6,  hier- 
auf stieg  es  rasch  1858  ^450*8  und  1859  A  451-8. 

Belgien  hatte  1859  ein  ^455*5,  welches  nur  für  Militfirbanden  bestimnit 
gewesen  zu  sein  scheint ;  ^  dagegen  die  Theaterstimmung  A  442  •  5. 

In  Italien  war  man  der  von  Osterreich  eingeschlagenen  Richtung  rasch  nach- 
gefolgt; 1845  hatte  Florenz  ^  436 •  7,  Turin  ^439-9,  Mailand  ^  446-6,  185«/-, 
^450*3  und  ^451*7.  1869  hatte  Florenz,  Venedig  und  Neapel  ^456  1,  Bo- 
logna nur  .^443*1.    Ein  Kongreß  italienischer  Musiker. in  Mailand  1880  fizirte 


^  In  Lille  war  die  Stimmung  auf  A  452  gestiegen. 

^  Ellis  und  König  weisen  nach,  daß  die  von  Despretz  und  Lissajous  im  Auf- 
trage der  Kommission  producirte  Gabel  A  435  -  4  war. 

3  Die  Militärmusikstimmung  Belgiens  war  nominell  A  Abi,  bis  1885  für  Bel- 
gien die  Reception  de^  französischen  Normaldiapasons  promulgirt  wurde. 


On  the  history  of  musical  pitch  von  A.  J.  EUis.  1 43 


jl  432, 1  welches  von  der  italienischen  Regierung  allen  königlichen  Theatern,  Ka- 
pellen, Konservatorien  sowie  sämmtliohen  Militärkapellen  der  italienischen  Armee 
empfohlen,  —  man  darf  wohl  nicht  sagen  »befohlen«  wurde. 

In  England  bestimmte  offenbar  das  allgemeine  Hinaufschrauben  der  Stimmung 
auch  George  Smart  um  1828  die  philharmonische  Stimmung  zu  ändern ;  er  setzte 
«eine  Stimmung  nach  einer  Beratiiung  mit  Sängern  auf  A  433,  sich  noch  immer 
an  eine  Mittelton-Temperatur  haltend.  Praktisch  stimmt  seine  Oabel  mit  dem  fran- 
s^ischen  Normaldiapason  überein  und  das  mitteltonige  e  Smartes  stimmt  wirklich 
mit  dem  gleichschwebenden  c  der  Franzosen  überein.  Seine  Stimmgabel  ging  unter 
der  Firma  "»FhiXkanMmic^  in  die  "Welt  und  blieb  in  Ansehen  bis  1846  und  noch 
länger.  Unter  M.  Costa  hob  sich  die  Stimmung  rasch  in  die  Mittelstimmung,  von 
1S46  bis  1854  war  A  452  V2.  I^ie  Society  of  Arts  berief  1859,  dem  Beispiel  Frank- 
reichs folgend,  ein  Komitee  von  Künstlern  und  Gelehrten,  welches  sich  für  C528 
entschied,  mit  dem  es  irrthümlich  anstatt  eines  gleichschwebenden  A  444  ein  A  440 
also  ein  natürliches  A  in  Korrespondenz  brachte.  GMesbach  wurde  beauftragt,  die 
Normalgabel  zu  machen,  aber  sein  C528  wurde  ein  C534-5  korrespondirend  einem 
A  449  •  4,  welches  mittelst  eines  kurzen  Monochordes  unkorrekt  gestimmt  wurde 
als  A  445-7.  So  wurde  die  Stimmung  der  Society  of  Arts  im  öffentlichen  Verkehr 
eine  der  sehr  hohen  Stimmungen,  während  sie  gerade  bestrebt  war,  die  Stimmung 
herabsusetien.  1874  erreichte  die  philharmonische  Stimmung  ihr  Maximum  in  einem 
^454*7»  und  Steinway's  Flügel,  die  in  England  in  Übereinstimmung  mit  den 
Fabrikaten  von  Broadwood,  Erard,  Brinsmead  u.  s.  w.  dieser  Stimmung  entspre- 
chen, mnd  in  Amerika  bis  A  457  gestiegen.  Einzelne  englische  Institute,  so  die 
Covent  Garden  Oper,  entschieden  sich  für  die  französische  Stimmung,  die  1879  auch 
officiell  in  Madrid  angenommen  wurde. 

Aber  gerade  in  Osterreich,  von  wo  die  Bewegung  zur  Erhöhung  der  Stimmung 
ihren  Ausgangspunkt  genommen  hatte,  war  sie  nicht  so  rasch  zum  Stillstand  zu 
bringen.  Noch  vor  1859  war  sie  auf  A  456  gestiegen,  also  beinahe  die  alte  hohe 
Kirdiensümmung  der  großen  Franziskaner-Orgel  in  Wien;  kaum  war  sie  einzu- 
dämmen, wiederholte  Versuche  brachten  sie  zwar  etwas  aber  nicht  genügend  zurück, 
so  1878  auf  ^  447.^    So  sahen  sich  die  ersten  Wiener  Kunstinstitute  1886  veran- 


1  Die  Brochüre  » Bulla  acelia  dt  un  diapason  normale  per  le  musicke  e  le  /an- 
fare  del  Reffio  Esereito,  1884  v  giebt  für  die  italienische  Militärmusik  und  nur  für 
diese  einen  Normalton  und  zwar  ein  eingestrichenes  b  {b[)  mit  456  Vibrationen  an 
(dort  912  einfache  Schwingungen).  Bereits  1876  hatte  Meerens  in  einer  dem  Genfer 
Institut  vorgelegten  Abhandlung  (separat  erschienen  n  Memoire  sur  le  Diapaeoti^ 
1877y  Brüssel)  sich  stützend  auf  eine  Untersuchung  von  E.  Ritter  (Bd.  III  der  Ver- 
handlungen des  Genfer  Instituts]  A  432  vorgeschlagen.  Meerens  sieht  A  432  als 
pythagoreisches  A  entsprechend  C512  an,  wonach  eine  Viola  gestimmt  wurde: 
•0  12Sy  g  192,  d\  288,  a\  432  und  hält  dieses  A  als  einzig  richtigen  Verhältnißton 
zum  tonischen  e,  512,  so  wie  das  natürliche  A  426^/3  zur  Tonalität  von  F  341V3 
gehöre.  Dies  hängt  eben  mit  seiner  Anschauung  der  Skala  zusammen,  da  er  die 
C- Skala  nicht  zusammensetzen  will  aus  4  Tönen,  die  vollkommene  Quinten  f  c  g  d 
und  den  dazu  gehörigen  großen  Terzen  a  eh,  sondern  aus  den  4  Tönen  c  gd  a  als 
vollkommene  Quinten  und  den  zu  den  beiden  ersteren  Tönen  gehörigen  großen 
Terzen  eh,  aber  mit  der  kleinen  Terz  /  zu  d.  Es  sind  dann  /  und  a  um  ein 
Komma  höher  als  in  der  früheren  Berechnung.  Hier  würde  der  Unterdominant- 
akkord f  ae  einen  kaum  erträglichen  argen  »Wolf«  zur  Folge  haben^ 

<  Eine  kaiserliche  Entschließung  vom  Jahre  1862  ordnete  in  Österreich  die 
Einführung  der  Pariser  Stimmung  an  in  den  Hoftheatem,   ein  Jahr  später  in  der 


}44  Kritiken  und  Referate. 


laßt,  bei  der  Regierung  einen  Antrag  sur  Berufung  einer  Konferenz  su  steUen, 
die  diesmal  zum  ersten  Male  eine  internationale  wurde.  An  derselben  betfaeiUgten 
sich  Deutschland  ^  (Preußen,  Sachsen,  Württemberg),  Italien,  Rußland,  Schweden;* 
sie  hatte  am  16.,  17.,  18.  und  19.  November  1885  ihre  Sitzungen  und  ihre  Be- 
schlüsse ^  wurden  mit  SthnmeneinheUigkeit  gefaßt. 

Dieselben  lauten: 

I.  Es  soll  ein  einziger  internationaler  Normalstimmton  bestehen.  Dieser  Stimm- 
ton  soll  dasjenige  A  sein,  dessen  Höhe  durch  870  einfache  Schwingungen  in  dec 
Sekunde  bestimmt  ist 

Zur  Darstellung  dieses  Tones  wird  nach  wissenschaftlichen  Regeln  die  Kor- 
mal-Stimmgabel in  der  Weise  konstruiert,  daß  dieselbe  bei  einer  Temperatur  von 
15  Orad  Celsius  den  Normalton  giebt. 

Zur  Durchfilhrung  dieses  im  Interesse  der  praktischen  Musikpflege  unbedingt 
nothwendigen  Beschlusses  empfiehlt  die  Konferenz  nachfolgende  Maßregeln: 

IL  Die  Annahme  und  Einführung  der  Normalstimmung  soll  eine  allgemeine 
und  obligatorische  sein.    Insbesondere  soll  sie  sich  auf  alle  öffentlichen  und  PriTat- 


Hofburgkapelle.  Tonmessungen,  welche  1882  in  der  Wiener  Hofoper,  1883  in  der 
Hofburgkapelle  vorgenommen  wurden,  zeigten  eine  Steigerung  der  Sehwingung»- 
zahlen  von  435  Vibrationen  auf  441*5,  bezüglich  441.  Die  1885  in  der  Wiener 
Hofoper  vorgenommepe  Messung  ergab  eine  Steigerung  des  anbefohlenen  Diapasons 
Yon  435  auf  449  bis  450  Doppelschwingungen. 

1  Daselbst  wurde  1884  von  der  »Zeitschrift  für  Instrumentenbau«  (Leipiigr 
Paul  de  Witt,  IV,  Nr.  29)  ein  »Aufruf  zur  Einführung  einer  allgemeinen  Normal- 
stimmung in  Deutschland«  erlassen,  der  mit  zahlreichen  Unterschriften  in  Qesuchi- 
form  dem  Reichskanzler  Fürsten  Bismarck  überreicht  wurde. 

2  Auffallend  ist,  daß  weder  England  noch  Frankreich  vertreten  waren.  Einer 
gütigen  Mittheilung  von  AI.  J.  Ellis  entnehme  ieh,  daß  in  England  eben  kein 
Ministerium  besteht,  in  dessen  Ressort  diese  Angelegenheit  gehörte.  Im  Frühjahr 
1886  ernannte  die  Society  of  Arte  ein  Komitee,  um  über  die  vorher  von  derselben 
vorgeschlagene  Stimmung  (s.  oben  S.  143)  neueriich  zu  berathen,  und  nunmehr  ver- 
einigte sich  auch  dieses  Komitee  zu  Gunsten  der  französischen  Normalstimmung 
und,  versendete  gegen  1900  Fragebogen  an  die  bedeutenderen  musikalischen  Auto- 
ritäten des  Landes.  Von  den  710  Beantwortungen,  die  zurückkamen,  waren  63Q 
für  die  französische,  17  für  die  ältere  hohe  Stimmung  und  die  übrigen  63  schlugen 
verschiedene  mittlere  Stimmungen  vor.  Da  nicht  das  genügende  Interesse  ueh 
dokumentirt  hatte,  stand  das  Komitee  von  jeder  weiteren  Aktion  ab,  richtete  aber 
noch  einen  Brief  an  den  ersten  Kommandeur  behufs  Einführung  der  französischen 
Stinmiung  in  der  Armee,  worauf  dieser  durch  den  Qeneraladjutanten  die  Antwort 
gab,  daß  er  nichts  dagegen  habe,  wenn  die  Auslagen,  die  auf  10000  Pfund  veran- 
schlagt sind,  vom  Staate  und  nicht  von  dem  Kriegskollegium  bestritten  würden. 
Sämmtliche  Auslagen  für  die  Militärbanda  werden  nämlich  in  England  von  den 
Offizieren  des  betreffenden  Regiments  bestritten,  die  Regierung  sorgt  nur  für  Be- 
schaffung von  Trommeln  und  Pfeifen  zum  Marschiren  und  für  Homer  zu  Signal- 
zwecken. So  dürfte  die  Sache  in  England,  weil  auf  anderen  Verhältnissen  ruhend, 
Schwierigkeiten  haben.  Auch  die  Musikakademien  und  das  College  of  music  werden 
nicht  von  der  Regierung,  sondern  von  Privatfonden  unterstützt  und  die  Opemtheater 
genießen  keine  öffentliche  Subvention. 

3  Beschlüsse  und  Protokolle  der  internationalen  Stimmton-Konferenz  in  Wien 
1885.  Veröffentlicht  vom  k.  k.  Ministerium  für  Kultus  und  Unterricht.  Wien,  im 
k.  k.  Schulbücher-Verlage.  1885. 


i 


On  the  history  of  musical  pitch  von  A.  J.  Ellio.  145 


Lehranstalten,  in  welchen  Musik  gepflegt  wird,  und  in  gleicher  Weise  auch  auf 
Musikvereine,  Theater  u.  s.  w.  erstrecken. 

Bei  den  Militärkapellen  soll  die  Normalstimmung  sobald  als  möglich,  spä- 
testens aber  gelegentlich  der  nächsteh  Erneuerung  ihrer  Holz-Blasinstrumente  ein- 
gef&hit  werden. 

Auf  die  Patrone  und  Vorstände  der  Kirchen  ist  in  geeigneter  Weise  einzu- 
wirken, damit  sie  die  Stimmung  der  bezüglichen  Orgeln  nach  dem  Normalton  ehe- 
stens, jedenfalls  aber  gelegentlich  des  Neubaues  oder  einer  umfassenden  Beparatur 
derselben  veranlassen. 

III.  Rüeksichtlich  des  Zeitraumes,  innerhalb  dessen  die  Einführung  des  Nor- 
mal'Stimmtones  vollzogen  sein  soll,  ist  von  den  einzelnen  Staaten  eine  möglichst 
kurze  Frist  festzustellen. 

IV.  Um  den  Normal-Stimmton  vor  Abänderungen  zu  bewahren,  sollen  folgende 
Maßnahmen  getroffen  werden: 

a)  Alle  zur  Annahme  des  Normal- Stimmtones  verpflichteten  Anstalten  und  Körper- 
schaften sollen  für  die  unveräpderte  Aufrechthaltung  dieser  Stimmung  in 
ihrem  Wirkungskreise  verantwortlich  und  gehalten  sein,  eine  verificiertc  Stimm- 
gabel zu  besitzen.  Andere  tönende  Körper,  wie  Stimmzungen,  Stimmpfeifen 
u.  dergL  werden  zur  authentischen  Wiedergabe  des  Normal-Stimmtones  als 
nicht  geeignet  erklärt. 

b)  Die  Regierungen  sollen  durch  berufene  Organe  den  unveränderten  Bestand 
des  Normal-Stimmtons  in  allen  diesen  Anstalten  einer  ständigen  Kontrole 
unterziehen  lassen. 

c)  Es  werde  vom  Staate  eine  Behörde  mit  der  Aufgabe  betraut,  die  Normal- 
Stimmgabel  zu  verwahren,  nach  derselben  alle  ihr  zur  Verifikation  zukommen- 
den Qabeln  zu  prüfen,  eventuell  richtig  zu  stellen  und  durch  Stempelung  zu 
beglaubigen. 

d)  Zur  Prüfung  und  Beglaubigung  sollen  nur  solche  Stimmgabeln  geeignet  und 
zulässig  erklärt  werden,  welche  den  nachstehenden  Bedingungen  entsprechen: 
9.  Die  Gabel  muß  aus  nicht  gehärtetem  Gußstahl  erzeugt  sein. 

ß.  Die  Zinken  müssen  parallel  stehen  und  mindestens  einen  halben  Centimeter 

breit  sein. 
Y.  Der  zur  Anbringung  der  Steropelungsmarke  bcstinmite  Raum  zwischen  dem 

Ausschnitte  der  Zinken  und  dem  Stiele  muß  mindestens  einen  Centimeter 

betragen. 
h.  Die  zu  verificierende  Gabel  muß  rostfrei  und  weißglänzend  poliert  oder 

blau  angelassen  sein. 

e)  Das  Verifikations-Amt  hat  die  Richtigkeit  der  Stimmgabel  sowohl  mit  der 
einheitlichen  (internationalen)  Verifikations-Marke,  bestehend  aus  der  von  einer 
Ellipse  umschlossenen  Schwingungszahl  870,  als  auch  mit  einem  den  betreffen« 
den  Staat  bezeichnenden  Stempel  zu  beglaubigen. 

Einige  Additionalbeschlüsse  ergänzen  dies  Regulativ: 

Behufs  Erhaltung  der  Normalstimmung  sind  sämmtliche  Theater-  und  Konzert- 
Institute  zu  nachstehenden  Maßregeln  anzuhalten: 

1.  Die  von  den  obengenannten  Instituten  zu  verwendenden  Blasinstrumente  sollen 
bei  24  Grad  Celsius  auf  die  Normalstimmung  abgestimmt  sein.  Der  Instru- 
mentenmacher soll  für  die  in  dieser  Art  abgestimmten  Instrumente  durch  eine 
seiner  Fabrikmarke  beigedruckte  Stimmungsmarke  die  Haftbarkeit  über- 
nehmen. 

2.  Das  geeignetste  Instrument,  um  in  den  Orchestern  richtig  einstimmen  zu 
lassen  und  dadurch  die  Normalstimmung  zu  konservieren,   ist  die  elektro- 

1888.  10 


J46  Kritiken  und  Referate. 


magnetisch  bewegte  StimmgabeL  In  Ermangelung  einer  solchen  darf  naeh 
der  Oboe  erst  dann  eingestimmt  werden,  wenn  dieselbe  gänslich  durehw&mit 
ist.  Dem  Konzertmeister  ist  die  Verantwortung  für  die  völlig  reine  Ein- 
stimmung des  Orchesters  aufzuerlegen. 

3.  Die  Orgeln  sollen  für  jede  mittlere  Temperatur,  welche  den  besonderen  Ver- 
hältnissen ihrer  Verwendung  entspricht,  auf  die  Normalstimmung  gebracht  sein. 

4.  Die  Creirung  von  Milit&rmusik-Zentralstellen  ist  im  Interesse  der  richtigen 
Durchführung  der  von  der  Konferenz  beschlossenen  Hauptpunkte  unbedingt 
geboten,  und  soll  dieselbe  daher  ehestens  vorgenommen  werden. 

Mit  diesen  Beschlüssen  erscheint  die  praktische  Seite  der  wichtigen  Ange- 
legenheit gelöst.  Die  theoretisch-historische  Seite  vorbereitet  zu  haben,  ist  mit  ein 
Verdienst  des  englischen  Forschers. 

EUis'  Arbeit  ist  ein  denkwürdiges  Muster  wissenschaftlichen  Fleißes  und 
Ausdauer.  Wenn  auch,  wie  EUis  selbst  sagt,  die  Geschichte  der  musikalischen 
Stimmung  mit  seiner  Abhandlung  nicht  erschöpft,  sondern  nur  der  Orundbau  xu 
einer  solchen  gelegt  ist,  so  wird  man  aber  auf  Grund  derselben  leicht  und  sicher 
weiterbauen  können.  Sie  ist  eine  jener  Publikationen  der  Musikwissenschaft,  die  ihr 
Material  selbstfindig  zusammentrug,  und  könnte  schon  als  solche  den  jet^t  bei  uns 
sich  leider  immer  mehr  und  mehr  in  den  Vordergrund  drängenden  Vielschreibern 
als  Markstein  konziser  und  prägnanter  Gedankenarbeit  dienen. 

Prag.  Quido  Adler. 


Gustav  Engel,  Prof.,  über  den  Begriff  der  Klangfarbe.  Philoso- 
phische Vorträge,  herausgegeben  von  der  philosophischen  Gesellscliaft 
zu  Berlin.  Neue  Folge.  12.  Heft.  Halle  a.  S.,  Pfeffer  (R.  Stricker). 
1887.    32  S.  gr.  8. 

Zu  Helmholtz'  glänzendsten  Thaten  gehört  die  Verbindung  des  Phänonoena 
der  Obertöne  mit  dem  der  Klangfarbe,  deren  jedes  für  sich  bereits  vorher  bekannt 
war.  Die  Brücke  bildete  die  Abhängigkeit  der  Klangfarbe  von  der  Wellenfonn, 
die  Abhängigkeit  der  Wellenform  Yon  den  Obertönen  und  die  wirkliche  Existenz 
der  letzteren  in  unsrer  Empfindung.  Während  Helmholtz'  Erklärung  der  Harmo* 
nie  und  des  ganzen  Musiksystems  aus  den  Obertönen  vielfachen  Bedenken  begegnete, 
ist  der  Einfluß  der  Obertöne  auf  die  Klangfarbe,  wenn  wir  von  der  speciellen  An- 
wendung auf  die  Vokaltheorie  absehen,  von  Sachverständigen  kaum  jemals  be- 
stritten worden.  1 


1  Eine  bemerkenswerthe  Modifikation  scheint  nur  aus  Rudolph  Königes  Ver- 
suchen (Wiedemann's  Annalen  d.  Physik,  Bd.  XIV.  1881.  S.  374—393)  zu  folgen. 
Die  Wellenform  ist  abhängig  von  der  Zahl  und  Stärke,  außerdem  aber  auch  von 
dem  Fhasenunterschied  der  Theilwellen  (den  Verschiedenheiten  in  Hinsicht  des  zeit- 
lichen Beginnes  der  Schwingungen).  Aber  die  letzteren  Unterschiede  können  sich 
nach  Helmholtz'  Prinzipien  in  der  Empfindung  nicht  geltend  machen,  und  Helm- 
holtz stellt  auch  auf  Grund  besonderer  Versuche  solchen  Einfluß  in  Abrede.  Da- 
gegen wird  derselbe  von  R.  König,  einem  nicht  minder  ausgezeichneten  Beobachter, 
nach  Untersuchungen  an  der  von  ihm  konstruirten  Wellensirene  behauptet.  Doch 
seien  hiedurch  nur  geringere  Unterschiede  der  Klangfarbe  bedingt,  ähnlich  etwa 
denjenigen,  die  auf  einem  und  demselben  Instrumente  oder  bei  demselben  Vokal, 
wenn  ihn  verschiedene  Menschen  sprechen,   sich  finden.     Immerhin  fragt  sich 's. 


über  den  Begriff  der  Klangfarbe  von  G.  Engel.  ^j  47 


Kur  über  das  Wie  dieses  Einflugses  konnte  einer,  der  sich  die  Sache  psy- 
chologisch überlegte,  immer  noch  manchen  Zweifel  hegen.  So  begreift  es  sich 
troti  der  Ausführungen,  die  bereits  Helmholts  diesem  Punkt  gewidmet,  schwer,  warum 
Terh&ltnißm&ßig  starke  Obertöne  so  wenig  selbständig  im  Klange  hervortreten  — 
denn  wäre  nur  die  Gewöhnung  schuld,  so  müßte  das  Kind  und  der  Unmusikalische 
die  Obertöne  besser  hören.  Und  femer :  wodurch  halten  wir  Geige  und  Flöte  aus- 
einander, wenn  sie  verschiedene  Töne  gani  gleichseitig  susammen  ansetsen  und 
aushalten?  Wir  hören  dann  swei  Grundtöne  und  dasu  eine  Summe  von  Ober- 
tönen, die  von  beiden  susammen  geliefert  werden.  Hören  wir  die  Obertöne  geson- 
dert: woran  erkennen  wir,  welche  sum  ersten,  welche  sum  zweiten  Grundton  ge- 
hören? Trennen  wir  sie  nicht  von  den  Grundtönen :  wie  kommt  es,  daß  sich  doch 
ein  Theil  mit  dem  einen,  ein  anderer  Theil  mit  dem  anderen  Grundton  su  einer 
besonderen  Wirkung  in  der  Empfindung  verbindet?  Warum  entsteht  nicht  eine 
gemeinschaftliche  Klangfarbe,  der  Eindruck  eines  neuen  Instrumentes,  das  nur  ge- 
rade eine  Doppelnote  von  sich  giebt?  Endlich  aber:  die  Klangfarbe  erscheint  uns 
als  ein  wesentliches  Moment  der  Töne  und  wird  als  solches  von  allen  Theoretikern, 
auch  von  Heimholte,  neben  der  Höhe  und  Stärke  angeführt.  Aber  eine  Höhe  und 
eine  Stärke  kommt  schon  jedem  einfachen  Tone  zu,  und  unmöglich  könnte  ein 
Klang,  d.  h.  eine  Vereinigung  mehrerer  einfacher  Töne,  eine  Stärke  haben,  wenn 
nicht  jeder  einfache  Ton  selbst  schon  eine  solche  besäße.  Von  der  Klangfarbe 
aber  wird  gesprochen,  als  wenn  sie  einem  Ton  erst  durch  die  Vereinigung  mit  an- 
deren, deren  jeder  für  sich  allein  auch  keine  hat,  zuwüchse.  Die  Alchymisten 
wollten  Gold  aus  anderen  Stoffen  machen,  hier  aber  soll  ein  Etwas  gar  entstehen 
durch  Vereinigung  von  Nullen.  Die  Schwierigkeit  wird  noch  durch  folgende  ver- 
stärkt: die  Klangfarbe  scheint  etwas  Qualitatives,  wir  beschreiben  ihre  Unterschiede 
durch  Ausdrücke  wie  »sanft,  dumpf,  melancholisch,  hell,  grell,  näselnd«  [u«  s.  f. 
Es  scheint  sich  also  um  ein  Reich  von  Qualitäten  zu  handeln,  deren  jede  zwar 
gewisse  Abstufungen  hat,  die  aber  unter  sich  keineswegs  eine  bloß  quantitative 
Reihe  bilden.  Dennoch  sollen  diese  Unterschiede  sämmüich,  auch  die  qualitativen, 
durch  die  bloße  Zahl  und  Stärke  der  Obertöne,  also  durch  rein  quantitative,  gra- 
duell abgestufte  Ursachen  bedingt  sein.  Auch  dies  macht  den  Eindruck  einer  Art 
von  Hexerei. 

Engel  wendet  seine  Aufmerksamkeit  der  vorletzten  unter  diesen  Fragen  zu. 
In  strenger  Konsequenz  der  Helmholtz'sohen  Definition,  sagt  er,  kann  Klangfarbe 
nur  einem  Tonkomplex  zugeschrieben  werden.  Schreiben  wir  sie  einem  Theil  des- 
selben, etwa  dem  Grundton,  allein  zu,  so  unterliegen  wir  einer  Sinnestäuschung. 
Einfache  Töne  können  sich  nach  Helmholtz  in  Hinsicht  ihrer  Farbe  nicht  unter- 
scheiden. Streichen  wir  nun  aber  Stimmgabeln  auf  Resonanzkästen  (deren  Ober- 
töne, wenn  überhaupt  welche  vorhanden  sein  sollten,  jedenfalls  so  gering  an  Zahl 
und  so  schwach  sind,  daß  sie  nicht  in  Betracht  kommen),  z.  B.  /S  />,  /3,  f^ :  so 
wird  man  doch  sagen  müssen,  daß  jeder  um  eine  Oktave  höhere  Ton  heller  als 
der  tiefere  klingt.  Und  Helmholts  selbst  äußert  sich  gelegentlich  in  entsprechen- 
der Weise.  Im  Gegensatz  zu  seinem  Prinzip:  »Einfache  Töne  können  nur  Unter- 
schiede der  Stärke,  aber  nicht  der  musikalischen  Klangfarbe  darbieten«  sagt  er  an 


wie  ein  solcher  direkter  Einfluß  der  Wellenform  auf  den  Toncharakter  theore- 
tisch lu  begreifen  wäre,  wenn  nicht  doch  auf  irgend  einem  Wege  auch  bei  diesen 
Versuchen  Obertöne  vermitteln  sollten.  Man  müßte  dann  Helmholtz*  Grundannahme, 
daß  das  Ohr  nur  pendeiförmige  Schwingungen  perzipire,  einschränken;  wie  dies 
allerdings  auch  bereits  in  Rücksicht  auf  Beobachtungen  über  Kombinationstöne 
mehrfach  postulirt  worden  ist. 

10  • 


j[48  Kritiken  und  Keferate. 


anderem  Orte:  »Die  Klangfarbe  tiefer,  einfacher  Töne  ist  ziendich  dumpf.  Die 
einfachen  Töne  der  Sopranlage  klingen  hell«.  Engel  weist  auch  darauf  hin,  daß 
unsere  Klayiere,  'wiederum  nach  Helmholti'  eigener  Angabe,  in  venchiedenen 
Lagen  verschiedene  Zusammensetiung  von  Obertönen  besitzen,  daß  für  die  höheren 
Tonlagen  die  den  einfachen  Tönen  nahestehenden,  ftLr  die  tieferen  die  an  Ober- 
tönen  reicheren  Wellenformen  benutzt  werden;  was  sich  nur  daraus  erklfiren  l&ßt, 
daß  den  Tönen  je  nach  ihrer  absoluten  Höhe  ein  verschiedener  Charakter  inne- 
wohnt Er  argumentirt  endlich  indirekt:  »Will  ich  ein  bitteres  Getränk  versüßen, 
so  muß  ich  einen  Stoff  hinzumischen,  der  an  sich  selber  süß  ist;  will  ich  einen 
dunklen  Raum  erhellen,  so  muß  ich  etwas  Leuchtendes  hinzubringen;  soll  ein 
dumpfer,  matter  Ton  erhellt  werden,  so  muß  sich  ein  anderer  Ton  mit  ihm  ver- 
binden, der  an  sich  selbst  hell  ist.« 

Engel  zieht  nun  das  VerhÜtniß  dieser  Ton-Farbe  zur  Ton -Höhe  in  Er^ 
wfigung;  und  nachdem  er  die  Ausdrücke  »extensiv  und  intensiv«  als  die  seinem 
(physikalisch  gebildeten)  Bewußtsein  entsprechendsten  für  die  Unterschiede  der 
Höhe  vorgeschlagen  und  die  Unterscheidungsf&higkeit  fQr  Höhe  und  Tiefe  in  engste 
Beziehung  zum  Intervallensinn  gesetzt,  diskutirt  er  den  Einfluß  der  Klangfarbe 
auf  die  Schätzung  der  Tonhöhe  mit  Hinblick  auf  Bd.  I,  S.  235  f.  meiner  »Ton- 
psychologie«. Die  dort  nach  Direktor  Bennewitz  berichteten  krassen  Täuschungen 
findet  auch  er  kaum  begreiflich  (ich  möchte  sie  jetzt  wesentlich  auf  mangelhafte 
Übung  in  der  Terminologie  zurückführen);  weist  aber  auf  einen  neuen  eklatanten 
Fall  selbst  bei  musikalisch  Gebildeten  hin:  Pfeiftöne  schätzt  man  fast  unvermeid- 
lich um  eine  (ich  kann  hinzufügen:  sogar  um  zwei)  Oktaven  zu  tief.  Die  wahre 
Höhe  konstatirte  Engel  durch  eine  mitschwingende  Stimmgabel  (/',  wenn  ein  mög- 
lichst tiefes  /  gepfiffen  wird).  Pfeiftöne  sind  eben  sehr  einfach  gegenüber  den 
sonstigen  musikalischen,  etwa  gesungenen,  Tönen;  und  der  ganze  Tonkomplex 
beim  gesungenen  /*,  nämlich  />,  /*,  c^,  /3,  «3  u,  s.  w.  »ist  in  der  That  höher  als 
das  einfache  /*«. 

Engel  wirft  die  Frage  auf,  ob  wir  ein  Recht  haben,  überhaupt  noch  Tonhöhe 
und  Tonfarbe  zu  unterscheiden,  wenn  doch  die  einfachen  Töne  ganz  in  demselben 
Maße  heller  wie  höher  werden,  und  die  zusammengesetzten  ihre  Farbe  wie  ihre 
Höhe  von  den  einfachen  erhalten.  Er  findet  als  den  einzigen  Grund  für  jene 
Unterscheidung  den,  daß  es  eine  Tongrenze  nach  oben  und  unten  giebt,  wofür  er 
wieder  in  der  Langsamkeit  der  Schwingungen  einerseits,  in  ihrer  Kleinheit  andrer- 
seits (wie  schon  in  seiner  »Ästhetik  der  Tonkunst«)  die  Gründe  sucht  Zu  dem- 
selben Punkt  führt  ihn  die  Frage  nach  der  »besten«  (wohlklingendsten)  Klangfarbe 
zurück :  Farbe  und  Höhe  wären  identisch,  »wenn  nicht  der  Umstand,  daß  die  Ton- 
skala von  entgegengesetzten  Seiten  her  zur  Mitte  hin  aus  dem  Nichts  sich  durch 
die  Unvollkommenheit  hindurch  zur  Vollkommenheit  entwickelt,  Unterschiede  des 
Wohlklanges  hervorbrächte «. 

Sei  es  mir  nun  gestattet,  kurz  zu  sagen,  was  mir  an  diesen  Ausführungen 
des  verdienten  Forschers  als  feste  Errungenschaft,  was  als  weiterer  Überlegung 
bedürftig  erscheint.  Die  Zurückführung  der  Klangfarben  auf  die  Farben  einfacher 
Töne,  auf  den  Unterschied  des  »Hellen«  und  »Dumpfen«  zwischen  hohen  und  tiefen 
Tönen  (wofür  ich  bereits  früher  den  Ausdruck  »Tonfarbe«  gebraucht  habe,  Revue 
philosophique  1885,  p.  618;  Zeitschrift  f.  Philosophie,  Bd.  89,  S.  46)  bildet  auch 
nach  meiner  Überzeugung  die  nothwendige  Konsequenz  der  Helmholtz'schen  Prä- 
missen und  die  Wurzel  weiterer  psychologischer  Erklärungen.  EngeVs  Beweis- 
führung ist  klar  und  bündig.  Die  oben  erwähnten  Absonderlichkeiten  in  der  ge- 
wöhnlichen Auffassung  der  Helmholtz'schen  Klanglehre  verschwinden  damit,  und 
es  ist  kaum  zu  zweifeln,  daß  Helmholtz  selbst  dieser  Fortbildung  ohne  Weiteres 
zustimmen  wird,  da  er  ja,  wie  wir  hörten,  in  mancher  Äußerung  selbst  dahin  zielt. 


über  den  Begriff  der  Klangfarbe  von  0.  Engel.  j  49 


Schwieriger  und  weniger  klar  liegen  die  Dinge  in  Besug  auf  das  Wesen 
dieser  »Tonfarbe«  und  ihr  Verh&ltniß  sur  Tonhöhe.  Da  beide  vollständig  parallel 
gehen,  l&ge  es  in  der  That  nahe  genug,  sie  einfach  su  identifiziren.  Den  Grund, 
welchen  Engel  dagegen  anführt,  vermag  ich  nicht  zu  verstehen.  Wenn  in  der 
Mitte  der  Tonreihe  die  Farbe  am  angenehmsten  ist,  so  wird  eben  einer,  der  sie 
mit  Höhe  identiflsirt,  auch  sagen,  daß  die  mittlere  Tonhöhe  am  angenehmsten  ist. 
Wenn  uns  dieser  Umstand  weiter  veranlaßt,  den  tiefen  Tönen  mehr  Obertöne  bei- 
zufüg^  als  den  mittleren  und  hohen,  so  läßt  sich  auch  dies  ebensowohl  in  der 
einen  wie  anderen  Sprache  ausdrücken. 

Dagegen  scheint  mir  ein  anderer  Orund  von  Gewicht,  die  Tonfarbe  als  ein 
besonderes,  nur  mit  der  Höhe  parallel  laufendes,  Moment  anzusehen.  Die  ver- 
schiedenen Tonfarben  der  Obertöne  und  des  Grundtons  mischen  sich  zu  einer  ein- 
heitlichen mittleren  Farbe,  der  Farbe  des  Klanges.  Tonhöhen  aber  mischen  sich 
nicht.  Wenn  sie  auch  im  Fall  eines  Klanges  schwer  und  gewöhnlich  gar  nicht 
in  der  Auffassung  auseinander  gehalten  werden,  so  giebt  doch  e  mit  dem  Oberton 
c*  zusammen  nicht  etwa  einen  zwischenliegenden  Ton  /  oder  g  oder  ßs.  Es  kann 
in  Folge  beigefügter  Obertöne  mit  c  ^  oder  selbst  mit  c',  nicht  aber  mit  ßs  ver- 
wechselt werden.  (In  dieser  Hinsicht  dürfte  sich  Engel  an  einer  obenangeführten 
Stelle  nicht  ganz  vorsichtig  ausgedrückt  haben.  /^  mit  Obertönen  ist  nicht  »in 
der  That  höher  als  das  einfache  /2«.  Es  kann  wohl  anfänglich  höher  scheinen, 
aber  das  Urtheil  wird  sich  bei  genauer  Vergleichung  der  Empfindungen  rektifiziren. 
Man  braucht  ja  auch  nur  zu  fragen :  um  wie  viel  wäre  es  denn  höher?  um  eine 
Quinte,  Terz?    Darauf  kann  Niemand  antworten.) 

Diese  Betrachtung  leitet  auch  sogleich  weiter  zu  einer  psychologischen  Defi- 
nition von  Tonfarbe  und  damit  auch  von  Klangfarbe.  Während  nämlich  bei  allen 
Sinnesempfindungen  und  Vorstellungen  wirkliche  Mischung  zu  einem  Mittleren 
nicht  stattfindet,  mischen  sich  in  gewisser  Weise  unsere  Gefühle,  sowohl  die 
komplizirteren  und  höheren  (wo  von  »gemischten  Gefühlen«  schon  lange  die  Bede 
ist),  als  auch  die  einfachen  und  unmittelbar  an  Sinneseindrücke  geknüpften.  Für 
den  letsteren  Fall  scheint,  wie  für  manche  psychologisch  wichtige  Thatsache,  ge- 
rade das  Tonreich  das  lehrreichste  Beispiel  darzubieten :  die  Tonfarben  sind  nichts 
Anderes  als  die  einfachen  Tongefühle,  die  Klangfarben  sind  deren  Mischgefühle. 
Wir  können  hier  Gefühlserscheinungen  geradezu  aus  ihren  Bedingungen  voraus- 
sagen und  konstruiren  —  Dank  der  Anordnung  der  Töne  in  einer  Keihe  und  der 
ihr  parallelen  Anordnung  der  elementaren  Tongefühle.  Übrigens  hat  bereits  Wundt 
in  seiner  »Physiologischen  Psychologie«  diese  Mischung  der  Tongefühle,  sogar  mit 
Berücksichtigung  ihrer  relativen  Stärke,  in  einer  geometrischen  Weise  durch  Zeich- 
nung auf  einer  Ebene  dargestellt;  allerdings  ohne  die  Ton-  und  Klanggefühle  mit 
den  Ton-  und  Klangfarben  zu  identifiziren. 

Ich  habe  diese  Auffassung  der  Klangfarbe  im  ersten  Band  der  »Tonpsycho- 
logie« mehrfach  ausgesprochen  (S.  134,  202—3,  235)  und  will  sie  in  der  Lehre  von 
den  Tongefühlen  ausführlicher  entwickeln.  Überzeugende  Kraft  gewinnen  solche 
Versuche  eben  erst  mit  der  Durchführung  in  alle  Einzelheiten.  Naturlich  finde 
ich  in  dem  Gesagten  auch  keineswegs  die  Lösung  aller  obenerwähnten  Schwierig- 
keiten. Schon  die  qualitative  Verschiedenheit  vieler  Klanggefühle,  die  uns  nicht 
gestattet,  sie  sänmitlich  in  ein  graduell  abgestuftes  System  zu  bringen,  selbst  wenn 
wir  mehrere  Dimensionen  für  dasselbe  annehmen,  erfordert  besondere  Erklärungs- 
gründe. 

Dem  Vortrage  EngeVs  folgen  Bemerkungen  einiger  Mitglieder  der  Berliner 
philosophischen  Gesellschaft.  Herr  Lassen  eröffnet  seine  Rede  mit  Betrachtungen 
über  die  philosophische  Bedeutung  der  Klangfarbe.    Ihm  ist  dieselbe  »etwas  Ob- 


]  50  Kritiken  und  Referate. 


jektiv<)8,  Allgemeingaltiges,  dem  geistigen  Leben  Angehöriges,  ein  Ingrediens  des 
vernanftigen  Universums,  und  erweist  sich  als  solches  durch  seine  Bedeutung  für 
unser  ästhetisches  Verhalten  zur  Welt  und  für  unsere  schöpferische  Bethätignng 
in  der  Kunst«.  Ihr  objektiver  Charakter  erhellt  »nicht  aus  physikalischen,  phjrsio- 
logischen  oder  psychologischen  Untersuchungen,  sondern  allein  aus  der  philoso- 
phischen Betrachtung  der  Tonkunst  als  eines  konstituirenden  Momentes  der  ver- 
nünftigen Weltordnungall  Lassen  »glaubt«  nicht  an  die  reine  Stimmung  in  der 
Musik,  nicht  an  die  Sinusschwingungen  als  für  den  musikalischen  Ton  charak- 
teristisch. Ihm  sind  die  Obertöne  schon  als  etwas  blos  Sinnliches  ohne  Bedeutung 
für  die  Klangfarbe.  Die  Variabilität  der  Klangfarben  sei  unendlich,  die  der 
Obertonkombinationen  endlich  (was  Engel  mit  Recht  nachher  in  Abrede  stdlt). 
Ferner  lasse  sich  durch  keine  Kombination  von  Flöten-  oder  Stimmgabeltönen  em 
Trompetenton  erzeugen.  Herr  Lassen  weiß  also  nicht,  daß  Helmholti  und  seit 
ihm  noch  viele  Andere  Klangfarben  künstlich  aus  einfachen  Tönen  erzeugt  haben. 
£r  entdeckt  endlich,  daß  die  Klangfarbe  auf  den  im  Ton  enthaltenen  Geräusehen 
beruht,  und  versinkt  wieder  in  Betrachtungen  über  die  ideale  Bedeutung  dieses 
»chaotischen  Elementes«.  Kr  weiß  also  auch  nicht,  daß  Helmholti  und  Andere 
vor  ihm  die  Geräusche  bereits  in  Rechnung  gesogen  haben.  Sodann  spricht  Herr 
Hoffmann  unter  Anderem  über  das  Verschwinden  der  Töne  mit  der  Höhe:  »Sie 
entschwinden  nur  der  Wirklichkeit,  um  in  die  Idee  zu  gehen,  und  zwar  in  die  der 
Idee  adäquate  Form,  in  den  Punkt,  in  welchem  dann  das  Hören  stattfindet,  .... 
wie  denn  überhaupt,  soweit  das  Weltall  reicht,  alle  Entscheidung  im  Punkt  stattr 
findet«  —  Phrasengetön  von  der  Klangfarbe  der  Blechpauke,  etwas  stark  selbst  füt 
das  entlegene  und  zu  solchen  Übungen  sonst  wohlgeeignete  Feld  der  musikalischen 
Metaphysik.  Besser  harmonireu  die  Reden  der  Herren  Dreher  und  Essen  zu  dem 
von  Engel  angestimmten  Ton.  Aber  an  allen  Reden  ist  das  Beste,  daß  sie  diesen 
selbst  zu  weiteren  eingehenden  Bemerkungen,  besonders  über  die  musikalische 
Funktion  der  Geräusche  und  wieder  besonders  der  Stimmgeräusche  veranlassen. 
Das  sind  substanzielle  Gerichte,  für  die  man  schon  Einiges  über  Idee  und  Welt 
im  Allgemeinen  mit  in  den  Kauf  nimmt. 

Halle  a.  S.  C.  Stumpf. 


Notizen. 


Zu  Franz  Schttberfs  Messen.  Die  Breitkopf  und  H&rteVsche  Gesammtausgabc 
von  Schubert's  Werken  hat  in  ihrer  jüngst  erschienenen  Serie  XIII  der  Welt  einen 
Schati  lugänglich  gemacht,  dessen  Ausbeutung  für  Geschichte  und  Praxis  hoffent- 
lich nicht  allzu  lange  auf  sich  warten  lassen  wird.  Sie  bringt  in  zwei  Bänden 
sieben  Messen  des  Meisters,  welche  bisher  zum  Theil  ganz  unbekannt,  zum  Theil 
schwer  zugänglich  waren,  welche  aber  im  Ganzen  wie  in  zahlreichen  Einzelheiten 
geeignet  sind,  zu  seiner  Charakteristik  werthvolle  Beiträge  zu  liefern.  Büier  soll 
an  die  stattliche  Publikation  nur  eine  geringe  Detailbeobachtung  angeknüpft  wer- 
den, weil  sie  eine,  wie  mir  scheint,  unyermeidliche  Konjektur  im  Gefolge  hat. 

Die  erste  Messe,  in  jP-dur,  ist  überwiegend  homophon  gehalten;  doch  setzt 
am  Schlüsse  des  Oioria  nach  alter  Weise  bei  den  Worten  Cum  sancto  sptritu  in 
ghria  Dei  patri»,  Amen  eine  Fuge  ein  und  das  Benedxctus  ist  ein,  freilich  in  der 
einfachsten  Weise  gesetzter  Canon:  Tierstiomug  im  Unisono  (resp.  in  der  Okta-vc), 
daher  für  zwei  Soprane  und  zwei  Tenöre  bestimmt.  £r  besteht  aus  viermal 
16  Takten;  der  zweite  Tenor  beginnt  und  trägt  allein  alle  vier  Perioden  vor;  am 
Schlüsse  einer  jeden  setzt  die  nächste  Stimme  ein.  Der  erste  Sopran  kommt 
inletzt  und  singt  nur  die  erste  Periode.  Bezeichnet  man  die  vier  sechzekntaktigcn 
Perioden  der  SLeihe  nach  mit  den  Buchstaben  a,  6,  c,  d,  so  ergiebt  sich  folgende 
Disposition : 

Sopran  I:  a 

Sopran  II:  ab 

Tenor  I:  a       b        c 

Tenor  11:       a       b       o       d 

Die  Periode  a  nimmt  nicht  denselben  Bang  ein  wie  b,  e  und  d,  sondcr.i  ist 
dominirend  und  durchaus  als  melodieführende  Oberstimme  gedacht;  deshaVi  ist 
auch,  nachdem  sie  vom  ersten  Sopran  vorgetragen,  der  Canon  nicht  weitergeführt, 
weil  sonst  das  a  des  zweiten  Tenors  unter  dem  b  und  c  der  Soprane  liegen  und 
die  Wirkung  zerstört  sein  würde.  Darin  unterscheidet  sich  also  dieser  Canon  von 
den  sonst  ähnlidi  organisirten  Mozart's,  Beethoven's,  Cherubini's.  Analogien  zu  ihm 
schuf  Schubert  in  seinen  Messen  noch  zweimal,  nämlich  1815  im  Benedictus  der 
G^^ur-  und  1828  im  Credo  (bei  den  Worten  Et  incarnahu  est)  der  großen  Es-dur- 
Messe.  Diese  beiden  Canons  sind  dreistimmig,  folglich  nur  aus  drei  Perioden  be- 
stehend, und  völlig  jenem  entsprechend  organisirt  Es  genügt,  hier  ihre  Disposi- 
tion anzugeben: 

Benedictus  für  Sopran,  Tenor  und  Baß: 

Sopran      a       b       c 
Tenor  a       b 

Baß  a 

Hier  liegen  b  und  c  so  hoch,  daß  sie  für  den  Baß  unausführbar  wären. 


]  52  Notiaen. 


Et  IncamattM  für  Sopran  und  zwei  Tenöre: 

Sopran  a 

Tenor  labe 
Tenor  II     •         ab 

Die  beiden  Benedictua  stimmen  auch  hinsichtlich  der  Taktzahl  der  einzelnen  Pe- 
rioden und  der  umgebenden  Orehesterpartien  Überein.  —  Die  Imitation  der  Stimmen 
ist  nun  überall  genau;  um  so  mehr  befremdet  es,  in  dem  ersten  Canon,  der  doch 
besonders  einfach  angelegt  ist,  unmittelbar,  vor  dem  Schlüsse,  mitten  in  der  vierten 
Periode,  die  Ordnung  gestört  zu  sehen.  Mit  dem  dritten  Viertel  des  neunten  Taktes 
dieser  Periode  (Seite  80,  letzter  Takt)  beginnt  die  Verwirrung.  Die  Soprane  gehen 
ihren  vorgezeichneten  Weg  mit  a  und  b;  aber  während  man  im  ersten  Tenor  die 
Fortführung  von  c  erwartet,  findet  man  hier,  bis  zu  der  zwei  Takte  später  ein- 
setzenden Fermate,  eine  vorher  nicht  dagewesene  Phrase  —  nach  der  Fermate  geht 
es  mit  den  restirenden  fünf  Takten  von  c  regelrecht  weiter.  Die  Lösung  giebt  der 
zweite  Tenor,  welcher  sonst  ebenfalls  in  Ordnung  ist  und  nur  an  jener  Stelle,  wo 
der  erste  etwas  Neues  bringt,  die  entsprechenden  Takte  von  c  (Seite  79,  T.  ^—T) 
wiederholt.  Die  Korruptcl  ist  sehr  einfach  zu  erklären :  die  beiden  Tenorstinmien 
sind  in  diesen  Takten  beim  Niederschreiben  entweder  durch  einen  Kopisten,  oder 
wenn  die  Ausgabe  wirklich  mit  dem  Autograph  übereinstimmen  sollte,  durch  den 
Komponisten  selbst  mit  einander  vertauscht,  und  man  setzt  den  letzteren  nur  in 
sein  Recht  ein,  wenn  man  ihnen  bei  Aufführungen  und  Neudrucken  ihren  ord- 
nungsmäßigen Platz  wiedergiebt. 

Berlin.  Friedrich  Spiro. 


Adressen  der  Herausgeber: 

Professor  Dr.  Spitta,  d.  Z.  geschäftsführender  Herausgeber,  Bertin,  W. 
Burggrafenstraße  10;  Dr.  Friedrich  Chrysander,  Bergedorf  bei  Hamburg;  Pro- 
fessor Dr.  Guido  Adler,  Prag,  Weinberge,  Jungmannsgasse  25. 


Niederländische  geistliche  Lieder  nebst  ihren 

Singweisen 

aus  Handschriften  des  XV.  Jahrhunderts . 

Von 

Wilhelm  B&nmker. 


Die  in  der  vorliegenden  Sammlung  dargebotenen  Lieder  sind  zwei  Hand- 
schriften des  XV.  Jahrhunderts  entnommen.  Die  eine ,  welche  bis  jetzt  noch  un- 
bekannt war,  entdeckte  der  bekannte  Dichter  und  Hymnologe  G.  M.  Drevea  auf 
der  k.  k.  Fideikommißbibliothek  in  Wien  und  benachrichtigte  mich  sofort  von 
dem  interessanten  Funde  mit  dem  Ersuchen,  die  Lieder  der  Handschrift  heraus- 
zugeben. Da  ein  längerer  Aufenthalt  in  Wien  für  mich  in  meiner  jetzigen  amt- 
lichen SteUung  zu  den  Unmöglichkeiten  gehört,  so  war  Se.  Excellenz  der  Herr 
Kultusminister  Dr.  von  Goßler  so  freundlich,  die  Übersendung  der  Handschrift 
seitens  der  k.  k.  österreichisch-ungarischen  Regierung  mir  zu  erwirken. 

Die  Texte  und  Singweisen  diesier  Wiener  Handschrift  bilden  den  Grundstock 
meiner  Sanmilung. 

Die  andere  Handschrift,  welche  früher  Hoffmann  von  Fallersleben  gehörte 
und  jetzt  im  Besitze  der  königl.  Bibliothek  in  Berlin  sich  befindet,  hat  der  ge- 
nannte Gelehrte  zur  Publikation  seiner  »Niederländischen  geistlichen  Lieder  des 
XV.  Jahrhunderts  1854«  benutzt.  Indessen  enthält  dieses  Buch  nur  die  Texte 
der  Lieder,  nicht  auch  die  Singweisen.  Diese  letzteren,  sowie  auch  einige  noch 
nicht  veröffentlichte  Texte,  habe  ich  dem  Inhalte  der  Wiener  Handschrift  hin- 
zugefQgt. 

Die  Lieder  sind  geordnet  nach  der  Reihenfolge,  welche  die  Handschriften 
darbieten. 

Bei  der  Reproduktion  der  Melodien  habe  ich  statt  des  alten  vierlinigen 
Systems   das   fünflinige    und  anstatt    der    häufig    in   ein  und    demselben   Liede 

wechselnden  &•  und  JP-Schlüssel  den  /k  angewandt,  im  Übrigen  aber,  so  viel  als 

möglich,   die  Originalschreibweise  beibehalten,   weil  die  Notation  aus  der  Über- 
gangsperiode der  Choralnotenschrift  zur  Mensuralnote  herrührt 

Die  IHf  und  bb  über  dem  Notensystem  sind  von  mir  hinzugefügt  worden,  um 
damit  anzudeuten,  daß  der  Schreiber  der  Melodien  es  vom  kundigen  Sänger  er- 
wartete, an  den  betreffenden  Stellen,  b,  es,  ßs  oder  eis  zu  singen.    Durch  weitere 

1888.  11 


J54  Wilhelm  Bäumker, 


chromatische  Zuthaten  die  Singweisen  zu  modeniisiren ,  lag  nicht  in  meiner 
Absieht. 

Ursprünglich  gedachte  ich,  nur  die  Melodien  herauszugeben.  Da  aber  Me- 
lodien olme  Texte  nur  Stückwerk  sind,  so  entschloß  ich  mich,  die  Texte  hinzu- 
zufügen. Dabei  habe  ich  die  urkundliche  Schreibweise  (selbst  u  für  v  und  um- 
gekehrt) beibehalten,  und  nur  des  besseren  Verständnisses  wegen  eine  Interpunktion 
hinzugefügt. 

Sr.  Excellenz  dem  Herrn  Kultusminister  Dr.  Ton  Goßler,  der  k.  k.  österreich.- 
ungar.  Regierung,  der  Verwaltung  der  k.  Bibliothek  in  Berlin  sowie  den  Herren: 
G.  M.  Dreves  in  München,  Dr.  Crecelius  (meinem  verehrten  ehemaligen  Lehrer)  in 
Elberfeld,  Dr.  Everts,  Direktor  in  Rolduc,  Reichsarchivar  Sivr^  in  Roermond. 
P.  Bohn,  Gymnasiallehrer  in  Trier,  Dr.  Otto  Kade ,  großherzogL  Musikdirektor  in 
Schwerin  u.  a.  spreche  ich  hiermit  für  die  freundliche  Unterstützung  durch  Rath 
und  That  meinen  verbindlichsten  Dank  aus. 

Zur  Zeit,  als  die  Lieder  der  vorliegenden  Sammlung  niedei^e- 
schrieben  wurden,  gehörten  die  Niederlande  zum  neuburgundischen 
Staate.  Unter  Johann  dem  Unerschrockenen  (1404 — 1419)  und  dessen 
Sohn  Philipp  dem  Guten  (1419 — 1467)  kam  ein  Reich  zu  Stande, 
»welches  an  Bildung,  Kunstsinn,  Gewerbfleiß  und  Wohlstand  mit 
Italien  wetteifern  konnte«.  Daß  in  einem  solchen  Lande  Wissen- 
schaft und  Kunst  in  der  schönsten  Blüthe  standen,  darf  uns  nicht 
Wunder  nehmen.  Ich  erinnere  zunächst  an  die  Gründung  der  Uni- 
versität Löwen  i.  J.  1426  und  an  den  Aufschwung  der  theologischen 
Studien  sowohl,  wie  des  religiösen  Lebens,  hervorgerufen  durch  die 
Pflege  der  Mystik,  welche  die  Gegenstände  des  Glaubens,  die  dem 
sinnlicheii  Auge  sich  verbergen,  vermittelst  frommer  Beschaulichkeit 
dem  Gemüthe  nahe  zu  bringen  sucht.  Der  Boden  für  diese  Rich- 
tung war  schon  vorbereitet  worden  im  XIV.  Jahrhundert.  Geert  Groote 
(1340  — 1384),  der  berühmte  Gelehrte,  Ascet,  Bußprediger  und  Be- 
gründer der  Genossenschaft  der  »Brüder  des  gemeinsamen  Lebens » 
(Fraterherrn)  hatte  durch  seine  Predigten,  zu  welchen  das  Volk  von 
allen  Seiten  herbeiströmte,  viel  zur  Hebung  des  Gottesdienstes  und 
des  religiösen  Lebens  beigetragen.  Sein  Freund,  der  bekannte  Mystiker 
Johann  Ruysbroek  (f  1381),  »doctor  exstaticus«  und  »contemplator  ex- 
cellentissimuscr  genannt,  gelangte  nicht  bloß  durch  seine  mystischen 
Schriften  als  Theologe  zu  großer  Berühmtheit,  sondern  erwarb  sich 
auch  zugleich  den  Ehrennamen  eines  »Vaters  der  niederländischen 
Prosac,  weil  er  nicht  in  lateinischer,  sondern  in  seiner  Landessprache 
schrieb.  Bis  auf  den  heutigen  Tag  lebt  im  Andenken  seines  Volkes 
noch  fort  der  gewaltige  Volksredner  Johann  Brugman  (f  1473  . 
Dessen  Landsmann,  Thomas  von  Kempen  (f  1471),  der  die  christ- 
liche Mystik  in  ihrem  tiefsten  Wesen  erfaßte,  hat  durch  das  Büchlein 
von  der  »Nachfolge  Christi«  sein  Andenken   für  alle  Zeiten  verklärt. 


Niederländische  geistliche  Lieder  nebst  ihren  Singweisen  etc.  \  55 


Auf  welcher  Höhe  die  Kunst  der  Malerei  sich  befand,  das  be- 
weisen die  altflandrisehe  Malerschule  der  van  Eyck  im  Anfange  des 
XV.  Jahrhunderts  und  die  brabantische  Schule  mit  den  Meistern 
Roger  van  der  Weyden,  Hans  Memling,  Quentin  Metsys,  Lucas  van 
Leyden  und  anderen. 

Die  Architektur  feierte  ihre  Triumphe  in  der  Errichtung  pracht- 
voller gothischer  Kathedralen  (Breda,  Rotterdam,  Utrecht,  Delft, 
Deventer,  Zütphen,  ZwoUe)  und  Rathhäuser  (Brüssel,  Löwen,  Gent, 
Gouda) . 

Namentlich  aber  hatton  Musik  und  Yolksgesang  ihre    gol- 
dene Zeit.    Bekannt  ist,  daß  die  Schule  der  Niederländer  200  Jahre 
lang  (1350—1550)    in  Europa   ein  gewisses  Übergewicht  behauptete, 
indem    sie  die  Kunst   des  polyphonen  Satzes  zu   einem  der  größten 
Mannigfaltigkeit  fähigen  System  ausgestaltete  und  dadurch  die  Basis 
zur   modernen   Kunst   gelegt  hat.     Die  ersten   Meister,   welche   den 
Ausgangspunkt   dieser  Entwicklung  bilden,  sind:  Dufay,  Okenheim, 
Hobrecht  und  Josquin  de  Pres.    Goudimel,  der  Lehrer  Palestrina's, 
und   der  »Fürst  der  Musik«    im  Norden:   Orlandus  de   Lassus  sind 
beide   Niederländer.    Solche  Meister    konnten    aber  nur   aus  einem 
musikalisch  sehr  gut  beanlagten  Volke  hervorgehen.    Die  in  Hand- 
schriften und  späteren  Drucken  noch  vorhandenen  Lieder  legen  denn 
auch  Zeugniß  ab,  daß  im  XV.  Jahrhundert  der  Volksgesang  in  großer 
Blüthe   stand.     Trink-   und    Liebeslieder,   Gesänge  von   des  Lebens 
Lust  und  Leid  waren  in   großer  Anzahl  vorhanden.     Noch  bis  um 
die  Mitte   des  XVI.  Jahrhunderts  blieben   diese   in  Übung,  wie   der 
Italiener  Guicciardini  bezeugt.    Die  Singweisen  dieser  Lieder  waren 
so  beliebt,  daß  die  Tonsetzer  der  damaligen  Zeit  dieselben  nicht  nur 
mehrstimmig   bearbeiteten,  sondern   auch  ihren  geistlichen  Kom- 
positionen als  »cantus  firmus«  im  Tenor  zu  Grunde  legten.   Niemand 
fand  darin  etwas  Anstößiges.  »Mochten  die  Namen  der  Messen  noch 
so  wunderlich  klingen«,  sagt  der  geistreiche  Ambros,  »das  Alltagleben 
hatte  einen  poetischen  Zug,  darum  büßte  das  ideale  Leben  der  Kunst 
und  Frömmigkeit  nichts  ein,  wenn  es  jenes  andere    abspiegelte  und 
zugleich   verklärte;   das    Heilige    wurde    dadurch    dem    Niederländer 
nicht  entweiht,  wohl  aber  umgekehrt  das  Alltägliche  geheiligt.«  (Ge- 
schichte der  Musik  HI,  25.) 

Das  Bild  einer  Zeit  und  ihrer  Kultur  spiegelt  sich  lebendig  ab 
in  den  Volksliedern.  Es  war  deshalb  eine  natürliche  Folge  der  Ver- 
innerlichung  des  religiösen  Lebens,  daß  eine  große  Anzahl  geist- 
licher Lieder  entstand.  Namentlich  begannen  um  die  Mitte  des 
XV.  Jahrhunderts  die  Rederykers  (unsere  Meistersinger)  den  viel- 
fach derb-realistischen    weltlichen   Liedern   geistliche    gegenüber  zu 

11^ 


156  Wilhelm  Bftumker, 


stellen.  Entweder  dichtete  man  die  weltlichen  Texte  geistlich  um 
(Contrafacta)  und  behielt  die  ursprüngliche  Singweise  bei,  oder  man 
gab  den  Melodien  weltlicher  Lieder  ganz  neu  gedichtete  geistliche 
Texte,  ein  Verfahren,  welches  zu  gleicher  Zeit  auch  in  Deutschland 
unter  Heinrich  von  Loufenberg  in  Übung  kam.  Auf  diese  Art  und 
Weise  glaubte  man  die  anstößigen  Texte  der  weltlichen  Lieder  am 
besten  verdrängen  zu  können.  In  der  Berliner  Handschrift  finden 
wir  eine  große  Anzahl  geistlicher  Lieder,  über  welchen  die  Anfangs- 
zeilen  der  weltlichen  Lieder,  nach  deren  Melodien  sie  gesungen 
werden  sollen,  notirt  sind. 

Die  Lieder  der  Wiener  Handschrift  haben  derartige  Über- 
schriften zwar  nicht,  aber  es  ist  anzunehmen,  daß  der  Schreiber 
seine  Melodien  aus  derselben  Quelle  (dem  Yolksmunde]  bezc^en  hat; 
denn  einige  Melodien  lassen  sich  auf  diese  Quelle  zurückfahren, 
anderen  merkt  man  es  vielfach  an,  daß  sie  ursprünglich  anderen 
Texten  eigen  gewesen  siiid.^ 

Von  eigentlichen  Kirchenliedern  ist  bis  jetzt  nur  Weniges 
bekannt  geworden :  XJbertragungen  der  Psalmen ,  des  Lobgesanges 
Mariae  »Magnificat«,  des  Canticum  »Nunc  dimittis  servum  tuum  Do- 
miue«  und  des  »Stabat  materct.^  Indessen  glaube  ich,  daß  in  den 
Niederlanden  ebenso  wie  in  Deutschland  in  der  Kirche  Lieder  in  der 
Volkssprache  gesungen  wurden.  Nehmen  wir  z.  B.  gleich  das  erste 
Lied  der  Wiener  Handschrift  »Jhesus  Christus,  Marien  soen«,  so 
sehen  wir,  daß  es  vollständig  nach  Text  und  Melodie  den  Charakter 
eines  echten  Kirchenliedes  an  sich  hat.  Zudem  enthalten  unsere 
beiden  Handschriften  Übersetzungen  alt -lateinischer  Gesänge  und 
eine  Anzahl  von  solchen  Liedern,  welche  in  späteren  katholischen 
Gesangbüchern  sich  wiederfinden. 

1.  Het  is  een  dach  der  vrolicheit. 
Dies  est  laetitiae. 

2.  Een  kindekyn  is  ons  gheboren. 

3.  Magnum  nomen  Domini. | 

4.  Mit  desen  nyvren  iare. 

1  In  den  Niederlanden  blieb  dieses  Verfahren  in  weit  größerem  Umfange  als 
in  Deutschland  bis  in  das  17.  Jahrhundert  hinein  in  Übung.  Die  Reformirten 
sangen  ihre  Psalmen  nach  beliebten  Volksliederweisen ,  wie  die  Souterliedekens 
1540  beweisen.  Die  kathoL  Gesangbücher  »Het  Prieel  der  GheesteHjke  Melodie«, 
Brugghe  1609,  »Den  Boeck  der  Geesteliicke  Sanghen«,  Antwerpen  1634,  »Het  Paradys«, 
Antwerpen  1638,  enthalten  eine  ganze  Anzahl  Melodien  weltlicher  Lieder.  In  den 
Monatsheften  fOr  Musikgeschichte  1S84  Nr.  3  und  8  habe  ich  die  Anfänge  der 
weltlichen  Lieder  zusammengestellt.  Vergl.  auch  mein  Werk:  Das  kath.  deutsche 
KirchenUed  I,  S.  4,  78,  90,  92.  H,  S.  4,  31  und  35. 

2  Publizirt  von  Meyer  und  van  den  Bergh;  s.  Literaturverseichniß. 


Niederländische  geistUehe  Lieder  nebst  ihren  Singweisen  etc. 


J57 


5.  Laet  ons  mit  hartsen  reyne. 

6.  Ons  is  gheboren  nT  ter  tat 
Nobis  est  natus  hodie. 

7.  In  dulci  jubilo. 

In  dem  Gesangbuche  »Het  Paradys«,  Antwerpen  1638  finden  sich 
folgende  Lieder:  1,  2,  3 ^  4,  5.  In  älteren  Gesangbüchern  wird  man 
jedenfalls  noch  andere  entdecken.  Das  genannte  Gesangbuch  ent- 
hält überhaupt  viele  ältere  Lieder  in  neuer  Überarbeitung.  Ich 
möchte  an  dieser  Stelle  darauf  aufmerksam  machen,  daß  ich  in  dem- 
selben einen  Leis  geftinden  habe,  der  eu  den  ältesten  Kirchenliedern 

gehört. 

Het  Paradys.  Antwerpen  1638.  Bl.  IC. 

1      'Z' 


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1.   Nu  zijt    wel-le-ko- me      Je  -  su      lie  -  ren    Heer. 


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Ghy  komt  van     al  -  soo     hoo  -  ghe,      van     al  -  soo      veer. 


^^^^^^ 


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^-- 


Nn  züt  wel-le  -  ko  -  me  van  den  hoo-ghen   He-mel    neer. 


f-H-^=J=^=^T=^=^^^^q^^: 


Hier  al   in  dit  Aerdtrijk  zijt  ghy  ghesien  noyt  meer.  Kyrie  leys. 


2.  Christe  Kyrieleison  laet  ons  singen  bly, 
Daer  meed'  oock  onse  Leysen  beginnen  vry: 
Jesus  is  ghebooren  op  den  Heylighen  Kers-nacht, 

Van  een'  Maghet  reyne,  die  hoogh  moet  zijn  geacht  Kyrieleis. 

3.  D'Herders  op  den  Velde  hoorden  een  nieuw  liedt, 
Dat  Jesus  was  ghebooren,  sy  wisten't  niet: 

Gaet  aen  geender  Straten,  en  ghy  sult  hem  vinden  klaer, 
Bethlem  is  de  stede,  daer't  is  geschiedt  voorwaer.  Kyrieleis. 

4.  IVHeylige  diie  Coon'ghen  uyt  so  verren  lant 
Sy  soehten  onsen  Heere  met  Offer^hant: 
S'Offerden  ootmoedelijck  Myrrh'  Wieroock  ende  Oout 
T'eeren  Tan  dat  Kinde,  dat  alle  ding  behout.  Kyrieleis. 

DaB  dieses  Lied  ein  altes  ist,  beweisen  die  Melodie ,  der  Vers 
und  der  Schluß  »Kvrieleist.    Ln  Kirchenmusikalischen  Jahrbuch  für 


158  Wilhelm  Bäumker, 


1887  S.  65  habe  ich  schon  gezeigt,  daß  hier  die  Überarbeitung  eines 
von  Hofiinann  von  Fallersleben  in  den  Schluß  des  XI.  Jahrhunderts 
gesetzten  Liedes  vorliegt. 

1.  Nun  siet  uns  willekomen,  hero  Kerst, 
Die  ihr  unser  aller  hero  siet. 

Nun  siet  uns  willekomeni  lieber  hero. 

Die  ihr  in  den  Kirchen  schöne  siet.    Kyrie-leyson. 

2.  Nun  ist  gott  geboren  unser  aller  trost, 

Der  die  hölsche  phorten  mit  seinem  creutz  aufsthoes, 

Die  Mutter  hat  geheischen  Maria, 

Wi  in  allen  Kerstenbucheren  geschriben  steht   K3rrie-ley80n. 

So  theilt  uns  Quix  (Historische  Beschreibung  der  Münsterkirche 
und  der  Heiligthums-Fahrt  in  Aachen  1825.  S.  119)  das  Lied  mit  und 
fügt  hinzu :  >Jn  der  Christnacht  versammelten  sich  die  Herren  Scheffen 
auf  ihrer  Gerichtsstube,  gingen  dann  in  die  Münsterkirche,  wo  sie 
die  Chorstühle  auf  der  rechten  Seite  einnahmen.  Nach  dem  Evan- 
gelium stimmte  der  Scheffenmeister  folgendes  alte  Lied  an,  welches 
vom  Chore  fortgesungen  wurde :  Nu  siet  etc.«  Dieses  Lied  war  aber 
nicht  bloß  in  Aachen,  sondern  überhaupt  am  Niederrhein  üblich.  Das 
geht  daraus  hervor,  daß  in  der  ehemaligen  fürstlichen  Abtei  Thom 
an  der  Maas  in  der  heiligen  Nacht  die  Schiffer  des  in  der  Nähe 
liegenden  Ortes  Poll  zur  Kirche  nach  Thörn  kamen,  wo  sie  minde- 
stens drei  bis  vier  Strophen  vor  dem  Altar  des  hl.  Georg  sangen. 
Dafür  erhielten  sie  von  der  Äbtissin  einen  Imbiß  und  einen  Krug 
Wein.» 

Zum  Beweise  für  meine  Behauptung,  daß  hier  eine  ältere  Melodie 
vorliege,  führe  ich  ein  handschriftliches  Bruchstück  des  Liedes  an. 


■f>- 


Syt  wil  -  le  -  komen  heir-re  kirst  want  du  unser  alre  here  bis.^ 

Außer  den  Liedern,  die  man  als  Kirchenlieder  betrachten  kann, 
war  eine  große  Anzahl  geistlicher  Lieder  vorhanden,  welche  der 
Privaterbauung  dienen  mochten:  Gesänge  zu  Weihnachten,  Marien- 


^  In  einem  handschriftlichen  Rituale  dieser  Abtei  aus  dem  17.  Jahrhundert» 
welches  aber  nach  Mittheilung  des  Herrn  Pfarrers  Moubis  die  Kopie  einer  älteren 
Handschrift  ist,  heißt  es:  »In  vigilia  Nativitatis  evangelio  finito  nautae  de  Poll 
tenentur  cantare :  »Nu  siet  willekom  herro  kerst«  etc.  ad  minimum  tres  aut  quatuor 
versus  ante  altare  Sti.  Oeorgii,  quibus  Abbatissa  tenetur  dare  offam  et  ampho- 
ram  vini.« 

2  Herr  Domchordirigent  Boeckeler  in  Aachen  sandte  mir  dieses  Fragment, 
welches  er  in  einem  Evangeliarium  Kaiser  Otto's  III.  (980 — 1002)  gefunden  hatte. 


Niederländische  geistliche  Lieder  nebst  ihren  Singweisen  etc.  }  59 


und  Heiligenlie^er,  namentlich  aber  geistliche  Minnelieder.  Diese 
letzteren  waren  die  Frucht  der  mystischen  Richtung,  welche,  wie 
oben  gezeigt  wurde,  bereits  im  XIV.  Jahrhundert  sich  Bahn  zu 
brechen  begann  und  später  eine  leidenschaftliche  Begeisterung  für 
das  Klosterleben  wachgerufen  hatte.  Alle  diese  Lieder  behandeln 
einen  Gedanken:  «Christus  ist  der  Bräutigam,  nach  dem  die  minnende 
Seele  sich  sehnt.  Zur  Vereinigung  mit  ihm  gelangt  man  nur  durch 
die  Lossagung  von  den  Gütern  und  Freuden  der  Welt  und  selbst- 
lose Hingabe  an  den  Erlöser.«  Mit  hinreißender  Wahrheit  werden 
alle  Schattirungen  des  Leides  und  der  Wonne  geschildert,  welche  in 
der  Seele,  die  Christum  zu  minnen  anfängt,  sich  ausprägen.  Mit 
tiefem  Seelenleiden  beginnt  die  Minne,  in  ruhiger  Seligkeit  endigt 
sie.  Dabei  wird  die  Sehnsucht  nach  dem  himmlischen  Bräutigam  oft 
in  so  bezaubernden  Farben  dargestellt  und  mit  einer  solchen  Gluth 
durchdrungen,  daß  man  unwillkürlich  an  das  hohe  Lied  erinnert 
wird.  Alle  diese  Lieder  bilden  einen  reizenden  Gegensatz  zu  den 
weltlichen  Liebesliedem ,  erfreuten  sich  aber  wegen  ihres  allzu  sub- 
jektiven Charakters  mit  wenigen  Ausnahmen  keiner  besonderen 
Popularität. 

Was  den  Inhalt  angeht,  so  können  wir  die  mitgetheilten  Texte 
folgendermaßen  gruppiren : 

L  Weihnachtslieder  Nr.  10,  12,  14,  16,  17,  40,  48;  Neujahrs- 
lied 47;  von  den  hl.  Dreikönigen  13;  vom  Namen  Jesu  15;  vom 
Leben  und  Leiden  Christi  8,  11,  18;  Osterlied  44;  Gebet  zu  Christo  1. 

IL  Marienlieder:  Ihre  Freuden  und  Leiden.  Lobgesänge  zu 
ihr  5,  6,  7,  14a,  23,  31,  56,  61,  62. 

m.  Heiligenlieder:  Von  den  Heiligen  im  Allgemeinen  59; 
von  St.  Katharina  27;  St.  Agnes  28;  St.  Margaretha  29. 

rV.  Lieder  vom  geistlichen  Leben:  Lossagung  von  der  Welt 
und  Hinkehr  zu  Jesus  2,  3,  4,  36 ;  vom  Streite  des  Geistes  wider  die 
Natur  41,  42;  Bekehrung  des  Menschen  35;  Erlösung  37,  38,  43,  45, 
55;  geistliche  Minnelieder  19,  20,  21,  22,  32,  33/34,  39,  46,  49,  50,  52, 
53,   57. 

V.  Lieder  verschiedenen  Inhaltes:  Vom  Tod  6a,  51;  vom 
Vortheil  der  Leiden  und  Widerwärtigkeiten  des  Lebens  24 ,  25 ;  von 
den  Freuden  des  Himmels  9,  54 ;  von  der  Tugend  der  Barmherzig- 
keit 26;  Reinigkeit  58  und  Jungfräulichkeit  30. 

Von  nur  wenigen  Liedern  sind  die  Verfasser  bekannt:  Es  sind 
folgende  Namen: 

1.  Johannes  Brugman  wird  in  der  Berliner  Handschrift  bei 
zwei  Liedern  dIc  heb  gheiaecht  myn  leven  lanc«  (Nr.  73)  und 
9 Mit  vroechden  laet  ons  singhen«  (Hoffmann,  Niederl.  Geistl.  Lieder 


}52  Wilhelm  Bäumker, 


Liede   ein  Schema  hinzugefügt,    auf  Grund  dessen  man  sich  leicht 
Orientiren  kann. 

Der  Endreim  ist  bisweilen  sehr  unregelmäßig  und  fehlt  öfters 
ganz.  Auch  wechseln  stumpfe  und  klingende  Reime  nicht  r^^el- 
mäßig  mit  einander  ab.  Häufig  entspricht  dem  stumpfen  Reim  ein 
klingender  und  umgekehrt.  Nicht  selten  kommt  auch  der  Binnen- . 
reim  vor  und  der  Doppelreim  (dobbelsteert)  ^  wenn  zwei  Reime  den 
Vers  schließen,  z.  B.  »ewen  trewen«. 

Wir  dürfen  überhaupt  keinen  strengen  kritischen  Maßstab  an 
diese  Texte  anlegen.  Ihr  Werth  ist  verschieden.  Manche  sind  nach 
Form  uAd  Inhalt  von  untei^eordneter  Bedeutimg,  andere  dagegen 
ziehen  uns  an  durch  die  kindlich-naive  Auffassung  und  den  poeti- 
schen Schwung.  Einzelne  Stellen  sind  von  überraschender  Schönheit : 
ein  hoher  poetischer  Hauch  weht  uns  aus  ihnen  entgegen. 

Die  Notenschrift  stammt  aus  einer  Zeit,  in  welcher  die 
Mensuralisten  anfingen,  die  Noten  des  Gregorianischen  Chorals 
für  ihre  Zwecke  zu  benutzen.  Die  Noten  des  Chorals  sind  be- 
kanntlich folgende  ■■  ■  ♦.  »Ihre  verschiedene  Gestaltung  hat  keinen 
direkten  Bezug  auf  den  Rhythmus,  noch  viel  weniger  auf  die  Mensur 
der  kirchlichen  Gesänge«  (Pothier) .  Als  die  Mensuralisten  sich  dieser 
Notenschrift  bemächtigten,  nannten  sie  die  ^  longa,  die  ■  brevis, 
die  ^  semibrevis  und  fügten,  weil  sie  mit  diesen  Zeichen  nicht 
auskamen,  nach  oben  hin  die  "^  maxima  und  nach  unten  die  1 
minima  und  ^  semiminima  hinzu,  sodaß  wir  also  folgende  Noten- 
reihe erhalten: 

i  i  .  .       .         ^  -^ 

Maxima,   longa,   brevis,   semibrevis,  minima,   semiminima. 

In  unsern  beiden  Handschriften  kommen  bei  den  lateinischen 
Choralgesängen  und  auch  bei  einer  ganzen  Anzahl  von  Liedern  in  der 
Volkssprache  nur  diese  beiden  Noten  '^  ♦  vor,  welche  den  oben 
notirten  longa  und  brevis  entsprechen.  Man  vergleiche  z.  B.  das 
Lied  Nr.  1  »Jesus  Christus  marien  soen«  auf  dem  I.  Facsimile  und 
Nr.  70  »Ave  Maria  maghet  pia«  auf  dem  III.  Facsimile. 

Einzelne  Lieder,  die  ursprünglich  nur  in  Choralnoten  notirt  waren, 
sind  von  einer  späteren  Hand  mensurirt  worden.  Die  beiden  Noten- 
gattungen "^  ♦  sind  dann  gleich werthig  als  Semibreven  zu  nehmen, 
die  neu  hinzugekommene  1  als  minima.  Vgl.  No.  64.  In  anderen 
Liedern,  z.  B.  No.  13,  ist  die  ^  zur  Minima   degradirt  worden  durch 

Anfiigung  eines  Striches  nach  oben  ^.     Die  übrigen  Zusammenstel- 
lungen sind  nach  der  oben  notirten  Skala  leicht  zu  erkennen. 


Niedeiländische  geistliche  Lieder  nebst  ihren  Singweisen  etc. 


163 


Nur  ein  Lied  äIii  dulci  jubilo«  (vgl.  Facsimile  III)  ist  in  weißen 
Mensuralnoten  notirt.  Die  Reihenfolge  derselben  entspricht  der  Skala 
in  schwarzer  Notation: 

Mazima,     longa,  brevis,   semibrevis,   minima,    semiminima,      fusa. 
R  W  H  ^  i         4^  oder  ^        ^ 

In  einigen  wenigen  Liedern  treten  an  einzelnen  Stellen  mitten  unter 
den  schwarzen  Noten  weiße  auf  (Nr.  4a,  50,  52,  55,  58,  62,  63.) 
Da  hier  überall  ein  dreitheiliger  Rhythmus  vorausgeht,  so  bezeichnen 
die  weißen  Noten  den  Eintritt  der  imperfekten  zweizeitigen  Mensur, 
im  Gegensatze  zur  voraufgegangenen  perfekten  oder  dreizeitigen. 

Im  tempus  perfectum  galt:  Im  tempus  imperfectum 

"~         6     ■  cq    = 

i 


i 


i 


=    3 


B    = 
i 


4 
2 


Q 
P 


♦    = 


3 
3 
3 


I 


2 
2 

2 


I 


^ 


^  = 

In  den  genannten  Liedern  sind  demnach  die  weißen  Noten  zwei- 
zeitig zu  messen. 

Der  öfters  vorkommende  Gang: 


wäre  demnach  in  folgender  Weise  wiederzugeben: 


und  in  Nr.  52 


'^i'V^^T 


Was  die  Ligaturen   angeht,    so   habe  ich  die  aufsteigenden  mit 

wiedergegeben,  weil  diese  Schreib- 


und die  fallenden  mit 


I 


.     ^it    Y 

weise  am  meisten  der  Originalnotation  entspricht.  (Vgl.  die  Tafel 
I  und  ni  der  Facsimilia.)  Bei  der  Übertragung  in  moderne  Takt- 
noten ist  die  Regel  zu  beachten,    daß  die  genannten  Ligaturen,   sie 

aus  zwei  oder   drei  Noten      ^   i   ^       bestehen,   stets 


mögen   nun 


den  Werth  einer  langen  Note  haben.   Bei  der  aufsteigenden  Ligatur 
ist  der  Accent  auf  die  zweite  Note  zu   legen ,  etwa  so    l    -♦► ,  bei  der 


]g4  Wilhelm  BAumker, 


I 
absteigenden  auf  die  erste  -^    i  .  Die  Berliner  Handschrift  giebt  diese 

letztere  in  den  zweistimmigen  Sätzen  bald  so  4   i   b^ild  •4'   i    wieder. 

Die  Regeln  hiefur  findet  man  in  £.  de  Couagemaker,  Scripto- 
rum  de  musica  medii  aevi  tom.  III,  21,  33,  34,  54,  119.  Vgl.  auch 
Riemann,  Dr.  H.,  Studien  zur  Geschichte  der  Notenschrift,  Leipzig. 
1878.  S.  225  ff.  282  ff. 

Die  Rhythmik  der  vorliegenden  Gesänge  ist  eine  sehr  verschieden- 
artige. Die  nicht  metrischen  Texte  in  Choralnotation  richten  sich  nach 
dem  freien  Rhythmus  der  Textdeklamation.  Bei  den  metrischen  Texten 
ist  das  Versmaß  im  Ganzen  maßgebend  für  den  musikalischen  Rhyth- 
mus. Die  meisten  Lieder  stehen  im  tempus  perfectum  d.  h.  im  drei- 
theiligen  Zeitmaß,  welches  jedoch  in  ein  und  demselben  Liede  zu- 
weilen mit  dem  ZAveizeitigen  (tempus  imperfectum)  abwechselt,  wie 
aus  dem  oben  Gesagten  hervorgeht. 

Die  Tonarten  sind  die  altkirchlichen. 

1)  e  f  g  a  h  c  d  ^Orandton. 

ahcDefga  )      ^ 

Efgahcde    \      ^ 


I. 

Dorisch : 

II. 

Hypodorisch : 

111. 

Phrygisch : 

IV. 

Hypophrygisch : 

V. 

Lydisch : 

VI. 

Hypolydisch: 

VII. 

Mixolydisch : 

VIII 

.  Hypomixolydisch: 

IX. 

Aolisch : 

X. 

Hypoäolisch : 

XI. 

Ionisch : 

xn. 

Hypoionisch : 

h  c  d  E  f  g  a  h 

Fgahcdef\      ^ 
F  q  a  h  c  I 


c  d  e  F  g  a  h  e 

Ga/icdefg\ 

defGahed  i 

Ahcdefga\ 

efgAhcde  j 

Gdefgahc    \ 

gahCdefg  ) 

Mit  Vorzeichnung  von  einem  b  konnten  diese  Tonarten  um  eine 
Quint  nach  unten  und  eine  Quart  nach  oben  transponirt  werden. 
Jedoch  fehlen  in  unseren  Handschriften  die  Vorzeichnungen  des  i. 
Selbst,  wo  der  Tritonus  unmittelbar  folgt,  fehlt  häufig  das  b.  Nach 
den  Tonarten  vertheilen  sich  die  Lieder  wie  folgt: 

Dorisch. 
1,    2,    3,    4,    6,    7,    8,    17,    18,    20,    21,    22,    23,    24,    25,    27,   2S, 
30,   32,  35,  36,  37,  38,   40,  42,  45,  46,  47,  48,  50,  55,  56,  58,  60,  61, 
66,  68,  6^,   73,    75,   76,   77,   79,  80,*  82,  84,  85. 


Niederländische  geistliche  Lieder  nebst  ihren  Singweisen  etc.  J  g5 


Phrygisch. 
13,   14,  31,  52,   53,  54,   74. 

Lydisch. 
5,    12,  39,  49,  51,   59,  65,  67. 

Mixolydiscli. 

9,  11,   15,   19,  41,  44,  57,  72. 

Äolisch. 
12    (mit  ionischem  Schluß),  26,  29. 

Ionisch. 

10,  16,  33,  34,  43,  62,  63,  64,   70,  71,  78,  81,  83,  86. 

Die  Melodien  unserer  Texte  sind  zum  großen  Theil  weltlichen 
Liedern  entnommen.    Man  vergleiche  die  Nummern: 

2,  4,  6,  7,  8,  9,  21,  22,  33,  34,  35,  44,  46,  49,  50,  51,  52,  53, 
54,   55,  56,  57,  58,  59,  60,   72,   73,  74,   75,   76,  78,  79,  80,  81,  82. 

Von  lateinischen  Kirchengesängen  rühren  her  die  Singweisen 
zu  Nr.  10,  U,  14,  16,  36,  40?  68  und  70. 

Zweistimmige  Lieder  bieten  uns  die  Nummern:  16,  36,  40,  47, 
63,    64. 

Unter  diesen  meist  verschollenen  Melodien  giebt  es  einige  von 
groBer  melodischer  Schönheit,  andere  von  geringfügigem  Werthe. 
Die  alten  Tonarten  geben  ihnen  ihr  charakteristisches  Gepräge. 
Wer  nur  moderne  Lieder  gesungen  oder  gehört  hat,  dem  werden 
manche  Gesänge  sehr  hart  klingen,  wer  aber  an  den  Gregorianischen 
Charalgesang  gewöhnt  ist ,  wird  an  vielen  Melodien  großen  Gefallen 
finden.  In  diesem  Punkte  kommt  es  viel  auf  die  musikalische  Er- 
ziehung an,  die  Jemand  zu  Theil  geworden  ist.  Die  mehrstim- 
migen Lieder  gewähren  uns  einen  interessanten  Einblick  in  die  geistige 
Werkstätte  der  Diskantisten  des  XY.  Jahrhunderts.  Eine  wohlklingende 
Harmonie  und  feine  Form  werden  wir  allerdings  vergebens  darin 
suchen.  Wir  müssen  indessen  bedenken,  daß  wir  die  ersten  Ver- 
suche im  zweistimmigen  Kontrapunkte  vor  uns  haben,  und  trotzdem 
sind  auch  hier  einzelne  Stellen,  wie  z.  B.  die  Kadenzen  im  »Magnum 
nomen  Dominum  von  großer  Schönheit. 

Beschreibung  der  UandschrifleD. 

Die    Wiener    Handschrift.    (A.) 

Den  Grundstock  der  vorliegenden  Sammlung  bildet  die  Pergament- 
handschrift 7970  auf  der  k.  k.  FideikommißbibUothek  in  Wien,  ein 
Lederband  mit  Schließen.  14  72  ^^  hoch  und  10^2  ^^  breit.. 


]  gß  Wilhelm  Bäumker, 


Sie  stammt  aus  dem  XV.  Jahrhundert.  Eine  Notiz  über  den 
Schreiber  findet  sich  nicht  darin,  ebensowenig  die  Angabe  einer 
Jahreszahl.  Die  Schrift  ist  gothisch  mit  schönen  Initialen  in  rotlier 
und  blauer  Farbe.  Die  Lieder  sind  in  durchgehenden  Zeilen  und 
nicht  in  abgetheilten  Versen  geschrieben.  Die  Strophenanfänge  sind 
jedoch  durch  kleine  farbige  Initialen  gekennzeichnet. 

Die  Handschrift  zählt  151  mit  römischen  Ziffern  signirte  Blätter, 
dann  folgt  ein  Anhang  mit  14  nicht  gezeichneten  Blättern.  Blatt 
I  bis  LXXVII  stehen  47  Lieder  mit  ihren  Singweisen.  Das  letzte 
Lied  »Mit  desen  nywen  iare«  ist  zweistimmig.  Es  kommen  auch  ver- 
einzelt Lieder  ohne  Melodien  vor. 

Bl.  LXXIa  »Liidt  den  tiit  al  dunkt  hi  v  lanc.« 

Bl.  LXXIb  «Oirlof,  oirlof  valsche  w^erelt.« 

Die  Handschrift  war  für  den  Klostergebrauch  bestimmt  und  ist 
viel  benutzt  worden.  Vor  den  ersten  neun  Liedern  steht  jedesmal 
als  Einleitung  eine  Betrachtung,  deren  Schluß  die  Absingung  des 
betreffenden  Liedes  bildet. 

Als  Beispiel  gebe  ich  die  Schlußbetrachtung  Bl.  XVI  b  ff: 

»Och  lieue  bruederkyns  ende  susterkyns  dencket  in  v  seinen  hoe 
scoen  en  hoe  genuechlic  dattet  hier  op  eertriic  is  inder  meyentiit 
inder  daghereit,  als  die  bloemkyns  en  die  roeskyns  wytspruten  en 
hem  suetelike  op  die  sonnen  toecomste  opluyken  en  beghinnen  bouen 
maten  wel  te  ruken.  Ende  alle  die  bloemekyns  syn  beuaen  mit  sue- 
ten  louerkyns  ende  bloeyen  suuerlic.  Ende  die  sonne  beghint  scoen 
en  ciaer  te  rysen  aen  dat  firmament  des  hemels.  En  alle  die  vogel- 
kyns  syn  vroelic  inder  lucht  en  singhen  seer  blidelic  en  scoen.  Och 
-wie  mach  anders  seggen,  ten  is  seer  genuechlic  in  desen  voir- 
screuen  tiit! 

Och  lieue  brueders  gesciet  dese  voerseyde  zueticheit  hier  opp 
eertriic  in  des  conincs  kerker.  Want  eertriie  en  is  niet,  dan  een 
diepe  kerker,  daer  wy  in  syn  geset  ouermits  ons  misdaet.  Want  doe 
adam,  onse  olde  vader,  ende  eua,  onse  moeder,  gods  des  ewichs  coninx 
gebot  braken,  doe  worden  si  wyten  paradiis  geset  in  den  kerker: 
dat  is  hier  op  eertriic.  Dair  om  seg  ic  v,  lieue  broeders,  geschiet 
dese  voirscreuen  sueticheit  hier  op  eertriic,  in  gods  des  ewich 
coninx  kerker;  O  dencket  dan  in  v  seinen,  wat  groeter  sueticheit 
moet  geschien  in  gods,  des  ew^ich  coninx,  hoeue  ende  in  synre  salen, 
bouen  in  hemmelriic.  Syn  dese  roeskyns  eü  bloemkyns  hier  dus 
suete,  ende  singhen  dese  vogelkyns  dus  scoen  ende  blidelic  op  eertriic, 
in  dese  kerker;  Och  hoe  suet  en  scoen  moeten  dan  die  bloemkyns 
syn  ende  roeskyns  in  des  coninx  houe  en  in  synre  salen!  Welke 
bloemkyns  en  roeskyns  nymmermeer  en  vergaen  noch  en  verdorren. 


Niederländische  geistliche  Lieder  nebst  ihren  Singweisen  etc.  }ß7 


O  hoe  8coen  syn  daer  die  bloemkyns  mit  sueten  louerkyns  beuaenl 
Ende  hoe  blidelic  ende  hoe  scoen  moeten  daer  die  vogelkyns  singen, 
daer  anders  niet  en  is,  dan  grote  yroude  en  blüscap  ewelic  durende. 
Tot  welke  bliiscap  ende  yioude  brenget  v  ende  my  tesamen  god  die 
vader^  die  soen,  eü  die  heilighe  gheest,  drie  personen,  een  wesen, 
nae  deser  tiit,  die  ny  ende  ewich  ouer  alle  die  werrelt  moet  syn 
gebenediit.  amen.a 

Auf  Bl.  LXXVIII  bis  CLI  stehen  lateinische  Gesänge :  Sequen- 
zen, Hymnen,  Antiphonen  und  Responsorien.  Bl.  CXLXIIIb.  »Media 
vita«r  mit  den  Interpolationen  »Ach  homo  perpende  fragilis.«  (vergl.  Mone, 
Hymnen  290,  ferner  W.  Bäumker,  Das  kath.  deutsche  Kirchenlied 
I.  Nr.  300.) 

Der  Anhang  (14  Blätter]  enthält  1.  eine  Unterredung  zwischen 
einem  Lehrer  und  Schüler  über  das  geistliche  Leben. 

2.  das  Lied: 

HeiUcheit  en  leyt  niet  in  den  schyn, 
Mer  heilicheit  leyt  in  heilich  te  syn. 
6  achtzeilige  Strophen. 

3.  eine  Anzahl  Sprichwörter  und  Sentenzen  in  Versen  über 
Lebensweisheit,  Ehre,  Untreue,  irdisches  Gut,  Krankheit  etc. 

Zum  Beispiel: 


Die  syn  vrient  proeuen  sal. 
Die  proeuen  in  syn  ongeual; 
Want  int  geluck  is  menich  vrient, 
Die  inder  noet  al  niet  en  dient 


Soe  wien  dunct,  dat  hi  genoech  kan, 
Hi  en  werdt  nymmermeer  wiis  man; 
En  wien  dunct,  dat  hi  is  wiis, 
Die  draecht  van  abe  sotheit  priis. 


Die  meeste  wiisheit  diemen  vindt, 
Die  is  dat  elc  hem  seinen  kent, 
Ende  daertoe  die  meeste  riicheit 
Dunket  my  wesen  genoegelicheit ; 


Want  wien  genoech  is,  dat  hi  heeft, 
Hi  is  die  riicste,  die  daer  leeft. 


Die  alre  meeste  eer  ig  trouue, 
Trouue  is  alre  eeren  vrouue; 
Hi  is  wiis  en  wel  geleert, 
Die  al  dinc  ten  besten  keert. 


Weet  ghi  wat  ic  gescreuen  sach, 
Wiltu  verwinnen,  soe  verdrach. 


Leert  yerdragen,  Als  ghi  verdraecht, 
Sonder  dagen,  Hoe  seer  men  v  iaecht, 
Wie  ghi  siit,  Ghi  W}'nt  den  striit. 


Den  Schluß  bildet  das  Lied:  »Dies  est  laetitiaea  mit  der  Melodie. 

Als  Facsimilia  biete  ich  dem  Leser  Blatt  I   mit  dem  Liede:  »Jhesus 

cristus  Marien  soen.ff 

Blatt  XIII  a.  »Het  is  een  dach  der  vrolicheit.« 
Blatt  LXXVIa  und  b.  »Mit  desen  nywen  iare.« 

Die  Berliner  Handschrift.   ^B.) 

Die  zweite  von  mir  benutzte  Handschrift  befindet  sich  jetzt  auf 
derk.  Bibliothek  in  Berlin,  Manuscr.  germ.  8. 190,  Pergamenthandschrift 


]  g§  Wilhelm  Bäumker, 


in  Lederband  gebunden.  Sie  zählt  184  (wahrscheinlich  vom  früheren 
Besitzer  HofFmann  von  Fallersieben)  signirte  Blätter.  Sie  rührt  von 
verschiedenen  Schreibern  her  und  datirt  aus  dem  Ende  des  XY.  Jahr- 
hunderts. 

Die  105  niederländischen  geistlichen  Lieder  dieser  Handschrift 
hat  der  obengenannte  Gelehrte  in  seinem  Büchlein  »Bibliotheca  Hoff- 
manni  Fallerslebensis.ee  Leipzig.  1846.  S.  7 — 14  aufgezählt.  Die  größte 
Anzahl  ist  abgedruckt  in  den  »Niederl.geistl.  Liedern«.  Hannover.  1854. 

Über  den  Texten  stehen  meistens  die  Anfangszeilen  der  welt- 
lichen Lieder  angegeben,  nach  deren  Singweisen  die  geistlichen  ge- 
sungen werden  sollen.  Die  Noten  dazu  stehen  durchgehends  nicht  bei 
den  vollständigen  Texten,  sondern  sie  finden  sich  Bl.  99 — 109  der 
Handschrift  mit  der  ersten  Textstrophe  besonders  aufgezeichnet. 
Indessen  kann  man  doch  annehmen,  daß  diese  Melodien  die  an  anderer 
Stelle  über  den  Texten  angegebenen  weltlichen  Liedweisen  re- 
präsentiren. 

Außer  den  niederländischen  Liedern  enthält  diese  Handschrift, 
wie  auch  die  Wiener,  eine  große  Anzahl  lateinischer  Gesänge  mit 
den  Melodien. 

Vergl.  Horae  Belgicae  l.  S.   110—113. 

Aus  diesem  Manuskripte  gebe  ich  die  Facsimilia  BI.  13  a.  »In 
dulci  iubilo.« 

Bl.  56a.  »Ave  maria,  maghet  pia.« 
• 

Berliner  Handschrift.   (C.) 

Einigemale  habe  ich  eine  dritte  Handschrift  der  Melodieangaben 
wegen  citirt.  Es  ist  dies  die  Papierhandschrift  Manuscr.  germ. 
8.  185  auf  der  königl.  Bibliothek  in  Berlin,  welche  früher  ebenfalls 
Hoffmann  von  Fallersleben  zugehörte.  Sie  zählt  322  Seiten  und  ent- 
hält 92  geistliche  Lieder  ohne  Melodie,  jedoch  häufig  mit  Melodie- 
angaben weltlicher  Lieder.  Die  Anfänge  der  Texte  findet  man  ver- 
zeichnet in  der  »Bibliotheca  Hoffmanni  Fallerslebensis.«  Leipzig.  1846 
Seite  15—20. 

Vgl.  Horae  belg.  L  Seite  113  ff. 

Literatur. 

Acquojßf  l)r.  J.  6'.  jR.,  Het  geestelt/k  Lied  in  de  Nederlanden  voor  de  Hervor- 
ming.  Aantcijzingen  en  icenken  in  »Archie/  voor  Nederlandsche  kerkgeschie- 
denift.n     Ttoeede  deel.  S' Gravenhage,  18^6.  8,  (Sehr  zu  empfehlen!) 

Albei^dingk-TFtytn,  J,  A,,  Gedichten  uit  de  verschillende  tijdperken  der  Noord-en 
Zuid-Nederlandsche  Literatuur  ete.  berste  bundeL  XI r,  XIIU,  XI V*",  XF*  efi 
XVI''  eeuw,  Amsterdam,  1860,  8, 


Niederländische  geistliche  Lieder  nebfit  ihren  Singweisen  etc.  }  g9 


^iöerMnffk^TT^iJnif  J.  A.  en  L.  J.,  Oude  en  nieuwe  kerstliederen.  Amsterdam, 

1852,  (Mit  Melodien.) 
Cfousaemtiker,  JE.  de,   ChanU  popwlawce  des  Fktmanda  de  France.    Gand,  1856. 

(mit  Melodien). 
JSv€rt8,  W.j   Oeschiedenia  der  Nederlandsche  Letteren;  een  Handhoek  voor  Oymna- 

»iä»  en  hoogere  Burgerachoien,     Derde^  h&rziene  Druk.  Amsterdam^  1885. 
Cfevtxert,  F.  A*,  Verzameling  van.  oud^  VTaemeche  liederen  mif  heghiding  van  piano, 

Gentf  o,  J,  4. 
Ooedeke,  Karl,  Grundriß  zur  Geschichte*  der  deutschen  Dichtung.    Zweite  ganz 

neu  bearbeitete  Auflage.  I.  Bd.  Das  Hittelalter.  Dresden,  1884.  S.  457 — 484. 

»Niederdeutsche  poetische  Literatur^« 
Hellwald,  Ferd.  Ton  und  Schneider,  L.,  Geschichte  der  niederlfindisehen  Littera- 

tur.  Leipzig,  (1887). 
SoffintMnn  van  Fallersieben,  De  gnüquioribi^  Belgarum  literts.  Vraiislaviae, 

1830,    Horae  belgicae,  pars  prima. 

Holländische  Volkslieder.    Breslau,  1833.  •  Horae  Belgiöae,  pars  seeunda. 

Bibliotheea  Hoffinanni  FaUerslehensis,  Leipzig,  1846. 

Antwerpener  Liederbuch  vom  Jahre  1544.    Hannover,  1854.    S^orae  helgieae, 

pars  undecima. 

Niederländische  geistliche  Lieder  des  XV.  Jahrhunderts.    Aus  gleichzeitigen 

Handschriften  herausgegeben.  Hannover,  1854.    Horae  Belgicae,  pars  decima.  8, 

In  dulci  iuhilo,  Nun  singet  und  seid  froh.    £in  Beitrag  zur  Geschichte  der 

deutschen  Poesie.  2.  Ausgabe.  Hannovjsr,  1861» 

Geschichte  des  deutschen  Kirchenliedes  bis  auf  Luthers  Zeit.    3.  Ausgabe. 

Hannover,  1861. 

J^anekbloet,  Dr,   W.  J.  A.,  Oeschiedenis  der  Nederlandsche  Letterkunde.    Tweeds 

geheel  omgetcerkte  uitgape.   Groningen,  1873.  2  Theile. 
Le  tfettne,  Ms.  J.  C.  W.,  Ldtterkundig  Overzigt  en  JProeven  vafi  de  Nederlandsche 

Volkszangen  sedert  de  XV^^  Eeuw.     Te  JS" Gravenhage ,   1828.     (Enthält   100 

Lieder,  darunter  einige  geistliche;  ohne  Melodien). 
ZiOOtens,  A.  et  Feys,   J.   M*  E»,   Chants  populaires  ßamands  avee  les  airs 

not4s  et  poesies  populaires  diverses,  reeueiUis  ä  Bruges.   BrugeSf  1879.  (Enthält 

eine  große  Anzahl  geistlicher  Lieder  mit  den  Melodien.) 
Jl£4tifer,  G,  J.  (Hooglesraar  ie  Groningen)^  De  sseven  Boetpsalmen  en  andere  stukkeiij 

herijmt  in  de  eerste  helft  der  veertiende  eeuw.    ifituwe  Werken  van  de  Maat-* 

schappif  der  Nederlandsche  Letterkunde  te  Leiden  V.   deel.  I.  stuk.   Te  Dard- 
.    recht,  1838.  p.  137  ff. 
JHoiif   W,,  Johannes  Brugman  en  het  godsdienstig  leven  onzer  Vadermi  in  de  viffti- 

ende  eeuw.  Afnsterdam,  1854.  2.   Theile. 
MoM,  F.  J.,  Uebersicht  der  niederländischen  Volks-Literatur  älterer  Zeit.  Tübingen, 

1838. 
Snellfiert,  F.  A.,  Oude  en  nieuwe  Liedjes.  Gent,  1864.  (Mit  Melodien). 
Van  den  Bergh,  M.  L  Ph.  C.,    Geestelijke  Gedichten  von  Jacob  van  Maerlant 

en  anderen,   uit  de   13^^  en  14^^  eeuw,  Nieuwe  Werken  van  de  MaatschappiJ 

der  Nederlandsehe  Letterkunde  te  Leiden.    V.   deel,  IL   Stuk.  Dordrecht,  1841. 

Van  Violen^  J.,   Gheestelyke  Liedekens  van  Teunis  Harmsen  van   Wevershoef  en 

Zuster  Bartjen  van  Utrecht.    Algemeene  Konst-   en  Letterbode  voor  het  Jaar 

1850.  I.  deel.     Te  Haarlem,  p,  137—143  und  170— -176. 

Willems f  J.  F.,  Oude  vlaemsche  Lieder eti  ten  deele  met  de  melodiBi.  •  Gent,  1848, 

• 

1888.  12 


170 


WOhelm  B&umker, 


Hdschr.  A.  BL  la. 


1. 


Jhesns  eristnsy  m«ri6ii  soen. 


1     ■  j  '.'!'» 

Jhe  -  BUS    cri  -  stus,  ma  -  ri-en    soen,    Ver  -  lient       die 


^Ff 


i 


le  -  uen      wel 


t 


-rr- 

te       doen. 


l.JheBus  eristus,  marien  soeiii 
Verlient  die  leuen  wel  te  dfoen. 

2.  Die  syn  versceiden  van  eertriic 
Kust  YTuechd  bi  v  in  hemmelriic. 


3.  End  vree  die  heilich  kerc  ghemeen 
End  al  die  keraten  onder  een. 

4.  End  als  ona  tut  hier  is  gedaen, 
Die  ewieh  croen  Tan  y  tonfaen.  Amen. 


Zweizeilige  Strophe  mit  folgendem  Versmaß : 


v-/  —   v^   —    v/   —   v^ 
\J  ^  \J  ^  \J  —   \J 


BL  la. 


2. 

Des  werrelts  myn  is  al  verloren. 


^ 


u 


% 


^ 


t — »: 


Des  wer-relts    myn       is      al      ver 


± 


1 


i 


lo  -  ren,     Ay!  want 


$  ^  \~=t 


u .  i  .  i- 


^ 


men    geen  ge  -  trou 

b         l^         b. 


en      vint.    Och    la  -  cy !   wat    hat     ic 


i 


^ 


¥ 


i 


i 


* 


ver  -  CO  -  ren,  Doe     ic     haer    mit    so  -  laes  ont  -  finc* 


l.Des  werrelts  myn  is  al  verloren, 
Ay!  want  men  geen  getrou  en  vint, 
Och  lacv!  wat  had  ic  vercoren, 
Doe  ic  haer  mit  solaes  ontiinc. 


2. Och!  Bonden  heeft  sibouen    [BLIb.] 

maten 
Op  mi  geladen  menich  iaer, 
End  nu  soud  ic  haer  ffeeme  laten, 
Dat  aceiden  valt  my  alte  swaer. 


Niederländische  geistliche  Lieder  nebst  ihren  Singweisen  etc.  1 7 1 


3.  Och  sceiden !  dat  moet  ynuner  wesen 
Van  deser  werrelt  op  eenre  tiit, 
Dus  sucht  ic  die  yan  groter  vresen, 
Want  qualie  heb  ic  my  geauiit. 

4.  Ic  macn  wel  suchten  ende  oeuen» 
Als  ic  sal  sceiden  van  eertriic, 
Want  reden  sal  ic  moeten  ^euen 
Van  al  myn  sonden  haestelic. 

5.  Och  lacj^ !  ic  en  weet  geen  reden 
Voer  tminste,  dat  ic  heb  gedaen, 
Och,  had  ict  oerdel  wel  geleden, 
My  gruuelt  seer  ter  antwort  staen. 

6.  Och !  mocht  ic  gracy  mi  beweruen 
Voer  al  myn  sonden,  twaer  my  guet! 
Want  alst  eeeft  tiit,  dat  ic  sal  steruen, 
£n  sal  ic  hebben  genen  moet. 

7.  Hür  om  waert  guet,  const  ic  mygeuen, 
Te  dienen  ihesu  vlus  ter  stond, 
Want  off  ic  noch  een  vyr  sal  leuen, 
£n  weet  ic  niet,  off  syn  gesont. 


8.  Och!  hoe  bin  ic  dus  traech  [Bl.  IIa.] 

int  sceiden 
Van  deser  werrelt  idelheit, 
Ic  weet  nochtans,  tis  scerp  te  beiden, 
Want  altees  is  die  doet  bereit. 

9.  Och !  warwerts  sei  ic  my  nu  keren, 
Dair  ic  sal  mögen  troest  optfaen? 
AI  eyst  myn  hert,  tis  myn  begeren, 
Des  werrelts  vroude  off  te  staen. 

10.  Och!  waren  ihesu  mvn  sebeden. 
Die  ic  sal  doen,  ontiancKelic, 
Ende  mocht  myn  ziel  comen  in  vreden 
Bi  hem,  daer  bouen  in  hemelriic! 

11.  Soe  waer  ic  vry  van  allen  sorgen 
£nd  ic  woud  smgen  mit  ioliit, 
Altoes  van  tsauonts  totter  morgen : 
Jhesus  moet  syn  gebenediit.    Amen. 


Vierzeüige  Strophe; 


V^-.V>..\^^V^_ 


V-/     —     V^     —     V^     —     N^«. 


vy    —    V-/    —    \^_-*^-.o 


>^'    --    v^    _    v^    _    v^    _ 


In  der  Berliner  Handschrift  Bl  73  a.  lautet  die  Ueherschrift :  n Adieu  myn 
vroeehden,  adieu  solaee.*  Möglichertceise  gehört  die  obige  Melodie  diesem  weltU^ien 
Liede  an. 

Textvarianten:  i,/.  Die  xoereU  myn.  2,2  ghelaten,  2,3  icse  gaem,  2,4  veel  te 
zwaer.  3,1  vmmer.  3,3  dtts  suchte  dicke.  5,2  dat  ic  heb  misdaen.  6,3  ic  toerdel.  6,4 
gruwet  teer,  6,1  nv  verweruen.  7,2  ihesu  tdienen  vlusch,  7,3  vre.  8^4  altyt.  9,1  Ach 
tcancaert  sal  ic  nv  fny.  9,3  AI  ist  my  hart.  9,4  der  werelt  vroechden  af  tstaen. 
10,3  my  siele.  10,4  daer  fehlt.  11,3  altyt.  Strophe  12: 

Des  gönne  my  ihesus  so  goet, 

bouen  al  so  mynlich,  suet  en  lustich, 

wies  mynne  dus  my  quellen  doet, 

des  nv  begheer  end  bid  zeer  ynlich. 


Bl.  Hb. 


3. 

0  Jliesn  heer,  keer  y  tot  my. 

r-i 


*=?^fr 


O      Jhe-su    beer,    keer    v      tot    my,     Ver  -lost  my    van 


vre  -  een,        Die    ic     heb    om      te    die-nen 

12* 


4 


172 


Wilhelm  Bftumker, 


Myn    80B  -  den    wilt     ge  -  ne    -    sen. 


1. 0  Jhesu  heer»  keer  t  tot  my, 

Verlost  mv  van  die  viesen, 

Die  ic  heo  om  te  dienen  dy,  • 

Myn  Sonden  wilt  genesen. 
2.  JheauB  antwert,  die  suete  heer, 

Mit  groet  ontfennherticheit, 

Ontsteken  tryter  mynnen  seer, 

Och  onser  ähre  salicheit: 
3. 0  mensehe,  wilt  v  niet  ontsien, 
.  Die  werrelt  wilt  begeuen, 

Yan  vresen  sal  ic  v  doch  vrien, 

V  Sonden  al  vergeuen. 
Die  ziel: 
4. 0  ihesu  heer,  wat  groter  myn 

Word  ic  van  v  gewaren, 

Beueel  ic  v  myn  hert,  mjTi  syn, 

Ghy  Bult  my  wel  beuaren. 
5.  Hier  om  soe  wil  ic  vroudelic  [Bl.  Illa] 

Die  werrelt  laten  gliden, 

Ende  dienen  v  in  mynen  tiden, 

Ghi  sult  mi  wel  Teroliden. 
Jhesus: 
&0.1ieue  kynt,  des  seker  siit, 

Dat  ic  v  sal  verbliden; 

le  sal  T  geuen  ewich  riic, 

Wilt  nu  een  luttel  striden. 


7.  V  striit  sal  syn  int  wederstaen 
AI  deser  werrelts  lusten, 

£nd  oft  die  viant  v  eompt  raden^ 
Daer  op  en  wilt  niet  rüsten. 

8.  In  uwen  striit  soe  roept  my  aen, 
Den  viant  en  wilt  niet  swichten, 
AI  laet  ic  v  een  wyl  begaen, 
Schier  sal  ic  v  verlieh ten. 

9.  Nv  wilt  die  werrelt  haest  ofstaen, 
£nd  dient  my  sonder  merren; 

Ic  sal  V  in  myn  riic  ontfaen, 

Bouen  dat  licnt  der  sterren. 
10.  Daer  suldi  groete  vrueohde  plyen, 

Myn  suuerheit  aenscouuen; 

Wilt  my  nu  mynnen  end  ontsien^ 

Ten  sei  v  niet  berouuen. 
Die  ziel: 
11.0  ihesu  heer,  dat  «hi  gebiet, 

In  my  sei  ict  bereiten, 

End  wil  die  werrelt  achten  niet. 

Van  haer  soe  wil  ic  sceiden. 
12.  Addieu  werrelt,  addieu  solaes 

In  tiitteliken  hauen, 

Die  my  maeh  geuen  ewich  paes, 

Hern  wil  ic  gaen  behagen. 


Versmaß:        ^—  w  —  v-'_^  — 

S-^'  _,  V-/  ^      ^>     -.  \^' 

V-/     _  •w'  _  V^'     —      \.>  

s^  —  \y  ^     \J     ^  \^ 


BL  Illb. 


4. 

Yerbllit  t^  llene  susterkyn. 


Ver-bliit    v,    lie-iie     sus    -    ter-kyn,    Die     tiit      is       cort, 


sal     doch   syn,       Een     ye  -  ge    - 


sal     ont- 


Niederländische  geistltohe  Lieder  nebst  ihren  Sing^eisen  etc.  178 


s 


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I    f 


^f^ 


fiten 


loen,  van   dat    hi    hier    heeft     ge-daen. 


1.  Verbliit  v,  lieue  susterkvn, 

Die  tut  is  cort,  het  sal  aoch  syn, 

Ben  jegelic  die  sal  ontfaen 

Loen,  van  dat  hi  hier  heeft  gedaen. 

2.  Mit  reoht  soe  moeehdy  syn  [Bl.  IVa.j 

verbliit 
In  ihesum  cristuin  tabe  tiit, 
Die  V  syn  gracy  heeft  verlient, 
Dat  ghi  die  werrelt  niet  en  dient. 

3.  Die  -werrelt  is  verganekelic, 
Haer  loen  is  seer  wanckelio, 
Wanneert  haer  dienre  waent  tontfaen, 
Soe  comt  die  doet  end  sprect  hem  aen. 

4.  Och  hoe  verveerlic  ist  verdriet 
In  hem,  dan  als  hiit  ouersiet, 
Dat  al  syn  bliiscap  is  gedaen» 

End  ducht,  hi  moet  ter.  heuen  gaen. 

5.  Daer  veel  tormenten  syn  bereit 
Hem,^  die  syn  leuen  heeft  geleyt 
AI  hiir  beneden,  op  eertric, 

In  oncuysheit,  houeerdelio. 
().  Oeh,  die  tormenten  syn  soe  veel, 
Soe  wie  daer  is,  die  woude  wel, 
Als  ic  vermoed  nae  m}ii  verstaen» 
Dat  hem  die  doet  mocht  eomen  aen. 

7.  Soe  wie  daer  is  een  oech  opslach, 
Het  dunct  hem  syn  soe  menigen  dach, 
Heel  meer  dan  maken  dusent  iaer; 
Dat  doet  die  pyn,  die  heische  vaer. 

8.  Och  dus  cricht  hie  wanhoep»  wantrou 
End  voer  syn  sonden  gheen  berou, 
Want  hi  hem  niet  heeft  gedient. 
Die  syn  dienres  berou  verlient. 

9.0  ghy,  die  hier  begeert  off  viry 
Te  syn  int  laetste,  hoert  na  my, 
Ic  raed,  dat  ghi  die  werrelt  vliet, 
Soe  eoemt  ghy  in  dees  vrese  niet 
10.  End  dient  ihesu  mit  hert,   [Bl.  IVb.] 

mit  syn, 
Hy  sal  y  geuen  guet  gew^, 
Dat  beter  syn  sal  honderfout, 
Dan  ghi  verdient,  offwinschen  soudt. 


11. 


12. 


13. 


14. 


15. 


16. 


17. 


18. 


19. 


20. 


Int  eyn'd  sal  hy  v  doen  getrou 
End  voer  v  sonden  groet  berou, 
Daer  ghy  die  vrees  meed  seit  verslaen, 
Wanneer  si  v  coemt  vechten  aen. 
O  denot,  wat  vruechde  v  sei  syn 
Als  ghi  gedient  hebt  v  termyn 
Ibesu,  coninc  der  werrelt  wyt, 
Die  V  sei  geuen' hemelriic. 
0,  daer  ist  also  suet,  so  scoen, 
Een  yegelie  draeeht  daer  een  croen, 
Die  clarer  blincket  ongeliic, 
Dan  eon  ende  sterren  nv  ter  tut: 
Der  zielen  brugom  is  soe  scoen, 
End  sit  daer  in  den  -hoechsten  troen, 
Die  vroude  is  onsprekeliic, 
Dair  hy  syn  dienres  meed  verbliit. 
Svn  suet  anscouuen  is  soe  olaer, 
Wie  bi  hem  is  tien  dusent  iaer, 
Het  dunct  hem  syn  een  clevne  tiit, 
Ja  veel  myn,  dan  een  ogenqUc 
Ooh  die  mocht  hören  dat  geluyt, 
Dat  daer  een  yegelie  geeft  vyt, 
Hi  soud  wel  hden  alle  pyn,  [BI.  Va.] 
Om  een  vyr  in  die  vroecnde  syn. 
Nv  laet  ons  roepen  an 
Ihesum  cristum,  den  sueten  naem, 
Ende,  bidden;  dat  hi  ons  yerHen, 
Hem  hier  te  dienen  sonder  vlien. 
O  ihesu  beer,  der  maechden  croen, 
Marien  wtuercoren  soen. 
Die  suuer  bleeft  na  v  geboert, 
Van.  V  begeer  wy,  tsyn  verhoert 
O  scepper  hemels  end  eertrifc, 
Wy  biaden  v  oetmoedelic, 
Wilt  ons  verlierien  nv  ter  tiit, 
V  hier  te  dienen  mit  ioliit. 
End  als  ons  tÜt  hier  is  gedaen, 
Soe  wilt  ons  mit  solaes  ontfaen 
Bi  V,  bou^i  in  hemelriic, 
Daer  vruechd  end  vreed  is  ewelic. 

Amen. 


Versmaß 


\^  — 

K>  — 

V-/     — 


In  der  Berliner  HantUehriJt  ßndet  sich  dieselbe  Melodie  sbu  einem  andern  Texte: 


174 


Wilhelm  Bftumker, 


Hdscbr.  B.  BLlOlb. 


4  a. 


0  goede  ihesa^  wes  ons  bi. 


^^ 


^ 


^^ 


O      goe  -  de    ihe  -  su,    wes    ons    bi       mit     u-wer  zue-ter 
1 


■♦ — • 


3^ 


min    -  nen,     wat     li  -  den    ons  dan    we   -  der    vaert, 


^s 


±3E 


dat      sul  -  len    wie    wel    ver  -  win  -  nen. 


Der  voüständige  Text  Bh  146  hat  die  Überschrift:  "het  reden  twie  gheepelen 
goet  ter  heiden,  phcken  hloemen,«     VgL  Hoffmann  a,  a.  O.  No.  74. 


BLVb. 


5. 


Are  marla,  maget  reyn. 


A  -  ve  ma  -  ri  -  a,   ma-get  reyn,     Gy    su  -  uer  -  li  -  ker 


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4- 


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siit    al  -  leyn     Der    wer-relts  der  -  heit      al    -    ge  -  meyn. 


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Ont  -  spre  -  ke  -  lic      v    su  -  uer  -  heit      Gaet    op  -  ter 


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b 


t 1 


^1  ♦  r  "^^_L^ 

— «^j 1- ^— ^ — t^  ♦  ♦♦ 


mey-en  da  -  ge  -  reit,  End   al    dat      in   haer    is        be  -  reit. 


1  Vgl.  Einleitung  S.  163 


Niederlftndiflcbe  geistUohe  Lieder  nebst  ihren  Singweisen  etc.  |75 


In   my-nen   syn   Staet    u  -  we  myn.      O     su  *  uer  maecht, 


¥ 


m 


^ 


^ 


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Myn   hert  myn  syn,    Soe    waer    ic     bin,    ghi  wel    be-haecht, 


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^» — r 


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f 


Yan     Y      te      syn     Myn    ziel     be-claeclit. 


l.Ave  maria,  machet  reyn, 

G^  suuerliker  süt  alleyn 

Der  weirelts  cierheid  algemeyn. 

Ontsprekelic  r  suuerheit 

Oaet  opter  meyen  dagereit, 

£nd  al  dat  in  haer  is  bereit. 

In  mynen  syn 

Staet  uwe  myn. 

O  snuer  maeebt, 

Myn  berty  myn  syn, 

Soe  waer  ic  oin, 

ebi  wel  bebaecht, 

Van  T  te  syn  myn  siel  beclaecht. 
3.  Verlangen  neeft  my  onbeuaen, 

Als  ic  aenscou  ster  ende  maen, 

EQ  Toert  denk,  boet  mit  v  macb  staen. 

Gby  siit  die  edel,  suuer  bloem, 

Dair  wt  gbesproten  is  goeds  [Bl.  VIb.] 

soen, 

Ibesus  beer  vanden  bogen  troen. 

Alt  bemmelriic 

hem  seer  yerbliit 

In  V  claerbeit, 

Want  gbi  die  siit, 

Diemen  geliiet 

der  dagbereit 

Mit  alder  vogelen  sangberbeit. 
3.  Ontsprekelic,  o  edel  bruyt, 

V  suete  roec,  v  suet  geluyt 

Siet  bouen  aUe  sang  end  cruyt. 
Y  macb  wel  draffen  bogen  moet, 
Die  T  kiest  Toir  aat  ertsebe  guet, 
End  al  tiit  uwe  wille  doet. 
Want  bi  ontfaen 
sei  sonder  waen 
Een  brugoms  croen, 
Die  niet  Tergaen; 
Mer  als  die  maen 
Sal  rayen  scoen, 
Die  gbi  bem,  edel  bruyt,  seit  doen. 


4.  Wat  sei  ic  van  r  denken  meer, 

Voer  allen  maecbden  bebdie  eer, 

Yan  ihesu,  onsen  beer. 

Gby  siit  syn  moeder,  by  t  kynt, 

Die  V  volcomelike  mynt; 

AI  V  begeert  gbi  aen  bem  vint. 

Maria  yrou, 

Hier  om  bi  sou, 

Die  V  ter  tiit 

macb  syn  getrou, 

Van  allen  row 

werden  verbliit 

Hier  nae  mit  v  in  bemmebriic. 
5.0  suuer  maecbt,  yerleent   [Bl.  VII  a.] 

docb  my, 

Dat  ic  y  bier  getrouue  sy, 

Bi  wien  io  bin,  off  wie  by  m^, 

Wat  ic  aenscow,  tis  mj  al  niet, 

Hoe  scoen  tmaob  syn,  in  dit  verdriet, 

Als  ic  denc,  dat  gny  scoenre  siit! 

O  lieue  maecbt, 

oft  y  behaecbt, 

Laet  my  doob  syn 

bi  y  gedaecbt 

End  niet  beclaecbt, 

Mer  friis  end  fyn, 

Als  en  brugom  in  y  aenscbyn. 
6. 0  coninsbyn,  maect  dat  bereit : 

Myn  liel,  als  sy  yan  bene  scbeit, 

Moet  syn  in  bemmelriic  geleyt, 

Daer  aUe  sielen  spannen  croen 

End  blideliken  singen  scoen 

Mit  ibesu,  uwen  lieuen  soen. 

Diet  wel  besiet, 

Tis  groet  yerdriet, 

Van  daen  te  sien, 

Daer  yroecbd  gescbiet, 

End  droefbeit  yliet 

mit  alle  pyn. 

O  maecbt;  belpt  my  daer  in  die  sch}ii ! 


176 


Wilhelm  'B&amker, 


7.  O  Trou,  wat  aal  ic  aene  gaen, 

Myn  Sonden  doen  my  die  verstaen, 

Dat  myn  gebet  Word  niet  ontfaen. 

O  moeder  der  ontfarmherticheit, 

AI  dair  die  sonder  troest  op  heyt, 

troeat  my,  myn  senden  sya'my  leit! 

O  lieue  maecnt, 

ic  Word  yersaeclit. 

Och  wat  bediet, 

Myn  hert  dat  claeeht 

Van  snaehfl  tot  daeehs, 

Ghi  andwort  niet^ 

En_weet,  hoe  mit  my  is  shesciet. 
Marien  antwordt. 
^.  Die  saec  sei  ic  v  seggen,  kynt: 

Seer  weinix^h  hebdy  mv  gemynt» 

Want  ydel  gedacht  v  liert  yerblint.   . 

Ic  bin  soe  edel,  scoen  ende  fyn, 

Wie  dat  my  mynt,  dair  wil  ic  syn 

Alleen  mit  myn  deyn  kyndekyn. 

Hebt  my  te  sin 

£nd  myn  k'ynts  myn, 

Soe  sei  V.  guet 

geschien  Tan  hym, 

£nd  daer  ic  bin, 

Ist  dat  ghy  döet, 

Suldy  hiir  namels  dragen  moet. 
9.  Wilt  alle  ydelheit  van  v  slaen, 

Gedenket  myns  end  myn  kynts  naem, 
'  Soe  sal  ic  v  die  spreken  aen, 

End  draecht  syn  iiden  in  v  hert, 

Dat  hi  leet,  end  die  grote  smert. 

Doch  hi  om  v  ghecruset  wert. 

C)m  V  leet  hy  [BL  Villa.] 

bi  sinen  ty 

Soe  groet  v erdriet ; 

liidt  ghi  na  yry 

Alleen  om  dy, 

Dat  hi  gebiet. 

Hier  nae  sal  t  wel  syn  gesciet. 


10.  Maria' maecht,  ic  uwen  raet 
Mit  ganseliker  tronuen  vaet 
End  wil  ontsegg^  alle  qnaet 
Gaet  Tan  my,  o  idelheit, 
Maria  heeft  my  waerffeseit, 
Want  ghi  myn  hert  oicwil  Terleyt; 
Soe  mach  die  bloem 

mit  hären  soen 

My  spreken  aen 

End  (^euen  loeto : 

Een  snuer  croen. 

Als  ic  sal  gaen 

Van  heen  bi  haer,  bouen  die  maen. . 

11.  Daer  si  is  roes  Tan  paradiis, 
Scoen,  edel,  ciaer,  friisch,   säet  ende 

wys,;- 
Voer  allen  maechden  draecht  ^  prys. 
Wye  soudmen  Tinden  haers  gäiic, 
Die  god,  ons  Taer  Tan  hraimelriic. 
Mit  sinen  Trucht  gebenedüt ! 
Niemant  yoirwaer, 
Dat  is  doch  ciaer 
Een  y^eüic, 
want  Ua  yan  haer 
Een  Sek  er  maer 
Int  eertriic, 
Dat  si  is  Trou  yan  hemmelriic. 

12.  Wairlic,  si  is  die  edel  Trou, 
Diemen  mit  recht  dienen  sow, 
Want  si  haer  dienres  is  ffetrow; 
Geloeft  des  Try,  soe  wie  naer  dient 
End  haer  mit  rechter  herten  myent, 
Si  sal  hem  syn  een  grote  Trient. 
Haer  si  loff,  eer 

mit  onsen  beer, 

tot  alre  tiit, 

Die  ons  hier  neer 

wil  maken  seer 

In  hem  yerbliit, 

End  daer  nae  geuen  ewich  riic.  Amen. 


Zeich  mit  folgendem   Versbau  f 


^•      —  V^  —      N-^     —     Vy     — 

\-^  —  \-/    —    w   —   s-/   — 

\^  ^  \J   ^   \^   —    v-/   — 

^    —  -^  — 

w    —  v^  — 

^w^  «.  V^     — 

v^     —  ^  — 

»^    —  \^  »- 

w  —  w  — 


v^'    —    W—    v^    —    v-/    — 


Niederländische  geistliche  Lieder  nebst  ihren  Singweisen  etc.  J77 


Bl.  vmb. 


6. 

Maria  coninghinne. 


f 


t 


i 


b 


^ 


t 


r-t   j    •  ,    •    •  ■    •      i    I 

Ma  -  ri  -  a     co  -  nin-ghia-ne,  Myn  troest,  myn  toe  -  uer-laet, 


^^=f 


s 


' '     I 


T*^ 


i 


rr-f  ->■  T-i-ti-^-f 


Ver  -criicht  my    v    soens  mynne,  Be  -  rou  voir  myn  misoaet. 


1 .  Maria  coninghinne, 

Myn  troest,  myn  toeuerlaet, 
Vercriicht  my  v  soens  mynne, 
Berou  voir  myn  misdaet. 

2.  Des  Word  ic  wel  ontwaren, 
Dat  y  kynts  myn  is  guet, 
Want  si  cant  tnert  yerclaren 
£nd  gheuen  gueden  moet. 

3.  Soe  wie  yet  sal  heghinnen 
Tot  sinen  loff  end  eer, 

Staet  hi  niet  in  dermynnen,  [Bl. 
Tsal  hem  verdrieten  seer. 

4.  Dns  ist  my  in  die  sinne, 
Dat  al  myn  dienst  is  niet, 
Doe  icse  sonder  mynne 
Daer  traecheit  seer  offvliet. 

ö.Hiir  om  wilt  myns  ontfermen, 

Maria,  edel  vrow, 

Helpt  my,  int  hert  te  bemen 

Mit  ihesus  myn  end  v. 
(3.1c  mach  my  wel  beclagen, 

Bewenen  tabre  tut, 

Dat  ic  dus  yeel  dagen 

Mit  deyne  myn  bin  quyt. 
7. Och!  had  ic  my  begheuen, 

Doe  ic  was  out  tien  iaer, 

In  gheesteliken  leueH, 

le  waer  syn  myn  yeel  naer. 
6.  Nu  troest  my,  Iceiserinne, 

Maria,  suuer  maeeht, 

Sterct  my  mit  y  kynts  mynne, 

Droeffheit  yan  my  yeriaecht. 
Marien  antwort. 
9. 0  mensch,  sich  y  yan  binnen, 

Swiicht  Stil  end  hoert  my  aen, 

End  scerpt  uwe  sinnen, 

Soe  moechdi  my  yerstaen. 


IX] 


10.  Y  clagen  end  v  begeren 
Dat  heb  ic  wel  yernoert, 
Anxt,  droefheit  y  beheren, 

Dair  ghi  my  wel  [myn]»  yoertoert. 

11.  Ic  sei  y  myn  yerwenien 
Van  ihesu,  mvnen  Boen, 

Draecht  int  tnert,  lieuer     [Bl.  IX b.] 

•    Sternen, 
Dan  tegens  hem  te  doen! 
12.'Wanner  ghi  v  cont  gheuen 
Dair  toe  mit  al  v  syn, 
Soe  wilt  in  yroechden  leuen, 
Want  ^hy  hebt  myn  kynts  myn. 

13.  Och!  wie  sal  my  verlenen 
Alsoe  int  therte  staen, 
Off  hoe  sal  ic  verdienen, 
soe  gueden  myn  tontfaen.^ 

14.  Och  mensch,  wair  syn  dyn  synnen, 
Hoe  dwa«ldi  aldus  seer? 

Wilt  doch  in  y  bekennen: 
Het  heeft  verdient  v  beer. 

15.  Waer  om  wilt  ghi  dus  troeren 
End  v  verslaen  dus  zeer? 
Had  god  V  niet  vercoren 

G^i  waert  hier  nimmermeerf 

16.  Veel  meer,  dan  ghi  cont  winsschen, 
Heeft  hi  voer  v  verdient, 

Mer  ghi  siit  traech  int  eyschen, 
Int  spreken  beer  verlient. 

17.  V  gebet  sal  wel  vererigen, 
Dat  ghy  doet  myns  k^nts  eer, 
Mach  twiuel  buten  bliuen, 
Dat  hindert  alte  seer. 

IS.  Ghy  cont  dat  niet  becheren, 
Ist  salieh,  tsal  v  geseien; 
Mer  trowenl  soudt  v  deren, 
Ten  schiet  v  een  noch  ghien! 


1  myn  ist  in  dem  Verse  tkberflOssig.    toert  ss  toemet 


178 


Wilhelm  B&umker, 


19.  V  bidden  end  begheren  [Bl.  Xa.] 
Laet  vliegen  van  t  snel, 

Maect  anxt,  yan  hoep  gheen  Tereii% 
Want  si  doen  y  groet  quel. 

20.  Ghi  moet  wel  in  y  herte 
trueren  yoer  y  misdaet, 

Mer  denet,  dat  myn  kynts  smerte 
Noch  yeel  te  bonen  gheet. 

21.  Wie  hem,  die  dit  yergheten, 
op  hair  yerdiente  staen, 
End  dair  op  hem  yermeten, 
In  myn  kynta  riic  te  gaen: 

22.Tien  dusent  iaer  beneden 
Gheleeft  zeer  strengelic,    • 
£n  heeft  bouen  gheen  reden, 
Te  syn  een  ogenblie. 

23.  Want  beter  igt  yerolaren 
Myns  kynts  een  oech  opalach, 
Dan  in  tien  dusent  iaren 
yemant  verdienen  mach. 


24.  Mer  die  troert  yoir  syn  sonden, 
Soe  lane  hem  duert  eertriic, 
End  hoept  op  myn  k^ta  wonden, 
Verdient  syn  ewich  nie. 

25.  Doet  8oe  end  weest  te  yreden, 
WiU  y  niet  Beer  yerslaen, 
Denct  wat  hi  heeft  geleden, 
AI  hebdi  yeel  misdaen. 

26.  En  dropel  van  sinen  bloede 
Ifl  weeraioh  doch  alleen, 
Te  nemen  wt  armoede 

Die  werelt  al  gemeen.  [BL  X.b.] 

27.Nochtan8  heeft  hi  te  gader 

Gestort  Toir  y  misdaet, 

End  pays  tusschen  syn  yader 

End  y  seer  wel  gemaeet. 
28.  Hür  om  wilt  y  verbEden 

End  dient  hem  trouuelic, 

Hi  sal  in  corten  tiden 

V  halen  in  syn  riic.      Amen. 


Vera  maß : 


'^    _  v-/  —  \^  __  v^' 

s^  —  v-/  _  v«/  — 

w    _  v-/  _  vy  _  v-/ 

W  _  v-/  —  v^  — 


Die  Berliner  Handsekriß  B,  enthalt  Bl  136  b,  die  Strophen  1,  9,  7  und  8  dea 
obigen  Liedes  mit  der  Überschrift:  »Ic  sye  des  morghens  sterre.«^  Vgl  Hojpnannj 
Niederl  geistl  Lieder  No.  29  und  30.   Die  Melodie  dazu  ist  folgende  : 


Hdschr.  B.  Bl.  103. 


-^nrT-^  .    .  ' — r 

Ma  -  n  -  a     co  -  nin-ghin-ne;     myn  troest,  myn  toeuer-laet, 

c 1  \ 1  1 


ver  -  crycht  my  v  kints  mynne,      be  -  rou  voir  mj-n  misdaet. 

In  katholischen  Gesangbüchern  des  17,  Jahrhunderts  findet  sich  diese  Singweise 
zu  verschiedenen  Texten, 

Bamberger  Gesangbuch  1628. 


; 


T^^ — ^ 


=35; 


S 


X=:sr. 


$ 


Ge-grüs-set  sey  die  rech-te  Hand,    Vn-sers  lie  -  ben  Herrn 


1  yan  hoep  =  wanhoep.    verenP  vielleicht  gaen  veren  s  fem  bleiben. 


Niederlftndisohe  geistliche  Lieder  nebst  ihren  Singweisen  etc.  |79 


^ 


^ 


? 


^ 


1^ 


vnd    Hey-landt,    Wel-che  em-pfieng  ein  Wun-den  gross, 


i 


W 


> 


Sein  hei  -  ligs   Blut    er      da      ver  -  goss. 

In  der  »Gath.  0§iHliehen  NaMigal,  Erffurdt  16669,  kommt  die  Melodie  zweimal 
vor  zu  den  Liedern  ^Gegrüest  seysi  du  Maria  rein^i  und  »Aek  by  dem  Creuh  Maria 
steht,*  Vgl.  mein  Werk  »Dae  kath.  deutsche  Kirchenlied  in  seinen  Singweisen.vi  Sd, 
II,  No.  69  und  Bd.  I,  No,  29. 

Das  /olgende  Lied  der  Wiener  Handschrift,  welches  ebenfalls  die  obige  Melo- 
die trägt,  wollen  wir  an  dieser  Stelle  beifügen: 


BLLXIa. 


6b. 

Slety  wy  moeten  Ternaren. 


f^^T~r^r=^^ 


I 


1 


Siet,  wy  moeten  ver  -  ua  -  ren    van  tut     ter    e  -  wic-heit, 


f^H 


.1 


ff 


r 


1=^ 


ver  -  by  gaen  on  -  se  ia-  ren,  och,  waer  wy  wel  be  -  reit! 


1 .  Siet,  wy  moeten  veruaren 
▼an  tiit  ter  ewicheit, 
yerby  gaen  onse  iaren, 

och,  waer  wy  wel  bereit!  [BL  LXIb.] 

2.  Seer  cort  is  onse  leuen,^ 
die  doet  wil  eomen  schier, 
al  dinck  moet  wy  besheuen, 

ffaeen  merren  is  ons  hier, 
'awes,  eoninc,  ionc  en  out 
moeten  ymmer  stenien, 
noch  macht,  noch  cracht,  noch  goirt 
madi  respiit  yerweruen. 


4.  Waer  syn  si  ny  gebleuen, 
die  yoir  ons  waren  groet? 
niet  is  yan  hem  hiir  bleuen, 
ach  sy  syn  leider  doet! 

5.  AI  totter  seluen  Straten 
soe  moeten  wy  alle  gaen, 
const  wy  ons  oesaten, 
die  doet  wil  ons  beuaen. 

6.  Hier  om  laet  ons  bereiden 
mit  naerst  al  onse  leuen, 
op  als  wy  hier  sceyden, 

god  syn  riie  ons  moet  gheuen.  amen. 


180 


WUhebu  B&umket, 


Bl.  Xb. 


7. 


Hi  trner^  die  trueres  wiL 


1; 


r^ 


i 


^FT=r*=f 


+ 


Hi  truer,  die    true  -  lejx    xril,  Myn  trueren     is     ge-daen: 


I  * 


i 


i 


IT-» 


^n 


Ic  heb  ghe-8we-gen     stil,  Ma  -  li 


am   wel   uei  -  s  taen. 


T 


l.Hi  truer,  die  trueren  wil, 
Myn  trueren  is  gedaen; 
Ic'heb  gheswegen  stil, 
Mariam  wel  verstaen. 

2.  Waer  om  so  soud  ic  trueren 
Off  sorgen  alte  seer? 

My  dunct,  ic  bin  vercoren 
Van  Ihesu  mynen  beer. 

3.  Dat  io  hem  bin  vercoren, 
heeft  hi  gedaen  aenschyn, 
Went  ic  most  syn  verloren, 
Deed  syn  doet  end  syn  pyn. 

4.  Hi  is  hier  neer  gecomen, 
Dair  in  bin  ic  verbliit, 
Misdaet  soud  my  verdoemen, 
Syn  doet  heeft  my  gequyt. 


[Bl.  XI  a.] 


5.  Hier  om  wil  ic  hem  mynnen, 
Die  my  dus  heeft  verlost, 
End  in  myn  hertkyn  bynden 
Howen  voir  al  myn  troest. 

6.  Ic  weet  dat  wel  voirwaer, 
Deed  syn  pyn  end  syn  doet, 
AI  baea  ic  dusent  iaer, 
Twaer  al  verloren  guet. 

7.  Dus  wil  ic  my  verbliden 
Seer  vroemelic  in  hem, 
Dragen  tot  allen  tiden 
Syn  doet  in  mynen  sin. 

8^  Loff,  eer,  danc  sy  marie. 
Die  edel  suu^  maeoht, 
Ten  was  noch  wairlic  nye, 
Dat  si  my  liet  versaecht.    Amen. 


Die  Berliner  Handschrift  B,  Bl.  82  enthält  die  Strophen  J,  2,  3,  7  des  obigm 
Liedes  ohne  Melodie,  mit  der  Ühersckrift :  »Je  claem  die  boem  al  op,  die  my  thoge.* 
HoJ^nann,  NiederL  geisil.  Lieder,  No.  73, 

W      —      V^      —      V-/      —      fs^\ 

^     —»>./      —      V>      — 
I 

W'      _      \-/      —      W      —       ^s^\ 

s^     «.      ^y      —      Vy      ^ 


Verstnafi : 


Bl.  XI  b. 


8. 


0  Jhesu,  wtnercoren  beer. 


PStlE^^^^i^i^^^ 


O  Jhe  -  8u,     wt-uer-co    -     -      ren  heer,    Na  v    ver-lan-get 


Niederländische  geistliehe  Lieder  nebst  ihren  Singweisen  etc.  ]^31 


my 


so    seer;        Myn  hert    en      al    myn  syn    -    -  uen 


^^ 


^k-r^-H 


f 


r 


I 


Be-ghe-ren    v   tont-faen,    End  al  van  gro-ter    myn-nen, 


¥ 


i 


le    eni 


r 


T 


Die    ghi     my    hebt    ge-daen. 


1.  O  Ihesu,  wtuercoren  heer, 
Na  V  verlanget  my  so  seer; 
Myn  hert  en  al  myn  synnen 
B^heren  V  tontfaen, 

Ena  al  van  groter  mynnen, 
Die  ghi  my  nebt  gedaen. 

2.  O  ihesu  lieif,  alst  v  behaecht, 
Begheer  ie  teyn  mit  rroechd  gedaecht 
Bi  V,  m^  troest  Tan  binnen; 

Myn  bliisscap,  vreed  te  gaer, 
Myn  hert  dat  quelt  van  mynnen, 
Ie  woud»  ic  bi  t  waer. 

3.  Qhi  siit  myn  hoep,  al  myn  solaes, 
Deed  shi,  in  m^r  en  waer  gheen  paes, 
T?ant  nad  ghi  niet  geleden 

Den  doet  hiii:  op  eertriic, 

In  Tond  in  my  {rheen  reden,    ' 

te  comen  in  v  nie. 

4.  Ihesu,  hoe  soud  ie  ymmermeer 
Vergheten  v,  myn  heue  beer, 
DjLe  siat  om  my  bes|K>gen 
End  yammerlic  bespot, 

Opt  noeft  gedut,  gelogen, 
Gnehouden  voer  een  sot. 

5.  Och  ghi  wort  Talschelie  befaemt, 
Oegeselt  deerlic,   naect    [BI.   XII  b.] 

bescaemt ; 
Ic  denc,  eer  ghi  te  degen 
Y  cleer  had  weder  aen, 
Ghi  most  dat  swaer  cruys  dregen, 
Ter  bitter  doetwart  gaen. 

6.  O  unosd  lam,  ghi  ginct  beruoet, 
Bloets  hoeltsi  gewont  end  seer  bebloet. 
Ic  denc,  mit  bloten  armen 


Men  sUet  v  hier  en  daer, 

Ghi  zeecht  die  neer,  ocharmen,       ^ 

V  cruys  was  veel  te  swaer. 

7.  Om  mynen  wil  liet  ghi  T  aen 
Voeten,  banden  dat  cruys  doerslaen; 
Ju  siid  wort  doergesteken, 

Van  doemen  was  v  croen, 
Ohi  liet  ▼  leedkens  breken 
Seer  bitterliken  doen. 

8.  Wel  steenen  waerlio  is  syn  hert, 
Die  hoert  off  denct  v  doet,   v  smert, 
End  niet  en  weent  wt  mynnen, 

Tsi  weinich,  veel  of  zeer, 
Off  niet  en  liidt  van  binnen 
Mit  V,  vercoren  beer. 

9.  Die  V  hoert  nomen  inder  tiit^ 

Mit  recht  mach  hi  wel  syn  vcfbliit, 

Want  tis  hem  suet  te. hören 

Ihesum  die  suete  naem, 

Die  denct,  ic  waer  ver-   [BL  XIII  a.] 

loren, 

Had  jhesus  doet  gedaen. 
10.  O  ihesu  lieff,  t  doet,  v  naem, 

Is  my  int  thert  alsoe  bequaem, 

Dat  le  en  weet  te  vynden 

Gheen  beter  medic^'n. 

In  my  om  te  verwmnen 

Des  viants  fei  fenyn. 
11*  Hier  om  bid  ic  v,  waer  ic  gae, 

Off  waer  ic  bin,  sit,  leg  off  sta, 

Dat  ghi  tot  allen  tiden 

V  naem,  ihesus,  v  myn, 
Ju  doet  end  al  v  liden 

Laet  comen  in  myn  syn.    Amen. 


J)ie  Berliner  Handschrift  B,  BL  165  b  enthält  dasselbe  Lied  ohne  Melodie  mit 
der  Überschrift:  rDie  voghel  en  die  vögeUcyns  syn  al  tXl  syn  al  blide,^ 


182 


Wilhelm  B&umker, 


Varianten:   2,4  hegheeri  v  ie  otUfaen,     1,6  ende  dat.     3,4   hier  op   aeriry<, 

3.5  ic  en  vonde,  6,1  vaielie  beeeaenU,  6,S  ghegheeelt  deerlike  naeet.  Es  fMt  dW 
hier  ein   Wort.    6,4  cleder,     6,6  suMitr.    6,6  dootswert,    6,1  onnoiel.    6,2  doerUoä, 

6.6  ghi  seecht  die  neder,  7,1  fyt  ghi  v  vaen.  7,9  ant  crujß,  7,3  v  sytd  wert  ddcf 
stehen,  7,6  leet  v  ledekyns,  8,6  of  niet  en  tyt  9^  mach  wairlic  eyn,  9,3  want  hei 
ie  hem  8oet,     10,6  felU  venyn* 

Versmaß:         ^-w_v-;-w-. 


>^  —  v>  —  v/ 

N-^     —  \^  __  \-/  _ 

W  —  «o/  —  W 

V_/     —  N«^  _  O  — 


-•     V^ 


_      \^ 


BL  Xnib. 


9. 


0  ghy,  die  ihesius  wyngart  plant 


g^^ 


J-HtH^-^=:M= 


O     ghy,    die    ihe-sus     wyn-gart    plant,       Ver-bliit   v      op 


dat    sue-te    lant,  Daer  ghi  toe  siit  ver-co    -     -     -     -     ren. 


^^^^^P 


m 


Die  ciei-heit    is    on  -  spre    -    ke 


-t- 

-  lic, 


I 


T 


Die  blii-8cap    on- 


^gji+t+i^p^jiühii^^ 


be  -  gri    -    pe  -  lic,  Die    v  daer  sei  ge  *  bo    -     -    -    -  ren. 


i 


¥ 


i 


f 


i 


¥ 


^^ 


^ 


Die  claer-heit,  vreed,  vroechd,  su  -  uer  -  heit,  Die 


ihe-sus      V 


T 


-W  ,    1  t  i^  i  \\'-M, 


daer  heeft  be  -  reit,     en    is      v   niet    te     no    -    -    -    men. 


Niederl&ndische  geistliehe  Lieder  nebst  ihren  Singweisen  etc.  |g3 


1 .  O  ghy,  die  ihesus  wyngart  plant, 
Verbhit  v  op  dat  suete  lant» 
Daer  ghi  toe  siit  vercoren. 

Die  cierheit  is  onsprekelic, 

Die  bliiseap  onbegripelio, 

Die  y  daer  sei  geboren. 

Die  elaerheit,  vreed,  yroechd,  suuer- 

heit, 
Die^  ihesus  v  daer  heeft  bereit 
en  ia  v  niet  te  nomen.    [Bl.  XIV  a.] 

2.  Jherusalem  ist  lant  syn  naem, 
Veel  heilieheden  scoen»  bequaem, 
Veruult  mit  allen  vrueehden. 

Van  heen  en  coemt  daer  niemant  in, 
Dan  die  int  (t)hert  draecht  ihesus  myn, 
£nd  is  verciert  mit  doechden. 
Dus  is  hi,  die  syn  wyngart  plant, 
End  neerstich  dient,  hem  seer  yerlanot, 
Dm  corts  by  hem  te  comen. 

3.  Och  hoe  onsprekelike  ciaer, 
Dat  god  daer  is,  ons  lieue  yaer, 
Is  wonder,  meer  dan  wonder. 
Hi  is,  die  ewich  is  geweest, 
£nd  allen  dingen  wesen  geeft 
Daer  bouen  end  hiir  onder. 
Vyt  hem  yloyt  aUe  sueticheit, 

Die  haer  soe  yaerd  end  wyde  spreyt 
AI  tot  Üants  gülden  muren. 

4.  Syn  enich  kynt,  marien  soen, 
Is  daer  soe  wonderlike  scoen, 
Diet  tlant  y  heeft  gewonnen. 
Hi  is  soe  suet,  genuechelic, 
Veel  seoenre,  clarer  ongeliic, 
Dan  hondert  dnsent  sonnen.    . 

Hi  Sit  daer,  in  dat  zuete  [Bi.  XIVb.] 

lant, 
Syn  lieue  yaer  ter  rechter  hant, 
Voer  allen  creaturen. 

5.  Die  hem  anscout,  is  soe  yerbliit, 
Tien  dusent  iaer  dunct  hem  gheen  tut, 
Tis  waer,  diet  can  y ersinnen. 
Want  reden  die  tut  en  is  daer  niet, 
Daer  nymmermeer  en  is  yerdriet 
Van  buten  noch  yan  binnen. 

Men  is  daer  ewich  yroem  end  bly, 
Van  allen  sorgen  is  men  yry, 
Daer  inach  gheen  weeld  gebreken. 

6.  Maria  is  daer  ooninghin, 

AI  reinen  maechden  haer  gesyn, 

Die  ihesu  syn  yercoren. 

Mer  si  is  bouen  al  ghemint 

Van  eoninx  soen,  haer  lieue  kynt. 

Als  balsom  onder  doren. 

Soe  elaer,  scoen,  friisch  end  suuerlic, 

Dat  si  daer  is  in  haer  kynts  nie, 

£n  is  y  niet  te  spreken. 

7.  Haer  croen  bleuet  daer  wonderlike  seer, 
AI  gülden  lelien  syn  haer  cleer, 


Oout  rosen  syn  haer  sampielen. 
Recht  als  die  sterren  ende  maen 
Hier  yan  die  sonne  licht  ontfaen, 
Soe  doen  yan  haer  die  aielen. 
Haer  roec  gaet  bouen  alle  [BLXVa.] 

cruyt, 
End  bouen  simbalen  haer  geluyt 
End  al  gescal  der  pipen. 

8.  Die  borgers  dragen  al  een  croen 
End  singen,  dat  klinct  in  den  troen: 
Osanna,  alleluya. 

Mer  och  der  maechden  sane  is  scoen. 
Die  singen  mit  des  eoninx  soen 
End  mit  die  maecht  maria. 
Hoe  dat  luyt  ouer  hemmelriic, 
Hoe  Bcoen,  daer,  suet  end  wonderlic, 
En  mach  gheen  mensch  begripen. 

9.  Haer  croen  heeft  om  een  rosen  erans, 
Si  singen  mit  ihesu  aen  den  dans 
End  louen  sonder  merren. 

Dat  cranskyn  heeft  soe  groet  yirtuyt, 
Elc  roeskyn  geeft  meer  clairheit  wyt, 
Dan  sonne,  maen  end  sterren. 
Gheen  eruyt  op  eertriic  is  soe  ^  et, 
Dat  ruken  mach,  als  cransken  doet, 
AI  waer  oncruyt  fiolen. 

10.  Si  hören  och  aat  suet  geluyt: 
Coemt  myn  j^emynde,  suuer  bruyt, 
End  rust  y  in  myn  armen. 

Si  syn  beuaen  mit  ihesus  myn, 
Als  cherubin  end  seraphin, 
Van  groter  lieft  si  bemen. 
Gheliic  die  son  is  haer    [Bl.  XV  b.] 

aenschyn, 
Si  yolgen  tsuete  lammekyn, 
Ghedeet  mit  witteti  stolen. 

11.  Die  engel  en  zielen  syn  gemeen 
End  singen  bilde  onder  een 
Den  coninc  yan  den  thronen: 
Loff  eer  si  y,  heer  sabaoth, 
Almachtidi,  ewieh,  heilig  god, 
Een  wesen,  drie  personen. 

Ghi  siit,  die  ewich  heeft  geweest, 
End  hemel,  eertriie  mit  y  gheest 
Doet  yrolic  iubilieren. 

12.  Och  tis  hem  zeer  behachelic, 
Te  hören  yan  dat  suete  nie 
Die  eerbeirliken  leuen 

End  dienen  ihesu  trowelic, 
S^  wyngart  planten  wunelic, 
Die  werrelt  si  begheuen. 
Want  als  haer  tut  hier  is  gedaen, 
Sal  hi  sie  liefUc  daer  ontfaen, 
Gheliic  die  son  yercieren. 
13*.  Tsal  ewich  duren  sonder  ow, 

Tis  seoenre  yeel,  dant  waer  yan  gow, 

Verciert  mit  gülden  bomen. 

Die  clarer  blencken  dan  die  maen, 


184 


Wilhelm  Bftumker, 


Die  sonne  si  te  bouen  gaen 
Mit  hären  sueten  bloemen. 
Van  puren  gow  ist  scoen  paueyt, 
Mit  sueten  rosen  al  doer  leyt, 
Die  sullen  ewieh  duren. 
14.  Ic  heb  soe  veel  v  niet  geseit,  [BIXYIa.] 
Dan  tland  en  is  noeh  bet  bereit, 
Dan  enich  mensch  mach  denekeo, 
Plant  rrj,  ghy  seit  daer  sjn  uerbliit. 
Mer  Biet,  dat  ghi  ffhestadlich  siit, 
Ju  tut  die  naect  ai  lencken. 
Als  ihesuB  y  daer  sal  ontbien, 


Ju  frerken  sal  hi  ouersien 
End  nae  ▼  doeehden  Ionen. 
15.  Och  wairlio,  hi  is  seer  verblinty 
Die  tiitlie  Toer  ewich  mynt, 
End  wil  dat  lant  vergheten. 
Noehtans  wel  siet  syn  fundament, 
Dat  seoen  veroierde  firmament 
Mit  sterren  end  planeten! 
Och  god,  rerleent  een  yegelio, 
Omt  lant  tedenoken  op  eertriic 
End  daemae  te  bewoenen ! 


Versmaß: 


'^     —     W_V^     —     v-/     — 
v-/    —    vy    _    W    _    O' 


.  SmaL 


Eine  zweite  Melodie  ßndet  man  unier  No.  77.  Dort  ist  der  Text  als  Lied  zu 
Strophen  von  drei  Zeilen  gefaßt.  In  der  vorliegenden  Fassung  dagegen  haben  wir 
eine  neunzeilige  Strophe  mit  Auf-  und  Ahgesang.  In  der  Berliner  Handschrift  B. 
Bh  177  steht  ein  gleiches  Lied  ohne  Melodie,  vielfach. in  anderer  f-assung,  Soffmann^ 
Niederl.  geistl  Lieder  No,  102. 

In  einer  dritten  Handschrift  (C)  S.  1  lautet  die  Ühersf^rift  »Dit  is  de  wise: 
die  meye  wil  ons  mit  gelpen  bleemen  scheneken,  des  vervrouwen*.  Ob  die  obige  Me- 
odie  ursprünglich  diesem  Texte  angeh&rte,  kann  nicht  festgestellt  werden. 


Bl.  XVIUa. 


10. 

Het  is  een  dach  der  TroIicheiL 


f 


sEHBi^g^fs 


r 


I 


I 


I 


Het      is      een  dach  der   vto  -  lic  -  heit    in    des     co-ninx 


I         I         I         •       •  "1  I 

ho  -  üe,  Want  daer  heeft  een  maechde-lic  -  heit    ont-fan-gen 


T=i=rT=f 


van    gro  -  ter     lo  -  ue:  Een  kynt    dat    is  seer  won-der-lic 


^^^^^E^^ 


end  al  -  te-mael  ghe-nue-che-lic     nae    syn-re    men-sche- 


NiederlfindiBche  geistliche  Lieder  nebst  ihren  Singweisen  etc.  Jg5 


t  t    1   ^  t  t  !  ^^ 


lic-he-den,    Dat    dair   leyt    on-dach-te-lic     end  dar-toe 


r^T 


r=»=T=f 


on  -  be  -  gri-pe-lic    nae    syn  -  re     god-lic  -he-  den. 


1.  Het  is  een  dach  der  vrolicheit 
in  des  coninx  houe, 
Want  daer  heeft  een  maechdelicheit 
ontfangen  yan  j;TOter  loue 
£en  kynt,  dat  is  seer  wonderlic 
end  altemael  ghenuechelic 
nae  wpae  mensohelicheden, 
Dat  dair  leyt  ondachtelic 
end  daer  toe  onbegripelic 
nae  synre  godlicheden. 

2.  Die  moeder  is  dochter  tronderlic 
Haers  soens,  want  tis  haer  yader, 
Waer  hoerde  yemant  des  gheliic? 
Hi  is  ffod  ende  mensch  te  gader, 
Hi  is  Knecht  end  dartoe  beer, 
Hi  is  ouer  al,  dat  is  meer 
Onbegripelic  te  vinden, 
tegenwoerdig  ende  veer, 
Waer  hoerde  yemant  wonder  meer? 
ten  can  gheen  man  bescriuen. 

3.  Doe  Toert  quam  ihesus  gods  soen 
Tan  der  maget  pure, 
gheliic  die  felien  bloyen  scoen, 
wonder  1  naturen: 
Dat  hi  in  die  ionc  maecht  quam, 
eer  hi  enich  dinck  began, 
doen  maecte  hi  hem  behagen, 
Dat  (hi)  die  borsten  der  reynicheit 

Sauen  melc  der  kuslicheit 
en  ouden  kynt  van  dagen. 

4.  Gheliic  dat  niet  en  quetst  dat  glas, 
daer  die  son  schynt  doere, 
geloeff  ic,  dat  si  ma^et  was 
nae  end  ooc  reyn  yoire. 
die  moeder  is  gebenediit, 
in  wyens  liiff  besloten  leyt, 

Überteizung,  Versmaß  und  Melodie  des  aUen  lateinieehen  Weihnachtsgesanges 
•Dies  est  laeiitiaei.  {Der  Tag  der  ist  so  freudenreich!)  Die  Vorzeichnung  des  b, 
teekhe  in  allen  Oesanghüchem  des  16,  Jahrhunderts  steht,  ist  hier  unterblieben.   Vgl. 


die  goeds  soen  seboren, 
end  die  bors^s  neilich  waren, 
die  god  in  smen  ionge  iaren 
te  suken  hat  yercoren. 

5.  Die  beer  den  herdekyn    [Bl.  XIX  a.] 

ontboet 
des  snachts  bi  hären  beesten 
mitten  engelen  bliiscap  groet 
van  des  coninx  feesten, 
die  gewonnen  had  die  meecht, 
end  Inder  cribben  wel  gelocht, 
in  doekelkyn  gewonden; 
hi  is  al  der  werrelt  beer, 
van  gedaenten  scoenre  meer, 
dan  yemant  was  gheuonden. 

6.  In  den  doncker  van  der  nacht 
so  wast  daer  alsoe  lichte, 

die  prins  wert  inden  stal  gebracht, 

die  al  die  werelt  stiebte; 

men  vant  hem  in  den  wandelbant, 

die  sterren  maecte  mitter  hant, 

doe  hi  die  hemel  wrachte; 

hi  weende  als  een  kynde  mede, 

die  die  wölken  donre  dede, 

ay  hy  voer  op  mit  erachte. 

7.  Doe  men  die  werrelt  al  besoreff, 
doe  ginc  die  maecht  mit  kynde, 
te  bethleem  al  dair  sie  bleeff, 
herodes  en  const  niet  vinden; 
men  openbaerdet  inden  houe, 
die  glorie  sinken  mit  groten  loue 
van  der  weerdichede: 

god,  hiir  bouen  in  hemmelriic, 
verleen  ons  menschen  op  eertriic 
van  gueden  wil  en  yrede.    amen. 


1  fehlt  »der«. 
1888. 


13 


186 


Wilhelm  Bftumker, 


Bäumker,  Das  kath.  deutsche  Kirchenlied  I,  43.  Van  den  Bergh  theüt  in  seinem 
Aufsatze  »Oeestelijcke  Gediehtem  einen  fUn/strophigen  Text  aus  einer  Handschrift 
des  16,  Jahrhunderts  mit  und  setzt  das  Lied  m  das  14.  Jahrhundert,  Die  Reshen- 
folge  der  Strophen  ist  1,  2,  6y  3,  4.  Vgl,  auch  Hofmann  a.  a,  O.  Ko.  21,  22,  Den 
entsprechenden  lateinischen  Text  findet  man  bei  Mone,  Hymnen  I,  97. 


Bl.  XIXb. 


11. 


Heer  Tader,  hebt  den  ewigen  loff. 


Ii^-zpf^^;^ 


Heer    va-der,    hebt  den     e  -  wi- gen  loff,     Die     ons    be-reit 

b  __b_ 


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4 


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-t: — ' . 

der  en-ge-len  hoff,  Mit    u-wen  soen,  die  ghi  ons    sant, 


i 


i 


i 


^ 


¥ 


End    ons    of  -  doet  den     heischen   brant 


I.Heer  vader,  hebt  den  ewigen  loff, 
Die  ons  bereit  der  engelen  hoff, 
Mit  uwen  soen,  die  gm  ons  sant, 
End  ons  ofdoet  den  heischen  brant. 

2.  Maria  vrou,  ghi  waert  alleen 
Daer  toe  yercoren,  anders  gheen, 
Die  ons  voert  bracht  emanuel, 
Des  was  die  bode  gabriel. 

3.  Kerst  was  geboren  in  eertriio 
Van  eenre  maget  wonderlic, 
Hi  leet  daer  menich  bitterheit 
Om  onser  alre  salioheit. 

4.  Hi  wert  besneden  nader  wet, 

Diet  al  vermocht,  hi  woud  niet  bet, 
Hi  liet  hem  yluohten  yten  land 
Om  vrese  yan  herodes  band. 

5.  Als  dese  maecht  gebenediit 

Had  in  geseten  haer  yoltiit,  [Bl.  XX  a.] 
Ginc  si  ten  tempel  nader  wet, 
Die  moyses  had^  yoergeset. 

6.  Maria,  yrou  van  hemmelriic, 
Enquaemt  daer  herde  willichlic, 
Ten  had  y  noch  gheen  noet  gedaen, 
Mer  ghi  woud  onder  die  wet  staen. 

7.  Ohi  offerdet  daer  yoert  uwen  soen, 
Di  beer  is  yanden  bogen  troen, 


Twie  deyne  tortelduywelk}na ; 
des  si  geloeft  y  kindekyn. 

8.  Loff  heb  dat  kynt,  die  böge  beer, 
Die  wy  vol  louen  n3mmiermeer 
En  mögen  nae  syn  weerdicheit, 
Oeloeft  si  hi  in  ewicheit. 

9.  Maria  moeder,  maget  fyn, 
Ghebenediit  soe  moet  ghi  syiif 
Want  mitten  soen,  die  ghi  ons  bracht, 
Ons  vaders  toem  is  al  gesacht. 

10.  Maria  yrou,  doer  uwer  doecht 

Bidt  uwen  soen,  want  ghi  yermoecht, 
Dat  hi  doer  syn  barmherticheit 
Aensie  die  cranke  menscheUcheit. 

11.  Heer,  doer  die  bede  dynre  moeder, 
Soe  bidden  wy,  weest  onse  behoeder, 
Soe  dat  wy  inder  lester  tiit 

Mit  di  worden  gebenediit. 

12.  Dat  dit  ghescie,   soe  willen  wi  louen 
Den  groten  coninc  yan  hier  bouen 
End  die  maghet,  yrou  maria,  [Bl.  XXb.] 
End  sinken  ter  eren  gloria. 

13.  Gloria  tibi  domine, 

qui  natus  es  de  yirgine,  ^ 
cum  patre  et  sancto  spiritu 
in  sempiterna  saecula.     amen. 


1  hadde  paßt  besser  in  den  Vers. 


Niederländische  geistliche  Lieder  nebst  ihren  Singweisen  etc.  ]g7 


Verwnaßi 


Die  Singweise  ist  dem  laUiniechen  KirchenUede  »Te  lueia  ante  terminuim  ent- 
fiofntnen, 

Vesperale  Bomanum,  Leodii.  1850. 


Te    lu  -  eis    an  -  te  ter  -  mi-num,      re  -  rum  cre  -  a  -  tor, 


pos  -  ci  -  mus,       ut    pro     tu  -  a     cle  -  men  -  ti    - 


a 


sis     prae  -  sul    et     cus  -  to  -  di  -  a. 
Vergl.  auch  Bftumker,  Das  kath.  deutsche  Kirchenlied  II.  Bd.  No.  247  11. 


Bl.  XX  b. 


12. 


Ons  Is  een  kyndekyn  geboren. 


r-ri  1  Mm  t^^ 


i 


Ons    is     een    kyn  -  de  -  kyn      ge  -  bo-ren    Tot     on  -  ser 


]  1 1  r*  f=N 


*: 


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gro  -  te  ge  -  win    -    ne,  En  waer  dat  niet,    wi      wa  -  ren 


^ 


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ver  -  lo  -  ren,  Daer  toe  dwanc  hem     die     myn   -  ne. 


l.Ons  is  een  kyndekyn  geboren 
Tot  onser  grote  gewinne, 
£n  waer  dat  niet,  wi  waren  Terloren, 
Daer  toe  dwanc  hem  die  [Bl.  XXI  a.] 

mynne. 


2.  Adam  bracht  ons  in  groter  noet, 
Bi  hem  waren  wi  Terioren, 
Dat  kynt  clam  wt  des  vaders  scoet 
End  soende  den  ouderen  toeren. 


13 


188 


Wilhelm  Bftumker, 


3.Te  bethleem  een  woestieh  huys, 
Aldaer  gelach  die  moeder 
Van  eenre  k3mde,  hiet  ihesus, 
een  bliiscap  alder  goeder. 

4.  Hi  was  geooren  ter  midder  nacht 
Van  eenre  maget  pure, 

Die  heer,  die  oner  al  heeft  macht, 
Een  scepper  der  creature. 

5.  Bat  ysaiaa  te  voren  screeff, 
Is  nu  yeruult  te  tiiden, 

Die  moeder  suet,  die  maffet  bleefi^ 
Des  willen  iri  ons  yerbliaen. 

6.  In  eenre  cribben  was  hi  geleyt 
Twischen  twien  stommen  dieren, 
In  hoy,  als  die  scnftuer  ons  seit, 
Ende  si  bekendent  schieren. 

7.  Die  al  die  werrelt  heeft  gemaect 
End  dat  ciaer  sonne  schäme, 
lach  in  die  cribbe  bloet,  al  naect; 
Hern  vrosen  die  ledekyns  syne. 


8.  Noch  bont  noch  graw  was  daer  geleit, 
noch  oic  duyrbair  ghesmide; 

In  ioseph  oousen  was  hi  geleyt, 

Om  ons  woude  hi  dit  liden  [Bl.  XXI  b.] 

9.  Groet  licht  scheen  Inder  seiner  tut 
Doe  ihesus  wert  geboren, 

Die  herdekyns  worden  seer  yerbliit 
AI  Tter  enghelen  scaren. 
10.[Die  enffelen  songen  allen  loff 
Mit  luaer  stemmen  dare, 
Daer  bouen  in  dat  hemelsche  hoff, 
Dat  god  geboren  wäre. 

11.  Nt  dancken  wy  ghemeenenüic 
Den  heer  god,  yan  hiir  bouen; 
Dat  hi  ons  is  worden  gheliic, 
Des  willen  wi  hem  ny  louen. 

12.  Bidden  wy,  cleyn  efi  groet, 
Desen  sueten  kynde, 

Dat  hi  ons  brenet  in  abrahams  scoet 
Ewelic  mit  hem  te  sine.     amen. 


Versmaß: 


V./     —      N.^     —     V>     —     N.^     — 

\j    -.    y^   ^    \J    ^   <j 

S^     —      'o'     —     N>     —      V-/ 


Bl.  XXIb. 


13. 


Een  kyndekyn  is  ons  geboren. 


t — I 


Een    kyn-de-kyn    is      ons    ge  -  bo  -  ren  in  beth-le-em; 


Des    had    he-ro-des    toer  -  ne,     dat  scheen  aen    hem. 


Drie    co  -  nin  -  gen    wt    oes-ten    lan  -  de    qua  -  men    te 

I  I  I 


ihe  -  ru  -  sa  -  lern.   Sie    vraech-den,  waer    ge  -  bo  -  ren  was 


Niederlftndisehe  geisüiohe  Lieder  nebat  ihren  Singweisen  eto. 


189 


^^^^l  iTTli  t^J^ 


die      CO  -  ninc   der     io  -  den.      Wy     sa-gen    in    oes-ten 


W-J^T-H-t 


i 


lan  -  den     die    ster  -  re  syn,     Wy      co  -  men    om      te 


aen  -  be  -  den    den  he  -  re     fyn.        Een  kyn.  etc. 


Een  kyndekyn  is  ons  geboren 

in  betUeem, 

Des  liad  herodes  toeme; 

dat  Bcheen  aen  hem.  TBL  Xllla.] 
l.Drie  ooning^en  wt  oesten  lande 
auamen  te  iherusalem. 
Sie  yraeehden,  waer  geboren  was 
die  coninc  der  ioden. 
Wy  sagen  in  oesten  landen 
die  sterre  syn, 
Wy  eomen,  om  te  aenbeden 
den  here  fyn. 

jBen  kyn  etc. 

2.  Herodes  vraeohde  den  vroede  syn, 
waert  kynt  geboren  was. 

Sie  seiden  in  bethleem, 
als  die  prophete  las: 
In  bethleem  sal  comen 
een  here  groet, 
Hi  sal  syn  toIc  verlossen 
Tt  alre  noet. 

3.  Mer  als  herodes  dat  yemam, 
Dat  kynt  geboren  was, 

See  wert  m  toemich  en  gram 
end  Termat  hem  des, 
Dat  hi  Verliesen  soude 

3n  rücke  groet 
i  dochte,  noe  hi  mocht  [Bl.  XXII  b.] 

brengen 
dat  kynt  ter  doet 

4.  Heroaes  sprae  den  coningen  toe: 
yaert  wech  end  soect  dat  kynt, 
Ende  al  mit  ^ter  weerdieheit 
men  seyt  hi  is  coninc, 

bouen  allen  coningen 


soe  is  dat  kindekyn, 
Men  seit,  hi  sal  regieren 
dat  rike  myn. 

5.  Mer  als  die  coningen  quamen 
buten  iherusalem, 

Mit  yroeohden  dat  si  sagen 
die  sterre  gaen  yoer  hem, 
Thent  dat  si  daer  yonden 
een  kindekyn, 
In  doekelkyn  gewonden, 
mitter  moeder  syn. 

6.  Si  yonden  daer  een  kyndekyn, 
dat  was  dertien  dach  out, 

Sie  broohten  hem  in  offerhanden 

mirre,  wieroec  ende  gout 

Mit  groter  weerdioheden, 

den  here  groet 

Si  yondent  daer  te  male 

van  hauen  bloet. 

7.  Des  snachts,  als  die  coningen  sliepen» 
soe  s^rac  die  engel  tot  hem, 

Dat  si  niet  keren  en  souden 

doer  iherusalem. 

AI  doer  een  ander  wege 

syn  si  gekeert 

In  haer  oonincs  riike, 

als  men  ons  leert. 

8.  Nv  laet  ons  allen  louen 
dit  suete  kyndekyn, 
Dat  hi  ons  moet  brengen 
in  dat  riike  syn, 

Daer  hem  die  enghelen  [BL  XXIIIa.] 

louen 
in  alre  tiit: 

Des  moet  ons  gönnen  die  vader, 
ewelic  ghebeneliit!    Amen. 


190 


Wilhdm  Biamker, 


Versmt^  ttnregebnäfiig 

:    v-/   — 

e- 

-)- 

_    \J 

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s-/     — 

w  - 

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^/    — 

\J  — 

\^   — 

\^    — 

v-/ 

\J  — 

v>    — 

Refrain. 


Die  MeMie  scheint  mir  korrumpirt  zu  «ein.  Die  h*  Vorzeichnung  fekU  im  Ort-- 
ginal.    Die  folgende  aus  der  Berliner  Handschrift  ist  singbarer: 

Hdschr.  B.  Bl.  9b. 


I \ 


^^m 


Een  kin  -  de  -  kyn    is     ons    ghe-bo  -  ren       in   beth  -  le  -  em. 


ff 


I 1 


1  '  «  T  t  fh 


rf 


dat  .heeft    he  -  lo  -  des    to  -  ren,       dat  echeen   an   hem. 


4- 


t=P=t 


^ 


i 


X 


^ 


t 


Die    CO  -  ninc*gheu    wt     o  -   ri  -  en  -  ten     qua  -  men   te 


ihe  -  ru  -  sa  -  lern,       si    yraech-den:    wair     is    ghe  -  bo  -  ren 


die     CO  -  ninc    der     io-deu?    wy    saghen    in     o-ri-en-ten 


Niederlfindische  geistliehe  lieder  nebst  ihren  Singweisen  etc.  ^91 


een  ster-re  scnyn, 


1 
wy 


CO  -  men    om    te    aen  *  be  *  den 


^^ 


I       ■       •       7      ▼    >-♦■ 

dat     8ue  -  te     kin  -  de  -  kyn. 


Text  bei  Hoffimmn,  Niederländische  geisÜ,  Lieder  No.  7.  Das  Lied  ßndet 
mit  einer  Qhnliehen  Melodie  in  vielen  kath,  Oesangbüchem  Deutschlands  und 
der  Niederlande  aus  dem  17,  Jahrhundert,  Vgl  BärnnkeTf  Das  kaih,  deutsche 
Kirchenlied  I,  110, 


BLXXnia. 


14. 


Jhesus  is  een  kyndekyn  cleyn. 


i 


* 


1    I 


f 


* 


Jhe  -  8US      is    een  kyn-de-kyn  cleyn,  Hem  myn-nen  al  -  le 


I 


=T^=ft 


^ 


t 


W^ 


^--r 


■t^ 


f—r 


her  -  ten    rein,  Laet    v 


die    wer  -  reit    niet    be  -  drie-gen, 


^ 


i- 


I 


f=^ 


t. 


I 


r 


I       i 


ge-loef-di    hoer,    si      sal        v      lie-gen. 


Sandschriß  B,  Bl  74  a  mit  der 

l.IhesuB  is  een  kyndekyn  cleyn, 
Hem  mynnen  aue  herten  reyn; 
Laet  y  die  werrelt  niet  bedriegen, 

Seloefdi  hoer,  si  sal  v  liegen, 
tiesus  is  een  kyndekyn  scoen, 
In  reinen  herten  spant  hi  croen. 
Deser  worelt  moet  ghi  steruen, 
Wü  ghi  ihesus  mynne  verweruen. 
3.  Ihesus  is  soe  ouer  soet, 
Dat  ic  hem  ymmer  mynnen  moet. 


i  fehlt  »in«. 


VariofUe  1.  fe  d  d  c. 

Cleynen  arbeit  mit  groet  gewyn 
Vynt  men  in  ihesus  zuete  myn. 

4.  Ihesus  is  mynre  hertkyn  troest, 
lo  Word  van  allen  liden  verloest. 
Nu  laet  ons  mit  herten  blide 
Ihesum  louen  in  allen  tiden. 

5.  Loff,  glory,  eer  end  weer^  [BL  XXII  b.} 

dicheit 

Moet  ihesu  syn*  ewicheit. 
Want  hi  syn  dienres  heeft  bereit 
Die  croen  aer  ewigher  salicheit.  amen. 


192 


Wilhelm  Bäumker, 


Versmaß'. 


Dm   Handaehriß  B,  Bl  74a.  enihäU  daa$elbe  Lied.     Text- Varianten  findet 
man  hei  Hojfmann,  Niederl,  geieU.  Lieder  No.  77. 

Das  folgende  Lied  der  Berliner  Handeckrift  hat  fast  dieselbe  Melodie  r" 
Hdschr.  B.  El.  36  a. 

Kinder  ny  loeft  die  maghet  marie. 

I — I 


Kin  -  der    nv    loeft       die   ma  -  ghet    ma  -  rie,     si     he  -  uet 


1 1 


van  die  pro  -  phe  -  tie,         si     he -uet   enen    so  -  ne,     si     is 


♦  ♦    ♦  ^^ 


fl  1  !  TT-rrn^ 


maghet  ma-rie,      dat  won-der  en    ge-schie    ons  nye. 

Das  ist  die  Weise  des  alten  Hymnus  »Conditor  ahne  siderum.* 
Hynmi  de  tempore  et  de  sanctis.  Solesmis  1885.  No.  17. 


Con  -  di  -  tor    al  -  me    si  -  de  -  mm,       Ae  -  ter  -  na    lux 


cre  -  den  -  ti  -  um,     Chri  -  ste    Re-demp-tor      o  -  mni  -  um, 


£x-au-di  pre-ces  sup-pli-cum. 
Vgl.  auch  Bliumker,  Das  kath.  deutsche  Kirchenlied  I,  4. 


Niederlfindisohe  geistliehe  Lieder  nebst  ihren  Singweisen  etc. 


193 


BL  xxnib. 


15. 

Die  lelikyns  wit. 


I  .;>*->^-4^ 


* 


a 


$ 


Die    le     -     -     -    li  -  kyns      wit        en  -  de    die 


ro- 


;i.i;U^l-^^U4- 


^ 


i 


^ 


08 


kyns  roet,    Dat  syn-se, 


■  lUl.^li.i 


i 


ne.      Jhe  -  sus     is 


die    zue  -  te    naem   groet,      EEi      is    van    gue    -    den 

I 


^^^^^TI'^^TTT 


^ 


Sin 


ne.       Com,    com,    com,     com 


i 


$ 


i 


! 


F=^=^=F^ 


heer    ihe  -  sus   com,    Myn  -  re    sie  -  len    bru  -  de  -  gom. 


1.  Die  lelikyns  wit  ende  die  rooskyns  roet, 
Dat  synse,  die  ic  mynne, 
Ihesus  is  die  zTete  naem  groet, 
Hi  is  van  gueden  sinne. 

Com,  com,  com, 
com  heer  ihesus  com, 
Mynre  sielen  bru-   [BL  XXIV  a.] 

degom 

2  Ihesus  die  wil  bi  ons  bliuen, 
Ist  dat  wi  hem  niet  verdrinen, 
Hi  wil  ons  syn  seinen  gheuen 
Daer   toe  mede   ewich  leuen.    Com, 

com  etc. 


3.  Ihesus,  myn  wtuercoren  lieff, 
Ic  bid  y,  noert  doch  ny  myn  brieff, 
Want  tis  my  al  om  y  gedaen, 
Dat  ic  dyn  yroechde  mach   ontfiaen. 

Com,  com  etc. 

4. Och!  myn  alre  liefste  heer, 
Na  y  yerlanget  my  so  seer, 
Myn  hertken  is  so  ongestelt, 
Want  tis  om  y,   dattet    hier    quelt. 

Com,  com  etc. 

5.  Ach  het  is  soe  onmate  wee, 
Dat  oneruloyt  ny  als  die  see, 
£n  dat  comt  hem  al  bi  tiiden, 
Dat  ics  mach  niet  langer  liden.  Com, 

com  etc. 


194 


Wühelm  Bftamker, 


6.  Troest  xnv  doch,  ihesu,  nv  ter  tut 
£nd  geeft  my  nae  v  hemmelriic, 
Bat  ic  bequaem  daer  mach  ontfaen 
Den  croen,   end  ander  dansen  gaen. 

Com,  com  etc. 

7.  Als  ic  Toer  die  hemelsche  poert 
Sal  comen  hören  iheaus  woert, 
Soe  vil  ic  alsoe  lüde  singen, 

Ist  dat  hi  slaep,  hi  sal  ontspringen. 

Com,  com  etc. 


8.  End  als  hi   dan   ont-   [Bl.  XXIV  b.] 

sprongen  waer, 
Soe  wil  ic  hem  bidden  daer, 
Bat  hi  syn  genade  geeft  my 
End  oirloeft  te  singen  melody.  Com« 

com  etc. 

9.  Heb  ic  i^n  ffenade  aldus 
Soe  vil  IC  alsoe  lüde  singen: 
Sanctus,  sanctus  Bominus, 

Daer  mede  wil  ic  tot  hem  springen. 

Com,  com  etc. 


Versmaß'. 


W     —     v-/     —     >^_-V^_ 

v^    _    \^'    _    ^^    —    v.^*    — 


_    v-/    _ 

—    ^    —    v-/    — 

_    N^    _    v^    _    v^    — 


Bl.  XXIV  b. 


16. 


Magnum  nemen  Domini. 


i^ 


I  «  I  ♦  i  i 


% 


Mag-num   no  -  men    do-  mi  -  ni    e  -  ma-nu-el,  Quod  annun- 


^^ 


T^i  >  i-ri 


:*=«: 


ci  -  a  -  tum  est  per   ga-bri - el,    Ho-  di  -  e     ap  -  pa  -  ru  -  it 


in     is  -  la  -  hei,    in    is-ra-hel,  in  is-  ra  -  hei    per  ma-ri-am 


♦-f-f-t-I-|- 


vir-gi-nem  e- ma-nu-el.    Hey  -  o,     hey  -  o,  hey-o,  hey-o, 


»=^^-^t  i".-!--^*  1  '  i^ 


vir  -  go  de  -  um    ge-nu  -  it,     sie  -  ut  di  -  ui  -  na  vo  -  lu  -  it 


Niederlfindische  geistliche  Lieder  nebst  ihren  Singweisen  etc. 


195 


O      ihe  -flu    heer,  myn    wt-uer-co-ren, 


cle-men-ci-  a. 


13 


f^^^f=!=f 


i      1      1 

ciaer  -  lic    voer    my     siit    ghi     ge  -  bo  -  ten.     Magnum  etc. 


»       ♦       ♦ 


i^ 


I 

Nv 


laet    dyn  doch-ter. 


1.  Magnum  nomen  domini  emanuel, 
Quod  annunciatum  est  per  gabriel, 
Hodie  apparuit  in  israhel,  in  israhel, 

in  isrähel 
per  mariam  Tirginem  eoanneL 
EEeyo,  heyo,  heyo,  heyo,  Virgo  deum 

g^uit, 
sicut  diuina  voluit  clemencia. 
O  ihesu  heer,  myn  wtuer-  [Bl.  XXV  a] 

coren, 
Claerlic  voer  my  siit  ghi  geboren.       ' 
Magnum  etc. 

2.  No  laet  dvn  dochter  in  yreden 
£ä  gebruken  alle  reden. 

Magnum  etc. 

3.  Hoe  ihesus  dat  suete  woert 

Is  geworden  mensch,  dat  compt  ny^yoert. 
Magnum  etc. 

4.  Ende  openbaert  hem  alle  luden, 
▼oer  nyemaat  en  mach  men  dat  huden. 

Magnum  etc. 


5.  Des  wil  ic  my  nv  yerbliden  seer, 
En  laten  varen  al  myn  liden, 

Magnum  etc. 

6.  Dat  myn  hertkyn  mach  bedrouen, 
En  m3rn  heer  niet  en  soude  louen. 

Magnum  etc. 

7.  Mer  ic  wil  singen  een  grote  loff, 
Dat   ment    mach   hören    int   hemel« 

sehe  hoff. 
Magnum  eto. 

8.  Ihesu,  ihesu,  myn  lieue  here, 
Weerdicheit  end  alle  ere 

Magnum  etc. 

9.  Moet  dy  syn  van  ewen  trewen  (?) 
Nu  en  nae  dit  cranke  leuen. 

Magnum  etc. 

10.  Amen,  Amen,  Amen,  Amen,  Amen, 
Willen  wi  singen  alle  te  samen. 
Magnum  etc. 


Da$  ttU8  dem  XIV.  Jahrhundert  stammende  Lied  »Magnum  nomen  Domin» 
wurde  ffewöhnHeh  tänoecheehid  mit  andern  JVeihnachteliedem  geeungen,  u,  a.  mit 
^Iteeonet  in  laudibue^  und  »Joseph  lieher  Joseph  mein^fn  (Vgl  Bäumker,  Das  kath. 
deutet^  Kirchenlied  I,  47),  In  der  vorliegenden  Fassung  wechselt  dasselbe  mit  zwei 
Versen  in  der  Volkssprache  ab.  Die  Melodie  datu  ist  dem  V,  Fsähnenton  eni- 
ttommen» 

Tonus  V. 


♦    ^    ^     ^^    ^r=^ 


^■■»    ♦      ^    ^    ^     ^    ♦ 


Di- xit  Do-mi-nus  Do-mi-no  me-o:     se-de   a  dex-tris  me-is. 


196 


Wilhelm  Bftumker, 


In  derselben  Mehdie,  um  eine  Quart  erhöhif  soüen  die  nachfolgenden  Strophe» 
geeungen  werden^  sodaß  die  Fortsetzung  also  lauten  würde: 


■^      ^      ^      ^       »    -» 


»    -»     ^V     ^lZ± 


P^ 


Nv  laet  dyn  dochter  in  vre-den,  En  ge-bru-ken  al-le  re-den. 

Nachstehend  gehe  ich  einen  zweistimmigen  Satz  aus  der  Berliner  Handschrt/t: 


16  a. 


Hdschr.  B.  Bl.  31a. 


f^Tomri^ 


t 


Magnum  nomen  do-mi-  ni    e  -  ma-  nu-el, 


%.\*\   .1 


quod  an 


-  nun- 


Li-*  J  * ; .  I  ^ 


+ 


]!=:*: 


± 


Cl  - 


i^ 


a-tum  est  per  ga-bri-el, 


ho  -  dl  -  e    ap  -  pa  -  ru  -  it 


i 


« ;  *  ^  *  '  *  t 


in     is  -  ra  -  hei,   fac-ta    est  le  -  ti  -  ci  -  a     in  beth-le  -em, 


gri  >  1  « I «  1  «4-H-r4=^ 


i_ML-!-4  ♦  rrh-|  t  1  .-U 


sunt    im-ple-ta,  quaeprae-di-xit  da-ni>el    per  ma-ri-am, 

1^ 


$^ 


Wi*  i  * f-j-rr; «1*1« 


Niederlftndisehe  geistliche  Lieder  nebst  ihren  Singweisen  etc. 


197 


i=i=^^^-^^ 


t=^ 


de  ma-ri  -  a    vir  -  gi  -  ne  na-tus  est  rex.     Ey      -       a, 


ki.__Ui-t=4^=-^=F4=^ 


m 


/r-G-: 

: 

p— ^- 

1  ,  +- 

-f- 

^^ 

3 — 

-*- 

-f- 

=*= 

♦,  .♦  .♦ 

-*- 

-4- 

=«=r 

ey 

1   1 

• 

ey 

-a, 

ey- 

-a, 
s 

vir- 

-  go  de  -  um 

ge- 

■  nu 

1 

-it 

^^♦- 

M^ 

T^ 

rr-t  *  i-^U-^ 


sie  -  ut  dl  -  ui  -  na    vo  -  lu  -  it  cle-men-  ci  -  a. 

4 


pr  1 . 1  >  I yt-T-nnt 


■H- 


OrigindhMü89el : 


^^  Vorzeichnung  fehlt. 


*— ♦— 


1  Jm  Original  steht  c  d  statt  de,        *  femer  e  h  g  f  statt  c  a  g  f, 
3  ^  statt  o.  ^  t4fi<i  0  statt  b. 


Bl.  XXV  b. 


17. 

Een  alre  lleffelicken  een. 


Een     al  -  re     lief  -  fe  -  li  -  cken  een,  Dat    heb    ic     wt- 


^ 


^ 


^ 


+ 


t=3: 


i 


uer  -  CO  -  ren«       Dat     is      ihe  -  sus  van    na  -  za  -  reen, 


198 


Wilhelm  Bäumker, 


Repetitio. 


i 


t  *  l_^i.»i  t  [- 


E 


Is     van     der    ma  -  get    ge  -  bo        -    ren.      Su-yo,  su-yo, 


su-yo  SU,    Su-yo,  »u-yo,  su-yo  su,       Su-yo,     su  -  yo^ 


^nn»-r~f^-^^-^- 


SU  -  yo  SU    Lie-ue  su-sters  iß    dat 


niet     nv? 


l.Een  abe  lieffelioken  een 
Dat  heb  ic  wtuercoren, 
Dat  18  ihesus  van  nazareen, 
Is  van  der  maget  geboren. 

Repetitio. 
Suyo,  8uyo,  «wyo  su, 
Suyo,  suyo,  suyo  su, 
Suyo,  suyo,  sujro  su, 
Lieue  susters,  is  dat  niet  nv? 

2.  Des  willen  wy  ny  blide  wesen 
End  hebben  rroeehde  grote, 
Want  hi  is  nv  ons  ghegeuen 
wt  des  vaders  scote. 

3.  Het  vas  een  grote  tut  van  screyen. 
Och  lange  tut  hier  te  voren, 
Ende  den  moet  god  gheleyen, 
Want  ihesus  is  geboren. 

4.  Wi  souden  hebben  bUis-  [Bl.  XXVI  a.] 

ca^  groet, 
Const  wy  ons  wel  besinnen, 
Hoe  dat  vaderlike  woert 
is  worden  mensch  yan  mynnen. 

5.  M^'n  is  wel  die  meeste  scat, 
Die  ny  is  hier  in  deser  tut, 

-    Want  wt  mynnen  quam  ons  dat, 
Dat  wy  syn  dus  seer  yerbliit. 

6.  Ons  is  een  kyndekyn  geboren 
End  een  soen  wel  ghegeuen, 
Wy  syn  daer  toe  wtuercoren, 
Dat  wy  des  mynnentlic  plegen. 

7.  Qod  die  yader  heeft  gesent 
Van  mynnen  opter  eerden 
Sinen  soen  tot  een  present. 
Die  scat  yan  riiker  weerden. 

8.  Van  desen  sueten  ghereohten 
Sow  wy  dicwiil  crigen, 
Waer  wy  getrouue  knechten, 
Dat  ons  nu  moet  ontbliuen. 


9.  Mer  onse  yader  die  is  nie, 
AI  si  wy  arm  yan  hauen, 
Menden  wy  getrouuelic. 
Hl  soude  ons  wel  begauen. 

10.  Hi  heeftes  ny  so  seer  begonnen, 
Const  w^  dat  wel  begheren, 

Want  die  myn  heeft  hem  yerwonnen, 
Hi  en  can  hem  niet  geweren. 

11.  Och  mocht  ic  bi  der  cribben 
Sitten  mit  gedachte, 

End  sien  hem  daer  in  liggen 
Arm  end  ongheachte. 

12.  Als  ic  hem  dan  aldus    [Bl.  XX\i:b.] 

yonde, 
Wat  mocht  ic  dan  beghinnen, 
Dan  wt  reynen  groode 
Een  liedekyn  te  singen. 

13.  Als  die  engelen  songen 
Mit  enen  bUden  geeste 
Wt  des  hertschen  wonnen 
Tot  des  coninx  feeste. 

14.  Dat  deden  si  mit  rechte, 

Want  si  wisten  ymmer  wel, 

Dat  hi  was  beer,  al  scheen  hi  knechte, 

Dat  bewisede  luter  spei. 

15.  Sie  kondichten  ons  yrede 
die  lieue  engelen  syn, 

AI  woen  wy  noch  beneden, 
Wy  willens  ymmer  yennoet  syn, 

16.  Mit  recht  sal  hi  yerbliden, 
Soe  wie  ditjguerdenoket, 
Dat  ons  in  desen  tiiden 
Dees  graci  is  gescencket. 

17.  Men  machs  mit  ghenen  sinnen 
Nummermeer  yolprisen 

Die  ouergrote  xnynne. 
Die  hi  ons  woude  bewisen. 


Niederländische  geistliohe  Lieder  nebst  ihren  Singweisen  eto. 


199 


18.  Want  dat  luete  vaders  hert 
Heeft  die  myn  ontsloten, 
£nd  al  dat  ons  gebrac, 

Is  daer  wt  genloten. 

19.  Die  langhe  was  yerloren 
Heeft  hem  laten  yynden: 
Ood  is  mensch  geboren. 
Geworden  tot  enen  kynde. 

20.  Want  des  vaders  toeren 

Was  op  ons  hier  alsoe  [Bl.|XXyiIa.] 

groet, 
Dat  god  is  mensoh  geboren 
£nd  sterff  so  seer  der  mynnen  doet 

21.  Des  wi  te  louen 

Hem  hier  nv  beghinnen, 
Op  dat  wy  hier  oouen 
In  mynnen  al  volbringen. 

22.  IVant  wi  synt  so  rechte  cranc 
Nu  in  desen  tüden, 

Mer  waer  wy  in  ons  vaders  lant, 
Soe  mochten  wy  verbliden. 

23.  Baer  sei  een  yegeiic  syn  lief 
Nae  sinen  wil  gebruken, 

End  hebben  van  hem  alt  gerieff 
Alle  anderheyt  wtsluten. 

24.  Daer  is  dat  suete  vaderlant 
Vol  van  allen  vruohten, 
Mer  dat  my  is  soe  onbecant, 
Dat  doet  my  die  versuchten. 

25.  Daer  werden  vrolic  in  geleyt 
Die  mynnentlike  gasten,^ 
Die  hier  nae  corten  arbeit 
Ontfaen  die  ewige  rasten. 

26.  Daer  is  dat  wesen  sonder  gront, 
Wy  konnens  niet  besinnen, 

Het  Boude  ons  wel  worden  kondt, 
Konst  wi  hem  leren  mynnen. 

27.  Ood  die  vader,  die  is  weert 
In  des  hemels  throne, 

End  al  dat  mach  werden  verteert, 
Dat  heeft  betaelt  die  sone. 

28.  Daer  aal  wesen  ons  eten 
Dat  ouersuete  lammekyn, 
Van  den  woluen  gebeten, 

End  woud  ant  cruys  gebraden  syn. 
29. Die  heilige  geest  sal  [Bl.  XXYlIb] 

schencker  wesen 

Van  deser  sueter  mynnen  wyn, 

Die  sieeten  oan  genesen, 

Daer  is  altoes  guet  blide  te  syn. 
30.  Die  lieue  seraphinne 

Syn  te  dienst  daer  al  bereyt, 

8i  louen,  dat  ic  mynne 

Mit  also  groter  vrolicheit. 
31.Deus!  wat  is  daer  feesten 

In  des  alre  ouersten  hof, 

Daer  die  hemelsche  gheesten 

Hem  altoes  singen  gioten  loff. 


32. Och!  waer  io  daer  bouen, 

Soe  waer  my  alte  wel  gheschiet, 
Soe  mooht  lo  helpen  louen 
Myn  alre  ouerste  suete  lieff. 

33.  Daer  soud  ic  onbeuangen, 

Dat  myn  hertkyn  ommer  meent, 
Soe  waer  ooc  myn  verlangen 
Seer  saliohlic  gheeynt. 

34.  Mer  io  moet  my  liden, 
Tis  alsoe  mit  mv  gesteh, 
End  niet  te  recnt  verbliden, 

Ic  en  bin  al  claer  mit  hem  verselt. 

35.  Hiir  om  mach  ic  wel  screyen 
End  wesen  droeuich  van  synnen, 
Daer  io  dus  langh  moet  beyen, 
Eer  ic  myn  lieff  gewinne. 

36.  Mer  al  is  hi  daer  bouen, 
End  ic  hier  beneden, 
Hy  moet  sonwyl  comen 
End  setten  my  te  vreden. 

37.  Want  sonder  tiem  te  leuen 

Dünct  my  syn  steruen,  [Bl.  XXYIIIa] 
Ic  en  waers  ooc  niet  te  vreden, 
Soud  ic  hem  lange  deruen. 

38.  Hi  is  soe  rechte  mj^nentlic, 
Ic  en  mach  syns  niet  onberen, 
Hi  is  myns  iielkyns  hemmelriic, 
Wat  mach  ic  meer  begheren! 

39.  In  mynre  zielken  binnen 
Soe  moet  hi  altoes  bliuen 
Ende  mit  synre  mynnen 
Alle  anderheit  wtdiiuen. 

40.  Hv  quam  van  hiir  bouen 
Wt  mvnnen  hiirbeneder, 
End  al  dat  wy  vermögen, 
Syn  wi  hem  sculdich  weder. 

41.  Hi  heeft  gearbeit  sere 

Yoer  ons  snaohts  oec  ende  dach, 
Const  wy  ons  tot  hem  kere, 
*  Hi  en  gneert  dair  niet  meer  af. 

42.  Dat  morch  van  mynre  sielen 
Dat  moet  hi  al  verteren. 

In  hem  om  te  verwilen, 
Is  altoes  myn  begheren. 
!  43.  Lact  ons  gheuen  hert  ende  syn 
Ihesu,  onser  alre  vrient, 
Hi  heeft  des  veel  myt  synre  myn 
Op  ons  altoes  seer  wel  verdient. 

44.  Die  mynnentlike  here 
Is  van  sroter  weerden, 

Ic  gheef  hem  priis  end  ere 
Yoer  al  dat  leeft  op  eerden. 

45.  Och !  mocht  ic  hem  mynnen 

Hier  nae  alle  myn    [Bl.  XXYIIIb.) 

begheert, 
AI  coste  my  dat  myn  sinnen 
Hi  waert  my  alte  mael  wel  wert. 


200 


Wilhelm  Bäumker, 


46.  Hi  heeft  ons  alsulke  myn  bewüst 
In  leuen  end  in  steruen, 

Wat  niet  en  staet  in  synen  priis, 
Dat  mögen  wy  gheem  deruen. 

47.  Hi  heeftes  nv  soe  Beer  begonnen 
Mit  synre  groter  mynnen  lyn, 
Bat  ic  my  gheef  nv  al  yerwonnen 
End  wil  altoes  syn  eyehen  syn. 

48.  Want  coem  wy  Troe  ot  spade 
"Ead  hebben  lang  ghemerret, 
Noehtans  i«  syn  genade 
Den  sonderen,  niet  ontnerret. 

49.1c  wil  ny  myn  betrouuen 
Setten  altoes  vast  op  hem, 
Ic  hop,  hem  noch  te  scowen 
In  dat  hemels  iherusalem. 

50.  Daer  is  alsoe  groet  ioliit, 
Si  leuen  in  eenre  mynnen, 
Si  syn  alre  sorgen  qnyt 
End  süeuen  bouen  synnen. 

51.  Die  ons  die  yader  heeft  gesant 
"Vft  herteliker  mynnen, 

Die  moet  ons  brengen  in  dat  lant, 
AI  daer  die  enffden  singen. 

52.  So  soude  ic  vel  mögen  cussen 
Mit  m3mre  sielen  monde, 

Mit  also  hertliker  lusten 

Myns  gemynden  wonde.  [Bl.  XXIX  a.] 


I  53.  In  hem  is  nv  hier  al  myn  hopen, 
I       Och!  dat  doet  die  rüke  aeat, 
I       Die  hi  nv  my  heeft  ontsloten, 
i       Doe  hem  svn  suete  herte  brao. 
54.'Doe  yloeyde  die  fonteyne 

Der  vaderliker  mynnen, 

Diet  al  ean  maken  reyne 

Van  baten  ende  van  binnen. 
■  55.  MTtter  menichaoudicheit 

Myns  gemynden  wonden, 

Soe  wart  nae  synre  behaechlioheit 

Qedeylicht  al  mjn  sonden. 

56.  Want  dat  syn  die  rosen 
Roet  van  groter  mynnen, 
Sy  connen  wel  doen  blosen 
Den  riele  die  van  binnen. 

57.  Hi  heeft  den  doet  yerwonnen 
End  den  hemel  opgedaen, 
Syn  hertk3rn  wort  ontgonnen, 
Om  ons  daer  in  te  ontfaen. 

58.1c  bin  te  deyn  te  louen 
Den  beer  van  svnre  mynnen, 
Mer  ic  beueelt  nier  bouen 
Den  lieuen  seraphinnen. 

59.  Si  synt,  diet  hem  Beer  wel  Yerataen, 
Want  siis  altoes  plegen, 
Doer  hem  soe  moeten  si  ontfaen, 
Loff  van  mynre  wegen.    Amen. 


Versmaß  unregelmäßig-   v^_w_w_o  — 

^/^      —     v-/     —     \>     —     \J 

v^   —   v^    _    v^   —    vy 


Bl.  XXIX  a. 


18. 

Ic  had  806  gheem  den  heyllgen  gheest. 


T t  i « ^  '  ^-^-n « ^  t 


Ic  had  soe  gheem  den  hey  -  li  -  gen  gheest,  al   bey    ic    lang, 


T«iT^ 


;  I  U-^ 


wy  wil-len   van  heer    ihe-sus    ma-ken   een    ny -wen  sang. 


I 1 


»zi=tT~,  1     1  I  ^  «-4-h4 


Hoe    bli-  de  dat  syn   moe  -  der    was,  doe  ihe  -  sus     in    haer 


Niederländische  geistliche  Lieder  nebst  ihren  Singweisen  etc. 


201 


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arm-kyn  lach,    Dat    wer  -  co  -  ren,  Het  heeft  ver-lost    dat 


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gioet    geslacht,  dat  was  ver  -  lo  -  ren.    AI    on  -  ver  -  bor-  gen 


wye  ihe-sus  in  syn  hertkyn  draecht,  die  en  der  niet  sor-gen. 


1 .  Ic  had  8oe  gheern  den  heyli^en  gheest, 

ai  bey  ic  lang, 

Wy  willen   van   heer    ihesus  maken 

een  nywen  sang, 

Hoe  bilde  dat  syn  moeder  was, 

Doe  ihesus  in  haer  armkyn  lach, 

Dat  wercoren, 

Het  heeft  verlost  dat  groet  geslacht, 

dat  was  verloren. 

AI  onverborgen 

Wye    ihesus    in    syn    hertkyn 

draecht, 
die  en  der  niet  sorgen. 
2.Wy  willen  ons  vermyen  gaen  int  pa- 

radiis, 
Daer  sy  wy  al  euen  vroet.  als  euen 

wiis, 
Van  vogelen  sanc,  van  harpen  clanc, 
Van  seraphinnen,  die  syn  daer  binnen 
AI  in  den  throne. 
Och  my  en  mach  genoegent  niet, 
eer  ic  daer  come. 

AI  onuerborgen  etc. 

3.  Maria  is  die  alre  scoenste,   si  macht 

wel  syn, 
Soe  wel  hem  die  daer  scouuen  mach 

haer  ciaer  aenschyn, 
Sy  mach  ons  allen  maken  vroe 
Hier  bouen  in  der  engelen  choer, 
Als  wy  dair  comen; 
Yoerwaer  dair   is  gheen  twiuel  aen, 
ten  sal  onsvromen! 

AI  onuerborgen  etc. 

4.  Ihesus  is   die  beste  weert ,   dat  weet 

ic  wel, 
Daer  hi  anden  tafe)  siit,   daer  vaert- 

men  wel. 

1888. 


Hi  is  die  weert,  hi  willet  syn^ 
Hi  gelt  die  cost,  hi  quyt  die  wyn, 
hi  doetet  gheerne. 
hoe  gheern  waer  ic  nae  deser  tut 
in  syn  tawemel 

AI  onuerborgen  etc. 

5.  Doe  ihesus  Inder  cribben  lach,  die  edel 

man, 
Joseph,   syn  trou  be-    [Bl.  XXX b.] 

hoeder,  tot  hem  quam, 
Wat  vant  hl  inder  cribben  daer? 
Een  kindekyn  scoen  en  ciaer, 
dat  was  emmanuel. 
Maria  syn  moeder  was  daer  bi 
Ende  die  engel  gabriel. 

AI  onuerborgen  etc. 

6.  Doe  ihesus   anden    cruee    hinc,    die 

edel  man, 
Hoe  mocht  die    vrou  omt  herte  Byn 

end  sint  iohani 
Die  moeder  had  den  rou  van  binnen, 
Ihesus  sterff  ant  cruys  van  mynnen 
Mit  groter  iamerheit. 
Och  moet  ic  daer  al  myn  sinnen 
aen  leggen  in  weerdicheit! 
M  onuerborgen  etc. 

7.  Och  wie  heeft  my  geholpen  aen  dit 

ongeliic, 
Dat   ic   eertsche    dinge    mynne    voer 

hemmelriio  I 
Ic  en  wil  daer  niet  meer  houden  aen ; 
Mer  ic  wil  voer  den  dach  opstaen 
end  gode  louen. 
Had  ic  dat  al  myn  tut  gedaen, 
het  soud  my  vromen. 
AI  onuerborgen 

"Wie  ihesus  in  syn  hertkyn  draecht, 
die  en  der  niet  sorgen. 

14 


202 


Wilhelm  B&umker, 


Versmaß:        w_^_-        o  —  ^—        v-/_v>,_ 

\^^\^   —   \j   —   \^   — 
i\^]  „    v^    —    w 

V>     W      —      Vy     —      N-/_ 

^/    _    «^    —    v-»' 

>^       —       N^      —      >^  I 

v^   -  ^^  -   ^  _  v^  _l  J2e^atn. 
v-/  ^  v-/  _  y  j 

Dieser  Text  ist  mit  seiner  Melodie  jedenf aus  einem  lateinischen  Leieke  nocft- 
gearheüei, 

19. 


BLXXXIa. 


'Wat  wonder  heeft  die  mjm  gewrachtl 


^^=FatiTF^ 


Wat  won-der  heeft    die    myn     gewracht? 


Sie  heeft 


rt 


>-r 


t 


^ 


I      '     ^  .11.  I 

den  gods  soen   ne  -  dei-bracht,  Dat     hi    doe  quam  by    syn-re 


I  •    I 


^^ 


^ 


n 


cracht 


AI     in    der  ma-get    ma '  -    ri  -  en. 


1.  Wat  wonder  heeft  die  myn  gewracht? 
Si  heeft  den  gods  soen  neder  bracht, 
Dat  hi  doe  quam  by  synre  eracht 

AI  inder  maget  marien. 

2.  Och  merct,  wat  heeft  hi  aen  gegaen ! 
Syns  vaders  riio  is  hi  ontgaen, 
Liden,  dogen  heeft  hi  geuaen 

Eß  al  wt  rechter  mynnen. 

3.  God  is  die  myn,  dat  se^i;  sint  ian, 
Die  wtten  hemel  neder  quam, 
Doen  hi  menschelic  form  aen  nam 
AI  inder  maget  märien. 

4.  Och  al  dit  heeft  die  mvn  gewracht, 
La  et  ons  dees  werrelt  laten  af 
£nd  leuen  inder  mannen  dach, 
Soe  moech  wi  yrede  gecrigen. 


5.  Ay  merct,  wat  heeft  die  [BL  XXXI  b.] 

myn  ontfaen, 
Si  deed  hem  anden  oruce  slaenl 
Hi  was  roet  en  swart  gedaen, 
Om  mynen  wU  woud  m  dit  lien. 

6. 0  myn,  o  myn,  o  bemende  m3m, 
Gi  staet  soe  diep  in  m3men  syn ! 
Niet  anders  mach  dair  oomen  in, 
Wilt  my  nv  niet  hier  laten  glien. 

7. 0  myn  alre  liefste  beer, 
Altoes  gescie  v  lof  end  eer! 
Doet  my  doch  leuen  na  uwen  leer, 
Ontgaet  ghi  my,  dat  doet  my  seer. 

8.1c  bid  y,  wilt  doch  nv  verstaen 
End  laet  my  uwe  myn  aen  gaen ; 
Oec  leyd  my  inden  rechte  baen, 
Dat  ic  der  sonden  mach  ontgaen. 


Niederländische  geistliohe  Lieder  nebst  ihren  Singweisen  etc. 


203 


9.  Och  wtuercoren  toeuerlaet, 
Myn  troesty  myn  hoep  end  al  myn  baet, 
Seyd  in  myn  hertkyn  der  mynnen  säet, 
Soe  mach  ic  meyen,  dat  daer  toe  staet. 


10.  Heb  ic  d3m  ontfermherticheit 
In  deser  swaer  ellendicheit, 
Des  ordels  grote  strenicheit 
Bin  ic  dan  quyt  Inder  waerheit. 

Amen. 


Versmaß:        v^-v^_\^_v^_ 

^      —     V^     —      '^     —      V-^     — 
V-/     _     V->     —     V-^     —     v^ 

£m  anderes  Lied  siehe  unter  No.  60. 


BL  XXXII  a. 


20. 

Ic  sie  den  dach  int  oest  opgaen. 


m. 


»-^4= 


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^ 


Ic  sie    den  dach  iut    oest    op  -  gaen, 


O    ihe-su  lief, 


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+ 


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I 1 


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^fe3 


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wilt     my   bi-staen;    Ver-leent  my,  de-sen  dach  tont-faen 


w  1  * ; 


^ 


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mit  danc-ber  -  heit    in     u  -  we    naem,     end    al  -  le  son-den 


i 


I 1 


^fe^  1  *-44^:>^p 


we  -  der  -  staen.  O     ibe  -  su  lief,     ic        roep     v       aen, 


^  **  '4^ 


I-i-t^ 


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wilt  my  mit     v        myn    be-uaen,   op    dat    ic    v    mach  syn 


; 


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¥»: 


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X 


^^ 


be  -  quam         End    soe  des  vi-ants     stric  ontgaen. 

14* 


204 


Wilhelm  Bäumker, 


l.Ic  sie  den  dach  int  oest  opgaen, 
O  ihesu  lief,  wilt  my  bistaen; 
Verleent  my,  desen  dach  tontfaen 
Mit  dancberheit  in  uve  naem 
end  alle  sonden  wederstaen. 
O  ihesu  lief,  ic  roep  v  aen, 
wilt  my  mit  v  myn  beuaen, 
op  dat  ic  T  mach  syn  bequam 
I^d  soe  des  viants  stric  ontgaen. 

