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Full text of "Vierteljahrsschrift für Zahnheilkunde. 37.1921"

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VIERTELJAHRSSCHRIFT 

FÜR 

ZAHNHEILKUNDE 


SCHRIFTLEITUNG: 

DR. MED. DENT. BERNHARD FAULHABER 

PRAKT. ZAHNARZT IN BERLIN 
* 

SIEBENUNDDREISSIGSTER JAHRGANG 1921 

(BEGRÜNDET VON JULIUS WEISS IN WIEN) 

* 

MIT 56 TAFELN 

UND VIELEN ABBILDUNGEN IM TEXT 



BERLIN 

VERLAG VON HERMANN MEUSSER 
19 2 1 


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INHALTSVERZEICHNIS 

ORIGINALARBEITEN 

Seite 


A d I o f f, P v Einige kritische Betrachtungen zu den Arbeiten Fleischmanns und Gott» 

liebs über die Ätiologie der Alveolarpyorrhoe.148 

Adloff, P v Die Zweckmäßigkeiten des Gebisses. Selektion oder funktionelle An» 

passung?.265 

Burmester, O., Kariesempfanglichk’eit und Kalkmangel im Blut.491 

Cieszyhski, A v Schieberverankerung für orthopädische Prothesen des Unter» und 
Oberkiefers bei Defekten derselben oder Pseudarthrosen und für besondere Fälle 

von Brücken und gewöhnlichen Plattenprothesen.167 

Cohn»Stock, G v Die chirurgische Immediatregulierung der Kiefer, speziell die 

chirurgische Behandlung der Prognathie.320 

Euler, H., Metaplasie der Pulpa.303 

Faulhaber, B., Ein Fall von Arsen Vergiftung.239 

Fritsch, C., Die Grenzen der festsitzenden Brückenarbeiten.178 

Grawlnkel, C. J., Ober das Gießen von Porzellan. 79 

Grawinkel, C. J., Die Röhrennietmethode und ihre Anwendung bei Reparaturen 

von abgesprungenen Kramponzähnen.355 

Hauenstein, Über Kieferhöhlenerkrankungen.219 

Hille, A., Zur Kenntnis der Alveolarpyorrhoe.367 

Hille, A., Zur Frage der Infektionsgefahr durch wurzelkranke Zähne.488 

Honig, H., Die Erkrankung der Nase und ihrer Hauptnebenhöhle (sinus maxillaris) 

im Zusammenhang mit dem Zahnsysten.434 

Kneschaurek, H., Die Chlumskysche Lösung und Kalomel im Dienste der Wurzel» 

behandlung und Wurzelfüllung. 162 

Koch »Lang ent reu, }., Experimentelle Untersuchungen über die Biologie der 

menschlichen Zahnpulpa.211 

Kubatzki, N., Hemmung der Speichelsekretion durch Atropin-Derivate.482 

Loos, A., Pulpentod kariesfreier Zähne.454 

Müller, F., Die Resorption von Stoffen durch die gesunde Mundschleimhaut.364 

Neu mann, R., Die radikal-chirurgische Behandlung der Alveolarpyorrhoe.113 

Peter, K., Die formale Genese der Gesichtsspalten.385 

Peter, F., Zur Frage der Pulpaamputation . ..465 

Simon, A., Das Problem der Verankerung von Frontzahnbrücken.186 

Urbantschitsch,E., Beitrag zu einigen Streitfragen überden feineren Bau des Dentins 87 
Weski, O., Die chronischen marginalen Entzündungen des Alveolarfortsatzes mit 
besonderer Berücksichtigung der Alveolarpyorrhoe. Röntgenologisch-anatomische 

Studien aus dem Gebiete der Kieferpathologie. 3 

Witt, H. R., Über die Bewährung gegossener Metallfüllungen in der konservierenden 

Zahnheilkunde. 57 

Zeliska, F., Zwei Instrumente zur Mundchirurgie.101 

Z e 1 i s k a, F., Die Amalgamkrone.415 


* * 



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0CT2O ‘50 7 


BUCHBESPRECHUNGEN 

Seite 

Albu, Zahn« und Mundkrankheiten in ihren Beziehungen zu Organ« und Allgemein« 


erkrankungen.,.372 

ArtzneyBüchlein wider allerlei Krankheiten und gebrechen der Zzeen.247 

Baden, Die rechtlichen und sittlichen Grundlagen des zahnärztlichen Berufes in ihren 

Beziehungen zur Standesmoral.248 

Becker, Zahnwurzelzysten.106 

Biberfeld, Arzneimittellehre.504 

Bruy, Abgebrochene Instrumente in den Wurzelkanälen.253 

Cohn, Leitfaden zum Studium der sozialen Zahnheilkunde.370 

Cohn, Die Verstaatlichung der Zahnheilkunde.501 

Faulhaber und Neu mann. Das Röntgenbild als diagnostisches Hilfsmittel .... 106 

Fischer, Infektionen der Mundhöhle und Allgemeinerkrankungen.245 

Franke, Ober Wachstum und Verbildung des Kiefers und der Nasenscheidewand . 374 

Friebe. Ober das Kosmosmetall.251 

Fritsch, Leitfaden für Kronen und Brückenarbeiten.104 

Hammer, Ober follikuläre Zahnzysten.244 

Heinrich, Die Verwendung des Chlorphenolkampfers bei der Behandlung der gra« 

nulierenden Wurzelentzündung und ihrer Ausgänge.254 

Leix, Grundzüge der zahnärztlichen Elektrotherapie und Röntgenologie.106 

Lichtwitz. Der Wert unserer Wurzelfüllungssubstanzen.370 

Meier, Handbuch der zahnärztlichen Rechtskunde, mit Berücksichtigung der gericht« 

liehen und sozialen Zahnheilkunde.. . 249 

Michel und Müller, Die konservierende Zahnheilkunde.369 

Misch, Lehrbuch der Grenzgebiete. 4Q 7 


Müller, Beiträge und Versuche über die Frage der Entstehung keilförmiger 

Defekte. 

Müller «W i d m a n n, Die Lokalanästhesie zur Extraktion der Zähne. 

Müller, Pharmakologie für Zahnärzte. 

Opitz, Prüfungsordnungen für Arzte und Zahnärzte. 

Port und Euler, Lehrbuch der Zahnheilkunde. 

Preiswerk, Lehrbuch und Atlas der zahnärztlichen Technik. 


Rank, Die Halbkrone.105 

Riecheimann, Beitrag zur systematischen Prothetik.103 

Roh rer. Der Stoffwechsel im Dentin.373 

Scherbe 1 und Schönlank, Leitfaden der normalen und pathologischen Histologie 503 
^alomon. Ober den derzeitigen Stand der Behandlung inoperabler Zungen« 

-<j karzinome. 255 

^Seifert, Chirurgie des Kopfes und Halses.503 

;S i 1 b e r m a n n, Die Gußkrone, Beschreibung einer neuen Methode der Herstellung ge« 

i ’ gossener Hohlkronen. 373 

— 3imon, Zahnärztliche Kronen« und Brückenarbeiten..500 

S u d h o ff, Geschichte der Zahnheilkunde.244 

Türkheim, Die Sinnesphysiologie der Mundhöhle und der Zähne.499 

Uhlmann, Lehrbuch der Pharmakotherapie für Studierende und Arzte.499 

Walk ho ff, Lehrbuch der konservierenden Zahnheilkunde.241 

□Veickart, Erfüllt das Randolf-Metall in der Zahnheilkunde die Forderungen, die 

an ein brauchbares Goldersatzmetall zu stellen sind?.250 

JW olff. Die Wiederbefestigung lockerer Zähne.249 

*Wustrow, Gußfüllungen für Frontzähne.252 

*Zinsser, Syphilis und syphilisähnliche Erkrankungen des Mundes.241 

Zumbusch, Atlas der Syphilis.497 


* * 












































AUSZÜGE 


Seite 

Adison, Unmittelbare Dentinanaesthesie.507 

Anzawa, Ober die keilförmigen Defekte an der Krone und ihre Entstehung . 507 

Brodtbeck, Klinische Erfahrungen bezüglich des Sechsjahr-Molaren.506 

Bruce, Ist die Brückenarbeit zu verwerfen?.107 

De misch. Experimentelle Untersuchungen über die Einwirkung formalinhaltiger Me¬ 
dikamente und der Injektionsanästhesie auf die lebende Pulpa bei ihrer Anwendung 

zur Bekämpfung des hypersensiblen Dentins.257 

Frankenthal, Die Bedeutung der Mischinfektion bei der Wunddiphtherie.259 

Geiger, Ein Fall von Sporotrichose.376 

Goldstein,Ober Arhinencephalie mit medianer Oberlippenspalte (Zwischenkieferdefekt) 110 
Gut mann. Neueres über den Zusammenhang von Augen- und Zahnkrankheiten . . 259 

Kionka, Über Kalkpräparate.260 

Landsberger, 1. Der Anglesche Bogen in seiner Einwirkung auf Kiefer- und Zahn¬ 
stellung. 2. Die Vereinfachung des Angleschen Bogensystems in einen Universalbogen 108 

Marx, Ober die Schmerzempfindlichkeit der Mundhöhle.264 

Müller, Fensterkronen für Schneide- und Eckzähne.506 

Oberländer, yatren als spezifisches Mittel zur Behandlung der Aktinomykose . . . 377 

Payr, Über Ursachendiagnose und Behandlungsplan der Trigeminusneuralgie.261 

Perthes und J ü n g 1 i n g. Plastischer Radiumträger für Radiumbestrahlungen im Munde 

und plastischer Filmhalter für Röntgenaufnahmen des Alveolarfortsatzes.263 

Pfeiler, yatren als spezifisches Mittel zur Behandlung der Aktinomykose.377 

Pfeiler, Heilung der Aktinomykose durch yatren.507 

n< lut. Über drei Fälle von Infektion mit echten, streng anaeroben Streptotricheen . . 112 

»uße. Über das Zylindrom der Zunge.258 

nz. Ein Beitrag zur Pathologie und Behandlung des überempfindlichen Dentins . . 107 

»bert, Die Herkunft der Geschwülste.258 

de 11a, Beitrag zum Studium der Aktinomykose . 111 

R uer, Rhodalzid bei Stomatitis mercurialis.258 

: e n t h a I, Alveolarpyorrhoe als Folgeerscheinung von Allgemeinerkrankungen, ins¬ 
besondere solchen rheumatischer Natur.376 

S e i t z, Vakzinetherapie und Protoplasmaaktivierung in der Zahnheilkunde. Pyorrhoische 

Diathese (Alveolarpyorrhoe).262 

Türkheim, Untersuchungen über Wurzelbehandlung.508 

V i 11 a i n, Die Klammerkrone und ihre Anwendung bei abnehmbaren Brücken ..... 109 
Weiser, Welche Rolle spielen kranke Zähne als Eingangspforte für die Erreger von 
allgemeinen Erkrankungen des Körpers?.505 



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VIERTELJAHRSSCHRIFT 

FÜR 

ZAHNHEILKUNDE 


37. 

VERLAG 

19 2 1 

JAHRGANG 

HERMANN MEUSSER 

H E F T 1 

BERLIN 


SCHRIFTLEITU NO: DR. B. FAULHABER, BERLIN W 15, UHLANDSTRASSE 159 

» = ' —- === 


INHALT 


Originalarbeiten 

Seite 


W e s k i, 0 „ Berlin, Die chronischen marginalen Entzündungen des 
Alveolarfortsatzes mit besonderer Berücksichtigung der Alveolar« 
Pyorrhoe. Röntgenologisch-anatomische Studien aus dem Gebiete 

der Kieferpathologie. 3 

Witt, H. R., Darmstadt, Über die Bewährung gegossener Metall« 

füllungen in der konservierenden Zahnheilkunde. 57 

Grawinkel, C. J., Hamburg, Über das Gießen von Porzellan 79 
Urbantschitsch, Eduard, Graz, Beitrag zu einigen Streit« 

fragen über den feineren Bau des Dentins. 87 

Zeliska, Franz, Wien, Zwei Instrumente zur Mundchirurgie 101 

Buchbesprechungen.103 

Zeitschriftenschau. 107 


===== .. = = . 1 ■ =- - 

Vierteljährlich erscheint 1 Heft. Bezugspreis jährlich für Deutschland, Tschechoslowakei, 
Jugoslavien, Ungarn und die Balkanstaaten M. 80.—/ für das Ausland M. 240.— / Be« 
Stellungen nehmen alle Buchhandlungen sowie der Verlag Hermann Meusser in Berlin W 57, 

Potsdamer Straße 75, entgegen 


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INHALT DES 2. HEFTES 

Weski, Berlin, Die chronischen marginalen Entzündungen 
des Alveolarfortsatzes mit besonderer Berücksichtigung der 
Alveolar-Pyorrhoe <Schluß). 

Neu mann, Berlin, Die radikal-chirurgische Behandlung der 
Alveolar-Pyorrhoe. Mit 10 Tafeln. 

Adloff, Königsberg, Einige kritische Betrachtungen zu den 
Arbeiten Gottliebs und Fleischmanns über die Aetiologie der 
Alveolar-Pyorrhoe. 

Fritsch, Frankfurt a. M., Die Grenzen der festsitzenden 
Brückenarbeiten. 

Kneschaurek, Graz, Die Chlumskysche Lösung und Kalomel 
im Dienste der Wurzelbehandlung und Wurzelfüllung. 

Ciesynski, Lwow, Schieberverankerung für orthopädische 
Prothesen des Ober- und Unterkiefers 
u. a. 


* 

INHALT DES 3. HEFTES 

Cohn, Günther, Berlin, Chirurgische Behandlung der Progenie 
und Prognathie. 

Simon, Arthur, Berlin, Das Problem der Verankerung von 
Frontzahnbrücken. 

May, Berlin, Einfluß der Schwangerschaft auf die Mundhöhle. 
Krüger, Braunschweig, Ist eine Desinfektion der Mundschleim¬ 
haut zu Injektionen innerhalb der Mundhöhle möglich? 
Peter, Wien, Stomatitis. 

Bauer, Innsbruck, Zur Histologie retinierter Zähne 

u. a. 


Heft 2 wird voraussichtlich im Oktober, Heft 3 im Dezember 1921 ausgegeben werden. 
Heft 4 wird im ersten Quartal 1922 erscheinen, der Jahrgang 1922 im April 1922 beginnen. 



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VIERTELJAHRSSCHRIFT 

FÜR 

ZAHNHEILKUNDE 


3 7. 

JAHRGANG 


VERLAG 

HERMANN MEUSSER 
BERLIN 


19 2 1 

H E F T 1 


SCHRIFTLEITUNG: DR. B. FAULHABER, BERLIN W 15, UHLANDSTRASSE 159 

» ■ ~~ - . ===== — - 


AN UNSERE LESER UND MITARBEITER! 

M it dem laufenden Jahrgang geht die frühere „österreichisch*Un* 
garische" dann „Wiener Vierteljahrsschrift für Zahnheilkunde" 
aus den Händen des Begründers, des Herrn Julius Weiß in Wien, 
in den Unterzeichneten Verlag über und wird fortan unter dem Titel 

VIERTELJAHRSSCHRIFT FÜR ZAHNHEILKUNDE 

erscheinen. — Die ungünstigen wirtschaftlichenVerhältnisse in Deutsch¬ 
österreich veranlaßten den Verlagsübergang, der in freundschaftlichem 
Einverständnis mit dem bisherigen Verlag und in der Hoffnung ge¬ 
schieht, daß die Zeitschrift auch in Zukunft die gleiche Unterstützung 
seitens der Fachwelt genießen wird, wie sie dem früheren Heraus* 
geber in so reichem Maße während der langen 36 Jahre zuteil wurde. 

Die Redaktion hat Herr Dr. Bernhard Faulhaber in Berlin 
übernommen. Mit Deutschösterreich wird der Zusammenhang 
dadurch gewahrt werden, daß sich der frühere Herausgeber bereit 
gefunden hat, die Verbindung mit den bisherigen Mitarbeitern auf* 
rechtzuerhalten und die Korrespondenz mit Deutschösterreich, den 
Nachfolgestaaten und Ungarn auch weiter zu führen. 

Die Vierteljahrsschrift wird, typographisch und inhaltlich ver* 
vollkommnet, wie bisher dem Fortschritte der zahnärztlichen Wissen* 
Schaft und Technik dienen,- sie wird ganz besonders die Bedürfnisse 
des Praktikers durch Darbietungen nach einheitlichen Gesichtspunkten 

Vierteljahrsschrift für Zahnheilkunde, Heft 1 1 


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zusammengefaßter Referate aus den Binzeldisziplinen der Zahn= 
heilkunde berücksichtigen, gleichzeitig aber auch Mitteilungen rein 
wissenschaftlicher Natur zur Verfügung stellen, so daß der Leser 
jederzeit ein klares Bild von dem jeweiligen Stande der praktischen 
und wissenschaftlichen Zahnheilkunde vor Augen hat. 

Die völlig unabhängige Stellung der Zeitschrift befähigt sie in be* 
soliderem Grade, die internationalen Beziehungen der Zahnheilkunde 
wieder zu beleben und sie zum Sprechorgan der gesamten zahnärzt* 
liehen Welt zu machen. 

VERLAG UND REDAKTION 
DER VIERTELJAHRSSCHRIFT FÜR ZAHNHEILKUNDE 

DR. BERNHARD FAULHABER 
UND HERMANN MEUSSER 


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AUS DEM INSTITUT DR. WESKI-BERLIN 


RÖNTGENOLOGISCH-ANATOMISCHE STUDIEN 
AUS DEM GEBIETE DER KIEFERPATHOLOGIE 

VON 

DR. MED. OSKAR WESKI 


II. DIE CHRONISCHEN MARGINALEN ENTZÜNDUNGEN 
DES ALVEOLARFORTSATZES MIT BESONDERER BERÜCK» 
SICHTIGUNG DER ALVEOLAR-PyORRHOE 1 

A. 

G elegentlich derTagung des Zentralvcreins deutscher Zahnärzte im Mai 1914 
habe ich über obiges Thema einen Lichtbildervortrag gehalten. Man hat 
mich wohl im allgemeinen in meinen Ausführungen nicht verstanden, wie z. B. 
die Diskussionsbemerkung von Lipschi tz <„Deutsche Monatsschrift für Zahn» 
heilkunde" 1914, S. 564> zeigt. Es war mir damals nicht möglich, in einer 
Zeitschrift das umfangreiche Bildermaterial zu veröffentlichen,- ich mußte mich 
begnügen, in einigen Sätzen und Diskussionsbemerkungen das, was idi in 
meinem Vortrage ausgeführt hatte, anzudeuten. Ich werde an gegebener Stelle 
auf das von mir damals Gesagte hinweisen. 

Der Ausbruch des Krieges verhinderte das Erscheinen des in Aussicht ge» 
nommenen Röntgenatlasses, so daß mein Material während sieben Jahren keine 
weitere Bearbeitung erfuhr, zumal röntgenologische Arbeiten auf andern Ge» 
bieten mich in Anspruch nahmen. Eine willkommene Veranlassung, meine 
röntgenanatomischen Kieferstudien wieder aufzunehmen, gab mir die Auf» 
forderung der Schwedischen Zahnärztlichen Gesellschaft in Stock» 
holm, über die Fleischmann»Gottliebschen Arbeiten, insbesondere die 
Gottliebsche Theorie der Alveolarpyorrhoe mich kritisch zu äußern. In» 
zwischen ist mir die Arbeit Gottliebs über den Epithelansatz, die ich zur 


’ Nach einem am 13. April 1921 in der Schwedischen Zahnärztlichen Gesellschaft zu 
Stockholm gehaltenen Vortrage. Die I. Studie „Die röntgenologische Diagnose der granu¬ 
lierenden Periodontitis" ist erschienen im Juliheft des Korrespondenzblattes für Zahn¬ 
ärzte 1913. 

1 * 


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4 


Dr. med. Oskar Weski 


Zeit meines Vortrages in Stockholm noch nicht kannte, zugängig geworden, 
und so habe ich die in dieser Arbeit angeschnittene Frage mit in den Kreis 
meiner jetzigen Bearbeitung gezogen, möchte aber gleich erwähnen, daß der 
Standpunkt, den ich im Jahre 1914 bzgl. des Charakters der Alveolarpyorrhoe 
vertrat, durch Gottliebs Arbeiten keine Änderung erfahren hat. 

Um Wiederholungen im Text zu vermeiden, stelle ich hier die für die 
Alveolarpyorrhoe herangezogene Literatur zusammen und füge in Klammern 
die Abkürzung bei, unter der ich die betreffende Arbeit im Text einführe. 

Römer: Periodontitis und Periostitis alveolaris in Scheffs Handbuch 
1909 <R. I). 

Derselbe: Alveolarpyorrhoe. Pathologische Anatomie. Verhandlungen 
des V. Internationalen Zahnärztlichen Kongresses 1909 <R. II>. 

Hopwell-Smith: Pyorrhoea alveolaris. Its Patho^Histology. The Dental 
Cosmos 1911. Vol. LIII. 

Widman: The operative treatment of Pyorrhoea alveolaris. Englische 
Übersetzung eines 1916 gehaltenen Vortrages. Stockholm 1918. 

Greve: Alveolarpyorrhoe. Jahreskurse fürärztlicheFortbildungl919<Gr.I>. 

Derselbe: Die paradentalen Erkrankungen. Deutsche Zahnheilkunde — 
Festschrift für Walckhoff 1920 <Gr. II). 

Neumann: Die Alveolarpyorrhoe und ihre Behandlung 1920. III. Aufl. 
Verlag Meußer. 

Fleischmann und Gottlieb: Beiträge zur Histologie und Pathologie der 
Alveolarpyorrhoe, österreichische Zeitschr. f. Stomatologie 1920. Heft 2 
<F1. u. G. I>. 

Gottlieb: ZurÄtiologieundTherapie der Alveolarpyorrhoe. Ebenda<G.II>. 

Derselbe: Der Epithelansatz am Zahn. Deutsche Monatsschrift für Zahm* 
heilkunde 1921, Heft 5 <G. I1I>. 

Hille: Zur Kenntnis der Alveolarpyorrhoe. Deutsche Monatsschrift für 
Zahnheilkunde 1921, Heft 10. 

Ich habe im Jahre 1911 meine Kieferstudien aufgenommen, um dadurch 
das anatomische Material zur Beurteilung röntgenologischer Strukturen im 
Bereiche des Alveolarfortsatzes zu gewinnen. Bezüglich der periapikalen Ver* 
hältnisse war die Aufgabe nicht allzu schwierig zu lösen. Es bedurfte nur 
der Gegenüberstellung des einfachen mikroskopischen Schnittes mit dem 
Röntgenbilde, um die für den einzelnen Fall in Frage kommende Deutung 
herauslesen zu können <s. die oben erwähnte I. Studie). 

Schwieriger gestaltete sich dagegen die Aufgabe bei den marginalen Er* 
krankungen. Es hat sich herausgestellt, daß erstens einmal hier die röntgeno¬ 
logisch nachweisbaren Strukturdifferenzen nicht so ins Auge fallend sind wie 
bei den periapikalen Prozessen, und daß andererseits dort, wo wir verschieb 
dene Typen des Knochenschwundes unterscheiden können, das anatomische 
Äquivalent nicht so grob in die Augen springende Unterschiede zeigt wie bei 
den periapikalen Erkrankungen. Ich mußte hier die einzelnen Gewebsab^ 
schnitte gesondert betrachten und viel mehr ins Detail gehen, um ein klares 
Bild zu gewinnen. So gelangte ich bei meinem Vortrage im Jahre 1914 zu 


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Röntgenologisdi-anatomisdie Studien aus dem Gebiete der Kieferpathologie 5 


derselben Disposition, wie sie auch Fleischmann und Gottlieb ihrer 
Arbeit I zugrunde gelegt haben. 

Bezüglich der von mir angewandten Technik kann ich mich kurz fassen. 
Die Kiefer wurden nach Entkalkung in Salpetersäure in Zelloidin eingebettet. 
Je nach dem zu beurteilenden Fall in verschiedenen Richtungen geschnitten 
und mit Hämatoxylin-Eosin oder Eisen-Haematoxylin-van Gieson gefärbt. 

Es ist mir ein besonderes Bedürfnis, dem Herausgeber und Verleger dieser 
Zeitschrift dafür zu danken, daß sie mir in entgegenkommender Weise Ge- 
legenheit gegeben haben, mein umfangreiches Material ohne Kürzung der 
Öffentlichkeit unterbreiten zu können. 

I. ZUR KENNTNIS UNVERMEIDLICHER STRUKTUR¬ 
VERÄNDERUNGEN 

Das Kiefermaterial, soweit es zur Beurteilung marginaler Verhältnisse 
herangezogen wird, nimmt in histologisch-technischer Beziehung eine Sonder¬ 
stellung ein, die sich durch unvermeidliche strukturelle Veränderungen in den 
Präparaten verrät. Ihre Kenntnis ist wichtig, weil auf sie mancherlei Mi߬ 
deutungen, die wir in der Literatur vorfinden, zurückzuführen sind. Wir 
wissen, daß uns in den mikroskopischen Präparaten die zeitigen Elemente 
infolge ihrer Behandlung mit eiweißkoagulierenden Fixierungsmedien vier 
bis fünf mal kleiner erscheinen als in natürlichem Zustande. Am deutlichsten 
erweist sich das durch Vergleich des Größenverhältnisses roter Blutkörperchen 
im Schnitt einer- und Giemsapräparat andererseits. Diese Schrumpfung betrifft 
alle Gewebe in gleicher Weise mit Ausnahme der Hartsubstanzen: Knochen, 
Knorpel, Zähne. Diese machen die Schrumpfung nicht mit. Im allgemeinen 
kommt es bei der üblichen Behandlung der Präparate, die Knochen oder Knorpel 
enthalten, nicht zu störenden Spalten und Rissen, weil diese harten Stütz¬ 
gewebe nicht bloßliegen und die Fixierung, von außen nach innen fort¬ 
schreitend, zuerst die oberflächlichen Gewebselemente härtet und so um die 
tieferliegenden Gewebe eine feste Schicht bildet, die ein Ausweichen bzw. 
Zurückziehen verhindert. 

Anders liegen die Verhältnisse, wenn, wie beim Studium marginaler Pro¬ 
zesse, die uns interessierenden Weichteile in unmittelbarem Zusammenhang 
mit dem oberflächlich gelegenen Zahnkörper stehen. Der kalkimprägnierte 
Zahn erleidet im Gegensatz zu den ihn umgebenden Weich teilen keineSchrump- 
fiing, so daß es in jedem Falle zu einer Änderung des topographischen Ge¬ 
füges kommen muß. Aber neben den durch die Präparation <Fixierung und 
Alkoholbehandlung) geschaffenen Schrumpfungserscheinungen spielen post¬ 
mortale Veränderungen in derselben Richtung eine deletäre Rolle. Wenn man 
nicht Kiefer vom Hingerichteten oder gelegentliches operatives Material zur 
Verfügung hat, sondern — wie wohl stets — auf Sektionspräparate an¬ 
gewiesen bleibt, wird immer eine Reihe von Stunden bis zur Fixierung ver¬ 
gehen. Mein frischestes Material kam 8—12 Stunden post mortem in For¬ 
malin. Während sonst anderen histologischen Untersuchungen zuzuführende 


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6 


Dr. med. Oskar Weski 


Gewebe, in ihrer eigenen Flüssigkeit suspendiert, gleichmäßig feucht bleiben, 
trocknet die dem unmittelbaren Luftzutritt direkt ausgesetzte Schleimhaut des 
Mundes, besonders der freie Zahnfleischsaum, in erheblichem Maße aus. Es 
sind also in jedem Falle, bevor noch der Kiefer fixiert wird, Schrumpfungen 
eingetreten, die dann noch weiter durch die übliche Nachbehandlung des Prä¬ 
parates vermehrt werden. Einmal resultiert daraus eine niedere Höhe der 
Zahnfleischpapille im Schnitt als sie in vivo und selbst noch am Kiefer vor 
seiner Einbettung vorhanden war — man vergleiche z. B. die stark vorsprin¬ 
gende Zahnfleischpapille zwischen V und VII des Kiefers 102 <Fig. 1, Tafel 13> 
mit dem analogen mikroskopischen Schnitt Fig. 3 derselben Tafel. 

Zweitens verursachen diese Schrumpfungsvorgänge eine Abhebung des 
Gewebes vom Zahnkörper. Dadurch kommt es zu Spalten, welche als Kunst¬ 
produkt nicht erkannt, sondern als pathologisch vertiefte Zahnfleischtaschen 
angesprochen wurden. So ist die von H o p w e 11 - S m i t h <Fig. 140, S. 410> photo¬ 
graphierte „Deep pocket" zu bewerten, desgleichen die „Abhebung des Epi¬ 
thels'' in der Fleischmann-Gottlieb sehen Arbeit <FI. u. G. I>, die von diesen 
Autoren irrtümlicherweise als beginnende Taschenbildung angesprochen wird. 

II. RÖNTGENOLOGISCH-KLINISCHE BETRACHTUNGEN 

Ich halte es für zweckmäßig, vor Ausbreitung meines anatomischen Beleg¬ 
materials, den Leser mit den aus demselben sich ergebenden für die Praxis 
gültigen Ableitungen bekannt zu machen. Da sich dieselben hauptsächlich auf 
die Alveolarpyorrhoe erstrecken, möchte ich den Standpunkt, von dem aus 
ich diese Krankheit betrachtet wissen will, zunächst festlegen. 

Unter Alveolarpyorrhoe verstehe ich diejenige Erkrankung des marginalen 
Abschnittes des Alveolarfortsatzes — dieses Wort nicht auf den knöchernen 
Processus alveolaris, sondern auf die Gesamtheit des zahntragenden Kiefer¬ 
abschnittes <Knochen plus Weichteile) bezogen —, bei der es neben an¬ 
deren Symptomen zur Vertiefung der Zahnfleischtasche und Eiterabson¬ 
derung in solcher Menge gekommen ist, daß sich „durch Druck auf das Zahn¬ 
fleisch von der Wurzelspitze zur Krone hin ein Tröpfchen gelblichen meist 
völlig geruchlosen Eiters entleert" <Römer I>. Dieses klinische Symptom der 
Eiterung, wenn auch nicht in der gleichen prägnanten Form, hat die Alveo¬ 
larpyorrhoe mit anderen Krankheiten gemeinsam, weshalb Hille unter diesem 
Gesichtspunkt eine systematische Zusammenfassung der durch „pyorrhoische 
Diathese" charakterisierten Krankheiten vornahm. Unter ihnen erhält die 
Alveolarpyorrhoe ihren Platz neben dem „Eiterfluß ohne Gewebsdestruktion" 
id est „gingivitischem Eiterfluß" <Seite 295, Fall IV) als „Eiterfluß mit Ge¬ 
websdestruktion", und zwar als „a> klassische Form" im Gegensatz zur „b> 
einfachen Form". 

Ich kann mich, so sehr ich das Bemühen Hilles, die Alveolarpyorrhoe 
ihrer isolierten Stellung als Krankheit sui generis zu entkleiden, durchaus 
billige, seiner Einteilung nicht anschließen. Das Symptom der Eiterung ist 
in bezug auf die Pathogenese der Alveolarpyorrhoe viel zu nebensächlich. 


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Röntgenologisch-anatomisdie Studien aus dem Gebiete der Kieferpathologie 7 


als daß unter diesem Rubrum eine dieser Krankheit gerecht werdende Klassi« 
fizierung aufgestellt werden könnte. Das Ideal wäre natürlich, die Alveolar« 
pyorrhoe nach ihrer anatomischen Eigenart zu stigmatisieren. Sie läuft zwar 
seit Römers <R. I> Einteilung der Periodontitiden immer noch in der Li« 
teratur als „Periodontitis chronica marginalis purulenta". Meiner Ansicht 
nach ist aber diese Interpretation in keiner Beziehung zutreffend/ denn der 
Eiter entstammt nicht granulierendem Periodontalgewebe, sondern Erosionen . 
und kleinen Geschwürsflächen, welche weit ab vom eigentlichen Ort des 
eigentlichen Krankheitsherdes liegen. Ich habe in einer Diskussionsbemerkung 
gelegentlich der Sitzung des Zentralverbandes Deutscher Zahnärzte 1914 
meinen diesbezüglichen Standpunkt folgendermaßen zum Ausdruck gebracht 
<D. M. f. Z. 1914, S. 575 ): „Nicht der Ort der progressiven Knochenein« 
Schmelzung ist die Quelle der Eiterung, sondern dieser entströmt kleinen, 
bloßliegenden, epithelentkleideten Stellen der entzündeten Oberfläche der 
Taschenwand." 

Was nun die pathologisch-anatomische Spezifizität der Alveolarpyorrhoe 
überhaupt betrifft, so hat mich mein Kiefer«Sektionsmaterial gelehrt, daß dieser 
Krankheit kein ihr eigentümliches Substrat zukommt, das ihr den Namen geben 
könnte. Trotzdem oder gerade deshalb halte ich es für geboten, die Alveolar« 
pyorrhoe aus ihrer isolierten Stellung gegenüber anderen marginalen Ent« 
zündungsformen herauszuheben und sie als Einzelform in ein System ver« 
wandter Krankheiten einzuordnen, und zwar nach röntgenologischen Ge« 
sichtspunkten. Denn ebenso wie die Eiter sezernierendeTasche ist die röntgeno« 
logisch nachweisbare marginale Knochenatrophie aus dem Gesamtbilde der 
Alveolarpyorrhoe nicht fortzudenken/ sie ist aber gleichzeitig das charak« 
teristische Symptom aller chronischen marginalen Erkrankungen des Alveolar« 
fortsatzes und gibt daher für die Klassifizierung dieser Krankheitsgruppe den 
geeigneten Rahmen, um so mehr, als sich zwei charakteristische Formen des 
Knochenschwundes unterscheiden lassen, die ich als horizontale und ver« 
tikale Atrophie bezeichnet habe. Ich habe mich darüber in der Zusammen« 
fassung zu meinem eingangs erwähnten Vortrage 1914 folgendermaßen ge« 
äußert <1. c. Seite 563): 

„Bei den chronischen marginalen Erkrankungen des Alveolarfortsatzes ist 
das Symptom der Eiterung von untergeordneter Bedeutung. Dagegen gibt 
das Röntgenbild wichtige Anhaltspunkte für den Charakter und die Prognose 
des betreffenden Falles, indem es zweierlei Formen des marginalen Knochen« 
Schwundes erkennen läßt/ die horizontale und die vertikale. Beide können 
mit Pyorrhoe verknüpft sein, doch prädisponiert besonders die letztere dazu, 
da sie durch eine unter das Niveau des Knochenrandes herabreichende Nische 
gekennzeichnet ist. Wir unterscheiden daher die Atrophia marginalis hori« 
zontalis <mit und ohne Pyorrhoe) und die Atrophia marginalis verticalis <mit 
und ohne Pyorrhoe). Die Bezeichnung,Alveolarpyorrhoe 4 ist fallen zu lassen." 

Wenn ich soweit ging, die Bezeichnung „Alveolarpyorrhoe" aus dem zahn« 
ärztlichen Sprachgebrauch gebannt zu wissen, so geschah es in erster Linie, 
um die Aufmerksamkeit der Zahnärzte von dem Symptom der Eiterung ab« 


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Dr. med. Oskar Weski 


und auf das ebenso wichtige Röntgensymptom hinzulenken. Zwar wird das 
Röntgenbild heute bei der Diagnostik der Alveolarpyorrhoe schon von vielen 
Fachleuten zu Rate gezogen, aber, wie z. B. die gerade in bezug auf die Dia¬ 
gnostik bedeutungsvolle Arbeit Hi lies zeigt, noch nicht in genügender Weise. 
Seine Ausführungen würden viel mehr an Klarheit gewinnen, wenn er uns 
den im röntgenologischen Bilde sichtbaren Typ des einzelnen Falles mitgeteilt 
hätte. Was ich 1914 in einer Diskussionsbemerkung <1. c. S. 575> sagte: „Der 
Herr Vortragende erkennt zwar den Nutzen des Röntgenbildes für die Dia¬ 
gnose der mit Pyorrhoe verbundenen marginalen Knochenerkrankungen an, 
doch liest er zu wenig aus ihm heraus und legt noch zu großes Gewicht auf 
das klinische Moment der Eiterung", gilt gleichfalls für die Hilleschen dia- 
gnostischen Bemühungen, so sehr auch der systematische Aufbau seines 
Status praesens allgemeine Aufnahme verdient. 

Was den Zahnärzten bislang fehlt, ist die gegenseitige Verständnismög¬ 
lichkeit über den einzelnen Fall. Ich entsinne mich einer ernsten Aussprache 
über die Alveolarpyorrhoe, in deren Verlauf eine Einigung über den Krank¬ 
heitscharakter und -umfang eines zur Diskussion stehenden Falles nicht zu 
erzielen war. Ein auf diesem Gebiete maßgebender Zahnarzt konnte die 
Ausführungen des Vortragenden dadurch entkräften, daß er ihm entgegnete, 
die von ihm durch seine Methoden erzielten Resultate wären dadurch zu er¬ 
klären, daß es nicht die echte Pyorrhoe gewesen wäre. Was unter der 
„echten Pyorrhoe" zu verstehen war, darüber ließ sich der betreffende Herr 
nicht aus und hätte es wohl auch nicht definieren können. 

Diesen Mangel an Verständigungsmöglichkeiten glaube ich durch ein sehr 
einfaches Mittel behoben zu haben, nämlich durch die zahlenmäßige Bestim¬ 
mung und röntgenologisch wiedergegebene Feststellung der Zahnfleischtaschen¬ 
tiefe. Gelegentlich meines Vortrages 1914 zeigte ich bereits das in Fig. 5, 
Tafel 2 wiedergegebene Bild des Falles von Dr. Levy, bei dem ich in die 
Zahnfleischtasche einen Guttaperchapoint als Sonde eingeführt hatte. Ich habe 
diese Methode nach Wiederaufnahme meiner Untersuchungen jetzt häufiger 
angewandt und verschiedene zahnärztliche Kollegen, soweit sie selbst röntgeno¬ 
logisch arbeiten, zur Nachprüfung aufgefordert. Die Methode hat sich als 
äußerst brauchbar erwiesen, weil der durch Auseinanderhaltung der hori¬ 
zontalen und vertikalen Atrophie nur auf den Knochen sich beziehende 
Röntgenbefund durch Klarlegung der Taschentiefe und vor allem ihres Ver¬ 
hältnisses zur Knochenoberfläche eine wesentliche Erweiterung erfährt. 

Was nun die beiden Formen der Knochenatrophie betrifft, so verstehe ich 
unter Horizontalatrophie einen Schwund des Knochens, welcher 
parallel zu dem normalen Ansatz des Alveolarknochens an den 
Zahnkörper nach der Tiefe zu erfolgt. Es resultiert daraus, wie an 
Kiefer 52 <Fig. 1, Tafel 22) distal zu II sowie mesial zu IV ersichtlich ist, ein 
rechter oder am selben Kiefer mesial zu II und distal zu V ein spitzer Knochen- 
Zahn-Winkel. Das Winkelmaß soll dabei nicht den von beiden Schatten um¬ 
grenzten freien Raum, sondern den der Knochensubstanz erfassen. Ebenso 
gemessen erhalten wir z. B. bei Kiefer 52 mesial zu V und Fig. 1, Tafel 35, 


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Röntgenologiscfi-anatomisdie Studien aus dem Gebiete der Kieferpathologie 9 


Fig. 2, Tafel 28 einen stumpfen Winkel. Diese Art der Knochenatro¬ 
phie, welche vom Alveolarrande aus parallel zum Zahne vertikal 
in die Tiefe des Alveolarfortsatzes sich ausbreitet, nenne ich 
Vertikalatrophie. Ich habe in den Fig. 6, 9 u. 10, Tafel 1 ihr allmäh¬ 
liches Vordringen in die Tiefe wiedergegeben und verweise gleichzeitig auf die 
Fig. 19 u. 20 auf Seite 985 in Hopwell-Smiths Arbeit. 

Ausschlaggebend für das Zustandekommen der beiden Typen des Knochen¬ 
schwundes ist außer gewissen feineren anatomischen Verhältnissen, die später 
besprochen werden, das Gefüge des Alveolarfortsatzes. In den Interdental- 
septen engstehender Zähne, an den Labialflächen, überhaupt dort, wo die 
Zähne nur von einer dünnen Corticalis bedeckt sind, erfolgt der Knochen¬ 
schwund im Sinne der Horizontalatrophie. Sie entspricht der Form I der 
Widmanschen Klassifizierung. Wo aber eine derbere retroalveoläre Spon¬ 
giosa sich findet, wie im Oberkiefer palatinal <Kiefer 35>, im Unterkiefer 
lingual oder bei Angrenzung des betroffenen Zahnes gegen eine reorgani¬ 
sierte Zahnlücke — Fall R., Fig. 1 u. 2, Tafel 2 erfolgt der Knochenschwund 
unter dem Bilde der Vertikalatrophie. <Form II nach Widman.) 

Auf die in diagnostischer und therapeutischer Hinsicht große Wichtigkeit 
und die daraus sich ergebende Notwendigkeit der Auseinanderhaltung bei¬ 
der Formen der marginalen Knochenatrophie habe ich bereits 1914 <1. c. 
S. 575> mit folgenden Worten hingewiesen: „Da der horizontale Resorptions¬ 
modus der prognostisch günstigere ist und die Ausheilung der sogenannten 
Pyorrhoe-Fälle neben der Reduktion des Zahnfleischwulstes dadurch zustande 
kommt, daß der Knochen im Sinne des horizontalen Modus schwindet, so 
muß unser therapeutisches Bemühen darauf hinauslaufen, den vertikalen Mo¬ 
dus in die Form des horizontalen Knochenschwundes überzuführen/' Daß 
das naturgemäß nur auf chirurgischem Wege möglich ist, ist selbstverständ¬ 
lich. Diese Überlegungen legten es mir nahe — ohne daß ich Neumanns 
grundlegende Arbeiten kannte —, die chirurgische Behandlung zwecks Ab¬ 
tragung der Knochenränder vorzuschlagen, um dadurch aus der Vertikal- eine 
horizontale Atrophie herzustellen. Daß der Kauter, den Römer und auch 
Gottlieb angewandt wissen wollen, hier nicht zum Ziele führen kann, liegt 
auf der Hand — von Zahnsteinentfernung, Ätzmitteln oder gar von der 
Salvarsantherapie ganz zu schweigen. 

Ich hoffe, daß meine Ausführungen mit dazu beitragen werden, der Neu- 
mann-Widmansehen Operation die ihr gebührende Anerkennung zu ver¬ 
schaffen, — dort, wo es dessen noch bedürfen sollte. 

Natürlich gibt es Übergangsformen zwischen der horizontalen und ver¬ 
tikalen Atrophie, wie sie z. B. Kiefer 105 zeigt. Es kann sehr leicht bei 
einer vertikalen Atrophie durch Sistierung der in die Tiefe vordringenden 
Schädlichkeiten zur Ausbreitung des Prozesses in horizontaler Richtung und 
zu einer ausgleichenden Abflachung im Sinne der Horizontalatrophie kommen. 

Ich bin nun, wie oben bereits erwähnt, bei der einfachen röntgenologischen 
Feststellung und Auseinanderhaltung von Vertikal- und Horizontalatrophie 
nicht stehen geblieben, sondern dazu übergegangen, bei jedem Falle von 


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Dr. mcd. Oskar Weski 


Alveolaratrophie die Guttaperchasondierung vorzunehmen. Idi halte den 
Guttaperchastift — die für Wurzelfüllung gebräuchlichen „Points" werden 
dazu benutzt —’ für geeigneter als die starre, metallene Sonde, die Hille 
offenbar zwecks Feststellung der Taschentiefe angewandt hat. Er macht 
keinerlei Verletzungen und dringt mit seiner weichen Spitze nur so weit vor, 
als tatsächlich ein freier Raum vorhanden ist oder verrät durch Umbiegung 
das Aufstoßen auf ein Hindernis. Zunächst wird der Guttaperchastift in die 
Tasche eingeführt, soweit es geht, am freien Zahnfleischrand mit der gebo* 
genen feinen Pinzette erfaßt und herausgezogen/ so daß man die Taschentiefe 
mit einem Millimetermaß feststellen kann. Für die röntgenologische Dar* 
Stellung wird er zum zweiten Male eingeführt, auf Zahnfleischhöhe mit einem 
erwärmten Instrument scharf abgeschnitten — er darf nicht aus der Tasche 
heraussehen — und nun die Aufnahme gemacht. Wir erhalten dadurch dort, 
wo die Anwendung einer härteren Röhre oder stärkeren Entwicklung den 
schwachen Weichteilsdiatten des Zahnfleisches nicht zeichnet, stets eine Dar* 
Stellung des Zahnfleischrandes, dessen Verhältnis zum Knochen besonders 
bei Vertikalatrophie zu kennen von Wichtigkeit ist. <Vgl. Fig. 2 auf Tafel 2>. 

Wenige Bilder genügen, um das prinzipiell Neue meiner Untersudhungs* 
methode zu illustrieren. Die Fig. 1, 2, 3 auf Tafel 2 entstammen einem 
Falle von ausgebildeter Alveolarpyorrhoe. <Fall R. zusammen mit Herrn 
Prof. Neumann beobachtet.) Aus den Taschen mesial zum ersten oberen 
rechten Incisivus und mesial zum zweiten unteren rechten Molaren läßt sich 
Eiter ausdrücken. Die Guttaperchasondierung ergibt beim Incisivus eine 
Taschentiefe von 5 mm, beim Molaren von 8 mm,- dabei besteht, worauf 
ich eben hinwies und wie Fig. 1 <Tafel 2> bei a zeigt, normale Höhe des 
mesialen äußeren Zahnfleischansatzes. Das Verhältnis der Sondenspitze ist, 
wie sich aus den Fig. 2 und 3, Tafel 2 ergibt, bei beiden Zähnen ein ver* 
schiedenes: am Incisivus reicht sie bis zum Knochen, am Molaren unter das 
Knochenniveau herab, und damit ist das Verhältnis der Eiter sezernieren* 
den Tasche zum Knochen eindeutig festgelegt. 

Für diese beiden prinzipiell verschiedenen Typen bringe ich eine neue Be* 
Zeichnung in Vorschlag, durch welche die charakteristischen Symptome kurz 
ihren prägnanten Ausdruck erhalten. Im ersten Falle: Horizontalatrophie — 
der Taschengrund liegt oberhalb des Knochens — spreche ich von 
Pyorrhoea supraalveolaris, 

im zweiten Falle: Vertikalatrophie, der Taschengrund liegt unterhalb des 
Knochenrandes — von 

Pyorrhoea intraalveolaris. 

Eine Reihe von Zahnärzten, die ich mit dieser neuen Einteilung bekannt¬ 
machte, haben sie ihren Fällen mit Erfolg zugrunde gelegt und mir über* 
einstimmend bestätigt, daß damit tatsächlich die Basis für eine den praktischen 
Bedürfnissen völlig genügende Klärung des einzelnen Falles gegeben ist. 
Wenn ich also der Allgemeinheit die Einführung meiner Guttaperchason* 
dierung und meiner neuen Nomenklatur empfehle, so bin ich in der an* 
genehmen Lage, günstige Urteile von autoritativer Seite hinter mir zu haben. 


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Röntgenologisdwnatomisdie Studien aus dem Gebiete der Kieferpathologie \ \ 


Ich hoffe, daß nun endlich eine gegenseitige Verständigungsmöglichkeit 
über die „Alveolarpyorrhoe"* Fälle geschaffen ist, daß man nun wissen 
wird, daß die „echte" Form die intraalveoläre ist, und daß man auch jetzt 
erkennen wird, warum die bisherigen Behandlungsmethoden — Zahnstein* 
entfemung, Ätzung, Kauter — bei diesen Fällen versagen müssen: einfach 
deshalb, weil, nicht wie bei der supraalveolären Form nur eine Weichteil*, 
sondern gleichzeitig eine Knochentasche besteht. Da eine ideale Hygiene der 
vertieften Tasche nicht durchführbar ist, werden die rezidivierenden chro* 
nischen Entzündungen der Taschenoberfläche stets von neuem auf das Periost 
übergreifen, von hier aus den Knochen zur Einschmelzung bringen und so 
den Circulus vitiosus weiterfuhren. 

Ausdrücklich sei betont, daß das Röntgenbild allein niemals ausschlag* 
gebend für die differentielle Diagnostik sein kann. Die genaueste klinische 
Untersuchung — am besten mit der von Hille bei seinem Fall I durchge* 
führten Eintragung der Symptome in ein Schema — ist unerläßlich. Nur 
halte ich es für notwendig mit Rücksicht auf die häufige Einseitigkeit der 
Eiter sezemierenden Fläche, die labio*buccale, mesiale, linguo*palatinale und 
distale Seite gesondert zu registrieren. Man wird häufig mehrere Aufnahmen 
benötigen und nach Entfernung des Zahnsteins feststellen können, daß die 
Guttaperchasonde jetzt tiefer eindringt, die Tasche also weiter herabreidht, 
als das Bild ursprünglich annehmen ließ. Die Röntgenuntersuchung muß dem 
Zahnarzt eben viel geläufiger und selbstverständlicher werden, worauf ich in 
meiner Arbeit: „Die praktische Bedeutung des zahnärztlichen Röntgenstatus" 
<Zahnärztliche Rundschau 1920, Nr. 30> ausführlich hingewiesen habe. Sie 
muß unbedingt bei jedem mit der entwickelten „Alveolarpyorrhoe" sich vor« 
stellenden Patienten planmäßig vorgenommen werden. Wie ich in der zuletzt 
zitierten Arbeit betonte, muß die Röntgendiagnostik vor allem in den Dienst 
der zahnärztlichen Prophylaxe auch in bezug auf die marginalen 
Atrophien gestellt werden. Dabei kommen dann die verschiedensten Stadien 
der Vertikalatrophie zur Beobachtung — beginnende Formen, wie Fall 52, 
oder Fall X, Fig. 9, Tafel 1, welche bei der Guttaperchasondierung die zur* 
zeit noch seichten Taschen erkennen lassen und zu sofortigem energischen 
Eingreifen mahnen. 

Interessant ist die in Fig. 3, Tafel 2 wiedergegebene Beobachtung bei 
Fall R. Während mesial zu I eine sezernierende Tasche von 5 mm Tiefe 
vorliegt, läßt sich mesial zu I links die Sonde nur bis zu 1 mm, wie es der 
Norm entspricht, vorschieben (a in Fig. 3>. Trotzdem besteht hier eine 
Knochenatrophie gleichen Umfanges wie auf der mesialen Seite 
des rechten Incisivus I. Daraus ergeben sich für den Fall ganz besondere 
therapeutische Maßnahmen, über die Herr Prof. Neu mann später berichten 
wird. ■— Man wende nicht ein, daß diese Art der Untersuchung zeitraubend sei. 
Der Zahnarzt ist zu sehr an leichte Diagnosenstellung gewöhnt. Die Alveolar* 
pyorrhoe ist aber eine aus dem Rahmen der gewöhnlich ihm begegnenden 
Krankheiten herausfallende Erscheinung. Ihr gegenüber kann nur durch sorg* 
fähigste Diagnose ein praktisch wertvolles Untersuchungsresultat erzielt werden. 


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Dr. med. Oskar Weski 


Aus dem eben Ausgeführten ergibt sich, wie mir scheint, eine völlig zwang¬ 
lose Einreihung der Alveolarpyorrhoe in das System der durch marginale 
Knochenatrophie gekennzeichneten Krankheitsgruppe. Ihre weitere detaillierte 
Charakteristik in ätiologischer und pathologischer Beziehung wird in den 
weiteren Kapiteln versucht werden. In den Fig. 3, 4, 5, 6 auf Tafel 49 
habe ich ihre Haupttypen schematisch wiedergegeben. Ihre Eigenart erhellt 
ohne weiteres durch Gegenüberstellung mit den in Fig. 1 und 2 derselben 
Tafel dargestellten normalen Verhältnissen. Ich werde im nächsten Kapitel 
auf Grund röntgenologischer und entwicklungsgeschichtlicher Überlegungen der 
Aufnahme einer neuen Bezeichnung in den zahnärztlichen Sprachschatz, näm- 
lieh des Paradentiums, das Wort reden in der Überzeugung, dadurch be¬ 
stimmte dentale Verhältnisse in ihrer Eigenart von anderen Prozessen mar¬ 
kanter abgrenzen zu können. Ohne mich näher auf Einzelheiten hier einzu¬ 
lassen, möchte ich, dem planmäßigen Aufbau meiner Darlegungen vorgreifend, 
das neue Wort schon hier anwenden und die uns hier in klinisch-röntgeno¬ 
logischer Beziehung interessierenden Krankheiten als „marginale Para- 
dentosen" einführen. Ich will darunter alle durch Atrophie der 
Weichteil- und Knochenumgebung des nichterkrankten Zahn¬ 
körpers gekennzeichneten Krankheitszustände zusammenfassen 
und unterscheide folgende Haupttypen und Untergruppen: 

I. Atrophia paradentii marginalis totalis 

Sie ist auf Tafel 49 in Fig. 3 schematisch wiedergegeben und wird ohne 
weiteres als die senile oder juvenile Alveolaratrophie erkannt. 

Ich bezeichne sie als „totale" Atrophie, weil sowohl paradentale Weich¬ 
teile als auch der Knochen gleichmäßig geschwunden sind. Es resultiert 
daraus ein Zustand, dem das gleich günstige topographische Verhältnis von 
Zahnfleisch und Knochen eigen ist wie in der Norm <siehe Fig. 1 und 2 
auf Tafel 49>, nur mit dem Unterschiede, daß der Epithelansatz anstatt an 
der Schmelzzementgrenze direkt am Zement erfolgt. In dieser totalen para¬ 
dentalen Atrophie zeichnet uns die Natur den idealen, das Dasein des 
Zahnes am besten gewährleistenden Zustand vor, den wiederherzustellen 
das Ziel unserer Therapie bei ausgebildeter Alveolarpyorrhoe sein muß. 

Die totale Atrophie tritt im Gegensatz zu der gleich zu behandelnden 
partiellen Form meist zirkulär auf, sie ergreift dann auch besonders bei der 
senilen Form den ganzen Alveolarfortsatz, zeigt also universellen Charakter. 
Sie ist aber ebenso häufig uni-, bi- oder trilateräl ausgebildet, ein Zustand, 
der besonders den partiellen Formen eigen ist, d. h. wir finden an drei, zwei 
oder einer Seite einen mehr oder weniger normalen Zahnfleisch- und Knochen¬ 
ansatz, während im übrigen der Zahnhals bloßliegt. 

II. Atrophia paradentii marginalis partialis 

Sie ist charakterisiert durch einen ungleichmäßigen Schwund von paraden¬ 
talen Weich teilen einerseits und Knochen andererseits, so daß das bei der 


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Röntgenologisch-anatomische Studien aus dem Gebiete der Kieferpathologie 13 


totalen Atrophie gewahrte normale topographische Verhältnis beider Ge- 
websbestandteile grundlegend verschoben wird. Es lassen sich drei Untere 
formen abgrenzen: 

1. Horizontalatrophie des Knochens ohne Taschenvertiefung 
Bei dieser Form <Fig. 4, Tafel 49> ist der Knochen atrophisch, die Weiche 
teile, d. h. Zahnfleisch und Periodontium dagegen in ihrer normalen Höhe 
erhalten, der Epithelansatz hat aber keine oder nur geringe Vertikalver- 
Schiebung erfahren. Vor allem fehlt die Zahnfleischtasche, wie die in Fig. 3, 
Tafel 2 bei a abgebildete Guttaperchasonde am linken oberen Incisivus des 
Falles R. beweist Diese Form kommt selten vor — ich habe unter meinen 
Kiefern keinen derartigen Fall. Wir finden einen solchen in Fig. 13 und 
14 der Gottliebschen Arbeit <G. II> abgebildet. 

2a> Horizontalatrophie des Knochens mit Taschenvertiefung 
Bei dieser Form ist der Knochen im Sinne der Horizontalatrophie ge- 
schwunden, das Periodontium aufgelöst, während der Zahnfleischsaum auf 
normaler Höhe sich hält,- der Epithelansatz ist in die Tiefe gerückt: daraus 
resultiert eine erhebliche Taschenvertiefung. Es ist das der gewöhnliche 
Symptomkomplex, wie er bei der supraalveolären Form der Pyorrhoe sich 
findet. Es braucht aber keinesfalls Eiterfluß vorhanden zu sein. Der innere 
Zustand der Tasche bestimmt das klinische Symptom der Eiterung. Ent- 
wickelt sich auf ihr — zunächst gleichgültig wodurch — eine Gingivitis 
ulcerosa interna, so wird bei dem Umfange der entzündeten Fläche die 
Leukozytenausscheidung so groß sein, daß die Diagnose „Pyorrhoe" selbst¬ 
verständlich ist. Im anderen Falle, wie z. B. beim Kiefer 102 <Fig. 4 und 5, 
Tafel 13>, wo die Tascheninnenfläche keine Gingivitis höheren Grades zeigt, 
fehlt naturgemäß der Eiter. Wir haben also zwei weitere Untergruppen zu 
unterscheiden, a) die pyorrhoische und ß) die nicht-pyorrhoische Form. 

2b> Vertikalatrophie des Knochens mit Taschenvertiefung 
Diese Unterart der partiellen Atrophia paradentii marginalis ist gekennzeich¬ 
net durch vertikalen Schwund des Knochens und Auflösung des Periodontiums. 
Der Zahnfleischsaum dagegen ist erhalten. Der Epithelansatz ist dabei 
unter das Knochenniveau gerückt. Daraus ergibt sich die Knochen- 
Zahnfleischnische. Wir haben somit das morphologische Äquivalent der 
intraalveolären Pyorrhoe vor uns. Doch auch hier gilt das für 2a Gesagte: 
Es braucht trotz Vorhandenseins dieses anatomischen Syndroms keine Eite¬ 
rung zu bestehen. Durch sekundäre zirkuläre Ausbreitung des Prozesses 
von einer solchen Nische aus kann es zur Bildung umfangreicher kaver¬ 
nöser Buchten kommen, die dann von kritikloser Seite im Röntgenbilde als 
„marginale Zysten" angesprochen werden. <S. Kiefer 35, Tafel 35 und 36.) 

Es läßt sich auf Grund der eben besprochenen Merkmale ein kurzes über¬ 
sichtliches Schema der marginalen Paradentosen aufstellen: 

I. Atrophia paradentii marginalis totalis <senile oder juvenile Alveo¬ 
laratrophie), 


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14 Dr. med. Oskar Weski 

II. Atrophia paradentii marginalis partialis, 

1. ohne Taschen Vertiefung mit Horizontalatrophie des Knochens, 

2. mit Taschen Vertiefung: 

a> supraalveoläre Tasche bei Horizontalatrophie, 

a> mit Gingivitis ulcerosa interna — pyorrhoische Form, 
ti > ohne Gingivitis ulcerosa interna — nicht* pyorrhoische 
Form, 

b> intraalveoläre Tasche bei Vertikalatrophie, 

oO mit Gingivitis ulcerosa interna — pyorrhoische Form, 

//> ohne Gingivitis ulcerosa interna — nicht*pyorrhoische Form. 

Es ist demnach: 

II 2 a <x die Pyorrhoea supraalveolaris, 

II 2 b (x die Pyorrhoea intraalveolaris. 

III. DAS PARADENTIUM 

Wenn ich dem Wort „Paradentium" im zahnärztlichen Sprachschatz Hei* 
matrecht zu erwirken versuche, so erinnere ich daran, daß neu an ihm nur 
die substantive Form ist/ das zugehörige Adjektivum „paradental" ist ja in 
der wissenschaftlichen Zahnheilkunde schon eingeführt/ nur in die Alltags* 
spräche des Praktikers hat das Wort noch keinen rechten Eingang gefunden. 
Ich bewege mich also in geläufigen Vorstellungen, wenn ich, den umgekehrten 
Weg sonst üblicher sprachlicher Methodik wählend, vom Adjektiv aus das 
Substantiv — paradental = Paradentium — ableite. 

v. Wunschheim, der nach Greve das Wort „paradental" als erster 
geprägt hat, will unter dem Ausdruck „paradentale Entzündungen" alle jene 
Fälle von eitriger akuter Entzündung des Periodontiums und seiner Um* 
gebung verstanden wissen, die ihren Ausgang nicht vom Apex, sondern von 
den nicht bloß bei Alveolarpyorrhoe so häufig anzutreffenden Taschenbil* 
düngen, also nicht vom Knocheninnern, sondern von außen nehmen". <Gr. II, 
S. 84>. Greve findet „diese Erklärung viel zu kurz gefaßt",* er erkennt 
aber darin als Wesentliches die Betonung dessen an, „daß es sich um krank* 
hafte Prozesse neben dem Zahne oder in dessen allernächster Umgebung 
handelt, wobei zunächst nicht entschieden wird, ob es sich um Erkrankungen 
des Zahnfleisches oder der Wurzelhaut oder des Alveolarfortsatzes han* 
delt" <1. c.>. Einige Zeilen weiter sagt er: „Der Wunschheimschen Be* 
griffserklärung der paradentalen Erkrankungen entsprechend, sollen hier alle 
diejenigen Entzündungen ausgeschlossen werden, die von der * Wurzelspitze 
bzw. der putriden Pulpa aus sich ausbreiten — hier kommen nur solche in 
Betracht, die sich vom Alveolarrande aus entwickeln." 

Aus der Zusammenstellung der Wunschheimschen und Greveschen 
Interpretation des Begriffes „paradental" ergibt sich, daß er nicht auf apikale 
Prozesse Anwendung finden soll, daß er eigentlich identisch ist mit „mar* 
ginal" und neben dieser ätiologischen Komponente auch noch das nachbar* 
liehe Verhältnis von Zahnkörper und Umgebung in sich enthält. 


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Röntgenologisch-anatomisdie Studien aus dem Gebiete der Kieferpathologie 15 


In diesem Sinne stellt Greve als Formen „paradentaler Erkrankungen" 
die akute und chronische Periodontitis marginalis, den Abscessus paraden« 
talis und die Periodontitis unilateralis neben die Alveolarpyorrhoe. 

Wenn ich in meinem Vortrag 1914 die Alveolarpyorrhoe als „paraden« 
tale Erkrankung" bezeichnete <1. c. S. 565): „ . . . daß es sich — patholo« 
gisch«anatomisch betrachtet — bei den marginalen Erkrankungen des AU 
veolarfortsatzes nicht um spezifische Knochenprozesse handelt,- sie nehmen 
nur in ätiologischer Beziehung als „paradentale Erkrankungen" eine Son« 
derstellung ein/ als solche sind sie an die Anwesenheit des Zahnkörpers ge« 
bunden, insofern, als die Funktion des Zahnes selbst ein ätiologischer 
Faktor für das Zustandekommen der erwähnten Prozesse ist" —, 
so habe ich durch die Betonung des funktionellen Momentes diesem Begriff eine 
Erweiterung gegeben, die unausgesprochen wohl auch von Greve in ihn hin« 
eingelegt ist. Ich möchte durch das Wort „Paradentium" das Verhältnis rein 
nachbarlicher Beziehungen zwischen Zahn und Umgebung, das bisher hauptsäch« 
lieh in ihm lag, auf die höhere Stufe gegenseitiger Wechselwirkungen heben und 
dadurch, wie noch weiter zu zeigen sein wird, die nicht nur örtlich, sondern auch 
funktionell zusammengehörigen Gewebskomplexe — Zahnfleisch, Periodon« 
tium, Alveolarfortsatz — als eine physiologische Einheit charakterisieren. 

Bestimmend sind dabei für mich in erster Linie physiologische Vorstei« 
Jungen gewesen, die neben dem mikroskopischen Studium meines Kiefer« 
materials gewisse röntgenologische Beobachtungen in mir entstehen ließen. 
Verfolgen wir im Röntgenbilde die nach normaler und rite ausgeführter 
Extraktion eines Zahnes einsetzende Resorption des Alveolarfortsatzes, so 
sehen wir, daß sie sich auf eine schmale Knochenpartie in nächster Umgebung 
des Zahnes beschränkt: die Alveole flacht sich ab und erweitert sich um 
1—2 mm/ dann setzt reorganisierende Knochenneubildung ein. Eine strenge 
anatomische Grenze, bis zu welcher die Resorption vorschreitet, läßt sich 
jedoch nicht ziehen,- nur labial bzw. buccal insofern, als hier die dünne AL 
veolenwand gänzlich der Resorption verfällt. Wir können aber wohl sagen, 
daß der der direkten funktionellen Beanspruchung durch den Zahn unter« 
stehende Teil des Alveolarfortsatzes, den wir später als die Umbauzone 
kennen lernen werden, atrophisch wird. Diesen Bereich möchte ich als das 
„Paradentium" bezeichnen oder anders ausgedrückt: das Paradentium 
stellt die direkte Angriffsfläche der vom Zahn ausgehenden me« 
chanischen Funktionsreize dar. Daß dieselben über das Periodontium, 
die Alveolencorticalis, den retroalveolären Spongiosaraum hinaus sich bis zum 
— muskulär orientierten — Corpus maxillae erstrecken, ist wohl anzunehmen. 
Aber unmittelbar aufgefangen wird der Reiz von den paradentalen Geweben — 
Zahnfleisch, Periodontium, Alveolarfortsatz. Wir werden eine Reihe anatomi« 
scher Brücken zwischen diesen Gewebsabschnitten kennenlernen, so daß sich 
daraus die Vorstellung des Paradentiums als einer „physiologischen Einheit" 
im Gegensatz zum Zahnkörper zwanglos ergibt. 

Auch durch andere pathologische Vorgänge bringt sich das Paradentium 
zur Darstellung. Das, was wir bei der zirkulären Vertikalatrophie des 


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Dr. med. Oskar Weski 


Falles Q. <Figur 6 und 7, Tafel 2> im Röntgenbilde von Knochensubstanz 
und gleichzeitig — durch die Guttaperchasondierung nachgewiesen — an 
Weichteilen eingeschmolzen sehen, entspricht dem Paradentium. Ferner do* 
kumentiert im Falle Dr. Levy II <Fig. 8, Tafel 2> der nicht völlig einge* 
schmolzene Knochenkamm im verbreiteten Interdentalraum zwischen IVund VI 
die Grenzscheide der beiden benachbarten, dem Resorptionsprozeß anheim* 
gefallenen Paradentien. 

Diese röntgenologischen Beobachtungen erfahren nun eine wesentliche Stütze 
durch Tatsachen aus der Entwicklungsgeschichte, auf die mich Herr Sanitätsrat 
Dr. Landsberger*Berlin freundlichst aufmerksam machte. Hierfür und be* 
sonders dafür, auf von ihm noch nicht veröffentlichte Untersuchungsergebnisse 
mich beziehen zu dürfen, sage ich ihm meinen besten Dank. 

Wir wissen, daß schon in den ersten Stadien der Zahnentwicklung sich 
um den Zahnkeim das fötale Mesenchymgewebe zum Zahnsäckchen differen* 
ziert. Die frühzeitige Anlage dieses Gewebsabschnittes, der, wie seine weitere 
Entwicklung zeigt, Dauerwert erhält, berechtigt uns auf seine spätere funk* 
tionelle Bedeutung zu schließen. Nach Stöhr entwickelt sich der innere 
lockere Anteil desselben in den späteren Entwicklungsstadien zum Perio* 
dontium, der äußere, derber gefügte zum knöchernen Alveolarfortsatz. 

Es entsteht also, angeregt durch die Existenz des Zahnkeims, auf Grund 
der gleichen inneren Erbanlage der Alveolarfortsatz wie der Basalteil 
des Kiefers. Von einem funktionellen Reiz, der vom Zahnkeim aus* 
gehend das Zahnsäckchen entstehen läßt, kann hier nicht gesprochen werden. 
Nach Landsberger regt die dem Basalteil des Kiefers zunächst locker auf* 
gelegte knöcherne Alveole <s. Fig. 2, Tafel 4> durch ihre Weiterentwicklung 
den Basalteil in der Umgebung des Keimes zur Knochenneubildung an,- so 
kommt es dann zur Konsolidierung beider Bestandteile, des Zahnsäckchens 
und des basalen Kieferteiles von derartiger Innigkeit, daß eine anatomische 
Grenzlinie zwischen ihnen am fertigen Kiefer nicht zu ziehen ist. Nach dem* 
selben Autor erfolgt das Emporrücken des Zahnes in die Artikulationsreihe 
stets im engsten Zusammenhänge mit seinem Alveolarfortsatz. Dieser Ex* 
kurs in die Entwicklungsgeschichte hat uns die Möglichkeit gegeben, gedank* 
lieh auch am fertigen Kiefer das Zahnsäckchen bzw. das aus ihm her* 
vorgegangene Paradentium aus dem Gesamtkiefer herauszuschälen und 
es im Sinne der Landsbergerschen Auffassung mit dem Zahnkeim als 
„organische Einheit" uns vorzüstellen. 

Das Schicksal des Zahnsäckchens ist, wie seine weitere Entwicklung lehrt, 
aufs innigste mit dem des Zahnkeims verknüpft,* wie dieser nach vollendeter 
Entwicklung kein „temporäres Gebilde" ist — wie es Gottlieb annimmt — 
so ist das aus dem Zahnsäckchen hervorgegangene Paradentium niemals einer 
physiologischen Atrophie verfallen. Es ist mit seinem Zahn jung und 
wird alt mit ihm und weicht nur höherer Gewalt. Es macht dank der den 
parablastischen Geweben eignen Metaplasiefähigkeit und geweblichen An* 
passung auch die Ortsverschiebungen des Zahnes während dessen Lebens 
mit. Den Beweis hierfür liefern die Epithelreste. Denn ob es der unter 


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Rontgenologisdi-anatomisdie Studien aus dem Gebiete der Kieferpathologie 17 


dem Druck des nachrückenden Sechsjahr-Molaren nach mesial gedrängte 
zweite Milchmolar des Kiefers 85 oder der in nachweisbarer Bewegung be- 
findliche retinierte Caninus des Kiefers 33 ist, stets begegnen wir bis zum 
Limbus alveolaris hinauf im Periodontalraum den Epithelresten. Das gleiche 
ist der Fall bei den dauernden funktionellen Verschiebungen der Zähne, die 
sie während des Lebens ihres Trägers in radialer wie mesio^distaler Rich¬ 
tung erfahren. Das ist aber nur möglich, wenn das Paradentium mit dem 
Zahn die Ortsverschiebungen mitmacht. Diese Tatsache ist der schlagendste 
Beweis für die Richtigkeit der oben zitierten Landsbergerschen Auffassung, 
daß nämlich der Zahn aus seinem Zahnsäckchen nicht heraus kann, daß beide 
eine organische Einheit darstellen. 

Aus den beigebrachten röntgenologischen Beobachtungen und entwicklungs¬ 
geschichtlichen Tatsachen ersehen wir einmal, daß Zahnfleisch, Periodontium, 
Alveolarfortsatz nicht nur topographisch benachbarte Gewebsabschnitte sind, 
sondern eine physiologische Einheit im Sinne eines Organes darstellen,• ferner 
daß wie im folgenden noch weiter zu zeigen sein wird — dieses Organ, das 
Paradentium, in engster funktioneller Beziehung zum Zahnkörper steht. Daraus 
erhellt, daß in der Tat dem Begriff „Paradentium" ein weiter zu fassender Inhalt 
innewohnt, als ihn v. Wunschheim für das Adjektivum „paradental" an¬ 
nahm, und daß die Grevesche Begriffsfassung, wofern wir in ihr das funktio¬ 
nelle Moment stärker betonen, die richtige ist. Dadurch entfällt — theoretisch 
wenigstens — dievonGreve noch für notwendig erachtete Einschränkung des 
Begriffes „paradental" nach der ätiologischen Seite. Denn das Paradentium um¬ 
faßt den ganzen Reizbereich des Zahnes, auch seine apikale Region. Da aber 
die krankhaften Vorgänge des apikalen Paradentiums pulpogenen, endoden- 
talen Ursprungs ihrem pathologischen Charakter nach von den „ektodentalen" 
des marginalen Paradentiums scharf zu trennen und in ihrer klinischen Nomen¬ 
klatur Allgemeingut der Zahnärzte sind, so wird für die Praxis auch noch 
weiterhin die Bezeichnung „paradentale Erkrankungen" für die „marginalen" 

ektodentalen — Prozesse reserviert bleiben. 

Es mag manchem gewagt erscheinen, ohne gleichzeitige Darbietung eines 
morphologisch scharf umrissenen Äquivalents, ein sowohl in den anatomischen 
wie physiologischen Betrachtungsbereich einzufügendes „Organ" zu schalfen. 
Ich habe aber den Versuch gemacht, weil, wie ich bereits im vorigen Kapitel 
erwähnte und im folgenden nachweisen zu können glaube, durch die gedank¬ 
liche Abtrennung des Paradentiums die uns hier interessierenden patholo¬ 
gischen und klinischen Vorgänge eine klarere Formulierung erfahren, als es 
bisher möglich war. 

IV. ANATOMISCHE UND PHYSIOLOGISCHE BEITRÄGE 
ZUR KENNTNIS DES PARADENTIUMS 

Bevor ich zur einheitlichen Zusammenfassung der pathologischen Vorgänge 
im Bereich des Paradentiums schreite, muß ich, wo es mir nötig scheint, zuvor 
für jeden seiner Abschnitte eine feste Grundlage normal-anatomischer und 

Vierteljahrsschrift für Zahnheilkunde, Heft 1 2 


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18 


Dr. med. Oskar Weski 


daraus abzuleitender physiologischer Vorstellungen schaffen. Einmal durch 
Wiedergabe neuer Beobachtungen, dann aber auch durch Betrachtung schon 
bekannter Gewebsstrukturen von einem aus dem Rahmen der vorliegenden 
Krankheitsprozesse sich ergebenden Standpunkte aus. 

Die Unmöglichkeit, das Paradentium vom fertigen Alveolarfortsatz allseitig 
abzugrenzen, habe ich vorher ausdrücklich betont. Wir müssen uns mit einigen 
Hinweisen begnügen: Seine innere Grenze fällt mit der Dentin-Zementgrenze 
zusammen. Das Zement als paradentaler Bestandteil stellt demnach die Ver- 
bindung zwischen dem Zahnkörper und dem sonstigen Paradentium her. Nach 
labial bzw. buccal sehen wir seine Grenze scharf gezogen: sie fällt zusammen 
mit der Alveolenwand,- nach den anderen Seiten fehlt aber jede scharfe Cäsur. 
Nach palatinal stößt das Paradentium an den retroalveolären Spongiosaraum, 
nach mesial und distal an die benachbarten Paradentien, indem sie zum gemein¬ 
samen Interdentalseptum verschmelzen, und nach lingual geht es ohne scharfe 
Scheide über in den muskulär orientierten Basilarteil des Kiefers. Am Al¬ 
veolarfortsatz können wir demnach einen dem Basilarteil des Kiefers zu¬ 
gehörigen Abschnitt, das Paradentium mit seinem Zahn und die, beide Teile 
verbindende, Knochensubstanz unterscheiden. 

Das Paradentium wiederum läßt sich vom topographisch-anatomischen 
Standpunkte aus in folgende Abschnitte gliedern: 

A. Regio marginalis paradentii/ 

1. Pars supraalveolaris, 

2. Pars alveolaris. 

B. Regio intermedia paradentii/ 

C. Regio apicalis paradentii; 

wobei je ein Drittel der Alveole der marginalen <A 2 >, intermediären <B> und 
apikalen Region <C> zuzurechnen ist. Für die systematische Besprechung der 
speziellen Anatomie des Paradentiums scheint es mir praktischer, die topo¬ 
graphischen .Gesichtspunkte außer acht zu lassen und die einzelnen Gewebs- 
abschnitte entsprechend ihrer funktionellen Stellung im paradentalen Verbände 
in folgender Gliederung gesondert zu betrachten: L Der bindegewebige 
Halteapparat des Zahnes. 2. Der Zahnfleischsaum. 3. Der Periondontal- 
raum. 4. Die Alveolencorticalis und das Knochenmark. 5. Das Zement. 
6. Das paradentale Ly mph- und Blutgefäßsystem. 

1. Der bindegewebige Halteapparat des Zahnes 

Er ist bisher von den Autoren als Ligamentum circulare und Periodontium 
getrennt beschrieben worden. Ich habe bereits 1914 auf Grund der überzeugenden 
Beweise, wie sie mir die Kiefer 52,102,105,117 — um nur die prägnantesten 
zu nennen — erbrachten, die Existenzberechtigung des Ligamentum circulare in 
seiner bisherigen Fassung bestritten. Fleischmann und Gottlieb <FI. u. G.I> 
kommen zum gleichen Resultat. Ein Ligamentum ist ein konstantes Gebilde. 
Entferne ich z. B. das Ligamentum rotundum beiderseits aus dem weiblichen 
Becken, so beraube ich den Uterus eines ihm zugehörigen, nicht ersetzbaren Ge¬ 
bildes. Ein solches stellt das Ligamentum circulare nicht dar,* sondern es ist 


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Röntgenologisdi^anatomisdie Studien aus dem Gebiete der Kieferpathologie 19 


die jeweilig auf jeder Querschnittshöhe des Zahnes nach Verlust 
der bisherigen neu sich bildende Zahnfleisch-Periost-Faserlage, 
die am Zahnzement inseriert. Deshalb ist es angebracht, dieses Ligamentum aus 
dem zahnärztlichen Sprachgebrauch zu streichen, besonders deshalb, weil sich 
hinter ihm allerlei Unklarheiten über die am marginalen Paradentium sich ab- 
spielenden Vorgänge verstecken. Hauptsächlich wird es als „fester Verschluß 
gegen das Eindringen von äußeren Schädigungen" angesprochen — eine Funk¬ 
tion, die ihm nicht zukommen kann, wie weiter unten gezeigt werden wird. 

Ich möchte den bisher als Ligamentum circulare bezeichneten Abschnitt 
nur als einen Teil des gesamten fibrösen Halteapparates ansprechen. An 
diesem unterscheide ich folgende Teile: 

A. Pars supraalveolaris: 

1. Stratum fibrosum mucosae,- 

2. Stratum fibrosum gingivale,- 
a> longitudinale, 

b> circulare. 

3. Stratum fibrosum periostale,- 
a> labiale — buccale, 

b> palatinale — linguale. 
c> interdentale. 

B. Pars intraalveolaris sive periodontalis. 

1. Stratum marginale, 

2. Stratum intermedium, 

3. Stratum apicale. 

Die einzelnen aus kollagenem Bindegewebe bestehenden Fasern — Fibrae — 
sind zu Faserbündeln — Fascicula — zusammengefaßt. Diese zeigen, welches 
Stratum wir auch betrachten mögen, überall dasselbe Verhalten zum Zahn¬ 
körper: Sie sind radiär angeordnet, dabei lassen sich deutlich in der Hori¬ 
zontalebene zwei Faserzüge unterscheiden: senkrecht zur Tangente des Zahn¬ 
umfanges orientierte, die in der Minderzahl sind, und unter einem Winkel 
in den Zahn einstrahlende Fasern/ teils treten letztere isoliert in das Zahn¬ 
zement <Fig. 3, Tafel 14>, zumeist sind sie mit den senkrecht orientierten zu 
einem Flechtwerk sich kreuzender Fasern verwoben. Daher sehen wir in 
Längsschnitten die Fasern häufig plötzlich unterbrochen — ihr weiterer 
Verlauf liegt dann in einer anderen Schnittebene. Ihr charakteristisches 
Gefüge zeigen sie uns nur an Horizontalschnitten. Sie lassen sich besonders 
schön an v. Gieson-Präparaten bis in das Zement verfolgen, ebenso im 
alveolären Abschnitt — als Sharpeysche Fasern — im Knochen. Aus dieser 
Anordnung der Fasern können wir einen Rückschluß auf ihre funktionelle 
Beanspruchung ziehen. Die senkrecht in das Zahnzement einstrahlenden Fa¬ 
sern haben einer radialen bzw. mesio-distalen Erschütterung das Gegenge¬ 
wicht zu halten. Die starke Betonung der schräg gegen den Zahn verlaufen¬ 
den Faserrichtung beweist, daß sie sich unter dem Einfluß einer den Zahn¬ 
körper drehenden Kraftkomponente als Antagonisten gebildet haben. 

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Dr. med. Oskar Weski 


Die Fasern des Stratum fibrosum mucosae finden ihren Weg nicht allein 
zum Zahn/ sie werden stets vom Stratum gingivale aufgenommen. Dessen 
charakteristische Anordnung und Trennung in eine longitudinale und cirkuläre 
Lage läßt besonders deutlich Fig. 1, Tafel 20 erkennen. Die longidutinalen 
Bündel strahlen fächerartig in einen gemeinsamen Stiel zusammen, nach- 
dem sie aus dem Stratum mucosae dessen aus den Papillen stammende 
Faserzüge aufgenommen haben,- nach außen werden sie von den Fasern 
des Stratum circulare umfaßt <Fig. 1, Tafel 20>. Diese bilden in der Inter- 
dentallücke oberhalb des Stratum periostale den zentralen Kern der Zahn- 
fleischpapille. 

Das Stratum periostale ist labial-buccal zumeist dünn, stärker palatinal- 
lingual und besonders mächtig interdental entwickelt. Seine Fasern münden 
in das Zement unterhalb des Stratum gingivale longitudinale. Oft kommt 
es zu einer scharfen Differenzierung beider Lagen <Fig. 1, Tafel 42>,- zu¬ 
meist ist jedoch diese räumliche Trennung nicht vorhanden, sondern beide 
Faserbereiche verflechten sich zu einer einheitlichen Platte. Diese oberhalb 
des Limbus zum Zahn ziehende Faserplatte ist das Lig. circulare der Autoren. 
Die Insertionsstelle am Zahnkörper ist verjüngt, auch dann, wenn die mittlere 
Partie, wie z. B. beim Stratum periostale interdentale, durch eingewebte, sich 
vielfach kreuzende Cirkulärfasern ähnlich dem Bauche eines kontrahierten 
Muskels stark verbreitert ist. In den tieferen Schichten des Stratum peri¬ 
ostale, in unmittelbarer Nähe des Knochens, läßt sich ein verschiedenes Ver¬ 
halten beobachten. An einzelnen Stellen schmiegen sich dem Knochen dicht 
gefügte Fasern fest an, während oberhalb anderer Knochenbalken lockere 
Struktur der Faserzüge und größerer Zellreichtum auffällt. An diesen Stellen 
steht das Periost im Begriff, seine osteoblastische Funktion auszuüben,- wir 
bezeichnen es dann als Cambiumschicht des Knochens. 

An die tiefsten periostalen Fasern schließen sich in unmittelbarer Umgebung 
des Zahnes auf der Höhe des Limbus die oberflächlichsten intraalveolären 
Faserzüge d. h. die des Periodontiums an. Irrtümlicherweise werden diese von 
einzelnen Autoren als Ligamentum circulare bezeichnet. Die marginalen Perio- 
dontium-Fasern strahlen horizontal, die der intermediären Zone schräg von oben, 
die apikalen vertikal von unten gegen den Zahn <s. Fig. 1 u. 2, Tafel 49>. Diese 
charakteristische Anordnung läßt das intraalveoläre Fasergerüst mehr oder 
weniger deutlich auch dort erkennen, wo durch atrophische Vorgänge bereits 
ein erheblicher Teil des marginalen Paradentiums eingeschmolzen ist. Ein 
Beweis dafür, daß die den Zahn treffende Belastung sich in den verschiedenen 
Querschnittshöhen in stets gleichbleibender Weise auswirkt und das dort vor¬ 
handene Fasermaterial zur Einstellung in die jeweilig antagonistische Zug¬ 
richtung zwingt. Das Stratum periostale und die marginale Schicht des Perio¬ 
dontiums verraten durch ihre horizontale Richtung, daß sie dem Ausgleich seit¬ 
licher Erschütterungen dienen, während die schräg von oben erfolgende Ein¬ 
strahlung der longidutinalen Zahnfleisch- und intermedären Periodontalfasern 
die senkrecht den Zahn treffenden Kaudruckkomponenten aufzufangen hat. 
Die apikalen, von unten her zum Zahn ziehenden Periodontalfasern wiederum 


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Röntgenologisch-anatomische Studien aus dem Gebiete der Kieferpathologie 21 


haben ein zu starkes Emporfedern des Zahnes nach Aufhören des Kau- 
druckes zu verhindern. 

Man entnimmt dieser Darstellung, daß das Ligamentum circulare als ein 
besonderes Gebilde abzugrenzen sich erübrigt. Durch die Zusammenfassung 
des ganzen paradentalen Bindegewebsbereiches unter dem Gesichtswinkel 
seiner Haltefunktion hebt sich die einheitliche physiologische Bedeutung dieses 
Bestandteiles des Paradentiums viel besser hervor, als wenn die einzelnen 
Abschnitte im Sinne der bisherigen Nomenklatur zerlegt werden. 

<Die andern Abschnitte des IV. Kapitels und die folgenden Kapitel des fortlaufenden 
Textes folgen in einem der nächsten Hefte.) 

B. 

ERKLÄRUNG DER TAFELBILDER 

TAFEL 1 

Fig. 1. Skelettierter Unterkiefer I. a Corticalis cribrosa. b die in Fig. 6 derselben 
Tafel röntgenologisch dargestellte Vertikalatrophie mesial zu VIII. 

Fig. 2. Skelettierter Unterkiefer II. a partielle Vertikalatrophie des Septum interdentale, 
buccal in Horizontalatrophie übergehend. 

Fig. 3. Röntgenbild der linken Molaren des in Fig. 1 abgebildeten Unterkiefers/ Hori¬ 
zontalatrophie der Interdentalsepten / distal zu VII die leere Alveole von VIII. 

Fig. 4. Vergrößertes Photogramm der im Röntgenbilde <Fig. 3> wiedergegebenen 
Molaren nach Entfernung von VII, disto-mesiale Blickrichtung, a die im Röntgenbilde 
angedeutete leere Alveole von VIII zeigt in ihrer mesialen Wand längliche tiefe Risse und 
vergrößerte rundliche Gefäßlöcher (Corticalis cribrosa). b die mesiale Wand von VII 
weist nur im marginalen Abschnitt geringe Zerklüftung auf, sonst bis auf die vergrößerten 
Gefäßlöcher kompakten Charakter. 

Fig. 5. Vergrößertes Photogramm desselben Kieferabschnittes in bucco-lingualer Blick¬ 
richtung. öi a 2 die beiden getrennten Wurzelalveolen von VIII zeigen ein zerklüftetes Aus¬ 
sehen bis in den Fundus hinein (Corticalis cribrosa) — übrigens das gleiche Verhalten 
auch an den andern in den Photogrammen nicht dargestellten Wänden. b 1 b 2 die beiden 
getrennten Wurzelalveolen von VII/ die Alveolencorticalis ist kompakt. 

Fig. 6. Röntgenbild der rechten Molaren des in Fig. 1 abgebildeten Unterkiefers,- be¬ 
ginnende Vertikalatrophie — entsprechend b, Fig. 1 — mesial zu VIII. (Die mesiale Nei¬ 
gung dieses Molaren und das verbreiterte Interdentalseptum sprechen dafür, daß VII hier fehlt.) 

Fig. 7. Vergrößertes Photogramm der im Röntgenbild (Fig. 6) wiedergegebenen 
Molaren nach Entfernung von VIII, linguo-buccale Blickrichtung. In beiden Alveolen 
fällt nach mesial und buccal marginale Zerklüftung (Corticalis cribrosa) auf, die aber nicht 
tief in die Alveole hineinreicht, a Trigonum retromolare. 

Fig. 8. Vergrößertes Photogramm desselben Kieferabschnittes in bucco-lingualer Blick¬ 
richtung. An der lingualen Seite der Alveolen findet sich Corticalis compacta von ver¬ 
einzelten Gefäßlöchern durchbohrt. 

Fig. 9. Fall X. Beginnende Vertikalatrophie mesial zum Molaren (vgl. a in Fig. 2), 
buccal und distal Horizontalatrophie. 

Fig. 10. Fall y. Horizontalatrophie an sämtlichen Zähnen,- mesial zum Molaren Ver¬ 
tikalatrophie stärkeren Grades bis zur Wurzelspitze reichend. 

TAFEL 2 

Fig. 1, 2, 3, 4 entstammen demselben Patienten (Fall R, typische Alveolarpyorrhoe). 

Fig. 1. Photogramm eines Gipsabdruckes des rechten Unterkiefers nach Extraktion des 
sehr stark gelockerten, nicht mehr zu erhaltenden letzten Molaren. Er ist im Röntgenbilde 


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22 Dr. med. Oskar Weski 

(Fig. 2), das vor der Extraktion gemacht wurde, noch sichtbar, a Ansatz des Zahn¬ 
fleisches an VII. 

Fig. 2. Röntgenbild der Molarengegend/ die Alveole um VIII kraterartig erweitert, als 
Ausdruck cirkulärer Vertikalatrophie/ mesial zu VII Vertikalatrophie/ gemessene Taschentiefe 
8 mm,- das orale Ende der Guttaperchasonde, mit dem Zahnfleischansatz abschneidend, 
gibt denselben im Röntgenbilde wieder, ohne daß sein Schatten zur Darstellung gelangt 
ist. Die Spitze der Guttaperchasonde reicht tief unter das Knochenniveau und verrät 
dadurch eine entsprechende Taschentiefe. 

Fig. 3. Röntgenbild der oberen Frontzähne. Horizontalatrophie/ mesial zum rechten 
oberen I eiternde Tasche von 5 mm Tiefe/ mesial zum linken I besteht dagegen keine 
Taschen Vertiefung, trotzdem auch hier der Knochen horizontal geschwunden ist. a Gutta¬ 
perchasonde von 1 mm Länge. 

Fig. 4. Röntgenbild der unteren Frontzähne. Horizontalatrophie besonders stark beider¬ 
seits des rechten I, mesial dazu eiternde Tasche von 6 mm Tiefe. 

Fig. 5. Fall I. Dr. Levy. Klinisch Alveolarpyorrhoe,• Vertikalatrophie beiderseits von 
IV/ lingual und buccal Horizontalatrophie/ die dickere Sonde, in die linguale Tasche ein¬ 
geführt, stößt in 6 mm Tiefe auf den Taschengrund und biegt sich um,- die dünne Sonde 
gibt die Tiefe der buccalen Tasche mit 4 mm an. • 

Fig. 6. Fall Q.. Cirkuläre Vertikalatrophie um V. Es besteht keine Eiterung (klinisch 
von Zahnärztin Dr. Sen st-Potsdam beobachtet). 

Fig. 7. Derselbe Fall. Mesiale und distale Guttaperchasondierung. 

Fig. 8. Fall II. Dr. Levy. Starke Vertikalatrophie, so daß vom verbreiterten Inter¬ 
dentalseptum zwischen VI und IV ein Kamm zwischen den beiden atrophierten Paradentien 
stehen bleibt. 

Fig. 9. Fall Z. Interradikuläre Ostitis, die sekundär zur kavernösen Resorption der 
Spongiosa und der palatinalen Knochencompacta geführt hat. (Durch Operation — Zahn¬ 
arzt Löpert — verifiziert.) Von buccal ist zwischen die beiden Molarenwurzeln die Gutta¬ 
perchasonde 7 mm tief hinaufgeführt. (Vgl. Kiefer 7, Tafel 26, 27, 28.) 

TAFEL 3 

Fig. 1, 2, 3, 4 entstammen dem sogenannten Tulua-Schädel der Sammlung des Berliner 
anatomischen Institutes,* ich danke an dieser Stelle Herrn Geh. Rat Fick für die Erlaubnis, 
denselben abbilden zu dürfen und dem Assistenten des Instituts Dr. Mair für die freund- 
lichst besorgte Bestimmung des Schädels als einem Australneger gehörig. 

Fig. 1. Photogramm der seitlichen Zähne. Besonders starke Horizontalatrophie. 

Fig. 2. Röntgenbild der oberen Prämolarengegend/ es fehlt am verbreiterten Limbus 
der lineare dichte Randschatten. 

Fig. 3. Photogramm der Frontzähne. Horizontalatrophie/ exostosenartige Auftreibungen 
am labialen Limbus als Ausdruck einer Periostitis ossificans. 

Fig. 4. Röntgenbild der oberen Frontzähne. 

Fig. 5. Photogramm eines in Entkalkungsflüssigkeit liegenden Oberkiefers,* distal zum 
Eckzahn und beiderseits des Prämolaren ist das „Schmelzoberhäutchen' 7 flottierend sichtbar. 

TAFEL 4 

Fig. 1. Zahnfleischsaum durch Ausmeißelung eines oberen Eckzahnes samt marginalen 
Weich teilen gewonnen. Das Präparat entstammt einem der von meinem Bruder Dr. med. 
dent. Hans Weski (Deutsche Monatsschrift für Zahnheilkunde 1920, Heft 2) beschriebenen 
Fälle von Elephantiasis gingivae hereditaria. Daher die starke Wulstung des Zahnfleisch¬ 
saumes. Formalin-Fixierung. Labio-palatinaler Schnitt. Eisen»Haematoxylin*v. Gicson- 
färbung. Vergr. 7:1. a Mundepithel, b inneres primäres Saumepithel, c Dentin. Der freie 
Raum zwischen der Dentin-Oberfläche und dem inneren Saumepithel ist in vivo vom Schmelz 
eingenommen. Die Basis des inneren Saumepithels liegt an der Schmelz-Zementgrenze. 

Fig. 2. Sagittalschnitt durch die unteren Frontzähne eines menschlichen Fötus von 6 cm 
Sdieitel-Steiß-Länge. a der massige Basilarteil des Unterkiefers, dem labial — nur lose 
angefügt — die knöcherne Anlage des Alveolarfortsatzes aufsitzt/ lingual zum Zahnkeim 



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Röntgenologisch-anatomische Studien aus dem Gebiete der Kieferpathologie 23 


hebt sieb die epitheliale Schmelzleiste des Ersatzzahnes deutlich ab/ hier ist es noch nicht 
zur Knochenbildung in der Außenzone des fibrösen Zahnsäckchens gekommen. 

Fig. 3. Verkleinerte Wiedergabe der Fig. 131 aus v. Ebner, Histologie der Zähne 
mit Einschluß der Histogenese, in Scheffs Handbuch 1909, S. 272. „Zahnfleisch und Zahn- 
hals eines Milchzahnes vom vierjährigen Kinde im Längsschnitt. D Dentin, S Schmelz, 
L Lymphzellenanhäufung, E Epithel des Zahnfleisches." Die punktierten Linien deuten die 
Höhe des Zahnfleischsaumes in vivo an/ der im Original wiedergegebene horizontale Ansatz 
der Zahnfleischoberfläche am Schmelz ist auf die Gewebsschrumpfung zurückzuführen. Da¬ 
durch ist die in vivo nachweisbare physiologische Zahnfleischtasche im Bilde ausgeglichen. 

Fig. 4 und 5. Vergrößerte Wiedergabe Zuckerkandlscher Bilder aus: Wetzeis 
Lehrbuch der Anatomie für Zahnärzte, II. Auflage. Fig. 4. Fig. 305, S. 322 <1. c.>. 
a Arteriae dentales, b Art. interalveolaris. c Arteria mandibularis. 

Fig. 5. Fig. 306, S. 323 <1. c.>. a Arteria interalveolaris. b Zahnfleischseptum mit 
Endästen, c Arteria mandibularis. 

Kiefer 85 1 (Tafel 5, 6 und 45> 

Unterkiefer eines an Tuberkulose gestorbenen 4Jährigen. 

TAFEL 5 

Fig. 1. Röntgenbild. Distal zum zweiten Milchmolaren ist die mesial geneigte Anlage 
von VI sichtbar. 

Fig. 2, Mesio-distaler Schnitt durch den zweiten Milchmolaren und die Anlage von VI. 
Haem. v. Gies. 3:1. 

Fig. 3. Die Zahnfleischtasche distal zum zweiten Milchmolaren aus einem andern Schnitt 
der Serie. 10:1. <Vgl. die nähere Beschreibung desselben Bildes auf Tafel 45.) 

TAFEL 6 

Fig. 1. Das distale Periodontium der distalen Wurzel des zweiten Milchmolaren aus 
Fig. 2, Tafel 5 (Spiegelbild aus der umrandeten Partie) anderer Schnitt. Haem. Eos. 30:1. 
a Wurzeldentin, b Knochenzement. C Cementoblasten reihenartig angeordnet. d lf d 2 , 
d z helle Knochenrandzone — nicht verkalkte Schicht — mit Osteoblastensäumen, e Pulpa. 
Durchschnittliche Breite des Periodontiums 0,37 mm. 

Fig. 2. Das mesiale Periodontium der distalen Wurzel des zweiten Milchmolaren 
aus Fig. 2, Tafel 5 (Spiegelbild aus der umrandeten Partie), anderer Schnitt der Serie. 
Haem. Eos. 30:1. a Knochenzement. b i — b i von Osteoklasten besetzte Knochenbälkchen. 
Durchschnittliche Breite des Periodontiums 0,24 mm. 

Fig. 3. Der Epithelansatz aus Fig. 3, Tafel V. Haem. Eos 25:1. a primäres Saum¬ 
epithel. b organische Reste des Schmelzes, c Rundzelleninfiltration und Gefäßerweiterung. 
d Beginn der pathologischen Taschenvertiefung. 

Ergänzende Bemerkungen zu Kiefer 85 

A. Die verschiedene Breite der Periodontalräume an beiden Wurzeln des 
Milchmolaren mesial einer* und distal andererseits ist ohne Frage der Aus* 
druck einer Mesialverschiebung des zweiten Milchmolaren unter dem Druck 
des nach mesial vorrückenden VI. An welchem Punkt der Druck an* 
greift, ist nicht in den Präparaten zu erkennen. Unterschiedliche Blutfülle in 
den mesialen und distalen Periodontalbereichen besteht nicht. Daß der Zahn 
in mesialer Bewegung sich befindet, verrät die Aktivität der plastischen 
Zonen des Periodontiums. Auf beiden mesialen Seiten der Wurzeln — dort 

1 Ich habe die Kiefer nicht mit fortlaufender Nummer versehen, sondern sie unter der 
Protokollnummer meiner Kiefersammlung aufgeführt. 


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Dr. med. Oskar W eski 


wo das Periodontium schmal ist —■ bcobaditen wir Knochenabbau durdi 
Osteoklasten/ auf den beiden distalen Seiten wird gleichzeitig durch Anbau 
von Zement und Knochen der verbreiterte Periodontalraum wieder ver* 
kleinert. Der sowohl den Abbau wie den Anbau von Knochen und Zement 
veranlassende Reiz hat auf das Periodontalgewebe eingewirkt. Bemerkenswert 
ist die „primäre" Anlagerung von Knochenzement auf das Wurzeldentin. 
Interessant ist ferner das Verhalten der Epithelreste, die bei der schwachen 
Vergrößerung nicht zur Darstellung gelangt sind. Sie liegen beiderseits der 
Wurzeln gleich weit vom Zement bzw. Dentin entfernt,- sie haben demnach 
die Mesialverschiebung des zweiten Milchmolaren mitgemacht. Das können 
sie natürlich nur zusammen mit dem bindegewebigen Periodontium, in das 
sie eingebettet sind. Also nicht der Zahnkörper allein hat sich verschoben, 
sondern sein Paradentium mit ihm. Dabei wird der Knochen nach Bedarf 
auf* und abgebaut. Die Berechtigung meiner oben wiedergegebenen Auf* 
fassung, die scharfe Differenzierung zwischen Knochen* und Bindegewebe 
auf einer gewissen Höhe der histogenetischen Betrachtung fallen zu lassen, 
springt hier besonders in die Augen. Dasselbe transitorische Verhalten des 
Knochens spielt bei allen Umbauprozessen im paradentalen Bereich eine Rolle. 

B. DieZahnfleischtasche distal zum zweiten Milchmolaren erscheint vertieft,- 
es handelt sich jedoch nicht um eine pathologische aktive, sondern um eine 
passive Vertiefung durch Vorwölbung des Zahnfleisches, bedingt durch den 
empordrängenden Keim von VI. Durch die Hebung des Zahnfleischniveaus ist 
es zur Verlängerung der Sauminnenfläche gekommen und dadurch ist gleichzeitig 
das ursprünglich außen liegende Epithel mit seiner papillären Unterlage zum 
Innenepithel geworden. Wie das Verhalten der Cuticula <Tafel 45) zeigt, 
müssen wir den Taschengrund etwas oberhalb des oralen Endes des primären 
Innenepithels liegend annehmen. Die hier erfolgte Epithelabschürfung dürfte 
wohl den Beginn der pathologischen Taschen Vertiefung darstellen. WieFig. 3, 
Tafel 6 bei d zeigt, ist es hier zu einer Erosion gekommen und damit die 
Infektionsmöglichkeit gegeben. Als Reaktion darauf sehen wir im Bereich 
des primären Innenepithels das subepitheliale Bindegewebe hyperämisch und 
mit Rundzellen infiltriert,- das Infiltrat reicht bis zur infraepithelialen Zone 
und hat hier das vertikale, zapfenartige Tiefertreten des Epithels veranlaßt. 
An dieser Stelle fehlt jedoch noch das Zement,- es deckt vom For. apicale 
aus nur etwa die halbe Wurzel. Das Epithel wuchert nun nicht am Dentin 
entlang, sondern läßt zwischen sich und diesem eine schmale Zone zellreichen 
Periodontalgewebes, das wohl als cementogene Schicht aufgefaßt werden 
darf. Die Wucherung erfolgt also stets nur dort, wo entzündliche Reize 
Rundzelleninfiltration verursacht haben. 

C. Das vierjährige Kind ist an Tuberkulose gestorben,- es ist anzunehmen, daß 
in vivo Stoffwechselstörungen bestanden haben. Auf sie ist wohl eine helle Zone 
am äußeren Rande des Dentins zurückzuführen, die in ihrem färberischen Ver* 
halten — sie nimmt Hämatoxylin nur wenig an — an die hellen als nicht ver* 
kalkt geltenden Interglobularräume in der Nähe der Pulpenoberfläche erinnert. 
Sie ist in Fig. 3, Tafel 6 unterhalb des Epithelansatzes erkennbar. 


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Röntgenologisch-anatomische Studien aus dem Gebiete der Kieferpathologie 25 


Kiefer 33 (Tafel 7, 8, 9, 10, 48, Fig. 1> 

Oberkiefer eines an Herzfehler gestorbenen 16 jährigen. 

TAFEL 7 

Fig. 1. Röntgenbild I. Einstellung des Zentralstrahles auf den zweiten Prämolaren, so 
daß durch Randstrahlenprojektion der Schatten der Krone des retinierten III mit dem 
Wurzelschatten von II zusammenfällt. Im Interdentalraum zwischen II und IV fällt ein 
kleiner Schatten — der Milcheckzahnrest — auf, oberhalb desselben besteht marginale Re« 
Sorption des Knochens. 

Fig. 2. Röntgenbild II. Einstellung des Zentralstrahles auf die Eckzahngegend. Ortho« 
Projektion der Eckzahnkrone. 

Fig. 3. Die Krone von III mit ihrer Umgebung. Haem. Eos. 10:1. a x der mesiale Lim« 
bus der Alveolevon III von zahlreichen Ha versuchen und Volkmannschen Kanälen durch« 
setzt. a 3 der distale Limbus. b der freie in vivo vom Schmelz eingenommene Raum. c,, 
c 2 , c i Resorptionslakunen im Zement und Dentin von II gegenüber der Krone von III, 
in den Lakunen Riesenzellen, d äußeres Schmelzepithel. 

Fig. 4. Die Pulpa von III auf der Höhe der Zementresorption, entsprechend a Fig. 2, 
Tafel 8 und Fig. 4, Tafel 9. Haem. Eos. 35:1. a Zementresorption an der distalen 
Wurzelseite von III. b auf der gleichen Querschnittshöhe befindliche Zone von Ersatzdentin 
an der mesialen Wand des Pulpenraumes. 

Fig. 5. Das Knochenbälkchen a aus Fig. 3, Tafel 8. Haem. Eos. 35:1. a das Knochen« 
bälkchen. b lt b 2 Osteoklasten, c Rundzellen in den Gefäßscheiden. x~y zwischen II und 
dem Knochenbälkchen starke Gefäßerweiterung im.Periodontium. 

TAFEL 8 

Fig. 1. Mesio-distaler Schnitt durch den retinierten III. Haem. van Gies. 3:1. 
a Corticalis compacta am Boden des Antrum. b x mesialer Limbus alveolaris von III. 
b i distaler Limbus alveolaris von III. b 3 mesialer Limbus alveolaris von IV. b A Limbus 
alveolaris des gemeinsamen Interdentalseptums von IV und V. c Stratum periostale. 

Fig. 2. Ein anderer Schnitt derselben Serie. Haem. Eos. 3:1. a Zone der stärk« 
sten Annäherung der Wurzeln von III und IV. b leerer Raum an Stelle des durch 
Entkalkung geschwundenen Schmelzes, c Rest der Alveole von II. d lt d 2f d 3 die Epithel« 
ansätze distal an II, mesial und distal an IV. e der kleine Dentinrest des Milcheckzahnes. 

Fig. 3- Die Stelle e aus Fig. 2. 10:1. a der Rest der Alveolencorticalis von II. 
b künstlicher Spalt, c Schmelz-Dentingrenze, d leerer Raum durch Entkalkung des 
Schmelzes entstanden, e primäres Saumepithel mit abgelöster Cuticula. f v f 2 perivaskuläre 
Rundzelleninfijtration. In einer Nische der Zahnfleischpapille liegt der Dentinrest des Milch« 
eckzahnes. 

TAFEL 9 

Fig. 1. Der Epithelansatz d x aus Fig. 2, Tafel 8 mit der mesialen Hälfte des Dentin« 
Sequesters. Haem. Eos. 30:1. a Schmelz«Zementgrenze. b leerer Raum nach Ent¬ 
kalkung des Schmelzes. c x Cuticula mit anhaftenden Epithelien. c 2 isolierte Cuticula. 
d Taschengrund. e lf e 2 dichte Rundzelleninfiltration in der Umgebung der Nische. 
/,, /*' /a zellige Infiltration der perivaskulären Lymphscheiden. g infraepitheliale Infil¬ 
tration. h künstlicher Spalt, i Resorptionslakune im Dentin mit Knochenzement aus¬ 
gefüllt. k Dentin des Milcheckzahnrestes. I Fistelmaul der Nische <vgl. Fig. 1, Tafel 48>. 

Fig. 2. Der größere Ausschnitt aus Fig. 1, Tafel 8. Haem. van Gies. 10:1. Es fällt die 
verschiedene Breite des Periodontiums V gegenüber einer-, IV gegenüber andererseits auf. 
Das Interdentalseptum ist nach V hin durch Resorptionslakunen ausgezackt, nach IV glatt« 
randig. Das Periodontium nach V mißt 0,36 mm, nach IV 0,15 mm. 

Fig. 3. Der Epithelansatz d 3 aus Fig. 2, Tafel 8. Haem. Eos. 30:1. a primäres Innen¬ 
epithel. b leerer Raum nach Entkalkung des Schmelzes, c Cuticula, d beginnende 
Epithelabhebung von der Cuticula, e Mundepithel. / perivaskuläre Infiltration, g sub¬ 
epitheliale Rundzelleninfiltration. 


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Fig. 4. Der kleinere Ausschnitt aus Fig. 1, Tafel 8, die gleiche Stelle aus einem anderen 
Schnitt (Spiegelbild). Haem. Eos. 30:1. a Iamellöses Knochenzement an der mesialen 
Wurzelseite von IV. b lf b 2 Fibrillenzement an der distalen Wurzelseite von 111. Zwischen 
b x und b 2 bei c beginnend und unterhalb d endend bis ins Dentin hineinreichende Re- 
sorptionslakune. d Knochenzement in der Resorptionslakune. Breite von rr — [/ 0,04 mm. 

TAFEL 10 

Fig. 1. Die Stelle b± aus Fig. 1, Tafel 8, den Limbus des Interdentalseptums zwischen 
IV und V darstellend, aus einem andern Schnitt. Haem. Eos. 50:1. a Periodontiumfasern 
distal zu IV in die glatte Knochenoberfläche einstrahlend. Diese ist von Osteoblasten be¬ 
setzt und zeigt tinktoriell das Verhalten osteoider Säume, b Knochenresorption der anderen 
Seite des Interdentalseptums (nach V hin) durch Osteoklasten, c starke Gcfäflerweirerung 
im verbreiterten Periodontalraum. (Vgl. hiermit Fig. 2, Tafel 9.) 

Fig. 2. Die Wurzelspitze des retinierten III aus einem weiter palatinal gelegenen 
Schnitt derselben Serie. Haem. Eos. 30:1. a leerer Pulparaum von III. b Wurzeldentin. 
c Dentinzementgrenze. d l Eintrittsstelle der Pulpengefäße in die Pidpa. d 2 Austritts¬ 
stelle der Pulpengefäße aus dem Periodontium. e lamellöse Schichtung des Knochen¬ 
zements, an der Oberfläche nach dem Periodontium hin von Cementoblasten besetzt. / ver¬ 
mehrte Blutgefäße im Periodontium. g Osteoklasten. 

Ergänzende Bemerkungen zu Kiefer 33 

A. Unter der Druckwirkung .des sich gegen II bewegenden Eckzahnes 
weicht, wie die Röntgenaufnahme zeigt, ersterer nach mesial aus. Daß der 
Caninus z. Zt. des Todes seines Trägers sich nicht in Ruhe, sondern in Be- 
wegung befand, beweisen die von Cementoklasten ausgefüllten Resorptions- 
lakunen an der distalen Wurzelseite von II. Hier ist die Alveole längst ge¬ 
schwunden,* an ihrem kleinen Rest betätigen sich Osteoklasten. Die stark 
erweiterten Blutgefäße im Periodontium an dieser Stelle stehen fraglos mit 
dem Resorptionsprozeß in Zusammenhang. Fig. 3, Tafel 7 zeigt links neben 
a i, wie oberhalb des Alveolarknochens fibröses Bindegewebe in parallelen 
Zügen geordnet auf das Schmelzepithel des retinierten Zahnes zustrebt. Sie 
geben nach erfolgtem Durchbruch das Haltefasergerüst des Zahnfleischsaumes 
bzw. der Zahnfleischpapille und des Periosts ab. Die Zahnkrone steckt also 
hier nicht in einer fremden Umgebung, die sie als Eindringling empfindet, 
sondern ist mit ihrem ganzen Paradentium — d. h. Zahnsäckchen, im 
Sinne der Landsberge rschen Auffassung — in Bewegung. Als Beweis 
dafür finden wir die Epithelreste der Wurzelhaut bis zum Schmelzepithel 
heranreichend: sie sind von dem wandernden Zahn nicht zurückgelassen, 
sondern mitgenommen. Im Röntgenbilde ist eine starke Beugung der Wur¬ 
zel von IV sichtbar. Offenbar hat sie sich durch die herabsteigende Krone 
des Caninus beengt entwickeln müssen. Auch weiterhin ist es zu einer so 
starken Annäherung beider Wurzeln gekommen, daß zu einem bestimmten 
Zeitpunkt die des Caninus nur durch Resorption ihrer distalen Wurzelober¬ 
fläche Platz finden konnte. Zur Zeit des Todes des 16jährigen war diese 
enge Stelle bereits passiert — wir sehen deshalb die Resorptionszone sich 
mit Knochenzement anfüllen. Augenblicklich erlaubt die engste Stelle, deren 
Breite zwar nur 0,04 mm beträgt, das Vorbeigleiten der Zähne. Wir ent¬ 
nehmen diesem Befunde, daß es selbst bei größtem Raummangel nicht zur 



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Röntgenofogisdi*anatcmisde Studien aus dem Gebiete der Kieferpathologie 27 


direkten Berührung zweier Zähne kommen darf, sondern stets ein Streifen 
regenerierfähigen Paradentalgewebes vorhanden sein muß. Dasselbe kann 
man an der Berührungsstelle der Caninuskrone mit der Wurzel von II be¬ 
obachten. Auffallend ist die Tatsache, daß sich auf der Querschnittshöhe 
der Resorptionszone von III an der entgegengesetzten Innenseite des 
Pulpenraumes unregelmäßiges Dentin I. Ordnung gebildet hat. Die Analogie 
dieses Befundes mit den bei Karies geläufigen Bildern zeigt, daß die Pulpa 
die Zerstörung des Dentins, gleichgültig wodurch sie herbeigeführt wird, 
stets in gleicher Weise beantwortet. Auffallend ist dabei nur, daß die reak¬ 
tive Zone auf der entgegengesetzten Seite des Pulpenraumes liegt. 

B. 1. Die im Röntgenbilde sichtbare Knochenresorption würde sich wohl 
marginal nicht so weit ausdehnen, wenn allein die Druckatrophie — unterhalten 
durch den vorrückenden III —* als Ursache hierfür in Frage käme. Denn in ähn¬ 
lichen Fällen, wo retinierte Zähne durch ihren Drude ihre Nachbarn zur 
Seite drängen, zeigt das Röntgenbild einen normalen Limbus des betreffen¬ 
den Interdentalseptums. Die in unserm Falle vorliegende marginale Atrophie 
distal zu II ist daher wohl mit auf Kosten der entzündlichen Prozesse um die 
Zahnfleischnische zu setzen. Diese wird, wie Fig. 2 und 3 auf Tafel 8 und 
Fig. 1 auf Tafel 9 zeigen, von einem breiten Entzündungswall umgeben, von 
dem aus Lymphspalten und Gefäßscheiden die Entzündungsreize in die Tiefe 
führen. Ihrer Einwirkung ist der marginale Knochenabschnitt zum Opfer ge¬ 
fallen, nachdem der in der Tiefe durch den Caninus eingeleitete Resorptions¬ 
prozeß die Widerstandskraft des Paradentiums beeinträchtigt hat. Dieses 
Zusammenwirken marginaler Reize mit Resorptionsvorgängen in der Tiefe 
ist zu beachten. 

B. 2 . Die Zahnfleischnische ist von mehrschichtigem Epithel ausgeki^idet, das 
nur im Bereich des Fistelmauls den Charakter des äußeren Mundepithels 
zeigt. Wie Fig. 3 auf Tafel 8 und Fig. 1 auf Tafel 9 zeigt, erinnert das den 
Hohlraum der Nische umgreifende Epithel an einzelnen Stellen an das 
innere Saumepithel. In Betätigung der diesem innewohnenden Tendenz treibt es 
breite, z. T. in der Tiefe konfluierende Sprossen in die entzündete bindege¬ 
webige Unterlage. Nach distal ist der Dentinrest glattrandig <Fig. 3, Tafel 8 > 
und von dunkel gefärbten Bakterienmassen durchsetzt,- hier klafft zwischen 
ihm und dem Nischenepithel ein offner, von Detritus erfüllter Spalt. Nach 
mesial dagegen liegt das Epithel dem Dentinsequester an. Seine Kontur ist 
hier wellig als Ausdruck von Resorptionslakunen, die z. T. mit Knochen¬ 
zement ausgefüllt sind </in Fig. 1 , Tafel 9 und 5 in Fig. 1 , Tafel 48). In 
diesem Bereich findet sich zwischen der dünnen Zementlage und den ihm 
zuweilen nur locker aufliegenden Epithelzellen eine homogene, im Häma- 
toxylin-Eosin-Präparat graugelb gefärbte cuticulare Bildung <s. Fig. 1 auf 
Tafel 48>. Teils haftet sie dem Zement fest an, teils hat sie sich abgehoben 
und läßt besonders an diesen Stellen ihre homogene Struktur erkennen. — 

C. Interesse verdient ferner das Verhalten der Epithelien zu beiden Seiten 
von IV ^3 Fig. 2, Tafel 8 > und distal von II Überall haben wir 
typisches primäres Innenepithel vor uns, das sechs- bis achtschichtig dem Binde- 


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gewebe glatt aufliegt und seinen Charakter als Pflasterepithel durch den 
Stachelpanzer der einzelnen Zellen verrät. In Fig. 3, Tafel 9 sitzt dicht oben* 
halb seiner Basis dem Epithel ein kleines Epithelzäpfchen auf, wie sie an 
jedem noch nicht durchgebrochenen Zahnkeim auf der ganzen Außenfläche des 
äußeren Schmelzepithels zu finden sind <Fig. 2 , Tafel 5 angedeutet). Ein all* 
mählicher Übergang des Mundepithels zum inneren Saumepithel fehlt. Beson* 
ders in Fig. 3, Tafel 8 unterhalb e und Fig. 3, Tafel 9 ist deutlich sichtbar, daß 
beide Epithelarten scharf gegeneinander abgesetzt sind. Wir haben in diesem 
Verhalten den Beginn pathologischer Taschenvertiefung zu sehen. Sie ent* 
wickelt sich also retrocuticular. Die sich hier etablierende Infektion hat zur 
Rundzellenanhäufung im subepithelialen Bindegewebe geführt, welche sich 
besonders längs des primären Innenepithels ausbreitet und zur Infiltration der 
Gefäßscheiden <s. Fig. 3, Tafel 9) geführt hat. — An seinem basalen Ende 
zeigt das Epithel bei dd 2 , cf x <Fig. 2, Tafel 8> ein verschiedenes Verhalten. 
Bei*/* distal zuIV <s. auch Fig. 3, Tafel9> grenzt es linear an den Schmelz, indem 
es in den schmalen Spalt zwischen Zement und Schmelz hineinreicht. In der 
infraepithelialen Zone sind die Fasern des Stratum periostale zu erkennen. 
Bei d 2 ~~ tnesial zu IV — <Fig. 3, Tafel 8 > beginnt es auf das Zement 
heraufzukriechen/ gleichzeitig sehen wir, wie die entzündliche Infiltration bis 
zu seinem nunmehrigen basalen Ende herunterreicht. Anders liegen die Ver¬ 
hältnisse bei d x — distal zu II <Fig. 1 , Tafel 9>. Anstatt wie bei d z an der 
Schmelz*Zement*Grenze zu enden, beginnt hier das primäre Innenepithel 
und gleichzeitig sehen wir den Grund der retrocuticular entwickelten vertief* 
ten Tasche vor uns. Das Primärepithel ist bereits eine beträchtliche Strecke 
dem Zement entlang gewuchert und hat sich infolge Schrumpfung des Binde* 
gewebes von ihm abgehoben. Die entzündliche Infiltration hat sich sowohl 
sub* als infraepithelial ausgebreitet/ dadurch ist ein weiteres Tiefertreten des 
Epithels zu gewärtigen. 

D. Von Interesse ist das Verhalten der Alveolen von III, IV und V. Beider* 
seits von IV ist der Limbus von Osteoklasten besetzt,- ebenso die Alveolen* 
corticalis mesial zu V <Fig. 2 , Tafel 9>, es besteht demnach dentifugale Re* 
Sorption/ desgleichen die innere Auskleidung einzelner Hävers isdier Kanäle 
und Markräume, so daß sie mit dem Periodontalraum in breiter Verbindung 
stehen. Die Corticalis bekommt dadurch das in Fig. 2 , Tafel 9 zutage tre* 
tende gezackte Aussehen,- das Periodontium ist dementsprechend verbreitert 
und zeigt Gefäßvermehrung. Das entgegengesetzte Verhalten weist das Inter* 
dentalseptum und Periodontium auf der andern Seite distal zu IV auf: glatte 
Knochenoberfläche, Osteoblasten, osteoide Säume, geringere Breite der Wur* 
zelhaut, keine Gefäßvermehrung. Mesial zu IV ist ein ähnliches Verhalten 
wie mesial zu V, etwas weniger stark ausgesprochen, zu beobachten. Nur 
weiter apikalwärts nehmen die Resorptionserscheinungen zu, bis schließ* 
lieh auf der Höhe der Annäherungszone zwischen III und IV der Knochen 
ganz geschwunden ist (kleiner Ausschnitt in Fig. 1 , Tafel 9 und Fig. 4, 
Tafel 9). Während beim Kiefer 85 sich das verschiedene Verhältnis von 
Knochenan* und abbau sowie der Periodontalbreiten zu beiden Seiten der 


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Röntgenologisch-anatomische Studien aus dem Gebiete der Kieferpathologie 29 

Wurzeln vom zweiten Milchmolaren in klare Beziehung zu der eindeutigen 
Druckwirkung von seiten des VI setzen läßt, muß die Deutung der hier zu 
beobachtenden Umbauprozesse im Hinblick auf die erfolgenden Zahnver- 
Schiebungen offen bleiben. Daß solche hier erfolgen und demgemäß die Vor¬ 
gänge am Knochen funktionellen Charakters sind, darüber läßt die gesamte 
Kieferkonfiguration des jugendlichen Individuums wohl keinen Zweifel. Auf 
die Zahnbewegungen sind auch die analogen Vorgänge im Fundus der AU 
veole des retinierten Zahnes <Fig. 2, Tafel X> zurückzuführen, wobei ich 
besonderes Gewicht auf das Nebeneinander von Knochenabbau und Zement^ 
anbau lege. Gegenüber der sonst im Paradentium des retinierten Zahnes 
herrschenden Ruhe — wenn wir von dem Resorptionsprozeß in der Berührungs¬ 
zone mit IV absehen — fällt die Aktivität im periapikalen Abschnitt beson^ 
ders auf. Hier liegt offenbar die treibende Kraft für die Vorwärtsbewegung 
des Zahnes, wohlgemerkt auch nach Abschluß seines Wurzel Wachstums. 
Die Alveole von III ist, abgesehen von einzelnen breiteren Gefäßlücken, 
glattrandig, die Markräume sind sehr spärlich entwickelt, die Knochensub¬ 
stanz entsprechend massig,* sie ist von einem Mosaik verschiedenster Lamellen-^ 
Systeme erfüllt, als Ausdruck der durchlaufenen Umbauphasen. Das Perio 
dontium zeigt unregelmäßigen Verlaufseiner kollagenen Textur und läßt die 
bekannte Straffung seiner Fasern vermissen. 

Kiefer 77 <Tafel 11, 12, 46, 47> 

Oberkiefer einer an Sepsis post abortum gestorbenen 33Jährigen. 

TAFEL 11 

Fig. 1. Röntgenbild der oberen rechten Frontzähne/ normal konfigurierter Limbus des 
Interdentalseptums zwischen 1 und 11/ das verbreiterte Interdentalseptum zwischen II und III 
läßt den dichten marginalen Randschatten vermissen. 

Fig. 2. Mesio-distaler Schnitt durch die drei Frontzähne. Haem. Eos. 3:1. m mesial, 
d distal. Während beiderseits von I und III normal konfigurierte Zahnfleischtaschen vor¬ 
handen sind, besteht beiderseits der Wurzel von II Gingivitis ulcerosa interna. Die Wurzel 
hat sich so weit aus dem gleich hohen Niveau der marginalen Knochenbegrenzung erhoben, 
daß bis zu ihrem äußersten Rande das Fibrillenzement — erkenntlich an der dunkleren 
Färbung — heranreicht. 

Fig.-3. Dieselbe Stelle aus einem andern Schnitt. Haem. v. Gieson 10:1. Bei I und III 
vom Epithel sich abhebende Cuticulae. Hinter derselben bei I Zahnbelag. Bei II a und 
II b legt sich die Zahnfleischpapille über die Wurzel,* der derb gefügte Knochen wird in 
beiden Interdentalräumen vom Stratum periostale überzogen, bei stärkerer Vergrößerung sind 
auf der ganzen Knochenoberfläche Osteoklasten zu sehen. Die Faszikel des Stratum periostale 
sind von Rundzellenanhäufungen durchsetzt und erscheinen dat\er zerklüftet. Ebenso zeigt 
die Zahnfleischpapille starke entzündliche Erscheinungen (Gingivitis ulcerosa interna). 

Fig. 4. Der Epithelansatz distal zu III <s. Fig. 2). Haem. v. Gieson 35:1. Der leere 
Raum zwischen Dentin und Sauminnenepithel ist in vivo vom Schmelz eingenommen. Dem 
Epithel liegt die Cuticula als zarte Linie auf,* das Epithel schiebt sich auf das Zement 
herauf, bis es auf die Fasern des Stratum gingivale longitudinale stößt, deren Einstrahlung 
in das Zement deutlich zu sehen ist. (Vgl. Fig. 1, Tafel 46.) 

Fig. 5. Epithelansatz mesial zu III. Haem. Eos. 50:1. a Dentin, b Knochenzement, 
von dem sich das gewucherte Epithel abgehoben hat,- unter der Epithelbasis die Fasern 
des Stratum gingivale longitudinale/ c die in den Spalt zwischen Zement und Schmelz (d) 
hineinreichende Cuticula; d organische Schmelzreste. 


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TAFEL 12 

Fig. 1. Die Stelle II a aus Fig. 3, Tafel 11. Ein anderer Schnitt derselben Serie. Haem. 
Eos. 50:1 (Spiegelbild). a u a 2 Rundzelleninfiltration des subepithelialen Bindegewebes, 
b Fibrillenzement, c die polypös gewucherte, von rarefiziertem Epithel überzogene Taschen¬ 
wand, d Mundepithel. Ein schmaler Gcwebszapfen überdeckt die freie, von Bakterien 
durchsetzte — dunkelgefärbte — freie Oberfläche des Wurzeldentins. 

Fig. 2. Die Stelle II b aus Fig. 3, Tafel 11. a Mundepithel, b Fibrillenzement, c die 
polypös gewucherte von rarefiziertem Epithel bedeckte Taschen wand. 

Fig. 3. Die Epithelbasis aus Fig. 5, Tafel 11. Ein anderer Schnitt. Haem. Eos. 120:1. 
(l der am weitesten apikal vorgeschobene Punkt des auf das Zement < b) gewucherten 
Sprosses des primären Saumepithels,- darunter die in das Zement einstrahlenden Fasern des 
Stratum gingivale longitudinale von Rundzellen durchsetzt, c Epithelreste, d von Rund¬ 
zellen e, e l dur&wucherte und auseinandergedrängte Gingivalfasern. 

Fig. 4. Die Stelle I aus Fig. 3, Tafel 11 (Spiegelbild). Haem. Eos. 50:1. Der Riß 
infolge Schrumpfung zeigt die starke Adhärenz sowohl der Cuticula am erhaltenen Schmelz 
als auch des Epithels an der Cuticula. Die Cuticula erstreckt sich nicht wie in Fig. 5, 
Tafel 11 zwischen den Limbus des Zements und die Schmelzbasis, sondern folgt für eine 
kurze Strecke dem schon ziemlich weit auf das Zement gewucherten Epithel (s. Tafel 47). 
Das primäre Saumepithel dicht von Rundzellen unterlegt/ von ihnen ist auch die nach dem 
Innern der Zahnfleischpapille sehende Gewebsschicht durchsetzt. Unterhalb der Epithelbasis 
sind die Züge der Gingivalfasern, noch weiter apikal durch Rundzellengewebe getrennt 
die des Stratum periostale erkennbar. 

Ergänzende Bemerkungen zu Kiefer 77 

A. Wir sehen bei einer an Sepsis post abortum verstorbenen Dreiund* 
dreißigjährigen trotz schlechten Zustandes ihres Gebisses und starker Gingivitis 
interna beiderseits der Wurzel von II nur geringe Neigung zum Tiefergreifen 
der marginalen Entzündungsreize. Wie sich durch Einsicht aus dem Kranken* 
blatt ergibt, war die sonst gesunde Patientin insgesamt vier Wochen mit 
hohem Fieber erkrankt. Die mangelnde Nahrungsaufnahme und bei der poli* 
klinischen Patientin sicher nicht mit besonderer Sorgfalt durchgeführte Mund¬ 
pflege, die bekannten Zersetzungsvorgänge im Munde solcher an Sepsis lang* 
sam Sterbenden, hat nur eine diffuse Entzündung mäßigen Grades der Zahn* 
fleisdhpapillen zur Folge gehabt. Hier tritt die Bedeutung eines guten lokalen 
Gewebstonus deutlich vor Augen. Wohl sehen wir bei III und I <Fig. 3, 
Tafel 11) beginnende Taschenbildung durch retrocuticulare Epithelrarefizie* 
rung. Aber die Entzündung zeigt in Anbetracht des schweren Allgemein* 
zustandes der Patientin einen auffallend geringen Grad. Diese Normotonie 
des supraalveolaren Paradentiums hält die entzündliche Reaktion sowohl 
im subepithelialen wie periostalen Bereich auf einer Höhe, die nur eine lang* 
same Auflösung des fertigen Gewebsbestandes zuläßt und gleichzeitig die 
progressive Phase der Metaplasie gewährleistet. Vergleichen wir damit das 
anders geartete Verhalten der Gewebe im Kiefer 75, so hebt sich die Be* 
deutung des Gewebstonus als ausschlaggebender Faktor für die Schwere des 
marginalen Entzündungszustandes und seiner Auswirkung in der Tiefe be* 
sonders deutlich hervor. 

B. Von weiterem Interesse ist das Verhalten der Cuticula. Daß wir es in ihr 
mit einer Kittsubstanz zu tun haben, zeigt deutlich ihr Verhalten in Fig. 5, 
Tafel 11, Fig. 4, Tafel 12 und Tafel 47. Eine Hornschicht würde nicht eine 



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Röntgenologisch-anatomische Studien aus dem Gebiete der Kiefcrpathologie 31 


solche Anschmiegungsfähigkeit besitzen und losgelöst von ihrem Mutterboden 
sich im Schmelzzementspalt <Fig. 5, Tafel 11) nicht so konstant behaupten 
können,* auch nicht die offenbar durch den Riß bedingte Faltung <Fig. 4, 
Tafel 12 und Tafel 47) mitmachen, ohne sich dabei in Hornplättchen oder 
-Schuppen aufzulösen. 

C. Fig. 4, Tafel 12 zeigt zwei Stadien der Rundzelleninfiltration,* sub¬ 
epithelial und — gegenüber y — in das Stroma der Zahnfleischpapille 
übergehend hebt sich der Entzündungsbereich durch intensivere Färbung 
ab. Im Gegensatz dazu zeigt die Rundzellenanhäufung oberhalb der in das 
Zement einstrahlenden Periostfasern — auf der Höhe von x — eine hellere 
Tinktion. Hier herrschen mehr — als Ausdruck beginnender Infiltra¬ 
tion — die bindegewebigen Zellelemente und Fibroblasten vor, in deren Kern 
bei guter Differenzierung der Präparate neben der Membran nur das chro¬ 
matische Gerüst Farbe annimmt/ in den zuerst genannten Entzündungszonen 
haben wir infolge erhöhten Reizes einen größeren Gehalt an lymphozytären 
Elementen/ ihre Kerne erfüllen bekanntlich fast ganz den Zelleib und zeichnen 
sich durch starke Tinktion, die keine Strukturunterschiede aufkommen läßt, aus. 

Kiefer 102 <Tafel 13, 14, 15, 16> 

Oberkiefer eines an Pneumonie gestorbenen 40Jährigen. 

. TAFEL 13 

Fig. 1. Photogramm des entkalkten Kiefers. Vor der Entkalkung bedeckte der Zahn- 
stein in dicken Krusten die Außenfläche der Zähne,- die Reste der Zahnbeläge haften den 
Zahnoberflächen noch an und schauen unter den verdickten abgehobenen Zahnfleischrändern 
hervor. Die Interdentalpapillen sind stark geschwollen. 

Fig. 2. Röntgenbild. Die mesial gerichtete Neigung des Molaren und der mangelnde 
Kontaktpunkt mit dem Prämolaren deuten an, daß VI extrahiert und der Molar als VII 
anzusprechen ist. Im Interdentalseptum zwischen V und VII beträchtliche Knochenatrophie 
vom horizontalen Typ. Die marginale Konturlinie ist scharflinig. Infolge der Mesial* 
neigung von VII liegt der Knochenansatz an der distalen Fläche der Prämolarenwurzcl 
mehr apikalwärts als an der mesialen Seite von V. a Antrumboden. 

Fig. 3. Mesio-distaler Schnitt durch V und VII. (Spiegelbild des Röntgenogramms.) 
Haem. v. Gieson 3:1. Die Zahnfleischpapille ist infolge Schrumpfung durch die Alkohol- 
behandlung des Präparates niedriger, als das Photogramm (Fig. 1) und der im Röntgen¬ 
bilde sichtbare Interdentalspalt vermuten läßt. Ferner fällt das auffallend dünne Spongiosa¬ 
gebalk im Interdentalseptum auf, das sich auch im Röntgenbild durch den bemerkenswerten 
hellen Schatten verrät. Der freie Rand ist in allen Schnitten der Serie nicht von kompakter, 
sondern cribröser Corticalis gebildet, trotzdem zeigt das Röntgenbild die dichten scharf- 
konturierten Schatten. Während' die Alveolencorticalis von VII im ganzen Bereich der 
dargestcllten buccalen mesialen Wurzel kompakt ist, zeigt sie an der Prämolarenwurzel 
cribrösen Charakter. Das Röntgenbild gibt diesen Zustand des Knochens nur andeutungs¬ 
weise wieder — ohne Gegenüberstellung mit dem Mikrophotogramm würde es schwer 
halten, die Corticalis cribrosa zu diagnostizieren. 

Fig. 4. Der Epithelansatz a l bei V aus Fig. 1, Tafel 14. Haem. v. Gieson 30:1. 
a Rundzelleninfiltration im subepithelialen papiliär gewucherten Bindegewebe, b die Epithel¬ 
basis, darunter gegen das Zement einstrahlende Fasern des Stratum periostale, c Rund- 
zelleninfiltration in der Umgebung eines Blutgefäßes. Der Spalt zwischen Zement und 
Epithel ist durch Schrumpfung entstanden/ man sieht an einzelnen Stellen Epithelzellen 
am Zement haften/ die beiden im Spalt liegenden schwarzen Punkte sind nicht Zahn- 
beläge, sondern Farbniederschläge. 


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Fig. 5. Der Epithelansatz a> bei VII aus Fig. 1, Tafel 14. a Basis des Primärepithels. 
b Granulationsgewebe und Gefäßerweiterung. Die Sauminnenfläche von rarefiziertem Epithel 
mangelhaft gedeckt — ulzeröse Gingivitis interna. Das Epithel oberhalb b treibt derbe 
Sprossen in die Tiefe, welche das dem Zement dicht anliegende Primärepithel unterwuchert 
haben. Der Spalt hinter dem Zementlimbus ist künstlich. 

TAFEL 14 

Fig. 1. Der marginale Abschnitt des Schnittes. Spiegelbild zu Fig. 3, Tafel 13. Haem. 
v. Gieson 10:1. a x Boden der Zahnfleischtasche, a 2 Epithelansatz an VII. Die Verbreiterung 
der Zahnfleischtasche gegenüber VII im Gegensatz zu der gegenüber V ist wohl auf Druck 
durch Zahnbeläge, die bei der Verarbeitung des Präparates verloren gingen, zurückzuführen. 
b Fibrae gingivales longitudinales durch Granulationsgewebe zersprengt und in Auf¬ 
lösung begriffen, c das ursprüngliche Stratum periostale <superficiale> durch entzündliche 
Infiltration stark aufgelockert, d seine Ansatzstelle bei VII. e das neugebildete Stratum 
periostale (profundum) an Stelle des resorbierten Knochens. / ein kleiner Knochenrest 
im Stratum periostale profundum. g Stratum gingivale circulare. 

Fig. 2. Aus der Stelle a, (Fig. 1, Tafel 14), einem anderen Schnitt der Serie ent¬ 
nommen. Haem. v. Gieson 70:1. a Zahnbelag, b Zement, c Cuticula, d an der Cu¬ 
ticula haften gebliebene Epithelien. 

Fig. 3. Horizontalschnitt durch das Stratum periostale superficiale. Haem. v. Gieson 120:1 
a perivaskulärer Lymphraum, stark durchtränkt und mit eingestreuten Fibroblasten und ver¬ 
einzelten Lymphozyten durchsetzt, daneben schräge Einstrahlung eines fibrösen Faszikels 
ins Zement mit fächerartiger Auflockerung seiner Fasern. 

Fig. 4. Die Stelle#, Fig. 3, Tafel 13. Haem. v. Gieson 30:1. a Wurzel von VII. 
b Alveolencorticalis. c infolge lymphatischer Durchtränkung der Gefäßscheiden und Er¬ 
weiterung der Interstition stark rarefiziertes Periodontium. d ruhendes Fettmark. Breite 
des Periodontiums 0,1 mm. 

TAFEL 15 

Fig. 1. Die Stelle y aus Fig. 1, Tafel 14. Haem. v. Gieson 30:1. a erweiterter peri¬ 
vaskulärer Lymphraum. b Rundzelleninfiltration im retrocorticalen Gewebe nach Auf¬ 
lösung der ursprünglich dort vorhandenen Knochensubstanz, c Stratum periostale pro¬ 
fundum. d Vasa perforantia aus dem Knochen in die Zahnfleischpapille tretend, c Infiltration 
in der Umgebung der Gefäße in das Knochenmark vordringend. / ruhendes Knochenmark. 

Fig. 2. Die Stelle x aus Fig. 1, Tafel 14. Haem. v. Gieson 30:1. a Basis des inneren 
Saumepithels, b entzündlich infiltrierte Faszikel des Stratum periostale superficiale/ dar¬ 
über nach dem Knochen zu Fasern des neu gebildeten Stratum periostale profundum. c nach 
Knochenresorption freigclegte und entzündlich infiltrierte oberflächliche Schicht des Knochen¬ 
marks. d entzündlich infiltrierte LImgebung eines Blutgefäßes. 

TAFEL 16 

Fig. 1. Die umrandete Stelle aus der Mitte der Fig. 1, Tafel 14. Haem. v. Gieson 30:1. 
a das neugebildete Stratum periostale profundum. b und c entzündlich infiltrierte Knochen¬ 
markoberfläche mit Gefäßerweiterung und einzelnen Fettzellen, d ruhendes Fettmark mit 
geringer Infiltration der Gefäßscheiden. 

Fig. 2. Die Stelle z aus Fig. 3, Tafel 13. Haem. v. Gieson 120:1. a L , a 2 aus dem 
Knochenmark in das Periodontium eintretende Gefäße, durch deren Erweiterung die Osteo¬ 
porose der Corticalis hervorgerufen ist. Bei a 2 lakunäre Resorption. b u b 2 Gefäß- und 
Zellvermehrung in der retrocorticalen Zone, c Fettzellen. Breite des Periodontiums 0,16 mm. 

Fig. 3. Gehört zu Kiefer 117 und w r ird dort beschrieben. 

Ergänzende Bemerkungen zu Kiefer 1.02 

A. Im Gegensatz zu den bisher beschriebenen Kiefern tritt uns hier die Wir¬ 
kung starker Zahnsteinauflagerung auf das marginale Paradentium entgegen. 



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Röntgenologisdi-anatomisdie Studien aus dem Gebiete der Kieferpathologie 33 


Die ganze Zahnfleischpapille trägt die Zeichen hochgradiger Entzündung an 
sich. Ihre Substanz ist in der Tiefe von Rundzelleninfiltration erfüllt — Gin« 
givitis profunda —, wodurch das normal feste Gefüge des Stratum longitu^ 
dinafe und circulare zerklüftet und ihre Fibrae zum großen Teil geschwunden 
sind. Dem Zahnfleischsaum ist damit sein Halt genommen/ es liegt als ein 
schlaffes Gewebe dem Zahn an. Infolge der Entzündung ist es zu einer 
Hypertrophie der Papille gekommen, damit zu einer — passiven — Ver- 
tiefung der Tasche. Die Oberfläche des Zahnfleischseptums — sowohl im 
Bereich der Taschen wie des äußeren Kammes — ist bis in die stark er- 
weiterten Papillenköpfe hinein von Granulationsgewebe durchsetzt. Vor¬ 
herrschen der Leukozyten und Erweiterung der Kapillaren zeigt, daß hier 
nicht mehr die gewöhnliche Rundzelleninfiltration vorliegt. Das Epithel ist 
besonders auf der Kammhöhe rarefiziert, doch auch in den abhängigen 
Partien nur an einzelnen Stellen mehrschichtig. Aus den nur mangelhaft mit 
Epithel gedeckten von Granulationen erfüllten Papillen des subepithelialen 
Bindegewebes erfolgte sicher in vivo eine ständige Zell- und Sekret- 
ausscheidung, so daß wir auf der Zahnfleischoberfläche eine Gingivitis ulce¬ 
rosa vor uns sehen, auf der Kammhöhe als Gingivitis externa — an den 
Taschenwänden als Gingivitis interna zu bezeichnen. Dort wo diese ulzeröse 
Oberfläche an das dem Zahn anhaftende Saumepithel angrenzt, liegt der 
Taschenboden <c7 x in Fig. 1, Tafel 14>. Hier setzt die aktive Vertiefung der 
Tasche retroepithelial wie bei Kiefer 33 <Fig. 3, Tafel 9> ein. Im ganzen Be- 
reich der ulzerösen Fläche treibt das Epithel derbe Sprossen in die Tiefe 
<Fig. 5, Tafel 13). Das innere Saumepithel, das weit apikalwärts auf das 
Zement gewuchert ist, zeigt gegenüber VII <Fig. 5, Tafel 13) den normalen 
Charakter, während es gegenüber V <Fig. 4, Tafel 13) durch papillare Wuche¬ 
rung des infiltrierten subepithelialen Bindegewebes zur Vergrößerung seiner 
Matrixschicht und beginnenden Epithelsprossung gekommen ist. Beiderseits 
liegt das innere Saumepithel dem Zement an und bekundet, wie auch bei 
Kiefer 33 und 77 zu beobachten war, eine starke Adhärens zum Zahnkörper. 
An einzelnen Stellen ist es zur Bildung einer Cuticula gekommen. Interessant 
ist ihr Verhalten den Zahnbelägen gegenüber. Wie Fig. 2, Tafel 14 zeigt, 
erliegt sie nach kurzer Strecke offenbar dem deletären Einfluß der Bakterien. 

B. Der Entzündungsvorgang in der Zahnfleischpapille setzt sich nun per 
continuitatem, d. h. auf dem Wege der Gewebspalten und präformierten 
Lymphbahnen in die Tiefe fort, und zwar einmal längs des inneren Saum¬ 
epithels, zweitens durch Übergreifen auf das Stratum periostale. 

1 . Die subepithelial in die Tiefe greifenden Entzündungsreize dringen bis in 
den infraepithelialen Bereich vor, bringen hier das fibröse Gewebe — die Inser¬ 
tion der longitudinalen Gingivalfasern bzw. der Periostfasern zur Auflösung 
und zeitigen ein Rundzelleninfiltrat. Darin liegt der Anreiz für das innere 
Saumepithel zur vertikalen Tiefen Wucherung, um kein Ulcus an dieser 
physiologischen Wundstelle entstehen zu lassen <vgl. das in Kapitel IV Ab¬ 
schnitt 2 darüber Gesagte). Das Epithel wuchert so lange, bis es wieder auf 
normales Bindegewebe stößt. 

Viertdjahrssdirift für Zahnheilkunde, Heft 1 3 


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2 . Die in der Tiefe der Zahnfleischpapille tätigen Entzündungsreize greifen 
auf die periostale Faserlage über und haben deren Faszikel durch Ein* 
lagerung von Rundzellen auseinandergedrängt, während gleichzeitig eine Auf* 
lösung ihrer Fasern erfolgt. Der ursprünglich darunter befindliche Knochen 
ist bis auf den kleinen Rest <Fig. 1, Tafel 14) bereits zum Schwinden ge* 
bracht,* das hierbei durch den Entzündungsreiz frei gewordene bzw. bereit* 
gestellte Zellmaterial hat sich zu einem neuen Stratum periostale <profundum> 
umgeformt. Dabei sehen wir das Periodontium frei von metaplasierenden 
Vorgängen. Sein Fasermaterial wird nach Schwund des Knochens in die 
neue Periostlage mit einbezogen. 

C. Von dieser Etappe aus übernehmen die lymphatischen Gefäßscheiden den 
Weitertransport der metaplastisch wirkenden Entzündungsreize. Das para* 
dentale Gefäßsystem dringt auf zwei Wegen in die Zahnfleischpapille vor. 
Die Periodontalgefäße scheinen nur mit feinen Endästen sich oberhalb des 
Limbus alveolaris auszubreiten, in der Hauptsache versorgen direkte Fort* 
Setzungen der Interalveolargefäße das Zahnfleisch mit Blut. Daher sind mesial 
zur Stelle <y <Fig. 1, Tafel 14> und mesial zu .v <ebenda> die in das Knochen* 
mark eindringenden Gefäße von entzündlicher Zellvermehrung umscheidet 
(c Fig. 1, Tafel 15 und */Fig. 2, Tafel 15>. In der Umgebung der Gefäße, die 
sich oberhalb des Knochenbalkens <s. die umrandete Stelle der Fig. 1, Tafel 14, 
c in Fig. 2, Tafel 15, ß~6 in Fig. 1, Tafel 16> ausbreiten, ist es bereits zu 
einer metaplasierenden Entzündung des oberflächlichen Knochenmarks ge* 
kommen. Auch die Knochenresorption im Bereich von y <Fig. 3, Tafel 13 
und ß Fig. 1, Tafel 15> ist wohl auf Rechnung der dort sichtbaren aktiven 
Knochenmarkzone zu setzen. 

D. Damit ist die Rolle der Gefäße noch nicht abgeschlossen. Es kommt, 
da die Blutversorgung des ganzen Paradentiums auf einem Vas inter* 
alveolare beruht, zu Stauungserscheinungen. Der erhöhten Fluxion des 
Blutes nach der hochgradig gereizten Zahnfleischoberfläche sind die Abflüsse 
nicht gewachsen: es tritt venöse Stase auf, klinisch durch die bekannte blau* 
rote Verfärbung des Zahnfleisches dokumentiert. Besonders im Periodontium 
eingeengt durch Zahn und Alveolencorticalis wirkt sie sich aus und führt 
zur lymphatischen Durchtränkung seiner Gefäßscheiden <Fig. 4, Tafel 14). 
Anstatt eng aneinandergefügt sind die fibrösen Faszikeln rarefiziert, die Ge* 
fäßinterstitien in nicht zu verkennendem Ausmaß erweitert. 

E. Daneben spielt sich um die intermediäre und apikale Alveolencorticalis 
von V ein anderer Vorgang ab. Wie Fig. 3, Tafel 13 zeigt, ist es hier zur 
Osteoporose, zur Ausbildung einer Corticalis cribrosa gekommen. Wir sehen 
die Knochenbälkchen sich nach dem Mark zu verdicken, während auf ihrer 
Innenseite Osteoklasten eine dentifugale Resorption einleiten und gleichzeitig 
vom Mark aus den Knochen durchsetzende Gefäße sich erweitern und um 
sich herum den Knochen mit Hilfe von Osteoklasten auflösen. In der retro* 
corticalen Zone schwindet das Fettmark, wird zell* und gefäßreich. Was geht 
hier vor? Offenbar haben wir eine Phase des Umbaus vor uns. Der Zahn erfährt 
unter dem Einfluß einer Andersbelastung eine Ortsverschiebung — die fort* 


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Röntgenologisch-anatomische Studien aus dem Gebiete der Kieferpathologie 35 


schreitende Atrophie der marginalen Atrophie allein könnte die Umbaus 
notwendigkeit erklären — das Paradentium im intermediären und apikalen 
Abschnitt paßt sich dem Funktionswechsel an. Das Knochenmark der retro- 
corticalen Zone wird aktiviert, hyperämisdi und stellt Zellmaterial zur 
Knochen- und Faserbildung bereit. Das Periodontium zeigt außer den er¬ 
wähnten Stauungserscheinungen zur Zeit keine Änderung seiner Textur/ man 
beobachte jedoch daraufhin die Strukturänderung im Kiefer 61 <Fig. 3, 
Tafel 42>. Hier, wo gleichfalls Umbauvorgänge in der retrocorticalen Zone 
sich abspielen ist das Periodontium in Auflösung seiner straffen Faszikel¬ 
struktur begriffen. Das gleiche Bild hätten wir auch hier zu gewärtigen im 
günstigen Moment der Beobachtung. Am benachbarten VII ist von all dem 
nichts zu sehen,- seine Corticalis eine geschlossene Compacta, das an sie 
heranreichende Knochenmark ohne Hyperämie, ohne Zellvermehrung. 

Der Kiefer 102 zeigt das Bild eines sich schweren Entzündungsreizen er¬ 
wehrenden Paradentiums. Sein normaler Gewebstonus hält abge¬ 
sehen von den oberflächlichsten Schichten der Zahnfleisch¬ 
papille die entzündlichen Prozesse auf der Höhe langsam fort¬ 
schreitender Metaplasie. 

Kiefer 117 <TafeI 16, 17, 18> 

Oberkiefer eines 66Jährigen. Todesursache unbekannt. 

TAFEL 17 

Fig. 1. Photogramm der palatinalen Fläche des unentkalkten Kiefers, a palatinale 
Wurzel, b buccale distale, c buccale mesiale Wurzel von VII. Die senkrechte Linie 
auf der mesialen Seite der Krone von VIII und die mit x bezeichnete Linie auf der 
Schleimhaut geben die in den Schnitten dargestellte Fläche an. 

Fig. 2. Röntgenbild, a, b, c wie in Fig. 1. Oberhalb a nach distal gelegenes Granulom, 
d die in den Schnitten wiedergegebene palatinale Wurzel von VIII. 

Fig. 3. MesiO'distaler Schnitt. Haem. v. Gieson 3:1. 

Fig. 4. Die mittlere Partie des Schnittes 10:1. a, Taschenepithel, gegenüber VIII rare- 
fiziertes Pflasterepithel auf entzündetem Bindegewebe. a 2 dasselbe gegenüber VII. b v 
b 3 Boden der Zahnfleischtaschen. c u c 3 Zahnbeläge. d u d 3 verjüngter Ansatz des in seinen 
mittleren Partien verbreiterten und lymphatisch durchtränkten Stratum periostale, e höcker- 
artiger Vorsprung von Knochenzement. / A Vas perforans, das Stratum periostale durch¬ 
bohrend. / a , / 8 von dem Stammgefäß / 4 beiderseits in die Seitenflächen der Zahnfleisch- 
papille abzweigende Endäste des Vas interalveolare. 

TAFEL 18 

Fig. 1. Die Stelle / 8 Fig. 4, Tafel 17. Haem. v. Gieson 50:1. a die tiefste Lage des 
Stratum periostale, nach Auflösung des Knochens direkt an das Knochenmark grenzend. 
Um die Gefäße nur geringe Zellvermehrung, etwas stärker betont in der oberflächlichen 
Markzone, zwischen Fettzellen eingestreut. 

Fig. 2. Die Stelle x aus Fig. 3, Tafel 17. Haem. v. Gieson 30:1. a starke Rund¬ 
zelleninfiltration der Submukosa, b Stratum periostale mit von Rundzellen erfüllten In- 
terstitien. c x c 2 stark rarefiziertes marginales Knochenbälkchen/ das Knochenmark oberhalb 
desselben entzündet/ mit fortschreitender Tiefe Nachlassen des Entzündungsreizes durch 
Hervortreten der Fettzellen bekundet. 

Fig. 3. Das Knochenbälkchen c x aus Fig. 2. 50:1. Die nach dem entzündeten Stratum 
periostale hinsehende Knochenoberfläche durch Howshipsche Lakunen ausgenagt/ das 
Knochenbälkchen steht dicht vor seiner völligen Auflösung. 

3* 


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Fig. 4. Der Limbus alveolaris auf der Höhe der Stelle x, Fig. 3, Tafel 17. 50:1. Die 
Innenfläche mit Osteoklasten bedeckt zeigt dentifugale Resorption. Breite des Perio- 
dontiums 0,34 mm. a k kleine Gefäße, die Corticalis durchsetzend. a 2 erweiterte Ge* 
fäßlücke. 

Tafel 16, Fig. 3. Die Stelle y distal zu VIII aus Fig. 3, Tafel 17. 30:1. a Fettpolster 
in der palatinalen Submukosa, b Stratum periostale zum Zahn ziehend/ zwischen ihm 
und dem intakten Knochen senkrecht getroffene Fasern des Stratum periostale palatinale. 
Das Knochenmark nur in geringem Maße hyperämisch. 

Ergänzende Bemerkungen zu Kiefer 117 

Das Verhalten des supraalveolaren Paradentiums zeigt trotz unhygienischer 
Verhältnisse seiner Umgebung — man beachte die stark zerstörten Wurzel- 
reste —, wie weniges bei normalem Gewebstonus, selbst beim Sechsundsechzig¬ 
jährigen, darunter zu leiden hat. Der Zahnstein hat nur eine mäßige Entzündung 
der Interdentalpapille ausgelöst/ entsprechend der Widerstandskraft des Ge¬ 
webes setzt sich die Entzündung nur langsam in die Tiefe fort. Die Gefäßscheiden 
sind fast frei von Entzündungserscheinungen/ dementsprechend ist auch meist 
dort nur das Knochenmark metaplastisch irritiert, wo die pathologischen Reize 
der continuitatem es erreichen. Wie sie dort den Knochen angreifen, zeigen 
Fig. 2 und 3, Tafel 18. 

Kiefer 116 <TafeI 19,20,21) 

Oberkiefer eines an Pneumonie gestorbenen 41 Jährigen. 

TAFEL 19 

Fig. 1. Röntgenbild von III, mesial und distal horizontale Kncchenatrophie,* nach 
distal Verbreiterung der Periodontiumlinie. 

Fig. 2. Labio-palatjnaler Schnitt durch III. Haem. v. Gieson 3:1. a retroalveolärer 
Spongiosaraum, b Fettpolster der palatinalen Submukosa, c wandständiger Dentikel 
(irreguläres Dentin). 

Fig. 3. Die Stelle I aus Fig. 2, Tafel 19. 10:1. Der Spalt zwischen Zahnfleisch und 
Zement ist künstlich. Die Rauhigkeit bei a entspricht dort befindlichem Zahnbelag/ nur 
so weit hat in vivo eine Zahnfleischtasche bestanden. Bei b eine scharfkantige ins Dentin 
hineinreichende Resorptioiislakune, ihr gegenüber <s. Fig. 2) irreguläres Dentin auf der 
entgegengesetzten Pulpenseite (vgl. Fig. 4, Tafel 7>. Der Limbus alveolaris massiv, zeigt 
nur geringe Entwicklung der Markräume,• aus denselben strahlen durch erweiterte Lücken 
Blutgefäße in das Periodontium — seine Breite auf der Höhe des Limbus 0,22 mm. 

Fig. 4. Die Stelle II aus Fig. 2, Tafel 19. 10:1. Die ganze Zahnfleischpapille ent¬ 
zündet — Gingivitis profunda —, Tasche soweit Zahnbelag sichtbar. An der Basis des inneren 
Saumepithels — das hier durch Schrumpfung abgehoben ist — breite Epithelwucherung. Der 
Limbus bis auf eine dünne Spange rarefiziert. Erweiterung der pericdontalen Interstitien 
infolge lymphatischer Durchtränkung der Gefäßscheiden. Breite des Periodontiums auf der 
Höhe des L ; mbus 0,58 mm. 

Fig. 5. Die Stelle III aus Fig. 2, Tafel 19. 10:1. Bei a x und a 2 Gefäßknäuel in den 
Interstitien des Periodontiums. b lf b 2 Cementikel. Der Knochen zeigt eine auffallende 
Porosität — Corticalis cribrosa —, dadurch breite Eröffnung der Markräuire nach dem 
Periodontium zu. Das Zement glattrandig, zeigt nur auf der Wurzelspitze Resorptien. 
Durchschnittliche Breite des Periodontiums 0,67 mm. 

Fig. 6. Die Stelle IV aus Fig. 2, Tafel 19. 10:1. Im Bereich von a Zementresorption. 
Der Knochen bis auf zwei Gefäßlücken kompakt. Durchschnittliche Breite des Periodon¬ 
tiums 0,27 mm. 


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Röntgenologisch-anatomische Studien aus dem Gebiete der Kieferpathologie 37 

TAFEL 20 

Fig. 1. Die palatinale Zahnfleischpapille aus einem anderen Schnitt (Spiegelbild). Haem. 
v. Gieson 30:1. a Stratum gingivale longitudinale, Fasern aus dem Stratum mucosae in sich 
aufnehmend. b lf b t die quergetroffenen Fasern des Stratum circulare. 

Fig. 2. Der apikale Abschnitt des Periodontiums aus einem andern Schnitt derselben 
Serie. Haem. v. Gies. 30:1. a lamellös geschichtetes Knochenzement/ an seiner Peripherie 
in die Hauptmasse des Zements einbezogene Cementikel. b lf isolierte Cementikel im 
erweiterten 0,74 mm breiten Periodontium. c, stark erweiterte Gefäße. 

TAFEL 21 

Fig. 1 und Fig. 2. Knochenmark aus der retrocorticalen Zone des Ausschnittes III, 
Fig. 2, Tafel 19. Haem. v. Gieson. 120:1. 

Fig. 1. In das Fettgewebe sind um das Blutgefäß herum Rundzellen eingestreut (regressive 
Phase der Metaplasie). 

Fig. 2. Das Fettgewebe tritt an Masse zurück. Um die Blutgefäße herum ist es zur 
Neubildung kollagener Fasern gekommen, welche beginnen, entsprechend der funktionellen 
Beanspruchung sich anzuordnen (progressive Phase der Metaplasie). 

Ergänzende Bemerkungen zu Kiefer 116 
Ein Blick auf die Fig. 2, Tafel 19 zeigt ein gegensätzliches Verhalten der 
Periodontiumbreiten in den Ausschnitten III und IV. Offenbar macht der 
Caninus des Einundvierzigjährigen zur Zeit seines Todes eine Ortsverschiebung 
durch. Die mir zur Verfügung stehende Oberkieferhälfte trug außer den beiden 
im Röntgenbilde sichtbaren II und III nur Wurzelstümpfe der Prämolaren 
und einen Molaren. Es ist also sehr wahrscheinlich, daß der Kaudruck 
schwer auf dem durch marginale Atrophie seines Haltes stark beraubten 
Canrnus lastete. In der retrocorticalen Zone des Abschnittes III hat sich 
die in Fig. 1 und 2, Tafel 21 wiedergegebene Markmetaplasie etabliert. Hier 
sehen wir den Knochen dentifugal resorbiert und damit das Periodontium ent¬ 
sprechend verbreitert — gleichzeitig aber auch durch Vermehrung der Blutgefäße 
und perivaskuläre Resorption den Knochen cribrös geworden, so daß das meta- 
plasierte Markgewebe mit dem Periodontium in breiter Verbindung steht. Die 
Blutgefäße sind im ganzen intermediären und apikalen Bereich vermehrt und an 
einzelnen Stellen zu Knäueln aufgelöst. Überall finden sich hier im Periodontium 
Cementikel. Wir dürfen wohl in ihnen das Bemühen des Periodontiums er¬ 
kennen, seinerzunehmenden Verbreiterung Einhalt zu tun, um durch Einlage¬ 
rung verkalkten Stützgewebes seiner Haltefunktion besser genügen zu können. 
Allmählich baut das Periodontium neues Zementgewebe auf den Zahn, die 
übermäßige Periodontalbreite ausgleichend, wobei dann die Cementikel in die 
Hauptmasse des Zements einbezogen werden <Fig. 2, Tafel 20). 

Auf der gegenüberliegenden Seite (Ausschnitt IV> zeigt das Zement 
Resorptionslakunen, erfüllt von plattgedrückten Cementoklasten, der Knochen 
im Bereich der Zone 6 <Fig. 6, Tafel 19) minderwertigen Knochen. Er 
präsentiert sich im Eisenhämatoxylin-v. Gieson-Präparat bei der hier ein¬ 
gehaltenen Technik — Überfärbung mit Hämatoxylin und vorsichtig ab¬ 
gestufte Differenzierung — anders als im Hämatoxylin-Eosin-Präparat, wo 
er sich durch Hyperchromasie auszeichnet l . Auf die angewandte Färbetechnik 

1 s. Näheres in Kapitel IV Abschnitt 4. 


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38 Dr. med. Oskar Weski 

ist audi das eigenartige Aussehen des Knodiens in Fig. 2, Tafel 20 zurück 
zuführen. In welcher Richtung die Druckkräfte auf den* Zahn einwirken, 
darüber möchte ich angesichts unserer derzeitigen noch mangelnden Kennt* 
nisse über den Hebelmechanismus am Zahnkörper mich nicht äußern. Ich 
habe mich dazu nur gegenüber der eindeutigen Situation des Kiefers 85 
für berechtigt gehalten. Die Tatsache, daß der Zahnfleischsaum des unter* 
suchten Caninus palatinal überhaupt keine Gingivitis zeigt und trotzdem 
sich im intermediären und apikalen Paradentium die oben beschriebenen Ver* 
änderungen vorfinden, beweist mehr noch als Kiefer 102 den hier vor sich 
gehenden Umbauprozeß/ aber auch gleichzeitig, daß hier unter dem physiolo* 
gischen Reiz das Knochenmark der retrocorticalen Zone dieselben meta* 
plastischen Phasen durchmacht wie unter der Einwirkung des pathologisch en 
Entzündungsreizes. Diese Tatsache sei besonders betont. 

Kiefer 52 <TafeI 22, 23, 24, 25) 

Oberkiefer eines an Pneumonie gestorbenen 57Jährigen. 

TAFEL 22 

Fig. 1. Röntgenbild. In dem durch Extraktion von III vergrößerten Interdentalraum 
zwischen II und IV besteht horizontale Atrophie des Margo alveolaris. Desgleichen distal 
zu IV und distal zu V/ mesial zu V bei X beginnende Vertikalatrophie. 

Fig. 2. Mesio-distaler Schnitt durch den im Röntgenbilde abgegrenzten Teil des Kiefers. 
Haem. v. Gies. 3:1. Spiegelbild des Röntgenbildes. Der im Röntgenbild wahrnehmbare 
horizontale Knochenschwund, das stark entwickelte Stratum periostale und an beiden Zahn¬ 
wurzeln die kolbige Auftreibung derselben durch Zementhyperplasie sind an diesem Schnitt 
bemerkenswert. 

Fig. 3. Die Stelle z^ — c aus Fig. 1, Tafel 23. 35:1. Im Periodontium erweiterte Ge- 
fäßinterstitien. In der retrocorticalen Zone Rieht hyperämisches Fettmark mit geringer 
Zellinfiltration. 

Fig. 4. Die Stelle z 2 — b aus Fig. 1, Tafel 23. 35:1. In der retrocorticalen Zone 
starke Gefäßvermehrung und Fasermark/ das Fettgewebe völlig geschwunden. Die 
Alvcolencorticalis osteoporotisch rarefiziert und an ihrer Innenseite von Howshipschcn 
Lakunen besäumt. Die Periodontiumfasern sind intakt; die Interstitien erweitert. 

TAFEL 23 

Fig. 1. Der große Ausschnitt der Fig. 1, Tafel 22 aus einem andern Schnitt derselben 
Serie. Haem. v. Gies. 10:1. a Zentrale Partie des interdentalen Fettmarks leicht hyper- 
ämisch mit geringer Zellvermehrung, b, c die in Fig. 4 und 5, Tafel 22 vergrößert 
wiedergegebenen Stellen, d von Rundzellen um^cheidetes größeres Blutgefäß, e Stratum 
periostale interdentale durch lymphatische Durchtränkung und zellige Infiltration seiner 
Faserbundei aufgelockert. / Stratum gingivale circulare, g v g 2 künstlicher Spalt zwischen 
Zement und innerem Saumepithel/ bei g x die Cuticula frei endend. h lt h» Zahnbeläge in den 
beiderseitigen Zahnfleischtaschen, i Reste des Stratum gingivale longitudinale, k Boden 
der Zahnfleischtasche, darunter ein am Zement haftender Zahnbelag/ darüber das durch 
Schrumpfung abgehobene innere Saumepithel. 

Fig. 2. Die Stelle y aus Fig. 1, Tafel 23. 30:1. a von Rundzellen umscheidete aus 
dem Knochenmark tretende Endäste des Vas interalveolare, b oberflächliche Schicht des 
Knochenmarks im Zustand entzündlicher Meraplasie. c infiltrierte Faszikeln des Stratum 
periostale, d dessen Fasern in ein Knochenbälkchen einstrahlend, c periodontales Inter- 
stitium. / leicht hyperämisches Fettmark mit geringer Zellinfiltration, g zellig infiltriertes 
Knochenmark ohne Fettzellen. 



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Röntgenologisch-anatomische Studien aus dem Gebiete der Kicferpathologie 39 

TAFEL 24 

Fig. 1. Die Stelle x aus Fig. 1, Tafel 23. a Blutgefäße, b stärkere Rundzelleninfil- 
tration. c derbe Faserbündel nach Resorption der Alveolencorticalis durch Metaplasie 
des Knochenmarks entstanden, d ebensolche Bündel, die sich unmittelbar an die Perio- 
dontiumfasem anschließen, e erhaltene Periodontiumfasern. / ein nicht resorbiertes Knodien- 
bälkchen der Alveolencorticalis die frühere Breite des Periodontiums andeutend, g ober¬ 
flächliche Schicht des Knochenmarks im Zustand entzündlicher Metaplasie <vgl. b Fig. 2, 
Tafel 23). h Stratum periostale. 

Fig. 2. Knochenmark zwischen c und d aus Fig. 1, Tafel 24. Haem. v. Gies. 120:1. 
Man sieht die feinen kollagcnen Fasern sich in die Zugrichtung des Periodontium ein- 
ordnen. 

TAFEL 25 

Fig. 1. Typische Faszikeln des Periodontiums mit stark erweiterten und zum Teil zellig 
infiltrierten Interstitien. Haem. v. Gies. 30:1. 

Fig. 2. Die leicht wellig verlaufenden Fasern der Periodontiums, links mit breitem 
Ansatz in den Knochen, rechts durch ein kleines — normales — Interstitium zusammen¬ 
gedrängt mit schmalem Ansatz in das Zement einstrahlend. Haem. v. Gies. 120:1. 


Ergänzende Bemerkungen zu Kiefer 52 

A. Unter den Zahnbelägen ist die Interdentalpapille in den Zustand 
ulzeröser Gingivitis versetzt worden. Der Entzündungsreiz hat jedoch in 
der Tiefe das fibröse GingivaJgewebe weniger getroffen als beim Kiefer 102. 
Das Stratum circulare ist zwar aufgelockert, sonst aber intakt. Das 
Epithel auf dem Kamm der Papille und den Taschenoberflächen ist so 
stark rarefiziert, daß es nur mit wenigen Lagen das unter ihm befindliche 
gefäßreiche Granulationsgewebe deckt und nur zarte Epithelsprossen in 
dasselbe vortreibt. Der Boden der Tasche, markiert durch Zahnbelag, steht 
beiderseits sehr tief,* das innere Saumepithel lag in vivo nur auf kurze Strecke 
dem Zement an. Es hat seine normale Mehrschichtigkeit eingebüßt und ist gleich^ 
falls zu einem zarten, ein bis zweischichtigen Zellbelag geworden, der sich 
zwischen Zahn und das hier etablierte Granulationsgewebe schiebt. Die Ver* 
größerung.10:1 in Fig. 1, Tafel 23 ist zu schwach, um diese Einzelheiten 
zu zeigen. Es liegt jedoch hier der gleiche Zustand vor, wie ihn Kiefer 75 
in Fig. 3, Tafel 28 aufweist/ nur mit dem Unterschiede, daß in unserm 
Falle gegenüber V das Epithel eine Cuticula ausgeschieden hat. Sie läßt 
Fig. 1, Tafel 23 bei ^ erkennen. Das subepitheliale Gewebe ist hier im Bereich 
des Saumepithels nicht rundzellig infiltriert, d. h. von Fibroblasten, Lympho* 
zyten und Plasmazellen durchsetzt, neben denen sich die kollagene Faserstruktur 
noch mehr oder weniger behauptet, sondern es ist als Ausdruck erhöhter Reiz- 
Wirkung in ein von hauptsächlich aus Leukozyten bestehendes gefäßreiches 
saftdurchtränktes Substrat umgewandelt unter völliger Auflösung der fibrösen 
Textur. Wir haben hier also Granulationsgewebe vor uns <vgl. Kiefer 98, 
Fig. 4, Tafel 37, Fig. 1 und 2, Tafel 38, Fig. 2, Tafel 48 bei d >. Auf diesem 
Mutterboden kann sich die normale Mehrschichtigkeit des Saumepithels nicht 
behaupten,* das Epithel erfährt die in Fig. 3, Tafel 28 wiedergegebene Ratefi- 
zierung. Dementsprechend treibt es hier nur zarte Epithelsprossen in die Tiefe. 


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Das Stratum periostale zeigt Auf Io ckerung und zellige Infiltration. Zwischen e 
und /Fig. 1, Tafel 23 gegenüber V ist das interdental ausgespannte Faser* 
gefüge jäh unterbrochen. Der Schnitt hat hier einen breiten, kleinzellig infiltrier* 
ten Lymphspalt getroffen, durch den die Entzündungsprodukte ihren Weg in die 
Tiefe nehmen. Gegenüber von IV und in der Mitte des Interdentalseptums 
sehen wir das gleiche Bild wie bei Kiefer 102: die Entzündung schreitet a 11 m ä h * 
lieh apikalwärts vor <Fig. 2, Tafel 23>. Anders bei V. Hier zeigt — be* 
sonders in Fig. 1, Tafel 23 —-, kenntlich an der intensiveren Färbung, das 
Knochenmark zellige Infiltration und gleichzeitig der Knochen Resorption, tief 
in das Interdentalseptum vorstoßend. Diese Stelle entspricht der mit x im 
Röntgenbilde <Fig. 1, Tafel 22) bezeidineten Vertikalatrophie. Ihren Weg 
haben die Entzündungsreize auch hier längs eines Gefäßes genommen <c/m 
Fig. 1, Tafel 23>. Warum ist hier aber der Einbruch in das Knochenmark 
in stärkerem Grade erfolgt als gegenüber IV, wo wir ja auch Gefäße aus 
dem entzündeten Zahn*Periost* Winkel in das Knochenmark ziehen sehen? 
(a in Fig. 2, Tafel 23>. Es ist eine bekannte Tatsache, daß Behinderung 
des venösen Abflusses Entzündungsreizen das Fortschreiten auf dem Lymph* 
wege erleichtert — man erinnere sich der Therapie bei Lymphangitis der Ex* 
tremitäten: durch Hochlagerung derselben, d. h. Erleichterung des venösen 
Abflusses, wird leicht Abhilfe geschafft. Warum sollte sich nicht auch hier 
der gleiche Vorgang im kleinen abspielen? Daß infolge gingivaler Entzün* 
düngen sich bei den oben <Kiefer 102> geschilderten erschwerten Abflußbe* 
dingungen Stauungen im paradentalen Bereich bemerkbar machen, beweist 
das Verhalten des Periodontiums,* seine erweiterten Interstitien infolge lym* 
phatischer Durchtränkung sprechen eine beredte Sprache. Unser Kiefer weist 
sie auf/ außerdem, was bei Kiefer 102 nicht zu beobachten war, offenbar auch 
als Ausdruck erschwerten Abflusses im ganzen vorliegenden Knochenmark 
vermehrte Kapillaren. Diese Tatsache allgemeiner venöser Stase erklärt 
jedoch noch nicht die isolierte Lymphangitis mesial zu V. Warum ist sie 
nicht auch distal von IV eingetreten? Es muß hier noch ein weiterer Um* 
stand hinzugekommen sein — eine lokale Disposition! Wir sahen beim Kie* 
fer 116 ohne jede gingivale Entzündung in der retrocorticalen Zone Akti* 
vierung des Knochenmarks, Hyperämie, regressiv* und progressiv*metapla* 
stische Vorgänge,* zu ihrer Erklärung ließ sich zwanglos ein sich gleichzeitig 
durch Zementanbau, Zementabbau, Knochenresorption und Periodontium* 
Verbreiterung bekundender Umbauprozeß heranziehen. Ein Blick auf den 
zweiten Prämolaren im Röntgenbilde unsers Kiefers den letzten Zahn 
dieser Kieferseite laut Protokollvermerk — läßt den starken Schwund seines 
paradentalen fibrösen und knöchernen Haltegerüsts erkennen. Auf seinem 
Paradentium muß der Kaudruck schwerer als auf dem von II und IV lasten,* er* 
höhte Umbauprozesse sind also um diesen Zahn zu gewärtigen. Daß sie von 
Hyperämie begleitet sind, lehrten Kiefer 102 und 116. In ihrem Bereich muß 
die an sich bestehende venöse Stase ein erhöhtes Ausmaß erreichen. Diese 
Vorgänge in das mesiale marginale Paradentium von V projiziert, geben 
uns für den beschleunigten Einbruch der Entzündung in das Knochenmark 


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Röntgenologisch-anatomische Studien aus dem Gebiete der Kieferpathologie 41 

gerade an dieser Stelle eine Erklärung an die Hand, die sich zwanglos, ohne 
Vergewaltigung unserer Vorstellungen, in den Rahmen der auch für andere 
Entzündungsprozesse geltenden Gesetze einfügt. 

B. Daß die Lymphangitis bei ihrem Fortschreiten in die Tiefe sich des be¬ 
quemsten Weges bedient, ist klar. Daher bleiben die zarten, aus dem Perio 
dontium über den Limbus heraustretenden und sich im Periost-Zahnwinkel 
verlierenden Kapillaren frei davon. Der Entzüpdungsprozeß schreitet längs 
der Endäste der Interalveolargefäße in die Tiefe. Es kommt daher nicht 
zu einer Periodontitis, sondern zu einer retroperiodontalen Osti¬ 
tis. Im Periodontium sehen wir erst sekundär die Interstitien sich mit 
Rundzellen füllen. Ihr Fasergerüst behauptet sich noch lange nach Schwund 
des Knochens <Fig. 1, Tafel 23 gegenüber d >. Daß sich unmittelbar an den 
Resorptionsprozeß wieder Reorganisation, also regressive Metaplasie an¬ 
schließt, wie sie die Fasern c in Fig. 1, Tafel 24 verraten, braucht uns nicht 
wunder zu nehmen/ es kann sogar, wie ich bei Kiefer 105 zeigen werde, in 
unmittelbarer Nähe eines Resorptionsvorganges zur Knochenneubildung durch 
direkte Metaplasie des Bindegewebes kommen. 

C. Als besonders bemerkenswert an diesem Kiefer möchte ich neben der be¬ 
ginnenden Vertikalatrophie das im Bereich des Saumepithels unterhalb der 
freien Tasche nachgewiesene Granulationsgewebe hervorheben ,• mit ihm werden 
wir uns noch bei andern <98, 108> Kiefern zu beschäftigen haben,- ferner 
möchte ich auf die Rolle der Zahnbelastung für das Zustandekommen der 
Pyorrhoe hin weisen; sie nimmt sich anders aus als Karoly i es sich gedacht hat, 
ist aber doch für die Entwicklung des Krankheitsbildes ein entscheidender Faktor. 

Kiefer 7 <Tafe( 26, 27, 28> 

Oberkiefer eines an Tuberkulose gestorbenen 54Jährigen. 

TAFEL 26 

Fig. 1. Das Röntgenbild zeigt diffuse Horizontalatrophie/ distal zu V besteht Vertikal- 
atrophie, die Neigung zum Ausgleich im Sinne einer Horizontalatrophie verrät. Zwischen 
den Wurzeln von VII ist es zur Resorption des Intcrradikulärseptums gekommen. 

Fig. 2. Mesio-distaler Schnitt durch die beiden buccalen Wurzeln von VII. Haem. 
Eos. 3:1. a mesiale Zahnfleischtasche. b Epithel, das in die interradikuläre Nische ein¬ 
gewuchert ist. c Stratum periostale, d Septum antri. 

Fig. 3. Mesio-distaler Schnitt durch VII palatinal zu der in Fig. 2 dargestellten Ebene, 
so daß die Molarenwurzeln nur ein wenig getroffen sind. Haem. Eos. 7:1 . a mesiale Zahn¬ 
fleischtasche. b die von Epithel ausgekleidete Nische im Interradikulärraum. 

Fig. 4. Ein anderer noch weiter palatinal liegender Schnitt/ die Wurzeln sind überhaupt 
nicht mehr getroffen. Haem. Eos. 15 : 1. a die offene Verbindung zwischen der inter- 
radikulären Nische und der Zahnfleischtasche, b Epithelsprossen des Nischenepithels, 
c das zellig infiltrierte Stratum periostale, d Zahnbeläge mit Bakterien durchsetzt und daher 
dunkel gefärbt. 

Fig. 5. Ein Schnitt zwischen den in Fig. 1 u. 2 dargestellten gelegen/ die Wurzeln 
sind zur Hälfte getroffen. Haem. Eos. 10 : 1. a Nischenepithel, b ein längsgetroffenes 
Gefäß, c Stratum periostale. 

TAFEL 27 

Fig. 1. Die Umgebung des Gefäßes b aus Fig. 5, Tafel 26. Haem. Eos. 30:1. a Nischen¬ 
epithel infolge bakterieller Einwirkung desquamierend. b das stark mit Rundzellen infil- 


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trierte Stratum periostale, c Periodontiumfasern. d kleinzeilig umscbeidete Gefäßquersdinitte. 
e Knocbenbälkdien. 

Fig. 2. Die Stelle x aus Fig. 4, Tafel 26. Haem. Eos. 30:1. a desquamierendes Nischen* 
epithel. b zellig infiltriertes Stratum periostale, c hyperämisches zellig infiltriertes Knochen¬ 
mark ohne Fettzellen. 

TAFEL 28 

Fig. 1. Mesio-distaler Schnitt weiter buccal gegenüber dem in Fig. 2, Tafel 26 wieder* 
gegebenen, so daß er bereits außerhalb der Nische liegt. Haem. Eos. 30 : 1. a Fibrillen* 
zement. b nach Schwund des Knochens erhalten gebliebene Periodontiumfasern mit er¬ 
weiterten Interstitien. c isolierter Cementikel. d zellig infiltriertes Knochenmark, e die buccale 
distale Wurzel. / Falte im Schnitt, g im eröffneten Markraum liegendes von Rundzellen 
umgebenes Gefäß, h durch Erweiterung der Interstitien rarefiziertes Periodontium an der 
buccalen distalen Wurzel, i dichtes Gefüge des Pcriodontiums an der buccalen mesialen 
Wurzel. 


Ergänzende Bemerkungen zu Kiefer 7 

Dieser Kiefer zeigt uns, wie die Mehrwurzligkeit eines Zahnes bei Atrophie 
des marginalen Paradentiums die schädlichen Kräfte in ihrer Wirkung unter* 
stützt und daß nur ein guter lokaler Gewebstonus das Paradentium eines 
solchen Zahnes vor rapidem Verfall schützt. Außerdem möchte ich darauf 
hinweisen, daß hier nicht eine granulierende Periodontitis, sondern ein ostiti* 
scher Prozeß vorliegt. Rekonstruieren wir uns den vorliegenden Prozeß rück* 
läufig, so hat sich hier wie auch bei den andern Kiefern im Anschluß an die 
Gingivitis eine chronische rarefizierende Periostitis breitgemacht. Aus ihr ent* 
wickelt sich die Ostitis, die nach Erreichung des entsprechenden Niveaus sich 
zwischen der palatinalen und buccal*mesialen Wurzel in den Interradikulärraum 
vorschiebt.Daß das Periodontium dabei eine passive Rolle spielt, beweist Fig. 1, 
Tafel28. Hier, wo es zwischen den beiden buccalenWurzeln noch nicht zur Auf* 
lösung des Gewebes und Nischenbildung gekommen ist, zeigt das Periodontium 
seine Faserstruktur und bekundet seine Plastizität durch Bildung des Cemen* 
tikels. Da der regressiv*metaplastische Vorgang sich allmählich abspielt, ent* 
wickelt sich immer wieder eine neue Periostlage,- in Fig. 3, Tafel 26 sehen wir 
sie kontinuierlich sich nach mesial und distal fortsetzen. Es fehlt diesem Stra* 
tum periostale allerdings die Ruhe, sich zu vollwertiger fibröser Struktur zu 
entwickeln,- die Zersetzungsvorgänge in der Nische entfachen in ihm stets 
von neuem Entzündungsvorgänge, so daß es (6 Fig. 1, Tafel 27) von Rund* 
zellen völlig durchsetzt ist. Überall sehen wir <c/Fig. 1, Tafel 27, ß Fig. 2, 
Tafel 27) die Gefäßscheiden infiltriert und durch sie die krankhaft gesteigerten 
Reize in das Knochenmark eindringen, den Knochen zum Schwund bringend. 
Dieser ostitische Prozeß kann unter Freilassung des periodontalen Bereiches 
sich weiter zu dem in Fig. 9, Tafel II wiedergegebenen Umfange entwickeln,- 
natürlich wird es hier leicht zu Sekretstauung in der Nische und damit zu akuter 
Überschwemmung aller Lymphwege auch der des Periodontiums mit Bak* 
teriengiften kommen. In der Nische haben wir das Analogon der pathologisch 
vertieften Zahnfleischtasche zu sehen. Wie bei dieser in vertikaler Richtung 
die Einschmelzung des fibrösen Gewebes dem Epithel den Weg ebnet, so 
hier in den interredikulären Raum hinein. 



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Röntgenologisch»anatomische Studien aus dem Gebiete der Kieferpathologie 43 


Kiefer 75 <Tafel 28, 29, 30> 

Oberkiefer eines an Tuberkulose gestorbenen 53Jährigen. 

TAFEL 28 

Fig. 2. Röntgenbild der Prämolarengegend, a Granulom oberhalb von V. b Vertikal- 
atrophie distal zu V. c Antrum, d Nasenboden ,• oberhalb IV Granulom. 

Fig. 3. Epithelansatz distal von IV. Stelle e aus Fig. 3, Tafel 30. Spiegelbild. Haem. 
v. Gieson 120 : 1. a dünner Epithelbelag, b Granulationsgewebe, c Epithelstränge. 
d Kapillaren. Der Spalt zwischen Zement und Epithel ist künstlich/ man sieht an der 
Zementoberfläche einzelne Epithelien haften. 

TAFEL 29 

Fig. 1. Mesio-distaler Schnitt durch IV und V. Spiegelbild zum Röntgenogramm. 
Haem. v. Gieson 3:1 . a Epithelansatz mesial zu IV. b und c Zahnfleischtaschen beider¬ 
seits von V. d s. Fig. 4, Tafel 30. e und / das verbreiterte und entzündete Periodontium. 
ff Abszeßhöhle oberhalb IV. h Zementresorption, i und k Wurzeldentin am For. apicale. 
/ knöcherner Antrumboden, m kleine Schleimzyste in der entzündeten Antrumschleimhaut. 

Fig. 2. Die Stelle b aus Fig. 1, Tafel 30. Haem. v. Gieson 70 : 1. a gefärbter Zelloidin- 

streifen in der Abszeßhöhle. b verkäste Massen, c Lymphozyten, d Riesenzelle. 

Fig. 3. Eine tuberkulöse Riesenzelle. Haem. v. Gieson. Leitz-Immcrsion. a Verkäsung. 
b Lymphozyten. 

TAFEL 30 

Fig. 1. Die distale Wurzelhälfte von V aus einem andern als dem in Fig. L Tafel 29 
dargestcllten Schnitt. Haem. v. Gies. 10:1. a miliare Tuberkel in der Abszeßwand, b die 
in Fig. 2, Tafel 29 wiedergegebene Stelle, c bindegewebig metaplasiertes Knochenmark. 
d Stratum periostale, e Zahnfleisd tasche, am Zement Zahnbelag. 

Fig. 2. Eine Stelle aus dem fibrös entarteten Knochenmark. Haem. v. Gieson 50:1. 

Fig. 3. Die in Fig. 1, Tafel 29 nicht mehr dargestellte Zahnfleischpapille mesial zu a. 

Haem. v. Gieson 30:1. a Zahnstein auf der nicht wiedergegebenen distalen Wurzelseite von 111. 
b durch Schrumpfung entstandene Spalten, c polypöse Wucherung der Taschcnw r and. 
e die in Fig. 3, Tafel 28 wiedergegebene Stelle. / Zahnfleisch tasche mesial zu IV. 

Fig. 4. Die Stelle d aus Fig. 1, Tafel 29. Haem. v. Gieson 30: 1. a Rundzellen¬ 
infiltration in der Submukosa, b zellig infiltriertes und zerklüftetes Stratum periostale, ceröff- 
neter Markraum/ destruierres Knochenmark. Die Knochenbälkchen von Os f ecklasten besetzt. 

Ergänzende Bemerkungen zu Kiefer 75 

A. Das Röntgenbild zeigt uns beiderseits von V vertikale Atrophie des 
Knochens. Wäre hier Guttaperchasondierung vorgenommen, die Sonde würde 
nur wenig unterhalb des Knochenrandes vorgedrungen sein. Denn wie Fig. 1 
Tafel 30 zeigt, unterhält, wenn auch nur in schmalem Streifen, das Periodontium 
Kontakt mit dem Zahn,* oberhalb e stößt das Epithel des Taschenbodens auf 
einen Strang fibrösen Gewebes. Die Gegenüberstellung des Röntgenbildes 
von Kiefer 75 mit Fig. 7, Tafel 2, einem analogen Fall von Vertikalatrophie, 
läßt den Wert der Guttaperchasondierung deutlich erkennen. 

B. Der periapikale Abszeß oberhalb V ist sicher pulpogenen Ursprungs. 
Die tuberkulöse Infektion der Abszeßmembran dürfte durch vom Munde 
her durch das Pulpenkavum eingedrungene Bazillen hervorgerufen sein. In 
der ganzen Peripherie der Abszeßmembran sind miliare Tuberkel und in 
jedem Schnitt der Serie mehrere Riesenzellen vorhanden. Färbung auf Tb ergab 
zwar negatives Resultat,- doch läßt der histologische Befund — Verkäsung und 
typische Riesenzellen — an der Spezifität der Infektion keinen Zweifel. 


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C. Von dem tuberkulösen Herd aus ist es zu einer diffusen Ostitis ge* 
kommen, welche im Bereich des untersuchten Kiefers überall dasselbe Bild 
zeigt,- Fettmark ist nirgends erhalten,- überall ist das Knochenmark in ein 
an Rund* und Spindelzellen reiches Gewebe umgewandelt, in das ein fein* 
fasriges kollagenes Maschenwerk eingeflochten ist <Fig. 2, Tafel 30>. Wir haben 
das Bild einer Ostitis fibrosa vor uns. In unmittelbarer Umgebung der in* 
fizierten Abszeßmembran befindet sich der Knochen in rapider Auflösung,- 
die Knochenbälkchen sind mit Osteoklasten beserzt, nachdem ohne Frage 
vorher ein sklerosierender Prozeß den Knochen nach distal <s. Fig. 1, Tafel 29) 
— auch im Röntgenbilde <Fig. 2, Tafel 28) bei ß erkennbar — verdickt hatte. 
Die apikale Resorption der Wurzelspitze hat tiefe Lakunen in das Zement 
und Dentin eingefressen. Das Periodontium steht unter unmittelbarer Kon* 
taktwirkung des tuberkulösen Herdes. Bis auf die wenigen erhaltenen Faser* 
bündel <Fig. 1, Tafel 30) ist es in ein zellreiches Granulationsgewebe um* 
gewandelt. In seiner Umgebung ist der Knochen in starker dentifugaler 
Resorption durch Osteoklasten begriffen. Interessant ist dabei, daß trotz der 
starken Entzündung das Gewebe noch die Kraft zu progressiver Meta* 
plasie hatte und die stark verlängerten Periodontiumfasem bereitstellen 
konnte <Fig. 1, Tafel 30). Der tuberkulöse Entzündungsreiz hat auch auf 
die Schleimhaut des Antrums übergegriffen,- sie ist mit Rundzellen durchsetzt 
und stark verdickt, so daß einzelne Drüsenschläuche verlegt sind und sich 
kleine Schleimzysten gebildet haben. 

D. Ohne Frage ist die Atrophie des marginalen Paradentiums durch die 
diffuse Ostitis begünstigt worden, so daß der Prozeß im Sinne des vertikalen 
Typs sich entwickeln konnte. Fig. 4, Tafel 30 zeigt, wie die Entzündung 
weiter distal <Stelle */Fig. 1, Tafel 29) vom Knochen herauf bis unter die 
Schleimhaut reicht, deren Submucosa kleinzellig infiltriert ist (a in Fig. 4, 
Tafel 30). Die Mucosa selbst und ihr Stratum papillare dagegen sind frei 
davon. In den Zahnfleischpapillen von IV und V ist das Gewebe unter 
dem Einfluß äußerer Bakterienreize in Granulationsgewebe umgewandelt/ 
auf ihm hat sich das Epithel rarefiziert und zeigt überall das in Fig. 3, 
Tafel 28 abgebildete Verhalten. In der in Fig. 1, Tafel 30 wiedergegebenen 
Tasche distal zu V und bei c Fig. 3, Tafel 30 ist das Granulationsgewebe 
der Taschenwand polypös gewuchert, als Ausdruck des stärksten Grades 
einer Gingivitis ulcerosa interna. Bei ß Fig. 3, Tafel 30 sind die abgebildeten 
Spalten in vivo nicht vorhanden. Sie sind vielmehr durch Auseinanderreißen 
der zarten Epithelsprossen infolge Schrumpfung entstanden. <VgI. a in Fig. 2, 
Tafel 38.) 


Kiefer 32 <TafeI 31, 32, 33) 

Oberkiefer eines an Lungentuberkulose verstorbenen 54Jährigen. 

TAFEL 31 

Fig. 1. Röntgenbild. a Vertikalatrophie mesial zum frakturierten ersten Prämolaren. 
b Horizontalatrophie, c Verbreiterung der Periodontiumlinie an der mesialen Seite von VIII. 
Die verbreiterten Interdentalräume zwischen den beiden Molaren und den anderen Zähnen 



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Röntgenologisch-anatomische Studien aus dem Gebiete der Kieferpathologie 45 


sprechen dafür, daß dort ein Molar fehlt. Der dem VIII benachbarte Zahn wird daher 
als VI an gesprochen. 

Fig. 2. Mesio-distafer Schnitt durch die mesiale Hälfte von VIII und die buccal- 
distale Wurzel von VI. Letztere liegt nur mit ihrem äußersten buccalen Bereich in der 
Schnittebene. Haem. v. Gies. 7:1 (Spiegelbild zum Röntgenbild), a geschrumpfte Inter¬ 
dentalpapille. b Zahnstein, c Ansatzstelle des Stratum gingivale an das Wurzelzement 
von VIII. d das Stratum periostale durch Rundzelleninfiltration aufgelockert. Eröffnung 
des Markraumes. 

Fig. 3. Die in Fig. 2 abgebildete Stelle aus einem andern Schnitt derselben Serie. 
Haem. v. Gies. 10:1. a Stratum gingivale circulare in der stark geschrumpften Papille. 
b subepitheliales Granulationsgewebe, c Stratum gingivale longitudinale in das Stratum 
periostale einstrahlend, d Rundzelleninfiltration in einem in der Schnittebene liegenden 
Lymphspalt, e Verlängerte Periodontiumfaser nach dentifugaler Resorption des Knochens. 
/ von Osteoklasten besetztes Knochenbälkchen, die frühere Breite des Periodontiums an¬ 
zeigend. g erweiterter Gefäßkanal, die Alveolarcorticalis durchbohrend, h retrokortikale 
Zone des Knochenmarks zellig infiltriert und hyperämisch. i stark erweitertes Gefäß in 
der retrocorticalen Zone. 

Fig. 4. Mesio-distaler Schnitt durch den frakturierten IV. Haem. v. Gies. 3:1. a die 
distale Zahnfleisch-Knochentasche, der im Röntgenbilde sichtbaren Vertikalatrophie ent¬ 
sprechend. b der Spalt zwischen dem großen oralen und kleinen apikalen Frakturstück 

TAFEL 32 

Fig. 1. Der frakturierte Prämolar (Spiegelbild zu Fig. 4, Tafel 31). a Taschenwand 
in Granulationsgewebe umgewandelt, dahinter das Stratum periostale, gegenüber auf dem 
Zahn Zahnbelag, b das epithelisierte Granulationsgewebe schiebt sich in den Fraktur¬ 
spalt. c das straffe Bindegewebe im Frakturspalt um ein Gefäß herum kleinzellig in¬ 
filtriert. 

Fig. 2. Epithelansatz aus Fig. 2, Tafel 31. Haem. v. Gies. 30:1. a primäres Saum¬ 
epithel vom Zement infolge Schrumpfung abgehoben, b Taschenepithel, das Saumepithel 
unterwachsend, c—c Stratum gingivale longitudinale. 

Fig. 3. Ostitis fibrosa aus der Umgebung der Stelle a Fig. 1, Tafel 33. Haem. v. Gies. 70:1. 

TAFEL 33 

Fig. 1. Die Spongiosa unterhalb des Antrumbodens. Haem. v. Gieson 20:1. a die 
in Fig. 3, Tafel 32 wiedergegebene Stelle, b die entzündete Antrumschleimhaut. Zystische 
Erweiterung der Drüsentubuli. 

Ergänzende Bemerkungen zu Kiefer 32 

A. Der Kiefer verdient besonderes Interesse, weil er uns einen frakturierten 
Zahn in situ zeigt, außerdem wie in Kiefer 75 eine diffuse Ostitis wenn auch 
geringeren Grades vorhanden ist. Zur Erklärung des ostitischen Prozesses 
möchte ich das die Zahnfraktur verschuldende Trauma heranziehen. Ich bin 
in der Lage über einen klinischen Fall berichten zu können, dessen Verlauf 
mir auf den kausalen Zusammhang zwischen Trauma und ostitischen Ver* 
änderungen hinzuweisen scheint. 

Es handelte sich um einen kräftigen, Anfang der Fünfzig stehenden Pa* 
tienten, der im Felde durch eine Granatexplosion gegen eine Wand ge* 
schleudert wurde und sich eine Fraktur des linken Oberkiefers ohne Dis* 
lokation zugezogen hatte. Die Heilung erfolgte ohne Komplikationen. Der 
Patient erlitt ein Jahr später ein zweites Trauma durch Schlag gegen die* 
selbe Gesichtshälfte. Nach einem weiteren halben Jahre stellten sich im 


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linken Oberkiefer chronisch-entzündliche Prozesse ein, die zur Sequestra- 
tion des Alveolarfortsatzes im Bereiche der Prämolaren und Molaren und 
zum Verlust dieser Zähne führten. Bei der röntgenologischen Untersuchung 
war außer dem letzten Molaren vom Eckzahn an kein Zahn der erkrank- 
ten linken Kieferhälfte mehr vorhanden ,* es bestanden sezernierende Fisteln. 
Das Röntgenbild ergab einen größeren hochgelegenen Sequester, der nicht bis 
zum freien Alveolarrande herabreichte, und ließ oberhalb des letzten Molaren 
ein Granulom erkennen. Tabes und Diabetes lagen nicht vor,- die Wasser- 
mannsche Reaktion war negativ,- ebensowenig waren anamnestische und kli¬ 
nische Anhaltspunkte für Tuberkulose vorhanden/ doch ist sicher Abusus al- 
coholi in früheren Jahrenanzunehmen. Herr Professor Neumann, mit dem 
zusammen ich diesen Fall beobachtete, und ich kamen auf Grund des Gesamt¬ 
befundes zu folgender Erklärung des Entzündungsprozesses: Bei der Fraktur 
ist es im Bereiche des Alveolarfortsatzes zu einem Hämatom gekommen, das, 
nicht völlig resorbiert, in der Spongiosa einen Locus minoris resistentiae abgab. 
Das zweite Trauma erhöhte die Empfindlichkeit für infektiöse Reize durch 
eventuelle Etablierung eines neuen Blutergusses. Von dem Granulom ober¬ 
halb des letzten Molaren ist es dann zur Verschleppung von Eitererregern 
in den Knochen und damit zur Infektion des in seinem Gewebstonus ge¬ 
schwächten Knochenmarks gekommen. Es entwickelte sich ein subakuter Prozeß 
mit Sequestration des ganzen durch die vorangegangenen Traumen veränderten 
Knochenbereiches, der mit Ausstoßung der Alveolen und ihrer Zähne endete. 

Ich habe diesen Fall ausführlich mitgeteilt, weil ich auch bei Kiefer 32 das die 
Zahnfraktur verursachende Trauma für die im mikroskopischen Bilde uns ent¬ 
gegentretende diffuse Ostitis im gleichen Sinne wie dort verantwortlich machen 
möchte. Dem Krankenblatt des betreffenden Patienten ließ sich nichts über den 
Zeitpunkt der Fraktur entnehmen. Tuberkulöse Prozesse, wie etwa im Kiefer 75, 
waren, trotzdem der Patient an Tuberkulose gestorben ist, im Kiefer nicht nach¬ 
weisbar. Doch ist, wie im mitgeteilten Falle die alkoholische Belastung der 
Anamnese bei der Erklärung für das Zustandekommen der posttraumatischen 
Erscheinungen nicht unberücksichtigt bleiben darf, auch hier neben das Trauma 
die schwere Tuberkulose als belastender Faktor mit in Rechnung zu setzen. 

B. Die Vertikalatrophie distal zu IV ist sicher eine direkte Folge des Traumas. 
Es ist dabei zur Ablösung des supraalveolaren Paradentiums und zu so 
schwerer Knochenzerstörung gekommen, daß eine Reorganisation des Al¬ 
veolarrandes nicht mehr möglich war. Mesial besteht nur Horizontalatrophie 
bis zur Höhe der Frakturstelle,- das supraalveolare Paradentium hat dagegen 
hier keinen schwereren Schaden genommen,- es haftet dem Zahn fest an. 

Wofern distal zu IV klinisch eine Pyorrhoe bestand, ist sie als intra- 
alveolare Form anzusprechen,- denn der Boden der Tasche, markiert durch 
den Zahnbelag, liegt tiefer als der Knochenrand <Fig. 1, Tafel 32>. Hinter der 
in Granulationsgewebe umgewandef ten Taschen wand liegt das Stratum peri¬ 
ostale dem Knochen auf. Das Bindegewebe im Frakturspalt hat derb-fibröse 
Struktur angenommen/ in der Umgebung eines in der Mitte liegenden Blut¬ 
gefäßes macht sich Entzündung bemerkbar. Ebenso erfolgt von distal Auf- 


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Röntgenologisduanatomiscfie Studien aus dem Gebiete der Kieferpathologie 47 

lockerung des Bindegewebes, wobei sich gleichzeitig Taschenepithel in den 
Spalt schiebt und so die Ausstoßung des oralen Frakturstückes einleitet. 

C. Mesial zu VIII ist im Röntgenbilde Horizontalatrophie des Knochens 
und Verbreiterung der Periodontiumlinie sichtbar. Das mikroskopische Bild 
zeigt hier <Fig. 2 und 3, Tafel 31) eine eben beginnende Vertikalatrophie 
in einem noch früheren Stadium als Kiefer 52. Daß hier klinisch Eiterung, 
also eine Pyorrhoea supraalveolaris bestanden hat, glaube ich nicht. Das 
Taschenepithel ist zwar an einzelnen Stellen recht dünn, auch sind die 
Papillen erweitert und starke Hyperämie in ihnen bemerkbar,* doch dürfte 
wohl die Leukozytenauswanderung durch die gelegentlichen Epithel* 
erosionen nicht so bedeutend gewesen sein, um eine klinisch nachweis* 
bare Eiterung im Sinne der Römerschen Forderung <1. c.) zu unterhalten. 
Interessant ist das Verhalten des Taschenepithels dicht oberhalb des 
Saumepithels/ es treibt Zapfen in das subepitheliale entzündete Substrat, 
welche in der Tiefe zusammenfließen und hinter dem Saumepithel sich aus* 
breiten <vgl. Kiefer 105). Dessen Basis trifft <Fig. 2, Tafel 32> auf den An* 
satz der longitudinalen Gingivalfasern an das Zement,* an einer andern Stelle 
des Präparates (t/in Fig. 3, Tafel 31) ist dem Saumepithel dagegen der Weg 
in die Tiefe geebnet durch die Lymphspalte, die hier das straffe Gefüge der 
Zahnfleischfasern auseinanderdrängt und Rundzellengewebe in unmittelbare 
Nachbarschaft des Zahnes bringt. Die vertikale Epithelwucherung erfolgt 
also nicht in einheitlicher Front, sondern in Form einzelner zapfenartiger Aus* 
läufer — eben dort, wo entzündliche Prozesse im infraepithelialen Bereich 
den Anstoß geben <vgl. B in Fig. 3, Tafel 37>. Wie Fig. 3, Tafel 31 zeigt, 
ist unterhalb der Basis, der Zahnfleischpapille die Randcorticalis breit durch* 
brochen. Am in Auflösung durch Osteoklasten begriffenen Knochenbälkchen f 
ist gleichfalls der Knochen in dentifugaler Resorption begriffen, wobei wie beim 
Kiefer 52 das Periodontium erhalten ist. Ausdrücklich betone ich, daß mir 
auch an diesem Kiefer wie sonst überall stets nur lakunäre Resorption be* 
gegnet ist. Wo ich auf Bilder traf, ähnlich den von Fleischmann und Gott* 
lieb in den Fig. 18 und 19 <F1. u. G. I> abgebildeten, haben sie sich als ab* 
fallende Randpartien von Knochenbälkchen mit überlagernden Bindegewebs* 
fasern zu erkennen gegeben. Ich muß das Vorkommen einer Halisteresis, 
Tripsis oder Osteolyse wenigstens für mein Material in Abrede stellen. 
Daß an dieser Stelle die Horizontalatrophie beginnt sich in eine solche ver* 
tikalen Charakters umzuwandeln, ist nach den Ausführungen bei Kiefer 52 
und 75 nicht auffallend. Wie weit daran das Trauma mit verantwortlich ist, 
bleibe dahingestellt. Aber die starke Hyperämie der retrocorticalen Zone — 
man beachte das große Gefäß bei / <Fig. 3, Tafel 31), unterhalb der Stelle g 
findet sich ein zweites gleichen Kalibers — spricht dafür, daß den entzünd* 
liehen Reizen hier die Wege zum vertikalen Einbruch geebnet sind. Dazu 
kommt die Herabsetzung des Gewebstonus durch diffuse Ostitis und die 
schwere Tuberkulose. 


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Kiefer 105 <Tafel, 33, 34> 

Oberkiefer eines an Ca. ventriculi gestorbenen 63 Jährigen. 

TAFEL 33 

Fig. 2. Photogramm des entkalkten Kiefers. Vor der Entkalkung waren die Molaren 
von einer einheitlichen Zahnsteinkruste eingehüllt/ die Falte in der buccalen Schleimhaut 
oberhalb des letzten Molaren rührt vom Druck des Zahnsteins her. 

Fig. 3. Röntgenbild der Molarengegend, Spiegelbild zu Fig. 2/ man erkennt deutlich 
den Umfang des Zahnsteins/ mesial zu VIII besteht eine Horizontalatrophie, von der 
ich glauben möchte, daß sie sich durch allmähliche nivellierende Randresorption aus einer 
vorher bestandenen vertikalen Atrophie entwickelt hat. Außerdem besteht Verbreiterung 
der Periodontiumlinie bei VIII. 

Fig. 4. Mesio-distaler Schnitt von VI bis VIII reichend. Spiegelbild zu Fig. 3. Haem. 
v. Gies. 3:1. Die Breite des Periodontiums beträgt apikal 0,8 mm, distal zu VIII 0,4 mm. 

TAFEL 34 

Fig. 1. Mesio-distaler Schnitt von V bis VIII reichend, mehr buccal gelegen als der 
in Fig. 4, Tafel 33, dargestellte. Haem. v. Gies. 3:1. 

Fig. 2. Die supraalveolare Zone mesial zu VIII aus Fig. 4, Tafel 33. Haem. v. Gies. 
10:1. a polypös gewuchertes Taschenepithel am Eingang der Tasche, b rarefiziertes 
Saumepithel auf der Taschen Oberfläche/ zwischen a und b Mundepithel, c durch Schrump- 
fung vom Zahnzement abgehobenes Saumepithel, d siehe nächste Figur. 

Fig. 3. Das Knochenbälkchen d aus der vorigen Figur. 

Ergänzende Bemerkungen zu Kiefer 105 

A. Die vertiefte Tasche mesial zu VIII zeigt auf ihrer ganzen Oberfläche 
das Bild einer ulzerösen Gingivitis interna. Daß hier in vivo eine Pyorrhoe 
bestanden hat, ist mir nicht zweifelhaft. Bei a und B ist das zum Teil polypös 
<<7> gewucherte Gewebe von mehrschichtigem Epithel unterwachsen, so daß 
es den Eindruck macht, als bezöge die ulzeröse Oberfläche nur durch einzelne 
schmale Brücken ihr Blut. An einzelnen Stellen fehlt das Epithel überhaupt, 
an andern ist es dünn,* aber trotz dieses Zustandes zeigt es sich nicht von 
der Schmächtigkeit, wie wir es bei Kiefer 52 und 75 <Fig. 3, Tafel 28) kennen 
lernten/ es behauptet besonders in der Tiefe stets den Charakter des Pflaster- 
epithels,- an einzelnen Stellen zwischen B und c treibt es breite Sprossen in 
die Tiefe, bei c hinter das Saumepithel. Sein intensiver Wachstumsdrang 
bekundet sich durch Abplattung der gegen das Bindegewebe sehenden ober¬ 
flächlichen Zellagen/ es macht den Eindruck, als habe das Epithel seine Front 
geändert, als läge nach dem Taschenlumen zu seine bindegewebige Unterlage 
— das Granulationsgewebe der erweiterten, fast abgeschnürten Papillen — 
und seine freie Oberfläche sähe nach innen. Ich werde auf diese Epithel- 
Verhältnisse an anderer Stelle unter Beibringung stärkerer Vergrößerung noch 
genauer eingehen,- der schon übermäßig große Umfang meines Materials ver¬ 
bietet mir hier noch weitere Einzelheiten abzubilden. Das subepitheliale 
Gewebe zeigt — abgesehen von der polypös gewucherten, in Granulations¬ 
gewebe umgewandelten Papillarschicht — nur Entzündung mittleren Grades, 
d. h. ist nur von Rundzellen infiltriert. 

B. Ein Vergleich der Fig. 4, Tafel 33 und Fig. 1, Tafel 34 zeigt, daß die 
Tasche nur auf einem beschränkten Teil der mesialen Fläche von VIII sich 



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Röntgenologisch-anatomische Studien aus dem Gebiete der Kieferpathologie 49 


entwickelt hat. In Fig. 1, Tafel 34 stößt das Zahnfleisch senkrecht gegen den 
Zahn,* das ursprüngliche Stratum periostale <superficiale> ist hier noch er¬ 
halten — der helle Fleck ist ein Riß im Präparat —/es hat sich aber bereits 
unter ihm oberhalb des Knochens die mächtige Faserlage eines neuen Stratum 
periostale <profun dum> gebildet, ähnlich wie bei Kiefer 102 (e in Fig. 1, Tafel 14>. 
Die Randcorticalis darunter ist cribrös, die Knochenbälkchen des Dreiund* 
sechzigjährigen sind zart — senile exzentrische Atrophie. Das Knochenmark 
weist im oberflächlichen Bereich des erweiterten Interdentalseptums die Zeichen 
der chronischen Entzündung auf: kein Fettmark, zartes Spindelzellenmark 
mit kollägenen Fasern durchsetzt. In der Tiefe und sonst im ganzen Para** 
dentium von VIII fällt Hyperämie und Rundzelleneinlagerung auf. Wir sind 
ihr bei Besprechung des Kiefers 52 und 32 als Ausdruck von StauungserscheU 
nungen begegnet. Das Periodontium ist frei von Entzündungen, seine Fasern 
auch dort, wo der Knochen geschwunden ist, erhalten. Im Bereich der allere 
dings nicht in der Zahnachse getroffenen Wurzelspitze beträgt seine Breite 
0,8 mm, auf der distalen Wurzelseite 0,4 mm. Hier fallen Cementikelbildungen 
auf/ ein besonders großer Cementikel ist in Fig. 4, Tafel 33 selbst bei der 
schwachen Vergrößerung sichtbar. Diese Verbreiterung des Periodontalraumes 
bringt sich auch im Röntgenbilde zur Geltung. Dagegen verrät sich der 
cribröse Charakter der Alveolencorticalis an der Wurzelspitze röntgenologisch 
nicht. Über das Zustandekommen der Vorgänge an diesem Zahn brauche 
ich mich mit Rücksicht auf das bei Kiefer 52, 75 und 32 Gesagte nicht weiter 
zu verbreiten. Die dort beobachtete Tatsache, daß die Endäste der Inten* 
alveolargefäße die Transportwege der Entzündungsreize sind, erklärt auch 
hier die Beschränkung der Taschenbildung auf einen kleinen Bezirk, während 
dicht benachbarte Partien <Fig. 1, Tafel 34> dieselben Vertiefungen des Pro* 
zesses nicht erfahren. Offenbar hat in der in Fig. 3, Tafel 33 dargestellten 
Zone unter der kombinierten Wirkung des Oberflächenreizes, der allge* 
meinen Stauung eines dort tätigen Umbauvorganges und der lokalisierten 
höheren Lymphstase ein solches Gefäß die Entzündung jäh in die Tiefe 
geführt. 

C. Interessant ist der in Fig. 3, Tafel 44 wiedergegebene Befund einer 
Knochenneubildung aus unmittelbarer Nähe der Entzündung {cf in Fig. 2,- 
Tafel 34>. Die Ähnlichkeit mit den oben zitierten Fleischmann*Gottlieb* 
sehen und Römer sehen Bildern fällt in die Augen <s. Kiefer 81, Fig. 2,Tafel 43). 
Auf dem Gebiete der Knochenpathologie anerkannte Autoren haben meine 
Auffassung, daß es sich hier um direkte Metaplasie des Bindegewebes in 
Knochen und nicht um „Osteolyse" handelt, bestätigt. 

Kiefer 35 <Tafel 35, 36> 

Oberkiefer eines an Arteriosklerose gestorbenen 79Jährigen. 

TAFEL 35 

Fig. 1. Röntgenbild. Distal zum weit distal verschobenen III Vertikalatrophie. Der 
Alveolarrand ist palatinal bogenförmig ausgebuchtet/ nach buccal-mesial liegt der Wurzel 
sklerotischer Knochen an/ weiter davon mesial ein isolierter Sequester. 

Viertdjahrssdirift für Zahnhdlkunde, Heft 1 4 


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Fig. 2. Labio-palatinaler Schnitt. Haem. v. Gics. 3:1. a Knochenzement an der pala¬ 
tinalen Seite des apikalen Wurzeldrittels/ gegenüber Osteoporose der gleichzeitig ver¬ 
dickten Alveolencorticalis, Breite des Periodontiums 0,48 mm. b das labiale 0,24 mm 
breite Periodontium. c Zementresorption auf der labialen Wurzelseite. Der Ausschnitt 
umgrenzt eine palatinal gelegene Nische. 

Fig. 3. Der Ausschnitt aus Fig. 1. Haem. v. Gies. 10:1. a und c Zahnsteinbelag. 
b das aufgelockerte neu gebildete Stratum periostale, d Epithelwucherung in der Nischen- 
wand, e eröffneter Markraum. 

TAFEL 36 

Fig. 1. Mesio-distaler Schnitt der mesialen Hälfte von III aus Fig. 1, Tafel 35, Spiegel¬ 
bild. Haem. v. Gies. 10:1. a Zahnstein in der Zahnfleischtasche, b gemeinsamer breiter 
Ansatz des Stratum gingivale longitudinale und Stratum periostale an die mesiale Wurzel- 
fläche, c epithelausgekleidete Bucht der cirkulär wie palatinal die Wurzel umgreifenden 
Nischenbildung, d Granulationsgewebe, e starke gehäufte Rundzelleninfiltration als 
Ausdruck akuter Entzündung. 

Ergänzende Bemerkungen zu Kiefer 35 

Die Analyse dieses interessanten Falles muß leider eine unvollkommene 
bleiben, da während des Krieges eingebettetes Material verlorengegangen 
ist. So bin ich nicht in der Lage, die distal zu III röntgenologisch nachweis- 
bare Vertikalatrophie mikroskopisch darzustellen. Der labio-palatinale Schnitt 
<Fig. 2, Tafel 35) stellt uns einer tief unter das Knochenniveau herunterreichen- 
den Nische gegenüber. Wir haben in ihr den Ausgang einer parallel zum 
analogen distalen Prozeß palatinal zur Entwicklung gelangten Vertikalatrophie 
vor uns. Interessanterweise sind die oberflächlichen Entzündungserschei¬ 
nungen hier völlig abgeklungen. Wäre nicht bei a und kontinuierlich bis c 
<Fig. 3, Tafel 35> Zahnstein nachweisbar und das Bindegewebe gegenüber 
a von Epithel gedeckt, so würde ich den dort befindlichen Spalt für einen 
künstlichen halten,* so glatt ohne jede Infiltration reicht das fibröse Gewebe 
bis dicht unter das Epithel heran. Daß hier eine Pyorrhoe bestanden hat, 
ist mir nicht zweifelhaft,* es ist die vollentwickelte intraalveoläre Form/ der 
Knochen im Bereich der Nische ist zwar noch von einem Stratum periostale 
bekleidet, doch ist es durch die infolge der Sekretstauung anhaltenden Reize 
stark infiltriert und rarefiziert,* der Knochen selbst in lakunärer Resorption 
begriffen,* das Knochenmark in unmittelbarer Umgebung, desgleichen das 
angrenzende Periodontium hochgradig entzündet. Trotzdem wäre es wohl 
unangebracht, diese Sekundärersdieinungen im Periodontium als den Angel¬ 
punkt des vorliegenden Prozesses im Sinne der Römer sehen Periodontitis 
chronica marginalis purulenta anzusprechen ,* denn das Sekret entstammt in 
diesem Falle der granulierenden epitheldurchwachsenen Nischenwand. Gleich¬ 
falls als Sekundärerscheinung auf dem Boden der palatinal ausgebildeten 
Vertikalatrophie hat der entzündliche Vorgang sich cirkulär um den Zahn 
nach mesial ausgebreitet <Fig. 1, Tafel 36). Es besteht keine direkte Ver¬ 
bindung der Nische mit der Mundhöhle. Das Sekret wird sich naturgemäß 
hier leicht stauen und weitere Ausbreitung des unterminierenden Prozesses 
veranlassen. So deute ich die bei e sichtbare, besonders dichte Rundzellen¬ 
infiltration als Ausdruck eines solchen „akuten Nachschubes". 



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Röntgenologisch*anatomische Studien aus dem Gebiete der Kieferpathologie 51 

Kiefer 98 <Tafel 36, 37, 38, 48> 

Oberkiefer eines an Lues cerebri gestorbenen 59Jährigen. 

TAFEL 36 

Fig. 2. Röntgenbild der Molarengegend/ mesial und distal zum Molaren, der als VII 
angesprochen wird, besteht Horizontalatrophie, befördert durch die um die kleinen Wurzel* 
reste von VI und VIII unterhaltenen Entzündungen. Das Interradikulärseptum noch nicht 
angegriffen, die Linie deutet die in Fig. 3 wiedergegebene Schnitthöhe an, sie liegt 1V 2 mm 
unterhalb des Zahnfleischrandes. 

Fig. 3. Horizontalschnitt I dicht unterhalb des Pulpenbodens durch VII und den Wurzel* 
rest von VI auf der im Röntgenbilde eingezeichneten Schnitthöhe. Haem. Eos. 3:1. b buccal, 
d distal, m mesial, p palatinal. Der Zahnhals von VII ist distal und palatinal von Weich* 
teilen entblößt. Der Spalt zwischen Zahn und Zahnfleisch ist nur so weit als in vivo 
bestandene Tasche anzusprechen, als Zahnbelag nachweisbar ist, d. h. am freien Ende des 
Zahnfleisches zwischen m und p und an der buccalen Seite des distalen Wurzelansatzes. 

Fig. 4. Horizontalschnitt II etwas weiter apikalwärts. Haem. Eos. 3:1. Hier ist keine 
Zahnfleischtasche mehr vorhanden. Bezeichnungen wie in Fig. 3. 

Fig. 5. Horizontalschnitt III weiter apikalwärts als II. Haem. Eos. 3 : 1. Gegenüber 
der mesialen Wurzelfläche liegt das Gewebe der Wurzeloberfläche dicht an als Ausdruck 
dessen, daß Epithel bis hierher nicht vorgedrungen ist. 

TAFEL 37 

Fig. 1. Die bucco-mesiale Ecke der Molarenwurzel aus Fig. 3, Tafel 36 (Spiegelbild). 
Haem. Eos. 30 : 1. m mesial, b buccal, d distal. Zwischen dem Mundepithel des Zahn* 
fleischsaums und der Zahnfleischinnenfläche ist das Stratum gingivale circulare — hier längs* 
geschnitten —■ sichtbar. Die Rauhigkeit des Zements ist durch dort haften gebliebene Epithelien 
verursacht/ der Spalt bestand also in vivo gegenüber dem mesialen Wurzelansatz nicht. 
Ebenso ist die Zerklüftung der inneren Saumfläche auf Schrumpfung zurückzuführen. ~ 
(Vgl. b in Fig. 3, Tafel 30, das die gleichen Verhältnisse im Längsschnitt zeigt.) 

Fig. 2. Die bucco-mesiale Ecke der Molarenwurzel aus Schnitt III. Haem. Eos. 30: 1. 
Soweit die entzündete Sauminnenfläche reicht, hat sie sich infolge Schrumpfung bis auf die 
Stelle y vom Zement abgehoben. 

Fig. 3. Die Stelle x aus Fig. 2. Haem. Eos. 50: 1. a Knochenzement, b mehrschich* 
tiges Saumepithel, c Rundzelleninfiltration, d Fasern des Stratum periostale. 

Fig. 4. Aus der Stelle y der Fig. 2. Haem. Eos. 70:1. a oberflächliche dünne Epithel* 
läge, dem Zement dicht anliegend, b Granulationsgewebe von erweiterten Kapillaren durch* 
zogen, c zarte Epithelsprossen. 

TAFEL 38 

Fig. 1. Aus der Stelle y der Fig. 2, Tafel 37. Haem. Eos. 120 : 1. a Dentin. 
b lamellöses Fibrillenzement, c zarter Epithelsproß, d halb abgelöste Epithelien. e Cuticula. 

Fig. 2. Die Sauminnenfläche gegenüber dem mesialen Zahnabschnitt aus Fig. 1, Tafel 37. 
Haem. Eos. 50:1. a künstlicher Spalt infolge Schrumpfung, b zarter Epithelsproß im Gra* 
nulationsgewebe. Die Rauhigkeit der Zahnoberfläche rührt von festhaftenden Epithelien her. 

Ergänzende Bemerkungen zu Kiefer 98 

A. Wie Schon erwähnt, liegt der erste Horizontalsdinitt <Fig. 3, Tafel 36> 
lVa mm unterhalb des Zahnfleischrandes. Trotzdem befinden wir uns hier 
schon oberhalb der Zahnfleischtasche/ sie weist demnach, die unvermeidliche 
Schrumpfung mit berücksichtigt, nur eine geringe Tiefe auf. Wenngleich 
in ihrem Bereich ulzeröse Entzündung — Gingivitis ulcerosa interna — 
besteht, lag hier in vivo nicht das klinische Bild der Alveolarpyorrhoe vor,* 
dazu ist die Tasche nicht tief genug, die Fläche des Sekret liefernden Ge^ 

4* 


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Dr. med. Oskar Weski 


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webes zu klein. Ich möchte hier den ulcerösen Prozeß evtl, als merkuriellen 
Ursprungs bezeichnen. Leider war dem Kiefer außer der Angabe der Todes^ 
Ursache keine weitere Notiz beigefügt, so daß nachträgliche Feststellungen 
aus dem Krankenblatt nicht möglich waren. Der betreffende Patient ist 
aber an Lues cerebri Ende 1912 gestorben, also zu einer Zeit, in der das 
Hg gegenüber dem Salvarsan noch eine größere Rolle spielte. Es ist wohl 
anzunehmen, daß er während der zum Exitus führenden Phase der Kranke 
heit eine spezifische Behandlung durchgemacht hat und die hier zu beobachtende 
hochgradige Entzündung auf das Hg zurückzuführen ist. 

Entsprechend dem ulzerösen Charakter der Taschenwand ist auch die 
apikalwärts sich anschließende Gewebszone in Granulationsgewebe umge^ 
wandelt. Die in Fig. 4, Tafel 37 und Fig. 1 und 2, Tafel 38 wiederge^ 
gebenen Details entstammen dieser mit dem Zahn durch Epithel oder CutU 
cula verklebten Zone der inneren Saumfläche, worauf ich besonders auf* 
merksam machen möchte. 

In ihnen ist wohl die Hauptquelle desjenigen eitrigen Sekrets zu sehen, das 
sich aus den Zahnfleischtaschen ausdrücken läßt,- denn aus den freiliegenden, 
nicht mit dem Zahnkörper verklebten direkt in das Lumen der Tasche sich 
öffnenden Granulationen entleert sich ja der Eiter mehr oder weniger kon^ 
tinuierlich, verdünnt sich mit dem Mundspeichel und entzieht sich so der klini¬ 
schen Wahrnehmung. Üben wir aber einen Drude auf das Zahnfleisch aus, 
so werden die „gedeckten Granulationen", wie ich sie nennen möchte, aus¬ 
gepreßt und das in ihnen aufgespeicherte Leukozytenmaterial, zusammen mit 
dem aus der freien Taschenoberfläche stammenden in das Lumen derTasche 
und an die Oberfläche befördert. Ausdrücklich bemerke ich jedoch, daß, wie 
Kiefer 98 beweist, die „gedeckten Granulationen" nicht pathognomonisch für 
die Alveolarpyorrhoe sind,- ebensowenig die Epithelzapfen im Granulations^ 
gewebe,- denn auch diese zeigt Kiefer 98. Daß es in diesem Bereich zu Sekret^ 
Stauungen kommen muß, ist evident. Auch dort, wo keine Cuticula vorhanden 
ist, bekundet das Epithel selbst in.stark rarefiziertem Zustande eine immer 
wieder zu beobachtende Klebekraft zum Zahnkörper,• der Abfluß kann also 
nur auf geringer Oberfläche nach dem Taschenboden zu erfolgen. Daher 
dürften die „gedeckten Granulationen" das Fortschreiten des Tiefenprozesses 
in besonderem Grade befördern. 

B. Interessant ist weiter das Vorhandensein der Cuticula gegenüber dem 
so hochgradig rarefizierten Epithel beim Neunundfünfzigjährigen. Im Kiefer 52 
beim Siebenundfünfzigjährigen sahen wir das gleiche. Man kann nicht gut 
annehmen, daß das so geschwächte Epithel sie ausscheidet. Es dürfte wohl 
von dem weiter apikal vorhandenen längs des Zahnes vorkriechenden 
normalen mehrschichtigen Saumepithel herstammen und am Zahn haftend 
zurückgeblieben sein. 

C. Weiter apikal zu der Zone des Granulationsgewebes liegt, wie Fig. 2, 
Tafel 37 bei x zeigt, Rundzelleninfiltration, das die Interstitien des Stratum 
periostale ausfüllt, wie wir es im Längsschnitt bei Kiefer 32 und 52 gesehen 
haben. Solch eine kleinzellig infiltrierte Gewebsspalte zeigt Fig. 3, Tafel 37 



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Röntgenologisch-anatomische Studien aus dem Gebiete der Kieferpathologie 53 


bei c . Wir sehen, wie das Saumepithel, das fibröse Gewebe meidend, nur in 
diesem entzündeten Bereiche in die Tiefe kriecht, also zapfenartig, nicht in 
einheitlicher Front wie schon bei Kiefer 32 erwähnt, vorstößt. 


Kiefer 108 <Tafel 39, 40, 41) 

Oberkiefer eines an Sepsis gestorbenen 43Jährigen. 

TAFEL 39 

Fig. 1. Röntgenbild der Molarengegend. Zwischen dem letzten Molaren, der wohl 
als VII anzusprechen ist, und den Wurzeln von VI besteht vertikale Atrophie. Die ge¬ 
zogene Linie entspricht der wiedergegebenen Schnitthöhe. 

Fig. 2. Horizontalschnitt auf der in Fig. 1 wiedergegebenen Schnitthöhe. Haem. Eos. 3:1. 
a die buccal-distale Wurzel von VI. b die buccal-mesiale Wurzel von VII. c die 
buccal-distale Wurzel von VII. Das Interdentalseptum zwischen VI und VII ist ein¬ 
geschmolzen. 

Fig. 3. Die buccal-mesiale Wurzel von VII <b Fig. 2). Haem. Eos. 10:1. a der¬ 
zeitiger Bereich des inneren Saumepithels, b derzeitiger Bereich des Stratum periostale 
und Limbus alveolaris. c derzeitiger Bereich des stark verbreiterten Periodontiums. 
d Bereich des weniger verbreiterten Periodontiums. Die sonst von Fibrillenzement um¬ 
gebene Wurzel zeigt gegenüber der distalen Wurzel ebenso wie diese selbst eine eng be¬ 
grenzte Zone von Knochenzement. 

Fig. 4. Die Stelle a aus Fig. 3. Haem. Eos. 30:1. Die Rauhigkeit auf der Außen¬ 
fläche der Zahnwurzel ist durch aufgelagerte Epithelien bedingt. Die schwarze Linie 
zwischen Wurzel und Gewebe erweist sich bei stärkerer Vergrößerung als aus abgerisse¬ 
nen Epithelien bestehend. Dieser Umstand und die Tatsache der vorher erwähnten, der 
Wurzelhaut anhaftenden Epithelien beweisen, daß in vivo hier keine Tasche bestanden 
hat, sondern daß der Spalt ein künstlicher ist. Das Granulationsgewebe ist nur von einer 
dünnen Epithellage bedeckt. Im Granulationsgewebe treten breite solide Zellsprossen 
deutlich hervor, die in der Tiefe die Neigung zum Zusammenfließen zeigen. 

