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VÖLKER EUROPAS...!
Der Krieg der Zukunft
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Der Krieg der Zukunft
von * • *
Erstes bis fünfzehntes Tausend
BERLIN
VERLAG von RICH. BONG
Überaetsuagtrecht, aowie alle anderen Rechte vorbehalten.
Published Jone 30, 1906. Privilege of copyri^ in the United State«,
reserved ander the Act approved Ifarch 3, 1905 by Rieh. Bong
Druck von C. Grumbach in Leipzig.
Maisonne glitzerte über Kreidefelsen, Schloss tind
Strandbatterien, wo ungewöhnlich reges Leben sich
tummelte, glänzte weit überm schmalen Meerstreifen
nach Calais, wo auf den sonst so verkehrreichen
Wellen eine merkwürdig abgestorbene Öde herrschte.
Am Hafenpier von Dover standen zwei statt-
liche Herren, allein und ohne sonstige Begleitung.
Die Hafenoffizialen hatten ihnen, die Hand an der
Mütze, das Feld geräumt und den ganzen Um-
kreis für Publikmnverkehr auf eine halbe Stunde
abgesperrt. Wo sonst bei Ankunft jedes Dampfers
vier Schnellzüge nach den vier Londoner Haupt-
stationen dicht am Strande bereit stehen, so hier
ein einzelner Expresszug, auf den Schienen dicht
zur Landungstreppe herangeschoben, nur Lokomo-
tive und Salonwagen. Man erwartete offenbar einen
nicht im Fahrplan angemeldeten Spezialdampfer, des-
sen schwarzer Rauch bereits über der blauschillem-
den Flut dch anmeldete, und dessen Schornstein
am Horizonte sich abhob, als die Fahrt mit Windes-
schnelle sich näherte.
„Sie müssen gleich hier sein." Der eine Gentle-
man steckte die Uhr, die er soeben zu Rate zog,
Völker Europas . . .1 I
— 2 —
gemächlich in die Tasche. „Pünktlich ohne Verspä-
tung. Selten bei Franzosen. Hoffentlich ein günsti-
ges Omen für pünktlichrechtzeitiges Vorgehen. Das
plötzliche Einrücken des 19. Korps aus Algier nach
Marokko war ein hübscher Streich, doch die eben-
so plötzliche Kriegserklänmg Deutschlands daraufhin
binnen zwölf Stunden paralysierte die Uberraschimg.
Unsere langatmige Parlamentsdebatte, alle Stinmien
gegen Radikale, Arbeiterpartei und Iren, kostete
auch Zeit."
„Die Mobilisierung ist in vollem Gange, wie
Depeschen von Brest und Toulon bei den ,Horse-
guards' einliefen," erwiderte der andere, dem man
den Militär ansah. „Beiläufig ist schon heut hier
Befehl gegeben, dass die Strecke Calais — Dover für
Passagierverkehr gesperrt. Morgen wird Dover in
vollem Verteidigungszustand sein. Unsem Kauf-
fahrteischiffen in allen Zonen ward schon gestern,
teils vom Marineamt, teUs von Lloyds her priva**,
die entsprechende Warnung und Weisung gekabelt.
Die Deutschen haben in der Mobilisienmg schon
starken Vorsprung, doch sie haben dies vielleicht
verabsäumt, ein Tag kann einen Unterschied für
das Schicksal ihrer Dampferlinien machen. Und
wo sollen die Dampfer des Norddeutschen Lloyd
denn neutrale Häfen anlaufen? Was ist neutral?
Wladiwostok, Nagasaki, San Francisco, New Or-
leans oder gar Odessa, Genua, Barcelona, Antwerpen,
Amsterdam? Lauter zweifelhafte Neutralitäten in
einem Deutschland schwerlich günstigen Sinne oder
— 3 —
wenigstens jeden Augenblick durch unsere alliierten
Flotten gefährdet. Nach Montevideo oder Buenos
Ayres können doch nicht alle flüchten/*
„Da gehen Sie viel zu weit. Nordamerika bleibt
sicher neutral, und in dortige Gewässer dürften im-
sere Kreuzer wohl schwerlich sich hinwagen. Un-
sere Vettern drüben haben gegen tms einen alten
Famüienzank. Gnade uns Gott, wenn sie jetzt dies
Gespenst aus der Blaubartkanuner holen I**
„Bs^i Blut ist dicker als Wasser. Ich baue
fest auf die verwandtschaftliche Gesinnimg der
Angelsachsen drüben. Der Washingtoner Senat
kann unmöglich damit zufrieden sein, dass die Teu-
tonen uns über den Kopf wachsen oder wenigstens
dem gottgewollten Welttriumph der Angelsachsen
beider Hemisphären einen Strich durch die Rech-
nimg machen. Man wird vielleicht beim Friedens-
schluss etwas Kompensation verlangen, etwa Ja-
maika — fort mit Schaden 1 — , aber unsere Nieder-
werfung des frechen deutschen Konkurrenten als
einen Erfolg in eigener Sache mit Jubel begrüssen."
„Gott segne Ihren Optimismus I Und die starke
deutsche, vor allem die so vielfach dominierende
irische Bevölkerung drüben, die so überaus ein-
flussreich bei Wahlen und Verwaltung ? Ich füicht\
ich fürchte, die alten Fenier werden die Gelegen-
heit benutzen, uns in Irland Unheil anzurichten und
das Homerule-Banner mit radikalster Losreissungs-
parole zu entfalten."
„Ach wasl Die Zeiten von Emmett und Grat-
is
— 4 —
tan, ja selbst von Pamell sind vorüber. Ein paar
nationalenglische Regimenter und orangistische
treue MilizfreiwUlige genügen heut, die Ordnung
aufrecht zu erhalten. O über die ewigen Bedenk-
lichkeiten der Herren Politiker! Wir Soldaten sind
Optimisten von Beruf, sonst könnten wir nicht dreist
und gottesfürchtig unsere Arbeit tun, und damit
konmit man am weitesten. Irland könnte uns einzig
Ungelegenheiten machen mit Hilfe Frankreichs."
„Hm, ja, unsers heutigen teuren Verbündeten!"
Der Zivilist, Mitglied des Kabinetts, räusperte sich
leicht. Beide Herren tauschten unwillkürlich mi-
nutenlang einen eigentümlichen Blick aus. Sie ver-
standen sich vollkommen. „Lassen wir das! Jeden-
falls wird Rücksicht auf die deutschen und irischen
Volksmassen der Union recht lebhaft deren Stel-
lungnahme beeinflussen. Nim, aus der Schlusskonfe-
renz der Neutralen heut abend werden wir ja ent-
nehmen, ob Amerika sich zu absoluter bedingimgs-
loser Neutralität bekennt oder sich Hintertürchen
offen lässt. Desgleichen Japan. Mein Kollege auf
der Konferenz ist bisher wenig befriedigt."
„Die Kerle werden gar zu frech!" stiess der
Militär zwischen den Zähnen hervor. „Meinem Ge-
fühle nach hat man England noch nie solchen
Affront zugefügt, wie damals, wo Kriegsminister
und Parlament in Tokio öffentlich unsre kriegerische
Leistungsfähigkeit in Zweifel zogen. Dafür haben
wir imsre glänzende Isolierung aufgegeben und uns
mit den gelben Teufeln verbündet?! Schöner Dank
— 5 —
für unsre Herablassung I Na, jedenfalls decken sie
uns den Rücken gegen Russland."
,Jst zurzeit unnötig, weil ungefährlich. Dies
war eigentlich mein Hauptgrund, für sofortigen .
Krieg gegen Deutschland zu stimmen. Solche Welt-
lage kommt nicht wieder, die russische Revolution
verschol) das europäische Gleichgewicht so sehr zu
unsem Gunsten."
„Der gnädige Gott hilft immer seinem England 1"
Der Militär strich sich feierlich den Schnauzbart mit
salbungsvollem Stolz. Der Minister lächelte leicht:
„Dies erhebende Gefühl sollte uns aber nicht
abhalten, die grösste Vorsicht zu beobachten. Der
Himmel hilft immer dem, der sich selber hilft. Sehr
gerecht 1 Wir traurigen Berufspessimisten, das heisst
Staatsmänner, rechnen vor allem nüt der Schlech-
tigkeit der menschlichen Natur und hier der japani-
schen insbesondere. Wichtiger als Zukunftsträimie
über Garantierung von Indien wäre ims, wenn Japan
uns statt dieser Taube auf dem Dach heut den ein-
fachen Spatzen schenkte: nämlich unser Bündnis
so auffasste, dass es gegen Deutschland in Ost-
asien oder Samoa und Marschallsinseln aktiv wird.
Das wenigste, was die Japs tun können, ist Ver-
pflichtung, die europäische Polizei über China zu
üben im Falle dortiger Unruhen."
„Dort ist ja alles ruhig, die Gesandtschaften
berichten so übereinstimmend," wandte der Militär
ein. „So viel Vertrauen hab' ich doch noch zu
unsrer Diplomatie . . obschon . ."
— 6 —
„Vor dem letzten Boxeraufstand klang es ähn-
lich/' brummte der Minister. „Falls Japan auf
nichts Bindendes eingeht, müssen wir unser ost-
asiatisches Geschwader dort belassen imd ebenso
das atlantische zwischen den Antillen imd Kanada,
zum Schutze des Seehandels gegen deutsche
Kaper, Aufbringung von Schmugglern imd —
ohne es offen einzugestehen — weil man nie
wissen kann, wie sich Amerika zur Lage stellt,
wenn der Seekrieg sich lange hinzieht! An-
fangs dürfen wir auch schwerlich imser Mittelmeer-
geschwader wegziehen, weil Italiens Haltung nicht
vöUig geklärt."
„Ich denke, sie sei klar genug, es sei
geheime Garantie geboten, Konvention abgeschlos-
sen, dass — "
„Konvention ist zu viel gesagt, solange münd-
liches Pourparler nicht zu Papier gebracht. Schon
anstandshalber, damit man in Berlin und Wien nicht
sofort über Italiens Absichten unterrichtet, müssen
unsere Schiffe offiziös vor Spezzia und Neapel kreu-
zen, als gelte es, Italien einzuschüchtern. Dass es
Neutralität zusicherte, begreift sich aus eigenstem
Interesse, doch wohin sich dies Interesse ferner
wenden imd wozu sich*s aufschwingen wird, das lässt
sich trotz aller privaten, uns angenehmen Winke doch
nur vermuten. Vorerst sind jedenfalls, um Ihre
frühere Frage zu beantworten, russische und italie-
nische Häfen neutral, niederländische auch."
„Letztere Herrlichkeit wird nicht lange dauern 1"
— 7 —
lächelte der Militär grimmig. ,,Ah, da sind unsre
Herrschaften !'*
Der Dampfer hatte sich mittlerweile dem Lan-
dungspunkt inmier rascher genähert imd angelegt.
Drei Herren entstiegen ihm imd grüssten die ent-
gegeneilenden beiden Engländer. Der Dampfer blieb
liegen, imd rascher Meinimgswechsel zwischen dem
französischen Kapitän imd dem britischen Hafen-
offizialen ergab, dass das Schiff morgen früh mit
den französischen Herren wieder in See stechen werde.
Unter gegenseitiger Begrüssung, deren anschei-
nende Herzlichkeit eine gewisse Zurückhaltimg nicht
ausschloss, stellte man sich gegenseitig vor. Neben
einem jüngeren, süsslich lächelnden Diplomaten,
Sendling des Quai d'Orsay, befand sich hier ein
Bevollmächtigter der Rue St. Dominique, ein ele-
ganter schneidiger Oberst vom Generalstab, dem
man den Zögling von St. Cyr und Jesuitenschule
förmlich vom Gesicht ablas, und dessen bretonischer
Name und langer Adelstitel deutlich besagte, dass
er zu jener in der Armee mächtigen und der repu-
blikanischen Regierung verdächtigen Generalstabs-
clique gehörte, die heimlich mit Royalismus lieb-
äugelt, klerikal bis in die Knochen. Jetzt in der
Stunde nationaler Gefahr schwiegen natürlich die
Parteizwiste innerhalb des Offizierskorps, oder sie soll-
ten es wenigstens, jeder musste an die Stelle treten,
wo man ihn brauchte, ohne nach seiner Partei-
gesinnung zu fragen. Das hinderte aber nicht, dass
der alte General, weisshaarig mit bronzebrauner
— 8 —
Wange, die längen Dienst unter afrikanischer Sonne
verriet, als Haupt des delegierten Kleeblatts sich
stets in gemessener Kühle von dem Generalstäbler
absonderte und letzterer diese Entfremdung gleich-
falls markierte.
„Wir sind Ihnen unendlich verbunden," ver-
sicherte der britische Militär, sobald man den Extra-
zug bestieg und dieser mit rasender Geschwindigkeit,
wie sie auf der Küstenstrecke der London-Chatam-
Dover Railway üblich, nach Charing Gross dahin-
rollte. „Die Grundzüge unserer gem^samen Ope-
ration sind ja schon früher festgestellt, aber ge-
wisse Einzelheiten zu vereinbaren schien angezeigt.
Deshalb erbaten wir persönUche Gegenwart von
autoritären Vertrauensmännern."
„Wir danken verbindlichst, dass Sie unserer
Einladimg folgten," fügte das Kabinettsmitglied offi-
ziös hinzu, indem er seinem französischen Kollegen
die Hand drückte, „imd empfinden es als sinnige
Aufmerksamkeit, dass gerade Sie, früher als Attache
unter uns weilend imd mit englischen Verhältnissen
so wohl vertraut, zu dieser ausserordentlichen Mis-
sion erwählt wurden."
„O, wir kommen sehr gern," betonte der alte
General nicht ohne eine gewisse Schärfe. „Denn
gerade wir bedürfen genauerer Stipulierung über
Ihre Expedition nach Antwerpen und Rotterdam,
sowie etwaiger Truppentransporte nach Galais tuid
Boulogne."
„Gewiss, gewiss I" Der britische Militär unter-
— 9 —
drückte einen Hustenanfall, als sei ihm bei seiner
überhasteten Versicherung etwas in die unrechte
Kehle gekommen. „Das werden Sie alles tabellarisch
in meinem Bureau verzeichnet finden. Wir unserer-
seits möchten um Auskunft bitten, ob Ihre Aktion
aus Flandern uns via Antwerpen vorarbeiten wird."
„Wie Sie es überhaupt mit der Neutralität der
Niederlande halten?** redete der Minister hastig auf
den französischen Diplomaten ein. „Und ist Ver-
letzung des Schweizer Territoriums unumgänglich
nötig? England ist ja am Ende ein Mitgarant der
Schweizer Unverletzbarkeit, imd es ist uns peinlich,
den Sommeraufenthalt unserer britischen Touristen
ztun Kriegsschauplatz umgewandelt zu sehen," suchte
er einen Anfall humoristischer Laune hervorzukehren.
Der Franzose lächelte höflich:
„So schmerzlich wir es empfinden, britischen
Ladies und Gentlemen ihre Sommerfrische zu ver-
leiden, werden wir leider diese Störung verursachen."
„Die Flankierung der Linie Strassburg-Metz
durch breiten AusfaU über Belfort-Basel ist zu wert-
voll, als dass wir darauf verzichten könnten," fiel
der Generalstäbler ein, der hingehört hatte, indes
der General sich mit dem britischen Militär in er-
regtes Fachgespräch vertiefte.
„Wohl, da müssen wir eben konziliante Formen
wählen," nickte der britische Staatsmann, „um das
Odium des Völkerrechtsbruches von uns abzuwälzen.
Etwa drohende Ansammlung deutscher Massen bei
Basel — "
10
„Wozu so viel Mühel" versetzte der Franzose
kalt. „Wir haben Beweis in Händen, dass die Eid-
genossenschaft in Bern mit Haut und Haar auf
deutscher Seite steht. Unsere Note ist fertig: wir
beklagen, dass mangelnder Grenzschutz der Schweiz
uns gebieterisch zwingt, selbst den Schutz der Schweiz
gegen Deutschland zu übernehmen."
Während beide Diplomaten nun eifrig Notizen
verglichen, mischte sich der Generalstäbler mit ziem-
lich arrogantem Ton in die Unterhaltung der bei-
den höheren miUtärischen Würdenträger, als wolle
er andeuten, dass die Rue St. Donünique (General-
stab) immer der guten Stadt Oran (Algierisches
Generalkommando) vorgehe und selbst den Quai
d'Orsay (Auswärtiges Amt) mit ihrer Autorität über-
schatte. In schnarrend nonchalantem Ton trug er
statistische Fachsimpelei vor, schnitt dem Afrikaner
förmlich das Wort ab und fand bei dem Briten
respektvolle Gegenliebe, der als Aristokrat sofort
dem bretonischen Standesgenossen gesellschaftliches
Vorrecht einräumte.
Der alte General aus Algier machte jedoch
brüsk den Auseinandersetzimgen über die „Be-
deckungstruppen" an der belgischen Grenze ein
Ende: „Das werden wir ja bald erledigen, sobald
wir Ihr Bureau erreichen und dort das englische
Mobilisierungsschema vergleichen. Was mich be-
trifft, so habe ich die Ehre, vor Ihnen zu stehen,
weil der General-en-chef der französischen Heere
Sie über unsere Aktion in Marokko zu unterrichten
— 11 —
wünscht. Hierfür bin ich Sachverständiger und gebe
Ihnen Aufschlüsse, um etwaiger Mitwirkung Ihrer
Flotte und jedenfalls Ihrer afrikanischen Besatzim-
gen die richtigen Etappen zu regeln."
Der Brite machte sozusagen ein langes Gesicht.
„Unsere Marine hat dort nichts zu suchen, wir
schwächen uns ohnehin genug durch so viele Ent-
sendungen von Jamaika bis Malta, von Port Said
bis Honolulu, wo wir doch alle Kräfte in der Nord-
see konzentrieren sollten. Unsere Garnisonen im
Sudan und Ägypten werden wir auch kaum schmä-
lern können, weil — "
„So, sol" hüstelte der General trocken. „Was
mir bei Ägypten einfällt, Hess der türkische Bot-
schafter immer noch nichts von sich hören? Ich
meine, der Ihrige in London, denn der unsere in
Paris ist wegen dringender Privatgeschäfte schon
längere Zeit auf Urlaub verreist."
„Der Pascha leidet noch immer an Influenza,
das rauhe nordische Klima bt ihm nicht zuträglich,"
wandte der Minister, der mit halbem Ohr hinge-
lauscht hatte, sich dem General zu und parierte den
wohlverstandenen verhaltenen Spott der teilnehmen-
den Frage nach dem Befinden des Türken: „Ach
beiläufig, da Herr General sich erkundigen: quid
novi ex Africa?, darf ich wohl fragen: wie denken
Sie über Russland? Ist Ihnen jetzt endlich näheres
bekannt über die allerhöchsten Intentionen Sr.
Majestät des Zaren?"
Jetzt war die Reihe an den Franzosen, betrete-
— 13 —
Militär ein Telegramm überreichend: „Ew. Lord-
schaft möchten sich doch gleich entscheiden und
Bescheid für Rückantwortdepesche treffen." Die Bri-
ten entschuldigten sich bei ihren französischen Gä-
sten, um ihre Briefschaften zu durchfliegen. Die
höflichen Franzosen verneigten sich: „Geschäfte
gehen allem vorl", beobachteten aber heimlich den
Gesichtsausdruck ihrer lieben Verbündeten. Der
Staatsmann hatte zu oft Poker gespielt, um nicht das
Bluffen recht wie ein Yankee zu verstehen, aber
dem Militär entfuhr trotz seiner insularen steifen
Würde ein halber Fluch. Beide tauschten flüchtig
einen Blick aus.
„Schlechte Nachrichten, hoff ich doch nicht?"
flötete der Elegant vom Quai d'Orsay mit öliger
Stimme.
„Nicht grade dasl Aber eine Überraschimg,
die übrigens ausschliesslich britische Angelegen-
heiten betrifft 1" winkte der Staatsmann trocken ab.
Als man ein Konferenzzimmer in Winchester Palace
betrat, fragte er an : „Ehe wir die betreffenden; schwe-
benden Punkte erledigen, bitte ich mich aufzuklären,
wie Sie eigentlich gegen Italien verfahren wollen."
„Bahl" Der hochgeborene Generalstäbler
machte eine wegwerfende Handbewegung. „Anstands-
halber belassen wir die Aipin-Truppen sowie Terri-
torialreserven der Regionen Chamb^ry, Grenoble,
Arles, Marseille an den Seealpen und lassen das
Toulongeschwader im Meerbusen von Genua kreu-
zen. Das ist alles. Über Italiens befreundet wohl-
— 14 —
wollende Haltung haben wir bündigste Zusicherun-
gen. Das ist unsre Sache."
„Sehr wohl. Auch von der Pforte haben wir lau-
ter korrekte Zusagen unsrerseits," versetzte der Brite
gelassen und konnte sich kaum enthalten, scharf
zu parodieren : „Das ist unsre Sache." Er fügte hin-
zu: „Wie die Türkei, notifiziert uns auch Russland
die korrektesten Sachen. Ich bin entzückt über so
viel guten Willen."
Als die Konferenz beendet war und die Franzo-
sen sich verabschiedet hatten, gähnte der britische
Militär : „Windig und falsch wie immer, die Französ-
chenl Wollen unsre Hilfe für ihr Marokkogeschäft
festlegen. Prahlhänse! Sahen Sie, wie sie alle drei
aufzuckten, als ich wohlwollend tröstete, im Fall fran-
zösischer Niederlage würde unser Hilfskorps die
Sache schon ins reine bringen ?" Der Minister lächelte
fein Eitle Menschen können einander gegenseitig
nicht ausstehen, Prahler entrüsten sich über Prah-
ler. Wo Gloire imd Glory zusammenstossen, da
gibt es seelische Reibung. „Wie sie sich vor ims
mit Russland blamieren I"
„Natürlich, das will immer nur Geld. Woher
nehmen und nicht stehlen 1 Schon Rouvier verbot
ausdrücklich der Banque de France Anleihen ans
Ausland, solange der drohende Konflikt nicht gelöst.
Nim bekam's ja wieder neuen Pump, doch der ge-
nügt knapp für innere Bedürfnisse, nicht für Kriegs-
zwecke. Ausserdem trägt Russland es animos nach,
— 15 —
dass damals französische Behörden dem russischen
Geschwader Anlauf en inSaigun verweigerten imd es
so Togo in die Arme trieben. Wissen Sie, Mylord,
was mein Nachrichtenbudget soeben besagt? In
kurzen Worten: Russland rührt keine Hand, der
schwache Truppenkordon an der österreichischen
und türkischen Grenze ist pure Demonstration, uns
Sand in die Augen zu streuen. Unser Nachrichten-
dienst funktioniert zu gut, als dass hier Irrtum
obwalten könnte. Dafür fängt die Wühlerei in Per-
sien und Afghanistan verdoppelt wieder an. Wir
müssen jetzt ein Auge zudrücken, wenn Russland
sich langsam vorschiebt und im trüben fischt. Und
nüt imsem allzu teuren Freunden in Tokio wird
aus Petersburg förmlich fraternisiert.**
„Meine Nachricht ist auch fatal. Man verlangt
Verstärkung aus Kapstadt wegen drohender An-
zeichen allgemeiner Erhebung. Ich habe sofort ge-
kabelt, dass eine Division so bald wie möglich ab-
gehen werde. Neue Schwächung T*
„Ich habe noch andre Botschaft. Kaum for-
derten die deutschen Gesandten in London und Paris
ihre Pässe, als sämtliche britischen imd französi-
schen Schiffe in deutschen und österreichischen
Häfen als Prisen mit Beschlag belegt wurden.
Deutsche Schiffe aus imsem Häfen sind, augen-
scheinlich längst vorher instruiert, alle ausgelaufen
und auf hoher See, sich in neutrale Wasser zu ret-
ten. Wir konmien zu spät.*'
— 16 —
Als die drei französischen Delegierten in einem
Privathaus auf St. James* Square vor Schlafengehen
ihren Absinth schlürften, herrschte eine etwas be-
klonmiene, übermüdete Stinunimg.
„Ich weiss nicht recht . . doch mir scheint, als seien
Sie nicht ganz zufrieden, mein teurer Generali" warf
der Diplomat hin, mit forschendem, berufsmässigem
Seitenblick. Der Afrikaner genehmigte sich einen
Absinth und nickte gedankenvoll, schwieg aber.
„Was wollen Sie denn weiter?" brach der un-
geduldige Aristokrat los, der nun mal seine Pike
gegen den guten Republikaner nicht loswerden
konnte. „Verzeihen Sie, aber ein misstrauischer Rä-
soimeur ist hier nicht am Platze. Ging die Ver-
handlung nicht glatt von statten? Herrscht nicht
volle Ubereinstinunung über den Operationsplan mit
imsem englischen Alliierten? Alles in bester Ord-
nung I Wozu also Ihre Sorgenfalte?'*
„O, was das betrifft," begann der Afrikaner
langsam, „so habe ich keine Bedenken über die
gegenwärtige Augenblickslage. Wollen wir einmal
den Revanchekrieg gegen unsre j^iseitsrheinischen
Nachbarn führen — "
„Was jedes echten Franzosen einzige Sehnsucht
seit dreissig Jahren 1" fiel der Generalstäbler heftig
und etwas giftig ein. „Ich will nicht hoffen^ dass
Sie in letzter Stunde noch an der Nützlichkeit tmsrer
grossen Unternehmung zweifeln 1"
Der General sah ihn finster an. „Und ich will
hoffen, dass Sie einen provokanten Ton vermeiden.
— 17 —
Am Vorabend des Nationalkriegs ziemt sich kein
persönlicher Zwist."
„Aber meine Herren 1" beschwichtigte der Di-
plomat. „Was soll das hier? Am Patriotismus des
Herrn Generals zu zweifeln, fiel doch natürlich dem
Grafen nicht ein. Es lässt sich freilich nicht leug-
nen, dass ein grosser Teil des französischen Volkes
sich sozusagen mit dem Frankfurter Frieden ab-
fand. Die ganze jüngere Generation denkt etwas
skeptisch, um nicht zu sagen zynisch, über die El-
sässer Frage. Doch Ihr ,Wenn* sollte ja eine Er-
gänzung haben, als man Sie imterbrach: Was woll-
ten Sie sagen?"
„Wenn wir Deutschland angreifen wollen — ,"
hob der Afrikaner wieder an, doch diesmal erhob
der Diplomat selber Einspruch mit verbindlich ironi-
schem Lächeln:
„Pardon, wenn mm auch ich Sie unterbreche
und diesen Verstoss gegen guten Ton zu verzeihen
bittet Wir Deutschland angreifen 1 Nicht mal im
Privatgespräch dürfen wir solche Wendung brau-
chen. Natürlich sind wir die meuchlings und über-
mütig Angegriffenen! Wir nehmen die Herausfor-
derung an, das ist alles 1" Dass Frankreichs jähe
Attacke gegen Marokko den Krieg unweigerlich her-
aufbeschwor, musste möglichst durch Flunkereien
umgedeutet werden, als habe Deutschland aus freier
Hand freventlich den Vogesennachbam angerem-
pelt. Der Afrikaner zuckte die Achseln: „Bah,
wir sind ja unter uns. Wozu Flausen machen ? Wenn
Völker EnropM . . . | 2
— 18 —
man jemanden boykottiert, so greift man' ihn nicht
au, aber zwingt ihn zu Repressalien. Die von Del-
cass6 inaugurierte Politik, deren Zwecke wir fort-
setzten, hat völlige Isolierung Deutschlands im Auge
und ist genau so aggressiv, wie Louis Napoleons ge-
heime Intrigen vor 1870. Unterschied bei dieser
Ähnlichkeit liegt nur darin, dass damals Osterreich
und Italien ihre Verbindlichkeit nicht erfüllten, weil
unsre Niederlage sich überstürzte, während heut un-
ser AUüerter England wirklich die Walstatt betritt.
Offen gestanden, zu meiner grössten Überraschung I"
„Wie, Sie meinen, England würde — Sie fürch-
teten, es werde uns am Ende doch noch im Stich
lassen?" Der Diplomat schüttelte leicht den Kopf.
„Da waren Sie falsch unterrichtet. Hierin sind nur
wir vom Quai d'Orsay kompetent. Glauben Sie,
wir wagten uns leichten Herzens in solch Aben-
teuer ? O nein, wir hatten zu bestinunte Abmachungen
imd Versicherungen von jenseits des Kanals."
„Ich fürchte die Danaer, auch wenn sie Ge-
schenke bringen!" murmelte der Afrikaner.
„Ach Sie quält noch immer das Gespenst von
Faschoda!" näselte der Generalstäbler. „Gewiss sehr
peinlich, doch England gab uns ja volle Revanche
durch dies Bündnis, gab uns Marokko für Ägypten 1"
„Sind Sie dessen so sicher? England schenkt
immer freigebig, was man sich erst holen soll. Wir
haben Marokko noch nicht. Gott gebe, dass wir
es jemals kriegen 1"
„Solche Schwarzseherei immittelbar vor der Ak-
— 19 —
tion scheint mir mindestens nicht vorteilhaft." Der
Aristokrat runzelte die Stirn.
„BsLh, Sie kennen die Verhältnisse dort imten
nicht," trumpfte der Afrikaner ihn gelassen ab. „Sie
reden von Afrika, wie ein Pariser von Paris, und
haben keine Ahnung."
„Das alles bringt uns von Ihrer ursprünglichen
unterbrochenen Bemerkung ab!" kam der Diplomat
neuen Zwistigkeiten zuvor.
„Nein, im Grunde bringt es nähert Umschreibt
nur im voraus, was ich sagen wollte 1" versetzte der
General gemessen. „Also nochmals: wollen wir uns
mit Deutschland schlagen, so ist die Stunde ims
listig. Der politische Horizont verändert sich oft
über Nacht, nur heut sind wir Englands sicher."
„Gerade weil unser eigentlicher Alliierter Russ-
land so gut wie ausgeschaltet ist," bestätigte der Di-
plomat. „Bündnis mit England, solange Russland in
voller Macht, wäre uns unmöglich gewesen. Trotz
alles englischen Hasses gegen Deutschland würde
England sich gehütet haben, dem Zweibun^ beizu-
treten und so nur Russlands Obmacht auf dem
Kontinent zu fördern. Nun Russland leider fürs
erste beseitigt — "
„Also denn!" Der Aristokrat schlug imgeduldig
mit der Hand auf den Tisch. „SoUten wir etwa
warten, bis die Zarenmacht sich wieder erholte ? Das
könnte ein Lustrum dauern I Jedenfalls begleitet uns
Russland mit seinen Sympathien. Italien und Spanien
mit etwas mehr . . . imd Frankreich und England
2*
20
werden mit Deutschland schon fertig werden. Ich
weiss wohl/' fuhr er hastig fort, da der Diplomat
bedeutungsvoll seine Augenbrauen hochzog und der
General sich jeder Beistimmung enthielt, „dass wir
möglichenfalls zu Lande Rückschläge erleben wer-
den, doch unsere Flotten werden dafür Deutsch-
land zur Raison bringen. Handel und Flotte ver-
nichtet, lange Küstenblockade, schwere ökonomische
Depression im Innenlande, Missvergnügen der Be-
völkerung, Aufruhr der Sozialdemokraten . . . o, ich
sehe rosig in die Zukunft!"
„Diese Zukunftsmusik gönne ich Ihnen I" gähnte
der General leicht, als langweilten ihn solche optimi-
stischen Prophezeiungen. „Mag sein, dass es so
kommt, hat sogar Wahrscheinlichkeit für sich. Aber
ich wiederhole: nicht um nächste Gegenwart gräme
ich mich. Ich meinerseits höre auch Zukimftsmusik
in weiterer Feme, und die tönt nicht lieblich."
„Ah, wenn ich Sie recht verstehe, hören Sie
Disharmonie mit unserm teuren Alliierten ? Hm, man
hat so seine Gedanken 1" Der Diplomat bhes nach-
denklich den Rauch seiner Zigarette vor sich hin.
„WasI Verrat ?l" fuhr der Edelmann auf.
Denn wo Begriffe fehlen, da stellt französischen Ge-
mütern das Wort Verrat zur rechten Zeit sich ein.
Der Diplomat lächelte. „Nicht gerade Verrat I
Der Herr General vermutet nur . . Darf ich Sie
bitten, sich deutlich auszudrücken ? Wir sind ja unter
uns als Patrioten."
„Wohlan I Sie werden die politische und diplo-
— 21 —
matische Geschichte Europas wohl besser kennen als
ich. Als ungelehrter, bescheidener Soldat weiss ich
nur so viel, habe aus der Geschichte gelernt, dass
Englands Bündnisse immer nur einem Vorteil brin-
gen, England selber. Da war der Siebenjährige
Krieg — "
„Ganz recht 1 Friedrich der Grosse diente nur
dazu, Hannover für England zu schützen und unsere
Finanzen durch endlosen Landkrieg zu ruinieren.
Subsidien wurden ihm schäbig und unregelmässig
bezahlt, und am Schluss liess man ihn einfach im
Stich, schloss Separatfrieden mit uns. Nachdem man
unsere Kolonien geraubt, unsere Seemacht zertrüm-
mert hatte, welches Interesse besass England noch an
Unterstützung des armen Preussen ? Nun und später,
da hatte Preussen wieder ein Lied davon zu singen,
wie England seinen Freunden Treue hält. Deutsch-
land musste Napoleons Sturz nur besorgen, lun Bri-
tanniens Meerbeute in Sicherheit zu bringen. Auf
dem ersten imd zweiten Pariser Frieden fanden als
Dank die deutschen Interessen keinen ärgeren Feind
als das verbündete Inselreich, als den bei Waterloo
durch Preussen geretteten Wellington."
Der Diplomat, jener historisch geschulten Gat-
tung neuer französischer Staatsmannschaft angehö-
rig, wie sie in Hanotaux' Richelieu-Buch ihren Aus-
druck findet, trug diese Reminiszenzen nicht ohne
Behagen vor. Selbst der Nationalist stutzte be-
treten und nahm zum Absinth seine Zuflucht, indem
er flüsterte: ,Ja, das perfide Albion I"
— 22 —
Der alte Soldat nickte. „Und was schliesse ich
daraus ? Nicht viel Schönes. Meine Lebenserfahrung
lehrte mich, dass Menschen sich niemals ändern,
und Völker auch nicht. Egoisten sind wir alle, aber
die englische Politik treibt die Selbstsucht bis zur
Ehrlosigkeit. Nehmen wir an, wir würden auf dem
Festland gänzlich geschlagen, England aber zer-
störe mittlerweile Deutschlands Flotte und Seehan-
del — was verlangt es noch weiter? Wenn seine
Kaufleute über eigene Handelsschädigung während
der Seeblockade murren — denn der Export seiner
Industrie nach Deutschland-Österreich wird für das
Inselland doch während des Seekriegs unterbunden,
und wer weiss, ob nicht deutsche Kreuzerkaper auch
ihrerseits Unheil anrichten 1 — wozu sollte man den
Krieg weiterführen, da doch der eigene Sonderzweck
dann schon err^cht bt?'*
„Ich fürchte, Sie haben nicht ganz unrecht,"
murmelte der Diplomat. „Deutschland seinerseits
wird nicht an Nachgeben denken, solange es zu
Lande übermächtig bleibt. Stehen seine Heere vor
Paris, kümmert sich's wohl wenig um Blockade seiner
Häfen. Wozu sollte England weiter die schweren
Kriegskosten auf sich laden, da es doch auch seine
Landmacht daheim mobilisiert halten muss, ohne
sie aktiv verwenden zu können?'*
„Wieso nicht aktiv? Landung an deutscher
Küste — " wandte der Generalstäbler ein, aber der
General lachte nur.
„Das glauben Sie als Fachmann wohl selber
— 23 —
nicht I Habe mir erzählen lassen, der alte Bismarck
habe auf die Frage nach solcher Möglichkeit, was
man gegen das Landungskorps tun solle, trocken
gespottet: „Man wird die Leute verhaften/* Ein
guter Witz. Ist ja bloss komisch, nur für grössenwahn-
sinnige Jingos denkbar. Das bi&schen britische Armee
inmitten der riesigen deutschen Kriegsmacht I Schon
die Landwehr genügt, sie zu erdrücken."
„Übrigens trösten Sie sich," brach der Diplomat
ironisch ab, „solch Missgeschick wird unsere teu-
ren Verbündeten niemals treffen. Die berühmte
Landung von hunderttausend Briten, die Lord Lans-
downe dem braven Herrn Delcass^ versprach, würde
doch nie stattfinden. Welch Interesse hätte Eng-
land, zu imsem Gimsten solch Wagnis zu versuchen I
Ihm liegt nur daran, Deutschland maritim mög-
lichst zu schädigen. Ist das geschehen, hat*s seine
Aufgabe erfüllt und kümmert sich keinen Deut um
unser Wohlergehen. Mein Gott, das ist so
menschlich 1"
,^ber das britische Kriegsdepartement stellte
doch in Aussicht, eventuell Hilfstruppen über
den Kanal zu schicken," betonte der Nationalist,
schon etwas kleinlaut. Doch der General lachte
wieder.
„Die will ich erst sehen, eher glaub' ich*s nicht.
Und die hunderttausend — höchstens, günstigsten-
falls, denn seine Milizfreiwilligen darf England doch
nicht ausser Landes verwenden — werden den Kohl
auch nicht fett machen, wo wir Kontinentalen nach
— 24 —
bewaffneten Millionen rechnen. Würde nur unnütz
unsere eigenen Verpflegungskosten erhöhen. So viel
Lärm um eine Omelette I Die albernen Prahler mit
ihrem Tommy Atkinsl** Der Stockfranzose sprach
diesen Spitznamen des britischen Söldnersoldaten
mit breiter Nachäffung aus.
„Nun, dann bliebe inmier noch Landung in Hol-
land!'* nahm der Generalstäbler gewichtig das Argu-
ment wieder auf. „Man hat's uns zugesagt.'*
„Mit Verletzung der Neutralität, nicht wahr?"
brunmite der General unwirsch. „Ja, ja, sie munkeln
davon, und gegen Schwache waren sie immer kühn."
„Es wäre doch etwas gewagt," flocht der Diplo-
mat ein, „sich gerade das Land des Haager Schieds-
gerichts für Neutralitätsbruch zu wählen 1"
„Achl Damit wird man's sonst nicht so genau
nehmen 1" lächelte der Sendling der Rue St. Do-
minique. Alle sahen sich bedeutimgsvoll an.
„Jawohl, aber halten Sie die Preussen für so
dumm, uns gewisse Dinge nicht nachzumachen?"
betonte der General. „Ehe die Briten in Holland
landen möchten, sind dort sicher die Preussen schon
da. Nein, nein, das alles sind Schimären. Auf direkte
englische Hilfe haben wir nicht zu rechnen, nur
auf indirekte, die England auf eigenes Konto zu
eigener Absicht liefert. Ob es dabei so vollen
Erfolg hat, wie man hofft, ist nicht mal sicher.
Wenn aber, so wird es eiligst Frieden, schliessen
über unsem Kopf weg, sobald es ohne ersichtlichen
Nutzen seine Kriegskosten weiter vergeuden soll.
— 25 —
Vergessen wir doch nicht, das$ eine starke Friedens-
partei hier am Werke isti Wir allein werden den
Schaden bezahlen/'
,»Ich mag das nicht länger hören I" Der Na-
tionalist erhob sich ungestüm: „Sie setzen immer
voraus, dass wir unterliegen, doch wir werden
es nicht. Numerische Überzahl der Deutschen ? Müs-
sen sie nicht eine Masse Streitkräfte an der russi-
schen Grenze belassen, Österreich auch? Und letz-
teres wird später von Italien abgezogen I"
„Dass Gott erbarmt Italien 1" Der »Afrikaner'
spie verächtlich aus. „BUden Sie sich nur keine
Illusionen I Ich will zugeben, dass Deutschland vor-
sichtigerweise nicht seine Gesamtmacht gegen uns
werfen darf, doch wir selbst müssen doch auch
Algier bewachen und Marokko bekämpfen. Wer
bürgt dafür, dass Russland sich überhaupt rührt,
oder dass Italien emstUch eingreift I Auf etwelche
Übermacht der deutschen Streitkräfte müssen wir
immer rechnen."
„Was? und die individuelle Überlegenheit des
französischen Soldaten?" Der Alte schnitt ein sau-
res Gesicht, und der Diplomat starrte schweigend
in die Luft. „Und unsere überlegene Schnellfeuer-
artillerie ?**
„Letzteres zugestanden, ersteres der neuen Probe
überlassen, bleibt als günstigste Erwartung übrig:
Wechselvolles entscheidungsloses Ringen, immer
angenommen, dass Deutschland nicht seine ganze
Übermacht entfalten und Österreich ihm nicht oben-
— 26 —
drein aushelfen kann. Was dann ? Auch nur dasselbe
Ergebnis: wir erfolglos, England durch maritimen
Erfolg gesättigt, infolgedessen friedenslustig. Dann
bleiben wir allein und bekommen jedenfalls nichts
für all unsere Opfer, wenn wir nicht gar noch etwas
verlieren."
„Ach, das sind lauter Schreckgespenster von
Schwarzguckemi'* rief der Nationalist zornig. „Die
Armee hat nur daran zu denken, dass wir endlich
unsere Revanche holen. Nur mit Zuversicht meistert
man das Glück. Wir werden diesen verfluchten
Preussenhunden zeigen, wie scharf geschliffen heut
Frankreichs Degen ist. Ich begreife nicht, mein Ge-
neral," seine Stimme nahm unwillkürlich wieder pro-
vokatorische Färbung an, „wie Sie es mit Ihrer
Vaterlandsliebe verantworten können, just vor Be-
ginn der Schlacht den Alarmisten zu spielen."
„Ich muss Sie ersuchen, mir selbst das Urteil
über mein Denken zu überlassen," mass ihn der
Alte mit funkelndem Blick. „Mein Handeln wird
einfach das eines Soldaten sein, der seine Pflicht
tut bis aufs äusserste. Zum Warnen ist's zu spät,
das Glas muss ausgetrunken sein, wie man es ein-
gesdienkt hat. Ich werde von Stund an, auf französi-
schem Boden, meine Lippen versiegeln. Denn Sie
haben recht, man soll sich und andere nicht selber
entmutigen. Aber da man mich einmal fragte, be-
kannte ich ehrlich meine Befürchtung, tmd mir ist's
lieb, dass ich so ein Zeugnis hinterlasse, nicht jeder
Franzose sei einfältig ins englische Garn gerannt.
— 27 —
Ja» ich bitte um Ihre Verschwiegenheit» denn heut
kann's nichts nützen, meine düstere Meinung zu
verbreiten, doch vielleicht werden Sie mir später als
Zeugen dienen, dass ich manches vorausgesagt.
Wolle Gott, dass ich kein Prophet binl**
„Mit anderen Worten," fiel der Diplomat ein,
„Sie fürchten nicht den Feind, sondern den falschen
Freund."
„So tu' ich. Und gehe noch weiter. Denn vor-
ausgesetzt den mir unwahrscheinlichen Fall, Deutsch-
Land würde von seiner Machtstelliuxg herabgedrückt,
selbst daim sehe ich kein Heil für die Zukunft/'
„Wie das?' staunte der Diplomat, imd der Na-
tionaUst riss die Augen weit auf.
Der Alte sah finster vor sich hin. „Sie fragen
vielleicht, warum gerade ich zur KassandraroUe be-
rufen sein soll. Das will ich Ihnen erklären und
dann begreifen Sie sicher. Ihr alle stiert mehr oder
mktder hypnotisiert auf die Vogesen. Meinethalben,
obschon ihr so gut wie ich von mancherlei Augen-
zeugen hörtet, wie völlig Elsass imd selbst Metz
heut teutonisiert ist. Gesetzt den Fall, wir erwürben
es zurüde, was machen wir nüt der deutschen Bevöl-
kerung, die nun ihrerseits vom Mutterlande Be-
freiung und Revanche hoffen würde ? Und die Deut-
schen sind eine grosse, stolze Nation, die ihre Volks-
ziffer jährlich tun eine Million erhöht, schon jetzt
ein volles Drittel volkreicher als Frankreich. Würden
die sich ruhig gefallen lassen, dass ihnen Elsass,
das sie nun einmal für altes deutsches Land halten,
— 28 —
heut natürlich germanischer denn je, wieder ent-
rissen wird? Also bloss Umkehr der Revanche,
neuer, endloser Kampf, und diesmal mit britischer
Hilfe für uns ? Wohl katun, weit eher vereintes Her-
fallen beider germanischer Reiche über unsere Gren-
zen \md Kolonien, beste Gelegenheit für England,
dem dann ein geschwächtes Deutschland maritim
nicht mehr gefährlich wäre, unser afrikanisches Reich
einzustecken. Denn jetzt komme ich zmn Kern
der Frage. Ich bin nicht wie ihr ma das bisschen
Elsass bekümmert, ich lernte da draussen die wahre
Zukunft Frankreichs in Afrika kennen, die einzige
Aussicht, uns durch Kolonisierung neue Bahnen
zu öffnen.*'
„Und die will uns eben Deutschland in Ma-
rokko sperren 1*' brauste der Nationalist auf.
„Sind Sie dessen so sicher? Kann Deutschland
etwa je daran denken, Marokko wie ein Kiautschou
zu pachten oder, wie wir wollen, es zu tunisieren?
Nein, es will bloss Freihafen für seinen Handel
und seinen Einfluss in der muhamedanischen Welt
behaupten. Dagegen England, imser teurer Allüert er,
sieht es wirklich nicht scheelen Blicks auf unsere
Besitznahme Marokkos, auf Erweiterung unseres
afrikanischen Reiches? Ah bah, ich war da unten
mit Marchand, ich schmeckte Faschoda in der Nähe,
ich weiss, was ich von Englands zärtlichem Werben
zu halten habe, denn ich kenne seine Gelüste."
„Ah, ein Anglophobel" lächelte der Diplomat.
„Heut nicht mehr Model"
— 29 —
„Oho, Anglophobe war ich auch, aber immer
mehr Germanophobe I" trumpfte der Nationalist auf.
„Zum Tetifel, das Hemd ist ims näher als der Rode,
die Vogesen näher als der Atlas 1"
„Das ist optische Täuschung," versetzte der Ge-
neral gemessen. „Für alle, die Frankreichs wahre
Wohlfahrt studierten, ist Algier wichtiger als Metz.
Die Deutschen wollten uns nichts Ernstes mehr tun,
was sollten sie uns auch nehmen? England aber
sinnt auf nichts als Zeit und Ort, um unsere ganze
afrikanische Herrlichkeit in Stücke zu schlagen.'*
Der Diplomat nickte leicht und blies den
Dampf seiner Zigarette in blaue Ringel. „Nun ja,
der Plan von Cecil Rhodes, ganz Afrika zu britischem
Besitz zu machen, blieb ja kein Geheimnis. Und
dass England mit Abessynien anbinden will und sich
über angebliche Greuel im Kongostaat sittlich ent-
rüstet — sittliche Entrüstimg meint bei England
immer Annexion — ist ja bekannt genug. Der Appe-
tit kommt beim Essen, und es wäre immerhin möglich,
uns aus Senegambien und Sudan allmählich hinaus-
zudrängen. Madagaskar liegt als französische Ko-
lonie auch unbequem für die indische Route, und
Algier ist ein zu fetter Bissen, als dass er nicht
längst den britischen Heisshunger in die Nase
stechen sollte."
Der Nationalist starrte ihn an : „Sie machen mir
ernstlich bange. Trauen Sie den Leuten wirklich
zu — ?"
„Vergessen wir doch nicht, dass die Briten seit
— 30 —
dem Mittelalter unser einziger wirklicher Erbfeind
waren. Wir haben die Deutschen mit Krieg über-
zogen, ihnen viel Übles getan, doch erst seit Lud-
wig XIV., und sie haben uns im Grunde bloss wie-
der abgenommen, was wir von ihnen weggerissen.
Aber England — sind denn seit Crecy und Azin-
court bis auf Trafalgar und Waterloo nicht immer
wir die Opfer seiner Arglist und Raublust gewesen ?
Wo sind all unsre einstigen Kolonien? In den Zäh-
nen des britischen Leopards. Glaubt man, der grosse
Napoleon habe umsonst England als unversöhnlichen
Todfeind Frankreichs gehasst? Und jetzt auf ein-
mal soll alle Vergangenheit ausgelöscht, nur Deutsch-
land tmser Erbfeind sein? Das ist doch zu naiv.
Nein, unsre teuren heutigen Alliierten sind imd wer-
den sein, was sie immer waren: unser gefährlich-
ster gierigster Feind. Die Deutschen wollen nichts
Andres mehr von uns, als dass wir uns endlich mit
dem Frankfurter Frieden abfinden, im übrigen
streckten sie uns ja oft genug ostentativ die Hand
entgegen."
„Jawohl, deutsch-französisches Bündnis, ich
danke schön!" murrte der Nationalist. „Erst Metz
heraus, dann wollen wir weiter reden."
Der General zuckte die Achseln. „Meinethal-
ben, dann nicht. Wir brauchen uns ja nicht vor
Freundschaft um den Hals zu fallen. Aber statt
dessen sich England in die Arme stürzen, das von
uns ganz andre Dinge will, das uns schon Ägyp-
ten abgeknöpft hat und nur auf Gelegenheit wartet.
— 31 —
unsre afrikanische Zukunft zu zerstören — das ist
mir zu bunt. Ob Herr Delcasse von König Eduard
oder Marquis Lansdowne gekauft worden sei, wie
doch manche Gerüchte behaupteten, weiss ich nicht.
Vielleicht ist er nach seiner Meinung ein guter
Patriot, aber sicher ein sehr dummer Kerl. Die
russische Allianz folgte natürlicher Logik, weil Russ-
land unsren beiden Feinden England und Deutsch-
land feindlich gesinnt mit Interessengegensatz, aber
diese englische Entente ist schmachvoller Wahn-
sinn. Kein Interesse ist uns gemeinsam, wohl aber
tausend Interessen wechselseitig feindlich. Hand
aufs Herz, man hat die Preussen bei uns bitter
gehasst, aber heut verflog das längst, nur Anti-
pathie gegen England ist allen Franzosen ange-
boren. Und die Briten — glauben Sie vielleicht,
die lieben und achten uns? Ach, den Deutschen
tim sie die Ehre des Hasses an, uns belächeln sie
mit gnädiger Herablassung. Ist's nicht so?"
Der Diplomat lächelte. „Eigentlich ja. Doch
mich dünkt, dabei wissen sie recht gut, dass nur
wir ihnen gefährUch werden könnten. Nur unsre
Marine ist so stark, nur unsre Kolonialmacht so
gross, unsre Lage in Afrika ihnen so nahe, nur
unsre Küste für Landung bei Dover geeignet, nur
wir als Katholiken sind fähig, eine irische Rebellion
zu benützen — das alles weiss England ganz gut."
„Das hoff ichl" Der Nationalist warf stolz den
Kopf in den Nacken. „Und eben deshalb wird das
perfide Albion sich hüten, mit uns anzubinden,"
— 32 —
Der Alte lachte heiser. „Da kennen Sie diese
Leute schlecht. Ob die Engländer wirklich zur Rolle
de^ Römer berufen sind und einst die ganze Welt
anglisieren werden, jedenfalls halten sie sich selbst
dafür und möchten ihr British Empire als Impe-
rium Romanum von Pol zu Pol ausdehnen. Das ist
ihr heimliches, unbeirrtes Streben von Jahrhundert
zu Jahrhundert. Nur Napoleon hat sie richtig er-
kannt."
,»Sie dünken sich das auserwählte Volk, dem
der Herrgott die Erde gegeben mit ihrer Fülle,"
pflichtete der Diplomat bei.
, Ja, da unten in Afrika lernt man sie kennen.
Nein, grade weil sie fühlen, dass nur wir ihnen mal
gefährlich werden könnten, suchen sie nüt heuch-
lerischem Judaskuss imsre Freundschaft, um später,
haben sie uns benutzt, ihren Streich zu führen. Die
würden uns nicht dreimal, sondern hundertmal ver-
leugnen, wenn es in ihren Kram passt. Begreift
ihr denn nicht dies Spiel? Vor Russlands jetziger
Schwächung hätten sie nie an Bündnis mit uns
gedacht, weil Russland zu gründlich von Englands
Feindschaft überzeugt ist, um gutwillig dessen
falsche Avancen hinzunehmen. Wir allein aber sind
nie stark genug, um England an die Wand zu
drücken. Eine heimlich drohende deutsch-franzö-
sisch-russische Koalition war allein zu fürchten. Nun
half das Schicksal, Russland vorerst auszuschalten,
und jetzt gilt es, Deutschland und Frankreich noch-
mals unheilbar zu verhetzen. Wäre aber Deutsch-
— 33 —
land auf einige Zeit abgetan, dann kommt Frank-
reich an die Reih«, dann gibt*s plötzlich eine deutsch-
englische Belle Alliance gegen uns. So denk' ich
mir die Sache."
„Divide et imperal*' nickte der Diplomat. „Ich
fürchte, Sie folgern logisch, mein General. Nur
malen Sie zu schwarz. Atifgeschoben ist oft auf-
gehoben. Sie berücksichtigen nicht die liberale Strö-
mung in diesem Volk von Kaufleuten, die anti-
militaristische, anti - imperialistische Richtung der
inneren Politik."
„Bah, darauf geb' ich nicht einen Pfifferling.
Ein Volk von Shopkeepers waren sie schon lange,
dem sein Handelsinteresse über alles ging: hat dies
je ihren Imperialismus gehindert ? Wer regiert denn
England? Die Kaufleute?"
„Ich denke, das Parlament," brummte der Edel-
mann. „Uns armen Franzosen hat man doch seit
Rousseau und Voltaire stets die englische Ver-
fassung als demokratisches Muster vorgehalten. Gott
sei's geklagt I"
Der Diplomat lächelte, der General lachte dem
Aristokraten geradezu ins Gesicht: „Das ist ja der
ungeheure Schwindel, mit dem dies hochmütige In-
selland so viele Kontinentalen düpierte. Aufrichtige
Demokratie gibt*s überhaupt nur in Ländern lateini-
scher Rasse. Heut noch blieb England das konser-
vativste Land der Welt; Bestreiten Sie das ?" wandte
er sich an den Diplotnaten.
„Keineswegs. Ich war früher in Petersburg xmd
Völker Europas . . . ! 3
— 34 —
Berlin, den zwei Bollwerken des Feudalregime, doch
ich muss bekennen, manche meiner VorsteUungen
haben sich da sehr geändert. Lägen die Dinge in
Preussen so, wie Oberflächliche dem äussern Anschein
glauben, dann hätte die Sozialdemokratie dort nie
solche organisierte Gewalt bekommen können. Und
in Russland wäre diese jähe, ungeheure Revolution
immöglich gewesen, wenn nicht ein schroff demo-
kratischer Zug dort von oben bis unten längst ge-
herrscht hätte. Der russische Adel ist teilweise tm-
endlich liberaler als der englische, äussere Standes-
unterschiede sind in der Gesellschaft dort förmlich
verpönt, der Bürger und gar der Gebildete verkehrt
mit dem Hochadel ohne jede Spur der snobhaften
Unterwürfigkeit, wie der englische Mittelstand sie
der Nobility entgegenbringt. Kurz, in England, das
sich angeblich amerikanisierte, regiert heut noch
wie vor alters die Aristokratie.'^
„Sehr gesund 1" murrte der Nationalist. „Darin
liegt seine Stäike.'*
Der General blitzte ihn zornig an: „Diese Pri-
vatmeinung lass' ich Ihnen. Aber dann sollten Sie
diese Stärke um so mehr fürchten. Unsre radikale
Demokratie der Republik ist den britischen Oli-
garchen heut genau so ein Dom im Auge, wie zur
Zeit der grossen Revolution und Napoleons, der
immerhin ein illegitimer Volkskaiser war. Der
unerbittliche Hass, taut dekn sie uns damals ver«
folgten, war noch mehr ein feudaler als ein
nationaler.'*
— 35 —
„Natürlich!" fuhr der Legitimist hitzig auf. „Ich
sagte ja immer, dass wir seit dem Sturz unsrer an-
gestammten Dynastie von Gottes Gnaden immer
unbeUebter und isolierter in Europa wurden I"
„Pst, werter Grafl*' warnte der Diplomat. „Das
gehört nicht hierher."
„O ja, imbeliebt bei den Dynasten, beliebt bei
den Völkemi" trumpfte der Alte ab. „Die Demo-
kratie aller Lande blickt auf Frankreich als ihr
geistiges Oberhaupt. Diese moralischen Eroberungen
sichern uns für immer die Sympathie der Lateiner
imd Slawen überall auf Erden, bezüglich Italien
zeigt uns seine offizielle Annäherung bereits den
praktischen Wert solcher — solcher — "
„Imponderabilien," ergänzte der Diplomat, dem
diese durch Bismarck eingeführte Politikerphrase
geläufig war. „Ich gebe zu, dass sogar für die
heutige Entente eine Zuneigimg der liberaleren
Kreise Englands mitbestimmte, sie erst ermöglichte.
Uns verzieh man unsere masslose Burenbegeiste-
rung und Engländerhetze, während des Transvaal-
kriegs, indes man den Deutschen das gleiche bis
heute nachträgt. Und nicht mal das gleiche. Denn
der Kaiser Wilhelm lehnte ja schroff jeden Empfang
der Burenhäupter ab, bei uns liess sogar der Erz-
bischof von Paris bei Ankunft des Protestanten Krü-
ger alle Festglocken läuten.'*
„Es war herrlich 1" Der Bretone sah die an-
dern herausfordernd an. „Und danach schwatzt
man noch von Intoleranz der katholischen Kirche 1
3*
— 36 —
Solchen edeln Patriotismus vergalten die Herren
Combes und Rouvier durch brutale Unterdrückung!
Doch Atheisten ist ja nichts heilig, nicht mal das
Ehrgefühl."
„Ich darf so etwas nicht hören," mahnte der
Diplomat offiziös. „Ich muss mir verbitten, dass Sie
Äusserungen ttm, die auch des Herrn Generals Ge-
fühle verletzen."
„Ah pardoni Ich habe eine Rüge meines Rang-
vorgesetzten verdient." Der Legitimist neigte mit
ironischer Demut das Haupt. „Doch wess das Herz
voll ist, dess gehet der Mund über."
„Ich rüge durchaus nicht," versetzte der Ge-
neral gelassen. „Wir sind, zufällig vereint iii ge-
meinsamer patriotischer Mission, hier Kameraden
unter uns. Und von mir, Oberst, werden Sie wohl
keine Angeberei erwarten. Nach dem Krieg, wenn
wir beide ihn überleben, mögen die alten Zwistig-
keiten zwischen uns Franzosen wieder aufleben, bis
dahin Friede 1 und werde jeder selig nach seiner
Fasson. Ich selbst bin Freidenker, doch fällt mir
nicht ein, den Patriotismus unsres Klerus anzuzwei-
feln. Denn die römische Kirche passt sich ja überall
dem Nationalcharakter an. Mir schien immer ein
Irrtum, den Katholizismus an sich für die spanische
Inquisition verantwortlich zu machen. In Spanien
ist er eben grausam und borniert wie das spanische
Volk, in Italien machiavellistisch und kunstsinnig
wie die Italiener, in Deutschland zänkisch und schwer*
fällig wie die Deutschen, in Frankreich und Polen
— 87 —
in erster Linie national, weil Chauvinismus dort
oberstes National^esetz. Unsre gallikanische Kirche
war immer gut französisch den Anmassungen Roms
gegenüber seit alter Zeit. Ich tue Ihnen und Ihren
Gesinnungsgenossen daher nicht das Unrecht an,
dass ich etwas Anderes als patriotische Haltung er-
wartete bei den jetzigen Wirren, mögen wir nun
siegen oder imterliegen. Aber ich muss erinnern,
dass auch unsre religiösen Verhältnisse den bigotten
Briten ein Greuel sind, den einen unsre Freigei*
sterei, den andern unser Katholizismus. Von wirk-
licher Entente, gegenseitigem herzlichen Verstehen
rwischen Briten und Franzosen kann also überhaupt
keine Rede sein, unser ganzes Wesen ist antipodisch
wie Feuer imd Wasser. Lehren Sie mich die Bri-
ten kennen I Da draussen in Afrika erfährt man, mehr
von unsem wiiklichen Beziehimgen, als hier zwi-
schen Paris tmd London."
„Ohol" schmunzelte der Diplomat. „Unsereins
ist auch nicht auf den Kopf gefallen. Ich' beob-
achtete genug, um Ihnen beizustimmen. So selt-
sam es klingt, scheint mir die nächste Verwandt-
schaft zwischen zwei Völkern nur zwischen den zwei
angeblichoi Todfeinden zu bestehen: Briten tmd
Deutschen. Geistig nun schon ganz sicher, siehe
literarische Wechselwirkung. Ist etwa Shakespeare
bei uns populär oder Goethe? Die Deutschen ma-
chen aus Shakespeare einen Gott, die Gebildeten
Englands seit Carlyle dito aus Goethe. Über
Racine und Victor Hugo lachen beide, hoch-
— 38 —
stens Zola ist in Deutschland verehrt, hab* ich
vernommen 1'*
„Der Schmutzfink I Der Verräter!'* brauste der
Nationalist auf. „Was kümmert uns die Unbildung
dieser halbbarbarischen Völkerschaften, ihr schlechter
Geschmack I Doch Sie selbst geben zu, dass die
Briten ims unsre Parteinahme für die ketzerischen
Buren verziehen, den Deutschen nicht. Da sieht
man doch, wie sehr der Herr General übertreibt,"
fügte er spitz hinzu, „wohin allein Englands unver-
söhnliche Feindschaft zielt. Den antifranzösischen
Verrat, den der Herr General von Grossbritannien
dereinst erwartet unter Aussöhnimg mit dem ge-
hassten Deutschland, kann ich also nicht ernst
nehmen."