2.  Die  sonne  scoen  end  ciaer  opgaet, 
Och  beer,  vergeeft  my  myn  misdaet, 
£n  weet  my  anders  gnenen  raet, 

Te  comen  in  der  yroechden  graed. 
Qhi  siit  myn  hoep,  myn  toeuerlaet, 
AI  myn  genade  aen  v  staet. 
O  ihesu  lief,  nv  van  my  slaet 
Myn  sonden,  boesheit  ende  quaet 
End  set  my  in  der  doechden  straet! 

3.  Die  vogelkyns  syn  blidelic. 
Die  bloemkjTis  oloeyen  suuerlic, 
Die  lelikyns  spruten  gracelic, 
Die  roeskyns  ruken  suetelic, 

Hoe  scoen  moet  s\'n  in  hemmelriic, 


Dair  aUe  dinc  onsprekelic 
Veel  scoenre  is,  ya  ongeliic, 
Dant  wesen  mach  hier  op  eertriic. 
Och  beer,  haelt  my  daer  cortelic. 

4.  Wat  baet  des  vruechd,  diemen  aensiet, 
Si  compt  geringh  end  gaet  seeryliet, 
Si  is  ny,  end  schier  is  si  niet, 
Wat  ist  anders  dan  ^roet  yerdriet, 
AI  dat  hier  op  eertriic  gesciet; 
Hier  om  hi  hem  seer  wel  beriet, 
Die  hem  alleen  op  god  yerliet 
End  deed  geliic  als  hi  gebiet. 
Der  werrelts  yruechde  after  liet 

5.0   ihesu,    beer   der    [Bl.  XXXIIIb.] 

reinicheit, 
Ghi  siit,  daer  al  myn  troest  aen  leyt, 
Ic  myn  yeel  meer  y  zueticheit, 
Dan  alder  werrelt  suuerheit. 
Ic  bid  y  guedertierenheit: 
Verleent  myn  hert  oetmoedicheit, 
Op  dat  ic  y  mach  syn  bereit 
End  dienen  mit  gestadicheit. 
Loff  si  y  in  der  ewicheit.    Amen. 


Versmaß: 


_       ^       _       N->       —       ^      __ 

neunmal. 


Bl.  XXXIII  a. 


21. 

Myn  hert  dat  is  in  lyden. 


Myn    hert    dat     is     in    ly-den,     Alst  denct  op  hem-mel-riic, 


.  .1  -        —  j    ■    _ 


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Daer    si    hem  al  ver-bli-den     Mit   ihe-sü  e-we-lic     End 


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syn    van    sor  -  gen    vry.       Och  heer    hoe      we       is     my, 


Alst     my   coemt   in  den  sin,   Dat  ic  daer  niet  en    bin. 


l.Myn  hert  dat  is  in  lyden, 
Alst  denct  op  hemmelriic, 
Daer  si  hem  al  yerbliden 
Mit  ihesu  ewelic 


End  syn  yan  sorgen  yry. 
Och  heer,  hoe  we  is  my, 
Alst  my  coemt  in  den  sin, 
Dat  ic  daer  niet  en  bin. 


Niederländische  geistliche  Lieder  nehst  ihren  Singweisen  etc. 


205 


2.  Och  ic  bin  hier  be-    [Bl.  XXXIIIb.] 

neden, 
Daer  bouen  die  ic  myn, 
Tis  lange  tut  geleden, 
En  hoerde  niet  yan  hym, 
vHoe  dattet  mit  hem  staet. 
Nu  ihesu  lief,  ontfaet 
Myn  siel,  die  aldus  seer 
om  Y  quelt,  lieue  heer. 

3.  Wie  sei  myn  boetscip  dragen 
Ihesu,  myn  suete  lief? 

Oeh  mocnt  ic  hem  behagen, 

Dat  waer  al  myn  gerief, 

Soe  woud  ic  vrolic  syn. 

Myn  hert  liit  dicwil  pyn, 

Als  ic  yt  ontgae, 

Myn  lief  niet  vast  en  stae. 
4.£n  weet  gheen  beter  bode 

Te  sejnden  aen  myn  Uef, 

Dan  IC  my  gheef  tot  gode, 

Mjn  hert  laet  syn  myn  brief. 

Hl  seit  al  wel  yerstaen, 

Hi  is  diet  hert  siet  aen 

£nd  daer  na  hi  verlient 

Syn  graci,  die  hem  dient 
5.0  Ihesu,  heer  der  heren, 

Gods  wtuercoren  soen, 

Aensiet  doch  myn  begeren, 

Ghelieftet  y,  wiit  doen, 

Het  is  seer  mjm  begeert, 

Te  syn  geyisitiert 

Van  y,  o  lief,  te  hant 

My  seer  na  y  yerlanct. 
6.1y  suete  eonsolacy,    [Bl.  XXXIV  a.] 

o  ihesu,  lieue  heer, 

Is  mj  een  grote  gracy, 

Ic  bid  y  daerom  seer. 

Och  yuel  ic  hem  in  my, 

Van  sorgen  waer  ic  yry, 

TVant  hoet  thert  is  gewont, 

Si  maectet  al  gesont. 


7.  Waer  bliifdi  wtuercoren, 
End  Word  iu  niet  ontwaer! 
Ic  bid  iu,  wilt  doch  hören, 
Myn  hert  dat  is  my  swaer, 
Temael  seer  ongestelt, 
Het  is  om  y  dat  quelt; 
Van  rouuen  seit  yergaen, 
Macht  iu  troest  niet  ontfaen. 

8.  Och  wilt  my  niet  begheuen, 
Myn  abre  liefste  beer, 
Want  sonder  y  te  leuen, 
En  wynsch  ic  nymmermeer. 
Ghy  siit  myn  hert,  myn  syn, 
Ic  Did  y,  sprect  my  in, 
Laet  my  yan  y  yerstaen, 
Hoe  ghi  wilt  syn  ontfaen. 

9.1c  had  y  also  gharen, 
O  ihesu  lief,  in  my; 
Ghi  siit  myns  herts  yerclaren. 
Mit  y  soe  bin  ic  bly, 
Tis  anders  groet  yerdriet 
AI  dat  in  my  gesciet, 
Hoe  scoen,  hoe  suet  mach  syn, 
Twerd  al  int  laetste  pyn. 

10.  Ny  wilt  myns  doch  ontfermen, 
Ic  heb  iu  langh  yerbeit, 
Gomt,  doet  myn  hertken  bemen 
Mit  y  in  sueticheit.     [BL  XXXIV  b.] 
Het  is  my  alsoe  bang, 

Want  ghi  toeft  alsoe  lang; 
Des  ic  bin  ongewoent. 
Och  lief,  io  bid  y,  coemt. 

11.  Och  heer,  yeel  tribulacy 
Is  my  aldus  bereyt. 

Heb  ict  yerdienl^  och  lacy, 
Dat  is  my  waerlich  leyt ! 
My  dunct,  ghy  staet  my  leech, 
Tis  ymmer  niet  alst  pleech. 
Ic  clsiech  iu  myn  yerdriet, 
En  ghi  en  troest  my  niet. 


Versmaß:        \^  —  v^  _  ^  _  w 

\-/  _      V^  —      W  — 

'^     _  v-/    —  v^     _  O 

V-/'  _     W  —     v-/  — 

\J  ^  \^  ^  \J   — 

vy    —  V^    —  w    — 

W  —    v-/  __    w  _ 

v-/  —    W  _    s./  — 


In  der  Berliner  Handschrift  (C)  S.  117  lautet  die  Ueberschriß:  »Het  vryde 
een  Houesch  ridder  soe  ^nennygen  lieuen  dach,  enes.^  Vielleicht  gehört  diesem  Liede  die 
ohige  Melodie  an,     Varianten  bei  Hoßmann  a,  a.  O.  No.  84  (13  Str.), 


206 


Wilhelm  B&umker, 


BLXXXIVb. 


22. 

Och,  nT  mach  Ic  wel  trneren. 


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^^^ 


^ 


?3^ 


Och,    nv  mach  ic    wel  trueren,  My  dunct  ic    heb  ver-lo-rcn 


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I         J     "      I       M      '  » 

Jhesum  myn  zue-te  lieff.    Ic  waend  hem     syn      ver-co-ren, 


^^^^ 


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1     1 


Ic  sprac   en  wilt    niet  troeren,  Tis    al    een   an-der  brieff 


1.  Och,  nv  mach  io  wel  trueren, 
My  dunct,  ic  heb  verloren 
Ihesum  myn  zuete  lieff. 

Ic  waend  hem  syn  yercoren, 
Ic  sprac  en  wilt  niet  troeren, 
Tis  al  een  ander  brieff. 

2.  Myn  hert  end  all  myn  [Bl.  XXXV  a. 

ginnen 
Syn  seer  beswaert  van  binnen. 
In  my  is  groet  verdriet. 
Ic  waende  staen  ter  mynnen, 
My  dunct,  ziia  te  begmnnen, 
M3m  lief  en  acht  my  niet. 

3.  Och  wie  sei  my  nv  leren, 
Aen  Wien  sei  ic  my  keren, 
Daer  ic  mach  troest  ontfaen? 
Ihesus  is  m3m  begheren, 
Van  row  sei  ic  verteren, 

wil  hiis  my  dus  ofgaen. 

4.  Tis  noet,  ic  wil  my  keren 
Aen  haer  end  troest  begeren, 
Die  moeder  is  end  maecht. 
Ic  hoep  tot  synre  eren 

Sei  si  my  visitieren 
End  maken  onversaecht. 

5.  Maria  coninghinne, 
Myns  herten  troesterinne, 
Och  hoe  ist  dus  gesciet! 

Versmaß : 


1 


Ic  waend  in  v  kynts  mynne 
Te  staen  mit  hert  mit  sinne, 
Nu  dunct  my,  tis  so  niet 

6.  Nv  noch  in  ghenen  tiden 
En  can  ic  my  verbliden, 
Tis  niet  mit  my  alst  pleech. 
Ic  merct  an  allen  siidien, 
Wat  ic  vemeem,  tis  liden, 
V  soen  die  staet  my  leeeh. 

7.  Ic  waen  van  daech  te  dage, 
Nu  sei  ic  hem  behagen, 

Hi  sei  my  comen  bi; 
Mer  lacy,  nae  myn  dagen, 
Dunct  my,  hem  weynich  vragen, 
Hi  bliift  te  mael  van  my. 

8.  Och  dus  ist  scarp  te     [Bi  XXXVb.] 

Striaen, 
Te  kennen  syn  verbliden, 
End  droeuicn  syn  altiit. 
Een  wyl  tiits  moch  ment  liden, 
Mer  och  tot  allen  tiden 
Tis  my  te  scernen  striit! 

9.  Nv  maecht,  wilt  myns  ontfermen, 
Myn  wenen  end  m)ii  karmen 
Laet  niet  verloren  syn. 

Ic  bid,  helpt  my  te  bernen 
Mit  myn  in  v  kynts  armen, 
Troest  my  wt  dese  p3m.    Amen. 


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v^    *-     V--'    .-     v-/    —    v-^ 
>^    ^    ^    —    ^    — 


Niederländische  geistliehe  Lieder  nebst  ihren  Singpireisen  etc. 


207 


Der  Anfang  de*  LUdes  hat  eme  voiksthümliehe  Weise.  Ich  finde  eie  wieder 
m$  einem  T<igeUede,  welches  Böhme  in  seinem  äUdeutschen  Liederhuehe  Nö,  HS  aus 
Joh,  OtCs  Liederhuehe  1534  mittheilt: 


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Wol  auff,  wir  woUens  wecken,  Weckens  ist    an  der  Zeit. 


Bl.  XXXV  b. 


23. 

0  creatner  dyn  clagen* 


jFTI«  I  .U^^ 


O     cie  -  a-tuer  dyn    cla  -  gen,  dyn  bidden  end  dyn  via  -  gen 


,  1  ;W1  «i;  ^^_^!trf 


^ 


t 

heb  ic    al      wel      verstaen.  Ghi  wilt  myn  kynt  be  -  ha  -  gen, 


mer  tcruys  mit  hem  niet  dra  -    gen,   dair  al   die    myn  leit  aen. 


Maria. 

1 .  O  Creatuer,  dyn  clagen, 
dyn  bidden  end  dyn  Tragen 
heb  ic  al  wel  verstaen. 

Ghy  vilt  myn  kynt  behagen, 
mer  tcruys  mit  hem  niet  dragen, 
dair  al  die  myn  leit  aen. 

2.  Ghi  wilt  iv  hier  ver-  [BL  XXXVI  a] 

bilden 

End  oec  nae  desen  tiiden 

Myns  kynts  solaes  ontfaen; 

Mer  ghi  en  wilt  niet  striden 

in  bitterheit,  in  liden, 

Als  hie  Yoer  heeft  gedaen. 
3.0  denct,  ten  is  gheen  reden, 

Hebdi  luer  niet  geleden, 

Dat  ghi  coemt  in  syn  riic. 

Hierom,  wüdi  in  vreden, 

Verdient  dat  hier  beneden 

Mit  striden  yromelic. 
Die  ziel. 
4.  Maria,  bloem  der  bloemen, 

Dit  heb  ic  wel  Temomen, 


Het  moet  soe  syn  ghedaen; 
Mer  soudt  v  kynt  niet  oomen 
End  my  int  striden  yromen, 
Hoe  soud  ic  bliuen  staen! 

5.  Mi  docht  die  tut  verleden, 
Als  ic  deed  myn  gebeden, 
Hi  troeste  my  seer  wael; 
Mer  bin  ic  ny  tontfreden 
End  bid  tot  allen  steden, 
Hi  laet  mi  altemael. 

6.  Soud  hi  my  dus  begeuen 
VTat  baet  waer  my  te  leuen, 
Waer  ic  niet  beter  doeti 
Van  anzt  mach  ic  wel  heuen. 
Wand  word  ic  das  yerdreueu, 
Soe  is  gedaen  myn  moet. 

Maria. 
7. 0,  die  ic  plech  te  leren, 

Dat  ghiy  soud yerueren  [Bl.  XXXVI  b.] 

End  liidsam  syn  altiit, 

Waer  is  y  profiteren, 

Dat  ghi  toent  myn  kynts  eren 

In  desen  eleynen  striidt! 


208 


Wilhelm  Bftumker, 


8.  Wist  {^hy  myn  kynts  manieren, 
Die  hl  heeft  int  regieren 

Syn  vrienden  gyn  op  eertriic, 
Gni  Boudt  des  niet  yersieren, 
Hoe  8uet,  hoe  guedertieren 
Hi  vaer  ecn  yegelicl 

9.  Syn  dienres  int  J^eghinnen 
Helpt  hi  die  striidt  die  wynnen, 
Op  dat  si  bliuen  staen; 

Hl  geeft  hem  vroechd  van  binnen, 
Mer  nae  als  si  hem  mynnen, 
Laet  hi  se  wat  begaen. 

10.  Nochtans  tot  allen  tiden 
Aensiet  hi,  hoe  si  liden 
End  vechten  om  die  croen; 
End  die  rerwynt  mit  striden, 
Sei  hi  seer  corts  Yerbliden 
Dair  bouen,  in  den  troen. 

11.  End  die  die  striit  Verliesen, 
Tsoudt  niet  syn,  roocht  si  kiesen, 
Sy  Valien,  tis  hem  leet; 

Dees  wil  hi  niet  verwysen, 
Mer  datsi  weder  riisen, 
Maect  hi  die  wech  bereet. 

12.  Dus  wilt  V  nyet  veniaren, 
Om  sinen  wil  lädt  gharen, 

Het  si,  al  wes  dat  si,  [Bl.  XXXVII  a.] 
Hi  sei  V  wael  verwaren 
End  binnen  corten  iaren 
Van  allen  maken  vry. 

1 3.  Ohi  siit  des  niet  ontwarer, 
AI  wort  V  liden  swarer, 
Op  dat  ghi  liidsaem  siit, 
Want  dus  v  loen  comnt  narer, 
V  croen  wort  bouen  clarer, 
Hier  om  loeft  god  altiit. 

11.  En  bidt  tot  allen  tiden, 
Bat  hi  V  hier  laet  liden 
Ter  eer  van  sinen  naem. 
Want  als  ghi  wael  coent  striden 
En  sonder  syn  verbliden, 
Soe  wort  ghi  hem  bequaem. 

Die  zieL 

15. 0  edel  vrou  der  vrouuen, 
Seoen  moet  syn  v  anscouuen, 
Want  iv  troest  is  so  suet. 
Wel-mach  ic  v  betrouuen, 
Deed  ghy  machschien  van  rouuen, 
Soud  my  vergaen  die  moet. 

16.  Ghi  doet  myn  hext  opluken, 
Recht  als  die  son  doet  spruten 
Die  bloemkyns  op  dat  wout, 
Mer  een  puent  doet  seer  sluten. 
Mach  V  kynt  niet  ^ebruken, 
Vlusch  vrees  io,  tsi  myn  scont. 

1 7.  Wist  ic,  twaer  niet  verloren. 
Als  hi,  my  dunct  niet  hören, 


Mer  twaer  om  myn  profiit. 

So  soud  ic  weinich  [BL  XXXVn  b.] 

troeren, 
Mer  vlusch  comt  my  te  voren 
Myn  scout,  ic  bins  al  quyt. 

18.  Dit  doet  my  dicwiil  suchten 
End  toerdel  doet  my  duchten, 
Oec  vrees  ic  my  tontgaen. 

Dus,  dunct  my,  moet  ic  vechten, 
Ic  vuel  weinicn  verlichten, 
Hoe  seel  ic  hier  meed  staen. 

19.  Oec  heb  io  dicwiil  vresen, 
Hoet  na  mit  my  sal  wesen, 
Tis  dus  mit  my  alre; 
Want  Word  ic  dan  verwesen, 
Hoe  sei  men  my  genesen, 

Is  my  ter  stont  dus  wee. 

Maria. 

20.  Nv  hoert,  ic  sei  v  leren, 
Mer  ^hi  moet  profitieren; 
Wildi  corts  loen  ontfaen, 
Wilt  dus  soe  niet  begheren, 
Noch  oec  silogiseren, 

Laet  god  mit  v  begaen. 

21.  Hi  kent  veel  bet  v  leuen, 
En  wat  hi  v  sal  gheuen, 
Dan  ghi  doet  ymmer  meer. 
Wil  hi,  ghi  siit  verheuen, 
Wil  hi,  ghi  wort  verdreuen. 
Van  allen  danct  hem  seer. 

22.  End  wilt  v  daer  toe  voegen, 
Dat  ghi  V  laet  genoegen. 
Mit  dat  hi  v  toe  sent, 

Tsi  bliiscap,  vroechd  FBI.  XXX Villa.] 

01  dogen, 
Rou,  liden  of  verbogen. 
Van  allen  siit  content. 

23.  Denct  niet  dies,  myn  behoeuen 
Had  ict,  ic  wou  god  louen, 
Mer  loeft  hem  talre  tiit, 
Want  hier  beneen  end  bouen. 
Des  moechdi  wel  j^elouen, 
Aensiet  hi  v  profiit. 

24.  In  hem  set  al  v  sorgen, 

Vreest  niet,  hoet  syn  sal  morgen, 
Off  euer  langhe  tiit. 
Wil  hi,  ghi  moecht  vlusch  steruen, 
Hier  om  wilt  siecht  besorgen 
Die  tiit,  daer  ghi  in  syt. 

25.  Wilt  voer  v  sonden  suchten 
End  voer  dat  ordel  duchten 
End  vrees  hebt  v  tontgaen. 
Want  dees  drie  doen  wel  vruchten 
Sy  sint  hulpich  int  vechten. 

In  sonden  wederstaen. 


Niederländische  geistliche  Lieder  nebst  ihren  Singpireisen  etc. 


209 


26.  Si  doen  yeel  guets  beghinnen, 
Daer  toe  die  pyn  vermynreny 
Die  quaetheit  neeft  Terdient, 
Sy  reynen  thert  van  binnen, 
Van  buten  al  die  sinnen; 
Lof  god,  dies  y  yerlient 

27.  Op  hem  wilt  y  yerlaten. 
Hl  coemt  v  die  te  baten, 
AI  Word  ghüs  niet  ontwaer. 
Des  danet  hem  bouen  maten 
£nd  liden  wilt  niet  baten, 

AI   wordet  y  wat    [Bl,  XXXVIII  b.] 

swaer. 

28.  Hi  doet  iy  die  syn  graoy, 
Deet  dat,  daers  gheen  temptacy. 
Die  ghi  soud  wederstaen, 

Mer  seiden  consolacy, 
Want  mit  y  tribuUcy 
suldi  meer  loens  onnaen. 

29.  Hier  om  gheefs  niet  yerloren, 
AI  coemt  y  druc  te  yoren 
£nd  seiden  wort  yerbliit. 
God  heeft  y  doch  yercoren, 
Al  dunct  hi  y  niet  boren, 
Hi  is  bi  y  altiit. 

30.  Oee  moeehdi  wel  gelouen 
£nd  soud'  enich  toeuen, 
Hi  mynt  y  wonderlic 


End  heeft  y  hier  getogen, 
Op  dat  ghi  bet  soud  mögen 
Verdienen  hemmelriic. 
31.Du8  laet  y  niet  bedrie^en, 
Die  duuel  comt  die  yhegen 
End  seyd:  dy  dit  en  dat. 
Denct,  dat  hi  wel  can  liegen, 

V  gaime  soud  bedriegen 
Ena  brengen  in  sjm  gat. 

32.  In  god  hebt  guet  betrouuen, 

In  yroechden  end  in  rouuen 

Danet  hem  gelike  seer, 

Wilt  des  leer  wel  onthouuen, 

Soe  moeehdi  oorts  aensoouuen 

Mit  yrolieheit  y  beer. 

Die  Ziel. 

33. 0,  bouen  aUen  wiuen 

Suldi-  die  liefste  bliuen, 

Maria,  suuer  maeoht. 

Ic  yal,  ghi  doet  my  risen,  [Bl.  XXXIXb.] 

Hoe  sä  ic  y  yoiprisen, 

die  my  dus  wel  oehaecht 
34.  O  edel  yrou  der  thronen, 

Ghi  waerdicht  my  te  tonen 

V  leer,  diet  leuen  hout, 
En  mach  y  niet  yol  louen; 
God  loen  y  scoen  der  seonen, 

Veel  meer  dan  dusant  yout.    Amen. 


Vermiaß'. 


\j  ^  \j  —  \j  ^  \> 

V.;      _  V-/  —  V-/  —  Vm/ 

^  _  v-/-  _  v-/  _ 

^  ^  \j  '^  \j  L.  \j 

\J   ^  \J  —  \J  -~  \^ 

v^  —  \-/  —  v-/  _ 


Bl.  XXXIX  a. 


24. 


0  Ghi,  die  nr  ter  üiden  lUdt. 


O       Ghi,    die     nv    ter    tii-den     lüdt, 


mit  recht   so 


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11     1     1    «    «-T 


moeehdi  syn  veibliit,     op    dat    ghi     ym-mer  liid*saem  siit, 


210 


Wilhelm  Bftumker, 


^^m 


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^^ 


Want    gni    seit  corts  groet    loen  ont-faen,      En    hebt 


T~r-rn~r 


daer  geen    twi      -      uel    aen. 


1.0  ghi,  die  nv  ter  tiiden  liidt, 
mit  recht  so  moechdi  syn  Yerbliit, 
OD  dat  ghi  ymmer  liidsaem  siit, 
Want  ghi  seit  oorts  groet  loen  ontfaen, 
£n  hebt  daer  geen  twinel  aen. 

2.  Na  myn  verstaen  als  ihenis  seyt : 
Die  liden  mit  verdul-  [m.XXXlXb.] 

dicheity 
die  e-wich  croen  is  hem  bereit 
End  grote  yrueohd  in  hemmelriic, 
wel  V,  die  liit  verduldelic. 

3.  Och  beer,  o  god,  hoe  wel  hi  staet, 
die  eygen  wil  afterlaet 
en  mjmt  om  god,  die  hem  doet  quaet, 
Waerlic,  dees  is  gods  lieue  soen, 
syn  loen  sal  groet  syn  in  den  troen. 

4.  Och  beer,  dat  teyken  is  so  guet, 
soe  wie  men  dicwil  onrecht  doet 
en  daer  op  denct  mit  groter  oetmoet : 
Myn  Sonden  hebbent  wel  verdient» 
ic  danc  den  beer,  diet  my  yerlient. 

5.  Wie  soe  altiit  syn  onrecht  keert 
End  anders  ghene  wraek  begeert, 
waerlic  die  is  seer  wel  geleert, 
Om  bor^er  tsyn  in  hemmelriic, 
Want  m  striit  wel  eß  vroemelic. 

6.  Die  nvmmermeer  en  heeft  yerdiieti 
mer  aitiit  sine  wille  siet, 
ic  yrees,  dat  teyken  quaet  bediet,       . 
Want  wie  vroechd  bouen  sei  ontfaen, 
die  wort  mit  liden  die  beuaen. 

7.  Dus  laet  ons  liden  nlet  versmaden, 
Tis  ons  so  guet,  kond  wyt  verstaen, 
Want  tdoet  den  geest  tot  gode  gaen, 
op  datmen  liit  verduldelic,  [Bl.ALa.] 
Want  anders  heb  ic  ongeliic. 

Die  Handschrift  B,  Blatt  169  hat  nur  11  Strophen  in  folgender  Reihe:  /,  % 
3,  ö,  11,  4,  ö,  7,  8j  9,   10. 

Varianten  1,4  eult,  2,3  ewighe,  2,5  Itftd.  3,1  Och  here  god.  3,2  toiüe.  3,4  den 
is  god  liefste.  3,5  syn  vroechd  sei,  4,3  en  dair  op  denck  mit  gröet.  4,4  mi  teel,  4,5  ic 
danet,  6,2  ghenen*  6,4  hurgher,  6,6  vromelyc  6,2  einen,  6,4  want  vroechd  hier  bcum 


8.  Laet  ons  mit  liden  syn  eontent, 
Want  als  ons  ihesas  dat  toe  seynt, 
Soe  heb  wy  tscone  testament, 

dat  hi  Byn  lieue  moeder  liet, 

doe  hi  van  haer  andt  eruys  versdet. 

9.  Dat  testament  is  ymmer  seoen, 
dat  ons  verdienen  doet  die  eroen 
end  ewich  vrueohde  in  den  troen; 
En  want  dat  dmo  en  liden  doet, 
hier  om  so  syn^  scoen  en  guet. 

10.  Mer  laey,  wy  sint  die  verluint, 
Wanneer  ons  druc  of  liden  vynt^ 
ons  dunct,  dat  ons  god  nieten mpt 
Ey  waer  wys  vroet,  ten  is  so  niet, 
Want  wie  god  mynt,  heeft  die  verdriet 

il.Het  is  alsmen  bescreuen  vynt, 
soe  wie  dat  god  ons  vader  mynt, 
castiit  hi  als  syn  lieue  kynt 
Mit  druc,  mit  liden  dicwil  leer, 
Hier  om  in  liden  dancten  beer. 

12.  Wat  hier  van  liden  is  geseyt, 
Dat  18  besloten  ende  leyt 

In  willige  oetmoedicheit, 
Want  hemmelriic  is  onbereyt 
.  .  .  dwang  mit  onverduldieheit 

13.  Hier  om  soe  laet  ons  trouuelic 
aenroepen  god  van  hemmelriic 
en  bidden  hem  oetmoedelic, 

Dat  hi  ons  liden  laet  hier  neer  [Bl.  XL  b.] 
Verduldelic  tot  synre  eer. 
14.0  ihesu,  wtuercoren  beer, 
wy  bidden,  ist  v  wil  ende  eer, 
Dat  ghi  ons  liden  laet  hier  neer 
Verduldelic,  soet  v  behaecht, 
End  daer  na  haelt  ons  onuersaecht 

amen. 


1  fehlt  sy. 


Niederländische  geistliche  Lieder  nebst  ihren  Singweisen  etc.  211 


die  wil  onifaen.  7,1  Nv  laet;  verwnaenj  7,2  conden.  7,d  wantiet  doet  8,2  ioe  zefd, 
8,3  so  heb  wi  schone,  8,6  ant  cruee  schiet  9,2  den  eroen.  9,3  eR  ewighe  vroeehde, 
9,5  syn  si.  10,1  Mar  laey,  toi  eyn  diewyl,  10,2  druck  eff,  10,4  mar  waren  wyevroet. 
11,2  god  den.  11,3  hi  so  syn. 


Versmaß: 


V^  —  V-Z  —  V-/      —      W      — 

'^  —  ^  —  V^_W_ 

V-^  __  \-/'  '—  W     —      w'     — 

\>  v^     \^     \-/_ 


Bl.  XLb. 


25. 

My  yerwondert  bonen  maten* 


f=t=f=F=i^ 


¥ 


My    ver  -  won-dert    bou  -  en      ma  -  ten,  Hoe  dat       e  -  nich 


^m 


rr^-H-*-r" 


mensch  mach    la  -  ten    Ver- such -ten   waer-lic     ym-mer-meer, 


t-f 


it 


j 


T 


I  i  1  . 

Als    hi    denct,  dat     hi    moet    gheu-en      re  -  den  corts  van 


ihi 


^^ 


m 


-prT~l=«-^^t 


al    syn     leu  -  en     Den    strengen    rech-ter,     e-wich  heer. 


l.My  yerwondert  bouen  maten, 
Hoe  dat  enich  mensch  mach  laten 
Versuchten  waerlio  ymmermeer, 
Als  hi  denct,  dat  hi  moet  gheuen 
reden  corts  van  al  syn  leuen 
Den  strengen  rechter,  ewich  [Bl.  XLl 

beer. 

2. Och  die  seker  waer  venite* 
End  verlost  van  dat  woert  Ite^, 
Dat  wisen  sei  der  hellen  pat, 
Als  hi  ons  sei  doen  verrisen 
End  na  ons  verdiente  wisen 
Hier  neer,  int  dal  van  iosaphat 

3.  Die  moecht  vruechdelike  leuen, 
Mer  na  dat  ic  vynd  bescreuen 
Van  ons  en  is  des  nyemant  kont, 


«0 


Of  hi  weerdich  si  gods  mynne, 
Of  gehaet  van  gods  gesinne: 
Dus  moet  wy  vresen  talre  stonL 

4.  Oec  ist  selioh,  den  die  vresen, 
Want  si,  sullen  syn  genesen 
Van  allen  vrees  seer  oortelic, 
Als  die  heer  sei  neder  comen, 
Om  te  troesten  en  verdomen, 
soet  heeft  verdient  een  yegelic, 

5.  Och  die  dan  syn  sei  verloren. 
Mit  wat  vresen  sal  hi  boren: 
Gaet  wech  van  my,  vermalediit, 
In  dat  ewich  vuer  der  hellen, 
Hem  bereit  mit  syn  gesellen. 
Die  ghi  ter  werrelt  hebt  beliit. 


212 


Wilhelm  Bäumker, 


6.  Dicwil  hebdi  mit  y  ogen 
gproten  honger  my  sien  dogen, 
Nochtans  hebdi  my  niet  gesaeft. 
Des  geliic  heb  ic  ^eleden 
groten  dorst  mit  bitterheden, 
end  ^hi  en  hebt  my  niet  gelaeft. 

7.  Oec  in  ander  veel  yerdrieten 
Nie  mocht  ic  v  troest  genieten, 
DuB  gaet  van  my,  vermalediit, 
In  dat  ewich  vuer  der  hellen, 
Hern  bereit  mit  svn  gesellen, 
die  ghi  ter  werrelt  hebt  beliit. 

8.  Och  hoe  sei  die  mensch  dan  clagen 
end  mit  groter  anxte  vragen: 

Och  heer,  wanneer  is  dit  gesciet» 
Dat  ic  T  dus  heb  sien  liden 
honger,  dorst  tot  allen  tiden 
end  niet  getroest  in  y  verdrietl 

9.  Soe  na  datter  steet  gescreuen, 
sei  god  dese  antwort  geuen: 
voerwaer,  voerwaer,  ic  segge  di, 
Also  lang  ghiis  een  die  mynste 
mynre  niet  en  deet  of  gonste, 

so  lang  oec  niet  en  deed  ghiis  my. 

10.  Och  hoe  sal  hi  dan  beclagen 
al  syn  weerliken  hier  dagen, 

Die  hi  mit  weelden  heeft  verdaen, 
daer  hi  in  mocht  dewich  leuen 
hebben  lichtelic  vercregen, 
had  hi  die  weelden  wederstaen. 

11.  Oec  als  hi  dan  siet  verheuen  FBI.  XLIIa.] 
al  die  gheen,  die  in  haer  leuen 

om  ihesus  wille  syn  geauelt, 
Sei  hi  Seggen  syn  gesellen, 
die  mit  hem  dan  gaen  ter  hellen: 
o  siet,  hoe  syn  dees  nv  getelt! 

12.  Dyt  syn  si,  aie  wy  belachten, 
sot  waer  si  in  ons  gedachten, 
Aensiet,  hoe  dat  nv  is  mutiert: 
kynder  gods  syn  si  gerekent, 
^  des  leuens  ooec  getekent 
End  mitten  heiligen  gheert. 

13.  Wy  onsinnich  menschen  waenden, 
als  wy  op  haer  leuen  raemden, 
Dat  al  haer  leuen  was  yerwoet, 
Want  si  yan  haer  guet  den  armen 


yrylic  deylden  sonder  karmen 
en  leden  seluer  dicwiil  noet. 

14.  Ny  och  lacy  end  ocharmen! 
god  en  wil  ons  niet  ontfermen, 
Want'  des  niet  wolden  doon; 
Niet  of  weinich  wy  hem  gauen, 
nochtan  had  wy  grote  hauen 
Dus  is  die  hei  ny  onse  deeloen^. 

15.  Och  ny  syn  wy  al  yerloren 
end  dese  syn  yercoren, 

Die  wy  haer  leuen  waenden  quaet, 
och  dat  wy  ye  syn  geboren, 
Nummermeer  sal  ons  god  hören, 
Wat  wy  yeel  bidden,  tis  [Bl.  XLIIb.] 

te  laet! 

16.  Wat  baet  doen  ons  ny  dees  drie: 
scat,  solaes  end  houerdie 

mit  ander  werrelts  ydelheit? 
Och  hoe  wel  soudt  ons  ny  comen 
had  wi  daer  yoer  aengenomen : 
druc,  armoet  mit  oetmoedicheit ! 
17.0  yermalediit  moet  wesen 
al  die  my  hebt  aen  gepresen 
Der  werrelts  yroechd,  naer  seat,  haer 

guet, 
lacy,  dat  heeft  my  bedrogen 
Ende  iammerlic  getogen 
yant  ewich  leuen  totter  doet. 

18.  O  yermaledide  dagen, 

daer  in  worden  ny  gedragen 
solaes  des  werrelts  ymmermeer, 
twaer  my  beter  ongeboren, 
dan  ic  aus  moet  syn  yerloren 
ter  hellen  ewich  bemen  seerl 

19.  Ay  ny  sie  ic,  dat  die  armen, 
dien  ic  dicwil  hoerde  karmen, 
Mi  souden  tiowelic  bistaen; 
Mer  ter  werrelt,  ic  ocharmen, 
haer  en  woud  ic  niet  ontfarmen, 
dus  laet  si  my  ny  oec  begaen. 

20. 0  ghi,  die  myns  raets  wiu  plegen, 
wilt  die  yrees  doch  in  y  wegen, 

gedenct  den  armen  in  haer  noet! 
'omt  hem  yrilic  ny  te  baten, 
nymmermeer  sal  y  god  laten 
Yant  ewich  leuen  gaen  ter  doet. 


1  Hier  ist  die  Steüe  bei  Matthaeus  XXV,  V.  34  gemeint:  »Venite  henedieti 
patris  meif  poetidete  paratum  vobis  regnum  a  constitutione  mundi.*  »Kommt  A«r, 
ihr  Gesegneten  meines  Vaters^  besitzet  das  Meich,  toelches  euch  bereitet  ist  von  An- 
beginn der  Welt.« 

^ferner  V.  41.  nDiscedite  (Ite)  a  me  maledicti  in  ignem  aetemum,  qui  pa- 
ratus  est  diabolo,  et  angelis  ^'us.*  »Weichet  von  mir,  ihr  VerßuMen,  in  dae  ewige 
Feuer,  weiches  dem  Teufel  und  seinen  Anhängern  bereitet  worden  wl« 


>  fehlt  wy.         2  deeloen?  entweder  deel,  was  keinen  Beim  giebt,  oder  loen. 


Niederländische  geistliohe  Lieder  nebst  ihren  Singweisen  etc.  213 


Versmaß :      — 


Bl.  XLIII  a. 


26. 

0  wel  moeehdi  t  yerhogen. 


^^^^^^^^ 


O      wel    moeehdi    v    ver     -     ho 


gen,    die     om  god 


nr^^^  f=^-f^-rT^ 


na     V  ver  -    mo    -    gen  den  ar  -  men  troest    in      haer 


^pr=i^gffl'n'mT7i 


ver-driet,  Tzy    mit   woer-den    of 

b 


mit    wer    -    -    ken, 


rt^'  *  .♦mii^^ 


voer  V     doer  of  voer  die  ker 


I  . 
ken,  8oe  waer  dat  ghi 


^ 


T^fT^ 


n^-^ 


T 


f-T 


se    hoert    of   siet.         Ya-der-lic  end   mynnent-li  -  ken  sei 


^^^ 


r-^^Tr^ 


I 


i 


V    god  van  hemmel-ri  -  ken  daervoer  noch  in    syn  riic  ontfaen, 


^f^ 


I. 


t 


m 


¥ 


$ 


^ 


daer  sei  diit    pal-laes  aen-scou-uen,    v      ge  -  tym-mert     al 


214 


Wühehn  Biumker, 


t 


¥ 


♦  ♦  ♦    t 


t 


^ 


XS3t 


ciaer    gouuen,  vant  guet,  dat    ghi  hem  hebt  ge  -  daen. 


1. 0  wel  moechdi  v  verhogen, 
die  om  god  na  v  vermögen 
den  armen  troest  in  haer  terdriet, 
Tzy  mit  woerden  of  mit  werken, 
Toer  V  doer,  of  voer  die  kerken, 
8oe  waer  dat  ghise  hoert  of  siet. 
Vaderlic  end  mynnentliken 
sei  Y  god  van  hemmelriken  [Bl.  XLIII  b.] 
daer  Yoer  noch  in  syn  riic  ontfaen, 
daer  sei  diit  pallaes  aenscouuen, 

Y  getymmert  al  ciaer  gouuen 

vant  guet,  dat  ghi  hem  hebt  gedaen. 

2.Hoe  ghi  hem  geeft  blideliker, 
hoet  pallaes  wort  suuerliker, 
mit  alle  aueticheit  verciert. 
Des  menschen  hart  machs  niet  gron- 

dieren, 
hoe  ffhi  daer  seit  iubilieren,  ^ 
om  oat  ght  hem  nY  wel  hantiert. 
Loff  end  eer  sul  zi  y  geuen 
bouen,  in  dat  ewich  leuen, 
daer  Yoer  die  borgers  dancken  zeer. 
Wonderlic  sul  si  y  prisen, 
hulp  ende  troest  mit  myn  bewisen 
Yoer  ihesum  onsen  lieuen  beer. 

3.  So  dat  ghi  Yan  hem  seit  hören : 
coemt  myn  vrienden,  wtuercoren, 
besit  myns  Yaders  ewich  riic, 

Ju  bereit,  mit  lieft,  mit  mynne 
Vander  werrelts  aenbeghinne, 
want  ghiit  verdient  hebt  trouuelic. 
Honger,  dorst  heb  ic  geleden, 
Yeel  verdrlets,  veel  iammerheden, 
ghi  troeste  my  in  myn  gebrec. 
Als  ic  Iy  myn  noet  liet  weten, 
drincken  gaefdi  my  end  eten 
daer  in  en  sciede  gheen  vertrec. 

4.  Oec  in  al  myn  ander  dogen 

äuam  my  troest  nae  v  vermoegen, 
US  coemt,  besiit  myns  vaders  riic, 

Y  bereit  mit  lieft,  mit  mynne 
vander  werrelts  aenbeghinne, 
want  ghiit  verdient  heot  trouuelic. 


Hoe  wel  sei  v  dat  behagen, 
blidelic  suldi  hem  vragen : 
o  heer,  wanner  is  dit  gesciet, 
dat  wy  v  dus  in  liden  sagen, 
honger,  dorst  mit  ander  plagent 
en  troesten  v  in  iv  verdriet? 

5.  Soe  sukLi  dees  antwort  hören : 
lieue  vrienden,  wtuercoren; 
voerwaer,  voerwaer,  ic  segge  iv, 
Alzo  lang  giis  een  die  mvnste 
mynre  hebt  gedaen  of  [üL  XUV  b.] 

gunste 
so  lang  gesciedet  my  van  v. 
O  wat  vruecht  sal  v  dan  wesen, 
als  V  ffod  soe  heeft  gepresen 
voer  al  dat  is,  of  heeft  geweest, 
Syn  priis  is  waerachteliken, 
want  si  bliift  doch  eweliken, 
mer  werrelts  priis  is  idel  feest. 

6.  O,  nv  wilt  doch  blideliken 
hier  beneden  op  eertriiken 

den  armen  geuen  troest  en  raet, 
wie  heeft  noet  end  bidt  om  gode, 
laet  v  dünken,  tsi  gods  bode, 
(d  waer  hl  wonderbke  quaet. 
Als  ghi  een  sult  aebnis  gheuen, 
Is  hi  guei  of  quaet  van  leuen, 
al  daer  en  leyt  v  niet  smyts  aen, 
als  ghi  so  staet  in  die  sinne, 
dat  ghiit  puer  geeft  om  gods  mynne, 
ghi  sult  daer  of  groet  loen  ontfaen. 

7.  Wie  ghi  troest  in  syn  behoeuen 
om  gods  myn,  wilt  aes  gelouen, 
hi  wort  v  tymmerman  te  hant 
in  dat  scoen  palaes  voerscreuen, 
daer  ghi  in  sult  syn  verheuen 
corts  bouen  in  dat  suete  lant. 

Nv  god  eheeft  ons,  hier  die  armen 
om  dyn  wiUe  so  tontfermen,  [Bl.  XLVa.] 
dat  WY  noch  weerdich  moeten  syn, 
aUe  bliiscap  mit  Venite^ 
ende  verlost  van  dat  woert  Ite^ 
mit  al  syn  vreselike  pyn.  Amen. 


1,2.  Vgl.  die  Anmerkung  zu  No.  25. 


Niederlftndische  geisüiche  Lied^  nebst  ihren  Singpf^eisen  etc. 


215 


Versmaß 


—  «w     —    V-Z    —     W    —     V-^ 
s^    —     \J     ^     \^    ^    \J 

-.^o'-.V-/     —     V>     —     >^' 

v->'   ^    v-/    —    v-/    —    O 

—  v^   —   \^_v^   —    v-/ 

—  W    —    W    —    v-/-_v> 

w   —   w   —   w  —   w 

^V^_W    —    W    —    w 

—  W—   w_w_w 

V-/      —      ^W      —       N-'      —      V-/ 


Bl.  XLVb. 


^^ 


27. 

Een  saoer  maeeht. 


t 


Een   SU  -  uei  maecbt  my  wel  be  -  haecht  end  is  myns  herto 


M'   'Mit  *  r-t->-r- 


^^t^ 


be-ge-ren.  Och  of   ic  waer  ter  stont  bi     haer 


tot 


!LI  '  t  >  1?4_!_T  '  T  «  l^p 


ihe-sus  gro-ter    e  -  ren,  So  soud    ic    bly    oec   we   -    sen 


u 


't>,.U'MI!-Ll^^^ 


±* 


vry 


Van  al   dat    my 


mach  de   -   ren. 

t^-Vorzeichming  fehlt. 


l.Een  suuer  maeeht 

my  wel  behaecht 

end  is  myns  herts  begeren. 

Och  of  io  waer 

ter  stont  bi  haer 

tot  ihesus  groter  eren, 

Soe  soud  ic  bli 

oec  wesen  vry 

Van  aly  dat  my  mach  deren. 
2.  Si  is  seer  scoen 

end  draecht  een  croen, 


die  heeft  haer  god  gegen en. 
Die  hoechste  troen 
dat  is  haer  loen, 
daer  is  si  seer  verheuen. 
Sy  heet  katryn, 
haer  ciaer  aenschyn 
verlieht  dat  ewioh  leuen. 
3.0  Jhesu  beer, 
V  groete  eer  [Bl.  XL  Via.] 

gescie  tot  allen  tiden. 
Ic  bid,  macht  syn, 


216 


Wilhehn  B&umker, 


laet  synt  katryn 

my  troesten  in  myn  liden. 

£nd  oeo  wanneer 

ic  haer  begeer, 

laet  si  my  dan  verbilden. 

4.  Qelieftet  v, 
80  sei  ic  nv 

aen  haer  doen  myn  gebeden, 
£nd  priisen  seer, 
-want  si  hier  neer 
heeft  vromelio  gestreden, 
Tormenten  veel 
end  die  geheel 
om  uven  wil  geleden. 
5.0  maecht  katryn, 
ciaer,  edel  ende  fyn, 
god  gruet  v  scoen,  volcomen, 
oo  menichfout, 
als  op  dat  wout 
staen  rosen  ende  bloemen. 
Soe  "wi  V  mynt 
end  gracy  vynt, 
hi  mach  hem  wel  veruromen. 

6.  V  dienre  tsyn 

is  my  gheen  pyn, 

och  mocht  ic  v  aenscouuen, 

Mit  sueticheit, 

oetmoedicheit, 

mit  allen  doechden  trouuen, 

Qelieftet  goy, 

ic  naemt  wel  soy, 

twaer  my  een  dinck  van  gowen. 

7.  V  suete  naem 
heeft  guete  faem 

dair  bouen,  oeo  beneden. 

Men  mynt  v  seer, 

men  doet  y  eer 

tot  menigerhande  steden, 

In  dien  dat  ghi 

hebt  wel  end  vry 

voert  kerst  geloef  gestreden. 

5.  En  hoerde  nye, 

dat  vrou  was  ye  [Bl.  XLVIb.] 

end  maecht  so  van  scriifturen, 
Dat  si  Terwan 
mit  reden  .... 
mit  scriift  figuren. 
Als  ghi,  o  oloem, 
die  nv  draecht  roem 
mit  recht  tot  alre  vren. 

9.  Jv  oechkyns  syn 
nv  ciaer  en  f}Ti, 
si  ihesum  contemplieren, 
Qods  Heue  soen, 
beer  vanden  troen, 
iv  brugom,  beer  der  heren. 
O  lief  katryn. 


V  daer  aenschyn 

te  sien,  is  myn  begeren. 

10.  Een  suet  geluyt, 
o.suuer  bruyt, 

fhi  hoert  int  ewich  leuen. 
[oert  my  doch  nv, 
dat  bid  ic  v, 

end  wilt  my  niet  begheuen. 
Oec  maectet  soe, 
dat  ic  van  goe 
by.v  mach  sjrn  ^verheuen. 

11.  In  hemmelriic 
seer  suetelic 

iv  synnekyns  opluken. 

Iv  smaec  is  suet, 

iv  voelen  guet, 

in  weelden  is  v^uyken. 

O  lief  katryn, 

ic  bid,  macht  syn, 

laet  my  dies  wat  gebruken. 

12.  Soe  wie  v  dient, 
weest  doch  syn  vrient, 
o  scoen  der  creaturen. 
So  waer  ic  gae, 

sidt,  leg  of  sta, 

helpt  my  in  alre  vren, 

Dat  ic  verwyn 

mit  ihesuB  TDyn 

myns  vleyscheliics  naturen. 

13.  Oni  siit  seer  riic 
end  gracelic, 

verlost  van  allen  sorgen.  [Bl.  XL VII a. 

End  ic  heb  noet, 

myn  scult  is  groet, 

ic  bid,  wilt  my  verborgen, 

Als  ic  sal  gaen, 

ter  and  wort  staen, 

tsy  nv,  of  corts,  of  morgen. 

14.  O  lief  katryn, 

V  doet,  V  pyn 

laet  comen  my  te  baten. 

Ic  heb  misdaen, 

my  seer  ontgaen, 

besundioht  bouen  maten. 

Het  is  my  leet, 

ic  bin  bereet, 

myn  quade  wil  te  laten. 

15.  O  reyne  maecht, 
^hi  my  behaecht, 

laet  my  v  doch  behagen 
Mit  siel  mit  liiff, 
o  suuer  wiiff, 
so  mach  ic  vrolich  dragen 
Ju  brugoms  myn 
end  V  daer  in, 
int  hert  tot  allen  dagen. 
16. 0  eel  en  wiis, 

ghi  draecht  nv  priis 


Niederländische  geistliche  Lieder  nebst  ihren  Singweisen  etc.  217 


mit  recht  int  ewich  leuen. 
Groet  loff  end  eer 
ons  lieue  beer 
end  V  die  boreers  gheuen. 
Het  gheeft  'wei  reen, 
want  ghi  siit  een, 
die  wonder  heeft  bedreuen. 
n.  O  Jonge  hart, 
wat  groter  smert 

gii  leet  doer  ihesus  mynne! 
iet  ouerdenet 
en  wael  bekent, 
si  gaf  y  guet  beghinne ; 
Mer  beter  eynd, 
al  wast  eilend, 
O  troesterinne. 
tS.  O  suete  troest, 
ic  bid,  verloest 
my  arme  oreature 
Van  al,  dat  JÜy 

contruV  8i, 

als  coemt  die  laetste  vre, 
Te  geuen  reden 
Tan  al  myn  seden, 
dat  my  aal  werden  sure. 
19..  le  my  beueel 


[BL  XLVnb.] 


Versmaß: 


V-/     —  V-/  — 

>«/    —  v^  _ 

\y  —  '^J 

W     „  >s-/  — 

>s-/      —  V^  -, 

W  —  \^ 

\y     ^  \J  ^ 

W     —  ^  — 

v^y  —  v^ 


T  Bcoen  end  eel, 

o  roes,  0  guedertieren, 

Bidt  god  Yoer  my, 

dat  ic  Word  vry 

yan  allen  quae  manieren. 

£en  laet  my  syn, 

o  lief  katryn, 

van  dien  hi  sei  vercieren. 
20. 0  coninghin, 

wt  rechter  myn 

soe  is  dit  myn  b^geiei^f 

Verbliit  syn  gheest, 

soe  wie  dit  leest 

of  denct  tot  uwer  eren. 

End  als  hi  leit 

op  syn  verscheit, 

soe  wüt  hem  visitieren. 
21.V  sy  loff,  eer 

mit  onsen  beer, 

nv  end  tot  allen  tiden, 

Die  ons  hier  neer 

in  hem  wil  Beer 

end  oee  in  v  verbliden, 

End  gheuen  loen, 

een  sauer  croen 

na  deser  werrelts  liden.  amen. 


—     O'    —    v-/ 


_     V^     —      v-^ 


—     N^     —     V-» 


BL  XL  Villa. 


28. 

0  Jhesa  heer. 


^m 


k 


^i^|H-^-f4^^^ 


O    Jhe  -  SU    heer,  verlicht  myn  sin    -    nen,  Tot    u-  wer  eer 


I — I 


laet  my   be  -  ghin     -      -     nen  Een  sue-te,  suuer    me  -lo-dy 

1888.  15 


218 


WUhelm  B&umker, 


Van   sint 


I.         i 
a-gniet,    v 


wt-  uer-co-ien,  die    an-ders  niet 


en 


^=^^^^T   T  I  i^^^^t  M 


wou-de    ho-ren,  Dan  slechs  van  v,  haers  herts    ghe-cry. 


1 . 0  Jhesu  beer,  verlieht  myn  sinnen, 
Tot  uwer  eer  laet  my  beghinnen 
Een  suete,  suuer  melody 
Van  sint  agniet,  v  wtaercoren, 
die  anders  niet  en  woude  hören, 
Dan  slechs  van  v,  haers  herts  ghecry. 

2.  Ghi  waert  haer  sin,  al  haer  begheren, 
Si  droech  v  myn  mit  groter  eren, 
Ohestadich  was  si  talre  tut 
End  suet  van  seden  end  [BL  XLVIIIb.] 

guedertieren, 
Het  heeft  wel  reden  in  al  manieren, 
dat  si  nv  mit  v  verbliit 

3. 0  maecht  agniet,  o  coninginne, 
gegruet  so  siet  mit  ihesus  mynne 
Veel  meer  dan  hondert  dusentfout, 
Die  V  vercoes  seer  mynnenüicke, 
om  tsin  een  roes  in  hemmelrike, 
Int  lant,  dat  alle  vruechd  in  hout. 

4.  Ghi  siit  daer  scoen,  seer  wonderlike, 
Die  hoechste  troen  dat  is  v  rike, 
Die  engelen  syn  v  dienres  daer, 
Ohi  siit  daer  vrou,  seer  hoech  verheuen, 
Want  ghi  getrow  waert  in  v  leuen 

V  brugom  ihesu  openbaer. 

5.  Een  ^iongelinc  v  seer  begeerde, 

Syn  *hert  verginc,   hem  docht,   tver- 

teerde, 
Want  ghi  seer  waert  in  syn  gedachte, 
Syn  guet  was  veel,  hi  v  aensochte ; 
Mer  wat  iuweel,  dat  hi  v  brochte, 
Twas  al  versmayt  end  niet  geacht 

6.  Want  ihesus  mvn  had  v  beuangen, 

V  hert,  iv  syn  nad  groet  verlangen, 
bi  hem  te  wesen  ewelic. 

Der  werrelts  vruechd  ghy  [BL  XLIX  a.] 

weinich  achte, 
Ohi  waert  verhuecht  in  v  gedachte 
Mit  ihesus  mynne  graceliic. 

7.  Ghi  waert  oec  eel,  van  aenschyn  scone, 
Mer  scoenre  veel  na  tscrifts  betone 
Van  guet  geloef  int  hert  bereit. 

O  suuer  roes,  dat  licht  v  dede 


Die  V  vercoes  tot  sinen  vrede 
Van  deser  werrelts  ydelheit. 
8. 0  ionge  hert,  o  guuLen  lely, 
ghi  leet  groet  smart  end  swaer  mai^ 

tely, 
Als  ghi  waert  out  licht  dertien  laer. 
Ghi   waert    seer  bout,    ghi    leet   wt 

mynnen, 
Noch  pyn,  noch  gout  en  mocht  ver- 

wynnen 

V  bruffoms  myn,  dat  is  doch  daer. 
9.0  lief  agniet,  o  suuer  herte, 

AI  V  verdriet,  v  grote  smerte 
Seer  wel  ghi  leet  end  vromeliic; 
Hier  om  ghi  siit  in  dusent  vruechden 
End  seer  verbliit  van  al  v  duechden. 
Die  ghi  ye  deedt  op  eertriic 

10. 0  reyne  maecht,  o  suuer  bloem. 
Mit  recht  ghi  draeeht  nv  vrolie  roem 
Bi  ihesum  christum  talre  tut.  % 
Ghi  bebt  ontfaen  die  hoechsten  troen, 
Noch  son  noch  maen  en  is  so  scoen 
Nu  morgen  na,  als  ghi  nv  siit 

11. 0  wys,  o  scoen,  van  uwe  [BI.  XLIXb.l 

doechden 
der  maechden  throen  heeft  groete  Troe- 

chden 
End  is  verbliit  seer  mynnentlic 

V  croen  bleuet  seer  end  v  sampielen, 
Jv  aenschyn  meer :  dus  syn  die  sielen 
verbliit  van  v  ontsprekelic. 

12.  Mit  recht  een  lam,  dat  is  v  teiken, 
Want  ihesus  vlam  had  v  ontsteken 
Mit  m^,  mit  guedertierenheit. 
O  conmghyn,  o  ihesus  boele, 
Ic  bid  V  myn  o  scoen  fyole, 
vercriicht  my  mit  oetmoedieheit. 

13.1c  hoep,  ghy  syt  alsoe  vercoren, 
Bid  ghi  hem  yt,  hi  sei  v  hören, 
al  dair  en  is  gheen  twiuel  aen. 
Nu  lieue  maecht,  wilt  myns  ontfarmen, 
Ic  bid  V,  draeeht  voer  hem  myn  karmen 
End  wilt  my  trouuelic  bistaen. 


Niederländische  geistliehe  Lieder  nebst  ihren  Singweisen  etc. 


219 


14.  0  Buuer  bruvt,  hoert  myn  gebeden 
£nd  myn  geiuyt  tot  allen  steden 
nae  uwe  piedertierenheit. 

le  beb  nusdaen  al  bouen  maten, 
my  seer  ontgaen,  coemt  my  te  baten 
In  m^e  arme  cranlicheit.      [BL  La.] 

15.  Ic  bid  T  seer,  o  troesterinne, 

dat  ghi  den  beer  wt  rechter  mynne 
seer  neerstieh  bidden  wilt  Toer  my, 
Om  tayn  yerloest  van  al  m3m  sonden 
£nd  wel  getroest  m3rt  sinen  wonden, 
end  8oe  yan  heen  mach  varen  yry. 

16. 0  SU  et  end  wys  der  creaturen, 
int  paradiis  tot  alre  vren 
Ghy  draecht  nv  priis  en  frissehen  moet 
O  uef  agniet,  helpt  my  te  comen 
wt  dit  Terdriet  onder  die  bloemen, 
dair  ghi  nv  machtich  siit  ende  groet. 

17. 0  edel  end  reyn,  ghi  drinct  mit  vrue- 

chden 
Van  die  fonteyn,  daer  alle  duechden 
wt  vloyen  als  wt  haer  beghin. 
Dat  is  die  beer  van  tewicn  leuen, 
die  V  nv  seer  daer  heeft  verheuen 
End  scoen  verciert  als  syn  vriendyn. 

IS.  Oeh    suuer   maecht,   mooht   ic    aen- 


scouuen, 


Hoe  ghi  nv  draecht  die  croen  [Bl.  Lb.] 

van  gowen, 
Die  iv  die  coninc  heeft  ffedaen, 
Int  lant  beuaen  mit  gülden  bomen, 
die  sterren,  maen,  mit  hären  bloemen, 
die  ghi  wt  reinicheit  daer  draecht 
end  oee  die  son  te  bouen  gaen. 

19. 0  duerbair  steen,  mocht  ic  oaer  comen 
end  oec  aensien  die  crans  van  bloemen, 
di  ghi  wt  reinicheit  dair  draecht. 
Ic  Bow  dan  bly  end  vrolie  wesen, 
Want  ic  waer  vry  van  allen  vresen, 
daer  ic  nv  mede  bin  versaecht 

20.  Nv  Uef  agniet,  hoert  myn  begeren, 
ic  bid,  aensiet  mit  groter  eren, 
soe  wie  dit  lietdkyn  sinct  of  leest 
Als  hi  sei  g[aen  voert  recht  dair  bouen, 
wilt  hem  bistaen  nae  syn  behoeuen, 
soe  dat  in  vreden  coemt  syn  geest. 

21.Lof  si  den  beer  tot  allen  tiden, 
die  ons  hier  neer  wil  seer  verbliden 
mit  hem  end  v,  o  sauer  maecht, 
End  alst  geeft  tut  van  heen  [Bl.  LI  a] 

te  liden, 
dat  wy  verbliit  dan  moppen  riden 
int  lant,  daer  niemant  is  versaecht. 

Amen. 


Versmaß: 


V-/_s-^      —      V^  —  W      —  V^ 

V-/     —      \-/—  V-/  —      V^  — 

«^      —      •v^      —      \^  —  N.y—  V-/' 

-^„V-/     —      V-/  —  V^     —  N-/ 

^>-.V^    —  s-/  —     v>  — 


Bl.  LIa. 


29. 


God  grnet  t^  sauer  maecht  margriet. 


b 


t 


^^m 


±=t: 


f 


^^m 


Grod  gruet  ▼,    su-uer  maecht  margriet,  God  gruet    v,    gods   wt- 


b 


^ 


^=g^=Fr 


t 


$ 


.  i 


uer-co-ren.     Ic    bid    v,  dat    ghi  my   aen-siet    end     myn 


I       I  I v_ 

^rTTn"rrr^ 


^ 


ge  -bet    wilt      ho  -  ren.  Och  troest  my    doch    in    myn  ver- 


15' 


220 


Wilhelm  Bäumker, 


1^ 


-§ — r 


driet, 


I 


¥ 


¥ 


Dat  my    die   coemt  te     vo 


ren. 


1.  Ood  gm  et  y,  Buuer  maecht  margriet, 
God  ffTuet  Y,  gods  wtuereoren, 

Ic  bid  Y,  dat  ghi  my  aensiet 

end  myn  gebet  wilt  hören. 

Ooh  troest  my  doch  in  myn  yerdriet, 

Dat  my  die  ooemt  te  Yoren. 

2.  le  bin  bedroeft  end  seer   [BL  Üb.] 

Yersaecht, 
Als  ic  denc  om  myn  leuen 
End  reden  moet,  alst  goy  behaeoht, 
Voer  al  myn  sonden  gheuen. 
Ic  Yrees,  ic  aal  seer  syn  beclaeoht, 
Mit  recht  mach  ic  wel  beuen. 

3.  Ny  lieue  maecht,  myn  troest  sydy 
End  oec  myns  herts  beseren, 

Ic  bid  Y,  staet  my  nY  doch  by 
Tot  uwer  brugoms  eeren 
End  bidt  hem,  dat  hi  my  maeo  Yry 
Van  al,  dat  my  mach  deren. 

4.  Ic  bid  Y,  dat  ghi  my  Ycrbliit, 
O  scoen  der  creaturen, 

Ic  hoep,  Y  dienre  syn  altiit, 
Soe  langh  ic  sal  geduren. 
Des  Yiant  stric  an  stucken  snyt, 
Wt  syn  macht  wilt  my  Yueren. 

5.  Een  draecs  figuer  so  nam  hi  aen 
End  quam  op  y  geberen, 

Ghi  hadt  die  gracy  goeds  ontfaen, 
Hi  en  cond  y  niet  Ycrueren. 
Ghi  waert  seer  bout  end  ouuerslaen, 
AI  waert  ghi  ionc  Yan  iaren. 


6.  Hi  wert  al  seer,  al  waerdi  teer, 
Somtiits  Yan  y  gesle^en,  [BL     Lila] 
Ghi  worpten  neer,  hi,  sonder  weer, 
Nam  disciplyn  te  degen; 

Van  ihesu,  onsen  lieuen  beer, 
Had  ghi  de  macht  gecregen. 

7.  Ny  lieue  maecht,  siet  my  doch  aen, 
Wilt  hören  myn  gebeden, 

Helpt  my  die  ^racy  oec  tontfaen, 
Die  ghi  hadt  mer  oeneden : 
Den  yiant  altiit  wederstaen. 
Mit  ihesu  te  syn  in  yreden. 

8.  Loff,  eer  si  y  in  hemmelriic 
End  idle  goeds  yryndinnen, 
Helpt  broeder  geriit  trouuelic, 
Ena  my,  die  hi  wt  mynnen, 
Tod  uwer  eer,  heeft  guetelic 
Dit  diohtken  doen  beghinnen. 

9.  Oec  wilt  syn  broederkyns  bistaen, 
Syn  susterkyns  te  samen. 

Als  ic  yermoy  end  waalic  waen, 
Die  alte  gaime  namen, 
Soe  yroe  als  si  yan  hene  gaen, 
Dat  si  yIus  bi  y  q^uamen. 
10. 0  heilige  drieuoldicheit, 
Een  Wesen,  drie  personen, 
Lof  si  y  in  der  ewicheit    [BL  Lllb] 
End  yruechd,  die  mit  y  wonen, 
Verlient  ons  ny  oetmoedieheit 
End  daemae  wilt  ons  cronen.  Amen. 


Versmaß:     v^  —  v^  —  w  —  ^_ 

o»    —    vy    —  V-/    _    w 

v-/    —    v-^    _  v^    —    ^ 

V>       _       »^      _  W       —       V-/ 


BL  Lllb. 


30. 

0  Sauer  maechdelike  staet. 


1 — I 


ü=^-rTii.T-^ 


O     Su-uer  maechde  -  li  -  ke    staet,  Als  ghi  oet-moe-di-cheit 


Niederländische  geistliche  Lieder  nebst  ihren  Singweisen  etc.  221 


anvaet,    Soe  si  -  dy  bloem  des  blo 


men,  Veel  meere 


^^^^^ 


J* 1 


i 


t 


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-t- 

gaef  en      weet  ic  niet,    Als      v    van  go  -  de    dat    ge-schiet, 


l   l    '  *  «  .  ,il^^ 


g^ 


Oec  nye  en  heb  vei-no 


men.    V    staet    die       is 


al  -  so    ghe 


f 


kynt,  AI  di 


mynt,  Dat  ihesus,   te-wich  vaders 


I Tl 


W^ 


AI  daii    of     is    ge  -  co  -  men. 


1.0  suuer  maechdelike  staet» 
Als  ghi  oetmoedicheit  anTaet, 
Soe  sidy  bloem  der  blomen, 
Veel  meere  gaef  en  weet  ic  niet, 
Als  Y  van  goede  dat  geschiet» 
Oec  nye  en  heb  vemomen. 
V  staet  die  is  also  [Bl.  LIII  a.] 

ghemynt, 
Dat  ihesus,  tewich  yaders  kynt, 
AI  dair  of  is  gecomen. 

2.Hi  saeh  marien  maeehdomheit, 
Verciert  mit  groter  oetmodicheit, 
In  haer  was  syn  behagen. 
Hl  gabriel  liet  haesteuc 
Haer  doen  die  botscapp  gracelic, 
Dat  si  hem  soude  dragen. 
Hi  quam  in  haer  en  vantse  deyn, 
Dat  is  oetmoedich  ende  dair  to  reyn 
Van  alder  sonder  plagen. 

3.Ny  is  dees  edel,  suuer  maecht, 
Die  gode  dus  seer  end  wel  behaecht, 
Bi  hem  int  ewich  leuen. 
Daer  is  si  wonderlike  scoen 
End  coninghinne  vanden  troen, 
Dat  heeft  naer  god  gegeuen. 


Die  borgers  synt  haer  onderdaen, 
Want  si  is  hem  te  bouen  [BL  IJÖ  b.] 

gaen, 
Op  ceraphin  verheuen. 

4.  Haer  brugom  is  die  coninc  daer, 
Haer  soen,  haer  lief,  haer  troest  te  gaer 
End  al  haers  herts  begeren. 

Van  hem  is  si  alsoe  gneert, 
Soe  wat  si  daer  van  hem  begheert, 
Tgesciet,  men  machs  niet  keren. 
Soe  wie  haer  trouuelike  dient, 
Vercriicht  vlus  gracy  als  een  vrient 
Van  ihesu  thaerre  eren. 

5.  Ny  lieue  maechden,  merct  an  haer, 
Wat  Yruechd  sal  y  geschien  dan  daer, 
Want  ghi  bi  haer  seit  wesen. 

Haer  brugom  sei  y  brugom  syn, 
V  troest,  Y  lief,  iu  mynnekyn 
End  al  y  tzherts  genesen. 
Hi  sei  Y  blidelic  ontfaen, 
Vercieren  bouen  son  end  maen 
End  maken  Yry  Yan  Yresen. 

6.  Weest  hem  gestadich  talre  tiit 
End  ist,  dat  ghi  temptacy  liit, 
Gheefs  dair  om  daer  niet  yerloren. 


222 


Wilhelm  B&umker» 


Hebt  moet  end  bidt  hem  [Bl.  LIV  a.] 

vrilic  aen, 
Tgebet  van  v  wort  wel  ontfaen, 
Hoe  soud  hi  y  wanhoren! 
Hy  mynt  t  wonderlike  seer, 
Het  is  V  brugom,  het  is  v  beer, 
Gby  siit  hem  wtuercoren. 

7.  Syns  vaders  riic  is  y  bereit, 
AiBoe  veruult  mit  sueticheit, 
Dat  wonder  waer  te  spreken. 

Die  mynste  yruechd,  aie  daer  gesciet, 
£n  waer  y  ciaer  te  seggen  niet 
In  hondert  dusent  weken. 
Want  nye  die  yrueebd  oech  noch  oer 

vernam, 
Oec  menschenhart  nye  op  en  clam, 
See  ons  die  lerrers  preken. 

8.  Sy  hebben  grote  myn  te  g^er, 
Die  meeste  sou  die  mynste  daer 
Syn  yruechd  wel  con sentieren. 
Oec  sou  die  mynste  herde  noy, 
AI  mochtet  hem  gescien  yan  goey, 
Des  meestes  yruechd  begheren. 
Want  daer  yerbliit  hem  nygeliic 
Van  Sanders  vruechd  seer  [Bl.  LIVb.] 

mynnentlic, 
Als  yan  die  syn,  goots  teren. 

9.  O  reine  meechden,  hoert  des  gots  myn, 
Die  hem  ^ie  coninc  daer  geeft  in, 
Jy  brugom,  beer  der  heren. 
Geloefs,  die  bliiscap  is  so  soet, 

Die  hem  des  anders  yruechd  aendoet, 
Oheen  hert  en  machs  grondieren. 
God  danc,  sy  syn  so  wel  te  yreen, 
Si  ewich,  yrolich  ondereen 
Die  ^otheid  contemplieren. 

10.  Dat  IS  die  leuende  fonteyn, 
daer  alle  vruechden  int  gemeyn 
wtuloyen,  oec  beghinnen. 

Wie  daer  of  drinct,  hem  dorst  niet  meer, 
Want  hi  is  dronken  in  den  beer 
Altoes  yan  groter  mynnen. 
Wie  dair  wt  drinct  een  ygelic, 
Syn  hert  begeert  in  hemmelriic, 
£n  mach  gheen  mensch  yersinnen. 

11.  Een  ygeliic  daer  ciaer  beyynt, 
dat  m  yan  goy  is  meer  gemynt, 
Dan  yan  syn  selfs  persone. 

Oec  tegens  hem  geuoelt  [Bl.  LVIa.]* 

hi  soe, 
Hy  mynt  hem  seinen  myn  dan  goy 
End  aier  ^eliic  goeds  sone. 
Oec  dat  die  een  die  ander  mynt, 
Geliic  hem  seluen  is  eesint, 
Dats  ciaer  tscriiftuer  betone. 


12.  Ny  dus  hier  wt  yerstaet  oec  wael, 
Een  tyoirgenoemde  principad 
Hoe  si  hem  der  gelaten. 

Hoe  dat  die  een  yan  tsanders  yruechd 
Als  yan  syn  selfs  daer  is  yerhuechd 
In  gods  yruechd  bouen  maten. 
Want  soe  men  mynt,  is  men  yerbliit 
In  anders  yruechd  tot  alre  tut, 
Wie  sow  dees  yruechd  nv  vaten? 

13.  Want  ygelic  heeft  yruechd  so  veel, 
Daer  van  hem  seluen  tsynen  deel 
Meer  dan  hi  can  yersinnen. 

Hoe  mach  hi  dan  yan  elkerliic 
Syn  yruechd  begripen  in  dat  riic, 
Die  hem  toecoemt  wt  mynnen? 
Want  tis  niet  tseggen  noch  tsermoen, 
Hoe  menich  suuer,  scoen  [BL  LVIb.] 

persoen 
Als  hemmelriic  heeit  binnen! 

14.  Teerst  in  die  yader  end  die  soen, 
Die  heilighe  geest  hem  yruechd  hi  aen- 

doen, 
Denct  selfs,  wat  yruechd  tmach  wesen. 
Ic  waen  y  tseggen  dat  verwaer, 
AI  leuede  ghi  hondert  dusent  iair, 
Ghi  en  soudse  niet  yollesen. 
Want  tis  die  meeste  yruechd,  dats  ciaer, 
Twaer  cleyn,  al  waer  die  mynste  daer 
Op  dese  manier  gepresen. 

15.  Voert  denct,   wat  yruechd  die  conin- 

ghin, 
Wat  cherubin  end  seraphin 
Hem  doen  end  ander  thronen; 
Denct,  ian  baptist,  die  heilich  man, 
Sint  peter,  die  apostel  dan 
End  al,  diet  riic  bewonen. 
Denct  seif  end  seynt  y  hertgen  dair, 
Twaer  my  te  lanc  end  oec  te  swaer, 
Soud  ict  y  allen  tonen. 

16.  Bereit  y,  daer  te  syn  yemoemt, 
Wanneer  men  seyt,  die  brugom  coemt, 
Staet  op  en  gaet  hem  tegen! 

End  oec  dan  bly  op  moget  staen 
End  mit  y  lamken  tegen  gaen, 
yol  olykyns  yercresen. 
Die  ylam  daer  in  aoet  [Bl.  LYUa.] 

bemen  scoen, 
Dat  ciaer  mach  blencken  in  den  throen, 
Dair  gby  y  yruechd  seit  ple^n.  ^ 

17.  Voert  lampken  neemt  iy  reinicheit, 
Voert  oliken  oetmoedicheit. 

Die  ylam  wilt  mynne  noemen. 
Dit  syn  drie  duechden  hairde  scoen, 
Die  seer  wel  blencken  in  den  throen, 
Als  si  te  samen  comen. 


^  LV  fehlt  in  der  Paginirung. 


Niederländische  geistliche  Lieder  nebst  ihren  Singweisen  etc. 


223 


Dees  had  die  edel  conin^hin, 
Daer  to  Teel  meer,  dan  ic  besyn, 
Maria  bloem  der  bloemen. 

18.  Gheliict  den  dwasen  meechden  niet, 
In  gheenre  wiis,  wat  y  gesciet, 
Die  priis  der  verreit  pachten. 
Ic  ml  si  hebben  reinicheit, 
Mer  lacy  si  oetmoedicheit 
£nd  mjnne  weinich  achten. 
Dus  bluft  haer  lamp  in  ydelheit  staen, 

V  brudegom  selse  niet  ontfaen, 
Oroet  scand  si  nv  verwachten. 

10.  Och  maechden,  wilt  y  niet  yerslaen, 
Tsel  hier  soe  yaringj  syn  gedaen, 
y  brudegom  sal  schier  comen 
End  y  soe  mjnnentlie  ont-[BLLyiIb.] 

faen, 
Vereieren  meer  dan  son  end  maen 
Mit  hemmelriicsche  bloemen, 
Die  yer  die  son  te  bouen  gaen 
End  al  die  sterren,  oec  die  maen 
Mit  hären  gülden  bomen. 

20.  Soe  seldi  hören  scoen  geseal, 
Daer  die  engelen  oueral 

V  bru^om  mede  louen; 

End  hl  sei  mit  dat  scoen  geluyt 

V  leiden  als  syn  suuer  bruyt 
Int  scoen  palaes  daer  bouen. 
Daer  seldi  inden  hoechsten  throen 
Ontfaen  yan  hem  der  meechden  croen, 
Diet  cranskyn  heeft  yan  rosen. 

21.  Dat  cranskyn  reinicheit  betoent, 
Daer  hi  die  maechden  mede  loent, 
Die  eerbarlicken  leuen." 

Sie  slaen  der  werrelts  yruechd  gheen 

acht, 
End  diewiil  is  haer  harts  gedacht 
In  hemmelriic  yerheuen. 
Dus  weent  si  die  in  mynnen  seer. 


Bi  ihesum,  baren  lieuen  beer, 
Be^eren  si  te  wesen. 

22.  Striidty  wise  meechden,  yromelic 
End  dient  y  brugom  trou-  [Bl.LVIIIa.] 

uelic, 
Van  hem  en  wilt  niet  sceiden. 
0  denct,  hoe  wonderlike  scoen 
Hi,  op  y  eomst,  den  hoechsten  troen, 
Die  engelen,  doet  bereiden. 
Daer  sä  y  Uchaem  claerre  syn, 
Wel  sowenwerff  der  sonnen  sehyn, 
Weest  liidsaem  int  yerbeiden. 

23.  Wat  sei  dan,  denct,  y  siel  ontfaen, 
Diet  lichaem  sei  te  bouen  gaen, 
Meer  dan  ghi  soudt  yercieren. 
Weest  bly  end  maect  y  wel  bereit 
Mit  dees  drie  duechden  yoergeseit, 
Soe  wilt  y  doch  yercieren. 

Om  corts  te  syn,  int  suete  laut, 
Van  welc  dat  ihesus  wyngart  plant, 
Vertelt  yeel  scoen  manieren. 

24.  Ny  god  die  yader  end  die  soen, 
Die  iieilige  geest  wil  y  behoen, 
lu  reinicheit  bewaren. 

Daer  toe  mit  oetmoedicheit. 
Mit  mynne,  mit  gestadicheit 
lu  suuerheit  yerclaren. 
Des  wüt  hem  bidden  talre  tiit 
End  yroliic  singen  mit  ioliit, 
Tot  synre  bliiseap  garen. 

25.  Lof,  eer  si  y  beer  sabaoth, 
Almachtich,  ewich,  hei-  [Bl.  LVIIIb.] 

lieh  god, 
Een  wesen,  drie  personen. 
V  naem  moet  syn  gebenediit 
Hier  ouer  al  die  werrelt  wyt, 
Oec  bouen  in  die  thronen. 
Wy  bidden,  ist  y  wü  end  eer, 
Verleent  y  graey  ons,  lieue  beer, 
Hier  nae  bi  y  te  wonen.    Amen. 


Versmaß : 


\y    —  \^  _\-/—  v^.^ 

V-/  —  Vi/         _  V-»  _  \^ 

V-/     —  s-/_V.</  —  W  — 

\j  ^  \^  —  \j  —  \y 

O      —  N^  —      V-'  —  V-/  — 

^'    _  >^  ._    v^  _  v-^  — 

^  ^  \J  ^  \y  ^  \^ 


224 


Wilhelm  B&umker, 


Bl.  LVnib. 


3t. 

Wat  baet,  dat  ic  yeel  clage  stel. 


Wat  baet,  dat    ic   veel  cla  -  ge    stel    an      e  -  nich  mensch,  ic 


fe 


^^ 


i 


sie  doch  wel,  dat    al    myn  dach  end  al    myn      crüs       niet 


f 


^ 


i 


an-ders     is    dan     win-ghe-wiis. 


l.Wat  baet,  dat  ic  veel  clage  stel 
an  enich  mensch,  ic  sie  doch  wel, 
dat  al  myn  elach  end  al  myn  criis 
niet  anders  is  dan  winghewiis. 

2.  Och  wie  sal  ic  dan  roepen  [BL  LIX  a.] 

aen 
in  myn  yerdrieti  om  troest  tonfaen, 
ic  bin  geuaen,  en  can  ontgaen, 
ic  ml  marien  roepen  aen. 

3.  Maria,  moeder  wtuercoren, 
wilt  my,  bid  ic  v,  nv  doch  hören 
end  troest  myn  arm  bedroeftde  hart, 
dat  wairlich  is  in  grote  smart. 

Verstnqfi:      w  —  >^  —  w  —  v-/_ 

viermal. 


4.  Gaet  diis  my  of,  vercoren  vrou, 
so  bliif  ic  midden  inden  row 
end  ongetroest  in  groter  noet, 
dat  my  is  swaerre,  dan  die  doet. 

5.  Myns  nertzen  druc  end  al  myn  liden, 
dat  ic  mit  tränen  claech  bi  tiden 
Yoer  V,  moeder,  seer  iammerlick, 
dat  weet  ghi  seker  .  .  .  yaerlic. 

6.  Daer  om  ml  ic  Tertellen  niet 
myn  druc,  myn  smart  end  myn  verdriet, 
mer  liif  ena  siel  mit  guet  betrou 
geef  ic  y  op,  o  waerde  yrou. 


Bl.  LIX  a. 


32. 

Tis  guet  in  goeds  taweerne  te  gaen« 


i 


Pf-t  ft^ 


^^- 


Tis  guet    in  goeds    ta-weei-ne     te      gaen, 

5^ 


he  -  ta  -  len 


i^V^-f-^ 


is    daer  off    gedaen,     dat    seit    ons     sin  -  te       io  -  han, 


fa^LLU-.4^=j^=^^ 


Want  ihe-sus  kel  -  re     is     op    gedaen,  daer  scenct  hi  ons  den 


Niederländische  geistliche  Lieder  nebst  ihren  Singweisen  etc. 


225 


^^ 


^^ 


sue-ten  traen,  want  hiit  ons  wel    gan,  Wie    is   die  mensche, 


^ 


I 


^ 


SU«: 


die     niet    en     can     wt     ihe-sus    kel  -  re    diin-ken  danl 
Repetitio. 


fe^ 


; 


^ 


r-^ 


TT 


Heb  ihe-sus   lief  en  -  de  laet  die     wer-ielt,    tis      tiitl 


I.Tis  gaet  in  goeds  taweeme  te  gaen, 
betafen  is  daer  off  ^edaen»  [Bl.  LIXb.] 
dat  seit  ons  sinte  lohan, 
Want  ihesus  kebe  is  op  gedaen, 
daer  scenct  hi  ons  den  sueten  traen, 
Want^  hiit  ons  wel  gan, 
Wie  is  die  mensche,  die  niet  en  can 
wt  ihesus  kelre  drinken  dan! 

Heb  ihesus  lief 

ende  laet  die  werrelt,  tis  tiit! 
2.  Heer  ihesus  weert,  scenct  [BLLXa.] 

OBS  een  wyn 
al  vter  milder  herten  dyn, 
die  ghi  doch  hebt  betaelt 
mitten  eruys  den  pitteren  pyn, 
laet  ons  dat  mede  deelachtich  syn, 
al  hebben  wy  lanc  gedwaelt, 
ghi  hebt  yoir  ons  so  wel  betaelt, 
wy  moeen  mit  vrouden  gaen  totdi. 

Heb  ihesus  lieff  ... 

Sei  Soffmaann  (NiederL  aeistL  Lieder, 
Mone  giebt   in   seiner  »Übersicht«  S. 
einer  Handschrift  v.  J.  1492. 

Versmaß:         v-/  _  ^  _  ^ 

w"    _  ^>  —  v.y 

v-/  _  W  ~ 

v-/    —  W  _  w/ 

V^     _  V^  __  v-/» 

v>  _  V^  _ 

V-/     _  \-f  _  v-/ 

v»/    _  ^  _  v^ 

s^  _  v-/  _ 

^      _      v-/     — 


3.  Waerdyn  compt  Toert,   past  ons  ge- 
lach! 

wi  hebben  gesondicht  menich  dach, 
dat  laten  waer  wel  tiit. 
doet  ons  tbetalen  een  ^erdracht 
ende  neemt  op  y,  oft  wesen  mach, 
maect  ons  der  sonden  quyt. 
tsal  y  geschien,  sprac  si  mit  yliit, 
hoe  yeel  des  is,  ic  neemt  op  my. 
Heb  ihesus  lieff  .  .  . 

4.  Laet  ons  gaen  danken  ons  werdyn, 
marie,  die  edel  coninghin, 
die  ons  yerbliden  can. 
laet  ons  gaen  drinken  mit  bUden  syn 
in  ihesus  kelre  mit  rechter  myn, 
ende  sceyt  oec  niet  yan  daen. 
die  waext  heeft  ons  guetlic  gedaen, 
op  sinen  cost,  soe  gae  wy  yry. 

Heb  ihesus  lien  ,  .  . 

1854.  No,  100)  in  veränderter  Fassung^ 
188  das  Lied   an  in  11  Strophen   aus 

—  ^  _ 
_  ^  _ 

—  ^  _ 
^  \j  — 
\j  -_ 

—  ^-/  _ 

—  ^  _ 


1  fehlt  hi. 


226 


Wilhelm  Bäumker, 


Van  den  Bergh  hrinfft  in  seinem  Aufeatze  »Oeeetelijke  Gedichten*  etc.  dae  vor- 
stehende Lied  mit  den  drei  ersten  Textstrophen  aus  einer  Mandschri/t  des  XV,  Jahr- 
hunderts mit  folgender  Melodie, 


t 


^F^ 


T- f- 


:»=^ 


I     ♦    » 


»    »   »    •» 

Tis  goet  in    ihe-sus    ta-uaem  te  gaen. 


tr-^ 


be  -  taelt    is 


i 


i 


i 


i 


-^ — * — ^ 

daer    en    of    ge-daen.  dat    seit    ons  sin  -  te    Jo  -  han.    want 

_ 


^ — ^ 


«      ^      » 


i 


i 


T 


:^=3S 


3S=^ 


ihe-sus  kel-ie     is    6p     ge  - daen,  daer  schenct  hy  ons  den 


»     »»^♦M=^ 


; 


j 


soe  -  ten      traen.  Want  hyt  ons     al    wel  gan.  Wie    is 


i 


»  ~T 


i 


^ 


•-fr        ^        -»        ^  »  ^ 


¥=^ 


■^ 


die  men-sche  die      niet 

Repetitio. 


en  can.  wt    ihe-sus     kel  -  re 


i 


1    ^    J 


i 


i 


drin-ken  dan.     Hebt  ihe-sus    lief,  hebt  ihe-sus    lief,    hebt 


i 


♦  "»    ti 


l    »    l    l 


ihe  -  sus      lief  ende  laet  die    we  -  reit    tis     tyt. 


Bl.  LXb. 


33.  34. 

Oode  wil  ic  myii  hertien  op  g^euen. 


r 1 


vrTTj^ 


f 


>  g  i 


o-de    wil     ic  myn  her-tien  op  gheuen,  ende   doen      my 


1  Der  Anfang  der  zweiten  Strophe  hat  hier  noch  die  Note  e. 


Niederl&ndische  geistliche  Lieder  nebst  ihren  Singweisen  etc. 


227 


^ 


^ 


^S 


f 


*=^ 


al-dei    menschen    of      en    soe-ken  txoest  in  dat    e  -  wighe 


q^K^TF^ 


yy 


leu-en,  daer      ict      ge  -du-rich    vin  -  den  mach. 


l.Oode  wil  ic  myn  hertien  op  gheuen 
ende  doen  my  alder  menscnen  of, 
en  soeken  troest  in  dat  ewighe  leuen, 
daer  ict  gedurich  vinden  mach. 

2.  Moeht  ic  dat  iresen  goeds  gebruken 
soe  mjmentlic  inder  sielen  myn, 
soe  soud  ic  al  dinc  buten  sluten, 
dat  my  een  hinder  mochte  syn. 

3.  Daer  en  can  ic  niet  toe  geraken, 

du  en  woerste  my  in  een  stil  afgront, 
daer  ic  mach  kennen  en  leren  smaken, 
hoe   lief  tot  lief  can  spreken  sonder 

mont. 


4.Hert  ende  syn  wil  ic  op  [Bl.  LXIa.] 

gheuen. 
bouen  al,  dat  ic  ffescapen  weet, 
dat  ic  soe  spade  nebbe  begonnen, 
dat  is  my  Tan  gueder  horten  leet. 

5.  AI  en  soud  ic  nymmermeer  syn  hulde 

yerkrigen, 
noch  troest  ontfaen  in  gheenre  noet, 
nochtans  wil  ic  hem  gestadich  bliuen 
totter  doet. 

6.1c  gheue  my  op,  tis  meer  dan  tut, 
ic  legge  myn  hoeft  in  y  scoet, 
dat  ic  te  mael  y  eyghen  bliue» 
ny  helpt  ons  god  wt  alre  noet.  amen. 


In  der  Berliner  Handschrift  steht  folgende  Melodie: 
Hdschr.  B.  Bl.  102  a. 


t-H44-M 


m 


¥ 


* 


i 


t 


I 


Go  -  de    wil    ic    myn  heitgen    op      ge-uen,  end   doen      mi 


al    -   re    man 


en  zoe  -  ken       troist    in     dat 


p^ 


i 1 


I 1 


m 


!=* 


f-»»  I  t*  *^^^ 


e  -  wi  -  ge     le-  uen,    dair    ict      ge  -  du  -  rieh  vin  -  den  mach. 

Der  vollatändige  Text  dieser  Handschrift  steht  Bl.  146  mit  der  Überschrift: 
•Ic  hin  ghescoten  mit  eenre  strael  midden  im,  bei  Hoffmann  a.  a.   O.  No.  44. 


228 


Wilhelm  Bäumker, 


Nach  der  vorhergehenden  Melodie  zu  urtheilen,  müßten  an  den  von  mir   be- 
zeichneten Stellen  #  #  stehen. 


Versmaß: 


\j   —  \^   —  \j^\j  —   \^ 

"w_V^'     \^     \J     

^    —    v-z    —    v^    —    v^    —    v^ 


Bl.  LXIb. 


35. 

Hoe  Iiiyde,  soe  sanc  die  lerer. 


^m 


^^m 


*=*: 


Hoe  luyde,  soe  sanc  die  le  -  ler    al    op  der    tyn-nen  :  soe  wie 


in    swa-ren    son«den  leeft,  hi  mach  hem  wel        ver-synnen, 


i 


♦♦  ♦ 


tTT^" t   !  t   !  : 


1  ■▼-♦--♦-    1       I 

dat    hi  syn   bycht  toe    tii-de  doet,  eei  hem    die     doet    die 


I p  I 1 


^ 


rr 


n 


m 


wech  on-der-gheet,     tsyn    vroe-de  die  des  be-ken  -  nen. 


1.  Hoe  luyde,  soe  sanc  die  lerer  al  op 

der  tynnen: 
soe  wie  in  swaren  sonden  leeft, 
hi  mach  hem  wel  versynnen, 
dat  hi  syn  bycht  toe  tiide  doet, 
eer  hem  die  aoet  die  wech  ondergheet, 
tsyn  vroede,  die  des  bekennen. 

2.  Ende    dat   verhoerde    een    iongelinc, 

ionc  Tan  iaren: 
nu  segh  my,  lerer  wael  oude, 
hoe  mochstu  dus  geberen? 
ic  mochte  leuen  soe  menigen  dach 
ende  hebben  rust  ende  guet  gemac 
ende  dair  toe  mit  goede  varen. 

3.  Die  lerer  sprac :  dyn  yruechd  en  mach 

di  niet  ^eduren, 
des  lidens  compt  alsoe  menigerhand 
in  alsoe  curter  vren. 


och  waerstu  in  die  sinne  myn, 

dat  dy  dunct  ny  groet  yruechde  syn, 

dat  en  waer  dy  niet  dan  tmren. 

4. Die  iongelinc  sprac:    ic  en  can  my 

niet  bedwingen, 
ic  moet  gaen  bruken  myn  ionge  ioecht 
mit  dansen  en  mit  springen, 
die  yeghe  syn,  die  moeten  steruen, 
wel  op,  ny  laet  ons  yruechde  wenien, 
die  tiit  sal  ons  yerlengen! 

5.  Die  lerer  die  sprac :    dyn  woerde  syn 

groet  yenneten ; 
och  waer  sjn  iy  gesellen, 
die  daer  bi  iy  waren  geseten? 
si  waren  iuwes  geliic, 
ende  daer  to  frisch  end  yerwennentlic, 
die  wormen  hebbens  al  ghegeten. 


Niederl&ndische  geistliche  Lieder  nebst  ihren  Singweisen  etc.  229 


6.  Die  iongelinc  sprac:  sei  my  hemmel- 

riic  ontiaren, 
goe  is  dese'werelt  Beer  ontkeert 
den  rechten  weeh  ter  eren, 
ic  was  gewayt  al  in  een  wat, 
gemist  heb  ie  dat  rechte  [Bl.  LXIIIa.] 

pat, 
nT  weet  ic  eerst,  wat  my  werret. 

7.  Die  lerer    die  sprac:    woudestu    dyn 

hertgen  neygen 
den  rechten  wech  tot  gode  wart, 
8old  ic  dy  alsoe  gheeme  leiden, 
ny  houd  yoert  aen  die  tien  gebode 
eii  wachte  die  yoer  des  yiants  daren, 
8oe  mogestu  mit  gode  yaren. 

8.  Die  iongelinc  sprac :  ny  danc  god  in 

synre  gueden, 


in 


god  heeft  di  seiner  al  hiir  gesant, 
om  my  te  leren  ende  te  steruen^, 
ny  wys  my  yoert  den  rechten  pat, 
dat  ic  des  werrelts  af  mach  laten, 
si  is  my  geworden  ommaten. 
9. Die  lerer  sprac:    ny  danc  ic  god 

synre  gueden, 
dat  hem  des  ionge  man  heeft  bekeert 
in  also  corter  yren. 

ny  houde  di  aen 

10.  Die  iongelinc  sprac  mit  enen  bedroe- 

fden  sinne: 
helpe  riic  beer  god  yan  hemmelriic, 
wat  sal  ic  ny  beghinnen? 
als  ie  antreek  een  grawen  roe, 
Boe  bin  ic  alder  werelt  spot  — 
mitteen  toech  hi  te  cloester  in.  amen. 


Versmaß : 


v-/   _   \-/   -.   <<y  ^ 


N^      —      V-/      —      V^-      _       «^ 

v^  —  v^  —  \-/  —  W  — 
v^  —  v-^  —  v>  —  v^_ 
W    —    w    _.    v^    _    v^ 

In  der  Berliner  Handsekriß  (B)  SU  170  steht  das  Lied  ohne  Melodie.  Dar- 
nach hei  Hoffmann,  Niederländische  geisth  Lieder  No.  222.  Moll  theiU  in  seinem 
Werke  Über  Bmgmann  ein  ähnliches  Lied  mit  aus  einer  Handschrift ,  die  dem  An- 
fange des  16,  Jahrhunderts  angehört.  Im  Antwerpener  Liederbuch  1544.  No.  56 
findet  sich  gleichfalls  ein  ähnlicher  Text  in  16  Strophen.  (Vgl.  Hoffmann,  Horae 
helgieae  p,  XI,  8.  81.) 

Der  Text  ist  die  geistlidke  Umdichtung  eines  Wächterliedes,  welches  toahrschein' 
lieh  mit  den  Worten  anfing :  f>Hoe  luyde,  soe  sanc  die  wachter  al  op  der  tynnen.«  Die 
geistliche  Umdichtung  des  Heinrich  von  Loufenberg,  welche  Wackemagel  (Kirchen- 
lied il,  717)  nach  einer  Handschrift  des  15.  Jahrhunderts  mittheilt,  hat  dem  Bear- 
beiter des  niederländischen  Liedes  jedenfalls  als  Grundlage  gedient. 

Die  Singweisen,  welche  Bähme  (Altdeutsches  Liederbuch  No.  106,  107)  nach 

einer  Straßburger  Handschrift  und  den  Souterliedekens  1540  Psakn  90  mittheilt, 

gtimmen  mit  der  obigen  nicht  Überein.     (Vgl.   Chrysanders  Jahrbücher  II,  S  37). 

In  der  Berliner  Handschrift  (C)   S.  122  lautet  die    Überschrift  zu  unserm  Liede: 

»Hoe  lustelie  waert  der  mynnen  bant,  ontsloten  mit  groter.* 

Vielleicht  mag  diesem  Liede  die  obige  Melodie  ursprünglich  angehört  haben. 


BL  LXrab. 


36. 

Droch  werrelt. 


.b 


? 


^r-T 


^ 


t 


rr^=n^ 


m 


Droch  werrelt, .  my    gri  -  set  voir  dyn  we  -  sen,    waer  syn  nv 
Wy      moeten    al      op     der  sel-uer  stra-ten,   kond  wy    ons 


^  In  den  andern  Handschriften  steht  sturen  sa  lenken,  was  zu  »gueden«  besser 
als  Reim  paßt. 


230 


Wilhelm  Bäumker, 


^4-H-! 


V^ 


^ 


1 


1 


I 


die    re  -  sen,    die  ge  -  ne  -  sen  niet  en  con-den,    sy    syn     te 
ge  -  sa  -  ten     te    ma  -    -  ten,  in      die  len-ge,      die  wech  vb 


m 


i  - 


.^Tfr 


mael  verswonden,  des  droef  ic    my.  gj  j^^^  ^j^  ^^^  ^^^ 

wyt    en    en  -  ge,   seer  won-  der-lic.  '' 


i 


4-t--f  t  t  *  »^^ 


^ 


in    lu-sten  wa-ien  na-der  wenelts  lo-ue,     nv    bid-den  wy 


Mm  f=F=f^  ♦;*!*! 


crist,  want    hi  seer  ver-duldich  was  an  des  cru-ces    ro  -  pe. 


waer  vintmen    nv    te    co  -  pe    die  dio  -  pe  des    ro-wen,  wy 


1 


f=f 


*=* 


rt 


t 


I 


I 


T^ 


mo  -  ten    vruchte-  lic  an  -  scou-uen  al     on  -  se    scout. 


1 .  Droch  werrelt,  my  griset  voir  dyn  "wesen, 
Waer  gyn  nv  die  resen, 
die  genesen 
niet  en  conden? 
sy  syn  te  mael  verswonden, 
des  droef  ic  my. 

Wy  moeten  al  op  der  seiner  Straten, 
kond  wy  ons  gesäten 
te  maten, 
in  die  len^e, 

die  wech  is  wyt  en  enge, 
seer  wonderlic.  [BL  LXIVa.] 

Sy  syn  doet,  die  haer  liifs  in  lusten 

waren 


nader  werrelts  loue, 
nv  bidden  wy  crist,  want  hi  seer  ver- 
duldich  was 
an  des  cruces  rope; 
waer  vintmen  nv  te  cope 
die  drope 
des  rowen, 

wy  moten  vruchtelic  anscouuen 
al  onse  scout. 
2.  Het  waer  wel  tut,  dat  wy  ons  bedochten 
end  godliken  wrochten 
na  rechten 

ons  leuens.  [BL  LXIVb.] 

Hi  compt,  die  ons  sei  gheuen 


Niederländische  geistliche  Lieder  nebst  ihren  Singweisen  etc.  231 


een  ewich  loen 

Van  allen  werken  ende  van  woerden, 

Och  der  strengher  oerden 

des  oirdels, 

ic  duchte, 

ic  beue  ende  ic  suchte 

Yoir  sulke  noet. 

Wanneer  ic  rise  Tter  aerden  graf, 

dair  ic  in  leg  besouret, 

Och  so  moet   ic  voir  des  stoltes  co- 

nincs  craft, 
dat  daer  ewich  duret. 
Hoe  neer  ic  des  bedencke, 
soe  truret 
myn  gemoet,^ 

soe  compt  die  waerde  guetse 
eü  helpt  ons  dan. 
3.  Nu  helpt  ons  moeder  en  maget  re}iie, 
ghy  syt,  die  ic  meyne, 
alleyne, 

Handaekrift  JB.  JBl.  118  mit  der  Ühersehrift:  »Au€  püleherrima  regtna,  graeta 
dtutnaft, 

Varianten:  1,4  eannen.  1,5  vershnnen,  1,6  des  draue  ic  myeh.  1,7  r^akfekU; 
straeUen.  1^8  ghesaeUen,  1,9^10  in  deser  eUende,  1,13  die  haira  leuen  lusiich  waren, 
1,16  eristum,  1,18  die  droefheii,  1,19  des  rouwen.  1,21  onsen.  2,3  rechte.  2,10 
vrutkte,  2,11  efi  oie  ic  euehte,  2,12  euJken.  2,14  dair  ic  leg  bestueret.  2,15  »ochu 
fehlt;  Bioutes,  2,16  datier,  2,17  ic  dat  besuere,  2,19  myn  ghemoeise.  2^20  so  coemt 
hi  fcairde  guetse,  3,1  Nv  help.  3,2  toant  ghi.  3,4  iroutcen.  3,5  vrauwen,  3,7  Ohi 
syt  myn  toiuereoren  toairde,  hemelryc  eH  airde,  op  airde  ons  ie  vromen,  sini  cristus 
woude  comen  tot  dynre  borst,  3,13  drieuoudicheit.  3,16  om  dat  hi  ons  vanslike, 
woude  maken  rike,  int  leste  ah  toi  onse  sielen  moeten  gheesten  int  ander  lani.    AntenK 

Melodie  und  Versbau  sind  dem  folgenden  lateinischen  Leich  entnommen,  den  ich 
nath  der  Berliner  Handschrift  zweistimmig  gebe. 


mit  truuen, 

ghi  moet  ons  ewelick  rrouuen 

Yoir  sulken  noet. 

Ghi  siit  myn  wtuercoren  weerde, 

mit  eren  hemmelriic 

ende  eerde 

V  Truchten  syn. 

cristus  wonden  comen 

tot  dynre  burst. 

Got  ontsloet  syn  heilige  [Bl.  LXV  a.] 

drieuoldicheit 
also  mynnentlike, 

hi  gaf  broet,  sinen  heimeliken  scat, 

om  ons  te  maken  rike. 

och  laet  ons  niet  beswigen^ 

dyn  rike 

int  leste, 

als  wy  onse  ziele  moeten  geesten 

int  yreemde  lant. 


Hdschr.B.  BL  32  b. 


36a. 


Are  pulcherrima  reglna. 


WTT-L  1  ««li=^f^FFl^ 


A  -  ve    pul  -  cher-ri  -  ma    re  -  gi  -  na,  gra-  ti  -  a     di  -  vi  -  na 
Te  rex   le  -  gum,  de  -  us     de  -  o-rum,  di  -  e  -  rum  mul-to-rum, 


^^^^^ 


^^^ 


*  beswiken? 

3  Das  Lied  steht  auch  in  einer  Handschrift  des  Klosters  Ebstorf  (XV.  Jahrb.). 
Vgl.  Goedeke  I,  S.  472. 


232 


Wilhelm  B&umker, 


^ 


P=q:;^x^ 


T 


^ 


quam  tri -na    be-a  -  uit,    an  -  te  nee  post  cre-  a  - 
pro    morum  vir-tu-te     sponsamin  lu  -ven-tu- 

-+    >    ♦  -^  ■  ♦  T  T  't    1    ♦ 


uit  ma- lo- 
te    du  -  xit 


i 


$* 


i 


$ 


lin  i  ii 


* 


rr 

rem    te. 
ad      se. 


Mi-ra  les, 

ple-na*       es 


^F^ 


a 


Ö 


an-ge-lum    e  -  mi-se-rat, 
gra-ci  -  a    quam  di  -  xe-rat 

I 


eHz^zKid 


^ 


F^i  *  1  1 .  1 


^ 


^Dt 


tan-to    pla-cu-i-sti;    ^j_        per-man-ei-sti,  di -xi- sti 
pro-lem  con-ce  -  pi-sti,  °      '^ 


^1  i    I    1  ,^^^^pi=^^ 


J 


^^^ 


* 


* 


i^ 


se-cundum  veibum  tu -um    ic-cundum  fi  -  at    in     me. 

^-^  4  i-  -t-  t   j-^j, 


t 


^ 


^ 


Originalschlilssel  .* 


Jm  zweiten  Theü  «Mira  res« 


g 


^ 


1  bei  plena  auf  der  Silbe  a  die  Note  /  statt  fe. 


Niederländische  geistliche  Lieder  nebst  ihren  Singweisen  etc.  233 


Der  Leieh  zählt  in  der  Berliner  Handschrift  7  Textstrophen,  Die  drei  ersten 
findet  man  in  Dreves,  Cmitiones  Bohemicae,  Leiche,  Lieder  und  Rufe.  Leipzig  1S86, 
No,  8  ebenfaUe  aus  Handschriften  des  X  V.  Jahrhunderts.  Der  Anfang  lautet  hier : 
nAte  sanctissima  reginajm  Die  im  Anhange  des  Buches  unter  No,  III  mitgctheilte 
Melodie  aus  der  Prager  Handschrift  XI.  E.  2  ist  nicht  die  obige. 


BL  LXVa. 


37. 

Nu  sterct  ons  god. 


^s 


j 


; 


Nv  sterct  ons  god 


T^ 


f^ 


in    on-ser    noet, 


^ 


Ic    beueel  my 


!_*JJ]-4J_U'n^~T 


n^ 


huyden  in  dyn  ge  -  boet.    Lact    ons  den  dach  ge  -  na- 


de  -  lic    aen 


^H* 


rr 

I 


schy-nen. 

I.Nu  sterct  ons  god  in  onser  noet, 
Ic  beueel  my  huyden  in  dyn  geboet. 
Laet  ons  den  dach 

fenadelic  aen  schynen. 
>er  namen  drie  beueel  ic  my 
In  allen  noden,  so  waer  ic  sy. 
des  cruees  crist 
staet  my  voer  allen  pinen. 
3.  Dat  svairt,  daer  simeon  of  sprac, 

Versmaß:       \j  —   ^  —  \j 

\J        ^  s^         —         \J 


marien  reyne  hert  al  hier  doer  stac, 
doe  si  aensach, 
dat  eristus  stond  in  noede, 
4.  Dat  stöet  my  huyden  in  myn  haut, 
dat  ic  bewaert  sy  voer  sond  ende  voer 

scand, 
end  onueruaert, 
waer  ic  my  hene  kere.  amen. 


—  \j  — 
^  \j  — 


v-/     _     v^     _ 


v-/     _      \-/     —     S-/ 


Die  Limburger  Chronik  berichtet  zum  JaJire  1356: 

In  diser  Zit  sang  man  dit  Dagelit  von  der  heiligen  Passion,  unde  tcar  nuice^ 
unde  machte  ez  ein  Ritter: 

»0  starker  Got,  all  unse  Not 

Befeien  wir  Herre  in  din  Gebot, 

Laß  Uns  den  Dach  mit  Gnaden  oberschinen : 

Die  Namen  dri  die  sten  ufis  bi 

In  allen  Nöten  tco  wir  sin. 

Die  Negel  dri,  daz  Sper  und  auch  die  Krone.« 

Vgl.  Jahrbücher  für  musikalische  Wissenschaft  von  CJirysandei*  I,  S,  141. 
Dieser  Ritter  war,  wie  eine  Kolmarer  Handschrift  des  15.  Jahrhunderts  angiebt, 

1S88.  16 


234 


WOhelm  B&umker, 


Graf  Feier  von  Arherg.  Die  Überechrift  lautet  nändieh:  »Graoe  Feiere  grmae  tage- 
wiae,«  (Wackemagel,  Kirekenlied  II,  S.  330.J  Das  Lied  war  in  ganz  Damieehiand 
und  in  den  Niederlanden  verbreitet.  (Bartseh,  Germania,  18B0  S.  940J.  Zicei 
Melodien  aus  einer  Strafiburger  und  Trierer  Handschrift  findet  man  in  mamem 
Buche  »Das  kaihol,  deutsche  Kirchenlied^  I,  No.  200. 

Die  vorliegende  der  Wiener  Handschrift  bringt  nur  den  ersten  Theü  der  Sing- 
weise.     Den  letzten  TheU  findet  man  unter  No.  45. 


Bl.  LXVb. 


38. 

Ic  wil  den  beer  getmuen. 


p^ 


? 


^fti=4-|-^ 


■^r-t 


n 


Ic  wil  den  beer  ge  -  tru    -    uen,    hi     en    laet    my     niei,  hi 


^^=^ 


■t 


I 


=f 


t 


T 


cort  my    my-nen    ro  -    wen  ende  myn    verdriet. 


l.Ic  wil  den  beer  getrauen, 
hi  en  laet  my  niet, 
hi  cort  my  mynen  rowen 
ende  myn  verdiiet. 

2.  In  groter  scult  heb  ic  gesien, 
verloren  heb  ic  al  dat  myn, 

ic  en  macht  niet  weder  halen, 
want  ic  en  heb  niet; 
hi  moet  voer  mi  betalen, 
diet  al  versiet. 

3.  AI  heb  ic  scade  groet  ontfaen, 
ic  hope  ic  sal  noch  wel  ontgaen, 
die  waerheit  sal  my  nv  leren, 

[Bl.  LXVIa.] 
wat  dat  81  gebiet, 


ic  wil  tot  haer  keren, 

want  siit  my  riet. 
4.  Wie  is  die  alle  scult  betaelt 

en  gyn  scade  te  mael  yerhaelt, 

dan  ihesus  cristus  alleine, 

die  lüde  riep, 

al'an  den  cruce  so  reine 

al  scult  verliet. 
5.1c  heb  die  waerheit  wel  verstaen,» 

dat  al  Tan  mynnen  is  gedaen, 

ic  wil  hiir  syn  mynne  dragen, 

wat  my  gesdet, 

die  wile  dat  ic  nv  sal  leuen, 

want  hiit  gebiet. 


Versmaß  unregelmllfiig : 


\j  —  \j  ^  ^  —   \j 
—  \-/  _  w  _ 

W    —     v^    —    V-/    _    W 


_     Vy'     _     V/     — 

Von  Strophe  2  an  wird  die  letzte  Melodiezeile  vom  *  an  wiederholt. 


Bl.  LXVIa, 


39. 


Myniieii,  louen  ende  begheren. 


^_«-r"^=^ 


I 


? 


g^ 


Myn     -     nen,  lou-en    en-de  be-ghe-ren     en-de    vol- 


Niederländische  geistliche  Lieder  nebst  ihren  Singweisen  etc. 


235 


^^^^^^m 


gen    der    o  -  uer-ster    re     - 


-     aen: 


der 


i:^«4-^-4-ü=^ 


rrrr^ 


werrelts  myn  die    is    venyn,  die  haer  mynt,  die  wort  be-dro-gen. 


^^=»=^=4! 


* 


? 


Het  waent  die  menich  die  liefste    syn,         Int  eynd    so   vint 


hiit    al      ge  -  lo    -    gen. 

l.Mynnen,  louen  ende  begheren 
ende  volgen  der  ouerster  reden: 
der  werrelts  myn  die  is  [Bl.  LXVIb.] 

venyn, 
die  haer  mynt,  die  wort  bedrogen. 

{Het  waent  die  menich  die  liefste  syn,) 
Int  eynd  so  yint  hiit  al  gelogen*,  j 
)aer  om  wil  ic  my  niet  Verliesen 


om  enich  mensche  losen  waen, 
ic  wil  den  sueten  ihesum  verkiesen, 
van  hem  wil  ic  syn  trow  ontfaen. 
3.1c  wil  hem  in  myn  hertien  sluten 
ende  houden  hem  daer  in  al  vast, 
en  laten  hi  alle  dinck  van  buten 
end  leuen  mit  hem  in  groter  rust. 

amen. 


Vergmaß  : 


^^^V_V^     —     V-'     —     S^ 
v.y--'^    —    v^    —    v>_ 

\^     \_/     Kj     —.      \^      —      ^^ 


BL  LXVHa. 


40. 


Ons  is  geboren  hy  ter  tut. 


! 


i 


Ons     is       ge  -  bo  -  ren     nv     ter     tut    ihe  -  sus     cri  -  stus 


'  Die  beiden  letzten  Zeilen  bilden  jedenfalls  einen  Refrain,  der  nach  Strophe 
2  und  3  wiederholt  wird. 

16* 


236 


Wilhelm  Bäumker, 


*=3: 


i 


i 


!      I        I       4        I 


f 

4^ 


ge-be-ne-diit;   Hi     is    god  en-de  mensche,   des    se-kersiit, 


W-U-f-ri=^ 


die  ons  van  son~den  heeft  ge-vriit. 


1 .  Ons  is  geboren  nv  ter  tut  [Bl.  LXVIIa.] 
ihesus  cristus  gebenediit; 

Hi  is  god  ende  mensche,  des  seker  siit, 
die  ons  van  Bonden  heeft  gevriit. 

2.  Die  aerde  ende  hemel  nieteonst  ontfaen, 
heuet  een  teder  maget  säen 

in  haer  waerde  liehaem  ontfaen, 
mit  enen  woerde  heeft  siit  gedaen. 

3.  Die  maeeht  wort  moeder  en  baert  een 

kynt, 
haer  maechdom  si  getieel  behielt, 
beulect  en  wart  si  niet  een  twinc, 
mer  si  bleef  maget  yan  gode  gemynt. 
4.Dat  k>Tit  wies  op  end  [Bl.  LXVIIb.] 

Word  een  man, 


den  heischen  drake  hi  verwan, 

mer  god  end  mensche  bleef  hinoehtan, 

daer  alle  dinc  leit  an. 

5.  Nv  bidden  desen  kynde  wy, 
Wander  reyne  maget  viy 
geboren  woude  waerden,  dat  hi 
ons  arme  sondairs  genadich  si. 

6.  Wy  bidden  der  moeder  vanden  kynde, 
dat  si  in  onser  hulpe  sende 

haer  kynt  tot  onsen  lesten  eynde, 
dat  ons  die  viant  niet  en  seiende. 

7.  Loff,  glorie  ende  weerdieheit 
soe  moet  hem  syn  in  ewicheit, 
want  hi  allen  heeft  bereit 

die  wech  der  ewigher  salicheit.  amen. 


Versmaß 


^     —      S-/     —     Vy'-^V^'      — 


HandscJirift  B.  Blatt  76.  Darnach  hei  Hoffmann  ^  Niederl  geisil.  Lieder. 
1854.  No.  17. 

Wahrscheinlich  nach  einem  lateinisclien  Texte  »Nobis  est  natus  hodie«^  bear- 
beitet.    Vgl.   Wackernagel,  Kirchenlied  I,  No.  398,  399. 


Hdschr.  B.  Bl.  75b. 


40a. 


t 


t=-^ 


$ 


■^ 


^^ 


t 


m 


Ons      is     ghe-bo-ren      nv  ter     tyt         ihe  -  sus      cri  -  stus 


S^lp 


■♦-♦- 


1 


i 


1  fehlt  dat. 


Niederländische  geistliche  Lieder  nebst  ihren  Singweisen  etc. 


237 


fe33B 


*=*: 


ä 


^ 


± 


m 


*t 


ghe-be-ne-dyt ;  hi    is    god  end  mensche,  des  se-kei    syt, 


^^ 


d: 


n  t  1  |77]:t^-f4= 


? 


*=3: 


^^ 


die  ons  van  sonden  heeft   ge  -  vryt. 


^=^ 


^^ 


m.  Lxviib. 


41. 

Och!  sal  die  edel  siele. 


*=* 


^^^ 


T 


Och!  sal  die     e-  del    sie-le    ver-lie-sen  eer    en-de  guet 


i 


f 


t 


E3zi3zz*=4= 


f 


¥ 


♦-f     ^ 


om    der      na  -  tu  -  ren  wil  -  le,     die  haer   so    lei  -  de  doet, 


^ 


\ — ^   ♦♦ 

die    haer    so      lei  -  de     doet. 

i.Och!  sal  die  edel  siele 
Terliesen  eer  ende  guet 
om  der  naturen  wiUe,  [Bl.  LXVIIIa.] 
:  die  haer  so  leide  doet.  :  | 

2.  Die  siele  soude  gheeme  liden 
end  altoes  god  ontsien, 
natuer  en  wil  gheen  dinck  miden, 
! :  daer  hoer  troest  mach  of  geschien.  : 

3.  Die  ziel  wil  haer  ontladen 
Tander  naturen  lust, 
natuer  is  niet  beraden, 
[:  te  doen  so  grote  cost. 

4.  Die  ziel  wil  gode  mynnen 
end  hem  getruue  syn, 


natuer  leeft  na  hären  sinnen, 


t:  si  wil  te  vreden  syn.  : 
)ie  ziele  soude  gaime  aUene 
mit  gode  rerenicht  syn, 
natuer  wil  int  gemene 
I :  mit  den  gesdscap  syn.  :  | 

6.  Die  siele  soude  ffeeme  vergeten, 
dat  haer  verbeelaen  mach, 
natuer  wil  al  dinc  Treten, 
{ :  dat  si  vememen  mach.  :  | 

7.  Die  siele  wil  gode  louen  [Bl.  LXVIIIb.] 
van  mynnen  dach  en  nacht, 
natuer  wil  haer  selfs  nlegen 
! :  in  al  dat  si  vermacn.  :  1 


238 


Wilhelm  Bäumker, 


8.  Die  ziele  wil  gode  dienen 
e8  alle  dino  Ternnaen, 
natu  er  en  hout  van  niemant 
|:  ende  en  dars  niet  annegaen. 

9.  Die  ziele  wil  altoes  kiesen 
dat  beste  bouen  tut, 
uatuer  wil  niet  Verliesen 
I :  in  alder  werrelt  wyt.  :  \ 

10.  Die  ziel  wil  doechden  mj'nnen 
eil  armoet  bouen  al, 
die  natuer  waent  ontsinnen, 
I :  als  sie  haer  volgen  sal.  :  | 

11.  Die  ziel  wil  cristum  volgen 
al  Inder  mynnen  pat, 
natuer  wort  soe  verbolgen, 
|:  si  soect  een  ander  pat  ; 

12.  Die  ziel  wil  haer  verbilden 
in  al,  dat  god  behaecht, 
natuer  wil  node  liden, 
I :  si  wort  daer  of  versaecht, 

13.  Die  ziele  wil  haer  bedrouen, 
als  hoer  die  doget  ontgach, 
natuer  laet  hoer  genogen, 
|:  des  si  te  vreden  staet. 

14.  AI  dat  daer  sielen  lustet, 
dats  der  naturen  pjn,      [Bl.  LXIXa.] 
si  soud  veel  Heuer  rüsten 

I :  ende  wel  te  gemake  syn.  :  | 

15.  AI  dat  die  siele  begeert, 
en  mach  nature  niet, 

si  wort  so  sere  verueert, 

si  vreest,  dat  haer  mischiet  :  | 


.  1 


16.  Dus  is  een  ewich  striden 
tuschen  desen  twien, 

al  sonder  haet  en  nyden 
I:  dat  en  is  haer  gheen.  : 

17.  Die  siele  soude  geeme  verwynnen, 
mer  si  is  natuer  genoech 

eö  volcht  haer  mitten  sinnen, 
I :  dat  is  wel  haer  genoech.  :  \ 

1 8.  Mer  sal  die  siele  genesen, 
si  moets  hoer  auegaen, 

so  waer  natuer  wil  wesen, 

t :  si  moets  haer  weder  staen.  : 

19.  Natuer  woent  inden  sinnen 
en  is  van  buten  al, 

die  siele  moet  goede  mvnnen, 
{:  die  al  verwynnen  sal  :| 

20.  Die  mynne  is  sterker  vele, 
dan  der  natnren  doet 
ende  harder  dan  die  helle, 
i:  des  is  naturen  noet.  :| 

21.  Haer  steruen  is  haer  leuen, 
al  ist  haer  grote  pyn, 

want  sei  natuer  genesen,  [BL  LXIXb.] 
|:  si  moet  verwonnen  syn.  :| 

22.  Bidden  wy  hem  doer  sine  mynne, 
die  alle  dfuechden  geeft, 

dat  hi  ons  help  verwynnen 

|:  want  hy  verwonnen  heeft  :| 

23.  Ende  dat  reden  den  stritt  verwynt 
tuschen  desen  tween, 

end  leuen  vast  in  synre  mynnen, 
so  come  wys  ouer  een. 


Versmaß  : 


Vy'    _     V>    _    V    __    v.y 

>^     —     W     —     \-/    — 


v-/    —    v-/    —    vy    — 


v>    —     v>    —    v-/    _ 


BLLXIXb. 


42. 


Coempt  ons  te  hnlpe. 


+ 


f 


:*=-*: 


t 


¥ 


t 


1 


t 

1 


t 

1 


^ 


Coempt  ons    te    hui  -  pe,  guet     lief    van     myn-nen,  want  wy 


synt  in    sor-gen  groet,  sel-len  wjr     de  -  sen   striit  ver-wyn-nen, 


Niederländische  geistliche  Lieder  nebst  ihren  Singweisen  etc. 


289 


n~iT^ 


wy   moe-ten  steruen  me*nig-en      doet. 


l.Coempt  ons  te  hulpe,  guet  lief  yan 

mynnen, 
want  wy  synt  in  sorgen  groet, 
•elleB  wy  desen  striit  verwynnen, 
WT  moeten  steruen  menigen  doet. 

2.  Merwy  aldit  gheleden  daer,  [Bl.LXXa.] 
Boe  valt  in  ons  so  groet  geruys, 
daer  sleyt  soe  menich  yiant  voer, 
die  alle  stormen  op  dat  huys. 

3.  Si  ffaen  ons  aen  ^  allen  siden, 
wy  oehouen  wel  guet  moet, 
sullen  wy  al  haer  scut  ontvlien, 

het  moet  ons  costen  yleisch  ende  bloet 


4.  Wie  op  syn  hoede  niet  en  steet 
ende  syn  huys  laet  ongheyriit, 
hi  wort  yerwoxmen  cor  hiil  weet, 
want  hy  syn  yiant  niet  en  wyet. 

5.  Wat  wy  karmen  of  wat  wy  clagen, 
ten  helpt  ons  alle  gader  niet, 
dortten  wy  ons  seluen  wagen, 

soe  waer  ons  liden  gheen  yerdriet. 

6.  Wat  wy  wonschen  of  wy  begeren, 
het  moet  syn  geauentuert, 

wy  moeten  yley^sch  ende  bluet  ycrteren, 
natuer  moet  liditi  menich  smert. 


Versmaß : 


V_\-/_-v^    —    v^    —    W 


v_/    —    \-^    —    \-/    _ 


Bl.  LXXIa. 


43. 

Des  ons  adam  heeft  beroeft 


r^ 


T-^ 


I 


n"^=rt-^ 


Des    ons    a  -  dam  heeft  beroeft,  dat  heeft  ons  cri  -  stus    we-dei. 


^ 


^^3-»-*!  4 


♦4^ 


3^     ♦      ♦ 


ge-loeft  mit  syn-ie    sae-ter    myn  -  ne.  Hi    is      diet     al 


ge-8capen  heeft,  hi    brenget  ons  bo-uen  sin-nen    al    in-dei 


^ 


s 


f~»  ♦    ♦ 


¥ 


*  *  ^ 

weelden  syn.  Sue-te    ihe-su,  lof,   eer  en-de    danc,  nv   en-de 


^  fehlt  op  oder  aen. 


240 


Wilhelm  B&umker, 


^^ 


^¥ 


^ 


— I — 
ic    sei   di    be  -  li  -  en  myn    memcheit 


tot    al  -  len  ston-den, 


^t 


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,1 


^ 


r-T 


cranc,  spaer  mi  heer  van    son-den.     Bli  -  de  -  li  -  ke    wü  ic 


r~T~^ 


5=»: 


^ 


myn-nen   di,    al  -  soe    al-stu    ge-daenheb-ste     my    doer 


g  t  T  1  !  \^r^ 


^^ 


:*=* 


t=i 


1 

dyn-re     groe-ter    oet-moe-  den,     ay    ne-re,  ver-wan-delt 


^=I=I=H= 


t 


my    in    dy,    te    ge  -  bru-kei»    die    e  -  wi  -  ge     gue  -  den ; 


I 


scencke      he  -  le    den     zie  -  len   wyn. 


1.  Des  ons  adam  heeft  beroeft, 

dat  heeft  ons  cristus    [BL  LXXUa.] 

weder  geloeft 

mit  synre  sueter  mynne. 

Hi  is,  diet  al  gescapen  heeft, 

hi  brenget  ons  bpuen  sinnen 

al  in  der.weelden  syn. 

Suete  ihesu,  lof,  eer  ende  danc, 

nv  efi  tot  allen  stonden, 

ic  sei  di  belien  myn  menscheit  cranci 

spaer  my  heer  van  sonden. 
Blidelike  wil  ic  mynnen  di, 
alsoe  alstu  gedaen  hebste  my 
4oeT  dynre  groeter  oetmoeden, 
ay  here,  verwandelt  my  in  dy, 
te  gebruken  die  ewige  gueden; 
scencke  here  den  ziäen  wyn. 


2.0  heer,  want  ghi  my  hebt  gespaert, 
behoudet  my  opter  aerden, 
dat  ic  mach  leyden  een  geestelie  leuen 
en  Truchtbair  m  te  wairaen, 
saiet  in  ons  een  edel   pBL  LXXIUa.] 

säet, 
dat  alsoe  mynnentlic  opgaet 
doer  dine  godlike  monae, 
efl  geeft  ons  van  peniteneien  raet» 
spaer  mi  heer  van  sonde. 
scenke  heer  der  sielen  wyn. 

3.  In  een  penitencie  steruende 
leuen  doet  ons  here  volstaen, 
dat  ic  in  kersten  ^eloue  moet  bliuen 
en  in  allen  doechaen  voertgaen, 
soe  mach  ic  totten  ouerspronc  comen, 
dair  ic  eerste  was  wtgenomen, 


Niederländische  geistliche  Lieder  nebst  ihren  Singweisen  etc. 


24  t 


doe  ic  was  in  dat  wesen 
al  op  ten  hogen  cederboem 
dair  die  anderen  wessen, 
scenke  here  der  sielen  wyn. 
4.  Die  op  den  hogen  cederboem 
syn  woninge  wel  can  bowen, 
die  neme  synen  eersten  ouerspronc  goem 


Versmaß  unregelmäßig: 


en  leue  inden  scouuen 
totter  heiliger  drieuoldicheit, 
drie  personen  bi  Sonderheit, 
soe  raken  wy  totter  mjrnnen 
in  eenre  hoger  listicheit 
geuet  wiisheit  in  den  sinnen: 
scenke  beer  der  sielen  wyn. 


I.  Melodie. 


.    IL  Melodie. 


IIL  Melodie. 


I.  Melodie. 


*    II.  Melodie. 


Bl.  LXXnib. 


44. 

SUt  yroeUc. 


^ 


4=^=> 


P^ 


*=»: 


....        ^     . 

Siit  vroelic,   het  is    ge-wor- den  dach,     die  son-ne    die    is 


^fe£ 


^^ 


3r=::t 


m 


op-ge-gan 


gen,     die  beer  die  heeft  ge-won-nen 


2 


t 


^=^=r^^Tt 


den  striit,  hi    heeft    verloest  die 

4 


vangen.    Nv  laet  ons 


^LZf 


^^^^^^^^ 


gaen  een  vro    -     lic    ganc 


In  ganser*-  wa  -rer 


242 


Wilhelm  B&umker, 


E^^ 


5=^ 


t 


} ^— 4 


mynne,  die  doer  is     op-gedaen,  hi  wil  ons  la-ten    in  -  ne. 


l.Siit  vroelic,   het  is    [Bl.  LXXnib.] 

geworden  dach, 
die  sonne  die  is  opgeji^angen, 
die  heer  die  heeft  gewonnen  den  striit, 
hi  heeft  verlost  die  Tangen. 

Nu  laet  ons  gaen  een  vrolic  ganc 
In  ganserwarer  mj-nne, 
die  doer  is  opgedaen, 
hi  wil  ons  laten  inne. 
2.  Mynne  is  dat  beste  guet,  [Bl.  LXXI Va.] 
dat  ymmermeer  mach  wesen, 
die  myn  den  mynnende  mensche  doet 
al  sonder  arbeit  leuen. 


3.  MjTinen  wy  goede  eenpairlic 
ende  scuuen  der  werrelts  wegen, 

so  mögen  wy  worden  Tan  doechden  liic 
end  ewelic  leuen. 

4.  Ist  dat  wy  ihesum  Tolgen  nae 
een  corte  stont  in  mvnnen, 

hi  wil  ons  cronen  al  hier  nae 
eü  maken  coninghinnen. 

5.  Ihesus  mynne,  die  brede  staet, 
en  machmen  niet  Tcrbergen, 
die  ihesus  m}iine  int  herte  hat, 
mit  Trede  sei  hv  steruen. 

Nt  laet  etc.' 


Versmaß  : 


K^     ^  \J  ^  ^^  _v^_ 

\^  —  »^  —  s../   "■—    w 

W  _  ^  _-  V^     _-     v^ 

V^  —  N^  —  V-/      __      V^ 

\>  _  \^  —  V^      _      V^ 


In  der  Handschrift  B,  Bl.  109  h,  steht  dieselbe  Melodie  mit  folgenden  Varumkn: 

1.  de  statt  d.  2.  ec  fehlt.  3.  e  statt  d.  4.  c  fehlt,  BL  147  hat  der  Text  die 
Überschrift:  »Die  mint  dat  hetn  syn  hoep  ontgaet,  die  m€uh  toel  cltL^ien,  tcaut  1u 
mit  sorghen  is  belast  van  droueti  d^hen».  Vgl.  Hoffmann,  Niederländische  geisil 
Lieder  No.  96, 

Alberdingk  Thijm  theilt  in  seinen  Gedichten  S,  22i  das  obige  Lied  mit  unter 
dem  Titel  »Notinetjes-Paaschliedvi.    Die  Reihenfolge  der  Strophen  ist  hier  U^,  4,  3,  d. 


BL  LXXIVä. 


45. 


0  wassende,  bloyende  gairde« 


m^^^^^^^^'^^TVT^ 


O      was-sen-de,    bloy-en-de    gair-de    der    stamme    van 


+ 


yes  -  se,  ge-wor-telt   wt  der  aer-den  mit  ioac-fiou-li-ken 


Niederländische  geistliche  Lieder  nebst  ihren  Singweisen  etc. 


243 


^ 


pa^ 


t 


W>4 


clee,  bidt,  vrou,  voir  on  -  se      voir  -  scult,  set    ons    in  gods 


i 


g 


W 


.hui  -  de,      o       ma  -  ter    gra  -  ci   -    e. 

Diese  Melodie  bildet  den  Schluß  der  großen  Tageweise  unter  No.S7. 


I.O  wassende,  bloyende  gnirde 
der  staiBSie  Tim  yesse, 
ge^'ortelt  wt  der  aerden  [Bl.  LXXlVbJ 
mit  ione&ouliken  eiee; 
bidt,  vrouy  voir  onse  voirscult, 
set  ons  in  gods  hulde, 
o  mater  gracie. 

2.  Dat  cruus  was  breet, 
daer  god  an  leet, 

doe  hem  syn  reine  hert  doer  sneet 
der  nagden  dree,  dat  speer  end  oee 

die  crone. 

3.  Des  bessems  swanc, 
der  gallen  dranc, 

die  bitter  doet  die  menscheit  dwanc, 
doe   hi    riep    luyd   in   bermhertelike 

doene: 

4.  Hely,  Hely,  lamazabatani, 

myn  god,  myn  god,  waer  laetstu  my ! 

des  kry 

end  oech  der  martelien  mede, 

5.  Dat  steet  my  huyden  voer  misbair, 
voir  Sonden,  voir  scande  my  god  be- 

wair, 
.  .  .  my  keert 
syn  dines  geestes  leren. 

6.  Mit  dines  geestes  leren 

verlicht,  o  nere  m^,         [Bl.  LXXVa]. 
soe  en  wort  my  met  te  sure 


dyn  bliiscap  n^nuaentlic, 

en  laet  my  ni^t  Yoir  ateruen, 

ic  en  moet  doch  eerst  verweruen 

dyn  ewich  heymelriic. 
7.Ö  milde  orist, 

laet  my  dyn  list 

genieten,  dat  my  kendich  Is,  . 

dat  ic  di  leuende  ken  in  enen  broede. 
8.  Laet  my  also 

ghi  nv  siit,  o 

nere,  myn  hemelsche  deel 

bi  di,  want  ic  roep  lüde  in  bancgenc- 

liken  doena 
9. 0  edel  yorst  in  hemmelriic, 

ontfermt  v  huyden  ouer  my, 

en  laet  ontwy, 

dyn  toem  is  my  te  sware. 
10.  Laet  my  der  sonden  een  vlotellc  vloet 

niet  ontgelden  doer  dinen  bogen  moet 

ende  weest  guet, 

doer  dvnre  moeder  eren. 
ll.Myns  leuens  een  guet  eynde 

verleen,  o  here,  my, 

ende  dat  my  niet  en  scende 

die  duuel  en  die  syn; 

wasch  my  van  mynen  sonden 

mit  dinen  heiligen  wonden, 

dat  gheer  ic  an  dy. 


Die  Str.  2,  3,  4,  6,  7,  8,  9,  10  haben  die  Melodie  von  No.  37;  Str.  6  und  11 
die  obige. 

Das  Lied  bildet  die  Fortsetzung  von  No,  37.  Vgl.  Wackemagel,  Kirchenlied  II, 
No.  499.    Bäumker,  Das  kath.  deutsche  Kirchenlied  I,  No.  200. 


BLLXXVb. 
I 


46. 

Ic  sat  wel  seer  bedroaet. 

I — p 


?=^=?=|^TTT]^ 


i 


^ 


Ic    sat  wel  seer    be-^dro-uet,  ic    had    so     ctan-cke  moet/ 


244 


Wahelm  ß&umker, 


s 


— ♦♦- 

ic    be  -  gau 


St: 


i 

oec 


$ 


31=*; 


3lE^ 


te     den-cken     op  dat  my  soe  wo-de  doet, 


en-de  myn  hert    dat  was  verstoert,    ic    keer-de    my     tot 


^^}=FP^K 


^F=^ 


ihe-sus    won  -  den,     en  -  de 

l.Ic  sat  wel  seer  bedrouet, 

ic  had  80  crancke  moet, 

ic  began  oec  te  dencken 

op  dat  my  soe  wode  doet, 

ende  myn  hert  das  was  verstoert, 

ic  keerde  my  tot  ihesus  wonden, 

en  die  waren  van  bloede  roet. 
2.1c  sach  oec  meed  die  diepen 

al  inden  banden  syn, 

ic  sach  bem  seer  misuerwet 

in  synre  groter  pyn. 

eß  syn  siae  was  op  sedaen, 

ic  sach  syn  moeder  aroeuich 

ende  truerich  bi  bem  staen. 
3.  Ic  sach  daer  maffdalena 

soe  droeuich  mede  staen, 

ic  seide  haer  daer  myn  herte 

om  troest  van  haer  ontfaen, 

en  dat  ic  was  ongesont 

van  eenre  mensche  mynnen, 

dair  ic  was  of  gewont. 

Versmaß  : 


I 


r» 


die  wa-ren  van  bloede  roet. 

4.  O  Heue  magdalena, 
nv  luket  op  iv  mont 
ende  biddet  uwen  liefsten, 
dat  hy  my  maec  gesont, 
en  dat  is  myn  hertiens  geer, 
dat  ic  hem  dienen  möge 
en  myn  hert  hi  tot  hem  keer. 

5. 0  snete  magdalena, 
myn  hert  dat  maec  bereit 
mit  uwer  sueter  beden 
tot  synre  lieflicheit, 
en  dat  ic  gevryet  moet  syn 
van  ake  eertscher  mynnen 
en  van  ake  hertzen  pyn. 

6.  Ende  dat  ic  nv  moet  mynnen 
die  my  gescapen  heeft 
wt  al  mynre  sinnen, 
die  my  gemynnet  heeft, 
efi  is  gestoruen  doet, 
om  dat  hi  my  soud  verlossen 
en  vryen  van  abre  noet. 


V-/'     __      V-/     —     \^'     __      V-/ 


v^    —    v^'    —    vy    _. 


v^    _    W    _    v-/    __    s^ 


\y    ^    \J    ^    \y    ^ 


S->      __      V-/      —      V-*      -_      V^      — 


v^    —    v^    —     v^ 


S.^"     —      V>     —      V-/      __ 


Das  folgende  Lied  der  Berliner  Handschrift  hat  fast  dieselbe  Melodie, 
Hdschr.B.  Bl.  106a.  46  a. 

Die  alre  znetste  Ihesns. 


E^ip 


:tX 


^~> 


Die  al  -  re   zuet-ste     ihe  -  eus,     die    al-re  lief-ste    heer, 


Niederländische  geistliche  Lieder  nebst  ihren  Singweisen  etc. 


245 


-6 

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die  mint  die  rey-ne  maechden,  die    maechden     al  -  so     seer 


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*=*=iF^ 


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4=^ 


*> 


^* 


en  sach  vanden  hemel  neei,    hoent  dat  si  was    ge  -  daen; 


—rr- 

syn    lief,     syn  har-tsen  bruyt. 

Der  volbtändige   Text  BL  J52  hat  die    Überaclirift :  »ie   saeh   een   suuerlike 
deeme,  een  wonderlüce  seone  maeekt,  ter  hoeehster."    Vgl.  Hoffmatm  a.  a.  O.  No.  97. 


Bl.  LXXVIb. 


47. 

Mit  desen  nywen  iare. 


5ie^^^% 


sen     ny     -     wen 
-^ —sn — 


la 


re 


-«- 


± 


Soe  wordt  ons 


§; 


t- 


|-ggJ^|BE^= 


isz::zst 


o  -  pen  -  ba 
^ — 


re,    hoe  dat    een 


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-^ 


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-^ 


m. 


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ma  -  get  vrucht  -  ba 


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die 


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wer  -  reit 


246 


Wilhelm  B&umkrä-, 


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-•■*- 


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heeft 


ver  -  bliit.  Geloeft  moet  syn      dat      Kyn  -  de- 


'^"    tf 


-^ 


s: 


fi?- 


:-^ 


i 


kyn,    ge  -  ert      moet     syn 

-^ 


^ ^ 


-Ä- 


dat      meech    -     de  -  kyn, 
^ ^^ 


^9^ 


X 


nv  (end)    e  -  we  -  lic     in      al     -     re 


tut. 


1^ 


^^^-pr 


-^ 


^^ 


l.Mit  desen  nywen  iare   [Bl.  LXXVIb.] 
Soe  wordt  ons  openbare, 
hoe  dat  een  maget  yruchtbare 
die  werrelt  heeft  verbliet. 
Geloeft  moet  syn  dat  kyndekyu, 
geert  moet  syn  dat  meechdekyn, 
nv  (end)  ewelic  in  alre  tut 

2.  Hoe  ^el  was  hoer  te  [BI.  LXXVIIb.] 

moede, 
doe  SV  in  vleysch  ende  bloede 
haer  nertsen  sach  behoeder, 
beer  god  der  werrelt  wyt 
Geloeft  etc. 

3.  Die  engelen  songen  scone : 

Handschrift  B,   Blatt  11   und  12. 
Lieder  1854.   No.  1. 

Versmaß  : 


\j  ^   \j   — 


—      N^      __ 


gloria  al  inden  throne, 
want  ihesus  is  geboren, 
des  syt  al  Yerbfiit 
Gelouet  etc. 

4.  Doe  acht  dage  waren  geleden. 
doe  wart  dat  kynt  besneden 
al  nae  der  ioedjscher  zeden, 
des  hadden  si  «roet  leyt, 

5.  Nv  laet  ons  goae  louen 
ende  ihesum  synen  soen, 
dat  hi  ons  wil  verlienen 
syn  hem^riick  scoen. 
öelouet  etc. 

Darnach  bei  Hoffmann ,   Niederl.   geistl 

v-y      _      V^' 
\-/     _      V^ 


__      V-/      _      N^      —      W 


\y    —    \j    ^    \j    — 


^    \y   —    \j   —    \j    — 


_     v^'     _     v^    .—     v^'    _ 


_   w   __   w   — 


^  Das  c  im  Original  ist  Druckfehler. 


Niederländische  geistliche  Lieder  nebst  ihren  Singweisen  etc. 


247 


P^rgamenthandschrift  der  k.  Bibl  in  Berlin,     Ms.    Gemu  8.  790«  Bl.  IIb 
und  12  cu 


,  ;l.M;ii>^l^Ui±:« 


♦4. 


Jk^ 


Mit    desen        nye  - 


^^^ 


wen  la    -    -    re. 

I    I 


so  woit  ons  O'  -  pen* 


Wt 


r-T-^f  tfy-Tfjfc^:^ 


^     %~M 


ba    - 


-    re.     hoe  dat  e-ne  maghet  yrucht  -  ba  -  re. 


^ 


^==^ 


die    we  -  reit     al 


feEis 


▼er-blyt.      Ghe  -  loeft  moet    syn 


^3: 


$ 


U. 


dat 


kin  -  de  -  kyn.        ghe-eert  moet  syn  dat       maech- 


*:C 


^¥ 


ii^ 


^ 


5it 


de- 


kyn.       nv      ende    e  -  we  -  lic  tot    al    -      -    le        tyt. 


T¥=* 


Mit 


¥ 


t=> 


de-sen    nye- wen     ia    -    re.      soe     wert      ons      o-pen 


^a 


^ 


$ 


^ 


3r]^ 


ba    -    re.     hoe  dat      e-ne  maecht    vruch  -  ba  -  re. 


die 


f^ 


t- 


l 


^-^ 


«; 


we-relt    al      ver-blyt.     Ghe  -  loeft  moet    syn      dat 


I    i 
kin- 


4A_4-u:i^ 


^=^ 


de 


t 


m 


-  kyn.     ghe  -  eert      moet     syn      dat    maech  -  de  -  kyn. 


rrH-rt-t^E^ 


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en-de      e-we-lyc.  tot    al  -   re    tyt. 


248 


Wilhelm  Bäumker, 


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die       we  -  reit 


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ver-blyt.    Gheloeft  moet  syn  dat     kin-de  -  kyn, 


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kyn, 


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1  Ä  anstatt  gf  2  jedenfalls  ^  anstatt/.  3  g  anstatt  e? 


Niederlftndisohe  geistliehe  Lieder  nebst  ihren  Singweisen  etc. 


249 


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oder  vielleicht: 


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i)a  <2u  ganzt  Lied  hü  auf  den  SMt{ß  in  Faesimilirung  heüiegt,  so  gebe  ich 
eine  Zuaammenstellung  in  moderner  Partitur,  Weil  die  Notensekrift  eehr  ungenau 
ietf  80  mußte  bei  der  Übertragung  die  harmonieehe  Übereinstimmung  mehr  maß^ 
gebend  sein,  als  die  Notation,  Der  ScMufi  in  der  Wiener  Handschrift  ist  jedenfalls 
kormmpirt.    Ich  fügte  deshalb  die  Lesart  der  Berliner  Handschrift  hinzts. 

Die  Hauptmelodie  liegt  im  Tenor,  der  Diskant  bringt  eine  mehr  ßgurirte 
Melodie,  Während  in  der  Wiener  Handschrift  der  Tenor  an  erster  Stelle  steht, 
hat  der  Berliner  Codex  zuerst  den  Diskant  und  an  zweiter  Stelle  den  Tenor, 

Einen  dritten  zweistimmigen  Satz,  den  P,  Bohn  in  der  Trierer  Caeeüia  1677 
p.  28  und  in  den  Monatsheften  für  Musikgeschichte  1877  p*91  aus  einer  Trierer 
Handschrift  des  16,  Jahrhunderts  ptd>licirt  hat,  findet  man  auch  in  meinem  Werke 
»Das  kath,  deutelte  Kirchenlied*  I,  S,  366  abgedruckt.  Ebendaselbst  hohe  ick  auch 
gezeigt,  daß  die  Hauptmelodie  (Tenor)  mit  einem  entsprechenden  deutseken  Texte 
in  viele  katholische  Gesangbücher  des  17.  Jahrhunderts  Überging,  so  z,  B.  in  die 
Cölner  1619,  1634,  Würzburger  von  1628  an,  in  das  Molsheimer  1669  und  Erfurter 
1666.  Auch  in  den  vlämischen  Gesangbüchern  ^Het  Prieel  der  Gheestelicker  Melodie* 
1614  und  im  »Paradgs  der  Geestelycke  en  Kerckelycke  Lofiangen»  1638  findet  sich 
unser  Lied. 

Es  folgen  jetst  die  Lieder  der  Berliner  Handschrift. 


Hdschr.  B.,  BL  35  a. 


48. 

Laet  OBS  mit  hartzen  reyne. 


i-J-T  t  !  t  «  T  ^ 


^ 


T 


Laet  ons  mit  hartzen    rey-ne 

1988. 


lo-uen  dat  sue-te  kin-de-kyn, 

17 


250 


WiUielm  Bftuinker, 


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1 


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het  brinct  ons  wt-en    wey-ne.   Ons  is    een  kint    ghe-bo-ren. 


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een    so  -  ue 


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1    i    t    1 

le-pie-senteert,  hi  wil  die   hei  -  le  gaen  sto-ren. 


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1 


als  mensche  ghe-fi  -  gureert,    hi   wil  ons  al-len  ghe-mey— ne 


$  t  !  !  T  T  T^^ 


ver-los-sen  wt-  er     pi  -  ne  met  si-nen  bloede  al  -  ley-  ae. 


Laet  ons  mit  hartzen  reyne 
louen  dat  suete  kindekyn, 
het  brinct  ons  wten  weyne. 

l.OnB  is  een  kint  gheboren, 
een  sone  ghepresenteert, 
hi  wil  die  heUe  ffaen  stören, 
als  mensche  ffhengureert, 
hi  wil  ons  allen  ghemeyne 
verlossen  wter  pine 
met  sinen  bloede  alleyne. 

2.  Nt  moghen  wi  wel  dancken 
den  maghet,  dien  droech, 
in  hare  sueter  lancken 

die  TTucht  hair  niet  en  verwoech. 
weest  yrolich  groot  en  cleyne 
om  dat  suete  kindekyn, 
het  behoet  ons  voer  alle  weyne. 
Laet  ons  mit  etc. 

3.  Die  yader  yan  hier  bouen 
sprac  sinen  enghel  an: 

io  wil  die  helle  gaen  Terstoren 
en  verlossen  wyf  eß  man, 
gaet  totter  schone  fonte^ne, 
.    maria  ciaer  aensehine, 


en  aegt  hair  wat  io  meyne.   [BL  35b.] 
Laet  ons  etc. 

4.  Gruet  si  my  vriendelike 
die  suete,  suuer  iuecht, 
en  sogt  hair  blidelike 

si  mooh  wel  syn  verblyt, 
want  si,  en  el  nye  gheyne, 
jfods  moeder  moet  si  syn, 
IC  bin  mit  haer  ghemeyne. 
Laet  ons  etc. 

5.  AI  binnen  najsazette 
quam  denghel  gabriel 

en  sprack  totter  fioletten 
mit  Bueten  woerden  snel: 
god  gruet  t  maghet  rejrne, 
vol  gpracien  is  y  aenschine 
god  es  mit  v  alleyne. 
Laet  ons  etc. 

6.  Bi  y  sal  nach  becliuen 
dat  adam  heeft  ontyryt, 
want  bouen  allen  wiuen 
sidi  ghebenedyt, 

fhi  Salt  ontfaen  een  greyne 
m  uwer  hertsen  scryn, 
des  yaders  soen  alle3me. 
Laet  ons  etc. 


Niederländiflche  geistliche  Lieder  nebst  ihren  Singweisen  etc. 


251 


7. 8i  sprae  oetmoedelike : 
hoe  «onde  dat  comen  by? 
16  en  ]^ende  sekwrlilce 
Doyt  man,  het  wondert  my, 
dat  ic,  en  el  nye  gheynCi 
godfl  moeder  aoude  syn, 
myn  herte  wert  cout  als  steyne. 
Laet  ons  etc. 

8.  Die  enghel  sprac  tot  hare: 
o  waerde,  suuer  maecht, 
en  weest  in  ebenen  yare, 
tis  wonder,  dat  ghi  claecht, 
want  gbi  sult  sonder  pyne 
baren  een  kindek3m 

eil  biiuen  een  maghet  reyne. 
Laet  ons  etc. 

9.  Die  beilige  gheett  sai  oomen 
in  V  wel  suete  wyf, 
ontfiaet  doer  onse  vrome 

in  y  als  menschen  lyf. 
hi  wil  ons  alle  ghemeyne 
TerloBsen  wter  p3me 
mit  sinen  bloede  alleyne. 
Laet  ons  etc. 


10.  Die  maghet  hair  conforteerde 
in  dat  naer  denghel  seit, 
gode  si  respondeerde : 

oto  si,  ic  bin  bereit, 
in  uwen  woerden  aUeyne 
set  io  den  wille  myn, 
siet  hier  gods  dieme  cle3me !  [Bl.  36a.] 
Laet  ons  etc. 

11.  Die  enghel  schiet  Tan  hare, 
maria  bleef  bevraeht, 

a)  sonder  pyne  of  rare, 
of  sonder  nerten  sucht 
baerde  si,  die  suuer  reyne, 
den  hemelschen  drochtyne, 
des  yaders  soen  geme^piie. 
Laet  ons  etc. 

12.  Gheloeft  so  moet  si  wesen 
ny  efi  in  alder  tyt, 

bi  hair  wi  syn  gnenesen, 
si  bracht  ons  groot  yolyt. 
o  waerde  maghet  reyne, 
des  sondaers  medicyn, 
bidt  yoer  ons  allen  ghemeyne. 
Laet  ons  etc. 


Vermuiß: 


\y  ^  \j  ^  \j  ^  \^ 

V>    —  W  _  W  _  v^ 

v^    —  W  —  v^  _  W 

v-^    —  v-/*  —  W  —  W 

W  —  v^  _  v-'  -. 

W    —  W  ;„  W  —  v./, 

v^  _  v^»  _  v^  — 

\y    ^  \J  ^  \J  ^  \^ 

v-y    —  v^  _  v^  —  W 

v-/    —  v-/  _  v./  —  v-/ 


Refrain  vor  der  ersten 
Strophe,  nach  derselben 
und  nach  der  zweiten 
etc,  Strophe  tu  singen. 


BLlOOb. 


49. 

Wildi  hören  ran  ihesns  woirden. 


,y-»       ♦♦     »      »      ♦      ♦— *^*=^±* 


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Wil-di     ho-ren  van  ihesus  woirden :  rou  van  son-den  is   so  goet, 


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y-^- 


4=3* 


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al  waii  heer  ihe-sus  noch  so  gram,    hi  wort  dair    me  -  de  wel 

17* 


252 


WOhelm  Bftumker, 


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sacht  ge-moet.    Als    ic  aen-sie      dat  gro-te      goet,     dat   mi 


beer    ihe-sus  heeft  gedaen,     so  ist  wel  recht,  dat.  ic  hem  dien 


en  anden  gbeen  guet  an  en  gae.  Gaet  tot  hem,  tot  hem,  tot  hem. 


gaet  tot    hem    eS  volcht  hem  nae,  denet  dai-rom,     dai  -  tom, 


** 


rr-^ 


^->F 


dai  -  rom,     hi    seit    v      lo  -  nen,  dat  weet  voir-wair 


l.Wildi  hören   van  ihesus    [Bl.  145a.] 

woorden : 
rou  Tan  sonden  is  so  goet, 
al  wair  beer  ihesus  noch  so  gram, 
hi  wort  dair  mede  wel  saft  ghemoet. 
Als  ic  aensi  dat  grote  goet, 
dat  mj  heer  ihesus  heett  ghedaen, 
so  ist  wel  recht,  dat  ic  hem  dien 
en  anders  gheen  goet  aen  en  gae. 

Gaet  tot  hem,  tot  hem,  tot  hem, 

gaet  tot  hem  eü  volcht  hem  nae, 

.   denct  dairom,  dairom,  dairom, 

hi  seit  V  Ionen,  dat  weet  voir 

waer. 

2.  Ihesus  dienst  dat  beste  goet, 
dat  ymmermeer  doch  wesen  mach; 
dat  moet  m^  syn  soe  ouersoet, 
dat  ic  hem  dien  nacht  ende  dach. 
Mar  dat  solaes,  dat  hier  ghesohiet 
na  dese  lose,  yalsche  werelt, 


dat  verheert  dick  in  verdriet, 
alsmen  mit  oghen  scouwen  mach. 
Gaet  tot  hem  etc. 

3.  Oetmoedicheit  so  wil  ic  soeken 

alle  dese  corte  tyt,  [BL  145b.] 

in  enicheit  so  wil  ic  loepen, 
so  mach  ie  worden  Tan  auediden  rye ; 
en  roepen  altcies  -ihesum  an, 
in  allen  dat  mi  hier  gheschiet; 
wanneer  ic.biden  menschen  coemi 
so  schiet  myn  hartkyn  die  Terdriet 
Gaet  etc. 

4.  Wanneer  ie  bi  beer  ihesu  sit, 
en  denck  altois  op  sinen  doot, 

'  so  dünet  mj  recht,  dat  bi  soet  is, 
ic  woud  ic  altois  bi  hem  wair, 
ic  woud  ic  bi  hem  wair  altois, 
en  ic  altois  mooht  bi  hem  syn; 
men  is  dair  altois  euen  Troe, 
men  drinct  dair  altois  sueten  wyn. 
Gaet  etc. 


Der  Text  dieses  Liedes,  der  BL  145  der  Hmdsekrift  steht,  hat  die  Übersehriß: 
vWilgi  hören  van  mynre  coordeti,  turf  Oi  hout*t. 


Niederländische  geiBtliche  Lieder  nebet  ihren  Singweieen  eto< 


253 


Versmaß : 


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—  W    _    v^    —  ? 

—  \^     —     N^     -.    I 


v./ 


Refrain, 


BL  101  a. 


50. 

Ay  liene  ihams^  myn  troist  alleen. 


±=3e: 


Ay    lie-ue  ihe-sus,  myn     troist    al-leen,     wout  gi    myn 


hartgen  be-wa     -      ren,      dat  mi  e'n  reen  der  son-den  gheen, 


k\  .  \ 


i 


3E^ 


e9    die  mocht  la  -  ten     va     -     len ;      want    ic      my    niet 


*    I  ■      I 


£ 


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±S1 


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be-wa  -  ren   en     can, 


so  com   mi  doch  te  hiü-pe 


dan,       dat    ic    mi  nairstelic  keer  dair  an. 


dat    ic  leef 


voirt  in  doechden  vro,    ic  wü      al  -  so,     en     can    niet    yo, 


254      Wilhelm  Bäumker,  Kiederländ.  geistL  Lieder  nebst  ihren  Singweisen  etc. 


t 


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rr 

en    wil   mi    dair  niet    in      spa     -     ren. 


1.  Aj  lieue  ihesus,  myn  troest  [BL  150a.] 

alleen, 
woud  gl  mjn  hartoen  bewaren, 
dat  mj  en  reen  der  sonden  gheen 
end  die  mocht  laten  varen; 
want  ic  mi  niet  bewaren  en  can, 
soe  com  mi  doch  te  hulpe  dan, 
dat  ic  my  nairstelic  keer  dair  an, 
dat  ic  leef  yoert  in  doechden  vro, 
ic  wil  also,  en  can  niet  yo, 
en  wil  my  daer  niet  in  sparen. 

2.  O  here,  mocht  to  dyn  huld  verwemen, 
soe  waer  my  also  wael  ghesciet, 

en  ic  my  sette  al  op  een  steruen 
en  leefde  voirt  sonaer  yerdriet. 
neen,  neen,  hi  en  wüs  mi  [BL  150b.] 

henghen  niet, 


die  mi  dick  doet  soe  groet  yerdriet. 
nochtan  en  wü  ics  Uten  niet, 
ic  wil  mi  keren  mit  ylyt  totti. 
och  bl^  mi  bi,  dat  bid  ic  di, 
help  mi,  ic  sals  ghewaghen. 
3.  Myns  hoepens  troist  en  is  niet  deyn, 
dyn  trou  is  alsoe  ouer  groet, 
yander  doechd  te  soeiden  is  onreyn; 
ic  neyg  myn  hoeft  in  uwen  scoet, 
dyn    min    en    heeft    gheens    sorgen« 

gaer, 
die  anxt  is  seiden  sonder  haer; 
myn  wtuercoren  suete  yair, 
djn  stadighe  min  die  maect  mi  yio, 
tis  also,  des  bin  ic  yro, 
en  sal  gheen  ontrou  an  di  yinden. 


BL  150  steht  der  vollständige   Text  mit  der    Überschrift 
hertgen  vrouwelynj  du  fcHstes«. 

Versmaß:      w  —  \^_\y—   %«/  — 


•Du  haenste  rmfn 


v-y    —  v^  —  W  -.  v> 

N-/— .>^  —  V./  —  V-/  — 

V-/    _  v-/  —  \-/  _  v> 

\J   ^    \^  ^  \y  .^  \J  —' 

V.1/  _  v-/  —  V.>'  —     v^ 


In  JBezug  auf  die  we\flen  Note»  vergkü^  man  die  Einleitung.  S.  163. 

JDie  übrigen  Lieder  der  Berliner  Handschrift  sowie  Text -Anmerkungen  und 
Glossar  folgen  im  IIL  Hefte,  Seite  287. 


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Bie  Entstehung  einer  Mozart^schen  Eonzertarie. 


Von 

Friedrieh  Spiro. 


üntei  den  Konzeitarien  Mozart's  nimmt  eine  nach  Fonn  und 
Inliak  eigenthümliche  Stellung  diejenige  ein,  welche  zuletzt  in  der 
kritischen  Gesammtausgahe  von  Breitkopf  und  Härtel  als  Nr.  34  der 
sechsten  Serie  publizirt  und  in  Röchel's  thematischem  Kataloge  als 
Nr.  505  aufgeführt  ist.  Das  Autograph,  in  der  königlichen  Biblio* 
thek  zu  Berlin  befindlich,  trägt  die  tlberschrifk: 

Redtativo  con  Rondo.  Composto  per  la  Sig^^  Storace  dal  suo 
servo  ed  amico  W.  A.  Mozart,  U  26  d%  dec^  786. 

Sie  ist  weitaus  die  längste  aller  Konzertarien,  die  Mozart  ge- 
schaffen hat,  und  schon  dieser  äuBere  Umstand  läßt,  wenn  man  auch 
nicht  zu  viel  Werth  auf  ihn  legen  darf,  immerhin  auf  eine  besondere 
Theilnahme  des  Komponisten  an  dem  Werke  schließen.  Denn  selbst 
die  mächtigen,  zum  Theil  etwas  bombastisch  gehaltenen  Bravourstiicke, 
die  er  zu  verschiedenen  Zeiten  seines  Lebens  für  Aloisia  und  für 
die  Cavalieri  schrieb,  stehen  an  äußerer  Ausdehnung  hinter  diesem 
Werke  zuriick,  das  dagegen  nicht  den  Anspruch  erhebt,  ein  Bravour- 
stück zu  sein:  die  Singstimme  bleibt  vielmehr  von  Koloraturen,  Or- 
namenten etc.  fast  vollständig  frei  und  liegt  für  einen  Sopran  auf- 
fsillend  tief;  nur  einmal  erscheint  gegen  den  Schluß  hin,  aus  seiner 
Umgebung  herausfallend  und  offenbar  als  letzter  j»Effektc,  das  zwei- 
gestrichene i,  dessen  mühelose  Angabe  damals  durchaus  nicht  als 
eine  besondere  Leistung  galt  (brachten  es  doch  die  oben  erwähnten 
Sängerinnen  bis  zum  dreigestrichenen  /),  so  daß  wir  die  Stimme  der 
Storace  durchaus  als  einen  zweiten  Sopran  anzusehen  haben.  Was 
aber  äußerlich  an  der  Arie  zu  allermeist  auffällt,  ist,  daß  sie  neben 
dem  Orchester  noch  von  einem  obligaten  Klavier  begleitet  wird; 
auch   dieses   Vorgehen   findet   in   Mozart's    Werken   nirgend   seines 


256  Friedrich  Spiro, 


Gleichen.     Dazu  kommt;  daß  das  Klavier  sich  hei  näherer  Betrach- 
tung als  nicht  eigentlich  zur  Begleitung  gehörig  herausstellt;  es  ist 
nicht  mit  dem  Orchester  sondern  mit  dem  Conto  zusammenzunehmen : 
es  trägt  mit  der  Singstimme  zusammen  ein  Duett  vor  und 
wird  seihst  vom  Orchester  hegleitet.^    Fem  steht  also  Mozart 
der   rein  koloristischen  Verwendung  des   Instrumentes,   die  dasselbe 
bei  neueren  Komponisten   gefunden  hat  und  die  nur  dazu  bestimmt 
ist,  dem  Orchesterensemble  durch  die  Einführung  einer  eigenartigen 
Klangschattirung  einen  neuen  Beiz  zu  verleihen;  er  behandelt  vielmehr 
an  dieser  Stelle  das  Klavier  genau  so  wie  Ba  ch  sehr  häufig,  %.  B.  in 
der  29.  und.  35.  Kirchenkantate,  die  Orgel  beüandelt,  d.  h.  nach  Ana- 
logie des  der  älteren  Arie  in  der  Regel  beigegebenen  obligaten  Streich- 
oder Blasinstrumentes.    Wäre  unsere  Setina  in  einer  Zeit  entstanden, 
wo   noch   alle    weltlichen    Gesang-    und    Instrumentalvorträge  vom 
Cembalo    oder    einem    ähnlichen  Instrumente    begleitet   wurden,    so 
würde  sich  Niemand  darüber  wundem,   daß  ein  Komponist  einmal 
auf  den  Einfall  käme,   dasselbe  nicht  bloß  den  Baß  mitspielen  und 
die  Harmonie  stützen  zu  lassen,  sondern  es  von  der  übrigen  Beglei- 
tung zu  trennen  und  konzertirend  zu  behandeln.    Auch  hierzu  hatte 
ja  Bach  die  Wege  gewiesen,^  ohne  freilich  zu  Mozart's  Resultat  zu 
gelangen.     Denn  immerhin  blieb  es  eine  echt  Mozart'sche  That,  den 
Klavierpart  so  zu  organisiren,    daß   er  mit  dem  Gesang  in  das  Ver- 
hältniß  eines  idealen  Gefährten  trat,  daß   das  Klavier  gleichsam  die 
Person  wird,  an  welche  die  Singstimme  ihre  rührend  zärtlichen  Ab- 
schiedsworte richtet.     In  der  That  schrieb  Mozart  ja  diese  Arie  für 
das  Konzert,  mit  welchem  die  Storace  sich  von  Wien  verabschiedete, 
und  in  dem  er  selbst   das  Klaviersolo  vortrug;    in  seinem  eigenen 
thematischen    Verzeichnisse   nennt    er   sie    auch:    jd27.  Decbr.  1786. 
Scena  con  Rondo  mit  Claviersolo  für  Mite  Storace  und  micha,    Aber 
diese  Zeit  war  eine  andere  als  diejenige  Baches;  mit  neuen  musika- 
lischen Formen  und  Prinzipien  waren  auch  neue  Arten  der  Instxn- 


^  Über  die  musikalische  Bedeutung  des  wunderbaren  Werkes,  über  die  eha- 
rakteristische  Verwendung  des  Klaviers,  über  die  psychologische  Wirkung  des  Kn- 
sembles  hat,  wie  natürlich,  Otto  Jahn  kurz  und  bezeichnend  gesprochen.  Es  ist 
belehrend  und  unterhaltend,  nach  den  von  ihm  gegebenen  Gesichtspunkten  die  Arie 
auf  ihre  Einzelheiten  zu  untersuchen  und  namentäioh  die  fein  empfundenen  Besflge 
des  Gesanges  wie  des  Klaviers  auf  den  Text  festzusteUen.  Einielne  Besultale 
solcher  Beobachtungen  werden  im  Folgenden  gelegentlich  mltgetheilt  werden. 

2  Bekannt  ist  vor  Allem  das  Arioso  aus  der  Johannespassion  mit  Orchester 
und  obligater  Laute,  aber  am  n&chsten  hierhergehörig,  wenn  auch  kein  völlig 
genau  entsprechender  Fall  sich  findet,  sind  die  weltlichen  Kantaten  mit  Orchester 
und  Klavier,  welche  die  Baehgesellsohaft  in  ihrem  11.  und  29.  Jahrgänge  paW- 
eirt  hat. 


Die  Entstehung  einer  Moiart'achen  Koniertarie.  257 


mentatdon  allmählich  YOigedruBgen,  das  Cembalo  mit  dem  General- 
baß ak  Orehesterstütie  existirte  nicht  mehr,  und  namentlich  bei 
Mozart  muß  eine  derartige  Zusammenstellung  höchst  auffallend  er- 
scheinen. Es  verlohnt  sich  daher,  zu  untersuchen,  was  ihn  wohl  zu 
derselben  veranlaßt  haben  könne. 

Da  ist  es  nun  zunächst  bemerkenswerth,  daß  Mozart  gerade  den 
Text  dieser  Arie  schon  einmal  komponirt  hatte,  und  zwar  etwa  ein 
halbes  Jahr  früher.  Es  handelt  sich  hier  um  die  Scene,  welche  er 
an  den  Ajdäxkg  des  zweiten  Aktes  der  Oper  Idomeneo  nachträglich 
einlegte,  und  welche  in  der  Breitkopf  und  Härtel'schen  Ausgabe 
derselben  (Serie  V,  13)  als  Nr.  XIII  des  Anhangs  edirt  ist,  bei  Köchel 
Nr.  490 J  Über  ihre  Entstehung  und  Einschiebung  ist  nach  Otto 
Jahn  wesentlich  Neues  nicht  zu  bemerken;  nur  für  ihre  Charakte- 
ristik sei  es  mir  gestattet,  eine  Kleinigkeit  hinzuzufügen,  welche  auch 
praktisch  nicht  ohne  Konsequenzen  bleiben  wird.  Die  Scene  ist  kurz 
diese:  Ilia  wirft  dem  Idamante  seine  Liebe  zu  Elettra  vor;  er 
antwortet  mit  dem  Recitativ:  »CA'io  mi  scardi  dt  ieft  und  schließt 
nach  einigen  Unterbrechungen  durch  Hia,  denen  er  im  Recitativ  ant- 
wortet, die  Arie:  TiNon  temer,  amato  benet  an  (den  vollständigen  Text 
s.  weiter  unten).  Nun  befremdet  es  auf  den  ersten  Blick,  daß  die 
Arie  des  Idamante,  also  einer  Tenorrolle,  welche  in  jener  Auf- 
fuhrung vom  Baron  Pulini  gesungen  wurde,  im  Sopranschlüssel  ge- 
schrieben ist,  und  Jahn  erklärt  diese  Thatsache  daraus,  daß  die 
ganze  Partie  des  Idamante  ursprünglich  für  einen  Sopran,  folglich 
in  diesem  Schlüssel  geschrieben  war.  Dem  ist  entgegenzuhalten, 
daß,  als  Mozart  seine  Oper  für  jene  Wiener  Aufführung  einer  ein- 
gehenden Revision  und  theüweisen  Umgestaltung  imterzog,  er  die 
Umarbeitung  von  Idamante's  Partie  für  einen  Tenor  nicht  nur  strikte 
durchführte,  sondern  auch  in  den  für  diesen  Zweck  nachkomponirten 
mehrstimmigen  Sätzen  seine  Stimme  stets  im  Tenorschlüssel  auf- 
schrieb. Ich  glaube,  die  Anwendung  des  Sopranschlüssels  hat  hier 
einen  ganz  anderen  Grund,  und  zwar  den.  daß  Mozart,  obgleich  er 
seine  Arbeit  in  der  Absicht  begann,  eine  Tenorarie  zu  schreiben, 
im  Verlaufe  derselben  durch  verschiedene  gleich  näher  zu  bezeich- 


^  Der  S-öchersohe  Katalog  kann  hier  insofern  irre  führen,  als  in  dem  Ver- 
seichniß  der  Gesänge  nach  den  Textanf&ngen  unter  Non  Umer  nur  die  Nummern  366 
und  505  genannt  sind,  505  ist  die  Arie  mit  Klavier,  366  die  Oper  Idomeneo;  bei 
der  Beschreibung  der  letzteren  ist  jedoch  mit  keinem  Worte  der  hier  in  Rede 
stehenden  Soene  gedacht,  welche  ihrerseits  die  Nummer  490  trägt.  Vielleicht  ver- 
anlaßt diese  Bemerkung  die  Herren  Verleger,  in  den  noch  nicht  verkauften  Exem- 
plaren dieses  Kataloges  auf  Seite  545  unter  Non  temer  die  Zahl  490  naditragen 
SU  lassen. 


258  Friedrich  Spiro, 


nende  Momente  unwillkürlich  von  der  Voretellung  der  männlichen 
auf  die  der  weiblichen  Stimme  und  so  zur  Schöpfung  einer  Sopran- 
arie  geleitet  wurde.* 

Vieles  trägt  dazu  bei,  diese  Hypothese  zu  unterstützen,  nicht  nur 
der  erst  so  erklärte  Sopranschlüssel.  Gerade  die  hier  vorliegende  Situ- 
ation kam  in  der  zeitgenossischen  Opera  seria  so  oft  vor  und  hatte 
Mozart  selbst  schon  zu  so  vielen  Sopranarien  inspirirt,  daß  man  wohl 
begreift,  wie  er  auch  hier  einem  altgewohnten,  unwiderstehlichen 
Triebe  folgte,  der  zudem  ganz  berechtigt  war;  denn  in  der  That  ent- 
sprechen die  Textworte  einem  weiblichen  Empfinden  besser  als  dem 
eines  wenn  auch  noch  so  süßlich  schmachtenden  Operntenors,  wie 
man  ihn  in  Wien  damals  liebte.  Andere  Indicien  werden  im  Ver- 
laufe der  Analyse  zu  Tage  treten. 

Das  Recitativ  ist  noch  wirklich  für  Idamante  gedacht,  erst  im 
Verlaufe  desselben  abstrahirte  Mozart  von  dieser  Vorstellung  und  die 
Arie  schrieb  er  dann  für  einen  geahnten,  kaum  wirklich  vorgestellten 
Sopran.  Beweiskräftig  ist  hierfür  der  Text.  Hätte  Mozart  noch  an 
Idamante  und  Ilia  gedacht,  so  hätte  er  jenen  singen  lassen  müssen  : 
Non  temer,   amata.     Er  schreibt  aber  amato,    und  zwar  regelmäßig, 


^  Wenn  man  ähnlieh  von  Beethoven  erz&hlt,  daß  er  einst  aufgefordert  ein 
Quartett  zu  schreiben  sich  zweimal  an  die  Arbeit  gemacht,  aber  das  eine  Mal  ein 
Trio,  das  andere  Mal  ein  Quintett  zu  Tage  gefördert  hätte,  und  mehrere  Biographen 
auf  diese  Anekdote  die  weitgehendsten  psychologischen  Kombinationen  aufgebaut 
haben,  so  l&Ot  sieh  ihre  Wahrheit  aus  mehreren  Gründen  bezweifeln.  Erstens  ist 
sie  diplomatisch  schlecht  beglaubig^,  und  dann  sprechen  die  zum  Beleg  angefühzten 
Werke  dagegen.  Das  Trio  soll  Op.  3,  das  Quintett  Op.  4  sein.  Op.  3  kann  nie 
anders  entworfen  gewesen  sein,  das  zeigt  die  Stimmführung  in  jedem  Satze;  zudem 
ist  es  im  Kassationsstile  gehalten  und  bekundet  sich  in  Tonart,  Anlage  und  Haltung 
als  eine  ebenso  direkte  und  offene  Nachbildung  des  Mozart'schen  Dirertimento 
fflr  Streichtrio,  wie  Beethoven's  Quintett  Op.  16  für  Klavier  und  Blasinstnunente 
gegenüber  dem  gleichartig  besetzten  von  Mozart ;  hier  wie  dort  ist  Beethoven  hinter 
Mozart  weit  zurückgeblieben,  wie  inmier,  wenn  er  ihn  bewußt  nachahmte.  Hierüber 
ein  andermal  Näheres.  —  Op.  4  kann  schon  deshalb  nie  eine  andere  Gestalt  als  die 
jetzige  im  Geiste  seines  Autors  gehabt  haben,  weil  es  sehr  schnell  gearbeitet  und 
nach  dem  Oktett  für  Blasinstrumente  Op.  103  arrangirt,  audi  naehher  von  Beet- 
hoven zum  Klaviertrio  eingerichtet  worden  ist  (die  Echtheit  des  in  die  Gesammt- 
ausgabe  nicht  aufgenommenen  Op.  64  glaube  ich  an  anderer  Stelle  erwiesen  su 
haben) ;  überdies  folgte  Beethoven,  und  das  giebt  den  Ausschlag,  auch  bei  der  Ab- 
fassung von  Op.  4  genau  dem  Beispiel  Mozart's;  denn  dieser  hat  sein  schönstes 
Oktett,  die  Serenade  in  C-moU,  nächst  der  großen  in  ^-dur  wohl  das  Bedeutendste 
was  er  für  Blasinstrumente  geschrieben,  zu  einem  Streiohquintett  eingerichtet  und 
mit  einem  Theile  der  ^-dur- Serenade  den  gleichen  Prozeß  vollzogen.  Fällt  also 
die  Analogie  Beethoven's  fort,  so  läßt  sich  eher  an  Beriioz  denken,  der,  von 
Paganini  um  ein  Bratachenkonzert  mit  Orchester  gebeten,  unwillkürlich  eine  Or- 
chestersymphonie mit  obligater  Bratsche  producirte. 


Die  Entstehung  öiner  MfoBart'schen  Koniertarie.  259 


SO  oft  auch  diese  Antede  wiederkehrt.^  Ebenso  beweist  aber  dei 
Text,  däS  das  RecitatiT,  wie  natürlich,  noch  für  Idamante  gedacht 
war;  denn  er  ruft  ans:  »che  a  lei  mi  donit«  Da  fiQlt  es  denn  auf, 
daB  er  später  fortführt:  »Venga  la  morte,  intrepida  Tattendoa;  und 
in  der  That,  das  Autograph  zeigt  untrüglich  intrepido.  Als  Moeart 
den  Text  zum  zweiten  Male,  nun  ganz  für  Sopran  komponirte,  änderte 
er  auch  ^frohlweislich  lei  in  /m,  sowie  intrepido  in  intrqnda\  außer- 
dem ließ' er  nicht  bloß,  was  sich  von  selbst  rerstand,  die  Zwischen- 
rufe der  liia,  sondern  auch  die  naive  Äußerung  Idamante's  weg :  liFosti 
il  mio  primo  amore^  e  TtdHmo  mraia.  Der  Zug  ist  bezeichnend  für 
die  intime  Art  seines  Arbeitens  und  die  Vornehmheit  seines  Em- 
pfindens. 

Die  Thatsache,  daß  Mozart  denselben  Text  in  einem  Jahre  zwei- 
mal komponirte,  konnte  der  Gelehrsamkeit  Otto  Jahn 's  nicht  ent- 
gehen^ der  sie  im  zweiten  Bande  seines  Werkes  kurz  registrirt ;  allein 
zu  einer  speziellen  Vergleichung  der  beiden  Dokumente  hat  sie  ihn 
so  wenig  wie  Köchel  veranlaßt.  Eine  solche  wird  sich  aber  in 
mehr  als  einer  Beziehung  fruchtbringend  erweisen;  sie  wird  als 
Hauptresultat  feststellen,  daß  die  Arie  mit  Klavier  nach  dem 
Modell  der  Arie  Idamante's  bearbeitet  ist,  während  Jahn  nur 
behauptet  hatte,  daß  sie  dieselbe  in  Ton  und  Haltung  weit  über- 
träfe; sie  wird  femer  durch  die  Beobachtung,  wie  das  eine  Kunst- 
werk allmählich  aus  dem  anderen  entsteht,  bezeichnende  Streif- 
lichter auf  Mozart's  Arbeitsweise  fallen  lassen  und  uns  somit  in  einem 
'für  Mozart,  der  ja  wenig  auf  dem  Papier  zu  skizziren ,  vielmehr  in 
der  Regel  innerlich  auszuarbeiten  und  erst  Fertiges  niederzuschreiben 
liebtC;  sonst  nicht  leicht  erreichbaren  Umfange  Gelegenheit  geben, 
dem  Grenie  auf  seinen  geheimnißvollen,  vielverschlungenen  Pfetden 
nachzuspüren. 

Einen  wesentlichen  Beleg  för  unsere  Ansicht  bietet  schon  die 
Instrumentation.  Idamante's  Arie  ist  mit  obligatem  Violinsolo  geschrie- 
ben ;  aber  das  Becitativ  entbehrt  hier  desselben  wie  dort  des  Klaviers ; 
es  ist  beide  Male  nur  vom  Streichquartett  begleitet,  —  ein  Beweis  übri- 
gens, daß  dasselbe  in  der  späteren  Arie  nicht  etwa  vom  Klavier  zu 
unterstützen  ist,  worauf  man  wegen  der  am  Anfange  von  den  Bässen 
frei  angegebenen  Tonica  leicht  verfallen  könnte.  Erst  zu  Beginn 
der  eigentlichen  Arie,  des  x^Hondo«  —  und  daß  dieser  Name  auf  das 
.spätere  Stück  nicht  eigentlich  paßt,  ihm  vielmehr  nur  durch  die  Er- 


1.  Baß  wirklich  immer  ctmato  dasteht^  kann  ieh  nach  genauer  Prüfung  des 
eben&Hs  auf  der  königlichen  Bibliothek  zu  Berlin  befindlichen  Autographs  ver- 
sichern. 


260  Friedrich  Spiro, 


innenmg  an  das  fifihi^e  gegeben  wurde,  wird  sich  sfftitei  heraiu- 
stellen  —  tritt  das  Soloinstrument  und  zugleich  auch  4i<6.  Gruppe 
der  Blasinstrumente  hinzu:  beide  Male  zwei  Klarinetten,  zwei  Fa- 
gotte, zwei  Hörner,  also  das  damals  für  Kammermusiken  besonden 
beliebte  Sextett,  welches  noch  Beethoyen  sowohl  zu  seinem  Op.  71 
selbständig,  wie  zu  den  Chören  » Opferlied a  (erste  Strophe)  und 
»Bundeslied«  als  Begleitung  verwendete.^  Für  die  spätere  Arie  ist 
hiermit  die  bewußte  Anlehnung  an  die  frühere  ersichtlich ;  für  diese 
aber  belegt  der  Einsatz  der  konzertirenden  Violine  aufs  Sicherste  die 
oben  schon  aus  andern  Gründen  vermuthete  Trennung  des  Mozart- 
schen  Instinktes  von  dem  vorliegenden  äußeren  Gegenstand  und  das 
Auftauchen  der  neuen  selbständigen  Duett^Idee.  Hätte  nämUch 
Mozart  noch  hier  die  Anrede  des  Idamante  an  Dia  im  Sinne  gehabt, 
so  hätte  er  nicht  die  Violine  als  imaginäre  Person  einfähren  können, 
welche  angeredet  wird  und  in  ihrer  Sprache  Antworten  giebt.  Das 
thut  sie  aber  aufs  Deutlichste,  man  beachte  nur  den  Verlauf  des 
Stückes.  Die  Idee  von  dem  Duett  zwischen  Sii^^stimme  und  Instru- 
ment, die  ja  auch  durch  manche  Musterstücke  der  älteren  Arien- 
technik nahe  gelegt,  aber  freilich  in  so  individueller  Gestalt  noch 
nicht  ausgeführt  war,  hat  also  Mozart  nicht  erst  für  das  Konzert  der 
Storäce  erfunden,  sondern  von  einer  früheren  Gelegenheit  her  über- 
tragen und,  allerdings  in  sehr  sinngemäßer  Weise,  ausgebildet.  Nun 
aber  endlich  zu  den  Details,  welche  ja  alle  unsere  Ansichten  eist 
bekräftigen  müssen. 

Schon  die  Anfangsworte  des  Redtativs  stimmen  in  der  Kompo- 
sition genau  überein.  Ohne  daß  irgend  etwas  vorgeeeichnet  ist,  seist 
das  Orchester  auf  dem  Asdurdreiklang  ein,  geht  durch  die  zweite 
Versetzung  des  Dominantseptimenakkordes  in  diesen  über,  und  wäh- 
rend es  dann  pausirt,  singt  Idamante: 


;r-^    ÜI^T    f    fS 


Ch'io  mi     8Cor-di     di    te ! 

Fräulein  Storace  aber: 


3 


^g^^ 


* 


Ch'io  mi     Bcor-di     di    te? 


^  Weshalb  der  Katalog  der  HfirteFsehen  Mosartausgabe  su  der  Arie  »Non 
temer«  eine  stärkere  Bereitung  aiq^ebt,  vermag  ich  ebenso  wenig  einiuiehen  wie 
das  gleiche  Vorgehen  bei  dem  a  cappella-Tenett  Ser.  7,24. 


Die  Entstehung  einer  HosäiVschen  Xonsertarie.  26 1 

•  Während  hierauf  in  der  früheren  Arie  dieee  Harmonienfolge 
wiederholt  und  bei  der  dann  fblgefiden  Phrase  unter  neuer  Wieder* 
holung  der  Stiihnie  durch  Erhöhung  der  Dominante  nach  F-moU 
übergegangen  wird,  tritt^  in  der  zweiten  dieser  Übergang  sofort  ein; 
daran  schließen  sich  die  oben  angegebenen  Auslassungen ,  welche 
auch  eine  andere  Folge  der  musikalischen  Motive  bedingten.  Bei 
den  Worten  Venga  la  morte  seist  beide  Male  6-moll  mit  Forte  und 
AUegro  assai  ein,  nach  intreptdo  tattendo  aber  Es-dur;  die  nun  fol- 
genden Worte  ma  cKio  possa  stniggenni  ad  altra  face,  ad  altro  oggetio 
dwutr  gli  affetti  miei!  sind  auf  fast  kongruente  Harmonien  gesetat, 
dort  auf: 


hier  auf: 


7 

5»- 

6 

l' 

5 

b 

G 

e 

/, 

«K 

51' 

7^ 

> 

tt 

t> 

G 

C 

/, 

worauf  zu  den  Worten  Cotne  ientarlo?  wieder  Andante  von  F-moU 
nach  OmoU  übergegangen  wird.  Bezeichnend  ist  es  dabei,  daß  diese 
Frage  in  beiden  Arien  zweimal,  als  Sequenz,  komponirt  ist,  offenbar 
um  in  dramatischer  Auffassung  ihre  Dringlichkeit  anzudeuten ;  freilich 
ist  der  Ausdrück  dem  Komponisten  das  zweite  Mal  durch  das  Auf- 
steigen des  Motives  sehr  viel  besser  gelungen.  Das  Becitativ  schließt 
beide  Male  in  G-moU. 

Was  den  früheren  Forschem  die  Ähnlichkeit  der  beiden  Werke 
verschleierte,  war  einerseits  die  Tonart  des  Bondo,  welches  dort  in 
B-dur,  hier  in  Es-dur  steht,  andrerseits  die  Verschiedenheit  des 
Themas.  Verschieden  sind  die  Hauptthemen  wohl  in  melodischer 
Hinsicht)  viel  weniger  aber  in  harmonischer  und  rhythmischer,  was 
man  selbst  bei  flüchtiger  Vergleichung  leicht  erkennt.  Zudem  wer- 
den beide  in  genau  acht  Takten  vom  konzertirenden  Soloinstrument 
exponirt,  ehe  die  Singstimme  es  unter  den  Figurationen  des  letzteren 
übernimmt.  Freilich  ist  es  ein  Unterschied,  daß  in  der  zweiten  Arie 
das  Bitomell  auf  der  Dominante,  in  der  ersten  aber  auf  der  Tonica 
schließt;  doch  ist  beiden  gemeinsam  der  Übergang  des  Bitomells  in 
den  Gesang  durch  die  fallenden  Terzenskalen  einer  bis  dahin  nicht 
angewendeten  Orchestergruppe.  In  melodischer  Beziehung  tritt  die 
Ähnlichkeit  der  Themen  vom  fünften  Takte  an  durch  das  stufen* 


262  Friedrich  Spiro, 


weise  Aufsteigeii,   von  der  Tonica  zur  Teiz,  von  dieser  aui  Quinte, 
und  durch  das  Ziuückfallen  über  die  Sexte  in  den  Grundton  klar 
zu  Tage.     Im  Folgenden  ist  außer  harmonischen  Bezügen  nament- 
lich charakteristisch  das  amoebaeische  Deklamiien  einer  melodischen 
Wendung  von  anderthalb  Takten,  wobei  (bezeichnenderweise  zu  dea 
Worten  Piü  non  reggo  a  tonte  pene)  Singstimme  und  Instrument  mit 
dem  Dreiklange  und  Dominantakkorde  in  der  Weise  altemiren,  daü 
sie  sich  jedesmal  zu  Beginn  des  zweiten  Taktes    mit  dem  Einsati 
ihrer  vollen  Phrase  gegenseitig,   echt  duettmäBig   unterbrechen,  bis 
bei  den  Worten  talma  mia  mancando  va  beide  dieses  muntere  Spiel 
verlassen,    um   vereint  und  doch   getrennt   in    ausgeführter  Kadern 
durch  ernste  Harmonien,    theilweise   in  Moll,   zur  Grundtonart  zu- 
rückzukehren.    Freilich   läßt   sich    überall   erkennen,    wie    sorgsam 
Mozart  bei  der  neuen  Schöpfung  feilte,   verbesserte,   ausführte,  das 
dramatische  Element   belebte  und  in  den  Yordei^rund  rückte,  das 
musikalische   ciselirte;   gerade   die  zuletzt  erwähnte  Stelle  mit  ihrem 
vorzüglich  geeigneten  Vorwurf  bietet  einen  sprechenden  Beleg  dafür; 
allein  gerade  je  sicherer  diese  Belege,  um  so  sicherer  auch  die  That- 
sache  der  Umarbeitung.  —  Und  nun  folgt  der  bewundernswürdigste 
Moment.     Die  Violine  läßt  auf  der  ersten  Versetzung  des  Dominant- 
Septimenakkordes,   und  das  Klavier    auf  dem  Nonenakkorde,    kurz 
nach  einander  abgerissene  zarte  Vorschlagsnoten  ertönen,'  die  um  die 
Dominante  gruppirt,  wie  Seufzer  klingen  und  dann,  beruhigend,  auf- 
wärts in   die  beide  Male    auf  dem  zweiten   Taktviertel  einsetzende 
Dominante  übergehen;    darauf  ruft  die  Singstimme:   Tu  sospiri?  — 
Die  psychische  Wirkung  dieser  Stelle  ist  unbeschreiblich;  zugleich 
bestätigt  sie  aber  auch  unsere  beiden  Vermuthungen,  erstens  das  Duett- 
verhältniß  von  Violine  und  Sopran  in  der  ersten  Arie,  und  dann  die 
direkte  Anlehnung  der  zweiten  an  diese ;  man  halte  zu  der  eben  vom 
Orchester  gegebenen  Schilderung  noch  die  Noten  des  Gesanges,  dort: 


^S^  I  r  r  ^  — jrH^ 


hier: 


p — " '    — '  '""'•  |3 


Tu    80  -  spi-ri?  Tu    so  -  «pi-ri? 

Sofort  geht  es  (0  dual  funesto!)  durch  das  Seufzermotiv  des  Instru- 
mentes nach  G-,  beziehungsweise  C-moll,  aber  bei  pefisa  atmen  ivie- 
der  nach  Dur.  Auf  che  istante  i  queUo  ensteht  ein  drohendes  Cre- 
scendo, das  uns  durch  F-,  beziehungsweise  C-moll  zu  fremden  Ton- 
arten führt.  Es  folgt  ein  beruhigendes  Zwischenspiel  des  Instrumentes, 
und  zu  Non  mi  posso,  oh  Dio,  spiegar  wieder  friedliches  Dur  und 
Piano,  das  uns  bequem  zu  Tonart  und  Thema  des  Anfangs  geleitet 


Die  Entstehung  einer  Mosart'Bchen  Konsertarie.  263 

Der  erste  Abschnitt  desselben  wird  wiederholt,  «iber  ssu  anderem  Ab- 
schliiese  gebracht,  worauf  mit  den  Worten  Stelle  bar  bare  apietate^ 
perehe  mai  tanio  rigor?  zum  zweiten,  schnelleren  Satze  übergegangen 
wird.  Dieser  Übergang  bleibe,  wie  der  Tempowechsel  selbst,  nicht 
unbeachtet.  Beide  Male  verändert  Mozart  den  Vers  Stelle  barbare, 
spietaie  in  dramatischer  Manier  zu  den  getrennten,  und  zwar  durch 
entsprechende  Orchesterzwischenspiele  getrennten,  Ausrufen  Stelle 
barbare  xmd  stelle  apietate;  die  Umarbeituo^  wird  deutlich,  wenn 
man  beachtet,  daß  er  das  Violinsolo  mit,  das  Klaviersolo  dagegen 
in  erregten  Oktavenpassagen  über  dem  Orchester  gehen  läßt.  Ja 
auf  die  Gefahr  hin,  philologischer  Kleinigkeitskrämerei  beschuldigt 
zu  werden,  gestehe  ich,  eine  gesteigerte  Leidenschaft  darin  zu  er* 
blicken,  daß  er  hinter  stelle  spietate  das  erste  Mal,  wie  sein  Text- 
dichter, ein  Komma,  das  zweite  Mal  ein  Ausrufungszeichen  setzt. 
Der  Übergang  schließt  hier  wie  dort  auf  der  entsprechend  vorberei- 
teten Dominante. 

Der  zweite  Satz,  Allegro  moderato,  bezw.  All^pretto,  bringt  zu 
der  Strophe: 

Alme  helle  che  vedete 
Le  tnie  pene  in  tal  momentOf 
Dite  voi,  se  egual  tormento 
Pub  soffrir  un  fido  cuorf 

zunächst  je  ein  neues  Thema  in  der  Grundtonart,  das  wiederum  in 
acht  Takten  vom  Instrumentalsolo  exponirt,  dann  von  der  Singstimme 
aufgenommen  wird.  So  weit  hätte  nun  diese  Übereinstimmung  nichts 
Auf&Uendes;  aber  die  neuen  Themen  sind  in  ihren  ersten  drei  Tönen 
wie  in  ihrem  Einsätze  identisch ;  nachher  kommen  zwar  wieder  melo- 
dische Abweichungen,  rhythmisch  aber  und  harmonisch  bleiben  sie 
einander  fast  vollständig  gleich;  man  beachte  bei  beiden  den  abwärts 
schreitenden  Dreiklang  des  Basses.  Den  ersten  acht  Takten  des 
Gesanges  gegenüber  hält  sich  das  Soloinstrument  theils  b^leitend, 
theils  thematisch  antwortend.  Sofort  nach  deren  Beendigung  aber 
ergeht  sich  dasselbe  in  bewegten  Figurationen,  die  natürlich  der  je- 
weiligen Spielart  angemesen  sind,  aber  dennoch  zuweilen,  wie  im 
zweiten  Takte,  einander  auf  die  Note  gleichen.  Nach  weiteren  vier 
Takten  geht  es  in  die  Tonart  der  Dominante,  zunächst  in  deren 
Dominantseptimenakkord,  der  drei  Takte  lang  zu  Grunde  liegt  (in  der 
ersten  Arie  ist  es  seine  zweite  Versetzimg),  dann  in  ihren  Dreiklang. 
Die  zweite  Arie  bringt  hier  einen  sechs-,  die  erste  einen  zweitaktigen 
Rückgang  zur  Haupttonart  und  ihrem  Thema,  von  welchem  sie  acht, 
die  erste  nur  vier  Takte  wiederholt.  Hierauf  geht  es  im  Forte  mit 
diatoniiBch  absteigendem  Basse  (nicht  nur  dieser  und  seine  Takttheile, 


264  Friedrieh  Spiro, 


sondern  anch  die  Harmonien  sowie  der  Kontrapunkt  der  Geigen 
und  die  Achtelbewegung  der  Hörner  stimmen  überein)  in  die  parallele 
Molltonart,  dort  6,  hier  C,  und  unter  lebhaften  Figuren  des  Instru-- 
mentes  —  auf  der  Violine  steigenden  Skalen,  auf  dem  Klarier  fallen- 
den Arpeggien  —  singt  die  Stimme  Yon  Neuem  Stelle  barbare  etc., 
wieder  mit  dem  beseichnenden  Unterschiede  in  der  Interpunktion. 
Dieser  Zwischensate  mit  dem  anschlieBenden  Übergange  nimmt  in 
dem  früheren  Werke  zwölf,  in  dem  späteren  zehn  Takte  ein;  die 
Harmoniefiihnmg  ist  sehr  ähnlich,  bis  auf  einige  Detailzüge  über- 
einstimmend. 

Bis  hierher  war  die  Übereinstimmung  der  beiden  Werke  in 
Anlage  und  Durchfährung  eine  wenn  auch  nicht  wörtliche,  so  doch 
stetige;  keine  umfangreichere  Abweichung,  keine  wirkliche  Diskre* 
panz  war  zu  konstatiren.  Jetzt  tritt  ein  Wendepunkt  ein ;  die  beiden 
Werke  unterscheiden  sich  gerade  im  Nächstfolgenden  merklich  yod 
einander,  jedoch  so,  daß  gerade  dieser  Unterschied  als  nur  durch  die 
Anlehnung  an  ein  Muster  erklärbar,  zu  einem  wesentlichen  Beweis- 
mittel der  Existenz  jenes  Verhältnisses  wird,  das  wir  darcusteUen 
suchten.  Denn  es  kommt  uns  nicht  darauf  an,  Ähnlichkeiten  der 
zweiten  Arie  mit  der  ersten  vorzuzeigen,  sondern  die  Thatsache  fest- 
zustellen, daß  sie  durch  bewußte  Benutzung  und  Bearbeitung  aus 
jener  entstanden  sei,  daß  hier  ein  Verhältniß  vorliege,  wie  bei  den 
freien  Selbstbearbeitungen  Baches  oder  Beethoven's.  Und  dazu  hilft 
uns  der  folgende  Unterschied  ebensowohl  wie  die  bisher  beobachteten 
Ähnlichkeiten. 

Es  fahrt  nämlich  jetzt  die  Arie  Idamante's  wiederum,  echt  ron- 
domäßig, in  ihr  erstes  Thema  zurück,  von  welchem  sie  acht  Takte 
wiederholt,  um  dann  im  Qrchester  zu  einem  neuen  Abschnitt,  einem 
dritten  Thema,  und  zwar  in  der  Tonart  der  Subdominante,  überzu- 
gehen. Die  Arie  in  Es-dur  dagegen,  die  ja  überhaupt  den 
Nameni»Rondo«^  nur  durch  ihre  Ableitung  aus  der  ersten 
empfangen  hat,  ohne  ihn  vermöge  ihrer  Form  selbst  zu 
verdienen,  unterläßt  diese  Wiederholung  und  geht  sofort,  nicht 
wie  jene  diatonisch  sondern  chromatisch  im  Basse  absteigend,  in  den 
neuen  Theil  über,  der  aber  auch  bei  ihr  in  der  Subdominante  steht; 
hier  wie  dort  werden  in  demselben  die  Anfangsworte  Nan  temer  etc. 
gesungen.  Und  hier,  gegen  den  Schluß  hin.  entfaltet  sich  nun  der 
künstlerische  Flug   des  schaffenden  Geistes  immer   freier  und  groß- 

^  Der  Bondoform  hat  sich  MoEart  wie  Beethoven  mit  großer  Vorliebe  bedient; 
n  welcher  Weise  sie  dabei  gerade  nach  formaler  Seite  hin  neuerten,  bedarf  immer 
noch  der  besonderen  Untersuchung,  die  besonders  bei  Beethoven  zu  überraschenden 
Ergebnissen  führen  wird. 


Die  Entstehung  einer  Mozart'schen  Konzertarie.  265 


artiger,  immer  unabhängiger  von  der  Vorlage.  Diese  neue  Kompo- 
sition des  Non  temer  ist  in  der  zweiten  Arie  nicht  nur  um  vier 
Takte  länger  als  in  der  ersten,  sondern  auch  viel  bedeutender  er- 
funden und  instrumentirt,  nicht  nur  nach  Seite  der  thematischen  Ge- 
staltung und  Klangschönheit,  sondern  namentlich  wieder  nach  der 
dramatischen  hin,  der  individuell  ausmalenden ,  charakterisirenden. 
So  wird  hier  nach  den  Worten  per  te  setnpre  il  cuor  sarä  (S.  112, 
Takt  2)  nicht  wieder  in  das  Hauptthema  zurückgegangen,  sondern 
wieder  befreit  sich  der  Komponist  von  der  Fessel  des  Bondo  und 
setzt,  einmal  im  Zuge,  statt  der  Anfangsworte  eine  neue  Komposition 
derjenigen  Worte  hierher,  welche  im  ersten  Theile  des  Gedichtes  auf 
die  zuletzt  angeführten  folgten.  Hatte  er  doch  hier  in  weit  höherem 
Grade  Grel^enheit,  seine  leidenschaftliche  Seelenschilderung  in  Tönen 
durchzufuhren,  wenn  er  die  Worte  Piü  non  reggo  —  a  tonte  pene  — 
Talma  mia  mancando  va.  Tu  sospirif  oh  duol  funesto!  etc.,  die  ihm 
nicht  Opemtext  sondern  innerste  Herzensergießung  waren,  aufs  Neue 
mit  gesteigerter  Erregung  nachdichtete.  Wie  mächtig  der  Fortschritt 
gegen  die  erste  Komposition,  wie  gewaltig  der  Ausdruck,  wie  fein- 
sinnig die  Verarbeitung  auch  der  einzelnen  dort  angegebenen  Mo- 
tive ist,  mag  man  sich  durch  Nachlesen  selbst  zu  Gemüthe  fuhren; 
die  genaueste  Beschreibung  könnte  doch  nur  andeuten.  Nur  auf 
eine  besonders  reizvolle  Einzelheit,  die  noch  nicht  beobachtet  zu  sein 
scheint,  möchte  ich  mir  gestatten  aufmerksam  zu  machen,  nämlich 
daß  in  der  so  zuversichtlich  und  innig  klingenden  Antwort  des  Kla- 
viers auf  die  Worte  Non  temer ^  S.  111  im  drittletzten  Takt  und 
ebenso  im  zweiten  und  dritten  Takte  der  folgenden  Seite  eine  offen- 
bare Weiterbildung  desjenigen  Motivs  erscheint,  welches  im  Andante 
ebenfalls  dem  Klavier  anvertraut  war  und  zwar  dort  als  Antwort  auf 
den  Ruf  Pensa  almen  (S.  104,  im  vorletzten  Takt).  —  Dieser  ganze 
Abschnitt  also  fehlt  in  der  ersten  Arie.  Man  wende  nicht  ein,  daß 
er  dort  durch  die  Wiederkehr  des  Ilauptrondothemas  ersetzt  sei; 
dieses  tritt  nicht  an  seine  Stelle^  sondern  folgt  derselben:  auch  in 
der  Arie  mit  Klavier  erscheint  nämlich  hier  das  erste  Thema  auf 
Älme  belle  etc. ;  doch  setzt  es  Mozart,  wie  eben  die  Folge  der  Verse 
zeigt,  nicht  aus  formalen  Gründen  her.  So  ergab  gerade  diese  Ver- 
gleichung  aufs  Neue  nicht  nur  die  direkte  Anlehnung  Mozarts  an 
sein  früheres  Werk,  sondern  auch  die  für  das  spätere  erfolgte,  aber 
nicht  in  bewußter  Arbeit,  sondern  in  unwillkürlichem,  leidenschaft- 
lichem Drange  erfolgte  Neukomposition  des  zuletzt  besprochenen  Ab- 
schnittes. Die  Art,  wie  derselbe  mit  dem  wiederkehrenden  Haupt- 
thema cverbunden  wird,  ist  charakteristisch  für  die  Stimmung  und 
Thätigkej;t  des  Komponisten,  nämlich  durch  den  schmerzlichen  Aus- 
1888.  \  IS 


26ft  Friedrich  Spiro, 


ruf  Ah!^  der,  nur  Von  der  zweiten  Klarinette  unterstützt,   mitten  in 
der  soi^am  geführten  Sequenz  mit  seinem  äs  auf  das  g  des  Klaviers 
stößt.     Und  so  geht  es  nun  fort.     Durch  die  Wiederkehr  des  ersten 
Themas  fühlt  sich  Mozart  nicht  etwa  gebunden;    dazu  hat  ihn  die 
Leidenschaft  schon  zu  weit  fortgerissen.     Nur  die  ersten  acht  Takte 
entsprechen   sich  vollständig;    dann    aber  wiederholt  die  erste  Arie 
auch  die  folgende  Periode  von   zwölf  Takten^   hier  auf  die  Strophe 
Alme  belle  —  un  fido  cuor^   und   erst  da,  wo  im  Anfange  mit  SUÜ^ 
barbare  nach  G-moll  gegangen  wurde,  verläßt  sie  ihn,  um  die  Coda 
hinzuzufügen.     In  dem  neuen  Werke  aber  komponirte  Mozart  auch 
die  Wiederholung  jener  Worte  ganz  neu,  wie  er  die  Form  neu  schuf; 
und  so  kann  man,  wenn  man  will,  in  ihm  die  Coda  bereits  hier  be- 
ginnen lassen.     Die  Worte   derselben  sind   beiden  Arien  gemeinsam, 
und  nicht   die   Worte  allein.     Die   Ähnlichkeit    erstreckt   sich  zwar 
nicht  mehr  auf  einzelne  melodische  und  rhythmische  Motive  —  das 
war  nach   dem  Vorangegangenen  geradezu    unmöglich  —   aber  auf 
Haltung  und  Charakter  des  Ganzen,  auf  die   innere  Stimmung  und 
äußere  Gestaltung.    Das  Wichtigste  ist  hierbei,  daß  Mozart  sich  von 
der  im  Texte  ausgesprochenen  Situation  hier  völlig  trennt  und  nicht 
mehr  auf  entsprechende  Ausfuhrung  der  ihm  vorgelegten  Ideen  aus- 
geht.    Gleichmäßig  in  beiden  Arien,   äußerlich  wohl  noch   mehr  in 
der  zweiten,  geistig  aber   ebenso  stark  in   der  ersten,  schwingt  sich 
seine  Begeisterung  allmählich  zu  einem  Jubel,  einem  Entzücken  auf, 
das  durchaus   den  Charakter  der  Bejahung  und  Erfüllung  trägt  und 
nichts  zu  thun  hat  mit  dem  schmerzlich  resignirten  Brüten  der  Frage 
se  egtial  tormento  pud  soffrir  un  fido  cuor.     Zu  Beginn  der  Coda  ist 
noch  die  Empfindung   des   Zweifels  und  der  Frage  wohl  herauszu- 
hören, das  erste  Mal  aus  dem  Motive 


I.  D 


di  -  te      voi    s'e-gual  tor  -  men-to 
das  zweite  Mal: 


tri' 


'-9^\?ß^-ß=:z 


4 


AI  -  me     bei  -  le    che    ve  -  de  -  te 

beide  liegen  über  der  Tonica,  beide  werden  von.  den  ersten  Geigen 
unterstützt.  Aber  bald  löst  sich  die  Empfindung;  Takt  für  Takt 
kann  man  das  Anschwellen  der  freudigen  Erregung,  den  Aufschwung 
der  Künstler seele  verfolgen,  die  sich  in  ihrem  besseren  Triebe  über 
die  monotone  Schwermuth  des  Textes  erhebt,  Alles  was  nicht  Musik 


Die  Entstehung  einer  MoEart'schen  Konzertarie. 


267 


ist  weit  hinter  sich  läßt  und  endlich  in  einem  triumphirenden  Ab- 
schlüsse erst  ihre  volle  Befriedigung  findet.  Es  ist  eine  Emanzipation, 
ähnlich  derjenigen,  welche  anstatt  der  geplanten  Scena  Idamante's 
eine  Sopranarie  entstehen  ließ ;  so  schuf  Mozart  in  dieser  Coda  ein 
Musikstück  bei  dem  der  Text,  nachdem  er  seine  Schuldigkeit  als 
anregende,  Richtung  gebende,  aber  dadurch  auch  hemmende  Folie 
gethan  hat,  nun  im  Stich  gelassen  und  nur  noch  als  für  die  Sing- 
stimme unentbehrliches  Objekt  behandelt  wird.  Dem  entsprechen 
auch  die  Mittel  des  Ausdrucks,  namentlich  die  sonst  in  der  ganzen 
Arie  fehlenden  aufsteigenden  Koloraturen,  die  in  Folge  dessen,  wie 
auch  wegen  ihrer  melodischen  Gestaltung,  durchaus  als  integrirender 
Bestandtheil,  als  empfundene  Musik,  und  nicht  als  virtuose  Beigabe, 
etwa  im  Sinne  einer  applausreizenden  Schlußkadenz^  zu  fassen  sind. 
Daß  diese  Koloraturen  ihren  Höhepunkt  auf  soffrir  erreichen,  ist  für 
die  eben  gekennzeichnete  Behandlung  des  Textes  durch  Mozart  recht 
charakteristisch.  Übrigens  haben  sie  in  der  ersten  Arie  eine  Gestalt, 
in  der  sie  für  den  Tenor  schwierig  und  undankbar,  auch  von  Mozart 
niemals  angewendet  sind,  während  sie  für  den  Sopran  günstig  liegen 
und  in  solcher  Verwendung  zu  den  bekanntesten  Mitteln  Mozartischer 
»Manier«  gehören. 

Die  folgende  Tabelle  hat  den  Zweck,  die  Zergliederung  beider 
Arien  nach  der  Folge  ihrer  einzelnen  Theile  einfach  und  übersicht- 
lich dem  Leser  vor  Augen  zu  führen,  ohne  auf  irgend  welche  Details 
oder  auf  das  rein  Musikalische  in  ihnen  und  dessen  Wechselbe- 
ziehungen einzugehen.  Sie  soll  nur  die  Disposition  beider  in  aller 
Kürze  klar  legen  und  so  das  gegenseitige  Verhältniß  ver£^nschaulicben 
helfen;  so  diene  sie  dem  bisher  Gesagten  theils  zur  Erklärung,  theils 
zur  Ergänzung.  —  I  bezeichnet  die  Arie  Idamante's,  II  die  der  Sto-- 
race:  das  Übereinstimmende  ist  durch  Kursivdruck  bezeichnet. 


I. 

Recitativ^ 
für  Tenor  mit  Streichquartett, 
Langsames  Zeitmaß, 
Text:  CKio  mi  scordi  di  tef 
—  Ah!  di  dolor  morreiy  mit  Unter- 
brechungen durch  II ia. 

Rondo  ^  B-dur, 

yUr    Sopran     mit    Streichquartett^ 
2  Klarinetten,  2  Fagotten,  2  Hör- 
nern und  Yio\in-Solo, 


II. 

Mecitativ, 
für  Sopran  mit  Streichquartett. 
Langsames  Zeitmaß. 
Text:  CKio  mi  scordi  di  te? 
—  Ah !  di  dolor  morrei.  nur  sinn- 
gemäß verkürzt. 

Mo?idoj  Es-dur, 
für    Sopran    mit    Streichquartett, 
2  Klarinetten,  2  Fagotten,  2  Hör- 
nern und  Klavier-A^ö/o. 

IS* 


268 


Friedrich  Spiro, 


1)  Andante, 
Achitaktiges  Ritomell  des  Solo- 
instrumentes  mit  dem  Hauptthema. 
Hauptthema  im  Sopran  mit  Fi- 
ffurationen    und    charakteristisehen 
Antworten  des  Soloinstr. 
Text: 
Non  temer,  amato  bene, 
Per  te  sempre  il  cuar  sarä; 
Piü  non  reggo  a  tante  pene, 
Valma  mia  mancando  va. 
Tu  sospirif  o  duol  funesto ! 
Pensa  almen  che  istante  e  questo, 
Non  mi  posso,  oh  Dio,   spiegar. 
Stelle  barbarej  spietate, 
Perche  mai  tanto  rigor? 

2)  Allegro  moderato. 
Erstes  Thema^   acht  Takte^   im 
Soloinstr.,  dann  in  der  Singstimme, 
erst  einfach  begleitet,  dann  mit  be- 
wegten Figuren  des  ersteren. 
Text: 
Alme  belle  che  vedete 
Le  mie  pene  in  tal  momento 
Dite  voi,  se  egual  tormenio 
Pud  soffrir  un  fido  cuor? 
Übergang   nach   der  parallelen 
Molltonart,  Zwischensatz  in  dieser. 
Text:  Stelle  barbare  —  perchk 
mai  tanto  rigor?  perche?  perchh? 
Rückgang  nach  B-dur;   erstes 
Thema  (acht  Takte). 

Zweiter  Mittelsatz  in  der  Ton- 
art der  Subdominante;   Text: 
Non  ferner  —  il  cuor  sara. 
Frsf£S  Thema,  Grundtonart,  acht 
Takte  auf  Alme  belle  etc.;  Fort- 
setzung der  Wiederholung. 

Kurze,  triumphirende  Coda  mit 
aufsteigenden  Koloraturen  und  Se- 
kundentriller. 


\  id. 


1)  Andante. 


>id. 


2)  Allegretto. 
Erstes  Thema,   acht  Takte,  im 


'  id. 


id. 


Übergang  nach  As-dur. 


} 


id. 


Non  temer  —  perchfe?   perche  t 
Erstes  Thema,  Grundtanart,  acht 
Takte  auf  Ahne  beUe  etc.; 

Ausfuhrliche,  triumphirende  Co- 
da  mit  aufsteigenden  Koloraturen 
und  Sekundentriller. 


Die  Entstehung  einer  Mozart'schen  Konzertarie.  269 

Die  Beispiele  einer  Umarbeitung  eigener  Werke  durch  Mozart 
sind  im  Verhältniß  zu  der  Zahl  seiner  Kompositionen  zwar  gering, 
aber  an  sich  doch  immerhin  beträchtlich;  gerade  unter*  den  Konzert- 
arien befindet  sich  eine,  Un  bacio  di  mano  (Ser.  VI  Nr.  40),  kompo- 
nirt  im  Mai  1788,  deren  Hauptthema  in  einer  Ausdehnung  von 
sechszehn  Takten  als  Schlußsatz  des  ersten  Theils  der  bekannten 
C-dur- Symphonie  wieder  erscheint.  Die  Kürze  der  Zeit,  welche 
zwischen  beiden  Stücken  liegt,  sowie  die  ^nzliche  Freiheit  der  Um- 
-arbeitung,  die  das  neue  Werk  als  ein  ganz  selbständiges  erscheinen 
läßt,  geben  diesem  Schritte  eine  gewisse  Analogie  zu  dem  oben  be- 
sprochenen. Aber  der  einzige  mir  bekannte  Fall  war  es,  daß  Mozart 
ein  Violinsolo  zu  einem  Klaviersolo  umschuf;  eine  Arbeit  die  wir  bei 
J.  S.  Bach  in  zahlreichen  Exemplaren  sehen,  wie  ja  noch  1807  so- 
gar Beethoven,  vielleicht  nach  Baches  Muster,  sein  Violinkonzert  zu 
einem  Klavierkonzert  arrangirte.  Die  Art  aber,  wie  Mozart  die  Um- 
arbeitung vollzog,  entfernt  sich  von  der  Baches  und  Beethoven's 
gleichmäßig;  sie  ist  für  ihren  Vefrfasser  im  höchsten  Maße  bezeich- 
nend und  nimmt  jedenfalls  in  der  Geschichte  der  Transskription,  die 
noch  zu  schreiben  ist,  und  die,  in  Bach  einen  ihrer  Höhepunkte  er- 
blickend, dann  bei  Mozart  wie  bei  Beethoven  mit  Interesse  zu  ver- 
weilen hätte,  einen  ganz  eigenartigen  und  hervorragenden  Platz  ein. 
Mozart's  Selbstbearbeitungen  sind,  wie  gesagt,  nicht  sehr  zahlreich, 
aber  alle  lehrreich,  wie  die  Baches,  und  im  Gegensatze  zu  denen 
des  letzteren  alle  von  einander  verschieden  in  Stoff,  Haltung  und 
Erfolg. 