TAFEL 40 

Fig. 1. Die Stelle b der Fig. 3, Tafel 39 aus einem anderen Präparat. Haem. v. Gies. 
30:1. a if Ö 2 vertikal vorgetriebene Epithelzapfen/ b Fasern des Stratum periostale, c ein 
in seiner Längsrichtung getroffenes Faserbündel des Stratum periostale dicht oberhalb des 
Umbus. Zwischen a 2 und c in eine andere Schnittebene sich verlierende, daher hier ver¬ 
kürzte Fasern des Stratum periostale mit starker lymphatischer Erweiterung der Interstitien. 
Rechts davon die pinselartig sich aufzweigenden Endäste der Interalveolargefäße im Quer¬ 
schnitt. 

Fig. 2. Stelle c der Fig. 3, Tafel 39 aus einem anderen Schnitt. Haem. v. Gies. 30:1. 
Der Knochen zeigt dentifugale Resorption. Durch Eröffnung von Markräumen und durch 
perivaskuläre Knochenresorption ist es zu corticaler Osteoporose gekommen/ daher steht 
das fettlose, zellig infiltrierte und stark vaskularisierte Knochenmark in breiter Verbindung 
mit den Interstitien des Periodontiums. 

TAFEL 41 

Fig. 1. Die Stelle d der Fig. 3, Tafel 39 aus einem anderen Schnitt. Haem. van 
Gies. 30:1. Hier besteht nur geringe dentifugale Resorption. Die Corticalis ist auf 
einer größeren Strecke kompakt. In der retrocorticalen, palatinal zur Wurzel liegenden 
Zone kein Fettmark, sondern Rundzelleninfiltration und hyperämisches Fasermark. 

Fig. 2. Eine Stelle der Fig. 4, Tafel 39, das epitheldurchwachsene Granulationsgewebe 
darstellend. Haem. Eos. 170:1. a das rarefizierte Epithel oberhalb des stark vaskulari- 
sierten Granulationsgewebes b/ die freie Fläche lag in vivo dem Zahn dicht an. c die 
soliden Epithelzapfen im Granulationsgewebe. 


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Ergänzende Bemerkungen zu Kiefer 108 
An diesem Kiefer eines Dreiundvierzigjährigen wollen wir die im Hori¬ 
zontalschnitt sich zeigenden Einzelheiten mit den Vorstellungen in Einklang 
bringen, die wir durch das Studium an radialen und mesio-distalen Schnitten der 
andern Kiefer gewonnen haben. Wir haben die Neigung marginaler Prozesse 
zum vertikalen Fortschreiten in die Tiefe kennengelernt/ wir wissen ferner, daß 
in einzelnen paradentalen Sektoren die Entzündungserscheinungen ungleich 
schnell in die Tiefe Vordringen. Wir stellen an einer Seite, etwa mesial, 
eine tiefe Tasche fest <Fig. 10, Tafel 1>, während die Reaktion auf die margi¬ 
nalen Insulte sich in den andern Abschnitten der Zahnperipherie auf physio¬ 
logischer Höhe hält. Wir dürfen daher nicht ohne weiteres die im Horizon¬ 
talschnitt nebeneinander liegenden Gewebsabschnitte und die in ihnen 
sieb findenden Veränderungen als kausal miteinander in Verbindung stehend 
betrachten. Die verschiedenen scheinbar ineinander übergehenden Struk¬ 
turbereiche der Wurzelumgebung sind vielmehr der Tiefenausdruck ver¬ 
schiedener Grade der oralwärts sich abspielenden entzündlichen Vor¬ 
gänge. In der hier dargestellten Querschnittshöhe dokumentiert sich z. B. 
bei d <Fig. 3, Tafel 39) die oberhalb dieser Zone sich abspielende Entzün¬ 
dung nur durch Veränderung des Knochenmarks, nicht des Knochens und 
Periodontiums. Dagegen haben die Abschnitte c ß a der Wurzelperipherie 
viel mehr unter der Einwirkung der cralwärts zu ihnen tätigen Entzün¬ 
dung gelitten. Es wäre völlig falsch, den fehlenden Knochen im Abschnitt ß 
Fig. 3 als Resorptionszone anzusprechen, die unter dem Einfluß des bei a be¬ 
findlichen Granulationsgewebes sich entwickelt hat. Mir will scheinen, daß 
Römer bei der Deutung seiner Bilder 273ff. diesen Fehler begangen hat. Ähn¬ 
lich wie beim Betrachten einer embryonalen Serie der instinktive Eindruck 
einer kausal zusammenhängenden Zeitfolge der im einzelnen Schnitt zur 
Beobachtung kommenden verschiedenen Strukturen unterdrückt werden muß, 
so müssen wir auch hier bei der Bewertung horizontaler Schnitte stets die 
Rekonstruktion des ganzen Paradentiums in drei Dimensionen gleichzeitig 
mit Bewußtsein vornehmen. 


Kiefer 31 <TafeI 42, Fig. 1 u. 2) 

Oberkiefer eines an tuberkulöser Meningitis gestorbenen 31jährigen. 

Fig. 1. Bucco=palatinaIer Schnitt durch den Weisheitszahn. Haem. v. Gieson 3:1. 
a Stratum gingivale longitudinale, b Stratum periostale. 

Fig. 2. Fiachschnitt durch das Periodontium. Haem. Eos. 30:1. Die Faszikel des 
Periodontiums sind flach geschnitten, man sieht den Gefäßverlauf im Periodontium und die 
erweiterten Interstitien. 


Kiefer 66 (Tafel 42, Fig. 3 und 4> 

Oberkiefer eines an Lungentuberkulose gestorbenen 29Jährigen. 

Fig. 3. Bucco-palatinaler Schnitt durch die palatinale Wurzel von VII. Ausschnitt 
r»us deren buccaler Wand. Haem. v. Gieson 30:1. Das Periodontium zeigt keine straften 



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Röntgenologisch-anatomische Studien aus dem Gebiete der Kieferpathologie 55 


Faserbündel/ die koflagenen Fasern sind unregelmäßig angeordnet/ gleichzeitig besteht 
lakunäre Resorption der inneren Seite der Alveolencorticalis. In der retrocorticalen Zone 
keine Fettzellen, sondern hyperämisches Fasermark mit Rundzelleninfiltration und zartem 
Fasergeflecht (vgl. Fig. 2, Tafel 24). Diese erhöhte Aktivität der retrocorticalen Zone 
und des Periodontiums spricht für an diesem Zahne sich betätigende Umbauprozesse im 
Gefolge einer Ortsverschiebung. 

Fig. 4. Schnitt aus derselben Serie. Haem. Eos., infolge Eosinüberfärbung heben sich 
die Strukturen nur wenig hervor, 50:1. a Zement, b Periodontium. c Knochen. 
(i Cementikel in der retrocorticalen Zone, e Farbniederschlag. 


Kiefer 81 <Tafel 43, 44> 

Oberkiefer eines an Apoplexie gestorbenen 53Jährigen. 

TAFEL 43 

Fig. 1. Radialer Schnitt durch den linken seitlichen Incisivus. Haem. Eos. 3:1. a labiale 
Außencompacta. b palatinale Außencompacta. c retroälveolarer Spongiosaraum, d Ge- 
fäßkanal im Knochen dicht neben dem palatinalen Limbus mündend, e dieser Stelle ent- 
stammen die in den andern Figuren wiedergegebenen Einzelheiten. / palatinale Zahn¬ 
fleischtasche. g kompakte labiale Alveolencorticalis. h verbreitertes labiales Periodontium 
0,4 mm breit, i im Vergleich zu h schmales Periodontium gegenüber der cribrösen Alveolen¬ 
corticalis. Breite des Periodontiums 0,2 mm. (Vgl. zu h und i Kiefer 116 und 35.) 

Fig. 2. Aus der Stelle e, Fig. 1. Haem. Eos. 170:1. a Häversisches Kanälchen. 
b lamellöser Knochen, c hyperchromatische Kittlinien, d Bindegewebszellen, e junge 
Knochenzellen der hyperchromatischen Randzone. / im Zustand direkter Metaplasie befind¬ 
liche kollagene Fasern des Periodontiums. 

TAFEL 44 

Fig. 1. Eine andre Stelle aus e, Fig. 1. Haem. Eos. 30:1. a lf a 2 hyperchromatische Rand¬ 
zone der Alveolencorticalis. b Periodontium. c Fibrillenzement. d Lamellensystem um ein 
Hävers isches Kanälchen, e lamellöser Knochen. 

Fig. 2. Die Stelle a x aus Fig. 1. Haem. Eos. 70:1. a das hyperchromatische Knochen¬ 
gewebe von Sharpeysehen Fasern b durchzogen, c lamellöser Knochen um das 
Hävers i sehe Kanälchen, d osteoide Auflagerung auf den hyperchromatischen Knochen. 

TAFEL 45 

Aus Kiefer 85, Fig. 3, Tafel 5. Haem. v. Gies. 17:1. a Dentin, b organische Schmelz¬ 
reste. c Cuticula, d künstlicher Spalt. e t abgestoßene Epithelien. e 2 desquamierendes 
Epithel. / Rundzelleninfiltration, g Pflanzenzellen, h inneres Saumepithel, i Beginn der 
Cuticula. 

TAFEL 46 

Fig. 1. Aus Kiefer 77. Vgl. Fig. 4, Tafel 11, ein anderer Schnitt der gleichen Serie. 
Haem. v. Gies. 30:1. a Dentin, b organischer Schmelzrest, c Cuticula, d Fibrillen¬ 
zement. e auf das Zement gewuchertes Saumepithel. / subepitheliale Rundzelleninfiltration. 
9 Stratum gingivale longitudinale, h Stratum gingivale circulare. 

Fig. 2. Kiefer 23 — Oberkiefer eines an Larynxabszeß gestorbenen 45Jährigen — aus 
einem mesio-distalen Schnitt durch das Interdentalseptum zwischen V und VI. Haem. 
v. Gies. 70:1. a Dentin, b Fibrillenzement, c Cuticula, glasartig zerbrochen, d Saum* 
epithel. e Rundzelleninfiltration. 

TAFEL 47 

Aus Kiefer 77, Fig. 4, Tafel 12. Haem. v. Gies. 70:1. a Dentin, b organischer Schmelz¬ 
rest. c Cuticula auf dem Fibrillenzement, d Fibrillenzement, e Riß im Präparat. 


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Dr. med. Oskar Weski / Röntgenologisch-anatomische Studien 


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TAFEL 48 

Fig. 1. Aus Kiefer 33, entsprechend i in Fig. 1, Tafel 9. Haem. Eos. 70:1. a Dentin, 
die Dentinröhrchen mit Bakterien angefüllt, b Zement in den Resorptionslakunen des 
Dentins, c Cuticula — der Farbton ist zu gelb wiedergegeben —. d Nischenepithel. 
e Rundzelleninfiltration. 

Fig. 2. Aus Kiefer 98, entsprechend der Fig. 1, Tafel 38. Haem. Eos. 70:1. a Dentin. 
b Fibrillenzement, c Cuticula, d Granulationsgewebe, e rarefiziertes Epithel. 

TAFEL 49 

Schematische Darstellung der marginalen Paradentosen. <Grün: Schmelz 
und Epithel/ blau: Zement/ rot: Haltefasern/ grau: Knochen.) 

Fig. 1. Radialsdmitt durch den Alveolarfortsatz bei intaktem Paradentium. a Stratum 
fibrosum gingivale longitudinale, b Stratum fibrosum gingivale circulare, c Stratum fibro- 
sum periostale labiale — buccale. d Stratum fibrosum periostale linguale — palatinale. 

Fig. 2. Mesio-distaler Schnitt durch das Interdentalseptum bei intaktem Paradentium. 
a Stratum fibrosum periostale interdentale. 

Fig. 3. Atrophia paradentii marginalis totalis. 

Fig. 4. Atrophia paradentii marginalis partialis Form II x — Horizontalatrophie des 
Knochens ohne Taschen Vertiefung. 

Fig. 5. Atrophia paradentii marginalis partialis Form II 2 a — Horizontalatrophie des 
Knochens mit Taschen Vertiefung. 

Fig. 6. Atrophia paradentii marginalis partialis Form II a b — Vertikalatrophie des 
Knochens mit Taschen Vertiefung. 



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Vierteljahrsschrift für Zahnheilkunde 1921 I. 


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Verlag ven Hermann Meusser, Berlin 


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für Zahnheilkunde 1921 I, 


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Vierteljahrsschrift für ZahnheilkunJe 1921 I. 


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für Zahnheilkunde 1921 I, 


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Vieneliahrsschrift für Zahnheilkunde 1921 I. 



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Vierteljahrsschrift für Zahnheilkun je 1921 I. 


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ÜBER DIE BEWÄHRUNG GEGOSSENER METALL** 
FÜLLUNGEN IN DER KONSERVIERENDEN ZAHN** 

HEILKUNDE 

VON 

HOFRAT DR. H. R. WITT IN DARMSTADT 

EINLEITUNG 

B is zur Jahrhundertwende war die Auswahl der Materialien für das Füllen 
der Zähne eine sehr beschränkte. Phosphatzemente, Amalgame und 
Goldfolie standen den Zahnärzten hierfür zur Verfügung, noch dazu nur 
in wenigen altbewährten Fabrikaten, wenn ich von Guttapercha absehen 
will, die auch damals schon in der Hauptsache nur zur provisorischen Fül¬ 
lung benutzt wurde. Die Indikationsfrage machte wenig Kopfzerbrechen. In 
die Frontzähne füllte man die Phosphatzemente, in die Seitenzähne die AmaL 
game. Goldfolie wurde in kleineren und mittleren Kavitäten, sowohl der vor¬ 
deren, wie auch der seitlichen Zähne verwendet, vorausgesetzt, daß der 
Patient die erhöhten Kosten und Strapazen auf sich nehmen konnte oder 
wollte, und die Geschicklichkeit des Zahnarztes es gestattete. Immer mehr 
hatte sich die Vorliebe für die gehämmerte Goldfoliefüllung herausgebildet, 
die bei einigen Zahnärzten direkt in eine offen zugegebene Schwärmerei über-* 
ging. Diese erklärt sich zum Teil wohl aus einer leicht verzeihlichen BiteL 
keit der Praktiker, welche durch die Beherrschung einer schwierigen Spezialität 
gegenüber manchen Fachgenossen bedingt war, zum größten Teil jedoch durch 
die meistens längere Lebensdauer dieser Füllungsart gegenüber den anderen 
bekannten. Ob hieran das Material an sich oder die größere Sorgfalt, welche 
man dem edlen Metall schuldig zu sein glaubte, die Ursache war, will ich 
hier nicht erörtern. In diese Zeit, wo die Tüchtigkeit des Zahnarztes nur 
nach seiner Routine im Goldfüllen bewertet wurde, fällt die kurze Ära der 
gebrannten Porzellanfüllung. Diese hatte sich in erstaunlicher Schnelle vom 
einfachen Glasflüsse zum schwer schmelzbaren und recht widerstandsfähigen 
Porzellan entwickelt. Jenkins, mit dessen Namen die Porzellanfüllung un* 
trennbar verknüpft ist, schreibt noch 1913 im „Dental-Kosmos": „Es gibt 
keine Kavität im Munde, in der ein geschickter Zahnarzt, falls er diese für 


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58 


Hofrat Dr. I I. R. Witt 


nötig hält, nicht eine Porzellaneinlage anbringen kann, ohne daß diese durch 
den Kaudruck beschädigt wird. Eine gut ausgeführte Porzellaneinlage ver- 
hindert fast ausnahmslos das Auftreten von sekundärer Karies." Aber schon 
als diese Worte veröffentlicht wurden, war das Schicksal der Porzellaneinlage 
besiegelt. Die Silikatzementfüllungen waren auf dem Plan erschienen und 
erwarben schnell durch ihre einfache Herstellung, ihr zahnähnliches Aussehen 
und ihre Billigkeit die Gunst von Zahnarzt und Patient, ersetzten das Por¬ 
zellan fast völlig, obwohl, wie schon Peckert 1910 angab, ihr Indikations* 
bereich keineswegs identisch ist. Trotz vieler begeisterter Anhänger der Por¬ 
zellaneinlage ging die allgemeine Anwendung derselben rasch zurück, schon 
allein deswegen, weil die für diese schwierige Intarsienarbeit unerläßlich 
nötige fortgesetzte Übung fehlte. Das bedauerliche Schicksal der Porzellan- 
füllung wurde noch beschleunigt durch den Einzug der gegossenen Geldein¬ 
lagen, die zuerst zaghaft, dann aber mit einem Schlage sich die Gunst der 
Zahnärzte, der ganzen Welt eroberten. Ihre allgemeine Verwendung wurde 
erleichtert durch Blacks epochemachendes Werk über die Kavitätenpräpa¬ 
ration, das allerdings ganz unabhängig hiervon entstanden und ursprünglich 
nur auf die gehämmerte Goldfüllung berechnet war. 

Das Erscheinen der Goldeinlage begrüßt Os re mit folgenden allgemein 
gehaltenen Worten: „Die Notwendigkeit ist die Mutter der Erfindung, ob 
das Ende in jedem Sinne das Korrekteste ist oder nicht. Wir bewegen uns 
schnell, fast zu schnell, scheint es, für permanente Anpassung, aber wir waren 
vorsichtig genug, gerade zur rechten Zeit Goldeinlage zu machen. Wir borg¬ 
ten von den Wissenschaften und Künsten, der Drang nach etwas, das dem 
Zeitalter mehr entsprach, war gewaltig. Ein Versuch, dieser Bewegung ent¬ 
gegenzutreten, wäre nutzlos/ das Goldinlay oder etwas gleich Brauchbares, 
der Umgebung sich Anpassendes mußte kommen. Ich glaube nicht, daß 
irgendeine Entdeckung oder Erfindung einen besseren Empfang haben konnte 
als das Goldinlay, weil die Bedingungen dafür in solcher Promptheit vor¬ 
handen waren. Wir alle waren bereit dafür, sowohl die Zahnärzte als die 
Patienten, sogar ohne die Presse verbreiteten sich die Nachrichten blitzschnell, 
und die, welche noch beharrlich an den alten Methoden hingen, wurden auch 
schnell mit herangezogen, und jetzt gibt es sogar in den entferntesten Distrik¬ 
ten wenig Zahnärzte, die nicht von der Epidemie mit ergriffen wären." Wir 
sind jetzt wieder zehn Jahre weiter, und kühle Beobachtung hat zu kühne 
Erwartungen und durch die Neuheit bedingten Enthusiasmus so weit zurück- 
gedrängt, daß wir nunmehr beurteilen können, inwieweit sich die gegossenen 
Metallfüllungen in der Praxis bewährt haben. 

Wann hat sich eigentlich eine Füllung bewährt? Wenn sie sich bis zum 
physiologischen Ausfall des Zahnes unverändert darin halten kann. So ein¬ 
fach diese Beantwortung an sich klingen mag, sie enthält eine ganze Reihe 
von Forderungen an ein gutes Füllungsmaterial, die Miller zuerst zusam¬ 
menstellte, und die Tryfuß nach dem Standpunkt unserer heutigen Wissen¬ 
schaft um einige erweiterte. Ohne die Reihenfolge einzuhalten, zähle ich sie 
hier auf: 


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Bewährung gegossener Metallfüllungen in der konservierenden Zahnheilkunde 59 


1. Unzerstörbarkeit durch die Mundflüssigkeiten. (Chemische Unverändert 
lichkeit.) 

2. Guter Anschluß an die Kavitätenwände. 

3. Fehlen von Schrumpfung oder Ausdehnung nach Fertigstellung der 
Füllung. (Physikalische Formbeständigkeit.) 

4. Widerstand gegen Abnutzung. (Härte.) 

5. Widerstand gegen Kaudruck. (Zähigkeit.) 

6. Eine dem Zahn möglichst ähnliche Farbe. (Evtl, gutes Aussehen.) 

7. Schlechte Wärmeleitung. 

8. Leichte Verarbeitung. 

9. Fehlen schädlicher Nebenwirkungen auf Pulpa, Dentin und Mund- 
Schleimhaut. 

10. Rekonstruktionsmöglichkeit des Kontaktpunktes. 

11. Rekonstruktionsmöglichkeit der Höcker und Zahnkanten. 

12. Eine in frischem Zustand wenigstens leichte antiseptische Wirkung. 

13. Adhäsionskraft. 

14. Vielseitige Indikationsmöglichkeit. 

15. Leichtigkeit der eventuellen Entfernung. 

Tryfuß bejaht alle Punkte bis zu Punkt 6. Auch Boedecker kommt in 
seinem Buche „DasMetalleinlageverfahren"undSmrecker in seinem Hand¬ 
buch der Goldeinlagen zu gleichem Resultat. So ohne weiteres kann man 
wohl aber kaum die Fragen bei der Einlagemethode abtun, die Miller noch 
nicht kannte. 

DIE TECHNISCHE HERSTELLUNG DER METALLEINLAGEN 
a) Allgemeines Verfahren und Fehlerquellen 

Das Verfahren teilt sich streng in zwei Phasen: 

1. Die technische Herstellung der Einlage außerhalb des Mundes. 

2. Die Vorbereitung der Kavität nebst Abdrucknehmen und Einzemen¬ 
tieren der fertigen Einlage im Munde. 

Trotz der heute allgemeinen Verbreitung der gegossenen Metalleinlagen 
ist die Frage, ob sich überhaupt Einlagen völlig genau gießen lassen, keine 
unberechtigte. Denn nur bei Bejahung dieser Frage ist die Grundbedingung 
für eine Bewährung der Einlage gegeben. Es erübrigt sich, hier eine genaue 
Geschichte des Gußverfahrens und aller Phasen der Herstellung zu geben, 
durch die Bücher von Boedecker und Smrecker ist beides ja zur Genüge 
bekannt. Mir kommt es hier darauf an, Mißerfolge auszuschalten, deren 
Ursachen nach Möglichkeit aufzuklären und das ganze Verfahren etwas aus 
der Empirie zu rücken, letzten Endes zu beweisen, daß die technische Her¬ 
stellung eines genau passenden Inlays möglich ist. 

Mehr als bei uns in Deutschland hatte sich in den Vereinigten Staaten 
aus der Porzellaneinlage heraus die Herstellung von Geldeinlagen entwickelt. 
Anfänglich nahm man von der Kavität Abdruck mit Gold oder Platinfolie, 
analog wie für die Herstellung von Porzellaneinlagen, nur daß man sie mit 


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60 


Hofrat Dr. H. R. Witt 


Gold oder Lot ausschwemmte. Dann ging man dazu über, bei großen Kavi- 
täten nur die Wände des Folienabdruckes mit Gold zu verstärken und einen 
gestanzten Deckel aufzulöten/ so entstanden die hohlen Einlagen. Fast jede 
Nummer der periodisch erscheinenden Fachliteratur in den Vereinigten Staaten 
brachte Neuerungen und Verbesserungen auf diesem Gebiete,- die Einlagen 
wurden wohl genauer, sicher aber auch immer zeitraubender und schwieriger 
in der Herstellung. Bei uns können wir erst von allgemeiner Einführung der 
Einlagefüllungen reden, seit die epochemachende Erfindung Taggarts be¬ 
kannt wurde, der Ollendorfs Methode des Modellierens, Einbettens und 
Ausbrennens des Wachses beibehielt und den Einguß des Metalls durch 
eigene Schwere, durch den Guß unter Druck ersetzte. So genial die Erfin¬ 
dung auch war, Taggarts Apparat war zu kompliziert, um sich dauernd 
einzuführen. Die Erfindungen der Gußapparate überstürzten sich. Zunächst 
wurden sie in der irrigen Annahme, hierdurch die Sicherheit des Gusses zu 
gewährleisten, immer komplizierter, bis sie sich zur denkbar einfachsten Form 
entwickelten, eine Erscheinung, die man ja auch sonst in der Technik häufig 
findet. Wir können zwei große Gruppen unterscheiden: 

1. Die Druckmethoden. 

2. Die Schleudermethoden. 

Bei der ersteren sucht man das geschmolzene Metall unter dem Einfluß 
einer vis a tergo in die Gußform zu drücken. Dampf, Gas, komprimierte 
Luft und sogar zur Entzündung gebrachtes Schießpulver wurden als vis ver¬ 
wendet. Bei der zweiten benutzte man die in der Schwere des flüssigen 
Metalls schlummernden Kräfte selbst, die durch Elektrizität, Federung, Kreisel¬ 
bewegung oder Muskelkraft ausgelöst wurden, um das Gold in die Form 
zu treiben. Alle diese Apparate haben heute nur historisches Interesse. Der 
einfachste Repräsentant der Druckmethode ist der mit zwei feuchten Asbest¬ 
scheiben versehene Stempel, der mit Handdruck auf die glühende Form ge¬ 
stülpt, durch den entstehenden und nicht entweichen könnenden Dampfdruck 
das Gold in die Hohlform treibt. Der wohl nicht mehr an Einfachheit zu 
übertreffende Schleuderapparat ist die von Bardet-Genf zuerst angegebene 
Handschleuder. An einem Handgriff ist eine kräftige, etwa 35 cm lange 
Kette so angebracht, daß sie sich leicht durch Handbewegung um den Griff 
schwingen läßt. Am freien Ende der Kette wird der Gußzylinder befestigt. 
Wenn in demselben das Gold geschmolzen ist, wird die Schleuder gedreht 
und die Zentrifugalkraft bringt das Gold in die Hohlform. Beide gewiß ein¬ 
fachen Apparate gewährleisten ein gutes Gußresultat und nehmen den mon¬ 
strösen und komplizierten Apparaten jede Berechtigung. Mit beiden Appa¬ 
raten kann ein dünnes Rosenblatt mit seinen feinsten Stacheln aufs genaueste 
in Metall gegossen werden, so daß ein ungenaues Passen der Einlage in 
anderen Ursachen als in der Anwendung von einem dieser beiden Apparate 
zu suchen ist. Die Erfahrung hat nun gezeigt, daß die Einlagen trotz völlig 
gelungenen Gusses sich nicht immer in die Kavität respektive das Modell 
drücken lassen. Wir treffen diesen Umstand seltener bei Einlagen, die für 
zentrale Kavitäten geschaffen werden, häufig aber bei mesio-okklusalen oder 


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Bewährung gegossener Metallfüllungen in der konservierenden Zahnheilkunde 61 


mesio-okkluso-distalen Kavitäten. Im ersteren Falle können wir meistenteils 
durch leichtes Abschleifen des Goldes ohne Verletzung des Randes die Ein¬ 
lage zum einwandfreien Passen bringen, im letzteren Falle gelingt es uns 
aber nicht, mit dieser einfachen Rektifizierung auszukommen. Hauptsächlich 
wird der gingivale Rand klaffen, eine einfache Rektifizierung wie bei zentralen 
Kavitäteneinlagen fuhrt nicht zum Ziel. Woher kommt dieses ungenaue 
Passen? Und wie können wir es am besten vermeiden? Jedenfalls können 
wir den Gußapparat als Fehlerquelle, dem man im Beginn der Gußtechnik 
die Schuld zuschob, völlig ausschalten. N. A. Price war der erste, der dieser 
Erscheinung systematisch nachging und sie wissenschaftlich zu klären suchte. 
Mit Hilfe von so genauen wissenschaftlichen Apparaten, wie sie nur wenigen 
zur Verfügung stehen, wies er bei den einzelnen Phasen der Inlayherstellung 
Fehlerquellen nach, daß man an der Möglichkeit, wirklich exakte Metallein¬ 
lagen gießen zu können, schier verzweifeln möchte. Als wesentliche Fehler 
stellte Price fest: 

1. Veränderung des Wachsmodells beim Abkühlen vor und nach dem Ent¬ 
fernen aus der Kavität. 

2. Veränderung des Wachsmodells durch Temperaturveränderungen beim 
Einbetten. 

3. Kontraktion des Goldes beim Gießen von 2,2%* 

4. Expansion und Kontraktion der Einbettungsmassen beim Erhitzen und 
Abkühlen. 

Im allgemeinen, schreibt Price, dehnen sich alle Einbettungsmassen, welche 
Gips als Bindemittel und Sand im Überschuß enthalten, regelmäßig mit dem 
Ansteigen der Temperatur von 800—1000° F an aus. Über diesen Tem¬ 
peraturen kontrahieren sie sich rapide beim Erhitzen, und alle erleiden beim 
Abkühlen eine beträchtliche Kontraktion im Vergleich mit ihrer Dimension 
sowohl während, als auch vor dem Erhitzen. Diese experimentell festgestell¬ 
ten Fehlerquellen, die in den physikalischen Eigenschaften der Materialien 
begründet sind, lassen sich ungefähr durch entgegengesetztes Verhalten der 
einzelnen Materialien kompensieren .Price schlägt zur Behebung der Fehler vor: 

Erstens nicht direktes Modellieren in der Kavität, sondern Abdrucknehmen 
von derselben, Ausgießen des Abdruckes mit artificiel stone, das sich beim 
Erhitzen auf 700° um 0,012 seiner Länge ausdehnt. In diesem Modell wird 
modelliert, das Ganze eingebettet, um es direkt in das Artificial-stone-Modell 
zu gießen. Da letzteres sich weder kontrahiert noch expandiert, hält es das 
Gold beim Erstarren fest, wodurch das Gold sich dehnt. 

Zweitens schlägt Price eine Rektifizierung durch Abschrägen der Kavi¬ 
tätenränder und Anpolieren des Einlagerandes vor. Die Kavitäten sollen 
aber mit abgeschrägten Rändern präpariert werden, so daß ein meißelförmiger 
Füllungsrand entsteht, der, solange der zur Befestigung benutzte Zement 
noch nicht erhärtet ist, anpoliert werden soll. 

Drittens wünscht Price die Anwendung eines hohen Druckes beim Gießen. 

J. G. La ne verwirft die von Price gewünschte Abdrucksmethode, da man 
direkt in die Kavität modellierend bessere Erfolge hätte. Hier hätte man 


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nur drei Übertragungen: 1. Zahnhöhle«Wachsschablone, 2. Wachsschablone« 
Einbettung, 3. Einbettung«Guß. Beim Verfahren von Price aber hätten wir 
es mit vier resp. fünf Übertragungen zu tun: 

1. Zahnhöhle«Abdruck, 

2. Abdruck«Modell, 

3. ModelLSchablone, 

4. Schablone-Einbettung, 

5. Einbettung«Guß. 

Selbst wenn direkt gegossen würde, hätten wir noch vier Übertragungen. 
Bei jeder einzelnen seien Fehler möglich, ja es seien nach Price selbst durch 
das physikalische Verhalten der Materialien solche bedingt. Ein Abdruck 
könnte sich auch viel leichter als eine Wachsform verziehen, da letztere sich 
nur auf die eigentliche Zahnhöhle und ihre inneren Wandungen beschränke, 
während der Abdruck nicht nur das Innere der Höhle, sondern auch die 
äußeren Partien des Zahnes und der Nachbarzähne zu bringen hätte. Mit 
diesen Einwänden hat ja La ne an und für sich recht, er übersieht aber dabei, 
daß man schließlich auch die in der Kavität modellierte Wachsform mit Arti« 
ficial stone genau unterkleiden kann, um dann das Ganze einzubetten. In der 
Elastizität des Wachses findet C. S. von Horn den alleinigen Grund für das 
Nichtpassen der Einlagen. „Um eine Gußarbeit zu sichern, welche an allen 
Punkten den Kavitätswänden genau gleich anliegt, ist es notwendig, daß das 
Wachsmodell bei einer Temperatur eingebettet wird, die genügend über der 
normalen Körpertemperatur liegt, um die Schrumpfung im Golde aufzuheben, 
welche sich bei jeder Änderung zur Zeit des Gusses bemerkbar macht." 

Noch sei keine Methode, kein Material und kein Apparat angegeben 
worden, mit welchem es möglich sei, zwei Goldeinlagen der gleichen Größe 
für die gleiche Kavität zu gießen, wenn die Modelle nicht bei der gleichen 
Temperatur eingebettet würden. 98,6° F gibt er als richtige Temperatur an 
zur Einbettung des Wachsmodells. 

F. S. Meyer findet auch die größte Schwierigkeit im Anpassen des gingi¬ 
valen Randschlusses und gibt vier Gründe hierfür an, die auf der Schrump¬ 
fung allein beruhen und die er praktisch beheben will. 

1. Schrumpfung des Wachses beim Abkühlen auf die Mundtemperatur, 

2. Schrumpfung des Wachses beim Übergang zur Temperatur der Ein¬ 
bettung, 

3. Schrumpfung des Goldes beim Abkühlen, 

4. Unmöglichkeit, das Inlay wegen des „Aufsitzens" an Ort und Stelle 
zu pressen. 

Meyer ermöglicht genaues Passen der Einlage auf folgende Weise: Er 
improvisiert aus einer Blechbüchse mit einer vierkerzigen Glühlampe einen 
kleinen Ofen. Die Einbettungsmasse <Taggart) rührt er mit Wasser von 
49° C an, das, bis sie zum Gebrauch fertig war, auf ungefähr 38° C ab¬ 
kühlte. Das eingebettete Wachsmodell setzt er in den oben beschriebenen 
Ofen. Bis zum Kristallisieren der Einbettungsmasse hat diese sich bedeu¬ 
tend erwärmt und das Modell, das die Temperatur der Einbettungsmasse 


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Bewährung gegossener Metallfüllungen in der konservierenden Zahnheilkunde 63 

angenommen, hatte sich entsprechend ausgedehnt. Bei schneller härtenden 
Einbettungsmassen bleibt für die Erwärmung nicht soviel Zeit, deshalb muß 
auch die Masse wärmer angerührt werden. Als gutes Hilfsmittel hierfür 
gibt er das Erwärmen des Gußringes an. Wenn die Einbettungsmasse bei 
37° C erhärtet, so müßte die Form richtig sein, ein weiteres Erhitzen käme 
der Kompensation, der Schrumpfung des Goldes beim Erhärten zugute. 

M. Ward glaubt nicht an das schlechte Passen der Einlagen durch die Gold- 
Schrumpfung. Der Ausdehnungskoeffizient, den Price für mehrere Zenti¬ 
meter lange Stäbe berechnet, sei keine unveränderliche Zahl, sondern wechsele 
mit der Form und Größe des Gegenstandes. Stäbe besäßen einen größeren 
Koeffizienten als kugelige Körper. Ward verwirft das Gießen in stark er¬ 
hitzte Formen. Der Kontraktion der Einbettungsmassen schreibt Ward die 
Hauptschuld an der Veränderung zu. Price will weiter nichts von der Er¬ 
wärmung des Wachsmodells wissen. Zusammengepreßtes Wachs suche sich 
auszudehnen, gestrecktes Wachs zusammenzuziehen. Erwärme man nun das 
durch Modellieren in der Kavität zusammengepreßte und gestreckte Wachs, 
so bedinge die Elastizität Verziehungen. Diesen Fehler will Smrecker durch 
Bespritzen des Wachsmodells mit warmem Wasser in der Kavität vermeiden. 
Dieser Autor erhitzt die Einbettungsmassen nur bis zum Verbrennen des 
Wachses und erzielt hierdurch ein Passen der Einlage ohne nennenswertes 
Abschleifen der Wände/ außerdem gibt er an, die Seitenwände der Wachs¬ 
einlage mit Ausnahme des Randes ein wenig abzuschaben, um so für ein 
Passen der Einlage und für ein genügendes Zementlager Vorsorge zu treffen. 
Auch Tryfuß beschäftigt sich mit den Fehlerquellen in der Methodik der 
Goldeinlage und veröffentlicht dort experimentelle Untersuchungen zu deren 
Beseitigung. Den Streit, ob eine Volumen Veränderung der Einlage eintritt, 
hält er für entschieden,- nur die Frage, wodurch die Differenz zwischen Wachs¬ 
form und fertiger Einlage zustande kommt, sei noch ungelöst. Die Annahme 
der Kontraktion des Goldes hält er für irrig und sucht die Ausdehnung der 
Einbettungsmasse durch folgenden Versuch zu beweisen: Eine Platinhülse 
aus ganz dünner Folie, deren eventuelle Ausdehnung fast null sei, füllt er 
zur Hälfte mit Wachs, in das er den Gußstift steckt. Auf der glatten hori¬ 
zontalen Außenseite dieser Platinhülse schmilzt er einen dickwandigen Wachs¬ 
zylinder. Das Ganze bettet er ein, so daß auch das Lumen des Wachs¬ 
zylinders mit Einbettungsmasse angefüllt ist, die den Außenboden der Platin¬ 
hülse berührt. Der Wachszylinder hat also nach außen keinen Abfluß für 
das zu schmelzende Wachs. Nach Trocknen der Einbettung und Ausbrennen 
des Wachses hatte er also gewissermaßen im unteren abgeschlossenen Raum 
einen Stempel von Einbettungsmasse, der den Außenboden der Platinhülse 
berührt. Das in letzterer gegossene Silber zeigt nach dem Erkalten eine deut¬ 
liche Konkavität am Boden. Tryfuß folgert nun, daß der oben beschriebene 
Einbettungsstempel den Außenboden der Platinhülse durch Ausdehnung beim 
Erhitzen der Form vor sich hergetrieben und so die Konkavität bewirkt hätte. 
Hierdurch erkläre sich auch das Kleinerwerden der Einlage, und es sei ferner 
ein Beweis dafür, daß das Kleinerwerden nicht auf die hypothetische Kon- 


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traktion des Goldes zurückzuführen sei. Da mir der strikte Beweis hiermit 
noch nicht gegeben schien, prüfte ich Tryfuß' Versuche nach, und zwar: 

1. Ich verfuhr ganz, wie Tryfuß angegeben, 

2. ich machte den nach Tryfuß hohlen Wachszylinder massiv in Wachs, 
so daß kein Stempel aus Einbettungsmasse entstand, 

3. ich stanzte einen Goldzylinder 0,8 mm stark, bettete ihn ein wie Tryfuß 
mit hohlem Wachszylinder, glühte ihn gründlich aus, und entfernte ihn 
dann aus der Einbettungsmasse, ohne ihn auszugießen. 

Beim Versuch 1 erhielt ich auch im mit Silber ausgegossenen Platinzylinder 
eine Konkavität, bei Versuch 2 hingegen eine starke Konvexität am Zylinder- 
boden. Die Erklärung für dieses verschiedene Verhalten ist sehr einfach. 
Das unter Druck in den Platinzylinder gespritzte Silber bauscht den dünnen 
Zylinderboden in beiden Versuchen aus, nur konnte er in Versuch 1 nicht 
derartig nachgeben wie in Versuch 2, weil der darunter befindliche Stempel 
aus Einbettungsmasse ihn daran hinderte. Es bauscht sich daher bei Ver¬ 
such 1 nur der zwischen Zylinderwand und Einbettungsstempel befindliche 
Platinboden etwas aus. Die Konkavität, die hierdurch entsteht, wird also in 
der Hauptsache durch das Nachgeben des Bodens beim Guß hervorgerufen. 
Mit Versuch 3 wollte ich prüfen, ob der Einbettungsstempel in etwas an der 
Konkavität mit Schuld trug. Wäre das der Fall, so müßte der Zylinder¬ 
boden eine Konkavität zeigen. Ich glühte die Form mit dem 0,8 mm starken 
Goldzylinder gründlich aus, ohne ihn dann mit Silber auszugießen. Würde 
ich den Zylinder ausgegossen haben, so konnte der Druck des eingegossenen 
Silbers die eventuelle Ausbeulung zurückdrücken. Nach Erkaltung der Form 
wurde der Goldzylinder vorsichtig entfernt und zeigte nicht die geringste Kon¬ 
kavität. Ich wählte zu diesem Versuch dünnstes Blech, um die Möglichkeit 
zu haben, dieselbe aus dem Gips ohne Veränderung durch Fingerabdruck 
herauszubekommen, was bei dünner Platinfolie schwer möglich ist. 

Eine Erklärung für die Größenreduktion der gegossenen Einlage gegen¬ 
über dem Wachsmodell und damit eine Deutung für die irrige Annahme der 
Kontraktion des Goldes gefunden zu haben, wie Tryfuß schreibt, ist ihm 
nach meinen obigen Gegenversuchen nicht gelungen. Ferner gibt Tryfuß 
an, daß die Unebenheiten und Rauhigkeiten, trotz größter Sorgfalt beim Ab¬ 
drucknehmen und peinlichster Behandlung des Wachsmodells und trotz ein¬ 
wandfreiem Vorwärmen und Gießen resp. Schleudern, einmal auf das Ein¬ 
ölen der Kavitäten wände, das öfters zwecks leichterer Entfernung des 
Wachsabdruckes üblich sei, zurückzufuhren wäre. Hierin muß ich ihm völlig 
recht geben. Wenn Tryfuß weiter angibt, das Wachsmodell mit einer alko¬ 
holischen Seife-Sandaraklösung zu bestreichen, um Blasenbildung zu vermeiden 
und auch eine Volumendifferenz zu kompensieren, so kann ich auch seine 
Angaben hinsichtlich der erzielten Glätte durchaus nicht bestätigen. Das ist 
ja auch erklärlich, da Sandarak beim Verbrennen Asche hinterläßt und durch 
diese einen rauhen Guß bedingt. Wirklich bewährt dagegen hat sich Boe- 
deckers Angabe, abgekochtes Wasser zum Anrühren der Einbettungsmasse 
zu nehmen, um die Unebenheiten im Guß zu vermeiden. Er erreicht hier- 


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Bewährung gegossener Metallfullungen in der konservierenden Zahnheilkunde 65 

durch auf die einfachste Weise die Entfernung der Luftbläschen aus dem 
Wasser. Deshalb brauchen wir auch auf seine Anregung, die Luft aus dem 
Wasser bzw. dem Einbettungsbrei mittels Luftpumpe herauszusaugen, nicht 
weiter einzugehen, da sie unnötigerweise die Arbeit erschweren würde. 

b> Technische Winke zur Erzielung genau passender Einlagen 

Aus allem oben Gesagten können wir weder aus theoretischer noch prak- 
tischer Erkenntnis heraus heute mit Bestimmtheit sagen, in welcher Phase 
der Herstellung der Einlagen der Hauptfehler des Nichtpassens der im Guß 
sonst gelungenen Einlage liegt. Auffallend ist jedenfalls der von mir weiter 
oben schon erwähnte Umstand, daß eine Einlage für eine zentrale Kavität 
so gut wie regelmäßig paßt,- eine mesio-okkluso-distale Einlage, bei welcher 
zwei voluminösere Teile durch einen schmalen Steg verbunden sind <sog. 
Isthmuseinlage), hingegen häufiger nicht in die Kavität zu bringen ist. Weder 
die Elastizität des Wachses noch die Ausdehnung der Einbettungsmasse, 
noch die Schrumpfung des Goldes können hierfür die Erklärung geben, da 
die Bedingungen für beide Formen der Einlage die gleichen sind. Ich kann 
mir das nur dadurch erklären, daß der schmale Isthmus eher erstarrt als die 
massiveren Teile. Letztere werden hierdurch vom eigentlichen Druck ab- 
gesperrt, so daß sie der Tendenz der sphäroiden Gestaltung nachgeben 
können. Hierfür spricht auch das auffällige Klaffen gerade am gingivalen 
Rande. Die Kontraktion des Goldes von 2,2 % ist ja konstant und kommt 
daher an allen Stellen der Einlage zum Ausdruck. Es ist mir leider nicht 
möglich gewesen, festzustellen, wie sich die durch das unterschiedliche physi- 
kalische Verhalten der einzelnen zum Guß benötigten Materialien bedingten 
Fehlerquellen gegenseitig aufheben. Rein praktisch haben sie bei Einhaltung 
der von mir später angegebenen Arbeitsweise keine Bedeutung mehr. Aus 
der Überzeugung heraus, daß diejenige Arbeitsweise, welche weder eine 
Nacharbeit an der gegossenen Einlage, noch ein Nachschaben des Wachse 
modells erforderte, für ein wirklich genaues Passen der Einlage am besten 
bürgte, stellte ich mir die Aufgabe, für eine an einem extrahierten Zahne 
ausgebohrte mesio-okkluso-distale Kavität sechs Einlagen zu gießen — bei 
Wechsel der Preßguß- und Schleudermethode —, die unbedingt ohne jegliche 
Nadiarbeit passen sollten. Paßte z. B. die als fünfte gegossene Einlage nicht 
völlig, wurde wieder eine neue Serie von sechs Einlagen begonnen. Nach- 
dem diese mir selbst gestellte Aufgabe zweimal völlig gelungen ist, glaube 
ich berechtigt zu sein, die Frage: Besteht die Möglichkeit, ein völlig passen¬ 
des Inlay zu gießen? unbedenklich mit „Ja" zu beantworten. 

Da das Gußverfahren heute Allgemeingut der Zahnärzte ist, will ich nicht 
jede Phase der Herstellung genau beschreiben, sondern nur das erwähnen, 
was ich für einen guten Guß und genaues Passen zu beobachten für nötig 
erachte. Bei einfachen, z. B. zentralen Kavitäten modelliere ich mit Boe- 
deckerwachs direkt in der Kavität, bei schwierigen, z. B. bei mesio-okkluso- 
distalen Kavjtäten nehme ich Abdruck mit Kerrmasse, als Träger derselben 
dient eine passend ausgeschnittene Aluminiumkapsel. Die Kerrmasse wird 
Vierteljahrssdirift für Zahnheilkunde, Heft 1 5 


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nur sehr wenig erweicht, die Oberfläche mehr, und zwar unmittelbar vor 
dem Abdrucknehmen über der offenen Flamme, so daß der weniger er* 
weichte Kern gewissermaßen als Stempel dient. Im Mund völlig erkalten 
lassen, eventuell beschleunigen durch Aufspritzen von kaltem Wasser. Nach 
Entfernung aus dem Munde Ausgießen des Abdruckes mit Inlayzement 
<von Richter und Hoffmann), Modellieren mit Boedeckerwachs. In den even¬ 
tuellen Isthmus wird ein dünner Golddraht oder ein Seidenfaden gebettet, 
dessen außerhalb des Wachses befindliche Enden zum Anfassen dienen. 
Auf die gingivalen Ränder der Einlage Aufschmelzen einer papierdünnen 
Schicht flüssigen Boedeckerwachses und sofortiges Probieren. Bei Nichtpassen 
bis zum genauen Passen. Nachdem man sich hiervon überzeugt, Prüfung 
der Artikulation, darauf mehrmaliges Herausnehmen und Wiederein¬ 
passen, nicht Abkühlen mit kaltem Wasser. Der nicht stärker wie 0,8 cm 
starke Gußstift ist stets in den voluminösesten Teil einzuschmelzen. Wachs¬ 
modell vorsichtig mit einem in Benzin getauchten Wattbäuschchen ab waschen, 
Gußstift dient als Halter. Die Einbettungsmasse <ein Teil Gips und zwei 
Teile Porzellansand nach Sachs) mit frisch abgekochtem Wasser, das auf 
zirka 40 °C erkaltet ist, intensivst anrühren. <Die Gipssandmischung soll 
nicht älter als 14 Tage werden, da sie sich bei längerem Lagern verändert.) 
Im Gußzylinder soll die zum Metallschmelzen dienende Mulde nicht spitz, 
sondern eiförmig gestaltet sein,- das Wachsmodell muß in der Mitte zwischen 
dem Boden der Schmelzmulde und dem Zylinderboden stehen, also mög¬ 
lichst gleichmäßig von Einbettungsmasse umgeben sein. Wachs langsam aus- 
schmelzen, dann den Gußzylinder bis zur beginnenden Kirschrote erhitzen. 
Das Gold wird hierauf in der Gußmulde geschmolzen, bis das Goldauge 
erscheint, dann sofort pressen resp. schleudern. Hiermit schließe ich meine 
Betrachtungen und Erfahrungen über die Herstellungstechnik der Einlage 
und komme nun zu dem so wichtigen Abschnitt der Metalleinlagen: der 
Kavitätenvorbereitung. 

DIE KAVITÄTENPRÄPARATION 
a) Die Bearbeitung des Dentins 

Nicht umsonst finden wir fast bei allen Abhandlungen über Metalleinlagen 
der Kavitätenvorbereitung einen breiten Raum gewidmet. Während man 
im Beginn der Methode sich darauf beschränkte, die Forderung zu stellen, 
die Kavität so zu formen, daß die Einlage nur auf einem Wege in und aus 
der Kavität gehen dürfte, legte man doch bald Wert auf Einzelheiten. Es 
kann nicht wundernehmen, daß man bald darauf verfiel, die von Black an¬ 
gegebenen Kavitätenformen für das Inlay zu verwenden. Man hatte eine 
gute Auflage <nach Black Widerstandsform) und eine gute Retention der 
Einlage, auch den Forderungen der Extension for prevention war Rechnung 
getragen. Wenn ich auch zugeben muß, daß es immerhin besser ist, einer 
Schule zu folgen, anstatt systemlos zu arbeiten, so hat doch die Blacksche 
Schule bei uns mancherlei Verwirrung angerichtet. Aus diesem Grunde 


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Bewährung gegossener Metallfüllungen in der konservierenden Zahnheiikunde 67 

schreibt Peckert: „In den amerikanischen Publikationen tritt die klassische 
rechtwinklige Form der Grenzlinien möglichst aller Innenflächen so domi- 
nierend auf, daß sie als anerkannter Wert zu gelten scheint, wenn sie viel« 
leicht auch nur Modesache sein mag. Denn daß das Prinzip der Durchführung 
dieser Formation auch seine Grenzen hat, dafür sorgt schon die Pulpa, deren 
Topographie jenseits aller Mode steht/ dafür sorgt auch die Karies, die nicht 
die Güte hat, das Zahnbein an den Stellen intakt zu lassen, an denen ich 
es gern zu einer widerstandskräftigen Stufe gestalten möchte. Immer wieder 
fällt mir beim Studieren der ausländischen Literatur dieses merkwürdige 
Mißverhältnis zwischen den durch schöne Bilder inaugurierten und den tat¬ 
sächlich durch die Karies geschaffenen Zuständen auf. So sehen wir z. B., 
anstatt vieler gleichartiger Belege ein einziges typisches Paradigma hervor¬ 
zuholen, im Items of interest 1910/11 eine lange Artikelserie von Gon« 
zettait ausgezeichneten Illustrationen dieser Art architektonisch muster¬ 
gültiger Kavitätenformen. Warum machen wir denn das nicht einfach nach? 
Weil die Sache einen Haken hat, der leider viel reeller ist, als alle diese 
wunderschönen Zeichnungen. Oder sollen unsere Hände, unser Instrumen¬ 
tarium und unsere Methoden soviel plumper sein, als die unserer Kollegen 
da drüben? Wo mag da die Wahrheit liegen? Ich vermag nur den schreien¬ 
den Kontrast zu konstatieren. Eine reinliche Klarlegung dieser auffälligen 
Unterschiede ist dringend erforderlich." Diese Fragen Peckerts sind an 
sich sehr berechtigt/ sie mußten jedem, der die amerikanische Literatur ver¬ 
folgt hat, kommen und Peckert kann das Verdienst in Anspruch nehmen, 
auf dieses Mißverhältnis zwischen diesen auffälligen Kavitätenformen und 
der Ausbreitung der Karies zuerst hingewiesen zu haben. Schon beim Durch¬ 
arbeiten des Blackschen Lehrbuches war mir aufgefallen, daß er bei Anlage 
aller seiner Formen für approximale Kavitäten auf der im Schmelz beginnen¬ 
den und nur wenig ins Dentin übergreifenden Karies fußte. Nur für diese 
hat er, zwecks Verhütung der Kariesrezidive, sein System geschaffen, dabei 
immer nur die spätere Ausfüllung der Kavität mit einer gehämmerten Gold¬ 
füllung im Auge habend. Nachdem seine Methode soweit feststand, wurden 
größere kariöse Prozesse erst mit in das Reich der Betrachtungen gezogen, 
ebenso schenkte er den übrigen Füllungsmaterialien erst in zweiter Linie 
Beachtung. Das geht aus allen Abbildungen Blacks und seinen Erläute¬ 
rungen ganz deutlich hervor. Im Grunde genommen kommt Black auf tiefer 
im Dentin ausgebreitete Karies nur mit wenigen Sätzen zu sprechen. Der Angel¬ 
punkt für sein ganzes System ist die eben beginnende Berührungskaries. 
Black begründet seine uns übertrieben anmutende Forderung im zweiten 
Bande S. 196 folgendermaßen: Die Reste des kariösen Schmelzes sind näm¬ 
lich oft außerordentlich brüchig. Das Dentin ist noch fast unversehrt. Wenn 
man jede Kavität in solch frühem Stadium der Erkrankung füllen könnte, 
wäre es für die Zähne viel besser. Eine Dentinkaries, die so tief geht <Black 
verweist hier auf eine Abbildung mit eben beginnender Dentinkaries), schade 
dem Zahn viel mehr, als das Ausschneiden einer ebenso tiefen Kavität im 
gesundem Zahnbein. Es ist durch Untersuchungen nachgewiesen, daß in 

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letzterem Falle der Inhalt der Dentinkanälchen zwischen der Füllung und 
der Pulpa in der Regel lebend bleibt, während man dort, wo das Zahnbein 
„kariös" war, nach einigen Jahren die Odontoblastenfortsätze bis zur Pulpa¬ 
kammer hin, abgestorben findet." Die guten Erfolge der gehämmerten Gold¬ 
füllung bei Befolgung der Blackschen Forderungen für die Kavitätenvor¬ 
bereitung mußten ja geradezu dazu verführen, sie auf die Metalleinlagen zu 
übertragen, für die ja noch keine Erfahrungen vorhanden waren. Hierzu 
kommt noch, daß die nach Black rite präparierte Kavität vorzüglich zum 
Abdrucknehmen respektiv direktem Modellieren geeignet war. Denn seine 
Vorbereitungen der Kavitäten gipfeln in folgenden drei Forderungen, die 
ich B oedeckers D. Monatsschrift für d. J. 1914 entnehme: 

1. Senkrechte Wände. 

2. Sdiarfe Winkel. 

3. Möglichst große wagrechte Bodenfläche. 

Wie kam Black zu diesen Forderungen? 

ad 1. Die senkrechten Wände dienen zur Retention der fertigen ge¬ 
hämmerten Goldfüllung. Da das Dentin eine der elastischsten Substanzen 
ist, die wir kennen, die Größe seiner elastischen Formveränderung gering 
ist, außerdem die Kraft, welche es aushält, ohne sich dauernd zu defor¬ 
mieren, groß ist, und der Festigkeit von gehämmertem reinen Gold sehr 
naheliegt, so sagt Black nach seinen Messungen und Belastungsproben, daß 
im großen ganzen die elastische Kraft des menschlichen Zahnbeines, wenn 
sie voll ausgenützt wird, imstande ist, auf gehämmertes Gold einen so 
starken Druck auszuüben, daß das Gold ein wenig deformiert wird, wobei 
natürlich auch die elastische Spannung ein wenig nachläßt. Dabei würde 
aber in den Wänden der mit Gold gefüllten Kavität noch reichlich elastische 
Spannung Zurückbleiben, die das hineingekeilte Gold dauernd mit großer 
Kraft festhielte. — Eine gehämmerte Goldfüllung sitzt demnach fest wie ein 
Pfropfen im Flaschenhalse. Bei der Metalleinlage liegen aber die Verhält¬ 
nisse ganz anders. Die Elastizität des Dentins können wir zur Retention 
nicht benutzen, weil ja die Einlage nicht in die Kavität gekeilt wird. Die 
Retention der Einlage erhalten wir durch die Form, eine restlose Parallelität 
der Wände ist darum hinfällig. Es genügt zum mechanischen Halt, z. B. 
in einer approximo-okklusalen Kavität im okklusalen Teil, das Vorhanden¬ 
sein von zwei Flächen, die zur Entfernungsrichtung der Einlage aus der 
Kavität parallel sind, im approximalen können wir die Parallelität entbehren. 

ad 2. Der Zweck der scharfen Winkel ist, beim Kondensieren des Goldes 
eine Verlagerung zu verhüten. Da wir die Einlage nicht zu kondensieren 
brauchen, so sind sie für diesen Zweck überflüssig. Einzig bei flachen zen¬ 
tralen Kavitäten können sie dem Heraushebeln durch den senkrechten und 
seitlichen Kaudruck Widerstand leisten, in allen anderen Fällen ist es zweck¬ 
los, hierfür gesunde Substanz zu opfern. 

ad 3. Der große wagrechte Boden dient als geeignete Fläche, gegen welche 
man das Gold stark kondensieren kann, und zweitens, um den auf der fer¬ 
tigen Füllung ausgeübten Kaudruck auf den Zahn zu übertragen. Diese 



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Forderung ist aber wieder eine Notwendigkeit für die gehämmerte Gold^ 
fullung. Für die Einlage kommt sie nur insofern in Betracht, als sie bei 
nicht allzustarken Zahnwänden dazu dient, den Kaudruck von der Füllung 
auf eine große horizontale Fläche des Zahnes zur Entlastung der Seiten^ 
wände zu übertragen. Nach allem eben Gesagten ergibt sich zur Evidenz, 
daß erstens alle Forderungen Blacks für die Vorbereitung von Kavitäten 
für Aufnahme von gehämmerten Goldfüllungen erhoben sind, zweitens, daß 
für die Metalleinlagen nur der eine oder der andere Punkt, und dann nur 
für gewisse Formen der Einlage in Betracht kommt. Drittens die kritiklose 
Übernahme der Black sehen Forderungen nur zu überflüssigem Substanz^ 
Verlust bei der Präparation führen muß, ohne irgendwelche Vorteile zu 
bringen. Mit Obigem will ich durchaus nicht die Blacksche Methode ver^ 
werfen, sondern vor einer Verallgemeinerung warnen, die nur schaden kann. 
Viele seiner Jünger sind weit über das Ziel hinausgeschossen, und auch 
Smrecker bringt Abbildungen, die ein Mißverstehen Blackscher Theorien 
offenbaren. Die Vielgestaltigkeit der Kavitäten, die wir immer und immer 
wieder in Abbildungen sehen, gibt nur den Beweis, daß man noch immer 
den tatsächlichen Verhältnissen so wenig Rechnung trägt. Ganz entgegen^ 
gesetzte Ansichten stehen sich noch immer schroff gegenüber. Noch immer 
findet die eckige Form der Höhlenpräparation — die Blacksche Methode 
— ihre Verteidiger. Da ich besonders stichhaltige Gründe nicht angegeben 
fand, so wird meine oben angegebene Erklärung wohl den wahren Kern 
der Sache treffen. Auch die Gegner der scharfen Winkel sind in ihrer Be^ 
gründung nicht allzu genau. So sagt Lane: Scharfe Winkel an den zerviko^ 
bukkalen und lingualen Partien von approximo-okklusalen Höhlen sind ganz 
wertlos und führen nur dazu, daß der Zahn als ganzer geschwächt wird. 
Er führt weiter an, die Möglichkeit einer Fraktur sei viel größer als bei einer 
rund angelegten Präparation. Auch mache das Einsetzen einer scharfwinkligen 
Füllung viel mehr Schwierigkeiten, als das Fixieren einer abgerundeten, 
schon darum, weil der überflüssige Zement im ersteren Falle schwerer aus^ 
weichen könne. Eine kantige, scharfwinklige Wachsschablone sei auch viel 
schwerer auszuarbeiten, als eine runde. 

Auch Trigger <Dental-Kosmos L. I.) wendet sich gegen die kantige Prä~ 
paration: „Die Schmelzwand soll nicht zu plötzlich mit einer kurzen Krüm¬ 
mung abschließen, scharfe Winkel sind bei der Präparation von Höhlen nicht 
gut verwendbar. Der Übergang der gingivolabialen Fläche der Höhle in 
die buccale soll in Form einer abgerundeten Kurve geschehen/' 

Je genauer man mit der Materie vertraut wird und je mehr man Verständnis 
für die Grundsätze der Kavitätenpräparation für Einlagen bekommt, um so 
weniger erhält man atypische Formen in der Kavitätengestalt. Man hat dann 
auch nicht mehr nötig, sich nach Beschreibungen und Abbildungen zu richten, son^ 
dem wird nach eigenem Ermessen von Fall zu Fall entscheiden können, welches 
die günstige Kavitätenform und Verankerung für eine Einlage ist. 

In allen zentralen Kavitäten sind zwei gegenüberliegende Wände parallel 
zu gestalten. Nur bei seichten zentralen Kavitäten sind die Winkel im Dem* 


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tin scharf rechtwinklig auszuschneiden. In allen übrigen Fällen, in denen die 
Kavität auf zwei Flächen des Zahnes greift, genügt die Parallelität zweier 
Wände in dem Teil der Kavität, der die Verankerung gewährleisten soll. 
Ungewollt erhalten wir hierdurch auch an den parallelen Wänden zum Boden 
rechteW inkel, die aber nicht unbedingt scharf ausgeschnitten zu werden brauchen. 

Gegen den seitlichen Druck sichern wir die Einlage durch ampullenartige 
Erweiterung meistens im Bereich der Kaufurchen oder versenken einen par* 
allelwandigen Zapfen ins Dentin. Dieser muß sich am Ende des Teiles der 
Einlage befinden, auf den der Druck zunächst wirkt. Zur Erläuterung hier* 
für diene eine Schneidezahnkavität, welche von der approximalen Fläche auf 
die Schneidefläche übergreift. Eine ampullenartige Erweiterung am Ende 
der Einlage in der Schneidefläche wird wohl in den allerseltenstcn Fällen 
möglich sein, wohl aber läßt von hier ein parallelwandiger Zapfen sich 
ins Dentin versenken, ohne die Pulpa zu gefährden. Ein seitliches AusweU 
chen der Einlage ist hierdurch vermieden. Hier einen Zapfen im approxi* 
malen Teile anzubringen, also dem Teile, der den Seitendruck nicht in 
allererster Linie aufnimmt, wäre zwecklos. Dies Beispiel spricht für sich 
selbst und bedarf deshalb keiner weiteren Erklärung. Eine zweckmäßige 
Unterstützung findet die ampullenartige Erweiterung, respektive der ins Dentin 
versenkte Zapfen dadurch, daß man am gingivalen Teil der Kavität die 
Fläche etwas vom Schmelzrand zur Pulpa hin abschrägt. Der Schmelzrand 
steht also hier im Niveau am höchsten, und die Einlage wird hier durch 
jeglichen Druck geradezu in die Kavität gekeilt. Mit dieser Anordnung habe 
ich die in der Literatur angegebenen Stifte und Schrauben stets vermeiden 
können. So fand ich auch, daß der im Wurzelkanal versenkte Platinstift als 
Halt für eine bis zur Schneidekante reichende Einlage nicht genügt. Zwischen 
Gold und Zahn entstand ein Spalt, der vermieden wurde, als die Einlage 
im Dentin im Bereich der Schneidekante durch einen Zapfen verankert 
wurde. Bei der von mir angegebenen Anordnung ist ein Herausfallen der 
Einlage so gut wie ausgeschlossen. Geht man in der Erhaltung dünnwan* 
diger Zahnwände nicht zu weit, so werden auch hier Mißerfolge .aus* 
geschaltet. Besonders bei den extremen Fällen, bei denen man den ganzen 
oder größten Teil der Kaufläche zu ersetzen hat, werden häufig, um Halt 
für die Einlage zu gewinnen, Wände geschont, die unmöglich sich lange 
halten können. Ich brauche hier nur an das Vorgehen Adolf Witzeis bei 
der Präparation für Amalgamkuppelfüllungen zu erinnern, um zu zeigen, 
wie Mißerfolge leicht vermieden werden können. 

Was die zur Dentinbearbeitung verwendeten Instrumente anbelangt, so 
habe ich mich persönlich zum Gebrauch der von Black angegebenen Hauen, 
Beile und Löffel umgestellt, ohne die Bohrmaschine so auszuschalten, wie 
Black es verlangt. Die architektonisch schönen Formen, von denen Peckert 
schreibt, kann man nur mit den Handinstrumenten erzielen. Sie herzustellen 
ist auch uns hiermit — ich verweise auf meine Demonstrationen im Frank* 
furter Carolinum — möglich, wenn ich auch eine strenge Durchführung nach 
meinen obigen Erklärungen für unnötig erachte. Nur ein Instrument sollten 


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Bewährung gegossener Metallfüllungen in der konservierenden Zahnheilkunde 71 


wir in Acht und Bann tun, das ist der sogenannte Roachbohrer. Diesen 
ersetzen wir am besten durch den umgekehrt kegelförmigen Bohrer. Manche 
ungünstig und unrichtig für eine Einlage vorbereitete Kavität läßt auf die 
Nichtbenutzung des Winkelstückes in der Bohrmaschine bei der Höhlen- 
bearbeitung schließen. Der leichteren Handhabung wegen ziehe ich das kon* 
vexwinklige dem rechtwinkligen vor. 

b> Die Bearbeitung des Schmelzrandes 

Sichert uns die geeignete Vorbereitung des Dentins den Halt der Füllung, 
so ist die korrekte Vorbereitung der Schmelzränder der Kavität von höchster 
Bedeutung für die Dauer der Füllung. Man hat wohl bei der Präparation 
wie auch in der Flächengestaltung zwischen Dentin und Schmelz stets deut- 
lieh zu unterscheiden. Darum beschäftigte ich mich im vorigen Abschnitt nur 
mit dem Dentin, und wende mich nun der Schmelzbearbeitung und Gestalt 
tung zu. Als man begann die Einlagemethode anzuwenden, glaubte man 
schon große Sorgfalt bei der Schmelzpräparation verwendet zu haben, wenn 
man den Schmelzrand mit Finierern, Karborund und Arkansasteinchen be- 
arbeitete. Trotzdem fand man wider Erwarten bei Einlagen, die anfangs 
tadellosen Randschluß gezeigt hatten, nach einiger Zeit an gewissen Stellen 
einen Spalt zwischen Einlage und Zahnrand, ja manchmal sogar neue Karies¬ 
stellen. Solches Nachlassen des Randes hatte man weder bei gehämmerten 
Goldfüllungen noch bei Amalgamfüllungen beobachtet, obwohl besonders 
letztere kaum solche Sorgfalt in der Randpräparation gefunden hatten. Man 
stand vor einem Rätsel und war schon geneigt, der Einlagemethode als 
solche die Schuld zu geben. Da kam mir im Jahre 1908 Blacks Werk, 
Operative Dentistry, in die Hände. Bei der Durcharbeitung desselben zwecks 
eines Vortrages im zahnärztlichen Verein zu Frankfurt fand ich dann Auf- 
Schluß über diese sonderbare Erscheinung und erkannte, daß sie in dem ana¬ 
tomischen Bau des Schmelzes begründet war. Mir wurde auch damals schon 
klar, warum man bei Amalgamfüllungen viel seltener solche Mißerfolge 
hatte. Durch die weite Eröffnung der Kavitäten <zur Erzielung eines guten 
Abdruckes) kam man während der Präparation von Einlagen in Regionen 
des Schmelzes bei den Zahnhöckern, die man bei Amalgamfüllungen selten 
oder nie erreichte, denn sonst hätten wir auch hier denselben Mißerfolg ge¬ 
habt. Black legte mit Recht bei der Präparation großen Wert auf die Struktur 
des Schmelzes. Da die Prismen fester als die Kittsubstanz sind, so läßt der 
Schmelz sich leicht in der Längsrichtung der Prismen spalten. Möglichst 
genaue Kenntnis der Prismenrichtung ist daher erforderlich. Wenn auch der 
innere, dem Dentin zugewandte Schmelz eine verschlungenere Form zeigt, 
so ist der äußere Bezirk regelmäßig gefasert. Die Schmelzprismen enden an 
der Oberfläche und stehen in der Hauptsache zu ihr senkrecht. Aber nur 
in der Hauptsache, und die Abweichungen zu wissen ist für die Bearbeitung 
des Schmelzes notwendig. Erinnern wir uns znnächst daran, daß die Kon¬ 
turen des Dentins den Schmelzkonturen entsprechen. Nehmen wir an, daß 
jede Höckerspitze mit der Spitze des unter ihr liegenden Dentins ebenso jede 


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Kaufurche senkrecht zum Dentin durch ein Schmelzprisma verbunden wäre, 
so müßten alle dazwischenliegenden Prismen radiär vom Dentin aus an« 
geordnet am Dentin sehr eng, an der Schmelzoberfläche weiter stehen. In 
der Mitte zwischen Höckerspitze und Kaufurche würden dann die Schmelz« 
prismen auf dem Dentin zur Schmelzoberfläche senkrecht stehen, und sich 
dann sowohl nach dem Höcker wie nach der Kaufurche geneigt, nebenein« 
ander anordnen. Nehmen wir weiter an, daß die Kante des äußeren Schmelz« 
randwulstes mit der Kante des Dentinkernes durch ein gerades Prisma ver« 
bunden wäre, und außerdem am Gingivalrand durch die an dieser Stelle 
verjüngte Schmelzwand die Prismen entgegengesetzt strahlten, so würden 
wir in der Mitte zwischen Randwulst und gingivalem Schmelzrande die auf 
dem Dentin zur Schmelzoberfläche senkrecht stehenden Prismen finden. Nach 
dem Schmelzrandwulst und dem Gingivalrande ordnen sich die Prismen 
weiter radiär an. Und in der Tat, halten wir uns dieses Schema bei der 
Schmelzbearbeitung vor Augen, so werden wir immer sehr schnell die richtige 
Spaltung finden. Wir müssen beim Schneiden des Schmelzes darauf achten, 
daß keine Stelle der äußeren Schmelzschicht kurze Endstücke von Prismen 
oder nicht unterstützte Prismen aufweist. Das läßt sich natürlich nie durch 
die in der Bohrmaschine rotierenden Finierer und Karborundsteine ermög« 
liehen, sondern hierzu sind ausschließlich die Schmelzmesser zu verwenden. 
Nach obigen Erläuterungen sind wir über die ungefähre Richtung des Prismen« 
Verlaufes orientiert, das feine Gefühl in der Hand wird immer mit dem 
Schmelzmesser die korrekte Spaltung erreichen lassen, selbst wenn Unregel« 
mäßigkeiten im Prismenverlaufe Vorkommen. Ihre Anwendung ist einfach 
und wohl allbekannt. Man hobelt solange, bis die Schmelzwand klar, fest 
und glasartig erscheint. Nur am gingivalen Rande der Seitenzähne benutzt 
man am besten die von Black angegebenen Gingivalrandschräger. Dieselben 
existieren in je zwei Größen für mesiale und distale Kavitäten. Die Schneide 
ist in einen derartigen Winkel gestellt, daß die Abschrägung des Schmelzes 
in geeignetster Weise erfolgen muß. Gerade hier am Gingivalrande war es 
besonders schwierig, den Schmelz gut zu bearbeiten. Aus diesem Grunde 
empfiehlt auch Boedecker hier besondere Instrumente, und zwar die Nehlig 
Trimser <von d. W. Ivory Dental Co. hergestellt). Wenn man auch mit 
ihnen einen schönen glatten Schmelzrand erzielen kann, so fehlt doch die 
Möglichkeit einer Abschrägung, welche an dieser Stelle durch die schräge 
Anordnung der Schmelzprismen notwendig ist. Erinnern möchte ich hier 
daran, daß ich für diesen Gingivalrand im Dentin eine zur Pulpawand ab« 
fallende Neigung empfohlen habe. Da der Schmelz hier <durch die Gingival« 
randschräger) nach außen abgeschrägt wird, so muß die Schmelz«Dentin« 
grenze im Niveau am höchsten liegen. Obwohl ich annehmen muß, daß ich 
mit obigen Ausführungen alles Wissenswerte für die Schmelzbearbeitung 
gesagt habe, möchte ich doch noch auf vier Schmelzregionen, ihrer eigen« 
artigen Verhältnisse wegen, die besondere Aufmerksamkeit lenken, weil ich 
gefunden habe, daß nicht genaue Kenntnis dieser Verhältnisse die Haltbar« 
keitsdauer der Gußfüllungen oft beeinträchtigt hat. 



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1. In Molaren werden die Höcker am Randwulst häufig so weit durch 
Karies unterminiert, daß nur (oder wenig mehr als) die Spitze des Höckers 
stehen bleiben kann. Hier haben die Schmelzprismen eine derartig schräge 
Lagerung, daß die Füllung zu dünn auslaufen würde, um dem Kaudruck 
widerstehen zu können. Binnen kurzem ist der Schmelzrand beschädigt und 
neuer Karies eine Niststätte geschaffen. Wir tragen hier am besten den 
Höcker nach der lingualen respektiv buccalen Seitenfläche so weit ab, bis wir 
auf die mehr horizontal gelagerten Prismen treffen. Hierdurch erzielen wir 
einen Rand, der nicht mehr verletzt werden kann. 

2. Auf der axialen Fläche der Seitenzähne (mesial- oder distalwärts — 
also den Berührungsflächen ~) treffen wir häufig Karies an, die sich dem 
Randwulst nähert, diesen aber noch nicht erreicht.. Diese Karies finden wir 
auch,* wenn kein Nachbar mehr steht. Es liegt zunächst kein Grund vor, 
mit der Präparation auf die okklusale Fläche überzugreifen. Hier muß die 
Schmelzwand, je näher sie dem Randwulst liegt, um so schräger gestaltet 
werden, weil sonst an der Oberfläche kurze Endstücke von Schmelzprismen 
stehen bleiben würden. Da hier der Kaudruck keine Rolle spielt, können 
wir wohl eine scharf auslaufende Einlage einsetzen, sonst müssen wir bei 
der Präparation auf die Kaufläche übergreifen. 

3. Wenn auch die Frontzähne nicht zur eigentlichen Domäne der Einlage 
zählen, so entschließen wir uns doch öfters aus Gründen, die ich später in 
dem Abschnitt über Indikation präzisieren werde, auch hier Einlagen anzu- 
bringen. Naturgemäß sind es immer größere Defekte, die für uns in Be- 
tracht kommen, und ich möchte die besondere Aufmerksamkeit darauf lenken, 
daß wir in den Inzisiven mesialwärts weiter nach der Schneidekante zu prä¬ 
parieren dürfen, als distalwärts. Die distale abgerundete Schneidekante läßt 
uns schon rein äußerlich erkennen, daß die Schmelzfaserung komplizierter 
angelegt sein muß, als die mehr rechtwinklige mesiale Kante. Distalwärts 
entschließe man sich deshalb aus prophylaktischen Gründen viel leichter zur 
Opferung der Schneidekante, als mesialwärts. 

4. Haben wir Schneidezähne mit kräftigen mesialen und distalen Rand¬ 
wülsten an der lingualen Fläche — besonders treten sie an den kleinen 
Schneidezähnen auf —, so lege man nie in diesen den Schmelzrand an. Ob¬ 
gleich sie so überaus kräftig erscheinen, ist die Prismenordnung in ihnen so 
unregelmäßig, daß wir uns nie auf den Rand verlassen können. Arbeiten 
wir, wie angegeben, mit Schmelzmessern, so merken wir, beim Bearbeiten 
sehr bald, daß wir nicht eher einen glatten Schmelzrand erhalten, als bis die 
letzten Reste des Wulstes entfernt sind. 

Ein leichtes Abschrägen der äußersten Schneidekante scheint mir überall 
wohl angebracht, und es ist dann notwendig, wenn wir uns über die Prismen¬ 
lagerung nicht ganz klar sein sollten. Hierdurch wird ein genaues Anpolieren 
des Einlagerandes an den Schmelzrand erleichtert. 

Nicht alle Autoren halten sich an diese durch die Struktur des Schmelzes 
vorgeschriebene Schmelzbearbeitung. Hauptsächlich sind es wieder die Ameri¬ 
kaner, welche in ihrer Fachpresse einen heftigen Kampf führen, ob der ganze 


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Schmelzrand bei Einlagen abgeschrägt werden soll oder nicht. Noch sind 
die Ansichten geteilt, und es will mir den Anschein haben, als wenn die An* 
hänger der Abschrägung <Iap joint) in letzter Zeit zugenommen und die Be* 
fürworter des rechtwinkligen Aneinanderstoßens von Füllung und Kavitäten* 
rand <butt joint) abgenommen hätten. Mister Coulongh sagt: „Kein 
Füllungsmaterial besitzt in seiner Kante jene Stärke, die dem Schmelz zu* 
kommt. Das Abschrägen des Schmelzrandes und der Ersatz der fehlenden 
Schmelzpartie durch das Füllungsmaterial ist daher unlogisch, der schwächere 
Körper kann nicht gut dem stärkeren Schutz gewähren. Ebenso ist T. C. 
Trigger <Dental*Kosmos L. I) der Ansicht, daß die Randpartien der Höhle 
ganz gerade verlaufen müssen und man ein Abschrägen der Kanten ver* 
meiden müsse." Lane hingegen hält den Rand einer Einlage bei einem 
Kantenwinkel von nur 65 ° ganz verläßlich, da es dem Schmelzrand eine 
Stärke von 115° erlaubt. So bestimmt auch diese Angaben sind, so 
scheinen sie mir für die Praxis nur sehr bedingten Wert zu haben, da wir 
hier wohl kaum zum Winkelmessen der Einlage kommen werden. Sehr 
ausführlich begründet Gonzett seine Befürwortung für die Abschrägung 
rings um die ganze Kavität. Er will den Rand abgeschrägt haben: 

1. Um die Schmelzform zu schützen, da nach dem Abschrägen am Schmelz* 
rand die nicht unterstützten Schmelzprismen wären. 

2. Nur mit einer relativ breiten Goldleiste den Höhlenrand zu decken, 
ein besseres Anpolieren zu ermöglichen, und hierdurch die Zementkittlinie 
auf ein Minimum zu beschränken. Bei butt joint müsse man auf das An* 
polieren verzichten, da es die am Rand ungeschützten Schmelzprismen ver* 
letzen und zum Abspringen bringen könne. 

3. Um die Zementkittlinie vor dem Kaudruck zu schützen, die den Zement 
zum Ausfallen brächte. 

Blacks Ansichten scheinen auch hier zu triumphieren, auch wenn er in 
mancher langen Abhandlung seiner Landsleute nicht erwähnt wird. Völlig 
eigene Wege geht in der Schmelzrandbehandlung, zumal bei der Präparation 
approximaler Höhlen, Thiersch, Basel, die auch von Amerikanern <Otto* 
Lengui) eingeschlagen worden sind. Mit Hilfe von Scheiben und Meißeln 
wird der approximale Kavitätenrand so stark abgeflacht, daß hier der Zahn 
seine unter sich gehende Glockenform verliert. Der abgeflachte Approximal* 
rand liegt dann buccal*lingual in einer Ebene. Man kann am bukkalen und 
am lingualen Approximalrand zwei Kanten deutlich unterscheiden, eine 
äußere, die durch das Zusammenstößen des Randes mit der Schmelzober* 
fläche entsteht, und eine zweite innere Kante, welche der Approximalrand 
mit der Dentinfläche der Kavität bildet. Das weite Übergreifen der Einlage 
über diesen relativ breiten und flachen Rand gibt ihm mit Recht den Charak* 
ter des lap joint. Durch den erheblich größeren interproximalen Raum wird 
das Formen der Wachsschablone respektive Abdrucknehmen erleichtert, 
ebenso die diffizile Bearbeitung der lingualen und bukkalen Schmelzränder. 
Diese, mir von Thiersch persönlich demonstrierte Methode hat gewiß ihre 
Vorteile, besonders bei dünnen Lingual* und Buccalwänden, dann auch in 


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Bewährung gegossener Metallfullungen in der konservierenden Zahnheilkunde 75 


der leichten Kavitätengestaltung. Hingegen ist der dünne, breite (linguale 
und buccale) Rand schwierig zu modellieren, ebenso auch die gingivo-buc- 
calen und gingivo-lingualen Winkelübergänge. Auch der Guß gelingt nicht 
so leicht, wegen des feinen Federrandes. Aus diesem Grunde schräge ich 
die nach Thiersch in einer Ebene liegenden linguale und buccale Ap- 
proximalwand nach der eigentlichen Kavität zu, etwas mit kleinen Papier* 
scheiben ab. Hierdurch vermeide ich den dünnen Federrand. Die Ver¬ 
ankerung erfolgt natürlich stets in den Kaufurchen. 

DER ZEMENTSAUM UND DAS EINSETZEN DER METALL¬ 
EINLAGE 

Anfangs hielt man den zur Befestigung der Einlagen nötigen Zement für 
die Achillesferse des ganzen Verfahrens. Im Laufe der Zeit erkannte man 
aber doch, daß bei genauer Arbeit die Gefahr nur eine eingebildete war. 
Auch hier liegt der Angelpunkt des Ganzen in der geeigneten Höhlenvor¬ 
bereitung. Zwar sagte der Begründer des modernen Gußverfahrens, Tag¬ 
gart, daß der Zement sich in der Tiefe nur so weit auflöse, wie die Fuge 
breit sei. Meiner Meinung nach ist es bei der Zähigkeit des Speichels wohl 
möglich, daß in diesem Stadium der Zementauflösung eine gewisse Ver- 
langsamung eintritt, ein Stillstand tritt aber sicher nicht ein. Da diese 
irrige Ansicht seit Taggart bis heutigen Tages durch die ganze Literatur 
mitgeschleppt worden ist, sehe ich mich veranlaßt, dies besonders zu betonen. 
Ich habe Auflösungen des Zements angetroffen, die das Vielfache, der kaum 
für die dünne Sonde passierbaren Spaltbreite betragen. Dies besonders auf 
den Kauflächenrändern. Wahrscheinlich wird hier der Speichel durch den 
Kaudruck in die Zementspalten gepreßt, während er an anderen Stellen die 
Zementgrenze nur umspült. Auch dieser Umstand spricht für die etwas 
gelappte Einlage, um den unmittelbaren Einkauen des Speichels auf die 
Zementgrenze aus dem Wege zu gehen. 

Eine Begrenzung der Haltbarkeit der Einlagen durch mangelhaften Ze¬ 
ment ist mir nicht begegnet, vorausgesetzt, daß dem Zement nicht mehr zu¬ 
gemutet worden ist, wie er nach seinen Eigenschaften leisten kann. Der 
eigentliche Halt der Einlage wird durch die Form der Kavität erzielt, nie 
durch den Zement, selbst wenn man auch noch so tiefe Unterschnitte an¬ 
bringt. Ich verzichte auf letztere völlig und bringe nur an der Einlage mit 
einem radförmigen Bohrer leichte Rauhigkeiten an, weil hieran der Zement 
besser haftet, als an einer glatten Fläche. Am Schmelzrande muß natürlich 
die Dicke des Zements auf ein Minimum reduziert werden, und da die 
Dicke einer Zementschicht von der Größe der Zementkörner abhängig ist, 
so sollte man nur Zemente mit feinstem Pulver verwenden. Mehr als auf 
eine gute Austrocknung der Kavität im Rahmen dieser Arbeit hinzuweisen, 
erübrigt sich wohl, da eine Unterlassung des Austrocknens ein unentschuld¬ 
barer Kunstfehler wäre. Warnen möchte ich auch vor der von Boedecker 
angegebenen Methode, der die Kavität mit unterchlorsaurem Natron <KC1G> 


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und unterbromsaurem Kali <KBrO> beschickt, in das er verdünnte SdiwefeL 
säure bis zum Aufhören der Reaktion bringt. Hierdurch will er auf dem Dentin 
eine Oberfläche erzeugen, die eine innige Verbindung mit dem Zement ge* 
währleistet. Diese schiebt er selbst auf die Ätzwirkung der Säure, auf das Dentin. 
Hat Boedecker hiermit recht, so weiß ich nicht, wie er den so empfindlichen 
Schmelzrand vor der Ätzwirkung bewahren will. Hier bedeutet sie eineSchä* 
digung, die wir doch auf jeden Fall vermeiden sollten. Für die Desinfektion der 
Höhle stehen uns harmlosere Mittel zur Verfügung, und die leicht angerauhten 
Dentinflächen habe ich noch nie vermißt. Das definitive Einsetzen der Ein* 
läge hat unter hebelndem Druck zu geschehen, denn der senkrechte Druck 
läßt den in der Kavität befindlichen überschüssigen Zement nicht so rasch aus 
der Kavität fließen und erhärtet schließlich, bevor die Einlage genau an Ort 
und Stelle sitzt. Eine solche Füllung ist, mag sie bei der Anprobe noch so 
gut gepaßt haben, nicht mehr wert, als eine mit unvollkommenem Randschluß 
und sollte schleunigst entfernt werden, bevor der Zement ganz erhärtet. 

DIE FÜR EINLAGEN ZU VERWENDENDEN METALLE 

Wenn ich vor dem Kriege gefragt worden wäre, welches Material für die 
Metalleinlagen das geeignetste wäre, so hätte ich unbedenklich geantwortet: 
22* oder 23 kar. Gold. Heutigen Tages müßten wir aber weite Kreise 
unserer Bevölkerung, und gerade die, welche den Wert geeigneter Zahnbe* 
handlung am meisten zu schätzen gelernt haben und zu würdigen verstehen, 
von der Behandlung ausschließen, die uns gegebenenfalls die günstigste Pro* 
gnose gestattet. Schon im Frieden habe ich Versuche mit anderen Metallen 
angestellt, weil es mir unangenehm war, die wirtschaftlichen Verhältnisse 
der Patienten als ausschlaggebenden Faktor in der Indikationsstellung mit 
heranzuziehen. Die in der Zahntechnik als Goldersatz empfohlenen Bronze* 
metalle befriedigten mich nicht, sei es, daß der Randschluß oder die Farbe 
im Munde zu wünschen übrig ließ. Silber war auch im Guß nicht günstig, 
ganz abgesehen von der im Munde stattfindenden Verfärbung. Sehr gut 
bewährte sich hingegen eine Silberzinnlegierung <60% Silber und 40% Zinn). 
Diese Legierung ließ sich ebenso gut gießen wie Gold und hielt auch im 
Munde die Farbe soweit, daß ich sie so gar in Vorderzähnen zu der Patien* 
ten, und was noch wichtiger ist, zu meiner Zufriedenheit anwenden konnte. 
Solche Füllungen habeich jetzt nach sieben und acht Jahren wieder gesehen, ohne 
daß ich irgend etwas an ihnen aussetzen könnte. Aus diesem Grunde werde 
ich sie von jetzt ab öfters verwenden, wenn ich eine Einlage für angezeigt 
halte, und Gold zu kostbar sein würde. Für einen Massenverbrauch in 
Kliniken mag selbst diese Legierung noch zu teuer sein. Hier möchte ich 
die von Pollak <Österr.*Ung. V. 1916) gegebene Anregung empfehlen, die 
mir im Felde des öfteren gute Dienste geleistet hat. Es sind dies die 
Überbleibsel hart gewordener Silberamalgamfüllungen, welche eingeschmolzen, 
ein ganz gutes, kantenfestes Einlegemetall ergeben. Aller Wahrscheinlich* 
keit nach wird dies ja auch auf eine Silberzinnlegierung herauskommen. 


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Bewährung gegossener Metallfüllungen in der konservierenden Zahnheilkunde 77 


INDIKATIONSSTELLUNG FÜR METALLEINLAGEN 

Wie ich in der Einleitung schon erwähnte, standen den Zahnärzten um 
die Jahrhundertwende nur Goldfolie, Amalgame und Phosphatzemente zum 
Füllen der Zähne zur Verfügung, zu denen bis heute noch drei weitere 
Füllungsmittel, die gebrannten Porzellaneinlagen, die Silikatzemente und die 
Metalleinlagen traten. Eines läßt sich nicht ohne weiteres durch das andere 
ersetzen. Wir müssen uns bestreben, jedes am rechten Platze zu verwenden. 
Die richtige Indikation spielt also eine wichtige Rolle für einen vollen Erfolg. 
Wenn wir auch schon in den ältesten Lehrbüchern Spuren einer Indikations¬ 
stellung für die einzelnen Materialien finden, so nahm dieselbe erst bestimmte 
Formen an, seit Miller fundamental festlegte, daß „die Wahl des Füllungs- 
materials sich immer nach den vorliegenden Verhältnissen richten müsse, und 
daß dasjenige Material, welches für den einen Fall das beste wäre, für einen 
anderen als das ungeeignetste erscheinen kann." Je enger wir für das ein- 
zelne Material die Grenzen der Indikation ziehen, um so mehr können wir 
Mißerfolge ausschalten. Selbstverständlich sind subjektive Anschauungen 
oder gar Liebhabereien bei der Indikation nicht zu berücksichtigen, wohl aber 
soll man die Grenzen seines Könnens kennen und damit rechnen. Wir sind 
— ich möchte sagen leider — noch immer bei der Indikation des Füllungs¬ 
materials von solchen äußeren Momenten abhängig, und können nicht ein¬ 
fach dasselbe wie ein Medikament zu einer therapeutischen Behandlung ver¬ 
ordnen, denn im Kampf gegen die Karies kommt es nicht allein darauf an, 
was man zum Füllen verwendet, sondern wie man es verwendet. Darum 
ist der größte Vorteil des~ Einlageverfahrens der, daß wir die nicht jedem 
gegebene Geschicklichkeit durch Gewissenhaftigkeit ersetzen können, der kein 
Zahnarzt entraten kann. 

Die eigentliche Domäne der Einlagen sind die Prämolaren und Molaren, 
die Vorderzähne kommen hierfür nur bei großen Defekten in Betracht, wenn 
das ästhetische Moment keine Rolle spielt. Überhaupt setzt die Einlage 
stets eine gewisse Größe der Kavität voraus, die nicht erst der Einlage zu¬ 
liebe geschaffen werden darf. Andererseits werden wir uns gerade dann, 
wenn viel Zahnsubstanz zu ersetzen ist, für die Metalleinlage entscheiden. 
Sie bedingt bei zunehmender Größe keine Mehrarbeit und vermehrt hierbei 
nicht die Schwierigkeiten. Der Wert der Einlagen wird noch dadurch er¬ 
höht, daß wir den beiden modernen Forderungen der Prophylaxe gegen die 
Kariesrezidive (sekundäre Karies) ganz besonders leicht Rechnung tragen 
können: Dem ordnungsgemäßen Kontaktpunkt und der extension for pre- 
vention. Auch gibt es gewisse Momente, Vorteile und Annehmlichkeiten, 
die nicht gerade die Verwendung der Einlagen unbedingt indiziert erscheinen 
lassen, uns aber willkommen sind. Bei temperaturempfindlichen Zähnen 
respektive Kavitäten, die in Pulpennähe reichen, wird die zur Befestigung 
nötige Zementschicht automatisch die gute Wärmeleitung des Metalls kom¬ 
pensieren. In die Zähne jugendlicher Personen, d. h. unter 16—17 Jahren, 
Anämischer und Chlorotiker eine Goldfolienfullung zu legen, wurde von 


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Hofrat Dr. H. R. Witt / Bewährung gegossener Metallfüllungen 


Alters her gewarnt, dem Setzen einer Metalleinlage steht nichts im Wege, 
vorausgesetzt, daß ihre Größe und Lage es zuläßt. Ferner möchte ich noch 
die Momente nennen, welche die Verwendung der Einlage nicht ausschließen, 
sie zu kennen ist wichtig, wenn sie mit einem bestimmten anderen Füllungs- 
material in Konkurrenz treten. Das Temperament sowie das Verhalten des 
Nervensystems des betreffenden Patienten können uns bald pro, bald con- 
tra Einlagefüllung beeinflussen. So kann ein Patient eine Kavität von einer 
Größe haben, die sowohl für eine Einlage, wie für eine gehämmerte Goldfül- 
lung oder eine Amalgamfüllung in Frage kommen kann. Er ist zu nervös, 
oder behauptet es zu sein, das Hämmern einer Goldfüllung auszuhalten, 
hier können wir uns zu einer Einlage entschließen. Ein anderer nervöser 
Patient will in einer Sitzung fertig werden, weil er sich nicht zum Wieder* 
kommen entschließen kann, und hält geduldig das Hämmern aus. In solchen 
Grenzfällen dürfen wir da ruhig nachgeben, ja es erleichtert uns in späteren 
Fällen, in denen wir aus besserer Einsicht nicht nachgeben dürfen, zum 
Wohle des Patienten unseren Willen durchzusetzen. Starker Kaudruck, die 
Empfindlichkeit des Zahnes, der Zustand der peridentalen Membran, auch 
die Anzahl der erkrankten Zähne und der Zustand der Karies können den 
Ausschlag geben, eine Metalleinlage anderen Füllungen vorzuziehen. 

Da ich im Laufe der Arbeit nachgewiesen habe, daß die Metalleinlage sich 

1. hinsichtlich der Festigkeit des Materials selbst/ 

2. hinsichtlich der Haltbarkeit vom mechanischen Standpunkt aus in der 
Kavität/ 

3. hinsichtlich der Dauerhaftigkeit gegen Wiederkehr der Karies unbe¬ 
dingt, bei richtiger Auswahl der Fälle, d. h. geeigneter Indikation, be¬ 
währt hat/ 

so steht der Verwendung nichts entgegen, und wir können sie als wirkliche 
Bereicherung unserer Mittel im Kampfe gegen die Karies betrachten. 


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ÜBER DAS GIESSEN VON PORZELLAN 

VON 

PRIVAT-DOZENT DR. C. J. GRAWINKEL 

LEITER DER TECHNISCHEN ABTEILUNG DER ZAHNÄRZTLICHEN UNIVERSITÄTSKLINIK 

IN HAMBURG 

W er von den älteren Kollegen an die Zeit zurückdenkt, in welcher in den 
Vereinen zum ersten Male ein Goldguß demonstriert wurde, der wird 
sich an die überschwenglichen Hoffnungen erinnern, welche sich anfangs an 
dieses Verfahren knüpften. 

Die mühsam aufgebaute Blattgoldfüllung, die mit vielen Schablonen und 
Stanzen hergestellte Brücke, der sorgfältig belegte und verlötete Zahn, alles 
wurde als veraltet erklärt, um jetzt durch dieses so einfache Gußverfahren 
hergestellt zu werden. 

Mit der weiteren Entwickelung und Vervollkommnung des Gußverfahrens 
kamen dann auch die Erfahrungen. 

Diese waren derart, daß der gewissenhaft arbeitende Zahnarzt wohl den 
ungeheuren Nutzen des neuen Gußverfahrens zu würdigen verstand, daneben 
aber die alten erprobten Methoden keineswegs verwarf, sondern sie nach wie 
vor in geeigneten Fällen zur Anwendung brachte/ und dies um so mehr, als sich 
herausgestellt hat, daß auch bei dem Gußverfahren, man denke nur an die 
Einlagefüllungen, der Erfolg nur von einer peinlich genauen Arbeit ab¬ 
hängig ist, und daß der schlechte Blattgoldfüller gewöhnlich auch keine passen¬ 
den Einlagefüllungen fertig bekommt. 

Wenn ich daran, was sich damals bei dem Erscheinen des Goldgu߬ 
verfahrens ereignet hat, hier erinnere, so geschieht dies in der Absicht, 
ähnlichen bitteren Enttäuschungen heute vorzubeugen, wo ein neues 
Gußverfahren „Das Gießen von Porzellan" der Öffentlichkeit übergeben 
wird. 

Heute, wo wir gelernt haben, daß es nötig ist, sich mit dem Bau und 
dem Mechanismus unserer Apparate und Instrumente zu beschäftigen, wo 
bereits der junge Student in der Materialien- und Instrumentenkunde Unter¬ 
richt erhält, wäre es ein nicht wieder gut zu machender Fehler, wenn wir 
uns über den Wert von Neuerungen nicht vor der Anschaffung der nötigen 
Hilfsmittel eingehend informieren würden. 


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Privat-Dozent Dr. C. J. Grawinkel 


Dies gilt besonders von solchen Neuerungen, deren Einführung in unser 
Laboratorium mit großen Ausgaben verknüpft sind. 

Der von dem amerikanischen Zahnarzt Dr. D. D. S. Kaiser in Hamburg 
zum Gießen von Porzellan gebaute Apparat ist in folgender Weise konstruiert. 

Die Grundplatte des Apparates besteht aus einem gußeisernen nach allen 
Seiten hin geschlossenen Behälter „V u , welcher dazu dient, durch Aus* 
pumpen der in ihm enthaltenen Luft einen Vacuum herzustellen. 

Zu diesem Zwecke ist in den Behälter eine Vacuum*Luftpumpe einge* 
baut, welche durch den aus ihm herausragenden Kolbengriff „P" in Tätigkeit 
gesetzt werden kann. Außerdem steht der Vacuumbehälter zur Feststellung 
des erzielten Unterdruckes mit einem Manometer „M“ in Verbindung, 
welcher auf dem Behälter aufgeschraubt ist. 

Ferner befindet sich in der Mitte der Oberfläche des Behälters ein Loch 
„7s/", durch das luftdicht abgeschlossen ein Rohrstutzen „ R " fuhrt, welcher 
an seinem oberen Ende einen flachen Teller „Z" trägt. Auf diesem Rohr 
ist ein Kegelzahnrad „ W" aufgekeilt, in dessen Zähne ein zweites Kegel* 
zahnrad „ W " eingreift. 

Durch eine an der Achse „ 6 " dieses zweiten Kegelzahnrades befestigte 
Kurbel „Ku“ können die beiden Kegelzahnräder und dadurch das Rohr 
„ R " in Deckung versetzt werden. 

Auf der Oberfläche des Behälters sind ferner zwei kräftige eiserne Träger 
„x,x" befestigt, zwischen denen in einer Entfernung von ca. 30 cm über 
dem Behälter ein Zylindersegment „y y" befestigt ist. Nach unten ist der 
Zylinder durch einen festverschraubten Boden „y l y v/ abgeschlossen, welcher 
in der Mitte ein Loch „Z," besitzt. 

Auf der oberen Seite wird der Zylinder durch einen abnehmbaren Deckel 
„ D " verschlossen, welcher an 3 Stellen durchbohrt ist. Das größte dieser 
3 Löcher „nt " befindet sich genau in der Mitte des Deckels „D“ und ist etwa 
3 cm im Durchmesser, während die zwei andern Löcher „ a , a" nur etwa 
1 cm im Durchmesser groß und seitlich angebracht sind. Der eigentliche 
Gußzylinder „Z" besteht aus Schamottemasse und ist auf einem eisernen 
Rohre „r" befestigt, welches an seinem unteren Ende einen flachen Teller 
„ t " trägt. 

Dieser Teller „t“ paßt genau auf den enstprechenden Teller „T“ des dreh* 
baren Rohres „R" , das Rohr „r" ist bei „Z," durch den Boden des Zylinders 
„y" in der Weise durchgeführt, daß es sich wie die Achse einer Maschine 
in dem Lager ,,Z/' drehen kann. 

Auf den oben offenen Schamottezylinder läßt sich ein Schamotteschorn* 
stein „Sch " aufsetzen, welcher aus dem mittleren Loch des Deckels „ D " her* 
vorragt. 

Zu beiden Seiten des Zylinders sind in entsprechenden Haltern 2 Paar 
Bogenlampenkohlen „K, K, K, K," in der Weise befestigt, daß die beiden 
unteren Kohlen feststehen, und die beiden oberen Kohlen mittels der Halte* 
Vorrichtungen ,,a f a“ , welche an den Durchgangsstellen des Zylinderdeckels 
angebracht sind, in der richtigen Brennweite eingestellt werden können. 


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Ober das Gießen von Porzellan 


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Von jeder der 4 Kohlen führt eine Drahtleitung nach der Außenwand 
des Zylinders und von dort die beiden + Leitungen zu der + Klemme 
und die beiden — Leitungen zu der — Klemme auf der Oberfläche des 
Vacuum^Behälters. 



Außerdem ist in dieser Zuleitung ein Amperemeter „Ä* eingeschaltet, 
mit dessen Hilfe man die aufgewandte elektrische Energie in allen Stadien 
des Gusses verfolgen kann. 

Mit Hilfe dieses Apparates wird der Porzellanguß in folgender Weise 
ausgeführt: 

Vierteljahrssdirift für Zahnhcilkunde, Heft 1 6 


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Privat-Dozent Dr. C. J. Grawinkel 


Zuerst wird von dem zu gießenden Objekt, ebenso wie beim Goldgu߬ 
verfahren, ein Wachsmodell angefertigt. 

Hierbei ist zu berücksichtigen, daß größere Mengen von flüssigem Por¬ 
zellan beim Erkalten Schrumpfungen erleiden. Es ist darum ratsam, größere 
Teile wie z. B. ganze Blöcke nicht zu knapp zu modellieren. 

Es folgt das Einbetten des Wachsmodelles. Dieses wird in der üblichen 
Weise durch Anbringung eines Gußstiftes eingeleitet. 

Da flüssig gemachtes Porzellan im Unterschiede von dem bei zunehmen¬ 
der Hitze immer dünnflüssiger werdenden Golde über eine gewisse Zäh¬ 
flüssigkeit nicht hinauskommt, so muß man den Gußstift etwa 4—5 fach so 
stark wie die Mine eines Bleistiftes und für Zähne etwa so stark wie einen 
Bohrerschaft wählen. 

Der schwere Fluß des zähflüssigen Porzellans macht es zur Bedingung, 
daß man das Modell so einbettet, daß der spätere Gußkanal möglichst kurz 
wird. Nur, wenn dies der Fall ist, wird bei größeren Objekten das Aus¬ 
fließen der Form mit Porzellan sicher gestellt. 

Während man es ferner bei Goldgüssen ängstlich vermeidet, das Modell 
zu tief, d. h. zu nahe am Boden des Gußzylinders einzubetten, ist ein tiefes 
Einbetten des Modells bei Porzellangüssen von größtem Werte. 

Der Grund ist der, daß die Saugwirkung die in der Form eingeschlossene 
Luft durch die den Boden des Gußzylinders bildende Einbettungsmasse hin¬ 
durch fortschaffen muß, um in der Form das zum Guß nötige Vacuum her¬ 
zustellen. Obwohl die in Anwendung kommende Einbettungsmasse, welche 
aus einer Mischung von Schamotte mit Gips besteht, luftdurchlässig ist, verlangt 
die zähflüssige Porzellanmasse, daß der eigentliche Gußvorgang möglichst be¬ 
schleunigt wird. Dies kann aber nur geschehen, wenn die den Boden des Gu߬ 
zylinders bildende Schicht der Einbettungsmasse möglichst dünnwandig ist. 

Auf der andern Seite ist zu beachten, daß die Bodenschicht auch nicht zu 
dünn wird, weil es sonst sehr leicht eintreten kann, daß der hohe atmo¬ 
sphärische Druck die ganze Bodenschicht eindrückt und die flüssige Porzellan¬ 
masse in das Rohr „ r " hineinzieht. 

Unter Berücksichtigung der angeführten Momente wird das mit dem Gu߬ 
stift versehene Wachsmodell in folgender Weise eingebettet. 

Man zieht die bei ,,a " ,,ci“ durch den Deckel „D“ gesteckten beiden oberen 
Kohlen „K, K" heraus und nimmt dann den Deckel ,,D“ ab. Hierauf 
hebt man den Gußzylinder „Z" und das daran befestigte Rohr „r" nach 
oben aus dem Apparat heraus, hebt den Schornstein ab und steckt 

das Rohr, da es sich schlecht hinstellen läßt, auf ein eigens für diesen Zweck 
konstruiertes Stativ, welches zur Aufnahme von mehreren Gußzylindern 
eingerichtet ist. 

Nun rührt man eine kleine Menge der Einbettungsmasse an und läßt 
von dieser einen Tropfen „O" auf die Einmündungsstelle des Rohres „r" 
in den Zylinder „Z" fallen. 

Die verwendete Einbettungsmasse, deren Zusammensetzung der Kon¬ 
strukteur des Apparates bis jetzt noch nicht bekannt gegeben hat, besteht 


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Über das Gießen von Porzellan 


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nah meinen Untersuchungsergebnissen aus Schamottemehl, Seesand und 
Gips zu gleichen Teilen. Das Schamottemehl ist offenbar aus dem Grunde 
beigefügt, um ein Sintern der Masse zu verhindern. 

Der auf diese Weise hergestellte Verschluß „O" der Rohrmündung „r" 
soll verhindern, daß die Einbettungsmasse dann, wenn sie in größeren 
Mengen in den Gußzylinder eingefüllt wird, tiefer in das Rohr „r" eindringt 
und dieses dadurch verstopft. 

Sobald die den Rohrabschluß bildende Einbettungsmasse „ o " hart ge* 
worden ist, rührt man eine größere Menge neuer Einbettungsmasse an und 
füllt mit dieser den Gußzylinder „Z" an. 

Hierauf ergreift man das Gußmodell an dem Gußstift, bepinselt nach der 
übfichen Entfettung des Wachsmodelles dieses mit der Einbettungsmasse . 
und senkt darauf das ganze Modell in den gefüllten Gußylinder. 

Hierbei muß man darauf achten, daß sich zwischen Gußmodell „/" und 
Rohrverschluß „r" eine nicht zu starkwandige Schicht Einbettungsmasse be* 
findet, weil sonst, wie oben erklärt, die in der Richtung nach unten durch 
gesaugte Luft zu großen Widerstand finden würde. 

Ferner muß man bei dem Einsenken des Wachsmodelles in die Ein* 
bettungsmasse dafür sorgen, daß der Gußstift möglichst senkrecht und in die 
Mitte des Gußzylinders zu stehen kommt. 

Ist die Einbettungsmasse hart geworden, so schabt man mit einem Mo¬ 
delliermesser so viel Einbettungsmasse aus dem Gußzylinder heraus, bis die 
bekannte trichterförmige Gußmulde entstanden ist. 

Auch hierbei muß man darauf achten, daß sich der Boden der Gußmulde * 
in unmittelbarer Nähe des Gußobjektes befindet, damit ein möglichst kurzer 
Gußkanal entsteht. 

Hiermit ist das Einbetten beendet und es folgt, genau wie bei dem Gold* 
gußverfahren, das Auschmelzen des Wachses und daran anschließend das 
Abdampfen des in der Einbettungsmasse enthaltenden Wassers. 

Es folgt jetzt der eigentliche Guß. 

Zu diesem Zwecke füllt man die Gußmulde mit einer entsprechenden 
Menge von pulverisierter Porzellanmasse und befestigt dann den Schornstein 
„5c6" auf dem Gußzylinder. Hierauf nimmt man den Gußzylinder mit 
dem daran befestigten Rohr „r" von dem Stativ, bestreicht den unten an 
dem Rohre befindlichen Teller „t“ mit Vaseline und setzt das Rohr in der 
beschriebenen Weise wieder in den Gußapparat ein. 

Ist der Gußzylinder richtig eingesetzt, so muß der Teller „t" genau auf 
den Teller n T ,t passen und sich der ganze Gußzylinder durch Drehen der 
Kurbel „Ku" mitdrehen lassen. 

Das Vaselin zwischen den beiden plan gedrehten Tellern hat den Zweck, 
einen luftdichten Abschluß zwischen den Rohren „R" und „r" herzustellen. 

Als letztes wird der Deckel „D" wieder aufgesetzt und die beiden Kohlen 
„K, K" durch die Löcher „a, a" eingeführt. 

Bevor man jetzt den Apparat in Tätigkeit setzt, wird der Hahn „H" ge* 
schlossen und mit Hilfe der eingebauten Luftpumpe „ P " aus dem Behälter 

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Privat-Dozent Dr. C. J. Grawinkel 


„V“ die Luft so lange herausgepumpt, bis ein Vacuum von ca. 50 Atmo- 
Sphären Unterdrück entstanden ist. 

Ist dieser Unterdrück laut Manometerkontrolle erreicht, so wird der Ap- 
parat mittels der + und — Klemmen mit der Starkstromleitung in Ver- 
bindung gesetzt und eingeschaltet. Sofort beginnen die beiden Bogenlampen^ 
Kohlenpaare ihre Tätigkeit und es entstehen zwei starke Flammenbogen 

„74 <Ff“. 

Nun setzt man durch Betätigung der Kurbel „Ku " den Gußzylinder in 
Drehung und erreicht auf diese Weise eine gleichmäßige Erwärmung des 
ganzen Zylinders. 

Durch die intensive und rasch zunehmende Wärmeentwickelung befindet 
sich bei normaler Funktion des Apparates nach etwa 9 Minuten das ganze 
Porzellanpulver in Fluß. 

Hat man sich hiervon durch einen Blick in den aufgesetzten Schornstein 
„Sg6" überzeugt, so öffnet man den Hahn „ H" und setzt damit die Saug- 
Vorrichtung in Tätigkeit. 

Der durch das Auspumpen der Luft in dem Behälter „ V“ erzeugte Unter* 
druck sucht durch das geöffnete Rohr ,,R“ hindurch einen Ausgleich mit der 
atmosphärischen Luft, welche durch den Schornstein „ Scß", Zylinder „Z", 
Rohr „r" und Rohr ,,R U hindurch in den Behälter „V“ strömt. Dieser 
Luftstrom saugt das flüssige Porzellan in die Gußform. 

Ist der Gußprozeß beendigt, so wird die Stromzuführung ausgeschaltet 
und gewartet, bis der Gußzylinder abgekühlt ist. Dann wird die Einbet¬ 
tungsmasse entfernt und der Guß mit Wasser und Bürste gereinigt. Zum 
Schluß wird der Gußstift hart an dem Gußkörper abgeschliffen. 

Da die Oberfläche der gegossenen Objekte entsprechend der verwen¬ 
deten Einbettungsmasse rauh ist, also nicht die Glasur einer z. B. nach dem 
Jenkinschen Verfahren durch Brennen hergestellten Porzellaneinlage besitzt, 
so muß, ähnlich wie bei dem Goldguß, eine nachträgliche Politur des Por¬ 
zellans stattfinden. 

Untersucht man das Verfahren und die damit erzielten Resultate auf ihre 
Brauchbarkeit, so muß man in bezug auf den Apparat zuerst feststellen, daß 
es sich um eine gut durchdachte Konstruktion handelt, bei welcher der Haupt¬ 
vorteil darin besteht, daß der Gußzylinder bis zur Beendigung # des Gusses 
von der Wärmequelle umgeben ist. 

Der Wert der neuen Idee wird dadurch nicht beeinträchtigt, daß dem Ap¬ 
parat sowohl wie auch den gegossenen Objekten noch einige Fehler anhaften, 
welche sich sicher durch weitere Versuche beseitigen lassen. 

Der schwerwiegendste Nachteil ist der, daß die Struktur des Gusses noch 
nicht dicht genug ist. 

Der Grund hierfür liegt meiner Ansicht nach in 3 Faktoren. 

1. Der auf dem Gußzylinder aufgesetzte Schornstein „Scß' 1 ist zu kurz. 
Die Folge hiervon ist, daß die durch ihn eingesaugte Luft die an sich schon 
schwerfließende Porzellanmasse im Moment des Gusses um ein beträchtliches 
abkühlt und dadurch den Fluß der Masse verzögert. 


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Über das Gießen von Porzellan 


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Der Schornstein muß also länger sein, oder, was noch besser ist, er muß 
oben ganz geschlossen werden und statt dessen mehrere seitlich angebrachte 
Einströmöffnungen erhalten, durch welche die stark erhitzte Luft aus der 
direkten Umgebung der Wärmequelle in den Gußzylinder einströmen kann. 

Die bei der jetzigen Konstruktion vorhandene Möglichkeit, den Fluß der 
Porzellanmasse von oben durch den Schornstein zu beobachten, kann dadurch 
erhalten bleiben, daß der Deckel des Schornsteins aus Glimmer hergestellt 
wird. 

2. Um die Gußgeschwindigkeit, von welcher die Dichte eines jeden Gusses, 
sei es ein Metall* oder ein Porzellanguß, abhängt, noch zu erhöhen, muß 
ferner die Saugkraft wesentlich gesteigert werden. 

Da flüssiges Porzellan im Vergleich mit flüssigem Gold erstens zähflüssiger 
und zweitens viel leichter ist, kann man bei dem Porzellanguß eine starke 
treibende Kraft nicht missen. 

Während beim Goldguß ein kleiner Überdruck in der Gußmulde hinreicht, 
um das bei hoher Erhitzung sehr dünnflüssige Metall rasch in die Form 
fließen zu lassen, wobei das Gewicht des Goldes in der Gußmulde eine be* 
deutende Mitarbeit leistet, sind weit größere Kräfte nötig, um das zähflüssige 
Porzellan zu einem schnellen Fließen zu bewegen. Außerdem schaltet bei 
dem geringen Gewicht des Porzellans die Mitarbeit der in der Gußmulde 
befindlichen flüssigen Porzellanmasse durch ihre eigene Schwere ganz aus. 

Der Erfinder verwendet zu seinen Güssen einen Überdruck von 50 Atm. 
Es wirken also auf jeden □ cm 50 Kilo und auf jeden □ mm 500 g Druck. 

Da nun die lichte Weite des in den Gußzylinder einmündenden Rohres 
„r" etwa 3 mm im Durchmesser beträgt, so kommt eine Bodenfläche von 
<1,5> 2X3 mm = 6,75 □ mm in Frage. 

Der hierauf wirkende Druck beträgt bei 50 Atm. 

Jf = 6,75 x 500 g 
X = 3375,00 g 

Der wirkende Unterdrück beträgt an der Eintrittstelle des Saugrohres dem* 
nadh 3375 g, also nur 37a Kilo. 

Aus dieser Rechnung ist klar ersichtlich, daß der Unterdrück in dem Va* 
cuumbehälter ganz erheblich gesteigert werden muß, damit die nötige Be* 
schleunigung des Gusses herbeigeführt wird. 

3. Ein weiterer Nachteil des Verfahrens, welcher sich aber sicher auch 
durch weitere Versuche in dieser Richtung hin beseitigen lassen wird, liegt 
in der Einbettungsmasse, deren Körnung noch zu grob ist. Die Folge da* 
von ist, daß die Oberfläche des Gusses noch zu rauh ist. 

Das Glättungs* und Polierverfahren, mit Tripel und Schlämmkreide, 
welches der Erfinder zur Erzielung einer Glasur anwendet, kann wegen der 
damit verbundenen Substanzverluste diesen Nachteil nur unvollkommen be* 
scitigen und es ist darum absolut notwendig, eine bedeutende Verfeinerung 
der Einbettungsmassen ausfindig zu machen. 

Als letztes bedürfen die Farbnüancierungen noch einer gründlichen Ver* 
besserung. 


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86 Privat-Dozent Dr. C. J. Grawinkel / Über das Gießen von Porzellan 

Wie der Erfinder mir mitteilte, haben seine Versuche hierin sdion große 
Fortschritte gemacht, so daß zu hoffen ist, daß diese FehlerqueJle schon in 
nächster Zeit ausschaltet. 

Wenn auch diesem neuen Gußverfahren, wie dies bei allen Neuerungen 
unvermeidlich ist, noch mancher Mangel anhaftet, so hat der Erfinder doch 
das Verdienst, der Technik ein bisher ganz neues Gebiet erschlossen zu haben. 

Von einer weiteren Vereinfachung des Apparates und von der Vermehr 
rung der Verwendungsmöglichkeiten wird es abhängen, welche Stellung der 
Porzellanguß unter unseren technischen Hilfsmitteln einnehmen wird. 



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AUS DEM GRAZER HISTOLOGISCH-EMßRyOLOGJSCHEN UNIVERSITÄTS- 

INSTITUT 

(VORSTAND: PROF. DR. H. RABL) 

BEITRAG ZU EINIGEN STREITFRAGEN ÜBER 
DEN FEINEREN BALI DES DENTINS 

VON 

PRIVAT-DOZENT DR. EDUARD H. URBAN TS CHI TS CH 

D ie Frage über den feineren Bau des Dentins ist trotz vielfacher Llnter- 
Suchungen noch immer nicht einwandfrei gelöst,- vor allem bestehen über 
die Tomesschen Fasern und Neumannschen Scheiden die verschiedensten 
Meinungen. Zwar hat Fleisch mann vor etwa sechzehn Jahren durch einige 
ausgezeichnete Publikationen Ordnung in das ganze Chaos zu bringen ge- 
sucht, doch drang er mit seiner Ansicht nicht allenthalben durch. Von einer 
Seite wurde ihm nur teilweise recht gegeben <Kantorowicz, Fritsch), 
von einer anderen sogar aufs schärfste opponiert <Walkhoff). 

Nach Fleisch mann ist intra vitam das normale Dentinkanälchen voll- 
kommen von der Tomesschen Faser ausgefüllt und erst durch das Fixierungs- 
mittel — Fleischmann verwendete eine 5°/ 0 ^Formalinlösung — und durch 
andere Prozeduren, um cfen Zahn schnittfähig zu machen, tritt eine Schrump- 
fung der Tomesschen Faser ein, wodurch sie sowohl in der Quer- als auch 
Längsrichtung eine Verkürzung erfährt. 

Die Folge davon ist, „daß die in gewundenen Kanälchen ebenfalls gewunden 
verlaufende Faser sich gerade zu strecken versuchen wird, und da die Ver¬ 
laufsrichtung des Kanälchens noch eine gewundene bleibt, wird die gerade 
gestreckte Faser immer den kürzesten Weg suchend bald da bald dort anliegen". 

Die Faser liegt also nach Ansicht Fleischmanns, wenn sie nicht direkt 
der Wand der Dentinkanälchen anliegt, frei in einem Hohlraum des Dentin¬ 
kanälchens, welcher eben durch diese Schrumpfung entstanden ist. Was nun 
Fle ischmann als artifiziell entstandenen Hohlraum deutet, betrachtet Fritsch 
als Lymphraum, wohingegen Römer und Walkhoff wieder eine ganz 
andere Auslegung dafür haben. Beide negieren einen Hohlraum, doch während 
ersterer diese Stelle als mangelhaft verkalkte Grundsubsranz <von Fritsch 
als „Römersche Zone" bezeichnet) erklärt, sieht letzterer darin die Neu- 


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Dr. Eduard H. Urbantschitsch 


mann sehe Scheide. Die ganze Streitfrage über den feineren Bau des Dentins 
—- ich schließe vorläufig die Frage der Dentininnervation aus — dreht sich 
also hauptsächlich um die Deutung des Inhaltes der Zahnbeinröhrchen, denn 
bezüglich Richtung und Verzweigungen der Dentinanälchen, wie auch über 
die fibrilläre Struktur der Grundsubstanz stimmen wohl die Ansichten sämt¬ 
licher Autoren, abgesehen von einigen kleinen Meinungsdifferenzen, z. B. 
Reichhaltigkeit der Kanalverzweigungen, heutzutage vollkommen überein. 

Zum besseren Verständnis des Vorhergesagten bringe ich ein schematisches 
Übersichtsbild aus „Bakteriologische und histologische Studien über die Karies 
des Dentins" von Kantorowicz, welches die drei heutzutage herrschenden 
Hauptansiditen <Walkhoff, Römer und Fleischmann) darüber, was als 

Römer Walkhoff Fleischmann 

Deutung des Präparates intra vitam 



I 


Mangelhaft verkalkte 
Grundsubstanz 



Tomessche Faser 

Neumannsrhc Scheide 
Grenzschicht der Scheide 



Grundsubstanz Neumannschc 

Leerer Raum Scheide 


Fig. 1 


Tomessche Faser und Neumann sehe Scheide zu deuten sei, im Quer¬ 
schnitt in ausgezeichneter Weise illustriert. 

Kantorowicz selbst schließt sich „im wesentlichen der von Fleisch¬ 
mann jüngst vertretenen Ansicht gegen Römer und in der Frage der Dicke 
der Scheiden auch gegen Walkhoff an". 


Von der neueren Literatur wäre noch in dieser Hinsicht die ArbeitFritschs 
„Untersuchungen über den Bau und Innervierung des Dentins" aus dem 
Jahre 1914 zu erwähnen, welche diesbezüglich etwas ganz Neues bringt, näm¬ 
lich „Lymphräume" in den Dentinkanälchen, und zwar befinden sich jene 
Lymphräume nach der Ansicht Fritschs an jener Stelle, die — wie bereits 


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— Original frorrr 

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Beitrag zu einigen Streitfragen über den feineren Bau des Dentins 89 

erwähnt — Fleischmann als Hohlraum und Walkhoff als Neumannsche 
Scheide erklärt. Fritsch injizierte in extrahierte Zähne von einer Trepana* 
tionsöffnung aus Asphalt resp. Tuschlösungen und fand dann diese injizierte 
Masse in den Dentinkanälchen um die Tomesschen Fasern. Er nimmt infolge* 
dessen an, „daß wir es hier normalerweise mit einem vorhandenen Raum 
zu tun haben, der nach theoretischen Erwägungen nichts anderes sein kann 
als ein Lymphraum". Gleichzeitig aber fand er, daß „an vielen Stellen 
die Injektionsmassen das ganze Röhrchen erfüllen". 

Dadurch allein schon fällt meines Erachtens seine ganze Lymphraumtheorie, 
denn da er annimmt, daß jener Raum um die Tom es sehe Faser deshalb; 
weil die Injizierungslösung dort vorgefunden wird, intra vitam einen Lymphe 
raum vorstellt, müßten logischerweise jene Kanälchen, wo er überhaupt keine 
Odontoblastenfortsätze vorfand, sondern nur seine Injektionsflüssigkeit in 
toto Lymphräume sein. Er spricht dies natürlich nicht aus, aber nach seiner 
Prämisse muß man diesen Schluß ziehen. Wenn man durch Einstich Masse 
in ein Gewebe treibt, sind die Stellen, wo sich jene ablagert, noch lange 
nicht dadurch als Lymphräume erwiesen. 

In meiner Arbeit „Über das Kanalsystem des Dentins mit besonderer 
Berücksichtigung der Schmor Ischen Knochenfärbung", schrieb ich: „Bringt uns 
die Schmorlsdie Färbung auch völlige Klarheit über das Kanalsystem des 
Dentins, so läßt sie uns leider bezüglich der Neumannschen Scheiden und 
Tomesschen Fasern im unklaren. Nur manchmal gelang es mir, die Tomes* 
sehen Fasern als rote Stränge sichtbar zu machen. Derzeit ist es mir nicht 
möglich, ein bestimmtes Urteil zu fällen, ob Römers, Walkhoffs oder 
Fleischmanns Deutung der Neumannschen Scheiden und Tomesschen 
Faser zu Recht besteht." 

Heutzutage bin ich nun in der Lage, auf Grund eigener Untersuchungen 
meine Ansicht in dieser Frage abzugeben und durch Präparate zu beweisen. 

Wer sich mit Histologie des Dentins näher beschäftigt und gleiche Schnitte 
nach verschiedenen Färbungsmethoden behandelt, wird sicher die Erfahrung 
gemacht haben, daß ein und dasselbe Präparat je nach der angewandten Fär* 
bung ganz verschiedene Bilder darbietet und. ist schon allein dadurch die 
Möglichkeit der verschiedenen Deutungen der einzelnen Bestandteile im Prä* 
parate gegeben. 

Um zu einem einwandfreien Resultate zu gelangen, ist eine conditio sine 
qua non nach den verschiedensten Färbungstechniken vorzugehen und ver* 
gleichsweise seine Schlüsse zu ziehen. Daß man dazu auch Schliffe nicht un¬ 
berücksichtigt lassen darf, versteht sich von selbst. Aber auch das Fixations* 
mittel übt einen ganz bedeutenden Einfluß aus. Als gebräuchlichstes gilt in 
der Zahnhistologie wohl das Formalin, meist in einer Konzentration von 
5% und für typische Knochenfärbungen, wodurch sehr instruktive Dentin* 
bilder gewonnen werden, das Müller*Formol. Für sehr empfindliche Unter* 
suchungsobjekte, wie z. B. in meinem Falle die Tomesschen Fasern, eignen 
sich die vorhergenannten Mittel nicht, da ja eben die artifizielle Schrumpfung 
in der Streitfrage über die Tomesschen Fasern ein Kardinalpunkt ist. 


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90 


Dr. Eduard H. Urbantsdiitsdi 


Es mußte daher zur Fixation ein Mittel in Anwendung gebracht werden, 
in welchem die Gefahr einer Schrumpfung möglichst gering ist. Auf Rat 
Prof. Dr. Rabls verwendete ich nun 1 l 2 °lo Osmiumsäure. Es sei mir gleich 
an dieser Stelle gestattet, Herrn Prof. Dr. Rabl, Vorstand des histologisch* 
embryologischen Universitätsinstitutes, für die wertvollen Ratschläge und das 
rege Interesse, welches er meiner Arbeit entgegenbrachte, meinen ergebensten 
Dank auszusprechen. 

Da die Osmiumsäure in der Zahnhistologie wenig Eingang gefunden hat, 
halte ich einige Bemerkungen darüber, die ich der Enzyklopädie für mikro* 
skopische Technik entnehme, für nicht unangebracht. 

Die Osmiumsäure — verwendet wird eigentlich zu histologischen Zwecken 
das Osmiumtetroxyd Os 04, trotzdem ist der Name Osmiumsäure gang und 
gäbe wurde 1864 von M. Schulze in die mikroskopische Technik ein* 
geführt. Man bedient sich ihrer in einer wäßrigen Lösung von gewöhnlich 
0.5-^/^Konzentration. Sie muß vor Licht geschützt auf bewahrt werden, 
da sonst ein schwarzes Pulver ausfällt. Auch darf man zu ihrem Verschluß 
keinen Korkstoppel verwenden, da dieser von ihr zu leicht angegriffen wird 
und durch abbröckelnde Partien die Lösung verunreinigt. Da die Fixations* 
lösung nur schwer in die Gewebe dringt, so müssen die zu fixierenden Ob* 
jekte möglichst klein sein. Nach Bowczi fixiert Osmiumsäure nur gut, „wenn 
eine 1 —'0.5%*Lösung direkt mit dem Gewebe in Berührung kommt. Im Innern 
erhält man sonst mehr die Wirkung des Wassers als die der Osmiumsäure". 

Ein großer Nachteil der Osmiumsäure ist ihre Kostspieligkeit. Durch die 
Osmiumsäure ist also wenigstens die durch das Fixiermittel bedingte Schrump* 
fung der Tomesschen Faser, auf das möglichst geringste Ausmaß beschränkt 
und wir erhalten dadurch Bilder, die den vitalen Verhältnissen am nächsten 
kommen. 

Als Untersuchungsmaterial dienten mir vollkommen gesunde, wegen Stel¬ 
lungsanomalie extrahierte Zähne, welche sofort post extractionem teils in 
toto, teils zertrümmert in 1 l 2 °lo Osmiumsäure gebracht wurden. Die Ent* 
kalkung erfolgte nach Schaffer. Außerdem verwendete ich, um Isolations* 
präparate zu erlangen. Bohrstaub des Dentins. 

In solchen unter Glyzerin*, Wasser* oder NaCl*Lösung eingeschlos* 
senen Bohrstaubpräparaten des normalen Dentins sieht man schon bei 
schwacher Vergrößerung nebst vielen kleinen Gewebstrümmern, welche 
keinerlei Struktur erkennen lassen, größere Bröckchen von unregelmäßiger 
Gestalt, welche aus annähernd parallel nebeneinanderliegenden Bändern 
zusammengesetzt erscheinen. Da jedes Band durch eine scharfe Linie be* 
grenzt und der Spalt zwischen zwei benachbarten Bändern meist sehr eng 
ist, gewinnt man bei schwacher Vergrößerung den Eindruck, als ob ein der* 
artiges Dentinbröckelchen von doppelten Linien durchzogen wäre. Dieselben 
erscheinen meist wellig gebogen, seltener gerade, manchmal treten Ver* 
bindungen mit benachbarten Doppellinien auf oder zwei anfangs gleichlaufende 
Doppellinien werden konvergent und treffen sich im spitzen Winkel <Fig. 2>. 


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Beitrag zu einigen Streitfragen über den feineren Bau des Dentins 


91 


Bei starker Vergrößerung <Fig. 3> läßt sich zweifellos erkennen, daß der 
Raum, der zwischen den zu einer Doppellinie zusammentretenden Konturen 





benachbarter Bänder gelegen ist, leer ist. Eine genauere Struktur des Grund* 
gewebes selbst ist nicht ersichtlich, nur hier und da wird der Eindrude einer 
leichten Querstreifung hervorgerufen. 

Auf Zusatz von Essigsäure, HCl oder HNo a , wird dieselbe wesentlich 
deutlicher, so daß es fast den Eindruck macht, als 
ob es sich um geätzte Schmelzprismen handeln würde. 

Unwillkürlich drängt sich auch der Vergleich mit 
quergestreiften Muskelfasern auf <Fig. 4). Es kann 
kein Zweifel bestehen, daß die Querstreifen durch 
die Dentinkanälchen hervorgerufen werden. 

Die Längsstreifung dürfte dadurch zustande kom-= 
men, daß das Dentin bei Behandlung mit dem Bohrer 
parallel der Längsrichtung der Zahnbeinfibrillen zer^ 
splittert. Die zwischen den Doppellinien gelegenen 
Bänder wären demnach als Bündel von Zahnbein^ 
fibrillen zu deuten. Dafür spricht, daß sie fast 
immer senkrecht zu den Dentinröhrchen verlaufen, 
sei es, daß man diese der Länge oder der Quere nach 
<Fig. 6) getroffen findet. Bilder , der letzteren Art 
<vgl. auch Fig. 5) sind wesentlich seltener. Dafür sind 
sie schon beim ersten Blick leicht verständlich. 

Bezüglich der Färbetechnik möchte ich bemerken, daß nach meiner Er^ 
fahrung die besten Präparate folgendermaßen erzielt werden. 



Fig. 4 

Dentinkanälchen 


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Dr. Eduard H. Urbantschitsch 




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Fig- 5 

d Ncumannsche Scheide 
c Tomcssche Faser teilweise ge» 
schrumpft 


Der Bohrstaub wird sofort in die Fixierungsflüssigkeit auf einige Stunden 
gebracht. Dann kommt er auf 1Z — 24 h in Aq. dest., das öfters gewechselt 

wird. Danach in 5% HNo 3 auf 2~6 h , Ent- 
Säuerung in Lithionsulfat oder Glaubersalzlösung 
durch mindestens 12 h , Auswaschen in LLO, stei- 
gender Alkohol je 1 —2 Stunden, dann ebenso- 
lange in Ätheralkohol. Eingießen in eine flache 
Schale, Absaugung des Alkoholäthergemisches 
und sofortige Überschichtung mit sehr dünnem 
Zelloidin. Sobald das Zelloidin erstarrt, was nach 
ganz kurzer Zeit vor sich geht, wird es über- 
schichtet mit 75% Alkohol. Das Zelloidinhäut- 
chen läßt sich dann leicht ablösen, wird in be- 
liebiger Größe zerschnitten und kann dann wie 
ein gewöhnlicher Zelloidinschnitt weiter behandelt werden. 

Als beste Färbungsmethode hat sich mir die Schmorl-Morpurgosche be- 
währt. Zur Untersuchung der Zahnkanälchen an Querschnitten kann die Ver- 
Wendung des Bohrstaubes aufs beste empfohlen werden. Für das Studium 
der Tomesschen Faser im Längsschnitt sind dagegen naturgemäß die ge¬ 
wöhnlichen Schnittpräparate ganzer Zähne viel geeigneter, da in Bohrstaub¬ 
partikeln die Kanälchen ja nur auf kurzer Strecke vorliegen. 

In osmierten, nach Schmorl-Morpurgo behandelten Schnitten finden wir 
die Grundsubstanz, je nach der Verkalkung, blau bis gelbgrün gefärbt 
und heben sich besonders an Längsschnitten die Dentinkanälchen infolge der 
blauvioletten Färbung der Neu mann sehen Scheiden deutlich von ihr ab. 

Schon bei schwacher Vergrößerung sieht man in den meisten Dentinkanäl¬ 
chen eine rötliche Masse, welche deutlich von der Grundsubstanz, speziell 

wenn diese gelbgrün gefärbt ist, hervor¬ 
sticht. 

Bei starker Vergrößerung erkennt man, 
daß der Inhalt der Dentinkanälchen ent¬ 
weder aus einer homogenen Masse oder 
kleineren und größeren Körnchen besteht, 
die verschieden angeordnet sind. Manch¬ 
mal ist das ganze Dentinkanälchen von 
feinsten Granulis total ausgefüllt, ein an¬ 
deres Mal findet man große Klumpen, 
welche gleichfalls die ganze Breite des 
Röhrchens einnehmen, in der Längsrich¬ 
tung desselben aber durch mehr oder 
weniger große helle Zwischenräume von¬ 
einander getrennt sind. Oder es liegen 
die Körner — große wie kleine — nur 
randständig und bilden einen Belag der Kanälchenwand, der, wenn die Körnchen 
besonders fein sind, eine besondere Wandmembran vortäuschen kann. 





Fig. 6 

c u. c' längs und quer getroffene Dentinkanälchen 


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Beitrag zu einigen Streitfragen über den feineren Bau des Dentins 93 

Schließlich ist in einer Anzahl Dentinkanälchen überhaupt kein Inhalt wahr- 
nehmbar und nur die Neumannsche Scheide als Doppellinie, wie mit einer 
Reißfeder gezogen, gut erkennbar. 

Ob in letzterem Falle dieTomessche Faser bloß keine Färbung angenom¬ 
men hat, oder ob sie durch die Einwirkung ungünstiger Vorbehandlung zer¬ 
stört wurde, oder ob überhaupt das Dentinkanälchen schon von Anfang an 
leer war, ist schwer zu sagen. Für jede der drei Möglichkeiten ließen sich 
Gründe anführen. Darum möchte ich diese Frage offen lassen. 

Querschnittsbilder stehen vollkommen im Einklang mit Längsschnitrpräpa- 
raten. 

Das ganze Bild wäre also folgendermaßen zu deuten: 

In jenen Dentinkanälchen, 
homog< 


welche einen homogenen, das 
ganzeLumen ausfüllenden In- * « ■ } \ - . V A 

halt zeigen, stellt derselbe die 5 \ > / f *3 1 ;! j__5 

unversehrte Tome ssche Fa- I | ; | . >f I . 1 * 0 

serdar<Fig. 7/1). Erscheinen ^ _ 9 jj/1 

dagegen im Kanälchen Körn- I f Ä j 11 u i 1 Jt Im 11 \ j 3 

dien, so müssen diese als Zer- I B / ß fj t ( gÜtSg Sil 

fallsprodukte der Faser be- 2 ~ t ^ / I 7 fl/ ff f f « t 

trachtet werden, von denen » " // ( 11 Mß fl ll-fl -2 

es wahrscheinlich ist, daß sie y t / / I * ■ If y y \\ 

beim Absterben von jener 6 — i 1 1 / / ■ -S jbl& I 1/ 

auftreten. Doch will ich die V |1 | ft F {■§ S / ' 

zweite Möglichkeit, daß sie 

infolge ungünstiger Beein- ',]'%» f {S/HC $• I i 

flussung der Faser durch 

die Fixierungsflüssigkeit ent- p ; ? 

stehen, nicht völlig von der 

Hand weisen. Die Körnchen besitzen verschiedene Größen. Steht der Zerfalls¬ 
prozeß erst in seinem Beginn, so finden wir an Stelle der Faser im Dentin¬ 
kanälchen große Körner, welche zwar das Lumen des Dentinkanälchens in der 
Querrichtung noch ausfüllen, aber bereits untereinander, also in der Längs¬ 
richtung des Zahnbeinröhrchens durch Zwischenräume getrennt sind<Fig. 7/2). 
Die großen Körner zerfallen wieder in kleinere <Fig. 7/3), welche sich schlie߬ 
lich, je weiter der Zerfall der protoplasmatischen Faser fortschreitet, in immer 
kleinere Körner auf lösen, so daß endlich das ganze Lumen des Dentinkanälchens 
von feinsten Granulis erfüllt wird <Fig. 7/4). Bei randständiger Lage der 
Körnchen kann sogar eine eigene Wandmembran vorgetäuscht werden 
<Fig. 7/5). Jedes Kanälchen wird von einer dünnen dunkelgefärbten Linie 
begrenzt, welche sich deutlich von der gelblich-=grünen Grundsubstanz als 
selbständiges Gebilde abhebt und färberisch sehr leicht zur Darstellung ge¬ 
bracht werden kann. Es unterliegt wohl keinem Zweifel, daß dies Gebilde, 
welches bei Längsschnitten als Linie, bei Querschnitten als Kreis erscheint, 
die Neumannsche Scheide ist <Fig. 7/6). 


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Dr. Eduard H. Urbantsdiitsdi 


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Um zu beweisen, daß es sich bei Darstellung der Tomesschen Faser in 
meinen Präparaten tatsächlich um die Wirkung der Osmiumsäure handelt, 
wurde ein Kontrollpräparat angefertigt. Ein Molar wurde post extractionem 
nicht in Osmiumsäure, sondern in Aq. dest. gelegt und nach etwa 12 Stun* 
den analog den früheren Objekten behandelt, also in steigenden Alkohol 
gehärtet, eingebettet, entkalkt und geschnitten und nach SchmorUMor* 
purgo gefärbt. 

Derartige Schnitte unterscheiden sich deutlich yon den früher beschriebenen. 

Denn abgesehen davon, daß das Bild mehr getrübt erscheint und die Fär* 
bung überhaupt nicht gut angreift, ist in der Mehrzahl der Zahnbeinröhrchen 
keine Dentinfaser zu erkennen. Hier und da sieht man vereinzelte rötliche 
Krümel oder die Tomessche Faser erscheint auf kurze Strecken als roter 
Strang, welcher etwa ein Drittel des Kanälchens ausfüllt. 

Ich erkläre mir dies nun so, daß die Tomessche Faser, durch die Wasser* 
Wirkung gequollen, keinen Farbstoff annimmt und so nicht zur Darstellung 
kommt oder teilweise durch die Wirkung des Alkohols geschrumpft, zwar 
zur Darstellung kommt, aber, wie schon erwähnt, auf ein Drittel ihrer 
normalen Dicke reduziert wird. 

Jedenfalls lassen sich an mit Wasser vorbehandelten Zähnen niemals jene 
breiten und gleichzeitig gefärbten Tomesschen Fasern nachweisen, welche 
in Os*Präparaten enthalten sind. 

Meine Untersuchungsergebnisse der Tomesschen Fasern und Neumann* 
sehen Scheiden decken sich also vollkommen mit denen Fleischmanns, 
wiewohl ich histologisch einen andern Weg gegangen bin als er. Fleisch* 
mann bediente sich der Delafieldschen Hämatoxylinfärbung. Mit dieser 
erzielte ich an osmiumfixierten Schnitten kein zufriedenstellendes Resultat. Zwar 
konnte ich die Neu mann sehe Scheide einwandfrei feststellen, doch kamen 
die Tomesschen Fasern absolut nicht deutlich zur Geltung. Auch andere 
Färbungen wie Van Gieson, Mallory oder Schmorl, ohne die Mor* 
purgosche Modifikation, brachten zwar die Neumannsche Scheide, aber 
niemals die Tomessche Faser in dem Maße zur Darstellung, wie die Fär* 
bung nach SchmorUMorpurgo. 

Wie schon eingangs erwähnt, stimmen bezüglich der Deutung der Neu* 
m an nschenScheidenKantorowiczundFritschdenAusführungen Fleisch* 
manns vollkommen bei. Erwähnen möchte ich dabei nur, daß Fritsch in 
seiner Arbeit: „Untersuchungen über den Bau und Innervierung des Den* 
tins" den Ausdruck Neumannsche Scheide sorgfältig vermeidet und statt 
dessen von Scheide des Dentinröhrchens spricht, da dies betreffende Gebilde 
bereits von Kölliker 1852 beschrieben wurde. Fritsch hat ja diesbezüg* 
lieh vollkommen recht, doch gebührt zweifellos Neu mann das Verdienst, 
sehr exakte Untersuchungen darüber angestellt zu haben. Auch stammt von 
ihm der dafür höchst zutreffende Name „Scheide", und ist die Bezeichnung 
„Neumannsche Scheide" in der Literatur derart eingebürgert, daß es Fritsch 
wohl nicht gelingen wird, den Namen Neumanns bei den Scheiden der 



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Beitrag zu einigen Streitfragen über den feineren Bau des Dentins 


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Zahnbeinkanälchen auszuschalten. Was nun Walk ho ff betrifft, so gestehe 
ich zu, daß seine Auslegung der Neu mann sehen Scheide eine Zeitlang für 
mich maßgebend erschien, da bei formalinfixierten, nach Schmorl gefärbten 
Schnitten, einzelne Querschnittsbilder anscheinend der Walkhoffschen An^ 
sicht entsprachen. Durch Vergleich mit anders gefärbten Präparaten stellte 
es sich jedoch heraus, daß die nach Walk hoff breite Neumannsche Scheide 
nichts Reales ist. 

Römer negiert die Neumannsche Scheide als chemisch differente Aus^ 
kleidung der Kanäle der Grundsubstanz überhaupt vollständig, und nimmt 
an, daß die Odontoblastenfortsätze nicht solide protoplasmatische Gebilde, 
sondern hohle Röhrchen seien und einfach in Löchern der Grundsubstanz 
liegen. 

Gegen diese Annahme hat bereits Fleisch mann vor Jahren Stellung 
genommen und später auch Kantorowicz <1911), und zwar folgt letzterer, 
wie er selbst schreibt, im wesentlichen Fleischmann und macht folgende 
Einwendungen: 

„1. läßt sich an der Realität eines färberisch darstellbaren Grenzsaumes 
der Zahnbeingrundsubstanz gegen das Lumen der Dentinkanälchen nicht 
zweifeln, 

2. stimmt die Größe dieses Ringes überein mit jener der durch Kalilauge 
isolierbaren Gebilde, 

3. ist der Raum zwischen dem Römersehen Odontoblastenfortsatz und 
der Zahnbeingrundsubstanz sicher nicht schlecht verkalkte Substanz, da er 
keine Farbstoffe, z. B. Eosin, annimmt, und sich auch keinerlei Struktur 
in ihm wahrnehmen läßt, und ferner sich in keiner Weise gegen den durch 
Herausfallen der Faser gebildeten hohlen Raum abgrenzt, 

4. läßt sich aus Zähnen mit abgestorbenen Pulpen, ja selbst aus mazerier^ 
ten Zähnen, wo Odontoblasten und ihre Fortsätze längst vernichtet sind, 
die Scheiden trotzdem sehr gut darstellen <diese haben also nichts mit den 
protoplasmatischen Odontoblasten und ihren Fortsätzen zu tun), 

5. da sich die Scheiden darstellen lassen, die Tomesschen Fasern aber 
fehlen, wie sich aus Schnitten ergibt, müssen beide etwas Verschiedenes sein." 

Auf Grundlage meiner Präparate stimme ich beiden Autoren gegen Römer 
bei, und ist die Negierung der Neu mann sehen Scheiden als selbständiges 
Gebilde schon dadurch hinfällig, daß sie — wie Fleischmann sehr richtig 
bemerkt — an ihrem zentralen Ende in das Köllikersche Häutchen über¬ 
gehen. 

Diese im Jahre 1850 von Kölliker entdedete Tatsache, daß nach chemischer 
Auflösung der Zahnbeingrundsubstanz als Rückstand die Zahnbeinröhrchen 
<i. e. die dieselben auskleidenden Scheiden) und ein ihre zentralen Enden 
verbindendes Häutchen überbleibt, wurde 55 Jahre später von Fleisch mann 
der Vergessenheit entrissen und gab letzterer Autor den Scheiden und HäuU 
<hen den Namen Lamina terminalis interna. 

Die Lamina terminalis interna von Fleisch mann entspricht demnach dem 
Köllikerschen Häutchen plus den Neumannschen Scheiden. 


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Diese Lamina terminalis interna, deren Existenz von v. Kor ff in Abrede 
gestellt wird, läßt sieb färberisdi nicht nur nach der Bielschowskyschen Me* 
thode, wie schon früher v. Ebner und später Fritsch nachgewiesen haben, 
zur Darstellung bringen, sondern sie differenziert sich auch regelmäßig bei 
den nachSchmorl resp. Morpurgo gefärbten Präparaten. Diesbezüglich kann 
ich Fleischmann nicht beistimmen, wenn er schreibt: „daß das Häutchen sich 
färbcrisch im allgemeinen nur schwer darstellen läßt, hat seinen Grund darin, 
daß die gesamte Lam. term. int. sich nur dort durch Farbstoffe leicht zur 
Anschauung bringen läßt, wo sie von verkalkter Grundsubstanz begrenzt 
ist. Wo dies nicht der Fall ist, färbt sie sich im allgemeinen nicht. Wir 
sehen also dementsprechend die Scheiden im Bereiche der verkalkten Grund¬ 
substanz gefärbt, im Bereiche der unverkalkten Grundsubstanz sehen wir 
im gefärbten Schnitt von Scheiden nichts. Da das die zentralen Enden 
der Scheiden verbindende Häutchen in der unverkalkten Schichte des Zahn* 
beines liegt, bzw. dessen innerste Schichte ist, so färbt es sich im allgemeinen 
ebenso wenig, als die Scheiden im Bereiche der unverkalkten Zone." Und 
weiter: „Ich möchte bei dieser Gelegenheit darauf hinweisen, daß man Jahr* 
zehnte hindurch geglaubt hat, daß es Ne um an nsche Scheiden nur im Bereiche 
der verkalkten Zahnbeingrundsubstanz gibt,* nur aus dem Grunde, weil es 
nicht gelungen war, die Scheiden im Bereiche der unverkalkten Grundsub* 
stanz färberisch darzustellen." 

Die Färbung nach SchmorUMorpurgo erweist sich also auch darin als die 
derzeit beste, denn nicht nur in der verkalkten, sondern auch in der unver* 
kalkten Zahnbeingrundsubstanz läßt sich nach dieser Methode die Lam. term. 
int. einwandfrei nachweisen. 

Studnicka gibt das Vorhandensein des Köllikerschen Häutchens erst in 
den späteren Stadien der Dentinentwicklung zu, negiert es aber dort wo 
noch v. Korffsche Fasern sind. Nach Flcischmann ist dies nicht richtig. 
„Ich habe schon vor Jahren nachgewiesen, daß dieses Häutchen auch schon bei 
der allerersten Dentinanlage vorhanden ist, zu einer Zeit, wo von Kanal* 
chen noch keine Spur da ist und wo die Odontoblasten noch mehrere Den* 
tinfortsätze besitzen, und konnte mich neuerdings von der Richtigkeit meiner 
damaligen Angaben zu wiederholten Malen überzeugen. Ich habe Teile von 
Schnitten, in denen ich die Korffschen Fasern zunächst durch Abziehen der 
Pulpa deutlich isoliert wahrnehmen konnte, der Behandlung mittels Kalilauge 
unterzogen und immer konstatieren können, daß die innerste Schichte dieser 
Teile bei Erwärmen in Kalilauge erhalten bleibt, während die übrigen Teile 
der jungen Zahnbeingrundsubstanz sich vollständig lösen." 

Um zu dieser Frage Stellung zu nehmen, muß ich ein Thema anschneiden, 
welches wohl zu den heißumstrittensten nicht nur auf dem Gebiete der 
Histologie des Dentins, sondern der Histologie der Bindesubstanzen über* 
haupt gehört, nämlich das über die v. Korffsche Fasern. Gleich a priori 
will ich bemerken, daß ich hier der Frage, welche Rolle jene Fasern bei der 
Dentinbildung spielen, nicht näher treten möchte, sondern nur über die Exi* 
stenz dieser Fasern aus eigener Anschauung kurz berichten will. 


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Original fro-m 

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Beitrag zu einigen Streitfragen über den feineren Bau des Dentins 97 

Nach v. Ebner verschwinden die v. Korffschen Fasern bei einer 
Dentindicke von 80 ,u und von Kor ff selbst scheint sie nach Ausführungen 
Fleischmanns bei der Weiterbildung des Dentins nicht gefunden zu 
haben. 

Studnicka fand auch in späteren Stadien vereinzelt von Korffsche Fasern 
vor. Ebenso traf sie Fischer noch in späteren Stadien der Dentinbildung an 
und „selbst da, wo die fertige Pulpa zu neuer Dentinbildung geschritten 
war, sie verschwinden aber im fertigen Dentin." 

Nun besitze ich zwei Präparate, an denen V. Korffsche Fasern einwand¬ 
frei zu erkennen sind u. zw. handelt es sich im ersten Falle um den Schneide¬ 
zahn eines 4 jährigen Knaben, im zweiten Falle um den Prämolar eines 
ca. 20jährigen jungen Mannes. In beiden Fällen waren in den nach Biel- 
schowsky-Studnicka gefärbten Schnitten v. K o r ff sehe F asern nachweisbar, 
überdies trat in den nach Schmorl behandelten Schnitten die Lam. term. int. 
<das Köllikersche Häutchen) deutlich hervor. Daraus resultiert zweierlei. 
Erstens, daß die v. Korffschen Fasern auch in späteren Stadien Vorkommen 
und zweitens, daß die Ansicht Fleischmanns gegenüber Studnicka, nämlich 
das gleichzeitige Vorkommen des Köllikersehen Häutchens und der v. Korff¬ 
schen Fasern — zu Recht besteht. 

Ich möchte meine Arbeit nicht abschließen ohne ein Kapitel, welches ja 
auch zur Streitfrage des Dentins gehört, wenigstens kurz zu streifen, näm¬ 
lich die Frage bezüglich der Dentininnervation. Daß das gesunde Zahnbein auf 
termische, chemische und mechanische Reize mehr oder minder stark reagiert, 
ist eine alte Erfahrungssache, und daß gerade an der Schmelzdentingrenze 
die Schmerzhaftigkeit an Intensität zunimmt, ist ebenfalls allbekannt. Daher 
liegt die Vermutung auf der Hand, daß das Zahnbein reichlich von Nerven 
durchzogen werde, welche in den Zahnbeinkanälchen zu suchen sein müßten. 
Da sich diese, wie einwandfrei nachgewiesen wurde, gerade an der Schmelz¬ 
dentingrenze stark verästeln, so fände dadurch die gesteigerte Empfindlich¬ 
keit an jener Stelle ihre einfache Erklärung. Dennoch steht aber die über¬ 
wiegende Mehrzahl der Autoren heutzutage noch immer auf dem Stand¬ 
punkt, daß zwar die Pulpa zahlreiche markhaltige und marklose Nerven be¬ 
sitzt, das Zahnbein aber nervenlos ist. 

In den Lehrbüchern der Histologie finden wir die Innervation des Dentins 
entweder negiert oder angegeben, daß Nervenfasern nur bis ans Prädentin 
reichen. 

Auch im letzterschienenen Lehrbuch der Histologie von Schaffer ist dar¬ 
über nur folgender Satz enthalten: „In die Zahnbeinkanälchen sind Nerven, 
außer in dem Anfangsteil, nicht mit Sicherheit zu verfolgen, obwohl dies 
wiederholt angegeben wurde." 

Die Empfindlichkeit des Zahnbeines hat ja durch Walkhoff eine voll¬ 
kommen plausible Erklärung gefunden, nämlich, daß die Reizleitung durch 
den protoplasmatischen Inhalt der Dentinkanälchen bedingt ist und „die Sen¬ 
sibilität des Zahnbeines in der Innervation der Randzone der Zahnpulpa zu 
suchen ist." 

Vierteljahrssdirift fOr Zahnheilkunde, Heft 1 7 


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Dr. Eduard H. Urbantschitsdi 


Nach Dependorf wäre aber „für eine Erklärung der Sensibilität des 
Dentins nur der anatomische Nachweis von Nervenfasern als einzig richtig 
heranzuziehen." 

Verschiedene Autoren suchten Nerven im Dentin nachzuweisen, wie z. B. 
schon in den 90 er Jahren des vorigen Jahrhunderts Morgenstern, dessen Aus* 
führungen aber von Rose, Römer und Wa 1 khoff heftig angegriffen wurden. 

Auf die diesbezügliche Literatur will ich nicht näher eingehen und nur er* 
wähnen, daß ein Jahr vor dem Kriege Dependorf, und im Jahre 1916 
Fritsch diese Frage wieder aufrollten. Beide Autoren kamen unabhängig 
voneinander zu gleichen positiven Resultaten. Diese vom rein Wissenschaft* 
liehen, wie auch vom praktischen Standpunkte aus höchst interessanten Tat* 
Sachen wurden bis jetzt wenigstens meines Wissens noch nicht überprüft. 

Da ich mich mit dem Nachweise der Dentininnervation nicht speziell be* 
schäftigt habe, bin ich derzeit nicht in der Lage, ein eigenes Urteil pro oder 
kontra abzugeben, doch fand ich in einigen nach Bielschowsky behandelten 
Schnitten eigenartige Fasern, welche derartig den von Dependorf und 
Fritsch beschriebenen Nerven des Dentins gleichen, daß ich wenigstens 
in Form einer vorläufigen Mitteilung darüber berichten möchte. 

Nach Dependorf ist „eine doppelte Art des Nervenlaufs im Dentin an* 
zunehmen, einmal eine Innervierung der Tomessdien Fasern und zweitens 
ein Nervenlauf in der Grundsubstanz." Und weiter „Selbst der Nachweis 
des bloßen Eintritts von Nervenfasern in das Dentin ist schwer zu er* 
bringen. Die an der Grenze zwischen Zahnbein und Odontoblasten so zahl* 
reich vorhandenen Fasern, gleichviel ob sie sich als Bindegewebsfasern, als 
v. Ebnersehe oder v. Korffsche Fibrillen erweisen, erschweren die 
sichere Bestimmung." 

NunfandichbeiDurchmusterungmeinerBielschowsky-undStudnicka* 
Präparate in einigen Schnitten aus einer Milchzahnwurzel eigenartige Fasern, 
welche zum Außenrand der Dentinkanälchen ziehen und sich eine Strecke 
weit ins Dentin verfolgen lassen. Wie weit sie hineinragen und ob sie Ver¬ 
bindungen zeigen, konnte ich nicht feststellen. 

Eine Verwechslung mit v. Korffschen Fasern liegt bestimmt nicht vor, 
denn im gleichen Präparate sind deutlich v. Korffsche Fasern zu sehen, welche 
ein ganz anderes Bild zeigen. 

Daß es sich in meinem Falle um Nervenfasern handelt, wage ich nicht 
mit Gewißheit zu behaupten, denn ich konnte nicht den von Fritsch an* 
geforderten Beweis — die Verbindungen jener Fasern mit den markhältigen 
Nervenstämmdien der Pulpa erbringen. Doch halte ich die Möglichkeit, daß 
jene Fasern nervöser Natur sind, mit Rücksicht auf die merkwürdige Über* 
einstimmung zwischen den Dependorfschen Bildern und meinen Präparaten 
nicht für ausgeschlossen. 

Meine Untersuchungsergebnisse über die Tomessche Faser und Neu* 
mann sehe Scheide stimmen also vollkommen mit den Befunden Fleisch* 
manns überein. 


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Beitrag zu einigen Streitfragen über den feineren Bau des Dentins 

Über die Wichtigkeit der Lösung dieser Streitfrage sind sich wohl sämt^ 
liehe Autoren klar, Fritsch bemerkt sehr richtig: „Solange über den normalen 
Dentinaufbau keine Einstimmigkeit erzielt ist, bleiben alle anderen Fragen 
über Entwicklung, Funktion usw. des Dentins unentschieden/' 


TECHNIK DER DARSTELLUNG DER TOMESSCHEN FASERN 
UND DER NEUMANNSCHEN SCHEIDEN 

1. Fixierung in l / 2 °lo Osmiumsäure durch einige Tage, hierauf gut wässern. 

2. Einbettung in Zelloidin und Entkalkung nach Schaffer. 

3. Einlegen der Schnitte in Aqua dest. für einige Stunden. 

4. Übertragung der Schnitte in Müller^Formol auf einige Tage. 

5. Gutes Auswaschen der Schnitte in mehrfach gewechseltem dest. Wasser. 

6. Bad von einigen Minuten in konzentrierter Lösung von Lithium car- 
bonicum. 

7. Direktes Übertragen der gut ausgebreiteten Schnitte in die nicht fil¬ 
trierte Mischung einer konzentrierten Lösung von Thionin in 50% Alkohol 
1 ccm. Aqua dest. 8 ccm, Liqu. am. caust. gtt. 1 <Fasoli> etwa 10 Minuten. 
<Diese Lösung ist immer frisch zu bereiten.) 

8. Waschen in Aqua dest. 5 Minuten. 

9. Konzentrierte Phosphor^Wolframsäure t—3 Minuten. 

10. Übertragen in Aqua dest. 10 Minuten. 

11. Konzentrierte wäßrige Pikrinsäurelösung 3 Minuten. 

12. Kurzes Auswaschen in H s O, welches einmal erneuert wird. 

13. Alkohol, 90%, die Schnitte müssen mit der Glasnadel in der Nähe 
des Flüssigkeitsspiegels gehalten werden und fortwährend auf Stellen gebracht 
wo sich kein Farbstoff angesammelt hat, bis keine Farbwolken mehr abgehen. 

14. 95% Alkohol. 

15. OriganumöLKanadabalsam. 

Bei gelungener Färbung erscheinen die vor der künstlichen Entkalkung 
kalkhaltigen Dentinpartien gelbgrün, die kalklosen blau, die Neu mann sehen 
Scheiden dunkelblau bis schwarz, Tomessche Faser rot. 

Hauptbedingung für gutes Gelingen der Färbung ist reines Arbeiten <Glas^ 
nadeln). 


LITERATUR 

Dependorf: Verhandlungen d. C. V. D. Z. Beiträge zur Innervierung der mensch¬ 
lichen Pulpa und des Dentins. D. M. f. Zh., Jg. 1913, Heft 7. 

Dependorf: Ergebnisse eigener Untersuchungen über Innervierung des menschlichen 
Zahnes mit Berücksichtigung der Hartsubstanzen. D. M. f. Zh., 31. Jg., Heft 6. 

Dependorf: Beiträge zur Kenntnis der Innervierung der menschlichen Zahnpulpa und 
des Dentins. D. M. f. Zh., 31. Jg., Heft 9. 

v. Ebner: Über den feineren Bau der Knochensubstanz. Sitzungsberichte der kaiserlichen 
Akademie der Wissenschaften. 72. Bd., III. Abt., Jg. 1876. 

v. Ebner: Köllickers Handbuch der Gewebelehre des Menschen. 6. Auflage, Bd. II. 

7* 


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Dr. Eduard H. Urbantschitsch / Beitrag zu einigen Streitfragen 


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v. Ebner: Scheffs Handbuch der Zahnheilkunde. 1. Bd., 3. Auflage, 1908. 

v. Ebner: Uber scheinbare und wirkliche Radiarfasern des Zahnbeines. Anatom. An¬ 
zeiger, Bd. 34. 

Fasoli: Sulla struttura istologica della dentina. La Stomatologia 1905. 

Fischer: Bau und Entwicklung der Mundhöhle des Menschen. Leipzig 1909. 

Fleischmann: Die Entwicklung der Zahnscheiden, gleichzeitig ein Beitrag zur Ent¬ 
wicklung der Zahnbeingrundsubstanz. Archiv f. mikroskop. Anatomie u. Entwicklungs¬ 
geschichte, Bd. 68, 1906. 

Fleischmann: Histologie und Histogenese, Ergebnisse der gesamten Zahnheilkunde. 
Jg. 1, Heft 1. 

Fleischmann: Über Bau und Inhalt der Dentinkanälchen. Arch. f. mikrosk. Anatomie 
u. Entwicklungsgeschichte, Bd. 66. 

Fritsch: Untersuchung über den Bau und die Innervierung des Dentins. Archiv f. 
mikrosk. Anatomie, Bd. 84, 1914. 

Fritsch: Zur Frage über den Bau des normalen Zahnbeines. D. M. f. Zh., 35. Jg., 
1917, Heft 2. 

Kantorowicz: Bakteriologische und histologische Studien über die Karies des Dentins. 
Deutsche Zahnheilkunde in Vorträgen. Leipzig 1911, Heft 21. 

v. Korff: Die Entwicklung der Zahnbeingrundsubstanz der Säugetiere. Arch. f. mikrosk. 
Anatomie, Bd. 67. 

v. Korff: Zur Histologie und Histogenese des Bindegewebes, besonders der Knochen 
und Dentingrundsubstanz. Ergebnisse der Anatomie und Entwicklungsgeschichte, Bd. 17. 

v. Korff: Entgegnung auf die v. Ebnersche Abhandlung „Über scheinbare und wirkliche 
Radiarfasern des Zahnbeines". Anatom. Anzeiger, Bd. 35. 

Morgenstern: Über das Vorkommen von Nerven in der harten Zahnsubstanz. D. M. 
f. Zh., 1892. 

Römer, O: Zahnhistologische Studie. 1899. 

Schaffer: Vorlesungen über Histologie und Histogenese. Leipzig 1921. 

Studnicka: Die radialen Fibrillensysteme bei der Dentinentwicklung und im entwickel¬ 
ten Dentin der Säugetierzähne. Anatom. Anzeiger, Bd. 30. 

Studnicka: Zur Lösung der Dentinfrage. Anatom. Anzeiger, Bd. 34. 

Urbantschitsch: Über das Kanalsystem des Dentins mit besonderer Berücksichtigung 
der Schmorlschen Knochenfärbung. W. V. f. Z., 26. Jg., Heft 1. 

Walkhoff: Mikrophotographischer Atlas der Histologie menschlicher Zähne. 1894. 

Walkhoff: Über den feineren Bau der Dentinkanälchen. O. U. V. f. Zh., 1914, Heft 1. 



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ZWEI INSTRUMENTE ZUR MUNDCHIRURGIE 

MITGETEILT VON 
DR. FRANZ ZELISKA, 

ZAHNARZT IN WIEN 

E s möge mir gestattet sein im folgenden zwei Instrumente zu beschreiben, 
die ich seit langer Zeit bei chirurgischen Operationen in der Mundhöhle 
benütze und die mir immer gute Dienste geleistet haben. Das eine ist ein 
Meißel, das andere ein Paar scharfer Löffel. 

Der Meißel <Fig. 1> dient zum Entfernen des Knochendaches impaktierter 
unterer Weisheitszähne, die entweder zum Teil noch von Knochen bedeckt 
oder rings noch so weit von einem Knochenwalle umgeben sind, daß ihre 
Entfernung nur gelingt, wenn zuerst diese Hindernisse abgetragen werden. 
Sie stecken gewöhnlich in einem vom zweiten Molaren gebildeten „toten 
Raume", zu dem man mit einem geraden Meißel natürlich keinen Zugang 
hat, auch wenn man diesen so steil stellen wollte, als es die oberen Front» 
zähne erlauben. Dies wird durch die bajonettförmige Krümmung meines 
Meißels wesentlich erleichtert. Freilich in den innersten Winkel, den der 7 

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Flg.l 

mit der Kaufläche des 8 bildet, wird man auch da nicht zukommen, doch ist 
das gewöhnlich überflüssig, da ja doch das Haupthindernis für das Heraus» 
treten des Weisheitszahnes immer in dessen distalen Anteile liegt und des» 
halb dort überdies die größte Arbeit des Meißels zu tun ist, da infolge der 
Wurzelkrümmung der Zahn distal gestürzt werden muß. Will man ihn aber 
nach den Seiten stürzen, so ist ein derartig gekrümmtes Instrument viel besser 
geeignet eine entsprechende Knochenwand abzutragen, als ein gerades. Außer» 
dem ist die Schneide gegen die konvexe, also die äußere Seite des Meißels 
geschliffen und nicht wie man das seltsamerweise gewöhnlich findet, an der 
konkaven, was doch sehr unpraktisch ist, da dadurch das Abgleiten des In» 
strumentes verursacht wird. Der Schaft mißt 20 cm in der Länge, ist also 
lang genug, daß der Assistent bequem seine Hammerschläge ausführen kann, 
ohne fürchten zu müssen, dem Operateur auf Finger und Hand zu klopfen 
oder dem Patienten die Frontzähne einzuschlagen. 


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Dr. Franz Zeliska / Zwei Instrumente zur Munddiirurgie 


In Fig. 2 ist ein scharfes Löffelpaar abgebildet. Die Zeichnung zeigt, daß 
es einfach Blacksche Exkavatoren in vergrößertem Maßstabe sind. Es er« 
übrigt sich also eine Beschreibung, wohl aber möchte ich mit einigen Worten 
die Vorteile hervorheben, welche diese Type vor den in der allgemeinen 
Chirurgie und in der Zahnheilkunde gebrauchten voraus hat. Man kann 
mit ihnen kleine und große Höhlen vollkommen ausräumen, namentlich auch 
solche, bei denen man den Eingang aus irgendeiner Ursache nicht vergrößern 
mag oder kann, ferner Höhlen, deren Boden und Wände durch Buchten und 
Ausstülpungen unregelmäßig gestaltet sind. Das Operationsfeld wird infolge 



der Krümmung des Stieles nicht durch die Hand des Operateurs verdeckt 
und schließlich ist es viel leichter diese zu schärfen, als die allgemein verwen« 
deten sog. scharfen Löffel. Für unsere Operationen genügt wohl eine Löffel« 
breite von 4—5 mm, für die allgemeine Chirurgie können sie in irgendeiner 
Größe hergestellt werden. Man arbeitet natürlich besser damit, wenn man 
wirklich „löffelt", also das Instrument um die Längsachse dreht und nicht 
schabt, obwohl es auch so gut verwendet werden kann. 

Der Zahnarzt hat seine Exkavatoren dem scharfen Löffel des Chirurgen 
nachgebildet/ vielleicht konstruiert nun einmal der Chirurg seinen Löffel nach 
dem Exkavator des Zahnarztes. Es wäre das eine kleine Gegengabe für 
all das Viele, was der Zahnarzt dem Chirurgen verdankt. 


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BUCHBESPRECHUNGEN 


Beitrag zur systematischen Prothetik. Brückenarbeiten im allgemeinen sowie meine 
abnehmbaren Sattelbrücken unter Berücksichtigung der normalen und pathologischen 
Physiologie des Gebisses von Otto Riechelmann, Zahnarzt in Frankfurt a. M. 
91 Abbildungen. Verlag von Hermann Meusser, Berlin 1920. Gebunden M. 55.— 
Riechelmann hat uns jetzt ein Buch beschert, in dem er die Gedanken seiner J911 und 
1912 in den deutschen Monatsschriften für Zahnpflege veröffentlichten Arbeiten über Trans¬ 
versalbügel und Entlastungsbügel weiter ausführte und nun dabei den Versuch machte, 
der Prothetik überhaupt eine wissenschaftliche Grundlage zu geben. Dieser Aufgabe haben 
sich schon verschiedene Autoren unterzogen, ohne uns eine wesentliche Förderung dieses 
Problems gebracht zu haben. Wenn auch einiges von den Anschauungen des Verfassers 
der gründlicheren Untersuchung noch bedarf, vielleicht auch einiges der Kritik nicht stand¬ 
halten wird, so ist doch der Grundkern seines Gedankenganges ein Weg, auf dem wir 
weiter ausbauen und auf bauen können, und dazu können wir Riechelmann von Herzen 
beglückwünschen, daß er uns das ermöglicht. 

Sein Buch zerfällt in zwei Hauptteile: den allgemeinen wissenschaftlichen Teil und den die 
Wissenschaft in die Praxis übertragenden II. Teil. 

Nach einigen historischen Darlegungen definiert der Verfasser Brücke und Plattenprothese. 
Letztere ist für ihn jede Prothese, bei der der Kaudruck durch Vermittlung einer die Gaumen¬ 
schleimhaut mehr oder weniger bedeckenden Platte direkt auf das Kiefersegment wirkt und 
bei welcher Klammem lediglich zur Befestigung und nicht zur Druckentlastung dienen. 
Brücken teilt er ein in 1. Plattenbrücken <Übergang von Plattenprothese und Brücken), 
2. Schwebebrücken, bei der der Kaudruck von den Pfeilern und deren festen Verbindungen 
aufgefangen wird und 3. Sattelbrücken, wo der Kaudruck gleichzeitig auf die Wurzeln und 
auf die mit diesen durch besondere technische Maßnahmen in enger Verbindung stehenden 
und den Alveolarteil bedeckenden Sättel wirkt. 

Er beleuchtet kritisch die Stellungnahme zu diesen Ersatzarten in den bisherigen Publi¬ 
kationen, auch die Indikationen und Kontraindikationen, wie sie Weiser 1909 auf dem 
internationalen Kongreß vortrug. Riechelmann will eben diese Fragestellung lediglich vom 
Gesichtspunkte der Be- und Entlastung beurteilt wissen und behandelt daher in einem 
längeren Kapitel den Kaudruck (Belastung) zuerst ganz allgemein, dann Muskeln, Kiefer- 
gelenk, Stärke des Kaudruckes mit eingehender Berücksichtigung der darauf bezüglichen 
Arbeiten, Messungsmöglichkeiten mit ihren Fehlerquellen, Schwankungen, Entstehung des 
Kaudruckes und Berechnung der Muskelkraft. Nachdem der Verfasser die Arbeit von Wu¬ 
strow unter die Lupe genommen hat und diesem prinzipielle Fehlerquellen nachweist, be¬ 
schäftigt sich Riechelmann mit der Begrenzung des Kaudruckes, dem absoluten und prakti¬ 
schen Kaudruck. Er behandelt die Zerlegung des Kaudruckes in seine verschiedenen Kompo¬ 
nenten, die Wirkung auf das ganze Gebiß, auf die einzelnen Zähne und deren Befestigungs¬ 
apparat und zeigt die Beziehungen zwischen Kaudruck und Zahnform Mit Recht weist 
Riechelmann darauf hin, wde wichtig es ist, die Brauchbarkeit einzelner Brückenpfeiler hier¬ 
nach zu beurteilen. Die spekulativen Betrachtungen über Anordnung der Zahnkronen in 
der Bißebene und ihr Ineinandergreifen mit der teilweise dadurch bedingten Anordnung 
der Wurzeln im Kiefergerüst hätten durch Textzeichen an Verständlichkeit erheblich ge- 



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Buchbesprechungen 


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wonnen. Die Wichtigkeit der Gegend des I. Molaren wird eingehend gewürdigt, und die 
Kaukraft beim pathologischen Gebiß, die Wiederherstellung des Artikulationsgleichgewichtes 
durch Prothese und die praktische Bedeutung des Frankfurter Planes ausführlich behandelt. 
Bei der Schilderung der Wirkung des Kaudruckes auf Brücken und technischer Gegen* 
maßnahmen bestätigt Referent die Erfahrungen des Verfassers über einseitige Schwebe* 
brücken im Gegensatz zu Rumpel. Dem Schwund des Alveolarfortsatzes arbeitet Riechei* 
mann bei seinen Sattelbrücken nach Zeiträumen von 2—4 Jahren dadurch entgegen, daß 
er sie nach 2—4 Jahren unterfüttert. Die Mittel und Wege gegen eine Überbelastung im 
Sinne der sagittalen Kaudruckkomponente und der transversalen Kaudruckkomponente sieht 
er in der Konstruktion seiner Brücken mit Versteifungs- und Entlastungsbügeln, deren 
Unterscheidung er uns auseinandersetzt. Er liefert uns auch einen theoretischen Beweis 
für die geforderte Entlastung durch die Anordnung des Entlastungsbügels besonders durch 
die gelenkige Verbindung im runden Federstift des Brückenpfeilers, die zur Beseitigung 
des Drehmomentes dienen soll. Nachdem der Verfasser noch seine Indikationsstellung zu 
den verschiedenen Brückenarten präzisiert, tritt er für die Wiederherstellung der vollen 
Funktion in allen Fällen ein. Ob diese aber in allen Fällen angebracht und möglich ist, 
bezweifelt Referent nach seinen Erfahrungen. Erstrebenswert ist sie jedenfalls. 

Im II. Hauptteil zeigt uns Riechelmann nun das System seiner abnehmbaren Sattel* 
brücken. Als Grundprinzip für solche Brücken stellt er die Bedingung, daß sämtliche 
Pfeiler, auch die divergierendsten, in ein paralleles System gebracht werden. Als Befe¬ 
stigungsmittel dienen in erster Linie Federstifte, viereckige oder runde aus Platiniridium 
oder Platingold, welche in genau passenden Hülsen durch Federung halten. Es gibt 3 Arten 
solcher Stifte: nach Müller (Wädensweil), nach Peeso und nach Riechelmann. Letztere 
haben vor den ersteren entschieden Vorteile. Andere Befestigungsmittel sind die Stift¬ 
führungskronen und die Kronen mit Sattelklammern, deren Herstellung ebenso wie die 
der Federstifte klar und ausführlich beschrieben wird. Ebenso sorgfältig behandelt er die 
Schilderung der Vorbereitung der Wurzeln zur Aufnahme der Federstifte und die Nutz¬ 
anwendung seines Parallelometers. Wie er die Versteifungs* und Entlastungsbügel an¬ 
gefertigt und konstruiert haben will, zeigt er uns bei der Demonstration der einzelnen 
Fälle selbst, deren er siebzehn anführt, die uns ein Beweis dafür sind, mit welcher wissen¬ 
schaftlichen Gründlichkeit er seine Anschauungen bis in die letzten Konsequenzen prak¬ 
tisch durchsetzt. Es schadet dabei gar nichts, wenn er bei dem einen oder anderen Fall 
<Fall I, II u. V> dem Gefühl des Referenten nach konstruktiv unnütz schwierige Lösungen 
findet, denn die befruchtenden Ideen des Verfassers würden Einbuße erleiden, wenn er 
andere mögliche Lösungen daneben erörterte. Jedenfalls hat er sein Hauptziel, Belastung 
und Entlastung in physiologischen Einklang zu bringen, bei allen seinen Fällen immer 
zum Ausdruck gebracht. 

Wenn rückblickend diese ganze Arbeit Riechelmanns noch einmal beurteilt werden 
soll, so kann man wohl, ohne dem Verfasser zu schmeicheln, sagen, daß er seine Aufgabe 
meisterhaft behandelt hat und uns mit seinem Buch einen der wertvollsten Beiträge 
lieferte. Seine Sprache ist klar, logisch und frei von unnützen Fremdwörtern. Die zahl¬ 
reichen Abbildungen sind sehr instruktiv und vorzüglich wiedergegeben, wie überhaupt der 
Verlag Meußer dieses Werk in ganz vorzüglicher Ausstattung herausgegeben hat. 

Hübner, Breslau. 

Leitfaden für Kronen und Brückenarbeiten. C. Fritsch. Leitfäden der Zahnheilkundc. 

Herausgeber Erich Feiler. Heft 4/ Berlin 1921. Verlag von Hermann Meusser. 
M. 18.- 

Im Vorwort weist Verfasser selbst darauf hin, wie schwierig es ist, gerade das Gebiet 
der zahnärztlichenTechnik in einem Leitfaden zu behandeln. Fritsch erhebt keinen An¬ 
spruch auf vollwertige Literaturbearbeitung. Er will die einzelnen Methoden gewisser¬ 
maßen kritisch beleuchten, um so auch für den Praktiker etwas zu bieten. 

Es sei gleich vorweggenommen, daß Fritsch diese so skizzierte Aufgabe glänzend gelöst 
hat. Der Inhalt des Heftes setzt sich aus folgenden Hauptabschnitten zusammen: Kronen, 
Stiftzähne, Art des eigentlichen Kronenersatzes, Kronenersatz-Methoden und Brückenarbeiten. 



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Buchbesprechungen 


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Die Darstellung ist kurz, knapp und klar. Die beigefügten Zeichnungen sind sehr über« 
sichtlich. In erster Linie eignet sich das Büchlein als Hilfsbuch für den Unterricht/ aber 
auch der Praktiker wird es nach dem Studium sehr befriedigt aus der Hand legen. 

Zur Anschaffung kann die Arbeit auf das Wärmste empfohlen werden. Der Preis von 
M. 18.— ist angemessen. Becker, Greifswald. 

Die Halbkrone und ihre Bedeutung beim Verschluß von Zahnlücken. Von Dr. med. 
dent. Alfred Rank. Verlag von Hermann Meusser. Berlin 1920. Gebunden M. 55. — ' 

Ende des vergangenen Jahres ist die Rank sehe Broschüre im Meußerschen Verlag er« 
schienen, in der er seine seit 1912 in dieser Richtung gemachten Erfahrungen niederlegt. 

Nach einer kurzen geschichtlichen Einleitung über die ersten Anfänge von Brücken« 
arbeiten kommt er im zweiten Kapitel auf die Befestigungsarten, die in den letzten fünfzig 
Jahren beim Verschluß der sichtbaren Zahnlücken angewendet worden sind und gibt hier 
eine sehr klare und ausgiebige Literaturübersicht. 

Im dritten Kapitel resümiert er die heute noch beim Verschluß von sichtbaren Zahn« 
lüdcen in Frage kommenden Befestigungsmöglichkeiten und zwar dahin, 

1. die Fensterkrone ist zu verwerfen, und zwar ihrer geringen Haltbarkeit und der Nei« 
gung zur sekundären Karies wegen, sowie wegen ihres schlechten ästhetischen Wirkens, 
da sie immer durch Auflagen des Goldes aufträgt. 

2. Rückenplatte mit Stiftchen, eine von Litch stammende Idee, besonders noch von 
Evans 1912 empfohlen, auch wegen der Kariesbildung zu verwerfen. 

3. Bügelbefestigung nur zulässig, wenn die Lücke anormal breit ist, sonst wegen der 
Hebelwirkung zu verwerfen. 

4. Gußfullung mit Stiftchenverankerung. Nur bei richtiger Präparation zulässig, dann 
erfordert sie aber ebensoviel Zeit wie eine Halbkrone, die, gut hergestellt, dann vor« 
zuziehen ist. 

5. Die Halbkrone, wie von Matteson angegeben und heute noch von Guttmann 
und Bach empfohlen, ist zu verwerfen, nur in Kombination von Knöpfchen, Stiftchen 
oder Rillen ist sie brauchbar, also nach den vonCarmichael, Marshai oderSandblom 
vorgeschlagenen Methoden. Nie gefallen hat es Rank, daß diese Halbkronen keinen 
sauberen Randschluß am Zahnhalse verbürgen, und so hat er seine Halbkronen unter 
Verwendung der guten Gesichtspunkte kombiniert. 

Im vierten Kapitel beschreibt er die Erfordernisse der Halbkronen, die für ihre sichere 
und dauernde Befestigung zu beachten sind, und gibt dann im fünften Kapitel eine genaue 
Darlegung für die Anwendungsmöglichheit bei den einzelnen Zähnen. 

Das sechste und siebente Kapitel befaßt sich mit einer eingehenden Darstellung der Prä« 
paration und Herstellung der Halbkronen in einer so überaus klaren Weise, verbunden 
mit sehr anschaulichen Abbildungen, so daß jeder Praktiker nach Lesen dieser Abschnitte 
in die Lage versetzt ist, eine solche Arbeit auszuführen. Aufmerksam möchte ich auf einen 
kleinen Fehler in der bildlichen Darstellung der Figuren 57, 58, 61 und 62 machen, aus 
denen nicht das im Text besonders betonte Greifen der Rillen unter das Zahnfleisch klar 
hervorgeht. Aber sonst ist jeder Fingerzeig gegeben, wie ich dies bis jetzt selten bei 
Schilderungen einer neuen Methode gefunden habe. 

Im letzten Kapitel bespricht dann der Verfasser die verschiedenen Anwendungsmöglich« 
keiten, und ich gebe ihm zu, daß bei geeigneter Indikationsstellung diese Halbkappe ein 
der Richmond« oder Vollkrone fast gleichwertiger Stützpfeiler ist. Einiges Bedenken habe 
ich aber trotzdem gegen all die Fälle, Fig. 107—114, wo Rank sie als alleinigen Stütz« 
pfeiler bei Extensionsbrücken anwendet und er selbst in einer Fußnote sich dieser Er« 
kenntnis nicht ganz verschließt. Eine auffallende Tatsache darf ich vielleicht noch erwähnen, 
die uns hier beim Präparieren auffiel, daß der größte Prozentsatz an sich gesund aus« 
sehender Eckzähne doch bei der Präparation eine leichte Karies aufweist. — Wie aus 
all dem Gesagten hervorgeht, ist die ganze Broschüre so vortrefflich geschrieben und vor« 
züglich ausgestattet, daß sie jedermann nur empfohlen werden kann, zumal die so ge« 
fertigte Halbkrone einem langbestehenden Mangel in Befestigungsmöglichkeiten im Front« 
zahngebiete Abhilfe schafft. Fritsch, Frankfurt a. M. 


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106 Buchbesprechungen 

Das Röntgenbild als diagnostisches Hilfsmittel. Von Bemh. Faulhaber und Prof. 
Rob. Neumann. Verlag von Hermann Meusser, Berlin 1920. Gebunden M. 84.— 
In diesem Buche haben die uns wohlbekannten Autoren den Wert des Röntgenbildes 
für das gesamte Gebiet der Zahnheilkunde unter Verwendung ihrer früheren Arbeiten im 
einzelnen näher erörtert. Besonders wertvoll sind die Ausführungen dadurch, daß viele 
Fragen aus dem Gebiete der konservierenden, technischen und chirurgischen Zahnheilkunde 
von rein praktischem Standpunkte damit verwebt wurden, und an Hand von Kranken- 
geschichten das Gesagte näher erläutert bezw. mit Beweisen belegt wird. Dadurch ist eine 
derartig mannigfache Fülle von Anregung geschaffen, die im einzelnen hier nicht näher 
erörtert werden kann, bei der sich aber immer wieder zeigt, welch ungeheuren Wert die 
Röntgenaufnahme für uns als diagnostisches Hilfsmittel einerseits und als Kontrolle un¬ 
serer Arbeiten andererseits leistet. Im Rahmen dieser Arbeit hätte man vielleicht bei ge¬ 
ringer Änderung des Titels auch noch über den Wert der Röntgenstrahlen als Heilfaktor 
sprechen können, dann wäre ein vollkommen abschließendes Werk über den Wert der 
Röntgenstrahlen in der Zahnheilkunde geschaffen, da die Technik, soweit dieselbe von be¬ 
sonderem Interesse ist, gestreift und im übrigen auf nähere Literatur verwiesen ist. 

Die Aufnahmen, auf 25 Tafeln zusammengestellt, sind durch Zinkätzungen wieder¬ 
gegeben, die aber nichts zu wünschen übriglassen. Das Buch kann daher jedem Praktiker 
nicht warm genug empfohlen werden, denn hier kann man mit Recht sagen, es ist aus der 
Praxis für die Praxis geschrieben. Fritsch, Frankfurt a. M. 

Zahnwurzelzysten. Von Erich Becker. Mit 27 Abbildungen. Sammlung Meusser Nr. 19. 
Berlin, Verlag von Hermann Meußer. 1920. Preis M. 24.— 

Der erste Teil der Arbeit ist der pathologischen Anatomie der Zahnwurzelzysten ge¬ 
widmet. An der Hand reicher klinischer Erfahrungen, sowie bei kritischer Beleuchtung der 
Literatur stellt sich die Entstehung einer Zahnwurzelzyste nach seiner Theorie folgender¬ 
maßen dar: Durch äußere Einflüsse — parasitären Reiz, Trauma, chemische Einwirkung — 
wird im Periodont eines Zahnes mit abgestorbener Pulpa eine Blutung hervorgerufen. Wird 
die Blutung durch ein Trauma verursacht, so kann dieses Trauma gleichzeitig Ursache des 
Absterbens der Pulpa sein. Das Blut schafft sich einen Hohlraum, der das erste Stadium 
(Mutterzyste) der Zahnwurzelzyste bildet. Durch die Blutung werden im Periodont lie¬ 
gende postembryonale Epithelreste der Epithelscheide zur Wucherung angeregt. Durch die 
Wucherung des Epithels kommt es zur Bildung eines Keimfeldes um den Bluterguß herum. 
Im Keimfelde bilden sich Tochterzysten, die sich im weiteren Verlauf der Entwicklung mit 
der Mutterzyste vereinigen. Die Entwicklung kann in einem Granulom erfolgen. Aber das 
Vorhandensein eines Granuloms ist — z. B. bei einem Trauma — nicht unbedingt erforderlich. 

Der zweite Teil gilt den klinischen Betrachtungen und Beobachtungen in der chirurgischen 
Abteilung des zahnärztlichen Instituts der Universität Berlin. 

Die knappe sachliche Art der Darstellung die guten, zum Teil in Farben gehaltenen Ab¬ 
bildungen sind tadellos. Zilz, Wien. 

Grundzöge der zahnärztlichen Elektrotherapie und Röntgenologie. Von Zahnarzt 
Rudolf Le ix. Mit 50 Abbildungen im Text und 31 Röntgenbildern auf 3 photogra¬ 
phischen Tafeln. Berlinische Verlagsanstalt G. m. b. H. 1920. M. 36.— 

Der Zweck vorliegender Arbeit ist, den Studierenden mit der Anwendung der Elek¬ 
trizität in der Zahnheilkunde vertraut zu machen und zugleich dem in der Praxis stehenden 
und viel beschäftigten Kollegen ein Nachschlagebuch in mancherlei praktischen und beruf¬ 
lichen Fragen zu sein. Mit einer kurzgefaßten physikalischen Erläuterung der Elektrizität 
beginnend, wird der Leser eingeführt in die Kenntnis der einzelnen Stromarten und ihrer 
praktischen Anwendung. Im Anschlüsse daran wird in kurzgedrängter Form die zahn¬ 
ärztliche Röntgenologie besprochen. Auch die Neuerungen auf dem Gebiete wurden, so¬ 
weit sie von Interesse sind, berührt. Die tabellarische Zusammenstellung am Schlüsse wird 
für denjenigen von Wert sein, der sich auch über den Rahmen der zahnärztlichen Röntgen¬ 
ologie hinaus betätigen will. Die einzelnen Kapitel sind mit Sachkenntnis und Gründlich¬ 
keit bearbeitet und es läßt sich leicht erkennen, daß das Buch das ganze Gebiet zu er¬ 
fassen sucht. Es ist ein für den Studierenden sehr brauchbarer Lehrbehelf. Zilz, Wien. 



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ZEITSCHRIFTENSCHAU 

Ist die Brückenarbeit zu verwerfen? Von J. Bruce. (British Dental Journal, London, 
1920, XLI). 

In jüngster Zeit überbieten sich englische und amerikanische Zahnärzte darin, die Brücken« 
arbeit in Mißkredit zu bringen, wobei ihr angeblich schädigender Einfluß auf den allgemeinen 
Gesundheitszustand ins Treffen geführt wird! Als Beispiel dieser neuesten Mode mag der 
vorliegende Artikel dienen. Der Verfasser behauptet, daß eine einzige kranke Wurzel die 
Gesundheit des Patienten schwer schädigen kann und bezeichnet es als Rarität, wenn bei 
einer dreizähnigen Brücke nicht mindestens eine der Wurzeln eine infektiöse Erkrankung 
aufweist, sei es infolge ungenügender Vorbehandlung, sei es durch „äußere mechanische 
Einflüsse, welche eine vom Gingivalrande aufsteigende Infektion erzeugen." Jeder Brücken« 
pfeiler wird nach einer Reihe von Jahren beweglich. Aus diesem Grunde erscheint es vor« 
teilhaft, abnehmbare Brücken zu bauen, um die Pfeiler und das Zahnfleisch ausruhen zu 
lassen. Doch ist anderseits die Auswahl der hierfür geeigneten Fällen sehr schwer. Eine 
Brücke, die zehn Jahre gute Dienste geleistet hat, hat das Maximum an Lebensdauer er« 
reicht. Doch findet man nicht oft Brücken, welche so lange gut funktioniert haben und man 
darf daher die Frage aufwerfen/ ob man „überhaupt das Recht hat, dem Patienten eine 
solche Behandlungsart zu empfehlen". Kronfeld, Wien. 

Ein Beitrag zur Pathologie und Behandlung des überempfindlichen Dentins. Von 

H. Prinz, Philadelphia (Schweiz. Vierteljahrsschr. f. Zhlkde., 1920, Nr. 3>. 

Verfasser steht in voller Übereinstimmung mit jenen Autoren (Retzius, Kölliker, 
Tomes, Huber, Walkhoff, Gysi, Hopew'ell«Smith), welche die Existenz von 
Nervenfasern im Dentin bestreiten. Die Schmerzhaftigkeit des Dentins erklärt er folgender« 
maßen: Wenn der kolloidale Inhalt der Dentinkanälchen den Flüssigkeiten der Mundhöhle 
ausgesetzt wird, so wird ihre Oberflächenspannung durch Absorption und Diffusion verändert/ 
sie werden ausgedehnt und üben dabei einen Druck auf die darunterliegenden Odontoblasten« 
zellen aus. Die Flüssigkeit in den Kanälchen kann nicht komprimiert werden, sie repräsentiert 
eine starre Säule, welche den Druck unvermindert nach allen Richtungen überträgt. Jeder Druck 
wird derart sofort auf die Nervenfasern der Pulpaoberfläche übergeleitet. Eine rationelle 
Behandlung stützt sich auf die Kenntnis der pathologischen Ursachen, also auf die ver« 
änderte Spannung des Inhalts der Dentinkanälchen. Jede Methode, welche die Wieder« 
Herstellung des kolloidalen Gleichgewichts begünstigt, ist für diesen Zweck zu gebrauchen. 
Die angewandten Mittel sollen den folgenden Anforderungen genügen: 

1. Das Mittel darf die organische oder anorganische Zusammensetzung des Zahnes nicht 
beeinträchtigen/ 

2. es darf die Gesundheit der Pulpa nicht schädigen/ 

3. die Anwendung des Mittels darf nicht ein kompliziertes Instrumentarium verlangen/ 

4. die pharmakologische Wirkung des Mittels muß nach wenigen Minuten beendigt sein/ 

5. es muß für alle Klassen von Kavitäten ohne Rücksicht auf ihre Lage leicht anw'end« 
bar sein,- 

6. seine Anwendung darf keinen Schmerz verursachen,- 

7. und den Zahn nicht dauernd verfärben. 


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Zeitschriftenschau 


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Aus praktischen Gründen können die verschiedenen Mittel eingeteilt werden in 

A. Physikalische und chemische Methoden: 

1. Scharfe Instrumente. 

2. Ätzmittel. 

B. Lokale und allgemeine Mittel: 

1. Lokale Anaesthetica und Sedativa. 

2. Allgemeine Anaesthetica und Sedativa. 

Die verschiedenen Mittel und Methoden werden besprochen. Da die Überspannung des 
Inhaltes der Dentilkanälchen die erste Ursache der Überempfindlichkeit ist, stellt die Be- 
seitigung dieser Spannung logischerweise die einfachste Methode vor, um die Dentinhyper- 
ästhesie zu beseitigen,- es ist vor allem die Feuchtigkeit aus den Kanälchen zu entfernen: 
Austrocknung des Dentins (Cofferdam !>, Anwendung des Warmluftstromes in Verbindung 
mit absolutem Alkohol. Die Überlegenheit scharfgeschliffener Instrumente ist bekannt. 
Eiweißkoagulierende Mittel sind Silbernitrat, Zinkchlorid und Phenol. Das von Buckley 
als neues und sicheres Mittel gegen überempfindliches Dentin gerühmte trockene For¬ 
maldehyd <Trioxymethylen> schädigt die Pulpa, ebenso wie das „Norwegische Dentinan- 
ästhetikum", welches zwei Alkaloide, Karpain und Paucin enthält und dürfen daher nicht 
angewendet werden. Dasselbe gilt von der arsenigen Säure, dem Nervocidin und sonstigen 
Protoplasmagiften. Von den Mitteln, welche im engeren Sinne als Lokalanaesthetica an¬ 
gewendet werden, üben Kokain und seine Ersatzmittel keine Wirkung aus, wenn sie auf 
entblößtes Dentin gelegt werden, da lebendes Protoplasma sich gegen die Absorption dieser 
Substanzen sträubt. Dagegen wird die vitale Resistenz des Protoplasmas rasch überwunden, 
wenn Kokain oder seine Vertreter in die nicht verstopften Dentinkanälchen unter Drude 
hineingesperrt werden. Ebenso bekannt ist die Anwendung der letztgenannten Mittel zu 
Injektionen, welche die Reibungsfähigkeit der sensiblen Nervenfasern aufheben. Von den 
zahlreichen Essenzen, welche als Abstumpfungsmittel empfohlen werden, steht das Nelkenöl 
durch seinen Gehalt an Eugenol obenan. Die Anwendung von Kälte zur Bekämpfung der 
Hyperästhesie verbietet der damit verbundene anfängliche intensive Schmerz. — Allgemeine 
Anaesthetica werden wenig verwendet. Von den Bromiden sind große und fortlaufende 
Dosen notwendig, die gewöhnliche Dosis von Morphium braucht mindestens eine halbe 
Stunde, bevor sich eine deutliche Herabsetzung der Sensibilität zeigt, Chloralhydrat und 
Morphium-Skopolamin wirken wohl rascher, erfordern aber wegen der mit diesem „Halb¬ 
schlaf' verbundenen Gefahren größte Vorsicht in der Anwendung. — Der Verfasser ist 
überzeugt, daß das Suchen nach einem „Mittel, das Dentin unempfindlich zu machen", welches 
durch den bloßen Kontakt seine Wirkung in derselben pharmakodynamischen Weise ausübt 
wie die Injektionsanästhesie, ebenso aussichtslos ist wie der Versuch, das Perpetuum mobile 
zu finden. Kronfeld, Wien. 

1. Der Anglesdie Bogen in seiner Einwirkung auf Kiefer und Zahnstettung. 

2. Die Vereinfachung des Angfeschen Bogensystems in einen Universalbogen. 

Von R. Landsberger, Berlin (Deutsche Monatsschr. f. Zhlkde., 1920, 10). 

Die Zahnreihe bildet ein starres, festgefügtes Ganzes. Bedingt ist dies durch das Liga¬ 
mentum circulare. Eine Einzelbewegung eines Zahnes können wir streng genommen nicht 
vornehmen, immer ziehen wir die Nachbarzähne mehr oder weniger in Mitleidenschaft. 
Genau denselben Gesetzen folgt der Anglesche Bogen. Bei der Expansion wird das Liga¬ 
mentum circulare gedehnt, verlängert. Gleichzeitig erweitern sich die Knochensepta zwischen 
den einzelnen Zähnen. Bei der Kontraktion und Retraktion bringen wir umgekehrt die 
Knochensepta zum Schwinden und das Ligamentum circulare zur Verkürzung. Der An¬ 
glesche Bogen, welcher ebenso wie das Ligamentum circulare die Zahnreihe als ein ein¬ 
heitlich zusammenhängendes Ganzes umfaßt und sich in diesem seinem wirkungsvollen 
Prinzip enge an die Natur anschmiegt, ist für uns Zahnärzte dasselbe, was der Augen¬ 
spiegel für den Augenarzt, die Geburtszange für den Geburtshelfer bedeutet/ er hat ein 
ganzes Gebiet der Heilkunde erschlossen und wird nie mehr aus der Kieferorthopädie ver¬ 
schwinden. Verbesserungen wären nur denkbar, ohne daß das Grundprinzip berührt wird. 
Einige solcher Modifikationen, welche keine Verbesserungen, sondern nur Vereinfachungen 



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Zeitschriftenschau 


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sein wollen, gibt Verfasser an. Die drei Bogen des Angl eschen Systems, den glatten Bogen, 
den Retraktionsbogen und den Protraktionsbogen vereinigt er in einen einzigen. Der Re¬ 
traktionsbogen hat bekanntlich zwei festgelötete Häkchen, die zur Aufnahme der inter- 
maxillären Bänder bestimmt sind. Landsberger versieht diese Häkchen im Innern ihrer 
Mutter mit einem Gewinde, so daß sie abschraubbar werden. Schraubt man sie ab, so hat 
man den glatten Bogen, schraubt man sie wieder auf, den Retraktionsbogen. Am Bogen 
selbst läßt er die Außenseite der Gehenkel glatthobeln. Dadurch ist die Möglichkeit ge¬ 
geben, daß der Bogen in den Röhrchen der Klammerbänder wenig Reibung hat und ebenso 
wie der glatte Bogen leicht rückwärts gleiten kann. Die Abschraubbarkeit der Häkchen 
bietet den Vorteil, daß man sie stets an jener Stelle des Bogens anbringen kann, wo sie 
gerade am wirksamsten sind, man kann sie nach der Länge der Gummiringe am Bogen 
einstellen und je nach Bedarf vorwärts und rückwärts verschieben. Ein weiterer Vorteil 
liegt darin, daß man einen vorher durchlochten Gummikeil über den Bogen ziehen kann, 
wenn es sich darum handelt, einen besonders vorstehenden Zahn zurückzudrängen. Will 
man ferner einen Prämolaren nach rückwärts bewegen, so biegt man das Häkchen nach 
Form eines Spornes gerade, plattet es ab und schiebt es mesial vor den zu bewegenden 
Zahn, der dann bei der Retraktion nach rückwärts geschoben wird. 

Der Vorteil, an dem Bogen nicht löten zu müssen, sondern alle kleinen Hilfsapparate 
aufschrauben zu können, veranlaßte Verfasser, einen zweiten Bogen zu konstruieren, der 
mit einem durchlaufenden Gewinde versehen ist. Dieser Universalbogen hat den Vorzug, 
daß man an jeder beliebigen Stelle kleine Reiterchen aufschrauben kann, die zum Zurück¬ 
drängen einzelner Zähne, zum sicheren Anbringen von Ligaturen dienen. Die Vorzüge 
des Universalbogens liegen darin, daß er die Möglichkeit bietet, jeden einzelnen Bogen des 
Angl eschen Systems in einen andern umwandeln zu können, daß das Löten wegfällt, durch 
welches man Gefahr läuft, die Federkraft zu schwächen und schließlich, daß man stets in 
der Lage ist, rasch und an beliebiger Stelle kleine Hilfsapparate aufschrauben zu können. 

Kronfeld, Wien. 

Die Klammerkrone und ihre Anwendung bei abnehmbaren Brücken. Von H. Vil¬ 
lain, Paris (L'Odontologie, 1920, 9>. 

Verfasser ist unbedingter Anhänger der abnehmbaren Brücken und verwendet fixe Brücken 
nur in Ausnahmefällen, vor allem aus dem Grunde, weil letztere im Munde nie ganz rein 
gehalten werden können, auch wenn es sich um sehr sorgfältige und saubere Patienten 
handelt. Auch das System der abnehmbaren Brücken hat gewisse Nachteile und Schwierig¬ 
keiten an sich. Es ist oft nicht leicht, absoluten Parallelismus der Pfeiler herzustellen, man 
ist gezwungen. Stifte und Röhren oder Teleskopkronen anzubringen, welche gewöhnlich zu 
kurz ausfallen, um für längere Zeit genügende Festigkeit zu sichern, die Gleitvorrichtungen, 
Zapfen, Ro ach-Kugeln u. dgl., welche einseitig an einem Zahne befestigt werden, wirken 
als Hebelarme, welche leicht zur Lockerung der Stützzähne führen können, schließlich ist 
nicht jeder Zahntechniker imstande, solche Apparate genau anzufertigen, während die Her¬ 
stellung der Villainschen Klammerkronen angeblich weniger Schwierigkeiten bietet als die 
gewöhnlicher Gebißklammern, wie sie für Kautschuk- und Goldplatten gebräuchlich sind. 
Große Schwierigkeiten verursacht ferner bei abnehmbaren Brücken die Anbringung von 
Porzellanzähnen und Porzellanfazetten, weil man bei diesen Arbeiten gewöhnlich mit Raum¬ 
mangel zu kämpfen hat. Alle diese Schwierigkeiten glaubt Verfasser durch die von ihm 
seit fünfzehn Jahren mit bestem Erfolge verwendeten Klammerkronen beseitigen zu können. 
Der Zahn wird in derselben Weise wie für eine gewöhnliche Krone zugeschliffen. Nach 
dem Zentimetermaß wird aus 22 kar. Gold ein Band mit parallel verlaufenden Rändern 
zugeschnitten und zu einem Ring verlötet. Jeder Ring wird im Munde auf den entspre¬ 
chenden Zahnstumpf angepaßt, wobei auf Parallelismus mit den anderen Pfeilern zu achten 
ist, soweit abgeschliffen, daß genügend Raum für den Aufbau der Kronenhöcker bleibt, und 
mit einem glatten, flachen Deckel versehen. Damit sind die Kappen, welche zur späteren 
Befestigung im Munde bestimmt sind, fertig. Sie werden jetzt auf dem Modell mit Kleb¬ 
wachs befestigt und man geht an die zweite Phase der Arbeit, an die Herstellung der 
Klammerkronen. Wie für eine Gebißklammer formt man aus 18 Kar. Platingold Nr. 12 


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Zeitschriftenschau 


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des Drahtmaßes Bandklammern, welche die Kappen rings umgreifen und nurbuccal 1—2 mm 
Zwischenraum freilassen. Die Herstellung dieser Klammern für die parallelwandigen, zy¬ 
lindrischen Kappen ist natürlich einfacher als das Formen von anatomisch richtiggebauten 
Gebißklammern für natürliche Zähne. Sollten die Pfeilerzähne mit ihren Kappen nicht ganz 
parallel zueinanderstehen, so formt man die Klammern nicht ringförmig, sondern läßt sie die 
Zähne nur an zwei oder drei Seiten umgreifen. Auch kann man, wenn etwa ein einzeln¬ 
stehender, unterer Mahlzahn stark mesial gewandert und geneigt ist, an die mesiale Fläche 
der Kappe ein Inlay angießen und so den Parallelismus mit dem vorderen Stützzahn er¬ 
zielen. Nun werden die Höcker des Zahnes in Inlay wachs modelliert, das Inlay gegossen, 
und auf die Klammer gelötet, daß die buccal gelegenen Enden derselben freibleiben. 
So bleibt die Elastizität der Klammer erhalten, und die Verbindung derselben mit dem 
anatomisch richtig geformten, soliden Kronendeckel verhindert jedes Hinabrutschen, jede 
seitliche Verschiebung und sichert ein tadelloses Sitzen der Prothese. Natürlich lassen sich 
diese Klammerkronen nicht nur für abnehmbare Brücken, sondern auch für jede andere 
abnehmbare Plattenprothese verwenden, wobei man die Platte in ihrer Größe auf ein Mi¬ 
nimum reduzieren kann. Krön feid, Wien. 

Über Arhinencephalie mit medianer Oberlippenspalte {Zwischenkieferdefekt). 

Von Alice Goldstein. Aus der Universitäts-Kinderklinik zu Jena (Vorstand: Prof. 

Dr. Ibrahim). Zeitschrift für Kinderheilkunde Band XXV/1920. Heft 4/6, S. 328—353 
Berlin 1920. 

Im Mai 1918 gelangte im Kinderkrankenhause in Jena eine Form von Mißbildung zur 
Beobachtung, die in ihrer klinischen Bedeutung hinsichtlich des Lebens und der Entwicklungs¬ 
möglichkeit des Kindes wohl nur selten gewürdigt wird, und die Goldstein in pädiatrischen 
Zeitschriften nicht erwähnt fand. 

Die Mißbildung im Bereiche des Gesichts und des Schädels: Der Oberkiefer zeigt in der 
Mitte entsprechend der Nasengegend einen Defekt, der sowohl den Aveolarfortsatz als 
auch die Gaumenplatte betrifft, so daß die Mundhöhle durch eine etwa 1 cm breite me¬ 
diane Spalte in voller Ausdehnung vom Zahnfortsatz bis zum weichen Gaumen mit der 
Nasenhöhle in Verbindung steht. Der weiche Gaumen selbst ist gleichfalls gespalten, seine 
muskulären Teile hängen als freibewegliche Falten an den beiden Rändern der Spalte herab. 
Im Bereiche der Zunge, des Mundbodens und des Unterkiefers findet sich keinerlei ab¬ 
norme Bildung. Die dem Blick von der Mundhöhle aus völlig zugängliche Nasenhöhle zeigt 
keinerlei Andeutung eines knorpeligen oder knöchernen Septums, dagegen sind die seit¬ 
lichen Wände mit den Nasenmuscheln anscheinend dem Alter des Kindes entsprechend aus¬ 
gebildet. Die äußere Nase fehlt insofern vollständig, als keinerlei Prominenz der Nase im 
Profil vorhanden ist. Die Haut spannt sich in dieser Gegend, ohne ein knorpeliges Gerüst 
zu bekleiden, quer von einer Wange zur anderen/ an Stelle der Nasenlöcher besteht ein 
leicht prominierender Wulst, der ganz angedeutet in eine rechte und linke Hälfte zerfällt, 
und der durch leichte Schweifung seine ursprüngliche Bedeutung als Nasenflügel erkennen 
läßt. Wenn man die seitlichen Lippenteile durch Drude aneinanderlegt, so lassen sich kleine 
Nasenflügel von ganz typischer Form bilden. Die Nasenwurzel erscheint außerordentlich 
eng und sehr tiefliegend. Statt zwischen den Augen hervorzutreten, bildet sie eine sattel¬ 
förmige Einsenkung zwischen den Augen. Die medialen Augenwinkel zeigen einen Ab¬ 
stand von nur 9 mm. Durch Palpation läßt sich das Vorhandensein von knöchernen Nasen¬ 
beinen mit Sicherheit feststellen, da der vordere Rand infolge des Fehlens des knorpeligen 
Nasengerüstes deutlich abgrenzbar ist. 

Die Augen treten hervor in Form eines Exophthalmus, der wohl sicherlich nicht durch 
das Zurücktreten der Nasenwurzel und der Supraorbitalränder zu erklären ist. Die Lid¬ 
spalten sind horizontal gestellt und etwas schlitzförmig. Die Augenbrauen sind normal 
entwickelt, in der Mitte nicht zusammen gewachsen. Die Augen selbst zeigen keine Mi߬ 
bildung. 

Der Schädel ist im Vergleich zum Gesicht viel zu klein, speziell tritt die Stirn schräg 
nach hinten zurück. Die große Fontanelle war schon am zweiten Tage nach der Geburt, 
als das Kind in Beobachtung kam, als Lücke nicht mehr zu tasten. Die Schädelknochen 



J 


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sind aber untereinander nicht verwachsen. In der Mitte des Stirnbeins findet sieb, der Naht¬ 
linie der beiden Stirnbeinhälften entsprechend, eine prominente Crista. Auch die beiden 
Scheitelbeine bewirken an der Stelle ihrer Vereinigung in der Lambdanaht eine leicht pro- 
minente Firstbildung. Das Hinterhauptbein ist gegen die beiden Scheitelbeine leicht ver¬ 
schieblich. Eine seitliche Fontanellenbildung ist nicht nachzuweisen. Stirn leicht behaart. 
Der Kopf ist mit langem, braunem, weichem Haar bedeckt. Die Ohren zeigen beiderseits 
etwas vereinfachte Bildung, indem der äußere Rand der Helix in seinem obern Abschnitt 
nicht der Norm entsprechend eingerollt ist. Am rechten Ohr findet sich in der Mitte der 
Helix eine kleine Zipfelbildung. Extremitäten: Hände und Füße erscheinen reichlich groß 
gebildet, schmal und lang. Ob eine Andeutung einer sogenannten Arachnodactylie vor- 
liegt, ist wohl schwierig zu entscheiden. 

Kund rat gebührt aber das Verdienst, die verschiedenen Stufen dieser komplizierten Mi߬ 
bildungen unter einen gemeinschaftlichen Gesichtspunkt — das Fehlen der Riechnerven 
zusammengefaßt zu haben. Er unterscheidet fünf Arten Arhinencephalie u. zw. 

1. Die Ethmocephalen. 

2. Die Cebocephalen. 

3. Die Arhinencephalie mit medianer Oberlippenspalte. 

4. Die Arhinencephalie mit seitlichen Lippen — Gaumenspalten. 

5. Die Arhinencephalie mit Trigonocephalie. 

Die Arhinencephalie mit medianer Oberlippenspalte ist die am häufigsten vorkommende 
und am besten bekannte Form. 

In der überwiegenden Anzahl der Fälle handelt es sich jedoch um Frühgeburten, Tot¬ 
geburten oder um kurz nach der Geburt gestorbene Kinder. Das in der Kinderklinik zu 
Jena beobachtete Kind starb im Alter von zwei Monaten. Das Sektionsprotokoll lautet: 

Diagnose: Arhinencephalie. Fehlen der Zweiteilung des Großhirns und Fehlen des 
Riechnervs. Querverengerung der vordersten Teile der Schädelbasis und des Stirnbeins. 
(Fehlen der Siebbeinplatte. Anencephalischer großer Defekt der hinteren Teile des Gro߬ 
hirns und Ersatz durch eine mit dem einzigen Ventrikel zusammenhängendem Blase. Meckel- 
sches Divertikel. Lipom des Zwerchfells. Geringer Grad von Coecum mobile. Offene 
fötale Kreislaufwege. Beiderseitige, besonders linksseitige konfluierende Bronchopneumonie, 
links mit eitrigfibrinöser Pleuritis. Leichte Milzschwellung. Zilz, Wien. 

Beitrag zum Studium der Afctinomykose. Von Cr. A. Rodella, Vöhrenbach (Baden). 

Centralbl. f. Bakt. etc. I. Abtlg. Originale. Bd. 84. Heft 6. 

Die fast unübersehbare Literatur ist in den letzten Jahren mit wertvollen Arbeiten be¬ 
reichert worden, ohne daß man jedoch die ganze Aktinomycesfrage als gelöst betrachten 
kann. Abgesehen von anderen noch strittigen Einzelheiten, bleiben immer noch folgende 
Hauptfragen offen: 

1. Ist der Aktinomycespilz wirklich von anderen Streptotricheen abzusondern, oder ist die 
Aktinomykose eine durch Streptotricheen im allgemeinen hervorgerufene Erkrankung ? 

2. Ist die Bildung von Spirillen, Stäbchen und Kokken in Aktinomyces-Kulturen nur 
als Ausdruck des Polymorphismus oder als eine zu dem Entwicklungszyklus des Akti- 
nomycespilzes gehörige Erscheinung, oder endlich als Täuschung oder Kunstprodukt 
(Brussoff) aufzufassen? 

3. Ist eine Klassifikation, welche sich auf die Merkmale der Fragmentation und des 
Wachstums (aerob oder anaerob) stützt, überhaupt durchführbar? 

In dem beschriebenen Falle hat der Autor, wie frühere Autoren, die Erfahrung gemacht, 
daß der Aktinomyces manchmal Kokken-, Stäbchen- und Spirillenformen annahm, ferner 
konnte er wiederholt Köpfchen- oder Tetanusformen sehen, worauf von früheren Autoren 
nicht aufmerksam gemacht worden war. In neuester Zeit hat Brussoff behauptet, daß 
die Annahme, daß die Aktinomyceten-Hyphen in Fragmente zerfallen können, auf irrtüm¬ 
lichen Beobachtungen an gefärbten Präparaten beruht/ in Wirklichkeit gibt es keine Frag¬ 
mentation der Aktinomyceten-Hyphen. Ebenfalls sind Kokken, Stäbchen und Spirillen der 
Autoren nichts anderes als ein Teil des Inhaltes der Aktinomyceten-Hyphen und bestehen 
aus Kokken und Ansammlungen von Tropfen von Volutin. 


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Die vom Autor beschriebene Art bildet derbe, dem Nährboden festanhaftende, häufig 
zu Membranen konfluierende Kolonien. Ihre Einteilung zum Streptothrix bovis ist nur 
von dem Verhalten in Milch und Gelatine, ferner von der bis jetzt bei den anderen Ver¬ 
tretern dieser Gruppe noch nicht erwähnten oder nicht eingehend genug gewürdigten Eigen¬ 
schaft, eine zweite Wuchsform zu besitzen, etwas fraglich gemacht. Diese zweite Wuchs¬ 
form besteht darin, daß manche Kulturen Kokkenkulturen gleichen, mit dem Unterschiede, 
daß aus denselben nachher Fäden mit Verzweigungen sich bilden. Wegen des Merkmals 
würde der in Frage stehende Mikroorganismus eher zu Mikromyces Hoffmanni passen, 
welcher sehr wahrscheinlich auch in diese Unterabteilung eingereiht werden sollte. 

Z i 1 z , Wien. 

Uber drei Fälle von Infektion mit editen, streng anaeroben Streptotricheen. Aus 
der II. Chirurgischen Abteilung <Vorst.: Prof. Sick) und dem Pilzforschungsinstitut 
(Vorstand Prof. Plaut) im Allgem. Krankenhaus Eppendorf. Von Rahel Plaut, 
Hamburg. Centralbl. f. Bakt. etc. I. Abt. Originale Bd. 84. Heft 6. 1920. 

Die Infektion des Menschen mit echten, anaeroben Streptotricheen gilt für eine seltene 
Erkrankung. Die Autorin berichtet über drei Fälle, in denen es gelungen ist, bei chro¬ 
nischen Entzündungen echte, streng anaerobe Streptotricheen als Erreger nachzuweisen und 
zu züchten. Die Tatsache, daß die drei Fälle in der relativ kurzen Zeit von vier Wochen 
dem Pilzforschungsinstitut zugingen, läßt vermuten, daß diese Erreger wohl nicht so selten 
sind wie man glaubt, daß aber im allgemeinen bei Untersuchung von chronisch entzünd¬ 
lichem Material zu wenig auf Pilzfäden geachtet wird. So hat Plaut einen Fall gesehen, 
wo der bakteriologische Untersucher die Möglichkeit einer Streptothrixinfektion gar nicht 
in Betracht gezogen hatte, wohl weil die charakteristischen Körner im Eiter zuerst sehr 
unscheinbar waren und die angelegten Kulturen, die sich nur auf aerobe Verhältnisse be¬ 
zogen, steril blieben. 

Selbst wenn man an die Möglichkeit einer Streptothrixinfektion denkt und die Körnchen 
untersucht, werden die ungemein feinen Fäden leicht übersehen. Sie können im ungefärbten 
Präparat für Fibrinfäden gehalten werden, im gefärbten für feine Bazillen, die zu Fäden 
ausgewachsen sind. Die Autorin faßt ihre Beobachtungen wie folgt zusammen: 

1. Wir haben aus einer chronischen Parotitis, einem Mundhöhlenabszeß und einem Em¬ 
pyem echte, streng anaerobe Streptotricheen gezüchtet. 

2. Sie unterscheiden sich von Aktinomyzeten: a) im Körper: durch Fehlen von Drusen, 
durch relative Gutartigkeit, b) in der Kultur: durch strengere Anaerobiose, durch stär¬ 
kere Abneigung gegen Oberflächenwachstum. 

3. Der anaerobe Streptothrix hat zwei Wachstumformen. Sie unterscheiden sich a) in der 
Gestalt, b> im Verhalten zu Farbstoffen, c) in der Widerstandsfähigkeit. Diese Unter¬ 
schiede zeigen sich auch an den durch Fragmentation aus ihnen entstandenen Stäbchen¬ 
formen. 

4. Es gibt anaerobe Streptotricheen, die einen intensiven fötiden Geruch erzeugen. 

5. Man sollte bei jeder chronischen Entzündung unbekannter Herkunft auf Strepthothrix- 

fäden achten, da diese häufiger sind als im allgemeinen angenommen wird und leicht 
übersehen werden. Zilz, Wien. 



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VIERTELJAHRSSCHRIFT 

FÜR 

ZAHNHEILKUNDE 


37 VERLAG 

19 2 1 


JAHRGANG HERMANN MEUSSER 

HEFT 

2 

BERLIN 


SCHRIFTLEITUNG: DR. B. FAULHABER, BERLIN W 15, UHLANDSTRASSE 159 


INHALT 


Originalarbeiten 

Seite 

Neumann, R., Berlin, Die radikal-chirurgische Behandlung der 


Alveolarpyorrhoe .113 

Adloff, P., Königsberg, Einige kritische Betrachtungen zu den 
Arbeiten Fleisdimanns und Gottliebs über die Aetiologie der Alveolar- 

pyorrhoe.148 

Kneschaurek, H., Graz, Die Chlumsk) sehe Lösung und Kalomel 
im Dienste der Wurzelbehandlung und Wurzelfüllung.162 


Cieszynski, A., Lemberg, Schieberverankerung für orthopädische 
Prothesen des Unter- und Oberkiefers bei Defekten derselben oder 


Pseudarthrosen und für besondere Fälle von Brücken und gewöhnlichen 

Platten-Prothesen.167 

F r i t z s c h, C., Frankfurt a. M., Die Grenzen der festsitzenden 

Brückenarbeiten.178 

Simon, Arthur, Berlin, Das Problem der Verankerung von 

Front-Zahnbrücken.186 

Koch-Langentreu, Jos., Graz, Experimentelle Untersuchungen 

über die Biologie der menschlichen Zahnpulpa.211 

Hauenstein, Erlangen, Ober Kieferhöhlenerkrankungen.219 

Faulhaber, B., Berlin, Ein Fall von Arsenvergiftung.239 

Buchbesprechungen.241 

Zeitschriftenschau.257 


-----!— - - -Lü - —= !--- 

Vierteljährlich erscheint 1 Heft. Bezugspreis jährlich für Deutschland, Tschechoslowakei, 
Jugoslavien, Ungarn und die Balkanstaaten M. 80.—; für das Ausland M. 240.— / Be¬ 
stellungen nehmen alle Buchhandlungen sowie der Verlag Hermann Meusser in Berlin W 57, 

Potsdamer Straße 75, entgegen 


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HEFT 3 

WIRD VORAUSSICHTLICH ENTHALTEN: 


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Weski, O., Berlin, Die chronischen marginalen 
Entzündungen des Alveolarfortsatzes mit besonderer 
Berücksichtigung der Alveolar-Pyorrhoe (Schluß). 
Cohn, Günther, Berlin, Chirurgische Behandlung 
der Progenie und Prognathie. 

Euler, Göttingen, Metaplasie der Pulpa. 

Adloff, P., Königsberg/ Zweckmäßigkeiten des 
Gebisses. Selektion oder funktionelle Anpassung? 

Z e 1 i s k a, F., Wien, Die Amalgamkrone 
u. a. 


Heft 3 wird voraussichtlich Anfang Januar 1922, Heft 4 im Laufe des ersten Quartals 
ausgegeben werden. Im April 1922 beginnt der neue Jahrgang 1922 zu erscheinen. 


Gck igle 


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DIE RADIKAUCHIRURGISCHE BEHANDLUNG 
DER ALVEOLARPyORRHOE 

VON 

PROFESSOR ROBERT NEUMANN 

ZAHNARZT IN BERLIN 

U ber den pathologisch-anatomischen Charakter der sogenannten Alveo¬ 
larpyorrhoe besteht zurzeit keine geklärte Auffassung. Die seit 1890 
von Römer vertretene Vorstellung einer Periodontitis marginalis purulenta 
wird von einer Reihe von Autoren als nicht zu Recht bestehend angesprochen. 
Ich möchte mich in folgendem einer Stellungnahme zur Ätiologie, wie sie sich 
in der Römer sehen Nomenklatur ausdrückt, enthalten und lediglich die Ver¬ 
änderungen, welche wir bei Alveolarpyorrhoe im Gegensatz zu normalen 
Verhältnissen anzutreffen gewöhnt sind, zur Unterlage meiner folgenden 
Betrachtungen machen. 

Die Pyorrhoe wird gekennzeichnet durch folgende Veränderungen: 

1. Knochenschwund, 

2. Vertiefung der normalen Zahnfleischtasche, 

3. Geschwürsbildung an der Innenseite der Tasche, 

4. in gewissen Fällen mehr oder weniger Zahnsteinablagerung. 

Ad 1. Man unterscheidet im Röntgenbilde zwei Formen des Knochen¬ 
schwundes, den horizontalen und den vertikalen <nach Weski) <Tafel I>. 

Ad 2. Je nach der Art des Knochenschwundes unterscheidet man eine bis 
zum Knochen herunterreichende Vertiefung der Tasche <Pyorrhoea supra- 
alveolaris Weski) und bei der vertikalen Atrophie eine unter das Niveau des 
Knochenrandes herunterreichende <Pyorrhoea intraalveolaris Weski) (Fig. 1 
und 2‘>. 

Ad 3. Die Geschwürsbildung an der Innenseite der Zahnfleischtasche be¬ 
kommt dadurch einen spezifischen Charakter, daß die sie bekleidenden Granu¬ 
lationen von Epithelsträngen durchzogen sind) <Fig. 3>. 

Die so charakterisierte Erkrankung wurde seit langem und wird auch heute 
noch von einer großen Zahl von Praktikern und Spezialisten lediglich be- 

1 Die Bilder, Fig. 1 und 2, sind aus Heft 1, 1921, dieser Zeitschrift entnommen. 
Viertel/ahrssdirift für Zahoheilkunde, Heft 2 8 


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114 


Professor Robert Neumann 


handelt durch Entfernung des Zahnsteins und Zerstörung der Granulationen 
durch Ätzmittel. Eine zweite Gruppe behandelt die Erkrankung durch Kauter, 
indem sie sich dadurch die Verödung der Tasche verspricht. 

Eine kritische Würdigung der Methoden, welche eine Abtötung der die 
Zerstörung nach Ansicht gewisser Autoren verursachenden Erreger bezwecken, 
erübrigt sich. Die Literatur über die Behandlung der Pyorrhoe mit Salvarsan- 
oder Chinineinverleibung, oder lokal angewandt, lehnt nach vorübergehendem 
Enthusiamus diese Methode ab. 

Eine dritte Gruppe von Autoren tritt für chirurgische Behandlung ein. 

Was die chirurgische Behandlung betrifft, so lassen sich zwei Gruppen 
unterscheiden: 

1. eine die ohne Freilegung des Krankheitsherdes und 

2. eine, die mit teilweiser Freilegung des Krankheitsherdes 
vorgeht. 

Ohne Frage bedeutet der Vorschlag, chirurgisch vorzugehen ohne breite 
Freilegung des Krankheitsherdes, gegenüber dem Kauter und den anderen 
Methoden einen Vorteil. 

Aber diese Methode genügt nicht den Bedingungen, welche 
ich an eine erfolgreiche Operation, d. h. die breite Freilegung 
des Krankheitsfeldes vom Alveolarrande bis zur Wurzelspitze, 
stelle. Die Operation muß nämlich ermöglichen: 

1. eine klare Übersicht des gesamten Operationsfeldes, 

2. die restlose Entfernung noch vorhandener Ablagerungen 
von Konkrementen an den Wurzeln, desgleichen 

3. die restlose Entfernung der in den Knochenbuchten und 
Nischen versteckten, von Epithelsträngen durchzogenen 
Granulationsmassen, 

4. die restlose Entfernung aller veränderten, nicht regene- 
rationsfähigen Knochenmassen, 

5. Beseitigung tiefer Zahnfleischtaschen durch Abtragung 
der erkrankten Schleimhaut und Bedeckung des glatten 
Knochens mit gesunder Schleimhaut 1 , somit 

6. eine Vernichtung des Nährbodens für die in der Tasche be- 
findlichen Bakterien. 

Fig. 4—7 zeigt die breite Freilegung des gesamten Krank¬ 
heitsbildes. 

All dies kann man aber mit den bisher beschriebenen Methoden 
zur Behandlung der Alveolarpyorrhoe nicht erreichen. 

Ich finde midi in Übereinstimmung mit Widman {Stockholm), der die 
Folgezustände der oben als unzulänglich bezeichneten Maßnahmen folgender¬ 
maßen schildert: 

1 Über die Heilungsvorgänge nach ausgeführter radikal-chirurgischer Behandlung der 
Alveolarpyorrhoe wird Herr Zahnarzt Lund in Kopenhagen zu gegebener Zeit auf Grund 
operativer Versuche am Hunde, die ich im Institut Dr. Weski vorgenommen habe, 
histologische Einzelheiten berichten. 


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Die radikaLchirurgische Behandlung der Alveolafpyorrhoe 


5 



TAFEL I 


Horizontale Atrophie 


Vertikale Atrophie 


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116 


Professor Robert Neumann 


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„Wenn wir jetzt ein wenig darüber nadidenken, wie man bei den eben 
geschilderten Behandlungsmethoden vorgeht und was man damit erreichen 



Fig. 1 



Fig. 2 


will, findet sicher ein jeder, daß sowohl die Behandlungsart wie auch das Re^ 
sultat, das man dadurch gewonnen hat, manchmal viel zu wünschen übrig 


b a b a 



a 

Fig. 3 

Präparar, das ich aus dem Granulationsgcwebe von 
dem in Fig. 5 dargestellfcn Falle gewonnen habe. 
a Solide Epithclstränge. b Rundzelleninfiltration 


lassen. Da, wo die Zerschmelzung 
der Alveole gering geworden ist und 
die Taschen infolgedessen wenig tief 
sind und das Granulationsgewebe 
nicht so kräftig entwickelt ist, haben 
wir doch dort nach nicht zu langer 
Zeit die Eiterung zum Aufhören 
gebracht,die Taschen haben sich retra* 
hiert, der Zahnfleischrand hat sich 
fester um die Wurzel geschlossen, 
der Zahn hat sich fester wie vorher 
gefühlt, d. h. durch unsere Ätzung 
oder Kauterisation des Gewebes ist 
es uns gelungen, in demselben eine 
Schrumpfung der Bindegewebe her* 


Go ^gle - 


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Die radikaUdururgiscfie Behandlung der Alveolarpyorrhoe 


117 


vorzubringen, eine partielle Narbenwandlung. Ich sage „partielle", denn 
eine totale ist es nicht geworden. Denn wenn wir nach beendeter Behandlung 
die Tasche ein wenig genauer mit einer feinen Sonde untersuchen, haben wir 
gefunden, daß sie noch zum großen Teil da war, trotzdem die Wände jetzt 
mehr fibröses Bindegewebe und nicht so viel Granulationsgewebe enthalten 



Fig* d 

a Schnittführung 

Die Papillen werden im Interdentalraum in vertikaler Richtung durchschnitten 


wie früher. Infolgedessen hat der eitrige Zerfall die Suppuration auch auf- 
gelöst. Eine Tasche existierte doch und damit eine Retentionsstelle für halb¬ 
digerierte Speisereste, welche während des Kauens in dieselbe hineingepreßt 
werden könnten. Die Tasche existiert fortwährend als ein prädisponierendes 
Moment einer neuen Infektion, und wir können ein Rezidiv der Pyorrhoe 
dadurch erwarten. 