Der Alte lachte bitter. „Ich deute dies Sym-
ptom ganz anders. Unseren Britenhass übersieht man
grossmütig mit verächtlicher Herablassung, weU man
uns nicht mehr fürchtet, wenigstens nicht, solange
wir allein ohne deutsche Anlehnung. Die imver-
söhnliche Ranküne gegen Deutschland ist das grösste
Kompliment, das England ihm machen kann. Und
es gibt einen Hass, der verdammt ähnlich ist nüt
Hochachtung und heimlicher Zuneigung. O, man wird
noch Wunder erleben 1 Auch von dem Engländer-
hass der Deutschen halt' ich nicht viel, und dass
von Franzosenhass bei ihnen nichts mehr zu spüren,
wie ich mir habe sagen lassen, dünkt nüch auch
kein gutes Zeichen. Es ist wohl der nämliche Denk-
prozess wie umgekehrt bei den Briten: uns fürchtet
— 39 —
man nicht, achtet man nicht, die Briten hasst man,
weil man vor ihnen Respekt hat, aus nationaler
Eigenliebe.'*
„Sie sagen fortwährend Dinge, mein General,**
der Edelmann stand auf und reckte sich, „die ein
guter Franzose nicht ohne Erröten hören kann. Uns
nicht achten, nicht fürchten, uns, die wir die grosse
Nation hiessenl'*
„Wenigstens nannten wir uns selber sol" warf
der Diplomat ironisch ein.
„Nun, wir werden noch heute zeigen, wer wir
sind, werden Achtung und Furcht erzwingen. Frank-
reich steht an einem neuen Wendepunkt seiner
nationalen Grösse.'*
„Noch ist Polen nicht verloren," murmelte der
Diplomat. „Und wie denken Sie denn, mein Ge-
neral, über die Verhasstheit des heutigen Regime
in Deutschland, über kriegsfeindliche Haltung der
mächtigen Sozialdemokratie? Darauf setzt man in
unseren Regierungskreisen grosse Hoffi^ung."
„Wenn sie sich nur nicht täuscht I" Auch der
General stand auf und schnallte den Degen um, sich
zum Aufbruch rüstend. „In Reih imd Glied gegen
den Landesfeind werden die Deutschen ruhig mar-
schieren, ob Sozialdemokraten oder nicht. Sie haben
den Instinkt der Disziplin. Da müsste schon ein
Jena vorhergehen, wenn dort Aufruhr losbrechen
sollte nach russischem Muster. Nein, umgekehrt,
unsre eigenen Leute fürchte ich bei jedem Rück-
schlag, Sozialisten und Anarchisten. Werden wir
— 40 —
geschlagen, eine neue Kommune 1 So tief wie bei
uns gehen in Deutschland die Parteizwiste ohne-
hin kaum. Ein Offizierkorps, wo Republikaner und
Monarchisten, Freimaurer und Klerikale sich ge-
genseitig denunzieren imd befehden, gibt*s dort erst
recht nicht. Im Fall des Unglücks kann das eine
nette Bescherung werden!*'
Der Diplomat zudcte die Achseln und warf seine
Zigarette weg. „Wer leben wird, wird's sehen. Es
lebe die Bagatelle 1 In sechs Monaten sind wir
klüger als heut. Die Briten haben ein Sprichwort:
Prophezeie nie, wenn du nicht weissti Hoffen wir,
dass Ihr Pessimismus zuschanden wird. Gut Ding
will Weile haben, die Hilfe Italiens und vielleicht
Russlands muss erst ausreifen. Bis dahin müssen
wir uns über Wasser halten.'*
„Ganz meine Meinung. Wir werden tun, was
wir können. Auf Wiedersehen bis morgen auf dem
Üampfer, meine Herren I" Der Alte ging.
„Auf Wiedersehen bei Philippil" stiess der
Edelmann zwischen den Zähnen hervor. „Wol-
len sehen, wer standhafter für Frankreich ficht,
die Herren Republikaner oder wir vom alten
Stil. Aber recht angenehm, dies Gefühl, womit man
aus England zurückkehrt, vergiftet von solch arg-
wöhnischer Einflüsterung! Heiliger Name Gottes!'*
Er schüttelte sich, als wolle er etwas abwerfen.
„Der General hat mich angesteckt, ich werd*s nicht
mehr los. Kampagne beginnen mit einem Verbün-
deten, von dem man sich keiner Treue versieht, ist
— 41 —
kein erfreuliches Geschäft. All mein Enthusiasmus
ist zum Teufel. Vielleicht hätte man sich doch län-
ger besinnen sollen, eh man sich auf Englands
Lockung einliess. Warum habt ihr Diplomaten euch
nicht besser vorgesehen! Unsereins als Soldat
wünscht Krieg imd Revanche, doch eure Pflicht
war*s, die Sache kühler zu betrachten."
„Da haben wir'sl" rief der Diplomat erregt.
„Ich seh' es kommen, dass man uns Vorwürfe macht,
wenn die Soldaten den Brei verderben. Habt ihr
nicht immer beteuert, unsre Armee sei heut unüber-
windlich? Bah, das riecht ja schon nach dem ,leich-
ten Herzen' und »erzbereit* von 1870. Und geht*s
schief, dann sollen unsre Staatsmänner leichtsinnig
ins Verderben gesteuert haben. Hat man nicht da-
mals ^Rache für Sadowa' gebrüllt, und würde man
heut nicht jede Regierung als verkauft und ver-
räterisch gebrandmarkt haben, wenn sie vor Deutsch-
lands Forderungen in Marokko zurückwich? Die
Herren Nationalisten halten sich für Patrioten, wenn
sie patriotische Regierungen stürzen; so mögen sie
jetzt auch allein die Suppe ausessen, die sie uns
eingebrockt. Heiliger D^roul^de, steh uns bei 1" Zor-
nig schlug er hinter sich die Türe zu. Der Edel-
maim starrte ihm nach und seufzte schwer:
„Armes Vaterland I Verraten von radikaler Ka-
naille!"
Zu gleicher Stunde beherbergte das Foreign
Office in Downing Street eine Konferenz von inter-
— 42 —
nationalster Bedeutung. Besondere Bevollmächtigte,
nicht die üblichen Botschafter, sondern mit gehei-
men Instruktionen versehene Träger einer ausser-
ordentlichen Mission, tagten hier: die Vertreter der
Neutralen, soweit sie als Hauptmächte in Betracht
kamoi, nämlich Japans, Spaniens, Italiens und der
nordamerikanischen Union. Ein britischer Minister
imd ein hoher Militär leiteten die Verhandlung,
als Protokollführer diente ein noch junges Parla-
mentsnütglied, ein »kommender Mann' von vielver-
sprechender Routine. Der Minister war soeben tele-
phonisch abberufen, er hatte bei der türkischen Bot-
schaft angefragt und kehrte soeben missmutig zu-
rück. Obschon Grimd und Inhalt seines Telepho-
nierens unbekaimt, drückte der schlaue japanische
Staatskünstler sofort auf den wunden Punkt. Mit
seiner sanften Buschidostinune, die wie mit Sammet-
pfötchen streichelte, lispelte er unter fretmdlichem
Zwinkern der Auglein:
„Wir alle bedauern, dass unser hochverehrter
Kollege, der ständige Vertreter Sr. Majestät des
Kaisers der Osmanen, nicht an unsrer so wichtigen
Beratung teilnimmt. Es erregt eine gewisse Ver-
wundenmg, nicht wahr ? Wir sahen uns gleich nach
ihm lun. Vor Schluss der Konferenz möchte ich doch
darauf koknmen und bei unserm verehnmgswürdigen
Vorsitzenden Erkundigungen einziehen, ob — "
„Ich danke Ew. Exzellenz, dass Sie mir Gelegen-
heit dazu geben,** brach der Brite kurz ab. „Se.
Exzellenz der türkische Gesandte lässt sein Aus-
— 43 —
bleiben entschuldigen. Er ist immer noch krank-
heitshalber ans Bett gefesselt."
„O, wie unendlich wir dies beklagen 1" seufzte
der Japaner. »»Vollzählige Übereinstinunung aller neu-
tralen Mächte wäre doch sehr erwünscht. Darf ich
bitten, meine besten Wünsche zur baldigen Wieder-
herstellung unseres teuren Kollegen zu übermitteln ?*'
Die anderen Herren murmelten etwas Ahnliches nüt
gelangweilter Gleichgültigkeit, nur der Italiener
zuckte leicht mit der Lippe, wobei ihn zwei ver-
stohlen beobachteten: der jugendliche Protokollfüh-
rer tmd der Japaner, der immer das Gras wachsen
hörte. Ersterer, der sonst stets sein Protokoll durch-
zustudieren schien, erlaubte sich blitzschnelle flüch-
tige Aufblicke, die niemand bemerkte, als der Ja-
paner. Letzterer aber, der alles sah, schien überhaupt
nichts zu sehen. So still und harmlos blieb seine un-
bewegte Unschuldsmiene, eine stereotyp lächelnde
Maske.
„Übrigens," fühlte der britische Minister sich
bewogen, offiziös hinzuzufügen, „hat eine Note der
Hohen Pforte genügende Aufklärung gegeben, dass
die Türkei natürlich volle Neutralität bewahren
werde."
„Es sei denn, ihre eigenen Interessen würden
tangiert, nicht so ?" flocht der Amerikaner ein. „Sehr
kotrekt. Ganz wie ich bereits bezüglich der
Vereinigten Staaten — ach beUäufig, da unser japa-
nischer Herr Kollege diese Dinge aufs Tapet brachte,
wie steht es denn mit dem würdigen Doyen des
%
^
— 44 —
hiesigen diplomatischen Korps, dem russischen Bot-
schafter? Ich vermisste sogleich bei Eintritt in die
Konferenz einen Delegierten des Zaren."
Diese Anfrage schien dem britischen Minister
gleichfalls imlieb, denn er runzelte unwillkürlich leicht
die Stirn. „Die kaiserlich russische Regierung,"
betonte er offiziös, indem er jede Silbe gewichtig
abwog und nachdrücklich betonte, „hat passend ge-
funden, direkt der befreundeten, französischen Re-
gierung ihre Stellungnahme kundzutun. Bei dem
intimen Verhältnis beider Reiche fühlt sich die hie-
sige Regierung Sr. britannischen Majestät nicht be-
rufen, ihrerseits besondere Abmachungen zu hei-
schen. Die erforderlichen Garantien für Russlands
wohlwollende Haltung sind ja bereits durch frühere
Traktate des Zweibundes gewährleistet."
Diese zweideutige xmd zu nichts verpflichtende
Mitteilung nahm man mit höflicher Verbeugimg,
aber tiefem Schweigen entgegen. Was hiess hier
wohlwollende Haltung ? I Kam Russland seinen Bünd-
nisverpflichtimgen nach? Unter so bedrängten
iimeren Zuständen höchst unwahrscheinlich. Der
junge Protokollführer warf wieder einen jähen Sei-
tenblick auf den Italiener, der Japaner bewahrte
sein immer gleiches, verbindliches Lächeln. An ihn
wandte sich jetzt der britische Minister:
„Nachdem wir uns über alle Punkte geeinigt,
bitte ich, zum Schluss des Protokolls noch-
mals definitive Beschlüsse zusammenfassend, zuerst
den Bevollmächtigten Sr. Majestät des Mikado, er-
— 46 —
neut kurz und bündig Japans Willensmeinung zu
äussern."
Der kleine gelbe Asiate erhob sich mit devoter
Verbeugung : , Jch kann nur wiederholen, dass nach
dem Willen meines erhabenen Herrn Japan die
strengste Neutralität bezüglich europäischer Wirren
bewahren wird, selbstverständlich dem Wortlaut un-
serer Verträge mit der erhabenen britischen Regie-
nmg gemäss. In Asien werden wir in treuer Allianz
über englischen Besitzstand wachen. Sollte z. B.
eine übermächtige deutsche Flotte dort eingreifen,
dann wird Japan sicher das Feld betreten."
„Ein solcher Fall dürfte wohl schwerlich ein-
treten," lehnte der Brite hochmütig ab. Täuschte
er sich, oder durchzitterte leise Ironie die ölige An-
sprache des Asiaten?
„Ich erlaubte mir bereits früher zu bemerken/'
fiel der britische Militär ein, „dass ich vom mUi-
tärischen Standptmkt aus eine etwas wärmere An-
teilnahme von Anfang an für wünschenswert hielte.
Es würde z. B. Kiautschou als feindliches Gebiet zu
betrachten sein — "
„Woran die britischen Streitkräfte gewiss nichts
hindert," gab der gelbe Herr nüt unerschütterlicher
Ruhe zur Antwort. „Was Japan betrifft, so hat
es keinerlei Ursache, Feindseligkeiten gegen Deutsch-
land zu beginnen, eine altbefreundete und an-
gesehene Macht, mit welcher wir in langen, nahen
Beziehungen stehen. Aktiv würde Japan sich erst in
diese ihm fernliegenden Händel einmischen dürfen.
— 46 —
sobald die Interessen des in Asien verbündeten Eng-
land eben in Asien dringend bedroht werden."
,,Da dies bei jetziger Sachlage ausgeschlossen,
müssen wir also folgern, dass Japan sich über-
haupt jeder Aktion enthalten wird," betonte der
Militär scharf. „Womit zugleich die Nötigung für
uns verbunden, selbst eine Eskadre in Ostasien
zu belassen. Das britische Kriegsdepartement nimmt
von dieser Auffassung der Bündnispflicht geziemend
Akt."
„Das wird gut sein und freut uns sehr." Der
kleine gelbe Mann behielt sein freundliches Grinsen,
doch eine gewisse drohende Würde klang aus seinen
glatten, höflichen Worten. „Ebenso wie mein er-
habener Herr Se. Majestät der Mikado vollkommen
die Rücksichten zu würdigen wusste, die leider das
engbefreimdete Grossbritannien hinderten, beim
Friedensschluss von Portsmouth für tmsere Rechte
und berechtigten Forderungen einzutreten. Japan wird
stets aufs loyalste dem Wortlaut seiner Verträge
nachkommen, unbeschadet seiner vollen Aktions-
freiheit in anderen Angelegenheiten." Er Hess sich
ruhig auf seinen Sitz nieder mit einer leichten Geste,
die deutlich besagte, er habe sein letztes Wort ge-
sprochen. Die anwesenden Diplomaten verrieten
natürlich mit keinem Wimperzucken, was sie sich
dazu dachten. Bei der Wendtmg ,andere Angelegen-
heiten' schielte der Protokollführer auf den Ame-
rikaner und sah dann wieder auf sein Papier nieder,
in das er ganz vertieft schien. Zu diesem flüchtigen
— 47 —
Aufsehen gab ihm jener selbst äusseren Anlass»
indem er sich etwas brüsk erhob, offenbar geärgert,
dass der britische Minister dem Japaner für Schluss-
erklärtmg den Vortritt liess.
>,Ich kann mich dem Herrn Vorredner nur un-
bedingt anschliessen, soweit mein Auftrag in Ver«
tretung der Vereinigten Staaten geht. Natürlich
werden wir bezüglich europäischer Wirren strikteste
Neutralität beobachten, behalten uns aber natürlich
freie Hand vor bezüglich Schutzes amerikanischer
Interessen bei sonstigen aussereuropäischen Ange-*
legenheiten, falls diese traurige Weltkrise weitere
Kreise zieht." War es nicht just die nämliche Wen-
dung, die der Japaner gebrauchte? Bei »sonstigen
Angelegenheiten' richteten sich verstohlene Blicke
auf den Aussereuropäer, der aber so harmlos und
imschuldig dreinschaute, als verstehe er kein Ster-
benswörtchen von solchen ernsten Dingen, die über
seinen kindlichen Horizont gingen. Der britische
Militär bemerkte nur trocken: „Darf man auch de-
finitiv zu Protokoll geben, dass die starke Flotten-
rüstung der Union lediglich defensive Zwecke
verfolgt ?••
„Selbstverständlich," bekräftigte der Yankee
hastig. „Man wird begreifen, dass bei Flottenkrieg
von solchem Uinfang, wie er bevorsteht, es unsere
Sorge sein muss, die amerikanischen Gewässer vor
jeder störenden Berührung zu hüten. Unsere Han-
delswelt wird ohnehin schwer leiden durch die euro-
päische Blockade. Uns trifft die Schädigung um
— 48 —
so mehr, als wir gerade mit Deutschland in starker
merkantiler Wechselwirkung stehen."
,»Ach, das wird sich schon anderweitig ausglei-
chen!" winkte der Militär mit leichtem Spotte ab.
„Während der alten napoleonischen Kriege machte
Onkel Sam kein schlechtes Schmuggelgeschäft —
verzeihen Sie vielmals! Jedenfalls nehmen das bri-
tische Kriegsministerium und die Lords der Ad-
miralität, die ich zu vertreten die Ehre habe, Ihre
Erklärtmg dankbar entgegen." Ob gerade so dank-
bar, liess sich aus seinem verdriesslich spöttischen Ge>
sieht nicht erraten. Eilfertig sprang jetzt der spanische
Grande von seinem Platze auf, um dem Italiener zu-
vorzukommen. Rangstreitigkeiten der Etikette sind
ja die Seele der hochmögenden allweisen Diplomatie :
„Ich glaube, eine ähnlich gefasste Vereinbarung
abschliessen zu dürfen. Gemäss unsem Abmachun-
gen mit Sr. Britannischen Majestät Regienmg ver-
bürgen wir an und für sich loyalste Neutralität,
verpflichten uns obendrein, die französische Aktion
gegen Marokko nach Kräften zu fördern; wenn
es sein muss, mit Waffengewalt."
„Auch Italien wird sich wohlwollendster Neu-
tralität befleissigen," kam endlich der Italiener zu
Wort, auf dem alle Blicke ruhten, „getreu seinem
edeln Vermittleiamt, wie sowohl seine alte frühere
formale Dreibimdsverpflichtung als seine auf na-
tionaler Sympathie begründete herzliche Freund-
schaft zu den hohen Allüerten England und Frank-
reich sie ihm auferlegt."
— 49 —
„Darf man daraus entnehmen," unterbrach der
Amerikaner schroff, mit jener zunehmenden Drei-
stigkeit der Yankeepolitik, zwar für sich die Monroe-
doktrin in Anspruch zu nehmen, nichtsdestoweniger
sich in europäische Händel immer häufiger ein«
zumischen, „dass der Dreibund faktisch nicht mehr
existiert ?"
„Der Wortlaut des Geheimvertrags," lehnte
jener kalt ab, „ist der Welt unbekannt. £r war jeden-
falls dem Sinne nach nur gegen den Zweibund ab-
geschlossen, und ob dieser dem Sinne nach noch
existiert, ist wohl eine akademische Frage, die erst
die Praxis demnächst lösen wird. Übrigens sprach
kein geringerer als unser aller Meister, der selige
Principe di Bismarck, es offen aus, dass Verträge
nur ein Blatt Papier bedeuten, hinfällig, sobald
vitale nationale Interessen in Rede stehen. Diese
heutige Konferenz spielt ja freilich mit offenen Kar-
ten, protokollarisch, auf ausdrücklichen Wunsch der
kgl. Grossbritannischen Regierung. Immerhin wird
wohl jedem Staate überlassen bleiben, bindende Auf-
schlüsse für sich zu behalten, sofern das Staats-
wohl es bedingt. Die Herrschaften werden daher
gütigst mit obiger Feststellung fürlieb nehmen, dass
Italiens Neutralität gesichert bleibt, es trete denn
der Fall ein, dass gravierende Umstände eine andre
Stellungnahme nötig machen."
Der Italiener hatte mit jener biedern Ehrlich-
keit seine gänzlich unklaren Beteuerungen vorge-
tragen, deren Pose seit Bismarck zum eisernen Be-
Völker Europas . . . l 4
— 50 —
stand der Diplomatie gehört. Die anderen Kon-
ferenzmitglieder trugen dazu eine nichtssagende
Miene zur Schau, als hörten sie die plausibelsten
Gemeinplätze. Der Japaner nickte mit freundlich
friedlichem Grinsen, nur dem groben Amerikaner
entfuhr ein undeutlicher, grunzender Laut, ein ,yHm I"
und „Hai", das in diplomatischer Sprache aus-
drückte: Smart Fellowl Seift ims nicht übel ein!
„Die britische Regierung ist völlig zufrieden-
gestellt von so offenen loyalen Gesinnungen!" be-
eilte sich der Brite würdevoll zu versichern. Der
Protokollführer sah beharrlich auf seine Papiere,
die er mit neuem Schriftsatz abschloss. „Mir bleibt
nur übrig, den ehrenwerten illustren Gentlemen ins-
gesamt für die Güte zu danken, mit welcher sie
unsrer Einladung Folge leisteten, und besonders ihren
hohen Regierungen für die edle Bereitwilligkeit, mit
der sie ihre Bevollmächtigten entsandten. Diese so
überaus offene Aussprache schien uns dem heutigen
Stand der politischen Welt angemessen. Diploma-
tische Geheimnisse gibt*s nicht mehr, diese veraltete
Technik ist vieux jeu. Morgen würde in der Presse
durchsickern, was einzelne Mächte separat verein-
bart. Hier nun, wo es sich lediglich um Fest-
setzung der Neutralitäten handelt, erschien der beste
Ausweg, ganz offen imter uns die Lage zu erörtern
und durch bindendes Protokoll dem Status quo der
Weltpolitik einzuverleiben. Das ist geschehen. Jeder
weiss nun, woran er ist. Mit nochmaligem Ausdruck
verbindlichsten Dankes hebe ich die Sitzung auf."
— 51 —
Aber während die Delegierten unter gegen-
seitigen verbindlichen Zeremonien sich empfahlen,
flüsterte der Militär dem Italiener hastig und heim-
lich zu: „£s bleibt also dabei?'*
„Wenn es so kommt, wie vorauszusehen," gab
jener in gleichem Flüsterton zurück und empfahl
sich dann laut mit unnötigem Redeschwall.
Der Amerikaner kicherte in sich hinein: wen
will man denn hier täuschen 1 Indem er sich mit
kaltem Gruss vom Japaner trennte und zu einem
Cocktail nach Hause fuhr, dachte er:
„Das wird eine dicke Suppe für eiserne Löffel.
Italiens Neutralität ist ein so zerbrechliches Ge-
fäss, dass beim ersten Brodeln die heisse Suppe
überrinnt. Natürlich wollen die Italianissimi im trü-
ben fischen und sich vom Sieger, sei's wer's wolle,
was schenken lassen, wie 1859, 1866, im Grunde
auch 1870, wo sie des teuren Gönners Frankreich
Niederlage zur Wegnahme von Rom benutzten und
dem Kirchenstaat den Garaus machten. Uns kann*s
recht sein, je toller desto besser. Je vollständiger
sich ganz Europa schwächt, desto effektvoller un<
ser Auftreten, sobald diese Unvereinigten Staaten
von Europa sich müde rangen. Anlass zu Ein-
mischimg und obligater Kriegsei^lärung kann jeder
Tag im Seekrieg liefern. Die selige Alabamafrage
vom Sezessionskrieg irgendwo in verbesserter Auf-
lage, denn irgendwie wird mal die amerikanische
Flagge auf einem Handelsschiff verletzt werden, und
dies!mal nehmen wir einfach Englands Entschuldi-
4*
— 52 —
gung nicht an. Unsre Gelbe Presse wird zwar von
Britenfreundlichkeit überfliessen, aber die Irländer
und Deutschamerikaner werden schon dafür sorgen,
dass der einstige angestammte Rivalitätshass gegen
die Britishers die Mehrheit der Nation beherrscht.
Dazu die Handelsschädigung, mit jedem Monat des
Seekriegs wachsend, womöglich bei der prekären
Arbeitslage zu sozialistischen Tumulten führend. Also
Ablenkung nach aussen. Dies ist der Augenblick,
von dem Roosevelt schon so lange geträumt, ame-
rikanischen Imperialismus grossen Stils zu treiben,
er käme so günstig nie wieder. Canada muss jetzt
fallen. Famos, dass wir so lange warteten, bis Ca-
nada durch britische Fürsorge auf einmal ein wert-
vollstes Objekt geworden, früher wenig wert! Ach,
ich höre schon die Botschaft des Präsidenten, zu-
gleich herrische Botschaft an Europa, dass Ame-
rika nicht länger diese barbarischen Kriegsattentate
gegen die moderne Kultur dulden werde! Im Na«
men der Zivilisation werden wir Frieden schaffen
und als Anwaltsgebühr das Nötige einstreichen. Viel-
leicht auch in Ostasien. Mir schwant, die Japs wer
den schon bald uns auf den Plan rufen und so un-
ser Frontmachen gegen England erleichtem. Ihre
Umtriebe auf den Philippinen sind ernst gemeint, sie
werden uns dort direkt oder indirekt angreifen. Da-
zu kommt die Chinabewegung. Wir werden uns
ein Selbstmandat zum Schutz der Europäer ausstellen
und kräftig losgehen. Da winkt noch mancher Preis
in Ozeanien. Von Samoa bis zu Honolulu ist's
— 53 -
nicht weit, von Manila nicht bis Java. Bah, vennut-
lieh denken die Japs das gleiche. Das wird ein
netter Zusammenstoss. Wohl, ich kalkuliere, die
Bahn unsrer Politik sei ganz von selber vorgezeich-
net. Wir haben Deutschland unsrer wärmsten Neu-
tralität versichert, einer andern Sorte als der hiesi-
gen Neutralität mit Hintergedanken, sogar deutliche
Ermutigungen einfliessen lassen, halbe Versprechen.
Abel ich rechne, es wäre schön dumm, schon jetzt
für Deutschland ins Zeug zu gehen. Ist am Ende
doch auch ein bittrer kommerzieller Konkurrent, und
unsre Zukunft bedingt, dass Deutschland und Eng-
land auf lange geschwächt werden. Sind diese Euro-
päer dumml Arbeiten uns in die Hände. Einmal
müsste Europa ja doch vor Amerika kapitulieren,
aber sie ebnen ims selbst den Weg. Heut noch
wären die Vereinigten Staaten von Europa stark
genug, unsre Entwicklung zurückzuwerfen, auch Ost-
asien Gesetze zu diktieren. Doch ihr gegenseitiger
alberner Hass und Neid treiben sie selbst ins Ver-
derben. Die Narren I Koalition gegen England, Zer-
trümmerung des British Empire, bedeutet gar nichts
als allgemeine Schwächung Europas gegen die an-
dern Weltteile. Englands Weltmacht ist im letzten
Grunde doch nur Europas Mandatar zur Nieder-
haltung der andern Rassen. Und umgekehrt Ruin
des deutschen Seehandels — davon will England
profitieren? Als ob wir und Japan nicht schon ge-
rüstet wären, jetzt sofort die Früchte einzuheimsen,
in Ostasien während des Kriegs deutsche und bri-
— 54 —
tische Firmen zu verdrängen! Ach, noch nie hing
Amerikas Himmel so voller Geigen. Heil Columbia!
Da& Sternenbanner bekommt neue Sterne. Uns allein
gehört die Zukunft. Das walte Gott!"
. • . Als der spanische Delegierte mit herzog-
licher Grandezza seine Havana schmauchte und
beschaulich Schokolade schlürfte, waren seine Träume
minder rosig. „Es ist alles ganz gut imd schön, wenn
das Volk daheim sich immer noch einbildet, wir
seien eine Grossmacht, die mitredet. Was wird für
uns bei Intervention in Marokko herauskommen?
Nichts, nur unnütze Kosten. Man wird ims irgend-
einen kleinen Küstenstreifen als Entschädigung
hinwerfen, Frankreich bekommt den Löwenanteil,
und England wird auch noch beim Frieden dafür
sorgen, seine jetzt ziemlich fadenscheinige Gibraltar-
stellung zu befestigen. Sollte nüch nicht wimdem,
wenn es nicht Genta und Tanger mit Beschlag be-
legt. Wir müssen ims jede Bedingung des Friedens-
traktates nachher gefallen lassen, die hohen Kontra-
henten Frankreich imd England tun, was ihnen
gutdünkt. Glaubt man, dass wir ihnen besondere
Anhänglichkeit entgegenbringen ? Die Franzosen sind
unser alter Erbfeind, wir kennen ihre Übergriffe
und Habgier zur Genüge. Und die Briten, von
denen wir seit der Armada bis Trafalgar so viel
Böses zu leiden hatten, machten sich als Bundes-
genossen während unsres Befreiungskrieges so ver-
hasst wie die fränkischen Eroberer. Welche Be-
rührungspunkte hat unser christgläubiges konser-
— 66 —
vatives Land mit den kalten, ketzerischen Liberalen
an der Themse 1 Und die Kirchenräuber, Atheisten,
Republikaner an der Seine sind noch schlimmer als
Ketzer und Heiden. Deutschlands konservative Insti-
tutionen als Bollwerk des monarchischen Gedan-
kens stehen uns weit näher, vor allem haben wir
von ihm nichts zu fürchten, selbst wenn es sich
in Marokko festsetzt. Übrigens leidet imser Handel
auch durch diesen Krieg, da wir mit Deutschland
einen guten Export haben. Ausserdem könnte sein
Standpimkt der offnen Tür in Marokko uns nur
willkommen sein. Wenn die Franzosen uns heut eine
Ausnahmebegünstigung dabei versprechen, so weiss
man, was man davon zu halten hat : ihr Löwenanteil
wird mletzt doch noch ziun ausschliesslichen Monopol.
Spanien und Portugal betrachteten von jeher Ma-
rokko als ihre Interessensphäre, mm sollen wir wohl
noch zufrieden sein, dass Frankreich ims dort ganz
hinausdrängt, und sein Afrikareich uns nun von Sü-
den ebenso umgürtet, wie es von Norden an den
Pyrenäenpässen ims belauert 1 Wenn man's recht be-
denkt, geraten wir durch diese Konstellation in völ-
liges Vasallenverhältnis zu Frankreich imd England.
Und dazu sollen wir noch helfen 1 £s ist zum Ver-
zweifeln, doch was will man machen! Solange
Deutschland keine Grossmacht zur See, kann es
uns nicht stützen. Die Allüerten könnten uns schon
durch blosse Blockade von Barcelona, Malaga, Ca-
diz, Coruiia ihrem Willen gefügig machen, ohne
einen Soldaten zu mobilisieren. Wir Kleinen müssen
— 56 —
schon froh sein, wenn wir nicht gefressen wer-
den, und wir dürfen im Interesse von König und
Kirche nichts Ernstes in auswärtiger Politik wagen,
weil jeder Misserfolg uns republikanischen Umsturz
oder den Anarchismus auf den Leib bringt. Bei-
läufig begünstigen die Franzosen, unsere lieben
jetzigen Freunde, natürlich unsere republikanische
Partei, und unsere Anarchisten haben ihr Brutnest,
aus dem sie immer wieder Kräfte saugen, auch dort
im bösen Nachbarland. All unsere nationalen und
konservativen Interessen weisen uns also auf Tod-
feindschaft gegen Gallien hin, imd nun nimmt es
uns noch gar ins Schlepptau für seine eigenen
Machtinteressen I Mein Trost ist nur, dass Marokko
eine harte Nuss zum Knacken aufgibt, dass es noch
lange dauern kann, eh Frankreichs Magen diese
neue Kost verdaut, und dass wir selber an Aus-
flüchten nicht arm sein werden, um so gut ¥de
nichts zu dieser Eroberung beizutragen. Mich wun-
dert nur, dass die edeln Alliierten ihre anfängliche
Zumutimg, unser bisschen Flotte und Landmacht
ihnen gegen Deutschland zur Verfügung zu stellen,
gegenüber unseren Vorstellungen aufgaben, weil
solche Ausnutzung Spaniens für fremde Zwecke un-
sere Monarchie für immer unpopulär machen und
ihren Bestand gefährden müsse. Also freuen wir
uns, dass das Übel nicht noch schlimmer ist, und
tragen wir schweren Herzens dies Joch einer schimpf-
lichen Neutralität in majorem Galliae gloriam." —
Ganz anders aber und minder entsagungsreich
— 57 —
betrachtete Italiens Vertreter, dessen klassisch ab-
getönte Beredsamkeit mit sonorer Pose die Konfe-
renzgespräche so angenehm belebt hatte, die Chan-
cen seines Staates. Ein machiavellistisches Lächeln
umspielte seine Lippen, als er mit gerechtem Stolze
fühlte, wie unentwegt ein italienischer Patriot den
Mantel nach dem Winde drehen und als Nach-
folger der Roma eterna, wie sowohl das Kapitol
als der Vatikan ihre Geschäfte betrieben, von heut
auf morgen Freund und Feind wechseln dürfe.
„Hoffentlich wähnen die hohen Alliierten nicht,
Italien werde sich für ihre schönen Augen in Un-
kosten stürzen. Das sollte mir leid tun. Wir haben
uns offiziell zu gar nichts verbindlich gemacht, meine
privaten Verheissungen können im Notfall nachher
desavouiert werden. Wenn sie so naiv sind, zu
hoffen, wir spielten nur mit Berlin-Wien ein un-
gerades Spiel, um dafür durch dick und dünn den
Westmächten zu folgen, könnte ich solchen Irrtum
nur mitleidig bedauern. Falsches Spiel, per baccol
Wer spielt es nicht im Staatsleben? Doch wir sind
wenigstens unparteilich und verpflichten uns gegen
niemand, ihm blindlings Treue zu halten. ,Wenn
ich mich nicht liebe, wer liebt mich dann!* sagt
unser Sprichwort so schön im Volksmund. Die
anderen denken und handeln ebenso, aber plumper
und naiver. Sich über uns entrüsten, wäre zum
Lachen. Denn was man uns auch vorwerfe, eins
muss man uns lassen: Patrioten sind wir alle, und
Italiens Wohl bedingt, dass wir imsere materielle
— 58 —
Schwäche durch feine List ersetzen, wie unsere hi-
storscfaen Traditionen sie uns erb- und eigentümlich
einimpften. Tu felix Austria nubel können wir er-
gänzen: Und du, glückliches Italien, verbünde oder
befreunde dich mit aller Welt, suchet, so werdet
ihr finden, wählet und das Beste behaltet! — In
Berlin- Wien haben wir hoch und heilig geschworen,
dass die antidreibündlerische franzosenfreundhche
Stinunimg im Lande uns für den Anbeginn unmög-
lich mache, mit bewaffneter Hand imserer Verpflich-
tung nachzukommen. Später aber würden wir um
so energischer losschlagen, sobald erst Frankreichs
voraussichtliche Niederlage eintrete, an der wir an-
geblich nicht zweifeln. Damit würden wir Zeit-
gewinn erkaufen, dass die Alliierten nicht selber
gleich über uns herfallen und imsere Flotte ver-
nichten, Spezzia zerstören, unsere Häfen bombar-
dieren. Indem dies durch unsere zwangsweise Neu-
tralität verhindert werde, würden wir unnützen Kräfte-
verlust sparen, um nachher bei günstigem Um-
schwimg der Lage imsere Macht gegen das unter-
liegende Frankreich in die Wagschale zu werfen.
Um hierfür gerüstet zu sein, mobilisierten wir na-
türlich auch, ohne ims vom Flecke zu rühren. —
Täuschten wir irgend jemanden damit? Kaum.
Als Antwort schiebt Österreich schon vier Korps
an die Südgrenze. Aber äusserlich machte man gute
Miene zum bösen Spiel und tat, als verlasse man
sich wirklich auf imseren guten Wülen. Und im
Grunde verfahren wir dabei nicht imehriicher, als
— 59 —
den Westmächten gegenüber. Denn wer kann schon
jetzt voraussagen, ob wir nicht wirklich obiges Ver-
sprechen wahr machen? Ja, der britischen und fran-
zösischen Regierung haben wir privatim beteuert,
wir warteten nur auf Ausreifen der Lage, um Öster-
reich zu Wasser und zu Lande anzufallen. Haben
unter der Hand die feste Zusicherimg erhalten, dass
dann Triest, Trient und Albanien unser Siegespreis
sein würden. Und das wäre uns gewiss das Will-
kommenste. Aber die Alliierten sollten sich nicht mit
der Zuversicht schmeicheln, dass wir uns auf solch
Abenteuer einlassen, das beim Scheitern den Ruin
unserer kaum wiederhergestellten Finanzen bedeuten
und uns unsere Grossmachtstellung kosten könnte,
wenn nicht alle Chancen für imsern Erfolg sprechen.
Österreichs inneri>olitische Zerrüttung frass sein Heer
kaum an, wenn es gilt, nach aussen zu streiten, imd
unterliegt Frankreich, stehen wir wehrlos und ohn-
mächtig zu Lande da. Das bisschen Küstenblockade
hilft ims da wenig. Die Frage liegt einfach so, ob sich
wirklich ein Übergewicht gegen Deutschland heraus-
stellt, tmd ob Russland imstande wäre, Österreich
im Schach zu halten, so dass es gegen uns nur einen
kleinen Teil seiaer Waffenmacht defensiv ver-
wenden kann. Hier kann die geringste Trübimg des
klaren Urteüs imsere richtige Abwägung ins Schwan-
ken bringen. Man kann nie zu vorsichtig in der Wahl
seiner Freunde sein. Denn es lässt sich nicht leug-
nen, dass wir auch gegen Frankreich Vorteile zu
erlangen hätten, wenn wir noch rechtzeitig zur
— 60 —
Beuteverteilimg einseifen. Um Frankreich zu demü-
tigen und zu schwächen, würde Deutschland uns
Nizza-Savoyen hinwerfen, was unsere Irredenta wohl
etwas beschwichtigen könnte, auf Tunis hätten wir
dann auch gerechten Anspruch. Wer weiss, was die
Zeit noch bringt! J'attendrai mon temps. So wollen
wir behutsam lavieren, bis unser Stichwort ims in
die Schranken ruft und das Versteckenspielen enden
darf: La commedia h finita." —
Als die fremden Delegierten die drei Briten allein
liessen, sahen diese sich stumm an. An den jungen
Parlamentarier, der einen Augenblick dem treuherzig
scheidenden Italiener mit mokantem Lächeln nach-
blickte, dann leicht gähnend sein Protokoll zuschlug,
wandte sich der Minister mit unverhohlener Ver-
legenheit: „Was halten Sie davon?"
„Wohl, wir müssen uns mit der Tatsache abfin-
den, dass die lange Debatte gar nichts erreichte,
wir nur erfuhren, was wir schon wussten. Es liess
sich nichts abmarkten. Der Jap blieb kühl und
zähe, der Yankee zweideutig, imd beide ominös."
„Ja, aber gegen wen ? Sie massen sich doch nur
gegenseitig mit verstohlenen Drohblicken, wenn ich
sie recht verstand. Nun, ob sie sich in die Haare
geraten, kann uns fürs erste kalt lassen."
„Meinen Sie? Wenn Amerika in Asien mit
Japan ficht, tritt doch unsere eigene Bündnispflicht
in Kraft, und wir hätten dann die Union selber auf
dem Halse."
— 61 —
^,Das Kurze und Lange von der Sache ist," der
Militär zuckte verdriesslich die Achseln, „dass wir
eine starke Eskadre in Ostasien belassen müssen.
Den Franzosen wird es kaum anders gehen, falls die
chinesische Bewegung um sich greift, und die alten
Schwarzflaggen sich gegen Tonkin und Cochinchina
wenden. Das sind grosse Unannehmlichkeiten, die
man früher doch besser hätte überlegen sollen. Un-
sere Diplomaten sind von Japans und Amerikas
freundschaftlichen Tendenzen allzusehr überzeugt ge-
wesen. Einen gehörigen Teil unserer Flotte brau-
chen wir ohnehin in dortigen Gewässern, um even-
tuell auf die holländischen Kolonien unsere Hand
zu legen, falls die Deutschen frech genug sein soll-
ten, Holland zu besetzen und als Faustpfand zu
belegen. Vorwand dazu bietet sich ja leicht: um
englische Landung dort zu hindern, wofür Holland
zu schwach."
„Hm, kam Ihnen nie der Gedanke, dass Deutsch«
land noch was anderes Holländisches als Faustpfand
gewinnen könnte?" Der Parlamentarier sah ernst
aus, sein heiterspöttischer Ausdruck verliess ihn
ganz. „Was sagen Sie zu fünfzehntausend kriegs-
erfahrenen deutschen Soldaten in Südwestafrika,
die ihren Marsch zum Oranje- und Kapland bewerk-
stelligen können? Mit Mühe, ich geb* es zu, doch
wo ein Wille ist, da ist ein Weg, und der allge-
meine Aufstand der Buren, Afrikander und Schwar-
zen, welch letztere ja schon in Natal sich unliebsam
bemerkbar machen, würde den Weg erst recht eb-
— 62 —
nen. Wenn wir schon der Buren allein mit ^n^össter
Mühe und riesigen Opfern Herr wurden, wie stände
es denn jetzt? Die ganze Kolonie ginge für Eng-
land verloren und ihr Zurückgewinn würde gün-
stigenfalls doppelt so viel Menschen und Geld kosten,
als der Transvaalkrieg, an dessen Folgen wir noch
heut so schwer laborieren."
„Ach, das sind Schimären I** polterte der Militär.
„Eine Armee, die sich nicht rekrutieren kann, ist
zur Kapitulation verurteilt : So bekannte schon Bona-
parte bezüglich seiner ägyptischen Expedition. Die
deutschen Truppen in Afrika wären dauernd vom
Mutterland abgeschnitten."
„Würden sich aber durch dortige Deutsche und
Holländer genügend rekrutieren. Darauf kommt es
hier gar nicht an. Denn in Südwestafrika wären sie
ja geradesogut während der Kriegsdauer abge-
schnitten, deutsche Schiffe können sie nicht recht-
zeitig heimholen. Als das verflossene Tory-Mi-
nisterium den patriotischen Missgriff beg^g, He-
reros imd Hottentotten gegen die Deutschen zu
hetzen, rechnete es eben nicht auf die Möglichkeit,
dass wir selber in offenen Kampf mit Deutschland
verwickelt werden würden, so bald imd doch schon
zu spät, da der Hereroauf stand mittlerweile erlosch.
Ich habe ja nichts gegen Perfidie im politischen
Leben, britische Realpolitik gab sich nie mit Senti-
mentalitäten ab, aber in dieser Hererofalle fangen
wir uns selber, wie wir im Grunde schon beim
Transvaalerwerb vom Regen in die Traufe gerieten."
— 63 —
Der Minister seufzte. „Das stimmt. Ich war
immer dagegen. Auch so eine böse Hinterlassen-
schaft der Herren Chamberlain imd BalfourI"
„Und einiger anderer, die wir aus Ehrfurcht
nicht nennen wollen!" murmelte der Parlamentarier
vor sich hin. „Übrigens könnten die Pariser Finan-
ziers, die hinter Monsieur R6voil in Algeziras standen
und für deren kommerzielle Gruppe Frankreich jetzt
sein Blut vergiesst, sich eine Lehre an uns nehmen.
Wenn sie überhaupt je Marokko verschlucken, wird
es ihnen im Magen liegen wie dem Londoner Minen-
syndikat.'*
„Das ist's ebenl" rief der Minister unwirsch.
„Die Plutokraten Rothschild und Beit imd all die
andern Transvaaljuden haben sich nicht träumen
lassen, dass all unsere Riesenkosten zum Fenster
hinausgeworfen sind. Der Minenbetrieb ist ruiniert,
die Restaurierung des Landes fordert endlose Opfer,
und was das Schlimmste, es stellt sich jetzt heraus,
dass man überhaupt Johannesburg und Kimberley
weit überschätzte. Der nämliche Fall wie bei den
Califomischen Minen: das alles erschöpft sich mit
der Zeit. England hat nie ein so schlechtes Geschäft
gemacht wie bei Vernichtung der Buren."
„Ich wiU nicht hoffen, dass hier unpatriotische
Gefühle zutage treten, die sich in letzter Linie gegen
eine sehr hohe Adresse richten würden, die ja auch
in diesem welthistorischen Augenblick die Richtung
unserer Politik bestimmt," brach der Militär schroff
und barsch ab. „Die infamen Schmähungen der
— 64 —
Deutschen über unsem sogenannten ^Raubzug' wollen
wir doch nicht nachtönen. Der Krieg war gerecht
und heilig, denn wir eroberten! Jedes Briten Pflicht
ist der Gedanke, den Union Jack inuner weiter über
den Erdball flattern zu lassen. Im übrigen halte
ich die Kapgefahr für Hirngespinst. Starker Truppen-
transport wird nach Dutban abgelassen werden — **
„Was Sie nicht sagen I" unterbrach ihn der Par-
lamentarier spitz. „Und was bleibt dann für Lan-
dungen oder wenigstens Demonstrationen unserer
kleinen Armeen in Europa, was für Ägypten und
Sudan, wo sicher auch grosse Verstärkung nötig?"
„Meinen Sie den Kaiser der Sahara oder den
neuen Mahdi?" lachte jener verächtlich auf.
„Nein, ich meine den alten Menelik und ausser-
dem den so robusten kranken Mann am Bosporus.*'
„Ach, Sie schwärmen I Der Sultan wird gerade
wagen — '*
„O doch!" belehrte ihn der Minister. „Wir
dürfen uns nicht die Tatsache wegleugnen, dass die
Türkei unterm Vorwand der arabischen Unruhen
immer mehr Streitkräfte im Paschalik Damaskus
anhäuft, dass trotz all unserer drohenden Beschwer-
den türkische Brigaden an unsrer ägyptischen Grenze
lagern, dass der Sultan überhaupt mobilisiert. Das
Vilajet Janina steckt schon voll von Redifmassen,
dichte Feldlager sanuneln sich in Macedonien, als
wolle die hohe Pforte sich nicht länger einschüchtern
lassen und die Balkanfrage auf eigene Verantwortung
in die Hand nehmen. Natürlich, Russlands ist man
— 65 —
vorerst ledig, Österreichs durch Deutschlands Ver-
mittlung sicher, und uns konunt blosse Flottenbe-
drohung von Konstantinopel jetzt äusserst ungelegen.
Wenn unsre Flotte auch dreimal stärker als die
deutsche, die französische fast doppelt, deren Quali-
tät zu wünschen übrig lässt, 90 müssen wir ausser
dem ostasiatischen noch ein erhebliches Mittelmeer-
geschwader imterhalten, denn mindestens pro forma
muss Italien anfangs beobachtet werden. In Afrika
braucht man auch Schiffe wegen der Kapgefahr.
Nun noch die Türkei im Zaum halten müssen,
schwächt unsre Übermacht zur See gegen Deutsch-
land doch recht erheblich. Gewiss, das Nordsee-
geschwader ist schon allein weit überlegen, der
»Dreadnought* wird das Seinige tun, das Reserve-
kanalgeschwader verleiht uns erdrückendes Über-
gewicht im Verem mit starker französischer Es-
kadre . . . Doch man möchte wünschen, sich ganz
und gar gegen Deutschland konzentrieren zu könnexL
Und die Gefahr in Afrika ist nicht zu unterschätzen.
Sobald der Padischah den heiligen Krieg erklärt und
die grüne Fahne des Propheten entroUt, wird die
ganze musehnännische Welt in Flammen stehen»
von Marokko bis Indien."
„Für Indien lassen Sie Kitchener sorgen l" Der
Militär strich sich den Schniurbart. „Was für Ängst-
lichkeiten! Heut, wo Russland aus dem Spiele bleibt,
wo Japan den Schutz Indiens kontraktlich mit über-
nahm — ••
„B^> mich sollte nicht wundem, wenn schon ja-
V0Ucer Europas . . . i 5
— 66 —
panische Sendlinge am Ganges hantierten, um Re-
volte vorzubereiten. Gemeinsamkeit buddhistischer
Tendenzen, Hass gegen, die Weissen, Stolz aller
Asiaten auf Japans Erfolge werden wir dort bald am
Werke sehen. Die. Boykottbewegung gegen alle briti-
schen Waren in Indien sollte doch dem Naivsten über
das Mass von Hingebung zu denken geben, das wir
bei unsern braunen ' Vasallen geniessen." Der Parla-
mentarier machte eine unmutige Bewegung. „Mit
solcher Vogel-Strauss-Politik verblendet man sich
nur. Statt den Kopf in den Sand zu stecken, sollten
wir geradaus der Weltlage ins Gesicht schauen, wie
wir unter höherem Einfluss. sie uns jetzt geschaffen."
„Soll das heissen, dass Sie unsem Nationalkrieg
gegen Deutschlands Frechheit zum Schutz unsrer
heiligsten Güter für verfehlt halten?*' fragte. der Mili-
tär strenge. „Das möchte ich mir doch äusbitten:
mehr Respekt vor dem einmütigen Willen des
Landes 1"
„Nun, jiunl »Einmütig* ist viel zu viel gesagt I"
schob der Minister kühl diese Übertreibung beiseite.
„Das Hurragebrüll des Mobs und der Jubel vieler
Interessenten bilden noch kein einstimmiges Votimi.
Die Minister Sr. Majestät haben sich leider vor die
Alternative gestellt, entweder vor künstlicher Pression
von ihrem Platz zu weichen, den Sieg des Liberalis-
mus aufs neue in Frage zu stellen und einer neuen
jtngoistischen Strömung zur Leitung zu verhelfen,
oder die frühere auswärtige Politik der Balfour und
Lansdowne wiederaufzunehmen und fortzusetzen.
— 67 —
Wir entschieden uns für das letztere, mm Teil auch
überzeugt, dass irgendeinmal Krieg gegen Deutsch-
lands Anmassung unvermeidlich sei.'*
„Unvermeidlich wohl grade nicht, aber inuner-
hin nützlich/' bekräftigte der jüngere Mann trocken*
„Für verfehlt oder auch nur verfrüht, wie Sir Frede*
rick mir zuschiebt, halte ich den Krieg nicht. Denn
Frankreichs Beihilfe haben wir vielleicht nur heute
sicher. Nur hätte man den ganzen Ernst der Lage
gründlicher vorher studieren sollen."
„So ? Und wer verwirft denn Lord Roberts' Re-
formvorschläge zur allgemeinen Wehrpflicht, wer will
gar die Garnisonen in Indien und Canada reduzieren,
wer machte anfangs — Gott sei Dank mnsonst —
Schwierigkeiten gegen Charles Beresfords Reformbill
im nautischen Fach zur Flottenaufbesserung? Wer
anders als die Liberalen I Ja, wer statt Dilkes
.Grosserem Britannien' ein ,Klein-£ngIand' will, der
hätte allerdings auf diesen europäischen Krieg ver-
zichten sollen. Für so Grosses muss man nicht selber
klein sein wollen." Der MUitär ging stürmisch im
Zinuner auf und ab, hochrot von kochender Er-
regung. „Ich .'sehe schon: wenn alles nicht so
glänzend geht, wie man hofft, dann ladet man die
JSchuld auf uns Militärs ab, auf unsre nicht genügende
Rüstung und Administrierung. Doch wir werden
euch Staatsmännern den Vorwurf mit Zinsen zurück-
geben/'
„Wehrpflicht im kontinentalen iSinne ist in Eng-
land unmÖ£^ch/' sagte der Minister gleichmütig.
5*
— 68 —
„Niemals wird der englische Bürger sich Militaris-
mus-Idealen anbequemen. Es widerspricht zu sehr
der freiheitlichen Entwicklung, dem Selbstbestim-
mungsrecht, der Selbstregienmg dieses Landes.
Gegen Invasion reichen unsre Freiwilligenmiliz und
Yeomanry aus. Dass unsre aktive Armee nicht ge-
nügt, offensive Festlandkriege zu führen, steht fest.
Das hat uns Lord Wolseley zu oft gesagt. Die Zeiten
Wellingtons sind vorüber, und dabei — was unsre
Glory-Patrioten zu oft verkennen — sprachen ausser-
gewöhnliche Umstände in Spanien mit, übrigens nur
einem Nebentheater der grossen Festlandskriege.
Doch wer denkt denn auch an ernstliche Tdlnahme
unsrer Landmacht! Unsre Seemacht genügt, \xm
Deutschlands Marine und Handel tödlich zu treffen.
Das übrige zu Lande mögen die Kontinentalen aus-
machen. Um es ehrlich herauszusagen: würden wir
über Frankreichs Niederlage bittere Tränen weinen ?**
„Hahal" Der Parlamentarier zitierte lachend
aus Pope: „Ich kenne keinen, der nicht das Un-
glück seines Nebenmenschen recht wie ein Christ
ertrüge. Schadenfreude ist der reinste Genuss. Was
meinen Sie wohl, wie tiefes Beildd bei unsem Pariser
Herzensfreunden herrschen würde, wenn ein deut-
scher Torpedo den ,Dreadnought' in die Luft
sprengte ?"
„Sie rechnen schon mit französischer Nieder-
lage!" murrte der Militär. „Sie vergessen, dass wir
auch Italien auf unsrer Seite haben werden«"
„Was Spanien muss und Italien will, brauchten
— 69 —
wir zwar auch nicht erst durch diese Konferenz zu
erfahren," flocht der Minister ein.
„Sind Sie dessen so sicher, was Italien will?
Das laviert hin und her."
„Ich erhielt vom Unterhändler die bestimmtesten
Zusagen — " belehrte der General gewichtig, aber
der Skeptiker lachte nur: „Verzeihung, doch Sie
schlendern so sorglos wie Spaziergänger in Pall Mall.
Übrigens weiss ich noch gar nicht, ob Italiens Angriff»-
drohung gegen Österreich nicht Deutschland ganz
genehm ist als sicherstes Mittel, um Österreich beim
deutschen Bündnis festzuhalten. Aber bestimmte Zu-
sagen — von Italien ! ! Warum nicht gar vom Spirit
des Seligen Machiavelli I Ich gebe ja gerne zu, dass
Triest, Trient und allenfalls auch das Schweizer
Tessin fette Bissen sind, um sie während der Welt-
wirren zu verschlingen. Aber man könnte dabei
eklige Knochen zu würgen bekommen. Wenn nicht
alle Sachverständigen lügen, ist mit Österreicher
Truppen und Schweizer Milizen nicht gut Kirschen
essen. Aber wollen Sie mir gefälligst mitteilen,
welche schöne Aussicht sich für Italiens sonstige
Lebensinteressen durch unsem Sieg eröffnet ? Italien
hat nie vergessen, dass man es um seine Ansprüche
auf Tunis und Tripolis betrog. Das bisschen Massaua
wird von englischem Territorium umgrenzt, tmd wenn
uns gelingt, später Abessinien wegztmehmen, ist die
Vertreibung der Italiener aus Afrika sicher und ihr
Stand als Mittelmeermacht für immer dahin. Die
Nachbarschaft von Malta wird man wohl auch stets
— 70 —
so übel empfinden, wie Spanien den Pfähl im Fleisch :
Gibraltar. Kurz, veranschlagen wir doch immer, dass
wir rwar Italien Vorteile bieten, aber ts dafür neue
Nachteile in den Kauf nehmen muss, weil nach
Niederlage Deutschlands es gänzlich von Frankreich
und England abhängig wird und seine Expansion als
Kolonialmacht für inuner unterbunden ist. Es gibt
sicher einsichtige Italiener, die lieber auf Triest als
auf Nordafrika-Küste dauernd verzichten möchten.
Und Patrioten sind sie, klug sind sie auch, die
Italianissimi, und ihr Risorgimento wäre wertlos,
wenn sie nur wieder wie vor alters ein ohnmächtiger
Spielball der französischen Protektion, ein Klientel-
Staat der Westmächte würden."
„Das ist alles sehr wahr und schön," der Mini*
ster rümpfte soziisagen die Nase, denn solche Be-
lehrung durch einen nicht „im Amt** befindlichen
Volksvertreter imd wahrscheinlichen künftigen Nach-
folger setzt einen hohen Beamten stets in verdriess-
liehe Stinmiung, „stimmt aber nicht zu den aktuellen
Tatsachen. Denn an der Franzosenfreundschaft
der Gebildeten und der Abneigung g^en den Drei-
bund auf der ganzen Apenninenhalbinsel ist nicht zu
zweifeln."
„Unstreitig, solche Kurzsichtigkeit ist überall
zu Hause bei Ideologen und Spiessbürgem jedes
Landes," erwiderte der altkluge Jüngling ruhig. „Die
Ideologen schwärmen für seelische Verwandtschaf-
ten und sind entsetzt, wenn sie nachher keine Gegen-
liebe finden, die guten Bürger hassen jedes äugen-
— 71 —
blickliche Opfer, also hier den Dreibund, weil er
ihnen angeblich unerschwingliche Kosten des Steuer-
säckels einträgt« Aber ich wiederhole, es gibt auch
Vernünftige, die lieber gegenwärtige Bürden tra-
gen, um damit künftigen viel ärgeren Opfern vor-
zubeugen. Crispi hatte gewiss viel Sünden auf dem
Gewissen, doch ein Patriot in seiner Art war er
gewiss, als er den Dreibund als einzige Garantie
für Italiens Zukunft wählte. Schon die Tunisaffaire
verriet ja, dass Deutschland gern Italien die kalte
Schulter zugewendet hätte, wenn es dafür mit Frank*
reich wieder auf guten Fuss kam und dessen Ent-
schädigungsbedürfnis auf . den schwächeren Nach-
bar ablenkte."
„Eine echt Bismarcksche Perfidiel" entrüstete
sich der Krieger sittlich. Beide Politiker sahen sich
lächelnd an, und der Minister schmunzelte humo-
ristisch :
„Von Perfidie wollen doch wir nicht reden.
,Wohltätigkeit beginnt zu Hause', sagt unser prakti-
sches Sprichwort so schön, und danach sollte jeder
Staatsmann handeln. Aber imser junger Kollege über«
.sieht," suchte er einen belehrenden, herablassenden
Ton anzuschlagen, „dass für Italien eine andre Ex-
pansion sich öffnet, die wir ihm gern garantieren:
auf der Balkanhalbinsel. Dies wird obendrein von
Russland begünstigt, nüt dem Italien vermutlich ge-
heime Abmachungen hat vaid sicher in besonders
herzlicher Entente steht. Die Heirat des begabten
jungen Königs mit der montenegrinischen Prinzessin
— 72 —
war ein schlauer Streich vorausschauender Staats-
kunst. Übrigens wissen wir ja — insofern traue ich
den privaten Mitteilungen des Unterhändlers — ,
dass Italien sofort Albanien besetzen wird,"
„Wirklich? Schon besetzen? Und sagten Sie
nicht selbst, dass im Vilajet Janina schon ein tüch-
tiges Feldlager von Nizams und Redifs anwächst?
Der bewusste kranke Mann hat in seinen Fieber-
paroxysmen manchmal Bärenkräfte, und ich erlaube
mir, der italienischen Expedition das Schicksal
der Griechen im letzten Feldzug zu weissagen.'*
„Dass die Türkei zu kräftigem Widerstand ent-
schlossen und überhaupt Übles im Schilde führt,
ist klar," gab der Minister zu. „Die so beliebten
Gesundheitsrücksichten, die uns jeder mündlichen
Aussprache mit unserm hiesigen osmanischen Bot-
schafter berauben, werden wohl bald seiner schleu-
nigen Abreise Platz machen. Beiläufig ist aber
italienisches Betreten der Balkanhalbinsel auch ein
Kriegsfall für Österreich."
„Das wird sich vorerst hüten, zu intervenieren,
aber sich vorbehalten, später die Rechnung auszu-
gleichen und es Italien aufs Kerbholz zu setzen.
Italien spielt ein gewagtes Spiel, wenn wir nicht
Deutschland gänzlich niederringen, und eben des-
halb wird es sich dreimal besinnen, ehe es uns
ernstlich zu Hilfe kommt," beharrte der jüngere
Politiker bei seiner Auffassung.
„Und Russland? Ist's schon quantit^ n^gli-
geable?" brunmite der Militär unwirsch. „Wird es
— 73 —
nicht wenigstens Osterreich und Türkei in Schach
halten, wenn es auch meinelhalben, vertragsbrüchig
gegen Frankreich, nichts gegen Deutschland unter-
nimmt?"
„Darüber lässt sich gar nichts sagen/' bemerkte
der Minister trocken. „Die inneren Zustände legen
dem Zaren grösste Zurückhaltung auf. Zum Krieg-
führen gehört dreierlei: Erstens Geld, zimi andem-
mal Geld und zum drittenmal Geld. Russland
kann aber bei den Zeitläuften nur noch finanzielle
Aushilfe aus Berlin erwarten, wofür es wahrschein-
lich schon geheime Neutralitätsbedingungen einging.
Dies Geld braucht es aber hochnötig im' Innern.
Ausserdem kann ihm nichts lieber sein, als zuzu'
schauen, wie nun auch die andern Grossmächte sich
schwächen. Von Russlands Intervention erwarte ich
gar nichts, höchstens erst am Ende des Krieges,
und ob es dann zu unsern Gunsten eintritt, ist
höchst zweifelhaft."
„Zudem wird es wohl bald seine Aufmerksam-
keit wieder nach Osten lenken müssen," fiel der
Parlamentarier ein. „Denn ich möchte wetten,
dass Japan und China uns Überraschungen vor-
bereiten."
„Unser Alliierter Japan — " hob der Militär
an, aber stockte und starrte in die leere Luft. Da
stöhnten die beiden Politiker, imbehaglich in ihrer
Haut, packten ihre Papiere zusammen und sagten
gar nichts mehr.
— 74 —
In Claridges Hotel schlürften die ganze Nacht
hindurch der japanische Unterhändler und ein ge-
heimer chinesischer Emissär mit ausserordentlichen
VcUmachten, Mandarin von vielen Knöpf en mit An-
wärtschaft auf die gelbe Jacke, ihren duftenden Tee.
Als der englisch gekleidete Herr aus dem Reich
der aufgehenden Sonne imd der Chinamann mit
nationalem Zopf und wallendem seidenem Talar so
dicht beieinander sassen, konnte man so recht ihre
Rassengemeinsamkeit erkennen. So viel kriegerisch
ritterliches, poetisch erregbares Malaienblut in die
japanische Rasse hineinfloss, so assimilierte es sich
doch ganz dem mongolischen Grundstock. Wie in
England das Gälbche und Normannisch -Franzö-
sische allmählich ganz im Angelsächsischen unterging,
so glich sich heut die Differenz zwischen Japani-
schem und Chinesischem völlig aus. Nord- un4 Süd-
mongolen — nicht verschiedener als Nord- und
Südgeitnanen — fühlten ihre innige Gemeinsam-
keit im tödlichen Hass gegen die weissen Teufel,
denen man nun allmählich unter der Maske höf-
licher Bewunderung ihre Tricks imd Schliche, Kniffe
und Künste abgelauscht und abgelernt.