Kritiken  und  Referate. 


Jvxm  F,  Riano,  Critical  and  bibliographical  notes  on  early  Spa- 
nish  music.  Wil^  numerous  illustrations.  London,  Bernard  Quaritch. 
1887.     154  S.  in  8«. 

Die  Musikgeschichte  ist  mit  keinem  europäischen  Kulturlande  so  wenig  Ter- 
traut,  als  mit  Spanien.  Es  erscheint  das  um  so  verwunderlicher,  als  die  moderne 
Tonkunst  diesem  Lande  mancherlei  zu  verdanken  hat.  Besonders  treten  seit  Ende 
des  fünfzehnten  Jahrhunderts  Musiker  spanischer  Herkunft  in  auffallend  großer 
Zahl  auf,  welche  nicht  bloß  dem  Musikleben  ihrer  Zeit,  sondern  der  ganzen  mo- 
dernen Musik  die  bedeutsamsten  Anregungen  gegeben  haben.  Freilich  muß  es 
zweifelhaft  erscheinen,  ob  wirklich  das  Vaterland  dieser  Mfinner  einen  wesentUehen 
Antheil  an  ihren  Verdiensten  um  die  Musik  beanspruchen  dürfte,  denn  sie  alle 
wirkten  fast  ausschließlich  in  Italien.  Mag  man  auch  die  Ansicht  haben,  daß  ein 
solches  Zusammentreffen  musikalischer  Genies  und  Talente  ein  und  derselben  Na- 
tion einen  einheitlichen  Grund  haben  müsse,  der  am  natürlichsten  in  der  gemein- 
samen Nationalität  und  in  den  Eindrücken,  welche  sich  jenen  Männern  schon  in 
der  Kindheit  einpflanzten,  zu  erblicken  ist,  so  bleibt  diese  Ansicht  doch  eine  Ver- 
muthung  so  lange,  bis  die  musikgeschichtliche  Entwickelung  Spaniens  als  eine  be- 
deutende klargelegt  ist 

Den  ersten  beachtenswerthen  Anlauf  zu  einer  Musikgeschichte  Spaniens  machte 
Don  Marcelino  Menendez  y  Pelayo  {Hietoria  de  las  Ideas  EaUiicas  en  Espak^ 
Madrid t  1883).  Der  zweite  Versuch  ist  das  hier  vorliegende  Werk  Biano's;  eine 
erschöpfende  Behandlung  des  Gegenstandes  ist  also  nicht  zu  verlangen.  Auf  eine 
solche  hat  es  der  Herr  Verfasser  aber  auch  nicht  im  entferntesten  abgesehen,  da 
er,  wie  er  mit  gewinnender  Bescheidenheit  ausdrücklich  erklärt,  nicht  Fachmann 
ist.  Der  Zweck  seines  Buches  ist  nicht,  Urtheile  abzugeben,  sondern  solche  anzu- 
regen, indem  er  die  Aufmerksamkeit  der  Wissenschaft  auf  die  Schätze  der  spa- 
nischen Bibliotheken  lenkt.  Wir  haben  es  also  mit  einem  bibliographischen  Werke 
zu  thun,  einer  Art  illustrirten  Kataloges  über  mittelalterliche  Handschriften  und 
seltene  Drucke  früher  Zeit. 

Schon  bei  erster  Durchsicht  des  Buches  ist  man  überzeugt,  daß  die  bisherige 
Meinung  über  die  Armuth  spanischer  Bibliotheken  an  musikalischen  Handschriften 
eine  irrige  ist  Herr  Riano  föhrt  uns  Beschreibungen  und  meist  auch  Schriftproben 
von  über  70  mittelalterlichen  Handschriften  vor,  welche  sich  zum  größten  Theil  in 
den  folgenden  Bibliotheken  befinden :  Cathedrale  zu  Toledo  (34) ,  Bibl.  nazionale  lu 
Madrid  (15),  Bibl.  del  Escorial  (7),  Bibl.  de  la  Real  Academia  de  la  Historia  (5); 
die  übrigen  Handschriften  sind  vereinzelt  in  verschiedenen  Büchereien.  Auf  ^e 
einzelnen  Jahrhunderte  vertheilen  sich  die  Handschriften  so:  Jahrhundert  X/XI.  12, 


Critical  and  bibliographical  notes  on  early  Spanish  music  von  J.  F.  Riaüo.     271 


XI/XII.  12,  Xm.  10,  XIV.  23,  XV.  12,  XVL  4.  Diese  stattliche  Anzahl  von  Co- 
diee»  ist  also  sehr  wohl  im  Stande,  uns  einen  einigermaßen  sicheren  Einblick  in 
die  praktische  Musik  Spaniens  vom  10 — 16.  Jahrhundert  zu  geben,  und  selbst  ohne 
sie  in  eigener  Person  einzusehen,  können  wir  einen  flüchtigen  Blick  wenigstens 
über  die  äußerlichen  Bedingungen  der  spanischen  Musikschrift  jener  Jahrhunderte 
durch  die  Faesimtlia  gewinnen,  die  der  Herr  Verfasser  seinem  Werke  in  reich- 
licher Anzahl  eingefügt  hat.  Hierzu  dürften  einige  allgemeinere  Bemerkungen  nicht 
gans  unnützlich  sein. 

Literarische  Erscheinungen  auf  dem  Gebiete  früherer  mittelalterlicher  prak- 
tischer  Musik   gehören   so  sehr  zu  den  Seltenheiten,    daß  selbst  minderwerthige 
Forschungen  und  Veröffentlichungen  über  diesen  Zweig  der  Musikwissenschaft  Be- 
achtung   erfordern,    sobald  sie  nur   einige  Aussicht  auf   Selbständigkeit  geben. 
Während    andere   philologische  Fächer  eine  eifrige  Thätigkeit   im  Sammeln  yon 
Quellen  für  die  Kenntniß  des  frühen  Mittelalters  —  dessen  wissenschaftliche  Be- 
deutung ja   überhaupt   erst  in   unserem  Jahrhundert  ernstlich   ins    Auge   gefaßt 
wurde  —  enthalten,  steht  allein  die  Musikwissenschaft  dem  Mittelalter  etwas  ver- 
sagt   gegenüber.     Das  Interesse   ihrer  Untersuchungen   richtet   sich  nahezu  aus- 
schließlich auf  Veröffentlichung  oder  Beurtheilung  der  theoretischen  Werke  mittel- 
alterlicher Musik.     Aber  die  Hoflbung,   auf  diesem  Wege  zu  einer  wahren  Er- 
kenntniß  von   der  Beschaffenheit   jener  Tonkunst  zu  gelangen,    scheint  mir  als 
trügerisch   bezeichnet  werden    zu   müssen.     Man    möge  nie  vergessen,    daß   die 
Kunst  in  erster  Linie  eine  nqa^if,  eine  Thatkraft  ist,  und  als  solche  muß  die 
Forschung  sie  zuerst  zu  verstehen  und  beleuchten  suchen.  Die  yyiaais,  die  zeitgenös- 
sische Theorie  kommt  also  erst  in  zweite  Beihe,   schon  deshalb,  weil  dieselbe  fast 
stets  entweder  rück-  oder  vorwärts  schaut  und  für  die  ihr  gleichzeitige  Kunstaus- 
übung selten  eine  treue  Abbildnerin  ist.     Ihr  Zweck  ist  hauptsächlich,   frühere 
Anschauungen  für  die  Zukunft  nutzbar  zu  machen.    Die  Gegenwart  aber  gehört 
der  Praxis.    Daher  läßt  sich  aus  den  idealisirenden  Werken  der  mittelalterlichen 
Mnsiktheoretiker  eben  nur  eine  vorzugsweise  ideelle  Musikgeschichte  gewinnen; 
die  reelle  Musikgeschichte  muß  sich  vielmehr  zumeist  an  die  oft  derbe  und  stück- 
weise,   sprunghafte  Wirklichkeit  der  praktischen  Tonwerke  halten.    Daß  die  bis- 
herige Forschung  überhaupt  die  Musikgeschichte  des  Mittelalters  theoretisirt  hat, 
wird  am  ersten  demjenigen  fühlbar  werden,  welcher  einmal  die  so  naheliegende 
Frage  beantwortet  zu   sehen  wünscht:    »Wie  sah  die  Musik  damals  aus  und  wie 
klang  sie«?    Die  Antwort  besteht  meist  in   einigen  lithographirten  Neumenfrag- 
menten  oder  wohl  gar  Holzschnitten,   die  vielleicht  mehr  den  Zweck  haben,  den 
Fragesteller    durch    ihre   Kuriosität    zu    verblüffen  und  den  Beantworter  in   das 
Licht  einer  geheimnißvoUen  Forscherthätigkeit  zu  setzen,   als  der  Wissenschaft  zu 
nützen.     Deutlich   spiegeln  sie  die  Verlegenheit  der   musikalischen  Schriftsteller 
wieder,  bei  denen  die  geistlose  Schriftprobe  für  eine  Probe  ihrer  Wissenschaft  ein- 
treten muB.    Gewinn  ist  aus  solchen  Neumenpröbchen,  die  sich,  oft  nur  vom  Um- 
fange einiger  Wörter,   allerwärts  von  Praetorius  an  bis  auf  die  neueste  illustrirte 
Geschichte  der  Musik  herab  vorfinden,  nur  selten  zu  ziehen.     Ich  habe  es  mir  an- 
gelegen sein  lassen,  die  bisher  veröffentlichten  Neumenbruchstücke  zu  sammeln; 
dabei  sah  ich  sehr  bald  ein,  daß  es  unmöglich  ist,  dieselben  zur  Grundlage  wissen- 
schaftlicher Erforschung  der  Neumen  zu  machen.     Zum  Theil  leiden  sie  an  Un- 
genauigkeit  der  Wiedergabe,  Mißverständnisse  von  Zeichen  über  dem  Sprachtexte 
die  gar  keine  Neumen  sind  u.  dgl.  begegnen  öfters,  und  je  lebhafter  die  Probe  das 
Interesse  erweckt,  desto  lebhafter  entsteht  der  Wunsch,   das  Original  kennen  zu 
lernen.     So   erscheint   in   den   meisten   Fällen   die  Veröffentlichung  von  kleinen 
Neumenbruchstücken  als  »Proben  mittelalterlicher  Musik  und  ihrer  Tonscbrift«  nur 


272  Kritiken  und  Keferate. 


wie  eine  Zeit-  und  QeldTerschvrendung,  mit  welcher  man  die  Neugierde,  nielit  aber 
die  'Wissenschaft  befriedigt.  Zum  mindesten  darf  man  wohl  Terlangen,  daß  da, 
wo  es  an  der  Fähigkeit  geistiger  Erfassung  des  Originales  fehlt,  um  so  treuer  die 
Wiedergabe  sei,  und  Hiano  hat  ganz  Recht,  wenn  er  die  Forderung  au&tellt,  man 
solle  sich  beim  Facsimiliren  Yon  Neumen  nur  der  Photographie  u.  ä.,  nicht  aber 
der  lithographischen  Nachzeichnung  bedienen :  Thia  study  can  neeer  he  auccettßd 
tmless  made  on  ihe  manuscripU  thenuelcea  or  on  good  Photographie  facsimUes  of  ikt 
same,  for  I  fear  the  leiters  may  lose  part  of  their  charaeter  hy  being  rsproduced  by 
engravings.  Das  Lambillottesche  Antiphonar  von  St.  Gallen  kann  hierzu  einen 
Beleg  geben;  denn  offenbar  hat  der  Lithograph,  der  doch  von  Neumen  gewifi 
nichts  verstand  und  ohne  Aufsicht  auf  Lambillotte's  Bechnung  arbeitete,  eine  wenig 
zutrauenerweckende  Edition  jenes  Antiphonars  geliefert. 

So  mag  wohl  manches  Neumenfacsimile  gegen  den  obersten  Grundsatz  des 
philologischen  Edirens  verstoßen :  nämlich  den  Forschem  die  Originalhandzdurift 
möglichst  entbehrlich  zu  machen.  Indessen  läßt  sich  bei  einem  ausgedehnten 
Neumendenkmale,  wie  es  z.  B.  LambiUotte's  Antiphonar  eben  ist,  mancherlei,  was 
der  Kopirende  versah,  vermöge  einer  selbständig  eingehenden  Kritik  wieder  gut 
machen  oder  wenigstens  als  unwesentlich  ausscheiden.  Diese  Möglichkeit  ist  aber 
bei  Schriftbruchstücken  oder  gar  bei  den  zweizeilenlangen  Pröbchen  natürlich  aus- 
geschlossen ;  —  und  doch  bilden  gerade  diese  die  große  Mehrzahl  von  dem,  was 
bisher  an  Neumenmaterial  für  umfassende  musik-paläographische  oder  -geschieht* 
liehe  Studien  vorliegt.  Das  triift  sogar  schon  bei  den  Originalhandschriften  selbst 
zu.  Ausgedehnte  Denkmäler  der  Neumation  sind  im  Großen  und  Ganzen  nicht 
aUzu  häufig.  Für  das  frühere  Mittelalter  finden  sich  derartige  Hauptquellen  wohl 
ausschließlich  nur  in  den  größten  Bibliotheken  Italiens,  besonders  Roms,  vor ;  fOr 
das  10.  bis  12.  Jahrhundert  trägt,  nach  Ausweis  des  vorliegenden  Werkes  von  Hiano 
auch  Spanien  bei;  seit  dem  12.  Jahrh.  kommen  die  französischen  Bibliotheken  in 
Betracht ;  Deutschland  wird  nur  vereinzelte  Hauptquellen  aufweisen  können.  Häufig 
aber  stößt  man  auf  neumirte  Fragmente,  und  ihre  Benutzung  ist  schon  dann  schwer 
genug,  wenn  man  sie  im  Original  vor  sich  hat.  Denn  nicht  nur  jedes  Land,  son- 
dern fast  jeder  einzelne  Musikkulturbezirk,  manchmal  sogar  der  einzelne  Schreiber 
hat  seine  eigenen  Neumenformen,  ein  Umstand,  der  ja  in  der  Sprachsehrift  sdn 
Analogon  findet  Diese  Bruchstücke  sind  ohne  vorangängige  Untersuchimg  der 
Hauptquellen  mit  Sicherheit  nicht  zu  klassifiziren.  Erst  wenn  man  sein  Urtheü 
gebildet  hat  an  den  großen  Denkmälern,  die  der  Natur  ihrer  Bestimmung  nach 
meist  sehr  sorgfältig  geschrieben  sind,  erst  dann  kann  man  sich  an  die  Beurthei- 
lung  der  flüchtigeren  und  weniger  kontrolirbaren,  gewissermaßen  vagabondirenden 
Bruchstücke  wagen.  Nur  auf  diese  Weise  wird  es  möglich,  die  schier  endlose 
Anzahl  verschiedenartigster  Neumenformen  durch  Vergleichung  und  Sonderung  auf 
eine  weniger  umfangreiche  Gruppe  von  Tonwerthzeiohen  zurückzuführen,  die  zwar 
unter  verschiedenen  Gestalten  aber  immer  wieder  unter  der  gleichen  Bedeutung 
und  in  gleichem  Gebrauche  vorkommen.  So  gelangt  man  zu  einem  Einheitsalphabet 
der  Neumen,  das  man  dann  mit  leichter  Mühe  zu  einer  druckfähigmi  Neumation 
verwenden  kann.  Die  Druckneumen  m'ürden  genau  in  demselben  Verhältniß  zu 
den  Schreibneumen  stehen,  wie  imsere  Druckschrift  der  Sprache  zu  der  vielleicht 
noch  mehr  verzweigten  Vielgestaltigkeit  der  Schreibschrift  der  verschiedenen  Zeiten 
und  Völker.  Erst  dann,  wenn  die  soeben  beschriebene  »mittlere  Neumation«  ge- 
funden ist.  wird  auch  die  Musikforschung  im  Stande  sein,  die  praktischen  Werke 
der  mittelalterlichen  Tonkunst  in  den  Bereich  ihrer  allgemeinen  Betrachtungen  zu 
ziehen.  Bis  dahin  ist  sie  auf  den  Sammelfleiß  und  das  daraus  entspringende 
Urtheil  Einzelner  auf  Treu  und  Glauben  angewiesen,  —  sicherlich  ein  wenig  wissen- 


Critical  and  bibliographical  notes  on  early  Spanish  music  von  J.  F.  Kiano.      273 


sehaftHcher  Zustand.    Denn  die  Hoheit  der  Wissenschaft  beruht  in  der  Kontroi- 
ffthigkeit  ihrer  Ideen. 

Aus  den  dargelegten  Betrachtungen  ergiebt  sich  der  Werth  des  der  allgemeinen 
Beurtheilung  zur  Verfügung  gestellten  und  uns  Torliegenden  Werkes  von  selbst. 
Der  Herr  Verfasser  giebt  etwa  30  Kopien  Ton  Neumenschriftbruchstücken,  s&mmtlich 
Ton  nur  geringem  Umfange.  Das  erste  Beispiel  (Fig.  1)  und,  weil  der  ältesten  der 
angezeigten  Handschriften  angehörig,  auch  eines  der  wichtigsten,  besteht  aus  zwei 
Figuralbuchstaben,  die  dem  Musikforscher  ziemlich  gleichgiltig  sein  können,  und 
einigen  znsammenhanglosen  Sprachsilben  mit  4—5  Neumenzeichen.  Wie  |eine  solche 
Probe  einen  Begriff  von  dem  musikalischen  Werthe  der  betreffenden  Handschrift, 
auf  den  es  doch  hier  abgesehen  ist,  erwecken  kann,  das  ist  nicht  einzusehen. 
Ahnlich  steht  es  um  andere  Beispiele,  aber  glücklicherweise  bilden  sie  nur  Aus- 
nahmen. Durchschnittlich  halten  sich  die  Proben  im  Umfange  von  ä — 4  Schrift- 
zeilen, kommen  also  doch  wenigstens  den  kleinsten  Originalbruchstücken  an  In- 
halt ungefähr  gleich,  sodaß  sich  die  Zugehörigkeit  der  einzelnen  Handschrift  zu 
dieser  oder  jener  Neumenart  meistentheils  feststellen  läßt.  Aber  auch  das  würde 
noch  nicht  genügen,  um  die  Veröffentlichung  des  Werkes,  d.  h.  die  Mühe  und 
Kosten  sowohl  der  Hersteller  als  der  Käufer,  zu  rechtfertigen,  wenn  nicht  ein 
überaus  einfaches,  aber  bisher  noch  nie  recht  angewendetes  Verfahren  den  Herrn 
Verfasser  allen  Tadels  überhöbe. 

Ich  nenne  das  Verfahren  ein  einfaches  und  hier  zweckmäßiges,  nicht  ein  durchweg 
empfehlenswerthes.  Die  Anordnung  der  Beispiele  geschieht  durch  chronologische 
Aneinanderreihung  der  vorgefundenen  Handschriften.  Da  nun  dieselben  in  ihrer 
Gesammtheit  auf  einem  einzigen  Boden  entstanden  sind,  so  erhält  man  im  Verfolg 
der  Schriftzüge  einen  leidlich  sicheren  Überblick  der  Neumenschriftentwickelung 
in  Spanien.  Würde  man  in  gleicher  Weise  mit  dem  deutschen,  französischen  u.  a. 
Handschriftenmateriale  verfahren,  so  ließe  sieh  zweifellos  etwas  Besseres  damit  er- 
reichen, als  man  mit  allem  Eklektizismus  bisher  erlangt  hat;  aber  unumgänglich 
w&re  dabei  die  Forderung  zu  berücksichtigen,  daß  solche  Nationalstudien  sich 
mindestens  einer  gleichen  Vollständigkeit  befleißigten,  als  sie  in  dem  Werke  des 
Spaniers  zu  Tage  tritt.  Denn  ohne  ein  ernstes  Streben  zur  möglichsten  Zusammen- 
fassung des  vorhandenen  Handschriftenmaterials  in  den  einzelnen  Ländern  soll  man 
derartige  Dinge  am  besten  gar  nicht  erst  beginnen;  und  diesen  Ernst  —  eine 
Quelle  mühe-  und  entsagungsvoller  Arbeit  —  hat  bisher  noch  niemand  gezeigt. 
Kein  Wimder  also,  daß  auch  Herr  Kiaüo  auf  halbem  Wege  stehen  geblieben  ist. 
Es  ist  zu  glauben,  daß  Spaniens  wichtigste  Bibliotheken  von  ihm  im  wesentlichen 
benutzt  worden  sind,  so  daß  die  hier  mit  ihren  Namen  angezeigten  Werke  \ms 
des  ungefähren  Inhalts  derselben  versichern,  soweit  es  die  Musik  betrifft  Der 
Hauptzweck,  welchem  das  Werk  nach  der  Absicht  seines  Verfassers  dienen  sollte, 
ist  somit  zwar  erfüllt.  Aber  dem  Musikforscher  —  und  an  ihn  wendet  sich  doch 
das  Buch  in  erster  Linie  —  werden  mit  dem  Werke  Wünsche  an  die  Hand  ge- 
geben, welche  Herr  Riano,  trotz  seiner  gegentheiligen  Versicherungen,  wohl  hätte 
befriedigen  können.  Ich  meine  nicht  etwa  den  Versuch  einer  Entzifferung  der 
Neumenwerke,  denn  dieses  Verlangen  geht  über  ein  bibliographisches  Werk  hinaus; 
auch  nicht  die  genetischen  Erklärungen  der  westgothischen  Chiffem,  um  die  sich 
Herr  Riaiio  so  eifrig  bemüht  und  auf  welche  ich  sogleich  zurückkommen  werde. 
Weit  leichter,  aber  auch  mehr  wünschenswerth,  wäre  eine  Übersieht  über  die  rein 
palaographische  Entwickelung  der  Neumenschriften  gewesen,  wie  sie  sich  in  den 
vorgeführten  Handschriften  zeigt.  Ohne  Einblick  in  die  vollständigen  Vorlagen  ist 
eine  klare  Gruppirung  und  Beurtheilung  der  Handschriften,  selbst  von  der  so  äußer- 
lichen Seite  der  Paläographie  aus,  wie  gesagt  nicht  recht  möglich;  und  doch  hängt 


274  Kritiken  und  Referate. 


von  der  Überzeugung  besüglich  des  Werthes,  und  nicht  bezüglich  der  Anzahl  der 
Handschriften  das  günstige  Urtheil  der  Wissenschaft  über  die  spanischen  Hand- 
Schriftenschätze,  das  Herr  Riano  herbeiwünscht,  durchaus  ab.  Es  ist,  wie  genügend 
betont,  äußerst  schwer,  aus  kleinen  Neumenprob6n  ein  allgemeines  Urtheil  heraa»- 
zuziehen,  und  ich  wage  deshalb  das  Versäumte  nur  insoweit  nachzuholen,  als  es 
die  Pflicht  einer  produktiven  Kritik  erheischt. 

Nach  den  von  Riafio  gegebenen  Proben  zu  urtheilen  übersteigt  das  Alter 
spanischer  Handschriften  das  zehnte  Jahrhundert  nicht.  Die  älteste  Neumenform 
ist  eine  linienlose,  welche,  ähnlich  der  in  den  kaiolingischen  Landen  gebrauehtai, 
auf  irgend  ^ine  räumliche  Anordnung  der  Tonzeichen  gemäß  ihrer  Tonhöhe  keme^ 
lei  Rücksicht  nimmt.  Der  älteste  Schriftcharakter  Uebt  eine  liegende  Ricktuag 
und  breite,  etwas  unklare  Formgebung  der  Zeichen;  etwas  später,  wahrscheinUch 
erst  im  11.  Jahrhundert,  tritt  eine  steile,  sehr  saubere  und  zierliche  Neumenform 
gleicher  Gattung  auf.  War  z.  B.  der  Punkt  in  der  ersteren  Schriftart  plump  und  rund, 
so  zeigt  er  sieh  in  der  letzteren  scharf,  viereckig  und  klein.  Beide  Neumenarten 
faßt  Herr  Riano  unter  dem  Namen  der  westgothischen  Neume  zusammen.  Ihren 
Ursprung  leitet,  er.  aus  dem  westgothischen  Sprachalphabet  her,  indem  er  bei  dieser 
Behauptung  auf  einigen  Vorgängern  gleicher  Meinung  fußt,  aber  auch  betont,  daß 
er  das  diesbezüglich  entscheidende  Wort  in  keiner  Weise  für  gesprochen  erachte, 
obwohl  er  selbst  persönlich  von  der  Richtigkeit  seiner  Ansicht  überzeugt  sei.  In 
letzterem  Punkte  pflichte  ich  dem  Herrn  Verfasser  durchaus  bei.  Es  ist  ja  nicht 
unwahrscheinlich,  daß  die  westgothische  Neume  mit  dem  gleichzeitigen  Alphabet 
in  Spanien  in  irgend  einer  verwandten  Beziehung  steht,  wie  auch  die  in  den  frän- 
kischen Ländern  vorherrschende  Neumation  sich  zur  selben  Zeit  mit  Buchstaben- 
elementen verband,  die  als  Romanusbuchstaben  trotz  der  Erklärungen  des  Notker 
Balbulus  mir  noch  eine  geheimnißvoUe  Rolle  zu  spielen  scheinen.  Aber  von  der, 
wenn  auch  noch  so  sicher  festgestellten,  theilweisen  Ähnlichkeit  von  Schriftzeiches 
einen  AUgemeinschluß  auf  die  Entstehung  derselben  ziehen  zu  wollen,  halte  ich 
für  überaus  bedenklich.  Mit  diesem  Prinzipe  würde  der  phantastischen  W^iUkür  die 
Thür  geöffnet.  Wer  z.  B.  einen  Blick  auf  die  große  Anzahl  der  verschiedenartigsten 
Sprachalphabete  thut,  wird  immer  einige  Zeichen  herausfinden,  die  irgendwelchen 
Formen  meinetwegen  aus  dem  lateinischen  Alphabete  von  weitem  ähneln.  Darauf- 
hin gleich  die  Verwandtschaft  der  so  verglichenen  Alphabete  erklären  zu  wollen,  ist 
zum  mindesten  unwissenschaftlich.  F6tis  mit  seiner  Behauptung  von  der  Verwandt- 
schaft einer  mittelalterlich -griechischen  Tonschrift  mit  dem  demotischen  Alphabet 
der  Ägypter  wird  uns  unter  anderen  warnend  entgegen  treten.  Bloße  Zeichenähnlich- 
keit beweist  nichts,  sie  kann  von  jedem,  selbst  dem  Ungebildeten  mit  ebensoviel 
Grund  als  von  dem  Wissenschafter,  wie  behauptet  so  geleugnet  werden.  Unb^ 
denklich  darf  diese  Art  physischer  Beweisführung  nur  bei  zwei  gleichartigen  Schriften 
heißen,  sobald  die  Ähnlichkeit  der  Zeichen  sich  mit  wenigstens  annähernd  gleicher 
Bedeutung  derselben  verbindet  Bas  kann  natürlich  zwischen  einer  Sprach*  und 
einer  Tqnschrift  nicht  statthaben.  Hier  müssen  also  unter  allen  Umständen  noch 
andere  Übereinstimmungen  aufgewiesen  werden,  um  eine  Verwandtschaft  wahr- 
scheinlich zu  machen,  wie  das  Übereinkommen  in  der  Nacheinanderfolge  der  Zeichen 
u.  ä.  Nur  durch  Nachweis  einer  gesetzmäßigen  Entwickelung  des  einen  aus  dem 
anderen  wird  der  physische  Augenschein  aller  Zufälligkeit  entkleidet. 

So  interessant  also  die  Nebeneinanderstellung  der  westgothischen  Sprach- 
und  Tonschrift  auch  sein  mag,  so  versichert  sie  uns  doch  nicht  einmal  der  An- 
nahme, daß  jene  Neumenart  spezifisch  spanisch  sei.  Denn  abgesehen  von  einigen 
allerdings  eigenartigen  und  westgothischen  Schriftcharakteren  sehr  ähnlichen  Zei- 
chen,  ist  doch  die  Hauptmasse  der  Neumen  dieselbe,  als  sie  in  der  fränkisches, 


Critical  and  bibliographical.notes  on  early  Spanish  music  von  J.  F.  Kia&o.      275 


ja  im  Grunde  genommen  in  allen  Neumationen  erscheint.  Logischerweise  müßte 
man  also  behaupten,  daß  die  Neumen  überhaupt  in  Spanien  ihren  Ursprung  ge- 
funden haben.  Dem  widerspricht  aufs  schlagendste,  daß  ja  die  westgothische  Buch* 
stabenschrift  nicht  einmal  daselbst  vor  dem  10.  Jahrh.  auftritt,  während  die  Neu- 
mationen in  anderen  Ländern  bis  in  das  7.  Jahrh.  hinein  xu  verfolgen  sind.  Somit 
müßte  man  annehmen,  daß  umgekehrt  die  Neumen  dem  westgothischen  Alphabete 
ihr  Leben  gegeben .  haben.  Ohne  mich  auf  Weiterführung  der  gegebenen  Annahme 
oder  gar  auf  Gegenbehauptungen  einxulassen,  glaube  ich  doch  durch  die  beige- 
brachten  Erörterungen  genügend  den  Standpunkt  der  Frage  geklärt  zu  haben. 

Diese  sogenannte  westgothische  Neumation  kam  nun  im  12.  Jahrh.  außer  Ge- 
brauch. Nach  der  Eroberung  Spaniens  durch  Alfonso  VI.  im  Jahre  1085  gelangte 
daselbst  ein  französischer  Einfluß  zu  entschiedener  Geltung.  Hatte  bis  dahin  der 
sogenannte  muzarabische  Gesang,  welcher  bis  heute  in  der  Kathedrale  zu  Toledo 
traditionell  weiter  geübt  wird,  die  kirchliche  Liturgie  beherrscht,  so  trat  jetzt  all- 
mählich, besonders  durch  das  entschiedene  Vorgehen  Ton  Cluniacenser  Mönchen, 
der  galUkanische  Gesang  —  nicht,  wie  Herr  Kiano  vermuthet,  der  reine  gregoria- 
nische —  mit  seiner  provenzalischen  Neumation  an  die  Stelle  des  enteren.  Im 
13.  Jahrh.  ist,  nach  Ausweis  der  Proben  bei  Biano,  die  ältere  Notation  verschwun- 
den und  dafür  die  provenzalische  Neumation  oder  sagen  wir  besser  Punktation 
völlig  durchgedrungen.  Sie  entwickelt  sich,  schon  von  vornherein  auf  räumliche 
Anordnung  der  wenigen  gleichförmigen  Zeichen  angewiesen,  allmählich  zu  einer 
Liniennotation,  zuerst  mit  den  Schlüssel-,  dann  mit  größerer  Anzahl  von  Linien,  und 
dabei  verliert  sie  immer  mehr  von  ihrem  Neumencharakter.  Ihre  Zeichen  werden 
mit  zunehmender  Bedeutung  der  Linien  noch  bedeutungsloser,  als  sie  ohnehin 
schon  waren,  bis  sie  schließlich  im  14.  Jahrh.  der  ausgebildeten  Choralnotation  den 
Platz  räumen  muß.  Im  15.  Jahrh.  ist  dann  der  letzte  Best  der  Neumensohrift  ver- 
sehwunden. Ein  Auftreten  von  Neumengattungen  rein  fränkischen  oder  italieni- 
schen Charakters  in  Spanien  ist  in  allen  Jahrhunderten  wenig  ersichtlich. 

Hiermit  sind  wir  bei  jener  Zeit  angelangt,  wo  spanische  Musiker  anfangen, 
sich  ganz  Europa  bemerklich  zu  machen,  nämlich  beim  Ausgange  des  15.  Jahr- 
hunderts. Auffällig  ist  dabei  zuerst  ein  entschiedener  Einfluß  spanischer  Musiker 
auf  die  Gestaltung  der  Musiktheorie  in  Europa,  vorerst  in  Italien.  Schon  im 
frühen  Mittelalter,  nämlich  im  7.  Jahrb.,  ist  Spanien  in  der  Musiktheorie  durch 
den  Eklektiker  Isidor  von  Sevilla  vertreten;  auch  S.  Eugenius,  demselben  Jahr- 
hundert angehörig,  scheint  auf  die  Musik  stark  eingewirkt  zu  haben.  Nach  dem 
10.  Jahrhundert  mögen  die  Theorien  Alfarabi's  in  Spanien  angefangen  haben  ihren 
Einfluß  zu  äußern.  Im  13.  Jahrh.  ist  auf  demselben  Gebiete  Baimundo  Lull  von 
MalloTca  zu  nennen,  welcher  die  Errungenschaften  Guido's  von  Arezzo  mit  Glück 
weitergestaltet  haben  soll.  Diesen  mehr  vereinzelten  Erscheinungen  reihen  sich 
nun  im  Ende  des  15.  und  im  16.  Jahrhundert  Namen  an,  welche  zu  den  wichtig- 
sten der  Musiktheorie  überhaupt  gehören.  Nur  im  Vorübergehen  will  ich  Marcos 
Duran,  Fray  Vicente  de  Burgos,  Guillermo  Podio  erwähnen.  Stärker  als  diese 
machte  sich  der  Andalusier  Bartolom6  Bamos  de  Pareja  durch  die  Gründung  einer 
musikalischen  Professur  in  Bologna  nennenswerth ;  seit  jener  Zeit  ist  diese  Stadt 
für  die  Musiktheorie  bis  auf  heute  von  höchster  Wichtigkeit  geblieben.  Nament- 
lich aber  wirkte  Bamos  epochemachend  durch  sein  theoretisches  Werk  »De  muaica 
practica",  Bologna  1482,  wovon  das  einzige  bekannte  Exemplar  sich  in  der  be- 
rühmten Bologneser  Lyceumsbibliothek  befindet.  '  Trotz  der  Angriffe  Gafurs  und 
des  Nicolaus  Burtius  drang  seine  Forderung  einer  Temperatur  der  Töne  siegreich 
durch,  und  sie  beherrscht  ja  noch  heute  das  .Tonsystem.  Ich  verfehle  nicht,  auf 
einen  geringfügig  scheinenden  Umstand  besonders  hinzuweisen,  daß  nämlich  Bur- 


276  Kritiken  und  Referate. 


tius  sein  den  Gedanken  des  Ramos  befehdendes  Weik  sieh  veranlaßt  fühlte  fol* 
gendermaßen  lu  betiteln:  Musiees  cpugeulttm  cwn  defensüme  Guidonis  Aretmi  ad- 
versus  quendam  Hispanum  veriUttis  praevarieatorem.  Hierin  läßt  sich  ein  geiriaser 
Ideenzusammenhang  zwischen  Ramos  und  seinem  Landsmann  Lull  erkennen.  Als 
sich  nun  gegen  Gafur  und  Burtius  der  Schfller  des  Spaniers,  Job.  Spartarius  ^  er- 
hob, brach  ein  wahrer  Krieg  zwischen  Mailand  mit  Bundesgenossen  und  Bologna 
aus;  aber  der  neue  Gedanke  drang  schließlich  siegreich  durch.  Schon  aus  diesen 
nackten  Thatsachen  läßt  sich  ersehen,  daß  nicht  Gafur,  sondern  Ramos  de  Pareja 
der  Vorgänger  Zarlino's  ist,  —  neben  welch  letzterem  dann,  als  sein  bedeutendster 
Zeitgenosse  auf  dem  musiktheoretischen  Felde,  der  Spanier  Salinas  auftrat. 

Wie  Ramos,  praktisch  und  schülerbildend,  trat  kurz  nach  ihm  in  Neapel  ein 
anderer  spanischer  Theoretiker  epochemachend  auf,  Juan  de  Tapia.  Er  gab  1537  der 
Welt  das  erste  Konservatorium  für  Musik.  Die  Selbstaufopferung,  welche  er  dabei 
zeigte,  sowie  die  schnelle  Entwickelung  und  der  Anklang,  welche  auch  dieser  neue 
Gedanke  fand,  zeugen  dafür,  daß  er  ein  zielbewußter  Neuerer  war.  Man  hat  sich 
bei  Beurtheilnng  seines  Konservatoriums  des  Gedankens  an  den  heutigen  B^riff  von 
einem  solchen  zu  entschlagen.  Heute  ist  das  Konservatorium  nur  eben  eine  Musik- 
schule,  ein  Lehrinstitut  für  Musik ;  hätte  Juan  de  Tapia  eine  solche  gegründet,  so 
wäre  er  vielleicht  nicht  der  erste  gewesen.  Indem  er  aber  Armenpflege  mit  der 
der  Musik  verband,  gab  er  einer  sehr  gesunden  Idee  das  Leben.  Noch  heute 
finden  sich  in  Italien  z.  B.  Findelhäuser,  die  wahre  Pflanzstätten  der  Instrumental- 
musik im  Volke  sind.  Die  Kinder,  bei  denen  sich  musikalische  Anlagen  zeigen 
—  und  den  Samen  der  Musik  hat  ja  die  Natur  über  das  ganze  Land  gestreut,  — 
werden  zu  kleinen  Orchestern  vereinigt,  welche  mitunter  auch  öffentlich  musiziren. 
Aus  diesen  Waisenkindern  rekrutiren  sieh  dann  oft  jene  Stadtmusikchöre,  deren 
Mitglieder  im  Dienste  der  Polizei  wie  im  Dienste  des  öffentlichen  unentgeltliehen 
Vergnügens  stehen^  Diese  Ideenverbindung,  die  dem  Volke  mißliebige  SteDung 
eines  Polizisten  auf  solche  Weise  angenehmer  zu  machen,  hat  etwas  überaus  Lebens- 
kräftiges. Ob  die  moderne  Einrichtung  mit  der  Gründung  Tapia's  in  geschicht- 
lichem Zusammenhange  steht,  weiß  ich  nicht  zu  sagen ;  zu  vermuthen  freilich  ist 
es,  namentlich  wenn  man  die  erstaunliche  Musikfreudigkeit  des  neapolitanischen 
Volkes,  deren  Augenblicksschöpfungen  der  Musiker  oft  mit  froher  Verwunderung 
lauscht,  in  Betracht  zieht  Denn  die  Zeitgenossen  Tapia's,  jene  Niederländer,  die 
man  unter  dem  Namen  der  ersten  neapolitanischen  Schule  zusammenzufassen  pflegt, 
hätten  mit  all  ihrer  Gelehrsamkeit  über  das  gemeine  Volk  sicherlich  nicht  den 
Einfluß  ausüben  können,  welcher  einer  musikalischen  Wohlthätigkeitsanstalt  wie 
von  selbst  zufällt. 

Fügen  wir  nun  zu  diesen  Namen  noch  diejenigen  von  Komponisten  und  prak- 
tischen Musikern  hinzu,  wie  Escobedo  von  Zamora,  Esoribano,  Morales,  Victoria, 
denen  sich  eine  Anzahl  kleinerer  Sterne  anreihen,  so  hat  man  ein  ungefähres  Bild 
von  Spaniens  musikalischer  Ehre.  Wie  lückenhaft  dies  Bild  ist,  wird  man  bereits 
ersehen  haben.  Es  fehlt  ganz  insbesondere  jenes  Mittelglied  der  Geschichte  zwi- 
schen dem  modernen  musikalischen  Spanien  und  dem  des  10.  bis  12.  Jahrhunderts, 
denn  die  spanische  Musik  der  Zwischenzeit  zwischen  dem  12.  und  dem  Ende  des 
15.  Jahrhunderts  ist  im  Wesentlichen  nicht -national.  Mit  großer  Verwunderung 
findet  man  seine  Hoffnung  auf  einige  Erklärungen  über  arabische  Einflüsse  und 


1  Gafur  nennt  ihn  Spatiarius,  P.  Martini  Spadarius,  Lichtenthai  Spataro, 
A.  V.  Dommer  Spatarus.  In  der  Originalausgabe  von  1521  (Exemplar  z.  B.  in  BibL 
S.  Cecilia  zu  Rom]  nennt  sich  der  Verfasser  Spartarius.  Diese  Schreibweise  wird 
maßgebend  sein  müssen. 


Critical  and  bibliographical  notes  on  early  Spanish  music  von  J.  F.  Riaiio.     277 


über  mittelalterliche  Instrumentalmusik  beim  Lesen  des  Riano'schen  Werkes  ge- 
tftuscht.  Zwar  wird  eine  Alfarabi- Handschrift  aufgeführt,  aber  damit  ist  alles 
ersdiOpft,  was  Riaiio  über  arabische  Musik  zu  berichten  weiß.  Und  doch  sollte 
man  Termuthen,  daß  die  arabische  Musik,  wenn  jemals  in  Europa,  so  sicherlich 
zuerst  in  Spanien  einige  Spuren  ihrer  Blüthezeit  hinterlassen  habe. 

Um  die  Instrumentalmusik  steht  es  zwar  etwas  besser.  Hiano  führt  dreizehn  Titel 
von  Werken  über  Instrumentalmusik  aus  dem  16.  Jahrhundert  an;  fast  sftmmtliche 
dienen  dem  Spiele  der  vikueia  beziehungsweise  teala  harpa.    Von  handschriftlichem 
Materiale  sind  nur  einige  wenige  Nebenquellen,  wie  Gesetze  und  Gedichte,  erwähnt. 
Reichere  Ausbeute  gewähren  die  an  Bauwerken  und  als  Miniaturmalereien  vor- 
kommenden Abbildungen  von  musikalischen  Tonwerkzeugen,  welche  Riaüo  zumeist 
aus  anderen  wissenschaftlichen  Werken  entnommen  und  hier  zusammengestellt  hat. 
Aber  daa,  was  ich  zuerst  erhofft  hatte,  eine  sichere  Belehrung  über  die  Beziehungen 
europäischer  zu  arabischer  Musik  geben  auch  diese  nicht.    War  es  möglich,  daß 
die  Theorien  eines  Alfarabi  im  13.  Jahrhundert  in  Frankreich  besprochen  wurden,  * 
so  sollte  man  es  noch  weit  natürlicher  finden,  daß  man  nicht  nur  ihn,  sondern 
überhaupt  die  arabische,  sicherlich  nicht  zu  unterschätzende  Musik  nicht  ganz  un- 
benutzt %ei  Seite  liegen  ließ.    Nach  dem  Werke  Riano's  scheint  es  mir  jedoch,  als 
ob  in  der  That  erhebliches  direktes  Material  in  dieser  Beziehung  nicht  zu  erwarten 
steht;    denn  auch  in  den  italienischen  und  ostsizilischen  Bibliotheken  war  es  mir 
nur  möglich,  das  Fehlen  Ton  solchem  festzustellen.    Was  mir  selbst  in  die  Hand 
fiel,  geht,  soweit  es  nicht  schon  in  Riano's  Werke  genannt  ist,  ebenfalls  nicht  über 
die  Zeit  des  16.  Jahrhunderts  hinab.   Die  Forschung  wird  also  hier  durch  Schlüsse 
und  Vergleichungen  das  fehlende  Belegsmaterial  zu  ersetzen  oder  aber  zu  zeigen 
haben,   daß  das  musikalische  Abendland  den  Arabern  nichts  wesentliches  zu  ver- 
danken hat    Solche  Folgerungen  hier  zu  versuchen,  ist  nicht  meine  Aufgabe.   Ich 
glaube  dieselbe  vielmehr  dadurch  erfüllt  zu  haben,  daß  ich  mich  bemühte,   den 
reichen  Gehalt  des  neuen  Werkes  an  bibliographischen  Nachweisen  behufs  seiner 
wissenschaftlichen  Benutzung  zu  sondern  und  zu  sichten,   da  mir  das  vom  Herrn 
Verfasser  nicht  erreicht  zu  sein   schien.     Dabei  leitete  mich  der  Gedanke,   die 
musikgeschichtlichen  Erscheinungen  nicht  nur  chronologisch,  worauf  sich  der  Herr 
Verfasser  beschränkte,   sondern   auch  geistig  mit  einander  zu  verbinden,    soweit 
dieses  bei  einem  lückenhaften  Stoffe  möglich  ist,  um  dadurch  zu  einer  einigermaßen 
einheitlichen  Anschauung  der  musikgeschichtlichen  Bedeutung  Spaniens  zu  gelangen. 
Aber  gern  gestehe  ich  mit  dem  Herrn  Verfasser :  I  hy  no  means  eonsider  this  intern 

pretaiion  to  be  the  right  one ;  hut more  eompetent  Hudenta  may  he  able  to 

dear  up  ikU  point. 

Berlin.  Oskar  Fleischer. 


*  Vincentius  Bellovacensis,  ein  Dominikaner,  f  1264,  giebt  in  seinem  Specu- 
lum  doctrinale  lib.  XVII  die  Definition  (Kap.  1)  und  die  Eintheilung  der  Musik 
in  aktive  und  spekulative  (Kap.  6)  secundum  Alpharabium.  Siehe  Lichtenthai, 
Diz^m,  1511.  Die  Berufung  auf  Alfarabi  begegnet  auch  sonst  in  mittelalterlichen 
Handschriften  des  öfteren. 


278  Kritiken  und  Referate. 


Rudolf  to7i  Freisauff^  Mozarts  Don  Juan  1787-^1887.  Ein  Beitrag 
zur  Geschichte  dieser  Oper.  Herausgegeben  anläßlich  der  1 00jährigen 
Jubelfeier  der  Oper  »Don  Juan«  von  der  »Internationalen  Stiftung 
Mozarteum  in  Salzburg«.  Mit  9  Kunstbeilagen.  Salzburg,  Verlag  von 
Herrn.  Kerber  18S7. 

Es  stand  zu  erwarten,  daß  ein  so  außergewöhnliches  Ereigniß,  wie  die  lOOjähri^e 
Jubelfeier  der  Oper  »Don  Juan«,  nicht  vorübergehen  würde,  ohne  die  Literatur  um 
einen  Beitrag  zu  bereichem,  der  die  Entstehungsgeschichte  und  Bühnenstatistik 
dieses  hervorragenden  Werkes  enthält.  Schon  im  Laufe  des  Sommers  wurde  durch 
die  Musikzeitungen  darauf  hingewiesen,  daß  seitens  der  »Internationalen  Stiftung 
Mozarteum  in  Salzburg«  die  Absicht  bestehe,  eine  auf  die  bevorstehende  Feier  be- 
zügliche Schrift  zu  veröffentlichen.  Wir  waren  sehr  gespannt  auf  das  Erseheinen 
derselben  und  erfreut  über  die  Mittheilung,  daß  es  in  der  Absicht  des  Herausgebers 
läge,  zugleich  ein  umfassendes  statistisches  Material  über  die  Aufführungen  des 
»Don  Juan«  während  der  letzten  100  Jahre,  auf  Orund  behördlicher  Nachforschungen, 
beizufügen.  Wir  durften  hoffen,  damit  endlich  die  bisher  fehlende  authentische  Zu- 
sammenstellung der  »Don  Juan- Aufführungen«  auf  den  Bühnen  des  In-  und  Auslandes 
in  möglichst  umfassender  Weise  zu  erhalten,  sind  jedoch  erstaunt,  trotz  der  dem 
Verfasser  gewordenen  einflußreichen  Beihülfe  verhältnißmäßig  wenig  von  dem  Er- 
warteten vorzufinden.  Aus  dem,  was  der  Verfasser  bringt,  geht  eigentlich  mehr 
hervor,  daß  es  den  betreffenden  Nachforschern  unmöglich  gewesen  ist,  hervor- 
ragendes neues  Material  aufzufinden. 

Wir  begreifen  deshalb  nicht,  warum  der  Verfasser  nicht  darauf  verfiel,  die 
vorhandenen  Quellen  gründlicher  zu  benutzen.  Er  würde  entschieden  nicht  nur 
seine  Arbeit  zu  einer  weit  ausgiebigeren  gemacht  haben,  sondern  auch  zu  manchen 
anderen  Schlüssen  gekommen  sein.  Wir  können  als  Entschuldigung  für  die  Nicht- 
benutzung des  zugänglichen  Materials  nur  die  geringe  Zeit  von  wenigen  Wochen 
gelten  lassen,  welche  dem  Verfasser  zur  Vollendung  seiner  Arbeit  zur  Verfügung 
stand.  Im  Vorwort  nennt  derselbe  diese  seine  Arbeit  einen  »bescheidenen  Beitrag 
zur  Geschichte  der  Oper  Don  Juan«  und  empfiehlt  sie  »der  Nachsieht  des  geneigten 
Lesers«.  Von  diesem  Gesichtspunkte  aus  müssen  wir  dieselbe  demnach,  soweit  es 
die  statistischen  Beigaben  anbelangt,  betrachten.  Im  übrigen  freuen  wir  uns,  sagen 
zu  können,  daß  wir  die  Schrift  mit  großem  Interesse  gelesen  haben.  Dieselbe  giebt 
in  hübsch  erzählender  Weise  eine  Darstellung  xLer  Entstehungsgeschichte  des  »Don 
Juan«,  und  wenn  auch  darin  meistens  Bekanntes  sich  wiederfindet,  so  müssen  wir 
nicht  außer  Augen  lassen,  daß  zunächst  das  Buch  mehr  für  das  größere  Laien- 
Publikum  berechnet  ist. 

Es  würde  zu  weit  führen,  wollten  wir  eine  umständliche  Ergänzung  und  Be- 
richtigung der  statistischen  Angaben  auf  Grund  des  uns  zur  Verfügung  gewesenen 
Materials  folgen  lassen.  Dennoch,  im  Interesse  des  Gegenstandes  und  besonders 
in  der  UofEnung,  Anderen,  welche  ein  gleiches  Interesse  für  denselben  hegen,  damit 
eine  Anregung  zu  ähnlichem  Hervortreten  zu  geben,  wollen  wir  in  möglichster 
K.ürze  dasjenige  mittheilen,  was  uns  über  die  Bühnenstatistik  des  l3on  Juan  zur 
Kenntniß  gelangt  ist,  und  werden  darin  dem  Verfasser  in  seiner  Anordnung  nach 
den  Städten  folgen. 

Bei  Abschnitt  III,  die  ersten  Don  Juan -Aufführungen  betreffend,  haben  wir 
besonders  hervorzuheben,  daß  die  erste  Don  Juan-Aufführung  in  deut- 
scher Übersetzung  nicht  zu  Mannheim,  sondern  zu  Mainz,  am  Sonnabend 
den  23.  Mai  1789  im  Kurfürstlichen  National-Theater  erfolgt  ist 


Mozart's  Don  Juan  1787 — 1887  von  Budolf  von  Freisauff.  279- 


{vergl.  Theater- Kalender  auf  das  Jahr  1790,  Gotha  bei  Ettinji^er,  S.  94;  femer:  An- 
nalen  des  Theaters,  Berlin,  F.  Maurer  1790.  Heft  V.  S.  68).  Hieraus  würde  der 
Verfasser  ersehen  haben,  daß  die  erste  deutsche  Übersetzung  des  Don  Juan  nicht 
Ton  Neefe,  sondern  von  Schmieder  herrührt.  Letzterer,  Theaterdichter  am  Kur- 
fürstlichen National-Theater  unter  Dalberg,  ist  einer  der  fruchtbarsten  und  zugleich 
bekanntesten  Übersetzer  französischer  und  italienischer  Singspiele  für  die  deutsche 
Bühne  [beispielsweise  ist  seine  ül)ertragung  vom  »Wasserträger«  auf  norddeutschen 
Bühnen  noch  heute  gang  und  gäbe).  Derselbe  lieferte  s.  Z.  die  meisten  im  Ge* 
brauch  befindlichen  Übertragungen  fremdländischer  Opern;  sein  Name  erscheint 
daher  in  der  Theatergeschichte  so  häufig  wieder  (auch  Dramen,  Almanachs  und 
Theaterjournale  hat  er  verfaßt),  daß  es  uns  wundert,  wenn  dem  Verfasser  anschei- 
nend diese  Persönlichkeit  unbekannt  geblieben  ist.  £r  bezeichnet  uns  auf  S.  150 
dessen  Namen  sogar  als  »Schmidter«;  obgleich  in  »Feth's  Geschichte  des  Theaters 
SU  Mainz«,  woraus  er  den  Namen  anscheinend  entlehnt  hat,  solcher  vollständig 
korrekt  geschrieben  steht. 

Neben  der  Schmieder'schen  Übersetzung,  möchten  wir  behaupten,  daß  gleich- 
zeitig eine  andere,  für  das  Gräflich  Erdödy'sche  Haustheater  in  Freßburg  entstanden 
ist.  Im  Theaterkalender  von  1789,  S.  159,  steht  zu  lesen,  daß  die  meisten  Über- 
setzungen aus  dem  Italienischen  für  die  genannte  Gesellschaft  von  Herrn  Girl^ik 
geliefert  wurden.  Nach  dem  Tode  des  Grafen  Johann  Nepomuk  von  Erdödy,  am 
23.  Mai  1789,  wurde  die  Gesellschaft,  welche  seit  1785  unter  Direktion  von  Hubert 
Kumpf  bestand,  für  die  königl.  städtischen  Theater  von  Fest  und  Ofen  engagiert; 
im  liieaterkalender  von  1790,  S.  131,  steht,  daß  die  ursprünglich  für  das  Theater 
in  Freßburg  erworbene  Oper  »Don  Juan«  auf  diesen  Bühnen  einstudiert  würde. 
Es  ist  daher  sehr  wahrscheinlich,  daß  im  Jahre  1789  bereits  drei  verschiedene 
deutsche  Übersetzungen  des  Don  Juan  existiert  haben,  bei  denen  es  schwer  zu 
unterscheiden  sein  dürfte,  welcher  das  Vorrecht  gebührt  So  viel  ist  sicher,  die 
Neefe'sche  ül)ersetzung  mußte  sich  sehr  bald  einer  Umarbeitung  durch  Fr.  L.  Schröder 
unterziehen,  während  die  Schmieder'sche  sich  sehr  lange  intakt  erhalten  hat  und 
noch  später  den  Aufführungen  in  Breslau,  Dresden,  Leipzig  etc.  zu  Grunde  lag. 

Seite  50,  bei  Erwähnung  der  Hamburger  Aufführung,  wird  Schröder  als  der 
spätere  Gatte  der  Sophie  Schröder  genannt;  dem  Verfasser  scheint  hier  eine  Ver- 
wechslung der  Mutter  mit  der  Gattin  passiert  zu  sein.  Die  Mutter  hieß:  Sophie 
Charlotte  Ackermann,  verw.  Schröder,  geb.  Bierreichel,  die  Gattin:  Anna  Christine 
Schröder,  geb.  Hartt. 

Zu  Artikel  V,  der  Bühnenstatistik  des  Don  Juan  übergehend,  sind  wir  im 
Stande,  nachstehende  Ergänzungen  zu  machen. 

Wien. 
Erste  deutsche  Aufführung: 

im  k.  k.  Nationaltheater  nächst  der  Burg  16.  December  1798. 
im  k.  k.  priv.  Theater  auf  der  Wieden  5.  November  1792. 
im  k.  k.  priv.  Theater  an  der  Wien  5.  Oktober  1802. 

Die  erste  Aufführung  mit  den  Original-Recitativen  im  Kämthnerthor-Theater 
erfolgte  am  18.  December  1858. 

Die  erste  italienische  Aufführung :  im  Theater  an  der  Wien  9.  Juni  1860. 
»        »  »  »im  Karl-Theater  April  1863. 

»        »  »  »  im  Neuen  Hofopem-Theater  22.  April  1S78. 

Eine  Aufführung  des  Don  Juan  auf  dem  Theater  in  der  Orangerie  des  Schlosses 
zu  Schönbrunn  am  9.  Oktober  1809  würde  hier  mit  zu  erwähnen  sein. 


2S0  Kritiken   und  Kefeiate. 


Brunn, 

Über  die  Aufführung  des  Don  Juan  im  städtischen  Nationaltheater  lu  Brunn 
hätte  der  Verfasser  sich  ebenfalls  aus  den  Oothaer  The&terkalendem  von  17SS,  179U 
und  1791  bessere  als  die  gefundene  Information  holen  können.  £r  würde  danran 
erfahren  haben,  daß  Don  Juan  bereits  im  December  1789  zu  Brunn  dargestellt 
wurde,  jedoch  mißfiel  Außerdem  würde  er  auf  den  höchst  interessanten  Umstand 
hingelenkt  worden  sein,  daß  es  gerade  Dittersdorf'sche  Opern,  und  darunter 
besonders  dessen  »Hochzeit  des  Figaro«,  waren,  welche  dem  Don  Juan  die 
Gunst  des  Publikums  streitig  machten.  Wäre  Schreiber  dieses  nicht  im  Besitze 
eines  Textbuches  Tom  Dittersdorf sehen  »Figaro«,  so  würde  man  zu  dem  COauben 
reranlaßt  werden  können,  daß  dieses  gänzUch  unbekannt  gebliebene  und  bei  den 
Brünnem  in  hoher  Qunst  befindliche  Opus  seine  Existenz  nur  einem  Druckfehler 
im  Theaterkalender  verdanke,  d.  h.  mit  dem  Mozart'schen  Werke  Tcrwechselt  wor- 
den sei.  Es  handelt  sich  in  der  That  aber  um  ein  ganz  anderes  Werk,  von  dessen 
Vorhandensein  sonderbarerweise  nicht  nur  Dittersdorf  in  seiner  Selbstbiographie 
schweigt,  sondern  dessen  auch  kein  anderer  Biograph  erwähnt 

Für  Brunn  ließe  sich  auch  noch  als  eine  erste  Aufführung  des  Don  Juan  die 
am  1.  Januar  1S71  zur  Eröfhiung  des  Interimstheaters  auf  dem  Rawitplatz  erfolgte 
anführen. 

Prag. 

Die  vom  Verfasser  erwähnte  erste  deutsche  Aufführung  auf  der  Vaterländischen 
Bühne  im  Hibemer-Kloster  erfolgte  im  Jahre  1791.  Dazu  dürfte  die  am  7.  Juni 
1S59  im  Neustädter  Theater  vor  dem  Roßthore  erfolgte  erste  Aufführung  nachzu- 
tragen sein. 

Zu  zweien,  vom  Verfasser  unerwähnt  gelassenen  österreichischen  Städten 
können  wir  die  nachfolgenden  erstmaligen  Darstellungen  ergänzen: 

Karlsbad.  23.  Juni  179S  im  Neuen  Theater  von  der  Gesellschaft  des  Ritters 
von  Steinsberg. 

Nachod.  1.  Juli  179S  im  ehemaligen  Hoftheater  des  Herzogs  von  Curland 
und  Sag^n. 

Ungarn. 

Im  Voraufgehenden  haben  wir  schon  darauf  hingewiesen,  daß  die  ersten  Auf- 
führungen des  Don  Juan  zu  Pest  und  Ofen  bereits  1790  durch  die  gräflich  Erdödv- 
sche  Gesellschaft  erfolgt  sein  werden.  Bestimmtes  darüber  läßt  sich  erst  erlangen, 
wenn  Jemand  im  Stande  wäre,  über  die  kurze,  jedoch  außerordentlich  reichhaltige 
Thätigkeit  dieser  Gesellschaft  genaue  Daten  beizubringen.  Es  ist  sehr  zu  bedauern, 
daß  die  Bühnenleitungen  der  österreichischen  Städte  dem  Verfasser  nicht  mehr  in 
die  Hand  gearbeitet  haben ;  wirklich  hätten  wir  erwartet,  daß  die  zur  Vermittelung 
angerufenen  Behörden  mehr  Material  zu  Tage  gefördert  haben  würden,  als  der 
Verfasser  uns  in  seinem  Buche  bietet« 

Belgien. 

Bei  der  Aufführung  in  Antwerpen  müssen  wir  darauf  aufmerksam  machen, 
daß  das  in  des  Verfassers  Quelle  ( Gregoir,  Pantheon  musical  populaire)  angegebene 
Jahr  nicht  180S,  sondern  1807  heißen  muß. 

Dänemark. 

Die  dänische  Übersetzung  für  die  E.openhagener  Aufführung  ist  von  Prof. 
Laurids  Kruse.  Der  erste  Darsteller  des  Don  Juan  nennt  sich  nicht  Du  Guy, 
sondern  Du  Puy,  ein  in  Berlin,  Kopenhagen  und  Stockholm  gleich  bekannter  Sänger 
und  Komponist. 


MoÄart's  Don  Juan  1787—1887  von  Rudolf  voi^rcisauff.  281 

Deutschland, 
Berlin, 
Zu  den  in  dieser  Metropole  stattgehabten  Don  Juan -Aufführungen  können 
wir,   außer  der  ersten  nach  der  Schröder'schen  Bearbeitung  erfolgten,   noch  nach- 
stehende hervorheben: 
italienisch:  im  J^önigsstädf sehen  Theater  am  24.  April  1843. 
deutsch:       im  Friedrich  Wilhelmst&dtischen  Theater  am  31.  Mai  1851. 
»  in   Kroll's  Theater  im  August  1868. 

»  im  Nowack-Theater  am  19.  Februar  1870. 

»  im  Louisenstftdtisohen  Theater  am  37.  M&n  1870. 

>  im  Walhalla -Volkstheater  am  24.  Januar  1872. 

»  im  Woltersdorff- Theater  am  25.  September  1877. 

»  im  Wilhelm-  (früher  Woltersdorff-)  Theater  am  22.  Juli  1882. 

»  in  der  Königsstädtischen  Oper  am  Alexanderplatz,  27.  Sept.  1884. 

Würden  wir  alle  diese  an  verschiedenen  Theatern  erfolgten  Aufführungen  mit 
denen  der  königlichen  Theater  zusammen  summiren,  so  st&nde  es  in  Frage,  ob 
Berlin  in  der  Oesammtzahl  der  Darstellungen  nicht  dennoch  den  ersten  Platz  vor 
Prag  einnimmt. 

BrauMchtoetg, 
Der  Verfasser  beklagt  sich,  daß  er  in  Ermangelung  ausführlicher  Daten  nicht 
in  der  Lage  gewesen  sei,  über  die  erste  Aufführung  des  Don  Juan  hierselbst  Aus- 
kunft zu  geben.  Wir  können  ihm  hier,  wie  bei  verschiedenen  anderen  Städten,  den 
wiederholten  Vorwurf  nicht  ersparen,  daß  er  anscheinend  selber  gar  keinen  Versuch 
gemacht  hat,  das  Material  zu  seiner  Arbeit  aufzufinden,  sondern  sich  ganz  auf  das 
verließ,  was  ihm  von  anderer  Seite  zugeführt  werden  würde.  Es  existiren  eine 
ganze  Anzahl  Specialgeschiohten  der  deutschen  Theater,  die  der  Verfasser  nicht  zu 
Rathe  gezogen,  darunter  auch  Glaser's  Geschichte  des  Theaters  zu  Braunschweig. 
Hiemach  wurde  Don  Juan  zuerst  am  10.  März  1793  im  Hoftheater  auf  dem  Hagen- 
markt von  der  Till/schen  Gesellschaft  aufgeführt. 

DarmHadt, 
Hier  findet  sich  als  erster  Aufführungstag  der  7.  Juli  1809  angegeben.  Nach 
Pasqu^'s  »Statistik  des  Dannstädter  Hoftheaters«  muß  dies  in  »7.  JuÜ  1808«  um- 
geändert werden.  Die  Aufführung  ging  im  Rrebs'schen  Theater  in  der  alten  Post- 
scheuer  vor  sich.  Im  großherzoglichen  Hoftheater,  im  alten  Opemhause,  fand  die 
erste  Aufführung  am  14.  Juni  1810  statt  Erwähnenswerth  ist  femer  diejenige  mit 
den  Original-Beeitativen  am  26.  Deoember  1856. 

Dessau. 
Die  Angabe  des  Verfassers  »17.  Januar  1797«  beruht  wahrscheinlich  auf  einem 
Dmckfehler,  denn  im  Verlaufe  seines  Artikels  giebt  er  den  wirklichen  Tag  »27.  Januar 
1797«  richtig  an.    Am  23.  Februar  1883  wurde  die  Oper  zuerst  nach  der  Diedicke- 
schen  Bearbeitung  auf  (}rund  der  Grandaur'schen  Übersetzung  gegeben. 

Dreedefi. 

Zu  den  Dresdener  Angaben  sind  folgende  Berichtigungen  zu  machen:  Die 
erste  deutsche  Aufführung  im  königlieh  sächsischen  Theater  erfolgte  nicht  am 
13.  August  1821,  sondem  bereits  am  Sonntag  den  27.  Juni  1813  durch  die  Josef 
Seeonda'sche  Gesellschaft.  Die  Aufführungen  im  Jahre  1821  durch  die  königlich 
sächsische  Hofschauspieler- Gesellschaft  unter  C.  M.  von  Weber  waren  zuerst  am 
23.  September  auf  dem  Theater  des  Linke'schen  Bades  und  am  8.  November  im 
königlichen  Theater. 

1888.  19 


282  Kritiken  und  Referate. 


;Frahkfurt  a,  M. 
Als  erwähnenswerth  dürfte  hier  eioEuschalten  sein  die  erste  AuffQhrang  in 
italienischer  Sprache  im  alten  Stadttheater,  am  24.  Juli  1861,  durch  die  MereQi^he 
Gesellschaft;  lemer  diejenige  am  20.  Oktober  1880  zur  Eröffnung  des  neuen  Openi- 
hauses. 

Hamburg  -AUona, 

Zu  den  Hamburger  Auffahrungen  ist  hinzuzufQgen:  die  erste  im  neuen  Stadt- 
theater-beim  Dammthor  am  29.  Juni  1827,  die  erste  am  St.  Oeorg-TiToli  im  Jali 
1867  und  die  erste  am  Karl  Schultze-Theater  am  15.  Juni  1874.  Im  Altonaer  Na- 
tionaltheater, bei  -welchem  Schmieder  seit  1798  als  Regisseur  und  Theaterdichter 
wirkte,  fand  die  erste  Aufführung  im  December  1800  statt 

Karkrvhe, 

Da  der  Verfasser  die  ersten  Aufführungen  mit  den  Original-Recitatiyen  mehr- 
fach hervorgehoben  hat,  so  würde  hier  die  am  9.  September  1853  erfolgte  einzu- 
schalten sein. 

KasseL 

Hinsichtlieh  der  deutschen  Onemaufführungen  in  dieser  Stadt  legt  der  Ver- 
fasser eine  Tollständise  Unkenntnis  an^  den  Tag.  Der  mehrfach  erwähnte  Gothaer 
Theaterkalender  sowonl,  als  auch  das  in  Weimar  erschienene  »Journal  des  Luxus 
und  der  Moden«  geben  eine  ziemlich  genaue  Auskunft  über  die  Wirksamkeit  der 
berühmten  Oroßmann'schen  TheateYtruppe  in  diesem  und  anderen  Orten*  Hiemadi 
wurde  Mozart's  Meisterwerk  bereits  am  16.  April  1791,  also  fast  uimiittelbar  nach 
der  Aufführung  in  Hannorer,  zur  Darstellimg  gebracht.  Bald  darauf,  am  8.  Juli 
desselben  Jahres,  fand  durch  dieselbe  Gesellsenaft  auch  die  erste  Aufführung  in 
Pyrmont  statt. 

Leipzig, 

Nach  der  ersten  Aufführuns  durch  die  Prager  italienische  Opem-GesellBchaft 
1788  wurde  Don  Juan  in  deutscher  Sprache  zuerst  am  3.  Januar  1796  durch  die- 
selbe Josef  Seconda'sche  GeseUschaft,  welche  w&hrend  der  Sommerzeit  auf  dem 
Theater  des  Linke'sch  n  Bades  in  Dresden  spielte,  zur  Darstellung  gebracht.  Diese 
Mittheilung  hätte  der  Verfasser  aus  Blümner's  Geschichte  des  Leipziger  Theaters 
schöpfen  können.  Im  Jahre  1854  am  21.  Mai  war  im  alten  Stadttneater  die  erste 
Aufiührung  mit  den  Griginal-Recitativen;  1868  am  7.  Juni  solche  im  neuen  Stadt- 
theater  am  Augustusplatz;  1879  am  11.  Juni  wurde  Don  Juan  im  Carola -Theater 
zuerst  Ton  der  Hofmann'schen  Monatsoper  gegeben,  und  schließlich  am  20.  Oktober 
1882  fand  im  neuen  Stadttheater  eine  erste  Aufführung  nach  der  Grandaur^schen 
Übersetzung  statt. 

Miigdehurg, 

Die  wenigen  statistischen  Daten,  welche  dem  Verfasser  über  Magdeburg  Tor- 
gelegen  haben,  können  wir  durch  die  Mittheüung  ergänzen,  daß  Don  Juan  daselbst 
im  Januar  1795  zuerst  durch  die  Karl  Döbbelinsche  GeseUschaft  zur  Aufführung 
gebracht  wurde.  Diese  sogenannte  königlich  preußische  generalprivilegirte  Gesell- 
schaft brachte  im  selben  Jahre  noch  Aufführungen  der  Oper  zu  Stettin  und  Frank- 
furt a.  O.  zu  Stande,  sowie  im  Jahre  darauf  zu  Potsdam  im  königlichen  Theater. 

Mainz. 
Die  Berichtigungen,  welche  sich  auf  die  Mainzer  erste  Aufführung  beziehen, 
haben  wir  bereits  im  Vorstehenden  erledigt  und  darauf  hingewiesen,  daß  dieser 
Stadt  überhaupt  das  Anrecht  gebührt,  Mozart's  Oper  zuerst  in  deutscher  Sprache 
gebracht  zu  haben. 

München, 
Zu  den  Münchener  Aufführungen  lassen  sich  die  folgenden  Ergänzungen 
hinzufügen:  Erste  italienische  Aufführung  im  königlichen  Hof-  und  National- 
theater an  der  Hesidenz  21.  Mai  1824  und  im  Nationaltheater  am  Max  Joseph-Platz 
24.  Mai  1825.  Mit  den  Original-Becitativen  ebendaselbst  deutsch  18.  Oktober  1866, 
und  mit  der  Grandaur'schen  Übersetzung  zuerst  28.  Oktober  1874. 


Moaart's  Don  Juan  1787—1887  von  Rodolf  von  Freisauff.  283 


Nürnberg, 

Über  die  Nürnberger  Tbeatergeschichte  hätte  der  Verfasser  durch  HyseVs 
Specialgeschichte  des  Theaters  in  Nürnberg  in  Erfahrung  bringen  können,  daß  die 
erste  Aufführung  des  Don  Juan  daselbst  am  20.  April  1795  durch  die  Mihule'sche 
Gesellschaft  erfolge.  Im  neuen  Stadttheater  fand  aie  erste  Darstellung  am  14.  Ok- 
tober 1633  und  eine  italienische  Aufführung  am  3.  Mai  1863  statt. 

Oldenburg, 

Aus  Dalwigk's  Chronik  des  Theaters  in  Oldenburg  ist  zwar  nicht  ersichtlich, 
ob  eine  Aufführung  des  Don  Juan  nach  Eröffnung  des  Theaters  am  28.  Februar 
1833  bis  30.  April  1835,  während  welcher  Zeit  regelmäßige  Opernvorstellungen  äÜer 
gangbaren  Werke  stattfanden,  zur  Darstellung  gelangte.  Doch  ist  wahrscheinlich 
eine  solche  im  Herbst  1833  erfolgt,  da  S.  21  des  Direktor  Gerber's  Leistung  als 
Don  Juan  besonders  hervorgehoben  ist. 

Schwerin, 

Zu  den  Don  Juan -Aufführungen  am  großherzoglichen  Hoftheater  in  dieser 
Stadt  haben  wir  hinzuzufügen:  Die  erste  nach  dem  Brande  des  Ballhauses  im 
Interimstheater  am  7.  Mai  1833;  darauf  im  neuerbauten  Hoftheater  am  3.  Februar 
1836;  femer  die  ihrer  Zeit  mehrfach  beschriebene  Fest- Aufführung  nach  der  Qugler^ 
Wolsogen*schen  Bearbeitung  am  27.  Januar  1889. 

Im  Anschluß  hieran  erwähnen  wir,  daß  die  Schweriner  Hoftheater-Gesellschaft 
unter  Direktor  Krickeberg  den  Don  Juan  zuerst  in  Güstrow,  auf  dem  Theater  im 
Kathhause,  am  21.  Oktober  1805  darstellte.  Da  die  Gesellschaft  gleichzeitig  Rostock, 
Doberan  und  Wismar  bereiste,  so  ist  anzunehmen,  daß  auch  diese  Städte  mit  Auf- 
führungen des  Don  Juan  bedacht  wurden. 

Nachweisbar  sind  folgende  erste  Aufführungen  auf  mecklenburgischen  Theatern : 
G^isfraWf  neues  Stadttheater,  25.  September  1829. 
Ijudfcigsluetf  Theater  im  Schützensaal,  28.  Decembcr  1836. 
Wistnar,  neues  Stadttheater,  17.  Oktober  1842. 

Dohertmf  großherzogliches  Hoftheater,  31.  Juli  1862,  mit  den  Original-Kecitativen. 
Rastocky  Interimstheater  im  Tivoli,  12.  April  1885. 

Weimar. 

Außer  der  ersten  Aufführung  am  30.  Januar  1792  in  deutscher  Sprache  fand 
noch  eine  solche  in  itaUenisoher  Sprache  1813  statt.  — 

Zu  den  ersten  Don  Juan -Aufführungen  auf  deutschen  Schaubühnen  haben 
wir  nun  in  chronologischer  Fpljge  nachstehende  Ergänzungen  zu  machen: 

1789,  Oktober  13.     Bonn,  kurnirsüiehes  Hoftheater. 

1790,  Juni  26.  Soest  i.  W.,  von  der  Toscani-Müller'schen  Gesellschaft. 

IIa?'  tT^r  ^^'        n^^a%i         \  von  der  Wäser'schen  GeseUschaft. 
1792,  Juli  26.  Groß-Ologau  / 

1792,  Oktober  24.      Bremen,  im  Schauspielhaus  an  der  Bastion  am  Osterthore. 

NB.  im  neuen  Stadttheater  am  31.  Oktober  1843. 

1793,  März.  Müneter,  kurfürstliches  Hoftheater« 
1793,  MaL  Pa9»€m,  Hoftheater. 

f  Düsseldorf  \ 
1793.  ^  Köln  \  von  der  Joh.  Böhm'schen  Gesellschaft 

Aachen        ] 

1793.  Königsberg,  Ackermann'sches  Theater,  von  der  Schuch' sehen 

Gesellschaft. 
(NB.  im  Bruinwisch'schen  Theater  1804.) 

1794,  Januar  11.         Oels,  herzogliches  Hoftheater  im  Keithause,  von  der  Wäser- 

schen  Gesellschaft  (dieselbe  gebrauchte  ausschließlich  die 
Schmieder'sche  Übersetzung). 
1794,  September  11.  Danzig,  von  der  Schuch'schen  Gesellschaft. 

1794,  Deeember  1.     Sehleswia,  Hoftheater. 

1795,  Januar  12.        Kiel,  Scnleswig'sche  Gesellschaft. 

19» 


2S4  Kritiken  und  Keferate. 


1795,  Mai.  Erlangen  ^  hochfürstliohefl  Opemtheater,  von  der  Mihule'echeii 

Qeeellschaft 
1799,  Janaar  1.  Sagan,  Hoftheater  im  henoglichen  Schlosse. 

^^  \  von  der  Dietrich'schen  GeseUschaft 
Minden  \ 

1801,  Man  18.  Coburg,  Theater  im  Ballhause,  von  der  Gesellschaft  des  Nürn- 

berger Nationaltheaters. 
1825,  December  5.    Sonderahausent  fOrsÜiohes  Hoftheater  (Einweihungs-Oper). 

Alle  diese  Daten  h&tte  der  Verfasser  theils  den  mehrfach  erwAhnten  Theater- 
kalendern, theils  den  Annalen  des  Theaters,  dem  Journal  des  Luxus  und  der  Moden, 
sowie  Specialgeschiehten  entnehmen  können. 

England. 
London, 

Die  Bflhnenstatistik  des  Don  Juan  auf  den  Londoner  Theatern  ist  eine  liem- 
lich  verwickelte,  da  naoh  der  ersten  Auffahrung  in  italienischer  Sprache  in  Tke 
King'a-tiieatre  in  ihe  JSmfmarkei,  am  12.  April  1817,  deren  mehrere  nach-  und  durch- 
einander auf  den  verschiedenen  Bühnen  m  italienischer,  deutscher  und  engliseher 
Sprache  erfolgten.  Nachstehende  weitere  sind  wir  in  der  Lage  mittheilen  zu  kdunen : 
Englisch:      1817,  Mai  20.  Cooeni- Garden,  mit  dem  Titel  »The  Liherime^, 

von  J.  Pocock,  Musik  arr.  von  Ueiurv  Bishop. 
j»  1830,  Juni  5.  Adelphi-iheaire,  eingerichtet  von  W.  Hawes. 

Deutschi        1832,  Juli  11.  The  King'e-iheatre  m  the  Haymarkei,  unter  Lei- 

tung von  Chelard. 
Englisch:      1833,  Februar  2.       Drury-Lane,  eingerichtet  von  Beazley. 
Deutsch:       1840,  Mai  1.  St,  Jamei^-iheatre,  unter  Direktor  Schumann. 

»  1842,  Mai.  Covent- Garden,  unter  Direktion  von  Göts  und 

Lebrecht 
Italienisch:  1847,  Mai  27.  Covent-Garden  [Royal  Italian  Opera). 

Englisch:      1849,  Oktober  1.       Princeae'  Theaire,  Oxford  Street, 
Deutsch:        1854,  Mai  23.  Drury-Lane. 

Italienisch:  1856,  Juli.  TTieeire  Royal  Lyceum. 

»  1856,  November  15.  Drury-Lane. 

Aus  den  übrigen  Stfidten  England  wüßten  wir  nur  Maneheater,  Juli  1841, 
deutsch  unter  Direktor  Schumann,  und  Brtghion,  5.  November  1873,  auf  dem  neatrt 
in  the  Dome,  englisch  von  der  Karl  Rosa-Gesellschaft,  hervorzuheben. 

Frankreich. 

Paria. 

Die  erste  Aufführung  des  Don  Juan  in  Paris  fand  am  Dienstag  den  30.  Fru- 
ctidor  an  XIII,  also  am  17.  September  1805  statt,  und  zwar  im  Thidtre  de  FAca- 
dhnie  imperiale  de  muaique,  SaUe  du  ThSätre  National  de  la  rue  Richelieu  als  Drame 
lyrique  in  3  Akten,  nach  der  Übersetzung  von  ThOring  und  Baillot,  Musik  arrangirt 
von  Kalkbrenner;  daran  schließen  sich  die  erste  italienisohe  im  ThMre  de  rim- 
p^atrice  ä  VOdSon,  am  Montag  den  2.  September  (nicht  12.  Oktober)  1811;  femer: 
Italienisch:    im  ThMtre  Favart  1814,  August  14. 

»  »  »        Italim,  Sdüe  Louvoia  1820. 

Französisch:    »  »        Royal  de  TOdion  1827.  December  24.  (Übersetzung  von 

Uastil-Blaze  mit  Dialog  nach  Moliäre.) 
Deutsch:  »  »        Favart  1831,   Mai  26.     (Deutsche  Opern -GeseUschaft 

unter  Direktor  BoeckeL) 
Franz ösisoh:     n  n        de  FAeadAnie  royale  de  Muaique,  Salhnrovieoire  de  la 

rue  Le  Peletier   1834,   März  10.     (Übersetzung  von 

Deschamps,  Blaze  de  Burv  und  Castil-Blaze.) 
Italienisch:     »  »        Italien,  SaUe  Ventadour  1842. 

Französisch:     »  »        Lyrwue,  SaUe  de  la  Place  du  Chätelet   1866,   Mai  8. 

[Übersetzt  von  Trianon,  Challamei  und  Gautier.) 


Mosart*8  Don  Juan  1787-- 1887  Ton  Rudolf  von  Freisauff.  285 


Fransösisoh:  im  ThMre  National  de  TOpirOj  SdUe  Ventadour  1874,  Januar  19. 
»  im  Nouoel  Opira  1875,  November  29. 

HoOand. 
Als  Ergftniung  zur  ersten  deutschen  AuffOhrunff  in  Amsterdam  können  wir 
hinsufügen,  daß  dieselbe  am  8.  M&n  1794  im  bochdeutsclien  Theater  durch  die 
Hunnius'sche  Gesellschaft  stattfand. 

Italien. 
Florenz, 
Unter  sftmmtliehen  Stftdten  Italiens  brachte  Kloreni  den  Don  Juan  suerst 
und  machte  auch  die  häufigsten  Versuche  mit  Aufführunffen  dieses  Werkes.  Der 
Verfasser  gedenkt  der  ersten  DarsteUunff  im  JR.  Teatro  ai  via  deUa  Pergola  1792, 
sowie  einiger  weiterer.  Wir  erg&nsen  fiMgende:  1817estate,  J,  R.  Teatro  de"  Biso- 
hUi  in  via  di  Sta  Maria  und  1834,  December  26,  J.  B,  Teatro  Goldoni, 

Genua, 
Die  Tom  Verfasser  erwAhnte  erste  Aufführung  im  Jahre  1824  fimd  im  Teatro 
del  Foleone  während  der  Fastenzeit  statt,  and  naäidem  dieselbe  Oesellsohaft  ihre 
Vorstellungen  naeh  dem  Teatro  da  S,  Apoetino  verlegt  hatte,  wird  eine  weitere  Auf- 
führung im  Juni  desselben  Jahres  in  diesem  Theater  veranstaltet  worden  sein. 

Mailand. 

Zu  den  Mailänder  Aufführui^en  k6imen  wir  hinzufügen: 
1820,  Januar  1.     Teatro  Be  in  8.  Sakatore 
und  1872,  November.  Teatro  Dal  Verme. 

Neapel. 

Zur  Vervollständigung  der  vom  Verfasser  gemachten  Angaben  bemerken  wir, 
daß  die  erste  Auffahrung  im  Teatro  del  Fondo  am  14.  Oktober  1812,  sowie  die- 
jenige im  B.  Teatro  San  Carlo  am  6.  Juli  1834  erfolgte. 

Bom. 
Erste  Aufführung  im  Teatro  deßa  Vaüe  am  11.  Juni  1811,  und  im  Teatro 
ApoUo  am  4.  März  1874. 

Turin. 

Erste  Aufführung  im  Teatro  d'Angennee^  autunno  1815,  und  im  Teatro  Ca- 
rignano  am  14.  Oktober  1828. 


Die  erste  Aufführung  des  Don  Juan  fand  hier  im  Teatro  di  8.  BenedeUo  im 
Frühjahr  1833  statt 

Ober  weitere  DarsteUungen  in  Italien  können  wir  berichten: 

Bologna^  Teatro  Badini,  eamevale  1818. 

Panna,  Teatro  Dueale,  26.  December  1821. 

MaHa,  Teatro  Begio,  autunno  1833. 

Bußland. 

8t,  Petersburg. 

Über  die  erste  Aufführung  in  deutscher  Sprache  ließ,  sich  bedauerlicherweise 
nichts  erairen.  Die  erste  russische  Darstellung,  nach  der  Übersetzung  von  Ra|^hael 
Sotoff,  ist  vom  Verfasser  richtig  mitgetheilt;  dagegen  fand  die  erste  italienische 
bereits  in  der  Saison  1829/30,  zu  Anfang  derselben  statt 

Biga. 

Zu  diesem  Abschnitt  ist  die  erste  Aufführung  im  neuen  Stadttheater  am 
5/17.  Mai  1864  nachzufügen. 

In  Beval  gelangte  Don  Juan  bereits  1797  im  neuerrichteten  Aktientheater  zur 
Darstellung. 


239  Kritiken  und  Beferate. 


Schweden, 
StoeKhohn, 
Die  schwedische  Textübersetsung;  zur  ernten  Darstellung  im  königlichen  Opem- 
hause  rührt  von  G.  Q.  Nordforss  her  und  wurde  gelegentUä  der  Aufführung  1S56 
von  W.  Bauck  neu  bearbeitet. 

Die  Erwähnung  einer  Aufführung  zu  Bergen  1877  durch  eine  reisende  deutsche 
Opern-Gesellschaft  dürfte  nicht  ohne  Interesse  sein. 

Spanien 

ist  von  dem  Verfasser  ganz  imberücksichtigt  gelassen;  wir  ergänzen  somit: 
Madrid,  Teairo  de  la  CrtAZ,  am  15.  December  1834. 
»        Teatro  Real,  am  20.  April  1864. 

Amerika. 

Zu  den  New- Yorker  Darstellungen  des  Don  Juan  wollen  wir  nicht  unerwähnt 
lassen,  daß  noch  zwei  erstmalige  Aufführungen  in  italienischer  Sprache  in  der 
Aeademy  of  Mtmc,  im  April  1857  unter  Strakosch,  sowie  in  Pikett  Ooera  Homt, 
im  Januar  1868,  stattfanden ;  dagegen  ist  zu  Buenos  Aires  im  Teairo  Coton  die  erste 
italienische  Aufführung  angeblich  am  1.  Februar  1869  absolvirt  worden. 

Wir  sind  weit  davon  entfernt  zu  glauben,  mit  vorstehenden  Berichtigungen 
und  Ergänzungen  die  Bühnenstatistik  des  Don  Juan  auch  nur  annähernd  erschöpft 
zu  haben,  im  Gegentheü,  wir  glauben,  daß  noch  manche  Daten  zu  Tage  gefordert 
werden  können,  und  es  sollte  uns  freuen,  wenn  hiermit  eine  Anregung  dazu  ge- 
geben wäre.  Hoffentlich  ist  es  uns  auch  gelungen,  dem  Verfasser  zu  demonstriren, 
daß  er  zu  seiner  Arbeit  das  wesentliche  darüber  vorhandene  Quellenmaterial  un- 
beachtet gelassen  hat.  Dasselbe  würde  auch  für  seine  weiteren  Zwecke,  in  Bezug 
auf  Rollenbesetzung,  Aufnahme  seitens  des  Publikums  etc.  manche  interessante 
Aufschlüsse  geliefert  und  ihm  zugleich  ersichtlich  gemacht  haben,  daß  es  wirklich 
weniger  die  so  oft  hervorgehobenen  Intriguen  Salieri's  und  seines  Anhanges  waren, 
welche  dem  Don  Juan  anuings  eine  mehr  oder  weniger  laue  Aufnahme  verschafften, 
sondern  daß  hieran  entschieden  der  damaÜge  Geschmack  die  Hauptschuld  trug. 
Salieri  hatte  sich  wahrlich  nicht  darüber  zu  beklagen,  daß  ihm  bis  zum  Erscheinen 
der  Zauberflöte  durch  Mozart  erhebliche  Konkurrenz  gemacht  wurde.  Er  stand 
1787/88  auf  der  Höhe  seines  Ruhmes,  seine  Opern  fanden  sich  in  sämmtliohen  Ke- 
pertoiren  vertreten  und  dominirten  selbst  da,  wo  sein  persönlicher  Einfluß  kaum 
maßgebend  sein  konnte.  Noch  übertroffen  jedoch  an  Zahl  der  Aufführungen  wurden 
beide  durch  Dittersdorf,  dessen  von  1786—1791  komponirte  Singspiele  auf  allen 
deutschen  Bühnen,  selbst  den  kleinsten,  vorherrschten. 

Wider  den  Geschmack  läßt  sich  schwer  kämpfen.  Selbst  ein  Mozart  konnte 
es  erst  durch  das  demselben  in  seiner  Zauberflöte  gemachte  Zugeständniß  zu  einem 
nachhaltigen  Erfolge  bringen,  dem  es  vielleicht  mit  zu  verdanken  ist,  wenn  sich 
nach  seinem  Tode  allmählich  wieder  die  Aufmerksamkeit  auf  sein  Hauptwerk  lenkte, 
um  es  alsdann  für  das  zu  erkennen,  was  es  ist,  ein  Meisterwerk  aller  Zeiten. 

Allen  denen,  welche  auf  das  statistische  Material  weniger  Gewicht  legen, 
könren  wir  das  Freisauff'sche  Buch  nur  empfehlen.  Die  Erzählun^weise  ist 
fließend  und  anregend,  die  Ausstattung  der  Veranlassung  würdig  und  die  Beigaben 
sind  höchst  interessant. 

Rostock.  Albert  Sohats. 


Niederländische  geistliche  Lieder  nebst  ihren 

Singweisen 

aus  Handschriften  des  XV.  Jahrhunderts. 


Von 

Wilhelm  Bäumker. 


Hdschr.  B.  Bl.  102a.  ^^• 

Als  ic  aensie  myns  leuens  lanc. 


I — I 


i 


:*=*: 


± 


^ 


*«=F 


^^ 


Als     ic     aen  -  sie  myns  leu  -  ens   lanc,       so    peyns  ic    oiu 


^^ 


^m 


w=^- 


den  doot,  dien    ic     steruen      sal,     ic     en    weet  hoe  -  neer, 


!      1 

ic     bid  -  de    god,  dat     hi 

1 .  Als  ic  aensie mvn  leuen  lane,  [Bl.  1 36  a.] 
so  peyns  ic  om'den  doot,  die  ic  steruen 

sal, 
ic  en  weet  hoeneer, 
ic  bidde  god,  dat  hi  mi  vrys 
den  naesten  keer.  ^ 

2.  O  mensch,  sich  aen  dyn  valsche  leuen, 
goeden  raet  sei  ic  dl  gheuen 

tot  minen  ryc: 

ISSS. 


mi    wys    den  nae  -  sten  keer. 


mynne  en  verdrach  dyn  euen  kersten 
als  dyn  ghelyc. 
3.  Wi  mochten  wel  peynsen ,  waren  wi 

des  vroet, 
wat  ihesus  om  smenschen  wille  ver- 

droech 
tot  eenre  stont, 

doe  hi  hem  van  iudas  cussen  liet 
an  sinen  roden  mont. 

20 


288 


Wilhelm  Bäumker, 


4.  Hi  letet  doer  der  mynnen  brant 

die  here,  die  gheen  ghenade  en  vant,  I 

nooli  gheen  en  socht,  | 

hi  leet  dat  hem  te  liden  stont  di  here, 

diet  al  wel  vermocht. 
5.0  soete  maria,  wat  is  dit  leuen? 

die  hier  om  peynst,  syn  hart  [BL  136b.] 

mach  beuen. 

wi  moeten  steruen, 

Sternen,  steruen  is  onser  alre  erf, 

wi  moeten  steruen. 
6.  Help  ons  maria,  waerde  rrou^re. 

in  al  deser  iirerelt  en  is  gheen  trouwe, 

haer  loen  is  cranc, 

Der  vollständige  Text  Bl.  136  hat  die  Üherschrift:   y>Ic  voer  tct  meyen  oueraly 
in  dat  com,  in  dat  cruytii, 

Versmaß  unregelmäßig: 


si  seilen  vergaen  als  diese  minnen, 
tSL  cort  of  lanc. 

7.  Hi  leet  dat  om  des  menschen  wille. 
hi    sei    noch  spreken,    al   swycht  hi 

stille, 
ten  ioncsten  daghen, 
dair  en  sei  helpen  suluer  noch  gout, 
vrienden  noch  magen. 

8.  0  mensche,  ic  heb  v  dicke  gheseit 
Biet,  dat  ghi  v  te  tide  bereit, 

eer  ic  v  arre, 

ic  sende  myn  bode  onder  tusscfaen, 

al  woen  ic  varre. 


v^    _  s-/  — 

\^     —  v^  _ 

\^  ^  \^ 

V-/      _  V^'  _ 


-H 

^'    —    v> 

-H 


-H 
-H 

-H 


Bl.  102  b. 


52. 


i 


Heer  ihesns  eristos,  lof  ende  danc. 

4- 


*=*: 


i 


; 


3^=:^ 


^ 


jf.m 


:^=m 


t=^f=^ 


Heer  ihe-sus  cri-stus,  lof    ende   danc       si      v     tot     al  -  le 

I — i~i 


'  r 


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i 


4- 


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i 


:*=:*: 


ston  -  den,      ont-fenct  myn  cleyn  lof,     al     is  -  set  cranc. 


S^ 


i 


-¥ 


t^ 


H-;^4^ 


:*3: 


ver-gheeft   my    al     myn     son       -       den. 

Man  könnte  auch  (:' -Vorzeichnung  nehmen. 


1.  Heer  ihesus  cristus,  lof  en  [Bl.  14^a.] 

danc 
sy  ▼  tot  alre  stonden, 
ontfanct  myn  cleyn  lof,  al  isset  cranc, 
vergheeft  mi  al  myn  sonden. 

2.  Die  werelt  te  dienen  is  al  verlies, 
des  lyt  myn  hartgen  rouwe, 

ic  bid  die  waerde  maecht  maria, 
dat  si  my  sy  ghetrouwe. 


3.  Myn  lief,  dat  ic  vercoren  heb, 
dat  staet  in  minen  sinnen, 
tis  ihesus  cristus  marien  soen, 

?od  laten  my  ghewinnen. 
c  bid  V,  maria,  voir  minen  scult, 
ic  roep  aen  v  ghenaden, 
wilt  mi  verbidden  voir  uwen  kint, 
so  en  mach  mi  nyemant  scaden. 
5.  Ic  rade  alle  ionge  maechden, 


i  Vgl.  S.  163. 


Niederländische  geistliche  Lieder  nebst  ihren  Singweisen  etc. 


289 


dat  sy  in  gode  leuen, 
60  mögen  sy  nv  en  ewelic 
mit  ihesus  syn  verheuen. 
6.1c  rade  alle  reyne  harten, 


syn  si  man  of  yrouwen, 

dat  sy  in  gode  leuen  altois,   [Bl.  150  a.] 

ten  sal  hem  nymmermeer  rouwen. 


Der  Text  Bl.  149  hat  die  Überschrift.-  »Venus  crou  gae  gys  my  o/,  sa  ft/y/ic«. 
Versmaß : 


\^  ^   <^   ^   \j  ^ 


v-/'     


_       S-/ 


_       \^       _       N>>      — 
\^       ^       \^       V^ 


Bl.  102  b. 


53. 


i 


lo  dronc  soe  gaerne  den  zueten  most. 


& 


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4- 


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Ic    dronc     soe         gaer  -  ne    den  zue  -  ten        most,     die    dair 


i 


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t  ♦  ♦" 

wt  des     va  -  ders  borst  mit    gro  -  ter    gon-sten. 


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•»—»: 


heer    ihe-sus     be  -  taelt     al  myn,     al    mi-nen    cost. 


die  mensche. 

i.Ic  dronc  so  gaime  den     [Bl.  143b.] 

Boeten  most, 
die  dair  vloeyt  wt  des  vaders  borst 
mit  groter  gunste, 
heer  ihesus  betael  al  minen  cost. 

Ihesus. 
2-  Soud  ic  al  dyn  quytscelder  syn, 
so  mostu  draghen  myn  passi   en   pyn 
al  in  dat  harte  dyn, 
so  moechstu  blide  int  eynde  syn. 

die  mensche. 
3. 0  heer,  du  wyste  my  al  opt  liden, 
ic  soude  nv  gaerne  mitti  verbliden 
ende  ewelic  mede  vrolic  svn, 
mar  steruen  dat  is  grote  pyn. 


Ihesus. 

4.  Soe  wie  dat  sterft  in  corter  tyt, 
in  groter  glorien  wort  hi  verblyt 
al  in  dat  rike  myn, 

dair  wort  verdreuen  al  hartsen  pyn. 

die  mensche. 

5.  O  heer,  het  moet  al  ghestonien  syn, 
datter  lu stich  is  den  yyf  synnen  myn, 
en  dat  is  grote  pvn,  [Bl.  144a.] 
mar  tis  cleyn,  wilstu  myn  hulper  syn. 

Ihesus. 

6.  Och  w^oudstu  nv  dyn  harte  my  eheuen, 
ic  soud  dt  cronen  int  ewighe  leuen 
mit  een  vergulden  croen, 

ghif  my  dat  harte,  nem  my  te  loen. 


Der  voUstHndige  Text  BL143  hat  die   Überschrift:   nNoch  dronc  ic  so  gaerne 

die  coele  tcyn«. 

Versmaß  : 


O'    —     V-     —     W_v^__ 


s^     


»_     S-/     _     w     — 


\^      \J      —      S-/'      

\y'     \u     \^     —     v-/     


20* 


290 


Wilhelm  Bftumker, 


Bl.  103  a. 


54. 

Midden  indeu  hemel. 


^ 


^^ 


♦  ♦ 


r  t  ♦ 


t 


Mid-den      in-  den      he  -  mel,     dair  schynt  een   licht,  tb 


w^^^T^i  1  n  ^  t~^ 


clair, 


men   vin-ter    al  -  so     me-nich  sco-ne        ziel 


i 


*  ■>  ♦ll 


on-trent  beer    ihe-sum    staen, 


^^ 


men    vin  -  ter  al  -  so 


t±A .  *  *n 


^ 


1 


me-nich  sco  -  ne        ziel        ontrent  heer  ihe-sum  staen. 


1.  Midden  inden  hemel,      ^     FBI.  148  a.] 
daer  schynt  een  lieht,  tis  clair, 
men  yinter  also  mennieh  scone  ziel 
ontrent  heer  ihesum  staen. 

Men  yint  etc. 

2.  Si  syn  daer  also  vrolich 

ende  sinshen  also  zuetelich  [Bl.  148  b.] 
ten  verariet   hem  nymmermeer ,    ten , 
dunct  nem  oic  niet  lang 
die  ouer  grote  weelde.  i 

Ten  verdriet  etc.  ' 


3.  Die  moeder  en  reyne  maghet, 
die  gode  so  wel  behaghet, 

si  singt  dair  also  scoen,  si  maect  so 

groit  iolyt 
voir  al  die  edel  scare. 

Si  singt  dair  etc. 

4.  Hier  wil  ic  mi  toe  keren 
wt  al  myn  hartsen  gheren, 

die  bliscap  is  groit,  si  duert  oec  altois, 
si  al^  altyt  vermeren. 

Die  bliscap  etc. 


Der  vollständige   Text  der  Handschriß  Bl  148  hat  die   Üherschriß:   »Midden 
in  der  meyeHf  dair  spruyt  een  born,  tis  dair«. 

Versmaß  unregelmäßig: 

M  -  ^  -  ^  -  ^  (-) 

\-/    _    ^-/    __    v./   — 

v^»_W     —     V^     —     W    — 

v-/    _    v^    _    v-^    _ 


^  Schreibfehler  für  sal. 


i 


Niederländische  geistliche  Lieder  nebst  ihren  Sing^eisen  etc. 


291 


Bl.  103  b. 


55. 

Genaed^  genaed  dat  Is  myn  wacht. 


i 


; 


±^ 


i 


3^ 


:»     4-    ♦■ 


'^^^^ 


Ge-naed,  ge-naed  dat    is 


rr7^i.i.:r^  - 1-^ 


^^^^^ 


3BE 


myn     wacht, 


noch  hulp  noch  troest  op  airden  gheen 


; 


j^r^~^"^^^^=PH 


:?:*: 


en  vind    ic,     des  heb    ic    ge-dacht,     te    zoe  -  ken  ihe-sum 


^ 


^^^^^^ 


cristum  dach    en-de   nacht,  tent      i-cken  vind  myn  troest  al- 


ST^Tl 


^ 


■^♦♦^4 


leen. 


O     ihe-su  heer,  ic    bid   di  zeer, 


; 


; 


^ 


* 


4    4-''^^  »7^rr 

wes     mi     doch  tru      en       help     mi      nv,       end    laet     mi 


sceiden     nymmermeer    van    di,      al    hin-der     van    mi   keer, 


^ 


i 


m 


±3^ 


want    an  -  ders    wair  myn      le  -  uen  gru. 


J.  Ghenaed,  ghenaed  dat  is  [BL151b.] 

myn  wacht, 
noch  hulp  noch  troest  op  aerden  gheen 


en  vind  ic,  des  heb  ic  ghedacht, 

te  zoeken  ihesum  cristum  dach  en  nacht 

tent  icken  vind  myn  troest  aUeen. 


292 


Wilhelm  Bäumker, 


O  ihesu  heer,  ic  bid  di  zeer,  I 
wes  my  doch  tru  eü  help  mi  nv,  j 
end  laet  my   sceiden   nymmer- 

meer  2 

van  di,  ftl  hinder  van  my  keer, 
want  anders  wair  myn  leuen  gru. 

2.  Ocharm,  ocharm  ic  heb  misdaen.. 
wat  troest  wair  my  verloren  gast, 

Der  Text  Bl.  151  hat  die  Überschrift: 
moetfi. 


Versfnafi 


deed  ihesus  alleen,  sonder  waen, 
hi  is  bereit,  bereit  altois  tontfaen. 
die  hem  ontslaet  der  sonden  last. 

O  ihesu  heer  etc. 
Ic  wil  in  hoepen  staen, 
altois  op  ihesus  wel  ghemoet, 
hi  sal  my  nymmermeer  ofgaen, 
set  ic  m}'n  hart  op  hem  roirtaen, 
help  suete  ihesus  nier  toe  spoet. 

O  ihesu  heer  etc. 

»Adieu  ^   adieu  lief,  goeden  f tackt,  nu 


.v^.^^.v^^w. 


Refrain. 


Die  Noten  ohne  Text  am  Anfange  des  Liedes  scheinen  auf  eine  Instrumental- 
einleitung liimuweisen.  Iti  Bezug  auf  die  weißen  Noten  vergleiche  man  die  Ein- 
leitung, S.  163. 


Bl.  104  b. 


56. 


Der  snnerllcster  reynre  maecht. 


; 


^ 


^zr=^TT=l 


^ 


r-» 


Der  8u-uer-lic-8ter   reynre  maecht,  der  lief-flter  bloem,  dien 


»T  ^t  »t 


^ 


CT 


*=*: 


i 


ic    mit     o~gen  ye     ge-sach,   dat     is     ma-ria.     Si      is    een 


i^^^^^gffTTTtf=r^ 


le-uen-de    me-di- cyn     der  hartsen  myn,     si     is     so    fyn. 


v=^ 


^^ 


*=*= 


^ 


81 


is     so    hoech    ge  -  bo 


ren. 


Niederlftndische  geistliohe  Lieder  nebst  ihren  Sing^eisen  etc.  293 


l.Der  suuerlichster  reynre    [Bl.  127b.] 

maghet, 
der  liefster  bloem, 
dien  ic  mit  oghen  ye  ghesach, 
6a^  in  maria. 

Si  is  een  leuande  medieyn 
der  hartBen  myn, 
si  is  so  fyn, 
si  is  so  hoech  gheboren. 

2.  Myn  hart  verblyt,  myn  sin  verhuecht, 
myn  moet  verfroyt, 

als  hären  naem  mi  voren  coemt 

wt  milder  schyn. 

Si  is  een  lenende  medieyn 

der  hartsen  myn, 

si  is  so  fyn, 

si  is  so  hoech  gheboren. 

3.  Si  is  die  clare  morghen  starre, 
si  schynt  so  schoen, 

d  lichtet  inder  aerden 

en  in  des  hemels  troen. 

Als  my  mach  svn 

hair  dair  aenscnyn,  [Bl.  128  a.] 

so  bin  ic  bli, 

ic  danc  den  hoechgheboren. 

4.1c  mynne  maria,  die  suuer  maecht, 
mit  harten  reyn; 
want  hare  reyne  maghedom 
is  een  fonteyn, 
Daer  alle  gracie  vloyet  wt. 
si  is  myn  bniyt, 
een  bloyende  spruyt, 
wt  yesse  hoech  gheboren. 

5.  Maria,  die  alre  soetste  bloem 
des  paradys, 

hair  suete  rooc,  hair  suuerheit 
die  geeft  hair  prys. 


Si  is  myn  troest,  myn  toeuerlaet, 

daer  al  myn  raet 

efi  hoep  an  staet. 

ic  heb  hair  wtuercoren. 

6.  Si  is  een  groene  p^lme  rys 
mit  bloeysem  scoon, 

die  soetelib  bedouwet  is 

Yten  hoghen  troon. 

Der  iiefster  duue  die  rast  in  hair. 

der  enghelen  schair 

die  singhen  te  gair 

in  hären  hoghen  loue. 

7.  Maria  die  is  een  soet  prieel, 
vol  weelden  al, 

si  is  een  suuerlio  lustelic  dal, 

vol  lelien  al. 

Si  is  te  mael  verdriete  van  [Bl.  128  b.] 

mit  vruechden  dan, 

denc  ic  dair  van 

myn  leet  can  si  verdriuen. 

8.Haer  eerbaerheit,  hair  fyer  ghelaet, 
hair  soet  aenschyn, 
hair  edel  wesen,  hair  lieflicheit 
beuanghet  my. 
Si  is  een  duerbair  margaryt, 
dair  al  aertryc 
of  is  verblyt 
doer  hären  lieuen  zoene. 

9.  Hier  om  sei  ic  in  dienste  syn 
tot  hären  vil, 

al  TTfdrt  oic  al  den  mynen  leet, 
oft  so  gheniL 

Want  sy  mi  vrolic  leuen  doet, 
als  ic  hair  gniet 
ghifb  si  my  moet, 
mocht  ic  hair  noch  anscouwen. 


Der  volUtandige  Text  der  Handechriß  Bl  727  hat  die  Überechrift :  »Tliefste 
wyf  heeft  my  versaeet,  dat  maeet  my  out,  dair  om«. 


Versmaß : 


s./ 


_-    v-/    —    s/    _ 


V-^     _      V^»      —      s-/     


_     v^    _     v^'    __ 


_     Vy»     —      >-y 


294 


Wilhelm  Bftumker, 


Bl.  105  b. 


57. 


Een  nye  liet  sal  ic  t  leren. 


ma-ken  kont;  tis  van  ihe-sus    on-sen    he-  re       en    ran 

II  II 


^    ♦    ♦      i      i 


I 


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s 


i 


t 


ma-ria  der  ma-get  ionc,  wel    zue-te  ihe-sus  tot    al  -  re  stont 


T 


; 


i 


— I — I- 


+ 


♦    i     » 


sceiden  wair    my  confuus.    Werelt,  nv  laet  staen 


i 


^m 


HI*: 


cloppen,     in     myn    hert   dair  woent  ihe  -  sus. 


1.  Een  nye  liet  sal  ic  v  leren  [Bl.  151b.] 
en  dat  sal  ic  v  maken  kont; 

tis  van  ihesus  onsen  here    [BL  152  a.] 
en  van  mary  der  maghet  ionc, 
wel  zuete  ihesus  tot  alre  stont 
van  V  te  sceiden  wair  mi  confuus. 

Werelt,  nv  laet  staen  v  cloppen, 
in  myn  hart  daer  woent  ihesus. 

2.  Ihesus  min  wil  ic  draghen 
en  laten  aUe  creaturen, 

ic  hebt  soe  dick  scoen  hören  waghen, 
ic  vant  eheloghen  tot  alre  vren, 
die  werelt  te  dienen  is  niet  dan  trueren, 
van  god  te  sceiden  wair  my  confuus. 
Werelt  etc. 

3.  Snachts,  ontrent  der  middemacht, 
so  salmen  dan  mit  vlyt  opstaen 
en  mit  gode  syn  bedacht; 


so  salmen  ihesum  louen  eaen, 
van  minnen  heeft  hi  den  doot  ontfaen, 
van  hem  te  sceiden  wair  my  confuus. 
Werelt  etc. 

4.  Als  men  van  allen  vrouwen  seryft, 
so  heeft  maria  die  meeste  [BL  152b.] 

doecht, 
want  si  in  also  corter  tyt 
drouighe  harten  seer  verhoecht, 
van  hair  so  seryft  men  altyt  doecht, 
van  hair  te  sceyden  wair  my  confuai. 
Werelt  etc. 

5.  Maria  dat  was  die  suetste  maecht, 
die  onter  airden  ye  ghequam, 

si  haa  so  groit  warachtige  minne, 
dat  ihesus  seluer  tot  hair  (|uam, 
onser  alre  salicheit  lach  dair  an, 
hair  wairde  lichaem,  dat  was  syn  haus. 
Werelt  etc. 


Der  volUtändige  Text  BL  161  hat  die  Überschrift;  nie  sotule  so  gaenu  een 
hoeltgen  verkiesen,  dorst  ic  tcel  auenturen«. 


Niederländische  geistliohe  Lieder  nebst  ihren  Sing^eisen  etc.  295 


Versmaß: 


{ 


Bl.  107  a. 


\j  - 

\^    . 

V^     - 

58. 


:4 


J2</^atn. 


Mi  Inst  te  loaen  hoghentlye. 


^m 


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^ 


^=*: 


Ft^^^^ 


Mi  lust    te    lou-en   ho-ghentlyc 


^^T^ 


♦    ♦♦ 


^ 


i 


die   rei-nic-heit  so    pu  -  re,        der    en-ghe-len    staet  maect 


i 


^ 


+ 


^^=t 


^m 


^*: 


:*=* 


sy    ghe-lyc       die  aertsche  cre-  a  -  tu    -     re.     laet  ons  see 


minnen     al    ghe-lyc,         wänt  e  -  del    is    hair  na -tu  -   re. 


1.  Mi  lust  te  louen  hoghelyc  [BL  146  b.] 
die  reynicheit  so  pure, 

der  enghelen  staet  maect  si  ghelyc, 
die  aertsche  creatuie, 
laet  ons  se  mynnen  alle  ghelyc, 
want  edel  is  hair  nature. 

2.  Si  wort  ghenoemt  een  paerle  fyn, 
waer  duse  conste  ghelisten, 

een  duerbaer  scat,  als  si  is  dyn, 

en  wilse  niet  yerquisten, 

want  du  bist  ryc  in  armen  [Bl.  147a.] 

schYn, 
behaechUc  den  hemelschen  gheesten. 

3.  Als  groeyt  en  bloeyt  Tan  telgen  scoon 
een  boem  mit  goeder  yruchten, 

so  schyntte  Toer  ons  heren  troon, 
O  reynicheit,  wiU  niet  suchten, 


dyn  boem  brenct  hondertfoudich  loen, 
dyn  lampen  seilen  Toir  di  lichten. 
4.lfen  lely,  die  Toer  gode  bloeyt^ 
bistu,  o  goods  yriendynne, 
van  verwen  root,  van  erachte  Yermoeyt, 
ses  bladen  gheel  Tan  bynnen, 
Tan  doomen  dicwyi  seer  ghemoeyt, 
dit  seltu  gheestelic  Tcrsynnen. 

5.  Dese  duechd   heeft    oic  Tan    Toirdel 

airtr 
dat  si  den  menschen  reyne 
Tan  binnen  eil  Tan  buten  bewairt, 
daer  om  mynt  hy  se  alleyne; 
god  is  der  harten  brudegom  sairt, 
WCS  eer  en  is  niet  deyne. 

6.  Joncfrouscap  exempel  scone 
wi  hebben  in  maria, 


»  Vgl.  S.  163. 


296 


Wilhelm  Bäumker, 


doer  welc  si  wan  gods  zone. 

laet  ons  hem  benedien, 

hi  wort  bekent  der  ionc-   [Bl.  147b.] 

frouwen  loen, 
dat  dede  hair  cuyscheit  vrye. 
T.Marien  Tolchde  een  scaerre  groot 
Yen  ioncfrouwen,  die  ffheen  pine 
om  god  ontsaghen  nocn  die  doot, 
als  agnes  ende  katherine. 


mar  veel  te  nomen  en  is  gheen  noot, 
mar  begheren  mit  hem  te  sine. 
8.  Si  Tolghen  ihesum  stadelic. 
hair  cleideren  syn  so  reyne, 
si  singhen  alte  suuerlic  * 
een  nyewe  liet  aUevne 
mit  harpenspel  in  ^emelnjc, 
hair  croon  is  niet  ghemeyne. 


Der  Text  Bl.  146  hat  die  Überschrift:   »Om  18  rerienghet  een  deeh  den  dach, 
ons  doet  ghewach  cleyn  tcout  voghelkyn  d'maerU. 


Versmaß : 


^/      —      "W      —  \-/  —  'y^  — 

\^      —      \-/  v»>  \^ 

V^'      _•«-.'—  \-^  —  V-/'  _ 

•^    _    v./  —  v-/  —  v-/ 


\>      _      v>     — 


w/    — 


\^      —      \J     —      <-/      —      V-/ 


Das  Lied  steht  nach  einer  Handschrift  des  XV.  Jahrhunderts  facsimilirt  zugleich 
mit  einetn  lateinisdien  Texte  »Me  Juvat  laudes  eanere  preclare  castitatis*  in  der 
Dietsehen  Waratide  1S57  No.l2.  Ah  Verfasser  wird  Thsodaripus  de  Gruter  angegeben. 


Bl.  131a. 


59. 


^m 


Ny  Is  doch  heen  der  heiligen  stryt 

♦♦  ♦»  ■ 


£^E^ 


i 


Nv     18     doch     heen     der    heiligen    stryt,       si      sjn      nv 


■^ML 


^^-♦— rr- 


H^=3^ 


t 


I r 


m 


weel  -  den.       Sy    wa  -  ren     vroem     en    Trel     ghe  -  moet. 


**: 


rechtuer  -  dich     en  -  de    dair  -  toe     goet      al     tot  -  ter 


le  -  ster  ston-den.    Dat   li  -  den      is      nv    heen     ge  -  g&eii) 


Niederländische  geistliche  Lieder  nebst  ihren  Singweisen  etc. 


297 


^♦--^ 


:**: 


»>♦♦    ♦♦ 


♦♦    ♦♦ 


en  groot  loen    heb-ben    si      ont  -  faen,    al   son-der    waen, 


^4=3: 


:**: 


m 


^^ 


i 


^ 


in  won-der  -  li  -  ker    min-nen.       Men  siet     haer    duechd 


^^^-^ 


♦  ♦  ♦♦ 


:**; 


S±±=»: 


SO    scbo-ne     staen,     des  wil-len      wi  -  se    om-me-uaen, 


i 


>=3t 


±>-rr 


li«: 


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en    ons    ont  -  laen        all    dat     ons    bier  mach    sca  -  den. 


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Des  wil-len   wi   ons  ver-bli-den  in     ha-ie    zue-ter     acht, 


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men  hoirt  tot    al  -  len    ti  -  den      hair  wairder  woir-den  cracht, 


T*    '    i    .    .    1 


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hair    lief-li  -  ke     le  -  ren,  dat  doet  ons  vroechden  me    -    ren, 


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E^ESI^ 


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hair  lof    is     me-ni-gher   ley  -  e. 


1.  Nt  is  doch  heen  der  heiligen  [Bl.  131a.] 

stryt, 
si  syn  nv  mit  god  seev  verblyt 
in  ouer  groter  weelden. 
8y  varen  yroem  efi  wel  ghemoet, 


rechtuerdich  en  dair  toe  goet 
al  totter  lester  stonden. 
Dat  liden  is  nv  heen  gegaen, 
efi  groot  loen  hebben  si  ontfaen 
al  sonder  waen, 


298 


Wilhelm  Bäumker, 


in  wonderliker  minnen. 

Men  siet  haer  duechd  so   [BL  131b.] 

schone  staen, 
des  willen  wise  ommeuaen 
en  ons  ontlaen 

all  dat  ons  hier  mach  scaden. 
Des  willen  wi  ons  verbilden 
in  hare  zueter  acht, 
men  hoirt  tot  allen  tiden 
hair  wairder  woirden  cracht, 
hair  Heflike  leren, 
dat  doet  ons  vroechden  meren, 
hair  lof  is  menigher  leye. 
2.  Die  glori  goods  is  ouer  clair,  [Bl.  132a.] 
myn  hoep,  myn  troest,  die  is  al  dair 
wt  al  myn  hartsen  gheren. 
Dair  is  vroechd  eß  vrolicheit, 
blyscap  eil  zueticheit, 
men  maehs  hier  niet  versinnen. 
Een  dach  meer  yruechden  heeft  aldair, 
dan  hier  doen  hondert  dusent  iair, 
dats  ymmer  wair, 
wantmen  vintet  so  bescreuen. 
O  wairde,  hoghe,  edel  moet, 
die  nv  hier  na  syn  harte  doet, 
hi  is  vroet, 

ten  sal  hem  nymmermeer  rouwen. 
Des  willen  wi  ons  verbliden 


in  deser  zueter  gedacht 
eil  laten  ons  niet  ontgliden, 
hier  aen  leit  grote  macht, 
hier  om  die  te  dencken 
dat  is  nv  groitlic  noet,' 
willen  wi  werden  bi  gode  grote. 
3.  Ic  heb  tot  noch  so  zeer  sedwaelt, 
grote  scade  heb  ic  behaeit 
in  vergankeliken  dingen. 
In  my  seinen  wil  ic  nv  gaen 
en  alle  dingen  laten  staen 
e&  wil  oic  nv  beghinnen; 
Ten  mach  hier  niet  lang  gedueren, 
die  genoecht  der  creatueren, 
in  corter  vren 
ist  al  hier  verloren. 
Ic  wil  nv  myns  selfs  auegaen 
en  alle  dinc  te  niete  slaen 
en  voirtaen 

myn  herte  tot  gode  keren. 
Nv  wil  ic  mi  vernieten 
in  cristus  diep  oetmoet, 
ic  Salt  oic  eens  genieten, 
s}!!  trou  is  also  groet; 
och  wair  ic  van  sonden  bloet, 
dat  wair  myn  ziel  so  ouer  groet, 
an  hoep  staet  al  m}ii  troeste. 


Wie  die  Überschrift  besagt^  ist  die  Melodie  dem  Liede  entnotnmem    ^Nu  u 
doch  heen  des  winters  stryt,  en  ons  getutect  die  zute  tyt«. 

Versmaß:       •     ^_v>  —  v>_^_     | 


\-»_V-/     —     W     —     v>__ 


^>      — .      N^      _      S^      \^ 


\^    —  \^  —  v^    \y    — 

\^    —  \^  —  \^  —  »^    , 

s>    —  v-/  __ 

N^      __  '^      ^•^  _  V^ 

\^      O'  _-.  O      V-/ 

S-/  —  O  —  V^'  — 

N-/       —  V.>  _->-/_  W 

v-/  _  V-/  —  V-/  — 

v^     _  V-'  _  s^  _  V> 

^      _  V>  _  S-/'     \^ 

O'  —  ^/  —  v.^  __ 


Bl.  103b. 


60. 


Wat  wonder  heeft  die  mynue  ghewrochtl 


i 


i 


i 


i 


Wat  won-der  heeft  die    myn-ne    ghewrocht!       si    heeft  die 


Niederländische  geistliche  Lieder  nebst  ihren  Sing^eisen  etc. 


299 


i 


* 


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3m 


goeds  zoen  ne-der  ghebrocht,       so    dat     hi     is    ge  -  co  -  men 


^ 


^ 


mit   cracht,    al     in -der  maecht  ma  -  ri   -   en 


1 .  Wat  wonder  heeft  die  mynne  [Bl.  142b.] 

gewracht ! 
die  ffods  soen  si  heuet  nederghebracbt, 
so  dat  hi  is  ghecomen 
al  in  der  maghet  marien. 

2.  Nt  hoert,  wat  heeft  hi  meer  ghedaen ! 
syns  Taders  ryc  heeft  hi  gelaten, 
liden,  doghen  nam  hi  aen, 

eü  al  om  onsen  misdaen. 
3.1c  wil  my  seinen  leren  laen 

ende  dese  werelt  al  yersmaen, 

liden,  doghen  nemen  an 

en  al  om  cristus  Heften. 
4.  Die  minne  is  goet,  sprae  sint  iohan, 

die  van  den  hemel  neder  quam, 

menschen  forme  nam  hi  an, 

eii  al  wt  rechter  minnen. 


5.  So  wie  in  wairre  minnen  leeft, 
die  en  sei  niemant  verdomen, 

hi  sei  dat  quade  mit  goede  Ionen, 
so  dede  die  eoods  zone. 

6.  So  sei  hem  dan  alle  goet  geschien, 
al  archeit  sei  dan  yan  hem  vlien, 
so  wie  mit  rennen  oghen  can  sien, 
die  is  zeer  goet  yan  zeden. 

7.  Wie  gode  yolcht,  di  is  yroet, 

hi  draecht  die  duechd  in  sinen  moet, 
wel  hem,  die  dat  te  tide  doet, 
want  wi  moeten  schier  yan  henen. 

8.  Nv  gaet  ghi  voir,  ic  yolch  [BL  143  b.] 

V  nair, 
nochtan  is  mi  dat  sceyden  zwair, 
maria,  ^tou,  nv  helpt  ons  dair, 
al  dair  wi  svn  mit  vreden. 


Der  rolbtilndige  Text  BL  142  hat  die  Überschriß 
dat  goetf  tcant  ic«. 


nWat  teil  %c  sorgen  al  om 


Versmaß : 


•^    —    v^    —    v-Z—v^     — 
\^    __    v^    —    ^    _     .*> 


Man  vergleiche  No.  19. 


Bl.  95b. 


61. 


Wes  ghegruet,  o  wairde  rronwe. 


m- 


B=3=i^ 


t 


Wes    ghe-gruet,    o     wair-de     vrou-we,     dien     ic    min     in 


!  1  ^^"rH 


-1 


t 


gan  -  ser      trouwe,       co  -  üinc  -  ghinue  van     he  -  mel  -  ryc, 


300 


'Wilhelm  Bäumker, 


i 


ri=f=r 


dien  gheen  ma  -  gliet    en       es      ghe  -  lyc. 


Aue. 
l.Wes  ghegruet,   o  wairde     [Bl.  95b.] 

vrouwe, 
dien  ic  min  in  gaoser  trouwe, 
eonineghinne  van  hemelryc, 
dien  gheen  maghet  en  es  ghelyc. 

maria. 

2.  Maria,  sterre  ouerclaer, 
alle  nature  wert  dyns  waer, 
die  al  van  di  ontfanghen  heeft 
erachte,  wesen  end    datsi    [Bl.  96a.] 

leeft. 

plena. 

3.  Vol  van  doechden,  vol  van  eere, 
du,  die  bist  myns  hertzen  ghere, 
gon  mi  di  altoes  te  louen, 

nv  in  U't,  end  na  hier  bouen. 

gracia. 

4.  Van  ghenaden  is  sekerlye 
enghel  nach  mensche  d}nis  ghelyc, 
wanttu  baerdste  godes  sone, 

der  dinghen  al  een  spieghel  scone. 

dominus. 

5.  Die  beer  heeft  di  wtuercoren,  [Bl.  96b.] 
waerstu  niet,  het  bleeft  verloren, 
alle  dat  god  heeft  ghescapen: 
mannen,  vrouwen,  maechden,  knapen. 

tecum. 

6.  Mitti  es  alle  doechdlicheit, 
caritate,  oetmoedicheit, 
sweechstu,  spraechstu,   altoes  matich, 
revne,  stille,  lydsaem,  zatich. 

'  Tu. 

7.  Du  biste  suet,  hoech  ghetoghen, 
god  was  altoes  voir  dyn  oghen, 
in  dyn  leuen  hier  beneden 
scamel,  wys,  van  hoghen  zeden. 

benedicta. 
S.  Ghebenedvt  was  die  vre, 


daer  du  wordes  in  een  mure 
voir  onse  zielen  vast  gheset, 
die  den  viant  weert  ende  let. 

in  mulieribus. 
9.  Bouen  alle  wiuen  gheeert,     [Bl.  97b.] 
van  alle  scrift  in  god  gheleert, 
die  maghet  bleues  inder  dracht, 
teghen  alder  naturen  cracht 

et  benedietus. 

10.  Ende  ghebenedyt  voirwaer 
die  reynre  bist,  dan  alle  gaer 

.  alle  maechden  syn,  van  herten 
sonder  sonde,  sonder  smerten. 

fructus. 

11.  Is  die  vrucht  niet  begherent-  [BL  9Sa.1 

Sek, 
sueter  dan  zeme  smakeliek, 
die  dair  voirt  quam  van  dyn  liae 
sonder  enichs  mans  bedriue! 

*        ventris. 

12.  Dyns  bukes  lof,  dyn  reynicheit, 
dvn  scouwen  hoech,  dvn  weerdicheit, 
hogher  dan  wi  dencken  moghen, 
moet  ons  vast  in  gode  voghen. 

Ihesus. 

13.  Ihesus  eoninck,  keyser  mede,  [BL  98b.' 
wil  ons  setten  hier  in  vrede, 

wil  ons  gönnen  dyn  hemelr^^c, 
dat  bidden  wi  oetmodelyc !  * 

cristus. 

14.  cristus,  die  ghesaluet  biste, 
die  verwonnen  hebt  mit  liste 

die  viant,  die  ons  plach  te  quellen, 
bescherm  ons  voir  die  pyn  der  hellen ! 

Amen. 

15.  Amen  segghet  alle  gader, 
dat  gönne  ons  mitten  vader 
die  Boen  en  heüighe  ^eest, 
die  dair  syn  der  enghelen  feest 


Verstfiaß : 


W     —     \^     V-'      v^ 

_     v-/     —     ^-/'     —     V_/     — 
w      —     \->'      —     V^"     _ 


Die  Melodie  ist  dieselbe  wie  die  unter  No,  4  mit  wenigen  Varianten. 


Niederländische  geistliehe  Lieder  nebst  ihren  Singweisen  etc. 


301 


Bl  107b. 


62. 


Myn  hnrt  is  heymelic  getoeghen. 


^^~^ — y-^ 


^ 


'^: 


+ 


Myn    hart    is      hey  -  me  -  lic     ge  -  toe    -   ghen,     al 


om 


te     die-nen     na     ver  -  moe  -  ghen     ma-rie,  der  lief-ster 


vroii-we    mvn,       ic    wil    al  -  tvt  hair  dien-re     svn, 


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±iz* 


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-* — ♦ ^-hr- 

oec  thar-te  myn    zeer  daer    toe     voe    -    ghen. 


l.Myn  hart  h  heymelic  getoeghen, 
al'om  te  dienen  na  vermoeghen 
marie,  der  liefster  Trouwe  myn, 
ic  wil  altyt  hair  dienre  syn, 
oco  tharte  myn  zeer  daer  toe  voeghen. 

2.  O  wairde  vröu,  wil  mi  verbilden 
en  oic  bewaren  tallen  tiden, 
siet  an  myn  ongheuallieheit, 


in  uwen  dienst  wil  ic  bereit 
syn  altyt  sonder  enich  miden. 
3.  äit  recht  sidi  nv  seer  verhoghet, 
wt  Y  so  blencket  alle  doghet, 
f^hi  svt  die  liefste  vrouwe  myn, 
ic  wil  altyt  v  dienre  syn, 
oec  therte  myn  daer  toe  voeghen. 


Versmaß  .• 


S_/     —     v-/    —     v^     —     v-»-_ 

\^       V^      —      V-*'      __      v-/ 


In  Bezug  auf  die  weißen  Noten  vergleiche  die  Einleitung  S.  163. 


Bl.  13  a. 


63, 

In  dalci  Inbllo. 


I.  Melodie. 


II.  Melodie. 


<>•     >V     N^     ^        


T~T"T— I 


iS=^=a=:$i± 


In  dul-ci    iu-bi-lo,  singhet  en-de    we-set  vro, 


i^)-:^ 


p:T~T~r 


j^--;g-vv    ^     »-frRv_^„.iV_^_l,_»_B 


302 


Wilhelm  B&umker, 


(^)  =3^    ♦    »    ♦: 


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al     on  -  se    hartzen     won  -  ne     leit    in    pre-se  -  pi-o. 


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Dat  lich-tet    als  die    zon  -  ne    in    ma-tris  gie-mi-o. 


(^)-- 


/»     ^     ^ 


-tr—   I  I 


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(^): 


>v    ^- 


Er  -  go    me  -  ri  -  to,      er  -  go    me -  ri  -  to,       des   sul-len 


i 


i^y- 


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^  (ir;r^~^-i4-i-^ »  'n^ 


al  -  le       har  -  tzen  zweiten    in     gau-di  -  o. 


lt^>-^-H-..^t-fl- 1    ,     »    <>    j    H 


Die  1^- Verzeichnung  fehlt  im  Original 

Die  übrigen  Textstropfien  ßndet  man  in  Hoffmanns  Büchlein :  Toln  duleijubil» 
Hannover  1861,  No.  15, 

Das  obige  Lied  kommt  handschriftlich  bereits  im  XIV.  Jahrhundert  vor. 
(BäumkeTy  Das  kath  deutsche  Xirchefilied  7,  S.  311J  Ein  ganz  tOmlicher  zwei- 
stimmiger Satz,  den  P.  Bohi  aus  einer  Trierer  Handschrift  vom  Jahre  14S2  publi- 
cirte,  steht  in  dem  gefu  Werke  S.  310, 


Niedeilandisehe  geistliehe  Lieder  nebit  ihren  Sing^eisen  etc.  303 


Bl.  14  a. 


64. 

Ornnes  bt  laet  ons  gode  Ionen« 


1  ,  ;  >  1  t  ;  t4:FF=; 


Om-nes  nv  laet  ons  go-de    lo -uen. 


^ 


de-um  ce-le- Stern 


i. 


^ 


m 


ä 


r-4"-1=H 


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I 


i 


van     hier    bo  -  uen,     qui     non      a  -   do  -  rat,       Hi       is 

1 
4- 


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^^^^^ 


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rrtri 


^ 


ver-scouen 


1  ^ 

coti  -  di-e. 


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tzf^rr^ 


Hi 

I 

4- 


T 


18 


van  een-re    ma-iret 
I       I     ^ 


I 


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S-^+-^-i 


ge  -  bo  -  ren,    rex 


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glo 


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-  n  -  ae. 


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A 


i- 


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Schlüssel,'  I 


i>te  weiteren  Textstrophen  hei  Hoffmann  »In  dulciJubUo«  Hannover  1861,  No,  26. 


^  wahrBcheinlich  Druckfehler,  soll  e  Bein. 
1888. 


21 


304 


Wilhelm  Bftumker, 


Bl.  36b. 


65. 

Ihesas  «ristiis  Yän  nazareyne« 


rrrrr ^^~^t-! '  i  ♦!  t 


i 


e-sus    cri-stus  van  na-za-rey-ne,    hi      is        ghe-bo-ren  van 


( 1 


I 1 


n  !  1  r^^^^^ 


een-der  maghet    rey-ne,  dair  om      es    god  ghe-be  -  ne-dyt. 

Text  hei  Hoßnatm,  Niederl.  geütL  Lieder  1804,  No.  5. 

66. 

0  saaer  maecht  ran  ysrahel. 


Bl37a. 


O     su-uer  maecht  van  ys  -  ra  -  el,     wilt  zeer  ver-bli-den    v, 

i — -I  p 


w^^ 


PH=^ 


om  der   schoender 


boetscap,    die    ic     v      bren-ghe    nV 


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1 — t- 


?^t^=rrf5=r=^^ 


Be  -  ne-  die  -  ta     tu     in    mu  -  li  -  e  -  ri  -  bus,     va  - 


I 
la 


sus. 


^?=f-=f^ 


f-^H-^ 


'     I     I     I     I     -. 

va-la-sus!   A-ue    ple  -  na  gra  -  ci  -  a,     te-cum  do- mi-aus, 


I    1     .  1    I    j    .    i 


be-ne-dic-ta    tu      in    mu-li  -  e  -  ri  -  bus. 

Text  bei  Hoßmann,  Niederl.  geisü.  Lieder  1864,  No.  19. 


Niederländische  geistüölie  Lieder  nebit  ihren  Singweisen  etc.  305 


BL37h. 


67. 


Fonteyne^  moeder,  magket  reyne. 


s;£a=i 


t 


ü 


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f 


Fon^tey-ne,    moeder,  maghet  rey-ne,  bloem  der  ghe-na-den, 

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e   -    del    greyne,    laet  ons   di     lo-uen   tal  -  der    tytl 

Text  bei  Hoffmann  a,  o.  O.  lio.  36» 


Bl.da«, 


68. 

Laet  ons  mit  hogher  Trolicheit« 


t— I 


I — i 


I — I 


5i^^ 


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■  ^   —  ■  ■  » 


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heit     lo  -  uen    die 


Laet    ons     mit    ho-  gher  yro-lic 


I 1 


T  [  1  T^jf^^ 


I  !  t'  t  I  > 


ma-ghet  der    sue- tic-heit,  gods  mbeder    wtuer  -  co 


ren, 


n^ 


•=r-^ 


^r^ 


daer  ihe-sus       af   wou-de  syn    ghe-bo-ren! 
Text  bei  Hoffmann  a,  a.  O.  No.  27.     Melodie  der  Antiphon  i>Ave  marie  stellar, 

Aye  maris  Stella. 


A  -  ve     ma-  ris     stel  -  la, 


De  -  i      ma  -  ter      al  -  ma, 


At-quesemper  vir-go,  Fe-lix  coe-li    por-  ta. 

Hymni  de  Tempore  et  de  Sanctie,     Soleemis  1885,  S.  189^ 

21* 


306 


Wilhelm  Biumk^r, 


Bl.  38  b. 


«9. 

Kinder  gwyclit« 


t   I   1   fM.t  I  T!«tI 


Kinder  swycht)  so  moecht  di   ho-ren,     ecHse   mun-di  gaudi-a! 


^=faF=t  1 1  r  It^^fy^ 


hoe  heer  ihesus     is    ghe-bo-ien.   In  te  sunt  so-lempni-a, 


^^^ 


^^^^ 


O     vir-go    ma-ri-  a,        de   -   i    ple-na  gra-ci 
Text  hei  Hoffmann  <i«  o.  O.  JVb.  iJ. 


-ai 


Bl.  56  a. 
1 


70. 


Are  maria,  maghet  pia. 


^^^^ 


ff^T=pi 


A  -  ve   ma  -  ri-a,      maghet  pi  -  a,      ioncfrou-we    sis  trouwe, 

2 


^ 


^ 


f 


X 


t 


^r  1       -111 

da    rou-we,     moedei    in -tac-ta.      Eu-ge     v-ii-elpa-ter 


i=f 


t=i 


I 1 


?=^ 


1^ 


^^ 


i 


et    nar-phat    ma  *  ter,       de     welc  quam  ons       an    -    na 


.■y-f't  *  ^  l^T^"^ 


^ 


f 


wt    fi  -  li  -  a,     man -na        et    cunc-to-  tum      sa  -  lieh 


Niederlftndisehe  geistUehe  Lieder  nebst  ihren  Sing^ireisen  etc.  307 


>       I 


^ 


1=-^ 


f-!  *  ^~r 


o  -  ri  -  go     bo  -  no  -  rum.    Gau  -  de    ge  -  ni  -  tu    -   ra, 


I 1 


1 j 


^ 


t    ijl 


T 


r=f 


ionc-frou  -  we    pu  -  ra,        ma-ter      ieghens  na  -  tu  -   ra, 


I 1 


1 1 


^.■^-^^It-qzEi^  T  ^  U  T  !  3 


8on-dei  cor-rup-tu-  ra, 
4 


1 
mi  -  ra  -  tur     al  -  le     cie-a-tu-ra. 


r    ■  ■  \ 


^T  T  T  t  ♦  I  ^y=I_^_q_B 


Ä  -  ue,    seit    ga  -bri- el,        ma  -  ri  -  a!      e  -  ma  -  nu   -  el 


I 1 


r   '■      I 


^^3^ 


de     te    wil  syn  ghe  -  bo  - 


die-xe-runt  te      vo  -  ren 


I 1      I \ 


ren,     die-xe-runt  te 
5 


^^^m 


^ 


i  ■  ■      i 

pa-tres    et     pro  -    phe  -  te.        Quo    mo-do  mach  dat  syn? 


t      I 


;^^l=t^^^BM^^3fd 


an  -  ge  -  le,  ver-won  -  dert    my ;     vi  -  rum  nie  gbeen  co-gno  -  ui 


I 1     I 1 


ib       r 


|.  1  *  I  t-f  4:r^^=^3^=^^H^ 


> 


et    rey-nicheit     vo  -  ui.         ant-woir-de    ga    -    bri  -  el 


308 


'WiBtdm  BSumk^r, 


l4-*4  1-*-H-Tf-Tm=Ffy 


0     ma-ri-a,     vir-go    vol  van    gra-ci!  sanctus  spi-ri-tus 

b'  b 


I — r^  ' — r^ 


sf 


^ 


±=3=i=$ 


\  ^     '       I 


sei    om-be-uaen  ti  -  bi,       et    maghet  ma-ne-bis     moe-der  - 


n     "i 


f 


$ 


^^T  '  M  I  !^ 


♦  t  ♦ 


vt      f u  -  1  -  sti.      Ec  -  ce    an  -  eil  -  la    do  -  mi  -  ni.   moet  ic 

b  b  b 


1 1 


♦t-i  1 1 1  t  g^^f^^f^ 


wor  -  den,       na    di-nen  dul-ci  -  a    min-li  -  ke    woerden^ 


^^m 


m- 


T-f-^ 


want    hu-  mi  -  li  -  ta  -  tem       syn  -  re       vi  -  dit   an  -  eil  -le. 

8 


m-t  t  ^H 


^ 


Hine  ma-ri.  -  a      it    van   na  -  za  -  reth,    vt     sa  -  lu  -  ta  *  ret 


I      I 


^^ 


i 


MI  l'M'l 


e  -  li  -  sa-beth.  doe   sy  vemam,     vo-ce    cla-manit    lu-de: 


^ 


Q=rrn-i 


:5p=^ 


t 


^=* 


ex   quo    in  myn  o  -  ren  quam  vox  moeders  de  -  i,    waerdin-ne 


^ 


fe^fe 


l-t-T  T  ♦    1  i 


coe-li,         ex-ul-ta-uit  myü  ione  seer    in   ven-tre     spi- 


Niederländische  geistliche  Lieder  nebst  ihren  Singweisen  etc. 


3ÖS 


^^ 


■    ■■  '  I    .-■«■■.  I  I.     ■  11  .  h        I 


li  -  tu  -  a  -  li-ter.   Hinc  an-ge-lus  seit  den  har-de  -  ren: 


%j  r 


^^3 


i  -  te,  ghi  sult  vin-den    beth-le  -  em,    ma-trem  ma-ri-am 

1~M1  M  U 


^ 


m 


kin-de  heb-ben-de,    ihe-sum  in    pre-se-pe    leg-ghen-de, 


^ 


± 


^g:*U^ 


^ 


re-gnantem  nachts,  daechs    e -ter- na- li-ter.  monstra  maghet 

b  10 


i^:Q">"^t  !  >  ^ 


f 


te    moeder    et    vis    we-sen  no-stri  be-hoester!      Fac     in 


3C=$: 


pzco 


H=^^ 


ons    pi  -  e    ihe-sum  ve-ni-re,       wel   stel-la  mon-stranit 


!*^!  ♦l! 


m. 


?^s 


a  -  do  -  ra  -  ri.       waer-de     co-nincghinne,        da      fi-dem, 


r 1 


^ 


^^^ 


^=^ 


boep,    min  -  ne         et      sie  -  ut    ma  -  gi    cri-stum  do  -  mi  -  ni 


11 


M-^t-f^^^ 


^i-^    t-¥ 


I  •  17  •' 

mit    ga  -  uen    ve  -  ne  -  ra    -    n.       cac  in 


ons    vre  -  de 


310 


Wilhalm  Btumker. 


n  *  !  tU-U  '  !  ♦  I !  ♦  tprl 


et    eendracht  me-de,     vt     de  -  cet  de-uo-tos    yn-nich   le-Ben. 


I 1 


^=t^-t-TH 


!  '  !  ♦  f 


da    oet  -  moe-dich  we-sen,       sa-  than-que    re  -  pel  -  le, 


t      \ 


I  ♦  |~rmz!z|: 


^ 


traecheit  e  -  uel  -  le, 


cor    da    tu    rey-ne,       ghie-ric  -  heit 
12 


rr*^ 


m 


^ 


pro-cul       sen   -    de.       lu-ua   nos     in     dit     el-len-de, 


13 


gF^^=^l5E|=thrM-i 


kin-der    e-ue  be-ni-gna,    Do-cenos    al-toes    fa-ce-re 


14 


^^^^ 


r^^M"^ 


dyns  soens  wil-le,    re-gi-na!     Da  pro-lem  va-der    vi-de-re, 


da  sanctum  spi-ri-tum  in   ons        al-toes  hie  ma-ne-re. 
15 


:«=$=^ 


'  '  T 

Da    ma-los     enri  -  ste     do  -  le  -  re 


^T=T 


*=* 


m 


et     in  dyn  ryc  cum 


Niederländiflclie  geistHelie  Lieder  nebst  ihren  Singweisen  etc. 


311 


b 


16 


b 


r^i  *  1 1  t-^l  ♦  T  rr 


e  -  lec -tis      e  -  we-lic  gau-de  -re  1       Va  -  le     et      a  -  ue, 


I 1 


b 


T  *  T  *^|ztixt;^g 


he-mels  co  -  ninc  -  ghin-ne^    laet  ons  yn  -  ne     in    ce  -  le  -  sti 


— ♦  1 .  1 1  p,.!  ♦  T  n 


thro  -  ne,         v  -  bi    an  -  ge  -  li      lau  -  dant    dyn    so  -  ne, 


r— —» 


^^=4 


f^ 


per      te     nos      me  -  de     lau  -  da  -  re. 

DU  Stngweise  gehört  der  Sequenz  »Ave  praecktra  maria  steUa»  an.  Vgl,  Bäumker, 
Das  kath.  deutsche  Kirchenlied  11,  No.  8.  In  den  späteren  Gesangbüchern  ist  ^  der 
Melodie  vorgezeidinet 

Die  ganze  Seque»iz  enthält  9  verschiedene  Melodiesätze  (ChoräleJ,  Der  Anfang 
sowie  der  Schluß  (Satz  1  und  16)  haben  besondere  Singweisen.  Von  den  übrigen 
14  Abtheilungen  der  Sequenz  (No,  ^  bis  15)  werden  je  zwei  aufeinanderfolgende  Sätze 
nach  demselben  Choral  gesungen.     Vgl.  Hoffnwmn  »In  dulci  jubilo«,  Jifo,  27. 


Bl  76  b. 


71. 


Begheerte  ht  Ylieghet. 


^^ 


I — I 


^Ji^tLf-^ 


Be-gheerte     nv        vlie  -   ghet    ten    he-mel    op,  gruet  my 


I 1 


^ss 


m 


>^ 


i- 


I 


myn  lief  en  segt  hem  lof I   Bex  glori     -      e,      de 


US 


312 


WQhebn  Btumker, 


HHH-rf^"T=^ 


Bl.  99  a 


om-ni    po  - tens  mi  -  se  -  ri  -  cor-di    -    e. 

Text  bei  Hoffnumrif  Niederl.  geistl,  Lieder  1854,  No.  88. 

72. 

0  Jhesus  banty  o  yarieh  brant. 


B^B3^ 


m 


■t   ^  i 


:t 


O    Jhe-sus  bant,     o    vu-rich  brant,  och  wair-stu  in  myn  hart 


^m 


i 


; 


t 


*=^ 


ghe-plant. 


80     wair  mvn    ziel      ont  -  bon 

! 


den 


van    me-ni-gen    druc,  van    me-ni-gen  bant,    dair      si     is 


t 


i 


^ 


^ 


t 


meed    in     viants  hant      ge  -  bon 


den,      dat  doen 


i .  i  *  1  ;iTi-fg 


Text 
a.  a. 


I 
myn  gro-te      son         -         -         den. 

An  dieser  Stelle  der  Handschrift  steht  nur  die  obige  Strophe j  Bl.  111  der  ganu 
mit  der  Überschrift:  »Vrou  ventis  hant,  o  vurich  brant o^.  Bei  Hofinatm 
O.  No,  60  steht  ein  anderes  Lied  mit  gleichem  Anfange, 


Bl.  99  a. 


73. 


Ic  heb  gheiaecht  myn  leaen  lanc. 


m 


I — t 


i    4    i    t"^ 


^^j^^^:^=f=t 


1  m^ 

Ic  beb  gheiaecht  myn  le  -uen  lanc  al    om  een  ioncfrou  8C0-ne, 


Niederländische  geistliche  Lieder  nebst  ihren  Singweiaen  etc. 


313 


m 


nri  4  +"^^ 


^^^ 


die     al  -  re     suet-ste   wyn-gaird  ranc,   die  dair   is    in     shemels 


^ 


0 


^ 


thro-ne.    mit   en-ghe-len    is     si    om-be-set,      ic     en    can 


^t-t-T+rirtin 


^=t 


dair  niet  bi     co  -  men,  myn  son-den  hebbent      mi       be-let, 


^3 


>— N 


Ö 


des  mach  ic   my     be     -     dro     -     uen. 

Der  vollständige  Text  dieses  Liedes  steht  Bh  111  der  Handschrift  unter  dem 
Natnen  Brtigman  mit  der  Überschrift:  »Na  groenre  vertue  myn  hart  verlernet •. 
Vgl.  Hoffmann  a,  a.  O.  No.  109. 

In  der  Handschrift  C,  S.  24  ist  als  Weise  angegeben:  n Adieu  myn  lieft  hebt 
gueden  nacht,  dat  moet  een  scheyden  syn«, 

74 
Bl.  99  b. 

Die  mey  spmyt  wt  den  doFren  hont. 

!  .1 


in^ 


^ 


+ 


fc>==* 


+ 


±=m: 


Die  mey  spruyt  wt  den    dor    -    ren  hout      mit    lo-  uer  bloem- 


^m 


kyns  brey 


de,  ttiaect   menich  blo-de      her    -    ten  stout 

I- 


#4=^=-^-=^^ 


i 


en    doet-se    gbe-nuechlic     sin 


^^^ 


ghen.      voir    al.  -  le 

I 


; 


^m 


^=t 


I     ■  I' 


t 


ihe-sus    beel  -  de  suet  ver-Iicb-ten  can  ons     al    -     re   moet, 


314 


Wilhelm  Bäumkar, 


t   !   !   .    IC 


tru  -  ren    van    ons      zwich  -  ten. 


Der  vollständige  Text  steht  Bl.  114  der  Handschrift  mit  der  Überschrift:  »Die 
mey  sprujft  wt  dorren  hcui*.     VgL  Hoffmann  a.  a.  O.  No,  106. 


Bl.  100  a. 


75. 


Ic  wil  my  seinen  troeston. 


Ic    wil  my    sel-iien  troesten       end  ma-ken     e  -  nen  moet, 

;  ♦  t-  ^  ^T^  t  t  ; 


m 


f 


i 


want  als  -  et  gaet  ten  quaetsten,  so  macht  noch  werden  goet; 

4- 


^^ 


^==t 


P 


-M=m. 


^=^-^-^t-^ 


t 


van  son-  den  wil    ic    my  ke  -  ren     in    myn-re     iongher  tyt. 


^ 


^=^~I~rt 


>=* 


1 


t 


Ic    bidge-na-de    he-re,      want  gi     ge-na-dich    syt. 

Der  vollständige  Text  der  Handschrift  steht  Bl,  124  mit  der  ühersehrift: 
»Ic  wil  my  seinen  troesten,  eü  maken  enem.     Vgl.  Hoffmann  a,  a.  O.  Na.  62. 

In  der  andern  Berliner  Handschrift  C»  Seite  9  heißt  es:  »dit  is  die  toyse:  Lief 
hehhen  ende  rngdenu. 


Bl.  lüla. 


76. 


Den  edel  beer  van  hemelrye. 

4 


b 


m 


m 


:**: 


ti±=^ 


±=*: 


3»: 


Den   e-del  heer  van  he-melryc,      dien  wil    ic  om-me-xianghen, 


; 


^-^-rft 


t^^ 


am 


ic    wil  hem  bid-den  ber-te~lyc,     dat    hi  my  neem  geuanghen. 


Niederlftndische  geistliehe  Lieder  nebst  ihren  Singweisen  etc.  3'15 


iy«r  vottgtändige  Text  Bl  130  hat  die  Überschrift:  »Die  edele  heer  van  hru- 
«■Mmyg,  die  heeft  em  kint  geuangenm^     Vgl.  Hoffmann  a.  a.  O.  N'o.  76. 

Mmn  vergleiche  das  Kirchmlied  »Mein  GmUt  eerr  dürr  vnd  durstig  m<«  im 
jTT.  Bande  meines  Werkes  No.  361,  so  wird  man  finden^  daß  die  Anfänge  der  Melo- 
dien Übereinstimmen. 


Bl.  108  a. 


77. 


0  ghi^  die  lliesas  wyngaert  plant* 


O    ghi,  die  ihe-sus    wyn-gaert  plant,    ver-blyt    v     op    dat 


i 


i 


^^- 


±^ 


6ue-te    lant,  dair  ghi  toe  syt    ver-co 


>-^r^ 


ren. 


Die  erste  Hälfte  der  Melodie  stim^nt  überein  mit  dem  Liede  von  den  10  Ge- 
boten in  Beuttners  Gesangbuch  »O  Herre  Gott  das  seynd  dein  Gebott«.  Vgl.  mein 
Werk  »Das  kath.  deutsche  Kirchenlied«  I.  Bd.  S.  423. 

Den  weiteren  Text  findet  man  unter  No.  9. 


BL  103  a. 


*=»: 


* 


i*^ 


78. 

Een  eort  iolyt. 


ö 


Een  cort     io  -  lyt      in     de  -  ser    tyt,     al    hier    ver-co~ren, 


i 


3^ 


i 


:öe 


=*=>^ 


3»: 


■M^ 


dats    ze  -  ker  -  lyc    voir    he  -  mel-ryc     te    veel  ver  -lo  -  ren. 

Hier  nur  die  ersU  Strophe,   Der  vollständige  Text  Bl.  1 28  hat  die  Überschriß 
»Tis  al  ghedaen  mgn  oestwairts-  gaem.     Vgl,  Heßmann  a.  a,  O,  No»  116. 


Bl.  104  b. 


79. 

Doe  die  rose  Yan  iherlco. 


^ 


•  I  •■•  •  


■^^m 


Doe  die  ro  -  se   van  ihe  -  ri  -  co      den  zoen  der  god  -  heit 


316 


Wilhelm  BS^umker, 


i 


sc 


>=* 


¥ 


f 


t 


soud    ont  -  faen,      haii    lu  -  ter    heit    dat    wart  haii    vro, 


I 


^ 


^ 


den     he  -  mel  wert    hair    on  -»  der  -  daen. 

An  dieser  Stelle  nur  eine  Strophe,  BL  148  steht  der  vollständige  Text  mit  der 
Überschrift:  »Myn  hoep,  tnyn  troest,  myn  toeuerlaet  staet  aen  eenre  ionefrtm^e*. 
Vgl  Hoffinann  a.  a.  O,  No,  20. 


Bl.  105  a. 


80. 

Aye  maria  saete  maeclit. 


±:=f^ 


9^ 


:**: 


±=^. 


A  -   ve      ma  -  ri   -  a,      sue  -  te     maecht,     ge-denct  myns, 


I 1 


i 


3$: 


:*^ 


vrou 


,  ter      le  -  ste 


3«: 


:*$: 


ster  noot,     dat    ghi     die     vi  -  ant    Tan  mv 


:**: 


^ 


:*IE 


iaecht,  want      v      ge  -  na  -  den    syn     so    groot. 

BL  127  steht  der  voüttUndige  Text  mit  der  Überschrift:  »Seenct  in  den  try», 
laet  drincken  vry,  tci  icillen  truretf.     Vgl.  Hoffmann  a.  a.  O.  Ifo.  34. 


Bl.  Iü5a. 


81. 

Als  ic  ml  wel  rerslnne. 


^-^^ 


3rrt 


±=« 


T=^ 


^    ♦    ♦ 

Als    ic     mi  wel  ver-sin-ne,    so     rout    mi  zeer  den  tyt, 
dat    ic     in  aertscher  min-ne    ge  -  socht  heb  myn  io  -  ly t. 


i 


:*=♦: 


^—♦<»   ♦ 


Ic    vnl  gaen  ar-bei-den    ze  -  re      en    die  -  nen    on-seu 


Niederländische  geistliche  Lieder  nebst  ihren  Singweisen  etc. 


317 


:*^ 


»    »    ♦♦ 


3t=^ 


•  lie-uen  hee  -  re    van     al     des    ic     ver-mach. 

.BL  129  steht  der  vollständige  Text  mit  der  Überschrift:  nie  loeets  een  moU- 
narinne,  van  hartsen  also  fytr^  in«.     Vgl.  Hoffmann  o.  a.  O.  No,  66, 


Bl  106b. 


82. 

Als  wi  dair  in  ons  seinen  gaen. 


ij—l  >.  |l  j-i-^JU 


Als    wi  dair  in    ons    sel-uen  gaen,    soe  vind  wi  niet  dat  mach 


Uii-^-U: 


^ 


bestaen,  dair  ons  die  werelt  toe    dwin 


I 


m 


get;    Want  si 


1  *  i  **lt 


±3 


■^m 


^f^«^ 


be-loeft  ons  lich-te-lic,     lan-ge  te      le-uen  op    airden -ryc 


^^^^p 


m 


en    wat  gei^oecht  in    brin 


get.      Das  trexs  ons  hart 


m 


-^ ▼  -1 


be  -  drie  -  ghent-lyc,      dat   wi    ver  -  su-men     on  -  se    tyt, 


^T*"^~r»  ♦ 


f 


hoe  moech  wi  des  ghe  -  li 


den? 


Der  vollständige  Text  Bl,  132  hat  die  Überschrift :  »Ic  quam  dair  ic  die  meye 
vant  staen  miUt.     JSoffmann  a,  a.  O,  No,  114. 


318 


Wilhelm  B&uinker, 


BLlOSa. 


83. 

Oeli  lieae  beer,  ie  heb  geladen. 


♦    ♦♦ 


♦♦    ♦ 


jO: 


4— »~r 


♦    ♦♦    ♦ 


Och    lie  -  ue  heei,   ic     heb     ge  -  la  -  den    myn    son  -  dich 


=*=54 


^f— r 


^ 


scip    mit    Yol  -  16     last,      ic    moet  doch  rei-sen    op      t 


t 


♦      ♦     ♦ 


:**=*: 


4=N 


ge-na-den      en     va  -  ren  wech  alst  v    gliepast;  myn  scip 


^*: 


is      lec,    cranc     is      myn  mast     en     myn    ge  -  want     te 


♦♦       ♦ 


^f~r 


>*=^ 


ga    -     der,  en     oec    heb     ic      die    kon-de    niet    vast,   ic 


♦♦     ♦       ♦ 


:**: 


^m 


t 


en    weet  niet,    waii     ic      he  -  ne  sal. 

Text  bei  Hoffmann  a.  a.  O.    No.  120. 

84. 

Wi  willen  ons  gaen  rerheffen. 


Bl.  109  a. 


I 1 


Wi     wil  -  len    ons    gaen    ver  -  hef  -  fen     bo  -  uen 


^^^f 


T 


aert-sc 


tXI 


ghen         en  -  de     clim  -  men    mit    on  - 


I 
sen 


Niederländische  geistliche  Lieder  nebst  ihren  Singweisen  etc. 


319 


^ 


n 


ghe-dach-ten     o'n  -  der  die    se -ra-phinnen. 

JVtir  diese  eine  Strophe/ 

85. 


BL174a 


Die  werelt  hielt  mi  in  hair  gewollt. 


^fe 


3pt 


^ 


Die  we-relt  hielt  mi    in  hair  ge-wout    mit  ha-ren   stricken 


^ 


^m 


i-i-ir^ 


me  -  nich  -  fout,        nv      hin      ic      hair    ont  -  co 


men. 


i 


^ 


i 


l 


+-+ 


^^ 


±**: 


Och  dat     sy    seer    he-drie-ghe-lic     is, 


^m 


+ 


4- 


I-      ♦       i     ♦ 


♦      ♦     4^ 

dat    heb     ic     wel    ver  -  no 


men. 


Der  volktiindige  Text  steht  Bl.  153b  der  Handschrift  mit  der  Überschrift: 
^dit  liedekyn  heeft  gemaect  bairt  suster  die  clusenarinne  tvirecht«.  Siehe  die  JEinlei- 
iung  S.  160.     Vg^  Hoffmann^  a.  a.  O,  No.  110. 

86. 

Ex  sinn  matris  paryaliiB. 

Professionale.  Papierhandschrift  aus  dem  Kloster  Schonenberch.  1533.  BL  52  b. 
I       .       .        I        f        .      .        .        I        ,        f 


s 


tl  l  ^  U_-^ 


i^- 


Ex    si-nu  ma-tris    par  -  vu   -  lus    est  pro-gres-su«   Jhesu-lns, 


^ 


:=^ 


1 


Al-soe  de    son-ne  dorch  dat  glas.  Mel-li  -  co   cum  hymno, 
188S.  22 


320 


Wilhelitt  Btumker, 


mel-li-co  cum     hym-no,     nos      om-nes  cum  con-cin-no 

I       .  .        I  I 


+ 


*==*: 


+ 


m 


+ 


^ 


pan-ga-mus     Su-zi,      zu  -  si,       su  -  zi,      zu  -  si,      su  -  zi, 


H-Hi^^^ 


8U  -  zi  -  nyn-no. 

2.  Per  Gabrielem  nuncium 
virgo  concepit  filium 
eyn  ionckfrou  reyn  kuesch  ende  zart 
Mellieo  cum  hymno  etc. 


3.  Cognouit  bina  bestia 
Quem  cingebat  tunc  fascia 
aat  he  de  hoechste  koxinynek  iras 
Mellieo  cum  hymno  etc. 


Ich  habe  dieses  Mischlied  aus  einer  späteren  Sandschrift  hier  beigefügt. 


Hdsclir.  B.,  Bl.  66  a. 


.87. 

Kyrie  god  is  gheeomen. 

(Kyrie,  magne  Deus.) 


^m 


Ky 

Ky 

Ky 
Ky 


i 

. 

n 

« 

n 
11 
ri 


^ 


e, 
e, 
e, 
e, 


god 
god 
wi 


is  ghe 
is  ghe 
syn  ont 
ma-gne 


CO  -  men 
bo  -  ren 
loe-pen 
De- US 


m 
van 
den 
po  - 


aert 
een 
vi  - 
ten 


-ryc 

-  re 

•  ant 

-  cie. 


i 


n^ 


ton 
ma  ' 
in 
li    - 


i 


^^ 


± 


ser    vro-men, 
ghet  yeicoien, 
der    doe-pen, 
be  -  ra  -  tor 


I 

des     sul  *  len 
dair    wi       bi 
god    help   ons 
ho  -  mi  -  nis, 


$ 


t 


wi      tal-len     ti-den 
syn    ont-bon-den  yan 
voirt  ont-ganghen  syn 
transgres-so  -  lis 


^^^ 


ver  -  bli  -  den, 
son  -  den, 
ban  -  den, 
man -da  -  ti, 


e  -  ley  -  son. 

e  -  ley  -  son. 

e  -  ley  -  son. 

e  -  lev  -  son. 


Niederlftndische  geistliehe  Lieder  nebst  ihren  Singweisen  etc.  321 


^^^^ 


Chri  -  -  ste,  me  -  di  *  ci  -  ne    on-ser      pi  -  nel 

Chri  -  -  ste,  on  -  se       brueder    en    be  -  bue  -  der, 

Cbri  -  -  ste,  8oen    des     va  -  der,  ons  be  -  ra  -  der, 

Chri  -  -  ste,  sum  -  mi      pa  -  tris    v      -       ni  -  ce, 


I » 


I   T    I    ^    M-^ 


t 


r^ 


om  on  -  ser 
int  goe-den 
be  -  gheeft  ons 
no  -  stra    sa    - 


noot    bleef  hi     doot 

warck  maect  ons  staick. 

niet      int  vei-drieti 

Ins        et  yI  -  ta. 


e 

-    ley  -  son. 

e 

-     ley  -  son. 

e 

-    ley  -  son. 

e 

-    ley  -  son. 

^^ 


± 


^ 


Ky  -  ri  -  e,  god  moet  be  -  hoe  -  den 

Ky  -  ri  -  e,  god  moet  be  -  ke  -  ren 

Ky-ri  -  e,  god  va    -  der,  soen,  hei 

Ky-ri  -  e,  ho   -  mo     na  -  tus 


^       I       M      I 


in       si  -  nen    dienst 
den    sun-daer    en- 
li  -  gbe  gheest,  drie 
e  -  ma  -  nuel,   re- 


n  T^  '' 


T 


den  goe-  den, 
de  le  -  ren, 
per  -  so  -  nen 
stau-ra  -  tor, 


t 


dat      hi  ons     the  -  mel  -  sehe    e-rue 

dat      hi  syn    quade  le   -    uen     moet 

een     god,  laet    ons      lo    -    uen     hier 

quod  a   -  dam  pri  -  mus     ho   -  mo 


^=^^^^T^ 


ver-wer  -  ue!  e  -    ley  -  son. 

be  -  ghe  -  uen!  e  -    ley  -  son. 

bo      -       uen!  e  -    ley  -  son. 

per  -  di  -  dit,  e  -    ley  -  son. 


22* 


322      '  Wilhelm  Bäumker, 


Die  LigcAuren  beziehen  sieh  auf  den  lateinischen  Text.  Dieser  steht  mit  der 
Melodie  Bl  66  der  Berliner  Handschrift.  Der  niederländisdie  Text  ßndet  sieh 
Bl.  74  unter  Hinweisung  auf  die  Melodie  ^Kyrie  magna  Deu». 

Dieser  Gesang  gehOrt  zu  den  sog.  Tropen.  Unter  Trope  (com  grie<^is(Aen 
Worte  TQonof,  Wendung,  Art  und  Weise,  Sitte,  Charakter ^  herkommend)  versteht 
fnan  einmal  einen  kurzen  mit  Noten  versehenen  Satz,  z,  B,  »Quaerite  primmn  regnum 
dein,  der  dazu  dient,  dem  Choralsänger  die  Tomxrt  eines  Stüekes  zu  charakterisiren. 
In  den  Tonarien  der  mittelalterlichen  Musiksehriftsteller  z.  B.  des  Regino  ton 
Prüm,  des  Bemo  von  Reichenau ßndet  sich  eine  ganze  Reihe  solcher  Tropen,  mrcA 
den  Tonarien  geordnet,  zusammengestellt.  Fernerhin  bedeutet  das  Wort  Trope  audi 
eine  Einschaltung  (Paraphrase  oder  Interpolation)  in  die  liturgischen  Texte  des 
Kyrie,  Sanctus,  Agnus  Dei  etc.  Die  Tropen  entstanden  in  ähnlicher  Weise  leie 
die  Sequenzen.  Man  legte  den  reich  neumirten  Gängen  des  auf  das  Graduale  fol- 
genden liAllektfa'sn  längere  oder  kürzere  Texte  unter,  um  die  Melodie  leichter  im 
Gedächtnisse  behalten  zu  können.  Gerade  so  verfuhr  man  mit  den  texthsen  Ge- 
sängen des  »Kyrie  und  Christe  eleyson:  Um  die  Melodie  hesser  zu  fixiren,  st^ob 
man  passende  lateinische  Worte  ein.  Während  in  dem  obigen  »Kyrie*  alle  Noten 
von  der  dritten  bis  zur  vieriletzten  auf  der  Silbe  e  gesungen  zu  werden  pßegen, 
nimmt  der  eingeschobene  Text  »magne  Deus^  etc.  die  ganze  Notenreihe  für  sich  in 
Anspruch  und  zwar  in  der  Weise,  daß  auf  jede  Textsilbe  eine  Note  kommt. 

Solche  Tropen  waren,  wie  Gerbert  (De  cantu  et  musica  sacra  I,  344  ff.)  nat^ 
weist,  seit  dem  Ende  des  IX.  Jahrhunderts  im  Gehrauch.  Schubiger  theilt  in  seinem 
Buche  vDie  Sängerschule  St.  Gallens«  1858,  No.  42  eine  Kyrie-  Trope  von  dem  Mffnehe 
Tuotilo  in  St.  Gallen  (f  9lV  fnit. 

Unser  obiges  Kyrie,  welches  in  der  mixolydischen  Tonart  steht  y  hatte  im  MitttSr 
alter  unter  dem  Namen  des  »Kyrie  magne  Deus^  eine  ziemlich  weite  Verbreitung 
gefunden,  Hermesdorff  führt  uns  dasseä>e  aus  verschiedenen  Codices  des  XIII.  Jahr- 
hunderts vor.    (ChoralbiBilage  zum  Gregoriushlatt  1881.  No,  12.) 

Bekannt  ist,  daß  das  »Kyrie  eleyson»  in  Deutsehland  ursprünglich  die  einzige 
Art  des  geistlichen  Volksgesanges  bildete.  Es  läßt  sich  deshalb  leicht  erklären,  daß 
die  Kyrie- Tropen  populär  und  für  den  außerliturgischen  Gehrauch  mit  Texten  üi 
der  Volkssprache  versehen  wurden.  Eine  Menge  derartiger  Gesänge  ßndet  sich  üi 
den  Handschriften  und  in  den  Gesangbüchern  bis  ins  XVI L  Jahrhundert  hinein. 

Ich  gebe  nachstehend  denselben  Gesang  zweistimmig  aus  einer  Handschrift, 
welche  allerdings  jünger  ist  als  die  Berliner.  F.  Kronenburg  im  Bedemptoristen- 
kloster  zu  Roermond  (holländisch  Limburg)  stellte  mir  dieselbe  zur  Verfügung.  Sie 
ist  angebunden  an  ein  Officium  sepeliendi  mortuos.     Aniwerpiae  1589. 

Bl.  15  b  ff. 


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Ky  -ri  -  e,     Godt    is       ge-  co-men    int     aert-ryck     tot 


Niederländische  geistliehe  Lieder  nebst  ihren  Singpireisen  etc. 


323 


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I 


I 


f-T=^=i=rr"rt=ft 


on-8er  Vro-men,  des  wil-len  wy    tal-len    ty-den  ver-bly- 


t^rfi-i=1=M:^ 


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den,   e  -  ley -  son.     Ky  -  ri 


-  e,  Godt    is    ghe-boo-ren  van  een 


^^^^^-r->-H-^^T^Tt' 


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^^ 


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Maecht  wt-uer-co-ren:   daer    by     syn    wy    ont -bon-den 


■"    T~^ 


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I 1 


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van  8on-den,     e    -    ley -son.      Ky-ri  -  e,     Godt  moet  be- 


I      1 


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kee-ren  den  sondaer  en  -  de    lee-  ren :    dat  hy  syn  quaede 


|-.    I  >  t '  t  rtinij 


324 


Wilhelm  B&umker, 


I 1 


m 


r^F=r^i-*-fhf=^^ 


le-uen    be-ge-ue,     e    -    ley-son.       Chri      -      -      ste, 


I 1  r 


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me  -  de  -  cy-  ne     on  -ser    py  -  ne :  om    on  -  se  noot  bleeft  ghy 


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I 


^ 


^ 


I 


doot,  e  -  ley-son.    Chri    -       -    ste,  soon  des  Va-ders,  on  -  se 


I 1  I 1 


fcr  I T  il'^TTT !  T  tl 


Mit!!  '  "H"  r  1 1  r 

be  -rae-der,  int  goe-de  werck maeckt ons  sterck,  e  -ley-son. 


^Bztrrrp^^^ 


^j>  .'M-^l  .  f 


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ste,    on  -  se   broe  -  der  en  -  de    be  -  hoe-der, 


^^ 


NiederUndische  geistliche  Lieder  nebst  ihren  Singweisen  etc.  325 


en    be-geeft  ons  niet  int  verdriet,    e  -  ley-son.    Ky-ri  -  e, 


^ 


Pf 


■T  t  !  '  !  !  .  t  '  *^r^ 


wy    syn    ont-loo-pen  den      vi  -  ant  in  -  der  doopen,  nv  helpt 


f 


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1- 


I  I 


W^ 


ons  ontgaen  syn  ge-van-ge-nis,     e  -  ley-son.    Ky-ri  -e 


Godt  moet    be  -  hoe-den     in       si-nen  dienst  den  goeden :  dat 


^ 


f^ 


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rr^T  '  t-y-y  I  I  I  *  T 


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sy     dat    er-ve  ver-wer-uen,    e-  ley-son.     Ky-ri  -  e, 


m 


^ 


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., I 


326 


Wilhelm  B&nmker, 


^^E^^ 


!  r\  t^' 


Godt    Va  -  der,  soo-ne,     heji-gen  geest,  drie  per-so-nen:  Godt 


f=T=t 


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f^T  '  t  *  T  t  '  1 1  t  t    ' 


laet  ons    al-toos  lo-uenhier  bo-uen,  e  -    ley-son. 


m 


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1 


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Einleitmigeii  za  den  Liedern  der  Wiener  Handschrift. 

(Vgl.  S.  166.) 

No.  3  nO  ihesu  beer«. 

Wantet  die  ziel  lastelic  valt,  der  werrelts  gegenuechten  te  be- 
geuen  ende  anxt  en  yrees  beeft,  aen  te  nemea  enen  geestelic  leuen 
ende  nocbtans  die  werielt  begeert  te  laten,  Hür  om  soe  bidt  si  vreendelic 
ibesum  cristum,  om  verlost  te  wesen  van  deser  ongetempder  vresen. 
Ende  ibesns  tioest  haer  mynliken  alsoe,  dat  si  die  werrelt  vroeme- 
liken  begeeft;  Want  bi  tegenwoerdicb  is  den  bediucten  menseben 
van  berten. 

No.  4.  »Verbliit  v«. 

Want  die  ziel  nv  wel  ende  minlic  getroest  is  van  ibesu  cristo 
ende  die  werielt  vromeliken  begeuen  beeft,  soe  troest  si  oec  mede 
alle  die  gbenen,  die  ibesu  dienen  ende  der  werrelts  genuecbten  bebben 
begeuen  om  dat  loen,  dat  si  cortelic  suUen  ontfaen,  en  die  bitter 
pyn  der  bellen,  die  si  suUen  ontgaen. 

No.  5.  »Ave  maria  maget  reyn«. 

Want  die  ziele  die  werrelt  begeuen  beeft  en  ibesu  cristo  begint 
te  dienen,  soe  wart  si  swaerlike  gbetemptiert  mit  menigerbande  temp- 
tacien,  Ende  biir  om  soe  roep  sy  nv  aen  marien,  die  moeder  der 
ontfaimberticbeit,  die  een  troestersse  is  alle  der  bediucter  berten, 
end  claecbt  baer,  dat  sy  ducht,  dat  baer  gebet  niet  gebeert  en  wert, 
Ende  si  vraecbt  marien,  wat  dat  beduyt,  dat  si  baer  niet  en  antwert, 


Niederlfindische  geistliche  Lieder  nebst  ihren  Singweisen  etc.  327 


En  dat  si  nochtahs  haer  druc  ende  liden  claget  also  dicke;  Ende 
maria  geeft  haer  di  saek  te  kennen,  als  dat  si  in  gheen  onsuuer 
herte  wesen  en  mach,  dat  becommeit  is  mit  idel  gedachten  ouermits 
haie  groete  suuerheit.  Ende  si  geeft  die  ziele  raet.  als  dat  si  alle 
ydele  gedachten  yan  haer  keert  ende  dat  si  alleen  draecht  ihesus 
myn  en  passie  en  liden  in  hare  herten,  soe  sal  si  dan  haer  dicke 
visitieren  end  antword  geuen.  En  die  sdel  antwert  marien,  als  dat 
si  hären  raet  gheliken  wil  völligen. 

No.  7  »Hi  truer-. 

Want  die  ziel  nv  volcomelic  getroest  is  van  marien,  soe  keert 
si  hair  van  allen  anxt  en  vresen,  die  hair  soude  mögen  brengen  tot 
wanhoep,  En  si  gheeft  hair  tot  hoep  en  geheel  betrouuen  in  ihesu 
eristo.  Wair  om  si  wairachtelic  en  mit  recht  gueden  hoep  end  guet 
betrouuen  wel  hebben  mach  in  ihesu  eristo.  Dus  wort  si  ny  ge- 
logen yan  hoep  end  sprect  yan  groter  bliiscap. 

No.  8  »O  ihesu  wtuercoren  beer«. 

Want  die  ziel  gecomen  is  yon  anxt  tot  hoep  end  geopenbaert 
heeft  dat  groet  betrouuen,  dat  si  heeft  in  ihesu  eristo,  So  wairt  si 
ny  getogen  mit  desen  groten  betrouuen  tot  eenre  bemender  mynnen 
ihesu  cristi.  End  si  yertelt  ihesu  eristo  tot  synre  groter  eren,  wat 
hi  geleden  heuet  om  die  liefte  yan  haer,  waer  om  si  mit  rechte 
sculdich  is  hem  te  mynnen  mit  al  hare  herten;  End  si  geeft  hem 
te  kennen,  hoe  suetelic  en  genuechtelic  dat  is  syn  naem  ihesus  en 
syn  lüden  in  haer  hert  te  dragen  end  sprect  wit  groter  Heften  aldus. 

No.  9  »O  ghy,  die  ihesus  wyngart  plantfc 

Want  die  ziel  gecomen  is  tot  groter  mynnen  ihesu  cristi  end 
seer  begeert  bi  hem  te  wesen,  soe  wert  si  ny  getogen  mit  deser 
groter  lieften  en  begeerten  in  eenre  contemplacien  des  zuete  lants, 
daei  ewighe  bliiscap  is,  daer  men  ewelic  ihesum  cristum  aenscouuet 
sonder  ophouuen ;  End  mit  deser  sueticheit,  die  si  yemeemt  in  hare 
contemplacien  yan  dien  lande  der  ewiger  glorien,  soe  troest  si  hier 
int  dit  leste  hymmekyn  allen  den  ghenen,  die  ihesu  eristo  dienen 
en  sprect  aldus. 

Am  Schluß  des  Liedes  folgt:  «Och  lieue  bruederkynsa  etc.  S.  166. 

Nach  No.  42  )>Coempt  ons  te  hulpec 

O  ghi  alle,  die  liidt  den  tut,  merct  der  yalscher  werrelt  spei. 
Ic  had  een  scheem  omuaen,  enen  droem  had  ic  getruuet,  ic  had  enen 
waen  beseten.  Ach  waer  is  ny  des  wanes  beelt,  des  droems  geloeft, 
des  blynden  scheems  genoechlic  aenscouuen?  al  had  ic  ny  beseten 
dusent  iaer,  als  een  ogenblic  wairt  al  yergaen.  O  wy,  droch  werrelt, 
moirderyn,  hoe  scencstu  ny  dat  suete  yenyn,  alleen  duncstu  den 
blynden  scoen,  den  gecken  suet,  den  bösen  duncstu  guet.     Du  bist 


328 


Wilhelm  B&umker, 


der  aertscher  herten  paradiis,  mer,  die  dy  vliet  die  ifl  seer  wüs,  dairom 
addieu  di  droeuich  scheem,  scheiden  is  dyn  eyghen,  ic  liid  noch,  al 
ist  spaed  ten  yaderlande.  Daer  om,  o  droeuige  siele  myn,  doe  op 
die  doer,  onsluyt  dyn  hert,  ward  van  dinen  droem  ontwect,  hi  clopt, 
laet  in  den  vrient,  die  nymmermeer  en  scheyt  yan  dy.  Sprect  hem  toe 
mit  vroechden  groet  al  mitter  bruyt  dat  zuete  woirt  wt  mynnentlike 
hertzen  we:  trahe  me  post  te  in  dyns  yaders  rike,  tu  princepsglorie. 


Liidt  den  tiit, 

al  dunct  hi  v  lanc, 

die  myDxie  goeds 

sei  T  weten  danc, 

die  wairheit  bliift 

T  onderstant, 

al  sonder  want, 

des  seker  siit 
l.Wie  geluc  efi  ere 

van  mynnen  latet  staen, 

die  sei  oec  ymmermere 

den  loen  van  haer  ontfaen, 

hy  moet  syn  selues  auegaen 

efi  alle  dinc  te  nyete  slaen 

ende  sonder  hem  te  gode  gaen, 

dats  wel  gedaen, 

hi  wart  Terbliit. 
2.  Soe  mit  creaturen 


te  gode  wil  gaen, 
dat  en  mach  niet  lang  dtiren, 
hy  en  wart  ran  hem  geuaen 
ende  seiden  bliift  hi  ongesehent, 
die  wairheit  bliift  hem  onbekent, 
der  mynnen  en  heeft  niet  een  twint» 
al  euen  blint, 
des  drage  ic  nyt. 
3.  Soe  wie  die  wairheit  me3rnen 
mit  reynen  herten  yry, 
si  en  laetse  niet  alleme 
si  staet  hem  altoes  by, 
wel  gemoet, 
wat  mynnen  werct 
dats  al  guet 
ende  wat  si  doet 
in  alre  tut. 

Repetitio:  Liidt  den  tiit  etc. 


1.  Oirlof,  oirlof,  valsche  werrelt, 
alle  iuwe  werken  ^aen  te  niet, 
so  wie  dat  Tolget  luwen  rade, 

int  eynde  heeft  hi  veel  myn  dan  niet 

2.  By  adams  scout  hebben  wy  verloren 
om  »ynre  groter  ongehoirsaemheit, 
by  crlstus  wedercomen    syn   wy   be- 

houden 
om  synre  groter  oetmoedicheit 


Ic  hebbe  ^eiaget,  ic  wyl  my  houden 
an  enen  dies  my  niet  of  en  gaet, 
twschen  hemel  eö  der  aerden 
scoenre  beer  ic  nye  ansach. 
Die  werrelt  toent  ons  een  seoen  solaes 
als  wi  sie  mit  ogen  aen  sien, 
mer  wat  wy  loepen  of  wat  wy  iagen, 
int  eynde  sal  al  hier  hene  vhen. 
Oirlof  etc. 


Jetzt  folgt  das  Lied  Nr.  43.     »Des  ons  adanw  etc. 


Anmerkungen. 

S.  156.  Anmerkung  1.  Ein  so  eben  in  meine  Hände  gelangtes 
Büchlein  mit  dem  Titel:  »De  Keyelaarsche  Deyotie  tot  de  H.  Maagd 
Maria,  bestaande  in  godyruchtige  Lofzangen.  Te  Utrecht,  1841« 
belehrt  mich,  daß  bis  in  die  neueste  Zeit  hinein  in  Holland  geist- 
liche Lieder  nach  weltlichen  Singweisen  gesungen  werden.  So  heifit 
es  z.  B.  S.  18: 

Een  nieuw  Lied,  ter  eere  yan  onze  lieye  Vrouwe  yan  Keyelaer, 
aan  haar  opgedragen  door  de  Pelgrims   yan  Utrecht.     Stem:   Diana 

op  de  Jagt :  »0  Heilige  moeder  Maria ! 

Wy  komen  hier  al  te  saam«  etc. 


Niederlftndische  geistliche  Lieder  nebst  ihren  Singweisen  etc.  329 


S.  25.    Een  nieuw  Lied  tot  de  H.  Moeder  der  Barmhertigheid. 

Op  de  wys:  Alhier  te  Nymwegen: 

»Maria  Koninginne! 

Oy  zyt,  die  ik  beminne«. 

S.  33.    Minne-zuchten  tot  de  AUerheiligste  Maagd  Maria.    Stein: 

Fluks  op  de  been  gy  kerders: 

»Ochl  wat  zal  ik  nu  gaan  beginnen, 
Maria  moeder  en  maget  soet«  etc. 

S.  156.  Anmerkung  2.  Auch  publicirt  von  Willems,  Belgisch 
Museum  III,  443  ff.  Yertalingen  van  het  Kerkgezang  »Stabat  mater 
dolorosaa.    Er  bq^nt  mit  dem  XIV.  Jahrhundert. 

S.  160.  3.  Zeile  4:  lies  Nr.  85  statt  8. 

S.  167.  2.  Das  Lied  i>Heilicheit  en  leyt  niet  in  den  schyn«  hat 
Willems  in  seinem  Belgischen  Museum  VIII,  236  ff.  veröffentlicht 
nach  einem  Gebetbuche  aus  dem  Ende  des  XV.  Jahrhunderts. 


Nr.  Yen  Zeile 

1,      2,    2    Vielleicht  ist  rtist  su  lesen  als  Objekt  su  i^yerlient«.    VgL  Faes.  I. 

1,  4,     2    ionfaens=^te  ontfaen. 

2,  11,    3    UaoonU:  des  Abends.    Inklination  (Proklisis).    Vgl.  Franok,  S.  22. 

2,  12,    3    wies:  wessen. 

3,  4,    4    bmatren  =  hewaren, 

3,  7,    3    roden  ist  einsilbig  ausBuspreohen  (raen),  um  den  Reim  auf  »taen  zu  bilden. 
4y      3,    3    trann60r<  SS  ^anneer  het. 

4,  7,    3    Heel  meer  kommt  nur  hier  vor,   sonst  heißt  es  immer  »Veel  meeru. 

Die  Handschrift  ist  an  dieser  Stelle  nicht  ganz  klar,   sodaß   auch 

»veel«  da  gestanden  haben  kann. 
4,      8,     i    ♦hie  =  hi. 
4,     11,    1     Hdsehr.    Int  teynd.    Doppelte  Inklination  (£nklisis  und  Proklisis). 

Franck.  S.  22. 
4,     17,    1    Hinter  .»ons«  fehlt  wahrscheinlich  »alle«. 

4,  18,    4    5«^6«r  es  begheren. 

5,  2,  13    sangberheit   eigentlich  Singbarkeit,   dann  Sang;   vielleicht    auch    ein 

^hreibfehler  für  »sang  Dereit«:  die  Morgenröthe,  geziert  mit  dem 

Oesang  aller  Vögel. 
5,      4,    2    *hebdie «» hebdi. 
5,  S.  175,  Melodiezeile  2.    Das  b  zu  der  Note  des  Wortes  »Myn«  ist  irr* 

thümlioh  über  das  Notensystem  gerathen.    Es  mufi  vor  h  stehen. 
5,      6,    9    sien  ss  syn  (esse). 
5,       7,      5    heytssheeft. 
5,      8,  13    hitr  s  hier,  bildet  eigentlich  mit  dem  folgenden  ein  Wort :  hiemamels 

hiemach,  später. 
5,      9,    8    ty  (statt  tye)^tide  (Dativ). 
5,      9,  11     om  dy  darum,  um  das.    Vgl.  Franck,  S.  149. 

5,    10,  In  der  Handschrift  fehlt  hier  die  Ueberschrift :  »Die  ziel«  Vgl.  Nr.  3. 

b,    11,    4    soudmen  B=  soude  men. 

5,  11,  12    int.  Die  Handschrift  ist  an  dieser  Stelle  unsauber.  Man  könnte  auch  die 

Buchstaben  <m  herauslesen.  Das  wäre  dann  eine  Abkürzung  für  over. 

6,  2,    3    eant  ihert.    Donpelte  Inklination.    Vgl.  4,  11,  1. 
6,      3,     1    yet:  etwas.    Haschr.  yeet. 

6,      4,      3    wenn  ich  ihn  (den  Dienst)  thue. 


*  bezeichnet  einen  Druckfehler. 


330 


Wilhelm  Bäumker. 


Nr.  Vera 

6.  6, 

6,  10, 

6,  12, 

6,  15, 

6,  15, 

6,  1«, 

6,  18, 

6,  18. 

6,  19, 

6,  20, 

6.  21, 

6,  26, 

6b,     6, 


8. 
8, 

9, 
9, 
9, 


3, 
5, 
5, 
6, 

r. 

8, 
3, 
3, 

3, 
II, 
12, 


9, 

13, 

9, 

13. 

9. 

14, 

10, 

1. 

10, 

3, 

10, 

3, 

10, 

4. 

10, 

4, 

10, 

5. 

10, 

6, 

10, 

7, 

11, 

3, 

13, 

2. 

13, 

6, 

15, 

1, 

15, 

7, 

10. 

2, 

16, 

9. 

n. 

13, 

17, 

21, 

17, 

21, 

17, 

23, 

«7, 

25. 

17, 

25, 

17, 

33, 

17, 

36, 

Zeile 

3  veel  Schreibfehler  för  vele,  weldies  besser  in  den  Vers  paAt. 

4  wofür  ihr  mir  wohl  zürnt.    Die  [  ]  steht  nicht  in  der  Handschrift. 
1     *tcantier  =  wanneer. 

1  und  anderswo  eigentlich  ein  Wort:  tpoeram, 

4  *Hdschr.  nnmmermeer. 

4  Int  sprek^n:  oheer  verlient!« 

3  soudi  =  Boude  het :  würde  es. 

4  Ten  «=  Het  en ;  sehtet  =  geschiet. 

3  gheeft  für  gaen  kommt  sonst  nicht  Tor.    Vgl.  Franck,  S.  116. 

4  gheet  =s  gaet. 

1      Wü  htm:  Wehe  ihnen,  die  etc. 

1  Hdschr.  Een\  £n  ist  hier  Druckfehler,  obwohl  es  an  andern  Stellen 

vorkommt. 

3  Hinter  op  fehlt  in  der  Hdschr.  das  Wörtchen  dat. 

Zur  Melodie  vgl.  Böhme,  Altdeutsches  Liederbuch,  No.  190. 

4  Deed  =  Het  en  deed  :  Thäte  es  nicht. 

3  bynden  =  bynnen  :  in,  innerhalb. 

4  hotcen  =»  houden :  halten,  festhalten. 

4  Twaer  s  Het  waer :  Es  wfire. 

2  ?iem  wird  des  Reimes  wegen  him  oder  hin  heißen  sollen. 

2    Den  maecht,  wie  in  der  Hdschr.  steht,  ist  ein  Schreibfehler. 
2    Thätet  ihr  es  nicht,  so  wäre  u.  s.  w. 

5  Hdschr.  £n  vond.    In  ist  allerdings  kein  störender  Druckfehler,  denn 

es  ist  =  Ic  etu 
8    welche  sich  so  fem  u.  weit  (wir  würden  sagen  »weit  u.  breit»;  ausstreckt 
2    Hdschr.  on  een, 

5  wunelic.    Die  Berliner  Hdschr.  hat  hottdehe.    Vielleicht  konnte  man 

aus  der  Wiener  Hdschr.,  die  undeutlich  ist,  bouvelic  herauslesen. 

Dieses  hat  den  besten  Sinn:  »das  Bauen  nöthig  habend«. 
ow  =  oude:  Alter  (Dativ). 
gow  =  ^oude  Qold  (Dativ), 
^gestadlich  =  gesiadtch. 

goier  love,  vgl.  7,  6  großen  love. 
dsohr.  9oen  goeds.    Die  Umstellung  erfolgte  des  Keimes  wegen. 

8  Die  [  ]  stehen  nicht  in  der  Hdschr. 

6  wgene :  deren. 

9  eigentlich :  in  sinen  iongen  iaren.    Das  n  fftllt  aber  häufig  fort^    VgL 

Franck  S.  138. 
5    tneecht  =  maecht. 

10    Die  Berliner  Hdschr.   hat  als  anstatt  o^.    Dieses  letstere  dürfte  ein 
Schreibfehler  sein,  da  eine  Interjektion  hier  kaum  passend  ist. 
1     Hdschr.  hesereeff  statt  *bescreff. 

S.  186,  Zeile  5  von  oben  Mone  I,  Nr.  47  nicht  97. 
1     Hdschr.  vasj  12,  5,  2  Hdschr.  verult 

1  besser  vroeden, 
4    Hdschr.  vieroec. 

2  synse:  sind  sie. 
4  *slaep  s=  slaept. 
1     *no  =■  nv. 

1     ewen  trewen  (dobbelstert,  vgl.  S.  162) :  von  Ewigkeit  zu  Ewigkeit  (?). 

3  Das  Deminutivum  hertscheti  kommt  nur  an  dieser  Stelle  vor. 

3  Hdschr.  opt  dat, 

4  Hdschr.  volbrengen, 

3    alt  s=  al  dat. 

1 

4 

1 

3 


1 
2 
5 
4 

1 


geleyt:  geführt. 
Hdschr. 


rtuten\  beide  Fonnen  sind  gebräuchlich. 
onbevangen  =s  omvangen :  umarmen,  umfangen, 
•sonwyf  =  somwyL 


Niederländische  geistliche  Lieder  nebst  ihren  Singweisen  etc. 


331 


Nr.  Vers  Zeile 
17,     55,     4 

17,  56, 

18,  1 
18,       2, 
18,      2, 


19,     10 

20, 

21, 


25, 
25, 
25, 
25, 

25, 
25, 
26, 
26, 
26, 
27, 
27, 
27, 
27, 
27, 
27, 
27, 
28, 
28, 
28, 
28, 
28, 


4. 
1 


21, 
21. 

21, 

21, 
22, 
21, 
23, 
23, 
23, 
23,  11 
23,  13. 
23,  14, 
23,  15, 
23,     17, 


7, 
2, 

2, 

6, 

8, 


23,  30, 
23,     31 

23,  34, 

24,  7, 
24,  11, 
24,     12, 

24,  14, 

25,  2, 
4, 
6, 
8, 
9. 


14, 
1 

2, 
5, 
6, 
8, 

10, 

11 

16, 

17j 

17, 

2, 

d| 
10, 

10, 
14. 


4 

10 
1 
2 
3 
2 
6 
7 
1 
8 
5 
5 
6 
6 
5 
3 
2 
1 
5 

m 

O 

2 


23,     18,     6 
23,     28.     2 


2 
3 
6 
4 
5 
5 
4 
6 
1 
3 
3 
4 

6 
1 

10 
6 
4 
7 
3 
8 
9 
7 
4 
5 
6 
6 
4 
6 
6 


gedeylieht  s  gedeicht:  getiljgt 

gewöhnlich  die  ziele  (Femininum). 

die  en  der  niet:  der  darf  nicht,  braucht  nicht,  Tgl.  Franck,  S.  114. 

Hdschr.  vüUn. 

*al9  s=  al. 

strennicheit  =  strengicheit. 

vliet  kann  wohl  von  vlieten:  fließen  herkommen  und  rasch  bedeuten. 

tre  ss=  taee :  weh. 

nach  ic  fehlt  wohl  Ttem. 

Wo  bleibst  du  Auserwfthlter  und  wirst  du  nichts  gewahr  I 

mackt  am  mach  het :  kann  es. 

leech  s=  Udich, 

ziie:  sie  ist 

hü$  K=  hi  des :  er  nun. 

*hte  s=  hi. 

•  Wand  ^  want. 

syn  vrienden  syn.    Das  zweite  syn  ist  zu  tilgen,  ygl.  das  Versmaß. 

was  nicht  der  Fall  wfize  —  könnten  sie  wählen. 

ontwarer:  Ihr  werdet  es  nicht  mehr  gewahr,  wenn  auch  u.  s.  w. 

sonder  syn  vielleicht  »en  syn  sonder  verbliden«. 

YgL  8,  3,  2.    Bas  Komma  hinter  rouuen  muß  fort. 

Bas  Komma  hinter  hi  muß  fehlen:  Wüßte  ich,  es  wäre  nicht  ver- 
geblich, wenn  er  mich  nicht  zu  hören  scheint,  sondern  es  wäre  mir 
vortheilhaft  etc. 

seel  s=s  sei. 

*Deei  «  Deed. 

daers  =■  daer  is.  Der  Sinn  ist  »Thäte  er  das  nicht,  so  gäbe  es  keine 
Versuchung«  etc. 

*sou^  =s  8wut  SS  sonder :  ohne. 

dv  =s  doe :  thne  1  oder  es  müßte  heißen  seid  v :  sagt  euch. 

^dusant  as  dusent. 

daimen:  daß  man. 

dancien  =  danct  den. 

vielleicht  hi  dwang. 

8oet  s=  80  het. 

Hinter  »iosaphat«  muß  ein  Komma  stehen. 

Auch  ist  es  selig  denen,  die  für^ten,  d.  h.  sind  selig,  die  Furcht  haben. 

fesae/t:  von  saeften  eigentl.  besänftigen. 
Ldschr.  vanneer. 
So  lange  du  es  einem  der  geringsten  der  meinigen  nicht  thatest  oder 

gönntest  etc. 
geteU\  gezählt  d.  i.  geschätzt,  hochgeachtet. 
och  lacy  und  ocharmen  sind  Interjektionen  des  Mitleidens. 
Ba  werdet  ihr  den  Palast  anschauen, 
weil  ihr  sie  (die  Armen]  jetzt  gut  behandelt. 
giis  =  ghi  des,  vgl.  25,  9,  4. 
gav  =s  gode  8.  soy :  so. 
Udschr.  scriftuturen. 
goe  =  gode. 
dies:  davon. 

reen  =  reden :  Ursachen,  Gründe. 
diet  «s  die  het  oder  die  dat, 
en  SS  en  (end)  und. 

hinter  nu  fehlt  jedenfalls  das  Wort  is. 
versmayt:  versehmäht. 

die  troen  soll  wohl  heißen  den  troen  (mascuUnum)  vgL  30,  22,  5. 
Jetzt,  morgen  und  später. 
cranlieheit  s»  crancliäieit :  Schwachheit. 


332 


Wilhdm  B&umker, 


Nr.  Y«r8  Zeil« 


2». 

2, 

29, 

9. 

30, 

1, 

30, 

3, 

30, 

7, 

30. 

8, 

30, 

8, 

30, 

9, 

30, 

11, 

30, 

12, 

30, 

12, 

30, 

18, 

30, 

18. 

30, 

19. 

30, 

22, 

30, 

23, 

31, 

1, 

31, 

4, 

33, 

3. 

35, 

5, 

35, 

6, 

35, 

10, 

36. 

41. 

8, 

41, 

15, 

41, 

16, 

42, 

2, 

42, 

2, 

43. 

1, 

43, 

3, 

44, 

5. 

45, 

9, 

58. 


2 
5 
4 

1 


46, 

1 

,     4 

48, 

2, 

,    2 

48, 

9, 

3 

49, 

1, 

,     4 

49, 

3, 

»     8 

50, 

1 

,     3 

51, 

8. 

>     3 

52, 

1, 

r       3 

52, 

3, 

4 

54, 

1, 

>     3 

55, 

1, 

5 

55, 

1, 

10 

55. 

3    goy  =  gode. 

3  vermoy  «s  vermoede. 

4  Ein  viel  größere  Gabe  kenne  ich  nicht 

8    Die  (Himmels-)  Bürger  sind  ihr  unterthan,  denn  sie  hat  dieselben  über- 
troffen, erhoben  über  die  Seraphim. 
2    Hdschr.  veruli, 

4  noy  ^  node. 

5  goy  =  gode. 

1    des:  also,  deshalb. 

5    Er  liebt  sich  selbst  weniger,  als  (er)  Gott  (liebt). 

1  Das  Komma  hinter  toael  muß  weg^lallen  und  am  Schlüsse  der  folgenden 

Zeile  stehen. 

2  der  wohl  «=  daerP  Nun  also  versteht  hieraus  auch  wohl  einen  Torfaerge- 

nannten  Hauptpunkt :  wie  sie  sich  dort  betragen  (gegeneinander  ver- 

3  Hdschr.  verreit.  halten). 

4  Ich  will,  daß  sie  u.  s.  w. 

7  ver:  fem. 

8  sowentoerffssi  sewenwerff:  siebenmal 

3  vereieren  MS  yenieTen:  erdenken. 

4  winghewiis? 
1     Geht  dies  mir  ab,  fehlt  mir  das,  etc. 

fooerste  «s  yoerste. 

verwennentUe  «>  yerwendelie :  verwöhnt,  üppig. 

fewayt  «s  gewadet 
edroef  —  den, 

Anmerkung  3, 16  vantUke  =  van  sltke  vom  Schlamme,  von  der  Erde  ans. 
4    dar^^  darf  es. 
4    eigentlich  mieschiet, 

4    Das  ist  ihrer  keins,  d.  h.  beide  sind  voll  Haß  und  Leid. 
1    Vielleicht :  Eeer  tov  al  dit  gdeden  doer^  ehe  wir  alles  dieses  passirt  haben. 
3    In  der  Hdschr.  steht  »daer  s  leyt« ;  das  kann  heißen  »da  lic^  wenn  man 
das  s  nicht  berücksichtigt;  oder  »da  schlägt«  von  sleghen:  schlagen, 
letzte  Zeile.    Hdschr.  eeencken, 

9  Hdschr.  *aderen;  toeesen  wachsen. 

1    Die  Liebe  zu  Jesus,  die  große  Stadt,  etc. 

3    statt  en  (und)  ist  yielleicht  en  (nicht)  su  lesen:   nicht  laß  getrennt 
(uns  sein) !    Die  deutsehen  Lieder  lauten  hier;  »Tan  mir  niet  widü 
oder  »von  mir  nit  entwich«. 
toode  SS  iüede  Weh,  Kummer. 
dien:  die  ihn. 
doer  etc.  zu  unserm  Heile, 
saft  8SS  sacht. 
8    Bchiet  BS  geschiet. 

3    reen  berühre  von  rinen  (ahd«  hrinan). 
arre  ^i  erre  oder  ame. 

In  der  Handschrift  fehlt  das  Wort  »ontfemet«. 
loten-,  laß  ihn. 
vinter  es  vint  daer. 
tent  SS  thend:  bis. 
.    schrecklich  von  gruwen:  grauen. 

ie  am  Anfang  der  Lieder  Nr.  55  und  58  yorkommenden  Notengfinp 
ohne  Text  können  auch  MeUemen  sein,  die  auf  der  ersten  Teztsiloe 
gesungen  werden  sollen. 
Anmerkune.    Hier  haben  die  Texte  10  Strophen. 

Theodoriciis  de  Gruter  war  Mönch  im  Augustinerkloster  in  Dois- 
bürg  und  lebte  su  Anfang  des  XV.  Jahrhunderts.  Er  ist  auch 
Dichter  des  Liedes  »Och  heer  der  hemelen  etiekten,  welches  ebenfalls 
an  der  besagten  Stelle  mit  der  Melodie  reproducirt  ist.    (VgL  auch 


Niederländische  geistliche  Lieder  nebst  ihren  Singweisen  etc.  333 

Kr.  Y«rs  Zeil« 

Hoffmann,  Nieder!,  ^eistl.  Lieder  No.  59).  Die  Handsehrift  mit 
den  drei  genannten  Liedern  befindet  sieh  auf  der  kgl.  Bibliothek  zu 
BrOssel  Ms.  8859  p.  232,  233. 

58,  4,     3    vermoeytz  stark,  mfiontig.     5  ghemoeyi:  gequält. 

59,  3,    1     tot  noch  bis  jetst. 

66.  Valastu  wahrscheinlich  aus   Vale  und  sus  susammengesetit,  ein  Aus- 

druck,  der  eine  Art  Jodelruf  bildet  und  in  Kinderliedem   öfter 
vorkommt. 
76.  S.  315  Z.  2  Ton  oben  brunensm^c  Druckfehler  für  brunensti^c. 

S.  326  Zeile  4  Ton  unten  roep  ss  roept. 
S.  328  »Lädt  den  tut«  2,  1  Hinter  soe  wird  »wie«  zu  »ganzen  sein. 


Glossar. 

Yorbemerknng. 

Um  das  Nachschlagen  zu  erleichtem  gebe  ich  einige  Anweisungen  auf  Grund 
des  Buches  von  Dr.  £.  Verwijs  »Körte  Midden-Nederlandsche  8praakkunst«r. 

e  wird  vor  a,  o,  u,  ou,  oe,  au  sowie  in  Verbindung  mit  /,  n  und  r  anstatt  des 
heutigen  k  gebraucht:  can,  cout,  cttssen,  eousen,  elinghen,  enape,  crupen;  da- 
gegen setzte  man  klvor  e  und  t.*  kerke,  kint 

c  mit  der  Aussprache  des  niederländischen  t  (weiches  [tönendes]  s)  kommt  nur 
in  Fremdwörtern  vor:  eieren. 

Am  Ende  der  Wörter  wird  oft  e  geschrieben  anstatt  des  heutigen  k:  roee,  eloec. 
ch  steht  u.  a.  auch  nach  ^  n  und  r:  melcken,  dancken^  tcercken;  doch  schrieb  man 
auch:  kerke. 

g  namentlich  vor  e  und  t  wird  oft  als  gh  geschrieben.  Z.  B.  gheen  und  geen^  gheliie 
und  geliic,  ghi  und  gi.  Ich  habe,  um  das  Aufschlagen  mcht  zu  erschweren,  im 
Wörterbuch  immer  ghe . . .  geschrieben. 

i  und  y  sind  verschiedene  Formen  für  denselben  Buchstaben.  Man  schrieb  mi  und 
mf^,  meien  und  meyen.  Das  jetzige  hollftndische  doppel  ij  wird  in  der  Wiener 
Handschrift  meistens  ii  geschrieben,  in  der  Berliner  als  y  und  ij\  Die  Punkte 
fehlen  bisweilen  da,  wo  sie  eigentlich  stehen  sollten.  Aus  diesem  Gründe  habe 
ich  dieselben  überhaupt  fortgelassen. 

i  kommt  auch  anstatt  des  J  vor :  tone,  hertien. 

s  wechselt  häufig  mit  z  ab:  sedey  zede;  sieh  und  ziele, 
sc  steht  für  seh  (mit  westfälischer  Aussprache). 

u  wird  häufig  anstatt  des  v  gebraucht  und  umgekehrt    Da  u  im  Anfange  eines 
Wortes  sowohl  für  u  als  mr  v  steht,  so  habe  ich  das  u,  welches  zu  Anfang 
der  Wörter  ein  v  sein  soll,  auch  als  v  geschrieben,  z.  B.  verbilden  statt  uerbliden, 
uu  wird  gewöhnlich  w  geschrieben  wt  »=  uut 

tr  und  V  wechseln  oft  miteinander  ab,  z.  B.  vieroee  ^^  wieroee ;  tcoeren  =^  voeren. 
Ich  habe  an  den  Stellen,  wo  im  Anfange  eines  Wortes  v  anstatt  to  steht,  auch 
to  ffeschrieben,  in  den  Anmerkungen  jedoch  die  Wörter  bezeichnet 

X  steht  für  gs  und  es,  z.  B.  coninx. 

Besondere  Aufmerksamkeit  ist  beim  Nachschlagen  der  Wörter  der  Inklination 
zuzuwenden,  welche  sowohl  als  Froklisis  (Yorlehnung  am  Anfange  des  Wortes) 
als  auch  als  EnkHsis  (Anlehnung  am  Schluß  des  Wortes)  vorkommt. 

Einige  bekannte  Formen  will  ich  gleich  hier  anführen: 


dats  =  dai  es,  das  ist 
dat,  dattet  =  dat  het,  daß  es. 
qiis  =  gi  dies,  ihr  deß. 
%ebdi  OS  hebt  gy,  habt  ihr. 
hiis  SS  hi  dies,  er  deß. 
hiit  =  hi  het,  er  es. 


hoet  =  hoe  het,  wie  es. 
ist,  isset  sss  i$  het,  ist  es. 
fnent=^fnen  het,  man  es. 
opt  =  op  het,  auf  das. 
snachs  des  Nachts. 
sottdt  ^i  soude  het^  würde  es. 


334 


Wilhelm  Bäumker, 


8oei  SS  80  het,  wie  es. 
ienBsh^t  en,  es  nicht 
tktnd  =  het  kintf  das  Kind. 
tlant  s=  ?iet  lantf  da*  Land, 


UavotU»  BB  de*  aoanU,  des  Abends. 
twa$^=hel  wag,  es  war. 
fitenzs:uut  den,  aus  dem. 
teerpt  SS  werpt  het,  wirft  es. 


wildi  =3  tüilt  gi,  wollt  ihr. 

Bisweilen  kommen  Froklisis  und  Knklisifl  zusammen  vor: 

int  teynd:  am  Ende,  zuletzt     int  tlant:  in  das  Land. 

"Näheres  bei  Franck  §  22. 


acht  Acht,  Obacht,  Art  und  Weise,  — 
slaen  achtgeben,  anschlagen. 

achter  Fräpos.  hinter,  nach;  Adv.  dar- 
nach, später. 

ädere  Natter,  Ader,  Sinn;   auch  Aehre, 
ährenfOrmiges  Büschel. 

aelmis  Almosen. 

aen  s.  an. 

aenhidden  lu  jemand  bitten. 

aengaen  anfangen,  unternehmen. 

aeneehvn  Angesicht,  Gegenwart ;  offenbar, 
deutlich  —  doen  darthun,  beweisen. 

aenecouufen  anschauen. 

aeneien  ansehen. 

aerde  Erde,  aerdenryc  Erdreich. 

aert  Art,  Geschlecht,   Art  und  Weise, 
Eigenschaft 

aertryc  Erdreich. 

aertaeh  irdisch. 

af  ab,  Ton. 

afdoen  abthun,  wegschaffen. 

afaaen  weggehen,  yerloren  gehen,  ver- 
lassen, fahren  lassen,  verleugnen. 

afgront  Abgrund. 

afiaten  ablassen,  unterlassen,  verzichten. 

a/staen  abstehen,  sich  lossagen  von  ^twas. 

after  ==  achter. 

afterlaten  hinterlassen,  unterlassen. 

ai . . .  =  a0 . . . 

ay  ach! 

al  Adj.  jeder,  ganz;  Subst.  alles;  Adv. 
gänzlich;  ah  im  ganzen. 

a/ Koni,  obwohl.^ 

aldus  also,  auf  diese  Weise. 

alienchen  allmählich. 

als  also,    als  ob;    weil,    obgleich;    als, 
wann. 

aUt  =  ah  het. 

ahülk  solch. 

alte  allzu ;  aUemael  zusammen,  allzumal. 

alfyt  allzeit. 

altoes  stets,  durchaus,  immer. 

altois  =  altoes, 

an,  ane  an;  ohne.- 

anderheyt  fremde  Sache,  das  Fremde. 


anegaen =:  aengaen. 

anvaen  angreifen,   annehmen,  in  Besiti 

nahmen. 
archeit  Bosheit. 
armkyn  Aermchen. 
armoede  Armuth,  Elend. 
amen  ernten,  einsammeln. 
arren  s.  erren* 
ave  =  a/. 
aventuren  wagen. 
avont  Abend. 

B. 

hancgenclik  oder  hanegenÜic  bang. 

bant  Band,  Bund. 

baren  gebären. 

bat  besser« 

baet,  bäte  Vortheil,  Gewinn. 

baien  nützen,  helfen,  frommen. 

bebloet  blutig  gemacht. 

beclagen  an-  be-  verklagen. 

beeliven  kleben,  Wurzel  fassen,  gedeihen, 

fortdauern. 
beile  Gebet,  Bitte. 
beden  bitten. 
bedieden  bedeuten. 
bedouwen  bethauen,  erfrischen,  erquicken. 

bedrief  Thätigkeit,  Betreiben. 

bedriven  betreiben,  verrichten. 

bedroeven  betrüben,  betrübt  sein. 

beeU,  beeide  Bild,  Vorbild. 

beeste  Thier. 

befamen  beschuldigen. 

begaen  antreffen,  anfangen,  begehen,  thun, 

handeln. 
begeven  verlassen,  aufgeben. 
begheertfe)  Begierde,  Wunsch. 
bäia[e]chliche%i  Behagen,  Wohlge&llen. 
behagen  gefallen,  behagen,  hem-  Gefallen 

finden  an  etwas,  sion  rühmen. 
behalen  erlangen. 
beheren  beherrschen. 
behoeder,  behoester  Beschützer,  Beschütse- 

rin. 


Niederländische  geistliche  Lieder  nebst  ihrien  Singweisen  etc.  335 


hehaeden,  behoen  behüten,  beschützen. 
behoepen  bedürfen,  nöthig  haben. 

J*?*"**^^' >behalten,  bewahren,  beschützen. 

beiden,  heyen  warten. 

bekennen  erkennen,  einseh en- 

heledefi,  \  begleiten,  führen»  Terleiten ; 

belMenf  hetn  sich  begeben,  verfügen. 

beieUen  verhindern. 

bellen  bekennen,  beipflichten. 

beloven  versprechen,  geloben. 

I^^JI^'V  unter,  unterhalb;  unten. 

hequaem  passend,  tauglich,  gefällig. 

beraden  besorgen,  A«m-  überlegen. 

hemen  brennen. 

berot>en  rauben,  berauben. 

berou  Beue. 

berouwen  bereuen,  gereuen. 

bervoei  barfüßig. 

beeaien  2ur  Ruhe,  zum  Frieden  bringen 
( Lübben  iL  Walther,  Handwörterbuch), 
anordnen,  schicken,  befestigen  (Franck). 

beseamen  beschämen. 

bescureti  bedecken,  beschützen. 

besten  besehen,  einsehen. 

besinnen  aussinnen,  erfinden. 

besluten  einschließen,  beschließen. 

bespien  (Part,  bespogen)  bespeien. 

bessern  Besen. 

besiaen  stehen,  bestehen,  unternehmen, 
anfangen. 

besturen  hindern ,  hemmen ;  einrichten, 
besorgen. 

besundigen  Sünde  thun.  sich  versündigen. 

besuren  mit  Schmerz  etwas  ausstehen, 
leiden. 

beswaeri  beschwert,  bekümmert. 

besteigen  verschweigen. 

beswiken  weichen,  im  Stich  lassen;  auf- 
hören, muthlos  werden,  unterliegen. 

^*^'    \  besser 
beterf  °®®*®'' 

betien  zeihen,  beschuldigen. 

betonen  anzeigen. 

betrouwen  vertrauen. 

becaen,    \  umfassen,  umfangen,  ergreifen, 

bevangenfin  Besitz  nehmen. 

beven  beben. 

bewerven  erlangen,  bewirken. 

beyen,  beyden  s.  beiden. 

bi  in  der  Nähe,  nahe  bei. 

bychtCe)  Beichte. 

bin,  binnen  in,  innerhalb. 

bleef  Imperf.  von  bliven. 

bly,  blide,  blidelic  fröhlich,  heiter. 
1898. 


bliiscap  Freude. 

bliven  bleiben.  . 

hloeme,  bloemkyn  Blume,  Blümlein. 

bloeyen  blühen. 

bheyaem  Blüthe. 

bhet  Blut 

hloethloß,  bloetshoejts  mit  bloßem  Haupte. 

bloet,  blöde  blöde,  verzagt. 

blosen  blühen,  erröthen,  erglühen. 

boec  Buch. 

boele  Buhle. 

Kä'}  »''*'«""'^*- 

bont  Pelzwerk. 
boren  gebühren. 

borst  Brust.    Deminutiv  borsgin, 
boutf  boudelic  klug,  wacker,  brav. 
boten  oben;  über;   te  boven  gaen  über- 
treffen. 
bo[u\wen  bauen. 

£:$  *^'*'}  breit         • 

;  breken  brechen. 