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118 


Professor Robert Neumann 


Daß das häufig der Fall ist, darüber haben sehr viele von uns bittere Er- 
fahrungen gemacht. Nach längerer oder kürzerer Zeit ist die Eiterung aufs 
neue aufgetreten und das Zahnfleisch hat seine angeschwollene hyperämische 
und leicht blutende Beschaffenheit wiedergewonnen. Daß dies von der weniger 
befriedigenden Hygiene, welche wir bei den Patienten nach beendeter Be¬ 
handlung noch durchzuführen gezwungen sind, abhängt, kann nicht verneint 
werden. Was wir auch nicht verneinen können, ist, daß die persistierende 
Tasche und das in deren Wänden noch zum großen Teil existierende Granu¬ 
lationsgewebe eine der mitwirkenden Ursachen der Reinfektion ist bzw. 
werden kann." 

Widman hat unzweifelhaft richtig beobachtet, soweit Fälle in Frage 
kommen, bei denen, wie ich später zeigen werde, die Alveolarpyorrhoe schon 
zu weit fortgeschritten ist. Bei leichteren Fällen, insbesondere bei horizontaler 
Atrophie, kann Vernarbung ohne Rezidive eintreten. 

Widman geht dann ein auf die von mir immer wieder betonte Tatsache, 
daß eine restlose Entfernung aller Konkremente von den Zahnwurzeln sehr 
schwer, ja in manchen Fällen ganz unmöglich sein kann, wenn man im Dun¬ 
keln arbeitet ohne breite Freilegung des gesamten Krankheitsherdes. Er sagt 
sehr treffend: 

„Es gibt viele unter uns, die diese Mängel verneinen und geltend machen 
wollen, daß, wenn es solche Mängel gibt <bei der Reinigung der Wurzel¬ 
flächen von Zahnstein), sie nicht zu suchen sind bei der Behandlungsmethode, 
sondern bei dem Operateur. Das ist auch teilweise wahr. Denn gewiß wird 
in dieser Beziehung viel von uns Zahnärzten gesündigt, und sicher wird vom 
Operateur sowohl Geduld wie Aushalten, Gewohnheit und Geschicklichkeit 
verlangt, um eine pyorrhoische Wurzel so vollständig von Zahnstein zu be¬ 
freien, daß ihre Fläche eben glatt und poliert erscheint. Es gibt aber auch 
Kollegen, welche sich mit Ernst und Interesse diesem Teil der Behandlung 
widmen und denen es dabei gelingt, in den meisten Fällen den Zahnstein 
vollständig zu entfernen. Daß diese dann ein großes Vertrauen zu ihrer 
Arbeitsmethode erhalten und zu deren Vortrefflichkeit, ist nicht weiter ver¬ 
wunderlich. Sie meinen, daß man immer eine Zahnwurzel von Zahnstein 
vollständig reinigen kann, wenn man nur mit Ernst und Genauigkeit seine 
Arbeit ausführt, denn mit dem Reinigungsinstrument meinen sie jede Un¬ 
ebenheit der Wurzelfläche fühlen zu können." 

„Die bei meinen plastischen Operationen gemachte Erfahrung hat mich 
aber doch gelehrt, daß der geschickteste Zahnarzt auch nach einer sehr ge¬ 
wissenhaften Reinigung der Zahnwurzel noch Konkremente an derselben 
zurückläßt. Ich habe solche Fälle von Pyorrhoe gehabt, welche von tüchti¬ 
geren Kollegen zu mir zwecks operativer Behandlung remittiert worden sind. 
Der Kollege hatte erst die instrumentelle Reinigung ausgeführt." 

Diese Ausführungen Widmans bestätigen durchaus die von 
mir in den obenerwähnten sechs Punkten aufgestellten Forde¬ 
rungen, das heißt, nur die radikal-chirurgische Behandlung allein 
kann zur definitiven Heilung der Alveolarpyorrhoe führen. 


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Die radikal-chirurgische Behandlung der Alveolarpyorrhoe 


11 ' 



Fi*. 5 


Klare Übersicht über das ganze Krankheitsbild. Schleimhaut und Periost mit dem scharfen Neumannschcn Haker 
hochgehalten. Man sicht deutlich, besonders zwischen den mittleren Schneidezähnen, die Granulationen lieger 


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120 


Professor Robert Neumann 


Verfolgt man die Literatur über die chirurgische Behandlung der Alveolar* 
pyorrhoe, so ist es interessant zu sehen, wie alle Autoren, die sich ernstlich 
klinisch mit dem Bilde der Alveolarpyorrhoe beschäftigt und über die Be^ 
handlung derselben berichtet haben, für eine wirklich erfolgreiche Behandlung 
neben anderen therapeutischen Maßnahmen eine chirurgische Behandlung zur 
Vernichtung des Granulationsgewebes bzw. der Zahnfleischtasche und des 
veränderten Knochengewebes für unbedingt erforderlich erachten. 

Betrachtet man aber diese Operationsmethoden genauer, so sieht man so* 
fort, daß es mit diesen Methoden niemals möglich ist, das zu erreichen, was 
Widman und ich mit unserer Methode sicher erreichen können. 

Sehen wir uns die neueste Literatur nach dieser Richtung durch, so finden 
wir zunächst Angaben von Port und Euler: 

„Die Alveolarpyorrhoe ist eine aufsteigende chronische Wurzelhauterkran* 
kung, verbunden mit Zerstörung des knöchernen Zahnfaches. Sie vollzieht 
sich unter Umwandlung der Gewebe in Granulationen nnd unter mehr oder 
minder reichlicher Eiterbildung." 

„Wenn ein Symptom wirklich untrennbar von der Alveolarpyorrhoe ist, 
so trifft dies auf die Granulationen zu. Ihrer Anwesenheit hat die ebenfalls 
als ständiges Symptom bezeichnete Zahnfleischtasche das Entstehen zu ver* 
danken. Durch Umwandlung der Wurzelhaut in das schwammige Granu* 
lationsgewebe geht der Anschluß an den Zement verloren, und so entsteht 
eben die Tasche, das Pus pocket <A. Tövis>." 

„Die Beseitigung der Granulationen wird sowohl auf medikamentösem 
wie chirurgischem Wege angestrebt. Daß gerade dieser Teil der Therapie 
neben der Beachtung des Zahnsteines eine besondere Rolle spielen muß, wird 
ohne weiteres klar, wenn man sich erinnert, was über die Bedeutung der 
epithelialisierten Granulationsgewebe für die Hartnäckigkeit des Leidens an 
früherer Stelle gesagt wurde. Am energischsten wirken wohl die chirurgischen 
Methoden. Sie bestehen im Spalten der Zahnfleischtaschen, gründlicher Ex* 
kochleation, dann Exzidieren eines Stückchens der Tasche in Bogenschnitten, 
Skarifikationen, ferner in ausgiebiger Verwendung des Thermokauters." 

Ferner sagt Kranz: 

„Erfolge ohne eine gründliche chirurgische lokale Behandlung habe ich nie 
gesehen, wohl aber Fälle, die ohne jede medikamentöse Beihilfe lediglich nach 
gründlicher Lokalbehandlung verheilt sind. Die chirurgische Lokalbehandlung 
ist also die Grundbedingung für einen Heilerfolg bei allen pyorrhoischen Zu* 
ständen." 

Cohn äußert: 

„Die Pyorrhoea alveolaris ist keine Erkrankung des Zahnfleisches allein, 
sondern es sind hierbei auch der umgebende Knochen und das Periodontium 
beteiligt. Die hervortretenden Symptome dieser Affektion im vorgeschrittenen 
Stadium sind: Entleerung des Eiters aus den Zahnfleischtaschen, die Locke* 
rung der Zähne und die Nekrose des Processus alveolaris." 

„ . . . Ferner ist empfehlenswert, den Knochen nach Spaltung des Zahn* 
fleisches mit einem scharfen Löffel auszukratzen und die Wunde mit Jodo* 


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Die radikal-chirurgische Behandlung der Alveolarpyorrhoe 


Fig. 6 

Der Knochen ist wie in Figur 15 aigegcbcn abgetragen. Die zwischen den Zähnen besonders an der medialen 
Seite vom linken oberen Sehneideiahn liegenden tiefen Knocheabuchten sind beseiiigt, die Zahnwurzeln 
von den feinsten Teilchen Zahnsteins befreit und spiegelglatt poliert 


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122 


Professor Robert Neumann 


formgaze zu tamponieren. An Stelle der Ätzmittel ist der Galvanokauter 
sehr zu empfehlen/' 

Seidel schreibt: 

„Da die chronische Zahnfleischeiterung <AlveoIarpyorrhoe> hauptsächlich 
in der Lösung der Verbindung von Gingiva und Periodontium <Ligamentum 
circulare) besteht, muß die Therapie eine neue Verbindung zwischen diesen 
Geweben an einer den Wurzelspitzen nähergelegenen Stelle anstreben. So* 
lange Kalkkonkremente und Epithel in der Tasche sind, wird das nicht zu 
erreichen sein, denn das Epithel wird durch kein Wundermittel zur Ver* 
wachsung mit der Kalkkruste oder mit der Zahnkruste zu bringen sein. Es 
muß sich wieder Bindegewebe der Wurzelhaut mit dem Bindegewebe der 
Gingiva vereinigen können und dann eine Überhäutung mit Epithel statt* 
finden, wenn von einer Heilung die Rede sein kann. Alle Behandlungs* 
methoden, die auf Beseitigung des in die Zahnfleischtasche hineingekletterten 
Epithels und der Kalkkonkremente oder auf Beseitigung der Tasche selbst 
beruhen, können zum Ziele führen. Alle Methoden der Behandlung der 
Alveolarpyorrhoe, die dieser Grundlage entbehren, sind bereits theoretisch 
nicht anwendbar." 

Gottlieb sagt <1918): 

„Wie schon gelegentlich der Besprechung der Ätiologie erwähnt wurde, 
ist die einzig befriedigende Heilungsart einer Tasche die Atrophie der Schleim* 
haut, die sie bildet. Kehrt die Eiterung immer wieder, so ist das ein Zeichen 
dafür, daß die primäre Knochenatrophie in vollem Gange ist oder daß die 
chronische Entzündung sich zu sehr festgesetzt hat. Im letzteren Falle ist 
meist der Zahnfleischrand verdickt, entzündlich induriert, und setzt sich mit 
scharfer Linie gegen die rosafarbenen Partien ab ohne die geringste Tendenz 
zur Rückbildung. Diese Taschen bildenden Zahnfleischpartien müssen mit 
dem Messer, Galvanokauter oder, besonders in den Interdentalpapillen, durch 
wiederholte Ätzung mit Na 2 0 2 entfernt werden." 

Greve betont <1919): 

„Das ganze therapeutische Streben muß nunmehr darauf gerichtet sein, 
die Granulationen und die Zahnfleischtasche zu zerstören. Einzig und allein 
die chirurgische Behandlung durch Auskratzung führt zum Ziel. Vergegen* 
wärtigt man sich die Bedeutung der epithelialisierten Granulationen, so kann 
ja gar kein anderer Weg in Frage kommen. Nun ist es aber mit dem Zer* 
stören der Granulationen allein nicht getan, sondern es muß auch noch die 
Zahnfleischtasche beseitigt werden. Das Ziel der Therapie muß eine straffe 
Narbe und Abheilung des Knochens sein." 

Und 1920 sagt er in seiner Arbeit „Die periodontalen Erkrankungen. 
Eine klinische Untersuchung": 

„Im Anfänge der Behandlung sieht man, wie das entzündete Zahnfleisch 
nach der chirurgischen Behandlung abblaßt, sich zusammenzieht, und daß schein* 
bar normale Verhältnisse sich wieder einstellen. 

Indessen treten bereits bei mittleren Graden der Erkrankung bald wieder 
Rückfälle auf, die darauf zurückzuführen sind, daß entweder die Atrophie 


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Die radikal-chirurgische Behandlung der Alveolarpyorrhoe 


123 


weitere Fortschritte macht, oder, daß die Tasche im Grunde nicht ausgeheilt 
ist und sich von neuem infiziert. Da bleibt dann nichts anderes übrig als das 
Zahnfleisch selbst so weit unter Lokalanästhesie mit Messer und Schere oder 
auch mit dem Thermokauter abzutragen, bis es mit dem Alveolarrande fast 
in gleicher Höhe steht. Die dadurch erfolgte Bloßlegung der Zahnwurzeln 
hat nicht nur nichts zu bedeuten, sondern ist dringendes Erfordernis, weil nur 



Fig. 7 

Dieses Bild zeigt den in Fig. 5 und 6 dargcstellten Fall 14 Tage nach der Operation. Zwischen 32J wurde 
1 Tag vor der photographischen Aufnahme ein kleiner Wulst mit dem Kauter glatt gebrannt 

so auch die tieferliegenden Knochenteile einer ausgiebigen Behandlung zu^ 
gängig sind. 

Man muß bestrebt sein, dahin zu gelangen, daß man etwa den Zustand 
herbeiführt, wie ihn die gewöhnliche Alveolaratrophie darstellt, das heißt, 
also zwar geschwundene Alveolarränder, aber dem Knochen fest anliegende 
Weichteile." 


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124 


Professor Robert Neumann 


Römer will eine vollständige Zerstörung und Beseitigung der Granu- 
lationen erreichen, indem er nach Beseitigung des Zahnsteins die Zahnfleisch¬ 
taschen mit dem Paquelinschen Thermokauter energisch ausbrennt — eine 
Methode, die auch Julius Witzei geübt hat. 

Andere Autoren, z. B. Berten, spalten das Zahnfleisch in der Längst 
richtung der Wurzel und versuchen nun sorgfältigste Entfernung des ver¬ 
änderten Gewebes. Wieder andere Autoren, z. B. Sachs, versuchen von 
der Zahnfleischtasche aus die veränderten Gewebsmassen zu entfernen. Wieder 
andere tragen einen Teil der Schleimhaut und die veränderten Papillen ab, 
indem sie einen horizontalen Schnitt ungefähr in der Gegend legen, wo ge¬ 
sundes Gewebe zu erwarten ist. 

Struck sagt 1914 in einem Vortrage: 

„Ich trage dann rücksichtslos mit dem Messer die mit dem Finger ver¬ 
schiebbaren und hierbei weiß werdenden Schleimhautteile mit den Granu¬ 
lationen ab. Zuerst hebe ich die zwischen den Zähnen liegenden Papillen 
durch einen kurzen Stoß mit dem Messer ab, während die darunterliegenden 
Teile der Schleimhaut durch einen horizontal geführten tiefen Schnitt von 
der Unterlage <unter Schonung des Periosts und des Knochens) abgetrennt 
werden.'" 

In der sich an diesen Vortrag anschließenden Diskussion erwiderte Cie- 
szynski darauf: 

„Eine stärkere Betonung einer chirurgischen Behandlung bei der Pyorrhoea 
alveolaris von Herrn Struck hat manches für sich. Jedoch vermissen wir 
auch hier den leitenden Grundgedanken, der auch den operativen Weg vor¬ 
schreiben würde. Bei diesen chirurgischen Maßnahmen müßte man darauf aus¬ 
gehen, einen günstigen Zugang zur Beseitigung des Zahnsteins zu schaffen, zur 
Beseitigung der Granulationen, zur Reduktion der Tiefe der Taschen. Die 
Schnittführung müßte derart sein, daß die sich bildenden Narben ein künst¬ 
liches Ligamentum circulare bilden, das allerdings bedeutend tiefer liegen 
würde." 

Ich habe 1915 bereits meine drei Jahre lang vorwiegend geübte Methode der 
chirurgischen Behandlung betont, die darin bestand, daß ich etwa 1 j 2 cm unterm 
Zahnfleischrande einen Bogenschnitt nachPartsch führte, mir nun den Krank¬ 
heitsherd freilegte und alles veränderte Gewebe zu entfernen versuchte. Als¬ 
dann wurde der Schleimhautperiostlappen wieder hochgehoben und vernäht. 

Neben anderen ungünstigen Folgeerscheinungen — zum Beispiel die ein- 
gezogene Narbe nach ausgeführtem Längsschnitt — wird mit allen diesen 
Methoden die Hauptsache nicht erreicht, das heißt eine absolut 
klare Übersicht des gesamten Krankheitsbildes. Legt man den Schnitt 
vertikal in der Richtung der Wurzel, so wird man die Schleimhaut nicht ge¬ 
nügend nach beiden Seiten — die Taschenbildung ist ja doch meist appro- 
ximal — —, soweit es zur Übersicht notwendig ist, abziehen können. Trägt 
man nur Teile der Papillen und des Zahnfleisches ab, so wird man nie mit 
Sicherheit sagen können, daß man alle Buchten und Nischen im Knochen und 
die darin befindlichen mit Epithel durchzogenen Granulationsmassen wirklich 


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Die radikal-chirurgische Behandlung der Alveolarpyorrhoe 


125 


gesehen und behandelt hat. Das gleiche gilt für den Bogenschnitt nach meiner 
Methode, ganz abgesehen davon, daß häufig die noch 1 / A cm starke, nach dem 
Alveolarrande liegende Schleimhautleiste nekrotisch wird. 

Schon 1912 machte ich den Versuch, vom Alveolarrande aus 
Periost und Schleimhaut abzuheben bis zur Wurzelspitze, wor¬ 
über ich bereits in der zweiten Auflage meines Leitfadens „Die 
Alveolarpyorrhoe und ihre Behandlung 1915 berichtete. Die Ver¬ 
suche erstreckten sich aber nur auf zwei bis drei Zähne, und zwar meist auf 
die jeder anderen Behandlungsart sehr schwer zugänglichen Molaren. Die 
guten Resultate, die ich mit dieser Methode erreichte, veranlaßten mich aber, 
bestärkt durch eine private Bemerkung von Schröder 1919, der dasselbe 
Verfahren immer mehr auf ganze Zahngruppen ausgedehnt wissen wollte, 
in einer Sitzung die Operation an sechs Zähnen vorzunehmen. 

Wenn Oestman «Stockholm in seinem Bericht über den von mir in 
Stockholm gehaltenen Kurs über die Alveolarpyorrhoe und ihre Behänd* 
lung sagt: „Interessant war es zu sehen, wie die beiden Autoren Widman 
und Neumann — was sich aus einer Diskussion ergab, ganz unabhängig 
voneinander — zur Vollendung dieser Operationsmethode gekommen wa* 
ren . . . " — wie sie in folgendem beschrieben ist —■, so geht daraus hervor, 
daß Widman und ich, geleitet von denselben Gesichtspunkten, eine Methode 
ausgearbeitet haben, die alle die angeführten Mängel der früheren Behänd* 
lungsmethode ausschaltet. 

Wenn Oestman von einer „Vollendung" der Operationsmethode spricht, 
so muß ich dagegen sagen, daß wir der Vollendung vielleicht nahegekommen 
sind, und daß wir mit der von uns ausgearbeiteten Methode zur Behandlung 
der Alveolarpyorrhoe Erfolge erreicht haben, die mit den bisher geübten 
Methoden niemals erreicht werden können, daß aber noch viel reichere kli* 
nische Erfahrungen nötig sein werden, bis wir von einer „Vollendung" im 
wahren Sinne des Wortes sprechen dürfen. 

Römer sagt in bezug auf die Behandlung der Alveolarpyorrhoe: 

„Diese Therapie hat nicht nur die Aufgabe, die lokale Affektion zu be* 
kämpfen, sondern zugleich auch eine etwa vorhandene prädisponierende All* 
gemeinerkrankung zu bessern und den Kräftezustand und die Widerstands* 
fähigkeit des Gesamtorganismus zu heben." 

„Die lokale Behandlung muß zum Ziele haben: 1. die eingetretene In* 
fektion wieder zu beseitigen, und 2. eine neue Infektion zu verhüten." 

„Da die Mikroorganismen nicht bloß in dem die Wurzel umspülenden 
Eiter, sondern auch in den Granulationen, die in die Markräume des Al* 
veolarfortsatzes hineinragen, eingebettet sind, so wird von vornherein jede 
Behandlung, die nicht zugleich die völlige Beseitigung und Vernichtung dieser 
Granulationen erreicht, erfolglos bleiben müssen, lim aber diese Granu* 
lationen total zu zerstören, ist eine energische Behandlung unerläßlich. Ich 
gehe dabei folgendermaßen vor: 

„Einwurzelige Zähne, die sehr stark gelockert sind, bei denen die Granu* 
lationen schon bis zum Foramen apicale vorgedrungen sind und sich rings 


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126 


Professor Robert Neumann 


um die Wurzelspitze ausgebreitet haben, extrahiere ich gleich mit Beginn der 
Behandlung, da auf ein Wiederfestwerden kaum gerechnet werden kann, selbst 
wenn es gelingt, alle Granulationen in der Tiefe des Fundus alveolaris zu 
vernichten. Desgleichen extrahiert man am bestem gleich diejenigen Molaren, 
bei denen das Periodontium bereits zwischen den Zahnwurzeln an der Bifiir- 
kationsstelle vernichtet und durch Granulationsgewebe verdrängt ist, weil es 
das letztere an dieser fast unzugänglichen Stelle gründlich auszuräumen. So¬ 
dann entferne ich nach Möglichkeit jede Spur von Zahnstein aus den Zahn¬ 
fleischtaschen und von der entblößten Wurzelpartie. Da die mechanische Ent¬ 
fernung mittels Zahnreinigungsinstrumenten allein nicht genügt, bringe ich mit¬ 
tels Platinösen unverdünnte offizielle Ameisensäure in die Blindsäcke hinein, 
um die oft sehr harten Zahnsteinkrusten zu erweichen und mit den Zahn¬ 
reinigungsinstrumenten — der von Senn in Zürich angegebene Satz ist dabei 
sehr zu empfehlen — leichter abkratzen zu können. Immerhin sind sehr viele 
Sitzungen erforderlich, bis es selbst durch Unterstützung der mechanischen Rei¬ 
nigung mit dem chemischen Agens gelingt, jede Spur von Zahnstein aus den 
oft sehr tiefen Taschen zu entfernen und die Zahnwurzel so glatt zu be¬ 
kommen, wie es die Figur zeigt. Ist das geschehen und hat man die genaue 
Übersicht über die Ausdehnung der Erkrankung damit erreicht, dann mache 
ich die zu behandelnde Zahnfleischtasche durch ein paar Kokainkristalle, die 
ich in derselben zergehen lasse, oder durch Injektion von Alypin und Supra- 
renin unempfindlich und zerstöre mit dem Paquelinschen Thermokauter, 
rücksichtslos in die Tiefe gehend, die Granulationen. Hierzu verwende ich 
einen ganz dünnen, gebogenen oder geraden Platinansatz, je nach der Ge¬ 
gend, die ich ausbrennen will. In jüngster Zeit verwende ich statt des 
Paquelin den elektrischen Brenner, der den Vorzug hat, daß er kalt 
eingeführt und erst in der Tiefe des Blindsackes durch Schließung des Kon¬ 
taktes glühend gemacht werden kann. Dieses Ausbrennen wird von den 
Patienten sehr gut ertragen, da es nur wenig Schmerzen verursacht und 
auch die in die Umgebung ausstrahlende Wärme bei der Feinheit des An¬ 
satzstückes nur mäßig ist. Die affizierten Interdentalpapillen werden voll¬ 
ständig weggebrannt. Das hat aber bei der außerordentlich großen Re¬ 
generationsfähigkeit des Zahnfleisches keine nachteiligen Folgen, da sie sich 
nach einigen Wochen einigermaßen wiederherstellen. Finde ich in einer der 
nächsten Sitzungen, daß bei dem erstmaligen Brennen nicht alle Granula¬ 
tionen vernichtet worden sind, so wiederhole ich die Operation ein zweites, 
eventuell auch noch ein drittes Mal. Der einzige Fehler, den man hierbei 
machen kann, ist der, daß man zu zaghaft vorgeht. Ein Zuviel schadet da¬ 
gegen nichts." 

Aus den Verhandlungen der 57. Versammlung des Zentralvereins Deut¬ 
scher Zahnärzte <1920 in Leipzig) geht hervor, daß Römer noch heute diese 
Methode übt. Es heißt dort in dem Bericht über die praktischen Demon¬ 
strationen im Zahnärztlichen Institut der LIniversität: 

„Herr Römer demonstriert das Zerstören des Granulationsgewebes in 
den Zahnfleischtaschen bei Alveolarpyorrhoe mittels des elektrischen Thermo- 


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Die radikaUcfiirurgische Behandlung der Alveolarpyorrhoe 


127 



Fig. 8 


kauters und berichtet dabei über seine Erfahrungen, die er seit zwanzig Jahren 
mit dieser Behandlung gemacht hat. Beim Wegbrennen der Taschen legt er 
Wert darauf, daß die elektrische Drahtschlinge nicht vertikal, sondern hori- 
zontal appliziert wird. Denn da sehr häufig die 
Bindegewebszüge des Periodontiums sehr wesent- 
lieh verlängert sind auf Kosten der schwindenden 
Knochenbälkchen, und dadurch der Querdurch¬ 
messer der Alveole sehr vergrößert wird, so 
kann man bei vertikaler Applikation der glühen¬ 
den Drahtschlinge sehr leicht zwischen Knochen 
und Zahnwurzel in gesundes Periodontium ein- 
dringen und den dadurch noch übriggebliebenen 
Teil der knöchernen Alveolarwand gefährden und 
den obersten Teil zur Nekrose bringen . . 

Die Erklärung dafür, daß immer noch die genannten Methoden, insbe¬ 
sondere die von Römer empfohlene, von vielen Praktikern geübt werden, 
ist darin zu suchen, daß weder klinisch <nach 
breiter Freilegung des Krankheitsherdes), noch 
röntgenologisch, noch auch pathologisch-anato¬ 
misch die Verhältnisse am Knochen genügend 
studiert und erkannt sind, die wir tatsächlich 
bei der Alveolarpyorrhoe täglich beobachten 
können. 

Betrachten wir uns die Kieferschnitte Fig. 1, 

2, 11 und 12 und Röntgenbilder Fig. 8 — 10, 
so sehen wir, daß die Knocheneinschmelzung 
am Zahnhalse sehr gering ist — etwa 1 — 3 4 mm —, daß dann etwa 3 mm 
vom Zahnhalse entfernt die Knocheneinschmelzung kolbig nach der Wurzel¬ 
spitze zu erweitert fortschreitet. Wenn nun behauptet wird, daß der 
Knochen nicht angegriffen werden soll, so müßte notwendiger¬ 
weise der Kauter in der unter sich gehenden 
Knochenhöhle arbeiten, um die Granula¬ 
tionen wirklich restlos zu fassen und zu ver¬ 
nichten. Daß das praktisch nicht möglich 
ist, bedarf nach Durchsicht der oben be- 
zeichneten und noch anderer Kieferschnitte, 
die ich in dreijähriger Arbeit bei Herrn 
Dr. Weski studieren konnte <s. Heft I dieser 
Zeitschrift),* und nach sorgfältiger Beobach¬ 
tung der gleichen Verhältnisse im Röntgen¬ 
bilde kaum noch eines weiteren Beweises. 

Selbst angenommen, der Kauter könnte die Granulationen in den Nischen 
restlos entfernen, so wäre damit praktisch noch nichts erreicht. Ich schließe 
mich der Auffassung Weskis darin voll an, daß: „da eine ideale Hygiene 
der vertieften Tasche nicht durchführbar ist, die rezidivierenden chronischen 


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Fig. 10 


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Professor Robert Neumann 


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Entzündungen der Taschenoberfiäche stets von neuem auf das Periost über¬ 
greifen, von hier aus den Knochen zur Einschmelzung bringen und so den 
Circulus vituosus weiterführen" werden. 

Gerade dieses Hin- und Hertasten im Dunkeln zeigt deutlich, daß zum 
mindesten die Formen der Alveolarpyorrhoe weit mehr röntgenologisch be¬ 
obachtet werden müßten. 

Sehr richtig hat Struck schon 1914 den Wert des Röntgenbildes erkannr, 
wenn er sagt: 

„Dann wird mit Hilfe der Röntgenstrahlen einzig und sicher festgestellt, 
ob die Pyorrhoe oberflächlich oder tiefgehend ist. Dies diagnostische Hilfs¬ 
mittel ist so wertvoll für die Beurteilung der Pyorrhoe, daß ich es nicht mehr 
entbehren möchte. Es erleichtert mir nicht nur die Angabe der Therapie, ja 
es erleichtert mir auch die Zustimmung meines Patienten zur Behandlung zu 
erlangen, da er im Röntgenbilde selbst die Bestätigung für die Behauptung 
findet, daß die Krankheit für die Zähne und den ganzen Mund mehr oder 
weniger gefährlich ist. Man kann ruhig sagen: wer nicht das Röntgenbild 
zur Beurteilung der Pyorrhoe heranzieht, tappt im Dunkeln. Das Röntgen¬ 
bild sagt mir, ein wie großer Teil der Wurzeln der Alveolarbedeckung ent¬ 
behrt, ob der darunterliegende Knochen noch gesund oder schon von Granu¬ 
lationen durchwuchert ist. Auch die kleinsten zurückgebliebenen Zahnstein¬ 
partikelchen verrät das Röntgenbild/' 

Da es sich bei der Alveolarpyorrhoe, wie eingangs erwähnt, immer um 
die beschriebenen Veränderungen im Knochen handelt, so ist die Bedeutung 
des Röntgenbildes für Diagnose, Prognose und Therapie der Alveolar¬ 
pyorrhoe von vornherein gegeben, und es werden allein genaue röntgenolo¬ 
gische Beobachtungen genügen, um den Beweis für die oben aufgestellten 
Behauptungen zu erbringen. 

Indessen geht gerade aus der zwischen mir und Widman in 
Stockholm stattgefundenen Diskussion hervor, daß doch noch 
viele Fragen bis zur Vollendung der Operationsmethode geklärt 
werden müssen. Es soll daher im folgenden zu den einzelnen 
Punkten der Diskussion kritisch Stellung genommen werden. 

Oestman sagt in seinem schon obenerwähnten Bericht über meinen 
Stockholmer Kurs: 

„Widman operiert immer radikal, Neumann dagegen nicht immer, weil 
er aus seiner klinischen Erfahrung weiß, daß in vielen Fällen nur mit lokaler 
Behandlung gute Resultate zu erzielen sind. Neumann hält die radikale 
chirurgische Behandlung für nötig und indiziert bei der ausgedehnten ver¬ 
tikalen Atrophie <Weski-Berlin unterscheidet eine horizontale und eine 
vertikale Atrophie) insbesondere dann, wenn sie sich nach der Wurzelspitze 
zu sackartig erweitert und sich auch bis um die Wurzelspitze erstreckt. Aber 
auch bei horizontaler Atrophie, wenn sie über die Hälfte der Alveole fort¬ 
geschritten ist, hält er die radikal-chirurgische Behandlung für indiziert. Wäh¬ 
rend Widman immer nicht nur labial bzw. bukkal, auch lingual resp. pala¬ 
tinal auf klappt, hält Neu mann diese Aufklappung nicht immer für nötig, 


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Die radikal* chirurgische Behandlung der Alveolarpyorrhoe 


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Fig. 12 


v. Giesonlärbung. 

Vergrößerung 10:1 des Bildes Fig. 2 
zur Darstellung der Knochennischc. 

a Zahnstein an der palatinalen Flädhc des 
Zahnes bis tief in die Nische hineinreichend. 

b Bindegewebsfaserzüge. 

c Epitheldurchwachscnes Granulationsgewebe. 

d Entzündetes Knochenmark in der Umgebung 
des in Resorption befindlichen Knochens. 


u Zahnstein in der Zahnfleischtasche. 

b Ansatz des Ligamentum circulare. Man ver^ 
gleiche damit Figur 11, beider diese Partie 
vom Zahne abgelöst ist, so daß an dessen 
Rückseite sich Zahnstein ansetzen konnte. 
Unter der Insertionsstelle des Ligamentum 
circulare befindlkhe durch unterminier 
rende Entzündung entstandene Abszeß*- 
höhle, in der die Fortsetzung der palatinal 
gelegenen Nische zu sehen ist. 

c Epitheldurchwachsene Granulationen. 

d Abszeßhöhle. 


Die Bilder Fig. 11 und 12 sind aus der Arbeit von Dr. Wcski aus Heft 1 dieser Zeitschrift entnommen. 




Vierteljahrsschrift für Zahnheilkunde, Heft 2 


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130 


Professor Robert Neumann 


da nach seiner Ansicht die Granulationsbildung und Zerstörung des Knochens 
auch nur labiaUapproximal liegen kann." 

Aus den genauen klinischen Beobachtungen hauptsächlich, wie ich sie noch 
weiter unten besprechen werde, darf gefolgert werden, daß die Forderung 

Widmans, immer radikal zu operieren, nicht nur 
zu weit geht, sondern daß sie sogar unter Umstän^ 
den eher eine Schädigung als einen Nutzen für den 
Patienten bedeutet. 

Betrachtet man nämlich bestimmte Fälle von 
Alveolarpyorrhoe klinisch ganz genau, so wird 
man in diesen Fällen an der palatinalen bzw. lin- 

§ ualen Seite ganz festen Knochen finden und keine 
pur vor einer Zahnfleisch^ oder Kiefertasche. Be^ 
sonders an den Molaren findet man dann sehr 
häufig, daß wohl z. B. an der medialen Seite der 
Wurzel eine tiefe Tasche vorhanden ist, ebenso 
an der bukkalen, so daß fast die ganzen Wurzeln freiliegen, daß dagegen 
palatinal die Schleimhaut straft und fest an den Zähnen anliegt, daß infolge^ 
dessen der Zahn noch so fest steht, daß er zum Kauen benutzt werden 
kann. Diese Verhältnisse kann man mit der von Weski angegebenen 

Methode der Guttaperchasondierung, d. h. durch 
Einführung von Guttaperchapoints in die Zahn^ 
fleischtaschen, röntgenologisch genau feststellen. 
Man sieht dann, wie weit ein solcher Point in die 
Tiefe geht, d. h. wie tief die Taschenbildungen an den 
einzelnen Seiten der Zähne sind <Fig. 13 und 14). 

Der Einwand, daß man palatinal die Tiefe der 
Taschen im Röntgenbilde nicht feststellen kann, 
läßt sich durch diese Methode widerlegen. Führt 
man nämlich den Guttaperchapoint palatinal ein 
bzw. läßt er sich überhaupt einführen, so ist natür^ 
lieh röntgenologisch genau so wie an den approxU 
malen Seiten die Tiefe der Taschen durch einen 
eingeführten Point genau festzustellen <Fig. 13 a und 14 d). 

Man muß sich also fragen, darf man palatinal bzw. lingual den vorhan^ 
denen Halteapparat chirurgisch angreifen? Kann nicht durch eine Operation 
diese noch vorhandene Festigkeit des Zahnes stark beeinflußt werden? Zum 
mindesten kann man mit Bestimmtheit aus diesen Ausführungen folgern, 
daß die Forderung, immer radikal zu operieren, nicht gerechtfertigt ist, da 
die Voraussetzungen, die Widman und auch mich zur Ausarbeitung der 
radikaUchirurgisdhen Behandlung veranlaßt haben, in solchen Fällen gar nicht 
vorhanden sind. 

Oestman sagt dann weiter: 

„Widman macht immer eine Resektion des Zahnfleisches bis zum ge^ 
sunden Periodontium, während dies Neu mann nicht immer für nötig hält." 




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Die radikal-chirurgische Behandlung der Alveolarpyorrhoe 


131 



Fig. 15 

Schleimhaut u. Periost 
vom Knochen abgelöst. 

a Schnittführung. 
b Richtige Knochenab¬ 
tragung. 

Die Schleimhaut muß 
entsprechend cf. Linie a 
arkadenförmig abgetragen 
werden, cf. Fig. 17. 



Fig. 17 

a Zahnfleischgrenze 
vor der Operation. 
b Zahnfleischgrenzc 
nach d.Operation. 

Der schraffierte 
Teil der Schleimhaut 
w'urde arkadenförmig 
abgetragen. 


Fig. 16 

a Richtige Knochen¬ 
abtragung. 

b Falsche Knochen¬ 
abtragung. 


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132 


Professor Robert Neuniann 


Es unterliegt keinem Zweifel, daß man in allen Fällen von vertikaler 
Atrophie, die nur etwa ein Drittel der Alveole zerstört hat, durch lokale 
Behandlung ohne Aufklappung und ohne Abtragung der Schleimhaut, ins¬ 
besondere durch Kyrettage ausgezeichnete Resultate erreicht hat, und daß 
die Schleimhaut narbig schrumpft und sich fest um den Zahn anlegt. Ich 
habe solche Fälle — die ich jetzt elf Jahre unter Beobachtung habe — in 
Fortbildungskursen vorgestellt und bewiesen, daß keine Taschenbildung mehr 
vorhanden und somit auch keine Eiterung mehr nachzuweisen war. 

Daraus ergibt sich, daß eine Abtragung des Zahnfleisches bis zum „ge¬ 
sunden Periodontium" nicht immer nötig ist, man wird vielmehr bei der Ab¬ 
tragung der Schleimhaut individualisieren müssen. Ist z. B. der Knochen bis zum 
unteren Drittel der Wurzel geschwunden und steht die Schleimhaut noch fast 
bis zum Zahnhalse hoch, so wird man selbstverständlich einen Teil der Schleim¬ 
haut abtragen müssen, um die Tasche zu beseitigen, d. h. man wird nur soviel 
Schleimhaut stehen lassen, daß der Knochen von Schleimhaut noch bedeckt ist, 
und daß nach narbiger Schrumpfung der Schleimhaut jener Zustand erreicht 
wird, der in den oben von mir beobachteten und erwähnten Fällen nach 
lokaler Behandlung ohne Abtragung der Schleimhaut eingetreten war. 

Ich habe diese Verhältnisse an einem Fall von horizontaler Atrophie in 
den Bildern Fig. 15—17 darzustellen versucht. 

Oestman sagt dann weiter: 

„Neumann steht weiter auf dem Standpunkt, daß man immer zuerst 
eine Schienung machen soll und dann erst operieren soll, wenn man beides 
für nötig hält, während Widman umgekehrt verfährt, weil er meint, 
daß durch eine vorhandene Schiene die Übersicht gestört wird/' 

Hier handelt es sich um die Klarstellung einer für den ganzen Erfolg 
außerordentlich wichtigen Frage. Ich stehe auf dem Standpunkt, daß ein 
Haupterfordernis für den Erfolg, d. h. für eine Vernarbung und Heilung 
nach breiter Freilegung des Krankheitsherdes und nach Auskratzung der 
Granulationsmassen ist, daß die mehr oder weniger stark gelockerten Zähne 
vor oder sofort nach der Operation immobilisiert werden, d. h. daß ein Hin- 
und Herbewegen beim Kauen oder auch schon beim Sprechen vollständig 
ausgeschlossen ist, damit nicht durch diese Hin* und Herbewegungen das 
sich bildende Narbengewebe immer wieder zerrissen werden kann und somit 
der Heilungsvorgang erschwert bzw. verhindert wird. Je sicherer und 
ruhiger die Zähne sofort nach derOperation gestellt worden sind, 
desto rascher und schneller wird die Vernarbung eintreten. 

Wenn Widman sagt, daß die Übersicht durch eine Schienung bei der 
Operation gestört wird, so muß dem entgegengehalten werden, daß bei einer 
zweckmäßigen Schienung — worunter ich jene Schienung verstehe, die die 
Interdentalräume absolut freiläßt, also höchstens bis zum Abschluß in die 
Höhe des Tuberkulums der Zähne reicht — für einen geübten Operateur 
niemals ein Hinderungsgrund sein darf, die Schienung vor der Operation 
vorzunehmen. Ein geübter Operateur wird genau so arbeiten können, wenn 
eine Schiene nach dem Rheinschen, Mamlokschen oder Witkowskischen 


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Die radikaUchirurgische Behandlung der Alveolarpyorrhoe 


133 


Prinzip richtig angelegt ist, als wenn keine Schienung vorhanden ist. Es muß 
im Gegenteil betont werden, daß es sich viel sicherer und besser arbeiten 
läßt an fest fixierten Zähnen als an losen Zähnen. Es ist außer Zweifel, 
daß bei tiefen Knochenzerstörungen die Gefahr besteht, daß nicht geschiente 
Zähne bei der Operation noch weiter gelockert werden können. 

Als Beispiel möge folgender interessante Fall aus der Praxis erwähnt 
werden. 

Ein von mir behandelter Patient von außerhalb, der mir zur Behandlung 
von einem Kollegen überwiesen worden war, konnte infolge der kurzen Zeit, 
die ihm für den Aufenthalt in Berlin zur Verfügung stand, von mir nicht 
geschient werden. Er wurde daher nach der Operation im Oberkiefer mit 
der Weisung entlassen, sich umgehend eine Schiene im Oberkiefer anfertigen 
zu lassen, die sämtliche Zähne umfaßte. Entgegen meinen Weisungen fer¬ 
tigte aber der Zahnarzt die Schiene im Oberkiefer in drei Teilen an, so daß 
das, was ich für unbedingt erforderlich hielt: eine Immobilisierung sämtlicher 
Zähne durch einen einheitlichen Apparat, nicht ausgeführt worden war. 

Interessant ist nun der Bericht, den mir der Patient nach Abschluß der 
Behandlung zugehen ließ und der deutlich zeigt, daß die sachgemäße Immo¬ 
bilisierung der Zähne zum mindesten bald nach der Operation gefordert 
werden muß. Der Patient schreibt u. a.: 

„Ich empfand die ganze Zeit her immer und immer wieder an den ope¬ 
rierten Zähnen, besonders des Nachts, ein nagendes Gefühl, als ob noch ein 
Krankheitskeim vorhanden wäre. Der behandelnde Zahnarzt erklärte mir 
aber, es sei keine Spur der Krankheit mehr vorhanden. Mehr und mehr 
stellte ich in den letzten Wochen die Ursache dieses Gefühls fest: die vor¬ 
deren Zähne gaben infolge der geteilten Brücke beim Zusammenbeißen nach 
und verübten auf diese Weise einen Druck auf das Zahnfleisch. Die obere 


Zahnreihe steht jetzt 
merklich vor, und zwi¬ 
schen den beiden 
Schneidezähnen hat 
sich eine ziemliche 
Lücke gebildet.Ichstelb 
te mich einem Freunde 
von mir, der Zahnarzt 
ist, vor. Auch er fand 
dieOperation glänzend 
gelungen und war ganz 
begeistert von dem Er¬ 
folg. Auch er erklärte 
mich für gesund und 
anerkannte auch die 



sehr gute technische 

Arbeit des hiesigen Kollegen. Nur war es ihm unbegreiflich, daß die Brücke 
nicht in einem Stück, wie von Ihnen vorgeschrieben, gearbeitet war. Das 


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134 


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ihm beschriebene Gefühl führte er nur auf diesen Umstand zurück, und er 
riet mir, die beiden Teile unbedingt durch eine Schiene verbinden zu lassen, 
damit das Gebiß einen festen Halt bekäme und die Zähne nicht weiter nach 
vorn auseinandergetrieben würden." 

Diese sorgfältigen Beobachtungen und Angaben des Patienten zeigen deut¬ 
lich das Resultat, wenn die Schienung entweder gar nicht oder nur unvolU 
kommen ausgeführt wird. 

Auf der anderen Seite wird es natürlich Fälle geben, wo eine Schienung vor 
der Operation ausgeschlossen ist, wie es z. B. folgender Fall Fig. 18, 19 und 

20 zeigt. Die Zähne 1[1 
mußten entfernt werden, 
teils weil die Atrophie des 
Knochens schon sehr w r eit 
vorgeschritten war, teils 
weil die Patientin aus kos¬ 
metischen Gründen dieEnt- 
fernung unter allen Um¬ 
ständen verlangte.Es mußte 
dann der Alveolarrand 
2 111 2 abgetragen und 
geglättet werden, die 
Schleimhaut wurde über 
den Knochen gedeckt <Fig. 
19 >. 

Würde man jetzt eine Schiene angefertigt haben, so würde diese nach 
Vernarbung und Ausheilung der Extraktionswunde bzw. Operationswunde 

nicht mehr fest an dem 
Kiefer angeschlossen 
haben. Es wurde da¬ 
her folgendermaßen 
verfahren: 

Es wurde der 
Krankheitsherd von 
Bikuspis zu Bikuspis 
freigelegt und die 
Schnittführungaufdem 
Alveolarkamm nach 
Extraktion von Ul 
zwischen den Schneide¬ 
zähnen weitergeführt. 
Die Granulations-und 
veränderten Knochen¬ 
massen um 3 212 3 wurden entfernt, die scharfen Alveolarränder zwischen 2J2 
wurden abgetragen und geglättet, die Schleimhaut seitlich vernäht und der 
Alveolarkamm zwischen 212 durch die Schleimhautnaht gedeckt. Vor dieser 




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Die radikal-chirurgische Behandlung der Alveolarpyorrhoe 


135 



Fig. 21 

Die punktierte Linie zeigt die richtige Knochenvorbereitung 


c c c c c c c 




Fig. 23 

Richtige Knochenabtragung, b Falsche Knochenabtragung. 

abgetragen werden müssen 


c Knochenteilchen, die 


b Fig. 22 

a Richtige Knochenabtragung, b Falsche Knochenabtragung, c Knochenspitzen, die 
abgetragen werden müssen 

c c c c c c 


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136 


Professor Robert Neumann 


Operation waren aber die Zähne schon für die Schienung vorbereitet worden, 
so daß sofort nach eingetretener Vernarbung und Heilung, die nach drei 
Wochen erfolgte, die Dauerschiene eingesetzt werden konnte <Fig. 20). 

In solchen Fällen ist es ratsam, die Patienten provisorisch eine Zelluloid* 
schiene tragen zu lassen, damit die Zähne während des Heilungsprozesses 
absolut ruhig gestellt sind. Die Zelluloidschiene kann dann jeden zweiten 
Tag durch den behandelnden Zahnarzt herausgenommen und gesäubert 
werden, oder der Patient kann sie auch selbst wieder herausnehmen, säubern 
und wieder einsetzen. 

„Widman unterscheidet zwei Arten von Schnitten, Gruppenschnitte und 
Gingivalschnitte. Die Gruppenschnitte gehen vom Zahnfleischrande aus und 
ziehen divergierend gegen die Wurzelspitzen hin <cf. Fig. 4,5,6,15 und 16). 
Jede Gruppe faßt nur drei Zähne an." 

Auf meine Frage in der Diskussion, warum Widman immer nur drei 
Zähne anfaßt, erklärte er mir, daß der Lappen sonst zu groß würde, und 
daß er für die Ernährung des Lappens fürchte. Ich hielt ihm entgegen, 
daß er doch im Unterkiefer an sechs Frontzähnen operiere, wie ich es im 
Oberkiefer an sechs Frontzähnen gleichzeitig täte. Er begründete darauf sein 
Verfahren damit, daß die Entfernung im Unterkiefer von Eckzahn zu Eck* 
zahn geringer sei als im Oberkiefer, somit auch der Lappen kleiner werde 
und deshalb eine Gefahr für die Ernährung nicht bestünde. 

Demgegenüber betonte ich, daß die Entfernungsdifferenz von Eckzahn zu 
Eckzahn im Unterkiefer und im Oberkiefer sehr gering sei, so daß ich nicht 
verstehen könnte, daß dieser geringe Unterschied für die Ernährung des 
Lappens von solcher Bedeutung sein solle, und daß vor allem meine kli* 
nischen Fälle, deren ich weit über hundert operiert und beobachtet habe, be* 
weisen, daß stets der Lappen glatt per primam anheilte, wenn ich von Eck* 
zahn zu Eckzahn und von Eckzahn zu Weisheitszahn im Oberkiefer in 
einer Sitzung operierte. 

Praktisch ist dieser Unterschied von größter Bedeutung insofern, als man 
nach Widman dem Patienten, wenn er an allen Zähnen operiert werden 
muß, zwölf Operationen zumuten muß, während ich den ganzen Ober* und 
Unterkiefer in sechs Operationen erledigen kann. 

Aus der klinischen Erfahrung wissen wir, daß die horizontale Atrophie 
prognostisch günstiger zu bewerten ist als die vertikale Atrophie. Daraus 
lassen sich für die Praxis wichtige Folgerungen ziehen. 

Ich habe am Schädel Fig. 21—25 die Verhältnisse darzustellen ver* 
sucht, wie sie sich dem Auge nach breiter Freilegung des Krankheitsherdes 
häufig darbieten. Es ergibt sich daraus, daß man durch die Operation ver* 
suchen muß, die vertikale Atrophie soweit als möglich in eine horizontale um* 
zuwandeln, wie ich es in Fig. 6 dargestellt habe. Die bei Fig. 21—25 c an* 
gedeuteten Knochenbuchten, Knochennischen müssen beseitigt, Knochenkanten 
und Knochenspangen müssen abgetragen und der Knochen muß mit geeigneten 
Instrumenten — eventuell, wie es Widman vorschlägt, auch mit Bohrern — 
geglättet werden, bis man den Zustand wie in Fig. 6 und 16 erreicht hat. 


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137 


Wenn hier die Schleimhaut nach sorgfältigster Entfernung der Granulationen 
vernäht wird, so hat man den Idealzustand erreicht, der notwendig ist, um 
eine sichere Heilung zu erzielen. 


c c c c c c c 



a b c 


Fig. 24 

a Richtige Knochenabtragung. b Falsche Knochcnabtraguog. 
c Knochenspitzen, die abgetragen werden müssen 



& Fig. 25 

a Richtige Knochenabtragung, b Falsche Knochenabtragung. 
c Knochenspitzen, die abgetragen werden müssen 


Wenn behauptet wird, daß der Knochen bei der Operation 
überhaupt nicht berührt werden darf, weil diese Knochenteile 
noch regenerationsfähig sind, so muß dem entgegengehalten wer-- 
den, daß doch diese so feinen Knochenspitzchen und Knochen¬ 
spangen, wie ich sie in den Bildern Fig. ZI — 25 gezeigt habe 
und wie es im Röntgenbilde Fig. 26 zwischen den Schneidezähnen 


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138 


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zu sehen ist, niemals regenerationsfähig sein können, daß sie im 
Gegenteil immer wieder die Gefahr des Fortschreitens der Kno- 
chenveränderung in sich bergen. 

Wenn ferner eingewandt wird, man 
könne bei lokaler Behandlung ohne Auf- 
klappung den Knochen schonen, so muß 
dagegen gesagt werden, daß man bei lo- 
kaler Behandlung ohne Aufklappung, wo 
man also nur im Dunkeln arbeitet, in 
allererster Linie wahllos Knochenteile 
mit entfernen und vielleicht wieder neue 
Buchten schaffen wird, was gerade durch 
die Operation vermieden werden soll. 

Die radikal-chirurgische Behandlung muß zum 
Beispiel immer dann angewandt werden, wenn wir es mit folgender Form 
zu tun haben, die Wi dm an, wie folgt, treffend gezeichnet hat: 

„Zuweilen trifft es doch ein, daß die marginale granulomatöse Periodon¬ 
titis an der einen Seite der Zahnwurzel vom Boden der Zahnfleischtasche 

in Form eines Streifens bzw. Stranges gegen das 
Foramen apicale heranwächst <Fig. 27). Es entsteht 
dann in der hier eintretenden Pulpa eine akute Ent¬ 
zündung mit allen Folgeerscheinungen derselben: 
Schmerz, Reaktion gegen Hitze und Kälte. In diesen 
Fällen muß man trepanieren und die Pulpa ex- 
stirpieren. Manchmal kommen die auf diese Weise 
entstandenen Pulpiten nicht unmittelbar zur Behand¬ 
lung. Die Schmerzen hören infolge der durch die 
Entzündung der Pulpa verursachten Nekrose auf 
Der Patient verzichtet darauf, jetzt den Zahnarzt zu 
konsultieren, da er glaubt, alles sei gut. Eine Zeit¬ 
lang geht es so. Allmählich entsteht durch sekun¬ 
däre Infektion von Fäulnisbakterien Gangrän der vorher nekrotischen Pulpa, 
eine akute Periodontitis stellt sich ein." 

„In diesem Falle ist es wichtig, daß man nicht die marginale Periodontitis 
außeracht läßt. Da jetzt alle Symptome einer bestimmten Krankheitsform 
klar vorliegen <in diesem Falle eine Pulpagangrän mit nachfolgender akuter 
apikaler Periodontitis, ein Fistelgang, in der oben geschilderten Weise ent¬ 
standen, stärkt die Diagnose), ist man geneigt dazu, sich mit dem Befunde 
zu begnügen, und denkt nicht daran, daß auch andere Veränderungen vor¬ 
liegen können. Wenn man in solchem Falle die Behandlung ausschließlich 
auf die gangränöse Pulpitis und die apikale Periodontitis einrichtet — d. h. 
man trepaniert den Zahn, räumt die gangränösen Pulpareste aus, desinfiziert 
den Wurzelkanal, füllt mit Guttapercha und macht im besten Falle eine 
Resektion der Wurzelspitze —, so kommt trotz allem nicht eine definitive 
Heilung zustande. Die Fistel rezidiviert, und man findet das Ganze 



Fig. 27 



Fig. 26 


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_Original frcun - - 

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Die radikal-chirurgische Behandlung der Alveolarpyorrhoe 139 

unerklärlich, da man weiß, daß eine sorgfältige Behandlung ausgeführt 
worden ist." 

Im Anschluß an diese instruktiven Ausführungen Wi dm ans soll folgender 
interessante von mir behandelte Fall Erwähnung finden: 

Der Patient, 32 Jahre alt, kommt in Behandlung, nach- 
dem er fünfmal am Oberkiefer operiert worden 
ist, d. h. nachdem fünfmal nach seinen Angaben die 
Wurzelspitzenresektion an 111 gemacht worden ist. 

B e f u n d: Im Munde ste hen die Zähn e 76543211123 7, 
unten: 7 3211123 567. Der Patient hat einen sehr 

tiefen Biß und beißt mit den unteren Schneiden dicht 
hinter den oberen Schneidezähnen in die Schleimhaut. 

Der rechte mittlere Schneidezahn ist ein wenig aus der 
Zahnreihe nach vorn herausgetreten. Über 1JJ_ bestehen 
Fisteln. Auf der palatinalen Seite von rechts oben 1 
besteht eine tiefe Tasche, aus der sich bei Druck reichlich 
Eiter entleert. Das Röntgenbild ergibt folgende Situation: Fig. 28. 

Mit einer feinen Sonde kann man palatinal in der Tasche bis etwa an die 
Wurzelspitze hochgehen. 

Behandlung: Es wurde die Radikaloperation vor- 
genommen, d. h. die Schleimhaut wurde von Eckzahn 
zu Eckzahn palatinal und lingual vom Alveolenrande 
aus hochgeklappt. Nachdem die Wurzeln vor der 
Operation gefüllt waren <Fig. 29), wurden dieWurzel- 
spitzen reseziert und der von marginal bis zurWurzel- 
spitze reichende Granulationsherd ausgekratzt. Schleim¬ 
haut und Periost wurden dann wieder heruntergeklappt 
und die Wunde durch die Naht geschlossen. Vor der 
Operation war eine Schiene aus einem Stück von rechts 
oben 7 bis links oben 3 und eine Brücke von links unten 
3 bis links unten 7 angefertigt worden und zwar mit Bißerhöhung so, daß 
nach dem Einsetzen der oberen und unteren Brücke in einer Sitzung die 
unteren Zähne nicht mehr in die Schleimhaut pala¬ 
tinal beißen konnten. 

Der Patient ist jetzt zwei Jahre unter Beobach¬ 
tung. Es ist völlige Heilung eingetreten. Die 
Schleimhaut liegt überall straff und gesund an den 
Zähnen an <Fig. 30). 

Aus diesem Befunde geht hervor, daß die 
Eiterung marginal angesetzt hat und von mar¬ 
ginal nach apikal gegangen ist. Es hat sich von 
marginal die Granulationsbildung entwickelt und 
schließlich nach labial die Fistelbildung, so daß 
klinisch der Anschein erweckt wurde, daß es sich um eine Periodontitis 
a pikalen Ursprungs handelte. Solange der Biß nicht erhöht und nicht 




Fig. 29 



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Professor Robert Neumann 


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Fig. 31 


auch die Radikaloperation, wie von mir ausgeführt, angewandt wurde — d. h. 
die Taschenbildung beseitigt wurde —■, konnte niemals eine Heilung eintreten. 

Bei Molaren, wo eine Wurzel freigelegt ist 
und die Granulationsmassen in der Gabelung 
der Wurzel liegen <Fig. 31 und 32), muß eine 
Wurzel abgetragen werden. Wenn Römer sagt: 
„Desgleichen extrahiert man am besten gleich die- 
jenigen Molaren, bei denen das Periodontium 
bereits zwischen den Zahnwurzeln an der 
Bifurkationsstelle vernichtet und durch Granu- 
lationsgewebe verdrängt ist, weil es unmöglich ist, 
das letztere an dieser fast unzugänglichen Stelle gründlich auszuräumen und zu 
vernichten'', so kann man heute sagen, daß solche Zähne sehr wohl mit Hilfe der 
radikal-chirurgischen Behandlung zu erhalten sind. Nur in dem Falle, den das 
Röntgenbild Fig. 33 zeigt, würde nur die Extraktion des Zahnes in Frage 
kommen. 

KRANKENGESCHICHTEN 
Fall I. Fr. M. 

Anamnese: Die Patientin gibt folgendes an: 

Ich entstamme einer gesunden Familie und bin selbst auch nie krank ge- 
wesen. Ich bin mein Leben lang immer regelmäßig zum Zahnarzt gegangen, 

damit nichts vernachlässigt wurde. Vor etwa 

m vier Jahren machte ich den Zahnarzt darauf auf¬ 
merksam, daß das Zahnfleisch an den unteren 
Schneidezähnen seit einiger Zeit stark entzündet 
sei und besonders an j_l sehr zurüdctrete. Er 
meinte, daß sich nichts dagegen machen ließe, 
ich litte an einer Zahnfleischerkrankung, die noch 
ganz unerforscht wäre und durch die ich meine 
Zähne sehr früh verlieren würde. Da ich ja keine 
Ahnung hatte, um was es sich handelte, und auch 
keinerlei Beschwerden, so legte ich der Sache weiter 
keine Bedeutung bei. Im Februar 1918 bildete 
sich zwischen dem 1. und 2. Prämolaren links 
oben eine Fistel, deren Öffnung 1 cm über dem 
Zahnfleischrande war. Der Zahnarzt glaubte, 
daß sie vom 2. Prämolaren ausging, und sagte, 
daß dieser entfernt werden müßte, sobald die 
Backe anschwellen würde, so lange wäre keine 
Gefahr. Da es mir sehr unangenehm war, stets 
eine eiternde Wunde im Munde zu haben, und 
ich auch immer fürchtete, daß die Eiterung 
innen weiter gehen könnte, lief ich alle 2 — 3 Monate zum Zahnarzt, der 
mir aber nur immer Spülungen mit H>0 2 -Lösungen verordnete. Im 



Fig. 32 



Fig. 33 


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Orig i na 14mm- - - 

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Die radikaUdiirurgisdie Behandlung der Alveolarpyorrhoe 


141 


Sommer 1918 war das Zahnfleisch zwischen [12 tagelang sehr ge- 
schwollen, bis dann einmal durch den Druck der Oberlippe die Ge- 
schwulst platzte und Eiter und Blut entleerte. Im Mai 1920 bemerkte 
ich, daß sich 2| stark lockerte und immer weiter heraustrat, und daß schon 
bei leisem Drude das Zahnfleisch an den vier oberen Schneidezähnen eiterte, 
ln großer Angst ging ich sofort zum Zahnarzt. Er sagte, es würde von 



Fig. 34 


allein bald besser werden, er könne auch nichts dagegen tun. Ich solle täglich 
dreimal mit H 2 0 2 spülen (zwei Eßlöffel auf V 2 Glas Wasser). Da ich ge¬ 
rade vor einem Examen stand, hatte ich zunächst keine Zeit, mich darüber 
aufzuregen. Aber nur zu bald merkte ich, wie die Eiterung zusehends stärker 
wurde, und wie die ganze Schleimhaut im Munde von der starken H 2 0 2 - 
Lösung stets entzündet war. In meiner LInwissenheit dachte ich aber immer 
noch, das müßte so sein. Das ging aber wochenlang so weiter. Sämtliche 
Schneidezähne lockerten sich immer mehr, und statt daß eine Besserung ein- 


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Professor Robert Neumann 


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trat, wurde es schlimmer. Ich mochte zuletzt nicht mehr essen, da es mich 
geradezu anwiderte, soviel Eiter und Blut beim Essen mit herunterzu- 
schlucken, und den furchtbaren Geschmack von Eiter und Blut wurde ich ja 
doch nie los. Ich war damals ganz verzweifelt und verlor allen Mut. Ich 
wollte auch mit niemand sprechen, denn beim Reden floß <durch den Druck 
der Lippen) der Eiter so stark, daß mir Fremde, mit denen ich mich unter¬ 
hielt, sagten: „Ihnen eitern ja so die Zähne!" Und ich mußte ja stets fürchten, 
daß jeder, mit dem ich zusammen war, ebenfalls den häßlichen Geruch merken 
konnte, der mir immer aus dem Munde kam. Da schwoll mir Anfang Sep¬ 
tember 1920 ganz plötzlich die linke Backe an. Nun ging ich endlich in die 
zahnärztliche Universitätsklinik, wo Alveolarpyorrhoe festgestellt wurde. Die 
Ärzte sagten mir dort, daß eine erfolgreiche Behandlung nur von einem Spe¬ 
zialisten gemacht werden könnte. 

Befund: Im Munde stehen sämtliche Zähne, im allgemeinen kariesfrei. 
Die Schleimhaut ist im ganzen Munde blaurot gefärbt. Bei dem leisesten 
Druck, insbesondere gleichzeitig palatinal und bukkal, bzw. labial und pala¬ 
tinal, oder lingual oder labial, entleert sich sehr reichlich Sekret aus tiefen 
Zahnfleischtaschen. Die Papillen sind wulstig verdickt und das Zahnfleisch 
hängt 1 mm über normal auf die Schneiden der Zähne herab. Sämtliche 
Zähne sind stark gelockert. Es besteht starker Foetor ex ore. Klinisch und 
röntgenologisch läßt sich tiefe Taschenbildung an allen Zähnen feststellen. 

Die bakteriologische Untersuchung ergibt den üblichen Befund im Sekret, d. h. 
ein Gemisch von Bakterien, aber keine spezifischer Natur. Die Untersuchung 
ergibt weiter, daß weder Zucker, noch Harnsäure, noch Eiweiß vorhanden ist. 

Operation: In drei Sitzungen wurde die radikal-chirurgische Behandlung 
ausgeführt: 1. vom 1. Prämolar bis zum 1. Prämolar im Oberkiefer, 
2. vom 1. Prämolar bis zum 1. Prämolar im Unterkiefer, 3. vom 1. Prä- 
molar bis zum Weisheitszahn im Oberkiefer. In allen drei Fällen wurde 
sowohl labial wie palatinal aufgeklappt, die Granulationsmassen wurden ent¬ 
fernt, ebenso alle Buchten, Nischen und Knochenkanten. Die Schleimhaut 
wurde bis zu der im Bilde Fig. 15 sichtbaren Grenze mit einem Skalpell wie 
im Bilde Fig. 17 abgetragen. Die Wunde wurde seitlich und durch die 
Interdentalräume, in jedem Falle nur durch vier Nähte seitlich und zwei 
durch die Interdentalräume, geschlossen. 

Fig. 34 zeigt den Fall ein Jahr nach der Operation. Man sieht, wie straff 
das Zahnfleisch, den natürlichen Formen sehr ähnlich, um die Zähne anliegt. 
Klinisch ist weder Taschenbildung noch Eiterung wieder beobachtet worden. 
Der Fall wurde vor zehn Monaten operiert. 

Fall II 

(Bereits in der dritten Auflage meines Buches „Die Alveolarpyorrhoe und ihre Be¬ 
handlung", Verlag Herrn. Meusser-Berlin, 1920, veröffentlicht, aber ohne die photographische 
Aufnahme Fig. 35.) 

Anamnese: Patient gibt an: Im Jahre 1916 bekam ich des öfteren ein 
schmerzendes Gefühl in den Kiefern, so daß ich zur Linderung einen Zahn- 



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Die radikaUdlirurgische Behandlung der Alveolarpyorrhoe 


143 


arzt aufsuchen mußte. Es wurden mir nun Spülungen mit Wasserstoffe 
Superoxyd und Einpinselungen verordnet, die aber leider zu keinem erlösenden 
Ziele führten, so daß idh midi genötigt sah, ein größeres Institut aufzusuchen. 
Hier wurde ich zwar von meinen Schmerzen befreit, aber es stellten sich nach 
einiger Zeit Blutungen des Zahnfleisches ein, und beim Drücken an dasselbe 
kam eine gelbliche Flüssigkeit hervor. Fortwährende Schwellungen des Zahn- 



Fig. 35 


fleisches, die abwechselnd am Untere und Oberkiefer auftraten, bald rechts, 
bald links, gaben mir zu Bedenken Anlaß, und ich suchte nun wieder meinen 
Zahnarzt auf, der mir die Zähne mit einer Flüssigkeit pinselte. Die Schmerzen 
ließen nach und auch die Schwellungen, aber nun beobachtete ich, daß die 
beiden mittelsten unteren Zähne lose wurden. 

Dies erklärte mir mein Arzt damit, daß durch die schlechte Ernährung die 
Zähne zu wenig Blut bekämen. Ich ließ nun einige Zeit verstreichen, be¬ 
merkte aber nun zu meinem größten Schrecken, daß sich auch am Oberkiefer 


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<ler rechte Schneidezahn lockerte, daß das Zahnfleisch blaugrau wurde und 
auch der Atem des Morgens nicht gut roch. Dies war im Jahre 1919, und 
ich ging zu einem Dr. med. für innere Krankheiten, um hier Erlösung von 
meinem Leiden zu finden. Er stellte Blutarmut fest, fand aber bei der Unter* 
suchung gesundes Blut, weil ich nie eine größere Geschlechtskrankheit hatte. 
Auch die bei Malern übliche Bleispur war nicht vorhanden, so daß auch dieser 
Arzt der Unterernährung die Schuld gab. Jetzt spülte ich abwechselnd mit 
Wasserstoffsuperoxyd, kohlensaurem Natron und pinselte das Zahnfleisch 
mit einer Lösung. Resultat war: noch einige lose Vorderzähne. Nun ent* 
schloß ich mich zu einer Arsenkur, die ich mit 24 Spritzen beendete. Mein 
körperliches Wohlbefinden erhöhte sich wohl, aber meine Zähne wurden nicht 
besser. 

Befund: Gesund aussehender kräftiger Mann. Im Munde stehen sämtliche 
Zähne, z. T. mit tiefer Karies. Alle Frontzähne sind gelockert. Im Röntgen* 

bilde ist eine vertikale Atrophie besonders zwischen 3 2 | j | 2 3 Schleim* 

haut blaurot verfärbt. Bei Drude enleert sich reichlich Sekret. Die Zahnhälse 
liegen weit frei. 

Behandlung: In zwei Sitzungen wird im Ober* und Unterkiefer nach 
der schon früher angegebenen Methode aufgeklappt und wie im vorigen 
Falle behandelt. Die Heilung erfolgte mit dem gleichguten Resultate wie im 
vorigen Falle. Ich konnte den Patienten in einem privaten Fortbildungskurs, 
den ich dänischen Kollegen in meiner Wohnung gab, anderthalb Jahre nach 
der Behandlung ohne Rezidiv vorstellen. Ich habe noch nach anderthalb Jahren 
eine Aufnahme machen lassen, welche das Bild Fig. 35 zeigt. 

Fall III. Fr. M. Z. 

Anamnese:T rauma am V orderzahn Oberkiefer Nov. 1913, V erschiebung 
durch den Schlag von einer Kinderhand und Blutung am Zahnhals. Nach 
Ätzung Aufhören des Blutens. Zahn bleibt in der neuen Stellung. Keine 
Schmerzen, nur leichtes Ziehen am Zahn, auch leichtes Bluten des Zahn* 
fleisches. Stärkeres Bluten im November 1914. Nach Behandlung mit Milch* 
säure Ruhe. Es bleibt eine Empfindlichkeit beim Aufbeißen im Zahn zurück. 
1921 am 26. April starke Schwellung und Eiterung am Zahnhals Hinterseite 
und Vorderseite. Am 4. Mai Einschnitt ins Zahnfleisch. Die Eiterung hört 
auf. Am 9. Mai wieder Eiter. Keine Schmerzen seit dem 4. Mai, nur ein 
ständiges Ziehen im Kiefer, ein Gefühl der Zahnverschiebung beim Biß. 

Befund: Es stehen sämtliche Zähne. Die Schleimhaut ist an den oberen 
Frontzähnen blaurot verfärbt, besonders an links oben 1 bis nach der Mitte 
der Wurzel zu. Den Ursprung der Fistel habe ich im Röntgenbilde auf fol* 
gende Weise festgehalten: ich habe ca. 3mm von einem dicken Guttapercha* 
stift abgeschnitten und im rechten Winkel zum Kiefer ins Fistelmaul hinein* 
gesteckt. Alsdann habe ich eine Röntgenaufnahme gemacht, welche das Bild 
Fig. 36, a ergab. 



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Die radikaUchirurgische Behandlung der Alveolarpyorrhoe 


145 


Der Zahn links oben 1 ist stark gelockert. Es bestehen insbesondere distal 
und palatinal tiefe Taschen, aus denen sich reichlich Sekret entleert. Mit 
Hilfe der von Weski angegebenen Methode habe 
ich die Tiefe der Taschen im Röntgenbilde fest- 
gehalten <Fig. 37), indem ich palatinal (mittlerer 
Strich auf dem Röntgenbild), distal (seitlicher Strich 
auf dem Röntgenbild links) und medial (rechter 
seitlicher Strich auf dem Röntgenbilde — die Striche a 
bedeuten die in die Taschen eingeführten Gutta¬ 
perchastifte —') Guttaperchastifte eingeführt habe. 

Operation: Es wurde von dem seitlichen 
Schneidezahn links oben bis zum seitlichen Schneide¬ 
zahn rechts breit aufgeklappt und wie in den vorigen 
Fällen operiert. Die Schleimhaut wurde um etwa 2 mm verkürzt und die 
Wunde durch vier Nähte geschlossen (zwei seitlich und zwei zu beiden Seiten 
von links oben 1). Es erfolgte Heilung per primam. 








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* 


Fig. 36 


Fall IV. Frl. M. W. 

Anamnese: Patientin gibt an: Anfang des Jahres 1919 — ich war 
22V 2 Jahre alt — bemerkte ich, daß bei geringem Druck der Zunge gegen 
das Zahnfleisch oberhalb des linken Eckzahns im Oberkiefer eine gelbliche 
Flüssigkeit hervortrat. Da ich keinerlei Schmerzen 
oder Behinderung hatte und auch — abgesehen 
von einer kurzen zahnärztlichen Behandlung, Plom¬ 
bieren zweier Backenzähne des Unterkiefers — 
kerngesunde feste Zähne hatte, sorgte ich mich 
nicht weiter darum. Da jedoch die Eiterung nicht 
aufhörte, stellte ich, ungefähr im Juni 1919, meine 
Beobachtungen einem Dentisten vor. Da aber 
gerade an dem Tage, wie zeitweise, nichts von 
der Eiterung zu sehen war, konnte der Herr nichts 
feststellen. Es dauerte aber nicht lange, so wurde 
der Zahn lose, und im Zahnfleisch hatte sich eine 
kleine Vertiefung gebildet. Daraufhin begab ich mich im Oktober 1919 in die 
Behandlung eines Zahnarztes, der sofort Zahnfächereiterung feststellte. Ein- 
bis zweimal wöchentlich mußte ich zur Behandlung. Es wurde dann immer 
zwischen Zahn und Zahnfleisch ein mit einer dunklen Flüssigkeit getränktes 
Wattekügelchen gesteckt. Nach gar nicht langer Zeit traten bei demselben 
Zahn auf der rechten Seite die gleichen Krankheitserscheinungen auf. Der 
Zahnarzt behandelte nun beide Zähne und sprach sich dahin aus, die 
Krankheit bei immerwährender Behandlung, wenn auch nicht völlig zu be¬ 
heben, so doch zum Stillstand zu bringen und mir die Zähne noch minde¬ 
stens ca. zehn Jahre zu erhalten. In der Tat fand ich auch, daß nach mehrmonat¬ 
licher Behandlung eine geringe Besserung eingetreten war. Im Juni 1920 mußte 

Vierteljahrssdirift für Zahnheilkunde, Heft 2 10 



Fig. 37 


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146 


Professor Robert Neumann 


ich die Behandlung auf vier Wochen unterbrechen, da ich meinen Sommerurlaub 
antrat. Als ich mich dann wieder dem Herrn Zahnarzt vorstellte, hatte sich 
die Krankheit in der Zwischenzeit auch über die zwischenliegenden Schneide¬ 
zähne verbreitet. Um den genaueren Stand der Krankheit festzustellen, über¬ 
wies mich der Zahnarzt 
demZahnärztlichenlnstitut, 
— von wo die Patientin zu 
mir überwiesen wurde. 

Befund: Im Munde 
stehen sämtliche Zähne. Der 
linke obere Schneidezahn 
hat sich gedreht und ist nach 
distal gewandert. Alle üb¬ 
rigen Zähne stehen normal. 
Die Schleimhaut ist an 
sämtlichen Zähnen blaurot 
verfärbt etwa bis zur Mitte 
der Wurzelspitzen hin. Das 
Zahnfleisch ist zum Teil 
atrophisch, wulstig verdickt, 
insbesondere sind die Pa¬ 
pillen stark vergrößert und 
verdickt. An links oben 2 
ist die Schleimhaut stark 
retrahiert. Die Schleimhaut 
läßt sich von den Zähnen 
abheben. Es zeigen sich 
an allen Zähnen tiefe Ta¬ 
schen, nur nicht lingual und 
palatinal an den oberen 
Frontzähnen, aus denen sich reichlich Sekret entleert. Es besteht Foetor 
ex ore. Die Urinuntersuchung ergibt, daß weder Zucker noch Harnsäure vor¬ 
handen ist. 

Operation: Es wurde wie in den vorigen Fällen der Krankheitsherd 
breit freigelegt wie in den ersten drei Fällen, lingual und palatinal und 
labial. Granulationen, scharfe Knochenkanten wurden entfernt. Der Knochen 
wurde geglättet, und die Wunde wurde wie in den vorigen Fällen durch 
vier Nähte geschlossen. Es erfolgte Heilung per primam. 

Abbildung Fig. 38 zeigt die Aufnahme nach neun Monaten. Das Bild 
zeigt das gleichgute Resultat wie in den vorigen Fällen. 



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Die radikal-chirurgische Behandlung der Alveolarpyorrhoe 


147 


LITERATURVERZEICHNIS 

1. Cieszynski: Verhandlungen der 53. Jahresversammlung des Zentralvereins deutscher 
Zahnärzte. D. V. f. Z. 1914, Heft 7. 

2. Cohn: Kursus der Zahnheilkunde. 1911, 5. Auflage. 

3. Gottlieb: Zur Ätiologie und Therapie der Alveolarpyorrhoe, österr. Ztschr. f. Sto¬ 
matologie 1920, Heft 2. 

4. Greve: Die paradentalen Erkrankungen. Deutsche Zahnheilkunde. 1920. Sonderheft. 

5. Greve: Jahreskurse für ärztliche Fortbildung 1919, Novemberheft. 

6. Kranz: Zur Pathogenese, Pathologie und Therapie der Alveolarpyorrhoe. D. M. 
f. Z. 1919, Heft 4. 

7. Kranz: Zur Pathogenese, Pathologie und Therapie der Alveolarpyorrhoe. D. M. 
f. Z. 1919, Heft 5. 

8. Miller-Dieck: Lehrbuch der konservierenden Zahnheilkunde. 3. Auflage, Leipzig. 

9. Neumann, Robert: Die chirurgische Behandlung der Alveolarpyorrhoe. D. M. 
f. Z. 1914, Heft 7. 

10. Neumann, Robert: Alveolarpyorrhoe. Korrespondenzbl. f. Zahnheilkd. 1920, Heft 1 

11. Neumann, Robert: Ober Alveolarpyorrhoe. Zahnärztl. Rundschau 1919, Nr. 23/26. 

12. Neumann, Robert: Die Alveolarpyorrhoe und ihre Behandlung. Erfahrungen und 
therapeutische Winke aus der Praxis. 3. Aufl., Verlag Herrn. Meußer-Berlin. 

13. Oestman (Stockholm): Die Alveolarpyorrhoe und ihre Behandlung. Bericht über 
den von Prof. Neumann in Stockholm gehaltenen Kurs 1920. Zahnärztliche Rundschau. 
29. Jahrg., Nr. 48. 

14. Port-Euler: Lehrbuch der Zahnheilkunde. 1915. Wiesbaden. 

15. Römer: Ober Alveolarpyorrhoe und ihre erfolgreiche Behandlung. D. M. f. Z. 1909, 
Heft 8. 

16. Römer: Pyorrhoea alveolaris in: Scheff, Handbuch der Zahnheilkunde, II. Band, 
1. Abteil. 1909. 

17. Sachs, Hans: Alveolarpyorrhoe und ihre erfolgreiche Behandlung. D. M. f. Z. 1009, 
Heft 8. 

18. Seidel: Die Beziehungen der Spirochäten und der Salvarsantherapie zur Pyorrhoea 
alveolaris und anderen Erkrankungen. Deutsche Zahnheilkunde in Vorträgen, Heft 41. 

19. Weski, Röntgenologisch-mikroskopische Studien aus dem Gebiete der Kieferpatho¬ 
logie. D. M. f. Z. 1914, Heft 7. 

20. Weski: Röntgenologisch-anatomische Studien aus dem Gebiete der Kieferpathologie. 
Vierteljahrsschrift für Zahnheilkunde. Heft 1. 1921. Verlag Meusser. 

21. Widman, L. (Stockholm): „Om operativ behandling av alveolarpyorrhoe". 1917. 
Svensk Tandläkare Tidskrift. 


10 * 


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EINIGE KRITISCHE BETRACHTUNGEN 
ZU DEN ARBEITEN FLEISCHMANNS UND 
GOTTLIEBS ÜBER DIE ÄTIOLOGIE DER 
ALVEOLARPyORRHOE 

VON 

PROF. DR. ADLOFF 

U ber keine Erkrankung ist in den letzten Jahren so viel geschrieben worden, 
wie über die Alveolarpyorrhoe. Veranlassung hierzu gaben wohl vor 
allen Dingen die Untersuchungen Kolles und Beyers im Weltkriege, die als 
Erreger der Krankheit eine besondere Spirochäte, die Spirochaeta pyorrhoica 
nachgewiesen haben wollten und festgestellt zu haben glaubten, daß durch 
Salvarsan eine Heilung der Alveolarpyorrhoe möglich sei. Es ist mir stets 
unverständlich geblieben, daß man diese Theorie so ernst genommen hat. Sie 
war sowohl in ihrem bakteriellen als auch in ihrem klinischen Teil so gänzlich 
unzureichend begründet, daß ihre Veröffentlichung auf dieser Grundlage zum 
mindesten als eine große Unvorsichtigkeit bezeichnet werden mußte. Sie darf 
daher wohl auch heute zunächst als erledigt gelten. 

Ganz anders liegen die Dinge bei einer ebenfalls in neuester Zeit ver* 
öffentlich ten gedankenreichen Arbeit von G o 111 i e b und Fleischmann, die auf 
sehr sorgfältigen und umfangreichen Untersuchungen beruht und die unserer 
ernsten Beachtung und Nachprüfung wert ist. Sie macht ebenfalls den meiner 
Ansicht nach vergeblichen Versuch, das Problem der Alveolarpyorrhoe auf 
eine einheitliche Basis zu stellen, indem sie sich einer Auffassung anschließt, 
die von einzelnen Forschern schon seit jeher, in Deutschland bis zuletzt von 
Greve, vertreten wird. Hiernach ist bei der Alveolarpyorrhoe eine Erkran* 
kung des Knochens das Primäre, während die Erscheinungen, die bisher als 
der Beginn der Erkrankung angesehen wurden, die Taschenbildung und 
die Eiterung erst sekundär zur Entwicklung gelangen. Im Gegensatz aber 
zu diesen älteren Autoren, die lediglich auf theoretischen Betrachtungen 
fußten, versuchen Gottlieb und Fleischmann durch mikroskopische 
Untersuchungen die Theorie exakter zu begründen. 

Die Betrachtungen Gott liebs fußen auf dem Verhältnis zwischen Zahn und 
Alveolarknochen. Die Existenz des Zahnes resp. seine Funktion, d. h. die 


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Betraditungen zu den Arbeiten Fleischmanns und Gottliebs 149 

in seinen Geweben ablaufenden Lebensvorgänge sollen für den Alveolar* 
fortsatz den Reiz zu seinem Fortbestehen abgeben. 

Wie aber im ganzen Organismus während des Lebens wie in allen Ge* 
weben, so auch im Knochen, ein fortwährender Umbau durch An* und 
Abbau stattfindet, so beginnt nach beendeter Entwickelung auch die Resorp* 
tion von Zement und Alveole. Setzt nun aus irgendeinem Grunde, sei es 
auf dem Wege natürlicher Entwickelung oder infolge irgendeiner Erkrankung 
Atrophie der Alveole ein, so kann dieser Schwund des Knochens kompensiert 
werden durch eine Neubildung des Zementes. Gottlieb nimmt an, daß bei 
gewissen Gebißtypen infolge einer angenommenen besonderen Lebensfähig* 
keit Neubildung von Sekundärzement eintritt, das einen funktionellen Reiz 
auf den Alveolarfortsatz ausübt und ihn zur Sistierung des Abbaues und 
Einsetzung von Anbau veranlaßt. Andere Gebißtypen besitzen diese Fähige 
keit der Zementneubildung nicht. Daher schreitet der Prozeß des Knochen* 
Schwundes hier weiter vorwärts, der Zahn wird allmählich gelockert und fällt 
schließlich aus. Die Taschenbildung und Eiterung sind lediglich sekundäre 
Folgeerscheinungen, die erst in einem späteren Stadium der Erkrankung auf* 
treten. 

Es ist nun schon seit langem darauf hingewiesen worden, daß gerade die 
kräftigsten, kariesfreien Gebisse anscheinend besonders leicht der Alveolar* 
pyorrhoe zum Opfer fallen, während die von Karies heimgesuchten Zähne 
scheinbar viel öfter von der Krankheit verschont bleiben. Diese Beobachtung 
gab bereits Karolyi Veranlassung zu der Ansicht, daß die Alveolarpyorrhoe 
eine Folge von Überlastung sei. Gottlieb erklärt diese Tatsache in anderer 
Weise: Die Verkalkung des Zahnes ist eine Involutionserscheinung. Je 
weiter die Zähne involviert sind, desto besser sind sie verkalkt, desto größer 
ist ihre Immunität gegenüber Karies. Die Karies ist nicht allein ein che* 
mischer Prozeß, sondern es sind auch vitale, noch unerforschte Vorgänge im 
Spiel. Die Vitalität eines involvierten Zahnes ist abgeschlossen, er wird 
daher auch kariesimmun bleiben. Aus dem gleichen Grunde finden bei 
diesen Zähnen aber auch an der Wurzelfläche nur geringe oder gar keine 
vitalen Phänomene statt, d. h. beim Einsetzen einer Alveolaratrophie kann 
es nicht zur Neubildung von Zement kommen,- der Schwund des Alveolar* 
fortsatzes wird nicht kompensiert. Es resultiert eine diffuse Atrophie des 
Alveolarfortsatzes, die das Epithel zur Tiefen Wucherung veranlaßt. Durch 
Abhebung des gewucherten Epithels von dem Zement entsteht die Tasche 
und nach sekundärer Infektion derselben das klinische Bild der Alveolar* 
pyorrhoe. 

Die Karies ist die Folge eines nicht vollendeten Involutionsprozesses, einer 
mangelhaften Verkalkung. Daher können vitale Erscheinungen an der Krone 
und der Wurzel auftreten. Sie manifestieren sich an der ersteren als Karies, 
an der Wurzel als Wurzelkaries und Neubildung von Zement. Letztere ist 
imstande, am apicalen Teile der Wurzel den Schwund des Alveolarfortsatzes 
zu kompensieren, so daß nur Atrophie am Rande der Alveole zurückbleibt. 
Audi hier können marginale Schädlichkeiten den Prozeß beschleunigen und 


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komplizieren. Im Gegensatz zu der diffusen Alveolaratrophie sind die¬ 
selben aber hier am schwerwiegendsten, so daß nadi ihrer Beseitigung eine 
Heilung erfolgen kann, während bei ersterer die Prognose eine sehr un¬ 
günstige ist. 

Wenn wir nun die Untersuchungen Gottliebs einer Kritik unterziehen 
wollen, so wird dieselbe zunächst zu prüfen haben, ob die Auffassung, die 
Gott lieb von der Bedeutung des sekundären Zements vorträgt, zu Recht be¬ 
steht. Hier scheinen mir schon erhebliche Bedenken geltend gemacht werden 
zu können. Zunächst scheint mir aus den schönen Untersuchungen Gottliebs 
nicht einwandfrei hervorzugehen, daß die Bildung von sekundärem Zement 
die Antwort auf eine einsetzende Atrophie des Alveolarfortsatzes und die 
Veranlassung ist zur Einsetzung von Anbau. Es kann so sein! Aber es 
braucht nicht so zu sein. Wir wissen über die Bedingungen, unter denen es 
zur Bildung von sekundärem Zement kommt, noch viel zu wenig, um nicht 
bei der Deutung derartiger Bilder allergrößte Vorsicht walten zu lassen. Es 
spricht meines Erachtens nichts dagegen, daß auch der umgekehrte Vorgang 
möglich ist, daß also die Bildung von sekundärem Zement das Primäre ist, 
die erst sekundär zur Resorption des Knochens geführt hat. Dies würde 
mir aus dem Grunde wahrscheinlicher erscheinen, weil doch die von Gott¬ 
lieb angenommene Atrophie der Alveole das Zeichen einer Erkrankung oder 
zum mindesten einer herabgesetzten vitalen Energie sein muß und es schwer 
verständlich bleibt, warum beim Zement dann gerade das Gegenteil der Fall 
sein soll. Und andererseits: Handelte es sich nur um einen normalen physio¬ 
logischen Abbau des Alveolarfortsatzes, dann wäre ja die Vorbedingung zu 
der Erkrankung stets vorhanden und ihr Eintreten würde allein davon ab- 
hängen, ob eine Neubildung von Zement zustande kommt oder nicht. Nicht 
die Atrophie des Knochens, sondern die mangelnde Fähigkeit 
sekundäres Zement zu bilden, wäre dann die wahre Ursache der 
Alveolarpyorrhoe. 1 Die Untersuchungen Go111 iebs lassen alle diese Fra- 


1 Eine Bestätigung dieser Annahme finde ich in dem von Gottlieb in Hamburg gehal- 
tenen Vortrage, in welchem dem Zement in der Tat eine ausschlaggebende Rolle in dem 
— wenn ich mich so ausdrücken darf — individuellen Leben des Zahnes zugewiesen wird. 
„Solange eine genügende Zementfläche da ist, bleibt der Zahn lebendig. Je lebensfähiger 
der Zement ist, um so schmaler ist auch der Periodontalraum. Die Ursache für Taschen' 
bildung ist mangelnde Vitalität des Zementes und Verlust der Fähigkeit, neues Zement 
rechtzeitig zu bilden, das wiederum einen Reiz auf den Alveolarknochen ausübt/' Ich kann 
mir nur denken, daß hier der Berichterstatter den Vortragenden falsch interpretiert hat, 
denn diese Sätze sind überhaupt nicht verständlich. Aber auch Gottlieb gegenüber 
muß doch darauf hingewiesen werden, daß die Lebensfähigkeit des Zementes 
ganz allein von der Erhaltung der Wurzelhaut abhängt, daß also Ab* 
weichungen der Zement bildung, ganz ebenso übrigens wie der Knochen' 
bildung in der Alveole ihre Ursache allein in dem Zustande der Wurzel- 
haut haben müssen, diese also die Stelle ist, die bei Alveolarpyorrhoe 
in erster Linie betroffen sein muß. Neuerdings glaubt auch Feiler röntgenologisch 
einen Beweis für die Bedeutung der Zementneubildung bei der Alveolarpyorrhoe erbracht 
zu haben. Meines Erachtens beweisen die in der betreffenden Arbeit reproduzierten Auf¬ 
nahmen gar nichts. 



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Betrachtungen zu den Arbeiten Fleischmanns und Gottliebs 


151 


gen unentschieden. Es ist noch keineswegs einwandfrei festgestellt, daß die von 
Fleischmann und Gott lieb geschilderten Befunde wirklich zu dem Bilde der 
Alveolarpyorrhoe gehören oder ob es sich nicht vielmehr um Vorgänge han* 
delt, die nur von den beiden Autoren zu der Erkrankung in Beziehung ge* 
bracht werden. Das gilt z. B. auch von der angeblichen Tiefenwanderung 
des Epithels, auf die ich noch später zu sprechen komme. Es fehlt noch 
durchaus an genügendem Vergleichsmaterial, das die Bedeutung der einzelnen 
Bilder völlig eindeutig klarstellt und das zu beschaffen aus naheliegenden 
Gründen natürlich sehr schwierig sein dürfte. 

Noch größere Bedenken habe ich gegen die Auffassung, nach welcher die 
kariesimmunen Zähne, weil sie am weitesten involviert sind, keine vitalen 
Phänomene mehr zu lassen und daher nicht imstande sind, sekundäres Zement 
zu bilden, während die für Karies empfänglichen Zähne infolge des nicht 
vollendeten Involutionsprozesses zwar leicht erkranken, andererseits aber 
auch eine gewisse Vitalität besitzen, die zur Bildung sekundären Zementes 
führt. 

Gewiß unterliegen auch die Zähne einem Involutionsprozeß. Derselbe ist 
aber dann erst vollendet, wenn, wie wir im höheren Alter bisweilen sehen, 
sowohl die Pulpa als auch dieTomesschen Fasern, nahezu vollständig den* 
tifiziert sind, so daß der Zahn einen durchscheinenden Körper bildet. Be* 
sonders augenfällig kann dieses ja an den unteren Schneidezähnen in Er* 
scheinung treten. Ob der Zahn aber gut oder schlecht verkalkt ist, hat hier* 
mit gar nichts zu tun. Außerdem wissen wir ja auch, daß die Beschaffen* 
heit der harten Zahnsubstanzen offenbar weniger von der Menge der Kalk* 
salze abhängt, als von der Art und Weise, wie dieselben mit der Grund* 
Substanz verbunden sind. Dieser Umstand hat aber naturgemäß gar nichts 
zu tun mit etwaigen vitalen Vorgängen innerhalb des Zahnes, die ich 
ebenfalls annehme. Sie werden sich in kariesimmunen, wie in für karies* 
empfänglichen Zähnen in gleicher Weise abspielen. Ja ich meine, daß die 
ersteren biologisch höherwertig sein werden und daß auch die Bildung von 
sekundärem Zement prinzipiell bei ihnen eher zu erwarten sein wird, als 
bei letzteren! 

Diese Erklärung der Tatsache, daß scheinbar gerade die kräftigsten, gesun* 
desten Gebisse von der Alveolarpyorrhoe befallen werden, erscheint mir 
nicht annehmbar. Wir werden uns nach anderen Ursachen umsehen müssen. 
Und da scheint mir in der Tat immer noch die Belastungstheorie die größte 
Wahrscheinlichkeit zu besitzen, allerdings in etwas modifizierter Form. Auch 
Sicher soll neuerdings auf diese alte Theorie zurückgegriffen haben. Ich habe 
leider nicht ersehen können, in welcher Arbeit dieses geschehen ist und kann 
mich nur auf die von Gott lieb hierüber gemachten Angaben beziehen. Hier* 
nach tritt bei Überlastung aus irgendeinem Grunde eine Dehnung des Auf* 
hängeapparates ein. Der bei der normalen Kautätigkeit auf Zug beanspruchte 
Alveolarknochen wird infolge von Überdehnung der Bindegewebsbündel 
nunmehr auf Druck belastet, da der Zahn beim Kauakt durch die über* 
dehnten Bindegewebsbündel nicht mehr aufgehalten an die Alveolarwand 


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immer wieder anprallt. Dem ist der Knodien nicht gewachsen und es ent¬ 
steht eine Druckatrophie der Alveolarwände. 

Nun glaube ich, daß ein intermittierender Drude, wie er doch durch den 
Kauakt hervorgebracht wird, nicht zur Atrophie, sondern gerade zu einer 
funktionellen Stärkung fuhren wird, nur eine gleichmäßig ständig wir¬ 
kende Kraft könnte eine Druckatrophie erzeugen. Ich möchte mir nur er¬ 
lauben, auf ein Moment die Aufmerksamkeit zu lenken, das mir bisher noch 
gar nicht beachtet zu sein scheint. 

Die Zähne des Menschen bilden bekanntlich eine lückenlose Reihe, und da 
sie beweglich in den Alveolen eingepflanzt sind, so reiben die einzelnen Zähne 
beim Gebrauche aneinander und werden an den Berührungsflächen abge¬ 
schliffen. Es entstehen die sogenannten interstitiären Reibungsflächen. Die¬ 
selben vergrößern sich besonders beim intakten Gebisse dauernd während 
des individuellen Lebens und können eine beträchtliche Größe erreichen. Diese 
interstituären Reibungsflächen lassen nun sehr interessante und wichtige 
Schlüsse zu. Sie beweisen nämlich, daß die Länge des Alveolarfort¬ 
satzes auch bei normalem und vollständigem Gebiß sich wäh¬ 
rend des Lebens verkürzen muß. Wäre dieses nicht der Fall, dann 
müßten zwischen den einzelnen Zähnen infolge der gegenseitigen Abschlei¬ 
fung allmählich Lücken entstehen, womit dann der Prozeß beendet wäre, da 
ja die Zähne sich nunmehr nicht mehr berühren würden. Das geschieht aber 
nicht, sondern der Zusammenschluß innerhalb der Zahnreihe bleibt ständig 
erhalten, d. h. in demselben Maße, in dem von den Zähnen durch 
Abschleifung verlorengeht, in demselben Grade rücken sie 
näher aneinander, mit anderen Worten: der Alveolarfortsatz wird 
gekürzt. Diese Verkürzung ist natürlich nur möglich durch 
Schwund der Septa interalveolaria. Wodurch sie zustande kommt, ist 
unbekannt. Wir wissen allerdings, daß überhaupt eine Neigung der Zähne 
vorhanden ist, nach der Mittellinie zu wandern. Es manifestiert sich dieses 
auch nach Entfernung der Zähne, indem die hierdurch entstandene Lücke 
mehr durch eine nach Vornewandern des hinteren Zahnes geschlossen wird. Ohne 
Frage trägt hierzu der Umstand bei, daß die Zähne des Ober- und Unter¬ 
kiefers nicht senkrecht, sondern unter einem mehr oder weniger stumpfen 
Winkel aufeinandertreffen, und daß somit der Kaudruck die Bewegung nach 
vorn auslösen wird. So erwähnt Gott lieb auch als Symptom der Alveolar¬ 
pyorrhoe die frühzeitig einsetzende Wanderung der Frontzähne, und glaubt, 
daß dieser Vorgang mit dem Kaudruck nicht das geringste zu tun habe. 
Meiner Ansicht nach kommt der Kaudruck in der Tat nicht in Frage, es 
werden die Abreiß- und Abbeißbewegungen, insbesondere bei starker funk¬ 
tioneller Inanspruchnahme, aber genügen, um vor allen Dingen bei be¬ 
stehender Atrophie des an sich hier sehr dünnen Alveolarrandes ein Aus¬ 
weichen nach vorne zustande zu bringen. Vielleicht hat diese Wanderung aber 
überhaupt nichts direkt mit der Alveolarpyorrhoe zutun, sondern sie ist ledig¬ 
lich der Ausdruck einer bestimmten Kieferformation und besonderer Artikula¬ 
tionsverhältnisse, die besonders leicht von Alveolarpyorrhoe befallen werden. 


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Betrachtungen zu den Arbeiten Fleischmanns und Gottliebs 


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Daß eine Änderung der Druckverhältnisse innerhalb der geschlossenen 
Zahnreihe zu einer Atrophie des Alveolarrandes führen kann, zeigt bei- 
folgende Abbildung <Fig. 1>. Es handelt sich um das Gebiß eines nicht aus 
einem zoologischen Garten stammenden Semnopithecus mit starker Progenie. 
Allerdings handelt es sich wohl mehr um eine Unterentwickelung des Ober¬ 
kiefers. Durch den Vorbiß der unteren Zähne haben die oberen Zähne aber 
vom Eckzahn an eine Richtung nach hinten erhalten. Die Folge davon ist 
eine Atrophie des Alveolarrandes, die vor allem in der Gegend der Prämo¬ 
laren einen sehr erheblichen Grad erreicht hat. Es ist daher wohl möglich, 
daß auch bei anderen Stellungsanomalien, sobald ein Ausgleich abnormer Druck¬ 
verhältnisse innerhalb der geschlossenen Zahnreihe nicht stattfinden kann, eine 
Atrophie der Septa interalveolaria und des Alveolarrandes eintreten wird. 

Übrigens hat neuer¬ 
dings Ha ns Vir chow 
in seiner Monogra¬ 
phie über die mensch¬ 
lichen Skelettreste von 
Ehringsdorf auf diese 
merkwürdige bisher 
noch gar nicht beachtete 
Tatsache ebenfalls auf¬ 
merksam gemacht und 
sich mit ihr ausführ¬ 
licher beschäftigt. Er 
erhebt zum Schlüsse die 
Frage,warum die Zäh¬ 
ne dauernd so eng 
stehen müssen, und be¬ 
antwortet dieselbe fol¬ 
gendermaßen: Dies ist 
offenbar deswegen der 
Fall, damit keine Nah¬ 
rungsbestandteile zwischen die Zähne hineingeraten und hier festgehalten 
werden. Um diese dauernde Vollkommenheit des Gebisses zu gewährleisten 
mußte der Alveolarbogen mit der Fähigkeit zu der erwähnten Umformung aus¬ 
gestattet sein. Nun meine ich, daß diese Antwort die Frage nicht erschöpft. 
Gewiß trifft auch sie zu, wichtiger scheint mir jedoch die Überlegung zu sein, 
daß das Gebiß so gebildet sein muß, damit es dem Kaudruck ausreichenden 
Widerstand entgegenzusetzen vermag. Das würde sicher nicht der Fall sein, 
wenn die Zähne durch Zwischenräume voneinander getrennt sein würden. 
Erst durch das enge Aneinanderschließen wird die erhebliche beim Kauen 
ausgeübte Kraft auf die Zahnreihe so gleichmäßig verteilt, daß eine Über¬ 
lastung nicht möglich ist. 

Jedenfalls ist die Tatsache als feststehend zu betrachten, daß bei vollstän¬ 
digem, lückenlosem Gebiß der Alveolarfortsatz um die Strecke verkürzt wird. 



Fig. 1 


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die infolge Abschleifung der approximalen Zahnflächen verlorengeht. Der 
durch die ständige Annäherung der Zähne aneinander ausgeübte Druck muß 
naturgemäß auf die Septa interalveolaria wirken und wird dieselbe zum 
Schwund bringen. 

Ich glaube diese Tatsache nicht besser illustrieren zu können, als durch die 
nebenstehenden Abbildungen des Gebisses eines jugendlichen <Fig. 2> und eines 
alten Orang <Fig. 3>. Daß es sich nicht um einen Menschen handelt ist un¬ 
erheblich, da prinzipiell 
ein Unterschied nicht 
vorhanden ist und die 
Erscheinung bei diesem 
kaum so rein und deutlich 
in Erscheinung treten 
wird. Es ist außerordent : 
lieh deutlich erkennbar, 
daß die Septa interab 
veolaria beim alten ge : 
genüber denen beim 
jungen Tier ganz erheb¬ 
lich atrophiert sind. Die 
Wurzeln der Zähne sind 
ganz nahe aneinander¬ 
gerückt, die Septa sind 
auf eine schmale Kno¬ 
chenspange reduziert. 

Wir sehen auch bei 
dem alten Individuum 
eine vorgeschrittene Os¬ 
teoporose, die dünneren 
Bälkchen und weitenMa= 
sehen besonders schön 
zwischen den Wurzeln 
der ersten beiden Mola¬ 
ren,- im Gegensatz dazu um die Wurzeln eine Schicht verdichteten Knochens, 
ohne Frage die Folge des in termitti ereil den Druckes, der hier keine Atrophie, 
sondern gerade eine Verdichtung der Knochensubstanz hervorgerufen hat. 
Es ist dies wohl der normale Vorgang. Er beweist, daß unter normalen Ver¬ 
hältnissen die Vitalität des Knochens ausreicht, um dem interstitiären Druck 
Widerstand zu leisten, während beim heutigen Menschen die dünne und 
schlecht ernährte Wand der Alveole demselben vollständig erliegt. Nur hierin 
besteht der Unterschied zwischen ihm und den Anthropomorphen, sonst wer¬ 
den sich die Vorgänge prinzipiell ganz ebenso abspielen. 

Es geht aus diesen Bildern aber auch deutlich hervor, daß der Schwund 
der Septa interalveolaria ein sehr bedeutender sein kann. Wenn wir neben¬ 
stehenden menschlichen Zahn betrachten <Fig. 4), den abgeschliffenen Teil er- 



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Betrachtungen zu den Arbeiten Fleischmanns und Gottliebs 


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gänzen und dieses für die anderen Zähne desselben Gebisses in demselben 
Grade annehmen, so muß eine ganz erhebliche Verkürzung dieses Alveolar- 
bogens während des individuellen Lebens stattgefunden haben. 

Nun kommt aber noch eines hinzu: Die Größe und die Form des inter¬ 
dentalen Raumes hängt ab von der Form der Zähne, je nachdem die Appro- 
ximalflächen mehr oder weniger parallel verlaufen oder gar nach der Kau¬ 
fläche divergieren. Im letzteren Falle ist der interdentale Raum groß, im 
ersteren klein. Dement¬ 
sprechend werden auch die 
Septa interalveolaria nach 
Form und Größe sehr er¬ 
hebliche Unterschiede auf¬ 
weisen. Fig. 5 u. 6 zeigen 
zwei extreme Fälle. Fig. 5 
zeigt das Gebiß eines noch 
jugendlichen Neu-Britan- 
niers mit breitausladenden 
Kronen und entsprechend 
breiten interalveolären 
Septen, Fig. 6 die Zähne 
eines jugendlichen moder¬ 
nen Europäers mit noch 
nicht durchgebrochenem 
Weisheitszahne mit par¬ 
allelen Seitenflächen und 
ganz schmalen Interden- 
ralräumen. 

Alle diese Momente er¬ 
fahren noch eine weitere 
Bedeutung durch die Tat¬ 
sache, daß die Zähne der 
heutigen Menschen gegen¬ 
über seinen Vorfahren Fi &- 3 

aus früheren Zeitepochen 

nicht annähernd in dem Maße an Größe verloren haben, wie die Kiefer. 
Das geht aus den zahlreichen Funden, die heute vorliegen, mit völliger 
Sicherheit hervor. Gewiß sind auch die Zähne im Durchschnitt kleiner 
geworden, aber keineswegs im Verhältnis zu dem viel mehr reduzierten 
Kiefer. Dieses Mißverhältnis wird sich selbstverständlich gerade bei den 
bestentwickelten Gebissen besonders deutlich bemerkbar machen, zumal bei 
Zähnen mit parallelen Seitenflächen. Hier w'erden die schmalen Septa inter¬ 
alveolaria dem interstitiären Druck keinen großen Widerstand entgegen¬ 
setzen können. So erklärt sich denn auch die Tatsache ungezwungen, daß 
gerade oft die kräftigsten Gebisse der Alveolarpyorrhoe zum Opfer fallen. 
Denn in einem Gebiß, in welchem Karies herrscht, sind die Kontaktflächen 



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zum Teil verloren gegangen, so daß der Zusammenschluß innerhalb der Zahn¬ 
reihe und daher ein dauernder Druck auf die Septa interalveolaria fehlt. Hier¬ 
aus müßte eigentlich folgen, daß im allgemeinen Zähne, die von vornherein 
durch natürliche Lücken voneinander getrennt stehen, nicht so der Erkrankung 
ausgesetzt sind, und in der Tat scheint dieses der Fall zu sein. Auch hier¬ 
über fehlen aber noch exakte Feststellungen. 

Alle diese Momente sind bisher noch nicht in Rechnung gezogen worden. 
Vielleicht erscheinen sie zu unbedeutend, aber es darf doch wohl daran er¬ 
innert werden, daß das Gebiß als Ganzes ein überaus kompliziertes System 
darstellt, bei welchem auch die geringsten Unregelmäßigkeiten sehr erhebliche 
Störungen seiner Funktion werden herbeiführen können. 

Ohne Frage kann aber eine Atrophie der Alveolen auch auf andere Weise 
Zustandekommen. So wissen wir, daß die Zellen unseres Organismus schlie߬ 
lich einer langsam fortschreitenden Atrophie unterliegen, indem sie immer 
mehr an Vitalität verlieren, bis sie schließlich ganz versagen. Auch der 

Alveolarknochen macht hiervon 
[ keine Ausnahme. Er atrophiert 

i- und die Zähne fallen aus. Der 



Zeitpunkt, wann diese senile 
Atrophie einsetzt, variiert in 
weiten Grenzen. Der erste Be¬ 
ginn dieser Abnahme der Wider¬ 
standskraft macht sich aber schon, 
ohne äußerlich offensichtlich zu 


werden, im jugendlichen Alter 
b c zwischen dem 20. und 30. Lebens- 


Fi * 4 jahr deutlich bemerkbar. Be- 

Z weiter Molar mit starken interstitiären ReibungsHädten. son ^ TS beim modemen KultUr- 
a von der mcsialcn. b von der distalen Seite, c von der . 

Kaufläche aus europäer kann aber für einzelne 

Organe der Abbau viel früh¬ 
zeitiger in Erscheinung treten, als es sonst im allgemeinen die Regel ist. Be¬ 
sonders auffallend isr ja das frühzeitige Ergrauen, der Haarausfall: hierher 
gehört auch die Atrophie des Alveolarfortsatzes und ein hierdurch bedingter 
Ausfall der Zähne, die von Baume sogenannte Atrophia alveolaris praecox. 
Sie unterscheidet sich anscheinend in nichts von der echten senilen Atrophie. 
Es ist auch immer wieder darauf hingewiesen worden, daß die Ernährungs¬ 
verhältnisse des Alveolarknochens, der an manchen Stellen papierdünn ist, 
besonders schwierig sind und daß schon eine geringe Herabminderung der 


Zirkulation irreparable Schädigungen herbeiführen kann. Inwieweit noch 
andere durch die Lebensweise der heutigen Menschen bedingte Ursachen 
<trophoneurotische> in Frage kommen ist noch gänzlich ungeklärt. Daß 
unter diesen Umständen auch konstitutionelle Krankheiten, die eine Er¬ 


schütterung des Gleichgewichts des gesamten Organismus bedingen, gerade 
an diesen von Hause aus schon wenig widerstandsfähigen Stellen nicht ohne 
Wirkung bleiben werden, ist leicht einzusehen und so ist es denn auch ein 


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Betrachtungen zu den Arbeiten Fleischmanns und Gottliebs 


157 


Zusammenhang zwischen den verschiedensten Krankheiten und dem Auftreten 
der Alveolarpyorrhoe schon seit langem behauptet worden. Ich sage „be¬ 
hauptet", denn alles was bisher darüber geschrieben worden ist, stützt sich 
lediglich auf einzelne Beobachtungen. Auch hier fehlen exakte Untersuchungen 
noch vollständig. So scheinen zwischen Diabetes und der Alveolarpyorrhoe 
in der Tat Beziehungen zu bestehen. Auch mit Arthritis darfein Zusammen^ 
hang wohl angenommen werden, der übrigens schon bei diluvialen Kiefern 
und bei Anthropoiden <Pyorrhoe gemeinsam mit Arthritis des Kiefer- 
gelenks) festgestellt ist. 

Zweifelhaft ist die Be¬ 
ziehung zu Lues. In 
vielen Fällen ist sicher¬ 
lich nur die Stomatis 
mercurialis infolge von 
Hg-Kuren die Ursache 
der Alveolarpyorrhoe. 

Auch für andere Krank¬ 
heiten geht das vorlie- 
gendeT atsachenmaterial 
über dieFeststelfung des 
gelegen tlichen gemeinsa¬ 
men Vorkommens nicht 
hinaus. Es wird auch die 
Frage der Vererblich¬ 
keit und das Verhalten 
der verschiedenen Ras¬ 
sen der Erkrankung ge¬ 
genüber noch zu prüfen 
sein. Andererseits wer¬ 
den umgekehrt die von 
der Aveolarpyorrhoe 
ausgehenden Wirkun¬ 
gen zu untersuchen sein. 

Ich denke dabei beson¬ 
ders an die von Ame¬ 
rika ausgehende Bewegung, die die von den Zähnen hervorgerufenen chro¬ 
nischen Eiterungen für die verschiedensten Krankheiten verantwortlich macht 
und der bis zu einem gewissen Grade doch wohl ein berechtigter Kern zu¬ 
grunde liegt, wenn sie auch zunächst in echt amerikanischer Weise weit 
über das Ziel hinausschießt. Hier ist noch fast alles zu tun. Fügen wir 
noch hinzu, daß auch die anatomischen Verhältnisse des Alveolarfortsatzes 
und insbesondere seine Veränderungen während des individuellen Lebens 
noch keineswegs gründlich studiert sind und daß ebensowenig der Einfluß 
der gestörten Funktion auf die Zahnfächer, sei es durch Überbelastung, 
s ^i es durch falsche Belastung klargestellt ist, so müssen wir wohl sagen. 



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158 


Prof. Dr. AdlotT 


daß hier noch ein weites Feld ist für weitere Forschungen. Es ist das be¬ 
sondere Verdienst Fleischmanns und Gottliebs auf die Erforschung dieser 
Verhältnisse aufmerksam gemacht und gezeigt zu haben, daß die klinische 
Beobachtung nicht genügt, die Ätiologie der Avcolarpyorrhoe zu klären. 

Nun kann es meines Erachtens aber gar keinem Zweifel 
unterliegen, daß eine Atrophie des Alveolarfortsatzes, welchen 
Ursprungs und welchen Grades sie auch immer sein mag, nie¬ 
mals ohne weiteres zu einer AIveolarpyorrhoe führen wird. Das 
lehrt ganz überzeugend die Atrophia alveolaris praecox, die einen sehr 
hohen Grad erreichen kann, ohne daß Taschenbildung und Eiterung auftritt, 
ja selbst die Lockerung kann auch bei hochgradigem Schwund der Alveole 
noch verhältnismäßig gering sein. Auch hier fehlt wieder ausreichendes Ver- 



Fig. 6 

gleichsmaterial. Es wäre vorerst zu prüfen, ob und wieweit eine Atrophie 
des Alveolarrandes auch bei gesunden Individuen vorkommt. 

Einige von mir zu diesem Zwecke gemachten Aufnahmen scheinen in der 
Tat zu zeigen, daß schon frühzeitig scheinbar ohne äußere Veranlassung eine 
Atrophie des Alveolarrandes insbesondere der Septen eintreten kann. Hier¬ 
über sind aber meine Untersuchungen noch nicht abgeschlossen. 

In allen Fällen, in denen bei schlechter Mundpflege Zahnstein und Gin¬ 
givitis festgestellt wurde, hatte, auch wenn letztere nur ganz gering war, selbst 
in jungen Jahren bereits eine Atrophie des Alveolarrandes eingesetzt ohne 
daß Alveolarpyorrhoe vorhanden war. Daß es aber nicht zur Alveolar¬ 
pyorrhoe zu kommen braucht, auch wenn die äußeren Schädlichkeiten lange 
genug zur Wirkung kommen, zeigen andere Aufnahmen, in welchen unter 
denselben schlechten Mundverhältnissen zwar eine verhältnismäßig hoch¬ 
gradige Atrophie festzustellen war, aber eine Erkrankung nicht stattgefunden 
hatte. Diese Fälle sprechen durchaus gegen die Theorie von Fleischmann 


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Betrachtungen zu den Arbeiten Fleischmanns und Gottliebs 


159 


und Göttlich. Hier hätte als Antwort auf die Atrophie des Alveolarfort- 
satzes die Tiefenwanderung des Epithels und Taschenbildung, mit anderen 
Worten Alveolarpyorrhoe die Folge sein müssen. Beides war offenbar nicht 
erfolgt, weil die Infektion trotz der bestehenden Gingivitis keinen Boden ge- 
faßt hatte. Bei Atrophia alveolaris praecox ist es in höchstem Grade be- 
merkenswert, wie bei so starkem Schwund der Alveolen, daß lediglich nur 
noch die Wurzelspitzen von Knochen umgeben waren, trotzdem die Zähne 
nodi ganz erstaunlich festsitzen konnten. Jedenfalls geht schon aus diesen 
wenigen Untersuchungen hervor, daß eine Atrophie des Alveolarrandes nicht 
immer zu einer Alveolarpyorrhoe zu führen braucht. 

Es muß also noch etwas anderes hinzukommen: die lokale Schädigung 
des Ligamentum circulare und eine Infektion. Ohne dieses keine 
Alveolarpyorrhoe! Die Atrophie des Alveolarfortsatzes insbesondere 
der Septa interalveolaria ist nur ein Moment unter anderen, das das Auf» 
treten der Krankheit möglich macht. Durch den Schwund der Septa intern 
alveolaria findet eine Schrumpfung der ihrer knöchernen Unterlage beraubten 
interdentalen Papille statt. Sie sinkt ein und damit ist die Grundlage für die 
Entwicklung der Alveolarpyorrhoe gegeben. Die Papille füllt den appro- 
ximalen Raum nicht mehr aus. Es entstehen Retentionsstellen, die zu einer 
Ansammlung von Speiseresten führen, so daß nunmehr von hier aus sehr 
leicht das Ligamentum circulare zerstört werden und eine chronische Ent- 
zündung des interdentalen Raumes entstehen kann. Erst nach Ablösung des 
Ligamentum entsteht die Tasche, erst dann auch wuchert das Epithel in die 
Tiefe. Ich halte es nicht für wahrscheinlich, daß nach der Annahme von Fleisch- 
mann und G o 111 i e b in den An fangsstadien der Pyorrhoe das Epithel der Gin¬ 
giva, ohne daß Entzündung vorhanden wäre, lediglich als Folge 
eines vorausgegangenen gleichzeitigen Schwundes der Aveolar- 
kuppe dem Zement entlang in die Tiefe wuchert. Hier glaube ich zunächst 
noch an einen Beobachtungsfehler der beiden Autoren. Die stark schema¬ 
tischen Abbildungen geben keine ausreichende Vorstellung von diesem Vor¬ 
gang. Es erscheint mir auch nicht unmöglich, daß das wuchernde Epithel nicht 
allein von der Schleimhaut stammt, sondern auch von Resten der Epithel¬ 
scheide, die ja fast bei jedem Zahn vorhanden sind und ganz ebenso wie in 
den Granulomen durch den Entzündungsreiz auch hier in Wucherung ge¬ 
raten können. Die von Römer gegebenen Bilder erinnern auffallend daran. 
Man könnte sich auch vorstellen, daß die hier ineinanderwachsenden Gewebe 
gegenseitig einen Reiz aufeinander ausüben, wodurch die Wachstumstendenz 
und damit ihre zerstörende Wirkung vergrößert wird. Ich stimme also 
durchaus mit jenen Autoren überein, die eine Infektion vom Ligamen¬ 
tum circulare aus als alleinige Ursache der Alveolarpyorrhoe 
betrachten. Die Auffassung, wonach der Beginn der Erkrankung in ganz 
bestimmten Veränderungen des Knochens zu sehen ist, wie noch Greve letz¬ 
tens ausfuhrte, halte ich nicht für richtig. Veränderungen des Knochens können 
vorhanden sein, ohne daß es doch zu einer Alveolarpyorrhoe kommt. Auch 
die neue Fassung, die Gottlieb dieser bereits seit jeher von einigen Forschern 


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160 


Prof. Dr. Adloff 


vertretenen Theorie gegeben hat, kann nicht befriedigen. Seine Ausführungen 
sind nicht durchaus überzeugend. So muß auch Gottlieb zugeben, daß die 
Infektion eine wichtige Rolle spielt. Bei seiner Randatrophie der reaktions¬ 
fähigen Zähne sind auch nach seiner Vorstellung die marginalen Schädlich¬ 
keiten am schwerwiegendsten, und nach ihrer Beseitigung ist eine Heilung 
möglich im Gegensatz zur diffusen Atrophie, die zustande kommen soll, weil 
der Zahn auf die Atrophie des Alveolarfortsatzes nicht mit Zementneubildung 
reagiert. Hiernach scheint es mir doch näherzuliegen, daß wenigstens in ersterem 
Falle die Infektion die primäre Ursache darstellt und daß die Randatrophie 
lediglich ein unterstützendes Moment bildet. 

Diese Infektion vom Ligamentum circulare aus kann selbst¬ 
verständlich auch zustande kommen ohne eine Atrophie des 
Alveolarfortsatzes und trotzdem zu einer Alveolarpyorrhoe 
führen. Jede Art von Gingivitis oder Stomatitis kann eine chronische Ent¬ 
zündung des Interdentalraumes hervorrufen. Ohne Frage aber ist es der 
Zahnstein, der in diesem Sinne sicherlich eine hervorragende Rolle spielt. Es 
scheint mir doch verfehlt zu sein, seine Bedeutung für die Entstehung der 
Alveolarpyorrhoe leugnen oder gar behaupten zu wollen, daß er lediglich 
ihre Folge sei. Die klinischen Beobachtungen beweisen doch einwandfrei, 
daß durch den Zahnstein eine Ablösung des Ligamentum und damit die Vor¬ 
bedingung für das Entstehen der Krankheit zustande kommen kann, und 
wenn tatsächliche Fälle von Alveolarpyorrhoe Vorkommen, bei denen sich 
kein Zahnstein findet, so beweist das nicht, wie noch Greve ganz neuerdings 
behauptet, daß er die wesentliche Ursache nicht sein kann, sondern es 
geht hieraus nur hervor, daß er nicht die alleinige Ursache sein wird, 
wie ja auch in der Tat Fälle genug Vorkommen, in denen zwar Zahnstein 
aber keine Alveolarpyorrhoe vorhanden ist. Die wahre Ursache ist eben die 
Infektion, die den verschiedenartigsten Schädigungen am Zahnfleischrande 
folgen kann — aber nicht folgen muß. Wenn in einem Falle trotz sorg¬ 
fältigster Pflege und größter Sauberkeit die Alveolarpyorrhoe auftritt, wäh¬ 
rend in anderen Fällen Individuen, die den Begriff einer Zahnpflege gar nicht 
kennen, von ihr verschont bleiben, so ist das im Hinblick auf die bekannten 
Tatsachen der Immunitätsforschung gewiß nicht wunderbarer als viele 
andere Erscheinungen dieser Art, ja sie ist meines Erachtens allein ein 
sicherer Beweis dafür, daß es sich hier lediglich um eine Infektion handeln kann. 
Diese Infektion ist wohl keine spezifische, wenigstens ist bisher ein typischer 
Erreger nicht gefunden worden. 

Allerdings ist das letzte Wort hierüber vielleicht noch nicht gesprochen. Die 
Rolle, die die Spirochaeten und der Bacillus fusiformis im Munde und bei ande¬ 
ren mit Eiterung einhergehenden Krankheiten spielen, ist noch keineswegs ge¬ 
klärt, aber es bedarf viel exakteren Beweismateriales, um solche weittragende 
Schlußfolgerungen zu ziehen, wie es von Beyer und Kolle geschehen ist. 

Wenn wir die Frage der Ätiologie der Al veolarpyorrhoe von diesem Stand¬ 
punkt aus betrachten, so ergeben sich doch einige Schlußfolgerungen, die das 
Problem wesentlich klären. Die meisten Arbeiten der neueren Zeit scheinen 


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Betrachtungen zu den Arbeiten Fleischmanns und Gottliebs 161 

denselben Resultaten zuzusteuern, wenn sie auch in einzelnen Punkten von- 
einander differieren. 

Trotz Gottlieb und Greve scheinen wir doch mit Sicherheit behaupten zu 
können, daß das Wesentliche der Erkrankung nicht im Knochen 
liegt. Die einzige und alleinige Ursache ist eine Infektion vom 
Alveolarrande aus, die zu einer chronischen Entzündung des Interdental^ 
raumes führt und alle jene bekannten Folgen zeitigt. Der Verlauf der Er¬ 
krankung ist ein verschiedener, je nachdem dieselbe auf einen 
vorbereiteten Boden oder auf normale Verhältnisse trifft. Ist be¬ 
reits eine Atrophie des Alveolarknochens im Gange oder liegen sonst Ver¬ 
hältnisse vor, die die Widerstandsfähigkeit herabsetzen, so verläuft die Er¬ 
krankung ungünstig, da unsere Therapie wenigstens heute noch nicht imstande 
ist, den im Gange befindlichen Schwund des Knochens aufzuhalten, handelt 
es sich um die Folgen einer einfachen unkomplizierten chronischen Entzün¬ 
dung, dann wird nach Beseitigung der Ursachen die Heilung erfolgen können. 
Vielleicht finden wir bei diesen beiden Formen auch eine verschiedene Ur¬ 
sprungsstelle. Ich glaube aus klinischen Beobachtungen den Eindrude ge¬ 
wonnen zu haben — ich möchte mich da sehr vorsichtig ausdrücken, da ich 
exakte Feststellungen nicht vorlegen kann — daß die etstere Form öfter von 
den Molaren, die zweite mehr von den unteren Schneidezähnen ausgeht. 
Es würde dieses Verhalten ja auch mit den sonstigen Bedingungen, unter 
denen die Erkrankung auftritt, gut übereinstimmen. In dieser Beziehung 
stimme ich also mit Gottlieb durchaus überein. Auch er stellt ja die pro¬ 
gnostisch ungünstig verlaufene diffuse Atrophie der gutartigen Randatrophie 
mit maginalen Schädlichkeiten gegenüber. 

Hierzu sei übrigens bemerkt, daß schon vor Jahren Weski eine horizontale 
und vertikale Atrophie des Alveolarrandes unterschieden hat, die beide mit 
Pyorrhoe verbunden sein können, von denen aber letztere besonders dazu 
prädisponiert, da sie durch eine unter das Niveau des Knochenrandes herab¬ 
reichende Nische gekennzeichnet ist. Bei beiden ist das Symptom der Eiterung 
von untergeordneter Bedeutung, die Atrophie die Hauptsache. Im Grunde 
genommen stimmt diese Auffassung, die ja in gewissem Sinne auch von Neu¬ 
mann übernommen ist, mit derjenigen von Gottlieb überein. Ich halte die¬ 
selbe ebenfalls nicht für richtig. Der Verlauf hängt nicht von einem hori¬ 
zontalen oder vertikalen Fortschreiten des Prozesses ab — dieses wird ledig¬ 
lich bedingt durch die besonderen Verhältnisse des Interdentalraumes — son¬ 
dern davon, ob die vom Munde eindringende Infektion auf widerstands¬ 
fähiges Gewebe trifft oder nicht. 

Die ausgezeichneten Untersuchungen Fleischmanns und Gottliebs wer¬ 
den sicherlich zu weiteren exakten Forschungen anregen und zur Aufklärung 
des Problems in hohem Grade beitragen. Ich vermag aber der von ihm ver¬ 
tretenen Theorie bisher nicht beizustimmen. Ich zweifele die tatsächlichen 
Befunde an sich nicht an, aber es geht aus ihnen meines Erachtens nicht 
hervor, daß sie in der Tat zum Bilde der Alveolarpyorrhoe gehören. Dar¬ 
über werden eben noch weitere Untersuchungen zu entscheiden haben. 

Vierteljahrssdwift für Zahnheilkunde, Heft 2 ] | 


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DIE CHLUMSKySCHE LÖSUNG UND KALOMEL 
IM DIENSTE DER WURZELBEHANDLUNG UND 
WURZELFÜLLUNG 

VON 

DR. HERMANN KNESCHAUREK 

GEW. UNIV.*ASSISTENTEN FÜR ZAHNHEILKUNDE, GRAZ 

A ls ich im Jahre 1919 in dieser Zeitschrift meine Erfahrungen bezüglich 
.der Verwendbarkeit der Chi umsky sehen Lösung bei eitrigen Prozessen 
um die Wurzelspitzen mitteilte und die günstigen Resultate berichtete, die 
— seither auch von vielen Kollegen — mit dieser Lösung beim Durchspülungs* 
verfahren erzielt wurden, erwähnte ich kurz, daß selbst Einlagen in den 
Wurzelkanal allein in einzelnen Fällen schon eine günstige Wendung des 
Krankheitsbildes eintreten ließen. 

Durch diese Wahrnehmung angeregt, begann ich in praxi vergleichende 
Versuche zwischen der Wirkung der Chlumskyschen Lösung und der an* 
derer, in der Zahnheilkunde schon gebräuchlicher Desinfektionsmittel, anzu* 
stellen,- vor allem zog ich das Trikresol Formalin, das Eugenol und die Jod* 
tinktur heran. 

Diese Versuche führten zu dem Ergebnis, daß in vielen Fällen mit der 
Chlumskyschen Lösung günstigere, von Übeln Nebenwirkungen <Reiz* 
erscheinungen) freie Resultate erzielt werden konnten. 

Wie Baumgartner, Mayrhofer u. a. nachgewiesen haben, ist es zum 
mindesten mit der antiseptischen Dauerwirkung des Trikresolformalins im 
Wurzelkanal nicht weit her. Ich glaube annehmen zu können, daß einer der 
Gründe der kurzen Dauer der Desinfektionswirkung dieses Mittels im Wurzel* 
kanal darauf zurückzufuhren ist, daß nur äußerst geringe Mengen davon ver* 
wendet werden dürfen. Bekanntlich sollen die mit Trikresol formalin ge¬ 
tränkten Bäuschchen und Fäden nicht zu feucht eingelegt werden, um keine 
Reizerscheinungen oder gar Nekrosen in dem den Zahn umgebenden Ge* 
webe auszulösen. Eine Ängstlichkeit in dieser Beziehung ist nun beim Karbol* 
kampfer nicht nur unangebracht, sondern wir können und sollen im Gegen* 
teil bestrebt sein, möglichst große Mengen der Flüssigkeit, also möglichst 
feuchte Bäuschchen einzuführen. 


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Die Chlumskysche Lösung und Kalomel im Dienste der Wurzelbehandlung J63 


Insbesondere in Fällen, wo eine Wurzelbehandlung bei weitem Foramen 
notwendig ist, leistet die Chlumskysche Lösung vorzügliche Dienste,* bei 
fast allen Wurzelbehandlungen schwebten wir bisher zwischen Szylla und 
Charybdis, entweder nicht genügend wirksam zu desinfizieren, oder aber Reiz- 
erscheinungen in den Geweben auszulösen, die der Wurzel eng anliegen. 

Daß solche Erfahrungstatsachen dem Praktiker zu denken geben und der 
Phenolkampfer von dieser Seite auch schon geschätzt wird, geht aus der Pu- 
blikation „Kleines aus der Praxis' 7 von Dr. Rudolf Bayer, Wien, hervor, 
der im zweiten Heft des heurigen Jahrgangs der Zeitschrift für Stoma- 
tologie mitteilt, ebenfalls die Erfahrung gemacht zu haben, daß bei Verwen- 
düng dieses Mittels die Reizkomponente, wie sie vor allem dem Trikresol- 
formalin anhaftet, in Wegfall kommt. 

Im Anschluß an diese Feststellung möchte ich noch <wiederholend aus 
meiner ersten diesbezüglichen Arbeit) bemerken, daß man den Phenolkampfer 
besser nicht nach dem von Bayer gebrachten Rezept herstellt, sondern aus 
verschiedenen Gründen nach dem Originalrezept Chlumskys, des Erfinders 
und Pioniers der Phenolkampfertherapie in der Chirurgie: 

Rp. Acid. carbol. purissimi <crystallisati!> 30.0 
Camphorae tritae 60.0 

Alkohol, absol. 10.0 

Die Dauer der bakteriziden Wirksamkeit des Trikresolformalins und ähn¬ 
licher Mittel steht weit hinter jener des Karbolkampfers zurück. 
Dies hat sich nicht nur praktisch ergeben, sondern war schon zu erwarten aus 
der chemischen Eigenschaft der Chlumskysehen Lösung als Nachlieferungs¬ 
reservoir der immer frisch freiwerdenden wirksamen Karbolsäure 1 . 

Der theoretischen Überlegung folgend, daß die Chlumskysche Lösung 
die Exsudation anregt — was wohl beim Durchspülungsverfahren anzustreben 
ist, wo die Sekrete freien Abzug haben, was aber beim verschlossenen Zahn 
zu unerwünschten Stauungserscheinungen führen könnte — verschloß ich an¬ 
fänglich die ersten Einlagen nie durch eine provisorische Füllung, ohne durch 
diese nach der bekannten Methode einen Wattefaden als Drain zu legen. — 
Zeigte es sich beim Wechseln der Einlage, daß keine auffallende Neigung 
zur Exsudatbildung vorhanden war, so verschloß ich mit Fletscher oder Gutta¬ 
percha, ohne je eine üble Folge einer Stauung wahrgenommen zu haben. 
Heute getraue ich mich schon in allen Fällen, wo der Erkrankungsprozeß 
nicht sichtlich <natürlich nicht vom röntgenologischen Standpunkt aus) über 
das Foramen apicale des Zahnes hinaus fortgeschritten ist, gleich die erste 
Einlage vollständig zu verschließen und gebrauche die eben erwähnte Vor¬ 
sicht nur mehr in den angeführten, weiter vorgeschrittenen Fällen oder dann, 
wenn sehr weite Foramina bestehen. 

Da ich bis vor kurzem ein Anhänger und Verfechter der Paraffinwurzel- 
füllung für alle jene Fälle war, in denen sich die Austrocknung der Wurzel- 

1 Siehe den Absatz aus der Arbeit von Kremann, Wischo und Paul: „Die Chlumsky* 
sehe Lösung im Lichte der Phasenlehre", von mir im Wortlaute zitiert in Heft 3 dieser Zeit^ 
Schrift vom Juli 1919, pag. 201. 

11 * 


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164 


Dr. Hermann Knesdiaurek 


kanälc in einwandfreier Weise durchführen läßt — heute muß ich dieser An¬ 
schauung aus einem besonderen Grunde, wie ich später erwähnen will, allere 
dings eine Einschränkung auferlegen — machte ich in der letzten Sitzung vor 
der Wurzelfüllung noch eine Trikresolformalin-Einlage in Pulpakammer und 
Kanäle. Ich erreichte dadurch, daß die Kanalwände, die bei der an sich schon ge- 
ringen Adhäsionsfähigkeit des Paraffins durch die ölige Chiumskysche Losung 
noch ungeeigneter zur Aufnahme des Paraffins geworden waren, diese uner¬ 
wünschte Eigenschaft wieder einbüßten. Ich möchte auch raten, dieses Verfahren 
in allen jenen Fällen, in denen mit Paraffin gefüllt wird, beizubehalten, wobei 
allerdings nicht unbedingt Trikresolformalin verwendet zu werden braucht, da 
man beispielsweise mit einer Lösung von Formalin 1 zu Alkohol 2 dasselbe 
Ergebnis erreicht. Reizerscheinungen sind in diesen Fällen (bei sozusagen ab¬ 
geschlossener Wurzelbehandlung) nicht mehr so zu fürchten wie anfangs. 

Wenn sich nun ergibt, daß die Chlumskysche Lösung vorwiegend in den 
verschiedenen Fällen der Pulpengangrän eine raschere, für die Zukunft sicherere 
und von keinen üblen Reizzuständen begleitete Ausheilung gewährleistet, so 
soll keineswegs gesagt sein, daß in anderen Fällen, z. B. wenn es sich um 
eine Einlage nach Extraktion einer nicht sichtlich infizierten Pulpa handelt, 
dem Trikresolformalin der Platz, den es bisher, besonders unter den die Ka¬ 
näle trocknenden Mitteln, einnahm, streitig gemacht werden soll. Die Anti- 
formin-, die Kalium-Natrium-Behandlung usw. soll nicht nur nicht ver¬ 
drängt, sondern sie kann vorteilhaft mit der angegebenen Methode kombi¬ 
niert werden. Auch ist es, wie in vielen Fällen der Medizin, oft günstig, mit 
den Mitteln zu wechseln, wenn es sich um die Heilung eines hartnäckigeren 
Prozesses handelt,- es ist also die Bereicherung unseres Arzneischatzes in diesem 
Sinne erstrebenswert. Reagieren doch scheinbar gleichartige Fälle bei verschiede¬ 
nen Individuen nicht immer in gleicher Weise auf dasselbe Medikament. 

Was die Wurzelfüllung anbetrifft, so habe ich vor zehn Jahren als die mir 
günstigst erscheinende die Paraffin-Wurzelfullung mit Wismutzusatz be¬ 
zeichnet und all die Zeit her auch solche Füllungen gelegt. Nach der großen 
Erfahrung, die ich nun mit der Paraffin -Wurzel füllung zu machen Gelegen¬ 
heit hatte, kann ich heute sagen, daß zwar die meisten Bedenken, die seiner¬ 
zeit gegen diese Art der Wurzelfüllung erhoben worden sind, keine Kontra¬ 
indikation gegen sie zu bilden imstande sind, da die Vorteile der Füllung 
diese Nachteile bei weitem überwiegen. Leider hat aber ein Umstand mir 
doch als sehr unliebsam die Füllung in allen jenen Fällen, bei denen weite 
Foramina apicalia vorhanden sind, verleidet. Dies ist der Abtransport des 
Paraffins aus den Wurzelkanälen in das periapikale Gewebe, wo es lange 
Zeit nach der Füllung plötzlich Beschwerden, ja Abszedierung und Fisteln 
verursachen kann und Teile der Wurzel füllung als oft stecknadelkopfgroße 
Fremdkörper zentimeterweit vom Applikationsorte röntgenologisch nach¬ 
gewiesen werden können. 

Diese Erscheinung, an die ich erst nicht recht glauben wollte, trat ganz be¬ 
sonders bei der Reimplantation in den Vordergrund, die ich, seit Doz. Baum- 


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Die Chlumskysche Lösung und Kalomel im Dienste der Wurzelbehandlung 165 


gartner sein Verfahren mit der Preglschen Jodlösung angegeben hat, wieder 
häufiger übe. Der Umstand, daß bei Wurzelspitzenresektionen und Reim^ 
plantationen das Foramen künstlich erweitert bzw. der Teil der Wurzel 
quer durdhgesdinitten ist, an dem der Pulpakanal schon eine ansehnliche lichte 
Weite hat, scheint in Verbindung mit den physiologisch auftretenden Er^ 
scheinungen während der Verheilung im periapikalen Gewebe besonders dazu 
beizutragen, daß das Paraffin in so großen Stücken aus dem Wurzelkanal 
abtransportiert wird, daß Fremdkörper^Reizerscheinungen und schließlich Ab^ 
szedierung in der Umgebung verhältnismäßig häufig Vorkommen. 

Ich habe die Paraffin^Wurzelfüllung bei der Reimplantation vermieden, 
seitdem ich einige schön eingeheilte Zähne aus den angeführten Gründen 
nach Monaten verlorengeben mußte. Jetzt stehe ich auf dem Standpunkt, 
daß alle Fälle mit weiten Foramen eine Kontraindikation gegen diese Art 
der Wurzelfüllung bilden 1 . 

Nur schweren Herzens habe ich mich zu diesem Entschluß durchgerungen, 
da ich keinen, mir ebenbürtig erscheinenden Ersatz finden konnte. Insbesondere 
die feste Konsistenz des Wurzelfüllungsmittels, die besonders bei einzufügendem 
Kronenersatz mit Stiften u. dgl. die Foramen für den nachgepreßten Zement 
undurchlässig macht, wird von keinem anderen Mittel bei gleich leichter EnU 
fembarkeit erreicht. Auch die Reizlosigkeit gegenüber dem periapikalen Ge^ 
webe (solange eben kein Abtransport stattfindet) ist eine große Annehmlich^ 
keit des Paraffins. Um letztere wenigstens zu erreichen, ohne auf eine gute 
Desinfektionskraft verzichten zu müssen, füllte ich versuchsweise vor etwa 
zwei Jahren die Wurzelkanäle und Pulpakammern mit Bolus alba, die mit 
Chlumskyscher Lösung zu einer dicken Paste verrieben wurde. 

Leider hat diese einfache Paste die Eigenschaft, nur wenig Röntgenstrahlen 
zu absorbieren, weshalb es notwendig erschien, noch ein MetalRsalz) zuzu= 
setzen, um die röntgenologische Nachweisbarkeit der Wurzelfullung zu erzielen. 

Während ich die diesbezüglichen Versuche machte, erhielten Doz. Baum^ 
gartner und ich im Spätherbst des Jahres 1919 von Herrn Prof. Pregl, 
Vorstand des med.^chem. Institutes der Universität Graz, die Anregung, 
Kalomel als Dauerantiseptikum in der Zahnheilkunde in umfangreicherem 
Maße zur Anwendung zu bringen. 

Wegen der immerhin beachtenswerten Bedenken, die gegen die Anwendung 
eines Quecksilbersalzes in der Mundhöhle im allgemeinen und an Zähnen im 
besonderen sprachen und weiters aus dem Grunde, weil bekanntermaßen 
sowohl metallisches Quecksilber, als auch seine Verbindungen das Gold schwer 
zu schädigen imstande sind, empfahl er zuerst Kalomel dem Zement zuzu^ 
setzen, mit dem Vollgoldkronen auf Zahnstümpfe aufzementiert werden. Die 
sorgfältige und ständige Beobachtung ermöglicht es ja in solchen Fällen schon im 
Stadium einer beginnenden Schädigung Krone und Zement wieder zu entfernen. 

1 Allerdings ist es möglich, daß sich die schlechten Erfahrungen, die i ch vorwiegend erst 
seit den letzten Kriegsjahren gemacht habe, auch auf das Material zurückführen lassen,- 
es stand mir nämlich seit dieser Zeit kein Paraffin mit höchstem Schmelzpunkt zur Ver¬ 
fügung. Solches mit niedrigem Schmelzpunkt ist zur Wurzelfüllung sicher ungeeignet. 


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166 


Dr. Hermann Knesdiaurek / Die Chlumskysche Lösung und Kalomel 


Praktisch ergab sich, daß erstens ein Zusatz von 12—15 Gewichtsperzent 
Kalomel weder die Adhäsionsfähigkeit des Zements merklich beeinträchtigt, 
noch etwa eine auftretende Quecksilberwirkung das Gold in kristallinischen 
Zustand überführt, dieses also absolut keiner Schädigung ausgesetzt ist. 
Zweitens aber, und darin liegt der außerordentliche Vorteil, daß der Zement 
stets vollständige Geruchlosigkeit bewahrt, während sonst fast immer nach 
Abnahme solcher Kronen der typische penetrante Geruch bemerkbar ist, der 
bekanntermaßen bei durchgekauten Kronendeckeln mit sich anschließender se¬ 
kundärer Karies oder bei schlecht sitzenden, am Zahnhals zu weiten oder zu 
kurzen Kronenringen die bekannte Intensität annehmen kann: daß sich also 
der Kalomelzusatz antiseptisch, ergo kariesverhindernd bewährt. 

Durch die ermutigenden Versuche in dieser Richtung veranlaßt, konnte auch 
Prof. Pregls zweiter Vorschlag ohne besondere Bedenken ausgeführt werden: 
die Füllung des Wurzelkanals mit einer kalomelhaltigen Paste. 

Es möge hier betont werden, daß in keinem der beobachteten Fälle irgendein 
Nachteil für den Zahn, das Zahnfleisch oder — wie schon erwähnt — die 
Goldkrone zur Beobachtung gekommen ist. Es liegt darin eine Bestätigung 
für die Richtigkeit der Anschauungen, von denen der Genannte bei Emp¬ 
fehlung des Kalomelzusatzes ausgegangen ist. Infolge der außerordentlich 
geringen Löslichkeit dieses Mittels einerseits und der geringen Diffiisions- 
möglichkeiten, die im Zahn und um den Zahn gegeben sind, kann es sich selbst 
bei Einbringung großer Mengen in den Wurzelkanal oder unter die Goldkappe 
auch in jahrelangen Zeiträumen nur um den Abtransport kaum meßbarer 
Quantitäten vonHg-Salzen handeln. Infolgedessen muß aber die Quedcsilber- 
Ionen-Konzentration in der unmittelbarsten Umgebung des kalomelhaltigen 
Materiales relativ am größten sein und die höchste bakterizide Kraft unter den 
gegebenen Umständen entfalten, hingegen in verhältnismäßig geringer Entfer¬ 
nung davon, wo schon bessere Diffiisionsbedingungen wie im Periodontium und 
in der Gingiva bestehen, einen an Null herankommenden Wert erreichen. 

Ich verwende nun seit mehr als Jahresfrist Bolus alba + 20 Gewichts¬ 
perzent Kalomel <in Vorratsflasche), mit Chlumskyscher Lösung jedesmal 
frisch zu einer den augenblicklichen Erfordernissen entsprechenden Konsistenz 
verrieben. Diese Paste erfüllt den Zweck eines momentan außerordentlich kräf¬ 
tigen (Chlumskysche Lösung) auf Jahre hinaus wirksamen (Kalomel) milden 
Desinfiziens, welche gleichzeitig die Eigenschaft besitzt. Röntgenstrahlen in genü¬ 
gender Menge zu absorbieren, um Schattenrisse auf Platte und Film zu ergeben, 
die an Klarheit jene der üblichen Wismuth-ParaffinWurzelfüllung übertreffen. 

Eine Kontraindikation gegen die Verwendung des Kalomels in der an¬ 
gegebenen Weise besteht nach den bisherigen Erfahrungen in keinem Falle. 
Vorsicht hätte man nur in der Richtung walten zu lassen, als nach künstlicher 
Erweiterung der Wurzelkanäle unter Zuhilfenahme von Säuren, insbesondere 
nach Anwendung salpetersäurehaltiger Mittel (Königswasser) die Neu¬ 
tralisation und weitere Reinigung mit besonderer Sorgfalt ausgeführt werden 
muß, um zu vermeiden, daß Kalomel infolge zurückbleibender Reste oxy¬ 
dierender Materialien in Sublimat übergeführt werde. 


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AUS DEM ZAHNÄRZTLICHEN INSTITUT DER POLNISCHEN UNIVERSITÄT 

ZU LWÖW <LEMBERG) 

DIREKTOR PROF. DR. ANTONI CIESZYNSKI 

SCHIEBERVERANKERUNG FÜR ORTHOPÄDISCHE 
PROTHESEN DES UNTER- UND OBERKIEFERS BEI 
DEFEKTEN DERSELBEN ODER PSEUDARTHROSEN 
UND FÜR BESONDERE FÄLLE VON BRÜCKEN UND 
VON GEWÖHNLICHEN PLATTENPROTHESEN 1 

VON 

ANTONI CIESZYNSKI 

O rthopädische Prothesen, die zum Ersatz von größeren Defekten des Kie¬ 
fers dienen, befestigt man gewöhnlich im Munde auf die gleiche Weise 
wie gewöhnliche Prothesen, das ist mittels Klammem. Diese Art der Be¬ 
festigung ist jedoch nur dann ausreichend, wenn die Basis solid ist, und wenn 
keine Hebelwirkung in vertikaler oder schräger Richtung von der Basis aus 
oder von den umgebenden Weichteilen ausgeübt wird. Schon bei gewöhn¬ 
lichen Plattenprothesen erfüllen die Klammern nicht ihren Zweck und genügen 
nicht zur Befestigung des Ersatzes, sobald der Kranke genötigt ist klebrige 
Speisen, z. B. Knödeln, zu kauen. Um so mehr versagen die gewöhnlichen 
Klammern bei Prothesen nach Unterkieferresektion, bei manchen Kieferver¬ 
letzungen, bei Pseudarthrosen, d. i. bei allen den Fällen, bei denen statt der 
soliden Basis ein elastischer Narbenzug die Unterlage bildet. Nach Resektion 
eines oder beider Oberkiefer üben die umgebenden Weichteile eine Hebel¬ 
wirkung in schräger Richtung nach unten zu auf den Oberkieferersatz aus 
und luxieren denselben aus seinem Lager. Man half sich bis dahin in diesen 
Fällen auf diese Weise, daß man an den Stützpfeiler, der mit einer Krone 
versehen wurde, eine vorspringende Leiste für die gewöhnlichen Klammern 
etwas unterhalb der Kaufläche lötete, welche das Herunterrutschen derselben 
verhindern sollte. Die Befestigung mit Klammern erweist sich ferner bei 

1 Im Auszug publiziert in „Przegl^d dentystyczy" 1921, Nr. 3 und in „La Revue de 
Stomatologie" 1921, Nr. 9. 


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Antoni Cieszynski 


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Pseudarthrosen als unzulänglich, wenn die Unterkieferfragmente mehrere Zen¬ 
timeter auseinanderstehen und nur durdi einen Narbenzug miteinander ver¬ 
bunden sind. Die Kaumuskulatur, die an das hintere Fragment ansetzt, zieht 
letzteres stärker an, spannt die Narbe und hebelt die Prothese trotz der 
Klammerbefestigung aus ihrer ursprünglichen Lage heraus. Schwieriger ge¬ 
stalten sich noch die Verhältnisse in denjenigen Fällen, bei denen der auf¬ 
steigende Ast des Unterkiefers vollständig fehlt, oder wenn die Pseudarthrose 
retromolar gelegen ist. Der aufsteigende Ast wird durch die Kaumuskulatur 
nach aufwärts und medialwärts verschoben und überträgt seine Bewegungen 
durch einen elastischen Narbenstrang auf das Fragment des Unterkiefer¬ 
körpers. Wenn die Zahl der Stützpfeiler ausreichend ist, erhalten wir noch 
die besten Resultate mit einer festaufzementierten Brücke. 

Im Jahre 1915 demonstrierte ich im Verein österr. Zahnärzte in Wien 
und der Ärztesitzung in der Stiftskaserne eine neue Art der Befestigung 
von orthopädischen Prothesen mittels Verankerung in den drei Hauptebenen, 
in vertikaler, horizontaler und sagittaler Richtung, welche mir in einem Falle 
von Resektion des halben Unterkiefers mit Entfernung des Kiefergelenkes 
bei Tuberkulose des Unterkiefers einen vorzüglichen Halt für die orthopädische 
Prothese lieferte, trotzdem der halbe Unterkieferkörper ersetzt werden mußte,- 
die Befestigung mußte dabei in der Mittellinie stattfinden <Fig. 1) und das 
zurückbleibende Kieferfragment eine kontinuierliche Zahnreihe aufweisen. Die 
im Kiefer zurückgebliebenen Zähne wurden mit Goldkronen versehen, welche 
untereinander verlötet wurden. An die so hergestellte Brücke A wurde an 
den mittleren Schneidezahn |T ein horizontal verlaufender Doppelschieber d 
in transversaler Richtung angelötet, das ist in der Richtung des Alveolar¬ 
fortsatzes, lingual hingegen ein vertikal verlaufendes Röhrchen a. Der Defekt 
wurde durch einen abnehmbaren Kautschukblock mit den fehlenden Zähnen 
ersetzt CBJ. An denselben wurde an seiner medialen Kante unterhalb der 
beiden Schneidezähne ein ebenfalls transversal und horizontal verlaufender 
Schieber angebracht, welcher zwischen die beiden Schenkel des Doppel¬ 
schiebers cf exakt hineinpaßte. Doppelschieber und Schieber enthielten einen 
in sagittaler Richtung verlaufenden Kanal von viereckigem Querschnitt, durch 
welchen ein vierkantiger Stift C als Riegel hindurchgesteckt wurde und der eine 
Dislokation in vertikaler und transversaler Richtung verhinderte. Außerdem 
war parallel zum Röhrchen a bei A an der lingualen Fläche des 2] ein zweites 
Röhrchen ß angelötet, dessen Lumen sich als ein breiter Kanal in den Kautschuk¬ 
block fortsetzte und zur Aufnahme der Klammer D diente. Der Klammer¬ 
schenkel ß x war doppelt so lang wie der Schenkel a i ,- verschob sich leicht nach 
aufwärts im Röhrchen a bis zur Höhe des Klammerschenkels a u ein weiteres 
Herausschieben wurde durch die knopfartige Verdickung am unteren Ende 
des Klammerschenkels ß x verhindert. Nach dem Einsetzen des Kautschuk¬ 
blockes B und Verriegelung desselben mittels des Querstiftes C wurde 
der Schenkel a der Klammer D in das Röhrchen a hineingeschoben, wo¬ 
durch die Prothese mit der Brücke völlig starr verankert und zu einem 
einheitlichen Stück vereinigt worden ist. Damit der Schieber C nicht beim 



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Sdiieberverankerung für orthopädische Prothesen des Unter* und Oberkiefers 169 


Herausnehmen verloren ginge, wurde er in diesem Falle mit einem Kettchen 
an die Prothese befestigt. Sowohl das Doppelgeschiebe bei A als auch das 
Schiebersystem bei B wurde nach der bekannten Gußmethode hergestellt, 
wobei bei B gleichzeitig auch die Kästchen zur Aufnahme der Porzellanzähne 
1 u. 2| und eine Delle für den horizontalen Abschnitt der Klammer D 
modelliert worden sind. Die Röhrchen a und B wurden aus Goldblech ge¬ 
zogen und angelötet. Die Klammer D wurde aus drei einzelnen Teilen her- 
gestellt und die drei Schenkel rechtwinklig zueinander verlötet, um auf diese 



gelenkes, Ansicht von der lingualen Seite, nach Ci^szynski. 

A festsiizende Brücke. An (T ist transversal ein zweiarmiges Geschiebe d angclöfet 
und lingual ein vertikal verlaufend es Rö hrchen a. 

B Kautschukblock mit der Zahnreihe 6 — 1 ( zum Ersatz des resezierten Unterkiefers. 

Unterhalb von T| und^l ist ein Schieber angebracht, der zwischen die beiden Arme 
des Geschiebes d bei A hereinpaßt. Lingualwärts ist ein vertikales Röhrchen b 
arffcebrachT, parallel zum Röhrchen a bei A . 

C Vierkantiger Stift, zum Verschluß des Geschiebesystems bei A und B. 

D Verschiebliche Klammer. Der Klammerarm a, wird nach dem Einsetzen der 
Prothese in das Röhrchen a bei A hereingeschoben. 

Weise eine größere Stabilität zu erzielen. Das Schiebersystem erhielt zwei 
kräftige Metallschwänze, die in den Kautschukblock eingelassen worden sind. 

Der Erfolg war ein ausgezeichneter/ die Prothese saß unverrückbar fest. 
Der einzige Nachteil liegt in der Schwierigkeit der Herstellung des Ver¬ 
ankerungssystems, welche äußerste Genauigkeit erfordert. Die Kettenbefesti¬ 
gung des Stiftes kann noch durch die später beschriebene Querstiftverankerung 
ersetzt werden <Fig. 5, Verankerung für 15). 

ln dem ersten Halbjahr des Jahres 19zÖ" wandte ich in drei Fällen von 
orthopädischen unteren Prothesen eine andere Konstruktion von Schieber- 


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Antoni Cieszynski 


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Verankerung an, indem ich gleichzeitig die hebelnde Kraft des Narbenzuges 
zur Fixation der Prothese verwandte. Wenngleich dieses Prinzip im ersten 
Augenblick paradox klingt, erweist es sich in der Praxis durchführbar <Fig. 2 u. 3>. 

Diese Befestigungsmethode beruht darin, daß an zwei Zähnen, die mög* 
liehst weit voneinander abstehen, vorspringende, an ihrer äußeren Kante ver* 
dickte Flügel angelötet werden, die als Schieber in entsprechende Geschiebe 
der abnehmbaren Prothese passen. Die relativ breite Fläche des Schieber* 
Systems gewährleisfet eine hinreichende Reibung bei jedem seitlichen und 



Fig. 2 


Ortho pädische Prothese zum Ersatz der linken Unterkieferhälftc 
nach Cieszyitski. 

A festsitzende Brüfke befestigt auf 7[ und 5|. An die Brücke ist eine schiefe Ebene 
angelötct, an der Schieber s mit verdickter Kante. 

B festsitzende Brücke, bestehend aus 3 miteinander verlöteten Vollkronen für 3211/ 
bei T| ist der Schieber s angelötet, parallel zum Schieber s bei A. 

C Schematische Darstellung des Narbendruckes. 

D Orthopädische Prothese für die Zähne 7| bis |7>. Beim T| ist das Geschiebe 
angebracht, welche das Negativ der Schiene S bei A darstcllt. Ebenso Ist im 
|T ein Geschiebe vorgesehen für S bei B. 

schrägen Druck und verhindert dadurch ein Herausgleiten der Prothese, die 
als ein freier Hebelarm herausragt und dem Narbenzug ausgesetzt ist. An* 
statt sich bei dem hebelnden Druck der Narbe zu lockern, verankert sich die 
Prothese um so fester und ist nur bei vertikalem Zug im Sinne des Ver* 
laufes der völlig parallel gestellten Kantenachsen der Schienen zu entfernen. 
Da das Negativ der Schiene, das Geschiebe, nach der Gußmethode her* 
gestellt ist, bleibt nur ein äußerst geringer Spielraum zurück und die Prothese 
sitzt beim Kauakt so fest wie eine festzementierte Brücke. Für die Nachtzeit 
und zum Zwecke der Reinigung kann die Prothese jedoch selbst vom Patien* 
ten leicht herausgenommen werden. Um die Lockerung der Stützpfeiler zu 



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Schieberverankerung für orthopädische Prothesen des Unter- und Oberkiefers 171 


verringern, werden dieselben mit mehreren Nachbarzähnen zu einer fest» 
sitzenden Brücke vereinigt. Die Einzelheiten sind aus der Fig. 2 u. 3 zu er- 
sehen. Zur Befestigung müssen jedodi immer mindestens zwei Schienen 
dienen, deren Kanten parallel zueinander verlaufen. Sie können im Verlaufe 
der Kurve des Alveolarfortsatzes oder auch schräg oder quer zu derselben 
gestellt werden. Letzteres käme eher bei Oberkieferresektionsprothesen in 
Frage. Wenn das zurückbleibende Kieferfragment eine ununterbrochene 
Zahnreihe enthält, sind wir gezwungen einen Zahn, einen Prämolaren oder 
Molaren zu opfern, um hier die zweite Schiene zu befestigen. 

Diese Schieber veranke- 
rung erinnert an das von 
E h r i c k e im Korrespondenz^ 
blatt für Zahnärzte 1921, 

Heft 1, angegebene Geschiebe 
für gewöhnlichen Plattener- 
satz, unterscheidet sich jedoch 
von dem System Ehrickes 
hierdurch, daß ich den Haupte 
wert nicht auf die Röhrchen- 
Konstruktion, sondern auf die 
beiden herausragenden Schie¬ 
ber lege und mit dem Prinzip 
der Reibung rechne. Von der 
Konstruktion Ehrickes er¬ 
hielt ich erst Kenntnis An¬ 
fang Juni d. J., da ich erst 
in dieser Zeit diese Zeit¬ 
schrift zugeschickt erhielt, 
während meine Konstruk¬ 
tion bereits im Mai 1920, 
also ein Jahr zuvor, im Ver¬ 
ein der Lemberger Zahnärzte 
demonstriert und im Heft 3 
des Przeglqd dentystyczny d. J. beschrieben worden ist. Eine im Prinzip 
analoge Konstruktion ist demnach selbständig und unabhängig von mir von 
Ehricke in der zahntechnischen Abteilung des Berliner Zahnärztlichen 
Institutes angefertigt worden, jedoch ist ihr Wert für orthopädische Prothesen 
von diesem Autor noch nicht erkannt worden. Ich muß daher die Priorität 
für diese Art der Verwendung und für die noch im folgenden beschriebenen 
Varianten für mich in Anspruch nehmen. 

Was nun die Herstellung des Geschiebes anbetrifft, so verfährt man fol¬ 
gendermaßen: Aus 1 x / 4 — 1 J / 2 mm starkem Platingoldblech oder für klinische 
Patienten aus Randolfmetall wird je nach Bedarf ein 4—6 mm breites 
Band zugeschnitten, an dessen Kante aus halbrundem Draht beiderseits eine 
Verstärkung angelötet wird, so daß der Querschnitt dieser Schiene etwa 



Fig. 3 

Abnehmbare Orthopädische Prothese na ch R esek- 
tion des rechten Unterkieferkörpers, von 8— 2\, nach 
Cieszyriski, Ansicht von oben. 

A Fragment des zurück gebliebenen finken Unterkiefers mit der 
Zahnreihe 11123466. Mit dem Pfeile C ist der abgetrenntc, nach 
liguaf dislozierte aufsteigende Unterkieferast bezeichnet, der durch 
eine elastische Narbe mit dem Fragment A in V erbindung steht. 
Im Fragment A wurden 3 Vollkronen für TjT5 zu einer Brücke 
verlötet, an die der Schieber a angelötet worden ist. Dem Schieber a 
entspricht ein Geschiebe in der Prothese D. Die Kronen auf 
HT und fö* sind ebenfalls miteinander verlötet; an der distalen Seite 
der Molarenkrone ist der Schieber a angebracht, für den bei D 
im |7 ein entsprechendes Geschiebe vorgesehen ist. 


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172 


Antoni Cieszynski 


dem Querschnitt einer Eisenbahnschiene ähnelt. Von dieser Bandschiene schnei- 
det man je nach der Höhe des Stützpfeilers ein entsprechendes Stüde ab 
und hinterläßt nur einen Spielraum von ca. I 1 1 2 mm als Kaufläche, welche 
gleichzeitig mit dem Geschiebe, d. i. mit dem Negativ der Schiene gewöhnlich in 
Zahnform mit oder ohne Porzellanfront nach der Gußmethode hergestellt 
wird. Je höher die Schiene ist, desto größer ist der Halt der Prothese. Je 
mehr Zähne zu einem Ganzen mit dem Stützpfeiler durch Kronen oder Stift- 
zähne verkoppelt werden, desto länger kann die Ausladung der Schiene ge¬ 
wählt werden. Die Schiene mit der Kantenverstärkung kann auch gegossen 
werden, indem man sich das Modell derselben in Wachs vorher herstellt. 
Die Blechstärke der Krone des Stützpfeilers muß 0,3—0,35 mm stark und 
die Verlötung der Schiene mit der Krone äußerst exakt sein, damit nicht etwa 
infolge der Belastung die Wand der Goldkrone oder die Schiene von der 
Krone abreißt. Es ist vorteilhaft, namentlich im Unterkiefer, die ganze Pro¬ 
these zugleich mit dem Geschiebe in einem Stücke aus Metall zu gießen, man 
erspart sich dabei viel Zeit. Soll dagegen die Prothese in Kautschuk her¬ 
gestellt werden, so muß jedes Geschiebe mit einem entsprechenden Schwanz 
zur Befestigung in dem Kautschuk durch Guß einzeln hergestellt werden. Ob 
man dazu Gold, Aluminium oder Magnalium verwendet, ist gleichgültig, 
weil ja das Metall an sich keinen Einfluß auf die Konstruktion hat. Sollte sich 
das Geschiebe mit der Zeit ausarbeiten und etwas lockern, so kann es leicht 
durch gelinden Zangendruck oder Zusammenschlagen mit einem kleinen 
Hammer verengt werden. Werden Porzellanzähne als Fassaden an der Front 
befestigt, so muß man selbstverständlich ein Stentskissen bei dieser Mani¬ 
pulation vorlegen, wie wir es ja auch beim Vernieten der Zähne tun, um 
die Porzellanzähne vor Bruch zu schützen. 

Fig. 2 und 3 zeigen zwei Resektionsprothesen für den Unterkiefer, welche 
vorzüglich ihren Zweck erfüllen. In dem in Fig. 3 dargestellten Falle <eine 
30jährige Patientin bei der vor sieben Jahren 2 3 des Unterkieferkörpers mit 
Ausnahme des aufsteigenden Astes wegen Sarcom entfernt worden ist) sind 
bereits früher alle möglichen Systeme der Befestigung ohne Erfolg versucht 
worden. Die Patientin blieb deshalb sieben Jahre ohne untere Prothese. 

Die Dauer der Funktionsfähigkeit der Prothese hängt natürlich von dem 
Bestände der Stützpfeiler ab. Je länger der belastete, frei herausragende 
Schenkel der Prothese ist, desto größer die Beanspruchung der überbrückten 
Stützpfeiler. Über die mathematische Berechnung der Belastung nach der 
Methode Wustrow 1 wird demnächst in einem speziellen Artikel mein 
Assistent, Herr Dr. Szafran, berichten. 

Ist bei Pseudarthrosen und Unterkieferdefekten nur eine geringe Zahl von 
Stützpfeilern vorhanden, so ist frühzeitig an den Ersatz des fehlenden Unter¬ 
kiefers durch Knochentransplantation zu denken, um dem Kranken, bevor 
die Stützpfeiler sich lockern, eine solide Basis zu schaffen. Jeder Fall ist in¬ 
dividuell zu behandeln,* es lassen sich daher hierbei keine allgemein geltenden 

1 Paul Wustrow: Physikalische Grundlagen der zahnärztlichen Platten und Brücken* 
Prothesen, ihre Unerläßlichkeiten und ihre Möglichkeiten. Bd. I, Berlin 1919 bei Meusser. 


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Sdiieberverankerung für orthopädische Prothesen des Unter- und Oberkiefers 173 

Regeln aufstellen. Die Prothesen mit Schieberverankerung werden auch bei 
Knochentransplantationen vorzüglich ihre Aufgabe erfüllen. Es empfiehlt sich 
der besseren Fixierung halber noch eine Stiftverankerung transversal zum 
Alveolarbogen für diese beizufügen, wie diese auch in Fig. 5, 6 und 7 an¬ 
gegeben ist. 

Die Schieberverankerung läßt sich ebenfalls vorteilhaft bei Oberkiefer- 
resektionsprothesen anwenden, wobei ihre Vorteile noch durch gewisse 
Modifikationen erhöht werden. Die Art ihrer Verwendung ist aus Fig. 4 — 7 
und der hierzu gehörigen 
Beschreibung an Hand eines 
klinischen Falles ersichtlich. 

BeimPatientenK.,37Jahre 
alt, wurden wegen eines Epi¬ 
thelioms in der hiesigen chirur¬ 
gischen Universitäts-Klinik 
von Prof. Dr. Schramm 
beide Oberkiefer entfernt 
unter Zurücklassung eines 
schmalen Restes des Alvec- 
larfortsatzes vom 1. u. 2. 

Molaren links und der in¬ 
fraorbitalen knöchernen Bo¬ 
denlamellen. Die Prothese 
konnte demnach nur an letz¬ 
teren und an den beiden 
zurückgelassenen Molaren 
ihren Halt finden. 

Zwei Wochen nach der 
Operation wurde in einer 
Sitzung ein möglichst genauer 
Abdruck von der Höhle 
dem 
ein¬ 
geführten Verfahren (Kom¬ 
bination von Wachs- und 
Gips-Abdruck) genommen, nachdem beide Molaren mit zwei starken, unter¬ 
einander verlöteten Kronen versehen worden sind, von denen der erste Molar 
eine nach mesial, der zweite eine nach distal vorspringende vertikale Schiene 
trug <Fig. 4). Das Gipsmodell wurde im größten Durchmesser der Höhle sagittal 
und auf der rechten Seite auch transversal durchsägt, um einen bequemen 
Zugang beim Ausmodellieren der Prothese in Wachs zu erhalten <Fig. 4>. 

Nach diesem Abdruck wurde die Oberkieferresektionsprothese in zwei 
Teilen hergestellt, da dieselbe in einem Stück nicht eingeführt werden konnte. 
Der obere Teil der Prothese bildete die Basis und bestand aus einem 
Hohlkörper aus Kautschuk, welcher an der rechten infraorbitalen Bodenlamelle 


beider Oberkiefer, nach 
von mir geübten und 



Fig. 4 

Gipsmodell nach einem Abdruck nach beiderseitiger 
Oberkieferresektion infolge Epithelioms, unter Zurücklassung 
eines schmalen Stumpfes des iinken Alveolarfortsatzcs mit dem 
1. u. 2. Molaren ( 16 u. 7 ). Zur Herstellung der Prothese ist das 
Modell in der Mittellinie durchsägt worden, gestrichelte Linie ••••, 
rechtsseitig ebenfalls in transversaler Richtung. Der rückwärtige 
Teil des Modells des rechten Oberkiefers ist auf der Figur nicht 
gezeichnet, um Einsicht in die Höhle zu gewähren. Auf |6 u. 7 
sind als Brücke zwei Vollkroncn aufgesetzt, mit Schiebern für J_f> 
und [8. Im Schieber für ^befindet sich ein Kanal, durch welchen 
der Verschlußstift auf dem Plättchen a, Fig. 5, durchgesteckt wird. 


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1/4 Antoni Cieszyriski 

und dem Weinen Reste des Alveolarfortsatzes links oben seine Stütze fand 
und mittels des Geschiebes im |5^ und |8^an Ort und Stelle verankert wurde 
<Fig. 5>. Da von seiten der abpräparierten Gesichtsmuskulatur beiderseits 
nach unten zu ein sehr starker Druck bestand, wurde mittels Querstiftver¬ 
riegelung in 15 (Fig. 5 u. 6) das Heruntergleiten der Oberkieferbasis verhindert. 


Fig. 5 

Ansicht der Oberkieferresektionsprothese nach 
Cieszynski, v’on links vorn. Auf der Gaumenseile ist 
die Schiene S eingelassen, siehe auch Fig. 6. Im |8 ist das Ge- 
schiebe sichtbar, bei |5 der Schieber für [4 und die Stiftver-- 
ankerung a b, die mittels eines Scharniers auf der Kaufläche des 
[5 befestigt ist. 


77T/7& 


Fig. 6 

Ansicht der Oberkiefcrresck* 
tions prothese, nach Cieszynski, 
von der Gaumenseite. S Schiene; im 
[8 ist das Geschiebe angebracht, punktiert, 
im ist das Geschiebe für die Schiene 
für [4 und das Plättchen a für die Stiftver» 
ankerung sichtbar. 


Fig. 7 

Zahnprothese mit Gaumenplatte für die Ober*- 
kieferresektionsprothese, gesehen von der Gau* 
menseitc S x Rinne < = Geschiebe) für die Schiene S. Beim |_4 
Stift Verankerung. 


ser Ersatz deckte demnach den Oberkieferdefekt mit Ausnahme des 
:n Gaumens, welcher vom Chirurgen zurückgelassen worden ist, und 
usnahme der oberen Zahnreihe. 

ztere wurde durch eine einfadie obere Prothese ersetzt, welche rechterseits 
er 2,5 cm breiten, längs dem Alveolarfortsatze verlaufenden ca. 1 cm 
Schieberverankerung S und an einer analog dem zweiten Prämolar ge^ 
i Schieber^ und Stiftverankerung im ersten Prämolaren ihren Halt fand. 


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Schieberverankerung für orthopädische Prothesen des Unter* und Oberkiefers 175 

DER GANG DER TECHNISCHEN HERSTELLUNG 
DER OBERKIEFERRESEKTIONSPROTHESE: 

A. Anfertigung der Goldbrücke für [6 u. [7 mit vorspringenden parallelen Schienen 
<Fig. 4>. 

B. Abdruck vom Defekt nach Cieszynski. Von der Höhle wurde, weil sie unter 
sich gehende Stellen hatte, bis zur Höhe des Alveolarfortsatzes aus zwei Teilen im 
Modellierwachs Abdrude genommen, wobei das Wachs mit den Fingern in die Höhle 
hineingepreßt wurde. <In komplizierten Fällen wird der Abdruck in Wachs in drei Teilen 
genommen, wobei zunächst die beiden seitlichen Teile abgedrückt, abgekühlt und mit 
Führungsfurchen medial versehen werden, wonach der mittlere Teil als Keil mit Wachs 
ausgefüllt wird.) Nach Abkühlung dieser Wachsabdrücke im Munde wurden beide Teile 
herausgenommen, unter der Wasserleitung noch stärker abgekühlt und Orientierungsfurchen 
auf der nach dem Gaumen zu liegenden Fläche angebracht und letztere mit Vaselin einge* 
rieben. Hierauf wurden die Wachsabdrücke wiederum in den Mund eingelegt und mittels 
Gips Abdruck von dem Alveolarfortsatze mit der Goldbrücke und der Wachsbasis ge* 
nommen. Nach Entfernung des Gipsabdruckes wurde wiederum der im Munde zurück* 
gebliebene Wachsabdruck mit einem Wasserstrahl stark abgekühlt, hierauf aus dem Defekt 
entfernt und auf den Gipsabdruck aufgesetzt. In demselben wurde ebenfalls die Goldbrücke 
montiert. Nach dem Ausgießen des Gipsmodells wurde letzteres in sagittaler Richtung in 
der Nähe der Mittellinie durchsägt und der die rechte Oberkieferhöhle enthaltende Teil 
noch in transversaler Richtung <Fig. 4> durchschnitten. 

C. Herstellung des Oberkiefergerüstes als Kautschukschale. 1. Die unter 
sich gehenden Teile am Modell, ebenso die empfindlichen Partien der Schleimhaut wurden 
im Gipsmodell bezeichnet und nach Herstellung einer l l 2 mm starken Wachsschale aus* 
geschnitten. An Stelle der stärksten Belastung wurden auf der Innenseite des Hohlkörpers 
verstärkende Leisten in Wachs angebracht. In der Höhe des Alveolarfortsatzes, etwa der 
Basis der Nasenhöhle entsprechend, wurde ein verstärkender Wachsring an die bereits 
hergestellte Schale anmodelliert unter Freilassung des Gaumendaches. 

Dieses Oberkiefergerüst wurde in Kautschuk vulkanisiert und anprobiert. Im Munde 
des Patienten wurde der Kautschukrand des Alveolarfortsatzes nach Bedarf mit Wachs er* 
höht, um die Kurve desselben und die notwendige Höhe zu markieren. Es wurde so viel 
Raum zwischen dieser Oberkieferbasis und der unteren Zahnreihe gelassen, wieviel der 
künstliche Zahnersatz, der als zweiter Teil der Prothese hergestellt werden sollte, aus* 
machen sollte. 

2. Herstellung des Geschiebes für [5 u. [8. Fig. 5 u. 6. Ausmodellieren des zweiten 
Prämolaren links oben und des Weisheitszahnes als Geschiebe auf den vorspringenden 
Schienen auf der Goldbrücke. Beide Zähne wurden miteinander lingualwärts verbunden 
und die Verbindungsleiste mit Ausläufern als Halt für den Kautschuk versehen. Im zweiten 
Prämolaren wurde die Querstiftverriegelung vorbereitet, wobei der Stift als Ausschnitt 
eines Kreises vom Radius a b beweglich im Scharnier a als Zentrum auf einem 0,6 mm 
starken Plättchen bei b angelötet wurde. Für den Stift a b wurde eine im Sinne des Kreis* 
ausschnittes verlaufende Bohrung (also ebenfalls vom Radius a b) durchgehend durch das 
Wachs und den Schieber der Goldbrücke angelegt. In der Nähe der Kaufläche des in 
Wachs modellierten Prämolaren wurde bei a das Scharnier und mesial die Schiene für [4 
anmodelliert. Das Geschiebesystem für [5 u. [8 wurde nun aus Randolfmetall nach der 
Gußmethode hergestellt. 

3. Nun folgte das Ausmodellieren des Gaumendaches in Wachs, wobei das Geschieb* 
für [5 u. |8 in dasselbe eingelassen wurde. 

4^Für die rechte Seite wurde nun die breite Fixierungsschiene S hergesteilt, 2V 2 cm lang, 
2 mm stark, 12 mm hoch mit Verdickungen an der mesialen und distalen Kante. Anstatt 
verstärkte Leisten beiderseits anzulöten, kann man, ohne die Konstruktion zu beeinträch* 
tigen, den verdickenden Wulst nur auf der einen Seite auf löten. Die Schiene wurde nun 
entsprechend der Krümmung des Alveolarfortsatzes gebogen, mit Metallschwänzen ver¬ 
sehen, welche noch vier nach der Höhle zu vorspringende Stifte hatten, um einer Ver* 


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176 


Antoni Cieszyriski 


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Schiebung der Schiene beim Stopfen des Kautschuks vorzubeugen. Vermittels dieser vor¬ 
ragenden Stifte sollte die Schiene in der Cüvette an Ort und Stelle fixiert werden. Nach 
diesen Vorbereitungen wurde die Schiene ca. 8 mm vom Rande in der Gegend des Mo¬ 
laren und Prämolaren in das Wachs eingelassen. Man achtete darauf, daß die Kaufläche 
der Schiene etwa 3 mm unter der Artikulationskurve zu liegen und daß die Kanten der 
Schiene parallel zu der Kante der für den 1. Prämolaren vorbereiteten Schiene zu stehen 
kamen. Das Ganze wurde nun im Munde anprobiert, wobei speziell auf den Verlauf 
der langen Schiene S zur unteren Zahnreihe geachtet wurde. 

5. Hierauf wurde das Gaumendach der Oberkieferbasis nach der bekannten Methode 
in Kautschuk hergestellt. 

6. Nach Ausarbeitung derselben w'urde dieselbe wieder anprobiert und mit derselben 
ein Gipsabdruck für die weitere Arbeit genommen. Vom Unterkiefer wurde mit Stentsmasse 
Abdruck genommen. 

D. Herstellung des Zahnersatzes und dessen Befestigung <Fig. 7)\ 

1. Bißschablone und Fixieren der Artikulation. 

2. Herstellung der Stiftverankerung für |4 geschah analog der Herstellung der Stift¬ 
verankerung für den zweiten Prämolaren. Das Geschiebe für die breite Schiene rechterseits 
wurde aus Magnalium gegossen, wobei gleichzeitig die Schwänze für die Kautschukbe¬ 
festigung in entsprechender Höhe vorgesehen worden sind. 

3. Um eine Verschiebung des Geschiebesystems rechts im Kautschuk zu vermeiden, wurde 
ein Holzspan passend in das Geschiebe rechts aus einem Foumier gleichsam als Führungs¬ 
schiene in Holz ausgeschnitten, wobei er etwa 1 cm breit aus dem Geschiebe hinausragte, 
um später in Gips in der Cüvette seinen Halt zu finden. Außerdem wurde eine Schiene aus 
Metall zum gleichen Zwecke für das Geschiebesystem für den ersten Prämolaren links 
vorbereitet. 

4. Die Fertigstellung der Zahnprothese in Kautschuk geschah nun auf die übliche Weise 
unter Verwendung der bereits für beide Seiten vorbereiteten Geschiebe. 

Der auf diese Weise hergestellte Ersatz saß im Munde nach Verriegelung 
mit den Stiften bei |4 und 15 wie festgemauert. Die Lebensdauer der Prothese 
ist natürlich abhängig vom Bestände des [6 und j^. Letztere sind allerdings sehr 
beansprucht durch die Schwere der Prothese <sie wog zusammen 56 g*>, durch 
den schräg nach unten zu sich fortsetzenden Narbendruck der Weichteile und 
durch die in transversaler Richtung erfolgende Kaubewegung, während der 
vertikale Kaudruck durch den Rest des Alveolarfortsatzes und die infraor* 
bitale Knochenlamelle hauptsächlich aufgenommen wird. Ein in den Mund 
eingeführter hölzerner Spatel wurde bei geschlossener Zahnreihe stark fixiert. 
Die Sprache war klar, weichere Speisen konnten gut vom Patienten gekaut 
werden. Die Prothese selbst konnte vom Patienten, sogar ohne Benutzung des 
Spiegels, leicht herausgenommen und wieder eingesetzt werden. 

Die Schieberverankerung kann auch für gewöhnliche Platten und für 
abnehmbare Brücken Verwendung finden. Durch dieses System sind wir 
in die Lage versetzt, auch für diejenigen Fälle einen Brückenersatz herzu* 
stellen, bei denen wir früher nur mit einem Plattenersatz auskommen konnten. 
Dadurch, daß wir größere Brückenarbeiten mit einer schmalen Basis versehen 

1 Die Befestigung des Zahnersatzes an die Oberkieferbasis in Kautschuk kann auch 
vorteilhaft anstatt durch Schieberverankerung durch vier Rauhesche Gummisauger ersetzt 
werden, wie ich dies bereits vor drei Jahren in einem ähnlichen Falle durchgeführt habe. 
Die Schieberverankerung vereinigt jedoch die Oberkieferbasis mit dem Ersatzstück nach der 
Querstiftverriegelung zu einem unzertrennlichen Ganzen. 

2 Die Goldbrücke 3 g, die Oberkieferbasis 33 g, der Zahnersatz 20 g. 


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Schieberverankerung für orthopädische Prothesen des Unter- und Oberkiefers 177 


und dieselben abnehmbar gestalten, können wir auch mit einer geringen An¬ 
zahl von Stützpfeilern auskommen, da wir die gesamte Belastung des Kau¬ 
druckes nicht nur auf die Stützpfeiler, sondern auch auf den Alveolarrand 
verlegen können <Fig. 8>. 

Ganz besonders gute Dienste leistet uns diese Konstruktion bei atro¬ 
phischem Alveolarrand im Unterkiefer, wenn die Umschlagsfalte nahe 
am Alveolarrand ansetzt und aus diesem Grunde nur eine sehr schmale 
Basis gewählt werden muß, um nicht Decubitus an der Umschlagsfalte zu 
erzeugen. Dadurch, daß das Unterstück auf den Schieber gleichsam auf¬ 
gehängt und die Kaufläche des Geschiebes das Unterstück am Herunter- 



Fig. 8 

Brücke mit Transversalbügel u. Geschiebe¬ 
system, nach Cieszyriski. 

A Im Oberkiefer befindet sich nur die Wurzel des 4J 
und _3J ferner [5 und [6. 

B Gipsmodell mit der festsitzenden Brücke auf |5 u. 6 
und der abnehmbaren Brücke. 

C Gipsmodell mit einer abnehmbaren Brücke mit 
Transversalbügel und 3 Geschieben zum Ersatz 
der Zähne 765--21|1234--7 . 



Die Zähne 4J und _3| erhielten eine festsitzende Brücke, an dem 4J ist distal ein Schieber angelötet. 
Linkerseits ist [5_ und |6 mir Vollkronen versehen, die miteinander verlöret als festsitzende Brücke 
aufgesetzt sind. Mesial vom [5 und distal vom [6 sind Schieber vorgesehen worden. 


gleiten beim Kauen verhindert, wird der schmale Alveolarrand vor allzu¬ 
starker Belastung geschützt, wenngleich allerdings die Stützpfeiler eine grö¬ 
ßere Arbeit leisten müssen. Bis dahin hat man sich in diesen Fällen bei un¬ 
teren Prothesen mit Bandklammerbefestigung dadurch zu helfen gesucht, daß 
man möglichst an den hintersten Pfeiler eine auf die Kaufläche auflagernde 
Zunge von der Bandklammer vorspringen ließ, um auf diese Weise das allzu¬ 
starke Heruntergleiten des Unterstückes beim Kauen zu verhindern. Bekannt¬ 
lich gibt diese Art der Befestigung bei der Bandklammer bereits nach kurzer 
Zeit nach, und die Zunge der Klammer, auch wenn sie mit Lot verstärkt 
worden ist, muß von Zeit zu Zeit mit der Zange nachgebogen worden. Das 
Schiebersystem, das mit der Gußmethode hergestellt wird, ist bei weitem sta¬ 
biler und führt diesen Nachteil nicht mit sich. 


Vierteljahrsschrift für Zahnheilkunde, Heft 2 


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DIE GRENZEN DER FESTSITZENDEN BRÜCKEN* 

ARBEITEN 1 

VON 

PROF. DR. C. FRITSCH, FRANKFURT/M. 

Z weifelsohne ist das Ideal eines Zahnersatzes die festsitzende Brücken* 
arbeit/ denn ihre Vorzüge gegenüber jeglichen anderen Ersatzes, sei es 
der abnehmbaren Brückenarbeiten, die wir nach Schroeder am zwecks 
mäßigsten als Plattenbrücken bezeichnen, oder sei es den Plattenprothesen 
selbst, liegen klar zutage. 

1. Der Kaudruck wird, wie bei den natürlichen Zähnen, auf den Kiefer 
nicht auf die Weich teile des Mundes verlegt. 

2. wird dadurch und durch die feste Verbindung der sämtlichen Brücken* 
teile eine sehr große leistungsfähige Kaufläche geschaffen. 

3. Der feste unverrückbare Sitz der Brückenarbeit verhütet die bei anderem 
Ersatz durch die fortwährenden scheuernden Bewegungen unausbleib* 
liehe Schädigungen und Abnützungen der eigenen Zähne, die von Platten, 
Klammern usw. berührt werden. 

4. All die Nachteile des Plattenersatzes, wie Störung der Sprache, Beein* 
trächtigung der Geschmacksempfindung, evtl, schädliche Reizung der 
Schleimhaut werden vermieden. 

Trotz dieser Vorteile ist dennoch größte Vorsicht bei der Indikation^ 
Stellung der festen Brückenarbeiten geboten/ damit dieser an und für sich 
ideale Zahnersatz in nicht noch größeren Mißkredit gerät, wie er schon bei 
einem großen Teil unserer Klientel geraten ist, da die immerhin heutzutage 
ziemlich kostspieligen Arbeiten nicht den an sie gestellten Anforderungen ent* 
sprochen haben. 

Ich habe mir daher die Aufgabe gestellt, zu versuchen, gewisse Richtlinien 
für die Indikationsstellung der festsitzenden Brückenarbeiten festzulegen, bin 
mir aber dabei bewußt, daß selbstverständlich in der Praxis gewisse Kon* 
Zessionen zu machen sind, aber man soll sich doch immer bewußt sein, wenn 
man von allgemeinen anerkannten Regeln abweicht, und vor allem muß man 
seine Patienten auf die daraus entstehenden Folgen aufmerksam machen. 

1 Vortrag gehalten im Niederrheinischen Verein in Essen, bzw. Hessen«Nassauer* 
Tagung in Marburg. 


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Die Grenzen der festsitzenden Brüdtenarbeiten 


179 


Um letztere klar überschauen zu können, ist es zweckmäßig, bei jeder 
Indikationsfrage zu verfahren, wie es Trost in seinen Grundzügen 
über die Kronen- und Brückenarbeiten dargelegt hat, indem er fordert, 
zunächst eine genaue Anamnese und einen exakten Status präsens aufzu¬ 
nehmen, bezugnehmend auf Alter, Gesundheitszustand und die sozialen 
Verhältnisse. 

Sodann sind exakte Modelle anzufertigen und dieselben in richtige Artikula¬ 
tion zu bringen, um dann an Hand dieser Modelle alle Verhältnisse prüfen zu 
können, denn da müssen wir unbedingt Riechelmann beistimmen, daß bei 
allen technischen Arbeiten viel zu wenig das Gebiß als funktionelles Ganzes 
betrachtet wird. Nur so sind wir in der Lage, eine absolut richtige Artikula¬ 
tion wiederherzustellen, was, wie wir noch sehen werden, für einen Dauer¬ 
erfolg der festen Brücken unbedingtes Erfordernis ist. Erst dann können wir 
uns die geeigneten Stützpfeiler aussuchen und somit an die eigentliche Kon¬ 
struktionsfrage der Brücke herantreten. 

Dafür möchte ich als allgemeine Richtlinien vier Punkte angeben: 

1. die Beschaffenheit der Pfeiler, 

2. Stellung der Pfeiler, 

3. die Spannweite und die damit im Zusammenhang stehende Belastung 
durch den Kaudruck, 

4. die Konstruktion der Zwischenstücke. 


1. Was die Beschaffenheit der Pfeiler anbelangt, so haben wir ja wenig 
Kriterien, um ihre relative Widerstandskraft zu ermessen, und wir können 
nur aus dem anatomischen Bau einerseits und den Anhaltspunkten aus der 
Anamnese und dem Status präsens 
andererseits unter Zuhilfenahme eines 
Röntgenbildes gewisse Schlüsse ziehen, 
aber Positives über die evtl, auszuhal¬ 
tende Belastung nicht aussagen, und 
es muß immerhin noch in das Ermessen 
des einzelnen Praktikers gestellt bleiben, 
ob er dem oder jenem Stützpfeiler die 
evtl. Belastung glaubt zumuten zu kön¬ 
nen. Aber was die Befestigungsart des 
einzelnen Stützpfeilers anbelangt, so kön¬ 
nen wir doch von einem allgemein an¬ 
erkannten Gesetze der Gleichwertigkeit 
sprechen, indem wir die einzelnen Hilfs¬ 
mittel in drei Gruppen einteilen. 

1. Kronen, Richmondkronen, 

2. die Ranksche Halbkappe, Carmichael-Kronen, Stiftinlay, 

3. Fensterkronen, Halbkappen, Ringinlay und Inlay. 

Dies Gesetz der Gleichwertigkeit der Stützpfeiler sollen einzelne Fälle 
näher erläutern. 



Fig. l 


12 * 


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180 


Prof. Dr. C. Fritsch 


Fig. 1. Verlust der beiden oberen Prämolaren links, ein in der Praxis sehr 
häufig vorkommender Fall. Zweifelsohne ist die in Fig. \a dargestellte Lö* 
sung mit Verwendung einer Richmondkrone auf |3 und Vollkrone auf 16 
als Stützpfeiler die zweckmäßigste Lösung,- denn hier haben wir eine volle 
Gleichwertigkeit der Stützpfeiler. Man stößt aber in der Praxis auf ge* 
wisse Schwierigkeiten, da nicht jeder Patient sich einen kräftigen und gesunden 
Eckzahn entkronen läßt, und es wird aus diesem Grunde die in Fig. 1 b dar* 
gestellte Lösung gefunden, indem auf [3 ein Stiftinlay angebracht wird. So* 
lange dasselbe noch gut verankert ist, mag in bezug auf die Gleichwertigkeit 
der Stützpfeiler zu der hinteren Krone kein Einwand erhoben werden, jedoch 
sind zwei Momente zu beachten, nämlich 

1. daß bei nicht sehr günstigem Bau des Eckzahnes eine bedeutende Schwa* 
chung seiner Krone durch das Stiftinlay bedingt wird, und so leicht 
späterhin eine Fraktur eintreten kann, 

2. läßt sich es nicht ganz vermeiden, daß gelegentlich Verfärbungen des 
Eckzahnes durch die Devitalisation eintreten, wenn auch Faulhaber 
und Neumann in ihrem kürzlich erschienenen Werke, „Das Röntgen* 
bild als diagnostisches Hilfsmittel" anführen, daß dies nur auf eine nicht 
exakte Behandlung zurückzuführen sei, indem entweder nicht alle Reste 
der Kronenpulpa entfernt seien, oder der Kanal vor der Wurzelfullung 
nicht absolut sauber war. Diesen Erfahrungen kann ich nicht ganz bei* 
stimmen/ denn mitunter treten trotz peinlichster Gewissenhaftigkeit spä* 
tere Verfärbungen auf. 

Aus diesem Grunde wohl, und um überhaupt die Devitalisation zu ver* 
meiden, haben viele Praktiker die in Fig. 1 c dargestellte Lösung beschritten, 
indem sie über [3 eine Fensterkrone setzten. Hier haben wir nun Zweifels* 
ohne einen technischen Fehler, da die Fensterkrone gegenüber der Molaren* 
kröne einen ungleichwertigen Stützpfeiler darstellt und durch die Eigenbewegung 
der Zähne ein frühzeitiges Lockern der Fensterkrone eintritt, was dann den 
großen Nachteil hat, daß der Molar mit seiner Voll* 
kröne überlastet wird und meist dann für eine spätere 
erweiterte Brückenkonstruktion nicht mehr als vollwer* 
tiger Stützpfeiler anzusprechen ist. Ganz abgesehen da* 
von kann man über den Wert einer Fensterkrone sehr 
geteilter Meinung sein. Ich muß Rank ganz entschieden 
recht geben, wenn er sie im allgemeinen verwirft, da 
sie nicht nur in den meisten Fällen das erste Erfordernis 
unserer Kronenarbeiten, den absoluten Randschluß am 
Zahnhals erfüllt, sondern auch der sekundären Karies 
Fig. 2 Vorschub leistet und vor allem ästhetisch durch die Auf* 

lagerung des Goldes ungünstig wirkt. Nur in ganz sei* 
tenen Fällen im Unterkiefer, wo der anatomische Bau mancher Eckzähne viel* 
leicht ein günstigeres Resultat erzielen läßt, möge sie Verwendung finden, ist 
aber auch da, wie wir noch hören werden, heutzutage durch die Ranksdie 
Halbkappe überholt. Nur einer Methode von Fensterkronen bei Brückenarbeiten 




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Die Grenzen der festsitzenden Brückenarbeiten 


181 


möchte ich noch Erwähnung tun, da sie in manchen Fällen gute Dienste zu 
leisten vermag, wie Fig. 2 darstellt. Es handelt sich hier um eine verschraub- 
bare Fensterkrone, die meines Wissens in Amerika angewandt wurde und 
die ich durch den Kollegen Albrecht kennen lernte. Nach Rank ist sie von 
Araki und Leger-Dorez angegeben und gestattet einen exakten Rand- 
Schluß am Zahnhals zu erreichen, da die palatinale und mesio-distale Fläche 
des Prämolaren erst richtig beschliffen wird und der bukkal angelötete Bügel 
sekundär festgeschraubt werden kann. 

Noch unglüddicher als die Fensterkrone ist die Konstruktion einer Brücke 
für vorliegenden Fall mit einem einfachen Inlay auf dem [3 als Stützpfeiler/ 
denn es ist technisch ganz undenkbar, dasselbe so 
zu verankern, daß es gegenüber der Vollkrone 
einen gleichwertigenStützpfeilerwird,undsoreißt 
es sich immer nach verhältnismäßig kurzer Zeit los 
und es tritt sekundäre Karies einerseits und Über- 
lastung des Molaren andererseits auf. Die Ver- 
wendungsolcherlnlaysistmeiner Ansicht nach nur 
dann gestattet, wenn man der Eigenbewegung 
der Zähne Rechnung trägt und wie Fig. 3 zeigt 
als Auflageinlay konstruiert, wo allerdings, wie 
wir später sehen werden, keine allzu große 
Spannweite und sonstige Belastungdruckverhält- 
nisse vorliegen dürfen. In solchen Fällen mögen 
auch mal Ringinlay <Fig. 3<?>, hauptsächlich im 
jugendlichen Alter, indiziert sein, da man dann 
nicht die Zähne zu devitalisieren braucht, worauf 
wir noch näher zu sprechen kommen werden. 

Als idealste Lösung sehe ich für obigen Brücken- 
fall die folgende Konstruktion an, indem w'ir, 
wie Fig. \e zeigt, als vorderen Stützpfeiler zu 
dem Molaren die Ranksche Halbkappe ver- 
werten. In ihr haben wir, wie Rank mit Recht 
betont, einen fast voll wertigen Stützpfeiler gegen^ 
über der Molarenvollkrone, und wenn man alle die Regeln, die Rank in seiner 
Broschüre „Die Halbkappe und ihre Bedeutung beim Verschluß von Zahn¬ 
lücken", verfolgt, die er in äußerst anschaulicher und klarer Weise gegeben 
hat, so ist jeder Praktiker in die Lage gesetzt, diese Arbeiten exakt und ge¬ 
wissenhaft auszuführen. Nur muß natürlich auch hierbei seinen Vorschriften 
in der Indikationsstellung Folge geleistet und vor allem immer von der Rank- 
sehen Krone aus die Parallelität der Pfeiler eingerichtet werden. — Soviel über die 
Beschaffenheit der Pfeiler! Als zweites Moment käme 2. die Stellung der Pfeiler. 

Zweifelsohne lassen sich da ganz bedeutende Divergenzen durdi kräftiges 
Beschleifen ausgleichen, was allerdings zur Voraussetzung hat, daß die Stütz¬ 
pfeiler devitalisiert werden müssen, und damit komme ich zur Devitalisations- 
frage im allgemeinen. 



Fig. 3a 


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182 


Prof. Dr. C. Fritsch 


Früher stand ich auf dem Standpunkte, daß man, solange die Präparation 
des Stumpfes nicht notleidet, die Pulpa erhalten könnte, und Schroeder 
empfahl ja auch dann eine Imprägnierung des Stumpfes mit Argentum nitrit 
cum unter Verwendung seiner Zelluloidkapseln, die mit Guttapercha auf¬ 
gesetzt wurden. Heute warnt Schroeder vor der Verwendung dieses Mit¬ 
tels, da in vielen Fällen eine Nekrose der Pulpa eintrat und wenn ich auch 
nicht der Ansicht Hauptmeyers ganz beipflichten kann, daß durch Über¬ 
kronen eines Zahnes immer die Pulpa absterben müsse, weil er seiner Ge¬ 
webeatmung beraubt sei, so halte ich es dennoch für zweckmäßig, bei Brücken¬ 
arbeiten den radikalen Standpunkt der Devitalisation einzuschlagen, sei es 
nun, daß mittels Injektion die Pulpa entfernt wird oder nach Kauterisation. 
Letztere Methode ziehe ich vor und bei ersterem warne ich davor, in der 
ersten Sitzung dann gleich eine Wurzelfüllung zu legen, da man sonst leicht 
Periodontaireizungen erlebt. Dieser radikale Standpunkt erleichtert uns wesent¬ 
lich die technische Ausführung einer jeden Brückenkonstruktion und man ist. 



Fig. 4 


wie gesagt, dadurch meist in der Lage, bedeutende Divergenzen der Stütz¬ 
pfeiler auszugleichen. Ist dies trotzdem technisch nicht möglich, so kommen 
meiner Ansicht nach vor allem die Trostschen Arbeiten in Betracht, die 
Fig. 4 zeigen. Bei 4a sehen wir noch eine falsche unzweckmäßige Methode 
der verschraubbaren Brücke, da so der Schraube, wie Trost mit Recht sagt, 
eine viel zu große Belastung zugemutet wird, und wir, wie Fig. 46 zeigt, die¬ 
selbe nur anwenden dürfen, nachdem sie völlig durch die eigentliche Brücken¬ 
konstruktion entlastet ist. In Fig. 4 c sehen wir wiederum eine Konstruktion 
nach Trost, wo die Divergenz durch ein zweckmäßig konstruiertes stark ver¬ 
ankertes Inlay ausgeglichen ist. Der Nachteil liegt hier nur darin, daß die 
Wände des Stützpfeilers stark geschwächt sind, und so gelegentlich weg¬ 
brechen können, wie mir das in mehreren Fällen passiert ist. Jedenfalls kann 
aber immer durch eine zweckmäßige Konstruktion der Brücke <verschraubbar> 
die Divergenz der Pfeiler ausgeglichen werden. 

Der dritte Punkt, die Spannweite und die damit in Zusammenhang stehende 
Belastung durch den Kaudruck, ist wohl das schwierigste Kapitel, da wir hier trotz 
mancher Arbeit noch nicht eine absolut sichere wissenschaftliche Grundlage haben. 

Wustrow hat den Versuch gemacht, in seiner Arbeit über „Die physika- 
ischen Grundlagen der zahnärztlichen Platten- und Brückenprothesen" den 


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Die Grenzen der festsitzenden Brückenarbeiten 


183 


Belastungsdruck eines Zahnes rechnerisch festzulegen. Aber leider sind seine 
Ausführungen, wie Ri ec hei mann schon in seiner Arbeit betont, von falschen 
Voraussetzungen ausgegangen, da er vor allem die Hebelgesetze außer acht 
ließ. Man muß wohl Riechelmann recht geben, wenn wir heute von einem 
praktischen und einem absoluten Kaudruck sprechen, und wir ja eigentlich nur 
mit ersterem zu rechnen haben. Näher auf diese interessanten Fragen im 
Rahmen dieses Vortrages einzugehen würde mich zu weit führen, und ich will 
nur wieder an Hand von einigen Beispielen das Prinzipielle näher erläutern. 

Was die Spannweite anbelangt, so ist vor allem vor jeder Extensions^ 
brücke, sei es auch eine Molarenkrone mit Anhänger, zu warnen. Ich bin 
mir wohl bewußt, daß solche Arbeiten häu^ 
fig auch mit gutem Erfolge in der Praxis an- 
gefertigt werden. Aber wir müssen uns nur 
die Hebelgesetze vor Augen führen, wie dies 
Riechelmann in seinem „Beitrag zur syste^ 
manschen Prothetik" klar dargelegt hat, und 
dann ist zweifelsohne bei jeder Extensions^ 
brücke Vorsicht am Platze. Es ist jeden^ 
falls zweckmäßig in vielen Fällen von vorn^ 
herein durch Einbeziehung eines weiteren 
Stützpfeilers nach hinten den Hebelarm zu 
entlasten. Anders liegen die Verhältnisse bei 
Verwertung von zwei Stützpfeilern. Hier 
können wir, solange es nicht in den Bogen^ 
bereich des Kiefers fällt, immerhin bei sonst 
kräftigen Stützpfeilern über zwei auch drei 
Zwischenglieder hinweg die Brücke konstruier 
ren. Fig. 5 zeigt den F all, wo der Verlust 
von drei Zähnen |56_7 eingetreten ist. Als 
Stützpfeiler wurden |3 und [4 durch VolU 
krönen gegenseitig und|8 mit einer VolU 
kröne versehen. Hier sehe ich, nebenbei bemerkt, eine Indikation für nahtlos 
gezogene Vollkronen auf dem Eckzahn gegeben und haben auch die vor* 
deren Stützpfeiler den Belastungsdruck ausgehalten, nur der hintere Stützpfeiler 
war ihm nicht gewachsen und es stellten sich nach Verlauf des ersten VierteU 
jahres Beschwerden ein. Da [S nicht devitalisiert war, glaubte ich anfänglich 
diesen schleichenden Schmerz, über den der Patient klagte, auf eine Irritation 
der Pulpa zurückführen zu müssen, trepanierte und machte Wurzelbehandlung. 
Zunächst trat auch eine Besserung ein, aber in ganz kurzer Zeit wieder eine 
Verschlechterung, die mir anzeigte, daß doch der [8^ überlastet war, so daß 
ich zu einer abnehmbaren Brückenkonstruktion schritt, wo durch einen breit 
aufsitzenden Sattel das Kiefertegment mittragen konnte. Es ist aus diesem 
Falle klar zu ersehen, daß man nicht ohne weiteres Schlüsse für die Be^ 
lastung eines Stützpfeilers ziehen kann,* denn beispielsweise nach den Wu^ 
strowschen Berechnungen wäre diese Brückenkonstruktion ohne weiteres zu^ 



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Prof. Dr. C. Fritsdi 


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rr\ 





lässig gewesen, da die Belastung der Brückenpfeiler sich nicht zu einer Höhe 
erhoben, die das Doppelte der unnatürlichen Belastung der Brückenpfeiler 
überstieg. 

Fig. 6 zeigt noch einige Fälle von Spannweiten und Belastungen, die der 
Schroederschen Arbeit über Brücken im Sonderheft Walkhoff entnommen 

sind. 6a, als Stützpfeiler 
zwei kleine Schneide^ 
zähne. Eine derartige 
Brückenkonstruktion ist, 
wieSchroeder betonr, 
immerzu verwerfen, falls 
nicht sehr günstige Biß^ 
Verhältnisse, Vorbiß, 
vorliegen. Ganz un^ 
denkbar ist der feste 
Brückenersatz bei Ver* 
lust der Schneidezähne 
von Eckzahn zu Eck* 
zahn, Fig. 66 falls nicht 
nach hinten genügende Verankerung durch Einbeziehung der Prämola* 
ren resp. Molaren geschaffen wird. Ebenso unzweckmäßig ist 6c, da 
wir hier in den Bogenbereich des Kiefers kommen, und selbst wenn man nach 

hinten weiter verankern kann, indem man noch 
einen Molaren hineinbezieht, so ist der vordere 
Schneidezahn stets einem zu großen Belastungsdruck 
ausgesetzt. Zwedcmäßiger ist dann schon wieder 
die Konstruktion 6cf, zumal, wenn wir noch vorn 
oder hinten je einen Stützpfeiler einbeziehen können. 
Gegen 6e als voller obere Brücke mit diesen vier 
kräftigen Stützpfeilern ist natürlich bei sonstiger 
sachgemäßer Konstruktion kein Einwand zu machen, 
und hier ist vor allem zu betonen, daß für die rieh* 
tige normale Artikulation Sorge getragen wird. Nur 
dann werden wir Dauererfolge bei unseren Ar* 
beiten sehen, und es wurde in der Diskussion in Essen 
mit Recht betont, daß wir unbedingt bei großen 
Brückenarbeiten starke gegossene Kronendeckel 
verwenden sollen, damit man in der Lage ist, nach 
gewissen Zeiten durch neues Einartikulieren der 
normalen Abrasio einen Ausgleich zu geben, damit dann nicht später die 
Brüche überlastet wird. 

Als letzter Punkt ist noch einiges über die Konstruktion der Zwischen* 
stiidce zu sagen. Hier muß meiner Ansicht nach unbedingt der hygienische 
Standpunkt im Vordergründe stehen, damit eine festsitzende Brücke stets 
sauber zu halten ist. Das Ideal dafür in dieser Beziehung stellt zweifelsohne 



Fis- 7 


Goc)gle 


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Die Grenzen der festsitzenden Brdckenarbeiten 


185 


die spulbare Brückenarbeit dar, die, wie Schröder jetzt lehrt, am zweck¬ 
mäßigsten in der Weise, wie es Fig. 7 a zeigt, hergestellt wird. Selbstver¬ 
ständlich ist ihre Anwendung eng begrenzt aus ästhetischen wie physiolo¬ 
gischen Gründen, denn nur im Unterkiefer ist sie eigentlich und da auch wieder 
nur im Backenzahnbereich zweckmäßig. In allen anderen Fällen müssen wir 
auf den Kiefer aufliegende Konstruktionen wählen, aber es muß Vorsorge 
getroffen werden, daß sie nur im schmälsten Streifen anliegt, wie dies Fig. Iß 
zeigt, wo dann je nach den Bißverhältnissen die Kästchenmethode, die Niet¬ 
methode oder der reine Goldguß in Anwendung kommen wird. Im Front¬ 
zahnbereich ist bei richtigen Bißverhältnissen und bei richtiger Verarbeitung 
meiner Ansicht nach auch die Verwendung der Steele-Facette zulässig, 
wenngleich ich auch zugeben muß, daß die heutigen Fabrikate den Anfor¬ 
derungen nicht mehr entsprechen. Aber ihre leichte Auswechselbarkeit einer¬ 
seits und ihr günstiges ästhetisches Aussehen verbunden mit dem geringen 
Aufträgen andererseits lassen sie sehr oft als zweckmäßig erscheinen. 

Aus all dem Gesagten ersehen wir, daß den festsitzenden Brückenarbeiten 
bei richtiger Indikationsstellung doch verhältnismäßig enge Grenzen gezogen sind, 
und daß es in vielen Fällen viel zweckmäßiger ist, von vornherein von ihnen 
Abstand zu nehmen und an ihrer Stelle, solange der Patient es sich pekuniär 
leisten kann, abnehmbare Brückenarbeiten auszuführen, die insbesondere durch 
die R i e c h e I m a n n sehen Arbeiten einen vollkommenen Ausbau erfahren haben. 


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DAS PROBLEM DER VERANKERUNG VON 
FRONTZAHNBRÜCKEN 1 

VON 

DR. ARTHUR SIMON 

LEITER DER BERLINER ZAHNÄRZTLICHEN POLIKLINIK 

A ls mit beginnender Kultur auch die Eitelkeit und der Schönheitssinn im 
.Menschen erwachten, erwuchs ihm bald das Verständnis dafür, daß 
ein lückenloses Gebiß ein hervorstechendes Merkmal menschlicher Schönheit 
sei, und das Problem, verlorengegangene Vorderzähne auf irgendeine mög¬ 
lichst naturgetreue Weise zu ersetzen, beschäftigte schon früh erfindungs¬ 
begabte Köpfe. Material war leicht beschafft, man verwendete einfach aus¬ 
gezogene Zähne von Leichen oder, wenn dieses aus religiösen Gründen ver¬ 
boten war, stutzte man Tierzähne zurecht oder schnitzte künstliche Zähne 
aus Holz, Knochen oder Elfenbein. Auch der Gedanke, diesen Ersatz an 
noch vorhandenen Zähnen zu befestigen, bot sich von selbst dar. 

So nimmt es nicht wunder, daß Apparate, die im Prinzip und zum Teil 
auch in der Ausführung unseren modernen „Brückenarbeiten" gleichen, sich 
bereits bei den alten Ägyptern, Phöniziern, Griechen, Etruskern und Rö¬ 
mern vorfinden. Literarische Dokumente und Altertumsfunde beweisen dieses. 
So zitiert — um nur einige Beispiele anzuführen — Deneffe eine Stelle aus 
Lucian, einem Zeitgenossen Galens <131—200 n. Chr. Geb.>, wo er von 
einer alten Frau erzählt, welcher von ihrer einstigen Schönheit vier mit Gold¬ 
draht befestigte Zähne im Munde verblieben waren. Martial <40—100 
n. Chr. Geb.) berichtet von einem Zahnarzt Cascellius, daß er ebenso ge¬ 
schickt Zähne festzumachen als aussuziehen verstand. Einem Laelius ruft er 
zu: „Du schämst Dich nicht, Zähne und Haar zu kaufen." Von einer Ägle 
berichtet er: „Ihr zahnloser Mund war ausgeflickt mit Bein und Elfenbein." 

Fig. 1 zeigt ein von Gaillardot in einer Begräbnisstätte von Sidon ge¬ 
fundenes Gebiß phönizischen Ursprungs. Die beiden Ersatzzähne sind durch 
einen von Eckzahn zu Eckzahn reichenden, mehrere Male um jeden Zahn 
geschlungenen Draht befestigt. Die Befestigung wird verstärkt durch vertikale 
um diesen horizontalen Draht gebundene Schlingen. Außerdem sind durch die 

1 Die vorliegende Arbeit ist zum Teil in dem kürzlich bei Hermann Meusser erschien 
nencn Buch des Verfassers „Zahnärztliche Kronen- und Brückenarbeiten" verwertet. 



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Das Problem der Verankerung von Frontzahnbrücken 


187 


beiden Ersatzzähne je zwei Löcher <in der Nähe der Sdineidekante und des 
Zahnhalses) gebohrt, durch welche ein kunstvoll mehrmals horizontal und vertikal 
geschlungener Draht hindurchläuft. Vielleicht hat diese „Brücke" gleichzeitig als 
Stützapparar für die möglicherweise gelockerten vorhandenen Zähne gedient. 

Guerini veröffentlicht die Reproduktion eines Ersatzstückes für die oberen 
mittleren Schneidezähne und den zweiten Bikuspis <Fig. 2 u. 3>, welches in 
einem Grabe der etruskischen Nekropolis gefun* 
den wurde und vor etwa 3000 Jahren hergestellt 
ist. Der Ersatz für den Bikuspis ist verlorenge* 
gangen. Der Ersatz für die beiden Schneidezähne 
bestand aus einem kunstvoll umgeformten Kälber* 
zahn. Das Ganze stellt eine Kombination etwa 
5 mm breiter Goldringe dar, welche die vorhandenen sowie die Ersatzzähne 
in der Mitte umfaßten und an welchen die Ersatzzähne außerdem durch 

diametral verlaufende Nietstifte befestigt sind. 

Aus derselben Epoche stammt ein anderer nach 
dem gleichen Prinzip gebauter Apparat <Fig. 4>: 
zwei Streifen Plattengold, durch vier Querstreifen 
miteinander verbunden, so daß fünf Kassetten ent¬ 
stehen, drei für die natürlichen Zähne, zwei für 
die Montur der künstlichen. 

Noch mehr Beispiele von antiken Ersatzstücken anzuführen, wäre zwar 
für den Historiker interessant, hieße aber, das, worauf es in dieser Arbeit 
ankommt, nicht fördern, denn das Wesentliche 
in der Art der Verankerung ist bei all diesen 
Apparaten dasselbe: die Ligatur entweder in Form 
von Gold* oder Silberdrähten oder Hanf* oder 
Seide* oder Leinenfäden oder Roßhaaren oder in 
Form von mehr oder minder breiten Goldbändern. 

Daß mit derartig gestützten Prothesen kein nennenswerter Kaueffekt zu 
erzielen war, ist klar, war wohl auch kaum beabsichtigt. Wie schon aus der 
Tatsache, daß nur Vor der Zahnprothesen gefunden wor* 
den sind, hervorgeht, diente das Ersatzstück <neben der 
gelegentlich gleichzeitigen Funktion als Stützapparat 
lockerer Zähne) nur dem kosmetischen Zweck der 
Ausfüllung störend wirkender Lücken, wobei sichtbares 
Gold — dem Geschmack selbst mancher heutigen Kreise 
entsprechend — häufig nicht als störend, ja vielleicht sogar als schön und 
prunkvoll empfunden sein dürfte. 

Das ganze Mittelalter lehnte sich wie in so vielen Dingen auch in dieser 
Beziehung an das Altertum an. Nach Seligmann empfiehlt der Breslauer 
Chirurg Purmann 1692 für den Ersatz von Vorderzähnen künstliche Zähne, 
aus Knochen oder Elfenbein geschnitzt, sowie die natürlichen Nachbarn zu 
durchlochen, durch die Ösen Silberdraht zu ziehen und mit einer Kneifzange 
so fest wie möglich zu binden. Ein neues Moment, nämlich das der Wieder* 



Fig. 4 


Fig. 3 



.Fig. 2 



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188 


Dr. Arthur Simon 


Herstellung einer guten Sprache führt Dionis <um 1700) an: „La septieme 
et derniere Operation qu'on fait aux dents c'est d'en mettre d'artificielles ä 
la place de celles qu'on a perdues. On allegue deux raisons pour autoriser 
cette pratique, la premiere est tiree de l'ornement qu'elles procurent, parce 
qu'il est vilain de voir une bouche mal garnie . . . et la seconde est etablie 
sur la necessite d'articuler la voix." Also auch bei ihm nichts davon, daß 
man künstliche Zähne zum Kauen benutzen soll oder kann. Erst Pfaff 
weist im Jahre 1756 auf den Wert der künstlichen Zähne für das Kauen 
hin. Die praktische Durchführung dieses physiologischen Prinzips, besonders 
in der Vorderzahnregion, wurde allerdings zum großen Teil erst dadurch 

'Y - r , 1 

^ ti m mu liuiu 

- 4 v * 



Fi*. 5 Fig. 6 


ermöglicht, daß Fauchard, „der Vater der Zahnheilkunde", einige Jahre 
vorher die Zahl der bisher bekannten Befestigungsmittel, deren auch er sich 
in der Hauptsache bediente, um ein äußerst wichtiges bereicherte, das ist die 
Befestigung durch Stifte, die in vorhandene Wurzeln versenkt wurden <Fig. 5 
u. 6>. Der obenerwähnte Pfaff ist auch der erste, welcher die Wichtigkeit 
des hygienischen Prinzips betont, indem er empfiehlt, die Schädlichkeit des 
Golddrahtes dadurch herabzumindern, daß man ihn plattschlägt. 

Hier finden wir also die ersten zarten Andeutungen einer mehr ärztlichen 
und wassensdiaftlichen Auffassung der bisher naiv handwerksmäßig betrie* 
benen Zahnersatzkunst. Um machtvoll in dieser Richtung fortschreiten zu 
können, dazu fehlten vorläufig noch die Voraussetzungen. Sie wurden erst 
im nächsten, dem neunzehnten Jahrhundert geschaffen, als durch Erfindung 


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Das Problem der Verankerung von Frontzahnbrücken 


189 


feindifferenzierter Apparate und neuartiger Untersuchungsmethoden der fei« 
nere Aufbau des menschlichen Körpers der Erforschung zugänglich wurde. 
Man lernte den Kauapparat als einen in seinem Aufbau naturnotwendig 
bedingten Teil eines wunderbar in sich ausgeglichenen Organkomplexes ver« 
stehen und begriff, daß eine wirklich organische Wiederherstellung ent« 
standener Defekte nur unter Berücksichtigung der das Ganze beherrschenden 
Gesetze möglich sei. Dem Amerikaner Evans gebührt das Verdienst, im 
Jahre 1875 zu einer in diesem Sinne „modernen" Brückenbaukunst die ersten 
und wichtigsten Bausteine geliefert zu haben. 

Die moderne Brückentechnik, um deren Ausbau sich seitdem zahlreiche 
Forscher rastlos bemüht haben, setzt es sich also zum Ziel, physiologisch 
wirkende Prothesen zu schaffen, d. h. Prothesen, welche die Funktion der 
verlorengegangenen Teile möglichst vollkommen wiederherstellen, ohne des« 
wegen die zur Verankerung benutzten Zähne durch Überlastung oder Be« 
günstigung von Kariesbildung zu schädigen. Mit dieser mechanisch« 
physiologischen und hygienischen Forderung ist in der Vorderzahn« 
gegend noch das kosmetische Prinzip in Einklang zu bringen. Das Problem 
der Verankerung von Frontzahnbrücken ist daher als besonders schwierig 
zu betrachten. 

Der Mechanismus des Kauapparates beruht darauf, daß der etwa nach 
Art eines einarmigen Hebels beweglich mit dem Schädel verbundene Unter« 
kiefer gegen den feststehenden Oberkiefer gepreßt oder seitlich verschoben 
wird. Die Kraft, mit welcher dieser Hebel wirkt <Kaukraft>, hat man mit 
Hilfe von „Gnathodynamometern" zu messen versucht. Black hat durch 
eine große Anzahl derartiger Messungen als untere Grenze einen Wert von 
11 kg, als obere Grenze 125 kg und als Durchschnitt 77 kg festgestellt. 

Diese Werte sind aber nicht als absolute aufzufassen, d. h. sie entsprechen 
nicht der Größe der möglichen Kraftleistung der Kaumuskulatur. Letztere 
festzustellen sind wir aus Gründen, auf welche hier nicht eingegangen werden 
soll, nicht imstande. Andrerseits haben wir auch gar kein praktisches Inter« 
esse daran, da der Patient sich hütet, für gewöhnlich die Kraft seiner Mus« 
kulatur voll auszunutzen/ er paßt diese vielmehr der Härte des zu zerklei« 
nemden Bissens an, wie er das ja auch mutatis mutandis bei allen übrigen 
Kraftleistungen zu tun gelernt hat <Muskelsinn>. Unterstützt wird dieser 
Muskelsinn durch die nervöse Funktion der Zahnwurzelhäute, die bei zu 
starker Belastung gequetscht und schmerzhaft irritiert werden und auf diese 
Weise dem Individuum vermitteln, welche Dosis von Belastung es seinen 
Zähnen zumuten darf. An dieser Variabilität der angewandten Kaukraft 
scheitert also bereits der Versuch, zahlenmäßige Unterlagen für die jeweilig 
notwendige Stärke der Verankerung unserer Prothesen zu gewinnen, ein 
Versuch, wie er z. B. von Wustrow in seinem Buch über „Physikalische 
Grundlagen der zahnärztlichen Platten« und Brückenprothese" unternommen 
worden ist. Immerhin besteht sicherlich eine gewisse Wechselbeziehung zwi« 
sehen mehr oder minder stark entwickelter Kaumuskulatur und Bevorzugung 
mehr oder minder harter Nahrung. Man wird also Alter, Konstitution und 


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190 


Dr. Arthur Simon 


Geschlecht des Patienten berücksichtigen müssen/ auch hat der Praktiker An¬ 
haltspunkte an dem Grad der Abkauung der Zähne. 

Der durch diese Kaukraft beim Zusammenpressen der Kiefer auf die jeweils 
vom Biß getroffenen Zähne ausgewirkte Druck <Kaudruck) ist nun nicht an 
allen Stellen gleich groß, sondern schwillt an, je mehr wir uns dem Drehpunkt 
des Hebels <Condylen> nähern. Denn es ist nach einem einfachen physikalischen 
Gesetz die Kraftleistung an einem Hebel umgekehrt proportional zu der Länge 
des Hebelarms. Da der Hebelarm vom Zentrum des Kiefergelenks bis zum 
Weisheitszahn halb so lang ist wie vom Zentrum zu den Schneidezähnen, so 
ist beispielsweise bei gleichgesetzter Kaukraftgröße der Kaudruck auf die 
Schneidezähne halb so groß wie auf die Weisheitszähne <Eckermann). Die 
Verhältnisse für die übrigen Zähne lassen sich aus dieser Gleichung leicht be¬ 
rechnen. In diesem Abschwellen der Stärke des Kaudruckes nach hinten zu liegt 
offenbar ein günstiges Moment für die Verankerung von Frontzahnbrücken. 

Wenn der Patient die Zahnreihen in Okklusionsstellung gegeneinander¬ 
preßt, so verteilt sich unter normalen Bedingungen der Kaudruck auf alle 
Zähne in dem oben angegebenen Verhältnis,- die Zähne entlasten sich gegen¬ 
seitig. Dieser für die Belastung des einzelnen Zahnes günstigste Zustand wird 
aber aufgehoben, wenn die den Druck auffangende Fläche sich verkleinert, 
also bei Zahnverlust, ferner wenn der Patient anfängt Kaubewegungen zu 
machen, das Gebiß sich also im Stadium der Artikulation befindet. Dann 
lockert sich der Kontakt an einigen Stellen, und die jeweils vom Biß getroffenen 
Zähne erfahren eine um so stärkere Belastung. Das ist stets der Fall bei der 
ersten Phase der Abbeißbewegung. In welchem Maße diese gefährliche Druck¬ 
konzentration bei den übrigen Phasen der Kaubewegungen auftritt, das hängt 
wesentlich von der Art des Bisses ab, die wir vor uns haben. 

Wir unterscheiden zwischen physiologischen und pathologischen Bißarten. 
Die physiologischen Bißarten können wir nach Schröder einteilen in 

1. den orthognathen Biß, 

2. den mesognathen Biß, 

3. den graden Biß (Kopfbiß, Zangenbiß), 

4. die physiologische Prognathie, 

5. die physiologische Progenie. 

Allen physiologischen Bißarten gemeinsam ist der elliptische Aufbau des 
oberen, der parabolische des unteren Zahnbogens, sowie die kurvenartige 
Anlage des Kauflächenkomplexes der Seitenzähne. 

Der in Europa häufigste und daher auch von Schröder „normal" ge¬ 
nannte Biß ist der orthognathe Biß. Er ist charakterisiert 1. durch das mehr 
oder minder starke Übergreifen der oberen über die unteren Frontzähne 
(Scherenbiß, Psalidontie), 2. durch die fast senkrechte Einstellung der Front¬ 
zähne und des sie tragenden Alveolarteils zur Kauflächenebene 1 ), 3. durch 
gut ausgebildete Höcker und Fissuren der Backenzähne. 

*> Unter Kauflächenebene verstehen wir nach Schröder eine Ebene, welche durch die 
distalen Wangenhöcker der zwei unteren Molaren und die Schneiden der unteren seitlichen 
Schneidezähne bestimmt ist. 


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Das Problem der Verankerung von Frontzahnbrücken 


191 


Beim geraden Biß treffen die Schneidekanten der Vorderzähne direkt auf- 
einander. Die Zähne sind senkrecht zur Kauebene in den Knochen ein- 
gepflanzt und stark abgekaut, so daß meist gar keine Differenzierung der 
Backenzahnkauflächen vorhanden ist. Der gerade Biß findet sich bei den 
Naturvölkern (Eskimos, Kelten). Wenn er bei Kulturvölkern auftritt, findet 
er sich meist bei kräftigen Männern mit breiter Schädel- und Gaumenbildung. 
Einen Übergang vom geraden zum orthognathen Biß stellt der mesognathe 
Biß dar, bei welchem die oberen Zähne bereits die Neigung zeigen, die un¬ 
teren zu übergreifen. Die Schneidezähne sind nicht horizontal, sondern schräg 
abgeschliffen. Die an sich flachhöckrigen Seitenzähne mulden sich flach aus. 

Die physiologische Prognathie, das schnauzenartige Gebiß der afri¬ 
kanischen und australischen Neger ist gekennzeichnet durch schräg vorgebaute 
obere und untere Alveolarfortsätze und trotzdem beinahe „orthodontes" Auf¬ 
einandertreffen der Vorderzahnkronen/ das wird durch eine Abknickung der 
Wurzel gegen die Krone ermöglicht. 

Die physiologische Progenie unterscheidet sich von den bisher be¬ 
schriebenen Bißarten insofern, als sie keine exakte in sich geschlossene Okklu¬ 
sion aufweist. „Der Unterkiefer tritt mehr oder weniger weit vor den Ober¬ 
kiefer, so daß die untere Incisivi, von den oberen Zähnen nicht mehr begrenzt, 
diese vielmehr übergreifen, oft in so erheblichem Maße, daß die untere Zahn¬ 
reihe gegen die obere um die Breite eines Molaren nach vorn verschoben ist." 
Physiologisch nennt Schröder diese Bißart deswegen, weil sie wenigstens 
bei mäßiger Ausbildung den anderen physiologischen Bißarten nicht allzusehr 
nachsteht und ferner, weil sie meist auf Vererbung beruht und auf diese Weise 
als auffallendes Charakteristikum ganzer Familien und Familiengruppen 
(Habsburger, schottländischer Adel), ja ganzer Völkerstämme (Friesen, nach 
Virchow) auftritt. 

Von diesen Bißarten sind der gerade Biß, der mesognathe Biß und die 
physiologische Prognathie insofern als die vollkommensten anzusprechen, als 
bei ihnen die Zähne so angeordnet sind, daß bei allen Phasen der Kau¬ 
bewegung (abgesehen von der ersten Phase der Abbeißbewegung) der größt¬ 
mögliche Kontakt zwischen den beiden Zahnreihen gewahrt bleibt. Dem 
Maximum des funktionellen Effektes steht eine durch die Druckverteilung 
bewirkte minimale Beanspruchung der einzelnen Zähne gegenüber. Leider 
sind diese günstigen Voraussetzungen gerade für den in Europa vorherr¬ 
schenden orthognathen Biß nicht oder jedenfalls nicht in dem Maße vorhanden 
wie bei den übrigen Bißarten. Relativ günstig liegen noch die Verhält¬ 
nisse, wenn der Überbiß so schwach ist, daß er durch die Kompensations¬ 
kurve überwunden werden kann. Es werden dann beim Vorschieben des 
Unterkiefers die Vorderzähne durch die im Kontakt bleibenden letzten 
Molaren entlastet (Fig. 7)/ bei der Seitwärtsverschiebung verteilt sich der 
Druck in der Weise, daß auf der Seite, nach welcher hin der Kiefer ver¬ 
schoben wird, die Eckzähne und die im Höckerbiß aufeinandertreffenden Mo¬ 
laren den Druck auffangen, während der Biß auf der anderen Seite von den 
sich berührenden oberen palatinalen und unteren bukkalen Molarenhöckern 


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aufgefangen wird <Fig. 8>. Meist aber ist der Qberbiß bei den langgesich- 
tigen modernen Europäern so stark, daß die Seitenzähne beim Vorwärtsbiß 
ganz <Fig. 9>, bei der Seitwärtsdrehung des Unterkiefers zumindest auf der 
der Drehungsrichtung entgegengesetzten Seite völlig außer Kontakt geraten. 

Wir müssen auf die dadurch bedingte 
stärkere Belastung der Frontzähne bei 
der Verankerung unserer Brücken un- 
bedingt Rücksicht nehmen. Mitunter 
bietet sich Gelegenheit, durch künst- 
lieh stärkere Ausgestaltung der Pala¬ 
tinalhöcker oberer Molaren mit Hilfe 
von Kronen und Inlays günstigere 
Verhältnisse zu schaffen. 

Auf die mannigfaltigen durch Kie¬ 
ferverbildung und Stellungsanomalien 
der Zähne hervorgerufenen patho¬ 
logischen Bißarten soll an dieser 
Stelle nicht eingegangen werden. Sie 
lassen sich im geeigneten Alter meist 
durch orthopädische Maßnahmen ver¬ 
bessern. Daß auch durch Zahnverlust 
die Bißart pathologisch verändert wer¬ 
den kann, ist bekannt. Besonders häufig ist der in Fig. 10 gezeigte Fall, in 
dem infolge fehlender Backenzähne eine starke Senkung des Bisses aufgetreten 

ist. Hier wird man versuchen, 
mit dem Ersatz der Backen¬ 
zähne gleichzeitig eine neue, 
der Druckverteilung möglichst 
günstige Bißart zu schaffen. 

Neben der Stärke des auf 
den einzelnen Zahn wirkenden 
Kaudruckes, die also von der 
Entfernung des Zahnes vom 
Kiefergelenk sowie von der 
Zahl der den Drude auffan¬ 
genden Zähne abhängt, ist die 
Richtung zu beachten, in wel¬ 
cher der Druck die Zähne trifft. 
Entsprechend den drei Hauptbewegungen, welche der Unterkiefer beim Kauen 
beschreibt, nämlich der Öflfnungs- und Schließungsbewegung, der Vor- und 
Rückwärtsbewegung und der Seitwärtsbewegung, kann man auch drei Haupt¬ 
richtungen unterscheiden: 1. die vertikale, 2. die sagittale und 3. die trans¬ 
versale. Doch werden von jeder Hauptrichtung stets auch die beiden anderen 
als Komponenten abgespalten. Das liegt teils an der Natur des sich strahlen¬ 
artig fortpflanzenden Druckes, teils an der Beugung des Druckes durch den 


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Das Problem der Verankerung von Frontzahnbrücken 193 

keilartig wirkenden Bissen und die ebenfalls in schiefen Ebenen gegenein^ 
ander anwirkenden Zähne. 