Der Japaner grinste freundlicher denn je, als
er mehrere Kabeltelegramme in Chiffreschrift stu-
dierte, die sein chinesischer Freund ihm unter-
breitete :
„Es gereicht uns zur besonderen Genugtuung,
dass unsre geheimen Waffensendungen nach Nan-
king und unsre Instruktionsoffiziere, von deren
— 75 —
massenhafter Einstellung bei euch Europa nur ober-
flächliche Ahnung hat, so viel Anklang fanden. Ich
entnehme dem Inhalt Ihrer Weisungen, dass die
planmässig organisierte Erhebung Chinas völlig reif
zum Losschlagen ist. Eure verschiedenen Manöver
bewundere ich herzlich. Wie niedlich ist z. B. die
wiederholte feierliche Totsagung Ihrer Majestät der
Kaiserin- Witwe I Von der Dummheit dieser euro-
päischen Diplomaten macht man sich keine Vor-
stellung. Mir stockte der Atem, als ich die allge-
meinen Versicherungen der Pekinger Gesandtschaf-
ten las, in China sei alles ruhig, ein neuer Boxer-
aufstand femer denn je. Erst glaubte ich an ab-
sichtliches Pressemanöver, aber ich weiss, dass man
Originalberichte gewisser Botschafter unterwegs zur
Einsicht nahm — euer Spionagedienst wird bald so
gut wie der imsere — , die diesen Blödsinn bestäti-
gen. Und dass man diesen europäischen Krieg
wagt, überzeugt uns ja, dass niemand hier ahnt,
was sich vorbereitet."
„Hihihi I" Das fettige Gesicht des Chinesen
strahlte vor schmalziger Wonne. „Ich habe immer
gemeint, diese europäischen Diplomaten brauchen
bloss ein Examen zu bestehen: in Dinerfestigkeit.
Ein guter Magen ist die Hauptsache und viel Sitz-
fleisch in der Kanzlei, um unendliche Ballen Papier
mit Tinte zu beklecksen, lauter unnützes Zeug, das da^^
heim in den Auswärtigen Ämtern halbgelesen in
den Papierkorb wandert. Für diesen Scherz müssen
die Steuerzahler ungezählte Summen hergeben, denn
— 76 — ■
der Apparat ist kostspielig. O, bei uns zu Haus
haben wir andre Mandarinenexamina zu bestehen
als Literaten und Gelehrte! Bei uns armen Bar-
baren glaubt man, dass nur die gebildetsten, fähig-
sten Köpfe zum Regieren und zum Staatsbetriebe
taugen. Aber diese Hochzivilisierten suchen sich
ihre Regienmgsleiter und Politikvertreter nach der
Geburt und Familie aus, und da kann, man sich den-
ken, wie die Völker bedient sind. Sich in. den
Salons herimitreiben, kleine Privatintrigen spinnen,
Diners imd Bälle geben, ja vor allem viel tanzen
und essen, das ist ihr Metier, und ihr Koch ihr wah-
rer Kanzler. Beim Confutsel Solche Wichte wollen
auf uns herabschauen, uns etwas lehren, die wir
ein höchstes Kulturvolk waren, als sie noch wie
alte Tamerlanhorden untereinander wüteten und
ihren lächerlichen kirchlichen Aberglauben, der
selbst unsem kleinen Kindern zu einfältig wäre,
von Jahrhundert zu Jahrhundert weiterschleppten 1"
Wess das Herz voll ist, dess gehet der Mund
über. So viel Übertreibimg in diesem halben Zerr-
bild europäischer Zustände lag, ein Kern von Wahr-
heit darin berechtigte zu solch grimmigem Ausfall
wider die Überhebung der kaukasischen Rasse. Die
lang aufgespeicherte Erbitterung über das brutale
Niedertreten der gelben seitens der weissen Men-
schen, wie es besonders in Amerika zur Erscheinung
kommt, und wie der chinesische Kuli es überall er-
lebt, machte sich Luft. Der Japaner grinste bei-
fällig :
— 77 —
" „Nicht ereifern, hocherleuchteter, hochge-
schätzter Freund I Die Weissen haben so manches
Gute, was wir uns vorher aneignen mussten, näm-
lich Erfindungen, Technik, kurzum praktische Dinge.
Doch wie geringwertig muss dies alles im Grund^
sein, wenn wir Japaner es binnen vierzig Jahren
nachmachen konnten I Heut bauen wir selbst schon
Panzerschiffe und Eisenbahnen, erfinden besondere
Sprengpulver. Und ihr, die ihr Schiesspulver und
Buchdruckerkunst schon so viel früher erfandet, als
die Weissen, werdet sicher bald gleiches vermögen,
sobald ihr euch endlich aufrafft. Dies allein imponiert
Europa. Unser hiesiger Botschafter, der ausgezeich*
netc Mann, konnte sich ja nicht versagen, den Witz
zu reissen: ,Als man wusste, wir Japaner hätten
grosse Schriftsteller und Künstler, verachtete man
uns als Barbaren; nun man aber weiss, dass wir
vorzüglich töten können, hält man uns für eben'
bürtige Kultuilmenschen/ Nun, wir waren früher
ja wirklich etwas — sagen wir; Mittelalter, feudal.
Doch kannten wir je solche Unterdrückung der
unteren Klassen, solche greuliche Intoleranz in
Glaubensdingen, wie diese sogenannte höhere Rasse ?
Das verbot schon Tmsre höhere Humanität imd
Sittlichkeit, auch imsre feinere gesellschaftliche Sitte.
Und im übrigen — was prahlen die Leute denn mit
ihrer Literatur, Kunst, Gelehrsamkeit? Die Kunst
fassen wir anders aiif, doch steht sie in ihrer Weise
grade so hoch, und das erkennen heut Einsichtige in
EujTopa an. Und geistige Werke — nun, die unsem
— 78 —
kennen sie ja nicht, und die euren, die ich unendlich
verehre, selbstverständlich auch nicht," setzte er
hastig mit Buschidowillen hinzu, wobei beide gel-
boi Würdenträger sich zeremoniöse Knickse mach-
ten; „doch mich deucht, um den Kulturstand abzu-
schätzen, konmit es hauptsächlich darauf an, welche
Geltimg Autoren in der Gesellschaft haben. Wir
beide smd Literaten und Staatsmänner zugleich —
von der Unbildimg unsrer europäischen Kollegen,
die Ew. Hocherleuchtetheit so witzig geissein, will
ich schon gar nicht reden — ; aber lesen Sie doch
die Biographien grosser eiiropäischer Geister» sehen
Sie sich in der Gesellschaft um, welches Ansehen
geniesst denn da der Geist, welche Rollen spielen
hochbegabte Männer, die man bei euch zu Man-
darinen erster Klasse ernennen, und denen bei
ims der weiteste Spielraum gelassen würde, denen
die vornehmsten EhrensteUen offenständen? Ver-
folgt, verhöhnt, ehe sie endlich zur Anerkennung sich
durchringen, oft aber bei Lebzeiten ganz unterdrückt
imd womöglich dem Hungertod preisgegeben, früher
dem Scheiterhaufen und Gefängnis, heut womöglich
deüi Irrenhaus oder dem Strafrichter überliefert —
so haben sich allzeit alle wirklich genialen Euro*
päer durchs Leben gequält. Und man sehe sich in
der Gesellschaft um, welchen Rang ninunt der gei-
stige Arbeiter dort ein? Gar keinen. Jeder Tropf
mit Amt und Titel, jeder Geldprotz gilt mehr, wenn
man den verschleiernden Nebel des Bildungsgeheu*
chels beiseite schiebt. Geburt tmd Geld sind die
— 79 —
einzigen teuersten Güter, die diese Kulturbarbaren
als heilig schätzen und schützen. Bei uns sind Adel,
Offiziere, Beamte bescheidene Diener des Vater-
landes, materieller Wohlstand verleiht an sich we*
der Einfluss noch Ehre, bei uns herrschen in Wahr*
heit Geist und Verdienst." Der Japaner wäre bei-
nahe vor innerer Erregung aufgesprungen, wenn
das ,Buschido' ihn nicht niederhielt. Doch obschon
sein Gesicht das stereotype sinnende Lächeln bei-
behielt^ blitzten seine schiefgeschlitzten Auglein dä-
monisch. „Wozu ich das sage? Uns anzufeuern
bei unserm grossen Werk nationaler Wiedergeburt
der gielben Rasse. Wir schulden den Weissen gar
keinen geistigen Respekt, wir zerstören nichts, was
für die Menschheit wertvoll, imd die bösen Miss-
helligkeiten" ^— er meinte ,die Greuel*, aber Bu-
schido-Taktik unterdrückt alle unangenehmen Aus-
drücke — „denen die Fremden in Ostasien entgegen-
gehen, wälzen wir auf ihr eigenes Haupt. Sie woll-
ten es nicht anders mit ihrer Einmischung, Auf-
dringlichkeit, Ausbeutxmg imd Ungebühr, und wir
'waschen unsre Hände in Unschuld."
Das tut der Mongole immer. Er weiss von
nichts, missbilligt fromm, was er angezettelt, und
kann auch hier auf christliche Vorbilder verweisen.
Der Chinese, nicht so in Buschidozucht wie der
Japaner, kniff tückisch seine Augen zusammen, eine
dimkle hektische Röte überiflog seine vorspringen-
den Backenknochen, sein sonst so friedfertig-schel-
misches Gesicht verzerrte sich in unheimlicher Wut :
— 80 —
„Glaubst du, mein hochgelehrter, weiser Freund,
dass man bei uns zu Hause den letzten Raubzug
verziehen hat? Da hatten wir sie alle beisammen,
die Moskowiter, die Yankees, die Deutschen, die
Briten, die Italiener, die Franzosen, und sie alle
rangen imi die Palme der Niedertracht. Hehe, wie
uns das ergötzte, als die Wahrheit in Europa durch-
sickerte, welche Schandtaten dies Kulturgesindel bei
uns vollbrachte, und allerorts die Wahrheitsprecher
als Verleiunder zugedeckt wurden I Das ist ihr christ-
liches Gewissen. Ich selbst," flocht er mit leiser
Betonung ein, „habe auch Verwandte dabei ver-
loren, auch Schaden am Eigentiun erlitten, ein rei-
cher Freund von mir in Tientsin wurde gänzlich
ausgeplündert — und Ew. Weisheit mögen gütigst
sich denken, mit welchem Mangel an persönlichem
Eifer ich die Ehre hatte, Vergeltung für all solch
milde Christengaben vorzubereiten. Ich sage dir^
Freimd Japaner," stiess er mit einem gurgelnden
Laut hervor, „von den Gesandten, Missionaren,
Kaufleuten und sonstigen Faulenzern und Ausbeu-
tern in Shangai, Canton, Kiautschou entkonunt kei-
ner, und ihren Frauen und Kindern wird man bei-
bringen, was auf chinesisch Rache heisst/*
Beide schwiegen einen Augenblick. Den zivi-
lisierten Japaner gruselte es leicht. Der Chinese
schien in wonnevolle Vorstellungen versunken, er
lächelte verklärt wie im Opiumrausch.
„Nur um eins bitte ich offiziell im Namen meiner
hohen Regierung," kehrte der Mann aus Tokio zum
— 81 —
Praktischen zurück: „Nichts verfrühen I Sonst könn-
ten die Kulturbarbaren noch in letzter Stunde stutzig
werden und im gegenseitigen Vertilgen plötzlich inne-
halten. Alles genau fertig machen, aber vollenden
erst, sobald Land- und Seekrieg in Europa in ent-
scheidendem Gange r*
Der Chinese nickte: „Abgemacht I Auch den
Aufstand unserer 60000 Kulis in Südafrika werden
wir/ dortige Umstände beobachtend, bis dahin ver-
schieben, ebenso die allgemeinen Kuliunruhen in
Ozeanien, vielleicht auch in Singapore und Malakka«
Wie steht's mit euren eigenen Versuchen in Indien ?"
„O, Agenten haben wir dort genug. Doch
darüber lässt sich noch nichts Gewisses sagen. Man
muss zuschauen, ob die Inder auf Kunde eurer
Erhebung und anderer Misshelligkeiten Englands
sich zu etwas Ernstem entsclüiessen. Lord Kitche-
ner ist ein übler Mann."
„Und wenn eure Agenten in britische Hände
fielen?"
„Sie haben nichts Schriftliches, und jeder weiss,
was ihm ziemt, um sein Geheinmis unäusgeplaudert
ins Grab zu nehmen," versetzte der Japaner kühl.
Der Chinese verstand, in solchen Fällen wählt man
Harakiri. „Man wird niemals unsere Regierung über-
führen können, und im übrigen fürchten wir Eng«
lands Rache nicht Das wird mit den lieben Vettern
jenseits der Atlantis zu tun bekonmien und uns
noch herjdich danken, wenn wir die armen verfolgten
Philippinos untern Schutz unserer Flagge nehmen,
VAUwr EnropM . . . ! 6
— 82 —
den Amerikanern einige Hiebe zukommen lassen.
Vor uns beiden, mein Freund, liegt ein Reich unbe-
grenzter Möglichkeiten. Wenn der europäische Krieg
beendet, ist Asien befreit."
„O, wie unauslöschlichen Dank schulden wir
eurem Rat und Beistand, eurer hohen Erleuchtung,
die uns Blinden den Weg wiesl"
„Ah, nur £w. Weisheit Güte sagt so Schmeichel-
haftes. Wer auf Weisheit hört, ist selbst ein Weiser.
Ich bin beauftragt,'* legte er sich in offizielle Posi-
tur, „im Namen des Sohnes der Sonne, meines aller-
gnädigsten göttlichen Souveräns, dem Sohn des Him-
mels, Ihrem erhabensten göttlichen Herrscher, tiefe
Bewimderung für so viel Huld imd Gnade auszu-
drücken!"
„So viel Huld und Gnade Sr. göttlichen Maje^
stät des Mikado wird ewig unvergessen sein!"
Beide Würdenträger schauten sich mit unend-
licher Zärtlichkeit an und schlürften nachdenklich
ihren Tee. Was sie sich dazu dachten, war ihr Ge>
heinmis oder auch nicht, denn jeder kannte sehr
wohl die Gedanken des anderen.
„Wenn ihr Bezopften glaubt, wir würden für eure
schönen Augen eure Geschäfte besorgen, irrt ihr gewal-
tig," sann der Japaner. „Diese alte Mandschu-Dyna-
stie ist längst zum Falle reif. Unsere Flotte wird
eure Häfen besetzen, unsere Armee in Peking ein-
ziehen, unsere Monarchie in Personalunion beide
Reiche vereinen, sobald die Zeit erfüllt ist."
„Wenn ihr abtrünnigen Europaaffen euch: ein-
— 83 —
bildet, wir lassen uns von euch übertölpeln, seid ihr
schiefer gewickelt als unsere Zöpfe," blinzelte der
Chinese in sich hinein, während er mit verschwom-
menen Auglein zur Decke stierte. „Das fehlte noch,
dass ihr Bastarde, ihr Auswandererauswurf aus Alt-
china, einst unsere Vasallen, jetzt die Alleinherren
spieltet. Ist China organisiert, so habt ihr uns zu
folgen, nicht wir euch. Korea, Mandschurei, Port
Arthur gehören uns^ das werdet ihr eines Tages
erfahren.**
6*
Sofort nach Eintreffen der entscheidenden
Depeschen aus Tanger, dass die Franzosen gegen
Marokko vorrückten» und sichern Feststellungen
des deutschen Informationsbureaus mit den Filialen
in Brüssel und Basel, dass fieberhafte Tätigkeit in
französischen Häfen und Zentralbahnstationen be-
ginne, legte der deutsche Geschäftsträger dem bel-
gischen Ministerium eine Note vor, die den Charakter
eines Ultimatum trug:
„Man sei imterrichtet, dass Frankreich imd En^:-
land im Kriegsfall die belgische Neutralität nicht
respektieren würden. Unter diesen Umständen sei
Deutschland genötigt, zu Repressalien zu greifen und
Belgien militärisch zu besetzen, respektive den freien
Durchzug zu verlangen. Es sei nicht \mbekannt,
dass Belgien sich dem Gedanken zuneige, Antwerpen
an die Briten auszuliefern. Allein König Leopold
möge wohl bedenken, dass es sich ums Schicksal
seiner Dynastie handele. Es sei unvergessen, dass
Louis Napoleon wiederholt Bismarck die Abtretung
Belgiens als Kompensation anbot, wie Frankreich
nie vergessen habe, dass Belgien einst dem Empire
Francais einverleibt war. Femer möge der König im
Auge behalten, dass Englands Absichten auf den
— 85 —
Kongostaat schon häufig zutage traten. Für den An-
schluss an Deutschland, den seine Ehre und Existenz
fordere, werde ihm Belgiens Fortbestehen garantiert,
widrigenfalls Deutschland sich vorbehalte, seinerseits
Belgien jeden S(:hutz izu versagen. Die Zeit dränge,
binnen vierundzwanzig Stunden müsse Partei er-
griffen werden."
Hoch gingen die Wogen des Zwiespalts im belgi-
schen Ministerrat. Man hatte mit der Hinneigung der
Wallonen zu Frankreich, der Republikaner zur
stammverwandten Republik, aber auch mit dem
Widerwillen der Vlamen gegen die Welschen und
ihren Sympathien für die deutsche Nation zu rechnen.
Natürlich konnte England durch Küstenblockade und
Bombardement von Antwerpen dem Lande schweren
Schaden zufügen, Belgien als erster Kriegsschau-
platz litt sicher von Franzosen und Deutschen. Aber
zu guter Letzt kam es doch darauf an, wer in diesem
ersten Ringen Sieger bleibe, da ein vom Sieger be-
setztes Belgien dann in verhältnismassig geordnete
Verhältnisse kam, wenigstens als Verbündeter des
Siegers. Neutralität musste dem Lande doppelte
Wunden schlagen und liess sich ohnehin nicht durch-
führen. Denn dem Wortlaut der Verträge nach musste
Belgien eben gegen die erste Macht, die seinen
Boden verletze, seine geringe Streitkraft richten.
Nun meldete man aber ununterbrochene Ansamm-
lung deutscher Massen auf der Strecke Aachen—'
Lüttich. Offenbar besass Deutschland einen Vor«
Sprung der Mobilisierung. Wenn auch Bahnzug auf
— 86 —
Bahnzug französische Truppen via Charleroi zur Sam-
brelinie beförderte, so schien doch klar, dass deutsche
Übermacht bald zur Stelle sein werde. Dann war
Belgien verloren, blieb wahrscheinlich bis Schluss
des Krieges als Faustpfand in deytschen Händen.
Der bei allen menschlichen Schwächen als Regent
höchst achtungswerte staatskluge König Leopold
fühlte sich zudem tief erbittert durch die unausbleib-
liche Vemichtimg, die seinem Lebenswerk, dem
Kongostaat, durch die beiden grossen Afrikamachte
drohte. Siegten diese im Weltkrieg, war der Kongo-
staat erst recht nicht zu retten. . Dann besser die
augenblickliche Gefahr auf sich nehmen. Denn beim
Siege Deutschlands war möglich, dass es Wiederhet*
Stellung des mittlerweile von England verschluckten
Koiigostaats sich ausbedingte.
Dies entschied. Prompt erfolgte des Königs Ant-
wort: bei obwaltender Lage schliesse er für den Fall
der Neutralitätsverletzung durch die Alliierten ein
Schutz- und Trutzbündnis mit Deutschland, stelle
sein Land unter dessen Schutz. Nur möge man dafür
sorgen, dass formal die Alliierten den ersten Schritt
des Rechtsbruchs täten. Dem Vorschlag des deut-
schen Militärattaches, sofort zu mobilisieren imd
den Hauptteil der belgischen Truppen auf Antwerpen
zu instradiereh, wo sicher ein englischer Angriff
au erwarten sei, ward Folge geleistet, -r-
Gleichzeitig stand der deutsche Gesandte im
Haag vor Königin Wilhelmine und dem deutschen
Prinzgemahl in geheimer Audienz^ Er setzte die
— 87 —
Bedenklichkeit jeder Neutralität auseinander^ Yvenn
der betreffeüde Staat in Mitleidenschaft gezogen zu
werden fürchten müsse» England werde b^stinunt
Holland als Basis für Landungsoperationen betrach-
ten, was Deutschland natürlitk durch sofortige Okku-
patioii Hollands vergelten werde. Holland iverde
dann allen Unbilden des Kriegszustandes preisge-
geben. Entschliesöe sich dagegen Holland, Deutsch?'
land sofort um Hilfe anzugehen und sein kleines
Heer unter deutschen Befehl zu stellen, so könnö dies
verinieden . und England am Landen gehindert wer«
den» Als: Garantie müsse man aber Verlangen, dasä
die zwischen Amsterdam und Texel liegende hollän-
dische Küstenflotte sofort, ehe sie vom britischen
Kanalgeschwader überrumpelt werde, sich nach Wil-
helmshaven in deutsches Gewässer begebe. Sollte
nicht binnen . sechs Stunden diesem Vorschlag zu-
gestimmt werden, so müsse Deutschland in berech-
tigter Notwehr imverzüglich Einmarsch in Holland
beginnen, da ein Festsetzen Englands an der Rhein-
mündung als dauernde Bedrohung der deutschen
Flanke niemals geduldet werden dürfe. Der deutsche
Kaiser als Verwandter des Hauses Oranien appelliere
an alte freundschaftliche Traditionen zwischen
Preussen und Holland, gemahne das beun Buren^
krieg bewährte Nationalgefühl der jungen Königiil an
das Schicksal ihrer Stammesgenossen in Südafrika,
welche soeben zu erneuter Anstrengung gegen das
britische Joch bereit seien. Unterliege Deutschland,
so werde Holland völlig unter englische Oberhoheit
— 88 —
geraten. Deutschland garantiere einem befreundeten
Holland sein Fortbestehen, ein neutrales oder gar
feindliches müsse es dagegen von der Landkarte
streichen. Dies sei keine leere Drohung. Denn wie
inmier die Würfel anderwärts fallen möchten, im
Landkrieg werde Deutschland die Oberhand und
für den Friedensschluss Holland und Belgien in der
Hand behalten, um seipe Verluste zu kompen-
sieren. —
Auch hier dauerte die Frist der Entschluss-
fassung, noch kürzer gesteckt als bei Belgien, nicht
lange. Der holländische Staatsrat, bisher in Vogel-
Strauss-Politik imd schwankender Schwäche befangen,
trug freilich der antideutschen Gesinnung des hol-
ländischen Volkes Rechnung, das in unbegreiflicher
Verblendung sich von sdnen nächsten Blutsver*
wandten, den Niederdeutschen, abwendet und für
Franzosen schwärmt, die ihm so unsägliches Eilend
seit Ludwig XIV. zufügten, die Briten anbetet, die
es doch seit alter Zeit als bitterste Handelskonkur«
renten und seit Cromwell als Zerstörer der holländi-
schen See- und Kolonialmacht kennen sollte. Ruyter
und Tromp, die alten Seehelden wider Britanniens
wachsende Überhebung, hätten sich im Grabe lunge-
dreht, wenn sie vernommen hätten, wie man auf
adulierendem Festbankett der niederländischen für
eine besuchende englische Flotte ihre Namen ein-
flocht, um fraternisierende Komplimente für den
übermächtigen einstigen Todfeind England zu
drechseln. Solches Betragen nach dem Burenkrieg
— 80 —
kann man wirklich nur sonderbar nennen, weiter
kann scheue Unterwürfigkeit vor dem Mächtigeren,
einseitige Rücksicht auf etwaige Bedrohung des
Geld' und Kaff eesacks bei einem Handelsvolke nicht
gehen. Nicht aber entsprach dem gesunden Gefühl
der braven jimgen Königin solche Entäusserung na-
tionaler Würde. Trotz aller antideutschen Gesinnung
ihres Hofes hielt sie an der Auffassung fest, dass
der Burenkrieg zeigte, was man von Englands Über-
griffen zu erwarten habe: gänzliche Verdrängung
aller Nichtengländer aus allen Zonen des Erdballs.
Geheime Nachrichten aus Transvaal und Kapland
steUten dortige Erhebung des holländischen Ele-
ments ausser Frage, selbst die britischen Ansiedler
verrieten dort Missvergnügen mit dem Imperialis-
mos Lord Milners. Die Nähe des deutschen Korps in
Südwestafrika wurde wohl erwogen, sein Beistand
konnte Vertreibung der britischen Zwingherren ge-
währleisten. Natürlich machte die Gegenpartei gel-
tend, dass die holländischen Hafenstädte schwer mit-
genommen, die Sunda-Kolonien von England erobert
werden würden. Aber demgegenüber ward betont,
dass beim Siege Englands selbst sklavische Unter-
tänigkeit Hollands den Besitz der Kolonien nicht
verbürge; die werde England unterm Vorwand der
Beschützung ohnehin okkupieren. Denn was der
britische Leopard in den Klauen hat, lässt er nie
wieder los, und wo sollte England sonst den Gewinn
suchen, den es von jedem Kriege verlangt? Andrer-
seits wurde Holland vollends ruiniert, wenn deutsche
— 90 —
Truppen es als Feindesland behandelten und admini-
strierten, und Räumung des fetten Landchens i^ar
den Deutschen höchstens bei deren Völliger Nieder-
lage abzutrotzen, was gar nicht im Bereich der Mög-
lichkeit lag. Bei Separatfrieden würde das Inselreich
selbstverständlich Holland opfern, sich mit Deutsch-
land darein teilen: ihm die Kolonien, letzterem das
Mutterland. Zu dieser Logik gesellte sich, noch bei
einigen Jonkhers die innerpolitische Angst vor der
Revolution, falls Holland zum Kriegsschauplatz werde»
imd etwa französische Truppen dort republikanische
Ansteckung verbreiteten« Das Fratermsieren holländi-
scher Sozialisten mit der welschen Republik trieb Hol-
lands Adel und Bourgeoisie widerwillig Deutsch-
land in die Arme, dessen konservativer Monarchis-
mus einen WaU gegen innere Anarchie zu bieten
schien.
Ehe die sechs Stunden abgelaufen, hatte
Deutschland zustimmende Antwort in Händöi. Der
Telegraph beorderte die Küstenflotte, ungesäumt
Kohlen einzunehmen und,! was die Maschinen nur
leisten könnten, mit fluchtartiger Hast den Jahde«
busen aufzusuchen, an deutsche Admiralität ver-
wiesen. Das kleine Heer, sogleich mobilisiert, sollte
bei Dortrecht Stellung fassen, indes das deutsche
X. Armedcorps über .Utrecht erwartet wurde. —
Glatter und einfacher spielte sich das Einver*
ständnis bei dem dritten neutralen Kleinstaat ab,
dessen Mitwirkung in Frage katti. Die Eidgenossen-
schaft io Bern, seit lange dem Deutschen Reich dienst-
— 91 —
willig gesinnt aus gerechter Befürchtung vor franzö*
sbchen alten Aspirationen auf Genf, Wallis und die
Jurapasse, eingedenk der schrecklichen Neutralitäts-
leiden der weiland helvetischen RepubUk, gab schon
lange zuvor die mannhafte Versicherung, dass jeder
Durchmarsch der Franzosen durch Kanton Basel mit
voller Waffengewalt geahndet werden tmd in diesem
Falle die Schweizer Wehrkraft sich aktiv auf Deutsch«
lands Seite stellen solle. Diesen Einfall über Delle-
Belfort konnte man aber bestimmt voraussehen, man
hatte geheime Aufklärung, auch liess die Richtung
der französischen Mobilisierungstransporte bald
keinen Zweifel darüber. Begnügte man sich aber mit
ohnmächtigem Protest, so lag es im strategischen
Interesse der französischen Heeresleitung, noch wei-
ter nordöstlich durch die Schweiz auszugreifen über
Schaffhausen, wie dies vor alters in den Revolu-
tionskriegen so richtig in verwundbare Punkte Süd
deutschlands hineingeführt hatte. £s blieb also für
die Schweiz keine Wahl, zumal Verletzung des
schweizer Territoriiuns deutscherseits völlig ausge-
schlossen und wenigstens in der ersten Feldzugs-
phase eine Benützimg der Strecke Basel-Genf für
einen Vorstoss nach Südosten — wie 1814 — für
deutsche Strategie ohne jeden Wert.
Das eidgenössische Kriegsdepartement verfügte
nach sofortigem Beschluss des Bundesrats die all:
gemeine Truppenzusammenziehung, bereitete die Ein-
beniftmg der Landwehr und des Landsturmes vor, so-
bald ein französischer Soldat die Jurapässe betrete.
— 92 —
Trotz einiger französischer Sympathien und ver-
schiedener Versuche der Sozialisten, den Bundes-
rat als „kriechenden Sklaven des Auslands" zu ver-
schreien und an ein Volksreferendum zu appellieren,
begegnete die Entschlossenheit und Klarheit, die
aus einem Aufruf des Bundespräsidenten sprach,
keiner Auflehnung, wohl aber kräftiger Billigung.
Denn der nüchterne Sinn der Schweizer erkannte
die unweigerliche Alternative: verletzt Frankreich
neutrales Gebiet, so zwingt schon nationales Ehrg^e-
fühl, vielleicht sogar künftige Existenz, zu energi-
schem Einschreiten. —
Auch mit Dänemark kam man rasch zu £nde.
Noch am Tage der Kriegserklärung wurden sämt-
liche Kauffahrer der Westmächte im Sund, Ska-
gerak imd Kattegatt von schon zuvor alarmierten
und auf Jagd gegangenen deutschen Kreuzern auf«
gebracht, nur unbehelligt gelassen, was nach Kopen-
hagen entrann. „Dies sei durch die Lage geboten
gewesen,** notifizierte der deutsche Gesandte, „um
die zu erwartenden schweren Einbussen der deut-
schen Handelsmarine auszugleichen. Im übrigen
werde die dänische Danebrogflagge überall respek-
tiert werden. Da aber die Allüerten aus Rücksicht
auf Russland jede Antastung Dänemarks vermeiden
würden, sei Mobilisierung der dänischen Flotte und
Armee nicht geboten, werde daher als deutschfeind-
liche Kimdgebung betrachtet und sofort durch Be-
setzung Jütlands beantwortet werden. Diese Mass-
regel sei überhaupt zum Schutze Schleswigs gegen
— 93 —
britische Landung nötig und werde nur unterbleiben,
falls Dänemailc feierlich strengste Neutralität ver-
spreche." Da dies auch der Stimmung des Landes
entsprach, und der verwandte russische Hof dringend
solche Politik empfahl, ging Dänemark willig darauf
ein und blieb schweigender Zuschauer. —
In Schweden dienten die deutschen Sympathien
König Oskars und die Erbitterung schwedischer Pa-
trioten über Englands moralische Unterstützung der
Losreissimg Norwegens wenigstens dazu, Russland
um Finnland besorgt zu machen, wo neue Erhebung
gärte. So wenig freimdlich der Skandinave über
Deutschland denkt, liess überhaupt die öffentliche
Meinung der drei Reiche im allgemeinen die fran-
zösische Version nicht gelten, dass Deutschland der
Friedensstörer sei. Zu klar lag das jahrelange Kriegs«
hetzen Englands vor Augen, zu einfach das aggres-
sive Vorgehen Frankreichs zutage, zu bekannt war
Deutschlands alter Standpimkt, dass es einen An-
nexionsangriff auf Marokko als Kriegsfall betrachten
werde. Hatte es Frankreich darauf ankommen las-
sen, so tat es jedenfalls den entscheidenden Schritt
auf eigene Verantwortung, imd Deutschland die
Schidd eines Friedensbruchs zuzuschieben, erinnerte
an die Vorgänge bei der Emser Depesche. Mit Aus-
nahme einiger verbissener greiser Eiderdänen, nach
Seeland emigrierter Überreste des Prager Friedens,
die heut noch von „Artikel Fünf" deklamierten und
die Stimde der Revanche predigten, empfing man die
in den Kopenhagener Hafen geflüchteten westlän-
— 94 —
(tischen Kauffahrer ohne jeden Enthusiasmus und
freute sich nur, dass wenigstens eine Wiederholung
des brutalen Völkerrechtsbruchs der beiden bri-
tischen Bombardements von Kopenhagen diesmal
nicht ru befürchten sei. —
In Russland verhielten Gesellschaft, Presse, Be-
völkerung sich auffallend kühl. Nur Teilnahme Russ-
lands an den europäischen Wirren hätte allgemeine
Entrüstung erregt. Die akademische Doktorfrage,
wer die eigentliche Initiative zum Losbruch eines
Weltkriegs gab, der doch so lange schon in der
Luft lag, wolle man nicht erörtern. Jedenfalls setzte
der Reichskanzler detn französischen Botschafter aus-
einander, dass der Wortlaut des sogenannten Zwei-
bunds nur Defensivtendenz zum Friedensschutz atme.
Unstreitig liege aber jetzt Offensivtendenz Frank-
reichs vor, das ja auch bei seiner offensiv gemeinten
Allianz mit England keineswegs bei Russland sich
Rats erholte. Ebensowenig könne Russland, zumal
Frankreich ja lieber sein Geld für ruinösen Krieg
opfere, statt detn befreundeten Zarenreich unter die
Arme zu greifen, die Herren an der Seine um Rat
fragen, was Russlands wohlverstandenes Interesse
gebiete : nämlich Enthaltung von jeder Einmischung
in Angelegenheiten, die doch wirklich nur die West-
mächte angringen. Bei der intimen Entente beider
sei dies sozusagen ein gemeinsamer Erbschafts-
prozess, eine reine Familiensache. Für Marokko
nicht die Knochen eines taurischen Grenadiers!
Mit Hinblick auf des Reiches innere Lage ver-
— 95 —
weise er daher auf den Defensivinhalt des
Zweibunds.
Die abgeblitzte französische Politik musste also
über diese faktisch aufhörende Allianz zur Tagesord*
nung übergehen. Verrannt in die englische Schlinge,
konnte sie auf dieser abschüssigen Bahn nur weiter-
rollen und im Falle des Sieges die russische Allianz
kündigen, sich fortan dauernd auf England stützen,
ihren natürlichsten Interessenfeind. Aber ganz ab*
gesehen von der inneren Wirrnis, die jeden aus«
wärtigen Krieg des Zaren als Selbstmord erschei-
nen liess, abgesehen von privaten dynastischen Er-
wäfi^mgen, wonach der Zar nur in Deutschland noch
Anlehnung als Bollwerk des monarchischen Gedan-
kens suchte und jede Schwächimg Deutschlands wie
eigenen Rückgratbruch fürchtete, wäre kriegerisches
Vorgehen ohne jede Chance gewesen. Bei der
Schwierigkeit, ja jetzigen Unmöglichkeit einer nur
einigermassen geordneten, geschweige denn recht-
zeitigen, Mobilisierimg hätten Deutschland-Österreich
sofort Polen, Schweden sogar Finnland besetzen
können, und bei der nationalen Rebellion dieser
Völkerschaften waren die endlichen Folgen nicht
abzusehen. Ausserdem sprach diesmal die Türkei
mit, wenn der „heilige Krieg'* die Islamwelt
entflammte, schon allein Nährung des Tscher-
kessenaufstands von dorther konnte bedenklich
werden.
So notifizierte denn ein ausserordentlicher Am-
bassadeur von der Newa an der Spree eine womög-
— 96 —
lieh noch turmhöhere traditionelle Freundschaft der
altvereinten nordischen Kaiserreiche. Wenn Eng-
land und Deutschland sich Wunden schlugen, konnte
es ja dem heiligen Russland nur recht sein: desto
eher vernarbten seine eigenen tiefen Wunden. —
In der Wiener Hofburg musste, selbst wenn
man Abfall oder wenigstens mangelhafte Innehai*
tung des deutschen Bündnisses je gewollt und ge-
plant hätte, die gegenwärtige Weltlage zu stärk-
ster Bundestreue begeistern. Angst vor Russland
und deshalb auch vor den eigenen slawischen Staats-
teilen fiel jetzt weg, die Deutschen würden in wil-
der Erregung sich von der Dynastie losgesagt haben,
wenn sie nicht das Alldeutschtum in dieser Gefahr
hochhielt. Den Ungarn aber, so sympathisch sie
für die Westmachte fühlten und so grundsätz-
Uch sie gegen jede Wiener Entschliessimg oppo-
nierten, kam ihr reifer politischer Sinn zu Hilfe.
Ihre einsichtigen Politiker erkannten, dass die Nie-
derlage Deutschlands anfangs Österreichs Zerfall und
Ungarns Selbständigkeit ermöglichen, dann aber Ost-
europa völlig dem Einfluss des Panslawismus unter-
werfen würde, womit der Magyaren Untergang end-
gültig besiegelt. In der regulären Armee zeigte sich
das Band der anerzogenen Anhänglichkeit an Fahne
und Kaiser auch bei den Mannschaften stärker, als
man geahnt hatte. Der angeblich in allen Fugen
krachende Donaustaat erwies die Zusanmienschweis-
sung seines bunten Völkerschaftgemengsels durch
fünfhundertjährige Geschichte doch fester, als zu
— 97 —
erwarten: wie ein Totgesagter lebte er noch recht
lange. Denn trotz wüster Erneuten tschechischen
Pöbels imd trotz Gehorsamsverweigerungen einzelner
Honvedregimenter, umrahmt von bliunenreichen
Phrasenadressen tschechischer imd imgarischer Stu-
denten an die „sehlisüchtig geliebte, vorbildliche fran-
zösische Nation", blieb es bei diesen rasch unter-
drückten Einzelausnahmen, sobald das prahlende,
drohende Auftreten der Irredenta und ihres Sprach-
rohrs, der ganzen italienischen Presse, den Natio-
nalstolz der eis- und transleithanischen Kreise gleich-
massig reizte. Die Magyaren fühlten sich auf ein-
mal als Angehörige des gemeinsamen Doppelstaats,
als Italiens lange Finger sich über Fiume nach
Triest und Dalmatien ausstreckten, das Ungarn als
künftige eigene Beute betrachtete, imd auf das auch
die Slawen keinen Verzicht leisten wollten. Der
alte nationale Gegensatz meldete sich mit voller
Schärfe an, da der Südslawe vom Italiener, den er
verachtet, sich noch weniger verdrängen lassen will
als vom Deutschen, den er hasst. Verfrühtes Spek-
takeln der Irredentisten in Triest, Trient, Roveredo,
Riva, Görz, vorlaute dreiste Herausforderung ita-
lienischer Studenten in Innsbruck führten zu all-
gemeinen Ausbrüchen des VolksimwUlens, imd ein
kroatisches Regiment wetteiferte mit einem stock-
magyarischen beim Niederknallen der Aufrührer in
Triest. Der deutsche Charakter Wiens prägte sich
natürlich in riesigen Strassenumzügen aus, die vor
der Hofburg, dem Ballhaus, dem Reichsrat immer
Völker Europas ... 1 7
— 98 —
wieder den Ruf erschallen Hessen: „Hoch Deutsch-
land f Nieder mit Italien 1" Eine Manifestation sozia-
listischer Böhmaken in Favoriten: „Hoch Frank-
reich! Nieder mit Deutschland! Hoch der Frieden I
Kein Krieg I" brachte den Abgeordnetaa Adler,
Pemerstorfer, Eldersch, Ellenbogen und dem
schimpfgewaltigen Schuhmeier blutige Köpfe ein,
durch Flutwelle von Christlichsozialen und Völ-
kisch-Alldeutschen vereint weggeschwemmt. Sogar
die Anhänger von Schönerer, Wolf und dem Schrei-
hals Iro machten eine Ovation für Oberbürgermeister
Lueger mit, der mit achtunggebietender Festigkeit
und hinreissender Beredsamkeit auf der Freitreppe
des Rathauses eine Ansprache an mächtige Volks-
mengen hielt, worin er „Zusammenstehen mit un-
sem deutschen Brüdern im Reich" proklamierte.
In den nächsten acht Tagen nach Deutschlands
Kriegserklärung an Frankreich hatten die Verhält-
nisse sich schon derart geklärt, dass die österrei-
chische Heeresleitung, deren eifrige Offiziere vor
Kriegslust brannten, welcher Nationalität sie auch
angehören mochten, ihre Mobilmachung vollenden
und ruhig über ihre Kräfte verfügen k<mnte.
In Galizien und der Bukowina blieben zwei Korps
zur Beobachtung Russlands, in Böhmen eine unga-
rische Division, in Ungarn ein halbslawisches Korps
zurück, um vorerst etwaige Unruhen zu überwachen.
In Siebenbürgen, Dalmatien, Bosnien und der Her-
zegowina standen eine aktive und zwei Landwehr-
divisionen, um Serbien und die Sphäre Saloniki zu
— 99 —
beobachten und nach vertraulicher Vereinbarimg mit
Konstantinopel im Notfall den osmanischen Nizams
die Hand zu reichen, wenn Italien mit Montenegro,
Serbien, Mazedonien in Albanien sich mausig mache.
Die kleine Flotte machte im Kriegshafen Pola mobil
und streifte die adriatische Küste ab. Drei Korps,
aus Kärnten, Krain, Tirol und Steiermark zusam-
mengezogen, staffelten sich zwischen Kufstein und
Fiume, um je nach Verhalten Italiens, vollzählig
und dann durch vier Reservelandwehrdivisionen ver-
stärkt, dort die Südgrenze zu decken oder teilweise,
falls Italien nicht ernstlich angreife, den sechs Armee-
korps nachgeschoben zu werden, die allmählich an
die deutsche Rheingrenze abflössen. Hierbei gingen
die ersten Staffeln auf den Bahnlinien Eger und
Passau über München, vbn da über Ulm imd Konstanz,
die zweiten Staffeln durften später schon über Lindau
imd Rorschach die Schweizer Bahnstrecke benutzen,
da um diese Zeit sich schon Beitritt der Alpenrepu-
blik vollzog.
Deutscherseits blieben je eine Division der zwei
ost- und westpreussischen, des Posener und Schlesi-
schen Armeekorps nebst vier Landwehrdivisionen
langes der russischen Grenze vorerst zurück, ebenso
das Gardekorps in Berlin und Umgegend, während
die Depotorte und wichtigeren Garnisonsplätze fast
nur von Landwehr besetzt wurden, die auch überall
auf den Etappenlinien allmählich die Feldtruppen
ablöste. Desgleichen sicherte das 9. Korps, kom-
plettiert um eine fortwährend aus anderen Provinzen
7*
— 100 —
vermehrte Landwehrdivision, die Strecke Flensburg-
Hamburg, Emden-Bremen. Die Garde, für inneren
Sicherheitsdienst sozusagen als politische Polizei be
stimmt, hatte im Notfall die Reserve für Küsten-
schutz zu bieten. Das 10. Korps sollte nach Besetzung
von Holland und Angliedenmg der niederlän-
dischen Streitkräfte den Küstenschutz langes der
Zuydersee und Nieuwe Waterweg stellen, nach Ab-
schlagen britischer Landungsversuche die allgemeine
Reserve für die deutsche I. Armee bilden und nach
deren Besetzung von Belgien den Etappendienst von
Nymwegen bis Brüssel-Lüttich später übemelunea
Erlaubte es die Entwicklung der Dinge, würde dies
durch Landwehmachschub aus Hannover und Hes-
sen vermehrte Korps auch nach Antwerpen deta-
chieren. Das 7., 8., 11. und 18. Korps (West-
falen, Rheinland, Thüringen, Kurhessen und
Hessendarmstädter Kontingent) standen als L Armee
bei Lüttich und schickten sich an, Luxemburg
zu durchschreiten. 3., 4. preussische, sächsische
12., 19., 23. Korps gingen über Mainz nach
der Mosel, wo die beiden reichsländischen Korps
bereits am anderen Tage nach der Kriegserklärung
unter Waffen standen. Dieser H. Armee sollten
bald als Reserve das 2. Korps, nur einige aktive
Bataillone in seinem Landwehrbezirk zum Schutze
von Stettin, Swinemünde, Rügen belassend, sowie
je eine Division des 1., 5., 6., 17. folgen. Die des
17. (Danzig) bheb jedoch im Lande. Auf der Strecke
Landau-Kolmar-Freiburg rückten das badische, würt-
- 101 —
tembergische, beide bayerischen Korps und ihr Re-
servekorps an, denen sich später die nacheinander
eintreffenden österreichischen Korps einschieben
sollten. Dieser III. Armee konnte dann die
Schweizer Mihz eine wirksame Flankendeckung ge-
wahren. Allerdings wurde so auf dem linken Flügel
der Angriffslinie eine imverhältnismässige Masse von
Kräften zusammengepackt, doch kamen die natür-
lichen örtlichen Umstände der Anmarschrouten für
Süddeutsche und Österreicher hierbei gleichzeitig
strategisch zu passe. Deim der voraussichtliche
grosse Ausfall der französischen Rechten durch
Trou^e de Beifort und Kanton Basel, sowie dauernde
Belästigung der deutschen rückwärtigen Flanke für
die mittlere Grenzlinie seitens des Waffenlagers
Beifort machten nötig, eine möglichst starke Haken-
flanke dorthin zu bilden. Sobald die feindliche Of-
fensive ganz zurückgeschlagen, mochten die hier
angestauten zehn, beziehentlich (Schweizer inbegrif-
fen) zwölf Armeekorps sich breiter nach Südwesten
auf französisches Gebiet entfalten. Dann musste
der Druck von dorther strategisch vorteilhaft wirken,
des Gegners bei Chalons-Rheims-Laon befindliche
Hauptmasse umgehend nordwärts abdrängen, wie
die alte von Clausewitz empfohlene und spä-
ter von Moltke ausgeführte Methode den Weg
wies. —
Was die Türkei betraf, so hatte der deutsche
Botschafter dem Sultan vorgestellt: „dass die Nie-
derlage Deutschlands ihn seiner letzten Stütze be-
— 102 —
rauben werde und dann das Schicksal der Türkei
besiegelt sei. Die Westmächte würden dann, um
Russland mit der neuen Verschiebung des europäi-
schen Gleichgewichts zu versöhnen und es vom fer-
nen Osten nach Konstantinopel abzulenken, eine
Aufteilung der Türkei durchführen, wobei Frank-
reich Syrien und Palästina, England sämtliche
Häfen und Inseln und die kleinasiatische Küste,
Russland Rumelien erhalten würde. Die Bag-
dadbahn werde dann natürlich in englische Hände
geraten. Für vertrauliche Besprechungen in die-
sem Sinne lägen schon Anzeichen vor. Es handle
sich daher um Sein oder Nichtsein für die Türkei,
und solle sich der Grossherr daher kurz resol-
vieren, diese letzte Möglichkeit zur Behauptung
seines Staates nicht in den Wind zu schlagen.
Die Bewegung in der ganzen islamitischen Welt
wegen der Marokkoaffäre biete ihm Gelegenheit,
als Schutzherr der afrikanischen Muselmanen auf-
zutreten. Deutschland verbürge ihm volle Inte-
grität seines Gebietes, wenn er aktiv am Weltkrieg
teilnehmen wolle."
Abdul Hamid, bei allen Fehlem ein weitsichtiger
Staatslenker, verschloss sich diesen Gründen nicht.
Persönlich seit lange schwer gereizt durch die steten
Einschüchterungsversuche seitens der Westmächte,
ohne den endgültigen Verlust Ägyptens je verwimden
zu haben, verkannte er nicht die Gunst der Lage,
dass sein gefährlichster Gegner Russland augen-
blicklich ihm nichts anhaben konnte. Dessen Bot-
— 103 —
schafter gab vertraulich zu verstehen, „dass man sich
aus Petersburg jeder Kontrolle über Massnahmen
der Türkei in der gegenwärtigen Krise enthalten, Bul-
garien und Rumänien (auf welch letzteres man wegen
der bekannten Affäre mit dem meuterischen Panzer-
schiff „Potemkin" einen Zahn hatte) dringend vom
Unruhestiften und Belästigen der Pforte abmahnen
werde. Nur Unterstützung des tscherkessischen Auf-
standes seitens türkischer Behörden werde man als
unfreundlichen Akt betrachten."
Gleichzeitig erschien aber der britische Ge-
schäftsträger beim Grosswesir, lun nach beliebter
britischer Methode drohend zu bluffen. „In Maize-
donien seien wieder mal ,Atrocities' vorgefallen, Ein-
berufung der Redifs und Verstärkung der Kom-
mandos in Albanien lasse auf feindliche Absich-
ten gegen die Rajas schliessen, zumal ein keimender
Fanatismus in der muselmännischen Bevölkerung
sich rege. Femer wünsche man Auskunft, was ein
neuer starker Militärtransport aus dem Vilajet Konia
nach Syrien bedeute. Trotz aller Beschwichtigungs-
versuche wiederhole sich der frühere Vorfall, wo ein
Pascha überraschend die Sinaihalbinsel imd sogar
ägyptische Grenzdörfer besetzte. Wenn diese seit
lange beobachtete allmähliche Truppenverschiebung
nach Süden in der asiatischen Türkei nicht aufhöre,
müsse England jede Annäherung an Ägypten als
Kriegsfall betrachten und habe dem in Malta sta-
tionierten Vizeadmiral Scott schon Auftrag erteilt,
eventuell die Insel Lesbos erneut zu okkupieren und
— 104 —
von dort mit schärferen Beweismitteln die Darda-
nellen zu berühren."
Diese Leistung der britischen Diplomatie, welche
so schöne Erinnerung an arrogantes Auftreten fran-
zösischer Botschafter Cambon und Constans vor jener
früheren Flottendemonstration erweckte, führte sich
Abdul Hamid so zornig zu Gemüte, dass er eine
grobe Antwort gab, wie England sie bisher nicht
gewohnt war. „Er müsse sich solche Einmischung
in Armeeverhältnisse der Osmanen ein für allemal
verbitten. Die Weltlage fordere, dass die Türkei sich
auf erneute Balkanunruhen gefasst mache. Die
Truppenkordons in Asien seien zum Schutz des Baues
der Bagdadbahn nötig, ausserdem zur Überwachung
der noch inmier nicht ganz erloschenen Aufstände in
Yemen. Weit eher habe die Hohe Pforte ihrer-
seits ihr Befremden zu äussern über Umtriebe gegen
die Bagdadbahn und Wühlereien im Balkan und
Armenien. Es sei kein Geheimnis, dass englische
und französische Agenten, ob nun offiziell oder privat,
dabei eine Rolle spielten. Jedenfalls habe man eng-
lische Sovereigns rollen hören, habe auffälliges Vor-
handensein dieser bekannten Münze in Taschen von
Übelgesinnten wahrgenommen. Der Padischah sei
nicht gesonnen, sich alles bieten zu lassen, und werde
selber die Richtung seiner Politik bestinmien/'
Obschon es nicht im Interesse Englands lag,
gerade jetzt noch einen Zwist mit dem Osmanenreich
vom Zaun zu brechen, fühlte sich der britische Hoch-
mut zu sittlich entrüstet über solchen Mangel an
— 105 —
geziemender Unterwürfigkeit, dass es eine ver-
letzende Note erliess: ,,Grossbritannien als oberster
Vertreter christlicher Gesittung werde die Zustände
im Auge behalten, welche etwa christliche Unter-
tanen der Türkei schädigen könnten. Lord Cromer
habe Auftrag, an der ägyptischen Grenze Vorsichts-
massregeln zu treffen, die Garnison von Cypem werde
verstärkt werden. Auch bleibe es bei der angedrohten
Razzia in die türkischen Gewässer." Zwar verzichtete
man auf Besetzung von Lesbos, aber tatsächlich
dampfte ein Teil des Mittelmeergeschwaders die tür-
kische Küste entlang. Dies geschah während der
ersten Tage der westeuropäischen Mobilisienmg, als
schon von Marokko au^ der wilde Schrei des heiligen
Krieges gegen die Giaurs zum Himmel stieg. Die
englische Demonstration, früher so oft erfolgreich an-
gewendet, verfehlte diesmal ihren Zweck. In Kon-
stantinopel brach wüster Ingrimm los, und im Jildiz
Kiosk zitterte man vor der Möglichkeit, die Jung-
türken möchten als Feinde des bestehenden Re-
gimes die naive religiösnationale Erregung der Alt-
türken benutzen, deren Mullahs in allen Minaretts
gegen die Bosheit der Ungläubigen zeterten. Die
aus Fez auflohenden Funken setzten längs der afri-
kanischen Küste schon Asien in Brand, das schläf-
rige Seelenleben der Islamiten stand in hellen Flam-
ment Millionen Stimmen forderten gebieterisch:
„Entrolle, o Kalif, die grüne Fahne des Pro-
pheten I"
Mehr der Not gehorchend als dem eigenen
— 106 —
Triebe, da seiner ängstlich schlauen Staatskunst ein
solches Vabanquespiel widersprach, mehr aus Zwaag
innerer als auswärtiger Politik, schwer gekränkt in
seiner Despotenwürde und von der Richtigkeit der
deutschen Darlegung durchdrungen, warf daher Ab-
dul Hamid plötzlich die Maske ab und die Scheide
von sich, verbrannte alle Schiffe hinter sich und warf
sich auf die Bahn des Glaubenskriegs. „Als Kalif
und Schirmherr aller Gläubigen, als Souzerän dürfe
er Marokkos Vergewaltigung nicht ruhig mit an-
sehen. Auch fühle sich sein Gewissen gequält, dass
er die Gläubigen Ägyptens dem Joch der Ungläubi-
gen nicht ausliefern dürfe. Er mahne daher Frank-
reich, von jeder Antastung Marokkos abzustehen,
und stelle England anheim, Ägypten zu räumen."
Solch unerhörte Dreistigkeit nahm man zwar in Paris
und London mit Gelächter auf, die Gesandtschaften
der Alliierten begaben sich an Bord ihrer Stations-
schiffe und hinterliessen ein Ultimatum, das demüti-
gende Abbitte verlangte. Doch das Lachen verging
ihnen, als statt jeder sonstigen Antwort eine Bot-
schaft des Kalifen, in allen Moscheen verlesen, alle
Moslem der Erde zum Schutze ihrer heiligsten Güter
zu den Waffen rief. Am gleichen Tage schloss der
Sultan mit Deutschland Osterreich geheime Konven-
tion ab, deren Schutz- und Trutzinhalt freilich absicht-
lich nach Petersburg und von da nach Paris durch-
sickerte.
Dass die Osmanen als altes Kriegervolk wirk-
lich von ihren deutschen Instruktoren das Nötige
— 107 —
lernten, bewies der überraschend schnelle Vollzug
der heimlich schon zur Hälfte angebahnten Mobili-
sierung. Vier Armeekorps marschierten mit ziem-
lich ordentlicher Ausnutzung des spärlichen Bahn-
netzes zur ägyptischen Grenze, zwei beobachteten
Bulgarien und Bessarabien, eins gamisonierte gegen-
über Kars, wobei sich dem russischen Kabinett das
Berliner verbürgte, dass dies nur Scheinanstalten
seien, ohne im entferntesten an Verwicklung mit
Russland zu denken. Und für Italien blühte eine
ähnliche Überraschung, als es nimmehr notifizierte:
„es teile die Besorgnis der Westmächte für Gefahren
christlicher Bevölkerung der Türkei und sehe sich
daher moralisch genötigt, Albanien zu besetzen."
Als imterm Schutz eines bei Brindisi zusammen-
gezogenen Hauptgeschwaders zwei italienische Ar-
meekorps nach \md nach an Albaniens Küste lande-
ten, traten ihnen drei türkische entgegen, während
drei Landwehrdivisionen die thessalischen Pässe ge-
gen das unruhig werdende und nach Krieg schrei-
ende Griechenland bewachten. Die zahlreichen Euro-
päer in Galata und Pera stellten sich untern Schutz
des deutschen Botschafters oder flüchteten in Masse
auf die britischen Schiffe, die nunmehr an den
Dardanellen vor Anker gingen. Doch konnte man
nicht hindern, dass schon vorher viele englische
und französische Handelsschiffe, zwischen den Dar-
danellenforts am Entrinnen gehemmt, weggenom-
men, versenkt und verbrannt wurden, und eine
Menge Privateigentum der Alliierten wilden Pöbel-
— 108 —
exzessen zum Opfer fiel. Mit den Forts fertig zu
werden und die kleine türkische Flotte zu vemich-
ten» war freilich für die Briten ein Kinderspiel. Das
Schlimme dabei war aber, dass nunmehr die ^^anze
Mittelmeerflotte an Ort und Stelle bleiben, auch
Frankreich eine Eskadre nach Mytilene ent-
senden musste. Die Hälfte der britischen und eng-
lischen Marine im Mittelmeer hatte ausserdem das
Amt. eine Scheinbeobachtung der italienischen Küste
durchzuführen, um Italiens unklare Haltxmg vorerst
moralisch zu decken. Man kreuzte vor Spezzia, Nea-
pel, auf der Höhe von Sizilien, während Italien, in
volle Mobilisierung, angebliche Verteidigimgsanstal-
ten traf, in Wahrheit aber schon zwei Drittel seiner
Marine aus dem Tyrrhenischen ins Adriatische Meer
zog und unterm Vorwand der albanischen Expe-
dition sich immer dichter nach Venedig massierte.
In Venezien standen bereits beide lombardischen
Armeekorps, in Ancona als Einschiffungspunkt für
I Strien entstand ein grosses Heerlager, indes der
Küstenschutz gegen angebliche Bedrohung der Al-
liierten nur massig betrieben und die piemontesischen
Truppenteile an der französischen Grenze so auf-
gestellt wurden, dass ebensogut Bedrohung des
schweizerischen Tessin damit gemeint sein konnte.
An der Seealpensperre kletterten Bersaglieri und
Alpins gegenseitig herum, ohne sich etwas zuleide
zu tun, die rotweissblaue Trikolore der französi-
schen Grenzforts schien freundlich die rotweissgrüne
der italienischen zu grüssen.
— 109 —
So war denn alles ganz anders gekommen, als
frühere Phantasien gewbser anonymer Autoren es
ausgemalt, die naiverweise an Italiens Bundestreue
glaubten, dagegen Türkei und Schweiz aus dem
Spiele liessen und mit verspäteter Unentschlossen-
heit Hollands, mit direkter Feindseligkeit Belgiens
rechneten. Die geradezu unbegreifliche Annahme,
dass es in Schlachten auf französischem Boden zu
gewaltiger Übermacht der Franzosen kommen werde,
die ebenso unbegreifliche Vorstellung, als könne
England mit grossen Streitkräften auf dem Konti-
tient eingreifen, verkehrte sich in der Praxis ins
Gegenteil. Allerdings sollte der ebenso törichte chau-
vinbtische Optinüsmus, als könne ein deutsches Heer
jeder französischen Übermacht von 2:3 Herr wer-
den, sich als frommer Wahn herausstellen, und was
von Widerstandsfähigkeit der deutschen Flotte wi-
der britische Übermacht zu halten sei, lehrten nur
zu bald die Ereignisse. Von einer stürmischen Hurra-
begeisterung byzantinisch-chauvinistischer Färbung,
von welcher jene Propheten vorausgeschwärmt hat-
ten, die überhaupt durch ihre optimistischen Über-
treibungen viel falsche Selbsttäuschung in unklaren
Köpfen anrichteten, war gleichfalls nichts zu spü-
ren. Den „Aufruf an mein Volk" beantwortete keine
spontane Ovation, sondern nur ernster kurzer Zu-
ruf, der ausdrückte, dass jedermann entschlossen
sei, in dieser Gefahr zu Kaiser und Reich zu stehen.
Aufruf der kaiserlichen Botschaft besagte, dass
es sich hier nicht um Marokko und blosse Handels-
— 110 —
und Einflusssphären handele, sondern um lange vor-
bereitete Provokation, Deutschland zum Kriegte zu
reizen, und um geplanten Überfall: wenn Deutsch-
land nicht den Krieg erklärte, würde man ohne
Kriegserklärung bald darauf überrumpelt worden
sein. Hierfür wurden Dokumente ausgeführt, und
hatte ja in der Tat die deutsche Presse schon vorher
Alarmrufe ausgestossen, geheime Mobilisierung
scheine bei den Westmächten sich vorzubereiten.
Diesmal leistete das deutsche Informationsbureau
Gutes, Auswärtiges Amt und Generalstab hatten
gleichmässig Beweise erhalten, die über der Al-
liierten tiefere Absicht keinai Zweifel Hessen. Un-
ter solchen Umständen kurz resolviert, hatte man
acht Tage vor dem französischen Einmarsch in Ma-
rokko, über dessen Herannahen man stündlich aus
Tanger auf dem laufenden erhalten wurde, sich
heimlich in Bereitschaft gesetzt, sofort eine schon
lange zuvor für solchen Fall vereinbarte Chiffre-
depesche an alle deutschen Handelsschiffe erlassen,
andre grosse Handelsdampfer in Hamburg und
Bremen zurückgehalten und deren Armierung vor-
bereitet. Am Tage der Kriegserklärimg traf der ver-
hängnisvolle Befehl „Krieg mobU*' schon beendete
Vorbereitimgen. Eingedenk der britischen Ge-
wohnheit, Kriege stets durch Überfall ohne vor-
herige Erklärung zu beginnen, spielte Deutschland
diesmal umsichtig das Prävenire und holte den in
Ausführung begriffenen Mobüisierungsbeginn Frank-
reichs sofort ein, kam mit Vollendung der Kriegs-
— 111 —
bereitschaft um zwei Tage zuvor. Für die Flotte
freilich konnte dieser Vorsprung nichts nützen, da
wegen der furchtbaren Überlegenheit der Verbünde-
ten zu Wasser eine Offensive deutscherseits sich von
selber ausschloss.
Die Sozialdemokraten bewahrten im ganzen eisi-
ges Schweigen. Zwar forderte die Parteitaktik einen
donnernden Protest Bebeis in der Reichstagsschluss-
sitzung gegen solchen verbrecherischen Weltkrieg-
Selbstmord. Doch selbst er Hess seine anfängliche
Behauptung fallen, dass nur Deutschlands eigener
Grössenwahn es ins sinnlose Marokkoabenteuer
stürzte. Denn zu klar entpuppte sich die Gehässigkeit
Europas gegen das Deutsche Reich, das ausser Öster-
reichs Bündnis nur die wertvolle Freundschaf t des
Tiefseeforschers und Spielhöllenbeherrschers in Mo-
naco zu gemessen schien. Schon Italiens Unfreundlich-
keit bewies den Zweck der Marokko-Falle, Deutsch-
land isoliert einzuengen, seiner Industrie das Absatz-
gebiet zu schmälern und es bei erster Gelegenheit mit
Krieg zu überziehen. Wenn man sich jede diplo-
matische Niederlage gefaDen liess, würde dies das
Übelwollen der Gegner mildem? Nein, zu immer
neuer Verletzung deutscher Interessen ermutigen.