I  brief  Brief,  Nachricht. 

bruederkyn  Brüderlein. 
bruyt  Braut. 
:  buk  Bauch,  Leib. 
buten  außen,  außerhalb. 


vgl.  S.  333  unter  c. 
cederboem  Cederbaum. 


eieren  zieren,  verzieren. 
eierheit  Zierde,  Pracht. 


C  vgl.  K. 

caritate  Nächstenliebe. 

castien  strafen,  züchtigen,  zurechtweisen. 

llimmMl  ^™P®'^-  ^^^'  tlimmen,  steigen. 

ciaer  (Kompar^itiv  clarer  und  claerre]  klar, 
hell,  rein. 

cleet  (Plur.  cleeder,  eher]  Kleider. 

ehppen  klopfen,  pochen. 

elusenarinne  Klausnerin. 

eomst  Ankunft. 

eonforteren  trösten. 

eonfutu  Verlegenheit,  Verwirrung;  ver- 
legen, verwirrt. 

eonine  König. 

eoninghyny  eoninghinne  Königin. 

eonnen  (Imperf.  conde  und  eonste)  können, 
verstehen,  gelernt  haben. 

eonsentieren  übereinstimmen,  einwilligen. 

23 


336 


Wilhelm  B&umker, 


cotisolact/  Trost. 

contemplacie  Betrachtung. 

cofitent  zufrieden. 

eontrary  entgegen,  feindlich. 

coorde  Seil,  Strick. 

copen  kauten,  bezahlen. 

cort  kurz. 

corUlic  in  Kürze,  bald;  vor  Kurzem. 

corten  kürzen. 

corU  =  cortelic. 

co8t  Kost,  Speise;  Preis,  Kosten. 

cousen  Strümpfe,  Beinkleider. 

cout  kalt. 

cracht  (kraft^  Kraft,  Gewalt. 

cratik  schwach,  gering,  schlecht. 

crancHcheit  Schwachheit. 

crans,       \  j^-^^^^^    Kränzlein. 

cran»kyn  f  ' 

er  iahen  erlangen,  bekommen. 

cri  Schrei. 

criü  Knirschen. 

cruus,  \  jj.^^^^ 

cruya  f 

crusen  kreuzigen. 

cruyt  Kraut. 

cuyscheit  Keuschheit. 

D. 

dach  Tag. 

daen  dannen. 

daer  dahin,  dort,  wo. 

daer-af,  daer-of  davon. 

daerotn  darum. 

daers  =  daer  is, 

dars  II.  Pers.  Indic.  von  dorren  (dürfen). 

daertoe  dazu. 

daghefi  auffordern,  citiren,  auch  tagen  = 

Tag  werden. 
dagereit  Morgenröthe. 
dair  =  daer. 
dal  Thal. 

dalen  niedergehen,  sinken. 
dan  dann,  darauf;  nach  Komparativen :  als. 
dans  Tanz.  , 

dansen  tanzen. 
dare  =*  dere. 
dat  Art.  das;  Pron.  das,  dies;  Konj.  daß, 

so  daß,  weil,  obgleich. 
data  s=  dat  is. 
datier  =  dat  daer. 
datttt  =  dat  het. 
dede  s.  doen. 
deel  Theil. 

deelachtich  theilhaftig. 
deerlic  jämmerlich,  erbarmungswürdig. 
deerne  Mädchen,    Dirne    (jedoch    ohne 

schlimme  Nebenbedeutung). 


dees^^dese:  diese. 

deae  Gedeihen,  te  degen  gehörig,  von  oben 
bis  unten. 

deigen,  deiligen  tilgen. 

der  s.  dorren. 

dere  Schaden. 

deren  schaden. 

dertien  dreizehn. 

derven  darben,  nöthig  haben,  missen,  ent- 
behren. 

dese  dieser,  diese. 

deSf  dies,  diis  deshalb,  indem,  weil. 

deus  Gott! 

di  dir,  dich. 

die,  dicke,  dicwiil  oft,  häufig. 

die  Art.  der,  die ;  Pronom.  dieser,  diese 

diepe  Tiefe. 

dier  Thier. 

diere  theuer,  werthToll. 

dier,  diere  s  der  oder  dieser  (Genitiv  und 
Dativ). 

dieme  Dienerin,  siehe  deerne. 

dinc  Ding. 

disciplyn  Zucht,  Strafe. 

dit  dieses,  das. 

dochte  Imperf.  von  doghen  taugen  und 
dünken  dünken,  meinen. 

doe  da,  als. 

doeeht  Tugend. 

doechdelicheit  Tugendhaftigkeit. 

doekf  doekelkyn  luch,  Tüchlein. 

doen  damals,  als,  da. 

doen  (Imperf.  daet  und  dede)  thun,  han- 
deln, schaffen;  mit  einem  folg.  Verbum 
lassen,  befehlen. 

doen  Ton. 

doer  durch,  hindurch,  wegen,  um. 

doerslaen  durchschlagen,  Sefestigen. 

doetwart  zum  Tode  hin. 
doghet  Tugend,  Tüchtigkeit. 
doghen  (Imperf.  dochte)  taugen. 
doghen,  doeghen  dulden,  leiden  (Imperf. 

aoghede). 
donker  DunkeL 
doren  Dorn. 
dorren  (Praes.  dar  und  der,  2.  Pers.  dart^ 

ders;  Imperf.  dorste)   wagen;    auch  in 

der  Bedeutung:  dürfen. 
dorven  nöthig  haben,  dürfen  (Praes.  darf 

und  der/,  Imperf.  dorfte  und  dorste . 
dou  Thau. 
doutcen  thauen. 

draeht  Tracht,  Schwangerschaft. 
drake  Drache. 
dragen  (Imperf.  droech,  Part,  gedragen  und 

gedregen)  tragen,  ertragen. 


Niederländische  geistliche  Lieder  nebst  ihren  Singweisen  etc. 


337 


droch  Trug,  Betrug ;  droch  wereU  Trug- 
Welt. 
droMin  Herr. 
droefheü  Betrübniß. 
droem  Traum. 
droevig  betrübt. 
droeven  betrüben,  betrübt  sein. 
dronken  trunken,  durchdrungen. 

druc  Ungemach,  Traurigkeit. 

duckten  fürchten. 

dueeht  Tugend,  Tüchtigkeit 

duerbaer,  \  ^y^  kostbar. 

duyrbatr  f  ' 

dünken  dünken,  meinen,  denken. 
dus  so,  also,  auf  diese  Weise. 
duseni  tausend. 
duve  Taube. 
duvel  Teufel. 
dutcen  drücken. 
dwälen  irren,  thöricht  sein. 
dtcaes  thöricht;  Narr. 
dtcinghen  (Imperf.  dtoang)   zwingen,  be- 
zwingen. 

£. 

edel(eel)  adelig,  edel. 
ee  früher,  eher. 

eenich  einig,  einzig,  allein;  irgend  ein. 
eenpaerlik(e)   gemeinschaftlich,    zusam- 
men; fortwänrend. 
eer  eher,  früher,  bevor. 
eere  Ehre. 
eeririic  Erdreich. 

eyschen  verlangen,  begehren,  fordern. 
eynde  Ende,  int  —  am  Ende,  zuletzt. 
eysen  kalt  werden,  schaudern. 
el  anders,  sonst 

en  =  een .-  ein. 

en  nicht ;  bisweilen  =  icen  ich  nicht. 
ende,  end,  {eJl  für  beides)  und;  bisweilen 
fehlt  auch  der  Strich  über  dem  n  (en). 
enich  =  eenich. 

enicheit  Eintracht,  Einsamkeit. 
erren  irre  machen,  behindern. 
ertsch  irdisch. 
eten  essen. 
ecen  eben. 

ecenkersten  Mitchrist 
etcelic  ewig. 

F  (vergl.  V.). 

feeate  Fest,  Freude. 
fei  grimmig,  arg. 


fenyn  Gift 

f^er  stolz. 

fifn  fein,  voriüglieh. 

^äe}Veilehen. 

fanteyne  Quelle. 
....  foudig . . .  faltig. 
....  fout . . .  fach. 
friiSf  fr  tisch  frisch. 

^       '?  te,  zusammen. 
gaer  /      » 

gaen  (Imperfect  ginc)  gehen;  mit  kinde 

schwanger  sein. 

gaerde  Gerte. 

gaeme  gern. 

gai ....  SS  gae . . . 

ganc  Gang;  auch  Imperativ  von  gaen. 

gam  ganz. 

ganselik  gänzlich. 

gat  Loch. 

gave  Gabe. 

ge , . » ,  siehe  ghe . . . 

^MfZm}  ®^^^  gebärden,  benehmen. 

gh^ere  Gebahren,  Benehmen. 

ghebeten  (Part  von  biten)  gebissen. 

gheboren  zukommen,  widerfahren,  zu  Theil 
werden. 

gheboert  Geburt. 

ghebrec  Gebrechen,  Mangel. 

ghebmken  gebrauchen,   genießen;  hem- 
mit  d.  Genit.  ausüben. 

ghechet  bekleidet. 

ghecrigen  bekonmien. 

ghecry  Geschrei. 

ghedaen  beschaffen. 

ghedaente  Gestalt,  Beschafifenheit,  Aus- 
sehen. 

gheduren  dauern,  ausdauern,  aushalten. 

ghedurich  dauernd,  beständig. 

ghedut  (von  duwen)  gedrückt. 

gheel  =■  ffheheeL 

gheel  gelo. 

gheen  kein. 

gheen  =  gcten, 

gheeynden  z\x  Ende  bringen. 

gheer  Begierde. 

gheeren  begehren. 

gheeme  gern. 

gheeat  Geist. 

gheeatelic  geistlich. 

gheesten,  Gast  sein,  zum  Gaste  machen. 

gheet  =  gaet  v.  gaen. 

gheßgureert  gestaltet,  in  Gestalt  von. 

gheheel  ganz. 

ghehengheti  zulassen,  erlauben. 


338 


Wilhelm  Bäumker, 


ghehimäen  s.  houden, 

ghelach  Gelage. 

ghelaet  Gebärde ,   Ausselien,  Benehmen. 

gJielaten  kern  sich  benehmen. 

ghelden  bezahlen,  vergelten. 

gheleden  (Part.  t.  lidcn)  vergangen,  über- 
standen. 

gheletden  geleiten,  zu  Ende  führen. 

gheleit  s.  legghen  und  leiden. 

gheliden  leiden,  ertragen. 

gheligghen  (Imperfect.  ghelach)  nieder- 
kommen. 

gheliic  gleich,  ähnlich;  haera-  ihresglei- 
chen. 

gheliken  gleichen,  vergleichen. 

ghelisten  =  gheleesten  leisten,  aufbringen, 
erreichen. 

gheloven  geloben,  glauben. 

^Ä'}  Versprechen.  Glaube. 

gheluc(ke)  Glück. 

gheluyt  Laut,  Stimme,  Klang. 

gelp  glänzend,  von  heller  Farbe. 

ghemeen,  \  gemein,  gemeinsam,  allgemein ; 
ghemeine  f  tnt'  insgemein,  ^eTiröhnlich. 
ghemeenentUc  gemeinschafthch. 
ghetnoet  gesinnt;  tcel-  wohlgemuth. 
ghenade  Gnade,  Hülfe,  Erbarmen. 
ghefie  jener. 

ghenesen  genesen,  heilen. 
ghenteten  genießen. 
ghenoech  genug,  hinreichend. 
^AenoecA^  Genügen,  Befriedigung,Freu  de. 
ghenoegelicheii  Zufriedenheit. 

ghenuech(e)lic,\  „nffenehm 
ghenuechtelic  f  angenehm. 

ghequam  =  quam  s.  comen, 

gheraken  gelangen. 

ghereet  bereit,  fertig;  unverzüglich,  zu- 
gleich. 

gheren  begehren. 

^Aerie/*  Bequemlichkeit,  Nutzen,  VortheiL 

Oeriit  Gerard. 

gheringhe  schnell,  eilend. 

gherugs  Geräusch,  Lärm. 

ghesach  =  sach  Imperfectum  von  8%en. 

ghesatefif  zur  Gesetztheit  bringen,  wohl 
einrichten. 

?&}«-'><"'- 

gheseit  gesagt. 

ghesyn  verlangen,  Begehren. 

ghesien  ^=  gewesen, 

ghesinne  Gesinde. 

gheslegen  Part.  v.  slaefi, 

ghesmide  Sattel,  Polster;  Geschmeide. 


gheetadieh  fest,  standhaft 
ghetellen  zählen. 
ghetoghen  Part.  v.  tieru 

ghevaUefi  zufallen,  vorfallen. 
gJievoelen  fühlen. 

lÜS^'"-}  <-«»--.  -«"-• 

ghewaghen  ss  waghen. 

ghetceren  wehren,  vertheidigen ;  gewähren. 

ghewiise  Art  und  Weise. 

ghewonden  Part.  v.  winden, 

ghewont  verwundet 

ghewout  Gewalt. 

ghewracht  s.  werken, 

ghi,  gi  ihr. 

ghien  =  gheen, 

gl%den,\  «1^^^^^.  ^^^.  fahren  lassen. 

glien    f  ®  * 

god  Gott 

godelic  gottselig,  göttlich. 

goedertiere  sss  guedertiere. 

goem  Sorge,  —  nemen  aufmerken,  Sorge 

tragen. 
goet  gut 
gönnen  gönnen. 
gaut  Gold. 

gracy  Gnade,  Verzeihung. 
graet  Grad,  Stufe. 
graf  Grab. 
gram  zornig,  gram. 
graw  grau;  Pelzwerk. 
greyn(e)  Korn,  Kern,    [das  franz.  ^otJi, 

lat.  granum], 
grisefi  grausen. 
groet,  ] 

groitf  >  groß;  sehr. 
grot    I 
groitlic  sehr. 
gi'oeyen  grünen. 
grondieren  ergründen. 
gront  Grund. 

^Tu  Bsgruwelic?  grausig,  schrecklieb. 
grueten  grüßen,  ansprechen. 

guedertiere  von   guter  Art,    freundlich, 

wohlwollend. 
guedertierenheit  Güte,  Milde. 
guet  Gut,  Vermögen,  Besitz. 


H. 


haer  ihr,  sie,  ihrer  etc. 
Jiaest  Hast,  Eile. 


Niederländische  geistliche  Lieder  nehst  ihren  Singweisen  etc. 


339 


haesteUc  eilig,  schnell. 

holen  holen. 

hont  Hand,  ie-  sofort,  eben. 

hantieren  betreiben,  behandeb,  besorgen. 

t^i}  hört,  fe-f-  «ehr- 
harder  Hirte. 

"^gjf  He«,  He»chen. 

haten  hassen. 

have  Habe,  Beichthunii  Besitz. 

hebhen  [Imperf.  hadde,  Part  gehat)  haben. 

heei  ganz,  sehr. 

heen  &=  hene. 

heüiehede  Heiligkeit. 

heimelik  heimlich,  verborgen. 

helle  Hölle. 

Ae^cA  höllisch. 

hem,  sich,  ihm,  ihn,  ihnen  etc. 

hen,  hene  hin,  van-  von  hinnen,  von  hier. 

henghen  ^  ghehenghen, 

hent  bis. 

herde  =harde :  sehr. 

herdekynf 
here  Herr. 
hertfej  hertjen^  hertken,  hertschen  Herz, 

Herzchen  vgl.  harte, 
hertelyc  herzlich. 
het  es. 
heten  heißen. 

heeftundihevet^yoTihehhen ;  er,  sie,  es)  hat. 
Ä»  er. 

hiitssshthet:  er  es. 
Atie^,  hiit  Imperf.  von  heten, 
hymmehfn  Liedchen. 
Kinder  Hindemiß. 
hit  s  het. 
hoe  wie. 
hoede  Hut 
hoeft  Haupt. 
hoeneer  wann. 
hoep(e)  Hoffnung. 
hoer  =  haer. 

hoeren  hören,  gehorchen. 
hoghejue  in  honem  Grade,  feierlich. 
hay  Gnras,  Heu. 
honderifout  hundertfach. 
hi^en  noffen. 

hauden  halten,  festhalten,  bewahren. 
howt  hold,  freundlich. 
hoift  Holz. 
hoven  beherbergen. 
hoverdie  Hoffart. 
höveerdelie  hofiiBxtig,  übermüthig. 
hawen  c=  hauden. 


huden  hüten,  verbergen. 

huyden  heute. 

htilper  Helfer. 

hulpich  helfend,  behülflich. 


I,  J  und  ¥. 

^'\  Jahr. 
tatr  f 

Jan  Johannes. 

idelf  ydel  eiteL 

idelheit,  ydeOieit  Eitelkeit 

te,  y0  je  inmier. 

ietj  yet  etwas. 

ieghens  gegen. 

inkomen  hereinkommen,  sich  stellen. 

ynlich  «=  innich. 

innich  andächtig,  innig. 

in,  inne  innen. 

indien  wenn,  falls,  indem,  in  der  Weise. 

int  :=  in  dat 

ioecht  Jugend,  junges  Blut 

ioedsch  jQdiscL 

ionc  jung ;  das  Kind. 

K  vergl.  C. 
1^-}  jammern,  klagen. 

keer  Kehr,  Wendung,  Rückkehr,  Rich- 
tung. 

keren  wenden,  sich  wenden ;  ändern,  ver- 
wenden. 

Kerst  Christus. 

keraten  christlich,  Christ 

kiesen  (Imperf.  cooa  oder  coor)  wählen. 

kintf  kindekyn  Kind. 

knape  Knabe,  ELnappe. 

kondiaen  verkündigen. 

kont  kund,  kundig. 

kry  Schrei. 

kuslicheit  Keuschheit. 

kusten  zufrieden  stellen. 

L. 

lacy  leider. 

laen=s  loten, 

laet  spät,  laetst  letzt,  letzthin;  int  laetete 

zuletzt 
lampe  Lampe. 


340 


Willielm  Bäumker, 


lamken  Demin.  für  l^xmpken  Lämpehen  — 
lamken  ist  eigen tl.  Dem.  v.  lam :  Lamm. 

lammehyn  Lämmlein. 

ktncke  Lende,-  Seite. 

kUen  (Imperf.  Hei)  lassen,  verlassen,  unter- 
lassen. 

laven  laben. 

leedken  / 

leet  s.  Itden, 

leetf  leyi  leid,  Leid. 

hech  (ledich)  ledig,  müssig,  eitel,  leer; 

-9taen  Abstand  nehmen. 
legghen  (Part,  geleit)  legen. 

^^'V  leiten,  führen,  hinbringen. 

led^l  ^®^^  machen;  leid  sein. 

,^f%,     y  Lilie. 
lehkyn  f 

lencken  s.  aüencketi. 

lesen  sammeln,  erzählen,  reden. 

lest  letzte,  zuletzt. 

leiten  verletzen,  hindern,  zögern;   achtr- 

geben. 
lejift  lie^. 

licht  leicht;  vielleicht. 
lichtelic  leicht,  mühelos. 
liden  (Imperf.  leet)  gehen,    vorbeigehen, 

passiren;  leiden,   erdulden,  hetn-  sich 

gedulden,  zufrieden  sein. 
liedekyn  Liedchen. 
lief  lieb,  Liebchen. 
lieflic  lieblich,  freundlich. 
liegen  lügen. 
Hen  =  liden. 
lien  (Imperf.  lide)  bekennen,  aussagen. 


^^^^"•}Li«i- 


liidsaem  geduldig. 

liif  Leib. 

list  Klugheit,  List. 

listicheit  Klugheit,  Schlauheit 

loen  Lohn. 

lof  Lob,  Preis. 

lof  Laub. 

loverkyn  Laubwerk. 

lucht  Luft. 

lüde  Leute. 

luiden,  lut/deti  lauten,  klingen. 

luken  schließen,  einschließen. 

lusten  gelüsten. 

luetich  angenehm,  Freude  erregend. 

luter  lauter,  rein. 

luttel  wenig,  gering. 


machachien  (zusammengesogen  aus  nutck 

geschien}  vielleicht. 
maeck  ^  maghe. 
maechdelic  jungfräulich. 
maechdom  Junrfrauschaft. 
maechdomheit  Jungfräulichkeit. 
maecht  Maffd,  Jungfrau. 
nuten  Mona. 
maer  Botschaft,  Kunde. 
mäer  aber,  sondern. 
fnaghe  Verwandte. 
maghet  Jungfrau,  Magd. 
maghedam  ^ngfrauscnafi;. 
male,  te  zumal,  zugleich. 
man  Mensch,  Mann. 
maf  s^  ma&r, 
fnargatyt  Edelstein. 
martely  Marter,  Qual. 
mate  Maß,  boven  mtUeti  über  [die  Maßen, 

übermäßig;  temateti  nach  dem  rechten 

Maß,  recht 
maten  mäßigen. 
matich  mäßig. 

Ä}°^*'  zugleich. 

mee,  meer,  meerder  mehr;  größer. 

meest  meist,  größte. 

meester  Meister. 

melc  Milch. 

fnen  man. 

menen  meinen,  glauben,  gesinnt  sein; 
lieben. 

menich  manch. 

menichfout  mannigfach. 

menichvoudicheit  Mannigfaltigkeit,  Menge. 

menigherleye  mancherlei. 

mer  =  ^neer, 

mer  =  maer. 

tneye  Mai,  Maibaum. 

7¥ieyefi  mähen. 

meynen  s=  menen, 

merren  zögern,  säumen. 

mi  mir,  mich. 

miden  meiden,  unterlassen. 

mm  minder,  weniger. 

miny  myn,  minne,  mynne  Liebe. 

minnekyn  Liebchen. 

minre  minder,  kleiner,  geringer. 

minst  kleinst,  geringst. 

myn  mein. 

mishair  Jammer,  Klage. 

misdoefi  Fehler,  Unrecht  begehen. 

misschien  etwas  Unangenehmes  Überkom- 
men, Mißgeschick  nahen. 

missen  fehlen,  verfehlen. 

misverwet  entfärbt,  bleich. 


Niederländische  geistliche  Lieder  nebst  ihren  Singweisen  etc.  34 1 


»niiem  mit  eins,  zusammen,  zugleich. 

mitti  mit  dir. 

moeder  Mutter. 

snoet  Muth,  Sinn,  Oemüth. 

tnoeten  sollen,  müssen. 

moeuen  plagen,  quälen,  mühen. 

nw^hen  (Präs.  mach)  Macht  haben,  können. 

moirderyn  Mörderin. 

snolenarinne  Müllerin. 

mont  Mund. 

fnorck  Mark. 

snure  Mauer. 

mutieren  yerändern. 

N. 

na,  nae  (Kompar.  naer  und  narer,  Superl. 

ftitesi}  nahe,  nach,  nachher;  beinane. 
naetit   nackt;   auch   3.  Fers.  Praes.    von 

naken, 
nach  e=  noch, 

nale]mel8  nachmals,  später. 
fiaerat  Ernst,  Eifer. 

^Ä'} -•»'-'»• 

naest  s.  nae, 
nahen  nahen. 

^'J.  nieder,  unten. 

neeretich  eifrig. 

nemen  nehmen,  empfangen,  auf  sich 
nehmen. 

niei  nichts,  nicht;  te  niete  alaen  ver- 
nichten. 

nye,  nie  nie;  jemals. 

^y^j  nyewCf  nytce  neu. 

nygeliic  =  een  ygeliie  jeder. 

nyt  Neid. 

no  noch. 

noch  noch,  außerdem,  aufs  Neue. 

nochtans  obendrein,  dennoch. 

node  (no)  schwer,  ungern./ 

^00/  /  ^^*^'  Mangel ;  Gewalt. 

no[e]men  nennen. 

nooit  niemals,  je. 

noy  =  node. 

nu  nun,  jetzt. 

nUf  nuwe  neu. 

0. 

■ 

Och  ach! 
och,  ochte  oder. 
ochte  ob. 
och  BS  oec* 
oeharm  o  weh! 

^*  >  auch,  überdies. 


oech    opslach   (eigentlich   Augaufschlag) 

Augenblick. 
oer  Ohr. 
oerdelf  1 

oirdel,  \  Urtheil,  Strafe. 
ordel   J 
oerden  Ordnung,  Folge,  Vorschrift. 

ifuZdicheit}  Niedrigkeit,  Demuth. 

off  ofie  ob,  wenn. 

o/,  ofie  oder. 

offeren  opfern. 

offerhamae  Opfer. 

oghe  Auge. 

oirloef  Erlaubniß,  Urlaub,  Abschied. 

oliej      I 

oliken   >  Oel. 

olikyn  J 

olt  alt^  Ygl.  out 

otn,  ombe,  omme  um. 

ontbesetten  um-  und  besetzen. 

omhevaen,    \  umfangen,   umfassen,    er- 

ombevangenf  greifen. 

ommate  s.  onmate, 

omtreni  b.  ontrent, 

on  , . ,  un  .  ,  . 

onberen  entbehren,  yemachlässigen. 

onbereyt  nicht  bereit,  nicht  zu  erlangen. 

onbevaen  ss  ombevaen. 

oncruyt  Unkraut. 

oncuyscheit  Unkeuschheit. 

ondachtelie  undenkbar,  unfaßbar  (inaesti- 
mabilis.) 

onder  unter. 

omdereen  untereinander. 

ondergaen  abschneiden,  versperren. 

onderstant  Hülfe,  Beistand;  Wesen. 

ofifaen  =  ontfaen, 

ongeiiic  ungleich,  ohne  Vergleich. 

ongeliic  Schaden,  Unrecht,  Leid;  unbillig. 

ongeschent  ungeschändet,  unbefleckt. 

ongestett  .unpäßlich,  verstimmt. 

ongheval  Unglück. 

onghevallieheit  Unglückseligkeit. 

ongetempt  ungebändigt,  ungezähmt,  un- 
mäßig. 

onghevriit  ohne  Beschützun^. 

onmate  Unmaß,  Maßlosigkeit ;  adv.  ohne 
Maß,  maßlos. 

onreyn  unrein,  garstig. 

oneprekelic  unaussprechlich. 

ontbiden,\  (Imperf.  ontboot)  wissen  lassen, 

ontbien   f  begrüßen,  kommen  lassen. 

onibinden  entbinden,  befreien. 

ontbliven  wegbleiben. 


i 


342 


Wilhelm  Bäumker, 


ontfaen  (Imperf.  ontfine)  empfangen,  an- 
nehmen. 

ontfanckelic  angenehm. 

ontfaren  davon  laufen,  entgehen. 

ontfermen  erbarmen. 

ontfarmherticheit  Barmherzigkeit 

ontgaen  weggehen,  entgehen,  hwi-  sich 
vergehen,  sündigen. 

ontgMen  entgelten,'  büßen. 

ontginnen  öffnen;  verwunden. 

TntCu^  )  ^*^^^'  behalten,  festhalten. 

ontkeren  entwenden,  abwenden,  verder- 
ben; entgehen. 
ontladen  entladen,  sich  entlasten  von. 

mtla^^  /  ®^^1*8*6^»  nachlassen. 

ontluken  dffiien,  sich  öffnen. 

ontrent  um,  ringsherum;  ungefähr. 

ontrou  Untreue;  ungetreu. 

ontseggen  entsagen. 

ontsien  (Imperf.   ontsach^  3.  Pers.  Plur. 

ontsaghen)  fürchten. 
onUirmen  von  Sinnen  kommen. 
(mtslaen  öffnen,  heni-  sich  entäußern. 
ontshiten  öffnen,  erschließen,  sich  öffnen. 
ontsprekelic  unaussprechlich. 
ont^rinaen  aus  dem  Schlaf  aufspringen, 

erwachen. 
(mUteken  anzünden,  sich  entzünden. 
ontverren  entfernen,  sich  entfernen. 
onifrien  abnehmen,  befreien. 

^ZZ'}  ««'"'hr  (werden). 

ontwecken  aufwecken. 
ontwee  entzwei,  in  Stücken,  vernichtet. 
ontwy  s=  ontxcee. 

ontwyken  entgehen,  entweichen,vermeiden. 
anverduldicheit  Ungeduld,  Verzweiflung. 
oncervaert  unerscnrocken. 
op  auf. 

op  dat  wenn,  wann,  insofern,  damit. 
opgaen  aufgehen. 
apgheven  auf-,  hin-,  übergeben. 
opkoutcen  sss  ophauden  aumören. 
opltJ[f/\ken  aufschließen,  öffnen ;  aufgehen. 
opalaeh  Aufschlag. 
opt  SS*  op  dat, 

ouersprone  =»  oerspranc  f   Ursprung. 
out  alt 
oude  Alter. 
otc  =:  ottde. 

over  über,  oberhalb,  auf;  vor  Adjektiven 
überaus;  overeen  überein,  zusammen. 
oüersla&n  überschlagen,  überlegen. 
overmits  wegen,  weil. 
overste  oberste,  höchste. 
overvloeyen  überfließen. 


i  P. 

I  paerh  Perle. 

,  ^r;  \  Frieden. 

paüaea  Palast 
'  p€t88i  Leiden. 
I  pat  Pfad. 
:  paveien  pflastern. 
'  pawes  Papst. 
I  peynsen  denken,  erdenken.   - 

penüencie  Buße. 
I  pyn  Pein. 

I  pleech,  akt  (von  pleghen)  wie  es  gewöhn- 
lich geschieht. 
I  pleghen  (plach,  geploghenj  pflegen,  ge- 
wohnt sein,  sich  beschäftigen  mit,  aor- 
gen  für. 

plgcn  ^s  pleghen. 

preken  prefugen. 

prieel  Laube,  Lusthaus. 

^"i^A  Preis,  Lob,  Ruhm. 

proeven  prüfen. 
puent  Punkt,  Sache. 
paer  klar,  rein,  lauter. 


guae  =  quaet  schlimm,  böse. 

qualic  übel,  schlecht. 

qu€mt  Imperf.  von  comen  kommen. 

quel  Qual. 

quelen  krank  sein,  leiden,  trauern. 

queüen  Schmerz  verursachen  und  leiden. 

quetsen  verletzen,  verwunden. 

quiiten  frei  machen,  bezahlen ;  hem-  seine 

Pflicht  thun,  sich  aufführen. 
quyt  frei,  verlustig ;  —  syn  verloren  haben. 
quytseelder  Lossprecher,  Erlöser. 

Tilden  rathen. 

rayen  strahlen. 

raken  berühren,  erreichen,  gelangen  zu. 

ramen  planen,  sinnen. 

rast(e)  Ruhe. 

recht  Recht,  Richterspruch,  Urtheil;  ge- 
rade, genau,  richtig. 

rede  Rede ;  Recht,  Rechenschaft,  Ursache. 

redefi  bereiten,  in  Bereitschaft  halten. 

rede^  reden  bereits,  schon;  want  reden^ 
obschon. 

reen  zusgez.  aus  reden, 

rese  Riese. 

resptit  Frist,  Aufschub. 

riden  reiten. 

riicheit  Reichthum. 

riiaen  sich  erheben,  aufgehen,  auferstehen ; 
abfallen. 


Niederländische  geistliche  Lieder  nebst  ihren  Singweisen  etc.  343 


^^*'\  Geruch. 
rooc  f 

roem  Kuhm. 

roepen  rufen. 

rooskyn  / 
roet  roth. 
roop  =.  reep  Reif,  Seil. 

rouwe,  \  TrübRal,  Schmerz,  Trauer,  Reue. 
row       f  '  '  * 

«'^'  \  betrüben,  schmerzen,  reuen. 

"**r'  \  riechen. 

nute  Ruhe. 
rüsten  ruhen. 

8. 

saeh  Plur.  saghen:  Imperfeetum  von  sien. 

sacht  sanft. 

sachten  besänftigen,  stillen,  lindem. 

»aden  sättigen. 

saeh  Sache. 

»aen  eilig,  alsbald,  sofort. 

aaet  Saat. 

soft  =■  sacht 

saim  säen. 

salich  selig,  heilsam. 

»ampiele  seabellum,  Sandale? 

»eaae  Schaden. 

score     f 

scamel  schamhaft,  sittsam,  eingesogen. 

scarp  scharf,  herb,  bitter,  streng. 

*^den  I  (^P®'^*  *^*)  scheiden. 

scenken  schenken,  einschenken. 
scenden  schänden,   ins  Unglück  stürzen, 

Terderben. 
seepper  Schöpfer. 
scerp  BS  scarp. 
scerpen  schärfen. 
sehcm  Sehein. 

•^J^' }  Plötdich,  alsbald,  gleich. 

schiet  oii  *^  gesMet, 

sehjfn  Schein,  Olanz. 

scip  Schiff. 

scoet  Schoß. 

scaut  Schuld. 

sc&uwen  schauen,  anschauen. 

screyen  schreien. 

scrtfture  Schrift,  h.  Schrift 

scrtven  schreiben. 

scrynCeJ  Schrein. 


SCUU  sss  scotU. 

acut  Schuß,  Angriff. 

scutoen  scheuen,  meiden. 

sede  Gewohnheit,  Sitte. 

8eer=ssere  angestrengt,  schnell,  sehr. 

seer  Verdruß,  Schmerz,  Kunmier. 

aegghen  (Imperf.  aeide)  sagen. 

aeyen  säen. 

::fcy*}  ««'»'-• 

aelve  selbe,  selbst. 

aermoen  Predigt 

aea  sechs. 

aetten  setzen,  stellen. 

aevenwerf  siebenmal. 

aei/nen  segnen,  weihen. 

ai  (ae)  sie. 

aich  Imperat.  von  aien, 

aide  Seite. 

aiec  krank. 

aiekte  Krankheit 

aieU  Seele. 

aien  (Iniperat.  aichy   Flur,  atet^  Imperf. 

aachj  rlur.  aagken)  sehen. 
aien  (Komparat  aienre)  schön,  ansehnlich. 
aighen  (Imperf.  aeech]  niedersinken. 
atid  s=  aide. 

ailogiaeren  schließen,  Schlüsse  ziehen. 
airnbal  Cymbel. 

«tn,  ayn  Sinn,  Geist,  Gemüth. 
ayn  sein,  ihr. 
ayn  (Verbum)  sein. 
aint  heilig. 
aint  seit,  weil 
aitten  sitzen. 
alaen  (Imperf.  sloechj  Plur.  shghen,  Part 

gesieghen)  schlagen. 
alapen  schlafen. 
alecha  einfach,   bloß,   nur  allein,   ohne 

Umstände. 
aletiht  eben;  schlicht,  einfältig,  fromm. 
aluten  schließen. 
amaec  Geschmack. 
smakelic  schmackhaft. 

amyt  Flecken,  Makel. 

aoe  sie. 

aoe  so,  also,  wie;  aoe  ujie  wer  immer. 

aoeken  suchen. 

aoenen  versöhnen. 

8oei  s=  aoe  het, 

soy  ^  soe. 

aolaes  Trost,  Erquickung,  Vergnügen. 

aomtiita  manchmal. 

acmwyl  bisweilen. 

JA'}  8«»^- 


344 


Wilhelm  Bäumker, 


sonder  ohne. 

'^'•''  \  Sohn. 
noefi  I 

sorgen  befürchten. 

sot  Thor,  Narr;  närrisch. 

sotheii  Thorheit. 

eoude  Imperf.  t.  suUen.  . 

soven  ^  seceti :  sieben. 

sotCf  80U  =  Boude. 

spade  spät. 

spannen,  die  croefi,  die  Krone  tragen,  Je- 
mand übertreffen. 

sparen  schonen. 

spei  Spiel. 

spoet  Eile,  Eifer,  Glück. 

spreien  streuen;  hem  sich  verbreiten. 

spreken  sprechen,  Anspruch  machen, 
fordern. 

spruten  sprossen,  sprießen. 

staen  stehen,  sich  befinden.  Standhalten; 

passen,  gebühren. 
staet  Stand,  Zustand. 
stat  (Plur.  stede)  Platz,  Ort,  Stätte,  Stelle. 
steen  Stein. 
steenen  steinern. 

'^''  \  Stern. 
sterre  / 

stickten  eründen,  bauen,  stiften. 

stole  Stola  (ein  Priesterkleid). 

stont  Stunde,  Zeitpunkt. 

stören  zerstören,  yemichten. 

störten  stürzen,  niederfallen,  yergießen. 

stout  stolz,  kühn. 

strael,  strale  Pfeil. 

straet,  strate  Straße,  Weg. 

strenicheit  Strenge. 

suchten  seufzen. 

sucht  Seufzer. 

suer,  sure  sauer,  schwer. 

suken  saugen. 

stUlen    (Imperf.    soude]    sollen;    vielfach 

Hülfszeitwort  für  das  Futurum  etc.  s» 

werden. 
sulver  Silber. 

^    t^*ku  1  Schwester,  Schwesterlein. 

suver  sau  Der,  keusch,  rein. 

suverheit  Beini^keit. 

suverlic  rein;  zierlich,  schön.  . 

su;aer  (Kompar.  swaerre)  schwer,  unan* 
genehm. 

stvaerlike  auf  beschwerliche  Weise,  hef- 
tig;, sehr. 

stcatrt  Schwert. 


stvanc  Schwung. 

Stuart  schwarz. 

sweven  schweben. 

sicichten  weichen,  unterliegen. 

swyghen  (Imperf.  svceech)  schweigen. 


T. 

taverne,  \  Wirthshaus,    Herberge    (lat 
taweemel  tabema). 


te  zu;  um  so. 

teerst  zuerst. 

tegens  gegen,  entgegen. 

tegenwoerdich  gegenwärtig. 

teyken  Zeichen. 

tehenen  zeichnen,  bezeichnen. 

telch  Ast,  Zweig. 

telen  erzielen,  hervorbringen;  sorgen. 

teUen  zählen,  nennen. 

teniptacy  Versuchung. 

temptieren  versuchen. 

ten  =  te  den, 

ten  =■  het  en. 

te^s=te  der. 

J:::::^-.}  zufrieden. 

taesciet^het  geschiet 

inend  bis. 

thronen  einer  von  den  9  Chören  der  Engel 

tien  zehn. 

tien  (Imperf.  tooch,  Part  ghetoghen]  ziehen. 

tymmeren  zimmern. 

tynn^  Zinne. 

tis  =.  het  is* 

t%it(e)lic  zeitlieh,  weltlich. 

toech  SS  tooeh  siehe  tien, 

toecomst  Ankunft. 

toeren,    \  rj^^ 

toem(e)  )  ^''^' 

toemen  zürnen. 

toeven  zaudern. 

toeverlaet  Zuversicht. 

tonen  zeigen,  merken  lassen. 

torment  Qual,  Pein.. 

tortelduywelkyn  Tuiiteltäubchen. 

tot  zu,  bis. 

traen  Naß,  Tropfen,  Thräne. 

trecken  ziehen. 

trihulacy  Verdruß. 

troen  Tnron. 

troeren  trauen. 

S'}  Trost 


Niederländische  geistliche  Lieder  nebst  ihren  Singweisen  etc.  345 


••} 


irou, 

irow,  }  treu,  getreu. 

JXT'}  Treue. 

irouwelie  getreu. 

trowen  in  Wahrheit,  traun! 

truwen  trauen,  Glauben  schenken. 

i9%f  izjf  ■=  hei  si  es  sei. 

foyn  =s  te  tyn  zu  sein. 

iurf  Rasen,  Torf. 

tuschen  zwischen. 

twaer  in  Wahrheit;  auchss  het  waer, 

iwinc,  \  ein  Bischen,  etwas ; 

iwint  f  niet  een-  nicht  das  Mindeste. 

iwivel  Zweifel. 

U. 

u,  Ju  euch,  euer. 
unnaael  unschuldig. 
uut  aus. 

uuien  =  uut  den. 
uutspruten  herrorsprossen. 
utUtJercoren  auserkoren. 
uutvloyen  ausfließen. 
utce  euer. 

•'ä^'V  Uhr,  Stunde. 
ure  /         ' 

wft  aus  s.  uut. 

T  vgl  F. 

viten  (Imperf.  vinc,  Part  ghevaett)  fangen, 
anfangen,  beginnen. 

:r}  Vater- 

Z^J  \  Gefahr,  Furcht,  Schrecken. 

vfMerd  end  ttyde  weit  und  breit. 

varen  fahren,  gehen. 

varing  eilig,  schnell. 

varre  =  verre, 

vasi  fest,  stark. 

vaUHf  vatien,  fassen,  ergreifen,  yerstehen. 

veech  dem  Tode  nahe. 

veel  vieL 

vennoet  Genosse. 

venyn  Gift. 

verbeeiden  durch  Fhantasiebilder  yerleiten 

(Franck),  einbilden.  . 
verbeiden  warten,  erwarten. 
verby  vorbei. 

verbidden  Abbitte  thun,  erbitten. 
verbilden  erfreuen,  fröhlich  werden. 
verblinden  yerblenden. 


verbolgen  erbittert,  zornig. 

verborgen  yerbürgen,  behüten ;  kann  auch 
Farticip.  sein  Ton  verbergen  wie  im 
Deutscnen. 

verclaren  hell,  angesehen  werden;  er- 
hellen. 

vercoren  (Part,  von  verkieeen)  auserwählt. 

vercriigen  erlangen. 

verdoemeti  verdammen. 

verdrach  Geduld,  Aufschub,  Verzeihung. 

verdraghen  (Imperat  verdrach)  ertragen, 
schonen. 

verdriet  Verdruß. 

verdrieten  verdrießen. 

verdrieven  vertreiben,  verstoßen. 

verduldichjX  „^a,.ia:^ 

verduldelief  ^''^''^^'^' 

verfreyen  erfreuen,  sich  erfreuen. 

vergaen  vergehen. 

verganckelic  vergänglich. 

verholen  überholen,  ersetzen. 

verheffen  erheben,  preisen. 

verheven  erhoben,  erhöht. 

verhoecht  erhöht,  erfreut. 

verAo^Atfn  erheben ;  erfreuen,  sich  freuen. 

verhören  erhören,  vernehmen. 

verhuecht  «=  verhoecht. 

verkeren  verändern,  sich  ändern. 

verkiesen  erwählen. 

verlöten  nachlassen. 

verleden  verUtten,  vergangen. 

verleyden  verleiten,  verlocken,  betrügen. 

verlenaen,  verlängern,  länger  werden,  aus- 
reicnen. 

verlichten  glänzen,  glänzend  machen,  er- 
leuchten. 

verlenen,  \ 

verlienen,  >  verleihen. 

verlien      J 

verlies  Verlust 

Verliesen  verlieren,  zu  Grunde  richten. 

verlos(s)en  erlösen. 

Z^^'\  '^"'^  '^  Mai)  Teriustigen. 

vermeren  sich  vermehren,  anwachsen. 

vermerren  verzögern,  versäumen. 

vermeten  (Imperf.  vermat]  hetn-  sich  ver- 
messen, anmaßen,  einbilden. 

vermeten  vermessen,  kühn. 

vermoeden  vermuthen. 

vermoeyen  ermüden. 

vermoghen  Vermögen,  Macht ;  stark,  mäch- 
tig. ,  . 

vernieten  vernichten,  hem-  sich  selbst  ver- 
leugnen. 

vemoemt  genannt,  namhaft,  berühmt. 

verposen  sich  erholen. 

verquisien  zu  Grunde  richten,  verderben. 


346 


Wilhelm  Bäumker, 


verre  fem,  weit. 

verrisen  auferstehen. 

versanken  versagt,   bekümmert,  besorgt 

sein  und  machen. 
versahen  versagen,  entsagen. 
versceiden,  abgeschieden,  gestorben. 
verscheit  Scheiden,  Sterben. 
verscoven  elend,  unglückselig,  verworfen. 
verseilen  vereinigen,  verbinoen. 
versien  bemerken;  sorgen. 
versieren  ausdenken,  ausfindig  machen, 

erinnern. 
versinnen  begreifen,    bedenken,  —  hem 

überlegen. 
verslaen  oeunruhi^en,  beängstigen. 
verslinden  verschlingen. 
versmaden  verschmähen. 
versmayt  verschmäht. 
verstaen  verstehen,  begreifen;  hem-  sich 

verstehen  auf. 
versuchten  =>  suchten, 
verstoren  zerstören. 
verteilen  erzählen. 
verteren  verzehren,  vergehen. 
vertrec  Verzug. 
veruU  =  vervult  erfüllt. 
vervctren  verziehen. 

veroaren,  \  in  Furcht  setzen,  hemr  beküm- 
Ververen  f  mert,  furchtsam,  besorgt  sein. 
verveerlic  schrecklich. 
verveert  erschrocken,  bange. 
vervromen  übertreffen,  hem-  sich  Muth 

machen,  sich  tapfer  fühlen. 
vervullen  erfüllen. 
vertcaehten  erwarten. 
verwaer  fürwahr. 
verweghen   (Imperf.    verwoecfC^    drücken, 

schwer  fallen. 
verwaren  bewahren,  behüten. 
verwe  Farbe. 

vervoendelic  herrlich,  prächtig,  üppig. 
vertoennentlic  =  verwendelic  ? 
verweren  vertheidigen. 
vertoerven  erwerben,  verdienen. 
verwinnen  gewinnen,  überwinden. 
verwysen  verurtheilen,  verdammen. 
v&rwoet  sinnlos,  toll,  närriscL 
viant  Feind,  böser  Feind,  Teufel. 
virtuyt  Kraft,  Eigenschaft 
vyt^s  uit:  aus. 
vyr^uyr:  Stunde. 
vlien  fliehen,  entweichen. 
vlieten  (Imperf.  vloot  Part,  gevloten)  flie- 
ßen. 
vlyt  Fleiß,  Eifer. 
vloet  Fluth. 
vUeyen  fließen. 
vloteUc  fließend,  eilend. 


vlus,  vlusch  sofort,  flugs. 

voeyhen  fügen. 

voelen  fühlen. 

voer,  \  -- 

voir  ß        ' 

voere  Handlung,  Benehmen. 

votrscreven  vorher  beschrieben,  genannt 
voerseit  vorher  genannt. 

üo^'  I  ^®™®'^»  weiter,  voran,  überdie«. 
voertan  fortan. 

^^'^«^'V  fürwahr. 
voirwaer  f 

voet  Fu£. 
vogelkyn  Vöglein. 
voahen  fügen. 

voilesen  vollständig  lesen,  erzählen,  auf- 
zählen. 
voUigefh  folgen. 
voUoven  vollkommen  loben. 
volprisen  vollkommen  preisen. 
volstaen  ausharren,  aushalten. 
voren  vorne,  voran,  vorauf;  te-  zuvor. 

Z^'  \  Frieden  machen. 
vreen    ß 

vreendelic  =s  vriendelic. 

vrese  Ang^t,  Schrecken. 

vreselyk  schrecklich. 

vresen  fürchten. 

vry  frei,  befreit  von. 

vrien  befreien. 

vrylic  frei,  freimüthig. 

vriendelik  freundlich. 

vriendyn  Freundin. 

vrient  Freund. 

vriesen  (Imperf.  vroos)  frieren. 

vroe  früh. 

vroe  froh. 

vroeehde  Freude. 

vroelie  fröhlich. 

vroet  verständig,  klug;  —  syn  verstehen. 

vrome  Vortheil,  Nutzen. 

vromen  nützen,  helfen. 

vrou,  vrow,  \  ^         g^ 

vrouwe         f 

vroude  Freude. 

vroudelic  fröhlich. 

vrouwen  erfreuen. 

vrucht  Furcht,  Schrecken. 

vrucht  Frucht. 

vruchUlie  furchtsam. 

vruehten  fürchten. 


Niederländische  geistliehe  Lieder  nebst  ihren  Singweisen  etc. 


347 


vrt^eehdelic  in  Freuden,  freudig. 
vtter  Feuer. 
vueren  führen. 
vurich  feurig. 


Wacht  Wacht,  Hut,  Hoffnung. 

wachten  bewachen,  achtgeben,  hüten. 

wadeti  waten,  gehen. 

we^l  ==  tcel. 

waen  woher. 

tcaen  Wahn,  Zweifel. 

'^^'  \  wo,  wohin. 
watr  f       ' 

tcaerdipen  würdigen. 
waerdtfme,  \  winhin. 

tcaerlie  wahrlich. 
tvaert  Wirth. 

«^'}w5rts,hin. 

waeri  werth,  würdig. 

waghen  jerwähnen,  sagen. 

tcaghen  wagen. 

tcairlic  :^  waerlic. 

tcairt  =  waert, 

wanekelic  wankelmüthig. . 

wandelbtMt  Wickelband,  Wiekelschnur. 

tcanen  w&hnen,  meinen. 

tcanhoep  Verzweifelung. 

wanhoren  nicht  erhören. 

tcant  denn,  dieweil;  wann;  bis. 

tcantrou  Mißtrauen. 

«'«•«*<?«'•  \  wahrhaftig. 
warachitch    /  ° 

tcarwerts  f 

toaaaen  (Imperfect.  wies,  Part,  getcassen) 

wachsen. 
teat  was,  etwas,  ein  wenig. 
wtäer  [tctgt]  Wasser. 
tcech  Weg. 

wederataen  widerstehen. 
wee  Weh,.  Schmerz. 
tceMe  Wonne,  Genuß. 
tceenen  weinen. 
weer  Wehr. 
teeerde  Würde. 
iceerdieh  würdig,  angesehen. 
fceerdicheit  Würdigkeit,  Ehre. 
weerlic  weltlich. 
weeri  Wirth. 
weeei  seid!  (Imperativ). 
vreinieh  wenig. 


tveyne  Schmerz. 

toeke  Woche. 

wel  wohl,  schön. 

werden  mit  dem  DatiY :  zu  Theil  werden, 

erlangen,  erhalten. 
werdyn  Wirthin. 

.  . .  werf  .  . .  mal. 

wereken  [Imperfect.  wrackte  und  wrochte, 

Part  gewracht)  wirken,  schaffen. 
werpen  werfen. 
werren  verwirren. 
wert  würdig,  werth. 
Wesen  sein;  Imperativ  wes. 
wet  Becht,  Gesetz. 
weten  (Imperf.  wüte)  wissen. 
wi  wir. 

wie  wer  (Interrogativum} ;  wie. 
wie  SS  wee. 

wies  s.  wassent't  auch  Genitiv  v.  wie. 
xoif  Weib. 
w%is  weise. 

wyken  weichen,  weggehen. 
willen  (Imperf.  wome)  wollen. 
winden  drehen,  winden. 
winnen,  \  (Imperf.  wan)   gewinnen ,   em- 
toynnen  \  pfangen. 

wisen  (Imperf.  wiisde)  zeigen,  urtheilen. 
wiste  s.  weten. 
wit  weiß. 
tcye  a=  wie, 
wgtf  wyde  weit. 
wyle  Weile,  Stunde. 
wyn  Wein. 

wys  weise,  klug. 

u}yt  ^  uit :  aus. 

wyter  ==  uit  der. 

woeden  wüthen,  rasen. 

woet  Wuth. . 

woert,  1 

woirtj  >  Wort . 

woort  j 

woestich  wüst 

wonderlic  wunderbar. 

worm  Wurm. 

wortelen  wurzeln,  wachsen. 

ipou  =  woude  Imperf.  von  willeti. 

wout  Wald. 

wrackte  s.  werken. 

wraek  Rache,  Vergeltung. 

wt  =  uut:  aus. 


T  siehe  L 


348 


Wilhelm  B&umker, 


Z  vgl.  S. 

^''rft'c/   (  Bescheiden,  sittsam. 

zede  Sitte. 

zeer  sehr. 

zekerlic  sicher,  ohne  Zweifel. 

zem  Honigseim. 


äÜ  Seele. 

zeechss  aee^  Imperfl  von  sighen :  sinkeD. 

zoen  Sohn. 

zuet  süß,  mild. 

ztteiieheit  Süßigkeit 

ztcaer  t^  sw€ur :  schnrer. 

zweven  schweben. 

zwickten  t^  swichten :  weichen. 


Register  der  niederländischen  und  deutschen  Lieder. 

Die  an  erster  Stelle  notirte  Zahl  bezeichnet  die  Nummer.    Der  schräge  Druck  gieht 

an,  daß  die  Lieder  weltlich  sind. 


Xr. 


Seit« 

179 
292 
171 
313 


Ach  bei  dem  Kreuz  Maria  steht  6 
Adieu,  adieu  lief^  aoeden  nackt  .   55 

Adieu  myn  vroeckden 2 

Adieu  myn  lief,  kebt  guedefi  nackt  73 
Als  ic  aensie  myn  leven  lanc .  .  51 
Als  ic  my  wel  versinne  ....  81 
Als  wi  daer  in  ons  selven  gaen.  82 
Ave  Maria,  maghet  pia  ....  70 
Ave  Maria,  maghet  reyn  ....  5 
Ave  Maria  suete  maecht  ....  80 
Ay  lieve  Jhesus  myn  troest     .    .  50 

Begheerte  nv  vliegnet 71 

Goempt  ons  te  hulpe 42 

Den  edel  beer  van  hemelryc  .   .  76 
Der  suverlicster  rejiire  maecht  .  56 
Der  Tag  der  ist  so  freudenreich  10 1 185 
Des  ons  Adam  heeft  beroeft  .    .  43i 
Des  werrelts  m>Ti  is  al  verloren    2' 

Die  alrezuetste  lliesus 46a 

Die  edele  keer  van  Brunenswi/c  .   76  315 

Die  lelykyns  wit 15 

Diemegewilona  mit  gelpenbloemen    9  184 

Die  mey  spruyt  uut 74 

Die  mey  spruyt  uut 74  314 

Die  mint,  dat  kern  syn  hoep  .  .  44  242 
Die  vogkel  ende  die  vogkeikyna  .  b  181 
Die  werelt  hielt  mi  in  haer  ghe- 

wout 85  { 

Doe  die  rose  von  Jherico    .    .    .791 
Droch  werelt,  my  griset  .   .    .    .36' 
Du  kaenate  myn  kertgen   ....   50 1 254 
Een  alrelieffelicken  een    ....   17; 

Een  cort  jolyt 78 

Een  kindekyn  is  ons  gheboren  in  1 3 
Een  nye  liet  sal  ic  u  leren ...  57 


Een  suver  maecht 

Fonteyne,  moeder,  maghet  reyne 
Oegrüßet  sei  die  rechte  Uana    . 
Gegrüßt  seist  du  Maria  rein  .   . 
Oenad,  genad  dat  is  myn  wacht 
Oode  wu  ic  myn  hertjen  .... 

Ood  gruet  u,  suver  maecht  Mar- 
gne«  ............ 

Heer  JhesusChristus,  lof  ende  danc 
Heer  vader,  hebt  den  ewigen  lof 

Heilicheit  en  leyt  niet  in  den  sch}m 

Het  is  een  dach  der  vrolicheit  . 
Het  redefi  twie  gkespelen  .... 
Het  vryde  een  novesck  ridder  .  . 
Hi  truer,  die  trueren  wü .  .  .  . 
Hoe  luyde  soe  sanc  die  lerer .  . 
Hoe  luatelic  waert  der  mynnen  hont 
Ic  bin  gkescoten  mit  eenre  atrael 
Ic  claem  di  boem  al  op.  .  ,  ^  • 
Ic  dronc  so  gaeme  denzuetenmost 
Ic  had  so  gheem  den  h.  gheest  . 
Ic  heb  ghej  aecht  myn  leven  lanc 
Ic  quam  daer  ic  die  meye  vant  . 
Ic  sack  een  auverlike  tleeme  •  . 
Ic  sat  weel  seer  bedrouvet  .  .  . 
Ic  sie  den  dach  int  oest  opgaen 
Ic  sie  des  morgketia  aterre  ,  .  . 
Ic  aoude  ao  gaerne  een  boettgeti  . 

Ic  voer  uut  meyen 

le  xceeU  een  Zlmarüme  .... 
Ic  wil  den  beer  ghetrouwen  .  . 
Ic  wil  my  selven  troesten  .  .  . 
Jhesus  Christus,  Marien  soen .  . 
Jhesus  Christus  van  Nazaieyne. 


Sr. 

S«ite 

271 

67 

6a 

17b 

6 

179 

55 

33 

29 

52 

11 

/  167 
V329 

10 

4a  174 

21  205 

7 

35 

35  229 

33  227 

7,180 

53' 

18 

73 

82  317 

46  245 

46 

2U 

6  17S 

57  294 

51  2SS 

81  317 

39 

75 

1 

65 

Niederl&ndische  geistliche  Lieder  nebst  ihren  Singveisen  etc.  349 


Hr. 

Jhesus  is  een  kyndekyn  cleyn    .  14 

In  dulci  jubilo 63 

Kinder  nu  loeft  die  maghet  Marie  14 

Kinder  swycht 69 

Kyrie  god  is  ghecomen  ....  87 
Laet  ons  mit  hartzen  reyne  .  .  48 
Laet  ons  mit  hogher  vrolicheit  .  68 
Lief  hebten  ende  myden   ....  75 

Liidt  den  tiit 

Maria  conninghinne 6 

Mein  Gemüth  sehr  dörr  ....  76 

Midden  in  den  hemel 54 

Midden  in  der  meyen  .  ...  54 
Mi  lust  te  loven  noghelie  ...  58 
Myn  hart  is  hejmelic  ghetoeghen  62 
Mjn  hert  dat  is  in  lyden    .    .    .  21 

Jkiyn  hoep,  myn  troest 79 

Mynnen,  loven  ende  begheren    .  39 

Mit  desen  nywen  jare 47 

My  verwondert  boven  maten  .    .  25 

Na  aroenre  venoe 73 

No^  drane  ie  so  gerne  die  eoele 

wyn    .    .* 53 

Nu  is  doch  heen  der  heiligen  stryt  59 
Nu  ia  doch  heen  des  wintere  etryt  59 

Nu  sterct  ons  god 37 

Nu  zijt  wellekome 

Och  lieve  beer,  ic  heb  gheladen  83 
Och  nu  mach  ic  wel  trueren  .   .  22 

Och  sal  die  edel  siele 41 

O  creatuer  dyn  claghen  ....  23 
O  ghy,  die  Jhesus  wyiigart  plant  9,  77 
O  ghy,  die  nu  ter  tiiden  uidt  .  24 
O  ffoede  Jhesus,  wes  ons  by  .  .  4a 
O  Herre  Gott,  das  seind  dein  Ge- 
bott     

Oirlof,  oirlof,  valsche  werelt  .  . 
O  Jhesu  beer,  keer  u  tot  my.  .  3 
O  Jhesu  beer  verlieht  myn  sinnen  28 
O  Jhesus  baut,  o  Turich  brant  .  72 
O  Jhesu,  uutvercoren  beer  ...  8 
Omnes  nu  laet  ons  gode  loven  .  64 


Solle 


192 


314 
328 
329 
315 

290 


316 


313 
289 
298 
157 


315 
32S 


Ons  is  een  kindekyn  gheboren  . 
Ons  is  gheboren  nu  ter  tiit  .  . 
Ons  is  verlenghet    een    deels  den 

dach 

O  starker  Gott 

O  suver  maechdelike  staet  .  .  . 
O  suver  maecht  van  Ysrael  .  . 
O  wel  moechdi  u  verhoghen  .  . 
O  wassende,  bloyende  gairde .    . 

Scenct  in  den  tcyn 

Siet,  wy  moeten  vervaren    .   .   . 
Siit  vroelic,  het  is  gheworden  dach 
Tis  alghedaen  myn  oestwairts  gaen 
Tis  guet  in  goeds  taweerne  te  gaen 
Tliefste  vcyf  heeft  my  versaect   . 
Vettus  vrou  pae  gys  my  of  ,    ,    , 
Verbliit  u,  beve  susterkya,,.   .    . 
Vrou   Venus  hant   ....... 

Wat  baet,  dat  ic  veel  claghe  stel 

Wat  teil  ic  sorghen 

Wat  wonder  heeft  die  myn  ghe- 

w  f  acn  V    .......••I V, 

Wes  ghegruet,  o  wairde  vrouwe 
Wüdi  boren  van  Jhesus  woirden 
WHgi  hören  van  mynre  coorden . 
Wi  willen  ons  gaen  verheffen.  . 
Wolauff  wir  wollens  wecken   .   . 

Lateinische  Lieder* 


12 
40 

57 
37 
30 
66 
26 
45 
80 
6b 
44 
78 
32 
56 
52 
4 
72 
31 
60 

60 
61 
49 
49 
8'4 
22 


Salto 


Ave  maris  Stella 

Ave  praeclara  maris  Stella 

Ave|P_"i^}5!'!!°'_*l 


.  68 
.   70 

.36a 


296 
233 


316 

315 

293 
2S9 

312 

299 


252 

207 


192 
185 


\Sancti88ima  / '^^'"*    * 

Conditor  alme  siderum 14 

Dies  est  laetitiae 10 

£x  sinu  matris  parvulus  ....  86 

Kyrie,  magne  Deus 87 

Magnum  nomen  Domini  ....  16 

Me  juvat  laudes  canere    ....  58 

Nobis  est  natus  hodie 40  {236 

Te  lucis  ante  terminum    .    .    .    .  11|1S7 


311 


296 


Namen-  und  Sachregister. 


Bertha  (Bertken)  Schwester  S.  160,  319. 

Brugman,  Job.  154,  159,  313. 

Contrafacta  156,  161. 

Fraterherm  154. 

Gerard,  Bruder  160. 

Glossenlieder  161. 

Groote,  G.  154. 


Handschriften,  Beschreibung  der  165. 
Interpolationen  167,  322. 
Kirchenlieder  156. 
Ligaturen  163. 

Loufenberg,  H.  von  156,  161,  229. 
Mehrstimmige  Lieder  Nr.  16,  36,  40,  47, 
63,  64,  87. 


350  Niederländische  geistliche  Lieder  nebst  ihren  Singweisen  etc. 


Minnelieder  159. 

Mischlieder  161. 

Niederländische  Kunst  155. 

Notenschrift  162. 

Peter  von.  Arberg  161,  234. 

Fsalmenton  195. 

Rederyker  155. 

Keim  162. 

Repititio  (Refrain)  161. 

Rhythmik.  164. 


Ruysbroek  154. 

Sprüche  167. 

TageUed  207,  233. 

Theodoricus  de  Oruter  296,  332. 

Thomas  Yon  Kempen-  154. 

Tonarten  164. 

Tropen  322. 

Volksgesang  155. 

Wilhelm  von  Amersfoort  160. 


Literatur. 

a.  Nachtrag  zu  S.  169. 

Acqnoiy  Dr*  J.  G*  B*^  Het  oude  Paaschlied  »Christus  is  opgestanden«  overgedruckt 

uit  het  Archief  voor  Nederlandsche  Kerkgeschiedenis,  dl  I,  afL  1,  'sGraven- 

hage  1884,  biz.  1—36. 
,  Kerstliedem  en  Leisen,  overgedrukt  uit  de  Veralagen  en  Meded^lingen  der 

Koninklijke  Akademie  van  Wetenschappen,  Afdeeling  Z«^^erA;tin(ie,  3«^«  Reeks. 

Deel  IV.  Amsterdam  1887. 
ConggemiÜLery  £•  de^  Chansons  religieuses  de  Th^odoric  de  Oruter,  Moine  de 

Doesburg  au  XV«  siöde.    In  der  Zeitschrift  »DletscheWarande«  Revue  Ncer- 

landaise.    Amsterdam  1857.    12®  livraison  p.  29  ff. 

b.  Die  zu  den  Anmerkungen  und  zum  Glossar  benutzten  Bücher. 

Hoffknann  TOn  Fallenleben^  Niederländische  Glossare  des  XIV.  und  XV.  Jahr- 
hunderts, nebst  einem  niederdeutschen.  Horaebelg^cae.  Pars  septima.  Lipsiae  184ö. 

Glossarium  belgicum.    Hannover  1856.   Horae  belgicae.    Pars  septima,  editio 

secunda. 

Francky  Dr.  Joh*^  Mittelniederländische  Grammatik  mit  Lesestücken  und  Glossar. 
Leipzig  1883.  Diese  Grammatik  ist  denjenigen,  welche  die  mittelniederländische 
Sprache  studiren  wollen,  sehr  zu  empfehlen.  Dem  Herrn  Verfasser  statte  ich 
nachträglich  meinen  verbindlichsten  Dank  ab  für  die  Belehrimgen ,  welche  er 
mir  zu  Theü  werden  ließ. 

Lfibben,  Dr.  A.  und  Walther ,  Dr.  C.  H.  F.,  Mittelniederdeutsches  Handwörter- 
buch. 2  Theile.  Norden,  und  Leipzig  1885  und  1888.  (Das  Buch  hat  mir  in 
Ermangelung  eines  mittelniederländischen  Handwörterbuches  gute  Dienste  ge- 
leistet.) 

OademanSy  A.  C^  Bydrage  tot  een  middel  en  oudnederlandsch  Woordenboek.  Am- 
hem  1870—1880.  7.  Bde.  lex.  8. 

YerwjSy  Dr.  £••  Bloemlezin^  uit  Middel-nederlandsche  Dichters.  Zutphen.  1 858.  S. 
4  Theile  neost  Grammatik  und  Glossar. 

HSlseher,  Dr.  B.,  Niederdeutsche  geistliche  Lieder  und  Sprüche  aus  dem  Münster- 
lande.   Mit  Anmerkungen,  Wörterbuch  und  einer  Musikbeilage.    Berlin  185i 


Die  Oper  Don  Gioyanni  von  Gmaniga  nnd  von  Mozart. 

Von 

Friedrich  Chrysander. 


Die  nachfolgende  Untersuchung  beschäftigt  sich  mit  der  Bearbei- 
tung desselben  Gegenstandes  durch  zwei  verschiedene  Künstler,  von 
denen  der  Vorgänger  der  Vorarbeiter,  der  Nachfolger  aber  der  Um- 
arbeiter  und  Verbesserer  des  Ersten  und  damit  zugleich  der  Vollender 
des  betreffenden  Kunstwerkes  war.  Der  enge  Gesichtspunkt  des 
Plagiates  kommt  hierbei  für  mich  nicht  in  Betracht,  weil  mein  Zweck 
lediglich  darauf  gerichtet  ist,  einen  der  Hauptwege  zu  bezeichnen,  auf 
welchem  Kunstwerke  entstehen. 

Vor  etwa  zwanzig  Jahren  kaufte  ich  in  Lpndon  die  Partitur  der 
einaktigen  Oper  »11  Convitato  di  pietra«  von  Gazzaniga,  welche  man 
1794  daselbst  auf  dem  italienischen  Theater  aufführte,  und  zwar  er- 
stand  ich  das  bei  dieser  Gelegenheit  gebrauchte,  mit  allen  Ände- 
rungen und  Zusätzen  versehene  Handexemplar.  Später  erhielt  ich 
auch  noch  aus  Jahn's  Sammlung  die  Kopie  einer  in  Wien  befind- 
lichen Handschrift  von  Gazzaniga's  Komposition.  Beide  Manuskripte, 
an  sich  unvollständig,  ergänzen  sich  in  mehreren  Nummern,  enthalten 
in  andern  aber  auch  Widersprüche,  die  aus  der  Vergleichung  der 
Musikstücke  nicht  zu  lösen  sind.  Die  beabsichtigte  Herausgabe  jener 
Opempartitur,  welche  mein  seliger  Freund  Gugler  auf  meine  Bitte 
übernehmen  wollte,  mußte  deshalb  einstweilen  noch  unterbleiben. 
Das  Einige,  was  bisher  aus  dieser  Musik  zum  Druck  gekommen  ist, 
sind  die  zwölf  Takte,  welche  ich  in  der  »Allgemeinen  musikalischen 
Zeitung«  v.  J.  1878  (Sp.  577 — 80)  mitgetheilt  habe.  Erst  in  jüngster 
Zeit  erfuhr  ich,  daß  das  Verlagshaus  Ricordi  in  Mailand  ebenfalls 
eine  Handschrift  der  genannten  Oper  besitzt;  nähere  Nachricht  dar- 
über sowie  die  Mittheilung  mehrerer  Nummern  derselben  verdanke 
ich  Dr.  Fleischer  und  Prof.  Kretschmar.  Diese  dritte  Handschrift 
füllt  einige  Lücken  der  beiden  oben  genannten  Kopien  aus,  ohne 
indeß  Gazzan^a's  Partitur  vollständig  wieder  herzustellen. 

Aber  was  auch  sonst  noch  zweifelhaft  bleiben  möge,  eins  geht 
aus  der  Betrachtung  dieser  Musik  bereits  klar  hervor,  nämlich  daß 
Mozart  und  sein  Textdichter  die  Oper  Gazzaniga's  kannten  und  für 
ihre  eigne  Arbeit  mehr  oder  weniger  als  Vorlage  benutzten.  Alles 
weitere  mußte  man  von  der  Auffindung  des  Original-Textbuches  er- 

188S.  24 


352  Friedrich  Chrysander, 


hoffen.  Sehr  erfreulich  ist  es  nun,  daß  sich  dieses  Libretto  jetzt 
gefunden  hat;  und  noch  erfreulicher  ist  es,  daß  dasselbe  alle  Rathsel 
löst  und  alle  Zweifel  beseitigt,  welche  noch  vorhanden  waren.  Es 
kommt  daher  wahrlich  zu  guter  Stunde. 

Zu  Anfang   des  Jahres   1787   erschien  in  Venedig   ein  Büchlein 
von  71  Oktavseiten,  betitelt: 

IL    CAPRICCIO    DRAMATICO.      Rappresentazione 
per  Musica  di  Giovanni  Bertati  per  la  Seconda  Opera  da 
rappresentarsi  nel  Teatro  Giustiniani   di  S.  Moise  il  Car- 
novale    dell'    anno    1787.     In   Venezia,   appresso  Antonio 
Casali.     Con  licenza  de'  Superiori. 
In  diesem  Stücke,  welches  »in   einer  Stadt  Deutschlands«  spielt, 
tritt  das  Aufführungspersonal  der  Oper   als  solches  in  Scene.    Den 
Anfang  macht  der  Opemdirektor  Policastro,  welcher  melancholische 
Betrachtungen  darüber  anstellt,  daß  es  ihm  mit  seiner  Truppe  nicht 
gelingen   wolle,   den  Beifall  des   fremden  (deutschen)  Publikums  zu 
erlangen.     Ihr  seid  alle  brave  Sänger  vom  Ersten  bis  zum  Letzten 
—  sagt  er  zu  den  eintretenden  Mitgliedern  — ,  die  Stücke  sind  schön, 
die  Musik  ist  ausgezeichnet,  alles  ist  gut:    aber  nichts  will  gefallen. 
Dann   liegt   die  Schuld  am  Publikum,  meint  die  zweite  Primadonna 
Ninetta.     Ja,  was  läßt  sich  dagegen  machen?  sagt  der  Impresario: 
es  bleibt  nichts  übrig,  man  muS  suchen  ihnen  zu  gefallen.    Aber 
wie   denn?  fragt  der  Sänger  Valerio.     Impresario:   Durch  Änderung 
der  Stücke.     Ich  habe  daher  etwas  ganz  anderes  vor,    eine   musika- 
lische Komödie  in  einem  einzigen  Akt,  die  man  hier  in  Deutschland 
noch  gar  nicht  gesehen  hat,  nämlich  die  Komödie  von  Don  Giovanni 
oder  dem  steinernen   Gast.     »Uhmü«  rufen   die  Sänger  erschreckt 
aus.    Der  Impresario  zu  Ninetta :  Fürchten  Sie  sich  vor  dem  steinernen 
Gast?     Ninetta:    Sehr;   und  die  Handlung  ist  unwahrscheinlich,  das 
Textbuch  ist  gegen  alle  Regel,  von  der  Musik  weiß  man  nicht  was  sie 
will,  wir  werden  mit  diesem  Gast  vom  Regen  in  die  Traufe  kommen. 
Impresario:    Glaubt  Ihr  denn,   daß   die  Leute  sich   um  Regeln  und 
Vernunft  kümmern  ?   Sie  gehen  dahin  wo  es  ihnen  gefällt  u^d  zahlen 
oft  für  den  Unsinn  am  meisten.    Mag  sein,  Herr  Direktor,  entgegnet 
Valerio;   aber   den   steinernen   Gast  können  wir  doch   nicht  geben. 
Impresario:   Warum  denn  nicht?     Valerio:   Weil  uns  der  Baß-Narr 
[Buffo  Caricato]  fehlt.     Impresario:  Der  Buffo  Caricato?    den  mache 
ich    selbst.      Die    Sänger    lachend:    Sie??     Ah!    —    Impresario:    Ja 
lacht   nur!    diese   Partie  weiß   ich  auswendig,   und   Ihr  habt  keine 
Ahnung  davon,   was   ich  als  Baßbuffo  alles  schon  geleistet  habe.  — 
Hierauf  erzählt  er  seine  Buffo-Heldenthaten  in  einer  ergötzlichen  Arie 
und  beendet  damit  vorläufig  die  lustige  Verhandlung. 

Dem  kurzen  Bericht  darüber  lasse  ich  den  vollständigen  Text  der 
beiden  ersten  Scenen  folgen  und  zwar,  wie  alle  übrigen  Textmitthei- 
lungen, in  buchstäblicher  und  typographisch  genauer  Wiedergabe  des 
Originaldruckes,  soweit  solches  hier  möglich  und  angemessen  ist. 


Don  Giovanni.     Oazzaniga  und  Mozart.  353 


ATTO  PRIMO. 

SCENA    I. 

Camera  di  Policaftro. 

Policaßro^  che  paffeggia  malinconico^  poi  Ninetta 

tndi  Calandra^  e   Valerio, 

PoL  ^^la  maledetto  quando 

^^  II  Diavolo  avverfario 

Di  fare  Tlmprefario 

Mi  venne  un  di  a  tentar! 

II  Publice  talora 

Si  moftra  indulgentiflimo  : 

Talor  difficiliffimo 

E^  poi  da  contentar. 

Ma  adeffo  fiamo  in  ballo 

E  quJ  convien  ballar.  In  queflo  Nzn. 

Nin,         Riverifco  \  Imprefario. 
PoL  A  lei  faccio  anch'  io  un'  inchino. 

Nin,  E  cosi  di  buon  mattino 

Voi  mi  fate  ricercar? 
PoL  Compatifca  quefto  incomodo.  Con  ironia. 

Nin,  Ma  perch^  si  di  buon'  ora? 

PoL  Ci  verranno  gli  altri  ancora 

Per  che  a  tutti  ho  da  parlar.     In  q,  CaL,^  e  Val, 
Cal,  e  VaL,  Siam  qui  pronti  a  veder,  Signor  mio, 

Cofa  fia  quefta  gran  Novitä. 
PoL,  Novitä  certamente  dich'  io 

Che  la  tefta  girare  mi  fä. 

Nzn.  Diventar  voi  mi  fate  curiofa. 

CaL  Io  parifco,  fe  a  dirlo  tardate. 

AT-     r-  1  ir  7  fDite,  via,  piü  afpettar  non  ci  fate: 
Ntn,  CaL  Vol.  <  c..-  jx-        i.         r    r    ^ 

[btiamo  a  udire  che  cola  lara. 

24» 


354  Friedlich  Ohiysander, 


p  j  JTanta  voglia,  che  adeffo  moftrate, 

\Appagata  fra  poco  farä. 

/ "      r  d     i        orgafmo  mi  fento  terribile, 
^  -^  (Che  crefcendo  via  piü  in  fen  mi  vä. 

jin  me  fento  una  pena  indicibile, 
^  (Che  crefcendo  via  piü  in  fen  mi  vä. 
Po/,  lo  volea  veramente, 

Per  dirvelo  afpettar,  che  gli  altri  ancora 

Qua  uniti  si  trovaffero; 

Ma  non  importa  giä: 

Vi  fpiegherö  quäl  fia  la  novitä. 
Ntn.  Sentiamola,  fentiamola. 
Po/.  La  novitä,  Signori,  e  che  qui  vogliono 

Mutazion  di  fpettacolo. 

Parliamoci  alla  fchietta.     lo  qui  in  Germania 

Me  n'vado  confumando 

Quelle  che  in  altri  tempi  ho  guadagnato. 

Voi  non  piacete;  ed  io  fon  difperato. 
NinÄo  non  piaccio! 
Ca/,  lo  non  piaccio! 

Po/,  Piano,  non  vi  fcaldate. 

Del  merito  voi  tutti 

lo  dico  anzi  che  avete. 

Colpa  voftra  non  e  fe  non  piacete. 

Ma 

Nin.  Che  ma?  Voi  parlate  in  generale. 

Po/,  Vi  dirö  . .  . 

Ca/  Voi  direte 

Delle  infolenze.     Non  piacete?  Oh  capperi! 

10  faccio  la  mia  parte 
Quanto  puö  farla  ogn'  altra; 
E  fe  tutti  faceffero 

Quello  che*  faccio  io,  Signor  mio  caro, 

11  Teatro,  il  Teatro,  a  parlar  fodo, 

Se  ne  andrebbe  per  certo  in  miglior  modo. 
;Aria.]  Ho  cantato,  e  ricantato 

In  Italia,  Francia,  e  Spagna; 

In  Olanda,  in  Allemagna. 


( 


Don  Giovanni.    Gaszaniga  und  Mozart.  355 


E  mi  feci  fempre  onor. 

A  Milan  per  sopranome 

Mv  dicevan  la  Canerina: 

A  Turin  la  Campamna: 

A  Francfort  la  Rondinella: 

A  Madrid  la  Farfarella  .... 

Non  ftupifca,  mio  Signor. 

Bafta  dir  che  dei  Sonetti 

A  me  fatti  in  piü  occafioni 

Mi  fodrai  tr^  Mantiglioni, 

Due  fottane,  due  Corpetti; 

E  qualcun  ne  avanza  ancor.  parte, 

SCENA    II. 

Policaßro^  Ninetta^  e  Välerto. 

Pol.  TTCco  qua:  mi  ha  lafciato 

r^  Terminar  il  difcorso! 
iVm.Sentite,  Signor  caro,  io  credo  certo 

D'effer  compatita. 
Val.  Io  poffo  dire, 

Che  a  battermi  le  mani 

Ho  veduto  de  Nobili  Soggetti; 

E  a  Legnago,  ed  a  Lugo  ebbi  i  Sonetti. 
Pol,  Volete,  o  non  volete 

Lafciarmi  terminare, 

Che  vi  venga  la  rabbia! 
Ntn.T>\ti  pure. 
Val.  Ig  non  parle. 

Pol.  Voi  fiete  tutti  bravi 

Dal  primo  fin'  alP  ultimo: 

Sono  i  Drammi  belliffimi: 

La  Mufica  e  eccellente. 

Tutto  ^  buono;  ma  infin  non  piace  niente. 
yV/«.  Dunque  il  mal  vien  dal  Publico. 
Pol.  E  che.?  Volete  ch'io 

Col  Publico  la  prenda?  Oh  non  fon  pazzo! 

Bifogna  rifpettarlo; 

E  tutto  sTia  da  far  per  contentarlo. 


356  Friedrich  Chrysander, 


VaL  Ma  contentarlo  come  ? 
Pol,  Col  mutar  lo  fpettacolo. 

Ntn.^  cofa  s'ha  da  far? 

Pol.  In  quefta  Vi^izz^ 

Non  hanno  ancor  veduta 

Quella  Commedia  in  Mufica 

Ridotta  a  un'  Atto  folo. 

Che  si  fece  in  Provenza. 

Voi  tutti  la  fapete;  ond'  io  vorrei 

Che  fra  noi  qui  provandola  alla  prefta, 

Quefta  fera  in  Teatro 

Si  recitaffe  poi. 
NtnAo  .  .  .  per  me  .  .  .  fate  voi. 
Val.  Fate  voi. 
PoL  Dunque  io  vado 

Di  si  fatto  fpettacolo  novello 

A  fare  che  fi  efponga  ora  il  Cartello.      per  part, 
>iVm. Piano.  Quefta  Commedia  h  il  Don  Giovanni? 
PoL  Appunto.     E^  il  Convitato 

Di  Pietra. 

PoL  Che.? 

Nin.  Potrebbe  darfi 

Che  qui  in  Germania  .  .  .  Ma  .  .  . 
PoL  Temete  forfe 

Del  fuo  incontro.?^ 
Nin,  Moltiffimo. 

L'azione  h  inverifimile;  il  Libretto 

E^  fuori  delle  regole; 

La  Mufica  non  so  che  cofa  fia; 

Ed  in  fatti  preveggio, 

Che  con  quefta  si  anderä  di  male  in  peggio. 
PoL  Ma  credete  voi  forfe, 

Che  fi  badi  alle  regole? 

Si  bada  a  quel  che  piace;  e  fpeffe  volte 

Si  fanno  piü  denari 

Con  delle  ftrampalate 


Don  GioYanni.    Gazzaniga  und  Mozaxt.  357 


Di  quello  che  con  cofe 
Strudiate,  regolate,  e^  giudiziofe. 
VcU.  Quel  che  dite  farä ;  Ma  il  Convitato, 
O  Signor  Imprefario, 
Certo  non  s\  puo  far. 

Pol,  Per  quäl  ragione? 

Vol.  Perch^  adeffo  ci  manca 

Un  BufFo  Caricato.     E  quäl  ripiego 

C  6  a  quefto  Signor  mio? 
Pol.  Da  BufFo  Caricato  farö  io. 
Nin.  Voi  ? 
Val.  Voi? 

Pol.  Io.    Io. 

Ntn.  Ah,  ah!  1      «^    ^    ^ 

Val,  Ah,  ah!/^^'^^^/^- 

Pol,  •  Ridete  ? 

Ridete  si;  ma  poi 
II  BufFo  faprö  far  meglio  di  voi. 
La  parte  la  so  a  mente,  e  ci  fcometto, 
Ch'  io  cavo  piü  rifate 
Di  tutti  quanti  voi,  che  recitate. 
Quanto  al  cantar  di  Mufica 
M'ingegnerö  ancor  io.     Non  mi  confondo. 
Ed  anzi  perche  debba 
Ciafcun  di  voi  reftar  qui  ftupefatto, 
Voglio  cantarvi  un'  Aria  mia  ful  fatto. 
[Aria.]  „  In  Teatro  fiamo  adeffo, 

„Pronta  fl^a  la  compagnia. 

„Suona  giä  la  Sinfonia; 

„II  Sipario  in  alto  vä. 

„Di  Bologna  un  Duttoraz 

„Or  fon'  io,  guardate  qua; 

„  Cofpeüon!  cofpeitonazl 

„  Afi  fe  fh  ßa  fort  cPazion 

^^Al  Dottor  de  Balanzon^ 

„  Oh  che  toch  de  mafcalzonl 

„  Soßerrb  le  me  rafon, 

„  Con  Marc  Tulli  Ciceron^ 


358  Friedrich  Chrysander, 


„  Can  Pittagora^  e  Piaion  .  .  . 

„Giä  vä  dentro  il  Dottorazzo 

„Ecco  in  Sena  il  Pantalon 

„  Son  qua^  fon  quh^  fia  mia  f 

j^£  cd  te  digo  fia 

„  El  refto  za  fe  fh, 

II  Pulcinella  or  viene 

A  fare  le  fue  Scene; 

£  alla  Napolitana 

Guardate  come  fä. 

„N^,  fik?  qui^  quel  frabtUta: 

„  Sta  cch  Polecenella, 

5,  Te  caccia  la  lenguella^ 

„  E  dice  fatte  ccä  ... 

„Per  far  il  Buffo  or  ditemi 

„  Ho  qualche  abilitä } 

„Or  dunque,  miei  Signori, 

„Se  manca  un  personaggio, 

„lo  mi  darö  il  vantaggio. 

„Di  farlo  come  vä.  parte. 

Durch  obige  Auseinandersetzung  des  Direktors  sind  die  Mitglieder 
aber  bei  weitem  noch  nicht  £iir  den  »steinernen  Gast«  gewonnen. 
Sein  ambulantes  Theater  besitzt  auch  in  dieser  Stadt  einen  damals 
überall  vorhandenen  und  nothwendigen  vornehmen  Kunstfreund 
als  Protektor,  den  Baron  von  Sturm  oder  Cavaliere  Tempesta,  wie 
er  hier  genannt  wird.  Dieser  hat  die  Plakate  gelesen,  in  welchen 
der  l^heaterdirektor  seine  seltsame  »musikalische  Komödie«  ankündigt, 
und  in  seinem  gewohnten  Morgenbesuche  bei  der  ersten  Primadonna 
Guerina  bringt  er  die  Neuigkeit  nebst  gewichtigen  Bedenken  vor.  Ich 
bin  erstaunt  zu  sehen,  sagt  er,  daß  der  Direktor  angeschlagen  hat,  eine 
»Komödie  in  Musik«  aufiEufiihren,  was  doch  ein  Unsinn  ist,  da  Ko- 
mödien in  Prosa  zu  schreiben  und  gesprochen  vorzutragen  sind;  also 
werden  wir  uns  wohl  auf  eine  erbauliche  Ferkelei  (parcheria)  gefaßt 
machen  müssen.  Was !  (ruft  Guerina  zornig  aus,  der  Direktor  wagt  ein 
neues  Stück  anzukündigen,  ohne  sich  mit  mir  vorher  zu  besprechen? 
Ihr  anwesender  Liebhaber  Pasquino  setzt  hinzu :  Bin  ich  nicht  Primo 
Uomo,  den  man  so  zu  behandeln  wagt?  Der  Baron  giebt  ihnen 
Recht.  Pasquino,  gehe  sofort  zum  Impresario  (schreit  Guerina)  und 
sage  Seiner  Hoheit,  er  möge  die  Gewogenheit  haben  zu  mir  zu  kommen, 


Don  Giovanni.    Oazzaniga  und  Mozart  359 


und  zwar  ein  bischen  schnell.    Pasquino  macht  sich  denn  auch  nach 
einigem  Zögern  auf  den  Weg. 

Der  Text  dieses  Vorganges  lautet: 

Paf.  Ecco  che  viene  il  Cavalier  Tempefta, 
Protettor  del  Teatro, 
Ridicolo,  ignorante, 
Non  viene  che  a  Seccarci  ad  ogni  iftante. 

SC  ENA    VI. 

//  Cavalier  Tempeßa^  e  Detti, 

Cav.      T)Ella  Guerina,  addio.     Schiavo  Pafquino. 
Gner.     iß  Son  ferva  al  Cavaliere. 
Pa/.  A  voi  m'  inchino. 

Cav,      Da  feder  prefto  prefto. 

Ch'  io  voglio  che  parliamo 

Die  quefta  novitä  che  mi  ha  forprefo. 
Guer.   Cos'  h  quel  che  di  nuovo  avete  intefor 
Cav,      Diggiä  il  nuovo  Cartello 

Vidi  alla  Piazza  efpofto.     Don  Giovanni 

O  fia  il  Convitato 

Di  Pietro, 
Guer.  No.    Di  Pietra. 

Cav.  O  Pietro,  o  Pietra, 

Cosi  dice  il  Cartello. 

Commedia  dun  fol  Atto. 

In  Mufica.     Ah  ah!  Come^uö  elTere 

Una  Commedia  in  Mufica/  Le  Opere 

In  Mufica  si  fan;  ma  le  Commedie 

Si  fanno  fempre  in  profa;  ed  io  decido 

Che  quefta  voftra  fia 

Una  bella,  e  ftupenda  porcheria. 
Guer.    E  il  Signor  Imprefario 

Senza  prima  paffar  meco  parola 

Vuol  dar  nuovo  fpettacolo? 

Oh,  ci  fon  io,  che  qua  ci  mette  oftacolo.     fi  aha 

sdegnata. 
Cav.      Voi  avete  ragione. 


3gO  Friedrich  Chrysander, 


Guer.   Egli  avrä  ben  parlato 

Con  Taltra  Prima  Donna; 

E  non  parla  con  me!  Si  viene  a  dirmelo, 

Adeffo  gli  rifpondo, 

Che  non  vö  recitar,  cafcaffe  il  mondo. 
Cav.      Voi  avete  ragione. 
Paf.      Ed  io  non  fono  forfe  il  primo  uomo? 

Lo  fono;  ed  alla  fin  fenza  il  mio  affenfo 

Non  puö  far  novitä  per  quel  ch'  io  penfo. 
Cav.     Voi  avete  ragione. 
Guer.    Pafquino,  a  cercar  tofto 

Deir  Imprefario  andate. 

Dite  a  Sua  Signoria,  che  favorifca 

Di  portarfi  da  me:  che  venga  fubito: 

Che  non  tardi:  che  preme. 

Andate;  e  qua  con  lui  tonate  infieme. 
Pa/.      Ma  trovarlo  .  .  .  Chi  fa  . .  .  Forfe  egli  fteffo 

Se  ne  verrä  fra  poco. 
Guer.  Andate,  io  dico; 

E  fat^lo  venire. 

Hierauf  ist  im  Hause  der  Guerina  eine  Versammlung  des  ganzen 
Personals  zur  Opernprobe.  Der  Direktor  bemüht  sich  noch  einmal, 
ihnen  den  »steinernen  Gast«  annehmbar  zu  machen,  jedoch  yergeben& 
»Fort  mit  Don  Giovanni ! «  ruft  Guerina,  und  Alle  wünschen  dasselbe. 
Auch  der  Baron  bringt  weitere  Bedenken  vor.  Das  Stück,  meint  er, 
welches  hier  als  etwas  besonders  Neues  angekündigt  werde,  behandle 
doch  nur  einen  ganz  alten  und  abgedroschenen  Gegenstand,  der  seit 
Jahrhunderten  als  Pöbelstück  gedient  habe.  Der  Direktor  giebt  dies 
zu  mit  dem  Bemerken,  er  habe  es  aus  Tirso  de  Molina  und  Meliere 
"  gezogen ;  auch  sei  es  kein  Fehler,  daß  man  die  ganze  Geschichte  in 
Leinen  einzigen  Akt  gebracht  habe,  denn  für  die  Musik  genüge  dies, 
und  wenn  das  Stück  auch  unzweifelhaft  an  vielen  Fehlem  leide,  so 
würden  dieselben  doch  durch  die  Musik  und  sonstige  Vorzüge  hin^ 
reichend  aufgewogen  u.  s.  w.  Aber  das  Personal  ist  nicht  zu  be- 
kehren. Einer  nach  dem  Anderen  kündigt  den  Gehorsam  auf;  so 
viel  auch  der  arme  Impresario  —  jetzt  von  dem  Baron  wacker 
unterstützt  —  bittet  und  besänftigt,  die  Rebellion  nimmt  ihren  Fort- 
gang und  die  Katastrophe  des  allgemeinen  Davonlaufens  steht  bevor. 
Da  in  der  höchsten  Noth  ruft  der  Direktor :  So  lauft  denn,  galoppirt 
so  schnell  es  gehen  will!    aber  bildet  euch  nur  nicht   ein,    daB  ihr 


Don  Giovanni.    Oazsaniga  und  Mozart.  361 


beim  nächsten  Quartal  wiederkommen  und  mir  Geld  aus  der  Tasche 
ziehen  könnt!  —  Wie  ein  Zauberwort  beschwichtigt  dies  den  Sturm, 
so  daß  alsbald  eine  allerseits  friedliche,  freundliche  und  heitere 
Probe  beginnen  kann. 

Diese  Verhandlung   hat  im  Textbuche   von  der  zehnten   Scene 
an  folgende  Gestalt: 

SCENA    X. 
Policaftro^  Guerina^  Pafquino^  e  Detti. 

Pol.       '\  /\^  v^^»  Signori  miei, 

IVX   Come  fofte  invitati, 

Se  avefte  favorito  in  cafa  mia, 

Efpofto  ora  il  Cartello 

Senza  voftra  faputa  non  faria. 
Gtier.    A  un'  ora  cosi  incomoda 

Si  aveva  da  fortire? 
Paf.      II  mio  bifogno  io  non  potea  dormire; 

E  tofto  una  raucedine 

Mi  farei  acquiftata. 
Guer.   E^  s'io  mi  foffi  alzata 

Prima  del  confueto  un'  ora  fola, 

Ora  mi  fentirei  dar  mal  di  gola. 
PoL      Via,  facefte  beniffimo 

Dunque  a  ftarvene  a  cafa. 

Ma  lafciam  di  altercare, 

E  cominciam  la  Prova. 
Guer.   Ma  cosa  pretendete 

Di  far  col  Don  Giovanni?  A  terra,  a  terra. 

SCENA    XI. 
//  Cavaliere^  e  Detti, 

Cav.       I  ^   A  terra  dico  anch'  io. 

^^/-       I   ^  Ma  perche  Signor  mio.? 

Cav.      Informato  mi  fon,  caro  Imprefario: 
Che  la  volete  dar  per  cofa  nuova, 
Ed  6  vecchia  alV  oppofto 
Piü  ancor  dell'  invenzion  del  Menarofto. 


3ß2  Friedrich  Chrysander, 


La  fanno  i  Commedianti 

Da  due  fecoli  in  qua  con  fchiamazzo, 

Ma  folamente  per  il  popolazzo. 
PoL      Signor  si,  ve  Taccordo. 

Ma  la  noftra  Commedia 

Ridotta  com'  elV  ^,  fra  la  Spagnuola 

Di  Tirfo  de  Molina, 

Tra  quella  di  Moliere, 
.  E  quella  delli  noftri  Commedianti, 
"Qualunque  fia,  non  fu  veduta  avanti. 
Cav,      E  poi  d'  un'  Atto  folo. 
Pol.      Per  la  mufica  bafta. 

Certo  che  ancora  in  quefta 

Vi  fono  mille,  e  mille  inconvenienti ; 

Ma  gli  animi  gentili 

Se  quäl  cofa  di  buono 

Trovano  nella  Mufica, 

Nelle  decorazioni,  e  nei  foggetti, 

Compatire  fapran  gli  altri  difetti. 
Guer,    Ma  io  per  quefta  fera 

Di  recitarla  non  mi  trovo  al  cafo. 
PoL      Ed  io  fon  perfuafo. 

Che  piena  di  clemenza. 

Anzi  favorirete  (Oh  che  pazienza!) 

[Finale.] 

Siete  cara,  e  fiete  bella, 
Siate  ancora  compiacente, 
Ne  vogliamo  alfin  per  niente 
Star  qui  infieme  ad  altercar. 

Guer,  [Io  per  me  fiffato  ho  il  chiodo. 

Paf.  <Faccio  anch'  io  quel  che  fa  lei 

a  2  (E  ragione  aver  mi  par. 

Nin,  Serva  fua,  padroni  miei: 

Non  fi  prova,  e  fi  contrafta. 
Ho  afpettato  quanto  bafta, 
E  non  voglio  piü  afpettar. 

PoL  Afpettate. 

Cav.  Non  andate. 


C07t  tronia. 


Don  GiovannL  Oauaniga  und  Mozart. 


363 


Cal, 
Pol. 

Nm. 


Val. 


Paf, 
Guer. 


Anch'  io  vado  con  Ninetta. 
Non  abbiate  tanta  fretta, 
Ma  vi  prego  a  pazientar. 

Prima  donna  fono  anch'  io, 
E  non  fö  la  puntigliofa. 
E^  lei  pure  una  Virtuofa, 

N^  s'ha  ciö  da  tollerar. 
Anch'  io  fono  un  virtuofo, 
E  non  faccio  il  puntigliofo 
Quando  s'ha  da  faticar. 
Anche  quefta  faria  bella! 
Cofa  lei  vorrebbe  dir? 
Cofa  c'entra  quefta,  e  quella 


addüando  CaL 


a 


VaL 


a  Policaßro, 


Guc^eJ^af. 

Nm. 

Pol. 

CaL 

Cav. 

VaL 

Cav..  e  Pol. 

Giier. 

PoL 

Paf. 

Cav, 

N.  C.  Paf. 

Gue.e  VaL 


Uno  dopo  Paltro 
volendo  a/ndarfe- 
ne  Pol.^  ed  il 
Cav.  li  trauen.^ 
e  li  ricond.  al  Io- 
CO  primo  fito. 


a   2 


i 
I 

{ 


PoL 


Cav. 


Se  ho  ragion  io  di  garir? 

{Che  fen  vadano  anche  fubito 
Se  non  vogliono  fentir. 
Ecco  qua  s'io  faccio  prefto. 
Via,  non  fate. 

In  qua  non  refto. 
No,  reftate. 

Io  me  ne  vö. 
Via,  che  tutt'  io  aggiufterö. 
Vado  io,  non  dubitate. 
No,  Guerina;  qua  reftate. 
Io  vö  certo. 

Nemmen  voi. 
(Quefte  fcene  a  dirla  poi 
(Non  fi  ponno  fopportar. 

Si  dividono  di  qua^  e  di  la  per 
andar/ene^   Policaßro^   ed  il 
Cav.      reßano     nel     mezzo 
adirati. 
Ma  fe  andar  volete  poi 
Io  vi  mando  a  far  fquartar. 
Ma  fe  vogliono  andar  poi, 
Che  fi  vadan  far  fquartar. 


354  Friedrich  Chrysander. 


PoL  Prefto,  andate  galoppate, 

Ma  il  quartale  non  fp^^ate 
Di  poter  da  me  tirar. 

CaL  lo  refto,  non  parto. 

Nin,  lo  fon  compiacente. 

Val.  Son  io  un'  agnellino. 

Paf,  e  Guer.  Son  io  certamente 

La  fteffa  bontä. 

r^r.^    PnJ      /{Trovato  {;:  un  rimedio, 

(Che  buoni  li  fa.) 


ciafcuno  affettando  dol- 
cezza  ritoma  pian 
piano  al  proprio  ßto. 


Bei  der  nun  folgenden  Probe  geht  alles  höchBt  artig,  freund- 
schaftlich und  lustig  zu.  Es  wird  ein  Duett  vorgenommen,  ein  be- 
kanntes komisches  Stück  über  den  alten  xSer  Giorgiettoff.  Die  Nar- 
renspossen,  welche  dabei  herauskommen,  entstehen  hauptsächlich 
durch  einen  neuen  Souffleur  (suggeritore)^  der  für  seinen  behinderten 
Bruder  einspringt,  aber  heftig  stottert  und  nicht  mitkommen  kann. 
Durch  all  dies  wird  die  Aufführung  nur  um  so  bunter  und  toller. 

Der  Leser  hat  vielleicht  erwartet,  in  dieser  Probe  etwas  aus  dem 
Steinernen  Gast  zu  hören,  um  welchen  sich  doch  der  ganze  bisherige 
Vorgang  drehte.  Aber  von  diesem  »Gasttf  darf  deshalb  nichts  vor- 
kommen, weil  derselbe  nun  als  zweiter  Akt  des  Abends  in 
ganzer  Länge  vorgeführt  wird.  Das  »Capriccio«  bildet  also  das 
Vorspiel  zu  demselben. 

Es  bedarf  nicht  vieler  Worte,  um  die  Überzeugung  hervor  zu 
rufen,  daß  diese  Anordnung  eine  theatralisch  sehr  geschickte  ist, 
denn  das  Vorspiel  spannt  die  En^^artung  auf  das  Folgende  und  be- 
einflußt die  Stimmung  des  Publikums  in  einem  so  hohen  Grade, 
daß  schon  durch  das  »Capriccio«  der  Erfolg  dieses  neuen  Don  Gio- 
vanni gesichert  war.  In  der  That  kündigt  sich  damit  unwillkürlich 
ein  Stück  an,  durch  welches  alle  bisherigen  Theaterspiele,  die  den  spa- 
nischen Wüstling  zum  Gegenstande  hatten,  verdunkelt  werden  sollten. 

Dem  Titel  zufolge  ist  Giovanni  Bertati  der  Verfasser  dieses  Ca- 
priccio, aber  es  wird  nicht  gesagt,  von  wem  der  Text  des  Don  Gio- 
vanni herrührt,  ob  von  ihm  oder  von  einem  Andern.  Man  möchte 
auf  einen  Andern  schließen,  weil  die  Musik  ebenfalls  von  zwei  ver- 
schiedenen Komponisten  geschrieben  ist.  Letzteres  wird  jedoch  im 
Textbuche  gesagt,  wenn  auch  nur  mit  den  unbestimmten  Worten  *Ia 
Mnsica  e  tutta  nuova  di  vari  Signori  Maestrin]  dagegen  schweigt 
dasselbe  gänzlich  über  den  Poeten  des  Don  Giovanni.    Beachtet  man 


Don  Giovanni.    Oazsaniga  und  Mozart.  3Q^ 


aber  alle  Anzeichen,  innere  wie  äußere,  so  ist  es  nicht  zweifelhaft, 
daß  auch  von  diesem  Texte  nur  Bertati  der  Autor  sein  kann. 

In  dem  Libretto  hat  der  Text  des  Don  Giovanni  bloß  einen 
Nebentitel,  auf  welchem  keiner  der  Betheiligten  namhaft  gemacht 
ist;  sogar  die  Sänger  muß  man  errathen.  Als  der  eigentliche  und 
alleinige  Haupttitel  des  Buches  ist  das  erste  Blatt  anzusehen. 
Daß  dieser  erste  Titel  nur  das  »Capriccioa  namhaft  macht  und  da- 
durch die  Meinung  erregt,  als  ob  der  in  der  nächsten  Zeile  genannte 
Autor  dieses  allein  verfaßt  habe,  ist  eine  jener  Unklarheiten  und 
Nachlässigkeiten,  mit  denen  die  alten  Textbücher  über  die  Maßen 
angefüllt  sind.  In  Wirklichkeit  aber  sollte  der  Verfasser  des  Capriccio 
damit  ebenso  gewiß  auch  als  der  Verfasser  des  Don  Giovanni  be- 
zeichnet werden,  wie  die  Sänger  dieses  Capriccio  als  die  Sänger  des 
ganzen  Spiels,  obwohl  ihre  Namen  nur  bei  den  Rollen  des  Vorspiels  an- 
gegeben sind.  Die  Opernbesucher  von  1787,  für  welche  dieses  Text- 
buch bestimmt  war,  werden  die  Autorschaft  Bertati's  von  dem  ganzen 
Buche  als  selbstverständlich  angesehen  haben.  Was  aber  ihnen  da- 
mals nicht  zweifelhaft  gewesen  sein  kann,  braucht  es  uns  heute 
ebenfalls  nicht  zu  sein. 

In  dieser  Überzeugung  werden  wir  um  so  mehr  bestärkt,  wenn 
die  inneren  Zeugnisse  gehört  sind.  Wir  wollen  einmal  annehmen, 
für  diesen  Text  sei  überhaupt  kein  Autorname  genannt,  und  auch 
nachträglich  ein  solcher  nicht  aufzufinden.  Was  würde  dann  wohl 
das  Einzige  sein,  das  sich  aus  der  Untersuchung  des  Textes  mit 
völliger  Gewißheit  ergeben  müßte?  Dieses:  daß  beide  Akte  oder 
Spiele  nur  von  einem  und  demselben  Verfasser  herrühren  können, 
da  es  undenkbar  ist,  wie  zwei  verschiedene  Autoren  in  die  Lage 
kommen  sollten,  einen  so  originellen  Text  zu  Stande  zu  bringen,  der 
anscheinend  in  zwei  ganz  fremdartige  Theile  auseinander  fällt  und 
dennoch  in  seiner  Wirkung  die  entschiedenste,  mit  sorgfältiger  Be- 
rechnung herbeigeführte  Einheit  offenbart.  So  etwas  mag  durch 
äußerliche  Ursachen  entstanden  sein,  wie  es  wolle,  aber  seine  Ge- 
stalt hat  es  nur  erlangen  können  durch  eine  einzige  ordnende  Hand, 
deren  Züge  auch  überall  bemerkbar  sind.  Das  venezianische  Libretto, 
durch  welches  Don  Juan  zum  ersten  Male  in  die  höhere  musikalische 
Sphäre  erhoben  wurde,  ist  daher  als  das  Erzeugniß  des  Giovanni 
Bertati  anzusehen.  Dieser  Dichter  schrieb  den  Text  zu  der  Krone 
aller  Buffo-Opern,  der  von  Cimarosa  komponirten  »heimlichen  Ehe 
(11  Matrimonio  Segreto)«,  war  also  ein  Meister  in  diesem  Fache  und 
hat  sich  als  ein  solcher  auch  in   dem   vorliegenden  Stücke  bewährt. 

Die  Aufführung  erwies  sich  um  so  wirksamer,  weil  sie  als  die 
zweite    oder  Hauptoper    des  Karnevals    auf    dem    damaligen    ersten 


3^6  Friedrich  Ohrysander, 


Theater  Venedigs  stattfand  und  von  vortrefilichen  Künstlern  gegeben 
wurde.  Den  Impresario  und  später  den  Pasquariello  sang  Gxotxum 
Morellij  der  erste  Basso  Caricato  Italiens.  Auf  Seite  368  ist  die  voll- 
ständige Liste  der  Sänger  und  Sängerinnen  mitgetheilt,  wie  sie  im 
Textbuche  steht. 


Bon  GioYanni. 

Wir  kommen  nun  zu  dem  eigentlichen  Spiel ,  zum  steinernen 
Gast.  Das  textliche  Material  des  venezianischen  Stückes  gedenke 
ich  erschöpfend  mitzutheilen  und  zwar  in  möglichst  getreuem  Nach- 
druck des  originalen  Textbuches  so,  wie  es  Mozart  und  seinem 
Dichter  vorlag,  als  sie  ihre  Oper  darnach  arbeiteten,  wobei  aber  die 
groben  Fehler  und  Nachlässigkeiten  des  sehr  mangelhaften  alten 
Druckes  stillschweigend  verbessert  sind. 

Um  auch  den  Haupttitel  und  das  Yerzeichniß  der  Mitwirkenden 
original-getreu  zu  übermitteln,  sind  dieselben  dem  Don  Giovanni-Texte 
vorgesetzt.  Es  folgen  hier  jetzt  auf  Seite  367  bis  404  also  44  Seiten 
des  venezianischen  Textbuches,  nämlich  p.  1  (der  Haupttitel},  p.  3 
(die  Sänger}  ,  p.  4  (die  Tänzer}  und  p.  31  bis  71  (der  vollständige 
Text  des  Don  Giovanni}. 


I 

i 


m 

V 


Don  Giovanni.    Gaszaniga  und  Mozart.  367 


IL  CAPRICCIO 
DRAMMATICO 

RAPPRESENTAZIONE 

PER    MUSICA 

DI  GIO  VANNI   BER  TA  TI 

PER  LA  SECONDA  OPERA 
DA    RAPPRESENTARSI 

NEL  TEATRO  GIUSTINIANI 

DI  S.  MOISE^ 

IL  CARNOVALE  DELL'  ANNO  1787. 


IN    V  E  N  E  Z  I  A, 

Appreffo  Antonio  Cafali. 
Coji  Licenza  di  Superiort, 


JSfsS.  25 


368 


Friedrieh  Chrysander, 


A    T    T    O    R    L 


POLICASTRO,  Imprefario. 

//  Sig.  Gicvanni  Morelli  Virtuofo  di  S.  A.  R  V  Inf  ante  di 
Duca  Parnta^  ec. 


GUERINA. 
La  Sig,  Giulia  GafperinL 

NINETTA. 
La   Stg.   Irene    Tomeoni 
Duttüieu, 


Prime  Buffe  a  vicenda. 


PASQUINO.  Primo  mezzo  Carattere. 

//  Sig,  Paolo  Mandinu 


VALERIO. 


//  Sig,  Antonio  Baglionu 


CALANDRA.  \  Altri  Attori  deir  Opera  Buffa. 

La  Sig,  Elifabetta  Mar- 
cheßni, 

II  Suggeritore  delP  Opera. 
//  Sig,  Vincenzo  Pavia, 


IL  CAVALIER  TEMPESTA  Protettore. 
//  Sig,  Antonio  MarcJufi, 


Un  Maeftro  di  Cembalo,  che  non  parla. 


La  Scena  h,  in  una  Cittä  della  Germania. 
La  Mufica  h  tutta  nuova  di  varj  Signori  Maeftri 
II  Scenario  h.  del  Sig.  Gerolamo  Mauro. 
II  Veftiario  del  Sig.  Carlo  Grifolana. 


Don  Oioranni.    Oazcaniga  und  Mosart.  369 


Inventore,  e  DIrettore  de'  Balli 

Monfieur  ANTONIO 

TERADES. 


Primi  Ballerini. 

II  Sig.  Innocente  Parodi        La    Sig.    Giufeppa    Ra- 
fuddetto.  daelli. 


Primi  Grottefchi. 
II  Sig.  Luigi  Chiaveri.       La  Sig.  Violante  Gherardini. 

Primi  Ballerini  di  mczzo  Carattere  fuori  di  Cmicerti, 
II  Sig.  Pietro  P^drelli.         La  Sig.  Ifabella  Venturini. 

Figuranti. 

II  Sig.  Alberto  Cavos.  La  Sig.  Nunziata  Parodi. 

II  Sig.  Giufeppe  Cingherli.        La  Sig.  P'rancefca Chiaveri . 


Primi  Grotefchi   fuori  de  Concerti, 
II  Sig.  Pietro  Bedotti.     La  Sig.  Elifabetta  AUegro. 


25* 


370  Friedrich  Cn'sandcr, 


DON  GIOVANNI 


o      s  I  A 


IL    CONVITATO 
DI   PIETRA. 


Don  Giovanni.     Oazzaniga  und  Mozart.  371 


A    T    T    O    R    I. 


D.  GIOVANNI. 


D.  ANNA  figlia  del  Comendatore  d'Oljola.      -         '  < 
D.  ELVIRA  Spofa  promefla  di  D.  Giovanni. 
D.  XIMENA  Dama  di  Villena.     H 

* 

IL  COMENDATORE  Padre  di  D.  Anna. 
DUCA  OTTAVIO  Spofo  promeflb  della  medefima. 
MATURINA  Spofa  promeffa  di  Biagio.  '    ^ 
PASQUARIELLO  Servo  confidente  di  D.  Giovanni,     '    ^ 


I    — 


BIAGIO  Contadino  Spofo  di  Maturina. 
LANTERNA  altro  Servo  di  D.  Giovanni. 
Servitori  diverfi,  che  non  parlano. 

La  Scena  k  in  Villena  nell'  Aragona. 


372  Friedrich  Chrysander, 


ATTO  PRIMO. 

S    C    E    N    A      I. 

Parte  di  Giardino,   a  cui  corrifponde  TAppartamento 

di  D.  Anna  con  Porta  focchiufa. 

Pafquariello  involto  nella  fua  Cappa^  che  pdjfeggia^ 
indi  D.  Giovanni^  e  D.  Anna^  che  lo  tiene  affer^ 
raio  per  il  mantello, 

Pa/.        öT     A  gran  beftia  e  il  mio  padrone! 

JL/Ma  il  grand'  afino  fon'  io, 

Che  per  troppa  foggezione 

Non  Io  mando  a  far  fquartar. 

Invaghito  di  Donn   Anna, 

La  di  furto  si6  introdotto; 

Ed,  io  gfämo,  chiotto,  chiotto, 

Qui  ad  attenderlo  ho  da  ftar  .  .  . 

Sento  fame  .  .  .  Sento  noja  .... 

Ma  che  venga  alcun  giä  parmi  .  .  . 

Che  fia  hii  v6  lufingarmi  .... 

Ma  non  vogliomi  fidar. 

St  ritira  da  una  parte.     In    gue/io  D.  Güh 
vanni^   e  D,  Anna  dcUla  porta  che  intro^ 
duce  nelf  Appartamento, 
D.  Gio,    Invano  mi  chiedette, 

Ch'io  mi  difcopra  a  voi. 
Z?.  An.     Un  traditor  voi  fiete, 

Un'  Uomo  fenza  onor. 
D.  Gio.    Se  foffe  il  Duca  Ottavio  [p-34.] 

Nemmeno  parlerefte. 
D.  An,     Azioni  difonefte 

Non  fece  il  Duca  ancor. 
D.  Gio.    Lafciatemi. 
Z?.  An,  Scopritevi. 

D,  Gto.    Voi  lo  fperate  in  vano. 
D.  An.     Vi  ftrapperö  il  mantello. 


Don  OiovannL    Gazzanifca  und  Mozart. 


373 


D.  Gio. 
D.  An. 

D,  Gto. 


Vi  ftroppierö  la  mano. 
Ajuto!    Son  tradita! 
Soccorfo,  genitor! 
Acchetati,  impazzita. 
Non  ho  d'alcun  timor. 
Pa/.  Oime!   la  beftia  ardita 

Vä  ancora  a  far  rumor. 

In  queßo  il  Comend.  al  comparir  del  mecU 
D,  Anna  lafcia  D,  Gio.  e  ß  rüira. 

SC  ENA    IL 

//  ComendcUore^  e  D.  Giovanni^   che  sfodra  la  Spada^ 

Pafquariello  in  dt/parte. 


Co7n, 


/^^Ual  tradimento!   Perfido!    Indegno! 


^^  Sottrarti  invano  fperi  da  me. 
'^^    Alla  prima  parola  del  Comend.  D,  Gio.  con 
un  colpo  gli  fmorza  il  Inme  ed  alf  ofcuro 
ß  battono. 
D,  Gio.    Vecchio,  ritirati,  ch'io  non  mi  degno 

Del  poco  fangue,  che  fcorre  in  te. 
Paß  (Ah,  che  ci  fiamo!) 

Com,  Non  fuggirai/ 

D.  Gio.    Ch' io  da  vil  fugga  non  penfar  mai.  [p. 35] 

Sempre  combattendo  D.  Gio.  ferißce  morlalmente 
il  Comendatore. 
|Un'  alma  nobile,  no,  in  te  non  v'6. 
(Per  dove  fuggafi  non  s6  piü  äfft.) 
(Ahi,  che  m'ha  infifla  mortal  ferita !  .  .  . 
Sento  a  mancarmi  diggiä  la  vita  .  .  . 
Sen'  fugge  Tanima  ....  Giä  v6  ä  fpirar  .  .  .) 

//  Comendatore  cade  Jopra  wt  faffo. 
(Di  mortal  piaga  ferito  ü  credo  .  .  . 
Che  giä  traballa  fra  Tombre  io  vedo. 
Solo  fingulti  d'udir  mi  par  .  .  .) 
Paß.  (Io  tremo  tutto.     Son  qui  di  gelo. 

Ad  arricciarfi  mi  fento  il  pelo .... 
Piü  non  si  fentono  .  .  .  nemmen  fiatar.) 


Com. 

Paß 

Com. 


D.  Gio. 


374  Friedrich  Chnsander, 


Z?.  Gio,    Zh,  zh? 

Paf,  Eh  ? 

/?.  Gio,  Pafquariello  ? 

Paf,  Siete  voi? 

D,  Gio,  Sono  io. 

Paf,  Vivo,  o  morto? 

Z?.  Gio.  Che  beftia! 

E  non  fenti  ch'io  parlo? 
Paf,  E  il  vecchio?   Se  nMto? 

D,  Gio,    E^  morto,  o  mortalmente  io  l'ho  ferito. 
Paf,  Bravo!    Due  azioni  eroiche. 

Donn'  Anna  violentata, 

E  al  padre  una  ftoccata 

D.  Gio,    Ehi:   te  Tho  detto  ancora, 

Che  non  vö  rimoftranze. 

Seguimi,  e  taci.  Andiamo. 
Paf,  Si  Signore  .  .  . 

(Stimolar  mi  convien  perche  ho  timore.)  /. 

SCEN  A    III.  [P.36.J 

//  Duca    Ottavio^   e  D,  Anna  precednti  da 

.  Servi  con  torcie, 

D,  Ott.      I  ^Cco  col  fangue  ifteflb  .  .  Ah  che  rimiro! 

\^  tiefte  la  fpada  in  mono. 

D.  An,     Oime !  Mifera !  Oime !  Padre !  addio !  Padre ! 
D.  Ott,     Signor!  Ah!  dov   e  l'empio 

Che  vibrö  il  fatal  colpo! 
D,  An.  Ah!  che  di  morte 

II  pallore  ful  vifo  ha  giä  dipinto  .  .  . 
II  cor  piü  non  ha  moto  .  .  .  Ah,  il  Padre  e  eftinto! 
Code  fra  le  braccia  del  Duca. 
D,  Ott,     Servi,  fervi,  togliete  agli  occhi  fuoi 

Cosi  funefto  oggetto.    E  fe  alcun  fegno 

Scoperfi  in  lui  di  vita, 

Medica  man  tofto  gÜ  porga  ajta. 

Diie  Servi  portano  in   Cafa  il  corpo   del  Co- 

fnendatore. 


Don  Giovanni.     Qaszani^a  und  Mozart.  375 


i 


D.  An,     Duca,  eftinto  e  mio  Padre;   e  ignoro,  o  mifera, 

L'empio  che  lo  feri. 
D.  Ott.  Ma  in  quäl  maniera 

S'introduffe  Tiniquo 

Ne'  voftri  Appartamenti  ? 
D.  An.     A  voi,  Duca,  ftringendomi 

La  promeffa  di  Spofa,  lo  me  ne  flava 

Ad  afpettarvi  nel  mip  Appartamento 

Pe  '1  noftro  concertato  abboccamento. 

La  Damigella  ufcita 

Era  per  pochi  iftanti;    allor  che  tutto 

Nel  fuo*  mantello  involto  '  Tp-  37] 

Uno  ad  entrar  nella  mia  ftanza  io  yedb, 

Che  al  primo  tratto,  o  Duca,  io  voi  lo  credo. 

D.  Ott.     Che  afcolto  mal!  Segiiite. 

D.  An.     A  me  s'accofta,  e  tacito  / 

Fra  le  fue  braccia  ftringemi.    Io  arroffifco,  ^  \    ' 

Mi  fcuoto,  e  dico :   Ah !  Duca, 
Che  ofate  voi!  Che  fate! 

Ma  colui  non  defifte:  anzi  .mi  chiama  I    «^^ 

Suo  ben,  fua  cara,  e  dicemi,  che  m'ama 
Refto  di  gelo  allora.    Egli  malnato 
Ne  volea  profittar:  io  mi  difendo: 
Lo  vö  fcoprir,  lo  afferro:  palpitante 
Chiamo  la  Damigella: 
Egli  allor  vuol  fuggir :  lo  feguo :  voglio 
Smafcherar  per  lo  meno  il  traditore, 
E  chiamo  in  mio  foccorfo  il  Genitöre. 
AI  fuo  apparir  io  fiiggo;  e  raffaffino 
Per  compir  Pefecrando  fuo  delitto, 
Mifera,  oddio!  lo  ftefe  al  fuol  trafitto. 

D.  Ott.     Ardo  di  fdegno,  e  tutto  d'  ira  avvampo 
Per  si  enorme  misfatto.    Ignoto  a  lungo 
Non  refterä  Tiniquo:  il  fuo  caftigo 
Sarä  eguale  al  delitto,  e  voi  Donn'  Anna, 
Se  un  rio  deftino  il  Genitor  v'invola, 
Neir  amor  d'uno  Spofo 
II  foUievo  cercate. 


376  Friedridi  Chij'sander, 


D.  An.     Di  ciö  Ehica,  per  or  piü  non  parlate. 

Finche  il  reo  non  sJ  fcopre,  e  finche  ä  Padre 
Vendicato  non  refta,  in  un  JRitiro  -7) 
Voglio  paffar  i  giorni; 
Ne  alcun  mai  vi  farä,  che  me  n'diftorni. 

parte  colli  Servi, 

SC  ENA    IV.  [p.38.] 

^_^^  //  Dtua  folo. 

D.  Ott.      y>/Uando  doppio-  ecceffo,  h  queflo 

^^  Di  fventura  per  me !  Tutto  si  facda 
Per  fcoprir  Tempio  intanto;  e  non  si  lafci 
Donn'  Anna  fenz'  ajta  in  quefto  (lato. 
Oh  difgrazia  crudele!  Oh  avverfo  fato! 
ü  [Aiia.]  Vicin  fperai  T  iftante 

D' entrar  felice  in  porto; 

Ma  appena  il  Lido  ho  fcorto, 

Che  torno  in  alto  mar. 

Cede  Tamore  in  lei 

Ai  moti  del  dolore; 

E  il  mifero  mio  core 

Ritoma  a  palpitar.  parte. 

S  C  E  N  A  V. 

Campagna  con  Cafe  ruftiche,  e  Nobile  Cafino, 
fuori  delle  mura  di  Villena, 

D.  Giovanni^  e  Pa/quariello, 

D.  Gio.     T30fto  che  non  mi  parl^i 

XT^Piü  del  Comendatorei,  o  di  Donn'  Anna, 

La  libertä  ti  lafcio 

Di  potermi  ora  dir  quello  che  vuoi. 
Pa/.  Quand'e  dunque  cosi,  veniamo  a  noi. 

Sapete  voi  ch'io  fon  fcandalezzato  [pJ9-i 

Della  vita  che  fate! 


Don  Giovanni.    G^zaniga  und  Mozart  ^77 

D.  Gto.    Come!    Qual  vita  faccio? 

Pa/,  Buona.    Ma  fe  non  piü,  con  giuramenti, 

Con  inganni,  e  con  cabale 
Sedur  quanto  potete, 
Cercando  tutti  i  di  qualche  conquifta, 
Mi  par  che  fia  una  vita  alquanto  trifta. 
E  poi,  qui  difcorrendola,  il  burlarfi. 
Come  voi  d'  ogni  legge,  o  Signor  caro. . . 

D.  Gto.    Bafta,  Bafta  cosi,  maftro  Somaro. 
Sai  tu  perch^  venuto 
Son  fuori  delle  porte? 

Pa/.  Per  non  andar  a  letto; 

E  per  farmi  crepar  dal  patimento. 

D.  Gto.    Come  fei  tu  poltrone! 
Tieni,  tieni  una  doppia 
Per  il  fonno  che  perdi. 

Paf.  Quefto  pö  di  cordiale 

Mi  corrobora  alquanto.    Ebben:  fentiamo 
Perch^  fiete  ora  qui. 

D.  Gto.  Perch^  invaghito 

Son  di  Donna  Xin^nä.    Ella  fe  'n  venne 
Jeri  qui  al  fuo  Cafino 
Per  poter  meco  aver  qualche  coUoquio 
Con  maggior  libertä. 

Pa/.  Prudentemente. 

D.  Gto.    Ma  vedi  una  Signora, 

Che  fmonta  di  Carrozza. 

Pa/.  Dunque  pria  che  qui  giunga 

Entriamo  nel  Cafmo 
Per  non  effer  veduti. 

D.  Gto.  Oibö.    VogP  io 

Qui  in  difparte  offervar  anzi  chi  fia.  [p. 40] 

Vieni;   e  mettiamci  qui  fuor  della  via.    st  rilirano. 


c. 


378  Friedrich  Ghrrsander, 


SC  ENA    VI. 

D.  Elvira  con  dtie  Servitori^  D.  Gio.  e  Pafquariello  in  dz/parte. 

che  poi  st  avanzano. 

D,  El.     0  [Aria.]    Y)Overe  femmine, 

XT  Noi  fiam  chiamate, 
Cervelli  iftabili, 
Anime  ingräte, 
Cori  volubili 
Nel  noftro  amor. 
Ma  fono  gli  Uomini, 
Che  fan  gli  amanti, 
Di  noi  piü  deboli, 
Pill  affai  incoftanti; 
Anzi  fon  perfidi, 
Son  fenza  cor. 
Siamo  pur  mifere 
Se  noi  li  amiamo, 
Se  ci  fidiamo 
Del  loro  ardor. 
In  quefto  Borgo  io  penfo 
Trattenermi  piuttofto, 
Ch' entrar  neUa  Cittä.    La  in  queir  albergo 
Prenderö  alloggio  intanto 
Che  fcopro  gli  andamenti 
Dello  Spofo  infedele, 
Che  dopo  avermi  la  fua  fe  giurata 
Mi  lafciö  il  terzo  giorno  abbandonata. 
D.  Gio.     Oh    Cielo!     {Reftando  forprefo    nel  riconofcere  D. 

Elvira)  [p.  41] 
D.EI.  Ah!  Don  Giovanni. 

Paf.  Oh!  Veh! 

D.  El.  Cotanto, 

Vi  forprende  il  vedermi  ? 
D  Gio.  Io  vi  confeffo, 

affettando  difinvolhira. 

Che  tutt'  altro  qui  adeffo 
Afpettava  che  voi. 


Don  Giovanni.    Gazzaniga  und  Mozart.  379 


D.  EL  Ed  io  tutt'  altro 

Afpettava  d'aver  che  un  tradimento. 

Fin  a  quefto  momento 

Non  fü  il  mio  cheun  fofpetto; 

Ma  la  voftra  forprefa  or  qui  ad  un  tratto 

Piü  non  mi  lafcia  dubitar  del  fatto. 
D.  Gio,    Donna  Elvira,  fcufatemi, 

Ma  voi  fofte  una  pazza  a  far  il  viaggio 

Con  un  cosi  magnifico  equipaggio. 
Paf.  (A  propofito.) 

D.  El.  E^  quefto 

Quel  che  mi  rifpondete!  Anima  ingrata!. 

Fate  ch'io  fenta  almen  quäl  fu  il  motivo 

Che  da  Burgos  pärtifte,  abbandonandomi 

Tacito,  a  precipizio, 

Dopo  la  data  fö  di  fpofalizio. 
D.  Gio,    Oh,  quanto  a  quefto  poi,  qui  Pafquariello 

Vi  dirä  la  ragione. 
Paf.  Io! 

D.  Gio,  Si,  tu.    Digliela  .  .  . 

Digliela  ... 
Paf.  Ma  .  .  . 

D,  Gio,  Ti  dico 

Che  gliela  dici.    Ed  io  perdon  vi  chiedo  [p.  42.] 

Se  un  premurofo  affar,  con  mio  tormento, 

Vuol  ch'io  debba  lafciarvi  in  tal  momento. 

entra  nel  Caßno.         ^ 

SC  ENA    VII. 
D.  Elvira^  e  Pafquariello, 

D,  El,      TT  Mi  lafcia  cosi!  Paria  tu;  dimmi 

r^La  cagione  quäl  fü  del  fuo  abbandono; 
E  penfa  ben  che  difperata  io  fono. 

Paf  Per  me  .  .  .    Sentite  ...  Vi  dirö  .  .  .   Siccome  .  .  . 

D.  EL      Non  confonderti. 

Paf  Oibö:  non  v  e  pericolo. 

Siccome  io  dico,  che  Aleffandro  il  Grande  .  .  . 


380 


Friedrieh  Chr^-sander, 


D,  EL 
Paf, 


D.EL 
Paf, 


D,  EL 
Paf, 
D.  EL 
Paf 

D.  EL 


E  che  c'entra  Aleffandro? 

Centra;  e  flatevi  cheta. 

Siccome,  io  dico,  che  Aleffandro  il  Grande 

Non  era  giammai  fazio 

Di  far  nuove  conquifte,  il  mio  padrone 

Se  aveffe  ancora  cento  Spofe,  e  cento, 

Sazio  non  ne  faria,  ne  mai  contento; 

Egli  h  il  Grande  Aleffandro  delle  femoiine; 

Onde  per  far  le  fue  amorofe  imprefe 

Speffo,  fpeffo  cangiar  luol  di  paefe. 

Dunque  ha  dell'  altre  femmine? 

Ih,  ih!   Se  voi  volete  averle  in  vifta 

Ecco  Signora  mia,  queil'  h,  la  lifta.    Gäta  una  lifla 

di  aLeuna  braccia  cU  Carla, 
[Aria.]     Deir  Italia,  ed  Alemagna 

Ve  ne  ho  fcrit±e  cento,  e  tante. 

Della  Francia,  e  idella  Spagna 

Ve  ne  fono  non  fo  quante:  [p.43] 

Fra  Madame,  Cittadine, 

Artigiane,  Contadine, 

Cameriere,  Cuoche,  e  Guattere; 
-.  Perch^  bafta  che  fian  femmine 

'  Per  doverle  amoreggiar. 

Vi  dirö  ch'6  utf  Uomo  tale, 

Se  attendeffe  alle  promeffe, 

Che  il  marito  univcrfale 

Un  di  avrebbe  a  diventar. 

Vi  dirö  ch'^  egli  ama  tutte, 

Che  fian  belle,  o  che  fian  brutte: 

Delle  vecchie  folamente 

Non  fi  fente  ad  infiammar. 

Vi  dirö  .  .  . 

Tu  m'hai  feccata. 

Vi  dirö  .  .  . 

Non  piü:  vä  via. 
Vi  dirö  che  si  potria 
a  2     Fin  domani  feguitar. 

I  (II  mio  cor  da  gelofia 

[Tutto  fento  a  lacerar.)  Paf  parU. 


Don  Oiovanni.    Gaszaniga  und  Mozart.  3^*] 


SCEN  A  VIII. 

/?.  Elvira  fola. 

INfelice  ch'io  fono!  E  tanti  torti 
Poträ  foffrir  queft'  anima  gelofa? 
Nö.    II  diritto  di  fpofa 
Farö  valer;  e  quäl  si  fia  rivale 
Che  giungerö  a  fcoprire, 
Farö  tremar,  nh  mi  faprö  awilire.  parte, 

S  CEN  A   IX.  [p.  44^ 

D.  Giovanni^  e  D.  Ximena^  dal  Caßno, 

D.  Gio,     \yiyi  di  ciö  non  fi  parli, 

X^Dolcezza  del  mio  cor.    lo,  voftro  Spofo, 

Nuotando  fra  i  contenti 

Sarö  il  piü  fortunato  fra  i  viventi. 
D.  Xtm.    Oh  qanto  fono  dolci 

Quelle  voftre  efpreffioni! 

Ma  quando  iS^iiiranno 

I  fponfali  fra  jooi? 

D.  Gio.    Quando?  Vorrei  che  fubito 

Qua  ci  foffe  un  Notaro, 

Riguardo  al  genio  mio;  ma  un  certo  affare 

Mi  obbligherä  con  fommo  mio  martire 

Ancora  qualche  giomo  a  difFerire. 
D.  Xtm.   Ricordatevi  bene 

II  voftro  giuramento.   Rammentate 
Ch'io  fon  d'umor  gelofo: 

Che  voi  fiete  mio  Spofo; 
E  che  non  foffrirei 

Nemmen  per  civiltä,  che  a  un'  altra  Donna 
Voi  toccafte  la  man,  nemmen  col  guanto. 
D.  Gio.    Che  dite  mai!  mi  vanto 

D'effer  io  il  piü  fedele,  il  piü  coftante 
Uomo  che  vi  fia  al  mondo. 
Non  temete,  mio  ben,  che  d'ora  in  poi 
Ogn'  altra  Donna  io  fuggirö  per  voi. 


382  Friedrich  Chrysander, 


[Ana.]      Per  voi  nemmeno  in  faccia 
lo  guardarö  le  belle. 
Se  foffero  ancor  ftelle 
lo  gli  occhi  abbafferö.  [p.4s; 

Voi  fola,  voi  mia  cara, 
Porto  fcolpita  in  petto. 
Voi  fiete  il  folo  oggetto, 
Che  amar  da  me  si  puö. 
Mio  Idolo,  mio  bene, 
Mia  fiamma,  mio  teforo, 
Per  voi  mi  ftruggo,  e  moro, 
Pill  pace  al  cor  non  ho. 
(Pur  quefta  nel  catalogo 
A  fcrivere  me  'n  vö.)  parte. 

SCENA   X. 
D.  Ximena, 

OR  che  ficura  io  fon  della  fua  fede, 
Chi  di  me  e  piü  contenta? 
Se  amor  per  lui  m'impiag^ 
Amor  per  lui  mi  fanarä  la  piaga.  parte. 

SCENA    XL 

McUurina^  Btagto^  e   Villani^  che  ßionano  le  Nacchere. 

indl  Pa/quartello, 

[Soli  e  Coro.] 

Mat.  T)Ella  cofa  per  una  Ragazza 

IJE^  il  fentirfi  promeffa  in  ifpofa! 
Ma  piü  bella  diventa  la  cofa 
In  quel  giorno  che  fpofa  si  ßi. 

ITarantan,  tarantan,  tarantä. 
Sü  via,  allegri  balliamo,  e  faltiamo,  Bai 

Che  quel  giorno  ben  prefto  verrä. 
Mat,  Bella  cofa  per  una  r^gazz^.     In  queßo  [p.46] 

Pafquariello  in  difp. 


Don  Giovanni.    Gazzaniga  und  Mozart.  383 


E^  l'aver  un'  amante  che  adora! 
Ma  piü  bella  diventa  in  allora 
Che  in  marito  a  pigliarlo  fe'n  vä. 

ITarantai,  tarantai,  tarantä. 
Sü  via,  allegri  balHamo,  e  faltiamo,  Bai. 

Che  quel  giorno  ben  prefto  verrä. 

Pa/qtiartello  sl  caccia  ancK  eßb  fra  li  Vtilani^ 
prende  Maturina  per  la  m-ano^  e  balla, 
Paf,  Bella  cofa,  cofpetto  di  Bacco, 

E'  il  trovar  una  femmina  bella! 
Ma  fecendo  la  tan  -  taran  -  tella 
Molto  meglio  la  cofa  fe  'n  vä. 
Tuiii.  [Tarantan,  tarantai,  tarantä. 

cccettitato  Bia,  ^Ä^<  Via  fu  allegri  balliamo,  e  faltiamo, 
moftra  difpetto.    [Che  un  piacere  maggior  non  si  da. 
Biag.        Oh  oh!  Poffar  Diana! 

Tralafciate  voi  altri;  e  andate  in  cafa:     Li  Villani 

pariono. 
E  voi  cofa  venite,  o  Signor  caro, 
A  mefchiarvi  con  noi, 
Ed  a  pigliar  per  man  le  noftre  femmine? 
Paf,  Oh  oh!  Poffar  Mercurio, 

Che  ti  faccia  andar  ftroppio!  E  crederefti 
Ch'io  foffi  come  te  qualche  facchino? 
Son  Cavaliero,  e  fon  .  .  ./Don  Giovannino. 
Mai,  E'  un  Gentiluomo:  fenti?  *^' 

Dunque  lafcialo  fare. 
Bia,  Come  lafciarlo  farel  lo  non  intendo 

Che  punto  s  addomeftichi 

CoUe  donne,  che  fono  a  noi  promeffe,  [p. 47] 

Ne  che  tarantellar  voglia  con  effe. 

SC  ENA    XII. 
D,  Giovanni,,  Maturina^  Biagio,,  e  Pafq^tariello. 

D,  Gio,     /^Ofa  c'e?  cofa  c'e? 

Pcff'  V^^  (Cedo  majoribus.) 

Bia,  Queft'  altro  Cavaliero 

I8S8.  26 


384  Friedrich  Chrysander, 


Vien  con  la  noftra  Spofa 

A  far  rimpertinente. 
]\Iat.  Eh,  non  ce  male,  non  c e  mal  per  niente. 

D,  Gio.     Quel  Cavaliero  lä?  .  .  .  Querto  fi  prende 

Cosi  per  una  orecchia  .  .  . 
Paf.  Ahil  ahi!  Che  fate?  Biaridefor, 

(Diavolo  che  fe  '1  portil) 
D,  Gto.     V'infegnero,  Ser  Cavaliero  Selvatico, 

A  far  rimpertinente 

Con  le  belle  ragazze.  Biagio  feguita  a  ridere. 

Paf.  Ma  f e  .  .  . 

D,  Gio,  Zitto  .  . .  le  belle  si  accarezzano  si  accofla 

a  Mat,  la  piglia  per  la  inano, 

Gentilmente  cosi  .  .  .  Quanto  mai  fiete 

Vezzofa,  e  graziofmal 

Che  delicata,  e  morbida  manina! 
Mat. .        Ah  !  Signor  voi  burlate  .  .  . 
Bia.  frapponendoß.  Eh !  dico  io. 

D.  Gio,  Che  dici? 

Bia.  Dico,  Corpo  di  Baccol 

Che  voi  fate  di  peggio. 
iMat.         Biagio,  non  rifcaldarti. 
Bia.  Anzi  vö  rifcaldarmi.    Animo,  parti. 

D.  Gio.     Eh  eh  I  allotanando  Bia.  con  mia  fpinta, 
Biag.  Come  cofpetto  1  A  me  una  fpinta  I      [p.  4S : 

D.  Gio,     Vä  via.  GH  da  uno  fchiaffo. 

Biag,  Come!  uno  Schiaffo!  Paf,  ridc  for, 

D,  Gio,    Vä  via.        Gli  da  un  altro  fchiaffo,    Paf  feguita  a 
Biag,  Come!  Anche  un'  altro I  .  .  .       ridere  for. 

E  tu  trifta  lo  fopporti? 

Niuno  m'ha  fatto  mai  fimili  torti !  piangendo, 
Avete  voi  ragione, 
Che  adeffo  fon  poltrone, 
Ma  mi  vendicherö  deir  info!enza. 
D,  Gio.     Taci ;  e  vä  via.  Minacciano  di  batterlo  ancora.  Biag, 

ß  falva  dietro  a  Mat, 

Mat,         Vä  Biagio;  abbi  pazienza. 


Don  Giovanni.     QaKzaniga  und  Mozart.  385 


Biag.  [Ariatl    A  me  fchiaffi  ful  mio  vifol 

^         A  me  far  un  tal  affrontol  .  .  . 
Ma  gli  schiaffi  non  li  conto, 
Quanto  conto,  frafchettaccia, 
Che  tu  ftai  con  quella  faccia, 
A  vedermi  maltrattar. 

Ma  afpettate.    Ma  lafciate.  a  /?.  Gio, 

Ch'io  mi  poffa  almen  sfogar. 
Da  tiia  madre,  da  tua  zia, 
Da  tua  nonna  adeffo  io  vado, 
V6  da  tutto  il  parentado 
La  facenda  a  raccontar. 
Maledetto  fia  quel  ridere, 
Che  dl  piü  mi  fa  arrabbiar !  ojf.  Paß  che  ride, 
Si,  fi,  vado,  piü  non  refto, 
Vado  fubito  di  trotto. 
Sento  il  fangue  fopra,  e  fotto 
Che  fi  vä  a  rimefcolar.  parte. 


SCENA  XIII.  [p.  49] 

Maturina^  D,  Giovanni^  e  Pafquariello, 

Mal.  /^"^On  voftra  permiffione. 

D,  Gio.     \^  Oibö.    Reftatevi, 

Anima  mia. 
Mat,  A  me? 

D.  Gio.  Si,  a  voi,  mia  cara. 

Mat.         Signore,  io  mi  vergogno 

A  fentirmi  parlar  teneramente 

Quando  un'  altro  vi  fia  che  tutto  fente. 
Paf.  Poverina ! 

D.  Gio.  Ecco  fubito  .  .  .  voliandofi  a  Paf. 

Paf.  Signore 

Non  ftate  a  incomodarvi 

Di  dirmi  niente  affatto; 

Che  capifco  per  aria,  e  me  la  batto. 

(Vä,  che  ftai  frefcal)  parte. 

26* 


38()  Friedrich  Chr}-8ander, 


sc  ENA  XIV. 
D.  Giovanni,  e  Maturina. 


E 


D,  Gio.  XILrHi?  dico?   dietro  a  Paf. 

Statene  qui  d'appreffo  .  .  . 

In  due  foli  reftati  eccoci  adeffo.     la  prende  per  la 
Mat.  Ma  Signor  .  .  .  ntano. 

/?.  Gto,  Oh  mia  gioja! 

E  voi  con  quegli  occhietti  cosi  belli, 

Con  quel  bocchin  di  rofe, 
^jQuefta  fi  cara  mano  ^p-  50 

V  '  Darete  ad  un  villano? 

V  '^Z'  No,  mia  dolcezza,  no.    Voi  meritate 

Un  affai  miglior  ftato; 

E  di  voi  giä  mi  fento  innamorato. 
Mat.         Ah,  Signor!  Mi  da  gufto 

Quello  che  voi  mi  dite;  ed  io  vorrei, 

Che  quello  che  mi  dite  foffe  vero; 

Ma  fempre  mi  fu  detto, 

Che  voi  altri  Signori 

Per  lo  piü  fiete  falfi,  e  ingannatori. 
D.  Gio.     Oh!  io  non  fon  di  quelli.    II  Ciel  me  'n  guardil 
Mat.         Sentite:  io  fono,  6  vero, 

Povera  paefana; 

Ma  perö  non  per  quefto  avrei  piacere 

Di  lafciarmi  ingannar;  e  poi  il  mio  onore 

Piü  di  tutto  mi  preme. 
D,  Gto,  Ed  io  che  aveffi 

Un'  anima  fi  trifta 

Per  ingannarvi,  o  cara?  Oh!  in  quefto  poi 

Son  troppo  delicato. 

Son  di  voi  innamorato; 

E  poffo  ben  giurarvi 

Che  mio  folo  difegno  e  lo  fpofarvi. 
Mat.         Voi  me  '1  giurate? 
D.  Gio.  Si,  ch'io  ve  lo  giuro 

Per  il  Cielo,  o  mio  ben.    E  fe  volete 


Don  Giovanni.    Gazzaniga  und  Mozart.  387 

Che  ve  lo  giuri  ancor  per  quäl  cos'  altro, 
Ditelo  voi. 
Mat.  No,  no.    Comincio  a  credere 

A  quel  che  voi  mi  dite; 
E  da  quefto  momento 
Innamorata  anch'  io  di  voi  mi  fento. 
[Ana"]  Se  pur  degna  voi  mi  fate  [p.  s'l 

Di  goder  d*  un  tanto  onore, 

Sarö  voftra,  o  mio  Signore, 

E  di  core  v   amerö. 

Sento  giä  che  in  riguardarvi 

Tutto  il  fangue  in  me  fi  move. 

Tal  dolcezza  in  fen  mi  piove, 

Che  fpiegarla,  oddio!  non  fo. 

Caro,  caro,  che  vel'  dico 

Ma  di  core,  ma  di  voglia! 

Niun  fia  mai  che  mi  diftoglia 

Dal   gran   ben    che    vi  vorro.      partoiio   cd 

entrano  in  Cafa  di  McUurina, 

SC  ENA  XV. 

Pafquariello^  poi  D,  Ximena^  indi  D.  Giovanni, 

Paf,  TO  penfo  ad  ogni  modo 

J[   Che  il  lafciar  quefta  beftia  h  neceffario 

A  cofto  ancor  di  perdere  il  falario. 

Sento-  a  far  un  gran  ftrepito 

Per  il  Comendator,  che  fu  ammazzato; 

E  fe  il  Diavolo  f a  .  .  .  Servo  obbligato. 
D,  Xim.   Pafquariello,  mi  afcolta, 

E  fincero  mi  parla.  Anzi  ora  vedi 

Come  voglio  impegnarti 

A  parlar  fchiettamente.     Gli  da  alcune  monete. 
Paf,  Due  doppie!  E  chi,  cofpetto, 

Non  avrebbe  con  voi  da  parlar  fchietto? 
D.  Xim,   Innamorata  io  fon  del  tuo  Padrone 

Ei  giurö  di  fpofarmi. 


38g  Friedrich  Chn-sander, 


Ma  dl  lui  tante  cofe  a  dirmi  io  fento,  [p.  52 ; 

Che  da  due  ore  in  qua  tutta  pavento. 
Paf,  Per  efempio,  di  lui  vi  avranno  detto, 

Ch'e  un  difcolo,  un  briccone,  un  prepotente, 

Un  cane  .  .  .  (ä)   Oibö :  non  date"  retta  a  niente. 

II  mio  padrone  e  un  vero  galantuomo, 

Uno  che  ha  tutti  i  numeri; 

E  fe  a  me  non  credete  .  .  .  Eccolo  appunto; 

Domandatelo  a  lui. 
D,  Gio,  Coftui  che  dice? 

Paf.  E  che  ho  ha  dire?    In  faccio 

Giuftizia  al  voftro  merito 

Ma  tante  male  lingue  .  .  . 
D,  Gio,  E  che?  mia  cara, 

Forfe  talun  ... 
D.  Xim,  No,  no,  fpofo  adorato, 

Del  voftro  cor  non  ho  mai  dubitato. 


SCENA    XVI. 

D.  Elvira^  e  Detii. 

D,  EL       C^  Ignor  mio,  una  parola. 

D.  Gio.     ^^  Oh  I  Donna  Elvira  . . 

D.  EL      Vi  trovo  ingrato,  alfin  .  .  . 

D.  Gio,  Zitto,  tacete, 

Adorata  mia  fpofa.    E^  quella  Dama 

Una  che  m'importuna;  e  godo  appunto 

Della  voftra  venuta. 
Z?.  Xim,  Don  Giovanni? 

Che  avete  voi  con  quella'^ 
D,  Gio,  E'  una  bisbetica, 

Che  mi  viene  a  feccar.    Entrate  in  cafa,  [p  53 

Che  fon  tofto  da  voi. 
D,  Xim,  Vado  per  compiacervi;  ma  badate 

Ch'  io  vi  ftarö  a  guardar  dalla  fineftra.  par. 

(a)  Avverteiidofi  di  D,  Gio,  che  fi  avi^anza. 


Don  Giovanni.     Oazzaniga  und  Mozart.  389 


Paf,  (Vedo  il  turbine  in  aria;  e  piano  piano 

Prudentiffimamente  mi  allontano.)  parte. 

SCENA  XVII. 
D,  Elvh^a^  e  D,  Giovamii^  poi  Maturhia. 


D.  EL       1  ^    Crederefte  voi  d'infinocchiarmi, 

\^  Ingratiffimo  Spofo? 
No.    Tremate  di  me  .  .  . 

D,  Gio,  No:  che  voi  fiete 

In  errore,  mio  ben.    Statevi  cheta, 
Che  vamo,  che  v'adoro;  e  che  col  rito 
lo  domani  farö  voftro  marito. 

Mal,  Con  voftra  permiffione. 

E  che  parlate  voi  Signor  con  quella 
Di  effere  marito? 

D,  Gio,  Anima  mia, 

Quella  Dama  6  una  ip3.zz^^ 
E  nella  fua  pazzia  fi  raffigura 
Di  effere  mia  fpofa. 

D,  Elv.  Favorite. 

E  quai  fegreti  avete 
Con  quella  Contadina? 

D,  Gio,     Ah  ah!  quella  mefchina 
E^  una  povera  matta, 
Che  fi  e  cacciata  in  tefta  ch'io  la  fpofi. 

Mat,         Ma  vi  prego  .  .  . 

D,  Gio,  E'  gelofa 

Sin  ch'io  parli  con  voi. 
D,  Elv.  Eh,  a  me  badate. 

D,  Gio.     Se  vi  volete  divertire  un  poco,  a  D.  Elv.       [p.  54.] 
Con  lei  parlate.    lo  intanto  pien  d'affetto 
Spofa,  mio  bene,  a  cafa  mia  vi  afpetto  .  .  . 
Se  volete  un  puö  ridere,  et  Ma(. 

Parlatele  di  me:    Addio,  fpofma, 
.1  Sponfali  farem  doman  mattina.  parle. 


390  Friedrich  Chrysander, 


SC  ENA  XVIII. 
D,  Elvira^  e  Maiurifia. 

[Daetto.] 

D.  Elv,     T)ER  quanto  ben  ti  guardo 
X^Dawer  pietä  mi  fai. 
Ma  forfe  goiarirai 
Col  fatti  falaffar. 

Mat,         Proprio  cosi  vä  detta. 

Ma  c'e  una  differenza; 

Ch'e  pazza  fua  eccellenza 

E  ftenterä  a  fanar. 
D.  Elv,    Ah  ah!  Si,  fi,  mefchina. 
MaL  Ah  ah!  no,  no,  carina. 


a  2 


{Ah  ah!  cosi  per  ridere  .  .  . 
1 


La  voglio  ftuzzicar.  apparte, 

D.  Elv,    Giä  Don  Giovanni,  io  mi  figuro, 

Che  a  te  di  fpofo  la  man  darä. 
Mat,  No.    Don  Giovanni,  giä  per  ficuro 

E^  fpofo  voftro,  che  ben  fi  sä. 
D.  Eh.     Qui  non  v'e  dubbio. 
Mat,  Ah  ah  ah  ah! 

jEcco  qua  appunto  {s^lS'ora}  mia, 
a  2  <Dove  confifte  la  {fSJ}  pazzia! 

[Tutto  il  (So}  male  ftä  dentro  lä! 

additando  la  teßa, 

Mat.         (Che  matta  vana!)  >  <,S'\ 

D.  Elv.  (Che  pazza  ardita!) 

IVoi  vi  potete        K  i     j-. 

T>.         •    r  r     1    Jleccar  le  dita; 
Fl  puoi,  nglmola,j 
Ma  un  tal  boccone  per  {\^'}  non  fä. 
D,  Eh.    Vanne  via,  va  pazzarella, 

Ch'  ei  non  ama  una  fardella. 
Mat,  Via  pur  voi  correte  in  fretta, 

Ch'  ei  non  ama  una  polpetta. 
D,  Eh.     Temeraria.     Mat.  Voi  infolente. 
Z>.  Eh.     Mi  rifpetta.    Mat.  Non  fö  niente. 


Don  Gioyanni.     Gazzaniga  und  Mozart  391 


Mat,      fUfi  lei  piü  civiltä. 

Z?.  iS'/z/.  (Faccio  or  ora  una  viltä. 

IMa  no  no,  che  alfin  fi  tratta 
D'  altercar  con  una  matta 
E  mi  {^fite"}  ben  pietä. '  i     v  ^    '      partono, 

S  C  E  N  A  XIX. 

Luogo  rimoto  circondato  di  Cipreffi,  dove  nel  mezzo  fi  erige 
una  Cupola  foftenuta   da  colcnne   con  Urna  fepolcrale, 
•fopra  la  quäle  Statua  equeftre  del  Comendatore. 

//  Duca  Ottavio  con  carta  in  mano^  ed  un  Incifore. 

QUefto  Maufoleo,  che  ancor  vivente 
L'  Eroe  Comendatore 
Appreftare  fi  fece, 

Un  mefe  non  e  ancor  ch'e  terminato; 
Ed  oh!  come  ben  prefto 
Servi  di  tomba  a  lui  che  Tha  ordinato: 
Sü  quella  bafe  intanto  [p.  s^.] 

A  caratteri  d'oro 
Sian  quefte  note  incife: 

dh  la  Carta  allo  Scultore^  che  va  a  formar 

ri/crizzone. 
Tremi  pur  chi  Tuccife, 
Se  avvien  che  l'empio  mai 
Di  qua  paffi,  e  le  fcorga. 
E  apprenda  almen,  che  fe  occultar  fi  puote 
Alla  giuftizia  umana, 
Non  sfuggirä  del  Ciel  l'ira  fovrana.  parte, 

SCENA  XX. 

D.  Giovanni^  e  Pafquariello, 

Paf,  TO  non  so  detto  fia 

X   Con  voftra  permiflione, 

(Se  dir  me  lo  lafciate) 

Qual  diavolo  di  uom,  Signor,  voi  fiate. 


392  Friedrich  Chrygander, 


D.  Gio,     E  perche? 

Paf,  Non  parliamo 

Delle  amorofe  imprefe, 

Che  giä  fon  bagatelle  .  .  . 
D.  Gio,  Oh!  bagatelle 

Sicuriffimamente.   E  che? 
Paf,  Parliamo  .  .  . 

Zitto  .  .  .  Afpettate  .  .  .  Piano  .  .  .  Non  vi  bafta. 
lo  Scultore  in  queßo  frattempo  avendo  formata 

n/crizione  parte. 

Che  l'abbiate  ammazzato, 

Che  vi  viene  anche  voglia 

Di  andar  vedere  la  fua  fepoltura?  ;?•  57 

Ma  quefto  non  ^  un  far  contro  natura? 
D.  Gio.     Che  ftolido!  che  fcioccol 

Che  male  c'e  fe  vengo 

A  veder  per  diporto 

Come  ftä  ben  di  cafa  ora  ch*e  morto? 

Ecco  ecco.  additando  il  Mausoleo. 

Paf,  Oh  cofpetto!  .  .  .  Ora  vedete 

Tanti,  ma  tanti  ricchi 

Per  viver  nobilmente 

Guardan  per  fino  un  foldo;  e  poi  non  guardano 

Di  fpendere  a  migliara  li  ducati, 

Per  ftar  con  nobiltä  dopo  crepati. 
D,  Gio.     Bravo!  Qui  dici  bene.    Ma  vediamo 

Queir  ifcrizion  majufcola. 

Di  colui  che  mi  trajfe  a  morte  ria^  ^^SS^- 

Dal  Cid  gut  afpetto  la  Vendetta  mia. 

Oh  vecchio  ftolto!  E  ancor  di  lui  piü  ftolto 

Quel  che  la  fece  incidere! 

La  Vendetta  dal  Ciel?  Mi  vien  da  ridere. 
Paf.  Ah!    Signor,  che  mai  dite! 

Offervate  .  .  .  offervate  che  la  Statua 

Par  proprio  che  vi  guardi 

Con  due  occhi  di  foco  al  naturale. 
D.  Gio.     Ah  ah  ah!  Che  animale! 

Vä,  vä  a  dire  alla  Statua, 


Don  Giovanni.    Oazzaniga  und  Mozart.  393 


Che  della  fua  minaccia  io  non  m  offendo, 
Anzi  rido.    E  perche  veda  ch'io  rido 
Di  quefto  a  bocca  piena, 
Meco  l'invita  quefta  fera  a  cena. 
Paf.  Chi? 

D.  Gzo,  U  Comendatore. 

Pa/,  Eh,  via!  [p.  58.] 

/?.  Gio.  Invitalo,  dico:  animo,  prefto. 

Pa/.  Ora  vedete  che  Capriccio  e  quefto! 

[Duetio.]  Signor  Comendatore  .  .  . 

(Io  rido  da  una  parte, 

Dair  akra  ho  poi  timore, 

E  in  dubbio  me  ne  ftö.) 
D,  Gio.  E  quanto  ancora  afpetti? 

Paf,  Adeffo  Io  faro. 

A  cena  quefta  fera 

V'invita  il  mio  padrone, 

Se  avete  permiffione 

Di  movervi  di  qui. 

la  Statua  china  la  teßa  replicataniente, 

Ahi,  ahi,  ahi,  ahi! 
D.  Gio,  Cos'  hai? 

Paf.  La  tefta  fua  e  movibile, 

E  fecemi  cosi. 
D,  Gio.  Va  via,  che  tu  fei  matto. 

Paf,  Cosi,  cosi  mi  ha  fatto. 

D.  Gio,  No. 

Paf,  Si. 

D,  Gio,  No. 

Paf  Si. 

D,  Gio,  No. 

Paf  Si. 

fChe  oftinazion  frehetical 

|Che  capo  h  mai  quel  li! 
D,  Gio,  Afpetta,  o  ftolido,  che  per  convincerti 

Io  collä  Statua  favellerö. 

V  invito  a  cena,  Comendatore, 

Se  ci  venite  mi  fate  onore. 

Ci  venirete?  [p.  59  I 


394 


Friedrich  Chrvsander, 


La  Statua. 
Paf, 

a  2 
D.  Gio. 


Ci  venirö. 

Ah!  mio  Signore,  per  caritä. 
Andiamo  fubito  lontan  di  qua. 
Per  me  certiffimo  piü  non  ci  ftö. 
Un  illufione  queft'  e  diggiä. 
Non  poffo  crederla  mai  veritä. 
Di  te  il  piü  ftolido  trovar  non  so. 


par. 


SC  ENA   XXI. 
Camera  di  D.  Giovanni. 


Lafilerna^  che  apparecchia  la  iavola^  poi  D.  Elvira. 

Lau.  TI?^  La  gran  vita  quella  di  fervire 

|j  A  un  padron  come  il  mio!   Qui  non  fi  trova 
Mai  ora  deftinata 
Ne  al  dormjf  ne  al  mangiare. 
E  quello  che  fä  lui  bifogna  fare. 
Guai  a  chi  fa  al  contrario! 
Quello  ch'^  peggio,  non  vien  mai  il  falario. 
Qualche  mancia  cosi  per  eftro  pazzo; 
Ma  affai  piü  del  denaro  e  lo  ftrapazzo. 

fi  fente  a  batlere. 
Picchiano  ....  E  chi  mai  diavolo  vucF  effere? 
Vediamo.   Vä  ad  aprire^  e  nel  vedere  D.  Elv.  reßaforp. 

Oh  poffar  bacco! 
lUuftriffima?    Voi? 

D.  Elv.  La  tua  forprefa 

Non  e  fenza  ragione. 
Avverti,  ch'io  qui  fono  il  tuo  padrone. 

Lan.         Non  e  ancora  arrivato,  [p.  6a] 

Ve'l  giuro  in  veritä  .  .  .  Ma  zitto  .  .  lo  credo 
Che  giufto  adeffo  arrivi  .  .  .  E^  lui  ficuro 
Ed  in  cucina  io  me  ne  vado  tofto 
Perche  fi  appronti  fubito  Tarrofto.  parte. 


Don  Giovanni.     Oazzaniga  und  Mozart.  395 


SC  ENA  XXII. 

Z?.  Giovanni^  e  D.  Elvira,    Pafquariello  in  dt/parte, 

D.  Gio.    T   T'Oi  Donna  Elvira  qui!    Brava!    La  voftra 

V  E^  una  forprefä  amena. 

Meco  cosi  reftar  potrete  a  cena. 
D.  Elv.    No,  Don  Giovanni.    In  me  vedete  adeffo 

Un  altra  Donna  Elvira 

Dalla  prima  diverfa.    lo  giä  non  vengo 

Ne  piü  a  rimproverarvi, 

Ne  piü  a  cercar  da  voi  T  adempimento 

Del  voftro  giuramento, 

Ma  l'intereffe  voftro,  il  voftro  bene 

Solo  mi  guida  a  voi,  che  ho  tanto  amato; 

E  tutto  obblio  quel  ch'^  fra  noi  paffato. 
Paf,  (Povera  donna!) 

D.  Gio.  Dite. 

D.  Elv.  A  me  dei  voftri 

Prevertiti  coftumi 

Tutto  h  noto  il  compleffo.    Ah!  che  perfino 

Da  ogn'  un  voi  Tuccifore 

Siete  creduto  del  Comendatore. 

L'error  de'  voftri  falli 

Scoffe  il  mio  core;    e  del  mio  error  pentita 

In  un  Ritiro  io  v6  a  paffar  la  vita. 

Ma  un  eftremo  dolore 

Nel  mio  ritiro  ancora  io  fentirei  [p.  61.] 

Se  voi,  che  tanto  ämai, 

Divenifte,  aflai  prefto, 

Un  efempio  funefto 

Di  queir  alta  giuftizia,  e  di  queir  ira 

Che  fovra  di  fe  ogn'  empio  al  fin  s  attira. 
Paf.  (Povera  donna!) 

D,  Gio,  Avanti. 

D.  Elv,  Ah!  in  ricompenfa 

Di  tanto  amor  ch'ebbi  per  voi,  non  chiedo 

Che  il  voftro  pentimento. 

Non  per  me,  ma  per  voi.    Si,  vi  fcongiuro 


396  Friedrich  Chrj'Sftnder, 


Colle  lagrime  agli  occhi 

Per  queir  amor  che  per  me  avefte  un  giorno, 
Per  quel  ch'e  piü  capace 
Di  toccare  il  cor  voftro, 
Che  richiamando  la  virtü  fmarrita, 
Penfar  vogliate  ad  emendar  la  vita. 
Paf.  (Povera  donna!) 

D.  Gzo,  Profeguite. 

D.  Eh,  Ho  detto 

Quello  ch'io  dir  voleva. 
D,  Gio,  Ebben  fa  tardi, 

O  cara  Donna  Elvira;  e  perciö  anch'  lo 
Vi  prego,  vi  fcongiuro 

Per  queir  amor  che  per  me  avefte  un  giorno, 
E  per  quel  che  il  cor  voftro 
Piü  movere  potria, 

Di  alloggiar  quefta  notte  in  cafa  mia. 
D,  Eh,    No,  Don  Giovanni,  no.    La  mia  carozza 

Mi  attende.    lo  vado.    E  fe  voi  fteffo  amate, 
A  voi  foltanto,  e  non  piü  a  me,  penfate. 
[Aria.]  Spofa  piü  a  voi  non  fono :  [p. 62] 

Spento  e  giä  in  me  Tardore: 
Placido  fento  il  core. 
L'alma  tranquilla  ho  in  me. 
Ben  v'amerö  lontana 
Se  alla  virtü  tornate. 
lo  parto.    Addio.    Reftate 
Fermo  tenete  il  pi6  .... 

a  D.  Gto,  che  con  caricdtura  vorrebbe 

acconipagnarla. 
Ah!  vedo  che  mifero, 
Di  me  vi  ridete: 
Di  Tigre  le  vifcere 
Giä  vedo  che  avete. 
Ma  forfe  che  il  fulmine 
Lontano  non  e.  par. 


Don  GioTanni.     Gaszaniga  und  Mozart.  397 


SCENA   XXIII. 

D,  Giovanni^  Pafquariello^   e  Lafiterna, 

D.  Gio,     T     O  fai,  tu  Pafquariello, 

i   ^Che  la  fua  voce  languida, 
E  quegli  occhi  piangenti 
M'aveano  quafi  quafi  in  fen  fvegliato 
Un  refto  ancora  dell'  eftinto  affetto? 
Paf.  Ma  perö  tutto  al  vento  e  quel  che  ha  detto. 

va  a  federe  alla  tavola. 
D.  Gio.    Prefto,  prefto,  alla  cena. 
Paf,  Si  Signor,  si  Signore. 

D.  Gio,    Per  altro,  Pafquariello, 

Penfar  bifogna  ad  emendarfi. 
Paf  Oh!  quefto 

E'  quel  che  anch'  io  diceva.  [p.  63.] 

D.  Gio,  In  fede  mia 

Che  bifogna  penfarci.    Altri  trent'  anni     ^^  ^ 
Di  bella  vita,  e  poi 
Sicuramente  penferemo  a  noi.  ^ 

Lanterna  porge  le  piattanze  a  Paf  e  queßo  le 
mette  in  tavola, 
Paf,  Tutto  ftä,  Signor  mio, 

Che  il  conto  non  falliate? 
D,  Gio.     Eh?   Che  vorrefti  dir? 
Paf  Niente.    Cenate. 

Nel  vieiiere  U7i  piatto  fiilla  tavola  ß  prende 
U7ia  polpetta^  e  la  mette  in  bocca. 
D,  Gio.    Che  cos'  hai?   Tu  mi  fembra 
Ch'abbi  una  guancia  gonfia. 
Da  quando  in  qua?    Cos'  hai? 
Paf  Niente,  Signore. 

D.  Gio.    Ti  e  venuto  un  tumor?    Lafcia  ch'io  fenta. 

ft  alza^  e  gli  tocca  la  guancia.    Prende  il  col^ 
tello,    Paf  fpnta  la  polpetta, 
E  un  tumore  ficuro; 
E  tagliarlo  convien  perch'  e  maturo. 
Ah!    briccone  che  fei! 


398  Friedrich  Chrysander, 


PaJ.  In  veritä,  Signore, 

Ch'io  foltanto  volea  fentir  un  poco 

Se  troppo  fal  ci  aveva  pofto  il  cuoco. 
D,  Gio.    Bene,  bene.    Ora  via:  vedo,  mefchino, 

Che  tu  hai  molta  fame;    e  dopo  cena 

lo  bifogno  ho  di  te.   Siedi  pertanto, 

E  meco  mangia  qui. 
Paf.  Dite  davvero? 

Z?.  Gio.    Siedi,  e  mangia.  [p.  64,] 

Paf.  Ubbidifco  al  dolce  impero.    fiede  alla  tavola. 

Ehi,  Lanterna?   Pofata,  e  tovagliolo. 
Lau.         (Gode  il  favor  fovrano 

Solo  coftui  perche  gli  fa  il  mezzano.) 
D.  Gio,    Olä?   finch^  fi  mangia 

Voglio  che  il  mio  concerto  di  ftromenti 

Sentir  fi  faccia. 
Paf.  Bravo !   Ottimamente  I 

Mangiaremo  cosi  piü  allegramente. 

Segne  concerto  di  ßromenti,  Don  Giovanni^  c 
Pafquartello  mangiano,  Lanterna  a  mifura 
che  Pafqnariello  gira  la  teßa  f7ibtto  gli 
cambia  il  piatto. 

Paf,  Ma  potere  del  mondol 

Sei  troppo  attendo  per  cambiar  di  tondo  I 
Guarda,  Lanterna  mio,  che  nel  moftaccio 
Quefto  piatto  tal  quäle  or  or  ti  caccio. 

D,  Gio,    Da  bere.  viene  fervito. 

Paf.  Animo,  prefto 

Da  bere  ancora  a  me. 

U71  fervitore  gli  prefenta  un  bicchiere. 
Pafq,  vuol  bere,,  e  D.  Gio,  lo  tratt. 

D,  Gio.  Fermati  piano. 

Paf  Cofa  c  e? 

D,  Gio,  Pria  di  bere 

Un  brindifi  hai  da  fare. 

Paf         Ora  vengo  .  .  .  Afpettate  .  .  .  L'ho  trovato  .... 
Alla  fahite  del  mio  Signor  Nonno. 


Don  Gioyaimi.    Oaxza&iga  und  Mozart.  ^99 


D.  Gto,    Oibö,  oibd. 
Paf.  Ma  dunque 

A  chi  farlo  conviene? 
/?.  Gto.    V  hai  da  far  .  .  .  L'  hai  da  far  .  .  .  Sentixni  bene. 

'  [Finale.] 

Far  devi  uiriDrindiTi  alla  Cittä,  O      ^{i-  ^   (^ 

Che  noi  viaggiando  di  qua,  e  di  lä, 

Abbiamo  trovato  ch-e  la  miglior. 

Dove  le  femmine,  tutte  graziofe, 

Son  le  piü  belle,  le  piü  vezzofe, 

Le  piü  adorabili  del  feflb  lor. 
Paf,  Quefto  voftr'  eftro  non  difapprovo. 

Senza  penfarci  diggiä  la  trovo; 

E  ci  fcommetto,  che  giä  la  so. 

Quest'  ^  in  Italia. 
D,  Gio.  Dici  beniflimo. 

Paf.  Questa  h  Venezia. 

D.  Gto,  Bravo  braviffimo! 

Tu  giä  Thai  detta. 
Pa/.  Oh  benedetta ! 

Paf,  |Io  farö  il  brindifi  come  potrö. 

D.  Gio,     Ä  3  <  Via,  fu  fa  il  brindifi,  ch'  io  fentiro. 
Lan.  \\o  viva  al  brindifi  rifponderö. 

Pa/.  Faccio  un  brindifi  di  gufto 

A  Venezia  fingolar. 

Nei  Signori  il  cor  d'Augufto 

Si  vä  proprio  a  ritrovar. 

V'^  neir  ordine  civile 

Quel  che  v  ha  di  piü  gentile : 

E  nel  ceto  anche  inferiore 

V'6  ü  buon  core,  e  il  buon  trattar. 

fuonano  gli  ßrontenti  da  ficUo    Paf.   vtcol 
bere^  e  D,  Gio.  lo  traUime. 
D.  Gio,    Piano,  piano. 
Paf,  Cos'  e  ftato? 

D,  Gio.    Tu  ti  fcordi  del  bei  feffo.  [p-66.] 

Pria  di  ber  anche  allo  fteffo 
Devi  il  brindifi  indrizzar. 

1888.  27 


400  Friedrich  Chrytander, 


Paf.         Si  Signore.  beve  tutto  il  vtno. 

D.  Gio.  Cofa  fai? 

Paf,  Rifondete  adeffo  il  vino. 

Mafcolino,  e  femminino 
Non  v6  infieme  mefcolar. 

Vien  riempüo  di  nuovo  i  btcchier  dt  Paf. 
Paf.     [Ana.]     Alle  donne  Veneziane 

Quefto  brindifi  or  prefento, 
^  Che  fon  piene  di  talento,   . 

Di  bellezza,  e  d'oneftä. 
Son  tanto  leggiadre 
Con  quei  zendaletti. 
Che  folo  a  guardarle 
Vi  movon  gli  affetti. 
Se  poi  le  trattate 
n  cor  ci  lafciate, 
Non  han  che  dolcezza, 
Che  grazia,  e  bontä. 

ßwnano  li  ßrumenti. 
Pafquariello  beve. 
Lan,         Signor Signor,  fentite. 

In  queflo  fi  fente  a  buttere  replicaiamente  alla 
'  porta. 

D.  Gto.    A  un'  ora  fi  importuna. 

Non  ha  creanza  alcuna 

Chi  a  batter  vien  cosi. 
Lan.         Sentite  nuovamente; 
D.  Gto,    Vä  a  dire  all'  infolente  [p.  67.] 

Che  adeffo  non  ricevo, 

Che  torni  al  nuovo  di. 

Lan.  parte^  poi  tarna  fpaventato  carrendo^  e 
cafca  in  terra, 
Paf.  Ma  fe  per  accidente 

Mai  foffe  qualche  bella? 
D,  Gio.    fSi  cangieria  favella, 
Paf         |E  fi  faria  ftar  qui. 
Lan,         Ahim^!  ahim^! 
D.  Gio.  Cos'  hai? 


Don  Giovanni.    Gaszaniga  und  Mosart.  401 

Lan.         Ahim^!  

Paß  Ma  cofa  h  ftato? 

Z>.  Gio,    Coftui  h  fpiritato: 

Vä  tu  a  veder  cos'  h, 

Pafq.  parte^  poi  ßibito  ritorna  fpaventato 
ancor  effb. 
Via  parla  sü,  animale,  a  Lan. 

Che  cofa  hai  tu  veduto? 

Paß  Ahim^!  ch'^  qui  quel  tale 

Quel  tale,  fi  k  yenuto .... 

Cio^  quello  ....  ahim^,  che  fpafimo! 

Oh  poveretto  me!  .  .  . 

D.  Gio,  prende  il  lume^  e  vä  per  affacctarß 
alla  porta  in  qtießo  il  Comendatore:    Paf. 
fi  caccia  fi>tto  la  tavola. 

SC  ENA  XXIV.  ^  [p.68.] 

//  Comendatore^  e  deüi. 

D.  Gio,     ^^ledi  Comendator.     Mai  fin  ad  ora 

i^Credere  non  potei,  che  dal  profondo 
Tornaffer  Tombre  ad  apparir  nel  mondo. 
Se  creduto  Taveffi, 
Troverefti  altra  cena. 
Pure  fe  di  mangiar  voglia  ti  fenti, 
Mangia;    che  quel  che  c'^  foffro  di  core; 
E  teco  mangierö  femsa  timore. 
Com.  Di  vil  cibo  non  fi  pafce 

Chi  lafciö  Tumana  fpoglia. 
A  te  guidami  altra  voglia, 
Ch'^  diverfa  dal  mangiar. 
D,  Gio,  Pafquariello  ?   Dove  fei? 

Torna  fubito  al  tuo  fito. 
Paf.  Non  mi  fento  piü  appetito. 

D,  Gio.  Vieni  fuori  non  tardar. 

Paf.  efce,,  e  fi  mette  in  difparte. 
Paf  Se  la  febre  aveffi  indofso 

Non  potrei  cosi  tremar. 

27* 


402 


Friedrich  Chrysander, 


D,   GtO, 


Com, 
D.  Gio. 
D.  Gio. 

a  2 
Pa/. 

Com, 


D.  Gio. 


Pa/, 
Com. 
D,  Gio, 
Com, 

D,  Gio, 
Com.. 

D,  Gio, 

Com. 

Pa/. 


c 


(ii/^ 


^ 


/ 


•j 


Tu  non  mangi,  tu  non  bevi: 

a/  Comendatore, 
Cofa  brami  or  qui  da  noi? 
Canti,  e  fuoni,  fe  tu  vuoi, 
lo  ti  pofso  far  fervir. 
Fa  pur  quello  che  ti  aggrada. 
Pafquariello,  fatti  avanti. 

Che  fi  fuoni,  e  che  fi  canti  [p.  69.] 

Per  poterlo  divertir. 

Tutti  i  mufcoli  ho  tremanti, 

Non  pofs'  io  piü  bocca  aprir. 
Bafta  cosJ.     M'afcolta. 
Tu  m'invitafti  a  cena: 
Ci  venni  fenza  pena : 
Or  io  te  inviterö. 
Verrai  tu  a  cena  meco? 
Oibö,  Signor,  tion  puö. 
Non  ho  timore  in  petto: 
Si,  che  il  tuo  invito  accetto. 
Verrö  col  Servo. 

Oibö. 

Dammi  la  man  per  pegno. 
Eccola  .  .  .  Oimi,  quäl  gelo! 
Pentiti;    e  temi  il  Cielo, 
Che  (lanco  e  omai  di  te. 
Lafciami,  vecchio  infano. 
Empio,  ti  fcuoti  in  vano. 
Pentiti  Don  Giovanni. 
Ahi !  quai  crudeli  affanni 
Ma  il  cor  non  trema  in  me. 
Termina,  o  trifto,  gli  anni, 
Vedi  il  tuo  firi  quäl'  e. 
Ah!  di  Theriaca  i  panni 
M'empio  di  fotto  äffe. 
Segue  trasfamiaziofte  della  Camera  in   infernale, 
reßandovi  folo  le  prime  quinte  dove  Pafq,  fparoen- 
tato  fi  rifngia, 
D,  Giovanni  tra  le  Furie, 


Don  Giataniii.    Oa£zäiiigB  Qild  Mozart.  408 


Ahi,  che  orrore!    che  fpävento! 

Ah,  che  barbaro  tonnento! 

Che  infoflfribile  martir,  [p.  70] 

Moftri  orrendi,  Furie  irate, 

Di  ftraziarmi  deh  ceffate! 

Ah  non  poffo  piü  foffrir. 

Sparifce  f  infernale ^  e  torna  come  prima  la 
Camera  di  D,  Gio, 

SCENA  ULTIMA. 

Lanternaj  Maiurina^  D,  Elvira^  D,  Ximena^ 
Duca  Oüamo^  PafquarieUo. 

Mai.  Ol   |f     )Ual  ftrepito  e  quefto,  che  abbiamo  fentito! 
Elv.  Xi,      ^^  Lanterna  che  dice,  che  qui  ci  chiamö. 
Paf.  lOim^!  giä  fon  morto:    giä  fono  arroftito. 

I  Un  pelo,  un  capello  in  me  piü  non  ho. 
Lan,  Qui  qui  T  ho  veduto,  ed  io  fon  fuggito. 

JLui  dicavi  il  refto,  ch'io  niente  piü  so. 
Pa/,  I  diavoli,  il  foco,  il  Comendatore  .  .  . 

Sentite  il  fetore,  che  indoffo  averö. 
Ott,  Che  diavolo  dici? 

E/v,  Tu  fai  confufione. 

Xifn.         Dov'e  Don  Giovanni? 

Mat,  Dov'e  il  tuo  Padrone? 

Paf,  Signori,  afpettate,  ch'io  tutto  dirö. 

Di  lui,  pian  pian  ve'l  dico, 

Non  fe  ne  parli  piü. 

Coi  brutti  barabai 

Qui  fe  n'^  andato  giü. 

Ah!  non  aveffi  mai 

Veduto  quel  che  fü. 

E  chi  non  crede  al  cafo 

A  me  che  accofti  il  nafo,  [p.  71  ] 

Che  deir  odor  diabolico 

Io  credo  ancor  d'aver. 


er/'    It  '  JM^^^ro'  ^^^o  eftaticj  . 
«^  \Ma  k  meglio  di  tacer. 


404 


Friedrich  Chrytander, 


tuttt 


Donne 

D.  Ott. 

Laut, 

Paf. 

D.  OH. 
Lant. 


Tuttt. 


\t 


Piü  non  facciafi  parola 

Del  terribile  fucceffo; 

Ma  penfiamo  in  vece  adello 

Di  poterci  rallegrar  .  .  . 

Che  potreffimo  mai  far? 

a  a,  io  vö  cantare: 
vö  mettermi  a  faltar, 
La  Chitarra  lo  vö  fuonare. 
Io  fuonar  vö  il  Contrabaffo. 
Ancor  io  per  far  del  chiaffo 
n  fagotto  vö  fuonar. 

{Tren,  tren,  trinchete,  trinchete  tr^, 
Flon,  flon,  flon,  flon,  flon,  flon. 
Pu,  pu,  pu,.pu,  pu,  pu,  pu. 
Che  bellifiima  pazzia! 
Che  ftraniffima  armonia! 
Cosi  allegri  fi  va  a  ftar. 


FINE. 


Don  GioTanni.    Oazsauiga  und  Mozart.  405 


Das  waT  nun  der  neue  Don  Juan.  Seiner  Aufifährung  wird  man 
mit  ungewöhnlicher  Spannung  en^egen  gesehen  haben,  das  läBt  sich 
schon  aus  der  Haltung  des  Vorspiels  schließen.  Aber  wie  groß  auch 
^ese  Spannung  gewesen  sein  mag,  die  Wirkung  der  Aufführung 
übertraf  bei  weitem  alles,  was  man  erwartet  haben  mochte.  Es  wurde 
für  Italien  die  Oper  des  Jahres^  und  sie  blieb  auf  Jahre  hinaus 
wirksam.  Der  Ziüauf  war  ungeheuer;  wie  ein  Lauffeuer  verbreitete 
sich  die  Kunde  Ton  diesem  Stücke  im  Lande,  und  jedes  Theater 
beeilte  sich  dasselbe  vorsuführen.  Schon  im  nächsten  Herbst  wurde 
es  an  mehreren  Orten  gegeben,  selbst  kleine  Nester  suchten  sich  den 
Genuß  SU  verschaffen.  Die  Aufführung  in  Yarese,  einem  Städtchen 
unweit  Mailand,  war  eine  der  frühesten,  vielleicht  die  erste  von  allen; 
man  findet  sie  aber  bisher  nirgends  erwähnt,  und  so  wird  uns  auch 
noch  von  vielen  andern  Orten  die  Kunde  fehlen. 

Was  über  die  Aufführungen  dieses  merkwürdigen  Stückes  zu 
erforschen  war,  ist  im  folgenden  nach  den  Orten  zusammen  gestellt. 

Varese. 

Yon  einer  Aufführung  in  Yarese  im  Herbst  1787  besitze  ich 
durch  gütige  Yermittlung  des  Herrn  Albert«Schatz  ein  Textbuch  mit 
dem  Titel: 

n  Capriccio  Drammatico  per  il  Primo  Atto,  ed  H 
Convitato  di  Pietra,  ossi^  il  Don  Giovanni  per  il  Secondo 
Atto.  Rappresentazione'',giocosaj  per  la  second'  Opera  da 
rappresentarsi  nel  Regio  Ducal  Teatro  di  Yarese  FAu-* 
tunno  1787,  dedicato  a  Sua  Eccellenza  Conte  del  S.  R.  J. 
il  Sig.  Carlo  Ercole  di  Castel-Barco  Yisconti  ....  In 
Milano  nella  Stamperia  de'  Fratelli  Pirola,  Impressori  dell' 
Eccma  Cittä  dicontro  al  Teatro  grande.  CoUa  permissione. 
(66  Seitea  kl.  8.) 

Dieser  Haupttitel  verbessert  also  die  Nachlässigkeiten  des  venezianischen 
Titels,  nennt  aber  im  übrigen  weder  Dichter  noch  Komponisten.  Yon 
der  Musik  des  »Capriccio«  heißt  es  weiterhin:  »La  Musica  tutta  nuova 
di  diversi  Maestri«.  Der  Komponist  des  Capriccio  für  Yenedig  war 
-Giovanni  Yalbntini.  Wenn  hier  in  Yarese  »mehrere  Meister«  ihre 
Hand  im  Spiele  hatten,  so  kann  sich  dies  nur  auf  zwei  eingelegte 


40Jg  Friedrieb  Chrysander, 


Arien  beziehen,  welche  den  neuen  Sängern  zuliebe  zugelassen  wurden. 
Aber  der  zweite  Akt,  der  steinerne  Gast,  blieb  in  Varese  unangetastet; 
der  Text  enthält  ihn  buchstäblich  von  Anfang  bis  zu  Ende,  und  so 
wird  es  auch  mit  der  Musik  gewesen  sein.  Wer  Gazzaniga's  Partitur 
kennt,  der  weiß  auch,  dass  diese  Komposition  gerade  in  dem  einheit- 
lichen Eindruck,  den  sie  hervor  brachte,  ihre  Hauptstärke  besaß. 
Die  iuin  Theü  bedeutenden  Änderungen,  welche  an  aadem  Orten 
voigeüonunen.  wurden,  erklären  sich  aus  der  veränderten  Besetzimg 
und  aus  sonstigen  Bücksichten. 

Die  Tbeaterspiele  in  Yaxese  wurden  von  einer  Gesellschaft  ge- 
leitet, denn  r>ffli  Äs^aciaii  del  Teatro  dt  Varese«  sind  ea,  welche  dem 
gemajvnten  Grafen  das  Textbuch  widmen.  Und  sie  meinen,  bei  den 
girqSen  Bei&U,  welchen  das  Stück  in  Venedig  erlangt  habe,  werde  es 
ihm  wohl  angenehm,  sein.  y^VitioanirOy  e  lapphmo  cKebhe  la  »uddeUa 
MßppreaefUama  in  Vemzia^  (we  per  la  prima  veita  compari  suUe  Seene, 
fa  Ijyro  spera/re  il  Voeiro  <iflrtese  agf/radimen^,^  Auch  das  erste  Stück 
dieses  Herbstlaufes,  welches  ebenfalls  ein  komisches  war,  hatten  sie 
ihm  dedicirt;  das  zweite  als  Hauptop^r  der  Saison  überreichten  sie 
ihm  nun  mit  der  üusdrücklichen  Versicherung,  daß  der  Gregensland 
hier  auf  eine  ganz. neue  Weise  behandelt  sei:  >£a  graxiasa  benigmü 
eolla  qucde  TEoeeUenza  Vostra  ei  h  degnata  di  vice  vere  sotto  gli  Autare- 
-^voli  Suoi  Auepic;  til  primo  Dramma  Giocoeoj  che  attualtnente  ei  rappre- 
senta  nel  Teatro  dCVarese,  incoraggisce  gli  Associati  del  suddetto  Teatro 
a  supplicarvi  di  voler  accettare  anche  la  seconda  Rappresentanza  di  un 
genere  affaito  nuove,  che  si  danno  fon^e  pi  preeeniarvi^.  So  gänzlich 
also  unterschied  sich  dieser  Don  Giovanni  von  der  bisherigen  Weise 
den  Stoff  zu  behandeln,  daß  man  ein  neues  Genre  darin  erblickte. 
Dies  ist  der  Standpunkt,  den  wir  einnehmen  müssen,  um  Gazzaniga's 
Werk  in  dem  Lichte  zu  betrachten,  in  welchem  es  seinen  Zeitgenossen 
erschien,  denn  nur  so  läßt  sich  die  große  momentane  Wirkung  be- 
greifen und  das  Verhältniß  zu  Mozart  richtig  beurtheilen. 

Bom. 

Von  einer  römischen  Auffuhrung  sind  wir  durch  Goethe  unter- 
richtet, leider  fehlt  die  genaue  Zeitangabe.  In  einem  Briefe  an  Zelter 
vom  17.  April  1815  bemerkt  er,  »daß  bey  lebhafteren  Nationen  die 
Stücke  die  einmal  gegriffen  haben,  ins  Unendliche  wiederiiolt  werden 
können,  weil  die  Schauspieler  das  Stück  und  das  PubUknm  einander 
immer  mehr  durchdring^i,  femer  auch  ein  Stadt-Nachbar  den  andern 
aufregt  ins  Theater  zu  gehen,  und  das  allgemeine  Wocheiigespräch 
Buletit  die  Nothwendigkeit  hervorbringt,  daß  jeder  die  Neuigkeit  ge* 
sehen  habe^     So. erlebte   ich  in   Bom,    daß   eine  Oper,  Don   Juan 


Don  GioTftnni.    Gaczaniga  und  Mozart.  4()^ 

(nicht  der  Mozartisehe),  rier  Wochen,  alle  Abende  gegeben  wurde, 
wodurch  die  Stadt  so  erregt  ward,  daB  die  letzten  Krämers-Familien, 
mit  Kind  und  Kegel  iti  Parterre  und  Logen  hauseten,  und  Niemand 
leben  konnte,  der  den  Don  Juan  nicht  hatte  in  der  Holle  braten, 
und  den  GouYerneur,  als  seligen  Geist,  nicht  hatte  gen  Himmel 
fahren  sehen«  ^ 

Im  Herbst  1787  kann  diese  Auffuhrung  noch  nicht  stattgefunden 
haben,  denn  Goethe,  welcher  in  deinen  Reisebriefen  alles  irgend  Be 
merkenswerthe,  was  die  römischen  Theater  damals  yorfuhrten,  nam- 
haft macht,  hätte  ein  solches  Stuck  sicherlich  nicht  vergessen.  Wir 
dürfen  daher  die  Aufführung  mit  Sicherheit  in  den  Januar  178S  setzen. 
DaB  Goethe  die  merkwürdige  Oper  in  seinen  Reisebriefen  nicht  er- 
wähnt, erklärt  sich  hinreichend  aus  seinem  gänzlichen  Stillschweigen 
über  das  Theater  in  dieser  Zeit.  nDie  Opern  unterhalten  mich  nicht«, 
schrieb  er  am  5;  Januar  178S,  »nur  das  innig  und  ewig  Wahre  kann 
mich  nun  erfreuen.  Es  spitzt  sich  bis  gegen  Ostern  eine  Epoche 
zu,  das  führ  icha.  Dies  war  die  Epoche  seiner  Bekehrung  zu  der 
allein  seligmachenden  wahren  d.  h.  bildenden  Kunst,  welche  ihn 
momentan  gegen  das,  was  doch  seinen  eigentlichen  Beruf  ausmachte, 
mehr  oder  wamger  gleichgültig  stimmte*  Aber  trota  dieaer  launischen 
Abwendung  voih  Theater  findet  sich  in  den  römisdien  Briefen  der 
Beweis,  das  der  »steinerne  Grast«  sich  seiner  Phantasie  tief  eingeprägt 
hatte.  Goethe  yerliefi  Rom  gegen  Ende  April  1788.  In  den  letzten 
drei  Nächten  seines  dortigen  Aufentfialtes  »stand  der  volle  Mond  am 
klarsten  Himmel  a  und  in  dem  »Zauber,  der  dadurch  über  die  unge- 
heure Stadt  verbreitet«  wurde,  durchstreifte  er  Rom  in  einer  dieser 
Nächte  ganz  allein.  »Nachdem  ich  den  langen  Korso,  wohl  zum 
letztenmal,  durchwandert  hatte,  bestieg  ich  das  Kapitel,  das  wie  ein 
Feenpalast  in  der  Wüste  dastand.  Die  Statue  Marc  Aurel's  rief  den 
Kommandeur  in  Don  Juan  in  Erinnerung  und  gab  dem  Wanderer 
zu  verstehen,  daß  er  etwas  Ungewöhnliches  unternehme,  a  An  Mozart's 
Don  Juan  ist  hier  nicht  zu  denken,  denn  dieser  konnte  ihm  damals 
noch  nicht  dem  Namen  nach,  viel  weniger  in  Wirklichkeit  bekannt  sein. 

Es  ist  aber  sehr  zu  bedauern,  daß  Goethe  gerade  zur  Zeit  des 
Karneval  von  1788  gegen  das  moderne  Opemtheater  gleichgültig 
wurde,  oder  daß  er  ni(^t  später  einmal  ausfuhrlicher  auf  die  musika- 
lische Behajadlung  der  Don  Juan-Sage  eingegangen  ist,  denn  er  war 
vielleicht  der  einzige  Zeitgenosse,  welcher  beide  Kompositionen,  die 
italienische  und  die  deutsche,  genau  kannte  und  die  volle  Wirkung 
derselben  an  sich  erfahren  hatte.     Eine  vergleichende  Abschätzung, 


^  Briefwechsel  Kwitehen  Goethe  und  Zelter.    U,  160. 


408  Friedrich  Chrysander, 


wie  er  sie  hätte  liefern  können,  würde  über  die  Entstehimg  des 
Mozartidchen  Meisterwerkes  nach  dieser  Seite  hin  ein  klares  Licht 
verbreitet  haben,  und  der  Nutzen  davon  wäre  ein  mannigfacher  ge- 
wesen. Die  ungesunden  romantischen  Auswüchse  Hofiinann's  und 
Anderer,  welche  Mißdeutungen  verschiedener  Charaktere  der  Oper 
Mozart's  zuwege  gebracht  haben,  hätten  sich  nicht  so  weit  verbreiten 
können,  wenn  der  Ursprung  des  deutschen  Werkes  aus  dem  italie- 
nischen Vorgänger  von  Anfang  an  allgemein  bekannt  geworden  wäre; 
auch  gewisse  Widersprüche  oder  Dunkelheiten,  die  bei  Da  Ponte  und 
Mozart  vorhanden  sind,  würden  durch  eine  solche  technisch-kunst- 
mäßige, um  nicht  zu  sagen  handwerksmäßige  Betrachtung  ihre  be- 
friedigende Erklärung  gefunden  haben. 

Bologna. 

Von  einer  Aufführung  in  Bologna  hat  sich  ein  unvollständiges 
Textbuch  in  der  königl.  öffentlichen  Bibliothek  zu  Dresden  erhalten. 
Nach  Fürstenau's  Mittheilung  in  einem  Aufsatze  iZur  Don  Juan- 
Literatur«^  enthält  dasselbe  nur  den  zweiten  Akt  oder  den  eigent- 
lichen Don  Giovanni-Text.  Aus  einer  SchluBbemerkung  ist  aber  zu 
entnehmen,  daß  in  Bologna  ebenso  wie  in  Venedig  das  »Capriccio« 
als  erster  Akt  vorauf  ging.  Di^  größte  Änderung  bei  der  Bologneser 
Auffuhrung  bestand  in  dem  /Wegfall  der  heiteren  SchluBscene  nach 
j:^  Don  Juan's  Höllenfahrt  Diese  Kürzung  dürfte  man  bald  allgemein 
vorgenommen  haben.  Über  die  Aufführung  in  Bologna  fehlt  eine  ge- 
nauere Zeitangabe;  sie  hat  aber  wahrscheinlich  im  Januar  1788,  also 
mit  der  römischen  gleichzeitig,  stat^efunden. 

Ferrara. 

Auf  ähnliche  Weise  sind  wir  von  einer  Auffuhrung  in  Ferrara 
unterrichtet,  nur  hier  nicht  durch  das  Textbuch,  sondern  durch  die 
Partitur.  Eine  alte  Kopie  von  Gazzaniga's  Musik  zu  Don  Giovanni 
befindet  sich  in  der  Bibliothek  der  Gesellschaft  der  Musikfreunde  in 
Wien  und  ist  von  L.  v.  Sonnleithner  beschrieben^.  Aus  diesem 
Manuskript,  von  welchem  ich  die  für  O.  Jahn  angefertigte  Abschrift 
besitze,  geht  hervor,  daß  dasselbe  zu  einer  Auffuhrung  in  Ferrara 
gebraucht  ist.  Durch  die  Weglassung  der  Schlußscene  stimmt  es  mit 
dem  Bologneser  Textbuche  überein,  enthält  aber  sonst  noch  mancherlei 
Abweichungen,    die   durch  Einlagen  fremder  Musikstücke  veranlaßt 


1  In  den  »Monatsheften  für  Musik-Getchiohte«.  1870.    S.  41—47. 

2  In  dem  Aufsätze  »Zur  Don  Juan-Literatur«  in  den  Wiener  «Reeensionen 
und  Mittheilungen  über  Theater  und  Musik«.  1860.   8.  588—592. 


Don  OioTanni.    Gazsaniga  und  Mozart.  409 


sind.  Wann  diese  Aufführung  stattfand  und  ob  das  o  Capriccio  c  einen 
Theil  derselben  bildete,  bleibt  unbestimmt.  Daß  »Atto  secondo« 
auf  dem  Titel  dieser  Partitur  durchstrichen  und  durch  »Atto  solo« 
ersetzt  ist,  berechtigt  schwerlich  zu  der  Vermuthung,  das  genannte 
Vorspiel  sei  in  Ferrara  nicht  mit  aufgeführt.  Bei  dem  künstlerischen 
Werth  des  »Capriccio«  und  seiner  innigen  Verbindung  mit  dem  fol- 
genden Spiel  dürfen  wir  vielmehr  voraussetsen,  daß  dasselbe  in  Italien 
fast  überall  der  unzertrennliche  Begleiter  des  Don  Giovanni  war. 

Kurze  Erwähnungen  über  Auffuhrungen  auf  andern  italienischen 
Bühnen  besitzen  wir  aus  Bergamo  1788,  Mailand  1789  und  Lucca 
1792,  womit  aber  die  Jahreszahl  nicht  genau  und  die  Liste  nicht 
entfernt  vollständig  gegeben  ist,  denn  die  Aufführung  dieses  seltsamen 
Musikspiels  erstreckte  sich  schlechterdings  über  ganz  Italien. 


Paris. 

Die  Lebensfähigkeit,  welche  dieses  Stück  eine  Reihe  von  Jahren 
hindurch  bewährte,  veranlaßte  endlich  auch  zwei  auswärtige  italie- 
nische Theater,  dasselbe  vorzuführen.  Paris  ging  1791  voran;  der 
junge  aufstrebende  Cherubini,  welcher  Musikdirektor  an  dem  dortigen 
italienischen  Theater  war,  komponirte  ein  Quartett  »Non  ti  fidar  o 
misera«  als  Einlage.  Das  Ganze  scheint  aber  trotz  des  mit  großem 
Gepränge  hergerichteten  Schlußspektakels  nicht  ganz  den  erwarteten 
Erfolg  gehabt  zuhaben,^  was  auch  erklärlich  ist,  denn  der  »steinerne 
Gast«  war  in  der  venezianischen  Fassung  doch  eigentlich  kein  Stück 
für  das  Ausland.  Seine  einaktige  Fassung  erwies  sich  als  hinderlich. 
Es  war  an  sich  ein  großes  Werk,  erforderte  auch  derartige  Vor- 
bereitungen und  erregte  entsprechende  Erwartungen,  füllte  aber  nicht 
einmal  den  Abend.  Das  »Capriccio«  war  ein  unübertreffliches  Vor- 
spiel zur  ersten  Einführung,  hatte  aber  nur  rechten  Sinn  vor  einem 


1  Diese  Naehrichten  sind  von  Jahn  (Mozart  II,  335  u.  336)  mitgetheilt; 
eigene  Untersuchungen  habe  ich  über  die  Pariser  Aufführung  nicht  anstellen 
können. —  Cherubini  führte  im  nächsten  Jahre  (am  31.  Mai  1792)  im  »Th^fttre  de 
Monsieur«  (wie  die  Bühne  der  Italiener  genannt  wurde,  weil  der  Bruder  des  Königs 
ihr  Protektor  war)  abermals  eine  Oper  von  Gazzaniga  auf,  die  1783  für  Venedig 
geschriebene  )»Le  Vendemie«.  Man  üuid,  »daß  die  Musik  viel  munteres,  ange- 
nehmes, natürliches  und  reisendes  in  der  Melodie  hat.  Man  hat  einige  Stück« 
hinzugefügt,  die  das  Werk  noch  verschönern,  unter  andern  eine  vortreffliche  Arie 
von  Mengozzi,  die  von  der  Dem.  BaUetti  vollkommen  gut  gesungen  ward,  und  ein 
Sextett  von  Cherubini,  das  vielleicht  das  schönste  Stück  ist,  das  man  auf  diesem 
Theater  gehört  hat.«  Reichardt's  Musikal.  Wochenblatt.  Berlin  1791/92.  S.  115.) 
So  ausgestattet,  machte  das  Werk  Glück,  wie  derselbe  Bericht  meldet. 


410  Friedrich  Chrysander, 


italienischen  Publikum.  Ein  anderes  kleines  Stück,  weickes  eine 
passende  Beigabe  gewesen  würe,'  £uid  sich  nicht;  denn  was  man  auch 
wählen  mochte,  Alles  erwies  sich  neben  Don  Giovanni  als  fremdartig 
und  nachtheilig. 

London. 

Dies  wurde  man  nii^ends  empfindlicher  gewahr,  als  »in  London. 
Unter  Taylor's  Direktion  kam  Gaxzaniga's  Don  Gioiranni  hier  am 
1.  März  1794  zur  Aufführung,  sonderbarerweise  gerade  zu  der  Zeit,  wo 
Da  Ponte,  der  Verfasser  des  Mozartischen  Textes,  an  diesem  Theater 
als  Dichter  aiigestellt  war.  Da  Ponte  bemuhte  sich  natürlich,  die 
Wiener  Komposition,  welche  er  mit  slcli  fährte,  statt  der  venezia- 
nischen hier  anzubringen,  betrieb  aber  seine  Sache,  wie  gewöhnlidt 
ungeschickt  und  wußte  sich  überhaupt  niemals  ein  rechtes  Ansehen 
zu  verschaffen. 

Diese  Londoner  Auffuhrung  besitzt  durch  allerlei  Nebenumstände 
eine  ungewöhnliche  Bedeutung,  weshalb  wir  etwas  ausfuhrlicher  auf 
dieselbe  eingehen  müssen. 

Das  Theater  am  Haymarket,  welches  der  italienischen  Oper 
diente,  war  1789  durch  Feuer  zerstört  und  wurde  wieder  aufgebaut, 
herrlicher  als  zuvor.  Nach  allgemeiner  Ansicht  hatte  man  damit  das 
beste  existirende  Opernhaus  gewonnen.  »England  kann  sich  jetzt 
rühmen,  Theater  zu  besitzen,  welche  nicht  blos  die  prächtigsten  und 
geschmackvollsten  in  Europa  sind,  sondern  auch  am  besten  von  allen 
für  musikalischen  Effekt  sich  eignen.  In  letzterer  Beziehung  war 
Italien  bisher  unerreicht;  aber  durch  die  Konstruktion  des  Opern- 
hauses findet  es  sich  selbst  in  demjenigen  Theil  der  baulichen  Kunst 
übertroffen ,  auf  welchen  es  bisher  am  meisten  stolz  war. « *  Nach 
Überwindung  vieler  Schwierigkeiten  kamen  erst  mit  dem  Jahre  1794 
reguläre  Opemaufführungen  in  dem  neuen  Hause  zu  Stande.  Ter- 
sprechungen  und  Erwartungen  waren  gleich  groß.  Die  Saison  wurde 
am  11.  Januar  1794  eröffnet  mit  der  hier  noch  unbekannten  komischen 
Oper  »Die  heimliche  Ehe  fll  Hktrimomo  Seffreto/n  von  Cimarosa. 
Dieselbe  erlebte  nur  fünf  Aufiuhrungen ,  woraus  bereits  klar  wurde, 
daß  zum  Gelingen  noch  etwas  anderes  nöthig  war,  als  ein  pompöses 
Haus.  Kapellmeister  Federici  mußte  nun  schnell  andere  Stucke  zu- 
sammen flicken.  Am  1.  Februar  1794  erschien  darauf  die  neue 
komische  Oper  »I  contadini  bizarrh^  mit  Musik  von  Sarti  und  Faisiello, 


^  The  Moming  Chronicle  (London)  vom  20.  Mftrz  1794.  Dort  wird  das  neu 
hergerichtete  Theater  Drur}'  Lane,  wo  die  Oratorien-Konierte  stattfanden,  eben- 
falls zu  diesen  musikalisch  vortrefflichen  Bauten  gerechnet. 


Don  OioTftnni.    Gauaniga  und  Mozart.  4]  } 


und  gefiel  so  gat^  daß  sie  für  die  nädifteii  beiden  Monate  zum  Lücken- 
büBer  dienen  konnte.  Was  in  London  geüedlen  sollte,  muBte  den 
Sängern  auf  den  Leib  geschnitten  sein;  eine  einheitliche  Komposition 
war  viel  weniger  erforderlich,  ja  sie  eorwies  sich  sogar  als  ein  Hindere 
nifi,  namentlich  dann,  wenn  der  Hauptreiz  des  Werkes  in  dem  leb- 
haften Zuaammeawijken  aller  Betheiligten  bestand,  wie  es  bei  der 
echten  opera  bufa  der  Fall  ist  Diese  opeia  buffa,  die  tonangebende 
Macht  der  Zeit  und  das  treibende  Element  in  der  damaligen  Ent- 
Wickelung  der  Bühnenmusik,  war  daher  für  London  nur  in  einzelnen 
Effektstücken  zu  erfiusen,  nicht  in  itaem.  Kern.  Deishalb  gefiel  das 
genannte  Pasticcio,  in  wachem  die  gefeierten  Buffosänger  Morelli 
und  Bovedino  mit  populären  Gesängen  das  Publikum  fangen  konnten; 
aber  Cimaroea's  Meisterwerk  blieb  unTontanden.^  Mozart's  Figaro 
würde  dasselbe  Schicksal  gehabt  haben. 

Man  empfiind  nun  recht  gut,  daB  mit  solchen  heiteren,  übers 
Knie  gebrochenen  Bnffo^Opem  nicht  weit  zu  kommen  war,  sondern 
daB  Sachen  Ton  gröfierem  Gewicht  rorgefohrt  werden  mufiten.  Um 
dies  mit  den  Torhandenen,  hauptsächlich  für  die  komische  Oper  ge- 
schulten Kräften  zu  erreichen  und  zugleich  in  der  Zeitrichtung  zu 
bleiben,  geiieth  man  auf  ein  Werk,  welches  den  Sängern  von  Italien 
her  geläufig  war,  auf  Gazzaniga's  Don  Giovanni.  Schon  am  8.  Februar 
wurde  bei  Anzeige  der  »Contadini»  verkündet:  »Eine  groBe  tragi- 
komische Oper,  genannt  Don  Giovanni,  mit  Tänzen  verbunden,  ist 
in  Vorbereitung  und  wird  schnellstens  angeführt  werden.  Die  neu 
engagirte  Signora  Negri  tritt  zum  erstenmal  in  diesem  Stück  auf, 
welchem  eine  komische  Oper  von  einem  Akt,  genannt  II  Capriccio 
drammatico,  voraufgeht  mit  Musik  von  Cimarosa.  Das  Ganze 
wird  in  gänzlich  neuen  Scenen,  Dekorationen  und  Kleidern  heraus- 
kommen.«^ Vom  24.  Februar  an  lauten  die  Anzeigen  noch  etwas 
anders,  dringlicher  und  pomphafter;  die  Auffuhrung  wird  für  den 
1.  März  verheißen;  in  dem  Stücke  wird  eine  große  militärische  Be- 
gräbniß^^Prozession  nach  altspanischer  Weise  in  Aussicht  gestellt, 
und  als  Autoren  der  Musik  werden  Cimarosa,  Gazzaniga  und  Gug- 
lielmi  genannt 

Wenn  man  diese  Anaeigen  mit  der  Absicht  verfaßt  hätte,  das 


^  Die  Londoner  Tageskritfk  über  den  »Matrimonio «  ist  bezeichnend:  »The 
music  is  in  many  parts  very  fine.  As  it  [ths  opera]  is  not,  however,  exhilerated 
by  incidents,  it  muflt  be  ahortened;  it  was  at  least  an  hour  too  long.«  The  Mor- 
ning  Chronicle  vom  13.  Januar  t794.  Das  ist  alles,  was  über  Text  und  Musik 
dieser  Oper  gesagt  wird.  Für  die  Beschreibung  der  eingeschobenen  Tänze  hat  die 
Zeitung  den  vierfachen  Raum! 

^  The  Moming  Chronicle  vom  S.  Februar  1794. 


412  Friedrich  Cluysander, 


Publikum  irre  zu  leiten,  so  wären  sie  kaum  geschickter  xu  machen 
gewesen.  Ein  Stück  in  ^inem  Akt  wurde  als  igroBec  Oper  aus- 
posaunt;  durch  leeren  Pomp  suchte  man  die  Anziehung  desselben 
zu  erhöhen,  riB  es  dagegen  nach  Text  und  Musik  in  Fetzen  und 
zerstörte  dadurch  eben  das,  was  allein  seine  Wirkung  verbürgte. 
Hiermit  noch  nicht  zufrieden,  wurde  das  ursprüngliche  originelle 
Vorspiel  beseitigt,  wahrscheinlich  weil  es  zu  schwierig  einzuüben 
war,  und  dafür  der  schon  1781  von  Cimarosa  unter  demselben  Titel  >I1 
Capriccio  drammatico«  komponirte  Einakter  gewählt,  welcher  ebenialls 
auf  Don  Juan  hinwies.  Als  nämlich  Crisobolo,  der  Impresario,  vergeb- 
lich Geld  zu  erlangen  sucht  und,  von  anmaBlichen  Sängerinnen  be- 
drängt, sich  in's  Wasser  stürzen  will,  giebt  ihm  der  Poet  ein  Bündel  Pa- 
piere und  sagt  dabei:  »Dann  nimm  dieslc  —  »»Was  enthalten  sie?«  — 
»Den  Don  Giovanni!  Der  wird  uns  heraus  reißen!«  —  Darauf  eilt 
der  Direktor  fort,  um  die  Aufführung  noch  für  denselben  Abend  in*8 
Werk  zu  setzen.  Eine  drastische,  aber  auch  sehr  plumpe  Hinweisung 
auf  das  Stück,  die  sicherlich  nicht  geeignet  war,  die  Aufnahme  des- 
selben günstig  zu  beeinflussen.  Man  sieht,  diese  kopflose  Direktion 
konnte  die  Thorheit  nicht  weiter  treiben.  Der  Erfolg  entsprach  auch 
den  Vorbereitungen. 

Unter  großem  Zulauf  fand  nun  am  1 .  März,  einem  Sonnabend, 
die  erste  Auffuhrung  statt.  bH  Capriccio  drammatico«  machte  den 
Anfang,  dann  folgte  das  Ballet  »L^union  des  Bei^res«.  Darauf  kam 
die  »neue  groBe  tragikomische  Oper,  genannt  Don  Giovanni,  die 
Musik  von  Gazzaniga.  Federici,  Sarti  und  Guglielmi«;  mit  Tänzen 
verwebt  und  einer  großen  altspanischen  Leichen-Prozession  ausge- 
stattet, an  welcher  hundert  Personen  theilzunehmen  bestimmt  waren.  ^ 
Die  zweite  Aufführung  mußte  um  acht  Tage  verschoben  werden,  an- 
geblich weil  die  umständliche  Maschinerie  wegen  der  am  3.  März 
stattfindenden  Maskerade  bei  Seite  zu  schaffen  war,  in  Wirklichkeit 
aber,  weil  man  sich  genöthigt  fand,  mit  dem  Stücke  Veränderungen 
vorzunehmen;  auch  wurde  für  die  folgende  Vorstellung  den  jungen 
Herren  der  Zutritt  hinter  die  Scene  versagt,  indem  sich  die  Maschinen 
nicht  regieren  ließen,  »wenn  die  Bühne  gedrängt  voll  ist  von  Herren, 
wie  es  am  letzten  Sonnabend  der  Fall  war«.^ 

Die  genannte  Zeitung  liefert  einen  Bericht  über  die  erste  Auf- 
führung, welcher  lehrreich  ist.  »Die  Geschichte  von  Don  Juan, 
spanischen  Ursprungs  und  durch  Moliäre  längst  berühmt  geworden, 
wurde  hier  letzten  Sonnabend  mit  einigen  Änderungen  als  eine  tragi- 


^  The  Morning  Chronicle  vom  1.  Mftrz  1794. 
2  The  Morning  Chronicle  vom  3.  März  1794. 