Das Zustandekommen des Kaudruckes wäre nun nickt denkbar, wenn 
nicht die Zähne, bzw. der sie tragende Knochen der auf sie ausgeübten 
Kraft einen Widerstand entgegensetzen wür^ 
den, der, wenn anders die Kraft zur vollen 
Auswirkung gelangen soll, imstande sein muß, 
diese in allen ihren Richtungskomponenten zu 
kompensieren. Das wird im normalen Gebiß 
erreicht: 

1. Durch die Architektur und Struktur 
des Knochens. Die Kieferknochen fangen den 
auf die Zähne ausgeübten Druck auf, verteilen 
ihn und leiten ihn auf die übrigen Schädelknochen 
weiter. An den Stellen der stärksten 
Beanspruchung sind sie durch Tra= 
jektorien versteift. Auch die Anord^ 
nung und der Verlauf der Knochen^ 
bälkchen entspricht dem Verlauf der 
Drucke und Zuglinien. Für die Bau^ 
art der Kiefer und der angrenzenden 
Schädelknochen sind entwicklungs= 
geschichtlich in erster Linie mechanische Momente von bestimmendem Ein^ 
fluß gewesen. 

2. Durch die Architektur des Gebisses. Von der druckverteilenden 
Wirkung der Zähne während der Okklusion und der Artikulation haben 
wir schon gesprochen. Sie entlasten sich aber auch dadurch, daß sie wie die 
Steine in einem Gewölbe sich gegenseitig stützen, indem jeder Zahn sich mit 
seinen beiden Nachbarn seitlich berührt. 

Schröder nennt das die „interdentale 
Kontaktartikulation". Durch sie wird die 
auf die Seitenzähne wirkende sagittale 
und die auf die Vorderzähne wirkende 
transversale Komponente kompensiert. 

Außerdem wird durch die „Artikulation 
der Zähne mit den Antagonisten", d. h. 
das Ineinandergreifen der Höcker und Fis^ 
suren,die Stabilität des Ganzen erhöht. 

3. Durch die Art der Befestigung der Zähne im Knochen. Das 
ist die vierte und letzte der Artikulationen, die jeder Zahn besitzt, die „aU 
veolo^dentale Artikulation". Die Zähne sind nicht fest und unverrückbar 
in den Knochen „eingekeilt", sondern vermittels der Fasern der Wurzelhaut 
gewissermaßen in der Alveole „aufgehängt". Dadurch bekommt das sonst 
starre Gefüge des Kauapparates eine Elastizität, die für den Ausgleich von 
Spannungsdifferenzen außerordentlich wichtig ist und durch welche die Kom^ 

Viertcljahrssdirift für Zahnheilkunde, Heft 2 13 



Fis- 10 



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Dr. Arthur Simon 


pensationswirkung der drei anderen Artikulationen überhaupt erst möglich 
wird. Doch auch direkt wirkt das Periodontium kompensatorisch, wenigstens 
bis zu einem gewissen Grade, indem es gegebenenfalls etwa wie der Puffer 
eines Eisenbahnwagens imstande ist, gefährlich wirkenden stoßartigen Druck 
aufzufangen, in konsekutive Einzeldrucke aufzulösen und in dieser zuträg- 
lieberen Form an den Knochen weiterzugeben. Natürlich werden die Nerven 
der Wurzelhaut bei diesem Vorgang unter Umständen gequetscht und irri- 
tiert, was dem Patienten unangenehm zum Bewußtsein kommt. Er wird 
daher derartige zu plötzliche und starke Beanspruchungen seines Kauapparates 
zu vermeiden suchen. Und darin besteht eine weitere Funktion des Perio- 
dontiums: Es wirkt in Verbindung mit dem obenerwähnten Muskelsinn re- 
gulierend auf das Verhältnis von Kraft und Widerstand. 

Von diesem harmonischen Verhältnis zwischen Kraft und Widerstand 
hängt es ab, ob der Knochen gesund bleibt und die Zahnbögen ihre nor¬ 
male Form und Beziehung zueinander bewahren, ob sie, wie Godon es aus¬ 
drückt, sich im „Okklusions- und Artikulationsgleich gewicht" befinden. Wird 
dieses Gleichgewicht gestört, indem z. B. durch Zahnverlust die 
Kontinuität des Zahnbogens unterbrochen wird, so kann dieses 
unter Umständen zum Ausgangspunkt der Auflockerung des ganzen 
Gefüges werden, indem die jetzt nicht mehr genügend kompensierten 
Kaudruckkomponenten, anstatt physiologisch zu wirken, zu patho¬ 
logischer Entfaltung gelangen. 

Am wenigsten gefährlich ist in dieser Beziehung die vertikale 
Kaudruckkomponente (nicht zu verwechseln mit dem vertikalen Kau¬ 
druck überhaupt), vorausgesetzt, daß auch der Zahn, auf den sie 
einwirkt, vertikal, d. h. senkrecht zur Kauebene steht. In der reinsten 
Fi g . 11 Form findet sich dieses Verhältnis ausgeprägt beim graden Biß, so¬ 

wie beim orthognathen und mesognathen Biß in der ersten Phase 
der Abbeißbewegung, in welcher die Schneiden der Frontzähne aufein- 
andertreffen. In diesem Fall sind die von der Natur geschaffenen Kom- 
pensierungsbedingungen besonders günstig, 1. weil die vertikal entgegen¬ 
gelagerte Knochenmasse außerordentlich stark ist, 2. weil Ansatzstelle der 
Kraft und Ansatzstelle des Widerstandes in der Richtungslinie des Kau¬ 
drucks liegen, so daß sie direkt aufeinander wirken und der Knochenwider- 
stand voll ausgenutzt wird <Fig. 11). Pathologische Stellungsveränderungen 
infolge der vertikalen Komponente, die sich in einem Hineingedrücktsein 
des Zahnes in den Kiefer äußern müßten, sind deswegen selten zu beob¬ 
achten. 

Bei weitem mehr neigen die horizontalen Kaudruckkomponenten <sa- 
gittal, transversal) bei gestörtem Artikulationsgleichgewicht zur Auslösung 
pathologischer Nebenwirkungen. Denn diese Komponenten sind von Natur 
bedeutend schwächer kompensiert, 1. weil die ihnen entgegengelagerten äu¬ 
ßeren, inneren und approximalen Knochenschichten verhältnismäßig dünn sind 
und 2. weil die Kraft hier nicht direkt, sondern durch Vermittlung eines 
Hebelarms auf den Widerstand ein wirkt, indem die Kraft koronal, derWider- 


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Das Problem der Verankerung von Frontzahnbrucken 


195 


stand aber radikulär ansetzt <Fig. 12>. Dadurch wird ein für den Widerstand 
ungünstiges Verhältnis geschaffen, denn wenn wir mit Engel annehmen, 
daß der Drehpunkt des Hebels in der Wurzelspitze liegt, so folgt daraus, 
daß der Hebelarm der Kraft, der in seiner Länge gleich der Entfernung von 
Wurzelspitze A bis ungefähr zur Schneidekante B zu setzen wäre, bedeutend 
größer ist als der Hebelarm des Widerstandes, der von der Wurzelspitze A 
bis zum marginalen Knochenrande C reicht, und daß der Widerstand um so 
geringer wird, je kürzer die Wurzel AC im Verhältnis zur Gesamtlänge des 
Zahnes AB ist. Außerdem wird der im Knochen liegende Widerstand um so 
weniger ausgenutzt, je mehr wir uns dem Drehpunkte des Hebels nähern/ also 
in der Gegend der Wurzelspitze, wo der Knochen am dicksten ist, gerade am 
wenigsten. Wenn nun auch der Drehpunkt nicht, wie Engel annimmt, genau 
in der Wurzelspitze, sondern je nach den anatomischen Verhältnissen mehr 
oder weniger unterhalb liegt, so daß der Zahn keinen einarmigen, sondern 
einen zweiarmigen Hebel darstellt, so ändert das doch wenig an den von 
Engel gezogenen Schlußfolgerungen. Auf dieser Hebelwirkung beruht es 
auch, daß sich die pathologische Wirkung der nicht genügend 
kompensierten horizontalen Kaudrudekomponenten nicht in einer 
Totalverschiebung, sondern in einer Kippung des Zahnes 
äußert. Konsekutive Kippungen nach verschiedenen Richtungen 
<Luxation> können mit der Zeit die Lockerung des Zahnes her* 
beifuhren. 

Die sagittale Kaudruckkomponente gelangt auf die Vorder- 
zähne in der Hauptsache zur Auswirkung 1. als abgespaltene 
Komponente des vertikalen Kaudruckes bei der zweiten Phase 
der Äbbeißbewegung, bei welcher die unteren Vorderzähne von 
der Aufbißstellung an den schiefen Ebenen der Palatinalflächen 
der oberen Vorderzähne in die Okklusionsstellung gleiten. Der wie ein 
Keil wirkende Bissen verstärkt die Abbiegung des Druckes. Je tiefer der 
Biß, je härter der Bissen, um so gefährlicher ist die Wirkung. Am meisten 
getroffen werden die Eckzähne und seitlichen Schneidezähne, denn diese 
Zähne im Verein mit den Prämolaren sind es, die am häufigsten zum 
Abbeißen benutzt werden. 2. bei der Vorwärtsbewegung und zum Teil auch 
bei der Seitwärtsbewegung des Unterkiefers, besonders dann, wenn die Kom¬ 
pensationskurve nicht stark genug ist, um den Qberbiß zu überwinden und 
zu bewirken, daß die Frontzähne durch gleichzeitigen Molarenkontakt ent¬ 
lastet werden <vgl. oben). 

Die transversale Komponente, die als Abspaltungsprodukt des vertikalen 
Kaudruckes und bei der Seitwärtsbewegung des Unterkiefers erzeugt wird, 
gelangt vor allen Dingen auf die Seitenzähne zur Auswirkung. Die Vorder¬ 
zähne werden weniger getroffen, nur die Eckzähne der Seite r nach welcher 
die Bewegung stattfindet, haben einen Teil dieses Druckes aufzufangen. — 

Wie begegnen wir nun der Gefahr, die unseren Brückenkonstruktionen 
von diesen horizontalen Kaudruckkomponenten droht? Indem wir versuchen, 

13 * 


4 



ß 

Fig. 12 


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Dr. Arthur Simon 


den auf die Brücke wirkenden horizontalen Drude derartig herabzumindern 
oder derartig zu kompensieren, daß keine pathologischen Wirkungen mehr 
eintreten können. Dafür stehen uns verschiedene Mittel zur Verfügung: Wir 
können durch hintere Brücken, die vielleicht ohnedies nötig sind, den Biß im 
Ganzen heben/ wir können, wenn es sich um eine Brücke in der Eckzahn* 
gegend handelt, gegebenenfalls die Palatinalhöcker der oberen Molaren der 
Gegenseite durch Füllungen oder Kronen erhöhen, um beim Seitwärtsbiß 
den Eckzahn zu entlasten <vgl. oben)/ wir werden die Ersatzzähne nach 
Möglichkeit so stellen oder palatinal <bei unteren Zähnen mastikallabial) so 
abschrägen, daß sie „im Schatten der übrigen Zähne stehen", d. h. beim Vor* 
und Seitwärtsbiß nur eben Schleifkontakt haben. Die stärkste Kompensier 
rungsmöglichkeit besitzen wir aber in dem Mittel der Versteifung. 

Es gibt drei Arten von Versteifung, die sagittale Versteifung, durch 
welche die sagittale Komponente kompensiert wird, die transversale Ver* 
Steifung, durch welche die transversale Komponente kompensiert wird, und 
eine Kombination beider, die zirkuläre Versteifung. Eine Abart der zir* 
kulären Versteifung ist die T-förmige Versteifung. Die Wirkungsweise der 

Versteifung erhellt aus folgendem Beispiel. Man 
stelle sich vor: auf eine obere von Eckzahn bis 
Eckzahn gespannte Brücke wirkt ein trans* 
versaler Druck von rechts nach links und ver* 
sucht, den rechten Eckzahn nach mesial umzu* 
kippen, so wäre das nur möglidi, wenn die 
ganze Brücke sich um eine ungefähr durch die 
rechte Eckzahnwurzel verlaufende Achse drehen würde <Fig. 13),* dadurch 
würde der linke Eckzahn teils in den Knochen hineingedrückt, teils mit 
seiner ganzen Wurzellänge gegen die distale Knochen wand gepreßt werden. 
Beiden Beanspruchungen aber setzt der Knochen einen Widerstand entgegen, 
der bei weitem ausreicht, die Kraft zu kompensieren. Die Versteifung wirkt 
also dadurch, daß sie 1. die gefährliche horizontale Komponente in die un* 
gefährlichere Vertikalkomponente überführt, und 2. dadurch, daß sie, wie 
Rumpel sich ausdrückt, das gefährliche Kippmoment in das ungefährliche 
Schubmoment verwandelt. 

Jede Brücke stellt, wenn sie doppelseitig verankert ist, einen solchen Ver* 
steifungsapparat dar, und zwar jedeSeitenzahnbrücke in sagittaler, jede Vorder* 
Zahnbrücke in transversaler Richtung. Nun ist aber bei Vorderzahnbrücken, 
wie wir gesehen haben, die transversale Komponente weniger zu fürchten 
als die sagittale, und die Möglichkeit, daß die Brücke infolge sagittaler Über* 
lastung mitsamt den Stützzähnen nach vorn <bei oberen Brücken) heraus* 
gebissen wird, wird durch die transversale Versteifung nicht tangiert. Von 
diesem Mißgeschick werden, wie die Erfahrung lehrt, gerade die obener* 
wähnten von Eckzahn bis Eckzahn reichenden Brücken unter ungünstigen 
Bißverhältnissen gar nicht so selten betroffen. Wir beugen dem vor, indem 
wir — z. B. durch Hinzunahme der beiderseitigen Prämolaren — zu der 
transversalen die sagittale Versteifung hinzufügen, also eine zirkuläre Ver* 


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Das Problem der Verankerung von Frontzahnbrücken 


197 


Steifung schaffen. Auf diese Weise wird das Ganze zu einem starren Ge- 
füge von außerordentlicher Widerstandskraft, und es lassen sich mit Hilfe 
dieser zirkulären Versteifung oft sehr große Brücken auf wenigen Zähnen 
dauernd und sicher verankern,- ja es schadet selbst nicht, wenn der eine oder 
andere dieser Zähne vorher etwas locker war, da derartige Brücken gleich- 
zeitig als Stützapparate wirken. 

So sind wir imstande, durch sinngemäße Verankerung der Brücke den 
Stützzähnen nicht nur ihre frühere Festigkeit im Knochen zurückzugeben, 
sondern diese sogar noch zu erhöhen, so daß die Zähne ohne Schaden ein 
Vielfaches der ihnen von der Natur zugedachten Arbeit zu leisten vermögen. 
Andrerseits können fehlerhaft verankerte Brücken zur Lockerung ur- 
sprünglich fester Stützzähne führen, wenn nämlich die Brücke, anstatt die 
schädliche Wirkung der Kaudruckkomponenten tunlichst auszuschalten, diese 
womöglich noch bis zu einem die physiologische Widerstandskraft des Kno¬ 
chens übersteigenden Grade erhöht. Zweier besonders gefährlicher Brücken¬ 
typen muß in diesem Zusammen¬ 
hang Erwähnung getan werden, 
zumal sie sich gerade für den 
Ersatz von Vorderzähnen be¬ 
sonderer Beliebtheit erfreuen, das 
sind die an einem Zahn ver¬ 
ankerten Extension s brücken 
oder, wie man wohl besser sagt, 

Anhängerbrücken und die ex¬ 
trafrontal verankerten Bügelbrücken. Beide Konstruktionen wurden aus 
dem Bestreben heraus geschaffen, dem in der Vorderzahngegend besonders 
wichtigen kosmetischen Prinzip gerecht zu werden. 

Man kann diesem kosmetischen Teil des Verankerungsproblems, also der 
Aufgabe, die Brücke möglichst unauffällig zu verankern, wie wir sehen werden, 
auf verschiedene Weise beikommen. Keinesfalls ist sie leicht zu lösen, und 
auf jeden Fall bedeutet es eine wesentliche Erleichterung, die Schwierigkeit 
wird gewissermaßen halbiert, wenn man kurzerhand auf einen Stützpfeiler 
verzichtet und die Brücke überhaupt nur an einem Zahn befestigt. So hat 
man z. B. die Ersatzfacette für einen mittleren Schneidezahn an den anderen 
mittleren Schneidezahn angehängt, den seitlichen Schneidezahn an den mitt¬ 
leren oder an den Eckzahn oder den Eckzahn an den ersten Prämolaren. 
Fig. 14 stellt einen krassen Fall einer Anhängerbrücke aus meiner Sammlung 
dar, in welchem gleich drei Ersatzzähne (zwei Facetten vorn, ein Vollzahn 
hinten) am zweiten oberen Prämolaren mit Hilfe einer Fensterkrone befestigt 
w'orden sind. 

Betrachten wir derartige Anhängerbrücken mit einem Stützpfeiler vom me¬ 
chanisch-physikalischen Gesichtspunkt aus, so läßt sich ihre Wirkungsweise 
folgendermaßen präzisieren: 1. Sie spalten von dem an sich ungefährlichen 
vertikalen Kaudruck gefährliche horizontale Komponenten ab und können 
dadurch unter Umständen eine Kippung des Stützzahnes nach der Lücke 



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zu hervorrufen. 2. Sie verstärken die gefährlich wirkenden horizontalen Kom- 
ponenten und können unter Umständen eine Drehung des Stützzahnes um 
seine Längsachse hervorrufen. 3. Da diese Effekte auf Hebelwirkung be- 
ruhen, so sind sie proportional der Länge des Hebelarms, d. h. der Zahl und 
Breite der angehängten Ersatzzähne. 

Manche Autoren verwerfen aus diesen Gründen die Anhängerbrücken 
mit einem Stützpfeiler ganz. Dem widerspricht aber die Erfahrung, denn 

der allerdings großen Zahl solcher Brücken, 
die zur Lockerung des Stützzahnes führten, 
stehen mindestens ebensoviele gegenüber, die 
jahrelang ohne jede pathologische Neben¬ 
wirkung getragen werden. Der Erfolg hängt 
eben auch hier von dem harmonischen Ver¬ 
hältnis zwischen Kraft und Widerstand ab. 
Da der gegebene Widerstand in diesen 
Fällen besonders klein ist, so darf auch die 
Beanspruchung nur klein sein. Das ist aber 
nur der Fall, wenn folgende Bedingungen möglichst sämtlich erfüllt sind: 

1. Es muß sich um einen Patienten handeln, der keine sehr starke Kau¬ 
kraft zu entwickeln pflegt. 

2. Der Biß muß so beschaffen sein, das die oberen Zähne nicht zu stark 
übergreifen und daß die Frontzähne bei allen Phasen der Kaubewegung durch 

den Kontakt hinterer Zähne 
entlastet werden. 

3. Es darf nie mehr als 
ein Zahn direkt angehängt 
werden. Brücken wie die 
inFig. 14 dargestellte enden 
notwendigerweise stets mit 
einem Mißerfolg. 

4. Die zu schließende 
Lücke soll an einer funk¬ 
tionell wenig wichtigen 
Stelle des Gebisses liegen. 
Das ist meistens die Schnei¬ 
dezahngegend,- Kronen auf 
ersten Prämolaren mit an¬ 
gehängter Eckzahnfacette 

Fig. 16 können gefährlich wirken, 

weil die Eckzähne sowohl 
vertikal (beim Abbeißen) als auch horizontal (bei den Mahlbewegungen) be¬ 
sonders stark beansprucht werden. Doch hängt das von der Bißart ab, die 
man unter Umständen selbst günstig beeinflussen kann. 

5. Die Ersatzfacette darf nicht zu stark vom Biß getroffen werden,- sie soll 
in den Schutz des Pfeilerzahnes eingestellt werden „derart, daß dieser in 


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Das Problem der Verankerung von Frontzahnbrücken 199 

erster Linie die Stoßkraft des seitwärts bewegten LInterkiefers auffängt, ohne 
den Anhänger vom Schleifkontakt auszuschließen" <Schröder>. 

Das sind die Linien, durch welche das Anwendungsgebiet der einfach ver¬ 
ankerten Anhängerbrücken begrenzt wird. Man kann aber dieses Gebiet er- 
weitern, wenn man Brücken konstruiert, 

Klammer MUH 


die an der freien oeite eine 
oder einen Sporn tragen, wodurch sich jj 

die Brücke bei horizontaler Beanspru- JJ 

chung an den Nachbarzahn anlehnen r 
kann. Lim der Bildung von sekundärer 

Karies vorzubeugen, versieht man den V**g£^*F*\ / \ 

Zahn an der Stelle, an welcher er vom / \^Jß- ^ \ 

Sporn berührt wird, mit einem flache 'i-if 

gemuldeten Inlay <Fig. 15). Noch sicher ? \ 

rer ist es, den Zapfen in einem tief L Jp € 

ausgefurchten Inlay zu versenken. *3 

Auf diese Weise wird nicht nur die 

sagittale, sondern auch die vertikale Komponente kompensiert, die Facette 
kann also weder heraus- noch hochgebissen werden. 

Daß die Gefahr der Hebelwirkung bei Anhängerbrücken durch Hinzu¬ 
fügung eines zweiten Stützpfeilers aufgehoben werden kann (Fig. 16 linke 
Brücke), und zwar um 

so mehr, je weiter der r ^ - A 

zweite Stützpfeiler vom oL> KJl \ \ 

ersten Stützpfeiler, dem g v 

Drehpunkt des Hebels, * 

entfernt ist, liegt auf der / v 

Im Zusammenhang M > * v s 

mit den eben bespro- y ^1 

ebenen einfach veranker- j \ 

ten Anhängerbrücken \ 3» ß Jf 

wurde als besonders ge- 1 
fährlich der Typ der 

extrafrontal veran- 1 ^ 

kertenBügclbrücken 
hervorgehoben. Darun¬ 
ter sollen Brücken ver¬ 
standen sein, bei denen F,g * 18 

der Ersatz für einen oder 

mehrere Frontzähne nicht an den übrigen noch vorhandenen Frontzähnen, 
sondern mit Hilfe eines um diese herumgeführten Bügels an den Seitenzähnen, 
also extrafrontal, verankert ist. Fig. 17, welche dem Lehrbuch von Evans ent¬ 
nommen ist, zeigt einen solchen Ersatz für die beiden oberen mittleren Schneide¬ 
zähne. Auf diese Weise wird das Problem der LInsichtbarmachung der Ver- 


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200 


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ankerung jedenfalls verblüffend einfach gelöst. Ob aber diese Lösung auch in 
mechanischer Hinsicht als vollkommen bezeichnet werden kann, ist mehr als 
zweifelhaft. Wustrow u. a. weisen mit Recht auf die Gefährlichkeit aller 
Brücken hin, deren Mittelstück einen Bogen beschreibt — und etwas anderes 
sind ja die Bügelbrücken auch nicht. Sie stellen einarmige Hebel dar, deren Dreh¬ 
achse durch die beiden Stützzähne verläuft und durch welche von dem an 
und für sich harmlosen vertikalen Kaudruck recht bedenkliche horizontale 
Komponenten abgespalten werden, die zur Losrüttlung der Brücke oder zum 
LImkippen der Stützpfeiler führen können. Wustrow sagt daher voll- 
kommen richtig: „Hauptforderung beim Bau zahnärztlicher Brücken ist es, 

daß jede Brücke in der Hori- 
zontalebene möglichst gerade 
gebaut wird, daß also mög- 
liehst die Innehaltung des na¬ 
türlichen Zahnbogens beim 
Bau von größeren Zahnärzte 
liehen Brücken vermieden 
wird.' 7 Dieses läßt sich z. B. 
bei einer von Eckzahn zu Eckzahn oder vom mittleren Schneidezahn bis zum 
ersten Prämolaren reichenden oberen Brüdce dadurch erreichen, daß man die 
Ersatzzähne, anstatt sie über die unteren Zähne übergreifen zu lassen, durch 
Inversion auf- oder gar hinterbeißen läßt. Bei Bügelbrücken aber ist diese 
Forderung unerfüllbar. Besonders ungünstig liegen natürlich die Verhältnisse 

bei V-förmigen Kiefern, un¬ 
günstiger im allgemeinen beim 
Oberkiefer als beim Unterkiefer, 
weil jener einen größeren Bogen 
beschreibt. 

Trotzdem läßt sich nicht mit 
Bestimmtheit behaupten, daß 
Brücken wie die von Evans 
empfohlene durchaus immer mit 
einem Mißerfolg enden müssen, 
im günstigsten Falle jedoch dürf¬ 
ten sich Kraft und Widerstand 
recht knapp das Gegengewicht 
Fig. 20 halten. Solange wir aber 

nicht imstande sind, in 
jedem einzelnen Falle Kraft und Widerstand genau quantitativ 
zu bestimmen und gegeneinander abzumessen, solange sind wir 
nach meinem Dafürhalten verpflichtet, unseren Brücken ein be¬ 
deutendes Plus an Widerstand zu geben, und müssen derartige Kon^ 
struktionen als zu gewagt prinzipiell ablehnen. 

Es sei gestattet, an zwei Beispielen die Gefährlichkeit dieser extrafrontalen 
Verankerungsmethode deutlicher zu machen. Fig. 18 zeigt die Ersatzfacetten 




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Das Problem der Verankerung von Frontzahnbrücken 


201 


für die fehlenden oberen ersten Prämolaren und den linken seitlichen Schneide^ 
zahn an einen Bügel angelötet, der mit Hilfe zweier Ringe an den zweiten 
Prämolaren befestigt ist. Als ich die Brüche zu Gesicht bekam, fand sich die 



Schneidezahnfacette hochgebissen 
vor <Fig. 19), was zu einer 
schmerzhaften Druckirritation des 
Zahnfleisches Veranlassung gab, 
der linke Prämolar war nach 
mesial umgekippt, während das 
rechte Band sich gelockert hatte. 


Fig. 21 


Fig. 22 


Ein nicht besseres Schicksal hatte eine untere Brücke <Fig. 20), bei welcher 
links eine Krone auf dem ersten Molaren, rechts je eine Krone auf dem 
ersten Prämolaren und ersten Molaren durch einen langen Bügel miteinander 
verbunden waren,- an diesem 
Bügel waren drei Schneidezahn^ 
facetten befestigt. In Fig. 21 
sieht man die heruntergebissenen 
künstlichen Schneidezähne. Die 
unter den gelockerten Kronen 
vollständig durch Karies zer¬ 
störten Molaren fielen der Zange 
zum Opfer. 

Man könnte nun versuchen, 
die Hebelwirkung dadurch zu 
kompensieren, daß man den Bü¬ 
gel außerdem noch an weiter rück* 
wärts gelegenen Zähnen veran^ 
kert, wie es ja auch bei der in 
Abb. 20 gezeigten Brücke auf der 
einen Seite geschehen ist. Das 
ist richtig. Aber auch dann bleibt ein Mißstand, das ist die Federung, die 
sich bei großen Bügeln schwer vermeiden läßt. Die Brücke mag festhalten, 
der Patient wird doch nie ein Gefühl der Unsicherheit los und getraut sich 
nicht so recht, seine Kaukraft auszunutzen. 

Man tut daher sicherlich am besten, in allen Fällen, in denen das Bereich 
der mittleren Schneidezähne mit in die Lücke einbezogen ist, auf die rein 
extrafrontale Verankerung zu verzichten. 




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Wohl aber läßt sich der Ersatz für den seitlichen Schneidezahn extra- 
frontal befestigen, vorausgesetzt daß man nicht nur den ersten Prämolaren, 
sondern auch noch einen zweiten Prämolaren oder einen Molaren derselben 
Seite zur Verankerung benutzt. Daß der kurze Bügel federt, ist nicht zu be¬ 
fürchten, wenn man ihn recht massiv herstellt und stark verlötet. Brücken, 
wie die in Fig. 22 gezeigte, sind zwar beliebt, und in Lehrbüchern be¬ 
schrieben, aber gefährlich, weil sie weiter nichts sind als einseitig gestützte 
Anhängerbrücken, die gegen die dritte der für diese als notwendig bezeich- 
neten Voraussetzungen verstoßen. Es gilt daher auch für sie das mit 
Bezug auf die in Fig. 17 dargestellte Brücke Gesagte. Ich habe in drei 
Fällen solche Brücken mitsamt dem Stützpfeiler gelockert bzw. hochgebissen 
vorgefunden. Leger-Dorez berichtet — wenn auch nicht hinsichtlich der¬ 
selben, so doch ähnlich konstruierter Brücken — über die gleichen Erfah¬ 
rungen: „Jedesmal, wenn wir eine derartige Arbeit sahen, bemerkten wir 
ein anormales Einbeißen der Ersatzzähne in das Zahnfleisch/' Er beschreibt 
einen Fall <Fig. 23>, in dem er aus diesem Grunde zwei derartige Brücken 
durch einen Bügel verbindet, der in der Mitte ein auf der Gaumenschleim¬ 
haut auf liegendes Plättchen trägt. Dieses Plättchen soll 1. das Einsinken der 
Facetten und 2. die Deviation der Stützzähne verhindern. Nach Schröder 
aber ist die Idee, die polsterartige Schleimhaut als Unterstützungsmittel für 
im übrigen festaufliegende Brücken benutzen zu wollen, falsch. Nur eine 
feste Unterlage auf einem der Vorderzähne kann die Hebelwirkung auf- 
heben. Wir hätten dann eine Kombination der extrafrontalen mit der fron¬ 
talen Verankerung. 

So schrumpft für den vorsichtigen Brückenbauer die extrafrontale Ver¬ 
ankerung zu ziemlicher Bedeutungslosigkeit zusammen. Wir müssen uns mit 
der Tatsache abfinden, daß wir in der überwiegenden Mehrzahl der Fälle 
darauf angewiesen sind, den Ersatz für Frontzähne an den Front¬ 
zähnen selbst zu befestigen, und müssen den kosmetischen Effekt da¬ 
durch zu erzielen suchen, daß wir die Befestigung so unauffällig wie mög¬ 
lich anbringen. 

Die Vollkrone, die ja als Befestigungsmittel für Backenzahnbrücken eine 
hervorragende Rolle spielt, kommt daher für Vorderzahnbrücken kaum in 
Betracht, wenn man auch ihre Auffälligkeit dadurch einigermaßen herab¬ 
mindern kann, daß man sie matt poliert oder statt aus Gold aus dem wei߬ 
lich schimmernden Platin herstellt. Sie wird vielmehr Befestigungsmitteln 
Platz machen müssen, die entweder wie Richmondkrone und Stiftzahn die 
natürliche Zahnkrone durch Porzellan ersetzen und ihre Verankerung in der 
Wurzel finden oder die wie die Ringe, Fensterkronen, Halbkronen und In¬ 
lays den Labialteil der natürlichen Zahnkrone ganz oder wenigstens teilweise 
freilassen. 

Die erste Methode ist entschieden die sicherste, denn eine auf eine lege 
artis vorbehandelte Wurzel gesetzte exakt gearbeitete Richmondkrone erfüllt 
alle kosmetischen, mechanischen und hygienischen Bedingungen: sie wirkt 
natürlich, bildet eine sehr starke Verankerung und schützt die Wurzel gegen 



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Das Problem der Verankerung von Frontzahnbrücken 


203 


Karies. Halbringstiftkrone und Stiftzahn sind nur als Surrogate der Rieh* 
mondkrone zu betrachten. Trotz dieser Vorzüge der Richmondkronenbe* 
festigung entschließt man sich aber in Fällen, in denen der Zahn noch eine 
intakte oder gut zu konservierende gesunde Krone besitzt, schwer zu dem 
Radikalmittel der Devitalisation und Dekapitierung, zumal diesem Verfahren 
gewöhnlich von seiten das Patienten ein unüberwindlicher Widerstand ent* 
gegengesetzt wird. Man ist daher sehr häufig gezwungen, zu der zweiten 
Methode seine Zuflucht zu nehmen, also Befestigungsmittel anzuwenden, 
welche den Zahn nur teilweise bedecken. Erfahrungsgemäß ist nun 
der Prozentsatz der Mißerfolge bei diesen Konstruktionen ziemlich groß, 
indem entweder die Befestigung nach einiger Zeit durch den Kauakt los* 
gerüttelt wird oder der Zahn der sekundären Karies anheimfällt. Die Lok* 
kerung läßt sich aber mit Sicherheit vermeiden, wenn man darauf achtet, daß 
das Befestigungsmittel nicht zu klein hergestellt und vor allen Dingen so 
konstruiert wird, daß der Stützzahn gezwungen ist, alle vertikalen, sagittalen 
und transversalen Bewegungen der Brücke beim Kauen mitzumachen und 
umgekehrt. Viel bedenklicher ist die Gefahr der sekundären Kariesbildung. 
Diese können wir nie ganz ausschalten, wir sind aber imstande, das Risiko 
auf dasjenige Minimum herabzudrücken, mit welchem wir durchschnittlich bei 
allen unseren Arbeiten zu rechnen haben, wenn wir folgende Prinzipien be* 
achten: 

1. Gebisse, die zu Karies neigen, sind von vornherein auszuschließen. 

2. Die Ränder des Befestigungsmittels sollen, soweit sie nicht unter dem 
Zahnfleisch liegen, unmerklich in den Zahn übergehen (Prinzip des Rand* 
Schlusses). 

3. Die approximalen Ränder des Befestigungsmittels sollen außerhalb 
der Kontaktpunkte liegen an Stellen, die der künstlichen Reinigung durch 
die Zahnbürste und der Selbstreinigung durch Zunge und Lippen leicht zu* 
gänglich sind (Prinzip der „Extension for prevention for recurrence ofdecay"). 

Nun lassen sich allerdings in der Praxis diese Grundsätze in ihrer Ge* 
samt heit nicht immer streng durchführen, und man kann, wie die Erfahrung 
lehrt, von diesem Ideal auch einmal ungestraft abweichen. So haben sich 
z. B. Befestigungsschienen für lockere Zähne nach Rhein, die aus einer 
Reihe approximal zusammenhängender Inlays bestehen, in praxi nicht schlecht 
bewährt, obwohl sie gegen das dritte Prinzip verstoßen. So hat ferner schon 
jeder von uns Kronen gesehen, die innen oder außen nicht bis an das viel* 
leicht stark retrahierte Zahnfleisch heranreichten und trotzdem keine sekun* 
däre Karies verursachten, weil die Weichteile diesen Raum reinigten. Man 
kann also unter Umständen, ohne besondere Gewissensbisse empfinden zu 
müssen, Inlays machen, deren Rand durch den Kontaktpunkt geht, voraus* 
gesetzt, daß ein tadelloser Randschluß vorhanden ist, ebenso wie wir im 
Notfall auf den unmerklichen Übergang zwischen Befestigungsmittel und 
Zahn an der Reinigung leicht zugänglichen Stellen verzichten 
können. Gegen beide Prinzipien (2 und 3) aber gleichzeitig zu verstoßen, 
erscheint recht bedenklich. 


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204 


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m 


Von diesem Gesichtswinkel aus betrachtet, wäre gegen die Fenster* 
kröne, die als Befestigungsmittel für Brückenarbeiten einen ziemlich zweifei* 
haften Ruf genießt, nichts einzuwenden, denn ihr Rand 
liegt teils unter dem Zahnfleisch <zervikal>, teils läßt er 
sich gut anpolieren, so daß ein unmerklicher Übergang 
entsteht <mesial, distal und mastikal), und da, wo das 
nicht möglich ist, nämlich an der freien Seite des Hals* 
ringes, ist sie der Reinigung gut zugänglich. Wenn wir 
* Fig 24 ^ trotzdem so oft Gelegenheit haben, Fensterkronen zu be* 
obachten, die sich gelockert oder zu sekundärer Karies ge* 
führt haben, so liegt das daran, daß diese Befestigungsart häufig in ungeeig* 
neten Fällen und dann auch meist viel zu wenig stabil ausgeführt wird. 

Man^sollte sich von vornherein darüber klar sein, daß das Anwendungs* 
gebiet der Fensterkrone ein ganz eng umschriebenes ist. 
uf \ / \V Da man den freibleibenden Labialteil des Zahnes nicht 

Y f j y beschleifen darf, kommen nur labial ganz schlank gebaute 

\ ] Zähne für diese Verankerungsmethode in Betracht. An* 

l 1 I dem falls steht der Halsring zervikal ab, sitzt nicht genügend 

\ / \ fest und begünstigt die Kariesbildung. Fig. 24 zeigt eine 

\ / \ / solche unsachgemäß angebrachte Verankerung. 

^ V' Überhaupt ist die Gefahr, daß die durch das labiale 

Flfr ’ 25 Fenster recht erheblich geschwächte Krone infolge der seit* 

liehen Zerrung der Brücke vom Zahne losplatzt, viel größer, als man ge* 
meinhin annimmt. Die Herstellung aus gewöhnlichem Blech, wie sie meistens 
üblich ist, mag für eine einzelne Fensterkrone genügen. Sowie aber diese 
als Brückenpfeiler dienen soll, ist es unbedingt notwendig, 
fr m \ sie an ^ en ^ oc * m * nor * s resistentiae d. i. der Halsring, 

^ die mesiale, die distale und eventuell auch mastikale 
Seite — durch aufgelöste Blechstückchen zu verstärken. 

Fig. 26 Die Verstärkung der Approximalseiten ist bei nach der 

Schneide zu breiter werdenden Zähnen ohnehin nötig, 
um die ursprüngliche Form des Zahnes und den Kontaktpunkt wieder her* 
zustellen <Fig. 25). 

Besser läßt sich dieses alles bewerkstelligen, wenn man die Fenster* 
f Ja kröne gießt. Wir fertigen zu diesem Zwecke für den entsprechend 
vorbereiteten Zahn <Fig. 25) einen ungefähr 3 mm breiten Goldring 
\[\ an, der allseitig genau anliegen muß <Fig. 26>. Mit diesem Ring in 
l 11 situ nehmen wir Abdruck und modellieren auf dem aus Marmor* 
\ 'Jr zement hergestellten Modell die Krone aus Wachs, wobei wir gleich* 
V j zeitig den Labialteil des Ringes durch Wachs verstärken. Das Gold 

Fig. 27 w * r d direkt an den Ring angegossen. Derartige Kronen passen ganz 
stramm über den Zahn und lassen sich haarscharf anpolieren <Fig. 27). 

Während Schröder die Überkappung der Schneide bei Fensterkronen 
für unvorteilhaft hält, „weil selbst bei exaktester und sorgfältigster tech* 
nisdher Durchführung ein absolut sicherer Randschluß über die Schneide hinweg 


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Das Problem der Verankerung von Frontzahnbrücken 


205 


kaum zu erzielen ist", steht Goslee auf dem Standpunkt, daß die Schneide 
bedeckt werden muß, um zu verhindern, daß die Befestigung beim Kauen 
wurzelwärts nachgibt. 

Es ist das dieselbe Erschein 
nung, die man so oft bei der ein* 
fachen Ringbefestigung beobacht 
ten kann: Das Befestigungsmittel 
leistet dem vertikalen Kaudruck 
keinen Widerstand, die Brücke 
wird, indem das Zement entzwei* 
bröckelt, hochgebissen. Fig. 28 
und Fig. 29 zeigen einen der* 
artigen Fall aus meiner Samm* 
lung, bei dem es zur nachträg* 
liehen Bildung einer tiefen Hals* 
karies gekommen ist. Damit soll nicht gesagt werden, daß der Ring als Be* 
festigungsmittel für Brückenarbeiten überhaupt zu verwerfen ist. Man muß 
nur darauf achten, daß der von dem Ring umfaßte Zahn durch seine natür* 
liehe oder durch die Abschleifung 
gewonnene Form ein Abrutschen 
des Ringes unmöglich macht. „So 
sind vor allem die lang aus dem 
Zahnfleisch hervortretenden un* 
teren Eckzähne für die einfache 
Ringbefestigung geeignet. Das 
Cingulum der lingualen Fläche 
verhindert ein Abrutschen des 
Ringes nach unten, auch wenn die 
an ihm befestigte Brücke stark be* 
lastet wird,* ein absolut exakter Anschluß des Ringes ist ermöglicht durch das 
moderne Gußverfahren. Der so dünn wie möglich aus Wachs modellierte 
Ring wird aus weichem Gold, 22-^24 karätig, gegossen, dann auf den Zahn 
getrieben und an den Rändern besonders sorgfältig anrotiert/ ab* 
genommen und mit Lötgips ausgegossen, wird er durch einen in 
der Mitte seiner Breite zirkulär verlaufenden Ring und durch Lot 
verstärkt, doch stets so, daß seine Ränder freibleiben <Fig. 30). Es 
muß eben die Möglichkeit bestehen, auch nach der Verstärkung und 
dem endgültigen Festsetzen des Ringes die äußersten Ränder an 
den Zahnkörper anzurotieren. Indiziert erscheint die eben beschrie* 
bene Ringbefestigung besonders in den Fällen, in denen die vier fehlenden 
unteren Schneidezähne brückenartig ersetzt werden sollen und die zu ihrer Be* 
festigung dienenden nicht vorhandenen Eckzähne lang und mit fast parallelen 
Seitenflächen aus dem Kiefer hervortreten." (Schröder.) 

Der gegossenen Fensterkrone ähnlich sind die gegossenen Halbkronen 
(Rückenplatten) mit Stift <Fig. 31). Dadurch aber, daß der labiale Hals* 



Fig. 30 



Fig. 29 



Fig. 28 


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ring fortfällt, wirken sie kosmetisch bedeutend besser <Fig. 32) und sind über^ 
dies unbeschränkt anwendbar. Der an die Stelle des Halsringes tretende 
Wurzelstift in Verbindung mit der äußerst stabilen Bauart macht sie zu 
einem der stärksten Brückenbefestigungsmittel, die uns überhaupt zur Ver^ 
fügung stehen. Die Gefahr der sekundären Karies ist praktisch gleich null, 
wenn wir dafür Sorge tragen, daß der mesiale, distale und mastikale Rand 
unmerklich in den Zahn übergehen, der zervikale Rand aber, bei dem dieses 
nicht möglich ist, unter dem Zahnfleisch liegt. Ich verwende diese frontale 



Fig. 31 Fig. 32 Fig. 33 Fig. 34 Fig. 35 


Befestigungsart seit ungefähr acht Jahren außerordentlich häufig und habe nur 
einmal einen Fall von sekundärer Karies beobachtet, das war in einem Munde, 
der überhaupt zu Karies neigte. 

Die Vorbereitung des Zahnes ist dieselbe wie für die Fensterkrone. 
Außerdem ist natürlich der Kanal aufzubohren, und zwar parallel den Seiten^ 
flächen des Zahnes <und den anderen Stützpfeilern). Das Abdrucknehmen 
erfolgt bei offenem Kanaleingang mit Hilfe einer kleinen, mit Henkel 
versehenen Hülse, die, mit Dentallack oder Kerrabdruckmasse gefüllt, fest 
über den Zahn gestülpt wird. Die Hülse soll bequem über den Zahn gehen 



Fig. 36 Fig. 37 Fig. 38 Fig. 39 Fig. 40 


und zervikal überall das Zahnfleisch berühren,* sie ist also wie ein Kronen^ 
ring entsprechend der Zahnfleischkontur auszuschneiden. Vorn wird die Hülse 
ausgeschnitten, damit man die Abdruckmasse aus den labial unter sich gehen^ 
den Stellen entfernen kann <Fig. 33). Man kühlt mit Chloräthyl ab und 
zieht die Hülse mit einem durch den Henkel gesteckten Instrument herunter. 
Der Abdruck wird mit Kupferamalgam ausgestopft, und zwar mit etwas 
Überschuß, so daß ein kleiner Sockel entsteht. Der Amalgamzahn, den man 
am nächsten Tage durch Abziehen des Abdruckes freilegt <Fig. 34), muß 
etwas über den Zahnfleischrand hinaus verlängert werden, damit man die 
Rückenplatte, die unter das Zahnfleisch reichen soll, auch entsprechend länger 
modellieren kann. Fig. 35 zeigt die aus Wachs modellierte, mit Gußstift ver* 


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Das Problem der Verankerung von Frontrahnbrücken 


207 


sehene Halbkrone. An der Stelle des Kanaleinganges, die sich auf dem 
Amalgamzahn markiert, ist ein Graphitstift hindurchzustecken. Man wird 
auf diese Weise der mühsamen Durchbohrung des Goldes überhoben und 
braucht, wenn die gegossene Halbkrone auf dem Zahn im Munde sitzt, das 
Loch nur etwas dem Verlaufe des Kanals entsprechend mit einem Fissur- 
bohrer zu erweitern, um den Wurzelstift 
einführen zu können. Nachdem Stift und 
Kappe durch Klebewachs verbunden sind, 
wird das Ganze abgehoben, eingebettet und 
verlötet. Fig. 31 zeigt die fertige Halbkrone 
mit Stift außerhalb des Mundes. 

Auch ohne Stift sitzen die eben beschrieb 
benen Halbkronen so fest, daß man sie unter 
günstigen Bißverhältnissen ohne Bedenken für 
Brüchen, welche nicht mehr als zwei Zwi- 
schenglieder umfassen, verwenden kann. Man hat dann den großen 
Vorteil, die Devitalisation vermeiden zu können. Es sind eine Reihe von 
Vorrichtungen beschrieben worden, um auf lebende Zähne gesetzte der- 
artige Halbkronen noch sicherer zu verankern. Die bekannteste Modifikation 
ist die Carmichaelkrone, die ihre Befestigung in drei im Zahn ange- 
brachten Rinnen findet <Fig. 36—38). Da die Querrinne genügende Ver- 



ankerung gegen den verti¬ 
kalen Kaudruck bietet, ist es 
nicht nötig, dieCarmichael- 
kröne über die Schneide 
des Zahnes hinüberzufüh¬ 
ren, auch kann man sie ap- 
proximal mit den beiden 
Längsrinnen abschließen 
lassen. Sie ist dann von 
vorn überhaupt nicht mehr 
sichtbar, kosmetisch also als 
ein ideales Befestigungs¬ 
mittel anzusprechen. Leider 
läßt sie sich nur an Front¬ 
zähnen mit stark ausgepräg¬ 
tem Tuberkulum, also fast 
nur amEckzahn anbringen. 



Fig. 42 


Die Präparation ist bei einiger Übung nicht schwierig. 


Die rückwärtige 


Hälfte des Zahnes wird wie für eine Krone vorbereitet. 


Die beiden Längs¬ 


rinnen müssen bis zum Zahnfleisch reichen und untereinander und mit dem 


anderen Stützpfeiler der Brücke parallel sein. Sie werden mit dünnen Fissur¬ 
bohrern geschliffen, die Querrinne mit einer kleinen Vulkarboscheibc. Cavete 
pulpam! Sämtliche Rinnen sind mit feinen Inlaybohrern nachzuzichen. Die 
Carmichaelkrone wird genau wie die Halbkrone mit Stift auf dem Amalgam- 


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zahn modelliert (Fig. 39). Sie soll vorn mit den Rinnen abschließen und zervikal 
unter das Zahnfleisch reichen,• mastikal braucht sie nicht die Schneide zu umfassen. 

Das dritte der eingangs aufgestellten Prinzipien (Prinzip der „Extension 
for prevention") ist bei der Carmichaelkrone insofern nicht gewahrt, als ihre 

seitlichen Ränder direkt durch die Kon* 
taktpunkte gehen. Dieser Nachteil fällt, 
wie wir gesehen haben, nicht so schwer 
in das Gewicht, wenn wir für tadel* 
losen Randschluß sorgen. Es ist mir 
c aber in geeigneten Fällen gelungen, 
auch dem abzuhelfen, und zwar auf 
folgende Weise: Man verlegt die eine 
Rinne (die nach der Lüche zu gelegene) 
mehr nach labial, die andere nach pa* 
latinal außerhalb der Kontaktfläche. 
Die Querrinne verläuft dann schräg 
und die ganze Krone erscheint ge* 
w'issermaßen etwas um den Zahn her* 
um verschoben. 

Nach Guttmann lassen sich auch 
statt der Rinne Stifte oder Knöpfchen 
an der Halbkappe anbringen, für die im Zahn entsprechende Vertiefungen 
gebohrt werden (Fig. 40). Eine Kombination von Stift* und Rillenveran* 
kerung hat Rank angegeben (Fig. 41). 

Die Befestigung von Vorderzahnbrücken durch kleine mit Zement ein* 
plombierte horizontale Zapfen sollte eigentlich ein längst überwundener 

Standpunkt sein.Daß trotz* 
dem noch solche Brücken 
gemacht werden, geht aus 
der Fig. 42 hervor, aus der 
auch die durch den Zapfen 
angebrachte kariöse Zer* 
Störung ersichtlich ist. 

Durch die Einführung der 
Gußmethode in die Zahn* 
heilkunde kam man auf die 
naheliegende Idee, dieZap* 
fen für die Kavität genau 
passend zu gießen und da* 
durch einer sekundären 
Karies vorzubeugen. Es wurde auf diese Weise das Inlay der Brückenbe* 
festigung dienstbar gemacht. In Fig. 43, welche dem Lehrbuch von Preiswerk 
entnommen ist, sehen wir eine derartig befestigte Backenzahnbrücke. Über die 
Verwendbarkeit von Inlays für diesen Zweck ist seitdem viel gestritten worden. 
Man wird bei vorsichtiger Beurteilung der Frage sich auf den Standpunkt stellen 






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Das Problem der Verankerung von Frontzahnbrücken 


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müssen, daß es am besten ist, dem Inlay in mechanischer Beziehung nicht zu 
viel zuzumuten, dieses nur zur Befestigung kleinerer Brücken zu benutzen und 
auch in diesem Falle nur unter der Voraussetzung, daß die Brücke auf der 
anderen Seite durch ein starkes Befestigungsmittel, etwa eine Krone oder Rieh- 
mondkrone verankert ist. Daß außerdem die auf Seite 203 genannten drei 
Grundsätze auch hier Berücksichtigung finden müssen, versteht sich von selbst. 
Zapfenförmige Inlays wie die in Fig. 43 dargestellten sind daher unter allen 
Umständen zu verwerfen, weil sie nicht so konstruiert sind, daß der Zahn 
gezwungen ist, alle Bewegungen der Brücke mitzumachen und umgekehrt. 
Sie werden mit der Zeit durch den Kaudruck seitlich aus dem Zahn heraus¬ 
gerüttelt. Als Beweis diene die in Fig. 44 abgebildete Brücke, bei welcher 
eine untere Schneidezahnfacette links an einer Krone und rechts an einem 
flachen Inlay befestigt worden war und die sich trotz ihrer Kleinheit an der 
Inlayseite gelockert vorfand. Derartige Inlays kommen höchstens in Form 
von locker auf liegenden Spornen in Betracht, um bei Anhängerbrücken die 
Drehung und Kippung des Stützzahnes zu verhindern. 


rN 



45 Fig. 45 pjg 47 


Die Lockerung festzementierter Inlays läßt sich nur dadurch verhindern, 
daß man das Inlay entweder sattelartig über den Zahn übergreifen läßt 
oder mit einem Stift versieht. Satteleinlagen kommen aber in der Vorder¬ 
zahngegend höchstens für Eckzähne in Frage. Stifteinlagen kann man unter 
günstigen Bedingungen an lebenden Zähnen anbringen, indem man an Stellen, 
wo man der Pulpa nicht zu nahe kommt, Kanäle anlegt, in welche das Inlay 
mit kleinen Stiftdhen (Platinkrampons) hineingreift <Fig. 45). Man nennt der¬ 
artige Konstruktionen „Pinlays". In den meisten Fällen aber wird sich die 
Devitalisation nicht umgehen lassen. Die Form der Kavität ergibt sich dann 
von selbst und ist auch nicht so wichtig, da das eigentliche Inlay nur als 
Bindeglied zwischen Stift und Brücke dient <Fig. 46). Fig. 47 zeigt eine Stift¬ 
einlagekavität in einem Zahn, welcher als Mittelpfeiler einer Brücke fungieren 
soll. Zervikal läßt man in allen Fällen die Kavität am besten bis zum Zahn 
oder unter das Zahnfleisch reichen. 

Wir sind am Ende unserer Ausführungen. Es gehört ein großes Maß 
von Besonnenheit, Erfahrung und Geschicklichkeit dazu, um allen Forde¬ 
rungen, die wir prinzipiell als unerläßlich für die Verankerung von Front¬ 
zahnbrücken hingestellt haben, auch im Einzelfalle beim Entwurf und bei 
der Ausführung der Brücke gerecht zu werden. Um so größer wird aber, 

Vierteljahrsschrift für Zahnheilkunde, Heft 2 14 


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210 Dr. Arthur Simon /Das Problem der Verankerung von Frontzahnbrücken 


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wenn uns das schwierige Werk gelingt, die Dankbarkeit des Patienten sein, 
denn wenn audi seit den Zeiten der alten Phönizier und Römer der Hori¬ 
zont des Zahnarztes sich bedeutend erweitert hat, so ist der Standpunkt des 
Patienten doch im großen und ganzen derselbe geblieben: Er wird nach wie 
vor unter allen Zähnen seines Gebisses vorwiegend den Vorderzähnen sein 
Interesse zu wenden und ihnen einen besonderen Wert zuerkennen. 


LITERATUR 

Collaud: Etüde du Ligament alveolo-dentaire. Geneve 1890. 

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sellschaft der Arzte zu Wien. 5. Jhrg., 1. Bd. 1849.) 

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Fauchard, Pierre: Le Chirurgien dentiste ou traite des dents. Paris 1728. 

Godon: Betrachtungen über die mechanische Wirkung des Kiefers. (Zahnärztliche Zeit¬ 
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Pfaff: Abhandlung von den Zähnen des menschlichen Körpers und deren Krankheiten. 
Berlin 1756. 

Preiswerk, G.: Lehrbuch und Atlas der zahnärztlichen Technik. München 1911. 
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Berlin 1920. 

Rumpel, Carl: Die Wiederherstellung der normalen Okklusion durch die Prothese. 
(D. M. f. Z. Juli 1914.) 

Schröder, Hermann: Lehrbuch der technischen Zahnheilkunde. l.Band. (In Vorbereitung.) 
Schröder, Hermann: Brückenarbeit. Deutsche Zahnheilkunde. Forschung und Praxis. 
(Sonderheft) 1920. 

Seligmann: Übersicht über die Entwicklung der Zahn- und Kieferprothese. (Oe.- u. V. 
f. Z. 1896. S. 450.) 

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arbeiten zu berücksichtigen? (Z. f. z. O. u. P. 1913. S. 382.) 

Simon, Arthur: Die Carmichaelkrone als Brückenpfeiler (D. z. W. August 1915) 
Wustrow, P.: Physikalische Grundlagen der zahnärztlichen Platten- und Brückenprothese. 
Berlin 1919 . 



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AUS DEM ZAHNÄRZTLICHEN INSTITUT DER UNIVERSITÄT GRAZ 

VORSTAND: PROF. DR. F. TRAUNER 

EXPERIMENTELLE UNTERSUCHUNGEN 
ÜBER DIE BIOLOGIE DER MENSCHLICHEN 

ZAHNPULPA 

VON 

ASSISTENT DR. JOSEF KO CH-L ANGENTREU 


W ährend sich umfangreiche Publikationen mit dem bakteriellen und histo- 
logischen Zustande des Wurzelkanals nach beendeter Wurzelbehandlung 
beziehungsweise Pulpaamputation befassen, 
sind wir darüber nicht orientiert, wie die lebende 
menschliche Zahnpulpa Einflüssen und solchen 
Stoffen gegenüber biologisch reagiert, die von 
uns zu therapeutischen Zwecken eingebracht 
wurden oder beim Abschließen einer Kavität 
zufällig auf sie einwirken. Nur über das Arsen 
liegen aus letzter Zeit Untersuchungen vor, 
die uns die Wichtigkeit derartiger Versuche 
vor Augen führen. Erst eine völlige Klar- 
Stellung in diesem Punkte kann es uns er- 
möglichen, eine Entscheidung in vielen strittigen 
Fragender täglichen Therapie Zufällen <PuIpa- 
überkappung, Pulpaamputation, die Möglich- 
keit einer Desinfektion und vieles andere mehr). 

Zur Untersuchung wurden Zähne heran- 
gezogen, die wegen fehlender Antagonisten 
einer konservierenden Behandlung nicht mehr 
zugeführt werden mußten, und intakte jugend¬ 
liche Zähne, die wegen Stellungsanomalien zur 
Extraktion bestimmt werden konnten. 

Bevor chemisch wirksame Substanzen auf 
die Pulpa gebracht wurden, sollte untersucht 
werden, wie sich das Zahnmark einem indifferenten Fremdkörper gegenüber 
verhalte. Ich wählte zu diesem Zwecke auf Anraten des Herrn Prof. Pregl 

14* 



Hg l 

ZeifV-Objekiiv 35 mm, Okular 1 
K Kohledepot, a Kohlebluttibrinpfropf. 
b Pulpanarbe, c Pulpa mit Kohle beladen. 
d normale Pulpa 


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Assistent Dr. Josef Kodi-Langentreu 



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Untersuchungen über die Biologie der menschlichen Zahnpulpa 


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Assistent Dr. Joseph Kodi-Langentreu 


feinst pulverisierte Tierkohle. Bisher sind nur die Versuche mit Tierkohle 
abgeschlossen,* die Experimente mit anderen, antiseptischen Substanzen sind 
im Gange und die Resultate einer späteren Arbeit Vorbehalten. 

Der experimentelle Vorgang war folgender: Die Zähne wurden mittels 
2%iger Novokain-Suprareninlösung anästhesiert, nach Anlegung von Koffer- 
dam an der Oberfläche sorgfältig mit 95°/ 0 igem Alkohol abgewaschen, hierauf 
die Kronenpulpa mit sterilen neuen Bohrern eröffnet und eine geringe Menge 
feinst pulverisierter Tierkohle eingelegt,- darauf die Kavität mit Harvard¬ 
zement verschlossen und der Zahn im Munde belassen. Nach 1 —6 Wo- 



Fig. 6 

Zeiß^Apodiromat homog Immersion 2 mm. Comp. Okular 4 
a mit Kohle beladene Retikulumzellen, b normale Retikulumzellen 


chen wurden die Zähne extrahiert und der histologischen Untersuchung zu^ 
geführt. 

Fall I <Fig. 1>: Linker oberer Eckzahn eines zwölfjährigen Mädchens, in 
oben beschriebener Weise behandelt und nach 6 Wochen extrahiert. Subjektiv 
keine Besch werden. Das histologische Präparat zeigt folgendes Bild: Im Kronen¬ 
teile, zuerst an der Spitze die Hauptmasse des eingebrachten Kohlendepots 
sichtbar, darunter eine Schicht von Blut und Fibrin <Fig. 2>. Das nun folgende 
Pulpasegment kann am besten als Narbe bezeichnet werden <Fig. 3>,- sie 
bildet eine trennende Schicht zwischen der aufgebrachten Kohle resp. dem 
Hämatom und dem zentralwärts gelegenen übrigen gesunden Pulpagew^ebe. 


D igitizec Qt )Q 


Qrijin-alimrri - — 

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Untersuchungen über die Biologie der menschlichen Zahnpulpa 


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Assistent Dr. Josef Kodi-Langentreu 


Reiche Züge von Bindegewebe und Granulationen beherrschen das Bild. In 
die Spalten des Gewebes eingelagert findet sich Tierkohle in geringer Menge. 
Die nächste Partie — etwa ein Viertel der Gesamtpulpa — bietet ein eigene 
artiges Bild <Fig. 4>. Allenthalben sind in der unveränderten Pulpa reichlich 
Kohlepartikelchen verstreut/ bei starker Vergrößerung <Fig. 5 u. 6> können 
wir wahrnehmen, daß diese Kohle intrazellulär gelagert ist und zwar von 
Pulparetikulumzellen aufgenommen wurde. Die Gefäße sind frei von Kohle, 
ebenso wie die tieferen Partien der Pulpa, die auch keinerlei Anzeichen einer 
Hyperämie oder abgelaufenen Entzündung aufweisen. 

Fall II: Rechter oberer Eckzahn eines zwölfjährigen Mädchens. Der Zahn 
wurde wie Zahn I behandelt, konnte aber aus äußeren Gründen nur 14 Tage 

im Munde belassen werden. Reak- 
tionsloscr Verlauf. Das histolo- 
gische Präparat zeigt dasselbe Bild 
wie Zahn I <Fig. 7>. Erst Kohle, 
Blut und Fibrin, dann die bespro- 
ebene Pulpanarbe, darunter gesun¬ 
de Pulpa. In die Retikulumzellen 
sind nur ganz wenig Kohleparti¬ 
kelchen aufgenommen, was wohl 
dem Umstande zuzuschreiben ist, 
daß der Zahn nach der Operation 
nur mehr kurze Zeit im Munde 
verweilte. Der übrige Teil der 
Pulpa ist auch hier frei von jeg¬ 
licher Entzündung und Hyperämie. 

Fall III: Rechter unterer 1. Mo¬ 
lar eines fünfzehnjährigen Mäd¬ 
chens. Zahn mit Caries sicca der 
ganzen mastikalen Fläche wegen 
fehlender Antagonisten zur Extrak¬ 
tion bestimmt.Der Zahn wurde nach 
derselben Methode behandelt, mußte aber am 7. Tage extrahiert werden, da 
pulpitische Schmerzen auftraten. Es lag die Vermutung nahe, daß bei der Appli¬ 
kation der Tierkohle eine Infektion gesetzt worden sei, weil die unvernünftige 
Patientin die Kofferdamanlage absolut verweigerte, oder daß der Zahn schon 
vorher infiziert war. Im Bereiche der Kronenpulpa, die sich im Zustande akuter 
eitriger Entzündung befindet, sind reichlich Kohle, Blut und Fibrin zu sehen 
<Fig. 8>. Allenthalben besteht reiche kleinzellige Infiltration, die Kronenpulpa 
ist also durch Abszeß zerstört. Im Gegensätze zu der kurzen Einwirkung 
der Kohle ist bei diesem Zahne die Kohle in einzelnen Partikelchen bis 
weit gegen das apikale Ende der Pulpa zu verstreut und dort von Reti¬ 
kulumzellen aufgenommen <Fig. 9>. Dieser weite Transport kann nur auf 
dem Wege des hyperämischen Gefäßsystemes durch Lymphzellentransport 
erklärt werden. 



Fig. 8 

Zeiß-Objektiv 35 mm, Okular 1 
a Kohleblutfibrinpfropf. b Pulpaabszeß. 
c intrazellulär gelagerte Kohle 


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Untersuchungen über die Biologie der menschlichen Zahnpulpa 217 

Während im allgemeinen die Pulpa für ein sehr vulnerables und empfind¬ 
liches Organ angesehen wird, zeigen unsere Versuche, daß dies keineswegs 
der Fall ist, sondern die Pulpa wohl imstande ist, auch auf direkte Insulte, 
wie blutige Wunde und Aufbringung geformter Substanz aktiv im Sinne der 
Heilung zu reagieren. Bei allen Präparaten sehen wir ausnahmslos die Bildung 
einer soliden Pulpanarbe. 

Wenn wir den wahrscheinlichen physiologischen Vorgang zu konstruieren 
suchen, so dürfte er folgendermaßen verlaufen sein: durch die Trepanation 
der Kronenpulpa wurde eine 
Anzahl Blutgefäße eröffnet, 
daher kam es zu einer Blu¬ 
tung und durch nachträgliche 
Gerinnung und Verbindung 
mit der aufgebrachten Kohle 
zur Bildung des Kohlefibrin- 
pfropfes. In der Folge wur- 
den die frei auf der Pulpa 
liegenden feinsten Kohlepar- 
tikelchen von den unter dem 
Kohlefibrinpfropf gelegenen 
Retikulumzellen aufgenom- 
men. Gleichzeitig aber pro- 
duzierten die an die Wunde 
unmittelbar angrenzenden 
Pulpazellen Bindegewebs^ 
fibrillen und schlossen da- 
durch die verletzte Pulpa 
nach außen ebenso ab wie 
dies unter analogen Bedin¬ 
gungen seitens des Bindege¬ 
webes irgendeiner anderen 
Körperregion geschieht. So 
erscheint schließlich der Pro¬ 
zeß abgeschlossen, die Pulpa¬ 
wunde verheilt. Als das 
interessanteste Ergebnis der Versuche mit Tierkohle muß es bezeichnet werden, 
daß die Pulparetikulumzellen die Kohle in sich aufgenommen haben, ein Vor¬ 
gang, den wir unter analogen Bedingungen auch bei anderen Zellen, die nor¬ 
malerweise keine Phagozytose betreiben, zuweilen sehen. Inwieweit sich diese 
Eigenschaft der Phagozytose der Retikulumzellen auch auf Mikroorganismen 
erstreckt, werden weitere Versuche zeigen. 

Außerdem lassen unsere Versuche mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit 
schließen, daß die menschliche Zahnpulpa doch keine Lymphgefäße besitzt, 
denn sonst müßte in einem der histologischen Präparate Kohle auch in Lympho¬ 
zyten nachweisbar sein. Dies ist aber nicht der Fall, ausgenommen bei jenem 



Fig. 9 

Zciß^Apochromat 8 mm. Comp. Okular 4 
a Kohle interzellulär gelagert. 
b mit Kohle beladene Retikulumzcllen 


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218 Assistent Dr. Josef Koch-Langentreu / Untersuchungen über die Biologie 


Zahne, der sich im Stadium schwerster Entzündung befand, wo also Lympho* 
zyten reichlich infolge Diapedese in der Pulpa vorhanden waren. Hier war 
auch die Kohle trotz der kurzen Zeit — 6 Tage gegenüber 6 Wochen — weit 
in die Wurzelkanäle hineingetragen, während im gesunden Zahne die Kohle 
nur in der unmittelbaren Umgebung der Narbe von den Pulparetikulumzellen 
aufgenommen war. Es stimmt diese Beobachtung völlig mit der klinischen 
Erscheinung überein, daß wir beinahe niemals eine Lymphdrüsenschwellung 
bei Erkrankung der Zahnpulpa allein, sondern erst bei einer Beteiligung des 
Periodontiums sehen, eine Erscheinung, die Partsch schon 1899 als Beweis 
des Fehlens der Lymphgefäße der Pulpa angeführt hat. 

Verletzungen der menschlichen Zahnpulpa können also ausheilen. Dies 
beantwortet uns die so oft umstrittene Frage, ob eine akzidentell eröffnete 
Pulpa abgeätzt werden muß, dahin, daß eine solche Pulpa konserviert werden 
kann, wenn sie steril ist oder steril gemacht wird. 

Nach den bisherigen Ergebnissen scheint es nicht ausgeschlossen, daß die 
chemische Desinfektion der Pulpa eine kräftige Unterstützung seitens der pha* 
gozytären Tätigkeit der Retikulumzellen erfährt. Die Untersuchungen über 
die letztere Frage sind bereits im Gange und dürften in der allernächsten 
Zeit zum Abschlüsse gelangen. 

ZUSAMMENFASSUNG 

1. Steril auf die Pulpa gebrachte Tierkohle führt zu keiner Entzündung 
der Pulpa. 

2. Die Kohle wird zum Teil von den Retikulumzellen phagozytär auf* 
genommen. 

3. Die Pulpa ist imstande, eine blutige Wunde durch Narbe zu verschließen, 
also auszuheilen, wenn sie nicht infiziert war oder wurde. 

4. Die Untersuchungsergebnisse erlauben per exclusionem den Schluß, daß 
die Pulpa keine Lymphgefäße besitzt. 

Nach Darlegung meiner bisherigen experimentellen Pulpauntersuchungen 
fühle ich mich verpflichtet, meinem hochverehrten Lehrer, Herrn Prof. 
Trauner, sowie den Herren Professoren Pregl und Rabl für ihre wohL 
wollenden Ratschläge und wertvolle wissenschaftliche Unterstützung an dieser 
Stelle meinen ergebensten Dank zu sagen. 


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KIEFERHÖHLENERKRANKUNGEN 


VON 

DR. MED. ET MED. DENT. KARL HAUENSTEIN 

I. ASSISTENT AUF DER CHIRURGISCHEN ABTEILUNG DES ZAHNÄRZTLICHEN INSTITUTS 

DER UNIVERSITÄT ERLANGEN 


T Tber Kieferhöhlenerkrankungen ist zwar schon sehr viel geschrieben wor- 
Gl den, so daß man annehmen könnte, es sei das Thema erschöpfend be- 
handelt. Es lohnt sich jedoch, diese Erkrankungen, die eine eminente Bedeutung 
für den praktischen Zahnarzt haben, kritisch nach der ätiologischen, diagnosti¬ 
schen und therapeutischen Seite zu beleuchten und insbesondere einmal alle 
jene Momente zusammenfassend zu besprechen, die dem Arzt und noch mehr 
dem Zahnarzt täglich in der Praxis begegnen können und deren Kenntnis 
denselben in seinem Vorgehen bestimmen dürften. Es sollen dabei nicht nur 
alle diagnostischen und therapeutischen Hilfsmittel erörtert werden, vielmehr 
soll die Abhandlung auch zur Erkenntnis beitragen, welche Fälle der normal 
ausgebildete Zahnarzt in Allgemeinpraxis ohne weiteres selbst behandeln 
kann und wann er m den nicht so seltenen schwereren Fällen den Spezialisten 
beiziehen sollte. Vielleicht trägt der Aufsatz auch dazu bei, in weiteren Fach¬ 
kreisen die Erkenntnis zu zeitigen, daß auch eine zu weitgehende konser¬ 
vierende Behandlung bei Zähnen im Bereich der Kieferhöhle die Gefahr 
einer Erkrankung des Antrums mit sich bringen kann. Das Wesen dieser 
hier in Frage stehenden Erkrankungen begünstigt ja leider diese Art des 
Vorgehens vielfach, da nach abgeschlossener konservierender Behandlung in 
vielen Fällen zunächst eine Zeit friedlicher Stille für den Patienten eintritt, 
wiewohl die Krankheit ohne subjektive Beschwerden heimtückisch und schlei¬ 
chend immer weiter um sich greift, bis Kiefer und Kieferhöhle schwer in 
Mitleidenschaft gezogen sind. 

Die Kieferhöhle ist die größte und wichtigste der Nasennebenhöhlen. Als 
solche gehört sie ja eigentlich zum Gebiet der Rhinologie, jedoch mit der 
wesentlichen Einschränkung, daß bei Erkrankungen der Kieferhöhle nicht 
nur der Rhinologe gehört, nicht nur der Rhinologe berechtigt sein soll, 
therapeutisch vorzugehen. Es gibt eben zwei hauptsächliche Wege, die zu 
Kieferhöhlenerkrarikungen führen, der eine von der Nase her und der andere 


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220 


Dr. med. ct med. dcnt. Karl Hauenstein 


von den Zähnen her. Idi will hier auf die Ätiologie noch nicht näher ein-* 
gehen und nur daraufhinweisen, daß Hajek und viele andere entsprechende 
Statistiken gebracht haben, und daß insbesondere Reinmöller die dentale 
Ätiologie eingehender begründet hat. Die anatomische Lage der Kieferhöhle 
bedingt es eben, daß nur allzuoft auch der Zahnarzt genötigt ist, sich mit der 
Kieferhöhle zu beschäftigen, kurz die Kieferhöhle ist wohl zum wichtigsten 
Grenzgebiete der Rhinologie und der Zahnheilkunde geworden. Nicht allein 
die enge Nachbarschaft und die gegenseitigen Beziehungen in anatomischer 
Hinsicht, in bezug auf das Blut*, Lymph* und Nervensystem sind es, die 
hier von Bedeutung sind, auch in klinischer Hinsicht sind bei den einzelnen 
Erkrankungen, die hier in Frage kommen, die Zusammenhänge klar und in 
die Augen springend. Ich möchte nur hinweisen auf die ausgezeichneten Ver* 
offentlichungen von Reinmöller, Misch und anderen, die die Entstehungs* 
Ursachen und den Weg, den die Krankheit nimmt, genau dartun. Gleichwohl 
geht es auch hier wie bei allen Grenzgebieten, es wird stiefmütterlich be* 
handelt. Zwar nicht insofern, als man sich nicht genügend damit beschäftigt 
hätte, sondern es hat jede Disziplin einzig und allein von ihrem Standpunkt 
aus eingehend über das Thema gearbeitet und die Ergebnisse aus dem 
Grenzfach mehr oder minder unberücksichtigt gelassen. Und meines Erachtens 
kann nur in einem engen Zusammenarbeiten beider Fächer gedeihliche und 
fördernde Arbeit geleistet werden. Da ich während meiner ärztlichen Tätig* 
keit an der Hals*Nasen*Ohrenklinik in Erlangen Gelegenheit hatte, so 
manche Fälle von Kieferhöhlenerkrankungen mit den Augen des Rhinologen 
zu beobachten, den Krankheitsverlauf zu verfolgen, die Wirkung der einzelnen 
therapeutischen Maßnahmen gegeneinander abzuwägen, die Zuverlässigkeit 
der verschiedenen diagnostischen Hilfsmittel zu beurteilen und dann anderer* 
seits in meiner jetzigen Tätigkeit an der Erlanger Zahnklinik als Zahnarzt 
dieselben Erkrankungen vom zahnärztlichen Standpunkt zu verfolgen Ge* 
legenheit habe, so glaube ich für mich in Anspruch nehmen zu dürfen, daß 
ich gleichsam als ein Mann intra partes über dies Thema reden kann und 
nicht in die Gefahr verfalle, den einen oder anderen Standpunkt, wenn auch 
ganz unbeabsichtigt, in den Vordergrund schieben zu wollen. 

Wenn der Mensch über irgendeinen Gegenstand etwas eingehender nach* 
denkt, so ist wohl natürlicherweise sein erster Gedanke eine Frage nach 
dem Zweck desselben. Merkwürdigerweise habe ich in der mir zur Verfügung 
stehenden Literatur über den Zweck der Kieferhöhle nicht die eingehende 
Würdigung gefunden, die mir notwendig zu sein scheint. Ich sehe in der 
Kieferhöhle einen mehrfachen Zweck erfüllt. Die innere Struktur sowohl 
wie die äußere Gestaltungsform des ganzen menschlichen Skeletts ist nach 
einem Gesetze absolutester Zweckmäßigkeit aufgebaut. So soll vor allem 
mit der größtmöglichsten Festigkeit und Stabilität eine möglichst große Leichtig* 
keit erzielt werden oder, wie Triepel in bezug auf den menschlichen Körper 
ganz allgemein sich ausdrückt, eine gegebene Funktion soll immer mit dem 
Minimum an Material oder mit dem gegebenen Material soll ein Maximum 
an Funktion geleistet werden können. Beide Momente, die Festigkeit und 


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Kieferhöhlenerkrankungen 


221 


die Leichtigkeit, treffen für den Bau der Kieferhöhle zu. Die einzelnen Ver- 
Stärkungspfeiler, auf die ich bei Besprechung der anatomischen Verhältnisse 
noch zurückkommen werde, garantieren in ihrer knöchernen Umrahmung die 
nötige Festigkeit der regionären Gesichtsknochen. Der später zu besprechende 
anatomische Aufbau ist insbesondere auch so gestaltet, daß die nötige Festige 
keit auch bei der Funktion des Kaudruckes gewahrt bleibt. Dieser ist nicht 
allein als ein Druck des Unterkiefers gegen den Oberkiefer durch Muskelzug 
aufzufassen, sondern durch eine Kontraktion der Kaumuskulatur wird Druck 
und Gegendruck erzeugt. Der Kieferhöhlenboden ist durch verschiedene 
Knochenverstärkungslinien, häufig durch oft stärker hervortretende Septen, 
die nach den einzelnen Wänden hin auslaufen, gefächert. Dadurch erfolgt 
eine Druckverteilung nach allen Richtungen, der Kaudruck wird in verschie¬ 
dene Komponenten zerlegt. Durch Einschaltung der Kieferhöhle und Ver¬ 
teilung des Druckes in einzelne Komponenten wird eine, wenn auch gering¬ 
fügige Federung erzeugt, die bei kräftigem Zubeißen eine stärkere Er¬ 
schütterung, wie sie bei kompakten Knochenmassen erzeugt werden müßte, 
auffängt. Trotz Veranlagung der Höhle und der an einzelnen Stellen fast 
papierdünnen Knochenplatte garantieren die Verstärkungspfeiler durch die 
absolut zweckentsprechende Druckverteilung die nötige Festigkeit. Das wesent¬ 
lichste Moment bei der Veranlagung der Kieferhöhle spielt aber die dadurch 
bedingte Leichtigkeit des Kopfskeletts. Man kann sich unschwer vorstellen, 
wie zwei vielleicht bis hühnereigroße kompakte Knochenmassen an Stelle der 
Höhlen eine unverhältnismäßige Steigerung des Gesamtgewichtes des Kopf¬ 
skelettes bedingen würden. Hier kommt auch noch ein anderer Punkt in 
Frage, auf den der Anatom Spuler immer besonders hinweist. Der Mensch 
unterscheidet sich von den übrigen Lebewesen durch seinen aufrechten Gang. 
Andererseits hat er aber auch wie kaum ein anderes ihm wesensähnliches 
Tier relativ groß veranlagte pneumatische Räume. Dies hat seinen Grund 
in der Ausbalancierung des Kopfes. Ein kompakt veranlagtes Viszeralskelett 
würde bei aufrechter und gerader Kopfhaltung eine Menge von Muskelkraft 
in Anspruch nehmen. Durch zwei weitere Faktoren gewinnt die Kieferhöhle 
physiologisch an Bedeutung. Die Lungen beanspruchen, wenn sie nicht 
Schaden leiden sollen, eine in bezug auf Wärme und Feuchtigkeit möglichst 
gleichmäßig geschwängerte Luft,* die atmosphärische Luft ist aber bekanntlich 
in dieser Beziehung großen Schwankungen unterworfen. Einen Ausgleich 
schafft nun das ganze Gebiet der oberen Luftwege durch Wärme- und 
Feuchtigkeitsabgabe. Als unterstützendes physiologisches Moment kommen 
hier die ganzen pneumatischen Nebenräume, darunter die Kieferhöhle, die 
ja alle in offener Kommunikation mit der Nase stehen, hinzu. Diese Unter¬ 
stützung ist um so nötiger, als der Mensch im Vergleich mit der Tierreihe 
relativ kleine Nasenmuscheln hat, die natürlich nur im Verhältnis zur ihrer 
Schleimhautoberfläche Wärme und Feuchtigkeit abgeben können. Man kann 
auch die Beobachtung machen, daß im Tierreich die Größe der Nasenmuscheln 
im umgekehrten Verhältnis zur Größe der pneumatischen Räume steht. 
Weiterhin gewinnt die Kieferhöhle und mit ihr natürlich auch die anderen 


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222 


Dr. med. et med. dent. Karl Hauenstein 


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Nebenhöhlen der Nase physiologische Bedeutung für die Sprache. Sie ist 
ein außerordentlich guter Resonanzboden und erfüllt für die menschliche 
Sprache ungefähr dieselbe Funktion wie bei der Geige der Bauch. Wer bei 
einer Extraktion eine zufällige Eröffnung der Kieferhöhle vorgefunden hat, 
dem wird, insbesondere wenn die Öffnung etwas größer war, gewiß eine 
Veränderung in der Sprache des Patienten sofort aufgefallen sein. Die 
Sprache klingt kupiert und hat den schönen sonoren Klang verloren. Audi 
wenn die Kieferhöhle mit Sekret gefüllt oder das Ostium verstopft ist, wird 
man diese Veränderung der Sprache wahrnehmen können. 

Nach diesen mehr in das Gebiet der Physiologie fallenden Erörterungen 
möchte ich, bevor ich auf die Erkrankungen der Kieferhöhle eingehe, einige 
Ausführungen über die Anatomie derselben machen. Unter der Augenhöhle 
und über den Alveolen der seitlichen Oberkieferzähne gelegen wird die 
Kieferhöhle nach hinten durch das Tuber maxillare von der Fossa spheno* 
palatina getrennt. Der Form nach wird sie gewöhnlich als eine dreiseitige, 
abgestumpfte Pyramide geschildert mit der Basis unter der Augenhöhle, einer 
vorderen Wand, die vom Corpus maxillare gebildet ist und eine Einbuch* 
tung, die Fossa canina, zeigt, einer hinteren lateralen Wand, durch das Tuber 
maxillare gebildet, und einer sehr dünnen medialen Wand, die den Sinus 
in den oberen Partien von den vorderen Siebbeinzellen, unten vom mittleren 
und unteren Nasengang trennt. Normalerweise hat die Kieferhöhle zwei 
Kommunikationen mit derNase, die beide der oberen Hälfte der medialen 
Wand angehören. Josef v. Gerl ach schreibt darüber: „Die eine ist konstant 
und verbindet den Sinus maxillaris mit dem Infundibulum, welches aus dem mitt* 
leren Nasengang zum Sinus frontalis führt, die andere fehlt bisweilen und 
befindet sich in dem mittleren Nasengang, ziemlich gleich weit von dem vor* 
deren und hinteren Ende der mittleren Muschel abstehend." Die untere 
Wand, die die abgestumpfte Spitze der Pyramide darstellt, wird vom Alveo* 
larfortsatz gebildet und zeigt einen längeren sagittalen und kürzeren fron* 
talen Durchmesser. Die Größe der Kieferhöhle ist absolut variabel. Sie 
hängt vor allem ab von der Höhe des Gaumens und von der Länge des 
Alveolarfortsatzes. Zutreffende Größenangaben lassen sich deswegen über¬ 
haupt kaum machen. Vielleicht kann man als durchschnittliche Größe die 
einer Walnuß angeben, doch ist das Antrum oft nicht einmal so groß wie 
eine Kirsche, manchmal fast so groß wie ein Hühnerei. Auch seine innere 
Form ist vollkommen inkonstant. Es ist nicht ein mehr oder minder glatter 
Hohlraum ausgebildet, sondern meist zeigen sich Buchten nach den verschie¬ 
denen Richtungen in der verschiedensten Größe und Unregelmäßigkeit. Am 
konstantesten ist noch ausgebildet die Alveolar* und Gaumenbucht, gegen 
den Alveolarfortsatz hin, die Jochbeinbucht, gegen den Jochbogen hin, sowie 
die Lacrymalbucht, die oberhalb des Ostiums gegen den Tränennasenkanal 
zu vorspringt. Für uns am wichtigsten ist die Alveolarbucht. Ihr tiefster 
Punkt liegt in der Gegend des zweiten Prämolaren oder des ersten Molaren. 
Sie wird selbst oft wieder je nach den höher oder weniger hoch reichenden 
Zahnwurzeln in einzelne Fächer geteilt. Nach Goerke ist diese Fächerung 



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Kieferhöhlenerkrankungen 


223 


„die wabenartige Bauart" des Sinusbodens gerade aus Zweckmäßigkeit^ 
gründen so geschaffen, ebenso wie überhaupt die ganze knöcherne Antrum* 
wandung und der Oberkiefer. Der ganze Oberkiefer ist durch drei Haupt* 
pfeifer, Knochen Verstärkungen oder Druckleisten, wie sie Walk hoff nennt, 
gestützt. Diese Pfeiler bilden auch das Hauptstützgerüst der Kieferhöhle. 
Ein Pfeiler ist die Crista canina, die von der Alveole des Caninus zur seit¬ 
lichen Nasenwand aufsteigend sich im Nasenrücken mit der anderseitigen 
zu einem Knochenpfeiler vereinigt. Er bildet auch den medialen Haupt¬ 
stützpfeiler für die Kieferhöhle. Der zweite und dritte Pfeiler ist die Crista 
alveolo-zygomatica, wie sie schon Walkhoff und später auch sein Schüler 
Goerke nannte, die beiderseits an der buccalen Alveolarwand zwischen 
und 2 A4 2 ihren Ursprung nimmt und zur Gegend der Jochbeineinstrah¬ 
lung in die Höhe zieht. Diese Crista bildet auch den lateral-distalen Haupt¬ 
stützpfeiler für die Kieferhöhle. Als Querpfeiler kommen in Frage der Joch¬ 
bogen, der untere Orbitalrand und der Alveolarfortsatz selbst. Auch in der 
wabenartigen Bauart des Sinusbodens findet Goerke eine Weiterbildung 
dieser Knochenverstärkungen. Die Bedeutung dieser am Kieferhöhlenboden 
vorhandenen stärkeren Knochenleisten sieht er darin, daß sie den Druck, der 
zwischen den Wurzeln der beiden trajektoriellen Systeme im Oberkiefer ent¬ 
steht, auffangen und in verschiedene Komponenten zerlegen. Da nun die 
einzelnen Druckrichtungen beim Kauen je nach der Lage der Zähne und der 
den Kaudruck zunächst auffangenden Alveolen ganz verschiedene sind, so 
ändern sich auch die knöchernen Verstärkungslinien, die wir hier auch Septen 
nennen können und damit die Fächerung. Behauptet doch Walk ho ff, daß 
die Leisten, die also zur Stelle der stärksten Beanspruchung beim Kauakt 
führen, sich bei veränderter Funktion verschieben. „Beim Durchbruch eines 
hinteren Zahnes wird jeweilen das bestehende Trajektorium zerstört und 
jedesmal hinter dem durchbrechenden Zahn ein neues gebildet." Trotz der 
verschiedenen Gestaltung des Bodens der Kieferhöhle, die ja nach dem eben 
Ausgeführten begreiflich erscheint, kann man beim Erwachsenen doch ziem¬ 
lich konstant zwei durch Septen abgeteilte Buchten ausgebildet finden, die 
wohl auch wieder zu der erwähnten Hauptpfeilerbildung in Beziehung stehen, 
den Recessus caninus gegen den Eckzahn hin gelegen und den Recessus tube- 
rosus gegen den Weisheitszahn hin gelegen. Diese die Recessus abgrenzen¬ 
den Septen sind als Gegenstrebe gegen den Processus zygomaticus aufzu¬ 
fassen und entsprechen auch nach außen den Ansätzen desselben. Weiter vor¬ 
handene Septen können die Kieferhöhle in der unregelmäßigsten Weise 
fächern. Diese Septen sind bald nur niedrig, bald ganz hoch, manchmal 
trennt ein solches Septum die Kieferhöhle in zwei vollkommen in sich abge¬ 
schlossene Teile/ bald sind sie horizontal, bald vertikal angeordnet. Man kann 
sich leicht vorstellen, von welch eminenter Bedeutung dies für die Diagnose 
und mehr noch für die Therapie sein kann (Spülungen, Aufmeißelungen). 
Von der Größe der Kieferhöhle und der Ausbildung einer entsprechenden 
Alveolarbucht hängen auch die mehr oder minder engen Beziehungen der¬ 
selben zum Zahnsystem ab. Ich werde darauf noch später bei der Be- 


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Dr. mcd. et med. dcnt. Karl Hauenstein 


sprechung der Erkrankungen selbst ausführlicher zurückkommen müssen. 
Nach außen projiziert reicht eine normal ausgebildete Kieferhöhle von der 
Eckzahngegend bis ungefähr zum dritten Molaren. Es wurden aber auch 
schon Fälle veröffentlicht <Euler>, wo Kieferhöhlenerkrankungen von den 
Schneidezähnen ausgingen. Wohlgemerkt wurde bisher immer nur von den 
Kieferhöhlen Erwachsener gesprochen. Bis zur zweiten Dentition ist die 
Kieferhöhle sehr klein, ja beim Neugeborenen ist sie nur durch eine sagittal 
gestellte Spalte in der Nasenseitenwand andeutungsweise vorhanden, im 
achten Jahre erreicht sie normale Größe. Ausgekleidet ist sie wie alle Nasen* 
nebenhöhlen mit flimmerndem Zylinderepithel/ die Flimmerhaare schlagen 
gegen die Nase zu aus. Bemerkenswert sind noch die Kommunikationen, 
die mit den Siebbeinzellen und der Keilbeinhöhle bestehen können, sowie 
Dehiszenzen besonders in der orbitalen Wand der Kieferhöhle. Beide Punkte 
sind für die Fortpflanzung der Kieferhöhlenerkrankung in die benachbarten 
Höhlen und umgekehrt von hervorragender Bedeutung. — Ich habe nun im 
vorhergehenden die wesentlichsten anatomischen Merkmale beschrieben. Die 
Kenntnis der Anatomie bedingt hier mehr wie anderswo das Verständnis 
der Pathologie. Von welch großer Bedeutung insbesondere die Variabilität 
der Kieferhöhle nach allen Richtungen hin ist, für die Genese der Erkran* 
kung, die Diagnose und ganz besonders auch für die Therapie, das mag die 
Besprechung der Erkrankungen selbst dartun. 

Die Kieferhöhlenerkrankungen kann man nach den verschiedensten Ge* 
sichtspunkten hin einteilen. Vor allem müssen wir immer unterscheiden 
zwischen akuter und chronischer Kieferhöhlenerkrankung. Man kann dabei 
ganz allgemein sagen, daß die Krankheitssymptome bei der akuten Er* 
krankung verhältnismäßig plötzlich einsetzen, bedeutend heftiger und stör* 
mischer auftreten und deshalb auch viel deutlicher ausgeprägt sind. Zucker* 
kan dl teilt die Erkrankungen nach dem Sekrete ein und unterscheidet Katarrhe 
mit serösem oder schleimigem Sekret, solche mit eitrigem Sekret und Er* 
krankungen der Kieferhöhle bei Diphtherie. Die meisten neueren Autoren 
machen die Einteilung nach der Ätiologie und unterscheiden dentale, nasale 
und traumatische Empyeme der Kieferhöhle. In neuester Zeit gibt Fryd 
eine Einteilung der Kieferhöhlenerkrankungen und unterscheidet erstens die 
katarrhalische Entzündung, zweitens die eitrige Entzündung, drittens die 
granulierende Entzündung, viertens Zysten, fünftens Geschwülste. Schönaus 
der Verschiedenartigkeit der Einteilung spricht eine gewisse Schwierigkeit 
derselben. Wir tun wohl am besten, wenn wir a priori die akuten Er* 
krankungen von den chronischen trennen, sonst aber die Empyeme ihrer 
Ätiologie nach unterscheiden nach nasalen, dentalen und traumatischen, wobei 
wir unter dentalen Empyemen alle diejenigen verstehen, die ihre Ent* 
stehungsursache in von den Zähnen ausgehenden Erkrankungen des Perio* 
dontiums und des Alveolarfortsatzes gefunden haben, unter nasalen die* 
jenigen, bei denen die Infektion von der Nase her statthatte/ darunter sind 
auch inbegriffen alle katarrhalischen Affektionen der Kieferhöhle und die 
Erkrankungen derselben nach Allgemeinkrankheiten,- unter traumatischen die* 


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Kieferhöhlenerkrankungen 225 

jenigen, die ihre Ursache in einem Trauma und eventuell in einem Fremde 
körper in der Kieferhöhle haben. 

Ich will nun die dentalen Empyeme, die ja wohl uns Zahnärzte am meisten 
interessieren, zuerst besprechen. Wie kommt es denn zur Entstehung von 
dentalen Empyemen? Da muß ich wieder zurückkommen auf meine Aus* 
führungen im anatomischen Teil. Ich habe darauf hingewiesen, wie ver¬ 
schieden die Kieferhöhlen nach Form und Größe sein können. Die Größe 
der Kieferhöhle ist entscheidend für die enge Nachbarschaft des Bodens vom 
Antrum und der regionären Zahnwurzeln. Ist eine Kieferhöhle sehr groß, 
insbesondere die Alveolarbucht gut ausgebildet, so können die Zahnwurzeln 
den knöchernen Kieferhöhlenboden vor sich her wölben — ich habe weiter 
oben von Fächerung des Bodens gesprochen — ja es kann Vorkommen, daß 
die Knochenzwischenlage überhaupt nicht mehr ausgebildet ist, daß also Perio* 
dontium und Antrumschleimhaut direkt miteinander verwachsen sind. Es 
ist einleuchtend, daß unter diesen Umständen Erkrankungen der regionären 
Zähne ganz besonders leicht auch zu Erkrankungen der Kieferhöhle führen 
können — ich sage können, nicht müssen. Es können also sowohl akute 
wie chronische Veränderungen an den Zähnen auf die Kieferhöhle über* 
greifen. Zahnkaries führt zur Erkrankung der Pulpa, die Pulpitis greift auf 
das Periodontium über. Besonders gefährlich sind hier alle jene Schädigungen 
der Pulpa, die langsam zur allmählichen Nekrotisierung derselben führen. 
Durch Stoß oder Fall wird die Pulpa in ihrer Vitalität geschädigt und stirbt 
langsam ab,- eine gut leitende Füllung wird ohne isolierende Unterlage ganz 
nahe der Pulpa gelegt und infolge der fortgesetzten thermischen Reizung 
geht die Pulpa langsam zugrunde/ eine Silikatfüllung liegt nahe am Nerven, 
die stets vorhandene freie Säure schädigt die Pulpa, bis sie langsam abstirbt. 
Ich möchte deshalb hier ganz besonders warnen, bei Zähnen, die im Be* 
reiche der Kieferhöhle stehen, Silikatfüllungen zu verwenden, und verweise 
auf die jüngst erschienene Arbeit Wustrows über Schädigungen der Pulpa 
durch Silikat*Zement*Füllungen. In allen diesen Fällen liegt die Pulpa dann 
als toter Körper im Zahn und kann bei den ungünstigen anatomischen Ver* 
hältnissen nicht abgebaut werden,* sei es nun durch Infektion oder Eigen* 
zerfall, jedenfalls entsteht dann eine Eiterung, die auf das Periodontium über* 
greift und sich zum apikalen Abszeß entwickelt. Dieser sucht sich einen Aus* 
weg in Richtung des geringsten Widerstandes, d. i. unter den geschilderten 
Umständen eben die Kieferhöhle. Weit häufiger als bei diesen akuten Er¬ 
krankungen aber führen chronische Veränderungen in Gegend der Wurzel* 
spitze zum Durchbruch in die Kieferhöhle. Bei allen akuten eitrigen Er* 
krankungen treten mehr oder minder heftige Schmerzen auf, die den Patienten 
zum Zahnarzt führen und unter entsprechender Behandlung <Aufbohren der 
Füllung und Reinigung des Kanals, so daß eine Abflußmöglichkeit durch 
den Kanal geschaffen ist, oder gegebenenfalls die Extraktion) wird ein anderer 
Ausweg geschaffen. Geschieht dies nicht, so sucht sich ein solcher Prozeß auf 
eigene Faust Luft zu schaffen, und dies geschieht eben — wie oben erwähnt 
— in Richtung des geringsten Widerstandes. Unter normalen Verhältnissen, 

VicrteljahrssArift für Zahnheilkunde, Heft 2 15 


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Dr. med. et med. dent. Karl Hauenstein 


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d. h. wenn eine entsprechende Knochenzwischenschicht zwischen Kieferhöhlen» 
boden und Wurzelspitze vorhanden ist, kommt es entweder zu einem Durch» 
brudi buccal» resp. labialwärts, wenn die äußere Knochenlamelle dünner ist 
als die innere, oder zum Durchbruch palatinal» resp. lingualwärts bei um» 
gekehrtem Verhältnis. Der Durchbruch erfolgt durch Einschmelzung der um» 
gebenden Knochenpartien in der Durchbruchsrichtung und Perforation der 
Weichteile durch Fistelbildung. Mit dem vollzogenen Durchbruch klingen 
dann rasch alle Beschwerden ab. Weit häufiger wie die akuten Erkrankungen 
an der Wurzelspitze führen die chronischen zu einem solchen Durchbruch, da 
hier der Patient keinerlei Störungen seines Wohlbefindens hat und infolge» 
dessen der Prozeß schleichend und heimtückisch fortschreiten kanp, bis große 
Partien der Umgebung zerstört sind. Dieses Krankheitsbild zeigt vor allem 
die chronische granulierende Periodontitis, die sich häufig rasch im Anschluß 
an die oben geschilderten akuten Erkrankungen in der Nähe des Apex ent» 
wickelt. Bei ihr kommt es mit besonderer Vorliebe dazu, daß der Durchbruch 
nicht, wie oben geschildert, ins Cavum oris erfolgt, sondern der Prozeß sucht 
sich einen Ausweg durch die äußere Haut. Als Prädilektionsstellen kommen 
hier in Betracht das Foramen infraorbitale, Foramen mentale, Kinn und 
Angulus. Sind aber die anatomischen Verhältnisse ungünstig, so erfolgt ein 
Durchbruch in die Kieferhöhle. Auch Durchbrüche zur Nase wurden be» 
obachtet, wiewohl dies etwas relativ sehr Seltenes ist. Manchmal kommt es 
auch vor, daß das Granulom eines Zahnes den Nachbarzahn umwächst und 
der Durchbruch erst von hier aus erfolgt. So kann auf diese Weise ein nicht 
im Bereich der Kieferhöhle stehender Zahn auch Veranlassung zu einem 
Kieferhöhlenempyem geben. Ist einmal der Prozeß in die Kieferhöhle durch» 
gebrochen, so hören alle Beschwerden wie mit einem Schlage auf. Am auf» 
fallendsten ist dies bei akuten Prozessen. Der Patient fühlt sich befreit und 
gesund. Doch nun beginnt eine dauernde Sekretion in die Kieferhöhle, die 
Schleimhaut kommt durch diesen fortgesetzten Reiz in einen chronisch»ent» 
zündlichen Zustand. Zunächst wird der Boden der Kieferhöhle, insbesondere 
die Alveolarbucht ergriffen, dann breitet sich die Erkrankung auf die ganze 
Kieferhöhle aus. Die Schleimhaut geht von einem akuten in den chronisch» 
entzündlichen Zustand über, und es kommt zu einer starken polypösen Ent» 
artung derselben, die selbst wieder zu einer pathologischen Sekretion fuhrt. 
Kommt zu solchen Prozessen noch eine nasale Reizung, z. B. bei Influenza, 
so kann der Prozeß ganz plötzlich aufflackern und segelt unter der Flagge 
der nasalen Ätiologie, während in Wirklichkeit das primär»ätiologis<he Mo» 
ment der Erkrankung der dentale Prozeß ist, ein Umstand, auf den bereits 
Reinmöller in seinen Arbeiten über Kieferhöhlenerkrankungen eingehend 
hingewiesen hat. Ist einmal der Durchbruch erfolgt, so glaubt der Patient, daß 
die Sache gut sei, da er von seinen subjektiven Beschwerden befreit ist. Aber 
nun erfolgt eine langsame, jedoch unerbittlich weiter fortschreitende Zerstörung 
des Kiefers durch immer weitere Einschmelzung von Knochen und Ersatz 
desselben durch weiche Granulationen, die ständig leicht eitrig sezernieren. 
In letzter Zeit habe ich eine ganze Reihe derartiger Fälle operieren können. 



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Kieferhöhlenerkrankungen 


227 


Frau M. sucht die Klinik auf, weil sie von ihrem Zahnarzt darauf aut 
merksam gemacht ist, daß eine schon lange bestehende Fistel im Oberkiefer 
auf ihre Ursache hin untersucht werden müsse. Das Röntgenogramm zeigte 
einen großen Einschmelzungsherd, worauf ich der Patientin die Operation 
vorschlug. Auch in diesem Falle konnte ich wieder den typischen Patienten* 
einwurf hören: Aber ich habe doch gar keine Schmerzen mehr, während ich 
früher einmal hier starke Schmerzen gehabt habe. Die Aufklappung ergab 
dann auch eine ganz ungewöhnlich große Zerstörung des Kiefers. Ähnliche 
Fälle, wenn auch nicht in diesem Ausmaß, kamen in letzter Zeit recht häufig 
in unserer Klinik zur Operation. Ich möchte deshalb an dieser Stelle dringend 
empfehlen, nach Extraktion solcher Zähne auch den Granulationsherd gründ* 
lieh mit dem scharfen Löffel auszuräumen, denn es ist durchaus nicht der 
Fall, daß derartige Herde nun mit der Extraktion des Zahnes immer be* 
seitigt wären. 

Wir sehen also, daß von den Zähnen ausgehende Erkrankungen sowohl 
akuter wie chronischer Art imstande sind, nicht nur die schwersten Zer* 
Störungen am Kiefer zu erzeugen, sondern fortschreitend auch auf die Kiefer* 
höhle überzugreifen, um hier ihr Zerstörungswerk zu beginnen. Wenn sich 
ein praktischer Zahnarzt bewußt ist, wie viele Zahnerkrankungen zu einem 
Antrumempyem oder auch nur zu schweren Knochenzerstörungen am Kiefer 
führen können, so wird er seiner konservierenden Zahnbehandlung auch 
gewisse Grenzen stecken. Vor allen Dingen aber ist zu fordern, daß Brücken* 
arbeiten in der Kieferhöhlengegend ganz besonders scharf durch das Rönt* 
genogramm kontrolliert werden. Die Brückenpfeiler müssen vor der Be* 
handlung röntgenologisch und klinisch genauestens untersucht werden, die 
spätere Brückenarbeit sollte ebenfalls diesem Verhalten prophylaktisch unter* 
worfen sein, ein Verhalten, das überhaupt für alle Brückenarbeiten mehr 
und mehr angewandt werden sollte. 

Wir haben nun im vorhergehenden die verschiedensten Erkrankungen 
besprochen, die zu einem dentalen Empyem führen können. Hajek, der 
die einzelnen Krankheitsbilder namentlich aufzählt, erwähnt darunter noch 

— wovon bisher noch nicht gesprochen wurde — den Durchbruch einer ent* 
zündeten Zyste. Es kann nicht geleugnet werden, daß auch eine Zyste ein* 
mal ins Antrum durchbrechen und dann ein Empyem erzeugen kann. Doch 
meiner Erfahrung nach — und viele andere Autoren geben mir darin recht 

— ist der Durchbruch einer Zyste ins Antrum relativ selten. Die Zyste, 
die durch fortgesetzte Sekretion ins Lumen hinein ständig wächst und einen 
Druck auf die Umgebung ausübt, so daß der umgebende Knochen resorbiert 
wird, gelangt bis zur Kieferhöhlenschleimhaut. Es ist doch ganz natürlich, 
daß diese, mit der knöchernen Unterlage nicht allzufest verwachsen, sich von 
derselben löst und sich in das Lumen der Kieferhöhle immer weiter ver* 
drängen läßt, zumal ja die Kieferhöhle mit der Nasenhöhle und so mit der 
atmosphärischen Luft in Verbindung steht, so daß in der Kieferhöhle keine 
Spannung, kein Gegendruck erzeugt werden kann, ähnlich wie bei Druck 
auf einen hermetisch abgeschlossenen Gummiballon. Die Kieferhöhle wird 

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Dr. med. ct med. dcnt. Karl Hauenstein 


immer mehr von der wachsenden Zyste verdrängt und ihre Schleimhaut kann 
zuletzt, wie ein Blindsack zusammengefaltet, aufeinanderliegen. Eine Reihe 
derartige Fälle hat Reinmöller in seinen Arbeiten über das Empyem der 
Kieferhöhle beschrieben, darunter einen Fall, bei dem beide Kieferhöhlen 
vollständig durch follikuläre Zysten verdrängt waren. In letzter Zeit konnte 
ich in der hiesigen zahnärztlichen Klinik einen ähnlichen Fall operieren, dessen 
Krankengeschichte ich in kurzen Zügen folgen lasse: 

Arbeiter B. sucht die Klinik auf, von einem Zahnarzt geschickt, weil er 
seit einem Jahr Eiterabfluß durch die rechte Wange hat. Verschiedene Inzi* 
sionen und Auskratzungen haben keine Heilung gebracht. Die Untersuchung 
ergab, daß es sich um eine sehr große, im rechten Oberkiefer liegende Zyste 
mit eitrigem Inhalt handelte, die einen Durchbruch durch die Wange zur 
Folge hatte. Auch in diesem Fall nahm die Zyste zwei Drittel des Raumes 
der Kieferhöhle ein, ohne jedoch einen Durchbruch nach der Kieferhöhle ven= 
ursacht zu haben. Die Operation nach der Partschschen Methode befreite 
den Mann von der für ihn recht lästigen Erkrankung. Der Patient hatte sich 
ein ganzes Jahr lang damit geholfen, daß er einen Verband trug, bei dem 
er ständig die eiterdurchtränkte Watte erneuern konnte. 

Ein weiterer Fall, der in derselben Zeit bei uns zur Operation kam, zeigt 
in noch auffallenderem Maße, daß Zysten relativ selten nach der Kieferhöhle 
durchbrechen. Auch diese Krankengeschichte sei kurz erwähnt. Hauptmann G. 
wird von einem Kollegen in die Klinik geschickt wegen eines Druchbruchs 
im rechten harten Gaumen. Die Untersuchung ergibt eine über walnußgroße 
Zyste, ausgehend von Stiftzähnen der beiden oberen rechten Schneidezähne. 
Auch hier hochgradige Verdrängung der Kieferhöhle nach der Orbita hin 
mit schließlichem Durchbruch durch den harten Gaumen. 

Ein dritter Fall zeigt uns dasselbe Bild von einer anderen Seite Arbeiters^ 
frau M. wird wegen einer Oberkieferzyste im zahnlosen Oberkiefer operiert. 
Hier hatte die Zyste ihren Ausgang von der Schneidezahngegend genommen und 
hatte die Kieferhöhle von derFossa canina aus nach rückwärts stark verdrängt. 

Außer diesen besonders prägnanten Fällen kam noch eine ganze Reihe 
weiterer, ähnlicher Fälle zur Operation, die uns immer wieder zeigten, wie 
wenig derartige Zysten zum Durchbruch nach der Kieferhöhle neigen. Diese 
Tatsache ist für die Therapie, wie ich weiter unten ausführen werde, von 
ausschlaggebender Bedeutung. 

Nach den dentalen Empyemen beanspruchen für den Zahnarzt die trauma¬ 
tischen Kieferhöhlenerkrankungen das meiste Interesse. Unter dieses Kapitel 
fallen auch alle jene Verletzungen der Kieferhöhle durch äußere Gewalt, wie 
Geschoßwirkung, Steinwurf, Fall oder Stoß, die an sich für den Zahnarzt 
weniger Bedeutung haben. Dabei kann das Innere der Kieferhöhle entweder 
in direkter Kommunikation mit der äußeren Verletzung stehen, also eine 
komplizierte Fraktur vorliegen, oder es kann nur die knöcherne Wand frak- 
turiert und die Schleimhaut zerrissen sein. Je nach der Art der Verletzung 
werden wir Fremdkörper oder Knochensplitter im Antrum, evtl, verbunden 
mit Blutergüssen in dasselbe, vorfinden können. 


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Kieferhöhlenerkrankungen 


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Ganz besonderes Interesse für den Zahnarzt hat jedoch die zufällige Br* 
Öffnung der Kieferhöhle gelegentlich von Zahnextraktionen, die ja, wie aus 
den oben angeführten anatomischen Betrachtungen hervorgeht, nicht allzu 
selten Vorkommen kann. Bei etwa vorhandener dünner Knochenzwischen* 
Schicht kann diese während der Extraktion leicht durchbrechen, ist aber Zahm* 
wurzel und Periodontium direkt mit der Antrumschleimhaut verwachsen, so 
kann sie leicht einreißen oder teilweise mit. extrahiert werden. Intelligente 
Patienten merken dann bald, daß sich im Höhlensystem die Luftdruckver* 
hältnisse, besonders bei der Atmung, dann aber auch die Sprache verändert 
haben. Das beste und bekannteste Mittel, eine Antrumeröffnung festzustellen, 
ist folgendes: Bei zusammengepreßten Nasenflügeln läßt man Luft durch die 
Nase schnaufen. Es entweicht dann unter charakteristischem, zischenden Ge* 
rausch die gepreßte Luft durch die geschaffene Öffnung der Kieferhöhle. 
Dringend warnen möchte ich im gegebenen Fall vor Sondierungen und 
Spülungen. Hier rächt sich eine Polypragmasie ganz besonders. Die Son* 
dierungen werden gewöhnlich zu diagnostischen Zwecken vorgenommen und 
sind ebenso irreführend wie schädlich. Kann man damit wirklich über der 
Alveole einen Hohlraum feststellen, so ist damit immer noch nicht dargetan, 
daß dies die Kieferhöhle sein muß — es könnte sich ja auch um eine Zyste 
handeln — andererseits wird gerade dadurch die an sich recht kleine Perfo* 
rationsöffnung nur erweitert und häufig gleichzeitig die mit Bakterien aller 
Art durchsetzte Mundflüssigkeit mit in das Antrum verschleppt, und die 
Kieferhöhlenschleimhaut reagiert auf die mechanischen und bakteriellen Insulte 
mit empfindlicher Reizung und Sekretion. Eine geringere, aber ähnliche 
schädigende Wirkung können die Spülungen bringen. Eine Entzündung der 
Kieferhöhle, die man verhindern wollte, wird gerade durch die sogenannten 
therapeutischen Maßnahmen herbeigeführt, während im anderen Falle , die 
gesetzte Öffnung in 1—2 Tagen bei der vorhandenen an sich sehr guten 
Heilungstendenz sich längst wieder geschlossen hätte. Auch tiefer gehende 
Tamponaden sind zu vermeiden, da dadurch ein Verschluß der Öffnung ver* 
hindert wird und nur ein unnötiger Reiz durch den Fremdkörper erzeugt 
wird. Ein ganz oberflädilich aufgelegter Jodoformgazetampon, der unter 
Umständen mit Ligatur um die Nachbarzähne in seiner Lage gehalten wird, 
genügt vollkommen. Eine Verunreinigung wird dadurch verhütet, eine 
rasche Heilung nicht verhindert. Anders liegt die Sache, wenn bei mehr oder 
minder ungeschickten Extraktionsversuchen eine Zahnwurzel in die Kiefer* 
höhle hineingestoßen wurde. Es ist überhaupt bei der Extraktion von kariösen 
Zahnwurzeln, die im Bereich der Kieferhöhle stehen, Vorsicht dringend zu 
empfehlen. Schon beim Fassen der tief zerstörten Wurzel ist es möglich, daß 
diese durch den dünnen Boden in die Kieferhöhle luxiert wird. Meistens 
wird in einem solchen Fall die Zange insofern nicht richtig angelegt, als die 
eine Branche der Zange richtig seitlich an der Wurzel in die Höhe geschoben 
wird, die andere aber nicht seitlich die Wurzel umfaßt, sondern auf dem 
kariösen Querschnitt festsitzt. Auch wenn die Zange nicht genügend hoch 
an der Wurzel angelegt ist, weicht letztere beim Zangenschluß leicht nach 


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230 Dr. mcd. et med. dent. Karl Haucnstein 

oben zu aus. Vor allem aber sollten in der Antrumgegend nur ganz Geübte 
einen Wurzelhebel zur Anwendung bringen. Macht eine Extraktion Schwie* 
rigkeiten, so ist das sicherste und meist auch schonendste Verfahren die 
Aufklappung und Ausmeißelung. Dies gilt nicht nur für schwierige Extrak* 
tionen im Bereiche der Kieferhöhle, sondern ganz allgemein. Es werden 
dadurch nicht nur sonst so häufig vorkommende Zertrümmerungen der 
Alveole, die nachher zur Eiterung und Abstoßung von Sequestern führen, 
sondern auch jene oft so leidigen Quetschungen und Zerreißungen der 
Weichteile vermieden. Eine einfache Naht genügt dann wieder zum Verschluß 
der glatten Schnittwunde. Ist einmal eine Wurzel ins Antrum hineinluxiert, 
so kann man versuchen, durch Spülungen dieselbe wieder zu entfernen. 
Meist wird dies aber nicht gelingen. Dann erscheint wohl die Eröffnung der 
Kieferhöhle angezeigt nach einer jener Operationsmethoden, wie wir sie 
später kennen lernen werden, denn eine ins Antrum luxierte Wurzel, wie 
jeder andere Fremdkörper, bietet stets die Gefahr, eine entzündliche Erkran* 
kung in der Kieferhöhle hervorzurufen, und die Fälle, wo bei einem 
Empyem Zahnwurzeln, eingehüllt in dichte polypöse Wucherungen, gefunden 
wurden, sind gar nicht so selten. Williger entfernt ins Antrum luxierte 
Wurzeln meist durch Fröffnung von der Fossa canina aus. Nicht so selten 
kommt es auch vor, daß die Wurzel gar nicht ins Antrum luxiert wurde, 
sondern zwischen Knochen und Antrumschleimhaut steckt. Man sieht dann 
nach Eröffnung der Kieferhöhle die Wurzel durch die Schleimhaut hindurch* 
schimmern. Nach Spaltung der Antrumschleimhaut ist auch hier die Ent* 
fernung leicht. Auf eine weitere, wenn auch seltene Tatsache möchte ich 
hinweisen. Manchmal kann man es erleben, daß bei Wurzelbehandlung eines 
im Bereiche der Kieferhöhle stehenden Zahnes ganz plötzlich einmal ein An* 
trumempyem auftritt, auch wenn noch eine knöcherne Zwischenwand vor* 
handen ist. Es scheint sich in diesem Fall um ein Wandern von Infektions* 
erregern durch das Foramen apikale und um ein Eindringen in die Lymph* 
bahnen zu handeln, die wieder zur Kieferhöhle führen. Hier hat wohl 
meistens bereits ein chronischer Schleimhauthatarrh bestanden, der dann 
wieder zu einer akuten Entzündung aufflammt. 

Endlich möchte ich auf die wohl häufigste Art der Kieferhöhlenerkran* 
kungen kurz eingehen, auf die nasalen. Auch diese haben ja für uns Zahn* 
ärzte gar manches Interesse. Der Infektionsweg führt hier von der Nasenhöhle 
über das Ostium maxillare im mittleren Nasengang zur Kieferhöhle. Wäh* 
rend man es bei den dentalen und traumatischen Typen wohl meist nur mit 
einer eitrigen Erkrankung, einem Empyem, zu tun hatte, ist bei der nasalen 
Form eine Steigerung möglich vom einfachen Schleimhautkatarrh bis zum 
Empyem. Die Ursachen können gewöhnliche Erkältungen und Katarrhe oder 
auch Infektionskrankheiten sein, insbesondere Influenza, dann aber auch 
Masern, Scharlach, Typhus, Pneumonie, Diphtherie, Erysipel usw. Bei diesem 
einfachen Katarrh zeigt die Kieferhöhle keine anderen Erscheinungen wie 
die Nase und die anderen Nebenhöhlen. Intensive Rötung und Schwellung 
aller ergriffenen Schleimhautpartien, verbunden mit vermehrter Sekretion, 



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Kieferhöhlenerkrankungen 


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sind die Hauptmerkmale. Je nach dem Grade der Erkrankung kann die 
Schwellung so stark sein, daß die Schleimhaut direkt polypös degeneriert 
erscheint, und ebenso steht die Sekretion im direkten Verhältnis zur Heftige 
keit der Erkrankung. In leichteren Fällen haben wir ein geringes dünnflüssiges 
und serös-schleimiges Sekret. Unter entsprechender Behandlung heilt diese 
Affektion der Kieferhöhle ebenso leicht und rasch ab, wie die katarrhalischen 
Erkrankungen der Nasenhöhle und des Rachens. Diese ganz einfache Form 
der katarrhalischen Kieferhöhlenerkrankung bekommen wir meist gar nicht 
zu Gesicht, wiewohl das Antrum bei jedem heftigeren Katarrh in Mitleiden- 
Schaft gezogen ist. M. Schmidt schreibt hierüber: „Ich glaube, daß bei fast 
jedem akuten Schnupfen die Nebenhöhlen mit erkranken und beziehe darauf 
die bei demselben so häufigen Stirnkopfschmerzen oder die in die Wangen 
und Zähne ausstrahlenden Schmerzen und wahrscheinlich auch die klumpige 
Nachabsonderung, welche nach einem akuten Schnupfen mitunter solange 
anhält." Schlimmer wie bei einem Schnupfen sind die Antrumerkrankungen 
schon bei Infektionskrankheiten, besonders bei Influenza. Seit Hajek eine 
sehr einfache Sektionstechnik angegeben hat, konnte durch zahlreiche Sektionen 
festgestellt werden, daß bei akuten Infektionskrankheiten fast immer die 
pneumatischen Räume mit erkranken. Auch hier tritt relativ häufig Selbst- 
heilung ein, wenn nämlich die Ostien gut durchgängig sind, so daß die Sekre- 
tion vermittels der Flimmerhaare des Epithels und durch Schneuzen nach 
außen befördert werden kann. Nötigenfalls aber muß eben eine länger fort¬ 
gesetzte konservative Behandlung den Heilungsverlauf unterstützen. Die 
Sekretion hat meist einen schleimigeitrigen oder reineitrigen Charakter an¬ 
genommen, und es kann auch zu richtigen Schleimhautwucherungen kommen. 
In manchen Fällen gelingt aber die Ausheilung des akuten Empyems nicht 
und es kommt zu einem chronischen, krankhaften Zustand. Von Bedeutung 
ist in diesem Falle sicher neben einer individuellen Disposition auch die 
wechselnde Virulenz der Bakterien. Dann lassen wohl meist mit dem Ab¬ 
klingen der Allgemeinerkrankung allmählich auch die einzelnen Krankheits¬ 
symptome von den Nebenhöhlen her in ihrer Heftigkeit nach oder verschwin¬ 
den zeitweise ganz, um bei irgendeinem Anlaß wieder erneut aufzuflackern. 
Die hypertrophischen oder gar polypösen Degenerationen der Schleimhaut, 
die bei den akuten Empyemen bereits erwähnt wurden und dort etwas 
relativ noch Seltenes sind, sind im chronischen Stadium um so häufiger zu 
finden. 

Um ein Kieferhöhlenempyem rechtzeitig und richtig zu erkennen, ist es 
wesentlich, über die einzelnen Symptome der Krankheit Bescheid zu wissen. 
Wie bereits erwähnt, fällt oft schon die Sprache des Patienten auf. An sub¬ 
jektiven Beschwerden klagen die Patienten über neuralgieforme Schmerzen 
in Oberkiefer, Stirn, Auge und Ohr der betroffenen Seite, über ausstrahlende 
Schmerzen im Oberkiefer, Schlafsucht oder auch Unruhe. Häufig werden 
auch Störungen der Geruchsempfindung angegeben, also Parosmien, doch 
kommt es nie zu Anosmien wie bei Ozäna, während der Patient anderer¬ 
seits, besonders wenn es sich um jauchige Eiterentleerung handelt, unter dem 


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Dr. med. et med. dent. Karl Hauenstein 


schlechten Geruch sehr leidet. Eines der wichtigsten Symptome ist der oft 
reichlithe Eiterfluß aus der erkrankten Nasenseite bei Neigung des Kopfes 
nach der Gegenseite, der vor allem frühmorgens recht stark ist und bisweilen 
auch mit Blut untermischt sein kann, besonders beim akuten Empyem. Oft 
wird auch über ein Gefühl des Schwerseins det erkrankten Antrumgegend 
geklagt. Im mittleren Nasengang ist die Schleimhaut infolge der reichlichen 
Sekretion hypertrophisch verändert und manchmal besteht ein Ekzem des 
betreffenden Naseneinganges. Der Oberkieferknochen ist fast immer druck¬ 
empfindlich. In seltenen Fällen sind auch die überkleidenden Weichteile 
geschwollen, und zwar als Folge längerer und starker Retention des Eiters 
durch Verschluß des Ostiums. Klar ist natürlich die Diagnose, wenn einem 
Zahnarzt nach einer Extraktion durch die Zahnfachwunde größere Mengen 
Eiter aus der Kieferhöhle entgegenstürzen. Jul. Parreidt, der selbst an 
einem Antrumempyem erkrankt war, schildert seine Beschwerden wie folgt: 
Erst Unbehagen in der Gegend des rechten Oberkiefers, Brennen in der 
Haut und ein Gefühl von Schwellung, dann heftiger Kopfschmerz, Schwel¬ 
lung, Rötung. Der Knochen ist auf Druck schmerzhaft, das Zahnfleisch ist 
gelockert, samtartig, bei Perkussion des 5. Zahnes dumpfer Schmerz. Eiter 
bei Neigung des Kopfes, gelb, dünn, ohne Geruch. Geruchsvermögen nicht 
beeinträchtigt, durchschießender Schmerz der rechten Schläfengegend. — 
Der Eiter ist entweder von mehr schleimiger oder von körnig-bröckliger 
Beschaffenheit. Sind die Symptome, wie eben beschrieben, alle ausgeprägt 
vorhanden, so läßt sich wohl mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit die Diagnose 
auf Antrumempyem stellen. Doch meist ist dies nicht so einfach. Besonders 
bei chronischem Empyem fehlen oft die hauptsächlichsten oben besprochenen 
Symptome. Leicht kommen dann Verwechslungen mit Neuralgien, Tumoren. 
Ozäna vor. 

Zur Sicherung der Diagnose sind nun dem Arzte verschiedene Hilfsmittel 
zur Hand gegeben. Das einfachste ist die Durchleuchtung. Im Dunkelraum 
wird dem Patienten eine Lichtquelle (Glühbirne) in den geschlossenen Mund 
gegeben. Die normale, lufthaltige Kieferhöhle leuchtet dann rötlich auf, 
während die kranke dunkel bleibt. Die Methode ist ebenso leicht auszu¬ 
führen wie unzuverlässig, denn schon eine verschiedene Größe beider Kiefer¬ 
höhlen kann eine Täuschung in dieser Beziehung hervorrufen, ebenso kann 
ein Tumor, der sich im Antrum angesiedelt hat, die Ursache der Verdunke¬ 
lung sein. Als weiteres Hilfsmittel kommen Röntgenaufnahmen, in Frage 
und zwar sowohl Platten- wie Filmaufnahmen,- ich gebe der Plattenauf¬ 
nahme den Vorzug. Auch für dieses diagnostische Mittel gilt im wesent¬ 
lichen das bei der Durchleuchtung Gesagte,- für den Fremdkörpernachweis 
ist die Röntgenaufnahme besonders wertvoll. Ein ins Antrum luxierter 
Zahn kann in seiner Lage überhaupt nur dadurch festgestellt werden. Haben 
Durchleuchtung und Röntgenaufnahme den Verdacht auf Empyem ergeben, 
so ergänzt die Probespülung die angeführten diagnostischen Hilfsmittel. Ge¬ 
lingt diese vom Ostium maxillare aus nicht, so kann man vom unteren 
Nasengang aus die Probepunktion mit Hilfe eines Troikarts vornehmen. 


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Kieferhöhlenerkrankungen 


233 


Hat man einmal ein Antrumempyem festgestellt, so muß die nächste 
Frage, die leider nur allzuoft nicht gestellt wird, nach der Ursache sein. 
Ist die Ätiologie der Erkrankung dem Rhinologen nicht ganz klar durch 
das Krankheitsbild gegeben, so sollte er nun keinesfalls versäumen, einen 
Zahnarzt beizuziehen, insbesondere aber, wenn schlechte Zähne oder gar 
kariöse Wurzeln in Frage kommen könnten. Schon oft ist ein Empyem 
lange Zeit erfolglos behandelt worden, weil man letzten Endes einen kranken 
Zahn als Ursache nicht beachtet hat. Auch äußerlich anscheinend gesunde 
Zähne können die Ursache zu einem Empyem sein. Deshalb soll gegebenen^ 
falls der Zahnarzt nicht versäumen, wenn sich sonst kein Anhaltspunkt 
finden läßt, die regionären Zähne mit Hilfe des faradischen Stromes durchs 
zuuntersuchen, wie es uns besonders Reinmöller in seinen Arbeiten über 
Antrumempyeme empfohlen hat. 

Was nun die Therapie des Empyems der Kieferhöhle betrifft, so ist dar^ 
über außerordentlich viel geschrieben worden, besonders in der Zeit vor 
Einführung der sogenannten Radikaloperation. Ich nehme immer an, daß 
in einer Sache, solange nicht das letzte Wort gesprochen ist, als man noch 
allzuviel über dieses Thema schreibt. Auch im vorliegenden Fall lag die 
Wissenschaft in Geburtswehen, bis die Radikaloperation als neugeborenes 
Kind zur Welt kam. Dadurch, daß in der Literatur soviel geschrieben 
wurde über die einzelnen Methoden zur Eröffnung der Kieferhöhle bei 
Antrumempyem, wurde vielleicht bei manchen der Eindrude erweckt, bei 
jeder Erkrankung der Kieferhöhle müßte eröffnet werden. Das ist durchs 
aus nicht der Fall. Abgesehen von den leichteren Kieferhöhlenkatarrhen, 
die größtenteils überhaupt ohne ärztliche Behandlung heilen, kommen wohl 
sicher an die 70% a ll er akuten und sogar ein erheblicher Teil der chronU 
sehen Empyeme ohne Eröffnung der Kieferhöhle zur Ausheilung. Ich möchte 
deshalb hier dringend vor einer Polypragmasie in operativer Beziehung 
warnen. Vor allem die akuten Empyeme verlaufen so wie alle akuten 
Schleimhautentzündungen, sie haben die Tendenz spontan zu heilen. Diese 
Heilung kann aber nur eintreten, wenn das Sekret ungehinderten Abfluß 
hat. Man muß deshalb bestrebt sein, die Schleimhaut besonders in der 
Gegend des Ostiums möglichst bald zum Abschwellen zu bringen. Man 
verordnet Bettruhe, kühle Waschungen und kalte <Eis*> Umschläge. Innere 
lieh gibt man eines jener zahlreichen und allgemein bekannten Antipyretica 
in nicht zu kleinen Dosen. Lokal verordnet man Spülungen der Nase mit 
lauwarmer physiologischer Kochsalzlösung und nachfolgender Pinselung mit 
10%igem Kokain. Wenn alle diese angewandten Mittel nicht zum Ziele 
führen, geht man über zu Spülungen vom Aditus ad antrum aus. Ist das 
Ostium zu eng und schwer passabel, so punktiert man mit Troikart vom 
unteren Nasengang aus <Mikulicz> und führt dann die Spülungen von 
hier aus durch. Die Punktionsöffnung ist entsprechend zu erweitern <MU 
kulicz>. Wie bei den akuten, ist auch bei den chronischen Empyemen die 
Spülung zu versuchen. Man spült am besten mit dünner Wasserstoffsuper^ 
oxydlösung oder Kochsalzlösung, auch Permanganatlösungen werden emp^ 


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Dr. med. et med. dent. Karl Hauenstein 


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fohlen. Die Spülflüssigkeit läuft neben dem Siebenmann-Röhrdhen wieder 
ab. Zum Schluß saugt man den Rest noch mit Hilfe der Spritze frei. Selbst- 
verständlich ist, daß bei dentalen Empyemen die schuldigen Zähne und 
Zahnwurzeln zu entfernen sind. Wird dabei die Kieferhöhle eröffnet, so 
soll zunächst einige Male von hier aus die Spülung vorgenommen werden. 
Wenn keine Heilung dabei eintritt, so ist radikaler vorzugehen. Von ver¬ 
schiedenen Autoren wurde auch die Frage aufgeworfen, ob bei dentalen 
Empyemen nicht doch unter Erhaltung der schuldigen Zähne eine Heilung 
erzielt werden könnte. Es käme dann statt der Extraktion eine Wurzel¬ 
spitzenresektion in Betracht. Während Williger sich dagegen vollkommen 
ablehnend verhält, hält Mayrhofer ein derartiges Vorgehen bei nach¬ 
folgender Radikaloperation dann für berechtigt und angezeigt, wenn die 
Pfeiler einer Brücke in Frage kommen. Auch Ah re ns befürwortet in einer 
neueren Arbeit die Vornahme der Resektion und gründlichen Ausräumung, 
da ja nicht mehr der Zahn, sondern die pathologischen Veränderungen in 
der Umgebung der Wurzeln die Ursache des Empyems darstellen. Ist auf 
diese Weise die Ursache weggeschafft, so eröffnet er unter Umständen von 
der Alveole aus nicht weiter das Antrum, sondern versucht durch Nasen¬ 
spülungen eine Abheilung des Empyems zu erzielen. Reinmöller steht 
auf dem Standpunkt zu extrahieren und dann lieber zur Plattenprothese zu 
greifen, als unter Umständen die Heilung durch einen Brückenpfeiler zu ge¬ 
fährden. Man muß sich natürlich auch hier davor hüten, prinzipiell zu ent¬ 
scheiden,* denn es kann sehr wohl auch einmal der Fall eintreten, daß die 
Erhaltung der Brücke unbedingt erwünscht ist und andererseits die Ver¬ 
hältnisse für die Vornahme einer Wurzelspitzenresektion derartig günstig 
liegen <Röntgenogramme>, daß man auch so gut zum Ziele kommt. Jedoch 
muß betont werden, daß das Ausnahmefälle sind, denn wir werden im all¬ 
gemeinen beim Vorliegen eines chronischen dentalen Empyems doch mit 
einem größeren periapikalen Prozeß zu rechnen haben, der sich nicht mehr zur 
Wurzelspitzenresektion eignet. — Es ist nun noch eine konservative Methode 
kurz zu erwähnen. Siebert hat vor ca. 10 Jahren in Düsseldorf eifrig dafür 
plädiert, Kieferhöhlenempyeme mit Licht zu behandeln. Er empfahl die Ver¬ 
wendung einer Bogenlampe mit unverändertem Licht ohne Brennpunkt, die er 
in einer Entfernung von etwa zwei Metern auf die Kieferhöhle einwirken 
ließ. Er sah dabei sehr gute Erfolge. Ich habe darüber keinerlei Erfahrung, 
auch habe ich in der neueren Literatur nichts mehr darüber gelesen. 

Ich komme nun auf die einzelnen operativen Methoden zur Eröffnung 
der Kieferhöhle zu sprechen, die meines Erachtens nur angewandt werden 
sollten, wenn die vorher angegebene Behandlung, insbesondere die mehrere 
Wochen durchgeführte Spülung, nicht zum Ziele geführt hat. Ich will da¬ 
bei nur die vier bekanntesten Methoden kurz erwähnen, ohne auf eine ge¬ 
nauere Beschreibung einzugehen, die ja in einschlägigen Werken überall 
nachgelesen werden kann. Die älteste und heute noch vielfach geübte Me¬ 
thode ist die von Cooper angegebene, die Kieferhöhle vom Alveolar¬ 
fortsatz aus zu eröffnen, weil man hier die tiefste Stelle der Kieferhöhle 



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Kieferhöhlenerkrankungen 


235 


vermutet. Eine andere Methode ist die nach Desault-Küster, vorgehend 
von der Fossa canina aus, weil man hier eine dünnere Knochenwand hat 
und eine bessere Übersicht erhofft. Ein drittes, noch radikaleres Verfahren 
ist die Eröffnung der Kieferhöhle nach Luc-Caldwell. Hier wird eine 
orale Öffnung wie nach der Küstersehen Methode angelegt, dann der 
vordere Teil der unteren Nasenmuschel reseziert und dann durdi die orale 
Öffnung hindurch eine nasale im Bereich des unteren Nasenganges angelegt, 
hierauf die orale Öffnung verschlossen. Ein ähnliches, nur etwas modifi- 
zierteres und radikaleres Vorgehen ist das nach Denker, bei dem die 
Scheidewand zwischen Nase und Kieferhöhle großenteils abgetragen wird, 
sodaß vor allem der knöcherne Boden der Nasen- und Kieferhöhle glatt 
ineinander übergehen und dann die Nasenschleimhaut der abgetragenen 
Knochenpartie nach dem Kieferhöhlenboden zu umgeklappt wird. 

Die Meinung der einzelnen Autoren über den Wert der verschiedenen 
Operationensmethoden geht sehr weit auseinander. Der größere Teil der 
Rhinologen steht auf dem Standpunkt, daß eine offene Verbindung der 
Kieferhöhle nach dem Munde zu so bald wie möglich zum Verschluß ge- 
bracht werden und eine möglichst günstige Abflußgelegenheit für das Sekret 
nach der Nase zu geschaffen werden sollte. Und auch wir haben in der 
Ohrenklinik nach diesem Grundsatz gehandelt und, wenn schon eine Opera¬ 
tion nötig war, meist nach Luc-Caldwell operiert und dabei recht gute 
Erfolge erzielt, so daß auch ich im allgemeinen den Standpunkt der meisten 
Rhinologen teilte. Von dieser Ansicht bin ich in letzter Zeit durch meine 
mundchirurgische Tätigkeit bis zu einem gewissen Grade abgekommen. Es 
ist sehr begreiflich, daß der Rhinologe, der ja wohl zum größten Teil nasale 
Empyeme zu Gesicht bekommt und dem natürlich auch alle Nebenerschei¬ 
nungen, die mit der Nase und den anderen Nebenhöhlen Zusammenhängen, 
mehr in die Augen springen, immer geneigt sein wird, die Operationsmethoden, 
die seinem Gebiete mehr liegen, die also einen Abfluß nach der Nase, dem 
natürlichen Ventil die Kieferhöhle, schaffen, zu bevorzugen. Meines Er¬ 
achtens soll man bei der Auswahl einer Operationsmethode streng unter¬ 
scheiden, ob ein Empyem nasalen oder dentalen Ursprungs vorliegt. Nach 
wie vor stehe ich auf dem Standpunkte, daß für alle nasalen Empyeme die 
Coopersche und Küstersche Methode besser nicht angewandt und hier 
nach Luc-Caldwell oder Denker operiert wird. Beim dentalen Empyem 
aber möchte ich die Coopersche Operationsmethode doch nicht ganz aus¬ 
geschlossen wissen. Wir haben es ja bei einem dentalen Empyem doch 
immer mit einem großen Zerstörungsherd um den schuldigen Zahn herum 
zu tun. Nach Entfernung des Zahnes besteht also hier schon eine Kommu¬ 
nikation mit der Kieferhöhle. In denjenigen Fällen, wo aber eine direkte 
Kommunikation nicht bestehen sollte, wo die Infektion durch Fisteln nach 
der Kieferhöhle entstanden ist, werden wir doch niemals um eine gründliche 
Ausräumung dieses Herdes herumkommen und dabei stets eine breite Kommu¬ 
nikation mit der Kieferhöhle schaffen. Wollte man in solchen Fällen die 
Coopersche Methode verwerfen, so müßte man zunächst an dieser Stelle 


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Dr. med. et med. dent. Kar! Hauenstein 


die Kieferhöhle wieder schließen und dann auch noch einen Luc*Caldwell 
machen. Man wird in vielen Fällen sich natürlich nicht sklavisch daran halten, 
den Eingang in die Kieferhöhle nur durch die Alveole zu suchen. Liegt der 
dentale Herd etwa mehr fazialwärts, so wird man hier eingehen. Rein* 
möller hat den Satz aufgestellt, daß er bei einem dentalen Empyem die 
Kieferhöhle an derjenigen Stelle eröffnet, wo der dentale Herd liegt. Das 
ist durchaus einleuchtend, denn auf diese Weise wird zunächst einmal der 
ursächliche Herd der Erkrankung restlos beseitigt. Selbstverständlich muß 
man dann so viel Platz schaffen können durch Erweiterung der Öffnung, daß 
eine gute Ausräumung der Kieferhöhle in ihren erkrankten Partien restlos 
möglich ist,* andererseits darf aber nicht etwa zu diesem Zwecke ein gesunder 
Zahn geopfert werden. Gegen Verunreinigung von der Mundhöhle her 
wird dann die Kieferhöhle durch den verschließenden Obturator geschützt. 
Es wurde hiergegen angeführt, daß dieser einen ständigen Reiz für die Kiefer¬ 
höhlenschleimhaut bedeute und zu Granulationsbildung und Sekretion Am* 
laß biete. Dies ist zweifellos richtig, wenn der Obturator bei Spreche und 
Kaubewegungen mitbewegt wird. Dann wird auch die Kieferhöhle nie ganz 
ausheilen können. Es kommt deshalb bei der Frage des Obturators be* 
sonders darauf an, wie er gearbeitet ist. Die Sorgfalt und Exaktheit der Aus* 
arbeitung ist hier das ausschlaggebende Moment für die Heilung. Vor allem 
ist als Grundsatz aufzustellen, daß der Obturator nicht in funktionelle Ver* 
bindung mit einer etwaigen Prothese gebracht wird. Der Obturator soll stets 
ein Stück für sich sein. Nach Ausheilung der Kieferhöhle läßt man den 
Zapfen weg, der inzwischen immer wieder verkleinert wurde, um einen Ver* 
Schluß zu erzielen. Oft wird dies wegen der Epithelisierung des Ganges nicht 
eintreten. Dann braucht aber nur die enge Öffnung mit dem scharfen Löffel gut 
angefrischt zu werden, und in kürzester Zeit tritt die Verwachsung ein, wie ja 
bei allen Operationen in der Mundhöhle derartig rasche Heilungen zu beobachten 
sind. Während also bei den nasalen Empyemen wohl nur die radikaleren Metho* 
den in Frage kommen, eignet sich sicher die Mehrzahl der dentalen Empyeme 
für die einfache Coopersche Operation, wenn sie auch nicht immer anwend* 
bar ist. Gegebenenfalls kann aber dadurch dem Patienten doch eine bei 
weitem eingreifendere Operation erspart werden, ein Vorteil, der oft nicht ge* 
nügend gewürdigt wird. Gerade dies Grenzgebiet zeigt uns aber, wie wichtig 
ein enges Zusammenarbeiten zwischen Nasenarzt und Zahnarzt ist. 

Der Vollständigkeit halber möchte ich noch ganz kurz die wichtigsten 
Komplikationen bei Kieferhöhlenempyemen und die fortgeleiteten Erkran* 
kungen erwähnen. Die Veränderungen der Nase, besonders der mittleren 
Muschel und des mittleren Nasenganges, habe ich schon gestreift, ebenso poly* 
pöse Degenerationen der Siebbein*, Keilbein* und Stirnhöhlenschleimhaut. Es 
läßt sich dabei oft kaum entscheiden, ob die Kieferhöhle zuerst ergriffen war 
und von hier die Infektion der anderen pneumatischen Räume erfolgte, oder 
umgekehrt. Besonders ungünstig sind Dehiszenzen der Kieferhöhle. Sie be* 
günstigen außerordentlich die direkte Fortpflanzung des Krankheitsprozesses 
auf das äußere Kieferperiost, auf die bekleidenden Weichteile und in un* 


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Kieferhöhlenerkrankungen 


237 


günstigen Fällen auf den Inhalt der Augenhöhle. Es kommt zu orbitalen 
Phlegmonen, und von hier kann der Prozeß auf das Gehirn übergreifen, es 
entwickelt sich eine Meningoencephalitis purulenta, die zum Exitus führt. 
Glücklicherweise sind derart ungünstig verlaufende Fälle etwas ganz beson- 
ders Seltenes. Daß aber sehr häufig durch die fortgesetzte eitrige Sekretion 
die hintere Rachenwand, Tonsillen, Kehlkopf, Brochien und Magen in Mit¬ 
leidenschaft gezogen werden können, brauche ich nicht erst zu erwähnen. 

Was nun die pathologisch-anatomische Seite der Erkrankung betrifft, so 
kann man nach Zuckerkandl, Grünwald und anderen vor allem zwei 
Formen unterscheiden: bei der einen zeigt die Kieferhöhlenschleimhaut eine 
mehr seröse Durchtränkung, wobei sich wenig Rundzellen finden ,* das Lumen 
der Höhle ist großenteils durch die stark verdickte Schleimhaut ausgefüllt/ 
bei der anderen Form finden sich unmittelbar unter dem Epithel eine der* 
artige Masse von Rundzellen, daß die feinere Struktur der Schleimhaut ganz 
verdeckt ist. Bei chronischer Erkrankung, wenn der Prozeß mehr in die Tiefe 
der Gewebe vorgedrungen ist, kann man Knochenverdickungen diffuser und 
zirkumskripter Artfinden, speziell höckerigeundstacheligeKnochenappositionen. 
In bakteriologischer Hinsicht beobachtet man meist Mischinfektionen. Die ver- 
schiedensten Mikroorganismen kann man finden. Von Kokken trifft man 
Pneumokokken, Staphylokokken, Streptokokken und verschiedene Diplokokken 
von Bazillen das Bacterium coli, den Proteus, Zahnmikroorganismen ferner 
anaerob wachsende Arten, die diphtheroide Gruppe und Influenzabazillen. 

Endlich möchte ich noch einige statistische Daten bringen. Vossen stellte 
an einem erheblichen Material fest, daß bei 50 % aller Leichen die Kiefer- 
höhlen erkrankt sind. Nach Cline sind der Ätiologie nach 50% dentalen, 
10% rein nasalen Ursprungs und 10% sind auf Influenza und die Zähne 
zurückzuführen. Hajek fand unter 200 Empyemen 13 dentalen Ursprungs. 
Becker schätzt, daß ca. 60% nasalen und 40% dentalen Ursprungs sind,- 
er berücksichtigt dabei die traumatischen Kieferhöhlenerkrankungen über- 
haupt nicht. Bei einem Vergleich dieser Statistiken sieht man erst, wie weit 
die einzelnen Angaben auseinandergehen. Dies darf aber gar nicht wunder- 
nehmen. Der Zahnarzt wird eben ein anderes Material zu Gesicht bekommen 
als der Rhinologe, und andererseits läßt sich eben in einem sehr großen Teil 
der Fälle kein Entscheid in ätiologischer Hinsicht treffen. Doch ist man 
heute wohl allgemein der Ansicht, daß die nasalen Empyeme überwiegen. 
— Während meiner Tätigkeit in der Ohrenklinik zu Erlangen habe auch 
ich eine Statistik über die Ätiologie der Kieferhöhlenempyeme durchgeführt 
und bin dabei zu folgendem Ergebnis gelangt: Unter insgesamt 68 Er- 
krankungen waren 6 doppelseitige Empyeme/ der Ätiologie nach konnten 
ausgeschieden werden 23 nasale und 11 dentale Empyeme,- bei 7 Em¬ 
pyemen war ein Trauma die Ursache. Bei den Testierenden fehlte ein Hin¬ 
weis auf die Ätiologie. Von den 68 Fällen konnten 22 zu den akuten, 46 zu 
den chronischen Kieferhöhlenerkrankungen gezählt werden. Operiert wurden 
20 Fälle, nur mit Spülungen behandelt 38, 10 Fälle blieben von der Klinik 
aus ohne Behandlung, sie kamen nur zur Untersuchung. 


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238 Dr. med. et med. dent. Karl Hauenstein / Kieferhöhlenerkrankungen 

Damit wäre ich nun am Schluß meiner Abhandlung über Kieferhöhlen* 
empyeme angelangt. Ich habe als den Titel dieser Arbeit „Kieferhöhlen* 
erkrankungen" gewählt, statt „Empyem", um auch die ganzen katarrhali* 
sehen Erkrankungen mit besprechen zu können. Dadurch sehe ich midi aber 
veranlaßt, wenn auch in aller Kürze, auch auf die häufigsten sonstigen Er* 
krankungen der Kieferhöhle einzugehen. Wohl die meisten dieser Erkran* 
kungen stehen mit dem Empyem insofern in enger Beziehung, als sie sekun* 
där zu einem Empyem führen können. Ich möchte hier zunächst die Ober* 
kiefernekrosen erwähnen, wie sie entstehen können nach einer idiopathischen 
Osteomyelitis oder nach Infektionskrankheiten, oder bei der Phosphornekrose/ 
auch die chronisch*konstitutioneIlen Erkrankungen, wie Tuberkulose und 
Syphilis können auf die Kieferhöhlen übergreifen, wenn derartige Fälle auch 
etwas recht Seltenes sind. Immer handelt es sich bei all diesen Erkrankungen 
primär um Zerstörung der knöchernen Kieferhöhlenwände und durch das 
Weirerumsichgreifen der Erkrankung um ein sekundäres Eindringen in die 
Kieferhöhle und dadurch dann um die Erzeugung eines Empyems. Von 
allen im Bereich der Kieferhöhle vorkommenden Geschwülsten, wie Schleim* 
hautpolypen, Zysten, Fibromen, Osteomen, Sarkomen, Endotheliomen, 
Karzinomen ist ganz allgemein zu sagen, daß sie besonders im Beginn der 
Erkrankung trotz Durchleuchtung und Radiogramm nur sehr schwer zu dia* 
gnostizieren sind. Später machen sie sich meistens bemerkbar durch Vor* 
dringen gegen die Nase und Auftreibung der äußeren Wände. Die Osteome 
sind hier relativ sehen und wachsen oft gestielt gegen das Cavum hinein. 
Häufig haben sie dann ihre Ursache in kleinen losen Knochenschüppchen, 
die sich an der Schleimhautoberfläche bilden. Sarkome und Karzinome ent* 
stehen seltener in der Kieferhöhle, viel häufiger in der Nase und wuchern 
dann von hier erst ins Antrum hinein. Im fortgeschritteneren Stadium 
kommt es zu jauchigem Zerfall und profusen Blutungen. Metastasen sind 
nicht so häufig wie bei den bösartigen Tumoren an anderen Körperteilen. 
Von einer gewissen Bedeutung für die Kieferhöhle sind auch die Schädel* 
basisfibrome, die entweder auf dem Umweg über die Nase oder von der 
Fossa palatina aus retromaxillär in die Kieferhöhle hineinwuchern. Körner 
sagt: „Sie gehen aus von der Fibrocartilago basilaris des Hinterhaupt* 
beines . . . wachsen nach unten . . . und senden finger* oder zapfenartige 
Ausläufer in die Nase und von da aus in das Siebbeinlabyrinth, die Kiefer* 
und die Keilbeinhöhle." In histologischer Beziehung sind sie durch ihren vor* 
herrschend*bindegewebigen Charakter als Fibrome anzusprechen, zumal sie 
auch keine Metastasen bilden. Andererseits neigen sie gar sehr zu Rezi* 
diven und zeichnen sich durch rasches und ungemein destruierendes Wachs* 
tum aus. Die Erkrankung tritt meist im Pupertätsalter auf und hält dann 
einige Jahre an. 

Wir sehen also, in welch innigem Zusammenhang in ätiologischer und 
therapeutischer Beziehung die Kieferhöhlenkrankheiten mit dem Zahn*Kiefer* 
System stehen, so daß die Notwendigkeit für den Zahnarzt, sich mit diesem 
Gebiet eingehend zu befassen, dargetan ist. 



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SELTENER FALL VON VERGIFTUNG MIT 
ARSENIGER SÄURE 

VON 

DR. MED. DENT. BERNHARD FAULHABER, BERLIN 

U nter obiger Überschrift beschreibt Dr. Neugebauer in der Deutschen 
Mediz. Wochenschrift <Nr. 36, 1921) den meines Wissens in der Literatur 
einzig dastehenden Fall einer tödlichen Arsenvergiftung, hervorgerufen durch 
Verschlucken einer Arseneinlage aus einem unteren Molaren. Das Opfer der 
Vergiftung war ein Zahnarzt. „Das Krankheitsbild zeigte eine verblüffende 
Ähnlichkeit mit dem der Cholera." Der Exitus trat vier Tage nach der Ver^ 
giftung ein, der Zahnarzt hatte ein kleinerbsengroßes Stück Arsenpaste <Acid. 
arsenic. 3,0, Cocain, muriat. 2,0, Acid. carb. q. s. ut fiat pasta) benutzt, eine 
grobe Fahrlässigkeit, Kunstfehler kann man das schon nicht mehr nennen, die 
er ja leider durch seinen Tod schwer genug büßen mußte. 

Wir Zahnärzte haben allen Grund, Dr. Neugebauer für die eingehende 
Darstellung dieses Falles <die genaue Krankengeschichte will ich hier nicht 
wiederholen) dankbar zu sein. Die arsenige Säure ist nun einmal nicht harm¬ 
los, wenn auch meist aus anderen Gründen <Nekrosen>, und eine Warnung 
zum vorsichtigen Gebrauch derselben kann nicht häufig genug wiederholt 
werden. Dr. Neugebauer knüpft aber an den Fall Betrachtungen und 
Schlußfolgerungen, die auf falschen Voraussetzungen beruhen, die letzten 
Endes einen schweren Vorwurf für die Zahnheilkunde bedeuten. Aus diesem 
Grunde habe ich einen unterdessen erschienenen berichtigenden Aufsatz in 
der Deutschen Medizinischen Wochenschrift veröffentlicht, aus diesem Grunde 
gehe ich auch noch einmal an dieser Stelle auf die Neugebauerschen Schluß^ 
folgerungen ein. 

Neugebauer hat sich die anerkennenswerte Mühe gemacht, festzustellen, 
welche Menge der in Frage kommenden Gifte wohl den Tod des Zahnarztes 
herbeigeführt hat. Da er von dem Zahnarzt erfahren hat, es sei ein kleine 
erbsengroßes Stück Arsenpaste gewesen, so nimmt er an, daß dies die in der 
Zahnheilkunde allgemein übliche Menge zum Abätzen einer Pulpa sei, und 
errechnet folgende Werte: Gewicht der gesamten Paste 6,3 g. Geweicht eines 
kleinerbsengroßen Stüdces derselben 0,24 g, d. h. es können von 6,3 g etw r a 


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240 Dr. med. dent. Bernhard Faulhaber / Fall von Vergiftung mit arseniger Säure 

26 Einlagen gemacht werden. Mithin sind etwa Acid. arsenic. 0,1154, Cocain, 
muriat. 0,075, Acid. carbol. 0,05 in einer Arseneinlage enthalten, d. h. die 
Einzelmaximaldosis ist für die arsenige Säure um das 23 fache, für das Kokain 
um das V* fache überschritten, während nur die Karbolsäure hinter der Ma- 
ximaleinzeldosis um die Hälfte zurückbleibt. Das sind natürlich ganz un¬ 
geheuerliche Zahlen, die Neugebauer stutzig machen mußten. Wie sieht 
es aber in Wirklichkeit aus? Ich meinerseits habe nun 0,24 g Arsenpaste ab¬ 
gewogen und habe die Paste so eingeteilt, wie ich sie in der Praxis bei Mo¬ 
laren anwende. Dabei habe ich 81 Teile erhalten, wohlverstanden für Mo¬ 
laren berechnet. Es erübrigt sich hier, noch weiter rechnerisch nachzuweisen, 
daß bei der lege artis ausgeführten Arseneinlage die Maximaleinzeldosen der 
fraglichen Gifte nicht im entferntesten erreicht werden. Dr. Neugebauer ist 
eben durch die Angaben des unglücklichen Kollegen getäuscht worden, und 
seine „zwingende Folgerung, in jedem Falle choleraähnlicher Erkrankung oder 
schon bei Magen-Darmstörungen im Anschluß an eine Zahnbehandlung, die 
anamnestisch und eventuell durch Nachfrage beim behandelnden Zahnarzt 
leicht genauer zu klären ist, besonders aber bei Lösung von Pastenfullung 
zwecks Wurzelbehandlung an die Möglichkeit einer Vergiftung mit arseniger 
Säure zu denken", ist hinfällig. Sicherlich hat der verstorbene Zahnarzt eine 
derartige Menge der arsenigen Säure zum ersten und einzigen Male bei sich 
selbst angewandt, hätte er es bei seinen Patienten getan, dann wäre er — 
und das mit Recht — mit dem Strafrichter in Konflikt gekommen. 

Leider ist der Artikel Neugebauers auch in die Tagespresse gedrungen, 
ich hatte bereits dreimal Gelegenheit, Patienten durch Aufklärung zu beruhigen. 
Schon aus diesem Grunde ist es erforderlich, daß der Neugebauersche Fall 
in Zahnärztekreisen die weiteste Verbreitung findet. 



Or+EjinalHrom ** 

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BUCHBESPRECHUNGEN 

Syphilis und syphilisähnhdie Erkrankungen des Mundes. Von Ferd. Zinsser. 
Für Arzte, Zahnärzte und Studierende. Zweite durchgesehene Auflage. Mit 51 mehr- 
farbigen und 17 schwarzen Abbildungen auf 44 Tafeln. Verlag von Urban und 
Schwarzenberg, Berlin und Wien 1921. Preis geh. M. 60.—, gebunden M. 90.— 

In dem vorliegenden Werke gibt der Verfasser eine Übersicht über die verschiedenen 
Stadien der Syphilis und weist besonders darauf hin, daß die Übertragung auf die Nach-' 
kommenschaft bei keiner Krankheit eine so große Rolle spielt wie bei der Syphilis, wobei 
es sich nicht um „eine Vererbung" im strengsten Sinn des Wortes handelt, sondern um 
eine Infektion des Foetus, wohl ausschließlich von der syphilitischen Mutter her. Der Er- 
reger der Syphilis ist die von Schaudinn und Hoffmann 1905 gefundene Spirochaeta 
pallida. Verfasser geht dann ein auf die Bedeutung der Wassermannschen Reaktion 
zur Sicherstellung der Diagnose der Syphilis. Im Hauptteil werden dann behandelt : 1. Der 
syphilitische Primäraffekt. 2. Sekundäre Syphilis. 3. Tertiäre Syphilis. 4. Die kongenitale 
Syphilis. 5. Der sekundären Syphilis ähnliche Erkrankungen des Mundes. 6. Der tertiären 
Syphilis ähnliche Erkrankungen des Mundes. 

Der Hauptwert des Buches besteht in den ausgezeichneten 51 mehrfarbigen Tafeln, die 
jedem, der nicht Gelegenheit gehabt hat, am Patienten diese Erkrankungen studieren zu 
können, die Möglichkeit geben, sich die für die Praxis notwendige Kenntnis zur Diagnose 
der Syphilis und syphilisähnlicher Erkrankungen anzueignen. Robert Neumann. 

Lehrbtidt der konservierenden Zahnheilkunde. Von O. Walkhoff. Berlin 1921, 
Hermann Meusser. Gebunden M. 86.— 

Wenn ein Meister der konservierenden Zahnheilkunde die Erfahrungen eines langen 
Lebens in Wissenschaft, Forschung und Praxis in einem Lehrbuch niederlegt, lenkt sich 
der Blick unwillkürlich auf das Werk Blacks, der in Amerika etwa die gleiche Stellung 
einnimmt. Freilich lehrt dieser Blick, daß ein Vergleich kaum möglich ist: schon die Ver¬ 
schiedenheit des äußeren Umfangs zeigt das. Aber sehr lehrreich ist es doch, die Methodik 
zu vergleichen: Der Amerikaner, rein subjektiv, wendet das von ihm für richtig gehaltene 
System auf alle Fälle an, will jede Füllung, jeden Handgriff schematisiert wissen, wieder- 
holt immer wieder die gleichen Lehren, um sie dem Schüler in Fleisch und Blut übergehen 
zu lassen. Der Deutsche ist kritischer/ er läßt vor allem dem Schüler mehr Spielraum für 
eigenes Nachdenken, will ihn öffentlich dazu anregen, selbst weiterzudenken, die ange¬ 
gebenen Methoden auszuwählen. Das beeinflußt die Darstellung und auch die Wahl des 
Stoffes und man könnte aus einem Nebeneinanderstellen einschlägiger Kapitel lehrreiche 
Schlüsse auf deutsche und amerikanische Didaktik ziehen . . . Vor allem will Walkhoffs 
Buch offenbar den Hauptwert auf die praktische Unterweisung am Phantom und am Le¬ 
benden gelegt sehen und daraus ist es zu beurteilen. 

Die kurze Einleitung legt den Unterschied dar, der zwischen den Methoden der all¬ 
gemeinen Medizin und denen der konservierenden Zahnheilkunde besteht: Die anorganische 
Restauration nach physiologischen Grundsätzen angesichts der Unmöglichkeit, einen or¬ 
ganischen Wiederaufbau der harten Zahnsubstanzen zu erreichen. Und demgemäß die 
Notwendigkeit möglichst frühzeitigen Eingreifens, um den Verlust organischen Gewebes 
Vierteljahrsschrift für Zahnheilkunde. Heft 2 16 


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B u ch besprech u n gen 


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auf das Mindestmaß zu beschränken. — Der historische Abriß zeigt, wie die konservierende 
Zahnheilkunde erst von dem Zeitpunkt an Erfolge hatte, in dem sie auf den Wieder¬ 
aufbau der Zähne das Gewicht legte und sich von den Versuchen einer rein medikamen¬ 
tösen Behandlung abwandte. 

Daß ein Mikroskopiker wie Walkhoff eine bei aller Kürze glänzende Darstellung der 
Pathologie der Karies gibt, ist selbstverständlich. Verhältnismäßig viel Raum ist der Pro¬ 
phylaxe gewidmet und erfreulicherweise nicht, wie vielfach, die Bedeutung abnormer Zahn¬ 
stellung nur erwähnt, sondern eingehend auch in der Therapie erörtert. Was für die Rein¬ 
haltung des Gebisses gelehrt wird, insbesondere die Pflege des Milchgebisses und die Be¬ 
tonung der mechanischen Reinigung gegenüber dem Versuch mit untauglichen Mitteln, die 
Mundhöhle chemisch zu sterilisieren, ist heute Allgemeingut der Zahnärzte. Allerdings 
dürfte die wenn auch bedingte Empfehlung des Zusatzes pulverisierter Austernschalen 
zum Zahnpulver nicht allzu viele Anhänger haben. 

Im Kapitel „Instrumentenlehre" habe ich einige Abbildungen von „Typen guter Exka¬ 
vatoren" nicht ohne Erstaunen gesehen: Es sind da Formen empfohlen, die keinen Kontra¬ 
winkel aufweisen und deshalb allgemein als weniger brauchbar gelten. Ebenso scheint 
mir die doppelendige Sonde namentlich für den Anfänger weniger ratsam, der sich bei un¬ 
vermuteten Bewegungen des Patienten leicht damit verletzt. 

Nach den Kapiteln Untersuchung und Reinigung wird die Freilegung approximaler Höhlen 
besprochen. Referent kann sich der generellen Verwerfung der Separatoren nicht ganz an- 
schließen: der allerdings ziemlich kostspielige Satz Perry-Separatoren ist bei richtiger An¬ 
wendung durchaus schonend und erspart Zahnarzt und Patienten manche Sitzung, bei der 
die Kürze der Behandlung für letzteren in keinem Verhältnis zu dem Aufwand an Zeit 
für Weg und Warten steht. 

Unter den Schutzvorrichtungen ist mit Recht der größte Wert auf den Cofferdam ge¬ 
legt, dessen Anlegen bis in alle Einzelheiten beschrieben wird. In dem folgenden Kapitel: 
Die Präparation der kariösen Höhlen, das Referent vielleicht etwas ausführlicher gewünscht 
hätte, setzt Walk ho ff sich mit den Blackschen Theorien auseinander und weist mit Recht 
darauf hin, daß der Verlauf der Schmelzprismen durchaus nicht immer die Abschrägung 
als die günstigste Form des Randes erscheinen läßt, daß der Winkel des Randes zur 
freien Oberfläche vielmehr von Fall zu Fall unter Berücksichtigung des Prismenverlaufs 
bestimmt werden müsse. Theoretisch weist ja allerdings auch Black daraufhin, um aber 
doch praktisch der stets gleichen Abschrägung das Wort zu reden. Es kommt dazu, daß bei 
spröden Füllungsmaterialien, zu denen nicht nur Silikat und Porzellan, sondern auch Amal¬ 
gam zu rechnen sind, die Abschrägung einen relativ dünnen Saum von Füllungsmaterial 
zur Folge hat, das seinerseits ausspringen und den Ausgangspunkt eines Kariesrezidivs 
bilden kann. — Wenn allerdings W. weiterhin sagt, auch bei der Blackschen Präparation 
sei der zervikale Rand der Ausgangspunkt des Rezidivs, wenn er nicht bis an das Liga¬ 
mentum circulare ausgedehnt würde, so erfordert die Gerechtigkeit den Hinweis, daß 
Bl ack diese Ausdehnung verlangt und außerdem immer wieder auf die besonders sorg¬ 
fältige Präparation des zervikalen Randes hinweist. Immerhin muß auch der Anhänger 
Blacks zugeben, daß nicht prophylaktisch ausgedehnte Füllungen Jahrzehnte halten und 
daß auch bei von kundigster Hand gelegten Blackfüllungen Rezidive Vorkommen. Das 
letzte Wort dürfte hier noch nicht gesprochen sein. 

Zur Bekämpfung der Hyperästhesie des Zahnbeins werden eine ganze Reihe von Mit¬ 
teln angeführt, die Injektionsanästhesie, die bei ihrer heutigen Ausbildung wohl als un¬ 
gefährliches und absolut sicheres Mittel angesprochen werden kann, jedoch nicht erwähnt. 

Das Kapitel über die Blattgoldfüllung ist schon aus der „Deutschen Zahnheilkunde", in 
der es als eigenes Heft erschienen ist, großenteils bekannt. Die ausführliche Behandlung 
dieses klassischen Verfahrens wird hoffentlich dazu beitragen, daß es wieder mehr in Auf¬ 
nahme kommt, nachdem es durch Gußfüllungen und Silikat mit Unrecht stark in den Hinter¬ 
grund gedrängt ist. 

Die folgenden Kapitel behandeln die üblichen plastischen Füllungsmaterialien, wobei viel¬ 
leicht die Vorbehandlung der Guttapercha mit Validol, camphorat. Erwähnung verdient 
hätte, die die Verarbeitung sehr erleichtert. Besondere Abschnitte sind den kombinierten 



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Buchbesprechungen 


243 


Füllungen, der Matrize, deren Verwendung Walkhoff ziemlich beschränkt wissen will, 
und dem Bleichen der Zähne gewidmet. Den Schluß des der Behandlung der harten Zahn- 
Substanzen gewidmeten Teils bildet die Besprechung der Guß- und der Porzellanfüllung/ 
der zweite Teil umfaßt die Erkrankungen der Pulpa und ihre Folgezustände. 

Einer eingehenden Darstellung der normalen Anatomie und Histologie folgt die Ein¬ 
teilung der Pulpenkrankheiten, die in erster Linie auf klinischen Symptomen aufgebaut ist, 
während die pathologisch-anatomischen Merkmale erst in zweiter Linie berücksichtigt werden. 
Es ist natürlich nicht Aufgabe einer Besprechung, in dem Streit um die Einteilung der 
Pulpenkrankheiten Stellung zu nehmen. Für die Diagnostik wird größter Wert auf ge¬ 
naue Anamnese gelegt, durch die objektive Untersuchung vereinfacht und u. U. dem Pa¬ 
tienten mancher Schmerz erspart wird. Für die feinere Diagnostik wird neben der einfach 
durchzuführenden Thermometrie mit verschieden temperiertem Wasser, die von Walk hoff 
angegeben ist, auch der Induktionsstrom, die chemische Reibung und die Durchleuchtung 
mit konzentriertem Licht sowie die Röntgenuntersuchung empfohlen. Von antiseptischen 
Mitteln wird in erster Linie das Chlorphenol mit Recht genannt, das wohl die Karbol¬ 
säure fast ganz verdrängt hat. Das zur Wurzelfüllung von Walk hoff so warm emp¬ 
fohlene Jodoform dagegen hat wohl nicht wenige Gegner, die die berüchtigte veilchenblaue 
Verfärbung gesehen haben wollen und auch der Ansicht sind, daß die zur Abspaltung 
von Jod erforderlichen Bedingungen im Wurzelkanal nicht vorhanden sind. 

Die Erkrankungszustände der Pulpa werden der Einteilung folgend im einzelnen be¬ 
sprochen: Die Reizzustände <Reizdentin und Hyperämie), die Entzündungen, wobei nur 
die akuten (partielle und totale) von der chronischen getrennt werden, während die puru¬ 
lente zu den Ausgängen gerechnet wird, neben der Hyperplasie und der Gangrän. Zu 
den regressiven Veränderungen wird neben der Atrophie auch die Dentikelbildung gestellt. 

In bezug auf die Therapie empfiehlt W. bei zufällig freigelegter, nicht entzündeter Pulpa 
den Versuch der Überkappung, obwohl er der Meinung ist, daß sie selten oder nie eine 
neue Dentinschicht bildet. Andere Autoren stehen bekanntlich auf dem Standpunkt, daß 
das einzige Medikament, das auf eine freiliegende Pulpa gebracht werden darf, Arsen ist 
und daß so gut wie immer der Versuch der Konservierung zu einer Pulpitis purulenta 
führt, da wir ein absolut reizloses Mittel nicht besitzen. Audi in den Anfangsstadien der 
Entzündung hält W. die konservierende Behandlung noch für möglich. 

Bei Entfernung der Pulpa läßt W. neben der Exstirpation auch die Amputation zu 
ihrem Recht kommen, allerdings unter streng begrenzter Indikationsstellung. Zur Behänd? 
lung der Gangrän wird an erster Stelle das Chlorphenol angeraten, zur Erweiterung un¬ 
zugänglicher Kanäle die üblichen chemischen Methoden, dagegen die Verwendung des 
Beutelrodcbohrers verworfen. Zur Wurzelfüllung werden die weichbleibenden Pasten vor- 
' geschrieben, speziell die Jodoform-Chlorphenol-Paste. Wenn es auch nicht zu verlangen 
ist, daß ein Lehrbuch die zahllosen Mittel aufführt, die grade auf diesem Gebiet täglich 
neu empfohlen werden, so hätte doch nach Ansicht des Referenten das Paraffin eine ein¬ 
gehendere Besprechung verdient, als die kurze, ihm zuteil gewordene Erwähnung, und 
auch das von vielen Praktikern sehr geschätzte Alb rech tsche Mittel hätte schon seines 
Prinzips wegen verdient, genannt zu werden. 

Ein eigenes Kapitel ist mit Recht den üblen Zufällen und Mißerfolgen der Wurzelbe¬ 
handlung gewidmet, in dem wiederum die Verwendung der Nervkanalbohrer abgelehnt wird. 

Die Wurzelhauterkrankungen werden, ähnlich wie die Pulpenerkrankungen in Reizungen, 
akute (nichtpurulente und purulente) und chemisch geteilt und zu ihrer Behandlung wiederum 
an erster Stelle das Chlorphenol, ev. mit Kupfer, gerühmt. Zur Behandlung der chro¬ 
nischen Entzündung, für die die Wichtigkeit einer Röntgenaufnahme betont wird, rät 
Walkhoff zunächst den Versuch mit Ausspülung des Herdes mittels Chlorphenol¬ 
kampfer — natürlich nach gründlicher Desinfektion des Wurzelkanals — vom Zahn aus 
zu machen, bevor zur blutigen Freilegung des Herdes geschritten wird. Er hält die Er¬ 
folge, wenigstens bei leicht zugänglichen Zähnen, für ebensogute, wie die der Wurzel¬ 
spitzenresektion. 

Walkhoff schließt seine Darstellung mit der Voraussage, daß eine weitgetriebene 
Prophylaxe, die eine frühzeitige Erkennung und Behandlung der Defekte in sich schließt, 

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244 Buchbesprechungen 

die wahre Aufgabe der Zahnheilkunde darsteilen werde, so daß die chirurgischen und 
prothetischen Maßnahmen sich allmählich mehr und mehr erübrigen werden. Wenn 
wir auch heute noch weit entfernt von diesem idealen Ziele sind, so muß doch schon 
jetzt anerkannt werden, daß die Erhaltung der eigenen Zähne die vornehmste Auf* 
gäbe des Zahnarztes geworden ist — nicht zuletzt dank den Forschungen und Lehren 
Walkhoffs. 

Es ist kaum zu erwähnen, daß die Ausstattung des Buches allen Anforderungen ent* 
spricht und auch der Preis nach den heutigen Verhältnissen als mäßig bezeichnet werden 
kann. Knoche, München. 

Über follikuläre Zahnzysten. Von Heinrich Hammer. Mit 24 Abbildungen. Samm¬ 
lung Mcusser, Heft 10, 1920. M. 16. — . 

Der Verfasser gibt zunächst einen kurzen Überblick über die Literatur von Skultetus 
an, der als Erster im Jahre 1654 auf das Vorkommen von Zysten im Bereiche der Kiefer 
aufmerksam gemacht hat, bis zu den neuesten Arbeiten auf diesem Gebiete. Zu den zy¬ 
stischen Neubildungen rechnet der Verfasser auch die Kystome, so daß er unterscheidet: 
1. die radikulären Zysten, 2. die follikulären Zysten, 3. die Kystome. Alle drei Gruppen 
nehmen ihren Ursprung von der epithelialen Zahnleiste. Nach Malassez, Hertwig, 
Brunn entstehen die radikulären Zysten aus den „Debris epitheliaux paradentaires", die 
follikulären Zysten entstehen aus dem Epithel des Follikels und die Kystome aus Resten 
der epithelialen Zahnleiste selbst. Am häufigsten werden Wurzelzysten angetroffen. Ver¬ 
fasser geht dann genauer ein auf die Entstehung, die Ursachen und die klinischen Er¬ 
scheinungen der Follikularzysten. Während Magi tot die Entwicklung der follikulären 
Zysten in direkte Beziehung mit der Zahnanlage bringt, nahmen Albarran und Ma¬ 
lassez hiergegen Stellung, indem sie für die Entstehung der Follikulär- und Wurzel¬ 
zysten die „Debris Epitheliaux paradentaires" als Ursache ansahen. Perthes hat dann 
ebenso wie Part sch sich Magitots Ansicht angeschlossen. Verfasser geht dann an die 
Lösung der Frage, wieweit das Epithel des Zahnsackes am Entstehen der Zyste be¬ 
teiligt ist und wieweit der Zahnkeim selbst. Er geht aus von der Betrachtung des Schick¬ 
sals, das retenierte Zähne im Kiefer erleiden/ und zwar an der Hand von Kranken¬ 
geschichten unter Heranziehung der einschlägigen Literatur, um am Schlüsse des ersten 
Teils seiner Arbeit die Hauptpunkte, die für die Entstehung der Follikularzysten in Be¬ 
tracht kommen, nochmals zusammenzufassen. Im zweiten, dem klinischen Teil finden wir 
interessante statistische Angaben über das Vorkommen der Follikularzysten, über den 
klinischen Verlauf der Zystenbildung, über Diagnose und Differentialdiagnose und über 
die Operation der Follikularzysten. Krankengeschichten und ein reiches Literaturverzeichnis 
bilden den Schluß der Arbeit. Robert Neu mann. 

Geschichte der Zahnheilkunde. Von K. Sudhoff. Ein Leitfaden für den Unterricht 
und für die Forschung. Mit 125 Abbildungen im Text. Verlag von Johann Ambrosius 
Barth. Leipzig 1921. Preis geb. M. 84.—, brosch. M. 75.— 

Im Vorwort des Buches sagt Sudhoff, daß seine Arbeit aus den Vorlesungen, die er 
vor Studierenden der Zahnheilkunde gehalren habe, entstanden sei. Der Stoff ist in drei 
große Abschnitte gegliedert. Im ersten berichtet Verfasser über Frühzeiten und Natur¬ 
völker, Altägypten, Babylonien und Assyrien, über Israel und die Phönizier, Altchina und 
Altamerika. Im zweiten Abschnitt wird die Geschichte der Zahnheilkunde in Altindien, 
Hellas, Altitalien, Rom und Byzanz beschrieben. Die Schilderung der Etruskischen Zahn¬ 
technik und des zahnärztlichen Instrumentarium der Antike ist in diesen Abschnitt mit 
eingereiht. Zahlreiche gute Bilder erläutern das Gesagte. Im dritten Abschnitt geht Ver¬ 
fasser auf die Geschichte der Zahnheilkunde des Islam sowie derjenigen des Abendlandes 
im Mittelalter ein. Im Kapitel Renaissance werden deutsche Zahnbüchlein und Zahn- 
instrumentenkunde im 16. Jahrhundert sowie der „goldene Zahn" des schlesischen Knaben von 
1593 mit erwähnt. Auch hier sind wieder Abbildungen, so z. B. das Titelblatt der „Zeene 
Arznei", „der Zahnreißer" von Lucas von Leiden, Bilder alter Zangen usw. eingefugt. 
Danach folgt ein Kapitel, welches die Zahnheilkunde der Übergangszeit beschreibt und 



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Buchbesprechungen 


245 


schließlich eines über die neuere Zeit, in der Pierre Fauchard einen breiten Raum ein- 
nimmt. Namen und Sachregister sowie ein kurzes griechisches Register bilden den Schluß 
der Arbeit. 

Wenn der Verfasser in seiner Einleitung sagt „Niemand weiß besser als ich selbst, daß 
eine wirkliche Geschichte eines medizinischen Sonderfaches nur der schreiben kann, der 
das Fach selbst in Forschung und Ausübung als mitführender Meister beherrscht", so 
spricht aus diesem Satz eine unnötige Bescheidenheit des Verfassers . . . Sprachliche und 
bildliche Darstellung sind vorzüglich. Das Erscheinen des Buches ist um so mehr zu 
begrüßen, da die Geschichte der Zahnheilkunde von Geist-Jacobi seit längerer Zeit 
vergriffen ist. 

Jeder, der mal Zeit und Muße findet, sich mit der Geschichte seines Faches — und ohne 
Kenntnis derselben wird für Vieles oft das richtige Verständnis fehlen — zu beschäftigen, 
der nehme das Buch zur Hand. Er wird es nur mit voller Befriedigung wieder weglegen. 
Der Preis ist leider verhältnismäßig hoch, wird sich aber bei der guten Ausstattung, welche 
der Verlag dem Buche gegeben hat, kaum niedriger stellen lassen. 

Becker, Greifswald. 

Lehrbuch der Zahnheilkunde. Von Port und Euler. Zweite und dritte Auflage. 
Herausgegeben von Prof. Dr. Euler. Mit 26 teils farbigen Abbildungen. München 
und Wiesbaden. Verlag von J. F. Bergmann 1920. 

Der Autor hat die Neuausgabe des Buches in der Weise durchgeführt, daß die ge¬ 
nannten beiden Abschnitte Anatomie und Physiologie unverändert blieben, während der 
Hauptteil des Buches, die Pathologie, nach dem heutigen Stande der Forschungsergebnisse 
und Erfahrungen ergänzt wurde, ^enn hierbei auch der Grundsatz festgehalten worden 
ist, daß ein tieferes Eingehen auf die Therapie vermieden werden soll, so glaubt der Autor 
doch, gerade bei den Kriegserfahrungen nicht über die Hauptzüge der Behandlung hinweg- 
gehen zu dürfen. Unter diesen Gesichtspunkten ist im Anschluß an das Kapitel Kiefer¬ 
frakturen ein weiterer Unterabschnitt entstanden: Kieferschußverletzungen und ihre Be¬ 
handlung. Ebenso macht es die heutige große Bedeutung der Orthodontie und ihre Fort¬ 
schritte notwendig, daß auch in einem Lehrbuche, wie das vorliegende, die Grundgedanken 
der Behandlung mehr hervorgehoben werden. Aus dem Vorworte zur zweiten Auflage 
entnehmen wir folgendes: Im Vorwort zur ersten Auflage ist gesagt worden, daß wir 
von vornherein alle rein technischen Gebiete nicht berücksichtigen wollten. Hierzu rech¬ 
neten wir nicht nur die eigentliche Zahntechnik, sondern auch die Lehre vom Füllen der 
Zahne und die Zahnextraktionstechnik. Die Art, wie diese Sätze von den Zahntechnikern 
in ihren Fachzeitschriften ausgelegt worden sind, hat mich zu der nach meiner Ansicht 
doch eigentlich selbstverständlichen Erklärung an anderer Stelle veranlaßt, daß Port und 
mir nichts ferner lag als die konservierende Behandlung in das Gebiet der Technik und 
damit in die Zuständigkeit der Techniker zu verweisen, sondern daß wir die Sätze lediglich 
so meinten, daß die Technik der Therapie in dem Lehrbuch unberücksichtigt bleiben sollte. 
Um der entstandenen Mißdeutung jeden Boden zu entziehen, möchte ich diese Erklärung 
hier nochmals ausdrücklich wiederholen. Die Vorzüge des beliebten Buches sind bei der 
Neuauflage die gleichen geblieben. Die klare präzise Ausdrucksweise, die instruktiven Ab¬ 
bildungen stempeln das Buch zu dem, was es sein soll und will, zu einem mustergültigen 
Führer, zu einem vorzüglichen Berater für Studierende und Arzte. Die vorzügliche Aus¬ 
stattung muß besonders betont werden. Zilz, Wien. 

Infektionen der Mundhöhle und Allgemeinerkrankungen. Von Martin H. Fischer, 
Prof, der Physiologie der Universität Cincinnati. Autorisierte Deutsche Ausgabe von 
Dr. med. Ida M. Handovsky. Verlag von Theodor Steinkopff, Dresden und 
Leipzig 1921. 

Die vorliegende Publikation fußt auf dem stenographischen Bericht einer am 29. Januar 1915 
in der zahnärztlichen Gesellschaft von Cincinnati gehaltenen Rede des Autors, die seiner¬ 
zeit im Dental Summary 35, pag. 607 <1915) veröffentlicht wurde. Der Inhalt dieser Arbeit 
soll sich mit den Ausführungen von Frank Billings decken, der unzweideutige Beweise 


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Buchbesprechungen 


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erbracht hat, wonach ein sehr inniger Zusammenhang zwischen gewissen Krankheiten der 
Mundhöhle und Allgemeinerkrankungen besteht. Hauptsächlich handelt es sich um all- 
gemeine schwere Infektionen, die ihren Ausgangspunkt von lokalen Herden in der Mund¬ 
höhle insbesonders von Zähnen nehmen, die anfänglich sehr geringfügig sind, daher auch 
leicht ubersehen werden, aber stets als ruhende Infektionsherde angesehen werden müssen. 
Dieses gewiß sehr wichtige medizinische Problem schneidet Fischer an, in der Hoffnung, 
in dieser Schrift die Lösung desselben bringen zu können. Die Arbeit zerfällt in einige 
Abschnitte, so enthält der zweite Abschnitt „historische Bemerkungen", der dritte be¬ 
schäftigt sich mit der „Bakteriämie und Allgemeininfektion", der vierte Abschnitt gilt 
„der Änderung der Mikroorganismen durch Veränderung ihrer Lebensbedingungen". 
Der fünfte Abschnitt, „allgemein - pathologische Grundlagen", bringt nichts Nennens¬ 
wertes. Es gelangen dann im sechsten und siebenten Abschnitte die „Eingangspforten 
für Allgemeininfektion sowie Erläuterung der Fälle" zur Besprechung. Bis zum Schlu߬ 
passus dieses Abschnittes liest sich die Arbeit wie eine schlechte deutsche Übersetzung 
einer Schulaufgabe, doch beginnt sie von da ab recht interessant <?> zu werden. Aus dem 
achten Abschnitt: „Bemerkungen über einige zahnärztliche Verfahren" zitiere ich einige 
merkwürdige Stellen, will aber vorausschicken, daß sie von einem Autor verfaßt worden 
sind, der keine Ahnung von der Zahnheilkunde hatte. So heißt es auf Seite 32: „Viele 
Zahnärzte ,töten' viel zu rasch ab. Abtöten heißt natürlich nichts anderes als einen Zahn 
seines Lebens berauben. Und doch haben viele Zahnärzte, mit denen ich darüber sprach, 
vom Abtöten der Zähne so geredet, als ob es sich um ein Töten des Nerven handelte. 
In dieser Ansicht liegt aber ein fundamentaler Irrtum. Wenn der Zahnarzt, wie er selbst 
zugibt, den Zahn seiner Nerven beraubt, beraubt er ihn zugleich seiner zentralen er¬ 
nährenden Arterie, was, wenn es nicht reiflich überlegt und mit vollem Bewußtsein der 
Folgen getan wird, nicht weit vom Verbrechen entfernt ist." An anderer Stelle meint der 
Autor: „Warum spreche ich über all diese Dinge so viel? Einfach darum, weil einige 
der gewöhnlichsten zahnärztlichen Prozeduren, wie zum Beispiel das Einsetzen von Gold¬ 
kronen, denselben Schaden anrichten können. Der Tag kommt, glaube ich, sehr bald, an 
dem eine Goldkrone, wie ich sie beschrieben habe, nicht mehr eingesetzt wird. Und wenn 
diese Krone verschwindet, wird manch anderes augenblicklich populäres Stüde zahnärzt¬ 
licher Ingenieurkunst, das solche Kronen auf baut, ebenfalls verschwinden." Auf Seite 38 
lesen wir in dem Aufsatz desselben zahnärztlichen Analphabeten folgende Bemerkung 
über konservative Zahnheilkunde: „Diese Notizen werden es erlaubt erscheinen lassen, 
daß ich auf Wurzelamputationen, Arsenik- oder Formalineinlagen, Wurzelkanalfüllungen 
und ein Dutzend anderer zahnärztlicher Operationen wenig Wert lege. Wurzelamputationen 
schränken die Blutversorgung der übriggebliebenen Zahnteile auf ein Drittel, die Hälfte 
oder ganz ein und lassen die oberen Zahnstrukturen absterben, etwa wie Blumen tun, 
deren Stengel vom Boden abgeschnitten sind. Antiseptische Packungen töten, wenn sie 
Bakterien töten, wahrscheinlich auch das Zahngewebe. Wir haben also bei diesen Be¬ 
handlungen die Wahl zwischen einer Infektion eines lebenden Gewebes und bestenfalls einer 
Nekrose oder Mumifikation. Werden Wurzelkanalfüllungen unsauber ausgeführt oder aus 
unsauberem Material, so sind sie nachgewiesenermaßen zwecklos,- aber sie sind ebenso 
schlecht, wenn sie von einem so bewährten Manne wie Call ah an gemacht werden — es 
sind eben nur Balsamaufträuflungen auf etwas Totes." 

Nachdem er uns gnädig ausschließlich die Extraktion bewilligt, läßt er sich zu folgendem 
Schlüsse herab: „Hier muß einiges zugunsten der althergebrachten oberen und unteren 
künstlichen Gebisse gesagt werden. Sie sind zum Kauen weniger geeignet als die Über¬ 
bleibsel der natürlichen Zähne, aber sie sind sauber. Die früher sehr beliebten Brücken/ 
die an Goldkronen befestigt oder auf die Strukturen aufgesetzt wurden, die man in 
halb tote Wurzelreste einpflockte, gehören alle bereits der Vergangenheit an. Solche 
Strukturen auf halbtote Zähne aufzubauen, heißt das Übel auffordem, sich zu nähern,- 
sie auf lebend Zähne mit Methoden, die deren Tod sichern, aufzubauen, ist aber ein Ver¬ 
brechen." 

Die Arbeit schließt mit folgenden Zeilen: „Die Zahnärzte denken heute wie ihre chirur¬ 
gischen Kollegen zu viel an mechanische und zu wenig an chirurgische Prinzipien. Man 



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Buchbesprechungen - 247 

spricht zu viel von Hämmern upd von Zangen, und zu wenig, scheint mir, über die Frage, 
warum wir leben und sterben." 

Zur Entschuldigung des Autors ist nur der Umstand anzuführen, daß die Übersetzung 
im allgemeinen schlecht, stellenweise sogar ganz unverständlich ist. 

Solche Probleme wird nicht der Physiologe Fischer allein lösen, diese Arbeit bleibt 
der Klinik Vorbehalten, an der Internist, der pathologische Anatom und der Zahnarzt 
Hand in Hand arbeiten. Zilz, Wien. 

Artzney Buchlein wider allerlei Krankheiten und gebrechen der Zzeen / gezogen auß 
dem Galeno Anicenna Mesice Cornelio Celso und andern mehr der Artzney Dok® 
toren / seher nützlich zu lesen. MDXXX. Preis steif brosch. M. 60. ~ 

In den von Proskauer herausgegebenen „Quellen und Beiträgen 2 ur Geschichte der 
Zahnheilkunde", Verlag von Hermann Meusser in Berlin, ist die bekannte „Zene Arznei" 
das älteste Werk über Zahnheilkunde in deutscher Sprache aus dem Jahre 1530 als Faksimile® 
druck mit einer quellen kritischen Untersuchung über die Geschichte dieses ältesten zahn® 
heilkundigen Druckes von Dr. Gustav Budzahn CT> neu erschienen. 

Der Verfasser war Assistent der zahnärztlichen Universitätsklinik und hatte die vor® 
liegende Arbeit als Dissertation zum Dr. med. dent. verwertet, als kurze Zeit darauf den 
von der Klinik auf dem Fahrrad heimwärts Eilenden ein Kraftfuhrwerk von rückwärts 
überrannte. Ihm zum Gedenken hat der bekannte Medizinhistoriker Geh. R. Sudhoff ein 
Vorwort geschrieben, in dem die Bedeutung der Arbeit nach der medikohistorischen Seite 
sowohl als nach der bibliographischen hervorgehoben wird. In der Tat, die Arbeit ist eine 
vortreffliche und enthält mehr als Vorwort und Titel sagen. 

Man muß jede Zeile und jede Anmerkung, deren eine Fülle vorhanden ist, lesen, 
um den vollen Wert der fleißigen und mit phylologischer Fachkenntnis verfaßten Arbeit 
zu erfassen. Wer das tut, wird nicht nur den reizvollen Inhalt der ursprünglichen 
Arbeit schätzen lernen, sondern auch einen Begriff von der Arbeitsweise damaliger Zeiten 
erhalten. 

Nach einer Einleitung über die älteren Angaben der Schrift und deren Wiederauffindung 
beschäftigt sich der Verfasser mit der bisherigen Forschung, um dann den eignen Forschungs® 
plan zu entwickeln. Dieser bezieht sich auf folgende Abschnitte: Die älteste Ausgabe der 
Zene Artzney, die Abfassungszeit, der Verfasser, die Quellen, die Drucke, die Aufnahme 
und Nachwirkung der Zene Artzney. In einem Anhang wird noch ein Verzeichnis der bis 
jetzt bekannten Exemplare des alten Werkes gegeben. 

Es hieße dem Studium dieser schönen und lehrreichen Arbeiten vorgreifen, wollte ich 
noch näher auf den Inhalt eingehen. 

Ein guter Einfall aber war es, diese seltene Schrift als Faksimiledruck zu veröffentlichen. 
Dafür kann man dem rührigen Verlage nicht Dank genug wissen, den man dadurch ab® 
statten kann, daß nun das Buch auch wirklich in größerem Umfange gekauft wird. Es 
eignet sich besonders für Geschenk zwecke, zumal vom Verleger alles getan ist, um eine 
vorkriegsgemäße Ausstattung an Druck und Papier zu liefern. 

Wenn der Verfasser auch auf die kulturelle Bedeutung des Werkes hinweist und auf 
Seite 62 der Meinung Ausdruck gibt, daß es schwer sei zu sagen, ob auch die Zene 
Artzney über die engeren Grenzen Deutschlands hinaus wirkte, was zunächst durch Über® 
Setzungen namentlich in die internationale Schriftsprache, das Latein, hätte geschehen 
müssen, so hat er keine nachweisen können. 

Nun ist es aber äußerst wertvoll zu erfahren, daß dem doch so gewesen ist. Durch 
den holländischen Forscher und Sammler auf zahnärztlich®historischem Gebiet, Dr. Bisse® 
ling im Haag, erhalte ich nämlich die schriftliche Mitteilung, daß ihm eine holländische 
Übersetzung zwar nicht des ganzen Werkes, aber der zwei letzten Kapitel desselben der 
Ausgabe von* 1532 bekannt ist. Man sieht daraus, daß die Bedeutung der Schrift für da® 
malige Zeiten eine sehr große gewesen ist. 

Ich empfehle das Buch dringend zum Studium und zur Anschaffung. Der Preis von 
M. 60. — ist in Anbetracht des Wertstandes unseres Geldes gering. 

Greve, Erlangen. 


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248 Buchbesprechungen 

Prüfungsordnungen für Ärzte und Zahnärzte nebst dem amtlichen Verzeichnis der 
zur Annahme von Medizinalpraktikanten ermächtigten Krankenanstalten des 
Deutschen Reiches. Von Kurt Opitz. Mit einem Geleitwort von Prof. Dr. Dietrich, 
Berlin 1921. Verlag von August Hirschwald. Preis M. 25. — . 

Jedes Buch, welches durch die vielen Prüfungserlasse besonders der während des Krieges 
und später erlassenen Bestimmungen durchführen will, erfüllt seinen Zweck, denn es ist 
besonders für den Studierenden der Medizien und der Zahnheilkunde nicht leicht, sich in 
den Bestimmungen zurecht zu finden, um so mehr als selbst die amtlichen Auskünfte, besonders 
während der Kriegsjahre zu wünschen übrig ließen. Das Buch behandelt übersichtlich in 
knapper Form alles, was der angehende Mediziner oder Zahnarzt über das Studium, Zu* 
lassung zum Studium, Einteilung des Studiums und Prüfungsordnung wissen muß. Audi 
für seine spätere Praktikantentätigkeit bekommt der junge Mediziner alles Notwendige zu 
wissen. Auch die Promotionsbestimmungen werden gebracht, ebenso die Erlangung der 
Approbation als Arzt oder Zahnarzt. Dann enthält das Buch die Bestimmungen für Aus¬ 
länder, sowohl für ausländische Studierende, sowie für die im Ausland approbierten oder 
promovierten Medizinalpersonen, ferner für die Tätigkeit ausländischer Arzte, welche ohne 
deutsche Approbation im Deutschen Reiche praktizieren. Den Schluß bildet der Auszug aus 
der Prüfungsordnung für Kreisärzte vom 9. 11. 1921. 

Das Buch ist allen Studierenden zu empfehlen. Der Preis ist angemessen. 

Reimann, Berlin. 

Die rechtlichen und sittlichen Grundlagen des zahnärztlichen Berufes in ihren 
Beziehungen zur Standesmoral. Von Dr. Ferdinand Baden. Ein Grundriß für Lehrer 
und Studierende der Zahnheilkunde. Mit einem Geleitwort von Zahnarzt Dr. A. Scheele. 
Berlin 1921. Berlinische Verlagsanstalt. Preis M. 6.60. 

Der Verfasser, dessen temperamentvolle Arbeiten in der Zahnärzteschaft bekannt und 
anerkannt sind, macht in der hier vorliegenden neuen Schrift den Versuch, die ethischen 
Grundlagen des zahnärztlichen Standes in ihren vielseitigen Auswirkungen festzulegen. 
Er weist darauf hin, daß in der heutigen Zeit und dem gewaltigen Andrange zum Studium 
der Zahnheilkunde viele diesen Beruf unter anderen Voraussetzungen und Motiven er- 
greifen als die früheren Generationen der Zahnärzte. Daher sei „Einheitlichkeit des 
Auftretens und der Denkweise seiner Mitglieder" zu erstreben, worauf nach der be- 
rechtigten Ansicht des Verfassers ein großer Teil des Erfolges für einen akademischen 
Stand beruht. 

Grundlegend für den Verfasser sind die ärztlichen Standesanschauungen, und mit Recht 
sagt er, daß diese im selben Maße auch für die staatlich geprüften und approbierten Zahn¬ 
ärzte Geltung haben müssen, da eben die Zahnheilkunde ein Spezialfach der Medizin ist, 
wie jedes andere auch. Infolgedessen ist der Verfasser auch zu dem Schlüsse berechtigt, 
daß die Zahnärztekammer dieselben disziplinarische Befugnis haben müsse als die Ärzte¬ 
kammer. 

Aber nicht nur rein ethische Fragen werden vom Verfasser behandelt, sondern auch die 
Beziehungen derselben zur Praxis. In diesem Sinne behandelt er die Rechtsgrundlagen des 
Werkvertrages und Dienstvertrages in ihrer Wirkung auf die zahnärztliche Tätigkeit. Nicht 
ganz den tatsächlichen Verhältnissen Rechnung tragend sind die Ausführungen über das 
Verhalten der Zahnärzte gegenüber den Krankenkassen. Hier steht den berechtigten 
Wünschen des Verfassers die wirtschaftliche Macht der Krankenkassen gegenüber, welche 
bisher sich stärker erwiesen hat als der Wille der Zahnärzte. Bemerkenswert und wohl 
zu beherzigen sind die Ausführungen über die Beziehungen der Zahnärzte zu den Zahn¬ 
technikern. 

Doch nicht nur Kritik übt der Verfasser, er zeigt auch in mehreren Leitsätzen den Weg, 
der zur Höhe führen soll. Man merkt der Arbeit an, daß sie mit dem Herzen geschrieben 
ist, von einem Manne, der das Bestreben hat, seinem Stande zu dienen. Eine weite Ver¬ 
breitung dieser Schrift in der Zahnärzteschaft wäre im Interesse des Standes zu wünschen. 

Reimann, Berlin. 



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Buchbesprechungen 


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Handbuch der zahnärztlichen Rechtskunde, mit Berücksichtigung der gerichtlichen 
und sozialen Zahnheilkunde. Von L. Meier. 472 Seiten. Verlag Karl Mar hold, 
Halle a. S. 1921. Geb.. Preis M. 68.- 

Etwa neun Jahre nach dem Erscheinen des „deutschen Zahnärzterechts'' von Ritter* 
Korn wird uns von Meier ein neues Buch vorgelegt als Zeichen des wachsenden Interesses 
der Zahnärzte für die in das Gebiet ihres Berufes fallenden Rechtsfragen. Daß das Inter* 
esse für diese Materie klein und das Verständnis hierfür gering ist, konnte man leicht 
aus den vielen Anfragen in den zahnärztlichen Zeitschriften nachweisen, welche nicht gerade 
besondere Vertrautheit mit den einfachsten zahnärztlichen Rechtsfragen erkennen lassen. 
Aus diesem Grunde ist das vorliegende Buch zu begrüßen, welches in fleißiger Arbeit die 
ganze Materie behandelt, und Auskunft auch über diejenigen Fragen gibt, welche nach 
dem Erscheinen von Ritter*Korn aufgetreten und daher von diesen Autoren noch nicht 
behandelt sind. Der Verfasser teilt den umfangreichen Stoff der zahnärztlichen Rechtskunde 
sinngemäß in Unterabteilungen und behandelt zuerst das Zivilrecht in ausführlicher Weise, 
darauf das Strafrecht, dann folgt als dritte Abteilung die Besprechung der Körperschädigungen 
durch Gifte, welche für ein juristisches Buch vielleicht etwas zu ausführlich geraten ist. Her* 
vorzuheben ist hier die Giftgesetzgebung, die Arzneimittelverordnung, das Geheimmittel* 
wesen und die Anwendung von Betäubungsmitteln vom Standpunkt der gerichtlichen 
Zahnheilkunde. Der vierte Teil handelt von den zahnärztlichen Sachverständigen, dann 
folgt der gut geschriebene fünfte Teil über die zahnärztliche Standesgerichtsbarkeit. Die 
vorhandene reichhaltige Kasuistik ist geeignet, den vom Verfasser behandelten Stoff dem 
Leser besonders zu veranschaulichen. Damit schließt der eigentliche juristische Teil und 
es folgt die Betrachtung der sozialen Zahnheilkunde. Diese scheint dem Verfasser nicht 
so gut gelungen zu sein als die ersten Teile, welche ihm wohl besser liegen. Schon im 
Vorwort schreibt der Autor irrtümlicherweise von einem Lehrstuhl für soziale Zahnheil* 
künde, welcher an der Berliner Universität errichtet worden sei, während in Wirklichkeit 
vorläufig nur ein Lektorat dafür vorhanden ist. .Wenig umfangreich ist die Schilderung der 
historischen Entwicklung der sozialen Gesetzgebung und besonders ihrer Kausalität. Nicht 
zum Vorteil, besonders für den Abschnitt der sozialen Zahnheilkunde, gereicht dem Buche 
die persönliche Stellungnahme des Verfassers zu einer Anzahl von Fragen, deren Behänd* 
lung trotz aller versuchten Objektivität doch einen politischen Parteistandpunkt erkennen läßt. 
Beispielsweise hätten die Ausführungen über den Machtmißbrauch der Krankenkassen, 
über das Hineintragen der Parteipolitik in die Krankenversicherung im Interesse einer 
voraussetzungslosen Wissenschaft besser fortbleiben sollen, um das Buch auch den Ver* 
Sicherungsträgern zur Anregung und Belehrung in die Hand geben zu können. Ebenso 
einseitig sind die Motive der Kassen bei Gründung von Zahnkliniken beschrieben und 
dürfte dieses alles bei den Kassenvertretern nicht gerade den Gedanken an die Objektivität 
des Verfassers aufkommen lassen. Auch die vom Verfasser gebrachte Kommentierung 
des Betriebsrätegesetzes zeigt ein parteipolitisches Gepräge. Es ist diese .Verquickung von 
Wissenschaft und Parteipolitik bedauerlich im Interesse des mit großer Sachkenntnis ge* 
schriebenen juristischen Teils des Buches und sollte den Verfasser veranlassen, diesen letzten 
Teil einer durchgreifenden Änderung zu unterziehen. 

Den Schluß des Buches bildet gewissermaßen als Anhang zur sozialen Zahnheilkunde 
das von Dr.. Zehle sachverständig, kurz und bündig geschriebene Kapitel über Hygiene, 
Arbeiterschutz und Bekämpfung der Gewerbekrankheiten. 

Druck und Ausstattung des Buches sind gut, der Preis ist angemessen. 

Reimann, Berlin. 

Die Wiederbefestigung lockerer Zähne. Von Dr. Willi Wolff. <Mit 46 Abb.) Berlin, 
Berlinische Verlagsanstalt G. m. b. H. 1920. 

An der Hand seiner reichen Erfahrungen und mit Berücksichtigung der verschiedenen 
Konstruktionen schlägt er folgende Behandlungspläne vor: 

1. Die Frontzähne sind gelockert, die Pulpen infolge hohen Alters des Patienten ver* 
kalkt, die Extraktion der Pulpen mit nachfolgender präziser Wurzelbehandlung also nicht 
durchführbar: Schraubenschiene. 


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250 Buchbesprechungen 

2. Frontzähne stark abgekaut, die Pulpen sind verkalkt, der Biß muß erhöht werden: 
Kronenschiene. 

3. Der Biß kann nicht erhöht werden (Progenität des Unterkiefers, scharfer Aufbiß): 
Inlayschiene mit Wurzelstiften. 

4. Normaler Biß. Der Patient verlangt, daß die Schiene absolut unsichtbar ist (Redner, 
Schauspieler usw->: Plättchenschiene. 

5. Die Zähne divergieren stark. Die Wurzelkanäle sind nicht in parallele Richtung zu 
bringen: Schraubenschiene. 

6. Die Schiene muß schnell angefertigt werden ohne Vorbehandlung der Zähne (be- 
sonders sensible Patienten): Schiene nach Sachs. 

7. Der Biß muß erhöht werden: Kronenschiene (Molaren — Vollkronen, Prämolaren — 
Carmichaelkronen). 

8. Backzähne auf der Kaufläche oder den Approximalflächen defekt: Inlayschiene. 

9. Zähne intakt, der Biß soll nicht erhöht werden: Ringschiene. 

10. Frontzähne gelockert, Backzähne lückenhaft: Brücken und Schienen kombiniert. 

11. Frontzähne gelockert, Backzähne fehlen: Frontschiene und Plattenprothese. 

Welche Konstruktion man auch wähle, immer müssen folgende acht Leitsätze in Betracht 

gezogen werden. 

Acht Leitsätze für die Anlage von Befestigungsschienen 

1. Die Schiene muß die gelockerten Zähne so befestigen, daß diese wieder funktions¬ 
fähig werden. 

2. Die Schiene muß so angelegt sein, daß das Gebiß seine normale Okklusion behält 
und an keiner Stelle eine anormale Belastung durch den Biß erfolgt. 

3. Die Schiene muß an ihren Rändern so genau den Zähnen anschließen, daß sich keine 
Speisereste einklemmen können und keine Karies entstehen kann. 

4. Die Schiene darf an keiner Stelle bis an den Zahnfleischrand heranreichen. Sie muß 
überall die Möglichkeit einer gründlichen Reinigung der Zwischenräume und der Zahn¬ 
fleischtaschen bieten. 

5. Die Schiene darf weder die Pulpen noch das Periost reizen, sie muß so konstruiert 
werden, daß auch später neue kariöse Stellen gefüllt und pulpitische oder periodontische 
Erkrankungen ordnungsgemäß behandelt werden können. 

6. Die Schiene darf die Zähne selbst nicht derartig schwächen, daß diese durch den Kauakt 
abbrechen können. 

7. Die Schiene soll kosmetisch einwandfrei sein und das gute Aussehen der Zahnreihe 
nicht entstellen. 

8. Die Schiene darf beim Sprechen nicht hinderlich sein, sie soll nirgends die Zunge stören 
oder gar verletzen. 

Der Autor hat in dem vorliegenden Leitfaden nur die Systeme herangezogen, die sich 
besonders bewährt haben und deren Herstellung sich ohne besondere Schwierigkeiten durch¬ 
führen läßt. Jeder Praktiker wird auf Grund seiner Erfahrungen noch diese und jene Modi¬ 
fikation herausbilden können. Es ist dem Anfänger aber dringend zu raten, sich erst einmal 
genau an den beschriebenen Herstellungsgang zu halten, bevor er zu Verbesserungen 
schreitet. Dieser Leitfaden soll einen kleinen Teil dazu beitragen, daß die im allgemeinen 
etwas vernachlässigte Lehre von der Wiederbefestigung gelockerter Zähne Allgemeingut 
aller Zahnärzte werden möge. 

In dem sehr verwendbaren Hilfsbuch werden praktische Apparate gut beschrieben. Bei 
der großen Erfahrung des Verfassers auf dem Gebiete kann auch der Geübte manches 
zulernen, der Ungeübte wird in den Stand gesetzt, Mißerfolge zu vermeiden. Dem Buch 
ist zu wünschen, daß es Verbreitung fände. Zilz, Wien. 

Erfüllt das Randolfmetall in der Zahnheilkunde die Forderungen, die an ein 
brauchbares Goldersatzmetall zu stellen sind? Von Dr. Paul Weikart. (Mit 
7 Abbildungen.) Deutsche Zahnheilkunde, Heft 45, Leipzig 1921, Georg Thieme. 

Aus der Schlußbetrachtung des Autors entnehmen wir folgendes: 


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1. Homogenität der Struktur. 

Wie die Analysen ergeben haben, schwankt der Kupfergehalt zwischen 63,3—65,0°^ 
der Zinkgehalt entsprechend 34,2—35,8° 0 . Aus dem Zustandsdiagramm ersehen wir, daß 
das Randolfmetall sich gerade auf der Grenzlinie der homogenen und heterogenen Misch¬ 
kristalle befindet. Die metallographische Untersuchung ergab in den meisten Fällen Hete¬ 
rogenität. Wir werden also im allgemeinen die erste Forderung verneinend beantworten 
müssen. 

2. Genügende chemische Widerstandsfähigkeit. 

Auch diese Forderung wird vom Randolfmetall nicht erfüllt, wie wir aus den Versuchen 
mit Elektrolyten ersehen haben. Das käufliche Messing hat sich darin besser bewährt als 
Randolf und Kosmos. 

3. Ungiftigkeit. 

Was nun die Frage der Schädlichkeit der kupferreichen Legierungen für den Organismus 
betrifft, so ist eine solche ohne weiteres zu bejahen, denn berücksichtigt man die vorstehend 
ausgeführten elektrolytischen Versuche sowohl als die praktischen, so können durch die 
Spültätigkeit des Speichels dem Körper im Laufe der Zeit Mengen einverleibt werden, die 
eine toxische Gefahr immerhin im Bereiche der Möglichkeit erscheinen lassen. Das Ver¬ 
schwinden der Braunfarbung bei längerem Tragen der Randolfprothesen spricht ja deutlich 
genug für seine Löslichkeit, die in ganz beträchtlichem Maße zunehmen wird, wenn der 
Speichel von anormaler Reaktion ist. Wenn auch der Verbraucher des Randolfmctalls sich 
über die scheinbare Konstanz der Farbe der Legierung freut, so ist doch diese Freude nicht 
ungetrübt, denn nach einiger Zeit wird er die Beobachtung machen können, daß die Halt¬ 
barkeit, soweit das Aussehen in Frage kommt, durch Lösungsvorgänge bedingt ist. Auch 
die Literatur weist bereits verschiedene Vergiftungserscheinungen auf, die im Anschluß an 
das Tragen von kupferreichen Prothesen im Munde zurückzuführen sind. Befindet sich nun 
gar die Randolflegierung in der Nähe oder in unmittelbarer Berührung mit Gold, so wird 
durch den elektrolytischen Vorgang des sich betätigenden Elementes die Löslichkeit der 
Legierung noch gesteigert werden. 

4. Leichte Bearbeitungsfahigkeit. 

Diese Forderung wird vollkommen erfüllt. Das Randolfmetall ließ sich zu allen zahn¬ 
technischen Arbeiten leicht verwenden. 

5. Beständigkeit der Farbe. 

Wie schon erwähnt wurde, ist die Haltbarkeit der Farbe beim Randolfmetall durch Lö¬ 
sungsversuche bedingt und nicht auf die Widerstandsfähigkeit der Legierung zurückzuführen. 
Wir müssen daher auch diese Forderung als nicht erfüllt bezeichnen. 

Zusammengefaßt können wir also das Gesamturteil wohl behaupten, daß das Randolf¬ 
metall den Forderungen, die in der Zahnheilkunde an ein brauchbares Goldersatzmetall 
gestellt werden müssen, nicht vollständig genügt. Es dürfte in vielen Fällen sicherlich gün¬ 
stigere Resultate ergeben, wenn bei der Fabrikation auf ein möglichst gleichmäßiges, vor 
allem homogenes Material besonders geachtet wird. Nur so erklären sich die verschiedenen 
Resultate, die mit dieser Legierung erhalten werden. Berücksichtigt man aber, daß die 
Messinglegierung infolge ihres hohen Kupfergehaltes bei jahrelangem Verweilen im Munde 
eine toxische Gefahr niemals ausschließen, so dürfte es geraten erscheinen, diese Legie¬ 
rungen nicht für Dauerprothesen zu verwenden. Ein Goldersatzmetall im wahrsten Sinne 
des Wortes, das also nicht die Goldfarbe ersetzen soll, sondern die große chemische Wider¬ 
standsfähigkeit des Goldes, ist auf der Basis der Kupfer-Zinklegierungen in der vorlie¬ 
genden Zusammensetzung nicht zu erzeugen. Zilz, Wien. 

Über das KosmosmetaH. Von Dr. Bruno Friebe. (Mit 9 Abbildungen und 1 Tafel.) 

Deutsche Zahnheilkunde, Heft 45, Leipzig 1921, Georg Thieme. 

Schon lange herrscht in der Zahnheilkunde der Wunsch, für Prothesenzwecke das teure 
Gold durch eine billigere Legierung zu ersetzen, die, abgesehen von der Farbe, vor allem 
eine große mechanische und chemische Widerstandsfähigkeit aufweisen muß. Daß das Problem 
nicht so einfach zu lösen ist, beweisen die in der Literatur so spärlich vorhandenen wissen¬ 
schaftlichen Arbeiten über diesen Gegenstand. Die Praxis hat gezeigt, daß die verschiedensten 


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Veränderungen an derartigen Legierungen auftreten können. Da eine einwandfreie Lösung 
dieser Fragen durch die praktischen Versuche im Munde allein nicht herbeigeführt werden 
kann, ist es notwendig, die Errungenschaften der Grenzgebiete der Zahnheilkunde den 
Untersuchungszwecken dienstbar zu machen, ohne jedoch den praktischen Versuch ganz 
aüszuschalten. In dieser Arbeit Friebes soll das Goldersatzmetall, das unter dem Namen 
,,Kosmos" im Handel ist, untersucht werden, und zwar soll unter Berücksichtigung des in* 
neren Aufbaues der Legierung ihre Korrosionsfahigkeit vor und nach ihrer Bearbeitung 
festgestellt werden, um schließlich zu einer Bewertung für zahnärztliche Zwecke zu ge¬ 
langen. An der Hand der Laboratoriumsversuche und derjenigen der Praxis kommt der 
Autor zu der Feststellung, daß das Kosmosmetall sich im allgemeinen schlechter verhalten 
hat als das Messing. Wie schon besonders betont wurde, spielt die Art des Elektrolyten 
bei den Vergleichsversuchen keine allzu große Rolle, da ja die Frage in den Vordergrund 
gestellt wurde, ob das Metall einen wirtschaftlichen Fortschritt für die zahnärztliche Technik 
bedeutet oder nicht. Wenn wir auch auf Grund der Versuchsergebnisse mit Recht be¬ 
haupten können, daß das Kosmosmetall im alkalischen Elektrolyten sich weitaus günstiger 
verhält, als in einem saurer Natur, so muß auch hier darauf hingewiesen werden,, daß auch in 
einer alkalischen Lösung das Messing einen geringeren Verlust als das Kosmos aufweist. 
Man würde also das Kosmos nur im neutralen oder alkalischen Speichel verwenden können, 
wenn man die Sicherheit hätte, daß der letztere stets nur diese Reaktion zeigen würde. 
Dies trifft aber nicht zu, denn wie Heer nachgewiesen hat, besitzt auch der mit Lackmus 
alkalisch reagierende Speichel ein Alkalibindungsvermögen, d. h. er hat eine bestimmte 
Wasserstoffionenkonzentration, ist er doch als ein mit Kohlensäure gesättigtes Alkali auf¬ 
zufassen. Berücksichtigt man ferner, daß durch die im Munde sich abspielenden Gärungs¬ 
vorgänge Säuren gebildet werden, deren Existenz zum Teil auch von der Nahrungsauf¬ 
nahme abhängig ist, so sind verschiedene Möglichkeiten gegeben, die die Verwendung des 
Kosmosmetalles in der zahnärztlichen Technik als nicht vorteilhaft erscheinen lassen. Auch 
die praktischen Versuche sprechen dafür, daß das Kosmosmetall nicht die Erwartungen er¬ 
füllt, die man an ein Goldersatzmetall stellen muß. Denn abgesehen von den Verände¬ 
rungen, die durch Berührung mit einem Edelmetall hervorgerufen werden, zeigte auch Kos¬ 
mos allein, ohne daß ein anderes Metall im Munde vorhanden war, bei einem Speichel 
von normaler Reaktion schon nach kurzer Zeit starke Verfärbungen, so daß die Patientin 
auf Entfernung der Krone drang. Auf Grund der Versuchsergebnisse könnte man nun 
geneigt sein, das käufliche Messing, das sich durchschnittlich besser bewährt hat, als Gold¬ 
ersatzmetall in Vorschlag zu bringen. Diesem ist zu widersprechen, da auch diese Legie¬ 
rung doch immerhin eine derartig große Angreifbarkeit zeigt, daß das Messing für den 
Zweck einer Dauerprothese ausgeschaltet werden muß. Immerhin wird dieser Legierung 
in der für vorliegende Versuche verwendeten Zusammensetzung bei provisorischen Arbeiten 
vor Kosmos der Vorzug zu geben sein, doch mag wiederholt werden, daß die Bezeichnung 
für eine große Anzahl Kupfer - Zink - Legierungen gilt, und es daher für den prak¬ 
tischen Versuch nicht gleichgültig sein kann, von welcher Zusammensetzung das Messing 
ist. Das eine kann man wohl auf Grund der angestellten Untersuchung mit 
Recht annehmen, daß das Problem des Goldersatzes auf der Basis der Zink- 
Kupfer-Legierungen nicht zu lösen ist. Zilz, Wien. 

Gußfüllungen für Frontzahne. Von Dr. Paul Wustrow. (Mit 28 Abbildungen.)Deutsche 
Zahnheilkunde, Heft 44, Leipzig 1921, Georg Thieme. 

Die für die Herstellung von Hohlformen für Metalleinlagen zu nennenden Leitsätze sind 
demnach folgende: Es muß verlangt werden: 

1. Parallelität (Divergenz gegen die Höhlenölfnung?) zweier oder mehrerer Wände. Da¬ 
durch ist u. a. die Entfernung der Wachsformen ohne Verzerrung möglich. 

2. Daß die Entfernung der Wachsform (also auch der Gußfüllung) nur nach einer Rich¬ 
tung möglich ist, und diese muß dem die Gußfüllung hauptsächlichst belastenden Kaukraft¬ 
teil entgegengerichtet sein. 

3. Daß der Verankerungsort der Füllung möglichst nahe dem Angriffsort der Kaukraft, 
d. h. möglichst nahe der Zahnoberfläche liegt. 


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4. Daß, wenn eine solche Anlage des Verankerungsortes nicht möglich sein sollte, son¬ 
dern eine Stiftverankerung stattfinden muß, dieser Stift mindestens die Länge der Füllung 
vom Unterstützungspunkt an gerechnet haben muß. 

Die Unterschnitte für eine Gußfüllung sind immer so anzulegen, daß sie dem Zement, 
mit dem die Füllung in ihr Bett gesetzt wird, gestatten, als ein Block vom Innern der 
Gußfüllung zu den Wänden oder in die Wände der Zahnhöhlung zu gehen, und dieser 
Zementbarren muß so liegen, daß er eine möglichst als Keil wirkende Schranke bildet vor 
der einzigen Entfernungsmöglichkeit der Gußfüllung aus ihrer Höhle. Am Schluß dieser 
Arbeit empfiehlt der Autor die Verwendung des Randolfmetalls. Man erzielt befriedigende 
Resultate, einwandfreien Randschluß und nicht die häßliche Farbenwirkung<?> Allerdings 
kommt es hier und da vor, daß die Gußfüllung während der ersten sechs bis acht Wochen 
eine häßliche Farbe zeigt, ja in manchen Mundhöhlen sogar eine bleibende, bis zu voll¬ 
kommenem Schwarz stattfindende Verfärbung durchmacht. Es darf auch nicht unerwähnt 
bleiben, daß hin und wieder in der ersten Zeit nach Legung solcher Füllungen aus Ran- 
dolf- oder Kosmosmetall ein leichter Metallgeschmack festzustellen gewesen ist, der sich aber 
mit der Zeit verloren hat. Auffallend ist die Tatsache, daß sich in manchen Mundhöhlen, 
in denen sich irgendeine Goldarbeit befindet, diese Goldteile schwärzen, während das un¬ 
edle Randolf- oder Kosmosmetall durchaus färben beständig bleibt. Ober die Länge der 
Beständigkeit solcher unedlen Metalleinlagen gegen die Mundsäuren usw. kann natürlich 
nach seinen erst etwa seit drei Jahren gemachten Erfahrungen noch kein abschließendes 
Urteil gefällt werden. Vorläufig erscheinen sie aber ermutigend zur Anwendung dort, wo 
Gold zu teuer sein würde. Zilz, Wien. 

Abgebrochene Instrumente in den Wurzelkanälen. Von Dr. med. dent. Wilhelm Bruy. 

<Mit 7 Abbildungen.) Aus der Universitätszahnklinik Tübingen (Vorstand Prof. Dr. 

Peckert). Deutsche Zahnheilkunde, Heft 48, Leipzig 1921, Georg Thieme. 

Das Abbrechen von Instrumenten in den Wurzelkanälen ist bei Behandlung wurzel- 
kranker Zähne ein nicht gerade seltenes Ereignis. Am häufigsten brechen Nervextraktoren, 
die durch ihre Häkchen besonders hierzu disponiert sind. Doch kommt dies auch bei glatten 
Nadeln und nicht zuletzt bei den Nervkanalbohrern vor. Gewöhnliche Bohrer kommen 
weniger in Betracht, da sie mit Ausnahme der Fissurenbohrer nur zur Erweiterung des 
Kanaleinganges Verwendung finden. Das Abbrechen von Instrumenten ist ein Vorkommnis 
der zahnärztlichen Praxis, dem auch der geschickteste Operateur nicht entgeht, falls er pulpen¬ 
lose Zähne in Behandlung nimmt. Der nächstliegende und am häufigsten gegangene Weg, 
um sie wieder aus dem Kanal 2 u entfernen, ist der der mechanischen Entfernung. Die 
Firma Beutelrock, München, hat nun Instrumente auf den Markt gebracht, die unter dem 
Namen „Beutelrocks Heraushol-Instrumente" laufen. Es sind dies zylinderförmig auf¬ 
gewickelte Drahtspiralen, die maschinell an einem dünnen Schaft befestigt sind. 

Die vielen Mißerfolge, welche die Versuche gezeitigt haben, auf mechanischem Wege ab¬ 
gebrochene Instrumente zu entfernen, führten schon frühe darauf, mit chemischen Mitteln 
die Zerstörung des Stahls im Wurzelkanal anzustreben. Zum Teil sind sie recht harm¬ 
loser Natur, z. B. Kochsalz, Sublimatlösung und Wasserstoffsuperoxyd. Dagegen wurde 
des öfteren Schwefelsäure erwähnt. Die beste Wirkung auf Stahl zeigten das „nicht ganz 
konzentrierte" Jod in Jodkalium und die 50°/ 0 ige Salpetersäure. Auf Grund mehrerer Ver¬ 
suche mit 50°/ o iger Salpetersäure kam der Autor zu folgenden Ergebnissen: 

1. Die Säuren reagieren sehr rasch, so daß schon in wenigen Minuten eine starke Ein¬ 
wirkung auf das Dentin nachgewiesen werden kann. 

2. Eine Erschöpfung der Reaktionsfähigkeit der in den Kanal eingeführten Säure dürfte 
nach ca. 1 / A Stunde eingetreten sein. Nach dieser Zeit hörte wenigstens das Aufsteigen 
von Gasbläschen aus dem Kanäle auf. Je nach Fassungsvermögen des Kanals dürfte dies 
natürlich wieder verschieden sein. 

3. Die chemische Affinität der Säure zu den Kalksalzen des Dentins ist zu stark, als daß 
eine befriedigende Reaktion zwischen Säure und Eisen stattfinden würde. 

4. Die Säure erschöpft sich auch deshalb so rasch zugunsten des Dentins, weil dieses 
eine ungleich größere Angriffsfläche bietet, als das Stückchen Stahl. 


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254 Buchbesprechungen 

5. Die Einwirkung des Mittels tritt gerade dort am spätesten ein, wo sie am nötigsten 
ist, nämlich an dem Punkte, wo Nadel oder Bohrer eingeklemmt sind. 

Der Wert der Säure liegt also im wesentlichen in der Erweiterung der Kanäle. Jod in 
Jodkalium, das zur Zahnsubstanz keinerlei Affinität besitzt, zeitigt in günstigen Fällen 
glänzende Ergebnisse. Man ist imstande, die Nadel gänzlich zu zerstören. 

Außer den Wegen, durch mechanische oder chemische Mittel abgebrochene Instrumente 
aus den Wurzelkanälen zu entfernen, kann noch an die Möglichkeit gedacht werden, dieses 
durch die Anziehungskraft des Magneten zu erreichen. Elektromagnete von hoher Kraft 
werden bereits in der Augenheilkunde zur Extraktion von Eisensplittem aus den Augen 
verwendet. Diese Leistungen der Magneten bleiben hinter den von uns zu fordernden 
zum Teil bedeutend zurück. Der Methode, mittels des Magneten abgebrochene Instrumente 
aus dem Wurzelkanal zu entfernen, kommt bei den hohen Anschaffungskosten der Elektro¬ 
magnete, ihrer beschränkten Zugänglichkeit in Kliniken und ihrer immerhin unbefriedigenden 
Leistungsfähigkeit eine praktische Bedeutung nicht zu. 

E. Schuster gibt uns in der Sektion der Zahnwurzel eine Operationsmethode zur 
Entfernung abgebrochener Instrumente an. Nach Freilegung der Zahnwurzel geht man 
daran, mit einem feinen Rosenbohrer <0000) die Wurzel in der Längsrichtung aufzu¬ 
schneiden, bis man zum Wurzelkanal gelangt, wobei den ganz besonderen topographischen 
Verhältnissen Rechnung zu tragen ist. Hat man das Fenster in richtiger Höhe angelegt, 
so stößt man gleich auf den im Kanal befindlichen Fremdkörper. Mit feinen, etwas ge¬ 
bogenen starren Sonden versucht man, ihn nach Entfernung der Bohrerspäne durch Aus- 
spritzen zu lockern und nach der Pulpakammer hinabzuschieben. 

Der Resektion zu diesem Zweck dürfte die Sektion der Zahnwurzel in den meisten 
Fällen vorzuziehen sein, denn sie bedeutet: 

1. Keine so große Schwächung des Zahnes, da nur ein kleiner, höchstens 1 mm breiter 
Spalt angelegt zu werden braucht, der die Druck- und Zungenfestigkeit des Zahnes, 
wie man leicht bei extrahierten Versuchszähnen feststellen kann, kaum bemerkbar be¬ 
einflußt. 

2. Keine so große Schädigung des Knochens, da das Bruchstück durch den Wurzelkanal 
gegen die Pulpakammer hin entfernt wird. 

Die gut abgefaßte Arbeit ist durchaus für die Bedürfnisse der Praxis berechnet und 
wird auch jedem Praktiker bestens empfohlen. Zilz, Wien. 


Die Verwendung des Clorphenolkampfers bei der Behandlung der granulieren¬ 
den Wurzelhautentzündung und ihrer Ausgänge. Von Hofzahnarzt G. Hein¬ 
rich. Deutsche Zabnheilkunde, Heft 44, Leipzig 1921, Georg Thieme. 

Die obige Behandlung kranker Wurzelspitzen und deren Folgezustände, die der Autor 
in zahllosen Fällen in fast zwei Dezennien ausführte und deren Erfolg er an den meisten 
Patienten selbst noch nach Jahren beobachten konnte, scheint ihm bei weitem den Vorzug 
zu haben vor der Wurzelspitzenresektion. Während bei dieser der Erfolg durchaus nicht 
immer dem Eingriff folgte, und in vielen Fällen der Zahn nach kürzerer oder längerer 
Zeit sogar verlorengegangen ist, sind dort Mißerfolge bei exakter Durchführung der Ein¬ 
griffe fast gänzlich ausgeschlossen. Nicht nur der sofort einsetzende Heilerfolg überrascht, 
sondern auch die spätere Röntgenaufnahme bestätigt das völlige Ausheilen des Abszesses 
und auch die Regeneration des Knochens. Selbst bei schweren Fällen, wo die Zähne be¬ 
reits bedenklich gelockert waren, ist mit der Ausheilung das Festwerden derselben erzielt, 
nach Jahren extrahierte Zähne zeigten an der Wurzelspitze die völlige Regeneration von 
Bindegewebe. Da außerdem die Methode den Vorzug hat, daß ihre Durchführung mit 
einem Instrumentarium erfolgt, das dem Zahnarzt geläufig ist, die für den Patienten be¬ 
unruhigenden Vorbereitungen wie bei der Wurzelspitzenresektion wegfallen, und endlich 
der Erfolg ein sicherer ist, möchte der Autor von neuem für sie eintreten. 

Gegenüber der Wurzelspitzenresektion hat die beschriebene medikamentöse Behandlung 
der granulierenden Wurzelhautentzündung und ihrer Ausgänge mehrfache Vorteile. Zu¬ 
nächst ist ein größerer chirurgischer Eingriff mit allen physischen Eindrücken auf den 



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Buchbesprechungen 255 

Patienten kaum nötig. Die Behandlung bewegt sich in den Bahnen der allgemeinen zahn* 
ärztlichen Behandlung und wird von letzterem nicht stärker empfunden. 

Vor allem aber nimmt man [dem Zahne nicht ein mehr oder minder größeres Stück 
einer Substanz und damit einen Teil, und zwar den wichtigsten Teil seines mechanischen 
Haltes im Kiefer. Unzweifelhaft ist ein Zahn in letzterem fester eingekeilt und bietet den 
mechanischen Einflüssen des Kauaktes einen größeren Widerstand als ein der Wurzel* 
spitze beraubter Zahn. Man sollte deshalb die medikamentöse Behandlung immer zunächst 
darin zu führen versuchen und die Wurzelresektion als ultima ratio ansehen, wenn jene 
wirklich einmal versagen sollte. Aber ebenso sicher steht fest, daß die Wurzelspitzen* 
resektion nunmehr auf einen äußerst geringen Prozentsatz beschränkt werden kann und 
hier die rein konservierende Zahnheilkunde einen neuen großen Fortschritt zu verzeich* 
nen hat. 

Im Nachtrag zu obiger Abhandlung seitens des Prof. Walkhoff, des geistigen Autors 
dieser Behandlungsmethode, bemerkt derselbe, daß er im Verfolg der seit länger als ändert* 
halb Jahrzehnten von ihm ausgeübten Methode konstatierte, daß selbst ursprünglich hasel* 
nußgroße Granulome nach der beschriebenen Behandlung sich zunächst mit Bindegewebe 
und im Laufe der Jahre mit Knochenbälkchen, allerdings in lockerer Form als wie es das 
normale Knochengewebe zeigt, füllten, nachdem meistens schon vorher eine zirkuläre Ver* 
kleinerung des Hohlraumes erfolgt war. Ferner möchte W. dringend davor warnen, die 
Injektion von konzentrierten Phenollösungen sowie von Chlorphenol* oder Phenolkampfer 
in die Gewebe zu machen. Die Injektion dieser Flüssigkeiten soll nur in die Höhle er* 
folgen! Deshalb ist der beste Weg für dieselben der Wurzelkanal und nicht das Zahn* 
fleisch. Ist der Wurzelkanal durchaus nicht durchgängig zu machen und entschließt man 
sich, vom Zahnfleisch aus die Injektion zu machen, so muß besonders durch Röntgenauf* 
nahmen vorher die sorgfältigste Orientierung über die Lage des Hohlraumes erfolgen. Die 
Injektion darf erst erfolgen, wenn man seiner Sache absolut sicher ist, daß man mit der 
Spitze der Nadel im Hohlraum ist. Einspritzungen der Flüssigkeiten in das Gewebe führen 
sonst eventuell zu schweren Verätzungen und umfangreicher Nekrose desselben, denen 
direkte Vergiftungserscheinungen sich anschließen können. Ein Einspritzen des Phenol* 
kampfers in das Gewebe selbst ist also vollständig zwecklos, ja gefährlich, zum mindesten 
ohne jeden Effekt für die beabsichtigte Ausheilung des Granuloms. Wahrscheinlich können 
durch die Anwendung dieser von W. schon vor fünfzehn Jahren festgelegten Prinzipien 
auch größere Zysten mit Erfolg behandelt werden, ohne daß man zu einem scharfen 
Löffel und Messer zu greifen braucht. Zilz, Wien. 