Sollte man jetzt etwa den bewaffneten Überfall der
Aliierten abwarten, den man durch eigene moralische
Schwäche erst recht heraufbeschwor, sollte man war-
ten, bis Russland wieder möglichst bei Kräften,
dessen Stellungnahme keineswegs sicher vorauszu-
sehen, sollte man die Konstellation der grossen is-
112
lamitischen Bewegung nicht benutzen? Unter sol-
chen Umständen hatte der Bundesrat einen leichten
Stand, liberalen Phrasenschwall abzuschlagen, und
Bebel fiel auf die unangreifbare Position zurück,
dass allerdings die gesamte kapitalistische Gesell-
schaft an diesem blutigen Schandwerk die Schuld
trage, das ihren baldigen allgemeinen Zusammen-
bruch vorausverkünde. Diese Prophezeiung werde
zuschanden werden, rief Herr v. Kardorf f pathetisch,
aber sie machte natürlich Eindruck. Karden erliess
ein hochmögendes Manifest seiner Unfehlbarkeit,
das er mit Trauerrand ausstaffierte, worin unabseh-
bare düstere Folgen und Aushungerung Deutsch-
lands durch die Küstenblockade in freundliche Aus-
sicht gesteUt wurden. Doch sachkundige Artikel be-
wiesen bald, dass bei Russlands wohlwollender Neu-
tralität immer Zufuhr vom Don und aus Ungarn offen
bleibe und amerikanische Privatschmuggelei schwer-
lich durch Blockade ganz verhindert werden könne.
Ziunüberfluss gab Herr v. Vollmar das Votum der
süddeutschen Sozialdemokratie ab, dass man leider
ausnahmsweise auf seiten der deutschen Regierung
stehen, dass Niederwerfung und Auspowerung des
Deutschen Reichs notwendig die Arbeiterschaft am
schwersten treffen müsse, tun deren Los die fran-
zösische Bourgeoisie und englische Oligarchie, wenn
sie siegten, sich wahrlich nicht kümmern werde. Das
aUgemeine Elend des Volkes infolge dieses kapita-
listischen Raubkrieges verbessere man nicht durch
Kokettieren mit dem Landesfeind, sondern verschlim-
— 113 —
mere es. Höchstens Deutschlands Sieg könne vom
wirtschaftlichen Untergang erlösen. Deshalb müsse
der Sozialdemokrat jetzt wie jeder andere seine staats-
bürgerliche Schuldigkeit tun und blutenden Herzens
votiere er für anstandslose Annahme des Kriegsbud-
gets. Dieser Verrat des Genossen VoUmar gegen
die heiligsten Grundsätze der Parteitage zog ihm
freilich eine Flut von Verwünschungen zu, Grossin-
quisitor Mehring tat ihn in den grossen Bann. Doch
merkwürdigerweise fand seine Auffassung bei der
überwiegenden Mehrzahl der Sozialdemokraten An-
klang, die trocken fragten : was ihnen jetzt wohl ein
Jena nützen könne, und ob der Sieg des Auslands,
das vorerst doch jedenfalls dem deutschen Volk das
tägliche Brot aus den Zähnen reissen wolle, etwa
später andere milde Spenden bescheren werde
ausser üppigen Kontributionen? Dazu kam, dass
zwar die unentwegtesten französischen Sozialisten
einige Protestversammlungen abhielten, deren Er-
gebnis sich auf oratorische Leistungen von Jaur^s
und Guesde beschränkte, das Volk aber mjassen-
haft ins Feldgeschrei „Die Revanche I Nach Berlin !**
einstimmte.
Die Erkenntnis, dass zweiundsechzig Millionen
Deutsche nicht länger so ohne fette Plätzchen in
der Sonne fortvegetieren könnten, dass bei weiterem
Anwachsen der Bevölkerung es über kurz oder lang
eines Tages doch aus ökonomischen Gründen zum
Kampf um breitere Existenzbedingungen kommen
müsse, legte das Fundament für eine ruhige verbissene
Völker Europas ... I 8
— 114 —
Entschlossenheit der Nation, die sich dann im Laufe
des Krieges zu finsterem Ingrimm steigerte. Der
so unendlich wichtige moralische Faktor ging schon
deshalb auf Deutschland über, weil sich der Volks-
stimmung das Bewusstsein aufdrängte, im Falle der
Niederlage drohe möglicherweise Zerfall des Bundes-
reichs, erneute Zerstönmg der politischen Obmacht,
während für die Westmächte anscheinend nichts Ähn-
liches auf dem Spiele stand. Wer aber für Sein oder
Nichtsein ficht, tut es unwillkürlich zäher und
grinuner als ein Gegner, der wohl viel gewinnen,
aber wenig Verlust zu befürchten hat. Diese Über-
zeugung der deutschen Volksseele versprach dem
fremden Ausbeutungsgelüst nichts Gutes, zumal bei
den Franzosen die einst natürliche und noble Revan-
chegier heut nur als künstliches Gewächs wucherte
und unzählige einsichtige Offiziere noch kurz vor
dem englischen Bündnis lediglich England als steten
Erbfeind Frankreichs betrachtet, in Büchern und Ar-
tikeln ihr schlechtes Herz gegen das „befreundete"
Inselreich enthüllt hatten. Das gegenseitige unaus-
rottbare Misstrauen der Verbündeten konnte noch
ein wichtiger Faktor der Entwicklung werden. Ver-
brüderungsfeste in der Guildhall und im H6tel de
Ville vertuschten nur die wahre Gesinmmg, ein dürfti-
ger Lack der Oberfläche.
Und im Kriege entscheiden überhaupt Taten,
nicht Worte, rauhe Tatsachen, nicht Redereien. Dass
die deutsche Mobüisierung sich womöglich noch
prompter wie am Schnürchen abschnurrte, als zur
— 115 —
Moltkezeit, begünstigt durch so viel neue strate-
gische Nebenbahnen, wog gleich schwerer, als Fran-
zosenliebe, Deutschenhass, sozialistische Putsche in
Brüssel, Namur, Charleroi, Lüttich. Denn kaum
betrat die erste französische Kavallerie das belgische
Sambre-Ufer, lärmend von den Wallonen begrüsst,
als die deutsche I. Armee sich unaufhaltsam über
Verviers — Spa — Luxemburg ins Land ergoss. Dem
geheimen Abkonomen gemäss erklärte König Leopold
die französische Überschreitimg der belgischen
Grenze unverzüglich als Kriegsfall und führte die
belgischen halbmobilisierten Truppen teils in ein
Lager bei Mecheln den Deutschen entgegen, teils
warf er sie nach Antwerpen. Dies kam den Ver-
bündeten höchst imerwartet, da man bis zuletzt mit
Wankelmut \md Übergabe Belgiens und besonders
Antwerpens rechnete, durch des Königs verschlossene
Haltung getäuscht. Allerdings brach wegen dieser
Kimdgebung der Regierung überall Aufruhr der
wallonischen Landesteile und der Sozialisten los,
auch die kleine Armee gehorchte nur unwUlig und
wankte moralisch. Aber die deutsche Überschwem-
mung des Landes, zumal die Vlamen umgekehrt
zum König hielten und ihre Milizen zu den Waf-
fen griffen, kam jedem Umsichgreifen der bel-
gischen Revolution zuvor. Die vier norddeutschen
Kavalleriedivisionen der I. Armee, während drei,
gefolgt von zwei anderen der zweiten Staffel, der
IL angehörten und die Gesamtreiterei der süd-
deutschen III. Armee zehn Brigaden betrug, fegten
8»
— 116 —
im ersten Anlauf die französischen Vorposten und
Aufklärungstrupps aus dem Felde.
Am 20. kam es bei Arlon zum ersten Zusammen-
stoss des Feldzugs. Obschon die reitenden SchnelJ-
feuerbatterien der 3. französischen Kavalleriedivi-
sion eine gewisse Überlegenheit zeigten und zwei
beigegebene Chasseurbataillone sich mit ge-wohn-
ter Gewandtheit schlugen, musste die Kavallerie vor
den kombinierten rheinischen, westfälischen, hessi-
schen Husaren das Feld räumen. Das ruhmreiche
rheinische Jägerbataillon, unterstützt von 1. 2. Hes-
sendarmstädter Jägern, die sich ihrer Amanvillers-
Lorbeeren erinnerten, vertrieb die tapfem 3. 5.
Chasseurs aber erst dann, als auch das Füsilier-
bataillon der Nassauer 87 er anlangte. Die Rad-
fahrabteilungen spielten dabei eine wirksame Rolle.
Am nämlichen Tage ward Lüttich besetzt, die glänze
15. Division drang quer auf Namur vor, indes die
13. von Mastricht auf Mecheln zustrebte.
Die französische Nordarmee, provisorisch aus
dem 1., 2., 3. Korps bestehend, hatte ihre Mobili-
sierung noch nicht vollendet und konnte nur mit
sieben Infanterie-, vier Kavalleriebrigaden zwischen
Namur und Genappes Aufstellung nehmen. Zwar
besetzte ihr linker Flügel, auf englische Diversion
über Antwerpen bauend, am 21. nachts Brüssel, das
eine schwache Garnison ohne Schwertstreich
räumte. Aber am 22. wurde der rechte Flügel bei
Namur nach kurzem erbittertem Kampfe von Über-
macht niedergerannt, und das Westfälische Korps,
— 117 —
dem sich das belgische Kontingent bei Mecheln an-
hing, erreichte Löwen schon mittags, mit teilweiser
Benutzung der dort noch unzerstörten Bahn, deren
rollendes Material am Knotenpunkt Namur, nicht
rechtzeitig entfernt, in deutsche Hände fiel. Die
französische Mittelkolonne bei Wavre wich über
die Dyle auf Gembloux, sali sich aber durch den
Fall Namurs überholt und rettete sich in aufreiben-
dem Nachtmarsch nach Fleurus, während die am
stärksten formierte Linke über Quatrebras und
Frasnes zurückfiel. Am 23. stiess das Rheinische Korps
nebst zwei Kavalleriedivisionen zwischen Fleurus und
Gilly auf die erschöpfte Mittelkolonne und dies-
seits der Sambre bei Chatelet auf den bei Na-
mur geworfenen, noch ziemlich unerschütterten
Feind, der verzweifelt standhielt, um dem linken Flü-
gel Anschluss zu ermöglichen und jedenfalls unge-
fährdeten Rückzug über die Sambre zu bewahren.
Die Preussen überschritten hier teilweise das
alte Schlachtfeld von Ligny, diesmal nicht als Ver-
teidiger, sondern als Angreifer. Nachdem die 16. Di-
vision unter schwerem Verlust den Höhenzug Som-
bref-Point du Jour erstürmt und die Korpsartillerie
dort Fuss gefasst, scheiterte zwar zunächst ein wei-
terer Vorstoss auf Ligny und Balatre am konzentri-
schen ausgezeichneten Feuer der französischen Batte-
rien. Sechs deutsche Reiterregimenter schoben sich
jedoch unterm Schutz der Ariilleriefront hinter den
Höhenwellen auf Wagnel^ St. Amand und bedrohten
des Feindes linke Flanke, so zugleich Verbindung
— 118 —
mit dessen linker Flügelkolonne unterbrechend,
deren Spitze in dieser Richtung gemeldet wurde. Die
bei Fleurus fechtende 4. französische Division sah
sich daher genötigt, ihre Linke zu verlängern und
fünf Bataillone bis La Haye seitwärts zu schieben.
Ihre Kavalleriebrigade ritt dort an, wich aber g^leich
vor solcher Übermacht zurück, und die Ankunft einer
Kavalleriebrigade der linken Kolonne bewog^ die
deutsche Reiterei nicht zum Abschwenken, deren vier
reitende Batterien ein höchst empfindliches Feuer un-
terhielten und sich von drei französischen, später
verstärkt um zwei Fussbatterien, nicht verdrängen
Hessen. Auch das Vorbrechen der fünf französischen
Bataillone über St. Amand auf Brye kam am Flam-
menstrom von der dortigen Höhe zum Stehen, die
dort postierten zwei Bataillone warfen die feindlichen
Schützenschwärme weit zurück. Mittlerweile raste
am Wald von Gilly ein hitziges Gefecht. Erst nach
vierstündigem Kampf liess ihn die bei Namur ge-
schlagene 1. französische Division in deutschen Hän-
den und nahm bei Lambusart eine dichtere Auf-
stellung im Anschluss an die 4. Chatelet ward
behauptet, längs der Sambre tobte kräftiger Ar-
tilleriekampf. Allein, die 15. Division hatte ihre
Kraft noch nicht verausgabt,' die Achtundzwanziger
blieben noch in Reserve, und allmählich machte sich
das numerische Übergewicht von anwesenden zwan-
zig deutschen gegen nur elf französische Batterien
geltend, so rühmlich der letzteren besseres Material
sich bewährte. Die Batteriegruppe bei Ballatre
— 119 —
musste, von zwei Seiten in der Flanke beschossen,
in teilweise demontiertem Zustand abfahren, und dies
gab das Signal zu gewaltigem Vorstoss nach dieser
Richtung mit der Linken der 16. und Rechten der
15. Division. Den Gnmd von Balatre und den Hohl-
weg mit der Lignybachbrücke im Laufschritt durch-
messend, drangen die Rheinländer in die feindliche
Stellung ein, eroberten den Pachthof, obschon sich
die tapfem Nordfranzosen dort bis zu erbittertem
Handgemenge wehrten, und machten auch Lambu-
sart unhaltbar, Verbindung zwischen 4. und 1. Di-
vision zerschneidend. Die 1. knäuelte sich um Cha-
telet zusammen und es traten hier ähnliche Ver-
hältnisse ein, wie bei Mouzon a. d. Maas am Tag
von Beaumont. Die zu spät und nur teilweise ^abge-
leiteten Trains und Mimitionsparks sperrten zu lange
Brücke und Strassen des Städtchens, Abfluss des
Rückzugs über die Sambre kam nur ruckweise
zustande. Es war fünf Uhr nachmittags. Wäh-
rend aber die 1. Division notgedrungen die
Walstatt verliess, die diesseitige Vorstadt schon von
deutschen Schützen wimmelte und ihre Geschütze
mit schlimmster Wirkung den Brückenzugang be-
schossen, und die 4. Division ihre durch die starke
Entsendung nach links geschwächte Front bei Li-
gny nicht mehr halten konnte, sondern über den
Bach eiligen bedrängten Abmarsch auf Fleurus an-
trat, nur Le Hameau links noch festhaltend, drohte
der deutschen Rechten eine grosse Gefahr. Der
französische kommandierende General, bei der lin-
— 120 —
ken Kolonne befindlich, welcher man ursprünglich
die Hauptaktion im etwaigen Verein mit britischem
Landungskorps zugetraut hatte, wollte ursprünglich
von Frasnes auf St. Amand marschieren, wie einst
das Korps Erlon, um dort Stellung zu nehmen,
falls die 4. Division sich behaupte, oder weiteren
Rückzug auf Charleroi zu ordnen. Da seine Avant-
garde aber mittags den dortigen Aufmarsch
überlegener deutscher Kavallerie und Artillerie mel-
dete, entschloss er sich, nur eine Infanteriebri-
gade auf Wagnel6 vorzuschieben, dagegen mit
der noch rückwärts befindlichen 2. Division, einer
Reiterbrigade und dem Gros seiner Artillerie über
Trois Barrettes und Marbais der preussischen Stel-
lung Brye-Sombref in den Rücken zu fallen. Das
nämliche Manöver, das einst Napoleon an dieser
Stelle befahl und das Ney nicht ausführte. Deut-
scherseits hatte man drei Schwadronen und einen
Jägerposten nach Marbais entsendet, von wo man,
Streifpatrouillen bis Quatrebras vortreibend, vormit-
tags den Marsch der linken Kolonne auf der Briis-
seler Chaussee feststellte, senkrecht zur deutschen
Front seitwärts. Unausgesetzten Vorbeimarsch auf
und über Frasnes meldeten bisher alle deutschen
Vedetten. Es gab daher Überraschung und Be-
stürzung genug, als plötzlich nach vier Uhr das
Feldtelephon aus Marbais berichtete, starke Masse
wälze sich dorthin vor. Das gewonnene Treffen
war damit in ein neues Stadium getreten, das Rhei-
nische Korps sah sich frischer Übermacht gegen-
— 121 —
über. Der Kommandierende gab folgende Dispo-
sition aus, die telephonisch an die beiden Divisio-
näre und den Chef der Reiterei übermittelt wurde;
„Obschon der soeben gemeldete Angriff der
französischen Linken in unsre rückwärtige Flanke
den Erfolg des Tages in Frage stellt, kann es
für uns nur darauf ankommen, auf Namur-Gembloux
a.uszubiegen, da das 7. Korps bereits die Dyle
überschritt und somit auf die feindliche linke Flanke
drückt, was dem Feind eine Ausnutzung unsres
Rückzugs verbietet. Wird der Andrang von Mar-
bais übermächtig, hat die 16. Division staffelweise
die eroberte Stellung zu räumen unterm Ausharren
der Artillerie. Bis dahin sind Ligny und möglichen-
falls St. Amand vor der Front zu halten, jedoch hat
das Gros der Division bei Sombref nordwärts zu
schwenken. Die 15. Division setzt den Angriff auf
Chatelet fort, um den dortigen geschlagenen
Feind jedenfalls ausser Aktion zu setzen und sich
des Flussübergangs zu versichern. Sie übernimmt
die Sicherung der Linie Balatre-Ligny gegen Fleu-
rus. Die Kavallerie bei St. Amand bleibt möglichst
lange am Feinde und zieht erst nach Massgabe der
Gefechtsumstände zwischen Sombref und Ligny ab.
Ihre Batterien halten möglichst lange den Feind
in Respekt.**
Als sich französische Tirailleurschwärme vor
Marbais entwickelten, empfing sie gutgenährtes
Feuer der abgesessenen Schwadronen und des Jä-
gerpostens. Der Weisung „Ort so lange als mög-
— 122 —
lieh halten", entsprach der Detachementskomman-
deur auf so geschickte und aufopfernde Weise, dass
er nachher das erste Eiserne Kreuz I. Klasse in
diesem Feldzug empfing. Erst nach fünf Uhr be-
stiegen die Reisigen ihre Pferde, die Jäger ihr Fahr-
rad und verliessen die von Granaten gepflügte Um-
gegend von Marbais. Die Franzosen, obschon vom
langen Marsch aus Brüssel ermüdet, drängten mit
energischer Eile nach. Ihr Chef hatte mit umständ-
licher Gefechtsentwicklung seiner Marschsäule vor
Marbais unnütz Zeit verloren, wollte es jetzt durch
verdoppelte Eile gutmachen, ähnlich wie Mac Ma-
hon bei Magenta, der aus langsamer Bedächtig-
keit plötzlich in beschleunigtes Angriffstempo über-
ging. Voll zum Gefecht entfaltet, drang die 2. Di-
vision gegen die acht Bataillone vor, welche die
deutsche Führung ihr auf der Strecke Sombref-
Point du Jour entgegenstellen konnte nebst acht
Batterien. Dies Umschwenken nach Norden hatte
natürlich Zeit gekostet, und die Ordnung war kaum
notdürftig hergestellt, als der französische Massen-
stoss erfolgte. Das Gelände war aber dem An-
greifer nicht günstig. Jene hohen Kornfelder, die
damals bei der Ligny-Schlacht den Plänklerschwär-
men Unterschlupf gewährten, standen heut noch
nicht in Halmen und würden gegen moderne Shrap-
nelbestreuung auch wenig gefruchtet haben. Über
die glatte Ebene gegen den Windmühlenhügel von
Brye und die Abhänge westlich davon avancierend,
litten die Franzosen bedeutend. Auch bekamen die
— 123 —
vierzehn Batterien dieser Kolonne — ausserdem zwei
reitende beiWagnel6 — mit ferneren vier Batterien
zu tun, die als zweite rückwärtige Etage des an-
steigenden Geländes ihre frühere Stellung auf dem
Höhenzug, Front nach Westen, bewahrten und von
hier aus nordwestlich hinüberschossen, ohne dabei
die Ufer des Lignybachs zu ihren Füssen aus den
Augen zu verlieren. Gegen diese richtete sich er-
neuter Vorstoss der 4. Division, bei welcher dies
Eingreifen der linken Hauptkolonne, durch umher-
reitende Offiziere in ihren Reihen verkündet, den
erloschenen Elan neu entfachte. Etwa um viertel-
sechs Uhr brachen die fünf Bataillone ihres linken
Flügels erneut gegen die ihnen bis La Haye nachge-
folgten zwei rheinischen Bataillone vor, unbeküm-
mert imi die drohende Haltung der deutschen Rei-
terei. Da gleichzeitig die bei Wagneid zurückge-
lassene 9. Brigade (der 2. Division bei der linken
Kolonne attachiert) flankierend anrückte, die Avant-
gardenreiterei der linken Kolonne sich vorbewegte
und das Feuer ihrer zwei reitenden Batterien die
'deutsche dortige Artilleriegruppe zum Aufprotzen
zwang, so konnte der Widerstand dort nicht von
langer Dauer sein. Nach zwei vergeblichen Re-
gimentsattacken zog die deutsche Reiterei, in deren
langen Linien das Lebelgewehr ohnehin manchen
Sattel während stillhaltender Deckung der Geschütz-
gruppe leerte, auf Sombref ab. Die beiden Ba-
taillone wichen, auf die Hälfte geschmolzen, bis
hinter Ligny, wo zwei NachbarbataUlone sich gegen
— 124 —
eine ganze Brigade hielten. Das Einrücken der
15. Division in die von der nordwärts abmarschierten
31. Brigade verlassene Stellung südöstlich von
Ligny hatte Aufenthalt verursacht. Nun aber stürm-
ten dort die fast noch frischen Achtundzwanziger,
die Helden von Sappignies, mit unbeugsamer Kraft
vor und rollten die französische Linie im ersten An-
stosF auf, gleichzeitig mit den Fliehenden in lan-
gem Dauerlauf die Höhenwellen von Fleurus er-
steigend. Die völlige Umrennung der Franzosen hing
auch damit zusammen, dass die Divisionsartillerie
niedergekämpft und grösstenteils gefechtsunfähig
geworden war, während die deutsche aus ihrer über-
höhenden Stellung nach wie vor ihren Granathagel
schleuderte. Es war sechs Uhr. Die bisher sieg-
reich nördlich von Ligny durchbrechende Linke der
4. Division, deren drei reitende Batterien mit grosser
Bravour zum „Tome de Ligny", einem alten Hünen-
grab, bis ins Kleingewehrfeuer vorfuhren, musste
HaL machen, sah sich rechts überflügelt, imd die
Verwirrung von dorther teilte sich ihr mit. Flanken-
feuer der Besatzimg aus Ligny und volle batterie-
weise Granatsalven der Höhenbatterien dahinter be-
wogen sie vollends zu schleuniger Umkehr. Dagegen
blieb die frische 9. französische Brigade im Avan-
cieren auf Brye, warf die am dortigen Hohlweg
Kehrt machende frühere Besatzung von St. Amand
vollends in Trümmer und fiel dem jetzigen Zentrum
der 16. Division in den Rücken. Eine Krisis trat
ein. Opfermutiger Todesritt einer Ulanenbrigade ret-
— 125 —
tete mit Mühe ihre hinterm Hohlweg wieder ab-
protzenden reitenden Batterien, nur zwei Stücke und
ein liegengebliebenes demontiertes ohne Bespannung
fielen in französische Hände. Da gleichzeitig die
2. Division mit dreizehn Bataillonen die deutsche
Nordfront erschütterte, drangen die Franzosen unter
gellendem Geschrei „ Victoire, Victoire T' von vom und
hinten in Brye ein. Die ganze 16. Division ausser
den zwei in Ligny ausharrenden Bataillonen flutete
entmutigt und erschöpft auf Sombref zurück. Nur
die Artillerie, die sehr hart durch Gewehrfeuer litt,
drängte sich auf dem Höhenzug zusammen und hielt
durch verzweifeltes Schnellfeuer das Nachstossen des
Gegners in Schranken, der auch mehrere abge-
schnittene Kompagnien als Gefangene einheimste.
Die französische Kavallerie hieb wiederholt ein,
die deutsche musste zur Deckung des Rückzugs ge-
spart werden. Es schien unmöglich, Sombref lange zu
halten. Zwar hatte der deutsche Kommandierende
nun Kunde vom vollen Erfolg der 15. Division,
doch erleichterte dies vorderhand nicht die schwie-
rige Lage der 16. Bei weiterem Vordringen der
Franzosen musste auch die brave Besatzung von
Ligny preisgegeben werden, die bereits durch fran-
zösische Artillerie vom „Tome de Ligny" und aus
Brye grässlich zusammengeschossen wurde. In die-
sem Augenblick — es ging auf halb sieben Uhr —
kam unerwartet Hilfe. Das rheinische Korps hatte
bei seinem schleunigen Abmarsch seine noch nicht
ganz fertigen vierten Reservebataillone nicht mit-
— 126 —
führen können, sie folgten erst später per Bahn.
Da aber die Strecke Lüttich — Namur, vom Feind
teilweise absichtlich, weil er noch an eigenen spä-
teren Vormarsch glaubte, nur sehr unvoUkoirunen
zerstört, von der Tag und Nacht arbeitenden Kisen-
bahnabteilung wieder fahrbar gemacht wurde, trafen
vormittags dreieinhalb dieser Bataillone und eine
Reservebatterie bei Namur ein und marschierten
spornstreichs dem Kanonendonner zu. Bei Point du
Jour durch entgegeneilende Adjutanten aufgenom-
men rückten sie sofort in die mürbe Schlachtlinie
ein, wo ihr Anblick ein ungeheures Hurragebrüll
entfesselte. Zwei begleitende frische Patronenwagen
kamen besonders zu statten, da viele Bataillone sich
fast ganz verschossen hatten xmd der Ersatz durch
Munitionskolonne schon rar wurde.
Der französische Kommandierende, mittlerweile
per Automobil nach Wagnel6 geeilt, erfuhr dort die
Niederlage der 4. Division, deren Chasseurbataillon
soeben auch aus Fleurus vertrieben. Er beeiferte
sich, eine neue Front zu bilden, hielt das Gelände-
dreieck Le Hameau-La Haye- St. Amand besetzt und
liess der ganz zerschlagenen Rechten nur empfehlen,
langsam auf die Chaussee nach Charleroi zu wei-
chen, wenn sie müsse: der grosse Sieg bei Brye
werde die Verfolger ohnehin bald ablenken. Inzwi-
schen hatte aber die 1. Division Chatelet gänz-
lich aufgeben imd exzentrischen Rückzug längs des
jenseitigen Ufers auf Charleroi antreten müssen,
mühsam gedeckt durch zwei noch einigermassen
— 127 —
kampffähige Batterien am jenseitigen Ufer. Das
diesseitige Sambreufer war also den Deutschen zu-
gefallen, fernere Offensive nach Belgien hiermit aus-
sichtslos. Übrigens kapitulierte die ganze Nachhut
dieser Division an der Stadtbrücke von Chatelet.
Etwa sieben Bataillone der 15. Division sammelten
sich bei Fleurus, wohin immer neue Teile nacheinan-
der den Achtimdzwanzigem gefolgt waren, der Rest
lagerte später jenseits der Sambre, wo die Artillerie
mit Femfeuer verfolgte.
Gleichzeitig erhielten aber die Deutschen bei
Sombref noch unerwartetere Hilfe von zwei verschie-
denen Windrichtungen. Das westfälische Korps und
die belgische Mecheln-Division begannen den Vor-
marsch über die Dylte in breiter Front Wavre-
Ottignies - Limale - St. Lambert, die zahlreiche Rei-
terei auf dem rechten Flügel. In Brüssel mit dump-
fem Schweigen aufgenommen, überschritt sie mit
lautem Jubel das alte Siegesfeld Waterloo-Plancenoit,
wobei Ansprachen von Regimentskommandeuren die
historische Erinnerung als siegverkündend betonten
und den Belgiern gegenüber auf „Belle Alliance"
anspielten. In der Hoffnung, die linke feindliche
Kolonne noch einzuholen, hatten dreizehn Schwa-
dronen und zwei reitende Schnellfeuerbatterien einen
Gewaltmarsch darangesetzt und langten so vor sechs
Uhr bei Quatrebras an, wo der Kanonendonner der
Schlacht ein Rückwärtsgehen der Deutschen zu mel-
den schien. Man rastete eine Stunde mit den ziem-
lieh ausgepumpten Pferden und fütterte, so gut es
— 128 —
ging. Bei Piraumont fand man eine Tränke und am
Bossuwald eine schattige Lagerstelle. Aber der
Schlachtlärm von Süden schien jetzt siegreiches Vor-
dringen der Deutschen längs der Sambre zu ver-
bürgen, und im Osten raste jedenfalls die Schlacht
noch weiter.
„Aufsitzen r* Die Trompeten bliesen. Offiziere
feuerten an: „Leute, drüben stehen Kameraden in
schwerem Kampf. Wir müssen das Letzte aus Mann
und Ross herausholen." So ging es im Trab durch
die Dämmerung vor. Eine schwache Lagerabtei-
lung bei Trois Barrettes, die nach leidiger französi-
scher Gewohnheit keine Vorposten aussetzte, stob
schreiend auseinander, halbwegs Marbais fuhren die
Geschütze auf. Ihre Granaten prasselten mit gros-
ser Sicherheit in die deutlich sichtbaren Linien der
2. französischen Division.
Die Wirkung dieses Rückenfeuers war ausser-
ordentlich. Selbst der bravste Soldat verlangt von
seinem Feldherrn, dass er ihm den Rücken frei-
hält, und bekanntlich ist niemand für Panik im-
pressionabler als der sonst so tapfere Franzose. An-
fangs glaubte man an ein Fehlschiessen der eig^enen
rückwärtigen Batterien, erkannte aber schnell» dass
Granaten in die hinter der französischen Artillerie
niederkauernden Soutiens einschlugen, bemerkte die
fernen weissen . Wölkchen im Rücken. Ein heftiger
Ansturm gegen Sombref um sieben Uhr zerschellte
soeben am Feuer der frischen Reservebataillone,
und nun tauchte auch von Nordosten ein neuer Geg-
— 129 —
ner aut Die Vorhut der Hessendarmstädter näm-
lich, dem rheinischen Korps seitwärts folgend, sah
sich nicht auf Fussmarsch angewiesen, wie das
westfälische Korps von Wavre aus, sondern fand
eine unzerstörte Zweigbahn bis in Gegend von Gern-
bloux, wo sie nachmittags eintraf. Der heftige Ka-
nonendonner von Südwesten trieb den Abteilungs-
chef zu raschem Vorgehen an, auf seinem Wege fand
er nichts als kleine Marschtrümmer der Mittel-
kolonne imd erfuhr durch aufgegriffene Marodeure
den ungefähren Stand der Dinge, dass die 4. Di-
vision bei Sombref oder Fleurus stehe. Die .Chaussee
bis zur Gabelimg Point du Jour zu benutzen, wäre
zwar das einfachste gewesen, führte aber hinter die
Front der dort fechtenden Deutschen. Der Hesse
beschloss daher, von dem Ernst des Kampfes immer
mehr durchdrungen, je näher er kam, von der
Chaussee Löwen- Wavre-Gembloux-Point du Jour et-
was früher abzubiegen und querfeldein auf die
Namurer Chaussee loszumarschieren, die dorthin von
Quatrebras quer durchschneidet. Dauernde Beobach-
timg der Dampflinien lehrte, dass man so die
linke Flanke der von Marbais kommenden Feinde
umwickele. So erschienen deim just nach sieben
Uhr drei Darmstädter Bataillone, eine Batterie und
vier Schwadronen unmittelbar in der französischen
Flanke vor Marbais. Das Aufblitzen neuer Schüsse
von dort gab den Franzosen den Rest. In wilder Un-
ordnimg wälzte die Masse der 2. Division sich seit-
wärts auf Wagnel6, wobei sie unterm Feuer der
Völker Europas . . . ! 9
— 130 —
beiden reitenden westfälbchen Batterien Spiessruten
lief. Nur der Aufopferung eines Chasseiui>ataillons,
das sich rasch nach Marbais hineinwarf, und zweier
anderen, die in Brye die Zähne wiesen, hatte man
zu verdanken, dass nicht die ganze Division sich in
fliehende Banden auflöste. Die französische Artillerie
machte im Halbkreis nach drei Seiten Front und
feuerte bis zur äussersten Möghchkeit. Die 9. Bri-
gade warf sich südlich von Brye den Deutschen
entgegen, die jetzt unter lauten Klängen des Sturm-
marsches und Avanciersignals von den Höhen herab-
stürmten. Die Reservebataillone erreichten in einem
Zuge die Mulde von Ligny und befreiten die dortige
brave Besatzung, drängten gleichzeitig auf Brye und
westwärts über den Bach. Die Franzosen fochten hier
noch stark, in heller Wut, sich den scheinbar sicheren
Sieg entrissen zu sehen. Als aber jetzt eine Attacke
von zwei Reiterbrigaden aus Sombref und der Ge-
schwader aus Trois Barrettes erfolgte, war kein
Halten mehr. Die Hessendarmstädter, denen sich bei
Nacht das tapfere Franzosenhäuflein in Marbais
ergab, drängten von Nordosten, die Rheinländer von
Osten und Südosten, gleichzeitig griffen die bei Fleu-
rus versammelten Teile der 15. Division die Stellung
bei Le Hameau von Süden an, die bei Trois Bar-
rettes angelangten Geschwader und Geschütze ver-
folgten seitwärts den regellosen Rückzug auf Wag-
nel^, der noch dadurch erschwert wurde, dass die
linke Kolonne ihren Train noch nicht von Frasnes
nach Marchienne abgeleitet hatte. Die drei braven
— 131 —
reitenden Batterien am „Tome de Ligny" xmd zwei
andere am Hohlweg von Brye wurden zuerst von
der preussischen Reiterei weggenommen, zwei fer-
nere unterhalb Marbais zusammengehauen, noch
neim Geschütze bei Wagnel^ erbeutet. Ausserdem
fand man auf der Charleroichaussee noch zehn de-
montierte Stücke ohne Bespannimg und viele Muni-
tionswagen. Nur unterm Schutze der Nacht rettete
sich das auf die Chaussee zusammengedrängte Heer
nach Charleroi und durch diese volkreiche Arbei-
terstadt über die Sambre, wobei es zu wüsten Szenen
mit der heulenden Arbeiterschaft der nahen Gruben-
werke kam. Völlige Erschöpfimg lähmte weitere
Verfolgung, die Sieger lagerten todmüde bei ihren
mehrfach zerschossenen Fahnen. Am anderen Mor-
gen trafen Teten der Westfalen und Belgier über
Gentinnes imd TiUy ein. Sie fanden auf der Wal-
statt sechstausend deutsche, etwas mehr franzö-
sische Tote und Verwundete, aber ausserdem fünf-
tausend Gefangene und im ganzen vierundsechzig
eroberte Geschütze der Franzosen. Ein grosser Teil
des Trains und Geschützparks ging ihnen gleich-
falls verloren. Die „provisorische Nordarmee" als
solche hörte auf zu bestehen, da ihre Körper jeden
taktischen Wert verloren. Noch grösser war der
strategische imd moralische Erfolg für die Deut-
schen in dieser kleinen Anfangsschlacht: Belgien
blieb ihnen sicher, der Nimbus ihrer Unbesiegbar
keit gewahrt.
9*
— 132 —
Die fünf noch fehlenden Brigaden der Nord-
armee hatten inzwischen Sedan erreicht und bei Cari-
gnan die aus Luxemburg vertriebene Vorhutreiterei
aufgenommen. Die verfolgende deutsche befand sich
daher bald vor überlegenen Massen, die energisch
gegen das 11. Thüringer Korps vorgingen, das
soeben Luxemburg durchzog. Es kam daher am
24., 25., 26. Mai zu hitzigen Gefechten, bei welchen
die Franzosen die Oberhand behaupteten. Nur der
Sambreübergang des Rheinischen Korps über Mar-
chienne und Charleroi bewog sie zum Ausweichen
in den Sperrfortrayon der Nordgrenze zwischen Mont-
m6dy und Mdzi^res. Der geschlagene und demo-
ralisierte Hauptteil der Nordarmee zog sich westlich
davon nach Flandern zu, wohin bereits vier andre
Armeekorps, noch teilweise inkomplett, aus der Zone
Le Mans-Rennes-Rouen im Transport begriffen
waren. Bei Dünkirchen, Lille, Cambrai, Douai bil-
deten sich grosse Freilager von Territorialreserven
der Nordregionen Flandern, Picardie, Cötes du Nord.
Eine Eskadre des atlantischen Nordgeschwaders lag
bei Le Havre als Küstenschutz, während das Gros
der Schiffe sich aus Cherbourg und Brest nach der
Nordsee durch den Kanal vorbewegte. Eine eng-
lische Division hatte bei Calais und Boulogne landen
sollen, doch entschuldigte sich das War Office, man
müsse dies auf später verschieben, da augenblick-
lich alle Kräfte zur Besitzergreifung der Niederlande
vonnöten seien. Darüber, als eine bombastische Aus-
rede, spotteten weidlich die Pariser Boulevardiers
— 133 —
und rissen schnöde Witze, in denen die innere Zärt-
lichkeit der Franzosen für die Roastbeafesser recht
drastisch zum Ausdruck kam. Denn mit der Prome-
nade durch Holland und Belgien, von der man eng-
lischerseits geträumt, sah es gar nicht nobel aus.
Am 22. abends erschien das Kanalgeschwader
vor Antwerpen und forderte Übergabe, am 23. begann
das Bombardement und die Ausschiffung einer Divi-
sion auf der Insel Walcheren, der alten Fieberstätte
berüchtigten Angedenkens, wo so viele Gebeine briti-
scher Soldaten modern. Am 24. verstummten die
von belgischen Truppen schwach genug verteidigten
Festungswerke, die Kanoniere liefen meist davon,
ein Teil des Hafens xmd Arsenals imd anstossender
Strassen brannte nieder. Nach dieser humanen
Grosstat erzwang die Flotte die Landxmg zahlreicher
Schaluppen und Boote, denen unterm Schutz der
Schiffskanonade grosse Abteilungen von Blaujacken
und Kakis, untermischt mit Rotröcken — die vor-
nehmsten britischen Regimenter behielten noch den
roten Paraderock der bisher üblichen Uniform bei —
mit lautem Hurra entstiegen und sich auf die bel-
gische Besatzung stürzten. Nach kurzer Füsillade
zog diese eilig ab, Antwerpen gehörte am 25. abends
den Briten. Desgleichen hatte ein anderer Teil des
Kanalgeschwaders West-Zuydersee am 24. heimge-
sucht, aber die entronnene holländische Marine
nirgendwo auf Texel-Reede entdeckt, daher aus Arger
Handelshäfen Harlem-Muiden von Nordseeseite bom-
bardiert, da Holland das Betreten seiner Strandgewäs-
— 134 —
ser für Kriegsfall erklärte und dem britischen Gesand-
ten seine Pässe zustellte. Bei Nieuwe Waterweg,
nächtlich Forts überrumpelnd« landete englische
Division, die von dort Delft und Haag besetzte.
Aber die Bestürzung der Holländer und Vlamen
über diese Ereignisse nahm bald ein Ende, da das
Hannoversche Korps bereits in vollem Anmarsch
gegen Vlissingen, das Westfälische gegen Antwer-
pen war. Dies konnte den Briten trotz ihrer zahl-
reichen Spione im Lande nicht mehr rechtzeitig be-
kannt werden, da sie erstens mit der Schnelligkeit
deutscher Märsche nicht rechneten, daher nach dem
ihnen verratenen ursprünglichen Standort der deut-
schen Korps sie viel zu entfernt annahmen, zweitens
direkte Verbindung mit der französischen Nordarmee
am 24. aufhörte, und deren Oberleitimg aus falscher
Scham Rückzug und weiteren Misserfolg zu spät
meldete. Die Briten wussten daher sowohl bei
Antwerpen als Helder und Hoom, wo die Zuyder-
see-Eskadre drei Marinebataillone ausgeschifft und
eine Strandbatterie von Schiffsgeschützen errichtet
hatte, nur von französischer Einnahme Brüssels,
glaubten sich daher gegen immittelbaren Angriff
gedeckt. Die eigenen Erfolge blies die Londoner
Presse gewaltig auf, und als dort durch Privatde-
peschen von Kriegskorrespondenten die Niederlage
der Nordarmee bekannt wurde, ersparte man den
Verbündeten nicht verletzendes heuchlerisches Bei-
leid und prahlerische Tröstung, dass britische Un-
überwindLchkeit alles wieder gutmachen werde. Man
— 135 —
kann sich denken, mit welch dankbaren Gefühlen dies
in Frankreich aufgenommen wurde. Pariser Blätter
erwiderten scharf, dass die im Transvaalkrieg so
nett bewährte britische Soldateska erst abwarten
solle, bis sie mit Deutschen zusammenstosse. Zum
A^rger gesellte sich freilich der Neid, da man den
britischen Erfolg in Holland für gewiss hielt. Um
so grösser die teils freudige, teils im allgemeinen
Interesse peinliche Überraschimg, als bald darauf
das französische atlantische Geschwader, das zur
holländischen Küste hinaufdampfte, die schlechtesten
Nachrichten auch über die britische Aktion depe-
schierte.
Das Westfalenkorps hatte am Morgen nach der
Schlacht von Fleurus die bedrohliche Lage Antwer-
pens erfahren, stellte daher jeden Weitermarsch nach
Süden ein und schwenkte nordwärts von der Niveller
Chaussee hinüber. Nur eine Reiterdivision streifte jen-
seits bis Mons-Maubeuge weiter, um Telegraphen und
Bahnen auf französischem Grenzgebiet zu zerstören,
Unruhe dort zu verbreiten und vor allem die deut-
schen Absichten zu verschleiern, die vorerst noch
nicht Vorstoss nach Nordfrankreich ins Auge fassten,
ehe nicht Belgien und Holland völlig gesichert. Dies
entsprach einer gesunden Methodik, andrerseits
konnte man der französischen Leitung nicht ver-
denken, dass sie an sofortige Ausnutzimg des deut-
schen Sieges glaubte, ihrerseits nun Feinde überall
sah, vor vereintem Vorstoss der deutschen Nord-
armee sich in Defensivbereitschaft setzte und nicht
— 136 —
etwa sofortige erneute Offensive zur Entlastung der
Briten für nötig hielt. Man hielt sich im Festungs-
und Sperrfortgürtel der Nordgrenze zurück, bis die
erwarteten Massen aus Nordwestfrankreich einge-
troffen.
In der Mitte, wo das Hauptwaffenlager Chalons-
Rheims die Versammlung der Hauptkräfte an sich
zog, ruhten bisher anfangs im wesentlichen die
Waffen. Den beiden sofort mobilisierten deutschen
Grenzkorps der Reichslande standen 6. Chalons
20. Korps (11. Div. Nancy, 39. Toul) nebst .den
sofort ausgehobenen Territorialdivisionen dieser
wichtigen Region, 2. K. Div., Kürassierdivision von
Lun^ville entgegen. Da die Deutschen hier einen
leichten Mobilisierungsvorsprung erzielten, obschon
französischerseits diese Grenzkorps seit lange auf
Kriegsfuss unterhalten wurden, verletzten zwar an-
fangs kavalleristische Streifzüge das französische Ge-
biet, verbreiteten Schrecken und zogen Aufklärimg
über feindliche Stellungen ein. Dies vergalten aber
schleunigst französische Ausfälle auf deutsches Ge-
biet. So verstrichen drei Tage. Am 24. bewegten
französische Massen sich ostwärts, und es kam am
25. zu einem heftigen Zusammenstoss auf dem alten
Schlachtfeld von Mars la Tour-Vionville. Die Küras-
sierdivision warf die entgegenprallende deutsche Ka-
vallerie in grimmigem Choc bei Puxieux, musste
aber vor einer starken Batterie am Marienstandbild
hinter Tronville ausbiegen und erhielt scharfes Feuer
aus Tronviller Busch, wo sich 4. 10. Jäger (Bitsch)
— 137 —
einnisteten. Umgekehrt wurden fünf französische
Reiterregimenter, die längs der Mulde von St. Mar-
cel gegen die Rezonviller Chaussee anritten, von
deutscher ziemlich gleich starker Reitermasse ge-
worfen, imd eine Batterie vom Vionviller Kirchhof-
hügel bestrich verderblich die Römerstrasse, bis wo-
hin feindliche Infanteriemassen vordrüdcten. Diese
bewahrten jedoch eine gute Haltimg imd schwärmten
seitwärts ins Rezonviller Tal aus, Vionville von Osten
umfassend, während eine grosse Artillerielinie von
Westen das von deutschem Fussvolk dichtbesetzte
Dorf unter Schuss nahm und eine andre Kolonne den
Tronviller Busch angriff. Nach wütendem zweistün-
digem Kampf, wobei die Käppiträger einen wilden
Elan entfalteten, mussten die Deutschen beide Stütz-
punkte fahren lassen. Im überaus heftigen Artillerie-
duell hatten die deutschen Rohrrücklaufgeschütze,
mit deren verbessertem Material dieser Teil des deut-
schen Heeres bewaffnet, doch einen schweren Stand
gegen die Schnellfeuerbatterien, deren Schöpfer, Ar-
tilleriedirektor General Deloye, als Zeuge beim Drey-
fushandel so weise und sachkundig von der aus-
ländischen Presse als trottelhaft verkinschter Simpel-
greis, der sich nicht zu helfen weiss, verschrien
wurde. Auch schössen die französischen Kanoniere
ausgezeichnet, und eine im berüchtigten „Borde-
reau" berührte und damals vielerörterte Einzelheit
bewies ihren Wert in der Emstprobe. Von den Un-
geheuerlichkeiten der einstigen Schlacht von Re-
zonville, wo zwanzig Batterien nach geringem Ge-
— 138 —
Schossverbrauch das Schlachtfeld verliessen, um sich
zu „ravitaillieren'*, und dann gar nicht mehr er-
schienen unter dem Vorwand, dass sie keinen Auf-
marschraum mehr fänden, fiel heut kein Fall vor.
Doch im Gegenteil litten Artillerie und Infanterie
der Franzosen unter massloser Geschossverschwen-
dung, während die Deutschen mit festerer Feuer-
disziplin sparsam haushielten. So konnte es denn
nicht fehlen, dass zuletzt beim Gegner unverkenn-
barer Munitionsmangel eintrat, während Munitions-
kolonnen aus Metz ständig eintrafen und dem deut-
schen Feuer so allmählich eine grosse quantitative
Überlegenheit sicherten. Obschon hinter und mit
ihren Panzerschilden der Batterieständer oft greu-
lich zusanunengeschossen, bewahrten die deutschen
Batterien auf dem Höhenzug zwischen Vionviller
Waldecke und Gorzer Plateau sowie auf der Südwest-
kuppe von Rezonville ihren festen Stand. Neu ein-
treffende Haubitzbatterien, die weiter vorwärts keinen
Raum fanden, fuhren rückwärts beim Weissen Hause
auf, wo damals bei entgegengesetzten und grund-
verschiedenen Stellungsverhältnissen deutscherseits
so viel Blut floss, und richteten ein wirkimgsvoUes
Femfeuer auf Massen, die über die Chaussee
zwischen Vionviller Wald und Rezonville anliefen
und sich nordöstlich von Rezonville gegen Grave-
lotte ausbreiten wollten. Ein feindliches Detache-
ment, aus 2., 4. Chasseurs ä pied 12. ä cheval imd
reitender Artillerie bestehend, das in kühner weiter
Umgehung hier am Bois des Ognons flankieren wollte,
— 139 —
stiftete zwar grossen Schaden, sah sich aber zuletzt
durch eine von Ars und Bois de Vaux vorrückende
deutsche Kolonne exzentrisch abgedrängt. Ein ande-
res starkes Streifkommando, das über Chambley den
Gorzer Hohlweg beunruhigen wollte, wich später
gleichfalls südwärts aus. Denn die früher bei Puxieux
geworfene deutsche Reiterei bog jetzt, verstärkt aus
der bei St. Marcel früher siegreichen imd nachher
zurückgegangenen Masse, hinter der Tronviller Mulde
ab, sobald Angriff frisch angelangter Bataillone er-
neut den Tronviller Busch forcierte,- und zwang die
unterm verstärkten Feuer deutscher Batterien auf der
Chaussee hinter Mars la Tour haltende Kürassier-
division des Generals Pistor (Lxm^ville) durch Flan^
kierung über Mariaville Ferme, die Chaussee freizu-
geben. Hiemüt wurde fernere Bedrohung der deut-
schen Linken aussichtslos, und die französische
Rechte sah sich ihrerseits durch eine über Amanwei-
1er vorgehende Division des Metzer Lagers im
Rücken bedroht. Infolgedessen stellte der Feind den
schon ermatteten und erlahmten Angriff gegen Re-
zonville eiligst ein und trat den Rückzug auf Don-
court-Etain an, eine Nachhut in Vionville opfernd,
St. Marcel und das Bruviller Plateau noch längere
Zeit festhaltend. Die deutsche Kolonne aus Aman-
weiler vertrieb zwar rasch eine bis Vemeville vorge-
schobene Territorialbrigade, kam aber vor Doncourt
abends zum Stehen, das eine Ani^regarde zähe ver-
teidigte. Die über Gravelotte herangeströmten deut-
schen Verstärkungen nahmen die Verfolgung auf,
— 140 —
an Stelle der mürben Schlachthaufen, die bis Rezon-
viUe zurückgedrückt, und stiessen schräg über die
Römerstrasse gegen St. Marcel, das wie BruviUe
vom Feind endlich geräumt wurde. Die vereinte
deutsche Reiterei ritt auf der alten Walstatt von
Ville sur Yron an, während die ihr folgenden Ba-
taillone sich wohl hüteten, die Todesschlucht des Fond
de la Cuve (in deutscher Historie irrtümlich Grey^e-
schlucht getauft) unseligen Angedenkens noch-
mals frontal zu berennen, und nur längs des Tron-
viller Busches in der vorgeschobenen Parzelle gegen
den Ostrand der Schlucht und BruviUer Höhe tirail-
lierten. Die französische, hier gleichfalls grösstenteils
vereinte, Reiterei wartete den Choc nicht ab, son-
dern überschritt die tiefe Geländerinne in ihrem
Rücken (westlich des Fond de la Cuve), gedeckt durch
Salven ihrer reitenden Batterien bei Greyfere Fenne.
Die deutsche reitende Artillerie erklomm zwar das
Yronplateau und bearbeitete die Ferme und Bruviller
Höhe flankierend, ihre Granaten folgten den Staub-
wirbeln der abziehenden feindlichen Reitennassen.
Aber ehe die Deutschen ihrerseits die Geländerinne
überschreiten konnten, wobei abgesessene Häuflein
französischer Reiter aus Yronwäldchen und Ferme
La Grange so lange verderblich mit ihren Repetier-
karabinern schössen, bis sie sich abgeschnitten er-
geben mussten, und einige Chasseurkompagnien aus
der Grey^e Ferme vorgelagerten Holzparzelle gleich-
falls ein böses Flankenfeuer entsandten, bis sie mit
den reitenden Geschützen das Weite suchten, brach
— 141 —
die Dunkelheit herein. Ja, den Ehrgeiz, weiter auf
Jamy zu verfolgen, erstickte die französische gutge-
führte Kavallerie im Keim, indem sie sich jenseits
nochmals zur Attacke formierte und die mit Über-
schreiten der Schlucht nicht fertige und in Unord-
nung geratene deutsche Reitermasse vor der For-
mation überraschte. Nur das Eingreifen der eiligst
bis zum früheren französischen Geschützposten am
Pachthof Grey^re vorgerasselten deutschen Artillerie
setzte durchschlagendem Erfolg dieser scharfen
Attacke ein Ziel. Doch verlor die teilweise bis zur
und in die Geländerinne zurückgetriebene deutsche
Reiterei dabei Gefangene und sogar eine Standarte.
Bei solcher Bewandtnis konnte man auch den so
lange als möglich hinter Bruville und Doncourt
feuernden Nachhutbatterien keine wirklichen Tro-
phäen abnehmen, nur acht total demontierte Stücke
blieben am Wege liegen. Am anderen Morgen war
das französische Heer in Richtung auf Verdun ver-
schwimden, wo der Festimgsgürtel dieses Sperrlagers
sie aufnahm. Der äussere Sieg war recht teuer er-
kauft, an Toten, Verwundeten, Vermissten, Gefan-
genen verlor man achttäusendachthundert, der Geg-
ner neuntausend Mann, der Verlust glich sich beider-
seits aus, zumal der deutschen Artillerie nicht we-
niger als vierzehn Geschütze unbrauchbar zer-
schossen und viele andere beschädigt. Obschon na-
türlich beide Parteien nach gewohnter Sitte von
„grosser Übermacht" des Feindes fanfaronierten,
ohne zu bedenken, dass man damit der eigenen
— 142 —
Führung ein Armutszeugnis ausstellen würde, über-
wog die französische Streiterzahl nur unbedeutend.
Es fochten deutscherseits drei mobüe Divisionen und
eine Lothringer Landwehrbrigade, die gegen ihre frü-
heren Landsleute soldatisch ihre Pflicht tat, weshalb
einige in Gefangenschaft gefallene Lothringer von
wütenden Franzmännern beschimpft und malträtiert
wurden. Ausserdem achtundvierzig Schwadronen, zwei-
hundertdreissig Geschütze. Französischerseits 6. Korps
146. 153. 156. Rgt. des 20., inkomplettes Territorial-
korps, zweiundfünfzig (8. 9. 12. Drag. 5. Hus. 5. 17.
18. Chass. 6. Kav. Brig. Kür. Div.) Schwadronen,
zweihundertzwanzig Geschütze 8. 39. Art. R.
Durch die Schlacht bei Fleurus konnte der
Wahn entstehen, als ob vier deutsche sieben fran-
zösische Brigaden vernichtend aufs Haupt geschlagen
hätten, wie die deutsche Presse jubiüerte. Man
vergass ganz, dass dort die 1. Division, sobald sie
seitwärts über die Sambre geworfen, für das Ge-
fechtsfeld ganz ausfiel, dass sechseinhalb frische Ba-
taillone die Deutschen zuletzt verstärkten und die
Krise von sechsundzwanzig deutschen gegen zwei-
unddreissig schwächer formierte französische Batail-
lone, zweiundzwanzig deutschen gegen zwanzig (sieben
der 1., 4. Division schon gefechtsunfähig) franzö-
sische Batterien, einundvierzig deutschen gegen zwei-
unddreissig französische Schwadronen durchkämpft
wurde, dass vor allem nur die wackere selbständige
Initiative der drei Detachements aus Namur, Qua-
trebras, Gembloux die 16. Division vor gänzlichem
— 143 —
Erliegen rettete. Die französische Führung zeigte
sich allerdings nicht tadelfrei, nachlässig in Siche-
rung ihrer Flanken, aber kühn und tatkräftig. Sol-
datisch liess sich nur grössere Kaltblütigkeit imd
bessere Feuerdisziplin der Deutschen erkennen, da-
gegen die altbekannte Gewandtheit des französi-
schen Tirailleurs und hoher persönlicher Mut. Die
Sünden im Aufklärungswesen der weiland kaiser-
lichen Kavallerie fielen gleichfalls weg, die Ar-
tillerie betätigte ihr besseres Material und schoss
fast gerade so treffsicher wie die preussische, nur
mit Administration imd Munitionsersatz haperte es
immer noch. Scharfäugige folgerten aber hieraus
und aus der zäheren Ausharrungsfähigkeit der min-
der nervösen deutschen Infanterie die Wahrschein-
lichkeit, dass im Laufe des Feldzugs die Franzosen
langsam, aber sicher niedergerungen würden, so-
bald erst deutsche Übermacht in ihr Recht trete.
Für die Mittelarmee, bei der erst in nächsten
Tagen die norddeutschen Korps erster und zweiter
Staffel erwartet wurden, verbot sich jede Fortsetzimg
der Offensive. Nur galt es, Montm^dy zu isolieren,
wo die Rechte der feindlichen Nordarmee anschloss.
So rückte denn am 26. aus Diedenhofen die 59. 60.
85. Brigade der Metzer Grenzarmee dorthin vor, indes
die 67. 68. 86. Division von Doncourt über St. Pri-
vat nach Briey marschierte, wo eine frische Terri«
torialdivision stand. Diese ward zwar in nicht uner-
heblichen Gefechten lun Montois und Aubou6 zum
Abmarsch genötigt, dagegen behielt das 20. fran-
— 144 —
zösische Korps südlich von Montm^dy die Ober-
hand. Am 29. lagerten die Korps von Bourges und
Clermont Ferrand im Lagerring von Verdun, deut-
scherseits langten Brandenburger und Magdeburger
vollzählig mit allen Reservebataillonen an, die bei-
den kgl. sächsischen Korps überschritten bei Cour-
Celles, Comy, Nov^ant, Pont k Mousson die Mosel.
Da aber Mohtmddy gut verproviantiert und stark mit
„Bedeckungstruppen" (separiert vom sonstigen Korps
verband der Grenzkorps) garnisoniert, überliess der
Generalissimus Hagron die kleine Festung vor-
erst sich selbst imd etwaiger Deckung durch Vor-
stösse der Nordarmee imd bereitete sich zu starrer
Abwehr in der Maaslinie vor. Aber auch deutscher-
seits musste man vorerst Offensive ausschliessen,
solange nicht die niederländische Aktion gegen die
britische Landung geklärt und die dortigen deutschen
Streitkräfte für die Nordarmee verfügbar geworden,
um dann konzentrische Operation gegen Rheims zu
beginnen. Und obschon soeben überaus erfreuliche
Nachrichten von dorther die Gefahr einer dauernden
Flankierimg der deutschen Linie von der Kanalküste
her beseitigt zeigten, fesselten ausser traurigen Mit-
teilungen von deutscher Nordküste vor allem den be-
sorgten Blick an der Mosel weniger die Ereignisse an
Scheide und Maas, als an der südlichen Rheing^renze.
Dort fiel schon am 20. eine gemischte Truppe
aller drei Waffengattungen aus Beifort aus, überfiel
Freibiurg, brandschatzte das Breisgau und streifte
im Schwarzwald. Badische Dragoner und schon
— 145 —
früher auf Kriegsfuss gesetzte drei Bataillone, so-
fort aufgeboten, machten zwar diesem Unfug in
einem hitzigen Gefecht am Schwarzwalddefilee bei
Badenweiler ein Ende, doch die Garnison von Kol-
mar koimte nicht hindern, dass die heimlich vor
Kriegsausbruch auf drei Divisionen der aktiven Ar-
mee angeschwollene Besatzung von Beifort sofort
nachrückte imter geschickter und tätigster Beihilfe
ihrer starken Pontonier-, Sappeur- und Eisenbahner-
sektionen, die alles längst hierfür vorbereiteten. Die
Linie der Elsässer Festimgen war hiermit im Rücken
gefasst, in Strassburg entstand Panik, gegen Brei-
sach schwärmten schon auf der anderen Seite fran-
zösische Vedetten imd reguläre Franctireurs, aus
Forestiers und Douaniers zusammengesetzt. Da alle
Kräfte der beiden Grenzkorps eiligst gegen die Strecke
Nancy-Toul bei Metz zusammengezogen wurden zur
Deckung der vorderen Vogesenpässe, blieb der El-
sass dem französischen Einfall offen. Dies Hessen
sich Chasseurs ä cheval, Hussards, Velozipedsek-
tionen der Fussjäger und andere Freitruppen nicht
zweimal sagen und spielten innerhalb der nächsten
Woche eine eigentümliche Befreierrolle, indem sie
die „geraubte Bruderprovinz" nach Kräften plagten.
Es entstand hier bis Ende des Monats ein reger
Kleinkrieg, insofern die Garnisonen von Pfalzburg,
Breisach, Kolmar sich in häufigen Ausfällen übten,
um diesen Raids und Razzias vorzubeugen. Eine
Infanteriedivision aus Epinal und Remiremont mit
hierfür bereitgestellten Bergbatterien überstieg zu-
V^lker Europas . . . | 10
— 146 —
letzt die Vogesengrenze an geeigneter Stelle und
marschierte querdurch auf Strassburg, wohin sich
eine andre Division aus Langres über Beifort her-
anschob, um gemeinsam Zemierung zu beginnen.
Sobald die Bahngeleise bis dorthin repariert, sollte
mit Heranschaffung genügender Festungsartillerie
nicht gezögert werden, wofür ja Beifort selber ein
schier unerschöpfliches Reservoir bot. Gründliche
Beschiessung des deutschen Strassburg sollte die
einstige des französischen vom jenseitigen Kehlufer
heimzahlen, und das Belfortkorps hoffte seinerseits
Kehl zu erreichen, um von dort (die dritte Division
des badischen 14. Korps, zum Teil aus Elsässem
imd den rheinischen Fünfundzwanzigem in Rastatt
bestehend, blieb im Elsass) die unglückliche Stadt
unter zwei Feuer zu bringen. Ihm trat jetzt am 23.
abends das badische (deutsche Nr. 14) Korps mo-
bilisiert mit der Freiburger und Karlsruher Divi-
sion entgegen. Doch an diesem Tage wälzten sich
bereits drei Korps aus Dijon, Langres, Lyon, zwar
noch inkomplett, doch durch die Ostkompagnie mit
Windeseile befördert, in noch gefährlicherer Rich-
tung vor. Diese Bahngesellschaft, die schon im ein-
stigen Feldzug aus ihrem Zentraldepot Nancy an-
erkennenswerten Eifer betätigte, nutzte diesmal
das Bahnnetz umsichtig aus, und der Coup war
seit lange vom fleissigen Generalstab vorbereitet
worden. Korpschefs Lacroix und Mathis übten vorher.