Don  Giovanni.     Gazzaniga  und  Mozart.  413 

komische  Oper  gegeben.  Voran  zur  Einleitung  ging  das  einaktige 
Stück  9II  Capriccio  drammatico  0  ^  welches  die  Eitelkeit  der  Poeten  ^ 
die  Anmaßung  der  Sängerinnen  und  die  Geldnoth  des  Direktors  zum 
Gegenstand  hat.  Die  Oper  [Don  Giovanni]  enthält  eine  große  Menge 
reisender  Musik,  welche  Federici  mit  Geschmack  auegewählt  und  an- 
gepaßt hat ;  sie  hat  jedoch  einen  Fehler,  der  ia  ünserm  Lande  nicht 
ertragen  wird  —  sie  ist  zu  lang.  Die  Vorstellung  währte  von  halb 
sieben  bis  nach  zwölf,  und  der  ganze  Don  Giovanni  ging  ohne  Unter- 
brechifng  vor  sich.  Dies  muß  geändert  werden;  es  ist  wenigstens 
um  eine  Stunde  zu  kürzen,  und  die  Erfahrung  des  letzten  Abends 
wird  gelehrt  haben ,  welche  Scenen  ganz  oder  theilweise  wegfallen 
können.  Die  kostspielige  Prozession  besonders  könnte  vermieden 
werden,  denn  durch  das  Gedränge  der  jungen  Leute  auf  der  Bühne 
wurde  sie' so  gestört,  daß  es  ermüdete,  wie  denn  in  Wahrheit  keine 
Maschinerie  mit  Effekt  funktioniren  kann,  wenn  man  gestattet  daß  sich 
die  Bühne  so  voll  drängt.  Die  Dekorationen  waren  bewundernswerth 
—  namentlich  was  Hr.  Noverre  [der  Balletmeister]  seine  ,praktikable 
Hölle'  nennt,  an  welcher  Marinari  sehr  schöne  Talente  offenbart  hat. 
Es  ist  wundervoll,  welche  Wirkung  er  durch  Transparente  mit  dem 
Feuer  hervor  bringt;  die  Scene,  wie  Noverre  sie  darstellt,  ist  er- 
haben schrecklich.  Die  Negri  [Donna  Elvira]  sang  mit  schönem 
Geschmack  imd  Gefühl  und  wurde  sehr  warm  applaudirt«  MoreUi 
mußte  eine  venetianische  Ballade  wiederholen.  Das  Haus  war  in 
allen  Theilen  dicht  gefüllt,  und  die  Fackeln,  welche  mit  einem 
rothen  Reflex  von  der  Scene  Blitze  in  die  Logen  des  Theaters 
warfen,  machten  dadurch  einen  herrlichen  Effekt.«^ 

Inzwischen  besserte  und  flickte  man  an  dem  Stücke  hastig 
weiter,  stopfte  alte  Löcher  und  riß  neue,  die  eingeschlagene  ver- 
kehrte Bahn  bis  zu  Ende  verfolgend,  und  brachte  dann  das  arme 
mißhandelte  Werk  am  8.  März  zum  zweiten  Male  vor  das  Publikum, 
Von  der  großen  Prozession  war  jetzt  keine  Rede  mehr;  trotzdem 
sollte  »positiv«  keiner  der  Zuschauer  auf  die  Bühne  gelassen  werden, 
wodurch  die  ganze  vorlaute  Jugend  in  den  Zuschauerraum  gedrängt 
wurde  und  sich  nur  um  so  mehr  gegen  Vorstellung  und  Sänger 
erregte.  Diese  zweite  verbesserte  Vorführung  brach  dem  Unter- 
nehmen den  Hals.  Das  Moming  Chronicle  bestätigte  am  nächsten 
Montag  das  Todesurtheil  des  Publikums  mit  sehr  bemerkenswerthen 
Worten:  »Die  Oper  von  Don  Juan  kam  letzten  Sonnabend  vor  einer 
höchst  glänzenden  Versammlung  zum  zweiten  Mal  zur  Aufführung, 
aber  ohne  Erfolg.     Ein  beträchtlicher  Theil  der  Zuhörer  drückte  sein 


1  The  Moming  Chronicle  v.  3.  M&n  '94. 


414  Friedrich  Chrysander, 


Mißfallen  aus,  welches  noch  außerordentlich  angefeuert  wurde  durch 
einige  Personen,  die  im  wahren  Geist  italienischer  Kabale  einoK 
Aufruhr  in  Scene  setsten  gegen  eine  Sängerin,  w;elche  sich  kein 
Anrecht  auf  ihre  Qunst  erworben  hatte.  Die  Negri,  obwohl  keine 
glänzende  Opemsäogerin ,  ist  doch  eur  Zeit  die  beste  in  England. 
Die  Direktoren  der:  Oper  sind  sicherlich  nicht  glücklich  gewesen, 
denn  nachdem  sie  ohne  Frage  das  schönste  Theater  von  Europa 
sich  veischafflt  haben,  sind  sie  durch  die  Zeitverhältnisse  bisher  ge- 
hindert)  große  Sänger  für  dasselbe  zu  gewinnen,  indem  die  beiden 
Hauptlängerinnen  fUr  jetzt  noch  abgehalten  werden,  hier  ihre  Ta- 
lente zu  entfidten.  All  dies  ist  jedoch  nur  vorübergehend,  da  mit 
Ende  der  nächsten  Woche  die  Btmti  und  die  Morichelli,  die  beiden 
ersten  Sängerinnen  der  Welt  für  ihre  betreffenden  Gebiete,  in  Lon* 
don  sein  werden«.^  Sie  kamen  auch  wie  verheißen,  und  mit  ihnen 
begann  eine  Periode  der  Virtuosen-Schwärmerei,  in  welcher  der  nun 
endgültig  beseitigte  Don  Juan  bald  vergessen  war,  so  vollständig 
vergessen,  daß  selbst  ein  so  leidenschaftlicher  Besucher  und  genauer 
Kenner  der  damaligen  italienischen  Oper  in  London,  wie  der  Graf 
von  Mount  Edgcumbe,  nicht  einmal  die  Erinnerung  daran  bewahrt 
hat.2 

Wenn  nun  hiermit  das  Verschollene  wieder  ans  Licht  geiogen 
und  eingehend  besprochen  wird,  so  geschieht  es  nicht,  um  die  Schick- 
sale einer  immerhin  denkwürdigen  Auffuhrung  breit  zu  beschreiben: 
sondern  wir  verweilen  nur  deshalb  so  lange  dabei,  weil  die  Vorgänge 
von  kunstgescbichtlicher  Bedeutung  sind  und  eine  sehr  nachdrück- 
liche Lehre  enthalten.  Was  London  damals  an  Opernhäusern  be* 
saß,  war  den  besten  auswärtigen  mindestens  gleich,  und  als  Sammel- 
platz aller  ersten  Gresangsgrößen  konnte  sich  überhaupt  kein  anderer 
Ort  mit  ihm  messen.  Aach  die  feinsten  Instrumentalvittuosen  und  gute 
Musiker  aller  Art  waren  in  Menge  vorhanden.  Daß  im  Publikum 
neben  den  willigen  Zahlern  die  wirklichen  Kenner  nicht  fehlten, 
versteht  sich  für  diejenigen  von  selbst,  welche  über  die  dortigen 
Verhältnisse  auf  andere  Weise  unterrichtet  sind,  als  durch  ausländische 
Vorurtheile;  das  Büchlein  des  Grafen  Edgcumbe  steht  mit  den  be* 
wundernswerth  treffenden  Urtheilen  über  Gesang  in  jener  Zeit  einzig 
da.  Der  hochgebildete  englische  Kunstfreund  kann  in  seinen  Gren- 
zen überhaupt  als  eine  Vollkommenheit  gelten. 

Wie  ist  es  nun  möglich  und  wie  erklärt  es  sich,  daß  bei  solchen 

1  The  Morning  Chronicle  v.   10.  März  '94. 

2  S.  Musical  Reminiscences,  containing  an  account  of  the  Italian  Opera  in 
England,  from  1773.  By  the  Earl  of  Mount  JSdgcumbe.  (4.  Aufl.  London  ISW.) 
p.  78  ff. 


Don  Oioyanni.    Oazzaniga  und  Mozart.  4t5 

Büttelii,  die  etwas  Vollendetes  und  Dauerndes  zu  yerhelBen  schienen, 
auch  der  glänzende  Anfang  von  1794  gleich  früheren  Versuchen  klag* 
lieh  verlief  und  über  kurz  oder  lang  in  allseitigem  Ruin  endete? 
Denn  die  folgenden  Jahrzehnte  gehören  su  den  ödesten  und  cer- 
ÜEthrensten  in  der  ganzen  neueren  englischen  Musik.  Und  wie  soll 
man  es  verstehen,  daß  hingegen  die  französische  Oper,  über  deren 
rohen  Gesang  Graf  Edgcumbe  mit  Recht  spottet,  sich  in  denselben 
Jahren  unter  allen  Gräueln  der  Revolution  von  Grund  aus  um- 
gestaltete, zu  einer  erstaunlichen  Produktion  gelangte  und  mit  Wer* 
ken,  die  noch  heute  lebensfähig  sind,  die  Theater  Europa's  beherrschte? 
—  Sicherlich  wirkten  mancherlei  Ursachen  zusammen;  doch  die 
Hauptursache  wird  gewesen  sein,  daß  die  künstlerischen  Faktoren 
in  Paris  eine  richtige,  in  London  aber  eine  verkehrte  Stellung  ein- 
nahmen. Denn  hier  war  das  Werk  der  Auffuhrung  wegen  da,  in 
Paris  und  an  allen  musikalisch  produktiven  Orten  Deutschlands  und 
Italiens  dagegen  die  Auffuhrung  des  Werkes  wegen,  wenigstens  so- 
weit, daß  dem  Werke  oder  der  Komposition  das  erste  Recht  gewahrt 
blieb.  In  London  war  die  Komposition  rechtlos  und  überhaupt  nur 
soweit  vorhanden,  als  sie  der  Aufführung  diente ;  deshalb  konnte  sich 
hier  kein  entwicklungsfähiges  musikalisches  Theater  bilden.  Die 
Londoner  Oper  war  und  blieb  Virtuosen -Oper,  welche  trotz  der 
großen  Opfer  vornehmer  Kunstfreunde  niemals  zu  eignem  Leben  und 
entsprechender  Selbständigkeit  gelangte,  weil  das  Ideal  dieser  Kunst- 
freunde nicht  auf  die  musikalische  Komposition  als  solche,  sondern 
lediglich  auf  Virtuosenleistung  und  Musikschwelgerei  gerichtet  war. 

Wäre  es  Da  Ponte  gelungen,  Mozart's  Komposition  des  Don 
Giovanni  statt  der  von  Gazzaniga  zur  Annahme  zu  bringen,  so  hätte 
sich  der  Erfolg  schwerlich  besser  gestaltet.  In  der  Wiener  Oper 
war  die  Oeschichte  noch  weiter  ausgesponnen,  also  auch  mühsamer 
einzuüben;  dabei  fehlten  populäre  Prunkpartien.  Um  aber  schöne 
Melodien  von  Sängern  mittleren  Ranges  vortn^en  zu  hören,  oder 
gar  solcher  Darsteller  wegen  den  Geist  angespannt  auf  das  vor- 
geführte Stück  zu  richten,  dazu  besuchte  der  englische  Musiken- 
thusiast seine  italienische  Oper  nicht.  War  es  schon  thöricht,  Gazzani- 
ga's  Werk  hier  jetzt  zu  geben,  so  würde  die  Aufführung  des  Mozar- 
tischen wohl  ein  noch  größerer  Fehlgriif  gewesen  sein.  Mit  den 
gegenwärtigen  Sängern  gefiel  höchstens  das  leicht  Eingängliche  und 
Bekannte,  am  wenigsten  aber  alles  was  vom  Herkömmlichen  abwich 
und  schwierig  zu  erfassen  war.  Konnte  Mozart  anfangs  nicht  ein- 
mal in  Wien  durchdringen,  wie  iii'ürde  er  hier  gefahren  sein! 

Nur  eine  einzige  Nummer  der  Wiener  Partitur  fand  Gnade  vor 
den  Augen  Federici's  und  Morelli's  und  kam  deshalb  in  ihr  Flick- 

1898.  28 


4t6  Friedrich  Chr^sander, 


werk.  Wenn  dies  bei  den  Ankündigungen  nicht  gesagt  wurde,  so 
beweist  es  nur/ daß  Mozart  als  Opemkomponist  noch  keine  europäische 
Popularität  erlangt  hatte.  I)as  Londoner  Textbuch  ist  eine  Merk- 
würdigkeit, und  das  Merkwürdigste  daran  ist  der  Titel  — : 

^  -  . 

n  Don  Giovanni,  a  Tragi- comic  Opera  in  one  Act. 
The  Müsic  by  Messrs.  Gazzaniga,  Sarti,  Federici  and 
Guglielmi.  The  Words  are  new,  by  L  da  poxtb,  poet  of 
this  Theatre,  except  those  that  are  not  marked  with  in- 
verted  Commas. 

Hiermit  ei^et  sich  also  Da  Ponte  ohne  weiteres  den  Text  an, 
»ausgenommen  diejenigen  Zeflen,  welche  nicht  mit  Anführungs- 
strichen bezeichnet  sind.«  Letztere,  betragen  insgesammt  8  Seiten; 
Da  Ponte's  ))neue«  Worte  fiiUen  dagegen  21  Seiten  und  entstehen 
hauptsächlich  dadurch,  daß  er  Bertati's  Recitative  umschreibt  und 
verkürzt.  In  welcher  Weise  .dies  geschieht,  möge  Donna  Anna  s  Er- 
zählung von  Don  Juan's  nächtlichem  Eindringen  bei  ihr  veran- 
schaulichen. Die  17  Zeilen  Bertati's,  {s.  S.  375}  sind  hier  auf  elf 
gebracht: 

D.  An.     Credo  che  aiate  toi;  s'aecosta,  e  tacito 
Fra  be  braccia  ml  stringe 
Mille  cose  mi  dice, 
Riconosco  alla  voce 

Che  k  un  traditor;  mi  scuoto:  ei  piü  mi  serra, 
Cerca  ma  in  van  di  profittar,  Fafferro, 
Lo  vo  scoprir,  la  Cameriera  chiamo, 
£i  Tuol  fuggir,  lo  seguo,  ai  gridi  miei 
Vaceorre  il  genitor,  e  l'assassino 
Per  compiere  Vorror  del  suo  delitto, 
Me  lo  stende  sugli  oechi  al  suol  trafitto.  (p.  6 

Bei  vielen  andern  Stellen  schließt  er  sich  noch  wörtlicher  an  den 
früheren  Text;  man  sieht  keinen  Grund  zu  Veränderungen,  die  oft 
nur  Verschlechterungen  sind,  und  erstaunt  über  die  Dreistigkeit, 
so  etwas  als  eignes  Produkt  in  Anspruch  zu  nehmen.  Die  nahe 
liegende  Vermuthung,  Da  Ponte  werde  so  viel  i^^e  möglich  seinen 
Wiener  Text  hier  eingeschmuggelt  haben,  erweist  sich  als  grundlos. 
Von  fünf  bedeutungslosen  Zeilen  in  Scena  7  abgesehen ,  erscheint 
■  derselbe  nur  einmal  —  bei  Pasquariello's  RegiBterarie ;  hier  steht  Da 
V  Ponte's  Text  von  Anfang  bis  zu  Ende,  woraus  von  selber  folgt,  dafi 
Mozart's  Musik  gewählt  Wurde. 

Die  Bevorzugung  dieser  Arie  Mozart's  hatte  zwei  Ursachen. 
Einmal  bildete  das  Stück  eine  abgeschlossene  Nummer,  welche  nicht 
in  einen  Zwiegedang  auslief,  wie  bei  Gazzaniga,  daher  dem  Sänger 
besonders  willkommen  sein  mußte ;  und  sodann  war  diese  Arie  in  ihrem 


Don  Giovanni.    Gazzaniga  und  Mozart  4t 7 

überragenden  musikalischen  Reichthüm  zugleich  so  durch  und  durch 
italienisch,  mehr  als  irgend  eine  der  ganzen  Mozartischen  Oper,  daß 
schon  daraus  der  Beifall  erklärt  wird,  welchen  sie  sofort  bei  italien- 
ischen Sängern  fand.  Auch  das  weltbekannte  Duett  »La  ci  darem 
la  mano«  und  Zerlina^s  JtBatti  batti«  würden  sich  bequem  in  das  Lon- 
doner Stück  eingefugt  haben  und  um  so  leichter,  sollte  man  denken, 
weil  Da  Ponte  an  beiden  Stellen  neue  Texte  für  andere  Gesänge  zu 
schreiben,  die  Versöhnungsscene  zwischen  dem  bäuerlichen  Braut- 
paare sogar  ganz  neu  zu  machen  hatte,  da  sie  bei  Bertati  fehlt. 
Aber  diese  süßen  Melodien  entbehren  eben  des  specifisch  Italienischen 
und  sind  überdies  weder  in  ihrem  Schlußtheile  so  effektvoll,  noch  in 
einer  einaktigen  Handlung  so  nothwendig,  wie  die  Registerarie,  die 
daher  als  das  erste  Stück  angesehen  werden  muß,  welches  aus  Mozart's 
Don  Giovanni  in  London  italienisch  gesungen  wurde. 

Da  Ponte  war  allerdings  durch  die  Praxis  der  Londoner  Thea- 
ter gezwungen,  mit  den  Texten  der  aufzuführenden  Stücke  rücksichts- 
los umzugehen ;  aber  nichts  entschuldigt  sein  Verfahren,  den  Namen 
des  wahren  Autors  zu  unterdrücken  und  dessen  Arbeit  sich  anzu- 
eignen. Nachdem  er  in  seinem  Wiener  Libretto  ein  Beispiel  durch- 
aus selbständiger  und  rechtmäßiger  Umbildung  gegeben  hatte ,  legte 
er  nun  hier  von  demselben  Werke  ein  anderes  vor,  welches  ledig- 
lich Ausbeutung  war  und  daher  als  Diebstahl  bezeichnet  werden 
muß.  Daß  ihn  hierbei  zum  Theil  persönliche  Rachsucht  leitete, 
werden  wir  im  folgenden  Abschnitt  sehen. 

.  •  >• 

Wien. 

Nut  einen  einzigen  ausländischen  Ort  gab  es,  wo  das  venezia- 
nische Stück  so  wie  es  war,  ein  natürliches  Verständniß  gefunden 
haben  würde,  und  eben  dieser  Ort  blieb  ihm  verschlössen.  Wäre 
nicht  ein  ganz  besonderes  Hindemiß  eingetreten,  so  würde  ohne 
Zweifel  gerade  Wien  die  erste  Aufführung  dieses  neuen  Don  Juan 
im  Auslande  veranstaltet  haben.  Nach  Wien  verbreitete  sich  die 
Kunde  von  dem  musikalischen  Ereigniß  des  Mose-Theaters  ebenso 
schneit  wie  in  Italien.  Damals  war  das  Theater  eine  Angelegenheit 
der  Höfe,  und  die  Berichte  der  Gesandten  über  neue  Aufführungen 
und  ihre  Erfolge  wurden  in  friedlichen  Zeiten  mit  größerer  Spannung 
erwartet,  ab  die  Relationen  über  politische  Angelegenheiten.  Gesandte 
erhielten  Aufträge  zur  Beschaffung  des  Opernpersonals,  spionirten  die 
Sänger  aus  und  engagirten  sie.  Schon  einige  Tage  nach  der  Auf- 
führung wird  Bertati's  Textbuch  in  Wien  gewesen  sein,  und  eine  der 
erstien  Kopien  der  Partitur  ging  unzweifelhaft  denselben  Weg.     Wir 

28» 


41g  Friedrieh  Chrysander, 


dürfen  als  sicher  annehmen,  daB  früh  im  Februar  1787  daa  geaanunte 
Material  sich  in  Wien  befand. 

Auf  deutschen,  ako  besonders  auf  österreidiischen  Boden  wurde 
die  italienische  Wandertruppe  yersetet,  und  für  dortige  Verhältniase 
suchte  sie  ein  wirkungsvolles  Spiel  extra  hersurichteu.  Es  lag  dem* 
nach  nahe  genug,  dieses  seltsame  Theaterstück  so  bald  wie  mög^ch 
dort  vorzuführen,  wo  es  durch  das  Vorspiel  gleichsam  schon  heimaths* 
berechtigt  gemacht  war.  Dichter  und  Komponist  werden  nach  der 
erfolgreichen  venezianischen  Aufführung  auch  mit  Sicherheit  auf 
Wien  gerechnet  haben.  Aber  merkwürdigerweise  sollte  ihr  Stuck 
gerade  hier  mcht  nur  eine  unüberschreitbare  Grenze,  sondern  su* 
gleich  die  allerschärfste  und  allein  richtige  Beurtheilung  finden. 

Das  j) Capriccio«,  so  bedeutend  und  unterhaltend  es  aucdi  an  sich 
ist,  konnte  doch  nicht  auf  die  Dauer  lebensfiUiig  sein.  Sobald  das 
Publikum  diesen  Don  Giovanni  zum  erklärten  Liebling  erhoben 
liatte,  war  dem  lustigen  Vorspiel  die  Pointe  und  damit  theatralisch 
die  Berechtigung  genommen.  Ein  anderes  Stück  vertrug  sich  noch 
weniger  damit.  Sollte  der  »steinerne  Gast a  dauernd  bestehen  bleiben, 
«0  mußte  er  ganz  allein  den  Abend  beherrschen.  Mit  andern  Worten: 
er  mußte  das  sein,  was  unser  Mozart  unter  Da  Ponte's  Beihülfe 
4ann  aus  ihm  gemacht  hat. 

Diese  Beiden  waren  es  also,  welche  das  venezianische  Produkt 
in  allen  seinen  Tugenden  und  Mängeln  klar  durchschauten  und  sich 
anschickten,  den  Gegenstand  von  Gnind  aus  neu  au&ubauen  m 
einer  Zeit  bereits,  wo  außer  ihnen  alle  Welt  bei  dem  neuen  Don 
Juan  nur  Lust  und  Grausen  empfand  und  Niemand  an  Kritik  dachte. 
Da  Ponte  und  Mozart  mußten  bald  bemerken,  daß  die  drei  männ- 
lichen Hauptpersonen  —  Don  Giovanni,  Pasquariello  und  Komthur 
—  bei  Bertati  und  Gazzaniga  wie  Säulen  standen,  an  denen  kaum 
zu  rütteln  war.  Anders  verhielt  es  sich  mit  den  weiblichen  Partien 
und  den  nebensächlichen  Scenen.  Bei  diesen  fand  man  leicht,  daß 
sie  sich  zum  Vortheil  des  Ganzen  besser  ordnen  oder  weiter  aus- 
bilden ließen,  und  dcunit  war  der  erforderliche  größere  Spielraum 
gewonnen. 

Was  bei  Da  Ponte  und  Mozart  zunächst  aus  theatralisch-ökono- 
mischen Gründen  Bedenken  erregt  haben  wird,  war  die  Au&tellung 
von  nicht  weniger  als  sechs  Sängern  neben  vier  Sängerinnen.  Der 
Ausweg  des  venezianischen  Spiels,  diese  zehn  Rollen  von  acht  Per* 
sonen  geben  zu  lassen,  konnte  ihnen  nichts  nutzen,  denn  sie  ver- 
fugten sowohl  in  Prag  wie  später  in  Wien  nur  über  sieben  Sänger. 
Weil  sie  aber  an  dem  Verfahren  der  Venezianer,  den  Komthur 
d^Oliola  und  den  Hauern  Biagio  abwechselnd  durch  densdben  Bassisten 


Don  Giovanni.    Oaszaniga  und  Mozait.  419 

singen  zu  lassen,  keinen  Anstoß  nahmen,  konnten  sie  ihr  Spiel  leicht 
so  richten,  daB  mit  sieben  Solisten  auszukommen  war. 

Zunächst  wurde  Lanterna^  der  Koch  oder  zweite  Hauptdiener 
Don  Juan's,  einfach  gestrichen.  Für  eine  standesgemäße  Besetzung 
war  das  freilich  kein  Gewinn,  denn  ein  so  vornehmer  Kavalier,  der 
sich  sogar  eine  Hauskapelle  hielt,  erschien  doch  etwas  ärmlich,  wenn 
ein  derartiges  Faktotum  nicht  im  Hause  sichtbar  wurde.  Von  einigem 
Nachtheil  war  dies  auch  für  Don  Juan's  Begleiter;  mußte  Leporello 
beim  Essen  lediglich  die  Teller  wechseln  und  Speisen  auftragen,  so 
büßte  er  damit  etwas  von  seinem  Charakter  als  xservo  confidente« 
ein.  Nicht  nur  an  Don  Juan's  Streichen,  sondern  unter  Umständen 
auch  an  seinen  Schmausereien  hat  ein  solcher  Vertrauensmann  theil. 
Pasquariello  ist  ein  gründlicher  Schmarotzer,  der  sich  einem  höher 
geborenen  Taugenichts  anschließt  und  von  diesem  alles  Mögliche  sich 
gefitUen  läßt,  um  das  schöne  flotte  Leben  mit  zu  genießen.  Beim 
Abendessen  geräth  ihm,  wie  dem  Leporello,  allerdings  auch  etwas 
heimlich  in  die  Kehle,  aber  nachdem  sein  Herr  ihn  dafür  auf  rohe 
Art  gehänselt  hat,  ladet  er  ihn  doch  ein,  mit  ihm  zu  speisen  sowie 
Toaste  auszubringen,  und  belohnt  dadurch  die  guten  Dienste  in  den 
letzten,  zum  Theil  recht  schmerigen  Affairen.  Pasquariello  hat  also 
offenbar  einen  besseren  Dienst,  als  sein  Kollege  Leporello,  was  aber 
nicht  der  Fall  sein  würde,  wenn  man  den  Lanterna  in  Wien  oder 
vielmehr  in  Prag  behalten  hätte.  Doch  sind  die  Nachtheile,  welche 
sich  daraus  ergeben,  nicht  erheblich. 

Neben  Lanterna  wurde  in  Wien  auch  eine  weibliche  Person  be- 
seitigt, Donna  Ximena,   und  dieser  Schnitt  griff  ungleich   tiefer 
in  das  Spiel  ein,  ja  er  war  es,  welcher  die  Neubildung  des  deutschen 
Don  Juan  hauptsächlich  bewirken  half.     Eine  gewisse  Einbuße  war 
auch  hiermit  verbunden,  weil  nun  nicht  mehr  gezeigt  werden  konnte, 
daß   dem  Verführer  die  Eroberungen  gleich   leicht  wurden,   ob   die 
Damen  adeliger  oder  bäuerlicher  Herkunft  waren.    Aber  dieser  Nach- 
theil wird  nicht  nur   aufgehoben,    sondern  in   Gewinn  verwandelt,  i 
wenn  man  erwägt  was  sich  daraus  gestaltete.     Donna  Ximena  ver-  h 
schwand    nicht   einfach,    Avie   Lanterna;   ihr  Part   ging   der  Stimme 
nach  an  Donna  Anna ,   der  Handlung  nach  an  Zerlina ,   zu   einem  ^ ; 
kleinen  Theile  auch   an   Donna  Elvira  über  und  erhob  ^ese   drei 
Frauen  dadurch  sämmtlich  zu  Hauptpersonen,  zu  bewundemswerthen 
Charaktergestalten. 

unter  ihnen  ragt  Donna  Anna  schon  äußerlich  hervor,  noch 
mehr  aber  durch  innere  Bedeutung.  Bei  Bertati  erscheint  sie  nur 
in  der  Eingangsscene  und  tritt  dann  so  vollständig  zurück,  daß  die- 
selbe Sängerin    die  Rolle    der  Maturina    übernehmen    konnte.     Bei 


420  Friedrich  Chrysander, 


Mozart  lYÜrde  die  Vertreterin  der  Donna  Anna  nicht  mehr  die 
Zerlina  singen  können,  auch  wenn  dies  scenisch  möglich  wäre,  so 
sehr  ist  die  Gestalt  von  Grund  aus  verändert.  Als  man  in  Wien 
den  Gedanken  faßte,  Donna  Ximena  aufisugeben  und  dafür  Donna 
Anna  an  dem  ganzen  Verlaufe  der  Handlung  zu  betheiligen,  war  der 
neue  Don  Juan  in  der  Hauptsache  fertig,  denn  alles  weitere  lieB 
sich  aus  diesem  Keime  entwickeln.  Es  stand  nun  eine  Don  Juan 
ebenbürtige  weibliche  Gestalt  da,  aber  im  vollen  Gegensatze  zu  ihm : 
zwei  Pole  waren  gefunden,  um  welche  sich  das  Ganze  bewegen 
konnte.  Wer  mag  der  Urheber  dieses  genialen  Gedankens  gewesen 
sein?  Ich  zweifle  nicht,  daß  Mozart  es  war.  Aus  dem  Bericht, 
welchen  Da  Ponte  der  Nachwelt  überliefert  hat,  läßt  sich  dies  freilich 
nicht  heraus  lesen.  Er  giebt  über  die  Entstehung  des  Don  Juan- 
Textes  folgende  Erzählung  zum  Besten. 

»Die  vorbenannten  Kapellmeister  Mozart,  Martini  und  Salieri  ver- 
langten von  mir  jeder  ein  Drama,  alle  drei  zu  gleicher  Zeit.  Ich  erwog, 
ob  ich  nicht  alle  drei  zu  gleicher  Zeit  zu  befriedigen  im  Stande  wäre,  und 
drei  Opern  auf  einmal  schreiben  könnte.  Salieri  forderte  von  mir  kein 
Original-Drama.  Er  hatte  in  Paris  die  Oper  Tarare  geschrieben,  woUte 
sie  sowohl  im  Charakter  wie  in  der  Musik  in  ein  italienisches  Stück  um- 
arbeiten und  verlangte  daher  von  mir  nur  eine  freie  Übertragung.  Mozart 
und  Martini  überließen  mir  ganz  die  Wahl  [Mozzart  e  Martini 
lasciavano  a  me  interamente  la  scelta) ;  i ch  wählte  für  j  enen  den  Don 
Juan,  der  ihm  außerordentlich  zusagte,  und  für  Martini  den 
»Baum  der  Diana«,  weil  ich  ihm  ein  angenehmes  Sujet  geben  wollte,  das 
für  seine  zarten  weichen  Melodien  passend  w&re,  die  man  nur  mit  der 
Seele  fühlen  kann  und  die  sehr  wenige  nachzuahmen  vermögen.  Nach- 
dem ich  diese  drei  Sujets  gefunden  hatte,  ging  ich  zum  Kaiser  [Joseph  U.], 
entdeckte  ihm  meine  Pläne  und  theilte  zugleich  meine  Absicht  mit,  alle 
drei  Opern  zu  gleicher  Zeit  zu  schreiben.  Sie  werden  nicht  damit  zu 
Stande  kommen,  antwortete  er.  Vielleicht  gelingt  es  mir  nicht,  erwiderte 
ich,  aber  ich  werde  es  versuchen.  Nachts  werde  ich  für  Mozart  schreiben, 
ich  werde  mir  denken,  ich  lese  die  Hölle  von  Dante ;  in  der  Frühe  für 
Martini,  und  meinen,  ich  studire  den  Petrarca ;  anCi  Abend  für  Salieri, 
und  mich  meines  Tasso  erinnern.  Er  fand  meine  Vergleiche  passend, 
und  als  ich  kaum  zu  Hause  angelangt  war,  fing  ich  an  zu  schreiben.  Ich 
setzte  mich  an  meinen  Schreibtisch  und  blieb  volle  zwölf  Stunden  daran 
sitzen.  Ein  Fläschchen  Tokayer  zur  Rechten,  in  der  Mitte  mein  Schreib- 
zeug und  eine  Dose  mit  Tabak  von  Sevilla  zu  meiner  Linken.  Ein  sehr 
schönes  sechszehnj ähriges  Mädchen,  die  ich  nur  gleich  einer  Tochter 
lieben  wollte,  aber  —  wohnte  in  meinem  Hause  mit  ihrer  Mutter,  besorgte 
die  häuslichen  Geschäfte  imd  kam  sogleich  in  mein  Zimmer,  wenn  ich 
die  Qlocke  schellte,  und  dieses,  in  Wahrheit,  geschah  sehr  oft,  besonders 
wenn  ich  merkte,  dass  mein  poetisches  Feuer  erkalten  wollte.  Sie  brachte 
mir  bald  einen  Zwieback,  bald  eine  Tasse  Kafiee,  bald  aber  auch  bloß 


Don  Giovanni.    Gazzäniga  und  Mozart.  421 


'  ihr  schönes  Qesichtchen,  das  immer  voll  Heiterkeit  und,  vöadem  freund- 
lichsten Lächeln  noch  verschönert,  ganz  geschaffen  war,  poetische  Ein- 
fälle zu  erwecken  und  sie  zu  beseelen.  Ich  blieb  auf  diese  Weise  alle 
Tage  zwölf  Stunden  bei  meiner  Arbeit  mit  ganz  kurzen  Unterbrechungen 
zwei  Monate  lang,  und  während  dieses  ganzen  Zeitraums  hielt  auch  sie 
sich  immer  im  Nebenzimmer  auf,  bald  mit  einem  Buch  in  der  Hand, 
bald  mit  Nähen  oder  Sticken  beschäftigt,  um  immer  bereit  zu  sein,  auf 
den  ersten  Glockenton  sogleich  bei  mir  erscheinen  zu  können.  Sie  setzte 
sich  auch  zuweilen  neben  mich,  ohne  sich  zu  bewegen,  ohne  den  Mund 
zu  öffnen  oder  nur  den  Blick  abzuwenden,  so  fest  betrachtete  sie  mich ; 
sie  lächelte  zärtlich,  seufzte  und  schien  manchmal  weinen  zu  wollen. 
Kurz,  dieses  Mädchen  war  meine  Ealliope,  während  ich  diese  drei  Opern 
schrieb,  und  sie  blieb  es  auch  in  der  Folge  bei  allen  Versen,  die  ich  noch 
während  voller  sechs  Jahre  dichtete.  Anfangs  erlaubte  ich  dergleichen 
Besuche  sehr  häufig ;  ich  mußte  aber  später  bitten,  dass  sie  seltener  statt- 
haben möchten,  weil  ich  zu  viele  Zeit  mit  ihren  Zärtlichkeits-  und  Liebes- 
bezeugungen vertändelte,  worin  sie  vollkommen  Meisterin  war.  Am 
ersten  Tag  aber  zwischen  Tokayer,  Tabak  von  Sevilla,  Kaffee,  dem  Qlöck- 
chen  und  der  jungen  Muse,  waren  die  ersten  zwei  Scenen  von  Don  Juan, 
zwei  andere  vom  j)Baum  der  Dianaa  und  mehr  als  die  Hälfte  des  ersten 
Aktes  vom  Tarare  (ein  Titel,  den  ich  in  »Azur,  König  von  Ormus«  ver- 
wandelt hatte)  fertig.  Am  andern  Morgen  brachte  ich  diese  Scenen  den 
drei  Komponisten,  die  kaum  möglich  glaubten,  was  sie  mit  ihren  eigenen 
Augen  sahen  und  lasen,  und  in  dreiundsechzig  Tagen  waren  die  ersten 
beiden  Opern  [Don  Juan  und  Baum  der  Diana]  ganz  fertig,  und  von  der 
dritten  hatte  ich  über  zwei  Dritttheüe  beendet.  »Der  Baum  der  Dianaa 
war  die  erste,  die  aufgeführt  wurde.  Sie  erfreute  sich  der  glücklichsten 
Aufnahme,  die  wenigstens  so  gut  war,  als  die  der  [ebenfalls  von  Da  Ponte 
gedichteten  und  von  Martini  komponirten]  }jCosa  rara«  ^.u 

In.  dieser  Erzählung  fehlt  das  Unterhaltende  nicht,  sie  ist  auch 
überaus  charakteristisch  für  den  Manu;  aber  eben  das,  was  wir  gern 
wissen  möchten,  hat  er  verschwiegen.  Zunächst  wäre  nöthig  den 
Zeitpunkt  zu  erfahren,  wann  die  drei  Komponisten  ihn  um  Text- 
bücher ersuchten,  denn  davon  hängt  es  ab,  seine  Versicherung,  nach 
welcher  Mozart  und  Martini  ihm  i)ganz  die  Wahl«  des  Stückes 
anheim  gaben ,  richtig  schätzen  zu  können.  Wir  nehmen  an ,  dies 
geschah  schon  im  Jahre  1786,  also  bevor  der  venezianische  Don  Juan 
zur  Welt  kam.  Denn  da  ich  beweisen  werde,  daß  Mozart  bereits  Gaz- 
zäniga's  Partitur  in  Händen  hatte,  als  er  an  die  Komposition  der 
ersten  Scene  ging,  so  wäre  es  absurd  anzunehmen,  er  sei  bei  dem 
Empfang  der  ersten  Verse  zugleich  mit  dem  Namen  des  betreffenden 
Stückes  überrascht  worden  und  habe  bei  dieser  Gelegenheit  erst  er- 


*  Memorie  di  Lorenzo  Da  Ponte ,  da  Ceneda.    Nuova-Yorca.  1829.    (3  Bde. 
kL  8.)  I,  parte  2,  pp.  99—101. 


422  Friedrich  ChrysAnderi 


fahren,  daß  ihm  ein  Don  Giovanni  sur  Komposition  bestimmt  war. 
Wenn  man  erwägt,  mit  welchem  eindringenden  Verständnis,  mit 
welcher  Lebhaftigkeit  und  Umsicht  Mozart  sich  um  textliche  An- 
gelegenheiten kümmerte,  so  ist  es  nicht  glaublich,  daß  er  jemals 
ohne  äußere  Nöthigung  einen  fertigen  Text  angenommen  oder  gar 
gewünscht  haben  sollte;  schlechterdings  unmöglich  aber  ist  es  hier, 
wo  es  sich  darum  handelte,  ein  fremdes  Stück  Schritt  vor  Schritt  zu 
ändern  und  zu  bessern.  Verlegen  wir  aber  die  Aufträge  an  Da 
Ponte  in  das  Jahr  1786,  so  läßt  sich  mit  seinen  Flunkereien  einiger- 
maßen zurecht  kommen. 

Daß  eine  längere  Zeit  zwischen  Auftrag  und  Ausführung  ver- 
strichen  sein  muß,  verräth  Da  Ponte  selber.  Er  erzählt,  ein  Ver- 
ehrer Martini's,  Baron  von  Lerchenheim,  habe  ihn  «halb  scherzend, 
halb  im  Ernst«  gefragt,  »wann  denn«  Martini  seine  Verse  bekommen 
werde  —  eine  Frage,  die  doch  schließen  läßt,  daß  der  Komponist 
schon  seit  einiger  Zeit  darauf  wartete.  Den  eingehenden  Bericht, 
welchen  Da  Ponte  über  Entstehung  und  Inhalt  der  Oper  »Der  Baum 
.der  Diana  t  liefert,  hat  er  uns  beim  Don  Juan  ohne  Zweifel  nur 
deshalb  vorenthalten,  weil  er  hier  die  Benutzung  Bertati's  und  da- 
mit die  Hauptsache  verheimlichen  wollte. 

Den  Text  der  beiden  ersten  Scenen  in  einem  Zuge  nieder  zu 
schreiben,  war  eben  kein  Wunderwerk,  denn  hier  konnte  der  Poet 
seinem  Vorgänger  fast  Zeile  um  Zeile  folgen.  Bei  der  dritten  Seene, 
mit  welcher  die  eigne  Arbeit  beginnen  mußte,  pausirte  er.  Diesen 
Anfang  mag  Da  Ponte  immerhin  auf  eigne  Hand  unternommen 
haben,  aber  jedenfalls  wußte  Mozart  darum.  Erst  von  der  dritten 
Scene  an  war  ein  neuer  Weg  zu  brechen,  bei  welchem  das  venezia- 
nische Buch  wohl  noch  viel  schätzbares  Material  liefern,  aber  nicht 
mehr  Führer  sein  konnte.  Auf  diese  neue  Bahn  gelangte  man 
hauptsächlich  durch  die  Umbildung  einer  einzigen  Gestalt,  der  Donna 
Anna. 

Die  Venezianer  hatten  dieselbe  unübertrefflich  eingeführt,  dann 
aber  im  Dunkel  des  Klosters  verschwinden  lassen.  Letzteres  ent- 
sprach an  sich  wohl  einer  Tochter,  welcher  der  Vater  so  plötzlich 
und  so  grausam  entrissen  wurde;  aber  diese  stille  Entsagung  paßte 
doch  nicht  recht  zu  der  energischen  Dame,  die  in  unbedachter 
Leidenschaftlichkeit  dem  Verführer  sogar  auf  die  Straße  folgte,  um 
ihn  zur  Bestrafung  zu  bringen.  Von  einer  solchen  Person  war  zu 
erwarten,  daß  sie  jetzt  auch  das  Werk  der  Bache  persönlich  be- 
treiben werde:  wenigstens  konnte  man  dieses  für  ein  auf  zwei  Akte 
erweitertes  Spiel  hinzu  dichten,  ohne  dem  Charakter  Gewalt  anzuthun. 
Die  Wiener  folgten  daher  nur  einem   ganz  natürlichen  dramatisch- 


Don  Giovanni.    Gazzaniga  und  Mozart.  423 

musikalischen  Gebote,  indem  sie  ihre  Donna  Anna  an  allen  Phasen 
der  Handlimg  theilnehmen  ließen.  Aber  wer  konnte  hieraufkommen? 
Doch  nur  der  Musiker.  Dem  Poeten  müßte  es  näher  gelegen  haben, 
die  nöthige  Breite  für  swei  Akte  mehr  durch  Aufstellung  neuer 
Büder,  als  durch  Erweiterung  der  rorhandenen  Vorgänge  zu  ge- 
winnen. Man  versetze  sich  dagegen  in  die  Lage  des  Komponisten. 
Wenn  er  den  hoch  leidenschaftlichen  Ton  der  beiden  ersten  Scenen, 
welchen  er  schon  bei  seinem  Vorgänger  angeschlagen  fand,  noch 
vertiefte;  wie  geschehen  ist,  und  dann  an  die  dritte  Scene  gelangte, 
wo  Donna  Anna  ihren  ermordeten  Vater  erblickt,  so  mußte  es  ihm 
schlechterdings  unmöglich  sein,  die  natürliche  Steigerung  der  Leiden- 
schaft zu  unterdrücken  und  der  Tochter  darauf  für  immer  das  Wort 
zu  entziehen.  Dies  wird  Mozart,  wenn  nicht  früher,  dann  geltend 
gemacht  haben,  als  er  die  beiden  ersten  Scenen  in  der  Hand  hatte 
und  es  sich  um  diejenige  Fortsetzung  handelte ,  von  welcher  das 
Schicksal  des  ganzen  Werkes  abhing.  Wenn  nun  hierin,  wiä  wir 
annehmen,  der  Musiker  das  entscheidende  Wort  sprach,  so  darf  man 
sich  auch  nicht  wundern,  daß  Donna  Anna  ein  Charakter  von  her- 
vorragend musikalischem  Grehalte  geworden  ist. 

Die  Bedeutung  dieser  Persönlichkeit  in  Mozart's  Werk  ist  so 
groß,  daß  sie  schwerlich  überschätzt  werden  kann.  Wohl  aber  liegt 
die  Gefahr  einer  falschen  Schätzung  nahe,  und  diese  Gefahr  er- 
klärt sich  aus  der  Art  wie  der  Wiener  Opemtext  entstand.  In  ein 
fertiges  Stück  hinein  zu  arbeiten,  ist  immer  eine  mißliche  Sache. 
Wenn  es  auch,  wie  hier,  noch  so  vorzüglich  gelingt,  bleibt  doch 
manches  nach,  was  nicht  ganz  in  das  neue  Facit  aufgehen  will. 
Diese  Wahrnehmung  macht  man  oft,  wenn  ein  Autor  seine  eignen 
Werke  später  umarbeitet,  und  nicht  minder,  wenn  die  Umbildung 
sich  auf  fremde  Arbeiten  bezieht.  Die  ersten  Entwürfe  sind  immer 
aus  dem  Vollen  gearbeitet,  da  ihnen  der  Stoff  als  Ganzes  noch  un- 
gestaltet vorliegt;  wie  unvollkommen  sie  auch  in  der  Ausführung 
sein  mögen,  so  beeinflussen  und  beengen  sie  doch  mehr  oder  weniger 
jede  Weiterbildung,  die  auf  diesem  Wege  erfolgt.  Die  erste  Ge- 
staltung ist  dem  Kleide  zu  vergleichen,  welches  aus  einem  Stück  ge- 
schnitten wurde.  Nimmt  man  dann  später  Einfügungen  oder  Er- 
weiterungen vor,  so  wird  sich  auch  bei  der  feinsten  Arbeit  das 
Flickwerk  nicht  ganz  vermeiden  lassen.  Wenn  man  dies  berück- 
sichtigt, dann  ist  die  auffallende  Thatsache  erklärt,  wie  Donna  Anna 
trotz  ihrer  Stellung  als  weibliche  Hauptgestalt  doch  in  dem  Werke, 
von  den  ersten  Scenen  abgesehen,  fast  nur  episodisch  zur  Geltung 
kommen  kann.  Mit  der  musikalischen  Ausgestaltung,  die  sie  er- 
fahren hat,  deckt  sich  ihre  Bedeutung  völlig,   nicht   aber  mit  der 


424  Friedrich  Chrysander, 


dramatischen.  Hierin  liegt  ein  neuer  Beweis ,  daß  es  der  Musiker 
war,  welcher  diese  Gestalt  von  Anfang  an  in  die  Hand  nahm.  Zu- 
gleich aber  läßt  sich  jetzt  verstehen,  wie  im  Laufe  der  Zeit  immer 
neue  Versuche  auftauchen  konnten,  diese  außerordentlich  anziehende 
Erscheinung  psychologisch  weiter  zu  ergründen  und  dadurch  Einheit 
und  Klarheit  in  ihren  Charakter  zu  bringen.  Daß  das  meiste  daTon 
als  romantischer  Auswuchs  zu  betrachten  ist,  lehrt  zwar  schon  ein 
unbefangener  Anblick  des  Mozartischen  Werkes:  aber  wir  erüediren 
aus  demselben  nicht,  wo  die  Quelle  dieser  Irrthümer  zu  suchen  ist, 
wir  werden  nicht  gewahr,  daß  sie  in  dem  deutschen  Werke  selber 
liegt,  daß  letzteres  unausgeglichene  Partien,  Lücken  und  Spalten  be- 
sitzt ,  in  welchen  die  Erklärer  ihre  Eier  ausbrüten  können.  Die  Art 
der  Entstehung  des  deutschen  Don  Juan  verbreitet  nun  über  alles 
dieses  ein  helles  Licht.  Aus  dem  venezianischen  Buche  erwächst 
uns  der  unschätzbare  Gewinn,  die  Gestalt  der  Donna  Anna  in  ihren 
einfachsten  Zügen  erblicken  zu  können.  Niemand  wird  das  Bedürfhiß 
empfinden,  in  Gazzaniga's  Donna  Anna  etwas  hinein  zu  deuten;  es 
ist  eine  ganz  klare  Erscheinung.  Nun,  die  weibliche  Hauptperson 
in  Mozart's  Oper  sollte  nichts  anderes  sein;  sie  ist  größer  und  tiefer 
gezeichnet,  ihr  Charakter  ist  musikalisch  bewundernswerth  ausge- 
prägt, aber  in  keinem  Zuge  geändert. 

Sehr  merkwürdig  ist  es  nun,  wie  wenig  die  Wiener  Oper  bei 
dieser  Gestalt  von  Seiten  der  Handlung  hinzuthun  konnte,  obwohl 
Donna  Anna  statt  an  drei  Scenen  nunmehr  an  dem  ganzen  Werke 
betheil^t  war  und  musikalisch  eine  gänzliche  Neuschöpfung  erlebte. 
Die  Erzählung  des  nächtlichen  Überfalles  mit  der  Erkennung  Don 
«  Juan's  zu  verbindeu :  dieser  geniale  Zug  war  und  blieb  das  Einzige, 
was  als  wirklich  neu  aus  dem  Innern  des  Charakters  hervor  geholt 
werden  konnte.  Die  Bedeutung  desselben  ist  allerdings  die  denkbar 
größte,  denn  hiermit  war  jener  mittelpunktliche  Gipfel  erreicht,  nach 
welchem  die  Höhe  des  neuen  Kunstwerkes  zu  bemessen  ist.  Im 
weiteren  Verlaufe  konnte  Donna  Anna  wenig  mehr  thun;  dadurch 
daß  sie  Arm  in  Arm  ihren  Octavio  begleitet,  macht  sie  diesen  nicht 
kampffähiger.  Ihrem  Charakter  entsprach  es  sehr  wohl,  die  Bache, 
die  Verfolgung  selber  in  die  Hand  zu  nehmen.  Sollte  das  nun  in 
Wirklichkeit  geschehen,  so  hätten  Scenen  beschafft  werden  müssen, 
in  denen  die  Tochter  des  Komthurs  mit  dem  Dolche  oder  Degen  in 
der  Hand  herum  fuchtelt.  Ein  Modemer  würde  sich  diesen  Effekt 
nicht  entgehen  lassen.  Soweit  wollten  sich  aber  die  Wiener  nicht 
vor  wagen ,  und  wir  haben  Ursache  ihnen  dafür  dankbar  zu  sein. 
Wie  man  sieht,  war  es  fast  überall  das  venezianische  Spiel,  •  welches 
ihre  Schritte  lenkte  und  ihnen  die  Grenzen  steckte. 


Don  Giovanni.    Oazzaniga  und  Mozart.  425 


Donna  Elvira  ist  von  den  Wienern  mehrfach  in>andere  Lagen 
versetzt,  aber  in  ihrem  Charakter  ganz  unverändert  gelassen.  In 
beiden  Stücken  ist  sie  für  Don  Juan  diejenige  Person,  welche  ihm 
überall  Unglück  bringt  und  keinen  seiner  Streiche  mehr  gelingen 
läßt;  in  beiden  büßt  sie  dafür,  daß  sie  dem  Manne  auf  die  Straße 
nachläuft,  ihre  Würde  ein  und  wird  von  Gazzaniga  zu  einem  Zank- 
duett mit  Maturina  (Zerlina),  von  Mozart  zu  der  Mondschein- Wan- 
derung mit  Leporello  erniedrigt;  aber  auch  in  beiden  erhebt  und 
läutert  sie  sich  wieder  durch  ihren  letzten  Mahnruf  an  den  früheren 
Geliebten. 

Daß  in  der  Kunst  die  reife  Ausbildung  einer  einzigen  Gestalt 
ungleich  mehr  bedeutet,  als  das  flache  Skizzenwerk  einer  Vielheit 
von  Personen,  sieht  man  wieder  an  Mozart's  Zerlina,  welcher  der 
Löwenantheil  von  Ximenens  Partie  zufiel,  so  daß  sie  als  eine  Ver- 
einigung der  beiden  venezianischen  Geliebten  Ximena  und  Matuiina 
angesehen  werden  muß.  Der  Liebreiz,  welchen  diese  Gestalt  durch 
die  veredelnde  Hand  Mozart's  erhalten  hat,  ist  ein  außerordentlicher. 
Im  Vergleich  damit  erscheint  die  venezianische  Maturina  bäurisch 
roh  und  gefühllos.  Es  würde  aber  ungerecht  sein,  mit  dieser  ab- 
schätzenden Vergleichung  sich  zu  begnügen,  man  muß  vielmehr 
hervorheben,  daß  Bertati  und  Gazzaniga  eine  Bauembraut  wie.Zer- 
lina  in  ihrem  Spiel  gar  nicht  gebrauchen  konnten,  da  es  bei  ihnen 
auf  bunte  Vorgänge  im  Sinne  der  opera  buffa  abgesehen  war  und 
Alles  in  Einem  Akt  erledigt  werden  mußte.  Also  stehen  sich  hier 
nicht  etwa  Stümperei  und  Meisterschaft  gegenüber,  sondern  viel- 
mehr zwei  verschiedene  dramatische  Zwecke  und  demnach  auch  zwei 
verschiedene  Ausführungen,  die  beide  ihre  Berechtigung  haben. 

Dabei  bleibt  die  Leistung  Da  Ponte's  und  Mozart's  in  ihrem 
vollen  Werthe  bestehen.  In  der  That  war  diese  weitere  Ausgestal- 
tung und  Veredlung  des  bäuerlichen  Verhältnisses  der  zweite  glück- 
liche Griff,  der  ihnen  gelang,  der  zweite  neue  Grundstein,  auf 
welchen  sie  ihren  herrlichen  Bau  stellten.  Und  das  Verdienst  hier- 
von wollen  wir  gern  Beiden  vereint  zuschreiben,  denn  ohne  Da 
Ponte's  Findigkeit  in  Bühnensachen  hätte  Mozart  hier  wenig  aus- 
richten können. 

Mit  Zerlina  ist  auch  Masetto  erhoben.  Sein  Vorgänger  Biagio 
bleibt  weit  hinter  ihm  zurück,  erscheint  überhaupt  nur  ein  einziges 
Mal  auf  dem  Schauplatze,  um  zu  erfahren,  wie  seine  Maturina  ihn 
schmählich  verläßt  und  zugiebt,  daß  Don  Juan  ihn  mit  Prügeln  ver- 
treibt. Diese  Scene  ist  theatralisch  geschickter  angelegt,  als  die  ent- 
sprechende bei  Da  Ponte;  natürlich  konnte  man  sie  in  Wien  nicht 
in   solcher  Derbheit  gebrauchen^  denn  Mozart  mußte  ohnehin  schon 


426  Friedrich  Chrysander, 


den  vollen  Zauber  seiner  Musik  durch  die  kleine  Hexe  wirken 
lassen,  um  nicht  nur  bei  Masetto»  sondern  auch  beim  Publikum  das 
Vorgefallene  in  Vergessenheit  zu  bringen.  Zwischen  Biagio  und 
Maturina  eine  Aussölmung  su  bewirken,  fehlte  der  zwingende  Grund 
und  in  einem  Einakter  auch  der  Baum;  Biagio  trat  nach  der  einen 
Scene  ganz  aus  dem  Spiel,  und  so  erblicken  wir  ihn  denn  auch  nicht 
mehr  in  der  heiteren  SchluBversammlung  aller  Interessenten,  mit 
welcher  das  yenezianische  Stück  endet.  Im  Londoner  Texte  bringt 
Da  Ponte  eine  Versöhnung  zwischen  dem  bäuerlichen  Paare  zu 
Stande,  nachdem  Don  Juan  von  Don  Octavio  und  den  Frauen  ent- 
larvt war.     Für  die  Sache  ist  nichts  damit  gewonnen. 

Don  Octayio  ist  in  beiden  Opern  derselbe,  nur  hat  er  in 
dem  Wiener  Stücke  erheblich  mehr  zu  thun,  weil  er  durcli  zwei 
Akte  gehen  muß.  Bei  einer  Vergleichung  gewinnt  die  einfache  und 
kurze  venezianische  Fassung,  denn  erst  in  der  Wiener  erscheint  Don 
Octavio  trotz  seiner  erweiterten  Thätigkeit  als  ein  Passivum,  weil 
ihm  nirgends  Gelegenheit  geboten  ist,  die  von  der  Braut  im  Schwur 
empfeingene  Mission  wie  ein  Mann  zu  erfüllen.  Den  Eindruck  von 
einer  passiven  Natur  empfangt  jeder  Hörer  so  unwillkürlich,  daß  die 
Bechtfertigungen  der  Ausleger  nichts  dagegen  vermögen.  Jahn  meint 
denn  auch:  »Don  Ottavio  ist  nicht  ohne  Schuld  des  Libretto  einem 
ungünstigen  Vorurtheil  verfallen.,  das  kaum  völlig  zu  überwinden 
sein  wird«^.  Wir  wissen  aber  jetzt,  daß  hier  nicht  einfach  ein  Ver- 
greifen des  Librettisten  vorlag,  sondern  daß  die  Hauptursache  in  der 
venezianischen  Vorlage  zu  suchen  ist,  deren  Kreis  man  weder  zu 
durchbrechen  noch  bei  Don  Octavio  wesentlich  reicher  zu  füllen 
vermochte.  Auch  von  ihm  gilt,  was  bereits  vorhin  von  Donna  Anna 
bemerkt  wurde,  daß  nach  den  ersten  Scenen  die  Mitwirkung  mehr 
die  einer  singenden  als  die  einer  handelnden  Persönlichkeit  ist.  Der 
Komponist  dürfte  daher  auch  hier  wieder  seine  Hand  besonders  im 
Spiele  gehabt  haben. 

Der  Komthur  ist  von  allen  Personen  am  wenigsten  verändert, 
sowohl  im  lebenden  wie  im  versteinerten  Zustande.  Die  Abwei* 
chungen,  welche  vorhanden  sind,  ergeben  sich  lediglich  aus  der  ver- 
schiedenartigen musikalischen  Behandlung.  Beide  Spiele  stellen  ihn 
als  eine  Persönlichkeit  hin,  die  in  ihrer  aufbrausenden  Heftigkeit 
unbedacht  genug  war,  mit  einem  frechen  jungen  Eindringling  im 
Dunkeln  zu  kämpfen.  Er  und  seine  Tochter  sind  von  gleichem 
Charakter;  sie  begehen  denselben  Fehler,  der  so  verhängnißvoU  für 
sie  wurde. 


1  Jahn.  Mozart  II,  376. 


Don  Giovanni.     Oaszaniga  und  Mozart.  427 

Don  Giovanni  ist  in  Wien  innerlich  genau  derselbe  geblieben, 
der  er  in  Venedig  war.  Man  kann  daher  seinen  Charakter  aus  der 
T-enesianischen  Oper  vollständig  abzeichnen.  Nicht  ein  einziger  Zug, 
der  das  Bild  wesentlich  anders  gestaltete,  ist  von  Wien  aus  hin- 
zugekommen, so  erweitert  und  verändert  hier  auch  die  Vorgänge 
sind.  Für  die  Beurtheilung  dieses  Opernhelden  gewinnen  wir  da-^ 
durch  einen  Maßstab,  der  alle  Uebertreibungen,  mit  denen  dieser 
Charakter  zum  Theil  in  abenteuerlicher  Weise  bedacht  ist,  fernerhin 
unmöglich  machen  wird.  Nur  ist  im  Auge  zu  behalten,  daB  in 
Venedig  die  Absicht  natürlich  weit  mehr  auf  eine  echt  italienische 
opera  buffa  gerichtet  war,  als  in  Wien.  Daher  erscheint  Gazzaniga's 
Don  Juan  als  der  rohere  von  beiden.  Außerdem  mußte  die  Hand- 
lung in  Venedig  so  geführt  werden  und  ist  in  der  That  sehr  ge- 
schickt so  gefuhrt,  daß  der  Geselle  den  Zuhörern  schon  mit  Einem 
Akte  für  die  Holle  reif  schien.  Wenn  die  Wiener  Fassung  erheb- 
liche Abweichungen  zu  ergeben  scheint,  so  liegt  die  Ursache oiicht 
darin,  daß  dieser  Persönlichkeit  hier  ein  edlerer  Charakter  beigelegt 
ist,  sondern  lediglich  darin,  daß  sie  mit  edleren  künstlerischen 
Mitteln  ausgeprägt  wurde,  wobei  aber  der  Ausdruck  zum  Theil  un- 
bestimmter und  unklarer,  also  auch  mehrdeutiger  geworden  ist. 
Letzteres  gilt  sowohl  von  der  zweiten  wie  von  der  vorletzten  Scene. 
Alles  weitere  ist  bei  der  Musik  zu  besprechen. 

Ich  schließe  diese  Uebersicht  der  handelnden  Personen  mit  dem- 
jenigen Patron,  welcher  in  beiden  Opern  das  erste  und  das  letzte 
Wort  hat,  hier  als  Pasquariello,  dort  als  Leporello,  und  wel- 
cher gewissermaßen  die  Hauptperson,  wenigstens  die  Hauptwürze 
beider  Spiele  ist.  Das  Erste,  was  bei  einer  Durchsicht  des  venezia- 
nischen Stückes  in  die  Augen  fällt,  ist  die  Gleichheit  der  Züge  von 
Pasquariello  und  Leporello.  So  stereotyp  ist  die  Figur,  daß  alle  neuen 
Scenen,  die  Da  Ponte  für  seinen  Leporello  ersann,  nichts  als  ein- 
fache Ausdeutungen  dessen  sind,  was  bereits  im  Pasquariello  gegeben 
war.  Zugleich  haben  wir  in  dieser  Person  den  einzigen  unver- 
fälschten Italiener  vor  uns,  welchen  die  Oper  Don  Giovanni  enthält. 

Das  Resultat  aus  dem  Vorstehenden  ist  leicht  zu  ziehen.  Wie 
sehr  nicht  nur  sämmtliche  handelnde  Personen,  sondern  auch  die 
Vorgänge  im  Großen  und  Ganzen  selbst  da  in  dem  venezianischen 
Rahmen  sich  bewegen,  wo  sie  eine  durchaus  abweichende  Be- 
handlung erfahren  haben,  ersieht  man  nirgends  deutlicher,  als  an 
dem  Schlüsse  beider  Stücke.  Die  tolle  Scene,  welche  Bertati  auf 
Don  Juan's  Untergang  folgen  läßt,  wird  in  Wien  von  Anfang  an  ab- 
gelehnt sein.  Aber  trotz  dieser  richtigen  Kritik  stand  man  so  gänz- 
lich im  Bann  des  Vorgängers,  daß  man  nach  der  HöUenscene  eben- 


428  Friedrich  Chrysander, 


falls  einen  freundlichen  Abschluß  für  nöthig  hielt.  Hierdurch  wird 
die  be&emdliche  Thateache  er^t  vers^tändlich,  wie  Mozart  dazu  kam. 
seinem  Werke  einen  Schluß  zu  geben,  den  die  Praxis  als  einen 
handgreiflichen  Irrthum  sofort  beseitigte,  freilich  nicht,  ohne  immer 
aufs  neue  wieder  das  Verlangen  nach  einem  harmonischexen  Ab- 
schlüsse hervor  zu  rufen  und  mit  allerlei  Besserungsversuchen  zu- 
gleich eine  irreleitende  Mehrdeutigkeit  zu  veranlassen.  Auch  der 
veneziajiische  Schluß  war  ein  Irrthum,  was  die  Theater  bald  heraus 
&nden.  . 

So  haben  denn  die  Wiener  ihren  Vorgängern  das  gesammte 
Personal  in  fest  umschriebenen  Charakteren  entlehnt  und  von  der 
ganzen  Handlung  alle  Hauptschritte  nachgemacht,  selbst  die  irrigen. 
Trotzdem  schlugen  sie  hiermit  im  Ganzen  den  richtigen,  ja  den 
einzigen  Weg  einj,  auf  welchem  ein  solches  Werk  entstehen  konnte. 
Dies  ist  ihre  Rechtfertigung.  Auf  jedem  andern  Wege  wäre  ihnen 
die  Hauptsache,  nämlich  der  durch  und  durch  musikalische  Cha- 
rakter des  ganzen  Spiels,  verloren  gegangen.  Was  Venedig  ihnen 
bot,  lebte  und  webte  in  Musik,  es  bedurfte  nur  einer  noch  tiefer 
gehenden  Gestaltung,  um  dies  alles  an's  Licht  zu  bringen. 

Gleichsam-  als  sollten  Alle,  die  noch  zweifeln  möchten,  daß  der 
Opet  Bertati's  und  Gazzaniga  s  wirklich  ein  so  großes  und  eigen- 
thümliches  Verdienst  zukommt,  von  vorne  herein  eines  besseren  be- 
lehrt werden,  erschien  in  denselben  Tagen  zu  Venedig  noch  eine 
zweite  Oper,  welche  die  Geschichte  Don  Juan's  zum  Gegenstand  hat: 

II  nuovo  Convitato  di  Pietra.  /Dramma  Tragicomico 

da   rappresentarsi   nel  Nobile   Teatro    di   San   Samuele  il 

Camovale  delV  anno  MDCCLXXXVIl.  [1787.]    In  Venezia. 

MDCCLXXXVII.    Appresso  Modesto  Fenzo,  con  le  debite 

permissioni.  (64  Seiten  kl.  8.) 
Dies  ist  der  Titel  des  Textbuches,  welches  den  Dichter  verschweigt 
und  nur  den  Komponisten  nennt:  »La  Milfica  del  celebre  Sig. 
Maeftro  Francefco  Gardia.  Die  Partitur  davon  befindet  sich  im 
Liceo  musicale  zu  Bologna.  Es  ist  sicher,- daß  dieses  Stück  zur 
Aufführung  kam.  Die  Bezeichnung  desselben  als  »il  nuovo  Con- 
vitato« kann  doch  nur  so  erklärt  werden,  daß  beide  Opern  gleich- 
zeitig und  unabhängig  von  einander  vorbereitet  wurden,  die  des 
Moisä-Theaters  aber  zuerst  heraus  kam,  in  bekannter  Weise  ein- 
schlug und  nun  die  Gesellschaft  von  San  Samuele  veranlaßte^  zur 
Anlockung  des  Publikums  >  ihren  steinernen  Grast  als  den  »neuen* 
auszurufen.  Hierin  hätten  wir  einen  weiteren  Beweis  des  unge- 
heuren Erfolges,  welcher  der  Oper  Gazzaniga's  von  Anfang  an  zu 
Theil  wurde. 


Don  Giovanni.     Oazzaniga  und  Mozart.  429 

Die  Konkarrenz-Oper  Gardi's  besteht  aus  zwei  großen  Akten 
nebst  Zwischentänzen,  füllt  also  den  ganzen  Abend.  Es  treten  in 
<)er8elbcn  neun  Personen  auf: 

der  Komthur,  aber  nur  als  Statue; 

seine  Tochter  Donna  Anna; 

die  neapolitanische  Prinzessin  Donna  Isabella; 

der  Neapolitaner  Don  Juan  Tenorio; 

sein  Secretär  Don  Masone; 

sein  Diener  Zuccasecca;  - . 

die  Fischerin  Tisbea; 

die  Wirthin  Donna  Betta,  —  und 

Comino,  der  Diener  der  Donna  Isabella. 

Im  Wirthshause  der  Donna  Betta  bei  Sevilla^  in  dessen  Nähe  und 
auf  dem  Kirchhofe  geht  die  Handlung  vor  sich.  Donna  Isabella  hat 
einigermaßen  die  Rolle  der  Elvira,  die  übrigen  Personen  sind  ganz 
entstellt.  Die  Vier  Frauenzimmer  treten  von  Anfang  an  als  diuch 
Don  Juan  verführt  auf.  Er  hat  ihnen  die  Ehe  versprochen;  eifer- 
süchtig auf  einander,  drängen  sie  ^ihn  nun  zur  Heirath.  Unter  ihnen 
hat  Donna  Anna  das  stärkste  Gewicht,  weil  sie  droht,  im  Falle  der 
^ichtheirath  nach  Sevilla  zu  gehen  und  den  säubern  Bräutigam  bei 
den  Gerichten  als  denjenigen  zu  denunciren, .  der  ihren  Vater  er- 
stochen hat: 

Ma  saprö  vendicarmi.    Andrö  ä  Seviglia, 

Dirö  com'  egli  il  Oenitor  m'uccise, 

Come  con  lui  mi  trasse, 

£  come  . . .  Ma  non  posso  etc.,       (A.  I,  Sq.  1.) 

Der  Komthur  ist  hier  bereits  zu* Anfang  des  Spiels  eine  Statue;  seine 
Tochter  treibt  sich  in  dem  ganzen  Stücke  unter  den  übrigen  Per- 
sonen herum,  als  ob  nichts  vorgefallen  wäre.  In  der  10.  Scene  des 
ersten  Aktes  wird  die  Statue  zum  Abendessen  geladen,  ein  Vorgang 
•der  in  allen  Don  Juan-Stücken  so  ziemlich  derselbe  war.  In  der 
SchluBscene  dieses  Aktes  stellt  sich  nun  der  Komthur  ein,  tritt  unter 
die  Gesellschaft,  setzt  sich  sogar  zu  Tische,  findet  hier  auch  sein 
holdes  Töchterlein,  sagt  aber  doch,  als  sie  beschämt  eine  Entschul- 
digung stammelt: 

No  padre  tuo  non  bodo 

Ya  scostati  da  me.        (I,  17.) 

»Ich  bin  nicht  mehr  dein  Vater  —  geh,  entferne  dich  von  -  mir  1« 
2tim  Tröste  Aller  erhebt  er  sich  endlich,  ladet  den  Gastgeber  nun 
zu  seinem  Mahl,  was  dieser  annimmt,  und  geht  wieder  von  dannen. 
J)arauf  erblicken  wir  in  dem  Finale  des  letzten  Aktes  abermals  den 


430  Friedrich  Chrysander, 


Kirchhof,  aber  diesmal  die  Statue  nicht  auf  dem  Pferde,  sondern  da- 
neben an  einem  Tische,  den  Gast  erwartend.  Dieser  kommt  auch, 
doch  nicht  allein,  sondern  in  großer  Gesellschaft,  mit  denselben  sechs 
Personen^  die  der  Komthur  früher  hei  dem  Wüstling  traf,  unter 
ihnen  Töchterchen  Anna.  Nach  Aufforderung  reicht  Don  Juan  ihm 
die  Hand,  will  aber  nicht  bereuen,  worauf  die  Statue  yerschwindet 
»die  Erde  öffnet  sich  und  Don  Juan  stürzt  in  die  Hölle  hinab  mitten 
unter  die  Furien  (s'apre  la  terra,  e  Don  Giovanni  piomba  all'  in- 
ferno  in  mezzo  alle  furie.)«,  während  die  Ueberbleibenden  das  Finale 
siebenstimmig  zu  Ende  singen. 

Gardi's  Oper  endet  also  mit  Don  Juan's  Höllenfahrt.  Hatte  das 
Stück  überhaupt  eine  Wirkung  auf  die  Zeit,  so  mag  es  die  Theater 
veranlaßt  haben,  Gazzaniga's  Oper  ebenso  zu  schließen.  Daß  man 
auch  diesen  »neuen«  Gast  alsbald  in  Wien  kennen  lernte,  ist  nicht 
zu  bezweifeln,  es  findet  sich  aber  keine  Spur  von  irgendwelcher  Rück- 
sichtnahme auf  denselben,  was  auch  erklärlich  ist,  denn  verglichen 
mit  dem  andern  Werke  mußte  er  ihnen  wirklich  als  zu  dumm  erscheinen. 
Auf  einen  angemesseneren  Schluß  hätte  Gardi's  Oper  die  Wiener 
immerhin  fuhren  können  und  würde  sie  auch  vielleicht  geführt  haben, 
wenn  Mozart  und  sein  Dichter  ihrem  zweiten  Akte  dieselbe  einheitlich 
fortschreitende  Gestaltung  und  sorgfältige  Ausarbeitung  hätten  an- 
gedeihen  lassen,  wie  dem  ersten.  Im  übrigen  war  an  dem  »neuem 
Gast  alles  schlecht  und  gemein.  Sind  bei  Gazzaniga  und  noch 
weit  mehr  bei  Mozart  die  Gestalten  durch  die  künstlerische  Behand- 
lung gehoben  und  veredelt,  so  bemerkt  man  dagegen  in  Gardi's  Oper 
nichts  als  die  Kunst,  selbst  das  ursprünglich  Edle  mit  in  den  allge- 
meinen Schmutz  hinab  zu  ziehen.  Hier  haben  wir  also  wieder  das 
alte  rohe  Pöbelstück,  frisch  Yon  der  Straße  angegriffen.  Es  ist  vor- 
theilhaft,  daß  ein  solches  Beispiel  jetzt  vorliegt;  wir  können  nun  die 
Leistung  der  Männer  des  Mosd-Theaters  dagegen  stellen. 

Jahn's  Vermuthung,  die  Ähnlichkeit  zwischen  Da  Ponte's  und 
Bertati's  Text  möge  sich  vielleicht  daraus  erklären,  daß  »beiden  eine 
gemeinsame  Quelle  vorlag«  > ,  ist  natürlich  ohne  allen  Grund.  Der 
Ruhm,  hier  zuerst  und  allein  den  Weg  gebrochen  zu  haben,  durch 
welchen  dieses  Spiel  von  der  Straße  auf  die  reineren  Höhen  der 
Kunst  gelangt  ist,  wird  der  Oper  Bertati's  und  Gazzaniga's  für  immer 
bleiben.  Mancher  Zug  dieser  Geschichte  war  allerdings  durch  lange 
Spielübung  stereotyp  geworden  und  kam  daher  in  sämmtlichen  Don 
Juan-Stücken  wieder  vor.  Aber  wie  wenig  eine  solche  Gemeinsam- 
keit  ausreichte,    um   etwas   im   Sinne   wahrer   Kunst   zu   gestalten. 


i  Jahn,  Mozart  II,  335. 


Don  Giovaxmi.    Gaszftniga  und  Mozart  431 

wild  Gaidi's  «neuei  steinernei  Gast«  uns  jetct  am  besten  beweisen 
können. 

Der  Bundgang  durch  den  Text  ist  damit  beendet.  Daß  der  Wiener 
Don  Giovanni  seine  einzige  Quelle  in  dem  Yeneeianiscben  hatte,  der 
ihm  die  Charaktere  wie  auch  meistens  den  Gang  und  die  Führung 
der  Handlung  yorzeichnete :  dieses  Ergebnis  der  Untersuchung  wird 
fest  stehen.  In  Anbetracht  der  Größe  des  Werkes^  dessen  Genesis 
hiermit  erklärt  ist,  darf  man  auch  unser  Resultat  wohl  als  ein  großes 
bezeichnen. 

Ueber  Da  Ponte  und  seinen  Vorarbeiter  Bertati  ist  noch  etwas 
Persönliches  beizubringen,  weil  es  manches  erklärt,  was  bisher 
dunkel  war. 

Warum  schwieg  der  redselige  Da  Ponte  so  gänzlich  über  seine  Vor- 
lage und  über  den  Autor  derselben?  Es  geschah^  weil  er  den  that- 
sächlichen  Verhalt,  ja  sogar  den  Namen  des  venezianischen  Dichters 
verschweigen  und  durch  Verschweigen  unterdrücken  wollte.  Der 
Grund  war  gegenseitiger  persönlicher  Haß.  Unser  Libretto  dürfte 
die  erste  Veranlassung  dazu  gewesen  sein.  Bertati  war  sicherlich 
ungehalten  über  Da  Ponte^s  Verfahren  und  wird  den  Wiener  Text 
als  eine  Verhunzung  des  seinigen  angesehen  haben.  Als  dann  Da 
Ponte  nach  Joseph's  H.  Tode  den  Zorn  des  neuen  Kaisers  Leopold  H. 
erregte  imd  schimpflich  entlassen  wurde,  kam  Bertati  an  seine  Stelle. 
Der  neue  Dichter  des  kaiserlich  italienischen  Opemtheaters  hatte 
außer  Da  Ponte  auch  noch  den  verschlagenen  Abate  Casti  gegen 
sich,  der  die  Hofpoetenwürde  des  verstorbenen  Metastasio  zu  erlangen 
strebte.  Casti  und  Da.  Ponte,  bisher  verfeindet,  verständigten  sich 
jetzt  und  zogen  gemeinsam  über  Bertati  her.  Da  Ponte  sah  außer- 
dem, daß  seine  Bolle  in  Wien  ausgespielt  war,  suchte  sich  daher 
durch  allerlei  Scherze  zu  belustigen.  Als  einen  solchen  Scherz  be- 
zeichnet er  auch  seinen  Besuch  bei  Bertati.    Er  erzählt  es  ausfuhrlich : 

»Der  neue  Hoftheater-Dichter  war  noch  mehr,  als  alle  Andern,  von 
der  gprOßten  Neugierde  geplagt,  zu  wissen,  ob  ich  beabsichtige,  Wien 
wieder  zu  verlassen  oder  mich  aufs  Neue  darin  festzusetzen.  Ich  kannte 
zwar  seine  Opern,  ihn  selbst  aber  nicht.  Er  hatte  deren  schon  eine  große 
Anzahl  geliefert,  und  durch  diese  Menge,  die  er  geschrieben  hat,  ist  es 
ihm  ein  wenig  gelungen,  sich  die  Kunst  anzueigpien,  einigen  theatralischen 
Effekt  hervorzubringen.  Aber  zu  seinem  Unglück  war  er  nicht  zum 
Dichter  geboren  und  konnte  nicht  Italienisch ;  dem  zu  Folge  mochte  man 
seine  Opern  lieber  auf  der  Bühne  sehen,  als  sie  lesen.  Nun  kam  mir  die 
Phantasie,  seine  persönliche  Bekanntschaft  zu  machen,  und  ich  begab 
mich  ganz  wohlgemuth  zu  ihm.  Wie  ich  bei  ihm  anlangte,  stand  er  unter 
seiner  Zimmerthüre  und  unterhielt  sich  mit  einem  Sänger.    Als  ich  ihm 

1888.  29 


432  Friedrich  Chiysander, 


näher  trat,  fragte  er  mich  nach  meiniem  Namen,  worauf  ich  ihm  sa^te, 
daß  ich  die  Ehre  gehabt  habe,  sein  Vorgänger  als  kaiserlicher  Hofthe&ter- 
Dichter  gewesen  zu  sein  und  daß  mein  Name  Da  Ponte  seL   Er  schien 
wie  Yom  Blitz  getroffen,  fragte  mich  dann  mit  einer  Miene  der  ersichtlich 
größten  Verlegenheit  und  Verwirrung,  ob  und  in  was  er  mir  dienen  könne, 
aber  immer  unter  seiner  Zimmerthüre  stehend.    Als  ich  nun  sagte,    daß 
ich  ihm  irgend  eine  Mittheilung  zu  machen  wünsche,  konnte  er  nicht 
mehr  umhin,  mich  eintreten  zu  lassen,  was  er  aber  mit  augenscheinlichem 
Widerwillen  that.     Er  bot  mir  an  zu  sitzen  und  stellte  mir  zu  diesem 
Ende  einen  Stuhl  in  die  Mitte  den  Zimmers,  ich  aber  setzte  mich  bos- 
hafterweise an  einen  Tisch,  dessen  er  sich  nach  allem  Anschein  zum 
Schreiben  bediente.    Als  er  mich  sitzen  sah,  warf  er  sich  auch  in  seinen 
Lehnstuhl  und  schickte  sich  in  Eile  an,  mit  vieler  Geschicklichkeit  eine 
Menge  Schreibereien  umzudrehen  und  Bflcher  zuzumachen,  mit  denen 
der  Tisch  voll  lag.  Ich  hatte  indessen  gerade  noch  Zeit,  mit  Geinftchlicfa- 
keit  theil weise  sehen  zu  können,  welche  Bücher  es  waren.   Ein  Band 
französischer  Komödien,  ein  AVörterbuch,  ein  Reimbuch,  die  Grammatik 
von  Corticulli  lagen  alle  zur  rechten  Seite  des  Herrn  Dichters ;    die  zu 
seiner  Linken  konnte  ich  nicht  mehr  genau  ansehen.    Ich  glaubte  darin 
die  Gründe  gefunden  zuhaben,  warum  er  mich  nicht  gern  in  seine  Arbeits- 
stube eingeführt  hatte.  Er  fragte  mich  wiederholt,  was  ich  eigentlich  von 
ihm  begehre,  und  da  ich  keine  andere  Ausrede  in  Bereitschaft  hatte,  so 
sagte  ich  ihm,   daß  ich  bloß  gekommen  sei,  ihm  meine  Aufwartung  zu 
machen,  um  das  Vei^nügen  zu  haben,  einen  Mann  von  so  vielen  Ver- 
diensten kennen  zu  lernen,  und  um  ihn  zu  gleicher  Zeit  zu  bitten,  mir 
von  allen  meinen  Opern  je  ein  Exemplar  zu  geben,  was  ich  bei  meiner 
Abreise  von  Wien  mitzunehmen  vergessen  habe.   Er  antwortete  mit  einer 
Art  von  Verachtung,  daß  er  nichts  mit  meinen  Opemlibretti  zu  schaffen 
habe,  aber  daß,   so  viel  er  wisse,  die  Direktion  sie  nach  himderten  den 
Logenschließern  verkaufe.    Nachdem  ich  noch  einige  Minuten  bei  ihm 
gewesen  war  und  mich  überzeugt  hatte,   daß  der  Herr  Dichter  Bertati 
weiter  nichts  sei,  als  ein  aufgeblanener  Windsack,  verabschiedete  ich 
mich  bei  ihm  und  ging  gerades wegs  zu  dem  Logenschließer  des  Theaters. 
Bei  diesem  entdeckte  ich  mit  ebenso  großem  Erstaunen  als  Wohlgefallen, 
dass  die  Libretti  von  neun  meiner  Opern  sämmtlich  waren  verkauft  wor- 
den;   daß  man  sie  im  Laufe  des  verflossenen  Jahres  [1791]  immer  mit 
gleich  gutem  Erfolge  gegeben  hatte,  und  daß,   wenn  ein  neues  Drama 
nicht  geflel,  was  sehr  häufig  vorkam,  man  immer  wieder  die  Zuflucht  zu 
einem  von  den  meinigen  nahm,  unter  welchen  aber  die  von  Mozart,  Mar- 
tini und  Salieri  stets  den  ersten  Hang  behaupteten.    Ich  fordere  Euch 
auf,  alle  meine  Feinde  in  Wien,  die  das  Zeitliche  noch  nicht  gesegnet 
haben,  mich  Lügen  zu  strafen  wegen  des  hier  Gesagten,  wenn  Ihr  dazu 
den  Muth  und  das  Recht  zu  haben  glaubt  l 

»Ich  machte  dem  Casti  einen  zweiten  Besuch,  sprach  ihm  von  meiner 
Visite  bei  Bertati,  von  der  Art,  mit  welcher  er  mich  empfangen,  und  von 
den  Zubereitungen,   die  ich  auf  seinem  Schreibtische  gefunden  hatte. 


Don  OioTannL    Oazzaniga  und  Mozart.  433 


Nachdem  er  mich  einige  Minuten  eifrig  angehört  hatte,  sagte  er  mir:  »Er 
ist  ein  armer,  schwacher  Kopf,  und  ist  im  Begriff  eine  Oper  für  Cima- 
rosa  zu  machen,  eine  Ehre,  die  er  offenbar  nicht  verdient.  Ich  will  Ihnen 
dereinst  schreiben,  wie  sie  ausgefallen  ist.a 

)) Als  ich  schon  auf  dem  Punkt  war,  Dresden  zu  verlassen, 

erhielt  ich  noch  einen  Brief  von  Casti,  in  welchem  er  mich  auch  von  dem 
Erfolg  der  Oper  des  Bertati  benachrichtigte.  Hier  folgen  seihe  eigenen 
Worte :  »Gestern  Abend  war  die  erste  Aufführung  von  der  heimlichen 
Ehe  (II  matrimonio  segreto),  zu  welcher  Bertati  für  Cimarosa  den  Text 
geschrieben  hatte.  Die  Musik  ist  bewunderungswürdig  schön.  Aber  der 
Text  ist  noch  schlechter,  als  man  je  hätte  erwarten  kGnnen;  jedermann 
ist  damit  sehr  unzufrieden,  am  unzufriedensten  aber  sind  die  Sänger. 
Alle  sagen,  es  ist  zu  hoffen,  da£  Da  Ponte  diesen  Aufgeblasenen  nicht 
ungestraft  lassen  werde  —  ich  schicke  Ihnen  hier  das  Libretto,  damit  Sie 

es  einsehen  und  schöne  Verse  machen  lernen  können  1« Hier  folgt 

nun  auch  meine  Antwort :  »Mein  Herr  I  Ich  danke  Ihnen  zwar  für  das 
Libretto,  das  Sie  mir  geschickt  haben,,  aber  ich  kann  Ihren  Kath  nicht 
befolgen.  Sie  haben  selbst  gute  Finger,  um  die  Kastanien  aus  dem  Feuer 
zu  holen.  Die  Verse  des  Bertati  sind  so,  wie  sie  sein  müssen.  Die  Wiener 
sollen  sich  seiner  freuen,  und  was  sodann  die  Sänger  anbelangt,  so  bitte 
ich  ihnen  zu  sagen:  »Victrix  provincia  plora«.  —  Dieses  ist  die  erste 
und  letzte  Oper,  die  der  Herr  Poet  Bertati  in  Wien  geschrieben  hat  l  Es 
verging  ganz  kurze  Zeit,  so  kehrte  er  nach  Italien  zurück,  um  dem  Qa* 
merra  Platz  zu  machen  ^  .<r 

Wenn  Da  Ponte  die  Hälfte  des  Raumes,  den  diese  Erzählung 
einnimmt,  auf  einen  Bericht  über  die  Entstehung  des  Don  Juan- 
Textes  verwandt  hätte,  so  würden  wir  mehr  befriedigt  sein.  Beitati 
hatte  seinen  Vorgänger  nicht  verdrängt,  sondern  "befand  sich  in  Venedig, 
als  dieser  entlassen  wurde,  und  kam  erst  später  nach  Wien,  hatte 
ihm  überhaupt  persönlich  nichts  zu  Leide  gethan,  was  Da  Ponte  auch 
nicht  behauptet.  Der  Leser  der  »Memoirena  begreift  daher  diese  Feind- 
seligkeit nicht.  Erst  jetzt,  wo  die  Thatsache  an's  Licht  geholt  ist, 
daß  der  originale  Don  Juan-Texft  von  Bertati  herrührt,  wird  Da  Ponte^s 
gehässige  Verkleinerungssucht  verständlich,  aber  wahrlich  nicht  zu 
seinem  Ruhme.  Ein  solcher  Mangel  an  Gerechtigkeitssinn,  Aufrichtig- 
keit und  Wahrheitsliebe,  wie  er  sich  in  dieser  raffinirten  Anschwär- 
zung  offenbart,  raubt  seinen  Berichten  alles  Vertrauen.  Zugleich  liegt 
in  seinem  Gebahren  der  stärkste  indirekte  Beweis,  daß  kein  anderer 
als  Bertati  den  venezianischen  Text  geschrieben  hat. 

Selbst  wenn  die  Unfähigkeit  des  Mannes,  dem  Da  Ponte  die  Vor- 
lage zum  Don  Juan-Libretto  verdankte,  so  groß  gewesen  wäre,  wie 
er   sie  darstellt,   würde   es   gerade  ihn   schlecht  angestanden  haben. 


*  Da  Ponte,  Memorie  I.  2  p.  157—158. 

29» 


434  Friedrich  Cltf7«ander, 


davon  zu  reden.  Nun  verhielt  es  aich  aber  ganz  anders.  Bertati 
war  kein  großer  Dichter,  aber  Da  Ponte  war  ein  solcher  ebenfalls 
nicht.  Ersterer  hatte  sich  jedoch  bei  verschiedenen  Gelegenheitai 
als  ein  ausgezeichneter  Opem-Librettist  be^i^rt,  wahrend  Da  Ponte 
in  diesem  Fache  trotz  bedeutender  Leistungen  kein  wirkliches  Ver- 
trauen in  ßeine  Fähigkeiten  zu  verbreiten  vermochte,  denn  er  bUeb 
auch  in  der  Poeterei,  was  er  im  Leben  war,  ein  unzuverlässiger 
Windbeutel,  dem  nur  mitunter  Einiges  gelang,  dann  aber  auch  wohl 
•so  ausgezeichnet  gelang,  daß  Alle  sich  darüber  verwunderten.  Ab 
Dichter  stand  Casti  weit  über  beiden,  aber  auf  dem  Boden  der  musi- 
kalischen Poesie  waren  alle  drei  ungefähr  gleich,  nur  gingen  ihre 
Fähigkeiten  nach  verschiedenen  Seiten.  Casti  gebot  über  schöne 
Verse  und  poetische  Anmuth,  wußte  auch,  was  sich  für  Musik  und 
für  die  Bühne  schickt.  Da  Ponte  führte  mitunter  sämmtliche  gute 
Eigenschaften  eines  zur  Komposition  bestimmten  Bühnentextes  in's 
Feld,  und  mitunter  nicht  eine  einzige,  hatte  in  glücklichen  Stunden 
eine  wohllautende  Sprache,  originelle  dramatische  Einfalle,  eine  ziem- 
liche obwohl  nicht  ausreichende  Standhaftigkeit  im  Festhalten  der 
Charaktere,  und  eine  entschiedene  Geschicklichkeit  in  der  Verwebung 
gleichzeitig  auftretender  Personen.  Bertati's  ganze  Stärke  lag  in  den 
einfachen  Strichen,  mit  denen  er  Charaktere  und  Handlung  so  zeich- 
nete wie  die  Bühne  sie  gebrauchte.  Diese  Striche  zog  er  mit  sicherer 
Hand,  und  obwohl  er  hierbei  mehr  auf  italienische  Grenzen  beschränkt 
blieb,  als  sein  Bivale  Da  Ponte,  hat  er  doch  durch  sein  Don  Giovanni- 
Libretto  am  besten  bewiesen,  daß  er  die  Fähigkeit  besaß,  in  selb- 
ständigen Schritten  über  das  Herkömmliche  hinaus  zu  gehen.  Dabei 
bediente  er  sich  einer  Sprache,  die  weder  besonders  gewandt,  noch 
poetisch  reich  war,  aber  den  Komponisten  gerade  das  bot,  was  sie 
zu  haben  wünschten.  Wenn  Da  Ponte  sagt,  man  habe  Bertati's  Opem- 
dichtungen  lieber  auf  der  Bühne  sehen  als  sie  lesen  mögen,  so  cha- 
rakterisirt  er  sie  damit  ganz  richtig,  merkt  aber  nicht,  daß  ein  solcher 
Tadel  für  ein  Theaterstück  das  beste  Lob  ist.  Von  einem  Metastasio 
war  Bertati  weit  genug  entfernt,  obwohl  er  wie  dieser  die  Bühnen- 
komponisten sich  zu  Dank  verpflichtete,  wenn  auch  auf  einem  gans 
andern  Felde.     Sein  Gebiet  war  das  der  opera  buffa. 

Dies  mußte  gesagt  werden,  um  Jedem  sein  Becht  zu  wahren. 
Ich  habe  obige  Bemerkungen  jetzt,  wo  der  Name  des  venezianischen 
Librettisten  bekannt  geworden  ist,  um  so  weniger  zurück  halten  dürfen, 
weil  Jahn  dem  Da  Ponte  auf  Kosten  Bertati^s  etwas  zuschreibt,  was 
er  nicht  besitzt.  Von  den  ihm  zuerkannten  drei  Vorzügen  —  »über- 
legene Geschicklichkeit  die  Handlung  zu  fuhren,  Charaktere  zu 
zeichnen,   die  Situationen   für  musikalische  Behandlung,  namentlich 


Don  OioTanni.    Gazzaniga  und  Mozart.  435 

in  Ensemblesätzen,  günstig  zu  gruppiren«^  —  ist  nui  der  letzte 
theilweise  vorhanden.  In  der  Führung  einer  dramatischen  Handlung 
dagegen,  rein  technisch  betrachtet,  ist  Bertati  durchweg  mehr  Fach- 
mann, als  Da  Ponte.  Und  was  die  Zeichnung  der  Charaktere  an- 
langt, so  zeigt  sich  Don  Octavio  bei  Bertati  als  ein  Mann,  bei  Da 
Ponte  als  ein  Schwächling.  Natürlich  war  die  Gefahr  des  Yergreifens 
für  Da  Ponte  viel  größer,  weil  er  die  bei  Bertati  wenig  hervortretende 
Gestalt  als  eine  Hauptperson  an  dem  ganzen  Spiel  zu  betheiligen 
hatte.  Aber  wir  haben  hier  nicht  die  Partien  der  beiden  Octavios, 
sondern  nur  die  Mache  an  sich  zu  vergleichen,  wenn  wir  über  die 
Fähigkeiten  dieser  Autoren  als  Bühnentechniker  Auskunft  erhalten 
wollen.  In  der  Zeichnung  von  Bühnencharakteren  war  Bertati's 
Hand-  weit  sicherer,  als  die  Da  Ponte^s;  letzterer  nahm  dafür  mit- 
unter einen  höheren  Flug,  durch  welchen  auch  seine  Gestalten  zum 
Theil  vom  beschränkt  Italienischen  in'  ein  allgemeineres  Gebiet  erhoben 
wurden,  und  das  wollen  wir  ihm,  soweit  es  nicht  Moaart  zu  verdanken 
ist,  bereitwillig  als  ein  bleibendes  Verdienst  anrechnen.  XJbrigens  darf 
nicht  vergessen  werden,  daß  eine  vergleichende  Abschätzung  dieser  bei- 
den Autoren  nach  ihren  Don  Juan-Texten  nur  dann  statthaft  wäre,  wenn 
sie  den  Gegenstand  unabhängig  von  einander  behandelt  hätten*  Jetzt, 
wo  der  Eine  dem  Andern  als  Verbesserer  fast  auf  die  Fersen  trat, 
ist  es  doch  an  sich  noch  kein  Verdienst,  sondern  vielmehr  eine  selbst-* 
verständliche  Voraussetzung,  daß  er  die  Vorarbeit  nun  auch  wirklich 
zu  verbessern  im  Stande  war.  Das  Werthverhältniß  dieser  Librettisten 
und  damit  eine  gerechte  Beurtheilüng  ihrer  Leistungen  dürfte  also 
durch  dasjenige  Verfahren  zu  Tage  kommen,  welches  oben  bei  der 
Vergleichung  der  verschiedenen  Personen  eingeschlagen  wurde  und 
nun  im  folgenden  Theile  mit  der  Prüfung  der  einzebien  Scenen 
seinen  Abschluß  finden  wird. 

Eine  sorgliche  Abwägung  der  beiderseitigen  Verdienste  ist  hier 
um  so  mehr  unsere  Pflicht,  weil  ohne  Bertati,  Valentini  und  Gazzaniga 
die  Oper  Don  Juan  von  Mozart  in  der  Gestalt,  in  welcher  sie  die  Be- 
wunderung der  Welt  erlangt  hat,  nicht  vorhanden  sein  würde. 


1  Jahn,  Mozart  11,  337. 


Der  folgende  Theil  dieser  Abhandlung  wird  wegen  der 
umfangreichen  Musikbeüagen  nicht  in  dieser  Zeitschrift, 
sondern  in   einem  besonderen  Werke  gedruckt  werden 


Kritiken  nnd  Keferate. 


Hermann  Ludtmff,  Johann  Georg  Kästner.  Ein  elsassischer  Ton- 
dichter, Theoretiker  und  Musikforscher.  Sein  Werden  und  Wirken. 
Zwei  Theüe  in  drei  Bänden.  Mit  einer  Portraitradirung  Kastners, 
Lichtdruck  -  Abbildungen ,  Facsimiles  und  Musikbeilage.  Leipxig, 
Breitkopf  und  Härtel.     1886.     8. 

»Kästner,  Johann  Georg,  wurde  den  9ten  März  1810  in  Strasburg  gebohren.  — 
Früh  schon  verrieth  er  eine  vorzügliche  Neigung  zur  Musik.     Im  sechsten  Jahre 
erhielt  er  Unterricht  im  RlaTier  und  im  Gesänge.    Neben  seinen  Musikbesehafti- 
gungen  frequentirte  er  das  Strasburger  Gymnasium,  wo  er  alle  Vorstudien  machte, 
die  zur  künftigen  Laufbahn,  der  theologischen  nehmlich,  der  man  ihn  beatimmte, 
[verlangt  wurden].     Sein  Fleiß  und  sein  Augenmerk  war  jedoch   im  besonderen 
Maaße  auf  die  Erlernung  der  Musik  gerichtet,    ^uch  waren  seine  Fortschritte  im 
Klavier,  nach  kurzer  Zeit,  von  erheblichem  Erfolge,  und  als  Knabe  noch  wagte  er 
schon  einige  kleine  Kompositionsversuche.    Zudem  lernte  er  die  hauptsftchliehgtcB 
Instrumente  kennen  und   behalf  sich  hiebei   selten  fremden  Rathes.     Im  Xafaie 
1826  kam  ihm  ein  altes  Manuscript  zu  Gesichte,    das  von  Harmonie  handelte; 
durch  diese  Schrift  angeregt,  sah  sich  K.  nach  größeren  Werken  um,  und  studierte 
zu  diesem  Behufe  die  vorzüglichsten  deutschen  Lehrbücher  der  Tonkunst.  —  1S27 
wurde  er  in  die  Matrikel  des  theologischen  Seminariums  aufgenommen.     In  den 
Ferien  desselben  Jahres  schrieb  er  eine  Ouvertüre,  Chöre,  Märsche,  Zwisehenacte  ete. 
tu  einem  Drama :   »die  Erstürmung  Missolonghis«,  mit  Succeß  auf  der  Strasburger 
Bühne  vorgestellt;  wie  auch  die  Ouvertüre,  JSntr'  actes,  Marches  etc.  des  Dramas: 
)>der  Schreckenstein«.  — 

Nach  vorhergegangenem,  glücklich  bestandenem  Staatsexamen  übersandte  ihm, 
1829,  die  Pariser  Academie  das  Diplom  eines  Baechelier-U-lettree.  Um  dieselbe 
Zeit  auch  erhielt  K.  vom  Kapellmeister  Maurer  Unterricht  in  der  Instrumentation 
und  practischen  Composition,  und  1830  machte  ihn  der  Musikdirector  Roener  mit 
der  Lehre  des  doppelten  Contrapunctes  und  der  Fuge  bekannt.  —  Im  folgenden 
Jahre  kam  Kastner  in  den  Besitz  der  Werke  Reicha*%t  die  er  studirte.  Nebenbei 
componirte  er  mehrere  Serenaden  für  Männerstimmen  mit  Begleitung  von  Blech- 
instrumenten. 1832  verfaßte  er  eine  große  Oper  in  fünf  Acten  »Gustav  Waem  (im 
nehmlichen  Jähre  aufgeführt).  Hiermit  war  aber  auch  über  sein  künftiges  Leben 
entschieden,  er  trat  freiwillig  von  der  Theologie  ab,  um  sich  mit  ungetheiltem  In- 
teresse der  Tonkunst  hinzugeben.  1833  verfasste  er  eine  zweite  fünfactige  Oper: 
»die  Königin  der  Sarmaten«,  1835  vorgestellt.  Sodann  »der  Tod  Oscm'%',  Oper  in 
4  Acten,  und  »der  Sarazene«,  eine  komische  Oper  in  2  Acten. 


Hermann  Ludung,  Johsna  Georg  Rastner.  427 


1835  begab  sieh  Kästner  nach  Paris,  wo  er  sich  gleich  anfangs  mit  lUü^  Ter- 
band,  der,  in  freundschaftlichem  Verkehr,  belehrend  auf  den  jungm  Künstler  einwirkte. 

Hierauf  veröffentlichte  K.  nach  einander  folgende  Werke,  die  sämmtlicfa  die 
Approbation  der  Aettdemie  roytUe  des  Beauz^arU  de  FlnHihii  de  France  erhielten« . . . 

Der  Leser  irrt,  wenn  er  etwa  meinen  sollte,  daß  diese  biographischen  Notisen 
aus  dem  Werke  Hermann  Ludwig's  ausgesogen  seien,  oder  sonst  in  irgend  einem 
Zusammenhange  mit  ihm  ständen.  Kastneic  wurde  1843  auf  Meyerbeer's  Vorschlag 
sum  auswärtigen  Mitgliede  der  königlichen  Akademie  der  Kllnste  su  Berlin  er- 
wählt Es  ist  üblich,  bei  dieser  Gelegenheit  eine  kurze  Autobiographie  einzureichen, 
welche  im  Archiv  der  Akademie  niedergelegt  wird.  Mit  jener  Skizze  hat  Kastner 
dieser  Sitte  entsprochen.  Es  folgt  dem  letzten  Satze  noch  die  Aufzählung  seiner 
theoretischen  und  praktischen  Werke;  dann  erwähnt  er  seiner  1840  erfolgten  Pro- 
motion zum  Ehrendoetor  der  Universität  Tübingen  und  nennt  die  deutschen  und 
französischen  Zeitschriften,  an  denen  er  mitarbeitet.  Dem  Verfasser  der  Biographie 
ist  diese  Quelle  unbekannt  geblieben.  Es  lohnt  sich,  sie  nachträglich  ans  licht 
zu  bringen,  weil  sie  in  einigen  Einzelheiten  seiner  Darstellung  widerspricht.  Ich 
maße  mir  nicht  an,  zu  entscheiden,  auf  welcher  Seite  das  Recht  ist.  Sicherlich 
verdienen  Kastner's  eigene  Angaben  volles  Vertrauen.  Aber  auch  der  Biograph 
hat  gewissenhaft  gearbeitet,  und  es  ist  nicht  unerhört,  daß  sieh  jemand  über  eigne 
Erlebnisse  nach  Jahren  im  Irrthum  befindet.  Warten  wir  also  ab,  ob  der  Ver- 
fasser sich  veranlaßt  sieht,  in  der  Sache  selbst  das  Wort  zu  nehmen. 

Die  Anregung  zu  dem  biographischen  Denkmal,  welches  Kästner  19  Jahre 
nach  seinem  Tode  erhalten  hat,  ist  von.  dessen  Wittwe  ausgegangen.  Ihrer  Pietät 
ist  die  prachtvolle  Ausstattung  des  Buches  zu  verdanken;  sie  ist  es  jedenfalls  auch 
zunächst  gewesen,  die  dem  Biographen  das  Material  geliefert  hat  Durch  das  ver- 
einigte Bemühen  beider  ist  ein  werthvolles  Werk  zu  Stande  gebracht  worden.  Mit 
ihm  betritt  Hermann  Ludwig  (von  Jan),  der  als  Schriftsteller  in  Straßburg  lebt, 
meines  Wissens  zum  ersten  Male  das  Gebiet  der  Musikwissenschaft.  Er  hat  mehr 
zu  geben  getrachtet,  als  eine  einfache  Lebensdarstellung.  Er  hat  gesucht,  die 
Biographie  zum  Geschichtsbilde  zu  erweitern.  Hierzu  war  er,  sowohl  wegen  der 
reichen  Begabung  und  Wirksamkeit,  als  auch  wegen  der  Eigenart  Kästners  wohl 
berechtigt.  Diese  Eigenart  aber  beruht  auf  einer  Verquickung  germanischen  Wesens 
mit  französischer  Kultur,  wie  sie  eben  nur  an  dem  Elsässer,  oder  richtiger :  Straß- 
burger, unseres  Jahrhunderts  zu  Tage  treten  konnte.  Wenn  also  der  Biograph  in 
weit  ausgreifender  Einleitung  die  politische  und  geistige  Entwickelung  des  Elsasses 
von  alter  Zeit  her  darlegt,  so  hat  er  sich  dadurch  nicht  nur  den  Dank  aller  der- 
jenigen Deutschen  verdient,  welchen  nicht  gestattet  ist,  durch  eigene  Studien  und 
Erfahrungen  sich  von  diesen  Dingen  ein  Bild  zu  machen,  denen /aber  Belehrung 
hierüber  schon  aus  vaterländischen  Gründen  hocherwünscht  sein  muß.  Er  hat 
durch  seine  Schilderung  zugleich  die  unentbehrliche  Grundlage  zum  Verständniß 
und  zur  richtigen  Würdigung  der  Persönlichkeit  Kastner's  gegeben.  Ein  echter 
Sohn  des  alemannischen  Elsaß,  aber  durch  Schicksal  und  eigene  Neigung  bestimmt, 
in  der  gallischen  Hauptstadt  zu  leben  und  zu  wirken,  gehörte  er  zu  den  Talenten^ 
»welche  in  frischem  und  lebendigem  geistigen  Stoffwechsel  ihrer  NationdliU  morale 
und  NationaUti  politique  im  Boden  des  Adoptiv Vaterlandes  Früchte  trugen,  in 
denen  die  durchaus  vorwiegende  urheimathliche  Natur  jener  zur  Ehre,  dieser 
zu  Nutz  und  Frommen  gereichte«.  Solche  Talente  sind  »sdten  genug,  am  in  ihrer 
Eigenart  erhöhtes  Interesse  für  ihren  Entwicklungs-  und  Schaffensgang  zu  er-> 
wecken«  (I,  54).  Darum  ist  es  auch  sehr  wohlgethan,  wenn  der  Verfasser  bei  der 
Erzählung  von  Kastner's  Jugend  eingehend  verweilt  und  di^  ihn  umgebenden  Zu- 
stände su  breiter  Anschaulichkeit  gelangen  läßt. 


4^  Kritiken  und  Referate. 


Sohade  nur,  daß  dsB  Bestreben,  den  Hinteigrund  allenthalben  recht  reieh 
ausgufallen,  manehmal  xu  einer  Verwischung  der  Grensen  geführt  hat,  die  tmmcben 
Biographie  und  allgemeiner  Geschichte  bestehen.  Wie  viel  von  letsterer  einem 
Lebensbüde  zugesetzt  werden  darf,  dafür  giebt  es  einen  sicheren  Maßstab.  Zu- 
stinde  oder  Bewegungen  der  Allgemeinheit  dürfen  sich  nur  dann  vor  dem  Leser  ent- 
falten, wenn  das  Individuum,  dessen  Leben  beschrieben  wird,  eine  Spitze  derselben 
bildet,  in  ihnen  eine  Führerrolle  spielt.  Die  Spitze  kann  hoch  oder  niedrig,  die 
Führerrolle  groß  oder  klein  gewesen  sein.  Je  nach  diesen  Erwägungen  wird  der 
Schriftsteller  das  Geschichtsbild  ausführlicher  gestalten  oder  mehr  nur  andeuten. 
Ist  eine  bestimmende  Betheiligung  des  Individuums  gamieht  nachweisbar,  so 
Auß  der  tiefe  Hintergrund  überhaupt  verschwinden.  Denn  er  würde  die  Tlieil- 
nähme  des  Lesers  von  der  Hauptsache  abziehen,  und  eine  einheitliche  Form  des 
Lebensbildes  wäre  unmöglich  gemacht.  Von  diesem  Standpunkte  aus  beurtheilt, 
ist  die  Schilderung  der  Juli-Revolution  (I,  225 — 243)  viel  zu  breit  gehalten:  man 
verliert  Kastner  zeitweilig  ganz  aus  den  Augen«  Was  gesagt  werden  mußte,  um 
klar  zu  machen,  wie  sich  Kastner's  Entwickelung  in  diese  Ereignisse  veradilang, 
ließ  sich  auf  wenigen  Seiten  thun.  Das  gleiche  gilt  von  dem  »Blick  auf  Paris  im 
Jahre  1835«  (II,  3 — 69).  Gewann  Kastner  für  die  Pariser  Gesellschaft  unter  dem  Bürger- 
königthum  auch  nur  annähernd  eine  ähnliche  Bedeutung,  wie  Alfred  de  Muaeet, 
George  Sand,  Heinrich  Heine,  wie  Auber,  Meyerbeer,  Liszt,  Chopin?  Ich  glaube: 
nein,  so  hoch  auch  seine  hiervon  ganz  unabhängigen  Verdienste  anzuschlagen  sind. 
Oder  wäre  es  doch  der  Fall  gewesen,  so  träte  es  in  des  Biographen  Darstellung 
nicht  hervor,  und  dann  läge  der  Fehler  da.  Außerdem  aber :  von  dem  Leserkreis, 
welchen  sich  der  Verfasser  voigesteUt  haben  wird,  ist  wohl  anzunehmen,  daß  er 
mit  jenen  Zuständen  mehr  oder  weniger  vertraut  ist.  Auch  mit  Rücksicht  hierauf 
hätte  er  sieh  kürzer  fassen  können. 

Selbst  in  der  strengsten  wissenschaftlichen  Arbeit  soll  man  niemals  die  Rflck- 
sioht  auf  die  Formgebung  gänzlich  hintan  setzen.  Für  die  Biographie  gut  das 
noch  viel  mehr.  Denn  die  Biographie  ist  keine  ausschließlich  wissenschaftliche  Form, 
die  Kunst  hat  an  ihr  einen  sehr  erheblichen  AntheiL  Ich  meine  natürlich  nieht, 
daß  die  Strenge  der  Forschung  sich  hier  auch  nur  das  allergeringste  erlassen 
dürfte.  Aber  nothwendig  ist  auch,  daß  endlich  ein  Ganzes  entsteht,  das  als  solches 
einen  proportionirten,  wohlgefälligen  Eindruck  macht.  Auch  die  Schreibart  muß 
auf  einen  solchen  Eindruck  zielen.  loh  berühre  hier  eine  schwache  Seite  unseres 
Buches.  Dem  Stil  fehlt  die  Schlichtheit  und  Natürlichkeit,  welche  bei  einem  Tor- 
wiegend  erzählenden  Werke  den  Grundton  abgeben  sollte.  Die  Satzbildung  ist 
schwerfällig,  manchmal  labyrinthisch  verworren.  Man  sehe  II,  3,  von  Zeile  14; 
U,  361,  oben;  oder  I,  179,  von  Zeile  6;  II,  126,  von  Zeile  5.  Man  versuche  ein- 
mal, diese  Sätze  vorzulesen,  und  beobachte,  wie  viele  der  Zuhörer  sie  verstehen. 
Ich  schreibe  sie  nicht  ab,  weil  durch  das  Citiren  von  Einzelheiten  diese  leicht  un- 
verhältnißmäßig  hervortreten.  Aber  wer  nachliest,  wird  mir  beistinunen,  und  ioh 
glaube,  der  Verfieisser  selbst  dürfte  mir  nicht  Unrecht  geben.  Ein  gesuchtes, 
schwülstiges  Wesen  verstärkt  die  unerfreuliche  Wirkung.  Es  fehlt  dem  Schrift- 
steller gar  nicht  an  Anschauungen  und  Bildern ;  aber  was  er  häufig  vermissen  läßt, 
ist  Maß  und  Geschmack.  Die  beiden  letzten  der  angeführten  Stellen  bieten  Be- 
lege: hier  will  er  durch  bildliche  Anwendung  musikalisch-technischer  Ausdrücke 
eine  gewisse  Stimmung  hervorbringen,  die  den  Inhalt  der  Sätze  heben  soH.  Ich 
kann  aber  nur  finden,  daß  er  sich  in  den  Mitteln  ganz  vergriffen  hat.  Wie  wat 
steht  er  mit  diesem  Theile  seiner  Leistung  hinter  der  Stilkunst  der  Franzosen 
zurück !    Und  es  lag  doch  so  nahe,  sich  ihrer  gerade  bei  dieser  Arbeit  zu  erinnern. 

Eine  andere  Ausstellung,  die  ich  den  Bemerkungen  über  den  Stil  des  Buches 


Hennann  Ludwig,  Johann  Georg  Kastner.  439 


ansoUieße,  betrifft  die  Art,  wie  der  VerfaBser  die  Quellen  fransösiseher  Sprache 
benutit  hat  Daß  er  sie  sehr  häufig  unyerarbeitet  in  seine  Darstellung  einfließen 
läßt,  soll  ihm  nioht  vorgeworfen  werden,  obschon  ich  glaube,  er  hätte  sieh  auch 
hierin  mehr  beschränken  können.  Uniulässig  aber  müssen  die  vielen  und  langen, 
oft  Seiten  langen,  Anführungen  in  der  Originalsprache  erscheinen.  An  anderen 
Stellen  freilich  giebt  er  Verdeutschungen,  aber  ein  Orundsats  des  Verfahrens  ist  nicht 
erkennbar,  und  dadurch  wird  die  Sache  noch  bedenklicher.  Die  sprachliche  Ein- 
heit in  einem  Buche  festiuhalten,  müßte  für  jeden  Schriftsteller  ein  Gesets  sein, 
dem  er  nur  in  den  dringendsten  Fällen  und  dann  nie  ohne  g^te  Begründung  lu* 
wider  handelte.  Der  Verfasser  wird  nioht  einwenden,  daß  er  bei  jedem  seiner 
Leser  die  Kenntniß  der  französischen  Sprache  habe  yoraussetien  dürfen.  Er  weiß 
so  gut,  wie  wir,  daß  der  Übergang  von  einer  Sprache  sur  andern  jedesmal  auch 
einen  Umsprung  der  Stimmung  mit  sich  führt  Selbst  der  geduktigste  Leser  wird 
bei  solch  sweekloser  Tumerei  endlich  müde,  lerstreut,  yerdjrossen.  Fremdsprachig 
ges  soll  man,  wenn  die  Anführung  des  Originals  wissenschaftlich  nothwendig 
ist,  als  Anmerkung  oder  Anhang  geben.  Es  ist  besonders  der  dritte  Band,  in  dem 
der  gerügte  Übelstand  störend  entgegentritt  Und  überhaupt  wiU  es  mir  scheinen, 
als  ob  die  gründliche  Durcharbeitung  des  Stoffes,  welche  dem  Leser  yon  Anfang 
her  ein  wohhhuendes  Gefühl  der  Sicherheit  giebt,  sich  yerringere,  je  mehr  es  dem 
Ende  lugeht. 

Von  dem  neunten  Abschnitte  des  dritten  Bandes,  der  im  Bückblick  ein  Ge- 
sammtbild  des  gansen  Menschen  Kästner  yor  uns  aufsteigen  läßt,  gilt  dies  Urtheil 
aber  nioht.  Hermann  Ludwig  besitzt  eine  Eigenschaft,  welche  schwer  genug  wiegt, 
die  berührten  Mängel  ausiugleichen,  er  besitit  Gestaltungskraft  Diese  seigt  sich 
nicht  nur  in  dem  erwähnten  Rückblick,  sondern  auch  in  der  Einleitung  des  ersten 
Bandes,  in  Kastner's  Jugendgeschichte,  in  der  Erzählung  des  Lebens  Boursault^s 
und  seiner  Tochter,  kurz  überall  da,  wo  es  gilt,  aus  gegenständlichem  Stoff  zu 
gestalten.  Da  entstehen  unter  seiner  Feder  anschauliche,  lebensyolle  Bilder,  welche 
sich  der  Phantasie  des  Lesers  einprägen,  und  — •  ich  wiederhole  es  —  das  hier 
sich  offenbarende  Talent  ist  stark  g^nug,  um  die  yon  seiner  Schreibart  ausgehen- 
den weniger  günstigen  Eindrücke  einigermaßen  zurückzudrängen.  Seinen  Beruf 
zu  biographischer  Darstellung  hat  er  erwiesen ;  möchte  es  ihm  in  späteren  Arbeiten 
gelingen,  auch  seinen  Stil  zu  der  Anmuth  und  Klarheit  durchzubilden,  welche  man 
yon  seinem  Talente  erwarten  darf. 

Nun  wird  es  yielleicht  zu  hören  befremden,  muß  aber  doch  gesagt  sein,  daß 
man  trotz  alledem  eine  erschöpfende  Vorstellung  yon  dem,  was  Kästner  war  und 
wirkte,  nicht  gewinnt  Wir  machen  die  Bekanntschaft  eines  Charakters  yon  sel- 
tener Tüchtigkeit  und  widmen  ihm  gern  unsere  yolle  Hochachtung  und  Sympatiiie. 
Für  denjenigen ,  welcher  den  Mann  aus  seinen  Werken  schon  kennt,  ist  das  Buch 
anregend  und  belehrend.  Wer  aber  yon  seiner  Bedeutung  noch  nichts  oder  wenig 
gewußt  hat  —  und  ich  fürchte,  die  Mehrzahl  der  Leser  ist  in  dieser  Lage  — , 
der  wird  auch  nach  Lesung  des  Buches  in  der  Hauptsache  nicht  yiel  besser  daran 
sein.  Der  Verfasser,  so  löblich  bestrebt,  uns  Kastner  überall  in  lebendiger  Verbin- 
dung mit  seiner  Mitweit  zu  zeigen,  hat  auf  eine  kritische  Prüfung  seiner  Werke 
tMt  ganz  yerzichtet.  Wir  erfahren  nichts  über  Stil  und  Gehalt  seiner  Jugendkom- 
positionen, nichts  über  die  Vorbilder,  welche  sich  in  ihnen  erkennen  lassen.  An 
einer  Stelle  werden  Weber  und  Beethoyen  als  diejenigen  Meister  genannt,  zu  denen 
er  sich  am  meisten  hingezogen  fühlte,  doch  sei  sein  eigenes  Schaffen  frei  geblieben 
yon  eigentliohen  Anklängen  (HI,  273).  Sind  hiermit  nur  die  Werke  Kastner's  aus 
der  Zeit  seiner  Reife  gemeint,  oder  auch  seine  Jugendwerke  P  Und  wenn  auch  in 
diesen  keine  Anlehnung  sichtbar  wird,  worauf  stützt  sich  die  Behauptung  innerer 


440  ELritiken   und  Referate. 


Verwandtschaft?  Welche  Stellung  nimmt  er  in  Paris  als  Opemkomponist  su  seinen 
Zeitgenossen  ein?  Wie  verhalten  sich  seine  M&nnerehöre  za  den  gleiehieitigen 
deutschen?  Welcher  Art  ist  der  Stil  seiner  Symphonie-Kantaten?  Bei  den  muflik- 
wissenschaftlichen  Werken  Kastner's  fragt  man  nach  der  Art  der  Forsehung,  nach 
der  Bedeutung  und  Sicherheit  der  Resultate,  nach  der  Stellung,  welche  Kaatn^ 
unter  den  Musikgelehrten  unseres  Jahrhunderts  einninmit.  Aber  auf  alle  diese 
Prägen  erh&lt  man  keine,  oder  nur  eine  uneureichende  Antwort,  und  doch  lag  hier 
eine  bedeutende  und  lohnende  Aufgabe  Tor.  Der  Verfasser  beschx&nkt  sich  meist 
darauf,  die  Urtheile  der  Zeitgenossen  über  Kastner's  Werke  anzuführen.  Wenn 
er  einmal  zur  eigenen  Analyse  eines  oLivre-Partitiom  ansetzt,  so  entlehnt  er  die 
Mittel  zu  .ihr  aus  den  Schriften  Richard  Wagner's  und  bringt  dadurch  unwissent- 
lich die  ganze  Kunst  und  Wissenschaft  Kastner's  in  ein  falsches  Licht  Wagner*s 
Abhandlungen  sind  reich  an  ursprünglichen  und  bedeutenden  Gedanken,  aber  streng 
genommen  lassep  sich  diese  nur  auf  seine  eigenen  Kunstwerke  beai^en»  Auf 
andere  Kompositionen  passen  sie  nicht,  auf  diejenigen  Kastner's  wohl  am  aller- 
wenigsten. Schlimmer  freilich  ist  es  noch,  wenn  Ton  Schopenhauer  die  Werkseuge 
geborgt  werden,  um  in  das  Innerste  d^r  Musik  einzudringen. 

Die  Frage,  ob  Kastner's  Musik  vorzugsweise  deutsches  oder  französisches 
Gepräge  zeige,  scheint  der  Verfasser  in  ersterem  Sinne  zu  beantworten.  Er  sagt, 
daß  die  Musik  im  Elsaß  immer  einen  vorherrschend  deutschen  Charakter  getzagen 
habe  (I,  52  f.),  und  weiß  dies  auch  bis  zu  einem  gewissen  Grade  glaubwürdig  zu 
machen.  Daraus  könnte  denn  mit  einigem  Rechte  geschlossen  werden,  daß  auch 
Kastner  der  Musiker  in  deutschem  Wesen  wurzle,  wozu  seine  Vorliebe  für  Beet> 
hoven  und  Weber  stimmen  würde.  Die  Wirklichkeit  aber  widerspricht  denk  Zwar 
seine  ungedruckten  Jugendwerke  sind  mir  unbekannt;  sie  sind  auch  nach  dem  im 
dritten  Bande  befindlichen  Verzeichniß  zum  größten  Theil  nicht  mehr  erhalten; 
vielleicht  würden  vor  allem  die  Sinfonien  und  Ouvertüren  interessante  Einblicke  in 
seine  Entwickelung  gewahren.  Aber  wenn  das  Kind  des  Mannes  Vater  ist,  so 
läßt  sich  doch  von  den  reifen  Werken  ein  leidlich  sicherer  Rückschluß  wagen. 
Diese  nun  verrathen  kaum  irgend  welche  deutsche  Einwirkung.  Einiges,  worin 
man  Weber's  Gpist  ahnen  möchte,  wie  der  Choeur  des  Songes  in  der  SymphomB 
humoristique:  Les  Orts  de  Paris,  läßt  sich  eher  noch  auf  Boieldieu  zurüekfOhren. 
Von  Beethoven  vollends  nirgends  eine  Spur;  wer  die  Ouvertüre  zur  Symphonie- 
Kantate  La  Saint-Julien  des  M4nHriers  geschrieben  hat,  der  stand  sicherlich  dem 
deutschen  Sinfoniker  gänzlich  fem.  Ich  suche  nicht  nach  Anklängen,  sondern  naeh 
jener  tieferen  Verwandtschaft,  wie  sie  z.  B.  fast  alle  späteren  deutschen  Musiker 
nüt  Weber  zeigen.  Daß  sie  bei  Kastner  fehlt,  ist  um  so  bemerkenswerther,  als 
(die  von  ihm  für  Gesang  und  Orchester  komponirten  größeren  Werke  sich  meisten- 
theüs  in  jenem  romantischen  Kreise  bewegen,  der  von  Weber  beherrscht  wurde. 
Aber  man  vergleiche  nur  einmal  den  Gesang  der  Sirenen  .in  Le  rSve  etOawaüd  mit 
dem  Meermädchengesang  im  »Oberon«;  es  ist  sofort  einleuchtend,  daß  sieh  hier 
französiche  und  deutsche  Musik  gegenüber  stehen.  Auch  die  mehrstimmigen 
Männergesänge,  welche  Kastner  unter  dem  Titel  Les  ehants  delavie  herausgegeben 
hat,  und  bei  denen  er  sich  deutsche  Männerchöre  direkt  als  Muster  vorstellte,  sind 
etwas  gänzlich  anderes,  als  diese.  Wie  konnte  aus  dem  Elsaß,  wenn  es  deatseh 
empfand,  sang  und  spielte,  ein  solcher  Musiker  hervorgehen,  zimial  da  der  Mann 
in  allen  anderen  Dingen  die  germanische  Stammesart  thatsächlich  nirgends  ver« 
leugnet? 

Hier  muß  man  sich  erinnern,  was  denn  zu  der  Zeit  da  Kastner  heranwuchs 
von  wirklich  deutscher  Musik  in  weiteren  Kreisen  herrschte.  Mit  der  Instrumen- 
talmusik der  Wiener  Meister  und  den  Oratorien  Haydn's  und  Händel's  wird  man 


Hermann  J^udwig,  Joliann  Georg  Kastner.  44} 


es  genannt  haben.  Nun  war  die  Pflege  der  Musik  in  den  verschiedenen  Oauen 
und  Stfidten  deutschen  Wesens  eine  sehr  ungleiche,  in  Straßburg  befand  sie  sich 
damals  in  offenbarem  Verfall.  Weder  die  ^stitute  für  Chormusik  noch  die  für 
Orchesteraufführungen  wollten  gedeihen.  In  dieser  Beziehung  konnte  Kaster  nach- 
haltige Eindrücke  kaum  empfangen.  Deutseher  M&nnergesang  hat  erst  nach  seiner 
Zeit  in  Straßburg  tiefere  Wurzeln  geschlagen.  In  der  Oper  aber  gelangte  die 
deutsche  Axt  so  gut  wie  gar  nicht  zur  Geltung.  Mozart  war  eine  vereinzelte  Er- 
scheinung geblieben  und  stand  für  das  große  Publikum  zu  hoch.  Beethoven  und 
Spohr  konnten  in  des  Wortes  voller  Bedeutung  überhaupt  nicht  als  Operkompo- 
nisten gelten,  und  verschwanden  in  dem  Strome  glänzender  Talente,  der  nach  wie 
vor  von  Italien»  in  zweiter  Beihe  auch  von  Frankreich  ausging.  Weber  w&re  der 
Mann  gewesen,  die  Ausl&nderei  in  ihre  Schranken  zu  weisen,  hätte  ihn  nicht  ein 
früher  Tod  vom  Kampfplatz  abgerufen,  und  Marschner's  Kraft  war  nicht  nachhaltig 
genug,  um  Webet^s  Werk  siegreich  zu  vollenden.  Cherubini,  Spontini,  Bossinl 
und  BeUini,  Mehul,  Isouard,  Boieldieu  und  Auber  —  sie  sind  es  gewesen;  die 
der  damaligen  Oper  auch  in  Deutschland  die  Wege  wiesen.  Unvergleichlich  viel 
größer  als  j^etzt  war  aber  jdamals  noch  der  Einfluß,  den  die  Oper  auf  das  ge- 
sammte  Musikleben  ausübte^  Dasjenige, -^as  man  die  mittlere  Tonsprache  jener 
Zeit  nennen  kann  —  eine  jede  Periode  besitzt  ein  solches  auf  musikalischem  Ge- 
meingut beruhendes  Idiom  —  war  vorzugsweise  durch  die  Opemmusik  gebildet 
worden.  Da  es  an  bedeutenden  Künstlern  in  Straßburg  gänzlich  fehlte,  Kastner 
auf  Musiker  geringen  Ranges  oder  auf  sieh  selbst  angewiesen  war ,  auch  mit 
25  Jahren  zum  ersten  Male  aus  diesen  Verhältnissen  herausgelangte,  so  mußte  die 
Luft  musikalischer  Mittelmäßigkeit,  die  er  in  den  Lebensjahren  der  größten  Bild- 
samkeit und  Empfänglichkeit  unausgesetzt  einathmete,  die  Entwickeln ng  seines 
Geschmackes  und  seiner  Produktionskraft  natürlich  stark  beeinflussen.  Sie  würde 
dies  nach  der  Richtung  des  Opemhaften  auch  dann  gethan  haben,  wenn  nicht  die 
Aufführungen  der  Straßburger  Opemgesellschaften  verhältniBmäßig  noch  das  Beste 
gewesen  wären,  woran  er  seinen  aufstrebenden  Geist  nfihren  konnte.  Daß  er  mit 
besonderer. Begierde  sich  auf  die  Opemkomposition  warf,  ist  demnach  begreiflich; 
offenbar  aber  fühlte  er  sich  auch  für  die  dramatische  Musik  von  Natur  aus  am 
mebten  veranlagt.  Ich  denke  nicht  zu  irren,  wenn  ich  vermuthe,  daß  er  in  seinen 
dramatischen  Jugendwerken  die  italiänisch-französisohe  Durchschnittssprache  seiner 
Zeit  geredet  hat  In  Paris  tritt  dann  allgemach  eine  gewähltere  Art  und  der  fran- 
zösische Accent  stärker  hervor ;  auch  dem  blendenden  Eindruck  der  Opern  Meyer- 
beer's  hat  er  sich  wohl  nicht  entzogen. 

In  gleichem  Jahre  mit  Kastner  ist  Robert  Schumann  geboren.  Die  Jugend- 
entwickelung beider  bietet  Ähnlichkeiten.  Hier  wie  dort  Eltern,  die  der  Tonkunst 
fem  stehen,  hier  wie  dort  die  Bestimmung  für  einen  wissenschaftlichen  Beruf,  und 
der  ungern  gemachte  Versuch,  sieh  auf  ihn  vorzubereiten.  Die  Ungunst  der  Um- 
gebung, unter  der  Kastner  zu  leiden  hatte,  mußte  Schumann  in  ähnlich  starkem 
MaBe  in  seiner  sächsischen  Provinzialstadt  erfahren.  Freilich  bot  ihm  das  Eltern- 
haus selbst  viel  reichere  Quellen  der  Bildung,  früher  als  Kastner  gelangte  er  in 
die  Welt  hinaus  und  an  eine  Stätte  althergebrachter  Kunstpflege,  Nahrungssorgen 
blieben  ihm  erspart,  er  konnte  sieh  ungehindert  ausleben.  Aber  bei  der  Verglei- 
chung  der  Werke  beider  zeigt  sich  ein  Qualitätsunterschied,  zu  dessen  Erklärung 
diese  Dinge  nicht  ausreichen.  Bei  Schumann  bricht  eine  Welt  neuer  und  ur- 
deutscher Kunstideen  mit  elementarer  Gewalt  hervor ;  hier  offenbart  sich  ein  großes 
schöpferisches  Talent.  Kastner  kann  man  als  ein  solches  nicht  bezeichnen;  ihm 
fehlt  zwar  nicht  die  Produktionslust,  wohl  aber  die  scharf  ausgeprägte  Eigenart. 
Es  ist  ein  Fehler  der  Biographie,  daß  diese  Thatsache  nirgends  bestimmt  ausge- 


442  Kritiken  und  ReferatiB. 


Bproehen  wird.  Der  Leser,  weleher  nichts  von  Kastner  kennt,  sehwebt  in  unbe- 
haglicher Unsicherheit  darüber,  welch  eine  kOnstlerisehe  Poteni  er  sich  gegenüber 
hat.  Diese  war  nicht  ersten  Ranges;  Wäre  sie  es  gewesen,  so  würde  sie  sieh 
durch  die  beschränkenden  Verhältnisse  hindurch  ihre  Bahn  gebrooh«i  haben. 
Dann  hätte  auch  wahrscheinlich  nicht  der  Oper  das  Hauptstreben  Kastner's  ge- 
golten, sondern  der  deutschen  Instrumentalmusik  in  Beethoven's  Sinne. 

Aber  damit  soU  nicht  im  entferntesten  die  Bedeutung  des  Mannes  Terkleinert 
werden,  die  anf  seinen  Kompositionen  nur  f  u  einem  geringeren  Theile  beruht.  Ja, 
wäre  er  selbst  nichts  weiter  gewesen,  als  Komponist,  so  würde  er  immer  einen 
ehrenvollen  Fiats  unter  seinen  Zeitgenossen  behaupten.  Einen  Höh^rankt  seiner 
Leistungen  scheint  die  biblische  Oper  Le  demter  rot  de  Juda  zu  bedeuten,  welche 
1844  komponirt  und  einmal  bruchstückweise  im  Konsertsaal  aufgeführt  worden, 
aber  weder  als  Ganzes  auf  der  Bühne  erschienen  noeh  auch  durch  den  Druck  rer- 
Öffentlicht  ist.  Ein  Sextett  daraus  theilt  der  Biograph  als  Beilage  zum  sweiten 
Bande  mit;  ich  weiß  nicht,  ob  dies  eine  glückliche  Wahl  war.  Wer  Kastner  als 
dramatischen  Komponisten  kennen  leinen  will,  dem  bieten  die  Werke  daxu  Ge- 
legenheit, welche  er  seinen  großen  wissensohafüichen  Publikationei)  beigegeben 
hat:  La  darue  maedbre  1852  (in  Les  dtmses  dm  morU]^  Stephen  ou  la  harpe  d*£oie 
1855  (in  La  harpe  d'Eole  et  la  mtteique  cosmique),  Lee  crxe  de  Pari»  1857  (in  Lee 
voxx  de  Parte),  Le  rive  d'Oetoald  ou  leg  Sir^nee  1858  (in  Lee  Sirenee),  La  Samt' 
Julien  dee  Min^riee  1866  (in  der  Pärimiologie  mueieale  de  la  langtte  franfoiee}. 
Weil  Kastner  für  die  dritte  und  vierte  dieser  Kompositionen  die  Beieiehnung  ^fm- 
phonie  voeale  H  iheirumentäle,  für  die  fünfte  den  Titel  Symphtmie^Cantate  gewählt 
hat,  scheint  hier  und  da  das  Vorurtheil  zu  bestehen,  man  habe  es  bei  ihnen  mit 
jener  Mischgattung  zu  thun,  von  der  Berlioz  in  Romeo  et  Julieite  ein  abstoßendes 
Beispiel  geliefert  hat.  Die  Bezeichnungen  sollen  aber  nur  auf  den  reichen  Antfaeil 
hindeuten,  welchen  das  Orchester  an  der  Darstellung  des  Ganzen  nimmt.  Die 
Werke  sind'  frei  von  allen  Berlioz'schen  Formlosigkeiten  und  Gewaltsamkeiten: 
freilich  fehlen  auch  die  genialen  Blitze,  welche  dort  über  dem  chaotischen  Wesen 
aufleuchten.  Kastner  verläßt  nirgends  die  bewährten  Formen,  überall  leitet  ihn 
ein  gesunder  Sinn  für  das  Natürliche  und  Angemessene.  Hätte  jemals  in  Frank- 
reich das  Oratorium  Pflege  gefunden,  so  würden  diese  Werke  zum  Theil  wohl  in 
eine  ähnliche  Form  gebracht  worden  sein,  wie  sie  Miendelssohn  und  Sehumann  ge- 
wissen romantischen  Stoffen  gegeben  haben :  die  »erste  Walpurgisnacht«,  »Paradies 
und  Peri«,  die  Balladen  vom  Pagen  und  der  Königstochter  sind  ihrem  Wesen  na^ 
oratorienhaft.  Da  diese  Kunstgattung  den  Franzosen  fremd  geblieben  ist,  hat 
Kastner  sich  überall  der  dramatischen  Form'  bedient.  Es  sind  ausgeprägte  Opem- 
scenen,  die  sich  vor  dem  Hörer  abspielen ;  die  »Sirenen«  kann  man  sogar  eine  voll- 
ständige Oper  nennen.  Der  Chor  spielt  in  allen,  mit  Ausnahme  der  Ikmee  maeahre, 
welche  nur  für  Solostimmen  und  Orchester  gesetzt  ist,  eine  hervortretendere  Rolle, 
als  man  es  in  der  italiänischen  und  französischen  Oper  sonst  gewohnt  ist.  Da- 
durch bekommen  sie  ein  gewichtigeres  Wesen;  aber  der  Stil  bleibt  auch  hier  ein 
durchaus  opemhafter. 

Liebenswürdige  Musik  -^  mit  diesem  Ausdruck  wird  man  den  Inhalt  der 
Werke  wohl  am  treffendsten  bezeichnen.  An  der  Cantate  La  Saint^JuUen  dee  Men^ 
iriere  für  Minnerstimmen  und  Orchester  interessirt  vorzugsweise  die  Gnveiture, 
auf  die  oben  schon  hingedeutet  wurde.  Ein  fließendes,  glänzendes  Musikstück 
über  Melodien  der  nachfolgenden  Gesangscenen.  Aber  die  Verwendung  derselben 
ist  nicht  die,  welche  man  von  Weber  her  kennt,  Dodi  weniger  die  Cherubinisehe 
Anaereon).  Mögen  diese  Meister  sich  immerhin  vorhandenen  Materiales  bedienen, 
so  wissen  sie  es  doch  organisch  zu  verweben  und  dergestalt  in  den  Dienst  einer 


Hermann  Ludwig»  Johann  Oeotg  Kästner.  448 


Grundidee  lu  stellen,  daß  Folgeriehtigkeit  und  Einheit  herrschen.  Solche  höhere 
Gesichtspunkte  künstlerischer  Gestaltung  kommen  bei  Kastner's  OuTerture  gar 
nicht  in  Fmge ;  ungeswuiigen  reiht  sich  Melodie  an  Melodie,  wie  man  es  .etwa  bei 
Koaaini  findet;  yieUeicht  hat  dessen  Tell-Ouverture  geradem  als  Muster  vorge- 
sehwebt, sum  wenigsten  fOr  das  Allegro.  Fehlt  ihm  im  Gänsen  eine  tiefere  Ur- 
sprünglichkeit,  so  begegnen  doch  im  Einzelnen  viele  charakteristische  Züge.  Gegen 
die  liebliche  und  gewJÜiUe  'Naivet&t  der  Boman^e  der  Eva  in  den  »Sirenen«  (»Z0 
dumt  de  la  jeuneßüen),  die  so  wirkungsreich  gegen  den  Lockruf  der  Sirenen  kon- 
trastirt,  wird  nicht  leicht  jemand  unempfindlich  sein.  Der  Mittelsats  des  Quar- 
tettes, als  man  Oswald  im  Walde  sucht  und  sich  dw  verrufenen  Stelle  nfthert  (»Au 
plus  ipak  de  ees  hruyereett)^  trifit  einen  gewissen  unheimlichen  Ton  sehr  gut  Li 
der  Ikaue  maeabre  ist  der  eigentliche  Bondosats  mit  seiner  eintönigen  'Melodie, 
•seiner  schwer  lastenden  Begleitung  und  dunkeln  Farbe  von  bedeutender  Eindrucks- 
&higkeit,  auch  die  Beden  der  Alten,  des  Soldaten,  des  Kindes  seigen  ein  be- 
merkenswerthes  Talent  cur  Charakterisirung.  Das  Hübscheste,  was  Kastner  ge- 
macht hat,  als  Games  wie  im  Einseinen,  ist  nach  meinem  Geschmacke  die  Symr 
phonie  kumoristique :  Lee  erü  de  Parts,  Hier  herrscht  so  viel  fröhliche  Laune, 
Geist,  sicheres  Können,  Mannigfaltigkeit,  die  Idee  des  Gänsen  ist,  wenigstens  in 
dieser  Gestalt,  so  originell,  die  Dichtung  so  geschickt  und  anmuthig,  daß  ich  stets 
mit  Vergnügen  an  den  Tag  surück  denke,  an  dem  ich  dies  Werk  sum  ersten  Male 
gelesen  habe.  Die  Orchesterfuge,  su  welcher  die  Voix  eonfuses  der  Straßenh&ndler 
ihre  Waaren  ausschreien,  ist  des  besten  Meisters  würdig,  und  die  lustigste  Musik, 
die  man  sich  denken  kann.  Fast  durch  die  ganse  »Symphonie^  hält  sich  die  Er- 
findung auf  gleicher  Höhe ;  nur  die  Militär-  und  Tansmusik  könnte  weniger  banal 
sein.  Besonders  fein  entwickelt  sind  die  Organe  des  Komponisten  für  das  instru- 
mentale Klangwesen :  es  ist  dies  der  einzige  Punkt,  in  welchem  er  sich  mit  Berlios 
berührt.  Li  jedem  Werke  stößt  man  auf  neue  schöne  Effekte;  erführe  man  es 
auch  nicht  ausdrücklich  durch  die  Biographie,  daß  Kastner  siemlich  alle  Listru- 
mente selbst  gespielt  habe,  seine  Werke  aUein  würden  offenbaren,  daß  er  die  ein- 
dringendste Spesialkenntniß  ihres  Wesens  besaß.  Wie  erfinderisch  ist  in  »Stephen 
ou  la  harpe  d'Eole«  das  bebende  Getön  der  Aeolsharfe  nachgeahmt;  wie  saubwhaft 
lispeln  die  beiden  Harfen  im  Schlußchor  der  »Oris  de  Paris al  Fremdartig  reisend 
wirkt  das  Pianissimo- Tremolo  des  Pianoforte  in  der  Einleitung  sum  Chor  der 
Sirenen  (Nr.  6) ;  so  viel  ich  mich  entsinne  ist  Kastner  der  erste,  welcher  dies  In- 
strument als  ein  Organ  des  modernen  Orchesters  hat  auftreten  lassen.  Auch  die 
Saxhömer  und  das  Saxophon  finden  bei  ihm  ausgiebige,  und  namentlich  das  lets- 
tere  schöne  und  eigenthümliche  Verwendung,  wie  er  denn  auch  zu  den  ersten  und 
gewichtigsten  Autoritäten  gehörte,  die  die  Erfindungen  von  Adolph  Sax  su  wür- 
digen verstanden  und  dies  durch  kräftiges  Eingreifen  su  seinen  Gunsten  bethätig- 
ten.  Die  originelle  Anwendung  der  Pansflöte  im  Sirenenchor  verdankt  man  Kast- 
ner's  persönlichem  Verkehr  mit  Sax,  der  über  eine  Verbesserung  dieses  uralten 
Instrumentes  nachsann.  Ich  weiß  nicht,  ob  er  seine  Ideen  verwirklicht  hat  (Kast- 
ner spricht  von  ihnen  in  »Les  SirenesK  S.  95);  auf  einer  gewöhnlichen  Pansflöte 
läßt  sich  das  nicht  ausführen,  was  ihr  in  dem  genannten  Chore  sugemuthet  wird. 
Opemhaft  ist  Kastner  manchmal  auch  in  seinen  Männerchören.  In  Deutsch- 
land, dem  Lande  des  Männergesanges,  haben  sie  sich  nicht  verbreitet;  die  Chants 
de  la  vie  hat  Otto  Eiben  in  seinem  Werk  über  den  volksthümlichen  deutschen 
Männergesang  sogar  mit  unverhohlener  Mißbilligung  surückgewiesen.  Daß  sie 
nicht  von  deutscher  Art  sind,  habe  ich  schon  gesagt  Aber  es  ist  Unrecht,  nun 
SU  thun,  als  wären  sie  überhaupt  nichts.  Ausdrücklich  bestimmt  der  Komponist 
sie   auserlesenen,    geübten   Sängern;     es    sind    mehrstimmige   Gesänge  für    eine 


444  Xritiken  und  Referate. 


gewählte  Öeselkchaft,  auf  das  Volksthamliche  wird  von  vornherein  yeniehteu 
Bo  angesehen  bieten  sie  doch  des  Erfreuliehen  nicht  wenig.  Sehr  gut  gelingt 
dem  Komponisten  auch  im  M&nnergesang  das  Anmuthig-Heitere,  wie  die  Trxo- 
lienne  Primavera  (Nr.  11  der  CTumts  de  la  vie)  beweist.  Der  Chant  de  VüMr« 
(ebenda  Nr.  16j,  weicher  nach  einer  Andantino-Einleitung  lu  Tier  Stimmen  alt 
großer  doppelchöriger  Marsch  einhersohreitet,  zeigt  wie  Kastner  auch  im  kräf- 
tigen Genre  seinen  Mann  stellt.  Der  Gesang  8ur  la  mort  tPun  guerrier  'ebenda 
Nr.  18)  ist  recht  schön  im  Charakter  des  Trauermarsches  gehalten  und  klingt 
stimmungsvoll  aus.  Verführt  dureh  die  Lust  an  Klangeffekten,  wennschon  ftoBer- 
lieh  angeregt  durch  eine  in  Deutschland  aufgekommene  Sitte,  läßt  Kastner  nicht 
nur  edur  viel  ä  bouehe  fermSe  singen,  sondern  auch  en  inutant  leg  ifutrwnenU  de 
auivre;  ja  vollständige  Klavier-  oder  Orchesterbegleitungen  müssen  seine  Sftnger 
nachmachen,  und  die  letzten  sechs  Stücke  der  genannten  Sammlung  sind  sogar 
durchaus  Ckants  sans  paroles.  Daß  häufig  nur  vokalisirt  werden  soll  (Kastner  be- 
ruft sich  etwas  gesucht  auf  die  Jubili  des  mittelalterlichen  Kirchengesanges),  mag 
noch  eher  angehen.  Die  Rücksicht  allein  auf  den  Klang  bestimmt  ihn  auch,  oft- 
mals mehr  als  vier  Stimmen  anzuwenden,  ohne  sie  doch  streng  selbständig  n 
führen.  So  soll  der  Gesang  der  Studenten  in  den  »Sirenen«  doppelehörig  sein: 
allein  der  zweite  Chor  geht  meistens  mit  dem  ersten  zusammen,  oder  ahmt  eine 
Instrumentalbegleitung  nach.  Kleine  Lässigkeiten  und  Freiheiten  des  Saties,  die 
unserem  wieder  strenger  gewordenen  Geschmaoke  nieht  behagen,  lagen  damals  in 
Zuge  der  Zeit  und  gaben  keinen  Anstoß.  Es  darf  freilich  nicht  versehwiegen  wei^ 
den,  daß  über  diese  Kleinigkeiten  hinaus  sich  bei  Kastner,  und  nicht  nur  in  den 
Männergesängen,  sondern  auch  in  seinen  großen  Werken  manchmal  unlogische 
Harmonienfolgen,  Stockungen  in  der  harmonischen  Entfaltung  und  Mangel  an 
dreier  und  sicherer  Bewegung  bemerklich  machen.  Nicht  immer  verfügte  er  in 
diesem  Betracht  über  die  vollste  Meisterschaft.  Aber  er  besaß  eine  leichte  Hand 
als  Komponist',  diese  führte  ihn  gewöhnlich  über  Schwierigkeiten  hinweg,  in  welche 
ein  tiefer  eingreifender  Arbeiter  sich  sicher  verwickelt  haben  würde. 

Die  ersten  Erfolge  in  der  Pariser  Musik  weit  verdankte  Kastner  seiner  Lehr- 
thätigkeit.  Der  Biograph  hebt  hervor,  daß  sie  sein  Emporkommen  als  Komponist 
gehindert  hätten,  man  habe  in  ihm  immerfort  nur  den  Theoretiker  gesehen.  Das 
ist  sehr  glaublich.  Der  erste  starke  Eindruck  pfiegt  in  der  Öffentlichkeit  auf  lange 
zu  entscheiden.  Man  mag  nachher  leisten  was  man  will,  das  frühere  dreifach  über- 
treffen, ganz  andere  Wege  einschlagen  —  dem  lieben  Publikum  bleibt  man,  was 
man  ihm  anfangs  zu  sein  schien.  Aber  richtig  ist  nun  doch  auch,  daß  Kastner'f 
Lehrbegabung  eine  große  und  seine  Lust  zu  lehren  von  frühester  Jugend  auf  eine 
außerordentliche  war.  Über  Kastner's  zahlreiche  Lehrbücher,  über  das  Eigenthüm- 
liche  seiner  Methode  und  die  Verdienste,  welche  er  sich  durch  sie  für  das  Musik- 
leben Frankreichs  erwarb,  hat  Hermann  Ludwig  Genügendes,  wenn  auch  nieht  Er- 
schöpfendes gesagt.  Er  vollzieht  einen  Akt  historischer  Gerechtigkeit,  wenn  er 
Kastner's  TraiU  g^iral  d'instrumeniation  ^Paris,  1836)  und-  Cotir«  ^inairwmeHia^imk 
(Paris,  1837)  dem  bekannten  Werke  Berlioz'  gegenüber  kräftig  hervorhebt.  Leta- 
teres  ist  genialischer,  blendender;  aber  ohne  Kastner's  Vorarbeit  würde  es  kaum 
vorhanden  sein,  und  es  erreicht  diese  nicht  entfernt  in  Bezug  auf  sachgemäße, 
lehrhafte  Methode.  Kastner's  Instrumentationslehre  ist  bis  auf  den  heutigen  Tag 
eine  höchst  brauchbare  Arbeit  geblieben.  An  Werth  übertroffen  wird  sie  aber  noch 
durch  sein  Manuel  genial  de  mueique  militaire  (Paris,  1848).  Es  kann  freilich  nur 
in  seinem  letzten  Theile  ein  wirkliches  Lehrbuch  genannt  werden,  und  so  bedeu- 
tend dieser  ist,  tritt  er  doch  zurück  gegen  den  ersten  Theil,  einen  Abriß  einer 
allgemeinen  Geschichte  der  Militärmusik,  der  das  Beste  ist,  was  wir  bis  jetzt  auf 


Hermann  Ludwig,  Johann  Georg  Kastner.  445 


diesem  noch  so  wenig   durchforschten  Gebiete  besitzen.     Hier  kommen  wir  auf 
Kastner  den  Musikgelehrten. 

Außer  der  im  Manuel  g^nSral  enthaltenen  Abhandlung  und  einer  den  ChanU 
de  la  Die  vorausgeschiekten  Untersuchung  Ober  die  Geschichte  des  Männergesanges, 
dasu  etwa  noch  dem  verdienstlichen  Versuch  einer  Geschichte  der  frans ösischen 
Kriegsgesänge,  der  den  23  ChanU  de  Tarmie  fran^aiee  Torhergeht,  sind  es  vor 
allem  jene  großen  Werke:  Les  danses  des  mortBf  La  harpe  d'iole  et  la  musique 
eosmiquef  Les  voix  de  Parte,  Les  Sirhtes  und  die  Parhniologie  mueieale  de  la  latigue 
franeaise,  worauf  Kastner  den  Anspruch  gründen  kann,  unter  den  Musikforschern 
einen  hervorragenden  Platz  einzunehmen.  Ein  Kritiker  der  Revue  eontemporaine 
behauptete,  er  sei  der  einzige  französische  Schriftsteller,  der  sich  auf  die  von 
Deutschland  eröffneten  Pfade  gewagt  habe.  Das  ist  nun,  wie  jeder  Historiker 
weiß,  nicht  der  Fall.  Aber  in  der  Art  seiner  Wissenschaft  steht  Kastner  aller- 
dings allein  da.  Die  ersten  und  vornehmsten  Quellen  der  Kunstforschung  sind 
die  Kunstwerke  selbst.  Wer  Wesen  und  Entwickelung  der  Musik  erkennen  will, 
muß  sich  demnach  zunächst  an  die  Tonschöpfungen  vergangener  Zeiten  wenden 
und  diese  zu  verstehen  suchen.  Dieser  Forderung  entspricht  Kastner  nicht.  £r 
untersucht  die  Darstellungen  der  Todtent&nze  in  Wort  und  Bild,  die  Schall-  und 
Tonerscheinungen  des  Naturlebens  in  Luft  und  Wasser,  die  im  Schrei  und  im 
L&rm  des  großstädtischen  Verkehrs  enthaltenen  musikalischen  Elpmente,  die  Zau- 
berkraft der  Musik  im  Spiegel  der  Sage,  die  Krystallisation  musikalischer  Vor- 
stellungen im  Sprichwort.  Alles  Gegenstände,  aus  deren  Durchforschung  sieh  zwar 
sicher  ein  Gewinn  für  die  Erkenntniß  des  Wesens  der  Tonkunst  ergiebt,  die  aber 
vom  Hauptwege  abseits  liegen.  In  dieser  Beziehung  trägt  Kastner's  Musikforschung 
den  Charakter  der  Liebhaberei.  Daß  seine  Kenntniß  von  der  Musik  vergangener 
Perioden,  ihrer  Stilart  und  Stellung  im  Völkerleben,  vom  Leben  und  Schaffen  älte- 
rer Meister  keine  umfassende  und  eindringende  war,  geht  aus  seinen  Schriften  klar 
hervor :  es  fehlt  in  ihnen  nicht  an  allerhand  Unrichtigkeiten,  die  bei  etwas  gründ- 
licherem historischen  Studium  leicht  zu  vermeiden  waren.  Auffällig  ist,  wie  wenig 
er  sich  überhaupt  für  das  zu  interessiren  scheint,  was  als  Kunstwerk  im  Laufe 
der  Zeiten  entstanden  ist.  In  den  Voix  de  Paris  S.  44  ff.  behandelt  er  eine  Chan' 
son  nouveUe  de  tous  les  eris  de  Paris  aus  dem  16.  Jahrhundert,  qui  se  chante  sur 
la  Volte  de  Provence.  Worauf  jeder  andere  Musikgelehrte  zuerst  losgehen  würde, 
wäre^  die  Melodie  dieser  Volte  de  Provence  ausfindig  zu  machen.  Kastner  macht 
dazu  nicht  die  geringsten  Anstalten,  beschäftigt  sich  dagegen  mit  der  litterarischen, 
philologischen  und  socialen  Seite  der  Quelle  ausführlich.  S.  59  ist  von  Lieblings« 
melodien  gewisser  Pariser  Straßensänger  am  Anfang  unseres  Jahrhunderts  die  Rede, 
von  dem  Rondeau  JEnfant  ch4ri  des  dames,  der  Chanson  Gh^aman  ne  connait  plus 
d'obstacle  u.  a.;  die  Melodien  selbst  lehrt  der  Verfasser  uns  nicht  kennen.  An 
dem  Menü  et  von  Exaudet  geht  er  vorüber,  ohne  nur  anzudeuten,  welche  Rolle 
dies  Stückchen  in  der  Unterhaltungsmusik  Frankreichs  im  18.  Jahrhundert  gespielt 
hat;  daß  der  S.  67  angeführte  Nachtwächterruf  Je  viens  voua  avertir  der  Melodie 
des  alten  Jagdliedes  Pour  aller  ä  la  chasse  entnommen  ist,  scheint  er  nicht  be- 
merkt zu  haben.  Melodien  fremder,  unkultivirter  Völker  faßt  er  nicht  sowohl  als 
historische  Dokumente  auf,  sondern  vielmehr  unter  dem  modern-künstlerischen 
Gesichtspunkt  größerer  oder  geringerer  Wohlgef&Uigkeit  (S.  81  f.).  Auf  die  In- 
strumente, deren  sich  die  tanzenden  Gerippe  mittelalterlicher  Darstellungen  be- 
dienen, geht  er  ein,  aber  nirgends  scheint  ihm  nur  der  Gedanke  zu  kommen,  daß 
auch  die  Frage,  was  denn  mit  den  Instrumenten  musioirt  sein  könne,  ihre  Be- 
rechtigung habe.  Ich  sage  nicht,  daß  es  ihm  hätte  gelingen  können,  sie  aus- 
reichend zu  beantworten ;  daß  er  sie  gar  nicht  aufwirft,  ist  das  bezeichnende.   Die 


446  XLritikeii  und  Referate. 


Abbildungen  der  Sirenen  würde  ein  anderer  anf  ihre  y.ntfti»biingwiHt  nattr- 
sucht  und  alsdann  die  auf  ihnen  dargestellten,  selbetiadig  wirkenden  oder  bef^- 
tenden  Imtrumente  mit  den  Naefariehten  lu  kombiniren  getrachtet  habea,  wddie 
wir  fonet  Ton  der  Mufikabung  der  alten  Orieehen  und  Bömer  besitacn.  Anf  die- 
sem Wege  w&re  es  möglieh  gewesen,  wenigstens  su  einer  Ahnung  daTon  su  ge- 
langen, wie  jedesmal  der  betreffende  Bildner  sich  die  Musik  seiner  Sireoen  tw- 
gesteUt  habtti  dürfte,  und  dadurch  wfiren  unsere  Vorstellungen  naeh  Seite  der 
Kunst  hin  kräftiger  belebt  worden,  als  durch  Anh&ufung  anderen  ardiftolagisdie& 
Stoffes.  Kästner  unterläßt  es,  die  Quellen  in  diesem  Sinne  ausiunutsen.  Hu 
wird  es  nun  auch  begreif  lieh  finden,  warum  seine  Arbeit  über  die  Geschichte  dei 
liännergesanges  so  wenig  genügend  ausgefallen  ist  Hier  handelte  es  «idi  u 
eine  Geschichte  Ton  Kunstformen,  die  an  Kunstdenkmfilem  studirt  werden  mußUm, 
und  dahin  sog  ihn  seine  Neigung  nioht 

Alle  diese  Bemerkungen  haben  nicht  den  Zweck,  Kastner's  Forseharthiti|^ 
keit  herabzusetsen ,  sondern  sie  lu  eharakterisiren.  Man  muß  dem  Biographea 
dankbar  sein  für  den  Nachweis,  daß  der  Drang,  »das  geheime  Band  aufsudecken* 
welches  Natur  und  Kunst  in  mehr  als  einem  Punkte  Tcreinigt«  (Lea  vaix  de  Pkru 
S.  81),  von  früh  auf  in  Kastner  lebte  und  sich  mit  unauslöschlichen  Jugenderinse- 
rangen  verwebte  (I,  143  ff.}.  Auch  sein  Interesse  für  die  Militännusik  geht  auf 
die  Jugendjahre  lurück,  da  er  die  Musikkapelle  einer  Abtheilung  der  Strmßbaifer 
Bürgerwehr  dirigirte  und  M&rsche  für  sie  komponirte.  Für  die  Barhmiaiogü  ist 
ebenfalls  schon  in  Straßburg  der  Grund  gelegt  (in,  161),  gani  besonders  aber 
mußte  ihm  der  Gegenstand  der  angehängten  Symphonie-Kantate  von  dem  elaiss- 
sohen  »Pfeifertage«  her  ein  vertrauter  sein.  Das  Werk  über  die  Todtent&nxe  vei^ 
dankt  einer  Anregung  aus  dem  Jahre  1824  seine  Entstehung,  als  in  der  Neukirehe 
flu  Straßburg  eine  Reihe  von  Todtentanz-Fresken  aus  dem  15.  Jahrhundert  ent- 
deckt wurde  (I,  128  f.).  In  diesen  Thatsachen  liegt  die  tiefere  Begründung  der 
»musikwissenschaftlichen  Liebhabereien«  Kastner's,  wie  ich  sie  vorher  nannte.  Diese 
Eindrücke  der  Jugend  hegte  der  treue  Mann  im  Innersten  seines  Wesens  und 
setste  die  beste  Kraft  daran,  sie  endlich  in  einer  Weise  su  gestalten,  die  der 
Eigenthümlichkeit  seiner  Anlage  am  vollkommensten  entsprach.  Nicht  sun&chii 
durch  den  Trieb  nach  Erforschung  der  Wahrheit  ist  er  zur  Musikwissenschaft  ge- 
führt worden;  poesievolle  Anschauungen  waren  es,  die  ihn  dahin  lockten,  und 
ihm  zugleich  sein  fest  begrenztes  Gebiet  anwiesen.  Es  wfire  thöricht  zu  bemin* 
geln,  daß  dieses  nur  einen  kleinen  Theil  desjenigen  einschließt,  was  zu  erkennen 
dem  Kunstgelehrten  das  wichtigste  sein  muß.  Man  hat  einzig  und  allein  zu  fragen, 
wie  Kastner  die  wissenschafdichen  Aufgaben  gelöst  hat,  für  welche  seine  Natur 
ihn  bestimmte.  Und  hier  braucht  mit  dem  wärmsten  Lobe  nicht  gespart  zu  wer- 
den. Er  besaß  den  unermüdlichen  Fleiß  und  die  weite  Umsicht,  welche  nöthig 
waren,  für  dergleichen  Arbeiten  das  Material  zusammen  zu  bringen.  Seine  Ge- 
wissenhaftigkeit im  Sammeln  trieb  ihn  bis  in  die  entlegensten  Winkel  und  manch- 
mal weiter  als  nöthig  war,  so  daB  es  alsdann  schwer  wurde,  ein  geschlossenes 
Ganze  zu  erzielen :  in  den  »Sirenen«  macht  sich  dies  hier  und  da  in  einem  gewissen 
Mangel  an  Ordnung  und  in  unklarer  Gruppirung  von  Hauptsachen  imd  Nebenwerk 
bemerkbar.  Er  besaß  aber  außerdem  gediegene  gelehrte  Bildung,  kritischen 
Scharfsinn,  die  Gabe  glücklicher  Kombination  und  lebhafter,  fesselnder  Darstel- 
lung. Auf  die  Bedeutsamkeit  der  Resultate  hin  angesehen  verdient  das  Werk 
Leß  danses  des  morU  den  Preis.  Es  ist  eine  Leistung  ersten  Ranges:  inhaltreich, 
neu,  durchleuchtet  von  heller  Kritik,  in  Bezug  auf  das  was  man  wissen  kann  von 
unbestechlicher  Ehrlichkeit,  und  ganz  vorzüglich  stilisirt  Sind  es  nicht  durchaus 
musikalische  Gegenstände,  welche  zur  Untersuchung  kommen,   so  wird  doch  audi 


Hermann  Ludwig,  Johann  Georg  S.aBtner.  447 


Jieir  Musikgelehrte  und  gelehrte  Musiker  wegen  der  Fülle  von  künstlerischen  An- 
schauungen, die  sich  hier  aufthun,  mit  Theilnahme  das  Gance  studiren.  Der  Spe- 
lialwissenschaft  gehört  der  iweite  Theil;  die  mit  dem  fünften  Kapitel  beginnende 
Untersuchung  Les  Instruments  de  mtmque  des  Danses  des  Msrts  gestaltet  sich  lu 
einer  Beschreibung  und  Darstellung  der  mittelalterlichen  Musikinstrumente,  welche 
das  Beste  genannt  werden  darf,  was  über  diesen  schwierigen  Gegenstand  gescfaiie- 
ben  worden  ist.  Der  in  der  Pwimioiogie  Terwirklichte  Gedanke,  das  Sprichwort 
als  eine  Quelle  der  Musikgeschichte  ieu  erschließen,  ist  geistvoU,  neu  und  ergiebig. 
Aber  auch  die  übrigen  Werke  bieten  einen  gewaltigen  Schati  Ton  Beobachtungen 
und  öfflfien  eine  reiche  W^t  der  Anschauungen.  Unser  Biograph  sagt,  Kastner 
habe  in  Lo  harpe  d^Eoh  dargestellt,  wie  sich  die  instrumentale  Tonkunst  aua  den 
Schallerscheinungen  der  Natur  entwickelte,  und  in  Les  voix  de  Paris'  sei  er  dem 
Ursprung  des  Gesanges  im  Schrei  nachgegangen  (III,  141).  Aber  hier  sagt  er  £u 
viel.  Das  Problem  von  der  Entstehung  der  Musik  zu  lösen,  hat  wohl  Kühner 
gans  fern  gelegen.  Er  will  nur  aufs  eigen,  dafi  iwischen  Naturstimmen  und  Schfei 
einerseits,  und  der  Musik  andrerseits  ein  Zusammenhaag  bestehe.  Auf  welchem 
Wege  aber  der  Zusammenhang  sich  hergestellt  habe,  diese  Frage  läßt  er  vorsichtig 
unerörtert.  Aueh  su  Gr^rVs  Princip,  daß  der  Gesang  von  der  Deklamation  ans* 
gehe,  nimmt  er  keine  entschiedene  SteUung. 

Man  begreift  aber  jene  großen  wissenschaftlichen  Arbeiten  nicht  vollst&ndig, 
wenn  man  die  Kompositionen  außer  Acht  l&ßt,  die  sich  ihnen  anschließen.  Es 
liegt  hier  eine  zuvor  nicht  dagewesene  Verbindung  von  wissensehafdichem  Werk 
und  Kunstwerk  vor,  welche  ein  französischer  Kritiker  nicht  uneben  mit  dem 
Namen  Livre- Partition  belegt  hat.  Die  C^nts  de  la  vie  und  die  Chants  de  TarmSe 
francaise  dürfen  dahin  nicht  gerechnet  werden,  bei  ihnen  ist  der  wissMsehaMiohe 
Theil  nur  Einleitung  und  d^  Hauptaccent  liegt  auf  der  Musik.  Indem  aueh  diese 
einen  schwachen  doktrinfiren  Beigeschmack  hat,  würde  gesagt  werden  können,  daß 
die  beiden  Werke  ein  Mitü^ding  zwischen  Lehrbueh  und  fire&em  Kumtwerk  dür^ 
stellten.  Livres'Partitions  bleiben  demnach  fünf,  ein  «echites,  Zaßüe  d*Odim,  ist 
unvollendet  hintetiassen;  ob  das  vollendete  aber  nicht  veröffentlichte  Werk  Les 
Ramnitsehelsj  ttVrame-Sytnphmien  in  zwei  Theilen  mit  einer  Abhandlung  über  die 
Mugik  der  Zigeuner,  auch  hierher  zu  rechnen  sein  würde,  weiß  ich  nicht.  In  weU 
chem  Veih&ltniß  in  den  Livres-Pariitions  die  Arbeit  des  Künstlers  tu  der  Arbeit 
des  Gelehrten  steht,  darüber  sohaffen  die  Bemerkungen  des  Biographen  keine  rtX^ 
ständige  Klarheit.  Ihm  seheint  auch  in  ihnen  das  Kunstwerk  ads  Veranlassung  zu 
der  wissenschaftlichen  Abhandlung,  und  demnach  als  der  Kern  dea  Ganzen  gel(»n 
zu  müssen  {III,  26;  Di,  1^1),  so  daß  der  von  ihm  citirte  Ed.  Monnais  Recht  gl^ 
habt  hätte,  der  die  Abhandlung  nur  eine  Voitede  der  Partitur  nennt.  Ich  glaube 
aber,  die  Sache  verhält  sich  anders,  und  berufe  mich  deshalb  auf  Kastner  selb^ 
Er  erzählt  in  der  Vorrede  zu  Les  danses  des  nvsrts  (S.  XV),  während  er  sich  mehre 
Jahre  hindurch  »it  der  Erforschung  der  Todtentänze  beschäftigt  habe,  »ei  er  von 
dem  Gegenstande  so  ergriffen  worden,  daß  det  Wunech  in  Ihm  rege  ^wordett  m 
ihn  aueh  musikalisch  darzustellen.  In  der  Vorrede  ftu  Les  SirSnes  (8.  VII;  nennt 
er  die  Kompoiition  »eine  natürliche  Ergänzung«  zu  den  gelehrten  Untersuchungen, 
und  an  einer  andern  Stelle  (8.  94 — 95)  desselben  Werkes  bemerkt  er,  der  Gegen- 
stand der  Untersuchung  habe  ihn  zu  einem  ähnlidien  musikalischen  Versnebe  vet^ 
anlaßt,  wie  er  von  Mendelssohn  in  der  Ouvertoi«  »Hebriden«  angestellt  worden 
sei.  Das  stimmt  gewiß  nicht  mit  dem  zusanmien,  was  Hermann  Le^dwig  sagt. 
Wollte  man  nun  aber  den  Autor  dahm  interpretiren,  da6  die  Kompositionen  nur 
als  eine  nebensächliche  Zugabe  der  Untersuchung  ansusehen  wären,  so  würde  man 
dodi  aueh  etwas  unridiüges  thun.  Bedde  sind  viefattehr  Erseheinungen  derselben 
Idee  auf  versdiiedenen  G^etcn.^    Ob  die  künstlerische  oder  die  wissenediaftliche 

1888.  30 


448  Kritiken  und  Referate. 


äußerlich  früher  2ur  abschließenden  Gestaltung  kam,  bleibt  unwesentlich ;  nur  der  wird 
den  Verfasser  Tollständig  begreifen,  der  sie  als  im  Grunde  Eins  lu  erfassen  vennag. 
Diese  Grundidee  kann  man  wohl  mit  unserem  Biographen  eine  musikalische  nennen, 
aber  doch  nur  in  dem  Sinne,  in  welchem  jedes  Geisteswerk  höherer  Gattung,  auch 
ein  wissenschaftliches,  aus  einer  gewissen  allgemeinen  Stimmung  sieh  su  bilden 
pflegt,  in  der  es  als  Ganzes  dunkel  vorgeahnt  wird,  in  der  man  vorerst  noch  keine 
Gestalten  sondern  nur  Bewegung  wahrnimmt,  und  die  insofern  dem  Urwesen  der 
Musik  ähnelt.  In  der  Grundidee  ist  Kastner's  Doppelbegabung,  die  künsüerische 
wie  die  gelehrte,  latent  Äußert  sie  sich  im  Fortgang  der  Entwickelung  nach  swei 
Riehtungen  hin,  so  bleibt  doch  die  Meinung  immer  diese,  daß  bei  dem  Studium 
der  Abhandlung  das  Musikstück  still  in  dem  Leser  weiterklingt,  und  bei  dem  Ge- 
nüsse des  Musikstückes  gleichsam  der  Niederschlag  der  wissenschaftlichen  Unter- 
suchungen als  eine  FüIIb  von  Vorstellungen  und  Bildern  in  der  Phantasie  fortlebt. 
Es  ist  ein  Ineinandertönen  und  Ineinanderranken  geschwisterlicher  Gestalten,  das 
man  als  eine  ganz  neue  Erscheinung  auf  dem  Gebiete  geistigen  Schaffens  bezeich- 
nen muß.  Freilich  ist  nicht  daran  zu  denken,  daß  diese  Form,  ein  Innerliches 
darzustellen,  weitere  Pflege  erfahre.  Sie  kann  immer  nur  als  Ausnahme-Erschei- 
nung gelten.  Denn  wann  findet  sich  jemand,  der  die  Begabung  besäße,  sie  anzu- 
wenden? Und  —  was  mehr  bedeutet  —  wo  ist  denn  das  Publikum,  dem  damit 
beizukommen  wäre? 

Damit  berühren  wir  einen  Umstand,  der  bezeichnend  genug  ist,  um  eine  stär- 
kere Hervorhebung  zu  verdienen.  Keine  der  Kompositionen  der  Zivrea-Partitiona 
ist  aufgeführt  worden.  Kastner  selbst  hat  nie  die  Hand  gerührt,  eine  Aufführung 
zu  veranlassen.  Bei  der  angesehenen  Stellung,  die  er  in  der  Pariser  Musikwelt 
und  Gesellschaft  einnahm,  bei  den  bedeutenden  materiellen  Mitteln ,  über  die  er 
verfügte,  wäre  ihm  solches  leicht  gewesen.  Er  hat  es  verschmäht,  auf  anderen 
Wegen  als  dem  einer  einfachen  Veröffentlichung  seiner  Arbeiten,  Erfolge  zu  suchen. 
Andere  Menschen,  die  aus  eigener  Bewegung  für  ihn  eingetreten  wären,  haben  sieh 
weder  in  Frankreich  gefunden,  noch  in  Deutschland.  Wir  verstehen  es,  wenn  man 
dies  beklagt.  Aber  die  Wahrheit  gebietet  es  auszusprechen,  daß  sie  in  der  That 
unaufführbar  sind.  Unaufführbar  insofern,  als  eine  Aufführung  -den  Hörern  alle 
die  Wege  tum  Verständniß  des  Werkes  öffnen  soll,  auf  die  der  Schöpfer  gerechnet 
hat  Kastner  setzt  ein  Publikum  voraus,  das  seine  gelehrten  Arbeiten  gelesen, 
verstanden  und  sich  zu  eigen  gemacht  hat  Dies  PubHkum  existirt  nicht  Als  er 
lebte  gab  es  in  Paris,  hoch  gegriffen,  einige  Dutzend  Menschen,  die  mit  seinen 
Büchern  einigermaßen  vertraut  waren;  jetzt  giebt  es  deren  vielleicht  in  der  gansen 
Welt  noch  nicht  viel  mehr.  Solch  eine  Hand  voll  Menschen  musicirt  man  nicht 
mit  Solosängern,  Chor  und  Orchester  an.  Während  um  die  wissenschaftlichen 
Arbeiten  Kastner's  aufzunehmen  ein  einzelner  Leser  sich  selbst  genug  ist,  bedarf 
derselbe,  um  sich  den  organisch  zugehörigen  musikalischen  Theil  vermitteln  cn 
lassen,  einer  Schaar  von  mehr  als  hundert  Personen.  Nein !  er  bedarf  ihrer  nidit 
Derjenige,  für  den  die  Livres-Partitiona  gedacht  sind,  liest  eben  auch  die  Partitur 
wie  ein  Buch  und  durchlebt  in  seiner  stillen  Klause  mit  dem  Verfasser,  was  dieser 
gewollt  und  erreicht  hat  Es  liegt  mir  fern,  von  der  edlen  und  hohen  künstle- 
rischen Gesinnung  Kastner's,  die  sich  dem  Biographen  in  seiner  Zurückhaitang 
gegenüber  der  Öffentlichkeit  offenbart,  das  allergeringste  abzudisputiren.  Aber  ieh 
glaube,  daß  Kastner  die  unübersteigliche  Schranke  zwischen  seinen  Werken  und 
einem  großen  Publikum  ebenso  genau  erkannte,  wie  wir.  Das  Hohe,  Verehrungs- 
würdige liegt  darin,  daß  er  trotzdem  nicht  abließ,  sich  in  derjenigen  Form  su 
äußern,  welche  er  als  die  seinem  Wesen  gemäßeste  erfunden  hatte.  Darin  han- 
delte er  unpraktisch,  idealistisch,  deutseh. .  Aber  er  handelte  gewissenhaft  gegen 
sich  selbst  und  pflichtgetreu  in  der  Ausnutzung  der  ihm  verliehenen  Gaben. 


Hennann  Ludwig,  Johann  Georg  Kastner.  449 


Dieser  pflichtbewußte  Ernst,  diese  bescheidene,  allem  Scheine  abgewendete 
Tüchtigkeit  sind  Eigenschaften,  die  sein  Handeln  in  allen  I^ebenslagen  bestimmten. 
Der  Sohn  eines  unbemittelten  Straßburger  B&ckers  arbeitet  sich  unter  schwierigen 
Verhältnissen  und  fast  nur  aus  eigener  Kraft  zu  einem  respektabeln  Musiker  durch, 
kommt  25  Jahre  alt  nach  Paris,  verdient  sich  durch  Musikunterricht  sein  beschei- 
denes Brod.  Durch  Verheirathung  mit  einer  reichen,  hochgebildeten  Erbin  gelangt 
er  plötilich  in  die  gl&nzendsten  Verhältnisse  und  die  feinsten  Kreise  der  Pariser 
Gesellschaft.  Aber  der  Olückswechsel  berauscht  ihn  nicht,  macht  ihn  auch  die 
alte  Heimath  nicht  vergessen;  er  veranlaßt  ihn  nur  seinen  Fleiß  zu  verdoppeln, 
seine  Ziele  sich  höher  zu  stecken,  der  allgemeinen  Kunstpflege  durch  Lehre  und 
Kath  zu  dienen,  seinen  Kunstgenossen  förderlich  zu  sein,  den  Nothleidenden  bei- 
sustehen.  Ein  solches  für  ideale  Zwecke  in  rastloser  Arbeit  hingebrachtes  Leben, 
schon  an  sich  warmer  Theilnahme  werth,  empfängt  nun  aber  seinen  schönsten  In- 
halt erst  durch  den  Reichthum  geistiger  Gaben,  mit  denen  die  Natur  den  Mann 
ausgestattet  hatte.  Im  Mittelpunkt  dieser  Gaben  steht  die  musikalische,  mit  ihr 
muß  alles  andere  Berührung  finden,  was  zu  fruchtbringender  Entwickelung  in 
seinem  Innern  gelangen  soll.  Auch  fQr  das  Schaffen  eigener  Kunstwerke  zeigt 
sich  B€in  Talent  ergiebig,  doch  die  höhere  Kraft  entfaltet  es  in  der  Durchforschung 
der  Kunstmittel,  in  der  Musiklehre,  in  der  wissenschaftlichen  Untersuchung  von 
Erscheinungen,  die  mit  der  Musik  zusammenhängen  und  ihm  im  Leben  nahe  ge- 
treten waren.  Das  eigentliche  Kompositionstalent  reichte,  so  scheint  es  mir,  mit 
seinen  Wurzeln  nicht  bis  in  den  tiefsten  Grund  von  Kastner's  Wesen :  nur  mittel- 
bar und  verdünnt  durch  den  Beisatz  fremder,  von  außen  herein  getragener  Ele- 
mente kommt  sein  Ich  hier  zur  Erscheinung.  Aber  doch  gehört  es  zum  Ganzen ; 
von  diesem  Ganzen  wird  man  mit  Fug  und  Recht  sagen  können,  daß  es  von  bester 
deutscher  Art  war.  Und  so  erschiene  auch  Kastner's  Verehrung  für  ^Beethoven 
und  Weber,  diese  ausgeprägt  deutschen  Künstler,  wohl  verständlich,  wenn  er 
gleich  in  seiner  eigenen  Musik  keinen  Zusammenhang  mit  ihnen  zeigt. 

Daß  man  zunächst  von  Deutschland  eine  gerechte,  umfassende  und  sympa- 
thische Würdigung  Kastner's  erwartete,  bezeugt  in  der  Art  ihrer  Erscheinung  die 
Biographie  selbst.  Sie  ist  von  einem  Deutschen  in  deutscher  Sprache  verfaßt, 
während  doch  Kastner  hauptsächlich  in  Paris  gewirkt  und,  obschon  vom  Eltern- 
hause her  des  Deutschen  mächtig,  doch  alle  seine  Hauptwerke  in  französischer 
Sprache  und  in  erster  Linie  für  Franzosen  geschrieben  hat  Auch  daß  die  Wittwe 
Frankreich  verließ  und  in  Straßburg  Wohnsitz  nahm,  scheint  anzudeuten,  daß  sie 
dort  mehr  Verständniß  für  die  Bedeutung  ihres  Gatten  zu  finden  hoffte,  dessen 
Andenken  der  Rest  ihres  Lebens  gewidmet  war.  Im  Januar  dieses  Jahres  ist  die 
edle  Frau  gestorben.  Ein  Sohn,  Georg  Friedrich  Eugen,  in  dem  der  Geist  seines 
Vaters  weiter  wirkte,  war  ihr  im  Jahre  1882  vorangegangen;  ihm  ist  in  der  Bio- 
graphie des  Vaters  sinnigerweise  ein  letzter  Abschnitt  gewidmet  Kastner  hat  eine 
große  Bibliothek  hinterlassen,  und  der  Kenner  seiner  Schriften  weiß,  daß  sie  sehr 
werthvoUe  Sachen  enthalten  muß.  Was  mit  ihr  und  dem  bedeutenden  eigenen 
handschriftlichen  Nachlasse  geschehen  soll,  oder  vielleicht  (schon  geschehen  ist, 
darüber  bin  ich  nicht  unterrichtet.  Sollten  aber  diese  Zeilen  denen  unter  die 
Augen  kommen,  welchen  die  Bestimmung  hierüber  zusteht,  so  wünschte  ich  wohl, 
daß  sie  dazu  beitrügen,  die  allgemeine  Nutzbarmachung  der  Hinterlassenschaft 
herbeizuführen.  Kastner's  Lebenswerk  wird  fruchtbringend  weiter  wirken,  das  ist 
sicher,  wenn  auch  zunächst  wohl  nur  im  Kreise  der  Musikgelehrten.  Dieser  Kreis 
ist  klein  zur  Zeit;  vielleicht  wird  er  sich  bald  vergrößern.  Wie  dem  immer  sei, 
wir  werden  den  wackem  Mann  in  dankbarer,  ehrender  Erinnerung  treu  bewahren. 

Berlin.  Philipp  Spitta. 


Adressen  der  Herausgeber: 

Professor  Dr.  Spitta,  d.  Z.  geschftftsfQhrender  Heraiisgeber ,  Berlin,  W. 
Burggrafenstraße  10;  Dr.  Friedrich  Chrysander,  Bergedorf  bei  Hamburg;  FR>- 
fessor  Dr.  Guido  Adler,  Prag,  Weinberge,  Jungmannsgasse  25. 


Ein  Satz  eines  unbekannten  Klavierkonzertes 

von  Beethoven. 


Von 

Guido  Adler. 


In  dem  Besitze  des  Studiosus  Emil  Bezecny  in  Prag  befindet  sich 
ein  Konvolut  Orchesterstimmen  in  Quartformat,  das  auf  dem  Um- 
schlage den  Titel  trägt:  Concerto  in  l>-dur  |  fiir  Pianoforte|  mit  |  Or- 
chester I  von  \L.  V.  Beethoven.  \  Im  Ganzen  sind  17  Orchesterstim- 
men; es  sind:  Violino  primo ^  Violino  secondo ^  Viola  primae  Viola 
seconda,  Violoncello^  Basso,  Flauto,  Oboa  prima,  Oboa  seconda, 
Foffotto  pritno ,  Fagotto  secondo,  Como  primo,  Como  secondo,  Tromba 
prima  in  Dy  Tromba  seconda  in  D,  Timpani  in  D  (resp.  DA), 
Die  17.  Stimme  ist  ein  Duplikat  der  ersten  Yiolinstimme ,  beginnend 
von  Takt  68,  mit  einigen  Varianten,  Bereicherungen,  vermuthlich  die 
Primstimme  einer  aus  dem  Orchestersatz  arrangirten  Streichquartett- 
begleitung. Alle  Stimmen  sind  von  Einer  Hand  kräftig  geschrieben 
und  haben  ein  Alter  von  mindestens  50  Jahren.  Nur  die  erste  Oboe- 
stimme ist  auf  anderem  Papier  von  anderer  Hand  und  jüngeren 
Datums  als  die  Ersterwähnte.  Die  Stimmen  sind  fortlaufend  bezeich- 
net mit  IIb  bis  Ilr  (l.  Violine  bis  Pauke) i  Es  war  also  ersichtlich, 
daB  die  Klavierstimme  dazu  gehörig  war  und  benutzt  wurde.  Sie 
fand  sich  bei  dem  Stiefbruder  des  Obengenannten,  dem  Geheimrath 
Josef  von  Bezecny  in  Wien ,  der  den  Klavierpart  seiner  Zeit  aus  dem 
elterlichen  Hause  mitgenommen  hatte  und  denselben  mir  freund- 
lichst zur  Verfugung  stellte.  Sie  trägt  auf  dem  Umschlage  die  Auf- 
schiifi;:  ^Beethoven  \  Concert  in  Ddur,  \  (J.  E«,  von  derselben  Hand 
auf  dem  gleichen  starken  Quartpapier  geschrieben ,  wie  die  Orchester- 
stimmen; enthält  16  Seiten  Noten  und  auf  dem  rückwärtigen  Um- 
1888.  31 


452 


Guido  Adler. 


schlagpapier  zwei  Varianten  von  Takt  216  —  218  und  331  —  340 J 
Bei  den  Tuttistellen  ist  im  lUavierpart  gewöhnlich  nur  die  Baß- 
stimme und  auch  diese  nur  lückenhaft  verzeichnet. 

Die  einzelnen  Änderungen,  die  an  der  Klavierstimme. selbst  behu6 
Erleichterung  von  verhältnißmäBig  schwierigeren  Passagen  vorgenom- 
men wurden,  sind  leicht  erkenntlich;  sie  rühren  von  der  gleichen  Hand 
wie  der  des  Schreibers  her,  nur  leichter,  feiner  geschrieben.  Die  Vor- 
zeichnungen sind  genau  und  gewissenhaft  eingetragen,  wenige  und  leicht 
zu  verbessernde  Fehler  nachweisbar.  Nach  der  Aussage  des  Geheim- 
raths  V.  Bezecny  sind  Orchester-  wie  Klavierstimmen  von  der  Hand 
seines  Vaters,  Josef  Bezecny,  ^  eines  eiMgen  und  verständigen  Musikers, 
der  seinem  Sohne  Unterricht  im  lUavierspiel  ertheilt  und  mit  ihm  wie- 
derholt das  Klavierkonzert,  vielmehr  den  einen   Satz  gespielt  hatte. 

Es  ist  nämlich  nur  ein  Satz  »Allegrm  in  lUavier-  und  Orchester- 
Stimmen  erhalten,  es  ist  der  erste  Satz  eines  Klavierkonzertes;  über 
den  Verbleib  der  anderen  Sätze,  wenn  solche  überhaupt  existirt 
haben,  was  wohl  wahrscheinlich  ist,  konnte  nichts  ermittelt  werden.^ 

Der  einleitende  Orchestersatz  folge  im  Auszuge: 


Allegro. 

(a), 
Streichinstr. : 


1  Noch  an  11  anderen  Stellen  der  Klavierstimme  wurden  Änderungen  vorge- 
nommen, ersichtlich  behufs  Erleichterung.  Zur  beliebigen  Streichung  der  Takte 
167—225  sind  am  unteren  Rande  der  einzelnen  Stimmen  einige  trockene  Überleitungs- 
akkorde von  adur  nach  ddur  in  6  Takten  eingestellt. 

2  1803  geboren,  1873  gestorben  als  Oberlehrer  und  Leiter  der  Blindenersiehungs- 
anstalt  Hradschin  in  Prag.  Von  seiner  Komposition  sind  auf  der  Universitit»- 
bibliothek  in  Prag  in  einem  Sammelbande  von  Werken  Prager  Komponisten  »IX. 
Deutsche  T&nze  nebst  Coda  für  das  Pianoforte  Prag  1827n,  die  einfach  im  Tonsatse 
eine  anmuthige  Erfindungsgabe  zeigen.  Sein  vierstimmiges  »Lied  für  die  Blindem 
wird  noch  gegenwärtig  von  den  Institutszöglingen  gesungen. 

'  Auch  im  Blindenerziehungsinstitute  blieben  die  Nachforschungen  erfolglos. 


Ein  Satz  eines  unbekannten'  Klavierkonzertes  von  Beethoven.         '  45^ 


(b) 


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Fl  :0b. :  Fag^:H. :  Streichinstr. : 


Tutti. 


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454 


Onido  Adler, 


(d) 


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Ein  Satz  eines  unbekannten  Klarierkonzertes  von  Beethoven.  45^ 


(g) 


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Streicher    ral- 


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Ob.:  Sola.  g|-*j     Y"      ^^ 

Faff.:  Solo.  «f  Streicher. 


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Fag.:  Solo. 


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456 


Guido  Adler, 


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Fl. :  Ob. :  Fag. :     Streicher 


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Ein  Satz  eines  unbekannten  Klavierkonsertes  von  Beethoven. 


457 


(k) 
Ob.:  ! 


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Fag. : 


Streicher  Ob.  Fag.  Fl.  Hom  NN  N      h 


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Es  folgt  nunmehr  die  Ausführung  des  ersten  Theiles  im  Wech- 
selspiel des  Klaviers  mit  dem  Orchester.  Das  Klavier  Solo  beginnt 
(Takt  59)  mit  dem  Hauptthema,  welches  bei  seiner  Wiederholung 
in  der  höheren  Oktave  (Takt  67)  von  den  Streichern  begleitet,  dann 
von  den  Bläsern  (Takt  71)  weitergeführt  wird,  während  das  Klavier 
figurative  Läufe  ausfuhrt.  Das  Orchester  schließt  in  der  Haupt- 
tonart mit  dem  2.  Theil  des  Seitenthemas  (Motiv  i,  Takt  76). 

Das  Klavier  greift  das  Thema  in  variirter  Form  auf,  worauf  die 
Streicher  das  Hauptthema  in  tonal  umgekehrter  Folge  [emoll  — 
ddur)  aufnehmen  und  das  Klavier  mit  den  kongruenten  Tonleitern 
dasselbe  umspielt.  Flöte  und  Fagott  bemächtigen  sich  nunmehr  des 
Hauptthemas  (Takt  90) ,  die  Streicher  begleiten  harmonisch  mit  chro- 
matischen Durchgängen,  während  das  Klavier,  die  erste  eigentliche 
Verbindung  mit  dem  orchestralen  Körper  eingehend,  in  ausgebreite- 
ten, durch  chromatische  Zwischentöne  gewürzten  Akkordgängen  sich 
zur  Geltung  zu  bringen  sucht. 


458 


Guido  Adler, 


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Es  scUieBt  sich  daran  ein  Triolenlauf  des  Klayiers  Solo,  auf 
der  Dominante  von  Adur  sich  haltend,  in  Sechzehnteln  und  Achteln 
decrescendo  und  rallentando  auslaufend  mit  dem  Motiv  g.  Nach 
der  Fermate  bringt  das  Klavier  ein  neues  Zwischenmotiv  (l)  in  a  €btr 
(Takt  112): 

(1)  ,         RTJ   ^'^:^^ 


Ein  Satz  eines  unbekannten  Klayierkonzertes  von  Beethoven. 


459 


worauf  die  Saiteninstrumente,  in  den  stärkeren  Accentnoten  ver- 
schärft durch  Flöte  undHom,  das  Hauptthema  in  ac^tir  aufiiehmen, 
in  dessen  Pausen  kleine  Läufe  vom  Klavier  eingestreut  sind,  und 
sodann  von  diesem  eine  Cantilene  in  adwr  gebracht  wird,  welche, 
ihrer  Bedeutung  nach  Anspruch  hätte  als  zweites  Thema  angesehen 
zu  werden. 


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Diese  achttaktige  Periode,  die  sich  im  Vorübergehen  gegen 
JlsmoU  wendet,  ist  im  1.  Theil  motivisch  gebildet  aus  dem  2.  Theil 
des  Hauptthemas  (Motiv  b) ,  halt  sich  im  2.  Theil  (Motiv  m) 
rhythmisch  an  das  erste  Motiv  (a)  desselben,  zeigt  aber  im  Ganaen 
eine  eigenartige  Physiognomie.  Motiv  m  soll  später  in  der  Durch- 
führung eine  große  Bolle  spielen.  Bei  der  gleich  stattfindenden 
Wiederholung  wird  die  Cantilene  ausgeweitet,  länger  in  ßs  moll 
gehalten,  von  den  drei  oberen  Stimmen  der  Streicher  zuerst  in 
ruhenden  Akkorden,  dann  von  Yioloncell  und  Kontrabaß  pizzicato, 


460  ^^^^  ^^^^ 


von  Flöte  und  Oboe  mit  ausgehaltenen  Tönen  begleitet.  Einige  der 
kleinen  Spielmotive  der  obigen  Klavierfigurationen  werden  bald  mit 
gezupften  und  gestoßenen  Orchestralantithesen ,  bald  mit  au&teigend 
geführten  Zwischenmotivchen  in  der  Dominante  der  Haupttonart  zur 
stereotypen  Trillerkadenz  geführt,  worauf  der  erste  Theil  mit  dem 
nach  adur  transponirten  Schluß  des  ersten  Tt^^^-Satzes  abschlieBt 
(Takt  172). 

Das  Klavier  eröfihet  Solo  die  Durchführung  mit  dem  zweiten 
Motiv  (m)  der  Cantilene,  innerhalb  der  Periode  stufaufwarts  stei- 
gend; ihm  folgen  nacheinander  in  gleicher  Weise  die  Soli  einzelner 
Instrumente  —  Violoncell,  Fagott,  Hom,  Flöte,  die  Oboen  in  Okta- 
ven, unter  iigurativer  Begleitung  des  Klavieres  und  einzelner  orche- 
straler Füllstimmen.  Die  Modulation  geht  von  adur  nach  hmoü 
nnd  ßsmoUy  hier  länger  verweilend.  In  dieser  Tonart  nimmt  die 
Flöte  mit  den  Geigen  und  Bratschen  das  Hauptthema  auf,  motivisch 
gefolgt  von  dem  Klavier;  nach  drei  starken  Schlägen  auf  dem  Quart- 
sextakkord von  fi%  moll  bereitet  das  Klavier  mit  einem  harmonisch 
ausgefüllten  Kettentriller  und  ritardirenden  Läufen  den  Übergang  in 
die  Haupttonart  d  dur  vor.  Es  wiederholt  sich  nunmehr  (Takt  225) 
der  erste  Theil  vom  Einsatz  des  Klavieres.  Doch  nicht  ganz  gleich. 
Während  dort  (Takt  67)  das  Klavier  in  der  höheren  Oktave  das  Thema 
wiederholt,  nehmen  es  hier  nach  dem  ersten  Einsätze  des  Klaviers 
die  Streicher  in  der  höheren  Oktave  auf  (Takt  233).  Während  dort 
die  Modulation  sich  nach  edur  und  adur  wendet,  geht  sie  hier  nach 
dmoll  und  fdur^  in  welcher  Tonart  Motiv  /  eintritt,  die  Cantilene 
folgt  mit  Wendungen  nach  dmoll,  gmoll^  wieder  dmoll.  Das  fol- 
gende hält  sich  von  Takt  296  wieder  in  der  Haupttonart,  wie  dort 
in  der  Dominantentonart  mit  allen  den  entsprechenden  Ausweichun- 
gen genau  wiederholt  (dort  von  Takt  137  — 165 ,  hier  Takt  299 — 340). 
Nur  die  Klaviersolostelle  vor  der  TriUerkadenz  erfährt  hier  eine  rei- 
chere Ausfuhrung  in  chromatischen  Läufen,  Akkordfiguration,  gewttizt 
mit  chromatischen  Zwischentönen  und  den  beliebten  Aufsprüngen 
vom  Dominantton  in  die  chromatisch  ansteigenden  Töne  bis  zur 
Terzdezim.  Vor  dem  Abschluß  folgt  noch  die  orchestrale  Überlei- 
tung zur  Bravourkadenz  mit  den  Takten  16 — 23  des  ersten  7WA', 
und  den  Akkordschlägen  als  Aufforderung  das  Bravourspiel  su  be- 
ginnen. Der  Schluß  des  ersten  Orchestertutti  (Takt  46  —  58)  ist  auch 
Schluß   des  Satzes.    Nur   der  letzte   Takt   ist  behufs   ausgiebigeren 


J^- 


I 


volleren  Abschlusses  rhythmisch  ausgeweitet    I  •*•    [(   I 

Gehen  wir  nunmehr  an  die  Erörterung  der  Frage,  kann  dieser 
Konzertsatz  von  Beethoven  sein?  Sprechen  äußere  oder  innere 
Gründe  dagegen  und  welche  sprechen  für  die  Echtheit? 


Ein  Satz  eines  unbekannten  Klavierkonzertes  von  Beethoven.  461 


Von  .den  vor  1800  Ton  Beethoven  komponirten  Konzerten  sind 
nur  drei  bekannt. 

Vorerst  das  1784  koniponirte  Konzert  in  esdur^  in  drei  Sätzen. 
Das  Manuskript 2  ist  nicht,  wie  Thayer^  annimmt,  von  Knabenhand 
geschrieben,  sondern  eine  Abschrift  von  fremder  Hand.  Die  Auf- 
schrift y>un  Concert  pour  le  Clavecin  ou  Forte-piano  compose  par  Lauts 
van  Beethoven  äffe  de  douze  ans^n  ist  von  Knabenhand  und  zwar  der 
Beethoven'schen.  Auch  ist  die  Stimme  von  Beethoven  revidirt,  Vor- 
tragszeichen hinzugefügt;  femer  einzelne  Stellen,  die  wirklich  über- 
flüssig und  modemanierlich  sind,  mit  derselben  Tinte  wie  derjenigen 
der  Revision  gestrichen.  Die  Revision  rührt  wahrscheinlich  aus  einer 
späteren  Zeit  als  die  Aufschriifb.  «Der  erste  Satz  Allegro  moderato  C; 
266  Takte,  mit  einem  marschartigen,  im  2.  Theil  leise  an  den  Marsch 
im  Fidelio  mahnenden  Thema.  Eingezeichnet  sind  nur  Flöte,  Hör- 
ner und  Violinen ;  sowohl  Haupt-  wie  Seitenthema  werden  von  den 
Flöten,  das  erstere  mit  Begleitung  der  Hörner  gebracht.^  In  Anlage 
und  Ausführung  pueril  verräth  das  Konzert  an  einzelnen  Stellen,  wie 
z.  B.  im  Seitenthema  und  eingangs  der  Durchführung  in  einem  neuen 
Thema  des  Klaviersolos  das  Streben  nach  Originalität.  Allenthalben 
machen  sich  Modefigurationen  breit.  Überladen  mit  Verzierungen 
ist  das  Lärffketto  cdur^l^,  während  das  Rondo  esdur  y^  (mit  einem 
Zwischsatz  in  es  möll)  in  der  »galanten  Manierer  von  Neefe ,  Ditters- 
dorf  gehalten  ist. 

Die  beiden  anderen  sind  die  bekannten  Konzerte  in  bdur  Op. 
19  und  cdur  Op.  15;  ersteres  nach  der  Vermuthung  Nottebohm's* 
im  Konzert  der  Wiener  Tonkünstlersocietät  am  29.  März  1795  ge- 
spielt. Aus  den  Skizzen  selbst  gehe  aber  nicht  mit  Sicherheit  hervor, 
daß  das  Jrf«r- Konzert  zu  diesem  Termin  fertig  war;  Nottebohm 
stellt  nur  die  Vermuthung  auf,  da  er  sonst  kein  anderes  Konzert 
kennt.  Er  weist  noch  auf  das  Konzert  von  1784  hin,  von  dem  er 
es  für  unwahrscheinlich  hält,  daß  es  1795  von  Beethoven  noch  ge- 
spielt wurde.  Sicher  ist  nur  erstens,  daß  das  damals  von  Beethoven 
gespielte  Konzert  für  die  Wiener  »ganz  neu«  war,  zweitens,  daß 
Beethoven  gegen  Anfang  des  Jahres  1799  das  Konzert  in  bdur  um- 


^  Thayer  Chronologisches  Verzeichniß  der  Werke  L.  v.  Beethovens.  Nr.  7. 
2  Im  Besitz  von  Artaria  &  Co.  in  Wien.    Es  ist  nur  die  Klavierstimme  mit  in 
dieselbe  übertragenen  Orchesterstellen  vorhanden. 
^  L.  V.  Beethovens  Leben  I  S.  128. 
*  Vgl  S.  17. 
^  Zweite  Beethoveniana  S.  69  ff. 


4ß2  Guido  Adler, 


arbeitete  ^  und  drittens  daß  nach  Beethoren's  eigenen  Worten  in  dem 
Briefe  an  die  Herren  Breitkopf  und  Härtel  vom  22.  Aprü  1801  das 
bei  Hofmeister  und  Kühnel  gegen  Ende  des  Jahres  1801  erschienene 
Konzert  in  b  dur  früher  komponirt  ist  als  das  im  März  desselben 
Jahres  von  T.  Mollo  u.  Comp,  in  Wien  herausgegebene  Konzert  in 
cdur.  Die  Stelle  im  Briefe  ist  auch  sonst  für  uns  von  Belang: 
9 —  ich  merke  dabei  bloB  an,  daß  bei  Hofmeister  eines  von  mei* 
nen  ersten  Konzerten  herauskommt  und  folglich  nicht  zu  den 
besten  von  meinen  Arbeiten  gehört,  bei  Mollo  ebenfalls  ein 
zwar  später  verfertigtes  Konzert,  aber  ebenfalls  noch  nicht  unter 
meinen  besten  von  der  Art  gehört,  dies  sei  bloß  ein  Wink  fiir 
ihre  Musikalische  Zeitung  in  Rikksicht  der  Beurtheilung  dieser 
Werke,  obschon,  wenn  man  sie  hören  kann,  nämlich:  gut,  man  sie 
am  besten  beurtheilen  wird.  —  Es  erfordert  die  musikalische  Politik 
die  besten  Konzerte  eine  Zeitlang  bei  sich  zu  behalten.«  — 

Das  Konzert  in  cdur  war  1798  fertig.  Dies  geht  nicht  nur  aus 
der  Bemerkung  Tomaschek's  hervor^,  daß  Beethoven  in  diesem  Jahre 
zwei  Konzerte  gab,  in  denen  er  sowohl  sein  cdur-  als  auch  sein  b  dur-- 
Konzert  spielte,  sondern  wie  Nottebohm  nachwies,  auch  aus  den 
Skizzen.  ^ 

Beethoven  hat  bis  1800  in  Wien,  soweit  bis  jetzt  bekannt,  an 
folgenden  Tagen  Klavierkonzerte  gespielt:  29.  März  1795  (ein  i» neues 
Konzert«),  18.  Dezember  1795,  8.  Jänner  1796,  27.  Oktober  179S, 
2.  April  1800  (ein  neues  Konzert).^  Von  zwei  Konzerten  ist  aus- 
drücklich gesagt,  daß  sie  am  Aufführungstage  neu  waren.  DaB 
Beethoven  einmal  (wahrscheinlich  1796)  ein  Konzert  von  Mozart  ge- 
spielt hat,  beweist  schon  der  Umstand,  daß  er  zum  ersten  und  letzten 
Satz  des  Mozart'schen  d  mo//-Konzertes  Kadenzen  aufgeschrieben  hat 
Übrigens  ist  anzunehmen ,  daß  ein  Klavierspieler  und  Tonsetzer 
wie  Beethoven  eine  besondere  Befriedigui^  in  der  Aufführung  eige- 
ner Konzertkompositionen  gefunden  hat. 


1  Vgl.  NoUebohm  Zweite  Beethoveniana  S.  47,  66,  69  fg.,  229,  479.  Thajer, 
B«ethoven'g  Leben  I  238,  286,  2U4,  II  128.  Die  von  den  beiden  Fonehem  ange- 
nommene Chronologie  der  an  diesen  Stellen  besprochenen  Werke  ist  vielfach  irider- 
sprechend.  Näher  darauf  einzugehen,  ist  hier  nicht  der  Platz.  Mit  Sicherhett  ist 
aus  den  Vorlagen  nur  das  oben  Aufgestellte  anzunehmen. 

3  Libussa,  Jahrbuch  für  1845,  4.  Jahrgang,  Prag.  »Wenzel  Johann  Tomaschek. 
Selbstbiographie«  S.  374.  ^ 

3  Zweite  Beethoveniana  S.  64  fg. 

^  Das  Datum  des  Konzertes  der  Sängerin  Bolla,  in  welchem  BeethoTen  ein 
Klavierkonzert  vortrug,  ist  nicht  sicher  gestellt  1796  oder  1798.  VgL  Hanslick. 
Geschichte  des  Konzertwesens  in  Wien  S.  105.  Thayer  und  Nottebohm. 


Ein  Satz  eines  unbekannten  Klavierkonzertes  von  Beethoven.  463 


Von  derartigen  Werken  ist  vor  1800  noch  bekannt:  das  Rondo 
in  hdur  aus  dem  Anfange  der  90er  Jahre,  als  nachgelassenes  Werk 
1829  erschienen.  Die  chronologische  Folge  der  späteren  Werke  dieser 
Crattungist:  1800  Concert  cmollop.Zlj  180^4  Tripefconcert op.bß^\S(i^/^ 
Cancert  op.  58  ffduTy  ISOYs  Olavierumsetzung  des  VioKnconcertes,  1806 
Chorphantasie  op.  80,  1809  Concert  es  dar  op.  73.  AnjB  dem  ersten  Jahr- 
ssehnt  unseres  Jahrhunderts  sind  also  6  Klavier-Konzertkompositionen 
erhalten  zu  einer  Zeit,  da  Beethoven's  Ruhm  als  Klaviervirtuose  in  betrü- 
bendem Niedergänge  war.  Sollte  Beethoven  von  1784  bis  1795  (wenn 
wir  dieses  Jalu*  aJs  Komposittonsseit  des  Konzertes  in  b  dur  wirk- 
lich annehmen  und  nicht  eine  spätere  Zeit)  kein  Klavierkonzert 
geschrieben  haben?  Er  spricht  selbst  in  dem  oben  citirten  Briefe 
▼on  seinen  ersten  Konzerten;  es  müssen  also,  da  das  c cf«r-Konzert 
1798  komponirt  ist,  neben  dem  b  dur-Konzert  noch  andere  existirt 
haben.  Und  wenn  »die  musikalische  Politik  verlangt,  daß  die  besten 
Konzerte  eine  Zeitlang  zurückbehalten  werden«,  umsomehr  werden 
Werke ,  odie  nicht  unter  seine  besten  von  der  Art  gehören,«  von  ihm 
ganz  »zurückbehaltene  worden  sein.  Man  weiB,  wie  Beethoven  über 
Weike  aus  vorangegangenen  Perioden  seiner  Schaffensthätigkeit  zu 
sprechen  und  urtheilen,  vielmehr  abzuurtheilen  liebte,  wie  er,  stetig 
wachsend  und  fortschreitend,  die  früheren  Stadien  herabsetzte  und 
d^radirte.  Man  darf  wohl  solchen  harten  Tadel  erhabener  Selbst- 
kritik weder  Beethoven  noch  anderen  Künstlern  zum  Vorwurf  machen. 

Zu  dem  berechtigten  Ehrgeiz  eines  Klaviervirtuosen  damaliger 
Zeit  mit  eigenen  Kompositionen  vor  das  Publikum  zu  treten,  kam 
auch  das  Verlangen  der  Hörer ,  den  Spieler  auch  als  Tonsetzer  ken- 
nen und  schätzen  zu  lernen.  Im  Verzeichniß  der  ))kurfdr8tlich-kölni- 
schen  Kabinets  Kapell-  und  Hofinusik«^  steht:  »Klavierkonzerte  spielt 
Herr  Ludwig  van  Beethoven  und  Neefe  akkompagnirt  bei  Hofe,  im 
Theater  und  in  Konzerten.« 

Beethoven  wird  sich  wohl  nicht  begnügt  haben,  mit  seinem 
puerilen  £8  Konzert  von  1784  bei  Hofe  aufieuwarten,  und  somit  meint 
auch  schon  Thayer^  ».  .  .  .  es  ist  keineswegs  eine  vage  Vermuthung, 
daß  Beethoven  seine  Kraft  auch  in  anderen  Konzerten  für  Klavier 
und  volles  Orchester  versucht  habe,  als  in  dem  von  1784.« 

Daß  aber  Prag  der  Fundort  des  unbekannten  Konzertsatzes  ist, 
dürfte  wiederum  nicht  auffallen,   aus  mehrfachen  Gründen. 

Nicht  nur  1798  war  Beethoven  in  Prag  und  spielte  daselbst 
seine  beiden  zum  Druck  bestimmten  Klavierkonzerte.  Beethoven  war 


1  Boflsler  »Musikalische  Gorrespondenz«  13.  Juli  1791. 

2  I  236. 


4B4  Guido  Adler, 


auf  der  Durchreise  nach  Nürnberg  Ende  1795  daselbst*  und  gab  eine 
Akademie.  Am  19.  Februar  1796  schreibt  Beethoven  an  seinen  Bru- 
der Nikolaus  aus  Prag:  >».  .  ,\  für's  erste  geht  mir's  gut,  recht  gut. 
Meine  Kunst  erwirbt  mir  Freunde  und  Achtung,  was  will  ich  mehr. 
Auch  Geld  werde  ich  diesmal  ziemlich  bekonmien;  ich  werde  noch 
einige  woche  verweilen  hier  und  dann  nach  Dresden,  Leipzig,  Ber- 
lin reisen  .  .  .  .«  Von  öffentlichen  Koiizerten  während  dieses  mefax- 
wöchentlichen  Aufenthaltes  ist.  Nichts  bekannt,  immerhin  düHte 
Beethoven  auch  während  dieses  zweiten  Aufenthaltes  neben  den  Kla- 
viersonaten, Kammermusikstücken  und  freien  Phantasien  auch  ein 
Konzert  mit  einer  Privatkapelle  in  einem  adeligen  Hause  gespielt 
haben,  vielleicht  auch  nur  mit  Streichquartettbegleitung  als  Ersatz 
des  ganzen  Orchesters. ^  Es  dürfte  nicht  auffallen,  daß  ein  der- 
artiges Werk  von  Musikern  kopirt  und  privatim  verbreitet  wurde. 
Geschriebene  Musikalien  waren  damals  noch  verbreiteter  als  heute.  ^ 

Doch  holen  wir  nicht  zu  weit  aus.  Es  dürfte  nach  dem  Ge- 
sagten feststehen,  daß  kein  äußerer  Grund  gegen  die  Möglichkeit 
der  Existenz  einer  Beethoven'schen  Konzertkomposition  aus  dieser  Zeit 
spricht,  vielmehr  Alles  dafür,  und  warum  gerade  diese  Zeit  als  maß- 
gebend gewählt  wurde,  wird  nach  der  Untersuchung  der  inneren 
Beschaffenheit  des  Werkes  als  selbstverständlich  angesehen  werden. 

Nach  dem  ersten  Blick  auf  die  Partitur  erkennt  man,  daß  hier 
ein  Werk  vorliegt,  welches  unter  dem  direkten  Einfluß  Mozart's  ent- 
standen ist,  und  nach  voller  Durchsicht  der  Komposition  gewinnt  man 
die  Überzeugung,  daß  das  mächtige  Vorbild  deutliche  Spüren  der 
Verwandtschaft  dem  Ableger  au%eprägt  hat.  Schon  das  Thema  ist 
mozartisch  in  der  Erfindung.  In  innigster  Beziehung  zu  demselben 
stehen  die  Themen  von  zwei  Klavierkompositionen  Mozart^s.  Der 
dritte  Satz  der  1779  komponirten  Klaviersonate ^  beginnt: 


1  Dlabacz  »Künstlerlexikon  fQr  Böhmen«,  Thayer  II  6. 

2  Nähere  Daten  iraren  bisher  nicht  nachweisbar.  In  Prager  Zeitungen  frnd 
ich  keine  Notiz  hierüber.  / 

3  Musiklehrer  versahen  häufig  selbst  das  Amt  des  Kopisten.  Um  den  nahe- 
liegendsten Fall  zu  citiren :  Im  kleinen  Archiv  des  Blindeninstitutes  am  Hradsdiio 
sind  die  meisten  Musikalien  geschrieben,  so  z.  B. :  das  Largo  des  c  dur-Konzeites 
für  Klavier  allein  unter  dem  Titel  »Adagio  favorito  per  il  Forte-Piano  solo«,  da 
Stück,  das  in  Wien  und  Hannover  gedruckt  und  um  30  Kr.  resp.  10  Ngr.  is 
haben  war. 

^  Köchel  Chronol.  themat.  Verzeichniß  der  Werke  Mozart's,  Nr.  330;  Breit- 
kopf  und  HärteVs  Gesammtausgabe  Serie  20  Nr.  10.  Die  Sonate  hat  am  Autograpb 
die  Aufschrift  »Sonata  I«,  gehört  zu  den  3  zuerst  erschienenen  Sonaten  des  Meister^ 
und  ist  dreisätzig:  Allegro  moderato,  Andante  cantabile,  Alleg^etto. 


Ein  Satz  eines  unbekannten  Klavierkonzertes  yon  Beethoven.  465 


Allegretto. 


B^ 


1 


^ 


1 


1^ 


1 y 


i 


Im  dritten  Satz  der  am  29.  Mai  1787  komponirten  Klaviersonate 
zu  vier  Händen  *  nimmt  Mozart  ein  ähnliches  Thema. 


Allegretto. 


i 


3 


J 


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dolce. 


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^-   T-   y-   *= *=: 


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g—     tf^ 


f 


r 


f 


1  Köchel  Nr.  521^  Br.  u.  H.  Serie  19  Nr.  5  in  3  Sätzen— Allegro,  Andante, 
Allegretto. 


466 


Guido  Adler, 


m^ 


m. 


r^ 


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^^:r=ii^ 


p 


1 


-öt- 


I 


f 


Während  Mozart  sich  streng  in  der  Haupttonart  hält,  Tonika 
und  Dominante  wechseln  läßt  und  nebenbei  die  ünterdominante  be- 
rührt, rückt  das  Thema  im  Torliegeuden  Konzertsatz  gleich  in  den 
Mollton  der  zweiten  Stufe  und  bringt  im  zweiten  Motiv  einen  An- 
klang an  das  zweite  Motiv  des  ersten  Klaviersolos  im  ersten  Satz  des 
Klavierkonzertes  in  c  dur  von  Beethoven J 


*s  ^^^Z     ^    ♦•»U  U.8.W, 


^^ 


^ 


Aber  nicht  nur  im  Hauptthema,  auch  in  der  ganzen  Anlage 
nähert  sich  der  Konzertsatz  den  Mozart'schen  Vorbildern.  Es  ist 
unzweifelhaft,  daß  Beethoven  auf  die  Klavierkonzerte  Mozart's  ein 
sehr  gründliches  Studium  gewendet  hat.^   Und  wie  er  noch  1797  in 


1  Das  Hauptthema  des  Konzertsatzes  selbst  hat,  allerdin^  nur  entfernte  Ähn- 
lichkeit mit  Motiven  und  Themen  einiger  anderer  Beethoven' scher  Kompositionen : 
so  dem  Thema  der  »sechs  leichten  Yariationem  fOr  Klavier  in  gdnr  (über  ein  Ori- 
ginalthema, komponirt  um  1800;  Br.  u.  H.  Serie  17  Nr.  15),  dem  Thema  der  Varia- 
tionen im  Klavier-Quartett  es  dur,  komponirt  1785  (aus  dem  Nachlaß  herausgegeben. 
Br.  u.  H.  Serie  10,  Nr.  4),  mit  dem  Anfang  des  ersten  Zwischensatzes  im  Rondo 
der  Sonate  op.  22  bdur,  komponirt  1799—1800  (Br.  u.  H.  XVI,  11)  —  Alle  selb- 
ständig geartet  trotz  ihrer  gemeinschafdichen  Familiensüge. 

«  Vgl.  Otto  Jahn  »W.  A.  Mozart«  1.  Ausgabe  4.  Theil  S.  57.  Thayerll,  3«. 


Ein  Satz  eines  unbekannten  Klavierkonzertes  von  Beethoven. 


467 


einer  anderen  Kunstgattung*  entschieden  wetteifern  wollte  mit  Mo- 
zart ,  so  scheint  der  vorliegende  Konzertsatz  direkt  hervorgerufen  von 
einem  Mozart'schen  Werk ,  und  wenn  ich  Eines  herausgreifen  sollte, 
vom  wunderherrlichen  Konzert  in  dmoll^j  mit  dessen  erstem  Satze 
er  gewisse  Analogien  hat,  und  mit  welchem  Beethoven  sich  jedes- 
falls  eingehendst  vertraut  machte,  wie  schon  die  zu  demselben  aus- 
gearbeiteten Kadenzen  von  ihm  beweisen. 

Der  Konzertsatz   steht   in    seiner  Ausdehnung  und  Eintheilung 
zwischen  dem  ersten  Satze  des  Beethoven' sehen  Konzertes   von  1784 
und   dem  Mozart'schen   ersten   Satze,  letzterem   viel  näher    als    den 
ersten  Sätzen  der  Beethoven' sehen  Konzerte  in  b  dur  und  c  dur. 
In  Taktzahlen  ausgedrückt: 


Erster  Theil 


Orchester 
Tutti 


V.l.  Kla- 
viersolo 


Durch- 
fahrung 


3.  Theil 


im 
Ganzen 


Beethoven,  Konzert  es  dur  1.  Satz 

»  Konzertsatz 

Mozart,  Konzert  dmoll     I.Satz 
Beethoven,  Konzert  h  dur  4.  Satz 

»  »         cdur  I.Satz 


46 
58 
76 
90 
106 


95 
114 

99 
108 
131 


45 
52 
79 
87 
109 


80 
138 
144 
115 
132 


266 
362 
398 
400 

478 


Besonders  schmalbrüstig  ist  die  Durchführung.  Dasjenige  ^  worin 
Beethoven  später  der  unerreichte  Meister  werden  sollte,  wohin  er 
manchmal  den  Schwerpunkt  der  Konzeption  verlegt,  zeigt  sich  hier 
wie  in  den  meisten  anderen  Jugendkompositionen  in  Dürftigkeit, 
nicht  etwa  allein  in  der  Zahl  der  Takte  (das  wäre  gar  nicht  maß- 
gebend), nein,  in  der  Art  der  Ausführung. 