Über den derzeitigen Stand der Behandlung inoperabler Zungenkarzinome. Von 
Dr. med. Fritz Georg Salomon. Sammlung von Abhandlungen aus der Zahnheil* 
künde und ihren Grenzgebieten. Berlinische Verlagsanstalt G. m. b. H., Berlin NW 23, 
Heft Nr. 15. 

Die Ausführungen des Autors haben gezeigt, daß eine Einigung bezüglich der Behänd* 
lung inoperabler Zungenkarzinome zurzeit noch nicht besteht. Fehlen doch in vielen Ar* 
beiten genauere Angaben bezüglich der Dauerresultate. Immerhin läßt sich schon jetzt fol* 
gendes sagen: 

1. Es ist fraglich, ob wir bei ausgedehnten Zungenkarzinomen überhaupt noch die ope* 
rativen Methoden anwenden sollen, zumal die Resultate derselben sehr ungünstige sind. 

2. Sofern wir Gegner der Operation sind, kommt zur Behandlung der inoperablen und 
operablen Zungenkrebse als zur Zeit empfehlenswerteste Methode die Strahlenbehandlung 
und von anderen Verfahren die Elektrokoagulation in Betracht. 

3. Insbesondere kann sich mit der Strahlenbehandlung weder die Totalexstirpation, die 
Behandlung mit Ätzmitteln, mit Tumorextrakten oder sonst eine Methode messen. 

Die Strahlenbehandlung verlängert das Leben des Zungenkrebskranken erheblich. Es 
gelingt in einzelnen Fällen mit Sicherheit, den Kranken in kürzester Zeit von seinen un* 
erträglichen Qualen, von Schmerzen, Jauchung, Blutung, Speichelfluß, Behinderung von 
Kaufunktionen und Sprache zu befreien. Zilz, Wien. 


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256 Buchbesprechungen 

Beiträge und Versuche über die Frage der Entstehung keilförmiger Defekte. 
Von Dr. Rudolf Müller. Deutsche Zahnheilkunde, Heit 44, Leipzig 1921, Georg 
Thiemc. 

Der größte Teil der keilförmigen Defekte entwickelt sich in zehn bis vierzig Jahren, doch 
werden gar nicht so selten keilförmige Defekte in bedeutend kürzerer Zeit, ja in einigen 
Monaten erzeugt. Dementsprechend finden wir auch die keilförmigen Defekte meist im 
späteren Alter, unter dreißig Jahren werden sie verhältnismäßig selten beobachtet. Der 
Autor faßt die Resultate seiner ausführlichen Untersuchungen in folgende Hauptvor¬ 
bedingungen für die Entstehung der keilförmigen Defekte zusammen: 

1. Ein Zurückweichen des Zahnfleisches. 

2. Horizontales Bürsten mit Zahnpulver oder Pasten ev. Benützung von Holzstäbchen 
und Zahnstochern. 

3. Vor allem aber die mangelhafte Verkalkung des Schmelzzementrandes. 

Müller unterscheidet dreierlei Arten der Entstehung der keilförmigen Defekte. 

1. Keilförmige Defekte können durch mechanische Einwirkung allein entstehen, doch setzt 
diese Entstehungsart die Benützung von starken Materialien und deren intensiven Ge¬ 
brauch voraus. 

2. Keilförmige Defekte können dadurch entstehen, daß eine stete leichte Entkalkung durch 
irgendwelche Säure im Munde zur Wirkung kommt (Milchsäure) und eine mechanische 
Einwirkung dieser Entkalkung mindestens die Wage hält. 

3. Keilförmige Defekte können aus beginnender oder leichter Halskaries entstehen, wenn 
eine mechanische Einwirkung zur Geltung kommt, die jedes weitere Fortschreiten der 
Karies nach Entfernung der erweichten Zahnsubstanz hintanhält. Zilz, Wien. 



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ZEITSCHRIFTENSCHAU 

Experimentelle Untersuchungen über die Einwirkung formalinhaltiger Medi¬ 
kamente und der Injektionsanästhesie auf die lebende Pulpa bei ihrer An¬ 
wendung zur Bekämpfung des hypersensiblen Dentins. Aus dem zahnärztlichen 
Universitätsinstitut Zürich, klinische Abteilung: Prof. Dr. med. W. Heß. Von Arthur 
Demi sch. Inaugural-Dissertation der Universität Zürich. 

ln der vorliegenden Arbeit wurde die Einwirkung formalinhaltiger Medikamente <Den- 
tinestol Zbinden und Lillypaste Buddey), und der Injektion, 1,5% Novokain*Adrenalin¬ 
lösung auf die menschliche Pulpa zum Zwecke der Herabsetzung oder völligen Aufhebung 
der Dentinhyperästhesie experimentell nachgeprüft. 

Die Resultate lassen sich wie folgt zusammenfassen: 

1. Die Indukrionsstromuntersuchung der Pulpa ermöglicht die Einwirkung obiger Medi¬ 
kamente auf die Pulpa jederzeit klinisch festzustellen, sei es, daß nur eine Reizung 
der Pulpa besteht, sei es, daß eine Schädigung, die mit dem Tode des Organes ab¬ 
schließt, stattfindet. 

2. Die formalinhaltigen Präparate zeigten bei der Induktionsstromuntersuchung folgende 
Resultate: a> von 22 mit Buckleys Lillypaste 1 behandelten Zähnen zeigten 20% keine 
Reaktion auf stärksten elektrischen Reiz, also Tod der Pulpa/ 16% zeigten nach der 
Behandlung eine veränderte Reaktion der Pulpa gegenüber dem Induktionsstrom im 
Sinne einer Reizung der Pulpa. Die übrigen Zähne zeigten normale Verhältnisse. Es 
bestand nicht in allen Fällen eine vollständige Anästhesie des Dentins, auch waren 
die Einlagen während ihrer Einwirkungszeit mit Schmerzen verbunden, b> von den 
15 mit Zbinden-Dentinestol-Paste 2 behandelten Zähnen zeigten 20% keine Reaktion 
auf stärksten elektrischen Reiz, also Tod der Pulpa/ 20% zeigten eine Reaktion der 
Pulpa. Die übrigen Zähne zeigten normale Verhältnisse, die Einlagen mit Denti- 
nestol waren in 28% schmerzhaft, das nachträgliche Exkavieren des Dentins in 47% 
schmerzhaft. 

3. Die Injektionsanästhesie des Dentins mit 1,5% Novokain-Adrenalin-Lösung mit ter¬ 
minaler und intraossealer Injektion ergab nach der Induktionsstromuntersuchung in 
Übereinstimmung mit den Untersuchungen Scheffs in 25 untersuchten Fällen keine 
Schädigung der Pulpa, so daß diese Methode für die Anästhesierung des Dentins 
Hyperästhesie desselben ohne Schaden für die Pulpa in Anwendung gebracht werden darf. 

1 Es besteht die Buddey-Paste aus Neothesin 11,0—<CH 8 > 2N <C 7 H n > <C 2 H 5 > HCO 
<C 6 H 5 > HCO, das ein weißes Pulver darstellt/ Thymol 12,0—C 6 H 3 <CH*> OH <C 3 H 7 ), 
schlecht löslich, leicht ins Gewebe eindringend und von desinfizierender Wirkung: Trioxy- 
methylen 77,0—<CH*0 3 ), ein Polymerisationsprodukt des Formaldehyds, ein weißes, schwer 
lösliches Pulver, beständig bei Zimmertemperatur, bei Körpertemperatur gibt es langsam 
Formaldehyd ab. 

2 Eine genaue Angabe ihrer Zusammensetzung gibt er nicht. Da aber auch dieses Prä¬ 

parat wohl als einzig wirksamen Bestandteil das Formaldehyd enthält, kann auf die ge¬ 

nauere Angabe der Zusammensetzung der Paste verzichtet werden. 

Yierteljahrsschrift für Zahnhellkunde, Heft 2 17 


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Zeitschriftenschau 


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4 . Die Schädigung der Pulpa durch die formalinhaltigen Medikamente ergab nach den 
histologischen Untersuchungen eine ausgedehnte Nekrose des Pulpagewebes, die mit 
dem endgültigen Tod der Pulpa abschließt. Es sind demnach die formalinhaltigen 
Medikamente der DDr. Z bin den und ßuckley für die Anästhesierung des Dentins 
als ungeeignet zu betrachten. Zilz, Wien. 

Rhodalzid bei Stomatitis mercuriaHs. Aus der dermatologischen Universitätsklinik in 
Freiburg i. B. (Direktor: Prof. G. A. Rost.) Von Dr. med. Alfred Rohrer. Thera¬ 
peutische Halbmonatshefte XXXIV. Jahrgang, 15. April 1920, Heft 8 . 

Der Autor faßt seine Erfahrungen wie folgt zusammen: 

Schlechtes Gebiß und angegriffene Mundschleimhäute sind kein absolut prädisponierendes 
Moment für das Auftreten einer merkuriellen Stomatitis. Das Rhodan ist als Schutzstoff 
gegen merkurielle Stomatitis aufzufassen. Der Angriffspunkt des Rhodans gegen die schäd¬ 
liche Quecksilberwirkung ist zurzeit nicht feststellbar. Eine absolute Gesetzmäßigkeit zwischen 
den im Mundspeichel vorkommenden Rhodanmengen und dem Auftreten einer merkuriellen 
Stomatitis besteht nicht. Rhodalzid ist ein unschädliches, gegen Stomatitis mercurialis sehr 
gut wirkendes Rhodanpräparat. Die zweckmäßigste Verordnung erfolgt am besten sofort 
nach Einsetzen der merkuriellen Stomatitis. Zilz, Wien. 

Die Herkunft der Geschwülste. Von Prof. Dr. Hugo Ribbert in Bonn: Deutsche 
Medizinische Wochenschrift. Nr. 46. 1919. 

Bei allen erblichen Zuständen hängen die Krankheitserscheinungen von Gewebsver¬ 
änderungen ab, die sich auf Grund bestimmter Keimmerkmale während der Entwicklung 
herausgebildet haben und im erwachsenen Organismus vorgefunden werden oder doch voraus¬ 
gesetzt werden müssen. Die Geschwülste im allgemeinen und die Karzinome im besonderen 
entstehen auf Grund von Keimanomalien, die der Menschheit als solcher von Hause an 
anhaften, und sich wie alle anderen Keimeigenschaften erblich übertragen. Die Geschwülste 
bilden sich im allgemeinen „spontan", d. h. nur auf Grund der Keimanomalien und der 
aus ihnen sich ergebenden Entwicklungsstörungen. Wo, wie bei einzelnen Karzinomen, 
Reize eine Rolle spielen, tun sie es nur dadurch, daß sie das Wachstum der Tumoranlage 
auslösen. Man kann daher die Geschwülste nicht auf experimentellem Wege erzeugen, es 
sei denn, daß man mit den chemischen oder sonstigen Einwirkungen gerade eine Stelle 
träfe, an der sich eine Anlage befindet. Zilz, Wien. 

Über das Zylindrom der Zunge. Von Dr. Otto Preuße. Aus der chirurgischen 
Universitätsklinik zu Breslau. Direktor: Geh.-Rat Prof. Dr. Küttner. „Bruns Bei¬ 
träge zur klinischen Chirurgie", Band CXXII, Heft 2 . 

Der Autor berichtet über zwei Zungentumoren, die in ihrem klinischen Verlauf und 
ihrem histologischen Bilde verschieden sich dadurch auszeichnen, daß sie bei alveolärem 
Bau ausgedehnte Hyalinbildung zwischen den Geschwulstzellen zeigen. Nach diesem Be¬ 
funde sind sie den sogenannten Zylindromen einzureihen/ diese sind charakterisiert durch 
das Auftreten von hyalinen Kugeln oder zylindrischen und verzweigten Strängen zwischen 
den Tumorzellen, sie lassen sich an frischen Präparaten isolieren. Der Autor hält diese 
besondere Form der Zylindrome auch für epitheliale Tumoren. Was nun die Entstehung 
des Hyalins anlangt, so ist es wohl zum größten Teil von entartetem Bindegewebe her¬ 
zuleiten, jedoch ist das in den Luminis vorkommende Hyalin nach Ribberts und Lubarschs 
Ansicht zum Teil auch als Sekretions- resp. als Degenerationsprodukt der Epithelien auf¬ 
zufassen. Derartige Zungentumoren sind bisher selten beschrieben worden, so von San- 
tesson, Barth, Lücke, van Kryger, Ewald, Quenu; sie gingen unter verschie¬ 
denen Namen: Endotheliome, Sarcoma plexiforme hyalinum,- Quenu leitet seinen Tumor 
von den Schleimdrüsen der Zunge ab,- Ribbert führt überhaupt alle Zylindrome der 
Mundgegend auf abgesprengte Keime von Schleimdrüsen zurück. Während der Autor 
den ersten Tumor als reines Zylindrom, vielleicht als Epithelioma cylindromatosum be¬ 
zeichnen möchte, handelt es sich im zweiten Falle um ein Carcinoma cylindromatosum; 
der erste ist ein relativ gutartiger Tumor, der Patient ist bis heute rezidivfrei, er machte 


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keine Drüsenmetastasen, der zweite dagegen ist eine maligne Geschwulst mit Neigung zu 
Rezidiv und Weiterverbreitung auf dem Lymphwege. Jedenfalls handelt es sich um zwei 
verschiedenartige Tumoren, beide epithelialer Abkunft, vielleicht sind sie von versprengten 
Schleimdrüsenresten der Zunge abzuleiten. Die Diagnose dieser Geschwülste kann nur 
durch die Probeexzision gesichert werden, wenn auch das verhältnismäßig langsame Wachs» 
tum und die scharfe Abgrenzung gegen die Umgebung klinische Anhaltspunkte für die 
Auffassung geben können, daß es sich um einen gutartigen Tumor wie in dem ersten 
Falle handelt. Die radikale Entfernung weit im Gesunden ist auf jeden Fall indiziert, 
denn auch Tumoren wie der erste neigen erfahrungsgemäß sehr zu lokalen Rezidiven. 

Zilz, Wien. 

Die Bedeutung der Mischinfektion bei der Wunddiphtherie. Von Dr. Ludwig 
Frankenthal. Aus der chirurgischen Universitätsklinik zu Leipzig. Direktor: Geh. 
Med.»Rat Prof. Dr. E. Payr. Zentralblatt für Chirurgie, Nr. 22, 1921. 

An der Hand großen klinischen Materials von ausgedehnten bakteriologischen Unter» 
sudiungen und Tierexperimenten erbrachte der Autor den Nachweis, daß bei der Wund» 
diphtherie der Mischinfektion, insbesondere derjenigen mit Streptokokken, die allergrößte 
Bedeutung zukommt. Die Tatsache, daß die Diphtheriebazillen auf frischen aseptischen 
Wunden überhaupt nicht festzuhalten waren, und daß fast sämtliche Kokkenarten auf 
frischen aseptischen Wunden den Diphtheriebazillus einer unserer virulentesten Fälle in 
relativ kurzer Zeit zu überwuchern imstande waren, bestärkte den Autor in dem Glauben, 
daß der Diphtheriebazillus für seine Ansiedlung erst einer gewissen Vorbereitung des Wund» 
bodens bedarf, daß erst eine gewisse Aufnahmefähigkeit des gesamten Organismus vor» 
handen sein muß, durch die vorausgegangene, meist schwere Wundinfektion und die da» 
durch bedingte Gewebsschädigung. Jedenfalls wirken außer den Streptokokken noch be» 
stimmte Anaerobier virulenzsteigernd auf den Diphtheriebazillus, denn sonst ließe es sich 
gar nicht erklären, warum die Wunddiphtherie in langen Fistelkanälen und tief gelegenen 
Wundhöhlen so außerordentlich schwer zu bekämpfen ist. Mit We inert steht der Autor 
nach wie vor auf dem Standpunkt, daß die Diphtherieinfektion der Wunden durchaus nicht 
leicht zu nehmen und mit allen uns zu Gebote stehenden Mitteln zu bekämpfen ist. Nach» 
dem erkannt wurde, daß die Mischinfektion eine erhebliche Rolle bei der Wunddiphtherie» 
frage spielt, müssen wir auch auf die Bekämpfung derselben (zunächst der Streptokokken» 
infektion und der Anaerobiose) mit allen uns zu Gebote stehenden Mitteln bestehen. 

Zilz, Wien. 

Neueres über den Zusammenhang von Augen^ und Zahnkrankheiten. Von Prof. 
Dr. Adolf Gutmann. Deutsche Medizinische Wochenschrift, Nr. 20, 1921. 

In früherer Zeit nur in der Laienmedizin beachtet, hat der Zusammenhang von Augen» 
krankheiten mit denen der Zähne in den letzten Jahrzehnten auch in der wissenschaftlichen 
Medizin Bedeutung erlangt. Der Autor bringt wiederum einige neue, eigene Beobach¬ 
tungen aus diesem Grenzgebiet. 

a) Isoliertes chronisches ödem der unteren Bindehauthälfte eines Auges, vom linken 
mittleren Schneidezahn ausgehend. 

Eine Erklärung dieses Augenbefundes ergibt sich bei Vergegenwärtigung folgender Tat» 
Sachen. Im Periost der Oberkiefervorderfläche und dem Alveolenperiost ist ein Venenge¬ 
flecht nachgewiesen, das in die Vena facialis anterior mündet. Diese hat größere direkte 
Zweige zu den Ausläufern der Vena ophthalmica superior und inferior. Somit besteht 
eine direkte Venenverbindung auf diesem Umwege von Zahnalveole zur Augenhöhle. Es 
gibt außerdem größere und kleinere Venenäste in der Kieferhöhle von der Vena ophthalmo- 
facialis, welche direkt die untere Orbitalwand durchbohren und mit dem Venengcflecht 
der unteren Augenhöhle in Verbindung stehen. Weiter besteht ein Zusammenhang dos 
Alveolarvenengeflechts mit den Venen des Periostes und der Schleimhaut des Sinus maxil» 
laris. Diese letzteren haben Anastomosen durch die knöcherne Wand der Kieferhöhlen¬ 
vorderfläche mit den Gesichts» und Augenhöhlenvenen. Bei einer Einschmelzung von Al» 
veolensepten und Vorhandensein chronischer Periodontitis können sehr leidit zahlreiche 

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Zeitschriftenschau 


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Venenstämmchen komprimiert, sogar thrombosiert werden und als Fernwirkung am Auge 
isoliertes ödem der unteren Bindehautübergangsfalte hervorrufen. 
b) Dentale Augenwinkelfistel 

Es handelt sich um einen vom Periodont und von der Alveole des zweiten oberen In* 
cisivus links ausgehenden Abszeß der Spongiosa des Processus alveolaris des Oberkiefers, 
der sich subperiostal nach oben, bis nahe an den unteren Augenhöhlenrand fortpflanzte und 
durch die Haut durchgebrochen war, ohne die Kieferhöhle zu beteiligen. Einige Tage nach 
der Extraktion nahm die Rötung und Schwellung der Fistel rasch ab. Die Fistelöffinung 
schloß sich und vernarbte. Das seit über einem Jahr bestehende Leiden ist geheilt, ohne 
rückfällig zu werden. Eine Erklärung dieser seltenen Augenkomplikation ergibt sich aus 
folgendem: Bei einer Anzahl Menschen finden sich anatomisch vorgebildete Knochenkanäl¬ 
chen im Processus alveolaris des Oberkiefers, die von den Zahnalveolen der vordersten 
Schneidezähne durch die knöcherne Substanz des Oberkiefers zum unteren Orbitalrand 
ziehen und die spärliche Spongiosa des Knochens berühren. Sie sind Überreste der Zahn¬ 
keimanlage, die zwischen Milchzahngebiß und unterem Orbitalrand lag. In solchen Fallen 
ist, wie in unserem, die Fortpflanzung eines Alveolarabszesses zum unteren Orbitalrand 
geradezu der Weg geebnet. 
c> Periostitis orbitalis, dental bedingt 

Die fünfundzwanzigjährige K. litt an rechtseitiger chronischer Wangen-Unterlidschwellung 
mit zirkumskripter, druckschmerzhafrer Periostverdickung am inneren unteren Augenhöhlen¬ 
rande. Der Nasenbefiind, Lues und Tuberkulose waren negativ. Bei Betrachtung der 
Mundhöhle zeigte sich eine Goldkrone über dem Rest der scheinbar reizlosen, devitalisierten 
Wurzel des ersten Prämolaren. Der Autor überredete die Patientin, die Wurzel extra¬ 
hieren zu lassen. Diese zeigte starken gangränösen Zerfall und starke periodontitische 
Verdickung nach der Extraktion. Mehrere Tage nach der Extraktion nahm die Wangen¬ 
schwellung ab/ nach weiterer Beobachtungszeit schwand die Druckempfindlichkeit am Augen¬ 
höhlenrande. Nach etwa 14 Tagen war völlige Heilung eingetreten. Es ist somit bewiesen, 
daß scheinbar ausgeheilte devitalisierte Zahnwurzelreste, mit Goldkappe versehen, chro¬ 
nische Periodontitis und Gangrän aufweisen können, deren Sekret infolge des Goldkronen¬ 
verschlusses nicht nach der Mundhöhle abfließen kann. In solchen Fällen ist Keim- oder 
Toxin Verschleppung zum Orbitalrand auf einem der oben geschilderten Venenverbindungs¬ 
wege nach dem Auge möglich, ohne daß direkt per continuitatem Fortpflanzung der Ent¬ 
zündung nachweisbar ist. 

d> Conjunctivitis ekzematosa 

Bei einem achtzehnjährigen jungen Mädchen heilte eine doppelseitige Conjunctivitis 
ekzematosa trotz wochenlanger sorgfältiger Augenbehandlung nicht ab. Die Mundinspek¬ 
tion ergab stark kariöse Zahnwurzelreste der beiden ersten Prämolaren beider Oberkiefer¬ 
hälften. Überraschend schnell heilte nach der Extraktion dieser Wurzeln die Augener¬ 
krankung ab, die vorher jeder Behandlung trotzte. Zilz, Wien. 


Über Kalkpräparate. Von Prof. Dr. H. Kionka, Jena. (Allgemeine Med. Zentral- 
Ztg. 1921, Nr. 35.) 

Dank den wissenschaftlichen Untersuchungen der letzten zwei Jahrzehnte über die Bedeu¬ 
tung des Kalkes können wir ihn als Heilmittel mit voller Überlegung bewerten. Der 
Kalkverbrauch, täglich durchschnittlich 2 g, wird unter normalen Umständen durch die 
Einnahme der Nahrungsmittel gedeckt. Nur in gewissen Fällen, bei unzweckmäßiger Er¬ 
nährung, namentlich während der Schwangerschaft und der Laktation, kann die Kalkbilanz 
negativ werden/ ebenso kann bei gewissen Krankheiten, wie Diabetes und Säurevergiftung/ 
der Kalkverlust so groß werden, daß er durch die gewöhnliche Nahrungszufuhr nicht 
gedeckt wird. 

Die Kalkwirkung ist eine vierfache: Kalk dient als Baumaterial, um die negative 
Bilanz des Stoffwechsels auszugleichen/ er wird vom Organismus vielfach festgelegt, um 
bei Säureüberschüssen, die vergiftend wirken würden, seine entgiftende Kraft zu entfalten, 
er wirkt als Katalysator blutgerinnend und regt die Tätigkeit der Phagozyten an, und 



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Zeitschriftenschau 261 

schließlich dichtet er die Wandung der Blutgefäße so ab, daß eine entzündliche Trans¬ 
sudation aus den Gefäßen aufgehoben oder vermindert wird. 

Kalk muß dem Körper in leicht resorbierbarer Form zugeführt werden. Von den gut 
löslichen Kalksalzen ist Chlorkalzium das geeignetste Präparat/ das kristallisierte 
Salz ist aber leicht zerfließlich und so stark hygroskopisch, daß es auf die Schleimhäute 
eine Reizwirkung ausübt. Die anderen Kalksalze zeigen größere Nachteile. 

Verfasser hat eine Reihe von Kalkpräparaten des Handels auf ihre Eigenschaften nach¬ 
geprüft und ist zu dem Schluß gekommen, daß das Calciril, die Doppelverbindung aus 
einem Molekül Kalziumchlorid und einem Molekül Natriumazetat, ein trodcen bleibendes 
und gut haltbares Pulver darstellt, das sich leicht in Tabletten pressen läßt/ es besitzt die 
Vorzüge des Chlorkalziums, ohne mit ihm dessen unangenehme Eigenschaften der starken 
Zerfiießlichkeit und Wassersüchtigkeit, auf der wohl die Reizwirkung des Chlorkalziums 
beruht, zu teilen. Calciril ist also für therapeutische Zwecke zu empfehlen, da man mit 
ihm resorptive Kalkwirkung erzielen kann, ohne gleichzeitig Verdauungsstörungen befürchten 
zu müssen. 

Über Ursachendiagnose und Behandlungsplan der Trigeminusneuralgie. Von 
E. Payr. <Aus der chirurgischen Universitätsklinik zu Leipzig. Direktor: Dr. Payr.) 
Münchener Medizinische Wochenschrift, Nr. 33, 19. August 1921. 

Wir haben nicht nur akute und chronische, sondern vor allem symptomatische und idio¬ 
pathische, peripher und zentral bedingte Formen der Erkrankung zu scheiden. Von echter 
Neuralgie sprechen wir am besten nur in jenen Fällen, in denen nach Heranziehung aller 
in Betracht kommenden Untersuchungsmethoden eine anatomische, mechanische oder ent- . 
zündliche, oder toxische Ursache nicht gefunden werden kann: sonst gebrauchen wir lieber 
den Ausdruck neuralgieähnlicher Gesichtsschmerz. 

1. Die akute Trigeminusneuralgie ist als Begleiterscheinung von Infektionskrankheiten 
wohl bekannt. 

2. Bei den symptomatischen Formen mit erkennbarer anatomischer Ursache, ob es sich 
um rein mechanische Kompression der Nervenstämme, oder um bakteriell-toxische 
Reizwirkungen aus der Nachbarschaft, oder um die Nerven schädigende chemische 
Produkte handelt, können wir ein akutes und ein chronisches Stadium unterscheiden, 
doch tritt das erstere gegenüber der den Nervenschmerz auslösenden Grundkrankheit 
meist nicht allzusehr in den Vordergrund. Für die viel wichtigeren chronischen Formen 
kennen wir folgende Ursachen: 

a> Erkrankungen der Zähne und Kiefer/ zu diesen gehören vor allem alle ent¬ 
zündlichen Zustände aus dem Gebiete der Zahnpathologie/ fast noch wichtiger 
erscheinen die mechanisch als nervenreizend anzusehenden Veränderungen (reti- 
nierte Zähne und Extostosen) Knochensplitter nach Extraktionen, Aneurysmen 
der A. mandibularis, die Knochenveränderungen des zahnlos gewordenen Unter¬ 
kiefers — Neuralgie der Zahnlosen —■ Kieferzysten und Geschwülste/ 

b) Erkrankungen der Nase und ihrer Nebenhöhlen, ganz besonders der Highmors¬ 
höhle und des Sinus frontalis/ 

c> Fixation und Kompression in Knochennarben bei Basisfraktur, Erkrankungen 
der Schädelknochen/ 

d> Erkrankungen des Ohres und deren Komplikationen im Bereich der mittleren 
Schädelgrube/ 

e> Erkrankungen des Auges/ 

f> Verletzungen und Erkrankungen des Hirnes und seiner Häute. 

3. Bei den idiopathischen Formen ist auf Stoflwechselerkrankungen zu fahnden: Diabetes 
(schlechte Zähne, gewöhnlich III. Ast befallen) und Gicht, ebenso auf Intoxikationen: 
Blei, Alkohol, Nikotin, Quecksilber, Arsen. Die Arteriosklerose steht allem Anschein 
nach in einem allerdings noch nicht genügend geklärten Zusammenhang mit dem Leiden. 
Auf die wichtige Rolle der chronischen Obstipation muß mit größtem Nachdruck ver¬ 
wiesen werden, ebenso auf die sie begünstigenden lokalen Erkrankungen des Mast- 


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Zeitschriftenschau 


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darmcs. Ein Teil der Kranken sind konstitutionell — hereditäre Neuropathen, ge* 
legentlich ausgesprochene Hysteriker. In manchen Fällen sind die neuralgischen 
Schmerzen der Deckmantel für unstillbaren Morphiumhunger. 

Der Autor zählt die Behandlungswege wie folgt auf: 

1. Interne medikamentöse Behandlung mit antineuralgischen und schmerzstillenden Mitteln, 
Pyramidon, Aspirin und Chinin (Malaria) stehen auch hier oben an. 

2. Die Abführkur zu Hause oder durch Gebrauch von Bade- und Trinkkuren in Kis- 
singen, Marienbad, Karlsbad, usw. 

3. Die antiluetische Behandlung gehört streng genommen natürlich zur Therapie der 
symptomatischen Form. 

4. Ein Versuch mit Psychotherapie (Suggestion, Hypnose, Hypno-Narkose Fried- 
1 ander) ist bei Neurotikern mit Gesichtsschmerz von größter Bedeutung. 

5. Die elektrische Behandlung (galvanischer Strom) leistet oft recht Gutes. 

6 . Die einfache Anästhesierung der Nervenstämme in Form der Injektion mit Va P roz - 
Novokain-Adrenalinlösung unter kräftigem Drucke, wenn notwendig mehrmals wieder¬ 
holt, leistet ganz ausgezeichnetes. 

7. Die Röntgentiefenbestrahlung (Wilms) leistet bei chirurgisch, d. h. weder durch Al¬ 
koholeinspritzung noch durch periphere Operation vorbehandelten Fällen ganz Aus¬ 
gezeichnetes und ist deshalb in jedem Falle zu versuchen. 

8 . Die Alkoholinjektionen (80%) 

a) der Trigeminusäste, peripher (I. Ast),- 

b) an der Schädelbasis (II. u. III. Ast), und 

c) des Ganglion Gasseri. Der Eingriff ist auch in der Hand des Wohlerfahrenen 
weder ganz erfolgsicher, noch gefahrfrei. 

9. Die operative Behandlung. 

Die Anregung an die Praktiker und Fachärzte faßt Payr wie folgt zusammen: 

1 . Akute Neuralgien soll man nicht chronisch werden lassen, da die Neigung zu zentri¬ 
petaler Ausbreitung bei peripherem Reize die Heilungsaussichten verschlechtert. 

2. Die symptomatischen Formen sollen durch rasch aufeinanderfolgende Untersuchungen 
aller in Betradit kommenden lokalen und allgemeinen Ursachen als solche festgestellt 
und diesen entsprechend behandelt werden. 

3. Es empfiehlt sich dringend, für jeden Trigeminuspatienten: 

a) ein anatomisches Schema zur genauen Einzeichnung der in den verschiedenen 
Stadien des Leidens schmerzenden Haupt- und Nebenastgebiete anzulegen/ 

b) eine Tabelle über die bisher angewandten Heilverfahren, ihre zeitliche Reihen¬ 
folge, die Dauer ihrer Anwendung, ihre Erfolge anzufertigen. In diesen doppelt 
auszufertigenden Krankheits- und Behandlungsplan teilen sich Patient und Arzt. 

4. Der Kranke selbst ist auf die Notwendigkeit eines weitsichtig erfaßten Heilplanes, 
betreffend die Reihenfolge der Methoden und dessen Begründung, auf die großen Nach¬ 
teile eines sprunghaften Abweichens von diesem mit der Anwendung sich gegenseitig 
unwirksam machender Behandlungsmethoden aufmerksam zu machen. Er ist ebenso 
notwendig, wie die fortdauernde technische Verfeinerung der Methoden für die schweren 
Fälle. 

5. Die sich in die Behandlung teilenden Kollegen mögen sich gegenseitig in diesem Sinne 

weitgehend unterstützen und dadurch die Einhaltung des angegebenen Heilplanes er¬ 
möglichen. Zilz, Wien. 

Vakzinetherapie und Protoplasmaaktivierung in der Zahnheilkunde. Pyorrhoische 
Diathese (Alveolarpyorrhoe). Von Prof. A. Seitz. Aus dem Hygienischen In¬ 
stitut der Universität Leipzig (Geheimrat Kruse). Münchener Medizinische Wochen¬ 
schrift, Heft Nr. 31, 1912, Seite 981. 

Der Autor berichtete in der Deutschen Monatsschrift für Zahnheilkunde (1912, Heft 2) 
über Versuche einer Vakzinetherapie der pyorrhoischen Diathese, eine Bezeichnung, welche 
der einheitlichen Ätiologie der drei Mundaffektionen Gingivitis, Stomatitis, Alveolarpyorrhoe 



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Rechnung trägt. Wie er früher <M. Klinik 1920, Nr. 20) dargetan hat, ist es nicht an- 
gängig, die Alveolarpyorrhoe losgelöst von den übrigen genannten Krankheiten zu be¬ 
trachten. Nicht nur in ihrer Pathologie, auch ätiologisch bilden sie Obergänge, bei denen 
wir verwandte Spirochäten und Abstufungen einer fast identischen Bakterienflora feststellen. 
Das dritte Stadium dieser pyorrhoischen Diathese stellt die Alveolarpyorrhoe strikto sensu 
dar, die sich nun wieder nach der Schwere des Falles graduell einteilen läßt. Kriterien 
hierfür sind die Tiefe der gebildeten Zahnfleischtaschen und die Veränderung des Alveolar- 
fortsatzes im Röntgenbilde. Seitz wählte daher zunächst für die Therapie der pyorr¬ 
hoischen Diathese einen Weg der für die Erzielung einer lokalen Gewebsimmunität am 
geeignetesten erschien, einer Umstimmung der Zellen der befallenen Gewebe des Mundes 
und Kiefers derart, daß sie für das infektiöse Agens unempfindlich werden. Unterhalten 
wird die Eiterung bei der pyorrhoischen Diathese hauptsächlich durch Staphylokokken und 
Streptokokkenarten, sowie Pneumokokken oder ihnen nahestehende Bakterien. Von diesen 
aus den verschiedensten Fällen von Pyorrhoe frisch isolierten Erregern wurden in üblicher 
Weise wässerige Schüttelextrakte hergestellt und diese durch Berkefeldkerze steril filtriert. 
Diese polyvalente Lösung der immunisierenden Stoffe wurde darauf mit konservierendem 
Zusatz von 0,5 o /o Karbol in durchaus haltbare Salbenform gebracht. Die gewählte Salben¬ 
form ließ das Antigen auf das zu immunisierende Gewebe direkt einwirken. An und für 
sich bietet die leicht blutende Schleimhaut des an pyorrhoischer Diathese leidenden Patienten 
eine günstige Resorptionsfläche für die antigen wirkenden Stoffe. Es kam darauf an, die 
Resorption dieser Stoffe zu begünstigen, indem wir den als Vehikel dienenden Salbenkörper 
einen die Schleimhaut leicht mechanisch reizenden Stoff zu setzen. Die Behandlung wurde 
mehrmals pro Woche vorgenommen bei den schweren Fällen, später in größeren Zwischen¬ 
räumen. Den Gewähr für die strikte Befolgung der Vorschrift bietenden Patienten wurde 
auch nach eingehender Unterweisung die Vakzinesalbe mit nach Hause gegeben, zur eigenen 
Fortsetzung der Behandlung. Im Verlaufe der Therapie fand stets eine Kontrolle des 
opsonischen Index statt. Es liegt nunmehr eine Reihe von abgeschlossenen Behandlungen 
vor aus denen einige in der Publikation wiedergegeben sind. 

Die Patienten wurden teils mit abgetötetem Bakterieneiweiß in das Zahnfleisch selbst 
injiziert, später auch subkutan in den Oberarm, endlich wurde der Impfstoff in Salbenform 
gebracht, analog den Bakterienextrakten. Seitz benutzte aus den Patienten herausgezüchtete 
Staphylokokken und verschiedene Streptokokkenstämme, wie auch Streptococcus lacticus, 
tötete Vt Stunde bei 58° ab und versetzte den auf Sterilität geprüften Impfstoff mit Phenol 
in üblicher Konzentration. Seitz faßt seine Erfahrungen wie folgt zusammen. Die pyor- 
rhoische Diathese in ihrer stärksten Form, „der Alveolarpyorrhoe" im engeren Sinne, läßt 
sich durch Proteinkörpertherapie sehr günstig beeinflussen, und, ist der Prozeß nicht zu 
weit vorgeschritten, auch heilen. Die Heilung wird durch eine lokale und allgemeine Er¬ 
höhung der Gewebsresistenz eingeleitet. Diese Protoplasmaaktivierung läßt sich ebensogut 
durch Eiweißkörpersalben erreichen, wie durch Injektionen. Immunstoffe treten häufig, jedoch 
nicht regelmäßig auf, insonderheit scheint die Erhöhung des Agglutinationstiters keiner 
Gesetzmäßigkeit zu unterliegen. Zilz, Wien. 

Plastischer Radiumträger für Radiumbestrahlungen im Munde und plastischer 
Filmhalter für Röntgenaufnahmen des Alveolarfortsatzes. Von G. Perthes 
und O. Jüngling in Tübingen. Zentralblatt für Chirurgie, Nr. 27, 1921. 

Für die Röntgenaufnahmen des Alveolarfortsatzes und der Zähne, die in der Zahn¬ 
heilkunde so wichtig sind und die gelegentlich auch für den Chirurgen Bedeutung gewinnen, 
sind besonders konstruierte Filmhalter im Gebrauch. Vor mehr als 15 Jahren führte Perthes 
um die damals noch komplizierten Konstruktionen dieser Apparate unnötig zu machen, 
in seinem Institut ein Verfahren ein, das an Einfachheit nichts zu wünschen übrig läßt. 
Das in Guttapercha eingewickelte Filmstück wird in einem Kloß aus Stents-Masse auf¬ 
gedrückt, welche vorher durch Einlegen in heißes Wasser in der beim Abdrucknehmen 
geübten Weise plastisch gemacht ist. Der Kloß wird so in den Mund gelegt, daß der 
Film an der gewünschten Stelle, der Innenseite des Alveolarfortsatzes zu liegen kommt. 
Der Patient beißt zu, die Stentsmasse erstarrt beim Abkühlen, und es ist so ein Film- 


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264 


Zeitschriftenschau 


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träger entstanden, der so sicher liegt, wie es nur sein kann. Nun hat im vergangenen 
Jahre Jüngling diese Methode mit gutem Erfolg für Radiumbestrahlungen im Munde 
ausgenutzt. Bei dem Einlegen des Radiumröhrchens, das viele Stunden lang absolut sicher 
an seiner Stelle liegen muß, ergeben sich die gleichen Aufgaben und Schwierigkeiten wie 
bei dem Einlegen des Röntgenfilms. Auch hier ist die Verwendung des plastischen Kloßes 
mit eingedrücktem Radiumröhrchen einfacher, billiger und infolge der exakten Anpassung 
für den Patienten weniger lästig. Die Autoren haben sich deshalb besonders zur Radium¬ 
bestrahlung des Zungenkrebses diese Technik zunutze gemacht. Sie hat hier um so mehr 
befriedigt, als es gerade beim Zungenkrebs darauf ankommt, die Radiumstrahlen nach der 
Kreuzfeuermethode von verschiedenen Richtungen aus durch das erkrankte Organ zu schicken. 
Ohne Schwierigkeit konnte so das Radium bis zu 12 Stunden an Ort und Stelle gehalten 
werden. Gleichzeitig wurde auch die Röntgenbestrahlung von außen hinzugefügt. Wenn 
auch die kombinierte Radium- und Röntgenbestrahlung des Zungenkrebses leider kein sicheres 
Heilmittel darstellt, so sieht man doch zuweilen ganz auffallende Besserungen und selbst 
bis zu 2V, Jahren nachbeobachtete klinisch vollständige Heilungen. Zilz, Wien. 

Über die Schmerzempfindlichkeit der Mundhöhle. Von Prof. H. Marx, Heidelberg. 

Münchener Medizinische Wochenschrift, Nr. 42, 1921. 

Die Veranlassung zu Untersuchungen über die Schmerzempfindung in der Mundhöhle 
gaben klinische Erfahrungen. Einmal war es Marx bei kleinen operativen Eingriffen in 
der Mundhöhle schon seit langem aufgefallen, daß bei einzelnen Patienten offenbar nahezu 
oder selbst vollkommen Schmerzlosigkeit vorhanden war. Nun ist ja Schmerz ein sehr 
relativer Begriff, auch bei Operationen an anderen Stellen des Körpers macht man die 
Erfahrung, daß derselbe Eingriff bei einem nahezu schmerzlos ist, bei anderen dagegen 
zu starken Schmerzäußerungen Veranlassung gibt. Der ganze psychische Zustand des 
Patienten spielt dabei eine große Rolle, die „Empfindlichkeit" ist eben individuell sehr 
verschieden. Bei Eingriffen in die Mundhöhle mußte jedoch auffallen, daß auch bei sehr 
empfindlichen und ängstlichen Patienten manchmal offenbar vollkommene Schmerzlosigkeit 
vorhanden war/ besonders beim Tonsillenschlitzen wurde diese Beobachtung gemacht, ebenso 
bei einfachen Injektionen. In der klinischen Literatur ist über ähnliche Erfahrungen, soviel 
Marx bekannt ist, nichts mitgeteilt. Auch in den physiologischen Lehrbüchern ist die 
Schmerzempfindung in der Mundhöhle meist nicht näher behandelt. Dagegen finden sich 
in der psychologischen Literatur mehrere Arbeiten, die sich eingehend mit der Sensibilität 
der Mundhöhle beschäftigen. Kieso w hat als Erster festgestellt, daß eine Zone vollkommener 
Analgesie bei Vorhandensein der Tat- und Wärmeempfindung beiderseits in der Wangen¬ 
schleimhaut sich findet. Der Autor faßt seine Erfahrungen wie folgt zusammen. In dem 
Munde findet sich in der Schleimheit der Wange stets eine analgetische Zone, außerdem 
finden sich noch bei vielen Menschen mehr oder weniger ausgedehnte, stark hypalgetische 
oder vollkommen analgetische Partien im Bereiche des Gaumens und der Tonsillen. Für 
Kliniker ist die Feststellung insofern von Wert, als bei kleinen operativen Eingriffen in 
der Mundhöhle nach vorhergegangener Schmerzprüfung ev. die Lokalanästhesie erspart 
werden kann. In wissenschaftlicher Beziehung ist, wie Kiesow hervorhebt, der Nachweis 
von analgetischen Zonen bei Vorhandensein der Druck- und Temperaturempfindung eine 
weitere Stütze für die Ansicht, daß die Schmerzempfindung auf spezifische Nervenfasern 
resp. Nervenendapparate zurückzuführen ist. Wir müssen wohl annehmen, daß diese spezi¬ 
fischen Elemente bei allen Menschen an einer bestimmten Stelle der Wangenschleimhaut, 
bei einer größeren Anzahl außerdem noch an anderen Stellen der Mundhöhle fehlen. 

Zilz, Wien. 



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VIERTELJAHRSSCHRIFT 

FÜR 

ZAHNHEILKUNDE 


3 7. 

JAHRGANG 


VERLAG 

HERMANN MEUSSER 
BERLIN 


19 2 1 

H E F T 3 


SCHRIFTLEITUNG: DR. B. FAULHABER, BERLIN W 15, UHLANDSTRASSE 159 

= 1 - ■ = ———+ 


INHALT 

Originalarbeiten 

Seite 

Ad Io ff, P., Königsberg, Die Zweckmäßigkeiten des Gebisses. 

Selektion oder funktionelle Anpassung?.265 

E u 1 e r, H., Göttingen, Metaplasie der Pulpa. Ein abschließender 
Bericht nach einem in Baden-Baden bei der Versammlung Süd- 
west-Deutsch-Schweizerischer Zahnärzte gehaltenen Vortrag .. 303 
Cohn-Stock, Günther, Berlin, Die chirurgische Immediat- 
regulierung der Kiefer, speziell die chirurgische Behandlung 

der Prognathie. % .320 

G r a w i n k e 1, C. J., Hamburg, Die Röhrennietmethode und ihre 
Anwendung bei Reparaturen von abgesprungenen Krampon- 

zähnen.355 

Müller, Franz, Berlin, Die Resorption von Stoffen durch die 


gesunde Mundschleimhaut.364 

Hille, Leipzig, Zur Kenntnis der Alveolarpyorrhoe.367 

Buchbesprechungen. 369 

Zeitschriftenschau.376 

PcrsonalverzeichnisderZahnärztlichenUniversitäts* 
Institute.379 


- - -' 11 "■ — - —- -fr 

Vierteljährlich erscheint 1 Heft. Bezugspreis jährlich für Deutschland, Tschechoslowakei, 
Jugoslavien, Ungarn und die Balkanstaaten M. 120.—/ für das Ausland M. 360.— / Be¬ 
stellungen nehmen alle Buchhandlungen sowie der Verlag Hermann Meusser in Berlin W 57, 

Potsdamer Straße 75, entgegen 


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DIE ZWECKMÄSSIGKEITEN DES GEBISSES. 
SELEKTION ODER FUNKTIONELLE ANPASSUNG? 

VON 

PROF. DR. P. A DL OFF, KÖNIGSBERGS. 

V eranlassung zu den folgenden Ausführungen gibt mir meine mit Aichel 
gehabte Auseinandersetzung über dieses Thema. Insbesondere ent¬ 
halten die letzten im Anatomischen Anzeiger erschienenen Arbeiten des¬ 
selben Gedanken und Betrachtungen, die ich nicht ohne Widerspruch lassen 
möchte. Das Problem, das hier behandelt wird, interessiert nicht allein den 
Zahnforscher, sondern es greift weit hinein in die wichtigsten Fragen der 
Biologie. Daher glaube ich auch, daß es vielleicht nicht unerwünscht ist, auch 
an dieser Stelle eine zusammenhängende Darstellung der zur Diskussion 
stehenden Fragen zu geben. 

Sie ist nicht lediglich eine Zusammenfassung meiner verschiedenen im 
Anatomischen Anzeiger, dem Archiv f. Anatomie und Entwicklungsgeschichte 
erschienenen Abhandlungen, wenn sie auch naturgemäß sich auf diese be¬ 
ziehen muß und auch einige Wiederholungen, soweit sie im Interesse des 
Zusammenhanges notwendig waren, nicht vermieden werden konnten, im 
wesentlichen bildet sie aber eine Ergänzung derselben, indem besonders die 
letzten Aufsätze Aich eis berücksichtigt worden sind. 

Zweckmäßig ist das, was dem Zwecke entspricht, für den es bestimmt ist. 
Da aber mit dem Begriffe der Zwedcmäßigkeit auch die Vorstellung ver¬ 
bunden werden kann, daß dieselbe das Resultat einer bewußten Absicht ist, 
so hat Roux vorgeschlagen, um jedes Mißverständnis zu vermeiden, anstatt 
„zweckmäßig" „dauerfähig" zu sagen. Ich sehe aber keinen Grund ein, die ein¬ 
gebürgerte und prägnante Bezeichnung aufzugeben, lediglich deshalb, weil sie 
auch im teleologischen Sinne gebraucht werden könnte, audi schon deswegen 
nicht, weil die beiden Worte, wenn sie auch einander einschließen, doch nicht 
ganz zusammenfallen. Wenigstens ist die Vorstellung, die man mit dem 
Worte „zweckmäßig" verbindet, meines Erachtens doch eine andere als die, 
die die Bezeichnung „dauerfähig" auslöst. 

Sämtliche Organismen sind in dem eben niedergelegten Sinne zwedemäßig, 
ja wir können sogar weitergehen und behaupten, daß die Entstehung des 

Vierieljahrssdirift für Zahnheilkunde. Heft 3 18 


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266 


P. Adloff 


Lebens überhaupt nur möglich war unter Voraussetzung der Zweckmäßige 
keit. Das gibt ja auch Roux zu, indem er die Zweckmäßigkeit mit „Dauer¬ 
fähigkeit 77 bezeichnet, d. h. daß nur Zweckmäßiges erhalten bleiben kann. 

Die Entstehung der Zweckmäßigkeit in der Natur ist eines der vielen bis* 
her noch ungelösten Probleme der Wissenschaft vom Leben. Es sind im 
wesentlichen zwei Richtungen, von denen aus die Erklärung der Zweck* 
mäßigkeit versucht wird: die mechanistische, die jedes Geschehen nur auf 
physikalisch-chemische Kräfte zurückführen zu können glaubt, und die vita¬ 
listische, die vermutet, daß durch die blinde, mechanistische Kausalität die 
Lebenserscheinungen nicht endgültig zu erklären sind, daß hier noch andere 
Kräfte im Spiele sind, deren Natur verschieden ist, die aber alle das Ge* 
meinsame haben, daß sie an Stelle des Zufalles „zwecktätige Geschehens* 
gründe" annehmen. Eine Entscheidung, welche von beiden Richtungen die 
richtigere oder auch nur die wahrscheinlichere ist, ist bei dem heutigen Stande 
unserer Kenntnisse unmöglich. Nach meiner Überzeugung aber gibt es vieles 
Geschehen, das mechanistisch niemals erklärt werden kann. Dazu gehört 
auch die Zweckmäßigkeit. Ihre Erklärung würde in letzter Linie eine Er¬ 
klärung des Lebens selbst sein. Wenn daher zur Strassen in seiner ge* 
dankenreichen Darstellung der Zweckmäßigkeit in der Kultur der Gegenwart 
den Zufall als die Urform und den Urbeginn jeden zweckmäßigen Geschehens 
bezeichnet, so entkleidet er denselben alles dessen, was gerade sein Wesen 
ausmacht, und wenn er weiter meint: „Reiner Zufall, organisierter Zufall, 
konservierter Zufall, das sind die drei Stufen zweckmäßigen Geschehens 
und sein gesamter Gehalt' 7 , dann stehen wir nur neuen Rätseln gegenüber, 
die uns ebenso unlösbar erscheinen. 

Das Gebiß nimmt unter allen Organsystemen eine ganz besondere Stellung 
ein. Der Schmelz der Zähne ist die härteste Substanz des tierischen Organis¬ 
mus. Sie vollenden ihre Entwicklung im Knochen verborgen und erscheinen 
erst vollkommen gebrauchsfertig in der Mundhöhle, und zwar in einem Zu¬ 
stande, der jede Beeinflussung durch äußere Faktoren auszuschließen scheint. 

Das Gebjß besteht aus einer großen Anzahl zum Teil sehr kompliziert ge¬ 
bauter und bis zu einem gewissen Grade selbständiger Einzelglieder, die in 
ihrer Gesamtheit funktionell ein äußerst zusammengesetztes System darstellen, 
dessen Mechanik selbst im menschlichen Gebiß, das daraufhin aufs genaueste 
untersucht worden ist, bisher noch nicht restlos aufgeklärt ist. 

Schließlich wird das Gebiß normalerweise bei den Säugetieren im indivi¬ 
duellen Leben einmal erneuert. 

Nach seinen Eigenschaften sollte man annehmen, daß das Gebiß seiner 
Form und seiner sonstigen Beschaffenheit nach Veränderungen wenig zu¬ 
gänglich ist. Gerade das Gegenteil ist aber der Fall! Es zeigt eine erstaun¬ 
liche Reaktionsfähigkeit gegenüber den äußeren Einwirkungen der Umwelt. 
Kaum ein anderes Organsystem, sagt Leche mit Recht, ist weniger konservativ 
und gibt gefügiger und vollständiger auch den leisesten äußeren Impulsen 
nach, wie das Gebiß. Das sind Gegensätze, deren Aufklärung zum minde¬ 
sten zu versuchen ist. 


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Die Zweckmäßigkeiten ‘des Gebisses 


267 


Zweckmäßigkeiten können im Gebiß auftreten: in der Entwicklung, in der 
inneren Struktur und in der äußeren Form. Nur die beiden letzten Gruppen 
interessieren uns hier. 

Unsere Aufgabe soll es zunächst sein, an einigen Beispielen festzustellen, 
inwieweit diese Zweckmäßigkeiten Beziehungen zur Funktion erkennen lassen. 
Über eine zweckmäßige innere Struktur wissen wir zwar nicht allzuviel, aber 
das, was bekannt geworden ist, läßt sie wahrscheinlich erscheinen, und ist von 
den Untersuchern auch in dem Sinne gedeutet worden, daß der eigenartige 
Aufbau von Schmelz und Dentin durch die gestaltende Wirkung der Funk* 
tion seine Erklärung findet. 

So hat Grasset bereits 1891 den Schmelz der Nagezähne der Rodentien 
vom mechanischen Standpunkt aus betrachtet und gezeigt, daß der Aufbau 
des Schmelzes, was die Lagerung der Prismen anbetrifft, durchaus den Ge* 
setzen der Statik entspricht, indem auf einen Punkt gerichtete Einwirkungen 
auf die ganze Oberfläche verteilt werden. Er ist der Ansicht, daß diese 
zweckmäßige Verteilung der Schmelzprismen eine Anpassung an die Funktion 
darstellt. 

Später hat dann Gebhardt in einer sehr ausführlichen Arbeit die Zähne 
verschiedener Säugetiere untersucht und ist zu sehr ähnlichen Resultaten ge* 
kommen. Er stellte fest, daß die äußere Form der von ihm untersuchten 
Zähne durchaus nach für den jeweiligen Zweck bestimmten Prinzipien der 
größtmöglichen Festigkeit gebaut sind. Was die Struktur des Dentins an* 
betrifft, so hat er nachgewiesen, daß sich die Druckfestigkeit der Zwischen* 
Substanz und die Zugfestigkeit der leimgebenden Fibrillen zu einem Körper 
von großer, aus den Eigenschaften beider summierten Leistungsfähigkeit,aber 
mit der Notwendigkeit der Anpassung an bestimmteBeanspruchungsrichtungen 
vereinigt. Bei einigen Zähnen (Flußpferd und Elefant) war der feinere Auf* 
bau des Dentins ebenfalls ein vorzügliches Mittel, lokale Insulte auf größere 
Gebiete mit entsprechender Abschwächung zu verteilen, gleichzeitig aber auch 
hochgradige Elastizität zu erzielen. Auch für den Zement wurde in den 
untersuchten Fällen ein höchst komplizierter, durch mechanische Momente be* 
dingter Aufbau vorgefunden. Gebhardt, ein Schüler Roux', hat diese Er* 
gebnisse vom entwicklungsmechanischen Standpunkt aus einer kritischen Be* 
trachtung unterzogen und ist zu dem Schlüsse gekommen, daß der Fibrillen* 
verlauf bei den einfachen Wurzelzähnen wohl aus den Vorgängen beim Wachs* 
tum seine Erklärung finde, wie bereits Kol 1 mann angenommen hatte, daß 
aber z. B. die besondere Struktur des Dentins des Elefantenzahnes durch die 
gestaltende, die Fibrillenanlagerungsrichtung beeinflussende Wirkung bei 
Ausübung ihrer Funktion entstanden sein könne. 

Es wäre sehr erwünscht, wenn diese Untersuchungen an einem weiteren 
Material, insbesondere auch an einer größeren Zahl von Wurzelzähnen fort* 
gesetzt würden, wenngleich wohl kein Zweifel daran sein kann, daß die Re* 
sultate überall dieselben sein werden. 

Bekanntlich unterscheidet sich das Dentin ganz wesentlich vom Knochen, 
insofern als die Bildungszellen außerhalb liegen und nur ihre Fortsätze in 

18 * 


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268 


P. Adloff 


dasselbe hinein erstrecken. Auch enthält es keine Blutgefäße. Daraus resul¬ 
tiert scheinbar ein erheblicher Nachteil gegenüber dem Knochen, indem das 
Zahnbein der Fähigkeit der primären Regeneration entbehrt. Dennoch ist 
auch diese Eigenschaft eine ausgezeichnet zweckmäßige Anpassung an die 
Funktion. Zähne ausKnochen würden ganz unbrauchbar sein. Die Regeneration 
würde infolge der fortwährenden Abnutzung ja niemals zur Geltung kommen 
können. So entstand Zahnbein und Schmelz zwar ohne die Möglichkeit eines 
direkten Wiederersatzes, aber von solcher Festigkeit, daß eine sofortige 
Regeneration nicht notwendig war. Da aber durch den Gebrauch dennoch 
eine allmähliche Zerstörung der Zähne eintreten kann, so mußte die ständige 
Gebrauchsfähigkeit auf andere Weise sichergestellt werden. Das ist auf zwei 
Wegen geschehen. Erstens, indem die Zähne im Laufe des individuellen 
Lebens bei niederen Wirbeltieren mehrfach, bei Säugetieren zweimal ent¬ 
stehen. Es ist dieses der sogenannte Zahnwechsel. Zweitens, indem die Zähne 
bei letzteren zeitlebens oder doch eine längere Zeit des Lebens fortwährend 
wachsen in der Weise, daß der an der Krone durch den Kauakt abgenutzte 
Teil durch Wachstum aus dem Grunde der Alveole ersetzt wird. Gewiß ist 
auch dieses beides eine Art von Regeneration, aber nicht in dem direkten, 
unmittelbaren Sinne, insofern als nicht der verlorengegangene Teil wieder¬ 
ersetzt wird, sondern das ganze Organ, das eine Mal von vornherein voll¬ 
ständig, das andere Mal allmählich erneuert wird. 

Über die Phylogenie des Zahnwechsels der Säugetiere herrscht im all¬ 
gemeinen die übereinstimmende Auffassung, daß derselbe ein Erbteil niederer 
Vorfahren ist und daß die Anzahl der Dentitionen sich verringerte, je 
widerstandsfähiger die Zähne wurden. 

Was die wurzellosen, immerwachsenden Zähne anbetrifft, so hatte Baume 
seinerzeit die Ansicht vertreten, daß sie die phylogenetisch älteren wären und 
daß aus ihnen erst die Wurzelzähne entstanden seien. Gegen diese Auffassung 
spricht vor allem die Tatsache, daß wurzellose Zähne unabhängig vonein¬ 
ander in fast allen Ordnungen Vorkommen. Sie finden sich also überall da, 
wo sie gebraucht werden, entweder weil die Abnutzung so groß ist, daß 
Wurzelzähne sehr bald gebrauchsunfähig werden würden, oder weil die 
Zähne eine über das gewöhnliche Maß hinausgehende Größe erreichen. Es 
finden sich auch alle Grade Übergänge von Wurzel- zu immerwachsenden 
Zähnen, so daß die Annahme begründet erscheint, daß letztere die phylo¬ 
genetisch ältere Form darstellen. Hieraus wäre dann die interessante Fol¬ 
gerung zu ziehen, daß Einrichtungen, die im Laufe der Stammesgeschichte 
verlorengegangen sind, wenn sie wieder notwendig werden, nicht in der¬ 
selben, sondern in anderer Form wiedererscheinen, denn im Grunde genom¬ 
men entsprechen die immerwachsenden Zähne ihrem Zwecke nach den mehr¬ 
fachen Dentitionen niederer Wirbeltiere. Es ist nur ein anderer Weg, um 
schnell unbrauchbar gewordene Zähne stets gebrauchsfähig zu erhalten. Es muß 
aber hinzugefügt werden, daß dieser Modus doch eine Verbesserung darstellt, 
indem durch die Kombination des sich schneller abnutzenden Kronenzementes 
mit dem harten Schmelz eine besonders leistungsfähige Kaufläche erzielt wird. 


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Oxjginalftom - -^P***** 

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Die Zweckmäßigkeiten des Gebisses 


269 


Eine besondere Stellung nehmen noch die Nagezähne ein, die durch die 
schräg verlaufende Abnutzung scharf und gebrauchsfähig erhalten werden. 
Gebhardt hat daher auch die Folgen der Abnutzung als eine Art funk- 
tioneller Gestaltung betrachtet. Das trifft bei immerwachsenden Zähnen auch 
zu, bei Wurzelzähnen aber nur bis zu einem gewissen Grade. Darüber hin- 
aus wird durch die Abnutzung der funktionelle Wert des Gebisses herab- 
gemindert bis zur völligen Unbrauchbarkeit. 

Wenn wir nun die Zähne der Säugetiere bezüglich ihrer äußeren Gestaltung 
durchmustern, so finden wir entsprechend der verschiedenen Nahrungs- und 
Lebensweise und entsprechend dem Abschnitte, dem der einzelne Zahn im 
Rahmen des betreffenden Gebisses angehört, eine Fülle von Formen in 
vollendeter Anpassung an die Aufgabe, für die sie bestimmt sind. 

Die Schneidezähne dienen zum Ergreifen und Festhalten der Nahrung, 
die Prämolaren, insbesondere aber die Molaren zum Zermalmen, während 
die Eckzähne bei vielen Tieren eine gewaltige und gefürchtete Waffe dar- 
stellen. Darüber hinaus aber gewähren die Zahnformen der verschiedenen 
Säugetierordnungen ein äußerst mannigfaltiges Bild von der außerordent- 
liehen Zweckmäßigkeit und der überraschenden Anpassung an die verschieb 
denen Funktionen, zu denen nicht allein die Nahrungsbewältigung gehört. 
Nur einige wenige eklatante Beispiele sollen hier angeführt werden. 

Da fällt zunächst ins Auge der prinzipielle Unterschied zwischen dem 
karnivoren und dem herbivoren Gebißtypus. Bei dem ersteren imponieren 
die mächtigen Eckzähne, die schmalen, mehrspitzigen Backen- und Mahlzähne, 
die von vornherein für die Aufgabe des Zupackens und Zerreißens bestimmt 
zu sein scheinen. Aus den verhältnismäßig kleinen Prämolaren und Molaren 
ragen die sogenannten Reißzähne hervor, die, an der Stelle der größten Kraft¬ 
leistung stehend, im Oberkiefer durch den letzten Prämolaren, im Unterkiefer 
durch den ersten Molaren repräsentiert werden. Der Name dieser Zähne 
ist aber falsch gewählt, denn sie werden nicht, wie jeder Hund lehrt, zum 
Zerreißen, sondern zum Zermalmen der Knochen benutzt. 

Das herbivore Gebiß ist charakterisiert durch dicht aneinanderschließende 
Prämolaren und Molaren von gleicher Form, aber ungleicher Größe, die be¬ 
sonders befähigt erscheinen, auf ihren breiten, mit Hügeln und Tälern ver¬ 
sehenen Kauflächen Pflanzennahrung zu zerreiben und zu zermahlen. Dabei 
ist harte und weiche Pflanzennahrung wohl zu unterscheiden. Letztere stellt 
keine so hohe Anforderung an die Widerstandsfähigkeit des Gebisses. Da¬ 
her sind die Zähne niedrig mit einem verhältnismäßig einfachen Relief der 
Kaufläche. Im Gegensatz hierzu sind sie im ersteren Falle hoch, während 
die Kaufläche durch das Auftreten von Nebenhöckern, Pfeilern, Kronen¬ 
zement und Schmelzfalren ein sehr kompliziertes Aussehen gewinnen kann. 
Dabei schließen sich die Wurzeln sehr spät, so daß ein Übergang zu den 
permanent wachsenden Zähnen vorhanden ist. So kann aus der Gestaltung 
der Zähne auf die Art der Pflanzennahrung geschlossen werden. Allerdings 
hat Aichel darauf hingewiesen, daß gerade bei den Huftieren Ausnahmen 
von dieser Regel zu bestehen scheinen. Er macht z. B. auf die Bisonten auf- 


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270 


P. Adloff 


merksam, die rezent und diluvial in Wäldern und Steppen Vorkommen. Die 
Steppen* und Waldformen zeigen wohl morphologische Unterschiede, jedoch 
nicht solche im Gebiß, das für harte Grasnahrung geeignet erscheint, also 
auf Steppenformen hinweist. Darauf ist zu erwidern, daß in diesem Falle 
wohl die Waldformen aus Steppenformen hervorgegangen sein dürften. Da 
aber das Gebiß der letzteren weiter spezialisiert ist, also auch für weichere 
Nahrung durchaus geeignet ist — umgekehrt wäre das natürlich nicht der 
Fall gewesen — so würde zunächst eine Vereinfachung noch nicht einge* 
treten sein. 

Und was die Esel und Halbes el anbetrifft, die heute ausgesprochene Steppen* 
und Wüstentiere sind, deren Zähne aber keine Schmelzfältelung zeigen, so 
wissen wir über die Flora und die sonstigen äußeren Bedingungen, unter 
denen ihre Vorfahren gelebt haben, noch viel zu wenig, um derartigen ver* 
einzelten, scheinbaren Ausnahmen eine größere Bedeutung zuzumessen. 

Zwischen dem karnivoren und herbivoren Gebiß steht der omnivore Typus. 
Er ist dadurch charakterisiert, daß alle Merkmale einer einseitigen Speziali* 
sierung fehlen. Es fehlen einerseits die Reißzähne der Karnivoren, anderer* 
seits die komplizierten Formen der Herbivoren. Die Molaren sind Höcker* 
zähne von einfachem Bau. 

Eine ganz besonders weitgehende Anpassung stellt durch Ausbildung stark 
verlängerter und immerwachsender Schneidezähne, von denen jederseits nur 
einer vorhanden ist, das Nagergebiß dar. Die Nagezähne sind meißelförmig 
zugeschärft, und durch sagittale Verschiebung des Unterkiefers kommt die 
nagende Kaubewegung zustande, mit deren Hilfe die Tiere der härtesten 
Pflanzennahrung Herr werden. 

Auch bei anderen Formen kommen nagezahnähnliche Schneidezähne vor, 
finden jeaoch hier eine andere Verwendung. 

Nach diesem kurzen Überblick über die wichtigsten Gebißtypen, in welche 
fast alle anderen Formen einzureihen sind, sollen die einzelnen Zähne einer 
weiteren Betrachtung unterzogen werden. Von allen Zähnen sind die Schneide* 
zähne bisher am wenigsten beachtet worden, weil sie anscheinend zu wenig 
charakteristische Merkmale besitzen, um ähnlich weittragende Schlüsse aus 
ihrer Gestaltung zu ziehen, wie es für die Back* und Mahlzähne geschehen 
ist. Erst Bolk hat sich neuerdings eingehender mit ihnen beschäftigt, indem 
er sie zum Gegenstand seiner weittragenden Spekulationen über das Gebiß 
der Primaten machte und die bei noch nicht in Gebrauch genommenen Zähnen 
vorhandenen drei Zäckchen als die drei Spitzen des ursprünglichen trikono* 
donten Reptilienzahnes erklärte. 

Die Bezeichnung „Schneidezähne" ist funktionell nicht ganz zutreffend, 
und nur verständlich von der Benutzung dieser Zähne beim Menschen mit 
seiner verfeinerten Ernährungsweise. In Wirklichkeit wirken sie als Zangen 
und dienen mehr zum Abreißen resp. zum Zerreißen. 

Von diesem Standpunkt aus finden auch die drei Zäckchen ihre natürliche 
Erklärung, indem sie ein besseres Festhalten ermöglichen. Dasselbe Prinzip 
wenden wir bei unseren Werkzeugen in weitestem Umfange an. Diese Ein* 


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O-Figii tHr;m - " J 

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Die Zweckmäßigkeiten des Gebisses 


271 


richtung ist besonders wertvoll für die Zeit gleich nach dem Durchbruch der 
Zähne, wenn noch keine genaue Artikulation vorhanden ist. Später schleifen 
sich die Zähne des Ober- und Unterkiefers durch den Gebrauch gewisser- 
maßen gegenseitig ein, so daß dann ein besonderes Hilfsmittel nicht mehr 
notwendig ist. Ich habe schon an anderer Stelle darauf hingewiesen, daß 
diese Zähnelung allgemein verbreitet ist, daß sie nicht allein bei den Säuger 
deren vorkommt und wohl überall denselben Zwecken dient. 

Als zweckmäßige Einrichtung darf wohl auch das sogenannte Tuberculum 
linguale der Schneidezähne gelten, das morphologisch dem lingualen Höcker 
der Prämolaren entspricht. Die Schneidezähne dienen vielfach nicht allein 
zum Abreißen, sondern sie beteiligen sich auch in anderer Weise an der 
Zerkleinerung der Nahrung. Indem sich das Tuberculum an der Stelle vor- 
findet, wo die unteren Schneidezähne beim Schlußbiß die oberen berühren, 
dient es denselben als Widerlager, gewissermaßen als Amboß. Seine mehr 
oder weniger starke Entwicklung hängt ab von seiner Beanspruchung. So ist 
es bei den anthropoiden Alfen sehr stark entwickelt, und Selenka teilt mit, 
daß dieselben Früchte gegen die linguale Fläche der oberen Schneidezähne 
pressen und auf diese Weise zerdrücken. Sehr starke Tubercula, und zwar 
sowohl auf den mittleren als auch auf den seitlichen Schneidezähnen, hat auch 
der diluviale Mensch besessen, während sie beim heutigen Menschen nur mehr 
oder minder rudimentär Vorkommen. 

Wenn wir von den Nagezähnen absehen, haben die Schneidezähne ent¬ 
sprechend ihrer Funktion, die überall die gleiche ist, wenn auch die Art der 
Nahrung eine verschiedene ist, dieselbe Form. Modifikationen, die zu er- 
heblichen Abänderungen führen, kommen nur dann vor, wenn sie auch zu 
anderen Zwecken gebraucht werden. Einige wenige Beispiele mögen hier 
erwähnt werden. 

Die unteren Schneidezähne von Hippotamus ragen Stangen förmig schräg 
nach vom. Sie dienen wahrscheinlich als eine Art von Brechstangen, mit 
deren Hilfe das Tier runde Stamm- und Wurzelgebilde unterwühlt und 
herausreißt. Gebhardt hat diese Zähne genau untersucht und festgestellt, 
daß sie sowohl ihrem äußeren Bau als auch ihrer inneren Struktur nach ganz 
hervorragend für diesen Zweck geeignet erscheinen. 

Die unteren mittleren Schneidezähne des Insektivoren Galeopithecus sind 
kammförmig und bestehen aus 7 bis 12 Zinken. Sie entsprechen prinzipiell 
den auch sonst beobachteten Zäckchen und dürften wie diese im Dienste der 
Nahrungsaufnahme stehen, doch ist ihre wahre Funktion unbekannt. 

Die Schneidezähne des Halbaffen, Chiromys, sind nagerartig entwickelt. Sie 
werden aber zum Beißen von Löchern in harte Fruchtschalen, zum Abbeißen 
der Rinde beim Insektenfang, zum Zerbeißen des Rohres, um das Mark zu 
gewinnen, verwendet. Dabei hilft: der lange, dünne Mittelfinger, von welchem 
das Tier den Namen hat, mit. 

Eine ganz besonders weitgehende Spezialisierung haben die Schneidezähne 
des Elefanten erfahren. Sie gehören zu den sogenannten sekundären Ge¬ 
schlechtsmerkmalen und kommen daher nur den männlichen Tieren zu. Diese 


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272 P. Adloff 

Stoßzähne, die bei dem rezenten Elefanten bis zu 3 m lang werden können, 
dienen aber nicht allein als Waffe, sondern werden zu den verschiedensten 
Aufgaben benutzt. Gebhardt hat auch diese Zähne vom mechanischen 
Standpunkt aus einer eingehenden Untersuchung unterzogen und gelangt zu 
dem Schlüsse, daß nach ihrem äußeren und inneren Bau folgender Gebrauch 
in Frage kommt: als Hebel beim Aufheben und Umwälzen schwerer Lasten, 
als Widerlager beim Umbiegen und Abbrechen von Baumstümpfen und Asten/ 
als Stoßwerkzeuge und Grabinstrumente beim Wühlen und endlich als Keile 
beim Bilden und Auseinanderdrängen von Spalten in zu zerstörenden Gegen** 
ständen, um dem mächtigen Rüssel einen Angriffspunkt zu schaffen. Daß die 
Zähne auch als Waffe dienen, ist sicher/ diese Verwendung ist aber wohl 
nur von untergeordneter Bedeutung. So sind die Zähne beim Mammut so 
stark gekrümmt, daß sie kaum mehr als Waffe haben benutzt werden können, 
ja beim Kolumbusmammut aus dem Pleistozän Nordamerikas sind die riesigen 
Zähne so stark nach einwärts gekrümmt, daß sie sich mit ihren Enden kreuzen. 

Die Form der Eckzähne entspricht ebenfalls ihrer Funktion. Es sind die- 
jenigen Zähne, die in erster Linie als Waffe Verwendung finden und dem 
Gebiß der Raubtiere ihr besonderes Gepräge geben. In vielen Ordnungen 
fehlen sie aber ganz oder sind so indifferent gebaut, daß ihre Natur als 
Eckzähne zweifelhaft werden kann. In diesen Fällen ist auch ihre Funktion 
denen der Schneidezähne gleich. 

Da wo sie aber eine Waffe darstellen und die Aufgabe haben, die Beute 
oder den Feind schnell kampfunfähig zu machen und festzuhalten, ist ihre 
Krone mehr oder weniger kegelförmig, die Spitze meist ziemlich scharf. 
Als besondere Anpassungserscheinung finden wir Einrichtungen, die ein 
leichtes Eindringen und schnelles Herausziehen der Zähne aus der Wunde er* 
möglichen. Sie entsprechen ebenfalls durchaus den Vorrichtungen, die auch 
wir bei unseren Instrumenten und Waffen in Anwendung bringen, und be¬ 
stehen in Schneiden, die das Einschlagen in das Opfer wesentlich erleichtern, 
gleichzeitig aber auch die Wunde vergrößern. Bekanntlich kommen große Eck¬ 
zähne nicht allein den Karnivoren zu, sondern vielfach auch anderen Formen, 
wenn auch nur dem männlichen Geschlecht. Auch die Primaten besitzen 
solche Zähne, die bei den großen Anthropoiden eine außerordentlich gefähr¬ 
liche Waffe darstellen. Bolk hat in seiner Ontogenie der Primatenzähne diese 
Leisten und Rinnen ebenfalls festgestellt. Er gibt denselben aber eine ganz 
andere Deutung, indem er hier gewissermaßen die Nahtstelle zu sehen glaubt, 
in welcher zwei hintereinander liegende Reptilienzähne miteinander ver¬ 
schmolzen sind. Man sieht, wie gefährlich es ist, Merkmale phylogenetisch zu 
erklären, ohne ihrer biologischen Bedeutung Beachtung zu schenken. 

Auch die Eckzähne können eine weitere einseitige Ausbildung erfahren. 
Hierher gehören bereits die oberen Eckzähne der Schweinearten, die beim 
Männchen nach außen und aufwärts gebogen als gefährliche Waffe gefürchtet 
sind. Eine ganz besondere Stellung nimmt der Hirscheber ein, dessen obere 
Hauer außer Kontakt mit den unteren kommen und nach oben wachsend die 
Haut der Oberlippe durchbohren und sich dann krümmen. In welcher Weise 


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Die Zweckmäßigkeiten des Gebisses 


273 


diese merkwürdig gekrümmten Zähne gebraucht werden, ist unbekannt. Man 
hat gefabelt, daß er sich damit an niedere Äste hänge, teils um seinen Kopf 
zu stützen, teils um sich gemächlich hin und her zu schaukeln. Vielleicht ist 
auch in dieser Fabel, wie öfters, doch ein wahrer Kern, wenigstens erklärt 
Zell die seltsame Bildung neuerdings damit, daß das Tier als Fruchtfresser 
mit seinen hakenartigen Hauern die Zweige schüttelt. 

Unter den Karnivoren ist noch das Walroß <Trichechus) zu erwähnen, 
dessen obere Eckzähne große Stoßzähne geworden sind, die dazu dienen 
sollen, den Seeboden aufzuwühlen, um Muscheln zu fischen, welche ihre 
Hauptnahrung ausmachen sollen. Andererseits wird auch angegeben, daß 
das große, schwerfällige Tier die Zähne als Stützen benutzt, um mit ihrer 
Hilfe auf das Eis zu gelangen. 

Ganz besonders ragt aber der fossile Machairodus hervor, dessen Gebiß 
sich durch eine so exzessive Entwicklung der oberen Eckzähne auszeichnet, 
daß der Unterkiefer beim Gebrauch dieser furchtbaren Waffe in vertikale 
Position gebracht werden mußte und es dunkel ist, wie die Tiere unter diesen 
Verhältnissen sich ernähren konnten. 

Eine merkwürdige Erscheinung ist auch das Gebiß des Narwal, der nur 
auf der linken Seite einen Zahn besitzt, der seiner Lage nach einem Eck- 
zahn entspricht. Derselbe ragt horizontal hervor, ist spiralig gedreht und 
erreicht über 2 m Länge, somit die Hälfte der Körperlänge. Selten kommt 
auch, wenigstens rudimentär, der zweite zur Entwicklung,* meist bleibt er im 
Zahnfleisch verborgen, was beim Weibchen die Regel ist. Weitere Zähne 
treten nur rudimentär auf und fallen bald aus. Seiner Funktion nach wird 
der Zahn als Waffe beim Kampf um den Besitz des Weibchens betrachtet, 
wenigstens scheint dieses aus zahlreichen Verletzungen hervorzugehen, die 
an Narwalzähnen beobachtet sind. 

Was nun die Prämolaren und Molaren anbetrifft, so sind die letzteren 
vor allem diejenigen Zähne, die den Typus des Gebisses am reinsten reprä- 
sentieren, indem sie in erster Linie bei Verarbeitung der Nahrung tätig sind 
und in ihrem Bau eindeutige Beziehungen zu ihrer Funktion aufweisen. 

Weniger trifft dieses für die Prämolaren, insbesondere die vorderen zu, 
die teils gewissermaßen im Schatten des Eckzahns stehen, teils einer Region 
des Gebisses angehören, die funktionell nicht voll in Anspruch genommen 
ist, so daß sie entweder klein und von indifferenter Gestalt bleiben oder 
auch ganz ausfallen können. 

Erst die hinteren Prämolaren gelangen in die Gegend der größten Kraft¬ 
wirkung der Kiefer und nehmen dementsprechend an Größe zu. In einem 
Referat beanstandet Sicher die Auffassung, daß die ersten Prämolaren rudi¬ 
mentär werden, weil der Eckzahn das Bildungsmaterial an sich reißt. Ich 
finde gegen diese Annahme nichts einzuwenden, sie entspricht nur dem, was 
auch sonst festgestellt werden kann. Ein Organ vergrößert sich auf Kosten 
eines anderen, wenn dieses funktionell wertlos geworden ist. Und es trifft 
für die vorderen Prämolaren stets zu, sobald der Eckzahn eine erhebliche 
Größe erreicht. Wir kommen auf diese Tatsache noch später zurück. 


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P. Adloff 


Des Unterschiedes zwischen Prämolaren und Molaren bei Karnivoren und 
Herbivoren ist schon vorher gedacht worden: der Entwicklung je eines Reift* 
zahnes im Ober*» und Unterkiefer, während die übrigen Zähne klein bleiben, 
bei ersteren, die gleiche komplizierte, nur in der Größe etwas verschiedene 
Form der Prämolaren und Molaren bei letzteren, während bei Omnivoren 
die Prämolaren eine eigene einfachere Gestalt haben können. 

Die verschiedene Gestaltung der komplizierten Zahnformen, ihre Entwich* 
lung aus einfachen Formen und ihre vergleichende Betrachtung ist das 
Hauptproblem der heutigen Zahnforschung. Es würde viel zu weit fuhren, 
auf alle die Theorien, die in dieser Beziehung aufgestellt sind und verfochten 
werden, an dieser Stelle genauer einzugehen — es wird im Zusammenhang 
sowieso auf manche Fragen Bezug genommen werden müssen — es soll 
hier zunächst nur festgestellt werden, ob und wie weit sich gesetzmäßige 
Beziehungen zwischen Funktion und Gestaltung der Kaufläche nach weisen 
lassen. Und da der Träger der Funktion das Kiefergelenk ist, so wird zu 
prüfen sein, ob auch zwischen diesem und der Zahnform solche Beziehungen 
vorhanden sind. Hierbei soll zunächst ganz abgesehen werden von der 
Homologie der einzelnen Höcker, es soll lediglich die Form der Krone und 
die Ausbildung und Lage der einzelnen Höcker in ihrer Bedeutung für 
den Kauakt berücksichtigt werden. Soviel darüber geschrieben ist, so wenig 
Sicheres ist bekannt, da es naturgemäß außerordentlich schwierig ist, den 
Kaumechanismus beim lebenden Tiere zu untersuchen, am Schädel aber eine 
exakte Feststellung unmöglich ist. Selbst beim Menschen, der daraufhin am 
genauesten untersucht worden ist, ist eine einheitliche Auffassung über die 
Mechanik des Kiefergelenks und seine Bedeutung für die Funktion des Ge* 
bisses noch immer nicht erzielt, wenngleich aus allen Untersuchungen hervor* 
zugehen scheint — und das scheint uns das Wichtigste zu sein —, daß Kiefer* 
gelenk und Zahnform durchaus voneinander abhängig sind. Je vielfältigere 
Bewegungen das Gelenk zuläßt, um so breiter und komplizierter wird die 
Kaufläche. So finden wir bei Karnivoren, deren Scharniergelenk nur eine 
Öffnung und Schließung zuläßt, in der Sagittalebene zusammengedrückte, 
schmale Zähne, als deren Hauptbestandteile die Höcker erscheinen. Bei 
Ommivoren finden wir zwar auch noch Höcker, aber eine wesentliche Ver* 
breiterung der Kaufläche, während bei herbivoren Formen entsprechend den 
vielfältigen Kieferbewegungen die Höcker sich zu Jochen und Leisten verbinden 
und, indem noch Kronenzement auftritt und eine ungleichmäßige Abnutzung 
zustande kommt, hierdurch ein Instrument geschaffen wird, das in hohem 
Grade befähigt ist, die harte, kieselsäurehaltige Nahrung zu bewältigen. 

Die ersten genaueren Angaben über die Abhängigkeit der Zahnform 
von den Bewegungen des Kiefergelenks stammen wohl von Ryder <1878), 
auf den sich auch alle späteren Autoren beziehen. Weitere Untersuchungen 
sind kaum ausgefuhrt worden, nur das Gebiß des Menschen ist, wie schon 
oben erwähnt wurde, näher daraufhin untersucht, und es sind auch sehr 
enge und feste Beziehungen zwischen Form und Höhe der Höcker und der 
Neigung der Gelenkbahn festgestellt worden. 


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Die Zweckmäßigkeiten des Gebisses 


275 


Es kann auch mit Sicherheit angenommen werden, daß dieses allgemein 
so sein wird, ja daß die Übereinstimmung eine viel genauere sein wird als 
es sich bisher hat nachweisen lassen, und wenn es daher wirklich Fälle gibt, 
in denen anscheinend das Kauflächenrelief nicht übereinstimmt mit der durch 
die Kieferbewegung geforderten Richtung, so werden wir eher annehmen 
können, daß entweder die Beobachtung nicht richtig ist oder daß andere 
Momente die Abweichung bedingen. 

Eine auffallende Abhängigkeit von der Funktion kann sich auch in dem 
Verhalten der beiden Dentitionen zueinander aussprechen. Im allgemeinen 
wiederholt ja das Ersatzgebiß die Form der ersten Reihe, nur in ver- 
größertem Maßstabe und unter Hinzufügung der Molaren. Es kommen aber 
auch Fälle vor, in denen beide Dentitionen verschiedenartig gestaltet sind. 
Hier hat wohl der Einfluß der Funktion auf das nur kurze Zeit im Gebrauch 
befindliche Milchgebiß nicht ausgereicht, um dasselbe in der gewünschten 
Richtung, die sich meistens von dem ursprünglichen Typus weit entfernt, ab- 
zuändern. 

Hierher gehört der vorher erwähnte Halbaffe Chiromys, dessen nageartig 
spezialisiertem bleibenden Gebiß ein echtes lemurartiges Milchgebiß voran¬ 
geht. Hierher gehört auch die Gattung Hyrax, deren einfach gestaltete 
meißelförmige Milchzähne ebenfalls durch große nageartig gebildete immer¬ 
wachsende bleibende Schneidezähne ersetzt werden. Dieser Zähne wegen 
wurde auch das Tier früher zu den Nagern gestellt. Sie dienen aber nicht zum 
Nagen, sondern angeblich beißt das Tier damit einfach Kräuter ab. Ob dieses 
zutriflt, erscheint mir zweifelhaft. Die eigenartige Bildung der Schneidezähne 
dürfte wohl noch eine andere Bedeutung haben. 

Eine einseitige Spezialisierung der bleibenden Zähne macht natürlich die 
vorangehenden nicht spezialisierten Milchzähne ersteren gegenüber funktionell 
minderwertig und so sehen wir auch, daß in diesen Fällen die Milchzähne 
rückgebildet werden oder auch ganz ausfallen. Diese Tatsache verdient hohe 
Beachtung, denn sie scheint uns die Bedeutung der Funktion für die Ent¬ 
wicklung des Gebisses in besonders klares Licht zu stellen, ganz ebenso wie 
der folgende Fall. Bei den Fledermäusen steht das Milchgebiß weniger im 
Dienste der Ernährung, sondern hat eine andere Aufgabe erhalten. Die 
Zähne sind nämlich mehr oder weniger homoiodont geworden mit scharfen 
lingualwärts gekrümmten Spitzen. Sie stellen Haken dar, mit denen sich der 
Säugling auch im Fluge an der Zitze der Mutter festhält. Es ist das wohl 
der einzige Fall, in welchem das Gebiß zu ganz anderen Zwecken als den 
ihm sonst zugewiesenen benutzt wird und eine entsprechende Umformung 
erfahren hat. Um so größere Bedeutung kommt ihm für die kausale Erklä¬ 
rung desselben zu. 

Ganz besondere Bedeutung für das vorliegende Problem haben auch die 
Rückbildungserscheinungen im Gebiß, die ja auch sonst eine große Rolle bei 
der Behandlung dieser Fragen spielen. 

So können einzelne Zähne aus der Zahnreihe schwinden, scheinbar ohne 
besondere Ursache. Die volle Säugetierzahnzahl von 44 Zähnen ist nur noch 


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276 P. Adloflf 

bei wenigen rezenten Tieren vorhanden, während die fossilen Formen, einer je 
älteren Epoche sie angehören, ein desto vollständigeres Gebiß besitzen: Es 
scheint, als ob eine progressive Kieferverkürzung im Gange ist, der natur* 
gemäß auch ein Zahn oder mehrere zum Opfer fallen müssen, damit die 
anderen Platz finden können. Gewöhnlich sind es die Prämolaren, die ja der 
am wenigsten beanspruchten Kieferpartie angehören, die zunächst der Re* 
duktion anheimfallen. Ein Beispiel hierfür ist der Mensch, dem jederseits 
ein Schneidezahn und zwei Prämolaren fehlen, während auch noch weitere 
Zähne zur Rückbildung zu neigen scheinen. 

Es können ferner durch größere Beanspruchung einzelne Teile des Ge* 
bisses höher differenziert resp. spezialisiert werden, während andere Ab* 
schnitte gänzlich entlastet und daher so reduziert werden, daß sie überhaupt 
nicht mehr zur Entwicklung gelangen. Hierher gehören z. B. die Nagetiere, 
bei welchen bei einer Form nur ein Nagezahn und je zwei Molaren vor* 
handen sind, so daß das ganze Gebiß aus zwölf Zähnen besteht. 

Endlich kann durch Veränderung der Lebens* und Nahrungsweise das 
Zahnsystem als Ganzes oder einer seiner Teile überflüssig werden und 
schwinden, ohne daß hierfür andere Komponenten des Gebisses eine höhere 
Ausbildung erfahren. 

Für diesen Reduktionsmodus sind ebenfalls zahlreiche Beispiele vor* 
handen. 

So sind die Pinnipedier in Anpassung an das Wasserleben auf dem 
Wege homoiodont zu werden, während es die Zahnwale bereits geworden 
sind und die Bartenwale die Zähne ganz verloren haben. 

Ganz rückgebildet sind die Zähne bei dem Karnivoren Proteles, der sich 
von Termiten ernährt. 

Sie fehlen vollständig den Myromecophagidae, während die übrigen 
Edentaten ebenfalls rudimentäre, zum Teil homoiodonte Zähne besitzen. 

Es sei auch noch darauf hingewiesen, daß nicht allein Kiefergelenk und 
Gebiß miteinander in engstem Zusammenhänge stehen, sondern daß sich die 
Wirkung der Zähne sehr viel weiter erstreckt, ganz abgesehen vom Magen* 
Darmkanal, dessen Beschaffenheit natürlich ebenfalls von der Nahrung ab* 
hängt. Im allgemeinen kann man wohl sagen, daß die Architektur des 
Schädels überhaupt ganz wesentlich durch das Gebiß beeinflußt wird. Ich er* 
innere nur an den Einfluß, den die kolossale Entwicklung der Eckzähne beim 
männlichen Gorilla und Orang auf die Bildung und den fortwährenden Umbau 
des Schädels ausübt, während beim Menschen andererseits die Schädelkapsel 
sich nur so entfalten konnte, weil der beengende Einfluß der Kaumuskulatur 
fortfiel, und Richter glaubt nach gewiesen zu haben, daß auch die aufrechte 
Haltung des Menschen in letzter Linie mit der Bildung und Funktion des 
Gebisses zusammenhängt. Ganz neuerdings behauptet noch Franke, daß 
auch die Bildung der Kieferhöhle im Schädel durch das Gebiß zustande 
kommt, indem durch die Funktion desselben Schubspannungen und Drude* 
entlastungen entstehen, die eine Aushöhlung im Innern des Knochens zu* 
stände bringen. 


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Die Zweckmäßigkeiten des Gebisses 


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Es soll mit dieser Feststellung nur gezeigt werden, wie weit der Einfluß 
des Gebisses sich erstreckt. Abänderung der Zahnform und des Kau¬ 
mechanismus können daher niemals allein auftreten, sondern werden stets 
mit Umänderungen der näheren und weiteren Umgebung verbunden sein 
müssen. An diese Feststellung werden wir uns bei anderer Gelegenheit zu 
erinnern haben. 

Schließlich wäre noch die Frage zu erwägen, ob in der Tat die Abnutzung 
für die Vervollkommnung des Kauapparates in funktioneller Beziehung von 
Bedeutung ist. Das ist wohl der Fall, wenn auch nur bedingt. Ich brauche nur 
an die Nagezähne zu erinnern, für deren normale Funktion die Abnutzung 
unbedingte Notwendigkeit ist, sowohl um sie scharf zu erhalten, als 
auch um ihr Wachstum zu beschränken. Wird dieselbe etwa durch das 
Fehlen eines Gegenzahnes aufgehoben, so wächst der andere Zahn 
spiralig weiter und kann unter Umständen in den Schädel hineinwachsen 
und den Tod herbeiführen. Viel wichtiger ist aber eine andere Form der 
Abnutzung, die bisher überhaupt noch keine Beachtung gefunden hat. Sie 
kommt am meisten zur Geltung im Gebiß ommivorer Formen mit ge- 
schlossener Zahnreihe und Hödcermolaren, wie sie auch der Mensch besitzt. 
Betrachten wir ein vollständiges, normales Gebiß desselben, das längere Zeit 
im Gebrauch gewesen ist, so finden wir ein so absolut genaues Zu- 
sammentreffen und Ineinandergreifen der einzelnen Höcker und Ver¬ 
tiefungen, daß jede Stelle der Gesamtkaufläche voll ausgenutzt erscheint. 
Versuchen wir aber zusammengehörige, noch nicht durchgebrochene, wenn auch 
vollständig fertig entwickelte Zähne in einen normalen Zusammenschluß zu 
bringen, so wird es nur annähernd gelingen. Obere und untere Zähne passen 
nicht so genau aufeinander, um einen exakten Schluß herbeizuführen. Die 
genaue Artikulation beim Lebenden kann also erst allmählich zustande kommen, 
und zwar kann dieses auf zweierlei Wegen geschehen. Entweder sie wird 
lediglich durch Abschleifung hergestellt, oder der fertige Schmelz ist bei frisch 
durchgebrochenen Zähnen noch so weit plastisch, um den Einwirkungen des 
Kauaktes nachgeben zu können. Schließlich kann aber auch beides zusammen 
möglich sein. Die Frage hängt eng zusammen mit dem Problem der Ent¬ 
stehung der Zahnform überhaupt und wird im Zusammenhänge an anderer 
Stelle beantwortet werden. 

Die Frage nach dem Ursprung der Zweckmäßigkeiten im Gebiß der 
Säugetiere fällt nicht ohne weiteres zusammen mit der Frage nach dem Ur¬ 
sprung der Zweckmäßigkeit überhaupt. Daß Zweckmäßigkeit eine Voraus¬ 
setzung allen Lebens ist, ist schon eingangs bemerkt worden, denn ein un¬ 
zweckmäßiger Organismus ist unvorstellbar. Insofern ist der von Plate vor¬ 
geschlagene Ausdruck „Lebensfähigkeit" berechtigt. Die als primäre Zweck¬ 
mäßigkeiten bezeichneten Grundeigenschaften aller lebenden Wesen, die 
Fähigkeit der Assimilation, des Wachstums, der Reizbarkeit und der Fort¬ 
pflanzung sind mit dem Leben untrennbar verknüpft. Sie sind als gegeben 
hinzunehmen und einer Erklärung bis auf weiteres und wahrscheinlich für 
immer nicht zugänglich. Etwas anderes aber ist es mit jenen Einrichtungen, 


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P. Adloflf 


die im Laufe der Stammesgeschichte in Anpassung an die mannigfaltigen Be- 
dingungen und Einwirkungen der Umwelt entstanden, allmählich jene 
Formen geschaffen haben, die heute den Erdball bevölkern. Ihre Entwidc- 
lung ist vielfach schrittweise zu verfolgen, und es ist daher wohl gerecht¬ 
fertigt, auf natürlichem Wege eine Erklärung zu versuchen. Es ist hier nicht 
der Ort, eine allgemeine historische Übersicht über die Entwicklungslehre 
zu geben, ich werde aber im Laufe der Erörterungen sowieso auch die 
Probleme kurz berühren müssen, die heute im Mittelpunkte des Interesses 
stehen. 

Lamarck hat in seiner Philosophie zoologique auch das Gebiß heran¬ 
gezogen zum Beweise seiner Theorie, daß die Organismen in ihrer Ver¬ 
schiedenheit ein Produkt der Einwirkungen der Umwelt sind und daß ins¬ 
besondere Gebrauch und Nichtgebrauch für die Umbildung und Weiter¬ 
entwicklung derselben von ausschlaggebender Bedeutung sind. So macht er 
darauf aufmerksam, daß bei einigen Tieren, welche durch die Verhältnisse 
veranlaßt ihre Nahrungsmittel verschlucken ohne sie vorher zu kauen, ent¬ 
weder die Zähne zwar angelegt werden, aber nicht erscheinen, oder über¬ 
haupt vollständig rückgebildet werden. Und bezüglich der Herausbildung 
des Menschen aus niederen Formen meint er, daß, wenn die halbtierischen 
Vorfahren desselben den Gebrauch ihrer Kiefer als Waffen, zum Beißen, 
Zerfleischen und Packen oder als Werkzeuge zum Zerschneiden des Grases 
aufgaben, es nicht zweifelhaft ist, daß ihr Gesichtswinkel größer wurde, 
daß ihre Schnauze sich mehr und mehr verkürzte, schließlich vollständig ver¬ 
schwand und daß ihre Schneidezähne eine vertikale Stellung erlangten. 

Auch Darwin hat mehrfach gerade die Zähne erwähnt und ebenfalls 
auf das Rudimentärwerden bei Nichtgebrauch besonders aufmerksam ge¬ 
macht. Auch auf die zahlreichen Variationen hat er in einer kurzen An¬ 
merkung hingewiesen, dagegen hat er die verschiedene Form der Zähne als 
Wirkung der funktionellen Anpassung nicht in Betracht gezogen. Er war 
sich wohl der Schwierigkeiten, die dieser Auffassung entgegenstehen, voll 
bewußt, im Gegensatz zu vielen späteren Autoren, die dieselbe einfach als 
selbstverständlich betrachteten. Allerdings lag damals auch noch nicht d*as 
reiche paläontologische Material vor, das heute ein sehr wichtiges Beweis¬ 
material darstellt. 

Selbstverständlich aber fand die Entwicklungslehre auch auf das Gebiß 
Anwendung. Von zwei Seiten versuchte man, dem Problem der Entstehung 
der komplizierten Zähne aus einfachen Formen näher zu kommen. 

Die außerordentlich reichen Funde fossiler Säugetiere in Nordamerika 
gaben zwar allen amerikanischen Paläontologen Veranlassung, sich mit der 
Phylogenie des Gebisses zu beschäftigen, schon allein deswegen, weil in 
vielen Fällen Kiefer und Zähne das einzige sind, was erhalten geblieben ist. 
In erster Linie verdienen aber die Namen des verstorbenen Paläontologen Cope 
und des heute noch lebenden Osborn vom Amerikanischen Museum für 
Naturgeschichte genannt zu werden, die in unermüdlicher Forscherarbeit 
die Phylogenie der Zahnformen auf eine sichere Grundlage zu bringen ver- 


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Die Zweckmäßigkeiten des Gebisses 


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suchten. Sie konnten in vielen Fällen die progressive Komplikation der 
Molaren: die Entstehung neuer Höcker, die Ausbildung von Schmelzfalten 
und Schmelzleisten von den jurassischen bis zu den rezenten Säugetieren 
beinahe schrittweise verfolgen, und sie gelangten daher ebenfalls zu der Über^ 
zeugung, daß diese Differenzierung mechanischen Ursadien, und zwar den 
bei den einzelnen Formen je nach der Nahrung verschiedenen Bewegungen 
der Kiefer gegeneinander beim Kauakt ihre Entstehung und Fortentwicklung 
verdankten. Als Ausgangsform nahmen sie eine einfache konische, reptiliem* 
zahnähnliche Form an, den haplodonten Typus. Durch Hinzufügen einer 
vorderen und hinteren Nebenspitze entstand der trikonodonte Typus, der 
sich dann schließlich durch Verschiebung der drei Höcker in den trituberkulären 
Typus umwandelte. Auf diese trituberkuläre Grundform konnten fast alle 
Zahnformen zurückgeführt werden. Die Mehrzahl der Paläontologen und 
Zoologen schlossen sich dieser durch zahlreiches Beweismaterial gestützten 
Cope^Osbornschen trituberkulären Theorie an, und wenn dieselbe wie wir 
später sehen werden auch in einzelnen Punkten vielleicht modifiziert werden muß, 
im großen und ganzen kann sie auch heute noch als gültig bezeichnet werden. 

Eine andere Auffassung wurde von Embryologen vertreten. Gewisse 
Befunde in der Entwicklungsgeschichte der Zähne legten den Schluß nahe, 
daß die mehrhöckerigen Zähne aus der Verschmelzung mehrerer kegeU 
förmiger Einzelzähne entstanden seien. Diese führten zur Aufstellung der 
sogenannten Konkreszenztheorie. Nun kann es meines Erachtens gar keinem 
Zweifel unterliegen, daß Verschmelzungsprozesse in der Tat eine Rolle bei 
der Entwicklung des Säugetiergebisses gespielt haben. Aber sie haben nur 
das Material beschafft und so die weitere Voraussetzung für die progressive 
Weiterentwicklung des Gebisses gegeben, mit der Formbildung selbst haben 
sie nichts zu tun gehabt. Die neueste Hypothese von Bolk, wonach in den 
heutigen Säugetierzähnen noch die einzelnen Bestandteile der beiden miN 
einander verschmolzenen ursprünglichen Reptilienzähne in ihrer damaligen 
Form vorhanden sein sollen, ist gänzlich unbegründet und entbehrt jeder 
Wahrscheinlichkeit. Wir können die Konkreszenztheorie daher hier füglich 
beiseite lassen, da sie nur indirekt etwas mit unserem Thema zu tun hat. 

Die Differenzierungstheorie, so exakt sie anscheinend begründet ist, wenn 
man das wundervolle Material der Paläontologie betrachtet, hat doch zwei 
sehr angreifbare Stellen, die schon vorher erwähnt wurden und die übrigens 
den Begründern der Theorie, Cope und besonders auch Osborn, keines^ 
wegs verborgen geblieben und von ihnen auch stets gewürdigt worden sind: 

1. die Zähne vollenden ihre Entwicklung im Kiefer und erscheinen volU 
kommen fertig in der Mundhöhle, 

2. ihre Krone ist von Schmelz bedeckt, dem härtesten Gewebe des 
tierischen Organismus. Hiernach erscheint ein Einfluß der Funktion auf das 
Gebiß ausgeschlossen und damit auch jede Differenzierungstheorie im Cope^ 
Osbornsdhen Sinne unmöglich, 

So ist denn auch neuerdings versucht worden, jeden Einfluß der Funktion 
zu leugnen und der Selektion den Hauptanteil bei der Entwiddung der 


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P. Adloff 




Zahnformen zuzuerkennen. Den extremsten Ausdruck fand diese Auffassung 
wohl in dem Satze von Aichel: Nicht die Nahrung beeinflußt die Zahn- 
form, sondern die Zahnform beeinflußt die Wahl der Nahrung. 

Die Schlußfolgerungen Aichels sind begründet auf Untersuchungen an 
den Flossenstachelzähnen einer Welsart, von denen es nunmehr wohl endgültig 
festzustehen scheint, daß sie keine echten Zähne sind. Damit hätte die neue 
Theorie Aichels eigentlich den festen Boden verloren und alle aus ihr ge¬ 
zogenen Schlußfolgerungen wären hinfällig. Da ich aber die Bedeutung 
dieser bei Doras gemachten Befunde niemals anerkannt habe, weil diese 
an anscheinend funktionslosen Zähnen der Flossenstachel von Fischen ge¬ 
wonnenen Resultate unter keinen Umständen auf das Säugetiergebiß übertragen 
werden durften, so ist es wohl statthaft, die Deduktionen Aichels, die an 
und für sich nur in losem Zusammenhänge mit jenen Befunden standen, für 
sich zu betrachten. Es ist dieses von mir auch bereits mehrfach geschehen und 
ich beziehe mich auf die dort gemachten Ausführungen, ebenso wie ich die 
Arbeiten Aichels als bekannt voraussetze. 

Als gestaltendes Prinzip nimmt Aichel die Variabilität an. Zwar 
gibt er für seine sogenannte zweite phylogenetische Periode an: „Ent¬ 
stehung primärer Höckerzähne mit verschiedener Höckerzahl unmittelbar aus 
den Zahnkeimen einfacher Kegelzähne ohne Zwischenstufen der Entwicklung 
durch mechanische Einflüsse der Umgebung auf den sich entwickelnden Zahn¬ 
keim", und behauptet, daß die hier wirkenden Faktoren andere seien, als die 
für die dritte Periode: „Variation der den Zahn zusammensetzenden 
Grundgewebe" angenommenen, aber es wird sich doch niemand eine 
rechte Vorstellung von der Natur dieser mechanischen Einwirkungen 
während der embryonalen Entwicklung machen können, die eine so gesetz¬ 
mäßige phylogenetische Entwicklung hedingen. Im Grunde genommen liegt 
doch hier auch Variabilität zugrunde, nur liegt sie in dieser Periode nicht in 
dem Zahnkeim selbst, sondern in seiner Umgebung. 

Ist nun aber überhaupt die Entwicklung der verschiedenartigen komplizierten 
Zahnform aus einfachen Formen, wie sie durch die Paläontologie über¬ 
wiegend dargetan wird durch Variabilität und Selektion, erklärbar? 

Ich werde versuchen, nachzuweisen, daß auch dieser Annahme nicht geringe 
Schwierigkeiten entgegenstehen. 

Das Gebiß ist nicht ein einheitliches Organ, sondern, wie schon vorher er¬ 
wähnt, ein kompliziertes System, das aus bis zu 44 Einzelgliedern bestehen 
kann, deren jedes eine gewisse Selbständigkeit besitzt. In gewissem Sinne 
fällt diese Tatsache unter das Problem der gleichsinnigen Abänderung zahl¬ 
reicher Elemente. Sie unterscheidet sich aber wesentlich dadurch, daß der 
Zusammenhang der einzelnen Glieder kein so inniger ist, wie in anderen 
Fällen solcher Koaptationen. Wenn in irgendeinem Körperabschnitte Varia¬ 
tionen auftreten, so ist es leicht verständlich, daß auch die Umgebung hier¬ 
von beeinflußt werden kann und sich den veränderten Verhältnissen anpaßt. 
Wenn im Gebiß aber an einem Zahn vielleicht eine neue Modifikation auf- 
tritt, so liegt kein Grund vor anzunehmen, daß auch die übrigen Zähne in 

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Die Zweckmäßigkeiten des Gewisses 


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demselben Sinne variieren müssen. Wohl kommt es vor, daß infolge des 
bilateral symmetrischen Baues derselbe Zahn der anderen Seite dieselbe Ab» 
weichung aufweist, aber auch dieses ist nicht einmal immer der Fall, ebenso 
häufig kommen die Variationen einseitig vor. Daß aber sämtliche Zähne 
von derselben zufälligen Variation betroffen werden sollten, erscheint doch 
ausgeschlossen. Das müßte aber z. B. bei dem Gebiß der Equiden der Fall 
gewesen sein, bei welchen sämtliche Prämolaren und Molaren, abgesehen von 
der Größe, denselben komplizierten Bau besitzen. 

Andererseits stehen die verschiedenen Zahn formen in engstem Zusammen¬ 
hang mit dem Bau des Kiefergelenkes, indem jede Zahnform einer bestimmten 
Kieferbewegung entspricht. Auch diese Übereinstimmung ist durch Selek¬ 
tion schwer erklärbar. Es ist schwer vorstellbar, daß zufällig derartig über¬ 
einstimmende Variationen hier wie dort auftreten sollten. 

Auch wird, wenn sich an einem Zahn eine Verbreiterung der Kaufläche 
durch Entstehung eines neuen Höckers bemerkbar macht, für die Selektion 
gar kein Anlaß zum Eingreifen vorliegen. Osborn hat gezeigt, daß neue 
Höcker als so winzige Hervorragungen auftauchen, daß dieselben für das 
betreffende Tier gar keinen besonderen Wert besitzen können. So wird z. B. 
von A i c h e I das C a r a b e 11 i sehe Höckerchen am ersten Molaren des Menschen 
für ein neuer, im Entstehen begriffener Bestandteil erklärt. Er kommt in 
allen möglichen Größen vor, sehr oft fehlt er vollständig. Man könnte 
also wohl annehmen, daß hier eine neue Variation vorliegt und daß Selek¬ 
tion dabei ist, denselben zu einem dauernden Bestandteil des Zahnes zu 
machen. Demgegenüber ist aber festzustellen, daß das Höckerchen nur in den 
allerseltensten Fällen- die Kaufläche erreicht und daß es selbst dann dem 
Träger den Individuen gegenüber, die dasselbe nicht besitzen, keinen so 
großen Vorteil gewährt, um der Selektion Gelegenheit zu bieten, einzu¬ 
greifen. In Wirklichkeit ist das Carabellische Höckerchen auch ein uralter 
Bestandteil und entspricht dem Protostyl der Halbaffen. 

Wie kommt es nun weiter, daß neue Höcker überall und an bestimmten 
Stellen entstehen, wo man von vornherein ihre Bildung erwarten konnte. 
Das führt zu einer weiteren, wichtigen Überlegung. 

Aichel geht von der Behauptung aus, daß die Variationsbreite der Zähne 
eine ungeahnt große ist. Er stützt sich hierbei auf seine Untersuchungen 
beim Menschen. Für den modernen Menschen trifft das bis zu einem ge¬ 
wissen Grade zu. Der heutige Mensch lebt gewissenmaßen im Zustande 
der Domestikation, und schon Darwin hat darauf hingewiesen, daß 
domestizierte Tiere stärken zu variieren scheinen. Eine Folge der Domesti¬ 
kation ist, daß das Gebiß zur Rückbildung resp. zur Entartung neigt. Dieses 
und noch andere Momente erklären hinreichend, daß das Gebiß des 
modernen Menschen in der Tat zahlreiche Variationen aufweist. Aber schon 
bei niederen Rassen finden wir ganz andere Verhältnisse und bei Tieren habe 
ich von einer ungeahnten Fülle von Variationen eigentlich nie etwas gemerkt. 

Aber in der Tat hätte eine ungeahnte Fülle von Variationen vorhanden 
gewesen sein müssen, damit aus diesen zufälligen Abänderungen durch 

Vierteljahrssdirift fQr Zahnheilkunde, Heft 3 19 


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282 


P. Adloff 


Selektion das heutige Säugetiergebiß entstanden sein konnte. Und da nach 
Aichel entstandene Tierformen, deren Zähne der gebotenen Nahrung nicht 
angepaßt waren, untergehen mußten, so kann man sich ungefähr vorstellen, 
welche ungeheure Mengen von Tieren mit unbrauchbaren Gebissen untere 
gehen mußten, bis sich alle die Ordnungen entwickelt hatten, deren Zahn- 
System der Nahrung so angepaßt war, wie es das der heutigen Formen 
ohne Frage ist. Dabei liegt aber noch folgende weitere Schwierigkeit vor: 

Die Cope-Osbornsche Differenzierungstheorie nahm, wie wir vorher 
gesehen haben, ursprünglich als Ausgangspunkt den haplodonten Typus an, 
aus dem auf dem Wege über den trituberkulären Typus durch allmähliche 
Entstehung neuer Höcker, durch Umbildung derselben zu Leisten, Jochen 
und Pfeilern die heutigen komplizierten Zahnformen hervorgegangen sein 
sollen. Die Theorie ist in letzter Zeit mehrfach angegriffen worden, so noch 
zuletzt von Bolk, der an ihre Stelle seine gänzlich hypothetische Dimer¬ 
theorie zu setzen bemüht ist. Es erscheint daher nicht überflüssig, zunächst 
festzustellen, welche Bedeutung der Theorie heute noch zukommt. 

Die Theorie enthält im Grunde genommen 4 Voraussetzungen: 

1. die Umbildung des haplodonten in den trfkonodonten Typus, 

2. die Umbildung des trikonodonten in den trituberkulären Typus, 

3. die hierbei erfolgte Verschiebung des primären Haupthöckers im Ober¬ 
kiefer nach innen, im Unterkiefer nach außen, 

4. die Annahme des trituberkulären Typus als Grundform der komplizierten 
Zahnformen. 

Von diesen vier Voraussetzungen sind die beiden ersten unbewiesen und 
lediglich hypothetisch, die dritte hat sich als falsch herausgestellt, indem ent¬ 
wicklungsgeschichtlich nachgewiesen ist, daß der Haupthöcker sowohl im 
Ober- als auch im Unterkiefer stets außen liegt, die vierte aber ist auch 
heute noch durchaus gültig. Für weitaus die meisten Ordnungen der fossilen 
und rezenten Säugetiere ist an einem ganz gewaltigen Material der trituber- 
kuläre Typus als Grundplan einwandfrei festgestellt worden, so daß an seinem 
tatsächlichen Bestehen gar kein Zweifel sein kann. Von ihm aus ist 
dann die weitere Differenzierung erfolgt, wobei noch nachgewiesen ist, daß 
zur Erreichung desselben Zieles verschiedene Wege eingeschlagen werden 
können, daß also die Entstehung neuer Höcker wohl an derselben Stelle, 
nicht aber in derselben Reihenfolge zu erfolgen braucht. In ihren wichtigsten 
Teilen besitzt also die Trituberkulärtheorie auch heute noch volle Gültigkeit. 

Ganz folgerichtig lehnt aber Aichel dieselbe ab, denn wenn das Gebiß 
durch Variabilität und Selektion entstanden ist, kann von einem gemein¬ 
samen festen Grundplan natürlich keine Rede sein. Die Variabilität ge¬ 
horcht keinem anderen Gesetz, wie dem Zufall. Die Einwände, die Aichel 
gegen die Trituberkulärtheorie angeführt hat, habe ich bereits an anderer 
Stelle ausführlich zurückgewiesen, so daß ich midi hier in mancher Hinsicht 
kürzer fassen kann. Er weist zunächst darauf hin, daß die paläontologisch 
nachgewiesene allmähliche Komplizierung der Zahnformen noch keineswegs 
auch die historische Entwicklung bedeute. Dieser Einwand kann natürlich 


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Die Zweckmäßigkeiten des Gebisses 


283 


erhoben werden nicht allein gegen die Trituberkulärtheörie, sondern auch 
gegen die Deszendenztheorie überhaupt, und so behauptet denn auch Aichel 
folgerichtig, die Stammesgeschichte bestehe nur aus leeren und haltlosen Ver^ 
mutungen, eine Ansicht, mit welcher er der seinerzeit vertretenen Auf- 
fassung des Zoologen Fleisch mann nahekommt. An dieser Behauptung 
ist so viel richtig, daß in der Tat alles, was über die phylogenetische Entwidc- 
lung der Lebewelt angenommen wird, reine Hypothese ist und stets bleiben 
wird. Denn ebensowenig wie wir in die Zukunft zu sehen vermögen, 
ebensowenig können wir die Vergangenheit wieder lebendig machen und 
feststellen, ob die von uns heute angenommenen stammesgeschichtlichen Vor¬ 
gänge in der Tat so vor sich gegangen sind. Die Entwicklungslehre erhält 
ihren Wert nur durch die Summe von einzelnen Tatsachen, die für ihre 
Richtigkeit zeugen und die so groß ist, daß ihr Wert einem tatsächlichen 
Beweise gleichkommt. Für das Gebiß ist aber das vorliegende fossile 
Material, das insbesondere in den amerikanischen Museen aufgehäuft 
ist, ganz besonders groß, und solange wir unter gewissen Voraussetzungen 
die fossilen Reste von Tieren und Pflanzen in genetischen Zusammenhang 
mit den rezenten Formen bringen, solange werden wir dieses mit noch 
größerem Rechte mit dem Gebiß tun dürfen, oder wir müßten auf den Ent- 
Wicklungsgedanken ganzverzichten. Die tatsächlichen Unterlagen fürseine Auf¬ 
fassung lieferten Aichel die Resultate seiner Untersuchungen, wonach die 
vielhöckerigen Zähne des Flossenstachels von Doras ohne Einhaltung einer 
Reihenfolge entstehen. Das Unzulässige dieser Beweisführung habe ich schon 
vorher betont, da diese bei funktionslosen außerhalb der Mundhöhle stehenden 
Zähnen von Fischen gemachten Resultate — ganz abgesehen von derTatsache, 
daß es sich hierbei gar nicht um echte Zähne handeln dürfte — niemals verall- 
gemeinert und auf das im Dienste der Ernährung stehende Gebiß der Säuge- 
tiere übertragen werden durften. Lind daß der haplodonte, der trikonodonte 
Typus und die Umwandlung des letzteren in den trituberkulären Typus 
hypothetische Annahmen sind, war bereits vor Aichel allgemein anerkannt. 
Ich habe schon vor vielen Jahren diese Auffassung vertreten, und selbst die 
Amerikaner stehen heute auf diesem Standpunkt. Die Gültigkeit der Tri- 
tuberkulärtheorie in der vorher auseinandergesetzten Fassung wird aber durch 
diese Untersuchungen nicht im geringsten angetastet, sie ist, wie ich noch 
einmal wiederholen möchte, heute fester begründet denn je. 

Daran ändert nichts die Tatsache, daß es auch Ausnahmen gibt, bei 
denen eine Ableitung vom trituberkulären Typus bisher nicht gelungen ist. 
Es ist möglich, daß dieses nur an unserer Unkenntnis von Mittelformen 
liegt, es ist aber auch möglich, daß es sich um Formen handelt, die einen 
anderen Ausgang genommen haben. Steht es doch noch längst nicht fest, 
ob die Säugetiere monophyletischen Ursprungs sind. 

Der wichtigste Ein wand, den Aichel gegen die Gültigkeit der Differenz 
zierungstheorie macht, ist aber der, daß eine funktionelle Anpassung für das 
Gebiß nicht in Frage kommt. Ich wende mich daher sofort zur Erörterung 
dieses wichtigen Problems, da in diesem Zusammenhänge auch die weiteren 

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284 


P. Adloff 


Gründe, die gegen die Bedeutung der Selektion für die Entwicklung der Zahn¬ 
formen sprechen, abgehandelt werden können. Die Gründe, die Aichel gegen 
die Wirkung der Funktion anführt, sind folgende: 

1. Die Schmelzfalten sind durchaus nicht immer senkrecht zur Bewegungs¬ 
richtung der Kiefer eingestellt, sie liegen oft sogar in der Bewegungsrichtung 
<Hase, Kaninchen, Tapier usw.>. 

2. Nahrungsqualität und Zahnform stehen keineswegs derart in Beziehung 
zueinander, daß eine kausale Abhängigkeit der Zahnform von der Nahrungs¬ 
qualität anzunehmen ist/ im Gegenteil dürfte in dem Falle die Zahl der 
Zahnformen doch sehr beschränkt sein, andererseits ist große Vorsicht nötig, 
wollte man aus dem Charakter der Zähne auf Nahrungsart eines Tieres 
schließen. 

3. Beeinflussung des Zahnreliefs durch Abänderung der Nahrung ist nicht 
möglich, weil beim Zahn die Vorbedingungen zur funktionellen Anpassung 
fehlen. 

Zu Punkt 1 und 2 kann ich mich sehr kurz fassen. Daß die Schmelzfalten nur 
senkrecht zur Bewegungsrichtung verlaufen müssen, wie Ryder 1878 zuerst 
angenommen hat, ist keineswegs sicher, es wäre durchaus denkbar, daß auch 
ein anderer Verlauf den mechanischen Bedingungen der Kaubewegungen 
nicht widersprechen würde. Es fehlt eben noch gänzlich an exakten Unter¬ 
suchungen über die Kaubewegungen bei Tieren, denen auch nach den Er¬ 
fahrungen beim Menschen außergewöhnliche Schwierigkeiten entgegenstehen. 
Auch wäre es nicht ausgeschlossen, daß die von Aichel angeführten Tier¬ 
formen sich gerade in einem Qbergangsstadium befinden oder in demselben 
stehengeblieben sind. Wenigstens wissen wir von den Leporiden, daß die 
Duplizidentatae auch in anderen Beziehungen die primitivere Gruppe der 
Rodentien repräsentieren. Diese Dinge sind also durchaus ungeklärt, und 
Aichel selbst vermag hierzu nichts zu sagen, als einige allgemeine Be¬ 
merkungen. 

Weit eingehender befaßt er sich mit der Wirkung der Funktion auf die 
Zähne. Hier geht er von den beiden bekannten Tatsachen aus: erstens, 
daß die Zähne ihre Entwicklung im Kiefer vollenden und als fertige, 
mit Schmelz bedeckte Gebilde in der Mundhöhle erscheinen/ zweitens, daß 
der Schmelz keine reaktionsfähigen Zellen besitzt, die die Vorbedingung zu 
jeder funktionellen Anpassung darstellen. 

Diese Einwände bestehen zu Recht und stellen ohne Frage eine be¬ 
sondere Schwierigkeit dar, eine Wirkung der Funktion auf das Gebiß an¬ 
zunehmen. 

Ich habe nun die Ansicht ausgesprochen, daß die Funktion auf zwei ver¬ 
schiedenen Wegen eine Umformung der Zahnform herbeiführen kann. 
Ersteres direkt: Es wäre nicht unmöglich, daß auch die Zähne während des 
individuellen Lebens ganz unmerkliche Abänderungen erleiden könnten, die 
dann im Laufe der Generationen zu einer allmählichen Umwandlung der 
Form führen würden. Ich hatte diese Ansicht schon vor vielen Jahren aus¬ 
gesprochen an der Hand eines Falles, in welchem durch mechanische Ein- 


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Die Zweckmäßigkeiten des Gebisses 285 

Wirkung/ durch Pressung der Zähne aneinander eine Gestaltsveränderung 
der beiden betroffenen Zähne eingetreten zu sein schien. 

Ich gebe zu, daß der damals in der Deutschen Monatsschrift f. Zahnheil* 
künde beschriebene Fall nicht ausreichend beweisend ist. Von vornherein 
erscheint es undenkbar, daß der starre Schmelzpanzer, dessen Härte gleich 
der des Quarzes ist, äußeren Einflüssen so zugänglich sein sollte. Immerhin 
liegen doch einige Momente vor, die diese Möglichkeit nicht ganz unwahr¬ 
scheinlich erscheinen lassen. Es ist schon vorher ausgeführt, daß die Schmelz* 
prismen nach den Gesetzen der Statik angeordnet sind und die Tatsache, 
daß diese Anordnung bei den verschiedenen Tierformen eine ganz ver* 
schiedene ist, schon von vornherein dafür spricht, daß hier eine funktionelle 
Anpassung vorliegt. 

In diesem Sinne hatten sich auch bereits Eternod und Grasset aus* 
gesprochen. 

Hierzu kommt nun noch folgendes: Auch das Dentin zeigt, wie Gebhardt 
in seinen vorher erwähnten, sehr umfangreichen und exakten Untersuchungen 
nachgewiesen hat, eine gesetzmäßige, der Funktion entsprechende Anordnung 
der Fibrillen. Der sehr vorsichtige Forscher beurteilt die vorliegenden Tat* 
Sachen sehr zurückhaltend, indem er sagt, daß bis zu einer gewissen Grenze 
durch Variation erworbene und vererbte Wachstumsvorgänge wenigstens 
insoweit zur Erklärung ausreichen, als sie nicht unwahrscheinlicher erscheinen, 
als irgendeine andere mehr funktionelle Erklärung, daß aber andere Er* 
sdieinungen mit Wahrscheinlichkeit durch die gestaltende, das ist die Fibrillen* 
anlagerungsrichtung beeinflussende Wirkung bei Ausübung ihrer Funktion 
entstanden sein können. 

Diesen doch sehr zweifelhaften Schlußfolgerungen gegenüber erklärt Aichel 
mit völliger Sicherheit folgendes: Ich habe schon 1915 auf die Arbeiten 
Gebhardts hingewiesen und betont, daß die fibrilläre Struktur im Kronen* 
abschnitt des Zahnes — und die Kronenform ist für das Problem der Ent* 
stehung der Zahnform von Bedeutung — nicht durch den Gebrauch des 
Zahnes entstanden ist <Arch. f. Anat. 1915, Suppl. D 70>, denn die fibrilläre 
Struktur der Krone ist schon vor dem Durchbruch des Zahnes fertiggestellt. 
Sie ist in der Krone und in dem Zahnteil, der in der Gebrauchsperiode des 
Zahnes entsteht, in der Anordnung nicht gleichartig. 

Adloff genügt die Tatsache, daß er keine andere Erklärung für die Ent* 
stehung der fibrillären Struktur als durch funktionelle Beeinflussung des Ge* 
webes kennt, um zu behaupten, sie beweise die Entstehung komplizierter 
Zahnformen durch funktionelle Anpassung, und zugleich, daß der Schmelz 
nicht reaktionslos sei, d. h. er müsse auf Reize antworten können, die form* 
verändernd wirken. 

Selbstverständlich ist eine Abänderung der fibrillären Struktur der Zahn* 
kröne in der Gebrauchsperiode völlig auszuschließen, da Zellen fehlen, die 
Anbau und Abbau besorgen könnten/ ohne Anbau und Abbau kann aber 
eine Abänderung trajektorieller Bahnen nicht entstehen. Andererseits ist die 
Entstehung einer fibrillären Struktur der Zahnkrone ohne Wirkung der 


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286 


P. Adloff 


1 


Funktion vor Eintritt des Zahnes in die Gebrauchsperiode schon am sich 
entwickelnden Zahnkeime durchaus verständlich. Zu berücksichtigen ist, daß 
der Zahnkeim sich beim Wachstum krönenwärts, wurzelwärts und nach der 
Breite hin ausdehnt. Hierbei hat er Widerstände zu überwinden, die vom 
Mechanismus des Zahndurchbruchs bekannt sind <Verh. d. Akad. d. Wissensch. 
Abhandl. 1918, Nr. 3>. Ein Beweis dafür, daß der wachsende Zahnkeim 
wirklich Widerstände überwindet, liegt in der regelmäßig vor dem Durchs 
bruch über der Zahnspitze nachweisbaren Epitheleinschmelzung <soweit mir 
bekannt, hat Graf Spee die durch Epitheleinschmelzung über der Zahnspitze 
unter dem Wachstumsdruck entstehende Zyste zuerst gesehen,* in meiner 
Abbildung 46, Tafel VII der Zeitschr. f. Morph, u. Anthr. ist sie zur Dar- 
Stellung gelangt). Die beim Wachstum des Zahnkeimes durch ihn zu über- 
windenden Widerstände erzeugen in der sich entwickelnden Zahnkrone eine 
fibrilläre Struktur, die notwendigerweise auch der Beanspruchung beim Kau¬ 
geschäft angepaßt sein muß, weil die Richtung der die Zahnkrone treffenden 
Widerstände in beiden Fällen gleich ist. Kurzsichtig wäre, wollten wir im 
Vorhandensein einer der Funktion entsprechenden Struktur ohne weiteres 
den Beweis dafür erblicken, diese sei in jedem Falle Folge der funktionellen 
Beanspruchung." 

Aichel geht bei dieser Darstellung von der Voraussetzung aus, die erst 
zu beweisen ist, daß die fibrilläre Struktur des Dentins nicht durch den 
Gebrauch des Zahnes entstanden sein kann, weil Zellen fehlen, die Anbau 
und Abbau besorgen könnten. Das ist zunächst lediglich seine persönliche 
Ansicht, die er zwar durch theoretische Betrachtungen zu stützen sucht, die 
aber nicht wahrscheinlicher werden dadurch, daß sie mit völliger Sicherheit 
vorgetragen werden. Er versucht, die funktionell zweckmäßige fibrilläre Struk¬ 
tur dadurch zu erklären, daß der Zahnkeim beim Wachstum und Durchbruch 
Widerstände zu überwinden hat, die der Beanspruchung beim Kaugeschäft 
völlig gleich sind und daher auch dieselbe Wirkung haben werden. Ich halte 
es für gänzlich ausgeschlossen, daß die beim Wachstum und Durchbruch zu 
überwindenden Kräfte auf den Aufbau der harten Zahnsubstanzen strukturell 
zur Geltung kommen können. Eine derartige Annahme ist nur möglich unter 
Verkennung der bei der Zahnentwicklung sich abspielenden Vorgänge. Der 
Zahnkeim liegt einmal im Zahnsäckchen eingeschlossen, dann ist er vor allem 
in seinem Kronenteil von dem Schmelzorgan bedeckt, dessen zentraler Teil, 
die Schmelzpulpa, sobald die Abscheidung von Schmelz und Dentin beginnt, 
ein mit zäher Flüssigkeit gefülltes Netzwerk darstellt. Der Zweck der Schmelz¬ 
pulpa ist nach meiner Auffassung kein anderer, als daß die Bildung der harten 
Zahnsubstanzen, die ja getrennt auf den einzelnen Höckern beginnt, un¬ 
gestört von äußeren Einflüssen vor sich gehen kann. Der sich ent¬ 
wickelnde Zahnkeim ist also doppelt geschützt, einmal durch das Zahnsäck¬ 
chen, dann durch die Schmelzpulpa, womit dann natürlich auch die Möglichkeit 
fortfällt, daß die zu überwindenden Widerstände auf das sich bildende Dentin 
zur Geltung kommen könnten. Außerdem scheint es mir aber auch aus¬ 
geschlossen zu sein, daß diese Wachstums widerstände, falls sie vorhanden 


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Die Zweckmäßigkeiten des Gebisses 


287 


wären, dieselben sein sollen, wie die beim Kauakt wirksamen höchst kompli- 
zierten Kräfte. Aus den rein theoretischen Ausführungen Aichels ist jeden- 
falls nicht zu entnehmen, warum dieses sein muß. 

Daß auch Gebhardt auf Grund seiner Untersuchungen die Möglichkeit 
eines funktionellen Einflusses auf den inneren Aufbau des Zahnbeins zu- 
gegeben hat, ist bereits vorher erwähnt worden. Hierbei ist allerdings ein 
nicht unwesentlicher Punkt zu berücksichtigen. Bei den von Gebhardt 
untersuchten Zähnen handelt es sich um immer wachsende Zähne. Da bei 
diesen am offenen Ende des Zahnes die Dentinbildung stets im Gange bleibt, 
so erscheint hier die gestaltende Wirkung der Funktion leichter verständlich. 
Da aber Ai che 1 die Möglichkeit einer funktionellen Beeinflussung leugnet, 
so müßten die immerwachsenden Zähne in ihrer Struktur durchweg nur die 
Wirkung der auf den Wurzelteil wirkenden Kräfte erkennen lassen, und da 
die Beanspruchung des in die Mundhöhle ragenden Teiles des Zahnes eine 
andere ist als die des im Kiefer ruhenden Wurzelteiles, so müßte die Struktur 
dieser Zähne im Kronenteil den auf sie einwirkenden äußeren Kräften nicht 
entsprechen, d. h. sie müßten nicht zweckmäßig gebaut sein. Zu derselben 
Überlegung kommt auch Aichel. Er hat auch Untersuchungen in Aussicht 
gestellt, die sicher sehr wünschenswert und zur Lösung dieser Fragen sehr 
wichtig wären. Vorläufig erscheint mir diese Annahme wenig wahrscheinlich. 

Aichel glaubt nun ferner einen prinzipiellen Unterschied zwischen wurzel- 
losen Zähnen und Wurzelzähnen annehmen zu müssen. Erstere sollen in 
beschränktem Maße während der Gebrauchsperiode einen Einfluß der Funktion 
zulassen, letztere gar nicht. Nun habe ich schon an anderer Stelle erklärt, daß 
ich diesen prinzipiellen Unterschied nicht anerkennen kann. Zwischen beiden 
Formen gibt es ja alle möglichen Übergänge vom ständig wachsenden Zahn 
bis zum Wurzelzahn, indem nach längerer oder kürzerer Zeit schließlich doch 
eine Wurzelbildung stattfindet. Gewiß ist es ein wichtiger Unterschied, 
daß in dem einen Falle die Dentinbildung in vollem Umfange während des 
ganzen Lebens ununterbrochen vor sich geht. Im Gegensatz zu Aichel 
erscheint es mir aber gerade in diesem Falle weit schwieriger eine örtliche 
Wirkung des Gebrauchs anzun^hmen, da dieselbe infolge der fortwährenden 
Abnutzung und LImbildung nicht haften bleiben und zu dauernden Umfor¬ 
mungen führen kann. Wenn im übrigen auch bei Wurzelzähnen die Bildung des 
Zahnbeins nach vollendeter Wurzelbildung einen gewissen Abschluß erreicht, 
so sistiert dieselbe doch auch niemals, sondern wird ebenfalls während des 
ganzen Lebens fortgesetzt. Wir sind über die in den harten Zahnsubstanzen 
sich abspielenden Lebensvorgänge sehr wenig unterrichtet. Festzustehen 
scheint, daß der Kalkgehalt im Dentin und im Schmelz sowohl nach dem 
Lebensalter als auch nach dem gesundheitlichen Zustand wechseln kann. Das 
setzt eine Art von Stoffwechsel sogar in dem härtesten Teile des Zahnes, 
im Schmelz, voraus. Es wäre daher wohl vorstellbar, daß auch die feinsten 
Strukturelemente durch äußere Einwirkungen eine Umgruppierung im Sinne 
einer funktionellen Anpassung an dieselben erfahren könnten. Wie das 
geschehen kann, entzieht sich vorläufig unserer Kenntnis, es darf aber aus 


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1 


288 p. Adloflf 

theoretischen Erwägungen nicht von vornherein als unmöglich bezeichnet 
werden. 

Es erscheint mir weiter undenkbar, daß ein Organ mit dieser zweckmäßig 
gebauten komplizierten Innenstruktur als ein starrer Körper gelten soll, dem 
jede Veränderungsmöglichkeit fehlt, vielmehr scheint die Annahme einer 
gewissen Plastizität resp. Elastizität viel wahrscheinlicher. Scheinen doch 
selbst Körper, die den Gipfel der Festigkeit darstellen, nicht absolut starr zu 
sein, sondern eine gewisse Formveränderung zuzulassen. Schon im Jahr 1879 
sagt Ryder hierüber folgendes: That a brittle inflexible substance like 
marble, when in the form of thin, rectangular slabs may be bent by the 
force of gravity acting upon it persistendly whilst lying horizontally for a 
long time and only supported at two of its corners diagonally opposite 
each other, is proved by an old marble gravestone very much bent from 
this cause and now belonging to the Academy. This phenomenon it seems 
to me is no harder to explain than the morphological phenomena presented 
by the teeth of mammals/ for my part, I believe that both the phenomena 
in question, will most probably bear a similar interpretation." 

Ryder hat gewiß Recht! Wenn selbst Marmor der Wirkung der Schwere 
nachgibt, sollte lebender Schmelz und Dentin absolut unveränderlich sein? Es 
gibt gewiß keine lebende Substanz, auch wenn sie noch so unnachgiebig erscheint, 
die nicht entsprechenden äußeren Einwirkungen gegenüber durch Formver¬ 
änderung reagierte. Dann würden die Zähne also eine plastische, halbelastische 
Masse darstellen, und wenn bei einer Änderung der Lebensweise auch eine 
andere Verarbeitung der Nahrung notwendig werden würde, so würde durch 
die erzwungenen veränderten Kaubewegungen auch eine andere Berührung 
der gegenüberliegenden Zähne und hierdurch eine neue Modellierung der 
Kaufläche allmählich im Laufe der Generationen zustande kommen können. 
Auf diese Weise erklärt sich dann vielleicht auch die bereits vorher erwähnte 
Tatsache, daß die gegenüberliegenden Zähne der beiden Kiefer, sobald sie 
noch nicht benutzt sind, nicht in Artikulation zu bringen sind, weil sie 
aufeinander nicht passen, sondern erst allmählich einen exakten Zusam¬ 
menschluß erreichen, indem das Ineinandergreifen der Zähne selbsttätig her¬ 
gestellt wird. Allerdings wird sich dann die Frage erheben, warum hier diese 
funktionelle Anpassung nicht vererbt wird, so daß schon beim Durchbruch 
eine genaue Artikulation vorhanden ist. Die Frage ist leicht zu beantworten. 
Da die Größe der Kiefer, in welchen die Zähne befestigt sind, und diese 
selbst verschieden variieren, die letzteren in der nächsten Generation daher 
immer nur ungefähr dieselbe Stellung einnehmen werden, so könnte natürlich 
niemals sofort eine genaue Artikulation vorhanden sein. Sie muß daher jedes¬ 
mal von neuem wiederhergestellt werden. Daher habe ich auch Bedenken, 
ob die von Kükenthal mitgeteilte und als Beweis für die Vererbung 
erworbener Eigenschaften angesehene Tatsache, daß die Zähne von Halicore 
schon vor der Geburt Schliftflächen besitzen, richtig ist, d. h. ich zweifele nicht 
an der Richtigkeit der Beobachtung, sondern nur an ihrer Deutung. Ganzer 
teilt eine ähnliche Beobachtung mit für die Molaren des Meerschweinchen, aber 


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Die Zweckmäßigkeiten des Gebisses 


289 


er sagt: „Kaubewegungen finden schon beim Embryo statt. Die Backenzähne, 
die ursprünglich mit Spitzen ausgestattet sind, erscheinen beim neugeborenen 
Tier platt abgekaut, auch beim Embryo erkennt man auf Frontalschnitten 
die Abnutzung der eben durchgebrochenen Zähne." Vielleicht sind die Schliff* 
flächen bei Halicore auf dieselbe Weise zu erklären. 

Es kommt nun noch ein zweiter Weg in Frage, durch welchen die Um* 
formung der Zähne eintreten könnte, nicht von außen, sondern von innen. 
Aichei behauptet, der Schmelz besitze nach dem Durchbruch keine reaktions* 
fähigen Zellen mehr. Vorbedingung für die funktionelle Anpassung ist aber 
die Existenz reaktionsfähiger Zellen, denn funktionelle Anpassung ist nur 
den Organen möglich, deren Zellen durch den funktionellen Reiz trophisch 
erregbar sind, d. h. ein Organ muß unter der Wirkung der Funktion onto* 
genetisch einer Gestaltsveränderung zugänglich sein, soll phylogenetische 
Anpassung an die Funktion Platz greifen. 

Diese Vorbedingungen erfüllt nun der Schmelz in der Tat anscheinend 
nicht. In Wirklichkeit liegen die Dinge doch aber etwas anders. 

Gewiß besitzt der Schmelz keine reaktionsfähigen Zellen — ich habe 
Aichel sehr wohl verstanden —, aber er ist reaktionsfähig, d. h. er vermag 
die Reize der Außenwelt bis zur Pulpa fortzuleiten, deren Zellen, insbesondere 
zuerst die Odontoblasten, dieselben empfangen und verarbeiten. Es ist nicht 
richtig, wie es immer hingestellt wird, daß die Pulpa die äußere Form des 
Zahnes wiederhole,- in Wirklichkeit ist es umgekehrt, denn die Zahnpapille 
besitzt bereits vor Abscheidung von Schmelz und Dentin die Gestalt des 
künftigen Zahnes. 

Das Dentin ist ein modifiziertes Knochengewebe, in welchem aus Gründen 
der Zweckmäßigkeit die Bildungszellen, die Odontoblasten, nicht innerhalb, 
sondern außerhalb der abgeschiedenen Hartsubstanz liegen, aber ihnen werden 
selbstverständlich ganz dieselben Fähigkeiten zukommen wie den Osteoblasten. 
Es ist daher auch eine unbewiesene Behauptung, daß ein Organ unter der 
Wirkung der Funktion ontogenetisch einer Gestaltsveränderung zugänglich 
sein muß, soll phylogenetisch Anpassung an die Funktion Platz greifen. Das 
trifft wohl im allgemeinen zu, aber es ist nicht unbedingte Notwendigkeit. 
Es sind Fälle denkbar, in denen der Zusammenhang zwischen der Funktion 
und ihrer Wirkung kein so unmittelbarer ist. Ein solcher Fall liegt hier vor. 
Aijch wenn das Zahnbein selbst einer funktionellen Selbstgestaltung ohne 
weiteres nicht fähig ist, so werden doch die Bildungszellen, die Odontoblasten, 
die funktionellen Reize aufnehmen, bei dauernder Einwirkung festhalten und 
— die Vererbung erworbener Eigenschaften vorausgesetzt — auf die Nach* 
kommen übertragen, bei denen dann die in der vorigen Generation erworbenen 
Abänderungen manifest werden. Ja man wird nicht einmal ohne weiteres 
sagen können, daß diese ursprünglichen Abänderungen latent geblieben sind. 
Es ist sehr wohl möglich, daß die Odontoblasten durch den funktionellen 
Reiz tatsächlich verändert werden, nur daß diese Abänderung bei dem fertigen 
Zahn äußerlich nicht mehr in Erscheinung treten kann. Diese Auffassung 
würde natürlich voraussetzen, daß bei der Entwicklung der Zähne nidu 


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290 P. Adloflf 

allein dem Schmelzorgan die formbildende Rolle zukommt, indem dasselbe 
die bindegewebige Papille aktiv umwächst. Wäre dieses der Fall, dann wäre 
die Möglichkeit einer Einwirkung der Funktion auf die Bildungszellen aller¬ 
dings unmöglich, denn die Ameloblasten sind ja bereits nach Fertigstellung 
des Schmelzes schon vor dem Durchbruch des Zahnes zugrunde gegangen 
und fehlen dem fertigen Zahn vollständig. Dann wäre auch auf diesem 
Wege eine Abänderung der Form unmöglich, denn eine Beeinflussung der 
Odontoblasten wäre wertlos, da allein dem epithelialen Schmelzorgan die 
Formbildung des zukünftigen- Zahnes zufiele. Über die Rolle, welche das 
Epithel und das Bindegewebe bei der Zahnentwiddung spielen, herrscht 
keine völlige Übereinstimmung. In letzter Zeit ist besonders von dem leider 
zu früh verstorbenen Ahrens der Versuch gemacht worden, das Epithel 
allein als den aktiven Teil hinzustellen. Andere Autoren haben sich weniger 
bestimmt, aber doch in demselben Sinne ausgesprochen, andere haben eine 
definitive Stellungnahme überhaupt unterlassen. Meines Erachtens hat 
Ahrens übersehen, daß die Zahnentwicklung bei den höheren Säugetieren 
-doch bereits vielfach sekundär abgeändert ist. Betrachten wir aber einen 
primitiven Typus der Zahnentwicklung, etwa die Plakoidschuppen oder 
die Zähne der Selachier, so kann kein Zweifel daran sein, daß beiden Ge¬ 
weben zum mindesten dieselbe Bedeutung zukommt. Es ist daher auch nicht 
richtig, daß die einzelnen Zahnanlagen zustande kommen lediglich durch 
Faltenbildung der Zahnleiste, sondern auch das Bindegewebe tritt aktiv durch 
Bildung einer Zellanhäufung, der Papille, in Tätigkeit. So hat meines Er¬ 
achtens die alte Auffassung, daß Papille und Zahnleiste sich entgegenwachsen, 
daß also, wie auch Wetzel sagt, die Papille gegen das Schmelzorgan vor¬ 
dringt, das sie ihrerseits wie eine Kappe umwächst, noch die meiste Berech¬ 
tigung. Dann steht aber auch nichts meiner Auffassung entgegen, daß die 
Höckerbildung von der Papille ausgeht und daß daher die Pulpa nicht die 
Form des Zahnes wiederholt, sondern daß Dentin und Schmelz die Pulpa 
bekleiden und die durch diese vorgeschriebene Form annehmen. Dann wäre 
aber auch die Annahme nicht ungerechtfertigt, daß ein dauernder funktioneller 
Reiz, etwa durch Inanspruchnahme einer bestimmten Stelle der Zahnober¬ 
fläche beim Kauakt, durch Einwirkung auf die Odontoblasten und Weiter¬ 
leitung des Reizes zu den Keimzellen, in der nächsten Generation eine Ab¬ 
änderung der Zahnform hervorrufen könnte. Diese Auffassung über die 
Vererbung ursprünglich somatogener Eigenschaften ist übrigens durchaus nicht 
neu. Ich habe schon in meiner letzten Arbeit zu dieser Frage an die schönen 
Untersuchungen Fischers über die Vererbung erworbener Eigenschaften 
erinnert, die an Lepidopteren und Coleopteren angestellt worden sind 
und die in vielen Beziehungen weitgehende Ähnlichkeit mit den hier 
behandelten Problemen besitzen. Es handelt sich dabei um die Frage, in 
welcher Weise durch funktionelle Anpassung Umformungen des Chitin¬ 
skelettes zustande kommen können. Auch der Schmetterlings- und der 
Käferflügel werden von vielen Autoren als tote Gebilde erklärt, deren 
Veränderung nach dem Erhärten vollkommen unmöglich wäre. Weis- 


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Die Zweckmäßigkeiten des Gebisses '291 

mann hat z. B. mit hierauf seine Argumentation gegen das Lamarcksche 
Prinzip begründet. 

Fischer zeigt nun, daß diese Auffassung nicht richtig ist, daß der Falter¬ 
flügel kein totes Gebilde ist, sondern daß zwischen ihm und dem übrigen 
Körper noch lange Zeit nach dem örtlichen Erhärten ein Stoffwechsel besteht. 

Fischer ist im Verlauf seiner Untersuchungen zu Schlüssen gekommen, 
die genau — fast mit denselben Worten — mit meiner ganz unabhängig 
von ihm gewonnenen Auffassung übereinstimmen. Auch er nimmt zwei 
Wege an, auf denen die Umwandlung des Chitinflügels zustande kommen 
kann. 

Da die betreffende Arbeit vielleicht nicht allen Lesern dieser Zeitschrift 
zugänglich ist, wiederhole ich die betreffende Stelle hier noch einmal. Fischer 
sagt folgendes: 

„Auf jeden Fall ist es nicht widersinnig, vielmehr auf Grund vorhandener 
Tatsachen außerordentlich nahe gelegt, anzunehmen, daß die Chitinschale in 
der ersten Zeit des Individuallebens durch von außen und von innen auf sie 
einwirkende mechanische und chemische Kräfte eine, wenn auch allerdings 
zuweilen sehr geringe, aber im Laufe zahlreicher Generationen zufolge der 
Vererbung sich nach und nach steigernde Umbildung erfahre. Wie sollten 
auch alle diese Kräfte spurlos an einem solchen Organismus vorübergehen, 
wirkungslos an ihm abprallen! Das ist an sich schon kaum annehmbar und 
wird überdies durch zahlreiche Beobachtungen sowohl als insbesondere durch 
die Temperaturexperimente widerlegt. 

Indessen läge, selbst wenn man von all diesen hohen Wahrscheinlichkeiten, 
daß das Chitin nach dem Erstarren sich doch noch verändern lasse, absehen 
wollte, meines Erachtens noch eine weitere Erklärungsmöglichkeit vor. Wir 
brauchen uns nicht einmal vorzustellen, daß z. B. ein äußerer oder innerer 
Reiz eine Verdickung oder dergleichen erzeuge, sondern könnten uns denken, 
daß dieser Reiz, ohne zunächst die Peripherie des Körpers zu verändern, 
durch die Vererbungsbahnen (ähnlich wie durch die sensiblen Nervenbahnen 
zum Zentralnervensystem) direkt auf die Keime übertragen würde, dort 
deponiert bliebe und in der nächsten Generation (zentrifugal) nach der 
Körperoberfläche (des Nachkommen) ausstrahle, hier die chitinabsondernden 
Zellen während des Puppenstadiums und noch kurze Zeit nach dem Aus^ 
schlüpfen reize und damit erst eine Verdickung erzeuge. Also nicht eine 
Veränderung, nicht eine bedeutendere Dicke oder Härte des Chitins würde 
durch den primären Reiz erzeugt oder brauchte erzeugt zu werden, sondern 
es überträgt, es vererbt sich nach dieser Vorstellung zunächst nur der Reiz 
vom Soma auf die Keime,* der morphologische Effekt kommt erst in der 
nächsten Generation zum Austrage, würde sich aber von Generation zu 
Generation steigern können." 

Diese Sätze können vollständig auch auf die Zähne übertragen werden, 
und aus ganz ähnlichen Gründen ist auch der weitere Einwand Aichels, 
daß in der Ontogenese die Wirkung der Funktion lediglich eine Verkleine^ 
rung der Pulpa herbeiführt, ebenso hinfällig. 


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P. Adloff 


Dieser Ein wand Aich eis bezieht sich auf meinen Hinweis, daß jeder 
abnorme Reiz, der die Pulpa trifft, die Bildung von sogenanntem Schutz¬ 
oder Ersatzdentin hervorruft, so daß hierdurch in der Tat zunächst eine 
Verkleinerung der Zähne eintritt. Die Bildung von Ersatzdentin ist ja die 
einzige Möglichkeit, in welcher sich der funktionelle Reiz, der in anderen 
Geweben zur Vergrößerung des betreffenden Organes führt, beim Zahne 
äußern kann. Aber nicht diese durch die Eigenart der Zahngewebe bestimmte 
individuelle Form der funktionellen Wirkung wird erblich fixiert, sondern 
lediglich die erhöhte vitale Energie der Odontoblasten und der benachbarten 
Pulpazellen, die sich in der nächsten Generation in einer quantitativ und 
qualitativ vermehrten Leistungsfähigkeit der Reizstelle der Pulpa äußern wird 
und hierdurch, wenn derselbe Reiz Generationen hindurch trifft, eine Ver¬ 
änderung auch der äußeren Form herbeiführen kann. 

Auch den Einwand Aich eis, daß die Pulpa in diesem Falle einen Reiz 
aufnehmen würde, der erst in der nachfolgenden Generation eine Organ¬ 
abänderung bewirkte, wie sie für die vorhergehende Generation zweckmäßig 
gewesen wäre, hat bereits Fischer zurückgewiesen. Er sagt hierzu: „Daß 
die Neubildung und somit ihr Vorteil immer erst in der nächstfolgenden 
Generation sich einstellt, ist bei der geringen Differenz desselben für die 
Existenz des Tieres ohne ausschlaggebende Bedeutung,* es verhält sich damit 
analog, wie etwa beim Menschen mit dem Nutzen der Erfahrung, der zu¬ 
weilen erst bei einer späteren ähnlichen Situation zum Austrage kommen 
kann." 

Eine Beeinflussung der äußeren Zahnform durch die Funktion liegt also 
sehr wohl im Bereiche der Möglichkeit. Damit dieselbe aber phylogenetisch 
zur Wirkung gelangt, muß noch etwas hinzukommen, das ich hier still¬ 
schweigend vorausgesetzt habe, eine Vererbung der neuerworbenen Ab¬ 
änderung. Damit kommen wir zu einem Problem, das heute mehr denn je 
diskutiert wird. Es kann nicht meine Aufgabe sein, dasselbe hier ausführlich 
zu behandeln, zumal eine umfangreiche und ausgedehnte Literatur vorhanden 
ist. Es soll hier nur ganz kurz auf die prinzipielle Seite der Frage, soweit sie 
für unser Thema von Wichtigkeit ist, hingewiesen werden. Es ist klar, daß 
wenn eine Vererbung erworbener Eigenschaften nicht stattfindet, die funk¬ 
tioneile Anpassung in der phylogenetischen Entwicklung der Lebewelt keine 
Rolle spielen kann. Und in der Tat stehen heute eine große Anzahl an¬ 
gesehener Forscher auf diesem Standpunkt. Diese Auffassung beruht zum 
größten Teil auf den Ergebnissen der experimentalen Untersuchungen der 
Vererbungsforscher, aus denen hervorzugehen scheint, daß die Wirkungen 
der Umwelt niemals vererbt werden. Es sind rein phänotypische Erschei¬ 
nungen, die nur das Äußere des Organismus betreffen und nichts mit seiner 
Erbbeschaffenheit, der genotypischen Grundlage, zu tun haben, so wenig wie 
der Mantel mit der ErbbesdhaTfenheit des Trägers. 

So wichtig und interessant die Resultate dieser modernen Untersuchungen 
auch sind, daß durch sie eine Lösung des Problems der Vererbung erworbener 
Eigenschaften im negativen Sinne herbeigeführt ist, kann ich nicht anerkennen. 


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Die Zweckmäßigkeiten des Gebisses 


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Allerdings muß zugegeben werden, daß die experimentellen Versuche, die 
umgekehrt eine Vererbung erworbener Eigenschaften beweisen sollten, eben* 
falls nicht einwandfrei sind. Hier liegt es aber vielleicht weniger an dem 
Ausfall der Versuche selbst, als an den Einwänden, die gegen dieselben 
gemacht sind und deren Möglichkeit wenigstens zugegeben werden muß. 
Meines Erachtens unterschätzen die Leugner der Vererbung erworbener 
Eigenschaften zweierlei: erstens die unbegrenzte Zeitdauer, die der schaffenden 
Natur zur Verfügung steht, zweitens die unbegrenzte Reaktionsfähigkeit der 
lebenden Substanz. Es ist durchaus nicht gesagt, daß jeder Reiz, selbst wenn 
er von erheblicher Intensität und längerer Dauer ist, unbedingt bis zu den 
Keimzellen Vordringen und vererbt werden muß. Es ist durchaus vorstell* 
bar, daß die Zellen auch in dieser Beziehung eine Art Wahlvermögen 
besitzen. Es ist gar nicht notwendig, hierbei an irgendwelche mystischen 
Kräfte zu denken, man braucht nur anzunehmen, daß die Leitung, die zwischen 
Soma und Keimzellen angenommen werden muß, sei sie chemischer oder 
dynamischer Natur nur unter gewissen Bedingungen, die wir nicht kennen, 
eingeschaltet wird. 

Es sind das übrigens keine ganz hypothetischen Annahmen, sondern es 
liegen Tatsachen vor, die einen derartigen Zusammenhang, wenn auch in 
umgekehrter Richtung, beweisen. Ich meine die Fälle, in denen Zähne zu 
sekundären Geschlechtsmerkmalen geworden sind, wie z. B. die Stoßzähne 
des Elefanten, die Hauer des Ebers und andere mehr. Hier ist das die anderen 
Zähne weit überragende Größenwachstum wahrscheinlich von der inneren 
Sekretion der Geschlechtsdrüsen abhängig, von denen aus also eine Leitung 
zu den Zähnen angenommen werden muß. Es ist daher auch eine arge Über¬ 
schätzung unsres Wissens und eine noch größere Unterschätzung der vor* 
liegenden Tatsachen, wenn Siemens in seiner Einführung in die Allgemeine 
Konstitutions* und Vererbungspathologie die Sache so hinstellt, als wenn 
die Annahme einer Vererbung erworbener Eigenschaften ein für alle Male 
erledigt sei und nur „allein noch auf gefühlsmäßigen Gründen beruhen könne, 
da ihr jede andre Grundlage fehle". Das Problem der Vererbung erworbener 
Eigenschaften wird experimentell überhaupt niemals gelöst werden können, 
weil weder die negativen noch die positiven Resultate eine eindeutige Be* 
Wertung zulassen. Von dieser Seite haben wir keine Lösung des Problems 
zu erwarten. 

Auch die menschliche Pathologie kann wohl aus den Erfahrungen der Ver* 
erbungsforschung großen Nutzen ziehen, aber umgekehrt ist sie für letztere 
nur in beschränktem Umfange verwertbar. So bleiben im Grunde genommen 
nur die Tatsachen der vergleichenden Anatomie. Gewiß sind auch sie ein* 
zeln genommen nicht beweisend, aber im großen Zusammenhang betrachtet 
beweisen sie doch mehr, als sämtliche experimentellen Untersuchungen, denn 
sie unterliegen nicht den beschränkenden Momenten, die jedes Experiment 
auf diesem Gebiet zweifelhaft und unsicher erscheinen lassen. Es sind also nicht 
gefühlsmäßige Gründe, die eine ebenso große Anzahl von Forschern trotz 
aller Resultate der experimentellen Vererbungsforschung abhalten, daran zu 


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P. Adloff 


glauben, daß die unendlichen Fälle zweckmäßiger Gestaltung und zweckmäßiger 
Einrichtungen der Organismenwelt lediglich ein Spiel des blinden Zufalles 
sein soll. Im Gegenteil, die Gründe, die für die Bedeutung der funktionellen 
Anpassung und für die Vererbung der auf funktionellem Wege erworbenen 
Abänderungen für die Phylogenie sprechen, sind so überzeugend, daß selbst 
Weismann eines außerordentlich komplizierten und künstlichen Gedanken- 
Systems bedurfte, um die vorliegenden Tatsachen selektionistisdv erklären zu 
können. Eine Ablehnung der Vererbung erworbener Eigenschaften be¬ 
deutet meines Erachtens einen Verzicht auf die Annahme einer natürlichen 
Entwicklung. 

Damit kehre ich zu dem Ausgangspunkt meiner Betrachtungen zurück. Ich 
habe den Komplex von Fragen, der mit diesem Problem verbunden war, so 
ausführlich behandelt, weil nur mit ihrer Beantwortung eine Entscheidung 
möglich ist. Wir stellen als das Ergebnis dieser Erörterungen fest, daß die 
Differenzierungstheorie auch heute noch volle Gültigkeit besitzt, d. h. daß eine 
Umformung der Zähne durch funktionelle Anpassung durchaus im Bereiche 
der Möglichkeit liegt und daß der dreihöckerige Zahn der Grundtypus sämt¬ 
licher komplizierter Säugetierzahnformen ist. 

Mit derTrituberkulärtheorie ist aber Selektion als ausschließlich gestaltendes 
Prinzip unvereinbar. Es ist nicht vorstellbar, wie aus zufälligen Variationen 
eine so geradlinige, über die ganze Säugetierklasse sich erstreckende Entwick¬ 
lung zustande kommen konnte. Es ist auch wenig wahrscheinlich, daß anderer¬ 
seits nur diejenigen Variationen sich als brauchbar erwiesen haben sollten, 
die auf den trituberkären Typus zurückzuführen sind. Man müßte im Gegen¬ 
teil eine Fülle der verschiedensten Zahnformen erwarten, denn je mehr Varia¬ 
tionen, um so mehr Möglichkeiten einer divergenten Entwicklung waren vor¬ 
handen. 

Diese Schlußfolgerungen erhalten noch erhöhte Bedeutung durch eine Reihe 
anderer Tatsachen. 

Es ist bekannt, daß die rudimentären Organe der Erklärung durch Selektion 
ebenfalls die größten Schwierigkeiten machen, während ihre Entstehung durch 
funktionelle Anpassung infolge Nichtgebrauchs sehr leicht verständlich ist. 
Im Gebiß kommen nun Rückbildungserscheinungen sehr häufig vor. 

Sie treten in verschiedenem Grade auf: 

1. funktionierende Zähne werden kleiner unter Vereinfachung der Form, 

2. der betreffende Zahn erscheint nicht mehr, wird aber noch embryonal 
angelegt, 

3. er ist vollständig geschwunden, auch embryonal ist er nicht mehr fest¬ 
stellbar. 

Andererseits können von der Rückbildung einzelne Zähne betroffen werden, 
bestimmte Abschnitte oder das vollständige Gebiß. 

Wir finden im Gebiß der Säugetiere zahlreiche Beispiele für jeden Modus. 
Einige von ihnen sind vorher bereits erwähnt worden. 

Aichel sind natürlich die Schwierigkeiten, die der Deutung der rudi¬ 
mentären Organe entgegenstehen, nicht unbekannt geblieben. Er erklärte 


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Die Zweckmäßigkeiten des Gebisses 


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die Rückbildung der Zähne in der Weise, daß außer brauchbaren auch mechanisch 
nicht verwertbare Kiefer entstanden sein sollen und daß die Tiere dann 
hiernach ihre Nahrung gewählt haben. Die Hypothese mutet höchst seltsam 
an und führt zu den merkwürdigsten Konsequenzen. Ich nehme z. B. die 
Bartenwale an. Aichel wird ebenfalls der Ansicht sein, daß hier die voll¬ 
kommenste Anpassung an das Wasserleben vorliegt, die bei Säugetieren 
denkbar ist. Wie ist hier nun die Entwicklung vor sich gegangen? Sind zu¬ 
erst bei irgendeinem Landsäugetier zahnlose Formen aufgetreten, von denen 
etwa die einen Insekten zur Nahrung wählten und die heutigen Myrmeco- 
phagidae darstellen, während die anderen aus demselben Grunde ins Wasser 
gingen und zu Bartenwalen wurden? Ist daher der Verlust der Zähne hier 
die alleinige LIrsache gewesen für alle die zahlreichen Umformungen, die 
bei diesen Tieren infolge der Anpassung an die besondere Lebensweise vor 
sich gegangen sind. Oder sind irgendwelche Landsäugetiere zuerst ins Wasser 
gegangen, haben sich den neuen Bedingungen angepaßt und sind dann zu¬ 
fällig die Zähne verloren gegangen in wundervoller Harmonie mit der Lebens¬ 
weise im Wasser? 

Ich habe in meinen früheren Arbeiten noch andere Beispiele angeführt, auf 
die ich auch hier noch einmal näher eingehen muß, weil auch Aichel in 
seiner letzten Arbeit auf meine damaligen Ausführungen zurückgekommen ist. 

So habe ich an Proteles erinnert, der ganz rudimentäre Molaren besitzt 
und sich von Termiten ernährt. Aichel ist der Ansicht, daß die rudimen¬ 
tären Zähne durch Variation entstanden sind und hierdurch die eigenartige 
Nahrung dieses Karnivoren bedingt gewesen ist. 

Zur „Klärung der Verhältnisse" zieht er ein anderes Organ herbei: „Bei 
Affen, die im Walde leben und besonders lange Arme besitzen, kann man 
zwei Auffassungen über die Entstehung der langen Arme und des Waldlebens 
haben: erstens die langen Arme seien das Ergebnis funktioneller Anpassung 
an das Waldleben,• zweitens die langen Arme seien durch Mutation ent¬ 
standen und hätten den Tieren ermöglicht, im Walde rascher vorwärts zu 
kommen und dort am Orte geringerer Konkurrenz leichter die nötige Nahrung 
zu gewinnen. 

Es ist mir nun nicht ganz klar geworden, wie durch diese Alternative die 
Verhältnisse geklärt werden sollen, denn selbstverständlich ist dieselbe mög¬ 
lich. Ich habe dieselbe Alternative soeben für die Wale aufgestellt, es kommt 
lediglich darauf an, welche Annahme die wahrscheinlichere ist. 

Zunächst aber einige Worte über den Ausdrude „Mutation". Es geht 
aus den Schriften Aichels nicht einwandfrei hervor, was er darunter versteht, 
wie er uns überhaupt über die Art seiner Variationen im Dunkel läßt. Ich 
nehme an, er meint damit die großen sprungweisen Änderungen im Sinne 
von de Vries. Es wird aber heute wohl allgemein angenommen, daß der¬ 
artige Mutationen in der Natur sehr selten Vorkommen und keine erheb¬ 
liche Rolle in der Entwicklung gespielt haben. Auch wäre es dann doch sehr 
auffallend, daß lediglich solche Mutationen auftreten, die gerade im Er¬ 
nährungsdienst außerordentlich brauchbar sind und auch sonst mit der Or- 


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ganisation der betreffenden Tiere vollkommen übereinstimmen. In dieser Be* 
Ziehung ist ja auch Aichel durchaus konsequent, indem er meint, daß auch 
nicht brauchbare, mechanisch nicht verwertbare Zähne und Kiefer entstanden 
sein sollen. Nun bin ich persönlich wenigstens davon überzeugt, daß Nicht* 
brauchbares überhaupt nicht entstehen kann, weil es dem Grundsatz von der 
Zweckmäßigkeit allen Lebens widerspricht. Aber gesetzt den Fall, es wäre 
so! Dann muß ich wieder auf jene Frage zurückkommen, die ich schon ein* 
mal gestellt habe, nicht etwa, um Aichel auf einen vielleicht falsch ver* 
standenen Ausdruck festzunageln, sondern in logischer Konsequenz seiner Auf* 
fassung. Wo sind jene Klassen von Tieren mit nicht brauchbaren Gebissen 
geblieben? Denn es ist doch klar, daß, wenn der Zufall herrscht, die Wahr* 
scheinlichkeit, daß unbrauchbare Gebisse entstehen, ebenso groß ist, als daß 
brauchbare Variationen auftreten. Dabei sehe ich ganz ab von der vorher 
erörterten Tatsache, daß die Säugetierzähne einen gemeinsamen Bauplan 
besitzen und daher ihre Entstehung durch Variation noch unwahrscheinlicher 
wird. 

Bezeichnet aber Aichel mit dem Worte „Mutation" jene kleinen, überall 
vorkommenden Variationen, auf welchen die Darwinsche Selektionstheorie 
beruht, so kann ich nur auf die früher erwähnten Tatsachen hinweisen, die 
ihre Unbrauchbarkeit für das Gebiß dartun. 

Was nun das Beispiel der Affen anbetrifft, so ist der Vergleich in keiner 
Weise zutreffend. Es handelt sich nicht allein um Proteles, sondern um 
zahlreiche andere ähnliche Erscheinungen im Gebiß der Säugetiere. Wird 
daher auch die Frage Aich eis nach dieser Richtung hin erweitert und auf 
die vordere Extremität der Säugetiere überhaupt ausgedehnt, so würde die 
Entscheidung, welche Auffassung vorzuziehen sei, wahrscheinlich anders aus* 
fallen müssen. Ich nehme als Beispiel wieder die Wale. Aichel wird doch 
nicht im Ernst behaupten wollen, daß die Annahme irgendwelche Wahr* 
scheinlichkeit hätte, die Flossen wären als Mutation aufgetreten und hätten 
den Tieren ermöglicht, im Wasser rascher vorwärts zu kommen und dort am 
Orte geringerer Konkurrenz die nötige Nahrung zu gewinnen? 

Es ist das dieselbe Frage, die ich bezüglich das Gebisses der Wale schon 
vorher gestellt hatte, weil gerade die im Wasser lebenden Säugetiere ganz 
besonders geeignet sind, als Zeugnis für die Bedeutung der funktionellen 
Anpassung herangezogen zu werden. Die Wale, die am vollständigsten 
zum Wasserleben übergegangen sind, zeigen auch die hochgradigste Über* 
einstimmung mit demselben im Gebiß, das entweder vollständig verloren* 
gegangen ist oder aus sehr zahlreichen konischen Zähnen besteht/ bei den 
Pinnipediern hat eine weniger vollständige, aber sehr bemerkbare Umformung 
des Karnivorengebisses zu einem Greiforgan stattgefunden, während die 
sonstigen Veränderungen im Körperbau infolge der aquatilen Lebensart 
nicht so weitgehend sind, wie bei den Cetacea,- Lutra dagegen besitzt noch 
ein vollständiges Karnivorengebiß. Es scheint daher doch keine Frage zu 
sein, daß die Fischotter im Begriff ist, sich dem Leben im Wasser ebenso* 
sehr anzupassen, wie es bei den Pinnipediern in hohem Grade, bei den 



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Die Zweckmäßigkeiten des Gebisses 


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Cctacea vollständig der Fall ist. Die Umformung des Gebisses kann hier 
nicht zuerst aufgetreten sein, sie hat sich vielmehr als ein Glied der übrigen 
zahlreichen Anpassungserscheinungen mit diesen im Laufe der Stammes* 
geschichtlichen Entwicklung allmählich herausgebildet. 

Aichei bestreitet diese Auffassung, indem er erneut behauptet, daß das 
Gebiß der Fischotter ja beweise, daß auch ein vollständig ausgebildetes Raub* 
tiergebiß zum Ergreifen von Fischen geeignet ist, so daß also die Reduktion 
des Pinnipediergebisses hiermit nicht im Zusammenhang stehen könne. Ich 
kann hierauf von meinem Standpunkt aus nur erwidern, daß es gar nicht 
darauf ankommt, daß das Gebiß der Otter, die übrigens außer Fischen auch 
Frösche, Wasserratten, kleine und sogar große Vögel frißt, für Fischnahrung 
auch geeignet ist — auch andere Karnivoren fressen ja gerne Fische —, sondern 
mehr darauf, daß zu diesem Zwecke einfacher gestaltete Zahnformen dienlicher 
sind, wie sie die Pinnipedier, die sich nur von Fischen und weichschaligen 
Muscheln nähren, besitzen. Im Gebiß der Pinnipedier finden sich auch nicht 
Reduktion und progressive Vorgänge gemeinsam vor, wie Aichel be* 
hauptet, sondern das Zahnsystem von Leptonyx mit seiner sekundären 
Trikonodontie fugt sich vollkommen zwanglos in die Entwicklungsrichtung 
des Pinnipediergebisses ein. Auch bei Leptonyx beruht die Trikonodontie 
nur auf Rückbildung, ganz ebenso wie die dreihöckerigen Molaren des rezenten 
Menschen weder eine ursprüngliche Trituberkulie, wie sogar Cope annahm, 
noch eine progressive Entwicklungsform darstellen. Immerhin kann man 
aber vielleicht alle diese Erscheinungen im Gebiß der bezahnten Meeres* 
Säugetiere im progressiven Sinne deuten, insofern als die Rückbildung ja zu* 
nächst nicht auf den völligen Schwund der Zähne hinzielt, sondern lediglich 
ein Greiforgan schafft, wie es ja auch sonst oft schwer ist, regressive und 
progressive Entwicklungsvorgänge auseinander zu halten. Jedenfalls aber 
kann es keinem Zweifel unterliegen, daß sich in dem Gebiß der Pinnipedier 
ganz einheitliche Vorgänge abspielen und nicht progressive und regressive 
Erscheinungen gemeinsam Vorkommen. 

Zu diesen gehört auch, daß das Milchgebiß ebenfalls in Rückbildung be* 
griffen ist. Das beweist lediglich, wie schon M. Weber ausfuhrt, die ver* 
hältnismäßige Jugendlichkeit der Reduktion und die Bedeutung einer Um* 
formung auch für die erste Dentition. 

Wenn daher Aichel behauptet, die Pinnipedier seien völlig ungeeignet, 
die Annahme zu beweisen, der Nahrungswechsel ändere die Zahnform ab, 
sie wählten Fischnahrung, weil sie sich im Wasser reichlich vorfindet, auch 
im Besitze eines voll ausgebildeten Raubtiergebisses würden sie Fischen nach* 
jagen, so findet diese Behauptung in den vorliegenden Tatsachen keine Stütze. 

Dasselbe gilt für seine ähnliche Auffassung über das Gebiß der Cetaceen, 
die übrigens nur durch allgemeine Betrachtungen begründet wird. Ganz 
verfehlt erscheint mir die Annahme, daß, wenn bei Bartenwalen noch embryonal 
ein heterodontes Gebiß zur Anlage gelangt, das nie benutzt wird, hier eine 
progressive Anlage vorliegen kann, die durch die Entwicklung der Barten 
unterdrückt ist. 

Vierteljahrssdirlft för Zahnheilkunde, Heft 3 20 


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Ich möchte Aichel daran erinnern, daß ich schon vor langen Jahren auch 
bei Phocaena im hinteren Teile der Zahnreihe noch mehrhöckerige Zähne 
vom Molarentypus festgestellt habe. 

Die von Aichel gestellte Frage: Ist die Nahrung der Wale überhaupt 
den verschiedenen Gebißformen entsprechend verschieden? ist nur mit einem 
entschiedenen Ja zu beantworten. Denn wir sehen, wie auch Abel in seiner 
Paläobiologie ausführt, mit dem Übergang von der Fischkost bis zu der aus 
Cephalopoden, kleinen Krebsen und Weichtieren bestehenden Nahrung der 
Bartenwale, die Zähne rudimentär werden und bis auf die embryonal noch 
vorhandenen Anlagen gänzlich verloren gehen. 

Man muß schon nicht sehen wollen, um nicht hier, wie überall, zum minde¬ 
sten eine vollkommene Übereinstimmung der Gebißformen mit der Art der 
Ernährung festzustellen. 

Daß die Zähne infolge verringerten Gebrauchs an Größe abnehmen, lehrt 
das Gebiß des Menschen. Wohl fallen selbst die Zähne des Heidelberger 
Kiefers in die Variationsbreite des rezenten Menschen, durchschnittlich aber 
sind die Zähne der heutigen Menschen ohne Frage kleiner, als die der dilu¬ 
vialen Vorfahren, wenn der Unterschied auch nur gering ist. Diese Größen¬ 
abnahme kann keine andere Ursache gehabt haben, als die weichere Kost, 
die der Mensch seit Entdeckung des Feuers zu sich genommen hat und die 
einen geringeren Reiz auf Kiefer und Zähne ausübte, um so ihre Reduktion 
zu bewirken. Panmixie im Sinne Weismanns, die eintritt, wenn ein Teil 
nicht mehr gebraucht wird, kommt nicht in Betracht, denn das Gebiß hat 
seinen Selektionswert keineswegs verloren. Auch Degeneration scheidet aus, 
denn Entartung äußert sich nicht in Verkleinerung, sondern in Verschlechterung 
der betreffenden Organe, die beim Gebiß des modernen Menschen als pro¬ 
gressive Zahnkaries in Erscheinung tritt. So bleibt nur die Wirkung der 
Funktion als Ursache übrig, und es zeigt auch diese Tatsache nur wieder, 
welche ungeheuren Zeiträume dazu gehören, damit dieselbe in Erscheinung 
tritt, und wie aussichtslos es ist, das Problem experimentell innerhalb höchstens 
einiger Jahre lösen zu wollen. 

Außer durch Nichtgebrauch kann eine Rückbildung auch dadurch ent¬ 
stehen, daß einzelne Glieder der Zahnreihe besonders an Größe zu¬ 
nehmen und somit ihren Nachbarn Bildungsmaterial entziehen. Offenbar 
steht der Zahnleiste, wie es auch bei anderen Organen der Fall ist, nur 
eine bestimmte Menge Material zur Verfügung, mit welchem sie aus- 
reichen muß. Verbraucht sie für einen Zahn mehr, als normalerweise 
die Regel ist, so kann dies nur auf Kosten der benachbarten Zahnan¬ 
lagen geschehen, die infolgedessen in demselben Verhältnis kleiner werden 
müssen. So stehen neben großen Eckzähnen die kleinen vorderen Prämo¬ 
laren, und erreicht ein Zahn eine besondere Größe, wie z. B. die Sto߬ 
zähne der Elefanten, so können die Nachbarn vollständig rudimentär 
werden und ganz ausfallen. Auch die Lücke zwischen Nagezähnen und 
Molaren der Rodentier ist wohl durch diese „Ökonomie der Ernährung" 
zu erklären. 



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Die Zweckmäßigkeiten des Gebisses 


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Ob hiermit aber die Ursachen für die Rückbildungserscheinungen erschöpft 
sind, ist zweifelhaft. Die volle Zahl von 44 Zähnen wird heute nur noch 
von sehr wenigen Formen erreicht. Seit dem Eozän ist allgemein eine Ver¬ 
minderung der Zahnzahl eingetreten. Es scheint, als ob dieselbe mit einer 
Verkürzung der Kiefer zusammenhängt und als ob diese Tendenz auch heute 
noch anhält und eine Reduktion weiterer Zähne herbeizufuhren scheint. Auch 
hierfür finden wir im Gebiß des Menschen ein Beispiel. Der zweite Schneide¬ 
zahn steht offenbar auf dem Aussterbeetat. Er kommt in allen Graden der 
Rückbildung vor, sehr oft fehlt er ganz. Irgendwelche äußere Ursachen sind 
nicht erkennbar. Die Ökonomie der Ernährung kommt nicht in Frage, da 
die nebenstehenden Zähne keineswegs an Größe überragend sind. Nicht¬ 
gebrauch ebenfalls nicht, denn es ist nicht ersichtlich, wie dieser mitten in der 
Reihe stehende Zahn weniger in Anspruch genommen werden sollte, als 
seine Nachbarn. Bei Platyrrhinen finden wir noch drei Prämolaren, bei 
Anthropoiden und beim Menschen nur noch zwei, und es wird behauptet, daß 
bei letzterem der zweite Prämolar des Oberkiefers ebenfalls Zeichen der Re¬ 
duktion an sich trägt. Während der erste gewöhnlich noch zwei Wurzeln be¬ 
sitzt, hat der zweite häufig nur noch eine. Es liegt daher nahe anzunehmen, 
daß hier eine Entwicklungsrichtung verfolgt wird, deren Verlauf von äußeren 
Ursachen unabhängig ist. Damit kommen wir zu jener großen Unbekannten, 
die auch sonst noch in der Entwicklungsgeschichte eine große Rolle spielt 
und auf die wir gleich noch einmal stoßen werden. 

Die verschiedenartige Spezialisierung der beiden Dentitionen ist ebenfalls 
ein Problem, das nur unter ganz unwahrscheinlichen Voraussetzungen selek' 
tionistisch zu lösen ist. Es ist nicht allein der Halbaffe Chiromys, der hier in 
Frage kommt, wenn er auch einen besonders krassen Fall darstellt und merk¬ 
würdig genug ist. Nicht allein müßte hier eine ganz auffallende Variation 
des Gebisses aufgetreten sein, die in genauer Übereinstimmung steht mit 
der ebenso eigenartigen Nahrungsweise des Tieres, es wird der Fall noch 
komplizierter dadurch, daß gleichzeitig eine Abänderung der Hand hinzu¬ 
kommt, die ebenfalls im Zusammenhang mit der Ernährung steht. Es ist 
doch sehr schwer, sich vorzustellen, daß diese zweckmäßigen Einrichtungen 
aus einer Kombination zufälliger Variationen hervorgegangen sein sollen. 

Es gibt noch einen ähnlichen Fall, in welchem die Verhältnisse viel ein¬ 
facher und klarer liegen. Bekanntlich besitzt der zweite Milchmolar des 
Menschen, ebenso wie übrigens auch bei anderen Tieren, die Form des 
ersten bleibenden Molaren, während sein Ersatzzahn eine viel einfachere 
Gestalt besitzt. Der Grund ist offenbar der: weil der zweite Milchmolar 
m Milchgebiß in mechanischer Beziehung dieselbe Stelle einnimmt, wie der 
erste Molar im bleibenden, d. h. weil beide an der Stelle der größten Kraft¬ 
wirkung stehen, haben sie auch beide dieselbe Form, mit dem einzigen Unter¬ 
schiede, daß der erstere den kindlichen Verhältnissen entsprechend kleiner 
ist als der bleibende Molar. Die Beziehung der Funktion zur Form ist hier 
absolut klar. Andererseits erscheint es doch mehr als unwahrscheinlich, daß 
zufällig der zweite Prämolar im Milchgebiß und Dauergebiß in verschiedener 

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Richtung variieren sollten, daß andererseits aber zufällig der zweite Milchmolar 
dieselbe Form erhält wie der erste bleibende Molar und daß zufälligerweise 
diese beiden Zähne unter denselben mechanischen Bedingungen im Kiefer stehen. 

Ebenso eindeutig ist das Gebiß der Chiropteren. Hier hat das Milch¬ 
gebiß eine ganz andere Funktion erhalten. Wie schon vorher erwähnt, 
stellen die Milchzähne nach hinten gebogene scharfe Höcker dar, mit denen 
sich die jungen Tiere auch im Fluge an der Zitze der Mutter festhalten. 
Kann man auch hier annehmen, daß diese Zahnform aus einer zufälligen 
Variation hervorgegangen ist und erst nachher in dieser eigenartigen Weise 
benutzt wurde? 

Es sind aber nicht allein diese prägnanten Fälle, bei denen die Beziehungen 
zur Funktion ganz offenbar sind, sondern das Gebiß nicht allein der Säuge¬ 
tiere, sondern wahrscheinlich der gesamten Wirbeltiere stellt einen einzigen 
Beweis dar. Die wenigen Ausnahmen besagen gar nichts. Ich bin überzeugt, 
daß es nur scheinbare sind. Dagegen kann die Selektion eine ausschlaggebende 
Rolle bei der Entstehung der komplizierten Zahnformen nicht gespielt haben. 
Daß allerdings auch das Prinzip der funktionellen Anpassung auf das Gebiß 
nicht ohne Schwierigkeiten anwendbar ist, ist zuzugeben, ich glaube aber ge¬ 
zeigt zu haben, daß es nicht unmöglich ist. 

Daher ist auch die Behauptung Aich eis: „Nicht die Nahrung beeinflußt 
die Zahnform, sondern die Zahnform beeinflußt die Wahl der Nahrung", 
nicht aufrecht zu erhalten. 

Nun meint Aichei, daß ich mir die Sachlage unnötig erschwerte, indem 
ich mich immer wieder an dem Ausdruck „Wahl der Nahrung" stoße. „Bei 
Annahme einer Abänderung der Zahnform in Anpassung an die Nahrung 
ist Voraussetzung, daß das Tier zuerst die Nahrung wechselte <neue 
Nahrung wählte) und infolgedessen die Zahnform änderte, während nach 
meiner Auffassung das Tier zunächst die Nahrung wechselt. Um die Wahl 
der Nahrung kommt man also nicht herum." 

So liegen die Dinge nun doch nicht! Nach meiner Auffassung „wählt" 
das Tier die neue Nahrung nicht, sondern es wird gezwungen sie zu 
nehmen, falls es nicht untergehen will. Wir brauchen nur an die Hunger¬ 
katastrophe in Rußland zu denken, um uns ein richtiges Bild von den Ver¬ 
hältnissen zu machen. Ähnliche katastrophale Dürren und ähnliche Ereig¬ 
nisse werden sich in früheren Zeiten viel häufiger und wahrscheinlich viel 
furchtbarer abgespielt haben. Für die davon betroffene Tierwelt gab es 
dann drei Möglichkeiten. Entweder sie ging unter, oder sie floh, oder paßte 
sich den neuen Verhältnissen an. Dann mußte sie sich aber gezwungener¬ 
maßen mit den Nahrungsmitteln begnügen, die ihr noch zur Verfügung 
standen und die sie früher vielleicht verschmäht hatte. Dieselbe erforderte 
eine ganz andere Verarbeitung und infolgedessen auch andere Kiefer¬ 
bewegungen. Das ist nicht unvorstellbar, denn eine gewisse Bewegungs¬ 
freiheit auch in anderen Richtungen als der normalen durch den Bau des 
Gelenkes gegebenen, kommt jedem Gelenk zu. Die neue Bewegung wurde 
auf die Zähne übertragen, die einander beim Kauakt nunmehr in anderer 


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Weise berührten, und so konnte im Laufe des Stammesgeschichte eine Um¬ 
formung der Zahnformen zustande kommen. Von einer „Wahl" kann also 
keine Rede sein, sondern von einem aus der bitteren Not geborenen Zwang. 

Noch etwas anderes ist hierdurch leicht verständlich! Nur diejenigen Tiere 
waren hierzu fähig, deren Organisation noch nicht zu einseitig entwickelt 
war, denn sie hatten dann noch die Möglichkeit, die eingeschlagene Entwich* 
lungsbahn zu verlassen und sich den neuen Bedingungen anzupassen. Daß 
aber Tiere, wie z. B. die Säbelkatze, Machairodus unter solchen Verhält* 
nissen untergehen mußten, ist von vornherein klar. Das Gebiß dieser Form, 
von der man sich kaum vorstellen kann, wie sie sich überhaupt ernährt hat, 
wurde vollkommen unbrauchbar, sobald die gewohnte Lebensweise nicht 
mehr möglich war. Ihr Untergang war gewiß. 

Dagegen bedeutet die Wahl der Nahrung nach Aichel etwas ganz 
anderes. Hier erhält das Tier durch Mutation eine neue brauchbare Zahn* 
form. Es wählt eine neue Nahrung, trotzdem ihm die bisherige in derselben 
Weise zur Verfügung steht. Von dieser neuen Zahnform gehen dann alle 
weiteren Veränderungen aus, die mit jedem Nahrungswechsel verknüpft 
sein müssen. Selbst der Instinkt wird ein anderer, denn sonst würde das Tier 
nicht zu der neuen Nahrung übergehen. Ist das vorstellbar? 

Es soll aber nicht geleugnet werden, daß es Zahnformen gibt, die auch 
durch funktionelle Anpassung nicht zu erklären sind. Hierher gehören z. B. 
die Hauer des Hirschebers. Selbst wenn wir annehmen, daß die ihnen zu* 
geschriebene Verwendung richtig ist, bleibt es unverständlich, wie das Wachs* 
tum durch die Oberlippe zustande kommen konnte. Denn in der Periode 
der Entwicklung, in welcher dieselben vorübergehend in der Haut steckten, 
konnten sie von dem Tiere auch nicht gebraucht werden. Dasselbe gilt aber 
auch von der Selektion, denn auch diese konnte in diesem Stadium keine 
Wirkung ausüben! Dieser einzelne Fall besagt natürlich aber nichts gegenüber 
der Fülle positiven Beweismaterials. 

Wir haben gesehen, daß die Zähne sämtlicher Säugetiere mit wenigen Aus* 
nahmen einen gemeinsamen Bauplan besitzen, daß selbst die kompliziertesten 
Formen auf diesen zurückgeführt werden können. Es ist das eine außer* 
ordentlich merkwürdige Tatsache, auf deren Bedeutung zum Schlüsse kurz 
eingegangen werden soll. Wenn in verschiedenen Familien und Ordnungen 
in ganz verschiedenen Teilen der Welt und unter ganz verschiedenen Be* 
dingungen durch weite Zeiträume voneinander getrennt neue Höcker ent* 
stehen, so müßte man eigentlich annehmen, daß die Zähne der Säugetiere 
eine große Verschiedenheit aufweisen würden. Statt dessen sehen wir aber, 
wenn wir von der verschiedenen Komplikation absehen, eine absolute Ein* 
förmigkeit, indem neue Höcker an ganz bestimmten Stellen auftreten, ganz 
gleich wo, wie und wann die Entwicklung vor sich ging. Erst durch die 
äußere Modellierung der prinzipiell gleichen Kaufläche entsteht die Mannig* 
faltigkeit der Zahnformen. Diese Tatsache ist an sich unvereinbar sowohl 
mit Selektion als doch auch mit funktioneller Anpassung. Erstere schließt sie 
aber ganz aus, denn es ist unmöglich, daß aus zufälligen Variationen diese 


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302 P- AdlofF: Die Zweckmäßigkeiten des Gebisses 

geradlinige Bahn der Entwicklung hervorgehen kann. Durch die Wirkung 
des Gebrauchs ist dieselbe aber auch nicht vollständig zu erklären, denn man 
müßte annehmen, daß doch vielleicht auch andere Höckerkombinationen 
mechanisch brauchbare Formen ergeben hätten. Ich erinnere an die Multi- 
tuberkulaten, deren Zähne in der Tat nicht auf Trituberkulie zurückzuführen 
sind, sondern einen besonderen Typus darstellen, die aber trotzdem natür¬ 
lich ihren Zweck erfüllt haben. 

So sind wir denn gezwungen anzunehmen, wie Osborn ausführt, daß 
bereits in dem ursprünglichen trituberkulären Zahn ein Prinzip enthalten ist, 
das die weitere Entwicklung bestimmte. 

Und er fügt hinzu: „Philosophically predeterminate Variation and evolution 
brings us upon dangerous ground." 

Osborn hat das Prinzip Rectigradation genannt. Es entspricht dem in 
Deutschland üblichen Ausdruck „Orthogenese"/ aber es liegt hier doch wohl 
etwas anderes vor. Unter Orthogenese versteht Plate eine durch äußere 
Faktoren veranlaßte bestimmt gerichtete Stammesentwicklung ohne Mit¬ 
wirkung der Selektion. Hier aber spielen äußere Faktoren kaum eine aus¬ 
schlaggebende Rolle. Im Gegenteil, es ist gezeigt worden, daß gerade die 
äußeren Faktoren, die auf das Gebiß während seiner stammesgeschicht¬ 
lichen Entwicklung einwirkten, durchaus verschieden gewesen sein müssen. 
Trotzdem sehen wir, daß bei den Säugetieren im Anfang der Entwicklung 
eine Zahnform auftritt, deren Bauplan nunmehr festgehalten wird und deren 
weitere Differenzierung von vornherein unabänderlich in derselben Richtung 
verläuft. Die äußeren Faktoren tragen lediglich dazu bei, die Form der 
Funktion entsprechend zu gestalten, die Grundform und das Prinzip, nach 
welchem die weitere Entwicklung vor sich geht, bleiben hiervon ganz un¬ 
berührt. Ihrem innersten Wesen nach werden daher auch die Veränderungen 
der Zahnformen von einem Gesetz beherrscht, das wir nicht kennen. 



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AUS DEM ZAHNÄRZTLICHEN UN 1VERSITATSINSTITUT GÖTTINGEN 


METAPLASIE DER PULPA 

EIN ABSCHLIESSENDER BERICHT NACH EINEM IN BADEN-BADEN BEI 
DER VERSAMMLUNG SÜDWEST-DEUTSCH-SCHWEIZERISCHER ZAHN¬ 
ÄRZTE GEHALTENEN VORTRAG 

VON 

PROF. DR. EULER, GÖTTINGEN 

A uf Grund eines eigenartigen Falles von Zementbildung im Wurzel- 
kanal wurde 1909 zum erstenmal von mir 1 die Vermutung aus¬ 
gesprochen, daß eine Pulpa unter besonderen Umständen imstande sei, statt 
Dentin Zement zu produzieren, mit anderen Worten, daß auch die Pulpa 
einer Metaplasie verfallen könne. Weitere ähnliche Befunde gaben kurz dar¬ 
auf Veranlassung, erneut auf diese Frage zurückzukommen 2 . Nun muß frei¬ 
lich zugegeben werden, daß nicht alle Begleitumstände der behandelten Fälle 
überzeugend genug wirken, um eine den bisherigen Anschauungen voll¬ 
kommen zuwiderlaufende These ohne weiteres durchzusetzen, und im Laufe 
der Jahre sind auch verschiedene Arbeiten erschienen, die die Richtigkeit der 
These in Abrede stellten. So sagt Shmamine 3 : „Das innere Zement wird 
nicht durch Metaplasie, sondern auch wie außen durch Bindegewebszellen 
des Periodontiums gebildet/ die Verbindung zwischen dem Zement in der 
Wurzelkammer und dem äußern Zement, sowie dem Periodontium war sicher 
zur Zeit des sekundären Zements vorhanden und ist erst nachträglich bei 
der Resorption der Wurzelspitze unterbrochen worden." 

Fischer 4 äußerte sich folgendermaßen: „Die Pulpa ist ein spezifisches Binde¬ 
gewebe, das auf metaplastischem Wege niemals eine andere Art von Gewebe 
zu bilden vermag als dentinoides Gewebe. Fälle von Knochen- oder Zement¬ 
metaplasie in der Pulpakammer sind auf Konto der Wurzelhaut zu setzen." 

Z i 1 z 5 meint: „Nach meiner Ansicht ist das junge Zementgewebe in der Pulpa¬ 
kammer — welches wir als das Anfangsstadium der Zementneubildungen 
betrachten müssen — in dem durch einen vorangegangenen Resorptionsprozeß 
aufgelösten Dentingewebe auf diese Art entstanden, daß die nutritiv ge¬ 
reizten, d. h. in einen regeren Stoffwechsel versetzten proliferierenden forma- 


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304 


Euler 


tiven, z. T. durch das erweiterte <resorbierte> Foramen apicale, z. T. im Wege 
von Resorptionsspalten <Nebenwurzelkanälen> in das Dentin eingewanderten 
Bindegewebszellen des Periodontiums hier aufquollen, sich teilten und sich in 
die späteren Zementobiasten umwandelten." 

Der Fall von Bünte und Moral 6 scheidet hier vollkommen aus, da es sich 
bei diesem um ganz andere Vorgänge handelt, wie in einer späteren Arbeit 
von mir 7 dargelegt worden ist. 

Bemerkenswert dagegen erscheinen die Befunde von O. Müller 8 , der 
mehrere Zähne untersucht hat, bei denen vor langer Zeit eine Pulpaampu¬ 
tation gemacht worden war. Für einen Teil der Fälle nimmt er an, daß das 
durch Arsenik nekrotisierte Pulpagewebe durch Resorptionszellen aufgelöst 
wird und an seiner Stelle Periost hineinwuchert und Zement ablagert; für 
einen andern Teil der Fälle dagegen nimmt er an, daß bei der Arsenik¬ 
wirkung zwar die Pulpanerven nekrotisiert wurden, die widerstandsfähigeren 
Bindegewebszellen aber erhalten blieben,- „diese können nutritiv gereizt wer¬ 
den und ad hoc Zementgewebe bilden, das dann direkt auf das Dentin zu 
liegen käme." 

Überblicht man die hier wiedergegebenen Literaturauszüge, so ergibt sich 
bei ihnen als Grundlage, daß bei Zementneubildung nicht die Pulpa an sich, 
sondern eingewanderte Wurzelhautzellen verantwortlich zu machen seien. 
Dieser Grundgedanke wird um so verständlicher, wenn man die Fälle näher 
ansieht, auf Grund deren die einzelnen Autoren sich ihre Meinung gebildet 
haben. Von Pulpa war dabei entweder nur sehr wenig oder überhaupt nichts 
vorhanden,- von einer Metaplasie konnte daher auch nicht die Rede sein. Die 
zweite Gruppe der Fälle von O. Müller stellt ja allerdings schon einen 
Schritt weiter dar, und die Möglichkeit, daß auf diesem Wege Zement im 
Innern eines Wurzelkanals entsteht, ist nicht von der Hand zu weisen, aber 
als reine Metaplasie sind doch wohl auch diese Fälle nicht aufzufassen. 

Neben diesen z. T. von ganz falschen Prämissen ausgehenden Arbeiten, 
die sich den Begriffen „Metaplasie der Pulpa" und „Zementbildung durch 
Pulpagewebe" gegenüber ablehnend verhalten, sind seit meiner ersten Ver¬ 
öffentlichung nun auch zwei Aufsätze erschienen, die sich entschieden für die 
Möglichkeit der beiden Begriffe einsetzen. Die eine der beiden Arbeiten, von 
Hesse 6 , geht sogar eher noch etwas weiter: „Es wäre sehr leicht denkbar, 
daß die Odontoblasten, diese hoch differenzierten Zellen, durch veränderte 
Lebensbedingungen, z. B. durch Beeinflussung ihrer nervösen Organe, un- 
geformt, sich sozusagen umschalten und da sie ontogenetisch mit dem Perio- 
dontium sehr nahe verwandt sind — beide entstammen dem Mesoderm — 
sich ihrer alten Herkunft erinnern und mit der noch in ihnen wohnenden 
Kraft kalkhaltiges Gewebe bzw. zementähnliches oder Zementgewebe bilden 
können." Inwieweit sich für diesen Gedankengang eine Bestätigung finden 
läßt, darüber wird später noch mehr zu sagen sein. 

Die zweite der vorhin erwähnten Arbeiten stammt von Rebel 10 ,- sie bringt 
nicht nur einen sehr instruktiven Fall von echter Metaplasie der Pulpa mit 
reichlicher Zementproduktion, sondern unterscheidet auch streng zwischen 


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Metaplasie der Pulpa 305 

dieser und einem durch steten Wechsel von Apposition und Resorption charak« 
terisierten Vorgang. 

Daß übrigens auch schon in der älteren Literatur vereinzelt die Ansicht 
auftauchte, es könne gegebenenfalls von der Pulpa statt Dentin ebensogut 
Zement produziert werdet>, ist an anderer Stelle 7 unter Hinweis auf die 
Arbeit von Schlenker 11 bereits ausgeführt worden. Der oft recht mißver* 
standene Ausdruck „Osteodentin" hat freilich bei den älteren Autoren manche 
Verwirrung angerichtet, wie das von einem ihrer Zeitgenossen, Black 12 selbst 
berichtet wird. Er sagte: „Osteodentin ist der wenig passende Name für 
die Knochenbildung in der Pulpa. Echte Knochenbildung in der Pulpakammer 
ist sehr selten,- dabei schließe ich alle Hartgebilde aus, die keine Knöchern* 
körperchen enthalten." Andere Autoren haben nicht so streng unterschieden,- 
wieder andere Autoren haben alle unregelmäßigen Hartgebilde Osteodentin 
genannt,- die Mehrzahl derselben hat nicht die geringste Ähnlichkeit mit 
Knochen! Noch eine andere Stelle aus dem Werke von Litch bzw. Black 
interessiert uns hier, weil sie deutlich genug auf unser Thema hin weist: „Alle 
Fälle von Knochenbildung in der Pulpakammer, welche ich bisher geschnitten 
habe, besaßen den allgemeinen Charakter von Zement und fanden sich im 
Wurzelkanal dem Dentin oder Ersatzdentin angelagert/ doch ist dies wohl 
zu unterscheiden von dem durch das Foramen apicale hereinreichenden Zement, 
das man zu häufig trifft, um es als etwas besonders Pathologisches be* 
zeichnen zu können. — Soviel scheint mir klar, daß Knochen an den oben 
genannten Stellen nur gebildet werden kann, wenn die Odontoblastenschicht 
atrophierte,- alle meine Fälle beweisen dies." 

Trotz der den zitierten Stellen beigefügten klaren mikroskopischen Zeich- 
nungen könnte man vielleicht als verdächtig bezeichnen, daß Black die Zement* 
bildung nur im Wurzelkanal, also recht nahe der Wurzelhaut gesehen hat, 
so daß man weniger an eine echte Metaplasie als gewissermaßen an eine 
Vermengung der beiden Gewebe <Wurzelpulpa — Periodontium) denken 
möchte. Die gleiche Lokalisierung mußte auch ich noch in einer Arbeit im 
vorigen Jahr 7 zugeben und die Vermutung daran knüpfen, daß die WurzeL 
haut nicht ohne Einfluß auf die veränderte Produktion der Pulpa ist. Nun 
hatte ich neuerdings Gelegenheit, einen Fall zu untersuchen, bei dem die 
Zementbildung hoch oben im Kronenpulparaum begann, also weit ab vom 
Periodontium. Und durch diesen Fall dürfte auch der letzte Zweifel beseitigt 
werden. 

Der neue Fall. Ich lasse zunächst eine kurze Schilderung des neuen 
Falles folgen: 38jähr. anscheinend sonst gesunder Mann. 3 M verursacht seit 
einigen Tagen periodontitische Schmerzen,- zentral eine oberflächliche Kavität/ 
die Sonde stößt sehr rasch auf harten Widerstand und löst keine Schmerzen 
aus,- dagegen Empfindlichkeit bei seitlichem Drude und Klopfen. Da der 
Antagonist fehlt, wird dem Wunsch des Patienten entsprochen und die Ex~ 
traktion vorgenommen. 

Makroskopischer Befund: An der Krone, abgesehen von der bereits 
erwähnten Kavität, nichts Besonderes. Die Wurzeln sind miteinander ver~ 


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backen, lassen aber die Dreiteilung und normale Länge deutlich erkennen. 
Von Resorptionserscbeinungen oder abnorm starker Zementauflagerung nichts 

sichtbar. Nach Abspülen 
mit Wasser im apikalen 
Drittel der Wurzel 


eine 

leichteHyperämie erkenn* 
bar. Sonst ohne Beson* 
derheit. 

Mik roskopischerBe* 
fund: Schon beim Schnei* 
den fiel der Inhalt des 
Kronenpulparaumes auf 
durch sein festes Gefüge 
und eine vom gewöhn* 
liehen Bild abweichende 
Transparenz, die sich bis 
in die Wurzelkanalein* 
gänge erstreckte und hier 
erst dem üblichen Befund 
Platz machte. Bei Hä* 
matoxilin ^ Eosinfärbung, 
noch deutlicher aber bei 
Schmorlfärbung zeigte sich 
nun, daßdergesamteKro* 
nenpulparaum mit Ze* 
mentausgefüllt war. Nur 
ganz vereinzelte Gänge, 
sämtlich gegen die Wur* 
zelpulpa hin verlaufend, 
unterbrechen das Bild. So* 
weit der Inhalt dieser Ka* 
näle erhalten ist, besteht 
er in der Hauptsache aus 
Gefäßen, die offenbar die 
Ernährung des inneren 
Zements zu besorgen 
hatten. Die Grundsub* 
stanz läßt eine deutliche 
Faserung erkennen, die 
ebenfalls gegen die Wur* 
zelkanäle hin gerichtet ist. 
Das Zement ist ohne vor* 
ausgegangene Resorption 
dem Dentin angelagert/ 
dabei ist bemerkenswert. 


Fig. 1 

Der ganze Kronenpulparaum ist mit Zement ausgefüllt 


Fig. 2 

Übergang von Dentin zu Zement im Kronenpulparaum 
(stärkere Vergrößerung aus Fig. 1> 


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Metaplasie der Pulpa 


307 



daß in der ehemaligen dentinogenen Zone die Zementkörperchen sehr viel 
spärlicher sind, während sie zentral von derselben außerordentlich zahlreich 
werden. — Von besonde- 
rem Interesse sind die 
wo 

Odontoblasten nicht völlig 

zugrundegegangen waren. ^ ’ 

Abweichend von dem 


bilde der unre; 
länglichen und mit mehr 
oder minder zahlreichen 
Ausläufern versehenen 
Zementkörperchen sieht 
man hier rundliche oder 
ovale Körperchen, deren 
Längsachse gegen das 
Dentin hin gerichtet ist, 
während diejenige der üb- 
rigen mehr senkrecht dazu 
steht. Nur in einer ein- 
zigen Lage vorhanden und 
jeweils unmittelbar mit 
einem Dentinkanälchen 
zusammenhängend kön- 
nen diese Randkörperchen 
kaum als etwas anderes 
wie als ehemalige Odon- 
toblasten angesprochen 
werden,- nebenbei auch 
ein Beweis dafür, daß 
hier keine Resorption vor¬ 
ausgegangen war und 
der Umwandlungsprozeß 
nicht als destruierend be¬ 
zeichnet werden kann. 

Gehe ich nun gleich 
zur Schilderung des Wur¬ 
zelkanalinhaltes über, so 
genügt hier schon die 
schwächste V ergrößerung, 
um erkennen zu lassen, 
daß jede Spur von inne¬ 
rem Zement in den Ka¬ 
nälen fehlt. Dafür ist 
allerdings auffallend eine 


Fig. 3 

Schrägsdinirt durch den Wurzelkanal; hier nur Dentin 


Fig. 4 

Übergang zum Wurzelkanal. Abnahme der Zementkörperdien. 
Auftreten von feinen Kanälchen 


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308 


Euler 


ziemlich breite Zone von sekundärem Dentin, scharf abgesetzt gegen das 
normale Zahnbein und durch den bogenförmigen Verlauf der Kanälchen 
charakterisiert <nach Reich also sekund. Dentin 1. Ordnung). Diese Zone 
findet sich entlang aller 3 Wurzelkanäle in annähernd gleicher Breite, so 
daß man nicht umhin kann anzunehmen, daß der Zahn im ganzen irgend^ 
eine Alteration durchgemacht hat, die in der Kronenpulpa zur Sistierung des 
Vermögens der Dentinbildung und statt dieser zur Zementbildung, in^den 
Wurzelpulpen zur Sekundär^Dentinbildung beigetragen haben mag. Im 



Fig. 5 

Übergangsstelle vom Zement der Kronenpulpa zum Dentin der Wurzelkanäle (Stelle X von Fig. 4> 

übrigen zeigt die Wurzelpulpa — wohl als Folge der reichlichen Sekundär^ 
dentinbildung — eine fortschreitende Atrophie, die sich namentlich in der 
Odontoblastenzone in Form ausgedehnter Vakuolenbildung bemerkbar macht,- 
ganz vereinzelt finden sich auch Odontoblasten im Zustand derPyknose. Ver^ 
hältnismäßig gut erhalten sind die zentralen Nervenbündel und die Gefäße. 
Der Kernreichtum des Pulpaparenchyms hat wohl etwas, aber nicht übermäßig 
abgenommen. Auffallend ist in einem der Wurzelkanäle eine ziemlich ausge^ 
dehnte, wohl frische Hämorrhagie und die starke Erweiterung der Gefäße. 
Kurz zusammengefaßt ist also das Bild der Wurzelpulpen dies, daß sie sich nach 
reichlicher Dentinneubildung in einem Stadium der Atrophie befinden, bei dem 
aber die Gefäße und Nervenbündel noch verhältnismäßig gut erhalten sind. 

Das meiste Interesse beansprucht naturgemäß der Übergang von der 
Zementbildungszone zu derjenigen des sekundären Dentins im koronalen 


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Metaplasie der Pulpa 


309 



Abschnitt der Wurzelkanäle. Fig. 4 gibt davon ein Bild. Wir sehen, wie 
die Zementkörperdien immer spärlicher werden und die Innenauskleidung der 
Kanalwände mehr und mehr feine Kanälchen aufweist, die um so zahlreicher 
und regelmäßiger angeordnet erscheinen, je weiter wir in den Wurzelkanal 
eindringen. Bei stärkerer Vergrößerung zeigen sich erst recht deutlich das 
Gewirr der neuen Kanälchen sowie die zahlreichen Verzweigungen, die von 
ihnen abgehen. Auffallend bleibt allerdings, wieviel kleiner der Querschnitt 
auch der stärkst entwickelten ist gegenüber dem Querschnitt eines norma- 

lenDentinkanäldiens. _ 

Immerhin bleibt die 
Ähnlichkeit des Bil¬ 
des bemerkenswert 
mit dem, was Reich 
als sekundäres Den¬ 
tin 3. Ordnung be- 
Sdiließlidi 


zeichnet 

verschwinden die Ze- 
mentkörperdienganz, 
die Dentinkanälchen 
erscheinen regelmäßig 
— abgesehen von der 
oben beschriebenen 
Biegung — und nor- 
mal stark dichtneben- 
einander gelagert. ~ 

An andern Stellen 
wieder geht derÜber- 
gang von der Ze- 
ment- zur Dentinbil- 
düng ziemlich schroff 
vor sich in der Weise, 
wie sie in früheren 
Arbeiten von mir und 
auch von Rebel be¬ 
schrieben worden ist. 

Wieder eine andere Stelle aus der Übergangszone erscheint deshalb be¬ 
merkenswert, weil sie ein ganz neues, völlig verändertes Bild in der Zement¬ 
produktion aufweist. Der Zelleinschluß hat aufgehört und die Bildung der 
Hartsubstanz geht offenbar so vor sich, daß die im Pulpagewebe aufgetretenen 
Fibrillen büschelweise zusammengefaßt werden und verkalken, etwas ähnlich 
der Entstehung des primären äußeren Zements. Beachtenswert sind die 
feinen Kanälchen, die wir zwischen einzelnen Bündeln sehen und die auch 
durch stärkere Färbung ihrer Wand deutlich werden. Man fragt sich unwill¬ 
kürlich, ob zwischen diesen Kanälchen und den vorhin beschriebenen <Fig. 5> 
nicht doch ein Zusammenhang besteht, und ob nicht manches, was man als 


F Fibrillenbündel ziehen aus der metaplasiertcn Pulpa zum Zement 
Zwischen den Bündeln feine Kanälchen <K> 


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sollen, daß sie wirklich als nachträg- 
lieh gebildete Odontoblasten ange- 
sprochen werden dürfen. 

Epikritische Betrachtungen. 
Solche Einstreuung von feinen Ka¬ 
nälchen in die neugebildete Substanz 
ist schon Black aufgefallen. Erbringt 
in Litchs Lehrbuch eine mikrosko¬ 
pische Zeichnung, die ganz unver¬ 
kennbare Ähnlichkeit mit dem Mi¬ 
krophotogramm Fig. 5 aufweist. In 
der textlichen Erläuterung bemerkt 
er dazu: „Bei K scheint es sich um 
eine Wiederkehr von Dentinkanäl- 
zu handeln. Dieser spezielle 
Schnitt dürfte eher den Namen 
Osteodentin verdienen als irgend 
sonst von menschlichem Munde gesehen habe. Es ist 
entin in andern Teilen der Pulpa menschlicher Zähne 
isolierten Knötchen wie das zweifellos der Fall ist bei 

den Zähnen von <Säuge-> 
Tieren,- da ich es aber bei 
meinen Schnitten nicht ge¬ 
funden habe, muß ich an¬ 
nehmen, daß es höchst 
selten ist." 

So ganz sicher war 
Black, wie aus dem 
Wort „scheint" hervor¬ 
geht, seiner Sache doch 
nicht. Namentlich fiel auch 
ihm der enge Zusammen¬ 
hang bzw. die Anasto- 
mosenbildung zwischen 
den neuen Kanälchen und 
ihr eigentümlicher Verlauf 
auf,- ebenso geht auch aus 
seiner Zeichnung die Dif¬ 
ferenz im Querdurch¬ 
messer zwischen den alten 
Dentinkanälchen und den 


Fig. 7. Osteo^dentine <nach Black) 

A Outline of Incisor, showing of the root^canal at b by 
a deposit of ostco-dentine. B Illustration of the Tissue: 
a primary dentine,- b line of the beginnmg of a grouth 
of secondary- dentine,- c secondary dentine,- d laver of 
granulär matter,- e osteo*dentine. This has the lacunae 
at g and dentinal tubes at k. f seems to be the surface chen 
of the osseous deposit,- i irregulär crystalline deposits 
h the pulp^chamber < • 350> 


Fig. 8 

e. O. eingeschlossene Odontoblasten täuschen Zementkörperchen vor 


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Metaplasie der Pulpa 


311 


neuen Gebilden hervor. Vor allem aber fehlt der Nachweis der produzier 
renden'Zellen, die doch eine gewiße Ähnlichkeit mit echten Odontoblasten 
haben müßten und in unmittelbarem Zusammenhang mit den neuen Kanäl- 
chen zu stehen hätten. Black konnte sie wohl nicht finden, da es sich bei 
seinen Präparaten um trockene Objekte handelte,- aber auch in meinem Falle 
war es trotz eifrigen Suchens nicht möglich, derartige Zellen nachzuweisen. 

Es wäre übrigens falsch, zu glauben, daß der Begriff Osteodentin, soweit 
er auf die menschlichen Zähne angewandt wird, heute bereits vollkommen 
geklärt wäre. An anderer Stelle soll ausführlicher darüber berichtet und ein 
Versuch zur Klärung 
unternommen werden. 

Nur an zwei Beispielen 
mag dargetan sein, was 
wenigstens von einzel- 
nen Autoren heute noch 
alles als Osteodentin an¬ 
wird. Fig. 8 
ild von einem 
Zahn, bei dem bei ober¬ 
flächlicher Betrachtung 
auch auf das normale 
Dentin eine Lage Ze¬ 
ment und dann wieder 
leidlich normales Dentin 
zu folgen scheint. Bei 
genauerer Betrachtung 
aber ergibt sich, daß es 
sich nur um überstürzte 
Reizdentinbildung in¬ 
folge von rasch entwik- 
kelter Karies handelt. 

Die scheinbaren Zementkörperchen sind nichts weiter als eingeschlossene ver¬ 
einzelte Odontoblasten, die sich offenbar in Ruhestellung befunden hatten, 
während die übrigen Odontoblasten entsprechend dem üblichen Gang sich weiter 
zurückzogen und ihre normale Tätigkeit Wiederaufnahmen, nachdem der rasch 
notwendig gewordene Schutzwall stark genug geworden war, um einen ruhige¬ 
ren Ablauf der Entwicklung zu sichern. Hier wird man vergeblich nach einer 
Differenz im Querschnitt der alten und neuen Kanäle suchen,- nur um so viel 
spärlicher sind die Kanälchen geworden, als Odontoblasten durch Einschluß ver¬ 
loren gegangen sind. — Schwerer zu erklären sind Bilder, wie Fig. 9 ein solches 
zeigt. Einige wenige auffallend große Körperchen sind dem neuen Dentin 
angelagert. Indessen dürfte es sich auch hier nur um Odontoblasteneinschlüsse 
handeln, aber mit dem Unterschied, daß nicht jede einzelne Zelle für sich, 
sondern jeweils eine ganze Gruppe von zusammengedrängten Zellen ringsum 
von Dentingrundsubstanz eingeschlossen wurde. Also auch hier nur eine 


gesprochen 
bringt dasE 



Fig. 9 

a Zement körperdien ähnliche Gebilde 


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312 


Euler 


Begleiterscheinung von überstürzter Reizdentinbildung. — Ebenso ist das, 
was Fischer bei seinen experimentellen Forschungen an „dentinoider" Sub* 
stanz bei Tierzahnkeimen hervorrufen konnte, nichts anderes als eine rasch 
eingesetzte Abwehrmaßregel, während seine „osteoide" Substanz unschwer 
aus dem durch die Injektionen bzw. Traumata stark gereizten Zahnsäckchen 
hergeleitet werden kann. Mit Metaplasie hat dies alles, darin stimme ich 
vollkommen mit Fischer überein, in keiner Weise zu tun. Andererseits aber 
scheinen mir auf solche Weise erzeugte Veränderungen an Tierzahnkeimen 
keine genügende Grundlage, die Metaplasie der Pulpa an bleibenden Zähnen 
mit abgeschlossenem Wurzelwachstum überhaupt abzulehnen. 

Würdigung des histologischen Befundes. Dentinrandzone. Eine 
der Hauptstützen für die Diagnose „Metaplasie" muß in der Art erblickt 
werden, wie die neue Hartsubstanz der alten angelagert ist. Wenn es wirk* 
lieh dieselbe Matrix, nur mit verändertem Gewebscharakter ist, dann muß die 
Produktion trotz des verschiedenartigen Aussehens des Produktes doch zu* 
sammenhängend weitergeschritten sein, wenn auch eben wegen der Verschie* 
denartigkeit des Aussehens der Übergang ziemlich schroff erscheint. Betrachten 
wir daraufhin unsern Fall! Schon aus dem Übersichtsbild Fig. 1 geht her* 
vor, daß eine Resorption vor Anlagerung der Zementsubstanz nicht vor* 
ausging. Die Randlinie des Dentins gegen das Zement hin ist wohl leicht 
gewellt, aber keineswegs gezackt und lakunenartig ausgespart. Es ist viel* 
mehr das Stadium der Dentinbildung, das zur Zeit des Odontoblasten* 
Schwundes bestanden hat, festgehalten/ ja man findet auch noch die in der 
dentinogenen Substanz eingelagerten Globuli unverändert. Die Wellenlinie 
an der Dentingrenze erklärt sich zwanglos daraus, daß die Atrophie nicht 
gleichzeitig alle Odontoblasten gleichmäßig ergriff, sondern Gruppe um 
Gruppe bald mehr, bald weniger. Die dentinogene Substanz selbst tritt in 
der Schmorlfärbung durch ihren hellen Ton hervor,* doch sind darin schon 
vereinzelte Zementkörperchen eingelagert, deren Ausläufer vielfach mit den 
Dentinkanälchen Zusammenhängen. Noch deutlicher tritt der Zusammenhang 
zwischen den Dentinkanälchen und den eingeschlossenen Odontoblasten her* 
vor <Fig. 2>, zu deren Einschluß doch bereits die metaplasierte Pulpa bei* 
getragen hat, wie aus der unmittelbaren Nachbarschaft der Zementkörperchen 
hervorgeht. Besser kann die ununterbrochen fortschreitende Tätigkeit des 
wenn auch umgewandelten zentralen Gewebes kaum zum Ausdruck gebracht 
werden, und erneut muß darauf hingewiesen werden, daß dies alles am 
peripheren Ende des zentralen Gewebes sich vollzieht, während die lange 
Verbindungsstrecke mit dem Periodontium in den Wurzelkanälen frei von 
Zeichen der Metaplasie ist. — Abweichungen von den eben geschilderten 
Befunden kommen insofern vor, als streckenweise die Odontoblasten schon 
längere Zeit vorher ihre Tätigkeit eingestellt hatten und dann die dentinogene 
Substanz fehlt. — Was die Dentinkanälchen selbst betrifft, so erscheinen sie 
im allgemeinen weder aufgefasert, noch scharf abgeschnitten. Die Schmorl* 
färbung zeigt mitunter am Kanalende eine ganz leichte Verdickung, die dann 
allmählich in das normale Maß übergeht. Der unscharfe Querschnitt kommt 


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Metaplasie der Pulpa 


313 


wohl davon her, daß meist noch dentinogene Substanz da war, in der die 
Röhren vorgebildet waren, ohne bereits die starre Form angenommen zu 
haben. Scharf abgeschnitten erscheinen die Kanälchen nur da, wo keine den* 
tinogene Substanz zur Zeit der Metaplasie vorhanden war. 

Odontoblasten. Ein Befund, den ich schon bei früheren Präparaten 
wiederholt erheben konnte, fand sich auch hier: die echte Metaplasie scheint 
sich nur an Pulpen vollziehen zu können, bei denen in der Hauptsache ledig¬ 
lich die Odontoblastenzone, und zwar in einer ganz bestimmten Weise dege¬ 
neriert ist. Sehr kernarme, d. h. stark atrophierte Pulpen sind ebensowenig 
dazu geeignet wie Pulpen mit ausgedehnter Vakuolisierung der Odonto- 
blastenschicht. Offenbar ist in solchen Pulpen die Fähigkeit zu Fibroblasten¬ 
bildung sehr gering, ein ununterbrochener Fortgang der Verkalkung und 
Randstellung der Fibroblasten an der Dentinwand schon wegen der zahl¬ 
reichen mit Flüssigkeit gefüllten Vakuolen auch nicht möglich. Dagegen sehen 
wir die Metaplasiemöglichkeit bei sonst noch kernreichen, gut ernährten und 
innervierten Pulpen, deren Odontoblastenschicht lückenlos, d. h. ohne Vakuolen¬ 
bildung geschwunden ist und dann vor allem bei Pulpen von sonst gleicher 
Beschaffenheit, deren Odontoblastenschicht in den Zustand der Pyknose 
übergeht oder bereits übergegangen ist. Diese geschrumpften Kerne werden 
teils in der regelmäßigen Lage, in der sie vorher angeordnet waren, mit 
eingeschlossen oder sie werden zu Häufchen zusammengeschoben und in 
dieser Form in die Verkalkung mit hereinbezogen, oder sie verschwinden 
noch jetzt rasch und vollständig. 

Dieser Beobachtung scheint mir ganz besonderer Wert beizumessen sein. 
Denn nichts vermag besser das Wesen der Metaplasie, soweit der Begriff 
für die Pulpa gilt, zu beleuchten. Nur die Pulpa kann eine Metaplasie durch¬ 
machen, die — abgesehen von der Odontoblastenschicht — noch im ganzen 
befähigt ist, auf nutritive Reize hin mit einer gleichmäßig fortschreitenden 
Verkalkung zu antworten. Das Merkmal der hochstehenden gesunden Pulpa, 
die Odontoblastenschicht, fehlt, die Energie in der Pulpa ist aber noch da, 
aus dieser Energie und dem nutritiven Reiz heraus entstehen Fibroblasten, 
die die Rolle der Odontoblasten übernehmen, und damit ist die Pulpa von 
der ursprünglichen Höhe um ein Grad tiefer zu dem Niveau der Wurzel¬ 
haut gelangt, wie denn auch das Produkt unter Führung der Fibroblasten 
als Verkalkungszentren genau dasselbe sein muß wie der äußere Zement¬ 
mantel. 

Gefäße. Selbstverständlich entscheidet bei dem eben Gesagten nicht allein 
die jeweilige Beschaffenheit der Odontoblasten an sich, sondern auch die Art 
bzw. Qualität der Gefäßversorgung, für die die Beschaffenheit der Odonto¬ 
blasten ein sichtbarer Ausdruck sein kann. Es gehört zum Bilde der vakuo- 
lisierenden Atrophie, daß das die Odontoblasten normalerweise umspinnende 
Kapillarnetz nahezu vollständig verschwindet und nur noch ganz vereinzelt 
größere Kapillaren erhalten bleiben, die zu einer hinreichenden Zufuhr von 
mit Kalk überladenem Blut gar nicht ausreichen würden. Anders bei der 
Form von Atrophie, die ohne Vakuolenbildung lediglich zur Verkleinerung 

Vierteljahrss&rift für Zahnheilkunde, Heft 3 21 


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314 


Euler 


und zum Schwund der spezifischen, die besondere Funktion der Pulpa ver¬ 
mittelnden Zellen führt. Hier handelt es sich im wesentlichen um zelluläre, 
d. h. primär in den Zellen begründete Vorgänge. Die Ausbildung der Ka¬ 
pillaren braucht dabei nicht zu leiden, und die Möglichkeit einer Zufuhr von 
kalkreichem Blut nach der Peripherie des Organes ist erhalten,- damit aber ist 
auch ein Fortschreiten der gleichmäßigen Kalkanlagerung an den Pulpawänden 
möglich geblieben. Ziehen wir nun noch in Betracht, daß bei dieser zweiten 
Form von Atrophie — im Gegensatz zu den retikulären Bildern bei der ersten 
Form — die Bestandteile des zur Stütze dienenden Bindegewebsapparats 
nicht nur intakt bleiben, sondern sich sogar vermehren können, so scheint 
damit schon ein Weg gewiesen für das Neuauftauchen der zur Zementbil¬ 
dung erforderlichen Fibroblasten, immer vorausgesetzt, daß keine regressive 
Ernährung des Gesamtorgans vorliegt, die lediglich zur Vermehrung der 
Interzellularsubstanz in Fibrillenform ohne Zellneubildung führt. Was wir 
zur Zementbildung brauchen, ist aber beides: Zellneubildung und Vermeh¬ 
rung der Fibrillen. Und beides liegt in unserm Fall vor. 

Wie nun aber nicht sofort das ganze Organ einer Metaplasie unterworfen 
zu sein braucht, so bleibt immer die Möglichkeit, daß die freigebliebenen 
Partien einer weiter fortschreitenden Degeneration bzw. Atrophie unterliegen 
und damit die Fähigkeit zur Zementbildung erlischt, weil nach und nach die 
vorhin geschilderten Voraussetzungen verschwinden. Ebenso kann das me» 
taplasierte Gewebe selbst unter dem Fortschreiten der regressiven Ernäh¬ 
rungsstörung in der Weise leiden, daß keine Fibroblasten mehr gebildet 
werden, sondern nur noch die Vermehrung der Fibrillen besteht, die, soweit 
die Ernährung es erlaubt, aber auch noch verkalken können. Damit dürfte 
auch Bild Nr. 6 hinreichend erklärt und zugleich der Übergang zu den stärker 
atrophischen Bildern der Wurzelpulpa geschaffen sein. 

Nerven. Es ist nicht ganz leicht, bei einem weit fortgeschrittenen Fall 
aus dem Zustand der Nervenfasern Rückschlüsse auf die Voraussetzungen 
zur Metaplasie zu ziehen, denn wir haben ja gehört, daß an dem von Meta¬ 
plasie freien Teil sich noch weitere Veränderungen vollziehen können, die 
mit jener nichts zu tun haben und so zu Fehlschlüssen führen könnten. 
Ganz unerläßlich ist natürlich das Vorhandensein an sich und die Funktions¬ 
fähigkeit, wenigstens zu der Zeit, zu der sich die Metaplasie vollzog. Über 
das Vorhandensein in unserm Falle klärt ja Fig. 3 auf, und die gute Färb¬ 
barkeit sowie die Form der Kerne spricht dafür, daß die Degenerations¬ 
erscheinungen verhältnismäßig gering und zweifellos erst später eingetreten 
sind. Man ist zu diesem Schlüsse um so eher berechtigt, als in meinen weniger 
weit fortgeschrittenen Fällen wie auch im Falle Rebel die Nervenfasern 
selbst bei Immersionsbetrachtung und unter Verwendung verschiedenster 
Färbemethoden keinerlei Veränderung aufwiesen. Schließlich sei noch an die 
bis auf den abgebogenen Verlauf der Kanälchen durchaus regelmäßige Form 
des Ersatzdentins in den Wurzelkanälen erinnert, dessen Entstehung nach 
dem ganzen Bild zu schließen zeitlich zusammenfällt mit den Anfängen der 
Zementanlagerung im Kronenpulparaum. Eine derartig gut durchgebildete 


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Metaplasie der Pulpa 


315 


Form von Ersatzdentin ist unbestreitbar nur möglich bei einer Wurzelpulpa, 
die in allen ihren Teilen, also auch in bezug auf Innervation einwandfrei 
war. Wenn daher im vorliegenden Falle zur Zeit der Extraktion mehrfach 
scholliger Zerfall der Markscheiden festgestellt wurde, so ist dies m. E. ledig¬ 
lich als Zustandsbild, nicht aber als Grundlage für die Verfassung zur Zeit 
der in der Kronenpulpa einsetzenden Metaplasie zu bewerten. 

Wurzelhaut. Der bei der ersten Übersicht über das histologische Bild 
außer acht gelassene Befund an der Wurzelhaut deckt sich mit den klinischen 
Symptomen. Im apikalen Abschnitt waren die Gefäße zum großen Teil 
stark erweitert und die Kapillaren prall gefüllt. Vereinzelt fanden sich zwi¬ 
schen den fibrillären Bindegewebszügen und darin eingestreut Herde von 
kleinzelliger Infiltration. Granulationsbildung fehlte dagegen vollkommen, 
wie überhaupt keine Anzeichen einer chronischen Entzündung vorhanden 
waren, sondern alles auf einen akuten Prozeß hinwies. Eine Erklärung dafür 
fand sich freilich nicht, wie auch aus der Anamnese nur das festzustellen 
war, daß die Schmerzen erst seit einigen Tagen bestanden. 

Zusammenfassung des histologischen Befundes. Kurz zusammen¬ 
gefaßt läßt sich unter Berücksichtigung des pathohistologischen Befundes und 
seiner Würdigung etwa folgendes sagen: In einem verhältnismäßig früh¬ 
zeitigen Stadium ist der Zahn irgend welcher, der Art nach unbekannten 
Schädigung unterworfen gewesen; ob die fissurale Karies damals schon be¬ 
standen und eine Rolle dabei gespielt hat, muß dahingestellt bleiben. Die 
Schädigung, die wohl am ehesten im Sinne einer vorübergehenden Ernäh¬ 
rungsstörung aufgefaßt werden muß, hat sich hauptsächlich in der Kronen¬ 
pulpa bemerkbar gemacht, und zwar in der Schrumpfung der Odontoblasten. 
Gründe zu überstürzten Abwehrmaßnahmen bestanden keine, so konnte die 
Kronenpulpa, die in ihrer vitalen Energie nicht herabgesetzt war, obwohl 
die spezifischen, die besondere Funktion vermittelnden Zellen gelitten hatten, 
sich den veränderten Verhältnissen anpassen und unter Wahrung ihres Art¬ 
charakters als mesodermales Gewebe in der nächst primitiven Form weiter¬ 
produzieren. Durch diese Umwandlung und Anpassung in morphologischer 
und funktioneller Beziehung ist eben das gegeben, was man als Metaplasie 
bezeichnet. 

Im einzelnen gestaltet sich der Ablauf des Vorganges, wie ich es in einer 
großen Reihe von Fällen immer wieder beobachten konnte, etwa folgender¬ 
maßen : Sich scharf abhebend von den zierlichen polygonalen Zellen treten 
namentlich in dem Abschnitt der Pulpa, den man als gehäufte Zellschicht 
bezeichnet, die großen länglichen, blaß gefärbten jungen Bindegewebszellen 
auf, die sich bald zwischen die atrophierten Odontoblasten einstellen und 
Fühlung mit der dentinogenen Substanz nehmen. Eine regelmäßig durch¬ 
geführte wandständige Schicht junger Fibroblasten ähnlich der fixen Zellage 
der Wurzelhaut am Zement kann Vorkommen, ist aber nicht immer vor¬ 
handen; manchmal besteht — zum Teil auch abhängig von der Menge und 
Schnelligkeit, in der die Fibroblasten gebildet werden — statt dessen eine 
gewisse Unregelmäßigkeit, die dann später ihren dauernden Ausdruck in 

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der unregelmäßigen Verteilung der Körperchen im Metaplasieprodukt, dem 
innern Zement, findet. Wie bei der dentinogenen Substanz sich um die 
Odontoblastenfortsätze nahe den Zellen eine bei Hämatoxilin-Eosin schwach 
rosa gefärbte Zone bildet, so sehen wir im weiteren Verlauf um die Fibro¬ 
blasten einen allmählich wachsenden, schwach rosa gefärbten Hof auftreten. 
Dieser Hof nimmt dann Kalksalze auf, während die von ihm eingeschlossene 
Bindegewebszelle zum Zementkörperchen wird. Die gleichen Vorgänge 
spielten sich in der Nachbarschaft ab,* die Verkalkungsbezirke stoßen zu¬ 
sammen und die innere Zementlage ist gebildet. ~ 

Nach Borst 13 kann man sich die metaplastischen Prozesse in zweierlei 

Weise verlaufend denken: 

1. die Umwandlung eines 
Gewebes erfolgt unter 
Persistenz der Zellen, 
aber ohne Zellneubildung; 

2. der metaplastische Vor¬ 
gang spielt sich in zwei 
Phasen ab: es erfolgt zu¬ 
erst Neubildung {neopla¬ 
stische Phase), wobei die 
betreffenden Gewebe auf 
einen weniger differen¬ 
zierten Zustand (etwa 
auf den Artcharakter), 
zurückkehren und dann 
erfolgt Differenzierung in 
einer neuen Richtung {me¬ 
taplastische Phase). 