Ehe man sich's versah, merkten die Schweizer
Grenzposten eine solche Fülle von Streitkräften bei
— 147 —
Delle, Montb^liard, Pontarlter vor sich aufgestapelt,
dass vier hinter und längs Elsassgrenze vorbrechende
Alpinbataillone von Jurassiers und Jurafreischützen
nebst drei mit Maultieren bespannten Bergbatte*
den die unbefestigten Jurapässe überkletterten und
freimachten, ehe das Fribourger und Neuchateller
Füsilierbataillon sich von ihrem Staunen erholten.
Natürlich trug der Bemer Telegraph sofort den
Mobilmachungsbefehl an die schon vorbereitete
Schweizer Milizarmee, was aber doch mit mancher-
lei Unzuträglichkeiten beim „Feind im Land" ver-
bunden war und mit mehr Überstürzung durchge-
führt werden musste, als man voraussah. Unauf-
haltsam marschierte das Burgunder Armeekorps
querdurch nach Schaffhausen, die übrige Masse durch
Kanton Baselland, indem sie das sonst tiefeinge-
schnittene Rheintal an der schmakten Stelle, Zu-
sammenfluss von Rhein und Aar, rasch überbrückte.
Requirieren beim Durchmarsch geschah über-
all schonungslos. In Mülhausen, das dortige Ula-
nen schon zu Anfang räumten und dessen Bevölke-
rung die „Befreier" mit donnerndem „Vive la
France I" empfing, sehnten die reichen Industriellen
sich in nächsten Wochen nach deutschem Regime
zurück, durch das ihre Einkünfte wahrlich nicht
litten. So inbrünstig man dort immer nach Paris
schielte, so rührend die Pariser die Bildsäule der
trauernden Schwesterprovinzen mit Blumen zu krän-
zen pflegten, machten hier die Ansprüche der fran-
zösischen Heeresverwaltung keinen Unterschied und
lo*
— 148 —
zogen die biedern Mülhausener emsig zu Kontri-
butionen heran, welche diese ja als milde Gaben
patriotischen Opfermuts auffassen mochten!
Die Ereignisse rollten sich jetzt blitzschnell ab.
Am 27. früh überschritt die Rechte der Invastons-
armee den Rhein bei Laufen und blieb von Süden
im Vorrücken auf Singen, Stockach und Osterach,
die alten Schlachtfelder der Republikanerzeit. Das
Zentrimi, Basel als Etappenort einrichtend und die
schon im Rücken gefassten deutschen Befestigung
gen bei Hüningen zu Fall bringend, drohte von
Osten nach Stuttgart hinüber, die Linke marschierte
auf Lahr-Pforzheim-Durlach. Die ganze französische
Masse überschwemmte also unverfroren das östliche
Rheinufer und übte so auf deutschen Aufmarsch bei
Metz moralischen Druck. In Süddeutschland hatte
man sich auf so schnelle Invasion nicht gefasst ge-
macht, daher die Mobilmachung in aller Ruhe be-
trieben, wobei für Bayern noch in Betracht kam,
die Route von Passau und Kufstein für österreichi-
schen Truppentransport freizuhalten. Sein drittes
Korps (deutsche Nr. 22) war noch bei Regensburg
und Ingolstadt, das zweite (deutsche Nr. 21) kon-
zentrierte sich zwischen Würzburg und Ulm, nur
das erste (deutsche Nr. 20) setzte sich schon nach
Speier in Marsch. Das württembergische (deutsche
Nr. 13) Korps, am vierten Tage fertig, befand sich
im Vormarsch auf Singen, um zur Rettung^ der
Residenz eine Schlacht zu wagen. Am 28. berührten
sich allerorts die Vorhuten. Die württembergische
— 149 —
ward von überlegenen Kräften zurückgedrückt, die
badische desgleichen. Am 29. gingen drei Divisio-
nen gegen das badische Korps und zwangen es
durch Umfassung zum Rückzug, der am 30. bis
hinter den Neckar fortgesetzt werden musste. Die
Württemberger erwehrten sich an diesem Tage kraft-
voll des Burgunder Korps; als aber das Beifort-
korps, das in der Mitte schon Württemberg durch-
querte, mit völliger Umfassung drohte, wichen die
Württemberger bis Heilbronn. Baden und Stuttgart
waren also preisgegeben, und die süddeutsche Be-
völkerung schrie zum Himmel, dass man sie ohne
Teilnahme der Norddeutschen dem Feind überlie-
fere. Die oberste deutsche Heeresleitimg handelte
aber nach Moltkes bekanntem Wort: „Hineinkom-
men mögen sie, doch schwerlich wieder herauskom-
men." Denn fetzt wurde das Schweizer Aufgebot
auf der französischen rückwärtigen Flanke fühlbar,
das von Speier ausgewichene bayrische Korps be-
drohte gleichfalls die Flanke, die andern bayrischen
Korps kamen in höchster Eile auf Ulm heran, und
ein österreichisches Korps debouchierte bereits mit
Einwilligung des Schweizer Bundesrats auf der Vor-
arlbergbahn über Bux-Vaduz-Chur- St. Gallen, ein an-
dres berührte aus Passau schon München, ein drittes
kam via Linz-Innsbruck gleichfalls dorthin.
Nachgerückte Staffeln der drei Südostkorps und
rasch zusammengeraffte Territorialtruppen, während
die Alpins die Jurapässe bewachten, deckten zwar
die Etappenlinie Delle-Basel-Olten-Schaf fhausen. Ver-
— IßO —
schiedene Vorstösse des 1. Schweizer Armeekorps
in dieser Richtung scheiterten am vorzüglichen Feuer
der französischen Artillerie aus umsichtig gewählter
Stellung. Aber der Punkt Schaffhausen erwies sich
doch so empfindlich, dass das Burgunder Korps staf-
felförmig zwischen Singen und Schaffhausen zurück-
fiel, das Belfortkorps sich mit prahlerischer Beset-
zung von Stuttgart-Ludwigsburg, die entferntere
Hauptmasse mit triumphierendem Einzug in Karls-
ruhe und Bedrohung Heiddbergs begnügte, ohne
die militärische Operation offensiv weiterzuführeiL
£s hätte nahegelegen, die bei Mainz anlangen-
den Truppentransporte für die deutsche Mittelar-
mee dort anzuhalten und über Mannheim den Fran-
zosen entgegenzuführen. Doch überwog Rücksicht
auf die allgemeine militärische Lage, da Schwächung
der Mittelarmee auch die entscheidende Aktion der
Nordarmee in Frage stellte und erneute Offensive
des Gegners durch Luxemburg und Belgien ge-
stattet haben würde. Die Norddeutschen blieben
also nach ihren ursprünglichen Bestimmungsorten
instradiert, und die Klage des Darmstädter Hofs,
dass man die Truppen des Grossherzogtums, das
nunmehr an die Reihe zu kommen schien, nach
Belgien abgab, fand taube Ohren. Es liess sich
auch ertragen, dass die schönen Frankfurterinnen,
denen ihr Portemonnaie es gestattete, Extrazüge rhein-
abwärts nach Ems und Koblenz bestiegen und die
Frankfurter Börse ihre Werte wegen Nähe des
Feindes sehr tief notierte, überhaupt deutsche Reichs-
— 161 —
anleihe um zehn Prozent im Kurs sank trotz der
aus Belgien gemeldeten Erfolge.
Nur die Landwehr ward allerorts ordnungs-
gemäss zu den Fahnen berufen. Aus Baden imd
Württemberg, wo ihre Sammlung natürlich gestört,
schlössen sich viele komi>agnieweise mit Waffen und
Gepäck den abrückenden Mobiltruppen an, und die
Bezirkskommandeure arbeiteten ruhig bis zum letz-
ten Augenblick, als wäre nichts geschehen.
Der französische Konunandant der Südarmee
begründete sein tatloses Verweilen bei Stuttgart und
Karlsruhe mit dem Ruhebedürfnis seiner durch rast-
losen Transport, Marsch und Kampf erschöpften
Truppen. Die in sein Lager wandernden Jubel-
hymnen der Pariser Zeitungen, die sein sogenanntes
„Genie" bis in den Himmel erhoben, schmeichelten
ihm wenig. Denn der bärbeissige alte Herr sah
voraus, dass diese P6kins ihm später mit gleicher
Sachkenntnis ihr uneingeschränktes Misstrauens-
votum erteilen würden. Eingedenk der Erfahrungen
des Bourbakizugs betrieb er eifrig den Intendanz-
nachschub imd „regelte die Verpflegung" oder
„ordnete die Verwaltung" der zeitweilig eroberten
Landesteile, d. h. fouragierte sie bis aufs Blut. Am
31. fand er seine strategische Lage schon recht im-
behaglich, obschon seine weit vorausgeschickte
Reiterei ihn gut bediente und ihn zu seinem Er-
staunen belehrte, die norddeutschen Truppentrans-
porte dauerten nach wie vor westwärts fort. Sah er
sich aber der befürchteten Gefahr überhoben, dass
— 162 —
diese Masse von Norden auf ihn fallen werde» wur-
den die Depeschen und Telegraphenrapporte von
Süden immer bedenklicher. Gegen die externe Stap-
penlinie längs der Nordschweiz zog sich das Unheil
inmier dichter zusammen. Am 1. Juni erfolgte ein
neuer Angriff der Schweizer Milizen mit Überlegrenen
Massen, vor dem Ölten geräiunt werden musste, indes
das Burgunder Korps bei Schaffhausen nach Osten
und Süden Front machte. Die vorgeschobene Stel-
lung konnte unmöglich innegehalten, die Basis
musste wieder nach Beifort zurückverlegt werden.
Auf Linie Bruchsal-Rottweil trat die französische
Armee gestaffelten Rückzug an, die besetzten Resi-
denzstädte räumend. Nur Umschliessung von Strass
bürg auf der Kehlseite ward beibehalten, zumal jenseits
am Westufer des Rheins schon Belagerungsgeschütze
der Langress- Division dröhnten, vor deren Donner-
stimme alle legendären Störche des Markts das
Weite suchten.
Zur Deckung dieser sonst völlig aussichtslosen
Zernierung eine Schlacht zu liefern, schien ang^ängig.
Als daher die Badenser und Württemberger, imi
Landwehren verstärkt, neuerdings den Neckar über-
schritten und die ganze bayrische Armee sich süd-
lich davon vorbewegte, kam es am 3. Juni zu einer
zusammenhängenden Reihe von Treffen in weitem
Umkreis. Die Süddeutschen, durch die Leiden ihrer
Heimat in Harnisch gebracht, fochten mit erbitterter
Wut, und das Lyoner Armeekorps am linken fran-
zösischen Flügel glitt, an mehreren Stellen gesprengt.
— 163 —
aufgelöst in die Schwarzwalddefileen zurüde. Da-
gegen schirmten die ausgewählt guten Truppen des
Belfortlagers die französische Rechte gegen die
Bayern, die ihre Massen noch lange nicht alle heran-
brachten. Jedenfalls n^usste Zemierung von Strass-
bürg auf der Kehler Seite sofort aufgegeben werden»
und dem Burgunder Korps, durch Bayern, Schweizer,
Österreicher gleichzeitig bedroht, blieb nichts übrig,
als sich mit raschem Entschluss die Grenze entlang
auf Basel Bahn zu brechen. Dies gelang mit be-
merkenswerter Energie, wobei aber eine Nachhut
unterging, die erst den Rheinfall mit ihrem Blute
färbte, dann in den Kanton Zürich durchbrach, wo
die unbekannt gebliebene Befestigung des Buch-
bergs sie mit weittragenden Kanonensalven be-
g^rüsste, hier endlich im Kanton Aarau vor den
Schweizern kapitulierte. Das österreichische Korps,
auf verschiedenen Routen über Winterthur, Pfäffikon,
Zug, Thalweil befördert, folgte den Schweizern die
Grenze entlang, die nunmehr mit aller Macht auf
Basel losgingen, die Etappentruppen hinter Ölten
vor sich hertreibend. Der französische Armeechef
sah seine jetzige Lage für so bedrohlich an, dass er
einen Nachtmarsch daransetzte, um sich zwischen
Freiburg und Basel zu konzentrieren. Doch am 5.
früh erschien auch diese Stellung so unhaltbar, da
die Schweizer mit grossem Zorn den Angriff auf
Basel begannen und die Rheinbrücke bei Hüningen
stürmten, dass der Abmarsch auf Beifort angeordnet
wurde. Dies konnte trotz aller Emsigkeit der Pon-
— 154 —
tonneurs und aller Tapferkeit der verschiedenen Ar-
ri^regarden nicht ohne erhebliche Einbusse ge-
schehen, und so erreichte das so siegesstolz ausge-
rückte Heer sein befestigtes Ausfalltor in recht be-
schädigter Verfassung. Dort fand es freilich ein
frisches Korps aus Aix-Arles und zwei inkomplette
Territorialkorps vor, auch riesige Magazine in aus-
reichendem Verpflegungszustande, und die unge-
meine Stärke der Befestigungen bannte die Gegner
vorläufig in ihrer Offensive fest, ehe sie dies Boll-
werk niederbrechen konnten. Doch standen ja hierfür
nun ganz gewaltige Massen bereit: fünf deutsche,
drei österreichische, zwei Schweizer Korps.
So schwand denn fortan jede Gefahr einer fran-
zösischen Invasion, und obschon ein Vergleich mit
Bourbakis fruchtlosem Zug nicht am Platze und
imrühmliches Ende jener Bourbakiarmee hier wahr-
lich nicht in neuer Auflage erschien, durfte Frank-
reich mit dem so fröhlich ausposaunten Anfangs-
erfolg wenig zufrieden sein. Allerdings, man fügte
Deutschlands Land und Leuten erheblichen Schaden
zu, man errang einen nicht zu unterschätzenden mo-
ralischen Erfolg, dessen vorübergehende Wiikung
aufs Ausland auch eine für Deutschland tmange-
nehme Folge herbeiführte als Beeinflussung Italiens
und Spaniens, man erwischte einige kriegerische Lor-
beeren xmd schnitt wenigstens nicht mit allzu schwe-
rem Misserfolg ab, man legte die deutsche Mittel-
armee für einige Zeit lahm. Gleichwohl hatte man
umsonst seit lange hohe Hoffnungen auf diesen ge-
— 155 —
heimen strategischen Plan gesetzt, für dessen Aus-
führung man gern die Feindschaft der Schweiz in
den Kauf nahm. Die verachtete Schweizer Miliz,
die man mit einem Fusstritt beiseite zu schleudern
meinte, erwies sich kräftig genug, und der Unwille
über mutwillige Schädigung des Schweizer Länd-
chens beim rücksichtslosen Durchmarsch erledigte
nun auch die Frage, ob man die Miliz offensiv ausser
Landes verwenden dürfe. Mit Ausnahme der So-
zialisten und einiger französischer Schweizer, die
jedoch wegen eines scheiternden Überrumpelungs-
versuchs auf St. Maurice, das uneinnehmbare Fort
der Genfer Grenze, von ihrer Gallierzuneigung bald
zurückkamen, stinmite der Bundesrat dafür, dass
bei solchen 2^itläuften die Schweiz nicht in Neu-
tralität zurückfallen, sondern sich der deutschen
Armee anschliessen müsse, da ihre Existenz bei
Frankreichs Sieg in Gefahr schwebe. Nur Landsturm
und ältere Jahrgänge der Landwehr dürften nicht
ausser Landes marschieren. Doch deren Schonung
erwies sich bald als verfrüht, denn ein frecher Ein-
bruch Italiens in den Kanton Tessin zwang zu all-
gemeiner Einstellung der Waffenfähigen. Mit aner-
kennenswerter Entschlossenheit ging aber die Eid-
genossenschaft von ihrer Absicht, die zwei mobilen
Milizkorps Deutschlands zur weiteren Verfügung zu
stellen, trotzdem nicht ab. Nur eine Brigade ver-
stärkte die Gotthardbesatzung, da man ganz Tessin
räumte und die Landwehr für hinreichend hielt,
die beherrschenden Alpenpässe gegen das bisschen
— 156 —
Italiener zu verteidigen. Der Geringschätzung: d^
Schweizer Volks für den südlichen Nachbarn trug
diese Verteilung der Kräfte Rechnung. Für streng-
sten Anschluss an Deutschland sprach noch der
ökonomische Beweggnmd mit, dass bei Italiens und
Frankreichs Feindschaft nur durch Deutschland-
österreichs Bundeshilfe genügende Zufuhr für die
Schweiz gewährleistet sei, die bei Aufrechterhaltung
ihrer Wehrmacht auf Kriegsfuss erst recht nicht
ihre Bevölkerung aus eigenen Hilfsquellen ernähren
konnte.
Während so im Süden das Gleichgewicht wie-
derhergestellt, setzte man schon früher dem briti-
schen Dünkel im Norden einen Dämpfer auf. Der
Befehlshaber des Expeditionskorps in Antwerpen,
Sir Redvers Buller, den trotz seines Tugelafiasko eine
hohe Konnexion aus seiner Versenkung wieder her-
vorholte, hielt Brüssel noch für verbündeten Besitz
und trat daher, wofür ihn kein Vorwurf trifft, den
Vormarsch dorthin an. In Antwerpen blieb nur eine
Marineabteilung nebst ausgeschifftem Schiffsge-
schütz für die zertrümmerten Forts, deren Repa-
ratur und Neuarmierung sogleich begonnen werden
sollte. Den Einwohnern der volkreichen Stadt gab
man strenge Verhaltimgsbefehle, ihre Ruhe zu be-
wahren. Bei weiterem Vormarsch staunte Sir Red-
vers nur über völliges Ausbleiben von Nachrichten
aus Brüssel, beruhigte sich aber damit, dass die
belgischen Truppen bei ihrer Flucht aus Antwerpen
— 157 —
alle Telegraphendrähte zerschnitten haben möchten
und dass ihm via Lille sicherlich Nachricht aus
Antwerpen nachgeschickt werden würde. Die hel-
lsehe Division erreichte die Vorposten der West-
falen in jammervollem Zustand, nachdem sie mehr
als die Hälfte an Ausreißsem imd Nachzüglern, ver-
lor. Letztere verkündeten überall im Lande: „Wir
sind vom König verkauft I Die Allüerten werden
die Deutschen zu Paaren treiben, wenn die über-
haupt sich herwagen I" Doch in den vlämischen
Dörfern, wo man bereits Durchzug deutscher Trup-
pen in bester Manneszucht und von stattlichem Aus-
sehen erlebte, ward gelassen erwidert : „Warten wir's
abl'' Die überraschende Freudenpost, die sich am
26. wie Lauffeuer durch ganz Belgien verbreitete,
dasb die Franzosen völlig aus Belgien hinausge-
-worfen seien, verwandelte Niedergeschlagenheit und
Bestürzung der Truppen und Einwohner in auf-
atmende Zuversicht; selbst die Wallonen freuten sich,
dass man fortan nicht mehr Kriegstheater abgebe,
zumal die französischen Befreier und Freunde bei
ihrem Vormarsch recht viel zu wünschen übrig
Hessen und Belgien als Feindesland behandelten. Die
Beschiessung und Wegnahme von Antwerpen, dessen
Übergabe an England früher belgische Politiker
offen empfohlen, erschien jetzt auf einmal als schnö-
der Übergriff. Die Mechelndivision und ihre vier
Reiterregimenter gingen daher zur Rechten der West-
falen kampflustig mit, selbst die demoralisierten
Reste der Antwerpendivision brachte man halbwegs
— 158 —
von Brüssel zum Stehen. Bei weiterem Vormarsch
fand Sir Redvers die Dörfer meist verlassen, da
die Landleute es vorzogen, dem zu erwartenden
Gefecht nicht beizuwohnen. Von Gutwilligkeit auf-
gegriffener und ausgefragter Einwohner war wenig
zu bemerken, sie schnitten saure Mienen luid graben
mürrisch unklaren Bescheid. Zwar sickerten Ge-
rüchte durch, die Deutschen ständen in Brüssel,
es sei irgendwo eine Schlacht geschlagen, doch mass
der englische Kommandierende dem keine Bedeu-
tung bei, da er in diesem Fall sicher von französi-
scher Seite diesseits der Sambre um Kooperatioii
angegangen sein würde. Die Möglichkeit, die Fran-
zosen seien schon jenseits der Sambre ausser Spiel,
dämmerte ihm natürlich nicht. So zog sich ein
Netz um ihn zusanunen. Am 27. mittags meldeten
die Scots Greysdragoner und die Walliser Füsi-
liere, die seine Vorhut bildeten, man sehe auf der
Ebene grosse Staubwolken aufsteigen wie von
Marschsäulen. „Das müssen Franzosen sein, die
Verbindung mit uns aufsuchen I" entschied sich BhI-
1er sorglos und liess den Vormarsch nicht einstellen,
nur näher aufschliessen und Fühlung seiner Bri-
gaden unter sich aufnehmen. Auf den Flanken,
seiner Meinung nach sicher durch französische Stel-
lungen gedeckt, pürschten nur wenige ,SGOuts' das
Gelände ab. Doch eine halbe Stunde später krönte
sich der Horizont mit weissen Wölkchen, imd ein
Adjutant, im Automobil heransausend, meldete er-
regt, die Vorhut bemerke Feindesaufmaxsch. £s war
— 159 —
die 14. Division, die den Briten unmittelbar frontal
entgegenkam, nebst der auffahrenden Korpsartillerie,
deren Granaten schon allenthalben zwischen und
in die tiefen Glieder der Marschkolonne einschlu-
gen. Nach einem Augenblick der Konfusion ent-
wickelten diese sich rasch zum Gefecht, sich mög-
lichst auseinanderziehend, was im Bereich der deut-
schen Kanonade natürlich viele Opfer kostete. Man
war förmlich überrumpelt und nicht imstande, noch
Schützengräben aufzuwerfen und sich ordnungsge-
mäss einzubuddeln. Doch nahmen die Briten den
aufgedrungenen Kampf mit ruhiger Fassung an, an
Rückzug dachte niemand.
„Das ist eine von Brüssel abgedrängte Kolonne,
die man uns franzosischerseits zutreibt, oder ein
deutsches Manöver, ims am Eingreifen in eine Feld-
schlacht bei Brüssel zu hindern," lautete Bullers
Urteil. „Dann wollen wir für ein neues Waterloo die
damalige Rolle des Marschall Blutscher (Blücher)
spielen. In jedem Fall vorwärts 1" Die Schützen
schwärmten aus, die gutbediente Feldartillerie er-
widerte die deutschen Eisengrüsse nach Noten. Jene
lächerlich falsche Vorstellung, die man sich
auf dem Kontinent vom britischen „Söldner" und
seiner angeblichen taktischen Unfähigkeit im
Transvaalkrieg gebildet — bei absonderlich aus-
sichtslosen Kämpfen gegen meisterlich gedeckte Mei-
sterschützen, die jeder Annäherung immer femer
auswichen — schwand hier gar bald. Das nie-
derdrückende Gefühl, einem unsichtbaren, wenig
— 160 —
mutigen Feind, der sich nie aus Deckungen vor-
wagte und bloss retirierte, als Scheibe dienen xa
müssen, hatte damals britische Truppen mit Ver-
lust von ntu* zwölf Prozent zum Weichen gebracht
Jetzt aber zeigte sich, dass die Zeiten' von Albuera
und Waterloo, wo unter Verlust der Hälfte und von
zwei Dritteln der Streitbaren die Briten das Feld
behaupteten, durchaus nicht vorüber waren. Auch
fochten die britischen Schützenschwärme gewandter
als man erwartete, ihre Rifles schössen ebenso sicher
und gut wie ihre Maxims und Geschütze. Gleichwohl
stellte sich die gründlichere militärische Ausbildung
und bessere Erfahrung iQi grossen Feldkrie^ auf
deutscher Seite so bald heraus, dass schon nach
einstündigem Schützengefecht Sir Redvers seine Re^
serve, die schottische Hochlandsbrigade der altbe-
rühmten Regimenter Gordon und Cameron, vorholen
musste, um in sogenanntem „Bajonettangriff* das
wankende Vordertreffen mit vorzureissen und dem
stehenden Feuerkampf gegen vorteilhaftere Aufstel-
lung der deutschen Linie ein Ende zu machen.
Pibrochs der Dudelsackpfeifer gellten, die grün-
roten Tartans flatterten im Wind. Mit unübertrefflicher
Tapferkeit drangen die Highlanders mehrfach zwi-
sehen die deutschen Linien ein, nahe an die Bat-
teriestände heran. Ein dröhnender Cheer: ,Scotland
for everl Hurra for Old England!" der ganzen» vor-
stürzenden britischen Infanterie schien das kernige
Hurra der Westfalen ersticken zu wollen. Zum ersten
Male prallten hier die beiden kriegerischen Germanen-
OPERATION DER SUDARMEEN.
ffmiSsisdteltkstPe
^^
— 161 —
Stämme gegeneinander, mit Kelten gemischte Anglo-
sachsen gegen ihre wahren Altvordern und näch-
sten Stammverwandten, die Niedersachsen. Eine
Zeitlang schwankte der Kampf. Obschon aber in
Betracht kam, dass sich sehr viele Veteranen aus
Transvaal und Sudan in den englischen Reihen be-
fanden, während die deutschen Rekruten sämtlich
zum ersten Male Pulver rochen, machte sich die
grössere Gewandtheit und straffere militärische Er-
ziehung der deutschen Volksmannen bei ebenbürtiger
kaltblütiger Standhaftigkeit zuletzt geltend. Das
überlegene Feuer der deutschen Artillerie mähte
die Briten reihenweise nieder, deren Maxims und
Nordenfeldts allerdings auch mörderisch spielten.
Als Buller eben Abbrechen des ungleichen
Kampfes erwog, meldeten ihm schreckensbleich her-
ansprengende Scouts, dass schon hinter seinen
beiden Flanken bedeutende Massen ständen: hinter
der rechten die 13. Division, hinter der linken die
Belgier. Ausser sich, schrie der englische General
verwirrte Befehle und suchte seine engagierten Trup-
pen aus dem Frontalgefecht herauszuziehen. Aber
die Westfalen packten fest zu, Kanonendonner von
beiden Seiten verkündete die Umfassung imd bei
allem angeborenen Löwenmut konnten die britischen
Truppen sich nicht dem Eindruck entziehen, dass
sie verloren seien. Die zum Teil noch intakte Ma-
rinebrigade, Bullers Elitedivision attachiert, besetzte
eine Hügelwelle nach Westen, um so lange wie mög-
lich die 13. Division abzuwehren, in der Front opferte
Völker Europas . . . ! II
— 162 —
sich die britische Kavallerie in einem Todesritt, der
die waterlooberühmten Scots Greys und jenes bei
Omdnrman so glänzend fechtende Lancerreg^ent
vom Erdboden vertilgte. Die Masse der fast um-
zingelten Division, unwillkürlich in dichte Kolomie
zusammengeballt, durchbrach die Belgier und zog
längs ihrer und der nachstossenden 14. Division
langer Feuerfront nach Nordosten ab, mit eiserner
Entschlossenheit allen damit unausbleiblich verbun-
denen Blutverlust verbeissend. In wildem Gewalt-
marsch, während die Marines und die als Nachhut
ausharrende »Schwarze Wache* der Welsh Fusi-
leers, so gut wie vernichtet, samt fünf sich opfernden
Batterien imd zahlreichen Maxims endlich die Waffen
streckten, wurden bei Ende der Nacht die Aussen-
forts von Antwerpen erreicht. Todmüde sanken dort
ganze Haufen zu bleiernem Schlafe nieder. Kaum
graute der Morgen, als die Vorposten der Deutschen
erschienen, deren Kavallerie im Verein mit der bei-
gischen noch viele Nachzügler und sonstige Gefan-
gene aufgriff, den ganzen Train imd Geschützpark
nebst zwei bespaimten Batterien erbeutete. Die noch
nicht genügend ausgeflickten und kaum annierten
Forts boten keinen Stützpunkt. So signalisierte Vize-
admiral Sir Charles Drury auf die Schreckenskunde
dem verzweifelten und ganz gebrochenen General
Buller, dessen John BuU-Stiernackigkeit zum zweiten
Male englische Truppen ins Verderben brachte, er
werde Deckung sofortiger Einschiffung übernehmen.
Es entspann sich nun ein eigentümlicher Kampf.
— 163 —
insofern die deutschen Feldbatterien zwar im Um-
kreis den Hafen beherrschten, aber die grösstenteils
ausserhalb auf hoher See schwimmenden Panzer
nicht zu erreichen vermochten, deren furchtbare so
viel weiter reichende Dreissigzentimeter nach der
Karte schössen und in jeder zu weit vorgewagten
Feldbatterie grauenhafte Verheerung anrichteten,
jede geschlossene Formation des andrängenden Fuss-
volks vor den Forts verboten. Als aber nach ver-
zweifeltem Widerstand der nachhutbildenden Gor-
don Highlanders die von Breschen klaffenden Forts
in deutsche Hände fielen und die dort zur Neuar-
mierung eingefügten Schiffsgeschütze, deren Marine-
kanoniere sämtlich tot und verwimdet am Boden
lagen, ohne ihre Stücke vorher alle vernageln zu
können, teilweise herumgedreht und gegen ihre
eigenen Panzerschiffe gerichtet wurden, stiegen
deutsche Schützenlinien überall zum Hafen herab
und eröffneten auf die enteilenden Schaluppen der
britischen Einschiffung ein entsetzliches Schnellfeuer.
Zwei ankernde Panzerkreuzer, ,Latona', ,Sutlej*,
behaupteten freilich heldenmütig ihren Standort und
fügten den aufgelösten deutschen Schützenlinien noch
grosse Verluste zu, bis sie durch konzentrisches Hau-
bitzfeuer der Feldgeschütze und der eigenen Schiffs-
kanonen der Forts buchstäblich in die Luft flogen.
Auf Fort Bath schon ausgeschiffte Artillerie
schleuderte gleichfalls Shrapnels und Granaten her-
über, so dass dauerndes Besetzen des Strandes zu-
letzt unmöglich wurde und die Reste der unglück-
II*
— 164 —
liehen Division nach Walcheren und von da aui
ihre Transportdampfer entkamen. Ein Teil blieb
jedoch abgeschnitten zurück, viele Schaluppen sanken
unter Granattreffern, an Bord der anderen führte
man noch viele frische Tote und Verwundete mit
während die Masse aller früher Verwundeten mit
den Ambulanzen in Gefangenschaft fiel. Der Sehen
kostete den Engländern im ganzen siebentausend
Tote und Verwundete, dreitausend unverwundet Ge-
fangene, sechsundfünfzig Feldgeschütze und die g&
samte sonstige Ausrüstung, ausserdem siebzehn
Schiffsgeschütze in den Forts. Die Deutschen be-
zahlten den erstaunlichen Erfolg mit viertausend
Mann, die Belgier wollten auch tausend verlorer.
haben.
Die vom ,Figaro* einst denunzierte friedliche
Teutonisienmg durch Handelseinfluss . trat jetzt
hervor: Da der ^ britische Admlral bei seinem
Bombardement natürlich auch die Stadt nicht
schonen konnte und dort mehrere Feuersbrünste aus-
brachen, schlug die vorher apathische Stimmung
Antwerpens ins Gegenteil um. Man jubelte den Deut
sehen aufs herzlichste zu. Das Ansinnen, selbständige
Bürgerwehr fortan zum Schutz der Forts zu stellen,
ward bereitwillig entgegengenommen. Am 28. abends
gehörte Antwerpen dem am 26. in Brüssel ernannten
„Generalgouvernement der deutschen Okkupations
armee", das „im Namen Sr. Majestät des Königs der
Belgier" das Land militärisch administrieren sollte.
Natürlich schwand ja für Antwerpen selber keines-
— 165 —
wegs die Gefahr, da das britische Geschwader, bei
dem bald darauf auch ein französisches eintraf, die
Blockade beibehielt und am 30. ein neues grausam.es
Bombardement eröffnete. Man hatte die Hafenvor-
stadt eiligst ausgeräumt, so dass sie, in Flammen
aufgehend, wenigstens nicht mobiles Eigentum und
Leben der Bewohner begrub. In die eigentliche
Stadt fielen riesige Sprenggeschosse genug, töteten
auch fünfzig Einwohner, was aber nur die Erbitterung
vermehrte und für künftig verstärkte verbesserte
Löschvorrichtungen der Pompiers verursachte. Die
Forts litten wieder nicht wenig und wurden von
Besatzung geräumt, da die teilweise noch nicht ent-
nagelten Geschütze den Kampf doch nicht fortsetzen
konnten. Doch jeder Schuss der schweren Schiffs-
rohre kostet nicht nur eine hübsche Sunune, sondern
bringt auch die Rohre selber dem Springen näher,
ein Ende, das bei zu üppiger Verwendung jedem
modernen Geschütz schwersten Kalibers droht. Dieser
Gesichtspunkt, den man bei Furcht vor dauernden
Bombardementwiederholungen viel zu wenig im Auge
behält, bewog Sir Charles Drury, von fernerer Be-
schiessung so lange abzulassen, bis die britische
Oberleitung ,einen neuen Landungsversuch verfüge.
So behielt man Zeit, Antwerpen in besseren Ver-
teidigungszustand zu setzen. Tag imd Nacht arbeitete
die zum Kriegsdienst herangezogene Zivilbevölkerung
an Ausbesserung und weiterer Verstärkung der Forts,
für welche Festungsgeschütz aus Wesel imd Deutz
in nächster Woche herbeigeschafft wurde. Ausser-
— 166 —
dem legte man am Strande leichte Feldbefestig^ungen
und Batteriebestände an, da Erfahnmg lehrte, dass
Erdaufwürfe, Papierrollen, Baumwollenballen dem
Geschosshagel besser widerstehen, als feste Gegen
stände aus Stein und Holz. Als Garnison blieb nur
die 27. Brigade zurück nebst drei Genie-, neun
Festungsartilleriekompagnien. Das übrige sollte die
von deutschen Unteroffizieren täglich gedrillte Na-
tionalgarde besorgen. Schon am 5. Juni standen die
übrigen drei westfälischen Brigaden und sämtliche
belgische Reguläre nebst der vereinten Kavallerie
bereit, als Rechte der Nordarmee weitere Offensive
nach Frankreich über Gent-Courtray hineinzutrageit
(72. Lothr. Brig. früher von Paderborn nach Metz.;
Noch schlimmer erging es dem andern britischen
Expeditionskorps. Der kommandierende General
Lord Methuen, gleichfalls aus dem Burenfeldzug be<
kannt, früher Militärattache in Berlin, auch beim
Niedermetzeln der Ägypter Arabi Paschas vor
Alexandrien als Brigadechef bekannt geworden, be-
fand sich soeben, am 27. nachmittags, im Vorrücken
auf Amsterdam, kaum dass er sein Hauptquartier
im königlichen Palais des Haag genommen. Funken-
telegraphie meldete ihm den ,Erfolg* der Zuydersee-
Eskadre, die auf Nordsee Harlemkanal nicht femer
beschiessen wollte, um die Holländer nicht unnütz
zu erbittern. Friedliche Besetzung der grossen Han-
delsstadt durch Methuen von der Landseite schien
richtiger, rasche Beschlagnahme ihrer reichen Hilfs-
quellen erwünscht. Dort läuteten alle Sturmglocken.
— 167 —
Zerstörung vieler holländischen und fremden
Schiffe im Kanal, deren Ladung zwar grösstenteils
noch rechtzeitig an Land gelöscht, imd Verbrennung
der Hafenanlagen von Texel und Harlingen hatte
anfangs bei den in trägem Wohlleben erstickenden
Mynheers, deren obere Schichten sonst von hervor-
ragendem Büdtmgsstand, Wehklagen über die Regie-
rung erregt, die Holland nicht dem Schutz des
übermächtigen England anvertrauen wolle. Doch
danüt mischte sich Empörung über das schonungs-
lose Verfahren Englands, das doch freundlich mit
Glacehandschuhen die zu friedlichem Empfang be-
reite Stadt hätte anfassen sollen. Neben Patrioten,
die daran erinnerten, dass im Grunde England immer
Hollands Erbfeind gewesen und durch brutal neidi-
sche Rivalität dessen einstige Grossmacht ruinierte,
erhob sich der Pöbel mit teils unklar patriotischem
Gebrüll „Tod allen Fremden 1", teils mit sozialisti-
schen, teils mit einfachen Plünderungsgelüsten. Die
Trommeln der Bürgerwehr, die sich organisierte,
wirbelten durch alle Grachten. In dies Tohuwabohu
platzte die doppelte Kunde hinein, dass die Briten
schon im Haag ständen, dagegen grosse deutsche
Massen nebst der holländischen Streitmacht von
Utrecht unterwegs zum Entsatz seien. Dazu ein Auf-
ruf der Königin an ihr treues Volk, Amsterdam so
lange zu halten, womöglich mit Barrikadenbau, bis
die Deutschen da seien, deren Flankenmarsch die
britische Landungskolonne mit Untergang bedrohe.
Die Stadt erhob sich wirklich. Als die ersten engli-
— 168 —
sehen Schwadronen und Velo-Riflemen herannahten,
fanden sie alle Schlagbäume und Schleusentore ge-
sperrt, die Kanäle unter Wasser, Schüsse fielen aus
den nächsten Vorstadtvillen. Die britische Vor-
hut machte sich zum Ang^riff fertig. Doch was war
das? Zunehmende Füsillade vom jenseitigen Rand
des Amstellcanals in ihre Flanke verriet, dass dort
wirkliche Soldaten angelangt seien. Tatsächlich lang-
ten die Spitzen der 20. Division noch rechtzeitig an,
holländische Kavallerie ritt in die Stadt und verkün-
dete, dass von der Landseite die Gefahr vorüber sei.
Lord Methuen, in Britenzom über die Frechheit
der fremden Stadt, sich dem Einzug britischer Welt-
gebieter zu widersetzen, befahl sofortiges Femfeuer
der Artillerie nach Amsterdam hinein und entwickelte
sich zum Angriff im Gewirr der Kanäle, an deren
feuchten Wiesen und sumpfigen Rändern allmählich
immer mehr deutsche Schützen auftauchten. Aus
dem satten Grün blitzte es überall, obschon das
rauchschwache Pulver nirgendwo den Standort deut-
lich erkennen liess. Mit schlagenden Trommeln und
dem Spiel der Pfeifer stürzten die Briten sich vor,
erstürmten die nächsten Pachthöfe, Windmühlen und
Villen, erhielten aber so zunehmendes Feuer, nun
auch von verdeckten Schnellfeuerbatterien, dass sie
atemschöpfend stillhielten. In diesem Augenblick
erhielt Methuen, während sein zweites Treffen noch
aus dem Haag debouchierte, eine so merkwürdige
Kunde, dass er sich betroffen eines besseren besann
und überall Halt machen liess. Um seine Basis
— 169 —
Waterweg war er nämlich um so weniger besorgt,
als er dort Ankunft seiner zweiten Division in Bälde
erwartete und ein Ausgreifen deutscher Kräfte dort-
hin, deren Vormarsch Arnhem-Emmerich er bisher nur
vernahm, gänzlich unmöglich schien. Jetzt aber kam
telephonischer Rapport, dass die schwachen vor
Rotterdam landwärts vorgetriebenen Posten sich
grrossen Massen gegenübersähen, die aus Nordosten
herabkämen imd deren etwaiges Eingreifen aus Süd-
osten gegen Methuen befürchtet werden müsse. In
der Tat hatte die 19. Division in einem Gewaltmarsch,
der an ihre Leistung bei Mars la Tour erinnerte,
längst den Briten die Flanke abgewonnen imd griff
immer mehr in deren Rücken aus. Die deutsche und
holländische Kavallerie ging ihr voraus und streifte
bald die Küste entlang, die Verbindung mit dem
Haay unterbrechend. Auf Dünenknicks hoben sich
vor den ankernden englischen Transportdampfem
im Waterweg-Hafen ferne Reiterstandbilder ab, die
hernach lebendig wurden und frohlockend Karabiner-
schüsse mit der spärlichen Bemannimg austauschten.
Als sich Methuen über seine Lage klar wurde, dass
er weder bei Leyden-Harlem zur Zuydersee durch-
brechen, noch wahrscheinlich Waterweg wieder er-
reichen könne, blieb ihm nur die Wahl, die Trans-
portflotte nach der Scheveninger Gegend herzurufen
und sich im Haag so lange zu halten, bis er dort an
unsicherem Strande, die Dampfer hinter sich, eine
wahrscheinlich nur per Boot mögliche Einschiffung
versuchen könne.
— 170 —
Gleichzeitig setzte er sich mit dem Zuyder-Ge-
schwader in ununterbrochenen Verkehr durch draht-
lose Telegraphie, sofortige Unterstützung durch die
Flotte erbittend. Betroffen antwortete Rearadmiral
Neville: ,,Sende sofort Hälfte memer Eskadre zur
Deckung, mache mit der andern starke Demonstra-
tion gegen Amsterdam, um Aufmerksamkeit abzu-
lenken." £r hielt für angebracht, nördlich die aus-
geschiffte Strandbatterie Feuer eröffnen zu lassen«
fuhr tiefer in die Bucht östlich, legte westlich
sich quer vor Y-Muiden, wo weder Minen noch Tor-
pedos die Kanalforts unterstützten. Dies Fem-
feuer hatte nur den Erfolg, Amsterdam in
einen Taumel patriotischer Wut zu versetzen,
mit lautem Geschrei über die völkerrechtswidrige
Behandlung einer offenen Handelsstadt. Königin
Wilhelmine, soeben inmitten einer Schw^ron
schwarzgelber Braunschweiger Husaren einfahrend,
steigerte durch ihre anmutige Erscheinung diese
Stimmung. Von allen Firsten und Simsen der violett
und kaffeebraun angestrichenen Häuser oder ziegel-
roten Backsteintürmchen, von allen Wipfeln der matt-
grün rostfarbigen Baumalleen der Kanalgrachte winh
pelte die rotgelbe Nationalflagge. Das Volkslied
,Oranje Boven' entstieg unzähligen Kehlen, von un-
zähligen Oranjebitters und anderen Kolonialschnäpsen
begossen. Ein Caf ^besitzer zeigte in Saandam das Loch
seiner Porzellanwandmalerei, wo ein Bombensplitter
hineintraf und einen Bambusstuhl zerspellte, und for-
derte zur Rache für solche Untat auf. Die Amster-
— 171 —
damer Extrablätter über britische Barbarei wanderten
durchs kleine Ländchen zwischen Rhein und Scheide,
die Deutschen als Retter in der Not feiernd. Der
deutsche Korpskommandant liess sich übrigens nicht
beirren, auch nicht, als ein Marinekommando am alten
Arsenal landete, sondern warf nur in die von Bürger-
miliz wimmelnde Stadt das Braunschweiger Infanterie^
regiment nebst einer Haubitzbatterie, die sich gegen
die Strandbatterie eingruben und allmählich vor-
schoben. Mit drei deutschen und vier holländischen
Regimentern, die seitwärts der Stadtenceinte defi-
lierten, drängte er Methuen imablässig nach, dessen
^Eilmarsch rückwärts bereits die Scheveningen be-
rührende Kavallerie von Südosten her belästigte. Bei
der 19. Division traf per Feldtelegraph die Kunde
vom Sieg der Westfalen und bevorstehender Einnahme
Antwerpens ein und erhöhte die Spannkraft. Mit Auf-
bietimg aller Kräfte marschierte man küstenaufwärts,
nur zwei Bataillone und eine Batterie nach Water-
weg entsendend, um dort den Landeplatz für weitere
britische Transporte zu sperren. Doch erreichte man
erst abends Flanke und Rücken der britischen Auf-
stellung am Haag.
Dort setzte sich bisher der energische Methuen
mit Umsicht zur Wehr, die Seinen fochten mit fin-
sterem Ingrimm. Jeder Tommy Atkins kennt die
fabelhafte Mär von Sir John Moores Rückzug nach
Corufia, mit britischer Prahlerei ausgeschmückt, und
schmeichelte sich, es jenen Ahnen gleichzutun und
die Verfolger bis zum Eintreffen der Transportfahr-
— 172 —
zeuge noch vorher tüchtig durchzuwalken, wie falsche
britische Historie es darstellt. Doch lässt sich nicht
leugnen, dass auch hier Beispiele von unbeug^samem
Mannesmut sich zeigten, wie sie uns das schlichte
Tagebuch des Korporals Harris über den Moor eschen
Rückzug verewigte. Nichtsdestoweniger liess äch
nicht ändern, dass vor Tagesschluss alle Aussen-
stellungen nacheinander genommen wurden und die
britischen Truppen durch die Avenuen des schmucken
Residenzstädtchens zum Strande rückwärts ström-
ten. Die Badeanlagen von Scheveningen bildeten
schon ein Trümmerwrack, und dem deutsch^i Par-
lamentär trug Methuen auf, Kapitulationsaufforde-
rung hochmütig ablehnend : „Sagen Sie Ihrem Chef,
dass ich eventuell den Haag niederbrennen werde,
um Feuerschranke zwischen mir und dem Feind
zu errichten. Ich bin zu allem entschlossen, bri-
tische Truppen ergeben sich nicht, gewiss nicht un-
ter meinem Kommando." In deutscher Sprache fügte
er hinzu: „Eure Berliner Zeitimgen haben mich da-
mals genug beschimpft, ,Maggersfontain' wie eine
feige Feldflucht verhöhnt. Ihr werdet sehen, was
von euren Dummheiten wahr ist." Wirklich liessen
sich die um Pardon winkenden weissen Taschen-
tücher, womit laut deutschen und französischen Be-
hauptungen ganze Abteilungen im Burenkrieg beim
ersten Verlust die Waffen streckten, nirgendwo
sehen, auch nicht, als der deutsche Kommandierende
trotz Erschöpfung seiner marschmüden Truppen er-
neuten Nachtangriff beschloss. So wollte man den
— 173 —
Feind zur Strecke bringen, ehe die Einschiffung
sich vollzog, da man telephonisch aus Waterweg
<ias Abdampfen der Transportflotte erfuhr, deren
Lichter auch schon draussen auf See gesichtet wur»
den. Mit dem Niederbrennen des Haag hatte es
gute Weile, da das jähe Eindringen der Deutschen,
die jetzt selber jede Artillerieverwendung aus Rück-
sicht auf die Holländer vermieden, ein regelrech-
tes Anzünden immöglich machte. Doch litten viele
Palais imd Villen grausam unter dem grausen nächt-
lichen Strassenkampf, von schwachen Bränden fahl
beleuchtet. Als der Morgen anbrach, war kein
Brite mehr im Haag, alles zur Küste hinabgewor-
fen, wo die Transportdampfer bei hohem Seegang
sich nicht nahe herantrauten, sondern nur eine
Menge Boote aussetzten. Gleichzeitig hoben sich
aber die Panzerimgetüme der Zuyderflotte aus
der Flut und öffneten den glühenden Mund ihrer
Stückpforten gegen die rechte Flanke der Bedrän-
ger, die hier etwas auswichen und somit der Ein-
schiffung Raum geben mussten. Da aber die Schiffe
bald nur langsam und bedächtig feuerten, um nicht
das im Meemebel undeutlich verschwimmende Ein-
schiffungsgewimmel der eigenen Truppen zu gefähr-
den so fuhren die deutschen Batterien bald sehr
nahe an der Düne auf und richteten ihre Geschosse
gegen die Transportdampfer. Mehrere kenterten,
gingen imter, in den Grund geschossen, ihre
Masten und Raen umspielten auflodernde Flammen.
Auf der weithin bestrichenen Meerfläche sank ein
— 174 —
Boot bach dem andern, Schwimmer und Ertrunkene
füllten die Wellen. Eine Schaluppe und ein ^osses
viereckiges Floss, mit Fahrzeugoi und Protzen be-
laden, schlugen um tmd entleerten ihre kostbare
Last in die Tiefe. Ununterbrochenes Schnellfeuer
der „verbesserten" deutschen Gewehre neuster Ver-
vollkommnung entmannte endlich die verzweifelt den
Strand haltenden Streiter, der Union Jack senkte
sich nieder. Der Hauptteil der schönen Division
mit dem verwundeten Lord Methuen selber, dessen
hochgewachsene stolze echtbritische Erscheinun^r, ein
Vorbild ritterlichen Mutes, jetzt in finsterem Missmut
abseits stand tmd Beileidsbezeugung ihm privatim be-
kannter deutscher Generale nur durch herablassendes
Kopfnicken beantwortete, wanderte gefangen zum
Haag zurück. Von dem Rest auf den Booten rettete
sich nur ein Teil unter Beihilfe bemannter Dampf-
pinassen der Panzerschiffe, ilie mit Rifles tuid Re-
volverkanonen kaltblütig den Strand unter Schuss
nahmen. Da jetzt die Granatkolosse der Kriegs*
flotte wie Feuerdrachen heransausten, mehrere Feld-
geschütze sofort zertrümmerten, eine Batterie mit
Mann und Maus wegputzten imd auch die hanno-
verschen Bataillone übel mitnahmen, zogen die Sie-
ger sich ausser Schussbereich bis hinter den Haag
zurück. Von zwölftausend Mann, mit denen Me-
thuen ausgerückt, kehrten nur zweitausend nach
England heim. Die ganze Artillerie ging verloren.
Dazu kam der Schaden an Transportdampfem imd
Booten. Die Deutschen, todmüde auf ihren Lor-
— 175 —
beeren ausruhend, verloren noch nicht zweitausend,
die Holländer vierhundert Mann.
Als am 28. mittags die neue Transportflotte
mit Methuens zweiter Division von Waterweg ge-
meldet wurde, ging der allgemeine Wunsch dahin,
auch diese Truppe ruhig landen zu lassen, um
sie dann gleichfalls aufzuheben. Lieut. General
Knox schien aber Unrat zu merken und setzte
nur ein paar Boote ans Land, um sich nach Ver-
bleib der anderen Transportflotte zu erkundigen. Ob-
schon die dort postierten zwei Bataillone auf eilige
Instruierung durch den Feldtelegraph sich zurück-
zogen und auch ihre Batterie sich nicht zeigte, er-
schien dem Engländer dies Abdampfen der früheren
Transportmittel so verdächtig, dass er sich von der
Küste langsam entfernte, wobei ihm die rasch vor-
trabenden Geschütze einige gutsitzende lange Schüsse
nachsandten. Durch den Funkentelegraph benach-
richtigt, vereinte sich der frische Transport mit den
Trümmern des ersten tmd hielt sich fortan im Schutz
der Panzer auf hoher See. Waterweg wurde fortan
durch ein Detachement und zwei Batterien in auf-
geworfenen E^tfibefestigungen gesperrt, auch eine
Mine im Hafen und eine Flattermine weiter draussen
angelegt, ebenso längs der Küste am Haag ein
Fostenkordon mit einer Batterie verteilt. Um Amster-
dam von fernerem Überfall zu sichern, veranlasste
man am 30. früh einen Handstreich gegen die
Strandbatterie, die der Gegner immer noch nicht
einziehen wollte. Die gesamte schwere Artillerie
— 176 —
des Regiments ,Schamhorst* ging zur westlichen
Halbinsel ab und beschoss die Landzunge aufs hef-
tigste, während eine rasch per Bahn zurückg^eführte
Brigade im Innern den Uferrand umging. Da nun
bald die Einschliessenden in förmlichen Laufg^^äben
die Batterie immer näher einkreisten und die Be-
dienung von den Erdwällen hertmterschossen, nahir
der herandampfende Geschwaderchef die Besatzung
auf, die sich noch retten konnte. Ein Bergen der
acht schweren Schiffskanonen gelang aber nicht mehr,
so emsig die Geschosse der Panzer den Strand ab-
suchten, da jede zur Bergfung landende Abteilung
unterm Gewehrfeuer unsichtbar in der Düne ver-
grabener Schützen zusammenbrach, auch ein nacht-
licher Versuch missglückte, da die Deutschen rasdos
Wache hielten und ihr Scheinwerfer, auf der bleichen
Düne hin und herschimmemd, jedes Aussteigen aus
den Booten verriet. Murrend fügte sich der dortige
Commodore in das harte Los, auch seinerseits seine
,glorreiche* Unternehmung nüt einem Verlust ab
schliessen zu müssen. Die stehengebliebenen Stücke
wurden später im Triumph nach Amsterdam zurück-
geschafft und mit ihnen und anderen Festungsstückeu
ein Batteriestand an anderer Stelle errichtet, von wo
man besser die Einfahrt beherrschte. Verteidigungs-
werke bei Kampen und Harderwyk auf Ost seit e und
am Muidenkanal, wo Destroyers, Brander, leichte
Kreuzer noch etwas Tiefgang fanden, machten
weitere Heimsuchung zu zwecklosem Beginnen. Die
britische Eskadre verliess die Zuydersee.
— 177 —
Die holländische Regierung musste sich dazu
bequemen, während ihre Truppen sämtlich per Bahn
nebst der 20. Division zur französischen Grenze ab-
S^eschoben wurden^ nun ihrerseits die Einsetzung eines
deutschen Generalgouvemeurs zu genehmigen, der
Holland militärisch organisierte. „Im Namen Ihrer
Majestät der Königin der Niederlande" wurde ent-
sprechende Aushebung von Mannschaften angeord-
net, die nichtsahnend zu ihren biederen Bürgerkom-
mandanten strömenden Milizbataillone ohne weiteres
in die Ordre de Bataille der aktiven holländischen
Armee aufgenommen oder als Ersatzbataillone mit
älteren aktiven Cadres verschmolzen. Die gleiche
Massregel führte man in Belgien durch, dessen Heer
so auf viier Divisionen verdoppelt wurde, das hollän-
dische desgleichen. Dass dies nicht ohne grollen-
den Widerstand abging, verstand sich von selber. In
Rotterdam, Lüttich, Brüssel und Charleroi kam es
zu blutigen Aufständen, die jedoch von. der deutschen
Militärbehörde um so leichter niedergeschlagen wur-
den, als die Bürger bald den sozialistischen Charakter
dieser Bewegung witterten und daher die Truppen,
oft mit bewaffneter Hand, imterstützten.Doch musste
man zur Unterdrückung der Grubenarbeiterempö-
rung in Charleroi, so nahe an der französischen
Grenze, die alte belgische Mecheln-Division zu
Hilfe nehmen, die dies, seit dem* Tag von Ant«
werpen auf deutsche Waffenbrüderschaft stolz, mit
Eifer besorgte. Die Redensarten der Brüsseler Ra-
dikalen, dass man so den Bürgerkrieg entfesselt
Völker Europas . , . l 12
— 178 —
habe, blieben ebenso ohnmächtig, wie der fromme
Trost in Paris und London, dass Belgien und Hol-
land, unterm Joch fremder Zwingherren seufzend,
nur darauf brennten, es abzuschütteln. Beide Lander
beruhigten sich damit, dass der schnelle Sieg^eslauf
der deutschen Nachbarn sie wenigstens binnen acht
Tagen davon erlöst habe, lange als Kampfplatz für
die anderen Nachbarn zu dienen, von deren Liebens-
würdigkeit man auch unangenehme Begriffe bekom-
men hatte. So taten denn die niederländischen Trup-
pen, einmal im eisernen Band der deutschen Heeres-
ordnung eingekeilt, vor dem Feind das Ihre, was
sie konnten und mussten. Die Ruhe in Holland imd
Belgien war eine so völlige, zumal man an Heeres-
lieferungen auf den deutschen Etappenlinien über
Köln und Lüttich reichlich verdiente, dass Cnde Juni
sogar die 19. Division und 27. Brigade von zwei
westfälisch-niederrheinischen Landwehrdivisionen ab-
gelöst werden konnten, die fortan Küstenschutz und
Etappendienst im Verein mit der Miliz allein übernah-
men. 20 000 deutsche Einwohner sicherten Antwerpen.
Den deutschen Erfolg versüsste noch der Zank
zwischen beiderseitigen Militärs und ein sich täglich
mehr vergiftender Federkrieg der Londoner und Pa-
riser Presse, wo jede Partei der anderen die Schuld
an solchem Missgeschicke zuschob. Dem gerechten
Vorwurf Bullers, dass man ihn auf die Vorgäng^e in
Belgien nicht auf dem laufenden erhielt, hielt
man französischerseits entgegen, dass die britische
Expedition einen Tag später als vereinbart in See
— 179 —
stach, und bezeichnete dies als Probe mangelhafter
Kriegsvorbereitnng. Da man im übrigen die Mit-
schuld nicht entkräften konnte, warf man sich mit
hämischer Schadenfreude auf den Methuen-Zug, den
man als hirnlosen Tollhäuslerstreich imd Probe für
Unfähigkeit britischer Generale brandmarkte. Die
englische Lesart: .bekannte gallische Unzuverlässig-
keit, Neuauflage von Sedan' beantworteten freund-
liche Winke: .bekannte britische Perfidie, Neuauf-
lage von Colenso und Spionskop'. Das imnatürliche,
nur auf gemeinsamem künstlich geschürtem Hass
ohne sonstige Sympathie und Interessengemeinschaft
gegründete Bündnis hatte schon jetzt einen Riss
bekommen. In London wagten sich Stimmen her-
vor, da Englands maritime Obmacht an anderer Stelle
wichtige Erfolge errang, dass man Krieg gegen
Deutschland besser allein bloss zur See geführt haben
würde. In Paris wurden gar Bemerkungen laut,
dass man am Ende noch Deutschlands Feindschaft
Englands Freundschaft vorziehe. Da wurde der
erheblich gesunkene Barometer der öffentlichen Mei-
nung wieder nach oben geschnellt durch einen Macht-
zuwachs: Italiens Eingreifen. —
Trotzdem das Land offen Krieg gegen Österreich
verlangte, auf den man sich schon jahrelang heim-
lich gerüstet, und aus voller Sympathie für die
Alliierten kein Hehl machte, so dass die stets im
französischen Fahrwasser segelnden ,Corriere della
Sera' und ,Secolo*, die beiden verbreitetsten Blätter,
12*
— 180 —
täglich enthusiastische Kundgebungen vor dem fran-
zösischen Konsulat in Mailand verzeichnen durften,
und der französische Botschafter am Quirinal sich
massloser Zärtlichkeit der ^^lateinischen Brüder'^ kaum
erwehren konnte, entsprach es nicht den Absichten
der italienischen Politik, sich so bald für eine Seite
zu erklären. Der heimlich befreundete russische
Hof gab zweideutig unklare Direktiven, die img^efähr
bedeuteten, Russland werde Besetzung Albaniens
wohlwollend begrüssen, Krieg gegen Österreich we-
der abraten noch empfehlen, stehe im übrigen dem
Werdegang der Dinge gleichgültig gegenüber. Auch
kam es dem ehrliebenden begabten jungen König
schwer an, eine flagrante Verletzung der Bundes-
treue sofort vom Zatme zu brechen, da er weder
Grund noch Neigung hatte, sich mit Deutschland
zu verfeinden. Dagegen tat ein Hirtenbrief des Vati-
kans, der im Gegensatz zu Italiens kirchlicher Indif-
ferenz das klerikal gläubige Osterreich pries, diesem
Staate einen schlechten Dienst und machte Kampf
wider diesen Bundesgenossen des Papsttums erst
recht in den Augen der Italiener zu einem heiligen
Krieg. Die Putsche der Irredenta in Triest und
Trentino brachten die Aufregung zum Siedepunkt,
und gleichzeitig flog die Post vom französischen
Siegeszug nach Karlsruhe und Stuttgart herein, von
der in Italien allein gelesenen tmd massgebenden
Pariser Presse ungeheuerlich vergrössert. Ein wahn-
sinniger Begeisterungstaumel ergriff Italiens Gaue.
„Jetzt oder nie! Befreiung der italienischen Brüder!"