Wie  um  den  Mangel  zu  beheben,  wird  behufs  reicherer  Ab- 
wechslung das  erste  und  zweite  Thema  im  dritten  Theil  in  fdur- 
wiederholt;  die  Überleitung  hierzu  hat  Läufe,  aber  keinen  Körper. 
Was  Mozart  bei  der  Wiederholung  mit  dem  zweiten  Thema  in  un- 
gezwungener Weise  vollzieht,  indem  er  es  zuerst  in  fdur  einsetzen 
und  dann  erst  zu  d  moll  kommen  läßt ,  geschieht  hier  in  äußerlicher 
Weise  —  eine  Nachbildung  ohne  innere  Nothwendigkeit.  Mozart'sche 
Trillerkadenzen  und  stereotype  Läufe  kehren  in  dem  Konzertsatze 
wieder.     Auch   die    oben   S.  458   mitgetheilte  Akkordfiguration    mit 


*  Beethoven,  Quintett  op.  16  in  eadur  fflr  Pianoforte,  Oboe,  Clarinette,  Hom, 
Fagott,  Mozart,  Quintett  es  dur  für  dieselben  Instrumente,  komponirt  17S4  (Köchel 
Nr.  452] . 

2  Komponirt  1785  in  Wien,  Köchel  466. 

1888.  32 


468 


Guido  Adler, 


den  durchgehenden  chromatischen  Tönen  scheint,  so  selbständig  sie 
sich  giebt  und  so  sehr  sie  in  der  Führung  den  Stempel  Beethoven  * 
scher  Klaviertechnik  trägt,  nach  Mozart'schem  Muster  £rei  hervor* 
gegangen. 


mit  der  gleichen  Figuration  in  der  sweitiinteren  Oktav  für  die  linke  Hand 


Es  ließen  sich  diese  Analogien  weiter  verfolgen:  wie  im  Ver- 
lauf des  Satzes  bei  Mozart  das  Klavier  mit  Akkordfigurationen  ein- 
fällt, bei  Beethoven  das  Klavier  dem  Orchester  die  Weiterfuhrung 
der  Themen  überläßt  und  mitten  hinein  figurirt,  wie  ähnlich  die  in 
die  vom  Orchester  vorgetragenen  Themen  eingestreuten  Klavier- 
läufe sind,  vide  sich  die  Klaviergänge  aus  einzelnen  Motiven  heraus- 
entwickeln, bei  Mozart  in  organischer  Fortbildung,  bei  Beethoven 
in  organischer  Gegenbildung.  Sogar  das  Hauptmotiv  des  Konzert- 
satzes von  Beethoven  ist  rhythmisch  identisch  mit  der  Umbildung  des 
zweiten  Themas  bei  Mozart. 


^ 


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-I- 


Die  Spielfreudigkeit  ist  bei  Mozart  überhaupt  feiner,  edler;  die 
Steigerung  und  Anspannung  der  Kräfte  stetig  wachsend  bis  zum 
Schluß,  während  Beethoven  sein  Pulver  mit  dem  Eintritt  des  dritten 
Theiles  bereits  verschossen  hat. 

Nicht  bloß  die  motivisch  thematisch  figurale  Anlage  und  Aus- 
führung ist  mozartisch,  auch  die  orchestrale  Führung  ist  es.  Das 
Orchester  ist  in  beiden  Sätzen  identisch:  Flauto,  Oboi ,  Fagotti^ 
Comi  in  D,  Trombe  in  2>,  Timpani  DA  und  der  Streicherchor. 
Mozart  begann  seine  Konzertkompositionen  mit  einem  Orchester,  das 
nur  aus  Streichquartett,  2  Oboen,  2  Hörnern  bestand,  und  behielt 
diese  Praxis  bis  1784  zumeist  bei.  Nur  in  wenigen  Ausnahmen  ver- 
änderte er  das  Orchester  (Streicher,  2  Flöten,  2  Homer)  oder  be- 
reicherte es,  nahm  zu  Oboen  und  Hörnern  2  Fagotte,  oder  2  Trom- 


Ein  Satz  eines  unbekannten  Klavierkonsertes  von  Beethoven. 


469 


peten  mit  oder  ohne  Paukeu.  Erst  1784  yervollständigt  er  es  dauernd, 
nimmt  Streicher ,  1  Flöte ,  2  Oboen,  2  Fagotte,  2  Homer,  und  dazu 
zumeist  auch  2  Trompeten  und  Pauken. 

Das  ist  auch  das  Orchester  des  Konzertsatzes.  Im  bdur-Kon- 
zert  Beethoveji's  vermissen  wir  die  Trompeten  und  Pauken,  während 
im  c  dur^Konzert  noch  2  Clarinetten  hinzukommen. 

Im  c  mo//-Konzert  hat  Beethoven  das  Orchester  seiner  t.  und  2. 
Symphonie;  nebst  den  genannten  Instrumenten  noch  eine  2.  Flöte. 
Nicht  nur  in  der  Zusammenstellung  des  Orchesters,  auch  in  der 
Mischung  der  Farben  bieten  sich  genug  Ähnlichkeiten.  Es  sei  nur 
der  Anfang  erwähnt:  Wie  im  e/ »»©//-Konzert  Mozart's  beginnt  auch 
hier  Tw^^t  der  Streicher,  worauf  die  Bläser  hinzutreten  (Hom,  Fagott, 
Oboe,  Flöte),  bis  im  16.  Takt  das  ganze  Orchester  ertönt.  Auffallend 
ist  die  Bevorzugung  der  Oboe,  die  drei  Themen  einführt  —  eine 
Eigenthümlichkeit,  die  manche  Kompositionen  Beethoven's  haben. 
Bei  Mozart  ist  die  Klangwirkung  gesättigter,  runder,  die  Vereinigung 
der  verschiedenen  Instrumentalkräfte  innerlicher,  ein  lebendigeres 
Entgegentreten  einzelner  Klangkörper.  Wie  die  Klavierstimme  des 
Konzertsatzes  ab  und  zu  in  den  Bahnen  Wanhal's  oder  SterkeFs 
wandelt,  so  daß  man  versucht  wäre,  in  ihr  Lager  überzulaufen,  so 
fällt  auch  die  Orchestrirung  ab  und  zu  auf  das  Gebiet  der  dii  mino" 
rum  gentium.  Der  zweite  Theil  des  Seitenthemas  (Motiv  i)  ist  in 
Inhalt  und  Ausführung  ein  solcher  Überläufer  in  —  ich  möchte  mich 
des  barbarischen  Ausdruckes  bedienen  —  unbeethoven'sche  Regionen ; 
das  Motiv  selbst  steht  aber  nicht  tief  unter  einer  Finalklausel  im 
b  rfwr-Konzert  Takt  S  l . 


Ä 


i 


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3: 


S: 


^^  noch  einmal  ff. 


-12. 


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^^^ 


oder  einer  ähnlichen  im  c  rf«r-Konzert  Takt  95. 

Es  ist  eine  nicht  zu  leugnende  Thatsache,  daß  der  Schulzwang 
—  sei  er  freiwillig  oder  unfreiwillig  —  am  auffälligsten  in  Schlüssen, 
Finalklauseln  hervortritt.  Es  bedarf  eines  mächtigen  Selbstbewußt- 
seins, strammer  Thatkraft,  hier  selbständig  aufzutreten. 

Wir  sind  durch  die  Gegenüberstellung  der  Komposition  eines 
Meisters  aus  der  Zeit  seiner  vollen  Reife  .mit  der  Arbeit  eines  Jüngers 

32* 


470       Ouido  Adler,  Ein  Satz  eines  unbekannten  Klavierkonzertes  v.  Beethoven. 

in  ein  arges,  selbstverschuldetes  MißverhaltniB  geraten.  Der  Jünger 
ist  Beethoven:  Es  steht  nach  dem  Gesagten  der  Annahme  nichts 
entgegen,  daß  der  Konzert^atz  von  diesem  sei.  Weder  äußere 
noch  innere  Gründe  sprechen  dagegen.  Ist  es  aber  sein  Werk,  dann 
kann  es  nur  der  Jüngling  Beethoven  geschaffen  haben.  Die  Unter- 
suchung hat  unwillkürlich  zur  Zeitgrenze  geführt,  innerhalb  welcher 
das  Werk  entstanden  sein  dürfte.  Ich  möchte  als  solche  die  Jahre 
knapp  um  1790  ansehen,  etwa  1788 — 1793.  Die  verhältnißmäßig 
reichere,  motivisch  mehr  durchgearbeitete  Ausführung  des  b  dur-Kon- 
zertes  darf  nicht  irreführen:  Beethoven  hat  dasselbe  1798  umgear- 
beitet, also  nach  einer  Zwischenzeit,  in  der  er  viel,  sehr  viel  gear- 
beitet, gehört  und  erfahren  hatte.  Beethoven,  der  stets  den  streng- 
sten Maßstab  an  seine  Werke  legte,  suchte  das  Konzert  nicht  mehr 
hervor ,  wie  so  viele  andere  seiner  Kompositionen  aus  der  Jünglings- 
zeit unedirt  blieben  und  nur  gegen  seinen  Willen  in  späterer  Zeit  her- 
ausgegeben wurden.  Was  er  nicht  zu  den  besten  seiner  Arbeiten 
zählte,  wollte  er  lieber  ungedruckt  lassen.  Und  trotz  der  Mängel 
bietet  auch  dieser  Konzertsatz  Schönheiten ,  die  uns  in  hohem  Grade 
befriedigen  und  erbauen. 

Man  kann  das  Werk  lieb  gewinnen,  ganz  abgesehen  von  dem 
hohen  historischen  Werth  einer  derartigen  Jugendarbeit. 

Das  Werk  schlägt  eine  Brücke  von  dem  Ufer,  auf  welchem 
das  £sdur 'Konzert  von  1784  steht,  zu  dem  uns  gangbaren  Gre- 
biete  der  jugendlichen  Beethoven'schen  Muse.  Der  Jüngling  hat  in 
Wien  1787  mannigfache  Anregungen  bekommen ,  er  sucht  sie  künst- 
lerisch zu  verwerthen,  komponirt  für  den  Bonner  Hof  und  bereitet 
sich  für  seine  Reisen  vor.  Sobald  er  zur  Veröffentlichung  von  opus  1 
kommt,  läßt  er  Manches  liegen,  was  ihm  nicht  mehr  seiner  würdig 
scheint.  Uns  scheint  er  darob  doppelt  werth,  vorerst  weil  wir  seine 
künstlerische  Enthaltsamkeit  bewundem  und  dann,  weil  wir  deutlich 
wahrnehmen,  wie  stetig  er  wächst,  wie  sehr  sein  gewaltiges  Ringen 
Phantasie  und  Vernunft  stärkt  und  kräftigt,  wie  unentwegt  sein  Vor- 
wärtsdrängen,  wie  unvergleichlich  sein  Vorwärtsdringen.  Gerade 
solche  Werke ,  wie  der  Konzertsatz  sind  hochzuhalten  ob  der  darin 
zu  Tage  tretenden  künstlerischen  Selbsterziehung;  nicht  nur  ästheti- 
sches Gefallen,  auch  ethische  Befriedigung  erwecken  sie  in  uns. 
Vielleicht  gelingt  es  noch,  die  fehlenden  Sätze  des  Konzertes  auf- 
zufinden. 


Die  Arie  „Ach,  mein  Sinn^^  aus  J.  S.  Bach's 

Johannes-Passion. 


Von 

Philipp  Spitta. 


Elf  Arien  sind  es,  welche  Bach  im  gesammten  für  die  Johannes- 
Passion  komponirt  hat,  wenn  man  nämlich  an  zwei  Stellen  ein  Arioso 
mit  der  nachfolgenden  Arie  als  Eins  zusammenfaßt.  Als  er  dem 
Werk  die  erste  Gestalt  gab,  was  wahrscheinlich  noch  in  Cöthen,  in 
den  ersten  Monaten  des  Jahres  1723,  geschehen  ist,  stattete  er  es  mit 
neun  Arien  aus ;  ich  lasse  sie  hier  in  der  Ordnung  aufziehen,  wie  sie 
in  der  Passion  nach  einander  erscheinen. 

1.  Von  den  Stricken  meiner  Sünden  {Alt), 

2.  Ich  folge  dir  gleichfalls  mit  freudigen  Schritten  (Sopran), 

3.  Himmel  reiße,  Welt  erbebe  [Baß  mit  Sopran^-ChoTBl), 

4.  Zerschmettert  mich,  ihr  Felsen  und  ihr  Hügel  (Tenor). 

5.  Ach  windet  euch  nicht  so,  geplagte  Seelen  (Tenor). 

6.  Eilt,  ihr  angefochtnen  Seelen  (Baß  mit  Chor). 

7.  Es  ist  vollbracht  (AU). 

8.  Mein  theurer  Heiland,  laß  dich  fragen  (Baß  mit  C^or-Choral). 

9.  Mein  Herz!    indem  die  ganze  Welt  (Tenor-Ano&o)  und:  Zer- 

fließe, mein  Herze  (Sopran- Ane). 

Da  Bach  sich  nicht  im  Besitze  einer  Passionsdichtung  befand, 
die  seinen  Absichten  ganz  entsprach,  auch  keine  Zeit  mehr  gehabt 
zu  haben  scheint,  sich  eine  solche  zu  verschaffen,  entlehnte  er  zu  vier 
der  obigen  Arien  die  Texte  aus  der  Passionsdichtung  von  Brockes 
(Hamburg  1712).  Er  that  damit  nicht«,  was  nicht  in  seiner  Zeit 
auch  andere  thaten;  übrigens  scheint  er  die  Texte  eigenhändig  um- 
geändert zu  haben.     Sie  gehören  zu  1,  6,  S  und  9.     Wie  er  zu  den 


472  Philipp  Spina. 


übiigen  fünfen  gekommen  ist,  hat  sich  bis  jetzt  nicht  ermitteln  lassen. 
Ich  habe  an  anderm  Orte  (J.  S.  Bach  II,  S.  350  f.)  die  Vermuthung 
zu  begründen  versucht,  daß  er  sie  selbst  zusammengestellt  habe. 

Nun  unterwarf  er  aber  nach  einigen  Jahren  die  Johannes-Pas- 
sion einer  durchgreifenden  Umarbeitung,  welche  auch  den  Bestand 
der  Arien  antastete.  3,  4,  und  5  des  vorstehenden  Verzeiclinisses 
wurden  einfach  entfernt.  Der  Platz,  wo  3  gestanden  hatte  (liinter 
dem  Choral  S.  31  der  Ausgabe  der  B.-G.),  blieb  unausgefullt.  An 
die  Stelle  von  5  trat  ein  Baß-Arioso  »Betrachte,  meine  Seelt  und  eine 
Tenor- Arie  »Erwäge«;  zu  beiden  Stücken  entnahm  Bach  die  Worte 
wieder  aus  Brockes'  Gedicht.  4  endlich  wurde  durch  die  Arie  »Ach, 
mein  Sinn«  ersetzt.  Als  ich  den  zweiten  Band  des  »J.  S.  Bach«  schrieb, 
war  ich  noch  nicht  im  Stande,  den  Verfasser  des  Textes  nachzu- 
weisen, dessen  sich  Bach  zu  dieser  Arie  bedient  hat.  Inzwischen 
ist  es  mir  gelungen,  ihn  zu  finden.  Zunächst  aber  möge  der  Text 
selbst  hier  stehen. 

Ach,  mein  Sinn,  wo  willt  du  endlich  hin, 

Wo  soll  ich  mich  erquicken? 

Bleib  ich  hier?    Oder  wünsch  ich  mir 

Berg  und  Hügel  auf  den  Rücken? 

Bei  der  Welt  ist  gar  kein  Bath, 

Und  im  Herzen  stehn  die  Schmerzen 

Meiner  Missethat, 

Weil  der  Knecht  den  Herrn  verleugnet  hat. 

Christian  Weise  (1642 — 1708),  der  bekannte  Zittauer  Schulrektor, 
ließ  im  Jahre  1675  zu  Leipzig  erscheinen  »Der  Grünen  Jugend  Noth- 

wendige  Gedanken Zu   gebührender  Nachfolge,    so  wol  in 

gebundenen  als  ungebundenen  Keden,  allen  rt^rtosen  Gemüthem  re- 
commendirtd]  eine  Anleitung  zur  Dicht-  und  Rede-Kunst  mit  Bei- 
spielen. S.  350  ff.  handelt  er  von  den  Madrigalen  und  von  den  ma- 
drigalischen Oden;  mit  diesem  letzteren  Namen  bezeichnet  er  stro- 
phische Gedichte,  in  welchen  aber  die  Strophe  madrigalischen  Bau 
hat.  Solche  Oden,  sagt  er,  seien  vorzugsweise  der  Musik  wegen  in 
Aufnahme  gekommen.  Namentlich  wenn  es  sich  darum  handle,  einer 
nArie  [d.  h.  einem  Instrumentalstück  in  Lied-  oder  Tanzform],  Ah- 
mande,  Courante  u.  d.  g.«  einen  Text  unterzulegen,  könne  man  jene 
Art  nicht  wohl  entbehren,  denn  die  Textzeilen  müßten  sich  nach 
der  Länge  der  musikalischen  Perioden  richten,  welche  bald  groß, 
bald  klein  seien.  Der  ungezwungene  Wechsel  zwischen  längeren 
und  kürzeren  Zeilen  war  eben  ein  Merkmal  des  Madrigals.  »Ich  will 
ein  Exempel  geben  (f,  fährt  Weise  fort,    »auff  die  bewegliche  Intrade 


Arie  aus  J.  S.  Bach's  Johannes-Passion.  '    473 


Herrn  Sebastian  Knüpfers,   meines  sonderbaren  und  hochgehaltenen 
Freundes: 


^£z^X^i-^^h^^    .« 


Nun  folgt  ein  Gedicht,  das  ich,  obgleich  uns  zunächst  nur  dessen  erste 
Strophe  angeht,  dennoch  ganz  hier  mittheilen  muß,  um  seinen  Ge- 
sammtinhalt  klar  zu  machen. 

»Der  weinende  Petrus. 

1. 

Ach  mein  Sinn,  wo  denkstu  weiter  hin? 
"Wo  sei  ich  mich  erqyickenP 
Bleib  ich  hier?  oder  wünsch  ich  mir 
Berg  und  Hügel  auf  den  Rücken? 
Außen  find  ich  keinen  Kath, 
Und  im  Hertz en  sind  die  Schmertzen 
Meiner  Mißethat, 
Daß  der  Knecht  den  Herren  gantz  verleugnet  hat. 

2. 

Ach  wie  sind  wir  Menschen  schwach  und  blind! 
Wir  trotzen  im  Qelücke; 
Doch  so  bald  ein  Gewitter  knallt, 
Weicht  der  Helden-Muth  zurücke. 
Gestern  war  ich  unverzagt, 
Und  ich  hätte  bei  der  Kette 
Leib  und  Blut  gewagt; 
Aber  nun  erschreckt  mich  eine  schwache  Magd. 

3. 

Ist  er  nicht  der  Völker  Zuversicht, 
Der  Weg,  das  Heil,  das  Leben? 
Und  ich  wil  nicht  einmahl  so  viel 
Ihm  zur  Dienstbarkeit  ergeben? 
Seine  Macht  ist  ewig  groß, 
Und  sein  Leiden  hilft  zu  Freuden 
In  des  Vätern  Schoß: 
Und  ich  gebe  mich  von  seinem  Dienste  loß. 

4. 

•    Aber  doch  mein  Jesus  lebet  noch, 
Der  kan  mich  nicht  erdrücken, 
Und  er  wird  als  ein  frommer  Hirt 
Auf  sein  armes  Schäfgen  blicken: 


474  Philipp  Spitta, 


Wird  mir  gleich  der  Sünden-Hahn 

Im  Gewißen  krehen  müssen, 

Ach  so  sieht  mich  an. 

Der  mit  einem  Blicke  wieder  helffen  kan. 

5. 

Ach  mein  Hort,  ach  tritt  an  meinen  Ort 
Und  hilff  mir  treulich  kämpfen, 
Oder  laß  dieses  Thränen-Maß    . 
Dein  erhitztes  Feuer  dämpfen, 
Nim  das  schwache  Löse-Oeld 
Und  erfreue  meine  Keue, 
£h  die  gantze  Welt 
Über  mir  uncl  meiner  Schuld  zusammen  fält.« 

Sebastian  Knüpfer,  einei  der  würdigsten  Vorgänger  Bach's  im 
Leipziger  Thomaskantorat,  bekleidete  dieses  Amt  von  1657  bis  zu 
seinem  Tode  1676.  Weise  sagt,  er  habe  die  Form  vorstehender 
madrigalischen  Ode  zum  zweiten  Male  angewendet  für  eine  Nacht- 
musik am  7.  Juli  1673;  also  muß  sie  selbst  vor  diesem  Datum  ge- 
dichtet sein.  Sie  wird  wohl  in  die  Zeit  vor  1668  fallen,  da  er  in 
diesem  Jahre  Leipzig  verließ,  um  bald  darauf  (1670)  eine  Lehrer- 
stelle am  Augusteum  zu  Weißenfels  anzutreten.  Jedenfalls  stammt 
die  Freundschaft  mit  Knüpfer  aus  der  Zeit  seiner  Leipziger  Studenten- 
und  Magister-Jahre.  Sein  Sinn  für  Musik  hat  ihn  auch  später  noch 
mehren  hervorragenden  Musikern  nahe  gebracht.  Johann  Kri^er, 
gleichzeitig  mit  ihm  in  Zittau  wirkend,  setzte  auf  Dichtungen  von 
Weise  seine  »Musikalischen  Ergetzlichkeiten«,  und  ließ  sich  auch 
als  Kirchenkomponist  von  seiner  Yerskunst  unterstützen;  mit  dem 
älteren  Bruder,  Johann  Philipp  Krieger  in  Weißenfels,  war  Weise 
gleichfalls  bekannt  ^  Die  Intrade  nun  von  Knüpfer's  Komposi- 
tion, welcher  Weise  seine  madrigalische  Ode  unterlegte,  und  deren 
Anfang  er  in  Noten  mittheilt  ^,  muß  ein  tanzartiges  Stück  gewesen 
sein.  Weil  sie  »beweglich«  genannt  und  mit  einem  geistlichen 
Texte  verbunden  wird,  dächte  mancher  vielleicht  lieber  an  eine 
Instrumental -Einleitung  zu  einer  Kirchenmusik.  Aber  eine  solche 
heißt  in  jener  Zeit  allgemein  Sonate  oder  Sinfonie,  und  außer- 
dem spricht  Weise  vorher  ausdrücklich  von  AUemanden  und  Cou- 
ranten.    Tänze  für  Gesang  einrichten,  war  durch  das  ganze  17.  Jahr- 


^  Christian  Weisens  CuriOse  Qedancken  von  Deutschen  Versen«  Leipiig,  1702. 
S.  449  und  332. 

2  loh  bemerke,  daß  in  der  Auflage  von  1690  dies  musikalische  Citat  fortge- 
lassen ist. 


Arie  aus  J.  S.  Bach's  Johafines-Passion.  475 


hundert  in  Deutschland  beliebt ;  freilich  war  dies  immer  noch  etwas 
anderes,  als  das  von  17(V0  an  in  Frankreich  grassirende  Parodiren 
von  Instrumentalstücken,  das  dann  auch  in  Deutschland  seinen  Wie- 
derhall fand  (Sperontes).  Wie  gewandt  Weise  solche  Aufgaben  zu 
lösen  wußte,  hat  er  auch  in  andern  Fällen  bewiesen  >.  Knüpfer's 
Intrade  denkt  man  sich  am  schicklichsten  als  Einleitungstück  einer 
Folge  von  Tänzen. 

Daß  die  erste  Strophe  von  Weise's  Gedicht  der  Text  zu  der  Arie 
der  Johannes-Passion  ist,  hat  der  Leser  gesehen.  Die  Abweichungen 
des  letzteren,  welche  die  Vergleichung  ergiebt,  machen  die  Annahme 
unmöglich,  daß  Bach  unmittelbar  aus  dem  Buche  Weise's  geschöpft 
haben  könne.  Fast  ausnahmslos  sind  diese  Abweichungen  Ver- 
schlechterungen, und  wir  haben  keinen  Grund  zu  dem  Verdachte, 
daß  Bach  seine  Vorlage  behufs  musikalischer  Benutzung  muthwillig 
entstellt  haben  sollte.  Knüpfer  war  einer  seiner  Amtsvorgänger. 
Wenn  wir  erwägen,  wie  pietätvoll  sich  Bach  gegenüber  Kuhnau  ver- 
hielt, wie  er  mancherlei  aus  seinen  Werken  für  sich  entnahm,  in 
Äußerlichkeiten  ihn  sogar  nachahmte,  so  liegt  der  Gedanke  nicht 
fern,  das  Knüpfer's  Intrade  mit  Weise's  Text,  die  er  vielleicht  im 
Notenschatz  der  Thomasschule  fand,  seine  Theilnahme  anlockte, 
und  ihn  veranlaßte,  wenigstens  ein  Stück  der  Dichtung  für  seine 
Zwecke  gelegentlich  neu  zu  verwenden.  Der  verderbte  Text  müßte 
dann  schon  in  dieser  Vorlage  gestanden  haben;  vielleicht  war  sie 
durch  mehrfache  Abschriften  verfälscht,  oder  auch  theilwmse  schwer 
leserlich. 

Ein  Meisterstück  des  Stils  ist  die  Strophe  selbst  in  ihrer  Origi*- 
nalgestalt  nicht.  In  Zeile  2  und  3  spielt  der  Dichter  auf  das  Bibel- 
wort an  »Dann  werden'  sie  anfangen  zu  sagen  zu  den  Bergen :  Fallet 
über  uns!  und  zu  den  Hügeln:  Decket  unsl«  (Lucas  23,  30).  Zu 
dem  Gedanken  bildet  die  Frage:  Bleib  ich  hier?  nicht  den  richtigen, 
oder  doch  nicht  den  richtig  ausgeprägten  Gegensatz.  Im  übrigen 
ist  jedoch  alles  korrekt  und  klar.  Der  erste  Gewinn,  den  wir  aus 
der  Vergleichung  des  Originals  mit  der  Bach'schen  Textform  ziehen, 
ist  der,  daß  wir  angeleitet  werden,  den  Wortsinn  der  letzteren  zu 
verstehen.  Diese  Anleitung  ist  sehr  erwünscht;  ich  bekenne,  daß 
ich  vordem  den  Text  nahezu  als  Galimathias  angesehen  habe. 

Weise  überschreibt  das  Gedicht  »Der  weinende  Petrus«)  legt  es 
also  einer  bestimmten  Person  in  einer  bestimmten  Lage  in  den 
Mund.  Hat  sich  Bach  des  Dichters  Auffassung  angeeignet?  Es 
spricht  einiges  dagegen.   Zunächst  die  Beschaffenheit  der  älteren  Arie, 


'  Man  sehe  Curiifse  Gedancken  von  Deutschen  Versen.    S.  122  und  123. 


476  Philipp  Spitta, 


die  anfänglich  an  dieser  Stelle  stand,  insofern  wir  in  ihr  eine  erbau- 
liche Betrachtung  des  frommen  Christen  vor  uns  haben,  welche  an 
die  Verleugnung  des  Petrus  angeknüpft  wird;  daß  sie  dieses  ist. 
geht  klar  aus  der  ermahnenden  SchluBzeile  hervor.  Die  biblische 
Handlung  mit  all  ihren  hervortretenden  Momenten  zu  dem  Empfin- 
den der  christlichen  Gemeinde  sofort  in  unmittelbare  Beziehung  zu 
setzen,  ist^a  überhaupt  eine  Stileigenthümlichkeit  der  Passion:  an 
demselben  Punkte  der  Handlung  tritt  bekanntlich  in  der  Matthäus- 
Passion  der  herrliche  Bußgesang  »Erbarme  dich«  ein.  Auch  fallen 
einige  Textänderungen  auf.  Die  Wendung:  »Bei  der  Welt  ist  gar 
kein  Rathtr,  statt  »Außen  find  ich  keinen  Rath«r,  scheint  die  pietistische 
Anschauung  des  Gegensatzes  wiederzuspi^eln ,  der  zwischen  der 
»Welt«!  und  dem  allein  Friede  bringenden  Leben  in  Christo  besteht, 
eine  Anschauung,  welche  Petrus  in  jener  Situation  nicht  haben 
konnte.  »Weil«  statt  »daß«  am  Anfang  der  letzten  Zeile  könnte 
andeuten  sollen,  daß  bei  der  Vorstellung  von  dem  Fehltritt  des 
Petrus  das  Bewußtsein  der  eigenen  Sündhaftigkeit  im  Christen  sich 
stärker  geltend  macht.  Aber  diese  Deutungsversuche  sind  doch  nur 
möglich,  so  lange  man  jede  der  Stellen  für  sich  und  außer  dem  Zu- 
sammenhange betrachtet.  Zu  dem  Sinn  des  Ganzen  stehen  sie  in 
Widerspruch.  Grade  daraus  entstand  zumeist  die  ünverständlichkeit 
des  Textes,  daß  man,  wie  die  madrigalischen  Stücke  in  den  Passionen 
nun  einmal  eingefügt  und  wie  sie  stilisirt  zu  werden  pflegten,  zu- 
nächst von  der  Auffassung  ausgehen  mußte,  man  habe  es  auch  hier 
mit  einer  allgemeinen  erbaulichen  Betrachtung  zu  thun.  Nimmt 
man  dagegen  die  Arie  als  eine  Äußerung  des  reuigen  Petrus,  so  be- 
seitigt man  dadurch  freilich  nicht  einzelne  unklare  und  ungeschickte 
Ausdrücke :  das  Ganze  aber  wird  nunmehr  voll  verständlich  und 
gewinnt  einen  erhöhten  charakteristischen  Reiz. 

Es  verdient  Beachtung,  daß  der  Choral,  welcher  der  Arie  folgt 
und  den  ersten  Theil  der  Johannes-Passion  abschließt,  auf  die  Person 
des  Petrus,  seine  Verleugnung  und  seine  Reue  direkten  Bezug  nimmt, 
und  erst  mit  der  fünften  Zeile  die  Nutzanwendung  auf  den  Christen 
macht.  In  der  Johannes-  wie  in  der  Matthäus-Passion  pflegen  die 
Choräle  nur  auf  Bibelwort  zu  folgen,  nicht  auf  madrigalische  Dich- 
tung. Daß  am  Schluß  der  Johannes -Passion  dem  madrigalischen 
Chore  noch  ein  Choralchor  angefügt  ist,  kann  nicht  in  Betracht 
kommen;  es  beruht  auf  einem  alten  Brauche,  von  dem  Bach  nicht 
abweichen  wollte  (J.  S.  Bach  H,  S.  359).  In  der  Matthäus-Passion 
fo^  nur  einmal  ein  Choral  auf  ein  madrigalisches  Stück,  merkwür- 
digerweise an  derselben  Stelle,  wo  es  auch  in  der  Johannes-Passion 
geschieht:   nach  Petri  Verleugnung.     Dort  löst  sich  das  zerknirschte 


Arie  aus  J.  S.  Bach's  Johannes-Passion.  477 


Flehen  der  Altarie  schön  in  die  milde,  trostvolle  Fassung  des  Chorals 
auf.  Daß  Bach,  wenn  er  schon  einmal  von  seinem  Giundsatze  be- 
tretb  Einfügung  der  Choräle  abwich,  einen  solchen  Inneren  Zusam- 
menhang und  Fortgang  für  unerläßlich  hielt,  darf  man  als  sicher 
annehmen.  Davon  war  nun  zwischen  der  älteren  Arie  »Zerschmettert 
mich,  ihr  Felsen  und  ihr  Hügel«  und  dem  Chorale  »Petrus,  der  nicht 
denkt  zurück«  keine  Spur  vorhanden,  und  diese  innere  Zusammen- 
hangslosigkeit  war  unzweifelhaft  der  Grund,  warum  Bach  die  Arie  ent- 
fernte. Nicht  einen  Ausbruch  der  Verzweiflung  erwartet  man  hier  zu 
hören,  als  Petrus  bitterlich  weinend  hinausgegangen  ist,  sondern  den 
Ausdruck  eines  tiefen,  aber  in  Reue  schon  gelösten  und  gelinderten 
Schmerzes.  Diese  Empfindung,  welche  auch  das  ganze  Gedicht  Weise's 
zur  Darstellung  zu  bringen  sucht,  hat  Bach  mit  der  Kraft  seines 
Genius  der  neuen  Arie  eingehaucht.  Um  aber  bei  der  ausnahms- 
weisen  Verbindung  von  Madrigal  und  Choral  den  psychologischen 
Zusammenhang  möglichst  eng  zu  machen,  konnte  er  gar  kein  will- 
kommeneres Mittel  finden,  als  dasjenige,  welches  das  Gedicht  schon 
darbot:  die  Personifikation.  Von  der  Schwäche  und  Reue  des  Petrus 
hat  der  Evangelist  eben  erzählt;  so  angekündigt  tritt  gleichsam 
Petrus  selber  vor  uns  hin;  schließlich  faßt  der  Choral  sein  Thun 
noch  einmal  zusammen  und  schließt  mit  einer  erbaulichen  Wendung 
und  Gebet. 

Die  musikalische  Form  der  Arie  »Ach,  mein  Sinn«  ist  eine  ganz 
besondere.  Im  Grunde  finden  wir  die  typische  Dreitheiligkeit.  Aber 
diese  ist  durch  eine  andre  Formidee  überkleidet,  die  sich  am  stärk- 
sten bemerkbar  macht  an  derjenigen  Stelle,  wo  der  dritte  Theil  sich 
dem  zweiten  anfügt.  Man  könnte  sagen,  daß  die  Idee  der  Ciacona- 
Form  mit  der  Idee  der  dreitheiligen  Arienform  hier  einen  Bund  ein- 
gegangen ist,  nur  daß  das  Ciacona-Thema  sonst  sich  auf  vier  bis 
acht  Takte  zu  beschränken  pflegt,  und  auch  lieber  in  die  Unter- 
oder Mittelstimmen  gelegt  wird.  In  unserer  Arie  wird  es  durch  das 
sechzehntaktige  Ritornell  dargestellt;  ihr  Verlauf  besteht  eigentlich 
nur  darin,  daß  dieser  Abschnitt  sich  immer  von  neuem  wiederholt: 
von  Takt  17  in  Fis  moll,  Takt  B2  in  Cis  moll,  Takt  52  in  E  dur, 
Takt  63  in  H  moll,  Takt  74  in  Fis  moll.  Die  Wiederholungen  sind 
zwar  nicht  immer  ganz  vollständig  und  kontinuirlich,  da  die  gleich- 
zeitige Rücksicht  auf  die  dreitheilige  Arienform  dies  verbot.  Aber 
sie  fallen  doch  klar  genug  ins  musikalische  Bewußtsein,  um  hier 
die  Vorstellung  einer  Empfindung  hervorzurufen,  die  an  einen  einzigen 
Gegenstand  wie  festgebannt  ist.  Man  darf  wohl  fragen,  ob  Bach  auf 
ein  solches  Tonbild  gekommen  wäre,  wenn  ihm  nicht  die  Person 
des  Petrus  vorgeschwebt  hätte,    in  dessen   Seele  zur  Stunde  nichts 


47S  Philipp  Spitta,  Arie  aus  J.  S.  Bach's  Johannes-Passion. 


andres  Raum  hat,  als  der  eine  schmerzliche  Gedanke  an  seine  Ver- 
leugnung Christi. 

Nach  all  diesem  werden  wir  über  die  Absicht  des  Komponisten 
nicht  im  Zweifel  sein.  Freilich  wird  nun  auch  die  Erwägung  un* 
abweisbar,  ob  das  was  er  beabsichtigte  mit  dem  Stile  einer  Passions- 
musik vereinbar  ist.  Aber  von  einer  wirklichen  Dramatisirung  — 
die  allerdings  in  ieiner  £archenkomposition  unstatthaft  wäre  —  hält 
sich  Bach  doch  weit  genug  entfernt.  Ein  äußeres  Merkmal  dafür 
ist  schon  der  Umstand,  daß  Petrus,  wenn  er  in  der  biblischen  £r^ 
Zählung  redend  eingeführt  wird,  Baß  singt,  während  unsere  Arie  für 
eine  Tenorstimme  gesetzt  ist.  Gewisse  dramatische  Manieren,  welche 
den  deutsch-protestantischen  Komponisten  durch  das  italiänische  Orato- 
rium vermittelt  worden  waren,  haben  auch  anderweitig  in  der  Johannes* 
Passion,  ja  selbst  in  der  Matthäus-Passion  ihre  Spuren  zurück  ge- 
lassen, ohne  die  Einheitlichkeit  des  Stils  empfindlich  zu  schädigen. 
Im  innersten  Grunde  bleibt  man  darüber  doch  nicht  im  Unklaren; 
daß  in  der  Arie  »Ach,  mein  Sinne  hinter  der  EmpfindungsäuBerung 
des  Petrus  das  Empfinden  der  evangelischen  Gemeinde  steht.  Nur 
daß  dieses  in  den  andern  madrigalischen  Stücken  unmittelbar,  hier 
aber  durch  eine  Zwischenperson  vermittelt  zum  Ausdruck  kommt,  ist 
nicht  unbedenklich.  Der  Standpunkt,  welchen  der  Hörer  sonst  ein- 
nimmt, muß  dieser  Arie  gegenüber  verschoben,  so  zu  sagen  weiter 
zurück  verlegt  werden.  Dadurch  tritt  die  Arie,  es  ist  nicht  zu  leug- 
nen, um  ein  weniges  aus  dem  Kreise  der  andern  madrigalischen 
Stücke  heraus.  Aber  um  den  Preis  einer  Komposition  von  so 
eigenartiger  Schönheit  werden  wir  uns  die  kleine  Störung  schon 
gefallen  lassen. 


Kritiken  und  Referate. 


I)r,  Otto  Eiben  ^  Der  volksthümliche  deutsche  Männergesang. 
Geschichte  und  Stellung  im  Leben  der  Nation ;  der  deutsche  Sänger- 
bund und  seine  Glieder.  Zweite  Auflage.  Tübingen,  1887,  Verlag 
der  H.  Laupp'schen  Buchhandlung.    8.    XII  und  478  Seiten. 

Der  deutsche  M&nnergesang  hat  in  unserm  Jahrhundert  eine  so  stark  heryor* 
tretende  Rolle  gespielt,  daß  es  eine  eben  so  naheliegende  wie  lohnende  Aufgabe  ist, 
seine  Geschichte  zu  schreiben.  Ich  nenne  die  Aufgabe  lohnend  und  fürchte  dabei  nicht 
den  Widerspruch  derjenigen,  welche  den  Männergesang  als  Kunstgattung  überhaupt 
gering  achten.  Was  in  sich  die  Kraft  getragen  hat,  dergestalt  in  die  Höhe  und 
Breite  lu  wachsen,  das  muß  in  der  inneren  Natur  des  deutschen  Volkes  tief  ge- 
wurzelt sein  und  ein  Stück  seines  Wesens  offenbaren.  Den  Bedingungen  einer  solchen 
charakteristischen  Erscheinung  nachzugehen,  ist  aber  dann  besonders  anziehend  und 
erfolgrerheißend,  wenn  sich  zwar  ein  gewisser  Abschluß  der  Entwicklung  erkennbar 
macht,  ihre  Wirksamkeit  aber  noch  so  weit  fortbesteht,  daß  man  sich  des  lebendigen 
Zusammenhanges  mit  ihr  bewußt  ist.  Für  niemanden  möchte  dieses  in  höherem 
Grade  gelten,  als  für  Otto  Eiben.  Er  hat  überall  in  Deutschland  imd  über  dessen 
Grenzen  hinaus  das  deutsche  Sfingerleben  kennen  gelernt,  er  hat  vierzig  Jahre 
hindurch  dem  Stuttgarter  Liederkranze  angehört  und  hat  eben  so  lange  bei  dem 
Ausbau  des  Vereinswesens  der  deutschen  Sänger  an  leitender  Stelle  mitgewirkt. 
Viele  bedeutende  Einrichtungen  desselben  sind  auf  ihn  als  Urheber  zurückzuführen, 
mit  gewissen  Phasen  seiner  Entwicklung  ist  er  so  eng  verwachsen,  daß  ihm  bei 
ihrer  Schilderung  zu  Muthe  gewesen  sein  mag,  als  ob  er  seine  Memoiren  nieder- 
schriebe. Die  beiden  einschneidendsten  Ereignisse  der  jüngeren  Zeit :  die  Gründung 
des  deutschen  Sängerbundes  (1S62)  und  den  großen  Krieg  nebst  der  aus  ihm  ent- 
springenden vollen  Einigung  Deutschlands  hat  er  miterlebt  und  ist  Zeug«  der 
Wirkungen  gewesen,  die  sich  hieraus  für  das  Männergesangswesen  ergaben.  Dagegen 
steht  er  der  ersten,  grundlegenden  und  innerlich  gehaltvollsten  Periode  des  Männer- 
gesangs, seiner  klassischen  Zeit  so  zu  sagen,  persönlich  fem.  In  Hinsicht  auf 
diese  ist  er  also  jedenfalls  in  der  Lage,  zwei  zur  Lösung  der  Aufgabe  nothwendige 
Dinge:  innige  Theilnahme  an  der  Sache  und  Objektivität  in  sich  zu  vereinigen. 
Sein  Buch  täuscht  die  Erwartungen  nicht,  die  man  auf  ihn  zu  setzen  berechtigt 
war.  Es  lehrt  aber  zur  Freude  des  Lesers  noch  mehr,  nämlich  daß  er  auch  da, 
wo  er  persönlich  betheiligt  und  maßgebend  gewesen  ist,  sich  die  Fähigkeit  bewahrt 
hat,  ruhig  und  unparteiisch  zu  urtheilen. 

Wenigen  Schriftstellern  dürfte  es  vergönnt  sein,  nach  32  Jahren  —  die  erste 
Auflage  erschien  1855  —  ein  Werk  zum  zweiten  Male  herauszugeben.  Der  Ver- 
pflichtung, welche  dem  Verfasser  hieraus  erwuchs,  hat  er  mit  vollem  Ernste  genügt 


430  Kritiken  und  Keferate. 


und  darf  in  der  Vorrede  sagen,  daß  die  zweite  Auflage  ein  wesentlich  neues  Bueh 
sei.  Sie  mußte  ein  solches  werden,  denn  der  Wunsch,  eine  Geschichte  des  deutschen 
Sängerbundes  zu  haben ,  bildete  ihre  äußere  Veranlassung,  und  als  die  erste  Auf- 
lage erschien,  bestand  der  Bund  noch  nicht  Aber  auch  der  gesammte  Inhalt  der 
ersten  Auflage  ist  von  neuem  gründlich  durchgearbeitet.  Auf  S.  60  beginnen  die 
Erweiterungen  größeren  Umfanges;  ganz  neu  ist  der  Abschnitt  über  Baiem  !§  12* 
und  Oesterreich  (§  17),  neu  auch  der  größte  Theil  des  Abschnitts  über  die  ersten 
Feste  und  Sängerbünde  (v.  S.  76,  unten);  einiges  ist  anders  disponirt,  rieles 
formell  und  auch  inhaltlich  umgearbeitet.  Von  S.  146 — 364  ist  alles  neue  Arbeit; 
sie  betrifft  die  Periode  von  der  Mitte  des  Jahrhunderts  bis  auf  unsere  Tage.  Für 
den  Rest  des  Buches,  dessen  Hauptinhalt  die  Würdigung  des  Männei^esangs  als 
selbständige  Kunstgattung  bildet,  hat  dann  wieder  vieles  aus  der  ersten  Auflage 
Benutzung  gefunden. 

Der  deutsche  Mannergesang  hat  eine  äußere  und  eine  innere  Geschichte.  Die 
erster e  ist  größtentheils  Geschichte  seines  Vereinswesens,  die  letztere  Geschichte 
seiner  Kunstformen.  Wenn  man  die  Baum  Verhältnisse  betrachtet,  in  welchen 
Eiben  jene  und  diese  dargestellt  hat,  so  sieht  man  sogleich,  daß  die  fiußeze 
Geschichte  den  hervorragenderen  Platz  einnimmt.  Dieses  braucht  nicht  von  der 
Willkür  des  Verfassers  herzurühren.  In  der  That  ist  die  Pflege  des  Männergesangs 
eine  viel  ausgebreitetere ,  als  bei  der  Beschränktheit  der  Kimstmittel  und  dem 
Wesen  der  durch  sie  bedingten  Kunstformen  berechtigt  scheinen  könnte.  Auch 
eine  noch  eingehendere  und  mit  freierem  Umblick  verfaßte  Darstellung  des  rein 
musikalischen  Theils  der  Aufgabe  würde  ihrem  Umfange  nach  immer  noch  betTach^ 
lieh  hinter  der  äußeren  Geschichte  zurückstehen.  Was  diese  betrifit,  so  verdient 
Eiben  wegen  des  Fleißes  seiner  Forschung,  der  Gesundheit  seines  Urtheils  und 
der  Wärme  seiner  Darstellung  volle  Anerkennung.  Zwar  hatte  er  —  was  bei  der 
ersten  Auflage  noch  vermißt  wurde  ~  in  den  Specialgeschichten  von  Häaeler, 
Rosenthal,  Hach,  Schmidt  und  andern,  in  Mittheilungen  der  Musikzeitungen,  fin 
Jahresberichten  und  Festschriften,  Programmen  und  Statuten  schätzbare  Vorarbeiten 
zur  Verfügung.  Aber  abgesehen  davon,  d^ß  es  nicht  immer  leicht  sein  mochte, 
diese  für  seinen  Zweck  angemessen  zu  verwerthen,  waren  doch  auch  noeh  weite 
Strecken  übrig,  vor  welchen  er  sich  auf  die  eigne  Forschung  angewiesen  sah«  Mag 
nun  selbst  jetzt  noch  manche  Lücke  offen  geblieben  sein,  sieher  ist  dieses,  daß 
man  durch  Elben's  Arbeit  zum  ersten  Male  ein  wahrheitsgetreues  Bild  von  der 
erstaunlichen  Ausdehnung  erhält,  welche  der  deutsche  Männergesang  nicht  nur  im 
Vaterlande  gewonnen  hat,  sondern  überall  auf  der  Erde,  wo  Deutsche  in  größerer 
Anzahl  zusammenwohnen. 

Die  Anfänge  einer  solchen  merkwürdigen  Erscheinung  im  Kunst-  und  Kultur- 
leben unseres  Volkes  sind  natürlich  der  besonderen  Aufmerksamkeit  des  Historikers 
werth.  Eiben  behandelt  sie  im  zweiten  Buch  seines  W^erkes,  während  er  im  ersten 
nach  Anknüpfungspunkten  sucht,  vermittelst  welcher  sich  der  Männergesang  unseres 
Jahrhunderts  mit  der  Vergangenheit  verbinden  lasse.  Gegen  diesen  Abschnitt  Be- 
denken zu  erheben  wird  sich  der  gewissenhafte  Beurtheiler  nicht  ersparen  dürfen. 
Wenn  Eiben  »in  der  Reihenfolge  der  deutschen  Barden,  der  Minne- und  Meisters&nger 
die  j  etzt  überall  ausgebreiteten  Liederkränze  das  jüngste  Glied«  nennenzu  können  glaubt 
und  dieses  damit  begründet,  daß  ihnen  allen  der  volksthümliche  deutsche  Zug  gemein- 
sam sei,  so  macht  er  es  sich  mit  dem  Nachweise  dessen,  was  die  Wissenschaft  einen 
historischen  Zusammenhang  nennt,  etwas  zu  leicht.  Auf  volksthümlich  nationaler 
Grundlage  ist  vieles  in  der  deutschen  Kunst  und  im  geselligen  Leben  unseres  Volkes 
entstanden,  was  sich  mit  dem  Männergesang  durchaus  in  keine  Verbindung  bringen 
läßt  Was  aber  die  Minne-  und  Meistersänger  betrifft  —  von  den  Barden  sehen 
wir  ab,  denn  wir  wissen  über  sie  nichts,  was  hier  zu  brauchen  wäre  —  so  herrscht 


Der  Yolksthümliche  deutsche  Männergesang  von  Dr.  Otto  Eiben.       ^g^ 


in  allen  wesentlichen  Dingen  zwischen  ihnen  und  den  heutigen  Liederkr&nEen  die 
größte  Verschiedenheit.  Man  würde  es  schwer  begreifen,  wie  Eiben  eu  einer 
solchen  Zusammenstellung  kommen  konnte,  wenn  nicht  auf  S.  7  und  72  die  Er- 
klärung 2u  finden  wäre.  Reste  der  Meistersängersunft  haben  sieh  in  Südwest- 
Deutschland  bis  in  unser  Jahrhundert  erhalten.  Die  Ulmer  Meistersänger  lösten 
sich  am  21.  Oktober  1839  auf  und  setzten  den  Ulmer  Liederkrann  zu  ihrem  Nach- 
folger ein,  die  Liedertafel  Memmingens  erwarb  den  Schild  mit  dem  Bilde  König 
Davids,  der  einst  den  Meistersängern  dieser  Stadt  als  Wahrzeichen  gedient  hat,  und  die 
1840  gegründete  Bürgersängerzunft  in  München  hat  für  ihre  Einrichtung  mancherlei 
Gebräuche  der  Organisation  der  alten  Meistersänger  humorvoll  entlehnt.  Eine  Art 
von  äußerlichem  Zusammenhang  hat  sich  hier  in  der  That  hergestellt,  aber  damit 
nimmermehr  auch  schon  ein  innerer.  Im  eigentlichen  Verstände  wird  auch  wohl 
Eiben  an  einen  solchen  nicht  glauben;  durch  das  Spiel  des  Zufalls  angeregt  hat 
er  einem  Gedanken  Raum  gegeben,  der  allenfalls  als  wirksames  Aper9u  zu  brauchen 
wäre  (s.  S.  59  die  Festrede  Karl  Pfaff's),  nicht  aber  als  geschichtliche  Wahrheit. 
Ich  glaube  dies  aussprechen  zu  dürfen,  weil  er  selbst  wiederholt  betont,  der  Männer^ 
gesang  sei  eine  neue,  eine  unserer  Zeit  eigenthümliche  Erscheinung.  Wohlan!  so 
suche  man  ihn  aus  den  Bedingungen  unserer  Zeit  zu  begreifen.  Es  begleitet  den 
Leser  durch  das  ganze  erste  Buch  jenes  stille  Unbehagen,  das  man  empfindet,  wenn 
nicht  zur  Sache  gesprochen  wird.  Dazu  kommt  ein  anderes.  Eiben  ist  offenbar 
mit  der  älteren  Musikgeschichte  wenig  vertraut.  Niemand  verargt  ihm,  daß  ihm 
gewisse  Kenntnisse  fehlen,  deren  er  zur  Lösung  seiner  Aufgabe  gamicht  benöthigt 
Auch  denkt  er  nicht  daran,  sich  solche  anzutäiischen.  Er  hat  für  alles  seine  Ge- 
währsmänner an  der  Hand:  Bumey,  Forkel,  Kiesewetter  und  andere.  Aber  er 
hat  nicht  berücksichtigt,  daß  die  Forschung  über  diese  Männer  längst  hinausge- 
schritten ist.  So  machen  seine  Auseinandersetzungen  obendrein  einen  wunderlich 
veralteten  Eindruck. 

Können  wir  diese  Dinge  einfach  auf  sich  beruhen  lassen ,  so  fordert  Elben's 
Schilderung  einiger  Musikvereine  des  17.  Jahrhunderts  ein  etwas  tieferes  Eingehen. 
Er  nennt  sie  Vorläufer  der  heutigen  Männergesangvereine.  Zwei  derselben,  der 
Adjuvantenverein  zu  Coswig  in  Anhalt  und  die  Singgesellschaft  zu  St.  Gallen  in 
der  Schweiz,  bestehen  in  veränderter  Form  noch  heute.  Aber  daß  selbst  diese 
dem  modernen  Männergesang  die  Bahn  gewiesen  hätten,  kann  man  doch  nur  be- 
haupten, wenn  man  die  Formen,  welche  das  gesellige  Musiciren  im  17.  und  18. 
Jahrhundert  angenommen  hatte,  ganz  außer  Acht  läßt.  Vor  allem  sind  Vereine, 
wie  die  genannten  und  wie  der  Verein  zu  Greiffenberg  in  Pommern,  keine  ver- 
einzelte Erscheinungen,  wie  der  Verfasser  glaubt.  Die  Liebe  zur  Musik  konnte 
in  unserm  Volke  selbst  durch  die  Nöthe  des  dreißigjährigen  Krieges  nicht  erstickt 
werden;  nicht  nur  im  18.,  auch  im  17.  Jahrhundert  blühten  in  Deutschland  die 
Collegia  mustca  und  musikalischen  Societäten.  Es  ist  auffallend,  daß  sie  bis  jetzt 
nur  unter  der  evangelischen  Bevölkerung  nachgewiesen  sind ;  indessen  die  Geschichte 
der  deutschen  Gesangvereine  im  17.  und  18.  Jahrhundert  ist  noch  zu  schreiben, 
und  die  Forschungen  über  diesen  Gegenstand  sind  bis  jetzt  sehr  unvollständig. 
Nur  so  viel  sieht  man  klar,  daß  die  Pflege,  welche  die  Musik  innerhalb  der  pro- 
testantischen Kirche  fand,  sich  von  dort  aus  nach  außen  hin  fortsetzte.  Die 
musikalische  Societät  des  thüringischen  Mühlhausen,  über  welche  ich  vor  Jahren 
einmal  berichtet  habe  (Monatshefte  für  Musikgeschichte,  Jahrg.  1870,  S.  70 ff.), 
ist  auf  diese  Weise  entstanden.  Adjuvanten  nannte  man  Gemeindemitglieder, 
welche  freiwillig  und  unentgeltlich  bei  der  Kirchenmusik  mitwirkten.  Um  sie  bei 
guter  Laune  zu  erhalten,  zahlte  die  Kirchenkasse  einen  Beitrag,  wenn  sie  sich  — 
jährlich  einmal  —  zu  einem  Festmahle  mit  Musik  versammelten.  So  wurde  in 
Mühlhausen    das  convivium  musicale  bestritten,   und  diese  Sitte  war  im  17.  Jahr- 


4g2  Kritiken  und  Referate. 


hundert  zuTerlässig  durch  ganz  Mittel-  und  Norddeutschland  verbreitet.  Selbst 
im  ehstländischen  Heval,  einem  äußersten  Vorposten  deutscher  Kultur,  war  sie 
heimisch,  wie  aus  einem  Protokoll  hervorgeht,  das  ich  im  dortigen  Kathsarcbiv 
fand.  »Anno  1661  d.  18  JuniJ  referirete  dominus  praeses,  daB  der  Cantor  Georg 
ChrUtophonu  Fortschius  bey  seiner  Magnißcetiz  gewesen,  vnd  suverstehen  gegeben, 
welcher  gestalt,  bisshero  die  Music  bey  dießer  Stadt  in  Kundbarliches  Abnehmen 
wegen  der  wenigen  Adjuvanten  gekommen,  dieselbe  aber  in  etwaß  wieder  au&u- 
richten  vnd  in  den  vorigen  standt  zu  bringen,  solte  nicht  vndienlich  sern,  dem 
alten  nach  jährlich  einmahl  von  denen  zum  inu«tca^chen  eonvivio  verordneten  beyder 

Pfarkirchen    Gfelder  ein    klein   musicalisch   eonvivium   anzustellen worauff 

einhelliglich  decretitet  worden,  weiln  eß  von  alters  so  geweßen  vnd  gehalten  worden, 
dann  auch  solcher  gestalt  die  Adjuvanten  in  etwaß  willig  gemachet  werden  könten,  alß 
soll  denen  beyden  Vorstehern  anbefohlen  werden,  sothane  bißhero  auffgeloffene  gdder 
wie  auch  inß  küniftig  jährlich  die  zu  solchem  eonvivio  deputirte  gelder,  alß  5  Reichs- 
thaler  von  jedweder  Kirchen  allemahl  richtig  vnd  vnweigerlich  außzukehren«.  Bei 
dem  Festmahl  wurde  nicht  nur  gespielt,  sondern  auch  gesungen,  und  nicht  nur 
geistliche,  sondern  auch  weltliche  Musik.  Es  ist  sehr  wohl  denkbar,  daß  ein  solches 
eonvivium  den  Anstoß  gab,  sich  häufiger  zu  geselligem  Musiciren  zu  versammebi, 
woraus  denn  dasjenige  wurde,  was  man  in  Mühlhausen  die  musikalische  Societät 
oder  auch  das  musikalische  Kränzchen  nannte.  Der  Adjuvantenverein  in  Coswig 
aber  hat  es  nach  Elben's  Mittheilungen  zur  Pflege  weltlicher  Musik  während  der 
vergangenen  Jahrhunderte  gamicfat  einmal  gebracht;  er  war  eben  ein  einfacher 
Kirchenchor,  wie  solche  im  evangelischen  Deutschland  überall  bestanden,  und  das 
einzig  merkwürdige  an  ihm  scheint  gewesen  zu  sein,  daß  er  sich  in  größerer  Selb- 
ständigkeit, als  es  an  andern  Orten  geschah,  dem  Schülerchor  gegenüber  gehalten 
hat.  Dagegen  zeigt  die  Singgesellschaft  »zum  Antlitz «  in  St.  Qallen  wieder  den 
aufs  Kirchliche  gegründeten,  aber  ins  Weltliche  hinübergreifenden  Charakter ;  auch 
das  »Musikmahl«  {eonvivium  musicale)  wird  erwähnt.  Wenn  im  Jahr  162u  einige 
Bürgersöhne  der  Stadt  sich  zusammen  thaten,  um  zunächst  zu  ihrer  eignen  Übung 
und  Erbauung  den  GoudimeVschen  mehrstimmigen  Psalter  in  Lobwasser's  Über- 
setzung zu  singen  (später  wurden  diese  Tonsätze  von  ihnen  auch  in  der  Kirche 
angestimmt),  so  scheint  dies  auf  eine  weiter  verbreitete  Sitte  zu  deuten.  Im  Dorfe 
Wilsum  in  der  Grafschaft  Bentheim  bestand,  wie  durch  Mittheilungen  des  Pastor 
Langen  zu  Nordhom  kürzlich  bekannt  geworden  ist,  bis  in  die  neueste  Zeit  der 
Brauch,  daß  die  Bauemsöhne  sich  regelmäßig  versammelten,  um  die  Psalmen  nach 
GoudimeVs  Satz  vierstimmig  in  holländischer  Sprache  zu  singen.  Ahnliches  wird 
auch  an  andern  Orten  der  Fall  gewesen  sein,  und  nicht  dieses  ist  es,  was  die 
St.  Gallener  Singgesellschaft  merkwürdig  macht,  auch  nicht  die  Musik,  auf  welche 
sie  später  ihre  Übungen  ausdehnte  ^  sondern  ihre  zähe,  bis  auf  unsere  Zeit  dauernde 
Lebenskraft.  Soviel  vom  17.  Jahrhundert.  Setzt  man  gar  den  Fuß  über  die 
Schwelle  des  folgenden,  so  findet  man  die  Collegia  musica  auf  Schritt  und  Tritt. 
Namentlich  waren  sie  unter  den  Studenten  häufig.  Eins  der  berühmtesten  ist  1704 
von  Telemann  in  Leipzig  gegründet  worden.  Auch  diese  akademischen  Musik- 
vereine traten  gern  mit  der  Kirche  in  Verbindung  und  führten  zu  den  Sonn- 
oder Festtagen  Kirchenmusiken  auf,  so  stark  sonst  natürlich  das  weltliche  Wesen 
in  ihnen  vorherrschte.    Fast  ausschießlich  weltlich  dagegen  mochten  die  Coüegia 


^  Sie  benutzte,  wie  Eiben  berichtet  [S.  15]  » Musikbücher  von  Sagittarius, 
Hammerschmidt  und  Prosius.«  Ist  es  nicht  besser,  unsern  Heinrich  Schütz  bei 
seinem  deutschen  Namen  zu  nennen?  »Prosius«  soll  Ambrosius  Profe  (Profius)  sein, 
welcher  1641,  1643  und  1616  eine  Sammlung  von  »Geistlichen  Concerten«  in  vier 
Theilen  herausgab. 


Der  Yolksthamliche  deutsche  Männergesang  von  Dr.  Otto  Eiben.        483 


munca  der  Beruf smusiker  sein.  Obschon  sie  » Spielleute «  hießen,  wurde  doch  von 
ihnen  auch  der  Gesang  gepflegt.  Wie  es  in  einem  solchen  CoUegium  susugehen 
pflegte,  davon  geben  die  Nachrichten  ein  Bild,  die  wir  über  das  Musiktreiben  auf 
den  Bach'schen  Familientagen  besitsen. 

Alle  diese  und  ähnliche  Vereinigungen  eu  gemeinsamem  Musiciren  bestanden 
bis  um  die  Mitte  des  18.  Jahrhunderts  nur  aus  Männern.  Frauen  waren  ausge- 
schlossen; höchstens  wurden  dann  und  wann  Singknaben  zugelassen  sur  Aus- 
führung des  Discants.  Nothwendig  waren  sie  nicht  in  einer  Zeit,  da  die  Kunst 
des  Falsettirens  eifrig  geübt  wurde,  und  vor  allem  die  Studenten  mochten  ihrer 
gern  entrathen.  Also  lauter  Männergesangvereine.  Aber  mit  dem,  was  wir  heute 
90  nennen,  haben  sie  nicht  das  geringste  au  schaffen.  Denn  sie  trieben  gänzlich 
andre  Dinge.  Immer  nahm  bei  ihnen  das  Instrumentenspiel  einen  vornehmen 
Fiats  ein,  und  wurde  es  nicht  selbständig  geübt,  so  diente  es  doch  als  Begleitung.. 
Die  Gesangskompositionen  hatten  im  17.  Jahrhundert  die  Form  des  Konzerts  und 
der  ein-  oder  mehrstimmigen  Arie.  Im  18.  Jahrhundert  pflegte  man  die  großen 
und  mannigfachen  Formen,  die  sich  hieraus  und  aus  der  Opemmusik  entwickelt 
hatten.  Sie  waren  sämmtUch  italiänischen  Ursprungs.  Die  Poesie  aber,  welche 
gesungen  wurde,  besaß  nur  bei  kirchlichen  Werken  noch  einigen  Gehalt  und 
Charakter,  insofern  hier  das  Fortwirken  des  evangelischen  Volks-  und  Gemeindelieds 
noch  nicht  ganz  erstorben  war.  Sonst  herrschte  auch  in  ihnen,  und  in  weltlichen 
Werken  herrschte  ganz  und  gar  ein  schales,  fremdländisches  Wesen.  Gerade  dasjenige, 
was  beim  modernen  Männergesang  im  Mittelpunkt  der  Pflege  steht :  das  Lied,  be- 
fand sich  in  jenen  Zeiten  völlig  in  Verachtung.  Unbegleiteten  Gesang,  der  hier 
die  Grundlage  der  Entwicklung  abgegeben  hat,  kannte  man  in  jenen  Vereinigungen 
gamicht.  Keinem  ihrer  Poetaster  ist  es  eingefallen,  Vaterland  und  Freiheit  zu 
besingen.  Man  nehme  aber  unsem  Männergesängen  diese  Begriffe,  und  sehe, 
was  bleibt. 

Es  wird  also  nicht  mehr  die  Rede  davon  sein  können,  daß  die  Muiikgesell«' 
Schäften  lu  Ghreiffenberg,  Coswig  und  St.  GaUen  Vorläufer  der  heutigen  Männer* 
gesangvereine  sind.  Ganz*  und  gar  haben  diese  ihre  Wurzeln  in  dem  neuen  Auf* 
Schwünge,  welchen  gegen  die  Neige  des  vorigen  Jahrhunderts  Wissenschaft,  Kunst  und 
Nationidbewußtsein  in  Deutschland  nahmen.  Daß  der  Deutsche  wieder  seine  Geschichte 
kennen  lernte,  daß  er  an  Herder's  Hand  seine  eigne  Art  und  das  Echte  und  Ewige 
seiner  Volkspoesie  begriff,  daß  große  Dichter  eine  neue  Blüthe  herrlicher  Lyrik 
herbeiführten  und  Komponisten  wieder  fähig  wurden,  volksthümliche  Melodien  zu 
erfinden,  daß  wir  endlich  einmal  mit  Stolz  auf  unser  Vaterland  blicken  durften  und 
gezwungen  waren,  in  einem  Kampf  auf  Leben  und  Tod  um  unsere  Freiheit  zu 
ringen  —  das  war  es,  wodurch  die  Kräfte  geweckt  wurden,  denen  der  Männergesang 
unseres  Jahrhunderts  sein  Dasein  verdankt.  Der  Geschichtschreiber  muß  also  zu-» 
nächst  auf  die  deutsehe  Liedpoesie  am  Ende  des  vorigen  Jahrhunderts  sein  Auge 
richten,  dann  auf  die  deutsche  Liedkomposition,  d.  h.  vor  allem  auf  J.  A.  P.  Schulz 
und  dessen  Lieder  im  Volkston,  femer  auf  Reichardt,  Zelter  u.  a.,  und  er  muß 
die  Stellung  andeuten,  welche  diese  Art  des  deutschen  Liedes  im  geselligen  Leben 
einnahm.  Hiermit  ist  der  Weg  beschritten,  der  dann  ohne  Hindemisse  zur  Berliner 
Liedertafel  einerseits  und  zu  Kägeli  andrerseits  hinführt.  Ich  sage  nun  nicht,, 
daß  sich  Eiben  dieser  Einsicht  ganz  verschlossen  hätte.  Aber  er  beweist  es  nur 
an  zerstreuten  Stellen  des  Buches  und  gelegentlich,  nicht  mit  konzentrirtem  Nach- 
druck in  der  Einleitung  des  Buches,  wo  es  geschehen  mußte.  Hier  hat  er  sieb 
durch  die  beiden  Abschnitte  »Aus  alten  Zeiten«  selbst  den  Platz  dafür  verbaut. 
Ich  meine,  diese  Abschnitte  hätten  ganz  gestrichen  werden  sollen.  Nur  des  ahen 
Volksliedes  mochte  er  Erwähnung  thun,   dann   aber  in  anderm  Zusammenhange* 

ISSS.  33 


4S4  Kritiken  und  Referate. 


Wie  es  jetzt  auf  S.  10  und  U  geschieht,  begreift  der  Leser  nicht,  warum  es  über- 
haupt nöthig  ist,  von  ihm  zu  sprechen. 

Haben  wir  uns  dem  ersten  Buche  gegenüber  ablehnend  verhalten  müssen,  so 
können  wir  mit  Inhalt  und  Gang  des  zweiten  recht  wohl  einverstanden  sein.  Nur 
macht  sich  schon  hier  ein  Übelstand  fühlbar,  der  daraus  entsteht,  daß  Eiben  die 
Geschichte  des  Vereinswesens  von  der  Geschichte  der  Kunstformen  überall  zu 
trennen  sucht.  Für  die  spätere  Periode,  wo  dar  Männergesang  mehr  in  die  Breite 
als  in  die  Höhe  wächst,  war  diese  Trennung  wohl  geboten.  Aber  in  der  älteren 
Zeit  hängt,  wie  bei  allen  Entwicklungen,  das  Gedeihen  in  höherem  Grade  von  dem 
Wirken  einzelner  Kraftnaturen  ab,  und  man  gelangt  zu  keinem  eindringlichen 
Bilde,  wenn  man  dieses  nicht  in  einem  Zuge  klar  legt.  Während  der  Leser  am 
Anfang  des  zweiten  Buches  zu  der  Zelter'schen  Liedertafel  als  Ausgangspunkt  ge- 
führt wird  und  demnach  annehmen  muß,  in  ihrem  Kreise  seien  die  ersten  mehr- 
stimmigen Männergesänge  entstanden,  erfährt  er  im  achten  Buche  auf  S.  396  £, 
daß  schon  vorher  solche  in  Süddeutschland  komponirt  und  sehr  beliebt  geworden 
waren.  Hätte  Eiben  dies  am  Eingang  des  zweiten  Buches  gesagt,  und  die  Art 
der  Mänuergesänge  M.  Haydn's,  Call's  und  Eisenhofer's  genau  charakterisirt ,  so 
wäre  klar  geworden,  warum  sie  in  den  Bewegungen  des  19.  Jahrhunderts  ein  lebens- 
unfähiges Genre  bleiben  mußten;  das  national-volksthümliehe  Wesen  des  mo- 
dernen Männerchores  wäre  dadurch  zu  Tage  getreten,  und  die  Zelter'sche  Lieder- 
tafel hätte  einen  historischen  Hintergrund  erhalten,  der  ihr  in  der  vorliegenden 
Darstellung  fehlt.  Wie  das  Buch  jetzt  disponirt  ist,  muß  man  Zelter's  Würdigung 
an  zwei  verschiedenen  Stellen  suchen,  ebenso  diejenige  Nägeli's  und  Silcher's. 
Aber  die  großen  Entwicklungszüge  in  der  Entstehungsgeschichte  des  Männerge- 
sangs hat  Eiben  ohne  Zweifel  richtig  erkannt.  Zwei  ungefähr  zu  gleicher  Zeit  in 
Norddeutschland  und  in  der  Schweiz  bemerkbar  werdende  Bewegungen  streben 
einander  entgegen.  Der  Begründer  des  Schweizer  Männergesangs  ist  NägeU.  Be- 
dingt durch  den  Charakter  des  Gemeinwesens,  in  welchem  er  entstand,  mußte 
dieser  Gesang  ein  durchaus  volksthümliches,  gemeinverständliches  Gepräge  tragen. 
Durch  die  Schweizer  wurden  die  Schwaben  angeregt.  Auch  ihr  Gesang  hat  den 
volksthümlichen  Grundton ;  vermöge  ihrer  herrlichen  Dichter  und  eines  melodischen 
Talents,  wie  dasjenige  Silcher's  war,  thaten  sie  es  den  Schweizern  bald  zuvor.  Aber 
von  Anfang  an  nährten  sie  sich  auch  an  norddeutschem  Geiste;  ja,  man  kann 
sagen,  daß  die  am  Morgen  des  1.  Mai  1824  im  Walde  gesungenen  Komer-We- 
ber*schen  Yaterlandslieder  der  Funke  waren,  welcher  die  Flammen  der  Begeiste- 
rung entzündete,  und  die  Gründung  des  Stuttgarter  Liederkranzes  bewirkte. 
Die  norddeutsche  Bewegung  aber  hebt  mit  der  Berliner,  1808  unter  Zelter't 
Direktion  gebildeten  Liedertafel  an.  Sie  setzte  zwar  als  ihren  Stiftungstag  den 
24.  Januar  1809  fest.  Ihre  eigentliche  Gründung  aber  fand  schon  im  vorher- 
gehenden Monat  statt  und  zwar  nicht  am  28.  sondern  am  21.  Dezember,  Für  das 
falsche  Datum  ist  Eiben  nicht  verantwortlich  zu  machen,  sondern  sein  Gewährs- 
mann Wilhelm  Bomemann.  Dieser  veröffentlichte  seine  Schrift:  »Die  Zelter* sehe 
Liedertafel  in  Berlin.  Berlin  1851«  in  hohem  Greisenalter  und  scheint  sich  dabei 
nicht  mehr  des  Protokolls  erinnert  zu  haben,  das  er  43  Jahre  früher  selbst  auf- 
genommen hatte,  als  am  21.  Dezember  1808  »auf  freundliche  Einladung  des  Herrn 
Professor  Zelter  mehrere  Mitglieder  der  Singakademie  in  der  Wohnung  der  Ma- 
dame Yoitus  sich  versammelten,  um  den  Entwurf  zur  Stiftung  einer  monathlichen 
Tafelgesellschaft  zu  hören«  >.      In  der  Charakterisirung  der  Berliner  Liedertafel 


^  Bomemann  berichtet  überhaupt  mehres,  was  durch  die  noch  vorhandenen 
Akten  der  Liedertafel  nicht  bestätigt  wird.  So  sollte  nach  den  Statuten  das  Auf- 
nahmegeld nicht  zehn  sondern  einen  Thaler  betragen,  außerdem  hatte  jedes  Mit- 


0 

Der  Yolksthamliche  deutsche  Männergesang  von  Dr.  Otto  Eiben.       485 


läßt  sieh  Eiben  durch  den  Gegensatz  des  schweixerischen  und  süddeutschen  Gesanges 
SU  einer  gewißen  Einseitigkeit  verleiten.  Wenn  er  meint  (S.  44),  der  Schöpfer  des 
eigentlichen  Männerchors  sei  Nägeli  gewesen,  die  Liedertafel  mit  ihren  24  Mit- 
gliedern habe  wohl  mehrstimmige  Lieder  gehabt,  aber  keinen  Chor,  so  ist  dem  zu 
entgegnen,  daß  es  zur  Feststellung  des  ohorm&ßigen  Charakters  weniger  auf  die 
Masse  der  Ausführenden,  als  auf  die  Haltung  des  GMichts  und  der  Komposition 
ankommt,  und  unter  den  nöthigen  Voraussetsungen  24  Sänger  ebenso  gut  chor- 
mäßig wirken  können,  wie  jene  400,  die  Nägeli  sich  wünschte.  Die  Sänger  der 
Liedertafel  sollten  Männer  höherer  Bildung  und  Begabung  sein:  jeder  von  ihnen 
sollte  entweder  dichten  oder  komponiren  können.  Zog  diese  Bestinmiung  den  Kreis 
enger,  so  daß  in  ihm  die  Individualitäten  mehr  hervortreten  konnten,  so  verwehrte 
sie  doch  nicht  im  mindesten  die  Hingabe  der  Mitglieder  an  die  großen  Ideen  der 
Zeit  und  vor  allem  an  die  Pflege  der  Vaterlandsliebe.  Unser  Verfasser  meint,  der  Ge- 
danke des  nationalen  Aufschwungs  sei  der  Liedertafel  nicht  su  (h'unde  gelegt 
worden  (S.  24) ;  allein  hierin  irrt  .er.  Der  achte  Paragraph  der  Statuten  sagt 
ausdrücklich:  »Die  Gegenstände  des  Vaterlandes  und  allgemeinen  Wohles  sind  in 
ihrem  ganzen  Umfange  Dichter  und  Komponisten  empfohlene  Um  die  Tragweite 
dieser  Bestimmung  su  ermessen  bedenke  man,  daß  sie  in  der  Zeit  des  napoleo- 
nischen Druckes  getroffen  wurde.  In  einem  späteren  Paragraphen  der  Statuten 
heißt  es :  »Die  Liedertafel  sieht  sich  als  eine  Stiftung  an,  die  die  ersehnte  Zurück* 
kunft  des  Königlichen  Hauses  feiert,  wie  überhaupt  das  Lob  ihres  Königs  zu  den 
ersten  Geschäften  der  Tafel  gehört«.  Und  als  die  Rückkehr  des  Königs  sich  vei- 
BÖgert,  schreibt  Bomemann  am  26.  April  1809:  »Aber  dringender  wird  mit  jedem 
Tage  der  Zweck  unseres  Vereins  sur  Liedertafel.  Sie  soll  singen  dem  Könige, 
dem  Vaterlande,  dem  allgemeinen  Wohle,  dem  teutschen  Sinn,  der  teutschen 
Treue«.  Denkt  man  sich  die  Schweizer  und  Schwaben  als  Gegensatz,  so  mag  man 
immerhin  die  Anfänge  des  Liedertafelwesens  aristokratisch  nennen.  Aber  in  Berlin 
selbst  nahm  sich  die  Sache  anders  aus,  und  hierauf  kommt  es  doch  zunächst  an 
Die  musikalische  Bewegung,  welche  in  den  neunziger  Jahren  des  vorigen  Jahr- 
hunderts mit  der  Gründung  der  Singakademie  ihren  Anfang  nahm  und  sich  in  der 
Liedertafel  fortsetzte,  war  eine  Opposition  gegen  die  Art,  wie  eine  verwelsehte 
und  geistig  wie  sittlich  herabgekommene  Hofgesellschaft  die  Musik  trieb  und  pro- 
tegirte.  Bisher  hatte,  auch  unter  Friedrich  dem  Großen,  in  der  Musikpflege  allein 
der  Hof  den  Ton  angegeben.  Jetzt  unternahm  es  der  innerlich  tüchtig  und  gesund 
gebliebene  Bürger-  und  Beamtenstand,  sich  seine  eigene  Musik  zu  machen, 
Musik  wie  sie  seiner  kräftigen  und  ernsten  Natur  angemessen  war«  Es  ist  dies 
eine  Bethätigung  freien,  unverdorbenen  Sinnes,  zu  der  man  in  keiner  Residenz- 
stadt des  damaligen  Deutschland  ein  Seitenstück  finden  wird.  Der  typische  Re- 
präsentant der  so  in  Thätigkeit  tretenden  Gesellschaftskreise  ist  Zelter  mit  seiner 
rauhen  Tüchtigkeit,  seinem  Freimuth  und  derben  Humor.  Hierin  liegt  seine  Be- 
deutung und  die  Erklärung  der  herrschenden  Stellung,  welche  er  einnahm,  nicht 
in  seinem  Musikerthum,  in  welchem  er,  wenn  man  einige  Männerchöre  und  andere 
Lieder  abzieht,  nicht  über  die  Mittelmäßigkeit  hinaus  kam.  Man  sieht  aber, 
daß  unter  solchen  Verhältnissen  von  dem  angeblich  aristokratischen  Charakter  der 
Liedertafel  wenig  übrig  bleibt,  am  allerwenigsten  war  Zelter  eine  aristokratische 
Natur.     In    den   gebildeten  Männern   der  Liedertafel  war  das  Bewußtsein   vom 

glied  einvn  Monatsbeitrag  von  12  ggr.  zu  zahlen.  Daß  die  Gründung  der  Lieder- 
tafel Nachahmung  einer  russischen  Einrichtung  sei  —  eine  Unterstellung,  gegen 
die  sich  Eiben  begreiflicherweise  aufs  entschiedenste  wehrt  —  ist  natürlich  voll- 
ständig unrichtig.  Was  Bomemann  hierauf  bezügliches  erzählt,  hat  mit  der 
Gründung  der  Liedertafel  ebenso  wenig  zu  thun,  als  die  Erzählung  von  den  Militär- 
chören in  Potsdam  und  Neu-Ruppin. 

33* 


4S6  Kritiken  und  Referate. 


Werthe  der  deutschen  Nation,  die  Liebe  cum  Yaterlande,  das  Streben,  die  natio- 
nalen Tugenden  zu  pflegen,  kurs,  waren  alle  die  Ideen,  welche  dem  Mftnnergesaag 
seinen  hauptsächlichen  Inhalt,  seinen  Schwung  und  seine  nationale  Bedeutung  ga- 
ben, in  gleichem  Maße  lebendig,  wie  in  den  südlichen  Volksgesangrereinen  und 
Liederkränzen.  Nur  äußerten  sie  sich  hier  naiver,  dort  bewußter.  Wäre  es  anden 
'  gewesen,  so  wOrde  man  schwer  begreifen,  wie  der  Impuls,  durch  welchen  die  Man- 
nergesangsfrage  plOtzUch  unter  die  hohen  Interessen  des  gesammten  deutsohsD 
Volkes  erhoben  wurde,  von  Berlin  und  mittelbar  von  der  Liedertafel  ausgebeo 
konnte.  Dies  aber  ist  unbestreitbar  geschehen,  und  was  den  Impuls  gab,  warea 
Weber's  sechs  Lieder  aus  KOmer's  »Leyer  und  Schwert«.  Weber  war,  trotz  Zel- 
ters bomirter  Opposition,  schon  seit  mehren  Jahren  grade  in  denjenigen  Kreisen 
Berlins  sehr  beliebt,  die  sich  in  der  Singakademie  und  der  Liedertafel  ihre  musi- 
kalischen Organe  geschaffen  hatten.  Die  Anregung,  MännerehOre  zu  schreiben, 
konnte  ihm  damals,  als  dies  Genre  noch  etwas  seltenes  war,  nur  von  der  Berliner 
Liedertafel  kommen.  Schon  hatte  er  am  U.  Juni  1812  für  diese  mit  dem  «Tur- 
nierbankett«  ein  Werk  hingestellt,  das  als  es  am  23.  Juni  1912  an  einem  großen 
Gastabend  der  Liedertafel  im  Sommerlokale  bei  Kämpfer  im  Thiergarten  vor  mehr 
als  160  Personen  zum  ersten  Male  gesungen  wurde,  Sänger  und  H6r6r  überzeugen 
mochte,  daß  ein  berufener  Genius  sich  der  neuen  Gattung  bemächtigt  hatte.  Zur 
Komposition  der  K.ömer'schen  Lieder  wurde  er  abermals  in  Berlin  begeistert,  wo 
er  sich  befand,  als  1814  der  Konig  siegreich  aus  Frankreich  zurückkehrte  [unter 
Verfasser  spricht  S.  402  irrthümlieh  von  1813).  Daß  er  den  Männerchor  als  Organ 
wählte,  daran  ist  wiedenmi  die  Liedertafel  schuld.  Die  genialen,  in  der  Gluth 
der  Begeisterung  gleichsam  hingeblitzten  Schöpfungen  trugen  einen  Brand  hinai» 
in  alles  deutsche  Land,  der  am  norddeutschen  Heerde  entzündet  war.  Dieses  ge- 
schah in  den  ersten  Jahren  des  Bestands  dar  Liedertafel.  Von  der  sp&teren  Ent- 
wicklung des  Männergesangswesens  freilich  hat  sie  sich  abseits  gehalten,  und  in* 
sofern  ist  Elben's  Urtheil  begründet.  Mir  lag  nur  daran  festzustellen,  daß  ne 
ursprünglich  den  volksthümlich-patriotischen  Zug  in  ihrer  Art  ebenso  stark  besaß, 
wie  die  Vereine  des  Südens,  und  folglich  auch  im  Stande  war,  ihn  anderen  Ver^ 
einen  mitzutheilen,  die  sich  nach  ihrem  Muster  bildeten. 

Indessen  darf  man  sich,  wie  ich  glaube,  die  Verbreitung  des  Männergesanga 
in  den  ersten  Jahrzehnten  nicht  ausschließlich  an  die  Vereine  geknüpft  denken. 
Wie  man,  aus  den  einleitenden  Sätzen  zu  den  Statuten  der  Liedertafel  zu  schließen, 
schon  vor  ihrer  Gründung  in  den  singakademischen  Kreisen  Berlins  gelegentlich 
mehrstimmigen  Männergesang  geübt  hatte,  wird  solches  auch  anderswo  geschehen 
sein  ohne  daß  ein  Verein  die  Grundlage  bildete.  Namentlich  nachdem  Weheres 
Lieder  erschienen  waren.  Diese  woUten  allerorten  gesungen  und  gehört  sein,  und 
wo  die  Organe  dafür  nicht  bestanden ,  trat  eben  eine  Sohaar  von  Sängern  eigens 
zu  dem  Zwecke  zusammen.  So  geschah  es  unter  anderm  in  Hamburg  vor  Meth- 
fessel's  Zeit  (S.  29).  Daß  die  deutsche  Jugend,  an  der  Spitze  die  Studenten, 
allen  vorauf  war,  lag  in  der  Natur  der  Sache.  Als  Weber  1820  eine  große  Kunst- 
reise nu&chte,  besuchte  er  nach  einander  die  Universitäten  Leipzig,  Halle,  Göttingen, 
Kiel.  Er  wußte,  wo  die  begeistertesten  Anhänger  seiner  Muse  zu  finden  waren, 
und  wenn  die  Studenten  ihn  feierten,  sangen  sie  ihm  seine  Lieder  aus  aLeyer  und 
Schwert».  In  Halle  und  Göttingen  bestanden  damals  schon  Studentengesang- 
vereine, an  andern  Universitflten  bildeten  sie  sich  bald.  Ich  hatte  gehofft  über 
diese  ergiebigen  Aufschluß  in  Elben's  Buche  zu  finden  und  bedaure,  in  meiner 
Hoffnung  getäuscht  zu  sein.  Nur  von  den  »Paulinem«  in  Leipzig  erfährt  man 
genaueres,  nebenher  werden  die  Vereine  von  Jena,  Halle,  Kiel  und  die  aka- 
demische Liedertafel  in  Tübingen  erwähnt  (S.  30,  218,  220  L,  8St,  56,  63,  138;. 
Der    akademische    Gesangverein    in    Straßburg    (S.    287)     und    die    akademische 


Der  Tolksthamliche  deutsche  Mftnnergesang  Ton  Dr.  Otto  Eiben.       487 


Liedertafel  in  Berlin  (S.  238)  kommen  hier  nicht  in  Betracht,  da  sie  in  neuerer 
Zeit  gegründet  sind.  Dies  ist  aber  alles,  vas  in  Elben's  reichhaltigem  und  ver- 
dienstvollem Werk  über  die  Studentengesangvereine  au  finden  ist  Ich  darf  den 
Mangel  nicht  verschweigen.  Wie  die  Studenten  sich  anfangs  durch  die  Begeiste- 
rung ausgezeichnet  haben,  mit  der  sie  vom  Mfinnergesang  Besitz  ergriffen,  so 
haben  sie  ihrem  Sang  bis  heute  einen  besonderen  Charakter  von  Frische  und  Ur- 
sprünglichkeit bewahrt.  Daß  die  in  ihrem  geselligen  Verkehr  herrschende  Unge- 
zwungenheit vielfach  auch  für  die  Umgangsformen  in  den  Liedertafeln  vorbildlich 
geworden  ist  und  eine  wohlthfttige  Frische  imd  Jugendlichkeit  des  Tons  daselbst 
hervorgerufen  hat,  ist  eine  Wahrheit,  zu  der  sich  auch  unser  Verfasser  bekennt 
(8.  152).  Das  Mftnnergesangswesen  ist  seit  1871  in  eine  bedenkliche  Periode  ge- 
treten. Da  sein  überraschendes  Aufblühen  nicht  nur  rein  künstlerische,  sondern 
auch  politische  Gründe  hatte,  so  mußte  es  eine  starke  Stütae  verlieren,  als  letztere 
zu  einem  großen  Theile  hinf&llig  wurden.  Zwar  wer  gemeint  hatte,  die  Mftnner- 
gesangvereine  hätten  jetzt  ihre  politische  EoUe  ausgespielt,  der  konnte  durch  den 
tosenden  Jubel,  mit  welchem  die  Vorträge  d«s  Wiener  M&nnergesangvereins  am 
16.  August  1885  in  Berlin  aufgenommen  wurden,  eines  andern  belehrt  werden. 
Dennoch  ist  kaum  anzunehmen,  daß  sich  ihre  Sache  auf  der  früheren  Höhe  halten 
werde,  und  man  thut  gut,  die  Möglichkeit  einer  rückläufigen  Bewegung  zeitig  ins 
Auge  zu  fassen.  Da  seheint  es  mir  nun  unzweifelhaft,  daß  die  deutschen  Studenten 
die  Festung  bilden  werden,  in  welcher  der  Männergesang  den  stärksten  und 
dauerndsten  Schutz  findet  Eine  reiche  Litteratur  ist  geschaffen.  Augenblicklich 
freilich  gleicht  sie  einem  ausgetretenen  Strome,  dessen  trübe  Gewässer  die  Gelände 
übersehwemmen.  Aber  sie  werden  zurücktreten  oder  auftrocknen  und  der  Männer- 
gesang wird  wieder  als  ein  heller,  erquicklicher  Bach  erscheinen,  an  dessen  Ufern 
auch  spätere  Generationen  mit  Behagen  ruhen.  Als  der  Männergesang  entstand, 
war  ganz  Deutschland  jung.  Diese  Jugend  konnte  nicht  dauern.  Aber  sie  kehrt 
wieder  in  jedem  heranwachsenden  Qeschlechte,  das  in  seiner  Art  immer  von  neuem 
erlebt,  was  damals  die  Seelen  aller  erfüllte  und  begeisterte.  Und  so  wird  was 
Weber,  Marschner,  Kreutzer,  Sileher  von  Vaterland  und  Freiheit,  von  Kampf  und 
Sieg,  von  Andacht,  Liebe  und  Jugendlust  gesungen  haben,  im  Munde  der  deutschen 
Studenten  immer  frisch  und  durch  keine  Philisterhaftigkeit  getrübt  fortleben.  Dann 
wird  man  sich  einst  auch  nach  einer  Geschichte  des  Studentengesangs  umschauen ; 
es  wäre  schade,  wenn  sie  dann,  schuld  unserer  Versäumniß,  nicht  mehr  geschrieben 
werden  könnte. 

Die  ergiebige  Pflege  des  Männergesangs  außerhalb  der  Liedertafeln  und 
Liederkränze  möchte  ich  hier  noch  an  einem  glänzenden  Beispiele  darthun,  das 
in  die  zwanziger  Jahre  des  Jahrhunderts  fällt  und  von  Eiben  nicht  gekannt  zu 
sein  scheint.  Eine  damals  an  mehren  Orten  Deutsehlands  auftauchende,  wie  ich 
glaube  mit  den  Caveaux  der  Franzosen  zusammenhängende  Erscheinung,  sind  die 
»Tunnelgesellschaften«.  Ich  wende  den  Namen  auf  alle  an,  obgleich  eine  be- 
rühmte, die  »Ludlamshöhle«  in  Wien,  ihn  nicht  führte.  Der  Berliner  »Tunnel 
über  der  Spree«  (auch  »der  Berliner  Sonntagsgesellsohaft«  genannt)  ist  1827  durch 
M-  G.  Saphir  gegründet.  Er  hatte  vorwiegend  eine  litterariseh -journalistische 
Tendenz.  Die  Statuten  besagen  freilich  auch :  »Der  Gesellschaft  hat  eine  Kapelle, 
aus  den  musikalischen  Mitgliedern  des  Tunnel  bestehend«;  ich  weiß  aber  nicht, 
SU  welcher  Bedeutung  es  die  Leistungen  dieser  Kapelle  gebracht  haben.  Später 
verwandelte  sich  der  Tunnel  unter  dem  Namen  »Berliner  Sonntagsverein«  in  eine 
Dichtergesellschaft  mit  würdigen  und  ernsten  Bestrebungen.  Saphir's  Persönlichkeit 
verbürgt,  daß  von  solchen  in  den  ersten  Jahren  nicht  die  Rede  sein  konnte,  und 
wenn  der  in  den  Statuten  angeschlagene  Ton  für  den  Verkehr  der  Mitglieder  maß- 
gebend geworden  ist,  so  begreift  man  überhaupt  nicht,   daß  vernünftige  Männer 


4 SS  Kritiken  und  Referate. 


an  solch  läppischem  Treiben  Gefallen  fanden.  Dennoch  wurde  der  Berliner  Tunnel 
in  Leipzig,  freilich  in  einer  mehr  sympathischen  Form,  nachgeahmt  Im  Januar  1828 
grQndeten  sieben  junge  Männer  »den  Sonntagsgesellschaft  des  Peter»  oder  »Tunnel  über 
der  Pleiße«.  Mehre  Qleichgesinnte  fanden  sich  bald  herzu.  AUsonnabendlieh  um 
6  Uhr  versammelte  sich  die  unter  dem  Schutzpatronat  des  Till  Eulenspiegel  stehende 
Gesellschaft,  um  humoristischen  Blödsinn  zu  treiben.  Begonnen  wurde  danait,  daß 
der  Vorsitzende  feierlich  einen  Stiefelknecht  emporhob;  dann  sangen  sie  —  es 
scheint  nach  der  Melodie  des  God  save  the  king  —  das  Weihelied:  »Seht  doch, 
wie  feierlich  —  Hebt  sich  der  Stiefelknecht,  —  Nur  stiUe,  stille;  —  Stört  den  Ge- 
sellschaft nicht,  —  Sonst  straft  den  kühnen  Wicht  —  Declination. •  Gegen  das 
Ende  senkte  sich  der  Stiefelknecht.  Nun  mußte  der  Schriftführer  eine  Eröffiiungs- 
rede  halten,  das  Protokoll  der  vorigen  Sitzung  verlesen,  eingelaufene  Korrespon- 
denzen u.  drgL  mittheilen.  Es  folgten  die  sogenannten  Späne:  Vorträge  der  einzelnen 
Mitglieder,  die  niedergeschrieben  sein  mußten  und  in  der  nächsten  Sitzung  einer 
rücksichtslosen  Diskussion  unterworfen  wurden.  Dabei  galt  als  Grundsatz,  das 
Schlechte  gut,  das  Gute  schlecht  zu  nennen,  und  nach  dieser  Norm  die  ganze 
Terminologie  der  Beurtheilung  einzurichten.  Den  Beschluß  machte  der  »musikalische 
Tunnel«.  Daß  nun  dieser  bald  das  Bedeutsamste  in  den  Sitzungen  wurde,  geschah 
weil  die  bei  weitem  hervorragendste  Persönlichkeit  unter  den  Tunnelbrüdem  ein 
Musiker,  und  kein  geringerer  als  Heinrich  Marschner  war.  Der  Tunnelname, 
den  er  gleich  allen  andern  Mitgliedern  führen  mußte,  lautete  »Orpheus  der 
Vampyr«;  er  hatte  nämlich  gerade  die  Oper  »Der  Vampyr«  beendigt,  die  am 
29.  März  1828  in  Leipzig  zum  ersten  Male  aufgeführt  wuide.  Die  andern  waren: 
Dr.  Oleich  —  Peter  der  Ameisenbär;  Musikalienhändler  Hofmeister  —  Pliniu» 
cum  notis  variorum;  v.  Alvensleben  —  Hebel  der  Liberator;  Dr.  Birch  —  Flehte 
der  Vierfüßige ;  Buchhändler  Fock  —  Antinous  Torso  der  Groß-Hadsehi ;  Dr.  Uerlos- 
söhn  —  Faust  der  Auerbachshöfling;  denen  einige  Wochen  später  hinzutraten: 
Dr.  Meißner  —  Lucinus  Zangenberger ;  G.  W.  Fink  (Redacteur  der  Allgemeinen 
Musikalischen  Zeitung)  —  Palestrina  der  Besenbinder  und  Schauspieler  Kökert  — 
Lablache  der  Gründling.  Mit  der  Zeit  vergrößerte  sich  die  Gesellschaft  noch 
durch  den  Eintritt  von  W.  A.  Wohlbrück  —  Fleck  der  Kindesmörder;  Heinrich 
Dom  —  Gluck  der  Stachlige ;  Hammermeister  —  Sassaroli  Vellatti  der  gläubige 
Bock  und  andre.  Aber  schon  am  9.  Februar  1828  konnte  die  GeseUsehaft  aus 
sich  ein  Männerquartett  bilden;  Marschner  leitete  es,  sang  selbst  mit  und  —  was 
das  wichtigste  war  —  entwickelte  für  die  Tunnelabende  eine  rege  Thätigkeit  als  Kom- 
ponist Aus  diesem  Kreise  sind  seine  »Tunnellieder«  Op.  46  (auch  Op.  52)  hervorge- 
gangen, mit  denen  er  sogleich  in  die  erste  Reihe  der  Männerchorkomponisten  trat 
Es  ist  natürlich,  daß  die  Stimmung  der  lustigen  Brüder  in  vielen  dieser  Lieder 
wiederklingt,  die  einen  Ton  anschlagen,  der  bisher  nicht  gehört  worden  war.  Der 
Humor  und  die  Zechlaune  der  Berliner  Liedertafel  kam  nicht  auf  gegen  die  Ur^ 
sprünglichkeit  von  Marschner's  temperamentvollem,  burschikosem  Wesen.  Es  ist 
derselbe  Ton,  in  welchem  das  berühmte  Lied  aus  dem  »Vampyr«  gehalten  ist: 
»Im  Herbst  da  muß  man  trinken«,  ein  Lied,  das  auch  im  Tunnel  häufig  ange- 
stimmt wurde.  Manches  was  er  für  ihn  komponirt  hat,  ist  nicht  weiter  bekannt 
geworden.  So  ein  von  Wohlbrück  gedichtetes  Duett  »Die  betrunkenen  Handwerks- 
burschen«,  das  er  selbst  am  31.  Januar  1829  mit  dem  Magister  Fischer  zusanunen 
vortrug.  Ein  Gedicht,  das  Herlossohn  auf  14  von  der  Gesellschaft  angegebene 
Heimworte  machen  mußte,  und  das,  mit  Marschner's  Musik  am  22.  November 
1828  vorgetragen,  »außerordentlich  schlecht  befunden  und  allgemein  da  capo  be- 
gehrt wurde«,  ist  wohl  die  in  Op.  52  befindliche  »Liebeserklärung  eines  Sehneider- 
gesellen.«  Schon  aus  diesen  Andeutungen  sieht  man,  daß  ein  kecker  Lebens- 
übermuth  den  Genius  der  Gesellschaft  bildete.    Als  Marschner  Leipzig  verlassen 


Der  volkethümliche  deutsche  Männergesang  von  Dr.  Otto  Eiben.       459 


hatte,  blieb  der  Tunnel  nicht,  wag  er  gewesen  war.  Er  erfuhr  eine  vollständige 
Umgestaltung  in  eine  gewöhnliche  Yergnagungs-Gesellschaft  und  besteht  als  solche 
heute  noch.  Kunstwerke  wie  die  »Tunnellieder«  sind  nicht  mehr  aus  ihm  her- 
vorgegangen. Biese  aber  haben  ihren  "Weg  zu  den  Liedertafeln  bald  gefunden 
und,  mit  Marsohner's  späteren  Chören  vereint,  wesentKch  geholfen,  den  deutschen 
M&nnergesang  zu  seiner  vollen  Eigenartigkeit  auszuprägen. 

Ich  habe  bei  den  ersten  beiden  Hauptabschnitten  des  Buches  länger  verweilt, 
in  dem  Wunsche  zu  Elben*s  tüchtiger  Arbeit  meinerseits  etwas  beizutragen.  Hierzu 
boten  sie  mehr  Gelegenheit,  als  die  meisten  folgenden.  Im  dritten  Buche  wird 
nun  das  Wachsthum  des  Vereinswesens  bis  in  die  fünfziger  Jahre  anschaulich  und 
vollständig  dargelegt,  worauf  im  vierten  Buche  eine  Rück-  und  Umschau  gehalten 
wird,  die  von  dem  klaren  Blick  des  Verfassers  ein  höchst  vortheilhaftes  Zeugniß 
giebt.  Bei  der  Würdigung  der  Stellung,  welche  der  Männergesang  um  jene  Zeit 
im  Leben  der  Nation  einnahm,  übersieht  er  nichts,  was  zu  seinen  Gunsten  ange- 
führt werden  kann,  verschweigt  aber  auch  nicht  die  mit  Becht  getadelten  Unzu- 
länglichkeiten und  Entartungen.  Von  dem  Aufblühen  der  Liederfeste,  die  in  den 
zwanziger  Jahren  in  Süden  ihren  Anfang  nahmen,  im  folgenden  Jahrzehnt  auch 
in  Norddeutschland  aufkamen,  Gründung  von  Sängerbünden  zur  Folge  hatten,  bis 
sich  in  den  vierziger  Jahren  zuerst  große  allgemeine  Sängerfeste  (Würzburg  1845, 
Köln  1846)  ins  Werk  setzen  ließen  —  von  diesen  Festen  schweift  der  Blick  un- 
willkürlich auf  die  großen  Musikfeste  hinüber,  die  seit  1810  bei  uns  in  Gang  ge- 
kommen waren.  In  Berlin  hatte  sich  die  Liedertafel  aus  und  an  der  Singakademie 
gebildet.  Ähnliches  geschah  in  Magdeburg  (1818),  und  wie  es  scheint  auch  in 
Breslau.  Aber  man  wird  nicht  im  allgemeinen  mit  Eiben  (S.  74)  sagen  können, 
daß  die  Singakademien  den  Boden  für  die  Liedertafeln  geebnet  hätten,  denn  ihre 
Ziele  waren  zu  verschieden  und  sie  haben  sich  oft  hemmend  im  Wege  gestanden. 
So  glaube  ich  denn  auch,  daß  der  Anstoß  zu  den  Männergesangsfesten  von  den 
großen  Musikfesten  nicht  einmal  theilweise  ausgegangen  ist,  und  wenn  erstere  am 
Rhein  lange  Zeit  nicht  haben  gedeihen  können,  so  ist  es,  weil  sie  durch  die 
letzteren  niedergehalten  wurden.  Wir  brauchen  auch  diese  Erklärung  nicht,  denn 
alles  nöthige  ergiebt  sich  aus  dem  Einfluß  der  Appenzeller  Volksgesangsfeste  auf 
Süd-  und  Mitteldeutschland.  Vor  der  rein  künstlerischen  Beurtheilung  können  die 
Männer -Massengesänge  nicht  bestehen.  Zur  Aufführung  HändeVscher  Oratorien 
mag  man  hunderte  von  Sängern  und  Spielern  zusammenrufen.  Hier  steht  das 
Kunstwerk  an  Form  und  Inhalt  im  Verhältniß  zu  der  Menge  der  ausführenden 
Organe.  Beim  Lied,  der  Grundform  des  Männergesangswesens,  ist  es  anders«  Es 
bleibt  immer  ein  Unding,  für  den  Vortrag  solch  kleiner  Kunstgebilde  jenen  groß- 
artigen Apparat  aufzustellen.  Es  bliebe  ein  Unding,  will  ich  sagen,  wenn  nicht 
andre  außerkünstlerische  Ideen  hinzuträten,  die  auf  den  Männergesangsfesten  ver- 
wirklicht werden  sollten.  Der  volksbildende,  vor  allem  aber  der  verbrüdernde 
politische  Zweck  dieser  Feste  liegt  nun  aber  von  Anfang  an  klar  zu  Tage  und 
Eiben  hat  ihn  überall  mit  Recht  stark  hervorgehoben.  Besonders  greifbar  tritt 
er  in  und  an  Schleswig  -  Holstein  hervor.  »Die  Sängervereine  und  Sängerfeste  in 
Deutschland  entwickelten  sich  nach  und  nach  zum  Volksthümlichen,  zu  Volksfesten. 
In  Schleswig-Holstein  gehen  das  öffentliche  Leben  und  die  Volksfeste  voran,  und 
aus  denselben  heraus  bilden  sich  die  Vereine  und  besonderen  Sängerfeste«  (S.  86). 
Indem  nun  diese  Vereine  ins  Reich  hinein  zogen,  an  den  großen  Festen  sich  be- 
theiligten, brachten  sie  die  Kunde  ihrer  Geschichte  und  Bedrängniß  in  weite  Kreise, 
und  die  leidenschaftliche  Theilnahme,  welche  das  deutsche  Volk  für  die  Elbherzog^ 
thümer  an  den  Tag  legte,  wäre  ohne  das  Sängerwesen  schwerlich  geweckt  worden 
(S.  90).  Der  Einfluß,  den  die  Singvereine  auf  die  politische  Entwicklung  der 
Schweiz  ausgeübt  haben,  ist  ebenfalls  ein  sehr  starker  und  merkwürdiger  gewesen 


490  Kritiken  und  Referate. 


(S.  123).  Aber  ich  enthalte  mich,  weiter  ins  Einzelne  zu  gehen.  Nicht  nur  die 
Männergesangsfeste,  auch  die  für  diese  geflchaffenen  Kompositionen,  ja  man  darf 
sagen,  die  Mehrzahl  sämmtlicher  M&nnerchöre  überhaupt  sollte  man  nie  beuitheilen, 
ohne  sich  lebendig  Torzustellen,  daß  sie  gleichsam  ein  Ausruf  waren,  durch  wekboi 
ein  Volk  seinem  Empfinden  Luft  machte,  dem  die  theuersten  Wünsche  und  goldensten 
Hoffnungen  immer  aufs  neue  versagt  und  unerfüllt  blieben.  Wer  es  nicht  mit- 
fühlen kann,  welch  eine  Schallkraft  selbst  das  einfieiohste  Lied  dadurch  erhalten 
konnte,  daß  ihm  solch  ein  Resonanzboden  untergelegt  ifar,  der  wird  freilich  dem 
M&nnergesange  des  19.  Jahrhunderts  niemals  gerecht  werden.  Es  darf  nicht  auf- 
fallen, daß  seine  Ver&chter  sich  größtentheils  unter  den  Musikern  selbst  gefunden 
haben  und  zwar  unter  denen,  welchen  man  Mangel  an  Ernst  und  hohem  Stieben 
am  wenigsten  vorwerfen  kann.  Seit  Jahrhunderten  haben  wir  uns  gewöhnen  mfissen, 
die  meisten  Gattungen  unserer  Tonkunst  wie  losgelöst  vom  Volksleben  und  in 
einer.  Welt  für  sich  bestehend  anzusehen.  So  ausschließlich  pflegte  man  ein  Ton- 
werk auf  seinen  »rein  musikalischen«  Werth  hin  zu  prüfen,  daß  es  sogar  der  Poesie 
schwer  wurde,  in  der  Gesangsmusik  die  ihr  zukommenden  Rechte  zurücksuge- 
winnen.  Daß  es  vollends  zul&ssig  sein  soll,  die  Wirkung  eines  Liedes  zum  Theil 
auch  an  andere,  außerkünstlerische  Bedingungen  zu  knüpfen,  mag  noch  immer 
vielen  als  eine  Erniedrigung  der  reinen  Kunst  erscheinen.  Dieser  Ansicht  darf 
sich  aber  wohl  mit  gleicher  Berechtigung  eine  andere  entgegenstellen,  deren  Ideal 
eine  harmonische  Entwicklung  aller  Kräfte  einer  Nation  ist,  dergestalt  daß  eine 
jede  dieser  Kr&fte  in  ihrem  Bereiche  dahin  wirke,  den  Charakter  eines  Volkes 
vollendet  aussupr&gen.  Das  ist  nun  durch  den  Männergesang  versucht  worden, 
auf  einem  kleinen,  unscheinbaren  Kunstgebiete  zwar,  unter  Mißgriffen,  Cbe^ 
treibungen,  Geschmacklosigkeiten  mancher  Art,  und  trotzdem  mit  einem  dauernden 
und  echten  Erfolg,  der  die  höchstfliegenden  Erwartungen  übertroffen  hat.  Nach- 
dem unsere  nationale  Gesangsmusik  in  der  zweiten  Hälfte  des  vorigen  Jahrhunderts 
bis  auf  die  letzten  Reste  verkümmert  war,  haben  wir  im  Männergesang  eine  gans 
neue  Form  für  den  Ausdruck  des  Volksempfindens  gefunden,  welche  sich  zu  einet 
Blüthe  entfaltet  hat,  der  kein  Volk  der  Erde  etwas  ähnliches  an  die  Seite  setaen 
kann.  Darum  loben  wir  es  wiederholt,  daß  Eiben  den  nationalen  Charaker  dei 
Männergesangswesens  überall  stark  betont.  Sollten  wir  betreffs  des  dritten  und  vierten 
Buches  noch  einen  unbefriedigten  Wunsch  äußern,  so  wäre  es  der  nach  voll- 
ständigerer Mittheilung  der  Programme  der  Gesangsfeste.  Eine  hierdurch  gebildete 
Statistik,  die  etwa  einen  Anhang  des  Werkes  hätte  ausmachen  können,  würde  für 
die  Kunstgeschichte  von  erheblicher  Wichtigkeit  gewesen  sein,  und  Eiben  hatte, 
wie  kein  anderer,  das  Material  dazu  in  Händen. 

Das  fünfte,  sechste  und  siebente  Buch  behandelt  die  Neuzeit  Ihr  glänzendstes 
und  folgenreichstes  Ereigniß,  das  Nürnberger  Sängerfest  von  1861,  die  dadurch 
veranlaß te  Gründung  des  deutschen  Sängerbundes  1862,  das  Wirken  des  Bundes, 
die  drei  Feste  in  Dresden  (1865),  München  (1874)  und  Hamburg  (1682)  —  alles 
dies  wird  im  fünften  Buche  erzählt  Von  der  gewonnenen  Höhe  wird  dann  wieder- 
um ein  Umblick  gehalten  über  die  Einzelbünde  und  -  Vereine  in  ganz  Deutsch- 
land, einschließlich  Deutsohösterreiohs  und  Böhmens  (sechstes  Buch)  und  über  den 
•deutschen  Männergesang  in  Ungarn  und  Siebenbürgen,  in  der  Schweiz,  in  England, 
Frankreich,  Nordamerika,  Italien,  Griechenland,  Türkei,  Rumänien,  Rußland. 
Australien  (siebentes  Buch) .  Hier  will  ich  nur  eine  kleine  Bemerkung  anschließen. 
Der  vorletzte  Abschnitt  des  siebenten  Buches  hat  die  Überschrift:  »Vordrin^^n 
des  Männergesangs  zu  den  Franzosen  und  Engländern«,  und  soU  nicht  vom  deutschtfi 
Gesang  in  den  genannten  Ländern  handeln ,  sondern  von  französischen  und  en^- 
sehen  Singvereinen,  die  in  Nachahmung  der  deutschen  dort  entstanden,  und  von 
Kompositionen,  welche  für  sie  geschaffen  sind.    Abgesehen  davon,  daß  mit  diesem 


Der  Yolksthflmliche  (leutsehe  M&nne^fesang  Ton  Dr.  Otto  Eiben.       491 


Inhalt  der  Abschnitt  nicht  an  rechter  Stelle  steht,  ist  das  Thema  auch  ein  solches^ 
daß  es,  einmal  berührt,  eine  längere  Ausführung  verdient  hätte.  Vor  allem  durfte 
der  so  eigenthümlich  entwickelte  skandinavische  Männergesang  nicht  unbeachtet 
bleiben.  England  ist  auf  einer  halben  Seite  abgehandelt  und  auch  über  Frank- 
reich ließe  sieh  mehr  sagen.  Der  wackere  Q.  Kastner  kommt  bei  Eiben  schlecht 
weg;  ich  habe  darauf  schon  an  einer  andern  Stelle  hingewiesen  (S.  443  dieser 
Zeitschrift)  und  bemerkt,  daß  ihm  Unrecht  gethan  sei.  Allerdings  ist  Kastner  ein 
Mann,  den  man  als  Ganzes  nehmen  muß,  um  für  seine  einzelnen  Leistungen,  auch 
die  schwächeren,  den  Standpunkt  billiger  Beurtheilung  zu  finden. 

Über  den  im  engeren  Sinne  musikalischen  Theil  des  Buches  habe  ich  im 
Verlauf  der  Besprechung  nur  erst  einige  gelegentliche  Bemerkungen  fallen  lassen. 
An  der  Bearbeitung,  die  er  für  die  zweite  Auflage  erfahren  mußte,  hat  sich 
Kapellmeister  Schletterer  in  Augsburg  betheüigt.  Eiben  spricht  sich  im  Vorwort 
darüber  aus,  wie  weit  Schletterer's  Mitwirkung  geht :  sie  betrifft  zumeist  die  neuere 
Zeit.  Ich  habe  schon  gesagt,  daß  eine  so  vollständige  Trennung  der  rein  musi- 
kalischen Würdigung  des  Männei^esanges  von  seiner  geselligen,  politischen  und 
nationalen  mir  nicht  unbedenklich  erseheint.  Nehmen  wir  aber  die  Sache  hin  so 
wie  sie  nun  einmal  ist,  so  findet  sich  auch  In  diesem  Abschnitt  manches  treffende 
Wort  und  über  die  Charakteristiken  von  Nägeli,  Zelter,  Kreutzer,  Siloher  kann 
man  als  wohlgelungene  erfreut  sein.  Andere  Meister:  Schubert,  Mendelssohn, 
auch  Friedrich  Schneider,  wollen  in  ihrer  Individualität  nicht  recht  klar  werden, 
und  bei  Weber  fehlt  vor  allem  der  Hinweis  auf  die  enorme  tonbildliche  Kraft, 
die  er  selbst  im  kleinsten  seiner  Männerchöre  an  den  Tag  legen  kann.^  Der 
Verfasser  hält  sich  leicht  zu  sehr  im  Allgemeinen;  eingehendere  technische  Unter- 
suchungen, z.  B.  über  die  Behandlung  und  Erweiterung  der  Liedform  bei  den 
verschiedenen  Meistern  und  über  ihre  Art  mehrstimmig  zu  setzen,  wären  hier  sehr 
erwünscht  und  zur  gänzlichen  Erfüllung  der  Aufgabe  auch  unerläßlich.  Zur 
Belebung  der  Charakteristik  hätte  es  gedient,  wenn  von  den  Dichtungen  häufiger 
und  eingehender  die  Rede  gewesen  wäre,  denen  die  Meister  ihre  Töne  gesellt 
haben.  Auch  die  Veranlassungen,  auf  welche,  die  Zeit  und  die  Verhältnisse,  in 
welchen  gewisse  besonders  bedeutsame  Gesänge  entstanden  sind,  lernte  man  gern 
genauer  kennen.  Bei  den  hervorragendsten  Meistern  vermißt  man  eine  annähernd 
vollzählige  Angabe  ihrer  Werke,  so  weit  irgend  möglieh  «mit  Entstehungs-  oder 
doch  Erscheinungsjahr;  bei  Marschner  z.  B.,  der  übrigens  1795,  nieht  1796  geboren 
ist,  finde  ich  nur  einen  kleinen  Theil  der  Lieder,  die  unbestritten  ersten  Ranges 
sind,  verzeichnet,  und  bei  keinem  die  Opuszahl,  zu  der  es  gehört.  Meine  Haupt- 
einwendungen gegen  den  ganzen  Abschnitt  möchte  ich  in  zwei  Punkte  zusammen- 
fassen. Der  eine :  Der  innere  Zusammenhang  zwischen  den  einzelnen  Komponisten 
und  somit  das  eigentlich  Musik  geschichtliche  wird  nicht  deutlich.  Unser  Verfasser 
theilt  allerdings  den  Stoff  in  mehre  Paragraphen,  und  was  in  einem  Paragraphen 
zusammen  abgehandelt  wird,  soll  offenbar  auch  in  einer  engeren  Beziehung  stehen. 
Aber  ich  vermag  diese  Beziehung  in  sehr  vielen  Fällen  nicht  zu  finden  und  ver- 
misse sowohl  Princip  als  Methode  der  Darstellung.  Warum  wird  in  §  61  der 
Schwabe  Kreutzer  (S.  413)  von  den  andern  schwäbischen  Tonsetzem  (S.  417)  ab- 

*  Eiben  safft  S.  402:  »Lützows  Jagd  ist  zum  Volkslied  geworden  mit  seinem 
hinreißenden,  alle  Hörer  zum  Mitsingen  einladenden  Schluß.«  Die  letzten  Worte 
lassen  muthmaßen,  daß  auch  er  das  Laed  nur  in  jener  Verunstaltung  kennt,  welche 
den  viertaktigen  Refrain  wiederholt  Dann  fällt  er  allerdings  hinreichend  in  die 
Ohren.  Aber  der  Zauber  des  unvergleichlichen  Tonbildes  —  die  von  fern'  heran- 
brausenden und  wie  im  Sturmwind  mit  Hömerffeschmetter  vorüberfegenden  Reiter  — 
ist  vöUig  zerstört.  Es  ist  Zeit,  ^egen  diese  Mißhandlung  eines  Meisterstücks  ein- 
mal nacndrücklich  Verwahrung  emzulegen. 


492  Kritiken  und  Referate. 


getrennt,  und  warum  diese  -wieder  Yon  dem  Volksliedermanne  Silcher  (S.  423)? 
Zwischen  diesem  und  jenem  besteht  doch  eine  augenfällige  künstlerische  Verwandt^ 
Schaft.  Wie  verschieden  sind  beide  von  Marschner,  wie  verschieden  alle  drei 
wieder  von  Löwe !  Und  doch  werden  unmittelbar  nach  Kreutzer  erst  diese  letzteren 
und  dazu  noch  Methfessel  und  Reißiger  abgehandelt.  Schneider  dagegen,  der  un- 
zweifelhaft mit  ihnen  zusammengehört,  ist  im  vorhergehenden  Paragraphen  be- 
sprochen und  befindet  sich  hier  zwischen  den  Beriinem  einerseits  und  Spohr  und 
Schubert  andrerseits.  In  §  62  wird  für  einen  neuen  Zeitabschnitt  Mendelssohn 
als  beherrschende  PersönÜchkeit  aufgestellt.  Unter  seinen  »Zeitgenossen  und 
Nachfolgern«  finden  wir  auch  —  die  Brüder  Lachner.  Man  wundert  sich  darüber 
um  so  mehr,  als  Franz  Lachner  vom  Verfasser  selbst  »der  letzte  Vertreter  der 
klassischen  Zeit«  genannt  wird.  In  der  That  gehört  er  zur  Wiener  Schule,  ist 
Süddeutscher  vom  Wirbel  bis  zur  Sohle,  war  also  mit  seinem  Freunde  Schubert, 
auch  mit  Kreutzer  zusanunen  und  sammt  diesen  möglichst  in  die  Nähe  Weber's 
zu  bringen.  Aber  zwischen  ihm  und  Mendelssohn  sind  keihe  Gemeinsamkeiten. 
Unter  den  Nachzüglern  Mendelssohn's,  die  in  recht  bunter  Reihe  vorbeidefiliren, 
bemerken  wir  zu  unserer  ferneren  Überraschung  F.  Kücken,  der  freilich  in  Sachen 
des  Geschmacks  sehr  viel  von  Mendelssohn  hätte  lernen  können,  es  aber  leider 
nicht  gethan  hat  und  im  übrigen  außer  jedem  inneren  Kontakt  mit  ihm  steht  Kach 
dem  Ende  des  Zuges  hin  wird  es  dann  immer  tumultuarischer ,  auf  den  letiten 
Seiten  drängen  sich  nur  noch  Namen  vorüber,  darunter  manch  einer,  der,  wenn 
auch  in  Mendelssohn's  Gefolgschaft,  doch  einen  aparten  Platz  verdient  hätte, 
wie  der  liebenswürdige,  feingebildete  Wilhelm  Taubert.  Solch  ein  Verfahren 
ist  auch  dem  Nachsichtigsten  zu  bunt.  Und  erwägt  man  es  genau,  so  vird 
sich  finden,  daß  Mendelssohn  die  Rolle  eines  Führers  in  der  Geschichte  des 
Männergesangs  überhaupt  nicht  beanspruchen  kann.  Seine  Männerchöre  sind 
ausgezeichnet  durch  Frische,  Gewähltheit  und  geistvolle  Arbeit.  Sie  ragen  durch 
ihre  künstlerische  Vornehmheit  hoch  hinaus  über  das  Meiste,  was  um  1840  er- 
schien. Dennoch  ist  von  der  Grundempfindung,  die  seit  Anfang  des  Jahrhunderte 
im  Männergesange  Ausdruck  suchte,  kein  starkes  Maß  in  ihnen  zu  entdecken. 
Mit  dem  ihm  eignen  wunderbaren  Stilgefühl  hat  er  sich  auch  hier  dem  CharakUr 
der  Form  angeschmiegt.  Aber  er  erscheint  mehr  von  der  Zeitwoge  getragen,  all 
daß  er  sie  sich  zu  Dienst  gezwungen  hätte.  Eher  ließe  sich  noch  behaupten,  daB  er 
mit  seinen  großen,  begleiteten  Werken,  dem  Festgesang  an  die  Künstler  und  den 
beiden  Sophokleischen  Tragödien  neue  Wege  geöfinet  hätte. 

Der  andere  Punkt  ist  dieser,  daß  zwischen  den  verschiedenen  Formen,  in 
welchen  Männergesang  möglich  und  im  Verlauf  der  Geschichte  auch  thatsächlieh 
geworden  ist,  nicht  in  gebührender  Weise  unterschieden  wird.  Wäre  es  geschehen, 
so  würde  gleich  der  ganze  §  59  nicht  vorhanden  sein,  und  wir  würden  ihn  ohne 
Bedauern  entbehren.  Wer  nur  einigermaßen  in  der  Musik  des  15.  und  16.  Jahi^ 
hunderts  bewandert  ist,  der  weiß^  daß  hier  Tonsätze,  welche  nur  von  Männer- 
stimmen ausgeführt  werden  sollen,  etwas  ganz  gewöhnliches  sind«  Hätte  nun  der 
Verfasser  vom  mehrstimmigen  weltlichen  Liede  Senfl's  oder  Haßler*s  gesprochen,' 
so  wäre  zwar  festzustellen  gewesen,  daß  dieses  in  Tonalität,  Art  der  Mehrstimmig- 
keit, großentheils  auch  Besetzung  vom  Männerchorliede  wesentlich  verschiedcD  ist. 
Aber  man  hätte  wenigstens  einige  Ähnlichkeiten  zugeben  können.  Wo  aber  diese 
bei  den  polyphonen  Messen  und  Motetten  zu  finden  sein  sollen,  wenn  man  sich 
nicht  eben  damit  begnügen  will,  daß  manche  Stücke  ohne  Mitwirkung  der  Sänger 
knaben  von  den  männlichen  Sängern  allein  ausgeführt  wurden,  ist  gamicht  ein- 
zusehen« Mit  gleichem  Rechte  hätten  auch  alle  die  Kompositionen,  die  in  den 
»Männergesangvereinen«  des  17.  und  18.  Jahrhunderts  ausgeführt  wurden,  genannt 
werden  können.     Welchen  Zweck  hat  es  femer,  in  den  Werken  HändeFs  und 


Der  Yolksthümliche  deutsche  M&nnergesang  von  Dr.  Otto  Eiben.        493 


Haydn's  nach  Stellen  zu  suchen,  wo  einmal  nicht  der  volle  Chor,  sondern  nur  die 
M&nnerstimmen  als  Theil  desselben  verwendet  werden?  Vollends  in  den  Operh 
Gluck's,  Mozart's  und  anderer,  da  hier  der  Männerchor  oft  durch  rein  dramatische 
Gründe  bedingt  ist?  AUe  diese  Bemühungen  führen  eher  von  der  Sache  ab,  als 
zu  ihr  hin,  und  sind  daher  eben  so  wenig  am  Platze,  als  das  gesammte  erste  Buch 
unseres  Werkes,  über  das  ich  mich  oben  weiter  verbreitet  habe. 

Der  Grund  und  Boden  des  modernen  Männergesanges  ist  das  Lied,  und  swar 
das  unbegleitete  mehrstimmige  Lied.  Die  Vereinigung  dieser  drei  Merkmale  ließ 
eine  Kunstform  entstehen,  welche  am  Anfang  unseres  Jahrhunderts  etwas  durchaus 
neues  war.  Es  gab  keinen  unbegleiteten  Kunstgesang  im  18.  Jahrhundert,  wenn 
man  nicht  etwa  die  Gesänge  der  Kurrende  ausnehmen  will.  Wer  die  Berliner 
Singakademie  als  Pflegerin  eines  solchen  anführt  verwechselt  das  Später  mit  dem 
Früher.  Unter  Faseh  und  Zelter,  also  bis  zum  Jahre  1832,  ist  hier  niemals  ohne 
Begleitung  gesungen  worden;  wenigstens  war  immer  ein  akkompagnirender  Flügel 
da.  Selbst  die  ersten  Männerchöre,  die  aus  diesem  Kreise  hervorgingen,  sollten 
akkompagnirt  werden:  in  zufälliger  Ermangelung  eines  Klaviers  nahm  man  eine 
Guitanre,  aber  das  ärmliche  Geklimper  verschwand  in  den  Massen  der  kräftigen, 
frischen  Männerstimmen,  die  auch  ohne  Stütze  im  Ton  blieben,  und  nun  erst  ging 
man  wenigstens  beim  Männergesange  und  in  der  bald  darauf  gegründeten  Lieder- 
tafel dauernd  zum  unbegleiteten  Gesänge  über  (Bornemann,  a.  a.  O.  S.  X).  Welche 
Folgen  die  Befreiung  des  auf  sich  selbst  gestellten  Gesanges  für  die  Stimmenfüh- 
tujit;  und  für  die  Behandlung  der  Harmonie  haben  mußte,  sieht  ein  jeder.  Sie 
bildet  aber  auch  die  nothwendige  Voraussetzung  für  eine  volksthümliche  Entwick- 
lung des  Männergesanges.  Das  akkompagnirende  Klavier  fesselt  den  Gesang  ans 
Zimmer :  er  bleibt  Haus-  oder  Kammermusik.  Erst  wenn  er  gelernt  hat,  sich  nur 
durch  die  eignen  Schwingen  tragen  zu  lassen,  "kann  er  ausfliegen  ins  Freie,  wie 
der  Vogel  aus  dem  Käfig.  Nun  können  die  Sänger  ihr  Lied  ertönen  lassen  im 
Wandern  und  in  der  Waldesruhe,  auf  der  Wogenbahn,  unter  dem  Fenster,  im 
Lagerleben  des  Kriegs,  wo  sie  gehen  und  stehen.  Das  unbegleitete  Gesangstück 
mußte  von  mäßigem  Umfang  und  einfach  gegliedertem  Wuchs  sein,  um  nicht  zu 
große  Schwierigkeiten  für  die  Ausführung  hervorzurufen.  Diesen  Anforde- 
rungen entsprach  die  I^iedform  aufs  vollkommenste,  und  durch  eines  jener  glück- 
lichen Zusammentreffen,  die  immer  eintreten,  wo  etwas  bedeutendes  entstehen  soll, 
ereignete  es  sich,  daß  die  Poesie  das  Verlangen  der  Musik  in  ausgiebigster  Weise 
befriedigen  konnte  durch  einen  Keichthum  schönster  Lyrik,  wie  er  in  Deutschland 
niemals  größer  dagewesen  war.  Wer  nun  die  musikalische  Geschichte  des  Männer- 
gesangs darstellen  will,  der  muß  vom  unbegleiteten  mehrstimmigen  Liede  nicht 
nur  ausgehen,  sondern  es  auch  in  seiner  Pflege  und  in  seinen  Wandlungen  bis 
auf  die  neueste  Zeit  beständig  als  Richtschnur  nehmen.  Dadurch  würden  gleich 
anfangs  die  meisten  und  bedeutendsten  Kompositionen  Franz  Sehubert's  als  nicht 
zur  Sache  gehörig  abgetrennt.  Gegen  ihre  rein  musikalische  Schönheit  soll  nichts 
gesagt  und  ebensowenig  soll  es  unseren  Männergesangvereinen  verwehrt  werden, 
sich  gründlich  mit  ihnen  zu  beschäftigen.  Aber  sie  gehören  in  einen  ganz  andern 
geschichtlichen  Zusammenhang.  Mehrstimmige  Gesänge  mit  Klavierbegleitung, 
also  fürs  Haus  oder  den  Privatsalon  bestimmt,  waren  kurz  vorher  in  Wien  auf- 
gekommen, und  zwar  durch  Joseph  Haydn.  Die  ausgezeichnet  schönen  geist- 
lichen und  weltlichen  Gesangstücke,  welche  man  in  Band  VIII  und  IX  der  alten 
Breitkopf  und  Härtel'schen  Ausgabe  vereinigt  findet,  begründeten  eine  neue  Gattung 
feiner  Gesellschaftsmusik.  In  ihren  Kreis  gehört  zumeist,  was  Schubert  für  Frauen- 
oder Männerstimmen  mit  Begleitung  komponirt  hat,  oder  es  ist  doch,  wie  der 
»Nachtgesang  im  Walde«  und  der  »Gesang  der  Geister  über  den  Wassern«  von  diesem 
Ausgangspunkte  entwickelt,  freilich  mit  Schubert'scher  Kühnheit.    Es  handelt  sich 


494  Kritiken  und  Referate. 


auch  hier  nicht  eigentlich  um  Chorgesang,  wennschon  manche  Gesänge  eine 
stärkere  Besetzung  vertragen.  Aus  dieser  Darlegung  ergiebt  sich  aber  der  innere 
Grund,  warum  Schubert's  M&nnergesänge  im  weiten  Bereich  d»  Liedertafeln  und 
Liederkränse  so  lange  unbeachtet  blieben.  Nicht  einzig  aus  GleiehgOk^keit  dieser 
Kreise  gegen  ihre  oft  bezaubernde  Schönheit  geschah  es,  sondern  weil  sie  eben 
eine  ganz  andre  Wurzel  hatten,  als  das  volksthümliehe  Männerlied,  und  deshalb 
fremdartig  anmuthen  mußten.  Aus  dem  Wege  zu  schaffen  fQr  den  geschichtlichen 
Entwicklungsgang ,  wie  ich  ihn  mir  denke,  wären  femer  die  meisten  großen  Kom- 
positionen far  Männerchor  und  Orchester  oder  Orgel  sät  MendeLssohn's  Zeit. 
Dessen  »Festgesang  an  die  Künstler«,  Schumann's  Motette  »Verzweifle  nichts  Lncsh- 
uer's  »Sturmesmythen,  Brahms'  »Binaldo«,  Bruch's  »Fritfajof«,  »Bömisdier  Triumph- 
gesangta,  »Salamis«,  pNoimannenfahrt«  —  alle  diese  und  viele  andere  Werke  er- 
scheinen in  Formen,  die  mit  der  Grundform  des  Männergesangs  nichts  zu  thun 
haben.  Wenn  die  ganze  Entwicklung  des  Männergesangs  während  der  ersten 
vierzig  Jahre  dieses  Jahrhunderts  nicht  vorhanden  gewesen  wäre,  so  könnten  sie, 
auf  ihren  musikalischen  Bau  hin  betrachtet,  dennoch  eben  so  wohl  komponirt 
worden  sein,  wie  da»  Dmoll-Kequiem  des  Ausländers  Cherubim.  Natürlioh  muß 
in  solchen  Stücken  auch  der  mehrstimmige  Vokalsatz  ein  ganz  andrer  werden,  tot 
allem  wird  die  Vierstimmigkeit  unhaltbar,  die  nur  im  unbegleiteten  Gesänge  ihre 
Berechtigung,  wir  könnten  auch  sagen:  ihre  Entschuldigung  findet  Die  Sadie 
liegt  doch  so,  daß  nachdem  einmal  die  großen  Männerchöre  überall  in  DeotoeUand 
entstanden  waren,  die  Komponisten  sich  diese  schönen  Organe,  nicht  entgehen 
lassen  wollten  und  sie  nun  nach  ihrem  Ermessen  verwendeten,  nicht  aber  so,  daß 
ihre  großen  Kompositionen  eine  genetische  Fortentwicklung  der  Formen  darstell- 
ten, auf  die  der  Männergesang  sieh  allein  gründete  und  gründen  konnte.  Häh 
man  diese  Dinge  nicht  streng  auseinander,  dann  ist  es  ni^t  mögHeh,  Gietchichte 
zu  schreiben;  das  Verfahren  kann  nur  in  einer  Zusammenschüttung  von  Einsei- 
heiten  bestreben,  wobei  es  möglich  wird,  sogar  die  »Rhapsodie«  von  Brahma  unter 
die  Männeröhor-Kompositionen  zu  rechnen  (S.  447). 

Ich  brauche  mich  wohl  nicht  dagegen  zu  verwahren,  daß  ich  die  künsüetiflche 
Berechtigung  der  vielen  vortrefflichen  Kompositionen  für  Männerchor  und  OrcheBter 
an  sich  nicht  angreife.  Es  handelt  sich  nur  darum,  für  eine  geordnete  wissen- 
schaftliche Darstellung  die  Bahn  frei  zu  machen.  Die  Einförmigkeit  seines  Klang- 
materials wird  es  dem  Männerchor  immer  verwehren,  die  Größe  seiner  Formen 
über  eine  gewisse  eng  gesteckte  Grenze  hinaus  auszudehnen,  wogegen  der  Stritt 
des  vielgliedrigen  und  vielfiarbigen  Orchesters  sogleich  große  Dimensionen  ermög- 
licht. Daß  es  indessen  auch  dem  unbegleiteten  Männerchore  nicht  unbedingt  ver- 
sagt ist,  sich  über  die  enge  Liedform  hinaus  zu  verbreiten,  können  die  beiden 
Vokal-Oratorien  Lowe's  beweisen,  und  es  ist  bedauerlich,  daß  Niemand  in  dieser 
Richtung  weiter  gearbeitet  hat  Auch  die  geistliehen  Motetten,  Psalmen«  Hym- 
nen u.  s.  w.,  wenn  schon  sie  mehr  nur  einen  praktischen  Nothbehelf  darsteUen 
und  von  der  Entwicklungsbahn  des  Männergesangs  wie  der  Kirdienmusik  gleicher- 
maßen abseits  liegen,  haben  doch  in  manch  einem  Falle  bewiesen,  daß  das  Mate- 
rial dehnbar  genug  ist,  um  auch  für  größere  Gebilde  auszureichen.  Lideasen  ge- 
währte schon  die  Liedform  allein  Abwechslungsmöglidikeiten  genug,  weldie 
schöpferische  Geister  immer  wieder  von  neuem  beschäftigen  konnten  und  die 
nachzuweisen,  eine  vornehmste  Pflicht  der  Geschichtsforschung  wäre.  Darüber 
hinaus  hat  das  Männerohorlied  die  Entstehung  andrer  Kunstgattungen  bewirkt,  und 
erscheint  in  dieser  Eigenschaft  in  einem  neuen,  bedeutsamen  Lichte.  Dafi  mit 
der  Zeit  auch  der  Frauenchor  selbständige  Pflege  erfuhr,  ergab  sich  schon  aus 
dem  Gegensatze,  doch  konnten  hier  die  Resultate  aus  manchen  Gründen  keine  er- 
heblichen werden.    Aber  das  mehrstimmige  Lied  für  gemischten  Chor  ist  durch 


Ber  volksthamliche  deutsehe  Mätmergef»ang  von  Dr.  Otto  Eiben.       495 


das  Mfinnerchorlied  ins  Leben  gerufen.    Bs  hat  eineli  besonderen  Reiz»  diesem 
Hergange  nach2us{>üren ,   nicht  lum  wenigsten  deshalb,  weil  man  dabei  wieder 
auf  die  Berliner  Liedertafel  als  ersten  Entwioklungsansatzpunkt  surflokgefahrt  wird. 
Bei  besonders  festlichen  Gelegenheiten,  z.  B«  dem  Geburtstag  des  Königs  und  der 
Königin,  püegte  die  Liedertafel  Damen  des  singakademisehen  Kreises  einzuladen, 
welche  sieh  dann  am  Gesänge  betheiligten«    So  entstand  eine  neue  Art  von  Ge- 
sellschaftsgestng  für  vier,   fünf,   sechs  und  mehr  gemischte  Stimmen.    Aus  den 
Bachern  der  Liedertafel  kuin  man  sieh  darüber  unterrichten,  ich  ziehe  es  vor,  auf 
Weber's  gedruckte  Lieder  fftr  gemischten  Chor  hinzuweisen.    Im  Sommer  1812, 
zu  derselben  Zeit  also,  da  er  für  die  Liedertafel  das  »Turnierbankett«  schrieb,  kom- 
ponirte  Weber  vier  mehrstimmige  Lieder  theils  für  Friederike  Koch,  theils  für  Frau 
Jordan-Friedel  und  deren  Kreis,  d.  h.  den  Singakademie-Kreis,  denn  beide  Damen 
gehörten  ihr  als  Hauptstützen  an,  zudem  wftren  Flemming,  der  Verlobte  der  Koeh 
(^  1813,  Komponist  des  Integer  vUae\    und  der  Gatte  der  Jordan-Friedel  eifrige 
iiedert&fler.    Die  liieder  sind  »Lenz  erwacht  und  Nachtigallena  (3»  Juni  1812)  für 
2  Soprane,  2  Tenöre,  2  Bässe,  »Zur  Freude  ward  geboren«  (17.  Juni  1812)  für  1  So- 
pran, 2  Tenöre  und  Baß,  »Geiger  und  Pfeifer,  hier  habt  ihr  Geld  darauf«  (6.  Aug. 
J812)  für  dieselben  Stimmen,  »Heiße,  stüle  Liebe  schwebet«  (8.  Aug.  181^  für  die- 
selben Stimmen.    Schon  ein  Blick   auf  die  Besetzung  zeigt,    auf  wdchen  Weg 
sieh  die  Phantasie  des  Komponisten  hatte  leiten  lassen.    Den  Stamm  des  mehr- 
stimmigen Körpers  bildet  der  Männerchor,  ihm  ist  durch  Hinzufügung  einer  So- 
pranstimme, oder  zweier,   gleichsam  noch  ein  Stockwerk  aufgesetzt.    Darch  die 
natürliche  Beschaffenheit  der  menschlichen  Stimmen  und  ihr  Verhähniß  zu  einandet 
kann  eine   solche  Besetzung  nicht   hervorgerufen  sein,    sie  muß  ihren    äußeren 
Grund  haben,  der  hier  eben  die  Anknüpfung  an  den  Männerehor  der  Liedertafel 
war.     Chorlieder  dieser  Art  entstanden  dann  fort  und  fort    Auch  Marsohner's 
drei  sechsstimmige  Gesänge  Op.  55,  welche  gegen  Ende  der  zwanziger  Jahre  in  der 
Zeit  seiner  »Tunnellieder«  komponirt  sind,  gehören  dazu.    Sie  sind  für  2  Soprane, 
2  Tenöre,  2  Bässe  gesetzt  und  »der  Singakademie  zu  Berlin  sowie  deren  würdigen 
Direktor  Herrn  Professor  Zelter«  gewidmet     Es  versteht  sieh  schon  nach  den 
Texten  von  selbst,  daß  nicht  die  eigentliche  Singakademie  gemeint  ist,   sondern 
die  Liedertafel  in  solchen  FäUen,  wo  Damen  eingeladen  wurden.    Das  erste  Lied 
scheint  sogar  auf  die  »obligaten  klingenden  Gläser«  eingerichtet  zu  sein,  womit 
die  Liedertafel  manche  ihrer  Tafelgesänge  zu  akkompagniren  pflegte.    Mendels- 
sohn's  Lieder  für  gemischten  Chor   kommen,  mit  einer  früheren  Ausnahme,   erst 
1 S39  zum  Vorschein,  da  also  das  MännerchorÜed  schon  seit  Jahrzehnten  in  schönster 
Blüthe  stand,  und  Mendelssohn  selbst  hat  sich  diesem  früher  zugewendet,  als  jener 
Gattung.    Ob  auch  bei  ihm  Berliner  Anregungen  mitwirkten,  bleibe  hier  dahin- 
gestellt  Da  mittlerweile  Überall  in  Deutschland  sieh  Vereine  für  gemischten  Chor 
gebildet  hatten,  mußte  es  in  der  Luft  liegen,   das  Beispiel  der  MännCrchörs  mit 
anderem  Materiale  nachzuahmen.     So  gewiß  nun  das  Lied  für  gemischten  Chor 
die  höhere  Kunstgattung  von  beiden  ist,   so  sicher  ist  anderseits,  daß  es  in  dem 
Wettstreit  mit  dem  Männerchoriiede  den  kürzeren  gezogen  hat.    Es  läßt  sich  dar- 
aus wieder  einmal  erkennen,  wie  viel  in  der  Geschichte  darauf  ankommt,  daß  et- 
was zu  rechter  Zeit  erscheint.    Weil  dies  beim  Männergesang  der  Fall  war,  ist 
er  zu  einer  neuen  Kunstgattung  erwachsen,   die  nach  jeder  Seite  hin,  auch  der 
technischen,  eine  vollständige  Ausbildung  aller  ihrer  Kräfte  zeigt.    Wenn  es  bei 
ihm  nicht  an  einzelnen  Fällen  fehlt,  in  denen  nach  einer  falschen  Richtung  ex^ 
perimentirt  ist,  so  kommt  dergleichen  in  der  Entwicklung  jeder  Kunstgattung  vor. 
Im  allgemeinen  muß  gesagt  werden,  daß  sich  in   der  Art  für  Männergesang  zu 
schreiben  eine  feste  Technik  hergestellt  hat,  die  für  alle  Zeit  als  Muster  gelten 
kann.    Anders  im  Lied  für  gemischten  Chor.   Es  ist  nach  Mendelssohn's  Vorgang 


496  Kritiken  und  Referate. 


yiel  gepflegt  worden.  Aber  wollen  wir  ehrlich  urtheilen,  so  ist  keiner  über  das 
hinausgekommen I  was  jener  beim  ersten  Anlauf  so  glücklich  erreicht  hat.  Die  mei- 
sten sind  weit  hinter  ihm  zurückgeblieben.  Die  reicheren  Mittel  des  gemischten 
Chorlieds  sind  nicht  entfernt  so  vollständig  und  sachgemäß  ausgenutzt  worden, 
und  wenn  man  die  Blüthe  des  mehrstimmigen  A  cappelia-Qenange^  im  16.  Jahr- 
hundert vergleicht,  so  darf  man,  ohne  jemandem  zu  nahe  treten  zu  wollen,  doch 
wohl  sagen,  daß  unsere  Zeit  im  Belang  der  Technik  sich  zu  jenem  verhält,  wie 
der  Stümper  zum  Meister.  Der  Grund  mag  mit  darin  liegen,  daß  jene  alten 
Muster  erst  in  neuester  Zeit  anfangen,  den  Musikern  bekannter  zu  werden,  die 
meisten  also  aufs  Ezperimentiren  angewiesen  waren,  in  dem  sie  ihr  Stilgefühl 
nicht  immer  so  sieher  leitete,  wie  Mendelssohn.  Aber  der  Hauptgrund  war  doch 
wohl  ein  andrer.  Das  Madrigal  der  Italiäner,  das  Lied  der  Deutschen  wäre  im 
16.  Jahrhundert  nicht  zu  jener  außerordentlichen  Ausbildung  gelangt,  wenn  nicht 
—  namentlich  in  Italien  —  die  gesellschaftlichen  Verhältnisse  sie  im  höchsten 
Maße  begünstigt  hätten.  Im  Deutschland  unseres  Jahrhunderts  fehlte  diese  Gunst 
der  Verhätnisse.  Die  Stätten,  wo  allein  das  Lied  für  gemischten  Chor  eine  wirk- 
lich fördernde  Pflege  finden  konnte,  waren  die  großen  Chorvereine.  Sie  aber 
hatten  wichtigexe  Auijgaben  und  konnten  das  Lied  nur  als  Mitläufer  behandeln. 
Dagegen  traf  beim  Männergesang  alles  zusammen,  was  zur  Pfl^e  des  Liedes  nur 
irgend  gewünscht  werden  konnte.  Nicht  an  letzter  Stelle  ist  dahin  zu  rechnen, 
daß  die  Männerchorlyrik  sich  auf  einem  unbegrenzten  Gebiete  bewegen  konnte, 
während  für  den  gemischten  Chor  die  Wahl  der  poetischen  Gegenstände,  eben 
weil  Frauen  sich  betheiligten,  eine  beschränkte  sein  mußte. 

Doch  genug  von  diesen  Dingen,  die  über  das  Gebiet  hinausführen,  das  zu 
bearbeiten  unser  Verfasser  sich  vorgesetzt  hatte.  Was  ich  angedeutet  habe,  sollte 
nur  die  Ansicht  weiter  begründen,  daß  nicht  allein  in  socialer  und  politischer 
sondern  auch  in  rein  künstlerischer  Hinsicht  die  Hauptbedeutung  des  Männer- 
gesangs ganz  und  gar  auf  dem  Liede  beruht.  Jetzt,  da  er  sich  dem  Abschloß 
einer  großen  Periode  zu  nähern  scheint,  ist  es  gut,  auf  diese  Wurzel  seiner  Kraft 
mit  Nachdruck  hinzuweisen,  damit  die  Kraft  nicht  in  falscher  Züchtung  vergeudet 
wird.  Vor  solcher  Schädigung  unseres  Volks-  und  Kunstlebens  zu  warnen  und  ihr 
zu  wehren,  läßt  sich  auch  unser  sachkundiger  Verfasser  mit  beredten  Worten  an- 
gelegen sein,  von  dem  wir  uns  nun,  die  Besprechung  seines  inhaltretchen  Werkes 
beschließend,  mit  aufrichtigem  Danke  verabschieden. 

Berlin.  Phüipp  Spitta. 


W,  /.  von  Wasieletoskij  Ludwig  van  Beethoven.  Berlin,  Brach- 
vogel und  Ranft.     1888.     2  Bände.    8. 

Nicht  ohne  eine  gewisse  Überraschung  haben  wir  obiges  Buch  zur  Hand  ge- 
nommen« Wasielewski  hat  in  den  letzten  Jahren  eine  dankensweithe  Thätigkeit  auf 
dem  musikhistoiischen  Gebiete  entfalttt  und  Gebiete  anzubauen  begonnen,  die 
längst  des  kundigen  Bearbeiters  warteten ;  die  älteste  Entwicklung  der  Instrumental- 
formen, von  der  Violinkomposition  ausgehend,  hat  er  sammelnd  und  ordnend  ver- 
folgt und  in  seinen  Mittheilungen  über  Instrumentalmusik  des  16.  Jahrhunderts 
u.  s.  w.  Arbeiten  geliefert,  die  als  belangreiche  Beiträge  zur  Anbahnung  genauerer 
Kenntniß  jener  Perioden  zu  begrüßen  waren  und  zu  weiteren  Erwartungen  be^ 
rechtigten.  Wir  müssen  uns  freuen,  daß  mehr  und  mehr  in  der  Bearbeitung  der 
Musikgeschichte  das  alte  dilettantische  Treiben  überwunden  und  durch  eine  ver- 
nünftige   Arbeitstheilung   unter   Männer,    die   ihres    Stoffes   mächtig    sind,     von 


Ludwig  van  Beethoven  von  W.  J.  von  Wasielewski.  497 


verBchiedenen  Funkten  aus  einer  gründlichen  wissenschaftlichen  Erkenntniß  des 
weiten  unerforschten  Gebietes  der  Weg  geebnet  wird.  Das  gilt  namentlich  auch 
von  den  Meistern  der  neueren  Epoche;  wie  Bach,  Händel,  Haydn,  Mozart  ihre 
berufenen  Bearbeiter  gefunden  haben,  so  war  auch  die  Erforschung  von  BeethoverCa 
Leben  und  Schaffen  längst  in  guten  Händen ;  wir  brauchen  nur  die  Namen  Thayer 
und  Nottebohm  zu  nennen. 

Wenn  daneben  die  populäre  Schriftstellerei  auf  musikalischem  Gebiete  fort- 
fährt ihr  Wesen  zu  treiben,  so  wollen  wir  das  so  sehr  nicht  tadeln,  wofern  die- 
selbe wirklich  das  Ziel  verfolgt,  einem  weiteren  Kreise  zweifellose  wissenschaftliche 
Ergebnisse  in  entsprechender  Form  zu  vermitteln.  Der  wissenschaftliche  Forscher 
hat  freilich  im  allgemeinen  Besseres  zu  thun,  er  hat  durch  begonnene  Untersuch- 
ungen gewissermaßen  die  Pflicht  der  Weiterführung  übernommen  und  überlaßt  jene 
weitere  Thätigkeit  anderen,  welche  nach  dem  Maße  ihres  Vermögens  und  Urtheils 
das  Gold  in  Münze  umsetzen  mögen. 

Das  ist  es,  warum  es  uns  frappirte,  Wasielewski  auf  dem  breiten  Wege  der 
populären  Biographie  zu  begegnen.  Es  war  nicht  bekannt,  daß  er  bisher  irgendwie 
an  der  Beethovenforschung  betheiligt  war;  er  giebt  dies  auch  selbst  zu  und  sein 
neues  Buch  beweist  es  ebenfalls ;  wir  glauben  ihm  daher  gern,  daß  er  die  ihm  an- 
getragene Aufgabe  nur  mit  Zögern  übernommen  hat.  Er  stellt  sich  zur  Aufgabe, 
das  Lebensbild  Beethoven's  auf  Grund  der  vorhandenen  und  gedruckten  Quellen 
sa  zeichnen,  »seinen  menschlichen  und  künstlerischen  Charakter  zu  beleuchten  und 
Bu  erläutern«  und  aus  den  scheinbaren  Widersprüchen  die  einheitlich  charaktervolle 
Gestalt  zur  Anschauung  zu  bringen,  »bei  welcher  Persönlichkeit  und  künstlerisches 
Schaffen  einander  völlig  decken«.  Wenn  ein  Schriftsteller  und  Musiker  wie  Wasie- 
lewski dies  unternimmt,  so  wird  er  selbst  nicht  erwarten,  daß  der  Leser  mit  ge- 
ringen Anforderungen  an  sein  Buch  geht. 

Eine  lesbare  Erzählung  von  Beethoven's  Leben  und  Schaffen,  welche  das  bis- 
her Erforschte  zu  einem  wahren  und  lebendigen  Bilde  gestaltet,  kommt  sicherlich 
einem  Bedürfnisse  entgegen;  nicht  jeder  Kunstfreund  mag  in  das  Detail  der  Unter- 
suchung mühsam  eindringen  und  sich  das  Bild  selbst  entwickeln.  Unternimmt 
dies  nun  ein  wissenschaftlicher  Mann,  so  ist  es  seine  Sache  zu  fragen,  ob  die 
Untersuchung  wirklich  abgeschlossen  vorliegt,  und  er  muß  selbst  möglichst  Herr 
des  ganzen  Stoffes  sein. 

Nun  unterliegt  es  doch  wohl  bei  den  Kundigen  keinem  «Zweifel,  daß,  so  lange 
Thayer's  Biographie  nicht  abgeschlossen  ist,  von  Vollständigkeit  des  Materials 
für  den,  der  nicht  selbst  weiter  forschen  will,  keine  Rede  sein  kann;  ja  auch  das  Vor- 
handene hat  zu  so  mancherlei  neuen  Fragen  und  Untersuchungen  Anregung  und 
Anlaß  gegeben,  daß  wer  ein  getreues  Lebensbild  nach  ihnen  zeichnen  will,  an  den- 
selben betheiligt  sein  und  in  der  Sache  stehen  muß.  Wasielewski  aber  hat  nirgend- 
wo eine  neue  Quelle  aufgedeckt  oder  neues  Material  beigebracht,  sondern  nur  ver- 
werthet,  was  bei  einigem  Bemühen  jedem  zugänglich  ist.  Er  hat  auch  nichts  weiter 
gewollt;  gut;  aber  er  übt  doch  öfters  an  seinen  Quellen  Kritik,  äußert  Ver- 
muthungen,  versucht  Kombinationen,  bei  denen  der  Mangel  eingehender  Detail- 
kenntniiß  ihn  Irrthümern  aussetzen  mußte;  und  doch  will  er,  auch  anderen  Auf- 
fassungen gegenüber,  ein  zutreffendes  menschliches  Charakterbild  zu  geben  unter- 
nehmen. Auf  einem  mehr  selbständigen  Felde  bewegt  er  sich,  wo  er  den  Künstler 
schildern  und  die  Werke  analysiren  will ;  hier  kommt  ihm,  dem  in  langer  praktischer 
Thätigkeit  erprobten  und  erfahrenen  Musiker,  ausgebreitete  Kenntniß  der  Werke 
zu  Hülfe.  Aber  er  weiß  selbst,  daß  die  Entwicklung  des  Künstlers  von  der  des 
Menschen  nicht  zu  trennen,  daß  die  Entstehung  der  Werke  von  ihrer  biographi- 
schen Voraussetzung  nicht  zu  lösen  ist.    Auch  in  dieser  Beziehung  also  muß  der. 


49S  Kritiken  und  Referate. 


welcher  dem  Bedürfnisse  der  Kunstfreunde  dienen  'will,   Tollständig  auf  der  Höhe 
des  Gegenstandes  stehen. 

Seine  Hauptquellen  nennt  er  selbst:  die  Mittheilungen  der  Zeitgenossea,  die 
Briefe,  neuere  Darstellungen.  Unter  ersteren  ist  vor  allem  Wegeier  und  Ries, 
dann  Schindler  zu  verstehen,  deren  Schriften  reichlich  ausgenutzt  sind;  namentlich 
aus  ersterem  Büchlein  ist  Vieles  wörtlich  aufgenommen.  Von  Späteren  ist  es 
namentlich  Thayet^s  Biographie,  auf  welcher  er  Überall  fußt;  dann  ist  Nottebchm 
benutzt,  auch  aus  NoKl  manches  aufgenommen.  Kleinere  Beiträge  zur  Kenntniß 
sind  auch  hier  und  da  verwerthet,  aber  es  scheint  ein  wenig  der  Zufall  gewaltet 
zu  haben,  ob  und  wie  er  dieselben  kennen  lernte.  So  weiß  er  z.  B.  anscheinend 
nichts  von  Thayer's  »kritischem  Beitrage«,  welcher  für  die  letzten  Jahre  noch 
wichtige  Einzelheiten  bringt,  die  gerade  für  das  Charakterbild  des  Meisters  von 
Belang  sind;  auch  der  Aufsatz  Thayer's  über  die  schottischen  Lieder,  sowie  der 
unter  seiner  Mitwirkung  entstandene  »Beethoven  in  Oneixendorf«  in  der  Deutschen 
Musikzeitung  sind  ihm  unbekannt.  Von  Nottebohm  hat  er  die  ersten  und  zweiten 
Beethoveniana  und  »Beethoven's  Studien«  angeführt  und  benutzt,  während  er  die 
beiden  Schriften  über  die  Skizzenbüeher  von  1802  und  1803,  von  denen  namentlicfa 
das  letztere  für  die  Beurtheilung  der  Weise  des  Schaffens  wichtig  ist,  nicht  zu  kennen 
scheint.  O.  Jahn  hatte  leider  nur  kleine  Beiträge  geliefert :  zu  Fidelio,  über  die  Aus- 
gaben der  Werke,  über  das  Verhältniß  zu  Bigots,  zu  Amalie  Sebald  u.  a. ;  da  er  andere 
Unbedeutendere  citirt,  hätte  er  diesen  Namen  an  den  bezeichneten  Stellen  nicht  uner- 
wähnt lassen  sollen.  Das  Buch  Gerh.  v.  Breuning"«  »aus  dem  Schwarsspanierhause«  ist 
ihm  bekannt  gewesen,  aber  nicht  so  geschätzt  und  benutzt  worden,  wie  es  verdiente. 
Der  Verfasser  dieser  Zeilen  hat  vor  mehreren  Jahren  in  der  Leipziger  Sammlung 
musikalischer  Vorträge  einen  solchen  über  Beethoven  veröffentlicht,  der  sieh  im 
Rahmen  dieses  Unternehmens  hielt  und  Neues  zu  bieten  nicht  beanspruchte,  und 
dessen  Kenntnißnahme  er  füglich  dem  Biographen  erlassen  darf;  er  hat  aber  in 
demselben  ausdrücklich  gesagt,  daß  mehrere  Angaben  namentlich  über  die  letzten 
Lebensjahre  auf  Mittheilungen  Thayer's  beruhen,  und  so  durfte  wohl  von  dem  Vor- 
trage Kenntniß  genommen,  oder  soUte  dies  doch  geschehen  sein,  an  den  betreffen- 
den Stellen  auf  ihn  Bezug  genommen  werden.  Von  sonstigen  Einzelbeiträgcn, 
welche  da  und  dort  zerstreut  vorliegen,  wollen  wir  hier  absehen. 

Auf  Grund  jener  größeren  Darstellungen,  namentlich  Thayer^s,  hat  nun 
Wasielewski  das  Lebensbild  nicht  ohne  Geschick  und  Urtheil,  in  einfadier,  von 
unklarer  Phantasterei  freier,  vielleicht  mitunter  zu  nüchterner  Darstellung  zu  zeichnen 
unternommen.  Er  beginnt,  wie  Thayer,  mit  einer  kurzen  Darstellung  des  älteren 
kurfürstlichen  Bonn,  welche  er  durch  Angaben  über  das  neuere  Büd  der  Stadt 
nach  eigener  Ortskenntniß  erweitert;  für  seinen  besonderen  Zweck  war  das  doch 
weniger  wesentlich.  Dann  geht  er  zu  Beethoven's  Kindheit,  Jünglingsalter  und  zu 
der  ersten  Wiener  Zeit  über,  in  allem  wesentlichen  dem  Plane  und  den  Angaben 
Thayer's  folgend;  später  schlägt  er  dann  einen  anderen  Weg  ein,  wovon  noch  zu 
reden  sein  wird.  Kleine  Ungenauigkeiten  und  Irrthümer  begegnen  schon  hier 
und  später  mehrfach.  Vom  Kurfürsten  Clemens  August  soll  Swinbume  gesagt 
haben  (I,  S.  9;,  er  habe  für  die  Frauen  mehr  Geschmack  gehabt  wie  für  sein 
Brevier;  die  Äußerung  bezieht  sich  auf  Max  Friedrich  (Th.  I,  S.  38).  Der  zweite 
Vorgänger  des  Großvaters  Beethoven's  in  der  Kapellmeisterstelle  hieß  nicht  Zudeli^ 
sondern  Zudoli  (I,  S.  26);  so  werden  auch  einzelne  andere  Namen  unrichtig  ge- 
schrieben. Johann  van  Beethoven  sang  nicht  erst  1751  (I,  S.  28),  sondern  schon 
das  Jahr  vorher  in  der  Hofkapelle  (Th.  II,  S.  406).  S.  24  widerlegt  er,  wie  wenn 
es  von  ihm  zuerst  geschähe^  die  in  der  AUg.  deutschen  Musikztg.  1879  enthaltene 
Angabe   von  einem  angeblichen  N.  van  Beethoven;    er  konnte  wissen,    daß  diese 


Ludwig  van  Beethoven  von  W.  J.  von  Wasielewski.  499 


Angabe  von  dem  um  die  Bonner  Lokalforschung  verdienten  Werner  Hesse  herrührte^ 
und  bereits  in  der  AUg.  Mus.  Ztg.  1880  (S.  481)  beleuchtet  und  beseitigt  war. 
Da  er  S.  36  die  mit  dem  11  j&hrigen  Knaben  unternommene  Kunstreise  nach  Holland 
erwähnt,  hätte  auch  die  Vorführung  des  7  jährigen  in  einem  Konzerte  zu  Köln  nicht 
unerwähnt  bleiben  sollen  (Th.  II,  S.  408).  Die  Aufzählung  seiner  Bonner  Lehrer  ist 
nicht  vollständig;  die  Vermuthung,  der  Knabe  sei  beim  Musikunterrichte  wohl 
öfter  zerstreut  gewesen  (S.  31),  ist  durch  nichts  begründet.  Daß  für  Beethoven 
noch  1794  die  Rückkehr  nach  Bonn  feststand,  hätte  wohl  S.  71  und  77  etwas 
stärker  hervortreten  können;  es  ist  u.  a.  auch  aus  einem  Briefe  an  Simroek  vom 
2.  Aug.  1794  zu  entnehmen.  Wenn  er  die  Reisen  nach  Prag  und  Berlin  als  die 
einzigen  zu  künstlerischen  Zwecken  unternommenen  darstellt  (I,  S.  95],  so  hat  er 
vielleicht  die  nach  Preßburg  und  Pesth   (Ries  S.  109)  als  solche  nicht  angesehen. 

Von  der  ersten  Wiener  Periode  an  tritt  nun  in  dem  Buche  eine  veränderte 
Darstellung  ein ;  Wasielewski  erzählt  nicht  chronologisch  weiter,  sondern  behandelt 
den  biographischen  Stoff  in  Gruppen:  »Gönner  und  Freunde«,  » Kunstgenossen «, 
(warum  diese  beiden  Abschnitte  getrennt?)  »Lebenslage«,  »in  Amors  Banden«  u.s.  w., 
welche  dann  den  Stoff  über  die  ganze  Lebenszeit  hinweg  zusammenfassen.  Für 
einzelne  der  hier  behandelten  Gegenstände,  z.  B.  Beethoven's  Krankheiten  und  Taub- 
heit, seine  Thätigkeit  als  Klavierspieler  und  Dirigent,  ist  dieser  Weg  angemessen ; 
auch  in  manchen  andern  Punkten,  wie  Behandlung  der  Freundschaften  und 
Liebesneigungen/  wird  es  dem  Kundigen  ganz  unterhaltend  sein,  die  ganze  Schaar 
einmal  in  einem  Überblicke  vor  sich  vorüberziehen  zu  lassen;  ob  aber  der  Leser, 
der  sich  aus  dem  Buche  über  Beethoven's  Entwickelung  unterrichten  wiU,  dem 
Verfasser  dankbar  sein  wird,  bleibt  fraglich.  Die  eigentliche  Lebenserzählung  hört 
ja  nunmehr  ganz  auf,  das  Bild  der  Entwickelung  durch  die  so  sehr  verschiedenen 
Perioden  hindurch  wird  vollständig  zerrissen,  und  so  erreicht  der  Verfasser  doch 
den  Zweck  nicht,  das  Studium  anderer  Werke  entbehrlich  zu  machen.  So  beginnt 
der  Abschnitt  »Freunde  und  Gönner«  mit  den  Beziehungen  zur  Breuning'schen 
Familie,  welche  in  die  erste  Jugendzeit  zurückreichen,  und  endet  mit  der  Freund- 
schaft mit  Holz,  welche  die  letzten  Jahre  bezeichnet;  welche  Entwickelung,  durch 
die  verschiedensten  Erlebnisse  getragen,  liegt  dazwischen!  und  wie  kann  von  den 
Stufen  dieser  Entwickelung  die  Beziehung  zu  den  jedesmaligen  Freunden  getrennt 
werden  ?  So  wird  auch  in  den  anderen  entsprechenden  Abschnitten  der  Gegenstand, 
man  möchte  sagen  von  der  Geburt  bis  zum  Tode  behandelt ;  und  da,  wie  wir  sehen- 
werden,  die  einzelnen  Werke  wieder  ganz  für  sich  behandelt  werden,  so  kann  es 
zu  einem  zusammenhängenden  Bilde  nicht  kommen;  man  muß  immer  in  verschiedenen 
Abschnitten  umhersuchen,  um  die  Fäden  für  das  was  zusammengehört  zu  finden 
imd  zu  verknüpfen.  Auf  Gewinnung  eines  anschaulichen  Bildes  von  Beethoven's 
Leben  und  Entwicklung  ist  also  verzichtet. 

Dies  vorausgeschickt,  wollen  wir  gern  zugeben,  daß  die  Zusammenstellungen, 
wie  sie  Wasielewski  giebt,  nicht  ohne  Fleiß  und  Geschick  gemacht  sind.  Neues 
lernen  wir  nicht;  Auszüge  aus  Briefen  und  anderen  Darstellungen  werden  zahl- 
reich eingestreut;  daneben  aber  auch  mancherlei  Betrachtungen  eingefügt,  welche 
auf  das  richtige  Verständniß  des  Charakters  unseres  Künstlers  hinzielen.  Diese 
sind  nicht  selten  beachtenswerth  und  treffend,  und  es  freut  uns,  die  warme  Ver- 
ehrung für  den  Künstler  überall  als  leitend  zu  erkennen.  Aber  es  muß  hier  doch 
ausgesprochen  werden,  daß  in  der  Beurtheilung  der  vorhandenen  Mittheilungen 
nicht  selten  die  Grenzen,  welche  der  biographischen  Darstellung  gesetzt  sind,  über- 
schritten werden,  was  wir  bei  dem  Schriftsteller,  der  in  der  Mittheilung  des  That- 


^  Monatschr.  für  rhein.  westf.  Geschichtsforschung  V,  S.  200. 

1888.  34 


500  Kritiken  und  Referate. 


sächlichen  nicht  als  Selbstforscher  auftritt,  für  doppelt  bedenklich  erklären  müssen. 
So  sucht  Wasielewski  I,  S.  195  den  Vorwurf  der  Selbstsucht  von  Beethoven  abzu- 
wenden ;  Leute,  welche  ihm  unbequeme  Geschäfte  besorgten,  seien  durch  den  Vor- 
zug seines  Umgangs  entschädigt  worden.  Auch  den  Vorwurf  des  Hochmuihs  suclit 
er  von  ihm  abzuwehren.  Verbürgt  ist  Beethoven's  Wort  über  Personen,  die  ihm 
nahe  standen :  »ich  taxire  sie  nach  dem  was  sie  mir  leisten,  betrachte  sie  als  Instra- 
mente, auf  denen  ich  wenn's  mir  gefällt  spiele«;  verbürgt  ebenso,  daß  er  manche 
seiner  Genossen  wirklich  so  behandelte;  verbürgt  endlich,  daß  wo  einmal  einer  gegen 
solche  Behandlung  sich  empörte ,  Beethoven  —  was  seinen  tieferen  Charakter  ja 
nur  ehren  kann  —  sein  Unrecht  einzugestehen  bereit  war.  Es  muß  auch  Wasie- 
lewski  gegenüber  entschieden  dagegen  protestirt  werden,  daß  ein  Künstler,  und 
auch  der  größte,  in  seinem  menschlichen  Verhalten  einem  anderen  Maßstabe  wie 
dem  allgemein  menschlichen  und  sittlichen  unterliege;  diesen  legen  wir  bei  unseren 
großen  Dichtem  und  Schriftstellern  überall  an  und  können  auch  beim  Tonkünsller 
keine  Ausnahme  gelten  lassen.  Trotz  des  Einspruchs,  den  Wasielewski  11,  S.  6S 
gegen  Thayer  erheben  zu  wollen  scheint,  bleibt  es  des  letzteren  Verdienst,  den 
Menschen  Beethoven,  wie  er  sich  unter  dem  Einflüsse  seiner  Erziehung  und  seines 
körperlichen  Leidens  entwickelte,  yorurtheilsfrei  gezeichnet  zu  haben,  und  vir 
können  dem  Verfasser,  der  selbst  in  allem  Thatsächlichen  in  Th&jer's  Spuren 
wandelt,  nicht  das  Recht  zuerkennen,  auf  Grund  allgemeiner  Betrachtungen  das 
auf  urkundlich  erforschte  Thatsachen  begründete  Charakterbild  anzuzweifeln.  Wir 
nehmen  keinen  Anstoß  an  Scherzen,  die  sich  Beethoven  gegen  Zmeskall  u.  a.  ge- 
stattete, und  dieselben  bedürfen  der  Rechtfertigung  nicht  (I,  S.  162) ;  aber  wer  das 
Verfahren  gegen  Ries  bei  der  Frage  des  Kasseler  Rufes  und  so  manche  andere 
Ausbrüche  unüberlegter  und  verletzender  Heftigkeit  entschuldigen  will,  wird  auch 
dem  Helden  seiner  Darstellung  im  höheren  Sinne  nicht  gerecht.  Wir  meinen»  es 
muß  in  Beethoven's  Biographie,  wenn  das  BUd  ein  wahres  sein  soll,  ausgesprochen 
werden,  daß  ihm  in  Folge  seiner  Erziehung  und  seines  hohen  Selbstbewußtseins, 
dann  auch  seines  Leidens,  das  feinere  Taktgefühl  im  Verkehr  mit  anderen  fehlte, 
daß  er  zu  fortgesetzter  strenger  Selbstbeherrschung  eine  innere  Aufforderung  nieht 
fühlte;  wir  wissen,  daß  er  dies  oft  selbst  anerkannt  hat,  wenn  er  erkannte  Ver- 
fehlungen mitunter  mehr  wie  nöthig  bereute,  und  freuen  uns  des  hierin  immer 
wieder  hervorbrechenden  edlen  Grundzuges  seiner  Gesinnung. 

Unter  die  gleiche  Betrachtung  fällt  vieles  von  dem,  was  Wasielewski  in  dem 
Abschnitte  i>der  Generalissimus  in  Donner  und  Blitz«,  besonders  aber  in  dem  über 
die  »äußere  Lebenslage«  sagt.  Auch  hier  hatte  der  Verfasser,  ehe  er  Beethoven's 
Verhalten  zu  rechtfertigen  suchte,  überall  die  Pflicht,  die  Thatsachen  nicht  bloß 
kennen  zu  lernen,  sondern  objektiv  als  solche  anzuschauen.  Wir  wollen  nieht 
darüber  rechten,  ob  das  von  den  drei  Fürsten  ihm  ausgesetzte  Gehalt  ein  Gnaden- 
geschenk war  oder  nicht  (II,  S.  111);  daß  aber  die  Verhandlungen  mit  den  eng- 
lischen Verlegern,  was  die  pekuniäre  Seite  betrifit,  Beethoven  nicht  gerade  in 
günstiges  Licht  setzen,  ergeben  die  Thatsachen  unumstößlich.  Was  er  vollends 
über  das  Verhältniß  zu  dem  Verleger  Steiner  (U,  S.  137)  sagt,  ist  eine  so  ekla- 
tante Beschönigung  von  Beethoven's  illoyalem  Verfahren,  daß  man  auch  hier  nur 
mangelhafte  Kenntniß  der  Thatsachen  als  Entschuldigung  anführen  kann.  Beethoven 
schuldete  demselben  eine  hohe  Summe  (etwa  3000  Gulden),  die  ihm  für  künftig  zu 
schreibende  Werke  vorgestreckt  war;  Steiner  hatte  den  Meister,  wie  Wasielewski 
behauptet,  hierdurch  »von  sich  abhängig  zu  machen  gewußt«.  Diese  durch  nichts 
bewiesene  und  zu  beweisende  Deutung  des  einfachen  Umstandes,  daß  diese  Schuld 
bestand,  ist  wohl  durch  Schindler's  Darstellung  (II,  S.  41)  hervorgerufen,  der  eben 
nur  die  Thatsache  dieser  Abhängigkeit  betont ;  daß  sie  ein  raffinirter  Plan  Steiner^s 
gewesen,  dieser  Gedanke  gehört  Wasielewski  an.   Beethoven  selbst  hatte  jedenfalls 


Ludwig  van  Beethoven  von  W.  J.  von  Wasielewski.  501 


des  Verfassers  Entschuldigung  nicht  in  Anspruch  genommen ;  er  hat  sehr  wohl  das 
Unrecht  gefühlt,  welches  darin  lag,  daß  er  trotzdem  neue  Werke  vor  Abtragung 
dieser  Schuld  andern  Verlegern  gab  (Schindler  a.  a.  O.).  Und  warum  verschweigt 
Wasielewski  in  diesem  Zusammenhange,  daß  Beethoven  ein  kleines  Vermögen  er- 
spart hatte  (IT,  S.  115  kurz  erwähnt]  und  zu  den  vielen  Klagen  wegen  seiner  Be- 
drängnisse eigentlich  gar  .keine  Veranlassung  vorlag?  Auch  die  Verhandlungen 
mit  dem  Fürsten  Galitsin  wegen  der  letzten  Quartette  werden  (II,  S.  132)  ganz  un- 
richtig und  ohne  genaue  Kenntniß  des  Sachverhaltes,  unter  einseitiger  Anlehnung 
an  Schindler,  dargestellt.  Alle  diese  Dinge  bilden,  wie  Schreiber  dieser  Zeilen  sich 
früher  ausdrückte,  ein  trübes  Blatt  in  Beethoven's  Geschichte,  welches,  wer  ihn  ganz 
begreifen  will,  nicht  übersehen  kann.  Will  es  der  Biograph,  der  für  weitere  Kreise 
schreibt,  übergehen  oder  nur  kurz  berühren,  so  wollen  wir  ihm  das  überlassen; 
auch  mag  es  angemessen  scheinen,  die  Thatsachen  einfach  hinzustellen  und  dem 
l^eser  das  Urtheil  zu  übeiiassen;  aber  dieses  Urtheil  durch  willkürliche  Zusammen- 
Tückung  und  Deutung  der  Thatsachen  zu  präoccupiren  und  so  dem  Leser  ein  ge- 
färbtes Bild  zu  geben,  das  ist  es,  wogegen  auch  der  Beethovenverehrer  sich  ver- 
wahren muß;  auch  die  höchste  Verehrung  darf  den  höchsten  Grundsatz  der  histo- 
rischen Darstellung,  objektive  Wahrheit,  nicht  außer  Augen  setzen.  Für  ihn  kann 
es  auch  kein  Bedenken  haben,  alle  Züge  zu  dem  Bilde  zusammenzustellen,  welches 
aus  dem  Ganzen  betrachtet  inuner  ein  erhebendes  und  rührendes  bleibt. 

Koch  manches  Einzelne  würde  in  dem  biographischen  Theile  zu  erinnern  sein. 
Das  offenbare  Versehen  bei  Thayer  fll,  S.  62}  bezüglich  des  Alters  des  Grafen 
Brunswick  hätte  der  Verfasser  wohl  erkennen  können  (I,  S.  165);  Beethoven  wird 
iirohl  nicht  dem  7  jährigen  Knaben  die  FmoU-Sonate  gewidmet  und  ihm  als  Freund 
geschrieben  haben  (Th.  III,  S.  11).  Daß  Förster  zu  den  Wiener  Musikern  ge- 
hörte, die  Beethoven  am  nächsten  standen,  ist  nicht  recht  beglaubigt;  wir  stimmen 
aber  dem  Verfasser  bei,  wenn  er  bezweifelt,  daß  Beethoven  bei  demselben  die 
Quartettkomposition  noch  besonders  studirt  habe.  Über  Schubert  sagte  Beethoven, 
«s  lebe  in  ihm  »der  göttliche  Funke«  (Schindler  S.  136),  was  in  Beethoven's  Munde 
ausdrucksvoller  klingt,  als  »ein  göttlicher  Funke«,  wie  Wasielewski  citirt.  Den  Einfluß, 
vrelchen  K.  Holz  zeitweise  über  Beethoven  in  nicht  erfreulicher  Weise  gewann,  hat 
Wasielewski  (I,  S.  199)  nicht  hinlänglich  gewürdigt  S.  127  Anm.  wird  gesagt, 
Hossini  habe  Beethoven's  persönliche  Bekanntschaft  zu  machen  gewünscht,  dieser 
sei  aber  für  ihn  »nicht  zu  haben«  gewesen.  Wasielewski  hätte  wissen  können,  daß 
Bossini  den  Meister  besucht  hat  und  von  ihm  freundlich  aufgenommen  worden  ist. 
In  dem  Abschnitte  über  Beethoven's  Brüder  (II,  S.  209 fg.),  welcher  auf  die  gewöhn- 
lichen Darstellungen  gegründet  ist,  wird  Bekanntschaft  mit  Thayer's  »kritischem 
Beitrage«  vermißt,  so  daß  dem  Verhältnisse  zu  dem  jüngeren  Bruder  Johann 
wesentliche  Züge  fehlen.  Daß  der  Neffe  Karl  schließlich  auf  bessere  Wege  ge- 
kommen, hätte  doch  (II,  S.  231)  gegenüber  dem  allerdings  sehr  ungünstigen  Bilde 
von  seiner  Jugend  nicht  unterdrückt  werden  sollen ;  die  Angabe  über  dessen  Nach- 
kommen an  derselben  Stelle  ist  unrichtig  (vgl.  Breuning  a.  a.  O.  S.  127).  Die  ganze 
Lebensweise  in  Wien,  namentlich  die  Unterbrechung  durch  die  verschiedenen  Land- 
aufenthalte, tritt  durch  die  vom  Verfasser  gewählte  gruppirende  Darstellungsweise 
nicht  in  ihr  rechtes  Licht;  auch  was  über  die  äußere  Erscheinung  und  Lebensweise 
beigebracht  wird,  (II,  S.  144)  hätte  noch  durch  manche  Züge  verständlicher  ge- 
macht werden  können.  Der  Abschnitt  »in  Amors  Banden«  (S.  146 fg.)  ist  auf  die 
vorhandenen  Darstellungen  nicht  ohne  Geschick  aufgebaut;  daß  aber  zartere 
Kegungen  auch  durch  Schiller's  Lied  an  die  Freude  mit  erweckt  wurden  (S.  146), 
ist  doch  eine  seltsame  Annahme.  Die  Cismoll- Sonate  ist  nicht,  wie  Wasielewski 
nach  landläufiger  Annahme  angiebt  (S.  150),  Ausfluß  seines  Verhältnisses  zu  Julie 
Ouicciardi;  daß  das  Fmoll- Quartett  unter  dem  Eindrucke  dar  Liebe  zur  Gräfin 


502  Kritiken  und  Referate. 


Brunswick,  der  » Liederkreis «  unter  dem  der  Liebe  zu  Amalie  Sebald  stand^  wird 
richtig  bemerkt  und  war  schon  von  anderen  gesagt  worden.  Den  Worten  über 
Beethoven's  sittliche  Grundsätze  (II,  S.  153}  kann  man  eine  gewisse  Vorsicht  nicht 
absprechen,  gewinnt  aber  nicht  die  Überzeugung,  daß  dem  Verfasser  die  einschla- 
genden thatsächlichen  Verhältnisse  genau  bekannt  sind.  Auch  die  Angabe,  daß 
Beethoven  vorwiegend  zum  Ernst  und  leicht  auch  zur  Schwermuth  geneigt  habe, 
hält  vor  den  Thatsachen  nicht  stand;  Beethoven  war  oft  durch  Lebensschicksale 
und  Verdrießlichkeiten  gedrückt,  und  beim  Schaffen  ist  der  Künstler  gewiß  gehoben 
und  ernst;  der  Grundzug  seines  Wesens  aber  war  ein  heiterer  und  zu  Seherxen 
geneigter,  worüber  die  Beethovenforscher  (Thayer  krit.  Beitrag  S.  45)  nicht  in 
Zweifel  sind.^  Zu  bedauern  bleibt  endlich,  daß  Wasielewski  nach  früherer  Dar- 
stellung (NoM  III,  S.  783)  die  Worte  Beethoven's  vor  seinem  Tode :  Plaudite  amici, 
comoedia  finita  est,  mit  dem  Empfange  der  Sterbesakramente  in  Zusammenhang 
bringt  (II,  S.  294]  und  dem  Meister  so  am  Schlüsse  seines  Daseins  eine  Leicht- 
fertigkeit imputirt,  die  nun  ganz  außerhalb  seines  Wesens  lag.  Biet  hätte  ihn 
Breuning's  Darstellung  (aus  dem  Schwarzspanierhause  S.  104)  eines  besseren  be- 
lehren sollen.  — 

Wir  kommen  zu  dem  musikalischen  Theile,  auf  den  der  Verfasser  jedenfalls 
größeren  Werth  legt  und  wo  er  sich  als  Musiker  natürlich  selbständiger  fühlt.  \llr 
erwarten  mit  Recht,  daß  der  gebildete  Künstler,  durch  Studium  mit -den  Formen 
und  Voraussetzungen  des  Kunstwerks  und  durch  Hören,  Leiten,  Ausüben  mit  den 
Werken  Beethoven's  vertraut,  uns  in  seinen  Bemerkungen  über  dieselben  viel 
Anregendes  und  Treffendes  bieten  wird,  und  finden  uns  hierin  auch  nicht  getäuscht. 
Auf  diesem  Gebiete  ist  der  kunstverständige  Schriftsteller  heutzutage  noch  ziem- 
lich auf  sich  selbst  angewiesen  und  wir  sehen  auch  Wasielewski  kaum  auf  Vor- 
gänger Bezug  nehmen.  Von  den  Mittheilungen  Nottebohm's  hat  er,  wie  bereits 
bemerkt,  eifrig  Gebrauch  gemacht;  auch  Marx,  der  in  seinem  Beethoven  eigent- 
lich kein  wesentlich  verschiedenes  Ziel  verfolgt,  wird  erwähnt  und  ihm  verdankt 
der  Verfasser  jedenfalls  vielfache  Anregung.  Von  kleineren,  in  ihrem  Werthe 
ziemlich  verschiedenartigen  Beiträgen,  wie  Eiterlein  über  die  Sonaten  und  Sym- 
phonien, Alberti  über  den  Fidelio,  Heimsöth  über  die  Missa  solemnü,  Hinrichs 
über  die  Lieder  (A.  M.  Z.  1865  Nr.  1  fg.)>  S.  Bagge  über  die  letzten  Quartette 
(Deutsche  M.  Ztg.  1862)  u.  s.  w.,  hat  er  wohl  kaum  Notiz  genommen. 

Wenn  wir  auch  in  diesem  Theile  vielfach  Bedenken  bei  der  Lektüre  nicht 
unterdrücken  konnten,  so  finden  wir  uns  hier  zu  unserem  Erstaunen  in  dem  um- 
gekehrten Falle,  wie  bei  der  biographischen  Abtheilung:  wir  haben  hier  nicht 
mehr  optimistische  Deutungen  von  Thatsachen  abzulehnen,  sondern  einer  Neigung, 
Beethoven's  Bedeutung  und  Leistungen  der  allgemeinen  Anjdcht  gegenüber  einzu- 
schränken, zu  begegnen. 

BUdung  und  Studien  des  Meisters  stellt  er  nach  den  bekannten  Quellen  im 
ganzen  richtig  dar;  in  einzelnen  Punkten  hätte  der  Ernst  und  der  Erfolg  der- 
selben nachdrücklicher  betont  werden  können.  Daß  er  bei  dem  ersten  Unterrichte 
zuweilen  zerstreut  gewesen,  daß  er  über  theoretisches  Studium  geringschätzig  gedacht 
habe  (I.  S.  38),  sind  Vermuthungen ,  welche  nicht  durch  Thatsachen  begründet 
werden  können.  In  Bonn  konnte  ihm  nicht  alles  geboten  werden,  dessen  er  zu 
seiner  vollen  Durchbildung  bedurfte;  eben  darum  ging  er  nach  Wien,  und  trieb 
hier  das  theoretische  Studium  mit  Ernst  und  Fleiß.  Das  hat  auch  Wasielewski, 
der  hier  Nottebohm  folgt  (I.  S.  84),  nicht  verkannt,  ebensowenig,  daß  selbst  ein 
Lehrer  wie  Albrechtsberger  der  Leitung  dieses  Genius  nicht  gewachsen  war.  Wir 
stimmen  daher  auch  nicht  in  das  Bedauern  ein,  daß  der  Unterricht  bei  demselben 

»  Vgl.  auch  Frimmel,  N.  Beeth.  S.  149. 


Ludwig  van  Beethoven  von  AV.  J.  von  Wasielewski.  b03 


vor  völliger  Beendigung  abgebrochen  wurde,  möchten  es  vielmehr  stark  hervor- 
heben,  daß  der  22  jährige  Jüngling,  der  seine  hohe  Begabung  bereits  dokumentirt 
hatte  und  auch  nicht  ohne  Vorbildung  nach  Wien  kam,  noch  über  2  Jahre,  wie 
die  vorhandenen  Übungen  zeigen,  mit  anhaltendem  Fleiß  theoretischen  Studien 
sich  hingegeben  hat.  Daß  in  Materien,  welche  auch  der  nicht  produktiv  Begabte 
in  nicht  langer  Zeit  durch  Fleiß  erlernen  kann,  der  Genius  die  Herrschaft  schneller 
gewinnt,  wird  Wasielewski  gewiß  zugeben;  sagt  er  doch  selbst:  »Genies  lernen 
im  Fluge,  was  andern  viel  Mühe  und  Anstrengung  kostet«  (I.  S.  47j ;  und  wir 
haben  ii  den  Werken  —  man  nehme  aus  früherer  Zeit  den  2.  Satz  des  CmoU- 
Quartetts  Op.  18  oder  den  Trauermarsch  der  Eroica  —  hinl&ngliche  Zeugnisse,  daß 
er  diese  Herrschaft  erworben,  mit  den  technischen  Voraussetzungen  ausgerüstet  war, 
deren  er  zur  künstlerischen  Darstellung  seiner  Ideen  bedurfte.  Dieselben  be- 
vreisen  auch  —  was  übrigens  auch  sonstige  Zeugnisse  klar  legen  —  daß  Beet- 
hoven auf  der  erworbenen  Grundlage  selbständig  weiter  gearbeitet  hat,  und  wir 
können  nicht  einstimmen,  wenn  Wasielewski  II.  S.  267  sagt,  die  fugirte  Schreib- 
weise sei  nicht  Beethoven^s  stärkste  Seite  gewesen»  was  doch  wohl  einen  Tadel 
bedeuten  soll.  Wir  beziehen  uns  auch  hier  auf  Nottebohm,  welcher  seine  Be- 
trachtungen (Beeth.  Studien  S.  201)  so  schließt:  »Beethoven  hat  auf  dem  Grunde 
seines  erworbenen  und  ererbten  Besitzes  weiter  gebaut.  Er  hat  die  überkom- 
menen Formen  und  Ausdrucksmittel  in  sich  verarbeitet,  fremde  Einflüsse  allmäh- 
lich ausgeschieden  und,  dem  Drange  seiner  subjektiven,  aufs  Ideale  gerichteten 
Natur  folgend,  sich  einen  eigenthümlichen  Stil  geschaffen«.  Daß  auch  Salieri's 
Unterweisung  fruchtbringend  war,  daß  Beethoven  nicht  blos  gut  deklamiren, 
sondern  auch  sangbar  schreiben  lernte,  darüber  nehmen  wir  ebenfalls  auf  Notte- 
bohm Bezug;  es  ist  ja  auch  bekannt,  wie  eifrig  er  sich  stets  um  Ausdruck  und 
Prosodie  der  Worte  bemühte.  Kurz:  es  war  Beethoven  ernstlich  um  gründlichen 
und  guten  Unterricht  zu  thun,  er  hat  denselben  benutzt,  er  hat  das  Empfangene 
durch  Selbststudium  erweitert  und  für  sein  eigenes  Schaffen  verwerthet.  Wir 
möchten  glauben,  daß  Wasielewski  diesem  Resultate  zustimmen  wird. 

Zu  den  Werken  selbst  übergehend,  will  Wasielewski  die  vielfach  angenom- 
menen drei  Schaffensperioden  nicht  streng  scheiden.  Er  spricht  aber  doch  von  dem 
entschiedenen  Einfluß  Mozart's  in  den  ersten  Werken  —  dessen  Grenzen  er  viel- 
leicht noch  etwas  bestimmter  nachgehen  konnte  — ,  von  der  neuen  Bahn,  welche 
mit  der  Eroica  beschritten  wurde,  und  betont  auch  entschieden  [Bd.  II.  S.  263, 
270;  die  besondere  Stellung  der  Werke  aus  der  letzten  Zeit.  Daß  in  allen  Perio- 
den Werke  rascherer  Konzeption  entstanden,  die  in  eine  frühere  Zeit  passen  würden, 
ändert  an  der  Hauptsache  nichts ;  auch  unterscheidet  sich  das  Es  dur-Konzert  und 
FmoU-Quartett  (S.  IX)  sehr  wesentlich  von  der  '9.  Symphonie  und  den  letzten 
Quartetten ;  wir  wollen  daher  nur  konstatiren,  daß  Wasielewski  ebenso  wie  andere 
die  drei  Perioden  thatsächlich  anerkennt,  nur  vielleicht  hinsichtlich  des  Beginnes 
der  dritten  von  anderen  abweicht. 

Bei  der  Besprechung  des  Schaffens  im  einzelnen  hat  der  Verfasser  wiederum 
den  Weg  eingeschlagen,  Ghruppen  zu  bilden  und  innerhalb  dieser  die  Werke  zu 
beschreiben  oder,  wo  es  kleinere  betrifft,  aufzuzählen.  Diese  Gruppen  sind  im 
1.  Bande:  Klavier-  und  Kammermusikwerke  1 ;  Symphonien  1 — 3;  Fidelio;  Klavier- 
und  Kammermusikwerke  2 ;  im  2. :  Konzerte  und  Konzertstücke ;  Ouvertüren  und 
cyklische  Kompositionen;  Lieder,  Gesänge  und  einzelne  Chorsätze;  Werke  für 
Chor-  und  Sologesang  mit  Orchester;  Symphonien  4 — 9;  Klavier  und  Kammer- 
musikwerke 3.  Solche  übersichtliche  Behandlung  ist  bequem  für  den,  welcher  die 
Entwicklung  des  Menschen  und  Künstlers  genau  kennt  und  im  Gedächtnisse  hat ; 
für  andere  ist  aber  damit  die  Gefahr  verbunden,  die  auch  Wasielewski  nicht  ver- 
mieden hat,    daß  ein  klares  Bild  auch  der  künstlerischen  Entwicklung  nicht  zu 


504  Kritiken  und  Referate. 


Stande  kommt.  Der  Meister  schafft  nicht  gruppenweise,  das  einzelne  Werk  ist 
Ausfluß  der  jeweiligen  Anregung,  hängt  mit  jeweiligen  Lebensereignissen  zusam- 
men und  ist  ein  Glied  der  Entwicklung ,  wer  diese  darstellen  will,  kann  nicht  wohl 
Werke,  die  zu  verschiedenen  Zeiten  und  unter  verschiedenen  Voraussetzungen  entstan- 
den sind,  zusammenfassen  und  so  aus  dem  organischen  Zusammenhang  lösen.  Als 
Muster  konnte  hier  dem  Verfasser  Jahn's  Mozart  dienen,  welcher  mit  wunderbarem 
Geschick  beiden  Voraussetzungen  gerecht  wird,  und  immer  uns  die  Anschauung  des 
Wachsthums  des  Künstlers  gegenwärtig  hält.  Wasielewski  dagegen  betrachtet 
und  bespricht  die  Werke  eigentlich  nur  in  ihrer  Vereinzelung,  bespricht  sie  als 
einzeln  ihm  vorliegende,  und  der  Standpunkt,  auf  welchem  Entwicklung  und  Stil 
des  Künstlers  gerade  steht,  verschwindet  meist  vor  unseren  Augen.  So  stehen 
z.  B.  das  Streichtrio  Op.  3  und  das  Septett  Dp.  20  in  der  Zeit  ziemlich  weit  von 
einander,  in  die  Zwischenzeit  fallen  vielfache  Studien  und  Übungen,  und  doch 
werden  sie  hier  g^nz  nahe  zusammengerückt.  Wie  weit  stehen  die  beiden  ersten 
Konzerte  und  das  in  Es  dur  von  einander  ab !  sie  werden  in  demselben  Abschnitte 
behandelt.  Am  auffallendsten  aber  und  ganz  unbegreiflich  ist,  daß  er  die  Trauer- 
kantate  auf  Kaiser  Josephs  Tod,  das  Werk  des  19jährigen  Jünglings,  spfit  im 
2.  Bande  unter  den  Chorkompositionen  bespricht,  in  demselben  Abschnitte  mit 
der  MisBa  solemnis.  Jenes  Werk  haben  wir  jetzt,  da  es  uns  glücklicher  Zufall 
wieder  gegeben  hat,  als  den  Höhepunkt  seines  Bonner  Schaffens  zu  erkennen; 
aus  ihm  ist  die  Art  seines  Talentes,  seiner  Vorbilder,  und  die  Stufe  die  er  damals 
erreicht  hatte,  zu  entwickeln;  es  durfte  von  der  Betrachtung  der  frühesten  Stu- 
dien und  der  ersten  Werke  nicht  getrennt  werden.  Überhaupt  werden  die  Werke 
der  frühesten  Zeit,  darunter  z.  B.  die  schönen  Variationen  über  Vieni  amore^  die 
Klavierquartette,  nur  sehr  kurz  abgethan;  daß  sie  unter  Mozart's  Einfluß  stehen, 
genügt  doch  nicht  und  ist  auch  nicht  neu. 

Daß  Wasielewski  bei  den  Instrumentalwerken  gelegentlich  auf  die  ursprung- 
lichen Instrumentalformen  des  16.  und  17.  Jahrhunderts  zurückgeht,  ist  eiji  An- 
klang an  seine  eigenen  verdienstlichen  Forschungen  über  jene  Zeit,  ist  aber  im 
vorliegenden  Zusammenhange  wohl  unnöthige  Gelehrsamkeit;  bei  der  Oper  und 
den  Messen  unterläßt  er  das  Entsprechende  auch.  Jene  Anfänge  lagen  weit  zu- 
rück und  haben  für  die  Beurtheilung  Beethoven's  gar  keine  Bedeutung,  welcher 
die  Sonate  durch  Em.  Bach,  Haydn  und  Mozart  ausgebildet  vorfand  und  von  ihnen 
überkam.  Über  die  Art,  wie  er  diese  Form  selbständig  weiter  ausbildete,  seine 
Behandlung  des  Scherzo  im  Anschluß  an  Haydn,  die  Zufügung  der  Coda,  die 
kunstvolle  Behandlung  des  Durchführungssatzes,  die  höhere  Bedeutung  des 
Finale,  dann  femer  die  Individualisirung  der  Orchesterinstrumente  (I  S.  S6),  die 
neue  kühne  Melodiebildung,  die  neue  sorgfältige  Art  der  dynamischen  Bezeichnun- 
gen wird  viel  Richtiges  beigebracht;  dem  eigentlich  Individuellen  in  Beethoven's 
Kunst  und  Arbeiten  nachzugehen,  hat  wie  überall  seine  Schwierigkeit,  die  wir 
auch  in  Wasielewski's  Bemühungen  nicht  verkennen.  Ober  das  Skizziren  und 
langsame  Arbeiten  finden  wir  einmal  eine  Bemerkung  (I,  65),  aber  das  reiche  Ma- 
terial, was  uns  Nottebohm  zur  genaueren  Erkenntniß  von  Beethoven's  Arbeitsweise, 
der  Strenge  seiner  Selbstkritik,  des  seltenen  Vereins  von  Reflexion  und  Phantasie 
(Skizzenbuch  von  1803,  S.  54}  geboten  hat,  ist  bei  weitem  nicht  genügend  aus- 
genutzt. Wenn  er  die  Bezeichnung  des  »Tondichters«  für  Beethoven  gelten  läßt 
und  die  tieferen  Absichten  des  Meisters  in  vielen  seiner  Analysen  nicht  ohne 
Glück  aufzudecken  sucht,  so  dürfen  wir  wohl  annehmen,  daß  er  mit  dem  Ausdrucke 
der  Vorrede :  Beethoven  habe  gezeigt,  daß  die  Tonkunst  poetische  Ideen  »symbolisch- 
ausdrücken könne,  nichts  jenem  Widersprechendes  habe  sagen,  sondern  nur  die 
Darstellung  der  künstlerischen  Idee  durch  das  Kunstmittel  habe  bezeichnen  wollen. 


Ludwig  van  Beethoven  von  W.  J.  von  Wasielewski.  5Q5 


Pindet  er  ja  auch  in  der  Schlußbetrachtung  »die  tiefsten  Mysterien  des  Seelen- 
lebens« von  dem  Meister  ausgesprochen. 

Ein  durchschlagendes  Prinzip  glaubt  freilich  Wasielewski  für  die  Beurthei- 
lung  von  Beethoven's  Schaffen  gefunden  zu  haben  und  kommt  darauf  wiederholt 
zurück,  indem  er  als  besonders  ihm  eigenes  Kunst^ebiet  die  Instrumentalmusik 
bezeichnet  und  ihn  den  Vollender  derselben  nennt.  Daß  Beethoven  dieser  Kuhm 
gebührt,  ist  oft  gesagt  und  zweifellos.  Wenn  aber  hierdurch  etwas  anderen  Gat- 
tungen g^enüber  Ausschließendes  gesagt  sein  soll,  können  wir  denn  doch 
unsere  Bedenken  nicht  unterdrücken.  Wasielewski  will  Beethoven  schon  von 
früh  an  ein  spezifisches  Talent  für  Instrumentalmusik  zuschreiben,  er  spricht  von 
einem  »instrumentalen«  Denken  und  Empfinden  desselben  (II,  S.  167) ;  dieses  Talent 
sei  gleich  von  früher  Jugend  an  hervorgetreten  und  z.  B.  von  Haydn  nicht 
richtig  erkannt  worden.  Diese  Behauptung  halten  wir  für  eine  ganz  willkürliche 
und  auch  historisch  unrichtige.  Ein  solches  spezifisches  Talent  giebt  es  unserer  An- 
sicht nach  überhaupt  nicht,  und  man  hat  sich  hier  vor  der  Verwechslung  zu  hüten, 
eine  vielleicht  später  auf  Grund  von  Studien  und  Erlebnissen  vorherrschend 
-gewordene  Neigung  ah  im  besonderen  Talente  ruhend  zu  betrachten.  Gäbe  es 
aber  auch  ein  solches  spezifisches  Talent,  so  müßte  es  doch  auch  die  früheste 
naiv  auftretende  Neigung  beherrscht  haben.  Soll  ja  sogar  das  erste  von  Beet- 
hoven komponirte  Werk  eine  Kantate  gewesen  sein  (Thayer  I,  S.  115,  der  freilich 
Bedenken  äußert);  mehrere  Lieder  gehören  seiner 'Knaben-  und  Jünglingszeit  an, 
und  den  Höhepunkt  seiner  Jugendarbeiten  bezeichnet  die  Trauerkantate  auf  Kaiser 
Joseph,  welche  die  in  Bonn  geschriebenen  Instrumentalsachen  weit  überragt!  Und 
wollte  nicht  Beethoven  schon  in  Bonn  Schiller's  Lied  »an  die  Freude^,  »und  zwar 
jede  Strophe«   komponiren?    Wo  bleibt   da  das  »spezifisch  instrumentale«  Talent? 

Wir  halten  aber  dieses  Hinübertragen  des  Unterschiedes  von  Vokal-  und  In- 
strumentalmusik in  die  Seele  und  Schöpferkraft  des  schaffenden  Künstlers  über- 
haupt für  ästhetisch  unhaltbar.  Musik  ist  hier  wie  dort  Musik,  Aussprache  des 
inneren  Seelenlebens  durch  die  gegebenen  Mittel  der  Tonwelt  und  Tonformen ;  der 
tiefere  Quell,  aus  welchem  der  Künstler  schöpft,  ist  derselbe,  mag  er  sich  bei  der 
Aussprache  an  das  Wort  anlehnen  —  w*elches  ja  zunächst  dem  Gedanken  dient  — 
oder  das  Mittel  des  Tones  allein  verwenden.  Durch  Beethoven  sind  wir  allerdings 
mehr  wie  durch  einen  Meister  vor  ihm  über  den  Standpunkt  hinausgerückt,  als 
sei  die  Instrumentalmusik  ein  bloßes  Spiel,  welches  ohne  Worte  nichts  zu  sagen 
vermöge ;  wir  haben  durch  ihn  gelernt,  für  das  was  uns  Musik  im  tiefsten  Grunde 
enthüllt,  die  Unterscheidung  nach  dem  Mittel  als  äußerlich  anzusehen,  da  für  den 
Künstler  ein  Unterschied  dessen  was  er  ausdrücken  oder  nachahmen  will,  "bei 
beiden  Gattungen  nicht  besteht.  So  haben  denn  auch  unsere  großen  Meister  der 
neuem  Epoche,  seitdem  es  eine  Instrumentalmusik  giebt,  mit  gleicher  Liebe  für 
beide  Gattungen  geschrieben ;  sind  sie  in  beiden  Fällen  vielleicht  andere  gewesen  ? 
und  ist  vielleicht  das  grundlegende  Element  unserer  entwickelten  Tonkunst,  die  Melodie  ^ 
d.  h.  die  harmonisch  und  rhythmisch  gegliederte  und  begrenzte  Tonfolge,  in  ihrer 
musikalischen  Wirkung  eine  innerlich  andere,  ob  sie  gesungen  oder  gespielt  wird? 

Soweit  Klang  und  Natur  des  speziellen  musikalischen  Tonmittels  auf  Behand- 
lung und  Wirkung  derselben  Einfluß  übt,  muß  der  Komponist  natürlich  die 
Natur  dieses  Mittels  kennen.  Wer  für  Violine  Klavierpassagen ,  fürs  Klavier  lang 
auszuhaltende  Töne  setzt,  von  dem  wird  man  sagen,  daß  er  sein  Instrument  nicht 
gekannt  habe.  Wer  also  für  Gesang  schreibt,  muß  wissen  und  empfinden,  wie 
weit  der  Umfang  der  Stimme  geht,  was  dieselbe  um  wohlklingend  zu  bleiben  aus- 
führen kann,  welche  Ton-  und  Akkordfolgen  für  sie  wirksam  und  ausführbar  sind ;  er 
muß  femer  den  Sinn  und  die  Betonung  der  Worte  kennen,  welche  ihm  den  Impuls  zum 
musikalischen  Schaffen  geben.    Wort  und  Vers  bringen  überdies  meist  schon  ein. 


506  Kritiken  und  Referate. 


musikalisches  Element,  den  Rhythmus,  mit.  Selbst  daran  haben  sich  auch  die 
größten  Meister  nicht  immer  gebunden ;  die  weitere  Gestaltung  aber  folgt  nur  mu- 
sikalischen Gesetzen,  bei  denen  obige  Grundsätze  maßgebend  bleiben.  Dies  sind 
nun  aber  alles  Dinge,  die  mit  der  musikalischen  Phantasie  und  Erfindungskraft 
an  sich  nichts  zu  thun  haben,  auch  wo  sie  dieselbe  anregen  und  binden ;  sie  müssen 
und  können  erlernt  werden. 

Und  dies  sollte  Beethoven  nicht  gelernt  haben?  ein  Künstler  Ton  solchem 
Ernste,  solcher  Energie  des  WoUens,  der  zudem  in  allen  Perioden  seines  Schaffens 
aus  innerer  Neigung  auch  der  Vokalmusik  zugewandt  war,  sollte  jene  Voraus- 
setzungen sich  anzueignen  nicht  sich  bemüht  haben?  sowohl  Zeugnisse  wie  die 
Werke  selbst  widerlegen  das.  Beethoven  hat  sich  früh  dem  Gesanglichen  mit  Er- 
folg zugewandt)  und  mit  welchem  richtigen  Blick  und  Erfolg,  zeigt  das  schöne, 
auch  gesanglich  schöne  Mittelstück  der  Trauerkantate,  Er  hat  durch  seine  Stel- 
lung in  Bonn  Opern  und  kirchliche  Kompositionen  in  ausgedehntem  Maße  keimen 
gelernt.  Er  hat  bei  Salieri  mit  Erfolg  Studien  in  der  Gesangkomposition  gemacht  und 
sie  auch  später,  wie  die  vorhandenen  Übungen  zeigen,  eifrig  fortgesetzt.  Aus  Skixsen 
lernen  wir,  wie  er  auf  richtige  Betonung  Werth  legte,  und  aus  den  Werken  selbst,  wie 
trefflich  sie  ihm  so  vielfach  gelungen  ist  Und  sollen  wir  hier  die  Reihe  der  Gesangs- 
kompositionen  aufzählen,  denen  auch  Wasielewski  Wirkung  und  Sangbarkeit  nicht 
abspricht?  Ist  z.  B.  die  Adelaide,  abgesehen  von  ihrer  musikalischen  Vollkommen- 
heit, nicht  auch  durch  ihre  Dankbarkeit  für  den  Sänger  so  populär  geworden? 
gilt  nicht  das  gleiche  Lob  auch  für  den  Liederkreis  an  die  entfernte  Geliebte?  < 
Wird  gegen  die  gesangliche  Wirkung  der  Fideliochöre,  der  Cdur-Messe  —  mag 
letztere  auch  musikalisch  anderen  Werken  des  Meisters  nicht  gleichstehen  —  etwas 
einzuwenden  sein?  von  andern  Chorwerken,  insbesondere  der  großen  Messe  gar 
nicht  zu  sprechen.  Der  Tadel  knüpft  sich  hier  und  sonst  vorzugsweise  an  gewisse 
Stellen  des  Schlußchors  der  9.  Symphonie  und  der  großen  Messe,  die  schwer  aus- 
zuführen —  nicht  unausführbar  —  sind,  und  bei  denen  der  kritische  Hörer  mit 
mehr  oder  weniger  Recht  fragen  mag,  ob  Beethoven  bei  völliger  Herrschaft  CLber 
sein  Gehörvermögen  so  geschrieben  haben  würde,  oder  ob  er  die  Forderung,  daß 
die  Stimmen  sich  seiner  poetischen  Idee  anbequemten,  nicht  zu  rücksichtslos  ge- 
stellt habe.  Aber  berechtigt  das  zu  dem  harten  und  durchaus  unbewiesenen 
Urtheile,  Beethoven  sei  mit  den  Bedingungen  des  Vokalsatzes  nicht  vertraut  ge- 
wesen? (II  S.  201).  Was  ist  Vokalsatz?  sollen  damit  die  allgemeinen,  schon 
oben  erwähnten  Grundsätze  gemeint  sein,  so  müssen  wir  es  für  unhaltbar  erkennen, 
die  Kenntniß  dieser  Dinge  Beethoven  absprechen  zu  wollen.  Sind  aber  die  von 
der  älteren  Theorie  aufgestellten  und  von  den  Komponisten  vor  Beethoven  be- 
obachteten Gesetze  verstanden;  nun,  w^as  war  es  denn,  was  er  bei  Haydn  und 
Albrechtsberger  eifrig  studirt  hat?  war  das  etwa  nicht  »Vokalsatz «?  und  sollte 
Beethoven,  der  sich  immer  auch  zur  Vokalkomposition  angetrieben  fühlte,  durch 
eine  angebliche  besondere  Art  seines  Talentes  behindert  gewesen  sein,  sich  eine 
Fertigkeit  anzueignen,  die  auch  der  nicht  produktive  Musikschüler  durch  Anlei- 
tung und  Fleiß  erlernen  kann?  Zudem  unterliegen  auch  diese  Vorschriften  der 
historischen  Entwicklung;  wie  bei  den  Instrumenten  Technik  und  Ausführbarkeit 
von  Schwierigkeiten  den  Fortschritt  zulassen,  so  lernen  auch  Stimmen  und  Chöre 
durch  die  Weiterentwicklung  der  Kunst  bei  fortgesetzter  Schulung  und  Übung 
manches  ausführen,  was  früher  unmöglich  schien;  ja  auch  das  Gehör  bleibt,  wo 
die  Kunst  selbst  weiterschreitet,  nicht  stehen,  und  wenn  ganze  Gebiete,  wie  Chro- 
matik  und  Enharmonik,  im  Anfange  der  Gesangmusik  verschlossen  waren,  der  freie 
Eintritt  dissonirender  Intervalle  und  manche  melodische  Folgen  als  übelklingend 

1  Vgl.  Schindler  II  81  und  die  dort  erwähnte  Kritik  des  Liederkreises. 


Ludwig  van  Beethoven  von  W.  J.  von  Wasielewski.  5Q7 


galten,  so  hört  eme  spätere  Generation  eben  anders,  und  gerade  Meister  wie 
Mozart  und  Beethoven  sind  berechtigt,  hier  das  Signal  zu  Umgestaltungen  zu 
geben.  Wir  fürchten,  das  Wort  Vokalsatz  gehört  in  diesem  Zusammenhange  zu 
den  Worten,  die  zur  rechten  Zeit  sich  einstellen,  wo  der  klare  Begriff  fehlt.  Wenn 
Beethoven  in  seinen  letzten  Sonaten,  wie  man  zugeben  kann,  die  Wirkung  des 
Klanges  nicht  immer  richtig  taxirte  (II,  S.  269),  wenn  er  für  das  Violoncell  Fassagen 
schrieb,  welche  der  bewährte  Spieler  als  nicht  in  der  Hand  liegend  bezeichnete 
(»muß  liegen«  antwortet  Beethoven,  Thayer  II,  S.  53),  so  liegt  die  Erklärung  nach 
dem  oben  Erwähnten  nicht  fem;  wer  aber  wird  nun  sagen,  er  habe  den  Klavier- 
satz, den  Yioloncellsatz  nicht  gekannt? 

Was  Wasielewski  sagt,  ist  übrigens  auch  so  ganz  neu  nicht;  Marx  hat  es 
bereits  in  ganz  entsprechender  Weise  gesagt,  nur  mit  anderem  Hintergrunde;  er 
kam  nicht  auf  den  Gedanken,  ein  Unvermögen  des  Meisters  anzunehmen,  sondern 
Willen  und  besondere  Richtung,  die  sich  während  seines  Schaffens  und  zugleich 
unter  dem  Einflüsse  seiner  Taubheit  entwickelt  hatte,  und  damit  stehen  wir  auf 
einem  ganz  anderen  Standpunkte,  dem  wir  auch  für  gewisse  Perioden  die  Berech- 
tigung nicht  absprechen  wollen,  wenn  nur  auch  hier  nicht  Kuweit  gegangen  wird. 
Andere  Gesichtspunkte,  welche  gewisse  Abnormitäten  in  den  beiden  letzten  großen 
Werken  erklären,  mag  man  bei  Schindler  nachlesen.  Wir  wollen  in  diesem  Zu- 
sammenhange nur  noch  eines  größeren  Werkes  erwähnen,  welches  bei  Wasielewski 
nur  mit  kurzer  biographischer  Erwähnung  (II,  S.  176)  und  ohne  jede  nähere  Be- 
sprechung abgethan  wird:  der  Kantate  »der  glorreiche  Augenblick«  mit  ihren 
kräftigen  und  vollklingenden  —  wir  meinen  auch  geschickt  gesetzten  —  Chören. 
Mag  auch  dieses  Werk  in  der  Schätzung  Wasielewski's  und  anderer  minder  hoch 
stehen ;  jedenfalls  bezeugt  gerade  diese  schnell  konzipirte  und  ausgeführte  Arbeit, 
daß  Beethoven  auch  auf  dem  vokalen  Gebiete  die  Mittel  seiner  Kunst  völlig  be- 
herrschte. Übrigens  bedauert  Wasielewski  selbst  (II,  187),  daß  die  Absicht  Beet- 
hoven's,  ein  Oratorium  zu  schreiben,  nicht  zur  Ausführung  kam ;  »denn  was  Beet-^ 
hoven  auf  der  Höhe  seines  Schaffens  im  Oratorium  hätte  leisten  können,  zeigt 
die  zweite  seiner  Messen*.  Dann  ist  also  manches,  was  er  über  sein  »spezifisches« 
Talent  sagt,  nicht  so  tragisch  zu  nehmen* 

Mag  also  Einfluß  des  Gehörleidens,  zeitweilige  ausschließliche  Hingabe  an 
die  instrumentale  Komposition,  vielleicht  auch  Willkür  und  Rücksichtslosigkeit 
einzelne  auffallende  Erscheinungen  späterer  Werke,  und  nicht  blos  vokaler, 
erklären  — :  daß  aber  aus  der  Anlage,  der  Natur  und  der  technischen  Ausbildung 
unseres  Meisters  eine  Beschränkung  bezüglich  des  vokalen  Gebietes  hergeleitet 
werden  soll,  dagegen  muß,  glauben  wir,  im  Interesse  einer  gerechten  Würdigung 
Beethoven' s  Verwahrung  eingelegt  werden. 

Gut  ist  übrigens,  was  II,  S.  268  fg.  über  den  Einfluß  der  Taubheit  Beethoven's 
auf  sein  späteres  Schaffen  gesagt  wird.  Daß  hierdurch  das  innere  Gestalten  nicht 
beeinträchtigt,  sondern  eher  vertieft  war,  hatten  auch  andere  (Thayer)  hervorge- 
hoben; daß  aber  Beethoven  in  besseren  Zeiten  nach  dem  Hören  seiner  Werke 
noch  manches  korrigirte,  und  hierzu  später  nicht  mehr  im  Stande  war,  hebt 
unsers  Erinnems  Wasielewski  zum  erstenmal  hervor. 