Nach dem, was kurz 
vorher über den genaue¬ 
ren Vorgang bei der 
Pulpametaplasie gesagt 
worden ist, kann kein Zweifel darüber herrschen, daß wir es dabei mit 
der zweiten Form nach Borst zu tun haben. Es erfolgt zuerst die Neu¬ 
bildung von Bindegewebszellen, die im Vergleich zu den Odontoblasten 
einen wesentlich weniger differenzierten Zustand darstellen, und dann erfolgt 
die Differenzierung in der neuen Richtung der Zementproduktion. 

Vergleich mit früheren Fällen und Differentialdiagnose. Wenn 
man den hier ausführlich behandelten Befund den früher beschriebenen ge¬ 
genüberstellt, so gibt neben dem Beginn des metaplastischen Vorgangs fernab 
von der Wurzelhaut besonders das Fehlen der Resorption bzw. der unge¬ 
hinderte Fortgang der Verkalkung — wenn auch in veränderter Form — 
zu denken. Es scheint mir doch, als ob dieser Nachweis für die Diagnose 
einer echten Metaplasie von hervorragender Bedeutung ist. Wir haben zwei 
andere Gruppen von Fällen, bei denen es ebenfalls zu Zementbildung im 



Fig. 10 

WK Wurzelkanal. SK Seitenkanal. Z Zement 


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Metaplasie der Pulpa 


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Innern des Zahnes kommt. 


Die erste umfaßt die Fälle, bei denen die Ein- 


Wanderung periodontalen Gewebes durch vorgebildete Öffnungen wie das 
Foramen apicale oder einen Seitenkanal erfolgt. 

Fig. 10 illustriert in besonders anschaulicher Weise eine solche seitliche 
Einwanderung. Man beachte dabei, wie deutlich noch überall die Resorp¬ 
tionserscheinungen an dem alten Dentin sichtbar sind, und wie ganz anders 
sich dabei die neugebildete Zementschicht von der Unterlage abhebt und 
vergleiche damit Fig. 1 und 2. — Die Einwanderung durch das For. apic. 
ist zu häufig beobachtet, als daß sie hier noch eines besonderen bildlichen Be¬ 
leges bedarf,- nur daran sei erinnert, daß sich dabei stets Spuren von Re¬ 
sorption finden — voraus¬ 


gesetzt, daß es sich tat¬ 
sächlich um ein Einwan¬ 
dern der Zellen vom 
Periodontium her und 
nicht auch um echte Me¬ 
taplasie handelt. 

Die zweite Gruppe 
umfaßt die Fälle, bei 
denen das wuchernde Pe¬ 
riodontium vorhandene 
Öffnungen vermeidet und 
sich an einer beliebigen 
Stelle Eingang durch die 
äußere Zementschicht in 
das Dentin verschafft. Daß 
hier die Bildung der neuen 
Hartsubstanz erst erfolgen 
kann, wenn eine ausge¬ 
dehnte Resorption vor¬ 
ausging, das versteht sich 
von selbst. Welchen Um- 



Fig. 11 

P Pulpa. D Dentin. Z Zement 


fang die Zerstörung des ursprünglichen Hartgewebes dabei annehmen kann, 
zeigt Fig. 11. Man ist geradezu versucht, von einer malignen Zementose 
dabei zu sprechen, so gründlich ist die Vernichtung der normalen Dentin¬ 
substanz und so ausgiebig ist die Ausdehnung und der Ersatz durch das 
wuchernde Gewebe. Bemerkenswert ist bei dieser 2. Gruppe, daß sie selten 
zur Perforation in das Pulpakavum gelangt und daß die Pulpa bei Annähe¬ 
rung des neuen Gewebes sich durch Reizdentinbildung zu schützen sucht. 

Beide Gruppen sind differentialdiagnostisch sehr leicht gegen die echte 
Metaplasie abzugrenzen. Der Nachweis der Eintrittsstelle durch natürliche 
Öffnungen oder durch solche, die pathologisch geschaffen sind, das Vor¬ 
handensein von Resorptionsspuren, das Verhalten der Pulpa genügen voll¬ 
kommen zur Sicherung der Diagnose, wie auch die Nachweise selbst leicht 
zu erbringen sind. Dagegen kann das Bild der echten Metaplasie dadurch 


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getrübt werden, daß die umgewandelte Pulpa — aus leider ebenfalls noch 
unbekannten Gründen — getreu dem neu angenommenen Wesen wie auch 
die Wurzelhaut selbst sich nicht auf die Apposition zu beschränken braucht, 
sondern neben der apponierenden auch resorbierenden Tätigkeit entwickelt, 
<vgl. Rebel 10 ). Hier wird die Diagnose dadurch erleichtert, daß man 
wenigstens streckenweise eine gleichmäßige Anlagerung und Fortsetzung 
der Verkalkung feststellen kann und daß der Nachweis der aufgezählten Ein¬ 
trittsstellen mißlingt. Vielfach liegen die Dinge so, daß durch die nachträgliche 
Resorption nur ein Teil des erst gebildeten Zementes beseitigt wird und so 
doch noch die ursprünglichen Zusammenhänge gewahrt bleiben. Gegen die 
Diagnose Metaplasie an sich sprechen aber solche Resorptionsbilder keines* 
wegs, da sie, wie gesagt, auch bei der normalen Wurzelhaut keineswegs 
selten sind und die Wiederkehr zum Grundcharakter somit eher noch be- 
kräftigt wird. 

Zusammenfassung des Ganzen. Vom wissenschaftlichen Standpunkt 
aus kann der neue, hier zur Besprechung gelangte Fall insofern als ein 
glücklicher bezeichnet werden, weil die Ein wände, die bisher gegen das Vor* 
kommen der Pulpametaplasie erhoben worden sind, sämtlich durch ihn rest- 
los widerlegt werden, ferner weil verschiedene Unklarheiten, die auf Grund 
der bisher beschriebenen Fälle noch bestanden hatten, weitere Klärung er¬ 
fuhren. Eine Frage freilich bleibt noch offen: die nach der Ursache. Da zu 
diesem Punkte nur Vermutungen geäußert werden können, ist nicht weiter 
darauf eingegangen worden. Dies eine aber kann zusammenfassend gesagt 
werden: „Zur Pathologie der Pulpa wird künftig auch die Meta¬ 
plasie gezählt werden müssen." 

Praktische Bedeutung. Wenn natürlich auch bei solchen Beobachtungen 
wie die hier geschilderten das Interesse des Pathohistologen überwiegt, so ent¬ 
behrt die Metaplasie keineswegs der praktischen Bedeutung. Gerade in un- 
serm speziellen Falle sind die Gründe dafür mannigfaltig. Zuerst die Tat¬ 
sache der vollständigen Obliteration des Kronenpulparaumes. Man stelle sich 
nur vor, daß statt der Extraktion die übliche Periodontitisbehandlung ein¬ 
geleitet worden wäre. Es soll dabei zunächst das Kronenpulpakavum auf¬ 
gebohrt werden/ ist der Zugang auch noch so breit angelegt, nirgends findet 
sich ein Spalt, der das Ziel erreicht scheinen läßt. So wird tiefer und tiefer 
gebohrt, bis entweder die Perforation des Zahnes vollendet ist oder der 
Behandelnde aus dem Gefühl der Unsicherheit heraus das Bohren einstellt. 
Was soll er aber dann einlegen? Lebt überhaupt die Pulpa noch und wenn 
nicht, wie soll er die erste Aufgabe bei einer zerfallenen Pulpa, Freilegung 
der Wurzelkanäle, erfüllen? Und dann die zweite Aufgabe, wie soll die 
Behandlung der Wurzelkanäle vor sich gehen, wenn es ihm wirklich gelingt, 
die Zugänge freizulegen? Statt der erwarteten Gangrän findet sich eine 
blutende und bei Berührung mehr oder weniger empfindliche Pulpa. Arsenik 
in den Wurzelkanal und Periodontitis? Neue Bedenken! Schließlich wird 
das Ende vom Lied sein, daß nach mannigfachen Leiden des Patienten und 
Plagen des Zahnarztes der Zahn doch extrahiert wird. Einiges wenigstens 


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Metaplasie der Pulpa 


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könnte man dem Patienten und sieb selbst ersparen, wenn bei uferlosem 
Bohren rechtzeitig abgebrochen und eine Röntgenaufnahme gemacht wird. 
Die Tatsache und die Ausdehnung der Obliteration wären dann doch fest¬ 
gestellt und die einzig mögliche Therapie erkannt: Extraktion, extraorale 
Abfüllung der Wurzelkanäle, Verschluß des For. apic. und Replantation. 
Genau dieselbe Therapie kommt in Betracht, wenn durch die Zementanlage¬ 
rung im Wurzelkanal dessen Lumen so sehr verengt ist, daß auch die feinste 
Nadel nicht eindringen kann. Also Röntgenaufnahme und Replantation, das 
sind die Konsequenzen, die sich in Betrachtung der praktischen Bedeutung 
ergeben. 

Aber noch von einer andern Seite her läßt sich die praktische Bedeutung 
beleuchten. Es ist, möchte man fast sagen, ein beruhigendes Gefühl, zu 
wissen, daß eine Pulpa nicht unbedingt nach Schädigungen, die zum Verlust 
der zahnbeinbildenden Zellen geführt haben, ihre produktive Tätigkeit ein¬ 
zustellen braucht. Zwar ist die Karies des Zementes auch nichts Unbekanntes, 
und bei dem Weiterfortschreiten der Fissurenkaries wäre auch in unserm 
Falle schließlich das innere Zement von der Zerstörung ergriffen und schlie߬ 
lich die Wurzelpulpa von der Kariesstelle her infiziert worden. Gleichwohl 
müssen wir in dem innern Kronenzement doch auch einen mächtigen Schutz¬ 
wall sehen, den die Infektion erst zu überwinden gehabt hätte, ehe sie die 
Pulpa erreicht hätte. 

So stellt die Metaplasie der Pulpa eine wissenschaftlich wie praktisch 
interessante Erscheinung dar, die, schon den älteren Autoren wenigstens 
ihrem Ergebnis nach nicht unbekannt, wohl verdient, auch bei uns beachtet 
zu werden. 


VERZEICHNIS DER VERWENDETEN LITERATUR 

1 Euler, Ein eigenartiger Fall von Zementneubildung im Wurzelkanal. D. M. f. Z. 1909, 
S. 633. — 2 Euler, Weitere Beitrage zum Vorkommen von Zement im Wurzelkanal. 
D. M. f. Z. 1910, S. 205. — 3 Shmamine, Das sekundäre Zement. D. Z. i. V. 1910, 

H. 13. — 4 Fischer, Beiträge zur speziellen Pathologie der Zähne unter Berücksichtigung 
experimenteller Forschungen. Ergehn, d. ges. Zahnheilkunde, I, H. 2. — 6 Zilz, Zement* 
neuhildung in der Pulpenkammer mit einem seltenen Epithelhefund in Zahnwurzelgranu* 
lomen. O. U. V. f. Z. 1914, S. 73. — 6 Bünte und Moral, Ein Fall am Retention des 

I. Molaren. D. M. f. Z. 1910, S. 400. — 7 Euler, Abnormes Gewebe und Gewebsver* 
änderungen im menschlichen Zahn. D. M. f. Z. 1920, S. 152. — 8 O. Müller, Histo* 
logische und bakteriologische Befunde nach Pulpa-Amputationen. V. f. Z. 1920, H. 1. — 
® G. Hesse, Ober persistierende Milchzähne bei unterzähligem Gebiß, zugleich ein Beitrag 
zur Frage, ob die Pulpa Zement bildet. D. M. f. Z. 1921, H. 6 , S. 161. — 10 Rebel, 
Beitrag zur innern Zementbildung durch echte Metaplasie. Oe. Z. f. St. 1920, H. 9 . S. 335. — 
11 Schlenker, Untersuchungen über die Verknöcherung des Zahnnerven. D. V. f. Z. 
1882 und 1883. — 12 Litsch, Amerikan System of Dentistry. Philadelphia 1884. — 13 Borst 
in Aschoff pathologische Anatomie, Bd. I, Das pathologische Wachstum. 


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I 


DIE CHIRURGISCHE IMMEDIATREGULIERUNG 
DER KIEFER, SPEZIELL DIE CHIRURGISCHE 
BEHANDLUNG DER PROGNATHIE 

VON 

DR. MED. DENT. GÜNTHER COHN-STOCK, BERLIN 

D ie Behandlung der Zahn- resp. Kieferregulierung hat in den letzten 
Jahren einen besonderen Aufschwung erfahren. Wie auf allen Gebieten 
der medizinischen Wissenschaften wichtige Fortschritte zu verzeichnen sind, 
so haben wir auch auf diesem Gebiete, einem Teilgebiete der Zahnheil¬ 
kunde, ganz wesentliche Erfolge zu verzeichnen/ und zwar auf der Basis 
rein orthopädischer Maßnahmen, wie sie wohl in der Hauptsache ausgeübt 
werden, der orthopädischen mit chirurgischer Unterstützung, und der rein 
chirurgischen. 

Wenn man früher — empirisch tastend — vorwärts strebte in dem Emp¬ 
finden, für jeden Fall der Anomalie eigene individuelle Apparate zu schaffen, 
so ist man heute auf Grund wissenschaftlicher Arbeiten auf den Gebieten 
der Anthropologie, Physiologie, Physik usw. zu einer tieferen Einsicht über 
den Begriff Zahn- und Kieferanomalien gekommen, ihrer Funktions¬ 
störungen und ihres Einflusses auf nachbarliche Umgebungen, wie auf den 
Gesamtorganismus. Verbunden mit dem Rüstzeug dieser Kenntnisse ist man 
auch der erfolgreichen Therapie näher gekommen. Mit dem Studium der Ver¬ 
erbung der Anomalien, der angeborenen, der erworbenen Mißbildungen sind 
wir auch zu anderen Resultaten der Behandlungsweise gelangt. Mikro¬ 
skopische Untersuchungen über Knochenan- und abbau bei erfolgter Einwirkung 
auf die Veränderung der Konfiguration der Kiefer, makroskopische Messungen 
des Gesichtsschädels, die nicht, wie früher, die Beziehungen der Kiefer zu¬ 
einander, sondern in mehr anthropologischem Sinne zum Gehirnschädel fest¬ 
legen, bringen uns anhaltend auf den interessanten und bearbeitungswerten 
Forschungsgebieten weiter. Trotz allem ist die Ätiologie der Entstehung 
gewisser Anomalien nicht immer nachzuweisen, und die Anzahl der ver¬ 
schiedenen, oft diametral entgegengesetzten Ansichten maßgebender Autoren 
ist groß genug, angefangen von den einfachen Erklärungen rein mechanischer 
Einwirkungen wie: Lippen-, Zungen-, Muskel-Druck oder -Zug, als deren 


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Die chirurgische Immediatregulierung der Kiefer 


321 


hauptsächlichster Interpret Angle zu bezeichnen ist, bis zu den interessanten 
Forschungen des Anthropologen über Reduktionserscheinungen im Bereiche 
der Kiefer mit ihren Folgen und schließlich der modernsten Forschung — 
der inneren Sekretion. — So sehr man den Eindruck gewinnt, daß alles 
herbeigezogen ist, was zur Klärung aller umstrittenen Fragen notwendig 
ist, so sehr ist man sich bewußt, daß es noch eine Reihe mühevoller Arbeiten 
kosten wird, eine Sichtung vorhandener und geeignete Einreihung hinzu« 
kommender Ansichten über das Wesen der Deformitäten im Bereiche des 
Gesichtsschädels herbeizuführen. 

Rein orthodontische Behandlung: Zur eigentlichen Behandlung 
müssen wir den Wert der Diagnose anerkennen. Angle, der Altmeister 
der Orthodontie, hat es verstanden, als Erster eine Klassifizierung der 
Anomalien festzulegen. Neben ihm haben andere Forscher, von anderen 
Gesichtspunkten ausgehend, dasselbe versucht. In neuester Zeit hat Simon 
mit seiner genial durchdachten gnathostatischen Methode neue Wege mit 
neuen Perspektiven eröffnet und in Anlehnung an diese noch auszubauenden 
Arbeiten eine Neueinteilung der Gebißanomalien vorgenommen. Mit Hilfe 
von kontinuierlich oder intermittierend wirkenden Kräften, mit Drahtbogen, 
Gummizügen, Federn, Schrauben sind wir in der Lage, nicht nur die Zähne, 
sondern auch zugehörige Kieferpartien mit zu beeinflussen. Der enge Kiefer 
wird gedehnt, der weite verengt, der kleine gestreckt,- die unregelmäßigen 
Zähne gedreht, gekippt, in toto bewegt, verkürzt, verlängert und dadurch in 
normale Zahnstellung gebracht, dabei die Beziehungen beider Kiefer zu« 
einander gewürdigt und die physiologischen Beziehungen der korrespon¬ 
dierenden Zähne in Wechselwirkung gebracht, d. h. normale Okklusion ge¬ 
schaffen. Solange die Wirkung sich bewegender Zähne auf An» bzw. Abbau 
der Kieferknochen auszuüben ist, solange kann man auch die beabsichtigte 
Formveränderung in der Konfiguration der Kiefer herbeiführen. Hier aber 
sind uns Grenzen gesteckt. Nur der jugendliche Knochen wird die Möglich¬ 
keit einer ausgedehnten Transformierung ohne Schaden geben können. Bei 
Erwachsenen dagegen stoßen wir auf gewisse Schwierigkeiten. Hier ist der 
Knochen in seiner Form fertiggestellt. Die unter einer bestimmten Spannung 
stehenden Knochenbälkchen sind nicht mehr oder doch nur schwer beeinflußbar. 
Wohl lassen sich die Zähne bewegen, der Einfluß auf den Knochen durch 
die sich bewegenden Zähne ist aber nur ein sehr geringer,-und nur langsam 
weichen die Spongiosaschichten dem Drucke. 

Orthodontische Behandlung mit chirurgischer Unterstützung. 
Dort, wo die rein mechanischen Hilfsmittel nicht ausreichten, griff der Zahn¬ 
arzt zu Messer und Meißel und konnte sehr häufig mit Hilfe chirurgischer 
Unterstützung die orthodontischen Maßnahmen entweder unterstützen, be¬ 
schleunigen oder mit ihr überhaupt die Basis für eine mögliche Regulierung 
schaffen. Retinierte Zähne müssen oft genug nach Beseitigung der sie 
deckenden Knochenschicht freigelegt und nach Anbringung einen Häkchens 
in dem zurückgebliebenen Zahn durch Gummizug langsam heraus und in 
die Reihe gezogen werden. Verlagerte Zähne, die den zu regulierenden 


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322 


Günther Cohn-Stock 


Zähnen im Wege sind, werden durch Extraktion beseitigt, um die Grund¬ 
lage für die Weiterbehandlung zu ermöglichen. Das Diastema, das lange 
Zeit den Orthodonten die erdenklichsten Schwierigkeiten machte, wird heute 
in einfacher Weise mit Unterstützung des chirurgischen Eingriffs zur erfolg¬ 
reichen Behandlung gebracht. Die vom Lippenbändchen zwischen die mittleren 
Zähne ziehenden und in der Oberfläche des Knochens sich verfilzenden 
Muskelbündel werden abpräpariert, das Bändchen durch Keilexzision in der 
weiteren Wirkung gehemmt und nach Lubowskys Angaben der Knochen 
selbst kräftig eingeschnitten. Im Anschluß daran wurde die Beseitigung des 
Diastema in üblicher orthodontischer Weise bequem und in kürzester Zeit 
mit Gewähr auf Dauererfolg möglich. 

Um die Zeit in der rein orthodontischen Behandlung bei Bewegung 
einzelner oder, wie Fritzsche mitteilte, auch ganzer Zahnreihen zu be¬ 
schleunigen, luxiert man mit der Zange die Zähne an und setzt dann die 
Regulierungsarbeit mit den üblichen Mitteln der Orthodontie fort. Gleichem 
Zweck dient auch die Methode Angles, die er gelegentlich bei schwierigeren 
Fällen an älteren Patienten angewendet hat. Er exzidiert palatinal mit dem 
Fissurenbohrer ein Stückchen Knochen, um die vorderen Zähne dann 
leichter regulieren zu können/ ebenso will er bei schwieriger Drehung eines 
Zahnes die widerstandleistenden Wurzelhautfasern durchtrennen. Das ein¬ 
fachste, wenn auch nicht beste Mittel, Unregelmäßigkeiten in der vielleicht 
gedrängten Stellung der Zähne zu beseitigen, hervorgerufen durch Über¬ 
zahl, Zapfenzähne usw., wäre die Extraktion, doch ist auch hier Wahllosig- 
keit zu verwerfen. Häufig genug neigte man dazu, die so oft labial wie 
Hauer wirkenden Eckzähne, besonders im Oberkiefer, aus Bequemlichkeits¬ 
gründen zu extrahieren ohne zu überlegen, daß die Entfernung der ersten 
Bikuspidaten mit nachfolgender Einstellung der Eckzähne in die Reihe ge¬ 
eigneter gewesen wäre. Die Außerachtlassung dieser von Fall zu Fall zu ent¬ 
scheidenden Überlegung war oft genug die Ursache abfälliger Gutachten. 
Hierher gehört auch schließlich die Extraktion der Sechsjahrmolaren, wie 
sie von Partsch, Kunert propagiert wurde zwecks Selbstregulierung zu 
eng im Bogen stehender Zähne durch Lippen-, Zungen-, Wangen-, äußeren 
Atmosphärendruck. Die nach der Lücke zu wandernden Zähne schaffen den 
Ausgleich in der engen Stellung. 

CHIRURGISCHE REGULIERUNG 

Dieser Abschnitt bedeutet das eigentliche Thema der Arbeit, in der ich 
die Erfolge und Erfahrungen auf diesem Gebiete streifen und die eigenen zur 
Kenntnis geben möchte. 

Die deutsche Chirurgie hat im Weltkriege besondere Triumphe gefeiert 
und ihre Leistungen zum Wohle des Vaterlandes an der Fülle des chirurgisch 
behandelten Menschenmaterials erproben, zu alten Erfahrungen bessere 
hinzufügen und auf der Basis neuer weitere Perspektiven eröffnen können. 
An diesen Erfolgen nimmt auch die deutsche Zahnheilkunde in der Behand- 


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Die diirurgisdie Immediatregulierung der Kiefer 


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lung der Kieferschußverletzungen teil. Der Zahnarzt war auf den Chirurgen, 
der einsichtige Chirurg auf den Zahnarzt angewiesen, und da, wo letzterer 
sich nicht dazu bekennen wollte, führten ihn die Mißerfolge während oder 
nach der Operation dazu, dem Zahnarzt eine Mitarbeit einzuräumen. Erst 
die gemeinsame Arbeit schaffte die Grundlage für den bestmöglichen Erfolg. 
Aus dieser Zusammenarbeit ergaben sich dann gegenseitige Anregungen, die 
befruchtend auf die neu einzuschlagenden Methoden wirkten, und zwar 
sowohl für die technischen Maßnahmen des Zahnarztes, wie für die chirur¬ 
gischen des Arztes. Alle daraus entnommenen Kenntnisse von der Behänd- 
lung wie auch der Heilungstendenz sind nicht bloß der Kriegschirurgie und 
kriegsorthopädischen Behandlung zugute gekommen, sie sind — und das ist 
das wesentliche — in die allgemeine Praxis übertragen worden. Vor dem 
Kriege war — abgesehen von Resektionen der Kiefer, die hauptsächlich in¬ 
folge maligner Tumoren ausgeführt werden mußten — die Resektion der 
Kiefer zwecks Besserung kosmetischer Verhältnisse oder schlechter Nahrungs¬ 
aufnahme und Störung der Sprache ein noli me tangere. Dort, wo sie aus¬ 
geführt wurden, fehlte die Überlegung ausgezeichneter Erfahrungen, wie wir 
sie durch die Behandlung der Kriegsverletzungen bekommen haben. Die Er¬ 
folge sind daher negativ oder nicht genügend ausreichend. Heute haben wir 
die ausgebaute Methode unter Ausschaltung eintretender Komplikationen 
für uns, und wir können jetzt mit sicherem Empfinden einem Patienten zu 
weitgehenden chirurgischen Eingriffen raten. Gerade die letzten Jahre gaben 
uns die vernachlässigten, nicht behandelten Kriegsteilnehmer in die Hand, mit 
ihren von Narbenschrumpfungen, falsch verheilten Kiefern, kosmetisch ent¬ 
stellten Gesichtern. Da galt es, die an sich fest verheilten Kiefer — insbe¬ 
sondere war es der Unterkiefer — erneut zu durchtrennen, fehlende Sub¬ 
stanzverluste durch Implantation oder Transplantation zu ergänzen, ortho¬ 
pädisch zur Unterstützung und Sicherung des Erfolges einzugreifen. Wir 
kommen auf Grund der Fülle positiver Erfolge dazu, mit Überlegung auch 
an die Mißbildungen der Kiefer chirurgisch heranzugehen. 

Bevor ich zur Beschreibung dieser größeren Vornahmen übergehe, möchte 
ich die rein chirurgischen kleineren Eingriffe streifen, die angewandt werden 
zur Beseitigung von Anomalien. Während die rein orthopädischen Ma߬ 
nahmen zur Zahn- bzw. Kieferregulierung darauf beruhen, durch Be¬ 
wegung der Zähne eine allgemeine Umformung des Kieferkörpers herbeizu¬ 
führen, was in Monaten, ja in Jahren nur zu erreichen ist, versuchen die 
gelegentlichen kleineren chirurgischen Behelfe zur Unterstützung der Be¬ 
wegung die Zeitspanne zu reduzieren. Bei den rein chirurgischen Regulie¬ 
rungen wird auf Grund des blutigen Eingriffs eine momentane Korrektur 
herbeigeführt. Diese Korrektur bezieht sich entweder auf die Zähne unter¬ 
einander, auf das Verhältnis der Zähne zum Kieferfortsatz oder auf die 
Beziehungen der Kieferkörper zueinander. Ein oft ausgeübter blutiger Ein¬ 
griff im Dienst der Orthodontie ist das Redressement forge. Der gekippte, 
gedrehte oder verlagerte Zahn wird mit der Extraktionszange unter be¬ 
stimmten Kautelen gefaßt und unter Voraussetzung der Raummöglichkeiten 


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324 Günther Cohn-Stock 

in die normale Lage gebracht, durch Achterligaturen oder mit kleineren 
Apparaten fixiert. Zwei stark widerstreitende Lager in der Zahnärztesdiaft 
setzen sich iur diese Methode ein bzw. bekämpfen sie, und es würde zu 
weit führen, das Für und Wider ausreichend zu beleuchten. In Frage wird 
dieser Eingriff zunächst kommen in der poliklinischen Praxis, in der pekuniäre 
Grenzen dem Patienten gesetzt sind oder dort, wo nur kurze Zeitverhält« 
nisse zur Behandlung gegeben sind. Bei Kindern wird eine Schwierigkeit 
kaum vorhanden sein, da bei diesen selbst die Kortikalis leicht dem Drucke 
nachgeben wird. Bei Erwachsenen aber wird man die Eventualitäten über« 
legen müssen. Meine Erfahrungen gehen dahin, daß man Messer und 
Meißel oder Knochenfräse nicht sparen und größere Hemmnisse der Knochen» 
wand vorher beseitigen soll. Auch verlagerte, noch ganz im Knochen liegende 
Zähne sind nach Freilegung und Bohrung einer entsprechenden Alveole in diese 
sofort geleitet worden. Wir finden Berichte darüber bei Partsch, F ritzsche, 
Kunert, Hesse, Bryan usw. Diese Methode wird von einzelnen nicht 
nur für einen, sondern oft in einer Sitzung für mehrere Zähne angewandt 
und so die Zähne in dem sonst normalen Kieferfortsatz in den normalen 
Zahnbogen gebracht. Mag man auch, so oft es die Verhältnisse erlauben, 
zum langsam wirkenden Regulierungsbogen greifen, immerhin wird der 
chirurgische Eingriff bei sachgemäßer Ausübung und guter Überlegung ge» 
legentlich zufriedenstellende Erfolge zeitigen. Gehen wir in der Behandlung 
Jugendlicher bei der größeren Aussicht auf Erfolg mit einer gewissen Sicher» 
heit zu Werke, so vermindert sich diese, je älter das Individuum ist. Wir 
haben nicht mehr die gleichen Verhältnisse vor uns. Der leicht flexiblen 
Kortikalis, den noch auf wechselnde Spannungsverhältnisse eingestellten 
Spongiosabälkchen ist die oft unnachgiebige, an einzelnen Stellen besonders 
verstärkte Kortikalis mit den auf abgeschlossene unveränderliche Drude« 
Verhältnisse abgesteiften Knochenbälkchen und der unnachgiebigen Alveolen« 
wandung gefolgt. Wenn auch die Literatur mit Angaben über absolute Er¬ 
folge nach Anwendung des Redressement forge bei Erwachsenen versehen 
ist, so darf man nicht an die vielen, der Kenntnisnahme entzogenen Mi߬ 
erfolge in der Ausübung dieses oft so einfach aussehenden und von vorn¬ 
herein bestrickenden Verfahrens vergessen. 

Da man einerseits Mißerfolge beim Anluxieren und Bewegen der falsch 
im Kiefer eingekeilten Zähne zu verzeichnen hatte, andererseits in renitenten 
Fällen chirurgisch eingegriffen werden mußte, lag die Möglichkeit der Über¬ 
legung nahe, statt der Bewegung des Zahnes aus seiner Alveole ihn mit¬ 
samt seinem Lager, d. h. Alveole und Wurzelhaut zu mobilisieren. Diese 
Methode wurde von Bryan näher beschrieben und in letzter Zeit gelegent¬ 
lich ausgeführt. Im allgemeinen scheint diese Methode aber wenig Anhänger 
gefunden zu haben, und dennoch hat sie etwas für sich, wenngleich ihre 
Anwendung nur beschränkt ist. 

Meist sind nämlich derartig verlagerte Zähne an den ihnen gebührenden, 
stark eingeengten Platz zu redressieren. Hierbei wird man mit Fräse oder 
Säge leicht Wurzelhaut, insbesondere ihren obersten Abschnitt, das Lig. 


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Die chirurgische Immediatregulierung der Kiefer 


325 


circulare, der Nachbarzähne schädigen. Der verlagerte Zahn steht dann in 
Stellung, das Zahnfleisch ist aber an diesen Stellen retrahiert. Es muß daher 
zugegeben werden, daß man in Ausübung dieser Art chirurgischer Regulie¬ 
rung mit der Bewegung des einen die beiden Nachbarzähne schädigen kann, 
sofern man nicht mit besonderer Rücksicht und Genauigkeit vorgeht. Im 
allgemeinen werden in Frage kommen Zähne, die im Bogen nach außen 
oder innen geneigt stehen, und die in den Bogen zurückgekippt werden 
sollen ohne Anwendung der Rotation gedrehter Zähne. Die Basis dieses 
zahntragenden Knochenausschnittes ist dabei mit dem Mutterboden ver¬ 
einigt und ist durch genügende Ernährung gesichert/ ebenso wird auch die 
Pulpa in der Ernährung kaum einer Schädigung unterliegen. Schräg zur 
Zahnreihe, außerhalb derselben verlagerte oder gar impaktierte Zähne wird 
man mit knöcherner Umgebung kaum ohne Mißerfolg transplantieren können, 
da die Einheilung als freie Transplantation von Knochen nur unter asep¬ 
tischen Kautelen einwandfrei erfolgen wird. 

Die letzte Konsequenz in der chirurgischen Behandlung führt zur Be¬ 
wegung mehrerer Zähne, ja sogar ganzer Zahnreihen mitsamt dem zuge¬ 
hörigen Kieferfortsatz resp. Kieferkörper. Wir nähern uns damit dem Ge¬ 
biete, das in seinen Grundlagen dem Chirurgen angehört, das wir ihm aber 
nicht gänzlich überlassen dürfen. Aus dem Weltkriege sind eine große Zahl 
mit den für die Kieferchirurgie gebräuchlichen chirurgischen Methoden wohl 
vertrauter Zahnärzte zurückgekehrt. Ihre Erfahrungen auf diesem Gebiete 
der zahnärztlichen Disziplin zu erhalten und gestüzt darauf im Verein mit 
dem Chirurgen die für die Praxis geeigneten verbesserungsfähigen Methoden 
zu bearbeiten, ist notwendig. Wir kommen damit erfolgreich weiter. 

Die Anregungen, die die angewandte Kriegschirurgie den Zahnärzten gab, 
in der Behandlung komplizierter Brüche, ausgedehnter Kieferdefekte, falsch 
verheilter und wieder mobilisierter Kieferkörperteile und in der Beobachtung 
und Beurteilung ihrer Heiltendenz, zeigt uns heute schon in der Anzahl ver¬ 
öffentlichter und noch der Veröffentlichung harrender Arbeiten das vitale 
Interesse für das wenig bearbeitete Feld der Friedensarbeit. Das Verant¬ 
wortungsgefühl hat sich, gestützt auf die Fülle reichhaltiger Erfahrungen, ge¬ 
stärkt und der Patient kann sich vertrauensvoller zu einer Operation ent¬ 
schließen, zu der immerhin ein gewisser Mut gehört. Wir begegnen häufig 
ausgedehnten, den Patienten entstellenden Deformitäten, wo wir von vorn¬ 
herein sagen können, daß orthopädische Behandlung aussichtslos erscheint. 
Die mit derartigen Mißbildungen behafteten Menschen, die dieselben ent¬ 
weder von Jugend auf akquiriert oder deren geringe Anlagen zur Anomalie 
sich in späteren Jahren besonders markant ausprägten oder die sekundär 
durch Trauma oder Verbrennungsnarben, Makroglossie usw. zu Deformitäten 
der Kiefer gekommen waren, leiden nicht nur durch die infolge Störung der 
Okklusion erschwerte Nahrungsaufnahme und ihren Folgeerscheinungen, 
wie Magen-, Darmaffektionen, sondern sind auch kosmetisch derart ge¬ 
schädigt, daß sie, solange sie geistig normal sind, diese Anomalie schwer 
empfinden und gern sich einer Operation unterziehen, wiewohl sie sich der 


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Günther Cohn-Stode 


Schwere des Eingriffs bewußt sind. Das zeigt, wie sehr wir daran arbeiten 
müssen, die Methode der chirurgischen Behandlung auszubauen und sie zu 
befestigen. Wir finden, obwohl die Ätiologie der verschiedenen Mi߬ 
bildungen öfter zu eruieren ist, häufig genug Unklarheiten und Merkwürdig¬ 
keiten. Besonders interessant sind die Angaben der Leute, die in ihrer Jugend 
wenig oder gar keine Anzeichen für eine Mißbildung zeigten, die dann in 
der späteren Entwicklung erst Feststellungen dieser Art machten, um dann 
von Jahr zu Jahr steigende Zunahme der anfangs unbedeutenden Anomalie 
zu konstatieren. Diese progressive, oft zu absurdem Aussehen führende 
Form führt uns den Patienten als Erwachsenen zu. Sollen wir diesen oft 
unbekannten Kräften mit dem Rüstzeug der an sich gut fundierten Ortho¬ 
pädie entgegentreten und mit welchen? Wohl sind bei Erwachsenen, wie 
z. B. Pfaff mitteilt, ausgezeichnete Erfolge mit rein orthodontischer Be¬ 
handlung erzielt worden. Wo man glaubt, mit unblutigen Mitteln zum Ziele 
zu kommen, soll man den Versuch nicht unterlassen. Wo aber der chirur¬ 
gische Weg klar vor Augen liegt, muß man ihn beschreiten und mit Hilfe 
des Chirurgen die Operation ausführen, die, durch die Intentionen des Zahn¬ 
arztes geleitet, zur kosmetischen Verbesserung, ausreichenden Okklusion, 
und damit zum physiologisch besseren Gebrauch der Kiefer führt. Ziel¬ 
bewußte Überlegung, verbunden mit zweckmäßiger, von früheren Chirurgen 
so wenig beachteter Stützschienung und eventuelle orthopädische oder tech¬ 
nische Nachkorrektur führen zum befriedigenden Erfolg. Wenn ich diese 
Methoden mit nachfolgender orthopädischer Behandlung nicht der ortho¬ 
pädischen Behandlung mit chirurgischer Unterstützung anfüge, so hat das 
seinen berechtigten Grund darin, daß hier das chirurgische Moment im Vorder¬ 
grund steht. In Betracht kommen: Verkürzung des Unterkiefers bei Pro¬ 
genie, Kreuzbiß, Verlängerung desselben bei Mikrognathie, Aufwärts¬ 
kippen bei offenem Biß, Verkürzung des Oberkiefers bei Prognathie. 

Unter Progenie verstehen wir das mehr oder weniger starke Prominieren 
des Unterkiefers vor dem Oberkiefer. Das Kinn scheint dann besonders nach 
vorn entwickelt, die vorderen Unterzähne stehen vor den oberen und be¬ 
rühren dieselben nicht. Die Unterlippe ist entsprechend vorgelagert. Solche 
Menschen erhalten den Ausdruck des Agressiven, oft Brutalen und kom¬ 
binieren in extremen Fällen ausgesprochene Häßlichkeit mit Unbrauchbarkeit 
der nicht zueinander passenden Kiefer. Neben verschiedenen Entstehungs¬ 
ursachen dieser Anomalie wird besonders auf die abnorme Größenentwicklung 
des Unterkiefers, und ferner darauf hingewiesen, daß der Winkel, den auf- 
steigender Ast mit horizontalem Kieferkörper bilden, ein abnorm stumpfer 
ist. Bei der Behebung dieser Anomalie auf chirurgischem Wege sind zwei 
Möglichkeiten gegeben: Verkleinerung des Unterkiefers durch Keilexzision 
oder Verschiebung des gesamten Körpers ohne Verkürzung nach distal. Schon 
vor dem Kriege sind einige Fälle chirurgischer Behandlung der Progenie durch 
Keilexzision in der Literatur erwähnt worden. Die Erfolge kranken meist 
an der Systemlosigkeit, mit der die Vornahme stattfand/ Mißerfolge oder 
Teilerfolge waren das Resultat. 


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Die chirurgische Immediatregulierung der Kiefer 


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Angle legte, was vorher nicht geschehen war, besonderen Wert auf die 
vor der Operation nach genauem Ausmessen angefertigte intraorale Stütze 
schiene, ein Vorschlag, der heute unerläßlich scheint. Angle hat in extremsten 
Fällen der Progenie den Vorschlag gemacht, durch Keilexzision beiderseits 
eine geeignete Verkürzung herbeizuführen, und gibt zugleich die geeignete intra- 
orale Apparatur, bestehend aus dreiteiliger Metallkappenschiene an <Fig. 1 >. Er 
selbst aber scheint die Operation nicht ausgeführt zu haben, ist aber Dr. Blair 
in St. Louis mit diesbezüglichem Rat zur Seite gewesen. Über diese Arbeit 
wird von Dr. Whipple ausführlich berichtet. Der anfängliche Mißerfolg 
ändert sich nach Zuziehung zahnärztlicher Hilfe. Die feste Vereinigung nimmt 
dann nach Anlegung intraoraler Stützbandagen ihren Fortgang. Ein ähn^ 
lieber, von Angle erwähnter Fall, der in New^Orleans operiert wurde, 
endete mit dem Verlust 
des mobilisierten Teiles 
Nekrose. An^ 
soll der Mißer^ 
folg darin zu suchen ge^ 
wesen sein, daß der 
Knochenkeil aus dem 
Kieferwinkel und nicht 
aus dem horizontalen 
Teil entnommen sei, und 
daher die geeignete 
Stützschiene gefehlt ha^ 
be. Es ist sicher dieses 
Moment nicht das für 
den Mißerfolg entscheidende gewesen, denn heutzutage wird die Methode, 
an dem Kieferwinkel geeignete Teile zu entnehmen, mit Erfolg besonders 
von Ernst geübt, nur mit dem Unterschiede, daß letzterer das möglichst 
aseptische Verfahren an wendet im Gegensatz zu den damaligen Opera^ 
tionen. Pickerill beschreibt den Fall eines 18 jährigen Patienten, dessen 
Ausdruck infolge Progenie mit offenem Biß der eines Bulldoggen gewesen 
sein soll. Zweizeitige Keilexzisionen in der Bikuspidatengegend. Das ResuL 
tat nach dem Modell und der Photographie erscheint wenig vollkommen, da 
die Progenie noch besteht. Er erwähnt in seiner Arbeit Arbuthnot Lane, 
der ebenfalls Keilexzision aus dem Unterkiefer zur Behebung des offenen 
Bisses ausgeführt habe. Cryer und Harsha entnehmen aus dem Kiefer^ 
winkel Knochenabschnitte zur Behebung der Progenie. Erst die Erfahrung 
des Krieges mit dem gewaltigen Material zur Beobachtung und Behandlung 
gekommener Kontinuitätstrennungen der Kiefer schufen bei der Übertragung der 
Methoden auf die Friedenspraxis eine geeignete Basis zur gesicherten Therapie. 
Die Vornahme der Operation kann an verschiedenen Stellen geschehen: am 
horizontalen, am aufsteigenden Ast, am Angulus und am Kieferköpfchen. 

Pichler stellt erst am resezierten Gipsmodell genau die normale Beziehung 
zum Oberkiefer fest und schaltet zugleich durch winklige Anlage des Re^ 


infolge 

geblich 



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328 Günther Cohn-Stodc 

Sektionsschnittes die Wirkung einsetzender, den Heilerfolg störender Muskel¬ 
kräfte aus <Fig. 2 und 3>. Nach dem so eingestellten Gipsmodell wird eine ge¬ 
eignete intraorale Fixationsschiene angefertigt, die das mittlere mobilisierte 
Kieferstück in der voraus bestimmten Stellung unbeweglich festhalten soll. 
Schließlich hat Pichler zwecks Verbesserung der üblichen Methode an Leichen¬ 
versuchen festgestellt, daß man ohne Eröffnung der Mundhöhle eine Aneurys¬ 
manadel und damit eine Giglisäge um den Kiefer subperiostal herumführen und 
den Kiefer durchtrennen könne. Mit Hilfe dieser genau durchdachten und bis 
ins einzelne überlegten Methode gelang ihm die Ausführung der Operation 
vollkommen. Er selbst gibt zusammenfassend an, daß die genaue Voraus¬ 
bestimmung der Form und Größe der entfernten Stücke, die Herstellung 
einer verläßlichen Zahnschiene vor der Operation, der winklige Sägeschnitt 
und die Ausführung der Resektion ohne Eröffnung der Mundhöhle für den 
Erfolg wesentlich waren. Diese Operation kann auch zweizeitig ausgeführt 




werden, wie sie z. B. Floris beschrieb. Man wird diese Methode, die eine 
gewisse Sicherung des nur einseitig in seiner Kontinuität getrennten Kiefers 
darstellt, nicht ohne weiteres von der Hand weisen, doch wird es zweckmäßig 
sein, die zweite Etappe der Durchtrennung auf der entgegengesetzten Seite so¬ 
gleich nach der Kallusbildung anzusetzen, um durch Beeinflussung des jungen, 
neugebildeten Kallusgewebes Korrekturen, die infolge der einseitigen Ver¬ 
kürzung vorzuehmen sein dürften, ausführen zu können. Ganz besonders 
dürfte diese Methode meiner Ansicht nach dann zur Anwendung kommen, 
wenn wenig oder keine Zähne vorhanden sind, weil die intraorale Stütz¬ 
schiene keine ausreichende Fixierung der mobilisierten Mittelpartie abgibt. 
Der intra-, extraorale Verband ist ungeeignet, die Drahtnaht der Knochen¬ 
enden nicht ausreichend. Immerhin wird man zumeist zu der von Pichler 
vorgeschlagenen Operation schreiten, wo die Voraussetzungen dafür vor¬ 
handen sind. Man kann bei Beobachtung sämtlicher Vorsichtsmaßregeln in 
einer Sitzung das Redressement in die errechnete Stellung ausführen. 

Ernst hat in letzter Zeit besondere Erfolge dadurch erzielt, daß er 
extraoral in der Gegend dicht vor dem Angulus eingeht <Fig. 4 und 5). 

Er wählt gerade diesen Teil des Kiefers, weil er dort in der Lage ist, den 
außerordentlich stumpfen Winkel spitzer zu gestalten. Er geht subperiostal 
ein, holt ein etwa rechtwinkliges Dreieck aus dem Knochen heraus mit der 
Spitze nach dem Kieferrande, schiebt den aufsteigenden Ast hinter und den 


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Die chirurgische Immediatregulierung der Kiefer 329 

horizontalen zurück. Die Zähne im Ober* und Unterkiefer erhalten Silber* 
kappen mit Gleitschienen beiderseits. 

Neben dieser beschriebenen Methode der Keilexzision hat eine andere, 
von Lindemann ausgefuhrte Methode zu gleich guten Erfolgen geführt, die 
durch Verschiebung des horizontalen Kiefers in toto eine Verbesserung der De* 




formität vorsieht. Hier wird am aufsteigenden Aste, zwei Finger breit über 
dem Kieferwinkel, zwischen Inzisur und Foramen mandibulare mittels einer 
Stichsäge eingegangen, der Kiefer dort durchsägt, die Schnittflächen gegenein* 
ander verschoben und dadurch der ganze Unterkiefer redressiert <Fig. 6 und 7>. 
Die Vorteile dieser Methode, wofern nicht Verlagerungen des zentralen 
Knochenstückes mit den beiden Prozessus ein treten, sind besonders bestrickend. 
Sie läßt ohne Eröffnung der Mundhöhle unter Wahrung vollkommener 
Asepsis, zugleich unter Schonung des Nerven und der Arteria mandibularis, 
den Eingriff zu. Der äußerliche Schnitt ist klein, Substanzverlust des Knochens 
ist unnötig, die Durchsägung des schmalen Knochenblattes ist leicht durch* 
führbar. Unter dem Ohrläppchenansatz wird eingegangen. Unter Schonung 
des Fazialis und der Ohrspeicheldrüse gelangt man auf den Knochen, die 




rechtwinklig zur Längsachse des Processus condyloideus angesetzte Stichsäge 
schneidet die Innen* und Außenfläche des aufsteigenden Astes in gleicher 
Höhe. Die Fixierung des rückgeholten Unterkiefers geschieht durch Draht* 
verbände, die den Unterkiefer fest gegen den Oberkiefer schnüren. 

Jaboulay und Berard sowie Berger haben in gleicherweise Erfolge 
erzielt dadurch, daß sie die Gelenkköpfchen resezierten und den gesamten 
Unterkiefer zurückbrachten, wobei die unteren Schneidezähne um 2 1 /» cm 
nach hinten rückten. Es ist hierbei nicht ganz einzusehen, wie sich nach 
Opferung beider gesunden Gelenkverbindungen bei so ausgedehnter Rüdk* 

Vierteljahrsschrift für Zahnheilkunde, Heft 3 22 


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Günther Cohn-Stock 


Verlagerung ein neues, für den Kauakt ausreichendes Gelenk bilden sollte. 
Man wird dieser Methode nicht ganz zustimmen können. Anders ist da¬ 
gegen die gleiche Ausführung zu beurteilen zur Beseitigung eines Kreuz* 
bisses, hervorgerufen durch eine Arthritis deformans, wie sie von v. Eiseis¬ 
berg bei zwei Patienten beschrieben hat. Hier hatte der pathologische Prozeß 
das Gelenkköpfchen zur starken Hypertrophie gebracht. Da die Diagnose 
unzweifelhaft war, konnte nur die Resektion des erkrankten Gelenkköpfchens 
die Anomalie beseitigen. In der Tat trat nach der Operation normale Ok¬ 
klusion und gutes Kauvermögen ein. Sonst wird man bei störendem Kreuz¬ 
biß evtl, eine der vorher genannten Methoden, aber nur einseitig, zur An¬ 
wendung bringen. Mit der Progenie vergesellschaftet ist gelegentlich der 
ofFene Biß. Aber auch selbständig ohne Prominenz des Unterkiefers kann er 
in Erscheinung treten, verstärkt mitunter dadurch, daß der Oberkiefer an 
der Anomalie teil hat, derart, daß sein alveolärer Teil nach oben gebogen 
erscheint. Bei dieser Deformität übernehmen meist nur die Molaren den 
Kauakt. Ein Abbeißen mit den Vorderzähnen ist unmöglich, Sprachstörungen 
unvermeidlich. Die Ätiologie ist nicht genügend erforscht, man wird auch 



hier dem ausgesprochenen stumpfen Kieferwinkel besondere Bedeutung zu¬ 
messen müssen. Die Anwendung chirurgischer Therapie untersteht gleichen 
Indikationen, wie sie soeben bei der Progenie besprochen wurden. Hullihen 
beschreibt die Operation, die wegen Narbenektropiums des Unterkiefers in¬ 
folge Verbrennung vorgenommen wurde. Er reseziert beiderseits im Unter¬ 
kiefer in der Gegend der Bikuspidaten ein V-förmiges Keilstück mit der Basis 
nach dem Alveolarrande. Der Keil durchsetzt den Kieferkörper nur zu drei¬ 
viertel <Fig. 8, 9 und 10>. Durch eine horizontale Schnittfuhrung unterhalb 
der Vorderzahnwurzeln werden die Keile miteinander verbunden, dann der 
mobilisierte, partiell resezierte Kieferkörper mitsamt den Zähnen redressiert. 
Es ist nicht einfach, den Erfolg, der eingetreten sein soll, zu verstehen, zumal 
die knöcherne Kinnpartie stehen blieb. Von Eiseisberg berichtet über Plastik 
bei Ektropium des Unterkiefers infolge Makroglossie. Bckzahn und Prämolaren 
werden extrahiert, Keilexzision des Knochens, Knochenvereinigung durch Silber¬ 
draht. Wegen Fistelbildung sind zwei Nachoperationen vonnöten. Der Unter¬ 
kiefer blieb auf der einen Seite monatelang beweglich. Mayrhofer findet Ge¬ 
legenheit, den offenen Biß eines mit Kieferschuß eingelieferten Kriegsver¬ 
letzten durch geeignete Schienung zu korrigieren, so daß Patient besser kauen 
konnte als vordem. Anschließend entwirft er einen Behandlungsplan, den 
offenen Biß auf chirurgischem Wege zu beseitigen. „Unter genauer Berück- 


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Die chirurgische Immediatregulierung der Kiefer 331 

sichtigung der anatomisdien Verhältnisse, namentlich der Kieferform und Bi߬ 
verhältnisse des einzelnen Falles, wäre rechts und links je ein Zahn, meist 
ein Backzahn, zu extrahieren. Nach vollständiger Heilung wäre extraoral 
ohne Eröffnung der Mundhöhle je eine Knochenscheibe aus der Kontinuität 
des Knochens mit der Giglisäge auszuschneicfen, das bewegliche Mittelstück 
nach oben zu führen und geeignet zu schienen." Auch er betont, wie man 
erkennt, die unter aseptischen Verhältnissen vorgenommene Methode, wie 
sie zu gleicher Zeit von Pichler ausgeführt wurde. Die vorher erwähnten 
Behandlungsweisen gehen nicht von diesen Voraussetzungen aus. Wir sehen 
nach erfolgter Extraktion die Operation angeschlossen. Ich glaube, die ent¬ 
standenen Fistelbildungen, vor allem aber das monatelange Ausbleiben einer 
Konsolidierung auf das Konto der Außerachtlassung der Nichteröffnung der 
Mundhöhle setzen zu können. 

Für einzelne Fälle des reinen offenen Bisses ohne Progenie möchte ich statt 
der Exzision eine Schräg¬ 
schnittführung durch den Kiefer 
in der Gegend der Bikuspi- 
daten vorschlagen. Nach Ex¬ 
traktion der Bikuspidaten bei¬ 
derseits und Ausheilung der 
Wunde wäre der Kiefer ver¬ 
tikal von dem zweiten Bikuspi¬ 
daten, hinten angefangen, nach 
dem ersten Bikuspidaten vorn 
schräg zu durchtrennen, wobei 
das Foramen mentale, Nerv 
und Arterie geschont werden 
könnten. Eine Projektion des 
Canalis mandibularis zeigt den 
Weg aus der zentralen Richtung nach der peripheren labialen Gegend bis unter¬ 
halb des zweiten Bikuspidaten <Fig. 11). Man kann den mittleren Teil nach 
oben kippen, wobei die Sägeflächen breit aneinander liegen. Ich habe die 
Möglichkeit nur am Leichenmaterial konstatieren können, wobei die nach 
unten vorstehenden Knochenkanten mit der Knochenzange beseitigt wurden. 
Vielleicht läßt sich diese Schrägschnittführung auch für andere Fälle von Ano¬ 
malien anwenden. 

Im Gegensatz zur Progenie bekommen wir Fälle zu Gesicht mit rückver¬ 
lagertem, in seiner Zirkumferenz verkleinertem und zugleich wenig kräftig ent¬ 
wickeltem Unterkiefer. Man bezeichnet diese Deformität mit Mikrognathie. 
Die kosmetischen und funktionellen Störungen sind hierbei weitaus schwerer. 
Die Betreffenden erhalten mit ihrem nach dem Halse abfallenden Kinn ein 
überaus häßliches Aussehen, und die übliche Bezeichnung eines Vogelgesichtes 
charakterisiert besonders die Form. Kauvermögen infolge gestörter Okklusion 
sehr erschwert, Sprache oft schwer verständlich, besonders wenn Ankylose 
des Kiefergelenks verbunden ist. Interessant ist wieder bei dieser entweder 

22 * 



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Günther Cohn»Stodc 


angeborenen oder erworbenen Deformität die Beobachtung, daß in diesen 
Fällen der Kieferwinkel sich einem rechten nähert, während er beim normalen 
Menschen im erwachsenen Zustande zirka .125'’ beträgt. Auch in diesen 
Fällen hat die chirurgische Therapie versucht, Besserung zu schaffen. Von 
Auffenberg hat aus der v. Eiselsbergschen Klinik drei Fälle mitgeteilt. In 
einem Falle extrahierte er auf der linken Seite den Bikuspidaten, geht durch die 
Alveole senkrecht bis zur Mitte des Unterkiefers ein <Fig. 12 und 13>. Ein ent- 






. • ■> 


sprechendes Bohrloch wird rechts angelegt und von dort der Unterkiefer nach 
unten durchtrennt. Beide Punkte werden durch horizontalen Sägeschnitt ver» 
bunden, so daß der Unterkiefer in eine untere und eine obere Spange zerfällt. 
Die Fragmente werden auseinandergezogen, und zwar um dieLänge der beiden 
Treppenstufen. Diese erhalten an ihren Enden Bohrlöcher, durch die zur Fi» 
xierung eine Drahtnaht gelegt wird. Im anderen Falle wird der Unterkiefer 
am Winkel treppenartig durchsägt, wobei die Wurzeln der letzten Molaren in 
die horizontale Sägelläche fallen <Fig. 14 und 15). Die Treppenenden sind 

a durchbohrt und durch 

A /l/l Drahtnaht fixiert. Nach 

f\ J\ \ V \ vier Monaten Heilung,- 

Y'-Aa \ 7 \ ein Jahr später wird auf 

\ \_, -j r i i _ \ l ^er anderen Seite in der 

\ k' ' Gegend zwischen erstem 

V \ ij ~ Y] _ (. und zweitem Bikuspi» 

- - ) V _v daten die gleiche Ope» 

Fig. H Fig. 15 ration eingeleitet mit 

dem Endresultat einer 

Pseudarthrose. Es werden Erweiterungen von 2 1 / 2 bis 3 cm erreicht. Bei 
den erwähnten Fällen vermißt man die Mitbeteiligung zahnärztlicher Hilfe. Die 
Fixierung durch Drahtnaht ist nie eine ausreichende. Pehr Gadd hat eine 
ähnliche Methode zur Anwendung gebracht, doch so, daß die Knochenstufen 
nach der Verschiebung aufeinander ruhen <Fig. 16 und 17). Cry er schiebt den 
Unterkiefer vor nach halbkreisförmiger Aussägung im Kieferwinkel. Ich glaube 
auch, die Methode selbst wird, um Komplikationen auszuschalten, von neueren 
Gesichtspunkten aus bearbeitet werden müssen. Vielleicht kommt das Linde» 
mann sehe Verfahren besser hierfür in Betracht, das, wie auseinandergesetzt, 
ein aseptisches Vorgehen gestattet. Man würde dann in gleicher Weise den 


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Die chirurgische immediatregulierung der Kiefer 


333 


aufsteigenden Ast durchtrennen, den Unterkiefer aber vorschieben, um die 
fliehende Kinnpartie nach vom zu bringen und die Profiilinie zu bessern. Die 
zweite Methode der Kontinuitätstrennung des horizontalen Astes und Vor¬ 
bringen des mittleren Teiles wäre wohl ebenfalls möglich. Nur wäre auch 
hier der Versuch zu machen, ohne Eröffnung der Mundhöhle vorzugehen. 
Notwendig zu extrahierende Zähne müßten lange vor der Operation ent¬ 
fernt sein. Die Durchtrennung der Kiefer ist am besten im Winkelschnitt 
vorzunehmen. Zwecks guter Fixierung, die ein wichtiges Hilfsmittel zur 
besseren Heilung darstellt, sollte, wenn die Möglichkeit besteht, außer dem 
Mittelstück, das ja meist Zähne enthält, auch jedes hintere Fragment wenig¬ 
stens einen Zahn enthalten. In solchen Fällen ist die intraorale Fixierung 
eine ausreichende und bürgt für rasche Konsolidierung. Es fragt sich nur, 
ob nach Durchtrennung die Weich teile, wie Periost und Mukosa dem aus¬ 
gedehnten Zuge, ohne zu zerreißen, nachgeben werden, was nicht anzu¬ 
nehmen ist. Mit diesem Verfahren ist wohl eine Erweiterung, aber keine 
Verlängerung des Kiefers herbeigeführt. Ich glaube, um beides zu erreichen, 
die Transplantation von Knochen aus der Tibia, Rippe oder Beckenkamm 
vorschlagen zu können. Die 
Behandlung der Kieferschu߬ 
verletzungen hat uns ge¬ 
nügend reichliche Erfah¬ 
rungen auf dem Gebiete der 
Knochenplastik gegeben, um 
diese Methode auch hier in Fig. 16 Fig. n 

Anwendung zu bringen. Die 

zweizeitige Operation dürfte bei Anwendung der Transplantation die gegebene 
sein. Einmal erfordert die Einpflanzung reichlich Zeit und Müheaufwand 
und stellt, da sie unter Lokalanästhesie der betreffenden Teile vorgenommen 
wird, auch an den Patienten große Anforderungen. Dann aber mindert man 
die Gefahr der Pseudarthrosenbildung durch bessere Fixierung des nur einer¬ 
seits durchtrennten Kiefers und der besseren Durchblutung und Ernährung 
der mittleren Partie. Nach der Heilung würde eine prothetische Behandlung 
die eventuell notwendigen Korrekturen übernehmen. 

Nach Niederlegung dieser Vorschläge ist mir die Arbeit von Bruhn über 
Behandlung der Progenie und Mikrognathie zugegangen. Es ist mir eine 
Freude, zu konstatieren, daß die unabhängig voneinander erstandenen theo¬ 
retischen Erwägungen von Bruhn in so genialer verbesserter Weise prak¬ 
tisch gelöst wurden. Die Verschiebung des mikrognathen Unterkiefers nach 
vorn mit der gleichen Methode, wie sie bei Behandlung der Progenie aus¬ 
geführt wird, hält Bruhn für geeignet bei leichten Formen der Mikrognathie. 
Bei ausgesprochenen dagegen kommt die beiderseitige Durchtrennung des 
horizontalen Astes in der Gegend zwischen zweitem Bikuspidaten und erstem 
Molaren in Frage mit nachheriger Knochentransplantation. Das mobilisierte 
Mittelstück wird mittels einer eigens konstruierten Extensionszange langsam 
nach vorn geholt und damit die Weichteile in der Gegend des Eingriffes ge- 



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334 


Günther Cohn-Stock 


dehnt. Die eingerissene Mundschleimhaut muß dann erst verheilen, ehe man 
zum zweiten Abschnitt der Transplantation schreitet. Die Wundheilung im 
Munde schreitet rasch vorwärts, und die Transplantation beiderseits von 
Knochenstücken wird in einer Sitzung ausgeführt. Die Erfolge mit dieser 
Methode, die von meiner vorgeschlagenen ein wenig abweicht, sind, wie die 
Aufnahmen zeigen, so hervorragende, daß man sie als grundlegende für die 
Zukunft wird annehmen müssen. 

So eingehend die verschiedenen Veröffentlichungen in der chirurgischen Be¬ 
handlung der Deformitäten gerade den Unterkiefer behandeln, so wenig 
findet man darüber in Beziehung auf den Oberkiefer. Es ist das kaum Vor¬ 
handene in der Literatur um so weniger zu verstehen, als die im Oberkiefer 
auftretende Anomalie, die Prognathie, in kosmetischer wie funktioneller Hin¬ 
sicht ebenfalls zu den unangenehmsten Deformitäten gehört. Der Oberkiefer 
tritt gegenüber Nase und Stirn besonders stark hervor, die meist verkürzte 
Oberlippe läßt die oberen Schneidezähne dauernd hervortreten, der Profil¬ 
winkel ist entsprechend klein. Ein Abbeißen ist oft nicht möglich, da die 
unteren Zähne infolge Niditartikulierens mit ihrem Antagonisten verlängert 
sind. Gelegentlich treffen sie daher in extremen Fällen die Gaumenschleim¬ 
haut und erzeugen Dekubitalgeschwüre. In der Literatur haben Vallas und 
CI. Martin eine schlecht geheilte Schußfraktur durch seitliche Keilexzision 
mit nachfolgender zahnärztlich prothetischer Behandlung korrigiert. 

Cryer hat bei einem 15jährigen Patienten mit einer Hypertrophie des 
Ober- und Unterkiefers den Processus alveolaris in beiden Kiefern abge¬ 
tragen, und zwar ging er im Oberkiefer so vor, daß er von der Tuberositas 
der einen Seite sublabial bis zur Tuberositas der anderen einen Schnitt durch 
Schleimhaut und Periost legte und nach Durchtrennung der Oberlippe in der 
Medianlinie den gesamten Fortsatz samt vorhandenen Zähnen mit Säge 
und Knochenzange abtrug. 

Es ist erstaunlich, wie wenig chirurgisches Interesse dieser so schweren 
Anomalie entgegengebracht ist. Die Heiltendenz als solche ist im Oberkiefer 
wie wir es von den Kriegs- und Friedensverletzungen wissen, eine ungemein 
gute. Die Prognose selbst der schwersten Oberkieferfraktur ist eine günstige, 
vorausgesetzt, daß sie nicht mit Schädelbruch oder Bruch der Schädelbasis 
mit folgender Meningitis kompliziert ist. Selten besteht bei den eigentlichen 
Verletzungen des Oberkiefers eine Lebensgefahr, selbst nicht bei Trans¬ 
versalfrakturen, wie sie Guerin beschreibt. Man kennt Fälle, wo trotz 
doppelseitigen Oberkieferbruchs mit Bruch beider Jochbeine, wobei sich der 
Gesichtsschädel gegen den Schädelknochen ausgiebig verschieben ließ, Heilung 
eingetreten ist. Es war daher besonders interessant, die Möglichkeit der Be¬ 
seitigung solcher Anomalien an zwei Fällen studieren zu können. 

Fall I: Krankenschwester E. K., 22 Jahre alt, von kräftiger, mittelgroßer 
Figur. Patientin gibt an, in ihrer Jugend eine Knocheneiterung nach Diphtherie 
gehabt zu haben, und zwar im Unterkiefer. Es seien damals Knochensplitter 
entfernt worden. Obwohl ihre Eltern, Großeltern und Geschwister nichts 
Anormales im Kieferbereiche aufzuweisen hatten, so wäre ihr ein Vorwachsen 


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Die chirurgische Immediatregulierung der Kiefer 


335 


in ihrer oberen Kieferpartie aufgefallen. Der behandelnde Zahnarzt hätte im 
Oberkiefer drei Zähne zwecks Aufhebung der Veränderung und gedrängten 
Zahnreihe entfernt, um hernach zu regulieren. Trotz der Extraktion sei keine 
Besserung eingetreten. Die Mundpartie mit der die schräg vorgelagerten 
Zähne im Oberkiefer nur halb bedeckenden Oberlippe hat ein rüsselartiges 
Aussehen. Die extreme Kieferdeformität wirkt besonders prominent des- 
wegen, weil der Unterkiefer eine Mikoognathie aufweist <Tafel III, Fig. 10 
und 11>. Die untere Mundpartie weicht daher noch besonders gegenüber der 
oberen zurück. Die Mikrognathie ist entstanden infolge einer Osteomyelitis in 
frühester Kindheit auf der Basis einer metastatischen Infektion nach Diphtherie. 
Es ist daher wohl möglich, daß eine Störung in der Weiterentwicklung des 
Unterkiefers eingetreten ist, oder einerein mechanische Verkürzung in derZir- 
kumferenz, wie wir sie bei Kontinuitätstrennung mit Substanzverlust auch ander* 
weitig beobachten. Die horizontale Knochenspange scheint mäßig entwickelt. 

Linkerseits besteht noch eine von dem Prozeß herrührende, am Kieferrande 
gelegene Narbe. Der Oberkiefer ist seitlich verengt, der mittlere vordere 
Teil des Kieferfortsatzes springt besonders mit seinen Vorderzähnen vor. 
Es stehen im Munde: 


87 

4321 

1 345 7 

87 

21 

1 7 


Schon ohne Symmetroskop ist sofort die Wirkung voraufgegangener Ex¬ 
traktion zu sehen. Besonders deutlich ist die Lage des rechten Eckzahnes 
mit dem ersten Bikuspidaten in einer frontalen Ebene infolge Vorwanderns 
der seitlichen Zähne linkerseits. Zwischen Eckzahn und mittlerem Schneide¬ 
zahn links eine kleine Lücke. Der Unterkiefer ist infolge seiner Verkürzung 
im vorderen Abschnitt in keinerlei Beziehungen zu den korrespondierenden 
Zähnen im Oberkiefer. Die vorderen unteren Zähne beißen fast in die 
Schleimhaut des Gaumens. Es artikulieren nur: die drei Molaren im Unter¬ 
kiefer mit den Antagonisten, und diese auch noch unvollkommen <Tafel I, 
Fig. 1 bis 3 und Tafel II 7 >. 

Frl. K. fühlte sich unglücklich im Bewußtsein ihrer hochgradigen Deformität 
und begrüßte dankbar die Aussicht, durch chirurgischen Eingriff die Möglich¬ 
keit eines normalen Aussehens zu bekommen. Man hätte in diesem Falle 
nicht nur Oberkiefer, sondern auch Unterkiefer beeinflussen müssen, um das 
zurückliegende Kinn in harmonische Beziehungen zur oberen Partie zu be¬ 
kommen. Es kam da die Operation nach von Eiseisberg in Frage, d. h. 
Verlängerung des Kiefers durch treppenartigen Ausschnitt, oder die Operation 
mit Transplantation von Knochenteilen aus Tibia oder Beckenkamm, eine 
Methode, die gerade in den letzten Jahren durch die Erfahrungen des 
Krieges besonders gute Aussichten auf Erfolg versprach. Von beiden 
Möglichkeiten ist vorderhand Abstand genommen worden, da sie an sich 
schwere Eingriffe bedeuten, und das Hauptaugenmerk auf die Behandlung 
des Oberkiefers gelegt in der Hoffnung, vielleicht durch prothetischen Ersatz 
auf unblutigen Wegen Besserung zu erzielen. 


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336 


Günther Cohn-Stodt 


Die Überlegung vor der Operation ging dahin, ohne Substanzverlust, 
lediglich durch vertikale seitliche Einschnitte in den Knochen und horizontale 
Verbindung derselben, auf der fazialen Seite eine Mobilisierung der in Frage 
kommenden prognathen Kieferpartie und sofortigem Redressement in die 
notwendige Stellung herbeizuführen und unter nachfolgender Fixierung zu 
retinieren. Um sämtliche Vorderzähne inklusive des linken Eckzahnes mit 
zugehöriger Knochenpartie zu redressieren, hätte eine Dehnung des Kiefers 
in der Gegend des linken I. Bikuspidaten und rediten Eckzahnes vorausgehen 
müssen oder Opferung beider. Die erste Möglichkeit wurde bei dem an sich 
mikrognathen Unterkiefer und der Länge der Behandlungszeit verworfen. 
Bei der zweiten wollte ich das durch Extraktion geschädigte Gebiß nicht noch 
weiterhin um zwei Zähne mindern. Der Raum, den die Schneidezähne ein* 
nehmen, beträgt 2,4 cm. Die Entfernung zwischen rechtem Edtzahn und 
linkem I. Bikuspidaten beträgt etwa ebensoviel Zentimeter. Somit bestand 
die Möglichkeit, das vordere Bogensegment bis zu dieser Linie abzuflachen. 
Die Extraktion des linken Edtzahnes erschien mir nicht notwendig. Dagegen 
wurde die Krone des rechten, zu stark labial stehenden Edczahnes entfernt, 
um durch Stiftzahn eine korrigierte Stellung zu erhalten. Die notwendige 
Apparatur sollte intraoral und palatinal befestigt werden, um nicht störend 
für das Aussehen zu wirken. Sie bestand aus zwei Molaren-Sdhraubbändern, 
die mit einem kräftigen, den palatinalen Flächen der oberen Zähne anliegenden 
Drahtbügel verbunden waren. Der vordere Teil des Bügels reichte nur so 
weit, wie die am Gipsmodell zurückgesetzten Zähne maximal durch die 
Operation hätten redressiert werden können. Die mittleren Schneidezähne 
erhalten Ringe mit Knöpfdhen. Durch die buccal sich befindenden Kanülen 
sollte bei Bedarf ein labial den Zähnen anliegender glatter Bogen geführt 
werden. Feste Kappenapparate wollte ich nicht anwenden, da der Kiefer 
nicht in seiner totalen Kontinuität zu trennen war und eine gewisse Freiheit 
in der Lagerung der mobilisierten Teile ratsam schien. Die Operation wurde 
im Mai 1920 folgendermaßen ausgeführt. Unter lokaler und Leitungs» 
anästhesie, Kokaintampon in der Nase, wird ein großer halbkreisförmiger 
Bogenschnitt von der Gegend der Bikuspidaten der einen Seite zu dem der 
anderen Seite fazial durch Schleimhaut und Periost gelegt. Mit Raspatorium 
wird der Lappen, dessen Basis nach der Schleimhautumschlagsfalte gelegen 
ist, bis unterhalb der Spina nasalis anterior abpräpariert. Zwischen Edc« 
und Schneidezahn linker- und rechterseits werden von dem Bogenschnitt aus¬ 
gehend zwei Steigbügelschnitte über den Alveolarrand gelegt, die in ihrer pala» 
inalen Verlängerung parallel zueinander stehen. Palatinal wird die Schleim¬ 
haut nach beiden Seiten ein wenig abgedrängt. Die Stichsäge versagt. Die 
Giglisäge durchschnitt den Kiefer relativ rasch und zwar vertikal, beginnend 
vom Alveolarkamm bis in die Höhe der Wurzelspitzen. Einem Weiter¬ 
vordringen stellten sich die geringe Bewegungsmöglichkeit im Munde und die 
nicht mehr abzuhaltende Lippe entgegen. Kurze, mit schmälstem Meißel 
geführte Schläge trennten den Knochen vertikal über die Höhe der Wurzel- 
spitzen der Frontzähne hinaus. Beide Knochenschnitte wurden durch eine 


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Die diirurgisdie Immediatregufierung der Kiefer 


337 


horizontale, unterhalb der Spina nasalis geführte Durchtrennung der Korti» 
kalis und in geringer Tiefe der Spongiosa miteinander verbunden, wobei 
ebenfalls der Meißel zur Anwendung kam. Der gesamte Alveolarfortsatz 
war damit mobilisiert und ließ sich palatinalwärts kippen. Die Meißelschläge 
verursachten der Patientin Schmerzen, und um diesen Rest der Operation 
rasch beenden zu können, wurde ein kurzer Ätherrausch eingeleitet. Die 
Blutung war unbedeutend. Der abpräparierte Lappen wurde zurüdcgeklappt 
und mit der gingivalen Partie vernäht. Palatinal erübrigte sich eine Naht, 
da die Wundränder gut aneinander lagen. Die Apparatur wurde sofort 
eingesetzt, die mittleren Zähne durch Ligaturen mit dem dahinter liegenden 
Drahtbügel verbunden und so eine gute Fixierung herbeigeführt. Zwischen 
Gaumen und Drahtbügel wurde Jodoformgaze gestopft. So diente das 
Drahtnetz zugleich als ausgezeichneter Tamponhalter. Labial wurde ein 
leichter Tampon gelegt, der von der Lippe gehalten wurde. Die Oberlippe 
war am nächsten Tage stark angeschwollen. Fieber bestand nicht. Nach drei 
Tagen konnte Patientin leichten Dienst tun. Innerhalb dieser Zeit werden 
tägliche Spülungen gemacht. Die Schwellung ging rasch zurück, die Tampons 
werden alle zwei Tage gewechselt, nach sechs Tagen die Nähte entfernt. 
Reaktionslose Heilung. Patientin verreiste darauf August 1920 zur Erholung. 
Den Drahtbügel hatte sie sich entfernt. Als sie zurückkehrte, konstatierte ich 
stark vorgeschrittene Konsolidierung, beobachtete aber zugleich, daß die Zähne 
mitsamt dem redressierten Alveolarfortsatz ein wenig prominenter als wie 
nach der Operation geworden waren. In der Annahme, den dehnbaren Kallus 
zu beeinflussen, legte ich die herausgenommene Spange noch einmal ein und 
versuchte, durch rein orthodontische Maßnahmen, d. h. Ligieren der Vorder* 
zähne an den Bügel und langsames Anziehen der Drähte, den Knochen¬ 
fortsatz selbst palatinal zu bewegen. Dabei wurden die Zähne etwas 
gelockert, der Fortsatz war nicht zu beeinflussen. Ich konnte auch weiterhin 
seiner Tendenz, in die alte Stellung zurückzukehren, nicht Einhalt gebieten. 
Im September etwa war die vor der Operation bestandene Zahn» und 
Kieferstellung ungefähr die gleiche. Dieser Mißerfolg stellte mich vor die 
Frage, welche Kräfte ihn ausgelöst hätten. Beim Studium aller Möglichkeiten 
glaube ich, die Ursache in den weniger beachteten Elastizitätskräften gefunden 
zu haben, die latent in dem an sich gut mobilisierten Kieferfortsatz verblieben 
waren. Bei der Betrachtung eines Medianschnittes unseres Falles muß man 
den besonders mit kontrahiertem Zahnfortsatz vergesellschafteten hohen 
Gaumen in Spannung annehmen, der zugleich ein in sich gestütztes Gewölbe 
darstellt. Ganz besonders aber muß die Spannung in der Gegend des Über» 

f janges von oraler Alveolarplatte in den horizontalen Gaumenfortsatz sein, 
st nun subnasal die Durchtrennung vollführt und der mobilisierte Alveolar» 
fortsatz palatinalwärts gekippt, so wird die mittlere unverletzte Partie des 
Palatum darum einer Spannung ausgesetzt. Insbesondere wirkt hier die Kor» 
tikalis wie eine unterSpannung gesetzte Feder <Fig. 18>. Wenngleich nach er» 
folgter Operation keinerlei Federung zu konstatieren war, so mögen die mole¬ 
kularen elastischen Kräfte in kontinuierlich wirkender kumulativerWeise wirk- 


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338 


Günther Cohn-Stock 


sam geworden sein, um langsam die ihnen jahrelang zugewiesene Stellung 
wieder einzunehmen. Hier hätte eine monatelange Retention die Möglichkeit 
gegeben, nach Auffüllung des operativ unterhalb der Spina gesetzten Defektes 
mit osteogener Substanz die Elastizitätskoeffizienten der palatinalen Seite zu 
paralysieren. Aus all diesen Reflexionen heraus schuf ich mir zugleich das 
Bild für die zweite zu wiederholende Operation. Einmal hatte die ausgiebige 




Fig. 19 


Durchtrennung gezeigt, daß eine Möglichkeit bestand, bei der guten HeiU 
tendenz im Oberkiefer Korrekturen größeren Stils vorzunehmen, dann aber 
auch war die Patientin selbst dafür, den Eingriff wiederholen zu lassen, da 
er ihr keinerlei Störungen verursacht hatte. 

Anfang März 1921 wurde die zweite Operation ausgeführt. Hier wollte 
ich umgekehrt wie bei der ersten Operation Vorgehen und die Elastizität 
des Gaumenbogens ausschalten. Ich lege der nebenstehenden Zeichnung den 
zu operierenden Fall zugrunde. Es ist das der Medianschnitt durch das Gips* 
modell des Kiefers nach der ersten Operation. Die Wurzel des Schneidezahnes 
wird eingezeichnet <Fig. 19>. Wir haben, wie man 
sieht, palatinal eine ausgedehnte Spongiosaschicht, der 
man ohne Schaden einen Keil entnehmen kann. Ist 
es mir möglich, einen solchen palatinal zu entfernen, 
so habe ich einmal die Kräfte des federnden Gewölbe* 
bogens gesprengt, dann zugleich die Möglichkeit, die 
blutigen Knochenseiten aneinander zu lagern. Zu 
überwinden wäre nur die Testierende Spongiosaschicht 
zwischen Defekt und subnasalem Punkte und die dünne 
Kortikalis der fazialen Seite. Von diesen neuen Ge* 
sichtspunkten wird zur Operation geschritten. Unter 
lokaler und Leitungsanästhesie der in Frage kommenden Partie wird ein aus* 
giebiger Bogenschnitt am harten Gaumen gelegt. Derselbe zieht, rechts vom 
Molaren angefangen, ein wenig unterhalb des gingivalen Randes parallel zur 
Zahnreihe nach vorn, biegt am Eckzahn nach der linken Seite herüber zum ersten 
Bikuspidaten und von dort in analoger Weise zum Molaren <Fig.20>. Dieser 
ausgedehnte Lappen wird mukös periostal stumpf abgehebelt und enthält 
beiderseits die Arteria palatina. Starke Blutung ist nicht zu konstatieren. Nun* 
mehr wird auf der fazialen Seite, oberhalb der Wurzeln rechts in der Linie 



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Die chirurgische Immediatregulierung' der Kiefer 


339 


zwischen Eck- und seitlichem Schneidezahn, links zwischen Eck- und mitt- 
lerem Schneidezahn ein kleiner halbkreisförmiger, nach der Nase zu offener 
Schnitt von dem Durchmesser einer Erbse durch Schleimhaut und Periost ge- 
legt, mit dem Raspatorium der Knochen freigelegt. Mit Hilfe der Fußbohr- 
maschine und einem langen Spiralbohrer wird dort ein kleines Loch durch 
den Kiefer beiderseits nach dem Palatum gebohrt, so daß die Führung des 
Bohrloches ein wenig unterhalb der Horizontalebene des harten Gaumens ge¬ 
legen war. Nunmehr wird die Schlinge einer sehr feinen Giglisäge, da dieselbe 
durch die kleine Knochenöffnung nicht geleitet werden konnte, mit der Bei߬ 
zange abgezwickt, dieses Ende durch das Bohrloch geführt, bis es am harten 
Gaumen zwischen Knochen und abgedrängtem Lappen mit der Spitzzange 
gefaßt werden konnte <Fig. 21>. 

Es war jetzt ein leichtes, die Durchsägung vorzunehmen, und zwar in 
vertikaler Richtung. An Stelle der abgezwickten Schlinge wurde eine Klemm¬ 
zange gesetzt. In gleicherweise wurde 
die andere Seite durchtrennt. Meine 
Absicht ging dahin, durch geeignete 
Haltung der Säge die labiale Schleim¬ 
haut unverletzt zu lassen. Durch un¬ 
geeignete Kopfbewegung der Patientin 
riß die eine Seite der Schleimhaut ein, 
bei der anderen Seite aber gelang es 
absolut, den Knochen zu durchtrennen 
bei Unverletztheit der fazialen Schleim¬ 
haut. Man fühlt deutlich, wann die 
Säge den Knochen durchsetzt hat und 
entfernt dann vorsichtig die Drahtsäge. 

Ich glaubte deshalb Wert darauf zu 
legen, weil die Methode nichts Besonderes voraussetzt und für die Heil¬ 
tendenz und die Herabsetzung der Infektionsgefahr die intakte Schleimhaut 
und Knochenhaut als Versorgerin des Knochenstückes von gutem Wert sei. 
Waren die ersten Stadien der Operation ebenso wie die vertikale Durch¬ 
trennung relativ leicht vonstatten gegangen, so machte die horizontale Durch¬ 
schneidung um so größere Schwierigkeiten. Meine Absicht war, die Giglisäge 
durch das eine Bohrloch einzuführen und am anderen wieder herauszuholen, 
so daß die schneidende Säge den harten Gaumen quer durchtrennen müßte 
<Fig. 20). Ich beabsichtigte, nur ein wenig in die Tiefe zu gehen, um dann mit 
Meißel einen Keil gegen den Ausschnitt auszuschlagen. In der Praxis kam ich 
mit dieser Überlegung nicht durch. Sie scheiterte an der spröden Giglisäge. 
Wohl ließ sie sich in gedachter Weise einführen, aber die geringe Adaptions- 
fahigkeit in so beengtem Raume ließ ihre Lenutzung nicht zu. Ein Versuch 
mit einem langen Fräsenbohrer im geraden Handstück mißlang ebenfalls. 
Um die Dauer der Operation nicht unnötig hinauszuziehen, wurde ein 
kräftiger Meißel angesetzt, der palatinal die Querverbindung der vorher 
geschaffenen Einschnitte herstellte. Wie bei der ersten Operation wurden 



Fig. 21 


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340 


Günther Cohn-Stodc 


die Meißelschläge schlecht vertragen, weil sie in Richtung der Schädelkapsel 
erfolgten. Eine kurze Äthemarkose half über das letzte Stadium rasch 
hinweg. Mit einigen Meißelschlägen war die Mobilisierung erreicht. Mit 
Handdruck von oben her der Kiefer ohne weiteres reponiert/ er verblieb 
auch sofort in dieser Stellung. Mit einigen Nähten wurde der Lappen pala* 
tinal vernäht, was einige Mühe verursachte. Die beiden Bohrlöcher wurden 
mit den beiden kleinen Schleimhautläppchen überdeckt und je eine Naht 
gelegt. Im Anschluß daran sofort dieselbe Apparatur, wie bei der ersten 
Operation, eingesetzt. Wieder war der Metallbügel und die von ihm zu 
den Vorderzähnen führenden Ligaturen ein ausgezeichnetes Netz zum Halt 
für die am Oberkiefer palatinal anzubringende Tamponade. Die im Untere 
kiefer verlängerten Schneidezähne stören beim Kieferschluß. Sie dringen in 
die Schleimhaut des Gaumens. Da sie für prothetische Zwecke späterhin 
stark beschliffen werden müssen, werden sie so weit gekürzt, daß sie nicht 
mehr hindern. Am ersten Tage nach der Operation hatte Patientin leichtes 
Fieber/ die Oberlippe und ihre Umgebung wies eine Schwellung auf, die 
einige Tage anhielt. Am zweiten Tage war Patientin fieberfrei,- Schmerzen 
waren gering, häufige Mundspülungen und Tamponadewechsel folgten in 
den nächsten Tagen. Nach sechs Tagen wurden die Nähte entfernt. Die 
weitere Heilung erfolgte ohne Komplikation. Nach elf Tagen konnte Patientin 
ihrer Beschäftigung nachgehen. Die Röntgenaufnahme vor der Operation 
zeigt den hohen, nach vorn strebenden knöchernen Gaumenbogen, wie er 
sich in die schräg prominierenden Frontzähne fortsetzt. Die Kontrollaufnahme 
nach der Operation zeigt den vorn abgeknickten Bogen mit den nach unten 
zeigenden redressierten Zähnen <Tafel II, Fig. 8 und 9>. Die feste Ver* 
einigung ließ dieses Mal länger auf sich warten, doch nahm sie zusehends 
zu. Infolge der über Erwarten guten Redressierung der Vorderzähne, die 
sich rechts an den Eckzahn, links an den ersten Bikuspidaten hart anlegten, 
blieb für den beabsichtigten Stifteckzahn rechts keine Möglichkeit mehr. Die 
kosmetische Wirkung wäre damit nicht verbessert worden, und so entfernte 
ich Juni 1921 diese Wurzel. 

Die im Laufe der Zeit lästig gewordene, palatinal gelegene kräftige Spange 
wird in eine zierlichere eingetauscht, die aus zwei um je einen Bikuspidaten 
gelegten gelöteten Ringen und einem dünnen, den Vorderzähnen palatinal 
anliegenden Drahtbogen besteht, der mit den Ringen verlötet ist. Die 
schlechte Sprache ist verbessert, die Lippe schließt sich bequem, das Profil ist 
wesentlich gebessert, die Patientin ist dankbar und zufrieden mit dem Erfolge. 
Im Unterkiefer wird eine Prothese angefertigt. Es werden je ein Molar und 
die drei Schneidezähne mit Kronen versehen. Die mittleren werden vereinigt 
und mit Geschiebe versehen. Die Prothese erhält einen labial, in der Schleim* 
hautumschlagsfalte gelegenen Bügel mit Kautschukwulst, um die weiche Lippen* 
partie ein wenig vorzudrängen und das Verhältnis von Ober* und Unter* 
kiefer zu bessern und harmonischer zu gestalten. Die Gipsmodelle zeigen 
die wesentlich gebesserte Artikulation. Die Schlußaufnahmen sind ohne 
Lippenbügel gemacht, um nicht irgendeinen besonderen Erfolg vorzutäuschen 


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Die diirurgiscke Immediatregulierung der Kiefer 


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<Tafel I, Fig. 5 und 6 und Tafel III, Fig. 12 und 13>. — Die drei Front* 
zähne sind konservativ gleich nach der ersten Operation behandelt worden. 
Sollten die drei Schneidezähne einmal der Zange verfallen, so würde eine 
über den redressierten Kieferfortsatz gebaute Brücke den Effekt nicht schmälern. 

Fall II. Bei dem zweiten außergewöhnlich interessanten Fall handelt es 
sich um den 27 jährigen Leutnant Sch., der mit einer Schußverletzung der 
linken Gesichtsseite im Lazarett lag. Zu seiner an sich kosmetisch entstellenden 
Verletzung hatte der Patient eine Prognathie von außerordentlicher Stärke. 
Die Prominenz der alveolären Partie mit den in gleicher Anomalie sich be* 
findenden verlängerten Schneidezähnen war derart, daß Lippenschluß normaler* 
weise nicht zustande kam, die schräg gestellten Vorderzähne auffallender» 
weise dauernd unter der Oberlippe hervorragten <Tafel VI, Fig. 22 und 23>. 
Der Unterkiefer hat eine normale Größe, hatte aber, wie meist in solchen 
Fällen, eine veränderte Zahnkurve mit verlängerten unteren Schneidezähnen. 
Bei der Artikulation bissen sie fast in die Gaumenschleimhaut. 

Der Zahn* und Kieferbefund war folgender: Es standen: 


87 

4321 

12 

8 

54321 

12 456 


Neben den durch Schußverletzung verloren gegangenen Zähnen war auch 
auf der linken Seite der zugehörige Processus alveolaris verloren gegangen 
und die Gaumenbucht des Antrums in der Gegend des ersten Molaren 
taubeneigroß eröffnet. Die Artikulation war denkbar schlecht. Es artikulierten 
überhaupt nur rechts der untere Molar mit seinem Antagonisten (Tafel IV, 
Fig. 14, 15 und 16>. Die erste beschriebene Operation mit dem mutmaß* 
liehen Erfolge gab mir Veranlassung, Herrn Dr. Esser diesen Patienten, der 
seiner Station angehörte, zur Operation vorzuschlagen. Obwohl der Patient 
schon 27 plastische Operationen hinter sich hatte, so entschloß er sich den» 
noch zu dem großen Eingriff und bewies damit die Notwendigkeit solcher 
Operationen. Dieses Mal hatte ich, da es ein Lazarettkranker war, eine 
Apparatur gewählt, bei der ich auf Kosmetik keine Rücksicht zu nehmen 
hatte und wo mehr die Stabilität in den Vordergrund trat. Sämtliche Vor* 
derzähne erhielten eine fortlaufende gegossene Silberkappe mit Dornen auf 
der labialen Seite aufzementiert. Da linkerseits keine Zähne vorhanden waren, 
hatte ich nur rechterseits die beiden Molaren zur Verfügung, die mir allein 
die Möglichkeit gaben, von ihnen aus als festem Punkt eine Stützwirkung auf 
den vorderen zu bewegenden Teil auszuüben. Sie erhielten Schraubbänder 
mit Hohlkanülen an der buccalen Seite. Zwischen Molaren und Vorderzähnen 
sollte nun labial ein verbindender Metallbügel angelegt werden. Auch in 
diesem Falle mußte ich die Möglichkeit der Veränderung des Bügels je nach 
der mehr oder weniger gelungenen Operation im Auge behalten. Daher bog 
ich ihn nur vor, um ihn nach Bedarf zu ändern. Der Unterkiefer erhielt einen 
Bügel, der labial bzw. buccal den Zähnen anlag und an seinem Ende die 
Führung in Schraubbändern fand. Er diente lediglich dazu, durch Zusammen* 
binden der beiden Bögen die Ruhestellung beider Kiefer zu gewährleisten. 


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342 


Günther Cohn-Stock 


Herr Dr. Esser ging von der Idee aus, den prognathen Teil in ausgiebigster 
Weise dadurch zu bewegen, daß er nach Durchtrennung des harten Gaumens 
und Exzidierung von seitlichen Keilen aus dem Kieferfortsatz den Drehpunkt des 
mobilisierten Kieferteils unterhalb der Spina nasalis anterior verlegt. Zugleich 
sollte damit eine Verkleinerung des Gaumendefektes automatisch stattfinden. 

OPERATIONS BERICHT 

Die Operation fand am 27. Juli 1920 statt. Unter Leitungs- und Lokal¬ 
anästhesie werden von vorn nach hinten zwei Schnitte gemacht, einerseits 
am freiliegenden Rande des harten Gaumens, nämlich links und rechts, wo 
der Processus alveolaris fehlt, zirka zur Stelle des ersten Molaren und 
zweiten Prämolaren. Von diesen zwei Schnitten aus wird die Schleimhaut 

samt Periost von einem Schnitt bis zum 
anderen in 2—3 cm Breite abgehebelt, danach 
wird von dem freiliegenden harten Gaumen» 
knochen 1 ‘/ 2 cm breit eine Brüche heraus» 
gemeißelt <Fig. 22>. Außerdem wird beider» 
seits von dem neugeschaffenen Knochendefekt 
vom Rest des Processus alveolaris ein kleiner 
Teil herausgenommen. Danach ist der Vor» 
derteil des Oberkiefers ausgiebig beweglich 
und hat eine leichte Federung durch die 
dünne Knochenwand an der Vorderseite. 
Der Oberkiefer wird leicht in die gewünschte 
Stellung gebracht. 

Im Anschluß an die Operation, die der Patient sehr gut vertragen hatte, 
nahm ich die Schienung im Oberkiefer vor. Mit Ausnahme des zu bie» 
genden Bügels waren sämtliche Teile schon vor der Operation im Munde 
eingesetzt. In wenigen Minuten war der Bügel passend gebogen und ein» 
gefügt, die Dornen der Silberkappen um den Bügel herumgebogen, Ligaturen 
gelegt und beide Kiefer durch Drähte miteinander zwecks Ruhigstellung ver» 
bunden. Dr. Esser vernähte außerdem noch die Lippen miteinander mit 
Ausnahme eines kleinen Spaltes zum Einfuhren eines Schlauches für die 
Nahrungsaufnahme. Die Vernähung sollte die Ruhigstellung des Kiefers 
unterstützen. In den ersten Tagen leichte Schwellung der Mundpartie, 
Schmerzen waren gering. Nach zwei Tagen wurde die Lippennaht entfernt. 
Nach acht Tagen werden die Drähte, die die Kiefer miteinander verbinden, 
beseitigt und der Mund geöffnet. Täglich werden Mundspülungen vorge» 
nommen. Der weitere Heilungsverlauf erfolgt ohne Störung. Nach öffnen 
der Kiefer stellt es sich heraus, daß infolge des vorher bestandenen tiefen 
Bisses der Unterkiefer zu stark gegen den Oberkiefer ankam, die Backen¬ 
zähne dagegen nicht artikulierten. Da die Bißerhöhung von vornherein im 
Plane aufgenommen war, so wurde provisorisch durch eine in Silber ge¬ 
gossene Brücke, die den letzten unteren Molaren mit den Bikuspidaten 



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Die Airurgisdie Immediatregulierung der Kiefer 


343 


verband, der Biß sofort erhöht. Patient empfand die Annehmlichkeit und 
konnte sogleich besser kauen. Mit intermaxillären Gummizügen linkerseits 
konnte ich noch eine kleine Korrektur für bessere Artikulation herbeiführen. 
Anfang Oktober wurde die Schiene bereits entfernt. Das bewegte Kiefer- 
stüdc war konsolidiert. Vor der Operation wurde der Kiefer geröntgt. Die 
Übersichtsaufnahme zeigt uns in Seitenansicht den weiten, nach vorn 
strebenden Gaumenbogen mit den als Verlängerung wirkenden Vorder» 
zähnen <Tafel V, Fig. 19>. Der knöcherne Boden der Nasenhöhle vereinigt 
sich ziemlich rasch im spitzen Winkel mit der Knochenplatte des harten Gaumens 
und zieht mit ihr scheinbar ohne spongiöse Zwischensubstanz nach hinten. 
Die sofort nach der Operation ausgeführte Aufnahme zeigt das interessante 
Bild des durchtrennten harten Gaumens <Tafel V, Fig. 21>. Er ist förmlich 
abgeknickt, die Diastase zwischen den Fragmenten ist deutlich zu sehen. Die 
vordere Partie ist stark herumgeholt, und die vorher von den unteren Zähnen 
stark abstehenden oberen scheinen die unteren fast zu berühren. Die genaue 
Zahnstellung wird durch die im Bilde sichtbare Schiene abgedeckt. Das dritte 
Kontrollbild ohne Schiene zeigt die kallöse Überbrückung und feste Konsoli» 
dierung der Teile <Tafel V, Fig. 20>. Indessen wurde die Silberbrücke gegen 
eine goldene vertäuscht. Auch im Oberkiefer wurde die noch vorhandene 
Lücke zwischen Molaren und Bikuspidatenwurzel rechterseits überbrückt. Diese 
Goldbrücke dient zugleich als Retention für den mobilisierten Kieferteil. Der 
linke Oberkiefer ist infolge Verlustes der Zähne nebst zugehörigem Alveo» 
larfortsatz prothetisch nicht berücksichtigt, da die durch plastische Operation 
der zugehörigen Wange aufgetretenen starken Narben große Schwierigkeiten 
für einen Ersatz ergaben, der nur durch Plattenprothese zu bewerkstelligen 
war. Ich beschränkte mich daher darauf, die rechte Seite gut kaufähig zu er¬ 
halten. Der bis auf Erbsengroße verkleinerte Defekt ließe sich leicht schließen. 
Die quere Abknickungsstelle im Gaumen wird in ihrem scharfen Übergang 
sicherlich Änderungen erfahren, da auf Grund neuer statischer Momente, wie 
wir es von anderen Knochenfrakturen wissen, ausgleichende Transformie¬ 
rungen eintreten <Tafel IV, Fig. 17>. Patient hat, wie die Schlußaufnahme 
zeigt, ein prachtvolles Profil erhalten. Die Proportionen des Gesichts sind durch 
die Erhöhung des Bisses zu harmonischen umgestaltet. Die gesamte rechte 
Seite steht in bester Okklusion, Sprache und Nahrungsaufnahme sind wesent¬ 
lich gebessert <Tafel IV, Fig. 18>. Die Vorderzähne sind in ihrer Vitalität 
nicht geschädigt. Der rhinologische Befund ist infolge Fortbleibens des Pa¬ 
tienten noch nicht ausgeführt worden. Jedenfalls waren Störungen irgendeiner 
Art nicht aufgetreten. Der bewegliche Nasenteil ist zum Vorteil des Patienten 
ein wenig abwärts mitgekippt <Tafel VI, Fig. 24 und 25 ). 

Lassen sich die mit Erfolg beendeten Operationen verallgemeinern? Zum 
Verständnis der vorzunehmenden Eingriffe sind die anatomischen Kennt¬ 
nisse des Oberkiefers, speziell die topographischen Beziehungen der Zähne 
zum Processus alveolaris, der Fortsätze zu den eng an sie grenzenden 
Höhlen unbedingt erforderlich. Ohne eine genaue Wiedergabe der in den 
anatomischen Werken ausführlich geschilderten topographischen Verhältnisse 


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Günther Cohn-Stode 


geben zu wollen, möchte ich doch einige, mir wertvoll erscheinende, auf den 
chirurgischen Eingriff Bezug nehmende Details allgemein erwähnen. Die 
häufigen individuellen Schwankungen sollen nicht berücksichtigt werden. Ich 
halte mich in der Hauptsache an die von Loos gemachten Untersuchungen 
im Oberkiefer. 

Von dem Oberkiefer mit seinem pneumatischen Teil und den vier Fort- 
sätzen interessiert uns in der Hauptsache der Alveolar- und der Gaumenfort- 

satz und ihre Beziehungen zur 
Nasen- bzw. Kieferhöhle. 
Der Zahnfortsatz bildet die 
Verlängerung des Kiefer¬ 
körpers nach unten und be¬ 
steht aus zwei leicht nach ab¬ 
wärts konvergierenden Plat¬ 
ten, einer äußeren fazialen 
und einer inneren oralen. 
Die glatte faziale Wand ent¬ 
hält die Juga alveolaria, die 
an den Eckzähnen besonders 
stark ausgeprägt sind. Vom 
Processus zygomaticus nach 
der Alveole des ersten Mahl¬ 
zahnes zieht eine kräftige 
Knochenstrebe, die Crista 
zygomatico-alveolaris, und 
versteift damit den an sich 
leichten Bau des Fortsatzes. 
Medial davon die mehr oder 
weniger leichte Delle der 
Fossa canina. Die orale 
rauhe Platte geht wechselnd 
steil in die Gaumenfortsätze 
über, die zusammen mit der 
horizontalen Platte des Gau¬ 
menbeines den bald flachen, bald extrem gewölbten Abschluß nach dem 
Nasenboden bilden und zugleich eine quere horizontale Strebe für das Kiefer¬ 
gerüst darstellen. Legt man einen Sagittalschnitt durch den Oberkiefer, der 
parallel zur sagittalen Gaumennaht den mittleren Schneidezahn längs halbiert, 
so erhalten wir ein ungleichseitiges Dreieck, dessen kürzeste Kathete das 
faziale Knochenblatt darstellt (a, 6). Die längere bildet als kompakte Knochen¬ 
lamelle den Nasenhöhlenboden. Die Hypothenuse, als orales Knochenblatt 
am Alveolarrande beginnend, setzt sich in mehr oder weniger steilem Bogen 
nach hinten fort als Teil des Gaumengewölbes und vereinigt sich mit der 
Lamelle des Nasenhöhlenbodens. Der untere Winkel faßt die Alveole, die 
nur oral eine selbständige Wand besitzt. Fazial wird sie durch das Knochen- 



Schnittc durch den Oberkiefer <aus Loos) 


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—Qrigip-al frem ^ 

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Fig. 3 Fig. 4 

Fall I. Oberkiefer vor der Operation. Fall I. Oberkiefer nach der Operation. 



Fig. 5 Fig. 6 

Fall I. Nach der Behandlung. Fall I. Nach der Behandlung. 


Vierteljahrsschrift für Zahnheilkunde 1921, 3. Tafel I 


Verlag von Hermann Meusser, Berlin. 


- OrrginiStfro-m 

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Günther Cohn-Stock, Die chirurgische Immediatregulierung der Kiefer. 



Fig. 7 

Fall I. Unterkiefer vor der Behandlung. 



Vierteljahrsschrift für Zahnheilkunde 1921, 3. 


Tafel II 


Verlag von Hermann Meusser, Berlin. 


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Fig. 10 

Fall I. Vor der Operation, 


Fig. 11 

Fall I. Vor der Operation. 


Fig. 13 

Fall I. Nach beendeter Behandlung, 


Fall I. Nach beendeter Behandlung. 


Vierteljahrsschrift für Zahnheilkunde 1921, 3, 


Verlag von Hermann Meusser, Berlin. 


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Fig. 16 

Fall II. Oberkiefer vor der Operation. 


Fig. 17 

Fall II. Oberkiefer nach der Operation. 


Fig. 18 

Fall II. Nach beendeter Behandlung. 


Vierteljahrsschrift für Zahnheilkunde 1921, 3, 


Verlag von Hermann Meusser, Berlin. 


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Günther Cohn-Stock, Die chirurgische Inimediatregulierung der Kiefer. 



Fig. 21 

Fall II. Röntgenaufnahme kurz nach der Operation. 

Vierteljahrsschrift für Zahnheilkimde 1921, 3. Tafel V Verlag von Hermann Meusser, Berlin. 


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_Original frerfr -— 

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Fig. 24 

Fall 11. Nach beendeter Behandlung, 


Fig. 25 

Fall II. Nach beendeter Behandlung. 


Vierteljahrsschrift für Zahnheilkunde 1921, 3. Tafel VI Verlag von Hermann Meusser, Berlin. 


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Die chirurgische Immediatregulierung der Kiefer 


345 


blatt des Alveolarfortsatzes selbst gebildet. Der gesamte übrige Raum des 
Dreiecks ist von Spongiosa erfüllt, die in ihrer gesetzmäßigen Anordnung 
ein Strebesystem zum Versteifen von Alveolen und Alveolarwänden dar- 
stellt. Zwischen Alveolenkuppe und Nasenboden befindet sich ebenfalls 
Spongiosa in wechselnder Dicke bis zu 15 mm. Nur in seltenen Fällen er- 
reicht die Kuppe die Bodenlamelle der Nase. Letztere vereinigt sich mit der 
oralen Platte resp. dem Gaumenfortsatz im spitzen Winkel. Zwischen beiden 
kompakten Platten ist bald mehr, bald weniger Spongiosa eingeschaltet. Wir 
haben also in dem Dreieck nach der oralen Seite hin am meisten Spongiosa 
verteilt. Die übrigen Frontzähne, also seitlichen Schneide- und Eckzähne, 
weisen ähnliche Verhältnisse auf < c , d). Nur ist bei den Eckzähnen zu be¬ 
merken, daß infolge der großen Länge die Alveolenkuppe die Höhe des Nasen¬ 
bodens erreichen kann, ohne aber Beziehungen zur Nasen- oder Kiefer¬ 
höhle haben zu müssen. Auch der erste Bikuspidat 
nähert sich in seiner Anlage dem eben Gesagten <e/>. 

Auch hier haben wir im oralen Winkel Spongiosa. 

Die Alveolenkuppe ist von der Bodenlamelle des 
Antrums 1—2 mm entfernt, da dasselbe selten das | 

Niveau des Nasenbodens erreicht. Der Zwischen¬ 
raum ist von Spongiosa erfüllt. Topographische 
Beziehungen zur Nase sind selten vorhanden. Die 
axiale Verlängerung der buccalen Wurzel würde 
durch die faziale Wand hindurch in dieFossa canina 
führen, die der palatinalen nach Durchsetzung einer 
dicken Spongiosaschicht nach der Nasen- oder Kiefer¬ 
höhle, je nachdem letztere überhaupt so weit aus¬ 
gedehnt ist. In der Regel erreicht sie, wie schon 
erwähnt, das Niveau des Nasenbodens nicht und 
wir haben zwischen Alveolenkuppe und Bodenlamelle der Kieferhöhle und 
vor derselben einen ausgedehnten sub- und präantralen Spongiosaraum. 
Erst beim zweiten Bikuspidaten und den drei folgenden Molaren er¬ 
halten wir absolute Beziehungen zum Antrum < g >. Hier reicht bei einem 
durch den zweiten Bikuspidaten gelegten Frontalschnitt dasselbe meist 
in das Niveau der Nasenhöhle, oft darüber hinaus und nimmt dann 
Anteil an dem Alveolarfortsatz. Wir haben daher hier wenig spongiöse 
Substanz. Selbst oral ist sie stark reduziert, wenn die Ausdehnung des 
Antrums als sogenannte Gaumenbucht nach der Mundhöhle sich erstreckt. 
Die trennende orale Wand kann dadurch stark verdünnt werden, und so 
haben wir dann außer den topographischen Beziehungen des Antrums zur 
Alveolenkuppe des zweiten Bikuspidaten auch solche zur Mundhöhle. Die 
axiale Verlängerung der Alveole würde nach Durchstoßung einer dünnen 
Spongiosalamelle normalerweise in das Antrum gelangen <Fig. 23>. Im Be¬ 
reiche des ersten Molaren finden wir eine schwache Konvergenz der fazialen 
und oralen Platte. Die faziale Platte geht im Bogen in den Jochfortsatz über, 
verstärkt durch die Crista zygomatico-alveolaris. Die orale Platte biegt meist 

Vierteljahrsschrift für Zahnheilkunde/ Heft 3 23 



Fig.23 

Beziehung der Alveolen zum 
. Anirum <aus SchcfF> 


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346 


Günther Cohn-Stock 


scharf in den Gaumenfortsatz um. Die faziale Alveolenwand wird wie bis¬ 
lang bei den vorstehenden Zähnen beschrieben, von der fazialen Alveolar¬ 
platte mitgebildet. Im Gegensatz zu dem Besprochenen aber beteiligt sich 
die orale Alveolarplatte an der Bildung der oralen Alveolenwand der pala¬ 
tinalen Wurzel, so daß zwischen beiden keine Spongiosa vorhanden ist. 
Selbst die Alveolenkuppen werden von der Bodenlamelle des Antrums ge¬ 
bildet, so daß auch hier kein spongiöses Gewebe vorhanden ist. Dasselbe 
wölbt sich zwischen den Wurzeln nach unten vor und stellt hier im allge¬ 
meinen den tiefsten Punkt der alveolären Antrumsbucht dar<^>. Die Mund¬ 
höhle ist bei der Ausdehnung der Kieferhöhle nur durch eine dünne kom¬ 
pakte Knochenlamelle von ihr getrennt. Diese enge topographische Be¬ 
ziehung gab sogar Veranlassung zu dem Vorschläge, von der palatinalen 
Seite der Mundhöhle, unterhalb des Winkels, den die orale Platte des 
Alveolarfortsatzes mit dem horizontalen Gaumendache bildet, einzugehen 
zwecks Eröffnung des Antrums. Ähnliche Verhältnisse finden wir bei den 
letzten Molaren. 

Größen- und Form Variationen der Kieferhöhlen sind stark wechselnd, oft 
auf beiden Seiten verschieden. Von starken Stenosen bis zur exzessivsten 
Ausbildung des Sinus sind alle Zwischenstufen vorhanden. Die uns be¬ 
sonders interessierende Ausbildung der Alveolar- und Gaumenbucht ent¬ 
wickelt ein nur aus zarten kompakten Knochenlamellen und -streben be¬ 
stehendes Kiefergerüst, und so unterscheiden wir einen mehr kompakten 
knöchernen vorderen und einen mehr pneumatischen hinteren Abschnitt des 
Oberkiefers. Über die Ausdehnung des Antrums bekommen wir ein an¬ 
näherndes Bild, wenn wir geeignete Röntgenaufnahmen machen lassen. Von 
Einfluß auf architektonische Umformungen des Kiefergerüstes ist natürlich 
die gesamte Entwicklung und Formbildung des Kiefers selbst, insbesondere 
die des Gaumengewölbes. Mit ihr im engsten Zusammenhang steht die 
Mächtigkeit des Spongiosaraumes im Alveolarfortsatz. Sie ist abhängig von 
dem Konvergenzwinkel, der zwischen Alveole und oraler Wand des Fortsatzes 
gebildet wird. Bei flachem Gaumen finden wir einen großen Winkel mit stark 
entwickelter Spongiosa, bei hohem Gaumen einen kleinen Winkel mit ent¬ 
sprechend weniger Zwischengewebe im Alveolarfortsatz. Aber auch der 
Gaumenfortsatz weist wechselnd Veränderungen auf. Bei flachem Gaumen 
setzt sich die Spongiosa des Alveolarfortsatzes weit in diesem fort. Bei 
hohem Gaumen beschränkt sich dieselbe nur auf den alveolären Teil, und 
die beiden kompakten Knochenlamellen des Gaumens verschmelzen ohne 
Spongiosa miteinander. 

Auf Grund der bei den beiden vorgenommenen Operationen gemachten 
Erfahrungen und der für diese in Frage kommenden anatomischen Dar¬ 
legungen, die die Verteilung von Spongiosa und Compacta im Oberkiefer, 
die topographischen Beziehungen von Nasen- und Kieferhöhlen zu den 
massiven Knochenpartien beleuchten, möchte ich allgemeine Vorschläge für 
die chirurgische Methode der Behandlung einer Prognathie niederlegen. Man 
wird dabei nur allgemeine Regeln aufstellen können, ohne die Fälle zu be- 


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Die Airurgisdic Immediatregulierung der Kiefer 347 

rücksichtigen, die durch Extraktion und entsprechende Lüdcenbildung anderen 
Gesichtspunkten unterliegen. 

Die wesentlichsten Eigenschaften der Prognathie bestehen, wie schon ein¬ 
gangs erwähnt, in einem verengten Oberkiefer mit entsprechend hohem 
Gaumengewölbe, in vorstehenden oberen Vorderzähnen, verbunden mit 
nach vorn prominierendem Kieferfortsatz, wie wir es bei Operiertem im 
Fall I sahen. Die seitliche Kontraktion des Zahnbogens ist am stärksten in 
der Gegend der Bikuspidaten. Aber auch bei relativ normaler Gaumenhöhe 
und Kieferbreite kann vielleicht infolge besonderen Größenwachstums eine 
Protrusion der vorderen Partie auftreten und die Form der ausgesprochenen 
Prognathie wiedergeben, wie es im operierten Fall II gewesen zu sein scheint. 
Bei hohem Gaumen, verbunden mit starker Kontraktion in der Gegend 
der Bikuspidaten, springt die vordere Partie oft rüsselartig vor. Diese Ano¬ 
malie ladet geradezu ein, an den Alveolarfortsatz chirurgisch heranzugehen 
und die prominente Kieferpartie mitsamt den darin enthaltenen Zähnen zu 
redressieren. Bei vollkommen erhaltener Zahnreihe ist die Ausführung nur 
dann möglich, wenn für die zurückzubiegende vordere Kieferpartie Platz vor¬ 
handen ist. Man muß daher entsprechend die Extraktion eines oder zweier 
seitlichen Zähne beiderseits vornehmen und den zugehörigen knöchernen 
Teil keilförmig entfernen. Für die Extraktion kommt in diesen Fällen meist 
der erste Bikuspidat in Frage. Aus den anatomischen Darlegungen ent¬ 
nehmen wir, daß gerade er selten Beziehungen zum Antrum besitzt. Die 
Alveolenwände, die orale spongiöse Partie nebst Alveolarplatte kann ohne 
Gefahr beseitigt werden. Ja man kann über die Alveolenkuppe hinaus den 
Meißel mit Vorsicht treiben, ohne an das Antrum zu gelangen. Die eben 
erwähnten Knochenteile lassen sich nach submukös-periostaler Abhebelung 
ohne Verletzung der weichen Partien mit langen Fissurenbohrem oder 
schmalen Meißeln, schmaler Knochenschneidezange entfernen. Ein solcher 
seitlicher Keil mit der Basis am Alveolarrande von der Breite eines Bikus¬ 
pidaten reicht wohl in den meisten Fällen für diese Form der Anomalie 
aus. Die Querdurchtrennung des Alveolarfortsatzes, die bei den veralteten 
Fällen naturgemäß gleichzeitig geschehen muß, wenn die Reponierung 
momentan geschehen soll, wird am besten von der oralen Seite aus ge¬ 
schehen. Zum Verständnis gebe ich den sagittalen medianen Durchschnitt des 
Modells des als I operierten Falles <Fig. 19). Trotz des hohen Gaumens linden 
wir zwischen oraler selbständiger Alveolenlamelle und oraler Alveolarplatte 
besonders in dem für uns in Frage kommenden apikalen Gebiete, oberhalb 
desselben, reichlich Spongiosamassen. Ohne Gefahr der Schädigung läßt sich, 
wie es in der Figur eingezeichnet ist, ein Knochenkeil herausnehmen mit der 
Basis nadi der Mundhöhle und in der Länge die beiden vorher geschaffenen 
seitlichen Einschnitte verbindend. Der Winkel, den der Keil zu betragen 
hat, kann am vor der Operation gemachten Gipsmodell bestimmt werden, 
und zwar an dessen Medianschnitt. In der Figur sehen wir die obere, nach 
dem Nasenboden gerichtete Fläche des Keils als Verlängerung des horizon¬ 
talen Gaumendaches gezeichnet. Selbstverständlich ist diese Maßnahme nicht 

23 * 


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348 


Günther Cohn-Stock 


absolut notwendig. Dort wo besondere Schwierigkeiten aultreten, z. B. bei 
besonders hohem, ansteigendem Gaumen, kann diese obere Fläche auch 
unterhalb des Übergangs der Krümmung in die horizontale Gaumenplatte 
angesetzt werden, doch dann so, daß ihre mutmaßliche Verlängerung die 
Gegend der Spina nasalis anterior schneiden würde. Je höher wir den Keil 
entnehmen, desto stärker greifen wir den Alveolarfortsatz an seiner Basis 
an, desto besser ist er in toto zu bewegen und um so geringer die Gefahr, 
das Wurzelbereich der Zähne zu schädigen. Um einen solchen Keil oral zu 
entnehmen, ist ein großer bogenförmiger Schnitt, von den seitlichen Keil* 
Öffnungen beginnend, oder besser noch hinter denselben, parallel zum 
vorderen Zahnbogen zu fuhren und unterhalb des oralen Gingivasaumes 
die Mukosa samt Periost stumpf abzuhebeln, was ohne Schwierigkeit ge* 
schehen kann. Die Palatina ist im Lappen gelegen. Nunmehr ist die meist 
sehr harte Compacta des Gaumendaches quer zu durchtrennen/ hier sind 

die Schwierigkeiten bedeutender. Das unbequeme 
Arbeitsfeld, die meist ungeeigneten Instrumente 
können die Aufgabe sehr erschweren. Am besten 
wird man mit Winkelstück und Fissurenbohrer 
die Durchtrennung vornehmen, her* 
nach mit Meißel gegen die Schnitt* 
fläche Vorgehen zwecks Entnahme des 
Knochenkeils. Die Mißerfolge, die 
ich mit der Giglisäge hatte, waren 
auf die Sprödigkeit des Metallmate* 
rials zu setzen. Mein Versuch, mehr 
adaptionsfähige Sägen von geringerer 
Sprödigkeit zu erhalten, schlug fehl 
an der Nichtverwendbarkeit anderen Materials als Stahl. Eine Verletzung 
des Canalis incisivus hat keine sonderliche Bedeutung, braucht auch nicht 
immer einzutreten. Blutungen sind nicht bedeutend. Nach erfolgter Quer* 
durchtrennung wird man den Processus alveolaris mobilisiert finden, und 
ein Druck mit der Hand genügt, um die gewünschte Stellung zu erhalten. 
Die Schleimhäute werden oral vernäht. Fazial sind sie intakt geblieben. 
Das Hypomochlion liegt unterhalb der Spina nasalis anterior. Der Alveolar* 
fortsatz ist aufgehängt an der dünnen fazialen Compacta mit einer dahinter 
liegenden nicht allzu starken Lage Spongiosa <Fig. 24>. Beide Knochen* 
schichten sind nachgiebig, und so hat man es in der Hand, nach Bedarf zu 
reponieren. Im Gegensatz zu den Operationen am Unterkiefer mit Kon* 
tinuitätstrennungen haben wir bei dieser Methode im Oberkiefer stets einen 
Zusammenhang durch Schleimhaut und Knochenbrücken mit dem mobili* 
sierten Teil. Nach erfolgter Reponierung ist die Fixierung der seitlichen 
Teile mit dem Mittelstück vonnöten. Am geeignetsten ist der intraorale 
Drahtverband mit Klammerbändern auf Molaren, einem starken Verbindungs* 
bügel, der am besten palatinal den Zähnen entlang geführt wird und ein* 
mal durch Drahtligaturen die bewegten Zähne fixiert, dann aber auch zu* 



Fig. 24 

Sdhematisdie Darstellung 
der Bewegung des mobili¬ 
sierten Alveolarfortsatzes 


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Die chirurgische Immediatregxilierung der Kiefer 


349 


gleich als Tamponhalter dienen kann. Audi in drei Teilen vor der Operation 
gegossene und passend gemadite Silberkappen mit nachträglicher Vereinigung 
sind geeignet. Die faziale, unterhalb der Spina vorgenommene Durchtrennung 
hat gegenüber der beschriebenen Methode Nachteile. Der Spielraum zwischen 
Nasenboden und Alveolenkuppen der Frontzähne ist ein geringer. Die zu 
den Zähnen führenden Nerven und Gefäße liegen in der fazialen Wand 
und werden verletzt, so daß die Zähne nachträglich zu trepanieren sind. Der 
Drehpunkt würde an der oralen Alveolarplatte in der Gegend der Um» 
biegungsstelle liegen. Die meist festere orale Wand mit dem größeren 
Spongiosaanteil werden das Redressement nicht so leicht und nicht in so 
ausgedehntem Maße zulassen. Die Retention ist eine zu langdauernde, da 
die unter einer Spannung stehende orale Wand gleich einer Feder die 
Tendenz zur Einnahme der alten Stellung zeigt. Wie jeder Kieferbruch zur 
Konsolidierung 6—8 Wochen notwendig hat, so werden auch hier dieselben 
Zeiträume bis zur Verheilung notwendig sein. Gelegentlich wird man statt 
Extraktion des ersten Bikuspidaten die Ecfczähne entfernen, und zwar dann, 
wenn die Eckzähne eng sich an die Bikuspidaten anlehnen, medial dagegen 
eine Lücke bis zu den seitlichen Schneidezähnen besteht, mithin in der Haupt» 
Sache die vier Vorderzähne protrahiert sind. Audi in den Fällen, wo vor» 
aussichtlich die Eckzähne besonders lang sind, die Schwierigkeit der 
Mobilisierung der vorderen Partie dadurch zu stark gesteigert würde, 
wird man ihre Entfernung der der Bikuspidaten vorziehen müssen. Eine 
Verkürzung des Fortsatzes mit zugehörigen Zähnen tritt nicht ein, eher 
eine Verlängerung. Man wird wohl stets eine Bißerhöhung zur Vervoll» 
ständigung des Erfolges anschließen müssen, und dabei von Fall zu Fall 
entscheiden. Auch prothetische Korrekturen im Gebiete des redressierten 
Teils könnten notwendig werden. Die Ausführung ist bequem in Lokal» 
anästhesie zu machen. Die am harten Gaumen in Richtung der Schädel» 
basis geführten Meißelschläge veranlassen meist die Verabfolgung eines 
kurzen Ätherrausches. 

In der unter Fall I ausgeführten Operation ist infolge Fehlens von Zähnen 
Abstand von einer Extraktion genommen worden, zumal mesial von den 
Edtzähnen Lücken bestanden und in der Hauptsache die Schneidezähne 
protrahiert waren. Erst nach der Operation ist eine Eckzahnwurzel ent» 
fernt worden. Man muß eben von Fall zu Fall bei den zur Behandlung 
kommenden Formen entscheiden. 

Ein größerer Eingriff bedeutet schon die Mobilisierung des Alveolarfort¬ 
satzes in größerer Ausdehnung zugleich mit einem Teil des Gaumenfort¬ 
satzes, wie er bei dem zweiten operierten Fall beschrieben ist. Die sehr 
extreme Form des prognathen Kiefers verlangte an sich eine große Exkursion 
des rückwärts zu redressierenden Alveolarfortsatzes <Fig. 25). Die Methode 
war hier gegeben. Der Alveolarfortsatz fehlte schon linkerseits, und die 
Gaumenbucht des Antrums war breit eröffnet, so daß der freie Rand des 
harten Gaumens vor Augen lag/ auch war der Gaumen mehr ein flacher. 
Auf der anderen Seite wurde in der bestehenden Zahnlücke zwischen zweitem 


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Bikuspidaten und erstem Molaren der vorhandene Alveolarfortsatz entfernt 
ohne Eröffnung des Antrums. 

Bei vollzähligem Zahnsystem gestaltet sich der Eingriff schwieriger, be¬ 
sonders „wenn ein hoher Gaumen vorhanden ist. In einer Frontalebene, die 
den ersten Bikuspidaten faßt, finden wir einen ausge¬ 
dehnten prä» und subantralen Spongiosaraum mit ge¬ 
ringen Beziehungen zum Antrum. Die Infraorbitalbudit 
kommt wohl hoch über der Wurzel gelegentlich im Schnitt 

mit, oder nur ein Divertikel 
derselben <<?, f). In dieser 
Gegend ist daher ein seit¬ 
licher Knochenkeil gefahrlos 
zu entfernen. Bei der Quer¬ 
durchtrennung des Gaumens 
ist meist die zwischen der 
palatinalen und nasalen La¬ 
melle befindliche vermehrte 
Spongiosa zu durchsetzen. 
Wenn angängig, würde man 
daher vorschlagen müssen, 
hier nach Extraktion der Bikuspidaten die Operation vorzunehmen. 

Schließlich wäre die Extraktion des zweiten Bikuspidaten vorzuschlagen, 
da das Antrum nicht so nahe gelegen ist wie beim ersten Molaren, wo es 
seinen tiefsten Punkt hat und durch stark ausgebildete Gaumenbucht hervor- 
ragt <Fig. 26 a, 6). Man könnte immerhin ohne Gefahr für das Antrum bei 



Fig. 25 

Schematische Darstellung der Bewegung des mobilisierten 
Alveolar* und Gaumenfortsatzes 



a Gegend des ersten Bikuspidaten. b Gegend des ersten Molaren 

Schematische Frontalschnitte durch den Oberkiefer. 


außerordentlicher Vorsicht die quere Durchtrennung des Palatum vornehmen. 
Nach Ansicht von Dr. Esser soll ruhig die Gegend des ersten Molaren 
gewählt werden. Nach seiner Ansicht könne man die Kieferhöhle trotzdem 
schonen. Die zu überwindenden Knochenpartien bestünden in dieser Gegend 
aus dünnen, die Höhle umgebenden Lamellen, die einem Drucke des zu redres» 
sierenden Kieferkörpers sicher nachgeben und nach erfolgter Infraktion keinen 


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Die chirurgische Immediatregulieruog der Kiefer 


351 


Widerstand leisten dürften. Nadi der Ausdehnung der gerade in dieser 
Gegend besonders ausgeprägten Mundbucht des Antrums wird die Schonung 
desselben meiner Ansicht nach auf große Schwierigkeiten stoßen und eine 
Eröffnung nicht zu vermeiden sein. Zudem kommt noch die von der buccalen 
Seite dieses Molaren vertikal ziehende kräftige Strebe, die Crista zygomatico- 
alveolaris, hinzu, die einer Mobilisierung starken Widerstand leisten würde 
und erst zu durchmeißeln wäre. Außerdem kommt noch die in dieser Gegend 
erschwerte Zugänglichkeit des Operationsfeldes hinzu. 

Die Entfernung eines schmalen Knochenstreifens, wie es Esser fertig¬ 
bekommen hat, wird bei hohem Gaumen ebenfalls größte Schwierigkeiten 
machen. Man wird daher nach Herunterklappen der Schleimhaut in einem 
ausgedehnten Bogenlappen den knöchernen Gaumen am besten freilegen und 
mit geeignetem Instrumentarium Vorgehen. Schließlich käme für ganz extreme 
Fälle die Überlegung einer Mobilisierung des gesamten zahntragenden 
Kieferfortsatzes mitsamt dem Gaumenfortsatz hinzu. Der große Eingriff ist 
allerdings zu anderen Zwecken bereits ausgeführt worden, und zwar von 
Partsch als temporäre Resektion zwecks Zuganges zu retropharyngeal ge¬ 
legenen Tumoren. Die Kieferhöhlen werden naturgemäß eröffnet. Nach 
Partsch wird nach Emporheben der Oberlippe an der Schleimhautumschlags¬ 
falte ein Querschnitt von einem Bikuspidaten zum anderen gemacht, die 
Schleimhaut mit Periost nach oben geschoben, mit Meißelschlägen der Kiefer 
in toto mobilisiert. Die gesamte Gaumenplatte wird dabei falltürartig auf 
die Zähne des Unterkiefers gelegt. Nach erfolgter Operation heilt der re- 
ponierte Oberkiefer nach Wiederbefestigung durch Schleimhautnähte an. Es 
sind dann sämtliche Bewegungen eines so mobilisierten Kiefers möglich. Man 
wird diesen großen chirurgischen Eingriff mit vollkommener Kontinuitäts¬ 
trennung des gesamten Oberkieferteiles kaum zur Anwendung bringen. Es 
werden die vorher angegebenen weniger dimensionalen chirurgischen Aus¬ 
führungen für alle Fälle ausreichen. Die Möglichkeit der zuletzt angeführten 
Methode sei nur erwähnt. 

Die von Tryfus vorgeschlagenen Methoden zwecks exakter Messung der 
durch orthopädische Maßnahmen ausgeführten Veränderungen im Bereiche 
des Gesichtsschädels werden ebenso wie die von Simon in jüngster Zeit 
eingeführten Messungen mit dem Gnathostaten ihre Anwendung auch auf 
diesem Gebiete finden, sowie sie geradezu unerläßlich sind bei der Behand¬ 
lung rein orthodontischer Fälle. Ich habe Messungen dieser Art nicht zur 
Anwendung gebracht. In den vorher beschriebenen und in der Literatur er¬ 
wähnten extremen Fällen soll man aber nicht allein die kosmetischen Fragen, 
sondern auch die funktionellen berücksichtigen, und es würde merkwürdig 
anmuten, wenn man nach starker Besserung der Okklusion und des Kau¬ 
vermögens ohne mit Diagrammen feststellbare wesentliche Besserung der 
kosmetischen Momente das Verdienst so eingreifender Operationen ge¬ 
schmälert sähe. 

Hier sind Übertreibungen im Verlangen zu vermeiden. Die photographi¬ 
sche Aufnahme allein enthält nicht alles für den Gesamterfolg Wesentliche. 


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Günther Cohn-Stock 


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Die Besserung der Kaufähigkeit und der Sprache, die beim Sprechen und 
dem Ausdruck der mimischen Gesichtsarbeit angenehme Veränderung prä- 
sentiert sich ebensowenig im Bilde wie das psychische Gehobensein und die 
innere Zufriedenheit des Patienten. 

Man hat Gelegenheit zu beobachten, wie der Versuch gemacht ist, prognathe 
Formen durch technische Maßnahmen zu beseitigen. Bei leichten Anomalien 
und solchen, wo es sich mehr um eine Prodentie ohne Mitbeteiligung des 
Alveolarfortsatzes handelt, ist die Behandlung angängig. Es werden die 
Kronen der Vorderzähne abgeschnitten und durch Stiftzähne, die die Ano¬ 
malie ausgleichen, ersetzt. Oder aber man extrahiert und überbrückt die 
Lücke. Kaum zu verstehen ist es aber, wenn man bei ausgesprochenen Formen 
der Prognathie, nach Beseitigung der Kronen, durch Einwärtskippen der 
künstlichen Kronen eine kosmetische Besserung zu erreichen glaubt. Der pro¬ 
minente knöcherne Teil ist damit nicht beeinflußt, und von einem Erfolge ist 
darum nicht zu sprechen. Es wäre in solchen Fällen nur Extraktion der be¬ 
treffenden Vorderzähne mit nachfolgender Resektion des zugehörigen Alveolar¬ 
fortsatzes möglichst über das apikale Gebiet der Zähne hinaus mit nach¬ 
folgender Resektionsprothese oder geeignetem Brückenersatz notwendig. Eine 
solche Vornahme kommt dem Vorschläge der Keilexzision aus der oralen 
Platte, wie er beschrieben ist, in chirurgischer Hinsicht gleich, und so wird man 
besser tun, letztere Methode zu wählen, um Fortsatz und Zähne zu er¬ 
halten. 

Die Indikation für die chirurgische Behandlung der Prognathie ist eine sehr 
beschränkte. In den meisten Fällen wird sie rechtzeitig orthopädisch mit ge¬ 
eigneten Apparaten zu behandeln sein. Bei älteren Patienten, die einer Be¬ 
handlung nicht zugeführt wurden, wird diese Anomalie, wofern sie nicht zu 
stark ausgeprägt ist, als Schönheitsfehler in Kauf genommen. Erst die wenigen 
ganz extremen Fälle, die mit ihrer rüsselartigen Prominenz in jeder Hinsicht 
stören, wenig ästhetisch wirken und daher durch das wenig repräsentative 
Äußere den Betreffenden beruflich ein Hindernis bilden, kommen für die 
chirurgische Methode in Frage. Wenn bis vor kurzem von den Chirurgen 
Operationen, die sich auf Beseitigung rein kosmetischer Unschönheiten be¬ 
zogen, abgelehnt wurden, so konstatiert man in letzter Zeit, wie sich das 
Interesse diesem chirurgischen Teilgebiet zu wendet. Insbesondere sind die auf 
eine neue Basis gestellten Methoden zur Verbesserung der Nasenform von 
Joseph besonders ausgebaut und eingeschätzt worden. Abstehende Ohren 
werden korrigiert, zu große und zu kleine Ohren der rein kosmetischen 
Operation unterzogen. Ebenso werden Runzeln im Gesicht, Narben, Doppel¬ 
kinn auf chirurgischem Wege beseitigt. In unseren Fällen sind neben der Be¬ 
seitigung der kosmetischen Unschönheit noch die funktionellen Störungen auf¬ 
zuheben. Um so mehr ist der Ausbau und die Anwendung geeigneter 
chirurgischer Methoden in solchen Fällen anzustreben. 

Zum Schluß spreche ich Herrn Professor Williger für die bei Besprechung 
der Arbeit gegebenen Anregungen, Herrn Kollegen Dr. Brill für Rat und 
Mithilfe meinen besonderen Dank aus/ ebenso Herrn Dr. Esser für die Ober- 


Gck .gle 


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Die chirurgische Immediatregulierung der Kiefer 


353 


lassung eines Falles und für das Interesse, das er mir entgegengebracht hat, 
und Herrn Gentzen für die verständnisvolle Behandlung der technisdi-pro* 
thetischen Arbeit. Herrn Dr. Auer danke ich an dieser Stelle für freundliche 
Überlassung des gewünschten Leichenmaterials. 


LITERATU RANGABE 

1. Angle: Beiderseitige Kieferresektion zur Beseitigung starker Progenie. Neuheiten und 
Verbesserungen, 1904, Heft 5. 

2. Derselbe: Okklusionsanomalien der Zähne. 

3. Derselbe: Double resection of the lower Maxilla. Dental Cosmos 1898 bis 
1899, Nr. 8. 

4. Anema: Schweiz. V. f. Z. 1903, I. 1902, Heft 4. Ref. Österr.-Ungar. V. f. Z. 1903. 

5. von Auffenberg: Archiv für klin. Chirurgie, Bd. 79, Heft 3. 

6. Borger: Du traitement chirurgical du prognathisme. Th&se de Lyon, 1897. Ref. 
Hildebrands Jahresbericht 1898. 

7. Blair: Surgery of mouth and jaws. London 1913. 

8. Bockenheimer: Leitfaden der Frakturenbehandlung. 

9. Brophy: Oral surgary, London 1916. 

10. Bruhn: Ober die Beseitigung der Progenie durch chirurgische Maßnahmen. Deutsche 
Zahnheilkunde 1920. 

11. Derselbe: Ober chirurgische und zahnärztlich * orthopädische Maßnahmen zum 
Ausgleich der Progenie und Mikrognathie des Unterkiefers. Deutsche M. f. Zahnheil¬ 
kunde, Juli 1921, Heft 13. 

12. Bünte und Moral: Ergebnisse der Zahnheilkunde 1911. 

13. Chirurgische Correktion der Zahnstellung: Odontologische Blätter 1903, Nr. 11/12. 

14. Cryer: A case of excessive Hyperthrophie of the gums. Dental Cosmos 1893, Juni. 

15. v. Eiselberg: Archiv für klinische Chirurgie, Bd. 79, Heft 3. 

Derselbe: Wiener klinische Wochenschrift 1906, Nr. 50. 

16. Ernst: Chirurgische Behandlung der Progenie. Nach einem Vortrag. 

17. V. Internationaler Kongreß 1909. 

18. Fritsche: D. M. f. Zahnheilkunde. 

19. Hullihen: Dental Cosmos 1900, Nr. 3. Amer. Journal of Dental Science 1849. 

20. Jaboulay et Berard: Traitement chirurgical du prognathisme införieur. La presse 
m£dicale 1898, Nr. 30. Ref. Hildebrands Jahresberichte 1899. 

21. Arbuthnot Lane: Cleft Palate and Hare-lip 1935. 

22. v. La lieh: Wiener Medizin. Presse 1903, Seite 311. 

23. Loos: Bau und Topographie des Alveolarfortsatzes im Oberkiefer. 

24. Lorenz: Casuistische Beiträge zur Kenntnis der Mikrognathie. Deutsche Zeit¬ 
schrift für Chirurgie, Bd. 57, S. 73. 

25. Lubowsky: Deutsche Zahnärztliche Wochenschrift 1914, Nr. 21. 

26. Mayrhofer: Ergebnisse der Zahnheilkunde 1916, V. Bd./ II. Heft. 

27. Müller: Deutsche Z. Wochenschrift 1904, Nr. 52. 

28. Part sch: Aus „Chirurgische Operationslehre" von Bier usw. 

29. Perthes: Verletzungen und Krankheiten der Kiefer. 

30. Pfaff: Ergebnisse der Zahnheilkunde 1911. 

31. Derselbe: Lehrbuch der Orthodontie. 

32. Pichler: Doppelte Unterkieferresektion in einem Falle hochgradiger Progenie. 
Wiener Vierteljahrsschrift für Zahnheilkunde; Heft I, Januar 1919. 

33. H. P. Pickerill: Dental Cosmos 1912. 

34. Port: Ober Kieferdeformitäten. Österr.-Ungar. Vierteljahresschrift f. Z. Juli 1896. 

35. Salamon: Deutsche Zahnheilkunde in Vorträgen. Heft 26. 


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354 Günther Cohn-Stock: Die chiruigische Immediatregulierung der Kiefer 

36. Schröder: Prognathie des oberen Gesichtes. Deutsche Monatsschrift für Zahn¬ 
ärzte 1905 und Frakturen u. Luxationen. 

37. Simon: Zeitschrift für zahnärztliche Orthopädie. 

38. Scheff: Handbuch der Zahnheilkunde. 

39. Tryfus: Zahnärztliche Rundschau, 1921, Nr. 5. 

40. VaKas et CI. Martin: Revue d. Chirurgie. Annee XXIII, 1903. 

41. James W. Whipple: Doppelte Resektion des Unterkiefers. Dental Cosmos 
1849, Nr. 7, Dental Cosmos 1899. 

42. Williger: Zahnärztliche Chirurgie. 

43. Zorn: Deutsche Zahnärztliche Wochenschrift 1919. 



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DIE ROHRENNIETMETHODE 
UND IHRE ANWENDUNG BEI REPARATUREN 
VON ABGESPRUNGENEN KRAMPONSZAHNEN 

VON 

PRIVATDOZENT DR. C. J. GRAWINKEL 

LEITER DER TECHNISCHEN ABTEILUNG DER ZAHNÄRZTLICHEN UNIVERSITÄTSKLINIK IN 

HAMBURG 

D er exakte Ersatz von Kramponszähnen hat von jeher zu den schwersten 
und zeitraubendsten Arbeiten gehört. Der Grund hierfür liegt einmal 
in einer Reihe von Momenten, welche die Reparaturarbeiten im Munde er¬ 
schweren und zweitens darin, daß die wenigen Methoden, welche ein gutes 
Resultat sichern, an ganz bestimmte Voraussetzungen gebunden sind. Eine 
weitere bedeutende Erschwerung liegt darin, daß man heute nur in Aus« 
nahmefällen einen Zahn mit Platinkrampons verwenden kann, weil nur 
noch in wenigen Handlungen für zahntechnische Bedarfsartikel eine ge« 
nügende Auswahl von Zähnen mit Platinkrampons vorhanden ist, um in 
jedem Falle einen Zahn von der passenden Größe, Form und Farbe finden 
zu können. 

Außerdem sind die Preise der Zähne mit Platinkrampons infolge unserer 
schlechten Valuta so hoch, daß man Platinzähne nur noch bei sehr zahlungs« 
kräftigen Patienten verwenden kann. 

Soll darum heute irgendein technisches Verfahren, bei welchem Krampons« 
zähne verwendet werden müssen, brauchbar sein, so muß es unter allen Um« 
ständen die Verwendung von Ersatzzähnen, d. h. Zähnen mit unechten 
Krampons zulassen. 

Hierbei entsteht aber ein neues Hindernis dadurch, daß die meisten Ersatz« 
fabrikate nur mit Knopfkrampons versehen sind. 

Der Grund hierfür liegt darin, daß das zur Herstellung der Krampons 
verwendete Metall, wie z. B. die Silberlegierung der sogenannten Gold« 
knopfeähne, zu weich ist, um in der Form von Stiftkrampons dem Zahn 
eine genügende Verankerung zu sichern. Die Folge davon ist, daß bei der 
Verwendung von Zähnen mit unechten Krampons alle Reparaturmethoden 
in Fortfall kommen, welche es zur Bedingung machen, daß der Reparatur« 
zahn mit langen Stiften ausgerüstet ist. 


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C. J. Grawinkel 


Um nun ein klares Bild darüber zu gewinnen, welche Vorteile und Nach* 
teile die bestehenden Reparaturmethoden besitzen und welche Anforderungen 
man heute an ein brauchbares Verfahren stellen muß, will ich eine kurze 
Besprechung der am meisten angewendeten Methoden vorausschicken. Es 
sind dies die folgenden vier Reparaturmethoden: 


1. DIE REPARATURMETHODE MIT „ASHS" REPARATUR¬ 
ZÄHNEN 

Voraussetzung für die Anwendung dieser Methode ist, daß nur die Por¬ 
zellanteile des betreffenden Kronen- oder Brückenersatzes zerstört sind, aber 
die beiden Krampons intakt geblieben sind. 

Zur Reparatur werden keine Kramponszähne, sondern eigens für diese 
Zwecke hergestellte, sogenannte „Ashsche Reparaturzähne" verwendet. 
Diese Reparaturzähne besitzen überhaupt keine Krampons, sondern sind 
auf ihrer Rückenfläche dort, wo bei Kramponszähnen die Krampons in 
der Porzellanmasse eingebrannt sind, mit einer Aussparung von ellipsoider 
Form versehen <Fig. 1>. 

Am Boden dieser muldenartigen Vertiefung befindet sich ein Unterschnitt 
<Fig. 2>, welcher ebenso wie bei der Kavität einer Füllung zur Befestigung 
der in die Mulde eingepreßten Masse dient. Die Fabrik fertigt ebenso wie 



Fig. 1 Fig. 2 Fig. 3 


bei ihren Kramponszähnen auch von diesen Reparaturzähnen die verschieden¬ 
artigsten Serien in Größe, Farbe und Form an. 

Der Arbeitsgang bei Verwendung der „Ash"-Zähne ist folgender: 

Zuerst werden alle an der Belegplatte noch sitzenden und zwischen den 
beiden Kramponsknöpfen festgeklemmten Porzellanreste mit einem spitzen 
Instrument abgesprengt. Diese Arbeit muß vorsichtig ausgeführt werden, 
damit die Knöpfe der Krampons, welche später die Befestigung des Reparatur¬ 
zahnes übernehmen müssen, nicht verletzt werden. 

Hierauf wählt man einen in Form, Größe und Farbe passenden Reparatur¬ 
zahn aus und stellt durch Anhalten an die Belegplatte fest, wo und in 
welcher Weise durch Abschleifen noch nachgeholfen werden muß. Bei 
dieser Arbeit muß man besonders darauf achten, daß erstens ein kor¬ 
rekter Abschluß am Zahnfleischrand erzielt wird, und daß zweitens die 
Schneidekante des Ersatzzahnes an die überstehende Schutzkante der Beleg¬ 
platte genau anschließt. Von dieser vorbereitenden Schleifarbeit hängt zum 
größten Teile der Erfolg der ganzen Reparatur ab. 


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Die Röhrennietmethode und ihre Anwendung 


357 


Hierauf folgt unter Wahrung der üblichen Vorsichtsmaßregeln das Fest¬ 
zementieren des Reparaturzahnes in der Weise, daß die beschriebene 
Mulde mit Zement gefüllt und dann der Zahn über die beiden Krampons¬ 
knöpfe gestülpt wird <Fig. 3>. Nach Erhärten des Zementes wird der über¬ 
gequollene Zementüberschuß abgestoßen und der Schutzwulst an der Schneide¬ 
kante der Belegplatte an die Kante des Reparaturzahnes anrotiert. 

Die „Ash"sche Reparaturmethode würde geradezu eine ideale sein, 
wenn ihre Befestigung zuverlässig wäre, was aber leider nicht der Fall ist. 
Unter günstigen Verhältnissen hält wohl hier und da ein Zahn längere Zeit, 
in den meisten Fällen aber bricht der Zahn nach kurzer Zeit wieder ab. Der 
Grund hierfür liegt darin, daß der Zement allein für die Befestigung des 
Zahnes nicht ausreicht. Eine Zementbefestigung hält im allgemeinen nur 
dann, wenn der Zahn schon durch eine mechanische Vorrichtung befestigt ist 
und der Zement nur nach Art eines Kittes die Fugen zwischen den zu¬ 
sammengefugten Teilen ausfullt. 

Aus diesem Grunde erscheint es ratsam, eine Reparatur mit „A sh "sehen 
Reparaturzähnen nur dann auszuführen, wenn der betreffende Zahn vor 
dem Biß geschützt steht und auch sonst keine Möglichkeit irgendeiner Be¬ 
lastung vorhanden ist. 

2. REPARATURMETHODE NACH „ASH", ABER MIT ZWEI 

ZEMENTMULDEN 

Da man bei der Verschiedenheit der Zähne in Form, Größe und Farbe 
leichter einen passenden Kramponszahn als einen Reparaturzahn auftreiben 
kann, so hat sich eine Methode sehr bewährt, mit welcher es möglich ist, sich 
selbst aus jedem Kramponszahn einen Reparaturzahn nach dem Ashschen 
System herzustellen. Die Umarbeitung des Kramponszahnes wird in folgen¬ 
der Weise ausgeführt: 



Auf den Schaft eines abgebrochenen Bohrers lötet man mitTinol ein etwa 
1 cm langes dünnwandiges Messmgröhrchen in der Weise auf, daß das 
Röhrchen nur zur Hälfte auf dem Bohrerschaft steckt, die andere Hälfte aber 
hohl bleibt. Die lichte Weite des Röhrchens muß so groß sein, daß es sich 
gerade über den Knopf eines Knopfkrampons hinüberschieben läßt <Fig. 4>. 
Hierauf bereitet man sich in einem kleinen Schälchen aus Bimssteinpulver und 
Wasser einen Brei, bestreicht mit diesem die Rückfläche des Zahnes und stülpt 
dann den Hohlbohrer über einen der beiden Kramponsknöpfe <Fig. 5>. Setzt 
man jetzt den Bohrer in nicht zu rasche Umdrehung, so schleift das Röhrchen 


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C. J. Grawinkel 


in wenigen Minuten einen ringförmigen Einschnitt in die Porzellanmasse. Man 
setzt das Einschleifen fort, bis der Einschnitt zirka 2 mm Tiefe besitzt <Fig. 6>. 
Selbstverständlich muß man während des Schleifens darauf bedacht sein, daß 
der Bohrer ständig von der Schleifpaste umgeben ist. 

Sind auf diese Weise die Einschnitte um die beiden Kramponsknöpfe ge* 
nügend tief eingeschliffen, so bricht man mit einem spitzen Instrument die 
beiden herausgeschliffenen Porzellanblöcke heraus, indem man das Instrument 
an irgendeiner Stelle in die Einschnitte zwängt und dann vorsichtig eine 
hebelnde Bewegung ausfuhrt <Fig. 7>. Man erhält auf diese Weise zwei 
runde Löcher von zirka 2 mm Tiefe, deren Abstand voneinander genau dem 
ihrer früheren Krampons entspricht <Fig. 8>. Um nun die zur Befestigung 



Fig. 7 Fig. 8 Fig. 9 


des Zementes nötigen Unterschnitte herzustellen, füllt man die Löcher wieder 
mit der Schleifpaste und schleift mit einem alten Unterschnittbohrer genau 
wie bei der Vorbereitung einer Kavität am Boden eines jeden Bohrloches 
eine Unterschnittrille ein <Fig. 9>. Die weitere Verarbeitung eines auf diese 
Weise hergestellten Reparaturzahnes gleicht in allen Einzelheiten der Ashschen 
Methode. 

Der selbst hergestellte Reparaturzahn besitzt vor dem Original»Ash¬ 
schen Reparaturzahn einmal den bereits oben erwähnten Vorteil, daß man 
jeden beliebigen Kramponszahn zu seiner Herstellung verwenden kann. 
Ein weiterer bedeutender Vorzug des selbst hergestellten Reparaturzahnes 
ist, daß dadurch, daß jeder Krampon für sich in einer möglichst kleinen Mulde 
einzementiert wird, die Befestigung des Reparaturzahnes eine weit zuver¬ 
lässigere ist, als bei dem Original-Ashschen Reparaturzahn. 

3. REPARATURMETHODE NACH BRIDGE 

Eine Reparaturmethode, welche in früheren Zeiten sehr beliebt war, als 
infolge des niedrigen Platinpreises die Krampons aus langen, starken Stiften 
bestanden, ist die Bridge sehe Methode. 

Der Arbeitsgang ist folgender: Nach Entfernung der an der Belegplatte 
noch haftenden und zwischen den Krampons festgeklemmten Porzellansplitter 
werden die aus der Belegplatte hervorragenden Kramponsenden <Fig. 10> 
bis zum Plattenniveau abgeschliffen. 

Hierauf sucht man einen passenden Zahn mit möglichst langen und starken 
Platinstiften aus und markiert an der Belegplatte die beiden Punkte, an 
welchen die Platte durchbohrt werden muß, um den Zahn in der richtigen 
Lage aufstecken zu können. Dann schneidet man mit dem von Bridge an» 


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Die Röhrennietmethode und ihre Anwendung 


359 


gegebenen Gewindesebneideisen auf jeden der beiden Krampons ein Ge» 
winde und probiert vorläufig außerhalb des Mundes, ob die mit dem Bridge» 
sehen Besteck mitgelieferten Schräubchen passen und sich leicht auf die 
Krampons schrauben lassen. Dann werden die beiden Löcher gebohrt und die 
Bohrlöcher auf der lingualen Seite der Belegplatte mit einem konischen 
Senkeisen aufgerieben <Fig. 11>. Diese konische Erweiterung der Bohrlöcher 
dient dazu, um später die Muttern in die Belegplatte einlassen zu können. 
Nach diesen Vorbereitungen wird das Einsetzen des Ersatzzahnes in fol» 
gender Weise ausgeführt <Fig. 12>: 

Zuerst wird die Belegplatte mit einem dünn angerührten Zementbrei 
bestrichen und dann der in der oben geschilderten Weise geschliffene 



Fig. 10 Fig. 11 Fig. 12 


Zahn aufgesteckt und so lange fest angedrückt, bis der Zement hart ge» 
worden ist. 

Hierauf wird aller überschüssige Zement abgestoßen und nun auf die 
Krampons von lingualwärts je eine Schraubenmutter in der Weise auf¬ 
geschraubt, daß der Konus sich in die entsprechende Aussparung des Bohr¬ 
loches senkt. Nachdem dann die beiden Schraubenmuttern mit dem Bridge» 
sehen Spezialschraubenzieher fest angezogen sind, werden die lingualwärts 
aus der Belegplatte hervorragenden Teile der Muttem und der Krampons so 
weit abgeschlilfen, bis die Rückseite der Belegplatte keine Unebenheit mehr 
aufweist. 

So ideal das Bridgesche Verfahren auch ist, so hat es doch auch große 
Mängel. Erstens ist das Arbeiten mit den Schrauben sehr mühselig und 
erfordert selbst bei großer manueller Handfertigkeit einen bedeutenden Zeit¬ 
aufwand. Der größte Nachteil des Verfahrens ist aber der, daß die An¬ 
wendung der versenkten Schrauben nur dann möglich ist, wenn die Beleg¬ 
platte sehr dickwandig ist. Diese Vorbedingung wird aber bei vorderen 
Zähnen nur selten erfüllt/ denn in den meisten Fällen zwingt uns der knappe 
Überbiß, die Belegplatte möglichst dünn auszuführen. In diesen Fällen kann 
dann von einem Einsenken der Schraubenmuttern nicht mehr die Rede sein. 
Aber auch selbst da, wo Platz genug für eine verstärkte Belegplatte vor¬ 
handen ist, ist man bei den heutigen Goldpreisen gezwungen, möglichst spar¬ 
sam zu wirtschaften. 

In diesen Momenten liegt eine starke Einschränkung für die Bridgesche 
Reparaturmethode. 


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C. J. Grawinkel 


4. REPARATURMETHODE NACH KAISER 

Auf demselben Prinzip wie die Bridgesdie Methode beruht die Reparatur« 
methode nach Kaiser. 

Audi hier werden die beiden Krampons durch entsprechende Bohrlöcher 
durch die Belegplatte gestedct und von lingualwärts mechanisch befestigt. Der 
Unterschied zwischen den beiden Methoden ist nur der, daß Bridge die 
Befestigung durch eine Verschraubung ausführt, während Kaiser Nietköpfe 
verwendet. Was die Haltbarkeit der Befestigung betrifft, so ist die Ver» 
nietung entschieden vorzuziehen, denn erstens verlangt die Vernietung eine 
weit geringere Versenkung in der Belegplatte, und zweitens ist bei einer 
richtig ausgeführten Vernietung eine Lockerung vollständig ausgeschlossen, 
was bei einer Verschraubung nicht der Fall ist. 

Der Arbeitsgang der Kaiserschen Methode deckt sich mit der Bridge« 
sehen Methode bis zu dem Moment, wo der Ersatzzahn aufzementiert ist. 
In diesem Stadium werden bei der Kaiserschen Methode die beiden Kram» 
pons so weit gekürzt, daß sie etwa einen halben Millimeter aus den Bohr« 
löchern herausragen <Fig. 13). 

H 

Fig. 13 Fig. 14 

Hierauf folgt als Vorbereitung für das Nieten die Herstellung einer Niet¬ 
unterlage. Ein Metallteller <Fig. 14 A) wird mit einer erweichten pla¬ 
stischen Abdrudemasse <Fig. 14 S), wie etwa Stents oder Kerrschen Ab¬ 
druckmasse, gefüllt und von außen gegen den Ersatzzahn gedrückt. Ist nach 
Erhärten der Masse eine genau anliegende Nietunterlage hergestellt, so 
setzt man die Kais er sehe Nietzange in der Weise an, daß der eine Schenkel 
des Zangenmaules auf der Nietunterlage ruht und der in dem andern 
Schenkel ersetzbare Nietstift auf einem der beiden Krampons liegt. Durch 
langsames, kräftiges Schließen der Zange wird dann auf den weichen Platin- 
krampon ein Nietkopf gedrückt <Fig. 14>. Das Beschleifen des aus der 
Versenkung der Belegplatte hervorstehenden Teiles des Nietkopfes beendigt 
die Reparaturarbeit. 

Ein großer Nachteil der viel angewandten Kaiserschen Methode be¬ 
steht darin, daß sie sich bei unechten Krampons wegen der Härte des Er- 
satzmetalles bei Zähnen mit Stiften nicht gut ausführen läßt. Dieser Nach¬ 
teil, welcher früher wenig besagte, macht sich bei den heutigen Preisen der 
Zähne mit Platin-Krampons sehr fühlbar. Eine zweite unüberbrückbare 
Schwierigkeit entsteht dann, wenn man sich bei der Anlage der beiden Bohr¬ 
löcher für die beiden Krampons verbohrt hat, so z. B. etwas zu nahe bei- 



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Die Röhrennietmethode und ihre Anwendung 361 

einander oder umgekehrt zu weit voneinander. Ebenso kann leicht der 
Fall eintreten, daß ein Bohrloch etwas zu hoch oder zu niedrig liegt. 

In allen diesen Fällen wird die Vernietung des betreffenden Krampons 
dadurch unzuverlässig, daß durch die Versetzung bzw. Verlängerung des 
Bohrloches der Krampon nicht mehr exakt in dem Bohrloch ruht, sondern 
seitlich Spielraum hat. Die Folge davon ist, daß sich der Zahn rasch lockert 
und wieder zerbricht. 

Auch dann, wenn die Belegplatte wegen eines tiefen scharfen Bisses aus« 
nahmsweise dünnwandig gehalten ist, stößt man bei der Kaiserschen 
Methode auf Schwierigkeiten, weil dann ein Einsenken der Bohrlöcher un« 
möglich wird. Die Folge davon ist, daß die Nietköpfe auf der Belegplatte 
aufliegen und für Biß und Zunge hinderlich werden. 


5. REPARATURMETHODE NACH EIGENEM SySTEM 

Da die Befestigung des Reparaturzahnes unzuverlässig ist, sobald man 
die Bohrlöcher für die Krampons nach irgendeiner Richtung hin erweitern 
muß, und da ferner die Kaisersche Methode Zähne mit langen Platin« 
stiften voraussetzt, so fehlte uns ein Verfahren, welches sowohl mit unechten 
Zähnen als auch mit Knopfzähnen ausführbar ist. 

Diese Aufgabe habe ich in folgender Weise zu lösen versucht: 

Die Vorbereitung dieser Methode gleicht genau der Kaiserschen Methode 
bis zu dem Moment, wo in die Belegplatte die Löcher für die Krampons 
gebohrt werden. Zeigt sich aber nach dem Bohren der Löcher, daß das 



Fig. 15 



Fig. 16 



eine oder beide nach irgendeiner Richtung etwas erweitert werden muß, so 
kann man diese Erweiterung, wie wir später sehen werden, ohne Gefahr 
für die Haltbarkeit der Befestigung ausführen. Ferner kann man jeden löt« 
baren Zahn verwenden, da das Material der Krampons keine Rolle spielt. 
Selbst Knopfzähne sind verwendbar, nur muß man die Knöpfe abkneifen 
oder durch Feilen oder Schleifen bis zur Kramponstärke verjüngen. Hierauf 
steckt man den Zahn in die Bohrlöcher und markiert sich, wie weit die 
Krampons lingual aus der Belegplatte hervorstehen. Dann nimmt man 
den Zahn ab und kürzt die Krampons zuerst um dieses Stück, und dann 
außerdem noch um etwa einen halben Millimeter. Beide Krampons sind 
also, wenn der Zahn aufgesteckt ist, um etwa einen halben Millimeter kürzer 
als die Bohrkanäle lang sind <siehe Fig. 16>. 

Vierteljahrssdirift för Zahnheilkande, Heft 3 24 


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362 


C. J. Grawinkel 


Nach dieser Vorbereitung werden beide Krampons durdi aufgelotete 
Röhrchen verlängert. Zu diesem Zwecke stellt man sich auf folgende Weise 
ein Röhrchen her, welches für viele Fälle ausreicht. Da ein Krampon etwa 
0,75 mm im Durchmesser hat, so ist der Umfang etwa 2,25 mm. Man 
schneidet sich also aus einem 0,1 mm dünnen Goldblech einen Streifen von 
2,25 mm Breite und 4 bis 5 cm Länge. Diesen Streifen schneidet man an 
seinem einen Ende spitz zu und biegt ihn dann lose der Länge nach um 
einen Draht von zirka 1 mm Stärke. 

Dieses provisorische halboffene Röhrchen zieht man in der üblichen Weise 
durch ein Zieheisen, d. h. man beginnt mit dem größten Loch des Zieheisens 
und zieht dann das Röhrchen mit Hilfe der Spitze immer durch das nächst 
engere Loch des Zieheisens, bis ein vollkommen rundes Röhrchen entstanden 
ist, welches genau über einen Krampon paßt. Nun drückt man ein kleines 
Stückchen Goldfolie <Fig. 15 T), wie wir es zum Porzellanbrennen ver* 
wenden, so auf die Rückenfläche des Zahnes, daß sie flach auf dem Porzellan 
aufliegt und die beiden gekürzten Krampons hervorragen. Dann schneidet 
man sich von dem Röhrchen zwei Segmente von zirka 5 mm ab und 
schiebt auf jeden Krampon ein Rohrsegment <Fig. 16 R). Hierauf wird 
der Zahn eingebettet, Lot und Borax aufgelegt und Goldfolie, Krampon 
und Röhrchen miteinander verlötet <Fig. 16>. 

=o ß= 

Fig. 18 Fig. 19 


Da jetzt der Durchmesser eines Krampons um die doppelte Goldblech* 
stärke, also 0,2 mm größer geworden ist, müssen die beiden Bohrlöcher dem* 
entsprechend erweitert werden. Mußte nun früher beim Bohren der Löcher 
das eine oder beide Bohrlöcher durch Erweitern nach irgendeiner Seite hin 
verlegt werden, so wird dieser Fehler jetzt durch die Vergrößerung der Bohr* 
löcher wieder ausgeglichen. Sind beide Bohrlöcher paßrecht erweitert, so wird 
der Zahn aufgesteckt und die beiden Röhrchen so weit gekürzt, daß sie nur 
noch zirka einhalb Millimeter lingualwärts aus der Belegplatte herausragen. 

Der weitere Arbeitsgang gleicht wieder dem der Kaiser sehen Methode, 
das heißt der Zahn wird zugeschliffen, mit Zement aufgesetzt, eine Niet* 
Schablone angefertigt und endlich vernietet <Fig. 17>. 

Während aber bei Kaiser die Krampons mit einem regelrechten Niet* 
köpf versehen werden, werden hier die Röhrchen, ähnlich wie bei einer Schuh* 
öse, auseinandergedrückt. Hierzu eignet sich sehr gut eine Kramponzange, 
in welche man an Stelle des Lochers einen Einsatz mit einer sogenannten 
Körnerspitze steckt <Fig. 18). 

Setzt man dann die Zange so an, daß die Körnerspitze in der Öffnung 
des Röhrchens ruht, so wird dieses nach allen Seiten hin gleichmäßig aus* 
einandergedrückt. Ist dies geschehen, so tauscht man die Körnerspitze gegen 
einen flachen Nietstempel aus und drückt die bereits umgebogenen Röhrchen 


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Die Röhrennietmethode und ihre Anwendung 363 

vollends breit <Fig. 19). Das übliche Beschleifen und Glätten der Nietstelle 
beendet die Arbeit. 

Da die Röhrennietmethode an keine bestimmte Zahnsorte gebunden ist, 
sondern sich mit jedem Zahne, ob echt oder unecht, ob mit langen Stiften 
oder Knöpfen, anwendbar ist, da es ferner keine Rolle spielt, ob die Beleg¬ 
platte dick- oder dünnwandig ist, so stellt sie fraglos ein brauchbares Hilfs¬ 
mittel bei dem Ersatz von abgesprungenen Zähnen dar. 

Nicht zu unterschätzen ist dabei auch der Vorteil, welchen uns die auf¬ 
gelöteten Röhrchen dadurch verschaffen, daß der dünne Goldüberzug die 
unechten Krampons gegen die Einwirkung der Säuren schützt. Dieser Vorteil 
wird auch dann erreicht, wenn man bei der Verlötung von Krampons mit 
niedrigem Schmelzpunkt statt Goldlot Silberlot verwendet. 


24* 


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DIE RESORPTION VON STOFFEN 
DURCH DIE GESUNDE MUNDSCHLEIMHAUT 

VON 

PROF. FRANZ MÜLLER, BERLIN 

MITGETEILT AUF GRUND DER DOKTORDISSERTATIONEN DER HERREN 
DR. MED. DENT. EDUARD JUNG UND FRITZ- LAPUSE (BERLIN 1921) 

M an weiß erstaunlich wenig über die Resorption von Stoffen durch die 
Mundschleimhaut. Die Beobachtungen von Karmel <1847>, der Wein* 
säure, Soda, Salpeter, Arrak und Traubenzucker eine Zeitlang im Munde 
hielt und dann die Verminderung der Konzentration untersuchte, sind für 
unsere heutigen Ansprüche unzureichend. Andere methodisch einwandfreie 
Versuche sind mir nicht bekannt. Auch die früher eifrig geführte Diskussion 
über die Gefahren, die bei Verwendung von chlorsaurem Kali zur Mund* 
pflege drohen, litt darunter, daß niemand exakt feststellte, ob überhaupt Kali 
chloricum von der Mundschleimheit aus in den Körper aufgenommen wird. 
Die von verschiedenen Seiten, vor allem im hiesigen Pharmakologischen In* 
stitut auf Veranlassung von Heffter angestellten Untersuchungen über die 
Resorption von Stoffen aus Salben durch die intakte Haut, bei denen sich 
zeigte, daß die Salbengrundlage von entscheidender Bedeutung ist, ob z. B. 
Jodkali resorbiert wird oder nicht, können für unsere Frage nicht herangezogen 
werden. Ebensowenig lassen die zahlreichen Untersuchungen über die Re* 
Sorption von Stoffen vom Magen oder von der Darmschleimhaut aus einen 
sicheren Schluß zu, wie sich die Auskleidung der Mundhöhle des Menschen 
verhält. 

Die Herren Jung und Lapuse haben sich daher in sorgsamen Selbst* 
versuchen mit der Resorption der leicht nachweisbaren Stoffe Jod und Salizyl* 
säure vom Munde aus beschäftigt, da Tierversuche für die Verhältnisse beim 
Menschen wenig besagen. Es wurde vor allem sorgfältig darauf geachtet, 
daß während des Verweilens der Flüssigkeiten im Munde nichts verschluckt 
und auch danach der sich ansammelnde Speichel durch Ausspeien entfernt 
wurde. Vor dem Versuch wurde der Harn auf Freisein von Jod oder Sali* 
zylsäure geprüft und die Ausscheidung bis zu 24 Stunden, wenn nötig, 
verfolgt. 




Die Resorption von Stoffen durch die gesunde Mundschleimhaut 


365 


Zum Nachweis des Jods wurden 10 ccm des frisch entleerten Harns nach 
Erkalten mit 1 ccm 25°/ 0 iger Schwefelsäure und 10 Tropfen 0,5%iger Na* 
triumnitritlösung versetzt, dann mit 1—2 ccm Schwefelkohlenstoff ausge* 
schüttelt. Besondere Versuche <Jung> zeigten, daß Chloroform, rauchende 
Salpetersäure oder Obermayersches Reagens weniger brauchbar und auch 
die Jod*Stärkeprobe weniger genau ist: Bei 1:250000 Verdünnung wird die 
Obermayersche Probe, bei 1 :500000 die Chloroformprobe mit Natrium* 
nitrit und Schwefelsäure zweifelhaft, indem die Jodfärbung versagt, während 
die Violettfärbung von Schwefelkohlenstoff noch über 1:750000 deutlich ist. 
Auch die von Schumacher (Deutsche Med. Wochenschrift 1915, Nr. 18) 
angegebene Jodprobe (Zusatz von Wasserstoffsuperoxyd, Benzidin und 
Kochen, dann Chloroformausschüttelung) versagte über 1:250000, abgesehen 
davon, daß stark gefärbte Harne schon in geringer Verdünnung das Jod un* 
scharfanzeigten. Ebensowenig befriedigte der von Schumacher empfohlene 
Jodnachweis mit Ammoniumpersulfat-Tabletten. — Der Salizylsäurenachweis 
im Harn (Lapuse) wurde durch Zusatz von 2 Tropfen 10%iger Eisen* 
chloridlösung zu 1 ccm Harn ausgeführt, eine Reaktion, die bekanntlich außer* 
ordentlich fein ist. 

Die Resultate stelle ich in den folgenden Tabellen zusammen: 


JOD (E. JUNG) 


Jodkaliumlösung | 
20 ccm 

Verweildauer im Munde 
Minuten 

Erstes Auftreten der 
Jodreaktion innerhalb 
Minuten 

Letztes Auftreten der 
Jodreaktion innerhalb 
Stunden 

10 

10 

15 

24-30 

10°;. 

5 

16-30 

12-23 1 

5% 

10 

31-45 

14 

5 °; 

J Io 

5 

45-60 

10 

5°„ 

3 

45-60 

7 

5% 

1 

negativ 

negativ 

2,5% 

5 

negativ 

negativ 


SALIZYLSÄURE (F. LAPUSE) 

Eine 10%ige spirituöse Lösung wurde mit Wasser verdünnt und die 
Mundhöhle mit 5—10 ccm 1—3 Minuten lang gespült, darauf mit Wasser 
nachgespült. 

Wenn die Salizylsäurelösung nicht Zimmertemperatur hatte, sondern 25° 
warm war, zeigte sich die Salizylsäurereaktion im Harn früher und war 
stärker. 

Wir sehen, daß Jodkali und Salizylsäure schon innerhalb weniger Minuten 
von der Mundschleimhaut aus in den Körper aufgenommen werden und 
schnell im Harn zur Ausscheidung gelangen. Reste von beiden Stoffen bleiben 
noch stundenlang, bei 10%iger Jodlösung sogar über 24 Stunden im Körper. 

1 Der Morgenurin war positiv, später nicht mehr. 


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366 Franz Müller: Die Resorption von Stoffen durch die gesunde Mundschleimhaut 


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AUSZUG 

aus etwa 20 Eigenversuchen und mehreren Versuchen an gesunden zuverlässigen 

Versuchspersonen: 1 


Salizylsäure 

Verdünnung 

Verweildauer 
im Munde 
Minuten 

0-30 
Min. 1 

31-6C 
Min. 

1 1 ! 

) | 61-90 91—120 | 

Min. Min. | 

3 Std. 

! 

4 Std. 

l 1 

6 Std. | 7 Std. 

1 : 100 

3 

-i. 

+ 1 

| , : 


4 

4 — 

1 : 200 

3 

-i- 

4 4- 

i 4 t ; 4 

1 -i- 

4 

4 — 

1:300 

3 

4 


l 4 -4 4- - 

. t" ... 

! 


f- — 

1 : 100 

2 


+ - 

-1 .. 4 4 


4 S 


1 :200 

2 

» 

4- 

j t 4- -* 

4- 

— 


1 : 300 

2 

4- 

4' H- 

i ■* 4 j v 

+ l 

— 


1 : 100 

1 

4 

4- 4 

t- t 4 

4 

_ *1 


1:200 | 
1 : 300 | 

1 

1 


4- 

4 4- 4 

-i _i_ 1 

4 - 

_ 


Es wird von 

beiden Stoffen um so 

mehr resorbiert, je höher die Konzen- 


tration und je größer die Verweildauer im Munde ist. Wärme beschleunigt, 
wie ja auch auf anderen Schleimhäuten, den Durchtritt durch die Mund¬ 
schleimhaut. 

Wurde die Mund- oder Wangenschleimhaut im Umfange von etwa 2 cm 
einmal mit 10°/ 0 iger Jodtinktur oder Lugolscher Lösung bepinselt und nach 
dem Bepinseln der Mund 2 Minuten offen gehalten, darauf ausgespült und 
während der Dauer der nächsten Stunde der Speichel ausgespien, so ließ 
sich weder an dem gleichen, noch am folgenden Tage Jod im Harn nach- 
weisen <E. Jung). Jod scheint also von begrenzter Schleimhautfläche aus, 
wenn überhaupt, so höchstens in so kleinen Mengen resorbiert zu werden, 
daß die Verdünnung im Harn dauernd unter 1 :750000 bleibt. Wahrschein¬ 
lich wird das Jod der Jodtinktur und Lugolschen Lösung auf der Oberfläche 
der Schleimhaut sofort chemisch gebunden und gelangt zunächst nicht zur 
Resorption. 

Die Versuche haben also erwiesen, daß ebenso wie Jod vom Blut aus 
schnell durch die Speicheldrüsen auf die Mundschleimhaut ausgeschieden 
wird, so andererseits Jod und Salizylsäure durch die Mundschleimhaut 
schnell ins Blut gelangen. 

1 -f- = schwächere, 1 = stärkere Violettfärbung des Harns bei Zusatz 10° o iger 
Eisendiloridlösung. 



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ZUR KENNTNIS DER ALVEOLARPyORRHOE 

VON 

PRIV.-DOZ. DR. MED. HILLE 

OBERARZT AM ZAHNÄRZTE INSTITUT DER UNIVERSITÄT LEIPZIG 

N ach den Neu mann sehen Ausführungen über die Thermokauterbehand¬ 
lung Römers bei Alveolarpyorrhoe <Vierteljahrsschrift f. Z., 37. Jahrg., 
2. Heft) kann man annehmen, daß die Granulationen nur in der Tasche 
■weggebrannt werden sollen. Demgegenüber muß betont werden, daß die 
Methode darin besteht, die Taschen zu zerstören, also Granulationen und 
Zahnfleischbedeckung zugleich zu entfernen. Daraus erklärt sich mit die hori¬ 
zontale Applikation der Drahtschlinge, die hauptsächlich deswegen erfolgt, 
um nicht unnötig tief zwischen Knochen und Zahnwurzel einzudringen. Wie 
Römer in der Neubearbeitung der Alveolarpyorrhoe für Scheffs Handbuch 
der Zahnheilkunde, die ich im Manuskript einsehen durfte, ausführt, sollen 
die noch gesunden und nur verbreiterten Bindegewebszüge des Periodontiums 
geschont und der intakte Knochen vor Nekrose bewahrt werden. Römer 
steht auf dem Standpunkte den Knochen selbst, soweit er noch zu erhalten 
ist, durchaus zu schonen, da in den meisten Fällen der Erfolg dieses recht¬ 
fertigt und da, wo mit dem einmaligen Brennen ein voller Erfolg nicht er¬ 
zielt worden ist, ohne weiteres eine Nachoperation ausgeführt werden kann. 
Nach Römers Befunden handelt es sich bei der Vertikalatrophie nur um 
Osteolysis ohne Granulationsbildung zwischen Wurzel und Knochen. Die 
drei Abbildungen, welche Weski in seiner ausgezeichneten Arbeit im 1. Heft 
der Vierteljahrsschrift f. Z. 1921 bringt <s. Tafel XXX, XXXII u. XXXV), 
in denen Granulationsgewebe zwischen Knochen und Zahnwurzel in dem 
noch erhaltenen apikalen Teil der Alveole zu sehen ist, lassen sich auch anders 
deuten. Wie ich in der D. Z. W., 1921, Nr. 41, ausgeführt habe, wird im 
Leipziger Institute je nach Sachlage auch die rein chirurgische Behandlung 
angewendet. Das Resultat aller bisherigen Beobachtungen ist, daß die Eiterung 
in schwereren Fällen nur dann dauernd verschwindet, wenn die Taschen zer¬ 
stört bzw. die Granulationen und das erkrankte Gewebe restlos entfernt 
werden. Andernfalls versiegt die Eiterung bestenfalls so lange, als eine 
gewissenhafte Behandlung stattfindet oder nachwirkt. Es kann dabei zu recht 
befriedigenden Latenzzuständen kommen, besonders wenn der Patient zu- 


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368 


Hille: Zur Kenntnis der Alveolarpyrrhoe 


gleich intensiv mit an der Therapie teilnimmt. Ich sagte ferner <1. c.>, daß im 
Falle der Unmöglichkeit gründlicher Behandlung der Versuch gerechtfertigt 
erscheint, die Eiterung mit anderen Mitteln einzudämmen bzw. den Abbau 
hygienisch erträglich zu gestalten. Von den zu diesem Zwecke hier an* 
gewendeten neueren Methoden ist die mit polyvalenter Vakzine nach Seitz 
insofern interessant, als dieselbe der Forderung mit gerecht werden will, die 
Gewebsvitalität anzuregen. Doch gilt erfahrungsgemäß bei allen derartigen 
Versuchen der Satz: „sunt certi denique fines." Denn man muß, wie ich 
das in der Med. Klinik 1921, Heft 12 und in der D. M. f. Z. 1921, Heft 10, 
ausgeführt habe, nach allen Beobachtungen annehmen, daß der Alveolar* 
pyorrhoe ein Nachlassen der Gewebsvitalität zugrunde liegt, worauf Römer 
schon vor Jahren hingewiesen hat. So wird bei dem einen Individuum der 
Zahnstein oder ein anderes Moment ursächlich sein, das bei dem anderen ohne 
jede Bedeutung ist. In dem unbekannten X, das wir Disposition nennen, 
liegt das Geheimnis, das noch niemandem zu ergründen gelungen ist. Die 
interessanten Untersuchungen Fleischmanns und Gottliebs verlegen das 
Primär^Ursächliche in den Knochen. Gleichwohl kann man die Weichgewebs* 
Veränderung nicht hintanstellen, wie es auch aus den kritischen Betrachtungen 
Adlofrs zu den Arbeiten Fleischmanns und Gottliebs im 2. Heft der 
Vierteljahrsschrift f. Z., 37. Jahrg., und aus der oben erwähnten Neubear* 
beitung der Alveolarpyorrhoe von Römer hervorgeht. 

Um die durch die Fehldiagnosen Beyers bewiesene Unsicherheit in der 
Diagnose der Eiterungen am Zahnhalse zu klären, habe ich auf Grund eigener 
klinischer Beobachtungen sowie der bakteriologischen Untersuchung dieser 
Fälle durch Seitz, welche bei Gingivitis, Stomatitis und Alveolarpyorrhoe 
eine fast identische und nur graduell verschiedene Flora ergab, den Vor* 
schlag gemacht, die Eiterflüsse am Zahnhalse einzuteilen in: 

1. Eiterflüsse ohne Gewebsdestruktion <Gingivitis> und 

2. Eiterflüsse mit Gewebsdestruktion, von denen 

a> klassische Formen bei vorhandener besonderer Disposition oder Ver* 
gesellschaftung mit Atrophien und 

b> einfache Formen <bei mangelnder Mundpflege und auf traumatischer 
Basis [Bißanomalien]> zu unterscheiden sind. 

Die Eiterflüsse am Zahnhalse sind demnach entweder selbständige Er* 
krankungen oder in besonders gearteten Fällen ineinander übergehende 
Glieder einer Entwiddungsreihe. 


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BUCHBESPRECHUNGEN 

Die konservierende Zahnheilkunde. Von Prof. Dr. A. Michel <f> und Dr. med. 
Hans Möller. 4. Aufl. Band III der Handbibliothek des Zahnarztes. Berlinische 
Verlagsanstalt 1921. Preis geb. 90 M. 

Das vorliegende Buch, das bereits in vierter, vermehrter und verbesserter Auflage er¬ 
scheint, hat offenbar durch den Namen des ersten Verfassers sowie dadurch, daß in 
deutscher Sprache vor dem Erscheinen des Walkhoffschen Lehrbuches kaum derartige 
Werke vorhanden waren, eine ziemlich weite Verbreitung gefunden, lind doch muß man 
sagen, daß es die berechtigten Anforderungen, die man heute an ein derartiges Buch 
stellen muß, nicht überall erfüllt. 

Das Buch enthält vor allen Dingen eine Menge von Dingen und Methoden, die vor* 
her von den Verfassern selbst nicht gebraucht und hoffentlich auch nicht gelehrt werden. 
Aber warum werden sie denn aufgenommen? Etwa um den Schein der Vollständigkeit 
zu erwecken? 

Gerade bei einem so hervorragend praktischen Fach, wie es die konservierende Zahn¬ 
heilkunde ist, sollte man sich hüten, mangelhafte Methoden zu beschreiben und unbrauch¬ 
bare Instrumente abzubilden. Manches andere ist auch veraltet, und die Abbildungen der 
mikroskopischen Präparate nach Bleistiftzeichnungen haben doch keinen Wert. 

Die Darstellung der Pathologie ist vielfach direkt falsch, was namentlich bei den Perio¬ 
dontitiden unangenehm auffällt. Da das Buch als Lehrbuch für Studierende gedacht ist, 
dürfen, derartige Mängel, die keineswegs die einzigen sind, nicht ungerügt bleiben. Es 
wäre vielleicht besser gewesen, die Abfassung ganz in dem vorherrschenden Ton der mehr 
mechanischen Behandlung zu halten, was allerdings heute keinen sonderlichen Wert mehr 
hat, da bereits der Studierende zu pathologischem Denken erzogen werden muß. 

Mit großer Vorsicht und Kritik gebraucht, wird das vorliegende Buch auch in Zukunft 
einen Leserkreis finden, zumal es nicht zu eng gefaßt alles das enthält, was die konser¬ 
vierende Behandlung des Gebisses mit sich bringt. 

So beginnen die Verfasser mit der Untersuchung der Mundhöhle, kommen gleich auf 
das Zahnreinigen und die Zahnbeläge zu sprechen und im Anschluß daran auf die Al¬ 
veolarpyorrhoe, die leider nicht den neueren Anschaungen entsprechend abgehandelt ist. 

Dann folgt die Karies, bei der die Prophylaxe eingefügt ist/ und das Füllen der Zähne 
nimmt das große Kapitel in Anspruch. 

Ein besonderer Abschnitt beschäftigt sich mit der Klassifikation der Füllungen nach Art und 
Lage, was wohl besser vor die letzten Kapitel des vorangehenden Abschnittes gesetzt wäre. 

Die beiden folgenden Abschnitte betreffen die Erkrankungen der Pulpa und der Wurzel¬ 
haut, sowie deren Behandlung. 

Das Schlußkapitel behandelt die Asepsis und Antisepsis, bringt eine größere Anzahl 
von Rezeptvorschriften und am Schluß ein Literaturverzeichnis, das weder vollständig, noch 
von den Autoren in hinreichender Weise bei der Abfassung des Buches benutzt worden ist. 

* Uneingeschränkt empfehlen, wie bereits gesagt, kann man das Buch nicht. Da Kritiken 
dazu da sind, vorhandene Mängel in späteren Auflagen abzustellen, so darf der Erwartung 
Raum gegeben werden, daß es auch wirklich geschieht. Für die Studierenden und unseren 
Stand ist nur das Beste gerade gut genug. Greve, Erlangen. 

Vierteljahrssdirift für Zahnheilkunde, Heft 3 25 


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370 Buchbesprechungen 

Der Wert unserer Wurzelfuilungssubstanzeo. Von Dr. A. Lichtwitz, Guben. 

(Sammlung von Abhandlungen aus der Zahnheilkunde und ihren Grenzgebieten. 

Berlinische Verlagsanstalt, 1921). 

Aus dem großen Gebiete der Wurzelbehandlung, welche L. das Rückgrat der konser¬ 
vierenden Zahnheilkunde nennt, greift er ein Kapitel heraus, welches er der wissenschaft¬ 
lichen Lösung zuzuführen sich bemüht. Er geht von der anatomischen Feststellung aus, 
daß nicht alle Wurzelkanäle durchgängig sind. Daraus würde sich naturgemäß der Schluß 
ergeben, daß der Wert aller Wurzelfullungssubstanzen nur ein beschränkter, ein relativer 
sein kann. Diesen Schluß zieht aber der Vcrf. nicht. Er überprüft sorgfältig alle bekannten 
Materialien: die Wattegruppe (Asbest, verkohlte Watte, imprägnierte Watte usw.>. Die 
Zemente, Guttapercha in Substanz und in Losung, weichbleibende Pasten, Paraffin, Peru¬ 
balsam, flüssige Wurzelfullungen, Abraham sehe Sonderfüllung, Metallstifte, Elfenbein¬ 
stäbchen und sonstige Materialien und kommt zu dem Ergebnisse, daß wir derzeit in der 
kombinierten Wurzelfüllung: flüssige Albrecht-Masse und weichbleibende Trikresol- 
Formalinpaste das zweckmäßigste Material zur Wurzelfällung besitzen, welches den von 
L. selbst und von anderen Autoren aufgestellten 15 Grundforderungen am ehesten ent¬ 
spricht. Doch darf uns auch dieses Verfahren, wie Verf. sehr richtig bemerkt, auf keinen 
Fall dazu veranlassen, sorglos zu arbeiten und uns auf die Güte des Materials zu ver¬ 
lassen. Kronfeld, Wien. 

Leidfaden zum Studium der sozialen Zahnheilkunde. Von Dr. phil. et med. dent. 

Alfred Cohn. Verlag von Hermann Meusser-Berlin. Kart. M. 28.—. 

Der Verfasser, der sich schon durch seine frühere literarische Tätigkeit auf sozialem Ge¬ 
biete, einen Namen erworben hat, tritt jetzt mit einem neuen Werke, das hauptsächlich 
für die Studierenden bestimmt ist, an die Öffentlichkeit. Wie der Student heute politisch 
orientiert ist, müßte er erst recht, wenn er in das praktische Leben eintritt, mit der Sozial¬ 
politik und der mit ihr verknüpften sozialen Medizin bzw. Zahnheilkunde vertraut sein. 
Die wissenschaftliche soziale Zahnheilkunde ist allerdings erst jüngeren Datums und ihr 
Begriff und Umfang noch in Ausdehnung begriffen. Verfasser erläutert sehr eingehend, 
stellenweise mit philosophischem Einschlag, den Begriff „sozial" in seinen verschiedenen 
Verbindungen und formuliert die soziale Zahnheilkunde folgendermaßen: 

„Die soziale Zahnheilkunde ist die Lehre von der Erforschung der Wechselbeziehungen 
der Zahn- und Mundkrankheiten zur wirtschaftlichen Lage der Gesellschaft. Sie unter¬ 
sucht die Methoden und Maßnahmen zur Beseitigung dieser Krankheiten bei der Allge¬ 
meinheit und betrachtet diese Notwendigkeit bei den einzelnen Gesellschaftsklassen und 
Berufen. Sie beschäftigt sich jedoch nicht allein mit den Wechselbeziehungen von Zahn¬ 
heilkunde und Wirtschaftslage der Allgemeinheit, sondern betrachtet auch das Verhältnis 
der zahnärztlichen Praktiker zur Allgemeinheit und prüft die Möglichkeit, die Leistungen 
dieser Praktiker in rationeller Weise der Allgemeinheit dienstbar zu machen. 

Er betont immerfort die Notwendigkeit, die Studierenden auf die einschlägigen gesetz¬ 
lichen Bestimmungen und Verordnungen aufmerksam zu machen und ihnen die Pflicht der 
Verantwortlichkeit im Beruf, sowie die Beziehungen zur Außenwelt im wirtschaftlichen 
Kampfe vorzuhalten. 

Den ganzen Stoff teilt C. in 2 Teile ein, und zwar in einen individuellen und einen 
speziellen. Im ersteren behandelt er kurz allgemein das Gesundheitswesen und die Per¬ 
sonen, die sich mit der Ausübung der Zahnheilkunde beschäftigen/ an der Hand von 
Statistiken gibt er einen Überblick über die Zahl und die Verbreitung der Approbierten 
und Nichtapprobierten und bespricht hierbei den Begriff Kurpfuscherei. 

Der spezielle Teil ist der wichtigste seines Werkes und handelt von der Allgemeinheit, 
welche als Objekt der sozialen Zahnheilkunde angesprochen werden muß. Sie prüft, welche 
Maßnahmen genossenschaftlicher Art nötig sind, um der Allgemeinheit hinreichende zahn¬ 
ärztliche Hilfe zu gewähren bzw. untersucht, ob die bisherigen Methoden richtig oder 
verbesserungsbedürftig sind. Verfasser bespricht alle die Probleme in selten klarer und 
eingehender Weise, die auf eine genaue Kenntnis der Materie und Liebe zur Sache 
schließen lassen. 



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Buchbesprechungen 


371 


Einen breiten Raum nimmt natürlich die Schulzahnpflege und ihre verschiedenen Formen, 
sowie die Krankenversicherung ein, Fragen, die wohl für den Praktiker von größter Be- 
deutung sind. Es folgen alsdann nicht minder wichtige Kapitel, wie die Unfall», Invaliden» 
und Angestellten»Versicherung, desgl. die Arbeitslosen», Krüppel und Kriegsbeschädigten» 
fursorge. 

Alle sozialen Fürsorgegesetze werden erst allgemein erläutert und alsdann die speziell 
zahnärztlichen Interessenfragen berücksichtigt. 

Das Schlußkapitel handelt von der Verstaatlichung der Zahnheilkunde, ein Problem, das 
naturgemäß rein vom politischen Standpunkt aus betrachtet werden muß und als Vor» 
läufer einer Sozialisierung gelten kann. Die Einrichtung immer neuer Kassenzahnkliniken, 
Schulzahnkliniken, Heilstätten usw. stellt eine Etappe zu diesem Ziele dar, das allerdings 
vorläufig noch in weiter Ferne liegt. 

Die Ansicht des Verfassers im Vorwort, daß er dieses Buch mit einer gewissen Be» 
fangenheit der Fachwelt unterbreitet, kann Referent nicht teilen. Der Stoff ist nach dem 
derzeitigen Stand der jungen Spezialwissenschaft vollkommen erschöpfend besprochen. Bei 
einer Neuauflage könnte lediglich die soziale Zahnhygiene, die außerhalb der Fürsorge» 
gesetze liegt und noch viel zu wünschen übrig läßt, eine eingehendere Wüidigung finden. Das 
ganze Buch durchweht ein sozialer Geist, es wird seinen Zweck, dem Studierenden den 
Weg ins wirtschaftliche Leben zu ebnen, erfüllen. Aber dies nicht allein, auch dem 
älteren Praktiker, der sich bisher leider zu wenig mit dem vorliegenden Stoff beschäftigt 
hat und im Zeichen der Zeit sich neu orientieren muß, wird es ein brauchbares Vade» 
mekum abgeben. Jonas, Breslau. 

Die Lokalanästhesie zur Extraktion der Zähne. Eine Einführung in die zähnärzt» 
liehe Lokalanästhesie für Studierende und Arzte von Dr. O. Müller-Widmann, 
Privatdozent für Zahnheilkunde an der Universität Bein. Mit 55 Abbildungen im 
Text und 2 Tabellen. Zweite Auflage. Emst Bircher Verlag in Bern und Leipzig, 
1921. 

Die im Verlage von Ernst Bircher-Bern in der zweiten Auflage erschienene Arbeit 
unterscheidet sich wenig von der 1. Auflage. Wie der Verfasser im Vorwort der 2. Auf¬ 
lage selbst betont, sind Form und Anordnung des Inhalts gleich geblieben, der Text hat 
einige kleine Änderungen erfahren, und die Zahl der Abbildungen ist um fünf vermehrt 
worden. In besonderen Kapiteln werden das Instrumentarium, die Injektionsflüssigkeit, 
Termmal-Leitungsanästhesie, anatomische Vorbemerkungen und Technik der Injektion be¬ 
sprochen. Als Instrumentarium empfiehlt Verfasser das allgemein übliche, nur mit dem 
Kanülenmaterial kann ich mich nicht einverstanden erklären. Verfasser verwendet die dünne 
Stahlkanüle Nr 17 in kurzer und langer Form, die letztere ist wohl hauptsächlich für 
Unterkieferleitungsanästhesie <zum For. mandibulare) gedacht. Die kurze Kanüle erübrigt 
sich in der Praxis, die lange leistet dasselbe und mehr. Besondere Vorteile bietet sie 
beim Anästhesieren mehrerer nebeneinanderstehender Zähne, die entfernt werden sollen. 
Ich erspare den Patienten mehrere Einstiche, indem ich unter horizontaler Führung der 
Spritze, quer zur Längsachse der Zähne, einsteche und unter ständiger Entleerung der 
Spritze am Knochen entlang gleite. Dieses Verfahren gestattet mir nur die lange Kanüle, 
und zwar labial buccal, palatinal lingual ist es nicht durchführbar. Für die Injektion zum 
Foramen mandibulare sollte stets die Freiensteinkanüle Nr. 1 zu 40 mm Länge verwandt 
werden, das Arbeiten mit dünnen Kanülen <Nr. 17) möchte ich fast als „fahrlässig'' be¬ 
zeichnen. Daß die dünnen Kanülen leicht brechen, gibt Verfasser auf S. 31 selbst zu. 
Sie eignen sich absolut nicht zum Abtasten des Knochens und können nichtnur am Conus, 
sondern an jeder Stelle brechen. Die chirurgische Entfernung solch abgebrochener Kanülen 
gehört zu den schwierigsten Eingriffen. 

Als Injektionsmittel empfiehlt Verfasser neben dem Novokain ein schweizerisches Präparat, 
Atoxikokain, das Präparat ist chemisch identisch mit Novokain. Verfasser glaubt einen 
schnelleren Eintritt der Anästhesie (nach 4—6 Minuten bei einer terminalen Injektion) 
beobachtet zu haben. Mit dem Novokain haben wir m. E. nach genau denselben Erfolg, 
abgesehen davon, daß wir uns den Luxus eines Schweizer Präparats nicht erlauben können. 

25* 


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372 


Buchbesprechungen 


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Ein besonderer Abschnitt ist der „Lokalanästhesie bei entzündetem Gewebe" gewidmet. 
Die Befürchtungen des Verfassers erscheinen mir etwas zu weitgehend. Bei vorsichtiger, 
zirkumskripter Injektion, ohne Drudeanwendung, ist bei den meisten Fällen eine ausreichende 
Anästhesie zu erzielen. Verfasser empfiehlt den Chloräthylstrahl. Ich bin, mit Ausnahme 
der Eröffnung von Abzessen, kein großer Anhänger des Chloräthylspray, im Gegenteil. 
Gewöhnlich nämlich wird durch die intensive Kälte an den Nachbarzähnen mit lebender 
Pulpe ein so starker Schmerz ausgelöst, daß man von einer Schmerzlosigkeit nicht sprechen 
kann. Viel empfehlenswerter ist dann der Chloräthylrausch, der übrigens auch bei der 
Spray-Behandlung viel häufiger eintritt als er vom Arzt bemerkt wird. Warum ich „bei 
fistulösen Zähnen" zu einer Kombination von Injektionsmittel und Chloräthyl (S. 35) 
greifen soll, ist mir unverständlich. Der Satz: „Es ist unnütz, in der Nähe einer Zahn¬ 
fistel eine Injektion zu machen, weil die Flüssigkeit durch die Fistel in den meisten 
Fällen wieder abfließt", kann ich nicht unterschreiben. Man muß es nur vermeiden, in den 
Fistelgang zu injizieren, sondern oberhalb oder seitlich derselben und erzielt ausgezeich¬ 
nete Anästhesie. 

Durch Alveolarpyorrhoe gelockerte Zähne entferne ich lieber ohne jedes anästhetische 
Mittel, als daß ich zum Chlöräthylspray greife. Grad bei der Alveolarpyorrhoe liegen 
die Zahnhälse bloß, und das auf sie wirkende Chloräthyl löst einen heftigeren Schmerz 
aus, als wenn ich auf jedes Mittel verzichte. 

Besonders ausführlich behandelt ist der Teil „Spezielle Technik der Injektionen". Zur 
Illustrierung bringt Verfasser eine größere Anzahl <31> Abbildungen. Sie verteueren das 
an sich recht flüssig geschriebene Werkchen unnütz. Ein großer Teil der Abbildungen ist 
unklar und erzielt das Gegenteil des Beabsichtigten <Fig. 22, 23, 24), teilweise sind sie 
sogar falsch <Fig. 25, 31, 39). 

Die Arbeit hat wohl hauptsächlich in der Schweiz Verbreitung gefunden, wir haben in 
Deutschland ungleich bessere, ich denke besonders an die Arbeit von Sicher. 

Hans Hoenig, Berlin. 

Lehrbuch und Atlas der zahnärztlichen Technik. Von Dr. med. und phil. Gustav 
Preiswerk. Vierte verbesserte und vermehrte Auflage. München 1921. J.F.Lehmanns 
Verlag. Preis gbd. M. 70. — . 

Dieses verbreitete Lehrbuch der zahnärztlichen Technik ist vom Verfasser für die vor¬ 
liegende Neuauflage einer eingehenden Durcharbeitung unterzogen worden, wobei be¬ 
sonders die neuere Gußtechnik die ihr zukommende Aufmerksamkeit gefunden hat. Die 
Berücksichtigung der meisten vorhandenen Arbeitsmethoden ist wieder ein Hauptkennzeichen 
des Buches/ doch wäre es wünschenswert, wenn von allen guten Methoden nur die besten 
dargestellt worden wären. Entsprechend den neuesten theoretischen Forschungen hätten 
die Kapitel über „Sdiwebebrücken", über Inlaybrücken, über festsitzende Brücken mit 
breiten Transversalbügeln und hauptsächlich der Abschnitt über „allgemeine Technik der 
festsitzenden Brücken" einer eingehenden Revision unterzogen werden müssen, ebenso 
hätten die neueren Artikulatoren schon beha ndelt sein müssen. Herstellung und Aus¬ 
stattung des Buches entsprechen den Gepflogenheiten des Verlages und erleichtern dem 
Leser seinen Gebrauch. Hillelsohn, Berlin-Wilmersdorf. 

Zahn- und Mundkrankheiten in ihren B eziehungen zu Organ- und Allgemein- 
erkrankungen. Von Prof. Dr. Albert Albu. Zweite verbesserte Auflage. Leipzig 
1922. Georg Thieme. Preis gbd. M. 39. —. 

Die zweite Auflage hat der Verfasser selbst zwar vorbereitet, doch nicht mehr heraus¬ 
bringen können, da ihn ein zu früher Tod abberufen hat. In pietätvoller Weise haben 
sich die beiden Herausgeber H. Strauß, Berlin, und Erich Becker, Greifswald, der 
Arbeit unterzogen, im Geiste von Albu selb st und noch mehr unter Berücksichtigung der 
Anforderungen für den Zahnarzt das Buch durchzuarbeiten und in einzelnen Abschnitten 
zu erweitern. Bei einer bald wieder zu erhoffenden Neuauflage dürfte auch wohl ein 
kleiner Lapsus im 15. Abschnitte im Zusammenhänge mit Kupfervergiftungen „bei Ver- 



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Buchbesprechungen 373’ 

wcndung unreiner kupferhaltiger Goldplomben" in Wegfall kommen (gemeint ist eine 
niedrigkarätige stark kupferhaltige Goldlegierung für Brückenarbeiten). 

Hilleisohn, Berlin-Wilmersdorf. 

Die Gußfcrone, Beschreibung einer neuen Methode der Herstellung gegossener 
Hohlkronen. Von Dr. Eugen Silbermann. Berlin 1922. Berlinische Verlags¬ 
anstalt. Preis geh. M. 10.50. 

Silbermann modelliert entweder nach einem Abdruck oder im Munde des Patienten 
um einen Kronenring aus 0,3 mm starkem Kupferblech aus Wachs eine Krone, die er in 
einem speziellen Formkasten in Gips bettet. Die so entstandene Gipsform wird durch 
einen leichten Hammerschlag geteilt, so daß die Wachsform der Krone herausfällt oder 
herausgenommen werden kann und ein Hohlraum in beiden Teilen zurückbleibt, dessen 
Wandungen mit 0,3 mm starkem Gußwachs ausgekleidet und nach Wunsch und Bedarf 
an der Kaufläche verstärkt werden können. Nach Wiedervereinigung der beiden Teile 
werden' die Berührungsflächen des Wachses miteinander verbunden, und die so gebildete 
Krone läßt sich leicht aus dem Hohlraum entfernen und ist zum Guß fertig. Die Vor¬ 
züge dieser Krone sind nach dem Verfasser die Formbeständigkeit des Ringes, die Genauig¬ 
keit der Konturierung, die Nahtlosigkeit des Ringes und die gleichmäßig starke Wandung, 
der Wegfall jeder Lötung und die Goldersparnis. 

Diese Vorzüge sind zwar für eine Krone durchaus erstrebenswert, doch möchte ich be¬ 
zweifeln, daß es nicht möglich sein sollte, sie sämtlich, mit Ausnahme der Lötung des 
Ringes, nach einer anderen Methode, wie sie z. B. bei Grawinkel 1 dargestellt ist, zu er¬ 
zielen. Durchaus nicht verständlich ist mir die auch von anderen Seiten geäußerte Not¬ 
wendigkeit eines regelmäßigen Verlötens einer gegossenen Kaufläche mit dem Ring. Nach 
meinen jahrelangen Erfahrungen muß eine Nachlötung einer gegen den Ring gegossenen 
Kaufläche nur vorgenommen werden, wenn der Verdacht eines nicht tadelfrei ausgeführten 
und gelungenen Gusses besteht. Hill eis ohn, Berlin-Wilmersdorf. 

Der Stoffwechsel im Dentin. Von Dr. med. Alfred Rohrer. Berlin 1921. Berlinische 
Verlagsanstalt. 

Die Arbeit behandelt die wichtige Frage, ob in den Hartsubstanzen des Zahnes ein 
Stoffwechsel stattfindet. Verfasser weist in vortrefflichen Erwägungen darauf hin, daß schon 
die klinische Erfahrung von jeher den Schluß nahelegte, daß zum mindesten im Dentin 
ein Stoffwechsel vorhanden sein müsse, wenn auch bisher nicht bekannt ist, in welcher 
Weise derselbe vor sich geht. Immerhin haben aber auch mikroskopische Untersuchungen 
ergeben, daß die Voraussetzungen wohl vorhanden sind. 

Verfasser hat sich nun die Aufgabe gestellt, auch auf chemischem Wege diesen Nach¬ 
weis zu führen. 

Atropinum sulfuricum, in einer künstlichen im Dentin angelegten Kavität von ver¬ 
schieden altrigen Katzen, wird in minimalen Mengen absorbiert und kann im Urin nach einer 
gewissen Zeit — bei jungen Katzen früher, bei älteren später — nachgewiesen werden. 
Mit zunehmendem Alter erfolgt eine Abnahme der Absorptionsfähigkeit, also auch des Stoff¬ 
wechsels, was ebenfalls mit den klinischen Erfahrungen auch bei den Zähnen des Menschen 
gut übereinstimmt. Die Absorption hält einige Wochen an, um dann allmählich wieder 
zu verschwinden. 

Die Atropinversuche wurden dann durch Einlage eines Farbstoffes, des Dunkelrots, nach¬ 
geprüft. Auch diese Versuche fielen positiv aus. Sie ergaben, daß Spuren des im Dentin 
eingelegten trockenen Farbstoffes durch das Dentin hindurch in die Pulpa transportiert 
worden waren. 

Auch diese wichtigen Untersuchungen beweisen nur das, was von einsichtigen Forschern 
schon längst als selbstverständlich angenommen war, daß der Zahn auch in der Ge¬ 
brauchsperiode kein totes Gebilde darstellt, sondern an dem GesamtstofTwechsel teilnimmt. 
Das gilt nicht nur für das Dentin, sondern, wie auch Verfasser sehr richtig annimmt, auch 

1 C. J. Grawinkel, Die Technik des Goldgusses. Berlin 1921 bei Hermann Meusser. 


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für den Schmelz, wie dieses auch von Gottlieb, dessen Arbeiten übrigens gar nicht er¬ 
wähnt sind, bereits nach gewiesen ist. Adloff. 

Über Wachstum und Verbildung des Kiefers und der Nasenscheidewand. Von 
San.-Rat Dr. Gustav Franke, Berlin. Mit zwanzig Tafeln und vier Abb. im Text. 
Leipzig 1921. Verlag von Curt K abitzsch. Ladenpreis brosch. M. 60.—, gbd. 75.—. 

Das vorliegende Buch ist auf Grund vergleichender Kiefermessungen und experimen¬ 
teller Untersuchungen über Knochenwachstum entstanden. Ist dasselbe zunächst auch für 
Rhinologen gedacht, so liegt es auf der Hand, daß auch die Zahnärzte nicht achtlos an 
dem für sie so wichtigen Gegenstände vorübergehen dürfen. Ist doch das Wachstum und 
die Verbildung des Gesichtsskelettes seit langem ein Gebiet, auf dem sich die Zahnärzte 
gemeinsam mit den Rhinologen betätigt haben. Ich erinnere nur an die Beziehungen des 
hohen Gaumens zu den Irregularitäten des Gebisses und der Deviation des Nasenseptums. 
Der Verfasser weist in seiner Einleitung selbst darauf hin, daß diese Formabweichungen 
bald auf entwicklungsgeschichtliche, aber noch unbekannte Wachstumsvorgänge, bald auf 
positiv bestimmte Druckwirkungen, bald auf pathologischen Veränderungen der Knochen¬ 
substanz zurückgeführt werden. Dabei wurde auch dem Durchbruch der Zähne, dem Wechsel 
derselben und gewisser Anomalien ein formbestimmender Einfluß zugeschrieben, wie man 
auch andererseits die Zähne oft als geeigneten Ausgangspunkt für vergleichende Kiefer¬ 
messungen wählte. 

Da nun ein Teil der Forscher die Kiefer Verbildungen am häufigsten in Verbindung mit 
Gebißanomalien, ein anderer Teil bei Mundatmem, Taubstummen und Idioten vorfand, da 
ferner die Untersuchungen teils an Lebenden, teils an Schädeln (häufig Defekten) vorge¬ 
nommen wurden, so ist das Urteil über die Entstehung derselben verschieden, ja man 
kann sagen, von Zufälligkeiten abhängig ausgefallen. 

Der Verfasser behauptet nun, daß alle Theorien, die die Ursache der Verbildungen in 
irgendwelchen mechanischen Einwirkungen gesucht haben, von der irrigen Voraussetzung 
ausgegangen seien, daß die Septumknickungen als wirklich stattgefunden angenommen 
werden, weil es so ausslhe, als seien sie durch Zusammenpressung aus einer Normalfbrm 
entstanden. Dieser vorgefaßten Meinung sei dadurch noch Vorschub geleistet, daß die 
Ausdrücke „Verbiegung", „Knickung" und ähnliche bereits einen Vorgang bedeuten, für 
die es richtiger sei, deskriptive Ausdrücke, wie Schmalheit, Winkelform usw., zu wählen. 

Da es sich hierbei um anatomische und pathologische Unrichtigkeiten handle, so hat der 
Verfasser, trotzdem manche der bisher aufgestellten Theorien allgemeine Anerkennung ge¬ 
funden haben, da andererseits manche gegebenen Widerlegungen wichtige wissenschaftliche 
Grundlagen vermissen lassen, die in Frage stehenden Hypothesen in seinem vorliegenden 
Werke in umfassender Weise unter Beibringung eines vielseitigen Tatsachenmaterials kritisch 
beleuchtet und glaubt besser beweiskräftige Erklärungen als bisher beigebracht zu haben. 

Das verarbeitete Material aus laryngologischen Kliniken, von anatomischen Präparaten, 
Gebißabgüssen usw. ist sehr reichhaltig und verschiedenartig. „Da einige Hypothesen über 
die Ursachen der Deformitäten der Kiefer und der Nasenscheidewände auf der Annahme 
beruhen, daß bei habitueller Mundatmung auch eine abnorme Druckrichtung und Druck¬ 
wirkung seitens der Kaumuskulatur, des herabhängenden Unterkiefers oder der Atmungs¬ 
luft auf den Oberkiefer und das Nasengerüst stattfinde", so hat der Verfasser sich mit 
den Grundlagen des Knochenwachstumes theoretisch und experimentell näher befaßt, wo¬ 
durch er dem Prinzip des funktionellen Knochenwachstums nähergetreten ist und dadurch 
dieser Theorie neue Gesichtspunkte hinzu gefügt hat, „deren Wesen und Bedeutung be¬ 
sonders für die Entstehung der ersten ,Knochenkerne' und für das Längerwachstum 
des Knochens bisher nicht beachtet ist". 

Im ersten Teil des äußerst lehrreichen Buches werden Wachstum und Entwicklung des 
normalen Kiefers und Gaumens behandelt. Es werden besprochen Kiefermessungen im 
allgemeinen, das normale Wachstum der Kiefer und des Gaumens und der Einfluß der 
Zähne auf die Kieferentwicklung. 

Für die Maßbestimmungen der Zahnreihen bedient sich der Verfasser einer Anzahl von 
Strecken und Hilfslinien, die für die zahnärztliche Literatur zum Teil nicht als unbekannt 



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375 


gelten können, immerhin aber in ihrer Gesamtheit und durch die gegenseitigen Beziehungen 
beider Kiefer zueinander neue Gesichtspunkte bieten. Die gewonnenen - Resultate haben 
mich keineswegs befriedigt. Ich glaube vielmehr, daß auch Franke noch Irrtumer unter¬ 
laufen sind, die dadurch entstanden sind, daß er seinen Messungen als Mittelpunkt ge¬ 
wissermaßen den ersten Molaren zugrunde legt, wobei nicht festgestellt wird, um wieviel 
sich die Kiefergerüste nach distal von diesem Punkte verändern. Trotzdem ergeben sich 
eine Fülle neuer Tatsachen, die gerade uns Zahnärzten zu denken geben sollte. Unter 
anderen kommt der Verfasser auch zu der Schlußfolgerung, daß beim Vergleich die nor¬ 
malen Kiefer mit den sogenannten Kieferdeformitäten gleichen Alters bei engen Oberkiefern 
die Entwicklung der Alveolarbogenreihe etwas hinter den Normalgrößen zurückbleibt, daß 
aber ferner der Gaumenhochstand eine Folge vom mangelhaften Gaumenwachstum 
ist, und daß das abnorme Vorstehen des Oberkiefers zum Teil auf dem Vordrängen 
der raumbeengten Schneide- und Eckzähne, hauptsächlich aber auf einer gleichzeitigen Ent¬ 
wicklungsverlangsamung bezüglich des Längenwachstumes beruht. „Aber auch die Defor¬ 
mationen der Nasenscheidewand lassen sich auf einen Entwicklungsmangel des Vomers 
und des Oberkiefers zurückführen, indem die Wachstumszunahme derselben nicht gleichen 
Schritt mit der des Knorpelseptums innehält, wofür wiederum die innere Ursache in der 
Verschiedenartigkeit der embryonalen Anlage zu suchen ist. 

Die nun folgende Schilderung der besonderen Wachstumsverhältnisse der Kiefer und des 
Gaumens weisen viele reizvolle Einzelheiten auf, bezüglich derer auf die Abhandlung selbst 
verwiesen sei. Hier will ich nur das Ergebnis feststellen, daß die Entwicklung der Dauer¬ 
zähne keinen erweiternden Einfluß auf das Breitenwachstum der Kiefer auszuüben im¬ 
stande ist, wie vielfach behauptet ist. Aber auch die Längenentwicklung der Kiefer der 
dorsalen Richtung soll nichts mit einer absoluten Abhängigkeit gegenüber der Zahnent¬ 
wicklung zu tun haben, wenn auch ein gewisser Einfluß, aber nur im Rahmen des er¬ 
erbten Wachstumsreizes, als selbstverständlich gelten muß. Die Möglichkeit einer ungleich¬ 
mäßigen Entwicklung ist auch hier embryologisch begründet, indem das Blastem des 
Knochens aus dem mittleren Keimblatt, der Hauptanteil der Zähne aus dem Ektoderm 
sich entwickelt. 

Im zweiten Teil werden die oben bereits angedeuteten Wachstumsverhältnisse des de¬ 
formen Kiefers, Gaumens und Septums näher behandelt. Gerade diese Abschnitte sind 
für die Ursache der Anomalien von größter Wichtigkeit für die Odontorthopäden und 
sehr lehrreich. Im allgemeinen ist das Ergebnis erzielt, daß infolge Platzmangel entweder 
eine unregelmäßige Zahnstellung oder eine abnorme Vorbildung des Alveolarfortsatzes 
stattfindet. 

Eine große Rolle spielt auch der Zwischenkiefer, dessen schwankende und zur Kopf¬ 
größe oft nicht proportionale Größe manche Kieferanomalien bedingen. So soll durch 2u 
geringe senkrechte Entwicklung sich der sogenannte „offene Biß" ausbilden können. 

Das Kapitel über normale und deforme Nasenscheiden wände interessiert vielleicht mehr 
den Rhinologen, ist aber dennoch geeignet, auch Schlaglichter auf die Entstehung der Gebiß- 
irregularitäten zu werfen. 

Der dritte Hauptteil bringt uns schließlich die Theorien über Septum- und Kieferver¬ 
bildungen, wobei die Beziehung des Hirschschädels zum Wachstum des Kiefers, des Ge¬ 
hirns zu den Verbildungen des Kiefers, der Rachitis zu den Kieferdeformitäten, Mund¬ 
atmung und Kieferverbildung, Nasenatmung und Kieferentwicklung ausführlich erörtert 
werden. Viele zahnärztliche Schriftsteller werden nach der Lektüre dieser durch Experimente 
belegten Ausführungen ihre Ansichten einer gründlichen Revision unterziehen müssen. 

Im Schlußteil <IV) wird die Lehre vom Knochenwachstum und .dl« Kiefergestaltung in 
völlig moderner Weise behandelt und ist ebenfalls geeignet, manche zahnärztlichen An¬ 
schauungen über den Haufen 2U werfen. 

Es ist dringend zu wünschen, daß das vorliegende Buch einem eingehenden Studium 
durch uns Zahnärzte unterworfen wird, damit sich nicht veraltete oder grundlos aufge¬ 
stellte Theorien zum Nachteil für das Ansehen unseres wissenschaftlichen Arbeitens endlos 
forterben. Greve, Erlangen. 


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ZEITSCHRIFTENSCHAU 

Alveolarpyorrhoe als Folgeerscheinung von Allgemeinerkrankungen, insbesondere 
solchen rheumatischer Natur. Von Dr. Betty Rosenthal (Wiesbaden). Aus der 
Inneren Abteilung des Städtischen Krankenhauses zu Wiesbaden. Arztl. Direktor: 
Prof. Dr. W. Weintraud. Zahnärztliche Rundschau. Jahrg. 1921, Nr. 39—41. 

Bei allen Patienten, die wegen Alveolarpyorrhoe bei der Verfasserin behandelt wurden, 
war irgendein inneres Leiden vorhanden gewesen, oder sie ging als erstes sichtbares 
Zeichen der inneren Erkrankung voraus. Meist aber waren es chronische Leiden, z. B. 
Gelenkrheumatismus, Ischias usw. Der Erfolg der lokalen Behandlung war immer abhängig 
von der Besserung des Allgemeinbefindens. Diese ihre Beobachtungen bestätigten sich 
durch die Untersuchungen, die R. von November 1919 bis April 1920 in der inneren 
Abteilung des Städtischen Krankenhauses und der Gemeindebadeabteilung des Bade* 
hauses Schützendorf vorgenommen hatte. Ihre früheren Beobachtungen fand sie hier voll* 
auf bestätigt. Die Autorin faßt ihre klinischen Ergebnisse wie folgt zusammen: Die 
Alveolarpyorrhoe beginnt mit 

1. einer Hyperämie und Hypertrophie der Interdentalpapillen. 

2. Auch die Gingiva wird meist von der Erkrankung ergriffen, was in einer Hyperämie 
und Lockerung zum Ausdruck kommt. 

3. Es kommt zur Exsudation aus den Papillen oder im weiteren Verlaufe aus der sich 
durch Loslösung des Ligamentum circulare gebildeten Taschen. 

4. Die mikroskopische Untersuchung des Exsudats ergibt keinen spezifischen Erreger. 

5. Der sich bei vielen Alveolarpyorrhoe^Kranken vorfindende weiche Belag ergab bei 
mikroskopischer Untersuchung Netz* und Wabenstruktur. 

6. Das Vorkommen von Alveolarpyorrhoe ohne Zahnstein beweist, daß nicht Zahn* 
stein die Ursache von Alveolarpyorrhoe sein kann. 

7. Die Genese des Zahnsteins auf kolloidaler Basis beweist, daß sich Zahnstein als 
Folgeerscheinung von Alveolarpyorrhoe bilden kann. 

8. Alveolarpyorrhoe tritt unabhängig von den lokalen Mundverhältnissen auf. 

9. Die Rhodanaussscheidung wird nicht durch Alveolarpyorrhoe, sondern durch das be* 
stehende innere Leiden beeinflußt. 

10. Subjektive Empfindungen werden durch Alveolarpyorrhoe nicht ausgelöst. 

11. Alveolarpyorrhoe findet sich bei solchen inneren Erkrankungen, welche die Blut* 
Zirkulation und die Ernährung der Gewebe beeinflussen, und die im allgemeinen 
auf Konstitutionsanomalien zurückzuführen sind. 

12. Der Verlauf der Alveolarpyorrhoe verhielt sich proportional zu dem jeweiligen 
Befinden des Patienten. 

Ein Fall von Sporotrichose. Von Dr. A. Geiger. Aus der Hautabteilung des 
Städtischen Krankenhauses Karlsruhe (Gen.-Oberarzt a. D. Dr. v. Petzold). Deutsche 
Medizinische Wochenschrift Nr. 45. 1921. 

Die Sporotrichose gehört zu den erst kürzlich bekannt gewordenen Hauterkrankungen. 
Ihr Vorkommen ist, wie uns ein Blick in die Lehrbücher zeigt, in Deutschland selten,- 
häufiger wird sie in Frankreich beobachtet. Französischen Autoren, besonders de Beur* 



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Zeitschriftenschau 


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mann und Gougerot, verdanken wir ihre eingehende Erforschung und genaue Dar- 
Stellung. Verursacht wird die Sporotrichose durch Fadenpilze, Sporotricha, am häufigsten 
durch das Sporotrichon Beurmanni. Ihre Eintrittspforte in den menschlichen Körper bilden 
teils bestehende Wunden, teils sind sie unbekannt, und es wird der Verdauungstraktus 
als solche vermutet 1 . Die verursachten Hautveränderungen sind äußerst mannigfach. Be* 
sonders charakteristisch für die Sporotrichose ist die Bildung von indolenten Knoten, die 
erweichen, sich in indolente gummöse Ulzera umwandeln und durch derbe Lymphstränge 
untereinander verbunden sind. Das Krankheitsbild erinnert in mancherlei Beziehung nament- 
lieh an Lues und Tuberkulose. Oft können wir die Eintrittspforte der Sporotrichose als 
„sporotridiotischen Schanker 7 ' nachweisen. In solchen Fällen pflegt die Erkrankung auf 
das zugehörige Lymphgebiet beschränkt zu bleiben, doch sind auch disseminierte Fälle be¬ 
kannt geworden. Das ganze Bild des vom Autor beschriebenen Falles ist das einer 
Lymphangitis sporotrichotica gummosa. Als Eintrittspforte der Erreger sehen wir zwei 
Quetschwunden, von denen aus die regionäre lymphogene Ausbreitung des Krankheits¬ 
virus erfolgte, was zur Bildung der Knoten und infolge deren Erweichung zu den be¬ 
schriebenen Ulzera führte. Die Ulzera der Hand waren wie gesagt nac^ zwei- bis drei¬ 
monatiger Röntgenbestrahlung und unter lokalen feuchten Verbänden abgeheilt. Bei den 
Ulzera des Ober- und Unterarmes wurden nach Wiederübemahme des Patienten die von 
Beurmann angegebene Therapie, lokal Umschläge mit Jod-Jodkalilösung und ifitem 
3 bis 4 g Jodkali pro die, angewandt. Auf diese Therapie hin setzte alsbald die Rück¬ 
bildung der Erscheinungen, Reinigung der Wunden, Kräftigung der Granulationen und 
Verkleinerung ein. Zilz, Wien. 

Yatren als spezifisches Mittel zur Behandlung der Aktinomykose. Von E. Ober¬ 
länder und Prof. W. Pfeiler. Mitteilungen der Tierseuchenstelle der Thüringischen 
Landesanstalt für Vieh Versicherung. Jena, September 1921, 1. Jahrg. Nr. 11/12. 

Die Aktinomykose des Menschen und der Haustiere (Rind, Schwein) wird in vielen 
Fällen rein chirurgisch bzw. lokal (u. a. Atz-, Arsen-Therapie) behandelt. Daneben spielt 
die innerliche Verabfolgung von Jodkalium, Jodipin und anderen Jodpräparaten eine be¬ 
deutende Rolle. Bei 131 und 185 innerlich mit Jod behandelten Rindern konnte u. a. durch 
eine in den Vereinigten Staaten eingesetzte Kommission vollständige Heilung konstatiert 
werden. Jodpräparate haben sich auch bei anderen Applikationsarten (Injektion, lokaler 
Bepinselung) • ausgezeichnet bewährt. Möglicherweise wirkt Jod in der bisherigen Form 
der Anwendung aber nur auf gewisse Aktinomyzesarten, was das Ausbleiben der Heil¬ 
wirkung in manchen Fällen erklären würde. Die Erscheinungen des Jodismus (Nasen- 
und Bindehautkatarrh, Hautausschläge, Haarausfall, Kopfschmerzen, Abmagerung) bei den 
bekannteren Jodpräparaten sind eine weitere unangenehme Beigabe bei der Behandlung. 
Bei Herzkranken verbietet sich die Anwendung des Jodkaliums. Es wird hier durch Jod¬ 
natrium ersetzt. Die Bedeutung weiterer therapeutischer Versuche lag daher auf der Hand, 
auch mit Rücksicht auf das Vorkommen der Krankheit beim Menschen. In der Veterinär¬ 
anstalt sind seit längerer Zeit Versuche im Gange, die therapeutischen und andere Wir¬ 
kungen des yatrens festzustellen. Das yatren ist ein vom Westlaboratorium, Ham¬ 
burg-Billbrook, in den Handel gebrachtes Präparat, das aus der yatrensäure, einer Jod-, 
Oxychinolin-, Sulfosäure besteht. Es ist ein leichtes lockeres, gelbliches Pulver, das neuer¬ 
dings im kristallinischen Zustande geliefert wird. Es schmeckt eigentümlich, ganz leicht 
adstringierend, leicht bittersalzig mit süßlichem Nachgeschmack. Das Präparat stellt sich 
wissenschaftlich als ein Parajodorthosulfooxycyclohexatriepyridin dar. Zur Erreichung de 
Neutralpunktes ist ihm Natrium bicarbonicum zugesetzt. Die Säurewirkung wird dadurch 
beseitigt, die Löslichkeit soll gefördert werden. Das yatren ist in Wasser löslich. In 
stärkeren Konzentrationen löst es sich nicht vollständig (z. B. bei 5%), es entsteht eine 
grobgekörnte, trübe Aufschwemmung, die erst beim Erwärmen unter Aufbrausen voll¬ 
ständig gelöst wird und gelöst bleibt, yatren ist nach dem Angeführten ein organisches 
Jodpräparat. Es kann als eine wasserlösliche Jodoformkomponente aufgefaßt werden. Es 

1 Zilz: „Aktinomykose und Sporotrichose der Mundhöhle". Verlag Thieme, Leipzig 1913> 


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Zeitschriftenschau 


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ist zwar nicht vollkommen geruchfrei, doch so gut wie geruchlos. Beim Erwärmen macht 
sich ein deutlicher, angenehmer Chinolingeruch bemerkbar, der audr dem Präparat in ganz 
leichtem Maße anhaftet, aber nur zu spüren ist, wenn das Präparat unmittelbar unter die 
Nase gehalten wird. Es spaltet kein Jod ab, sondern wirkt medizinisch als Komplex* 
körper. Erst bei 223 °C wird Jod frei. Es ist so gut wie unzersetzlich. Wärme und 
Kälte, sowie langes Liegen verändern das Präparat nicht. Nach der Aufnahme von yatren 
werden keine Vergiftungserscheinungen, auch nicht die des Jodismus beobachtet, selbst 
nicht bei sehr großen intravenösen Gaben. Eine kumulative Wirkung tritt praktisch so 
gut wie nie oder erst bei maximalen Gaben, die dauernd wiederholt werden müssen, ein. 
Per os gegeben erscheint es bereits nach 16 Minuten unzersetzt im Harn, yatren schädigt 
die Normalkörperzellen in den therapeutisch gebräuchlichen Dosen nicht. Es kann per os, 
subkutan, intravenös, intramuskulär, intraperitoneal ohne jede Gefahr auch in größeren 
Mengen gegeben werden. Auf rote Blutkörperchen wirkt es nicht hämolytisch, auch 
nicht bei länger fortgesetzten größeren Gaben. Die phagozytäre Kraft der Leukozyten 
wird nicht geschädigt, scheint im Gegenteil angeregt zu werden. Die Bildung von 
agglutinierenden^ Substanzen wird nicht gestört, yatren scheint sogar auf die Bildung 
von Schutzstoffen anregend zu wirken. 

In vitro hat es eine bakterizide, vor allem aber eine bakterienhemmende Wirkung. Für 
•die Behandlung bestimmter Prozesse hat sich die Kombination mit Kasein besonders be* 
währt, und zwar überall da, wo eine Protoplasma-Aktivierung im Sinne Weichardts 
oder eine Schwellenreizwirkung im Sinne von Zimmer angestrebt wird. Die Fabrik gibt 
diese Kombination als yatren schwach bzw. stark ab. Es soll sich empfehlen, bei akuten 
Prozessen yatren stark, bei chronischen yatren schwach zu geben, um so starke bzw. 
schwache Reize zu setzen. Das yatren wird in Pulverform (purissimum), in Pillen, als 
Puder, als yatren-Wundpuder, in der schon erwähnten Kombination mit Kasein, als 
yatren-Gaze, in Tampons und endlich als yatren-Noflfke-Stäbchen abgegeben. Es wird 
demnächst auch als yatrengelatine und Salbe (Pfeiler) Verwendung finden. 

Die granulationsanregende, austrodcnende Wirkung des yatrens ist eine große. Es 
kann in stärkster Konzentration, selbst als reines Pulver auf Wunden gebracht werden- 
Das yatren ist bei der Aktinomykose zunächst in Vorversuchen angewandt worden. In 
vier Fällen, in denen von vornherein größere Mengen yatren verabfolgt wurden, trat 
eine rasche und auffällige Besserung bzw. Heilung ein. 

Diese Versuche lassen es berechtigt erscheinen anzunehmen, daß wir im yatren mit 
seiner Schwellenreizwirkung und seinen protoplasma-aktivierenden Eigenschaften ein Prä¬ 
parat in der Hand haben, dessen jodhaltige, auch intravenös gut vertragene Komponente 
bei der Behandlung der Aktinomykose des Menschen und der Tiere eine besondere Rolle 
zu spielen, berufen sein wird. Die Unschädlichkeit des Präparates gibt die Möglichkeit, 
relativ große Gaben zu verabfolgen, ohne daß Erscheinungen des Jodismus auftreten. 

Zilz, Wien. 



Original fro-m 

UN1VERSITY OF MINNESOTA 



PERSONALVERZEICHNIS 

DER 

ZAHNÄRZTLICHEN UNIVERSITÄTSINSTITUTE 

. 1. Friedrich=Wilhelms*Universität in Berlin 

Zahnärztliches Institut, Invalidenstraße 87—89 

Geschäftsführender Direktor: Prof. Dr. med. et med. dent. h. c. Williger, General¬ 
oberarzt a. D. 

Direktor der chirurgischen Abteilung: Derselbe. 

Oberassistent: Dr. phil. et med. dent. Hoenig. 

Assistenten: Dr. Sperber/ Dr. Lentz. 

Direktor der technischen Abteilung: Prof. Dr. med., Dr. phil. et med. dent. h. c. Schröder. 
Oberassistenten: Zahnarzt Lipschitz,* Dr. med. dent. h. c. Kunzendorf. 
Assistenten: Dr. Bennstein/ Dr. Burke/ Dr. Ehricke/ Dr. Ernst/ Dr. Jaffke/ 
Dr. Kaehne,- Dr. Kröger/ Dr. Linke/ Dr. Paetsch/ Dr. Schache: Dr. med. 
Schlungbaum. 

Direktor der Abteilung für konservierende Zahnheilkunde: Prof. Dr. med. et med. dent. 
h. c. Dieck. 

Oberassistenten: Prof. Dr. Mamlok/ Dr. phil. Schweitzer. 

Assistenten: Dr. Geyer/ Zahnarzt Gousmet/ Dr. Maagard/ Dr. H. Mayer,- 
Zahnarzt M. L. M eyer/ Zahnarzt Süsskind/ Dr. Trapp/ Dr. Wenzel/Dr. Winther. 

2. Rheinische Friedrich-Wilhelms^Universität in Bonn 

Zahnärztliches Institut, Römerplatz 14 

Direktor des Zahnärztlichen Universitäts-Instituts: Arzt und Zahnarzt Prof. Dr. med. 
Kantorowicz. 

Oberassistent und Hilfslehrer: Zahnarzt Dr. Hofrath. 

Assistenten I.: Zahnarzt Dr. med. dent. Balters/ II.: Zahnarzt Dr. Korkhaus,■ 
III.. Zahnarzt Dr. Breitenbach/ IV.: Zahnarzt Dr. Watrain/ V.: Zahnarzt 
Dr. Düringer. 