— 181 —
johlten riesige Volksmengen von Venedig bis Nea-
pel, von Genua bis Palermo. Republikaner, Soziali-
sten, Anarchisten fragten überall drohend, ob man
eine so vaterlandslose Monarchie noch länger dulden
solle. Victor Emanuel sah wirklich die Monarchie
in Gefahr, dabei selber vom übertriebenen Sieges-
geschrei der Franzosen betäubt, von der Glorie mög-
licher Eroberungen geblendet. Dass die nach Al-
banien entsendete Streitmacht, wegen deren Oster-
reich schon Vorstellungen erhob, dort wahrschein-
lich bald neben den Türken auf österreichische Bei-
hilfe stossen werde, schien gewiss. Als daher eine
drohende Note nach Wien, dass Italien wegen bru-
taler Misshandlung italienischer Stammesgenossen
Entschädigung und Entschuldigung verlange, kurz
und schroff abgelehnt wurde, stellte man dem Bot-
schafter am 12. Juni seine Pässe zu. Sein deutscher
Kollege ward vertraulich instruiert, dass der Zwist
mit dem Donaustaat keineswegs Bruch mit dem
andern Kaiserreich nach sich ziehen solle. Nach
geheimer Verständigung mit dem österreichischen
Kabinett gab sich Deutschland damit zufrieden, da
es nicht im Interesse Österreichs lag, wenn die
italienische Flotte ihr Gewicht gegen Deutschland
in die Wagschale warf, und Deutschlands Aufrecht-
erhaltung am besten den Bestand Österreichs ver-
bürgte. Man würde nachher schon gemeinsam die
Rechnung begleichen. —
Die französische Niederlage in Belgien kam nur
in abgeschwächter entstellter, die englische freilich
— 182 —
«
in voller Form zur Kenntnis des italienischen Pu-
blikums, wofür die Polemik in der Pariser Presse schon
sorgte. Später musste auch notgedrungen das Zurück-
weichen auf Beifort eingestanden werden, alles Dinge,
die solch nichtgewollte Überstürzung der Partei-
nahme bereuen machten. Es war zu spät, wieder
einzulenken. Doch gleichzeitig brachte die Bestä-
tigung vieler Berichte, die deutsche Marine sei von
der britischen angeblich mit Stumpf und Stil aus-
gerottet, den Kriegstaumel der heissblütigen Süd-
länder zur Siedehitze. Unter gellendem ,Abasso gli
Tedeschil Evvivaltalia Unital* wälzten sich die beiden
lombardischen Korps von Ala gen Riva. Als es wirk-
lich ans Schlagen ging, zeigten sich freilich die Süd-
italiener minder davon erbaut. Tausend Nachlässig-
keiten, Unterschleife, Widerwüligkeiten verzögerten
dort die Mobilisierung so sehr, dass man anfangs
nur das toskanische, venetische, umbrische Korps
bereit hatte, die sich alsbald gegen die Julischen
und Kamischen Alpen wendeten, um auf Triests
„Befreiung" loszuziehen. Zahlreiche Freiwilligen-
scharen nach Garibaldinischem Muster begleiteten
die Armee, während das romagnesische imd apulische
Korps schon in Albanien landeten und nun die ge>
samten Eskadres von Spezzia, Maddalena, Neapel,
Brindisi auf Höhe von Korfu sich vereinten. Die
türkische Antwort auf die albanesische Expedition, die
Türkei betrachte sich im Kriegszustand mit Italien,
erregte in Monte Citorio lautes Gelächter« Ja, der
Übermut stieg so sehr, dass man sofort in Tessin ein-
— 183 —
rückte, um gleich ein für allemal mit allen irredentisti-
sehen Aspirationen reinen Tisch zu machen, sie alle
miteinander zu befriedigen. Die Schweiz nahm die
machiavellistische Ausflucht, dass die Eidgenossen-
schaft neutralitätsbrüchig sei imd Italien deshalb
seine Grenzen schützen müs^, mjit verächtlichem
Gleichmut entgegen. Das erste piemontesische
Korps, das in dieser Richtung abmarschierte \md sich
vor allem der Simplonbahn bemächtigen wollte, kam
dort übel an. Den ganzen Juni durch fielen täglich
Bergscharmützel vor, in denen zwar die Italiener viel
Mut und Gewandtheit, die Schweizer aber ihre phy-
sische Überlegenheit und ihr unvergleichlich bes-
seres Schiessen zur Geltung brachten. Ein Hand-
streich auf Domo d'Ossola scheiterte unter bösem
Verlust der tapfem Bersaglieri. Bellinzona, wo die
zum Gotthard abziehenden Tessiner Milizen noch
aus Kaserne und Castello lebhaft feuerten und
gar keine Lust verrieten, zu den steuerbelasteten
monarchischen Sprachgenossen überzulaufen, ward
zwar feierlich mit rotweissgrüner Fahne geschmückt,
und im weiten Tal zwischen Luganer See und Lago
Maggiore breiteten die Piemontesen sich aus. Doch
ihr ernstlicher Versuch am 21. Juni, über Faido das
Fort Airolo zu berennen und seitwärts über den Luck-
manier gegen Rheintal und Oberalpsee zu umgehen,
scheiterte vollständig. Den grossen Tunnel zu spren-
gen, fand der Schweizer Gotthardkommandant nicht
der Mühe wert, er wurde nur im Innern verschüttet
und gesperrt, und nach der italienischen Seite über
— 184 —
die brausende grünlichschäumende Reuss hinüber
sausten die Geschosse der Andermatter Forts mit
vernichtender Wirkung, da sämtliche Ziele markiert
und genau bekannt waren. Die Landwehr der Ur-
kantone und der Luzemer Reservedivision unter
Oberst Segesser verlachte alle Anstrengungen, drei-
undzwanzig Sturmversuche auf Fort Airolo schlug
der Komnumdeiu: Hardoren imter Beihilfe der Goti-
hardartillerie blutig ab. Oberst von Tschamer und
der aus Zürich hergeeilte frühere Gotthardchef
Oberst Professor Affolter, eine der grössten artil-
leristischen Autoritäten, leiteten die Verteidigung des
Berges mit solcher Umsicht, dass die Italiener fortan
von jedem weiteren Wagnis abstanden. Dem früher
offengelassenen, seither verhauenen Pass von Domo
d*Ossola brachte man bei nächtlichem Überfall rasch
Hilfe über den Kreuzlipass, und ein weiterer Ver-
such am 25. aus Chiavenna, den Splügen zu for<
eieren, ward von der Landwehr von Ander und
einer Artilleriekompagnie hohnlächelnd abgewehrt.
Mächtig rollte hier das Knattern der trefflichen
Gewehre des Schweizer Modells die steilen Ab-
grundwände der Via Mala entlang. Ferneres Be-
mühen, aus dem Veltlin zum Malojapass emporzu-
klinunen, scheiterte an seiner eigenen Lächerlichkeit.
Alldieseenergisch angepackten, aber gänzlich un-
fruchtbaren Operationen entsprangen dem kindlichen
Heisshunger Italiens, sich als wahre Grossmacht
abzurunden und sichere Alpengrenze zu gewinnen,
auch das romanische Engadin als italisches
— 185 —
Sprachgebiet auffassend, sowie dem sehr praktischen
Bestreben, die Simplon- und Gotthardbahn ganz in
die Hand zu bekommen, sich den Ausgang der AI-
bulabahn zu erwerben. Bei dem allen waren aber
die Augen grösser als der Magen, man machte die
Rechnung ohne den Schweizer Wirt 1
Als das zweite piemontesische Korps von Ber-
gamo nach Venezien als Reserve der Hauptarmee
vorrücken wollte, kamen ihm schon allerwärts flüch-
tende entscharte Haufen entgegen; denn das Schick-
sal des Feldzugs entschied sich im Handumdrehen.
Im österreichischen Heere begrüsste man die Kriegs-
erklärung mit fröhlichem Jubel. Die traditionelle
Geringschätzung des italienischen Volkes und Staa-
tes in österreichischen Kreisen kam hier dem Heer-
bedürfnis entgegen und unterstützte die Kampflust.
Man beklagte nur, dass man nicht schon den Jah-
restag von Custozza auf gleicher italienischer Wal-
statt festlich begehen könne. Die Verletzung des
ungarischen Grenzzipfels, als die italienische Armee
unter fortwährenden Gefechten am Pradilpass, bei
Fontebba, im Val Isonzo und am Tagliamento sich
über Fiume imd Aquileja ins Triestinische wandte,
brachte Ungarn und Kroaten so in Zorn, dass drei
Honveddivisionen verlangten, ausserhalb ihrer in-
ländischen Dienstpflicht ins Feld nach Italien ge-
führt zu werden. Es wurden wirklich eine Reihe
Landwehrdivisionen in den Alpenlanden imd dem
Grenzerbezirk aufgeboten, sonst nur ein aus Linz
nach Innsbruck gelangtes Korps, das zum Boden-
— 186 —
See weiter sollte, sistiert und über den Brenner
geleitet. Die schon früher gegen Italien an der
Grenze aufgestellten Streitkräfte schienen sonst aus-
reichend, es blieb alles beim alten.
Die kleinen veralteten Sperrforts bei Nago imd
Mori mussten nach braver Gegenwehr ge^^en die
Lombarden kapitulieren, indes eine Flottille kleiner
gepanzerter Fahrzeuge den Gardasee entlang: fuhr,
Torbole in Asche schoss und in Riva Truppen landete.
Unter massigem Gefecht, aber Schritt für Schritt
wich die in Südtirol postierte ,Truppendivision* nach
Bozen und von da bis .Franzensfeste, wo eine
Kärntner Landwehrdivision auf der bekannten
Schnellzuglinie Villach — Franzensfeste sich aus-
schiffte. Das Innsbrucker Korps überstieg schon
den Brenner. Durchs Tal von Brixen und Trient,
wo der Einzug des Herzogs der Abruzzen mit Läuten
aller Glocken gefeiert wurde, ergossen sich die lom-
bardischen Korps, fest entschlossen, auch den Bren*
nerpass zu stürmen. Büchsen des Landsturms von
Passeier gaben ihnen seitwärts durchs Meraner
Teil das Geleit und fäit>ten die Wellen der £isack
und Etsch mit italienischem Blute. Als die Sonimer-
sonne des 19. Juni auf den Mauern von Franzens-
feste schimmerte, sahen die siegesgewissen Lombar-
den eine statdiche Streitmacht breit das Tal über-
spannen. Aus den Waldbergen sprühte Feuer von
Tiroler Schützen. Unter lautem ,Evviva Italial La
libertäl Sempre avanti, SavoiaT nahmen die Käm-
pen Italiens beherzt den Kampf an, man kann es
— 187 —
nicht anders sagen. Drei Stunden wogte der Kampf
liin und her. Doch das überwältigende Feuer ihrer
skXi Material und Bedienung weit überlegenen Ar-
tillerie, ihres alten Ruhmes eingedenk, die schreck*
liehe Treffsicherheit der Tiroler Kaiserjäger und
die weitere Zone des verbesserten Mannlicher-
gewehrs verschafften den Österreichern einen ra*
sehen Sieg, den ihre in altem Landsknechtgeist sol-
datisch erzogene und von Natur kriegerische Mann-
schaft vollauf verdiente. Zuerst wankte das Korps
Alessandria, dann das ostlombardische von Lodi,
zuletzt wich alles in regelloser Auflösung, die sich
in folgenden Tagen unter Verfolgung der Tiroler
Freischützen zu heller Flucht steigerte. Bald weh-
ten wieder schwarzgelbe Banner auf den Forts von
Nago, an deii schroffen glatten Bergrücken, Über-
resten einstiger Gletscher, und am Wasserfall des
Gardasees auf der gegenüberliegenden Seite troff
noch viel Blut herunter, ehe die Geschlagenen unter
Zuhilfenahme der Seeflottille Desenzano erreich-
ten. Dort aber am Ossario (Knochenhaus) von
San Martino, der geweihten Stätte der für Italiens
Einheit Gefallenen, am freskengeschmückten Turm-
denkmal, am Torre di Solferino und dem düstem
Zypressenhain der mit Vignen, Feigenbäumen und
Maulbeerpflanzungen bedeckten Landschaft fluteten
ihnen schon Trümmer der Schwesterarmee entge-
gen. In einer Kette von Kämpfen zwischen 18. und
23. Juni hatte das mit stürmischer Frische an-
drängende kaiserliche Heer die Italiener allerorts
— 188 —
übei die Grenze zurückgeworfen und stiess durdi
Friaul bis zum Mincio nach.
Auf der alten Walstatt von Solferino, die natcr-
gemäss zur Schlacht einladet, weil die linke Flanke
auf italienischer Seite durch den Gardasee gedeckt
kam es am 26. zu erneuter Entscheidung, da die
Italiener wenigstens die Etschlinie halten wolltoi
Diesmal aber mit umgekehrter Rollenverteilung.
Denn heut hielten die Italiener als Verteidiger dk
Höhen von San Martino, von denen sie erst spät
das österreichische Artilleriefeuer vertrieb, da hie:
nur hinhaltendes Gefecht wogte. Dagegen erfolgtr
ein Gewaltstoss der Österreicher gegen Solfenno.
dessen Zypressenhügel hier wieder den SchauplaQ
wilden Gemetzels abgab, und sie brachen gerade
dort nun atn Campo di Medole durch, wo damah
Mac Mahon ihr Zentrum durchbrach. Oie nach
hartem Kampf aus Guidizzolo und Rebecco verjag
ten Venezianer eilten fluchtartig auf Verona zurück,
das eine kaiserliche Seitenabteilung schon bedrohte
Die italienische Mitte bog exzentrisch nach Süden
aus, die Linke zog in gerader Richtimg westlich auf
Brescia ab. In Verona, dem früheren Hauptquar-
tier des Königs Victor Emanuel, gouvemierte schon
am 27. ein Feldmarschalleutnant, das von jeder
Hilfe abgeschnittene Venedig kapitulierte kampflos
bald darauf, da die Aufopferungsgründe der Manin*
Zeit heut vorüber. Übern Markusplatz fluteten die
lustigen Weisen kaiserlicher Musikkapellen, in den
Gondeln fuhren flotte Offiziere zur Isola della Sa-
— 189 —
lute hinüber, alle Kauffahrer flüchteten vom Lido
und der Riva degli Sciavoni auf hohe; See. Wieder-
uhi hatte man die verhassten Tedeschi im Lande,
^ro früher die schwarzblauen Waffenröcke mit
weissen und roten Wollenschnüren und grauen Ho-
sen der heimischen Infanterie, die Federbüsche tief-
blauer Bersaglieri den Rialto füllten. Ihre hellblauen
und grauen Uniformen mit den hohen schwarzen
Tuchmützen der Offiziere spiegelten sich in den
grünlichen Gewässern der Lagimen, den hellen des
Alpone, den himmelblauen des Gardasees. Nur die
heimischen Tauben schnäbelten sich noch an Seuf-
zerbrücke und Flügellöwe, als verhöhne die Natur
das Hin und Her menschlicher Besitzrechte. —
Was half da der Trost, dass wenigstens Ita-
liens Fk)tte durch riesige Übermacht gesiegt 1 Schon
am 18. erschien auf dem blauen Meer zwischen
Pola und Triest die prachtvolle Reihe der Panzer :
„Dandolo", „Lepanto", „Italia", „Duilio", „Andrea
Doria", „Francesco Morosini", „Ruggero di Lau-
ria", „Regina Margarita", „Benedetto Brin", „Em-
manuele Filiberto", „Admiral St. Bon", „Umberto",
„Sicilia", „Sardegna", „Vittorio Emmanuele", „Re-
^na Elena", umgeben von leichteren Panzerkreu-
zern wie „Etriuia" und „Lombardia". Die grossen,
zu Kreuzern umgeschaffenen Transportschiffe „Euri-
dice" und „Varese" führten Truppen zur Landung
mit. Die kleine österreichische Marine vermochte
gegen solche Übermacht nichts weiter, als tapfer
zu sterben. Während einige ihrer veralteten Kor-
— 190 —
vetten, Monitore, Fregatten von zweitausend Tonnen
in Bai von Ragusa, Sebenioo, Bocche di Cattaro
blieben, wurde trotz sechzig Forts mit fünfzig Mes-
sern der Kriegshafen Poia in zwölf stündigem Feuer-
kampf von Grund aus zerstört, „Habsburg", „Baben-
berg**, „Arpad**, „St. Georg" als Wracks zum Flagge-
streichen gezwungen. Die alte Niederlage von Lissa
war gerächt, doch wie unrühmlich 1 Wenn auch de
Geist Tegethoffs nicht mehr über den Wasseni
schwebte, und ein Rammen mit Holzschiffen heut
ins Reich der Fabel zu gehören schien, so suchte
der österreichische Admiral doch den ungleichen
Kampf damit glorreich zu Ende zu führen, dass er
„Karl VI.", „Rudolf, „Theresia", „Elisabeth" heran-
brachte, bis seine „mittlere" Artillerie gegen die
43 Zentimeterrohre der Barbettetürme auf den itaÜe-
nischen Panzern durch Nahfeuer aufkomm^i konnte.
So hatte er wirklich „Lepanto" imd „Sardegna" ausser
Gefecht gesetzt, „Umberto" durch einen Kemschuss
zum Explodieren und Sinken gebracht, eh er mit
dem Rest seiner Helden den Untergang fand.
Den Hafen von Triest hatte man sofort blockiert,
alle fremden dort liegenden Handelsschiffe, darunter
auch deutsche, als Prisen weggeschleppt, Marine-
truppen in die vom österreichischen Militär lang-
sam geräumte meuterische Stadt am 21. einrücke
lassen. Doch nicht lange freute man sich dieser
Beute, die man durch gleichzeitige Mitwirkung der
Landarmee hätte behaupten können. Sobald aber
diese nach Friaul zurückgeworfen, kam von Görz
— 191 —
eine Landwehrdivision nebst einer aktiven Brigade,
drang sofort in die von Barrikaden starrende Stadt
und liess sich von der draussen auf See »^schwingen*
den*' Fk)tte nicht einschüchtern, die doch nicht ihr
geliebtes brüderliches Triest bombardieren durfte.
Immer mehr österreichische Truppen häuften sich
bis Ende Juni hier an, die gelandeten Marine-
mannschaften hatten längst ihren Bord wieder auf-
suchen müssen. — Obschon 24. ArtilL-Rgt. bei Sol-
f erino sich nicht ohne begeisterte Hingebung schlug
cKler todesmutiges Einsetzen 21. Reiterregiments Pa-
dova nebst Corrazzieri und Carabinieri der könig-
lichen Leibwachen gegen verfolgende ungarische
Falatinalhusaren sich allgemeine Achtung erzwang,
zeigte das italienische Militär sich dem österreichi-
schen nirgends gewachsen. —
Aus Albanien verlautete auch nichts Gutes. Nach
allerlei Hin- und Hermärschen auf der unwirtlichen
Hochfläche und nach wertlosen Scharmützeln kam es
auf der bergumgebenen Ebene von Janina zu einer
offenen Feldschlacht, in welcher die Italiker sich
zwar behaupteten und zwei sizilianische Schnellfeuer-
batterien sich gerade so brav hielten wie bei der
abessinischen Niederlage von Adua, aber doch aus
Emährungsgründen wieder zur Küste abzogen. Mon-
tenegriner links und Griechen rechts auf den Flanken
richteten trotz aller Tapferkeit nichts aus. Serben,
Bulgaren, Rumänen rührten sich nicht, aus Ungarn
und Rumelien scharf militärisch überwacht, in der
Hoffnung, doch noch von der russischen Sphinx zu
— 192 —
erfahren, was sie dazu sage. Aber diese gab sich
und andern Rätsel auf und rollte sich selbst in den
Abgrund, da erneute Revolutiönchen in jedem Gou-
vemement aufflammten. Da das bosnische Korps
nunmehr den Türken schleunige Hilfe zusag^te, blieb
den Italienern nichts übrig, als sich allmählich auf
ihre Schiffe zurückzuziehen. Die Expedition war
schmählich gescheitert, die Lage Italiens verzweif-
lungsvoll, da man nun auch für die Eritrea-Gefahr
alle Kräfte brauchte und doch so wenige mehr hatte.
Natürlich schlug die Stimmung der wankelmütigen
Nation derart um, dass man die Regierung, die man
selbst zum Kriege gehetzt, kopfloser Abenteuerlich-
keit beschuldigte und alle Niederlagen nicht der
eigenen Schwäche masslosen Grossmachtkitzels, son-
dern der Dummheit in die Schuhe schob, die lauter
Lamarmora und Baratieri (ganz tüchtige Männer,
die nur Unglück hatten) an erste Posten stelle. Hilfe
für Eritrea lehnten übrigens die Allüerten mit höf-
lichem Hohne ab, da man selber in Afrika »alle
Hände voll zu tim habe, Italien aber auf eigene
Faust Krieg führe und übrigens sich ja gar nicht
gegen Deutschland, den eigentlichen Feind der
Alliierten, erklärt habe. Wer den Schaden hat
braucht für den Spott nicht zu sorgen. Da plötzlich,
als gegen Mitte JuU die Lage sich immer drückender
gestaltete, machte der deutsche Botschafter erstaun-
liche Eröffnungen und Anerbietungen, die auf ein-
mal Lichtblicke zeigten und bewiesen, dass Italien
doch noch etwas Wertvolles besitze: seine Flotte.
— 193 —
Italien griff hier mit beiden Händen zu, als ihm
Wiedereintritt in den Dreibund freigestellt und sogar
ein Gewinn verheissen wurde, und damit trat auch
diese Angelegenheit in eine neue Phase. —
Vor Konstantinopel hatte die Malta-Mittelmeer-
eskadre sich recht johnbullig ausgetobt, Stambul
verheert, türkische Marine zernichtet, Galatabrücke
und Dardanellenforts niedergelegt, ohne aber ändern
zu können, dass die besseren Türkenschiffe sich ins
Schwarze Meer an russische Ufer flüchteten, wo
sie angeblich abgetakelt wurden. Russland durch
Verfolgen auf russisches Gewässer zu verletzen, lag
nicht in Englands Interesse, ebensowenig lohnte es
sich, Pera und Galata zu bombardieren, wo man die
Europäer schonen musste. Die Eskadre patrouillierte
also nur Bosporus und Marmarameer ab, kontrollierte
den Hafen von Smyma, nahm deutsche und öster-
reichische Schiffe weg und amüsierte sich mit De-
monstration vor Salonichi. So trieb sie es den ganzen
Juni durch, bis sie plötzlich andern Auftrag erhielt.
Die Gibraltar-Hälfte der Mittelmeerflotte hatte
ebensowenig wie das französische Toulongeschwader
die Säulen des Herkules umschiffen dürfen, um die
maritime Macht in der Nordsee zu verstärken, da die
Franzosen ihre afrikanischen Küstenstädte, die Eng-
länder jetzt auch Suez, Port Said und Alexandria
behüten mussten, wo die islamitische Gefahr immer
brennender wurde. Den Franzosen ging es Mitte
Juni gar schlecht. Kaum rückte General de Torcy
aus, als in Nordalgeria ein wilder Aufstand empor-
Völker Europas ... I 13
— 194 —
glimmte, vom imversöhnlichen Feind im Mittel-
sudan, dem Emir von Hadrisia, angestiftet. Eine
gegen ihn in Kano, sechs Tagemärsche von Hadiisia,
aufgebrochene Strafexpedition schickte er mit bluti-
gen Köpfen heim, und die Tuaregs ritten in dichten
Schwärmen durch die Wüste auf Timbuktu. Neger-
stämme ergriffen die Waffen^ Viele Kolonisten fluch-
teten auf die kleine vulkanische Insel Rachgoun,
zwölf Stunden von Gibraltar, wo Frankreich Scbanz-
bollwerke für eine Kohlenstation errichtete.
Denn zahllose Reitermassen der marokkanischen
Kabylen überfluteten schon die Küste im Rücken des
französischen 19. Armeekorps, das mit Hitze und
Durst noch mehr als den wilden Scharen des Sultans
Mohammed Said zu ringen hatte. Die Oasen Tafilet,
Gouraca, Touat, die Marokko an Frankreich hatte
abtreten müssen, überschwemmten schon flüchtige
Reiterwolken ritterlicher Wüstenräuber, die beson-
ders im Kopfabschneiden eine von den Vätern
vererbte und pietätvoll gepflegte Virtuosität ent-
wickelten. Die spanischen Hilfstruppen erlitten am
18. Juni eine greuliche Niederlage, kaum hielt sich
Tanger selbst gegen Überfall, nur mit Hilfe des
grossen Panzerkreuzers ,Guichen' (8000 Tonnen.
25 000 Pferdekraft), der als Schildwache die Meer>
enge abfuhr. Am 21. kehrte das Algerische Korps
in abgerissenem, zerfetztem Zustand nach Constan-
tine heim, um wenigstens Algier selbst zu retten.
Mittlerweile flackerte der Aufstand der Islamiten
weiter. Aus dem Sudan erhob sich ein neuer Mahdi
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wie ein Samum, der alle Oasen verschüttet. Die
Bahn in Biskra musste verlassen werden, in Tunis
und Tripolis gab es nächtliche Massacres, wobei
viele Europäer unter Lanzen, Dolchen und Flinten
der Araber fielen. Überall predigten die Mullahs
vom Minarett den heiligen Krieg, bald blieben die
Städte Tunis, Biserta, Tripolis die letzten Bollwerke
der europäischen Herrschaft. Jetzt ging es auch
den Briten ans Leder. Aus dem Niltal stiegen mäch-
tige Schlachthaufen von Arabern und Negern herauf,
brachen in Nubien ein und schnitten Kartum zu
Lande und Wasser ab. Die kleine britische Be-
satzung wehrte sich auch dann noch bis ziun letzten
Mann, als die angewori>enen Sudanesen zum Feinde
übergingen. Bei Assuan kam es zu einem Treffen,
ruhmvoll für britische Eichenstärke, wo britische
Vierecke den AnpraU rasender Fanatiker abschlugen,
sich aber längs der Bahnstrecke nach Ägypten retten
mussten, weil man ihnen das Trinkwasser der
Brunnen zu verschütten drohte. Nildampfer mit briti-
schen Sportsmen und Touristen, die zu den Vic-
toriafällen reisen wollten, mussten halbwegs ange-
halten werden und gelangten nur unter grosser Müh-
seligkeit, auf beiden Ufern von wüsten Schwärmen
imter Kugel-, Pfeil- und Lanzenhagel begleitet und
nächtlich von bewaffneten Barken halb geentert, nach
Oberägypten zurück. Bald schwemmten entfesselte
Horden auch dort den Widerstand weg. Dturch die
Ruinen der alten Totenstädte von Luxor trabten Bar-
baren, vom schwärzesten Afrika ausgespien. Und
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nun kam die bitterste Gefahr. Denn die türkischen
Regulären, vereint mit beutegierigen Beduinen-
haufen, marschierten ohne weiteres in Ägypten ein.
Lord Cromer lieferte zwar am 28. Juni in der Ge-
gend des alten Pelusium eine Schlacht, worin er den
Türken Respekt vor den nordischen Herrenmenschea
lehrte, doch die wachsende Übermacht wurde zu
gross. Der Suezkanal musste geräumt werden, nur
das Erscheinen der Panzer „Empress'*, „Implacable'\
„Revenge**, „Berwick*', „Bulwark" vor Port Said
und Alexandria schirmte diese wichtigsten Verkehrs-
punkte. Eine Mitte Juni aus England hergeschaffte
Division, meist Militia und Volunteers, vermochte
den Fall von Kairo nicht aufzuhalten, wo ein grau-
samer Aufstand der Fellachen sich an den britischen
Zwingherren rächte. Der einziehende türkische
Pascha geriet zwar mit dem Mahdi in Zwist, der
gleichfalls Ägypten für sich beanspruchte und alle
Ungläubigen nüt der Schärfe des Schwertes vertilgen
wollte. Aber der gemeinsame Hass wider die Euro-
päer hielt sie beisammen und trieb sie vorwärts
zur Berennung von Alexandria, die jedoch am 3. Juli
unterm Feuer der englischen Linienschiffe xer-
scheUte. Die Panzerkreuzer „Suffolk" und „Le-
viathan" (von der sogenannten „Kent"-Klasse) hielten
den Suezkanal frei und säuberten die Ufer, mussten
aber später zum Schutz von Kassala abdampfen,
gegen welche britische Kolonie ein neuer furcht-
barer Gegner pochte. Menelik stieg von seinen Ber-
gen herab, liess den Engländern und Italienern durch
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seinen Minister Ilg sagen, er sei ein Verbündeter
des deutschen Kaisers, mit dem er in besten Be-
ziehungen stehe, und bitte sich schleuniges Verlassen
des ihm von Rechts wegen gehörenden Territoriums
aus. So kam er der ihm von England für später
zugedachten Expedition zuvor. Ras Alula drängte
die italienischen Truppen mit riesiger Übermacht
nach Massauah hinein, das sich jedoch halten konnte,
obschon diesmal sämtliche Ascaris zu denAbessiniem
überliefen, wie nach und nach alle Sudanesen und
Fellah-Bataillone den Briten Gehorsam aufkündigten
und ihre von England gelieferten Waffen gegen
ihre britischen Offiziere kehrten. So konnten sich
England und Frankreich überlegen, was es hiess,
einen Weltbrand anzünden und sich einbilden, er
werde sie selbst verschonen. Nachdem gemeinsam
britische und französische Garnisonen den Kongo-
staat überfielen, trieb eine aus Zentralafrika auf-
schäumende Springflut der Niggerstänmie sie selbst
hinaus der Küste zu. — — — — — -»- —
Auf der langen Nordostfront Frankreichs von
Seille und Meurthe bis Scheide und Sambre ver-
strichen zehn Tage in völliger Untätigkeit. Zweifel-
los hätte ein Vorstoss aus Flandern noch am 1. Juni,
wo man mit drei frischen Divisionen der aktiven und
vier der Territorialarmee dazu imstande gewesen
wäre, die Sphäre des westfälischen Korps gestört
und Durchführung der Militärorganisation in den
Niederlanden gehemmt. Doch man erfuhr zu spät
die Volksaufstände gegen die Wehrpflicht, wollte
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überhaupt volle Defensive bewahren, weil man über
deutsche Absichten im unklaren blieb und die bri-
tischen Niederlagen zu abschreckend wirkten. Nach-
richten von britischen Seeerfolgen, die später ein-
trafen, hoben zwar die Zuversicht, doch besann sich
die französische Kavallerie erst langsam auf ihre
Pflicht, jene sdt dem 26. Mai keck südlich der
Sambre streifende deutsche Reiterei zu vertreiben.
Dies geschah durch 21. Dragons, 13. Curassiers,
die Vorbewegung stockte aber gleich wieder. Bis die
volle Mobilisierung ausgereift, sollte nichts gewzgt,
überhaupt der deutsche Angriff innerhalb der
Sperrfortlinien von Dünkirchen bis Toul abgewar-
tet werden. Sei dieser abgeschlagen, hatten die
Deutschen sich die Köpfe blutig gerannt, solle der
Gegenstoss eintreten. Eine Diversion zugrmsten der
Belfortarmee schien unnütz, da die räumliche £nt-
femung leinen richtigen Überblick der Lag^e ver-
bot. Geradeaus gegen Metz würde jede Offoisive
ja doch zum Stehen kommen. Die Rechte der Nord-
armee tastete aus Carignan mehrmals imsicher hin
und her, was zu kleineren Zusammenstössen mit dem
11. Korps und der Darmstädter Division fährte. An
der nördlichen Maas alles stül. Die bei M^-
zihres stehenden Geschlagenen von Fleurus, durch
ein neues Chasseurbataillon „1 bis** aus dessen Depot
Troyes und noch fehlende Batterien ergänzt, rührten
sich nicht vor dem rheinischen Kori>s. Anfangs
hatte nur die sogenannte „Ostarmee" (1., 2., 6., 7.,
20. Korps) ihre Mobilisierung ganz vollendet, wäh-
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rend der jetzigen Südarmee bei ihrer überstürzten
Invasion noch manche nötigen Bestandteile man-
gelten. Jetzt befanden sich jedoch die Korps von
Rennes, Le Mans, Ronen in komplettem Zustand im
Norden und auch die Korps von Toulouse, Limo-
ges, Bordeaux auf dem Transport nach Rheims.
Deutscherseits war bei Metz auch das Pommer-
sehe Korps der zweiten Staffel eingetroffen. Eine hes-
sische Landwehrdivision erschien in Luxemburg und
übernahm beim allgemeinen Vormarsch die Zer-
nierung von Montm^dy und Bewachung der Mosel-
gegend. Die deutsche Mittelarmee zählte jetzt fünf-
zehn Infanterie-, fünf Kavalleriedivisionen, die fran-
zösische neun aktive, acht territoriale Divisionen
nebst zwölf Reiterbrigaden, dahinter fünf aktive Di-
visionen zweiter Staffel. Im Norden hatten die Fran-
zosen von Lille bis Carignan zwölf aktive, sechs
territoriale Divisionen nebst zehn Reiterbrigaden,
wobc^i jedoch zu bemerken, dass alle Territorial-
truppen nicht in etatmässiger Stärke zur Stelle waren.
Dagegen hatten die Deutschen dort siebzehn xmd
fernere drei aus Belgien nachrückende Infanterie-,
elf Reiterbrigaden, dazu sechzehn belgisch-hollän-
dische nebst sechs Reiterbrigaden. Der letzteren
soldatische Minderwertigkeit Hess sich nicht leugnen,
ward aber viel zu niedrig angeschlagen, man vergass,
wie brav die Holländer in Garde und Linie Napo-
leons sich schlugen, wie damals Belgier zu Fuss und
zu Pferd ihren französischen Kameraden nicht nach-
standen, sogar die eingestellten Nationalgarden der
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Departements Scheide und Jemappes bei Lützen und
Leipzig sich hervortaten, dass nur englische Prahl-
und Selbstsucht das angebliche Fliehen der Belgier
bei Waterloo erfunden hat.
Es war also töricht, dass man französischer-
seits diese Bundesvölker als ganz unebenbürtig be-
trachtete und dabei übersah, dass man bereits, um
den deutschen Massen die Spitze zu bieten, sechs
Territorialkorps zweiten Aufgebots ins Feld stellte,
während die Deutschen ausser ihren „vierten" Re-
servebataillonen nur Truppen erster Klasse in der
Schlachtlinie hatten. Da bei den deutschen Kavalle-
riedivisionen die Korpskavallerien nicht mitgezählt,
besassen sie auch bei der Mittelarmee ein Überge-
wicht an Reiterei, das freilich für das bevorstehende
Ringen um Befestigungen nicht ins Gewicht fiel
dafür aber einen stärkeren Aufklärungsschleier
vor den Heeresbewegungen gestattete. Ausserdem
waren die deutschen Divisionen wegen ihrer vierten
Bataillone und der stärkeren Formation der Ba-
taillonskörper den französischen durchschnittlich um
dreitausend Mann überlegen. Die Ausstattung an
Geschütz war ungefähr gleich, das französische Mate-
rial besser, die Unterstützung durch schwere Ge-
schütze der Sperrforts gesichert, zu deren Bekämp-
fimg auch schwerkalibriges Geschütz aus Metz vor-
wärtsgeschafft wurde. Die Gewehrqualität war eher
etwas besser auf deutscher Seite. Es standen im
Zentrum ungefähr 250 000 deutsche Streitbare (ohne
Artillerie und Train) gegen 200 000 französische mit
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einer Reserve von 60 000 Mann, also vollkommen
gleiche Kräfte, dagegen im Norden 200 000 französi-
sche gegen 125 000 deutsche nebst ferneren 20 000
Reserve via Antwerpen und 100000 belgisch-hollän-
dische Streitbare.
Die schwierige Ernährung so grosser Massen
drängte nun beiderseits endlich zu entscheidender
Aktion. Am 6. Juni hatte das beiderseitige Beob-
achten ein Ende, und es erhob sich ein langes blu-
tiges Ringen auf der ganzen Linie. Es fiel dabei
der bisher schon so bewährten deutschen Nord-
armee die Aufgabe zu, die französische Zentralstel-
lung bei Rheims durch allmählichen Druck auf
Laon zu umfassen, indes die Mittelarmee erst die
Maaslinie frontal überwältigen und bei Verdun durch-
brechen musste.
Etwa am 8. Juni war auch die Südarmee mit
notwendigen Truppenauseinanderziehungen so weit
fertig, dass der Angriff auf die gewaltige Belfort-
stellung beginnen konnte, wo vorerst nur 170 000
Franzosen gegen 250000 Verbündete standen, bei-
derseitige Verluste abgezogen. Es überschritten hier-
bei die Badenser und Württemberger den Rhein bei
Kehl, worauf die beiden Divisionen Langres und
Epinal, die Zemierung Strassburgs aufgebend, den
Abmarsch in die Vogesen antraten. Das Elsass zu
säubern war an sich verlockend, doch hätte man
ein Nachstossen über die Vogesen gern für Her-
anziehung aller Kräfte gegen Beifort geopfert, wenn
nicht strategisch in Betracht kam, dass ein Forcieren
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der unteren Maaslinie die Verbindung zwischen der
feindlichen Mittel- und Südarmee zerschnitt und da-
her letztere nach Einnahme der BelfortsteUun^r vom
Innern Frankreichs zum Rhonegebiet abdrängen
konnte. Auch mochte ein Hineinstossen über die
Maas die weiteren Truppentransporte nach Rheims
stören und zu weitem Ausbiegen über Paris ver-
anlassen. Schon befanden sich hier eine starke Elite-
division algerischer Tirailleurs und Zuaven nebst
berittenen ,Goums' und »Zephirs' und zwei Briga-
den Chasseurs d'Afrique und Spahis aus Marseille
unterwegs, die man trotz des marokkanischen Kriegs
aus Algier herbeizog, um sich dieser auserlesenen
Mannschaft nicht für den Entscheidungspunkt zu
berauben. Diese Truppen schlössen sich nachher
dem Korps von Orleans an und erreichten mit ihm
zusammen Rheims am 17. Juni, verbunden mit zwei-
Territorialdivisionen des Departements Hautes-Pyre^
n^es, der Cevennen und des französischen Navarra,
die als trotzige Montagnards besondere soldatische
Eigenschaften aufwiesen. Für die Südarmee war
eine aus aktivem und territorialem Aufgebot ge-
mischte Korsendivision im Marsche, die aus Pono
Vecchio übergeführt und mit einer ähnlich gemisch-
ten Division Savoyer und einar Division Bouches-du-
Rhöne vereint wurde. Dagegen sah man sich bald ge-
nötigt, eine Menge Territorialtruppen der Regio-
nen Toulouse, Lyon, Marseille, gemischt mit an-
deren Depotcadres Provence und Dauphin^, nach
Algier überzuschiffen, wo das 19. Korps mit seinen
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andern dort stationierten Hilfstruppen und den
Garnisonen von Biserta und Tunis für die afrikani-
schen Angelegenheiten nicht mehr ausreichte.
Frankreich war hiermit schon ziemlich an der
Grenze seiner Leistungsfähigkeit angekommen, da die
weiter auszuhebende Million Ersatzreserven schon be-
denklich dem glich, was man in Deutschland Land-
sturm oder Ersatzreserve IL Klasse nennen würde. Zur
Besetzung der Pariser Forts standen zwei Terri-
torialkorps in Reserve, zwei weitere bretonische sam-
melten sich an der Loire. In Morbihan, Beauce,
C6te d'Or und Puy de D6me erstanden grosse La-
ger für Mobilgarden, deren Ausrüstung man fie-
berhaft betrieb. Von seinen achtunddreissig akti*
ven Divisionen hatte Frankreich schon alle und
die afrikanische Elitedivision ia Bewegung, von eben-
soviel territorialen schon neunzehn am Feinde, sieben
eingereiht in Reserve, den Rest in Ausrüstung,
während deutscherseits nur zwei Landwehrdivisionen
in Holland, eine vor Montm^dy und zwei süddeut-
sche, die Mitte Juni ins Elsass nachrückten, das
Kriegstheater betraten. Da man jedoch an der Nord-
imd Ostseeküste sowie als Ersatz der als letzte
aktive Reserve von der russischen Grenze nach
Metz abgehenden drei Divisionen im ganzen fer-
nere zehn Reservelandwehrdivisionen unter Waffen
hielt, betrug die Zahl der deutscherseits im Feld
beteiligten Streitbaren schon rund eine Million, mit
Garde und 9. Korps und drei aktiven Divisionen an
der Ostgrenze und drei noch in Holland-Belgien
— 204 —
stehenden Aktivbrigaden über anderthalb Millionen,
Artillerie und Train inbegriffen. Französischerscits
nicht weniger. Die phantastischen Ziffern, mit de-
nen man theoretisch sonst um sich warf, wonach
beide Parteien etwa sieben Millionen unter Waf-
fen halten könnten, konnte man im Ernstfall kaum
aufrechterhalten. Derlei kam nur in Betracht, wenn
man nach Vernichtung ganzer Armeen im eigenen
Lande die ausgemusterte Ersatzreserve II. Klasse
und teilweise Landsturm bewaffnete. Auf dem Pa-
pier hatte Frankreich unter Gambettas Diktatur zwar
übei drei Millionen unter Waffen, aber dabei alle
Nationalgarden inbegriffen und unter Ausrüstungs-
beihilfe von England und Amerika, was heut weg-
fiel, da Englands Werkstätten jetzt für eigene Sache
tätig und Amerika desgleichen. Mehr als achthun-
derttausend wirkliche Feldtruppen, trotz der angeb-
lich allein sechshunderttausend Bewaffneten in Pa-
ris, brachte Frankreich auch damals mit Levde ec
masse nicht auf. Die Ernährung so ung^eheurer
Armeen, wie sie jetzt im Felde standen, durch
dreihunderttausend Niederländer, Schweizer, Öster-
reicher — später noch mehr — auf den JFlankec
vermehrt, fiel aber wegen der seither so mächtig
angewachsenen Bevölkerung noch schwerer als frü-
her^ wollte man nicht der Zivilbevölkerung über
Gebühr Nahrungsmittel entziehen. Handel und Wan-
del stockte ohnehin genug, weitere Aushebimg aUer
Männer musste zu gänzlicher Aufhebung des Er-
werbslebens auf unbestimmte Frist führen. Und
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während allerdings Besitzergreifung des reichen Bei
^ien und Holland bedeutende Hilfsquellen erschloss,
auch die früher für »Krieg auf zwei Fronten* ge-
fürchtete Absperrung nach Osten nicht vorlag und
Südrussland wie Ungarn grosse Getreidelieferungen
beistellte, machte sich die Blockade der deutschen
Küste, die völlige Unterbindung des Seehandels,
doch bald fühlbar. Alle Lebensmittel in Deutsch-
land schlugen auf, die unteren Volksklassen litten
stark» trotz aller Fürsorge und peinlicher Genauig-
keit der Verwaltung drohte an mehreren Punkten
förmliche Hungersnot. Diese Krisis nahm freilich
erst seit 1. Juli ihren Anfang, aber sie drückte
dann genug auf die EntSchliessungen an höchster
Stelle. Erst um diese Zeit begannen auch sogenannte
Hungerrevolten und kleine sozialistische Putsche, die
freilich um so weniger Gefahr brachten, als die
wehrfähige Arbeiterschaft sich zu zwei Dritteln in
Reih imd Glied befand, aber allerlei lichtscheuem
Gesindel den Vorwand zu Gewalttätigkeiten boten.
Strengste Repressalien der Behörden schreckten zwar
ab, immerhin blieb der Notstand im Lande eine
Tatsache.
In Frankreich, das sich angeblich „aus sich
selbst ernähren kann** und ein Drittel weniger hun-
grige Mäuler zu speisen hat, quälte die Magenfrage
etwas weniger, zumal Amerika zwar Ausfuhrverbot
für alle Heeresgegenstände erliess, aber Cerealien
und Konserven nicht als Kriegskontrebande be-
trachtete. Da aber England, das Zufuhr so viel
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nötiger hatte, auch viel besser bezahlte, floss all-
mählich nur ein Zehntel amerikanischer Sendungen
nach Brest, alles übrige nach Liverpool ab. Femer
stellte schon Ende Juni die Dampferlinie Algier-
Marseille ihre gewöhnliche erspriessliche Tätigkeit
für die Pariser Markthallen ein, da die überraschende
Ausdehnung des Aufruhrgebiets in Afrika den Kreis
der Lebensmitteldarbietung immer mehr verengte,
zudem die dortigen französischen Truppen selber
starke Bedürfnisse hatten, die natürlich an Ort und
Stelle allem vorgingen und aus Spanien und Portugal,
die durch Ausbleiben des gewöhnlichen Imports aus
Frankreich und England gleichfalls litten, nicht ge-
deckt werden konnten. So wuchs die Unzufrieden-
heit auch in Frankreich, die Anti-Militaristen und
gewerbsmässigen Sans-Patrie erhoben ihr Haupt, in
Creuzot und St. Etienne bemächtigten sich Sozialisten
und Anarchisten vorübergehend der Eisenwerke und
der Munizipalgewalt, die Arsenal- und Hafenarbeiter
der grossen Küstenstädte forderten höhere Löhne
und drohten mit Gewaltstreik, wenn man nicht alle
Forderungen bewillige, im üandrischen Grubengebiet
und Rochefort gab es allerlei heissblütige Tumulte,
wobei die Befestigungswerke der Insel d'Aix einmal
beinahe von Anarchisten in die Luft gespren^^t wur-
den. In Nizza und Mentone jammerte man Stein und
Bein über Ausbleiben der Fremden, die Spielbank in
Monte Carlo drohte ihre Zahlungen einzustellen,
nachdem Frankreich das Fürstentümchen nüt riesi-
ger Kontribution belastet.
207
In Italien, das politisch schwere Sorgen hatte,
gresellte sich ebenfalls die ökonomische Not hinzu.
Der Export beschränkte sich auf Frankreich, der
Import blieb ganz aus, die liederliche Kriegsadmini-
stration frass Unsummen, die Finanzen gerieten nach
einem Monat in solche Unordnung, dass das ohnehin
schon so masslos mit Steuern geplagte Volk noch
eine ausserordentliche Kriegssteuer bezahlen sollte.
Die Eintreibung dieser ausgeschriebenen Taxe führte
in Sizilien, Bari, Forli, Reggio, Amalfi zu blutigen
Unruhen, wobei Maffia imd Camorra ihren Schnitt
machten. In der Romagna gab es anarchistische
Attentate und Überfälle, die sogar den Transportde-
pots für Albanien und Istrien, Ravenna und Ankona,
irefährlich wurden. Die süditalischen Armeekorps
wurden durch all solche Störungen paralysiert, und
obendrein musste man noch der Kolonie Eritrea
massenhaft aushelfen, sobald diese in harte Bedräng-
nis geriet. Der wandelbare Sinn der Italiener schrie
Ende Juni schon nach Frieden.
In Spanien wurde das Stocken des Weltverkehrs
übel empfunden. Die Kaufleute besonders in Malaga
beschwerten sich über den Ausfall des einträgUchen
Handels mit Deutschland, für sie war Hamburg
mindestens so wertvoll wie London. Die spanische
unabhängige Presse beklagte schon während der
Konferenz von Algesiras, dass man Frankreichs Ge-
schäfte auf Kosten spänischer alter Prärogative in
Tanger besorge und die Regierung durch dick imd
dünn mit den Westmächten gehe, obschon Deutsch-
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lands Standpunkt der einzige für Spanien erfreuliche
sei. Aus Rücksicht auf des jungen Königs englische
Ehe hatte man den beweglichen Vorstellungen Ge-
hör geschenkt, Spaniens Finanzen gestatteten nicht
tätige Teilnahme und Parteiergreifen im Weltkrieg.
Bald forderte aber Frankreich in arrogantem Ton
mehr Truppenaufwand gegen Marokko, wozu sich
ja Spanien verpflichtet habe. Auch hierin zeigte
König Alfonso, der ganz und gar im britisch-
französischen Fahrwasser segelte, sich gehorsam
und willfährig. Aber als nun in Marokko die
spanischen Hilfstruppen furchtbar zugerichtet, gjng
das Murren der Spanier in offene Auflehnung
über. In Barcelona und dem alten Anarchistennest
Carthagena kam es zu offener Empörung gegen die
bewaffnete Macht. In naiver Unkenntnis der po-
litischen Ohnmacht Spaniens, im Aberglauben an
Spaniens Grösse erzogen, wollte es der Bevölkerung
durchaus nicht in den Kopf, dass man willenlos
zu jedem Machtgebot aus London und Paris Ja und
Amen sagen müsse. Drohende Leitartikel von Pariser
Nationalistenblättern, dass man Spaniens Armee
als Reserve der französischen nördlich der Pyrenäen
bedürfe, gössen Öl ins Feuer. Und endlich kam
ein ,Untoward Event', wie die Briten es so passend
nennen, das von weittragendsten Folgen werden
sollte. Seinem alten gedeihlichen Grundsatz gemäss,
dass England, wenn die Kontinentalmächte sich auf
dem Festland rauften, irgendwo bei Neutralen, wenn
nicht beim Feinde, sich gute Beute als ^Kompensation*
— 209 —
seiner Kriegskosten holen solle, spähte die Meerbe-
herrscherin umher, wo es etwas zu rabuschern gebe.
Mit Gibraltar und Malta hatte es früher die ein-
zigen Schlüssel des Mittelmeerbeckens, seither wuchs
aber Biserta zu gleicher Bedeutung empor. Schade,
dass man die Gelegenheit nicht benutzen konnte,
es durch Überfall dem französischen Verbündeten
abzugaunern! Doch da war ja noch ein anderer
Punkt von eminenter Wichtigkeit für Flottenstrategie,
eine in englischen Händen uneinnehmbare Station,
von der man gleichzeitig Barcelona und Toulon unter
den drohenden Schatten des Union Jack bringen
konnte: Fort Mahon auf den Balearen. Schon ein-
mal hatte England dort im achtzehnten Jahrhundert
seine Flagge gehisst, ein britisches Regiment prunkte
mit Ruhmannalen seiner Verteidigung von Majorca
und Minorca. Das damals wieder Verlorene jetzt
wieder einzubringen, schien an der Zeit. Seinem
edeln System getreu, telegraphierte das Foreign Of-
fice ans Blockadegeschwader von Konstantinopel,
es solle unverzüglich in See stechen und in Höhe
von Ajaccio den versiegelten Befehl eines entgegen-
gesandten Schnelldampfers einnehmen. Gleichzeitig
lief eine Transportflotte von Gibraltar aus, wohin
man schon zuvor vier Regimenter geschickt hatte,
angeblich um die Garnison zu verstärken. Dies schien
mit Bedrohung Tangers zusammenzuhängen und er-
regte daher kein besonderes Aufsehen. Auffällig
wurde erst, dass diese Transportflotte nach Norden
abfuhr. Unterwegs mit dem Panzergeschwader ver-.
Völker Europas . . . ! I4
— 210 —
einigt, stiegen die britschen Landtruppen sofort auf
den Balearen ans Land, ohne sich um erstaunte
Fragen der Inselbehörden zu künunem, das Ge>
schwader forderte Fort Mahon zur Übergrabe auf
und zwang das ganz vernachlässigte Felsnest nach
wenigen Salven, die Flagge zu streichen. Die Ba-
learen gehörten den Briten, ehe noch die ersteo
Depeschen des Inselgouvemeurs nach Barcelona,
ob sich denn Spanien über Nacht im Kriegrszustand
mit England befinde, eine Antwort erhielten. Denn
gleich nachher wurde der dortige Kabeldraht mit
dem Festland sowie ein Apparat drahtloser Tde-
graphie vorsorglich vom Eroberer unbrauchbar ge-
macht. Eine Note des britischen Gesandten in
Madrid notifizierte, dass die feindliche Stinomung
der sx)anischen Bevölkerung, mit wachsender Be
sorgnis und befremdender Trauer in London beob-
achtet, leider diese Vorsichtsmassregel nödg mache,
*
um Spanien in wohlwollender Neutralität zu halten
und sich eventuell der jetzt nötig werdenden wirk-
lichen Bimdeshilfe zu versichern. Dem wild in Spa-
nien aufbrausenden Sturm konnte der König nicht
widerstehen, wenn er nicht Anarchie hervorrufen
wollte. Mit knapper Not entrannen der britische
Gesandte und Generalkonsul in Madrid einem Lynch-
gericht der rasenden Volksmenge, an anderen Orten
wurden die Konsuln misshandelt, mehrere Eng-
länder und auch Franzosen niedergestochen. Ge-
nugtuung musste der König verweigern. Dies war
der Krieg.
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England rechnete damit. Die auf der Reede von
Ferrol liegende schwache spanische Marine sah sich
zi^ei Tage später von einem, aus der nicht mehr
in voller Stärke benötigten Kanalflotte und zweiten
Reserveeskadre imter Admiral Sir Wilson vorsorglich
zusammengesetzten, fliegenden Geschwader über-
fallen und von Gnmd aus zerstört. Spanien konnte
sich nicht anders rächen, als dass es Frankteich
verantwortlich machte und einerseits an den Pyrenäen
mobilisierte, was die Franzosen zwang, alle nach
dem Osten von dort in Marsch gesetzten Truppen-
transporte anzuhalten, andrerseits dem Sultan von
Marokko spornstreichs mitteilte, dass es jede Feind-
seligkeit gegen ihn einstelle und gemeinsame Sache
gegen die Franzosen machen wolle. Dieser Zustand
der Dinge am 2. Juli kam allerdings erst am 6. zu
deutschen Ohren, da Spanien selbst von jeder Kom-
munizierung mit Europa abgeschnitten: nämlich aus
Marokko die afrikanische Küste entlang nach Kairo
und von dort via Konstantinopel. Mittlerweile hatte
Kaiser Wilhelm aber schon eine merkwürdige un-
klare Haltung zweier ohne ersichtlichen Grund unter
einem Vorwand vor ihtn erscheinender französischer
Parlamentäre wahrgenommen. Und hiermit trat die
überraschendste Wendung des Weltkriegs ein. —
Die bayrische Armee hatte in der Gegend von
Kolmar, die österreichische (vorerst nur drei Korps)
bei Hüningen, die schweizerische bei Basel den
Rhein überschritten. Da das uneinnehmbare Bei-
fort mit seinen weittragenden Kanonen die französi-
14*
212
sehe Linke deckte, schienen General Deckherr's 13.
14. 41. Division genügend, um sich in Festung und
Sperrforts gegen neun bayrische zu halten. Das
übrige Heer bedeckte in festen, verschanzten Linien
beide Ufer der Lisaine, ihr erstes Treffen auf der
einstigen Stellung Werders, nur weiter nach rechts
verlängert und nach Nordosten gekehrt, das zweite
auf den Waldbergen, von denen Bourbaki nieder-
stieg. Da zahlreiche Übergänge beide ' Ufer ver-
banden, konnte man nach Verlust der ersten Stel-
lung zwanglos die zweite besetzen. Am 8. Juni er-
hob sich riesige Kanonade auf der ganzen Front,
da man deutscherseits ausser den Haubitzen der
Feldbatterien alles mögliche Wurfgeschütz aus den
Elsässer Festungen und Landau herbeiführte, um
die Sperrforts zum Schweigen zu bringen. Unter
beiderseitigen schweren Verlusten an Menschen und
Material, natürlich grösserem auf Seite des minder
gedeckten Angreifers, donnerte dies Ungewiiter bis
tief in die Nacht. Am anderen Morgen meldeten
jedoch die Fesselballons der Verbündeten, dass die
Forts sehr bedeutend beschädigt seien imd offenbar
tiefe Bresche klaffte. Das als Zitadelle ausg^ebaute
Schloss Montbeliard stand in Flanunen, die blutrot
durch die Nacht leuchteten und auch den Frühnebel
der Flussufer mit Reflexen färbten. Beifort selbst
litt wenig, an seinen Felsbastionen prallten Mörser-
bomben ab oder brachten das Gestein nur zum
Bröckeln. Dass man hier nur durch Umfassung
der französischen Stellung Herr werden könne, lag
— 213 —
auf der Hand. Generalinspekteur Prinz Arnulf schob
daher während des Tages die bayrische Armee
immer mehr rechts südwestlich an Beifort vorbei,
wobei die Kanonen des Waffenlagers diesen Vor-
beimarsch zwar in weiter Femzone auf acht Kilo-
meter belästigen, aber die Schwäche der Besatzung
g^egen solche Übermacht einen Offensivausfall zur
Störung der Bewegung verbot. Die bayrischen
Ingenieure hoben seit dem 9. früh Trancheen vor
Fort Salbert, Bessoncourt, Roppe aus, Batterien
und Truppen gruben sich so gut wie möglich ein.
Man konnte hier mit keinem Sturmangriff Über-
raschung erzielen, nur langwierige förmliche Be-
lagerung mit Laufgräben fruchtete. Am 10. stand
das 1. (20. deutsche) bayrische Korps schon im
Rücken von Beifort und griff weiter aus, die franzö-
sische Vorderstellung bei Chenebier und schon die
Flanke der zweiten Linie am südlichen Lisaineufer
bedrohend. Vorerst freilich nur platonisch, denn
das. heftige dorthin gerichtete Rückenfeuer der
Festung bannte jede unmittelbare Annäherung in
ehrfürchtige Feme. Man setzte daher den Flanken-
marsch noch weiter fort. Am 11. stand schon das
3. (22. deutsche) bayrische Korps am vorherigen
Aufmarschpunkt des l.^das seinerseits nachmittags
in weitem Bogen die zweite französische Linie um-
f asste und aufs heftigste angriff. . Der französische
Armeekommandant bildete zwar eine starke Haken-
flanke, indem er immer mehr Brigaden des zweiten
Treffens nach links abmarschieren und herum-
— 214 —
schwenken liess, entblösste aber so seine erste Linie
jenseits der Lisaine von nötigen Reserven. Heut
fiel General Pau, Kommandant von Beifort
aus, behelligte . das 3. und warf anfangs das
frontal verbliebene 2. (21. deutsche) Korps zurück,
viele Laufgräben zerstörend. Nach überaus blutigem
Ringen musste er aber über Les Perches ins Lager
zurück. Inzwischen hatten am 9. wiederholte glän-
zende Sturmläufe der Österreicher gegen das feind-
liche Zentrum nur wenig Terrain gewonnen und
schwere Opfer gekostet, doch wütete auch ihr vor-
treffliches Geschützfeuer in den französischen Reihen.
Dagegen machten die Schweizer auf der linken
Flanke der Verbündeten in Richtung auf Moni-
b^liard gute Fortschritte, und trotz der beklemmen-
den Enge des Raums zwischen Beifort und Basel
welche dem Schlachtaufnuursch besondere Schwie-
rigkeiten bereitete und zu ünzweckipässiger tiefer
Massierung zwang, gelang es am 10., sich breiter
zu entfalten, indem die Schweizer senkrecht zur fran-
zösischen rechten Flanke einschwenkten. Ein star-
kes Landwehraufgebot der Kantone Bern tmd Basel-
land hatte inzwischen die als Flankenschutz immer
noch die Jurapässe haltenden Alpinbataillone und
Franctireiurs seit zwei Tagen angegriffen und mit un-
widerstehlicher zäher Tapferkeit, wobei auch eine
Guidenschwadron mit Maxims auf halsbrecherischem
Pfad sich auszeichnete, die Känune erstiegen. Dem
Armeekorps des Oberst Wille sich anschliessend,
drängten diese Kräfte nun schon am IL gegen die
— 215 —
lange Etappenlinie des Feindes im Ognonstal, wo
infolge der Bahnverhältnisse die Zufuhrbasis pa-
rallel zur französischen rechten Flanke lief. Zum
Schutz der aufgestapelten Materialbahnzüge musste
daher auch dort eine möglichst starke Hakenflanke
gebildet werden, die freilich im tiefeingeschnittenen
Doubstal gute Stellung fand und sich am ganzen
Tag behauptete. Gleichwohl war mit dieser Um-
fassung beider Flanken der zweiten Linie die Sache
entschieden. Die erste, von allen Reserven entblösste
Stellung konnte tmmöglich langer gehalten werden,
wollte man sich nicht einer Katastrophe aussetzen.
Unter überaus furchtbarem Feuer vom Mont
Vaudois, das die vordringenden Österreicher in
Schach hielt, räumten die Franzosen das nördliche
Lisaineufer, was im wesentlichen ohne grosse
Einbusse gelang. Wenigstens erreichten die Oster-
reicher Chagny und das Ufer weiter abwärts erst,
als der Gegner schon jenseits hinterm Eisenbahn-
damm lag. Der k. k. Feldzeugmeister drängte hin-
£^egen nördlich von Montböliard, sobald die Massen-
batterie vom Mont Vaudois verschwand, so eifrig
nach, dass die Regimenter Deutschmeister und Kö-
nig der Belgier in das Städtchen gelangten, ehe noch
die Nachhut hier abzog. Von Südosten her durch
die Schweizer umzingelt, musste dieser Teil die Waf-
fen strecken. Dem erneuten Angriff des 1., 3. bay-
rischen Korps am 12. von Norden und Nordwesten
setzten die Franzosen keinen nachhaltigen Wider-
stand mehr entgegen, der Feind zog allmählich auf
— 216 —
Villersexel und Besangon ab, die drei Belfort-Di-
visionen ihrem Schicksal überlassend. Von wirk-
licher Niederlage konnte keine Rede sein, die Ver-
bündeten verloren in den fünf Schlachttag^en fünf-
undzwanzigtausend, die Franzosen einundzwanzig^u-
send Mann, wovon viertausend Gefangene. Das wohl
verproviantierte Waffenlager war ja stark genüge, sich
lange zu halten und zahlreiche deutsche Kräfte zu
beschäftigen. Am 13. begann Einschliessung des
Belfortrayons durchs 2., 3. bayrische Korps, Öster-
reicher und Schweizer folgten auf Besangon, wäh-
rend das 1. bayrische Korps den beschwerlichen
Marsch auf Langres antrat, um dortige Neuansamm-
lung von Territorialmassen an diesem geeigneten
Punkte zu stören. Die Badenser und Württemberger
erreichten, nach Wiederherstellung des halbge^
sprengten grossen Vogesentunnelf, die südliche Mosel-
strecke und erzwangen am 16. unter hefti^^en Ge-
fechten den Flussübergang hinter Remiremont. Ihre
Gegner, die beiden aus Elsass vertriebenen Divi-
sionen nebst ihren zahlreichen Freitruppen und
,Vogesen Jägern*, hatten wiederholt kehrtgemacht mid
sich brav entgegengestemmt. Doch der schwache
Kranz der Sperrforts an dieser Stelle bot dem Durch-
bruch keine besonderen Schwierigkeiten, sie zogen
sich langsam ins Innere Frankreichs zurück, Maas-
Depotpunkt Neufchateau und Marne nacheinander
räumend. In Montargis und Chatillon sur-Seine ent-
standen Freilager von Mobil- und Nationalgarden.