Über  das  einzelne  möchten  wir  nun,  da  wir  bisher  ziemlich  ausführlich  waren, 
uns  kurz  fassen.  Wasielewski  fühlt  die  Schwierigkeit,  die  Musik  zu  erklären  und 
auszulegen,  versucht  dies,  wie  er  sagt,  auf  seine  Weise,  will  sich  aber  mehren- 
theils  »auf  gleichnißartige  Andeutungen«  beschränken.  Vorzugsweise  geht  er  dem 
Stinmiungsgehalte  und  seiner  Entwicklung,  unter  Hinweisung  auf  die  Motive  und 
Abschnitte  der  Sätze,  nach,  und  weiß  hier,  am  meisten  bei  den  Symphonien,  die 
ihm  bis  ins  einzelnste  vertraut  sind,  vielfach  treffend  zu  schildern  und  anzuregen ; 
auch  wo  er  sich  kürzer  faßt,   liest  man  nicht  ungern,  was  der  gebildete  und  ver- 


508  Kritiken  und  Referate. 


ständnißbegabte  Musiker  unter  dem  Eindrucke  der  Werke  schreibt,  wenn  es  auch 
meist  auf  Erschöpfung  des  Gegenstandes  nicht  abgesehen  ist  Seine  Weise  unter- 
scheidet sich  hiemach  nicht  wesentlich  von  derjenigen  vieler  anderer,  die  über 
die  Werke  geschrieben  haben.  Man  sieht  sich  vorzugsweise  auf  eine  Vergleichung 
mit  Marx  hingewiesen,  der  ja  schon  vor  vielen  Jahren  einen  ganE  ähnlichen  Plan 
verfolg^.  Dem  Wortschwall  und  den  Phantastereien  Marx'  geht  der  Verfasser 
aus  dem  Wege,  es  ist  bei  ihm  alles  einfacher,  verstandesmSßiger  entwickelt;  eine 
eigentliche  innere  Verschiedenheit  der  Art,  Musik  zu  deuten,  tritt  eigentUeh  nicht 
hervor,  und  einen  Fortschritt  gegenüber  Marx  vermögen  wir,  abgesehen  von  einer 
größeren  Ruhe  der  Beobachtung  und  Darstellung,  nicht  zu  erkennen.  Wenn  er, 
wie  z.  B.  in  der  Eroica,  künstliche,  gedankliche  Deutungen  bei  Marx  abweist 
und  sich  an  das  Musikstück  halten  wül,  so  ist  das  richtig  und  gut;  aber  deutet 
er  nicht  auch  selbst  in  anderer  Weise,  z.  B.  bei  der  Chorphantasie  (11,  S.  49. 
und  sonst?  thun  es  nicht  auch  andere  musikalische  Leute,  wie  z.  B.  R.  Schumann 
(vgl.  Oes.  W.  I,  S.  200)  ?  und  sind  Wasielewski's  Deutxmgsversuche  nicht  eben£üls 
zuweilen  sehr  bedenklich?  So  erinnert  ihn  z.  B.  der  Mittelsatz  des  O  dur-Konserts 
an  den  bösen  Geist  und  Gretohen  in  Göthe's  Domscene  (II,  S.  35).  Dann  wire 
es  doch  wunderlich,  daß  Beethoven  den  bösen  Geist  unterliegen  und  die  Klaire 
die  Oberhand  behalten  läBt.  Man  braucht  nur  nicht  die  eigene  Deutung  als  die 
allein  richtige  hinzustellen,  wie  ja  auch  Wasielewski  einsieht,  sondern  nur  als 
einen  Beweis  der  eindringliehen  Wirkung,  die  man  empfangen;  und  so  entfernt 
sich  auch  Marx,  der  wieder  seinerseits  phantasielose  Kritiker  zu  bek&mpfen  hatte, 
nicht  von  dem  Boden  des  Musikalisch-Gegebenen;  die  Begeisterung,  mit  der  er 
das  Beethoven'sche  Schaffen  begleitet,  thut  noch  heute  wohl,  und  die  Versenkung 
in  das  einzelne  läßt  seine  Analysen  immer  beachtenswerth  erscheinen.  Wenn 
Wasielewski  mit  Recht  vor  allem  das  Musikstück  als  solches  verstehen  lassen  will, 
so  hätten  wir  gewünscht,  daß  er  wenigstens  an  einer  Stelle  einmal  eine  genaue, 
die  einzelnen  Elemente  aufzeigende  und  ihre  Entwicklung  verfolgende  technische 
Analyse  gegeben  hätte,  aus  welcher  sich,  wenn  sie  richtig  ist,  der  innere  poetische 
Gehalt  ergeben  müßte.  Zu  einer  solchen  setzt  er  bei  der  Eroica  an  und  spricht 
über  diesdbe  auch  recht  gut,  aber  es  hätte  da  noch  viel  mehr  gegeben  werden 
können ;  daß  eine  ausführliche,  mit  Notenbeispielen  verbundene  Beschreibung  doch 
dem  musikalischen  Leser  eine  Art  Anschauung  und  ein  nützliches  Beispiel  geben 
könne,  zeigen  manche  andere  Versuche.  So  konnte  z.  B.  die  Durchführungspaitie 
des  ersten  Satzes,  die  Coda  desselben,  die  Entwickelung  des  letzen  Satzes  noch 
mehr  in  ihre  Elemente  verfolgt  werden;  schon  im  Anfange  hätte  erwähnt  werden 
können,  daß  die  synkopirte  Bewegung,  welche  den  Durchführungssatz  beherrscht, 
schon  gleich  nach  dem  Hauptthema  als  gestaltendes  Element  angedeutet  ist.  In- 
dessen ist  auch  das  Gegebene  dankenswerth ,  und  so  wird  auch  über  die  übrigen 
Symphonien  hübsch  und  belehrend  gesprochen.  Meist  ist  er  kürzer  und  unter- 
läßt es,  in  die  Tiefe  zu  gehen  und  nicht  nur  Beethoven's  eigenes  Fortschreiten, 
sondern  auch  das  Individuelle  seiner  Kunst  gegenüber  seinen  Vorgängern  im  ein- 
zelnen nachzuweisen,  was  der  heutige  Beethoven-Biograph  vor  allem  zu  erstreben 
hat  und  was  mit  Hinweisung  auf  einzelne  schöne  Stellen  doch  nicht  abgethan  ist. 
Auch  hat  er  bei  allem  Streben  nach  sachlichem  Inhalt  die  Phrase  —  wie  nahe 
liegt  die  Gefahr  beim  Sprechen  über  Musik!  —  nicht  ganz  vermieden:  gewisse 
beliebte  Ausdrücke,  wie  »spirituell«,  »inspirirt«,  »temperamentvoll«,  »schillernder 
Reiz«,  u.  dgL  sagen  doch  dem,  der  nach  innerem  Verständnisse  verlangt^  nicht 
viel.  Auch  im  einzelnen  weichen  wir  mehrfach  ab.  So  soll  z.  B.  das  Trio  Op.  11 
tiefer  stehen,  wie  die  Op.  1 ;  an  Präcision  der  Behandlung  und  Neuheit  der  Mo- 
tive bezeichnet  es  unseres  Erachtens  einen  Fortschritt.  Daß  die  Sonate  Op.  24 
noch  »wenig  echt  Beethoven'sches«  enthalte,  hätte  doch  eines  genaueren  Nachweises 


Ludwig  van  Beethoven  von  W.  J.  von  Wasielewski.  b09 


bedurft;  daß  die  Sonaten  Op.  14  tiefer  Btehen  wie  die  Fathetiqtte,  vermögen  wir 
nicht  zuzugehen.  In  der  F  moll-Sonate  Op.  2  offenbare  sich,  sagt  er,  etwas  von 
Beethoven's  Gefühlsleben,  auch  in  der  in  Cdur  spiele  sich  »wie  so  oft«  ein  psy- 
chologischer Prozeß  ab.  Das  ist  aber  doch  wohl  immer  bei  Beethoven  der 
Fall.  Um  so  auffallender,  daß  er  die,  wie  wir  meinen  besonders  stimmungsvolle 
8onate  in  Adur  (Op.  2,  2)  nicht  in  so  glücklicher  Stunde  empfangen  glaubt,  in 
deren  Mittelsatz  die  tiefe  Gefühlswärme  des  Jünglings,  der  hier  schon  merklich 
über  seine  Vorgänger  sich  erhebt,  besonders  schön  zum  Ausdruck  konmit.  Viel- 
leicht wäre  gerade  bei  dieser  Sonate  auch  die  charakteristische  Art  der  Klavier- 
behandlung hervorzuheben  gewesen.  Das  Arrangement  des  Trios  Op.  3  zu  einer 
Violoncellsonate  (I,  S.  99)  ist  doch  wohl  nicht  von  Beethoven.  Bei  dem  Quintett 
Op,  16,  dessen  Konzeption  unter  Mozarfscher  Anregung  erfolgte,  wird  im  Auf- 
suchen Mozart'scher  Anklänge  in  den  Motiven  sicher  zu  weit  gegangen;  daß  das 
Quintett  Op.  29  dem  Mozart'sehen  C  dur-Quintett  den  Impuls  verdanke,  ist  uns  zwei- 
felhaft. Die  Streichtrios,  die  Quartette  kommen  gleich  den  Symphonien  zu  richtiger 
Würdigung;  besondere  Vorliebe  hat  er  für  die  Serenade  Op.  8.  Daß  es  unbe- 
kannt sei,  wie  weit  Beethoven  an  dem  Arrangement  der  Flötenserenade  Op.  25  zu 
einer  Sonate  (Op.  41)  betheiligt  war,  sagt  er  I,  S.  129;  der  Brief  an  Hoffmeister 
(Thayer  II,  S.  238)  konnte  ihn  aufklären.  Die  elementare  Gestaltung  der  Haupt- 
motive wird  als  spezifisch  Beethoven'sch  richtig  hervorgehoben;  daß  im  Adagio 
der  2.  Symphonie  Beethoven  das  Orchester  zum  erstenmal e  zum  Ausdrucke 
einer  poetisch  vertieften  Stimmung  benutzt  habe,  kann  nicht  zugegeben  werden, 
wenn  man  an  die  Konzerte  und  die  1.  Symphonie  denkt.  Die  Besprechung  des 
Fidelio  wird  man,  nachdem  hierüber  schon  so  manches  gesagt  ist,  nicht  ohne 
Erwartung  zur  Hand  nehmen.  Das  Historische  wird  wieder  einfach  nach  den  ge- 
druckten Quellen  gegeben,  das  Musikalische  wird  in  der  auch  bisher  geübten 
IfVeise,  im  Anschlüsse  an  den  Text,  in  warmer  und  gehobener  Weise  behandelt; 
über  die  musikalische  Zeichnung  der  Charaktere  und  den  Aufbau  der  Sätze  und 
Scenen  hätte  man  noch  eingehenderen  Aufschluß  erwartet.  Sehr  kurz  wird  nament- 
lich das  2.  Finale  abgethan,  auch  die  Gliederung  des  1.  bedürfte  mehr  Anschau- 
lichkeit, und  die  musikalischen  Mittel,  welche  den  Höhepunkt  der  Handlung  im 
Gefängniß  bezeichnen,  konnten  technisch  genauer  aufgezeigt  werden,  während  das 
tief  rührende  Terzett  leider  nicht  zu  voller  Würdigung  kommt.  Übrigens  rechnet 
er  die  Kerkerscene  »zu  dem  Höchsten,  was  musikalisch-dramatische  Kunst  aufzu- 
weisen hat«,  was  sicher  richtig  ist ;  nur  mag  der  Verfasser  zusehen,  wie  sich  sowohl 
dieses  Lob,  wie  das  den  Gefangenen-Chören  ertheilte  mit  seinen  anderweitigen 
Ausstellungen  verträgt  Bei  Erwähnung  des  von  Beethoven  anfänglich  beabsichtigten 
Namens  (•  Eleonore «  sagt  er  unrichtig  I,  S.  266)  hätte  er  wohl  O.  Jahn  citiren 
können,  dessen  Ergebniß  er  sich  aneignet;  und  wenn  er  die  Oper  »wie  sie  ge- 
druckt vorliegt«  beschreiben  will  und  wegen  der  Umgestaltungen  sich  auf  Notte- 
bohm  bezieht,  scheint  ihm  unbekannt  geblieben  zu  sein,  daß  sie  in  ihrer  früheren 
(2.)  Gestalt  von  O.  Jahn  mit  kritischer  Vorrede  herausgegeben  war.  Daß  auch 
im  Allegro  der  Leonoren-Ouvertüre  das  Florestan-Motiv  anklingt,  ist  schon  früher 
bemerkt,  von  dem  Verfasser  aber  nicht  erwähnt  worden.  Warum  er  die  Einlei- 
tung der  Leonoren-Ouvertüre,  die  zu  mancherlei  Deutung  einlädt,  unerwähnt 
läßt,  ist  nicht  ersichtlich. 

In  diesem  Zusammenhange  hätte  Wasielewski,  wenn  er  doch  einmal  gruppiren 
wollte,  die  beiden  Festspiele  König  Stephan  und  die  Ruinen  von  Athen 
besprechen  sollen,  welche  er  unter  den  »cyklischen  Orohesterkompositionen«  (U, 
S.  80  fg.)  unterbringt.  Wenn  auch  von  Dramatik  hier  nicht  viel  die  Rede  ist,  so 
bieten  sie  doch  für  des  Meisters  Geschick,  den  Bühnenerfordemissen  gemäß  zu 
schreiben,  sehr  bemerkenswerthe  Zeugnisse  und  lehren  uns  den  Meister  von  ganz 


510  Kritiken  und  Referate. 


besonderen,  nirgendwo  anders  wieder  bemerkten  Seiten  kennen.  Wasielewski  hat 
sie  vielleicht  nicht  genauer  geprüft»  jedenfalls  nicht  gebührend  geschätzt;  was 
Marx  Über  dieselben  sagt,  ist  weit  besser  und  treffender.  Auch  was  er  über  die 
Klärchenlieder  im  Egmont  sagt,  dürfte  allgemeine  Zustimmung  nicht  finden.  Beet- 
hoven's  Unschlüssigkeit,  neue  Bühnenwerke  in  Angriff  su  nehmen,  hat  so  genügend 
aufgeklärte  biographische  Veranlassungen,  daß  wir  eine  »ascetische  Auffassung 
von  den  Aufgaben  der  Bühne«  (I,  S.  292)  nicht  zu  Hülfe  zu  nehmen  haben;  den 
Macbeth,  die  Melusine  zu  komponiren,  haben  ihn  innere  Bedenken  nicht  gehindert. 
Über  die  sonstigen  Werke  und  Wasielewski's  Beurtheilung  führen  wir  in 
der  Kürze  noch  an,  was  uns  beim  Lesen  aufgestoßen  ist.  Die  Sonate  Op.  54, 
die  er  nicht  hoch  stellt,  möchte  er  dem  Jahre  1802  zuweisen  (I,  S.  346] ;  es  sind 
ihm  Nottebohm's  Bemerkungen  entgangen  (II.  Beeth.  S.  416;,  nach  welchen  Beet- 
hoven noch  1804  daran  arbeitete.  In  der  Auffassung  des  2.  Satzes  im  FmoU- 
Quartett,  in  der  Beurtheilung  des  Trios  Op.  70,  2  stimmen  wir  mit  dem  Verfasser 
nicht  überein;  auch  die  Sonaten  Op.  102  hätten  wohl  etwas  liebevollere  Behand- 
lung verdient.  Daß  die  Sonate  Op.  90  »verhältnißmäßig  ruhig«  beginne  I,  S.  374} 
ist  uns  so  auffallend,  daß  wir  fast  an  eine  Verwechslung  denken  könnten :  kaum 
irgendwo  wird  die  innere  Unruhe  schon  in  den  ersten  Takten  so  «daguerrotTpartig^ 
(wie  sich  der  Verfasser  anderswo  einmal  ausdrückt)  gezeichnet.  Daß  die  Lieder 
nach  unserer  Ansicht  nicht  durchweg  zu  ihrem  Kechte  kommen,  hängt  mit  der 
allgemeinen  Anschauung  des  Verfassers  von  Beethoven's  Verhältniß  zur  Singkom- 
position zusammen ;  wir  wünschen  ihm,  daß  er  sie,  z.  B.  die  Göthe'schen,  oder 
das  Gellert'sche  Bußlied,  oder  Ah  perßdo  u.  s.  w.  recht  oft  und  recht  gut  hören 
möge,  und  freuen  uns,  daß  er  dem  Liederkreise  an  die  ferne  Geliebte  auch  eine 
befruchtende  Wirkung  für  spätere  ähnliche  Gebilde  zuschreibt,  wie  ja  auch  Hin- 
richs  in  dem  Aufsatze,  den  wir  ihm  und  anderen  wiederholt  empfehlen,  in  dem- 
selben eine  neue  Zeit  eröffiiet  sieht.  Daß  er  den  schönen  elegischen  Gesang  ohne 
weitere  Besprechung  nur  erwähnt,  haben  wir  bedauert  Dem  absprechenden  Ur- 
theile  über  die  Cdur-Messe  können  wir,  wenn  wir  an  die  mittlere  Partie  des 
Gloria  und  an  das  Benedictus  denken,  unter  keinen  Umständen  beipflichten.  Über 
die  Trauerkantate  haben  wir  uns  schon  geäußert;  hier  kam  es  nicht  nur  auf  ob- 
jektive Kritik  an,  hier  mußte  aufgezeigt  werden,  wie  sich  in  so  früher  Zeit  Beet- 
hoven's erfinderische  Kraft  zeigte,  wohin  ihn  Talent  und  Neigung  führten,  welche 
seine  Muster  waren  u.  s.  w.  Jahn  hat  bei  Besprechung  der  Mozart'schen  Werke 
Muster  gegeben,  wie  diese  als  Glieder  einer  Entwicklung  zu  behandeln  sind  xmd 
in  ihnen  das  jugendlich  Unfertige  wie  das  Konventionelle  von  dem  zu  scheiden 
ist,  was  auf  den  späteren  Meister  hinweist.  Daß  ein  so  früh  und  vor  vollendeten 
Studien  geschriebenes  Werk  Mängel  habe,  ist  ja  selbstverständlich.  Der  großen 
Messe  wird  er  durchaus  gerecht;  er  wird  selbst  empfunden  haben,  wie  schwer  es 
dem  Worte  ist,  diesem  höchsten  Erzeugnisse  ergreifender  Tonsprache  zu  nahen. 
Namentlich  hätten  wir  das  Benedictus  gern  noch  etwas  eingehender  behandelt  ge- 
sehen. Daß  die  späteren  Symphonien  mit  gutem  Verständniß  behandelt  sind,  wurde 
schon  gesagt;  der  enge  Baum,  den  sich  der  Verfasser  gesteckt  hat,  wird  ihn  ver- 
hindert haben,  tiefer  ins  Einzelne  zu  gehen.  Die  Bezeichnung  des  Stimmungs- 
gehalts ist  durchweg  glücklich ,'  den  »dämonischen«  Zug  können  wir  aber  im  letzten 
Satz  der  8.  Symphonie  nicht  finden,  wenn  damit  nicht  etwa  die  höchste  Steigerung 
übermüthigen  Humors  bezeichnet  sein  soll.  Daß  bei  der  Pastorals}nmphonie  auf 
das  für  die  ästhetische  Beurtheilung  wichtige  Wort  Beethoven's:  »mehr  Ausdruck 
der  Empfindung  als  Malerei«  nicht  hingewiesen  wird,  fällt  auf;  dasselbe  hätte  von 
der  Äußerung  abhalten  dürfen,  Beethoven  habe  hier  das  Gebiet  der  Programm- 
musik beschritten.  Die  Besprechung  der  9.  Symphonie  ist,  von  dem  einen  früher 
berührten  Punkte  abgesehen,  treffend,  aber  durchaus  nicht  eine  eingehende  Ana- 


Ludwig  Tan  Beethoven  von  W.  J.  von  Wasielewski.  bl\ 


lyse,  die  man  hier  wohl  gewünscht  hätten  das  Werk  wird  vielmehr  im  Vergleich 
zu  seiner  Bedeutung  für  Beethoven's  Kunst  ziemlich  kurz  behandelt.  Vielleicht 
hätte  auf  O.  Jahn's  schöne  Worte  über  dasselbe  hingewiesen  werden  können.  Daß 
in  den  späteren  Klaviersonaten  sich  öfter  reflektirte  Arbeit  finde,  ist  richtig; 
manchen  anderen  Ausstellungeti  stimmen  wir  nicht  bei ;  den  Variationen  in  Op.  1 1 1 
z.  B.  hätte  er  wohl  gerechter  werden  dürfen.  Den  Walzer- Variationen  Op.  120 
scheint  er,  wie  auch  einem  Theile  der  übrigen  Klaviermusik,  etwas  fremd  geblieben 
zu  sein;  auch  das  Rondo  Op.  129  wird  nur  in  einer  Anmerkung  erwähnt;  es  hätte 
wenigstens  auf  B.  Schumann's  hübsche  Worte  (Werke  I,  S.  171)  Bezug  genommen 
werden  können.  Über  die  letzten  Quartette,  die  schon  früher  Gegenstand  aus- 
führlicher  Analysen  gewesen  sind,  hätte  man  gern  Eingehenderes  gelesen;  die 
beiden  herrlichsten  Erzeugnisse  Beethoven'scher  Quartettmusik,  das  Amoll-  und 
CismoU-Quartett,  sieht  man  durch  die  kurze  Darlegung  des  Empfindungsgehalts, 
bei  denen  die  Unzulänglichkeit  des  Wortes  recht  fühlbar  wird,  ungern  abgethan. 
Der  langsame  Satz  des  Fdur-Quartetts  Op.  135  wird  nicht  genug  gewürdigt;  er  ist 
jenen  beiden  vollkommen  ebenbürtig.  — 

Ein  besonderer  Abschnitt  behandelt  Beethoven  als  Klavierspieler  und  Diri> 
genten  —  vielleicht  hätte  auch  Beethoven  als  Lehrer  noch  einige  besondere  Betrach- 
tungen verdient,  so  untergeordnet  auch  diese  Thätigkeit  in  seinem  Leben  war. 
Über  sein  Klavierspiel  werden  die  gedruckten  Zeugnisse  zusammengestellt  —  daß 
Mozart  von  seinem  Klavierspiel  »keine  hohe  Meinung«  gehabt  habe  (II,  S.  2) ,  geht 
aus  der  bekannten  Erzählung  nicht  hervor  —  und  das  Resultat  gezogen,  daß 
Beethoven  das  Klavier  in  außerordentlicher  Weise  behandelte,  in  der  Improvisation 
unerreicht,  aber  doch  kein  eigentlicher  Klaviervirtuose  war,  daß  ihm  die  höchste 
Vollendung,  gleichmäßige  Sicherheit  in  Beherrschung  »verfänglicher  Schwierig- 
keiten« gefehlt  habe.  Da  Wasielewski  bei  den  einzelnen  Werken  auf  Nottebohm's 
Untersuchungen  häufig  Bezug  nimmt,  darf  man  sich  wundem,  daß  er  den  Ab- 
schnitt der  2.  Beethoveniana  »Klavierspiel«  (S.  356)  nicht  erwähnt,  in  welchem 
Czemy's  Urtheil  etwas  ausführlicher  angegeben  wird  und  Beethoven's  Bemühungen 
um  die  Klaviertechnik  eine  interessante  Beleuchtung  erfahren.  Wollte  er  ja  doch 
nach  Schindler  sogar  eine  Klavierschule  schreiben.  Die  Nachrichten  über  Beet- 
hoven als  Dirigenten  werden  in  zweckmäßiger  Weise  zusammengestellt. 

Wenn  Wasielewski  sein  Buch  für  den  weiteren  Kreis  der  Musikalisch-Ge- 
bildeten bestimmte,  so  hat  er  diesen  doch  die  Gewinnung  eines  anschaulichen 
Lebensbildes  durch  sein  Verfahren,  wie  wir  sahen,  erheblich  erschwert;  der  musi- 
kalische Theil  wird  den  Wünschen  derselben  eher  entgegenkommen,  da  jeder  über 
die  oft  gehörten  und  vertrauten  Werke  gern  die  Äußerungen  eines  musikalisch 
durchgebildeten  und  erfahrenen  Mannes  vernimmt,  und  der  gewöhnliche  Leser  sich 
auch  mit  der  Besprechung  des  einzelnen  gern  genügen  läßt  und  auf  die  für  den 
Musiker  interessantere,  freilich  auch  schwierigere  Aufgabe,  ein  deutliches  Bild  des 
Wachsthumg  und  der  Entwickelungsphasen  zu  erhalten,  eher  verzichtet.  Die 
Mahnung,  das  Buch  mit  eigenem  Urtheil  und  auch  unter  Zuziehung  anderer  Hülfs- 
mittel  zu  lesen,  dürfte  nach  allem  Obigen  an  der  Stelle  sein,  zumal  bei  dem 
Versuche,  der  Musik  mit  Worten  zu  nahen,  der  Subjektivität  ein  so  weiter  Spiel- 
raum bleibt.  Erinnert  man  sich  der  früheren  Biographie  Schumann's  von  dem- 
selben Verfasser,  so  thut  die  Wärme  und  Begeisterung  wohl,  die  er  in  seinem 
Beethoven  allenthalben  für  den  Meister  an  den  Tag  legt.  Der  Wunsch  aber  sei 
zum  Schlüsse  noch  ausgesprochen,  daß  Wasielewski  zu  den,  die  musikhistorische 
Wissenschaft  bereichernden  Untersuchungen  zurückkehren  möge,  die  er  glücklich 
und  vielversprechend  begonnen  hatte. 

Coblenz.  Hermann  Deiters. 


512  Kritiken  und  Referate. 


Dr.  Theodor  Fr tmmelj  Neue  Beethoveniana.  Wien.  Gerold  1888. 
8.     Vin  und  334  Seiten. 

Mit  der  Besprechung  des  neuen  Buches  von  Frimmel,  welches  in  höchst  ele- 
ganter Ausstattung  anmuthend  uns  entgegentritt,  befinden  wir  uns  auf  anderem 
Boden.  Frimmel  hat  (außer  kleineren  Joumalbeiträgen)  bereits  1883  eine  Stadie 
»BeetboTcn  und  Oöthe«  veröffentlicht,  in  welcher  er  auf  dem  Grunde  genauer  Kennt- 
niß  sowohl  Beethoven's  wie  der  sonst  einschlagenden  Litteratur,  nach  streng  wissen- 
schaftlicher Methode  und  mit  besonnen  abwägendem  Urtheil  ein  Resultat  gewinnt, 
welches  eine  Anfechtung  nicht  erfahren  dürfte.  In  gleicher  Weise,  nur  in  größerem 
Umfange  bewährt  er  sich  jetzt  wiederum  als  thätigen  Mitforscher  über  Beethov^i, 
den  Künstler  und  Menschen.  Von  einselnen  Punkten  ausgehend  strebt  er  die 
Kenntniß  zu  fördern  und  giebt  den  von  ihm  herbeigeschafften  Bausteinen,  Notte- 
bohm  folgend,  die  Bezeichnung  »neue  BeethoTeniana«;  er  darf  mit  Zuversicht  er- 
warten, daß  dieselben  gleich  denen  seines  Vorgängers  als  Stützen  und  Schmuek 
dem  Bau  eingefügt  werden.  Der  Referent  hat  hier  weniger  die  Aufgabe,  Kritik  in 
üben,  als  vielmehr  über  das,  was  uns  Neues  geboten  wird,  Bericht  zu  erstatten. 

Von  den  5  Abschnitten  des  Buches  enthalten  zwei  ausgeführte  Untersuchungen, 
die  drei  übrigen  biographische  Mittheilungen.  Von  jenen  behandelt  die  erste,  welche 
zugleich  den  Band  eröffnet,  »Beethoven  als  Klavierspieler«.  Der  Verfasser  verhehlt 
sich  nicht  die  Schwierigkeit,  einem  Gegenstande  nahe  zu  kommen,  der  nur  dureh 
unmittelbare  Anschauung,  welche  niemandem  mehr  zu  Gebote  steht,  vollständig 
beurtheilt  werden  kann.  Was  uns  hier  unwiederbringlich  fehlt,  ersetzt  er  durch 
gewissenhafte,  liebevoll  eingehende  Zusammenstellung  der  mittelbaren  Quellen: 
der  vorhandenen  Nachrichten  der  Zeitgenossen,  der  Mittheilungen  über  Beethoven's 
Bildung  und  seine  Muster,  über  die  in  jener  Zeit  gebräuchlichen  Instrumente,  and 
namentlich  auch  durch  die  Bezugnahme  auf  den  Charakter  des  Meisters  und  seiner 
Musik.  Von  den  frühesten  Nachrichten  über  seinen  Unterricht  geht  er  aus ;  hier  möchten 
wir  ihm  gegenüber  (S.  6)  den  kleinen  Beethoven  doch  auch  als  Wunderkind  betrachtet 
wissen;  schwerlich  würde  er  sonst  bei  ungenügendem  Unterricht  in  Ausübung  und 
Produktion  so  rasch  fortgeschritten  sein.  Im  Anschluß  an  die  Nachrichten  über  den 
frühesten  Unterricht  namentlich  bei  Neefe  giebt  der  Verfasser  einen  Auszug  der 
bezüglichen  Stellen  aus  Ph.  E.  Bach's  Versuch  und  gewinnt  dadurch  eine  feste 
Grundlage  für  Beethoven's  Erziehung  zum  Klavierspieler,  welche  dann  weiter  durch 
Nachrichten  Czerny's  u.  a.,  durch  Hinweisung  auf  den  Einfluß  des  Orgelspiels  er- 
gänzt und  durch  Mittheilungen  seitens  seiner  Jugendgenossen  erläutert  wird;  die 
ersten  Kompositionen,  die  Beschaffenheit  der  Klaviere  (Clavichord)  vollenden  dss 
Bild,  und  wir  gelangen  zu  dem  Resultate,  daß  Beethoven  als  Klavierspieler  im 
wesentlichen  fertig  von  Bonn  nach  Wien  kam,  daß  er  aber  schon  damals  die 
fertige  glatte  Technik  dem  gesangvoUen  Spiel  und  dem  Ausdrucke  des  Innern 
unterordnete.  Die  große  Bewunderung,  die  er  in  Wien  wegen  seines  alle  über^ 
ragenden  Spieles,  namentlich  wegen  seines  Improvisirens  allenthalben  fand,  wird 
unter  sorgfältiger  Zusammenstellung  der  Nachrichten  geschildert :  wir  sehen  wie  er 
noch  weiter  an  der  Vervollkommung  desselben  arbeitet,  wie  man  freilich  schon  da* 
mals  mangelnde  Akkuratesse  und  Deutlichkeit  neben  der  Kraft  und  dem  Feuer  des 
Spiels  hervorhebt.  Das  Gehörleiden  begijint  gerade  hier  seinen  Einfluß  zu  üben; 
verstärkter  Gebrauch  des  Pedals,  auch  sonst  Willkür  und  Laune  beginnen  den 
Eindruck  seines  Vortrags  zu  beeinträchtigen.  Bis  1802  setzt  Frimmel  die  Blüthe- 
zeit  von  Beethoven's  Klavierspiel;  von  1805  ab  glaubt  er  den  Rückgang  ansetzen 
zu  müssen ;  ein  erst  seit  kurzem  bekannter  Brief  J.  Pleyers  aus  diesem  Jahr  erkennt 
die  Kühnheit  des  Spiels,  welches  keine  Schwierigkeiten  kenne,  an,  ebenso  die 
Größe  in  der  freien  Phantasie,  tadelt  aber  mangelnde  Sauberkeit  und  will  Beethoven 


Neue  Beethoveniana  von  Dr.  Theodor  Frimmel.  513 


nicht  einmal  als  eigentlichen  Pianisten  gelten  lassen.  Dies  war  jedenfalls  einseitig 
und  übertrieben;  aber  wie  Beethoven  selbst  1814  schreibt,  daß  er  das  Klavierspiel 
Yemachlässigt  habe,  so  stimmen  auch  alle  Berichte  darin  überein,  daß  er  zwar  im 
ausdrucksvollen  Vortrage  und  in  der  freien  Phantasie  noch  immer  bewunderungs- 
irürdig  war,  die  technische  Sicherheit  aber  mehr  und  mehr  sehwand  und  über- 
mäßige Kraftanwendung  die  Wirkung  seines  Spiels  in  Frage  stellte ,  so  daß 
dasselbe  in  seinen  letzten  Jahren  einen  Genuß  nicht  mehr  bot.  In  diesem  Sinne 
zieht  der  Verfasser  zum  Schlüsse  das  Resultat  seiner  verdienstlichen  Untersuch- 
ung  und  macht  dabei  nochmals  auf  das  Individuelle  in  Beethoven's  Spiel,  der 
nie  eines  einzigen  großen  Meisters  Schüler  gewesen,  und  auf  die  schallkräftige 
Wirkung  desselben,  durch  die  er  (wie  an  einer  anderen  Stelle  bemerkt)  auch  auf 
den  Klavierbau  Einfluß  gewann,  aufmerksam.  — 

Die  drei  folgenden  Beiträge  sind  biographischer  Natur.  Der  erste  enthält 
eine  neue  Sammlung  (49)  von  Briefen,  von  denen  einige  (6)  bisher  unge- 
druckt, die  übrigen  zwar  in  den  letzten  Jahren  bereits  an  verschiedenen  Stellen, 
sum  Theil  vom  Verfasser  selbst,  veröffentlicht  waren,  aber  so  zerstreut  und  ver- 
einzelt, daß  sie  nur  mühsam  aufzufinden  und  zusammenzustellen  sind.  Dieselben 
werden  dann  mit  Hinweisung  auf  den  Besitzer  des  Originals,  den  früheren  Druck 
und  biographischen  Erläuterungen  versehen;  dem  Ganzen  gehen  einleitende  Worte 
voraus,  in  welchen  die  Bedeutung  der  Briefe  mit  verständigen  und  treffenden 
Worten  gewürdigt  wird.  Hier  wird  nicht  von  »cyklopischen  Felsblöcken«  geredet ; 
die  Schwächen  in  Beethoyen's  Briefen,  bei  denen  er  nie  an  eine  Veröffentlichung 
dachte,  werden  nicht  verschwiegen,  aber  die  Bedeutung,  welche  sie  für  die  Er- 
kenntniß  von  Beethoven's  Charakter  und  für  sein  Leben  haben,  richtig  bezeichnet. 
So  haben  wir  also  einen  nicht  nur  interessanten,  sondern  für  den  Beethoven- 
forscher unentbehrlichen  Beitrag  erhalten,  der  sich  durch  die  wissenschaftliche 
Methode  in  der  Herausgabe  und  Erläuterung  über  die  Nohl'schen  Briefsammlungen 
ejitschieden  erhebt.  Die  Übersicht  ist  dadurch  erleichtert,  daß  die  Briefe,  soweit 
irgend  Fingerzeige  sich  boten,  chronologisch  geordnet  sind;  der  erste  stammt  aas 
1794  und  ist  an  Sioarock  gerichtet,  der  letzte,  aus  Beethoven's  Todesjahr  1827,  an 
Zmeskall.  Bisher  ungedruckt  waren:  1}  ein  Brief  an  Zmeskall  aus  der  Zeit  bald 
nach  1795  (S.  71),  in  welchem  der  Freund  um  Vermittlung  wegen  eines  neuen  Werkes 
angegangen  wird,  von  welchem  Salieri  ein  Exemplar  erhalten  soll;  2)  ein  kurzer 
Zettel  an  Artaria  (S.  84),  worin  um  den  Klavierauszug  des  Fidelio  gebeten  wird; 
3)  ein  Brief  an  einen  unbekannten  Freund  (S.  85),  Widmungen  an  die  Kaiserin 
von  Bußland  betreffend,  aus  dem  Jahr  1814,  nur  fragmentarisch  erhalten;  4)  ein 
Brief  an  Giannatasio  del  Rio  aus  1816  (S.  97) ,  auf  die  Wirren  mit  der  Mutter 
des  Neffen  Karl  bezüglich;  5)  ein  kurzer  Brief  an  Hauschka  (S.  101),  vom  Ver- 
fasser vermuthungs weise  ebenfalls  ins  Jahr  1816  gesetzt,  die  Aufführung  eines 
Werkes  betreffend;  6)  ein  kurzer  Zettel  an  Zmeskall  mit  scherzhafter  Namens- 
Veränderung  (Frau  von  Seneskall) ,  auf  eine  SteUe  des  FmoU- Quartetts  Op.  95 
bezüglich.  In  letzterem  wird  auf  eine  nachträgliche  Änderung  einer  Violinfigur 
im  1.  Satze  [Nottebohm  2.  Beethov.  S.  279  Anm.)  hingewiesen,  welche  im  ersten 
Druck  in  der  von  Beethoven  verworfenen  Fassung  stehen  geblieben  war.  Der  3. 
obiger  Briefe  wirft  auf  Beethoven's  Gesinnungen  hohen  Personen  gegenüber  ein 
interessantes  Licht;  diejenigen,  welche  gern  sein  schroffes  Unabhängigkeitsgefühl 
in  solchen  Fällen  hervorzuheben  lieben,  werden  etwas  ernüchtert  sein  durch  seine 
Worte:  »sollte  Ir.  Majestät  mich  wünschen  spielen  zu  hören,  war  es  mir  die  höchste 
Ehr,  doch  muß  ich  voraus  um  Nachsicht  bitten,  da  ich  mich  seit  mehrer  Zeit  mehr 
l^los  der  Autorschaft  von  Schaffen  widmete«.  Es  versteht  sich  von  selbst,  daß  wir 
von  einem  Berichte  über  alles  einzelne  hier  absehen  müssen,  wir  müßten  eben  das 
Ganze  auch  in  diese  Anzeige  aufnehmen ;  fast  jeder  Brief  giebt  uns  irgend  einen 


514  Kritiken  und  Referate. 


bemerkenswerthen  Beitrag  zur  Renntniß  von  Beethoyen's  Charakter,  oder  semer 
persönlichen  Beziehungen  (Fleyel,  Bihler,  Zeltern,  a.),  seiner  äußeren  Verh&ltniate, 
seiner  Absichten;  kleine  Nebenumstände  bez.  seiner  Kompositionen  lernen  wir 
kennen ;  auch  kleine  Musikbeiträge  aus  dem  Nachlaß  der  Giannatasio  del  Ilio'schen 
Familie  erhalten  wir  (S.  100).  Die  unerquicklichen  Verhältnisse  wegen  Eraiehnng 
des  Neffen  erhalten  weitere  Erläuterung  in  Briefen  an  Bach  (S.  11 6  fg. j.  Die  Be- 
ziehungen zu  Schweden  y  wo  Beethoyen  zum  Ehrenmitglied  der  Akademie  der 
Künste  ernannt  worden  war,  gewinnen  durch  Mittheilung  des  französischen  Ori^inal- 
wortlauts  der  Briefe  an  die  Akademie  und  an  den  König  (S.  132;  besondere«  In- 
teresse; man  erinnert  sich  bei  letzterem  an  Beethoyen's  alte  Beziehungen  %xim 
General  Bemadotte,  die  er  ebenfalls  andeutet.  Mehrere  wichtige  Briefe  der  letzten 
Zeit,  in  denen  Hindeutungen  auf  neue  Werke  sich  finden,  waren  yon  Nottebohm 
bekannt  gemacht.  In  den  Erläuterungen,  namentlich  den  Versuchen,  die  Zeit  un- 
datirter  Briefe  zu  bestimmen,  übt  er  die  größte  Besonnenheit  des  Urtheils ;  nirgend- 
wo vage  Vermuthungen  oder  yoreiUge  Schlüsse;  überall  wird  das  Material  mit 
Sorgfalt  beigebracht  und,  wo  sich  das  Resultat  nicht  greifbar  ergiebt,  dem  Leser 
die  Gelegenheit  eigenes  Urtheil  zu  üben  überlassen.  Daher  findet  der  Kritiker 
kaum  Veranlassung  zu  Berichtigung  oder  Ergänzung.  Der  Brief  yom  16.  Sept.  1824, 
die  große  Messe  betreffend  (S.  141)  war  bereits  in  Nohl's  erster  Briefsammlung 
(S.  271)  veröffentlicht  und  hätte  nach  des  Verfassers  Plane  hier  wegbleiben  müssoi. 
Die  Bonner  Zeitang  veröffentlichte  am  9.  April  1877  ein  poetisches  Stammbuch- 
blatt  Beethoven's  an  Herrn  Vocke  in  Nürnberg  vom  22.  Mai  1793,  unterzeichnet: 
»Denken  Sie  auch  femer  zuweilen  ihres  Sie  verehrenden  Freundes  Ludwig  BeethoTen 
aus  Bonn  im  Kölnischen« ;  es  ist  uns  nicht  bekannt  geworden,  ob  dasselbe  ander- 
weitig berücksichtigt  worden  ist.  (Beethoven  war  1796  in  Nürnberg,  Thayer  II, 
S.  5).  Ein  Brief  Beethoven's  an  Kotzebue  vom  28.  Jan.  1812,  also  kurz  vor 
der  Aufführung  der  beiden  Kotzebue'schen  Festspiele  in  Pesth  geschrieben,  findet 
sich  in  W.  von  Kotzebue's  Schrift  über  A.  v.  Kotzebue  (Dresden  1881)  S.  15<L 
Die  »Signale«  brachten  1880,  No.  46  einen  Brief  (nebst  Quittung)  an  den  Grafen 
Oppersdorff  vom  3.  Febr.  1807  (Besitzer  M.  Bial  in  Breslau),  durch  welchen  Thayer^s 
Mittheilungen  (III,  S.  45.  516)  in  interessanter  Weise  erglänzt  werden;  es  steht 
danach  fest,  daß  ursprünglich  die  Gmoll- Symphonie  für  den  Grafen  Oppersdorff 
bestimmt  war,  wie  auch  Thayer  schon  angenommen  hatte.  Endlich  veröffentliehte 
die  Neue  Berliner  Musikzeitung  1886,  No.  19  einen  bisher  ungedruckten  Brief  an 
Mad.  Bigot.  Diese  Briefe,  die  dem  Fleiße  des  Herausgebers  entgangen  sind,  dürften 
in  einer  neuen  Auflage,  die  wir  dem  Buche  wünschen,  nachzuholen  sein;  der  Werth 
des  Gegebenen  wird  durch  das  Fehlen  um  so  weniger  beeinträchtigt,  als  ja  gewiß 
noch  manche  Briefe  des  Meisters  bisher  völlig  unbekannt  sind. 

Der  dritte  Beitrag,  ausschließlich  biographischer  Art,  »aus  den  Js^ren  1816 
und  1817«,  ist  Überarbeitung  und  Erweiterung  eines  bereits  1881  in  der  Littera- 
rischen Beilage  der  Wiener  »Montags-Revue«  (No.  50)  veröffentlichten  Artikels. 
Er  giebt  die  Erinnerungen  des  in  eben  jenem  Jahre  verstorbenen  Carl  Friedrieh 
Hirsch,  welchem  Beethoven  End^  1816  und  Anfang  1817  Unterricht  in  der  Har- 
monielehre ertheilt  hat.  Mit  Kenntniß  und  vorsichtiger  Überlegung  sucht  der 
Verfasser  jene  Erinnerungen,  welche  er  persönlich  aus  dem  Munde  des  alten  Herrn 
vernahm,  mit  den  sonstigen  Nachrichten  über  jene  Zeit  zu  vereinigen  und  Un- 
sicheres von  Glaubwürdigem  zu  scheiden,  und  gewinnt  auf  diese  Weise  ein  rundes 
klares  Bild  dieser  kurzen,  für  jene  Periode  Beethoven's  eigenthümlich  charakte- 
ristischen Beziehung.  Die  Besonnenheit  der  Methode  ist  auch  hier  wieder  hervor- 
zuheben. Wir  erhalten  einen,  auch  durch  kleine  Nebenzüge  noch  geschmückten, 
wichtigen  Beitrag  zu  dem  Bilde  des  einsamen  Lebens,  welches  Beethoven  damals 
führte,  wobei  auch  die  Wohnungsfrage  zur  Behandlung  kommt,  daneben  aber  auch 


Neue  Beethoveniana  von  Dr.  Theodor  FrimmeL  5J5 


Musikalisches,  wie  s.  B.  Beethoven's  Äußerung  über  Auflösung  verminderter  Sep- 
timenakkorde, gestreift  wird. 

»Beethoven  in  Mödling«  ist  der  Titel  des  folgenden  Beitrags,  der  uns  Beet- 
hoven in  den  Jahren  181 B— 20  als  Sommergast  in  dem  genannten  Orte  vorführt 
und  für  seine  Lebensgewohnheiten  in  jener  Zeit  kleine  Züge  beibringt,  welche 
der  Verfasser  aus  mündlicher  Tradition  gesammelt  und  gesichtet  hat.  Das  Bild 
des  zerstreuten,  in  seinem  Äußeren  wunderlich  vernachlässigten  Oastes  erhält  einen 
für  uns  rührenden  Kontrast  dadurch,  daß  es  die  große  Bdur-Sonate  und  die  große 
Messe  war,  woran  der  Meister  damals  angestrengt  arbeitete.  Die  Frage  der  von 
Beethoven  in  Mödling  innegehabten  Wohnungen  und  deren  Beschaffenheit  wird 
mit  der  bei  dem  Verfasser  gewohnten  Besonnenheit  behandelt. 

Den  Schluß  bildet  eine  ausgeführte  Untersuchung  über  Beethoven 's  Bild- 
nisse und  äußere  Erscheinung;  dies  ist  sicher  der  werth vollste  Theil  seines 
Buches ;  der  wichtige  Gegenstand  wird  hier  zum  ersten  Male  in  seinem  ganzen 
Umfange  eingehend  und  mit  genauer  Sachkenntniß  behandelt  und  auf  sicheren 
Boden  gestellt.  Dem  Verfasser  kommt  hier  außer  seinen  Beethovenstudien  eine 
vielseitige  Erfahrung  und  Studium  auf  dem  Gebiete  der  bildenden  Kunst  und  deren 
Geschichte  zu  Hülfe,  so  daß  er  vorzugsweise  berufen  schien,  hier  etwas  Grund- 
legendes und  Abschließendes  zu  bieten.  Ausgehend  von  einem  Hinblicke  auf  das 
Wenige,  was  bisher  über  den  Gegenstand  hervorgetreten  ist,  bespricht  er  der 
Reihe  nach  die  zu  Beethoven's  Lebzeiten  —  denn  nur  diese  können  für  ihn  in 
Betracht  kommen  —  entstandenen  und  bekannt  gewordenen  Bildnisse,  giebt  über 
ihre  Entstehung,  ihre  Nachbildungen  nach  umfassender  Nachforschung  genauen 
Bericht  sowie  über  die  Künstler  nähere  Nachweisung  biographischer  oder  wenigstens 
litterarischer  Art,  und  zieht  dabei  in  möglichster  Vollständigkeit  heran,  was  uns 
über  Beethoven's  äußere  Erscheinung  von  Mitlebenden  berichtet  wird.  Die  Liebe 
und  die  unermüdliche  Sorgfalt«  mit  welcher  der  Verfasser  den  Gegenstand  ver- 
folgt, verdient  höchste  Anerkennung;  das  Interesse,  welches  der  Gegenstand  an 
sieh  erregt,  wird  gehoben  durch  anmuthende  und  lebendige  Darstellung,  zu- 
mal dem  kunstverständigen  Verfasser  die  Gabe  genauer  und  anschaulicher  Be- 
schreibung in  besonderem  Maße  zu  Gebote  steht.  Beschreibung  kann  ja  bildliche 
Anschauung  nicht  ersetzen;  dennoch  gelingt  es  dem  Verfasser,  indem  er  von 
einigen  der  Darstellung  beigegebenen  Abbildungen  —  man  möchte  deren  noch 
etwas  mehr  wünschen  —  unterstützt  wird,  in  dem  Leser  durch  geschickte  Grup- 
pirung  und  stete  Vergleichung  ein  ziemlich  deutliches  Bild  von  Beethoven's 
äußerer  Erscheinung  hervorzurufen.  Wer  seinen  Mittheilungen  aufmerksam  folgt 
und  sich  seine  Resultate  aneignet,  hat  nun  einen  sicheren  Maßstab  zur  Beurthei- 
lung  der  vielen  mehr  oder  weniger  getreuen  Bildnisse  des  Meisters.  Die  beige- 
gebenen Bilder  sind  folgende:  1)  Die  in  Wegeler's  Notizen  mitgetheilte  Silhouette 
aus  Beethoven's  16.  (Thayer  meint  19.)  Lebensjahr;  2)  Die  Klein'sche  Büste,  1812 
nach  der  von  dem  lebenden  Meister  genommenen  Gesichtsmaske  gefertigt,  welche 
selbstverständlich  den  sichersten  Maßstab  für  die  Beurtheilung  der  Bildnisse  Beet- 
hoven's abgiebt  und  im  Hinblicl^  auf  das  damalige  Lebensalter  desselben  über- 
haupt als  das  zuverlässigste  Abbild  des  Meisters  auf  der  Höhe  seiner  Manneskraft 
gelten  muß ;  3)  Der  Stich  von  Blasius  Höfel  nach  Letronne's  Zeichnung,  aus  dem 
Jahre  1814,  welchen  Beethoven  besonders  werth  schätzte  und  Freunden,  wie  We- 
geier, schenkte  (auch  die  Bonner  Lesegesellschaft,  wie  wir  den  Angaben  S.  238 
hinzufügen  können,  erhielt  durch  Eichhoff's  Vermittlung  ein  Exempkr  von  Beet- 
hoven zum  Geschenke) ;  4)  Das  Bild  von  Schimon,  gestochen  von  Eichens,  aus 
dem  Jahre  1819,  welches  auch  der  Schindler'schen  Biographie  vorgedruckt  ist; 
5)  Die  Handzeichnung  Lyser's  aus  den  zwanziger  Jahren,  durch  Nachbildung  in 
neuerer  Zeit  vervielfältigt.    Nicht  mitgetheilt  werden  Abbilder  des  Medaillonbilds 

1 S88.  35 


516  Kritiken  und  Referate. 


von  Hornemann  (welches  sich  vor  dem  Buche  Breuning's  »aus  dem  Schwanfpanier- 
hausea  findet) ,  ferner  der  Gemälde  von  Klöber,  von  Stieler,  an  welchen  FrimmcJ.  unter 
Vergleichung  mit  der  Maske  Ejitik  übt,  der  Büste  von  Dietrich,  des  Druckes  von 
Kriehuber  und  anderer  Bilder  aus  den  letsten  Lebensjahren  des  Meisters ;  die 
durch  Klöber  und  Kriehuber  geschaffenen  Typen  sind  ja  allbekannt,  um  bo  wich- 
tiger wird  es  sein,  das  nach  beiden  Seiten  hin  maßvoll  abgewogene  Urdieil  des 
Verfassers  über  dieselben  zu  hören,  namentlich  auch  den  absprechenden  Worten 
Schindler's  gegenüber,  welcher  in  diesen  Dingen  alleinige  Autorität  su  sein  be- 
anspruchte. Schließlich  geht  der  Verfasser  noch  auf  die  nach  dem  Tode  Beet- 
hoven's  und  nach  erfolgter  Obduktion  genommene  Maske,  sowie  auf  die  genaue 
Untersuchung  des  Sch&dels  nach  der  1863  erfolgten  Ezhumirung  ein  und  bespricht 
die  Bedeutung,  welche  dieselben  für  die  Beurtheilung  von  Beethoven's  Äußerem 
haben;  dieselbe  ist  seinen  Ausführungen  nach  nur  eine  geringe.  Zum  Schluß 
resümirt  er  noch  einmal  das  Oanse,  beurtheilt  kurz  die  vorhandenen  Bilder  nach 
ihrem  Werthe  für  das  jeweilige  Lebensalter,  wobei  ihm  die  Frage  naeh  dem  ähn- 
lichsten Bilde  Beethoven's  wegen  der  immer  schwankenden  Voraussetsungen  eine 
müßige  scheint,  und  läßt  schließlich  auf  Orund  aller  vorhandenen  Quellen  das 
äußere  Bild  Beethoven's  in  einer  anschaulichen  und  treffenden  Schilderung  noch- 
mals vor  uns  erstehen.  Wir  können  von  der  gansen  Abhandlung  nur  mit  lebhaf- 
testem Danke  für  die  reiche  Belehrung  scheiden,  welche  uns  durch  dieselbe  nach 
allen  Seiten  hin  geboten  wird.  — 

Die  Bilder,  welche  nach  Beethoven's  Tode  hervorgetreten  sind,  lagen  außer 
dem  Bahmen  der  Betrachtungen  des  Verfassers,  und  so  finden  wir  aueh  über  die 
dem  Meister  gesetaten  Denkmäler  kein  Wort  bei  ihm.  Unter  diesen  hat  daa  in 
Bonn  1845  enthüllte,  von  Hähnel  gefertigte  Monument  seiner  Zeit  manehnlei 
Kritik  erfahren  müssen ;  die  abfälligste  wohl  von  Schindler,  der  in  seiner  gewohnten 
anspruchsvollen  Weise  dasselbe  als  mit  Beethoven's  Äußerem  gar  nicht  überein- 
stimmend beseichnete  (U,  S.  295).  Schreiber  dieser  Zeilen  besitzt  durch  die  Güte 
des  verstorbenen  Karl  Simrock  einen  Brief  Schindler's  über  diesen  Gegen- 
stand, und  darf  sich  wohl  gestatten,  da  auch  der  Verfasser  Schindler's  Meinung 
häufig,  wenn  auch  mit  Betonung  gerechtfertigten  Widerspruchs,  heransieht,  den 
Brief  zum  Schlüsse  dieser  Besprechung  hier  sum  Abdruck  zu  bringen. 

«> Aachen  den  22.  Nov.  44. 

»Horchen's  mal  gefälligst  auf,  mein  verehrter  Herr  Simrock,  was  ieh  Ihnen 
heute  mittheile. 

Erinnern  Sie  sich  noch,  wie  Sie  mir  im  Monat  Juny  sagten,  als  wir  gelegent- 
lich von  dem  Monument  Beethoven's  zusammen  sprachen,  wie  es  in  vermuthen 
sey,  daß  es  genug  Stoff  zum  Tadel  geben  werde,  wenn  es  mal  aufgestellt  ist 
Damit  hätten  wir  also  das  pttnctum  quassiianis. 

Vor  ungefähr  8 — 9  Tagen  erhielt  ich  eine  lythographirte  Zeidinung  des  Mo- 
numents aus  Nürnberg  eingeschickt  und  erblickte  zum  ersten  Mal  unsern  Mann 
von  Hähnel  dargestellt,  wie  er  in  Bonn  figuriren  soll.  Ich  sah  Be^hoven  in  so 
erstaunlicher  Philisterhaftigkeit,  daß  ich  mich  des  Anblicks  schämte.  Feme  ron 
aller  poetischen  Auffassung,  als  hätte  H.  Hähnel  irgend  einen  ehrlichen  Bau- 
meister  oder  sonst  honetten  Spießbürger  abkonterfeit!  Über  die  Ähnlichkeit  des 
Gesichts  kann  ich  nichts  sagen,  da  es  auf  der  Zeichnung  nur  im  Profil  su  sehen 
ist.  Aber  sie  zeigt  Beethoven  mit  kurzem  Haar,  und  doch  war  das  lange,  Btnp- 
pige  Haar  ein  so  wesentlicher  Theil  seines  Kopfes,  daß  ohne  dieses  der  Kopf 
wirklich  an  Ausdruck  verlor.  B.  selbst  fühlte  das  und  mochte  sich  nicht  mit 
kurzem  Haar  sehen,  so  zwar,  daß  er  sich  einstmals  (1824)  genirte  unter  die  Leute 


Neue  Beethoveniana  yon  Dr.  Theodor  Frimmel.  517 


zu  gehen,  als  es  ihm  der  Friseur  trotz  Ermahnung  zu  kurz  geschnitten  hatte. 
Die  herrorguekende  Pantalon  an  einem  Fuße  gleioht  der  Wirklichkeit,  wie  man 
«8  an  B.  sehen  konnte.  Aber  war  denn  das  Grund  um  diese  Plumpheit  plastisch 
darzustellen?  Kurzum,  die  ganze  Figur  ist  der  Ausdruck,  (oder  Darstellung) 
ordinärer  Prosa.  Wo  ist  das  unaussprechlich  Begeisternde  und  Begeisterte,  das 
in  seinem  ganzen  Wesen  sich  kund  gab,  wenn  er  von  Musik  sprach,  oder  im 
Nachdenken  Tersunken  war?  ja,  wenn  er  selbst  nur  [über  einen  andren  Gegenstand, 
X.  B.  Aber  Politik  oder  dahin  (Gehörendes  sprach?  PP  Sie  müssen  ja  selbst  solche 
Momente  an  ihm  wahrgenommen  haben,  denn  sie  waren  ja  nicht  selten,  sondern 
t&glich,  stündlich.  Und  dabei  war  er  ja  immer  ruhig.  Wie  erst,  wenn  das  innere 
Feuer  aufzulodern  anfing  und  er  sein  langes  Haar  in  solchen  Augenblicken  in 
die  Höhe  zog  oder  nach  der  Seite  strich,  wobei  sein  ganzes  Wesen  einen  furcht- 
bar erhabenen  Ausdruck  erhielt!  So  was  h&tte  H.  Hähnel  nur  einmal  sehen  sollen. 

Gestern  erhalte  ich  die  1.  Lieferung  einer  Broschüre  in  Berlin  gedruckt 
»aber  Bl&ser's  Denkmal  BeethoTcn's«.  Sie  wird  in  der  künstlerischen  Welt  Auf- 
sehen machen,  wie  es  ihr  Inhalt  verdient.  Was  ich  beim  Anblick  der  Hähnel'schen 
Arbeit  gefühlt,  wird  dort  mit  Beweisen  dargethan.  Beide  Modelle  werden  Punkt 
für  Punkt,  Theil  für  Theil,  verglichen  und  das  Eesum^  lautet,  daß  das  Hähnel'sche 
Modell  gar  nicht  h&tte  in  die  Goncurrenz  kommen  sollen.  Bon,  jetzt  steht  es 
aber  da  (  —  Soweit  ist  der  Anfang  zu  Controyersen  gemacht  und  steht  der  PhiH- 
ster  mal  auf  seinem  Postament,  so  wird  man  ohne  allen  Zweifel  von  allen  Seiten 
<wo  keine  Parteigänger  sind)  beschämt  sich  fragen:  wie  war  es  möglich,  um  solch 
gewöhnliche  Prosa  so  viel  Geschrei  in  der  Welt  zu  machen?  Die  4  Basreliefs  an 
den  Seiten,  davon  ich  die  Zeichnung  in  Berlin  gesehen  und  sie  ausgezelchtet 
schön  fand,  werden  bei  solcher  (Gestaltung  der  Hauptfigur  wenig  oder  nicht  in 
Betracht  k(«mien. 

Was  ich  Ihnen  hier  mittheile,  brauchen  Sie  nicht  zu  verstecken.  Der  Ge- 
genstand ist  von  der  Art,  daß  er  mich  persönlich  sehr  interessiren  muß,  darum 
ich  sehr  wahrscheinlich  veranlaßt  seyn  werde,  seiner  Zeit  mehr  als  dieses  hier 
darüber  öffentlich  zu  sagen. 

In  bekannter  Hochachtung 

Ihr  ergebenster 

A.  Schindler.« 

Es  ist  uns  nicht  bekannt,  ob  Schindler  die  zum  Schluß  kundgegebene  Ab* 
flicht  ausgeführt  hat.  Jedenfalls  bieten  die  Äußerungen  des  Briefes  eine  will- 
kommene Ergänzung  der  Mittheilungen  Schindler's  in  der  Biographie.  Ein  Urtheil 
über  die  Hähnel'sche  Beethovenstatue  wird  sich  jeder,  ohne  sich  von  Schindler 
beeinflussen  zu  lassen,  selbst  bilden  können. 

Coblen2.  Hermann  I>eiterB. 


35» 


51g  Kritiken  und  Referate. 


Giovanni  de  Piccolellis,  Liutai  antichi  e  modemi.  Note  critico- 
biografiche.  Firenze,  coi  tipi  dei  successori  Le  Monnier,  1885. 
XVII  und  192  S.  Mit  24  Tafeln.  Hochquart.  —Dazu  ein  Nach- 
trag:  Liutai  antichi  e  moderni.  Genealogia  degli  Amati  e  dei 
Guarnieri  secondo  i  documenti  ultimamente  ritrovati  negli  atti  e 
stati  d'anime  delle  antiche  parrocchie  dei  SS.  Faustino  e  Giovita  e 
di  S.  Donato  di  Cremona.  Note  aggiunte  alla  prima  edizione  sui 
liutai  .  .  .  Firenze,  Le  Monnier,    1886.     32  S.     Hochquart. 

Das  Interesse  für  die  Geschichte  der  Musikinstrumente  hat  besonders  in  den 
beiden  letzten  Jahrzehnten  durch  eine  nicht  geringe  Anzahl  hierher  geh^ger 
Arbeiten  mannigfache  Anregung  erhalten.  Dem  mit  der  einschlägigen  Literatur 
bekannten  Fachmanne  aber  wurde  mit  ihnen  nur  selten  wirklich  gedient,  denn  die 
meisten  neuen  Erscheinungen  erwiesen  sich  als  gleich  geartete  Schwestern  der  auf 
dem  großen  Markte  befindlichen  Mehrzahl  der  Schriften  über  andere  Theüe  der 
Musikwissenschaft:  Altes  Gebäude  mit  neu  geputzter  Stirnseite,  alte  Autoren  neu 
Btilisirt !  Wohl  wurden  Sebastian  Virdung,  Martin  Agricola,  Michael  Prätorius  und 
vielleicht  noch  Filippo  Bonanni  fleißig  excerpirt  und  die  Resultate  des  hochver- 
dienten F6tis  allzu  gewissenhaft  benutzt,  aber  selten  bequemte  man  sich  zum  frei- 
lich mühevollen  und  oft  genug  nur  negative  Erfolge  erzielenden  Quellenstudium. 
Von  größeren,  zumeist  auf  selbständigen,  neuen  Forschungen  beruhenden  Arbeiten 
seien  diejenigen  von  Antoine  Vidal^  Albert  Jacquot^,  Julius  Rühlmann'  und  Luigi- 
Francesco  Valdrighi*  erwähnt. 

Mit  den  liutai  antichi  e  moderni  hat  sich  Piccolellis  den  genannten  Gelehrten 
nicht  nur  würdig  angeschlossen,  sondern  dieselben  theilweise  sogar  übertroffen. 
Das  Gebiet  seiner  Untersuchungen  ist  zwar  im  Vergleich  mit  demjenigen  Jacquofs 
und  Valdrighi's,  ja  selbst  VidaFs,  ein  bedeutend  beschränkteres.  Er  hat  abä  die 
gestellte  Aufgabe  mit  großem  Fleiße  und  anerkennenswerthem  Erfolge  gelöst  und 
die  geschichtliche  Forschung  um  ein  beträchtliches  Stück  gefördert.  Seine  Studien 
kennzeichnen  sich  vor  allem  durch  Gewissenhaftigkeit.  Immer  bestrebt,  historische 
Stützpunkte  aufzusuchen,  gesteht  er  dort,  wo  solche  fehlen,  den  Mangel  derselben 
unumwunden  ein  und  erweist  das  Beiwerk,  mit  welchem  das  Leben  der  meisten 
großen  Instrumentenmacher  ausgestattet  zu  werden  pflegte,  einfach  als  Gebilde  der 
Phantasie.  Er  beginnt  erst  mit  dem  Aufblühen  der  Brescianer  Schule,  also  gegen 
Mitte  des   16.   Jahrhunderts.     Was  dieser  Periode  vorhergeht,  wird  mit  kurzen 


*  Les  instruments  ä  archet,     Paris,  Claye,     1876 — 78. 

2  La  musique  en  Lorraine.  Paris,  Quantin,  1682.  —  3.  Aufl.  Paris,  JPmcä- 
hacher.     1886.     Siehe  Jahrgang  III  dieser  Zeitschrift,  S.  482  ff. 

Ä  Geschichte  der  Bogen  Instrumente.     Braunschweig,    Vieioeg,     1882. 

*  Nomoclieliurgograßa  antica  e  modema  ossia  elenco  di  fahhricatori  di  sirumenii 
armonici  con  note  esplicative  e  documenti  estratti  dalT  archivio  di  stato  in  Modena, 
Modena,  societä  tipograßca  1884.  Enthält  im  ersten  Theile  eine  mit  großem  Fleiß 
angefertigte  Zusammenstellung  von  etwa  4000  Instrumentenmachern  jeslicher 
Specialität,  im  zweiten  Theile  erläuternde  Anmerkungen  und  im  dritten  und  letzten 
eine  reiche  Sammlung  wichtiger  Dokumente  aus  dem  estensischen  Staatsarchive. 
Abschnitt  1  ist  aber  nur  mit  Vorsicht  zu  gebrauchen,  Abschnitt  3  hingegen  sieben 
dem  Buche  dauernden  Werth.  —  Dazu  desselben  Verfassers  Ricerche  suUa  liuttria 
e  violineria  modenese  antica  e  moderna,  col  catalogo  generale  dei  liuiari  e  ciolinari 
modenesi  dal  secolo  XVI  al  XIX,     Modena,   Toschi  1878. 


Liutai  antichi  e  moderni  von  Giovanni  de  Piccolellis.  519 


Andeutungen  in  der  Einleitung  skizzirt  In  einzelnen  Fällen  greift  er  zwar  bis 
zum  Anfang  des  16.  Jahrhunderts  zurück,  aber  doch  immer  nur  ausnahmsweise. 
Offenbar  leitete  ihn  die  Absicht,  erst  dort  mit  seiner  Arbeit  einzusetzen,  wo  sich 
ihm  dokumentarisch  b^laubigte  Thatsachen  darboten ;  indessen  hätte  er  hier  und 
da  die  Untersuchungen,  selbst  unter  Wahrung  jenes  Grundsatzes,  recht  wohl  weiter 
zurQck  ausdehnen  können. 

Piccolellis'  Buch  besteht  aus  fiinf,  von  einander  auch  äußerlich  abgegrenzten 
Theilen.  Der  erste  enthält  in  alphabetischer  Reihenfolge  biographisch -kritische 
Notizen  über  die  italienischen  Lauten-  und  Geigenmacher <  vom  16.  Jahrhundert 
bis  zur  Gegenwart.  Im  zweiten  Theile,  der  gleichfalls  der  italienischen  Schule 
gewidmet  ist,  finden  wir  eine  chronologische  Übersicht  über  die  Hauptvertreter 
jener  Schule,  sowie  eingehende  Beschreibungen  ihrer  Arbeiten.  Die  beiden  ersten 
Abschnitte  beschäftigen  sich  also  mit  dem  gleichen  Thema.  Ich  habe  vergeblich 
nach  Gründen  gesucht,  welche  wohl  den  Autor  bestimmt  haben  mochten,  seinen 
Stoff  auf  solche  Weise  zu  zerreißen.  Nach  meiner  Meinung  ist  diese  Art  der 
Disposition  eine  ganz  und  gar  verfehlte.  Beide  Theile  hätten  zusammen  verarbeitet 
werden  müssen  und  zwar  nur  unter  Zugrundelegung  chronologischer  Ordnung. 
Wir  hätten  dann  die  allmähliche  Entwicklung,  die  Blüthe  und  den  Niedergang 
jener  Kunst  verfolgen  können,  die  Darstellung  wäre  einheitlicher  und  das  Bild, 
das  sich  der  Leser  im  Geiste  zusammenstellt,  klarer,  schärfer  und  deutlicher  ge- 
worden, während  es  bei  der  vom  Verfasser  beobachteten  Form  zerstückelt  erscheint. 
Ein  weiterer  Mißgriff  in  der  Disposition  giebt  sich  in  der  ungleichen  Behandlung 
des  Stoffes  zu  erkennen :  Den  italienischen  Instrumentenmachern  sind  152  Seiten  einge- 
räumt ;  die  Deutschen,  Niederländer,  Franzosen  und  Engländer  aber  werden  allesammt 
auf  nur  35  Seiten  abgethan,  die  Deutschen  imd  Niederländer  im  dritten,  die  Fran- 
zosen vpCL  vierten  und  endlich  die  Engländer  im  fünften  Abschnitte.  Man  wird  nun 
schon  aus  diesen  kurzen  Angaben  den  Schwerpunkt  der  Piccolellis'schen  Arbeit 
erkennen:  Die  Geschichte  des  italienischen  Instrumentenbaues  tritt  ganz  in  den 
Vordergrund.  So  Anerkennenswerthes  der  Verfasser  hierin  geleistet  hat,  so  wenig 
ist  er  den  übrigen  Theilen  gerecht  geworden.  Wenn  auch  zugestanden  werden  muß,  daß 
bei  jeder  eingehenden  allgemeinen  Behandlung  dieses  Gegenstandes  auf  die  italie- 
nische Kunstfertigkeit  das  Hauptgewicht  fallen  wird,  so  dürfen  doch  die  andern 
Nationen  nicht  vernachlässigt  und  in  ihrer  Bedeutung  unterschätzt  werden.  Picco- 
lellis hätte  auf  alle  möglichst  gleiche  Rücksicht  nehmen  müssen;  oder,  da  ihm 
dies  augenscheinlich  versagt  war,  so  wäre  es  besser  gethan  gewesen,  den  Titel  des 
Buches  anders  zu  fassen.  Der  Werth  des  Werkes  hätte  sicherUeh  nicht  gelitten, 
wenn  es  liutai  italiani  getauft  worden  wäre ;  die  letzten  drei  Kapitel  konnten  viel- 
leicht als  Anhang  Verwerthung  finden. 

Gehen  wir  nun  zu  den  Einzelheiten  über.  Gleich  am  Anfange  des  ersten 
Abschnittes  weist  Piccolellis  Irrthümer  nach,  die  sich  in  aUe  Lexica  und  Special- 
werke, F6tis,  Vidal  und  Valdrighi  nicht  ausgenommen,  eingeschlichen  hatten. 
Acevo  (oder  Acero)  und  Sapino  sollten  piemontesische  Geigenmacher  gewesen  sein. 
Das  Wort  acero  fand  sich  nämlich  auf  dem  Boden  einer  alten,  ehemals  dem 
Gambenvirtuosen  Marin  Marais  gehörigen  Viola ;  in  einem  andern  alten  Instrument 
piemontesischer  Herkunft  entdeckte  man,  mit  Bleistift  geschrieben,  das  Wort  sapino. 
Das  genügte,  um  aus  acero  (oder,  wie  F^tis  las,  acevo)  und  sapino  die  Namen  zweier 


^  Der  Italiener  versteht  unter  liutai  nicht  nur  Lautenmacher,  sondern  in 
weiterer  Bedeutung  —  und  so  ist  auch  der  Titel  des  Piccolellis'schen  Buches  auf- 
zufassen —  Verfertiger  aller  Art  Zupf-  und  Streichinstrumente.  Die  Übersetzung 
Lauten-  und  Geigetimacher  trifft  mitnin  den  Sinn  nicht  vollständig. 


520  Kritiken  und  Referate. 


Ingtrumentenmaeher  abzuleiten.  F^tis  weiß  sogar  su  berichten  (Btoyr,  tmtv.  I,  11, 
sowie  in  Anioine  Stradivari,  8.  58),  Acevo  sei  gegen  1630  in  Salusso  geboren  und 
ein  Schfller  Oofiredo  Cappa'a  gewesen.  Natarlieh  wurden  diese  Angaben  von  allen 
denen,  die  sich  berufen  fühlten,  die  Welt  mit  einer  »Qesohiehte  der  Musikinstru- 
mente« SU  erfreuen,  getreulich  abgeschrieben.  Und  so  genießen  denn  Acevo  und 
Sapino  ein  ungestört-fröhlich  Leben!  Ficcolellis  stellt  nun  aber  fest,  daß  aetro 
und  sapmo  nichts  anderes  als  die  betreffenden  Holsarten  der  Insttumententfaeile 
bezeichnen:  aeero^  Ahomholz  und  «opino ^  Tannenholz.  —  Die  Lebensverhältnisse 
der  hervorragendsten  Meister  sind  natürlich  mit  besonderer  Vorliebe  behandelt 
Was  uns  Ton  der  Familie  der  Amati  berichtet  wird,  übertrifft  an  Reichhaltigkeit 
und  Zuverlässigkeit  alles,  was  über  dieses  Thema  bisher  geschrieben  ist.  D^ 
Nachtrag  (die  ncie  aggiunU,  welche  durchaus  zum  Hauptwerke  gehören  und  die 
darin  gewonnenen  Resultate  nicht  nur  vermehren,  sondern  zum  großen  Theile  be- 
richtigen) bietet  nicht  weniger  als  41  d«i  versdiiedensten  Kirchenarchiven  Cre- 
mona's  entnommene  Urkunden  über  das  Geschlecht  der  Amati.  Das  für  die  Ge- 
schichte des  Geigenbaues  so  wichtige  Geschlecht  verfolgen  wir  durch  vier  Genera- 
tionen. PiccoleUis  hat  alles  hierher  Gehörige  zusammengestellt:  Tauf-,  Ehe-  und 
Sterbedokumente  sftmmtlioher  Familienmitglieder,  soweit  sie  sich  überhaupt  noch 
in  den  vorhandenen  Kirchenbüchern  der  genannten  Stadt  aufgezeichnet  finden. 
Mittelst  dieser  Urkunden  nun  wird  fast  AUes  umgestoßen,  was  bis  jetzt  über  die 
JjebensverhSltnisse  der  Amati  berichtet  worden  ist  Die  zahlreichen  neuen  Aufschlflsse 
hier  eingehend  zu  beleuchten,  würde  zu  weit  führen.  Ich  begnüge  mich,  wenigstens 
einen  Theil  der  Stammtafel,  und  zwar  so  weit  sie  die  Instrumentenmadier  der 
Familie  betrifft,  darzubieten  (s.  noie  aggiunU,  S.  9 ff.): 


Amati 
I 


Andrea  Nicola 

geb.  um  1535. 
gest.  nach  dem  10.  April  1611. 


Giroli 
eb.  um 
gest  —  gest.  2.  Nov.  1630. 


Antonio  Girolamo 

geb.  um  1555.  geb.  um  1556. 


Nicola 

geb.  3.  Dec.  1596. 

gest.  12.  April  1684. 

Girolamo 
geb.  26.  Febr.  1649. 
gest.  21.  Febr.  1740. 

Wahrscheinlich  werden  übrigens  die  Repräsentanten   des  Instrumentenbaues 
innerhalb  der  Amati-Familie  um  ein  als  Geigenmacher  bisher  unbekanntes  Mitglied 

^  Sapino  (lat.  sappinxts,  altfranz.  sap^  neufranz.  sapin)  ist  wohl  allein  im 
Dialekt  der  italienisch -französischen  Grenzdistrikte  zu  finden;  die  itäl.  Schrift- 
sprache kennt  dafür  nur  äheio. 


Liutai  anticbi  e  moderni  von  Giovanni  de  PiccoUllis.  521 


vermehrt  werden  müssen.  In  einem  im  Jahre  1747  aufgenommenen  Instrumenten- 
inventar ^  der  Benediktinerabtei  Kremsmünster  wird  eine  Violine  di  Francesco 
Amati  di  Crmnona  IßdO  aufgeführt.  Obwohl  nun  weder  F6tis,  Vidal,  Valdrighi, 
noch  Piccolellis  einen  Oeigenmacher  Francesco  Amati  kennen,  ist  die  Richtigkeit 
jener  Inventamotiz  doch  nicht  ausgeschlossen;  denn  unter  den  Söhnen  Girolamo 
Amati's  finden  wir  einen  Francesco  Alessandro,  der  recht  gut  mit  dem  oben  ge- 
nannten Francesco  identisch  sein  kann.  Francesco  Alessandro  wurde  am  26.  Februar 
1 590  geboren  {note  aggiunte ,  pag.  3  4) ,  war  also  fast  sieben  Jahre  ftlter  als  sein 
Bruder  Nicola. 

Wie  schon  erwähnt,  kommt  Piccolellis  in  dem  Nachtrage  theilweise  zu  ganz 
anderen  Schlußfolgerungen  als  im  Hauptwerke.  Am  auffälligsten  ist  dies  bei  den 
Brüdern  Antonio  und  Qirolamo  Amati,  den  Söhnen  Andrea's,  der  Fall.  Es  ist 
bekannt,  daß  Antonio  und  Girolamo  gemeinsam  arbeiteten  und  ihre  Namen  in  die 
Ton  ihnen  gebauten  Instrumente  zusammen  eintrugen.  Aus  der  Existenz  von 
Violinen,  welche  auf  ihren  Etlquettes  die  Namen  der  beiden  Brüder  mit  den  Jahres- 
sahlen 1687  und  selbst  1698  aufweiseut  und  die  von  den  kompetentesten  Rennern 
als  »unzweifelhaft  echte«  bezeichnet  worden  sind,  schloß  Piccolellis  —  und  ganz 
mit  Recht  — ,  daß  beide  Künstler  noch  gegen  Ende  des  17.  Jahrhunderts  zu- 
sammen gelebt  und  gewirkt  haben  müssen.  Und  so  gab  er  denn  auch  im  Haupt- 
werke (S.  6  u.  9)  dieser  Ansicht  Raum.  Nun  aber  hat  sich  herausgestellt,  daß 
Girolamo  schon  in  dem  großen  Unglücksjahre  1630  an  der  Pest  gestorben  ist. 
Antonio*s  Todesjahr  ist  leider  nicht  bekannt,  die  Vermuthung  ist  aber  nicht  unbe- 
gründet, daß  auch  ihn  die  entsetzliche  Seuche  dahingerafft  habe  —  jedenfalls  war 
nach  dem  Jahre  1630  ein  Zusammenwirken  beider  Brüder  durch  den  Tod  des 
einen  ausgeschlossen.  Wir  stehen  nun  vor  der  bedeutsamen  Frage,  was  mit 
•denjenigen  Instrumenten  anzufangen  sei,  welche  als  »unzweifelhaft  echte«  gemein- 
same Arbeiten  Antonio's  und  Girolamo's  ausgegeben  werden  und  doch  eine  viel 
spätere  Jahreszahl  als  1630  aufweisen.  Hierauf  an  dieser  Stelle  eine  den  Gegenstand 
erschöpfende  Antwort  zu  geben,  kann  mir  natürlich  nicht  beikoinmen ;  ich  möchte  nur 
die  Kenner  alter  Geigen  auf  den  Widerspruch  zwischen  dem  nunmehr  ans  Licht  ge- 
brachten geschichtlichen  Faktum  und  den  Etiquetteaangaben  aufmerksam  machen. 
Es  ist  ja  bekannt  genug,  welch'  großer  Unfug  auf  dem  Gebiete  des  Geigenbaues 
getrieben  worden  ist.  Man  weiß,  daß  die  Modelle  alter  Meister  mit  erstaunlicher 
Kunstfertigkeit  nachgeahmt  wurden,  daß  dann  solche  Imitationen  als  Original  werke 
in  den  Handel  kamen  und  von  der  kaufmännischen  Spekulation  wacker  ausgebeutet 
wurden.  Ich  meine,  wir  dürfen  die  Thatsache,  daß  sich  nunmehr  gewisse  Instru- 
mente mindestens  als  sehr  zweifelhaft  echte  ergeben,  als  ein  schätzbares  Ergebniß 
der  historischen  Forschung  bezeichnen.  Oder  will  man  etwa  an  der  Glaubwürdig- 
keit der  Etiquettes,  welche  die  Namen  Antonius  <$'  Hieronimus  Fr,  Amati  und  die 
Jahreszahlen  1661,  1687,  1691  und  1698  tragen,  immer  noch  festhalten?  Wir  können 
ruhig  die  Möglichkeit  zugeben,  Antonio  habe  seinen  Bruder  überlebt  und  seine 
Arbeiten  aus  alter  Gewohnheit  noch  mit  der  gemeinsamen  Firma  in  die  Welt  ge- 


^  Vergl.  Georg  Huemer:  Die  Pßege  der  Musik  im.  Stifte  Xremsmänster,  Wels 
1877,  S.  42  ~  sowie  MonatshefU  für  Musikgeschiekte,  Jahrgang  XX  (188S),  S.  109. 
Ein  Theil  (46  Nummern)  der  einst  in  Kremsmünster  aufbewahrten  alten  Instru- 
mente wurde  im  JaJire  1839  dem  Museum  Francisco- Carolinum  in  Linz  einverleibt. 
Auf  meine  Anfrage,  ob  die  bezeichnete  Violine  von  Francesco  Amati  vielleicht 
dort  noch  vorhanden  sei,  erhielt  ich  leider  eine  verneinende  Antwort.  In  Krems- 
münster selbst  ist  sie  ebenfalls  nicht  mehr  zu  finden;  sie  wird  demnach  wahr<- 
scheinlich  das  Schicksal  der  meisten  ehemals  dort  ansesammelten  alten  Musikdrucke 
getheilt  haben,  die  als  »überflüssiges  altes  Gerumpel «  verschleudert  wurden. 


522  Kritiken  und  Referate. 


schickt.  Aber  man  wolle  uns  nicht  zumuthen,  anzunehmen,  Antonio  habe  noch 
1661,  16S7,  1691  und  gar  noch  1698  Instrumente  gebaut;  er  müßte  denn  beinahe 
Methusalem's  Alter  erreicht  haben!  Piccolellis,  der  auffallenderweise  diese  ganse 
Angelegenheit  nur  sehr  kurz  und  wie  beiläufig  bespricht,  ist  offenbar  Ton  der 
Kompetenz  seiner  Gewährsmänner  zu  sehr  überzeugt;  er  vermeidet  es  daher  sorg- 
fältig, mit  den  Voten  derselben  in  Konflikt  zu  gerathen  und  die  Konsequenz  aus 
seinen  Dokumenten  zu  ziehen.  Er  hält  es  für  »wahrscheinlich«  inoie  aggiunte, 
S.  8),  daß  die  Instrumente  mit  den  angegebenen  späten  Jahreszahlen  aus  dem 
Vorrath  stammen,  der  sich  nach  dem  Tode  der  Meister  in  ihrer  Werkst&tte  vor- 
fand, und  daß  die  leidigen  Daten  die  Zeit  des  VerkauÜB  bezeichnen.  Man  wird 
zugeben,  daß  diese  Konjektur  keine  glückliehe  genannt  werden  kann.  Sollte  etwa 
der  Nachlaß  von  Instrumenten  ein  so  großer,  oder  die  Nachfrage  nach  denselben 
so  gering  gewesen  sein,  daß  der  Vorrath  noch  30,  50,  60  und  fast  noch  70  Jahre 
nach  OiroLamo's  Tode  hingereicht  habe?  Das  glaube,  wer  da  will!  —  Von  den 
übrigen,  die  Familie  der  Amati  angehenden  Dokumenten  sei  hier  noch  auf  einige 
besonders  interessante  und  werthvolle  aufmerksam  gemacht :  In  dem  am  23.  Mai 
1645  aufgezeichneten  Ehekontrakt  Nicola  Amati's,  Girolamo's  Sohn,  wird  unter 
Anderen  auch  Andrea  Guamieri  als  Zeuge  genannt  {note  aggiunte,  S.  IT).  Eben- 
derselbe wird  schon  im  Jahre  1641  {noU  aggiunte,  S.  21)  in  den  Akten  der  Paroehie 
SS.  Faustino  e  Gioviia  als  Mitbewohner  (Schüler)  des  Hauses  Amati  beceidmet 
und  zwar  mit  der  ausdrücklichen  Angabe  seines  Alters:  danni  15.  In  den  gleichen 
Dokumenten  findet  sich  zum  Jahre  1680  ein  Bartohmmeo  Cristofori,  danni  J3 
notirt  [note  aggiunte,  S.  21).  Der  naheliegenden  Versuchung,  diesen  Cristofori  mit 
dem  berühmten  Erfinder  des  Hanmierklaviers  zu  identificiren,  ist  natürlich  Picco- 
lellis nicht  ausgewichen.  Und  wohl  nicht  mit  Unrecht  Die  Richügkeit  dieser 
Annahme  zugegeben,  müßte  man  also  Christofori  s  Geburtsjahr  auf  1667  festsetzen. 
Das  widerstreitet  aber  den  Angaben  Leto  Puliti's,  der  dafür  das  Jahr  1651  heraus- 
gebracht hat^.  Es  würde  zu  weit  fahren,  wollten  wir  uns  hier  auf  eine  definitive 
Entscheidung  zwischen  den  beiden  sich  entgegenstehenden  Daten  einlassen. 

Auf  Seite  14  erwähnt  Piccolellis  den  Meister  Qiovan  Francesco  Antognati  (!) 
aus  Brescia  als  Lautenmacher.  Als  solcher  wird  derselbe  —  soviel  ich  weiß  — 
nur  von  Giovan  Maria  Lanfranco^  angegeben,  doch  ist  sein  Name  nicht  An- 
tognati, sondern  Antegnati  [Antegnaio  schreibt  Lanfranco)  oder  Antignati.  Seine 
Familie  leistete  Hervorragendes  in  der  Orgelbaukunst,  nicht  aber  »einer  seiner 
Nachkommeno  (wie  P.  schreibt',  sondern  schon  sein  Vater  Bartolomeo,  sowie  seine 
Brüder  Giovan  Giacobo^  und  Giovan  Battista  und  dessen  Sohn  Graziadio.  Lan- 
franco ist  gleichfalls  die  einzige  Quelle  unserer  Kenntniß  der  Brescianer  Lauten- 


^  Vgl.  seinen  Aufsatz  :  Della  vita  del  Serenissimo  Ferdinatido  dei  Medici  Gran- 
principe  di  Toscana  e  della  origine  del  piano/orte,  in  den  Atti  delT  Accademia  del 
Jt.  Istituto  Muaicale  di  Firetize,  A?ino  duodecimo.  Firenze,  CxveUi,  1874.  Seite  131 
daselbst:  A  dl  27  gennaio  17  trentuno  (1731  ab  ine.)  Sig.  Bartolommeo  Cristofori 
da  Padova  dopo  daver  ricevuto  tutti  i  SS.  Sacramentiy  mor\  in  etä  di  mmi  80  e^u 
sepolto  in  nostra  chiesa  [S.  Jacopo  tra'  Fossi]  per  esser  del  popolo. 

2  Scintille  di  muaica.  Brescia,  Lodovico  J^ritannicOf  1533.    S.  Seite  143. 

3  Wird  ebenfalls  von  Lanfranco,  1.  c.  pag.  143,  citirt:  —  gli  organi,  i  quai 
sono  cosi  ben  lavorati  da  Giovan  Giacobo  frateuo  del  sopranomato  (!)  Giovan  Fran-^ 
cesco,  che  non  da  mano  di  huomo,  ma  da  natura  creati  paiono  .  .  .  Giov.  Giacobo's 
Meisterwerk  war  die  im  Jahre  1553  erbaute  Orgel  für  den  Dom  zu  Mailand,  1333 
sohon  baute  er  die  Orgel  für  die  Kirche  Madonna  deüe  Grazie  in  Brescia.  Der 
von  P.  angeführte  Orgelbauer  und  Organist  Costanzo  Antegnati  war  der  Sohn 
Graziadio's.  Vgl.  Damiano  Muoni :  67t  Antignati  organari  insigni  . . .  Müano^  1863. 


Liutai  antichi  e  moderni  von  Giovanni  de  PiccolelliB.  523 


maeher  Oiovan  Giacobo  dalla  Coma  und  Zanetto  Montichiaro.  P.  ciürt  dieselben, 
von  Lanfranco  abweichend,  DeUa  Coma  Giovan  Paolo  und  Montechiari  (S.  27 
u.  60).  Über  den  ebenfalls  in  Breteia  ansftssig  gewesenen  Giovanni  Kerlino  er- 
fahren wir  durch  Piecolellis  nur  sehr  wenig  und  nur  Unbestimmtes.  Sein  Geburtsjahr 
und  -ort  ist  ebenso  unbekannt  wie  sein  Todesjahr.  loh  füge  den  P.'schen  Notizen 
hinzu,  daß  Kerlino  noch  im  Juni  1495  in  Brescia  gelebt  haben  muß.  Die  Mark- 
gräfin Isabella  von  Mantua  ließ  sich  n&mlich  im  genannten  Jahre  einige  Viole  von 
Kerlino  anfertigen  und  beauftragte  den  Lautenspieler  Giov.  Angelo  Testagrossa, 
sich  nach  Brescia  zu  begeben  und  die  bestellten  Instrumente  zu  prüfend 

Wie  Piecolellis  den  Amati  ein  ganz  besonderes  Interesse  zuwendet,  so  zeichnet 
er  auch  die  übrigen  großen  italienischen  Lauten-  und  Geigenmacher  durch  ein- 
gehende Untersuchungen  ihrer  Lebenssohicksale  aus.  Was  er  über  die  Guamieri 
und  Stradivari  berichtet,  überholt  alles,  was  bis  in  die  neueste  Zeit  über  diese  Meister 
geschrieben  worden  ist  Uneingeschränkte  Anerkennung  verdienen  namentlich  seine 
Ouamieri-Studien,  mit  welchen  er,  gestützt  auf  eine  große  Anzahl  bisher  völlig 
unbekannter  Dokumente  (s.  note  aggiuntef  S.  23  ff.)»  ^^^  unbestimmten  und  vielfach 
von  einander  abweichenden  Angaben  älterer  Autoren  berichtigt.  Hiervon  nur 
einige  Beispiele :  Giuseppe  Giov.  Battista  wird  allgemein  als  der  ältere  und  Pietro 
Qiovanni  als  der  jüngere  Sohn  Andrea  Guamieri's  bezeichnet.  Nun  aber  ist  fest-, 
gestellt  worden  {note  aggiunte,  S.  24),  daß  Pietro  Giovanni  fast  12  Jahre  vor 
seinem  Bruder  geboren  wurde.  Der  allseitig  vertretenen  Meinung,  daß  der  be- 
rühmteste der  Guamieri,  Giuseppe,  genannt  del  Gesu,  Schüler  Stradivari's  gewesen 
sei,  widerspricht  Piecolellis  {note  aggiunte,  S.  30)  und  weist  die  Unhaltbarkeit 
derselben  nach.  Was  endlich  die  Geschichte  von  Giuseppe  del  Geeüe  Gefangen- 
schaft betrifft,  aus  welcher  Zeit  die  sogenannten  violom  de  la  servante  stammen 
sollen,  so  ist  ihre  Glaubwürdigkeit  durch  nichts  gesichert  (S.  51).  Wir  haben 
vielmehr,  wie  Piecolellis  in  den  note  aggiunte  (S.  30)  näher  ausführt,  begründete 
Veranlassung,  die  Entstehung  der  romanhaften  Erzählung  auf  eine  bloße  Namens- 
verwechselung  zurückzuführen. 

Neu  sind  auch  Piecolellis'  Angaben  über  die  Rugieri  und  Rogeri.  Zunächst 
weist  er  nach  (S.  65),  daß  hier  zwei,  von  einander  ganz  verschiedene  Familien  in 
Betracht  kommen,  die  Rugieri  (in  der  Cremoneser  Mundart  Rugi^r  genannt)  und 
Rogeri,  und  daß  das  Zusammenwerfen  derselben  ebensowenig  gerechtfertigt  ist 
wie  die  Schreibungen  Ruggeri,  Ruggieri,  Ruggir,  Roggier,  oder  gar  Rudger.  Zur 
Familie  der  Rugieri  gehörten  Francesco  und  Vincenzo,  zu  derjenigen  der  Rogeri 
Giovanni  Battista  und  Pietro  Giacomo^  Da  beide  Familien  mehrere  Jahre  hindurch 
gleichzeitig  in  Gremona  lebten,  war  es  ganz  natürlich,  daß  sie  den  naheliegenden 
Irrthümern  in  der  Namensuntericheidung  nach  Möglichkeit  vorzubeugen  suchten. 
Francesco  Rugieri  und  sein  Sohn  Vincenzo  fügten  auf  den  Etiquettes  ihrer  In- 
strumente naoh  ihren  Namen  noch  detto  il  Fer^  hinzu,  während  sich  Giovanni 
Battista  Rogeri,  der  aus  Bologna  stammte,  Jo  Bap.  Itogerius  Bon,  (Bononiensis) 
nannte.  Pietro  Giacomo  Rogeri  mit  den  Rugieri  in  Cremona  zu  verwechseln,  war 
weniger  zu  befürchten,  da  jener  in  Brescia  arbeitete  und  daher  seine  Instrumente 
mit  fecit  Brixiae  signirte.  Wir  dürfen  nicht  unterlassen,  hier  Piecolellis'  Ver- 
dienst hervorzuheben,  indem  er  gegen  die  überall  sich  findende  falsche  Erkläning 


1  VgL  Stefano  Davari:  La  musica  a  Mantova.  Mantova,  Segna,  1884.  Se- 
paratabzug S.  16. 

2  Piecolellis  erklärt  diesen  Beinamen  (S.  69)  als  Provinzialismus  für  das  rein 
italienische  pero  (Birnbaum).  Ich  erinnere,  daß  zur  Herstellung  der  Griffbretter, 
Saitenhalter,  Wirbel  und  Sättel  zumeist  das  Holz  des  Birnbaums  gebraucht  wurde. 


524  Kritiken  und  Referate. 


von  Bon.  auf  Giovanni  Battista  Rogeri's  Etiquettes  Front  macht.  Daß  das  Wort 
nur  die  Abkürzung  von  Bononienais  sein  kann,  war  bisher  Niemandem  elngeüallen ; 
die  unglückliche  Idee  irgend  eines  phantasiebegabten  Autors,  der  zuerst  aus  Bon. 
detto  Ü  Bon  (Buono)  herauslas,  wanderte  vielmehr  in  alle  Lexica  und  Spesial- 
werke  über  die  Geschichte  des  Geigenbaues,  und  seitdem  erfreute  sich  G.  B.  Bogeri 
des  auszeichnenden  Beiworts  deUo  il  Bon^  genannt  der  Gute  ! 

Bei  der  in  früherer  Zeit  häufig  auftretenden  inkonsequenten  Schreibweise  der 
Eigennamen  ist  es  nicht  zu  verwundern,  daß  auch  die  Namen  der  Instrumentenmacher 
vielfach  unsicher  überliefert  sind.  Piccolellis  hat  sich  in  anerkennenswerther 
Weise  bemüht,  den  vielfachen  Schwankungen  ein  Ende  zu  machen.  Wo  er  von 
der  bisher  üblichen  Schreibweise  abweicht,  geschieht  dies  zumeist  auf  Grund  ge- 
wichtiger Dokumente.  In  einzelnen  Fällen  aber,  in  denen  ihm  solche  Zeugnisse 
unbekannt  geblieben  sind,  muß  auch  seine  Fassung  verbessert  werden.  So  heißt 
es  z.  B.  nicht  Linareüi  (S.  54),  sondern  Linaiolo^;  desgleichen  nicht  Noverei 
(S.  61),  sondern  Noverci^.  Ebenso  muß  wohl  auch  des  jüngeren  Sidliani's  Vor- 
name Gioacchino  (wie  Piccolellis  S.  74  schreibt)  in  (Hov.  Battista  korrigirt  werden  3. 
Es  sei  mir  erlaubt,  an  dieser  Stelle  noch  die  Namen  einiger  italienischer  Lauten- 
macher anzuführen,  die,  soweit  ich  unterrichtet  bin,  den  meisten  neueren  Autoren 
unbekannt  geblieben  sind:  Paolo  Beiami,  Antonio  Cortaro,  Christofilo  und  Seba- 
stiano  Bochi  und  Georgius  Sella  alla  Stella  <.  Sie  werden  in  Baron's  »Untersuchung 
des  Instruments  der  Lauten«  ^  (S.  93  ff.)  citirt,  müssen  sich  demnach  durch  hervor- 
ragende Arbeiten  ausgezeichnet  haben.  »Beiami  wohnten  —  wie  Baron  schreibt  — 
»zu  Paris  und  hat  sich  daselbst ..  .  .  einen  unsterblichen  Buhm  erworben  und 
fiorirte  um  das  Jahr  1612«.  »Antonio  Cortaro«,  so  fährt  Baron  fort,  »hat . . .  Anno 
1614  in  Rom  gelebet.  Christofilo  Rochi  (!)  und  Sebastian  Rochi  haben  beyde 
Anno  1620  florirt;  der  erste  lebte  zu  Padua,  der  andere  aber  zu  Venedig.  Geoi^ 
gius  Sella  alla  Stella  lebte  Anno.  1624  zu  Venedig«. 

Soviel  über  den  ersten,  den  Haupttheil  des  Buches.  Schon  oben  ist  kurz 
über  den  zweiten  Abschnitt  berichtet  worden.  Er  handelt,  wie  wir  bereits  wissen, 
ebenfalls  von  der  italienischen  Schule,  bringt  aber  insofern  etwas  Neues,  ab  hier 
eine  vortreffliche  Charakteristik  der  Instrumente  der  größten  italienisehen  Meister 
dargeboten  wird.  Piccolellis  hat  die  Merkmale  der  Arbeiten  Gasparo's  da  Sali», 
Giovan  Paolo  Maggini's,  der  Amati,  Antonio  Stradivari's  und  endlich  Giuseppe 
Guamieri's  [del  Gesü)  mit  bewundemswerthem  Fleiße  zusammengestellt ;  seine  Be- 
schreibungen der  einzelnen  Instrumententypen  zeugen  von  scharfer  Beobachtunf^- 
gabe  und  großer  Gewissenhaftigkeit.  Wir  dürfen  ihm  deshalb  auch  bezüglich  der 
Resultate  seiner  Messungen,  die  er  an  Meisterstücken  Giovan  Paolo  Maggini'a, 
der  Amati  und  Stradivari's  angestellt  hat,  und  welche  wir  natürlich  nicht  kontro- 
liren  können,  vollen  Glauben  schenken. 

Ich  darf  mich  über  die  folgenden  Theile  kurz  fassen.     Sie  stehen  qualitativ 


*  Vgl.  Valdrighi,  Nomocheliurgograßa,  S.  172.  Vidal,  1.  c,  schreibt  gleichfalls 
unrichtig  ZinetroUi, 

2  Siehe  das  Verzeichniß  der  florentiner  Instrumentenmacher  bei  Leto  Puliti, 
l.  c.  pajT.  172. 

^  Siehe  den  Elenco  degli  Strumenti  musicali  antiehi  .  .  .  posseduti  dal  N'ob. 
Co.  F.  C.  di  Venezia.  Ven.  Antonelli,  1872.  Desgl.  Monatshefte  für  MueiJtae- 
schichte,  VI  (J874),  S.  105. 

^  Von  den  genannten  Meistern  kennt  Valdrighi  nur  diesen.  VgL  seine  Ntnno' 
cheliurgograßa,  S.  209;  S.  64  daselbst  ist  Sella's  Name  unrichtig  angegeben. 

^  Ernst  Gottlieb  Baron's,  candidati  juris,  historisch-theoretisch  und  praetiedke 
Untersuchung  des  Instruments  der  Lauten.  Nürnberg,  Rüdiger,  1727. 


Liutai  antichi  e  modemi  yon  Giovanni  de  Piccolellis.  525 


und  quantitativ  in  einem  ganz  und  gar  ungleichen  Verhältnisse-  zu  dem  Vorher- 
gehenden. Der  Abschnitt  über  die  französischen  Instrumentenmacher  schließt  sich 
an  Vidal's  Arbeit  an  und  derjenige  über  die  englischen  geht  nicht  über  Georg 
Hart's^  Untersuchungen  hinaus.  Den  Deutschen  und  Niederländern  ist  zwar  ein 
weit  größerer  Raum  als  den  Franzosen  und  Engländern  gewidmet,  allein  was  er 
über  jene  enthält,  ist  zumeist  unbrauchbar  und  strotzt  geradezu  von  Irrthümem 
aller  Art.  Ich  halte  es  für  meine  Pflicht,  eben  weil  ich  die  vielen  Vorzüge  des 
Buches  anerkenne  und  hochschätze,  hier  auch  eingehend  der  Mängel  zu  ge- 
denken. Möchte  damit  wenigstens  etwas  die  nur  zu  sehr  zu  fürchtende  Fortpflan- 
zung der  falschen  Nachrichten  verhindert  werden!  Ich  folge  nun  der  alphabe- 
tischen Anordnung  des  Abschnittes.  Seite  155  schreibt  Piccolellis  wörtlich:  Artmann 
Wegmann,  scolare  dt  Ernst,  lavorb  in  Gotha  nel  XVII  (sie)  seeolo.  Lange  Zeit 
habe  ich  mich  vergeblich  bemüht,  über  die  Person  dieses  wunderlichen  Artmann 
Wegmann  klar  zu  werden.  Bei  Georg  Hart^  las  ich  denselben  —  räthselhaften 
Satz,  nur  natürlich  in  englischer  Sprache,  sonst  aber  nirgends  eine  zuverlässige 
Notiz.  Endlich  fand  ich  die  Lösung  des  Räthsels:  Wegmann  soll  den  kleinen 
Ort  Wechmar  bei  Gotha  bedeuten,  wo  Artmann  (Hartmann?)'  sein  Kunsthand- 
werk, das  er  bei  dem  bekannten  Violinisten  und  Geigenbauer  Franz  Anton  Ernst 
erlernt  hatte,  mit  Eifer  pfl^e.  Es  versteht  sich  nun  auch  von  selbst,  daß  wir 
sein  Wirken  nicht  in  das  17.  Jahrhundert,  sondern  gegen  Ende  des  18.  und 
Anfang  dieses  Jahrhunderts  setzen  müssen.  Falsch  ist  auch  das  Todesjahr  Carl 
Ludwig  Bachmann's  (S.  155)  angegeben,  der  nicht  1801,  sondern  1809  starb.^  Zu 
verbessern  ist  femer  der  Passus  (S.  155)  Dechert,  Giovanni  Nicola,  fabbricö  .  .  .  a 
Ghrohrutenback  (!)  nel  XVII  seeolo  in  Deckert,  Oroßbreitenbaoh  (bei  Arnstadt 
im  Schwarzburgischen)  Ende  des  18.  und  Anfang  des  19.  Jahrhunderts ; 
ebensowenig  gehört  auch  der  Darmstädter  Nikolaus  Diehl  (S.  155)  dem  17., 
sondern  dem  19.  Jahrhundert  an.  Was  Piccolellis  von  dem  berühmten  tiroler 
Oeigenmacher  Caspar  Tieffenbrucker  (Duiffoprugcar)  zu  sagen  weiß,  ist  nur  eine 
Wiederholung  dessen,  was  schon  Andere  vor  ihm  berichtet  haben.  Auffallender 
Weise  nimmt  er  von  Jacquot's  Vermuthung^  Tieffenbrucker  habe  sich  um  1560 
in  Nancy,  am  Hofe  des  Herzogs  Carl  III.  von  Lothringen  aufgehalten,  keine 
Notiz.  Wie  der  ehrwürdige  Wiener  Kapellmeister  Johann  Josef  Fuz  von  Picco- 
lellis (S.  158)  als  Lautenmacher  hingestellt  werden  konnte,  ist  unbegreiflich.  Na- 
türlich ist  Mathias  Fux,  »römisch  kaiserlicher  Majestät  Hoflautenmacher  in  Wien« 
gemeint  <^.  Über  Conrad  Gerle  (S.  158)  lesen  wir  nur  zwei  Zeilen.  Ich  verweise 
den  Leser,  der  sieh  über  diesen  alten  Nürnberger  Meister  näher  unterrichten  will, 
auf  den  immer  noch  nicht  überholten  Aufsatz  J.  K.  S.  Kiefhaber's  7.  — Seite  158 


^  The  violin,  London,  1875, 

2  L  c.  Seite  209. 

'  Der  Hallenser  »Universitäts-Instrumentenmocher«  Jacob  August  Otto,  der 
ebenfalls  bei  Franz  Anton  Ernst  die  Kunst  des  Geigenbaues  erlernt  hatte,  also 
Artmann's  Mitschüler  war,  citirt  in  seiner  verdienstvollen  Schrift:  Über  den  Bau 
und  die  Erhaltung  der  Geige  .  .  .  Halle  und  Leipzig,  1817,  Seite  31  Artmann,  nicht 
Hartmann,  schreibt  aber  unrichtig  Wegmar, 

*  Siehe  Ledebur:  Tonkünstler -Lexikon  Berlins,  Berl,  1861  y  Seite  26.  Man 
verbessere  auch  F^tis  [hiogr,  univ.  1,  209) ,  der  Carl  Ludwig  mit  Anton  Bachmann 
zusammengeworfen . 

*  1.  c.  Seite  50. 

^  Die  Benediktinerabtei  Kremsmünster  bewahrt  von  ihm  eine  Laute,  »zuge- 
richt  1685«.    Vergl.  Huemer,  1.  c.  Seite  129. 

7  Siehe  AUgemeine  musikalische  Zeitung,  Leipzig,  1816  (Band  XVIII), 
Seite  309  ff. 


526  Kritiken  und  Referate. 


citirt  Picoolellis  als  arießce  tedeseo  einen  gewissen  Orobitz,  Man  korrigire  sa- 
nächst  Oroblicz  und  bemerke  dann,  daß  derselbe  ein  Pole  war.  Unrichtig  ist 
femer  die  Angabe  (Seite  159),  daß  Johann  Anton  Hansel  »Violinist  und  Musik- 
lehrer in  Berlin«  gewesen  sei;  er  war  vielmehr  »Kammermusikus  des  jungem 
Hm.  Grafen  von  Schönburg  zu  Rochsburg«.  ^  Ich  übergehe  einige  geringere  Irr- 
thümer,  die  durch  Druckfehler^  entstanden  sein  mögen.  Daß  aber  Piceolellis 
unsern  wackem  Hans  Neusidler  (Newsidler)  zweimal,  S.  160  und  im  Indtce,  in 
Metmdler  umtaufte,  darf  hier  nicht  verschwiegen  werden.  Beiläufig  sei  bemerkt, 
daß  uns  schon  Oeorg  Hart^  mit  demselben  Meusidler  beglückt  hat.  Auf  Seite  161 
verbessere  man  den  Vornamen  Possen's,  des  »Lautenmachers  von  Schongau*  in 
Bayern)  in  Lucas  (Laux),^  femer  lese  man  den  Wirkungsort  Seheinlein's  nicht 
Lfmgenfels,  sondern  Langenfeld  (bei  Erlangen)  und  endlich  statt  ScheU  Schelle^. 
Unsicher  ist  der  Name  des  Wiener  Instrumentenmachers  Statelmann  (S.  16S>.  Ja- 
cob August  Otto  (1.  c.  S.  7)  schreibt  Stateimann,  S.  31  aber  Stadeimann  —  viel- 
leicht ist  Stadhnann  die  allein  richtige  Schreibung.  Für  Tecehler  (S.  168>  ist 
Techler  zu  setzen,  desgleichen  fOr  Thielche  (S.  169;  Tielke^  und  endlich  für  WO- 
hahn  {S.  170)  Wethalm?. 

£s  bedarf  wohl  keines  weiteren  Beweises,  daß  Piceolellis  seiner  Aufgabe 
bezüglich  der  deutschen  Lauten-  und  Geigenmacher  nicht  gewachsen  gewesen  ist 
Er  fand  keine  genügende,  das  umfangreiche  Feld  auch  nur  annähernd  umfassende 
Vorarbeiten,  hatte  keine  Gelegenheit  zu  Original-  und  Spezialstudlen  und  mußte 
sich  daher  mit  den  spärlichen,  und  vielfach  selbst  schon  unrichtigen  Notizen  be- 
helfen,  die  er  aus  den  Werken  französischer  und  englischer  Autoren  zusammenlas. 
Statt  weiterer  Ausstellungen  nehme  man  die  folgenden  Zusätze  hin ;  sie  mögen  als 
kurze  Andeutungen  angesehen  werden,  als  kleine  Kömchen,  die  zum  Gesammt- 
werke  nur  eine  bescheidene  Beisteuer  bilden  wollen. 

Schon  früh  hatte  sich  unsere  deutsche  Instrumentenbaukunst  in  Italien  be- 
merkbar gemacht  und  die  dortige  Kunstausübung  nicht  unwesentlich  beeinflußt 
Ja,  noch  mehr:  liange  Zeit,  schon  gegen  Ende  des  15.  bis  in  die  Mitte  des 
16.  Jahrhunderts,  sind  die  vomehmsten  Vertreter  des  Lauten-  und  Geigenbaues 
in  Italien  Männer  deutscher  Abkunft  gewesen.  Noch  ehe  uns  nur  die  Namen 
national-italienischer  Lautenmacher  überliefert  werden,  blühten  schon  längst  Jo- 
hann Kerlino  (Kerl?;»,  Lucas  Mahler  und  später  Caspar  Tieffenbmcker.     Erst  in 


1  So  unterzeichnet  er  sich  selbst  am  Schluß  eines  Artikels  in  der  AUgem.  nutsi- 
hol.  Zeitung,  Leipzig,  1811.    Seite  82. 

2  Man  schreibe  Jatig  dt  Dresda  für  Tung  dt  Lipzia  (S.  159,,  Kämbi  fOr 
Xambl  (S.  159),  Halle  u.  Leipzig,  Ruff  für  Haue,  Reinecke  (S.  160;,  Ilmenau  für 
Hilmenau  (S.  170).  Schon  vorher  verbessere  man  S.  11,  Note  1  die  Zahl  ld7i  zu 
1782,  S.  31  Gancino  zu  Orancino  und  endlich  in  den  note  aggiunte  (S.  31;  die 
Zahl  1652  zu  1682, 

>  l.  c.  Seite  204  und  214. 

*  Vergl.  Monateheßef,  Musikgeschichte,  \1II  (1876;.    S.  75. 
^  Siehe  Baron,  1.  c.     S.  97. 

*  Nach  Baron,  a.  a.  O.     Seite  95. 
7  Jlach  Otto,  l.  c.  Seite  31. 

»  Über  Kerlino's  Nationalität  waren  und  sind  noch  die  verschiedensten  Mei- 
nungen im  Umlauf.  Daß  er  kein  Italiener  gewesen,  wird  in  neuerer  Zeit  &8t  von 
allen  Seiten  zugegeben.  Und  ganz  mit  Recht.  La  Borde  erklärte  die  Vorsilbe 
JTer  als  ein  dem  Celtischen  eigenthümliches  Praefix  und  folgerte  daraas,  daß 
Kerlino's  Heimath  die  Bretagne  gewesen  sei.  Wahrscheinlicher  und  weniger  ge- 
zwungen scheint  es  mir,  wenn  wir  in  Kerlitio  einfach  die  Diminutivform  von  Kerl 


Liutai  antichi  e  modemi  von  Giovanni  de  Piccolellis.  527 


der  zweiten  Hälfte  des  16.  Jahrhunderts  erhob  sich  der  Geigenbau,  zunächst  in 
Brescia,  dann  in  Cremona,  zum  eigenen,  nationalen  Kunsthandwerke,  sich  schnell 
zu  herrlichster  Blüthe  entfaltend  und  alle  gleichartigen  Bestrebungen  anderer 
Völker  weithin  überstrahlend.  Ich  kann  nicht  umhin,  auf  die  merkwürdige  Ana- 
logie hinzuweisen,  welche  um  dieselbe  Zeit  die  Entwicklung  der  italienischen 
Musik  zur  Erscheinung  brachte.  Hier  wie  dort  waren  es  germanische  Elemente, 
die,  auf  italienischen  Boden  übertragen,  die  Ecksteine  des  Fundaments  bildeten, 
auf  welchem  sich  der  spätere  Prachtbau  italienischer  Kunst  erhob. 

Von  den  oben  erwähnten  ältesten  Lautenmachem  ist  Lucas  Mahler  verhält- 
nißmäßig  am  wenigsten  bekannt.  Piccolellis  citirt  ihn  überhaupt  nicht,  und  was 
Andere  über  ihn  angeben,  ist  durchweg  unrichtig.  Schon  Baron ^  hat  Mahler^ 
Blüthezeit  um  nicht  weniger  als  100  Jahre  zu  früh  angesetzt,  und  seitdem  pflanzte 
sich  dieser  Fehler  bis  in  die  neueste  Zeit  fort  2.  Lucas  Mahler  lebte  nämlich 
nicht  schon  um  1400,  sondern  erst  um  1500.  In  der  alten,  musikliebenden  Stadt 
Bologna  hatte  er  seine  Werkstätte  aufgeschlagen ;  wie  lange  er  dort  gewirkt,  ist 
nicht  bekannt  Sicher  ist  nur,  daß  er  noch  im  Jahre  1523  in  Bologna  gearbeitet 
hat,  und  daß  sich  seine  Instrumente  eines  weitverbreiteten  Bufes  erfreuten^.  — 
Der  deutsche  Geigenbau  fand  aber  nicht  nur  während  der  ersten  Hälfte  des 
16.  Jahrhunderts  in  Italien  hervorragende  Vertreter,  sondern  auch  noch  etwa 
100  Jahre  später,  zu  einer  Zeit  also,  in  welcher  die  einheimische  Kunst  schon  zu 
voller  Entwicklung  gereift  war.  Daß  unsere  deutschen  Landsleute  damals  mit 
den  Arbeiten  ihrer  italienischen  Kollegen  erfolgreich  wetteiferten,  ist  uns  durch 
Baron  verbürgt.  Besonders  waren  es  Buchenberg  (oder  Buckenberg)  und  Michael 
Härtung,  die  ihren  Instrumenten  allgemeine  Anerkennung  zu  verschaffen  wußten. 
Buohenberg  lebte  um  1600  in  Rom.  »Man  hat«,  so  berichtet  Baron*,  »die  vor- 
trefflichsten Theorben  von  ihm,  die  nur  zu  finden  seyn,  e.  g.  Oval-rund,  von  einer 
sehr  proportionirlichen  Grösse,  von  einem  sehr  delicaten  durchdringenden  metallenen 
Thon.  Wer  das  Glück  hat  von  diesem  besondrem  und  vortrefflichen  Meister 
etwas  zu  besitzen,  der  kann  nur  solches  als  ein  wahres  Kleinod  von  Instrumenten 
aufheben.  Das  Dach  oder  die  Decke  ist  insgemein  mit  drey  Sternen  nach  Ko- 
mischer Art  gezi ehret,  damit  sie  den  Thon  gut  auswerffen  können«.  »Michael 
Härtung«,  schreibt  Baron  weiter,  »lebte  Anno  1624  zu  Fadua.  Dieser  Härtung-^ 
hat  noch  bey  dem  gants  jungem  Leonhard  Tieffenbrucker  welcher  auch  gar  feine 
Arbeit  gemacht,'  welche  fast  mit  des  Vendelino  Tieffenbrucker's  übereinkommt,  zu 
Venedig  gelemet«.  —  Es  hieße  die  Grenzen  dieses  Referats   ungebührlich  über- 


(KerU)  erblicken  und  ihn  somit  dem  germanischen  Volksstamme  zuweisen.  Val- 
drighi,  1.  c.  Seite  47,  geht  sogar  noch  weiter,  indem  er  ihn  für  einen  Tiroler  hält, 
fügt  aber  seiner  Angabe  vorsichtiger  Weise  ein  Fragezeichen  hinzu. 

»  1.  c.  Seite  56  und  92. 

^  Auch  Valdriffhi,  1.  1.  Seite  56,  ist  in  denselben  Irrthum  verfallen;  er  citirt 
übrigens  inkorrekt  maUer,    Vgl.  Jahrg.  II  dieser  Zeitschrift,  S.  39. 

'  Zum  Beweise  diene  die  folgende  Stelle  aus  einem  Briefe  des  Markgrafen 
Friedrich  von  Mantua  an  Don  Ercole  Gonzaga:  —  Essendo  not  uetiuto  in  desiderio 
dt  Kauere  uno  lyuto  (!)  fatio  per  mano  dt  M^^.  Luca  Mdlher  (!),  cKh  li  in  Bolognia 
pregamo  V.  S.  che  voglia  esser  contenta  dare  carico  ad  uno  de*  suoi  seruiiori  di 
cercar  eeso  M^o.  Luca  et  uedere  se  P  hauese  cosa  che  fasse  a  nosiro  proposito  et  il 
pretio  che  ne  dimanda  aduertendo  che  noi  u&ressimo  uno  lyuto  mezano  cio^  che  non 
Josse  arande  ne  anche  piccolo  et  bono  in  exceUentia  .  .  .  Mantue  XIX  Martii 
MDXXIII,    Orig.  im  Archiv  Gonzaga  zu  Mantua. 

*  1.  c.  Seite  94.     Valdrighi,  a.  a.  0.  S.  15,  schreibt  Buechtenherg. 

^  Seite  93  citirt  Baron  auch  einen  Schüler  Hartung's:  Raphael  MesL 


528  Kritiken  und  Beferate. 


schreiten,  venn  ich  an  diesem  Orte  den  in  Italien  ansfissig  gewesenen  deutschen 
Lauten-  und  Oeigenmachem  noch  weitere  Beachtung  schenken  wQrde.  Daß  das 
Thema  durch  das  oben  Angegebene  nur  nothdürftig  skisiirt  und  keineswegs  er- 
schöpft ist,  ist  selbstverständlich.  Ebensowenig  kann  ich  mieh  über  die  Yon  Pic- 
colellis  und  den  meisten  andern  Autoren  unbeachtet  gebliebenen  deutschen  Instro- 
mentenmacher,  die  in  ihrem  Vaterlande  lebten  und  wirkten,  ausführlicher  verbreiten. 
Ich  gebe  daher  nur  kurz  die  Namen  der  bedeutenderen  Meister  an,  die  —  wie 
ich  meine  —  in  einer  Abhandlung  über  die  deutschen  Instrumentenbauer  nieht 
übergangen  werden  dürfen:  Aus  der  ersten  Hfilfte  des  17.  Jahrhunderts  Seba- 
stian Rausgier,  Hans  Fiohtholdt  und  Mathias  Epp  (in  Straßburg) ;  aus  der  sweiten 
Hälfte  Mathias  Regenstun  in  Wien  und  Johann  Seelos  in  Linz.  Von  den  Mei- 
stern, die  in  den  ersten  Jahrzehnten  des  18.  Jahrhunderts  blühten,  dürfen 
nicht  ungenannt  bleiben  Andreas  Bahr  in  Wien,  Sebastian  Rauch  in  Prag,  Schmid 
(ein  Schüler  Johann  Christian  Hoffmann's)  in  Leipzig,  Jacob  Weiss  in  Salzburg, 
Mathias  Himimel  (Schelle's  Lehrmeister)  in  Nürnberg,  Johann  Blasius  Weigertii^ 
in  Linz  und  endlich  die  Breslau  er  Michael  Stürtzer  und  Johann  Michael  Oüttler'. 
Dem  allgemeinen  Urtheil,  das  ich  Eingangs  dieser  Besprechung  über  Pieeo- 
lellis'  Buch  ausgesprochen,  wird  man  nach  all  dem  Gesagten  beistimmen.  Ich 
wiederhole,  der  Verfasser  hätte  sich  und  seiner  Arbeit  einen  größeren  Dienst  ge- 
leistet, wenn  er  sich  auf  die  Darstellung  der  Entwicklung  des  italienischen  Lau- 
ten- und  Geigenbaues  beschränkt  hätte.  Hierin  hat  er  uns  das  Vortrefflichste 
geliefert,  was  bis  jetzt  über  denselben  Gegenstand  geschrieben  worden  ist.  Ich 
gestehe  aber  gern,  daß  selbst  alle  die  angegebenen  Ausstellungen  die  vielen  Vorzüge 
des  Buches  nicht  verdunkeln  können.  Möge  dasselbe  in  den  Kreisen  der  Musik- 
gelehrten  die  verdiente  Beachtung  finden  und  zu  weiteren  Studien  Veranlassung 
geben. 

Berlin.  Bmil  VogeL 


Stefano  Davari^  La  Musica  a  Mantova.  Notizie  biografiche  di 
Maestri  di  Musica,  Cantori  e  Suonatori  presao  la  Corte  di  MantoTa 
nei  secoli  XV,  XVI  e  XVII  tratte  dai  documenti  dell'  Archivio 
storico  Gonzaga.  Separatabdruck  aus  der  »Rivista  storica  mantovana«, 
vol.  I.  fasc.  1 — 2.  Mantova,  stab.  tipo-lit.  Eredi  äegna,  editori. 
1884.     19  S.     80. 

Die  folgenden  Zeilen  weisen  nicht  auf  ein  größeres,  selbständig  gedrucktes 
Werk  hin,  sondern  auf  einen  kurzen  Aufsatz,  der  in  einer  Zeitschrift  erschien, 
die  wohl  nur  in  wenigen  Exemplaren  in  den  öffentlichen  Bibliotheken  außerhalb 
Italiens  zu  finden  ist.  Es  ist  mir  darum  eine  umso  angenehmere  Pflicht,  die  Leser 
der  » Vierteljahrsschrift «  auf  die  kleine,  oben  angeführte  Arbeit  Stefano  Davari's 
aufmerksam  zu  machen  und  damit  wenigstens  etwas  zu  ihrer  allgemeineren  Ver- 
breitung beizutragen.  Davari's  Musica  a  Maniova  enthält  biographische  Notizen  über 
Bartolomeo  Tromboncino,  Marchetto  Cara,  Carlo  di  Launay  und  Giovan  Angelo 
Testagrossa,  sie  führt  uns  mitten  in  die  Blütheseit  der  Frottoleliteratur  und 
schildert  uns  die  vorzügliche  Pflege,   welche  der  Musik  in  Mantua  unter  der  Be- 


,  ^        1  Sollte  derselbe  nicht  mit  dem  von  Piccolellis  (S.  170)  citirten  Wikeri  iden- 

tisch sein? 

2  Über  die  meisten  der  oben  Angeführten  vergl.  Baron,  1.  c.  Seite  93  iL 


La  Musica  a  Mantova  von  Stefano  Davari.  529 


gierung  des  Markgrafen  Franz  II  und  seiner  kunstsinnigen  Gemahlin  Isabella  zu 
Theil  ward.  Dasselbe  Thema  hatte  freilieh  schon  Pietro  Canal^  behandelt,  aber 
doch  nicht  in  so  erschöpfender  Weise  wie  es  nunmehr  von  Davari  geschehen. 
Eine  'Menge  der  wichtigsten  Dokumente,  die  das  Archiv  Oonzaga  bewahrt,  blieb 
Canal  unbekannt,  und  so  konnte  seine  Arbeit  —  so  Anerkennenswerthes  er  damit 
geleistet  —  in  einzelnen  Kapiteln  doch  nur  einen  Theil  der  gestellten  Aufgabe 
lösen.  Was  seinem  Buche  bezüglich  der  vier  genannten  Meister  mangelt,  hat 
Davari  mit  vieler  Sorgfalt  zusammengetragen  und  uns  damit  ein  im  Ghroßen  und 
Ganzen  abgeschlossenes  Lebensbild  jener  Männer  gezeichnet.  Nebenbei  aber  er- 
fahren wir  noch  zahlreiche  höchst  schätzbare  Nachrichten  über  diejenigen  Meister, 
welche  zur  selben  Zeit  zum  Hofe  von  Mantua  in  mehr  oder  weniger  nahen  Be- 
siehungen gestanden,  vor  allem  über  Alexander  Agricola,  Johannes  Martini^  und 
Josquin  de  Pros. 

Was  Davari  über  Bartolomeo  Tromboncino  und  Marchetto  Cara  berichtet,  ist 
durchweg  neu  und  bereichert  unsere  Kenntnisse  der  Lebensumstände  der  beiden 
bedeutendsten  Frottolisten  ^  in  so  großem  Maße,  daß  wir  über  dieselben  weit  besser 
unterrichtet  sind  als  über  eine  nicht  geringe  Anzahl  von  Tonmeistern  aus  viel  jüngerer 
Zeit.  Der  kunstliebende  mantuanische  Hof,  an  der  Spitze  die  Markgräfin  Isabella, 
unterhielt,  um  ihren  Hofmusikern  beständig  neues  Material  zu  neuen  Kompositionen 
zu  liefern,  mit  den  bedeutendsten  Dichtem  jener  Zeit  die  regsten  Verbindungen, 
besonders  mit  Galeotto  del  Carretto*,  Niccolö  di  Correggio  und  Antonio  Tebaldeo. 
Die  uns  erhalten  gebliebenen  Kompositionen^  der  beiden  Meister  dürfen  daher  nur 
als  ein  geringer  Bruchtheil  ihrer  künstlerischen  Fruchtbarkeit  angesehen  werden. 
Gleichfalls  neu  und  werthvoll  sind  Davari's  biographische  Notizen  über  den  Sänger 
Carlo  di  Launay  und  den  Lautenspieler  Giovan  Angelo  Testagrossa,  Künstler,  die 
bis  jetzt  so  gut  wie  unbekannt  waren,  über  welche  wenigstens  alle  näheren  Nach- 
weise bezüglich  ihres  Lebens  fehlten. 

Davari's  Aufsatz  entspricht  allen  Anforderungen,  die  man  an  eine  wissen- 
schaftliche Arbeit  zu  stellen  berechtigt  ist,  und  erfüllt  uns  daher  mit  umso  leb- 
hafterem Wimsche,  das  Begonnene  recht  bald  fortgesetzt  zu  sehen.  Dazu  ist  der 
geschätzte  Autor  durch  seine  amtliche  Stellung,  er  ist  Archivar  am  Archivio  atorico 
Gonzaga,  wie  kein  Anderer  begünstigt  und  berufen.  Möge  er  uns  aus  dem  reichen, 
seiner  Aufsicht  unterstellten  Schatze  noch  recht  Vieles  darbieten  —  er  darf  des 
aufrichtigsten  Dankes  aller  Musikhistoriker  versichert  sein. 

Berlin.  Emil  Vogel. 


^  DeUa  Musica  in  Mantova,   Veneziaj  Antoneüi,  188]. 

2  Davari  giebt  der  Form  Martin  den  Vorzug.  Die  Schreibung  Joannes  Martini 
ist  aber  gebräuchlicher.  Vergl.  Petrucci's  Sammlungen,  die  sechs  Kompositionen 
Martini's  enthalten,  femer  den  Cod.  59  (Cl.  XIX)  der  Biblioteca  Nazionale  zu 
Florenz,  worin  Martini  mit  sieben  Stücken  vertreten  ist,  endlich  den  Liedercodex 
im  Archivio  del  Capitolo  di  S.  Pietro  in  Eom,  der  zwei  Nummern  von  Martini 
aufweist. 

^  Über  die  poetische  und  musikalische  Form  der  Frottola  siehe  Rudolf  Schwartz : 
Dis  Frottole  im  16.  Jahrhrndert.  (Vierteljahrsschrift  f.  Musikwi«sensch.  II,  S.  427 ff.). 

^  Ven^l.  Giovanni  Oirelli:  Rime  e  lettere  inedite  di  Galeotto  del  Carretto  e 
lettere  di  fsaheUa  dEste  Gonzaga,     Torino,  Bona,  1886. 

5  Von  Tromboncino's  Vater,  Bernardino  Piffero,  der  in  Diensten  der  Signoria 
von  Venedig  stand,  befindet  sich  eine  vierstimmige  Komposition,  DiusflJ  del  ciel, 
in  den  Fioretti  di  frottole  .  .  .  libro  secondo,  stamp.  in  Napoli,  per  Joanne  anüonio 
de  Laneto  de  Pavia  1519.    Ein  Exemplar  besitzt  die  Bibl,  Marucelliana  zu  Florenz. 


g^Q  Kritiken  und  Referate. 


A,  /.  Hipkins,  Musical  Instruments  historic,  laie  and   unique. 

The  selection,   introduction  and  descriptive  notes  by 

Edinburgh  (Black)  1888.     Mit  50  farbigen  Tafeln.    108  S.  in  fol. 

Im  Jahre  1885  fand  in  der  Albert-HaU  zu  London  eine  bemerkenswerthe  Aus^ 
Stellung  musikalischer  Instrumente  statt,  zu  welcher  Privatleute  ebenso  wie  öffent- 
liche Institute,  zumeist  aus  England  und  Schottland,  ihre  Schätze  beigesteuert 
hatten.  Dort  fand  sich  zusammen,  was  ohne  besondere  Glücksumstände  kaum  ein 
Sterblicher  leicht  kennen  zu  lernen  Gelegenheit  hat;  denn  in  den  Händen  eng- 
lischer, schottischer  und  welscher  Großen  findet  sich  manches  einzigartige  und 
daher  mit  Argusaugen  gehütete  Kleinod  des  Instrumentenbaues.  Ein  eifriger  In- 
strumentensammler in  Edinburgh,  Robert  Glen,  gab  die  höchst  dankenswertJie  An- 
regung, die  dort  nur  vorübergehend  geschaffene  Vereinigung  werthvoller  Musik- 
instrumente wenigstens  in  Wort  und  Bild  festzuhalten.  Hipkins  unternahm  mit 
Hilfe  des  Malers  William  Gibb  die  Ausführung  dieses  Gedankens.  Das  Ergebniß 
der  Arbeit  liegt  in  einem  Prachtfolianten  vor.  Wir  würdigen  das  Verdienst,  welches 
sich  die  Verfasser  erworben  haben,  in  seiner  ganzen  Große,  wennschon  dem  Werke, 
über  dessen  Verhältniß  zu  jener  Ausstellung  man  sich  nicht  in  jedem  einzelnen 
Falle  klar  wird,  einige  Mängel  anhaften,  welche  mit  leichter  Mühe  hätten  ver- 
mieden werden  können,  es  nunmehr  aber  um  ein  erhebliches  theurer  und  trotzdem 
weniger  brauchbar  gemacht  haben. 

Vor  allem  leidet  es  an  einer  gewissen  Planlosigkeit  in  der  Anordnung  des 
Stoffes.  Was  Hipkins  giebt,  ist  im  Allgemeinen  genommen  ganz  vortrefflich  und 
zeugt  von  eigenem,  selbständigem  Studium.  Die  Art  und  Weise  jedoch,  wie  er 
seinen  Stoff  giebt,  ja  auch  das,  was  er  zu  sagen  unterläßt,  zeugt  von  einem  empfind- 
lichen Mangel  an  wissenschaftlicher  Schulung.  Das  Wort  »philologische  Methode* 
mag  ja  manchem  Kunstkenner  anstößig  klingen.  Was  aber  ihr  Fehlen  su  be- 
deuten hat,  kann  man  an  unserem  Beispiel  recht  deutlich  erkennen.  Anstatt  daß 
die  Instrumentenabbildungen  nur  eine  sehr  willkommene  Stütze  der  geschichtlichen 
Erläuterungen  bilden  sollten,  sind  sie  vielmehr  hier  zur  Hauptsache,  zum  Angel- 
punkt der  ganzen  Veröffentlichung  geworden.  Der  Text  des  Werkes  dient  nur 
als  untergeordnetes  Beiwerk,  sodaß  das  Ganze  auf  einen  Bilderatlas  hinausläuft, 
der  zwang-  und  wahllos  eine  Anzahl  von  zufällig  vorhandenen  Instrumenten  ab- 
malt, und  zu  welchem  schließlich  ein  Fachmann  ebenso  zwang-  und  wahllose 
Notizen  hinzuschüttet,  wie  sie  ihm  gerade  schnell  beigefallen  sind.  Erklären  läßt 
sich  dieses  Verfahren  aus  der  oben  erwähnten  Veranlassung  des  Werkes  sehr  wohl, 
aber  nicht  entschuldigen.  Denn  diese  Planlosigkeit  ist  nicht  eine  scheinbare,  wie 
sie  ein  geschickter  Stilist  wohl  mit  Absicht  hervorbringt,  um  sich  dem  Konver- 
sationston imd  damit  seinem  Publikum  mehr  anzunähern ;  bei  Hipkins  ist  sie  viel- 
mehr eine  durchgehende  Schwäche,  die  sich  bis  in  kleine  Einzelheiten  hinein  ver- 
folgen läßt  So  stellt  die  erste  Tafel  Hörner  dar,  die  zweite  und  dritte  Harfen. 
die  nächsten  Bilder  bringen  Dudelsackarten ,  es  folgen  Clavicytherium ,  Olifant, 
Virginal,  Laute,  Guitarre,  Positiv  u.  s.  f.,  alles  bunt  durcheinander.  Wer  also  bei- 
spielsweise über  Klavierinstrumente  etwas  zusammenhängendes  wissen  will,  muß 
es  sich  aus  allen  Gegenden  des  nicht  gerade  handlichen  Folianten  zusammensuchen, 
und  dann  erst  stellt  sich  folgende  Keihe  von  Instrumenten  dar: 

Tafel    6.    Clavicytherium,  Anfang  16.  Jahrh. 
»       8.    Virginal,  um  1570. 
»      11.    Positiv,  erste  Hälfte  17.  Jahrh. 


Musical  Instruments  historic,  rare  and  unique  von  A.  J.  Hipkins.      53  } 


Tafel  12.  Regal,  Ende  16.  Jahrh. 

»  13.  Portativ,  16)^8,  und  Bibelregal. 

»  18.  Virginal,  1622. 

»  20.  Boppelspinett,  ungefthr  der  Zeit  wie  Toriges. 

»  22.  Spinett,  Ende  17.  Jahrh. 

>  34.  Clavichord,  erste  Hälfte  18.  Jahrh. 

»  35.  Harpsiohord,  1773. 

Offenbar  hatte  Hipkins  eine  seitliche  Naoheinanderfolge  der  Instrumente  im 
Sinne,  aber  innegehalten  hat  er. sie  nicht.  So  stehen  die  Klavierinstrumente  11 
und  13  nicht  an  ihrer  richtigen  Stelle.  Um  ein  anderes  Beispiel  zu  geben,  ist  es 
mir  ganz  unerfindlich,  warum  die  antiken  Blasinstrumente  Liiuus  und  Buccina, 
die  nach  chronologischer  Anordnimg  doch  an  erster  Stelle  stehen  müßten,  erst 
den  39.  Platz  angewiesen  bekamen;  und  wiederum,  wenn  sie  mit  einigen  ihnen 
nachfolgenden  Blasinstrumenten  eine  Gruppe  bilden  sollten,  so  sieht  man  nicht 
ein,  warum  denn  dieser  Gesichtspunkt  nicht  auch  anderwärts  angenoomien  worden 
ist.  Und  dabei  stehen  die  genannten  beiden  Instrumente  mitten  zwischen  später 
gebräuchlichen  und  nach  den  ihnen  gleichartigen.  Wie  außerordentlich  unbequem 
ist  nun  bei  diesem  Mangel  an  Ordnung  die  Benutzung  des  dicken  Buches! 
Nirgends  bietet  sich  eine  fortlaufende  Gedankenreihe ;  Notiz  folgt  auf  Notiz,  wie 
im  Kaleidoskop  eine  Figur  auf  die  andere. 

Um  die  Unübersichtlichkeit  nocn  zu  vermehren,  hat  Hipkins  den  erläuternden 
Text  nochmals  gespalten,  nämlich  in  eine  Einleitung  von  19  Seiten  Länge  und  in 
die  50  kleinen  Abschnittchen  mit  Bemerkungen  zu  den  einzelnen  Instrumenten.  Dabei 
konnte  es  gar  nicht  ausbleiben,  daß  er  zuweilen  in  diesen  wiederholt,  was  er  in 
jener  bereits  gesagt  hatte.  Man  vergleiche  z.  B.  die  Bemerkungen  über  die  Ge- 
schichte des  Dudelsackes  Einleitung  S.  XIV  und  Tafel  5.  Meiner  Meinung  nach 
wäre  es  allein  richtig  gewesen,  Text  und  Bilderatlas  jedes  geschlossen  für  sich  zu 
geben.  Der  Atlas  hätte  ja  inmierhin  dem  Beize  Bechnung  tragen  können,  welchen 
die  bunte  Mannigfaltigkeit  stets  neuer  Formen  dem  Auge  bietet,  aber  der  Text 
mußte  als  zusammenhängendes  Ganze  erscheinen.  Dadurch  hätte  sich  auch  der  Preis 
des  Werkes  bedeutend  herabmäßigen  lassen.  Während  jetzt  der  Text  dasselbe 
kostspielige  Papiermaterial  beansprucht  wie  die  Bilder,  hätte  der  Druck  vielmehr 
recht  gut  und  sogar  viel  besser  auf  gewöhnlichem  Papier  als  Anhang  zum  Bilder- 
atlas Platz  finden  können.  Hipkins  zerschlug  aber  die  einzelnen  Aufsätze  in  lauter 
kleine  Splitterchen  und  gab  jedem  Instrumentenbilde  sein  Antheilchen  gleich  bei; 
wo  dasselbe  gar  zu  winzig  ausfiel,  steht  eine  halbe  oder  sogar  ganze  Seite  des 
theuren  Pappstoffs  leer  —  der  Käufer  muß  sie  mitbezahlen. 

Wenn  nun  der  Verfasser  die  streng  chronologische  Aufeinanderfolge  mit  allem 
Ernste  hätte  innehalten  wollen,  so  wäre  er  während  dieser  Arbeit  von  selbst  zu 
einem  höchst  bedeutenden  Ergebniß  gekommen.  Eine  wichtige  Seite  der  Instru- 
mentenkunde, —  wenn  man  überhaupt  von  einer  solchen  bisher  reden  darf  —  das 
Bestimmen  der  Instrumente  nach  ihrem  Alter,  entbehrt  noch  völlig  einer  wissen- 
schaftlichen, methodisch  sicheren  Grundlage.  Es  giebt  zwar  eine  kleine  Anzahl 
von  Fachmännern,  welche,  meist  durch  ihren  Beruf  als  Konservatoren  von  Musik- 
instrumentensamnüimgen  darauf  angewiesen,  sich  eine  tiefergehende  Kenntniß  der 
noch  vorhandenen  Tonwerkzeuge  früherer  Zeiten  auf  praktischem  Wege  erworben 
haben,  —  ich  erinnere  nur  an  den  verstorbenen  Karl  Engel.  Daß  aber  eine  so 
erworbene  Kennerschaft  doch  nicht  in  allen  Fällen  ausreicht,  weiß  jeder,  der  einmal 
in  die  Lage  gekommen  ist,  über  ein  bis  dahin  noch  nicht  bekanntes  Instrument 
ein  zeitbestimmendes  Urtheil  abgeben   zu   müssen.     Da  weichen  denn   auch   die 

1888.  36 


532  Efitiken  und  Referate. 


Autoritäten  in  ihren  Aussagen  oft  recht  erheblich  von  einander  ab.  Meist  sind  es 
Faktoren  nicht  musikgeschichtlicher  Natur,  welche  beim  derartigen  Besdnunen  alter 
Instrumente  den  Ausschlag  geben  sollen,  z.  B.  die  Malerei,  welche  sich  am  Instru- 
mente befindet,  besonders  aber  eingeklebte  ZetteL  Das  sind  aber  oft  recht  trtige- 
rische  Kennzeichen,  denn  die  Malereien  können  spftter  zugefügt  aein  und  die 
Zettel  sind  sogar  sehr  häufig  gefälscht.  Aus  seiner  eigentlich  musikalischen  Be- 
schaffenheit heraus  ein  Instrument  allseitig  zn  bestimmen,  ist  nur  auf  Grund  einer 
bisher  noch  nicht  geleisteten  exakten  Instrumentenkunde  möglich.  Diese  aber  hat 
zwei  Seiten,  eine  theoretische  und  eine  praktische.  Die  praktische  Instrumenten- 
kunde hat  es  mit  der  gründlichen  Durchforschung  und  genauen  Beschreibung 
sämmtlicher  noch  vorhandener  Instrumente  früherer  Musikepochen  zu  thun,  wäh- 
rend die  theoretische  Instrumentenkunde  sich  auf  die  gründliche  Erforschung  und 
vorsichtige  Yerwerthung  der  einschlägigen  Literatur  stützt.  Am  reichlichsten 
fließen  die  Hilfsquellen  zu  der  letzteren,  weshalb  es  umso  verwunderlicher  ist, 
daß  gerade  dieser  wichtigste  der  beiden  Theile  so  verwahrlost  daliegt.  Noch  be- 
sitzen wir  nicht  einmal  einen  Versuch  zu  einer  Oeschichtschreibung  des  Instru- 
mentenbaues. Ohne  eine  solche  aber  sind  wir  unfähige  derartige  Allgemeingrund- 
sätze aufzustellen,  wie  sie  der  praktischen  Instrumentenkunde  noüi  thun,  und 
dadurch  wird  diese  auf  die  Beschreibung  der  Beste  des  alten  Instrumentenbaues 
nothwendigerweise  einseitig  beschränkt.  Daß  also  wenigstens  hierin  eine  strenge 
Zuverlässigkeit  obwalte,  ist  die  bescheidenste  Anforderung,  welche  man  an  ein- 
schlägige Werke  stellen  darf.  Leider  muß  ich  gestehen,  daß  Hipkins  dieser 
Forderung  nicht  ganz  gerecht  geworden  ist.  Das  ist  um  so  mehr  zu  beklagen, 
als  sich  ihm  an  den  hier  behandelten  Instrumenten  ein  Beobachtungsstoff  bot,  wie 
er  so  leicht  nicht  wieder  beisammen  angetroffen  wird.  Denn  die  große  Mehrzahl 
der  Instrumente  aus  der  seiner  Arbeit  zu  Grunde  liegenden  Loan-Collection  tragen 
entweder  untrügliche  Angaben  ihrer  Entstehung  oder  sind  Instrumente  von  einer 
allgemein  geschichtlichen  Bedeutung,  über  deren  Alter  und  Abstammung  sich 
Traditionen  gebildet  haben. 

Aus  der  letzteren  Gruppe  hebe  ich  folgende  Instrumente  hervor :  die  Harfe  der 
Maria  Stuart  mit  der  Lamont-Harfe  spätestens  dem  15.  Jahrhundert  angehörend, 
die  Guitarre  Rizzio's,  des  Geliebten  der  Maria  Stuart  —  der  Überlieferung  nach, 
und  die  Laute  der  SLönigin  Elisabeth  von  England.  Wenn  auch  um  diese  In- 
strumente die  Sage  Fäden  gewoben  hat,  welche  die  Forschung  vielleicht  zerreißt, 
so  darf  man  doch  von  Glück  sagen,  überhaupt  derartige  Traditionen  zu  besitzen, 
denn  deren  Vorhandensein  ist  schon  an  sich  der  Beweis  eines  ehrwürdigen 
Alters. 

Ich  möchte  hieran  eine  allgemeine  Bemerkung  knüpfen.  Als  sogenannte 
Reliquien  werden  Musikinstrumente,  auch  wenn  sie  solche  nicht  sind,  aus  zweierlei 
Gründen  ausgegeben:  entweder  ihrer  schmuckvollen  Ausstattung,  oder  aber  ihres 
hohen  Alters  wegen.  Zuweilen  mögen  ja  die  sagenhaften  Überlieferungen  be- 
gründet sein,  aber  dem  Forscher  erwächst  aus  dieser  Möglichkeit  nicht  die  Pflicht, 
ohne  überzeugende  Beweise  an  sie  zu  glauben.  Je  schöner  und  prächtiger  die 
Ausstattung  des  Instrumentes,  desto  reicher  und  —  im  Mittelalter  —  desto  vor- 
nehmer die  Person,  für  welche  es  der  Instrumentenmacher  verfertigte;  bei  solchen 
liegt  die  Wahrscheinlichkeit  einer  geschichtlichen  Überlieferung  —  den  ganzen 
Verhältnissen  des  Mittelalters  nach  —  näher,  als  bei  weniger  geschmückten  In- 
strumenten. Bei  letzteren  steht  folglich  das  höhere  Alter  zu  vermuthen  näher.  Um 
also  zu  einer  ungefähren  Altersbestimmung  zu  gelangen,  muß  man  den  Zeitpunkt 
möglichst  genau  zu  bestimmen  suchen,  in  welchem  die  Überlieferung  zuerst  auftauchte, 
denn  mit  ihm  ist  ein  Anhalt  zu  ferneren  Zeitbestimmungen  gegeben.    Auf  dsr* 


Musical  Instruments  historic,  rare  and  unique  von  A.  J.  Hipkins.      533 


gleichen  Erörterungen  verzichtet  aber  Hipkins  ganz,  sie  schienen  ihm  vielleicht 
zu  unfruchtbar.  Ich  weiß  nicht,  ob  sie  es  gerade  hier  gewesen  wären,  indessen 
kann  der  Leser  sich  nicht  des  OefOhlea  der  Neugierde  erwehren,  zu  erfahren,  was 
eigentlich  an  jenen  Gerüchten  wahr  sei,  welche  von  der  Harfe  Maria  Stuarts,  der 
Guitarre  Bizzio's  und  der  Laute  Elisabeths  reden. 

Die  zweite  Gruppe,  welche  die  Instrumente  mit  untrüglichen  Angaben  ihrer 
Entstehung  bilden,  ist  reicher  vertreten.  Für  die  Instrumentenkunde  ist  sie  über- 
aus wichtig,  denn  gerade  die  datirten  Instrumente  bieten  die  zuverlässigsten  und 
anmittelbarsten  Hilfsmittel,  um  sich  ein  Urtheil  über  den  Entwickelungsgang  des 
Instrumentenbaues  zu  bilden.  Ich  bin  überzeugt,  daß  die  vorliegende  Arbeit,  wäre 
sie  in  dem  Sinne  einer  chronologischen  Mustertafel  für  die  Instrumentenkunde 
aufgefaßt  und  durchgeführt  worden,  angesichts  ihrer  technischen  Mittel  von 
epochemachender  Bedeutung  für  dieselbe  geworden  wäre.  Daran  fehlt  aber  nun- 
mehr gar  mancherlei. 

In  erster  Linie  ist  zu  bemerken,  daß  die  Klavierinstrumente  eine  völlig  un- 
genügende Darstellung  erfahren  haben.  Ich  muß  darüber  meine  Verwunderung 
aussprechen,  denn  gerade  mit  den  Klavierinstrumenten  hat  sich  Hipkins  schon 
seit  langem  beschäftigt,  wie  sein  Aufsatz  über  das  Pianoforte  in  Grove's  Dictionary 
zeigt.  Das  Innere  der  Instrumente  hat  Hipkins  offenbar  einer  Untersuchung 
überhaupt  nicht  für  werth  gehalten,  er  beschränkt  sich  ausschließlich  auf  die 
Darstellung  der  äußeren  Ansicht  durch  Wort  und  Bild.  Dieses  Verfahren  ist 
laienhaft  und,  bei  den  hier  in  Frage  kommenden  zum  Theil  einzigartigen  Klavier- 
Instrumenten,  geradezu  unverzeihlich.  Wie  der  Kasten  von  außen  aussieht,  das 
lehren  uns  schon  die  mangelhaften  rohen  Holzschnitte  bei  Virdung,  Luscinius, 
Agricola  u.  s.  w.,  dazu  bedarf  es  nicht  erst  eines  großen  Aufwandes  modernen 
Farbendruckes.  Ob  der  Kasten  mit  Gemälden  reich  verziert  ist,  wie  diese  aus- 
sehen und  was  sie  darstellen  —  das  sind  alles  Fragen,  die  für  die  Instrumenten- 
kunde in  allerletzter  Linie  stehen.  Die  Hauptsache  ist  für  dieselbe  vielmehr  die 
Untersuchung  der  Klangfähigkeit  eines  Instrumentes  und  der  Mittel,  welche  eine 
solche  erzeugen,  d.  h.  der  (innere)  Bau«  Für  die  Klavierinstrumente  spielt  dabei 
der  Anschlagsmechanismus  eine  Hauptrolle,  aber  von  diesen  inneren  wichtigen 
Organen  giebt  Hipkins  weder  Konstruktionszeichnung  noch  Erklärung.  Trotz  des 
Besitzes  eines  leibhaftigen  Clavicytherium  aus  der  Zeit  Virdungs  wissen  wir  also 
thatsächlich  noch  nicht  mehr,  als  wir  schon  so  wie  so  aus  den  Schriftatellem 
wußten.  Wir  erfahren  nur,  daß  es  ein  Spinett  war,  mit  Docken  von  Draht  und 
nicht  von  Federspule  oder  Leder.  Aber  wie  die  Docken  an  den  Springern  be- 
festigt waren,  wie  die  letzteren  auf  den  Tasten  auflagen,  und  wie  die  nur  dem 
anfrechtstehenden  Spinett  eigene  seitliche  Bewegung  zu  Stande  kam,  diese  und 
viele  andere  sehr  wichtige  Fragen  zu  lösen,  bleibt  nach  wie  vor  unseren  Kombi- 
nationen überlassen,  welche  wir  mit  Hilfe  der  gerade  hier  ziemlich  mageren  Ab- 
bildungen und  Angaben  von  Mersenne  und  Kircher  anstellen.  Dasselbe  wieder- 
holt sich  sodann  bei  jedem  einzelnen  Klavierinstrument  und  uns  bleibt  nur  das 
Bedauern,  einem  unfruchtbaren  Aufwände  an  Zeit,  Kosten  und  Mühe  gegenüber- 
zustehen. Über  den  Beschreibungen  der  Malereien,  über  den  Citaten  aus  Dichtem 
und  Tagebuchschriftstellem,  wie  Evelyn  und  Pepys,  hat  Hipkins  die  Hauptsache 
vergessen,  welche  dem  Werke  erst  den  bleibenden,  ihm  allein  eigenen  Werth 
verliehen  hätte :  die  fachmäßige  Beschreibung  und  Darstellung  der  Instrumente  an 
der  Hand  der  Fachschriftsteller  früherer  Zeiten. 

Dieser  Mangel  macht  sich  natürlich  bei  den  andersartigen  Instrumenten,  wie 
Geigen,  Lauten,  Guitarren,  Hörnern,  Pfeifen,  nicht  so  empfindlich  bemerkbar.  In- 
dessen fehlt  es  auch  hier  nicht  an  Verstößen  gegen  eine  sachgemäße,   katalogi- 

36  ♦ 


534  Kritiken  und  Referate. 


sirende  Beschreibung.  Aber  glücklicherweise  hat  der  Maler  William  Oibb  so  xot- 
treffiiches  und  bisher  wohl  einzigdastehendes  in  der  bildlichen  Wiedergabe  der 
ihm  übergebenen  Instrumente  geleistet,  daß  man  mit  Hilfe  der  Zeichnungen  oft 
die  Mängel  des  schriftlichen  Textes  decken  kann.  So  hat  Hipkins  auf  der  trag- 
baren Orgel  (Tafel  13)  die  in  Elfenbein  neben  einer  orgelspielenden  Fran  ein- 
gegrabene Jahreszahl  1698  übersehen,  woraus  die  oben  schon  gerügte  falsche  Ein- 
reibung zwischen  Instrumpnten  aus  dem  Anfang  (statt  dem  Ende)  des  17.  Jahrhun- 
derts entsprang.  Umgekehrt  macht  Hipkins  zur  Quintem  auf  Tafel  23  die  Angabe, 
das  Instrument  trüge  die  Inschrift  auf  dem  mittleren  der  weißen  Spfihne :  »Jochim 
(nicht  Joachim)  Tielke  Hamburg  feeü  1676«,  während  laut  der  sehr  deutlichen  Zeich- 
nung die  Jahreszahl  nicht  dabei  steht.  Eben  diese  Zeitangabe  veranlaßt  Hipkins  zu 
folgender  Ausführung:  »Indessen  führt  das  Datum  zu  einem  wesentlichen  Wider- 
spruche, wenn  man  dazu  die  Quintern  im  South  Kensington  Museum  von  Joachim  Tielke 
1539  vergleicht.  Engel  vermuthet,  daß  dieser  berühmte  Fabrikantenname  mehrere 
Generationen  hindurch  fortgeführt  wurde,  um  die  abweichenden  Zeitangaben  zu 
erklären.«  Auffällig  ist,  daß  Hipkins  einen  Hinweis  auf  die  Viola  da  gamba  auf 
Tafel  19  unterläßt,  obgleich  sie  die  Angabe  »Joachim  Tielke  Hamburg  170i>  auf- 
weist. Fast  will  mir  scheinen,  daß  Engel  in  dem  South-Kensington-Exemplsr 
eine  Sieben  als  Fünf  gelesen  hat,  was  bei  der  Ähnlichkeit  des  ZahlzeichenB  fdr  7 

im  18. Jahrhundert  mit  dem  für  5  [also  t   /  j  Q)  ^^^^  geschehen  konnte;  ganz  den 

gleichen  Vorgang  habe  ich  bei  einem  Instrument  des  Berliner  Kunstgewerbe- 
museums beobachtet.  Die  andere  Jahreszahl  aber,  1676,  wie  sie  Hipkins  giebt, 
beweist  nichts;  denn  neben  dem  Namen  steht  sie,  wie  gesagt,  nicht,  und  sollte 
sie  sich  an  anderer  Stelle,  also  allein,  vorfinden  —  was  man  aber  aus  Hipkins, 
Angabe  nicht  schließen  kann  — ,  braucht  man  beide  nicht  auf  einander  zu  beziehen. 
Folglich  können  wir  es  sehr  wohl  mit  einem  und  demselben  Joachim  Tielke  aus 
dem  Anfang  des  vorigen  Jahrhunderts  zu  thun  haben,  von  welchem  1 )  die  Viola  auf 
Tafel  19  aus  dem  Jahre  1701,  2)  die  Quinteme  im  Kensington-Museum  aus  dem 
Jahre  1739  und  3)  vermuthlich  auch  diese  Quinteme  auf  Tafel  23  ohne  Datum 
herstammen  würden.  Ob  dem  wirklich  so  ist,  läßt  sich  nur  durch  den  Augen- 
schein feststellen;  es  lag  mir  aber  daran,  zu  zeigen,  wie  so  gar  nicht  unwiehtig 
die  strenge  Genauigkeit  bei  solchen  Instrumentenbeschreibungen  ist.  Es  giebt 
eine  Art  von  statistischer  Vergleichung,  welche  fast  mechanisch  selbstthätig  auf 
die  Spur  auch  solcher  Angaben  führt,  welche  scheinbar  ganz  der  persönlidhen 
Willkür  ihrer  Urheber  anheimgegeben  sind. 

Es  kann  nicht  meine  Absicht  sein,  auf  eine  Vervollständigung  der  Ton  Hip- 
kins gegebenen  Instrumentenbeschreibungen  einzugehen;  dazu  müßte  man  die 
Originale  zu  Rathe  ziehen.  Ich  erwähne  daher  nur  noch  einige  Bedenken  oder 
Lücken,  die  zu  berücksichtigen  hoffentlich  Hipkins  sich  noch  nachträglich  Teran- 
laßt  sieht.  Die  Laute  der  Königin  Elisabeth  auf  Tafel  9  trägt  die  an  den  Zargen 
eingelegte  Inschrift  Cymhalum  Decachordwn.  Auf  dem  Bilde  zähle  ich  aber 
12  Wirbel,  je  fünf  an  den  Seiten  und  zwei  in  der  Mitte;  das  wiese  also  auf  ein 
dodecachordum  hin.  Es  müßte  daher  festgestellt  werden,  ob  die  zwei  Wirbel  in 
der  Mitte  nicht  etwa  ein  späterer  Zusatz  sind,  wie  man  wohl  vermuthen  darf. 

Für  die  lautenartigen  Instrumente  ist  es  durchaus  nothwendig,  ausdrücklich 
zu  bemerken,  ob  die  Bünde  feste  sind,  d.  h.  von  Querstiften  gebildet  werden,  die 
in  das  Griffbrett  eingelegt  sind  •  oder  sonst  auf  ihm  unverrückbar  aufliegen, 
oder  aber,  ob  die  Bünde  nur  aus  verrückbaren  Saiten  oder  Fäden  bestehen, 
die  man  um  den  Hals  des  Instrumentes  legte.  Man  kann  das  an  den  Zeich- 
nungen   nicht    immer    genau    unterscheiden,    und   doch    ist    es    wesentlich    zur 


Musical  Instruments  historic,  rare  and  unique  von  A.  J.  Hipkins.       535 


Altersbestimmung,  weil  die  älteren  Instrumente  lose,  die  sp&teren  aber  feste  BOnde 
haben.  Unterblieben  ist  z.  B.  diese  Angabe  bei  den  Chitarroni  der  21.  Tafel.  Der 
erste  Chitarrone  weist  auf  der  Zeichnung  keine  Bünde  auf,  obgleich  er  yermuthlioh 
lose  Bünde  hatte,  die  aber  später  abgefallen  sind.  Es  würden  sich  wohl  die 
Spuren  derselben  an  den  Staubstreifen  auf  dem  Qriffbrette  noch  erkennen  lassen, 
jedenfalls  müßte  ein  Wort  darüber  gesagt  werden.  Der  zweite  und  dritte  Chi- 
tarrone derselben  Tafel  zeigen  Bünde  auf,  aber  man  kann  nicht  erkennen,  ob  sie 
eingelegt  sind  oder  nicht.  Der  zweite  hat  zudem  7  Bünde,  von  welchen  der 
oberste  zu  nahe  am  Sattel  steht  und  von  dem  nächsten  so  weit  absteht,  daß  man 
annehmen  muß,  es  sei  ein  Bund  abhanden  gekommen.  Auch  dieser  Umstand  ist 
nicht  ohne  Bedeutung,  denn  ein  vorschnelles  Urtheil  könnte  leicht  auf  eine  hier- 
dureh  bestätigte  Verwandtschaft  mit  der  ältesten  arabischen  Lautenbundeinrichtung 
verfallen. 

Von  der  Pandurina  auf  Tafel  30  behauptet  Hipkins,  sie  habe  5  Paar  Saiten, 
die  Zeichnung  weist  aber  nur  4  Paar  und  eine  einzelne  auf,  auch  hat  das  Instru- 
ment nur  9  Wirbel,  nicht  10. 

Aus  diesen  Nachweisen  wird  man  ersehen,  daß  meine  tadelnden  Bemerkungen 
des  Grundes  nicht  entbehren.  Ausdrücklich  aber  muß  ich  betonen,  daß  trotzdem 
das  Werk  sehr  viel  des  Guten  bietet,  und  daß  namentlich  die  Bilder  von  einer 
überraschenden  Lebendigkeit  und,  allem  Anscheine  nach,  auch  von  zuverlässiger 
Treue  sind,  sodaß  man  oft  den  Originalen  gegenüber  zu  stehen  glaubt.  Ja,  man 
kann  sie  bis  zu  dem  bereits  bestimmten  Grade  als  wirkliche  Originale  zu  Ver- 
gleichungen  und  selbständigen  Studien  verwenden.  Es  stünde  zu  wünschen,  daß 
ähnliche  Aufnahmen  auch  von  den  vielen  alten  Instrumenten  aus  der  Pariser  und 
Brüsseler  u.  a.  Sammlungen  veranstaltet  würden.  Um  aber  zu  zeigen,  welch  ein 
weit  unterschätzter  Werth  nicht  bloß  für  die  Specialwissenschaft  der  Musik- 
geschichte, sondern  vielmehr  für  die  Kultur-  und  Weltgeschichte  der  wissenschaft- 
lichen Untersuchung  alter  Musikinstrumente  innewohnt,  wül  ich  an  die  Be- 
sprechung einzelner  Punkte  einige  weitergreifende  Erörterungen  zu  knüpfen  mir 
erlauben. 

Man  ist  allgemein  geneigt,  die  eigentliche  Instrumentalmusik  nordischer 
Völker  erst  von  den  Kreuzzügen  an  zu  rechnen,  indem  man  immer  wieder  auf 
den  Einfluß  hinweist,  welchen  die  Orientalen  auf  das  Abendland  geäußert  haben. 
Hipkins  geht  sogar  soweit,  nicht  nur  die  Lauten  und  Guitarren,  sowie  die  Bogen- 
instrumente  auf  die  Orientalen  zurückzuführen,  —  was  ja  immerhin,  wenn  auch  mit 
starkem  Vorbehalt  zugestanden  werden  kann  —  sondern  auch  die  Saekpfeife  dem 
Orient  zuzuschreiben^  denen  andere  sogar  noch  die  Trompeten  und  Pauken  beifügen. 
Obgleich,  so  meint  er,  im  Abendlande  bereits  eine  einfache  Art  der  Sackpfeife, 
nämlich  mit  Luftbehälter  und  Pfeife,  vorhanden  war,  kam  doch  die  modernere 
Form  derselben,  nämlich  mit  hinzugefügter  Melodiepfeife,  erst  durch  die  Kreuz- 
fahrer nach  Europa.  Er  weist  zur  Begründung  auf  die  Tonleiter  der  abendländi- 
schen namentlich  der  schottischen  Sackpfeife  hin,  welche  eine  neutrale  Terz  (d.  i. 
eine  zwischen  großer  und  kleiner  Terz  mitteninne  liegende  =  I8/4  Ton)  aufweise, 
was  mit  der  Theorie  des  arabischen  Musikers  Zalzal  übereinstimme.  Der  Grund 
läßt  sich  hören,  denn  die  neutrale  Terz  des  Zalzal  hat  thatsächlich  mehrere  Jahr- 
hunderte hindurch,  nämlich  mindestens  vom  achten  bis  zum  zehnten,  die  arabische 
Volksmusik  beherrscht  und,  was  sehr  wichtig  ist,  sie  war  nicht  etwa  ein  Theorem, 
sondern  aus  der  Empirie  geschöpft  und  geht  wahrscheinlich  auf  ein  uraltes  baby- 


1  Einleitung  S.  XDI  f.  und  Tafel  V. 


536  Kritiken  und  Keferate. 


Ionisches  und  syrisches  Musiksystem  zurück ^  Indessen  erscheint  nun  diese  neu- 
trale Terz  auch  bei  den  Flöten  der  Araber  beständig',  und  zwar  weil  das  Bohren 
der  Löcher  in  der  Flöte  in  der  Weise,  daß  eine  natürliche  Tonleiter  herauskommt. 
zu  allen  Zeiten  schwierig  gewesen  und  noch  bis  heute  schwierig  ist.  Und  das 
betrifft  nicht  allein  die  Terz,  sondern  auch  die  Sexte  der  Durtonleiter 3.  Wenig 
feingebildete  Ohren  gewöhnten  sich  durch  das  stetige  Hören  dieser  unnatürlichen 
Tonleiter  so  an  dieselbe,  daß  ihnen  das  Gef&hl  für  die  natürliche  Tonleiter 
schließlieh  ganz  abhanden  kam,  und  dieser  Fall  liegt  bei  den  Orientalen  nach 
vielfältigen  Berichten  thatsäohlich  vor;  denn  schon  im  Alterthume  ist  so  viel  von 
der  kleinasiatischen  Flötenmusik  die  Rede,  daß  man  die  Flöte  geradezu  alz  das 
orientalische  Nationalinstrument  bezeichnen  kann.  Die  Araber  machen  daTOD 
keine  Ausnahme,  denn  obgleich  sie  später  ein  Saiteninstrument  als  Nationalinztm- 
ment  annahmen,  so  werden  uns  doch  die  Araber  des  Alterthums  in  musikalischer 
Hinsicht  einzig  und  allein  als  Flötenspieler  genannt  Die  Grieehen  redeten  sogar 
sprichwörtlich  von  arabischen  Flötenspielern.  Zudem  spricht  Alfarabi  von  >sehr 
vielen  Arten  von  Flöten«.  Auch  war  die  Laute,  weil  sie  nicht  für  jeden  Ton  eine 
eigene  Saite  hatte,  wie  das  bei  den  Harfen  der  Fall  war,  fast  denselben  Gesetzen 
unterworfen,  wie  die  Flöte.  Es  ist  nun  gar  nichts  wunderbares,  sondern  nur  ganz 
folgerichtig,  wenn  Völker  mit  einem  Nationalinstrument  von  Flötencharakter  auch 
dementsprechend«  Erscheinungen  in  ihrem  Musiksysteme  aufzeigen.  Andere  Völker 
jedoch,  welche  Saiteninstrumente  für  gewöhnlich  oder  gar  einzig  und  allein  in 
Gebrauch  nahmen,  namentlich  wenn  dieselben  für  jeden  Ton  eine  eigene  Saite 
hatten,  wie  die  Harfen,  —  und  das  war  bei  der  indogermanischen  Kasse  der  Fall 
-^  wurden  durch  diese  Unfähigkeit  des  Instrumentenbaues  nicht  in  ihrem  natür- 
lichen Musikempfinden  behindert.  Ebendeshalb  finden  wir  auch  bei  solchen  Na- 
tionen die  reine  diatonische  Tonleiter,  und  dieser  Umstand  verhalf  gerade  den 
nördlichen  Stämmen  dieser  Basse,  welche  die  asiatische  Flötenmusik  nicht,  wie 
das  zu  ihrem  Schaden  die  alten  Griechen  thaten,  bei  sich  aufnahmen,  zu  dem 
Vollbesitze  eines  unverbildeten  harmonischen  Musikgefühles,  welches  sie  schließ- 
lich zur  vollen  Entfaltung  der  Dreiklangsmusik  geführt  hat.  Diese  Auffassung 
scheint  mir  eine  völlig  ungesuchte;  sie  führt  übrigens,  wie  ich  mich  durch  viel- 
fältige Untersuchungen  überzeugt  habe,  zu  den  überraschendsten  Erklärungen 
mancher  bisher  dunklen  Punkte  der  Musikgeschichte,  von  welchen  ich  hier  nur 
eine  leichthin  erwähnen  möchte.  Überall  nämlich,  wo  die  indogermanische  Basse 
die  Flötenmusik  bei  sich  aufnahm,  war  doch  das  Gefühl  für  die  natürliche  Ton- 
leiter und  für  die  in  ihr  verborgene  Harmonie  so  rege,  daß  es  sich  thatkrftftig 
gegen  die  unharmonische,  weil  unnatürliche,  Tonleiter  der  Flötenmusik  empörte 
und  so  lange  sträubte,  als  es  anging.  Man  vermied  daher  möglichst  diese  haß- 
liehen  Tonstnfen  nun  sogar  auch  bef  den  Saiteninstrumenten  und  ließ  sie  am 
liebsten  ganz  außer  Spiel.  Das  sehen  wir  z.  B.  bei  den  alten  Griechen  schon  an 
der  sogenannten  enharmonischen  Tonleiter,  welche  jene  Stufen  einfach  übersprang, 


^  8.  Land,  Becherches  sur  l'histoire  de  la  Gamme  arabe,  Leide  1S84,  S.  64 
und  S.  53. 

2  Ebenda,  S.  50. 

3  Bei  obigen  Folgerungen  wolle  man  im  Auge  behalten,  daß  der  Anfangston 
der  Tonreihen  von  Blasinstrumenten  seines  schlechten  Ansprechens  wegen  tu  praxi 
meist  unberücksichtigt  bleibt,  in  der  Theorie  aber  mitgerechnet  zu  werden  pßeft. 
Daraus  entspringt  eine  Unmenge  von  ^undsätzlichen  Unterschieden,  die  icn  hier 
nicht  näher  darlegen  kann,  weil  ich  mich  dadurch  ganz  meiner  Aufgabe  entfremden 
würde. 


Musical  Instruments  historic,  rare  and  unique  von  A.  J.  Hipkins.       53>7 


und  ebenso  vermeiden  die  alten  schottischen  Melodien  dieselben  nach  Möglichkeit. 
Und  das  ist  der  Qrund,  weshalb  die  altgälische  Tonleiter  einigermafien  an  asiatische 
Begriffe  vom  Muaiksysteme  erinnert.  Füi  eine  direkte  Übertragung  im  Mittelalter 
—  und  gar  erst  in  der  so  späten  Zeit  der  Exeuzsüge  —  haben  wir  also  keinerlei 
Beweise,  und  der  oben  besprochene  Grund  ist  nur  die  Folge  einer  allgemeinen 
natürlichen  Ursache,  welche  sich  hier  wie  dort  in  ähnlicher  Weise  geltend  machen 
mußte.  Davor  möchte  ich  also  ausdracklich  gewarnt  haben,  dem  Einflüsse  der 
KreuzzOge  und  überhaupt  der  orientalischen  Muäk  auf  das  Abendland  zu  viel 
zuzuschreiben.  Der  Norden  besaß  einen  Urquell  der  Musik,  welcher  lange  vor  den 
Kreuzzügen  stetig  floß,  ebenso  lange  und  sogar  reiner  als  der  des  klassischen  Alter- 
thumes,  und  als  das  Mittelalter  kam,  war  das  musikalische  Empfinden  vermuthlich 
schon  so  gefestigt,  daß  es  sieh  von  schnell  vorübergehenden  Faktoren  so  leicht 
nicht  m^hr  beeinflussen  ließ. 

Auch  dem,  was  sonst  Hipkins  über  antike  Instrumente  beibringt,  kann  ich 
nicht  durchweg  beistimmen.  Antike  römische  Instrumente,  nämlich  Lituae^  und 
Bucdna,  sind  auf  Tafel  39  dargestellt.  Die  Zeichnungen  wurden  aufgenommen 
von  Nachbildungen,  welche  der  Konservator  der  großen  Brüsseler  Musikinstru- 
mentensammlung, Victor  MahiUon,  auf  Orund  der  Originale  in  Rom  und  Neapel 
anfertigen  ließ.  Ich  muß  hier  aber  bemerken,  daß  es  auch  größere  Arten  der 
Buecina  im  Museo  nazionale  zu  Neapel  giebt,  die  noch  eine  Querstange  auf- 
weisen, welche  den  von  der  Windung  des  Bohres  gebildeten  Kreis  in  zwei  fast 
gleiche  Hälften  zerlegen.  Um  diese  Quer  Stange  zu  halten,  hat  das  Instrument 
metallene  Querröhren,  sodaß  die  Büocina  nicht  nur  dem  Namen  nach  (mittelalterlieh 
franz.  buisine,  deutsch  htMne^  pus(ne,  pusUne),  sondern  auch  der  Qestalt  nach  völlig 
an  unsere  Posaune  erinnert.  Also  auch  dieses  Instrument  ist  ein  ureuropäisches, 
übrigens  etraskisches,  nicht  ursprünglich  römisches.  Sehr  richtig  ist  die  Bemerkung 
Hipkins',  daß  es  ganz  gleichgiltig  ist,  ob  diese  Art  Instrumente  von  einem  ägyp- 
tischen, griechischen  oder  römischen  Munde  geblasen  werden,  zu  den  Harmonietönen 
fahrt  das  Blasen  derselben  auf  alle  Fälle,  und  —  möchte  ich  hinzufügen  —  spielt 
ein  ganzer  Chor  von  solchen  Bläsern,  so  ist  sogar  die  natürliche  Dreiklangsharmonie 
einfach  unvermeidlich.  Hipkins  greift  im  wesenüichen  auf  Karl  Engel  zurück, 
und  wo  er  über  diesen  hinausgeht,  hätte  er  besser  gethan,  das  ausdrücklich  zu 
bemerken.  So  giebt  Engel ^  die  Abbildung  eines  jüdischen  Homes  der  großen 
Synagoge  8t.  James  Place,  Aldgate,  und  als  Schlußvignettte  zur  Einleitung  in 
vorliegendem  Werke  figurirt  ebenfalls  ein  solches  aus  derselben  Synagoge.  Aber 
beide  Instrumente  haben  nur  das  eine  mit  einander  gemeinsam,  daß  sie  eben  Hör- 
ner sind.  Das  Instrument  bei  Hipkins  hat  eine  zackige  Verzierung  und  ist  offenbar 
ein  ziemlich  künstliches  Erzeugniß  von  schönem  Sdiwunge,  während  das  von  Engel 
ein  kunstloses,  einfaches  Kuhhom  darstellt.  Unmöglich  können  sich  die  beiden 
Abbildungen  auf  ein  und  dieselbe  Vorlage  beziehen,  —  aber  daß  ein  und  dieselbe 
Synagoge  eben  zwei  solcher  alten  Homer  besitzt,  davon  sagt  weder  Engel  noch 
Hipkins  ein  Wort,  und  an  letzterem  wäre  die  Reihe  gewesen  hier  Klärung  zu 
schaffen.  In  gleicher  Weise  widersprechen  die  mit  diesem  Home  zu  blasenden 
Signale,  wie  sie  Hipkins  giebt,  denjenigen,  welche  Engel  notirt;  und  während 
ersterer  sagt,  daß  die  spanisch-provenzalischen  Juden  darin  von  den  deutschen  wenig 


1  Emil  Braun,  Die  Ruinen  imd  Museen  Roms  S.  796  (Ambros  I,  M6},  erwähnt 
einen  LituuSf  den  man  1832  in  Vulci  gefunden  habe,  während  der  hier  dargestellte 
1827  in  Caere  entdeckt  worden  sein  soll.  Sind  beide  nicht  dasselbe  Instrument» 
so  ist  auch  die  Bemerkung,  daß  es  das  einzig  bekannte  Exemplar  sei,  ftilsch. 

2  The  mueic  of  te  mosi  ancient  natuma,  Figur  92d. 


538  Kritiken  und  Referate. 


abweichen»  sagt  Engel  das  Oegentheil.  Wer  hat  nun  Recht?  Der  Forscher,  welcher 
über  solch  abgelegene  Gebiete  Sicheres  lu  erfahren  die  seltene  Gelegenheit  hat, 
sollte  gerade  hier  recht  sorgfältige  Kritik  an  dem  üben,  was  bereits  von  andern 
über  den  gleichen  Gegenstand  beigebracht  wurde. 

Ein  anderes  Hom  aus  dem  Mittelalter  ^  erregte  in  mir  lebhafte  Aufinerkaam- 
keit.  Die  Buchstaben  A.,G.  L.  A.  scheinen  mir  richtig  als  die  Anfangsbuchstaben 
hebräischer  Worte  gedeutet  zu  sein;  ihr  Vorkommen  an  dieser  Stelle  erinnert  an 
den  im  Exodus  vorgeschriebenen  Gebrauch  der  Homer,  welcher  sich  bis  anf  heute 
in  den  Synagogen  erhalten  hat.  Daraus  ist  nichts  für  internationale  Besiehungen 
SU  schließen.  Außerdem  aber  trägt  das  Instrument  den  Namen  seines  Verfertigers: 
^Johannes  de  AUemaine  me  fecit*.  Hier  haben  wir  einen  neuen  handgreiflichen 
Beleg  für  die  auch  sonst  erwähnte  Thatsache,  daß  England  im  Mittelalter  mit 
Deutschland  musikalisch  in  regen  Wechsel-  und  Austauschbesiehungen  gestanden 
hat.  Besonders  seit  dem  Wirken  irischer  Mönche  für  die  Einführung  des  Christen- 
thumes  in  Deutschhind  dauerte  dieser  Verkehr  (fast  durch  das  ganze  Mittelalter 
hindurch.  Schon  im  8.  Jahrhundert  liegt  uns  ein  Fall  vor,  in  welchem  Musiker 
aus  Deutschland  nach  England]  berufen  werden.  Der  Abt  Cuthbert  von  Were- 
mouth  und  Jarrow  schreibt  nämlich  an  den  Nachfolger  des  h.  Bonifacius  zu  Mainz : 
»Ich  würde  mich  freuen,  hier  einen  Citharaspieler  zu  haben,  der  auf  derjenigen 
Zitherart  spielen  könnte,  die  wir  Rotta  nennen ;  denn  ich  habe  wohl  eine  Cithara, 
aber  keinen  Künstler  dazu.  Wenn  es  dir  nicht  zu  unbequem  ist,  schicke  mir  doeh 
einen  solchen  zu.«  Als  fernerer  Beleg  und  zugleich  als  Erklärung  des  enteren 
findet  sich  zu  dem  Leben  des  h.  Dunstan  in  einer  St.  Gallener  Handschrift  aus  dem 
11.  Jahrhundert  die  Glosse  zu  sumpsii  cytharam:  quam  lingua  patema  (d.  i.  angel- 
sächsisch) hearpan  vocamtu  ^,  Zur  selben  Zeit  waren  nacheinander  Abte  in  Köln  die 
Schotten  Halias  und  Aaron,  letzterer  ein  sehr  eifriger  Förderer  der  Musik.  Schließ- 
lich erscheint  die  Darstellung  des  gälischen  Crwthinstrumentes  an  Baudenkmälern 
und  in  Miniaturmalereien  Mitteldeutschlands  im  12.  Jahrhundert  des  öfteren.  Noch 
aus  dieser  Zeit  so  häufig  bezeugter  Verbindungen  zwischen  England  und  Deutsch- 
land stammt  denn  auch  das  Hom  von  Dover  und  dessen  Verfertiger,  Johannes  der 
Deutsche.  Alle  derartigen  Belege  dürften  für  die  allgemeine  Musikgeschichte  üsat 
noch  wichtiger  sein,  als  für  die  Instrumentenkunde  selbst,  und  eine  pragmatische 
Geschichte  der  Instrumentalmusik  wird  sie  in  diesem  Sinne  mit  Leichtigkeit  ver^ 
werthen  können,  sobald  sie  auf  die  Thatsache  Rücksicht  nimmt,  daß  für  das 
Mittelalter  —  und  noch  weit  darüber  hinaus  —  Deutschland  das  klassische 
Land  des  Instrumentenbaues  gewesen  ist.  Denn  nicht  der  Römer  und  nicht  der 
Araber  haben  dem  europäischen  Abendlande  zu  der  so  kräftigen  Blüthe  der  In- 
strumentalmusik verholfen.  Die  Grundlage  zu  diesem,  seinem  eigentlichsten  Eigen- 
thume  legte  vielmehr  der  Norden  selbst  und  in  erster  Linie  die  deutsche  Rasse. 
Und  wie  kräftig  hat  sie  ihren  Bau  zu  führen  gewußt!  Den  Entwickelungsgang  des 
Orgelbaues  bezeichnen  deutsche  Namen  von  Pipin  und  Karl  dem  Großen  an,  über 
Bernhard  den  Deutschen  bis  zur  Neuzeit.  Der  Geigenbau  beginnt  mit  den  Namen 
Lucas  Maler  und  Dieffenbmcker,  deutsche  Instmmente  und  deutsche  Spieler  wer- 
den aUerwärts  nach  Deutschland  benannt,  und  die  Theorie  der  Instmmentalmusik 
sähe  traurig  aus  ohne  die  Namen  Hucbald,   Notker^,   Schlick, .  Virdung,  Nacht- 


1  Tafel  1. 

3  Hattemer,  St.  Gallens  altteutsche  Sprachschätze.  St.  Gallen  1S44 — 1849, 
Bd.  m  S.  594. 

8  Oder  diejenigen  deutschen  Verfasser,  welche  wir  mit  diesen  Namen  ver- 
binden. 


Musical  Instruments  historic,  rare  and  unique  von  A.  J.  Hipkins.      539 


gall,  Agricola  u.  v.  a.  Noch  im  17.  Jahrhundert  spendet  man  dem  deutschen  In- 
strumenbau  das  Lob  der  Unübertrefflichkeit,  und  es  klingt  aus  dem  Munde  des 
Franzosen  Mersenne  nicht  wie  Übertreibung.  Von  der  Kunst  aber,  die  Instrumente 
2u  gebrauchen,  ist  jedes  Wort  Überfluß,  das  man  für  Deutschland  reden  würde,  — 
man  weiß,  daß  Instrumentalmusik  und  Deutscher  im  Denken  der  modernen  Na- 
tionen unzertrennliche  BegrifTe  geworden  sind.  Eine  geschichtliche  Erscheinung 
aber  von  solcher  Breite  wird  nur  durch  jahrtausendlanges  Streben  erzeugt,  und 
deshalb  sei  man  Torsichtig,  ohne  ganz  zwingende  Gründe  dem  Süden  oder  Osten 
etwas  zuzuschreiben,  was  dort  selbst  nur  bei  den  uns  verwandten  Völkern  eine 
bleibende  Heimathst&tte  gehabt  hat.  Die  meisten  Musikschriftsteller  der  letzten 
Periode  mochten  ja  wohl  am  liebsten  behaupten»  daß,  wenn  Held  Roland  seinen 
Oliphant  blies,  er  ein  arabisches  Hom  mit  einer  Melodie  blies,  die  er  seinen  Fein- 
den abgelauscht  hatte. 

Ich  schließe  mit  ein  Paar  Bemerkungen,  von  denen  ich  glaube,  daß  sie  Herrn 
Hipkins  persönlich  angenehm  sein  werden.  In  seinem  Besitze  befindet  sich  die 
Laute  des  verstorbenen  Karl  Engel  aus  dem  Jahre  1600^.  Die  jüngst  von  der 
königl.  preußischen  Regierung  erworbene  Sammlung  von  Musikinstrumenten,  früher 
dem  Herrn  Paul  de  Wit  in  Leipzig  gehörig,  enthält  u.  a.  eine  Laute,  welche  fast 
ganz  mit  der  ersteren  übereinzustimmen  scheint,  sogar  bis  auf  die  kleinen  Ver- 
zierungen und  die  Farbengebung.  Abweichend  ist  nur  der  Kragen,  der  bei  dem 
hiesigen  Instrumente  rechtwinklig  vom  Hals  absteht,  und  die  Anzahl  der  Saiten, 
die  bei  demselben  nur  zwölf  in  paariger  Anordnung  beträgt.  Es  scheint  mir,  als 
ob  an  der  Laute  des  Herrn  Hipkins  die  Vermehrung  der  Saitenanzahl  eine  spätere 
Änderung  des  Kragens  veranlaßt  hätte,  der  behufs  größerer  Widerstandsfähigkeit 
im  stumpfen,  statt  im  rechten  Winkel  angesetzt  wurde.  Gerade  in  der  Zeit  um  1600 
gingen  ja,  wie  auch  Hipkins  erwähnt,  Veränderungen  an  der  Laute  durch  die  Ver- 
mehrung des  Saitenbezuges  vor  sich. 

Das  Harpsichord,  welches,  wie  zur  Tafel  35  bemerkt  wird,  Tsehudi  Friedrich 
dem  Großen  bei  Gelegenheit  des  Sieges  von  Prag  übersandte,  und  welches  Hipkins 
bei  einer  special  visit  in  Berlin  und  Potsdam  nicht  auffinden  konnte,  ist  wahrschein- 
lich dasselbe,  welches  jetzt  im  HohenzoUemmuseum  steht.  Auch  scheint  seine 
Vermuthung  richtig  zu  sein,  daß  an  dem  Flügel  Kirkmann  (oder  richtiger  Kirck- 
mann)  mitbetheiligt  war,  denn  es  ähnelt  in  den  wesentlichsten  Beziehungen,  nament- 
lich in  der  inneren  Einrichtung,  wie  sie  Hipkins  hier  auch  beschreibt,  einem  ^arpsi- 
chord  von  Jacob  Kirckmann  1761 ,  welches  sich  ebenfalls  in  der  obengenannten 
früher  de  Wit'schen  Sammlung  befindet. 

Berlin.  Oskar  Fleischer. 


1  Tafel  15. 


540  Kritiken  und  Referate. 


W,  Wundtj  Grundzüge  der  physiologischen  Psychologie.  Dritte 
umgearbeitete  Auflage.  Leipzigs  W.  Engehnann.  1887.  2  Bände. 
XII,  544  S.     X.  562  S.     gr.  8. 

E.  Luft,  Über  die  Unterschiedsempfindlichkeit  für  Tonhöhen. 
(»Philosophische  Studien«,  herausgegeben  von  W.  Wundt.  Vierter 
Band,  4.  Heft.  1888.  S.  511—540). 

Die  Wundt'sche  Pgychologie  hat  sich  im  In-  und  AuBlande  eine  so  große 
Verbreitung  und  Autorität  errangen,  ihr  Ruf  ist  auch  in  musiktheoretiBche  Kreise 
so  weit  eingedrungen,  daß  es  sich  rechtfertigen  und  dem  Wunsche  vieler  Leser  ent- 
sprechen dürfte,  wenn  hier  aus  Anlaß  d«r  dritten  Auflage  (der  ersten  seit  dem 
Erscheinen  gegenwärtiger  Vierteljahrssehrift)  eine  kune  Übersicht  dessen,  was 
in  den  verschiedenen  Abtheilungen  des  Werkes  über  das  Tongebiet  gelehrt  wird, 
versucht  wird.  Die  dritte  Auflage  fordert  umsomehr  dasu  auf,  als  sie,  wie  der 
Verfasser  hervorhebt,  die  Lehre  von  den  Oehörsvorstellungen  in  fast  vollständig 
erneuerter  Gestalt  und  auch  die  von  den  Gehörsempfindungen  sehr  wesentlidi 
umgearbeitet  vorträgt  Freilich  hindert  das  langjährige  Studium,  welches  der  Re- 
ferent selbst  diesem  Gebiete  gewidmet  hat,  ihn  an  der  unbedingten  Anerkennung, 
welche  Andere  dem  Werke  auch  von  musikalischer  Seite  spenden  mögen,  ndthigt 
ihn  vielmehr,  in  irielen  wesentlichen  Punkten  dem  Berichte  Zweifel  und  Einwen- 
dungen hinzuzufügen.  Die  Wahrheit,  wo  sie  auch  liegen  möge,  wird  aber  eher  da- 
durch als  durch  Loben  zu  Tage  gebracht  und  der  Leser,  wie  ich  hoffe»  veranlaßt 
werden,,  die  ausführlicheren  Entwickelungen  des  Buches  selbst  nicht  bloß  nach- 
zulesen sondern  auch  darüber  nachzudenken. 

In  Hinsicht  der  anatomischen  Grundlagen  des  Hörens  schließt  sich 
Wundt  (I,  319)  im  Wesentlichen  der  neueren  Helmholtz'schen  Hypotiiese  an,  wo- 
nach nicht  die  Corti'schen  Bogen  sondern  die  Fasern  der  Grundmembran  der 
Schnecke  die  Aussonderung  der  einzelnen  Töne  bewirken  und  die  einzelnen  Fasern 
des  Hömerven  in  Erregung  versetzen.  Aber  Wundt  zieht  nicht  dieselbe  Konse- 
quenz wie  Helmholtz  in  Hinsicht  der  sog.  spezifischen  Energien  der  Hörnerven- 
fasem  ^333).  Helmholtz  lehrt,  daß  jede  solche  Faser  gleichsam  auf  einen  Ton  ab- 
gestimmt und  nur  diese  und  keine  andere  Empfindung  zu  geben  im  Stande  sei. 
Wundt  stellt  sich  dagegen  vor,  daß  jede  Faser  an  sich  jeden  beliebigen  Ton.  so- 
gar jede  beliebige  andere  Empfindung,  einen  Geruch,  Geschmack  zu  geben  ver- 
möge. Es  komme  bloß  darauf  an,  auf  welche  W^eise  sie  gewöhnlich  in  Erregung 
versetzt  werde.  »Die  Akusticusfasem  sind  nach  unserer  Ansicht  nur  deshalb  die 
einzigen,  die  der  Tonempfindung  fähig  sind,  weil  allein  an  den  Enden  des  Hör- 
nerven jene  Vorrichtungen  angebracht  sind,  welche  sich  zur  Unterhaltung  regel- 
mäßiger periodischer  Beizungen  eignen  und  durch  welche  daher  auch  in  den  Sinnes- 
nerven eine  spezielle  Anpassung  an  die  Formen  intermittirender  Beizung  ein- 
treten konnte«. 

Es  scheint  mir,  daß  der  Unterschied  beider  Ansichten  nur  die  Entstehung 
der  spezifischen  Energien  betrifft.  Helmholtz  sagt  darüber  nichts,  hält  sie  aber 
wohl  für  angeborene  Eigenschaften  der  Nervenfasern  bez.  der  Ganglienzellen,  in 
welche  diese  münden.  Nach  Wundt  sind  die  Gehömervenfasem  durch  die  Schall- 
wellen, die  zufolge  der  Einrichtung  des  Ohres  speziell  auf  diese  Fasern  und  nicht 
auf  die  Nervenendigungen  in  der  Nase  u.  s.  w.  einwirken  können,  zum  Hören 
gleichsam  erzogen  worden.     Doch  wird   diese  Anpassung,   da  Kinder  zweifellos 


Grundzüge  der  physiologischen  Psychologie  von  W.  Wundt.  541 


schon  sehr  früh  Töne  unterscheiden  können,  sich  schon  in  der  allerersten  Lebenszeit 
(ich  würde  sagen  im  Mutterleib,  wenn  da  nur  Gelegenheit  wäre)  vollsogen  haben. 
Beim  Erwachsenen  müssen  in  Folge  der  eingetretenen  Anpassung  doch  auch  nach 
Wundt  jene  besonderen  Eigenschaften  der  Nerven,  die  sie  zu  bestimmten  Empfin- 
dungen ausschließlich  geeignet  machen,  vorhanden  sein. 

Das  Argument  Wundt' s,  daß  nach  Helmholti  »fast(!)  unendlich  viele«  Fasern 
vorhanden  sein  müßten,  weil  unsere  Tonempfindung  eine  stetige,  nicht  unvermittelt 
von  einer  Tonhöhe  zur  andern  springende  sei,  habe  ich  bereits  in  meiner  Tonpsy- 
chologie I,  184 — 5  als  unzutreffend  erwiesen.  Thatsache  ist  nur,  daß  wir  keinen 
Sprung  in  unseren  Tonempfindungen  bemerken.  Aber  kleinste  Untersehiede  be- 
merken wir  eben  nirgends.  Außerdem :  wäre  das  Argument  überhaupt  beweisend, 
so  würde  es  sich  ebenso  gegen  Wundt  selbst  wenden,  da  ja  die  spezifischen  Ener- 
gien auch  nach  ihm  beim  erwachsenen  Menschen  in  gleicher  Weise  vorhanden  sein 
müssen. 

Von  den  anatomischen  Grundlagen  geht  Wundt  zu  den  Empfindungen  selbst 
über  und  bespricht  zuerst  deren  Intensitäts-Verh&ltnisse  und  das  sog.  Web  er- 
sehe Gesetz,  wonach  allemal,  wenn  wir  einen  Unterschied  zwischen  der  Stärke 
Bweier  Empfindungen  eben  noch  bemerken  können,  die  bezüglichen  Beizstärken 
in  einem  bestimmten  Verhältniß  zu  einander  stehen,  welches  für  jedes  Sinnesge- 
biet konstant  ist.  Bei  Schalleindrücken  ist  es  etwa  3  :  4.  Gerade  im  Gebiet  der 
Gehörsempfindungen  ist  dieses  Gesetz  in  Bezug  auf  die  Stärke  der  Eindrücke  am 
besten  bestätigt.  Wundt's  Schüler  haben  in  seinem  Laboratorium  den  älteren  Ver- 
suchen mit  großem  Fleiß  neue  hinzugefügt  (364). 

Musikalisch  wichtiger  ist  die  Lehre  von  der  Qualität  der  Gehörsempfin- 
dungen (415).  Die  Begriffe  Schall,  Ton,  Klang  werden  hier  auf  Grund  der  Helm- 
ho]tz' sehen  Bestimmungen  definirt  (»Geräusch«  dagegen  in  abweichender  Weise, 
wie  überhaupt  dieser  Begriff"  neuerdings  mehrfach  diskutirt  und  noch  nicht  völlig 
aufgeklärt  ist). 

Die  Grenzen  des  Tongebietes  hatte  Preyer  nach  unten  auf  etwa  16, 
nach  oben  auf  etwas  über  40000  Schwingungen  in  der  Sekunde  festgestellt,  den 
Umfang  des  Tongebietes  also  auf  gut  11  Oktaven.  Wundt  ist  der  Meinung  (423), 
daß  die  untere  Grenze  noch  eine  volle  Oktave  tiefbr,  auf  S  Schwingungen  gesetzt 
werden  dürfe,  indem  er  sich  auf  eine  bereits  in  der  ersten  Auflage  mitgetheilte 
eigene  Beobachtung  beruft,  wonach  ein  Differenzton  zweier  Labialpfeifen  bereits  bei 
8  Schwebungen  (die  Zahl  der  Schwebungen  ist  bei  Differenztönen  gleich  der  der 
Schwingungen)  als  »tieferer«  Ton  aufgefaßt  wurde.  In  der  bezüglichen  Stelle  der 
ersten  Auflage  (362)  sind  Ck  mit  G^  als  die  primären  Töne  angegeben,  deren 
Differenzton  C3  s»  8  Schwingungen  noch  gehört  wurde  1.  Wer  sieh  mit  ähnlichen 
Beobachtungen  abgegeben  hat,  dürfte  hiezu  ein  starkes  Fragezeichen  machen,  wie 
denn  ein  solches  in  meinem  Exemplar  der  ersten  Auflage  bereits  seit  jener  Zeit 


1  In  der  zweiten  Auflage  (1880,  I,  394)  sagte  Wundt  selbst  mit  Berufung  auf 
Frey  er,  daß  die  untere  Grenze  etwa  bei  16  Schwingungen  zu  liefen  scheine,  und 
citirte  seine  eigenen  früheren  Beobachtungen  nur  in  der  Form,  daß  bei  zwei  La- 
bialpfeifen »etwas  weniger  als  16  Sehwebungen«  deutlich  als  tieferer  Ton  aufge- 
faßt würden.  Dies  veranlaßte  mich  auch,  in  der  Tonpsyehologie  I,  264  seine  An- 
gaben als  übereinstimmend  mit  denen  von  Preyer  und  Ellis  zu  bezeichnen.  Hätte 
ich  damals  sogleich  Wundfs  Originalangabe  in  der  ersten  Auflage  nachgesehen,  so 
würde  ich  auch  meine  Bedenken  gegen  die  Richtigkeit  seiner  Wahmehmunffen  so- 
gleich ausgesprochen  haben.  Fast  scheint  es  aber,  als  habe  Wundt  zur  Zeit  der 
zweiten  Auflage  selbst  solche  Bedenken  gehabt;  denn  8  Schwingungen  sind  doch 
nicht  bloß  »etwas  weniger  als  16«. 


542  Kritiken  und  Befeiate. 


verzeichnet  steht  und  seinen  Schweif  auch  noch  auf  den  folgenden  Satz  erstreckt, 
wo  es  heißt,  daß  man  bei  Benutzung  der  tiefsten  Orgeltöne  immer  diese  ganz  tiefen 
Kombinationstöne  mithöre.  Dagegen  wird  Jeder  die  Sätze  unterschreiben :  »Andrer- 
seits ist,  sobald  man  nicht  einfache  Klänge  untersucht  ( —  und  die  Labialpfeifen 
geben  keineswegs  völlig  einfache  Klänge  —  Bef.)>  eine  Verwechselung  mit  Ober- 
tönen möglich,  welche  letzteren  bei  tiefen  Tönen  eine  verhältnißmäßig  große  Stärke 
erreichen.  Durch  die  in  den  unteren  Begionen  sehr  mangelhafte  Unterscheidung 
der  Tonhöhen  wird  diese  Verwechselung  leicht  möglich«.  Ich  möchte  darum  glau- 
ben, daß  man  die  Frage  nur  durch  eine  vollständige  Tonleiter  mit  Riesenstimm- 
gabeln vom  Cs  bis  zum  Q  hinab  entscheiden  könnte,  bei  welcher  der  Eindruck 
der  Vertiefung  in  seiner  gleichförmigen  Zunahme  kontrolirt  und  ein  Umspringen 
in  die  höhere  Oktave  leichter  als  solches  erkannt  werden  könnte.  Einzelne  CSabeln 
schließen  nicht  jeden  Zweifel  über  Täuschungen  der  genannten  Art  aus.  Ob  dann 
nicht  weitere  Zweifel  möglich  bleiben  (z.  B.  wegen  zu  geringer  Stärke  der  tiefsten 
Gabeltöne) ,  ob  der  Versuch  überhaupt  durchführbar  ist  und  ob  er  —  die  Kosten  lohnt, 
ist  eine  andere  Frage.  Musikalisch  wenigstens  sind  diese  Streitigkeiten  um  die 
Tongrenzen  von  wenig  Interesse. 

Einer  fundamentalen  Erneuerung  hat  Wundt  den  folgenden,  musikalisch 
wichtigeren  Passus  (424)  unterzogen,  der  von  der  relativen  Unterschieds- 
empfindlichkeit  bei  Tönen,  m.  a.  W.  von  der  Frage  handelt,  ob,  wenn  wir 
einen  Unterschied  in  der  Tonhöhe  eben  noch  bemerken  können,  allemal  die  be- 
züglichen Töne  in  einem  bestimmten  gleichbleibenden  Verhältniß  ihrer  Schwin- 
gungszahlen stehen,  ob  also  auch  für  die  Qualitäten  (Höhen)  der  Töne  das  Weber- 
sche  Gesetz  gültig  sei.  Wundt  hatte  in  den  früheren  Auflagen  nach  dem  Vor- 
gang Weber's  und  Fechner's  diese  Frage  auf  Grund  der  Thatsache  bejaht,  daß, 
wenn  unser  Gehör  ein  Intervall  in  verschiedenen  Tonregionen  als  das  gleiche  In- 
tervall wiedererkennt,  allemal  das  gleiche  Verhältniß,  nicht  etwa  die  gleiche  Dif- 
ferenz, der  Schwingungen  stattfindet.  Ja  er  hielt  dies  für  die  unzweifelhafteste, 
weil  durch  die  musikalische  Empfindung  aller  Zeiten  beglaubigte.  Stütze  des 
Weber'schen  Gesetzes  überhaupt.  G.  E.  Müller  und  der  Referent  erklärten  je- 
doch den  Schluß  schon  darum  für  hinföllig,  weil  »Intervall«  im  musikalischen  Sinn 
keineswegs  mit  einem  bloßen  Tonunterschied  sich  decke  und  das  Gehör  bei  der 
Beurtheilung  von  musikalischen  Intervallen  in  erster  Linie  vielmehr  durch  die  sog. 
Tonverwandtschaft  geleitet  werde.  Und  Frey  er  und  nach  ihm  auf  anderem  Wege 
der  Referent  führten  Versuchsreihen  aus,  welche  lehrten,  daß  faktisch  die  relative 
Unterschiedsempfindliehkeit  sich  nicht  gleichbleibt,  sondern  im  Allgemeinen  von 
der  Tiefe  bis  etwa  zur  dreigestrichenen  Oktave  zunimmt.  Dies  wird  auch  dem 
durch  den  Eindruck  der  Eiiahrungen  gebildeten  Urtheil  des  Musikers  ungefähr 
entsprechen:  ein  Solcher  wird  sofort  zugeben,  daß  man  z.  B.  einen  Achtelton  in 
mittlerer  Lage  sehr  leicht,  in  der  Kontraoktave  nur  viel  schwerer  unterscheiden 
kann.  Wundt,  dem  unsere  Folgerungen  und  Versuche  nicht  sicher  genug  schie- 
nen ^  hat  sich  nun  durch  die  Untersuchungen  seiner  Schüler  Luft  und  Lorenz 


^  Wundt  setzt  an  meinen  Beobachtungen  aus,  daß  sie  nicht  durchweg  mit- 
einander im  Einklang  ständen.  Ich  weiß  nicht,  an  was  er  dabei  denkt,  da  ich 
doch  mit  besonderer  Umständlichkeit  nachwies,  daß  »das  Verhältniß  der  Tonregio- 
nen in  Hinsicht  der  Urtheilszuverlässigkeit  selbst  bei  weitgehender  Spezialisirung 
nach  (Versuchs-)  Reihen,  Intervallen,  Individuen  unverändert  bleibt«.  Vielleicht 
denkt  Wundt  an  die  Ausnahmen,  die  nach  meiner  Beobachtung  bei  vereinzelten 
sehr  unmusikalischen  Individuen  stattfinden,  bei  denen  die  tiefe  Region  vor  der 


Grundzüge  der  physiologischen  Psychologie  von  W.  Wundt.  543 


von   der  Ungiltigkeit  des  Weber'schen  Gesetzes  im  Tongebiet  überzeugen  lassen. 
Diejenigen  Luft's  sind  inzwischen  ausführlicher  in  Wundfs  »Philosophischen  8tu- 


hohen  bevorzugt  erscheint,  ^während  der  Kegel  nach  in  der  Höhe  etwas  besser  und 
in  der  Mitte  Yiel  besser  als  in  der  Tiefe  geurtheilt  wird  (inzwischen  ist  mir  unter 
einer  größeren  Zahl  wieder  ein  Individuum  beffe^et,  welches  in  der  Tiefe  zwar 
nicht  besser  aber  auch  keineswej^s  schlechter  urtneilte  als  in  der  Höhe).  Aber  daß 
individuelle  Verschiedenheiten  m  Hinsicht  der  Tonregionen  vorhanden  sind,  ver- 
steht sich  ja  von  selbst ;  es  kann  sich  nur  fragen,  welcher  Art  und  wie  groß  sie 
sind,  und  ich  glaubte  die  Erwähnung  auffallender  Abweichungen  als  einen  Anfang 
derartiger  Untersuchungen  ansehen  zu  dürfen.  Ja  ich  möchte  das  was  Wundt  als 
Vorzug  der  Beobachtungen  Luft's  anführt,  daß  sie  sich  nftmlich  auf  Einen  Be- 
obachter beziehen,  in  andrer  Hinsicht  als  Mangel  betrachten.  Wer  bürgt  dafür, 
daß  das  Verhältniß  der  Regionen,  welches  sich  bei  Einem  oder  Zweien  findet, 
das  allgeemine  oder  auch  nur  durchschnittliche,  typische  ist? 

Luft  seihst  erhebt  in  seiner  Originalarbeit  mehrere  Einwände:  1]  ich  hätte 
»die  Urtheile  über  verschiedene  Distanzen  zusammengeworfen«.  Daß  dies  faktisch 
nicht  geschah,  lehrt  schon  die  obige  Formulirung  des  Ergebnisses.  Thatsächlich 
sind  cTie  Urtheile  über  die  verschiedenen  benutzten  Intervalle  überall  gesondert 
angeführt,  aber  freilich  hervorgehoben,  daß  sie  in  Bezug  auf  das  Verhalten  des  l{r- 
theils  in  verschiedenen  Tonregionen  bemerkenswerthe  Übereinstimmung  zeigen. 
Das  kann  man  doch  nicht  ein  Zusammenwerfen  nennen.  2>  meint  Luft,  wenn 
ich  die  gefundenen  Zuverlässigkeitswerthe  hinsichtlich  verschiedener  Tondistanzen 
als  direkt  abhängig  von  der  Unterschiedsempfindlichkeit  ansehe,  so  müsse  einer 
größeren  Tondistanz  auch  eine  größere  Unterschiedsempfindlichkeit  entsprechen. 
Ich  stelle  dahin,  ob  man  die  Art  der  Abhängigkeit,  die  ich  S.  330  vermutne,  eine 
direkte  nennen  wird.  Aber  es  bleibt  mir  ganz  dunkel,  wie  aus  die ser  Abhängigkeit 
eine  solche,  an  sich  freilich  lächerliche,  Xonsequenz  folgen  soll.  3)  wirft  Luft  mir 
vor,  daß  ich  die  Quinte  bei  den  Versuchen  bevorzugt  habe.  Dieser  Einwand  hat 
überhaupt  nur  unter  Voraussetzung  des  ersten  einen  Sinn;  wenn  die  Ergebnisse 
für  die  einzelnen  Intervalle  gesondert  sind,  fehlt. ihm  die  Spitze.  Warum  ich  übri- 
gens in  den  zwei  ersten  Reinen  mit  der  Quinte  doppelt  soviel  Versuche  machte  als 
n»it  jedem  der  anderen,  kleineren  Intervalle,  glaubte  ich  durch  die  Bemerkungen 
S.  317  und  325  genügend  erklärt.  Allzugroße  Intervalle  ließen  eben  nur  richtige 
Urtheile,  allzukleine  zu  geringe  Unterschiede  der  Tonregionen  erwarten.  In  der  3. 
und  4.  Reihe  kommt  die  Quinte  gar  nicht  vor;  sie  ist  aurch  den  Tritonus  ersetzt, 
um  etwaigen  Einfluß  der  Tonverwandtschaft  auszuschließen.  Aus  ähnlichen  Rück- 
sichten sind  in  allen  Reihen  noch  andere,  kleinere  Intervalle  überhaupt  dazuge- 
nommen,  an  sich  hätte  ein  mittleres,  Quinte  oder  Tritonus,  allein  genügt,  um  die 
Unterschiede  der  Urtheilszuverlässigkeit  nach  den  Regionen  zu  zeigen. 

Was  Luft  weiter  über  einen  Unterschied  meiner  Ergebnisse  von  den  Preyer- 
schen  sagt,  habe  ich  S.  320  selbst  ausgesprochen;  und  die  Erklärungsgründe  für 
die  meinigen,  die  er  dann  beibringt,  S.  332 — 3  als  mit  den  Thatsachen  unvereinbar 
erwiesen.  Ich  hätte  wenigstens  erwarten  dürfen,  daß  die  Unzulänglichkeit  dieses 
Erweises  dargethan  und  mir  nicht  die  eigenen  Gedanken  als  Einwände  wieder 
vorgesetzt  würden. 

Übrigens  verkenne  ich  glicht  im  Mindesten  die  Vorzüge  der  Luft'schen  Ver- 
suche, die  nicht  bloß  regionenweise  sondern  Oktave  für  Oktave  sehr  systematisch 
durchgeführt  sind,  und  begrüße  sie  als  willkommene  Ergänzung  und  Bestätigung. 
Es  ist  ja  auch  kein  Zweifel,  daß  die  direkte  Fragestellung:  »Sind  diese  zwei  Töne 
eben  noch  verschieden?«  fQr  die  Untersuchung  der  Untersohiedsempfindlichkeit 
-weitaus  zweckmäßiger  ist,  als  die  meinige:  »Welcher  Ton  ist  der  höhere?«  und 
daß  man  zu  Versuchen  mit  jener  Fragestellung  möglichst  Geübte  benutzen  muß. 
Aber  mir  kam  es  eben  gar  nicht  bloß  darauf  an,  die  Unterschiedsempfindlichkeit 
zu  messen,  sondern  ich  wollte  mir  in  erster  Linie  ein  Bild  verschafien  von  dem 
Bewußtseinszustand  unmusikalischer  Personen  in  Bezug  auf  die  relative  Höhe  zweier 


544  Kritiken  und  Heferate. 


dien«  veröffentlicht.  Sie  fußen  auf  der  direkten  Fragestellung,  ob  ein  gewisser  Ton- 
unterschied  noch  bemerkt  werde  oder  nicht,  und  scheinen  mir  im  Wesentlichen  ein- 
wurfsfrei,  während  ich  gegen  diejenigen  von  Lorenz,  in  denen  Wundt  gerade  die  Toll- 
kommenste  Bestätigung  findet,  so  fleißig  auch  sie  durchgeführt  sind,  die  schwersten 
prinzipiellen  Bedenken  hege.  Sie  gründen  auf  der  Fragestellung,  welcher  Ton 
zwischen  zwei  gegebenen  in  der  Mitte  liege.  Abgesehen  davon,  ob  aus  Versuchen 
mit  dieser  Fragestellung  überhaupt  ein  zwingender  Schluß  auf  die  Unterschieds- 
empfindlichkeit gezogen  werden  kann,  unterliegen  die  Versuche  selbst,  die  Ant- 
worten auf  die  gestellte  Frage  rein  im  Sinne  dieser  Frage,  einer  fast  unbesiegbaren 
Schwierigkeit.  Wenn  man  den  mittleren  Ton  zwischen  c  und  g  angeben  soll,  so  giebt 
man  natürlich  e  an,  das  nach  dem  musikalischen  Urtheil  den  mittleren  Ton  des 
Dreiklangs,  und  zwar  des  für  unser  gegenwärtiges  Bewußtsein  vorherrschenden 
Durdreiklangs,  bildet  Und  so  geschah's.  Das  ist  aber  kein  reines  Unterschieds^ 
(Distanzen-)  Urtheil,  sondern  von  dem  fatalen  Musikbewußtsein  beeinflußt,  nach 
welchem  hier  nicht  gefragt  ist.  In  einem  Zeitalter  mit  vorherrschendem  MoUbe- 
wußtsein  würde  wahrscheinlich  es  als  Mitte  bezeichnet  werden.  Mit  einer  ins  Ein- 
zelne gehenden  Kritik  muß  ich  zurückhalten,  bis  die  Originalarbeit  von  Lorenz 
veröffentlicht  sein  wird. 

Wie  dem  sei,  mit  der  Änderung  der  Wundt'schen  Anschauung  in  der  Ridi- 
tung  seiner  Vorgänger  können  diese  zufrieden  sein.  Für  Wundt  haben  die  £e- 
sultate  seiner  Schüler  noch  andere  Konsequenzen.  Vor  allem  fallt  damit  auch 
seine  frühere  Behauptung,  daß  die  Abtheilung  des  Tonreiches  in  diskrete  Stufen, 
die  Konstruktion  von  Leitern  sich  auch  unabhängig  von  den  Thatsachen  der  Kon- 
sonanz und  Klangverwandtschaft  aus  bloßen  Abmessungen  von  Tonunterschieden 
ergebe,  ja  ergeben  müsset;  wodurch  eine  Dunkelheit,  um  nicht  zu  sagen  ein 
Widerspruch  in  die  frühere  Darstellung  kam.  Denn  es  war  zum  Mindesten  nicht 
abzusehen,  warum  dieses  Prinzip  der  bloßen  Distanzmessung  und  das  von  Wundt 
doch  auch  anerkannte  Konsonanzprinzip  zu  den  nämlichen  Abtheilungen,  Oktaven, 
Quinten,  Terzen  führen  müssen.  Das  Zusammentreffen  wäre  ein  rein  zufälliges 
und  schon  darum  unglaublich  gewesen.  Ganz  freilich  hat  Wundt  auf  die  frühere 
Ansicht  auch  jetzt  nicht  verzichtet  und  gerade  die  Lorenz'schen  Versuche  nun 
zum  Anlaß  genommen,  um  wenigstens  die  »Gestaltung  der  Harmoniea  mit  auf 
»Maßbeziehungen  der  Tonempfindungen«  zu  gründen   (II,  66).    Hierüber  sei  vor- 


Töne.  Eine  mit  der  Tonhöhe  bis  zu  c^  wachsende  Unterschiedsempfindlichkeit  er- 
schien mir  nur  als  der  wahrscheinlichste  Erklärungsgrand  für  die  gefundenen  Ux^ 
theilsthatsachen.  Daß  die  Realität  dieses  Erklärungsgrundes  nun  auch  unabhängig 
davon  erwiesen  ist,  macht  ihn  gewiß  nicht  unwahrscheinlicher.  Die  UrtheUsthat- 
sachen  aber,  die  Zuveilässigkeitswerthe  in  den  verschiedenen  Regionen,  die  indi- 
viduellen Abnormitäten,  die  auch  Luft  überraschend  findet,  haben  daneben  ihr 
selbständiges  Interesse.  Sie  machen  z.  B.  das  geringe  Vergnügen  begreiflicher, 
welches  solchen  Personen  meistens  die  Musik  bereitet.  Selbst  praktisch  kann  die 
Ermittelung  der  durchschnittlichen  und  der  individuellen  Zuverlässigkeit  Unmusi- 
kalischer in  Hinsicht  der  relativen  Tonhöhe  ihre  Bedeutung  gewinnen,  wie  bei 
der  Anwendung  akustischer  Signale,  beim  Percutiren  u.  dgl. 