Als Volontäre beschäftigt VII: Zahnarzt Berkenbosch/ VIIL Zahnärztin Frau 
Dr. Lautenschläger/ IX: Zahnarzt Müller. 

3. Universität in Breslau 

Zahnärztliches Institut, Burgfeld 17/19 

Direktor: Geh. Med.-Rat Prof. Dr. med. Partsch. 

Leiter der chirurgischen Abteilung: Derselbe. 

Leiter der technischen Abteilung: a. o. Prof. Dr. Riegner. 

Leiter der konservierenden Abteilung: a. o. Prof. Dr. Bruck. 

Assistenten in der chirurgischen Abteilung: Zahnarzt Dr. Eisner und Zahnarzt Netter. 
Assistenten in der Füllabteilung: Arzt und Zahnarzt Dr. Brasch/ Zahnarzt Weidlich. 


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380 


Personalverzeichnis 


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Assistenten in der technischen Abteilung: Zahnarzt Dr. med. dent. Kliegel/ Zahnarzt 
Dr. med. dent. Renner/ Zahnarzt Landau. 

Außerdem ist in der konservierenden Abteilung Zahnarzt Neumann als Hilfslehrer tätig. 
Die Hilfslehrerstelle der technischen Abteilung ist zur Zeit frei. 

4. Friedrich-*Alexander~Universität in Erlangen 
Zahnärztliches Institut, Turnstraße 5 
Direktor: Prof. Dr. med. et med. dent. Rein mol (er. 

Leiter der chirurgischen Abteilung: Derselbe. 

I. Assistent: Dr. med. et med. dent. Hauenstein. 

II. Assistent: Dr. med. dent. Huber. 

Freiwillige Assistenten: Dr. med. dent. St igle r/ Dr. med. dent. Herzog. 

Leiter der Füllabteilung: Prof. Dr. med. dent. et phil. Greve. 

Assistent: Dr. med. dent. Han ft. 

Freiwillige Assistenten: Dr. med. dent. Huhn/ Dr. med. dent. Herzog/ Dr. med. dent. 
Stigler. 

Leiter der Abteilung für Zahnersatz und zahnärztliche Orthopädie: Privatdozent 
Dr. med. dent. Wustrow. 

Assistent: Dr. med. dent. Schell. 

Freiwilliger Assistent: Dr. med. dent. Weinberger. 

5. Universität in Frankfurt a. M. 

Zahnärztliches Universitäts-Institut. 

Leiter: Prof. Dr. med. Loos. 

Leiter der chirurgischen Abteilung: Derselbe. 

Assistent: Dr. med. Ta egen. 

Leiter der konservierenden Abteilung: Privatdozent Prof. Dr. med. Feiler. 

Assistent: Zahnarzt Gebhardt. 

Leiter der technischen Abteilung: Privatdozent Prof. Dr. med. dent. h. c. Fritsch. 
Assistent: Dr. med. dent. Grub er. 

Leiter des wissenschaftlichen Laboratoriums und Abteilung Orthodontie: Privatdozent 
Dr. med. et phil. Kranz. 

Freiwillige Assistenten: Dr. med. dent. Win ekler: Dr. med. Köhler. 

6. Albert^Ludwigs-Universität in Freiburg i. Br. 
Zahnärztliches Institut, Rheinstraße 18 
Direktor: Prof. Dr. med. et med. dent. h. c. Herrenknecht. 

Assistenten: Privatdozent Dr. med. et med dent. Adrion/ Dr. med. dent. Gör res: 
Dr. med. dent. Abele/ Dr. med. et med. dent. Weber/ Dr. med. dent. Linder/ Zahn¬ 
arzt Wannenmacher/ Zahnarzt S chuppert. 

7. Georg~August*Universität in Göttingen 
Zahnärztliches Institut, Bürgerstraße 40 
Direktor: Prof. Dr. med. et med. dent. h. c. Euler. 

Leiter der klinischen und technischen Abteilung: Derselbe. 

Leiter der konservierenden Abteilung: Hilfslehrer für Zahnheilkunde Dr. med. dent. Rebel. 
Assistenten: Zahnarzt und Arzt Dr. Bielitz/ Zahnarzt Dr. med. dent. Meyer/ 
Zahnarzt Wagner. 

Volontärassistent: Zahnarzt Jünemann. 

8. Universität in Greifswald 
Zahnärztliches Institut, Hunnenstraße 1 
Leiter: Prof. Dr. Becker. 

Assistenten I.: Dr. Gottschalk/ II.: Hilfslehrer Dr. Greve/ III.: Dr. Plötz/ IV.: 
Schulzahnarzt Dr. Krull. 


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Personalverzeichnis 


381 


9. Vereinigte Friedrichs^Universität in Halie-Wittenberg 

Zahnärztliches Institut, Domplatz 1 

Direktor: Geh. San.-Rat Prof. Dr. med. et med. dent. h. c. Koerner. 
Wissenschaftlicher Hilfslehrer der Zahnheilkunde: Dr. med. dent. Großkopff. 
Assistenten der technischen und orthodontischen Abteilung: Dr. med. dent. Weise/ 
Dr. med. dent. Wichmann/ Dr. med. dent. H. Heinroth. 

Assistenten der Föllabteilung: Dr. med. dent. Waltsgott/ Dr. med. dent. Schaaf. 
Volontärassistent: Dr. med. dent. O. Heinroth. 

10. Universität in Hamburg 
Zahnärztliches Universitäts-Institut 
Direktor: Chirurgie: a.o. Prof. Dr. med. dent. et phil. Fischer. 

Klinische Technik: Privatdozent Dr. phil. Grawinkel. 

Konservierende Zahnheilkunde: Privatdozent Dr. med. Roh rer. 

Vorklinische Technik: Privatdozent Dr. med. dent et phil. Fabian. 

Pathologie und Bakteriologie: Privatdozent Dr. med. dent. Türk heim. 

Orthodontie-Abteilungs-Leiter: Dr. med. Kadner. 

Assistenten: Dr. von Freeden: Frl. Dr. Meyer/ Dr. Bleidorn. 

Demonstratoren: Zahnärzte Birgfeld/ Dr. Floris/ Dr. Lehne/ Dr. Philipp und 
Roloff. 

11. Rupprecht-Karls-'Universität in Heidelberg 
Zahnärztliches Institut, Bergheimerstraße 22 
Direktor: Prof. Dr. med. et. med. dent. Blessing. 

Assistenten: Dr. Weißenfels/Dr. Öhrlein/Dr. Portmann/Dr. Ekert/ Dr. Lorber,- 
Dr. Körte/ Dr. Drum. 

12. Universität in Jena 

Zahnärztliche Poliklinik, Bachstraße 18. 

Direktor: Prof. Dr. med. G. Hesse. 

Assistenten I.: Dr. W. Gennert: II.: Zahnarzt Goedde. 

Volontärassistent: Dr. Schmidt. 

Leiter der technischen Abteilung: Prof. Dr. phil. et med. dent. Klughardt. 

Assistent: Dr. Kretz. 

Volontärassistent: Dr. Pott. 

13. Christian-Albrechts-Universität in Kiel 

Zahnärztliches Institut, Dahlmannstraße 6 
Direktor: Prof. Dr. med. et chir. A. Hentze. 

Leiter der chirurgischen Abteilung: Derselbe. 

Oberarzt: Dr. med. dent. Thoring. 

Abteilungsvorsteher zugleich Direktor der Zahnklinik der Ortskrankenkasse: Dr. med. 
David. 

Assistent: Dr. med. dent. Beyer. 

Wissenschaftlicher Assistent: Dr. med. dent. Hensel. 

Leiter der orthodontischen Abteilung: Dr. med. dent. Hinrichsen. 

Assistenten: Dr. med. dent. Niemand/ Zahnarzt Carstensen/ Frl. cand. med. dent. 
Becker. 

14. Universität in Köln 

Zahnärztliches Institut, Mohrenstraße 6 
Direktor: Prof. Dr. med. et med. dent. Zilkens. 


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382 


Personalverzeichnis 


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15. Albertus-Universität in Königsberg i. Pr. 
Zahnärztliches Institut 
Direktor: Prof. Dr. phil. et med. dent. h. c. Adloff. 

Hilfslehrer: Vacat. 

Assistenten L: Arzt und Zahnarzt Dr. med. Precht/ II.: Dr. med. dent. Korth/ 
III.: Dr. med. dent. Peelz/ IV.: Zahnarzt Voigt. 

Volontärassistent: Zahnarzt Eickenberg. 

16. Universität in Leipzig 
Zahnärztliches Institut, Nürnberger Straße 57 
Direktoren: Prof. Dr. med. et med. dent. Römer/ Prof. Dr. med. dent. Hofrat W. Pfaff. 
Leiter der operativen Abteilung: Prof. Dr. med. et med. dent. Römer. 

Leiter der technischen und orthodonten Abteilung: Prof. Dr. med. dent. Hofrat W. Pfaff. 
Operative Abteilung: Privatdozent, Arzt und Zahnarzt, Oberarzt Dr. mecL Hille. 
Assistent: Dr. med. Hönger. 

Konservierende Abteilung Assistenten: Dr. med. dent. Busch/ Dr. med. dent. Eich¬ 
horn/ Dr. med. dent. Petry/ Dr. med. dent. Lindner/ Dr. med. dent. Geißler. 

Technische und orthodontische Abteilung: Oberassistent Dr. med. dent. jonas/ 
Assistenten: Zahnarzt Dr. med. dent. Kleeberg/ Zahnarzt Dr. med. Kyber/ Zahnarzt 
Dr. med. dent. Georgi/ Zahnarzt Dr. med. dent. Sperling/ Zahnarzt Schulze,- 
Zahnarzt Neuhäuser/ Zahnarzt Dallach. 

17. Philipps=Universität in Marburg 

Zahnärtliches Institut 

Ketzerbach: Abteilung A Poliklinik für Zahn- und Mundkrankheiten. 

Renthof Nr. 6: Abteilung B für Zahnerhaltung. 

Abteilung C für Zahnersatz. 

Direktor: ordentl. Professor der Zahnheilkunde Dr. med. dent. h. c. Seidel. 
Hilfslehrer: Dr. med. dent. Wagner. 

Assistenten: Dr. med. dent. Schwarzschulz/ Dr. med. Hafner/ Dr. med. dent. 
Fliege/ Dr. med. dent. Klütz/ Dr. med. dent. Bacherer. 

18. Ludwig^Maximilians^Universität in München 
Zahnärztliches Institut, Pettenkoferstr. 14 
Direktor: Prof. Dr. med. Berten. 

Leiter der klinischen chirurgischen Abteilung: Derselbe. 

Leiter der konservierenden Abteilung: Prof. Dr. med. dent., med. et phil. Walk hoff. 
Leiter der technischen Abteilung: Prof. Meder. 

Konservierende Abteilung: Assistenten I.: Dr. Müller/ II.: Dr. Welcke/ III.: 
Dr. Münch. 

Hilfsassistenten: Dr. Krebs/ Dr. Huber/ Dr. Kriegbaum. 

Volontärassistenten: Dr. Prausnitz/ Dr. Capelle/ Geys/ Seif. 

Assistenten der klinischen Abteilung: I.: Dr. Schneider/ II.: Dr. Fabe r. 
Hilfsassistent: Dr. Schmitt. 

Volontärassistenten: Dr. Reichenbach/ Sievers/ Zimmermann. 

Assistenten der technischen Abteilung: I.: Dr. Pieper/ II.: Dr. Pincus. 
Hilfsassistenten: Dr. Qu an dt/ Dr. v. Griesheim. 

Volontärassistent: Rapok. 

19. Westfälische Wilhelms^Universität in Münster i. W. 
Zahnärztliches Institut, Krummer Timpen 24/25 
Direktor: Prof. Apffelstaedt. 

Wissenschaftlicher Hilfslehrer: Oberassistent Dr. med. dent. Zuhrt. 

Assistent Dr. med. dent. Bergmann. 


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Personalverzeichnis 


383 


20. Universität in Rostock 

Zahnärztliches Institut 

Leiter: Prof. Dr. Moral. 

Oberarzt: Dr. med. Wittenburg. 

Assistenten I.: Zahnarzt Sponer/ II.: Dr. med. dent. Kasten,- III.: Dr. med. 
Gramkas/ IV: Zahnarzt Carstens. 

Volontärassistent: Dr. med. Reinmöller. 

21. EberharcUKarUUniversität in Tübingen 
Zahnärztliches Institut, Klinikumsgasse 12 
Direktor: Prof. Dr. Peckert. 

Assistenten I.: Zahnarzt Witze!/ II.: Zahnarzt Dr. Trippen/ III.: Zahnarzt Präger/ 
IV.: Zahnarzt Dr. Conrad. 

22. Julius^Maximilians^Universität in Würzburg 
Zahnärztliches Institut, Pleichertorstr. 32 
Stellv. Leiter: Privatdozent Dr. med. Müller. 

Leiter der konservierenden und chirurgischen Abteilung: Derselbe. 

Assistent: Dr. Schiller. 

Leiter der prothetischen Abteilung: Dr. Heinrich. 

Assistent: Dr. Schubert. 

Universität in Wien 

Zahnärztliches Institut, VIII. Floriangasse 46 

Semestralvorlesungen über operative und konservative Zahnheilkunde und Zahnersatz- 
künde mit praktischen Übungen am Patienten und im Laboratorium, täglich von 9 bis 
11 Uhr und 5 bis 7 Uhr. 

Vorstand: Prof. Dr. Rudolf Weiser. 

Assistenten: Dr. Peter/ Dr. Klein,* Dr. Hofer/ Dr. Messing: Dr. Rosanes. 
Vorlesungen haben angekündigt: Prof. Dr. Fleischmann/ Prof. Dr. Klein/ Prof. 
Dr. Loos/ Dozent Dr. Oppenheim/ Dozent Dr. Schenk/ Dozent Dr. Sicher/ Dozent 
Dr. Spitzer/ Dozent Dr. Wallisch/ Dozent Dr. Zilz. 

Zahnärztliche Abteilung der allg. Poliklinik, IX. Höfergasse 1 
Theoretische und praktische Kurse über operative und konservative Zahnheilkunde und 
Zahnersatzkunde mit praktischen Übungen am Patienten und im Laboratorium, täglich von 
9 bis 11 Uhr und 5 bis 7 Uhr. 

Vorstand: Prof. Dr. Wunschheim. 

Assistenten : vakat. 


Universität in Graz 

Zahnärztliches Institut 

Semestralvorlesungen über operative und konservative Zahnheilkunde und Zahnersatz¬ 
kunde mit praktischen Übungen am Patienten und im Laboratorium, täglich von 8 bis 
12 Uhr und 5 bis 7 Uhr. 

Vorstand: Prof. Dr. Trauner. 

Assistenten: I.: Dr. Koch/ II.: Dr. Stefan ides. 

Wissenschaftlicher Assistent: Dr. Kneschaurek. 

Vorlesungen haben ferner angekündigt: Dozent Dr. Urbantschitsch/ Prof. 
Dr. Baumgartner. 


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384 


Personalverzeichnis 


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Universität in Innsbruck 
Zahnärztliches Institut, Allgemeines Krankenhaus 
Verbunden mit einer stationären Krankenhausabteilung 
Semestralvorlesungen über operative und konservative Zahnheifkunde und Zahnersatz¬ 
kunde mit praktischen Übungen am Patienten und im Laboratorium. 

Vorstand: Prof. Dr. Mayrhofer. 

Assistenten: I.: Dr.Cappus/ II.:Dr.Hattinger/III.: Dr.Nenner/ IV.: Dr.Beuerlein. 

Deutsche Universität in Prag 

Zahnärztliches Institut, I. Obstmarkt 6. 

Semestralvorlesungen über operative und konservative Zahnheilkunde und Zahnersatz¬ 
kunde mit praktischen Übungen am Patienten und im Laboratorium, täglich von 8 bis 
12 Uhr und 5 bis 7 Uhr. 

Vorstand: Prof. Dr. Boennecken. 

Assistenten: I.: Dr. Kerber/ II.: Dr. Loos/ III.: Dr. Hiecke. 

Techniker: Aufner. 



Original fro-m 

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VIERTELJAHRSSCHRIFT 

FÜR 

ZAHNHEILKUNDE 


37 . 

JAHRGANG 


VERLAG 

HERMANN MEUSSER 
BERLIN 


19 2 1 

HEFT 4, 


SCHRIFTLEITUNG: DR. B. FAULHABBR, BERLIN W 15, UHLANDSTRASSE i59 
*•- ' 11 1 .~ . *► 


INHALT 


Originalarbeiten 

Seife 

Peter, Karl, Die formale Genese der Gesichtsspalten. Nachdem 

heutigen Stand unserer Kenntnisse.385 

Zeliska, Franz, Wien, Die Amalgamkrone.415 

Honig, Hans, Berlin, Die Erkrankung der Nase und ihrer 
Hauptnebenhöhle <sinus maxillaris) im Zusammenhang mit dem 

Zahnsystem.434 

Loos, Anton, Prag, Pulpentod kariesfreier Zähne.454 

Peter, Franz, Wien, Zur Frage der Pulpaamputation.465 

Kubatzki, Norbert, Leipzig, Hemmung der Speichelsekretion 
durch Atropin-Derivate, bearbeitet durch Prof. Dr. FranzMüller 482 
Hille, A., Zur Frage der Infektionsgefahr durch wurzelkranke 

Zähne.488 

Burmestcr, O., Kariesempfänglichkeit und Kalkmangel im Blut 491 

Buchbesprechungen.495 

Zeitschriftenschau.505 


<r 




Vierteljährlich erscheint 1 Heft. / Bestellungen nehmen alle Buchhandlungen sowie der 
Verlag Hermann Meusser in Berlin W 57, Potsdamer Straße 75, entgegen 


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bürtiges Präparat, dient der unbedingt notwendi¬ 
gen mechanischen Reinigung der Zähne. Die 
Odol-Zahnpasta ist von außerordentlich fein¬ 
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der Zähne durch Schleifwirkung ausgeschlossen 
erscheint, und hat einen aparten Geschmack. 
Vermöge seines Gehaltes an Rhodankalium und 
anderen Salzen wirkt das Präparat desinfizierend 
und bringt vorhandenen Zahnstein bei anhalten¬ 
dem Gebrauch allmählich zur Lösung. 



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DIE FORMALE GENESE DER GESICHTSSPALTEN 

NACH DEM HEUTIGEN STAND UNSERER KENNTNISSE 

VON 

DR. KARL PETER 

O. PROF. DER ANATOMIE AN DER UNIVERSITÄT GREIFSWALD 

D ie Gesichtsspalten sind Mißbildungen, die auch für den Zahnarzt eine 
große praktische Bedeutung besitzen,- die Kenntnis von ihrer Entstehung 
ist von hohem Wert für ihre Beurteilung. 

Ihre formale Genese kann nur verstanden werden auf Grund 
der normalen Entwicklungsvorgänge, die im Bereich des Gesichts ab» 
laufen. Diese sind höchst verwickelter Natur und waren bis in die letzte 
Zeit hinein nicht völlig erkannt. Daher herrschen noch vielfach unrichtige oder 
unklare Ansichten über die Entstehung der uns hier interessierenden Miß» 
bildungen. In den letzten Jahren sind aber von verschiedenen Seiten die 
Probleme der Gesichtsentwicklung in Angriff genommen worden, und das 
Ergebnis dieser Bemühungen lieferte uns ein in den Hauptzügen vollständiges 
Bild der Herausbildung des Gesichts und damit auch der Gesichtsspalten. 
Gerade in bezug auf die Entstehung der letzteren dürfte man jetzt ganz 
klar sehen. Daher ist es wohl berechtigt, dieses in gewisser Beziehung abge» 
schlossene Kapitel dem Praktiker, der keine Spezialarbeiten durchzustudieren 
in der Lage ist, zusammenfassend vorzulegen. 

Ich sehe meine Aufgabe nicht darin, die verschiedenen Erscheinungsformen 
der Gesichtsspalten vorzuführen. In dieser Hinsicht könnte ich nichts Neues 
bringen / sie werden nur so weit berücksichtigt, als ihre Entstehung besprochen 
werden muß. Viele Zusammenstellungen, am besten die von Grünberg 
verfaßte in Schwalbes „Morphologie der Mißbildungen" geben darüber 
genügende Auskunft. 

Auch beschränke ich mich darauf, die formale Genese der Gesichts» 
spalten zu schildern, das heißt den Ablauf ihrer Entwicklung im 
Embryo oder Fetus, und lasse die Ätiologie, die kausale Genese, außer 
Betracht. In bezug auf diese möchte ich nur kurz angeben, daß wir innere und 
äußere Ursachen der Spaltbildungen unterscheiden. Erstere bestehen in einer 
fehlerhaften Keimesanlage, die nur erkannt werden kann, wenn die Miß» 

Vierteljahrssdirift für Zahnheilkunde, Heft 4 26 


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386 


Karl Peter 


bildung erblich ist. Als letztere sind anzunehmen entzündliche Vorgänge, 
chemische Einflüsse, fehlerhafte Lagen des Fetus und besonders pathologische 
Verhältnisse des Amnion, wie in erster Linie Verwachsungen und Strang* 
bildungen. 

Die Art der Entwicklung, die formale Genese, kann ebenfalls eine 
zwiefache sein: Die Mißbildungen können durch Entwicklungshemmung 
oder Entwicklungsumbildung entstehen. 

Als Entwicklungshemmung — ich entnehme diesen Satz wie auch 
noch andere Angaben und die meisten Figuren meinem „Atlas der Ent¬ 
wicklung der Nase und des Gaumens beim Menschen mit Einschluß der Ent* 
Wicklungsstörungen", Jena 1913, G. Fischer — bezeichne ich eine Bildung, 
die dadurch zustande kommt, daß embryonale Prozesse in ihrem Ablauf 
gehemmt worden sind, also nicht zu Ende geführt werden konnten. Dies 
ist z. B. der Fall, wenn die Gaumenplatten sich nicht miteinander vereinigen, 
so daß die embryonale physiologische Gaumenspalte noch in späteren Stadien, 
in denen sie geschlossen sein sollte, bestehen bleibt. Natürlich gehen in den 
nicht vereinigten Teilen die Wachstums* und geweblichen Differenzierungs* 
Vorgänge weiter, doch können einzelne Partien im Wachstum Zurückbleiben 
oder sich gar nicht entwickeln <DefektbiIdung>. 

Bei Entwicklungsumbildungen dagegen wird die Entwicklung in eine 
falsche Richtung geleitet, so daß Bildungen entstehen, die normalerweise 
während der Embryogenese nicht vorhanden sind. Es kann z. B. ein 
amniotischer Strang durch Zug eine Furche herausschneiden, die an dieser 
Stelle nie existierte. 

Es ist klar, daß Entwicklungshemmungen nur an typischen Stellen auf* 
treten können, Umbildungen dagegen an beliebigen Orten. 

Welche Spaltbildung der einen, welche der anderen Gruppe zuzurechnen 
ist, wird im speziellen Teil angegeben werden. Es mag gleich hier erwähnt 
werden, daß ein oberflächlicher Vergleich von Spaltbildungen mit dem Gesicht 
normaler Embryonen leicht zu der Anschauung führen kann, als seien die 
pathologischen Fissuren durch Bestehenbleiben embryonaler Verhältnisse, 
also durch Entwicklungshemmung entstanden. Eine Furche imponiert auf 
dem Oberflächenbild eines embryonalen Gesichts leicht als tiefe Spalte 
und scheint eine Fissur an dieser Stelle zu erklären. Indes engt eine ge* 
naue Analyse der Wachstumsvorgänge den Bereich der Entwiddungs* 
hemmungen bedeutend ein und lehrt, daß die meisten dieser Mißbildungen 
als Entwicklungsneubildungen aufzufassen sind. Z. B. werden wir das selbst 
für die quere Gcsichtsspalte, die aus der breiten embryonalen Mundspalte 
hervorgegangen zu sein scheint, annehmen müssen. 

Wenden wir uns nun zu den Formen der Gesichtsspalten, so wollen wir 
sie erst einmal zusammenstellen, und zwar unserem Thema entsprechend 
ihrer formalen Genese nach. 

A. Gesichrsspaltbildungen im Verlauf der Furchen zwischen den embryo* 

nalen Gesichtsfortsätzen 


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Die formale Genese der Gesiditsspalten 


387 


1. im Bereich der primitiven Gaumenrinne: 

a> seitliche Lippenkieferspalte (Hasenscharte), Cheilognathosdiisis, 
b> dieselbe mit Defekt des mittleren Stirnfortsatzes (falsche mediane 
Oberlippenspalte) / 

2. im Bereich der primitiven Gaumenrinne und der Tränennasenrinne: 

a> schräge Gesichtsspalte, 

b> dieselbe mit Defektbildung (Aprosopie),- 

3. zwischen Unter- und Oberkieferfortsatz: 

quere Gesichtsspalte. 

B. Gesichtsspaltbildungen ohne Beziehung zu den Furchen zwischen den 

Gesichtsfortsätzen: 

1. seitliche Nasenspalte, 

2. mediane Nasenspalte, 

3. mediane Oberlippenspalte, 

4. mediane Unterlippenspalte. 

C. Spaltbildungen im Bereich des sekundären Gaumens: 

Gaumenspalte, Uranoschisis, Palatum fissum. 

Für uns kommen fast allein in Betracht die Lippenkieferspalte und 
die Gaumenspalte,- anhangsweise werden die anderen Spalten kurz auf ihre 
Entstehung geprüft werden. 

Die obige Disposition läßt erkennen, das Hasenscharte und Gaumen¬ 
spalte zwei Mißbildungen sind, die formal genetisch absolut 
nichts miteinander zu tun haben, da erstere einen Fehler in der Bildung 
des primären, letztere in der des sekundären Gaumens darstellt. Das kann 
nicht eindringlich genug gesagt werden, da diese beiden Mißbildungen fast 
durchweg zusammengeworfen werden. Sie treten ja allerdings häufiger ver¬ 
gesellschaftet als isoliert auf (nach Haug D/sOial so häufig kombiniert als 
unkombiniert einseitige, 5mal so häufig als doppelseitige Lippenkieferspalte 
allein). Doch ist dieses Zusammentreffen kausal leicht zu verstehen, wie 
unten ausgeführt werden wird, und beruht nicht auf einer gleichen formalen 
Genese. Denn die Entstehung der beiden Mißbildungen ist eine durchaus 
verschiedene, das muß stets im Auge behalten werden. 

Bevor wir die einzelnen Formen der Gesichtsspalten besprechen, müssen 
wir erst die embryonale Physiognomie studieren, um einige grund« 
legende Tatsachen und Entwicklungsgesetze kennen zu lernen, die für alle 
Gesiditsspalten von Wichtigkeit sind. 

Wir tun dies an der Hand der Abbildung des Gesichts eines 10,3 mm 
großen, etwa 30 Tage alten Embryo (s. Fig. 1). In diesem Stadium sind 
die embryonalen Charaktere auf der Höhe ihrer Ausbildung. Die Mund¬ 
spalte ist sehr breit, unten durch den in der Mittellinie seicht gefurchten 
Unterk iefer (UKF) begrenzt. Ganz seitlich am Kopf liegen die lidlosen 
Augen (A>. Das Typische des embryonalen Gesichts ist bedingt durch drei 
Wülste, die sich jederseits um eine bimförmige Öffnung, die äußere Nasen¬ 
öffnung (AN), gruppieren. Von der Seite her tritt an die Mundspalte der 

26 * 


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388 


Karl Peter 


Oberkieferfortsatz < OKF > heran, während der seitliche Nasenfort* 
satz < SNF > von lateral, der mediale Nasenfortsatz <Al NF) von medial 
her die Nasenöffnung flankieren. Letzterer ist länger als der seitliche Nasen* 
fortsatz und berührt mit kugelförmig aufgequollenen Seitenteilen, den Pro* 
cessus globulares, den Oberkieferfortsatz. Zwischen den Processus globulares 
ist er leicht eingedellr. 

Das spitze Ende der Nasenöffnung wird von den noch unverschmolzenen 
Nasenfortsätzen begrenzt. Von ihrem ventralen Ende ziehen sich aber zwei 

Furchen aus und scheiden die Ge* 
I sichtsfortsätze voneinander. Eine 

^ trennt den mittleren Nasenfortsatz 

vom Oberkieferfortsatz und läuft 
nach hinten, um am Munddach in 
eine flache Grube auszulaufen: wir 
nennen sie die primitive Gau* 
m e n r i n n e < PGR >. Nach dem Auge 
zu zweigt sich eine zweite Furche 
ab, die seitlichen Nasenfortsatz und 
Oberkieferfortsatz voneinander 
scheidet, die Tränennasenrinne 

m-A ( TNR >. 

—an Wir sehen also, daß im embryo* 

—snf nalen Gesicht keine offenen Spalten 
F existieren, sondern nur scharf, aber 
nicht tief einschneidende Furchen. 
Es ist also durchaus unberechtigt, 
von embryonalen Gesichtsspalten 
zu reden. 

Diese Furchen werden nun 
im Laufe der weiteren Entwicklung 
j. i ausgeglichen,- schon sehr bald 

Gesicht eines 10,3 mm langen Embryo von vom und etwas läßt das embryonale Gesicht nichts 


j-'jg. i M ~ ö ^ ö-- - - " 

Gesicht eines 10,3 mm langen Embryo von vom und etwas läßt das embryonale Gesicht nichts 
ventral. AN äußere Nasenöffnung-Riechgrube, A Auge, me h r VOn ihnen erkennen, Und die 
MNF mittlerer Nasenfortsatz, OKF Oberkieferfortsatz, n . . i ^ « 

PGR primitive Gaumenrinnc, SNF seitlicher Nasenfort* Bildung des bleibenden OeSlChteS, 
satz, TNR Tränennasenrinne, UKF Unterkieferfortsatz A T A P r iicvi' fpifrt 


jvnyi- m 11 tu i ci i’idsuiivnsdii, kj r vjucnucicriur^diz, T».< 1 I < i ,i j /'“> . i 

PGR primitive Gaumenrinnc, SNF seitlicher Nasenfort* Bildung des bleibenden OeSlChteS, 
satz, TNR Tränennasenrinne, UKF Unterkieferfortsatz Ljppgp der Nase USW. leitet 

sich ein. Dies zeigt das in Fig. 2 
abgebildete Gesicht eines 15 mm langen Embryo. Kaum sind noch Gaumen* 
rinne und Tränennasenrinne wahrzunehmen. Immerhin lehrt das Bild, daß 
letztere nicht mehr in die äußere Nasenöffnung, sondern in die primitive 
Gaumenrinne ausläuft. Das heißt mit anderen Worten: auch der seitliche 
Nasenfortsatz hat sich mit dem mittleren vereinigt, die Verwachsung der 
Gesichtsfortsätze ist, die äußere Nasenöffnung immer mehr verkürzend, 
weiter nach vorn fortgeschritten, so daß die primitive Gaumenrinne den 
mittleren Nasenfortsatz jetzt vom Oberkieferfortsatz und dem seitlichen 
Nasenfortsatz trennt. Ferner ist die Eindellung des mittleren Nasenfort* 


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Original ftorru ~ - 

UNtVERSITY 0F MINNESOTA 



Die formale Genese der Gesichtsspalten 


389 


satzes in der Mittellinie bedeutend seichter geworden, und die mediane 
Furche des Unterkiefers hat sich ganz ausgeglichen. 

Wie geschieht dieses Verstreichen der Furchen? 

Es handelt sich beim Verschwinden der Rinnen nicht um ein Verwachsen 
der Gesichtsfortsätze, wie man früher annahm, bei dem die benachbarten 
Epithelbedeckungen sich an^ 
einanderlegten, in die Tiefe 
verlagert und dann resorbiert 
würden, wie es in Fig. 3 A 
dargestellt ist. Das Verschwind 
den besteht vielmehr in einem 
allmählichen Seichterd 
werden der Furchen, indem 
nicht der seitliche Druck der 
Gesichtsfortsätze wirkt, wie 
ihn in Fig. 3 A die Pfeile and 
geben, sondern die unter der 
Rinne gelegene Gewebsmasse 
die Epithelfurche in die Höhe 
drückt <s. Fig. 3 ß>. Auf diese 
Weise kommt es zu einem 
ganz allmählichen Verstreichen 
des Reliefs, ohne daß Epithel- 
reste im Bindegewebe liegend 
bleiben. In Fig. 3 sind diese 

beiden Arten des Ausgleichens von Rinnen schematisch dargestellt/ der Wachsd 
tumsdruck, der in beiden verschieden gerichtet ist, ist durch die Pfeile angedeutet. 

Diese Art des Verschwindens der embryonalen Gesichtsfurchen macht uns 
noch ein weiteres sehr wichtiges Entwicklungsgesetz verständlich. Da nach 


TNR- 


PGR _ 



AN 

MNF 


UKF 


Fig. 2 

Gesicht eines 15 mm langen Embryo von vorn. 
Bezeichnungen wie in Fig. 1 



C 




Schematische Darstellung des Verschwindens einer Furche A durch Verwachsung der gegenüberliegenden 
Ränder, B durch Seichterwerden und Verstreichen. Das unter der Epithelbcdeckung gelegene Bindegewebe 
ist punktiert dargestcllt, die Pfeile geben die Richtung des Wachstumsdrudces an 


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390 


Karl Peter 


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dem Ausgleichen der Rinnen keine Epithelmauer mehr die Bezirke der ein» 
zelnen Gesichtsfortsätze abgrenzt, so geht auch deren mesenchymatische Aus» 
füllmasse ohne Grenze ineinander über. Die Gesichtsfortsätze haben ihre 
Rolle ausgespielt und ihre Grenzen werden von den späteren Wachstums» 
und Differenzierungsprozessen nicht mehr respektiert. 

Was die Wachstumsvorgänge anlangt, so schieben sich die einzelnen 
Partien zur Herausbildung des definitiven Gesichts derartig ineinander, daß 
die Grenzen der Gesichtsfortsätze im Gesicht des Kindes nicht 
mehr äußerlich abzutrennen sind. Wohl sind sie erkennbar bei den 


MNF 


IM 


M 


At 

SNF 


OKF 

Fig. 4 

Beteiligung der Gesichrsfortsätze an der MNF 
Bildung des Gesichts, a Gesicht von vorn, 
b Nase und Lippen von unten, c Gaumen $NF /.;\ 
von der Mundseite. Auf der rechten Ge* ^ y'f\*' 

sichtsseite von a ist wie in b uod c das 
Gebiet der Area triangularis horizontal 
schraffiert, des mittleren Nasen Fortsatzes MNF — 
fein punktiert, des seitlichen Nasenfort¬ 
satzes grob punktiert, des Oberkieferfort¬ 
satzes schräg schraffiert. Auf der linken Ge¬ 
sichtsseite ist in a die Ausdehnung des 
Zwischenkiefers fein punktiert. Ap Apertura piriformis, At Area triangularis, IM Intermaxillare, M Maxillare, 
N Nasale,- P Palatinum. Übrige Bezeichnungen wie in Fig. 1 




Spaltbildungen, die im Bereich embryonaler Furchen auftreten können, 
aber bei diesen Mißbildungen sind die gegenseitigen Lagerungsverhältnisse 
derartig gestört, daß eine Projektion der fraglichen Linien auf das normale 
Gesicht mit Schwierigkeiten verbunden ist. 

Die Abgrenzung der Gebiete, die den embryonalen Gesichts» 
fortsätzen entsprechen, ist in Fig. 4 zur Anschauung gebracht. Sie 
kann sich nur auf äußerlich gesonderte Gesichtsabschnitte erstrecken, und 
man kann nicht sagen, daß der seitliche oder mittlere Gesichtsfortsatz diesen 
oder jenen Knochen allein liefere, da die Grenzen der Knochen nicht mit 
denen der Gesichtsfortsätze zusammenfallen <s. unten). 

Wie Fig. 4 lehrt, gibt der mittlere Nasenfortsatz das Material für den 
Nasensteg und den mittleren Teil der Oberlippe. Den Nasenrücken liefert 


Gck igle 


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Die formale Genese der Gesichtsspalten 


391 


die Area triangularis, die beim Embryo des Stadium der Fig. 1 ein drei¬ 
eckiges mittleres Feld oberhalb der Nasengruben darstellt, die also oberhalb 
des eigentlichen mittleren Nasenfortsatzes gelegen ist. Der seitliche Nasen» 
fortsatz bildet den Nasenflügel. Die Wangen und der seitliche Teil der Ober» 
lippe stammen vom Oberkieferfortsatz. 

Wichtige Folgen hat das Schwinden der Grenzen zwischen den Gesichts» 
fortsätzen für die inneren Differeniierungsvorgänge. Die Knochen« 
anlagen überschreiten diese Grenzen, die auch auf keinem Schnitt mehr sicht» 
bar sind, ohne weiteres, und es war einer der schwerwiegendsten Fehler für 
die Beurteilung der Lage der Spalten, daß man annahm, die Grenzen 
zwischen den Gesichtsfortsätzen und die zwischen den Knochenanlagen fielen 
zusammen,- sie greifen aber nicht ineinander, sondern sind voneinander völlig 
unabhängig. 

Dasselbe gilt auch für die Anlagen der Knochen einerseits und der Zähne 
anderseits. Beide sind unabhängig voneinander, und ein bestimmter Zahn 
gehört nicht immer zu einem bestimmten Knochen. Es kann daher einmal 
ein Eckzahn in den Zwischenkiefer gelangen, der gewöhnlich nur Schneide» 
zähne trägt. Es ist daher unrichtig, als Schneidezahn einen Zahn zu be» 
zeichnen, der im Zwischenkiefer stedet. Diese Unabhängigkeit zwischen Kiefer 
und Zahn ist so groß, daß die moderne Vererbungslehre für sie ver¬ 
schiedene, getrennte Erbanlagen annimmt, die sich unabhängig voneinander 
vererben können. Besitzt z. B. der Vater einen großen Kiefer mit großen 
Zähnen, die Mutter kleinen Kiefer und Zähne, so kann das Kind einen 
kleinen Kiefer mit großen Zähnen vererbt bekommen, wodurch natürlich 
leicht ein störendes Mißverhältnis eintreten kann. 

Dieses Gesetz der „Unabhängigkeit der Entwicklungsstufen und 
der Organanlagen voneinander" werden wir als sehr wichtig für die 
Beurteilung der Gesichtsspalten erkennen. 

Nach diesen Schilderungen, die uns mit einigen für unser Thema wichtigen 
Entwicklungsgesetzen bekannt machten, können wir die einzelnen Mißbildungen 
selbst ins Auge fassen. Beginnen wir mit der Hasenscharte. 

DIE SEITLICHE OBERLIPPENKIEFERSPALTE, 
CHEILOGNATHOSIS, HASENSCHARTE 

Die Lippenkieferspalte ist eine entwicklungsgeschichtlich gut charakterisierte 
Mißbildung, die eine Spalte des primitiven Gaumens darstellt, also im Ver¬ 
lauf der uns aus Fig. 1 und 2 bereits bekannten primitiven Gaumenrinne 
gelegen ist. Sie beginnt im Nasenloch, durchzieht die Oberlippe, den Alveolar¬ 
teil und Gaumenteil des Zwischenkiefers und endet in der Gegend des 
knöchernen Nasengaumenganges. Eigentlich müßte sie also Lippenkiefer¬ 
gaumenspalte genannt werden, doch könnte dies zur Verwechslung mit einer 
durch eine Uranoschisis komplizierten Hasenscharte führen. Deshalb bleibt 
man besser bei der nicht die ganze Ausdehnung wiedergebenden Bezeidmung 
„Lippenkieferspalte". 


Digitizeit b' 


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392 


Karl Perer 


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A 


RF_ 


SF 


I 



UKF 


Fig. 5 

Gesicht eines Embryo von 4,9 mm Länge 
'Ende 4. Woche). RF Riechfeld, SF Stirn» 
fortsatz, UKF Unterkicferfortsatz 


Um das Zustandekommen dieser Fissur zu verstehen, müssen wir erst 
die Entstehung der primitiven Gaumenrinne untersuchen und daher 
auf frühere Embryonalstadien zurückgreifen als es die uns bereits bekannten 

sind, wie wir dann auch spätere Entwick¬ 
lungsstufen berücksichtigen, um Lage und 
Ausdehnung dieser Mißbildung im Gesicht 
des Erwachsenen zu begreifen. 

Das Gesicht entwickelt sich aus sehr ein¬ 
fachen Verhältnissen. 

Der Kopfwulst, der die Herzwölbung 
des Embryo nach vorn überragt, besteht 
am Ende der vierten Embryonalwoche 
äußerlich betrachtetauszweiTeilen<s. Fig. 5>: 
von oben her wölbt sich der mächtige ein¬ 
heitliche Stirnfortsatz vor, der das Vorder¬ 
hirn einschließt, von unten her kommt ihm 
der erste Viszeralbogen, der Unterkiefer¬ 
bogen, entgegen. Ersterer gehört zum Ge¬ 
hirnteil, letzterer zum Eingeweideteil des Kopfes. Zwischen beiden zieht 
sich der Eingang in das Eingeweiderohr, die breite Mundöffnung aus. 

Aus diesen beiden vorerst noch sehr einfach gestalteten Teilen entwickelt 

sich das Gesicht, und zwar durch zwei 
Neubildungen, die in Fig. 5 bereits an¬ 
gedeutet sind: erstens gliedert sich vom 
ersten Viszeralbogen der Oberkiefer¬ 
fortsatz ab und schiebt sich von der 
Seite her die Mundöffnung mit begren¬ 
zend zwischen Stirnfortsatz und Unter¬ 
kiefer ein < OKF\ und dann legen sich 
auf der Spitze des Stirnfortsatzes die 
beiden Geruchsorgane als verdickte Epi¬ 
thelfelder an, deren Begrenzung in Fig. 5 
durch eine Linie angegeben ist {RF). Sie 
vertiefen sich bald zu den Riechgruben. 

Dies ist bei dem 6,0 mm langen Em¬ 
bryo, dessen Gesicht in Fig. 6 wieder- 
Fig. 6 gegeben ist, bereits geschehen. Man er- 

Vorderansidu des Kopfes eines Embryo von 6 mm kennt den in der Mitte eingekerbten 

Länge <Anfang der 5. Woche). Stadium des Riech» TT <. r r • . «. « J- 

grübchens. RG Riechgrube. Sonstige Bezeichnungen UllterKieierrOrtSatZ, Weiter SeitllUl die 

w,e in h,g * 1 noch schwach ausgebildeten Oberkiefer¬ 

fortsätze. Zwischen diesen wölbt sich 
von oben her der noch einheitliche Stirnfortsatz vor, auf dem die seichten 
Riechgruben sichtbar sind. 

Diese Riechgruben vertiefen sich nun stark und ziehen sich zu mundwärts 
gerichteten Blindsäcken aus <s. Fig. 7>. Dies geschieht dadurch, daß der 



Gck igle 


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Die formale Genese der üesiditsspalten 


393 


UKF . 


Oberkieferfortsatz medial vorwächst und sich mit der vorgewulsteten medialen 
Begrenzung der noch weit offenen Riechgruben, dem mittleren Nasenfort* 
satz, vereinigt. An der Grenze zwischen diesen beiden Gesichtsfortsätzen 
bleibt die sie trennende Epithelmauer, die durch die Verschmelzung der 
Epithelbedeckungen der Fortsätze entstanden ist, vorläufig erhalten und 
verbindet den Riechblindsadc mit der primitiven Gaumenrinne <s. Fig. 10). 

Die Verwachsung beschränkt sich in diesem Stadium, wie in dem etwas 
älteren in Fig. 1 abgebildeten lateral auf den Oberkieferfortsatz/ der sich 
noch schwach vorwölbende seitliche Nasenfortsatz nimmt daran noch nicht 
teil. Auf dem Stadium der Fig. 2 ist dies aber geschehen. Das bedeutet 
nichts anderes, als daß die Ver* 
wachsung der Gesichtsfort* 
sätze nach der Kopfspitze zu 
fortschreitet. Dies wird auch 
durch Messungen bestätigt, die 
trotz allgemeiner Größenzunahme 
der Embryonen eine absolute Ver* 
kürzungderNasenöffnung ergaben. 

Durch diese Verwachsung und 
gleichzeitiges eigenes Wachstum 
infolge reger Zellvermehrung ver* 
längert sich der Blindsack der Nase 
immer mehr. 

W ir sehen also, daß derNasen* 
blindsack durch Verschmel* 
zung der Gesichtsfortsätze 
entsteht. Doch findet sich 
in keinem Stadium ei ne offene 
Spalte zwischen ihnen. Der 
Vorgang ist etwas schwierig dar* 
stellbar und dürfte in folgender 

Weise ablaufen. Die Ränder der Riechgrube sind auch ventral, nach unten 
zu, abgerundet <Fig. 6) oder später eine kurze Strecke einander genähert 
<Fig. 1>. Von dem ventralen Pol an legen sie sich, Punkt für Punkt sich 
rasch einander nähernd, ebenso Punkt für Punkt aneinander und verschmelzen 
in diesem Umfang sofort. Es kommt dadurch zu gar keiner Fissur, wie sie 
entstehen würde, wenn sich längere Strecken der Ränder der Riechgrube 
gleichzeitigeinanderentgegenwüchsen: dann müßte natürlich der Verwachsung 
ein Stadium der Spalte vorhergehen. So haben wir aber stets ventral die 
Furche, und über ihr die weite äußere Nasenöffnung. 

Die Ausdehnung der Verklebung der Gesichtsfortsätze gibt die Länge der 
primitiven Gaumenrinne an. 

Unterbleibt aber diese Verschmelzung, so findet sich in der 
Tat eine Spalte an Stelle der normalen Rinne, in der sich das ganze 
Geruchsorgan nach vorn und unten öffnet, und eine solche Bildungs* 



Fig- 7 

Vorderansicht des Kopfes eines Embryo von 9,2 mm I-änge, 
Alter von 30 Tagen. Bezeichnungen ie auf den früheren 
Figuren 


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394 


Karl Peter 


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Fleischmann^Pohlmann an ein 

„ r ~ v 


hemmung müssen wir für die Hasenscharte annehmen. Es handelt 
sich bei ihr also in der Tat um eine Entwicklungshemmung, indem die Ver- 
wachsung gehemmt wird, obwohl die Spalte infolge des eben geschilderten 
Entwicklungsvorgangs embryonal nicht vorgebildet ist. Die Lippenkiefer- 
spalte beruht also auf einer unterbliebenen Vereinigung des 
medialen Nasenfortsatzes mit dem lateralen Nasen- und dem 
Oberkieferfortsatze. 

Es ist wohl viel einfacher, diesen Weg der Genese anzunehmen, als mit 

späteres Auseinanderweichen der Epi- 
thelien, die die Gesichtsfortsätze von¬ 
einander scheiden, zu denken, was na¬ 
türlich theoretisch betrachtet auch die 
Ursache sein könnte. Fleischmann 
wurde zu dieser Ansicht dadurch geführt, 
daß er die Verwachsung der Gesichts¬ 
fortsätze, die zweifellos bewiesen ist, 
leugnete. Daher mußte er sich nach 
einem anderen Entstehungsmodus der 
Hasenscharte umsehen. Da seine Voraus¬ 
setzung eine irrige ist, kann sein Er¬ 
klärungsversuch ad acta gelegt werden. 

Betrachten wir nun die Lage der 
Lippenkieferspalte im Gesicht des 
Embryo. 

In dem Stadium der Fig. 1 würde die 
Lippenkieferspalte die Ausdehnung des 
Blindsacks besitzen, also im Verlauf der 
schwarzen Linie auf der linken Seite der 
Fig. 8 liegen. In diesem Bilde, wie in 
den folgenden Fig. 9, 12 und 13, habe 
ich auf der rechten Seite der embryonalen 
Gesichter die normalen Verhältnisse 
wiedergegeben. Links ist die Spalte eingetragen, allerdings nur ihrer Lage 
nach, denn ihre Ränder werden sich infolge gestörter Entwicklung nicht so 
normal verhalten, wie auf den Bildern. Die Figuren stellen also nur schema¬ 
tisch die Lage der Gesichtsspalte dar, und kein einwandfreies Bild der Mi߬ 
bildung. Fig. 8 ist eine Kopie von Fig. 1, Fig. 9 von Fig. 2. Doch ist bei 
ihnen, ebenso in den folgenden Figuren, der Unterkiefer nicht mitgezeichnet, 
so daß Gesicht und Munddach gleichzeitig studiert werden können. 

Die Lippenkieferspalte hat also die Ausdehnung des Nasenblindsacks. 
Lim ihre Ausdehnung im Gesicht des Kindes zu verstehen, müssen wir weiter 
verfolgen, was sich aus dieser Strecke entwickelt. Dies kann gut auf Grund 
der Fig. 9 bis 13 geschehen. 

Der in Fig. 9 dargestellte Embryo <6. Woche, 15 mm Länge) zeigt die 
Gesichtsfortsätze äußerlich undeutlich geworden, doch ist die primitive Gaumen- 



Fig. 8 

Gesicht und Munddach des Embryo von 10,3 mm 
Länge. Auf der rechten Gesichtsseite ist das nor* 
male Verhalten wiedergegeben/ der mittlere Nasen¬ 
fortsatz MNF hat sich mit dem Oberkieferfortsatz 
OKF, aber noch nicht mit dem seitlichen Nasen^ 
fortsatz SNF vereinigt. Auf der linken Seite ist 
diese Verschmelzung unterblieben, die Lippenkiefcr^ 
spalte trennt die beiden Gesichtsfortsätze im Bereich 
des Nasenblindsacks voneinander 


Go igle 


_OrigmaLfmm - — 

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Die formale Genese der Gesiditsspalten 


395 



rinne noch erkennbar. Sie beginnt an dem stark verengten äußeren Nasen¬ 
loch und läuft in lateral vorspringendem Bogen in eine etwas vertiefte Stelle 
aus, in der der Nasenblindsack nur 
durch eine dünne Epithelmembran, 
die Membrana bucconasalis, ver¬ 
schlossen ist. Diese reißt in der Folge 
durch, und dadurch entsteht am Mund¬ 
dach eine hintere Nasenöffnung, die 
die primitive Choanegenanntwird. 

Aus dem Nasenblindsack ist auf diese 
Weise ein Nasenrohr oder Kanal ent¬ 
standen, der sich vorn in der äußeren 
Nasenöffnung, dem offengebliebenen 
Rest der Riechgrube, hinten in der 
primitiven Choane öffnet. 

Das zwischen diesen beiden Mün¬ 
dungen gelegene Gebiet wird primi¬ 
tiver Gaumen genannt, ein schlech¬ 
ter Name, da es, wie wir sehen werden, 
nur zum Teil in das definitive Munddach aufgenommen wird. Nun erklärt 
sich auch der Name „primitive Gaumenrinne" für die Furche, die von der 
Riechgrube dem Munde zu zog: sie durchläuft das Gebiet des primitiven 
Gaumens. 

Im Innern des Gesichts haben 
sich insofern Veränderungen ab¬ 
gespielt, als die Epithelmauer, die 
als Grenze der Gesichtsfortsätze 

von dem Nasenblindsack nach der - 

primitiven Gaumenrinne zog, von 
Mesoderm durchbrochen wird und \ 

schwindet, so daß das Gewebe der \ 

Gesichtsfortsätze ohne Grenze in- /V R ° 

einander übergeht. Zwei Schnitte, OKP \k__ ^ / " 

quer durch den hinteren Blindsack ' ^ 

gelegt, illustrieren diesen wichtigen 
Vorgang. In Fig. 10 ist der Riech¬ 
sack < RO > noch mit der Gaumen¬ 
furche (GR) durch die Epithel¬ 
mauer verbunden, in Fig. 11 ist 
diese restlos geschwunden und die 
Mesodermmasse der Gesichts¬ 
fortsätze geht ineinander über. Durch größeren Kernreichtum des mittleren 
Nasenfortsatzes (AINF) ist zwar das Gebiet jedes der beiden verschmolzenen 
Gesichtswülste noch zu sondern, doch schwindet dieser Unterschied bald und 
macht einer gleichmäßigen Dichtigkeit des Gewebes Platz. 


SNF 


MNF 

OKF 


Fig. 9 

Gesicht und Munddach des Embryo von 15 mm Länge. 
Unterkiefer entfernt. Auf der linken Gesichtsseite ist 
die Lage der Lippcnkicferspalte eingetragen 


Fig. 10 

Schnitt durch den hinteren Blindsack des Geruchsorgans eines 
10,5 mm langen Embryo. Oberkieferfortsatz OKF und 
mittlerer Nasenfortsatz MNF sind in breiter Fläche ver- 
einigt, aber noch durch die verschmolzenen Epithelien ge-- 
trennt; diese bilden eine Epithelmauer, die den Riechsadv RO 
mit der Gaumenrinne GR verbindet 


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Ein späteres Stadium ist in Fig. 12 <Embryo von 20 mm Länge, 8. Wodie) 
abgebildet. Äußere und innere Nasenöffnung sind deutlich zu erkennen. 
Doch sind wichtige Wachstumsveränderungen eingetreten. 


SNF 


TNR 


MNF 


Fig. 11 

Frontalsdwitt durch den primitiven Gaumen eines Embryo von 12 mm Länge. Die Epithelmauer, die noch 
im Stadium der Fig. 10 den Riechsadc RO mit der Gaumenrinne verband, ist verschwunden, mittlerer Nasen¬ 
fortsatz MNF und Oberkieferfortsatz OKF gehen ineinander über. Der primitive Gaumen PO ist gebildet 
Die Tranennascnfurche TNR. die den seitlichen Nasenfortsatz SNF von dem Oberkicferfortsatz OKF 
scheidet, springt scharf ins Gewebe ein- Von ihr gehen Epithelstränge aus, die aber keinen Beweis für eine 
Verwachsung dieser Gesichtsfortsätze abgeben, sondern die hier vorsprossende Anlage des Tränennasen¬ 
gangs darsrcllen 


i' Einmal sind nämlich primitive Gaumenrinne und Tränennasenfurche völlig 
ausgeglichen, und ein neues Gesichtsrelief leitet sich ein. Während bisher die 
Gewebsmasse des primitiven Gaumens nicht besonders hervorragte, nimmt 

sie jetzt enorm zu und quillt zwischen 
den beiden Nasenöffnungen in einer 
Schnauzenfalte stark vor. Dadurch wird 
die vorher ebene Fläche in zwei vor* 
erst noch nicht scharf voneinander ab^ 
gesetzte Abschnitte zerlegt: in einen 
oberen, der zum Gesicht geschlagen 
wird, und einen unteren, der den 
vorderen Teil des Munddaches bildet. 

Weiterhin haben sich die äußeren 
Nasenöffnungen einandergenähert, und 
über ihnen erhebt sich ein Wulst, der 
die erste Anlage einer einheitlichen 
Nase darstellt. Auch die primitiven 
Choanen haben sich verändert. Sie 
haben sich nach hinten verlängert und 
ziehen sich in der Folgezeit immer mehr aus. 

Wollen wir nun in dieses Bild die Lage der Lippenkieferspalte einzeichnen, 
so stellt sich die Schwierigkeit ein, daß die primitive Gaumenrinne, die die 
Verwachsungslinie der Gesichtsfortsätze äußerlich festlegte, nicht mehr er^ 
kennbar ist. Man kann diese Linie aber mit genügender Sicherheit dadurch 


PCH 


Original frono. ^ 

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Die formale Genese der Gesiditsspalten 397 

ziehen, daß man den unteren Rand der äußeren Nasenöffnung mit dem 
vorderen Ende der primitiven Choanen durch eine lateral vorgebrachte 
Rinne verbindet. Diese läßt 

man tiefer durch das Gewebe 'S. 

des primitiven Gaumens hin^ j 

durch einschneiden, bis sie _J ; s 

den Riechsack eröffnet und ' pg 

eine Spalte vorstellt. Dann T pch 

hat man die Lage der Lippen^ / k f ^ \ r ''\ 

kieferspalte. Dies ist auf 

der linken Gesichtsseite der Jß 

Fig. 12 geschehen. 

Die letzten Bilder illustrier jgT 

ren die weitere Entwicklung 

des primitiven Gaumens. Er * Vw' 

läßt hervorgehen die Ober^ 

lippe, den Alveolarfortsatz Fig. 13 

i, nr l <4 pn vnrrlprcfpn Tpil rlpc Munddadi und Gesicht eines Embryo von 26 mm Länge mit phy* 

siologischer Gaumenspalte GS. Auf der linken Gesichtsseitc die 
definitiven Gaumens. Lage der Lippenkieferspalte LS eingetragen. Sie reicht von der 

t o* 1 7 „• j äußeren Nasenöffnung AE über den primitiven Gaumen PG bis 

ln Fig. 13 sind Gesichts^ zur p rimiliven choane pch 

und Gaumenteil des primU 

tiven Gaumens schon viel schärfer voneinander abgesetzt. Noch ist das 
vordere Ende der langen primitiven Choanen sichtbar, in die Tiefe verlagert 
durch die sekundären Gaumenplatten, die aber später — über ihren Zu^ 
sammenschluß bei Bespreche ^. 

ung der Gaumenspalte — ^ 

die primäre hintere Nasen^ / / mnf 

Öffnung ganz verschließen 

<Fig. 14>. Die Stelle, an der 1 

der primitive Gaumen hinten •( 

endet, wird in der Mittellinie ^ ® 

durch einen im Knochen * I 

ausgesparten, Bindegewebe, \ wvJi r 

Nerven, Gefäße, eventuell ' vflRJ 

auch Epithelreste führenden I 

Strang, den Canalis nasopa* 
latinus des harten Gaumens, 
gebildet. Aufder Schleimhaut 
fehlt dann aber jede Grenze. 

In Fig. 14 <Embryo von 
43 mm Länge) ist der Anteil des primitiven Gaumens am Munddach äußerlich 
nicht mehr festzustellen. Die Lage der Lippenkieferspalte ist eingetragen. 

Nun können wir auch am Gesicht des Erwachsenen die Ausdehnung der 
Gesichtsfortsätze und damit die Lage der Lippenkieferspalte einzeichnen. 
Dies ist in Fig. 15 geschehen. Man erkennt an ihr, wie schon bei Be^ 


Fig. 14 

Gaumen eines Embryo von 43 mm Länge. Auf der linken Gaumi 
seitc ist die Lage der Lippenkieferspalte eingetragen 


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398 


Karl Peter 


sprechung von Fig. 4 hervorgehoben wurde, daß der seitliche Nasenfortsatz 
die Nasenflügel, der mittlere Nasenfortsatz den Nasensteg zwischen den 
Nasenlöchern, den mittleren Teil der Oberlippe und den vordersten mitt* 
leren Abschnitt des Gaumens bis zum Foramen incisivum, der Mündung des 
knöchernen Canalis nasopalatinus, liefert. Was lateral von diesen Bezirken 
liegt, gehört in den Bereich des Oberkieferfortsatzes. Zwischen dem medialen 
und den lateralen Gesichtsfortsätzen verläuft die Lippenkieferspalte. Ihre 
Lage ist auf der linken Gesichtsseite durch einen dicken Strich angegeben. 

Im vorstehenden haben wir die Entstehungsweise der Lippenkieferspalte 
erläutert und diese Mißbildung bis zum Erwachsenen verfolgt. Es erübrigt 

MSF 
IM 

M 

\ 


Schema des Verlaufs der Lippenkieferspalte. 

Links ist dieser als dicke Linie eingetragen. 

Die Lage ist zwischen den Gesichtsfort» 
sätzen. die auf der rechten Seite wie in 
Fig. 4 bezeichnet sind, die Knochengrenzen 
sind gestrichelt angegeben, a Gesicht von M? 
vorn, b Nase von unten, c Gaumen von 
der Mundseite. Bezeichnungen wie in Fig. 4 

noch, die Lage zu den Knochen und Zähnen der Oberkieferregion zu er^ 
örtern. Beides muß getrennt behandelt werden, da, wie oben erwähnt, Zähne 
und Knochen sich unabhängig voneinander entwickeln. 

Die Lage der Lippenkieferspalte in den Knochen des 

Oberkiefers 

Die Lage der Lippenkieferspalte zu den Oberkieferknochen, speziell zudem 
Os intermaxillare, ist früher Gegenstand von äußerst lebhaften Kontroversen 
gewesen. P. AI brecht glaubte der Mißbildung eine intrainzisive Lage zu= 
sprechen zu müssen, nahm jederseits zwei Zwischenkiefer an und ließ die 
Spalte zwischen innerem und äußerem verlaufen, Th. Koelliker dagegen 
fand den Zwischenkiefer einheitlich angelegt und verlegte die Spalte zwischen 
Os intermaxillare und maxillare. Zwischen diesen beiden Ansichten schwanken 
die Autoren hin und her. 




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Die formale Genese der Gesiditsspalten 


399 


Zur Entscheidung dieser Frage müssen die Beziehungen der Knochen¬ 
anlagen zu den embryonalen Gesichtsfortsätzen festgelegt werden, ein 
schwieriges Unternehmen, da die Grenzen der letzteren schon vor Sichtbar¬ 
werden der Knochen verwischt sind. 

Nachdem Inouye diese Verhältnisse beim Maulwurf klargestellt hatte, 
hat Jarmer unter meiner Leitung die Entwicklung des menschlichen Zwischen¬ 
kiefers genau untersucht und ist zu interessanten Ergebnissen geführt worden, 
die in seiner Arbeit Zeitschrift für Anatomie) niedergelegt sind. Hier sei 
das Notwendigste aus ihr wiedergegeben. 

Außerdem haben Bruni und Thouren diese Verhältnisse untersucht, 
sind aber nicht zu einwandfreien Ergebnissen gelangt, Thouren <idi kenne 
die Arbeit nur aus einem Referat), weil er nicht genügend junge Stadien 
studiert hat, Bruni, weil ihm wichtige Zwischenformen fehlten. 

Zuerst verknöchert der Oberkiefer, und zwar sein Alveolarteil und die 
Gesichts wand <Bruni). Dies geschieht etwa in der 8. Embryonal woche 



Fig. 16 

Knodienanlagen im Gaumen eines 40 mm langen Embryo. Nad> jarmer. Knodiengrenzen ausgezogen. 
Zahnleiste punktiert. C Caninus, / t mesialer InzisJvus, h distaler Inzisivus, OK Oberkiefer, Pp Pars 
palatina des Zwischenkiefers, Si Stelle des Sutura Incislva, ZK Alveolarteil des Zwischenkiefers 

<Embryonen von etwas über 20 mm Länge), also viel später als die Bildung 
des primitiven Gaumens vollendet ist/ denn der Durchbruch des primitiven 
Choane, der diesen Zeitpunkt markiert, findet bereits bei Embryonen von 
15 mm Länge, am Ende der 6. Woche, statt. Also kann, wie hier schon 
bemerkt sein mag, die Anlage der Knochen keinen Einfluß auf die Ent¬ 
stehung einer Lippenkieferpalte ausüben, die in der 8. Woche bereits ent¬ 
standen sein muß. 

Sehr bald folgt der Anlage des Oberkiefers die des Zwischenkiefers, und 
zwar ebenfalls des Alveolar- und Gesichtsteils/ im Gaumen selbst sind 
noch keine Verknöcherungen wahrzunehmen. Dieser Alveolarteil des 
Zwischenkiefers ist einheitlich, er entsteht aus einem einzigen Knochen¬ 
kern. Eine Spalte, eine Knochennaht, die z. B. zwischen mesialem und 
distalem Schneidezahn durchzöge, existiert also nicht <Bruni). 

Nur kurze Zeit besteht dieser Alveolarteil des Intermaxillare isoliert, ver¬ 
schmilzt in Bälde mit dem des Oberkiefers, so einen Intermaxillo-maxillar- 
bogen bildend, Ende des 2. Monats <Bruni). 

Später entwickeln sich auch die Gaumenteile dieser Knochen. Während 
der des Oberkiefers von dessen Alveolarteil in die bindegewebsgefüllten 
Gaumenplatten hinein wächst, entsteht der des Zwischenkiefers aus einem 


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400 


Karl Peter 


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isolierten Knochenkern, der sich aber sehr bald mit den Knodienbälkdien 
des Alveolarstücks in Verbindung setzt. Dieses Stadium ist in Fig. 16 
erreicht. Man blickt in dieser auf das Munddach eines 40 mm langen 
Embryo der 10. Woche. Der Gaumen ist durchsichtig gedacht, so daß die 
Knochenanlagen und die Zahnleiste durchschimmern. Die Knochengrenzen 
sind ausgezogen, die der Zahnanlagen punktiert dargestellt. Der Kiefer- 
Zwischenkieferbogen ist in seinem vorderen Teil dargestellt, eine Grenze 
zwischen seinen beiden Bestandteilen ist nicht mehr zu ziehen. Nach innen 
von dem Intermaxillarteil dieses Bogens liegt nun jederseits ein isoliertes 
zackiges Knochenstück < Pp >, das den Gaumenteil des Zwischenkiefers reprä¬ 
sentiert. Feinste Knochenbrücken setzen es an den durch Kreuze bezeichn 



Fig. 17 

Knodienanlagen im Gaumen eines Embryo, der gleich groß/ aber bedeutend weiter entwickele ist als der zu 
Fig. 16 verwendete. Nadi Jarmer. Auf der Unken Seite der Figur ist der Gaumenteil des Zwischenkiefers 
nicht mehr von dem Alveolarteil getrennt dargestellr. GS Soalte zwischen den knöchernen Gaumenfort¬ 
sätzen, m 1 erster Molar, PO Gaumenfortsätze des Oberkiefers, PSt Prosessus Stenoniani, ZL Zahnleiste. 

Übrige Bezeichnungen wie in Fig. 16 

neten Stellen bereits in Verbindung mit dem Alveolarbogen. Der Gaumen* 
teil des Oberkiefers beschränkt sich auf kleine medial vorragende Fortsätze 
des Körpers. Ein weiter entwickeltes Stadium zeigt Fig. 17. Hier haben 
alle Knochenanlagen an Masse bedeutend zugenommen. Der Gaumenteil 
des Zwischenkiefers hat an vielen Stellen Anschluß an den Körper gewonnen 
und ist durch eine weit seitlich vorspringende Spalte von dem jetzt eben* 
falls kräftigen Gaumenteil des Oberkiefers getrennt. Diese Spalte <S/> wird 
zur Sutura incisiva, die am Gaumen des Neugeborenen ja noch so deutlich 
in Erscheinung tritt. Eine Sutura intraincisiva, nach vorn von dieser ge* 
legen, ist nicht vorgebildet/ sie ist also keine echte Naht zwischen getrennten 
Knochenkernen, sondern vielleicht nur eine Gefäßfurche, oder entsteht durch 
Vertiefung der am medialen Rande des Gaumenstücks bei © sichtbaren 
Budhr. Nebenbei sei noch erwähnt, daß sich noch in der Gegend dieser 



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Die formale Genese der Gesiditsspalten 


401 


Bucht zwei weitere kleine isolierte Knochenanlagen finden, die Processus 
Stenoniani (Pst), die in die Wandung des knöchernen Canalis nasopalatinus 
eingehen. 

Der Zwischenkiefer entsteht also, und das Schema Fig. 18 stellt 
dies klar dar, 

1. aus einem Alveolarteil, der sehr zeitig mit dem des Oberkiefers 
verschmilzt, in Fig. 18 weiß gehalten, 

2. aus einem Gaumenteil, dessen getrennte Entstehung schon Biondi 
beschreibt, wenn er auch in der Beurteilung seiner Lage nicht das Richtige 
traf, in Fig. 18 punktiert, 

3. aus einem Processus Stenonianus, der den Stensonschen Kanal 
umwandet, in Fig. 18 schwarz ausgefüllt. 

Wollen wir nun das Verhältnis dieser Knochen zu den Grenzen der Ge* 
sichtsfortsätze feststellen, so erhebt sich 
die oben erwähnte Schwierigkeit, daß 
die Grenzen in diesen Stadien längst 
verlöscht sind. Wir können sie aber 
in der Weise rekonstruieren, daß wir 
von dem äußeren Nasenloch eine lateral 
konvexe Linie bis an den Vorderrand 
der primitiven Choanen bzw. der 
Gaumenmündung des Canalis incisi* 
vus ziehen. Diese Linie ist in Fig. 16 
gestrichelt dargestellt/ sie läuft nicht 
an der Grenze zwischen Zwischen* c , . . . . !^ lg : l f tl c VT , f 

f . Saiema der Anlage des Zwisdienkiefers. Nach Janncr. 

und Oberkiefer, sondern wie dies an M, zweiter Molar, Sia sutura intraalveolaris, Sp so- 

dem noch isolierten Gaumenteil (Pp) tura palatina ‘ Qbrigc u B n c d zc ^ n ungen wie in Fig. ie 
besonders deutlich sichtbar ist, durch 

den Zwischenkiefer selbst hindurch, einen kleineren lateralen von einem 
umfänglicheren medialen Teil abtrennend. 

Wir gelangen also zu dem wichtigen Ergebnis, daß die Lippenkiefer* 
spalte, die eben in dieser Linie verläuft, durch den Zwischenkiefer 
hindurchzieht. Damit steht in Einklang, daß man nicht selten noch lateral 
von einer solchen Spalte Teile des Zwischenkiefers finden und daß die Sutura 
incisiva lateral von der Kieferspalte erhalten sein kann. Meist verstreicht 
sie aber in diesen Fällen. Fehlt dieses Stück, so ist dies auf eine 
Defektbildung an den Rändern der Spalte zurückzuführen. Das Schema 
Fig 15 zeigt den Bezirk des Zwischenkiefers auf der linken Gesichtsseite 
punktiert wiedergegeben/ man erkennt deutlich, daß dessen laterale Grenze 
an Gesicht wie Gaumen seitlich von der Lippenspalte gelegen ist und nicht 
mit ihr zusammenfällt. 

Es ist also durchaus unstatthaft, den bei doppelseitiger Lippen* 
kieferspalte zwischen den Spalten oft weit bürzelart igvorgeschobe* 
nenTeil, der sich aus dem mittleren Nasenfortsatz entwickelt, als 
Zwischenkiefer zu bezeichnen, wie es noch sehr häufig geschieht, da 

Vierteljahrssdirift für Zahnheilkunde, Heft 4 27 



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Karl Peter 


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cs nur einen Teil, wenn auch den größten, dieses Knochens in sich birgt, 
während das andere Stück lateral von der Spalte liegt, und da es noch andere 
Gebilde als den Knochen umfaßt. Der „Bürzel" entspricht eben dem medialen 
Nasenfortsatz mit all seinen Derivaten und hat mit den Knochen selbst und 
ihren Grenzen nichts zu schaffen. 

Wir fassen nochmals zusammen, daß der menschliche Zwischen* 
kiefer aus drei Anlagen jederseits hervorgeht, daß aber der 
Alveolarteil einheitlich angelegt ist. Die Grenzen zwischen diesen 
Anlagen sind ohne jede Beziehung zu denen der Gesichtsfortsätze, also auch 
zur Lippenkieferspalte. Eine Naht, die, wie Albrecht glaubte, den Alveolar* 
teil des Intermaxillare durchzöge und die Stelle der Lippenkieferspalte angebe, 
existiert nicht. 

Beziehung der Lippenkieferspalte zu den Zähnen 

Früher nahm man an, daß die Zähne feste Beziehungen zu den Knochen 
hätten, in denen sie stecken, und da man diesen wieder eine bestimmte Lage 
zu der Kieferspalte zuschrieb, so ergab sich die Forderung, daß auch die Zähne 
in einem gesetzlichen Lageverhältnis zu dieser Spalte stehen müßten, ja man 
ging so weit, einen überzähligen Zahn als Ursache für das Auftreten einer Kiefer¬ 
spalte aufzufassen (W arnekros). Das äußerst wechselndeV erhalten der Zähne 
zu beiden Seiten der Spalte setzte die Embryologen aber in nicht geringe 
Verlegenheit,- man findet bekanntlich meist <nadi Inouye in 49 von 68 
Fällen) einen Schneidezahn seitlich von der Kieferspalte. Dabei kann medial 
ein einziger Inzisivus entwickelt sein <27 Fälle) oder gar keiner <1 Fall), 
oder es sind zwei ausgebildet <21 Fälle). 

Worauf ist dieses wechselnde Verhalten nun zurückzufuhren? 

Da ist zu betonen, daß die eingangs erwähnten Annahmen nicht zu Recht 
bestehen. 

Einmal sind Knochenentwicklung und Zahnanlage zwei voneinander 
durchaus unabhängige Prozesse. Es nimmt dies nicht wunder, wenn 
man an einem Frontalschnitt durch die Kiefergegend die weite Ent* 
femung beachtet, in der sich Zahnkeim und Knochenbälkchen befinden 
<Fig. 20). Der Zusammenschluß beider Gebilde, die Entstehung der Al* 
veole um die Zahnwurzel, findet erst viel später statt. So kann es sich 
leicht ereignen, daß eine Zahnanlage einmal in einen Knochen gerät, zu 
dem sie gewöhnlich keine Beziehungen hat. Schumacher hat eine Reihe 
von Fällen namhaft gemacht, in denen ein Eckzahn im Zwischenkiefer 
vorhanden war, in denen also die Sutura incisiva hinter dem Dens caninus 
verlief. Ja er erwähnt einen Befund von Leuckart, der sogar medial von 
einer Lippenkieferspalte bei einem Fetus mit doppelter Hasenscharte einen 
Eckzahn aufwies! 

Es ist also, worauf Schumacher noch besonders hin weist, durchaus zu 
verwerfen, alle Zähne, die im Zwischenkiefer stecken, ohne Rücksicht auf 
ihre Gestalt als Schneidezähne zu bezeichnen, oder den Zwischenkiefer als 
Knochen zu definieren, der die Schneidezähne trägt. 



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Die formale Genese der Gesicfitsspalten 


403 


Infolge dieser Unabhängigkeit der Knochenentwicklung von der Zahn* 
anlage kann man nicht stets den gleichen Zahnbefund bei Lippenkieferspalte 
erwarten. 

Es ist mir nicht unbekannt, daß Fischei einen Schädel beschrieben hat, 
in dem sowohl Zwischenkiefer als Schneidezähne fehlten, der also eine Ab* 
hängigkeit dieser beiden Anlagen voneinander zu beweisen scheint. Nach 
Abbildungen und Beschreibung des Autors muß ich annehmen, daß der 
mittlere Nasenfortsatz in seinem vorderen Teil gänzlich gefehlt hat, sonst 
könnte daselbst kein so gewaltiger Gewebsverlust eingetreten sein, und 
daß er nicht nur den knöchernen Zwischenkiefer zu bilden unterlassen hat. 
Dann fehlte natürlich auch der die Incisivi liefernde Teil der Zahnleiste, so 
daß diese Zähne nicht zur Ausbildung kommen konnten. Vielleicht handelt 
es sich um eine intrauterin geheilte „falsche mediane Oberlippenspalte" 
<s. diese). 

Aber auch direkt, ohne Vermittlung der Knochen, können die Zahnkeime 
eine Kieferspalte nicht verursachen. Zum Beweis dieses Satzes genügt der 
Hinweis auf die zeitlichen Entwicklungsverhältnisse. Der primitive Gaumen 
ist fertig gebildet am Ende der 6. Woche, die ersten Zahnanlagen treten 
aber an der Zahnleiste erst am Ende der 8. Woche auf, wenn die Kiefer* 
spalte also längst bestehen sollte. Warnekros' oben erwähnte und auch 
von Apfelstädt lebhaft verfochtene Hypothese von dem ursächlichen 
Zusammenhänge eines überzähligen Zahnkeimes mit einer Kieferspalte ent* 
behrt also jeglicher Begründung. 

Läßt sich nun aber die Lage der Kieferspalte zu den Zahnanlagen nach* 
weisen? 

Werfen wir den Blick auf Fig. 15c und 16, so sehen wir, daß die Linie, 
die die Grenze zwischen den Gesichtsfortsätzen andeutet, mitten durch die 
Anlage des seitlichen Schneidezahnes hindurchzieht, wie sdion Inouye ver* 
mutete. Es findet sich also jederseits von der Kieferspalte eine halbe seit* 
liehe Schneidezahnanlage. Nun sind die wechselnden Zahnbefunde ohne 
Schwierigkeit zu deuten: entwickeln sich beide Anlagen, so steht jederseits 
von der Spalte ein lateraler Incisivus,- geht ein Keim zugrunde, so findet 
sich nur einer medial oder lateral von der Kieferspalte. Treffen wir also 
Kieferspalte mit drei Schneidezähnen vergesellschaftet, so ist nicht, wie 
Warnekros annimmt, der überzählige Zahn die Ursache der Spalte, sondern 
umgekehrt die Spalte die Ursache des überzähligen Zahnes. 

Wir sehen, wie sich durch diese entwicklungsgeschichtlichen Feststellungen 
diese Deutungen vereinfacht haben,- wir brauchen, der Unabhängigkeit der 
verschiedenen Entwicklungsvorgänge bewußt, nicht mehr darüber zu streiten, 
ob diese wechselnden Befunde durch die Entwicklung einer oder zweier 
Zwischenkieferanlagen, eines überzähligen oder fehlenden Zahnes zurück* 
zuführen sind. Die Lippenkieferspalte ist unabhängig von den An* 
lagen der Knochen und der Zähne. 

Das Verhältnis der Lippenkieferspalte zu den Knochen* 
anlagen und den Zahnkeimen ist jetzt vollkommen aufgeklärt. 

27* 


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Karl Peter 


Die unvollständige Spaltung des primitiven Gaumens 

Bisher haben wir nur die vollständige Lippenkieferspalte betrachtet, die 
den ganzen Bezirk des primitiven Gaumens vom Rand der Oberlippe bis 
zum Foramen incisivum des Gaumens durchzieht. Nun ist sie aber in vielen 
Fällen nicht vollständig, sondern durchschneidet nur die Oberlippe oder auch 
nur den Kiefer, und dieses in sehr variabler Weise, so daß die Erscheinung^ 
formen äußerst verschiedenartig sein können. Die Lippenspalte z. B. weist 
alle Grade von einer leichten Einkerbung des Lippenrandes bis zum Ver¬ 
lauf ins Nasenloch hinein auf. 

Wie entstehen nun diese unvollkommenen Lippenkieferspalten? 

Meines Erachtens handelt es sich um einen zwiefachen Entwick¬ 
lungsmodus. 

Einmal kann eine anfänglich vollständige Spalte durch nachträglichen teil¬ 
weisen Zusammenschluß der Ränder in eine unvollständige übergehen. Eine 
solche nachträgliche Verschmelzung kann jederzeit stattfinden. Sie 
hinterläßt narbenartige Streifen in der Haut, wie sie auch bei normalen Ver¬ 
wachsungsprozessen auftreten, z. B. am Skrotum. Ein eigentliches Narben¬ 
gewebe kommt hier wie dort nicht zur Ausbildung. Je nachdem diese Ver¬ 
wachsung diese oder jene Partie der Spalte in größerer oder geringerer Aus¬ 
dehnung angreift, können die verschiedensten Formen resultieren. Daß speziell 
eine Einkerbung in der Oberlippe sehr häufig bestehen bleibt, ist wohl darauf 
zurüdczufuhren, daß die frei herabhängenden Lippenfalten nicht durch um¬ 
liegende Teile aneinandergepreßt und somit nicht zum nachträglichen Ver¬ 
schmelzen gedrängt werden. 

Eine unvollkommene Lippenkieferspalte kann aber auch dadurch entstehen, 
daß die normale Verwachsung der Gesichtsfortsätze zu ver¬ 
schiedenen Zeiten gehemmt wurde. 

Hat z. B. die Vereinigung des medialen Nasenfortsatzes mit dem Ober¬ 
kieferfortsatz begonnen, ist aber infolge eines später eintretenden Hemmnisses 
nicht durchgeführt worden, so kann der Gaumen intakt sein, aber eine Lippen¬ 
spalte, eventuell mit Fissur im Oberkiefer, auftreten. 

Auf diese Weise ist jede Form der unvollständigen Lippenkieferspalte 
ohne Schwierigkeit zu erklären. Ob sie nach dem ersten oder zweiten Modus 
entstanden ist, wird allerdings nicht immer zu entscheiden sein,- Narben¬ 
streifen, die an Haut oder Schleimhaut sichtbar sind, werden oft auf die 
Entstehungsart hindeuten. 

Anhangsweise noch ein Wort über die Entstehung der 

falschen medianen Oberlippenspalte 

Bei ihr handelt es sich um eine doppelte seitliche Lippenkieferspalte mit 
Defekt des medialen Stirnfortsatzes. Dann fließen die beiden Fissuren zu¬ 
sammen und ergeben eine breite einheitliche mittlere Spalte, die aber genetisch 
als durch Zusammenfluß zweier seitlicher entstanden aufzufassen ist. Viel¬ 
leicht handelt es sich bei dem obenerwähnten von Fischei beschriebenen 


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Die formale Genese der Gesiditsspalten 405 

Schädel um eine solche Spalte, die aber intrauterin durch Zusammenschluß 
der seitlichen Gesichtsfortsätze geheilt ist. 


DIE SCHRÄGE GESICHTSSPALTE 


SNF 


Die Erklärung der Entstehung dieser seltenen, den Praktiker weniger 
interessierenden Mißbildung wird nach der ausführlichen Darstellung der 
Genese der Lippenkieferspalte nicht schwer fallen. 

Nach Morian unterscheiden wir drei Formen, von denen die dritte, die 
vom Mundwinkel dem Auge 
zuläuft, keine Beziehungen zu 
den Gesichtsfortsätzen auf» 
weist und für uns daher von* 
läufig außer Betracht bleibt. 

Die beiden anderen Formen 
beginnen als seitliche Ober¬ 
lippenspalte. Die erste läuft 
ins Nasenloch aus und von 
da nach dem inneren Augen¬ 
winkel, die zweite zieht sich 
die meist völlig normal 


um 

gestaltete Nase herum und 
endet gleichfalls am inneren 
Augenwinkel <Fig. 19>. 

Die Lage dieser Spalten 
ist an der Hand von Fig. 1 
im embryonalen Gesicht leicht 
festzustellen: sie liegt zwischen 
den Gesichtsfortsätzen. Der 
senkrechte Schenkel entsteht 
wie die Lippenkieferspalte 
durch nicht eingetretene Ver¬ 
wachsung des mittleren Na¬ 
senfortsatzes mit dem Ober¬ 
kieferfortsatz, bei der ersten 
Form auch mit dem seitlichen 



OKF. 


MNF 


SNF. 


MNF 


Fig. 19 

Schema der Lage der schrägen Gesichtsspalte, Typus 1L Dar* 
Stellung wie in Fig. 15. Die Spalte beginnt als seitliche Lippen^ 
spalte zwischen dem Gebiet des mittleren Nasenfortsatzes und 
des Oberkieferfortsatzes, zieht dann vor dem Nasenloch zur 
Seite und läuft zwischen dem Bezirk des seitlichen Nasenfort» 
Satzes und des Oberkieferfortsatzes dem inneren Augenwinkel 
zu. AN Augennasenrinnenteil der Spalte, LK Lippenkieferteil 
der Spalte. Übrige Bezeichnungen wie in Fig. 4 


Nasenfortsatz, während bei der zweiten Form die Verwachsung des mitt¬ 
leren mit dem seitlichen Nasenfortsatz — ursprünglich oder nachträglich — 
eingetreten ist. Die Genese und Ursache dieser Fissur ist die gleiche, wie 
bei der Oberlippenkieferspalte selbst. 

Der Wangenteil liegt zwischen Oberkiefer- und seitlichem Nasenfortsatz. 

Dieser Teil muß sich aber auf andere Weise entwickeln, als der Lippen¬ 
abschnitt, denn diese Gesichtsfortsätze verwachsen nicht miteinander, zwischen 
ihnen findet sich in keinem Embryonalstadium eine Spalte, sondern nur eine 
Furche. Und die Tränennasenfurche schwindet, wie oben schon erwähnt. 


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406 


Karl Peter 


nicht infolge Verwachsung der zugekehrten Flächen der Gesichtsfortsätze, 
sondern durch ein allmähliches Ausgleichen, indem sie von innen her aus¬ 
gefüllt wird. 

Eine Spalte muß hier also neu geschaffen werden,* die normal vorhandene 
Rinne kann auch leicht durch Einlagerung oder Zug amniotischer Stränge 
zum tieferen Einschneiden gebracht werden, so daß eine mehr oder weniger 
tiefe Fissur entsteht. 

Die schräge Gesichtsspalte ist also formalgenetisch in ihrem 
Lippenkieferteil als Entwicklungshemmung (fehlende Verwachsung 
der Gesichtsfortsätze), in ihrem Wangen teil als Entwicklungs¬ 
umbildung (Vertiefung einer Rinne zur einschneidenden Spalte) zu be¬ 
trachten. 

Ätiologisch dürften allein amniotische Verwachsungen und Stränge, also 
äußere Ursachen, für die schräge Gesichtsspalte in Betracht kommen. In der 
Tat sieht man meistens auch solche Reste am Kopf dieser Mißbildungen. 

Die Genese der schrägen Gesichtsspalte ist also leicht zu verstehen, ebenso 
auch ihre verschiedenen Formen und Grade, ihr mehr oder weniger tiefes 
Einschneiden, denn sie braucht nicht immer vollständig zu sein, sondern 
kann auch unvollständig auftreten, letzteres oft infolge intrauteriner Heilung. 

Ich brauche daher wohl keine Schemata wie bei der Genese der Lippen¬ 
kieferspalte zu geben/ man braucht in den Figuren 9—13 nur die Tränen¬ 
nasenrinne als schwarzen Strich einzuzeichnen, um die Bilder für diese Mi߬ 
bildung brauchbar zu machen. Dagegen möchte ich doch in Fig. 19 die 
Lage der zweiten Form der Gesichtsspalte im Gesicht des Erwachsenen 
schematisch wiedergeben. 

Wie bei doppelter Lippenkieferspalte kann auch bei doppelter Gesichts¬ 
spalte das Zwischenstück defekt sein oder ganz fehlen,* da es viel umfänglicher 
ist, als bei jener Fissur, so resultiert dadurch eine ausgedehnte, als Aprosopie 
bezeichnete Mißbildung. 

DIE QUERE GESICHTSSPALTE 

Wenn man das embryonale Gesicht (s. Fig. 1) betrachtet, so fällt eine 
unverhältnismäßige Breite der Mundspalte auf. Erst nach und nach wird sie 
schmaler, wahrscheinlich weniger durch Verwachsen der sich herausbildenden 
Lippen, als durch besonders starkes Wachstum der seitlichen Partien. Denn 
Epithelreste, die ein direktes Verwachsen bewiesen, werden an diesen Stellen 
nicht gefunden. 

Die quere Gesichtsspalte, das Makrostoma, erinnert nun lebhaft an die 
mächtige embryonale Mundspalte, und es fragt sich, ob wir es hier mit einer 
Entwicklungshemmung zu tun haben. Ich glaube dies nicht vertreten zu 
können. Denn wenn diese Fissur in ihrer weitesten Ausbildung bis zum 
Ohr reicht, so besitzt sie eine seitliche Ausdehnung, wie sie die embryonale 
Mundspalte nie aufwics,* es handelt sich hier also um eine Neubildung, und 
wenn wir überhaupt eine Verwachsung der Lippenränder bei der relativen 


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Die formale Genese der Gesichtsspalten 


407 


Verkleinerung des Mundes nicht annehmen, so muß ein seitlicher Zug — 
wahrscheinlich auch hier amniotischer Verwachsungen oder Stränge — die 
die Mundspalte seitlich fortsetzende Rinne zwischen Ober« und Unterkiefer« 
fortsatz vertieft und zur Spalte umgebildet haben. Ich betrachte diese 
Mißbildung also als Entwicklungsumbildung. 

Wir kommen nun zu den 

Gesichtsspalten ohne Beziehungen zu den Furchen zwischen 

den Gesichtsfortsätzen 

und hatten als solche aufgezählt die mediane Nasenspalte, Ober» und Unter» 
lippenspalte und die seitliche Nasenspalte/ auch die dritte Form der schrägen 
Gesichtsspalte nach Morian gehört hierher. 

DIE MEDIANEN GESICHTSSPALTEN 

Die mediane Nasen«, Ober» und Unterlippenspalte sind gemeinsam zu 
behandeln. Sie liegen nicht zwischen den Gesichtsfortsätzen, und an ihrer 
Stelle findet sich auch normal keine embryonale Spalte, die ihr Vorhanden» 
sein als Entwicklungshemmung bezeichnen ließe. 

Die Gegend der Mittellinie zwischen den beiden mittleren Nasenfort* 
Sätzen ist zwar in frühen Entwicklungsstadien leicht eingesunken <s. Fig. 1), 
doch gleicht sich diese Delle sehr bald wieder aus, schon bei dem 20 mm 
langen Embryo ist nichts mehr davon zu bemerken <s. Fig. 12>. Auch die 
beiden Unterkieferhälften sind durch eine Rinne voneinander getrennt, die 
aber ebenfalls sehr zeitig verstreicht (vgl. Fig. 1 mit Fig. 2>. Nun könnte 
man annehmen, daß diese seichten Rinnen ähnlich wie die Tränennasenfurche 
bei der schrägen Gesichtsspalte durch irgendeinen Zug sich zur Spalte vertieften,- 
es ist dies nicht direkt von der Hand zu weisen, wenn es auch sehr unwahrschein» 
lieh ist, da der Kopf des Embryo zur Zeit des Vorhandenseins dieser Rinnen 
mit dem Gesicht dicht der Herzwölbung auf liegt und Lippen» und Nasengegend 
daher mechanischen Schädigungen entrückt sind, in viel höherem Grade als 
die an der Seite viel freier gelagerte Tränennasenfurche. Zumal zu einer 
Zeit, in der die Bildung der Lippen erfolgt, sind diese Furchen längst ge» 
sdvwunden. Man könnte sich allerdings denken, daß infolge Mangels von 
Amnionflüssigkeit der Kopf des Embryo stärker auf die Herzwölbung ge» 
preßt würde. Durch solchen seitlich gerichteten Drude könnten die leichten 
medianen Einkerbungen zu Spalten vertieft werden,- doch würden bei einer 
derartigen Schädigung des Kopfes sicher weitgehendere Wachstumsstörungen 
zu erwarten sein. 

Ich möchte daher annehmen, daß diese medianen Fissuren erst in späteren 
Stadien entstehen, und zwar durch den Zug amniotischer Stränge. 

Jedenfalls handelt es sich bei ihnen formalgenetisch um Entwicklungs« 
Umbildungen und keinesfalls um ein Bestehenbleiben embryonal vor¬ 
handener Spalten, um Entwicklungshemmungen. 


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Karl Peter 


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DIE SEITLICHE NASENSPALTE 

Das gleiche gilt für die seitliche Nasenspalte, die den Nasenflügel vom 
Nasenloch aus nach oben spaltet. 

Am oberen Rande der Riechgrube findet sich nie eine Spalte, deren Be* 
stehenbleiben diese Mißbildung hervorbrächte,• er ist stets gerundet, nie spitz 
zulaufend, und nichts deutet darauf hin, daß ein Zusammenschluß der Nasen* 
fortsätze auch von oben her stattfände <vgl. hierzu die Fig. 1 und 2>. Auch 
hier handelt es sich um eine Entwicklungsumbildung, um einen abnormen 
Zug, vielleicht wieder amniotischer Natur, der in frühen oder späteren 
Stadien die Riechgrube oder das äußere Nasenloch nach der Stirn zu zur 
Rinne und dann durch ungleiches Wachstum der Ränder zur Spalte auszieht. 

DIE GAUMENSPALTE 

Als letzte Mißbildung haben wir die Gaumenspalte zu behandeln, deren 
formale Genese sehr leicht zu verstehen ist. Einleitend müssen wir uns auch 
hier erst mit den normalen Entwicklungsvorgängen bekannt machen und 
betrachten daher zuerst die Entstehung des sekundären Gaumens. 

Schon Fig. 9, das Munddach eines 15 mm langen Embryo darstellend, 
läßt seitlich und hinter den noch durch die Membrana bucconasalis ver* 
schlossenen primitiven Choanen seichte Wülste am Munddach erkennen, die 
sich bei dem 20 mm langen Embryo <Fig. 12> bereits zu kräftigen Leisten 
ausgewachsen haben, die nach unten gerichtet sind und die Zunge zwischen 
sich fassen. Sie versenken die noch sichtbaren primitiven Choanen, so daß 
diese bei Betrachtung des Gaumens von unten nicht mehr in ganzer Aus* 
dehnung zu erkennen sind. Es sind dies die sekundären Gaumenfort* 
sätze oder Gaumenplatten. Sie beginnen am Vorderrande der primitiven 
Choanen, diese sogar etwas nach vorn überragend, heben sich bald stärker 
heraus und laufen, allmählich sich abflachend, an den Seitenwänden des 
Schlundes aus. 

Am Ende der achten Woche (Embryonen von etwa 25 mm Länge) zieht 
sich die Zunge aus dem Raume zwischen den sagittal gestellten Gaumen* 
platten zurück und die Gaumenplatten klappen um, so daß sie sich in hori* 
zontaler Lage befinden, und daß ihre freien Ränder nicht mehr nach unten, 
sondern medial sehen. Die Zunge liegt dann unter ihnen. Wie diese Um* 
lagerung vor sich geht, welche Kräfte dabei wirksam sind, das soll hier 
nicht erörtert werden, diese Frage ist viel diskutiert und sehr verschieden 
beantwortet worden. 

Das Ergebnis dieses wichtigen Prozesses zeigt Fig. 13 von einem 26 mm 
langen Embryo. 

Dieses Stadium ist für uns besonders wichtig und verlangt eingehende 

Berüdcsichtigung. 

Der primitive Gaumen ist längst geschlossen und zeigt bereits die oben 
beschriebenen Differenzierungen. Sein hinteres Ende, der Vorderrand der 



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Die formale Genese der Gesiditsspalten 


409 


primitiven Choanen, ist in der Tiefe sichtbar. Im übrigen werden die weit 
nach hinten verlängerten primitiven Choanen verdeckt durch die Gaumen¬ 
platten, die horizontal stehen. Durch ihre Aufrichtung aus der sagittalen 
Lage in die horizontale hat sich natürlich der Zwischenraum zwischen ihnen 
erheblich verengt, zumal sie sich auch in dieser Richtung noch verlängert haben. 
So fassen sie zwischen sich die schmale physiologische Gaumenspalte, 
die am vorderen Rande der primitiven Choane beginnt und nach dem 



Fig. 20 

Frontalschnitt durch die Gegend der primitiven Choanen des 26 mm langen Embryo. Die Gaumenplatten 
PP haben sich horizontal eingestellt, sind aber noch durch die physiologische Gaumenspalte voneinander ge« 
trennt. Auch haben sie sich noch nicht mit dem Septum narium SN vereinigt, so daß die Nasenhöhlen noch 
mit der Mundhöhle in offener Verbindung stehen. Man beachte in dieser Figur noch die Entfernung 
zwischen Zahnkeim Z und Oberkieferanlagen (schwarz gehalten), M Nasenmuscheln 

Pharynx zu läuft. Ihre Weite ist nicht überall gleich. Vom etwas breit, ver¬ 
engt sie sich schnell infolge buckelartigen Vorspringens der Ränder der 
Gaumenplatten und erweitert sich darauf langsam bis an eine Stelle, an der 
jederseits ein zapfenartiger Vorsprung einen gewissen Abschluß bildet. Von 
da aus verstreichen die niedrig gewordenen Falten an den Seitenwänden des 
Schlundes. 

Im weiteren Verlauf der Entwicklung wachsen sich die Gaumen¬ 
platten einander entgegen, berühren sich und verschmelzen mit- 


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einander, indem sich erst die bedeckenden Epithelien aneinanderlegen, 
dann wird diese Epithelmauer durdi Bindegewebe durchbrochen, und der 
Gaumen stellt dann eine einheitliche Gewebsmasse dar <s. Fig. 20—22). 

Diese Verschmelzung beginnt bei Tieren etwas hinter dem vorderen Ende, 
beim Menschen also vielleicht auch an der engsten Stelle, und schreitet von 
dort nach hinten und nach vorn fort. 

Der Verschluß nach hinten geht gleichmäßig vor sich bis an die oben 
erwähnten zapfenartigen Vorsprünge, aus deren Verschmelzung die Uvula 
entsteht, der nach hinten davon gelegene Abschnitt der Spalten verwächst 
nicht miteinander, sondern bilden die Arcus palatopharyngei und weiterhin 
die Plicae palatopharyngeae. 

Diese Verwachsung der Gaumenplatten pflegt zur Zeit der Geburt vollendet 

zu sein, doch fand Körner noch bei 
Kindern bis 5 Jahren bei einem vollen 
Drittel eine schwache Einkerbung an 
der Spitze des Zäpfchens, die sich im 
weiteren Leben ausgleicht. 

Die Gaumenplatten verwach* 
sen aber nicht nur miteinander, 
sondern auch mit der aus dem 
mittleren Stirnfortsatz hervor* 
gegangenen Gewebsmasse zwi* 
sehen den langgestreckten pri* 
mitiven Choanen, der Nasen* 
Scheidewand, die sich von vorn nach 
hinten an den sekundären Gaumen an* 
legt und die beiderseitigen Nasenhöhlen 
voneinander trennt <s. Fig. 21 und 22). 

Drei Schnitte durch den Gaumen 
menschlicher Embryonen zwischen 26 
und 40 mm Länge geben diese Verwachsungsverhältnisse wieder <Fig. 20—22). 
In Fig. 20, einem Schnitt durch den in Fig. 13 dargestellten Gaumen, sehen 
wir die Gaumenplatten bereits horizontal gestellt, aber noch getrennt, und 
auch noch nicht mit dem Septum narium verschmolzen. Fig. 21 gibt dann 
das Stadium wieder, in dem die Gaumenplatten epithelial verklebt, aber 
von der Nasenscheidewand noch getrennt sind. In Fig. 22 ist auch diese 
Verwachsung erfolgt, die Nasenhöhlen sind voneinander und von der Mund* 
höhle abgeschlossen. Die Epithelien, die die Fortsätze anfangs voneinander 
schieden, sind durch Bindegewebe zersprengt worden und nur noch in Resten 
vorhanden. 

Die primitiven Choanen münden nach dem Gaumenschluß (auch nach 
Schluß der vorderen Partie) nicht mehr am Dach der Mundhöhle aus, sondern 
in den unteren, durch den Zwischenboden des sekundären Gaumens von der 
primitiven Mundhöhle abgespaltenen Teil der definitiven Nasenhöhle. Diese 
besitzt dann nur an ihrem hinteren Ende, da, wo die Gaumenfortsätze 



Frontalschnitt durch Gaumen und Nasenhöhle eines 
8 Wochen alten Embryo, nachKallius. Die Gaumen* 
fortsätze haben sich vereinigt, ihr Epithelbelag ist 
verschmolzen, aber noch intakt. Dagegen sind sie 
noch nicht mit dem Septum verwachsen. Gf Gau¬ 
menfortsätze, JO Jacobsonsches Organ, K Nasen* 
knorpel. Kn Knodienanlage, Z Zahnkeim, 
Zu Zunge 



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Die formale Genese der Gesiditsspalten 


411 


nicht mehr verwachsen sind, sondern der Gaumenbogen beginnt, eine Öffnung 
in die Mundhöhle: es ist dies die sekundäre oder definitive Choane. 

Viel komplizierter gestaltet sich der Schluß am vorderen Ende der Gaumen¬ 
spalte. Doch ist es nicht notwendig, hier auf diese schwierigen, erst kürzlich 
geklärten Verhältnisse einzugehen, wenngleich es sehr interessant wäre, auf 
Grund dieser Ergebnisse bei Gaumenspalten die Beziehungen der unver¬ 
einigten Gaumenplatten zum primitiven Gaumen zu studieren. Die normalen 
Entwicklungsvorgänge sind in einer in Bälde zu veröffentlichen Arbeit von 
Rydzek <Arch. f. mikr. Anat.) beschrieben, kurz erwähnt in einer Mit- 



Fronialschnitt durch Nasenhöhle und Gaumen eines 40 inm langen Embryo. Die Gaumenfortsätze sind 
miteinander und mit dem Septum narium SN verschmolzen. Bindegewebe hat die Epithelwändc durch* 
brochen, vom Epithel sind nur noch Reste ER übrig geblieben 

teilung von Peter <1914). Es genüge hier die Angabe, daß die Gaumen¬ 
platten sich mit dem primitiven Gaumen zu einer festen Einheit verbinden 
und daß nicht, wie bei Tieren, eine offene Kommunikation zwischen Nasen- 
und Mundhöhle im epithelial ausgekleideten Canalis nasopalatinus aus¬ 
gespart wird. 

Das definitive Munddach besteht also aus zwei genetisch ganz ver¬ 
schieden zu bewertenden Stücken: aus dem hinteren Abschnitt des primitiven 
Gaumens und dem sekundären Gaumen. Eine Grenze zwischen diesen 
beiden Bestandteilen ist, wie schon oben erwähnt, weder an der Schleim¬ 
haut noch am Knochen zu erkennen ,• einzig der knöcherne Canalis nasopalatinus 
gibt in der Mittellinie die Grenze an. 


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Es ist wohl vorteilhaft, die Bezeichnungen, die in den entwiddungs- 
geschichtlichen Erörterungen erwähnt wurden, in ihrer Bedeutung hier noch* 
mals zusammenzustellen. 

Primitive Nasenhöhle = Raum zwischen äußerem Nasenloch und der 
primitiven Choane. 

Definitive Nasenhöhle = primitive Nasenhöhle plus oberem Teil der 
primitiven Mundhöhle. 

Primitive Mundhöhle = embryonaler Mundraum, an dessen Dach 
die primitiven Choanen ausmünden. 

Definitive Mundhöhle = primitive Mundhöhle minus deren oberer 
zur Nasenhöhle geschlagenen Etage. 

Primitive Choane = Öffnung der primitiven Nasenhöhle am Dach 
der primitiven Mundhöhle. 

Definitive Choane = Öffnung der definitiven Nasenhöhle hinter dem 
weichen Gaumen in den Rachen. 

PrimitiverGaumen = Gewebsmasse zwischen äußerer Nasenöffnung 
und primitiver Choane, liefert Oberlippe, Alveolarfortsatz und defini- 
tiven Gaumen bis zum Foramen incisivum. 

Sekundärer Gaumen = Produkt der Gaumenplatten, liefert harten 
Gaumen vom Foramen incisivum an und weichen Gaumen. 

Definitiver Gaumen = Gaumenabschnitt des primitiven Gaumens 
plus sekundärem Gaumen. 

Wir kommen nach diesen entwicklungsgeschichtlichen Betrachtungen, die 
vorausgeschickt werden mußten, zu der formalen Genese der Gaumen¬ 
spalte. Diese ist, wie erwähnt, leicht zu verstehen: die Gaumenspalte ist 
eine reine Entwicklungshemmung, indem die physiologische embryonale 
Gaumenspalte bestehen bleibt, die Gaumenplatten aus irgendeinem Grunde 
sich nicht vereinigen konnten, sei es, daß eine im Wachstum zurückgeblieben 
ist oder sonst ein Hindernis des Zusammenschlusses bestand. 

Eine vollständige unkomplizierte Uranosdiisis gibt also das Bild der 
embryonalen Gaumenspalte wieder, wie es Fig. 13 zeigt. Sie reicht vom 
Foramen incisivum bis zu den Uvulahälften ,• der vom knöchernen Zwischen¬ 
kiefer gebildete vordere Teil des definitiven Gaumens, der ja eine ganz 
andere Genese hat, ist normal. 

Auch das Septum narium kann von den Gaumenplatten nicht erreicht 
werden, dann münden beide nicht abgeschlossene definitive Nasenhöhlen in 
die Mundhöhle. Es kann die Nasenscheidewand aber auch mit einer der 
unvereinigten Gaumenplatten <meist mit der rechten) in Verbindung treten 
und eine Nasenhöhle nach unten verschließen. Man pflegt dann von einer 
einseitigen Gaumenspalte zu sprechen im Gegensatz zu der eben erwähnten 
doppelseitigen. Dieser Ausdruck ist aber unstatthaft,- die Gaumenspalte 
ist nie doppel- oder einseitig, sondern stets median gelegen. 
Daran ändern sekundäre Anschlüsse, die die Gaumenplatten stark verlagern 
können, nichts. Exakt würde man, wenn auch etwas weitläufiger, von einer 
Gaumenspalte mit Öffnung in eine oder beide Nasenhöhlen reden. 



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Die formale Genese der Gesiditsspalten 


413 


In dieser Form zeigt sich die Gaumenspalte aber durchaus nicht immer. 
Sie kann unvollständig oder mit anderen Mißbildungen kompliziert sein. 

Die unvollständige Gaumenspalte beschränkt sich fast durchweg 
auf die Spaltung eines mehr oder weniger ausgedehnten Teils des hinteren 
Gaumens. Sie kann wie die unvollständige Lippenkieferspalte auf doppelte 
Weise zustande kommen. Einmal dadurch, daß der Zusammenschluß der 
Gaumenplatten zwar begann, dann aber der weitere Ablauf dieses Vor¬ 
gangs gestört und verhindert wurde. Dann ist die Spalte von Anfang an 
unvollständig. Meist wird aber wohl die unvollständige Uranoschisis darin 
ihre Ursache haben, daß eine vollständige Gaumenspalte durch einen teil- 
weisen Heilungsvorgang in eine unvollständige umgewandelt wurde, indem 
die abnorm getrennten Gaumenfortsätze sich nachträglich noch streckenweise 
zusammenschlossen. Als Beweis hierfür nimmt man bei gespaltenem hinteren 
Gaumen Knochenlücken im vorderen geschlossenen Teil an,- diese erklärt 
man auf die Weise, daß der verspätete Gaumenschluß hier nur die Weich¬ 
teile zur Vereinigung bringen konnte, die schon gebildeten Knochenplatten 
aber nicht mehr. 

Sehr häufig ist die Komplikation der Gaumenspalte mit der Ober¬ 
lippenkieferspalte, die die meisten Autoren veranlaßte, diese genetisch 
scharf auseinander zu haltenden Mißbildungen zusammen zu werfen. Dieses 
Zusammenfallen aber ist leicht zu erklären. 

Es wird nämlich die früher entstandene Lippenkieferspalte die Ursache der 
später entstehenden Gaumenspalte abgeben. Es ist leicht vorstellbar, daß 
bei der engen Nachbarschaft der Gebiete eine stärker klaffende Fissur im 
Kiefer die normale Vereinigung auch der Gaumenplatten, die ja in der Nähe 
des hinteren Endes dieser Spalte beginnen soll, verhindert. 

Notwendig ist dieser Einfluß ja nicht,- es kann der hintere Teil der Kiefer¬ 
spalte bereits verheilt sein, wenn der Gaumenschluß beginnt, und bei leichter, 
besonders einseitiger Kieferspalte kann die Störung so gering sein, daß ein 
Gaumenschluß möglich ist. Immerhin sind die schon oben erwähnten Zahlen 
interessant, daß bei einseitiger Lippenkieferspalte auf 2 einfache 3 mit 
Gaumenspalte vergesellschaftete treffen, während bei doppelseitiger das Ver¬ 
hältnis von unkompliziert zu kompliziert 1:5 ist. 

Somit finden wir als Ursache der Gaumenspalte oft eine bestehende 
Lippenkieferspalte. Andere äußere Ursachen werden selten in Betracht 
kommen. Dagegen wird man infolge der Erblichkeit oft blastogene innere 
Ursachen für die Mißbildung annehmen müssen. 

Im vorstehenden habe ich so kurz als es möglich war die formale Genese 
der Gesichtsspalten nach unseren jetzigen Kenntnissen geschildert und hoffe, 
damit dem Arzt keinen unwillkommenen Dienst geleistet zu haben, da auch 
die neuesten klinischen Lehrbücher noch mit durchaus veralteten Anschauungen 
arbeiten. 


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414 


Karl Peter: Die formale Genese der Gesichtsspa/ten 


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VERZEICHNIS DER ZITIERTEN ARBEITEN 

<Eine vollständige Aufzählung der einsdiläglgen Arbeiten bis 1912 findet sich in meinem Atlas der Ent¬ 
wicklung der Nase.) 

1883. Albrecht, P.: Über die morphologische Bedeutung der Kiefer-, Lippen- und Ge¬ 
sichtsspalten. Langenbecks Archiv, Bd. 31. 

1911. Apfelstädt: Über den heutigen Stand der genetischen Fragen der Gaumen- und 
Gesichtsspalten. Deutsche Monatsschrift für Zahnheilkunde. 

1888. Biondi, D.: Lippenspalte und deren Komplikationen. Virchows Archiv, Bd. 111. 

1912. Bruni, A.: Studii sullo sviluppo della regione intermascellare nell'uomo. Real. 
Acad. Science di Torino. 

1905. Fischei, A.: Über einen menschlichen Schädel ohne Zwischenkiefer. Anatomischer 
Anzeiger, Bd. 27. 

1910. Fleischmann, A.: Zur Physiognomik des embryonalen Katzengesichtes. Sitzungs¬ 
bericht Phys.-Med. Ges. Erlangen, Bd. 42. 

1913. Grünberg, K.: Die Gesichtsspalten usw. Schwalbes Morphologie der Mißbil¬ 
dungen, Bd. 3. 

1904. Haug, G.: Beitrag zur Statistik der Hasenscharten. Beitr. klin. Chir., Bd. 44. 

1922. Jarmer, K.: Über die mehrfache Anlage des Zwischenkiefers beim Menschen. 
Zeitschrift für Anatomie. 

1912. Inouye, M.: Der Zwischenkiefer, seine Entstehung und der Verlauf der Hasen- 
scharten-Kieferspalte und der schrägen Gesichtsspalte. Anatomische Hefte, Bd. 45. 

1883. Kölliker, Th.: Über das Os intermaxillare des Menschen und die Anatomie der 
Hasenscharte und des Wolfsrachens. Nova acta, Halle. 

1899. Körner, O.: Zur Kenntnis der Uvula bifida. Zeitschrift f. Ohrenheilkunde, Bd. 35. 

1840. Leuckhardt, Fr.: Untersuchungen über den Zwischenkiffer beim Menschen in 
seiner normalen und abnormen Metamorphose. Stuttgart. 

1887. Morian: Über die schräge Gesichtsspaltc. Archiv f. klinische Chirurgie, Bd. 35. 

1913. Peter, K.: Atlas der Entwicklung der Nase und des Gaumens beim Menschen. 
Jena, Fischer. 

1914. Peter, K.: Die Entwicklung der Papilla palatina beim Menschen. Anatomischer 
Anzeiger, Bd. 46. 

1904. Pohl mann: Mißbildungen, insbesondere Gesichtsmißbildungen, im historischen und 
embryologischen Bilde. Deutsche Monatsschrift für Zahnheilkunde, Jahrgang 29. 

1922. Rydzek, A.: Über den vorderen Gaumenschluß beim Menschen. Archiv f. mikro¬ 
skopische Anatomie. 

1906. Schumacher, S. v.: Über das Vorkommen von Eckzähnen im Zwischenkiefer 
und die Variabilität des Verlaufs der Sutura incisiva. Anatomischer Anzeiger, Bd. 29 

1917. Thour£n, G.: Über die Sutura incisiva und das Os intermaxillare beim Menschen. 
Svensk Tandläkare Tidskrift, Sept. 1917, Hälfte 5 (zitiert nach Auszug in der 
Monatsschrift f. Zahnheilkunde, 38. Bd., 1920). 

1908. Warnekros: Gaumenspalten. Archiv f. Laryng. Bd. 21. 

1919. Felbcrs P.; Anlage und Entwicklung des Maxillare und Prämaxillare beim 
Menschen. Morph. Jahrb. Bd. 50. 



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DIE AMALGAMKRONE 


VON 

DR. MED. FRANZ ZELISKA 

ZAHNARZT IN WIEN 

I st ein Zahn, in der großen Mehrzahl der Fälle handelt es sich wohl um 
Molaren, so weit zerstört, daß er mit seinem Antagonisten nicht mehr 
artikuliert, oder muß man bei der Präparation eines schon früher stark plom- 
bierten Zahnes infolge Gebrechlichkeit seiner Wände so viel wegnehmen, daß 
dieser Zustand eintritt, so ist die Indikation für eine Amalgamkrone gegeben. 

Da es sich bei solchen Zähnen fast ausnahmslos um pulpenlose oder pulpen- 
kranke Zähne handelt, ist natürlich eine gewissenhafte Wurzelbehandlung mit 
absolut günstigem Erfolge die erste Voraussetzung. Wie immer diese aus¬ 
geführt wird, wichtig und notwendig ist es immer, daß man sich nicht mit 
der Amputation der Pulpen begnügt, sondern alle Reste, soweit es möglich 
ist, aus den Kanälen entfernt, und daß zur Füllung ein solides Material ver¬ 
wendet werde, sei es Guttaperchaspitzen mit Zement- oder mit Guttapercha¬ 
lösung. Von Wurzelpasten ist entschieden abzuraten, denn diese überziehen 
die Wände leicht mit einem nicht oder schwer entfernbarem Überzug, welcher 
das Festsetzen der Stifte unmöglich macht, da das Zement dann nicht haftet. 
Wie wir sehen werden, sind diese, wenn nicht die einzige, so doch die wich¬ 
tigste Verankerung der Krone. 

Die Vorbereitung des Stumpfes beginnt mit der Entfernung allen kariösen 
Gewebes. Dabei ist es besser, eher vom Gesunden mehr wegzunehmen als 
auch nur das geringste vom Kariösen stehen zu lassen. Schmelzpartien, die 
nicht genügend oder gar nicht von Zahnbein unterstützt sind, entfernt man 
ebenso rücksichtslos. Um ganz sicher zu gehen, kann man die gereinigte und 
trocken gelegte Kavität mit einem Tropfen lOproz. Lapislösung überfließen 
lassen. Das Dentin verfärbt sich rasch zitronengelb und wird später schwarz. 
Besondere Sorgfalt erfordern die Ränder. Die approximalen werden genau 
so behandelt wie die von gewöhnlichen approximalen Kavitäten. Den gingi¬ 
valen Teil verlegt man unter den Zahnfleischrand, die seitlichen möglichst 
weit buccal bzw. lingual, die Übergangswinkel rundet man ab. Ist das Zahn¬ 
fleisch über den Rand gewuchert oder hat es sich ganz in die Kavität gelegt, 
so schneidet oder brennt man es mit dem Elektrokauter ab. In geringgradigen 
Fällen kann man es auch mittels eingelegter Guttapercha wegdrängen. 


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Franz Zeliska 


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Die Seitenwände darf man nicht hoch stehen lassen, auch dann nicht, wenn 
sie einen kräftigen gesunden Eindruck erwecken, jedenfalls dürfen sie nicht 
mit dem Gegner artikulieren, weil sie bei einem kräftigen Biß sehr leicht ab- 
brechen. Man schleift sie so weit ab, daß zwischen dem freien Rande und dem 
Antagonisten ein etwa 2 mm breiter Raum übrigbleibt, damit eine recht dicke 
Amalgamschicht als Decke darüber Platz hat. Ist diese zu dünn, dann bricht 
sie leicht ab. Wenn eine buccale Kavität vorhanden ist, dann verbindet man 
sie mit dem freien Rande, eventuell nimmt man die ganze buccale Wand 
weg, weil sie ja doch leicht abbrechen kann. Das gleiche tut man, wenn ein 
Foramen coecum vorhanden ist, in dem Karies aufgetreten ist. Dadurch wird 
der Rand nicht mehr geradlinig sein, sondern eingebuchtet. Aber nie soll 
er scharfe Ecken haben, wie immer er verlaufen mag. Die Ränder schrägt 
man alle nach außen hin ab, damit nichtbeschädigte Schmelzprismen nach 
außen zu liegen kommen. Andererseits darf die Schräge nicht zu groß sein, 
weil sonst der Amalgamrand zu dünn wird und leicht abbröckelt/ beides gibt 

Gelegenheit zu Karies. Zur 
Bearbeitung der Ränder ver- 
wendet man die Gingival rand- 
schräger oder kleine, ruhig 
laufende, nicht schlagende Kar? 
borundsteine. Sie sind ange¬ 
nehmer für den Patienten, da sie 
viel weniger Geräusch machen 
als Bohrer,* man rutscht nicht ab 
und es gelingt leichter, gute, 
gerade Ränder zu erhalten. 

Die Pulpenkammer macht man so weit geräumig, als es ohne Schädigung 
der Festigkeit möglich ist. Mit Fissurenbohrern im Winkelstück, denen man 
durch Abschleifen der Spitze ein flaches Ende gegeben hat, erreicht man auf 
bequemste Weise die Form eines Zylinders oder Prisma mit flacher Base 
und scharfen Kanten. Unterschnitte sind verwerflich, da sie Bruchlinien 
schaffen. 

Manchmal genügt, wie später erörtert werden wird, die Pulpenkammer allein 
zur Befestigung unserer Krone. In den meisten Fällen aber müssen wir die 
Verankerung in Stiften suchen, die in den Wurzelkanälen befestigt werden. 
Zu diesem Zwecke müssen diese entsprechend erweitert werden. Betrifft der 
Fall einen jugendlichen Menschen oder ist der Zahn schon in früher Jugend 
devitalisiert worden, dann findet man ja in der Regel weite, tief hinab sondier¬ 
bare Kanäle. Eine Erweiterung ist dann nicht notwendig, es handelt sich 
nur darum, die Wurzelfüllung, soweit nötig, auszubohren und die Richtung 
zu korrigieren. Man nimmt dann vom Kanal Abdruck, indem man einen 
abgebrochenen Bohrer oder ein Stückchen Draht mit plastischer Abdruckmasse 
umgibt und diesen in den angefeuchteten Kanal hineindrückt. Danach macht 
man einen Stift,* man verbreitert den im Kanal steckenden Teil des Stiftes, 
indem man ein oder zwei Stückchen Draht zu beiden Längsseiten anlötet 



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Die Amalgamkrone 


417 


und den Überschuß so lange abfeilt, bis der Stift gut paßt. Da solche Kanäle 
im Querschnitt beiläufig linsenförmig sind, so wird der Stift breit aber flach 
sein müssen. Das freie, ins Amalgam ragende Ende aber soll rund, höch- 
stens 1,5 mm dick sein, weil sonst die Amalgammasse zu sehr geschwächt 
wird. 

In den meisten Fällen sind die Wurzelkanäle aber viel zu eng, als daß 
man ohne weiteres einen Stift von genügender Dicke darin unterbringen 
könnte/ sie müssen deshalb auf die nötige Weite 
ausgebohrt werden. Der technische Vorgang 
ist derselbe, wie beim Erweitern der Wurzel- 
kanäle von Schneide- und Backenzähnen, die 
eine Krone oder Stiftzahn erhalten sollen, nur 
ist es bei Mahlzahnwurzeln erschwert durch die 
Enge des Kanals, seine Krümmung und die Lage 
im Munde. Es muß besonders deshalb mit 
großer Vorsicht geschehen, da die meisten 
Wurzeln sehr flach sind. 

Man beginnt mit den dünnsten Beutelrock- 
bohrern und schreitet zu immer größeren Stärken vor, um dann mit kleinen 
Rosenbohrern fortzusetzen. Nie beginne man mit einem Bohrer, der dicker 
ist als die Lichte des Kanaleinganges,* man verliert leicht die Richtung, und 
die Gefahr des Durchbohrens der Wurzelwand wird vergrößert. Man lasse 
den Bohrer nur langsam rotieren, ziehe ihn nach einigen Umdrehungen zu- 
rück, blase den Bohrstaub weg und überzeuge sich, ob man noch in der Mitte 
des erbohrten Kanals den Querschnitt der Guttaperchaspitze sieht. Ist es 
unmöglich, diesen zu sehen, so sondiere man mit einem starren, spitzen In- 
strument, um festzustellen, ob man weiche Guttapercha oder harten Zahn 
tastet. Durch festes Hinein- 
drücken der Spitze ist das 
leicht zu erkennen. Gleich¬ 
zeitig kann man dadurch 
allein schon eine gewisse 
Erweiterung des Kanales, 
zumal sehr enger, erzielen, 
so daß man mit einem 
Beutelrock leichter vorwärts kommt. Der Kanal soll im Querschnitt dreh- 
rund sein,- man vermeide deshalb seitliche Bewegungen mit dem Bohrer 
und drücke ihn mit sanftem Drucke in der Richtung der Achse des Kanales. 
Bei der palatinalen Wurzel der oberen Molaren kommt man gewöhnlich 
mit dem geraden Handstück aus, bequemer aber in allen Fällen ist das 
Winkelstück. Es kann oft Vorkommen, zumal wenn die Nachbarn des 
Stumpfes hohe Kronen haben, daß der Kopf des Winkelstückes dort an¬ 
stößt und man den Kanal nicht tief genug ausbohren kann. In solchen Fällen 
verwende ich im Winkelstück die langgeschäfteten Bohrer, die das gleiche 
Kaliber haben wie die Winkelstückbohrer. Nur läßt sich die Sicherung am 

Vierteljahrsschritt für Zahnheilkunde, Heft 4 28 




Fig. 3 


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Franz Zcliska 


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Winkelstück nicht zumachen und der Bohrer fällt heraus. Da Winkelstücke, I 
außer sie sind ganz neu, immer etwas schlagen, so macht sich das bei Benutzung 
langer Bohrer in erhöhtem Maße geltend. Deshalb und um das Herausfallen 
zu verhindern, legt man die Fingerbeere des dritten oder vierten Fingers der 
rechten Hand ganz leicht an den Bohrer und gibt ihm so Halt und Führung. 

Da das Schaftende über den Kopf des Winkelstückes herausragt, ist es gut, 
um Verletzungen der Schleimhaut zu vermeiden, den Bohrer dort um etwa 
4 mm zu kürzen, so weit, daß auch die Sicherung nicht geöffnet bleiben muß. 
Durch Abbrechen des abgesetzten Teiles und Beschleifen der scharfen Kanten 
läßt sich das leicht hersteifen. 

Beim Ausbohren soll der Patient jeden, auch den geringsten Schmerz an¬ 
geben. Es ist immer ein Zeichen, daß die Wand schon sehr dünn ist, zum 
mindesten so, daß die Reibungswärme des Bohrers gespürt wird. Es ist 
dann doppelte Vorsicht notwendig, oft aber das beste, sich mit dem Erreichten 



zufrieden zu geben. Immer aber muß das Winkelstück wohl sicher, aber leicht 
in der Hand ruhen, nie krampfhaft gehalten werden,- es wird dann der 
Bohrer der Richtung des Kanals folgen als der Richtung des geringsten 
Widerstandes. 

Ist der Kanal 5 bis 6 mm tief ausgebohrt, so erweitert man ihn mit 
einem Rosenbohrer auf die Dicke des zu verwendenden Stiftes, aber nicht 
weiter, denn der Stift soll auch ohne Zement im Kanal halten, ohne viel 
zu wackeln, andererseits soll die Wurzel nicht unnötigerweise geschwächt 
werden. Ist der Kanal zu weit ausgebohrt, so nimmt man besser einen dickeren 
Stift. Es ist gut, sich nach einer Lehre den für den Stift passenden Bohrer 
aiiszusuchen. Ein 1,2 bis 1,5 mm dicker Stift hat mir immer genügt. Als 
Material empfiehlt sich hartgezogener Neusilberdraht. Man kann ihn mit der 
Feile anrauhen oder mit einem Gewinde versehen, das in das Amalgam 
ragende Ende eventuell mit einem dünnsten Überzug von Zinnlot über¬ 
ziehen,- cs wird dann das Amalgam gut haften. Der Stift muß dann noch 
entsprechend gebogen werden, so daß er von den Zahnwänden gleichmäßig 
weit absteht, ebenso von dem zw eiten Stift, um ringsherum hinlänglich Platz 
zum Stopfen des Amalgams zu haben und die auf die fertige Krone wirken- 



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UNIVERS1TY OF MINNESOTA 




Die Amalgamkrone 


419 


den Kräfte gleichmäßig zu verteilen. Sein freies Ende darf nicht so lang sein, 
daß es den Antagonisten berührt. Wenn es möglich ist, sollte darüber doch 
eine 1 bis 1 */* mm didce Amalgamdecke sein,- nur bei flachen Kronen kann 
man es bis auf die Kaufläche reichen lassen. 

Zum Festsetzen verwendet man eine Pinzette oder eine feine Zange, wie 
sie zum Einführen von Guttaperchaspitzen verwendet wird, mit Rinnen im 
Zangenmaul, die das Abgleiten des Stifes verhindern. Den überschüssigen 
Zement am Kanaleingange entfernt man nach vollständigem Abbinden mit 
kleinen Rosenbohrern. 

Es ist ja selbstverständlich, daß man eine so große Amalgammasse, wie 
sie zum Aufbau einer Krone notwendig ist, nicht ohne eine feste Form 
kondensieren kann. Wir müssen dazu eine geschlossene Matritze haben, eine 
Ringmatritze. Eine solche kann man herstellen nach einem Abdrucke des 
Stumpfes oder durch Messung seines Umfanges mit einem Draht» oder besser 
mit dem Herbstsdien Ringmaße. Den ersten Weg wird man immer ein» 



----f 


Fig 6 


schlagen, wenn der Stumpf schon sehr zerstört ist und eine oder beide Seiten- 
wände bis zum Zahnfleischrande verschwunden sind oder abgetragen werden 
mußten. 

Man biegt aus einem Stückchen dünnen Blech einen Abdrucklöffel zurecht, 
der etwa U-Form hat, füllt ihn mit plastischer Adruckmasse und nimmt das 
Negativ des Stumpfes. Nach dem Positiv, das man in Gips oder besser in 
Kupferamalgam macht, wird die Matritze genau hergestellt. 

Bequemer ist das Maßnehmen mit dem Ringmaße. Es besteht aus einem 
Satz von Ringen aus Silberblech, deren Umfang immer um einen mm größer 
ist. Die Größe ist in mm auf jedem Ringe eingeschlagen. Sie sind vermittels 
kleiner Ösen auf einem feinen Kettchen aufgereiht. Man kann also durch 
Aufpassen der Ringe den genauen Umfang in mm feststellen und sehr be¬ 
quem und rasch eine Matritze machen. Die Höhe mißt man mit einem bei¬ 
gegebenen kleinen Winkelmaße. 

Will man eine Krone erhalten, die in ihrer Form dem natürlichen Zahne 
entspricht — und das soll man doch immer anstreben — so kann der Ring 
nicht ein Zylinder sein, sondern der Mantel eines Kegelstumpfes, da der 
Zahn ja am Halse eingezogen und in der Mitte ausgebaucht ist. 

Da nun der aufgerollte Mantel eines Kegefstumpfes nicht ein gerader Streifen, 
d. h. ein Rechteck ist, sondern von parallelen Kreissegmenten begrenzt ist, so 
muß das Blech für den Ring auch entsprechend geschnitten sein. Das ist nun 

28 * 


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Franz Zeliska 


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freilich nicht leicht, wenn man dabei noch das richtige Maß einhalten muß. 
Man kann sich helfen, indem man aus einem zylindrischen Ring durch Strecken 
des einen Randes mittels Hämmerns oder einer Streckzange seinen Umfang 
vergrößert. Viel einfacher ist folgende Methode, welche es auch gestattet, 
eine größere Anzahl fertiger Ringe am Lager bereit zu haben, aus dem man 
dann rasch den passenden aus wählen kann. 

Man läßt sich aus einem Stück Rundeisen einen Dorn abdrehen, wie ihn 
die Fig. 6 zeigt. Er ist 14 cm lang, die eine Hälfte dient als Griff und 
ist flach gefeilt, die andere verjüngt sich von 13 mm Durchmesser auf 5 mm. 
Je rascher die Verjüngung eintritt, d. h. also je kürzer dieser Teil ist, desto 
mehr kegelförmig werden die Bänder ausfallen. Wenn man nun einen Ring 
des Ringmaßes nach dem andern aufsteckt und sich mit einem Sägeschnitt 
eine Marke macht, erhält man eine Art Skala, die durch Einschlagen der 
Millimeterzahlen vollständig gemacht werden kann. Man kann nun leicht 

einen Ring von bestimmtem 
Umfange herstellen, wenn 
man einen geraden Blech* 
streifen an der betreffenden 
Marke anlegt, um den Dom 
herumbiegt, mit der A n g I e * 
sehen Bandbiegezange oder 
einer breiten Flachzange zu* 
sammen quetscht und die 
beiden Lappen mit Silberlot 
verlötet. Das Band ist aber 
schief, denn ich habe ja einen 
geraden Streifen um einen 
Kegel gewickelt. Es ist noch notwendig, die Ränder zu beschneiden, wie 
es die punktierte Linie in der Fig. 7 zeigt. Dadurch wird es aber 
niedriger und der kürzere Umfang wird weiter,* er würde nicht genau 
dem verlangten Maße entsprechen. Deshalb muß man den Streifen breiter 
nehmen als es der Höhe der gewünschten Matritze entspricht und man 
muß den Streifen auf die nächste niedrigere Marke anlegen als das Ring* 
maß angibt. Wenn man solch einen fertig beschnittenen Ring wieder auf* 
lötet und auseinanderbiegt, so hat man nun keinen geraden, sondern einen 
gebogenen Streifen vor sich. Solche Bänder haben auch den Vorteil, daß 
man sie im Falle, daß sie zu eng ausgefallen wären, dadurch breiter 
machen kann, daß man einen mehr oder weniger breiten Streifen vom engeren 
Umfange abschneidet, was nach dem Gesetze der Kegelschnittlinien ja selbst* 
verständlich ist. 

Wie schon erwähnt, kann man sich einen Vorrat von solchen Bändern 
halten und mittels des Ringmaßes und des gradierten Domes rasch den 
passenden aussuchen, gegebenenfalls durch Beschneiden, wie oben er* 
wähnt, leicht zurichten. Hs empfiehlt sich deshalb, die Ringe recht hoch zu 
machen. 



Fig. 7 


Gck igle 


J 


^Original ftom- - 

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Die Amalgamkronc 


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Das Metall für die Bänder ist ziemlich gleichgültig: Kupfer, Neusilber, 
Packfong, wohl auch Messing kann man verwenden. Jedes hat vielleicht 
einen oder den andern Vorteil, aber alle erfüllen ihren Zweck. Jedenfalls 
muß der Ring hart gelötet sein, weil das Zinnlot durch das Quecksilber sofort 
aufgelöst wird. 

Hat man das passende Band hergestellt oder herausgefunden, so be¬ 
schneidet man zunächst den gingivalen Rand entsprechend dem Verlaufe des 
Zahnfleisches ähnlich einem Ring für eine Vollgoldkrone. Approximal muß 
er den gingivalen Rand der Kavität übergreifen, also zwischen Zahn und 
Zahnfleisch zu liegen kommen, ebenso dort, wo die Wand bis zum oder 
unters Zahnfleisch reicht. Dort aber, wo noch Wände übrig geblieben sind, 
ist es gar nicht notwendig, daß es bis zum Zahnfleisch reicht. Dann stellt 
man die richtige Höhe her, indem man den Patienten zubeißen läßt und so 



Fig. 8 


lange abschneidet, bis er nicht mehr gestört wird. Mit einem Karborundstein 
werden alle scharfen Ränder glatt gemacht bis auf die Lötstelle, und dann 
biegt man mit der Kontur- und Flachzange den Ring so, daß er die Form 
erhält, welche die fertige Krone haben soll. Dabei richtet man sich am besten 
nach dem entsprechenden Zahne der andern Kieferhälfte, und wenn dieser 
fehlen sollte, nach einem extrahierten Zahne oder einem Zahnmodelle,- einige 
Erfahrung genügt, um auch ohne Vorbild die rechte Form zu treffen. 

Um die Matritze im Munde zu fixieren, mehr noch deshalb, um das Aus¬ 
treten von Amalgam über die approximalen gingivalen Ränder zu vermeiden, 
treibt man in die interdalen Räume Holzkeile. Man schnitzt sie aus Zitronenholz 
oder aus dem der Weißbuche, lang, spitz und dreikantig, mehr oder weniger hoch, 
wie es eben der gegebene Fall bedingt. Ist der Keil zu hoch, so kann es ge¬ 
schehen, daß die Matritze vom Kontaktpunkte des Nachbarn weggedrängt wird 
und ein Spalt entsteht. Dann muß der Keil niederer gemacht werden, außerdem 
soll man nach Festsetzen des Keils das Blech an dieser Stelle mit einem großen 


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422 


Franz Zcliska 


Kugelpolierer fest andrücken. Ob der Kontakt gut ist, prüft man am ein¬ 
fachsten dadurch, daß man einen Seidenfaden durchzuzwängen versucht. Ge¬ 
lingt das leicht, ohne daß man einen Widerstand zu überwinden hat, so ist 
er nicht gut. Man muß dann beim Füllen wenigstens trachten, durch be¬ 
sonders festes Hineinstopfen des Amalgams das Blech gegen den Nachbarn 
auszubiegen. 

Das Einführen des Keils geschieht gewöhnlich von buccal aus, bei oberen 
Molaren wird es aber oft zweckmäßiger sein, von palatinal einzugehen. 
Dabei muß man achtgeben, daß die Papille nicht aufgespießt oder gequetscht, 
sondern weggedrängt wird. Man faßt ihn am besten mit einer Flachzange 
und drückt ihn langsam hinein, gibt schließlich noch einige sanfte Hammer¬ 
schläge darauf durch Vermittlung eines auf die Keilbasis aufgesetzten stumpf¬ 
endigen Instrumentes. Für von palatinal eingeführte Keile ist ein bajonett- 
förmiges Instrument bequemer als ein gerades. Die vorstehenden Enden 
zwickt man mit einer Zwickzange oder Kronenschere ab. 

Durch das Verkeilen wird die Matrize fest an die approximalen Ränder 
angedrückt/ sie wird sich dafür, zumal wenn sie auch nur um ein geringes zu 
groß war, an den Seitenflächen ausbauchen und nicht genau an den Rand 
anschließen. Wenn noch Seitenwände vorhanden sind, bedeutet das gar 
nichts, weil der dadurch entstehende Amalgamüberschuß doch an einer Stelle 
liegt, zu der man mit Steinen und Scheiben guten Zugang hat. Ja wir können 
diesen Überschuß dadurch an eine uns am günstigsten scheinende Stelle kon¬ 
zentrieren, wenn wir dort zwischen Zahnwand und Matritze ein Instrument 
hineftidrängen und den so geschaffenen Zwischenraum durch einen hinein¬ 
getriebenen Holzkeil erhalten. Dadurch wird die Matritze fest um den 
Stumpf angespannt und schließt ringsherum gut an. Nur in den schweren 
Fällen, wo nichts von Seitenwänden erhalten ist, geht das natürlich nicht. 
Da muß eben die Matritze genau passend gemacht werden, und es empfiehlt 
sich dann auch ein etwas dickeres Blech zu verwenden, das man nur an den 
Stellen des Kontaktes mit einem kleinen Steine möglichst dünn schleift. In diesen 
Fällen wird die Matritze auch nie so fest sitzen, daß man sie nicht während 
des Füllens mit einem Finger der linken Hand stützen müßte. 

Das Ausfüllen der Matritzen mit Amalgam und der Aufbau der Krone 
geschieht nach den gebräuchlichen Regeln für die Herstellung großer Amalgam- 
füllungen. Ich arbeite am liebsten mit rasch härtendem Amalgam, gewöhn¬ 
lich De Treys Fellowship, doch lassen sich langsam starrende ebensogut 
verwenden. Wer langsam arbeitet und noch nicht genug Erfahrung im Auf¬ 
bau von Kronen hat, wird sich vielleicht besser des letzteren bedienen. Als 
Stopfer dienen die gewöhnlich gebrauchten Amalgaminstrumente, zumal solche 
mit großen Stopferflächen. Sehr zu empfehlen sind die von Black ange¬ 
gebenen. Man bringt anfangs eine kleinere Menge Amalgam ein, annähernd 
von Erbsengroße, und stopft mit einem kleinen Stopfer alle Ecken und 
Winkel der Pulpenkammer sorgfältig aus, besonders die Räume zwischen den 
Stiften, zwisdien Stift und Zahn wand, dann die Ecken zwischen Zahn und 
Matriize, trachtet möglichst bald eine ebene Fläche zu erzielen, auf die man 


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Die Amalgamkrone 


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dann Schicht für Schicht weiterbaut, zu größeren Amalgammengen und größeren 
Stopfern vorschreitend, bis man über den Ring hinausgebaut hat. Emp¬ 
fehlenswert ist es, in diesem Stadium mit zwei Stopfern zu arbeiten, so, 
daß die rechte Hand stopft und die linke die benachbarte Amalgammasse 
niederdrückt. Beim Füllen an oberen Zähnen ist die Verwendung eines 
Rahmenspiegels angezeigt, mit dem man herabfallendes Amalgam auffangen 
kann, um es wieder verwenden zu können und auch deshalb, weil manche 
Patienten sich durch solche Stückchen außerordentlich belästigt fühlen, mit 
Zunge und Mundboden alle Anstrengungen machen, um sie zu entfernen, 
ja selbst mit den Fingern in den Mund greifen. Anfangs soll das Amalgam 



nicht zu trocken sein/ an die Oberfläche tretendes Quecksilber wischt man 
weg. Die letzten Schichten preßt man am besten mit den Fingern zusammen. 
Jedenfalls soll man überbauen, zumal bei rasch härtendem Amalgam, denn 
da läßt sich wohl wieder wegnehmen, aber nichts hinzufügen. Wenn gut kon¬ 
densiert wurde, so ist gar kein Grund vorhanden, mit dem Abnehmen des 
Separators lange zu warten, doch muß dieses ebenso langsam gemacht werden, 
wie das Anlegen. Ist es geschehen, so läßt man den Patienten vorsichtig 
zubeißen. Es werden sich die Höcker des Antagonisten als glänzende Punkte 
im matten Amalgam abheben/ an diesen Stellen werden natürlich die 
Fissuren und Furchen zu liegen kommen, dazwischen die Höcker. Noch 
deutlicher markiert sich der Biß, wenn man das Amalgam mit einem Fett 
oder Vaseline bestreicht und auf Blaupapier beißen läßt. Mit einem spitzen 
Instrument, z. B. einem Untersucher, verbindet man sich diese Punkte, 
wobei man den dem betreffenden Zahne charakteristischen Verlauf der 


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Franz Zeliska 


Furchen berücksichtigt, und vertieft sie immer mehr, solange noch der Patient 
das gewisse „ungewohnte Gefühl" hat. Schließlich formt man die Höcker 
anatomisch richtig und gibt so der Krone die Form, die ihr zukommt, denn 
sie soll ja den verlorenen Zahn möglichst naturgemäß und 
naturgetreu ersetzen, nicht nur funktionell, sondern auch ana- 
tomisdi. Es darf deshalb die Kaufläche kein Phantasiegebilde 
sein. Dazu eignen sich am besten Schnitzer, wie sie die 
Figuren 9 und 10 zeigen, die einen, einen Satz von 3 Instru- 
menten darstellend, wie ich ihn mir herstellen ließ, das andere 
ein doppelendiges Instrument nach Prof. Pichler. 

Das Modellieren ist bei einiger Übung keine schwierige 
Sache. Man nimmt als Vorbild am besten den gleichen Zahn 
der anderen Seite, wenn dieser fehlt einen extrahierten Zahn 
oder ein Modell. Dabei müssen wir uns aber vor Augen 
halten, daß sich die Krone auch stilgemäß in die Zahnreihe 
einfügen muß/ ich meine: man wird in einem Gebiß, dessen 
Kauflächen stark abgekaut und flach sind, nicht Höcker auf¬ 
bauen, die wie Bergkuppen emporragen, und umgekehrt in 
einem mit schöngeformten Kauflächen ausgestatteten die 
Höcker und Furchen nur andeuten. Ebenso muß man darauf 
achten, daß die Krone nicht zu breit wird, was geschehen 
kann, wenn man vergißt, daß die Matritze trichterförmig 
gestaltet wurde. Würde man die Höcker ganz an den Ma¬ 
tritzenrand hinstellen, so würde die Krone gewiß zu breit 
werden oder die Höcker würden beim endgültigen Polieren 
zum Teil verschwinden. Ist durch das Modellieren der Rand 
der Matritze freigelegt worden, so schleift man ihn mit einem 
kleinen Schleifrade ab oder füllt den Raum zwischen ihm 
und dem Amalgam mit Fletscher oder einem ähnlichen Ma¬ 
terial aus, damit des Patienten Zunge oder Wange nicht 
verletzt wird. 

Es ist bekannt, daß die Zahnreihe ein geschlossenes Ganzes 
bildet, daß sich die Zähne an den approximalen Flächen nur 
in einem Punkte, höchstens in einer Linie berühren, und diese 
Berührung so innig ist, daß man nur einen dünnen Faden 
durchzwängen kann. Wir müssen beim Aufbau der Krone 
genau wie bei der Herstellung einer approximalen Füllung 
diese Verhältnisse nachahmen, um den Patienten nicht den 
üblen Folgen des mangelnden Kontaktes auszuzetzen: Ein¬ 
dringen von Speisen zwischen die Zähne und Schädigung und Zerstörung 
der Zahnfleischpapille mit allen ihren Folgeerscheinungen. Man muß also 
bedenken, daß der Matritzenring den Raum, den die Krone einnehmen 
soll, um seine doppelte Blechstärke verkleinert, daß ferner durch das Po¬ 
lieren auch wieder etwas vom Körper der Krone verloren geht. Um diese 
zwei Größen muß der Raum durch Separation vergrößert werden. In 



Fie. 10 


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Die Amalgamkrone 


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solchen Fällen, wo die Nachbarzähne selbst kariös sind und Füllungen 
bedürfen, ist die Sache einfach. Man baut die Krone auf, und nach ihrer 
gänzlichen Fertigstellung macht man die Füllungen, eine nach der andern, 
wobei die Krone als normaler, gesunder Zahn behandelt und die Separat 
tion nach bekannten Methoden vorgenommen wird. Sind aber die Nach*' 
bam gesund oder tragen sie einwandfreie Füllungen, so wird die Frage der 
Separation brennend. Im Handel ist meines Wissens kein Instrument erschienen, 
das ohne weiteres für unseren Zweck geeignet wäre, wohl aber läßt sich der 
Perry «Separator leicht dazu umgestalten. Ich habe mir, wie die Fig. 8 
zeigt, anstatt der die beiden Klauen verbindenden Balken des Original« 
Perry zwei Balkenpaare machen lassen von solcher Länge, daß die Klauen 
nicht mehr die Nachbarn umgreifen, sondern einen Zahn zwischen sich lassen, 
um ein Beispiel zu gebrauchen, nicht den 6. und 7., sondern den 6. und 8. 
fassen. Ich verwende zwei Paare, das eine ist von Gewinde zu Gewinde 
15 mm lang, und läßt sich durch Aufschrauben auf 22 mm verlängern, das 
zweite ist 22 mm lang und verlängert sich auf 30 mm, so daß man für alle 
möglichen Fälle auskommt. Dieser Separator entspricht vollkommen. Seine 
Wirkung ist sicher, er hält fest an den Zähnen, er stört nicht im geringsten 
bei der Arbeit, Matritze und Keile lassen sich unbehindert anlegen. Wer den 
Normal«Perry schon gebraucht hat, wird mit dieser geänderten Type leicht 
arbeiten. Dem Neuling aber werden einige Ratschläge von Nutzen sein, 
denn jedes Instrument hat bei allen Vorzügen auch seine Eigenheiten, die 
nur längere Erfahrung und Herumprobieren unschädlich machen lehrt. Wenn 
man ihn anlegen will, so sucht man aus dem Satze — er enthält 6 ver« 
schiedene Typen — den passendsten heraus. Es wird derjenige sein, welcher 
die Krone so faßt, daß das Operationsfeld ganz frei ist, dessen Spitzen also 
von den Kavitätenrändern entsprechend weit abstehen. Es kommt manch« 
mal vor, daß beim Probieren die Klaue gerade noch die Krone faßt, 
der Separator also scheinbar paßt, beim Auseinanderschrauben aber infolge 
seiner Elastizität doch über den größten Durchmesser der Krone hinüber« 
rutscht, oder aber, was noch unangenehmer ist, sich im Schmelz einkratzt 
und dann sehr schwer herunter zu nehmen ist, ganz abgesehen davon, daß 
der Schmelz dadurch geschädigt wird. Hat man die richtige Type gefunden, 
paßt die mesiale Klaue — in unserem Beispiele — auf den 6., die distale 
auf den 8., dann ersetzt man die kurzen Balken durch die langen und dreht 
außerhalb des Mundes so weit auf, daß der Apparat noch gerade angelegt 
werden kann. Dann schraubt man im Munde weiter, indem man ihn 
mit einer Hand festhält, damit er nicht kippt, und abwechselnd buccal und 
lingual die Schraube um eine halbe Windung anzieht, bis der Patient 
zu erkennen gibt, daß er das Gefühl der Spannung hat. Nun wartet 
man, bis diese Empfindung wieder schwindet und setzt fort. Wie weit 
man zu separieren hat, ist Sache der Erfahrung. Auch nach dem Auf« 
hören des Drehens wird die Separation noch erweitert durch das Auswirken 
der Elastizität des Instrumentes. Jedenfalls darf man nicht zuerst eine Seite 
stark spannen und dann erst die andere, weil sich dadurch die Klauen schief 


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Franz Zeliska 


stellen, das Gewinde beschädigt wird und es geschehen kann, daß der ganze 
Apparat abgehebelt wird, wodurch Verletzungen des Zahnfleisches und 
heftige Schmerzen durch Zurückschnellen des Zahnes hervorgerufen werden 
können. 

Die Klaue hat natürlich das Bestreben, an der Rundung des Zahnes gegen 
den Hals abzugleiten. In den meisten Fällen hindert sie daran der über die 
Kaufläche laufende Bügel. Ist aber die Krone kurz, so fällt dieses Widern 
lager weg, die Klaue gräbt sich ins Zahnfleisch ein und setzt Verletzungen. 
In solchen Fällen muß man die Krone durch Auflegen von plastischer Ab* 
druckmasse erhöhen, indem man eine kleine Kugel davon in weichem Zu* 
stände zwischen die Kaufläche und den Bügel stopft und mit wenigen Tropfen 
kalten Wassers abkühlt. Etwas Ähnliches kann eintreten, wenn der distale 
Bügel den letzten Zahn der Zahnreihe dißalwärts überragt. Dann neigt sich 
der Separator distal gegen das Zahnfleisch, denn er ist dort nicht unterstützt. 
Auch da unterlegt man den Bügel mit Abdruckmasse, sodaß sie sowohl auf 
der Kaufläche als auch am Alveolarfortsatz hinter den Zahn zu liegen 
kommt, wodurch der Zahn gleichsam nach distal verlängert wird. 

Manchmal, wenn die Zähne schon leicht gelockert sind, genügen die Keile, 
gut hineingedrückt, zur Erreichung einer Separation. Man verkeilt dann zu¬ 
erst den mesialen, dann den distalen Interdentalraum. Immer aber ist es.gut, 
das Blech des Ringes an den Stellen des Kontaktes recht dünn zu schleifen, 
um mit geringster Verschiebung der Zähne den nötigen Grad von Separation 
zu erreichen. Denn angenehm ist der Eingriff nie, und es wäre recht gut, 
wenn sich der Zahnarzt von Zeit zu Zeit entschließen würde, sich selbst den 
Separator anlegen zu lassen,- es würde ihn dann gewiß gegen seine Patienten 
zartfühlend machen. Ist eine Separation aus irgendeinem Grunde nicht aus* 
zuführen, oder ist sie trotz Anwendung des Instruments nicht gelungen, ist 
also nach Abnahme der Matritze auch nach Zuwarten bis zum nächsten 
Tage ein Spalt zwischen Krone und Nachbar geblieben, dann muß man in 
die fertige Krone eine kleine Kavität schneiden, gerade groß genug, um einen 
Kontakt herstellen zu können, und diese dann genau so füllen, als handelte 
es sich um eine gewöhnliche Füllung an einem natürlichen Zahne. Daß eine 
Extension for Prevention überflüssig, ja schädlich ist, daß man das Amalgam 
möglichst wenig schwächen darf, ist selbstverständlich. 

Man kann auch versuchen, um die Separation zu umgehen, die Ma* 
tritze an den Kontaktpunkten halbmondförmig auszuschneiden, so daß dort 
der Nachbar die Funktion der Matritze übernimmt. Die Ränder des Bleches 
müssen aber ganz messerscharf zugeschliffen werden, damit im Amalgam 
keine Stufe entsteht. Die Methode ist nicht gerade empfehlenswert, aber im 
Notfälle doch verwendbar. Sehr unangenehm dabei ist das Entfernen der 
Matritze. Man muß trachten, sie so zu zerschneiden, daß man sie in zwei 
I lälften entfernen kann. Die richtige Schnittführung wäre die in die Mitte 
der halbmondtormigen Ausschnitte,- das aber ist technisch unausführbar, und 
so bleibt das Entfernen immer eine grausame schmerzhafte Sache, die man 
nur durch eine Injektion in die Papillen erträglich machen kann. 


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Die Amalgamkrone 


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Wenn möglich schon am nächsten Tage nimmt man die Matritze ab und 
poliert. Sie länger im Munde zu lassen, ist nicht gut, denn der Ring kann 
sich, auch wenn er sonst den Patienten nicht belästigt, durch das Kauen 
lockern und drückt sich ins Zahnfleisch ein. Ferner wird das Bearbeiten des 
Amalgams immer schwieriger, je länger man es hinausschiebt. Um den Ring 
abzunehmen, schleift man ihn zunächst mit einem kleinen Steine an der 
buccalen Seite durch, ohne das Amalgam zu verletzen, eventuell bricht man 
ihn mit einem passenden Instrumente auseinander, da man mit dem Steine 
ja nicht unter das Zahnfleisch gelangt. Man öffnet den Ring durch Aus* 
einanderbiegen, lockert ihn und zieht ihn schaukelnd kauflächenwärts herunter. 
Dann nimmt man wieder mit Steinen den gröbsten Überschuß weg und 
schleift so viel vom Amalgam ab, daß die Krone die anatomisch richtige 
Form und Größe erhält, soweit sie nicht schon durch die Matritze her* 
gestellt ist. Wie bei jeder Füllung gilt auch hier die alte Erfahrung: je sorg* 
fähiger die Matritze hergestellt und angelegt wurde, desto weniger hat man 
sich mit dem Polieren zu plagen. An den approximalen Rändern sollte über* 
haupt kein Überschuß sein, denn dort ist er am schwierigsten zu entfernen,* 
ebenso sollte der Kontaktpunkt nach Abnahme der Matritze so glatt sein, 
daß ein Polieren gar nicht notwendig ist. Es genügt, wenn man ein dünnes 
Spatel — S. S. W. 39 — durchzwängt. Feine Unebenheiten werden da* 
durch abgebrochen und die Fläche durch den Druck poliert. Die buccale 
und die linguale Seite glättet man mit feinen Scheiben im Winkelstüdc. 
Liegt ein Rand unter dem Zahnfleische und ergibt die Sondierung dort einen 
überstehenden Rand, so nimmt man ihn am besten mit einem feinen Fissuren* 
bohrer im Winkelstück weg, indem man den Zahn als Führung benutzt. 
Da dabei das Zahnfleisch leicht verletzt wird, tut man gut, einen Tropfen 
Novokainlösung zu injizieren. Geringe Überschüsse kann man auch mit Feilen, 
Jvory 15 und 16 oder S. S. W. 31 und 32, wegbringen. 

Die Kaufläche behandelt man zunächst mit kleineren Rosenbohrern, um 
den Höckern die endgültige Form zu geben, die Fissuren vertieft man mit 
feinsten Unterschnittbohrern,- um sie zu glätten, bedient man sich derFinierer, 
am besten solcher von Linsenform. Matten Glanz erreicht man am besten 
mit feinen, kleinen Papierscheiben, die man während der Drehung bricht, so 
daß sie einen Stöpsel bilden. Will man Hochglanz erzeugen, so verwendet 
man entweder Radbürsten mit Bimsstein, wie man sie zum Reinigen der Zähne 
benutzt, oder Bürsten aus dünnstem Messingdraht. Nochmals sei betont, 
daß die Krone an keinem Punkte schärfer artikuliere als notwendig, ebenso 
daß sie bei seitlichen Bewegungen des Kiefers nicht stärker getroffen werde 
als die übrigen Zähne. Es könnte sonst leicht zu periostalen Reizungen kommen. 

Es wird manchmal Vorkommen, daß der Antagonist aus seiner Alveole 
getreten ist und sich verlängert hat, wenn der zu krönende Zahn schon seit 
langer Zeit zerfallen war und seine normale Höhe eingebüßt hatte. Das ist 
dann natürlich ein Hindernis für den Aufbau einer normalen Krone. Ist die 
Verlängerung geringgradig, so schleift man ihn so weit ab, daß seine Kau* 
fläche ins Niveau der übrigen Zahnreihe zu liegen kommt und umgekehrt, 


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Franz ^eliska 


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die Krone zu normaler Höhe aufgebaut werden kann. Ist der Zahn aber 
so weit herausgetreten, daß viel abzuschleifen wäre, so kann die Frage ent* 
stehen, ob man den Zahn nicht besser auf bohrt und die Pulpa entfernt. Denn 
durch zu starkes Abschleifen kann sie doch infolge der thermischen und che* 
mischen Reize so geschädigt werden, daß sie zugrunde geht, ganz abgesehen 
davon, daß das Schleifen und alle sie treffenden Insulte heftige Schmerzen 
auslösen. Häufiges tuschieren mit Höllenstein kann allerdings in manchen 
Fällen Abhilfe schaffen, genügt aber nicht immer. Man wird sich leicht zur 
Devitalisation entschließen, wenn an dem betreffenden Zahne die Wurzeln 
stark bloßliegen und er schon de*halb auf kalt und warm empfindlich ist 
und wenn man fürchten muß, daß er infolge seiner Länge durch den Kauakt 
gelockert werden kann. Wenn man aber daran denkt, daß eine Wurzel* 
behandlung an Molaren nicht immer zum vollkommenen Erfolge fuhren muß, 
so wird man die Frage nicht leichtsinnig entscheiden dürfen und um so eher 
davon Abstand nehmen, wenn im selben Munde schon eine Behandlung nicht 
ganz gelungen ist. Dann geht man besser den Mittelweg: man schleift ab, 
soweit es die Empfindlichkeit zuläßt, und baut die Krone etwas niederer auf. 

Die bisherigen Ausführungen bezogen sich auf jene Fälle, welche ich die 
typischen nennen möchte, bei denen die Wände buccal und lingual noch 
größtenteils, die Pulpenkammer vollkommen erhalten sind. Es gibt nun alle 
möglichen Variationen, die sich in zwei Richtungen aneinanderreihen lassen, 
einerseits die einfachen, die sich immer mehr approximalen Doppelfüllungen 
nähern, andererseits die schwierigen bis zu jenen desolaten Fällen, wo man 
im Zweifel ist, ob man erhalten oder extrahieren soll. Leicht und einfach zu 
behandeln sind schon die, bei denen die Pulpenkammer tief und geräumig ist, 
die Wände stark und wohlerhalten sind. Man braucht dann zur Befestigung 
gar keine Stifte, sondern die Krone wird einfach von dem Stiele gehalten, 
der durch die Ausfüllung der Pulpenkammer entsteht. Zur Erhöhung der 
Sicherheit des Haltes kann man noch Zement zu Hilfe nehmen, also die 
Methode der doublierten Amalgamfullung anwenden. Man bringt in die 
Winkel zwischen Matrize und Zahn eine geringe Menge Amalgam und 
stopft es fest, damit alle Ränder gut gedeckt sind, dann trägt man etwas 
Zement von Sirupdicke ein, gerade so viel, daß, wenn man gleich nachher 
das Amalgam hineindrückt, die ganze Fläche des Zahnes mit einer dünnen 
Zemenrschicht überzogen ist, und stopft rasch das Amalgam nach. Dieses 
klebt nun mittels des Zementes an den Wänden fest. Nun reinigt man alle 
Ränder sorgfältig von etwa hervorgequollenem Zement mit Exkavatoren, 
die gingivalen mit Gingivalwandschrägern, und baut nun die Krone mit 
Amalgam weiter. Aber auch in diesen Fällen, wo die Wände noch so gut 
erhalten sind, ist es geboten, sie so weit abzuschleifen, daß der Patient nur 
auf Amalgam beißt und nicht auf die Zahnwand, es sei denn, daß die ganze 
Krone sehr niedrig ist und die Gefahr des Abbrechens infolge des kurzen 
Hebelarmes verringert ist. Es wird aber auch da zu größerer Sicherheit bei* 
tragen, wenn man die Kante zwischen Kaufläche und Seite bricht, so daß 
eine schiefe Ebene entsteht. 



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Die Amalgamkrone 


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In Fällen tiefgreifender Karies, wo aber nicht nur die Seitenwände in 
ganzer Höhe erhalten sind, sondern auch eine der approximalen, kann man 
in Verlegenheit sein, ob man diese stehen lassen oder bis unter das Zahn* 
fleisch abtragen soll. Ist der Schmelz nicht von Dentin bedeckt oder ist auch 
nur eine beginnende Karies vorhanden, dann soll man sie ohne Besinnen 
wegnehmen,* denn es ist immer besser, mehr als zu wenig abzutragen/ es 
läßt sich ja alles ersetzen. 

Es kommt auch vor, daß trotz hochgradiger Karies die Pulpa doch nicht 
eröffnet wurde, weil reichliches Ersatzdentin gebildet wurde. Solche Zähne 
sind für eine erfolgreiche Wurzelbehandlung nicht sehr günstig und das 
Erbohren eines entsprechend weiten und tiefen Kanals zur Aufnahme des 
Stiftes ist sehr schwierig, oft unmöglich. Wenn die Krone dabei nicht hoch 
ist, läßt man die Pulpa in Ruhe und befestigt das Amalgam lieber in einer 
zwischen Pulpa und Schmelz verlaufenden Rinne. Es sind das solche Fälle, 
wo eine Vollgoldkrone besser am Platze ist als eine Amalgamkrone. 

Viel interessanter für den, der sich seiner Geschicklichkeit bewußt ist und 
dem es Freude macht, sie in der Praxis zu üben, sind die Fälle der zweiten 
Reihe. Es ist möglich, Zahnreste durch Kronen zu erhalten, die z. B. im 
mesialen Anteile dem typischen Falle entsprechen, bei denen aber die Pulpen* 
kammer nur in diesem Teile erhalten ist, während vom distalen Teile gerade 
so viel übriggeblieben ist, daß die Wurzeln Zusammenhalten. Es ist da 
freilich schwer, die Matrize einwandfrei anzulegen. Ich habe mir dadurch 
geholfen, daß ich an den Stellen, wo es unmöglich war, einen guten Abschluß 
zwischen Matrize und Zahn zu erreichen, einen Übergang schuf, indem ich 
den Zwischenraum mit Guttapercha ausstopfte. Dadurch verhütet man bis 
zu einem gewissen Grade das Eindringen von Amalgam in das Gewebe des 
Zahnfleisches,- das Material läßt sich nach Abnahme der Matrize leicht ent* 
fernen. Ob es gelungen ist, diese versteckte Stelle einwandfrei zu polieren, 
kann ich nicht sagen,- aber die betreffenden Zähne taten bis zum Kriege ihren 
Dienst in zufriedenstellender Weise. Die Patienten kamen mir jedoch während 
der Zeit meines Kriegsdienstes aus dem Auge. Ich möchte auch noch einen 
andern Fall erwähnen, wo ein [7 so stark zerstört war, daß die palatinale 
Wurzel extrahiert werden mußte, weil sie isoliert war, während die beiden 
buccalen Wurzeln eine funktionstüchtige Krone erhielten, die lange Zeit 
unter meiner Beobachtung war. 

Um schließlich nochmals den Gang der verschiedenen Operationen zu ver* 
folgen, mögen sie der Reihe nach kurz wiederholt werden. 

Wenn ein tief zerstörter Molar, dessen Pulpen gangränös sind, zu be* 
handeln ist, wird man zunächst alles kariöse Gewebe mit großen Rosen* 
bohrern und Exkavatoren entfernen und sofort die Wurzelbehandlung be* 
ginnen. Wenn sie beendet ist oder noch kurz vorher kann man daran gehen, 
den Stumpf endgültig zu präparieren, die Matrize anfertigen und ein* 
passen. Ist man sicher, daß die Wurzelbehandlung vollständig gelungen ist, 
dann baut man in einer Sitzung die Krone auf. Man bohrt die Kanäle aus 
und setzt, natürlich unter vollkommener Trockenheit, die Stifte fest. Es folgt 


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das Anlegen des Separators, das Aufsetzen und Verkeilen der Matrize und 
der Aufbau der Krone. Bei einiger Übung ist diese Sitzung in einer Stunde 
beendet. War die Matrize sorgfältig vorbereitet und ist, solange das AmaU 
gam weidi war, möglichst gut finiert worden, so wird das Abnehmen und 
endgültige Polieren auch nicht länger dauern als eine halbe Stunde, so daß 
die Krone nach beendigter Wurzelbehandlung in zwei Stunden hergestellt 
sein kann. 

Es war bisher nur von Molarenkronen gesprochen worden. Daß man 
auch Prämolaren auf dieselbe Weise krönen kann, unterliegt keinem Zweifel. 
Die Wurzel wird zu diesem Zwecke flach abgeschliffen bis hinab zum Zahn* 
fleischrande. Nicht immer ist das möglich, denn durch die Wurzelbehandlung, 
durch das Erweitern der Kanäle oder schon durch die Karies selbst kann 
der Eingang trichterförmig erweitert sein. Beim Ausbohren der Kanäle muß 

man darauf achten, noch mehr als bei den 
Molaren, daß die Wurzel nicht zu sehr ge* 
schwächt werde. Der erste obere Prämolar 
ist in den meisten Fällen zweiwurzelig oder 
es teilt sich der Kanal wenigstens bald in zwei 
Kanäle. Der Stift wird deshalb die Gestalt 
einer zweizinkigen Gabel annehmen, wenn 
nicht beide Stifte überhaupt getrennt bleiben. 
Um solch einen Stift herzustellen, schiebt man 
in jeden Kanal einen entsprechend dicken 
Draht und nimmt mit plastischer Masse Ab* 
druck, dann gießt man in Lötgips aus und 
verbindet die beiden Stifte durch einen zwi* 
sehen sie gelöteten, der dann in die Amalgam* 
masse zu liegen kommt. Es ist gut, diesen 
Teil flach zu hämmern, so daß er im Querschnitt ein Rechteck bildet. Durch das 
Löten wird der Stift allerdings weich, doch läßt er sich wieder dadurch härten, 
daß man ihn hämmert, indem man einen leichten Hammer durch seine eigene 
Schwere, nicht aber mit Kraft, auf ihn oft niederfallen läßt. Ich möchte aber 
doch in solchen Fällen von der Amalgamkrone bei Prämolaren abraten, 
namentlich beim ersten oberen, wo die Wurzel von geringem Querschnitt 
ist und die Krone sehr hoch und zart 1 / denn bei diesem ist die Möglichkeit 
des Bruches der Wurzel doch recht groß. Mehr als bei Molarenkronen kommt 
bei solchen auf Prämolaren das ästhetische Moment in Betracht. Wenn der 
Patient auch keinen großen Mund hat oder ihn beim Sprechen und Lachen 
auch nicht weit öffnet, so wird die vordere Hälfte der buccalen Wand doch 
immer sichtbar sein und dann das graue Amalgam zeigen. Deshalb muß 
man den sichtbaren Teil mit Silikatzement verkleiden. Man schneidet eine 
ganz flache Kavität aus, macht einen seichten Unterschnitt ringsherum mit 
Ausnahme unter der Kaufläche und füllt mit einem Zement von ent* 
sprechender Farbe. Da es ein sprödes Material ist, spröder als Amalgam, 
1 Jedenfalls vermeide man in solchen Fällen eine scharfe Artikulation. 



Fig. 11 



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Die Amalgamkrone 431 

darf man den Kauflächenrand nicht ungeschützt dem Kaudruck aussetzen, 
ebenso die buccale Fläche nicht sehr wölben. 

Man wird mir den Einwurf machen, daß bei Prämolaren eine Goldkrone, 
sei sie nun ganz von Gold oder mit einer Porzellanfacette versehen, viel 
besser sei als eine Amalgamkrone. Das trifft auch dann zu, wenn sie mit 
einem Wurzelringe die Wurzel wie eine Zwinge umfaßt. Allen andern Typen 
aber, die nach Art der Stiftzähne ohne Ring gebaut sind, seien sie nun aus 
Gold hergestellt oder seien es solche, die wie die Loyankrone fertig im 
Handel erhältlich sind, steht die Amalgamkrone nicht nur nicht nach, sondern 
übertrifft diese. Denn es ist viel leichter, einen sicheren Abschluß zwischen 
Krone und Wurzelstumpf durch das plastische Amalgam herzustellen, als 
durch Beschleifen einer Porzellankrone oder durch Lot. Bei allen diesen ist 
im günstigsten Falle der Anschluß durch Zement bewerkstelligt, der aber 
nicht von Dauer ist, da er nach kurzer Zeit infolge des Auswaschens des 
Zementes einen Spalt hinterläßt, während das Amalgam fest anliegt und 
einen desto besseren Verschluß bildet, je dichter es kondensiert wurde. Ich 
will auch gar nicht die allgemeine Anwendung der Amalgamkrone bei Prä- 
molaren befürworten,- aber jeder Zahnarzt wird in seiner Praxis Patienten 
haben, die einen Ersatz für eine zerstörte Prämolarenkrone brauchen, jedoch 
nicht über die Geldmittel verfugen, welche heute für eine Goldkrone ver¬ 
langt werden müssen wegen der Höhe der Materialpreise und der Arbeits¬ 
löhne. Durch den Krieg sind breite Schichten des Volkes verarmt, namentlich 
der gebildete Mittelstand hat schwer gelitten, gerade der, aus dem sich die 
Praxis vieler Zahnärzte in Friedenszeiten aufgebaut hatte und der ihm 
vielleicht seine besten und menschlich hochwertigsten Patienten gegeben hatte. 
Wer nun seinen Beruf nicht nur als die tüchtige Kuh betrachtet, die ihn mit 
Butter versorgt, wer im Patienten nicht nur das Objekt sieht, an dem er 
jährlich soundso viel verdient, sondern in ihm den Menschen schätzt, mit 
dem er gemütlich innige Beziehungen unterhalten hatte und trotz seiner 
geringeren finanziellen Leistungsfähigkeit auch jetzt weiter unterhalten will, 
der wird gewiß gern darüber nachdenken, wie es zu verbinden wäre, dem 
Patienten um geringeres Entgelt einen guten Ersatz zu schaffen und dabei 
selbst für seine Arbeit entsprechend entlohnt zu sein. Und für solche Fälle 
eignet sich die Amalgamkrone auch für den Prämolaren. 

Es bleibt noch die Frage zu erörtern: Kann und soll man immer die 
Amalgamkrone einer Vollgoldkrone vorziehen und was sind ihre Vorteile? 
Es wurde schon oben erwähnt, daß es unter Umständen ratsamer ist, eine 
Vollgoldkrone zu machen statt einer Amalgamkrone. Dann nämlich, wenn 
bei stark abgekauten Zähnen die Pulpa noch lebt und man sich nicht ent¬ 
schließen kann, sie abzutöten, ferner wenn die Wurzelbehandlung nicht voll¬ 
kommen einwandfrei gelungen ist und man fürchten muß, daß es früher oder 
später zu einem akuten Nachschub der latenten, chronischen Entzündung des 
Periodontiums kommen kann, der Patient oder Arzt zur Resektion der 
Wurzelspitze aber nicht Lust hat. Sonst wüßte ich keinen Grund, der mich 
abhielte, die Krone aus Amalgam aufzubauen. 


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Franz Zeliska 


Nach meinen Ausführungen scheint die Herstellung der Amalgamkrone eine 
sehr mühevolle, zeitraubende Arbeit zu sein. Das ist aber nicht der Fall. 
Wollte man ebenso ins einzelne gehend beschreiben, wie eine Vollgoldkrone 
hergestellt wird, so würde es noch mehr Zeit und Raum erfordern. Man be¬ 
denke doch nur, daß man für eine Goldkrone, mit der ein pulpenloser Zahn ver¬ 
sehen werden soll, ebenso eine kunstgerechte Wurzelbehandlung durchfuhren 
muß. DasBesdhleifen des Stumpfes, wenn es wirklich einwandfrei geschieht, ist 
eine schwierige und mühsame Arbeit, für den Patienten nicht nur sehr unan¬ 
genehm, sondern auch schmerzhaft. Und ist der Stumpf sehr stark zerstört, so 
ist es ja überhaupt erst notwendig, daß er mit Amalgam aufgebaut werde und 
daß dieses Amalgam mit Stiften im Wurzelkanal befestigt werde. Ist es da 
nicht wesentlich einfacher, von vornherein eine Amalgamkrone herzustellen. 

Und ist der Stumpf beschliffen, so kommt das Maßnehmen und Aufpassen 
des Ringes, verglichen mit der Herstellung der Matrize wiederum ungleich 
schwieriger und für den Patienten unangenehmer. Dann erst kann die Krone 
fertiggestellt und festgemacht werden. Wenn die nun aber auch immer ein¬ 
wandfrei wäre! Denn das ist viel schwerer, als man für gewöhnlich glaubt. 
Oft scheint es nur so, denn wir haben ja keine Methode, die das ohne 
Zweifel feststellen ließe. Nur den offenen Ring übersehen wir so, daß wir 
uns davon überzeugen können und gegebenenfalls Fehler sicher beheben 
können. Ist aber die Kaufläche aufgelötet, dann ist diese Gelegenheit vorbei, 
und nur das sondierende Instrument gibt uns Anhaltspunkte über die Ver¬ 
hältnisse unter dem Zahnfleisch. Daß auch der vollkommen passende Ring 
nach dem Fertigstellen der Krone nicht mehr genau so ist, wie er nach dem 
Probieren war, ist ja selbstverständlich und nicht zu umgehen. Das Befeilen, 
Löten und Polieren wird auch in der Hand des tüchtigsten und gewissen¬ 
haftesten Technikers Veränderungen unvermeidlich entstehen lassen. Es wird 
ferner, besonders bei kurzem Wurzelstumpf, wo die Krone nicht eine feste 
Führung hat, sondern leicht verschiedene Stellungen zuläßt, oft Vorkommen, 
daß bei der Schnelligkeit des Festsetzens, wie sie der raschhärtende Zement 
erfordert, die Krone anders im Munde sitzt als sie gedacht war. Das sind 
lauter Fehlerquellen, die auch bei sorgfältiger Arbeit ein ideales Ergebnis 
beeinträchtigen, sie sind natürlich gering zu achten gegen jene Produkte 
zahnärztlich-technischer Kunst, wo auf einem schlecht beschliffenen Stumpfe 
eine „Krone" sitzt, deren Rand vom Zahne weit absteht und wo nur der 
Zement in der ersten Zeit ihres Bestehens mitleidig den Zwischenraum ver¬ 
deckt, der bald ausgewaschen und von einer übelriechenden Masse ausgefüllt 
ist. Auch wenn sie nicht so schlecht ist, bleibt eine Krone immer ein Fremd¬ 
körper für das Zahnfleisch, und man muß sich nur darüber freuen, daß in 
den meisten Fällen das Zahnfleisch nicht anders dagegen reagiert als durch 
einen leicht entzündlichen Zustand. 

Eine richtig hergestellte Amalgamkrone dagegen ist nie ein Fremdkörper, 
denn sie ist nicht auf den Stumpf aufgestülpt, sondern bildet seine direkte 
Fortsetzung und geht, wenn sie richtig gebaut und gut poliert ist, ohne 
Stufe in ihn über. Ihre Haltbarkeit ist der der Goldkrone gleich,* nur darf 


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Die Amalgamkrone 


433 


man nicht die verzweifelten Fälle, wo auf schon sehr zerstörte Reste eine 
Amalgamkrone aufgebaut ist, mit einer Goldkrone vergleichen wollen, die 
auf einem gut erhaltenen Stumpfe aufgesetzt wurde, sondern Fälle, wo der 
Zustand des Stumpfes annähernd gleich ist. Man hat zum Amalgamrande 
einen besseren Zugang als unter einen Kronenrand im Falle des Wieder¬ 
auftretens einer Karies/ sie läßt sich schon im Anfangsstadium feststellen 
und leicht und sicher beheben, Es gibt bei der Amalgamkrone kein Durch¬ 
beißen der Kaufläche und kein Durchschleifen, wenn die Korrektur des Bisses 
sich als notwendig erweist. Und schließlich ist die ästhetische Wirkung vor 
der Vollgoldkrone entschieden besser, da letztere das in den Mund fallende 
Licht reflektiert und sich dadurch vom Dunkel der Mundhöhle unangenehm 
abhebt, während das Grau der Amalgamkrone nicht auffällt. Liegt sie weit 
vorn in der Zahnreihe oder ist die Mundöffnung sehr groß, so läßt sich 
durch Verkleiden der sichtbaren Fläche, wie bei den Prämolarenkronen be¬ 
sprochen wurde, leicht Abhilfe schaffen. 

Wenn nun aufseiten der Amalgamkrone so viele Vorteile liegen, muß man 
sich fragen, warum sie so wenig angewendet wird. Da gibt es viele Gründe. 
Einer ist schon der, daß des Menschen Amme die Gewohnheit ist, dann 
aber, weil zur Herstellung einer guten Amalgamkrone viel Geschicklichkeit 
und Gewissenhaftigkeit gehört, mehr als für eine schlechte Goldkrone, und 
sich Mängel, Unfähigkeit und Gewissenlosigkeit bei der ersteren sehr bald 
offenbart, während auch eine üble Goldkrone sich länger im Munde erhält,* 
denn der Patient beurteilt die Tüchtigkeit seines Zahnarztes nach dem Maße 
der ihm bereiteten Schmerzen und der Länge der Zeit, die bis zupi Heraus¬ 
fallen von Füllungen und Kronen verstreicht. An die unangenehmen 
Folgen schlechter Arbeit gewöhnt er sich rasch, zumal wenn ihm vom Arzt 
etwas vorgeredet wird. Deshalb rate ich niemandem, sich auf Amalgam¬ 
kronen einzulassen, der nicht gelernt hat, gute, ehrliche Arbeit zu liefern, 
der gewöhnt ist, rasch etwas hinzuzaubern, mit dem er den Patienten be¬ 
sticht. Für ihn ist die Amalgamkrone nichts, er würde nur seine Praxis 
ruinieren. Endlich liegt die Ursache im Patienten selbst, da er weiß, daß 
Gold das edelste Metall ist und er deshalb alles, was aus Gold ist, für das 
Beste hält, er für sein Geld auch etwas Wertvolles haben will und schließlich 
in vielen Fällen durch den goldenen Glanz in seinem Munde zeigen will, 
daß er's hat und sich's leisten kann, und deshalb hinter seinen Freunden nicht 
zurückstehen will. Solche Menschen zu Amalgamkronen begeistern zu wollen, 
wird natürlich in den meisten Fällen aussichtslos sein, sie werden doch immer 
den äußern Schein dem wahren Werte vorziehen. Inwieweit die Ursache 
schließlich im Zahnarzt selbst liegt, braucht nicht weiter ausgeführt zu werden,* 
er sehe in sein eigenes Herz und wird sie finden. Wenn er aber den Pa¬ 
tienten davon überzeugt, daß er ihm mit der Amalgamkrone etwas ebenso 
Gutes leistet wie mit der Goldkrone, so wird er auch das Recht haben, für 
seine Arbeit ein Honorar zu begehren, welches der aufgewendeten Mühe 
und dem Materiale entspricht und dem Nutzen, den er dem Patienten 
geleistet hat,* es werden dann beide Teile befriedigt sein. 

Vierteljahrssdirift für Zahnheiikunde, Heft 4 29 


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AUS DER CHIRURGISCHEN ABTEILUNG- DES ZAHNÄRZTLICHEN 
INSTITUTS DER UNIVERSITÄT BERLIN 

(DIREKTOR: PROF. DR MED. ET MED. DENT, H. C. WILLIGER) 

DIE ERKRANKUNG DER NASE UND IHRER 
HAUPTNEBENHÖHLE <SINUS MAXILLARIS) IM 
ZUSAMMENHANG MIT DEM ZAHNSySTEM 

VON 

DR. MED. DENT. ET PHIL. HANS HOENIG 

ZAHNARZT IN BERLIN, OBERASSISTENT DER ABTEILUNG 

B ei den engen anatomischen Beziehungen, in denen Nase- und Neben¬ 
höhle zur Mundhöhle stehen, müssen sich logischerweise auch solche im 
pathologischen Sinne ergeben. Gerade die Erfahrung des letzten Jahrzehnts 
haben die Zweckmäßigkeit des gemeinsamen Zusammenarbeiten zwischen 
Rhinologen und Zahnarzt mehr und mehr ergeben. Wie einerseits die Kennt¬ 
nis der Erkrankungen der Zähne und ihrer Folgeerscheinungen für den Nasen¬ 
arzt eine dringende Notwendigkeit sind, so müssen dem Zahnarzt die haupt¬ 
sächlichsten Erkrankungen der Nase und ihrer Nebenhöhlen (besonders des 
Antrums Highmori) geläufig sein. Aus der Unkenntnis der Ursachen beider 
Erkrankungsgruppen können sich differentialdiagnostische Irrtümer ergeben, 
die eine falsche oder verzögernde Therapie zur Folge haben. 

Die Fülle des Patientenmaterials in der chirurgischen Abteilung der Berliner 
zahnärztlichen Universitätsklinik gibt uns nicht selten Gelegenheit, nach dieser 
Richtung unsere Beobachtungen zu machen, sei es, um ein Beispiel heraus¬ 
zugreifen, daß der dentale Ursprung einer Oberkieferhöhlenentzündung nicht 
erkannt und die eigentlich schuldige Ursache, der kranke Zahn, keine Beach¬ 
tung findet, oder umgekehrt eine rein genuine Entzündung der Oberkiefer¬ 
höhle als Zahnerkrankung angesehen wird, Zähne unnütz behandelt oder, was 
noch schlimmer, unnötig der Zange geopfert werden. 

Gerade auf letzterem Gebiet, „Zähne und Oberkieferhöhle", wird vielfach 
gesündigt und es ist vielleicht nicht unangebracht, im Zusammenhang mit dem 
Thema auch die Frage zu streifen und zu klären, wo und wann dem Zahn¬ 
arzt auf rhinologischem Gebiet im praktischen Sinne Grenzen gesetzt sind. 

Um zu dem eigentlichen Thema zurückzukehren, möchte ich in einem be¬ 
sonderen Kapitel die Bilder streifen, welche die durch irgendwelche Umstände 
in die Nase verlagerten Zähne (sogenannte Nasenzähne) ergeben. 


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Die Erkrankung der Nase und ihrer Hauptnebenhöhle 


435 


NASENZÄHNE 

Die Erscheinung der Nasenzähne ist selbstverständlich selten, und per- 
sönliche Beobachtung darf zu den Glückszufällen gezählt werden. Nach 
M. Scheier hat Köllreuter bis zum Jahre 1906 etwa dreißig Fälle von 
Nasenzähnen in der Literatur gefunden, in der Zwischenzeit mag sich die 
Anzahl kaum verdoppelt haben. 

Die Entstehung der Verlagerung von Zahnkeimen teilt Heymann in 
seinem „Handbuch der Laryngologie und Rhinologie" ein in 

1. Inversion des Zahnkeims, 

2. Entwicklung überzähliger Zähne, bei welchen es sich um eine Ein¬ 
stülpung des Zahnkeims von der Mundhöhle in die Nasenhöhle handelt, be¬ 
vor die Gaumenspalte geschlossen ist oder um solche Zahnkeime, welche 
schon an falscher Stelle angelegt sind und später, weil sie in der Mundhöhle 
keinen Platz fanden, nach der Nasenhöhle durchgebrodien sind. 

3. Verlagerung des Os intermaxillare, die bei Mißbildungen <Wolfsrachen> 
durch eine Wachstumsverschiebung, ferner bei kongenitaler Lues zustande 
kommen kann. 

Ergänzend zu dieser Einteilung möchte ich bemerken, daß Hirschmann auch 

4. Traumen als Ursache der veränderten Wachstumsrichtung von Zähnen 
ansieht. Als Beweis hierfür führt er die Krankengeschichte eines Knaben an, 
der durch den Hufschlag eines Pferdes mehrere Zähne verloren hatte und 
dem einige Jahre später ein Schneidezahn, dessen Wachstumsrichtung durch 
die Verletzung offenbar verändert wurde, in die Nasenhöhle gewachsen war. 
Über einen ähnlichen Fall berichtet Denker, wo ein Zahn durch Trauma 
in die Nasenhöhle hineingetrieben wurde. 

Es wäre schon denkbar, daß infolge Trauma die Wachstumsrichtung eines 
Zahnes verändert werden kann, doch habe ich in der Literatur mit Ausnahme 
der beiden angeführten und einen von Chiari beschriebenen, aber zweifel¬ 
haften Fall keine weiteren finden können, so daß Hirschmanns Ansicht 
noch mehrerer Beweisfälle bedarf. 

In dem größten Teil der Fälle von Nasenzähnen handelt es sich sicherlich 
um eine Inversion des Zahnkeims, der betreffende Zahn fehlt dann auch im 
bleibenden Gebiß. Der Kronenteil des invertierten Zahnes ist fast immer 
gegen die Nasenhöhle, der Wurzelteil gegen die Mundhöhle gelagert. Nach 
Zuckerkandl ist diese Anomalie, daß die unmittelbar unter dem Nasen¬ 
boden sich entwickelnden Frontzähne der Norm entgegen mit ihren Kronen 
voraus in die Nasenhöhle wandern, nur dann möglich, wenn der Zahnkeim 
eine Rotation um 180° erfahren hat, und der Schmelzkeim statt dem Zahn¬ 
fleisch zugekehrt zu sein, seinen Scheitel gegen die Nasenhöhle wendet. Nur 
so wird der Zahn verkehrt lagern und sich daraus die Folge ergeben, daß 
die am Nasenboden gelegene Zahnkrone gegen die Nasenhöhle durchbricht. 

Die vorliegenden Fälle in der Literatur bestätigen meine Ansicht, daß die 
meisten Nasenzähne nach Modus I entstehen, also durch Inversion des Zahn¬ 
keims. Um einige herauszugreifen, beschreibt Löwenstein einen Fall, in 

-er 


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Hans Hoenig 


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dem es sich um einen in die Nase verlagerten Eckzahn handelt, Fabian einen 
mittleren Schneidezahn. Eckzähne, die total verkehrt lagern, mit der Krone 
am Infraorbitalrand, hat Albini beschrieben. Scheier berichtet über einen 
Fall, bei dem allerdings die Frage offenbleibt, ob es sich um einen inver¬ 
tierten, seitlichen oder mittlereir Schneidezahn, oder um einen überzähligen 
Zahn handelt. Schlesinger beobachtete bei einem sieben Monate alten 
Kinde die äußerst seltene Erscheinung, daß zwei Zähne spontan in die 
Nase durchgebrochen waren. Der Fall Marshalls <Joum. Am. med. Assoc. 
6. Nov. 1866), daß ein Weisheitszahn nach 26 Jahren aus der Kieferhöhle 
in die Nasenhöhle wandert, will mir doch etwas zweifelhaft erscheinen. 
Wenn auch an sich die Möglichkeit, daß ein Zahn in die Kieferhöhle wandert 
<welcher Weg entschieden seltener als in die Nasenhöhle), nicht in Abrede 
gestellt werden soll, so kann ich mich doch des Verdachtes nicht erwehren, 
daß bei den in der Literatur beschriebenen Fällen von Überwandern der 
Zähne in die Oberkieferhöhle Verwechslungen mit einer Follikularzyste 
unterlaufen sind, so bei den Arbeiten von Hecht und Neithöfer. Ich 
komme noch später ausführlicher darauf zurück. 

Der älteste Fall von Nasenzahn ist wohl vom Altmeister Goethe ver¬ 
öffentlicht worden und die Krankengeschichte in der Arbeit von M. Scheier 
„Zähne in der Nasenhöhle" wiedergegeben. Da es sich hier um einen der 
Zuckerkandlschen Ansicht <Rotation um 180°) widersprechenden Fall 
handelt und die Form der von Goethe verfaßten Krankengeschichte für die 
heutige Zeit eigenartig anmutet, sei es mir gestattet, sie wiederzugeben. 

„Ein Frauenzimmer, deren Geschwister schon an Knochenkrankheiten ge¬ 
litten hatten, empfand in früher Jugend einen heftigen Schmerz, wenn die 
obere Kinnlade unter dem linken Auge berührt wurde. Dieser erstreckte 
sich nach abwärts bis in die Hälfte des Gaumens. Es entstand daselbst ein 
Geschwür, in welchem man Hartes spüren konnte. Sie litte 19 Jahre und 
starb an der Auszehrung. Der Teil des Schädels, den man, nachdem sie ana- 
tomiert, zurückbehalten, zeigte folgende Merkwürdigkeiten. Die linke Hälfte 
des Ossis intermaxillaris enthält zwei gute Schneidezähne. Der Eckzahn fehlt, 
und nach der kleinen Alveole sieht man, daß er bald nach der zweiten Zah* 
nung ausgefallen sein müsse. Dann folgt ein Backzahn, dann eine kleine 
Lücke, jedoch ohne Alveole, sondern mit dem scharfen Rand, dann ein starker 
Backzahn, darauf ein noch nicht ganz ausgebildeter sogenannter Weisheits¬ 
zahn. Betrachtet man nun die Nasenhöhle des Präparats, so findet man die 
große Merkwürdigkeit: Es sitzt nämlich ein Zahn unter dem Augenrande 
mit seiner Wurzel an einer kleinen runden, faltigen Knochenmasse fest. Er 
erstreckt sich in seiner Lage schief herab nach hinten zu und hat den Gaumen¬ 
teil der oberen Maxilla gleich hinter den Canalibus incisivis gleichsam durch¬ 
bohrt, oder vielmehr es ist durch die widernatürliche Berührung der Teil 
kariös geworden, und eine Öffnung, die größer als seine Krone, findet sich 
ausgefressen. Die Krone steht nur wenig von der Gaumenfläche vor. Der 
Zahn ist nicht völlig wie andere Backzähne gebildet, seine Wurzel ist einfach 
und lang, und seine Krone nicht völlig breit. Es scheint nach allem diesen 



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Die Erkrankung der Nase und ihrer Hauptnebenhöhle 


437 


ein gesunder Zahn mit lebhaftem Wachstum zu sein, dem aber der Weg nach 
seinem rechten Platz durch ein ungleiches und schnelleres Wachstum der Nach- 
barzähne versperrt worden, so daß er sich hinterwärts entwickelt und das 
Unglück angerichtet hat. Wahrscheinlich ist es der fehlende Backzahn, von 
dessen Alveole keine Spur zu sehen ist. Im Anfänge glaubte ich fast, es sei 
der Eckzahn. Wenn man diesen Fall hätte vermuten können, so bin ich 
überzeugt, daß diese Person leicht zu operieren und der Zahn herauszuziehen 
gewesen wäre. Ob man aber bei ihrer übrigen unglücklichen Konstitution 
ihr das Leben dadurch gefristet hätte, ist fast zu zweifeln. Schade, daß man 
nur das interessante Stück ausgeschnitten, und nicht die andere Hälfte der 



Rönfgcnbild I 


Maxilla, ja den ganzen Schädel verwahrt hat, damit man den Knochenbau 
noch an den Teilen, welche keine auffallende Unregelmäßigkeit zeigen, hätte 
beobachten können." 

Es ist wohl zweifellos, daß es sich bei dem Goetheschen Fall um den reti- 
nierten Eckzahn handelt, der in die Nase verlagert war,- schon die geschilderte 
Form weist darauf hin. Interessant ist, daß eine Inversion des Zahnkeimes 
keine Rolle spielen kann, da ja die Krone nach unten gewachsen ist. Es hätte 
denn eine Rotation um 360° erfolgen müssen. 

Ich weise an dieser Stelle auf die Röntgenbilder zweier Präparate hin, die 
der Sammlung der chirurgischen Abteilung des zahnärztlichen Universitäts¬ 
instituts zu Berlin entstammen. 

Röntgenbild 1 zeigt einen rechtsseitigen überzähligen Zahn, mit der Krone 
oberhalb des Canalis incisivus, die Spina nasalis anterior teilweise verdrängend, 
mit der Wurzel nach schräg unten sich in das Gaumendach erstreckend. 


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Hans Hoenig 


Röntgenbild 2 zeigt beiderseits die Eckzähne verlagert. Im Gebiß 
fehlen diese, es handelt sich also um invertierte Zähne. Die Wurzeln, be^ 
sonders des rechten, ragen über das Gaumendach hinaus in den Nasenboden 
hinein <siehe Röntgenbild 3>. 

Ich komme nun zurüdc auf meine Behauptung, daß über das Wandern der 
Zähne in die Oberkieferhöhle des öfteren Verwechslungen mit einer Folli- 
kularzyste unterlaufen. 

Ein Beweis für meine Vermutung findet sich in der Arbeit von Pointer, 
„Über Zahnretention in der Kieferhöhle". Pointer beschreibt in seiner 
Arbeit zirka sechzehn Fälle. In fast allen sollen durch die verlagerten Zähne 
Kieferhöhlenempyeme hervorgerufen sein. Die kurzen Krankengeschichten 
von Fall 1 und 2 möchte ich wörtlich wiedergeben, da ich aus denselben 



Röntgenbild 2 


heraus die Behauptung aufstelle, daß es sich gar nicht um die Kieferhöhle, 
sondern sicherlich um eine Zyste gehandelt hat. 

Fall 1 . Dr. B. W. M'Coy in Sierra Leone in Westafrika teilt mit, daß 
bei einem 14jährigen Negerknaben durch Einwachsen eines Zahnes in das 
Antrum sich eine Erkrankung des Oberkiefers entwickelte. An der linken 
Seite des Gesichts bemerkte man eine Geschwulst von der Größe einer AprU 
kose, die schmerzlos, sonst etwas elastisch und umschrieben war. 

Fall 2. Dubois erwähnt eines siebenjährigen Kindes, welches an der 
Basis des Nasenfortsatzes des linken Oberkiefers eine schmerzhafte Ge^ 
schwulst von der Größe einer Nuß hatte. Dieselbe erreichte im Verlauf 
von 14 Jahren eine solche Größe, daß sie den unteren Rand der Orbita be^ 
deckte und das Auge nach hinten drängte. Nach Entfernung von zwei 
Schneidezähnen, einem Badezahn und des entsprechenden Kieferrandes wurde 
die Blutung durch Tamponade gestillt und nach einigen Tagen ein Zahn 


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Die Erkrankung der Nase und ihrer Hauptnebenhöhle 


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extrahiert, der sich im oberen Teile der Höhle befand. Nach sechs Wochen 
hatte sich die Höhle ausgefüllt, und nach 1 \' 2 Jahren war jede Spur der 
früheren Difformität verschwunden." 

Soweit die Krankengeschichten. 

Im Fall 1 handelt es sich zweifellos um eine Zyste, ob Radikulär- oder 
Follikularzyste ist nicht mit Sicherheit aus der allzukurzen Krankengeschichte 
festzustellen. Die scharfe Umschreibung der Geschwulst, das schmerzlose 
Entstehen und nicht zuletzt die Elastizität (wahrscheinlich durch Verdünnung 
des Knochens hervorgerufen) geben ja einen geradezu idealen Hinweis auf die 
Diagnose „Zyste". Es wird sich hier höchstwahrscheinlich nicht um das „Ein¬ 
wachsen eines Zahnes in das Antrum", sondern um einen Zahn in einer 
Follikularzyste gehandelt haben. 



Röntgenbild 3 


Auch in dem Fall 2 handelt es sich sicherlich nicht um eine Oberkiefer¬ 
höhlenvereiterung, sondern ebenfalls um eine Follikularzyste. Es ist eine 
klinisch bekannte Tatsache, daß Oberkieferhöhlenvereiterungen fast nie¬ 
mals Auftreibung des Knochens zur Folge haben. Williger beobachtete in 
seiner Klinik ein einziges Mal einen Fall, wo die erkrankte Oberkieferhöhle 
bis zum Platzen mit polypösen Granulationsmassen gefüllt war und hiermit 
Hand in Hand eine äußerlich sichtbare Auftreibung ging. Die zweite Kranken¬ 
geschichte weist auch Unklarheiten auf. Ist das siebenjährige Kind oder der 
Fall später erst nach 14 Jahren zur Beobachtung gekommen? Im letzteren 
Fall halte ich es bei einer Oberkieferhöhlenvereiterung für geradezu unmög¬ 
lich, daß sich im Verlauf dieser langen Zeit nicht Erscheinungen eingestellt 
haben, die den Patienten zum Arzt trieben. 

Aus den Krankengeschichten mehrerer von Pointer angeführten Fälle 
(Fall 4 und 11), in denen auch angeblich aberrierte Zähne eine Oberkiefer- 


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höhlenvereiterung zur Folge gehabt haben sollen, ergab die Operation frei 
in der Kieferhöhle liegende <also nicht hineingewachsene) Zähne. Solche frei 
in der Oberkieferhöhle lagernde Zähne, die durch Stoß oder Trauma dort 
hingelangt, oder bei dem Versuch, sie zu entfernen, hineingestoßen sein können, 
müssen selbstverständlich als Fremdkörper wirken und können sehr leicht, 
besonders wenn es sich um kranke Zähne handelt, eine Entzündung der 
Antrumschleimhaut zur Folge haben. Daß man es dann aber nicht mit 
hineingewachsenen Zähnen zu tun hat, die die Erkrankung des An- 
trums zur Folge hatten, ist ebenso selbstverständlich. 

Audi der Fall 16 weist Unklarheiten, wenn nicht geradezu eine Unmög¬ 
lichkeit auf. Hier handelt es sich um einen retinierten Eckzahn, dessen Wurzel 
(Röntgenologisch festgestellt) in die Kieferhöhle ragt und dessen Krone hinter 
der Wurzel des zweiten Schneidezahnes lag. Wie Pointer ausdrücklich be¬ 
tont, zeigte der eigenartigerweise durch die Kieferhöhle entfernte Zahn „keine 
Erkrankung und keine Resorptionsfläche", er spricht aber dann von einem 
„Wurzelgranulom". Echte Wurzelgranulome können aber nur an Zähnen 
mit zugrunde gegangener Pulpa auftreten. Es ist also wohl ausgeschlossen, 
daß in diesem Fall das Empyem von dem retinierten Eckzahn ausgegangen ist. 

So ergeben noch weitere von Pointer angeführte Krankengeschichten die 
verschiedensten Widersprüche, auf die ich nicht näher eingehen kann. Immer 
wieder drängt sich mir die Meinung auf, daß es sich primär um Follikulär- 
zysten handelt, aus denen (und hierin liegt wohl häufig der Kern der Fehl¬ 
diagnose) sekundär sich aus dem Durchbruch, der primär vereiterten Zyste 
in das Antrum, eine Infektion der Oberkieferhöhle und damit ein Antrum¬ 
empyem entwickeln kann. 

Es ist mir auch nicht recht einleuchtend, warum in die Nasen- oder Ober¬ 
kieferhöhle verirrte Zähne in so häufigen Fällen Erkrankungen dieser 
Teile zur Folge haben sollen, während sonst im Kiefer retinierte oder ver¬ 
lagerte Zähne, die von Zahnärzten außerordentlich oft beobachtet werden, 
relativ selten dem Patienten Beschwerden machen. Scheier, der hierzu als 
Nasenarzt Stellung nimmt, ist der gleichen Ansicht und schreibt hierzu wört¬ 
lich: „Was nun die Erscheinungen anbetriflt, die derartige in der Nasen¬ 
höhle vorkommenden Zähne machen, so haben dieselben in den meisten 
Fällen gar keine oder nur geringe Beschwerden gemacht. Meist sind diese 
Nasenzähne nebenbei nur zufällig gefunden worden, bei Leuten, die wegen 
anderer Beschwerden zum Arzt kamen." Scheier erwähnt aber den Fall 
Brindcl, bei dem schwere Reflexerscheinungen, Hustenanfälle und Laryn- 
gospasmen bestanden, die mit der Entfernung des Zahnes aus der Nasen¬ 
höhle verschwand. Im Falle Harrel sollen jahrelange Gesichts- und Kopf- 
schmerzen und übelriechender Ausfluß bestanden haben, die sofort nach Ent¬ 
fernung des überstellenden Hckzahnes aus dem rechten unteren Nasengang 
beseitigt waren. Auch Beschwerden neuralgiformer Art,die denFallSch wein- 
burg kennzeichnen und die sich in heftig quälenden Kopfschmerzen äußerten, 
20 Jahre angehalten hatten und sich anfallsweise steigerten, hörten mit der 
Entfernung des Nasenzahnes auf. 


Go glo 


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Die Erkrankung der Nase und ihrer Hauptnebenhöhle 


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Was nun die Art der Zähne anbetrifft, so sind es wohl meistens die 
Eckzähne, die solchen falschen Weg einschlagen. Auch in den von mir be- 
schriebenen und abgebildeten Fällen sind es diese. Die Erklärung liegt wohl 
darin, daß sie den längsten Weg zurückzulegen haben. Die Zahnärzte finden 
diese Erscheinung ja auch darin bestätigt, daß es neben den Weisheitszähnen 
hauptsächlich die Eckzähne sind, die pervers lingual oder labial durchbrechen, 
länger als gewöhnlich im Kiefer zurückgehalten werden oder auch gar nicht 
durchbrechen. Wie aus der Literatur ersichtlich, neigen nächst den Eckzähnen 
die Schneidezähne dazu. Von anderen Zahngruppen fand ich nur einen von 
Zuckerkandl beschriebenen Fall, in dem ein Prämolar in die Nasenhöhle 
gewachsen war. 

Ein interessanter Fall von Milchzahn im linken unteren Nasengang wurde 
an der Universitätsklinik für Nasen- und Kehlkopf kranke zu Würzburg be¬ 
obachtet. Hier handelte es sich um einen 46 Jahre alten Schmied, der über 
Atembeschwerden, Verstopfung der Nase und Trockenheit im Halse klagte. 
Die Operation ergab einen invertierten ersten Milchmolaren, nach dessen 
Entfernung die Beschwerden schwanden. 

Die zweite von Heymann angegebene Entstehungsart, Ent¬ 
wicklung überzähliger Zähne in die Nase, kommt wohl seltener vor. So 
erwähnt Daae einen Fall, in dem es sich um einen 2 cm langen Embolus, 
Jurasz einen solchen, in dem es sich um einen überzähligen Kaninus handelt. 
Auch überzählige Milchzähne sind beobachtet worden. U. a. publiziert Leiser 
einen Fall, bei dem die Krone des Milchzahnes von einem sehr harten Nasen¬ 
stein vollkommen inkrustiert war. Baumgarten fand bei einem 16jährigen 
Mädchen am Nasenboden einen länglichen Rhinolithen um einen Milchzahn 
gebildet. 

Nach der dritten Art sind wohl die Fälle von Köllreuter und Leiser 
entstanden. In beiden lag Hasenscharte und Gaumenspalte vor. 

Auffällig ist die Beobachtung und die verhältnismäßige Häufigkeit von 
Heterotopien der Zähne bei spezifisch erkrankten Patienten. So stellte G rä f f n e r 
in der laryngologischen Gesellschaft einen mit hereditärer Lues behafteten 
Patienten vor, bei dem sich die mittleren Schneidezähne auf dem Nasenboden 
fanden. Hierher gehören auch die Fälle von Köhler und Schmid. Im 
letzteren zeigte sich, wenn auch anamnestisch nichts zu eruieren war, bei der 
Sektion spezifische Veränderungen in der Nasenhöhle. Anamnestisch nach 
dieser Richtung nicht einwandfrei, aber interessant und eigenartig ist der Fall 
von Will ms. Es handelte sich um einen Patienten, 25 Jahre alt, dessen 
Nasenrücken ein der luetischen Sattelnase ähnliches Aussehen hatte. Im 
Nasenseptum steckte hier noch fast quer ein Zahn, l 1 cm vom Nasen¬ 
boden, der wohl als der im Gebiß fehlende seitliche rechte Schneidezahn an¬ 
zusehen war. Patient gab nun aber weiter an, daß vor acht Jahren plötzlich 
ohne besondere vorherige Beschwerden sich ein Zahn aus der Nase aus¬ 
gestoßen habe und wenige Stunden später die Nase eingesunken sei. Es ist 
aus der Krankengeschichte nicht ersichtlich, ob ein weiterer Zahn im Gebiß 
fehlte. 


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Hans Hoenig 


Ausführlich berichtet Beyer über einen Fall bei einem 16jährigen Mäd¬ 
chen mit tertiärer Lues/ am Boden der Nasenhöhle fand er reichlich fötide 
Borken festhaften, die bei Sondenberührung sich als eigenartig hart erwiesen. 
Beyer vermutete Sequestrierung. Nach einigen Tagen entfernte Patientin 
bei starkem Schnauben ein großes Stück Borke, in der sich ein ausgewachsener 
Zahn befand. Nach dieser spontanen Ausstoßung des Zahnes reinigte sich 
die Nase unter geeigneter Behandlung bald wieder. Der Zahn erwies sich 
als Schneidezahn. Die Schneide trug, wie ein eben hervorgebrochener Zahn, 
die charakteristischen drei Zacken. Die Form der Wurzel war kaum noch zu 
erkennen, da sie durch Karies total zerstört war. Beyer nimmt wohl mit 
Recht an, daß der aus der Nasenhöhle entfernte Zahn der in dem sonst 
vollständigen Gebiß allein fehlende mediale linke obere Schneidezahn ist. 
Wahrscheinlich ist es, daß der Zahnkeim infolge der durch die Lues be¬ 
dingten Entwicklungshemmung in der Gaumenspalte und des daraus re¬ 
sultierenden mangelhaften Schlusses derselben an den Boden der Nasenhöhle 
gelangt ist. 

So könnten diesen angeführten Fällen noch mehrere andere angereiht werden, 
in denen man das Vorkommen von Nasenzähnen mit Lues in ätiologische 
Beziehung bringen zu müssen glaubte. Doch ist die Art des Zusammen¬ 
hangs noch durchaus nicht geklärt und vorläufig als „Hypothese" aufzufassen. 

Über die Beschwerden, die solche in die Nase verirrten Zähne her- 
vorrufen können, war schon bei der kritischen Betrachtung der Pointner¬ 
sehen Arbeit die Rede. Einen der Sch ei ersehen Ansicht entgegengesetzten 
Standpunkt nimmt Gassner an. Nach seiner Aufstellung ist in 31 der bis 
jetzt publizierten Fällen der klinischen Erscheinungen Erwähnung getan. Nur 
bei zwei Beobachtungen sollen Beschwerden von seiten der Nase nicht Vor¬ 
gelegen haben und der Zahn nur als zufälliger Befund entdeckt worden sein, 
bei Leuten, die wegen anderer Beschwerden den Arzt aufsuchten. Zu den 
verschiedenartigsten Krankheitserscheinungen gehören nach einer Aufstellung 
in der Gassner sehen Dissertationsschrift: 

1. Verstopfung und Undurchgängigkeit der Nase mit Behinderung der 
nasalen Atmung,- 

2. starke Sekretion <seröser oder eitriger Natur)/ 

3. Stinknase/ 

4. Beschwerden neuralgiformer Art/ 

5. schwere Reflexerscheinungen, Hustenanfälle und Laryngospasmen ,- 

6. ein von Bryant <Journ. of the am. med. assoc., Bd. 57, 1916) beob¬ 
achteter Fall von schwerer Hysterie bei einer 34jährigen Frau, bei der eine 
Fistel vom Gaumen in die Nase bestand. Die Röntgenaufnahme zeigte 
sieben unentwickelte Zahnkeime in der Mitte des Oberkiefers, von denen einer 
in die Nasenhöhle ragte. Nach Operation verschwanden die hysterischen 
Erscheinungen. 

Zu Punkt 1, 4 und 5 will ich mich ohne weiteres bekennen, wie dieses 
auch in Lehrbüchern von Rhinologcn angeführt ist. Was Punkt 2 angeht, so 
muß ich es nach Durchsicht der speziellen Arbeiten dahingestellt bleiben lassen. 


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Die Erkrankung der Nase und ihrer Hauptnebenhöhle 


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ob die Sekretion resp. Eiterung ihren Nährboden wirklich in der Nase oder 
aber in der Oberkieferhöhle findet Bei einzelnen Arbeiten kann gar kein 
Zweifel darüber bestehen, daß es sich um ein primär erkranktes oder sekundär 
infiziertes (durch Radikular- oder Follikularzyste) Antrum handelte und der 
Nasenzahn bei der Operation lediglich ein Zufallsbefund war. Daß Stink- 
nasen von verirrten Zähnen ausgehen sollen, wird mir von Rhinologen, denen 
großes klinisches Material zur Verfügung steht und die infolgedessen große 
Erfahrungen besitzen, glatt in Abrede gestellt. Im Gegenteil wurde mir be¬ 
stätigt, daß selbst glatte Fremdkörper <Perlen> <und als solcher kann doch 
ein durch den Schmelz glatter verirrter Zahn nicht mal bezeichnet werden), 
ein Jahrzehnt lang in der Nase verweilen können, ohne die geringsten Be¬ 
schwerden zu haben. Nach längerem Verweilen in der Nase inkrustiert er 
sich, d. h. es schlagen sich aus dem Nasensekret Salze (kohlensaurer und phos¬ 
phorsaurer Kalk und Magnesia) auf den Fremdkörper nieder, der sich als 
sogenannter Nasenstein oder Rhinolith in seiner Form dem Raum anpaßt, 
in dem er liegt. Auch der Fall Bryants von schwerer Hysterie ist mir un¬ 
klar. Leider war mir die Arbeit im Text nicht zugänglich. Aber die kurzen 
Angaben Gassners sind schon in sich selbst ein Widerspruch. Von einer 
echten Hysterie kann doch gar keine Rede sein. Wahrscheinlich handelt es 
sich auch hier um eine Follikularzyste, die im ursächlichen Zusammenhang 
mit Hysterie resp. Nasenzahn gebracht worden ist. 

Ich kann also nicht umhin, der Scheierschen Ansicht den Vorzug zu geben. 
Nasenzähne machen nur in seltenen Fällen Beschwerden, Aus¬ 
nahmen davon dürfen das Bild für das ganze nicht trüben. 

Ich gehe nun über zu dem Kapitel der Nasenerkrankungen, die direkt 
auf das Zahnsystem zurückzufiühren sind, oder besser gesagt, auf die Zahn¬ 
erkrankungen, deren Folgeerscheinungen sich in der Nase bemerkbar machen. 
In Verbindung damit sei auf die Arbeit von Loos hingewiesen: „Bau und 
Topographie des Alveolarfortsatzes im Oberkiefer." Mit Recht weist Kolli- 
bay auf die sehr guten Schnittbilder hin, die die Lage der Wurzeln zum 
Nasenboden und zur Oberkieferhöhle demonstrieren. 

Aus den anatomischen Verhältnissen ergibt sich mit Selbstverständlichkeit, 
daß nur die Schneidezähne es sein können, die zu Erkrankungen der Nase 
(abgesehen von der Oberkieferhöhle) in Beziehung gebracht werden können. 
Und so gehört es denn auch nicht zu den allzu großen Seltenheiten, daß 
Granulome an den Wurzelspitzen der Frontzähne sich einen Weg zur Nase 
bahnen und den Ausgang als Fistel auf dem Nasenboden finden. Der 
Knochen schmilzt eitrig ein, und zwar dem Laufe der Gefäße folgend, oder 
seitlich in den Canalis nasoincisivus einbrechend. Wir sprechen dann von 
einer Nasenfistel. Dieser Vorgang ist analog der von Partsch beschrie¬ 
benen und des öfteren beobachteten Antrumfistel. Kollibay berichtet 
von einer Patientin, bei der vom mittleren linken Schneidezahn eine Zahn¬ 
fleischfistel, vom seitlichen Schneidezahn aus, am Boden des unteren Nasen¬ 
ganges vorn eine Nasenfistel, und von einem Molaren aus eine Antrum¬ 
fistel ausging, die zu einem Kieferhöhlenempyem geführt hatte. 


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444 


Hans Hoenig 


Wenn auch in den meisten Fällen das Granulom, den kürzesten Weg 
suchend, sich seine Bahn zum Vestibulum oris oder von den seitlichen Schneide- 
zähnen wegen der palatinalen Neigung ihrer Wurzel zum Gaumen brechen 
wird, so werden doch häufig genug Durchbrüche zur Nase gar nicht bemerkt 
werden. Besondere Beschwerden verursachen sie ja auch dem Patienten nichr. 
Stinkend eitriger Ausfluß aus der Nase, wie es Kollibay von einer Patientin 
beschreibt, „während ihr der übrigens viel später als die Naseneiterung auf¬ 
getretene Wulst am Gaumen keine Sorgen und Beschwerden gemacht hatte'', 
gibt es vom Granulom ausgehend wohl kaum. Es kann sich hier sehr wohl 
um eine palatinal entwickelte Zyste handeln, deren Inhalt infiziert und, viel¬ 
leicht dem Canalis incisivus folgend, zur Nase durchgebrochen war. Mit Be¬ 
handlung der Zähne, ihrer Entfernung oder Wurzelspitzenresektion, wird 
der Fistelgang veröden und die Nasenfistel sich schließen. 

Wie ich schon oben bemerkte, können auch Radikulärzysten, die von den 
Frontzähnen ausgehen, sich zur Nase entwickeln,* sie pflegen dann den Nasen¬ 
boden stark vorzuwölben. Letzterer Vorgang kam in der Berliner zahnärzt¬ 
lichen Universitätsklinik bisweilen zur Beobachtung, meistens aber entwickeln 
sich solche Zysten labialwärts in das Vestibulum oris, oder von den seitlichen 
Schneidezähnen palatinalwärts. Durchbrüche von Zysten zur Nase sind 
äußerst selten. 

Ich habe viele Jahre hindurch das Material der Berliner Klinik beobachten 
und darunter nur zwei Fälle von Durchbrüchen einer Zyste in die Nase fest¬ 
stellen können. Häufiger jedoch kam es vor, daß bei operativen Eingriffen 
<Entfernung von Granulomen oder Zysten) die Nase eröffnet wurde, doch 
kann ich über unangenehme Folgeerscheinungen nicht berichten. Immerhin ist 
Vorsicht am Platze. Das Arbeiten bei Wurzelspitzenresektionen an den 
Frontzähnen mit zu kleinen Rosenbohrern beim Abtragen der Wurzelspitze 
ist zu vermeiden und größere Zysten, die sich zur Nase entwickeln, sollen 
nach Methode Partsch I <das Verwandeln der Zyste in eine Nebenhöhle 
der Mundhöhle) operiert werden. 

Über einen durch seine Nebenerscheinung <Nasenscheidewandabszeß) in¬ 
teressanten Fall von Durchbruch einer vereiterten Zyste in die Nase be¬ 
richtet Killian. Da der Fall sehr selten ist, gebe ich die Krankengeschichte 

wieder. 

Bei einem dreißigjährigen Mann stellten sich am oberen linken seitlichen 
Schneidezahn Beschwerden ein. Nach zwei Tagen begann sich die Nase zu 
verstopfen, heftige Schmerzen in der Stirn über der Nase und hohes Fieber. 
In den folgenden Tagen wurde die Verstopfung der Nase vollständig und 
am siebenten Tage stellte sich ein starker Ausfluß höchst übelriechenden Eiters 
aus der linken Nase ein. K. fand in der linken Nase gelben, übelriechenden 
Eiter. Die Septumschleimhaut buchtete sich über dem ganzen Septum vor 
und schien von ihrer Unterlage abgehoben. Auch rechts bestand eine solche 
weiche Vorbuchtung, aber nur im Bereiche des knorpeligen Septums,* weiter 
hinten war hier die Schleimhaut nur etwas geschwollen. K. spaltete die 
Septumschleimhaut links breit vom Naseneingang bis zur Vomergrenze, wo- 


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— OrHgina-l frerrr- —^ 

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Die Erkrankung der Nase und ihrer Hauptnebenhöhle 


445 


bei noch Eiter abfloß. Beim Auseinanderhalten der Wundränder zeigte sich 
ein großer Teil der knorpeligen Nasenscheidewand, durch den eitrigen Ent- 
zündungsprozeß zur Auflösung gebracht. Nach drei Tagen wurde die In¬ 
zision verlängert, da die Eiterung noch nicht nachließ. Im Verlauf von vier¬ 
zehn Tagen heilte der Prozeß ohne Sequestrierung aus. Obwohl K. den 
schmerzenden Zahn ätiologisch in Verdacht hatte, riet er vorläufig von einer 
Entfernung ab, da äußerlich der Zahn intakt und am Kiefer keinerlei Diffor- 
mität vorhanden war. Erst nach vier Monaten traten wieder Zahnbeschwerden 
auf, was den Patienten veranlaßte, sich den Zahn entfernen zu lassen. Bei 
der Entfernung floß Eiter ab. Da die Eiterung nicht auf hörte, suchte Patient 
abermals K. auf. Jetzt ließ sich von der Alveole aus ein 2 1 2 cm tiefer, bis 
zum Nasenboden und Septum sich erstreckender und ganz in dem keilförmigen 
vorderen Teil des Oberkiefers verborgener Hohlraum sondieren, der von einer 
Membran ausgekleidet, zweifellos als Zahnwurzelzyste zu diagnostizieren war. 

Die Krankengeschichte läßt wohl keinen Zweifel darüber, daß es sich hier 
um eine vereiterte Zyste handelte, ausgehend vom seitlichen linken Schneide¬ 
zahn, deren Pulpa (vielleicht durch Trauma) zugrunde gegangen war. Der 
Durchbruch unter die Septumschleimhaut hatte die Entstehung der Septum¬ 
affektion zur Folge. Nach dem heutigen Stand der zahnärztlichen Chirurgie 
<die Killiansdie Arbeit ist 1900 geschrieben) hätte sicherlich dem Patienten 
auch unter Erhaltung des Schneidezahnes Heilung gebracht werden können. 

Die Killiansche Beobachtung gibt mir Veranlassung, auf eine Erkrankung 
der Nase hinzuweisen, die im Zusammenhang mit dem Zahnsystem aus¬ 
führlicher zum erstenmal von Bauer einer kritischen Betrachtung unterzogen 
wurde, nämlich 

„Nasenscheidewandabszesse dentalen Ursprungs". 

Die selbst den Rhinologen nicht häufig zu Gesicht kommenden Abszesse 
der Nasenscheidewand sind, was ihre Ätiologie angeht, in erster Linie auf 
Traumen zurückzuführen, die einen Bluterguß unter das Perichondrium zur 
Folge haben und vereitern können. Lubinski berichtet über 24 im Verlauf 
mehrerer Jahre an der Berliner Universitätsklinik über Hals- und Nasen¬ 
kranke beobachtete Fälle, von denen 20 unzweifelhaft traumatischen Ur¬ 
sprungs waren. Es mag wundernehmen, daß, trotzdem doch gerade die 
Nase so häufig einem Trauma ausgesetzt, die hieraus resultierende Er¬ 
scheinung der Nasenscheidewandabszesse so selten ist. Hierfür werden in 
der Literatur verschiedene Erklärungen gegeben. Teils wird behauptet, daß 
das Trauma eine bestimmte Stelle des Nasenrückens, nach Rode den hinteren 
fixen Teil des kartilaginösen Septums treffen muß, um einen Bluterguß zur 
Folge zu haben, teils soll die Elastizität des Knorpels der Nasenscheidewand 
ein Hämatom verhindern. Wie dem auch sei, Nasenscheidewandabszesse 
sind äußerst selten. Eigenartig ist, daß solche Hämatome fast stets zur 
Vereiterung kommen und nicht, wie wir dieses bei Hämatomen anderer 
Körpergegenden <Gesicht, Ohrmuschel, Kieferhöhle) beobachten, resorbiert 
werden. 


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446 


Hans Hoenig 


Neben diesem ätiologischen Moment des Traumas und des damit verbun- 
denen Hämatoms werden vereinzelt in der rhinologischen Literatur andere 
Fälle beschrieben, die im Anschluß an Infektionskrankheiten auftraten und 
wo Erysipel, Influenza, Lues oder Tuberkulose als Veranlassung erkannt 
wurde. Nur ganz vereinzelt werden Beobachtungen wiedergegeben, wo als 
Ursache von Nasenscheidewandabszessen sich in unmittelbarer Nachbarschaft 
abspielende Infektionsprozesse angegeben werden. Zu diesen gehört der 
schon erwähnte Fall von Killian. 

Bauer gebührt das Verdienst, als erster diese Fälle dentalen Ursprungs 
zusammengestellt und ihrer Entstehung nachgeforscht zu haben. Wenn Bauer 
Klage darüber fuhrt, daß dieses Kapitel in keiner einzigen stomatologischen 
Arbeit erwähnt, ja nicht einmal in den Arbeiten aus den Grenzgebieten der 
Nasen- und Zahnheilkunde <Williger, Weiser) eines Wortes gewürdigt 
wird, so glaube ich aus eigener Erfahrung heraus bemerken zu dürfen, daß 
dieses mit Unrecht geschieht. Sind schon, wie bereits erwähnt, Septumabszesse 
in geschilderter ätiologischer Beziehung selten, so kommen die dentalen nur 
ganz vereinzelt zur Beobachtung, wie dieses ja auch die von Bauer zu¬ 
sammengestellten und seine zwei eigenen Beobachtungen bestätigen. Zunächst 
ist es ja wohl natürlich, daß der Patient den Nasenarzt aufsucht, er entgeht 
dadurch der Beobachtung des Zahnarztes. Aber auch seit dem Erscheinen 
der Bauer sehen Arbeit <1917) und auch vordem ist mir nicht ein einziger 
Fall zu Gesicht gekommen, trotzdem mir in der chirurgischen Abteilung der 
Berliner zahnärztlichen Universitätsklinik Tausende von Fällen, die den Vor¬ 
bedingungen für die Entstehung von Septumsabszessen entsprechen, durch 
die Hände gegangen sind. Wenn nicht die überzeugenden Krankengeschichten 
von Killian, Fischenisch und Bauer beständen, möchte man in Ver¬ 
suchung kommen, den dentalen Ursprung dieser Krankheitserscheinung über¬ 
haupt zu negieren. Ich begnüge mich auf Grund eigener Beobachtung mit 
einem Wort der Verteidigung für die Zahnärzte und glaube, daß weniger 
Interessenmangel an rhinologischen Arbeiten als die fast völlige Unmöglich¬ 
keit der Beobachtung diesen Mangel der zahnärztlichen Literatur erklärt. 

Die Seltenheit der Beobachtung ist um so verwunderlicher, als der In¬ 
fektionsweg unter Berücksichtigung der anatomischen Verhältnissen ein recht 
einleuchtender ist. Bauer unterstreicht in seiner Arbeit die Tatsache, daß 
dem Septumabszeß in den meisten von ihm zusammengestellten und auch 
bei seinen eigenen zwei beobachteten Fällen ein Gaumenabszeß vorausging 
und damit die Möglichkeit gegeben ist,, daß die Erreger durch den Canalis 
naso-palatinus zum Septumknorpel gelangen, und zwar auf dem Wege der 
Ductus incisivi, wenn diese noch durchgängig sind. Nach Rauber-Kopsch 
„ziehen die Ductus incisivi durch den Canalis naso-palatinus vom Boden 
der Nasenhöhle zum Dach der Mundhöhle. Sie sind nur ausnahmsweise 
durchgängig und münden auf der Papilla incisiva". 

Vielleicht ist die seltene Durchgängigkeit der Ductus incisivi gerade der 
Grund für das seltene Vorkommen der Septumabszesse. Der zweite In¬ 
fektionsweg zur Nase resp. zum Septum ist bereits früher besprochen worden. 


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Die Erkrankung der Nase und ihrer Hauptnebenhöhle 


447 



Es ist sehr wohl denkbar, daß ein Granulom sich seinen Weg unter die Schleim- 
haut des unteren Nasenbodens bricht und bei einem akut entzündlichen 
Nachschub die Entzündung sich auf den Nasenscheidewandknorpel fortpflanzt. 

Einen dritten Weg gibt Bauer an, und zwar bei allen denjenigen Fällen, 
bei denen der Gaumenabszeß fehlt und die entzündliche Schwellung der 
Schleimhaut am Alveolarfortsatz überwiegt. Hier 
glaubt er, „daß die Infektion vom apikalen Prozesse 
submukös zur Nasenscheidewand gelangt, d. h. daß 
es zunächst zu einem fazialen Durchbruch des Gra- 
nuloms kommt und dann die Infektion auf der äußeren 
Oberfläche des Alveolarfortsatzes weiterschreitet". 

Ich kann dieses an der Hand eines selbst be- 
obachteten Falles, bei dem zwar nicht zum Septum- 
abszeß, aber zum Durchbruch zur Nase kam, be- 
stätigen. Die Patientin, Fräulein E. Sch., suchte die 4 

Klinik auf und machte folgende Angaben. Vor Eröffnung der Kieferhöhle nach 
3 1 / 2 Jahren sei in den oberen mittleren rechten V n P'?. Sonde 

c* « . i t . o.i.i r-u i f xt i fQhrt 1,1 d,e Kieferhöhle 

ocnneidezahn eine oilikatrullung gelegt worden. INacn 

V/ 2 Jahren habe sie zum erstenmal beobachtet, daß sich aus der rechten Nase 
eine trübe Flüssigkeit entleerte. Dieser Vorgang wiederholte sich alle zwei 
Monate, verbunden mit einer Schwellung der Oberlippe. Seit einem halben 
Jahre sei der Ausfluß eitrig und seit 14 Tagen bemerke sie auch eine Vor- 
Wölbung im Vestibulum oris oberhalb des ge¬ 
füllten Zahnes. 

Die Untersuchung ergab, daß die Füllung 
herausgefallen, Zahn deutlich verfärbt, ober¬ 
halb des Zahnes im Vestibulum eine kirsch¬ 
kerngroße Vorwölbung der Knochenwand. 

Im unteren rechten Nasengange befindet sich 
eine Fistelöffnung, aus der sich auf Druck 
vom Vestibulum aus eine gelbliche Flüssig¬ 
keit entleerte. Eine in den Fistelgang von 
der Nase aus eingeführte Sonde gelangt in 
die Gegend der Wurzelspitze, ist aber unter 
der Schleimhaut vom Mundvorhof fühlbar, 
ein Beweis, daß der Granulationsweg nicht 
innerhalb des Knochens verläuft. 

Diagnose: Cystitis radicularis, ausgehend von JJ mit fistulösem Durch¬ 
bruch zum unteren Nasengang. 

Die Operation ergab, daß der Knochen auf der höchsten Stelle der Vor¬ 
wölbung eingeschmolzen war und der Granulationsgang unter dem Periost 
bis zum unteren Nasengang emporgeklettert war. Die Sondierung der kleinen 
Zystenhöhle ergab keine Perforation des Knochens in Nasenrichtung. Die 
durch die Fistelöflfnung von der Nase eingeführte Sonde kam an der Vorder¬ 
fläche des freigelegten Knochens zum Vorschein. 







Fig. 5 

Eröffnung der Kieferhöhle nach Entfern 
nung von J7. Die Sonde führt in die 
Kieferhöhle 


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Hans Hoenig 


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Was nun die Therapie solcher Nasenscheidewandabszesse betrifft, so dürfte 
wohl die bloße Inzision in Verbindung mit der Behandlung des in Verdacht 
kommenden Zahnes (nur Radikalbehandlung durch Wurzelspitzenresektion) 
immer zum Erfolge führen. Schäffer schlug Exzision vor, analog der zahn^ 
ärztlichen Behandlung des Gaumenabszesses, doch glaube 
ich, daß die Gefahr der Verklebung überschätzt wird. 

Ich komme nun zu den Erkrankungen der Haupte 
nebenhöhle der Nase <Antrum Highmori) im Zu~ 
sammenhang mit dem Zahnsystem, der Kieferhöhlen^ 
entzündung und dem Kieferhöhlenempyem. 

Es ist noch heute eine ungeklärte Frage, in welchem 
Verhältnis die dentalen Kieferhöhlenempyeme zu den 
genuinen stehen. Nach Hajek sind es besonders die 
Anatomen, die den dentalen Ursprung zu den äußerst 
seltenen zählen, da sie bei der Sektion keine Residuen 
irgendeines vorher stattgehabten Entzündungsprozesses 
zwischen Zahnwurzel und Kieferhöhle nach weisen konn^ 
ten. So konnte Zuckerkandl bei zirka 300Sektionen 
nur ein einziges Mal den dentalen Ursprung feststellen. 

Die klinischen Erfahrungen jedoch geben entschieden ein anderes Bild. So 
sicher, wie es ist, daß die genuinen Entzündungen des Antrums überwiegen, 
so sicher ist es auch, daß die Anzahl der dentalen unterschätzt wird. Eine 
Erklärung hierfür ist wohl in der Schwierigkeit zu suchen, die dentalen Ur^ 
Sachen rein klinisch zu beweisen, oder genauer ausgedrückt, klinisch den Weg 

zu demonstrieren, den ein Entzündungsvorgang vom 
Alveolarfortsatz zur Kieferhöhle eingeschlagen hat. 
Häufig genug ist uns dieses in der Berliner zahn^ 
ärztlichen Universitätsklinik gelungen, indem wir 
nach röntgenologischer Feststellung des Entzün= 
dungsherdes mit einer glatten Nervnadel durch die 
Kanäle des schuldigen Zahnes in die Kieferhöhle 
gelangten, oder nach Entfernung desselben durch 
die Alveole, ohne den leisesten Widerstand zu 
finden, die erkrankte Kieferhöhle sondieren konn^ 
ten. Zur Veranschaulichung folgen einige in der 
Chirurg. Abteilung des Zahnärztlichen Univ.^ 
Instituts Berlin aufgenommene Röntgenbilder: 
<Fig. 4, 5, 6, 7.) 