Der Kommandeur der französischen Südarmee
— 217 —
hatte in vollem Masse seine Schuldigkeit getan, als
er unter die Kanonen von Besangon zurückfiel und
sich auf Dijon basierte. Verbindung mit Nordfrank-
reich musste er aufgeben und sich auf Verteidigung
Burgunds beschränken. Verstärkungen über Lyon
trafen nicht sehr reichlich ein, aus früher ange-
gebenen Gründen. Die Operationen kamen jetzt
zum Stillstand. Nachhaltige Verfolgung blieb aus,
da die Schweizer mm genug getan zu haben glaub-
ten, was der Oberkommandant Oberst Bleuler un-
umwunden zu verstehen gab. Die Milizarmee hatte
sich besonderes Lob erworben, ihre Leistung war
musterhaft. Der österreichische Feldzeugmeister er-
wartete Eintreffen zweier anderer, bisher wegen
italienischen Feldzugs zurückgehaltener, jetzt frei-
gewordener Korps, um Operative über Nuits auf
Dijon zu veranlagen. Er hatte begreiflicherweise
kein rechtes Herz zu der Sache, die ja eigentlich
Osterreich selbst nichts anging, und gedachte seine
Truppen möglichst zu schonen. Die Verpflegung,
obscbon nun das von französischer Invasion aus-
gesogene Elsass wieder freistand, machte in diesen
rauhen steinigen Gegenden der Franche Comt^ und
Bourgogne, wo nur der Wein gedeiht, beiden Par-
teien Schwierigkeiten. So verging der Junimonat
ohne weitere Schläge, nur Vorpostengefechte und
Aufklärungstmtemehmungen hielten beide Gegner
etwas in Atem. Die Belfortdivisionen, die sich stets
hervorragend schlugen und am 11., 12. durch seit
wärtigen Vorstoss auch den Österreichern zu
— 218 —
schaffen machten, unterhielten eine tätige Vertei
digung, doch rückten die deutschen Laufgräben
näher, und eine Thüringer Landwehrdivision nebst
einer aus dem Elsass entsandten konnten den Stand
des 3. bayrischen Korps einnehmen» das jetzt von
Langres abwärts sich neben den Österreichern auf-
stellte. Wiederaufnahme der Operationen begann
schwach am 4. Juli, und dann traten Veränderungen
der politischen Lage ein, die allen weiteren Taten
ein Ende machten. —
Die süddeutsche Kavallerie überschwemmte
Lothringen, wo sie in Nancy schon preussischen
Ulanen die Hand reichte, streifte längs Maas und
Marne bis Chaumont, schnitt so die französische
Mittelarmee von Verbindimg mit dem Süden ab. Am
20. Juni unternahmen die Badenser und Württem*
berger einen Vorstoss auf Brienne, Troyes, Arcis snr
Aube, kombiniert mit der Riesenschlacht, die auf
der Linie Laon-Chalons im Gange war und sich bis
Vitry fortsetzte. Dies führte zu zwei sehr lebhaften
Treffen bei Guilloti^re und Bar am 21., 22., worin
die Franzosen, meist Territorialtruppen, zwar endlich
geschlagen wurden, aber dem Gegner grosse Ver-
luste zufügten und sich im Delta zwischen Seine und
Aube bei M^ry erneut setzten. Da aus Nogent
bedeutende Verstärkungen eintrafen, gingen die Süd
deutschen bis östlich von Troyes zurück. Auch hier
unterbrach eine bis Anfang Juli herrschende Waffen-
ruhe bald die Feindseligkeiten. —
Die Augen der ganzen Welt richteten sich im
— 219 —
Juni nach der nördlichen Maas, wo die Ent-
scheidungsschlacht des grossen Ringens der beiden
Kultumationen sich abspielen musste. Und hier hob
jener denkwürdige Kampf an, dessen Umfang die
Völkerschlacht von Leipzig und die Schlacht von
Mukden weit hinter sich licss. Die Verpflegungs-
frage legte beiden Teilen nahe, raschere Entschei-
dung zu suchen, infolgedessen die drei Korps und
zwei Territorialdivisionen der äussersten französi-
schen Linken sich gegen Belgien in Bewegung
setzten, um günstigenfalls eine Diversion gegen Ant-
werpen zu vollziehen. Umgekehrt hatte das belgisch-
holländische Heer, 7. Korps und 20. Division den
Auftrag, diese Streitmacht nach der Nordküste abzu-
drängen und am Eingreifen in die Entscheidungs-
kämpfe zwischen Aisnes imd Maas zu hindern. Auf
blitzschnellen Vormarsch der Deutschen überTour-
nay, unter Zurückwerfimg des normannischen Korps
und zahlreicher Reiterei am 7. und 8. Juni, fasste
die ,Armee von Flandern* bei St. Quentin Posto,
von wo man sowohl die Route nach Cambrai nord-
östlich als nach Laon südwestlich beherrscht.
Faidherbes altes Schlachtfeld war hier nach jeder
Himmelsgegend erweitert, wie es den grösseren
Massen entsprach, und der deutsche Angriff erfolgte
keineswegs wie .einst unter Goeben auf beiden Ufern
der Somme aus Westen und Südwesten, sondern
diesmal von Osten und Südosten. Da es der ober-
sten deutschen Heeresleitimg nicht darauf ankam,
die Franzosen von ihrem nördlichen Festungsvier-
— 220 —
eck und ihrer Küstenbasis abzudrängen, sondern
umgekehrt von ihrer Verbindung mit Südosten, lag
hier am 9. der Schwerpunkt des Angriffs. Wäh-
rend die belgische Armee nördlich gegen die Chaus-
see nach Cambrai auf Belle Eglise, die holländische
gegen den Bahnhof von St. Quentin ihre Angriffs-
richtung nahm, schwenkten die deutschen fünf Bri
gaden und Reitermassen so herum, dass sie S^rau-
court erreichten und von dort, wie in jener früheren
Schlacht, gegen Castres, Giffecourt, Grugy vordran
gen. Die Reiterei schwärmte weiter aus, aufs West-
ufer der Somme, und sperrte dort die Richtung
nach Laon. Da man französischerseits die deutsche
Absicht nicht erkannte, sondern dieser den Gesichts-
punkt beimass, den Gegner von Cambrai wegzu-
stossen, häufte sie im Nordosten ihre Hauptkräfte
an, die denn auch den Belgiern schwere Stunden
bereiteten und sie nachmittags gänzlich zurückwar-
fen. Der hoUändische Angriff auf St. Quentin schritt
auch nicht derart vor, um hier einen Erfolg erken-
nen zu lassen. Dagegen wurden die Franzosen im
Süden von Westfalen und Hannoveranern von Stel-
lung zu Stellung getrieben und gerieten nach Mittag
so in die Enge, dass die Stadt unhaltbar wurde.
Der gegnerische Führer ordnete daher Rückgang
in die Linie Savy-Selency-Francilly an, der aber
bereits längs des Sommekanals von Batterien deut-
scher Reiterei und zwei Jägerbataillonen flankiert
wurde.
Während die Holländer durch St. Quentin nach-
— 221 —
rückten, gelang es den deutschen Pionieren, so
schnell Sommeübergänge herzustellen, dass die
deutsche Heerabteilung südlich der Stadt aufs West-
ufer gelangte und dort die Flanke der neuen fran-
zösischen Stellung bei Roupy und Dallon anfiel.
Das Korps von Rennes leistete dort rühmlichen
Widerstand. Wieder trank das Savyholz, diesmal
von Südosten und nicht von Westen wie damals ange-
griffen, viel deutsches Blut. Wieder pfiffen aus der
dahinterliegenden Ziegelei, Runkelrübenhaufen und
Mergelgruben, unausgesetzt die Kugeln der Chas-
seurs. Wieder donnerten die französischen Schnell-
feuerbatterien von der Windmühlenhöhe sowie dem
Hohlweg bei Contimühle mit sehr viel stärkerer
Wirkung als an jenem Januartag des vorigen Jahr-
hunderts. Wieder taten es Territorialbatterien der
Regionen Arras und Dünkirchen den aktiven gleich,
wie damals. Da aber der französische Armee-
kommandant an seiner strategischen Vorstellung fest-
hielt, räumte er vor Nacht alle südlichen Punkte und
bezog mit einer Achtel-, dann Viertelschwenkung
eine ganz neue Front mit dem Rücken nach Norden,
wie früher nach Westen. Die siegreiche Linke dehnte
sich weit nordöstlich über die Cambrai-Chaussee aus,
das Zentrum blieb bei Francilly, die Rechte reckte
sich nach Westen in die Linie Pouilly-Vermand-
Caulaincourt. Die Verbündeten hatten hiermit ihren
strategischen Zweck erreicht-, die Chaussee nach
Laon völlig in Besitz genommen. Doch schien nötig,
den Feind noch weiter aus der südlichen Entschei-
— 222 —
dungssphäre zu entfernen, weshalb die deutsche Füh-
rung für den 10. folgende Disposition ausgab:
„Die belgische Armee erneuert ihren Schein-
angriff mit allem Nachdruck, die holländische ht-
obachtet nördlich imd westlich der Stadt eine zu-
wartende Haltung, die deutsche Heerabteilimg^ brei-
tet sich nach Westen aus und nimmt die Höhen
von Pouilly, das Kavalleriekorps beunruhi^rt weiter
nordwestlich, um den Feind für seine Verbindimg
mit Albert-Peronne-Bapaume besorgt zu machen/'
Die Folge dieser ebenso sinnreich-zweckmässigen
als einfachen Direktive blieb nicht aus. Zwar wurden
die Belgier erneut zurückgeschlagen, wobei sie Ge-
fangene und Geschütze verloren, die Holländer warf
ein gewaltiger Gegenstoss des Normannischen Korps
(Rouen) bis in die Vorstadt St. Martin hinein. Wäh-
rend aber die Franzosen hier aus hinhaltendem Ge-
fecht zum Angriff übergingen und die Pouilly- Wald-
schlucht ihrer Rechten für uneinnehmbar hielten,
brachen die Hannoveraner nachmittags den mann-
hafter Widerstand der Bretagner bei Caulaincourt
Das Schlösschen des weiland Grossstallmeisten
Napoleons sah hier blutige Szenen. Die nicht vollzählig
mit Rohrrücklaufgeschützen bewaffnete deutsche ver-
mochte freilich die französische Artillerie hinter der
Waldschlucht nicht niederzukämpfen. Doch gr^g^ii
Abend meldete der Ballon ein massenhaftes Zu-
rückgehen leerer Patronenwagen und Protzen auf der
Chaussee nach Albert, das feindlrche Geschütz- und
Gewehrfeuer ward zusehends schwächer, die Fran-
— 223 —
zosen verschossen sich wieder zu früh. Nunmehr
entwickelte sich die deutsche imix)nierende Reiter-
masse auf der Flankte in der Ebene, wohin auch
die holländischen Dragoner und Husaren abge-
zweigt, und schüchterte die französische schwächere
Kavallerie so ein, dass sie kampflos dem Zusammen-
stoss auswich. In den so lange fechtenden Reihen
des bretonischen Fussvolks zeigte sich infolge der
Wamungsrufe „Kavallerie kommt 1** ein Schwanken.
Nach höchstgesteigerten Generalsalven auf der
ganzen Front, wobei deutsche Infanterie und Hollän-
der alle Feuerkraft zusammennahmen und die hanno-
versch-westfälische Artillerie ihre alten Verdienste
von Mars la Tour imd Gravelotte erneuerte, brachen
die westfälischen Bataillone unter betäubendem Hurra,
vollständig in Schwärme aufgelöst, in die Wald-
schlucht vor und erstiegen den Höhenrand. Da bei
der Territorialdivision von Douai jetzt eine Panik
ausbrach, und überall die Munition ausging, auch
die Umgehung der deutschen Reitermasse ein Ab-
schneiden der Etappen nach Peronne befürchten
Hess, trat das feindliche Heer nun bei Nacht eiligen
Rückzug an, in zwei auseinandergehenden Kolon-
nen nach Albert und Cambrai, um „Schiessbedarf
zu ergänzen und taktische Ordnung wiederherzustel-
len". Manche Nachzügler, doch nur acht Geschütze
zurücklassend, hatte dieser wichtige Teil der französi-
schen Nordarmee sich somit völlig aus der Nähe von
Laon entfernt, stets nur darauf bedacht, die Küsten-
und nördliche Festungsbasis zu schirmen. Dort
— 224 —
störte die Neuversammlung ihrer Kräfte nichts, nur
eine deutsche und die niederländischen Reiter
divisionen blieben an der Klinge. In der Stellung v:
beiden Seiten von St. Quentin, die eiligst befestig!
wurde durch Erdschanzen und Verhaue, bewachtt
fortar das belgische Armeekorps die Strassen nad
Nordosten, Nordwesten und Südosten (Cambrai, AI
berl, Laon). Obschon man sich aber auf bundestre-e
Zuverlässigkeit der Niederländer jetzt verlasser
konnte, da nichts so solide kittet als Waffenbrüder
Schaft im Siege, und auch die Holländer sich(durcti
ihr Beitragen zum Erfolg zu ..fühlen** beganneo
schien doch sicherer, jeder Möglichkeit einer mc-
rauschen Schwäche bei etwaigen Rückschlägen vor
zub engen und die Bundestruppen später durch die
19. Division und 27. Brigade abzulösen, als diese
auf französisches Gebiet übei traten.
Man hatte also deutscherseits hier mit verkehrter
Front geschlagen, und unerwarteter Rückenstoss aus
der Gegend von Laon wäre schwer zu parieren g^
wesen. Doch die andre Hälfte der französischen
Nordarmee auf der Linie M^zi^res-Sedan-Carigna:
ward am 9., 10. planmässig durch nachdrückliche
Vorstösse des rheinischen, thüringer Korps imd de;
Hessendarmstädter gefesselt. Besonders bei Vri^^
aux Bois, St. Menges und Fleigneux, wo die einstigen
entscheidenden Stellungen der deutschen Artillerit
auf amphitheatralisch überhöhenden Waldberges
diesmal von überlegener französischer gekrönt wur
den, kam es zu scharfen Kämpfen. Die Franzosen
OPERATION: x-i
ST.OUENTIN-LAON *""
REIMS-CHÄLONS
ZcLhlert:
DeuJtsdieKorps
tutäMärjche.
i
OSommesous
— 225 —
schrieben sich einen Defensivsieg zu, doch der Zweck
der deutschen Demonstration war erreicht. Schon
am 11. abends meldeten vorgeschobene Aufklärungs-
abteilungen auf der Strecke Laon-La Fire ein Vor-
rücken deutscher Massen aus Norden senkrecht zur
Maaslinie, wodurch sich bald dem französischen
Generalstab der wahre Sinn der Schlacht bei St.
Quentin aufklärte. Gleichzeitig machte sich drohende
Vorbewegung des rechten Flügels der deutschen
Mittelarmee südwestlich von Montm^dy bemerkbar.
Da blieb nichts übrig als sofortiger Abmarsch,
wollte man nicht von zwei Seiten abgeschnitten werden,
da die französische Hauptarmee beiVerdun sich aus
guten Gründen nicht rührte. Zwei Territorialbri-
gaden im Lager von M^zi^res und den Sperrforts
zurücklassend, gingen die Franzosen am 12. mittags
in zwei Kolonnen über Flize, Donchery, Bazeilles
und auf Strecke Carignan-Givonne-Lamoncelle über
Remilly zurück. Das Passieren der Maasbrücken ver-
ursachte jedoch manchen Aufenthalt, und die nach-
hutdeckende ArtUlerie musste schon nachmittags in
Linie Floing-lUy retirieren, da das thüringer Korps,
dem keine so starken Positionen entgegenstanden,
der Carignan-Nachhut mit aller Macht nach- und sie
ins Bois de la Garenne hineindrängte. Hiermit wurde
auch die neue Artilleriestellung am Calvaire d*Illy
unhaltbar, und die Nachhuten mussten sich sputen,
über die Maas zu entkommen. Nur das kräftige
Feuer von der Sedan-Maasschleife und den Grenz-
forts her vereitelte sofortiges Nachstossen der Rhein-
Völker Europas ... I 1 5
— 226 —
länder, deren Artillerie nun aber von den überhöhen
den Punkten das Plateau bis zur Nacht unter ver-
derbliche Beschiessung nahm. Aus Sedan, dessen
Einwohner teilweise flüchteten, leckten schon rote
Flammen empor. Da die aiif RemUly dinierten
Darmstädter und Kurhessen bereits die Flanke der
dort südlich der Maas abziehenden Marschsäulen
bedrohten, wichen die noch nördlich der Maas be-
findlichen Franzosen am Ufer entlang bis BazeiHes
aus und bewerkstelligten, dort von konzentrischem
Geschützfeuer erreicht, ihr Entkommen erst bei Flize
am 13. mittags unterm Schutz des dortigen Forts.
Dieser Teil der .Nordarmee (drei aktive Korps,
zwei Territorialdivisionen) setzte den Abmarsch un
unterbrochen bis in die festen Linien von Laon foit.
ihre Reserve bei Soissons sollte die algerische Elite-
division bilden.
Diese Gesamtoperation der beiderseitigen Nord-
armee kostete den Deutschen dreissigtausend, den
Verbündeten zwölftausend Mann, wobei dreitausend
Gefangene, Ausreisser und Überläufer; den Fraih
zosen dreiunddreissigtausend Mann, vierzehn Ge
schütze, wovon fünftausend Gefangene. Obschon also
der strategische Zweck völlig erreicht, gaben die
damit verbundenen Opfer doch sehr zu denken und
flössten unwillkürlich Grauen vor der kommenden
Hauptentscheidung ein, neben der alles Bisherige
nur ein Kinderspiel. —
Bei der deutschen Mittelarmee hatte man ein
Vorschnellen der Linken in Richtung auf Toul und
— 227 —
Commercy unterhalb Verdun in Aussicht genommen.
Dies fährte am 6. zu einem grossen Reitergefecht,
am 7. zu hitzigem Raufen des deutschen Lothringer
Korps mit dem von Clermont Ferrand, am 8. zu
verstärktem Kampf, indem das Elsasser und das
Korps von Bourges gegenseitig eingriffen. Das
blutige Treffen blieb taktisch unentschieden, die
Franzosen zogen es aber vor, die Maasforts aufzu-
suchen, da das Brandenburger Korps sich gegen ihre
Flanke im Vormarsch befand. Am 9. ruhten die
Waffen, Toul ward isoliert, nur von Reiterei zemiert,
die bei den bevorstehenden Fluss- und Schanz-
kämpfen doch keine tätige Rolle spielen und erst
jenseits wieder ihre Aufklärungsarbeit antreten
konnte. Da die Verdunstellung frontal so ziemlich
unangreifbar erschien, musste Druck auf beide Flan-
ken das Seinige tun. Vom 10. bis 13. hob daher ein
ermüdendes Ringen um die Maassperrforts südlich
von Verdun an, Linie Woel-Apremont vor St. Mi-
hiel. Allerdings gelang es den Haubitzbatterien
und herangezogenen Metzer Festungsgeschützen,
die Forts allmählich zum Schweigen zu bringen,
doch das Überschreiten des Flusses forderte noch
viel Blut, und den Melinitbomben der Sperrforts
fehlte es nicht an Durchschlagskraft an geeigneter
Stelle. Endlich erlahmte der brave französische
Widerstand, an einem Punkte infolge Aufsässigkeit
und Verratgeschrei einer mit Anarchisten durch-
setzten und von der Antimilitaristen-Propaganda be-
arbeiteten Territorialbrigade, und das deutsche 15.,
IS*
— 228 —
16., 3. Korps befanden sich jenseits der Maas unter
pünktlich sachverständigem Brückenschlag: mit Be-
nutzung notdürftig und ungenügend gesprengter fran-
zösischer Übergangspunkte. Inzwischen hatten die
starkformierten 6., 20. Korps, eine Division aus Tou-
louse und drei Territorialkorps aus Verdun eine
Offensive unternommen, da sich Unmut im französi
sehen Kriegsrat gegen eine zum Nationalcharakter
nicht passende passive Verteidigung laut machte.
Am 8. bei Buzy sah sich die eine sächsische
Kavalleriedivision von überlegenem Andrang ver-
trieben, am 9. bei Harville die fast völlig (ausser ihres
in Berlin verbliebenen Kort)s) auf dem Kriegstheater
vereinte Gardekavallerie. Am 10. kam der feindliche
Anmarsch vor dem Magdeburger Korps zum Stehen.
Mit fester Entschlossenheit hielten diese alten,
seit jeher in preussischer Kriegsgeschichte rühmlich
bekannten Regimenter, bei Königgrätz und Beaumont
so hervorragend, den ungestümen Angriff aus. Die
Halberstädter Kürassiere, die aufs neue ihrem Regi-
mentsnamen „Seydlitz" Ehre machten, und die Alt-
märkischen Ulanen, ihre Genossen beim weltberühm-
ten Todesritt, machten im Verein mit den dunkel-
grünen Magdeburger und hellgrünen westfälischen
Husaren eine verzweifelte Attacke gegen vorprellende
feindliche Geschwader, die mit Zersprengen der 12^
16. Dragons (Pont ä Mousson, Rheims) 12.,
20. Chasseurs (St. Mihiel, Sezanne) nach rasendem
Handgemenge endete. Als die Söhne von Magde-
burg und Halle (Erfurter Division beim 11. Korps)
— 229 —
zu erliegen drohten, kam das 12. sächsische Korps
rechtzeitig zu Hilfe und deckte den notwendig ge-
wordenen Rückzug. Baillouds ausgezeichnete Trup-
pen 6., 20. Korps, die besten des französischen Heeres
neben denen des Belfortlagers, bewahrten ihre glän-
zende Haltung auch am folgenden Tage, wo sie,
durch den Sieg begeistert, weiter vordrangen, und
man hatte alle Mühe, sie mit dem dritten sächsischen
(deutschen Nr. 23} Korps, das frisch in den Kampf trat,
abzuwehren. Die schneidigen Sächser des Leipziger
Korps fochten glänzend wie immer, doch die kriege-
rischen Tugenden der Franken, von Dun-Chamy bis
Conflans-Etain-Spincourt vorgeschnellt, überstrahlten
heut alles. (Besonders 1. 17. 20. Ch. 26. 79. Regt.)
Eine Division von Limoges und die Territorial-
division von Epinay wurden dafür durch das kaum
angelangte und imverweilt in Marsch gesetzte Pom-
mersche Korps nördUch bei Loupy-Stenay gänzlich
geschlagen. Am 12. Hessen die Nachrichten aus St.
Quentin und M^zi^res schleuniges Zurückweichen
in die Verdimlinien rätUch erscheinen. Dort wollte
man anfangs Schlacht liefern. Da aber am 14.
die Stelltmg sich durch jene schon westlich der
Maas entwickelten drei deutschen Korps xmigangen
zeigte und ein breites Vordringen der Deutschen
über Sedan auf Vouziers auch im Norden die
Flusssperre umging, gab ein dreimal berufener
Kriegsrat endlich die Stellung auf. Im Verduner
Sperrfortnetz drei Territorialbrigaden zurücklassend,
rückte die französische Hauptarmee am 15. auf Cha-
— 230 —
Ions ab, wo ihre grosse Reserve schon in Stellung
ging. Dort auf den katalaunischen Feldern, dem so
genau bekannten Exender- und Manöverfeld des
Camp de Chalons, wo man ähnliche Umgehung vor-
erst nicht befürchtete, sollte der letzte Strauss ausge-
fochten werden, um dann im Falle des Misslingeos
auf Paris zurückzufallen. Die Deutschen folgten über
Bar le Puc-Menehould durch Argonnendefilee. —
In Paris gab es natürlich grosses Geschrei und
eine Pöbelemeute, welche die republikanische Garde
und die Nationalgarden der inneren Arrondisse-
ments unter ziemlichem Blutvergiessen nieder-
schlugen. Klerikale und Radikale bezichtigten sich
gegenseitig unterirdischer Manöver, durch die sie
das Vaterland auf geheimnisvolle Weise verraten
hätten. Redaktionsstab eines obskuren Blättchens
„Gil Blas'*, das sich durch sittliche Entrüstung über
Verhöhnung deutscher Offiziere im „Simplizissimus"
einmal Reklame machte, ward durchgeprügelt. Ein
sozialistisches Blatt taufte die französischen Gene-
räle ohne weiteres „die Sendlinge des Tyrannen
Wilhelm", die „Libre Parole" verlangte, dass samt-
liche Juden als preussische Spione aufgehangen wür«
den, ein Anarchistenmeeting in Belleville forderte
auf, den Montmartre mit gesinnimgstreuen Blusen-
männem zu besetzen und ein Observatoriiun zu er-
richten, von wo man aus der Vogelperspektive das
bevorstehende Auskneifen der Bourgeoise beobach-
ten könne. Der „Temps" legte sein offiziöses Amts-
gesicht in gravitätische Falten und munkelte von
— 231 —
russischer Intervention. Die „R^publique Fran-
gaise** und „Aurore" wollten die Verantwortlichkeit
nicht untersuchen, welche die klerikale Propaganda
im jesuitisch erzogenen und verseuchten Offizier-
korps an der unleugbaren Tatsache trage» dass bis-
her der so lange erträumte Sieg nach flüchtigem
buhlerischen Lächeln des Glücks, dieser alten Pa-
riser Kokette, die Trikoloren meide. Dass die Bel-
f ortarmee, deren erneuter Rückzug in Paris zu wüsten
Tumulten vor Börse, Stadthaus und Oper führte,
von der in Beifort ansässigen Familie Dreyfus vor-
her durch Vermittlung der Bankhäuser Bleichröder
und Mendelssohn an Preussen verkauft worden sei,
dieser grosse Verrat stand den Nationalisten fest. Ein
radikales Blatt erkannte dagegen in dem ehrenwerten
Führer dieser Armee die Physiognomie eines neuen
Bazaine, während das in der Provinz ungeheuer ver-
breitete Organ „La Croix" allen Gläubigen die
schaudervolle Enthüllung verabreichte: Lebon, Chef
der Nordarmee, sei Freimaurer und ziehe daher die
Strafe des Himmels auf ,unser teures Frankreich*
herab. Der Erzbischof von Orleans konnte sich
nicht enthalten, in diesen Schickimgen eine Prüfimg
des imglücklichen Vaterlandes zu erkennen, das sich
den Satansdienem mit Haut und Haar überHeferte
und der heiligen Kirche den schuldigen Gehorsam
verweigerte, sich an Kreuz und Altar mit Todsünde
vergriff. Unter schmerzhaften Krokodilstränen
flehten Überbleibsel der früheren Kongregationen öf-
fentlich den lieben Herrgott an, dass er seine irdischen
— 232 —
Stellvertreter doch nicht auf solche Weise rächen,
Sodom und Gomorrha wegen einiger imsträflicher
Gerechter (siebe jene mit Arrest bestraften Offi-
ziere, die an Konfiszierung von Kirchengut nicht
teilnehmen wollten, die gottgeliebten Märtyrer) Ue-
ber verschonen möge. Nur die wackeren Cur^
der niederen Geistlichkeit vergassen allen religiösen
Hader, enthielten sich aller Anspielungen und pre-
digten auf den Kanzeln völlige Hingabe aller Stände
an „La Patrie en danger**, obschon eine einfluss-
reiche Banditenrotte, die sich lästerlich „Zentral-
komitee Lx)uise Micher* taufte und den Namen
dieser edeln verleumdeten Enthusiastin unnützlich
im Munde führte, vor allem Teeren und Federn
aller Dorfgeistlichen unter Entwendung der Kir-
chengefässe (angeblich, um sie als Münze einzu-
schmelzen) gebieterisch forderte.
Den Rückzug auf Chalons feierte soleime Kei-
lerei des Jockeiklubs mit einer anarchistisch aufge*
wiegelten Volksmenge, die ein Liebesmahl und Fest-
essen der dort versammelten Jeunesse dor6e zu
einem Steinbombardement benutzte, mit dem. hei-
sem Geheul: „A bas les Aristosl Ils fönt rigolo, les
amis de Tennemil Nous sonmies plante, nous
autres Frangaisl" Zur Feier des Tages wurde die
Redaktion des „Gil Blas" von strammen Patrioten,
die sich jenes aufsehenerregenden Artikels zu Khren
deutscher Offiziere erinnerten, nochmals windel-
weich geprügelt.
Wichtiger als diese moraUschen Eroberungen
233
der Hauptstadt und die psychologischen Tiefblicke
der Journalisten fiel dem französischen Oberkom-
mando auf die Nerven, dass die neue lange
Schlachtlinie Laon-Vitry neuerdings durch den Druck
der Bayern und Württemberger auf St. Dizier flan-
kiert wurde. Letztere Bedrohung fiel zwar aus, weil
die aus dem Elsass zurückgegangenen schwachen
Kräfte in dieser Richtung, wie wir sahen, eine lange
rühmliche Gegenwehr leisteten und den Deutschen
ein weiteres Vorgehen versalzten. Immerhin machte
sich am 16. ein Teil der deutschen Reitermassen
auf, xmi bis ziun Marnekanal Fühlung zu gewinnen,
und das Lothringer Korps langte am 18. vor Vitry
an. Trotz der grossen Verluste der Maasoperation,
die sich alles in allem wieder auf vierzigtausend
Mann bezifferten, beschloss man deutscherseits, die
Entscheidung nicht zu verzögern, aus politischen
inneren und äusseren und aus Emährungsgründen.
Die drei Divisionen der Ostgrenze waren nun
gleichfalls bis Metz verladen worden, da jede Beobach-
tung Russlands sich imnötig zeigte, imd ersetzten voll-
auf die Einbusse. Eine Gardelandwehrdivision, schon
frühzeitig mobilisiert, hatte man auch noch kommen
lassen, und diese übernahm die Einschliessimg der
Maasforts und der Festung Verdim. Die kleineren
Forts und Toul liess man unbeachtet liegen, da die
abgeschnittenen Garnisonen der ersteren ja doch
bald, mangelhaft verproviantiert, dem Hunger erliegen
mussten, Toul (20. Geniebat.) wie zemiertes Mont-
m^dy im Laufe des Krieges jedenfalls kapitulieren
~ 234 —
würden. Die nördlichen Sperrforts bei Flize imd
M^zi^res zu brechen, war allerdings schwieriger, da
diese kleine Festung mit genügenden Vorräten ver
sehen und die Lage dieser Befestigungen an der
belgischen Grenze beklemmend für jede Ctappenlinie,
die man in dieser Richtimg aus Belgien anlegen
wollte. Das rheinische und ein Teil des thüringer
Korps bemühten sich daher bis zum 20., die starkf
Territorialbesatzung zu Falle zu bringen, was aber
weder ununterbrochener Beschiessung, noch Stunfr
versuchen gelang. Immerhin musste das wichtigs:e
Fort bei Flize endlich seine sturmfreien Wäile
räumen, der Durchgang von der Grenze bis lu:
Maas ward genügend freigelegt, zur Abwehr voe
Ausfällen aus M^zi^res eine Brigade nebst einigen
herangezogenen belgischen Landwehren zurückge
lassen, da man die beherrschenden Punkte verschanr
und durch entsprechende Batterien gesichert hatte.
so dass Ausfälle im Rücken der deutschen Heeres^
Säulen dort wenig Aussicht hatten. Da Montmedy
gleichfalls genügend zerniert und der Ring um Verdic
durch die bis zum 18. dort lagernden deutschen Hau|^
massen so eng geschlossen war, dass fortwährendf
Beschiessung und nächtliche Wegnahme eines Haupc
forts des äusseren Rayons die Besatzung ermudetf
und demoralisierte, so konnte man zuletzt noch aus
der hessischen imd Gardelandwehr eine kombinierte
Division als Reserve der Feldarmee nachschiebes
Der stärkere Teil .der Landwehr im Verein im"
Reiterei besorgte Beobachtung und Zemierung ^'
— 235 —
Montmddy, Toul, Verdun, da im Fall des Sieges
diese französischen Posten doch alle verloren waren,
beim Gegenteil ein Verschwenden von Kräften an
diese unbeweglichen Objekte ein Fehler gewesen
wäre. Den französischen Verlust, um zehntausend
Mann geringer, wie es dem Verteidigungsverhältnis
entsprach, vermehrte die Zurücklassung fast eines
ganzen Territorialkorps in Verdun und M^ziferes als
Kräfteausfall. Doch rückten ja nun alle Reserven
zweiter Staffel am 20. in die Linie ein. Während die
Korps von Bourges und Clermont nebst den übrigen
Territorialtruppen dieser Gruppe die lange Strecke
südlich von Chalons bis Vitry ausfüllten, standen
das 6., 20. Korps bei Chalons imd Sommesuippe,
die frischen Korps von Limoges, Toulouse, Bordeaux
bei Rheims und im dortigen gewaltigen Fortnetz,
das 1., 2., 3. Korps und ihre Bleibsel von Territorial-
truppen von Berry au Bac bis Athis und, Laon, da-
hinter als bewegliche Reserve das Korps von Orleans,
die zwei Territorialdivisionen der Montagnards, die
algerische Division (sämtlich ganz komplett und stark
formiert) zwischen Soissons und Fismes an der Aisne.
Nach allen Verlusten betrug diese Streitmacht noch
375 000 Streitbare (70000 der Nordarmee), rund
450 000 Mann Effektivstand. Die Deutschen, inbe-
£rriffen die drei neuen Divisionen und die Landwehr-
reserven, zählten gegen die Linie Vitry-Rheims
270000 Streitbare, befanden sich also hier um
35000 Mann in der Minderzahl. Gegen Laon-Soissons,
wo die von St. Quentin herabkommenden fünf Bri-
— 236 —
gaden und die Holländer hinzutraten, nicht weniger
als 180000 Streitbare, da am 21. auch die bd
St. Quentin abgelösten Belgier als Reserve dn-
trafen. Im ganzen nicht viel unter 550 000 Mann
Effektivstand (inklusive Artillerie, Train, Offi-
ziere usw.). Eine volle Million Kulturmenschen waren
alsobeisanunen,um sich nach Möglichkeit abzuwüigea
Um das Zusammengreifen der verschiedenoi
deutschen Armeegruppen in der Zerreibungszone zu
ermöglichen, musste natürlich deutscherseits ein
zeitlicher Unterschied echelonartiger Angriffe ins
Auge gefasst werden, um die räumlichen Entfernun-
gen auszugleichen. Die Offensive staffelte sich da-
her unimterbrochen von links nach rechts, so dass
der Kampf auf der äussersten rechten Flanke gt-
gen Soissons, räumlich so weit getrennt, erst be-
gann, als er schon fünf Tage auf der Linken, drei
im Zentrum, zwei am sonstigen rechten Flügel tobte.
Unbeirrt durch lauter trübe Nachrichten des
Flottenkriegs, sah die deutsche Heeresleitung der
Entscheidung hier mit Zuversicht entgegen. Das
Schlinmiste an örtlichen Schwierigkeiten hatte man
ja hinter sich, denn das war unstreitig die Maas-
sperre gewesen, jetzt brauchte man keinen Fluss
mehr unter Kanonen von Forts angesichts des Fein-
des zu überschreiten. Die riesige Aktion zerfiel, auf
Dauer von vielen Tagen angelegt, in eine Kette
getrennter, doch in sich zusammenhängender Ope-
rationen. Vom 18. bis 22. Juni mühten das .15.,
16. Korps sich auf der Südstrecke ab, ohne viel
— 237 —
Boden zu gewinnen. Im Gegenteil erlitt man am
21. noch vor Vitry einen erheblichen Misserfolg.
Diese so früh begonnenen heftigen Scheinangriffe
sollten aber lediglich dazu dienen, die ohnehin schon
durch jenes Vorrücken der Badenser und Württem-
berger im weiteren Süden erregte Aufmerksamkeit
der französischen Oberleitung dorthin abzulenken
und ansehnliche Kräfte dort zu fesseln. Dem Vor-
gehen des 3.» 4. Korps auf Sommepuis ging eine
grosse Reiterschlacht am 19. voraus, imter Eingrei-
fen der beiderseitigen Vortruppen. Sie kostete den
Franzosen zwar drei Standarten, fünf Kanonen, tau-
send Gefangene, den Deutschen aber grösseren Blut-
verlust, da man bei dreistem Verfolgen ein fürch-
terliches Feuer aus der französischen Hauptstellung
empfing. Am 20.- verhielten die Deutschen sich hier
planmässig passiv, neckten den Gegner nur durch
Gefechte um einzelne Dorfgruppen vor seiner eigent-
lichen Front, die er gleichsam als vorgeschobene
Vorderbastionen benutzte. In anhaltendem Artille-
riekampf von je zweihundertfünfzig Geschützen be-
haupteten die Franzosen ein leichtes Übergewicht.
Kräftiger packten das 2. Korps und die drei frischen
Divisionen die Sache bei Rheims an, die erst an
diesem Tage vorgingen, doch die vorderen feind-
lichen Linien mit eins in heftigem Anlauf ins Sperr-
fortnetz hineintrieben.
Als der Abend sank, verröchelte zwar mancher
Mann der Ostsee und Oder auf der weiten Ebene,
über welche fern die Türme der herrlichen Käthe-
— 238 —
drale von Rheims wegragen. Doch in Rheims, 6k-
sem Zentraldepot des gesamten Sperrfortsystems
und Hauptquartier der französischen Armee,
herrschte eine düstere Stimmung. Man leitete eine
grosse Offensive ein, wai den dreisten Gegner weit
zurückzutreiben. Am 21. früh erhoben die Rheimscr
Forts eine betäubende Kanonade, ihre dröhnendE
Stimme übertönte das Grollen von sechshundot
Feldgeschützen.
Da hier beiderseits frische Truppen sich gegen-
überstanden, die grösstenteils zum ersten Male ws
Feuer kamen, gestaltete sich das Ringen äusserst
lebhaft und hartnäckig mit unverbrauchten Kiif
ten. Der Feind hatte am vorigen Tag die Hälfte
seiner Masse nicht engagiert, jetzt setzte er alles
ein, auch das Korps von Orleans« hinter die Ffod:
näher heranziehend. £s war ein grossartiger An-
blick, als die Gascogner in imabsehbaren Schlacht
häufen zwischen den Forts vorbrachen iind unter
Gesang der MarseiUaise mit vollem Elan ihre gut
geleiteten, gewandt ausgeführten Angriffe begannei
Die deutschen Linien wurden zidetzt nach insea
eingebogen, aber nirgends gesprengt. Natürlich fügte
ihr kaltblütiges Feuer dem Angreifer sehr schwere
Verluste zu. Immerhin verloren sie eine lange Streckt
Boden, imd die im Rheimser Rayon Eingeschnürten
fühlten grosse Erleichterung. Ein Versuch der deut-
schen Reiterei, das für Attacken so geeignete Blacb-
feld von Chalons zu ihrem auf Manövern so b^
liebten und eingeübten Massenritt in tiefer Kolonne
— 239 —
zu benutzen, brach kläglich unterm Schnellfeuer des
150. 160. (ständige Chalons-Garnison) zusammen,
ehe man über Tourbe entferntere Vesleufer
erreichte. Zuletzt brach noch die Kürassierdivision
von Lun^ville aus der Seitengruppe des 6., 20. Korps
seitwärts hervor und brachte die gelichteten Reiter-
liarste erst recht auf die Reise, auf Nimmerwieder-
sehen. Dies missglückte Unternehmen, zwischen
Chalons und Rheims durchzubrechen, fiel mit beider-
seitigem Rückzug der Gegner vor der Linie Chalons-
Sommepuis zusanunen. Das zur Unterstützung
des Rheimser Verstosses vorgebrochene 6. Korps
geriet hier auf halbem Wege mit den selber offensiv
entgegenkommenden Brandenbiu'gern aneinander.
Nach Taten ebenbürtiger verzweifelter Tapferkeit
Endete die Affäre damit, dass sozusagen beide Teile
Kehrt machten, um sich in früherer Ausgangsstel-
lung zu sammeln. Doch Hess sich nicht verkennen,
dass Franzosen (37. 69. R. vernichtet) Erschütterung
tiefer empfanden, als die unverwüstlichen Märker.
Erst an diesem Tage griffen Hessen, Thüringer
(18.» 11. Korps) das 1., 2. französische Korps nördlich
imd nordwestlich von Rheims an. Der Kampf war
hart bei Athis, östlich von Laon. Die durch pa-
triotischen Opfermut von jeher bekannten rüstigen
Söhne der Ardennen und des Aisnedepartements,
deinen Aushebung eine Territorialdivision ausmachte,
Hessen es an Bitavour nicht fehlen. Doch zu schwer
hatte 1. Korps in Schlacht von Fleurus gelitten.
Ausser dem Einschrumpfen vieler Truppenkörper, wo
— 240 —
mehrfach je zwei Bataillone in eins hatten ver
schmolzen wertien tnüssen trotz neueingestelltem, zum
Teil freiwilligem Ersatz der unmittelbaren Heimat,
um deren Gau sie hier fochten, sass ihnen Erinnc
rung der Niederlage in den Knochen. So konnte es
nicht fehlen, dass sie endlich nachgaben und gegen
den Weg nach Cfaonne zurückwichen. 1., 33.
124., 127. Regiment halbvernichtet. Hingegen be
hauptete das 2. Korps (Isle de France) die Aisn^
ufer bei Berry-au-Bac, Pontau-Vert und Umgegend
Die Pariser Regimenter verlangten hier stürmisch
weitere Offensive. Dies sollte ihnen auch am 21
gewährt werden, mittlerweile traten aber neue Be-
dingungen ein, die das bisherige Aussehen der Ri^
senschlacht änderten.
Am 21. beschränkte sich das durch Detache-
ment bei M6ziferes geschwächte rheinische Korps
auf aussichtslose Kanonade gegenüber dem Fort
System der Felsfeste Laon, von der 6. Division ver-
teidigt. Am Nachmittag dieses Tages kamen aber
bereits die Westfalen und Holländer auf der äusse-
ren Flanke dieser Stellung an und breiteten sicb.
gleichfalls ohne etwas Ernstes anzubandeln, lang
sam weiter südwestlich in Luftlinie Laon-Soissoss
aus. Noch weiter westlich war die Hannoversche
Division im Anmarsch, hinter ihr folgten die Bd-
gier. Dieser drohenden Waffenlawine, die sid:
gegen den empfindlichsten Punkt der endlosen fran-
zösischen Schlachtlinie heranwälzte, hatte man dort
vorerst nur die 5. Division entgegenzustellen.
— 241 —
Kriegsministerium, von Paris den Nachschub be-
sorgend imd alle Fäden in der Hand haltend, war
zwar bereits am 15. sich darüber klar, dass die
Deutschen von Norden her herabstossen würden.
Doch hielt es die Kühnheit für ausgeschlossen, dass
sie gegen die geschlagene, doch immer noch statt-
liche „Armee von Flandern" nur so geringe Streit-
kräfte belassen würden. Aufforderung seines höch-
sten Vorgesetzten, des Kriegsministers, sobald als
tunlich die Offensive wieder zu beginnen, beantwor-
tete der Chef dieser Armee dahin, dass er sehen
werde, was möglich sei, aber mindestens eine Woche
brauche, sich zu „ravitaillieren" imd „ralliieren". Auf
erneutes Drängen aus Paris tastete er sich am 18.
vorsichtig vor, wie im Nebel, den weitgesponnenen
Schleier der deutschen Klavallerie nirgends durch-
stossend. Da ihm jedoch wiederholte Information
zuging, der Feind habe sich von St. Quentin südlich
disloziert, machte er energische Auskundung am 19.
und begriff, dass der Feind ihn offenbar nur täusche.
Nachricht, dass eine deutsche Kolonne, vonAnt-
-werpen kommend, in seiner Flanke durch die Pi-
cardie anmarschiere, liess ihn wieder stutzen, und
so verlor er einen kostbaren Tag. Erst am 21. ging
er von Albert und Cambrai konzentrisch vor, ohne
aber die Hauptmasse seiner Armee in Fluss zu brin-
gen. Vor St. Quentin, wo die Belgier schon ab-
rückten, befand sich ausser zahlreicher Reiterei nur
die aus Antwerpen gekonmiene Westfalenbrigade,
die hannoversche 19. Division noch östlich der Stadt.
Völker Europas .- . . | l6
— 242 —
•
Mit schneidiger Selbsttätigkeit marschierte siescK
fort auf, des schwerfälligen feindlichen Anmarsches
gewahr werdend, und griff die Chaussee an. Die
Entwicklung der stutzenden Franzosen ward so lange
gehindert, dass am 22. früh die gute Stellung Pouilly*
Francilly nordwestlich der Stadt besetzt werdcc
konnte und die nun energisch ansetzende Über-
macht den ganzen Tag über nicht ordentlich vor-
wärts kam. Hierzu trug freilich bei, dass die wegen
ihres Patriotismus vielgeehrte Stadt von den Fran
zosen geschont werden musste, die ihre Beschiessung
möglichst von ihr ablenkten. Erst am 23. früh räum
ten die drei deutschen Brigaden langsam St. Quen-
tin und Umgegend. Obschon ihr Rapport sehr über-
trieben vorschützte, man habe drei volle feindliche
Korps abgeschlagen, so war \md blieb es doch
ein Heldenkampf, bei dem die hannoversche Artille-
rie sich so aufopferte wie einst bei Beaune la Ro-
lande. Nur zögernd folgte der Gegner, und am
24. erhielt er vollends solche Nachrichten, dass er
selbst schleunig Kehrt machte. Denn die Entschei-
dimg fiel lange, alles war aus imd vorüber. —
So hatte also die überwältigende Masse, die
man in der französischen linken Flanke auf den Hals
bekam, genügende Rückendeckung imd konnte am
22. ihr Werk beginnen. Aus Paris sandte man Eisen-
bahnzüge über Trilpert und Meaux, La Fert^ und
Chäteau Thierry, Sezanne und Montmirail mit eini-
gen 'Depotbataillonen und viel Mobilgarden, um bei
Neuilly St. Front die Aisnefront zu verlängern. Dit:
— 243 —
Besatzung von Comi»^gne suchte d^i Vorübermarsch
der Belgier zu stören. Dies half aber alles nichts.
In Eile musste die algerische Division vor Sois-
sons aufmarschieren, die Montagnarddivisionen da-
hinter, um einer so erdrückenden Umschlingung vor-
zubeugen. Während am 22. vor Chalons eine Ruhe-
pause mit blossem Artilleriekampf eingelegt wurde,
gingen das Pariser Korps (Seine-et-Mame) und die
drei südfranzösischen zwischen Berry und Rheims
nochmals zum Angriff über und schüttelten die Deut-
schen in heissem Ringen auch wirklich etwas wei-
ter ab, jedoch unter schweren Verlusten. Aber das
thüringer Korps trieb das 1. französische immer
weiter über Fetieux ins Lettetal bis zu detti Kreide-
plateau von Craonne, so dass das 2. aus seiner
Offensive bis Corbeny zurückbiegen musste. Wäh-
rend in der Front vor Laon nur Artilleriekampf
tobte, gingen die Westfalen gegen die ganze Strecke
des Ardonbaches vor, wo die 6. Division: den schma-
len Sumpfdamm bei Etouvelle und Chivy verteidigte.
Nach heftigem Feuerkampf erstürmten die West-
falen mit schlagenden Tambours die hohlwegartigen
Talengen und warfen den Feind teils rückwärts auf
Laon, teils ins Lettetal auf Ailles zurück.* Die Rheim-
serChaussee war schon ganz im Besitz der Deutschen,
Verbindmig zwischen Rheims und Laon zerschnitten.
Unter diesen Umständen konnte das Rheinische
Korps endlich auch Frontalangriff auf den Berg-
kegel wagen, wo die Forts drohend ihre eisernen
Ballen entluden. Südwestlich umgehend, nahm eine
i6»
— 244 —
Brigade Clacy fort, wo die Linke der Westfalen
sich anschloss. Ein Vordringen gegen den Berg und
Festungsgürtel wollte trotzdem nicht gelingen. Ge-
gen Abend stiessen die Holländer vor Chavignon
auf die Algerier, deren auserlesene Tüchtigkeit sich
gleich bewährte. Die erste holländische Divistc«
ward in die Flucht geschlagen, die zweite in Panik
versetzt. Doch dieser Erfolg hob die immer droheo-
dere Zerrüttung der französischen Linken nicht auf.
6. Division in Laon war offenbar abgeschnitten,
was freilich für diese hier als Festungsbesatzung ge-
dachte Truppe nichts Auffälliges hatte, da sie ihr
festes Lager nicht räumen sollte und wollte. 5. Di-
vision und 1. Korps waren im Lettetal zusammenge-
presst, 2. Korps stellte sich in zwei Linien zwischen
Berry, Braine, Ronzy auf, um eine starke Seiten-
deckung sowohl nach Rheims als nach Craonne zu
bilden. Die Rheimser Heergruppe behauptete noch
ihre vorgeschobene Stellung, und der französische
Oberstratege träumte von dem abenteuerlichen
Plan eines Zentrumdurchbruchs nach napoleoni-
schem Muster. Da er den Erfolg der Alge-
rier in seiner Tragweite überschätzte, hielt er die
Stellung von Soissons für gesichert und schob da-
her das Korps von Orleans nun vorwärts zwischen
Rheims und Chalons.
Der 23. sollte also der Entscheidungstag: wer-
den, doch gehörte noch ein weiterer Tag dazu,
die französische Zentralstellung zu bemeistem. Mit
anerkennenswerter Bravour stürzte sich das Orleans-
— 245 —
korps, als wolle es hier nahe den Maasgefilden
ihrer Heimat den Befreierruhm der Jungfrau* er-
neuem, in die Lücke zwischen dem 3. und 2. deut-
schen Korps, und sämtliche französischen Schlacht-
haufen von Rlieims bis Sommepuis begleiteten
zu beiden Seiten dies stürmische Anrennen. Wieder
wankten die deutschen Linien, Jäger-zu-Pferd und
reitendes Feldjägerkorps des kaiserlichen Hauptquar-
tiers flogen mit ängstlichen Befehlen hin und her.
Doch in ihren mit dem Spaten ausgehobenen lan-
gten Schützengräben eingebuddelt, trotzten die Bran-
denburger mit so eiserner Ruhe dem Überrennen,
dass die Hochflut der feindlichen Waffenwogen sich
an dieser Stelle brach und endlich abends an allen
Punkten zurückebbte. An der mittleren Aisne ver-
drängten die Daitnstädter zwar das Pariser Korps
noch nirgends, dagegen bemächtigten sich die
preussischen Hessen von Corbeny aus des Eingangs
zum Craonner Plateau, die Thüringer (21. und 38.
Division) beherrschten vom Schnittpunkt Fetieux
aus die Strassen nach Chavignon und Soissons, so
dass sie das 150 Meter hohe Kalksteinplateau im
Rücken angreifen konnten. Ein konzentrisches Er-
klimmen dieser Stellung ward in Aussicht genom-
men, doch zog man es vor, von Corbeny aus Seiten-
stösse des 1. Korps zu parieren und ohne ernstere
Opfer lieber das Plateau gänzlich im Rücken zu
isolieren, bis man bei Chlvy schon den Westfalen
die Hand reichte. Mittags war man hier so weit,
um imter blosser Beobachtung der im Lettetal ab-
— 246 ~
geklemmtea drei Divisionen gegen Chavignon in
die Flanke der Algerier zu drücken. Gleichzeitig
begann der Angriff der hannoverschen 20. Division
auf Soissons, das die Montagnards-Territorialen mit
vielem Mut verteidigten. Als aber abends auch noch
die Belgier westlich von Soissons Brücken schlu-
gen und die von der Marne hierher eilenden Pa-
riser Entsendungen (Mobilgarden und einigte De-
potbataillone) vor sich herjagten, brach das ganze
Gerüst der französischen Stellung in sich zusammen.
Hinter der französischen Schlachtlinie ein reges
wildes Treiben auf Dutzende von Kilometern. Dampf-
wölkchen und Zischen von Lokomotiven auf den
Bahnsträngen inmitten des Fortrayons, weissliches
Glänzen der staubigen Chausseen in der Sonmier-
sonne, stählerne Waffenschlangen unterm hellg^rünen
Flaum der Pappelalleen, Pfeifen und Schnauben von
Transportzügen, Sanitätstrains ,R^nard', für alle
Fälle aufgestapelt, unter peinlicher Überwachung der
Dynamit- und Pulvervorräte für Bahn- und Brücken-
sprengung bei etwaigem Abzug. Weiter vom Klat-
schen deutscher Haubitzgranaten gegen dicke Stein-
wälle der Forts oder Blindagen von Erdschanzen.
Auch als später deutsche Pioniere sich bemühten,
regelrechte Minengänge wie zu förmlicher Bela-
gerung inmitten dieser neuartigen Riesenschlacht
herzustellen, bestanden die Rheimser Forts jede
Probe und trotzten auch dem Steilfeuer der Hau-
bitzen noch lange, während sie an der Maas sich
— 247 —
schlechter als ihr Ruf erwiesen. Aus dem Motor-
luftschiff in Toul und zwei weiteren bei Rheims
mit zerlegbaren Teilen aus Stahlrohren (Firma Le-
baudy, Erfinder Juillot) regneten Sprengstoffe, ent-
gegen Abmachungen der Haager Konferenz. Das
Schiessen gegen dies lenkbare Luftschiff war viel
unbequemer als gegen Fesselballons.
Kein Bild einstiger Feldzüge, noch weniger
ähnlich Manöver xmd gar deutschem Parade-
pomp. Spitzen und Adler der Helme, geputzte
Knöpfe und das sonstige so pedantisch gepflegte
Metallmaterial der Ausrüstung zogen schon in
ersten Gefechten so rasch das Feuer des
Gegners an, dass man auf Helmschmuck wie
auf sonstige saubere Montur verzichtete, um so
mehr der Helm, ob mit oder ohne Bezug, Kopf-
verwundungen verschlimmerte, bis man in Feldmütze
und auch sonst sehr unvorschriftsmässigem Äussern
dem blutigen Ernst der Kriegswirklichkeit sich an-
passte. Das so schön schimmernde weissgewichste
Riemenzeug, die blitzenden Säbelscheiden und Tres-
sen, die nutzlos aufgeschraubten Bajonette beim letz-
ten Angriff verschwanden wie eitel Firlefanz. Nur
möglichst eingedunkelt konnten Leder imd Messing-
beschläge innerhalb der Zerreibungszone geduldet
werden. Die Scheiden überzog ein graues Flor-
futteral, den Offizierssäbel liess man drinnen stecken.
Wozu sollte er dienen, da man unter heutigen Ge-
fechtsbedingungen den Säbelwink doch nicht mehr
wahrnimmt I Nicht nur die Buntheit der Reiterei
— 248 —
und ihre unpraktischen zwecklosen Lanzenfähnlein
brachten beiden Parteien Nachteile, auch die dunkel-
farbigen Waffenröcke mit ihren darauf verstreuten
roten Flecken hätten besser einen grauen Ton ge-
habt, wie die grauen Offiziersüberröcke, die man aber
bei Sommerhitze nicht tragen konnte. Es wurde bei-
derseits erst besser, als das Biwakelend im Lehm-
matsch Lothringens und auf Kreidehimius der Cham-
pagne einen ähnlichen schmutzigtrüben Farbenton
herbeiführte, wie beim britischen gelblichgrünlichen
Kakistoff.
Das Strahlen des Sonmiertags über dem
Schlachtpanorama, dessen Dünensionen alles Dage-
wesene weit übertrafen, beleuchtete auf sammetgrüner
Flur nur endlose schwarze Schnüre wie wimmelnde
Haufen von Wanderameisen: inStrassengräben oder
Ackerfurchen eingeschmiegte Schützen, zwischen de*
nen der aufgewühlte Boden mit einer Kieselfontäne
unter Granatspritzem puffend aufstäubte. Diese un-
glückliche Landschaft durchharkte ein eiserner Rie-
senpflug. Fern am Horizonte wetterleuchtete es un-
unterbrochen mit schwefelgelben kreisrunden Blitzen,
selten glitzerten die unabsehbaren Reihen schwän-
licher Donnerrohre unter vorüberhuschendem Son-
nenstrahl. Bis in abgesessene Reiterharste und Am-
bulanzen mit dem roten Genfer Kreuz weit hinter
dem Schlachtgewühl rauschten eiserne Bälle nieder.
Heranrollende Bahnzüge in weiter Feme, Feldtelegra-
phen und Telephonvorrichtungen spürten manchmal
die ungeheure Fernwirkung moderner Geschütze
— 249 —
schweren Kalibers. Überall klatschten Sprengge-
schosse in die Marschkolonnen der Reserven hin-
ein, einen klebrig-schmierigen Brei zermalmter,
ineinander verknäuelter Leiber hinterlassend. Zap-
pelnde Pferde mit aufgerissenem Bauch, dass die
Eingeweide hervorquollen, schrien markerschüt-
ternd in den brausenden Donner hinein, der jedes
sonstige Getöse verschlang.
Hunderttausende Gewehre klapperten im Takt
wie ein riesiger Maschinenapparat, die knatternden
Maschinengewehre wie hartes KIlirren eines hell-
klingenden Schmiedehammers. Zwischen der fein-
gezeichneten Linie zarten Blaudunstes, wie rauch-
schwaches Pulver ihn erzeugt, stoben graugelbe Rauch-
wolken empor, aus deren Rand es krachend auf-
flammte. Doch diese einschlagenden Granaten fürch-
tete man minder als den Sprühregen der Schrapnell-
trauben. Nur in nächster Nähe hörte man noch
das Rasseln der Schlösser und Einschnappen der
Gewehrkammem, das heisere Brüllen der Komman«
dos, von Offizieren mit aller Lungenkraft ausge-
stossen, das Gellen der Signalpfeifen: alles ging
unter in einem blitzenden Orkan. Durchgehende
rasende Gespanne, umgeschleuderte Protzen quer
hinter sich herschleifend, stampften über Menschen-
fetzen weg. Die starren Umrisse der deutschen Bat-
terien, die unaufhörlich ihr heulendes Gebell in die
Lüfte warfen, wechselten selten die Stellung ihrer
Ehrhardtschen Schutzschilde und dampfenden Erd-
walleinschnitte. Verschwammen sie in abendlichem
— 250 —
Dämmer, standen sie meist noch, wo sie zum Him-
mel schrien, als die erbarmungslose Sonne greQ
auf ihrer Höhe stand und auf stinkendes Leiches-
feld schwül herniederstach.
Weder Feldflaschen noch bei Nacht in die
Schützenketten vorgeschaffte Ledersäcke mit Wasser
reichten aus, um die schier verdurstenden Kämpfer
in dieser von Sonnenbrand imd Feuerglut brodelnden
Hölle zu laben. Bei Einbruch der Dunkelheit
krochen alle Versprengten in den dunkeln Saum
der Gebüsche, sich endlich im Schatten zu kühlen.
Was in der vorderen Linie aushielt, streckte sich
in den Schützengräben zum Schlafe nieder. Brach
der Morgen an, fanden beide Parteien wieder lücken-
lose Fronten, die in rastloser Blutarbeit sich abwürg-
ten. Sprungweises Vorgehen rief stets eine Flut von
Schrapnellstücken und eisernen Hagelschlossen der
Maschinenbüchsen herbei, jedes Abbauen ein ver-
zehnfachtes Schnellfeuer der feindhchen Schützen
mit den neuen Kugeln, die eine Schnelle von mehr
als achthimdert Metern in der Sekunde besitzen.
Hier und da legte man die beliebten Tornisterver-
schanzungen an, meist liess man Gepäck aber beim
Gepäckwagen zurück, die Franzosen durchweg, de-
ren Offiziere übrigens seit lange nicht mehr dec
Degen zogen, sondern nur mit einem Kommando^
Stäbchen in der Hand die Ihren zu leiten wussteo.
Die französischen Schnellfeuerbatterien, ur-
sprünglich nur ä vier Stück formiert, hatte man
schon bei Ausbruch des Krieges auf sechs vermehrt
— 251 —
-wie die deutschen, um Einheitlichkeit der Leitung
zu erleichtern. Bei so ungeheurer Ausdehnung des
Gefechtsgeländes erwies sich aber das früher so
entscheidende Gruppieren von Massenbatterien nicht
mehr so wirksam, imd der Infanteriekampf löste
sich sozusagen in Bataillonskämpfe auf, eine selt^
same Erscheinung. Drei Kompagnien in der
Schwarmlinie, eine in Reserve, nahmen die Ba-
taillone oft eine Front von elfhundert Schritt ein.
Die Gewehre verschleimten aber so bald durch das
unablässige Knallen, dass manchmal ein Viertel der
Kämpfer sie nicht mehr brauchen konnte. Beim
Verteidigen fester Punkte wandte man öfters sogar
Handgranaten an, eine Kampfweise der guten alten
Zeit, die also wieder zu Ehren kam. Beim Angriff,
meist unter Benutzung von Rauchschichten» warf
man mitgeschleppte Erdsäcke möglichst weit vor,
um sich in raschem Lauf wieder hinter ihnen zu
decken. Doch es fruchtete selten, Vorderlinien wur-
den fast immer aufgerieben. Auf zweihundert Schritt
berangekommen, erwies sich der tapferste Angreifer
zu schwach, einem dann einsetzenden Gegenangriff
zu stehen. Man hatte geglaubt, dass heutige Fern-
feuerzone einen Nahkampf unmöglich mache. Schon
der japanisch-russische Krieg erwies das Gegenteil»
£s kam vor, dass der Verteidiger erst auf drei-
hundert Meter sein Feuer losliess, Ergebnis halbe
Vernichtung, dennoch Vordringen bis auf zwanzig
Schritt, umsonst I
Selbst die festesten Nerven zerfrass dies ma-
— 252 —
schinenmässige Abdrücken der Mordwaffen, dies Alh
geschlachtetwerden von unsichtbarem Gegn^er, der
stete Anblick dieser Rauchhügel, wo wellige Gelände
ketten über Talsenkungen mit flachem Strich sich
wölbten und eine endlose Esse aus unterirdischem
Nebelschleier zu qualmen schien, das Schlittern und
Stampfen dieser orgelnden Schlachtmaschine, die
wie in einem Mörser Zehntausende zerstampfte, dies
sausende Hinwirbeln von Dampf und Staub wie von
verschüttenden Lawinen.
Von den brennenden Zeltlagern um Rheims bi$
nach Rethel, wohin endloser Wagentross deutsche;
Ambulanzen trottete imd mit proviantfassenden Train-
kolonnen rumpelnd und polternd sich kreuzte, erscholl
millionenfaches Höllenorchester von unaufhörliches
Wehelauten, Winunern, Kreischen, Röcheln, Fluchen,
Beten ohnmächtiger Menschen, Verstümmelter, Zer-
schlagener, Sterbender. Leichenhaufen verkohlten
am Wege, aus anderen in Gruben durcheinanderg^
stülpten Kadavern wehte ein Pesthauch schimme-
liger Verwesung unterm zersetzenden breiten Licht-
strom der Sommersonne. Das Eingraben der Toten
beim Vorwärts-Verlassen von Stellungen wollte wäh-
rend des Kampfes nicht von statten gehen, nun be-
sorgten alle Trainbataillone und gesammelten ver-
sprengten Drückeberger hinter der Front dies
schaurige Geschäft. Der scharfe Zug des Nacht-
windes verbreitete den Geruch von Leichengift,
Eimer mit Karbol mussten umhergeschüttet werden.
Wie wenn rotbraune Herbstblätter niederrieseln und
— 253 — .
den feuchten Waldboden versinkend bedecken,
tropfte es von allen Bäumen und Büschen, breite
Blutlachen sickernd zu einem Rosateich verquellend.