1  1 .  Aufl.  364 :  »Es  ist  zwar  wahrscheinlich,  daß  die  aus  der  Klangverwandt- 
schaft entspringenden  Eigenschaften  die  sichere  Bestimmung  der  Ton  Verhältnisse 
unterstützen,  aber  als  die  eigentliche  Grundlage  derselben  kann  man  sie  unmöglich 
betrachten.«  »Die  Ordnung  der  Tonreihe  muß  also  darauf  beruhen,  daß  wir  an 
Oktave  und  Grundton.  Quinte  und  Grundton  u.  s.  w.  immer  dieselben  Unter- 
schiede der  Empfindung  erkennen,  welche  absolute  Höhe  die  Töne  auch  haben 
mögen.,« 


Qrundzüge  der  phyaiologiflchen  Psychologie  von  W.  Wundt.  545 


läufig  nur  bemerkt,  daß  er  damit  in  einen  Zirkel  gerftth,  weil,  wie  oben  ange- 
deutet, diese  angeblichen  Maßbeziehungen  selbst  sich  bereits  auf  das  durch  die 
Harmonie  beeinflußte  musikalische  Gehör  gründen. 

Als  eine  andere  unyermeidliche  Konsequenz,  die  Wundt  jedoch  noch  gar 
nicht  gezogen  hat,  erscheint  mir  die  Beseitigung  seines  »allgemeinen  Gesetzes 
der  Beziehung«,  welches  für  das  gesammte  psychische  Gebiet  gelten  und  das 
Weber'sche  Gesetz  als  einen  besonderen  Fall  in  sich  schließen  sollte.  Wenn 
dieses  letztere  wirklich  sich  auf  jenes  allgemeinere  Gesetz  zurückführen  läßt 
:was  ich  nicht  beurtheilen  kann,  da  ich  den  8inn  des  Beziehungsgesetses  selbst 
nie  verstehen  konnte,  —  was  aber  Wundt  behauptet  i),  und  wenn  die  specielle  Form 
mit  Thatsachen  im  Widerspruch  steht,  so  kann  auch  das  allgemeine  Gesetz  nicht 
mehr  gehalten  werden,  da  doch  jede  Ausnahme  ein  allgemeines  Gesetz  als  solches 
zu  Nichte  macht 

Aus  den  Luft'schen  Versuchen  schließt  Wundt  ferner,  daß  die  äußerste 
Grenze  für  die  Unterscheidung  zweier  Töne,  in  Differenzen  der  Schwin- 
gungszahlen ausgedrückt,  von  Preyer,  der  sie  »=  1/3  Schwingung  setzte,  noch  zu 
hoch  angegeben  war,  indem  sich  noch  die  Hälfte  dieses  Betrages  deutlich  unterschei- 
den ließ.  Indessen  gilt  dies  nur  für  die  Gegend  des  C,  wo  0,15  Schwingung  (d.  i. 
etwa  V27  Halbton)  unterscheidbar  war.  Von  da  stieg  die  Schwelle  im  Ganzen  bis 
e*,  wo  sie  0,36  Schwingung  (d.  i.  Vsss  Halbton)  betrug.  Höher  hinauf  hat  Luft 
nicht  untersucht.  Übrigens  weichen  die  Beobachtungen  Freyer's,  wenn  man  genau 
zusieht,  nicht  wesentlich  von  diesen  ab.  Denn  Freyer  beobachtete  in  der  zwei- 
gestrichenen Oktave,  wo  Luft  die  Schwelle  »  0^5,  also  V4  Schwingung  fand, 
und  Freyer  giebt  an  (Grenzen  der  Tonwahmehmung  28) ,  daß  er  und  ein  sehr 
geübter  Beobachter  bei  a*,  also  nahe  der  zweigestrichenen  Oktave,  jedesmal  noch 
*/4  Schwingung  erkannten,  wenn  sie  auch  nicht  sagen  konnten  welcher  Ton  der 
höhere  sei,  wonach  auch  bei  Luft  nicht  gefragt  war.  Hier  mag  übrigens  auch  auf 
die  Versuche  G.  Engel's  an  Joachim  u.  A.  zurückgewiesen  werden  (vgl.  diese 
Vierteljschr.  1886,  S.  513),  wonach  von  feinsten  Ohren  selbst  0,1  Schwingung  in 
der  Gegend  des  c^  noch  unterschieden,  ja  die  relative  Höhe  beider  Töne  erkannt 
würde.  Luft  hatte  sich  nur  »früher  etwas  mit  Musik  und  Gesang  beschäftigt.« 
Es  wären  also  noch  weitere  Versuche  an  .Individuen  der.  genannten  Art  auszu- 
führen, um  die  äußersten  möglichen  Grenzen  festzustellen. 


I  I,  377:  >Fsychologisch  läßt  sich  nämlich  offenbar  das  Weber'sche  Gesetz 
auf  die  allgemeinere  Erfahrung  zurückführen,  daß  wir  in  unserem  Bewußtsein  kein 
absolutes  sondern  nur  ein  relatives  Maß  besitzen  fftt  die  Intensität  der  in  ihm 
vorhandenen  Zustände,  daß  wir  also  je  einen  Zustand  an  einem  anderen  messen, 
mit  dem  wir  ihn  zunächst  zu  vergleichen  veranlaßt  sind.  Wir  können  auf  diese 
Weise  das  Weber'sche  Gesetz  als  einen  Specialfall  eines  allgemeineren  Gesetzes 
der  Beziehung  oder  der  RelatiTitat  unserer  inneren  Zustände  auffassen ....  dessen 
GCdtigkeit  wir  noch  auf  andern  Gebieten,  namentlich  bei  der  qualitativen  Ver- 
gleichung  der  Empfindungen  ....  bestätigen  werden.« 

oJe  einen  Zustand  an  einem  andern  messen,  mit  dem  wir  ihn  zunächst  zu 
vergleichen  veranlaßt  sind«  —  das  ist  mir  zu  unbestimmt  ausgedrückt,  um 
etwas  dabei  zu  denken.  Man  soUte  meinen,  daß  wir  auch  Naturgegenstände 
nie  an  etwas  Anderem  messen  als  an  Solchem,  womit  wir  sie  zunächst  zu  ver- 
gleichen veranlaßt  sind,  sei  dies  nun  ein  Meterstab  oder  sonst  ein  Gegenstand. 
Aber  eine  solche  lächerliche  Trivialität  kann  doch  unmöglich  Wundt  bei  der 
Schöpfung  seines  Gesetzes  vorgeschwebt  haben.  Neuerdings  sind  übrigens  auch 
von  Arwid  Grotenfelt  (Das  Weber'sche  Gesetz  und  die  psychische  Relativität. 
Helsingfors  1888,  S.  54  f.,  101  f.]  die  Unbestimmtheiten  und  Widersprüche  Wundt's 
in  dieser  Sache  bemerkt  und  weitläufiger  auseinandergesetzt  worden. 


546  K.ritiken  und  Referate. 


Die  Definitionen  Ton  Zusammenklang,  Kombinationston,  Sehwe- 
bung  (434)  schließen  sich  an  Helmholts  an.  Wundt  bestreitet  aber,  daß  wir 
mehr  als  60  Schwebungen  in  der  Sekunde  noch  wahrnehmen  könnten,  während 
nach  Heimholt!  bis  zu  132  unterschieden  werden  können.  Helmholtz  fugt  sogar 
bei :  »Viel  höhere  und  hinreichend  starke  Töne  würden  vielleicht  noch  mehr  hören 
lassen.«  Ich  muß  mich  hier  entschieden  auf  Heimholte'  Seite  stellen.  Nach 
meiner  Beobachtung  und  derjenigen  mehrerer  anderer  Personen  ist  die  Rauhigkeit 
(denn  um  eine  solche  handelt  sich's  natürlich,  nicht  um  ein  Zählen  der  Inter- 
missionen)  sogar  bei  264  Schwebungen  in  der  Sekunde  noch  ganz  deutlich.  Man 
gebe  nur  auf  der  Orgel  (Hohlflöte,  Rohrflöte,  auch  Geigenprindpal  4  Fuß)  die 
Töne  0^  und  ^  oder  e'^  und  g^  zusammen  an  und  yei^eiche  den  Eindruck  mit 
dem  eines  einzelnen  dieser  Töne,  so  wird  wohl  auch  der  ungeübte  Beobachter 
nicht  im  Zweifel  bleiben,  daß  dem  Zusammenklang  eine  merkliche  Rauhigkeit 
gegenüber  dem  Einzelklang  anhaftet  Das  Tonpaar  c^  und  ^  oder  «^  und  ^  gieht 
aber  je  264  Schwebungen  ^  Also  nicht  einmal  hervorragende  Stärke  oder  unge- 
wöhnliche Höhe  ist  nötig. 

Zuletzt  handelt  der  I.  Band  noch  vom  »Qefühlston«  der  Empfindungen, 
dem  an  die  Empfindungen  geknüpften  Moment  der  Lust  oder  Unlust  Hier  sind 
besonders  die  Gefühle,  »die  sich  an  die  Klangfarbe  anschließen«,  aus  den  einfachen 
Tongefühlen  abgeleitet,  worauf  wir  schon  bei  anderer  Gelegenheit  als  auf  einen 
verdienstlichen  Versuch  hinwiesen  (s.  diese  Vierteljschr.  1888,  149). 

Von  den  Gehörsempfindungen  unterscheidet  Wundt  nun  im  II.  Band  die 
Gehörs  vor  Stellungen,  wobei  er  unter  einer  Vorstellung  »das  in  unserem  Be- 
wußtsein erzeugte  Bild  eines  Gegenstandes  oder  eines  Vorganges  der  Außenwelt- 
versteht Es  will  mir  zwar  nicht  gelingen,  diese  Definition  gerade  auf  Gehörs- 
vorstellungen, auf  Intervalle,  Akkorde  u.  s.  f.  (denn  diese  werden  hier  behandelt] 
anzuwenden.  Doch  den  Musiker  wird  die  allgemeine  Definition  der  »Vorstellung* 
überhaupt  weniger  interessiren  als  die  der  besonderen  Phänomene.  Hier  geht 
Wundt  aus  von  der  Klangverwandtschaft  (43).  Verwandt  nennt  er  mit  Helm- 
holtz Klänge,  wenn  sie  irgendwelche  Tonempfindungen  gemein  haben.  Konstant 
nennt  er  die  Verwandtschaft,  wenn  Theiltöne  von  einer  bestimmten  unveränder- 
lichen Höhe  bei  einer  gewissen  Klasse  von  Klängen  wiederkehren  (so  sind  die 
gleichartigen  Vokalklänge  z.  B.  alle  »i«  unter  sich  verwandt)  oder  auch,  wenn  dne 
bestimmte  durch  ihre  Ordnungszahl  charakterisirte  Klasse  von  Theiltönen  wieder- 
kehrt (wie  bei  den  Klängen  eines  und  desselben  Instrumentes,  welche  z.  B.  nur  gerad- 
zahlige Theiltöne  enthalten).  Variabel  nennt  er  die  Klangverwandtschaft,  »wenn 
zwei  Klänge  je  nach  dem  Verhältniß  ihrer  Tonhöhe  in  wechselndem  Grade  überein- 
stimmen, während  der  allgemeine  Charakter  derselben  unverändert  bleibt«  (eine  etwas 
verschwommene  Definition  des  musikalischen  Intervallbegrifles).  Diese  variable  Klang- 
verwandtschaft ist  wieder  direkt  oder  indirekt,  je  nachdem  die  beiden  Klänge 
gewissä '  Bestandtheile  gemein  haben  oder  selbst  Bestandtheile  eines  gemeinsamen 
Grundklanges  bilden.  Dies  ist  die  v.  Öttingen'sche  Unterscheidung  der  toni- 
schen und  phonischen  Verwandtschaft.  Nur  Schade,  daß  Wundt  den  Namen  ge- 
ändert und  eine  Bezeichnung  gewählt  hat,  welche  bereits  in  einem  anderen 
durchaus  passenderen  Sinn  verwendet  wird  (direkt  oder  unmittelbar  verwandt 
sind  zwei  unter  sich  konsonante  Klänge,  indirekt  verwandt  solche,  deren  jeder 
mit  einem  gemeinsamen  dritten  konsonirt).     Auch  die  allgemeineren  Ausdrücke: 


*  Die  Pfeifen,  welche  ich  hierzu  benutzte,  waren  zum  Behuf  anderer  Versuche 
aus  der  temperirten  in  die  reine  Stimmung  gebracht,  daher  ist  die  obige  Zahl  für 
beide  Intervalle  genau. 


Grundzüge  der  physiologischen  Psychologie  von  W.  Wundt.  547 


»konstante  und  variable  Klangverwandtschaft«  erscheinen  wenig  bezeichnend  und 
mit  et^'as  kühner  Logik  gebildet,  da  ja  nicht  die  Verwandtschaft  variabel  oder 
konstant  sein  soll,  sondern  die  Theiltöne,  durch  welche  sie  hergestellt  wird. 
Warum  sollen  wir  nicht  einfach  die  thatsächliehen  Unterschiede  nanihaft  machen: 
Verwandtschaft  durch  gleiche  oder  gleichliegende  Theiltöne  —  Verwandtschaft 
durch  gemeinsame  Theiltöne  (Obertöne  oder  Qrundtöne  bez.  Differenztöne}. 
Ich  würde  sogar  noch  'einfacher  statt  Verwandtschaft  Ähnlichkeit  sagen.  Das 
erstere  Wort  ist  schon  eine  Hypothese,  und  von  Einigen,  auch  von  mir,  wird  ge- 
leugnet, daß  Verwandtschaft  im  musikalischen  Sinne  wirklich  durch  Theiltöne 
gegeben  sei.  Dagegen  kann  kein  Streit  darüber  sein,  daß  in  allen  genannten 
Fällen  Unterschiede  in  der  Weise,  wie  zwei  Klänge  einander  ähnlich  sein  können, 
vorliegen.  Dieses  also  wäre  die  genaueste,  den  Thatsachen  unmittelbar  angepaßte 
und  darum  auch  verständlichste  Ausdrucksweise :  Ähnlichkeit  durch  gleiche  (gleich- 
liegende) —  Ähnlichkeit  durch  gemeinsame  Theiltöne. 

Gegenüber  den  früheren  Auflagen  giebt  die  dritte  hier  übrigens  sowohl 
Klärungen  in  den  allgemeinen  Bestimmungen  als  Zusätze  in  der  Ausführung, 
letztere  namentlich  hinsichtlich  der  Vokaltheorie  und  der  direkten  Verwandtschaft. 
Diese,  also  z.  B.  die  Verwandtschaft  zweier  Klänge,  um  derenwillen  einer  als 
Oktave  oder  Quinte  des  anderen  bezeichnet^ wird,  betrachtet  Wundt  zugleich  als  Ur- 
sache für  den  Eindruck  der  Klangeinheit,  der  allen  harmonischen  Intervallen 
zukomme.  Dieser  Eindruck  trete  um  so  deutlicher  auf,  je  intensiver  die  überein- 
stimmenden Theiltöne  seien.  Wenn  man  dieselben  künstlich  noch  mehr  verstärke, 
80  wachse  auch  noch  der  Eindruck  der  Klangeinheit.  »Bei  der  Quinte  kann  dies 
soweit  gehen,  daß  sie  fast  wie  ein  Einzelklang  erscheint.« 

Bei  diesem  wichtigen  Punkte  müssen  wir  etwas  verweilen,  c  und  g  haben 
den  Theilton  g^  gemein.  Ich  verstärke  denselben,  indem  ich  ihn  mit  den  beiden 
ersten  zusammen  angebe:  c-g-g^.  Eine  Erhöhung  der  Klangeinheit  kann  ich  nicht 
bemerken.  Höchstens  insofern  als  nun  die  beiden  höheren  Töne  dieses  Zusammen- 
klangs eine  Oktave  untereinander  bilden,  welche  allerdings  einheitlicher  als  die 
Quinte  erscheint  (und  zwar,  im  Widerspruch  mit  Wundt' s  Theorie,  auch  bei  ganz 
einfachen  Tönen).  Aber  die  Quinte  selbst  behält  genau  das  Maß  von  »Klangein- 
heit«, welches  sie  vorher  hatte.  Und  wie,  wenn  wir  eine  große  Septime  nehmen? 
c  und  h  haben  auch  einen  gemeinsamen  Oberton,  h^.  Man  gebe  nun  diesen  Ton 
mit  beiden  zusammen  an  und  beobachte,  ob  der  Eindruck  der  Klangeinheit  dadurch 
erhöht  wird! 

Wundt  sucht  von  hier  aus  auch  die  Empfindung  der  Klangeinheit  bei 
Einzelklängen  zu  erklären.  Die  gewöhnliche,  von  ihm  selbst  früher  getheilte 
Ansicht,  daß  die  viel  größere  Stärke  des  Orundtons  gegenüber  den  Obertönen 
Schuld  sei,  scheint  ihm  nur  in  sehr  beschränktem  Maße  richtig,  nur  insoweit 
nämlich,  als  der  Grundton  nicht  so  schwach  sein  darf,  daß  er  gegen  die  Obertöne 
verschwindet.  Die  Klangeinheit  werde  nicht  geschwächtt  wenn  die  Obertöne  ebenso 
dtark,  ja  einzelne  sogar  stärker  seien  als  der  Grundton.  (Nicht  also  einer  Be- 
schränkung bedürfte  hiernach  die  gewöhnliche  Ansicht,  sondern  einer  Erweiterung.) 
»Man  kann  sich  hievon  an  dem  Obertöneapparat  überzeugen,  wenn  man  z.  B.  zuerst 
den  Durakkord  4:5:6  angiebt  und  dann  dessen  drei  Untertöne  1,  2,  3  in  gleicher 
Stärke  hinzufügt:  die  bei  dem  Dreiklang  trotz  der  auch  hier  nicht  fehlenden 
Empfindung  der  Klangeinheit  so  ausgeprägte  Vorstellung  eines  Zusammenstimmens 
mehrerer  Töne  hört  augenblicklich  ganz  auf,  und  man  glaubt  nur  noch  einen  ein- 
zigen Klang  von  sehr  voller  Klangfarbe  zu  hören.  Die  Bedingung  für  das  Zu- 
standekommen der  Vorstellung  eines  Einzelklanges  ist  also  lediglich  die,  daß  in 
einer  Reihe  von  Tönen,  deren  Schwingungszahlen  der  Reihe  der  einfachen  ganzen 

1888.  37 


548  Kritiken  und  Beferate. 


Zahlen  entsprechen,  der  Grundton  mit  der  Schwingungssahl  1  in  hinreichender 
Stärke  vorkomme.«  (53 — 54).  Unter  »hinreichender  Stärke«  ist  nach  dem  Vorigen 
zu  verstehen,  daß  er  nicht  gegen  die  übrigen  versehwinde. 

Man  muß  wissen,  daß  der  Obertonapparat  aus  einer  Beihe  von  Zungen  be- 
steht, die  lauter  gleieh  starke  Klänge  angeben,  und  nur  darum  von  Appunn  Ober- 
tonapparat genannt  worden  ist,  weil  diese  selbständigen  gleichstarken  SLlänge  in 
demselben  Zahlenverhältniß  unter  einander  stehen  wie  die  harmonischen  Theiltöne 
eines  Klanges.  Man  kann  also  lu  dem  beschriebenen  Experiment  auch  ein  Kla- 
vier verwenden,  nur  müssen  die  bezüglichen  Töne,  wenn  höchste  Genauigkeit  er- 
strebt wird,  aus  der  tempezirten  in  die  reine  Stimmung  gebracht  werden  (ganz  rein 
pflegen  sich  indessen  auch  die  Zungen  nicht  zu  halten).  Töne  von  dem  Verhältniß 
1:2:3:4:5:6  sind  nun  beispielsweise  die  folgenden : 


^ 


Wundt  behauptet  also:  1)  daß  bei  den  drei  oberen  Tönen  die  VorsteUung 
eines  Zusammenstiomiens  mehrerer  Töne  ausgeprägt  sei,  während  zugleich  die 
Empfindung  der  Klangeinheit  nicht  fehle.  Was  er  damit  sagen  will,  kann  ich 
mir  diesesmal  sehr  wohl  denken ;  aber  so  ausgedrückt  sieht  es  doch  einer  contra- 
dictio  in  adjecto  sprechend  ähnlich.  In  den  Ausdrücken  »Empfindung«  und  »Vor- 
stellung« kann  die  Lösung  nicht  liegen,  denn  Wundt  gebraucht  gerade  hier  »Em- 
pfindung der  Klangeinheit*  und  »Vorstellung  der  Klangeinheit«  fortwährend  in 
gleichem  Sinne.  Ohnedies  würde  seine  Definition  der  »Vorstellung«  im  engeren 
Sinn  hier  keine  Anwendung  leiden,  und  ist  auch  selbstverständlich,  daß  das  Er- 
fassen der  Einheit  und  das  der  Mehrheit  Sache  einer  und  derselben  psychisdien 
Thätigkeit  ist,  wie  man  sie  auch  nenne. 

Wundt  behauptet  2)  daß  bei  der  Hinzufügung  der  drei  unteren  Töne  die 
Vorstellung  eines  Zusammenstimmens  mehrerer  Töne  augenblicklich  ganz 
aufhöre  und  nur  die  eines  einzigen  Klanges  zurückbleibe.  Möge  denn  Jeder 
den  Versuch  machen  —  ich  kann  mich  von  diesem  merkwürdigen  Effekt  nicht 
überzeugen.  Gewiß  ist  es  ja,  daß  sechs  Töne  weniger  leicht  zu  analysiren  und 
völlig  deutlich  auseinanderzuhalten  sind,  als  drei.  Wenn  man  die  linke  Hand  quer 
über  die  ganze  kleine  Oktave  legt,  so  ist  diese  Art  von  Klangeinheit,  nämlich  die 
durch  Vermehrung  der  Töne  entstehende  Schwierigkeit  der  Analyse,  noch  größer. 
Auch  wächst  diese  Schwierigkeit,  wenn  wir  den  obigen  Versuch  zwei  Oktaven 
tiefer  machen,  weil  sehr  tiefe  Töne  an  sieh  schon  schwerer  auseinander  zu  halten 
sind,  mögen  sie  in  was  inmier  für  Verhältnissen  unter  sich  stehen;  in  der  That 
geht  es  beim  Obertonapparat  in  die  Kontraoktave  hinab,  der  Ton  1  ist  hier  » 
Ci.  Dazu  kommt  noch  die  Unzahl  der  Obertöne  und  die  mächtigen  Stöße  dieser 
tiefen  Klangmasse.  Das  sind  aber  alles  Nebenumstände,  die  mit  den  Schwingungs- 
verhältnissen der  Grundtöne  selbst,  1:2:3:4:5:6,  und  speziell  mit  dem  Hinzu- 
treten des  Tones  1  nichts  zu  thun  haben. 

Ich  gebe  zu,  daß  durch  Beifügung  der  drei  unteren  Töne  der  einheitliche 
Eindruck  des  Gesammtklanges  noch  in  anderer  Weise,  in  anderem  Sinne  erhöht 
wird.  Es  ist  nicht  gleichgültig,  welche  Töne  man  hinzufügt.  Die  Töne  1,  2  und 
4,   sowie  3   und  6  stehen  untereinander  im  Oktavenverhältniß.    Oktaven  klingen 


Grundzüge  der  phydologischen  Psyehologie  von  W.  Wundt.  549 


assa 


aber,  wie  erwähnt  und  bekannt,  auch  bei  einfachen  Tönen  und  aus  Gründen, 
welche  der  Theorie  bisher  uniugänglich  geblieben  sindi  nahezu  unisono.  Der 
Oktaveneindruck  wird  somit  im  Ganzen  herrschend.  Aber  dies  bewirkt  wieder 
nicht  ausschließlich  der  Ton  1.  Auch  wenn  wir  2  allein  hinzufügen,  wftehst 
dieser   Eindruck.     Er  entsteht  ebenso,   wenn   wir   z.  B.  den    Zusammenklang 


jsl: 


angeben,  also  5  :  8  :  16  :  32. 


m 


-^— 


r22: 


Ich  muß  demnach  in  Abrede  stellen,  daß  gerade  der  Ton  1  die  Kraft  (s.  z.  s. 
die  spezifische  Energie)  besitze,  aus  mehreren  Klängen  Einen  zu  machen. 

Gegen  die  Erklärung  der  Verwandtschaft  ebenso  wie  der  sog.  Klangeinheit 
aus  zusammenfallenden  Theiltonen  ist  u.  A.  eingewandt  worden,  daß  man  bei 
gleichzeitigem  Erklingen  von  c  und  g  doch  nicht  wissen  kann,  daß  der  Theilton 
g^,  der  gleichzeitig  mitklingt,  beiden  gemeinsam  zugehört,  g^  ist  eben  ein  schwacher 
dritter  Ton.  Hört  man  ihn  überhaupt  heraus,  so  kann  man  ihm  doch  nicht  an* 
hören,  daß  er  gemeinsamer  Oberton  der  beiden  anderen  ist.  Hört  man  ihn  nicht 
heraus,  so  kann  er  nur  etwa  die  Klangfarbe  des  Ganzen  mitbestimmen. 

Wundt  verwahrt  sich  in  der  neuen  Auflage  gegen  diesen  Einwand.  Nicht 
dadurch  daß  der  Theilton  als  beiden  Grundtönen  zugehörig  empfunden  werde,  ent- 
stehe die  Vorstellung  der  Klangeinheit  der  Grundtöne,  sondern  dadurch  daß  er 
stärker  erklinge,  wenn  diese  zusammen  angegeben  werden,  als  wenn  einer  allein. 
Aber  damit  ist  offenbar  nicht  geholfen:  wie  soll  der  Ton,  solaüge  er  eben  nur  als 
ein  dritter  dabeiist,  die  Einheit  der  beiden  ersten  herstellen  oder  vermehren  und 
nicht  vielmehr  vermindern,  und  um  so  mehr,  je  stärker  er  ist?  Nur  wenn  er  als 
ein  gemeinsamer  Bestandtheil  beider  erkannt  würde,  ließe  es  sich  etwa 
begreifen.    Der  Einwand  besteht  also  in  seiner  vollen  Kraft. 

Weiter  behauptet  Wundt  noch,  daß  man  durch  willkürliche  Verstärkung  ein- 
zelner Theiltöne  ein  Intervall  einem  anderen  ähnlich  machen  könne.  Jedes  Inter- 
vall enthält  nämlich  in  den  Obertönen  Nebenintervalle;  z.  B.  die  Klänge  c  und 
f,  die  eine  Quarte  lüden,  enthalten  als  Obertöne  von  e  :  c\  g^,  c-,  e*,  g"^,  und  als 
Obertöne  von  f:fK  c^,  /^,  a^,  c3.  Diese  Obertöne  bilden  unter  sich  eine  große 
Anzahl  von  Nebenintervallen.  Durch  entsprechende  Verstärkungen  treten  also 
diese  mehr  hervor.  Daß  aber  hiedurch  der  Intervallcharakter  von  c — f  selbst 
etwa  dem  einer  Terz  (durch  Verstärkung  von  <ß  und  e^  oder  e^  und  g^}  oder  Sexte 
(durch  Verstärkung  von  e^  und  c^;  oder  Sekunde  (durch  Verstärkung  von  ^  und 
or]  genähert  «werden  könne,  kann  ich  leider  wiederum  nicht  bestätigen.  Die  Be- 
hauptung ist  wohl  wieder  nur  ein  Ausfluß  der  Theorie,  deren  Anhänger  nachträg- 
lich etwas  Derartiges  zu  finden  glauben  mögen ;  aber  das  musikalische  Ohr  bestä- 
tigt  es  nicht,  ihm  bleibt  die  Quarte  alle  Zeit  eine  Quarte. 

Wir  übergehen  die  Lehre  von  der  indirekten  Verwandtschaft  (56),  worin  be- 
sonders der  Unterschied  von  Moll  und  Dur  aus  den  Bei  tönen  hergeleitet  wird. 
Ein  ganz  neuer  Abschnitt  gegenüber  den  früheren  Auflagen  fesselt  mehr  die  Auf- 
merksamkeit: »Konsonanz  und  Harmonie«  (63).  Konsonanz  faßt  Wundt  als 
identisch  mit  direkter  Klangverwandtschaft,  also  beruhend  auf  identischen  Ober- 
tönen, während  Harmonie  »eine  Übereinstimmung  von  Klängen  ist,  welche  auf  der 
Beziehung  verschiedener  Töne  zu  einander  beruht,  die  unmittelbar  als  eine  passende 
empfunden  wird.«    Damit  die  Erklärung  nicht  auch  auf  die  Melodie  passe,  muß 

37» 


550  Kritiken  und  Referate. 


man  jedenfalls  die  Gleichzeitigkeit  der  Töne  mit  hinein  nehmen.  Ob  sie  sonst 
hinreicht,  mag  hier  dahingestellt  bleiben.  Zur  Harmonie  ist  nach  Wundt's  weiteren 
Erl&uterungen  Konsonanz  nicht  erforderlich,  sie  läßt  sich  auch  mit  fast  völlig 
obertonfreien  Klängen  erzeugen,  doch  wird  sie  durch  gemeinsame  Obertöne  und 
ebenso  durch  die  Differenztöne  unterstützt.  Ein  mitwirkendes  Moment  sind  auch 
die  Maßbeziehungen  (Entfernungen)  zwischen  den  Tönen.  Hier  stützt  sich  Wuodt 
auf  die  Lorenz'schen  Versuche  und  deduzirt  daraus  Weiteres  über  Dur  und  Moll 
(67),  üder  Dominante,  Leitton  u.  dgL 

Ein  folgender  Abschnitt  behandelt  die  rhythmische  Verbindung  der  Schall- 
Yorstellungen  (72),  die  Taktarten,  die  Melodie^;  ein  letzter  Abschnitt  in  der  Lehre 
von  den  Gehörvorstellungen  ist  deren  Lokalisation  (80)  gewidmet. 

Die  Betrachtung  der  ästhetischen  Elementargefühle  (209)  führt  kurz  wieder 
auf  musikalische  Dinge  und  zwar  wiederum  besonders  auf  Dur  und  Moll.  Die 
Bemerkungen  über  experimentelle  Untersuchung  des  Tongedächtnisses  (360)  liefern 
kaum  musikalische  Ausbeute.  Dann  begegnen  uns  noch  einige  Zeilen  über  Musik 
im  Verhältniß  zu  den  Affekten  (427)  und  Bemerkungen  über  den  Ursprung  der 
Musik  (525,  529),  welche  freilich  auf  die  eigentlichen  Schwierigkeiten  dieses  Pro- 
blems, wie  die  erste  Bildung  und  die  mannigfache  Ausgestaltung  der  Leitern,  nicht 
eingehen. 

Aber  dies  soll  nicht  wieder  ein  Tadel  sein.  Denn  man  kann  in  einem  Lehr- 
buch der  Psychologie  nicht  Alles  erledigen.  Vielmehr  dürfen  wir  uns  über  den 
Umfang,  in  welchem  Wundt  gegenüber  den  meisten  früheren  Psychologen  das  Ton- 
gebiet berücksichtigt  und  verwerthet,  nur  freuen.  Sein  Werk  bleibt  überhaupt  in 
Rücksicht  auf  die  ihm  zu  Grunde  liegende  Kenntniß  der  Erscheinungen  und  der 
Litteratur  yerschiedenartiger  Gebiete  alles  Ruhmes  würdig.  Um  so  mehr  ist  nur 
zu  bedauern,  daß  sich  damit  nicht  zugleich  größere  Genauigkeit  in  der  Beschrei- 
bung der  Thatsachen  und  größere  Klarheit  in  der  Definition  der  Begriffe  verbiadet, 
als  es  nach  den  zahlreichen  Erinnerungen,  zu  denen  wir  uns  gezwungen  sahen, 
der  Fall  ist. 

HaUe  a.  8. 

C.  Stumpf. 

1  Irrthümlich  nennt  Wundt  hier  (79)  den  langen  .E^-dur-Akkord  zum  Anfang 
der  »Nibelungen«  einen  »die  Grenzen  alles  Zeitmaues  weit  überschreitenden  Orgel- 
punkt««. Dies  ist  überhaupt  kein  Orgelpunkt,  sondern  das  Gegentheil  davon,  da 
dem  Orgelpunkt  gerade  die  Veränderung  der  Harmonie  während  des  Liegen- 
bleibens einer  Stimme  wesentlich  ist. 


Musikalische  Bibliographie 


Ton 


Dn  F.  Aseherson, 

Bibliothekar  nnd  entern  Coitos  der  Königlichen  UniTerslt&te-Bibliothek  xn  Berlin. 


I.  Qesohiohte  der  Musik. 

AdetnollOf  la  heW  Adriana  ed  alire  virtuose  del  suo  iempo  aüa  corte  di  Mantwa 
contributo  di  documenti  per  la  storia  della  musica  in  Italia  nel  primo  quarto 
del  aeicefito,     IX,  ^69  p,  ean  ritraito,    16.    Citta  di  Casteüo,  Lupi.     L  6. 

Annuaire  du  eonservatoire  Royal  de  musique  de  BruxeUes  12.  annie,avec  le  por- 
trait  de  F»  Chiaramonte.     Gand  et  BruxeUes,    SSO  S.    8, 

Bedeutung)  die  epochemachende  des  Pontificates  Leo  XIII.  für  die  Reform  des 
kirchlichen  Gesanges.  Festrede.  16  S.  gr.  8.  Frankfurt  a.  M.,  A.  Foesser  Nach- 
folger,   n.  20  ^. 

Bellaiffne,  C>,  Tannee  mueieaU.  Octohre  1886  ä  oetohre  1887.  18,  Parie,  Ch,  Dela- 
grave,     6  fr. 

Bericht}  siebzehnter  des  KönigL  Konservatoriums  fQr  Musik  in  Dresden.  32.  Stu- 
dienjahr 1887/8S.    41  S.    8.    Dresden,  Georg  Tamme.    n.  20  Pf. 

Biographien  schweizerischer  Tonkünstler.  Carl  Attenhofer  von  A.  Glück.  16  S. 
gr.  8.    m.  Bild.    Leipzig,  Gebr.  Hug,  Yerlags-Gonto.    n.  50  ^. 

,  do.  Friedrich  Hegar  v.  A.  Glück.    16  S.    gr.  8  m.  Bild.    Ebdb.    n.  50  ^. 

,  do.  Theodor  Kirchner  t.  A.  Niggli.    18  S.  gr.  8  m.  Bild.   Ebda.  n.  50  ^. 

,  do.  Gustav  Weber  v.  A.  Schneider.    32  S.  gr.  8  m.  Bild.  Ebda.  n.  50^. 

B9ek)  J,  Die  Beethoven-Sammmlung  in  Heiligenstadt  bei  Wien.  In:  Berl.  Tage- 
blatt Nr.  629  V.  12.  Dec.  1887. 

Brambaeh)  W.,  Die  Reichenauer  Sängerschule.  Beiträge  zur  Geschichte  der  Ge- 
lehrsamkeit und  zur  Kenntniss  mittelalterlicher  Musikhandschriften.  2  Bl.  IV 
u.  43  S.*  8.  Mit  einer  Facsimiletafel  (im  2.  Beiheft  zum  Centralblatt  für 
Bibliothekswesen).  Leipzig,  O.  Harrassowitz  1888  n.  3  Jf, 

Brendel)  F.,  Geschichte  der  Musik  in  Italien,  Deutschland  und  Frankreich.  Von 
den  ersten  christHchen  Zeiten  bis  zur  Gegenwart  7.  Aufl.  Lief.  1,2,  3,  4,  5,  6, 
7,  8,  9,  10  (Schluß).  636  S.  gr.  8.  Leipzig,  Heinrich  Matthes,  Verlag  (Her- 
mann Voigt)  ä  n.  1  •#. 

Briefe  von  Felix  Mendelssohn  an  Aloys  Fuchs.  Mit  Einleitung  von  Eduard  Hans- 
lick.    Deutsehe  Rundschau  Jahrg.  15.  Heft  1.  Oct  1888  S.  65—85. 

von  Felix  Mendelssohn-Bartholdy  an  Ignaz  und  Charlotte  Mo- 
sch el  es.  Herausg.  V.  F.  Moscheies.  287  S.  8.  Leipzig,  Duncker  und  Humbio t. 
1888.    n.  6  Jf,  geb.  n.  7  Jf. 


552  Musikalische  Bibliographie. 


Briefwechsel  zwischen  Wagner  und  Liszt.    2  Bde.    298  u.  328  S.   gr.  8.   Leipzig, 

Breitkopf  und  Härtel.    n.  12  UT.  geb.  n.  14  UT  50  ^. 
CharieS)  M.,  Zeitgenössische  Tondichter.  Studien  und  Skizzen.  VI,  304  S.  8.  Leipzigs 

Roßberg'sche  Buchhandlung,    n.  4  •#,  geb.  n.  5  .#  50  Sjf. 
Chopiii}  F.,  Thematisches  Verzeichniß  der  im  Druck  erschienenen  Kompositionen. 

Neue  umgearbeitete  und  verrollst&ndigte  Ausgabe.  8.  Leipzig,  Breitkopf  und 

H&rtel.    6  M, 
Cohen,  Fr.  Z.,    The  rise  and  development  of  Synagoge  Music.    London,   Wert- 

heimeTf  Leä  ^  Co. 
Couwenbergh,  H.   V.,  L^orgne  ancien  et  moderne.   lAerrt^  Joeepk  van  In  ^  Cie. 

gr.  8.    XIV  und  364  S. 
Eckardt^  J.,  Ferdinand  David  und  die  Familie  Mendelssohn-Bartholdy.  VI,  289  S. 

S.    Leipzig,  Duncker  und  Humblot.    n.  5  uT  60  ^,  geb.  n.  6  uT  60  ^. 
Engely  K.,  die  Don-Juan-Sage  auf  der  Bühne.    265  S.    8.   Dresden,  E.  Fierson's 

Verlag,    n.  3  uT  50  ^. 
Engl)  J.  E.,  W.  A.  Mozart  in  den  Schilderungen  seiner  Biographen,  in  seiner  kör- 
perlichen Erscheinung  im  Leben  und  im  Bilde  nebst  Mittheilungen:  »Aus  dem. 

Salzburger  Mozart- Album.«  91  S.  gr.  8.  Mit  5  Kunstbeilagen.  Salzburg,  Herrn. 

Kerber.    n.  2  uT  50  ^. 
JEmauf,  Baron,   Compoeiteurs  ciUibree.    Om4  de  5  portraiU.    8.    Paris^  Ferrin  ei 

Co,     4,  fr. 
Eülenbnrg's  musikalischer  Haus-  und  Familienkalender  f.  1889.   Herausg.  v.  F. 

Huldschinsky.    103  S.    40.   Mit  Illustr.    Leipzig,  Ernst  Eulenburg,  n.  1  UT. 
Fellnery  Richard,  Geschichte  einer  deutschen  Musterbühne.     Karl  Immermann's 

Leitung  des  Stadttheaters  zu  Düsseldorf.    Stuttgart,  Cotta. 
Frimmel,  Th.,  Neue  Beethoyeniana.  VIU,  334  S.  Mit  3  Heliogravüren  und  3  Photo- 

typien.    Wien,  Karl  Oerold's  Sohn  in  Comm.    geb.  n.  10  Ulf. 
Oa9pari,  Gaetano,  Cataiogo  deüa  Ftblioteea  mwieale  del  Lieeo  dt  Bologna.   Vol.  I. 

Teorica.    Dtspenaa  1  e  2,    Bologna,  Librerta  Romagnoli  DalT  Aequo. 
Oreffoir,  Ed.  G.  J.,  DoeumenU  pour  aervir  ä  Thietoire  de  la  tnmique.  BruzeUee, 

Paris,  LondreSi  Mayence  et  Anvers,  Schott  freree.  deux  volumee. 
HaaSBy  C,  lustige  und  ernste  Musikantengeschichten.    224  S.    8.  Münster,  Ferdi- 

nand  Schöningh.    n.  1  UT  80  ^. 
Handbuch  der  musikalischen  Litteratur  oder  Verzeichniß  der  im  deutschen  Reiche 

und  den  angrenzenden  Ländern  erschienenen  Musikalien  etc.    9.  Band  oder 

.6.  Ergänzungsband.    1880  bis  1886.    CXCVIII,  773  S.  4o.    Leipzig,   Friedlich 

Hofineister.   n.  66  Jf,  Sehreibpapier  n.  88  Jf. 
Hensel,  S.,  die  Familie  Mendelssohn  1729—1847.  Nach  Briefen  und  Tagebüchern. 

Mit  8  Porträts.  2  Bde.  6.  Aufl.  XV,  383  u.  VH,  400  S.  gr.  8.  Berlin,  B.  Behx's 

Verlag  (E.  Bock),    n.  12  Jf,  geb.  n.  14  JH  50  ^. 
Uesse's,  M,,  deutscher  Musiker-Kalender  für  das  Jahr  1889.    384  S.  16.  Mit  8  Por> 

träU.    Leipzig,  M.  Hesse's  Verlag.  Geb.  n.  1  UT  20  ^. 
JaJirbneh,  kirchenmusikalisches  für  das  Jahr  1888.    Red.  y.  F.  X.  Haberl.  XXIV, 

112  S.  gr.  8.   Regensburg,  Friedrich  Pustet    n.  1  UT  60  ^. 
Imbert,  H.,  FroßU  de  mueiciens.    Avec  une  prSface  par  Ed.  Schürt.    8.    Paris, 

Zibrairie  Fischbacher.    3  fr. 
Julien,  Adolphe,  Hector  Berlioz,  sa  vie  et  ses  oeuvres.    Ouvrage  orni  de  queitorze 

lithogrt^hies   originales  par  M.  Fonttn-JLatour,   de   douze  portraits  de  Heetor 

Berlioz,  de  trois  planches  hors  texte  et  de  122  gravures,  scenes  theätrales,  cari- 

catures,  portraits  d'artistes,  autographes  etc.    Paris.  A  la  librairie  de  fort  29 

Cit4  d: Antin.     1888.     Lex.  Fortn.  8.  387  S. 


Musikalische  Bibliographie.  553 


KaliBcher^  A.  C,  L.  v.  Beethoyen  und  der  junge  Meyerbeer. .  In :  Berliner  Tage- 
blatt   Nr.  603,  616.    28.  Nov.    5.  Dee.     1887. 
Kohiity  A.,   Friedrich  Wieck  und  seine  Töchter.    Dresden  und  Leipzig,  Pierson' s 

Verlag.    1888. 
Kttmmerle,  S.,  Encyklopädie  der  eyangelischen  Kirchenmusik  Lfg.  6,  7,  8,  9,  10. 

n,  12,  13.  (1.  Bd.  Vni  u.  S.  401—861.    2.  Bd.  S.  1—160.)    gr.  8.    Gütersloh, 

C.  Bertelsmann,   k  n.  i  Jf.     [S.  ob.  Bd.  I,  S.  139]. 
LeBsmanii)  O.,  Nachtrag  zu  Weitzmann,   Geschiebte  des  Klavierspiels  und  der 

Klavierlitteratur.    2.  Aufl.     14  S.    gr.  8.    Mit  Porträt.    Berlin,  Th.  Chr.  Fr. 

Enslin.  (Richard  Schoetz).    Gratis. 
LeUres  de  W.  A.  Mozart,  traduiiea  par  JET.  de  Curson.   8.    Faris^  Hachette  et  Cie. 

10  fr. 
Ton  LUleneron,  R.,  Die  Horazischen  Metren  in  deutschen  Kompositionen   des 

16.  Jahrh.    Originalpartitur  mit  Übertragung  in  moderne  Notenschrift.    71  u. 

34  S.   8.   Leipzig,  Breitkopf  und  Härtel.   4  Jf,   Daraus  einzeln:  Neue  Parti- 
tur zum  Schulgebrauch,    n.  1  Jf, 
Marsopy  P.,  Zum  Don- Juan-Jubiläum.    In:   Die  Gegenwart  1887  Nr.  44  u.  45. 

,  Die  Pariser  und  die  Wiener  Operette.    In:  Die  Gegenwart  1888  Nr.  16,  17. 

,  Othello,  ein  Musikdrama.    In:  Die  Gegenwart  1888  Nr.  12. 

,  Eine  Pietätsfrage.    Die  erste  Aufführung  von  Richard  Wagner's  »Feen«.  In : 

Die  Gegenwart  1888.  Nr.  28. 
Marttnseiiy  W.,  Goethe's  Singspiele  im  Verhältniß  zu  den  Weiße'schen  Operetten. 

VDI,  51  S.  ^r.  8.  Gießen,  J.  Ricker'sohe  Buchh.,  Verlags-Conto.  n.  1  Jf, 
MarHnyf  c/l,   Histoire  du  thedtre  de  Liege  depuis  son  origine  jusqä  ä  noe  jours, 

Paris,   VaiUant'Carmanne,  700  p,     8^  et  six  planchea, 
JifaitheWf  J,  JE,,  A  populär  history  of  tnusie.  4^,  London,  Grevel  and  Co,  12  eh, 
Maurel,  V.,  A  propoe  de  la  mise  en  seene  du  drame  lyrique  (Hello  de  Verdi,  etude 

preeedee  d'apercue  sur  le  thedtre  ehant4  en  1887,  16^.    Rame,  JBoceafratri  1888. 
Mercy-ArgefUeau,  Comteeee  de,   Ceaar  Cui,    JSequisse  critique,  Paris,  Librairie 

Fisehhacher,     1888,    8,  216  S, 
MerZ)  O.,  Zur  Chronik  der  Münchener  Oper.    Theaterbriefe  und  Berichte.    L  Bd. 

VUI,  159  S.  8.    München,   G.  Franz'sche  Verlagshandiung,  J.  Roth.  n.  1  Jf 

20  J^, 
HiehaeÜB}  A.,   Allgemeiner  Führer  durch  die  Musik -Litteratur.    YII,  64  S.    8. 

Halle,  A.  Michaelis,    n.  1  Jf, 
M.0IUI9  Musici  aüa  carte  degli  Sforza,   richerche  e  documenti  müanesL     150  p,    8, 

Milano,  tip,  Boriolotti  di  Giuseppe  Frato. 
Monardf  L.,  Essai  sur  Heetor  Berlioz,    8.    Paris,  Librairie  Fisehhacher,  1  fr. 
The  Musical  Directory  Annuai  and  Almanaekm  London,  Rudall  Carle  4*  Co, 

3  s.  3  d, 
The  Musical  Year-Book  of  the  United  States.   By  G,  H,  Wilson,    Fifth 

Volume,  1887/8,     Boston,  Mass,:  Alfred  Mudge  and  San. 
Musikens  Historie  fra  de  oeldtte  Tider  til  core  Doge,    Fopulaert  fremstiUet, 

(anonym).    Kopenhagen,  Bergmann,    6  Kr.  60  0er.    (Mit  einer  Übersicht  über 

die  Musik  von  Dänemark,  Norwegen  und  Schweden.) 
Musiker-Biographien.    8.  Bd.  Liszt  2.  Theil  v.  A.  GöUerioh.  (Universal-Blbliothek 

Nr.  2392).     136  S.    16.    Leipzig,  Ph.  Reclam  jun.    n.  20  S^, 
.    9.  Bd.     Gluck  von  H.  Welti.  (üniversal-Bibliothek  Nr.  2421).     87  S.    16. 

Leipzig,  Ph.  Reclam  jun.    n.  20  ^. 
Mnslk-Tasehenblieh)  Erklärung  der  musikalischen  Kunstausdrücke  von  H.  Rie- 

mann.    Katechismus  der  Musik  von  O.  Schwalm.    Tabellen  zur  Musikge- 


554  Musikalisehe  Bibliographie. 


schichte  von  H.  Biemann.    Tonkünstler -Lexikon.  Fahrer  durch  die  Klavier- 

Litteratur.    4.  Aufl.    16.   Hannover,  Steingräber^s  Verlag.  326  S.    Kart.  n.  1  Ji, 
Mnsioly  K.,  Konversations-Lexikon  der  Tonkunst.    358  S.   gr.  8.    Stuttgart,  Karl 

OrQninger.    n.  5  •#,  geb.  n.  6  .#. 
,  Katechismus  der  Musikgeschichte.    2.  Aufl.     (Weber's  illustrirte  KAtechis- 

men.    Nr.  bO).    VIII,  279  S.    8.    Leipaig,  J.  J.  Weber.    Geb.   n.  2  UT  50  .9^. 
Kietzsche)  Friedrich,  Der  Fall  .Wagner.   Ein  Musikanten-Problem.   Leipzig,  C.  G. 

Naumann,  o.  J. 
dTo^lf  E.  et  O,  Stoullig,  Les  annales  du  theäire  et  de  la  mtuique.     13.  Annee. 

lSd7.    18.    Paris,   O.  Charpentier  et  Co,    3  fr.  60  c. 
Pfnify  O.,  Erinnerungen  an  P.  Adolf  von  Doss  S.  J.  (Kirehenmusiker).  Freiburg  i  B., 

A.  Herder. 
Pinmmti)  G.,  musikalisches  Fremdwörterbuch.   64  S.  16.  Stuttgart»  Karl  CMninger. 

Kart.  n.  30  ^. 
Pohl)  R.,  die  Höhenzüge  der  musikalischen  Entwickelung.  XIV,  373  S.  8  m.  4  Tab. 

Leipzig,  B.  Elischer's  Nachfolger,     n.  6  Jf,  geb.  n.  7  Jf, 
PrOBBltZy  A.,  Handbuch  der  Klavier -Litteratur  von   1450  bis  1830.    Historisch- 
kritische Übersicht.    XXVI,  157  S.    Wien,  Karl  Gerold's  Sohn.    n.  3  Jf. 
Rahniy  M.,  Ein  edler  Geigenkünstler.    Aus  dem  Leben  eines  unserer  berühmtesten 

Geigen- Virtuosen.     3.  Aufl.    23  S.    8.     Bonn,  Verlagsbuchhandlung  J.  Bahm. 

n.  40  ^. 
Bamann,  L.,  Franz  Liszt    2.  Bd.     1.  Abth.    Die  Jahre  1841—47.    VIII,  315  S. 

gr.  8.     Leipzig,  Breitkopf  und  Härtel.    n.  6  Jf,  geb.  n.  7  •#  50  ^. 
Seimann,  H.,  Der  junge  Liszt.    (Paris,  1823—1834).  In:  Unsere  Zeit,  Jhrg.  1888. 

Heft  7  S.  29-39. 
Belssmaniiy  A.,  Friedrich  Lux.    Sein  Leben  und  seine  Werke.     130  S.    gr.  8. 

Leipzig,  Breitkopf  und  Härtel.    n.  3  Jf,  geb.  n.  4  •#  50  9. 
Ried,  C,  /  teatri  dt  Bologna  nei  secoli  XVII  e  XVIII.    Storia  aneddatiea  eon 

nette  illtutrazioni.    Bologfia,  Moniu  1888.     Volume  in  8^  di  pag.  737, 

,  I  teatri  di  Borna  nel  secolo  decimosettimo.     jRoma,  Pasqualueei  1888. 

Rosenbergy  Felix,    Über  eine  Sammlitng  deutscher  Volks-  und  GeseUschaftslieder 

in  hebräischen  Lettern.     Berliner  Inaugural-Dissertation.     1888. 
Rothy  Th.,  Führer  durch  die  Violoncell- Litteratur.    8.    Leipzig,   Breitkopf  und 

Härtel.    In  englisch  Leinen,     n.  l  Jf. 
Ranze,  M.,  Loewe  redivivus.    XXXI,  415  S.  Berlin,  Karl  Duncker's  Verlag,  n.  3  UT. 
Bnthardty  A.,  Das  Klavier.    Geschichtlicher  Abriß  des  Ursprunges,  sowie  der  Ent* 

Wickelung  des  Stils  und  der  Technik  dieses  Instruments.   V,  60  S.  1 2.  Leipzig, 

Gebr.  Hug  Verlags-Conto.     n.  1  Jf. 
Sandberger^  A.,   Leben   und  Wirken   das  Dichtermusikers  Peter  Cornelius.    8. 

Leipzig,  C.  F.  Kahnt  Nachf.     1  Jf  20  ^. 
Seheelund,  T.,  Beethofoen,  et  omrids  afhans  livshistorie  efter  aeldre  og  nyere  kilder. 

8.     Kopenhagen,  Schubothe.    4  kr. 
Sohmldt-Bode)  loh»,  Kaspar  Jakob  Bischoff.    Ein  modemer  Kirchenkomponiit. 

Biographische  Skizze.    Als  Manuskript  gedruckt.    Mainz.    Druck  von  Kurt 

Wallau.     18S8.     8.     30  S. 
Sohnyder  Ton  Wartensee^  Lebenserinnerungen.    Zürich,  Hug. 
Schultze»   Dr.  ph.  Fritz,    Das   neue  Deutschland,    seine   alten  Heldensagen   und 

Richard  Wagner.    Leipzig,  Ernst  Günther.     1888. 
Schorf)  E.,  Das  musikalische  Drama.    Verdeutscht  v.  H.  v.  Wolzogen.    2  Thcile 

in  1  Band.    3.  [Titel-]  Aufl.    VHI,  211  u.  172  S.  8.  Leipzig,  Feodor- Keinboth. 

Verlags-Buchhandlung,    n.  3  UT  50  ^,  geb.  n.  4  Jf  bO  ^. 


Musikalisehe  Bibliographie.  555 


Sergyt  E.^  Fanny  Mendelssohn  d^ apres  les  mitnoires,  de  sanßls.  16»  Paris,  Zibrairie 
Fisehhacher.     6  fr, 

Skmlla,  F.,  Chronik  des  Musik -Vereins  in  Znaim.  VIII,  164  S.  gr.  8.  Znaim, 
Fournier  und  Haberler.  n.  2  Ulf  40  ^. 

Spitta^  Fh.,  »Beethoveniana«.  In:  Deutsche  Kundschau.  13.  Jhrg.  Heft  4.  Januar 
1888.    S.  58—68. 

StrohBchneldery  J.  S.,  W.  A.  Mozart.  (Sammlung  gemeinnütsiger  Vorträge  Nr.  123.) 
22  S.  gr.  8.  Prag,  Deutscher  Verein  lur  Verbreitung  gemeinnütziger  Kennt- 
nisse,   n.  30  ^. 

Sutherland  Edwards,  H.,  The  Prima  Donna,  her  history  and  sorroundings  frotn 
the  seventeenih  to  ths  nineieenth  Century,  In  two  volumes,  London,  Reming- 
ton  4*  Co. 

Tydsehrift  der  Vereeniging  yoor  Noord-Nederlands  Muzickgeschiedenis.  Deel  III, 
Stuk  1.  (J.  P.  N.  Ijand,  Het  Luitboek  van  Thysius.  Venrolg.)  Amsterdam, 
Frederik  Muller.    1888. 

Van  der  Straeten,  E,,  La  musique  aux  Pays-Bas  avant  le  XIX^  süele,  docu- 
ments  inddits  et  annotis,  Tome  VIIL  600  pages,  deuzihne  partie  des  musi- 
ciens  neerlandais  en  Espagne.    Bruxeües,  Schott  firh'es. 

Yerzelohniss  der  im  J.  1887  ersohienenen  Musikalien,  auch  musikalischen  Schrif- 
ten und  Abbildungen  mit  Anzeige  der  Verleger  und  Preise,  herausgegeben  von 
F.  Hofmeister.  CV,  401  S.  8.  Leipzig,  Friedrich  Hofmeister,  n.  15  Ulf,  Schreib- 
papier n.  17  J(. 

Tegel)  B.,  Johannes  Brahms.  Sein  Lebensgang  und  eine  Würdigung  seiner  Werke. 
Vin,  80  S.    Mit  Porträt.    Leipzig,  Max  Hesse'»  Verkg.    n.  1  uT  20  Sjf. 

,  Franz  Liszt  als  Lyriker.  Im  Anschluß  an  die  Oesammtausgabe  seiner  Ge- 
sänge für  eine  Singstinmie  mit  Pianofortebegleitung  betrachtet  50  S.  gr.  8. 
Leipzig,  C.  F.  Kahnt  Nachfolger.    60  3jf, 

,  Anton  Rubin  stein.    Biographischer  Abriß  nebst  Charakteristik  seiner  Werke. 

VI,  82  S.    8.    Leipzig,  Max  Hesse's  Veriag.    n.  1  UT  20  Sjf, 

Vogel)  C.  B.  und  C.  Kipke)  Das  königliche  Konservatorium  der  Musik  zu  Leipzig. 
Geschichtliches  und  Biographisches.  47  S.  8.  Mit  lUustr.  Leipzig,  Edwin 
Schloemp.     1  J(, 

Wagner)  R.,  Gesammelte  Schriften  und  Dichtungen.  2.  Aufl.  L.  5 — 9.  10 — 13. 
2.  Bd.  S.  97—215  u.  3.  Bd.  322  S.  4.  Bd.  346  S.  u.  5.  Bd.  S.  1—96.  Leipzig, 
E.  W.  Fritzsch.    ä  n.  60  ^.    [S.  ob.  Bi  III,  S.  615]. 

Ges.  Schriften  u.  Dichtungen.   22—27.  Lief.   8.  Bd.  342  S.  u.  Bd.  9.  S.  1—224. 

Ebda,  a  n.  60  ^, 

Wilsing)  H.,  Richard  Wagner.  Die  Meistersinger  von  Nürnberg.  Einführung  in 
Musik  und  Dichtung.  VI,  71  S.  8.  Leipzig,  Edwin  Schloemp.  n.  1  Jf  bi)  ^, 
geb.  n.  2  Jf. 

WittweF)  G.,  Die  Festspiele  von  Bayreuth,  ihre  religiöse,  künstlerische  und  nationale 
Bedeutung.    46  S.   8.   Leipzig,  Edwin  Schloemp.    n.  60  ^. 

Wohl)  J.,  Franz  Liszt.  Erinnerungen  einer  Landsmännin.  235  S.  8.  Jena,  Her- 
mann Costenoble.    n.  3  Jt,  geb.  n.  4  Jf. 

T«  Wolzogeii)  H.,  thematischer  Leitfaden  durch  die  Musik  des  Parsifal  nebst 
einem  Vorworte  über  den  Sagenstoff  des  Wagnerischen  Dramas.  7.  Aufl.  83  S. 
8.    Leipzig,  Feodor  Reinboth,  Verlagsbuohh.    n.  2  Jf, 

,   Guide  through  the  music  of  E.   Wagner^s  the  Ring  of  the  Nibelung,     (Der 

Ring  des  Nibelungen).  Translated  by  E.  v.  Wolzogen,  3,  Ed.  6^.  Leipzig, 
Feodor  Reinboth.    n.  2  Jf,  geb.  n.  2  Jf  60  Sjl. 

,  Wagneriana.    Gesammelte  Aufsätze  über  R.  Wagner's  Werke  vom  Ring  bis 


556  Murikalische  Bibliographie. 


bis  cum  Oral.    VI,  263  S.    gr.  8.    Leipsig,  F.  Freund,  Buch-  und  Kunstrer» 
lag.    n.  3  M, 
Zahiiy  Johannes,  Die  Melodien  der  deutschen,  eyangelisehen  Kirchenlieder  ans  den 
Quellen  geschöpft  und  mitgetheilt.    Gütersloh,  Bertelsmann.    Heft  1 — t.    8. 

n.  Theorie« 

IMkeTf  Th.j  A  tnanual  of  eounierpomt,  forming  a  sequel  to  Prof.  O.  PauTs  ma- 
nual  of  harmtmy.  X,  131  S.  gr.  8i  Leipzig,  Breitkopf  und  Härtel.  pro  i^pA. 
n.  3  Jf. 

Bmnmerty  L.,  Anleitung  sur  Ertheilung  des  Gesangunterrichtes  in  der  Volksschule. 
2.  Aufl.  VI,  109  8.  gr.  8.  Breslau,  Ferdinand  Hirt,  Verlags-Buchhandlung, 
n.  1  Jf,  geb.  n.  1  uT  25  ^. 

Boret)  H.,  Theoretisch -praktische  Klavierschule  für  die  Jugend.    Neues  System 
FoL    Düsseldorf,   Friedrichstädtische  Buch-  und  Kunsthandlung  (F.  Ba^el  & 
A.  Schneider).    5  uT  50  ^. 

Bvttschardt's  Wegweiser  in  der  musikalischen  Unterrichtslitteratur.  I.  Fianoforte- 
musik  zu  2  Händen.  Führer  durch  die  Klavier-Unterrichtslitteratur.  32  S. 
8.    Stuttgart,  Greiner  und  Pfeifler.    n.  50  ^. 

Blehly  J.,  Praktisches  Handbuch  über  die  Theorie  der  Musik.  IV,  67  S.  gr.  8. 
Hamm,  Carl  Dietriches  Buchhandlung,    n.  1  Jf. 

INttrieh)  O.,  Die  Fremdwörter  der  Tonkunst.  Vortrag.  Nebst  einem  Verselch- 
nisse Ton  Verdeutschungen  entbehrlicher  Fremdwörter  der  Tonkunst.  31  8. 
gr.  8.  Dresden,  Albantis'sche  Buchdruckerei  (Chr.  Teich),  Verlags -Conto, 
n.  50  3j^. 

JEschtnaniP'Ihifnur,  C,  Ouide  du  Jeune  pianiete.  CUueißcation  methodique  et 
graduSe  d^oeuvres  diveraee  pour  piano.  2.  JSd.  />.  XV,  346  S.  Leipzig,  £mst 
Eulenburg.    n.  4  M. 

Egehmanily  J.  C,  Wegweiser  durch  die  Klarier -Litteratur.  3.  Aufl.  v.  A.  Kut- 
hardt    XVI,  204  S.    8.    Leipzig,  Gebr.  Hug.    n.  1  UT  20  3jf,  geb.  n.  1  •#  80  ^. 

HalleF)  M.,  Op.  36,  Die  harmonische  Modulation  der  Kirchentonarten.  321  Mo- 
dulationen, gr.  8.  Kegensburg,  A.  Coppenrath's  Kirchen -Musik -Verlag  ;H. 
Pawlek).     4  Ur  50  ^. 

ManuyniCf  P,  ei  JE.  Schtvartz,  Manuel  du  ehanteur  et  du  profeeseur  de  dumL 
18^.     Paris,  Lihrairie  Fiaehbacher.    2  fr. 

Heinze^  L.,  Theoretisch-praktische  Musik-  und  Harmonielehre  nach  pädagogischen 
Grundsätzen.  Für  österreichische  Lehrerbildungsanstalten  etc.  eingerichtet  Yon 
F.  Krenn.  1.  Theil.  Musik-  und  Harmonielehre.  3.  Aufl.  VII,  172  S.  gr.  8. 
Obei^Glogau,  Heinrich  Handel,    n.  1  uT  80  ^. 

HenneS)  Aloys,  Klavier-Unterrichtsbriefe.  Eine  neue  und  praktisch  bewährte  Lehr^ 
methode  in  fünf  Kursen  Ton  den  ersten  Anfangsgründen  bis  zum  Studium  der 
größeren  Etüden  von  Bertini,  Czerny  und  der  leichteren  Sonaten  von  Haydn, 
Mozart  und  Clementi.  Kurs  II.  29.  Aufl.  Fol.  Leipzig,  Breitkopf  und  Härtel. 
4  Jl.    [S.  ob.  Bd.  II  S.  389.] 

Hennigy  CR.,  Hilfsbuch  beim  theoretischen  Unterricht  in  der  Musik.  4.  Aufl. 
IV,  50  S.    8.    Leipzig,  Gebrüder  Hug,  Verkgs-Conto.    60  ^. 

Hepworth,  G,  Das  B-A-C-H  in  J.  S.  Bach's  Kunst  der  Fuge.  8.  Leipzig,  Edm. 
StoU.    40  3^. 

Hoppe )  W.,  Der  erste  Unterricht  im  Klayierspiel.  Elementar^Pianoforte-Schule 
für  Präparanden-Anstalten  und  Seminarien.  3.  Aufl.  8.  Leipzig,  C.  Merse- 
burger.   2  uT  40  ^. 


Musikalisehe  Bibliographie.  557 


Hvth)  Farbige  Noten.  Vorschlag  eines  neuen  yereinfaehten  Notensystems.  Ana- 
logie zwischen  Farben  und  Tönen.  Mit  6  Farbentafeln.  Hamburg  u.  Leipiig. 
Vsrlagsanstalt  und  Druckerei  Aktiengesellschaft.  1S88.    FoL    6  M, 

tTi^dtissohn,  A  eourae  of  instruetion  on  eanon  and  fugue.  Translated  into  Engliah 
hy  O.  (Tf/sen-J  Wolf,  VIIL  194  S,  gr,  8,  Leipzig,  Breiikopf  und  Härtel 
n.  4  Jf,  geb.  n.  5  Jf  20  ^, 

Kimbergery  U.  8..  Lehr-  und  Übungsbuch  des  Gregorianischen  Choralgesanges. 
3.  Aufl.  54S  S.  gr.  8.  Freising,  F.  P.  Datterer,  Verlags -Buchhandlung, 
n.  3  Jf. 

KShler,  L.,  Katechismus  der  Harmonielehre.  IV,  80  8.  gr.  8.  Stuttgart»  Karl 
Qrüninger.    n.  1  Jf,  geb.  n.  1  UT  60  ^. 

,  Systematische  Lehrmethode  für  Klavier  spiel  und  Musik.    1.  Bd.  Die  Mechanik 

als  Ghrundlage  der  Technik.  3.  Aufl.  reyidirt  Ton  H.  Riemann.  XVI,  258  8. 
gr.  8.  Mit  10  lith.  Fig.  Leipzig,  Breitkopf  und  Härtel.  n.  (>  Jf.,  geb.  n. 
7  jT  50  ^. 

Kretzsehmar,  H.,  Führer  durch  den  Goncertsaal.  H.  Abth.,  erster  Theil :  Kirch- 
liche Werke.    Leipzig,  A.  G.  Liebeskind.    1888. 

Laaser»  C.  A..  Theoretisch-praktische  Instrumenten -Tabelle,  gr.  8.  Für  Hom- 
musik.  Für  Kayalleriemusik.  Für  Militairmusik.  Für  Streich -Orchester. 
Leipzig,  C.  Merseburger.     ä  60  ^.  * 

IjOnSf  M,  J.  A,,  Leerhoek  voor  het  contrapuni.  ^.  Leiden,  J.  W.  van  Leeuwen, 
7  /f.  50  c. 

Le  Coüppejy  Schule  der  Mechanik  des  Klayierspiels.  (Deutsch-FranzOsisch).  Volks- 
ausgabe Nr.  731.    Fol.    Leipzigs  Breitkopf  und  Härtel.    3  Jf. 

Lehrplan  für  die  I.,  11.  u.  IH.  Abtheilung  des  königl.  Konservatoriums  für  Musik 
in  Dresden.    28  S.    gr.  8.    Dresden,  Qeoig  Tamme.    n.  10  ^. 

Llttencheld,  F.,  Taschenbuch  der  gebräuchlichsten  musikalischen  Kunstausdrücke. 
66  S.    160.    Stuttgart,  Karl  Grüninger.    Kart.    n.  30  ^, 

Lobe 5  J.  C,  Katechismus  der  Kompositionslehre.  5.  Aufl.  (Weber's  illustrirte 
Katechismen.  Nr.  50).    VHI,  196  8.    8.    Leipzig,  J.  J.  Weber.    Geb.  n.  2  Jf. 

Hackensie}  Sir  M.,  Singen  und  Sprechen.  Pflege  und  Ausbildung  der  mensch- 
lichen Stimmorgane.  Deutsche  Ausgabe  von  J.  Michael.  XIV,  252  8.  8. 
Hamburg,  Leopold  Voss.    Geb.    n.  6  Jf. 

Marx  5  A.  B..  Musikalische  Kompositionslehre,  praktisch -theoretisch.  Neu  be- 
arbeitet T.  H.  Riemann.  1.  Thl.  9.  Aufl.  XII,  632  8.  gr.  8.  Leipzig,  Breit- 
kopf und  HärteL    n.  12  Jf,  geb.  n.  13  Jf  50  ^, 

Merky  G.,  Elementar^Gesanglehre.  175  8.  gr.  8.  Breslau,  Ferdinand  Hirt,  Ver- 
lags-Buchhandlung,   n.  1  •#  75  ^,  geb.  baar  2  Jf. 

PeteraoUf  Tre  mtuikaliaka  fÖrelä»ningar  om  rytmen,  häUna  t  kongl,  Vetenskaps^ 
dkademiens  hifrsal  d,  7.,  14.  o.21.  okt  1887.  147  s.  o.  2  munkbilager.  8,  Stock- 
holm,  Biüe.    kr.  1. 

Proceedings  of  the  MuHcal  Asaoeiatian  for  the  tnvesiigation  and  düeuuüm 
of  subjects  connected  with  the  ort  and  seience  of  mueic.  Fourteenth  Seeeion 
1887/8.  London,  Noveüo,  Ewer  ^  Co.  1888.  Contents:  1)  Musical  beate  and 
their  rehUion  to  consonance  and  dissonance.  By  J.  Hefferman.  2)  Hie 
differencee  bette een  ancient  and  modern  art.  By  J.  F.  Mowbotham.  3)  The 
phyeiology  of  pianoforte  playing,  with  a  practieal  applietUion  of  a  new  theory. 
By  W,  Macdonald  Smith.  4)  The  Tife  and  work  of  Sir  G.  A.  Maefarren. 
By  JE.  C.  Banister.  5)  Soine  euggeeted  modißeation»  of  Day^e  theory  of 
harmony.  By  Ebenezer  Prout.  6)  The  correspondence  between  Wagner  and 
Liszt,    By  J.  S.  Shedlock.     7)  Some  poinie  of  intereet   connected  with  the 


558  Musikalidche  Bibliographie. 


JSnglish  achool  of  the  fixteenth  Century,   By  J.  H.  Mee.    6)  Some  furiher 

dißeationa  of  Day'a  syatem  of  harmony,  suggested  from  an  edtieaiional  point  of 

vietD,   By  Charles  William  Pearce. 
Proilty  £.,  Elementar-Lehrbuch  der  Instrumentation.    Autorisirte  deutsche  Über- 
setzung T.  B.  Bachur.    2.  Aufl.    YU,  144  S.    gr.  8.    Leipzig ,  Breitkopf  iind 

Härtel.    n.  3  J(,  geb.  n.  4  uT  20  ^. 
Richter^  A.,   Aufgabenbuch  zu  F.  Richter's  Harmonielehre.     7.  Aufl.    IV,  54  B. 

gr.  8.    Leipzig,  Breitkopf  und  Härtel.    n.  1  uT,  geb.  n.  2  uT  20  3jt, 
Biemanii}  H.,  Handbuch  der  Harmonielehre.    2.  Aufl.  der  »Skizze  einer  neuen 

Methode  der  Harmonielehre«.    XII,    239  S.    gr.  8.     Leipzig,  Breitkopf  und 

Härtel.    n.  5  uT,  geb.  n.  6  uT  20  £gf, 
,   K.,   Lehrbuch   des   einfachen,    doppelten  nnd  imitierenden  Kontrapunktes. 

Leipzig,  Breitkopf  und  H&rtel.    1888.    8. 
Bisohbleter,  W.,  Die  Gesetzmäßigkeit  in  der  Harmonik.   VII,  169  S.    8.   Kegens- 

bürg,  Alfred  Coppenrath.    n.  3  •#  50  Sjl, 
Both)  Philipp,  14.  Werk.    Violoncell-Schule.     Mit  einem  Anhang:  Führer  durch 

die  Violoncell-Litteratur.    FoL    Leipzig,  Breitkopf  und  Härtel.    n.  6  Jl, 
Schnellkomponisty  der.    Untrügliche  Anleitung  für  Jedermann,  in  kurzer  Zeit  ein 

bedeutender  Komponist  zu  werden.     2.  Aufl.   der  »industriell- musikalfschen 

Kompositionlohre  von  Theophilus  Plümpser«.    29  8.    12<).     Berlin,  BrachTogel 

und  Ranft,  Verlagsbuchhandlung,    n.  75  3j(, 
Schubert  9  F.  L.,    Kleine  theoretisch -praktische  Klarinettenschule.    4.  Aufl.    4*^. 

Leipzig,  C.  Merseburger.    2  •#  25  ^. 
Sohnberthy  J.,  Vollständig  erklärendes  Fremdwörterbuch  aller  in  der  Musik  ge- 
bräuchlichen Ausdrücke.    18.  Aufl.   160.    XVI,  138  S.    Leipzig,  J.  Schuberth 

und  Co.    Kart     1  Ji. 
Schulz^  F.  A.,  Op.  112.    Kleine  theoretisch-praktische  Guitarre-Schule.     3.  Aufl. 

40.     Leipzig,  C.  Merseburger.    2  J(. 
Struthy  A.,  Theoretisch-praktisohe  Flötenschule.    7.  Aufl*   4^.    Leipzig,  0.  Meise* 

burger.     2  ulT  25  .^. 
Tlersohj  0.,  Elementarbuch  der  musikalischen  Harmonie-  und  Modulationslehre. 

2.  Aufl.    IX,  185  S.    gr.  8.    Berlin,  Bobert  Oppenheim,    n.  4  Jl. 
TombOy  A.,  Schule  der  Technik  des  Harfenspiels.    Herausgegeben  von  £.  Schücker. 

Theil  II.    Fol.    Leipzig,  Breitkopf  und  Härtel.     5  uT. 
ürbmeh)  K.,    Neue  Klayierschule.    Theoretisch -praktisches  Unterrichtswerk    mit 

reichem  Melodienschatz  und  Vortragsstücken  zu  zwei  und  vier  Händen.    Cplt. 

40.    Magdeburg,  Heinrich shofen's  Verlag,     n.  4  uT  50  ^.    Theil  1  und  2  ä 

2  ur  50  .^. 
Yolbaoh)  F.,   Lehrbuch  der  Begleitung   des  Gregorianischen  Gesanges   und   de« 

deutschen  Chorals  an   den  Kirchentonarten  nach  den  Grundsätzen  des  poly- 
phonen Satzes.    56  S.     8.    Berlin,  J.  J.  Heine's  Verlag,    n.  1  uT  60  3jf. 
Weinwumiy  B.,  Allgemeine  Musiklehre  oder  musikalische  Elementarlehre.  4.  Aufl. 

IV,  162  S.     gr.  8.    Wien,  Alfred  Holder,    n.  1  uT  92  ^. 
'Weitzmanii)  C.  F.,  Handbuch  der  Theorie  der  Musik.    Herausgegeben  von  Felix 

Schmidt.     XVI,  224  S.    gr.  8.    Berlin,  EnsUn.  1888.    geb.  6  uT. 
Wlllborg,  W.,  Die  Grundlage  der  Technik  der  Klavierspiels.    70  S.    8.    Leipzig, 

C.  Merseburger.    n.  90  3jl. 
Wittlngy  C,  Wörterbuch  der  in  der  Musik  gebräuchlichen  Ausdrücke.    Deutsoh- 

Engliseh-Französisch.     105  S.    120.    Leipzig,  C.  Merseburger.    75  Sjl, 
Wohlfahrt,  H.,  Vorschule  der  Harmonielehre.    8.  Aufl.    VI,  74  S.    8.    Leipzig, 

Breitkopf  und  HärteL    n.  1  UT,  geb.  n.  1  uT  80  ^. 


Musikalisobe  Bibliographie.  559 


Wohlfarthy  Rob.,  Popul&re  Kompositionfllehre.  Eine  leiohtfassliche  Anleitung  sum 

selbständigen  Komponizen  kleiner  Musikstücke  für  Dilettanten,   sowie  zum 

Gebrauche  in  Musikschulen,  Seminarien,  Pr&paran den- Anstalten  etc.  II.  Theil. 

Foi;    Leipzig,  Robert  Forberg,  1  jT  20  ^. 
WfiUnery  F.,  Chorübungen  der  Münchener  Musikschule.  2.  Stufe.    3.  Aufl.    139  S. 

gr.  8.    München,  Theodor  Ackennann,  Verlags-Oonto.    n.  3  jlf.    [S.  ob.  Bd.  2. 

S.  264.] 
ZiehD>  B.,  Harmonie-  und  Modulationslehre,    gr.  8.    Berlin,  B.  Sulzer.    12  jlf. 
Zimmer,  Fr.,  Die  Noteniesemaschine.    Textheft  (über  Zweck,  Einrichtung  und 

Gebrauch  derselben).    Fol.    Quedlinburg,  Chr.  Friedr.  Vieweg's  Buchhandlung. 

(Apparat  10  M.)    30  9. 

HL  Ästhetik.    Physikalisches. 

Aphorismeiiy  musikalische.    Gesammelt  und  herausgegeben  von  O.  Girschner. 

(Uniyersal-Bibliothek.  Nr.  2401.)    86  S.    Leipzig,  Ph.  Reclam  jun.    n.  20^, 

geb.  n.  60  ^. 
Ehrlich;  H.,  Wagner'sche  Kunst  und  wahres  Christenthum.    Offener  Brief  an  den 

Hofprediger  und  Garnisonspfarrer  D.  Emil  Frommel.    30  S.    8.    Berlin,  Brach- 
vogel und  Ranft,  Verlags-Buchhandlung,    n.  60  ^. 
,  Aus  allen  Tonarten.    Studien  über  Musik.    VI,  264  S.     8.     Berlin,  Brach- 
vogel und  Ranft    n.  4  jT  50  ^,  geb.  n.  5  jT  50  ^. 
Renolg j  C.  R.,    Beethoven's   neunte   Symphonie.    Eine   Analyse.    106  S.    gr.  8. 

Leipzig,  F.  E.  C.  Leuckart     n.  1  jT  50  ^. 
Kalischer,  A.  Ch.,  Musik  und  Moral.    Ein  culturhistorischer  Essay.   1.  Abtheil. 

(Deutsche  Zeit-  und  Streitfragen,  herausg.  von  F.  v.  Holtzendorff.  Neue  Folge. 

2.  Jahrg.    Heft  14.  15.)    96  S.    gr.  8.     Hamburg,   J.  F.  Richter.     Subscrip- 

tionspreis  ii  n.  75  ^,  Einzelpreis  n.  2  Jf. 
Katalog  musikalischer  Humoristica.     131  S.    gr.  8.    Leipzig,  Wilhelm  Dietrich. 

n.  50  ^. 
Krlgar- Menzel  9  0.,  Über  die  Bewegung  gestrichener  Saiten.    Berliner  Inaugural- 

DisserUtion  d.  philos.  Fac.  v.  24.  M&rz  18SS.    40  S.  4».    Mit  1  Tafel.    Berlin, 

Buchdruckerei  von  M.  Niethe. 
Mesnard,  X.,  Essais  de  critique  musicah.     Hector  Berlioz — Johannes  Brdhms.   8. 

FariSj  Lihraire  Fischbacher,    2  fr, 
Norman f  X.,  Musikaliska  upsatser  och  kritiker.    8.    Stockholm^  JBagge,    2  kr. 
Blemanii,  H.,   Wie  hören  wir  Musik?     Drei  Vorträge.    IV,  92  S.    8.    Leipzig, 

M.  Hesse.  1888.    n.  1  ufT  50  ^. 
Stern 9  A.,  Die  Musik  in  der  deutschen  Dichtung.    XII,  241  S,    8.    Leipzig, 

C.  F.  Kahnt  Nachfolger.    Geb.  mit  Goldschn.  n.  7  Jf. 
Wien^  Max,  Über  die  Messung  der  Tonst&rke.    Berliner  Inaugural-Dissertation. 

1888. 
Witts  teüi)  Th.,   Grundzüge  der  mathematisch -physikalischen  Theorie   der  Musik. 

IV,  54  S.    gr.  8.    Hannover,  Hahn'sche  Buchh.    n.  2  »4^. 

IV.   Ausgaben  von  Tonwerken. 

Baehy  J.  S.,  Kantate:  »Bleib'  bei  uns,  denn  es  will  Abend  werden«.  Mit  ausge- 
führtem Akkompagnement  und  erweiterter  Instrumentation  herausgegeben  von 
R.  Franz.    Partitur.  Fol.    Leipzig,  Breitkopf  und  HärteL    7  jT  50  ^. 

,  Fassionsmusik  nach  dem  Evangelisten  Lucas.  Partitur.  Fol,  Leipzig,  Breit- 
kopf und  HärteL    n-  15  uff.    Orchesterstimmen  25  Jf, 


560  MuBikalisehe  Bibliographie. 


Baehy  Sinfoniesats  auB  einer  unbekannten  Kirchen -Kantate  für  Violine.  Mit  Fiano- 
forte  von  L.  Abel.    Fol.    Leipsig,  Robert  Forberg.    3  Jl. 

• ,  Werke.  Ausgabe  der  Bach-Oesellsehaft.  Jhrg.  34.  Kammermusik  für  Ge- 
sang. Kantaten.  Partitur.  Fol.  Leipzig»  Breitkopf  und  UftrteL  (Für  Mitglieder 
15  M)  30  M, 

T.  Beethoven,  Klavier-Sonaten.  Kevidirt  und  beseiehnet  von  H.  Bußmeyer.  40. 
Bd.  1  u.  2.    Berlin,  Schlesinger'sche  Musikhandlung,    ä  3  »4^. 

,  Festchor  aus  der  Kantate  auf  die  Erhebung  Leopolds  11.  sur  Kaiserwürde. 

Für  Mftnnerstimmen  mit  Pianoforte  eingerichtet  von  R.  Weinwunn.   Futitax. 
gr.  8.  2  jT  50  ^. 

• .  Sonaten  für  Pianforte.    Nach  Q.  Nottebohm's  Aufseichnungen  revidirt  v. 

E.  Mandyzewski.    Bd.  1—3.    40.    Wien,  Jos.  Eberle  u.  Co.    ä  3  ulT. 

,  Symphonien  bearbeitet  für  zwei  Pianoforte  su  4  Hftnden.  Nr.  7.  Op.  92  Ton 

E.  Naumann.    Fol.    Leipzig,  Breitkopf  und  H&rteL    10  jlf. 

,  Werke.    Vollständige  kritisch  durchgesehene,   überall  berichtigte  Ausgabe. 

Serie  XXV.  Supplement.  Nr.  297—307.  Kleinere  Stücke  für  das  Hanoforte 
FoL    Leipzig,  Breitkopf  und  Härtel.     2  M, 

,  do.   Nr.  275—285.    Lieder  und  Oesftnge  mit  Begleitung  des  Pianoforte.  F<^ 

Ebda.  2  jT  50  .9'. 

,  Partitur -Einzelausgabe.    Serie  25.    Supplem.    Bisher  ungedruckte  Werke. 

Nr.  1.  Kantate  auf  den  Tod  Kaiser  Joseph  des  Zweiten.  Für  Solo,  Chor  und 
Orchester.  4  jlf  50  ^.  Nr.  2.  Kantate  auf  die  Erhebung  Leopold  des  Zweiten 
zur  Kaiserwürde.  Für  Solo,  Chor  und  Orchester.  3  •#.  —  Nr.  3.  Chor  «um 
Festspiel:  Die  Weihe  des  Hauses.  Für  Solo,  Chor  und  Orchester.  3  «#.  — 
Nr.  4.  Chor  auf  die  verbündeten  Fürsten.  Für  vier  Singstimmen  und  Orchester. 
1  •#  5  ^.  — '  Nr.  5.  Opferlied.  Für  drei  Solostimmen,  Chor  und  kleines  Or- 
chester. 45  3jg,  —  Nr.  6.  Zwei  Arien  für  eine  Baßstimme  mit  Orchester.  1  Jl 
80  ^.  —  Nr.  7.  Zwei  Arien  zu  J.Umlaufs  Singspiel  »Die  schöne  Scfausterin*. 
1  uff  50  ^.  —  Nr.  8.  Arie  »Primo  camore  piaeer  del  ciel**  für  Sopran  mit  Or- 
chester. 1  uff  80  ^.  —  Nr.  9.  Musik  zu  Friedrich  Duncker's  Drama  Leonore 
Prohaska.  60.^.  -^Nr.  10.  Abschiedsgesang.  Für  drei  Männerstimmen.  45^.— 
Nr.  1 1 .  Lobkowitz-Kantate  für  drei  Singstinnnen  mit  Klavierbegleitung.  45  ^. 

—  Nr.  12.  Ich,  der  mit  flatterhaftem  Sinn.  75  ^.  —  Nr.  13.  Merkenstein.  30  ^. 

—  Nr.  14.  Der  Gesang  der  Nachtigall.  30  ^.  —  Nr.  15.  Lied.  30  ^,^ 
Nr.  16.  Lied  aus  Metastasios's  Olimpiade.  30  S^.  —  Nr.  17.  An  Minna. 
30  ^.  —  Nr.  18.  Gedenke  mein.  30  ^.  —  19.  Trinklied.  30  ^,  —  Nr.  20. 
Klage.  30  ^,  —  Nr.  21.  Elegie  auf  den  Tod  eines  Pudels.  45  ^.  —  Nr.  22. 
Fünf  Kanons.    30  ^.    —    Nr.  23.    Musik  zu  einem  Ritterballet.    1  uT  90  .9'. 

—  Nr.  24.  Zwei  Märsche  für  Militärmusik.  Verfaßt  zum  Karoussel  an  dem 
glorreichen  Namensfeste   Ihrer  k.  k.   Majestät  Maria  Ludovika.    60  ^,   — 

—  Nr.  25.  Marsch  für  Militärmusik.  60  ^.  —  Nr.  26.  Polonaise  für  Militär- 
musik. 45  ^.  —  Nr.  27.  Ecossaise  für  Militärmusik.  30  ^.  —  Nr.  28.  Sechs 
Ländler  Tänze  für  2  Violinen  und  Baß.  45  ^.  —  Nr.  29.  Marsch  für  zwei 
Klarinetten,  zwei  Homer  und  zwei  Fagotte.  30  ^.  —  Nr.  30.  Drei  Equale 
für  vier  Posaunen.  30  ^.  —  Nr.  31.  Trio  für  Klavier,  Flöte  und  Fagott. 
3  uff  15  ^.  ~  Nr.  32.  Sonatine  für  Mandoline.  30  ^.  —  Nr.  33.  Adagio  für 
Mandoline.  45  ^.  —  Nr.  34.  Zwei  Bagatellen  für  Klavier.  45  ^.  —  Nr.  35. 
Klavierstück  in  AmoU.  45  9.  —  Nr.  36.  Allegretto  in  CmoU  für  Klavier. 
45  ^.  —  Nr.  37.  Lustig.  Traurig.  Zwei  kleine  Klavierstücke.  30  ^.  — 
Nr.  38.  Klavierstück  in  Bdur.  30  ^.  —  Nr.  39.  Sechs  Ecossaisen  für  Klavier. 
30  ^,  —  Nr.  40.  Walzer  in  Esdur  für  Kkvier.    30  ^.  —  Nr.  41.  Walzer  in 


1 


Musikalische  Bibliographie.  561 


Ddur  für  Klavier.  30  ^.  —  Nr.  42.  Ecossaise  in  Esdur  für  Klavier.  30  £f[, 
—  Nr.  43.  Ecossaise  in  Qdur  für  Klavier.  30  ^.  —  Nr.  44.  Allemande  in 
Adur  für  Klavier.  30  3^.  —  Nr.  45.  Sechs  Deutsche  für  Klavier  und  Violine. 
CO  3jt.  —  Nr.  46.  Zweistimmige  Fuge  für  Orgel.  30  ^.  —  Stimmen  -  Einzel- 
ausgabe Serie  25.  Supplement.  Bisher  ungedruckte  Werke.  —  Nr.  1.  Kan- 
tate auf  den  Tod  Kaiser  Josephs  des  Zweiten.  Für  Soli,  Chor  und  Orchester. 
8  uff  50  ^.  —  Nt.  2.  Kantate  auf  die  Erhebung  Leopold  des  Zweiten  zum 
Kaiserwürde.    Für  Soli,   Chor  und  Orchester.    8  uff  85  ^. 

0ie  ChrStry,  Coüeciion  complete  des  Oeuvres  de  G,  publUe  par  U  gouvemement  beige. 
Livr.  7.  Anaereon  chez  Polycrate,  Opira  en  trois  acies,  Pariition,  Fol.  Leipzig^ 
Breitkopf  und  Härtel.    32  M.  [S.  ob.  Bd.  III  S.  620]. 

Hftndel«  0.  F.,  Werke.  Für  die  deutsche  Händelgesellschaft  herausgegeben  von 
Friedrich  Chrystnder.  Lieferung  LI :  Italienische  Kantaten  für  eine  Solo- 
stimme und  Baß.  Zweiter  Band,  Nr.  39 — 72.  —  Lieferung  XLVIB :  Musika- 
lische Scenen  zu  dem  englischen  Schauspiel  Alceste.  —  Lieferung  LII^ ,  Ita- 
lienische Kantaten  mit  Instrumentalbegleitung.  Erster  Band,  Nr.  1 — 15.  — 
Supplemente  enthaltend  Quellen  zu  Hftndel's  Werken.  1.  Magnificat  von  D. 
Erba.  3.  Serenata  von  Alessandro  Stradella.  Leipzig,  Stich  und  Druck  der 
Gesellschaft, 

Jjfsstf  F.,  Technische  Studien  für  Pianoforte.  Unter  Redaktion  von  A.  Winter- 
berger.  Heft  9.  Fol  Leipzig,  J.  Schuberth  u.  Co.  3  uT.  [S.  ob.  Bd.  UL  S.  617.] 

,  Heft  10.    FoL    Ebda,    6  uT.      . 

,  Heft  11.    Fol.    Ebda.    3  ufT. 

Meister^  alte.  Sammlung  werthvoUer  Klavierstücke  des  17.  und  1 8.  Jahrhunderts 
herausgegeben  von  E.  Pauer.  Vierter  Band.  Nr.  61.  Frescobaldi,  O., 
Toccata.  1.  u.  2.  Fol.  Leipzig,  Breitkopf  und  Härtel.  1  uT  25  ^.  Nr.  62. 
Toccata  3.  u.  4.  1  uT  25  ^.  Nr.  63.  Toccata  5.  u.  6.  1  ufT  25  ^.  Nr.  64. 
Toccata  7.  u.  8.  1  ufT  25  S^.  Nr.  65.  Toccata  9.  u.  10.  1  uT  25  ^.  Nr.  66. 
Toccata  11.  u.  12.  1  ufT.  Nr.  67.  Bach,  C.  P.  E.,  Coneerto  per  ü  Cembalo 
Soh.  2  Jf  75  ^. 

Moiart'g  Werke.  Einzelausgabe.  —  Stimmen-Serie  3.  Kleinere  geistliche  Oesang- 
werke.  —  Nr.  8.  Miserere  für  Alt,  Tenor,  Baß  u.  Orgel  mit  Haberl's  Hinzu- 
fOgung  von  »Quoniam«  u.  »Benigne  fac«  75  ^.  —  Nr.  25.  Offertorium  de  Tem- 
])ore  für  4  Singstimmen  mit  Begleitung.  Instrumentalstimmen.  1  uff  50  ^.  — 
Nr.  26.  Offertorium  de  venerabili  sacramento  für  2  vierstimmige  Chöre  mit 
Begleitung.  1  uT  95  .^r.  —  Nr.  27.  Graduale  ad  Festum  B.  M.  V.  für  4  Sing- 
stimmen mit  Begleitung  2  uff  10  ^.  —  Nr.  29.  Hymnus:  Justum  deduxit 
dominus  f.  4  Singstimmen,  Baß  und  Orgel.  1  uff  5  ^.  [S.  ob.  Bd.  HI  S.  621.] 

Palestrlna'g  Werke.  Kritisch  durchgesehene  Oesammtausgabe.  Band  24.  Messen. 
(Fünfzehntes  Buch.)  Partitur.  Fol.  Leipzig,  Breitkopf  und  H&rteL  15  uff. 
[S.  ob.  Bd.  ni  S.  621).    Herausgegeben  von  Fr.  X.  Haberl. 

,  Band  19.    Messen.    Partitur.    Fol.    Ebda.    15  ulf.    Herausgegeben  von  Fr. 

X.  Haberl. 

Pvblieatlon  älterer  praktischer  und  theoretischer  Musikwerke  vorzugsweise  des  15. 
und  16.  Jahrhunderts.  Herausgegeben  von  der  Gesellschaft  für  Musikforschung. 
Jhrg.  XVI.  1888.  Abth.  1.  Bd.  XVI.  Olareani  Dodeeachordon.  BasiUae 
MDXL  VI,  Übersetzt  und  übertragen  von  Peter  Bohn.  FoL  Leipzig,  Breit- 
kopf und  Härtel.    12  Ol.  [S.  ob.  Bd.  I  S.  257]. 

Schabert,  F.,  Ouvertüren  und  andere  Orchesterwerke.  Bearbeitung  für  Pianoforte 
zu  vier  Händen  von  J.  O.  Qrimm.  Nr.  4,  5,  6.  Fol.  Leipzig,  Breitkopf  und 
Härtel.    ä  1  uT  50  ^. 


562  Musikalische  Bibliographie. 


Sehabert,  Nr.  7.   Ouvertüre  in  Emoll.    1  uT  50  ^.  —  Nr.  8.  Fflnf  Menuette  mit 

sechs  Trios.   1  «^  50  ^.  —  Nr.  0.   Fünf  Deutsche  mit  Coda  und  sieben  Trios. 

1  Ulf  50  ^.  —  Nr.  10.  Menuett  50  Sjf. 
,  Werke.  Erste  kritisch  durchgesehene  Gesammt- Ausgabe.  Serie  I.   Symphonie 

für  Orchester.    Nr.  7.  Cdur.   Fol.    Leipzig,  Breitkopf  und  H&rtel.    Stimmen. 

18  M  75  3jf. 
,   Serie  XV.    Dramatische  Musik.     Daraus  einieln:    Ouvertüre  xu  der  Oper 

Fierabras.     Op.  76.    6  ufT  30  ^.    Stimmen.    4  ^  10.  J^r 

Einzelausgabe.    Partitur.    Serie  XIIl.    Messen.    Nr.  1.  Messe  in  Fdur.    ^  M 

30  ^.  —  Nr.  2.  Messe  in  Gdur.    3  ulT.  —  Nr.  3.  Messe  in  Bdur.    4  ulT  20  ^. 

—  Nr.  4.  Messe  in  Gdur.  3  ulT  60  ^.  —  Nr.  5.  Messe  in  Asdur.    12  M  75  ^. 

—  Nr.  6.  Messe  in  Esdur.  12  uff  15  ^.  —  Nr.  7.  Gesänge  zur  Feier  des 
heiligen  Opfers  der  Messe  nebst  einem  Anhang:  Da^Gebet  des  Herrn.  1  M 
50  3jl. 

du.   Serie  IX.  Für  Pianoforte  zu  4  H&nden.  Bd.  I.  Nr.  1 — 7.  Märsche,  n.  9  •#. 

—  Bd.  II.    Nr.  8 — 18.    OuTcrturen,  Sonaten,  Kondos,  Variationen,     n.  17  ulT. 

—  Bd.  in.  Nr.  19 — 32.  Divertissements,  Polonaisen,  Phantasien  u.  s.  v. 
n.  20  Jt. 

Stimmen.    Serie  2.  Ouvertüren  und  andere  Orchesterwerke.    Nr.  1.  Ouvertüre 

zum  Lustspiele  mit  Gesang :  Der  Teufel  als  Hydraulicus.  2  jlf  40  ^.  Nr.  2. 
Ouvertüre  in  Ddur.  6  uT  45  ^.  Nr.  3.  Ouvertüre  in  Bdur.  2  ulT  70  Jjr.  Nr.  4. 
Ouverturelin  Ddur.  3  uT  45  ^.  Nr.  5.  Ouvertüre  in  Ddur.  4  uT  5  ^.  Nr.  6. 
Ouvertüre  in  Cdur.  4  uT  5  ^.  Nr.  7.  Ouvertüre  in  Emoll  5  uT  55  ^.  Nr.  8. 
Fünf  Menuette  mit  sechs  Trios.  1  uT  55  ^.  Nr.  9.  Fünf  Deutsche  mit  Coda 
und  sieben  Trios.    1  ufT  55  ^.    Nr.  10.  Menuett    75  ^. 

Serie  14.    Kleinere  Kirchenmusikwerke.    Partitur.     17  •#, 

SchlltSy  H.y  Cantiones  sacrae  für  vier  Singstimmen  mit  Generalbaß.  Stimmen. 
Cantus,  Alt,  Tenor  und  Baß.  FoL  Leipzig,  Breitkopf  und  Härtel.  je  1  «#  50  .^. 

,  Sämmtliche  Werke.    Herausgegeben  von  Philipp  Spitta.  Band  V:  ^^' 

phoniae  sacrae.  Erster  TheiL  —  Band  VI :  Kleine  geistliche  Concerte.  Erster 
und  zweiter  Theil.  —  Band  VH  :  Symphontae  aaerae.  Zweiter  TheiL  FoL  Leipzig, 
Breitkopf  und  HärteL    Subscriptionspreis  für  den  Band  \h  M. 

Sehmnann's,  Robert,  Werke.  Kritisch  durchgesehene  Gesammtausgabe.  Heraug- 
gegebea  von  Clara  Schumann.  Partitur  u.  Stimmen.  Serie  V.  Für  Piano- 
forte und  andere  Instrumente.  Band  1.  Quintett  u.  Quartett  Fol.  Leipzig, 
Breitkopf  und  HärteL  13  uT.  Band  11.  Trios.  20  uT.  Band  HI.  Duos. 
15  uT.    [S.  ob.  Bd.  m.  S.  622  ff.] 

Band  I.   Nr.  2.   Op.  47.     Quartett  für  Pianoforte,  Violine,  Viola  und 

Violoncello.  5  uT  70  ^.  Band  IL  Nr.  4.  Op.  80.  Zweites  Trio  für  Piano- 
forte, Violine  und  Violoncello.  4  ufT  95  ^.  Nr.  6.  Op.  88.  Phantasiestücke 
für  Pianoforte,  Violine  und  Violoncello.  2  Jf  Sb  ^.  Band  3.  Nr.  8.  Op.  70. 
Adagio  und  AUegro  für  Pianoforte  und  Hom  (Violoncello  oder  Violine  ad 
lib.).  1  jT  80  ^.  Nr.  9.  Op.  73.  Phantasiestücke  für  Pianoforte  und  Klari- 
nette (Violine  oder  Violoncello  ad  lib.).  2  uT  55  9.  Nr.  10.  Op.  105.  Erste 
Sonate  für  Pianoforte  und  Violine.  2  jT  25  ^.  Nr.  12.  Op.  113,  Märchen- 
Bilder.  4  Stücke  für  Pianoforte  und  Viola  (Violine  ad  lib.).  2  jT  40  <^. 
Nr.  13.  Op.  94.  Drei  Romanzen  für  Oboe  (Violine  ad  lib.)  und  Pianoforte. 
IJf  20^,  Nr.  14.  Op.  102.  Fünf  Stücke  im  Volkston  für  Violoncello  (Vio- 
line ad  lib.)  und  Pianoforte.     2  ufT  25  ^. 

Serie  9.    Größere  Gesangswerke  mit  Orchester  oder  mit  mehreren  Instru- 
menten. Stimmen.  Nr.  4.  Op.  84.  (Beim  Abschied  zu  singen),  für  Chor  mit  Oi^ 


Musikalische  Bibliographie.  5^3 


ehester  oder  Fianoforte.  1  «#  95  ^.  Nr.  5.  Op.  93.  Verzweifle  nicht  im 
Schmerzensthal.  Motette  für  doppelten  Männerchor  mit  Orchester  und  Orgel 
ad  lib.  9  jT  60  ^.  Nr.  7.  Op.  108.  Nachtlied  für  Chor  und  Orchester. 
4  Ulf  35  .^r.  Nr.  8.  Op.  112.  Der  Rose  Pilgerfahrt,  für  Solostimmen,  Chor 
u.  Orchester.  17  jT  40  ^..  Nr.  10.  Op.  116.  Der  Königssohn.  Ballade  für  Solo- 
stimmen, Chor  und  Orchester.  10  M  80  ^.  No.  11.  Op.  137.  Fünf  Gesänge 
aus  Laube's  Jagdbrevier  für  4stimmigen  Männerchor  mit  4  Hörnern  ad  lib. 

1  jT  80  .^.  Nr.  13.  Op.  140.  Vom  Pagen  und  der  Königstochter.  4  Balladen 
für  Solostimmen,  Chor  und  Orchester.  10  ufT  5  ^-  Nr.  14.  Op.  143.  Das 
Qlück  von  Edenhall.  Bajlade.für  Männerstimmen,  Soli  und  Chor  mit  Orche- 
ster bearbeitet.  9  uff.  Nr.  15.  Op,  144.  Neujahrslied  für  Chor  und  Orchester. 
8  ur  40  ^. 

Schamaiuiy  Serie  10.    Mehrstimmige  Gesangswerke  mit  Fianoforte*    Band  1.  Für 

2  Singstimmen.  Part.    4  M*   Band  2.  Für  mehrere  Singstimmen.  Part.    13  uff. 
t ,  Serie  11.     Für  Männerchor.    Partitur.    2  ulf. 

Serie  12.  Für  gemischten  Chor.  Partitur  6  uff. 
-,  Serie  13.  Für  eine  Singstinmie  mit  Pianoforte.  Band  1.  Nr.  2.  Op.  25. 
Myrthen.  Liederkreis.  3  uff  75  ^.  Nr.  3.  Op.  27.  Lieder  und  Gesänge.  Heft  1. 
75  ^.  Nr.  4.  Op.  30.  Drei  Gedichte.  1  uff  5  ^.  Nr.  5.  Op.  31.  Drei  Ge- 
sänge. 1  uff  35  ^.  Nr.  6.  Op.  35.  Zwölf  Gedichte.  1  uff  95  ^.  Nr.  7.  Op.  36. 
Sechs  Gedichte  aus  dem  Liederbuche  eines  Malers.  1  ulf  35  ^.  Bd.  2.  Nr.  9. 
Op.  39.  Liederkreis.  Zwölf  Gesänge.  1  uff  80  ^.  Nr.  10.  Op.  40.  Fünf 
Lieder  für  eine  tiefe  Stimme.  1  ulf  5  ^.  Nr.  11.  Op.  42.  Frauenliebe  und 
Leben.  Liedercyklus.  1  uff  35  ^.  Nr.  12.  Op.  45.  Komanzen  und  Balladen. 
Heft  1.  90  ^.  Nr.  13.  Op.  48.  Dichterliebe.  Liedercyklus.  2  uT  70  ^. 
Nr.  14.  Op.  49.  Romanzen  und  Balladen.  Heft  2.  90  ^.  Nr.  15.  Op.  51. 
Lieder  und  Gesänge.  Heft  2.  90  3jf.  Nr.  16.  Op.  53.  Romanzen  und  Bal- 
laden. Heft  3.  90  ^.  Band  3.  Nr.  17.  Op.  57.  Belsazar.  Ballade  für 
eine  tiefe  Stimme.  75  ^,  Nr.  18.  Op.  64.  Romanzen  und  Balladen. 
Heft  4.  75  ^.  Nr.  19.  Op.  77.  Lieder  und  Gesänge.  Heft  3.  1  uT  5  ^. 
Nr.  21.  Op.  83.  Drei  Gesänge.  90  ^.  Nr.  22.  Op.  87.  Der  Handschuh. 
Ballade.  60  ^.  Nr.  23.  Op.  89.  Sechs  Gesänge.  1  uT  20  <9'.  Nr.  24.  Op.  90. 
Sechs  Gedichte  und  Requiem.  1  ulf  50  ^.  Nr.  25.  Op.  95.  Drei  Gesänge 
mit  Harfe  oder  Pianoforte.  90  3jl.  Nr.  26.  Op.  96.  Lieder  und  Gesänge. 
Heft  4.  1  uff  5  ^.  Band  4.  Nr.  28.  Op.  104.  Sieben  Lieder.  1  uff  20  ^. 
Nr.  29.  Op.  107.  Sechs  Gesänge.  1  UT  5  ^.  Nr.  30.  Op.  117.;  Vier  Husaren- 
lieder für  Baryton.  75  ^.  Nr.  31.  Op.  119.  Drei  Gedichte  aus  den  Wald- 
liedem.  75  ^.  Nr.  32.  Op.  125.  Fünf  heitere  Gesänge.  1  uT  5  ^.  Nr.  33. 
Op.  127.  Fünf  Lieder  und  Gesänge.  90  ^.  Nr.  34.  Op.  135.  Gedichte  der 
Königin  Maria  Stuart.  76  ^,  Nr.  35.  Op.  124.  Vier  Gesänge.  75  ^.  Nr.  36. 
Op.  106.  Schön  Hedwig.  Ballade.  60  Sjf.  Nr.  37.  Op.  122.  Zwei  Balladen. 
90  ^.    Nr.  38.     Soldatenlied.     30  ^.    ' 

-,  Serie  10.  Mehrstimmige  Gesangswerke  mit  Pianoforte.  Erster  Band.  Ein- 
zelausgabe. Nr.  1.  Vier  Duette  für  Sopran  und  Tenor.  Op.  34.  1  uff  35  ^. 
Nr.  2.  Drei  Lieder  für  zwei  Singstimmen.  Op.  43.  90  4^.  Nr.  3.  Vier  Duette 
für  Sopran  und  Tenor.  Op.  78.  1  uT  20  ^.  Nr.  4.  Mädchenlieder  für  zwei 
Singstimmen.  Op.  1D3.     75  ^. 

-,  Serie  10.  Mehrstimmige  Gesangffwerke  mit  Pianoforte.  Zweiter  Band.  Nr.  6- 
Romanzen  für  Frauenstimmen.  Heft  I.  Op.  69.  2  ulf  55  ^.  Nr.  7.  Romanzen 
für  Frauenstimmen.  Heft  H.  Op.  91.  2  uT  60  ^.  Nr.  8.  Spanisches  Lieder- 
spiel für  eine  und  mehrere  Singstimmen.  Op.  74.  4  ulf  20  .^.  Nr.  9.  Minnespiel 

1888.  38 


564  Musikalische  Bibliographie. 


aus  Fr.  Rückert's  Liebesfrühling  für  eine  und  mehrere  Singstimmen.  Op.  101. 
3  Ji.  Nr.  10.  Drei  Lieder  für  drei  Frauenstimmen.  Op.  114.  \  M  h  SgP. 
Nr.  11.  Spanische  Liebeslieder  für  eine  und  mehrere  Singstimmen  mit  Piano- 
forte  SU  vier  Händen.  Op.  138.  ^  Ji  60  Sjf,  Nr.  12.  Der  deutsche  Rhein. 
Patriotisches  Lied  für  eine  Singstimme  mit  Chor.    45  Sjt. 

Sohnmaniiy  Serie  11.  Für  Männerchor.  Nr.  1.  Sechs  Lieder  für  mehrstimmigen 
Männergesang.  Op.  33.  2  Jf  Sb  ^.  Nr.  2.  Drei  Lieder  für  Männerchor. 
Op.  63.  1  jT  95  4"-  Serie  12.  Für  Sopran,  Alt,  Tenor  und  Baß.  Nr.  1. 
Fünf  Lieder  für  gemischten  Chor.  Op.  55.  2  ^  25  ^.  Nr.  2.  Vier  Gesänge 
für  gemischten  Chor.  Op.  59.  2  Jf  \0  £^.  Nr.  3.  Romanzen  und  Balladen 
für  gemischten  Chor.  Heft  I.  Op.  67.  \  J(  SO  3^,  Nr.  4.  Romanzen  und 
Balladen  für  gemischten  Chor.  Heft  H.  Op.  75.  1  jT  95  ^.  Nr.  5.  Vier 
doppelchorige  Gesänge  für  größere  Gesangvereine.  Op.  141.  3  «#  75  ^. 
Nr.  6.  Romanzen  und  Balladen  für  gemischten  Chor.  Heft  lU.  Op.  145. 
1  »4f  95  ^.  Nr.  7.  Romanzen  und  Balladen  für  gemischten  Chor.  Heft  IV. 
Op.  146.     2  jT  25  9. 

,  Serie  1.    Symphonien  für  Orchester.    Partitur.    Nr.  1.    Zweite  Symphonie. 

Op.  61.     10  JK  35  ^,    Nr.  3.    Dritte  Symphonie.     Op.  97.    5  uT  25  4^. 

,  Serie  3.  Nr.  6.  Concert-Allegro  mit  Introduktion  für  Pianoforte  mit  Orche- 
ster.   Op.  134.    Partitur.    2  ufT  55  ^.    Fianoforte-Stimmen  einzeln  luTSd^. 

Wagner'By  R.,  Werke.  Part.  Lohengrin  in  24  Lieferungen.  Fol.  Leipzig,  Breit- 
kopf und  Härtel.   Lief.  3.    5  J(.    Tristan  und  Isolde  in  24  Lief.   Lief.  3.  5  Jf. 

T.  Weber,  C.  M.,  Die  drei  Pintos.  Komische  Oper  in  drei  Aufzügen.  Textbuch. 
8.  Leipzig,  C.  F.  Kahnt  Nachfolger.  50  ^.  Klavier- Auszug  mit  Text  gr.  8. 
8  ufr. 

Antiquarische  Kataloge. 

Bar  &  Co.y  Frankfurt  a.  M.  18  Roßmarkt.  Nr.  384.    Enthält  einzelne  musikalische 

Werke. 
BertUng»  R.,  Dresden- A.  3  Johannesplatz.    Nr.  3.  3872  Werke,  auch  Musik  älteren 

Datums. 
Carlebaoh,  £.  Heidelberg.    Nr.  162  enthält  von  Nr.  377—413  Werke  über  Musik. 
Cohn,  A.,  Berlin  W.    53  Mohrenstraße.    Nr.  186.    Autographen  und  historische 

Documente. 

Nr.  189.   Autographen  und  historische  Documente  (Nr.  11). 

Nr.  190.    Incunahles  (Livrea  imprimis  avant  150 Ij, 

Nr.  191.    Autographen  und  historische  Documente  (Nr.  12). 

EiseiiBtein  &  Co.»  Wien.   2  Währingerstraße.    Nr.  IH.    Auch  einzelne  Bücher 

über  Musik. 
HarrasBOwitB»  O.,  Leipzig.    Nr.  140.   Im  Ganzen  268  Werke,  zumeist  ältere, 
liiepmannsohiiy  L.,  Berlin  63  Charlottenstraße.  Nr.  62.   (Zumeist  Kammermusik 

des  18.  Jhdts.,  seltene  Werke).    Musikliteratur.. 

Nr.  65.    Musikbibliothek  des  Prof.  Commer.    680  Werke. 

Nr.  66.    Musikalische  Litteratur  und  Musikalien. 

Mampe,  A.,  Berlin  W.    91  Wilhelmstr.    Nr.  X.   Von  Nr.  739—825  Musik. 
Bosenthal»  L.,  München,    16  Hildegardstr.    Nr.   LIX.    Auf  S.  149 — 160  zumeist 

ältere  Druckwerke  und  eine  HdschrfL  von  56  Bl. 
Bänger,  J.,  Hamburg  5  Gerhof str.    Nr.  1.    Von  Nr.  1799—2045  auch  Werke  über 

Musik. 


Mugikalische  Bibliographie.  565 


"Völoker,  K.  Th.,  Frankfurt  a.  M.   3  Bömerberg.  Nr.  28.  Musikalien  und  Bücher 

Über  Musik. 
Vyt,  £.,  Qand.    Auktionskatalog  der  Bibl.  des  Vieomte  de  Clerque  de  Wissocq 

de  Sousberghe.    Besonders  Opern  des  18.  u.  19.  Jhdts. 
l^elter,  H.,  Paris  59  Rue  Bonaparte.    Nr.  24  enth&lt  von  Nr.  241—297  filtere  u. 

neuere  Werke  über  Musik,  auch  Musikalien. 


Ordflsere  Kritiken  ersohienen  vom  Oktober  1887  bis  Oktober  1888  über 

folgende  Werke. 

(Die  römischen  Ziffern  bedeuten  den  Jahrgang  der  Zeitschrift,  die  arabischen  die 

Nummer). 

^gresH,  Metodo  Uarico-prettieo  di  canto  ecclesiaatico  (Mus,  sacra,  Milano  XI,  i2 

coniin,), 
BeethOTen,  Supplementband  (Neue  Ztschrft.  f.  M.  LV,  30). 
Bayrenther  Tasehenbueh  und  Kalender  1888  (Mus.  Wochenbl.  XIX.  5).    (Allg. 

Mus.  Ztg.  XIV.  49).  (Neue  Ztschrft.  f.  M.  LV,  6). 
BoTet,  Claviersehule  (Neue  Ztschrft.  f.  M.  LV,  22).    (Neue  Berl.  Mstg.  XUI,  5). 
Bulthaapty  Dramaturgie  d.  Oper  (Mus.  Times  539).    (Mus.  Centralbl.  I,  7). 
SellaiguCf  C,  TTn  süde  de  musique  fran^aüe  (Öaz.  Mus.  XLII  47,  fine). 
Brendel,  Geschichte  der  Musik,  7.  Auflage  (Mus.  Centralbl.  I,  4). 
Curzon,  Letires  de  Mozart,  (Menestrel  LIV^  36). 
iJoheUf  Riss  and  development  of  Synagogue  Mustc.    (Mus.  Times  643). 
J>alP  Olio,  C,  Studio  della  compos.  tntu.  (Qaz.  Mus.  XLII  48,  60). 
Erler,  Schumann's  Leben.  (Mus.  Wochenbl.  XIX,  7). 
fhrliehy  Aus  allen  Tonarten.    (Allg.  Mus.  Ztg.  XIV.  40).    (Neue  Ztschrft  f.  Mus. 

LV,  15). 
Eiben,  O.,  Der  volksth.  deutsche  Männergesang.    (Siona  XII,  12).    (Neue  Ztschrft 

f.  Mus.  LV,  26.) 
Xekardty  F.,fDayid  u.  die  Familie  Mendelssohn-Barth.  (Signale  XLVI,  19).  (Leipzig. 

M.  u.  Katg.  V,  13).  (Neue  ZUchrft  f.  Musik  LV,  25). 
Frimmelf  Beethoveniana.    (Mus.  World  LXVI,  21).    (Signale  XLVI,  10).  (Aüg. 

Mus.  Ztg.  XV,  4).    (Neue  Ztschrß.  f.  M.  LV,  17,  Sß)- 
Gevaert,  Nouveau  traiti  de  rinstrumentation.    (Neue  Berl.  Mztg.  XLII,  1,  2,  3). 
^llerrleh,  Liszt  II.    (Mus.  Wochenbl.  XIX,  30).    (Neue  Ztschrft.  t  M.  LV,  27). 
Mipkina,  Musical  Instruments.  (Mus.  Times  539). 
Hanslieky  Musik.  Skizsenbuch.  (Allg.  Mus.  Ztg.  XV,  12). 
Hey,  Gesangunterricht    (Neue  Ztschrft.  f.  M.  LIV,  50,  52.  LV,  3). 
Jansen,  Merkel.  (Neue  Ztschrft.  f.  M.  LIV,  51). 

KlrehenmaglkaUsehes  Jahrbneh  yon  Haberl.    (Mus.  WochenbL  XIX,  6). 
Eiensl,  Mus.  Declamation.  (Mus.  Rundschau  III,  9). 
Söhnt,  Das  Dresdener  Hoftheater  in  der  Gegenwart  (Leipziger  M.  u-.  Kztg.  V,  18). 

. ,  Fr.  Wieck.    (Neue  Ztschrft  f.  M.  LV,  3,  8).    (Mus.  Centralbl.  I,  4). 

KÖBtlin,  H.  A.,  Geschichte  des  christlichen  Gottesdienstes.  (Mus.  sacra  Witt  XXI,  3). 
Kretisehmar,  Fahrer  durch  den  Concertsaal  L    (Mus.  WochenbL  XIX,  14).  (Allg* 

Mus,  Ztg.  XV,  15).  (Leipziger  M.  u.  Kztg.  V,  4). 
Klimmerle,  Encyklop&die  der  evang.  Kirchenmusik.  (Siona  Xm,  8). 
La  Mara,  Musikerbriefe.   (Mus.  Rundschau  lU,  4  Schluß). 
Langbans,  Fortsetzung  der  Geschichte  der  Musik  von  Ambros.   (Qaz«Mus.  XLII, 

44  ff.).  (Mus.  WochenbL  XVm,  43). 

38» 


566  MuBikalisehe  Bibliographie. 


LudwigTy  Kästner.  (Guide  mus.  XXYTT,  40). 

MnslkforeningeoB  Festschrift  (Neue  Berl.  Mztg.  XLII,  12). 

Maurelf  A  propos  de  la  miae  en  sc^ne  du  drame  h/r,  Oteüo.  (Gaz,  Mu8.  XLIII,  26J^ 

Morsch,  Italienischer  Kirohengesang.  (Neue  Ztschrft.  L  M.  LV,  30). 

MelnarduSy  Musik  im  socialen  Leben.  (Neue  Berliner  M.  XLII,  34;. 

Mozart f  Lettres,  traduites  par  H.  de  Cunon.  (Gaz,  Mua.  XLIII,  31  coaUn.), 

Michel,  Die  Bildung  der  Qesangsregister.  (Signale  XLV,  65). 

I.  ProcesMonale  fnonasticum»    II*  Variae  preees»    Solesmü.  (Gregorius- 

BIXIII,  9). 
Pongiii,  Verdi.  (Mus.  WochenbL  XIX,  12). 
Bamaiin,  Liszt  II,  1.  (Neue  Ztschrft.  f.  M.  LV,  13). 
Beissmaniiy  Fr.  Lux.  (Mus.  Times  542).  (Neue  ZUchrft  f.  M.  LV,  26).  (Mus.  Cen- 

tralbl.  I,  7).    (Allg.  Mus.  Ztg.  XV,  11). 

,  Musik  als  Eniehungsmittel.  (Neue  Ztschrft.  t  M.  LV,  8). 

JRiccif  I  teatri  di  Roma  nel  secolo  XVII,  (Gaz,  Mus,  XLIII  34  eontm.). 

Biemaan,  Wie  hören  wir  Musik?    (Neue  Ztschrft  f.  M.  LV,   35). 

Roth,  Gebetbuch  der  hl.  Elisabeth  yon  Schönau.  (Monatshefte  f.  Mg.  XX,  3). 

jRot^othatn,  History  of  music,   Vol,  III  (Neue  ZUchrß.  /.  M,  L  V,  16), 

Sehoppe,  Diätetik  der  Stimme,   (Neue   Ztschrft.  f.  Mus.  LV,  12). 

Sehnjder  Ton  Wartensee,  Lebenserinnerungen.   (Schweiz.  Musikctg.  XXVin,  5). 

(Mus.  CentralbL  I,  7  4)- 
Sehmnann^  Jugendbriefe,  englische  Übersetzung.  (Mus.  World  LXVI,  1). 
Seidly  A.,  Vom  Musikalisch-Erhabenen.   (Allg.  Mus.  Ztg.  XIV,  51).  (Neue  Ztschrft. 

f.  Mus.   LV,   11).     (Mus.  Chronik  V,  5).     (Bayreuther  Bl&tter  XI,  6).     (Mus. 

WochenbL  XIX.  37). 
Seidel,  Die  Orgel  und  ihr  Bau,  4.  Aufl.  t.  B.  Kothe.  (Urania  XLV,  3). 
Spitta^  Fr.,  Die  Passionen  von  SchütB.  (Siona  Xin,  1). 
Steinitier,  Psycho!  Wirkungen  der  mus.  Formen.  (Allg.  Mus.  Ztg.  XV,  2j. 
Stern,  Musik  in  der  deutschen  Dichtung.  (Neue  Ztschrft.  f.  M.  LV,  3,  4) 
Stöwe,  Klaviertechnik.  (Neue  Ztschrft.   f.  M.  LIV,  45). 
SohfltK,  H.,  Oesammtausgabe  s.  Werke.  (Monatshefte  f.  Mg.  XX,  4). 
Hiiersehy  Dynamik.  (Neue  Ztschrft  f.  Mus.  LV,  12). 
Töpfer,  0]^elbaukunst,  2.  Aufl.  von  M.  Alihn.  (Urania  XLV,  5  u.  9).    (Schweiser 

Msztg.  XXVIII,  16,  17.) 
Van  der  Straeten,  Mus.  auz  Pays  Bas.   VIII,  2.  (Guide  mus,  XXXIV,  6), 
TierteUahrssehrlft  für  Masikwissensdiaft  in,  3.   (Mus.  WochenbL  XVni,  46). 
Wagner-Lisit,  Briefwechsel.    (Mus.  WochenbL  XIX,  1,  2,  3,  4,  7).    (Allg.  Mos. 

Ztg.  XV,  19fg).  (Neue  Ztschrft.  £  Mus.  LV,  1,  2,  7).  (Neue  Berliner  XLU,  29). 

(Mus.  Randschau  III,  10,  11,  12,  15).    (Urania  XLV,  6).   (Mus.  World  XLVI,  5 

u.  LXVU.  36  contin.).    (Mus.  Times  541).    (Guide  Mus.  XXXIV.  1,  contin.;. 

(Gaz.  Mus.  Xmi,  7,  8).  (Signale  XLVI,  12). 
Wagner,  Jesus  yon  Nazareth.  (Mus.  WochenbL  XIX,  1,  2,  3,  4).  (Allg.  Mus.  Ztg. 

XV,  14  u.  19/20).    (Neue  Ztschrft.  f.  M.  LV,  17).   (Neue  Berliner  Matg.  XLU 

15,  16).     (Mus.  Rundschau  III,  7).  (Leipziger  M.  u.  Kztg.  V,  1.). 
Waslelewskiy  Beethoven.  (Signale  XLV,  70).  (Allg.  Mtts.  Ztg.  XIV,  49).   (Leipsiger 

M.  u.  Kztg.  V,  7).  (Neue  Ztschrft.  f.  M.  LV,  37). 
Wohl,  J,y  Souvenirs  d'une  Compatriote  (de  Liszt),  (Mus,  Timss  642J.  (Mt^,  World 

LXVI,  2J. 


Musikalische  Bibliographie.  567 


Aaszflge  aus  Masikzeitungen» 

(Ghrößere,  selbständige  Aufsätse.) 

^Allgemeine  Musik -Zeitung.  Red.  O.  Lessmann.  Charlottenburg -Berlin.  — 
XIV.  Nr.  46.  Ein  Vorläufer  von  Mozart's  »Don  Juan«.  Von  S.  Sittard.  (Schluß). 
Nr.  47.  Chr.  W.  R  v.  Gluck.  Zum  100jährigen  Todestag.  Von  Martin  Habe. 
(Forts.  Nr.  48,  49).  —  Nr.  49.  Intemationaie  Musikausstellung  in  Bologna 
1S88.  —  Instrumental-  und  Qesangwerke.  Besprochen  von  O.  Lessmann  und 
F.  Spiro.  (Mit  Forts.).  —  Nr.  50.  Das  Verhftltniß  der  Sprache  zur  Musik. 
Von  M.  E.  Sachs.  (Forts.  Nr.  51,  52).  —  XV.  Nr.  1.  Die  Nibelungen-Tri- 
logie  von  R.  Vl^agner.  Entstehung  und  dramatische  Aufführung.  Von  A.  Heints. 
(Forts.  Nr.  2,  3,  4,  5,  6).  —  R.  Schumann  und  die  Romantiker  in  der  deutschen 
Litteratur.  Von  H.  Reimann  (Forts.  Nr.  5,  7).  —  Geschichtliches  über  Berlios' 
»Jüngstes  Gericht«.  Von  Santen-Kolff.  —  Zum  50jährigen  Jubiläum  von 
A.  Lortzing's  »Czar  und  Zimmermann«.  —  »Fierrabras«  von  Fr.  Schubert.  Von 
E.  Spiro.  —  Nr.  3.  Beitrag  aur  Opemstatistik.  Von  A.  Lesimple.  Nr.  4. 
M.  Wirth's  Nibelungenyorträge  in  Leipsig.  (Forts.  Nr.  5,  6,  8).  —  Nr.  6. 
Drei  unveröffentlichte  Briefe  Beethoven's  (Abdruck  aus  der  »Neuen  freien 
Presse«).  —  Nr.  7.  Zur  Charakteristik  der  Instrumentalmusik.  Von  H.  Orden- 
stein. (Forts.  Nr.  8,  9.).  —  Ein  bisher  ungedruckter  Brief  von  Mozart  (an 
seine  Cousine  Marianne  Mozart  in  Augsburg,  Wien  23.  October  1781).  — 
H^T.  9.  Schiller's  »Glocke«  in  der  Musik.  Von  R.  Musiol.  —  Nr.  10.  R.  Wag* 
ner  über  den  »dramatischen  Gesang«.  Von  O.  Lessmann.  —  Nr.  11.  Lyrische 
Sommerfreuden.  Von  H.  v.  Wolzogen.  (Forts.  Nr.  12,  13,  14,  15,  16).  — 
"Nr.  12.  Minna  Wagner  (Erste  Gattin  R.  Wagner's).  Von  0.  Lessmann.  — 
l^T.  13.  Kritische  Randglossen  von  Beethoven.  Von  W.  Tappert.  —  Nr.  14. 
Ein  bisher  ungedruckter  Brief  Beethoven's  (An  Treitschke).  —  Nr.  15.  Die 
Anakreontiker  des  16.  Jahrhunderts.  Von  F.  Volbach.  (Forts.  Nr.  16).  — 
^t.  16.  Turandot,  Oper  nach  Gozzi  von  Th.  Rehbaum.  —  Nr.  17.  Über  die 
französische  große  Oper.  Von  F.  Draeseke.  (Forts.  Nr.  18,  19).  —  Nr.  18. 
R.  Wagner's  letzte  Ideen.  Von  L.  Hartmann.  —  Nr.  19/20.  M.  Wirth's  Vor- 
trag über  Wagner  u.  Liszt.  Von  Otto  Lessmann.  —  Nr.  21.  Die  25.  Versamm- 
lung des  allg.  deutschen  Musikvereins  in  Dessau.  (Forts.  Nr.  22).  —  Nr.  23. 
Das  Mozart- Supplement  (Breitkopf  und  Härtel).  Von  F.  Spiro.  —  Nr.  24. 
Der  Rhythmus  des  gesungenen  Verses.  Von  R.  Westphal.  (Forts.  Nr.  25,  26, 
27,  28).  —  Beethoven's  drittes  Begräbniß.  (Am  21.  Juni  1888).  —  Nr.  27. 
Beethoven's  Streichinstrumente.  —  Nr.  28.  Deutsehland  besitzt  keine  ureigne 
Volks-  und  Kaiserhymne.  Von  H.  Ritter.  —  Nr.  29/30.  Die  Sprache  in  Tristan 
und  Isolde  und  ihr  Verhältniß  zur  Musik.  Von  H.  S.  Chamberlain.  (Schluß 
l^r.  31/32).  —  Liszt's  Jugendoper  »Don  Saneke  au  U  chateau  tTamtnira,  Von 
H.  Reimann.  —  Von  der  Meistersinger  holdseligen  Kunst.  Von  O.  Lessmann. 
(Forts.  Nr.  31/32, 33/34,  35,  37,  38).  —  Deutsehe  Kritik  über  die  Meistersinger. 
Von  H.  V.  Wolzogen.  —  Nr.  31/32.  Aus  Bayreuth.  Von  O.  Lessmann.  (Forts. 
Nr.  33/34,  36).  -  Die  Feen.  Oper  von  Wagner.  Von  H.  Reimann.  (Forts. 
Nr.  33/34,  33.  37).  —  Nr.  38.  Sprache  und  Musik  in  der  Liebesscene  Tristan 
und  Isolde.    Von  H^  Reimann.  — 

Angers»Mu8ical.  lUdaeteur  Louis  de  Romain.  L  Nr,  6.  Isabelle  ZevaUois, 
Drame  Igrique  et  Opira,  —  Nr.  7.  Boidin  Puisais.  —  Nr.  8.  I.  G,  Ropartz, 
—  Notiees  explieatives  des  profframmes  des  Coneerts  (avec  coniinuations),  Par 
Jules  Bordier.  —  Justin   Nie.- —  Nr,  9,    Faul  Lacombe,  —  Nr,  10,    Roger- 


56 S  Musikalische  Bibliographie. 


Micloa.  —  C.  De   Grandoal  -^  Nr,  11,    E,  Lalo.  —  Nr,  12,    M.  J.  Philipp, 

—  E.  Lalo,  —  Nr.  13.  Mme.  de  Viane.  —  IL  Nr,  15.  Vincent- Carol.  — 
J.  G,  Penavaire,  —  Nr.  16.  Eughie  Yeaye.  —  Thiophile  Yeaye.  —  Nr.  17. 
M.  P,  de  WaiUy.  —  Müe,  Steiger.  —  Nr.  18,  Gilbert  de  Rockes.  —  MariMe 
RueUe,  —  M.  J.  Dumon.  —  M.  Luhert.  —  Nr.  19,  M,  H.  Marteau.  —  Lude 
Palicot.  —  Nr.  20,  F.  Blumer,  (contin.).  —  Nr,  21.  EmeH  Guiraud.  —  Nr.  24. 
Leon  Jehin,  — r  Blanche  Deschamps.  —  Louis  Lacombe.  —  Nr.  27.  Oeuvres 
exicutees  par  Vorchestre  de  F Association  artistique  d' Angers. 

Centralblatt  für  Musik.  August  Hettler,  Leipsig.  —  I.  Nr.  1.  Robert  Franz. 
Von  F.  Pfohl.  (Mit  Forts.)  —  Marschner-Denkmal  in  Zittau.    Von  B.  VogeL 

—  Neues  über  Gluck  —  Nr.  2.  Musik  und  Tanz  in  der  Sagenwelt  der  Arier. 
Von  E.  Veckenstedt.  (Mit  Forts.).  —  Nr.  4.  Die  Koloraturen  der  Königin  der 
Nacht.    Von  M.  Wirth.  (Mit  Forts.)  — 

Fliegende  Blatter  für  katholiache  Kirchexunusik.  Red.  Franz  Witt  in  Lands- 
hut. Regensburg,  Pustet.  XXIII.  Nr.  2.  Wie  soll  man  zur  Praefation  mit 
der  Orgel  einspielen?  Von  Witt.  —  Nr.  3.  Art  des  Einspielens  in  Choralge- 
sänge des  1.  u.  2.  Tones.  —  Nr.  4.  Art  des  Fräludirens  in  den  3.  u.  4.  Kir- 
chenton. —  Nr.  5.  Art  des  Einspielens  in  einen  Ghoralgesang  des  5.  u.  6. 
Tones.  —  Der  tonus  passionis.  —  Nr.  6.  Die  Missa  »in  me  transierunt«  von 
Peter  Cler'eau  1554.  —  Ein  Gutachten  über  Orgelbau.  Von  E.  v.  Werra.  — 
Nr.  8/9.  J.  Kaspar  Aiblinger.  Von  F.  Witt.  —  Die  Orgel  bei  »FaJsi  Bordoni-. 
Von  F.  Witt.  —  Über  Orgelbau  in  Bayern.  — 

Oasetta  MuBicale  di  Milano»  Ricordi.  XLII.  Nr.  44.  Alb.  Franchetti  e  la  sua 
sinfonia  in  mi  minore,  (contin.  Nr.  46,  47,  62).  —  Nr,  46.  La  Salamho  a 
Torino.  Di  C,  Paladino.  —  Un  coüaboraiore  di  Motart  (Da  Ponte).  Di 
Gdbardi.  —  Nr.  47.  Vordinamento  degli  siudi  musicali  in  ItaUa,  Di  F.  If 
Areais.  (contin.  Nr.  49,  60).  —  G,  A,  Macfarren.  —  Nr.  48.  Un  organo 
modeUo  (di  easa  Lurani  a  Cemuseo  Lombardone).  Di  E.  Bossi.  —  17  primo 
nConvitato  di  PietroK  e  il  vero  autore  del  libretto  vllßauto  magico<u  Di  G.  Sal- 
violi.  —  Nr.  49,  Jenny  Lind,  Di  C.  Lisei.  —  II  eonvikUo  di  Pietra.  Di  Ricci 
e  Gabardi.  —  Nr.  60.  Salambo.  Di  A.  Cortella.  —  Enrico  Bossi.  Di  G.  B. 
Nappi.  —  JSfarianna  Barbieri-  Nini,  Di  G.  Gabardi.  —  XLIII.  Nr.  I.  Bai- 
taglia  d^organi.  Di  Tebaldini.  —  II  Convitato  di  Pietra.  Di  G.  SabnoU.  — 
Nr,  2.  Prospetto  deUe  opere  nuove  italiane  rappresentate  nelT  anno  1887.  — 
Nr.  3.  H  Convitato  di  Pietra,  Di  C,  Ricci.  —  Nr.  4,  H  teatro  Güxpponese. 
Di  Carlo  Paladini.  —  Nr.  6.  Fanfare  municipaii.  Di  A.  P.  Brozsi,  —  Nr.  6. 
Roderico  ultimo,  re  dei  Goii,  Opera  di  Am.  Ponchieüi.  Di  Sajfredini,  — 
Enrico  Panofka.  Di  Gabardi.  —  D  nuovo  organo  deUa  chiesa  parroe^iale  di 
Casalpusterlengo.  Di  L.  Zuccheüi.  —  Nr,  7.  L'Epistolaria  di  Wagner  e  Lissl. 
Di  A.    Untersteiner  (contin.    Nr.  8).  —  Enrico  Herz,     Di  A.  de  Lansieres. 

—  Nr.  8.  Asrael,  Legenda  in  4  atti,  musica  di  Alb.  Franchetti  (Fine  Nr.  9).  — 
Nr.  10.  H  Teatro  Re.  Di  F,  Venosta,  —  Nr.  11,  Lohengrin  di  Wagner  nd 
teatro  di  Bologna,  e  alla  Scala  di  Milano.  —  H  Riordinamento  degli  istäuti 
musicali  in  ItcUia.  —  Leandro  Campanari.  Di  Saffredini.  —  Nr,  12.  dro  Pen- 
suti.»  Di  Gabardi,  —  Nr.  13.  »Asraeh  di  Franchetti.  (contin.  Nr.  16)^  — 
Angelo  Tessaro.  —  Nr.  16.  Carlo  Erba  di  Riccordi.  —  Nr,  19.  Pietroburgo 
musicale.  Di  E,  Pirani,  —  Le  canzone  abbruttese.  —  Nr.  19.  Carmosine, 
drama  lirico  di  A.  Ghislanzoni,  musica  di  Joao  Gomes  de  Aranjo.  Di  Soffiredini. 

—  Nr,  21,  Esposizione  musicale  di  Bologna,  (contin,  Nr,  22,)  —  Lettere  suüa 
musica  a   Venezia  di  E,  de  Sehoultz-Adaiewsky  (contin,),  —  Amilcare  Ponchieüi. 

—  Nr,  26,  Carlo  Andreoli,    Di  Soffredini.  —  Nr.  26,   Tristano  ed  Isotta.  Di 


MuBikalische  Bibliographie.  569 


Biagi  (contin,),  —  Nr.  28.  Elia  del  MendeUsohn  in  Bologna,  Di  Roeaer,  — 
Nr,  29.  Di  akuni  strumwti  chinesi.  Di  C,  Filosa,  —  Nr,  31,  La  Camer  ata 
ßorentina  di  casa  Bardi  e  Jiiccardo  Wagner.  Di  A,  Untersteiner,  —  Nr.  32. 
Di  una  necesearia  e  radieale  riforma  delF  istruzione  musicale.  Di  A.  Ludovieo, 
(contin.).  —  A,  Bxizzi-Peccia,  —  Nr.  34,  Asrael,  opera  die  Franchetti  dl  teatro 
grande  di  Brescia,  —  Nr.  36,  Dei  Conservatori  e  degli  iatituti  musicali  gover- 
,nativi  tPItalia.  Di  D.  Bertini.  (contin,),  —  Bibliografia  deüa  cronistoria  tea- 
trale  italiana.  (contin.).  —  Nr.  38,  Tito  Bicordi,  —  Za  SinfoniorEpitaUanio  di 
G.  SgambatL  Di  J.  Valetta.  — 
Oregoriiuiblatt.  Herausg.  H.  Böckeier  in  Aachen.  Düsseldorf,  Schwann.  XIII. 
Nr.  1.  Leo's  ni.  Thaten  zur  Förderung  der  Kirchenmusik.  (Forts.  Nr.  3,4.)  — 
Volksgesang  in  Prag.  Von  Q.  M.  Dreves.  —  Eine  pneumatisch- elektrische 
Orgel  neuester  Konstruktion.  Von  H.  Böckeier.  —  Nr.  2.  Guido  y.  Areuo.  — 
Von  deutschen  Vespern  (mit  Forts.)  —  Nr.  3.  Palestrina  und  die  Ges.  Aus- 
gabe 8.  Werke.  —  Eine  Au&eichnung  der  Melodie  des  Victimae  paschali. 
Von  G.  M.  Dreves.  —  Nr.  4.  Der  goldene  Schnitt  in  der  Tonkunst  Von  "Wid- 
mann. —  Ein  seltenes  Regalwerk.  —  »Ad  regias  Agni  dapes«.   Von  Schönen. 

—  Nr.  5.  Der  Kampf  um  die  Erhaltung  der  Figural-  und  Instrumentalmusik 
in  der  Kirche  im  18.  Jahrhundert  —  Der  Umfang  einer  Stimme  in  der  Kirchen- 
musik. —  »Veni  Creator  spiritus«.  Von  Schönen.  —  Nr.  6.  Lassus.  —  Beiträge 
zur  Geschichte  des  ältesten  mehrstimmigen  Tonsatzes.  Von  G.  M.  Dreves. 
(Forts.).  —  Sollen  die  verschiedenen  Glockengeläute  einer  Stadt  oder  Gegend 
in  einer  Tonart  hergestellt  werden?  Von  H.  Böckeier.  —  Franz  Schwann. 
Von  Schönen.  —  Nr.  7.  Das  Athmen  beim  Vortrage  der  Kirchenmusik.  Von 
H.  Böckeier.  —  Unbekannte  Sequenzen  des  Mittelalters  aus  Handschriften 
des  X — XIV.  Jhdts.  Von  A.  Beiners.  (Forts.).  —  Beim  Empfang  des  Ober- 
hirten. Von  Schönen.  —  Von  deutschen  Vespern»  —  Die  Namen  der  Musik- 
instrumente. Von  Dreibach.  —  Conrad  von  Zabem's  Anweisung  zum  guten 
Choralgesange.  (Aus  Monatsheften  f.  Musikgesch.).  —  Glockenguß.  —  Fange 
lingua.  Von  Schönen.  —  Das  Credo.  Von  F.  Battlogg.  —  Nr.  9.  Dom 
P.  Gueranger.  Von  A.  Kienle.  —  Verordnungen  über  den  deutschen  Gesang 
beim  Hochamt  —  Media  vita.  Von  Schönen.  —  Eine  Betrachtung  über  das 
römische  vPangue  lingua«.    Von  R.  Schlecht.  — 

Iie  Guide  Musical,  BruxeUes  et  Farie,  Schott  frh'es.    XXXIII,    Nr.  39.  Viotti 
et  Teeole  moderne  de  violon.    (Suites  jusqü'ä  XXXI  Vy  Nr  3.)  Par  A.  Fougin, 

—  R,  Wagner  dana  le$  mAnoires  d'une  idialiete,  Far  C,  Benoit,  —  Nr.  43. 
Le  Centennaire  de  Don  Jouan  en  Belgique.  —  Motart  a  Vienne,  —  Nr,  44. 
Le  goüt  francais,  Far  M,  Kufferath.  —  Nr.  46,  Faradia  et  Feri  de  Schumann 
ä  Farie,  Far  B,  Claes.  —  Nr.  47,  La  decentraliaation  mueicale  en  France.  Far 
B.  Claes.  —  Nr,  48.  Le  Centennaire  de  Gluck  au  Chatelet.  Far  B,  Claes.  —  Les 
Ficheurs  de  Ferles  de  G.  Bizet  au  Mätre  de  la  Monnaie,  —  Nr.  49.  Gioconda 
de  Fonchieüi.  Far  3f.  Kufferath.  (contin.),  —  Marie  Magdelaine  de  Massenet 
au  Chatelet.  Far  B,  Claes.  —  Le  festival  Franck  et  la  Messe  ä  trois  voix  ä 
Bordeaux,  —  Nr.  50,  Jacques  de  Saint- Luc,  ciUbre  luthiste  Athois.  Far  E, 
van  der  Straeten,  (contin.),  —  XXXI V,  Nr.  1.  R.  Wagner  et  Franz  Liszt.  Far 
M.  Kufferath.  (contin.  Nr.  2,  3,  4,  6,  6,  7.).  —  Gioconda  de  FionchieUi.  — 
Nr.  2.  Henri  Herz.  —  Nr.  5.  La  Dame  de  MonsoreaUy  de  Gaston  Salvaye. 
Far  V.  Wilder.  —  Nr,  7.  Jocelin  de  Godard,  Far  M,  Kufferath.  —  Nr,  8, 
Les  bataiUes  en  musique.  Far  M.  Brenet,  (contin.).  —  La  chanson  faoorite  de 
Charles- Quint.  Far  E.  van  der  Straeten.  —  La  question  des  auteurs  en  Bel- 
gique. —  AsraSlf  musique  de  Franchetti, 


570  Musikalische  Bibliographie. 


Iieipziger  Musik-  und  Kunstzeitung.  Leipzig,  Edwin  Sehloemp.  V,  ür.  1. 
Bückblicke  auf  die  Geschichte  des  kgl.  Conserv.  f.  Musik  zu  Ldpsig.  Vod 
C.  Kipke.  (Forts.  Nr.  3,  4).  —  Carl  Oehrts.  —  Nr.  3.  Die  Paronomaaien  in 
R.  Wagner's  Dramen.  Von  Meinck.  —  Nr.  6.  Die  Höfing'sche  Patent-Doppel- 
Claviatur.  —  Drei  Dirigenten  (Wagner,  Liszt,  Bülow).  —  Nr.  7.  Clotilde  £lee- 
berg. — Nr.  10.  R.  Wagner's  Meistersinger.  Einführung  in  Dichtung  und 
Musik  von  H.  Wilsing.  (Mit  Forts.).  —  Ferd.  Kauer.  Von  A.  Lesimple.  — 
Nr.  12.  Der  junge  Liszt  in  Paris.  —  Nr.  14.  Indische  Musik.  Von  M.  Rum- 
bauer. —  Der  deutsche  Parsifal.  Von  H.  v.  Wolzogen.  —  Nr.  24.  Zur  Ge- 
schichte des  Pianoforte.  Von  Cl.  Gerhard.  —  Zur  Theorie  der  Oper.  Von 
£.  Brausewetter. 

Le  Menestrel.  Paris,  Henri  Heugd,  LIII.  Nr.  46,  Un  grandihSäire  a  Paris 
pendant  la  r^volution,  L'opirO'Comique  de  1788  -  1801.  Par  Arthur  Pougin. 
C37em0  article)  (contin.  Nr,  48  -  52).  —  Deux  Dices  en  Angleterre.  (Maefarren. 
Jenny  Lind).  Par  F.  Htieffer.  —  Nr.  47,  Le  Paradis  et  la  Piri  de  R.  Schu- 
mann.    Par  C,  Beüaigue.  —  Deux  Souvenirs  de  Jenny  Lind.     Par  A.  Pougin. 

—  Nr.  48.  Un  profet  th^atral  au  siech  demier.  Par  M.  Brenet.  —  Higtoire 
vraie  des  hSros  ^opira  et  d'opera-  comique.  V.  Nevers.  VL  Vempereur  Si- 
gismond,  Nr.  61,  Par  Edmond  Neukomm.  —  Nr,  49.  Le  centefiaire  de  la 
mort  de  Gluck.  Par  A.  Boutarel.  —  Nr.  50  La  Charmente.  Opira,  musique 
de  Tsehatkowsky,  Par  C^ar  Oui.  —  Nr.  52.  La  musique  ä  TOdSon,  Par 
Julien  Tiersot,  (contin.).  —  LIV.  Nr.  1,  Un  grand  theäire  ä  Paris  pendant 
la  Revolution.  LopSra'Comique  de  1788 '1801.  Par  Arthur  Pougin,  (43  *^' 
article,  (contin,  Nr.  2,  6,  ß)  —  La  musique  ä  POdSon.  Par  J,  Tiersot,  (suües). 

—  Nr.  3,  La  messe  en  re  de  Beethoven,  premih'e  audiiion  aux  coneerU  du 
Conservatoire,  Par  J.  Tiersot.  (contin,  Nr.  4),  —  Nr.  6,  La  Dame  de 
Monsoreau,  op^a  de  O,  Salvayre.  Par  A.  Pougin.  —  Nr.  1.  Rabelais  et  les 
musieiens  ses  amis,  Par  P.  Lacome.  (contin.  Nr.  8)  —  Histoire  vraie  des  heros 
d^opSra  et  d'opSra-comique.  (suite).  VII.  Charles  VI.  VIII  FaUtaff.  Par  Ed- 
mond  Neukomm,  (suites  -Nr,  8.)  IX.  Jean  de  Paris.  X.  Jean  de  Nivelles. 
Nr.  13  XL  Mignon.  Nr.  14.  XII.  Faust,  Nr,  15.  XIII.  Don  Juan. 
Nr.  16.  XIV.  La  Reine  de  Cypre.  Nr.  17,  XV,  La  Reine  de  Cypre. 
XVI.  Ginevra.  Nr,  25.  XVII.  Boecace.  Nr.  26,  XVIII,  Francoü  de 
Rimini.  XIX.  Menschikoff,  XX.  Anne  Boleyn.  XXL  Othello.  XXIL 
Beatrice  di  Tenda.  XXIII.  Stradella.  XXIV,  Genevieve  de  Brabant.  XXV. 
Didon.  XXVI,  Setniramis.  XXVIL  Sardanopale,  —  Nr,  9.  Hietoire  de 
la  Chanson  popülaire  en  France  (ß^agment,  IIP^*  partie).  Par  J,  Tiersot. 
(contin.  Nr.  10,  11,  12,  13,  14,  15,  16,  17,  18,  19,  22,  23,  24,  25,  26,  27,  28, 
29,  30,  31,  32,  34,  35).  —  Jocelyn,  opfyra  de  B,  Godard.  Par  L,  Solvay.  —  Nr. 
11.  La  r>  Royal  Academy  in  Londreev,  Par  F.  Hueffer.  —  Nr.  12,  Wagner 
ä  Londres.     Par  F.  Hueffer.  —  Nr.  18.    Widor  ä  Londres.    Ptn-  Fr.  Hueffer. 

—  Nr.  26,  Les  roi  d'Is.  Opera  de  Lalo.  Par  A.  Pougin.  —  Un  pemire 
musicien  (Hereomer).  Par  Fr.  Hueffer.  —  Nr.  21.  La  musique  et  le  thMtre 
au  salon  de  1888.  Par  C.  Le  Senne,  (contin,  Nr.  22,  23,  24).  —  La  •Pas- 
sion Selon  St.  Matthieu«  de  J.  S.  Bach.  Par  J.  Tiersot.  —  Nr.  28.  Le 
Festival  Haendel.  Par.  Fr.  Hueffer.  —  Nr.  30.  Wagner  avant  les  FSes. 
Par  A.  Souhies  et  Ch.  Malherhes.  (Fin  Nr.  31).  —  Nr.  36.  Le  roi  d'Ys  et 
le  Roi  Arthur.  Par  P.  Lacome.  (contin.  Nr.  37).  —  Nr.  38.  La  musique 
au  camp  du  drap  d'or ,  1520.  Par  M.  Brenet.  —  Nr.  39.  La  suzeraineU  de 
Topera  et  de  la  com^die  francaise  sur  les  petits  thddtres  de  Paris  et  sur  les 
spectacles  forains.     Par  A.  Boutarel,    (contin.). 


MuBikalische  Bibliographie.  ^11 


aSonatahefte  für  MuBikgesohlchte.  Robert  Eitner,  Templin  (U.  M.)  XX.  Nr.  1. 
Thomas  Baltsar.  Von  C.  StiehL  —  Beitrag  zu  Cantor  Doles.  Von  H.  Kade.  — 
Verzeichniß  von  Abhandlungen  über  die  Geschichte  der  Musik  betreffende 
Thesen  in  wissenseh.  Werken  u.  Ztschrftn.    Von  A.  Quants.  (Forts.  Nr.  4,  6). 

—  Katalog  der  päpstlichen  Kapelle.  Von  HaberL  (Forts.  Nr.  2,  3).  —  Das 
Buxheimer  Orgelbuch.  (Forts.  Nr.  2,  4.  5,  9).  —  Nr.  2.  Schulwerke  von 
1535.  Von  K.  Eitner.  —  Nr.  3.  Melchior  Schild.  Von  R.  Panum.  —  Nr.  4. 
Zwei  Schriften  von  Conrad  von  Zabern.  Von  S.  Richter.  (Schluß  Nr.  7).  — 
Musikalisches  aus  Hdschrftn.  der  K.  Landesbibl.  zu  Wiesbaden.  —  Beiträge 
zur  Musiklitteratur  des  Mittelalters  und  der  Neuzeit.  —  Katalog  der  Biblio- 
theken in  Freiberg  i.  S.  Von  O.  Kade.  (Forts.  Nr.  6,  6,  7,  8).  —  Nr.  5. 
Notenmanuscripte  im  K.  sächsischen  Hauptstaatsarchive  aus  den  Jahren  1604 
— 1610.  Von  Th.  Distel.  —  Ein  Mummenschanz  in  Krakau  1592.  VonR.  Kade. 

—  Ein  historischer  Irrthum  betreffend  die  Kapelle  des  Kurfürsten  Johann 
Friedrich  von  Sachsen  im  16.  Jhdt  Von  Eitner.  —  Musikhdachrftn.  der  Darm- 
Städter  HofbibL  Von  F.  W.  E.  Roth  (Forts.  Nr.  6).  -r  Nr.  6.  Über  den  Ge- 
brauch der  zufaUigen  Versetzungszeichen  bis  zum  17.  Jhdt.  Von  R.  Eitner.  — 
Nr.  7.  Todtenliste  des  Jahres  1887.  (Forts.  Nr.  8,  9).  —  Nr.  8.  Gesuch  des 
Peter  Grecke  um  Verleihung  einer  Rathsmusikantenstelle.  1672.  Von  C.  Stiehl. 

—  Johann  Gökeritz.  Von  Th.  DisteL  —  Zur  Bibliographie  der  Musikdrucke 
des  XV.  bis  XVII.  Jahrhunderts  in  der  Darmstädter  Bibliothek.  Von  F.  W.  E. 
Roth  (Forts.  Nr.  9).  —  Nr.  9.  Deutsehe  Meister. 

Iie  Monde,  artiste,  JPorw,  Stock,  XVIII  Atmie,  Nr.  4.  Lamusique  ä  Tetranger 
en  1887.  Par  Ch.  Meäherbe,  —  Nr.  6.  Nouveüe  Messe  inedüe  Te  Deum  de 
Ch.  Gounod.  Par  J.  Tocchet  —  Nr.  9.  Vente  ludieiaire  {Manuscr.  de  Meyer- 
heery  Auber  etc,  en  possession  de  Brandus).  Par  Ch.  Maiherbe..  —  Nr.  V2.  La 
genhe  du  Boulevard  du  Temple.  Par  Paul  MahaUn  (coniin.)  —  Nr.  17,  La 
bibliotheque  de  'lOp^a-eamique.  Par  Ch.  Malherbe  (eontin.  Nr.  20J.  —  Nr.  26. 
La  nouveUe  Messe  de  Gounod  ä  Reims,  — 

The  MiiBical  Times.  London,  Novello  JStoer  ^  Co,  Nr.  538.  G.  A.  Macfarren  f. 

—  Jenny  Lind  Goldschmidt  -i*.  —  Christmas  Carols.  —  Felicien  David.  By 
Joseph  Bennett,  (eontin.)  —  Nr.  539.  Johannes  Brahms.  —  The  materiai  of 
music  (loith  eontin.).  —  M^rold.  By  Joseph  Bennett,  (with  eontin.).  —  Nr.  640. 
JSdoard  Grieg.  —  Vemon  Lee  on  musieal  suggestiveness  and  musioal  persona- 
lity  C»Juvenaliati  by  Vemon  Lee).  —  Nr.  641.  The  royal  Aeademy  of  musie.  — 
Centennial  musie  in  Australia.  —  Nr.  64S.  Key  colour.  By  Franz  Groenings. 

—  Nr.  643.  May  Musie.  —  The  minor  notation  of  the  tonic  SoUfa^-system,  By 
W,  Pole.  —  Nr.  644.  Henry  LUtleton.  —  Si^wmann  (supplemental),  By 
S.  Bennett,  (eontin.  Nr.  646,  646,  647).  —  Fanny  Mendelssohn.  —  Nr.  646. 
The  n  Lobgesang n  (by  Mendelssohn).  A  comparison  of  the  original  and  revised 
seores.  (eontin.  Nr.  646,  647).  —  Musik  teachitig.  By  F,  Nieeks.'  —  Dead  musie. 

—  The  Handel  Festival.  —  Nr.  646.  The  London  Musieal  Season.  —  Transeen- 
dental music.  —  Nr.  647.  New  tcorks  at  Birmingham.  —  MehiUe  BelPs  >  Visible 

.  Speechtt.  —  Primitive  music.  By  F.  Corder.  —  W.  ChappeÜ.  By  T.  X.  Southr 
gate.  —  .  . 

The  Musical  World.  London,  Maerae  Curtiee.  LXVI.  Nr.  i.  Benjamin  Godard 
(eontin.)  —  Cn  Organ -registering,  By  Turpin  (eontin.).  —  The  salaries  of 
Westminster  Abbey  in  the  olden  time.  —  Nr.  2.  Charles  Avison.  By  Brow- 
ning. Dr.  E,  T.  Hophins,  —  Organ  spedßcaiions  (eontin.).  —  Nr.  4.  Berlioz" 
»Les  Troyens«.  By  Andr4  de  Temaut  (eontin.).  —  Old  London  Concert  Organs. 

—  ITie  Genius  of  the  Organ.  By  Turpin  (eontin.),  ^-  Nr.  6.    German  Opera 


5*^2  MuBikalische  Bibliographie. 


in  America  (tcith  e&ntin.J  —  St.  PauFa  Organ  and  Organist.  —  Nr.  7.  Organ 
building.  By  Th.  Casaon.  —  Rendering  visible  the  form  and  mwementt  of 
vibrating  strings,  —  Nr.  8.  Musical  JElocution,  By  G.  JE.  Lake.  (wiÜt  co$äinJ. 

—  Nr.  10.  Spontini  and  Wagner.  —  Nationality  in  music.  —  Keyhoard  Fing- 
ering.  —  Nr.  11.  Marie  Roze.  —  Nr.  12.  Tschaikowsky  (eoniin.).  —  Organ 
Sonata  Form,  By  Turpin.  —  Ntkita.  —  Nr.  13.  On  figured  baseee,  By  CA. 
Frost,  —  Nr.  15.  Robert  Franz*  Songs.  —  The  organ  with  additional  insiruments. 

—  False  Relations.  By  Turpin  (with  eontin.).  —  Angelo  Tessaro  (inventor  of 
ihe  liTachigrafo  MusicaletJ.  —  Nr.  17.  Copyright  Bill.  —  PaganinCs  VioUn. — 
Story  of  the  old  organ  in  the  Cathedral  Beatae  Virginis  Mariae  in  Wolfen- 
buttel.  By  Selmar  Müller  (contin.).  —  Nr.  W.  Royal  Aeademy  of  Music. 
(Mackenzie*s  Address.)  —  The  organ  and  the  classics.  By  Frank  Sawyer'Ceontin.). 

—  Menry  Zittleton.  —  Paganini  and  Liszt.  By  G.  Mazzucato  (with  contin.). — 
Nr.  22.  Sigrid  Amoldson.  —  Nr.  23.  The  largest  organ  in  the  world  (m  the 
Town  Mall  of  Sidney,  New  South  Wales)  by  W.  MiU  and  Son.  —  Joseph 
Bamby.  —  Nr.  28.  Hector  Berlioz  and  Jules  Janin  (contin,).  By  Anebre  de 
Temant.  —  The  music  of  the  synagogue,  —  Organ  rendering  of  orchestral  ae- 
companiments  (contin.).  —  The  inßuence  of  the  renaissance  on  music  (contin.). 

—  Temple  Chureh  organ.  (contin.).  —  Nr.  29.  The  old  organ  in  the  Cathedral 
in  Wolfenbüttel.  By  S.  Müller  (contin.).  —  Wagner  in  England  (contin.).  — 
Nr,  30.  Some  recoUections  of  Germany.  By  Danieli  (contin.)  —  Nr,  33.  Bay- 
reuth 1888  (contin.).  —  Music  and  its  relation  to  the  other  ßne  arts  (contin.). 

—  Dykes  on  chureh  music  (contin.).  —  Organ  positions  in  Fnglish' Cathedrals. 

—  Tubulär  pneumatic  organ  by  Gray  and  Davison,  London.  —  Letters  ^on 
the  poetry  and  music  of  the  italian  opera  (contin.).  —  Nr.  35,  The  chureh  Cash 
tata.    By  A.  Triehett.  —  Birmingham  Musical  Festival,  (centin.). 

Musioa  Baora.  flerausg.  Franz  Witt.  Regensburg,  Pustet.  XXI.  Nr.  1.  Religiöse 
Spiele.  Von  £.  Langer.  —  Nr.  2.  Über  das  Suppliren  des  Gesanges  durch  das 
Orgelspiel  beim  Amte.  Von  A.  Walter.  —  Ein  achtes  Volkslied  »Da  drunt  auf 
grüner  Heide«.  Von  Witt.  —  Der  Passionssonntag.  —  Nr.  4.  Das  Schutzfest 
des  hL  Joseph.  —  Nr.  5.  Das  Dreifaltigkeitsfest.  —  Aus  einer  Messe  von  C.  Ett 
in  D-dur.  (Forts.  Nr.  6).  —  Nr.  6.  Fest  des  hl.  Täufers  Johannes.  —  Nr.  7. 
Tonbilder  aus  modernen  Kirchenkompositionen.  Von  F.  Witt  (Forts.).  — 
Nr.  8/9.  Das  Completorium  für  den  Musik-Chor.   Von  E.  Langer. 

MuBica  saora.  Dir  ett.  Gaüignani  e  Tebaldini.  Milano.  XL  Nr.  12.  Progetto  di 
un  nuovo  organo  liturgico-sinfonieo  da  erigersi  nella  ins,  Basüica  di  S.  Lgnasio 
in  Roma.  —  V organo  Anelli  di  Cemusco  Lombardone,  —  XLI.  Nr.  1.  A  pro- 
posito  di  una  nuova  scuola  ^organo  (contin.  Nr,  2),  —  Nr,  2.  La  ^Meesa  da 
Requiem«  di  Ed.  Mascheroni.  —  Nuovi  organi.  (contin.).  —  Nr.  4.  II  riordi- 
namento  degli  istituti  musicali  in  Italia.  — 

MuBikalisohe  Chronik.  Wien,  Emerich  Kastner.  V.  Nr.  1.  Das  Stift  Heiligen- 
kreuz. Von  H.  Eichborn  (Schluß  Nr.  2].  — Ungedruckte  Musikerbriefe.  (Würfel 
1829)  (Forts.  Nr.  6.  Fr.  Brendel).  —  Nr.  3.  Chronologisch-systematisches  Yet- 
zeichniß  sämmtlicher  Tonwerke  Franz  Liszt's.  Von  L.  Friwitzer  (Forts.  Nr.  4, 
5,  6,  7,  8).  —  GlucVs  »Alceste».    Von  A.  Heil.  (Forts.  Nr.  5).  — 

MuBikaliBohe  Bundsohau.  Wien,  Em.  Wetzler.ül.  Nr.  4.  Zum  Don-Juan- Jubil&um. 
(Forts.  Nr.  5).  —  Janka-Claviatur.  (Mit  Forts.)  —  Nr.  6.  Mendelssohn's 
»Paulus«.  Von  Eusebius  Mandyczewski.  —  Nr.  7.  »Der  Cid«  Oper  von  Mas- 
senet Von  E.  von  Hartmann.  —  Nr.  8.  Verdi's  Schaffen  bis  1850.  Von 
Otto  Schmid.  (Forts.)  —  über  revidirte  Ausgaben  älterer  Tonwerke.  Von 
E.  Chomitzer.  —  Nr.  9.   Ein  kleiner  Beitrag  zu  KöchePs   »Chron.  syst  Ven. 


MusikalUdhe  Bibliographie.  573 


8.  Werke  W.  A.  Mozart'g«  (Nr.  596,  597,  598).  Von  K.  Heuberger.  —  Nr.  16. 
Entwurf  einer  rationellen  Neugestaltung  der  Theorie  und  Praxis  des  kunstge- 
mftßen  Anschlages  (orchestrales  Klavierspiel).  Von  F.  Marschner.  (Forts.  Nr  19, 
20,  21,  22,  23).  —  Nr.  18.  »Othello«  von  Verdi.  Von  Schönaich.  -—  Nr.  24. 
Stephen  Heller.  Von  H.  Schmitt.  (Forts.)  —  Nr.  28.  Die  Feenoper  von 
Wagner.  Von  O.  Berggruen.  (Mit  Forts.).  —  Die  Wiederbestattung  der 
sterblichen  Überreste  L.  v.  Beethoven's.  —  Nr.  31/32.  Bayreuth.  1888.  Von 
£.  V«  Hartmann.    (Mit  Forts.). 

MuBikaUsohes  Wochenblatt.  Leipzig,  E.  W.  FritESch.  XVin.  Nr.  44.  Geist- 
liche Chorwerke.  Besprochen  von  H.  Xretzschmar.  (Forts.  Nr.  45,  47,  48). 
Nr.  46.  Wilhelm  Fischer's  Stimmvorrichtung  an  Flügeln  und  Pianinos.  — 
»Der  Cid«  Oper  von  Massenet.  (Forts.).  —  Nr.  47.  Ein  ungedrucktes  Gedicht 
von  K.  Wagner.  Von  W.  Tappert.  —  Nr.  48.  Der  tonische  Quartsextaccord. 
Von  H.  Sattler.  (Forte.  Nr.  49,  50,  51).  —  Nr.  49.  Neue  Lieder  für  eine 
Singstimme  mit  Ciavierbegleitung.  Von  H.  Kretzschmar.  —  Nr.  50.  Das  K. 
Konservatorium  der  Musik  zu  Leipzig.  —  Ein  altes  Lied  (»An  Banden  hart«). 
Von  W.  Tappert  —  Nr.  51.  L.  Deppe.  (Schluß  Nr.  52).  —  XIX.  Nr.  1 
Wagneriana.  Von  W.  Tappert.  (Schluß  Nr.  2).  —  Aloys  Schmitt.  (Schluß 
Nr.  2).  —  Nr.  3.  Die  Thiermalerei  in  der  Musik.  Von  Otto  B.  Weiß.  (Schluß 
Nr.  4).  —  Nr.  4.    Die  Eröffnung  des  neuen  deutschen  Landestheaters  in  Prag. 

—  Nr.  5.  Die  Harmonielehre  als  elementarer  Unterrichtegegenstand  an  der 
Hand  des  Gesangunterrichtes  in  den.öffentlichen  Schulen.    Von  M.  Loewengard. 

—  Nr.  9.  Einfluß  des  Tondenkens  auf  unser  Nervensystem.     Von  H.  Sattler. 

—  Nr.  10.  Walhall  und  der  Regenbogen.  Von  M.  Wirth.  (Forte.  Nr.  11, 
12).  —  Nr.  13.  Kompositionen  von  Richard  Strauß.  —  Nr.  14.  Beiträge 
zur  Geschichte  der  MiHtärmusik.  Von  W.  Tappert.  (Forte.  Nr.  15,  16).  — 
Clotilde  Kleeberg.  —  Nr.  15.  Walter  Bache  f  —  Werke  für  Chorgesang  a 
capella  mit  Begleitung.  Besprochen  von  Naubert  (Mit  Forte.).  —  Nr.  16. 
M.  Wirth's  Vorträge  über  den  »Ring  des  Nibelungen«.  Von  F.  Pfohl.  — 
Nr.  17/18.  Zum  Vortrag  von  Beethoven's  neunter  Symphonie.  Von  G.  H. 
Witte.  —  Hermann  Ritter.  Von  O.  Girchner.  —  Marschmusik.  (Forts.  19,  21, 
23).  —  Nr.  19.  Über  Tonschönheit  Von  H.  Sattler.  (Forte.  Nr.  20).  — 
Kompositionen  von  L.  C.  Wolf.  Von  H.  Kretzschmar.  —  Nr.  21..  Über  die 
sympathetischen  Klänge  der  Geigeninstrumente  und  eine  hieraus  folgende  Theorie 
der  Wirkung  des  Bogens  auf  die  Saite.  Von  H.  Schröder.  (Fqrte.  Nr.  22,  23,  24, 
25,  26).  —  Nr.  22.  Tonkünstlerversammlung  des  AUg.  deutschen  Musikvereins 
vom  10.  bis  13.  Mai  in  Dessau.  (Forte.  Nr.  23,  24).  —  Nr.  24.  Carl  Riedel 
Von  H.  Kreteschmar.  —  Werke  für  den  Ciavierunterricht.  Besprochen  von 
Sigismund,  (Mit  Forte.).  —  Nr.  27.  Die  Phrasirungsbezeichnung.  Von  H. 
Riemann.  (Forte.  Nr.  28,  29).  —  Draeseke's  »Symphonia  tragica«.  Von  A. 
NiggU.  —  Carl  Riedel  (Bild).  —  Nr.  28.  Liszt  und  Wagner.  Von  M.  Wirth. 
(Schluß  Nr.  29).  —  Nr.  29.   Das  Stuttgarter  Musikfest.    Von  R.  Pohl.    (Forts.) 

—  Nr.  30.  Zwei  Bruchstücke  aus  der  ältesten  Oper.  Von  H.  Panum.  —  Die 
Bayreuther  Künstler  von  1888.  Nr.  31/32,  33).  —  Die  Feen,  Oper  von  Wagner. 
(Mit  Forte.)  —  (Forte.  Nr.  31/32).  Kundry  im  »Parsifal«.  Von  W.  Broesel. 
(Mit  Forte.)  —  Wagner  und  Bayreuth  in  der  französischen  Romandichtung. 
Vop  J.  von  Santen-Kolff.  (Mit  Forte.).  —  Ba)Teuth  1888.  Von  W.  Tappert. 
(Mit  Anhang.)  —  Nr.  27.  Chromatik  und  Enharmonik.  Von  H.  Sattler. 
(Mit  Forte.).  —  C.  Czerny's  Bedeutung  für  die  Klavierunterrichtelitteratur.  — 
No.  40.  Beethoven's  Fisdur- Sonate  op.  78.     Von  H.   Riemann.     (Forts.).  — 


574  Musikalische  Bibliographie. 


Die  Missa  »in  me  transierunt«  von  Cler'eau.  Von  F.  Witt  —  Pauline  Metzlei- 
Löwy.  Von  B.  VogeL 
Neue  Berliner  MusiluBeitting.  Red.  Oscar  Eichberg.  Berlin,  Bote  und  Boek. 
XLI.  Nr.  45.  Gluck  im  Urtheile  seiner  Zeitgenossen.  Von  A.  Morsch.  (Forts. 
Nr.  46,  47).  —  Beethoven's  Missa  solemnis.  Von  W.  Wolf.  (Schluß).  — Jenny 
Lind.  —  Nr.  46.  Zu  Bach's  »Kunst  der  Fuge«.  Von  L.  Bußler.  —  Nr.  48. 
Ein  Beitrag  für  die  scenische  Einrichtung  des- Don  Juan.    Von  O.  Eichberg. 

—  Nr.  49.  Kritiken  neuer  mus.  Werke.  Von  H.  Dom.  (Mit  Forts.)  — 
Nr.  51/52.     Ein  yerkommener  Musiker  (J.  Ludwig  Böhner).     Von  Th.  Rode. 

—  »Tristan  und  Isolde«  in  Berlin.  —  XLII.  Nr.  1.  Reisebilder.  Von  W.  Lang- 
hans. (Forts.  Nr.  2,  3,  4).  —  Wie  Pauline  Lucca  Sängerin  wurde.  (Abdruck  aus 
»An  der  schönen  blauen  Donau«.)  —  Nr.  4.  Der  Name  »Parsifal«.  Von  W. 
Tappert.  —  Betrachtungen  über  das  Urhebergesetz.  Von  O.  Eichberg.  (Forts. 
Nr.  6,  7,  8).  —  Nr.  6.  »Turandot«,  Oper  von  Rehbaum.  —  Nr.  7.  » Othello  >. 
Oper  von  G.  Verdi.  Von  O.  Eichberg.  (Forts.  Nr.  9,  10,  11,  12,  13,  U).  - 
Nr.  8.  Richard  Wagpier's  ungedruckter  Aufsatz  über  »dramatischen  Gesang« 
(Abdruck  aus  dem  Berl.  Bors.  C).  —  Nr.  9.  Vierteltonmusik.  Von  F.  Vogt. 
(Schluß  Nr.  10.)  —  Nr.  13.  Opemstotistik  des  Berliner  Hoftheaters.  —  Nr.  16. 
Turandot,  Oper  von  Th.  Rehbaum.  —  Nr.  17.  »Das  Rheingold«,  erste  Auf- 
führung in  Berlin.  —  Nr.  18.  Schloß  Lützelburg  und  BerUn's  erste  Opern- 
aufführungen.  Von  A.  Morsch.  (Forts.  Nr.  19,  20,  21).  —  Nr.  19.  Druckfehler 
in  Beethoven'schen  Sonaten.  —  Nr.  20.  Versammlung  des  aUg.  deutschen 
Musikvereins  in  Dessau.  (Schluß  Nr.  22).  —  Nr.  21.  —  In  Tantieme- Ange- 
legenheiten. —  Nr.  23.  Tristan  und  Isolde  in  Italien.  —  Nr.  25.  Die  Jugend 
R.  Wagner's.  Von  W.  Langhans.  (Forts.  Nr.  26,  27).  —  Nr.  27.  R  Wagner 
und  das  Plagiat  an  Mendelssohn's  Reformationssymphonie.  —  Nr.  28.  Ame- 
rikanische Opemkomponisten.  Von  R.  MusioL  —  Nr.  30.  Bayreuth  18$S. 
Von  O.  Eichberg.  (Mit  Forts.)  —  Nr.  31.  Bruchstücke  aus  Heinrich  Dom's 
Erinnerungen.  —  Nr.  34.  Die  Feen,  Oper  von  Wagner.  (Forts.  Nr.  36).  — 
Nr.  36.  Erste  Aufführung  der  Tannhfiuser-Ouverture  in  Berlin.  Von  W.  Tappert. 
(Schluß  Nr.  37). 

Neue  MuBikseitung.  Red.  Aug.  Reiser.  Stuttgart,  Grüninger,  IX.  ,  Nr.  1. 
Clementi- Gramer -Czemy.  Von  O.  NeitzeL  —  Nr.  2.  Fr.  Liszt  auf  seinem 
ersten  Weltflug.  (Briefe  von  Adam  Liszt,  Czemy  u.  s.  w.)  Von  La  Mara.  (Forts. 
Nr.  3,  4).  —    Nr  3.    Erinnerungen  an  Marianne  Brandt.     Von  Louis  Köhler. 

—  Nr.  4.  Das  Thüringer  Volkslied.  (Zwei  Briefe  von  Fr.  Kücken).  Von 
W.  Tappert  —  Denkmal  für  Fr.  Abt  —  Nr.  5.   Sophie  Menter.    Von  L.  Hiti. 

—  Zwei  ungedruckte  Briefe  L.  van  Beethoven's  (an  die  kgl.  Musikakademie 
in  Stockholm  und  an   Carl  XIV,  Johan  Bernadotte).     Von  Emil  Jonas.  — 

—  Lessing's  Beziehungen  zur  Musik  und  den  Musikern  seiner  Zeit  Von  A. 
Bock.  —  Nr.  6.  Clotilde  Kleeberg.  —  Schiller's  Beziehungen  zur  Musik.  Von 
A.  Bock.  -7-  Illustration:  Götterdämmerung.  —  Nr.  7.  Heinrich  Zöllner  —  J. 
Lind  in  ihren  Briefen.  Von  E.  Jonas.  (Forts.  Nr.  8).  —  Aus  dem  Notizbuch 
eines  alten  Opernfreundes.  (Mit  Forts.).  —  lUustr.  RuhmeshaUe  deutscher 
Tondichter.  —  Nr.  9.  Widerlegung  von  musikhistorischen  Unwahrheiten.  — 
»Turandot«  Oper  von  Rehbaum.  Von  Moszkowski.  —  Nr.  10.  J.  N.  Hummel. 
Von  M.  Band.  —  Die  1 .  Tannhäuser- Aufführung  in  Dresden.  Von  A.  Lesimple. 

—  Hoch's  Conservatorium  in  Frankfurt  a.  M.  —  Nr.  11.  Das  65.  niederrheinische 
Musikfest  zu  Aachen.  —  Nr.  12.  Ingeborg  von  Bronsart.  Von  E.  Polko.  — 
W.  A.  Mozart  Sohn.  Von  Otto  Schmied.  —  Amalie  Seebald,  die  Geliebte 
zweier  Tonmeister  (Beethoven  und  Weber).  —  Nr.  13.   Immanuel  Faisst*  Von 


Musikalische  Bibliographie.  575 


£.  Montanus.  —  Friedrich  III.  und  die  Musik.  Von  F.  Schwarz.  —  Nr.  14. 
Das  Musikfest  in  Stuttgart.  —  Chr.  v.  Gluck  an  einem  kleinen  deutschen 
Fürstenhofe.  Von  L.  Molitor.  —  Kaiser  lYilhelm  und  K.  Wagner.  Von 
F.  Braun.  —  Nr.  15.  Peter  Cornelius.  Von  H.  Basedow.  —  Der  Eänder- 
gesang  und  seine  Pflege.  Von  A.  Beissmann.  (Mit  Forts.).  —  Ein  Haydn-Auto- 
graph.  Von  E.  Jonas.  —  Nr.  17.  F.  Zajic.  Von  E.  Frey.  —  Nr.  18.  Hermine 
Spies. 
TSleue  ZeitBChrift  für  Musik.  Red.  O.  Schwalm.  Leipzig,  C.  F.  Kahnt  Nach- 
folger.  UV.  Nr.  45.  Zum  Don -Juan- Jubiläum.  Von  Feruccio  B.  Busoni. 
(Forts.  Nr.  46).  —  Nr.  46.  »Der  Barbier  von  Bagdad«  Oper  von  Cornelius. 
Von  B.  Vogel.  (Forts.  Nr.  47,  48,  49,  51).  —  Nr.  47.  Über  die  Hindemisse 
der  möglichst  vollendeten  Reproduktion  von  Ton  werken  und  Vorschläge  zur 
Abhilfe.  Von  J.  v.  Beliczay.  —  Liszt-Museum  in  Weimar  (Forts.  Nr.  49).  — 
Nr.  48.  Eduard  Marxsen.  Von  S.  Sittard.  —  Nr.  49.  Fr.  Liszt  als  Lyriker.  Von 
Bemh.  Vogel  (Schluß).  —  Nr.  50.  L..v.  Beethoven  im  .Lichte  R.  Sohumann's. 
Von  Alfr.  Kalischer  (Forte.  LV,  1, 2,  6).  —  LV.  Nr.  1.  Peter  Cornelius.  —  »Die 
drei  Pintos«  von  C.  M.  v.  Weber.  Von  Carl  v. Weber.  (Forte.  Nr.  2,  3, 4,  5,  6).  — 
Das  .Preislied  in  den  Meistersingern.  —  Nr.  7.  Stephen  Heller.  —  Verseiohniß 
sämmtlicher  musikalischer  Werke  von  Franz  Liszt.  Zusammengestellt  von 
A.  GöUerioh  (Forte,  aus  dem  .vorigen  Jahrgang.  Forte.  Nr.  8,  9,  10,  11.)  — 
Nr.  8.  Der  Name  »Parsifal«.  Von  H.  v.  Wolzogen,  —  Nr.  9.  Für  Mozart 
geg^n  Oazzaniga.   Von  Otto  Neiteel.   (Schluß  Nr.  10).  —  Carl  Qille  in  Jena. 

—  Nr.  11.    Die  Altetimme  im  Parsifal.    Von  M.  Wirth.  —  Nr.  13.  Die  Ton- 

4 

maierei  in  der  weltlichen  Vokalmusik  des  16.  Jahrhunderte.  Von  Fr.  Volbach. 
(Schluß  Nr.  14).  —  Nr.  14.  Für  Mozart  und  Gazzaniga.  Von  J.  Sitterd. 
(Fprts.  Nr.  16).  —  Das  Wagner -Museum  in  Wien.  Von  H.  von  Wolzogen. 
(Forte,  Nr.  15,  16,  18/19,  22,  23).  —  Nr.  18/19.  J.  Brahms'  Vokalwerke  mit 
Orchester.  Von  E.  Krause  (Forte.  Nr.  20,  22).  —  Rückblick  auf  die  Berliner 
Musiksaison  1887/88.  Von  W.  Langhans  (Forte.  Nr.  22,  23).  —  Original  oder 
Kopie.  (Bach's  Luoaspassion).  Von  Qtto  NeitseL  (Forte.  Nr.  20).  —  Nr.  20. 
25.  Versammlung  des  allg.  deutechen  Musikv^reins  zu  Dessau.  Von  W.  Lang- 
hans. (Schluß  Nr.  21).  —  Nr.  23.  Die  internationale  Musikausstellung  zu  Bo- 
logna. Von  A.  Sandberger.  (Forte,  einer  Reihe  »Italienische  Musikbriefe«).  — 
Nr.  24.  Call  Riedel  —  Kistler's  Oper  »Kunihild«.  Von  A.  Seidl.  —  Nr.  27. 
Ein  Wink  für  ausübende  Musiker.  Von  O.  Neitzel.  (Forte.  Nr.  28),  —  Nr.  28. 
Das  nordische  Musikfest  in  Kopenhagen,  —  Nr.  29.  Zur  Tantiämefrage.  Von 
P.  Simon.  —  Zweites  Musikfest  in  Stuttgart.  ^  Nr.  .31/32.  Die  harmonische 
Tonleiter.  Von  O.  Neiteel.  —  Nr.  33.  Chinesische  Musik.  Von  H.  Werner. 
(Schluß  Nr.  34).  —  Zur  Geschichte  von  P.  Cornelius'  Cid.  —  Nr.  34.  Ein  Brief 
Beethoven's.  Von  J.  Bock.  (Forte.  Nr.  35).  —  Bayreuth  1888.  Von  F.  PfohL  — 
Nr.  38.  R.  Wagner  in  Würzburg.  Die  Hochzeit  Die  Feen.  Von  A.  Sand- 
berger.   (Forte.).  —  Urvasi,  Oper  von  KienzL    Von  Naubert.  — 

Bevue  Wagnörienne*  Paria,  Edouard  Ih^ardm.  HL  Nr,  Will,  Notes  sur 
Tristan  et  Isolde.  Par  H.  S.  Chamberlain.  —  Documents  de  critique  expiri- 
meniale:  Parsifal,    Par  C  et  P,  formier. 

BohweiBeiiaQbe  MuBikaeituni:,  Zürich,  Hug.  XXVIU.  Nr.  1.  Das  Klavier  in 
seiner  gesehichiUohen  Entwicklung.  Von  Adolf  Ruthardt  —  Nr.  2.  Das  Stu- 
dium größerer  Chorwerke  in  Gesangvereinen.  Von  Aug.  Glück.  (Schluß  Nr.  3) . 

—  Nr.  4.  Der  Schute  des  literarischen  Eigenthums  und  seine  Folgen  für  den 
Volksgesang.  Von  R.  Spörri.  —  Nr.  5.  Tonkünstlerisches  Können  einst  und 
jetzt.  Von  S.  Bagge.  (Forts.  Nr.  6,  7).  —  Nr.  8.  J.  A.  Held,  der  bflndnerische 


576  Musikalische  Bibliographie. 


Sängervater  (1813—88).  Von  F.  Durisch.  —  Nr.  10.  Julius  Stockhausen.  — 
Nr.  11.  Schutz  des  geistigen  Eigenthums  in  der  Schweiz.  (Mit  Forts.)  —  »Freut 
euch  des  Lebens«.  Von  W.  Tappert.  (Mit  Forts.)  —  Carl  RiedeL  Von  A.  Rafc- 
hardt  —  Nr.  14.  Zu  den  beiden  großen  Messen  von  Bach  und  Beethoyen. 
Von  R.  Low.  (Mit  Forts.)  —  »Freut  euch  des  Lebens«.  Replik  von  Schneider. 

—  Bayreuth  1888.  Von  A.  Glück.  (Mit  Forts.).  —  Nr.  16.  Über  die  Kritik  Ton 
Tondichtungen.    Von  B.  Widmann.  (Mit  Forts.)  — 

Signale  für  die  muBikallsohe  Welt.  Leipzig,  Bartholf  Senff.  XLV.  Nr.  59. 
Moses,  geistL  Oper  von  Rubinstein.  —  Nr.  61.  Zur  Tantiömenfrage  der  Kon- 
zert-Komponisten. —  Nr.  62.  Jenny  Lind.  Von  Elise  Polko.  —  Nr.  64.  Der 
Barbier  von  Bagdad.  Oper  von  Cornelius.  Von  £.  Bemsdorf.  —  Nr.  65.  Die 
Theater  in  Europa.  1)  Karlsruhe  Qroßhrzgl.  Hoftheater  (Forts.  Nr.  66).  Wies- 
baden Königl  Theater  Nr.  69).  —  XLVL  Nr,  1.  RQckblick  auf  das  Jahr  1887 
(Forts.  Nr.  2,  4,  5,  6,  7,  9,  11,  13,  14,  15,  17,  18).  —  Nr.  8.  Die  drei  Pintos. 
Oper  von  C.  M.  v.  Weber.  Von  E.  Bemsdorf.  —  Nr.  16.  Auf  hohen  Befdil. 
Komische  Oper  von  G.  Reinecke.  Von  E.  Bemsdorf.  —  Nr.  19.  Hauptprüfungen 
am  kgl.  Conservatorium  der  Musik  zu  Leipzig.  (Mit  Forts.).  —  Nr.  31.  Mann- 
heim.  Großherzogl.  Hof-  und  Nationaltheater.  (Mit  Forts.).  —  Nr.  35.  Die 
Feen.  Oper  von  Wagner.  —  Nr.  36.  J.  C.  Engel.  —  Nr.  37.  Dannstadt 
Großherzogl  Theater.  (Forts.  Nr.  38).  —  Nr.  40.  Weimar.  GroßherzogL  Theater. 
(Forts.  Nr.  41). 

Siona.  Herausg.  M.  Herold  in  Schwabach.  Gütersloh,  Bertelsmann.  XH.  Nr.  11. 
Der  rhythmische  Choralgesang  der  evangel.  Kirche..  Von  Herzog.  —  Nr.  12. 
Liturgischer  Gottesdienst  am  Vorabend  eines  Anstalts-Jubiläums,  —  Xni. 
Nr.  1.  Das  Verhältniß  von  Chor-  und  Gemeindegesang  im  evangelischen  Got- 
tesdienst. Von  Meuss.  (Schluß  Nr.  2).  —  Nr.  2.  Eduard  Grell.  Von  M.  Blum- 
ner.  —  Nr.  3.  Musikalische  Passionsfeiem  (Forts.  Nr.  4,  5).  —  Nr.  7.  Orgel- 
fabrik von  Steinmayer  und  Comp.  —  Herstellung  eines  einheitliehen  evang. 
Gemeindegesanges  in  Deutschland.  —  Nr.  8.  Die  Abendmahlsliturgie  im  Dome 
zu  Cammin.  -Von  Lüpke.  —  Nr.  9,  Begräbnißordnung  nach  dem  Diöeesan- 
Rituale  von  Eichstädt  1879.  — 

n  Teatro  illustrato  e  la  muaiea  popolare«  Müano,  Edoardo  Sanzogna,  VIII , 
Nr.  85.  (Oennajo  1888).  Stefano  Dereims.  —  La  regina  di  Saba,  munca  di 
C.  Goldmark.  —  Camiüo  2ktnoUi.  —  Tristano  e  laotta  di  H,  Wagner  (coniitu).  — 
lUustr.:  II  nuovo  treatro  Flavio  Vespaiiano  di  Rieti,  Teatro  aUa  Scala  (Ja  regina 
di  Saba).  —  Nr.  86.  Emma  Calv4.  Di  A.  OaUi.  —  lUuatr.:  Parigi,  Uairo  deOe 
foHes  dramaiiques.  Sureouf,  op^a-eomique,  musica  di  JR.  Planqttette.  —  Nr.  87. 
Mattia  Battistini.  —  I  tre  Pinios,  opera  di  C,  M.  v.  Weber  (eon  iüuetraxioni). 

—  niustr.:  La  Signora  di  Monsoreau,  mueiea  di  Salvayre.  —  PVoncetca  da 
Miminit  di  Cagnoni.  —  Nr.  88.  Mila  Kupfer-Berger.  —  »Lohengrinm  neOa 
Scala.  —  »Nestoriofj  opera  di  O.  Öallignani.  —  »Jacopo^  opera  dramatica,  poena 
e  mueica  di  Leonardi.  —  lUustr.:  Lohengrin.   —  Nr.  89.    Sigrid  Amoldsokn. 

—  Storia  della  musioa  in  12  eonferenze  di  Ouglielmo  Langhans.  Traduzüme  di 
C.  PoUini  (contin.).  —  Nr.  90.  AI.  Talazac.  —  Tristano  e  IsoUa  nel  ieatrü 
com.  di  Bologna.  —  U  libretto  (contin. J.  —  II  re  D'Ye.  Opera  di  Laio  (ilbutr.). 
(contin.)  —  Nr.  91.  Esteüa  de  Vita.  —  Oli  atrumenti  mu$icali  all  espoeizüme  di 
Bologna.  —  Album  di  Costumi.  (contin.).  —  Hfüturo  Congresso  di  Venetia  nti 
diritti  degli  autori.  —  Bianca^  opera  di  P,  Tasca.  —  Don  Pedro,  opera  di  A 
Castegnaro.  —  Nr.  92.  Giovanni  de  BeazkS.  —  La  »ocikta  italiana  di  autori.  — 
J7  nuovo  teatro  di  Odessa  (lUustr.).  —  H  nuovo  drama  Spagnuolo  (contin.).  — 
Nr,  93.  A.  Isaac.  —  JEtnilio  Serrano  y  Ruiz.  —  La  musica  in  Scandinavia.  — 


Musikalische  Bibliographie.  577 


Congresso  tntemazionale  per  la  proprietä  UtUraria  ed  artiatica  dt  Venezia 
1888. 
Urania.  Heiausg.  A.  W.  Qottschalg  in  Weimar.  Erfurt,  Otto  Conrad.  XLV. 
Nr.  1.  Wilhelm  Sauer,  Hoforgelbauer.  —  Herman  Langer  in  Dresden.  — 
Nr.  2.  Die  neue  Orgel  in  Hünfeld  von  H.  Hahner  in  Fulda.  —  Chr.  R. 
Pfretzschner.  —  Vers,  der  zum  hdschrft.  Nachläse  gehörigen  Kompositionen 
von  W.  Volckmar.  —  Nr.  3.  C.  W.  v.  Gluck.  Von  B.  Schrader.  —  Die  Orgel 
im  Konzertsaal  der  Philharmonie  in  Berlin.  Von  Th.  Mann.  —  Nr.  4.  Dispo- 
sition der  eleotro-magnetischen  Orgel  in  der  kath.  Kirche  zu  Forst  Ton  Veit 
und  Söhne  in  Durlach-Karlsruhe.  —  Orgel  in  der  evang.  Stadtkirehe  zu  Karls- 
ruhe. —  Die  Choralmelodien  zu  dem][}eyang.  Gesangbuch  der  Provinz  Bran- 
denburg. Von  Th.  Mann.  —  Zum  33.  Jahrgang  von  Seb.  Bach's  Werken.  — 
Nr.  5.  Die  neue  Orgel  der  St.  Jacobikirche  zu  Chemnitz,  von  Ladegast  &  Sohn. 
C.  A.  Fischer's  1.  Symphonie  für  Orgel  u.  großes  Orchester.  —  Nr.  6.  Dis- 
position der  großen  Orgel  in  der  St.  Marienkirche  in  Danzig.  —  Disposition 
der  neuen  Orgel  der  Synagoge  in  Danzig,  erbaut  von  TerletzkL  —  Beitrag 
zur  Windladenfrage.  —  Nr.  7.  Die  neue  Orgel  in  Dittrichswalde.  —  Die  Orgel 
des  BrüBseler  Conservatoriums,  erbaut  von  Cavaille-Coll.  —  Nr.  8.  Die  Orgeln 
Yon  Chemnitz.  —  Die  Logenorgeln  Berlins.  —  Nr.  9.  Die  Orgel  in  der  St. 
Jacobikirche  zu  Kiel.  —  Ein  Brief  Melchior  Franek's.  — 


Namen-  und  Sachregister. 

Zusammengestellt  von  Br.  A«  M«  Nftohtem* 


Aequoy,  J.  0.  R.  168,  350. 
Adam  de  la  Haie  74. 
Adler,  Guido  3,  10,  44,  78. 
A&Ticola,  Alexander  529. 
AlDerdingk-Thym,   J.    A. 

168. 
Alfarabi,  275,  277. 
Amati,  Familie  der  520  ff. 
Amati,  Antonio  521.- 
Amati,  Francesco  521. 
Amati,  Oirolamo  521. 
Amersfoort;   Wilhelm  von 

160. 
Anonymus,  quartus  12,  13, 

15,  39,  41  ff. 
Antegnati,  Familie  der  522. 

(auch  Antognati). 
Antegnati,  Francesco  (Lau- 
tenmacher) 522. 
Antegnati,   Oiov.  Qiacobo 

(Orgelbauer)  522. 
Arberg,  Peter  von  161. 
Arie  472. 
Aristoteles  (Pseudo-)  12, 14, 

15,  25,  -ob,  45,  46. 
Aiistoxenos  123. 
Artmann  525. 

Bach,  £.  124. 

Bach,  J.  S.  Ulf.,  124,  256, 
471.  —  Arie  »Ach  mein 
Sinn«  aus  der  Johannes- 
Passion  471  ff.  —  Chr. 
Weise's  Gedicht:  »Der 
weinende  Petrus«  Text 
für  diese  Arie  473,  475. — 
Choräle  in  den  Passionen 
476. 

Bachmann ,  Carl  Ludwig 
525. 

Bfihr,  Andreas  528. 

Ballox,  Johann  47. 


Baron,  Ernst  Gottlieb  524. 

BMos,  Dom  137,  138. 

Beethoven,  L.  van  83,  451, 
496,  512.  —  Briefwechsel 
mit  Ries  83  ff.  —  Klavier- 
kon«erte'461  ff.  —  Vokal- 
kompositionen 505,  506. 
—  als  Klavierspieler  512. 

Beiami ,  Paolo  (Lauten- 
macher) 524. 

Bellermann,  Heinrich  99. 

Berlioz,  Hector  133,  258. 

Bemo  von  Reichenau  322. 

Bertati,  Giovanni  352  ff., 
431. 

Bertken  (Bertha)  von  Ut- 
recht 160,  319. 

Bezecny,  Josef  452. 

Bonemann,  Wilhelm  484. 

Bossler  463. 

Brugmann,  Johannes  154, 
159,  313. 

Buccina  537. 

Buchenberfi^  (oder  Bucken- 
berg)  Geipenmacher  527. 

Burtius,  Nicolaus  275. 

Cagnard  de  la  Tour  130. 

Canal,  Pietro  529. 

Cara,  Marchetto  528. 

Carretto,  Galeotto  del  529. 

Caus,  Salomon  de  138. 

Cavaill6  128,  130. 

Clarke  130. 

Chitarrone  535. 

Christofilo,  Lautenmacher 
524. 

Christofori,    Bartolomeo 
522. 

Cimarosa,  Dom.,  erste  Auf- 
führung der  heimlichen 
Ehe  in  London  410,  411. 


Clavichord  531. 

Clavicytherium  530. 

Conductus,    Unterschied 
zwischen  C.  und  Mote- 
tus  44. 

Contra&cta  156,  161. 

Coma,  Giov.  Giacobo  dalla 
523. 

Cortaro,  Antonio  524. 

Coussemaker,  £.  de  Iff., 
169,  350.  —  Publikation 
des  Liederkodex  V.Mont- 
pellier Iff. 

Da  Ponte ,  Lorenso   416  ff. 

—  über  die  Entstehung 
des  Don  Juan -Textes, 
417  ff.,  420,  431. 

Davari,  Stefano  528, 

Delezenne  130. 

Diehl,  Nicolaus  525. 

Discantus  positio  vulgaris 
12,  32. 

Dittersdorf ,  eine  Oper  von 
D.  »Die  Hochzeit  des 
Figaro«  280. 

Don  Juan,  zur  Geschichte 
des  278  ff.,  351  ff.  —  von 
Francesco  Gardi  428.  — 
von  Gazzaniga  351  ff.  — 
von  Mozart   278  fL  417. 

—  Bühnenstatistik  279. 
405  ff. —  siehe  überhaupt 
den  Aufsatz:  die  Oper 
Don  Giovanni  von  Gaz- 
zaniga und  von  Mozart 
351  ff. 

Dudelsack  531. 

Eiben,  Otto  479. 
EUis,  A.  J.  123  ff. 
Engel,  Gustav  146. 


,  Namen-  und  Sachregister. 


579 


Engel,  Karl  537. 
Epp,  Mathias  528. 
IBmst,  Franz  Anton  (Qei- 

genmacher)  525. 
IBugenius  S.  275. 
Everts,  W.  169. 

Faber,  Nicolaus  136. 
Fichtholdt,  Hans  528. 
Flöte,    bei    den   Arabern 

536. 
Franck,  Johann  35Q. 
Franco  von  Köln  12,  24, 

40,  55. 
Franco  von  Paris  41,  46, 55. 
Fiiaterherm  154. 
Frimmel,  Theodor  512. 
Frottole  76,  528,  529, 
Fux,  Mathias  525. 

Gafur  275,  276. 

gallikanischer  Gesang  275. 

Qardi,  Francesco  428. 

Oarlandia,  Joh.  de  13, 14, 
25,  34. 

Gazsaniga  351  ff. 

Gehörsempfindungen  541  ff. 
—  Weber'sohes  Gesetz 
541.  —  Qualität  der  G. 
541. 

GehörSTorstellungen  546. 

Geige  123,  518  ff.  —  pytha- 
goreische Temperatur  bei 
der  Geige  123. 

Geigenmacher  518  ff.  — 
in  Italien  518.  —  in 
Deutschland  526.  —  vgl 
auch  Liutai. 

Gerard,  Bruder  160. 

Gerle,  Conrad  525. 

Gervinus  113. 

Gevaert  169. 

Goedeke,  Karl  169. 

Goethe,  über  eine  Auffüh- 
rung des  Don  Giovanni 
in  Rom  406. 

Grambus  137. 

Grell,  Eduard  99. 

Griesbach,  H.  130. 

Groote,  Geert  154, 

Guameri,  Familie  523. 

Guameri,  Giuseppe  del 
Gesü  523. 

GüUler,  Joh.  Mich.  528. 

Hansel,  Joh.  Anton  526. 
Hanboys,  Joh.  47. 

1888. 


Handlo.  Robert  47. 

Harpsichord  123,  531,  539. 
—  mitteltönige  Tempe- 
ratur 123. 

Harmonie  550. 

Hart,  Georg  525. 

Härtung,  Michael  527. 

Helmholtz  124,  146,  540. 

Heyse ,  Romanische  In- 
edita  76. 

Hipkins ,  A.  J.  530  ff. 

Hölscher,  B.  350. 

Hören,  anatomische  Grund- 
lage des  540.  —  Gehörs- 
empfindungen 541.  — 
GenörsTorstellungen  546. 

Hoffmann  von  FaUersleben 
169,  350. 

Huemer,  Georg  521. 

Hummel,  Mathias  528. 

Jacobsthal  14,  25. 

Jacquot,  Albert  518. 

Jahn,  Otto  256,  257. 

Jeronimus  de  Moravia  20. 

Instrumentenkunde  '530  ff. 

lnstrumentalmusik,Eduard 
Grell  über  die  105.  —  Ger- 
vinus über  die  113.  —  zur 
Geschichte  der  530  ff.  — 
in  Spanien  277. 

Intonation,  natürliche  123. 

Joachim,  J.  115. 

Jonckbloet,  W.  J.  A.  169. 

Josquin  de  Pros  529. 

Isidor  von  Sevilla  275. 

Kammer  Stimmung  (Kam- 
merton) 138,  139. 

Kastner,  Joh.  Georg  436, 
491  ff. 

Kerlino,  Giovanni  523, 526. 

Kiefhaber,  J.  K.  S.  525. 

Klangfarbe,  Begriff  146.  — 
.  Einfluß  der  Obertöne  auf 
die  146. 

Klangverwandtschaft  und 
Kl^geinheit  546,  547. 

Klavichord  123.  —  Stim- 
mung des  123. 

Klavierinstrumente  530, 
533. 

Knüpf  er,  Sebastian  473, 
474. 

König,  Rudolf  146. 

Konsonanz  549. 


Kremsmünster,  Pflege  der 

.    Musik  in  521. 

Krieger,  Joh.  Philipp  474. 

Kücken,  Friedrich  492. 

Kunstgesang ,  Ed.  Grell 
über  den  1 14  ff. 

Kyrie  eleison,  ursprüng- 
lich die  einzige  ^t  des 
geistlichen  Yolksgesan- 
ges  323. 

Lachner, .  Franz  492. 

Lanfranco,  Giov.  522. 

Launay,  Carlo  di  528. 

Laute  534.  —  Lauten-  u. 
Geigenmacher  in  Italien 
518  ff. 

Le  Jeune,  J.  C.  W.  169. 

Lied ,  unbegleitetes  im 
Männergesange  493.  — 
mehrstimmiges  Lied  mit 
Klavierbegleitung  .  493. 
mehrstimmiges  Lied  für 
gemischten  Chor  498. 

Ligaturen  14  ff.,  163. 

Linarolo  524. 

Lituus  537. 

Liutai,  Verfertiger  aller 
Zupf-  und  Streichinstru- 
mente 518  ff. 

Lootens,  A.  169. 

Loufenberg,  Heinrich  von 
156,  161,  229. 

Lübben,  A.  350. 

Lull,  Raimundo  von  Mal- 
lorca 275. 

Madrigal  472. 
Maggini,  Giov.  Paolo  524. 
Manier,  Lucas  527. 
Mailand,  die  Musik  in  528. 
Männergesang,  in  Deutsch- 
land 479  ff.  -—  Geschichte 

480.  —  CoUegia  musica 

481,  482.  —  Zelter's  Lie- 
dertafel in  Berlin  484, 
485. 

Marschner,  Heinrich  488, 
.    491, 495.  —  Tunnellieder 

488. 
Martini,  Johannes  529. 
Mayer,  A.  130. 
Mc  Leod,  Herbert  130. 
Meijer,  G.  J.  169. 
Mendelssohn  491. 
Menendez  y  Pelago,  Mar- 

cellino  270. 

39 


580 


Namen-  und  Sachieginter. 


Mensur,  zweitheilige  yor 
der  dreitheiligen  20,  21. 
—  Überreste  der  Ewei- 
Xheiligen  M.  im  Lieder- 
kodex y.  Montpellier  21. 

Menenne  123,  laO. 

Modus  12.  —  Übersicht 
der  Modi  12.  —  Geltung 
der  Ligaturen  in  yer- 
schiedenen  Modis  14. 

Moll,  W.  169. 

Mone,  F.  J.  169. 

Montechiari  523. 

Montpellier ,  Lieder kodex 
yon  1  ff.  —  Beschreibung 
4.  —  Bur  Geschichte  7.  — 
Überreste  zweitheiliger 
Mensur  im  21. — Notation 
12  ff.,  32.  —  Autoren 
32 ff.,  35.  —  Sprachliches 
Verhältniß  der  Stimmen 
55. 

Motetus  44.  —  Unterschied 
zwischen  M.  und  Con- 
ductus 44. 

Mount,  Edgoumbe  Graf 
von  414. 

Mozart,  W.  A.  255, 278,  351, 
464.  —  Don  Juan  278. 
351.  —  Konzert  -  Arie 
(Röchcl  505)  und  deren 
Verhältniß  zur  Arie :  Non 
temer  a.  Idomeneo  255  ff. 

Muris,  Johannes  de  40. 

Musikalische  Stimmung, 
siehe  Stimmung.  —  Ab- 
riß der  Geschichte  der 
134  ff. 

Musikgeschichte,  in  Spa- 
nien 270  ff. 

muzarabischer  Gesang  275. 

Nägeli,  Gründer  d.  Schwei- 
zer Männergesanges  484, 
485. 

Neefe  279. 

Neumen  271  ff.  —  Ent- 
wicklung in  Spanien  272, 

273.  —  westgothische  N. 

274,  275.  —  Beziehung 
d.  N.  z.  Sprachalphabete 
274. 

Neusiedler,  Hans  526. 

niederländische  Kunst  155. 

niederländische  geistliche 
Lieder  nebst  ihren  Sing- 
weisen  (XV.  Jh.)  153  ff. 


287  ff.  —  Strophenbau 
161,    —    Notation   162. 

—  Glossen  zu  dem  Auf- 
satze 333.  ^—  Verzeich- 
niß  der  Lieder  348,  349. 

—  Namen-  und  Sach- 
register 349. 

Normalstimmton  144. 

Notenschrift ,  Bedeutung 
Franco's  für  die  Entwick- 
lung der  14. —  Verschie- 
dene Ligaturen  21  ff.  — 
ygl.  auch  Neumen. 

Nottebohm  461,  498,  502, 
507. 

Noyerci  524. 

Obertöne  146,  547.  —  Be- 
deutung der  O.  für  die 
Klangfarbe  146.  ~Ober- 
tonapparat  547,  548. 

Ochetus  81,  82. 

Odington,   Walter  12,  13. 

Olifant  530. 

Orgel  105  ff.,  123,  140.  — 
Ed.  Grell  über  die  O. 
105  ff.  —  mitteltönige 
Temperatur  bei  der  O. 
123,  140.  —  Alteste  be- 
kannte Stimmung  136. 

Orgelpfeifen,  als  Stimm- 
mittel 128, 129  ff.  —  Ver- 
schiedenes Maß  der  137. 

—  Tonhöhe  136. 
Oudemans,  A.  G.  350. 

Pandurina  535. 
Perfektion  24  ff. 
Perotinus  13,  34,  43,  45. 
Petrus  de  Cruce  40,  45. 
Pioardus,  Petrus  41. 
Piccolellis,Gioyanni  de  518. 
Piffero,  Bernardino  529. 
Portatiy  531. 
Positiv  530. 

Praetorius  134,  135,   139. 
Profe,  Ambrosius  482. 
Proprietas  24  ff. 
Ptolemaeus  (Astronom)  1 23. 
Puliti,  Leto  522. 

Baisgier,  Sebastian  528. 
Kamos,  Bartolomd  de  Pa- 

reija  275. 
Kauen,  Sebastian  528. 
Rederyker  155. 
Regal  531. 


Regensturz,  Matthias  528. 
Regino  yon  Prüm  322. 
Riano,  Juan  270. 
Riemann,  Hugo  20. 
Ries,  Ferd.  83  ff. 
Robert  yon  Sabilon  40. 
Rochi,  Sebastiano  524. 
Rogeri,  Familie  523. 
Rogeri,   Gioyanni  Battista 

523. 
Rogeri,   ^ietro    Giacomo 

523. 
Rondoform  bei  Mozart  u. 

Beethoven  264. 
Rugieri,  Familie  523. 
Rugieri,  Francesco  523. 
Rugieri,  Vincenoo  523. 
Rühlmann,  Julius  528. 
Ruysbroek,  Johann  154. 

Salieri,  Antonio  420. 
Salinas,  da  123,  124. 
Sal6,  Gasparo  da  524. 
Saphir,  M.  G.  487. 
Scheibler,  Joh.  H.  130. 
Schindler,  A.  516. 
Schlick,  Arnold  122,  136. 
Schmidt,  B.  140. 
Schneider,   Friedrich  491, 

492. 
Schnitger  124. 
Schmieder  (Übersetzung  d. 

Don  Juan)  279. 
Schubert,    Franz    151.  — 

Chorkompositionen  491, 

493. 
Schulz,  J.  A.  P.  483. 
Schumann,  Robert  441. 
Schwingunsren  541.  — 

Grenze  des  Töngebietes 

mit   Rücksicht  auf  die 

bisher  gemessenen  Seh. 

541. 
Seelos,  Johann  528. 
Shore,  John  127. 
Siciliani,  Gioy.  Battista  524. 
Silcher  484,  491. 
Sirene  130. 
Smart,.  George  143. 
Smith,  Robert  124. 
Snellaert,  F.  A.  209. 
Spanien,   Musikgeschichte 

in  270.  —  Entwicklung 

der  Neumenschrift  273. 

—    Instrumentalmusik 

277. 
Spartarius,  Joh.  276. 


Namen-  und  Saohregister. 


581 


Sperontes  475. 

Spinett  531. 

Stimme,  menschliche,  Um- 
fang 132,  133. 

Stimmgabel  127,  128.  — 
Stimmgabel  -Tonmesser, 
von  J.  H.  Scheibler  130. 

Stimmpfeifen  127,  129. 

Stimmung  122  ff.  —  im  All- 
gemeinen 122.  —  musi- 
kalische Stimmung  122. 

—  Stimmungssysteme 
123.  —  Abriß  der  Ge- 
schichte der  musikali- 
schen St.  134,  135.  — 
Mittel  zur  Fixirung  der 
Tonhöhe  127.  —  Älteste 
bekannte  Orgelstimmuns 
136.  —  Kirchen-  una 
Kammerstimmung  138. 
Normalstimmton  143.  — 
Stimm  ton- Konferenz  in 
Wien  1886  u.  deren  Be- 
schlüsse 144.  —  vgl.  auch 
Temperatur  und  Ton- 
höhe. 

Stradivari,  Antonio  524. 
Stürtzer,  Michael  528. 

Tapia,  Juan  de  276. 
Temperatur   123  ff.  —  na- 
türliche Intonation   123. 

—  pythagoreische  Temp. 
123.  —  mitteltönige  T. 
123.  — gleichschwebende 
T.  123.  —  Umrechnung 
der    Schwingungszahlen 


in  den  verschiedenen  T. 
124.  —  Tabelle  der  Lo- 
garithmen temperirter 
Töne  125. 

Terz,  neutrale  535. 

Testagrossa ,  Qiov.  Angclo 
528. 

Thayer461,  498. 

Theodoricus  de  Gruter  256, 
296,  332. 

Thomas  von  Kempen  154. 

Tieffenbrucker,  Caspar  525. 

Tomaschek,  Johann  Wenzel 
462. 

Tonem|)findungen  541. 

Tongebiet,  Umfang  des 
(Schwingungen)  541. 

Tonhöhe  126  ff.,  541.  — 
Messung  relativer  126.  — 
Fixirung  der  Tonhöhe 
und  Mittel  dazu  (Stimm- 
gabel, Stimmpfeife,  Si- 
rene, optische  Methode, 
elektrographische  Me- 
thode, mittels  musika- 
lischer Schwebungen) 
127  ff.—  Verhältniß  der 
Tonfarbe  zur  T.  148.  — 
Relative  Unterschieds- 
empfindlichkeit bei  Tö- 
nen 542. 

Tosi  119. 

Tromboncino,  Bartolomeo 
528. 

Tropen  322. 

Tunnelgesellschaften  487. 
Tunnellieder  488. 


Yaldrlghi,  Luigi  518. 

Valentini,  Giovanni  405. 

Van  der  Bergh,  M.  169. 

Van  Vloten,  J.  169. 

Verwys,  E.  350. 

Vidal,  Antoine  518. 

Vihuela  277. 

Vincentius  BeUovacensis 
277. 

Virffinal  530. 

VolKSgesang  in  den  Nie- 
derlanden 155  ff. 

Wasielewsky,  W.  J.  von 
496, 

Weber,  Carl  Maria  von  486, 
491. 

Weber*8ches  Gesetz  (Inten- 
sitats verhältniß  der  Em- 
pfindungen) 541. 

Weigerth,  Job.  Blasius  528. 

Weise,  Christian  472  ff  — 
Gedicht:  der  weinende 
Petrus  473. —  erste  Stro- 

She  desselben  Text  der 
iach'schen  Arie:    »Ach 
mein  Sinn«  475. 
Weiss,  Jacob  528. 
Werckmeister  124. 
Willems ,  J.  F.  169. 
Wundt,  W.  540. 

Zalzal  535. 

Zelter  483,  484,  485.   — 

Zelter's    Liedertafel    in 

Berlin  484. 


Adressen  der  Herausgeber: 

Professor  Dr.  Spitta,  d.  Z.  gesch&ftsführender  Herausgeber,  Berlin,  W. 
Burggrafenstraße  10;  Dr.  Friedrich  Chrysander,  Bergedorf  bei  Hamburg ;  Pro- 
fessor Dr.  Guido  Adler,  Prag,  Weinberge,  Jungmannsgasse  25. 


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