Es ist auch meiner Meinung nach richtig, wenn 
Kollibay sagt, daß von dentalen Granulationen des Bodens ein Reizzu^ 
stand der Antrumschleimhaut mit seröser oder schleimiger Sekretion sich ent¬ 
wickeln kann, der gewissermaßen nur auf eine Infektionskrankheit wartet, 
um sich zu einem Empyem zu entwickeln, indem der letzte Schutzwall durch 
die Bakterien durdibrodien wird. Diese Fälle müssen ebenfalls der dentalen 
Ätiologie zugerechnet werden. 



Fig. 7 

Periodontitis chronica an J6. 
Durch den medialen buccalcn 
Kanal gelangt man mit der 
Nervnadel in die Kieferhöhle 



Fig. 6 

Granulom über [3. Mit der 
glatten Ncrvnadel konnte man 
über das Granulom hinaus 
in die Kieferhöhle gelangen 


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Die Erkrankung der Nase und ihrer Hauptnebenhöhle 


449 



Fig. 8 


In einer jüngst erschienenen Dissertation von Hammer wird das Verhältnis 
der nasalen zu den dentalen Antrumerkrankungen auf 85 zu 15 angegeben. 
Ich halte die Zahl der dentalen zu niedrig eingeschätzt, doch da ja die Be¬ 
antwortung dieser Frage an sich bedeutungslos ist, sehe ich davon ab, eine 
Verhältniszahl aufzustellen. _ 

Die Möglichkeit des Über¬ 
greifens eines entzündlichen Pro¬ 
zesses an den Wurzeln der dem 
Antrumboden nahegelegenen 
Zähne wird erhöht werden, je 
dünner die Knochenschicht zwi¬ 
schen Wurzelspitzen und An¬ 
trumboden ist. In solchem Falle 
hat das Granulom, und meistens 
handelt es sich um eine granu¬ 
lierende Periodontitis, nur einen 
kleinen Weg zurüdczulegen, um zum Antrum durchzubrechen. Die hierfür 
in Betracht kommenden Zähne ergeben sich aus der anatomischen Lage. Im 
besonderen sind es der zweite Prämolar, erste und zweite Molar, aber auch 
von dem ersten Prämolaren und Eckzahn kann eine Infektion erfolgen. Vom 
seitlichen Schneidezahn gehört sie wohl zu den äußersten Seltenheiten. Die 
Größe des Antrums, die Länge der Wurzeln und die Höhe des Alveolar¬ 
fortsatzes werden eine individuelle 
Rolle spielen. 

Schon bei der bloßen Entfernung 
eines Zahnes kann das Antrum er¬ 
öffnet werden, besonders, wie dieses 
häufig der Fall ist, wenn die Wur¬ 
zeln in die Oberkieferhöhle hinein¬ 
zuragen scheinen und nur noch 
durch die Antrumschleimhaut von 
ihr getrennt sind. Ich bin überzeugt, 
daß das viel häufiger geschieht als 
es vom Praktiker bemerkt wird. Daß 
sich trotzdem relativ selten Kiefer¬ 
höhlenentzündungen anschließen, ist 
wohl damit zu erklären, daß die 
Antrumschleimhaut eine außer¬ 
ordentliche Tendenz hat, sich wieder zu schließen, und auch wenig empfind¬ 
lich ist. Immerhin sollte man es nie unterlassen, nach Entfernung eines oberen 
Backzahnes zu prüfen, ob die Kieferhöhle bei dem Eingriff eröffnet worden 
ist. Das Sondieren durch die Alveole ist auf das schärfste zu verwerfen. 
Es genügt vollkommen, festzustellen, ob bei Kompression der Luft in der 
Nase <Schnauben bei zugehaltener Nasenöflfnung) diese durch die Alveole 
entweicht. Ist die Eröffnung klinisch festgestellt, so ist dafür Sorge zu tragen, 

Viertefjahrssdirift für Zahnheilkunde. Heft 4 30 



Fig. 9 


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450 


Hans Hoenig 


daß der Infektionsweg zum Antrum verschlossen resp. erschwert wird. In 
der Berliner Zahnärztlichen Universitätsklinik bedienen wir uns mit vollem 
Erfolg der sogenannten Achtertour, eines Drahtverbandes in Form einer Acht, 
dem ein Tampon aufgelagert wird <Fig. 8 und 9>. 

Sind keine Nachbarzähne vorhanden, so hat der Verschluß durch eine 

Zelluloidprothese zu erfolgen. 

Das Austamponieren der Alveole mit Jodo* 
formgaze (leider geschieht dieses zuweilen sogar 
mit Watte) ist mit der Gefahr verbunden, daß 
man den Tampon in die Kieferhöhle preßt und 
somit mechanisch das Schließen der Antrum* 
Schleimhaut verhindert, abgesehen davon, daß die 
Antrumschleimhaut gereizt wird. 

Daß bei Wurzelspitzenresektionen das Antrum 
eröffnet werden kann, wurde schon bei der Nasen* 
höhle erwähnt. Im allgemeinen werden sich hier* 
Fig. 10 aus keine Komplikationen für die Kieferhöhle 

ergeben. Es dürfte auch hier, wie bei der Nasen* 
höhle, ratsam sein, in ihrer Nähe nicht mit zu kleinen Bohrern zu arbeiten. 
Größeren Bohrern weicht die Antrumschleimhaut aus. 

Wie bei Extraktionen, so kann auch bei Wurzelbehandlung das Antrum 
eröffnet und, was das Schlimmere, infektiöse Keime (man denke an den 
gangränös zerfallenen Wurzelkanalinhalt) können in das Antrum gepreßt 
werden. Diese Gefahr kann man nicht beseitigen, vielleicht durch vorsichtiges 
Arbeiten einschränken. 

Einen geradezu klassischen Fall, der aber in den Bereich der Kunstfehler 
gehört, hatte ich Gelegenheft, persönlich in der Universitätsklinik zu diagnosti* 

zieren. Ein Zahntechniker hatte einen oberen 
rechten zweiten Bikuspidaten mit einer Rieh* 
mondkrone versehen und hatte dabei unter 
Perforation des Zahnes den einen Wurzelstift 
direkt in die Kieferhöhle getrieben (Fig. 10). 

Ein schweres akutes Empyem war die 
prompte Folge. 

Gar nicht zu selten passiert es (besonders bei 
tief zerstörten oder tief frakturierten Molaren* 
wurzeln), daß diese bei dem Entfernungsversuch 
in die Kieferhöhle versenkt werden (Fig. 11). 

Die Entfernung solcher Wurzel ist unbedingt Pflicht, denn ihr längeres 
Verweilen muß die Antrumschleimhaut im Laufe der Zeit in einen entzünd* 
liehen Zustand versetzen. Williger hat den Gang dieses harmlosen Ein* 
griffs in einer kleinen Arbeit „Versenkung von Wurzeln in die Kieferhöhle 
geschildert (Korrespondenzblatt f. Zahnärzte 1920, Heft 1), breite Aufklappung 
der Schleimhaut und des Periost von der Fossa canina aus, breite Au - 
meißlung, bis man die Kieferhöhle voll überblicken kann. Gewöhnlich sie t 



Fig. 11 



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Die Erkrankung der Nase und ihrer Hauptnebenhöhle 


451 


man die Wurzel dann frei in der Kieferhöhle lagern, liegt sie noch unter 
der Antrumschleimhaut, so muß man diese mit dem Sichelmesser schlitzen 
und den Zahnrest mit der Pinzette herausheben. Hierauf wird Schleimhaut 
und Periost in der Fossa canina zurüdcgeklappt. Eine sorgfältige Naht be= 
schließt den kleinen Eingriff. Da die Kieferhöhle dann immer noch zum 
Munde zu offen steht <durch die Alveole), ist eine Achtertour mit Tampo- 
nade zu legen oder, falls keine Zähne vorhanden, ein Verschluß mit Zelluloid- 
prothese zu schaffen. Bei einem derartigen Eingriff, der nicht zum täglichen 
Brot des Zahnarztes gehört, müssen selbstverständlich die Lehren der 
Aseptik strengste Beachtung finden. Fast immer wird der Heilungs¬ 
verlauf normal sein ,• unangenehme Störung kann nur eintreten dadurch, daß 
ein durch die Operation in die Kieferhöhle erfolgter Bluterguß nicht zur Re- 
sorbierung kommt, sondern vereitert. 

Auch bei Wurzelspitzenresektionen in der Nähe des Antrums kann durch 
unglücklichen Zufall die resezierte Wurzelspitze in die Kieferhöhle getrieben 
werden. 

Hierher gehört ein von Becker beschriebener Fall mit äußerst tragischem 
Verlauf. Der Patient wurde der Zahnärztl. Universitätsklinik mit einem An¬ 
trumempyem überwiesen, nachdem ihm anderwärts bei Ausführung einer 
Wurzelspitzenresektion an einem oberen Eckzahn die Wurzelspitze ins An¬ 
trum versenkt war. Hammer berichtet irrtümlich, daß Becker selbst die 
Resektion ausgeführt habe. An die Operation nach Lück-Caldwell schloß 
sich eine Otitis media und Mastoiditis. Aufmeißlung des Warzenfortsatzes. 
Hieran schloß sich eine Sinusthrombose und nach erfolgloser Ausräumung 
des Sinus ging der Patient an Meningitis zugrunde. 

Ich hatte Gelegenheit, einen solchen Fall selbst in der Universitätsklinik zu 
behandeln. Allerdings handelte es sich nicht um eine resezierte und versenkte 
Wurzelspitze, sondern um einen bei der Operation abgebrochenen größeren 
Bohrerkopf. Das Röntgenbild bestätigte den unglücklichen Zufall. Ich er¬ 
weiterte den schon vorhandenen Operationsschnitt und eröffnete die Kiefer¬ 
höhle breit. Dem Fall war eine komische Seite abzugewinnen insofern, als 
ich den Bohrerkopf trotz sorgfältigsten Absuchens in der Kieferhöhle nicht 
finden konnte. Recht unbefriedigt mußte ich die Operation beenden. Am 
Abend fand die Patientin den Bohrerkopf eingeklemmt in einer tiefen kariösen 
zentralen Höhle eines unteren Molaren. Beim Tupfen muß also der Bohrer¬ 
kopf mit herausgewischt und in den kariösen Molaren gefallen sein. Der 
Heilungsverlauf war bis auf ein hartnäckiges Hämatom, das resorbiert wurde, 
ein normaler und guter. Nach zirka 8 Tagen konnte ich die Patientin aus 
der Behandlung entlassen. 

Auch im Anschluß an Ostitiden kommen bisweilen Oberkieferhöhlen¬ 
erkrankungen vor. Wir haben in der Universitätsklinik derartige Fälle be¬ 
obachtet und behandelt. Nach Entfernung der Sequester pflegt Heilung ein¬ 
zutreten, vereinzelt mußte auch die Radikaloperation angeschlossen werden. 

Als letzte Infektionsmöglichkeit ist noch die im Anschluß an Neubildungen 
im Bereiche der Kiefer und Zähne auftretende zu besprechen. Hier sind es, 

30 * 


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Hans Hoenig 


wie dieses ja schon teilweise erwähnt war, die radikulären und folliku¬ 
lären Zahnzysten. Voraussetzung ist, daß ihr Inhalt auf irgendeinem 
Wege infiziert wurde. Eine Zyste wird stets das Antrum verdrängen und 
es kann Vorkommen, daß dieses ganz bis auf einen schmalen Spalt verschwindet. 
Dieses Moment des „Verdrängens", das sich aus dem Bestreben der Zyste 
erklärt, nach dorthin sich Ausdehnung zu verschaffen, wo sie den geringsten 
Widerstand findet, ist es, das differentialdiagnostisch leicht zu Irrtümem 
führen kann. Vereiterte Zysten werden mit Kieferhöhlenempyemen ver¬ 
wechselt, oder auch umgekehrt. Wie Irrtümer vermieden werden, ist aus¬ 
führlich in Kunerts und Willigers Arbeiten klargelegt. 

Ich erwähne kurz noch die Gefahr der Antrumeröffnung bei Zystenaus¬ 
schälung. Sie tritt besonders dann in den Vordergrund, wenn es sich um 
Zysten handelt, die sich im Bereich der oberer Biskuspidaten oder Molaren 
entwickeln. Die Operation nach Partsch <Verwandeln der Zyste in eine 
Nebenhöhle der Mundhöhle) wird in einem solchen Falle die allein indizierte 
sein. Im geringen Maße besteht diese Gefahr auch bei Zysten, die sich von 
den Frontzähnen aus entwickeln. Die Eröffnung des Antrums bei Aus¬ 
schälung einer Zyste, ausgehend vom seitlichen Schneidezahn, ist in der Berliner 
Zahnärztl. Universitätsklinik beobachtet worden. Natürlich besteht die Mög¬ 
lichkeit eines Blutergusses ins Antrum, doch braucht diese Gefahr nicht über¬ 
schätzt zu werden. 

Wenige Worte noch über die Behandlung von Kieferhöhlenempyemen. 
Handelt es sich um ein akutes Empyem, so wird sich die Tätigkeit des Zahn¬ 
arztes mit Verordnung für Bettruhe, Schwitzen und Pinselungen der Nase 
mit 10°/ 0 igem Kokain oder 20%igem .Novokain Suprarenin begnügen 
müssen. Letztere bezwecken ein Abschwellen der Nasenschleimhaut. Tritt 
keine Besserung ein, so müssen Spülungen entweder von der Alveole des 
entfernten Zahnes, oder vom unteren Nasengang erfolgen. Die Punktion 
vom unteren Nasengang gehört wohl nicht mehr in das Arbeitsgebiet des , 
Zahnarztes, der ungeübten Hand können hierbei unangenehme Zwischen- . 
fälle unterlaufen. Zum Zwecke der Spülung aber einen gesunden 
Zahn zu opfern, ist als schwerer Kunstfehler anzusehen. 

Auch bei den chronischen Empyemen kann die Behandlung zunächst mit 
Spülungen versucht werden, die bisweilen auch zum Ziele führen. Besteht 
das Empyem schon lange Zeit, was gewöhnlich eine polypöse Entartung 
der Antrumschleimhaut zur Folge hat, so führt nur die Radikaloperation ) 
zum Ziel. Von den Operationsmethoden ist die nach Luc-Caldwell j 
die gebräuchlichste und erfolgreichste. Auf ihre Technik gehe ich nicht 
näher ein und verweise auch hier auf Willigers Arbeiten. Jedenfalls 
glaube ich mit meiner Behauptung nicht zu weit zu gehen, daß die Aus¬ 
führung derselben auf keinen Fall in das Arbeitsgebiet des Zahnarztes 
gehört. In einem neueren Lehrbuch von Moral steht der Satz: „Die 
dentalen Empyeme fallen in das Arbeitsgebiet des Zahnarztes, die nasalen 
aber in das des Rhinologen." Ich kann mich diesen Ausführungen auf keinen 
Fall anschließen. I 


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Die Erkrankung der Nase und ihrer Hauptnebenhöhle 


453 


Letzten Endes ist es beim chronischen Antrumempyem vollkommen gleich“ 
gültig, ob es von der Nase oder von einem Zahn ausgegangen ist. Der 
chirurgische Radikaleingriff an der Kieferhöhle ist immer derselbe. Dieser 
Eingriff wird nach meiner Meinung besser den Rhinologen überlassen. An 
sich ist er nicht sonderlich schwierig. Es können aber während des Heilver» 
laufes Störungen, insbesondere schwere Blutungen Vorkommen, denen der 
praktische Zahnarzt aus Mangel an Übung einfach nicht gewachsen ist. Doch 
wäre es andrerseits sehr wünschenswert, wenn sich die Rhinologen bei der 
Diagnose öfter der Hilfe eines Zahnarztes bedienten als es bisher geschieht. 
In der Chir. Abteilung des Berliner Zahnärztl. Universitätsinstituts haben wir 
in dieser Beziehung sehr oft schon der Universitäts-Nasenklinik behilflich 
sein können, indem wir mit Hilfe des auf S. 20 dargestellten Verfahrens den 
schuldigen Zahn ausmittelten. 



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1 


AUS DEM ZAHNÄRZTLICHEN INSTITUT DER DEUTSCHEN UNIVERSITÄT 

IN PRAG 

<VORSTAND PROF. DR. H. BOENNECKEN) 

PULPENTOD KARIESFREIER ZAHNE 

VON 

ASSISTENT DR. MED. ANTON LOOS 

D ie Erkenntnis, daß tote Pulpen in äußerlidi intakten Zähnen schwere 
Störungen des Allgemeinbefindens nach sich ziehen können, muß uns 
bestimmen, bei jedem Patienten, der mit neuralgischen Schmerzen im Tri« 
geminusgebiet zu uns kommt, die Vitalität der Pulpen aller Zähne, auch bei 
völliger Kariesfreiheit mit Hilfe des faradischen Stromes zu prüfen. Nur auf 
diese Weise wird es uns möglich sein, tote Pulpen rechtzeitig zu entdecken 
und zu behandeln, bevor sie Unheil anrichten. Zu beachten ist nur, daß, wie 
Adolf Witzei nachgewiesen hat, pulpenlose Zähne auch auf den Induktions« 
ström reagieren können, wenn sich ihre Wurzelhaut im entzündeten Zu¬ 
stand befindet. Aus diesem Grunde ist es geraten, in solchen Fällen erst 
nach Abklingen der Periodontitis die Vitalitätsprüfung der Pulpa vorzu« 
nehmen, vorausgesetzt, daß der Zustand des Periodontiums ein Zuwarten 
ratsam erscheinen läßt. Daß pulpatote Zähne mitunter schon bei der bloßen 
Inspektion mit ziemlicher Sicherheit an einer, wenn auch nur geringfügigen 
Verfärbung kenntlich sind, ist eine bekannte Tatsache. Audi das sogenannte 
Smrekersche Phänomen, das sich in einem Schwirren der Wurzelspitze bei 
Beklopfen eines pulpentoten Zahnes zu erkennen gibt, und der veränderte, 
meist tiefere Klang sind erprobte Symptome für Zähne mit toten Pulpen. 

Die überwiegende Mehrzahl der Fälle von Pulpentod kommt im Anschluß 
an ein Trauma zur Beobachtung. Wir nehmen an, daß durch den Insult 
(plötzlicher, unvermuteter Aufbiß auf einen harten Gegenstand in der Speise, 
Stoß, Fall usw.) die Wurzelgefäße bei ihrem Eintritt am Foramen apicale 
abreißen, wodurch an dieser Stelle ein Hämatom entsteht. Auf diese Weise 
sistiert die Ernährung der Pulpa, die nun der Nekrose anheimfällt. Patho* 
logisch-anatomisch handelt es sich also um eine ischämische Nekrose des 
Pulpengewebes. 

Audi in der Pulpa selbst finden sich mitunter nach den erwähnten Gewalt¬ 
einwirkungen Hämatome, wie Williger in mehreren Fällen mikroskopisch 


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Pulpentod kariesfreier Zähne 


455 


beweisen konnte. Am häufigsten trifft man tote Pulpen in den unteren 
Sdmeidezähnen, bei denen schon ganz geringfügige traumatische Einwirkungen 
das Absterben der Pulpa zur Folge haben können. Schon das wiederholte 
Abbeißen eines Garnfadens, wie es bei den Näherinnen üblich ist, genügt 
mitunter, ebenso wie das Halten von Nägeln zwischen den Zähnen bei den 
Tapezierern, die Pulpen der unteren Schneidezähne zum Absterben zu bringen. 
In einem Falle von Pulpentod zweier unterer Zähne mit Fistelbildung gab 
der Patient an, daß er die Gewohnheit habe, seine Zigarettenspitze, auch 
wenn er nicht rauche, zwischen den Zähnen zu halten und während des 
Studiums auf die harte Spitze zu beißen. Diese ständigen, an sich gering« 
fügigen Insulte scheinen hingereicht zu haben, um den Tod der beiden 
Pulpen herbeizuführen. Meist aber sind ätiologische Anhaltspunkte überhaupt 
nicht zu eruieren, entweder weil das Trauma zeitlich sehr weit zurückliegt, 
oder zu gering war, als daß es der Patient im Gedächtnis behalten hätte. 

Überlastung eines oder mehrerer Zähne kann infolge stärkerer Inanspruch¬ 
nahme als ständiges Trauma den Tod der Pulpa nach sich ziehen. Meist 
handelt es sich auch hier um Frontzähne, besonders beim Fehlen aller Molaren 
und Prämolaren, höchst selten um Molaren oder Prämolaren. 

Wiederholte Insulte mechanischer oder thermischer Natur können nach 
Partsch besonders bei Schmelzhypoplasien zum Absterben der Pulpa führen, 
wenn die Schmelzschicht sehr dünn ist. Da in diesen Fällen eine Bakterien¬ 
invasion in das Pulpenkavum leichter erfolgen kann als bei normaler Schmelz¬ 
decke, fällt das nekrotische Pulpengewebe solcher Zähne leicht der Gangrän 
anheim. 

Ein weiteres ätiologisches Moment für das Absterben der Pulpa bei intakten 
Zähnen ist das Trauma der Regulierung. Es ist begreiflich, daß bei der brüsken 
chirurgischen Zahnregulierung — dem Redressement force — der Pulpentod 
die Regel ist. Aber auch ein allzurasches Vorgehen bei Regulierungen mit 
Schrauben und Ligaturen kann die Lebensfähigkeit der Pulpen gefährden. 

Auch bei hochgradiger Abrasie wird Pulpentod relativ häufig beobachtet. 

Fall 1. Herr A. Sch., 41 Jahre alt, suchte im September dieses Jahres 
unsere Ambulanz auf. Bei der Untersuchung wurde Kreuzbiß festgestellt. 
Die Zähne C I 2 IJ waren auf der labialen Seite bis auf eine dünne Wand 
ausgeschliffen, wobei das Dentin eine bedeutend stärkere Abnützung aufwies 
und der Schmelz scharfe Ränder bildete. Die Untersuchung mit dem fara- 
dischen Strom ergab einen Ausfall der Reaktion der genannten drei nicht 
vorbehandelten Zähne und im Röntgenbild wurde überdies an der Wurzel- 
spitze des U ein linsengroßer Aufhellungsherd festgestellt. 

Fall 2. Herr Th. K., 51 Jahre alt, wurde in unserem Institut behandelt. 
Es bestand eine hochgradige Progenie, und sämtliche oberen und unteren 
Frontzähne zeigten die typischen Abnützungsflächen. Hier wurden zwei 
Pulpen J| | J t als tot befunden. Über dem hatte sich bereits eine Fistel 
ausgebildet. 

Höchst selten tritt bei starker Abkauung von Molaren und Prämolaren der 
Tod der Pulpa ein, weil hier die Abnützung nicht so rasche Fortschritte macht. 


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456 Anton Loos 

wie bei den Frontzähnen, und den Odontoblasten der Pulpen mehr Zeit ge« 
lassen wird zur Bildung von Abwehrdentin. Meist ist die Entwicklung die, 
daß bei fortschreitender Abnützung die Pulpa schließlich bloßgelegt wird, und i 
die Schmerzen der auftretenden Pulpitis treiben den Patienten zum Arzt. I 

Ebenso wie bei hochgradiger Abkauung ist auch in Fällen, wo durch 
Abscheuerung bei Gebrauch einer scharfen Zahnbürste die sogenannten keil« ; 
förmigen Defekte entstehen, der konsekutive Tod des Zahnmarks ohne weiteres 
verständlich. 

Ständige thermische Reize, wie sie im Anschlüsse an ungenügend isolierte 
Metallfüllung sich einstellen, führen zuweilen zur Hyperämie der Pulpa und 
schließlich zum Absterben des Zahnmarkes, wenn ein therapeutischer Ein¬ 
griff nicht vorgenommen wird. Oft erfolgt der Übergang von der Irritation 
zum Pulpentod fast symptomlos. Die anfänglichen Schmerzen auf kalt und 
warm hören allmählich auf und der Patient hält seinen Zahn für gesund, bis 
durch irgendeinen Zufall der Zahnarzt den Pulpentod konstatiert. 

Pulpentod unter Silikatzementfüllung ist glücklicherweise durch ständige 
Verbesserung der Materialien seltener geworden. Nach den ausgezeichneten 
Untersuchungen Proei 1s sind weder Säurewirkungen noch der früher von 
den Fabrikanten zugestandene, heute aber nicht mehr nachweisbare Arsen¬ 
gehalt des Silikatzementes, sondern Bakterien und Mundflora verantwortlich 
zu machen. Diese dringen auf dem Wege durch das poröse Füllungsmaterial 
oder am Rande desselben bei mangelhaftem Randschluß, wie er sich infolge 
der Kontraktion des Zementes von selbst bildet, vor. Während Proell also 
Bakterien für den Pulpentod verantwortlich machen will, sieht Fränkel in 
der freien Phosphorsäure einen Hauptfaktor für das Absterben der Pulpa 
unter Silikatzementfüllung/ ebenso trägt nach den Untersuchungen Abrahams 
der Gehalt an Salzsäure in der Zementflüssigkeit die Schuld an dem Zerfall 
des Zahnmarkes. 

Richter tritt dafür ein, daß die Pulpenschädigungen hauptsächlich auf dem 
Arsengehalt der alten Füllmaterialien beruhen. 

In den neuen Füllmaterialien ist aber Arsen nicht mehr enthalten, so daß 
dieser Faktor ausgeschaltet werden kann. Wenn nun Lartschneider bei 
seinen Versuchen eine schädigende Wirkung der Silikatzementflüssigkeiten 
nicht feststellen konnte, so gibt es doch Fälle, bei denen der Gedanke an 
eine Säurewirkung ziemlich naheliegt. Wenn wir nämlich die Fälle von 
Pulpentod unter Silikatzementfüllungen genau untersuchen, können wir zwei 
Gruppen unterscheiden. In die erste Gruppe sind jene Fälle einzureihen, 
wo die Patienten nach unverhältnismäßig kurzer Zeit, nach wenigen Wochen 
oder Monaten, mit großen Schmerzen zurückkommen und wo sich nach Er¬ 
öffnung der Pulpakammer Eiter entleert. 

Zur zweiten Gruppe gehören die Fälle, wo der Pulpentod erst nach Jahren 
zur Beobachtung kommt und Gangrän festgestellt werden kann. In zwei von 
unseren beobachteten Fällen war die Füllung 8 bzw. 13 Jahre alt, stark 
verfärbt, sehr porös mit deutlich mangelhaftem Randschluß. An unserem 
Institute wurde vor Jahresfrist ein Siiikatzement verwendet, bei dem diese 


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Pulpentod kariesfreier Zähne 


457 


Art des Pulpentodes in einer größeren Anzahl von Fällen beobachtet werden 
konnte. Seit Auflassung dieses Füllungsmaterials sind uns bei der nunmehr 
angewendeten De Trey sehen Synthetikfüllung derartige Folgen nicht mehr zu 
Gesicht gekommen. 

In der übergroßen Zahl der Fälle ist der Pulpentod unter Silikatzement» 
füllung zweifellos auf bakterielle Schädigung im SinneProells zurückzuführen, 
was ziemlich einleuchtend ist, wenn wir alte Silikatzementfüllungen auf 
Randschluß und Porosität prüfen. Es erscheint daher angezeigt, alle Silikat» 
füllungen mit mangelhaftem Randschluß sofort zu erneuern, um der Gefahr 
des Pulpentodes vorzubeugen. 

Scharf zu scheiden von den angeführten Möglichkeiten des Pulpenzerfalles 
unter Füllungen sind jene Fälle, wo durch unexakte, nachlässige Kavitäten» 
präparation erkranktes Dentin in der Kavität zurückgelassen wurde und wo 
nun die Bakterien unter einer gleißenden Füllung ihr Zerstörungswerk un» 
gehindert fortsetzen. 

Die Frage, ob durch Adrenalin der Tod der Pulpen herbeigeführt werden 
könne, ist vor Jahren in lebhafter Debatte erörtert worden. Euler und 
Sch eff haben wohl das letzte, entscheidende Wort in dieser Angelegenheit 
gesprochen und mit ihren Tierversuchen unwiderlegbare Beweise für ihre Be» 
hauptung erbracht, daß durch subgingivale Injektionen von Adrenalin eine 
schädigende Nachwirkung oder gar das Absterben des Zahnmarkes nicht zu 
befürchten ist. Sch eff schreibt darüber folgendes: 

„Nach dem gegenwärtigen Stande der experimentellen Untersuchungen 
und nach den klinischen Beobachtungen kann mit Sicherheit angenommen 
werden, daß Witzei und seine Anhänger im Unrecht waren, als sie die Ver» 
mutung ausspradien, die Pulpa könne durch eine vorübergehende Anämie, 
die sich noch weitergehend ab und zu auf einen größeren Zeitraum erstrecken 
darf, in irgendeiner Weise zum Absterben bzw. zur Nekrose <Pulpentod> 
gebracht werden. Daß meine dagegen aufgestellte Behauptung, die als fest» 
stehender Satz betrachtet werden kann, richtig ist, beweisen einerseits die 
wiederholt ausgeführten Experimente, sowie die in verschiedenen Zeiträumen 
mit verschiedenen größeren und kleineren Flüssigkeitsmengen ausgeführten 
Injektionen, nach welchen niemals Nekrose erfolgte, hauptsächlich aber die 
histologische Untersuchung der nach den Injektionen extrahierten Pulpen, die 
unzweifelhaft, und zwar durchgehends eine tadellose Kernfärbung sowie das 
Vorhandensein der Längs» und Quermuskeln in den Arterien ergeben hat, 
womit wohl jede wie immer geartete nekrotische Veränderung der Pulpen» 
gewebes ausgeschlossen werden muß." 

Selbst bei anscheinend ganz klaren Fällen, wie ihn der von Bolten zitierte 
darstellt, ist es nicht erwiesen, ob nicht die Pulpen schon vor der Injektion 
abgestorben waren. In dem erwähnten Falle wurde nach dem Bericht nicht 
nur der Pulpentod dez Zahnes, über dessen Wurzelspitze die Injektion aus» 
geführt wurde, sondern auch der von vier Nachbarzähnen durch Untersuchung 
mit dem Induktionsstrome festgestellt. Tänzer ist der Meinung, daß „eine 
Zerstörung der Pulpa bei Kokain»Adrenalininjektionen durch die blutdrudc» 


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458 


Anton Loos 


erhöhende Wirkung und durch den dadurch außerordentlich gesteigerten 
intradentären Blutdrude hervorgerufen werden kann". 

Euler faßt die Ergebnisse seiner Untersuchungen zusammen und schreibt: 
„Was bisher über das Absterben der Pulpa nach Injektionen von Neben» 
nierenextrakt von anderer Seite vorgebracht ist, steht auf recht schwachen 
Füßen. Keine der über den Pulpentod aufgestellten Theorien hat durch das 
Tierexperiment eine Stütze erfahren. Somit muß die Angst, wirklich gesunde 
Zähne in ihrer Pulpenvitalität durch Injektion von Nebennierenextrakt* 

■ Präparaten zu schädigen, als übertrieben, ja sogar unbegründet bezeichnet 
werden." 

Auch für die früher behauptete Schädigung der Pulpa mit nachfolgendem 
Absterben nach Druckanästhesie mit Kokain stehen Beweise histologischer 
und klinischer Natur noch aus und können wohl in das Reich der Hypothese 
verwiesen werden. 

Eine nicht so seltene Ätiologie des Pulpentodes ist in einer durch exzessive 
Dentinneubildung begründeten Verengung des Wurzelkanals bzw. Pulpa» 
kavums mit konsekutiver Blutzirkulationsstörung, die schließlich zur Nekrose 
des Pulpengewebes führt, gegeben. So beschreibt Dzierzawski einen Fall, 
und auch Kaas weiß über drei weitere Fälle von exzessiver Dentinneubildung 
mit Ausfüllung des Pulpakavums zu berichten. In dem Falle Dzierzawski 
ist nicht angegeben, ob der Zahn eine Füllung besaß und ob eine Unter» 
suchung mit dem faradischen Strom vorgenommen wurde. Die drei Fälle, 
von denen Kaas eine Beschreibung bringt, waren sämtlich mit Füllungen 
versehen. Auch hier scheint eine elektrische Vitalitätsprüfung nicht vorge» 
nommen worden zu sein. Die Indikation zur Eröffnung der Zähne der ersten 
Fälle war gegeben durch große Schmerzhaftigkeit (Periodontitis), beim dritten 
Fall sollte eine bestehende Verfärbung behoben werden. 

Bei den Arbeiten am Phantom kann ziemlich häufig eine Ausfüllung 
des Pulpakavums mit Dentin festgestellt werden. Nach Aufsprengen des 
Zahnes findet sich nur noch in den Kanälen ein äußerst feines, für die dünnste 
Millernadel undurchgängiges Lumen, während eine eigentliche Pulpenkammer 
nicht vorhanden ist. Diese Dentinausfüllung des Pulpakavums kommt auch 
mitunter bei relativ jungen Zähnen vor. 

Bei einem Patienten, der wegen einer Sensibilitätsstörung des Gesichtes 
unsere Klinik aufsuchte, wurde mit dem faradischen Strom die Untersuchung 
des Gebisses vorgenommen und gefunden, daß im linken Oberkiefer sämt¬ 
liche vorhandenen Zähne vom ersten Incisivus bis zum zweiten Prämolaren 
den Ausfall der Reaktion ergaben. (Wegen der bestehenden Sensibilitäts» 
Störung wird dieser Fall auch an anderer Stelle eingehend besprochen werden.) 
Die Röntgenuntersuchung der erwähnten sechs Zähne zeigt bei den Zähnen 
unscharfe Begrenzung der Wurzelspitzen und Verdickung derselben. Das 
Lumen des Pulpenkavums erschien nur in der Krone der Zähne sichtbar, ein 
Wurzelkanallumen war überhaupt nicht festzustellen. Bei dem zweiten Inci» 
sivus war auch im Bereiche der Krone ein Pulpalumen nicht zu sehen. Der JPj 
zeigte eine geringe, unscharf begrenzte Aufhellungszone in der Regio apicalis. 


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——öfigiraHrcr - ' 
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Pulpentod kariesfreier Zähne 


459 


Sämtliche Zähne waren intakt, nur der erste Prämolar trug eine winzige 
Amalgamfüllung. Ätiologische Anhaltspunkte für den Pulpentod ließen sich 
aus der Anamnese nicht erbringen. Wir können wohl annehmen, daß ein 
weit zurückliegendes Trauma als Ursache anzusprechen ist. Beim zweiten 
Incisivus war eine Pulpenkammer nicht vorhanden und auch nach tiefem 
Ausbohren und mehrtägiger Säurebehandlung konnte ein Kanallumen nicht 
gefunden werden. Der Zahn zeigte äußerlich eine ganz geringfügige Ver¬ 
färbung, auf die wir erst nach Feststellung dieser Anomalie aufmerksam 
wurden. Es muß noch erwähnt werden, daß nach dem Röntgenbilde auch 
in allen übrigen Zähnen das Pulpakavum ein auffallend enges war. 

Diese Dentinneubildung, die in ihrem exzessiven Ausmaße den Tod der 
Pulpa herbeiführt, bezeichnen wir als pathologische. Im Gegensatz hierzu 
sprechen wir bei der flächenhaften Dentinapposition, die zu einer gleich¬ 
mäßigen Verengung des Pulpakavums und der Kanaliumina führt und die 
für das Altern der Zähne als Charakteristikum gewertet wird, von physio¬ 
logischer Dentinneubildung. Sowohl das aus physiologischen als auch aus 
pathologischen Antrieben sich bildende neue Dentin führt nach Reich die 
Bezeichnung „irreguläres" Dentin, und da die Dentinneubildung auch an 
retinierten Zähnen zu beobachten ist, spricht Reich von einem „Dentin der 
Gebrauchsperiode". Bei der pathologischen Dentinneubildung kennen wir 
erstens die flächenhafte Apposition, und zwar in erster Linie an zirkum¬ 
skripter Stelle als Ausdrude einer Reaktion auf einwirkende äußere Reize. 
Dieses Dentin wird von den Odontoblasten der Pulpa gebildet als Reaktion 
auf von außen einwirkende Insulte chemischer, thermischer, mechanischer oder 
bakterieller Natur <Abwehrdentin>. Zweitens gehören hierher das Neudentin, 
das in tumorartigen Bildungen frei oder im Altdentin eingeschlossen oder 
exostosenartig aus der Wand zur Ausbildung gelangt. Über die Entstehung 
dieser sogenannten Dentikel berichtet uns Fleischmann in seiner ausge¬ 
zeichneten Abhandlung. Als planmäßig können wir uns eine Reaktion auf 
äußere Reize betrachten, die sich in einer Dentinapposition äußert, wodurch 
eine Verdickung entsteht und gewissermaßen eine Schutzwehr vor der Pulpa 
gegen die einwirkenden Schädlichkeiten aufgerichtet wird. Die Dentikelbildung 
kann man nicht als eine Abwehrmaßregel der Natur betrachten, sondern muß 
sie als pathologische Neubildung bezeichnen. 

Nach den Anschauungen Tänzers erscheint in einer Steigerung des soge¬ 
nannten „intradentären Blutdruckes" eine weitere Ursache für das Absterben 
des Zahnmarkes zu liegen. Nach der Theorie dieses Autors hat man sich 
als Folge einer außerordentlichen Steigerung des intradentären Blutdruckes 
wegen gänzlichen Mangels an Lymphgefäßen im Pulpengewebe eine Gewebs- 
pressung vorzustellen, die bei längerer Dauer zum Tod der Pulpa Ver¬ 
anlassung geben soll. Diese nur auf rein klinische Beobachtungen sich 
stützende Hypothese der intradentären Blutdrucksteigerung mit lebens¬ 
bedrohenden Folgen für die Pulpa beruht auf einer gänzlich unzureichenden 
und daher leicht anfechtbaren Basis. Eine streng wissenschaftliche Grundlage, 
die durch histologische und bakterielle Befunde gegeben wäre, hat Tänzer 


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460 


Anton Loos 


nidit gebracht, und auch von anderer Seite ist sie nicht geschaffen worden. 
So ist diese Theorie, von der man nur sagen kann, daß sie originell ist, 
durch die Heit gerichtet worden und erscheint hier nur vermerkt, weil sie 
rein geschichtliches Interesse hat. Der streng sachlichen Kritik, der die Tänzer» 
sehe Theorie einige Jahre nachher von Landgraf unterworfen wurde, konnte 
sie nicht standhalten. Es läßt sich auch nicht ohne weiteres einsehen, warum 
die sonst prompt erfolgende Gefäßkontraktion gerade bei einer Blutdruck» 
Steigerung im Pulpakavum versagen sollte. Der Pulpatod bei Blutdruck» 
Steigerung im Pulpakavum wäre eigentlich nur durch die Annahme einer 
Lähmung der Vasokonstriktoren erklärlich. Von diesem Gesichtspunkte aus 
ließe sich eine Schädigung derPulpenvitalität im Anschlüsse an eine Adrenalin» 
injektion theoretisch konstruieren, wissen wir ja doch, daß sich im Anschluß 
an eine durch Adrenalin bewirkte Gefäßkontraktion eine allerdings meist vor» 
übergehende reaktive Erweiterung der Gefäße einstellt. Die klinische Be¬ 
obachtung zeigt nun aber, daß dieser Hypothese eine praktische Bedeutung 
nicht beizumessen ist. 

In diese Rubrik gehört ferner der Pulpentod, der vorwiegend an den 
Zähnen alter Leute zu beobachten ist. Die Pulpa verfällt durch senile 
Obliteration des Pulpakavums der Atrophie und schließlich der trockenen 
Nekrose. Diese als Strangulationsnekrose zu bezeichnende Affektion kann 
nicht ausschließlich eine Alterserscheinung sein, das beweist schon der Um¬ 
stand, daß, wie ich im vorhergehenden beschrieben habe, solche Verände¬ 
rungen mitunter auch bei jüngeren Personen angetroffen werden. 

Daß Zähne alter Personen so häufig tote Pulpen beherbergen, darf uns 
nicht wundernehmen, wenn wir bedenken, daß infolge von Kieferatrophie 
und Retraktion der Gingiva die Zähne stark gelockert sind und nun selbst 
geringfügige Traumen den Abriß der Pulpengefäße am Foramen apicale 
herbeiführen können. Außerdem ist zu bedenken, daß die wenigen Zähne 
alter Leute in den meisten Fällen ständig einer bedeutenden Überlastung 
ausgesetzt sind, ein Trauma, das bei längerer Dauer selbst im jugendlichen 
Älter die Pulpenvitalität zu gefährden imstande ist. 

Ein weiteres allerdings recht seltenes ätiologisches Moment für den Tod 
der Pulpa sind Zirkulationsstörungen in der Pulpa infolge einer Kompression 
der eintretenden Gefäße am Foramen apicale durch wachsende Granulome, 
Abszesse oder Zysten benachbarter Zähne. 

Fall 3. Herr T., 36 Jahre alt, erschien am 25. März dieses Jahres im 
Institut mit starken Schmerzen in der Schneidezahngegend links oben. Als 
Hauptsitz der Schmerzen wurde der linke kleinere obere Schneidezahn be¬ 
zeichnet, aber auch der große linke Schneidezahn hatte in den letzten Nächten 
Schmerzen verursacht. Der Befund ergab eine starke Klopfempfindlichkeit 
des linken großen Schneidezahnes <Stiftzahn>, der überdies gelockert war, 
während der kleine Schneidezahn eine völlig intakte Oberfläche aufwies, doch 
auch dieser zeigte bei Beklopfen eine leichte Empfindlichkeit, desgleichen auf 
warm und kalt, und die Untersuchung mit dem faradisrhen Strom stellte 
eine starke, erhöhte Reizempfindlichkeit fest. 


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-Original fnjm~ 

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Pulpentod kariesfreier Zähne 


461 


In der Annahme, daß es sich in diesem Fall um eine Pulpoperiostitis des 
zweiten Schneidezahns handelte, wurde der Versuch einer Trepanation ge- 
macht. Beim Anbohren des Zahnes überraschte eine äußerst starke Dentin* 
hyperästhesie, so daß von einem Versuch der Eröffnung der Pulpa Abstand 
genommen werden mußte und die kleine Höhle wieder verschlossen wurde. 

Das Röntgenbild ließ über der Stiftzahnwurzel ein linsengroßes Granulom 
erkennen, welches nach der Wurzelspitze des kleinen Schneidezahnes über* 
reichte. Über die Wurzelspitze des kleinen Schneidezahnes ließ sich ebenfalls 
ein kleines Granulom feststellen, das zu einer nicht unbeträchtlichen Ein* 
Schmelzung der Wurzelspitze geführt hat. 

Therapie. Vorläufig exspektativ. 14 Tage später erscheint der Patient 
wieder mit Empfindlichkeit des kleinen Schneidezahnes auf Perkussion, die 
nächtlichen Schmerzen hatten ganz aufgehört. In der Gegend der Wurzel* 
spitze war eine deutliche Schwellung und Druckempfindlichkeit nachweisbar. 
Es wurde nun die kleine vor 14 Tagen gelegte Füllung entfernt und die 
Eröffnung der Pulpakammer vorgenommen. Dieser Eingriff wurde durch 
keinerlei Schmerzen gestört. Die Pulpa, wenig blutend, zeigte sich nur im 
oberen Drittel beim Eingehen mit der Extraktionsnadel noch empfindlich. 
Albrechtsche Wurzelfiillung und Füllung der Kavität. Zwei Monate 
später war der Zahn bei der Untersuchung auf Perkussion völlig unempfind¬ 
lich, auch hatten alle subjektiven Beschwerden aufgehört. 

Man mußte hier annehmen, daß durch den Drude eines von einem Nachbar¬ 
zahn ausgehenden großen Granuloms die zuführenden Gefäße des völlig 
intakten kleinen Schneidezahns komprimiert wurden und zunächst Irritation, 
weiterhin dann Strangulationsnekrose der Pulpa des äußerlich gesunden, niemals 
von einem Trauma betroffenen, kleinen linken oberen Schneidezahnes eintrat. 

Fall 4. Herr W. Sch., 21 Jahre, suchte am 4. Dezember unsere Klinik 
auf mit der Angabe, daß er seit einigen Tagen im Bereiche der unteren 
mittleren Schneidezähne eine schmerzhafte Schwellung bemerke und auf die 
beiden Zähne nicht aufbeißen könne. Die Untersuchung ergab eine starke 
Klopfempfindlichkeit dieser beiden Zähne, von denen der linke eine mesio* 
approximale Kavität aufwies, aus der kürzlich die Füllung herausgelallen 
war. Diese Zementfüllung wurde vor zwei Jahren gelegt, ohne daß eine 
Devitalisation des Zahnes vorgenommen wurde. Bei der faradischen Unter¬ 
suchung wurde der linke mittlere Incisivus tot befunden, während der rechte 
erhöhte Reizempfindlichkeit erkennen ließ. Nach Eröffnung der Pulpa¬ 
kammer des linken Incisivus konnte man eine Gangrän feststellen. Der rechte 
Incisivus hatte mesioapproximal eine kleine Silikatzementfüllung und war 
sonst intakt. Das Röntgenbild ergab eine Auf hellung im Bereiche der Wurzel¬ 
spitze des linken Incisivus, die bis zur Wurzelspitze des rechten Übergriff und 
diese saumartig umschloß. Der stark gelockerte linke mittlere Schneidezahn 
wurde extrahiert, und aus der eröffneten Alveole entleerte sich reichlich Eiter. 
Der rechte mittlere Schneidezahn wurde devitalisiert. 

Audi hier war durch den wachsenden Alveolarabszeß in der Regio apicalis 
des linken mittleren Incisivus die Pulpa des benachbarten rechten mittleren 


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Anton Loos 


Incisivus gefährdet, und es ist anzunehmen, daß dem Zustande der Irritation, 
in dem sich die Pulpa des rechten mittleren Schneidezahns zur Zeit der Be* 
handlung befand, schließlich der Zerfall des Zahnmarks gefolgt wäre. 

Fall 5. Herr A. L. wurde in unserem Institut behandelt und klagte über 
Schmerzen in der rechten unteren Prämolarengegend. Die Untersuchung ergab 
eine Schwellung in diesem Bereiche und Klopfempfindlichkeit des ersten Prä* 
molaren und des Caninus. Die Untersuchung mit dem faradischen Strom 
stellte normale Reaktion beim zweiten Prämolaren, Ausfall der Reaktion beim 
ersten und eine Steigerung der Empfindlichkeit beim Caninus im Vergleich 
mit dem entsprechenden Zahn der Gegenseite fest. Das Röntgenbild zeigte 
eine erbsengroße Aufhellungszone an der Wurzelspitze des ersten Prämolaren, 
die sich bis gegen die Wurzel des Caninus erstreckte und fast das Foramen 
apicale des genannten Zahnes erreichte. Außerdem erstreckte sich von der 
Wurzelspitze des ersten Prämolaren an der mesialen Seite ein 1 mm breiter 
Aufhellungssaum nach okklusalwärts. Der Zahn wurde extrahiert. Die 
Wurzel war mesial vom Periodentium entblößt und die Wurzelspitze stark 
resorbiert. Aus der Alveole entleerte sich kein Eiter. Nach etwa zehn Tagen 
war auch die Empfindlichkeit des Caninus auf Perkussion zurückgegangen. 

Es läßt sich wohl mit Bestimmtheit annehmen, daß auch hier der Alveolar* 
abszeß an der Wurzelspitze des ersten Prämolaren zu Kompression und 
Strangulationsnekrose der Pulpa des Caninus geführt hätte, wenn der thera* 
peutische Eingriff nicht rechtzeitig erfolgt wäre. Jedenfalls bestand bereits 
eine Entzündung der Wurzelhaut des Caninus, wie man aus der bestehen* 
den Klopfempfindlichkeit ohne weiteres schließen kann. 

Der Pulpentod durch wachsende Abszesse in der Nachbarschaft findet sich 
hauptsächlich bei den unteren Schneidezähnen, wo eine Ausbreitung des Eiters 
durch die wesentlich dünneren Alveolarsepta leichter möglich ist. Man trifft 
auch nur höchst selten einen Alveolarabszeß in dem Bereiche der Frontzähne 
des Unterkiefers, in den die Wurzelspitze nur eines einzigen Schneidezahnes 
reicht. In den meisten Fällen kommt es durch den sich ausbreitenden Eiter 
zum Pulpentod aller vier Schneidezähne, nur die tiefer reichenden Wurzeln 
des Canini bleiben verschont. 

Fall 6. Herr G. D., 46 Jahre alt, kam in unsere Ambulanz mit einer 
Auftreibung in der rechten Oberkieferseite und gab an, daß sie sich allmäh* 
lieh und ohne Schmerzen im Verlaufe eines Jahres ausgebildet habe. Der 
behandelnde Arzt hatte vor Monaten Reste des ersten und zweiten Molaren 
extrahiert, doch war die Schwellung daraufhin nicht zurückgegangen, sondern 
hatte seither an Größe zugenommen. Die Untersuchung ergab in der Molaren* 
gegend eine fluktuierende, nicht schmerzhafte Geschwulst. Im Röntgenbild 
konnte man eine nahezu kreisrunde Aufhellungszone von etwa 5 cm Durch* 
messer erkennen, die mesial bis an die Wurzel des zweiten Prämolaren 
heranreichte. Bei der Untersuchung der beiden Prämolaren mit dem fara* 
dischen Strom ließ sich beim ersten Prämolaren normale Reizempfindlichkeit 
feststellen, während der zweite Prämolar nicht reagierte. Beide Zähne waren 
äußerlich intakt. Nach der Operation der Zyste wurde die Trepanation des 


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Pulpentod kariesfreier Zähne 


463 


zweiten Prämolaren ausgeführt und eine tote Pulpa extrahiert. Mit der 
Millemadel gelangte man durdi das Foramen apicale in den Zystenraum. 

Audi hier muß man annehmen, daß die vermutlich vom ersten Molaren 
ausgehende Zyste in ihrem Wachstum schließlich eine Kompression der 
Pulpagefäße des zweiten Prämolaren am Foramen apicale bewirkte, wodurch 
eine Strangulationsnekrose der Pulpa dieses Zahnes herbeigeführt wurde. 

Wenn wir zum Schluß die Ursachen des Pulpentodes kariesfreier Zähne 
übersehen, ergibt sich folgende Einteilung: 

Pulpentod bei kariesfreien Zähnen wird veranlaßt durch 

1. Trauma. 

a> Stoß, Fall, Aufbiß usw., 
b> Überlastung, 
c> Regulierung, 
d> Abkauung, 

e> Abscheuerung (keilförmige Defekte). 

2. Silikatzemente. 

3. Zirkulationsstörungen. 

a> Ursache derselben im Pulpakavum; 
a> Dentikel. 

ß > exzessive Dentinneubildung bis zu vollständiger Ausfüllung des 
Pulpakavums / 

b> Ursache derselben außerhalb des Zahnes: 
q> wachsende Granulome in der Nachbarschaft, 
ß > wachsende Alveolarabszesse, 
y) wachsende Zysten. 

Nach den vorstehenden Betrachtungen steht nach dem uns zur Verfügung 
stehenden Material das Trauma an erster Stelle, und an zweiter Stelle 
rangieren die zwar immer seltener werdenden, jedoch noch in stattlicher Zahl 
zur Beobachtung kommenden Schädigungen der Silikatzemente beziehungs^ 
weise ihrer Flüssigkeiten. 


LITERATUR 

Abraham: Pulpentod unter Silikatfüllung. T. M. f. Zhk. 1913, S. 532. 

Aschoff: Pathologische Anatomie. 

Baume: Lehrbuch der Zahnheilkunde. 1885. 

Bolten: Pulpentod nach Injektion von Kokain-Suprareninlösung. 1905, nach D. M. f. Zhk. 
1906. S. 406. 

Dzierzawski: Über primäre Pulpagangrän. Nach Ref. Ost. V. 1903, Heft 4. 
Fleischmann: Über, die Entwicklung der Dentikel. Ost. V. 1908, S. 479. 
Fraenkel: Silikatzement und Pulpentod. D. M. f. Zhk. 1913, S. 529. 

Kaas: Drei Fälle von vollständiger Ausfüllung der Pulpahöhle durch Dentinneubildung 
bei jugendlichen Zähnen, öst. V. 1906, S. 51. 

Kronfeld: Anästhesie in der konservativen Zahnheilkunde, öst. V. 1904, Heft 4. 
Landgraf: Über das spontane Absterben der Pulpen und den sogenannten gesteigerten 
intradentären Blutdruck. D. M. f. Zhk. K09, S. 352. 


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464 Anton Loos: Pulpentod kariesfreier Zahne 

Lartschneider: Zitiert nach Proeil. D. M. f. Zhk., 1913. 

Loos: Trigeminus« und Facialislähmung aus dentaler Ursache. 

Mettnitz: Lehrbuch der Zahnheilkunde. 

Part sch: Handbuch der Zahnheilkunde. 

Partsch: Über Zerfall des Zahnmarks. M. f. Zhk. 1904, S. 393. 

ProeiI: Experimentelle Untersuchungen über die Ursache des Pulpentodes unter Silikat¬ 
zementen usw. T. M. f. Zhk. 1913, S. 81. 

Proell: Nachträgliches über Silikatzemente. D. M. f. Zhk. 1916, S. 143. 

Reich: Einiges über das „irreguläre Dentin'' und vorläufige Bemerkungen zur Kritik 
derselben. Öst. V. 1908, S. 83. 

Scheff: Pulpentod nach subgingivaler Injektion von Nebennierenextrakt, öst. V. 
1909, Heft 1. 

Schröder: Der Induktionsstrom als Diagnostikum in der zahnärztlichen Praxis. D. Zhk. 
in Vorträgen, 1907, Heft 42. 

Tänzer: Der gesteigerte intradentäre Blutdruck, öst. V. 1905, S. 477. 

Tänzer: Meine Theorie vom gesteigerten intradentären Blutdruck. T. M. f. Zhk. 
1908, S. 434. 

Williger: Zähne und Trauma. D. Zhk. in Vorträgen, 1911, Heft 16. 


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ZUR FRAGE DER PULPAAMPUTATION 

VON 

DR. FRANZ P6TER 

ORD. ASSISTENTEN DES ZAHNÄRZTLICHEN INSTITUTES DER UNIVERSITÄT IN WIEN 


D ie Wurzelbehandlungsmethoden nehmen vielleicht den größten Platz in 
der zahnärztlichen Literatur ein. Die Zahl der Methoden, welche ins¬ 
besondere in der Verschiedenheit des Vorgehens bei der Devitalisierung der 
Pulpa, der angewendeten medikamentösen Mittel, sowie in der definitiven 
Versorgung der Wurzelkanäle bestehen, ist eine verhältnismäßig sehr große. 
Der Schluß der langen Debatten, die ich über diesen Gegenstand in den ver¬ 
schiedenen zahnärztlichen Vereinen angehört hatte, zeigt deutlich, daß 1. all¬ 
gemein gültige und von allen anerkannten Behandlungswege noch heute nicht 
existieren, daß 2. ein jeder seinen eigenen mehr oder weniger begründeten 
Weg geht, und daß 3. selbst die Aufstellung gewisser Grundprinzipien heute 
noch nicht als abgeschlossen betrachtet werden kann. — Es ist nicht Zweck 
der vorliegenden Arbeit, den Gang der Wurzelbehandlung Punkt für Punkt 
zu rekapitulieren, auch nicht meine eigene Meinung zu diesen Punkten zu 
publizieren, oder aber den Versuch zu machen, doch eine gewisse Einheit¬ 
lichkeit zu propagieren. Eine große Zahl von Autoren wird wohl noch eine 
große, mit strenger Wissenschaftlichkeit ausgeführte Reihe von Versuchen 
machen müssen, bevor dieses Kapitel der Zahnheilkunde wird als erledigt 
betrachtet werden können. Ich wollte durch meine Publikation eigene prak¬ 
tische Erfahrungen und daraus gezogene Schlüsse wiedergeben, um die im 
Titel aufgeworfene Frage der Entscheidung näher zu bringen. 

Vor allem müssen zwei Arten von Pulpabehandlung auseinander ge¬ 
halten werden: 1. die Pulpabehandlung bei noch lebender Pulpa <wobei 
die Pulpa als lebend angenommen wird, wenn sie noch Empfindung, d. h. 
lebende Nervelemente besitzt) und 2. die Pulpabehandlung bei bereits ab¬ 
gestorbener Pulpa. Wir trennen also die Gruppe, bei der noch eine Emp¬ 
findlichkeit besteht, sei es, daß wir es mit einer ganz intakten Pulpa zu tun 
haben, z. B. bei Devitalisation eines Brückenpfeilers, sei es, daß die Pulpa zu¬ 
fällig eröffnet wurde, z. B. beim Präparieren einer Kavität oder bei hoch¬ 
stehendem Pulpahorn, sei es, daß die Pulpa im Verlaufe der Karies erreicht 
und bereits infiziert und entzündet ist, von jenen Formen des Insultes der 

Vierteljahrssdirift für Zahnheilkunde, Heft 4 31 


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466 


Franz Peter 


Pulpa, wo die Infektion bereits zur Destruktion ihres Gewebes, insbesondere 
ihrer Nervenelemente geführt hat. Kurz wir trennen alle Formen der Pul» 
pitis von der Gangraena und dem Abscessus pulpae, hierbei wollen wir unter 
den Pulpitiden auch die gesunden, aber eröffneten Pulpen mitzählen, bei wel« 
dien also von einer Entzündung eigentlich noch nicht gesprochen werden 
kann. — Es gibt gewiß auch Qbergangsformen, die partielle Gangrän und 
den partiellen Abszeß, wo das Pulpagewebe nur in ihrem Kronenanteil zer« 
fallen, in den Wurzelkanälen oder in einem der Wurzelkanäle aber noch 
lebend geblieben ist. Diese Fälle werden im allgemeinen mit der Gangrän« 
behandlung versorgt, so daß wir also resümierend sagen können: Die Be¬ 
handlung der erkrankten Pulpa richtet sich danach, ob wir eine noch emp¬ 
findliche Pulpa beim Aufbohren der Pulpenhöhle antreffen, resp. ob wir von 
vornherein mit der Vitalität der Pulpa rechnen müssen <bei evtl. Eröffnung 
der Pulpahöhle in Anästhesie) — oder ob wir eine unempfindliche Pulpa an¬ 
treffen, beziehungsweise wenn die vorhandene Periostempfindlichkeit schon von 
vornherein die Diagnose „Pulpagangrän" sichert. Wir sind der Anschauung, 
daß in der Einteilung der Pulpakrankheiten nur diese Prinzipien praktisch 
verwertbar sind und nicht die subtile Unterscheidung, ob akute oder chronische 
Form, nicht der Umstand, ob eine partielle oder totale pathologische Ver¬ 
änderung des Gewebes vorliegt oder nicht — entsprechend diesen zwei Gruppen 
teilt sich auch die Therapie in zwei Wege. 

Während wir dort, wo wir einen Zerfall der Pulpa annehmen, uns vor¬ 
stellen müssen, daß die in den Wurzelkanälen vorhandenen gangränösen 
Massen möglichst radikal entfernt werden müssen und die Wurzelkanäle un¬ 
bedingt einer antiseptischen Behandlung zugeführt werden müssen, um in 
diesen Fällen mit einiger Sicherheit einen Erfolg verzeichnen zu können, ist 
bei der anderen Gruppe schon vor langer Zeit der Gedanke aufgetaucht, 

1. die affizierte Pulpa ganz lebend zu erhalten <Pulpaüberkappung> oder aber 

2. die Pulpa teilweise lebend zu erhalten, indem man nur die Kronenpulpa 
entfernt, die Nervenstränge in den Wurzelkanälen beläßt <Pulpaamputation>. 
Selbstverständlich müssen diese Pulpareste in einen dauernd aseptischen 
Zustand überführt, der weitere Zerfall verhindert, die Nachfolge einer 
Periostitis ausgeschlossen werden. Der größte Teil der Zahnärzte steht 
wohl heute bezüglich diesen Methoden auf dem Prinzip der Pulpaextraktion, 
d. h. daß die Wurzelkanäle bei jeder Art der Pulpabehandlung ausgeräumt, 
desinfiziert und mit einer dauernd aseptischen Füllung versehen werden 
müssen. 

Über die Methode der Pulpaüberkappung ist nicht viel zu sagen. Die Über¬ 
legung, daß eine zufällig eröffnete, noch nicht entzündete Pulpa, wenn man 
sie mit einer Schutzschicht überzieht, noch zu erhalten geht, ist sehr nahe¬ 
liegend. Miller schreibt in seinem Lehrbuch ausführlich über diesen Gegen¬ 
stand. Näher wollen wir diese Art der Pulpabehandlung nicht in Betracht 
ziehen. Die Erfahrung hat gelehrt, daß diese Methode nicht zur dauernden 
Erhaltung der Pulpa führt und daß die Pulpa, ganz gleich, ob sie mit einer 
nur „deckenden" oder mit einer „desinfizierenden" Schicht bedeckt würde, 


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Zur Frage der Pulpaamputation 


•467 


früher oder später dem gangränösen Zerfall anheimfällt. — Audi die eigenen 
Erfahrungen bestätigen das. Am 4. März 1920 wurde bei einer Patientin 
auf die offene Pulpa Trikresol-Formalin-Pasta gegeben und die Kronen* 
kavität mit Harvardzement geschlossen. Am 12. November 1921 wurde der 
Zahn geöffnet Wenn auch eine geringgradige Empfindlichkeit nachweisbar 
war, konnte doch bei dem 11 Jahre alten Kind die Pulpahöhle ohne weiteres 
aufgebohrt und die dort befindliche noch heftig blutende Pulpa entfernt werden. 
Auch hier war also die Pulpa schon im Zerfall begriffen, denn der Zweck 
der Pulpaüberkappung ist die Erhaltung einer lebenden Pulpa mit normaler 
Empfindlichkeit, die ja in unserem Fall bereits verloren ist. Allerdings war 
bei einem zweiten Fall nach einem Jahr noch vollkommenes Resultat. Im 
Felde hatte ich Gelegenheit, eine größere Zahl von Zähnen, wo vielleicht 
wegen Zeitmangels während des Urlaubes des Kriegsteilnehmers vom Zahn* 
arzte im heimatlichen Hinterlande die Pulpaüberkappung gewählt wurde, bei 
der Rückkehr des Patienten auf den Kriegsschauplatz die überkappte Pulpa 
im Stadium der Gangrän zu sehen. In einem Fall wurde die Pulpa vom 
Zahnarzt des Patienten überkappt, die Füllung fiel nach zehn Tagen heraus, 
ich machte auf Verlangen des Patienten neuerlich die Qberkappung, die Folge 
war Gangrän nach sechs Monaten. — Ganz unverantwortlich ist es natürlich, 
die Überkappung mit Arsen zu machen, früher oder später, gewöhnlich schon 
nach einigen Wochen, kommt es zur Periostitis. 

Fast alle Zahnärzte, mit welchen ich über diesen Gegenstand gesprochen 
hatte, haben die gleichen Erfahrungen gemacht, und tatsächlich ist diese Methode 
bereits längst verlassen worden, so daß wir eigentlich als die zwei herr* 
sehenden Methoden: die Pulpaamputation und die Pulpaextraktion oder 
-Exstirpation einander gegenüberstehen sehen. Worin sich die beiden Me¬ 
thoden unterscheiden, wurde schon früher erwähnt. — In beiden Fällen be¬ 
ginnt die Behandlung mit dem Unempfindlichmachen der lebenden Pulpa. 
Hierfür stehen uns drei Wege, 1. Abätzen mit Arsenpaste, 2. die Druck¬ 
anästhesie <konz. Kokain-Adrenalinlösung) und 3. die Injektionsanästhesie 
mit Novokain-Adrenalin zur Verfügung. 

Bezüglich dieser letzterwähnten Methode können wir uns ganz kurz fassen. 
Die Prinzipien sind in Bruno Kleins Arbeit niedergelegt, aus denen wir den 
Schluß ziehen können, daß das durch so viele Jahre fast ausschließlich ver¬ 
wendete Arsentrioxyd in seinen Wirkungen unberechenbar ist, und daß da¬ 
her den anderen, modernen Devitalisations- <besser gesagt Anästhesierungs-) 
Verfahren, der Druckanästhesie und der Injektionsänästhesie <Stamm- und 
Plexus* oder Lokalanästhesie) der Vorzug eingeräumt werden muß. Diese 
Frage können wir also wohl als entschieden betrachten, wenn nicht gerade 
von Anhängern der Pulpaamputation <Kronfeld) gerade in letzter Zeit doch 
wieder betont worden wäre, daß der Amputation unbedingt die Abtötung 
durch Arsen vorauszugehen habe. Wie ich später auseinandersetzen werde, 
darf die Wirkung unseres Amputationsmittels nicht in Abhängigkeit von dem 
Medikamente zur Bedeckung des Amputationsstumpfes gebracht werden/ 
nach theoretischen Erwägungen muß die eine Etappe von der anderen ganz 

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468 


Franz P6ter 


1 


unabhängig sein, im Gegenteil, ich kann die Wirkung eines Mittels viel besser 
an einer unveränderten als an einer bereits durch Arsen stark alterierten Pulpa 
ausprobieren. 

Ich habe in der größeren Hälfte der Fälle die Druckanästhesie verwendet, 
die nach meiner Anschauung selbst bei Pulpitiden das souveräne Mittel zur 
Herabsetzung der Sensibilität der Pulpa darstellt. Die dabei immerhin ver¬ 
ursachten Schmerzen dauern nur ein paar Sekunden, und die Widerstands¬ 
kraft des Patienten wird hierbei meiner Erfahrung nach weniger in Anspruch 
genommen, als bei der Injektionsanästhesie. Man muß nur darauf achten, 
daß wirklich eine Lösung verwendet wird, also daß die Kokainkristalle in 
der Adrenalinlösung zerfließen und daß die Kavität mit erwärmten Kaut¬ 
schukstücken vollgestopft und dann erst mit dem Druck begonnen wird. Sehr 
heftige Pulpitiden ausgenommen, in welchen Fällen die'-Applikation von 
konzentrierter Karbolsäure auf 1—2 Tage angezeigt ist, wirkt die Druck¬ 
anästhesie nur dann nicht, wenn ausgedehnte Dentikelbildungen in der Pulpa¬ 
höhle die Diffusion der Cocain-Adrenalinlösung verhindern. Man hat noch 
immer Zeit, Injektionsanästhesie zu verwenden oder Arsen zu applizieren. 

Nach diesen einleitenden Betrachtungen will ich zu meinem eigentlichen 
Hauptthema: Pulpaamputation oder Pulpaextraktion, übergehen. 

DieMethode der Pulpaamputation, von Witzelin die zahnärztliche Therapie 
eingefuhrt, wurde dann von mehreren Zahnärzten ausgebaut, so von Baume, 
Miller, in dessen Lehrbuch schon die Grundprinzipien dieser Methode ge¬ 
nauer zusammengefaßt wurden. — Zweck der Pulpaamputation ist demnach 
die Unschädlichmachung der Pulpastränge in den Wurzelkanälen von der 
Pulpahöhle aus. Dieses Ziel wird durch Imprägnierung mittels irgendeiner 
Flüssigkeit erreicht, deren Wirkung die Stümpfe zu antiseptischen Fäden zu¬ 
sammenschrumpfen macht <Baume>. Diese Fäden wirken dann sozusagen 
als eine natürliche Wurzelfullung/ denn es ist klar, daß der Versuch der Er¬ 
haltung der Vitalität der Wurzelpulpa ganz aussichtslos ist. Nach Miller 
muß die verwendete Flüssigkeit 1. ein starkes Antiseptikum sein, 2. muß es 
genügend löslich und diffundierbar sein, um sämtliche Teile der Pulpa zu 
durchtränken, 3. darf es nicht so löslich und diffundierbar sein, daß es von 
dem Gewebe aufgenommen wird und im Laufe der Zeit ganz und gar 
schwindet, 4. ist eine koagulierende Wirkung wünschenswert, 5. darf es keine 
Verbindung mit dem Pulpagewebe eingehen resp. keine Veränderungen in 
demselben hervorrufen, durch welche chemisch reizende Substanzen gebildet 
werden, 6. darf es keinen Reiz auf die Wurzelhaut ausüben, 7. den Zahn 
nicht verfärben. — Miller glaubt, um dieses Resultat zu erreichen, sind feste 
Substanzen geeigneter als Flüssigkeiten. Nach seiner Methode wird die von 
ihm bereitete Paste auf den Boden der Pulpahöhle gedrückt, mit Goldfolie 
bedeckt, mit Zement abgedichtet. Er hat selbst aber diese Methode modi¬ 
fiziert, indem er für 1—2 Wochen Zimtöl in die Pulpahöhle einlegte und 
dann die Paste applizierte, und den Zahn abschloß. Pasten haben dann 
auch andere Autoren, Lepkowski, Söderberg und Boennecken, ver¬ 
wendet. 


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Zur Frage der Pulpaamputation 


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Als wesentliche Bestandteile dieser Pasten erscheinen Thymol, Formalin 
und Sublimat. Die Umwandlung der Pulpastränge in mumifizierte Fäden 
wird durch das Formalin bewirkt. 

Boennecken, dem wir ein ausgezeichnetes Sammelreferat über dieses 
Thema verdanken, überschwemmt die Pulpahöhle 5 Minuten lang unter 
Kofferdamabschluß mit 40% Formalinlösung und appliziert dann die Pasta. 

Mayrhofer übt die Amputationsmethode folgendermaßen: Er über« 
schwemmt die breit eröffnete Pulpahöhle mit Sublimatalkohol, dann kommt 
Paste, die aus Orthokresol, Formalin und Zincum oxyd. besteht, also eine 
Kresol-Formalinpaste. 

In ein neues Stadium kam die Methode der Pulpaamputation durch die 
Arbeiten von Preis werk. Er, wie alle Anhänger der Pulpaamputation, steht 
auf dem Standpunkt, daß alle unsere Exstirpationsversuche in sehr vielen, 
wenn nicht in der überwiegenden Mehrzahl der Fälle, insbesondere bei den 
bukkalen Kanälen oberer, bei den mesialen Kanälen unterer Molaren, bei 
oberen ersten Prämolaren, bei unteren Schneidezähnen, bei Milchmolaren 
usw. schon an der anatomischen Konstruktion der Zähne scheitern müssen. 
{Biegungen der Wurzeln, Verzweigungen der Kanäle usw.> Er tritt infolge¬ 
dessen für die Pulpaamputation ein, schließt jedoch im Gegensatz zu allen 
früheren Autoren Formalin wegen der tiefgehenden Verätzung der Pulpa¬ 
stränge aus. Preiswerk will das nach der Pulpaamputation zurückbleibende 
Pulpagewebe vollständig auflösen und so der Resorption zugänglich machen. 
Die Paste besteht aus Eugenol und Borax, wenn noch keine suppurativen 
Gewebsänderungen eingetreten sind. Bei eitriger Pulpitis gebraucht Preis- 
werk eine Paste von Tannin und Kreosot. 

Preis werk war der erste, der systematische Untersuchungen am Lebenden 
angestellt hat/ der nach verschiedenen Methoden amputierte Zahn wurde 
nach einem Jahr extrahiert und bakteriologisch und histologisch untersucht. 
Er bezeichnet Mittel, die das Periost reizen, ferner schwach antiseptische 
Mittel, welche die Zersetzung des Pulpagewebes nicht hintanzuhalten ver¬ 
mögen, als zur Amputation ungeeignet. Ferner steht er auf dem Stand¬ 
punkte, daß durch seine Experimente bewiesen ist, daß die Mumifikation der 
Pulpastränge mit keinem Mittel erreicht werden kann, daher das richtige 
Ziel der Pulpaamputation nicht in der Mumifikation, sondern in der voll¬ 
ständigen Auflösung des zurückbleibenden Pulpagewebes mit nachfolgender 
Resorption liegt. 

Walkhoff zeigt sich in seiner Arbeit in Scheffs Handbuch nicht absolut 
als Anhänger der Pulpaamputation, bespricht aber diese Methode objektiv 
und ausführlich und verwendet als Abschlußmittel eine Chlorphenol-Jodoform» 
Zinkoxyd-Paste. 

Boennecken stellte die Resultate der Pulpaamputationsmethode in seinem 
Referat am V. Internationalen Zahnärztlichen Kongreß zusammen. ErTühmt 
in dieser Arbeit die Pulpaamputationsmethode, formuliert exakt die Grund¬ 
prinzipien, denen wir vollinhaltlich beipflichten können, indem er sagt: „Nur 
die wirkliche Totalexstirpation der Pulpa mit nachfolgender antiseptischer 


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470 


Franz Peter 


Füllung der Kanäle ohne die geringste Verletzung des periapikalen Gewebes 
ist als einwandfreie Behandlung der Pulpitis zu betrachten/ ist die Total» 
exstirpation nicht durchführbar, so ist die Pulpaamputation vorzuziehen." 
Ferner: „das Geniale der Witze Ischen Methode liegt in der Vermeidung 
jedes Traumas in der Regio apicalis". Er stellt sich auf den Standpunkt, daß 
das Antiseptikum 1. die Fähigkeit haben muß, das Pulpagewebe rasch zu 
durchdringen und so eine rasche und sichere Sterilisation der zurückgebliebenen 
Gewebe zu bewirken, 2. die Fähigkeit haben muß, das Zellprotopiasma zu 
koagulieren und die ganze Pulpa in einen starren und trockenen Gewebs* 
faden zu verwandeln, 3. es darf der Zahn nicht verfärbt werden und 4. die 
Pulpa muß dauernd steril bleiben. Seine Methode besteht in der Über« 
schwemmung der Pulpahöhle mit 40proz. Formalin durch etwa 2 Minuten, 
dann Applikation einer Formalinthymolpaste. Er verwendet die Pulpa* 
amputation bei Milchzähnen. 

Eine hervorragende Arbeit über die Wurzelbehandlungsmethoden ist die» 
jenige Dependorfs, publiziert in den „Ergebnissen der gesamten Zahnheil» 
künde". Er bringt eine ausführliche Übersicht der gesamten Literatur, rühmt 
die Erfolge Fischers, dem es gelungen ist, die anatomisch begründete Un» 
ausführbarkeit der Pulpaexstirpation zu beweisen und bekennt sich als be> 
geisterter Anhänger der Pulpaamputation. Insbesondere hebt er die Verdienste 
Böenneckens hervor, dessen Amputationsmethode er sich hauptsächlich 
bedient. 

Aus seiner Arbeit lernen wir die Namen zahlreicher Autoren kennen, die 
Verfechter der Amputationsmethode sind und damit außerordentlich günstige 
Resultate erreicht haben. 

Nach der Arbeit Dependorfs erschien eine Arbeit seines Schülers 
Schuster, derselbe ist aber viel skeptischer und verwirft die Amputations» 
methode, ist ein Anhänger der Exstirpation, die, wenn auch viel mehr Zeit 
in Anspruch nimmt, mehr Aussicht auf sicheren Erfolg bietet. 

Von den neueren Autoren ist Gottlieb ein Gegner der Pulpaamputation 
und räumt der Methode einen Platz nur bei noch nicht abgeschlossenem 
Wurzel Wachstum ein, damit durch Mittel, welche evtl, in den Wurzelkanal 
hineinkämen, keine Verhinderung des Wurzelwachstums, d. h. des Abschlusses 
desselben stattfindet. Er spricht sich insbesondere deswegen gegen die Pulpa* 
amputation aus, weil keine Gewähr vorhanden ist, daß noch lebende Pulpa» 
reste früher oder später in Entzündung übergehen. 

Demgegenüber tritt Raschofski für die Amputation ein. 

Ebenso tritt Adloff für die Amputation ein. Nach ihm ist sie überall dort, 
wo eine Aussicht auf gründliche Entfernung und Wurzelfüllung nicht besteht, 
vorzunehmen und gibt dieser Methode vor der unvollkommenen Extraktion 
den Vorzug. 

Demnach wäre die Pulpaextraktion oder -exstirpation in allen Schneide» 
und Eckzähnen, in den unteren Prämolaren, in den palatinalen Kanälen 
oberer, in den distalen Kanälen unterer Molaren anzuwenden, während für 
die übrigen Zähne, die bukkalen Kanäle oberer, die mesialen Kanäle unterer 


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Zur Frage der Pulpaamputation 471 

Mahlzähne, für untere Schneidezähne, für Milchmolaren die Amputation zur 
Geltung käme. 

Der Vorschlag, in den oberen Zähnen die palatinalen, in den unteren die 
distalen Stränge zu extrahieren, ist schon von Fischer gemacht worden. 

Dependorf verwirft diese Methode der Pulpaamputation, entweder ist 
die Methode sicher und leistungsfähig, dann muß sie für alle Zähne und alle 
Kanäle Geltung haben, oder nicht, dann ist sie zu verlassen. Sicherlich müssen 
wir da Dependorf vollinhaltlich beipflichten, solange aber die Methodik der 
Amputation nicht fix bestimmt ist, ist zwischen Theorie und Praxis noch 
ein Unterschied, der — rein empirisch gefunden, für den Moment gute Er¬ 
folge zeitigen kann. 

Daß die Pulpaamputation bei Hysterischen, Kranken, alten Personen 
auch den Anhängern der Pulpaextraktion gute Dienste geleistet hat und 
leisten wird, kann man wohl mit Recht behaupten/ die Indikation, in diesen 
Fällen immer die Amputation vorzunehmen von Boennecken auf¬ 
gestellt. 

Wenn wir also alles bis jetzt Gesagte zusammenfassen, so kommen wir 
zu dem Schluß, daß zwei wesentliche Meinungen bezüglich der Theorie der 
Pulpaamputation einander gegenüberstehen: die Preiswerks, welche die Un¬ 
schädlichmachung der Pulpastränge durch Verflüssigung und Resorption und 
dieBoenneckens, welche dasselbe durch Mumifikation erreichen will. Würden 
die Experimente Preiswerks vollkommen beweisend für seine Anschauungen 
sein, so könnte man daran denken, seine Auffassung zu akzeptieren, er hat 
ja nach einem Jahr bakteriologische und histologische Untersuchungen an den 
amputierten Zähnen vorgenommen. Allerdings schon bei der Technik der 
Pulpaamputation nach Preiswerk sind einzelne Punkte auszusetzen. Nach 
Aufbohren der Pulpahöhle gibt er das entsprechende Medikament einfach 
hinein und verschließt sofort mit einem Füllungsmaterial. Diese Methodik 
erscheint mir nicht ganz richtig, da man über die momentane Tiefenwirkung des 
Mittels gar keine Kontrolle haben kann, auch ist es fraglich, wieviel von dem 
Mittel durch das Füllungsmaterial verdrängt wird. Ich glaube auch, die Mittel 
zur Deckung des Amputationsstumpfes zu wechseln, ein Mittel nur in ein 
paar Fällen zu verwenden und daraus dann Schlüsse zu ziehen, ist nicht 
vollständig einwandfrei, sondern ein einziges Mittel zu verwenden und damit 
eine große Reihe von Versuchen anzustellen, ist sicherlich viel vorteilhafter 
.für die Beurteilung dieser Methode. In einzelnen Fällen <bei purulenten Ent¬ 
zündungen?) greift er ja selbst zur Mumifikation, was aber selbst gegen ihn 
spricht, denn die Methode, die sich in schwereren Fällen bewährt, muß sich in 
den leichteren um so mehr bewähren und zur Geltung kommen. — Erwähnen 
möchte ich, daß er auch noch eine dritte Methode, amputierte Pulpen mit 
Salizylsäure zu imprägnieren, verwendet hat. Bei dieser Methode sollen die 
Pulpastränge nicht resorbiert oder mumifiziert werden, sondern lebend bleiben. 
Die lebenden Pulpastränge müssen aber früher oder später zu Erscheinungen 
führen, wobei ich weniger an den gangränösen Zerfall als an unangenehme 
Sensationen, Schmerzen gegen Kälte und Wärme denke. Denn in einigen 


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472 


Franz Peter 


wenigen Fällen, wo ich die Pulpahöhle wegen Schmerzen wieder öffnen mußte, 
fand ich beim Sondieren des Wurzelkanales empfindliche, blutende Pulpa« 
stränge, ein Zeichen, daß die Pulpa lebend geblieben ist. Besonders scheint 
dies bei sehr engen oder mit Dentikeln gefüllten Kanälen der Fall zu sein.— 
Nur eine lückenlose Serie, eine große Reihe von Fällen, die alle auf gleiche 
Art und mit demselben Mittel ausgeführt werden, kann Beweiskraft haben, 
und deshalb glaube ich, daß Boenneckens Resultate unanfechtbarer und für 
die spätere Forschung maßgebender sind. Wir können die Punkte Boenneckens 
bezüglich der Amputationsflüssigkeit ohne weiteres akzeptieren, wobei ich 
aber besonders betonen möchte, daß nur eine Flüssigkeit, nie aber eine Paste 
den Anforderungen, die wir an das Amputationsmittel stellen müssen. Ge« 
nüge leisten kann. Nur eine Flüssigkeit hat die Kraft, die Pulpastränge, die 
von engen Wurzelkanälen umschlossen sind, zu durchtränken/ wir müssen 
uns vorstellen, daß wir dabei auf die Kapillaritätswirkung rechnen können/ 
die Flüssigkeit wird nicht in die Kanäle hineingepreßt, keine Kraft würde ja 
dazu ausreichen, sondern wir müssen schließen, daß sie den Pulpastrang lang« 
sam durchdringt, daß sie langsam in die Kapillarröhren der engen Wurzel¬ 
kanäle aufgesogen wird. Von dieser Überlegung ausgehend, muß ich den 
Autoren beipflichten, welche die Amputationsmethode durch Paste allein ver¬ 
werfen, da die Pasten nach Versuchen, welche im Wiener Pathol.-Anatomi« 
sehen Institut gemacht wurden, eine viel zu geringe antiseptische Kraft be¬ 
sitzen <Saffron). Ich glaube auch, und zwar auf Grund genauer Versuche, 
daß zu der vollständigen Durchtränkung der Pulpastränge nicht Minuten oder 
Stunden, sondern sogar Tage oder Wochen notwendig sind. Das Ausfindig« 
machen des Mittels und der Zeit, während welcher mit Bestimmtheit die 
Mumifikation erfolgt, ist das Problem der Pulpaamputation, welches Problem 
nach Dependorf erst gelöst wird, bis es uns gelingen wird, an den pulpa¬ 
amputierten Zähnen auch nach Jahren mumifizierte und sterile Pulpastränge 
mit Sicherheit nachweisen zu können. 

Meine Untersuchungen wurden auf der Freiluftstation der Klinik Pirquet 
ausgeführt. Die dort aufgenommenen, schwach tuberkulösen Kinder bleiben 
1—1 Vs Jahre auf der Station, weshalb ihre Untersuchung und Kontrolle be¬ 
sonders erleichtert ist. Sie leben alle unter gleichen Lebensbedingungen und 
sind 8—14 Jahre alt, also im gleichen Alter. Zu den Versuchen wurden nur 
die ersten Molaren genommen, um auch hier einheitlich vorzugehen, zumal 
Zähne, die infolge Verschiedenheit ihrer Kanäle, breiter palatinaler bzw. 
distaler Kanäle, schmaler bukkaler resp. mesialer Kanäle sich besonders zu 
diesen Versuchen eignen. 

Bevor ich aber zu den Resultaten dieser Untersuchungen übergehe, muß 
ich noch über eine andere große Reihe von Erfahrungen berichten, die ich 
an einem anderen Material, im feldzahnärztlichen Ambulatorium des 7. Korps, 
sammeln konnte, das ich 3 Jahre geleitet habe. Id» möchte an dieser Stelle 
berichten, wie ich ein Anhänger der Amputationsmethode wurde, wie ich 
diese Methode schätzen lernte und welche klinische Erfahrungen ich an diesem 
Riesenmaterial gewinnen konnte. 


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Zur Frage der Pulpaamputation 


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Im Zahnärztlichen Institut der Wiener Universität wurde früher, bis zur 
Übernahme der Leitung durch Prof. Weiser, vereinzelte Fälle ausgenommen, 
immer und prinzipiell die Pulpaextraktion ausgeführt und die Extraktion bei 
noch so engen Kanälen forciert. Schon damals habe ich midi der Überzeugung 
nicht erwehren können, daß in sehr vielen Fällen diese Extraktion nur sehr 
unvollständig gelang und eher zur Verunreinigung, wie zur Ausräumung der 
Kanäle führte. Nur dann, wenn der Kanal unwegsam eng war, wenn er 
gebogen war oder durch Dentikelbildung versperrt, nur dann griffen wir zur 
Pulpaamputation, über die Mündung der unwegsamen Kanäle wurde ein 
Trikresolformalinbäuschchen gelegt, mit Fletscher oder Guttapercha ver¬ 
schlossen und längere Zeit, 8—14 Tage, liegen gelassen. Das ist auch nichts 
anderes, als eine bedingte Amputation, und wir machten dabei recht gute 
Erfahrungen. 

Als ich nun die Feldambulanz übernahm, wurde mir sehr bald klar, daß 
die Ausführung der Pulpaextraktion, so wie wir sie auf der Klinik geübt haben, 
technisch wegen der übermäßig großen Zahl der Pulpitiden und wegen der 
Unmöglichkeit, weitere zahnärztliche Kräfte zur Arbeit heranzuziehen, nicht 
möglich sei. Die Pulpaextraktion nimmt ja minimo calculo dreimal soviel Zeit 
in Anspruch, als die Amputation, und so ging ich mehr der Not gehorchend 
als dem eigenen Triebe, und mit mir wohl der größte Teil der Feldzahnärzte, 
zur Pulpaamputation über. 

Ich kann leider nicht angeben, in wieviel Fällen ich damals die Methode 
ausprobiert habe, da sämtliche Ambulanzbücher zur Zeit des Zusammen¬ 
bruches der Armee mit den übrigen Dokumenten des Korpskommandos ver¬ 
brannt wurden. Da aber die Zahl der abgeschlossenen Wurzelbehandlungen 
im Monat zwischen 80—120 schwankte, ist die Zahl der pulpaamputierten 
Zähne mit 3000 sicher nicht zu hoch gegriffen. 

Die Amputation wurde folgendermaßen ausgeführt: Nach 3tätiger Ein¬ 
wirkung von Arsenpaste wurde die Pulpahöhle breit aufgebohrt. Die Er¬ 
öffnung der Pulpahöhle muß eine so vollständige sein, wie bei der Pulpa¬ 
extraktion, ein Punkt, auf den schon die alten Anhänger der Amputations¬ 
methode aufmerksam gemacht haben. In die Pulpahöhle wurde nun ein mit 
Trikresol-Formalin getränktes Wattebäuschchen gelegt und die Kavität mit 
Guttapercha verschlossen <Trikresol 12, Formalin 6>. Nach 8—10 Tagen 
wurde nun die Pulpahöhle wieder geöffnet, die Einlage entfernt, die Höhle 
mit lauwarmem Wasser ausgespült, mit Alkohol ausgewaschen. Nun wurde 
der Boden der Pulpahöhle mit Scheuers Trikresol-Formalinpaste bedeckt, 
darüber etwas Fletscher oder Guttapercha und darüber die definitive 
Füllung. Es wurde die Flüssigkeit Trikresol-Formalin nach der auf der Klinik 
geübten Methode übernommen, obwohl Boennecken das reine 40proz.For¬ 
malin lobt, weil es eine größere osmotische Kraft besitzt. Das hat gewiß seine 
Richtigkeit, da es sich -zeigte, daß Zähne, die weniger als eine Woche die 
Einlage hatten, später Sensationen zeigten, Empfindlichkeit gegen Kälte und 
Wärme, und wieder nach einigen Monaten bei einigen Zähnen war ich ge¬ 
nötigt, dieselben wieder zu öffnen. {Allerdings habe ich in diesen Fällen nichts 


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474 


Franz Peter 


anderes gemacht, als eine neuerliche Amputation.) Die Pulpen haben in diesen 
Fällen gelebt, beim Sondieren zeigte sich Blutung und Empfindlichkeit, idi 
nahm also an, daß die Durchtränkung der Pulpastränge nicht vollständig war. 
Nachdem ich mehrere solche Fälle erlebt hatte, erhöhte idi die Einwirkung^ 
zeit, und diese Störungen blieben ganz aus. Boennecken rühmt die aus» 
gezeichnete rasche osmotische Kraft der reinen Formalinlösung/ die Autoren 
haben es für recht befunden, die leicht flüchtige Formalinlösung mit einem 
Dauerantiseptikum zu verbinden, und so wurden wohl von den meisten 
Thymol oder Trikresol mit dem Formalin verbunden. Ich nahm das Trikresol« 
Formalin, teilweise weil wir es an der Klinik benützten, teilweise weil meine 
Wiener Vorgänger <Kronfeld> auch damit gearbeitet haben. Das wesent» 
liehe bei der Lösung ist ja das Formaldehyd, welches ja die antiseptisdie 
Wirkung mit der mumifizierenden verbindet. Ich möchte nur glauben, daß 
die Anwendung einer so starken Formalinlösung nicht notwendig wäre, daß 
eine 10, 5, sogar 2proz. Formalinlösung ebenso wirken müßte/ aus meiner 
Assistentenzeit im Anatomischen Institut weiß ich, daß wir zu Konservierungs» 
zwecken das 2 proz. Formalin verwenden, da es ja auf viele Jahre hinaus jede 
bakterielle Fäulnis verhindern kann, und da es gerade in dieser Verdünnung 
eine hervorragende Fähigkeit besitzt, selbst noch so dicke Präparatenteile zu 
durchtränken und zu härten. Ich würde also Versuche mit einer wenig» 
prozentigen Lösung vorschlagen, wie ich auch in einigen Fällen selbst diese 
2proz. Lösung verwendet habe. 

Trotz der Unregelmäßigkeit des Feldlebens ließen sich eine große Reihe 
von Fällen kontrollieren, insbesondere diejenigen, die korpsunmittelbaren For» 
mationen angehörten, aber auch sonst kamen immer und immer wieder Fälle 
selbst nach Jahren wieder zu Gesicht. 

Wie schon gesagt, nach den rein praktischen Erfahrungen mußte man ein 
Anhänger der Amputationsmethode werden. Die Patienten konnten mit dem 
eingelegten TrikresoLFormalinbausch entlassen werden, es kam, zwei Fälle aus» 
genommen, wo ich wegen aufgetretener heftiger Periostitis zur Pulpaextraktion 
greifen mußte, überhaupt zu keinen Störungen, sie blieben nicht die vorge» 
schriebene Zeit, sondern den Verhältnissen des Feldlebens entsprechend 
monatelang aus, ohne daß dies am weiteren Behandlungsplan oder am 
Endresultate etwas geändert hätte, ln einigen Fällen kam es zu den oben 
beschriebenen Störungen, die aber durch ein neuerliches Einlegen von Trikresol» 
Formalin rasch und dauernd behoben wurden. 

Solch gute Resultate haben ja eine große Reihe von Autoren publiziert, 
darunter einige sogar von einer ungleich größeren Zahl von Fällen (von 
Dependorf). 

Vom Felde heimgekehrt, wandte ich midi wieder der Methode der Pulpa» 
extraktion zu, bis ich wieder eine Ambulanz übernahm, wo ich teilweise aus 
denselben Gründen wie im Felde, um in kürzerer Zeit eine möglichst große 
Anzahl von Patienten zu absolvieren, teilweise wegen der Heiklidikeit des 
Patientenmaterials, durchweg Kinder, teilweise aber auch wegen der Mög» 
lichkeit, hier die Patienten im Auge zu behalten, wieder zur Amputation 


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Zur Frage der Pulpaamputation 


475 


zurückkehrte. Günstige Erfahrungen, die der einzelne macht <und alle An* 
hänger dei 1 Amputationsmethode berichten nur über günstige Erfahrungen), 
können für den einzelnen wohl maßgebend sein/ solange aber nicht der 
exakte Beweis erbracht ist, daß wir tatsächlich in der Lage sind, die Kanäle 
dauernd steril zu erhalten, ist die Amputationsfrage nicht entschieden. Den 
Weg des exakten wissenschaftlichen Nachweises haben Preiswerk, Gysi, 
Boennecken betreten, der weitere Weg ist durch Dependorf vorgezeichnet/ 
wenn auch die Frage bis heute noch immer nicht vollständig entschieden ist 
und wenn auch meine Untersuchungen nur zum Versuch der Klärung bei* 
tragen, so bin ich fest überzeugt, daß weitere exakte Versuche uns den Weg 
zeigen werden, wie diese Kardinalforderung mit Sicherheit erreicht werden 
kann, und damit wird auch die Pulpaamputationsmethode von allen ihren 
Gegnern akzeptiert werden. 

Nur noch ein Wort über die Diagnosenstellung. Die Einteilung in noch 
empfindliche und schon unempfindliche Pulpa, die ich am Anfang der Arbeit 
getroffen habe, hat sich als sehr vorteilhaft erwiesen. Schon Kronfeld hat 
diese Einteilung gestreift. Wenn aber die Pulpa empfindlich ist, ist es meines 
Erachtens nach gleich, ob die Pulpitis akut oder chronisch, total oder partiell 
ist. Wenn die Wirkung des Medikamentes in der Mumifikation besteht, kann 
jede Pulpa, welche noch nicht zerfallen ist, durch das Mittel durchtränkt und 
infektionsfest gemacht werden. Bakterien, die sich bereits in den Kanälen 
angesiedelt haben, müssen durch die eminent antiseptischen Mittel mit ab* 
soluter Sicherheit getötet werden. 

Die Abtötung der Pulpa wurde teils mit Arsen, teils mit Druckanästhesie 
vorgenommen.. Allerdings ist mir eine Äußerung Kronfelds, daß die Pulpa 
unbedingt durch Arsen abgetötet werden muß, erst vor nicht langer Zeit be* 
kannt geworden. Nach ihm wäre die Arsenapplikation eine Conditio sine 
qua non für das Gelingen der Pulpaamputation. Ich kann dieser Auffassung 
nicht beistimmen, da ich mir nicht vorstellen kann, daß die Mumifikations* 
Wirkung der Flüssigkeit mit der Arsenwirkung Zusammenhänge, im Gegen* 
teil glaube ich, daß wir die direkte Wirkung der imprägnierenden Flüssig* 
keit sicherer erwarten können, wenn sie auf die unveränderten Pulpastränge 
in den Kanälen wirkt, als wenn diese Pulpastränge schon durch Arsen an* 
gegriffen oder verändert oder wenn sie zerfallen sind. Ich würde auch sehr 
ungern die Druckanästhesie verlassen und zum Abtöten mit Arsen zurück* 
kehren und habe bei meinen Versuchen beide Methoden angewendet, eben 
von dem prinzipiellen Standpunkt ausgehend, daß die Amputation von der 
Methode der Devitalisation unabhängig sein muß. 

Als imprägnierende Flüssigkeit für die Amputationsflüssigkeit wurde, wie 
früher erwähnt, TrikresoLFormalin genommen, auch Kresol*Formalin, in 
einigen Fällen 2proz. Formaldehyd. Ein in diese Flüssigkeit getauchtes 
Bäuschchen wurde mit Fletscher oder Guttapercha für kürzere oder längere 
Zeit, jedenfalls aber mehrere Tage, in die Pulpahöhle eingeschlossen. Nach* 
her wurde der Boden der Pulpa mit einer Paste bedeckt, die wir selber durch 
Anmachen des Fletscher*Pulvers mit Jodoform undTrikresol*Formalinlösung 


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Franz Peter 


fabrizierten/ darüber wurde eine Lage Fletscher*Füllungsmasse gegeben. Als 
definitive Füllungsmasse kam gewöhnlich Harvardzement, damit später 
die Kavität wieder leicht eröffnet werden könnte. Jodoform habe ich ge* 
nommen, basierend auf die Erfahrungen vieler Autoren, daß Jodoform in 
den Wurzelkanälen lange seine desinfizierende Kraft auszuüben vermag, auch 
auf der Klinik haben wir bei der Jodoformdochtwurzelfüllung Sehe ffs günstige 
Resultate gesehen. Es wurde tatsächlich in allen eröffneten Fällen unsere 
Jodoformpaste in tadellosem Zustande, unverfärbt und unzersetzt, wieder* 
gesehen. Es empfiehlt sich, über die Jodoform*Trikresolpaste noch eine Lage 
weichen Fletschers zu geben, da durch andere Abschlußmittel resp. durch das 
direkte Füllungsmaterial die Paste weggedrängt werden könnte,- die Pulpa* 
Stümpfe dagegen mit einer schützenden Decke zu versehen, ist uns ein Be* 
dürfnis, um so mehr, als wir unserer Paste eine langdauernde desinfizierende 
Schutzwirkung zuschreiben können, auf die wir nicht aus Indolenz verzichten 
wollen. 

Rein praktisch waren die Resultate auch auf der Kinderklinik glänzend. 
Wir haben bis heute keinen einzigen der bisher amputierten Zähne wieder 
trepanieren müssen. 

Zur Prüfung der Dauerresultate standen uns nun zwei-Wege offen. Der 
Erfolg der Behandlung kann durch das Ausbleiben oder durch das Auf* 
treten von Veränderungen an den Wurzelspitzen ermessen werden, d. h. wir 
sind gewöhnt, daß nach Wurzelbehandlungen auftretende Prozesse an den 
Wurzelspitzen durch das Röntgenbild nachgewiesen werden. Mögen diese 
Prozesse in ihrer Größe oder in ihrer Bedeutung sehr variabel sein, mögen 
sie vielleicht mit der großen Zahl der nicht einwandfrei gemachten Wurzel* 
behandlungen parallel gehen, Tatsache ist es, daß wir gewöhnt sind, fast bei 
jedem Zahn, wo die Pulpaexstirpation vorgenommen wurde, Veränderungen 
an der Wurzelspitze wahrzunehmen. Es war also der Gedanke naheliegend, 
solche Zähne, an welchen die Pulpaamputation vorgenommen wurde, photo* 
graphieren zu lassen. Es folgen nun die Befunde mit einer kurzen Besdirei* 
bung des Falles. Die Photographien wurden vom Demonstrator Dr. Steiner 
der zahnärztlichen Klinik verfertigt. 

Fall 1. Valerie Frey, IIV 2 Jahre alt. Am 
24. Juni 1920 Karbolsäure. Fletscher im linken 
oberen ersten Molaren. Am 26. Juni Pulpa* 
amputation nach Druckanästhesie, Trikresol* 
Formalin, Fletscher. Diese Einlage wird am 
7. Juli und 20. Juli ausgetauscht. Am 5. 

<sechs Wochen) wird der palatinale Pulpastrang 
extrahiert. Der Pulpastrang ist ganz blutleer, 
5 / 6 Teil braun, mumifiziert, V 6 Teil, d. i. die 
Spitze weiß, blutleer, beim Abreißen desselben 
Empfindlichkeit, ebenso beim Sondieren der 
bukkalen Kanäle. Der Kanal wird mit Jodoform*Trikresol*Formalinpastafäden 

gefüllt, die Pulpahöhle mit derselben Paste. Röntgenbild am 7. November 1921. 




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Zur Frage der Pulpaamputation 


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Fall 2. Candotti, Leopoldine, 15 Jahre alt. 14. Oktober 1920. Im linken 
oberen ersten Molaren Pulpaamputation, 2proz. Formalinlösung, Fletscher. 


Am 11. November periost. Empfind- 
lichkeit. 20. November Füllung. Rönt¬ 
gen am 26. Oktober 1921. Geringe 
Erweiterung des periapikalen Raumes 
an der palatinalen Wurzel. 

Fall 3. Klimsch, Rosa, 8 Jahre. Am 
23. November 1920 Pulpaamputation. 
Trikresol - Formalinlösung, Fletscher. 
Am 4. Januar 1921 Füllung der Pulpa¬ 
höhle mit Paste, am 21. April mit 
Harvardzement. Der Zahn ist der 



untere linke erste Molar. Röntgenbild am 10. Novem¬ 
ber 1921. Am 12. November 1921 wurde der Zahn 
aufgemacht. Der distale Pulpastrang wurde extrahiert, 
geringe Schmerzhaftigkeit. Der extrahierte Pulpastrang 
ist blutleer, farblos, feucht,- nach der Extraktion heftige 
Blutung. Bei der bakteriologischen Untersuchung geht 
eine schwache Kultur von kurzen, plumpen Stäbchen 
auf <Pilze>. 

Bei dieser Patientin wurde auch am rechten oberen 
zweiten Prämolaren eine Pulpaamputation vorge¬ 
nommen. Vom 19. Oktober bis 11. November 1921 
war 2proz. Formalinlösung in der Pulpahöhle. Die 
Pulpa wurde noch empfindlich und blutend vorgefunden. 

Fall 4. Jautsch, Sidonie, 9 Jahre. Am 19. August 
Pulpaamputation im rechten unteren ersten Molaren 
<TrikresoI-FormaIin>. Am 24. August 1920 Versorgung 
wie gewöhnlich. Am 2. September Amalgamfüllung. 
Röntgenbild am 10. November 1921. An der mesialen 
Wurzelspitze geringgradige Verdichtung des Knochens 
nachweisbar <kein Aufhellungsherd). 

Fall 5. Weiß, Hilde, 11 Jahre. Im linken unteren 
ersten Molaren am 25. Januar 1921 Arsen. Am 
1. Februar Pulpaamputation, die Einlage wurde am 
15. Februar erneuert. Röntgenbild 12. Dezember 1921. 

Fall 6. Fiala Alojzia, 10 Jahre alt. Linker unterer 
erster Molar. Am 13. Januar 1920 Arsen, Fletscher. 
Am 15. Januar Pulpaamputation. Am 22. Januar frische 
Einlage. Am 6. März Abschluß der Behandlung. 
Röntgenbild 26. September 1921. Der Zahn wurde am 
12. November 1921 eröffnet. Im schwer zugänglichen, 
engen distalen Kanal ganz trockene, braune, nicht 
zusammenhängende Brockel. Keine Empfindung, keine 



Fall 6 


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Blutung. Bei der bakteriologischen Untersuchung ergibt sich, daß der Kanal« i 
inhalt steril ist. ! 

Fall 7. Huppert Ehald, 10 Jahre. Am 22. Juni 1920 im linken unteren ; 
ersten Molaren TrikresoUFormalin, Fletsdier. Am 20. Juli Einlage erneuert, 
Am 31. Juli beim Sondieren des Wurzelkanales noch } 
Empfindung. Noch eine Einlage. Am 8. August definitive j 
Versorgung. Röntgen 10. November 1921. Der Zahn ' 
wurde am 12. November aufgemacht. Der Pulpastrang 
aus dem distalen Kanal wurde extrahiert, er war zur Hälfte 
braun und mumifiziert, zur Hälfte weich, farblos, blutleer, 
feucht. Keine Spur einer Empfindung, keine Blutung nach 
der Extraktion. Vom Kanalinhalt geht keine Kultur auf. 
Fall 8. Hutax, Johann, 12 Jahre. Am 21. April 1921 wurde im rechten J 
unteren ersten Molaren TrikresoUFormalin eingelegt, die Einlage am 26. April 
getauscht. Am 3. Mai der distale Pulpastrang teilweise extrahiert und wieder 
‘TrikresoUFormalin eingelegt, am 10. Mai noch einmal 
und am 24. Mai wurde der Zahn gefüllt. Röntgenbild 
am 10. November 1921. 

Nach dem Resultat, welches wir aus den Röntgen« 
bildern bestimmen können, müssen wir den Erfolg der 
Pulpaamputation als ganz ideal bezeichnen. In keinem 
Fall konnte an der Wurzelspitze eine Änderung ange« 
troffen werden, die der Pulpaamputation zuzuschreiben 
wäre. Audi röntgenologisch sind also die Erfahrungen 
ebenso günstig, wie rein klinisch. 

Sicherlich können wir aber diesen Röntgenbefunden nicht eine entscheidende 
Bedeutung beimessen. Entscheidend für die Güte der Methode wäre nur, 
wenn wir, nachdem wir die pulpaamputierten Zähne aufmadien, überall in 
den Kanälen einen mumifizierten, sterilen Strang nachweisen könnten. In 
einigen Fällen, wo Röntgenbilder angefertigt wurden, habe ich das nachträg¬ 
lich gemacht <Fall 1, Fall 3, Fall 6, Fall 7>, die Zähne geöffnet, die Befunde 
sind bei der Besprechung der Fälle genau wiedergegeben. Audi in einigen 
anderen Fällen habe ich die Eröffnung der Pulpahöhle vorgenommen, ich 
erlaube mir auch über diese Fälle eine kurze Beschreibung zu geben. 

Fall 9. Traub, Hedwig, 14 Jahre. Im rechten unteren ersten Molaren 
am 20. September 1921 Arsen. Am 22. September TrikresoUFormalin, 
Fletsdier. Am 29. September definitive Versorgung wie gewöhnlich. Am 
23. Dezember 1921 Eröffnung. Bei der Extraktion des distalen Pulpastranges 
zeigt sich große Empfindlichkeit, obwohl sich fast ganz trockene, weißlich¬ 
braune, nicht zusammenhängende Pulpabröckel entfernen lassen. Keine Blutung. 
Bakteriologischer Befund: Pilze und harmlose Diplokokken. 

Fall 10. Schwanenschneider, Margarete. Am 21. April 1921 Arsen, 
Fletsdier im rechten unteren ersten Molaren. Am 23. April Pulpaamputation, 
TrikresoUFormalin, Fletsdier. Diese Einlage ist 6 Monate liegen geblieben, 
dann erst der Zahn definitiv, wie gewöhnlich, versorgt. Am 23. Dezember 



Fall 8 



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Zur Frage der Pulpaamputation 


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wurde der Zahn aufgemacht, der Befund deckt sidi vollkommen mit dem 
vorher beschriebenen Fall, nur fehlte vollständig die Empfindlichkeit. Bak¬ 
teriologischer Befund: Vereinzelte Pilze. 

Fall 11. Fiala, Alojzia, 13 Jahre. Im März 1920 wurde im linken oberen 
ersten Molaren die Pulpaüberkappung vorgenommen, der Zahn im November 
1921 aufgemacht, wobei eine fast unempfindliche, jedoch stark blutende 
Kronenpulpa vorgefunden wurde. <Der Fall ist auch unter den Röntgen¬ 
befunden beschrieben.) An diesem Tag, 12. November 1921, wurde die Pulpa¬ 
amputation vorgenommen. Am 23. Dezember wurde der Zahn wieder auf¬ 
gemacht und aus dem palatinalen Kanal ein bräunlicher, wenig feuchter Pulpa¬ 
strang entnommen. Das Kind gibt Empfindung an, nach der Pulpaextraktion 
geringgradige Blutung. Bakteriologischer Befund: Keine Bakterien nach¬ 
weisbar. 

Fall 12. Konetschny, Fritz, 9 Jahre. Am 27. Juli 1920 Pulpaampu¬ 
tation nach Druckanästhesie. Schon am 6. Juli ist in diesem die offene Pulpa 
mit Trikresol-Formalin überdeckt worden. Nach 21 tägiger Einwirkung auf 
die Pulpa war dieselbe blutend, lebend, die Empfindlichkeit dagegen herab¬ 
gesetzt, und daher wurde die nachträgliche Amputation vorgenommen. Am 
31. Juli, also nach 4 tägiger Einwirkung, war die vorgenommene Pulpaextraktion 
ganz ohne Schmerzen, die Pulpastränge nicht mumifiziert, nach der Extraktion 
leichte Blutung. 

Fall 13. Stoos, Stephanie, 13 Jahre. Am 7. Juli 1920 unter Druck¬ 
anästhesie Pulpaamputation im linken oberen ersten Molaren, nachdem seit 
1. Juli Karbolsäure in die Kavität gelegt worden war. Am 31. Juli, also nach 
24 Tagen, wurde der palatinale Pulpastrang entfernt, derselbe war zur Hälfte 
mumifiziert, braun, zur Hälfte weiß, jedoch trocken. Einwandfreies Resultat. 

Fall 14. Hutterer, Josef, 12 Jahre. Am 9. Oktober 1920 wurde im 
rechten oberen ersten Molaren die Amputation mit 2proz. Formalin vor¬ 
genommen. Nach 3 Tagen, am 12. Oktober 1921, wurde die Pulpaextraktion 
vorgenommen, der Pulpastrang empfindlich, von fleischiger Konsistenz. 

Was die bakteriologischen Untersuchungen anbelangt, sind die Befunde 
zweifellos sehr wichtig, daß der Kanalinhalt in verhältnismäßig vielen Fällen 
steril vorgefunden wurde, daß sich auch in den anderen Fällen nur harm¬ 
lose Saprophiten der Mundhöhle nachweisen ließen, spricht unwiderleglich 
dafür, daß die Methode lebensfähig ist und bereits Sicherheit auf Erfolg 
bietet. Allerdings muß ich betonen, daß immerhin auf dem Wege Mundhöhle- 
Wurzelkanal Bakterien an die Nadel gelangen konnten, d. h. daß die sterile 
Entnahme aus dem Wurzelkanal schwer zu bewerkstelligen ist. 

Histologische Untersuchungen anzustellen hielt ich nicht für notwendig. In 
den meisten Fällen, wo die Pulpa bröcklig zerfallen ist, ist ja die Unter¬ 
suchung zwecklos, aber auch in den anderen Fällen gibt uns die makro¬ 
skopische Untersuchung genügend Handhabe, uns über den Zustand der Pulpa 
zu orientieren und zu entscheiden, wie weit die Mumifikation vorgeschritten 
ist. Solange es Fälle gibt, wo bei der nachfolgenden Pulpaexstirpation noch 
Schmerzen und Blutung auftreten, wo der Pulpastrang noch im ganzen feucht 


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vorgefunden wird, solange ist die Frage ungelöst, wenn auch durdi die aus» 
gezeichneten klinischen Erfahrungen, durch die günstigen bakteriologischen 
Befunde und durch die einwandfreien röntgenologischen Resultate der er¬ 
folgverheißende Weg in Aussicht gestellt ist. 

Bemerken möchte ich an dieser Stelle, daß es mir nicht gelungen ist, nach 
der Amputation die Umwandlung der Pulpastränge in Bindegewebe zu be» 
obachten. Ich bezweifle nicht, daß es Vorkommen könnte. 

Resümierend möchte ich die Ergebnisse in folgenden Punkten zusammen¬ 
fassen. 

1. Die Punkte, die Böen necken für das Amputationsmittel fordert, be¬ 
stehen heute noch vollständig zu Recht, wenn es auch, wie Preiswerk, so 
auch mir nicht gelungen ist, in jedem Fall die sichere, vollständige Mumifi¬ 
kation nachzuweisen. Würden wir die Pulpastränge zur Resorption bringen, 
so würde ein leerer Kanal Zurückbleiben, was uns aus prinzipiellen Gründen 
durchaus nicht erwünscht wäre. 

2. Als Mittel zur Bedeckung der Amputationsstümpfe dürfen wir nur 
Flüssigkeiten verwenden, die längere Zeit <bei Trikresol-Formalin minde¬ 
stens zwei Wochen) einwirken müssen. 

3. Sicher ist mit Trikresol-Formalin das ideale Mittel noch nicht entdeckt 
<Boennecken>. Es wären Versuche mit anderen Mitteln oder mit anderen 
Kombinationen dieses Mittels wünschenswert. Ich erinnere z. B. an das Tannin, 
das Preiswerk schon in einigen Fällen verwendete. Oder aber ist auf den 
Vorschlag Boenneckens einzugehen, das reine 40proz. Formaldehyd zu 
verwenden, evtl, aber auch dünnere Lösungen dieses Mittels. 

4. So wie Boennecken Zystenbildung und Wurzelresorption nicht beob¬ 
achtet hat, zeigt die Röntgenuntersuchung an allen vor längerer Zeit pulpa¬ 
amputierten Zähnen, daß an der Wurzelspitze tatsächlich keine pathologi¬ 
schen Veränderungen nachzuweisen sind. 

5. Die bakteriologischen Untersuchungen sind in meinen Fällen ziemlich 
eindeutig und sprechen für die Güte der Methode. 

6. Dagegen gelang es mit der Trikresol-Formalinmethode nicht, in allen 
Fällen die Mumifikation <oder die damit auf gleiche Stufe zu stellende Um¬ 
wandlung in braune, aseptische, trockene Brockel nach Arsendevitalisation) 
zu erreichen, es war manchmal der Pulpastumpf empfindlich, blutend, feucht. 


LITERATUR 

Port und Euler: Lehrbudi der Zahnheiikunde, 1915. 
Miller: Lehrbudi der Zahnheilkunde, 1903. 

Mayrhofer: Lehrbudi der Zahnkrankheiten, 1912. 

Klein: Ztsdir. für Stomatologie, 1920. 

Boennecken: österr.^Ung. Vierteljahrsdir., 1898. 

Witzei: Deutsche Viertelj. f. Zahnheilk., 1874. 

Baume: Deutsche Viertelj. f. Zahnheilk., 1888. 

Walkhoff in Scheffs Handbuch der Zahnheilkunde, 1903. 


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Zur Frage der Pulpaamputation 


481 


Bödecker: Kotresp. f. Zahnärzte, 1893. 

Preis werk: Schweizer Vierteljahrschr. f. Zahnheilkunde, 1896. 
Walk hoff: Korresp. f. Zahnärzte, 1898. 

Preiswerk: Österr.-Ung. Vierteljahrschr. f. Zahnheilk., 1901. 
Boennecken: Österr.-Ung. Vierteljahrschr. f. Zahnheilk., 1898. 
Boennecken: Deutsche Zahnheilk. in Vorträgen, 1910. 
Boennecken: V. Intern. Zahnärztl. Kongreß 1909. 

Schreier: Österr.-Ung. Vierteljahrschr. f. Zahnheilk., 1907. 
Michel: Konservierende Zahnheilkunde, 1912. 

Kronfeld: Österr.-Ung. Vierteljahrschr. f. Zahnheilk., 1914. 
Fischer: Deutsche Zahnheilk. in Vorträgen, 1908. 

Gysi: Schweizer Vierteljahrschr. f. Zahnheilk., 1899. 

Parreidt: Deutsche Zahnär 2 tl. Wochenschr., 1907. 

Bückley: österr.^Ung. Vierteljahrschr. f. Zahnheilk., 1905. 
Schuster: Ergebnisse der gesamten Zahnheilkunde, 1913. 
Gottlieb: Ztschr. f. Stomatologie, 1919. 

Raschofski: Ztsch. f. Stomatologie, 1919. 

Adloff: Ztschr. f. Stomatologie, 1919. 

Scheff* Östetr.-Ung. Vierteljahrschr. f. Zahnheilk., 1912. 
Lartschneider: Österr.-Ung. Vierteljahrschr. f. Zahnheilk., 1909. 
Adloff: Österr.-Ung. Vierteljahrschr. f. Zahnheilk., 1910. 

Möller: Deutsche Zahnheilk. in Vorträgen 1914. 

Dependorf: Ergebnisse der gesamten Zahnheilkunde, 1910. 


Vierteljahrssdirift für Zahnheilkunde, Heft 4 


32 


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HEMMUNG DER SPEICHELSEKRETION DURCH 
ATROPIN-DERIVATE 

VON 

DR. MED. DENT. NORBERT KUBATZKI 

(ZUR ZEIT LEIPZIG) 

REFERAT VON PROFESSOR DR. FRANZ MÜLLER <BERLIN 1921) AUF GRUND DER 

DOKTORDISSERTATION 

E ine Verwendung medikamentöser Mittel zum Zweck der Beseitigung 
oder Verminderung der bei zahnärztlicher Arbeit störenden Speichel» 
absonderung hat sich, abgesehen von der Anwendung adstringierender Mund« 
wässer, die leider nur geringen Erfolg bringen, bisher nicht eingebürgert. 
Wenn neuerdings Ferdinand Winkler zur Hemmung der Speichelsekretion 
das Einreiben der Unterkieferschleimhaut und der Schleimhaut des Mund« 
bodens mit Belladonnapräparaten empfiehlt, so steht der zahnärztliche Prak» 
tiker der Verwendung von Atropin und atropinhaltigen Präparaten wegen 
der oft recht nachteiligen Allgemeineinwirkungen meist nicht gerade freund» 
lieh gegenüber. Ich habe mir die Aufgabe gestellt zu untersuchen, ob man 
eine Speichelflußhemmung durch medikamentöse Einflüsse erreichen kann, 
ohne daß im Allgemeinbefinden störende Erscheinungen eintreten. 

Eine Erregung der Speichelsekretion erfolgt physiologisch auf folgenden 
Wegen: 

1. reflektorisch von der Hirnrinde durch Appetitanregung <„das Wasser 
läuft einem im Munde zusammen"), 

2. durch Erregung des Brechzentrums infolge Ekels <Nauseasymptom>, 

3. von subkortikalen und medullären Zentren her, 

4. auf kurzem Reflexwege von der Zungenspitze aus durch die Sublingual« 
ganglien nach Geschmacks« oder sonstigen so sensiblen Reizen. 

Pathologisch kann Speichelhypersekretion <Ptyalismus> hervorgerufen wer« 
den — ohne hierbei den Ptyalismus der Säuglinge zu berücksichtigen —: 

1. durch Erkrankungen des Digestionstraktus, 

2. durch Arzneimittel, 

3. durch den Genitalapparat, 

4. durch psychische Einflüsse. 

Die Betrachtung dieser verschiedenartigen Möglichkeiten läßt auf die Schwie« 
rigkeit ihrer Hemmung schließen. 


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Hemmung der Speichelsekretion durdt Atropin-Derivate 


483 


Atropin wirkt bekanntlich fast ausschließlich auf das parasympathische 
Nervensystem im Sinne einer Lähmung der Nervenendigungen. So erzeugt 
es am Auge durch Lähmung der Okulomotoriusendigungen Pupillenerwei* 
terung, Akkommodationslähmung, am Herzen durch Lähmung des Vagus Puls* 
Beschleunigung, an den Drüsen Hemmung der Sekretion. Die Organe mit 
glatter Muskulatur, wie Magen, Darm, Uterus und Bronchien werden gleich* 
falls durch Lähmung der parasympatischen motorischen Nervenendigungen 
gehemmt. Schon Schmiedeberg sagt aber: „Alle diese Atropin Wirkungen 
an peripheren Organen ließen sich zweckmäßig verwerten, wenn es möglich 
wäre, sie ähnlich wie am Auge mit Sicherheit an dem gewünschten Organ 
isoliert hervorzurufen und in beliebiger Stärke lange Zeit hindurch zu er* 
halten. In der Regel treten die Wirkungen mehr oder weniger gleichzeitig 
an allen Organsystemen ein oder an solchen sogar am frühesten, an denen 
man sie am wenigsten wünscht. Zu den Wirkungen der letzten Art gehört 
namentlich die Pulsbeschleunigung, die nicht nur lästig, sondern unter Um* 
ständen auch gefährlich ist." 

Die Erhöhung der Pulsfrequenz hängt sehr vom Alter und der Stärke des 
Vagustonus ab. Bei jugendlichen Individuen ist die Wirkung nur unbe* 
deutend, während sie beim Erwachsenen zu starker Pulsbeschleunigung unter 
gleichzeitiger Steigerung des Blutdrucks bis auf das Doppelte im Normal* 
zustande führen kann. Man kann sich leicht davon überzeugen, daß — x / 2 mg 
Atropin, innerlich gegeben, starke Trockenheit im Munde, Rachen und Kehl* 
köpf hervorruft, aber gleichzeitig eine mehrere Tage anhaltende Akkommo* 
dationslähmung und oft recht unangenehme Pulsbeschleunigung. Die Speichel* 
flußhemmung tritt, wie ich auch selbst beobachten konnte, nach subkutaner 
Injektion nicht zuerst auf, sondern folgt der Wirkung auf den Herzvagus. 
Es scheint daher, daß die Affinität des Atropins zum Vagus eine größere 
ist als zum Glossopharyngeus und zur Chorda tympani, die erst über das 
sympathische Ganglion cervicale superius und zwar durch den N. jugularis 
ganglii petrosi glossopharyngei bzw. dessen Ramus anastomoticus cum N. 
faciali erreicht werden. 

Ganz besondere Beachtung erfordert ferner die Idiosynkrasie einzelner In* 
dividuen gegen Atropin, bei denen schon medizinale Dosen vergiftend wirken. 

Bekanntlich ist die Maximaldosis für Atropinsulfat 0,001, letal wirkten bei 
einem jungen Manne schon 0,13 g, d. h. bei einem Durchschnittsgewicht von 
65 kg = 0,002 g pro kg. Beim Hunde wirken erst 0,189 g pro kg Hund letal. 
Der Mensch verträgt Atropinsulfat 94mal schlechter als der Hund. 

Hält man nun Umschau unter den atropinartig wirkenden Mitteln, so 
kommen die folgenden in Betracht: 

1. Homatropin, dessen Wirkung analog der des Atropins, nur schwächer 
und flüchtiger ist. 

2. Hyoscyamin, das nach Cushny als natürliches l*Hyoscyamin auf 
Iris, Herz und Drüsen doppelt so stark wie Atropin wirkt. 

3. Skopolamin oder Hyoscin, welches als das giftigste der hierher ge* 
hörigen Alkaloide bezeichnet werden kann. Zwar hat es einige periphere 

32* 


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484 


Norbert Kubatzki 


Wirkungen des Atropins an sich, darunter sogar die Hemmung der Drüsen« 
Sekretion ohne gleichzeitigen Einfluß auf die Herzhemmungsapparate, ja es 
verlangsamt häufig eher den Puls, doch ist seine Großhimwirkung bedeutend 
stärker als die des Atropins. Schon nach Vs mg Skopolamin tritt Exaltations* 
Stadium, Erschlaffung der Muskulatur, Ruhebedürfnis, Mattigkeit mit nach» 
folgendem Schlaf ein. 

4. Atropinbasen mit 5 wertigem Stickstoff: 

a> Atropinum methylonitricum (Eumydrin Hoechst). 
b> Atropinum methylobromatum <Merdt>. 

Beim Eumydrin ist die Wirkung des Atropins auf das Zentralnerven» 
System fast völlig ausgeschaltet, die periphere parasympathische erhalten. Die 
tödliche Dosis für den Menschen soll nach Angaben von Brown und Fraser 
50 mal niedriger als bei Atropinsulfat sein. Die Unterschiede zwischen der 
Atropinwirkung und der des Eumydrins hat Erbe näher untersucht. Wäh» 
rend er nebst Lindenmeyer im Gegensatz zu Goldberg dem Eumydrin 
ophthalmologisdi keine Vorzüge einräumt, rühmt er jene bei interner Ver» 
Wendung, „da sich tatsächlich bei allen Versuchen ein vollkommenes Fehlen 
zerebraler Erscheinungen oder sonstiger übler Nebenwirkungen feststellen 
ließ." Vorzugsweise hat er es gegen die Nachtschweiße der Phthisiker ver» 
wendet. Wenn sich auch geringe Steigerung der Pulsfrequenz beobachten 
ließ — selbst bei großen Dosen stieg die Pulszahl nur mäßig —, so sind in 
keinem Falle subjektive Klagen über Herzklopfen von seiten seiner Patienten 
geäußert worden. 

Bei seinen Vergleichen der Atropinderivate führt Erbe auch das Atropinum 
methylo-bromatum, das Bromid des am Stickstoff nochmals methylierten 
Atropins, an und rangiert es als dem Eumydrin gleichwirkend ein. Man hat 
dies Präparat innerlich gegen Nachtschweiße der Phthisiker, Neurastheniker 
und Hysteriker, sowie zum „Herabdrücken der zeitweilig bei Neurasthenikern 
sehr gesteigerten Speichelabsonderung" angewendet, ohne die unangenehmen 
Nebenwirkungen des Atropinsulfates beobachtet zu haben. Die Stärke der 
Dosis betrug 0,006—0,012 g pro dosi et die. Auch die Pulszahl war nicht 
merklich beschleunigt. 

Die verhältnismäßige Ungefährlichkeit der beiden letztgenannten Atropin« 
derivate veranlaßte mich, ihre Verwendbarkeit zur Speichelsekretionshemmung 
zu prüfen. Die Bedenken, welche mir die bisherigen Erfahrungen an diesen 
Mitteln ophthalmologisdi auf den Weg gaben — Dauer der Mydriasis bei 
beiden in 1 proz. Lösung 2 Tage, Dauer der Akkommodationslähmung in der* 
selben Konzentration bei Eumydrin 2 1 [ s Tage, bei Atropinum methylobro« 
matum 2 Tage — hoffte ich durch Verwendung geringerer Gaben zu zer» 
streuen. 

Ich habe im ganzen an 22 Patienten gearbeitet und folgende Resultate 
erzielt: 

Eine medikamentöse Hemmung der Speichelsekretion ohne das Allgemein* 
befinden störende Nebenerscheinungen ist mit Eumydrin und Atropinum 
methylobromatum möglich. Besonders zu begrüßen ist hierbei die fast völlige 


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Hemmung der Speidielsekretion durdi Atropin-Derivate 


485 


Unwirksamkeit auf Herz und Zentralnervensystem. Leider wird aber die 
praktische allgemeine Verwendbarkeit jener Mittel beeinträchtigt durch ihre 
individuell verschiedenartige Wirksamkeit. Während einige Menschen be¬ 
reits nach Konzentrationen von 0,001 g Speichelflußhemmung zeigen, die bei 
einzelnen sogar verhältnismäßig lange anhält, ohne unangenehme Neben¬ 
erscheinungen <Müdigkeitsgefühl, Herzklopfen) zu erzeugen, wirken bei an¬ 
deren Dosen von 0,01 g noch zu schwach. 

Diese quantitativen Differenzen sind abgesehen von der verschieden großen 
Reaktionsfähigkeit der Patienten wohl auf die vielen Erregungsmöglichkeiten 
der Speichelsekretion zurückzuführen. Die Wirkungsintensität des Mittels 
auf die betreffenden Nervenendigungen dürfte mit Reizen, die von anderer 
Seite auf denselben Strang einwirken, in Konkurrenz treten. Wird z. B. 
nach Lähmung der Chorda mittels eines unserer Präparate das Speichel¬ 
zentrum vom Brechzentrum aus <etwa infolge lange anhaltenden, ungeschickten 
Bohrens in einem Zahne) erregt und übersteigt dieser zentrale Reiz die Läh¬ 
mungsenergie des Medikamentes, so muß es unterliegen, und die Speichel¬ 
sekretion sich vermehren. 

Ich gab in 15 Tropfen <1 ccm) zunächst innerlich 1 mg Eumydrin und er¬ 
zielte bei normaler, nicht entzündeter Mundschleimhaut nach 15—20 Mi¬ 
nuten Trockenheitsgefühl im Halse, Trockenheit im Munde und in der Nase 
und gleichzeitig weder Pulsbeschleunigung noch vollkommene Aufhebung der 
Pupillenreaktion auf Licht und Entfernungseinstellung. 

Fall 1. Patient, 15 Jahre, schwächlich. 20 Minuten nach Eingabe keine Pulsveränderung, 
gewisses Trockenheitsgefühl im Halse, das 5 Minuten später zunimmt. Gleichzeitig bleibt 
Pupillenreaktion durch Licht (Erweiterung und Verengung) bestehen. Nach weiteren 5 Min. 
stärkere Sekretionseinschränkung in Mund und Nase, keine Pulsbeschleunigung. Die Wirkung 
hielt 35 Minuten an. Müdigkeitsgefuhl, das später wich. 

Fall 2. Patient, 28 Jahre. Gute Körperkonstitution. Nach 10 Minuten ohne Pulsver¬ 
änderung. Trockenheit im Halse und Pupillenerweiterung. Lichtreaktion bleibt erhalten. Nach 
5 Minuten deutliche Mundtrockenheit, auch Zunge, Nasenschleimhaut trockener. Puls unver¬ 
ändert. Wirkung im Munde läßt nach 10 Minuten etwas nach, während sie in Hals und Nase 
beständiger ist. Dauer der Speichelsekretionshemmung zirka 40 Minuten. Leichte Müdigkeit. 

Fall 3. Patient, 49 Jahre (Vagotoniker). Puls 62. Normale Pupillenlichtrektion und 
Akkommodation der Beleuchtung entsprechend schnell. Nach Einnahme von 0,001 Eumydrin 
nach lOMinuten merklicheTrockenheit der Zunge und Wangenschleimhaut. Speichel wird dicker. 
Puls 61. Pupillenreaktion deutlich träger. Bei tiefster Inspiration Puls 58, bei tiefster Ex¬ 
spiration (Residualluftstellung) Puls 66. Nach weiteren 20 Minuten hörte die Wirkung merklich 
auf/ der Speichel enthielt mehr Flüssigkeit, Puls wie vorher. Pupillenreaktion noch träge. 
Nach etwa 1 */ a Stunden Pupillenreaktion normal. Puls 60 bei tiefster Einatmung, 45 bei 
tiefster Ausatmung, 50 bei normaler Atmung. 

Selbst in Fällen von Stomatitis ulcerosa trat Speichelhemmung ein: 

Fall 4. Patient, 21 Jahre. Gute Körperkonstitution. Starker Speichelfluß. Puls 68. 
Pupillenreaktion schnell. 14 Minuten nach 15 Tropfen l%o Eumydrin innerlich verspürte 
Patient Trockenerwerden im Halse. Puls und Pupillenreaktion unverändert. Nach einer halben 
Stunde war der Mund ziemlich trocken. Starke Muzinfädenbildung. Puls 74. Pupillenreaktion 
träger. Nach 65 Minuten Speichelfluß noch immer gehemmt. Eine halbe Stunde später 
Speichel unverändert. Puls 62. Pupillenreaktion träge. Nach im ganzen zwei Stunden 
Mundtrockenheit und Pupillenreaktion normal. Puls 66. Erst nach einer weiteren Stunde 
setzte wieder normaler Speichelfluß ein. 


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486 


Norbert Kubatzki 


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Fall 5. Patient, 19 Jahre. Gute Konstitution. Stomatitis ulcerosa. Starke Speichel¬ 
sekretion. Puls 80. Pupillenreaktion schnell. 10 Minuten nach Eingabe von 15 Tropfen 
Eumydrin beginnt Mundtrockenheit, nach weiteren 6 Minuten Puls 68. Pupillenreaktion 
unverändert. Nach einer halben Stunde nimmt Speichelsekretion wieder zu, desgleichen nach 
weiteren 5 Minuten. 10 Minuten darauf wird der Mund wieder trockener. Nach im ganzen 
50 Minuten Mundboden ziemlich flüssigkeitsfrei. Puls 70. Nach weiteren 20 Minuten 
wieder starker Speichelfluß. Pupillenreaktion trage. Keine Müdigkeit oder sonstige Be¬ 
schwerde. 

Fall 6. Patient, 36 Jahre. Gute Konstitution. Stomatitis ulcerosa. Viel Speichelflüssig¬ 
keit. Puls 88. 15 Minuten nach Einnahme von 20 Tropfen Eumydrin innerlich in Wasser 
fühlt Patient im Halse gewisse Trockenheit. Puls 73. Nach 5 Minuten Mund trockener, im Halse 
zunehmend trockener, noch 5 Minuten später Speichelsekret viel dicker. Puls 78. Pupillen¬ 
reaktion träger. Eine halbe Stunde nach Einnahme Speichelfluß wieder ziemlich stark, fast 
stärker als wie vorher. Nach weiteren 5 Minuten Puls 80. Pupillenreaktion träge. Starkes 
Müdigkeitsgefühl. 

15 Tropfen einer lpromilligen Lösung von Atropinum methylobromatum 
wirkten in zwei Fällen von Stomatitis ulcerosa einmal gar nicht, das andere 
Mal eine Viertelstunde lang speichelhemmend. Dabei wurde die Herztätig¬ 
keit und Pupillenreaktion nicht verändert. Bei einer 35jährigen Patientin 
<Fall 9> trat nach 10 Minuten Kopfschmerz ein, der allerdings nach wenigen 
Minuten nachließ. Die Pupillenreaktion war bei sichtbarem Rückgang der 
Speichelsekretion, der 20 Minuten anhielt, träger als zuvor, während in einem 
anderen Fall selbst 15 Tropfen einer 5promilligen Lösung von Atropinum 
methylobromatum bei 30 Minuten anhaltender Sekretionshemmung keine 
Allgemeinstörungen und geringe Änderung der Pupillenreaktipn herbeiführten: 

Fall 12. Patient, 40 Jahre. Gute Konstitution. Stomatitis ulcerosa. Starker Speichel¬ 
fluß. Puls 80. 25 Minuten nach Einnahme Trockenheitsempfinden in Hals und Mund. 
Stärkere Muzinfädenbildung. Puls 78. Maximale Pupillenenge durch Licht etwa 3 mm. 
Nach halbstündiger Einwirkung war die Sekretionshemmung vorüber. 

Als Beispiele gebe ich 5 weitere Fälle: 

Fall 13. Patient, 21 Jahre, kräftig, mäßige Speichelsekretion. Puls 74. Pupillenreaktion 
prompt. 10 Minuten nach Einnahme von 15 Tropfen l°/oo Atropinum methylobrom. 
innerlich noch keine Trockenheit im Munde und Halse. Pupillenwirkung bereits ersicht¬ 
lich. Nach weiteren 4 Minuten beginnende Trockenheit. Muzinfadenbildung. Trotz Behand¬ 
lung wenig Speichel. 25 Minuten post Wirkung noch anhaltend. Pupillenreaktion träger. 
Kein Kopfschmerz oder sonstige unangenehme Erscheinungen. Nach etwa einer Stunde 
wieder stärkerer Speichelfluß. Keine subjektive Sehstörung. Puls 76. 

Fall 14. Patientin, 32 Jahre, nervös und schwächlich, will sich im Unterkiefer die linke 
VTeisheitszahnwurzel entfernen lassen. Puls 37. Pupillenreaktion schnell. Nach Mandi¬ 
bularanästhesie mit 2proz. Novokainsuprarenin starke Pulsbeschleunigung, auch subjektiv 
empfunden, und Herzklopfen, das bald vorübergeht. Nach 10 Minuten Eingabe von 
15 Tropfen l°/oo Atropin, methylobromat. Nach weiteren 7 Minuten beginnende Mund¬ 
trockenheit. Stark gesteigerte Atemfrequenz, die recht unangenehm empfunden wird und 
5 Minuten anhält. Nach im ganzen 25 Minuten noch ziemliche Mundtrockenheit, die auch 
während und nach der Zahnextraktion anhält. 

Fall 15. Patient, 46 Jahre. Gute Körperkonstitution (Stomatitis ulcerosa). Starker 
Speichelfluß. Puls 74. Einnahme von 15 Tropfen l°/ 00 Atrop. methylobrom. Nach 5 Minuten 
Eintreterr einer gewissen Trockenheit in Hals und Mund, die während der Behandlung an¬ 
hielt. Nach 40 Minuten Auf hören der hemmenden Wirkung. 

Fall 18. Patientin, 23 Jahre. Guter Ernährungszustand. Starker Speichelfluß. 15 Minuten 
nach Eingabe von 15 Tropfen 1° 00 Atropin, methylobromat. Innerlich Beginn der Mund¬ 
trockenheit. Nach 40 Minuten derartig unangenehme Trockenheit, daß die Patientin aus- 



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Hemmung der Speidielsekretion durdi Atropin-Derivate 487 

spülen muß. Erst nadi fast 4 Stunden hört die lästige Trockenheit auf. Patientin klagte 
noch am nächsten Morgen Ober trockene Lippen. Keine Augenbeschwerden. 

Fall 19. Patient, 44 Jahre, kräftig. Starke Speichelsekretion. 15 Tropfen 1 °/ 00 Atropin, 
methylobrom. bewirken bereits nach 10 Minuten Nachlassen der Speichelsekretion. Nach 
50 Minuten setzt wieder Speichelfluß deutlich ein. Keine subjektiven Beschwerden. 

Aber auch Mißerfolge waren zu verzeichnen, indem zwar Trockenheit im 
Munde eintrat, aber nicht so, daß sie zum ungehinderten Arbeiten eine Mög¬ 
lichkeit bot. 

Versuche, die beiden Mittel subkutan zu injizieren und dadurch bei schnellerer 
Resorption eine noch stärkere Wirkung zu erzielen, scheiterten daran, daß die 
Injektionen außerordentlich schmerzhaft sind und nur durch große Opfer¬ 
willigkeit der Patienten ertragen wurden. Außerdem tritt bei 5 mg schon 
subjektiv (ästig empfundene Akkommodationslähmung ein, so daß es keinen 
Zweck hätte, etwa durch Novokainzusatz die Injektion schmerzlos zu machen. 

In dem vorher erwähnten Versuch <Fall 14> hatte die Kombination von 
Atropinum methylobromatum mit Novokain-Suprarenin eine starke Steigerung 
der Ätemfrequenz hervorgebracht. Es ist möglich, daß die Kombination von 
Parasympathikuslähmung durch das Atropinderivat und von sympathischer 
Reizung' durch Suprarenin oder daß eine Summation zweier auch zentral auf 
das Atemzentrum wirkender Stoffe zu einem gesteigerten Effekt auf das 
Atemzentrum führt. 

ERGEBNIS 

• Eumydrin und Atropinum methylobromatum sind imstande, in 
Dosen von 1 bis 5 mg, innerlich gegeben, eine nach etwa 20 Minuten ein¬ 
setzende und etwa eine halbe Stunde anhaltende merkbare Hemmung der 
Speichelabsonderung hervorzurufen. Individuelle Unterschiede kommen vor. 
Bei den meisten Patienten fehlte eine Hemmung der Lichtreaktion oder der 
Akkommodation des Auges und eine Pulsbeschleunigung entweder vollkommen 
oder war nur mäßig und nicht subjektiv störend entwickelt. Die Speichel¬ 
hemmung ist leider nicht immer so hochgradig, daß man ohne Verwendung 
von Cofferdam oder Ähnlichem eine konservierende Zahnbehandlung durch¬ 
führen kann. 


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AUS DEM ZAHNÄRZTLICHEN INSTITUT DER UNIVERSITÄT LEIPZIG 

OPERATIVE ABTEILUNG 

ZUR FRAGE DER INFEKTIONSGEFAHR DURCH 
WURZELKRANKE ZÄHNE 

VON 

PRIVATDOZENT DR. MED. A. HILLE 

OBERARZT AM ZAHNÄRZTLICHEN INSTITUT DER UNIVERSITÄT LEIPZIG 

E rkrankte Zähne und Wurzeln sind eine Gefahr für den Organismus. 

Man denke nur an die Fäulnisstoffe aus kariösen Zahnhöhlen und an 
den Eiter aus pyorrhoischen Zahnfleischtaschen bzw. dauernd sezernierenden 
Fisteln, die Anlaß zu Verdauungsstörungen der verschiedensten Art geben, 
oder an das wiederholte Auftreten von Mandelpfröpfen im nicht sanierten 
Munde. Ein Teil der in den amerikanischen Publikationen erwähnten All« 
gemeininfektionen vom Zahnsystem aus, wie rheumatische Erkrankungen, 
dürfte auf Tonsilleninfektion dentogenen Ursprungs beruhen. Kann man 
doch hartnäckigen Rheumatismus nach ausgiebiger Sanierung des Mundes und 
Entfernung der Mandelpfröpfe verschwinden sehen. 

Man darf nach den bisherigen Erfahrungen wohl annehmen, daß erfolg« 
reich behandelte pulpentote Zähne so lange als harmlos angesehen werden 
können, als ihr Paradentium ohne wesentliche Veränderung geblieben ist. 
Sobald aber destruierende Prozesse in der Umgebung der Zahnwurzel ein« 
getreten sind, ändert sich das Bild. Dann, und besonders wenn zweifelhafte 
Stümpfe als Basis für prothetische Behandlung in Aussicht genommen werden, 
ist Klärung der Situation unerläßlich. 

Das Fortschreiten von Zahnerkrankungen per continuitatem ist eine be« 
kannte Tatsache. Man kann aber auch beobachten, daß sich an eine Zahn« 
erkrankung die eines andern weit davon stehenden Zahnes anschließt. So 
hatte ich einen jungen Studenten in Behandlung, der an einer vom 2. obern 
linken Molaren ausgehenden Parulis litt. Die Röntgenaufnahme zeigte eine 
kleine periapikale Resorptionshöhle an einer Wurzelspitze des Mahlzahnes. 
Die fluktuierende Schwellung wurde inzidiert, worauf sich viel Eiter ent« 
leerte. Dem operativen Eingriffe folgte die übliche konservierende Behänd« 
lung des schuldigen Zahnes. Der bestehende transapikale Herd im Knochen 


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Orig mal fro-m 

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Zur Frage der Infektionsgefahr durch wurzelkranke Zähne 


489 


wurde nicht entfernt, weil zunächst das Abklingen der akuten Erscheinungen 
abgewartet werden sollte. Nach acht Tagen bekam Patient eine vom 1. un» 
tern linken Mahlzahne ausgehende Parulis. Das Röntgenbild ergab an jeder 
Wurzel des fraglichen Zahnes Resorptionshöhlen. Wegen der ungünstigen 
anatomischen Situation wurde der Zahn extrahiert, es floß Eiter aus der 
Alveole ab, worauf das Infiltrat der Weichteile allmählich verschwand. Der 
extrahierte Zahn zeigte das Bild chronischer Wurzelhautentzündung mit 
Arrosion der Wurzelspitzen. Nach weiteren acht Tagen stellte sich ein 
Weichteilinfiltrat in der Zone des 2. oberen rechten Prämolaren ein. Die 
Röntgenuntersuchung ergab eine größere Herdbildung mit unscharfer Be- 
grenzung. Der Zahn wurde eröffnet, zu gleicher Zeit entstand eine Fistel, 
und die Erscheinungen klangen ab. Noch bevor die Herde operativ entfernt 
werden konnten, erkrankte der 1. obere linke Prämolar, dessen Röntgenbild 
ebenfalls eine Herdbildung zeigte, mit starker Weichteilinfiltration, so daß er 
geöffnet und eine Inzision vorgenommen wurde. Die Lymphdrüsen waren 
beiderseitig geschwollen/ Fieber wurde nicht beobachtet. 

Im vorstehenden Falle ist der Anstoß zum Fortschreiten der Entzündung 
von innen erfolgt. Denn die Wurzelkanäle der Zähne waren fest ver¬ 
schlossen, so daß von außen kein propagierender Reiz erfolgen konnte. Die 
Entzündung ging nur auf Zähne über, die bereits wurzelkrank waren. 
Es ist nicht anzunehmen, daß völlig gesunde Zähne ergriffen worden wären, 
wenn auch bei Infektionskrankheiten, wie Influenza, Typhus und Polyar- 
thirtis, periodontitische Schmerzen an intakten Zähnen beobachtet werden. Die 
infektiösen Keime überschwemmen auf dem Wege der Lymphbahn vom 
ersten Erkrankungsherde aus den ganzen Bezirk und verursachen an Stellen, 
die als loci minoris resistentiae angesehen werden müssen, entzündliche Er¬ 
scheinungen. Ein ähnliches Auftreten multipler entzündlicher Exazerbationen 
kann man im Zahnsystem beobachten, wenn Eiter infolge ungenügender Er¬ 
öffnung größerer Abszesse einige Zeit stagniert <z. B. bei nur erfolgter Tre¬ 
panation ohne Inzision). Es wäre interessant zu wissen, ob die Übertragung 
stattgefunden hätte, wenn der erste Entzündungsherd im Knochen sofort 
operativ durch Maxillotomie entfernt worden wäre. Verliert eine Granu¬ 
lom, das nach Römer bei geringer Virulenz der vom Wurzelkanale aus an¬ 
dringenden Keime als Schutzorgan entsteht, seine Widerstandskraft, so kann 
sich der Entzündungsnachschub in das umliegende Gewebe und in die Lymph¬ 
bahn fortsetzen. Nun kreisen die Keime in der betreffenden Zone und werden 
nur durch den Filter der Lymphdrüsen abgehalten in den Organismus über¬ 
zugehen. Wie weit ein direkter Übergang durch Blutgefäße möglich ist, ist 
nicht geklärt. 

Es wird Sache exakter Beobachtungen sein kritisch festzustellen, ob und 
unter welchen Voraussetzungen sich entzündliche Erscheinungen auf meta¬ 
statischem Wege über das Kiefergebiet hinaus erstrecken und den Gesamt¬ 
organismus bedrohen können. Man wundert sich oft, daß schon makrosko¬ 
pisch in absolutem Zerfalle befindliche Gewebsreste an extrahierten, schwer 
wurzelkranken Zähnen nicht Ursache für weitere Erkrankungen geworden 


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490 A. Hille: Zur Frage der Infektionsgefahr durdi wurzelkranke Zähne 

sind, drastisch ausgedrückt, man staunt vielmals darüber, was der Organis¬ 
mus aushält. 

Weiser behandelt die Frage, welche Rolle kranke Zähne als Eingangs¬ 
pforte für die Erreger von allgemeinen Erkrankungen des Körpers spielen, 
im Dezemberheft 1921 der Zeitschrift für Stomatologie und kommt zu dem 
Schlüsse, daß die konservierende Behandlung pulpakranker Zähne, ja selbst 
solcher Wurzeln, welche schon zu periapikalen Abszessen oder Granulomen 
geführt haben, nicht über Bord geworfen werden darf, sondern daß die 
Wurzelspitzenresektion am besten der Forderung nach Wegschaffung des 
Infektionsherdes nachkommt. — Die beste Prophylaxe aller Infektionen ist die 
rechtzeitig vorgenommene exakte Wurzelbehandlung, die alles infektiöse Ma¬ 
terial im Wurzelkanal unschädlich zu machen versucht und die so reizlos 
durchgeführt wird, daß keine wesentlichen Veränderungen im Paradentium 
entstehen. Kleine, membranös begrenzte Granulome lasse man als Schutz¬ 
organe in Ruhe und behüte sie vor Infektion. Verdächtige Herde rotte man 
beim ersten Anstoße aus, damit sie nicht weitere Erkrankungen auslösen. 


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— ÜrrgfrallforlT m 

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AUS DEM PHYSIOLOGISCHEN INSTITUTE DER HAMBURGISCHEN 
UNIVERSITÄT. ALLGEMEINES KRANKENHAUS EPPENDORF 

<VORSTAND: PROF. O. KESTNER) 

KARIESEMPFANGLICHKEIT UND KALKMANGEL 

IM BLUT 

VON 

CAND. MED. DENT. O. BURMESTER 

A ls Aufgabe hatte ich mir gestellt, den Kausalzusammenhang zwischen 
Kariesempfänglichkeit und Kalkstoffwechsel des Blutes experimentell klar¬ 
zulegen. Es gdt also nachzuweisen, ob bei Patienten mit herabgesetzter Wider¬ 
standsfähigkeit gegen Karies der Kalkgehalt des Blutes dem normalen Kalk¬ 
gehalt gegenüber vermindert sei. 

Der Weg der chemischen Analyse, mit der nur die Summe der Kalzium¬ 
atome hätte bestimmt werden können, war nicht nur aus diesem physiolo¬ 
gischen Grunde nicht angängig, sondern wäre auch schwieriger und un¬ 
sicherer gewesen. 

Ich habe meine Untersuchungen mittels der biologischen Methode aus¬ 
geführt, die Paul Trendelenburg und Walter Göbel uns in ihrer Ab¬ 
handlung „Tetanie nach Entfernung der Epithelkörperchen und Kalzium¬ 
mangel im Blute" beschreiben. Die Methode besteht kurz gesagt darin, daß 
man die zu untersuchenden Blutsera als Speiseflüssigkeiten für ein in der 
Fühnersehen „feuchten Kammer" befestigtes isoliertes Froschherz benutzt 
und das Schwächerwerden der Kontraktion der normalen Amplitude eines 
Kontrollserums gegenüber als Ursache eines verminderten Gehaltes an ak¬ 
tivem Kalzium auf dem Kymographion graphisch darstellt. Was die Än¬ 
derung der Kontraktionshöhe des Froschherzens bei Änderung der Ionen¬ 
konzentration in der Speiseflüssigkeit anbetrifft, verweise ich auf die Resul¬ 
tate von Trendelenburg. 

Bei allen Blutentnahmen wurde bei den betreffenden zu Untersuchenden 
der objektive Befund des Gebisses festgestellt und auch eine Anamnese <Erb- 
lichkeitsverhältnisse usw.>, soweit sie für diese Arbeit in Betracht kam, er¬ 
hoben. Die zu untersuchenden Blutsera wurden auf Froschisotonie gebracht 
und vor dem Versuch mit Sauerstoff gleichmäßig durchperlt. Handelte es sich 


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492 


O. Burmester 


um hämolytische Sera, so wurde dies extra bemerkt. Als Kontrollserum 
wurde bei allen Versuchen das Blutserum von nicht schwangeren Patienten 
mit gesunden Zähnen genommen. 

Es wurden nicht allein nur Patienten mit hoher Kariesfrequenz auf Kalk- 
mangel im Blut untersucht, sondern auch Patienten, deren Widerstandsfähig¬ 
keit gegen Karies temporär herabgesetzt war, z. B. infolge von Gestations- 
Vorgängen oder eines Allgemeinleidens. Bei diesen letzten Gruppen, es han¬ 
delte sich um Untersuchungen bei Schwangeren, Stillenden und Diabetikern, 
wurden nach Möglichkeit nur solche Patienten berücksichtigt, die anamnestisch 
bestimmt angaben, daß ihre Karies in der durchgemachten Periode herab¬ 
gesetzter Widerstandsfähigkeit gegen Karies tatsächlich auch größere Fort¬ 
schritte gemacht habe. 

Die Untersuchungen über die Verringerung des Kalkgehaltes im Blute 
<bzw. über die Änderung der Kalziumionenkonzentration) wurde nach fol¬ 
gender Gliederung vorgenommen: 

a> Gesunde mit hoher Karies frequenz, 
b> Diabetiker, 
c> Gravide, 
d> Stillende. 


ERGEBNIS 

Beim Ersatz von einem das Froschherz speisenden Normalserum durch ein 
Serum eines Patienten mit herabgesetzter Widerstandsfähigkeit gegen Karies 
ergaben sich folgende Resultate: 

Alle Patienten der Gruppen a und b <es handelte sich bei diesen beiden 
Gruppen um zusammen 12 Versuche) zeigten keine Verminderung des Kalk¬ 
gehaltes dem normalen Blute gegenüber. 

Gruppe c: Von 17 untersuchten Gravidenseren wurden 3 mit einer Kalk¬ 
verminderung von etwas über 10% und 2 mit einer Verminderung von 20% 
und darüber gefunden. 

Gruppe d: Von 7 untersuchten Seren von Stillenden wurde 1 mit einer 
Kalkverminderung von 10% und 2 mit einer Verminderung von 25% be¬ 
funden. 

Das Absinken von der normalen Kontraktionshöhe begann bei den kon¬ 
traktionserniedrigenden Seren unmittelbar nach der ersten Speisung und ging 
unter denselben Erscheinungen vor sich wie das Absinken der normalen 
Kontraktionshöhe des Herzens bei Speisung desselben mit einer Ringerlösung 
von vermindertem Gehalt an Kalziumkationen. 

Das Absinken von der normalen Amplitudenhöhe mehrerer Gravidenseren, 
wie es bei laufender Trommel, bei schnellem Umstellen auf ein neues Serum 
vonstatten geht, zeigt Fig. 1. 

Die vollen Amplitudendifferenzen zwischen den Versuchs» und den Kon» 
trollspeiseflüssigkeiten, registriert durch Fixieren der Trommel nach dem je¬ 
weiligen Umstellen der Flüssigkeiten, zeigen Fig. 2 und 3. 


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Kariesempfänglichkeit und Kalkmangel im Blut 


493 



Fi*. 1 

n - Normalserum 2, 3, 4 = Gravidensera 



Fig. 2 

Normalserum 


4, 10 = Gravidenscra 5, 6, 11 


Fig. 3 

Sera von Stillenden 


n n 6' W' 


Fig. 4 


In 5 Kompensationsversudien wurde durch Zugabe von einem Tropfen 
einer l°/ 0 igen Kalziumchloridlösung zu 3 resp. 4 ccm eines kontraktions^ 
erniedrigenden Serums die normale Kontraktionshöhe vollkommen wieder 
hergestellt. 

Fig. 4 zeigt die Sera 6 und 10, diesmal mit Kalziumchloridzusatz und 
deshalb als 6' und 10' bezeichnet. Das Kontrollserum ist dasselbe geblieben, 
das Froschherz ebenfalls. 

Ob die kontraktionserniedrigende Wirkung der einzelnen positiven Seren 
auf einer Verminderung des Gesamtkalkgehaltes oder nur der Kalzium- 
ionenkonzentration basierte, wie es von verschiedenen Seiten vermutet worden 
ist, wurde nicht untersucht. Bei einer Reihe von Fällen ist jedenfalls eine 
Verminderung an aktivem Kalzium festgestellt, und dieses war der 
Zweck der Arbeit. 


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494 


O. Burmester: Kariesempfänglichkeit und Kalkmangel im Blut 


SCHLUSSFOLGERUNGEN 

Eine Kalkstoffwechselunterbilanz ließ sich unter den verschiedenen unter* 
suchten Kategorien der kariesempfänglichen Patienten also nur allein bei 
Schwangeren und Stillenden konstatieren, allerdings auch hier nur bei einer 
gewissen Anzahl von Fällen, und zwar wurde experimentell festgestellt, daß 
der Mangel an aktivem Kalzium nach Beendigung der Schwangerschaft, also 
während der Periode des Stillens in verstärktem Maße auftrat. Das Patienten* 
material an Schwangeren und Stillenden für diese Arbeit war kein sehr 
günstiges, da es sich um Untersuchungen in einem staatlichen Institute für 
Geburtshilfe handelte, wo bekanntlich uneheliche Mütter das Hauptkontingent 
stellen. Es handelte sich fast immer um Fälle von Erstgeburten und bei 
den Stillenden durchweg um solche in den ersten 2 Wochen des Stillens, so 
daß die Folgeerscheinungen der temporären Kariesempfänglichkeit im Orga* 
nismus noch zu keinem sehr hohen Grade gediehen waren. Durch Unter* 
suchungen an geeigneterer Stelle, d. h. bei länger Stillenden und solchen 
Müttern, die mehrmals geboren haben, würde sich der Kalkmangel wohl 
ausgesprochener feststellen lassen. 

Es wurde durchweg bei solchen Schwangeren und Stillenden ein Mangel 
an aktivem Kalzium im Blute festgestellt, die von Jugend an eine Disposition 
zu Karies gezeigt hatten, und die ferner anamnestisch angaben, daß ihre 
Karies durch die Gestationsvorgänge größere Fortschritte gemacht hätte und 
bei denen diese Krankheit bis zum Tage der Untersuchung einen erheblichen 
Teil der Zähne <bis zu einer Anzahl von 10 und darüber) in mehr oder 
minder starkem Grade zerstört hatte. 

Konstatiert wurde aber, daß auch in vielen Fällen sich bei den Graviden 
und Stillenden, selbst wenn es sich um Karieswirkungen in ähnlich hohem 
Grade handelte, die experimentelle Untersuchung auf Kalkmangel im Blut 
ein absolut negatives Resultat ergab. * 

Diese Tatsache gibt uns in Anbetracht der Unmöglichkeit bei allen anderen 
untersuchten Kategorien von kariesempfänglichen Patienten die Kalkvermin* 
derung im Blute nach weisen zu können den Beweis dafür, daß eine herab* 
gesetzte Widerstandsfähigkeit gegenKaries ihreUrsache in einem 
Mangel an Blutkalk haben kann, aber nicht zu haben braucht. 

Die Einzelheiten obiger Arbeit und das genaue Material veröffentliche 
ich demnächst in meiner Dissertation. 

Herrn Prof. Kestner sage ich für die freundliche Anleitung, Herrn Prof. 
Fressel, Direktor des Staatlichen Instituts für Geburtshilfe zu Hamburg, 
für die freundliche Überlassung von Patientenmaterial meinen besten Dank. 


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BUCHBESPRECHUNGEN 


Die Odontoplastifc im Lidile der Pfantationsiehre. Von Dr. A. Ehr icke. 

<Samml. Meusser. Abhandl. aus dem Gebiet der klin. Zahnheilkunde Heft 12.) 

Brosch. M. 45. — . 

Die Versuche, gänzlich vom Körper getrennte Teile wieder einzuheilen/ stammen aus 
alten Zeiten und sind trotz vieler Angriffe immer von neuem erprobt worden. Heute ist 
man sich im allgemeinen Ober die Tatsache der Wiedereinheilung völlig im klaren. Dabei 
ist es von besonderer Wichtigkeit, ob eine totale Trennung vorliegt, oder ob innerhalb 
der Weichteile noch eine Brücke stehen geblieben ist. Für die letzten Fälle ist die Pro¬ 
gnose stets günstig. — Die Einheilung von Fremdkörpern hat praktische Bedeutung inso¬ 
fern, als die verschiedenartigsten Fremdkörper eine häufige Komplikation von Verletzungen 
bilden und weil ferner die künstliche Einheilung dem Organismus artfremder oder art¬ 
verwandter Teile eine immer größere Rolle spielen/ theoretisch insofern, als die Einhei¬ 
lung von Fremdkörpern wichtige Aufschlüsse über entzündliche Prozesse und Gewebsneu¬ 
bildungen liefert. Je nach ihrem Verhalten im Organismus teilt man die Fremdkörper in 
leicht resorbierbare (tierische Gewebe und sämtliche Weichteile), in schwer resorbierbare 
und nicht resorbierbare (Hornsubstanzen, Chitin, Spongin, Knochen, Elfenbein, die meisten 
pflanzlichen Gewebe, soweit sie aus Zellulose bestehen, die unlöslichen anorganischen 
Körper, mineralische Partikel, Metalle, Cholestearin usw.>. Bei der Einheilung aller Fremd¬ 
körper sind die Riesenzellen (Fremdkörperriesenzellen) die charakteristischsten. Das sind 
alle vielkernigen Protoplasmamassen, die sich aus verschiedenen Geweben produzieren. 
Jodoform und Eitererreger wirken auf die Kerne dieser Zellen zerstörend, so daß eine 
Einteilung nur dort ungestört vor sich gehen kann, wo diese nicht einwirken. 

Unedle Metalle machen bei der Einheilung einen Oxydationsprozeß durch und bilden 
lösliche Metallsalze und Chloride. Es kann zu gänzlicher Loslösung oder zu Resorption, 
eventuell unter allgemeinen Vergiftungserscheinungen, kommen. Die nicht resorbierbaren 
Körper z. B. alle edlen Metalle werden scheinbar dauernd vom Gewebe vertragen. Sie 
heilen fest ein, indem sie erst bindegewebig umgeben sind und dann von Knochenmassen 
umgeben werden. Dasselbe gilt von unlöslichen mineralischen oder sonstigen unorganischen 
Körpern. Bei Elfenbein sieht man die Resorption in der gleichen Weise vor sich gehen, 
wie beim Knochen. Ist Elfenbein allseitig fest vom Knochen umgeben, so kann Resorption 
und Lockerung ausbleiben/ ist es jedoch von Weichteilen umgeben, so pflegt die Resorp¬ 
tion unter Bildung von Granulationen mit Riesenzellen einzutreten. Eine feste Einheilung 
kann nur erwartet werden, wenn das Elfenbein fest in seine Umgebung eingepaßt ist. 
Den Verlauf des Einheilungsprozesses zeigt uns E. an vorzüglichen Mikrophotogrammen. 
Das Alter spielt insofern eine wichtige Rolle, als die Aussicht auf Erfolg bei jugendlichen 
Individuen größer ist als bei alten. 

Die Odontoplastik. Naturgemäß hat sich die zahnärztliche Wissenschaft die obigen 
Ergebnisse zunutze gemacht und versucht, Zähne zu transplantieren und zu replantieren. 
Hierzu gibt uns der Verfasser einen sehr interessanten und ausführlichen historischen Rück¬ 
blick, aus dem hervorgeht, daß die Versuche teils eifrige Anhänger, teils scharfe Gegner 
fanden. Das aussichtsreichste Kapitel dürfte die Implantation sein, wobei Elfenbein das 
beste Ergebnis zeitigte. Hier hat Schröder bahnbrechend gewirkt und nachgewiesen, daß 
Elfenbein gegenwärtig das einzigste Material ist, das vom Knochen nicht als Fremd- 


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1 

496 Buchbesprechungen 

körper bctraditct wird. Für diese Operation gibt E. ein Spezialinstrumentarium an, das 
auch in Abbildungen vorgelegt wird. 

Es folgt nun eine Beschreibung der Technik der einzelnen Operationen, und zwar: 

1. für die Replantation, 

2. für die Transplantation, 

3. für die Transplantation verlagerter Zähne, 

4. für die Implantation. 

Es würde zu weit führen, hier die einzelnen Methoden ausführlich wiederzugeben. Jeden« 
falls ist es dem Verfasser meisterhaft gelungen, mit Hilfe vorzüglicher Photographien, 
Röntgenogrammen und Skizzen und dank einer glänzenden Darstellungsgabe diese Ope« 
rationsmethoden zu veranschaulichen. 

Zum Schluß möchte ich nicht versäumen, auf das der Arbeit angefügte äußerst umfang« 
reiche Literaturverzeichnis hinzuweisen. Dr. R. Hesse, Döbeln. 

Materialkunde der zahnärztlichen Technik für Zahnärzte und Studierende der 
Zahnheilkunde. Von Pfof. Schoenbeck. (Separatabdruck des I. Teiles. Verlag 
H. Meusser 1920.) 

In der Einleitung gibt der Verfasser eine Einteilung der zur Besprechung kommenden 
Gebrauchsstoffe unseres Berufes, die folgendermaßen gefaßt ist: 

1. Abdruckmaterialien anorganischer Natur, z. B. Gips 

organischer Natur, z. B. Stentsmasse, Guttapercha, Wachs. 

2. Kautschuk und Ersatzstoffe. 

3. Zemente. a> prov. Zemente, d. s. Heilzemente und Verschlußzemente, 

b> Zemente für Dauerfullungen, d. s. Zinkphosphat-transparente Zemente. 

4. Keramische Massen : Porzellane, künstliche Zähne. 

5. Schleif« und Poliermittel. 

6. Lötmittel. 

7. Metalle und Legierungen, einschl. der Amalgame und Lote. 

8. Desinfektionsmittel. 

9. Zahn« und Mundpflegemittel. 

Der erste Teil umfaßt die Punkte 1, 2, 5, 6. 

Es wird versucht, die Fragen zu lösen, nach welchen Grundsätzen eine Untersuchung 
außerhalb des Mundes vorzunehmen ist und welche Fehlerquellen bei der zur Ausübung 
gelangenden Prüfungsart zu berücksichtigen sind/ welche Bedingungen infolgedessen die 
Prüfungsmethode erfüllen muß. 

1. Das Ergebnis der Prüfungsmethode muß in Zahlenwerten auszudrücken sein. 

2. Die Fehlerquelle muß möglichst klein und vor allem konstant sein. 

3. Die Methode soll so beschaffen sein, daß sie nach Möglichkeit die Mundverhältnisse 
berücksichtigt. 

Die Korrosionserscheinungen an den Metallen und die hiermit verknüpften elektro¬ 
lytischen Vorgänge müssen weitgehendst studiert werden. Der Unterricht in der Mate« 
rialienkunde ist als der Grundstein der zahnärztlichen Propädeutik zu betrachten. 

Wesentlich bei den nun folgenden Ausführungen ist der Umstand, daß Schönbeck 
nicht nur über die Materialien an sich spricht, sondern auch ausführlich über deren Ur¬ 
sprung und Vorkommen, über ihre geschichtliche Vergangenheit und über ihre chemischen 
und physikalischen Eigenschaften berichtet. Hierbei erfahren wir Tatsachen, die uns bisher 
z. T. gänzlich unbekannt waren und uns die Materialien in einem ganz neuen Lichte er¬ 
scheinen lassen. Hochinteressant sind z. B. die Abbindungsvorgänge des Gipses und die 
Prüfungsmethoden der plastischen Abdruckmassen, die ja in außerordentlich zahlreichen 
Modifikationen im Gebrauch sind. Überhaupt hat Schoenbeck großes Gewicht auf 
die Prüfungsmethoden bei allen Materialien gelegt. 

Dem uns wohl am meisten interessierenden Material, dem Kautschuk, ist ein besonderes 
Kapitel gewidmet. Hier wird auch auf den synthetischen Kautschuk, der im Krieg eine bedeutende 
Rolle spielte, obschon er kein „Kriegskind" ist, und auf den regenerierten Kautschuk Rücksicht 
genommen. — Auch die Ersatzstoffe für Kautschuk: Zelluloid und Zellon, werden erwähnt. 



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Buchbesprechungen 


497 


Im III. Kapitel geht Sch. zu den Lötmittein über, die er in: 

1. luftabschließende Lötmittel 

2. lösende „ 

3. ätzende „ 

4. reduzierende „ einteilt 

Das IV. Kapitel behandelt die Schleif- und Poliermittel, die Schoenbeck nicht zu 
Materialien von untergeordneter Bedeutung herabgewürdigt sehen will. Bimsstein, Korund, 
Siliziumkarbid, Tripel, Diatomeenerde, Tonerde, Zinnoxyd und Chromoxyd, Eisenoxyd, 
Wiener Kalk und Schlämmkreide werden in diesem Kapitel einer ausführlichen Betrach¬ 
tung unterzogen. 

An der Hand von Skizzen, Tabellen, chemischen Formeln, Photographien und Mikro# 
photogrammen wird das Studium dieses höchst interessanten Werkes wesentlich gefördert. 

Dr. R. Hesse. Döbeln. 

Adas der Syphilis. Von Professor Leo v. Zumbusch, München. Mit 63 direkt nach 
der Natur aufgenommenen farbigen Abbildungen und einer einfarbigen Abbildung. Preis 
M. 120. ~ 

Der Verfasser will mit dem vorliegenden kleinen Atlas der Syphilis in erster Reihe dem 
Studierenden, dann aber auch dem allgemeine Praxis übenden Arzte dienen. Er hat es daher 
absichtlich vermieden, Ausnahme- und atypische Fälle zu bringen, legt vielmehr Wert darauf, 
nur die wichtigen Erscheinungsformen der Syphilis in den verschiedenen Stadien zu zeigen. 

Vorausgeschickt werden vier Bilder des Krankheitserregers (Spirochaete pallida) nach den 
verschiedenen Darstellungsmethoden in Panchromfärbung nach Saphier, im Dunkelfeld, im 
Tusche verfahren nach Burri und in Färbung nach Levaditi-Saphier. 

Es folgen Primäreffekte an den verschiedensten Organen, darunter ein solcher der Unter¬ 
lippe, sowie einige Ulcera mixta. 

Den Erscheinungen des Sekundärstadiums sind 24 Abbildungen gewidmet mit sehr 
guten Bildern von Papeln an Nase, Mund, Lippen und Zunge. Es werden weiter ge¬ 
zeigt die Exantheme, die im Anschluß an Salvarsan- und Qyecksilberbehandlung aultreten, 
und nach einigen Bildern, die die Qbergangsformen von der sekundären zur tertiären 
Syphilis darstellen, wird das Tertiärstadium an allen seinen Symptomen vorgeführt. 

Den Schluß bilden einige Aufnahmen, die die Veränderungen und Zerstörungen bei 
Lues congenita veranschaulichen. 

Die Bilder zeichnen sich durch außerordentliche Natürlichkeit, Schärfe und Schönheit aus. 
Sie sind mit Ausnahme der Spirochätenbilder nach dem sogenannten Uvachromverfahren 
hergestellt, einer von Dr. Traube erfundenen Methode der farbigen Photographie, die hier 
zum ersten Male für ein medizinisches Werk zur Anwendung gelangt. Die Einführung 
dieses der bisherigen Technik weit überlegenen Verfahrens, sowie die mit außerordentlicher 
Sachkenntnis durchgeführte Auswahl der Fälle machen das Buch zu einer hervorragenden 
Erscheinung der Fachliteratur. 

Bei der enormen Häufigkeit, mit der die Syphilis jetzt auftritt, ist die genaue Kenntnis 
des Krankheitsbildes der Syphilis auch für den Zahnarzt im eigensten Interesse, wie in 
dem der Patienten, dringend geboten. Ich kann das Buch daher nur empfehlen. 

Georg Guttmann, Breslau. 

Lehrbuch der Grenzgebiete der Medizin und Zahnheilkunde für Studierende, Zahn¬ 
ärzte und Ärzte. Von Dr. Julius Misch. Unter Mitarbeit von: Prof. Dr. O. Büttner- 
Rostock i. M., Prof. Dr. G. Finder-Berlin, Prof. Dr. E. Fuld-Berlin, Prof. Dr. F. Groß- 
mann-Berlin, Prof. Dr. A. Gutmann-Berlin, Dr. E. Herzfeld-Berlin, Ministerialrat, 
Ober medizinalrat Dr. F. Kölsch-München, Geh. San.-Rat Dr. H. Kron-Berlin, San.- 
Rat Dr. R. Ledermann-Berlin, Dr. J. Misch-Berlin, Dr. H. Mühsam-Berlin, Dr. G. 
Tugendreich-Berlin. 1363 Seiteri. In zwei Bänden. Verlag von C. F. W. Vogel, 
Leipzig. Gebunden M. 475.—' 

Es ist gewiß nicht zuviel gesagt, wenn man das jetzt als zweite Auflage in zwei Banden 
vorliegende Werk als ein Standardwerk der Zahnheilkunde bezeichnet. Es ist in seiner 
Vierteljahrsschrift für Zahnheilkunde, Heft 4 33 


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498 


Bu chbesprechungen 


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Art einzig dastehend und hat dem mit vorbildlicher Gewissenhaftigkeit und eminenter 
Literaturkenntnis arbeitenden Herausgeber einen weit über die deutschen Grenzen hinaus 
anerkannten Namen gemacht. Der Gedanke, jedes Spezialfach der Medizin, das als Grenz* 
gebiet der Zahnheilkunde in Frage kommt, von einem das betreffende Spezialgebiet ver¬ 
tretenden Arzt abhandeln zu lassen, wie es in den „Grenzgebieten" geschehen ist, war ein 
außerordentlich guter. Er konnte aber nur dann wirklich segensreichen Erfolg haben, wenn 
ein mit dem umfangreichsten Wissen ausgestatteter Zahnarzt die Bearbeitung des Ganzen 
übernahm. Die Ergänzungen und Exkurse Mischs — überall durch Einrücken des Textes 
kenntlich gemacht — machen denn auch tatsächlich erst das Werk zu dem, was es ist, zu 
einem erschöpfenden Lehrbuch und zuverlässigen Nachschlagewerk. Ich kann mir kaum noch 
einen seinen Beruf mit wissenschaftlicher Liebe ausübenden Zahnarzt ohne „Mischs Grenz¬ 
gebiete" denken. Das Buch enthält alles, was für den auf wissenschaftlicher Höhe stehen¬ 
den Zahnarzt von den Grenzgebieten zu wissen nötig ist/ darüber hinaus orientiert es 
den auf dfesen Gebieten Arbeitenden auf das zuverlässigste über die vorhandene Literatur. 
Es hat nicht wenig dazu beigetragen, daß heute die Würdigung der Zahnheilkunde in der 
Reihe der medizinischen Disziplinen eine ganz andere geworden ist wie früher. Diese ge¬ 
rechtere Würdigung, die letzten Endes auch zur Einführung des zahnärztlichen Doktor¬ 
titels geführt hat, wesentlich gefördert zu haben, ist also ein zweifelloses Verdienst des 
vorliegenden Werkes und besonders Mischs, der, nebenbei gesagt, wohl am meisten für 
das Recht der Promotion im eigenen Fach gerungen hat. 

In der zweiten Auflage des Werkes haben alle Abschnitte gründliche Durcharbeitung 
erfahren unter eingehender Benutzung der seit seinem erstmaligen Erscheinen entstandenen 
Literatur. Es steckt erneut ein gewaltiges Stück Arbeit in dem Buche. Einzelne Kapitel 
sind in allen Teilen des Werkes neu bearbeitet, so z. B. mit besonders gutem Resultat der 
Abschnitt über die Entzündungen der Mundschleimhaut (Misch), andere Abschnitte sind 
neu hinzugekommen, so daß kaum noch irgendeine Lücke vorhanden sein dürfte. Der Um¬ 
fang des Werkes hat um über 300 Seiten zugenommen, die beiden Bände umfassen zu¬ 
sammen 1363 Seiten. Viel Neues bringen die Bearbeiter des Abschnittes „Innere Krank¬ 
heiten" (Fuld und Herzfeld). Hinzugekommen ist hier als Anhang ein Abriß der 
Perkussion und Auskultation, der diese Untersuchungsmethoden darstellt — ein Kunststück — 
ohne zu ermüden. Im Abschnitt Kinderkrankheiten (Tugendreich) ist von dem 
ärztlichen Mitarbeiter wenig geändert worden, aber überall spürt man die bessernde und 
ergänzende Hand des zahnärztlichen Bearbeiters. Unter anderem ist der Anhang über 
Mundpflege im Kindesalter von diesem neu bearbeitet. Die Zahl der Abbildungen ist in 
diesem Abschnitt wie in den meisten übrigen mit glücklicher Hand wesentlich vermehrt. 
Der Abschnitt Nervenkrankheiten (Krön) ist durch einige Kapitel vermehrt, beson¬ 
ders hervorheben möchte ich übrigens aus diesem Teil die Behandlung der Kapitel Hysterie 
und Neurasthenie. Bei den syphilitischen Erkrankungen (Mühsam) hat Misch 
die Stomatitis mercurialis in erschöpfender Weise neu bearbeitet. Dieser Abschnitt zeichnet 
sich ebenso wie der Abschnitt „Hautkrankheiten" (Ledermann) besonders aus durch 
eine ganze Anzahl neuer, sehr instruktiver Abbildungen, zum Teil in hervorragend schönem 
Farbendruck. Zu begrüßen ist auch der neue Abschnitt „Berufsdermatosen des Zahnarztes" 
(Misch). Der vorzüglich an den Rahmen des Werkes hineingearbeitete Abschnitt „Frauen¬ 
krankheiten" (Büttner) ist ebenfalls von beiden Mitarbeitern hier und da ergänzt. — Die 
Hals-, Nasen- und Ohrenkrankheiten waren in der ersten Auflage bearbeitet von Lcnn- 
hoff. An Stelle desselben ist für Hals- und Kehlkopfkrankheiten Prof. Finder 
und für Ohrenkrankheiten Prot. Großmann getreten. Inhalt und Anordnung des¬ 
selben sind im wesentlichen so geblieben wie früher, doch hat nach meiner Ansicht die Art 
der Darstellung gewonnen. In dem Abschnitt „Augenkrankheiten" (Gutmann) ist 
viel gearbeitet worden, dasselbe gilt von dem letzten Teil „Gewerbekrankheiten" (Kölsch), 
in dem z. B. das Kapitel über Luxation und Frakturen der Zähne neu bearbeitet wurde. 

Diese ganz allgemein gehaltene Übersicht muß genügen, denn auf sachliche Einzelheiten 
einzugehen ist bei dem Umfang des Werkes im Rahmen eines Referates nicht wohl mög¬ 
lich. Zur inhaltlichen Kritik gibt das Buch übrigens auch kaum irgendeine Veranlassung, 
da es in allen seinen Teilen sich von spekulativen Auseinandersetzungen femhält. Ich 



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Buchbesprechungen 


499 


möchte der Neuauflage den Wunsch mit auf den Weg geben, daß sie besonders auch in 
Arztekrcisen eine möglichst große Verbreitung finden möge, wo sie mindestens ebenso 
notwendig ist wie bei den Zahnärzten. 

Rein äußerlich präsentiert sich das Werk, da es in zwei Bänden erscheint, jetzt hand- 
lieber als vorher, der Drude ist etwas größer gewählt als in der ersten Auflage, das Format 
etwas breiter. Der Preis mit M. 475.— für die gebundenen Bände ist nicht zu hoch. Der 
Auslandspreis beträgt M. 1425.—. Dr. Müller-Stade, Warnemünde. 

Die Sinnesphysiologie der Mundhöhle und der Zahne. Von Dr. Hans Türkheim, 
Privatdozent für Zahnheilkunde an der Hamburgischen Universität. Mit neun Ab¬ 
bildungen. Deutsche Zahnheilkunde, Heft 52. Leipzig 1921. Georg Thieme. 

Aus dem Geleitwort entnehmen wir folgendes: Die Sinnesphysiologie und die Psycho¬ 
physiologie der Mundhöhle ist ausschließlich von Physiologen bearbeitet. Die Beiträge, die 
von zahnärztlicher Seite auf diesem Gebiet geleistet wurden, sind geringfügig. Auch die 
Sinnesfunktionen der Zähne sind von der Zahnheilkunde merkwürdigerweise nur sehr 
oberflächlich behandelt worden. Es existieren im ganzen drei Arbeiten, in denen sich Zahn¬ 
ärzte mit dem Temperatur-, Tast- und Schmerzempfinden der Zähne beschäftigen. Die 
Physiologen wiederum haben dies Gebiet überhaupt nicht beachtet. Diesen eigenartigen 
Chiasmus im gemeinsamen Kreuzungspunkt zur Synthese zu bringen, soll die Aufgabe 
dieser Arbeit sein/ sie will einerseits das Interesse des Physiologen für das vorliegende 
Thema beleben, auf der anderen Seite aber, und in der Hauptsache, dem Studierenden 
und dem Zahnarzt die Bedeutung vor Augen führen, welche die bisher vernachlässigten 
physiologischen Probleme für die Zahnheilkunde haben. Die Arbeit zerfällt in folgende 
Abschnitte: Empfindung und Gefühl, anatomische und histologische Vorbemerkungen, Ge¬ 
schmack, Temperatur, Temperaturempfindung an Zahnfleisch und Zähnen, Tastempfindung, 
Tastempfindung an den Zähnen, Schmerz, Schmerzempfindung an den Zähnen, die schmerz¬ 
freie Region der Wangenschleimhaut, Mitempfindungen. 

Diese Monographie, deren Abschnitte sich schwer in ein Referat einzwängen lassen, ist 
eine gediegene, gründliche, streng wissenschaftliche und gut verständliche Orientierung über 
die jüngsten Fortschritte auf dem Gebiete der Sinnesphysiologie der Mundhöhle und 
Zähne. Es wäre zu wünschen, daß sich jeder Zahnarzt den interessanten Inhalt dieser 
Publikation zunutze machen sollte. Zilz, Wien. 

Lehrbuch der Pharmakotherapie für Studierende und Ärzte. Von Dr. med. Friedrich 
Uhlmann, Privatdozent für Pharmakologie an der Universität Bern. Anhang: 
Arzneidispensierkunde von Dr. med. Robert Burow, Dipl.-Apotheker und 
approb. Nahrungsmittelchemiker. Leipzig 1921. Verlag von F. C. W. Vogel. Preis 
geh. M. 100.-, gbd. 120.-. 

Das vorliegende Lehrbuch ist keine Heilmittellehre, sondern Nachschlagebuch zur Phar¬ 
makotherapie. Darin besteht sein Vorteil. Nach der Indikation geordnet findet man in 
dem Buche alle wichtigen und brauchbaren Mittel aufgezählt, ausführlich beschrieben und 
nach ihrer Wirkung und Dosierung bearbeitet. Durch Einbeziehung der Mittel der schweizeri¬ 
schen und österreichischen Pharmakopoe ist der Gebrauch des Buches für das ganze Reich be¬ 
stimmt. Eingeleitet wird es durch ein Kapitel über die Methode der Arzneibehandlung, 
der pharmakotherapeutischen Methoden, die Applikationsart der Medikamente und die Be¬ 
dingungen der Arzneiwirkungen. 

Das Buch ist so umfangreich, daß man sich über alle therapeutischen Maßnahmen daraus 
bestens orientieren kann. Außer den eigentlichen Heilmitteln findet man noch die Nähr¬ 
mittel, die Vakzine, die Verbandstoffe, Nähutensilien, delatierenden Mittel, Gegengifte so¬ 
wie alle Bäder und Quellen abgehandelt. 

Den Beschluß macht die am Titel angeführte Rezeptierkunde, die alles dazu Wissens¬ 
werte enthält. Alle Arzneibereitungsformen werden beschrieben und durch Beispiele er¬ 
läutert. Es schließen sich an je ein Abschnitt über Herstellung von Verdünnungen von 
Bakterienmengen zu diagnostischen Zwecken, Herstellung von Salvarsanlösungen, unver¬ 
trägliche Arzneimischungen, Suturationstabellen und einiges andere mehr. 

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500 Buchbesprechungen 

Das Buch kann allen Ärzten und Zahnärzten wegen seiner Reichhaltigkeit nur empfohlen 
werden. Jeder Praktiker braucht ein solches Nachschlagebuch, weil er nicht stets über alle 
Mittel orientiert sein kann und keine Zeit hat, in den verschiedensten Katalogen, phar¬ 
mazeutischen Jahresberichten usw. nach dem zu suchen, was er gelegentlich schnell wissen 
möchte. Greve, Erlangen. 


Zahnärztliche Kronen« und Bruckenarbeiten. Von Dr. Arthur Simon. Ein Leit¬ 
faden für Zahnärzte und Studierende. 1921. Verlag H. Meusser. 

Der Verfasser hat sich der dankenswerten Mühe unterzogen, eine Vortragsreihe seiner 
Vorlesungen zu einem Leitfaden zusammenzustellen/ er hat dabei besonderes Gewicht auf 
diejenigen Gebiete gelegt, die für die Praxis in erster Linie in Frage kommen. So ist ein 
Werk entstanden, das jeder Zahnarzt, der sich selbst mit der Zahnersatzkunde befaßt, 
mit Freuden begrüßen wird/ ergänzt es doch die älteren Werke von Evans, Riegner, 
Eugen Müller u. a. in bester Weise. 

Der Leitfaden setzt sich aus 3 Hauptabschnitten zusammen, von denen der erste die 
Band« oder Vollkronen vortrefflich behandelt. Die ersten drei Kapitel befassen sich mit 
Betrachtungen über die Indikationen und Kontraindikationen, die theoretische Vorbehand¬ 
lung und die Präparation des Zahnes, während im vierten Kapitel die eigentliche Her¬ 
stellung der verschiedenen Bandkronen beschrieben wird <Deckelkronen, nahtlose und 
Fazettenkronen). — Sodann finden wir die Stiftkronen und Bandstiftkronen. Auch hier 
werden zuerst die vorbereitenden Maßnahmen geschildert und der Präparation der Wur¬ 
zeln besondere Beachtung geschenkt. Simon teilt diese Art von Stiftkronen oder Stift¬ 
zähnen folgendermaßen ein: 

1. Flachzahnkronen: Dazu gehören die verschiedenen Arten von Stiftzähnen mit ge¬ 
stanzter oder gegossener Wurzelplatte, Richmondkronen und Halbringstiftzähne. 

2. Vollzahnkronen: Dazu gehören die Logan«, Davis-, Duwel-, White- und Röhren¬ 
zahnkronen. 

3. Einlagekronen: Dieses sind gegossene Einlagefüllungen, die die ganze Kaufläche des 
Zahnes, ersetzen und ihren Halt durch einen im größten Wurzelkanal verankerten Stift 
erhalten. Man kann sie mit den früher vielgelehrten und geübten Ankerfftllungen ver¬ 
gleichen, aus denen sie wahrscheinlich hervorgegangen sind. 

Im zweiten Teil geht der Verfasser zu den Brückenarbeiten über, von denen zuerst die 
festsitzenden Brücken ausführlich dargestellt werden. Ein besonderer Abschnitt ist dem 
Brückenmittelstück gewidmet, das je nach seiner Form die Brücke als Schwebe- oder Basis¬ 
brücke erkennen läßt. Das Mittelstück ist einer der wichtigsten Teile der Brücke und muß 
sehr stabil gebaut sein. Seiner Herstellung ist die größte Aufmerksamkeit zuzuwenden. 
An den festsitzenden Brücken lassen sich auch auswechselbare Zähne verwenden, wie 
z. B. der Steele-, Davis-, White- und Röhrenzahn. Bei nicht parallel stehenden 
Brückenpfeilern bedient man sich mit gutem Erfolg der Schiebebefestigung und der Ver¬ 
schraubung in vertikaler oder horizontaler Richtung. Zum Schluß folgen noch einige Be¬ 
trachtungen über zusammengesetzte Brücken. Die abnehmbaren Brücken werden als ge¬ 
stanzte oder gegossene Goldsattelbrücken hergestellt, an denen ebenfalls auswechselbare 
Zähne Verwendung finden können. 

Der dritte Teil ist als Anhang behandelt worden, weil er sich gewissermaßen mit den 
Finierarbeiten befaßt. In ihm finden Aufnahme: Das Ausarbeiten, Polieren, Vergolden 
und Einsetzen der Brücken und Kronen, sowie die verschiedenen Arten von Reparaturen, 
sei es im Munde oder außerhalb des Mundes. Audi für die Besprechung der zur Ver¬ 
wendung kommenden Materialien hat der Verfasser hier Platz und Gelegenheit gefunden. 
In den letzten beiden Kapiteln endlich erwähnt Simon die technischen Hilfsarbeiten, wie 
Gießen, Stanzen, Löten, Herstellung von Schrauben, Muttern, Federstiften und Kanülen, 
außerdem ein für diese Arbeiten notwendiges Spezialinstrumentarium. 

Schon dieser kurze Überblick zeigt die geradezu erstaunliche Klarheit und Übersichtlich¬ 
keit, mit der der Verfasser den großen Stoff eingeteilt und angeordnet hat. Dieser Ein¬ 
druck erhöht sich noch, wenn man das Werk selbst liest. 


—- ^Örigiral fron 

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Buchbesprechungen 


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Die wirklich heikle Frage der Stabilisierung und Fundamentierung der Brücken im 
Munde, ein Problem, an dem bekanntlich so viele Brücken scheitern, ist meisterhaft gelöst 
worden. 

Zum Schlüsse möchte ich es nicht unterlassen, die hervorragenden Abbildungen, die das 
Werk enthält, rühmend hervorzuheben und dem Verlag Meusser für die vorzügliche Aus¬ 
stattung ein ganz besonderes Lob auszusprechen. 

Es dürfte keinem Zweifel unterliegen, daß dieses Werk, dessen Preis in Anbetracht 
der gegenwärtigen Valutaverhältnisse mit 150 Mark gebunden als niedrig bemessen be¬ 
zeichnet werden kann, in kurzer Zeit ein unentbehrliches Hilfsmittel für die Studierenden 
und Praktiker werden wird. Dr. R. Hesse, Döbeln. 

Pharmakologie für Zahnärzte. Von Prof. Franz Müller. 2. durchgesehene Auf¬ 
lage. (Verlag Meusser 1921. Preis geh. M. 61.50.) 

Erst seit dem Jahre 1920 besitzen wir ein Lehrbuch der Pharmakologie für Zahnärzte, 
das den besonderen Bedürfnissen unseres Berufes Rechnung trägt. Daß sich schon im Jahre 
1921 eine zweite Auflage nötig machte, zeigt am besten, wie groß die Lücke gewesen 
ist, die Müller mit seinem Werk ausgefüllt hat. Obwohl schon über die erste Auflage 
ausführlich referiert worden ist, scheint es mir doch bei dem großen Wert, den das Buch 
für unseren Stand hat, zweckmäßig zu sein, mindestens den Inhalt der zweiten Auflage 
wiederzugeben, damit die Aufmerksamkeit der Zahnärzte in möglichst hohem Maße auf 
dieses Werk gelenkt wird. 

Wichtig unter den ersten Kapiteln sind die Maximaldosen und die Betrachtungen, die 
der Homöopathie gewidmet sind. Im Abschnitt über die allgemeine Pharmakologie sei 
besonders auf diejenigen Kapitel hingewiesen, die die Aufnahme und Resorption, die Aus¬ 
scheidung, die Oberempfindlichkeit und die Behandlung von Vergiftungen zum Gegenstand 
haben. Den weitaus größten Teil des Werkes nimmt naturgemäß die spezielle Pharma¬ 
kologie ein. Von den Alkaloiden geht der Verfasser sehr bald zu den Stoffen über, die 
das Zentralnervensystem erregen (Stiychnin usw.) und zu denen, die es lähmen (Morphin¬ 
gruppe und Narkotika). Es folgen dann die Fiebermittel, die Gifte des vegetativen Ner¬ 
vensystems (Nikotin, Emetin usw.) und die Kreislaufgifte (Digitalis, Kampfer, Koffein, Al¬ 
kohol, Äther). 

Sehr lehrreich sind die kurzgefaßten Betrachtungen über Wasser, Salzwirkung und Ab¬ 
führmittel, die teils als abführende Salze, teils als pflanzliche Abführmittel in Anwendung 
kommen. Die Wirkung der Säuren, die chlorsauren Salze, die Alkalien und Adstringenden 
werden ebenfalls ausführlich behandelt. Ihnen folgen Besprechungen des Kalzium, Jod, 
Jodoform, der Blutstillungsmittel und der Antiseptika. Bei den Betrachtungen über die 
Schwermetalle lenkt der Verfasser unsere Aufmerksamkeit besonders auf die Bleivergiftung, 
das Eisen, und einige Seiten später auf das Quecksilber. Ober Phosphor und Arsen in 
ihrer Wirkung und Anwendung gibt der Autor eine übersichtliche Darstellung. 

Im Schlußkapitel kommt Müller auf die Hormone und Ergänzungsstoffe zu sprechen, 
die ja in neuerer Zeit gemeinsam mit der Lehre von der inneren Sekretion eine bedeu¬ 
tende Rolle spielen. Ganz besonders sei auch noch auf die zahlreichen Rezepte hingewiesen, 
die sich in dem ganzen Werk finden. 

Dem Verfasser ist es vorzüglich gelungen, den für uns oft trockenen Stoff, dank einer 
flüssigen und knappen Darstellungsgabe, so interessant zu gestalten, daß man sich beim 
Lesen des Werkes kaum noch bewußt ist, ein Lehrbuch in der Hand zu halten. Möge 
diese zweite Auflage ebenso viele Anhänger und Freunde finden, wie ihre Vorgängerin. 

Dr. R. Hesse, Döbeln. 

Die Verstaatlichung der Zahnheilkunde. Eine gesellschaftswissenschaftliche Betrachtung 
für Zahnärzte, Arzte und Volkswirte. Von Dr. phil. et med. dent. Alfred Cohn, 
Zahnarzt in Berlin. Verlag von Hermann Meusser-Berlin 1921. 

Verfasser, der sich durch seine Veröffentlichungen auf zahnärztlich-volkswirtschaftlichem 
Gebiete bereits einen Namen geschaffen hat, erörtert im vorliegenden Werke eine Frage 
von beruflicher und sozialer Bedeutung, und zwar nicht nur durch die Brille des zahnärzt- 


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502 Buchbesprechungen 

liehen Praktikers, sondern auch vom nationalökonomischen Standpunkt aus. Er behandelt 
die ganze Materie rein objektiv, ohne seinen eigenen Standpunkt genau zu präzisieren. 
Der Autor hebt den Wert der Zahnheilkunde für die Volksgesundheit besonders hervor, 
ohne zu verschweigen, daß die wirtschaftlichen Aufwendungen für diesen Zweig der so¬ 
zialen Hygiene noch sehr gering sind. Die eingehende Feststellung der Begriffe „Ver¬ 
staatlichung" und „Sozialisierung", die oft verwischt werden, führen C. zu dem Schluß, 
daß durch die Verstaatlichung der Zahnheilkunde dieser Beruf schließlich der Sozialisierung 
entgegengeföhrt wird. Er begründet dies damit, daß immer mehr Patienten aus der Privat¬ 
praxis in die Kassenpraxis gedrängt werden, also in ein Abhängigkeitsverhältnis von 
staatlichen und privaten Behörden gelangen. Eine Verstaatlichung der Zahnheilkunde ist 
nach C.s Ansicht leichter durchzufuhren als diejenige der allgemeinen Heilkunde, da erstere 
im Rahmen der Medizin eine Sonderstellung einnimmt und auch mit staatlicher Geneh¬ 
migung von Nichtapprobierten ausgeübt werden kann. 

Die soziale Fürsorge weckt die Verstaatlichungsfrage, die rasch, unterstützt durch die Gewerbe¬ 
freiheit und das Überangebot von ärztlichen und zahnärztlichen Leistungen, weiter fortschreitet. 

Gegen die geschlossene Machtstellung der Arzte können die Krankenkassen schwer an¬ 
kämpfen, dagegen sehr leicht gegen die relativr schwache der Zahnärzte/ letztere können 
durch Anstellung von Zahntechnikern nach § 123 R. V. O. entbehrlich gemacht bzw. 
durch Drohung mit Errichtung von Kassenzahnkliniken bei zu hohen Preisforderungen in 
Schach gehalten werden. Die Literatur über diese Fragen ist nicht groß. Die Sozialde¬ 
mokratie hat in ihrem Erfurter Programm die Sozialisierung der gesamten Heilkunde 
auf ihren Schild gehoben, jedoch damit nicht den Beifall der Allgemeinheit gefunden. Die 
Hygiene als Staatsmonopol, wie in Rußland, wird bei uns nicht zur Einführung gelangen. 

Der Verfasser entwirft auch ein sehr interessantes Bild von dem Ideal der erfolgten 
Verstaatlichung. Der Staat wäre alsdann der alleinige Unternehmer, der für alles sorgt, 
also gewissermaßen eine große Krankenkasse, in der die zahnärztlichen Produzenten Be¬ 
amte werden und die Kranken die Konsumenten. Die Versorgung hätte entweder durch 
angestellte Zahnärzte in den verschiedenen Bezirken zu erfolgen (Dezentralisation) oder 
durch Kliniken (Zentralisation). Die Auswirkung dieser Verstaatlichung wäre nach Ver¬ 
fasser für die Konsumenten wirtschaftlich nicht ungünstig, doch können sie die anderen 
Nachteile nicht aufwiegen, unter denen auch der jetzt so zeitgemäße Schleichhandel mit 
der Behandlung erwähnt wird. Für den zahnärztlichen Produzenten würde das ganze 
System eine starke Beeinträchtigung seiner Einkünfte bedeuten und steuerliche Ausfälle 
bedeuten. Dagegen würde die Sozialhygiene Vorteile aus der Verstaatlichung ziehen. 
Nächst der Theorie befaßt sich der Autor auch mit der rauhen Wirklichkeit und erwähnt 
die von einem Rechtsstaat zu fordernden Ablösungsansprüche der Produzenten, die un¬ 
geheuere Summen verschlingen würden. 

Die Entwicklung im Sinne der Verstaatlichung schreitet immer weiter fort, und zwar 
durch den weiteren Ausbau der Krankenversicherung. Die Behandlung der Versicherten 
selbst muß sich den vorhandenen Mitteln und den Forderungen der Wissenschaft an¬ 
passen. Von dem Bezahlungssystem erweist sich das Pauschalsystem bei einer beschränk¬ 
ten freien Zahnarztwahl und Punktsystem für die einzelnen Leistungen aus Zweckmäßig¬ 
keitsgründen in Berlin sehr gut. Dagegen wird das System der Kassenkliniken aus be¬ 
kannten Gründen am meisten von den Produzenten bekämpft. 

Einen empfindlichen Nachteil für den Praktiker bringt unbedingt die Verstaatlichung 
durch die Abnahme der Privatpraxis und die Schwierigkeit, Betriebe, die auf Privattätig¬ 
keit jahrelang eingestellt waren, umzustellen. 

Dem Ideal der Zahnärzte, der freien Zahnarztwahl, setzen besonders die großen Kranken¬ 
kassen Widerstand entgegen, um dadurch keine Machtfaktoren auf kommen zu lassen. 
Außer diesem Beweggrund befurchten sie auch pekuniäre Schwierigkeiten. 

Da die Krankenkasse als Etappe auf dem Wege der Verstaatlichung der Zahnheil¬ 
kunde anzusehen ist, so ist jede neue zahnärztliche Beamtenstelle ein Fortschritt hierzu. 
Neben den Kassen ist naturgemäß auch die Schulzahnpflege als Faktor für die Verstaat¬ 
lichung anzusehen, und es müßten im Interesse der Volksgesundheit staatliche Mittel für 
diesen Zweck bereitgestellt werden. 



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Buchbesprechungen 


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Als Zulassung zur zahnärztlichen Produktion erheben natürlich in erster Reihe die 
Approbierten den Monopolanspruch. Die Tätigkeit der nach der R. V. O. zugelassenen 
Techniker ist aus der Not der Zeit geboren und wird immer ein Surrogat bleiben. 

Den Schluß des Werkes bildet die Frage: „Ist die Verstaatlichung der Zahnheilkunde 
erwünscht?" Sie ist zurzeit nicht ohne weiteres zu beantworten. Die Individualisten lehnen 
sie grundsätzlich ab, während die Sozialisten theoretisch dafür sind. In Wirklichkeit liegen 
auch bei letzteren die Verhältnisse anders, denn jeder sucht mit Vorliebe den Zahnarzt 
seines Vertrauens auf. Es stehen sich hier die Interessen der Volksgesundheit und die 
privatwirtschaftlichen des Individuums gegenüber, und es ist schwer zu beurteilen, ob „die 
Verstaatlichung der Zahnheilkunde als Aktiv* oder Passivposten für die Volksgesundheit 
zu buchen ist". Vorläufig muß die teilweise Verstaatlichung neben der Ausübung des 
freien Berufes, der die Mängel des ersten Systems beseitigt, weiterbestehen, und die weitere 
Entwicklung dieses Fragenkomplexes wird die Produzenten unter dem Drude der politischen 
Verhältnisse nolens volens mit fortreißen. 

C. hat uns eine schwere Kost vorgesetzt, die einer langsamen Verdauung bedarf. Ist 
dies erst einmal geschehen, dann gewährt das Büchlein, das wohl durchdacht und anregend 
geschrieben ist, eine Befriedigung, und zwar nicht nur dem Zahnarzt und Studierenden, 
sondern auch dem Volkswirt. Wir können nur wünschen, daß mehr als bisher sich Kol* 
legen mit volkswirtschaftlichen Stoffen beschäftigen. Das würde dem Stande und seinen 
Vertretern weiteres Ansehen verleihen. Jonas, Breslau. 

Leitfaden der normalen und pathologischen Histologie der Zähne. Von Dr. med. 
dent. Hans Scherbel und Dr. med. et med. dent. Werner Schoenlank. Mit 
92 Mikrophotographien. Berlin 1922. Verlag von Hermann Meusser. geb. M. 90.—. 

Die Verfasser haben sich die Aufgabe gestellt, für Lehrzwecke in gedrängter Form einen 
Leitfaden der normalen und pathologischen Histologie der Zähne zu schreiben. Man kann 
wohl sagen, um dies vorweg zu nehmen, daß die Aufgabe gut gelöst ist. Der erste Teil 
der Arbeit befaßt sich mit der normalen Histologie. Ein kurzes Kapitel in diesem Ab* 
schnitte ist der Entwicklung des Zahnkeims gewidmet. Der zweite Teil beschreibt die 
pathologische Histologie. Das Wichtigste ist in kurzer, übersichtlicher Sprache dargestellt. 
Manche Abschnitte, so z. B. der, welcher die von den Zähnen ausgehende Geschwülste 
schildert, könnten sehr wohl etwas erweitert werden. Der Verlag Meusser hat das Büch* 
lein sehr gut ausgestattet. Die Wiedergabe der Bilder ist recht gut gelungen. Auf Tafel 13 
vermisse ich ein Bild, welches das Keimfeld der Zyste klar darstellt. Dies sind kleine 
Mängel, welche sich bei einer Neuauflage abstellen lassen. Das Buch kann namentlich 
dem Studierenden warm empfohlen werden. Auch der Praktiker wird es nicht unbefriedigt 
zur Hand nehmen. Becker, Greifswald. 

Chirurgie des Kopfes und Halses für Zahnärzte. Von Dr. Ernst Seifert, Privat* 
dozent an der Universität Würzburg. Lehmanns medizinische Lehrbücher Band II. 
Mit 147 Abbildungen im Text. J. F. Lehmanns Verlag, München, 1922. Preis geh- 
M. 50.—, geb. M. 62.-. 

Das Buch ist entstanden aus Vorlesungen, welche der Verfasser für die Studierenden 
der Zahnheilkunde gehalten hat. Das ist stets ein Vorteil, weil dadurch schon Gewähr 
für eine lebendige Darstellung geleistet wird. Der Stoff gliedert sich in folgende Ab* 
schnitte: Krankheiten des äußeren Gesichts. Krankheiten der oberen Luft* und Speise* 
wege. Krankheiten des äußeren Halses. In einem Zusatz beschreibt Verfasser dann noch 
kurz die Tracheotomie und die Gastrostomie. 

Die Darstellung ist klar und wird — bis auf wenige Ausnahmen — durch Bilder erläutert. 

Bei der Schilderung der Gaumenspaltenoperation fehlt die Erwähnung der Brophyschen 
Methode. Das ist eine kleine Unterlassungssünde, welche in der nächsten Auflage gut 
gemacht werden könnte, und die den Wert des Buches nicht beeinträchtigt. 

Das Buch wird sich sicher viel Freunde erwerben. Es ist dem Praktiker und dem Stu* 
denten gleich warm zu empfehlen. Die Ausstattung ist gut. Der Preis ist niedrig. 

Becker, Greifswald. 


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504 Buchbesprechungen 

Arzneimittellehre für Studierende der Zahnheilkunde und Zahnärzte. Von Jo- 
hannesBiberfeld. 3. verbesserte Auflage. Berlin, Julius Springer. VI. 167 Seiten. 
M. 27.-' <ohne Teuerungszuschlag?). 

Das Vorwort zur dritten, im Oktober 1921 erschienenen Auflage des 1908 zum ersten¬ 
mal erschienenen Buches zeigt, wie Verfasser seine Aufgabe auffaßt. Er hat „alle von 
praktischen Zahnärzten herrührenden Empfehlungen bestimmter Behandlungsweisen an¬ 
geführt", auch wenn er sie nicht für richtig hält, „vorausgesetzt, daß sie nicht offenkun¬ 
diger Unsinn waren". Er hält sich „als Theoretiker und Nichtzahnarzt nicht für zustän¬ 
dig, sie ohne weiteres abzulehnen". Ich kann diesen Standpunkt nicht teilen. Meines Er¬ 
achtens muß ein Lehrbuch der Arzneimittellehre keine Sammlung von mehr oder minder 
fragwürdigen und oft ephemeren Arzneistoffen und -gemischen sein. Es muß vielmehr 
dem Studierenden und dem Zahnarzt so viel des Wissens vermitteln, daß er sich in praxi 
eine gewisse Kritik des ihm durch Prospekte oder sonstige Veröffentlichungen Angebotenen 
erlauben darf. Gerade weil der Studierende der Zahnheilkunde und später der in der 
Praxis stark beschäftigte Zahnarzt keine Zeit und keine Gelegenheit hat, die Grundzüge 
der pathologischen Physologie, der physikalischen Chemie und anderer für das Verständnis 
der Wirkung und der Anwendung von Arzneimitteln nötigen Disziplinen sich zu ver¬ 
schaffen, sollte ein Lehrbuch der Arzneimittellehre mehr und andererseits weniger enthalten, 
als das Biberfeldsche Buch. 

Hinzu kommt, daß fast in jedem Kapitel Beanstandungen gemacht werden müssen. 
Wenn z. B. bei den so wichtigen Kalkverbindungen die Bedeutung für die Regulierung 
.der Erregbarkeit des Nervensystems und der Herztätigkeit zwar erwähnt, aber gesagt 
wird, daß die Kalksalze eine wesentliche Rolle bei der Blutgerinnung spielen, so wird der 
Leser, dem es ja oft um die Stillung von schwer stillbaren Blutungen zu tun ist, daraus 
den Schluß ziehen dürfen, daß er durch die Kalksalze Blutungen bei Hämophilen oder sonst 
stillen kann, was durchaus nicht der Fall ist. Wenn — um nur noch ein Beispiel anzu¬ 
führen — bei den Desinfizientien gesagt wird: „Die Mundhöhle nimmt insofern eine Aus¬ 
nahmestellung ein, als es in der Tat mit einigen unserer starken Desinfizientien gelingt, 
sie für kurze Zeit ohne Schädigung keimfrei zu machen/ Desinfektion ist daher bei allen 
entzündlichen Prozessen, die sich dort abspielen, sehr aussichtsvoll", so ist diese Auffassung, 
soweit mir bekannt, durchaus unrichtig und gibt dem Studierenden eine vollkommen falsche 
Anleitung für sein praktisches Handeln. 

Ober die zahlreichen eingestreuten Rezepte ist zu sagen, daß sie vielfach nicht mehr den 
heutigen Bedürfnissen nach möglichst zweckentsprechender und billiger Verordnung und 
Anordnung des Rezeptes entsprechen. So findet sich auf Seite 48 ein durchaus zweckent¬ 
sprechendes Rezept einer Morphinlösung zur Injektion, dagegen auf Seite 155 in dem Ab¬ 
schnitt über Arznei verordn ungen ein Rezept, das 0,12 Morphin, hydrochlor. mit 20,0 
Sirupus simpl. und 160,0 Aq. destill. enthält — eine Verordnung, die gewiß ebensowenig 
wie das Rezept auf der folgenden Seite: Morphin, hydrochlor. 0,2 Aq. destill. 12,0 als 
richtige Anleitung, zumal für den Ungeübten, bezeichnet werden kann. 

Ich bin daher leider auch weiterhin nicht in der Lage, das Buch dem Studierenden oder 
Zahnarzt zu empfehlen. Franz Müller, Berlin. 



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ZEITSCHRIFTENSCHAU 


Welche Rolle spielen kranke Zähne als Eingangspforte für die Erreger von all* 
gemeinen Erkrankungen des Körpers. Von Prof. Dr. R. Weiser, Wien. 
<Zeitschr. f. Stom., Dez. 1921.) Vortrag, gehalten anläßlich der Feier des 40jährigen 
Bestehens des Vereins Wiener Zahnärzte, Sept. 1921. 

Seit dem alarmierenden Vortrag des Londoner Internisten Hunter „Über die Rolle 
der Sepsis und Antisepsis in der Medizin" 1910 mißt man in England und insbesondere 
in Amerika kranken und schlecht gepflegten Zähnen enorme Bedeutung als Eingangs« 
pforte für die Erreger von schweren Erkrankungen des ganzen Organismus bei. Der 
Schwerpunkt dieser Frage liegt aber nicht darin, ob die kranken Zähne als Eingangs« 
pforte für allgemeine Infektionen dienen können, denn daran haben wir Zahnärzte über« 
haupt nie gezweifelt, sondern darin, wie leicht, wie oft Erkrankungen an Gelenks« und 
Muskelrheumatismus, an chronischer Polyarthritis, an chronischer Endokarditis, herdförmiger 
Nephritis, an Arthritis deformans, Iritis usw. zur Beobachtung kommen, bei welchen kein 
anderer als ein dentaler Ursprung anzunehmen ist. Weiser berichtet über mehrere ein« 
schlägige Fälle aus der eigenen Praxis und betont, daß die positiven Fälle in der Privat« 
praxis ganz erstaunlicherweise selten sind, während man bei der geradezu erschreckenden 
Häufigkeit schwerer pathologischer Veränderungen am Zahnsystem, bei der gewaltigen 
Verbreitung der Zahnkaries doch annehmen müßte, daß die Folgen dieser Volkskrankheit 
viel mehr zu fühlen sein müßten. Wäre die Gefahr der Oral Sepsis wirklich so groß, wie 
sie von vielen nichtzahnärztlichen Forschern dargestellt wird, dann könnte es ja kaum 
mehr mit Karies und Alveolarpyorrhoe behaftete Menschen geben, die nicht an Nephri« 
tis, Arthritis, Endokarditis, Iritis rheumatica usw. leiden würden. Vor Übertreibungen 
sollte man sich entschieden hüten, um nicht durch künstlich großgezogene Hypochondrie 
der Klienten den rationell und gewissenhaft arbeitenden, medizinisch vorgebildeten Zahn« 
ärzten ihren ohnedies nicht leichten Beruf noch mehr zu erschweren. Es liegt auch kein 
Grund vor, die konservierende Behandlung pufpakranker Zähne und gangränöser Wur« 
zeln über Bord zu werfen, wie dies in Amerika in den letzten Jahren vielfach geschieht, 
da wir zur Beseitigung des Infektionsherdes statt der Extraktion die Wurzelspitzenresek« 
tion haben. Der Satz: Ubi pus ibi evacua besteht gewiß zu Recht/ aber deshalb haben 
die auf der Höhe der Zeit stehenden Zahnärzte gar keinen Grund, vom Indikationsge« 
bict der konservierenden Zahnheilkunde auch nur einen Zoll abzuweichen in allen Fällen, 
wo sie als ultima ratio die Wurzelspitzenresektion einwandfrei durchführen können. Die 
von Weiser als wichtigste aufgeworfene Frage: „Wie leicht, wie oft kommen Infektionen 
des Gesamtorganismus auf dentaler Basis zustande", hat trotz der umfangreichen be« 
reits bestehenden Literatur noch keine jeden Zweifel ausschließende Antwort erhalten. 
Um diesem Ziele näherzukommen, schlägt Vortr. vor, alle Zahnpatienten großer zahn« 
ärztlicher Ambulatorien, Zahnkliniken und Kieferstationen systematisch auf apikale und 
pyorrhoische Prozesse röntgenologisch zu untersuchen und dann internistisch festzustellen, 
ein wie hoher Prozentsatz solcher Pat. an anderweitig nicht erklärbaren Nieren«, rheu« 
matischen, septischen und anderen internen Erkrankungen leidet/ weiterhin zu ermitteln, 
wieviele solche Fälle nach erfolgreich durch geführter Wurzelbehandlung oder in diesem 
Belange gleichwertiger Operation (Extraktion, Wurzelspitzenresektion) geheilt werden. 

Kronfeld, Wien. 

Vicrteljahrsschrlft für Zahnheilkünde, Heft 4 34 


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506 Zeits&riftenschau 

Fcnstcrkroncn für Schneide* und Eckzahne. Von Dr. Eugen Müller, Zürich. 

{Schweiz. Vierteljahrsschr. f. Zahnheilkunde, 1921, Nr. 3.) 

Obwohl bekanntlich die Fensterkronen in schlechtem Rufe stehen, behauptet M. auf 
Grund seiner über 25jährigen Praxis, daß ihnen als Brückenpfeilern in manchen Fällen 
sogar der Vorrang gebührt. Man darf sie allerdings nicht deplaziert anwenden, fehlerhaft 
konstruieren oder die Brückenpfeiler unsachgemäß vorbereiten. Gewiß besitzt eine Voll- 
kröne oder ein Stiftzahn eine längere Funktionsdauer/ aber Vollkronen verbieten sich für 
Frontzähne aus kosmetischen Gründen, und die Devitalisierung eines gesunden Front» 
zahnes zwecks Herstellung eines Stiftzahnes vermeidet man gerne, wenn ein anderes Ver¬ 
fahren zur Verfügung steht, ln solchen Fällen tut man gut, dem Patienten die Wahl zu 
lassen, ob er mit der Funktionsdauer der Fensterkappe von 3—5 Jahren zufrieden ist, 
obwohl eine kunstgerecht angefertigte Fensterkrone auch zehn und mehr Jahre Lebens¬ 
dauer hat. Gegenüber großen Goldinlays mit Stift haben Fensterkronen als Brücken¬ 
pfeiler den Vorzug, daß der Zahn nicht devitalisiert werden muß, daß die Fensterkrone 
einen sicheren Abschluß zwischen Zahn und Metall verbürgt, was bei Inlays besonders 
am gingivalen Rand nicht immer der Fall sein dürfte, und daß bei allfälligen Kompli¬ 
kationen eine Fensterkrone sich leicht entfernen läßt. Bei der Zahnpräparation muß der 
Zahn unbedingt parallelrandig zugeschliffen werden, die Lebensdauer einer Fensterkrone 
hängt in der Hauptsache von der gewissenhaften Ausführung solcher scheinbarer Kleinig¬ 
keiten ab. M. beschreibt das Zuschleifen, die hierzu nötigen Instrumente und Handgriffe 
ausführlich, desgleichen die Herstellung der Kronen selbst, doch eignen sich die zahlreichen, 
höchst exakten und beherzigenswerten Details, die durch prächtige Abbildungen erläutert 
sind, nicht für ein kurzes Referat. Als wesentlichste Punkte seien hervorgehoben: Das 
Gerüst der Fensterkrone wird im Munde des Patienten selbst hergestellt. Diese Arbeit 
ist zwar etwas zeitraubender als das Arbeiten am Modell, verbürgt aber ein genaues 
und sicheres Passen. Für den Goldring verwendet M. hochgelbes, nicht zu weiches, 22 kar,/ 
0,3 mm dickes, für schmale, kleine Zähne 0,25 mm dickes Blech, das letztere auch, wenn 
zwei Fensterklappen zu Doppelträgern zusammengelötet werden. Handelt es sich um 
Fensterkronen, die für weitgespannte Brücken dienen, z. B. vom Eckzahn zum Weisheits¬ 
zahn, so ist für die Zahnringe 20 kar. Gold von 0,25 mm Dicke zu verwenden. Zum 
Löten darf nur eine Spur Lot genommen werden, damit die Schmiegsamkeit der Ringe 
nicht leide. Beim Anprobieren kommt die Lötstelle auf diejenige Seite zu liegen, welche 
später mit dem Brückenzwischenstück verbunden wird, wodurch ein eventuelles späteres 
Platzen des Ringes an der Lötstelle verhindert wird. Mit der Matrizenzange wird zuerst 
an der Lingual-, dann an der Frontalseite der Ring eingezogen, die entstandenen Falten 
werden mit möglichst wenig Lot verlötet und weggeschnitten. Nun folgt die Herstellung 
des Deckels. Das Fenster wird mit einer feinen Blechschere ausgeschnitten, der Ring auf 
den Zahn gestülpt und mit Kerrmasse in einer eigenen Abdruckhülse Abdruck genommen. 
Der Deckel wird aus 22 kar. Gold gegossen. Beim endgültigen Verlöten des angegossenen 
Konendeckels ist darauf zu achten, daß kein Lot in das Innere der Kappe fließt. Vor 
dem Aufzementieren der Kappe muß deren Innenseite mit einem ovalen Querhiebbohrer 
angerauht werden, um dem Zement guten Halt zu geben. 

Kronfeld, Wien. 

Klinische Erfahrungen bezüglich des Sechsjahr*Mo!aren. Von Adolf Brodtbeck, 

Frauenfeld. (Schweiz. Vierteljahrssdbr. f. Zahnheilkunde, 1921, Nr. 3.) 

Br. erklärt sich als Anhänger der Extraktionsmethode, ohne .sie aber wahllos und me¬ 
chanisch in allen Fällen auszuführen. Ist die Qualität der Sechser befriedigend, so daß 
man annehmen kann, daß die Zähne die Dichtstellung im Laufe der Jahre aushalten 
können, dann soll man auf die Extraktion verzichten. Im übrigen schließt er sich den 
Ausführungen von Partsch in dessen Handbuche an, welchen er noch hinzufügt, daß 
die Konservierungsmöglichkeit der Gebisse beim größten Teile der schweizerischen Jugend 
beim heutigen Zustande der Zähne allein nur von einer korrekt durchgeführten symme¬ 
trischen Extraktion der Sechsjahr-Molaren abhängt. Der Vorwurf, daß dieses Verfahren 
barbarisch sei, ist unbedingt haltlos. Das Endresultat der Extraktion war stets kurze, 



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Zeitschriftenschau 


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schonende Behandlung, erfolgreiche Konservierung der Gebisse, kleine Rechnungen, dank« 
bare Eltern und spätere Dankbarkeit von seiten der jungen Patienten — auf welcher Seite 
liegt da die Barbarei? Besonders für den Kliniker, welcher jährlich Tausende von Schul« 
hindern überwachen und behandeln muß, ist die symmetrische Extraktion unerläßlich. Sie 
darf natürlich nicht vorgenommen werden, bevor die Artikulationshöhe durch die ersten 
Prämolaren bestimmt ist, auch nicht erst nach dem totalen Durchbruch der zweiten Mo« 
laren. Entschieden bestreitet Br. die Ansicht der Orthodontisten, daß durch die sym« 
metrische Extraktion eine abnormale Artikulation geschaffen werde. In Hunderten von 
Fällen konnte er nichts Derartiges sehen, auch keine tiefen Artikulationen oder künstlich 
geschaffenen Prognathien. 28 Fälle aus der Frauenfelder Schulzahnklinik, die Vortr. 
projiziert, zeigen stark erkrankte Gebisse mit versäumter Extraktion der Sechsjahr«Molaren, 
Fälle mit stark erkrankten Sechsjahr«Molaren, wo die Extraktion noch indiziert ist, Orien« 
tierungsbilder über die operative Eingriffszeit und durchgeführte rechtzeitige Extraktionen 
der Sechsjahr-Molaren mit ihren Nutzeffekten. Kronfeld, Wien. 

Über die keilförmigen Defekte an der Krone und ihre Entstehung. Von Dr. Kaname 
Anzawa, Taihoku, Formosa. (Deutsche Monatsschr. f. Zahnheilkunde, 1921, Heft 21.) 

Verf. beschreibt die keilförmigen Defekte anatomisch und klinisch, stellt Versuche mit 
verschiedenen Bürsten und Putzmitteln an, bespricht die bekannten Theorien über die Ent¬ 
stehung dieser Defekte und unterscheidet zwei Arten von keilförmigen Defekten, deren 
eine die Kronendefekte, die andere die Halsdefekte umschließt. Der keilförmige Defekt 
ersterer Art ist eine Folge des Gebrauchs der Zahnbürste in Verbindung mit einem 
Zahnputzmittel an solchen Zahnkronen, die furchen förmige Hypoplasien aufweisen. Ein 
keilförmiger Defekt der zweiten Art ist eine Wirkung des Gebrauchs der Zahnbürste in 
Verbindung mit einem Zahnputzmittel auf sich langsam entblößenden Zahnhals. 

Kronfeld, Wien. 

Heilung der Aktinomykose durch Yatren. Von Prof. Dr. W. Pfeiler, Jena. 
Berliner klinische Wochenschrift, 1921, Nr. 48, S. 1413. 

Im yatren mit seiner Schwellenreiz« und protoplasma-aktivierenden Wirkung hat die 
Medizin ein Mittel, dessen jodhaltige, auch intravenös gut vertragene Komponente den 
aktinomykotischen Prozeß der Rinder in einer überraschenden Weise zu beeinflussen und 
zu heilen vermag. Bei intravenöser bzw. subkutaner Anwendung sind zuweilen schon in 
einem Zeitraum von kaum mehr als 14 Tagen vollkommene Heilung zu verzeichnen ge¬ 
wesen. Bei der Bedeutung, die diese Versuche vom Standpunkt der vergleichenden Patho¬ 
logie und Therapie auch für die Behandlung der Aktinomykose des Menschen beanspruchen 
können, werden zwei Krankengeschichten wiedergegeben, die zeigen, daß die Heilung 
dieser Krankheit ohne direkten operativen Eingriff in kurzer Zeit möglich ist. Die yatren« 
gaben verstehen sich für eine fünfprozentige Lösung. Nach neueren Erfahrungen scheint 
es bei großen Gaben, wie sie Oberländer und der Autor anfangs verabfolgt haben, in 
einzelnen Fällen zu einem so raschen Zerfall des Aktinomyzesmyzels bzw. einer Ein¬ 
schmelzung des aktinomykotischen Gewebes zu kommen, daß dadurch gewisse Intoxi¬ 
kationserscheinungen wie Appetitlosigkeit, Müdigkeit, Untertemperatur ausgelöst werden. 
(Die Verwendung vierprozentiger Lösungen dürfte aus dem Grunde am Platze sein, weil 
in funfprozentigen Lösungen gelegentlich eine Ausfällung eintritt und eine nochmalige Er¬ 
wärmung der Flüssigkeit dadurch notwendig wird.) 

In der Menschenheilkunde dürften Gaben, die zehnfach kleiner sind als die verwendeten, 
bis zum feineren Ausbau der Therapie als zweckentsprechend angesehen werden können. 
Eine besondere Bedeutung dürfte die yatrentherapie auch für die Behandlung des Madura« 
fußes bekommen, dessen schwere Beeinflußbarkeit ja bekannt ist. Verbindungen, die Be¬ 
handlung dieser Krankheit aufzunehmen, sind hergestellt. Zilz, Wien. 

Unmittelbare Dentinanästhesie. Von Dr. Walter Adrion. Zahnärztl. Rundschau 1922, 
Nr. 11. 

Die Lösung des Problems der unmittelbaren Dentinanästhesie ist für den Zahnarzt so¬ 
wohl als auch für den Patienten von hervorragender Bedeutung. Jede Neuerung auf diesem 

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Zeitschriftenschau 


Gebiete, die uns auch nur einen kleinen Fortschritt bringt, ist zu begrüßen. Bekanntlich 
versagen die gewöhnlichen verdünnten Lösungen der bekannten Lokalanästhetica, selbst 
in höchster Konzentration, für die unmittelbare Dentinanästhesie. Erst die Druckanästhesie 
oder Kataphorese können diese Mittel in zeitraubendem Verfahren zur Wirkung bringen. 
Daraus folgt daß die histologisch noch unbekannten Empfindungselemente des Dentins im 
Prinzip wohl anästhesierbar sind, daß aber die bisher verwandten Mittel zu dickflüssig 
sind, um genügend in den feinsten Poren des Dentins weiterzukommen. Die praktische 
Lösung der Dentinanästhesie wird also wohl bei den gasförmigen Mitteln zu suchen sein. 
Die Narcotica sind im allgemeinen zu flüchtig. Prof. Straub hat nun auf der Suche nach 
brauchbaren Mitteln „das Eufin" gefunden, den neutralen Ester der Kohlensäure mit 
dem Äthylalkohol, der bereits in Wasser zerfällt und damit also außerhalb des Anwen¬ 
dungsgebietes unwirksam wird. Erprobt wurde das Eufin in der Freiburger zahnärzt¬ 
lichen Universitätspoliklinik. Hierbei wurde festgestellt, „daß das Eufin imstande ist, die 
Sensibilität des gesunden Dentins in kurzer Zeit zu beseitigen, ohne die geringsten Nach¬ 
teile für die Pulpa und die Schleimhäute." Versager gibt es auch beim Eufin, die Ver¬ 
sager hängen aber nichtvon der Qualität ab, sondern von der individuellen Struktur des 
Dentins, wie Adrion späterhin noch eingehend berichten wird. Der große Vorteil des 
Eufins liegt aber darin, daß innerhalb von 3—4 Minuten entschieden ist, ob das Eufin 
wirkt oder nicht, entweder volle Wirkung in dieser Zeit oder gar keine. Die Diäthyl- 
kohlensäure „Eufin" wird von der Firma C. F. Boehringer & Söhne G. m. b. H., Mann¬ 
heim-Waldhof in den Handel gebracht. 

' Dem Referenten wurde von der Firma eine Versuchsmenge „Eufin" vor einigen Wochen 
zur Verfügung gestellt. Das Mittel hat mir in mehr als 20 Fällen gute Dienste geleistet, 
nur in 2 Fällen versagt, ein äußerst zeitsparendes Mittel. Ein Urteil darüber zu fällen, 
ob das Mittel die Pulpa schädigt, muß ich mir noch versagen, dazu erscheint mir die Be¬ 
obachtungszeit zu kurz. Faulhaber. 

Untersuchungen über Wurzelbehandlung. Von Privatdozent Dr. Türkheim. Dtsch. 
M. f. Z., 1922, Nr. 9. 

Ausgehend von dem Satze: „Wenn das Problem der Wurzelbehandlung die vitale Frage 
der Zahnheilkunde ist, so ist das Wurzelkanalsystem der Angelpunkt der Wurzelbehand¬ 
lung", beschäftigt sich Türkheim zunächst mit den Methoden der Pulpendarstellung. Nach 
kurzer Beleuchtung der Methoden von Preis werk, G. Fischer, Adloff, Hess und 
Rottenbiller <gegen diesen nimmt Türkheim besonders Stellung), berichtet er über 
seine Methode der Pulpendarstellung, die den Vorzug hat, „daß Kunstprodukte aus¬ 
geschlossen sind". Er stellt die natürliche Pulpa freipräpariert dadurch dar, daß er im 
Thermostaten 10%, dann 15% Salpetersäure für einige Tage auf den Zahn einwirken 
läßt. Hierdurch wird neben der Entkalkung auch das organische Gerüst des Dentins auf¬ 
gelöst, das sich dann durch ganz feinen Wasserstrahl von der Pulpa abspülen läßt. Solche 
Präparate zeigen erstaunlich deutlich, besonders bei Molaren, ein System von Brücken, 
Seitenkanälen, Parallelsträngen, an den Wurzelspitzen deltaförmige Auffaserung, besser 
fast noch als bei Korrosionspräparaten. Aus diesen Befunden fordert Türkheim im zweiten 
Abschnitt seiner Abhandlung für die Wurzelbehandlung, „daß „prinzipiell für jede Wurzel 
das Vorhandensein eines komplizierten Wurzelkanalsystems postuliert wird". Er unter¬ 
zieht nun verschiedene Unterstützungsmittel zur Reinigung dieser technisch schwer erreich¬ 
baren Kanäle einer Untersuchung und empfiehlt auf Grund seiner Arbeiten „künstlichen 
Magensaft" zur Reinigung des Wurzelkanalsystems, der neben antiseptischer Wirkung die 
Kanalwände angreift. Zur Sterilisation der Wurzelkanäle empfiehlt schließlich Türkheim 
die Elektrosterilisation, die neben ihren Nachteilen den großen Vorteil hat, daß durch sic 
technisch unerreichbare Keime in den Wurzelkanälen abgetötet werden. Faulhaber. 


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