Zäh und elastisch wie indische Baumwolle hat-
ten die französischen, unbeugsam imd biegsam wie
stählerne Drahtgeflechte die deutschen Kampf-
linien den fürchterlichen Stössen der Kriegsfurie
standgehalten. Doch der deutsche Stahl, der Krupp-
sche Gussstahl erwies sich zuletzt als das festere
Metall, an dem alles glühende Erz der Gallierlanze
zersplitterte. Germaniens Brünne blieb undurch-
dringlich, der Heerkönig und Herzog aller Deut-
schen sah hoch zu Ross über ersiegte Walstatt hin.
Als der 24. Juni anbrach, ohne dass die fran-
zösische Oberleitung vollen Überblick gewann, wo
die telephonischen Meldungen von Viertelstimde zu
Viertelstunde sich drängten und oft widersprachen,
war der Ausgang nicht mehr zweifelhaft. Im Zen-
trum gewann man zwar deutscherseits kein Terrain,
liess sich von der trotzigen über Rheims-Chalons
vorgeschnellten kreisförmigen Stellung der hier fech-
tenden sechs französischen Korps nicht zu opfer-
vollem Angriff verlocken, bis man mittags endlich
Abzugsbewegung wahrnahm. Denn die Ereignisse
an der Aisne bestimmten den französischen Gene-
ralissimus, von starrsinnigem Festhalten der Vesle-
ufer abzulassen: das Schicksal von Rheims ward in
Laon und Soissons entschieden. Schon vormittags
erwies sich der Fehler, das Orleanskorps nicht bei
— 254 —
Soissons belassen zu haben, iinreparierbar : der wch-
tige Ort mit seinem alten Festungswall war gegen
Umgehung der Belgier nicht zu halten. Ciner sol-
chen Übermacht gegenüber blieb den tapfem Terri-
torialtruppen von der spanischen Grenze nichts übrig.
als Schritt für Schritt das nördhche Aisneufcr zu
räumen und östlich auf Fismes zu retirieren,
In qualvoller Enge zwischen Westfalen, Thü-
ringern, Holländern wehrte sich die Algerische Di-
vision wie ein verwundeter Atlaslöwe, ihre Turcos
und Zuaven fielen so heldenhaft wie bei Wörtk
Der Todesritt ihrer Elitereiterei, der Cbasseui?
d'Afrique \md Spahis, die in ihrem roten Burnus
wie Flamingos über einem Blutteich zu flattern
schienen, blieb allen Augenzeugen im Gedächtnis.
Nur ihm verdankten die Trümmer dieser glänzen-
den Truppen ihr Entrinnen nach Fismes. Ausfälle
der abgesprengten Heergruppen inLaon undCraonne
fruchteten nicht, sie blieben endgültig abgescbnitteiL
Den 100 Meter hohen Felsen von Laon mit Wein-
bergen, steilen Abfällen, vereinzelten Kuppen, nas-
sen Wiesen imd den kaum ersteigbaren Vorstadtdör-
fem Ardon und Semilly von vom oder auch vtm
hinten erklimmen zu wollen, wo heut die natürUdie
Widerstandsfähigkeit durch Forts mit weiter B^
Streichungssphäre verzehnfacht, dies Vergnü^^en be-
reitete man der Besatzimg nicht. Lieber deckte
man sich, so gut es ging, gegen die Geschosse der
Forts, die weit umher nach Norden, Westen und
Süden flogen.
— 255 —
Aus dem Lettetal gab es für die dortigen Divi-
sionen kein Entrinnen mehr, sobald die Darm-
städter >endlich Berry-au-Bac einnahmen, die Thü-
ringer bei Chavignon einen Riegel vorschoben, und
die Belgier von Westen her am jenseitigen Ufer
entlang rückten : sie streckten am nächsten Tage die
Waffen. Das französische Zentriun trat nachmittags
den Abmarsch zur Marne an, wobei die Reste der
Linken und das noch verhältnismässig intakte
2. Korps die Flanke zu decken suchten, jedoch am
folgenden Tag in Auflösung verfielen. In Rheims
wies das Orleanskorps noch die Zähne, während die
beiden erprobten Korps der 6. Region (Chalons)
in ungebeugter stolzer Haltung die katalaunischen
Felder verliessen und die Rechte unbesiegt blieb. Deut-
scherseits erfolgte jetzt ein wahres Wettrennen gegen
die ganze Strecke Rheims-Chalons. Die alte Krö-
nungsstadt der Könige von Frankreich sah ein
Schauspiel düsterer schauriger Verwirrung, als die
Heersäulen imter der Trikolore, gloiresüchtig wie
nur je unterm Lilienbanner, traurig und wutverzerrt
vorüberrauschten.
Unmittelbar in den Rheimser Rayon nachzudrin-
gen, verbot das Feuer der Forts, die gewichtigen
Einspruch erhoben. Als aber die bisher in Re-
serve gehaltenen sächsischen 12. 19. 23. Korps und
die nun auch als Reserve eingesetzte kombinierte
Landwehrdivision zwischen Aisne — Kanal — ^Vesle
Mourmelon norwestlich umgingen, musste das Nach-
hutkorps sich beeilen, um nicht abgeschnitten zu
— 256 —
werden, wie die im Rheimser Netz verbliebenen
Territorialtruppen, die sich am 27. in ihr Los er-
gaben und kapitulierten. Am 25. früh ging die
Axri^regarde des Orleanskorps beim Dorfe Bezannes
zugnmde. Weitere Hauptteile des innerlich zer-
schlagenen Heeres zu umgarnen, glückte nicht, um-
sonst machte die ganze Reiterei zur Verfolgung
sich auf, setzte eine ganze Strecke in vollem Trabe
nach, auf dem alten Reitersiegesfeld von F&re Cham-
penoise pflückte sie auch am 27. abends keine Lor-
beeren, obschon die Franzosen oft kaum noch eine
Patrone im Laufe hatten. Doch die letzte Kugel,
die letzte Kartätsche genügt, um Reiteranprall ab-
zuschlagen, und je grösser die Reitermasse, desto
willkommener das Schussziel. Die Faselei, erschüt-
tertes Fussvolk, das sich verschoss, werde einer
Attacke nie widerstehen, ist bei heutiger Beschaffen-
heit der Feuerwaffen nur zu belächeln. Denn der
frühere Wert der Reiterei, nämUch ihre Schnellig-
keit, wird durch die Femfeuerzone heut hinfällig:
die Kugel trifft eben viel schneller, als die Rosse
rennen, und ein völliges Verschiessen aller Patro^
nen ist ein zu seltener Fall, als dass man darauf
rechnen könnte.
Der Sieg in solcher Riesenschlacht war mit
Einbusse von fünfzigtausend Toten und Verwmide-
ten, wovon fast zwei Drittel auf das Zentrum ent-
fielen, nicht zu teuer bezahlt. Ausserdem fehlten
den Holländern viele Zersprengte bei den Fahnen,
Die Franzosen büssten vierzigtausend Tote und Ver-
— 257 —
wundete, doch ebensoviel Gefangene, Versprengte,
Vermisste ein, wenn man die Kapitulanten in Rheims
und später Laon hinzurechnet. Ihr moralischer Fak-
tor war gebrochen, es trat der psychologische Mo-
ment ein, wo die Wagschale seelisch zu Ungunsten
des Besiegten in die Höhe schnellt. Aber in die-
sem nämlichen Augenblick traf gleichzeitig ein Funke
ins Pulverfass der schon aufs äusserste dem eng-
lischen „Verbündeten" abgeneigten Volksstimmung,
der mit einmal das ganze Bündnis in die Luft
sprengte: der freche rechtsbrüchige Raub der Ba-
learen, der minder gegen Spaniep als gegen Frank-
reich selber gerichtet schien.
In Paris hatte der eigene Seeerfolg Englands
gegen Deutschland, für Frankreichs Interessen
gleichgültig, ebenso verschnupft, wie das völlige
Lahmliegen der vorher so mächtig ausgeprahlten
Landungsoperation gegen die Niederlande. Drurys
Kanalgeschwader begnügte sich dort fortan mit
blosser Blockade, durch so grosse Rückschläge ge-
warnt, warf hier und da Granaten iiach Antwerpen
undMuidenhafen hinein oder an den Strand bei Water-
weg, ohne je wieder mit Landung Ernst zu machen,
nachdem ein paar nächtliche Handstreiche an der
Wachsamkeit der Küstenposten und der guten An*
läge der Strandbatterien, nochmals gescheitert. Bei
der völligen Niederwerfung der deutschen Streit-
mittel zur See hatte die britische Flotte Ende Juni
nichts Besonderes mehr zu tim und erwog allge-
Völker Europas ... 1 17
— 258 —
meine Dislozierung teils ins Mittelmeer, teils nach
der Atlantis, wo Alarmnachrichten über die merk
würdig schwüle unheimliche Stimmung in den Ver-
einigten Staaten vorlagen. Dort hörten Ende ]m
wie auf Kommando die tobenden Protestmeetings
und Entrüstungsmanifeste der deutschen und irischen
Bürger völlig auf, als habe man die anglophoben
Elemente geheim beschwichtigt imd sich mit ihnen
verständigt. Dagegen spürte man in den britisdKQ
Besitzungen heimliche Minierarbeit von Yankefr
agenten. Auffälligerweise flaute auch das Schimpfen
der Presse gegen Japan, mit dem man seit Anfang
Juni in Fehde lag, auf einmal ab. Kaum der ^M
zona Kicker" braute noch blutrünstige Anekdoten
über chinesische Greuel und möglichste Austiignng
aller gelben Leute in Califomien. Infolgedessen stach
englische Traiisportflotte nach Montreal und Qud)«
in See, die ein halbaktives Milizkorps nach Kanada
beförderte. Eine andere ansehnliche Streitmacht niit
vielen Volunteers ging nach Südafrika, von wo der
Kabel immer bösere Dinge meldete. Ferner brauchte
man frische Truppen in Nordafrika, um wenigstffls
Alexandria zu halten und von dort Wiedererobening
der verlorenen Gebiete anzubahnen. Die Einbusse
an Besitz und Prestige in Afrika war wohlgeeignet,
den maritimen Siegesrausch zu verbittern. Auchio
Ostasien vergällten den Stolz auf Erwerb der hol-
•
ländischen Sundainseln die Bedrängnis in Shangair
die laue Zweideutigkeit Japans, der zimehmende Boy-
kott englischer Waren in Indien und die Gännig
— 259 —
unter den dortigen Muselmännern. Doch getreu
seinem Welteroberungssystem, das aufs Haar dem
altrömischen gleicht, gibt England nie einen Posten
auf, nie sein Spiel an irgendeinem Punkte verloren,
setzt inmitten eigener Verluste seine Übergriffe fort,
fest überzeugt, zuletzt das Verlorene zurückzuge-
winnen, unterdessen aber neuen Raub dem alten hin-
zufügend. Da von Deutschland nichts zu holen,
Frankreich leider alliiert war, musste Spanien her-
halten. Man konnte sich ja denken, dass Frankreich
der Balearenraub sehr bitter kränken würde. Ein
bekannter Marineautor hatte („Quadiilat^re Naval
Francs") prophezeit: „Ein England, das auch noch
Mahon hat, ist nicht bloss vorherrschend im Mittel-
meer, es ist dort allein. Das wäre das Ende jeder
französrchen Grossmacht zur See. Nie darf man
dies erlauben, nie Spanien gestatten, die Balearen
abzutreten, das ist eine Frage von Leben und Tod."
Aber Frankreich war durch Landniederlagen jetzt
ja so geschwächt, sein Toulongeschwader zum Schutz
Nordafrikas gegen die Islamiten festgelegt, sein
Nordgeschwader hatte man durch rücksichtslose Aus-
nutzung in der Nordsee vermindert. Es musste sich
wohl oder übel fügen, falls os nicht riskieren wollte,
dass der treue AllUerte es beim Friedensschluss ganz
fallen liess. Doch hier zum erstenmal verrechnete
sich das kluge Inselreich, es rechnete nicht mit
der nationalen Empfindlichkeit und mit dem nur
eingeschläfert unter der Asche glinunenden Briten-
hass, nicht mit der schon hochgesteigerten Verstim-
17*
— 260 —
mung in Paris. -Auf Remonstrationen, warum Eng-
land nicht neue Diversion an der niederländischen
Küste unternehme, antworteten Naval Department
und Lords der Admiralität unverfroren: „Dte an-
dauernden französischen Niederlagen machten dies
unnütz, ja sogar gefährlich, auch habe England kein
Interesse daran, mit Rücksicht auf den Friedens-
schluss die Niederländer noch mehr zu erzürnen, es
brauche vidmehr all seine Regimenter an andern
Punkten für die eigene Wohlfahrt." Auf herzbeweg-
liche, dann drohende Mahnungen, das versprochene
Armeekorps endlich nach Boulogne-Calais zu senden,
gab es ausweichende Ausflüchte. Erst Ende Juni
landete wirMich eine Division, zusammengerafftes
Volk, zu spät, um noch mitzuwirken. Zum Schutz
französischer Interessen in Nordafrika trug die bri-
tische Flotte oder die Besatzung von Gibraltar nicht
das mindeste bei. Nun aber brachte der gegen Ma-
hon geführte Streich, ein Todesstreich gegen Frank-
reichs Bedeutung im Mittelmeer, den Kelch zum
Überlaufen. Die hochgehenden Wogen der Ent-
rüstung sänftigte kein Ol diplomatischer Umschweife.
Das Marineministerium erklärte sofort öf f entlick
dass Mahon der strategische Punkt für alle kombb
nierten Bewegtmgen der Routen Toulon-Algier und
Toulon-Korsika-Biserta sei, 580 Seemeilen (40 Fahrt-
stimden) von Malta, 430 Meilen (siebenundzwanzig
Stunden) von Gibraltar entfernt. Dies würde ein
strategisches Dreieck ergeben, das die drei fran-
zösischen Flottenstationen Portovechio in Korsika«
— 261 —
Rachgoun in Afrika, Port' Vendres in Roussillon
völlig annullierte. Kategorisch forderte der Quai
d'Orsay soforäge Räumung der Balearen, erwiderte
Spaniens kriegerische Note ftiit der Versicherung,
dass es Englands zynisches Attentat gleichzeitig als
unfreundlichen Akt gegen Frankreich betrachte, und
Hess aus Perpignan und Cästres Truppen nach Port-
Vendres abgehen, um auf den transatlantischen Pa-
ketbooten ,Touraine' und ,Braganza' nach Minorca
übergesetzt zu werden und so wenigstens Gemein-
samkeit der Besetzung zu erzielen. Doch der schaden-
frohe Spott in London über die neuen Misserfolge
der französischen Heere beeinflusste die hochmütig
kühle Antwortnote, während das Jubilieren über
diesen neuen Triiimph imperialistischer Arglist im
britischen Publikum kein Ende nahm und der Pu-
blizist Stead nebst dem Abgeordneten Labouch^re
öffentlich im Hydepailc insultiert wurden, weil sie
den Bruch des Völkerrechts zu denunzieren wagten.
„Frankreich möge sich um seine eigene gefährdete
Lage kümmern. Was die naive Zumutung betreffe,
französische Truppen in Minorca aufzunehmen, so
bedaure man, sagen zu müssen, dass der britische
Gouverneur Instruktion habe, jede solche Annähe-
rung als Feindseligkeit zu behandeln. England habe
bisher vom französischen Bündnis wenig gehabt, alle
[Erfolge allein besorgen müssen, die Marokkoaffäre
habe seine eigehen afrikanischen Lande zum Abfall
grebracht, es müsse daher sich selber Kompensationen
suchen.**
— 262 —
Es war genug xrnd übergenug. Nach einem
ausserordentlichen Konseil im Palais Luxembourg,
während Volksmassen tinter dem Rufe »»Friede mit
Deutschland, Krieg mit England I" an den Fensten
vorübertobten, erschienen plötzlich aus dem fran-
zösischen Heere, das aus der Champagne in^ Departe-
ment Seine>et-Mame wich, von den Deutschen nur
langsam gefolgt, zwei hochgestellte Generale und
ein Zivildelegierter des Präsidenten bei den deut-
schen Vorpost^i. Sie erbaten Unterredung mit St.
Majestät dem Kaiser in ultrasekreter Mission. Die
Zusammenkunft ward gewährt. Auf Präliminarien
der vorsichtigen Anfrage, was man von Englands
Übergriff denke, und der ehrerbietigen Erkimdigung,
ob es wahr sei, dass England über Separatfrieden
mit Deutschland geheime Offerten mache, lautete
die Antwort sehr offen: auf erstere achselzuckend,
man sei derlei von England gewohnt, auf letztere
bejahend nach einiger zögernden Überraschung^.
Es war Schuss ins Blaue der französischen Diplo-
matie gewesen, entsprach aber den Umständen. Eng-
lands Angebot, Deutschland möge sich an Frank-
reich schadlos halten, dürfe Belgien annektieren,
müsse aber auf jede oranische Erbschaft verzichten,
alle holländischen und deutschen Kolonien an Eng-
land überlassen, ausserdem Antwerpen an KngUi^
als Pfand ausliefern, würde der Kaiser selbst dann
als Unverschämtheit abgewiesen haben, wenn nicht
die furchtbare Erbitterung des deutschen Volkes
gegen England, ohne jedes Übelwollen gegen Frank-
— 263 —
reich, ein Paktieren mit ersterem ohnehin ausser
Frage gestellt hätte. Jetzt aber rückte Frank-
reich seinerseits mit Vorschlag eines Separatfriedens
heraus. Vom 8. bis 13. Juli währte diese geheime
Verhandlung, während auf getroffene Verabredxmg
eine durch Vorpostengeplänkel maskierte Waffen-
ruhe herrschte. Vorposten tranken sich traulich zu,
Parlamentäre verkehrten kordial miteinander.
21. Lancers und Westminster Volunteers, die
anstandshalber Promenade nach Boulogne wie einen
Holidaytrip von Sommerausflüglem unternahmen,
meldeten feindselige Stimmung der Bevölkerung.
1. Kav. Brigade Scobell (1. Dragoon Guards 5. Irische
Lancers 8. Ir. Hussars 21. 22. Mounted Infantry)
sistierte daher Einschiff mig, dito Oxfordmiliz-Königin-
leibhusaren (Chef König Eduard) und Yorkshire
Dragoons.
Gleichzeitig spielte der Telegraph unablässig
zwischen Berlin und Paris nach Wien, Rom
und Madrid. Am 14. wurde ratifiziert, am 15. die
Welt durch ein welthistorisches Schriftstück über-
rascht, mit dem eine neue Epoche der Mensch-
heit anhob.
Der bekannteste Admiral Beresford, Comman-
der-in-Chief of the Mediterranian, hiess jetzt, vor
Kriegsausbruch versetzt, Commander in tbe Gennan
Ocean. Unter ihm Admiral Pearson, Commander
at the Nore, Vizeadmirale Adair, Douglas, Mann.
•Die Absicht, etwa dem britischen Nordseege-
schwader entgegenzugehen oder das westliche Ka-
nalgesthwader offensiv aufzusuchen, ehe sich die
britischen Streitkräfte mit dem französischen Nord-
geschwader und dem heimischen Reserves^eschwader
vereint, liess die deutsche Admiralität sofort faOen.
Wo waren die Zeiten hin, als man in naiver lUusioa
über Verrottung der britischen Marine sich wiegte
und ein Schiff wie „Kaiser Wilhelm" für fähig hielt
allein schon grosse Dinge auszurichten! Heut stand
man unterm Zeichen des furchtbaren „Dreadnought",
dessen Stapellauf in England solches Entzücken er-
regt imd mit zum Kriegswunsch beigetragen hatte!
Freilich wussten Einsichtige längst, dass jenes un-
vernünftige Geschrei unwissender Bierbankpolitiker
und Pressestrategen über einstigen Umtausch von
Deutsch-Sansibar gegen die ,Nussschale Helgoland.
als ob man eine Erstgeburt um ein Linseni^ericht
verhandelt habe, gerade so fehlging, wie manche
andere unberufene Kritik gegen Massnahmen des
neuen Kurses. Nein, der Erwerb von Helgoland war
— 265 —
nötig, England unter damaligen Flottenverhältnissen
töricht, darauf verzichtet zu haben. Wieviel leichter
würde sich der Angriff auf Hamburg gestalten, ja
sofortigen unwiderstehlichen Überfall ermöglichen,
wenn Helgoland noch britische Station wäre! Mit
den Helgoländeü Batterien hat beiderseitige Flotten-
strategie stark zu rechnen. Aber anderseits, wie
schmolz der Wahn dahin, als ob diese Festung als
Ausfallpforte für Torpedoflottille uneinnehmbar sei,
wie ein beredter Marineschriftsteller es noch vor
fünfzehn Jahren dargestellt I Damals lag bei Eng-
lands Marine wirklich noch manches im argen, seit-
her hatte Lord Beresfords Reformbill alles. geändert.
Wenn zu Nelsons Zeit die Seekönigsorlogs den fran-
zösischen, so wenig dies bekannt, an Bauart und
Ausrüstung oft unterlegen waren und nur durch
höhere nautische Gewandtheit ihrer unbesieglich
tapferen Bemannung siegten, so hatte England heut
einen Vorsprung nicht nur an Zahl, welche die vier
stärksten anderen Flotten zusammen nur eben er-
reichten, sondern auch an Qualität in jeder Be-
ziehung. Die Prahlereien französischer Marineschrift-
steller noch vor wenigen Jahren, dass man durch
Sous- Manns das britische Übergewicht in Frage
stelle, fielen heut dahin, wo England selbst über
hinreichende Unterseeboote verfügte, wovon Japan
und Deutschland noch weit entfernt.
Die Phantasie, eine Hochseeschlacht am Ein-
gang des Kanals zu wagen, zerrann unter der Er-
wägung, dass selbst im Falle des Erfolgs das andere
— 266 —
britische Geschwader den Rückzug nach dem Nord-
ostseekanal abschneiden könne. Als einzige günstige
Aussicht blieb, die Blockade den Sombier durdi aus-
zuhaken, bis im Herbst hoher Seegang ein Forderen
der Eibmündung und anderer wunder Punkte un-
sicher machte und nicht mehr helle Nächte Torpedo^
angriffe erschwerten. Ein Vorspnmg der Mobili-
sierung, wie ihn Deutschland auch hier durch ^'
herige geheime Vorbereitung erzielte, fiel kaum ins
Gewicht, da man*s nicht offensiv ausnützen konnte
Die feindliche Übermacht war ganz ungeheuer.
Von den 70 (früher 55) Linienschiffen Englands
(immer nur moderne, nicht Küstenpanzer gerechnet,
nicht ältere oder im Neubau begriffene), be-
fanden sich 7 in Ostasien, 6 in Portsmouth, 5 in der
Atlantis, 12 im Mittelmeer, dazu im ganzen 53
grosse Kreuzer von über 5000 Tonnen und un-
zählige kleinere. Frankreich mit 27 Linienschiffen,
33 Kreuzern (früher 25 und 30, ausserdem 400 Tor-
pilleürs und 27 kleine Kreuzer, deren Zahl auf eng-
lischer Seite Legion) hatte in Asien und andern
Weltteilen 5 Linienschiffe, 5 Kreuzer, im Mittehneer
11 Linienschiffe und 15 Kreuzer. Inmierhin blid)e9
für Nordoperationen 40 britische, 11 franzosisdte
Linienschiffe, 57 britische, 13 französische Kreuzer,
denen Deutschland nur 26 und 17 (früher 22 und 14^
entgegenzustellen hatte, auf verschiedenen StatioDO
sonst befindliche 55 Kreuzer abgerechnet, die nö8
britischerseits, weil teilweise zu schwach und ver-
altet, zur Reserve - Rumpelkammer ausrangi^
— 267 —
verächtlich als „Kuriositäten aus Wilhelms Marine-
museum*' verlachte. Eigentlich beruhte die Haupt-
hoffnung auf zwanzig Divisionen von Torpedo-
booten. Die Kreuzer, worunter acht von anstehn-
licher Stärke, bildeten verhältnismässig den Kern
der Flotte. Wie es aber erst werden sollte, wenn
Italien endgültig abfiel oder gar seine elf grossen
Schiffe mit dem Gibraltar- und Toulongeschwader
vereinte und der grössere Teil dieser 34 Linien-
schiffe, 47 Kreuzer sich gleichfalls zur deutschen
Küste wendete, liess sich nicht absehen. Vor letzterer
Möglichkeit blieb Deutschland freilich durch die
rasche Entwicklung anderweitiger Weltereignisse be-
hütet, gleichwohl schien auch ohnedies Atissicht auf
glücklichen Widerstand nicht vorhanden.
Strandforts bei Friedrichsort, Cuxhaven, Helgo-
land usw., Minensperren, Sperrwachen, Leuchttürme
waren in gutem Stande, der Kaiser Wilhelm-Kanal
im Belagerungszustand, die strategisch so bedeut*
same Anlage (eins der grössten Verdienste des
Kaisers) durch sofortige Vereinigung des Ostseege-
^hwaders aus Kiel mit dem Nordseegeschwader
gut benutzt worden. Letzteres enthielt die besten
Schiffe: drei neueste, fünf der Witteisbach-, zehn
der „Kaiser"- imd „Deutschland"-, „Braunschweig"-
klasse, zu welchen drei der Schwabenklasse und zwei
der Wörthklasse stiessen, nebst zehn grossen Panzer-
kreuzern und sechs Torpedodivisionen. Abgenutzte
Doppelzylinderkessel ersetzte man überall durch neue
Wasserrohrkessel (Schulz). Wasserdichte Innenver-
— 268 —
bände, neue Einbauten, erhöhten die Dampf stärke
und Schwimmfähigkeit Der Rest blieb bei Kid.
dem eigentlichen Zentraldepot der kaiserlichai
Marine, deren Reservisten schon alle pünktlich zur
Stelle waren, ebenso tausend Schiffsjungren, ausser
den jährlich eingestellten achthundert. Wie vide
dieser Knaben gingen sicherm Tode entg^egenl Bd
Kiel lagerten sieben Mecklenburger Bataillone. Am
22. Mai wurde bei diesen Generalmarsch geschlagen
sie defilierten im Präsentiermarsch am Grossadmiral
Prinz Heinrich vorbei und nahmen ihre vorausl^
stimmten Plätze längs der Küste bis zum Kanal eto.
Hinter Cuxhaven lagen das Lauenburger Jägeita-
taillon, die Schleswig-Holsteiner Division bei Altotia,
die Hanseatenbrigade imd das Oldenburger Regi-
ment weiter nach Ostfriesland. Der Norddeutsche
Lloyd stellte natürlich seine Schleppdampfer in
Dienst für Bergung havarierter Kriegskörper, die
bei Brunsbüttel durch ein dort verankertes Schwimm-
dock repariert werden konnten.
Ausser den anständigen Bauten modemer Kon-
struktion besass man noch dreizehn alte Linicc
schiffe der „Sachsen"- und „Siegfried"-Klasse von
4000 — 7400 Torinen und einer Geschwindigkeit von
nur 15 Knoten, die man mit ihren 21 cmrGescbützeo
allenfalls im Belt verwenden konnte. Die hierbei
mitgezählte „Oldenburg" und im^iigebaute „Württem-
berg" hatte 24 cm in letzter Stunde erhalten.
Helgoländer Signalmast und Funkspruchamt
nach Kiel meldeten bis zum 24. abends nicht«
— 269 — .
vom Feind. Sehr begreiflich, weil das allein
schon heimlich fertiggestellte Kanalgeschwader den
Angriff auf Antwerpen, Amsterdam, Truppentrans,
port auf Vlissingen vorbereitete. Das von seiner
Basis Rosyth am Firth of Forth (Südostschott*
land) am 25. endlich teilweise ausgelaufene Nord«
Seegeschwader liess auf sich warten, einige in
Nähe von Helgoland gesichtete Kreuzer rekognos-
zierten die Fahrstrasse, wo sie nach Entfemimg aller
Feuerschiffe und Tonnen ohne sichere Piloten keinen
Anhaltspunkt fanden, um Flottenbewegimgen ein-
zurichten. Die Gesamtmobilisierung der britischen
Marine erforderte übrigens zwölf Tage, das Reserve-
geschwader in Chatam passierte erst am 1. Juni
den Medwaykanal nach Sheerness, die Transport-
flotte von dort folgte erst am 3. zur etwaigen Lan-
dung m Ostfriesland, während die dem Nordsee^
geschwader attachierte Landungsdivision am 30. in
Höhe von Helgoland eintraf. Da das Kanalgeschwa-
der 12 Schiffe, 20 Kreuzer, das Reservegeschwader
9 und 11 zählte, besass das eigentliche Offensivge-
schwader Rosyth selbst 19 und 26, dabei befand sich
ausserdem aber der gefürchtete ,Dreadnought*. Das
französische Nordgeschwader passierte erst am letzten
Maitag die holländische Küste, durch Streitigkeiten
mit dem britischen Admiral erst vor Antwerpen, dann
vor Texel aufgehalten, da infolge der schweren briti-
schen Landungsmisserfolge in den Niederlanden hin
und her beraten wurde, ob nochmalige Versuche mit
Hilfe des französischen Admirals gemacht und etwa
— 270 —
ein französisches Landungskorps dorthin gewoifeo
werden solle. Die französische oberste Heereslei-
tung verbot dies aber, weil man die Nordarmee
nicht schwächen und sich, gewarnt durchs Beispiel
des britischen Unfalls, nicht ähnlichem aussetzen
wollte. Die damalige Zeitspanne, in welcher die
Alliierten sich gegenseitig ihre Niederlagen in die
Zähne warfen, fiel daher auch für kombinierte Of-
fensivmanöver der Flotte aus. Endlich einigte man
sich, dass die Franzosen nunmehr nach Osten geges
Wilhelmshaven weitersteuem, das Kanalgeschwadei
vorerst die Niederlandsküste weiter blockieren solle.
Diese Verhältnisse, die sich zum Teil voraussehen
liessen, weil Operationen von Verbündeten selten
richtig zusammenklappen, verminderten die sons:
mögliche erdrückende Übermacht in der Nordsee
auf lange Zeit und verzögerten den Erfolg desRosytb-
geschwaders. Bemannung der Riesenflotte hatte
allerdings auch grosse Schwierigkeiten gemacht, doch
nicht solche, wie französische Marineschriftsteller,
gegenüber dem unerschöpflichen Reservoir breto-
nisch-normanhischerKüstenbevölkerung, es früher ans-
malten. Obschon sowohl Wehrpflicht als einstiges
Mittel des .,Pressens' fehlten, ersetzte dies massea-
hafte Anwerbung von Ausländem, meist Nor wegen
und Handelsmatrosen.
Est am 28. hatte Admiral Beresford seine Strdt-
macht vereint, bis dahin Aufklärungsvorposten kld
nerer Kreuzer umherstreuend, eines TorpedoangriHs
auf hoher See gewärtig, der jedoch wegen m hellefi i
— 271 ■—
Mondwetters ausblieb. Als braune und schwärzliche
Rauchwolken am Horizont sich kräuselten, beob-
achtete man vom Helgolander Fels, dessen Abend-
schatten sich breit auf die Wasserfläche senkte,
während der folgenden Nacht die bimten elektri-
schen Signallichter der feindlichen Flotte. Die
deutsche lag mit wohlgefüllten Kohlenbunkern klar
zum Gefecht. Notgednmgene Defensivtendenz, zu-
mal man über des Gegners Kriegsplan gar nicht
und über seiüe schon vorhandene Stärke nur un-
vollkommen unterrichtet, legte nahe, den Kampf
nur im Bereich der Helgoländer Forts aufzunehmen
und den Feind in deren Feuerkreis hineinzulocken.
Dass vier holländische Küstenpanzer nebst elf
mehr oder minder tüchtigen Kreuzern imd veralteten
Korvetten sich in den Jahdebusen gerettet hatten,
vermehrte die taktischen Einheiten der von dort
zwischen Bremerhaven und Emden patrouillierenden
und gegen den Kanal aufklärenden sechs Linien*
schiffe und fünf Kreuzer allerdings quantitativ. Man
bedurfte deshalb auch keiner Abzweigung deutscher
Küstenpanzer von Kiel dorthin. Gefechtswert der
Holländer war freilich gering anzuschlagen, immer-
hin kamen sie für Verteidigungszwecke in Betracht.
Kriegsboote, mit der vom Grossherzog von Olden-
burg erfundenen „Niki-Schraube" ausgerüstet, wag-
ten sich als Aufklärer weit vor. Da der Telegraph
aus Holland über dortige Vorgänge dauernd auf dem
laufenden erhielt und endlich sicher schien, dass
das Kanalgeschwader vorerst an westliche Wasser
— 272 —
gefesselt bleibe, so entschloss sich der deutsche
Vizeadmiral im Jahdebusen nach Norden auszokim-
den, sich weiter von der Küste entfernend« Der
kühn aufklärende Tender „Fuchs" hatte nichts vom
Feinde bemerkt.
Für den bevorstehenden VerzweiflungskampC ei*
füllte es denn doch mit einiger Zuversicht, dass
die deutsche durchgängige Ausbildung der Mann-
schaften besser sein müsse, als die der vielen frisdi
Angeworbenen oder eingestellten Freiwilligen der
englischen Marine, und eine viel grössere Fülle gt-
dienter Reservisten durch das Wehrpflichtsystem
verbürgt werde. Letzteres traf unbedingt zu, bei er-
sterem liess man jedoch ausser acht, dass es für
Nordsee- und Mittelmeergeschwader nicht zutraf,
weil diese Marinekorps stets auf halbem Kriegsfusser-
halten und möglichst mit altgedienten Mannschaften
gefüllt wurden. Ausserdem zeigte der Ernstfall, dass
zur See noch mehr alszu Lande heutzutage die Technik
regiert, also stärkere Geschütze und Panzer den
Ausschlag geben. Admiräl Togos Tagesbefehl be-
tonte zwar, ein kaltblütig todesverachtend zielender
Kanonier richte mehr aus, als hundert unsichere und
erschreckte, doch solcher Unterschied galt nur für
die russische elende Tschuschima-Flotte, bei eng-
lischen imd deutschen Matrosen lässt sich nur gleiche
Todesverachtung voraussetzen.
Da ein mittleres Schiff für hundert Tage Seekrieg
durchschnittlich pro Tag 50 Toimen Kohle brancbt
ein grösseres natürlich mehr, bedurften Reserve-
— 273 —
und Nordseegeschwader mit so zahlreichen Kreuzern
jeder Grösse, ,Destroyers* (Torpedozerstörern) und
Torpedos ungefähr 900000 Tonnen für solche Zeit.
Da man so viel unmöglich bei sich führen konnte,
wurden mit einer starken Reserve von Kohlenschiffen
etwa 300 000 Tonnen verladen, nach deren Verbrauch
man auf weitere Kohlentransporte per Schiff an-
gewiesen, wollte man nicht auf die Basis Rosyth
ziuückfallen und dort neuen Bedarf fassen. Daraus er-
gibt sich, dass die moderne Seestrategie noch mehr als
die Landarmee mit der Eisenbahn, mit dem rein
materiellen Objekt des Kohlenersatzes zu rechnen
hat, der sozusagen das tägliche Brot der Schiffskörper
bedeutet. Lang fortgeführte Operationen fem von der
Basis verbieten sich also von selbst, ist dieser Ersatz
nicht unbedingt gesichert, und alles drängt somit zu
rascher Entscheidung noch mehr als im Landkrieg*
Colonel Maurice von der englischen Artillerie
rühmt in einem Buche mit Stolz, dass unter 106
Kriegen Englands nur 10 nüt vorheriger Kriegs-
erklärung erfolgten, sonst England stets mitten im
Frieden das Völkerrecht bracht Das Grossartige
dabei ist weniger die Tatsache selber, als ihr offenes
Anpreisen I Hier wird der Cynismus zur Majestät, die
Naivität zur Genialität. Die Majestät des British
Empire thront über allen Gesetzen, sie hat nur
ein Gesetz: Plus, ultra I Immer weiter I
Hier zum erstenmal war eine Fremdmacht dem
englischen Überfall halb zuvorgekommen, indem
Deutschland auf französische Provokation so schnell
Völker Europas . . . t l8
— 274 —
zum Aussersten griff, wie man nicht erwartete. Doch
unglücklicherwebe blieb ganz ausgeschlossen, dass
man des Mobilisierungsvorsprimgs einzig natürlicbea
Vorteil daraus zog, nämlich die Offensive. Eis macht
sich am grünen Tisch und auf dem Papier schon,
die innere Linie zwischen zwei feindlichen getrenn-
ten Massen ausnutzen. Aber wenn jede dieser Mas-
sen fast ebenso stark als die gesamte eigene Macht,
so ist dies Unterfangen zur See noch gefährlicher
als zu Lande, weil man dort eine so schmale Basb
in der eigenen Küste hat und, davon abgeschnittoi.
wegen Kohlenmangels hilflos wird. Die Phanta-
sie einiger Marinestrategen, sofort auszulaufen und
das Kanalgeschwader anzufallen, hätte unstreitig in
Wirklichkeit umgesetzt werden können, xmd die geg-
nerischen Massnahmen ermöglichten den Erfolg so-
gar noch mehr, als zu hoffen, weil das Kanalge-
schwader getrennt vor Amsterdam tmd Antwerpen
kreuzte, ersterer Teil also möglichenfalls erdrückt
werden konnte. Wurde er aber nicht eingeholt,
sondern lockte die Deutschen in den Kanal sich
nach, so gewann das stärkere Rosythgeschwader Zeit,
der deutschen Flotte in Flanke und Rücken zn
fallen, ihre Basis Hamburg zu zerstören. Selbst im
günstigsten Falle bezahlte man kurzen blendenden
Anfangserfolg mit nachherigem Untergang. Bei je>
der Offensive musste man sich darauf gefasst machen,
dass die ganze deutsche Schlachtflotte zum Teufel
ging, nur strikte Defensive taugte. Schon der Auf-
klärungsausfall der Eskadre von Wilhelmshaven fid
— 275 —
aus diesem Rahmen heraus und erwies sich durch
die Probe als verfehlt.
„Die Engländer sind rücksichtslos und sehr tüch-
tig," äusserte man sich im AdmiraUtätsrat, „gegen
sie hat man nur einen Helfer: die Zeit. Das Unter-
brechen der Einfuhr, bloss auf Amerika angewie-
sen, muss die unfruchtbare Insel auf die Dauer er-
schöpfen. Die richtige Taktik wäre daher, den Krieg
in die Länge zu ziehen, Defensive ä outrance. Zu
lange Blockade unsrer Küsten nutzt ihre Maschinen
ab, braucht ihre Kohlen auf, ruiniert ihr furchtbares
Geschützkaliber, für dessen Schonung sie von sel-
ber auf stetes Bombardement verzichten müssen.
Da uns der Nordostseekanal stete Ausfälle erleich-
tert, wird man oft die Blockade brechen und mit
Kaperkreuzem die englische Handelsmarine belästi-
gen können. Der von französischen Fachleuten so
oft empfohlene Kaperkrieg steht auch uns zu Ge-
bote, wenn wir alle Schnelldampfer und grossen
Faketboote des Norddeutschen Lloyd, der Trans-
atlantischen, Ostafrikanischen, Ostasiatischen Linie,
in armierte Kaper umwandeln. Schade, dass uns
nicht, wie in solchem Fall den Franzosen, die Dro-
hung einer Landung übrig bleibt, die wir höchstens
von Holland her versuchen könnten auf viel weitere
[Entfernung, während die. Franzosen den Kanal La
Manche an schmälster Stelle überraschend passie-
ren können. Ein Glück übrigens, dass Lord Wolse-
ley sich dem Kanaltunnel widersetzte, denn der
Transport britischer Truppen nach Frankreich wäre
i8*
— 276 —
dann ein Kinderspiel, und wir wären dann doch ge-
nötigt gewesen, anfangs in den Kanal zu laufen, um
diese Möglichkeit zu hindern, mit Torpedos den
Tunnel zu zerstören. Ein Glück, dass wir zu so
gewagten Abenteuern jetzt nicht gezwungen sind. Die
Eibmündung und Helgoland zu halten, wird g^
lingen, und wir brauchen nichts weiter." . .
Am 29. erhob sich plötzlich ein dichter Rauch-
schleier vor der britischen Flotte, braun und un-
durchdringlich. Mit rauchstarkem Pulver und aller-
hand übelriechenden Explosivstoffen wurde dieser
dicke Flor verbreitet, der bei windstiller Atmosphäre
und leichter Brise den ganzen Tag anhielt. Man
konnte sich deutscherseits diese Massregel nur sc
erklären, dass der Feind irgendeinen Überfall untenn
Schutze dieser Verschleierungswand vorbereite. Mar
verdoppelte daher die Wachsamkeit auf der gamen
Linie, besonders spähten die Torpedos aus und be-
wachten mit nervenaufreibender Spannung die Ge-
gend der Flatterminen, ob dort Unterseeboote plötz-
lich die Flut aufwühlen würden. Aber nichts regte
sich. Erst im Laufe der Nacht löste sich das Rät-
sel auf traurig überraschende Weise.
Sobald nämlich Beresford am vorigen Frühmor
gen durch Aufklärungskreuzer erfuhr, dass aus Wil
helmshaven eine Eskadre nordwärts laufe, beschloss
er auf der Stelle, die deutsche Hauptmacht vor sieb
zu täuschen und mit Vizeadmiral Mann seitvräns
diese Beute abzufangen. Vizeadmiral Fische! izn
Jahdebusen wusste nur aus Helgoland, dass don
— 277 —
die ganze britische Nordseeflotte gesichtet, glaubte
also mit Kurs nach N.N.W, höchstens auf et-
waige Aufldärungskreuzer des Kanal- oder Reserve-
geschwaders zu stossen, deren Verbleib er feststel-
len wollte. Er legte daher kein Gewicht darauf, als
ausser ein paar vor ihm ausweichenden und am
Horizont fliehenden kleinen Kreuzern plötzlich ein
Linienschiff sechs Meilen vor Backbord gemeldet
wurde. Bald darauf tauchten aber Rauchwolken,
dann Mäste und Schlote von immer mehr feindlichen
Panzern am Horizonte auf, die unter Volldampf mit
äusserster Kohlenverschwendimg auf ihn losfuhren.
Entfernung von der Küste war schon zu be-
trächtlich, um ohne Kampf entrinnen zu können, auch
sträubte sich dagegen das Selbstgefühl der deut-
schen Marine. Die Linienschiffe „Kaiser Fried-
rich", „Wettin", „Elsass", „Weissenburg", „Wörth",
„Hessen", die Kreuzer „Prinz Adalbert", „Friedrich
Karl", „Gazelle", „Medusa", „Niobe", „Pfeil" stell-
ten sich in Schlachtordnung, die Hochseeboote vor-
aus, deren Torpedolauf die passende Schussdistanz
(einst 400 Meter) rasch zu erreichen suchte, gedeckt
von einer Halbdivision Torpedojäger. Auf 4000 Me-
ter begann das Geschützduell, auf 2000 Meter rückte
es zusanmien. Überall Aufzucken gelber, weisser,
roter Strahlen, kein grauweisser Rauchschleier wie
vordem, der erbarmungsvoU Schrecken der Verwü-
stung verbirgt. Aus dem Meerschlimd spritzten schäu-
mende Wassergeiser. Diese Springbrunnen ver-
schluckten untergehende Torpedoboote, Ladekam-
— 278 —
mer und gefüllte Kammerschleuse in die Tiefe ent-
leerend, als sie mit rasender Geschwindigkeit des
nötigen Zwischenraum durchmassen. An einigen
Stellen kam es zum Rammen und halben Entern,
wobei die kleineren Kreuzer die blauen Wölkchen
ihrer Revolverkanonen verstreuten. Zerdrückte Pan-
zerschilde, mit der Lafette über Bord geschleuderte
Stücke, schiefgepresste Schotten und vomüberhan-
gende Schornsteine, blutige Menschenknäuel auf dem
Achterdeck unter Überschwemmung platzender Gra-
naten, Fortstieben von Panzerbrüstung der Koat
mandobrücken, hellgellendes Zerkrachen von Me-
tall unterm Heulen der flammenden £isenmäulef,
Pfeifen von Maschinengeschossen durch umgemahte
Bemanntmgsreihen, brennende Kessel mit ruckwei-
sen dumpfen Entladungen, bis heisser Dampf aos
allen Luken aufzischte und die Heizer verbrühte,
endlich schwimmende Wracks, die wie kleine Insel*
Vulkane ihren Qualm ausstiessen und dann spur-
los im gähnenden Meeresschlund sich begruben,
schwarze Pünktchen verzweifelter Schwimmer, denen
ausgesetzte Boote des Siegers rettende Seile uik!
Taue zuwarfen, — so sah dies grause Bild eine
Stunde lang aus.
Am ,Wettin' waren alle Deckbauten verschwinh
den, dem .Friedrich* fehlten die Schornsteine, ak
beide das Weite suchten. ,Elsass' kenterte unter
mehreren Volltreffern des britischen ,Cäsar\ Die
einst so vielgenannte populäre ,Gazelle* sank in sieb
zusammen. Die Halbdivision Torpedojäger, vor
— 279 —
dreifacher Übermacht der Destroyers eingeschnürt,
erlag. Nach Ausscheeren der havarierten beiden
Linienschiffe iind der kräftigen Kreuzer „Adalbert"
und „Friedrich Karl", die ziemlich unversehrt den
Kampf abbrachen und entschlüpften, war von der
deutschen Eskadre nichts mehr zu sehen, alles andere
vernichtet, was vor Fort Meppens morgens so fröh-
lich „Klarschiff" schlug und mit Radwelle des Pater-
nosterwerks seine Geschossaufzüge füllte. Doch auch
den Briten war die Sache nicht leicht geworden,
von ihren acht Panzern waren zwei schwer, fünf
leicht beschädigt, wovon freilich vier noch völlig
gefechtsfähig, zwei Kreuzer gesunken. D-Torpedo-
flottille „Emden" hatte ihre Pflicht getan. Umsonst
bedeckten die Destroyers diese blitzschnell her-
ansausenden schlanken Windhunde mit Schüssen
ihrer Schnellfeuerkanonen, umsonst verschwanden
sieben Flankenboote, wie aufgesogen vom Ab-
grund, umsonst flog die Heizmaschine des achten
in Stücke, die andern setzten ihren Weg unaufhalt-
sam fort. Die Whiteheads auswerfend, erzeugten
sie riesige Schaumgarben, Wassersäulen von dreissig
Metern Höhe, die sofort zwei schwarze Schiffsleiber
in die Luft hoben, bis sie, wie von Axthieb mitten-
durchgebrochen, zerrisseti zurücksanken und im
kräuselnden weiten Schaumkreis für immer nieder-
gingen. Nur grünes Gerinnsel und weisser Trich-
ter mit quirlenden Blasen verriet eine Weile, wo
das deutsche Meer den befleckenden Feind ver»
schlang. Zwei der Torpedoboote, die so kühn unsre
— 280 —
Niederlage rächten, entkamen. Dem S. 38 setzte
schon in Nähe der Emsmündung, während vor der
Jahde bei Rotesand-Turm Tender ,Otter* wie eine Ratte
ersoff, ein Schuss die Maschine in Unordnung. Doch
, Alice Roosevelt* kehrte mitten imter Windsbraut tob
Geschossen um, nahm den Kameraden ins Schlepp-
tau, und beide erreichten wie durch ein Wunder,
ohne zu kentern, das schützende Gestade. Ein Ta-
gesbefehl der Marine rühmte mit Recht die Helden-
tat, alle überlebenden Offiziere erhielten den Pour-
le-Merite, hernach auf Segeljacht ,Tilly 8* von Prinz
Heinrich zur Tafel geladen und durch besondere
Ansprachen ausgezeichnet. —
Lord Beresford war zwar fest überzeugt, dass
deutsche Schiffe der „Kaiser"- und selbst der „NVit-
telsbach"-Klasse dem „Dreadnought" gegenüber
keine andere Wahl hätten, als sich zu ergeben oder
zu sinken. Obschon er also nüt dem vor Helgoland
gebliebenen Rest seiner Schiffe^ das furchtbare
Riesenschiff in der Hand, noch stark genug schien,
um der an blosser Zahl dann weit überlegenen deut-
schen Flotte die Spitze zu bieten, hielt er dennoch
für angezeigt, jene Rauchwand zwischen sich und
den Gegner zu bringen, um ihm das Zusammen-
schrumpfen der frontal übrigbleibenden Macht ZQ
verstecken. Ursprünglich beabsichtigte er, sein sieg-
reiches Seitengeschwader zu sich zurückzurufen. D^
aber alles so gut ging, entschied er sich dafür. i&
der Teilung zu verharren, befahl V.-A. Mann weiteren
Vorstoss gegen Ems- imd Wesermündung. Frontal
— 281 —
fiel er unterm Winde ab und entfernte sich etwas
nach Westen, indem er durchschlagenden Angriff
auf Helgoland und Cuxhaven bis zur Ankunft des
Reservegeschwaders verschob.
Deutscherseits glaubte man bei Cuxhaven
während des Seegefechts im Westen dumpfen
Kanonendonner in der Feme zu hören. Ein aufstei-
gender Nebel verdickte jedoch die Luft und dämpfte
den Schall, so dass man sich damit beruhigte, es
handle sich wohl nur tun Vorpostenscharmützel. Um
so peinlicher die Überraschung am andern Morgen.
Angesichts der numerischen Minderzahl des jetzt
in Sicht befindlichen britischen Restgeschwaders
sprachen sich mehrere Stimmen für sofortigen An-
griff aus. Doch die begründete Furcht vor dem
,Dreadnought' überwog, und es blieb dabei, dass
man nur in Verbindung mit den Helgoländer Forts
und den Küstenbefestigungen sich auf Kampf ein-
lassen wolle.
Eigentlich konnten nur drei letztgebaute Panzer-
kreuzer von 15000 Tonnen und 25 Knoten, welchen
sich in letzter Sttmde noch drei soeben fertig
gewordene Schlachtschiffe von 18000 Tonnen an-
schlössen, sich als ebenbürtig neben den besten bri-
tischen Schiffen sehen lassen. Alles übrige — Linien-
schiffe von 10—13 200 Tonnen, 16—18 Knoten, Kreu-
zer von 9 — 11 500 Tonnen, 19 — 22,5 Knoten — blieb
hinter dem besseren Teil der britischen Schiffsbe-
stände zurück. Dagegen Hess sich nicht verkennen,
dass die deutsche Flotte mit 22 Schlachtschiffen
— 282 —
I. Klasse der französischen an wirklichem Gefecbts-
wert überlegen gewesen wäre, da diese zwar ausser
lieh einen weit überlegenen Tonnengehalt der G^
samtmasse besass (schon früher inkl. bewilligter uitd
im Bau begriffener Schiffe etwa 700000 Tonnen
zu 435 000 deutscherseits, wovon 353 000 der Unies-
schiffe, 82 200 der grössten Kreuzer), aber nur 19
wirkliche moderne Schlachtschiffe I. Klasse den jetz:
22 deutschen dieser Gattung entgegenzustellen hatte,
obschon die unzureichende Artillerie der »»Kaiser"-
und „Wittelsbach*'-Klasse dies Missverhältnis dniger
massen ausgUch. Da selbst die so übermässig xogt-
schwollene japanische Marine nur einen TonneIlg^
halt von 427 000 in ihrer Neuformation erreichte und
hiervon nur die neuesten sechs Schiffe einen (aller-
dings sehr hohen und allenr deutschen individuell
weit überlegenen) besonderen Gefechtswert hatten,
so konnte Kaiser Wilhelm mit Befriedigung auf sein
Werk blicken, dass Deutschland bei aller Sparsam-
keit und einer weit geringeren Nationalschuld als
Frankreich und England in so kurzer Frist dennoch
zur gefechtsmässig zweitstärksten Seemacht empor-
wuchs. Wenigstens in Europa.
Doch im fernen Westen erhob sich ein neuer
gewaltiger Gegner: die Vereinigten Staaten brachten
ihre Marine in rasendem Tempo auf eine Höbe
von 650 000 Tonnen, wovon 371 900 für 28 Schlacht
schiffe, 215 700 für grosse Kreuzer, und es schien,
als ob in aller Heimlichkeit neue ungeheure An
strengungen gemacht wären, um die erst für das
— 283 —
zwölfte Jahr des zwanzigsten Jahrhunderts vorge-
sehene Vollendung einer Tabelle von 33 modernsten
Schiffen, 20 Panzerkreuzern in die Wirklichkeit um-
zusetzen. Dagegen hätte Deutschland erst im zwan-
zigsten Jahr, beim schleifenden Tempo seines durch
Budgetnörgeleien des Reichstags gehemmten Aus-
baus, über 38 kaum ähnlich gute Schlachtschiffe
(ausserdem 17 Küstenpanzer), 20 nicht so starke
Kreuzer verfügt. Bbher gelang aber nur, 5 der
17 ältesten Schiffe, wovon nur 4 der „Brandenburg"-
Klasse überhaupt Linienschiffe genannt werden konn-
ten, durch vollwertige zu ergänzen. Man hatte den
233 000 Tonnen der besseren 19 Linienschiffe nur
etwa 50000 von neuen drei beifügen können, den
Kreuzern etwa 45000 Tonnen, während die fran-
zösische Marine in gleichem Zeitraum nur um
60000, die britische um 150000 Tonnen sich ver-
mehrte.
Aus diesen Vergleichen ergibt sich 1., dass die
Franzosen zu Wasser gerade so wie zu Lande gegen
Deutschland den kürzeren ziehen mussten, daher
im Anschluss an England logisch handelten, so
lange sie eben törichterweise die deutsche
Allianz verschmähten; 2., dass die amerikani-
sche Flotte schon jetzt die zweitstärkste war imd
im Verein mit der jetzt 540 000 Tonnen zählenden
deutschen wohl den Kampf gegen England auf-
nehmen konnte, das von seinen 1900000 Tonnen
ein Viertel zur Deckung seiner weitverstreuten Be-
sitzungen abziehen musste; 3., dass also die Ent-
— 284 —
Scheidung bei einem Weltkrieg dort lag, wo-
hin sich Amerika neigte. Aller Augen in der
seemannischen Welt richteten sich zur westlichen
Hemisphäre mit unbehaglichem Vorgefühl. Weder
England noch Deutschland, trotz seines politisch
vom Kaiser so richtig gedachten, aber fruchtloses
Liebeswerbens, konnten sich eines freundschaftlichen
Einflusses in Washington rühmen. Der Yankee blieb
kühl bis ans Herz hinan, zugeknöpft in seiner so-
genannten Neutralität, und seine herzliche Teilnahme
drückte sich nur in der edeln Unverschämtheit aus,
mit welcher zwei rasch gebildete ,Trusts' alle Kri^-
führenden mit gleicher UnparteUichkeit versorgtes,
nur natürlich dem Bestzahlenden — und das war
England — die meiste Kriegskonterbande zuschanz-
ten. Diese biedere Bevorzugung fasste man auf den
britischen Inseln naiv als brüderliche Liebe der trans-
atlantischen Vettern auf, nur die Wissenden erwehr-
ten sich nicht eigentümlicher Ahnung. Für sie hing
der Himmel Englands nicht ganz voll Geigen, und
man machte sich auf scharfes Makeln, womöglich
auf Waffengang, mit späterer amerikanischer Inter-
vention beim Friedensschluss gefasst, ohne freilich
an früheres Eingreifen des westlichen Riesen m
denken, so seltsam konvulsivisch er seine Glieder
reckte.
Es begreift sich daher, dass ein weitsichtiger
Patriot wie Admiral Beresford nicht nüt übermütiger
Triumphzuversicht an seine für England wichtigste
Aufgabe herantrat, sondern Lorbeeren leichten See-
285
siegs über Deutschland nur als Erfolgvorschuss für
spätere Verwicklungen einheimste, daher nicht mit
nachlässiger Siegesgewissheit, sondern mit unermüd-
lichem Ernst ans Werk ging. Den Anfangssieg liess
er durch Verfolgung nach Borkum ausbeuten,
während er es darauf ankommen liess, ob man ihn
selber westlich von Helgoland angreifen werde.
Das Flaggschiff „York" der Kreuzer -Auf-
klärungsdivision (Konteradm. Schmidt) zog im allge-
meinen richtige Erkundigungen ein, und es kam
der Vorschlag zur Beratung, ob man nicht Beres-
fords Taktik wiederholen, ihn frontal hinhalten und
seitwärts zur Deckung von Bremerhaven ausfallen
solle. Konteradmiral Flachte, Vorsitzender des
Schiffsbesichtigungsausschusses, bekräftigte, die
Schlachtflotte sei von oben bis imten, vom Turm
bis zur Torpedoächraube, in bestem Zustand, und
mehrere Kapitäne-zur-See drangen in den Gross-
admiral, er solle dies Wagnis versuchen. Doch die
Chefs der Küstensperren beteuerten, dass man ohne
Beihilfe sämtlicher beweglicher Streitkräfte die Eib-
mündung und Helgoland nicht halten könne, wenn
der Feind das Abdampfen der deutschen Flotte
rechtzeitig bemerke und zu Handstreich benutze.
lEs blieb also alles beim alten. Aus der Ostsee mel-
dete der Küstenpanzer „Ägir", dieser vielberufene
schläfrig schwerfällige Meergreis, durchaus nicht
Herr der Fluten, dass von Dänemark her kein
Feind in Sicht sei.
Zwei verladbare zerlegbare Torpedovedetten von
— 286 —
18 m Länge 2 m Breite, 18 Knots schnelle GasoHn-
motorboote voraus, begann die siegreiche britische
Eskadre die Forcierung der Wesermündung. DicTor-
pedovedetten hatten je zwei Lanzierrohre, eins in der
Achse, eins um 200 Grad drehbar, ihr schmaler
Kielgang von nur 1 m erlaubte ihnen, sehr nahe
am Ufer entlan'g zu streifen und sich so zu verheim-
lichen. Da die britischen Kriegsknechte sich durch
lebhaften Appetit auszeichnen, so folgte eine Pro-
viantkolonne von drei Kauffahrteischiffen, damit
Tommy Atkins ausser blauen Bleibohnen doch auch
Beefsteaks imd Konserven zu schmecken bekomme.
Seit die englische Firma Yarrow in französischem
Auftrag das erste Torpedofahrzeug von 27 m Lange
im Gewicht von 30 Tonnen baute und gegen zu
hohen Seegang dieser Massstab auf 35 m 50 Tonnen
erhöht werden musste, später auf 37 m 87 Tonnen,
die sich inmier noch nicht von der Küste entfernen
konnten, hatten sich die neukonstruierten Hochsee-
boote von 46 m Länge 150 Tonnen aufwärts (zwölf
deutsche ä 530 Tonn. 30 Knoten) in Angriffsinstru-
mente verwandelt. Zwar gaben bisherige Seekriege
— japanisch-chinesischer, amerikanisch-spanischer, ja-
panisch-russischer — noch keine rechte Vorstellung
davon, da in ersteren diese Waffe entweder fehhe
oder schlecht gebraucht wurde, doch zeigten ja-
panische Torpedos vor Port Arthiur schon ihre
Furchtbarkeit; In eigentlichen Hochseeschlachten
waren sie aber noch nicht in Masse verwendet wor-
den. England nahm verhältnismässig spät diese von
— 287 —
Frankreich lanzierte Waffe an, nutzte sie aber dann
mit vollendeter Sicherheit aus.
Den zur Wesermündung entsendeten Kriegs-
schiffen waren drei riesige Transportdampfer nach-
geeilt: die jOceana* der White Star-Linie von 215 m
Länge, die »Campania* und ,Lucania' der Compagnie
Cunard, letztere 159 m lang, 20 m breit, alle von
13 m Kieltiefe, so dass sie nicht nahe an den Strand
herangehen konnten. Nur „Lusitania" und deutsche
Doppelschraubendampfer „Auguste Victoria" und
„Amerika" übertrafen sie weit an Grösse. Letztere
bis 25000 Tonnen Gehalt und 42 500 Tonnen Eigen-
gewicht (Wasserverdrängung), 17200 Pferdekraft, die
4000 Menschen fassten, 6 — 700 Fuss Länge, 74 bis
77 Breite, 54 Tiefe und eine Fahrgeschwindigkeit
von 18 Meilen pro Stunde hatten. Immerhin fassten
die drei britischen Kolosse etwa sechstausend Mann
Soldaten, eine starke Brigade zur Besetzung Borkums
imd der Flussufer, nebst Transp.-Sch. „Dufferin".
Sich einen festländischen Brückenkopf für wei-
tere Operationen zu sichern, diesem Bestreben der
Engländer mussten auch deutsche Landtruppen zu
begegnen wissen. Es blieb aber ein Übelstand, dass
9. (Itzehoe), 24. ,Lewinski', während 33., 34. Feld-
artillerieregiment in Metz schon früh das Rohrrück-
laufgeschütz erhielten und nach dem bekannten
Scharfschiessen in Hagenau das 14. wie das 15., 16.
Korps, dann das 8., 13.» 18. damit sofort ausgestattet
wurden, nur teilweise diese vervollkommnete Waffe
erhielt und die zum Küstenschutz aufgebotenen
— 288 —
Landwehrdivisionen nur veraltete Artillerie besassen.
Dem französischen Geschütz gegenüber, dem es im
Feststehen ähnlich sah, besass der Mechanismus
des deutschen Nachteil grösserer Empfindlichkeit und
versagte leichter. Doch konnte es die senkrechte
und wagrechte Ebene wechseln, ohne zum Verrücken
der Lafette gezwungen zu sein, war leicht zu heben,
von grosser Treffsicherheit und für die Kanoniere äus-
serst bequem, da sie beim Schiessen ruhig hinter den
Schutzschilden auf dem Geschütz sitzenbleiben konih
ten, ohne durch den Schuss irgendwie belästigt za
werden. Die längst ausgearbeiteten Übungs- und
Schiessvorschriften hatten die Artilleristen in ihren
Kasernen schon vorher theoretisch unterrichtet, in-
dem man ihnen, besonders denen der Garde in Span-
dau, ein Verschlussmodell in Holz imd Metall und
Übungslafetten überwies, die den Gesamtmechanis-
mus, insonderheit der Glyzerinbremse, enthielten.
Den Rohrrücklaufbatterien hatten die Briten nichts
Ebenbürtiges entgegenzustellen, ihr bei 26. 28. Brig.
neueingeführter 18-Pfünder mit automatischem Fuse-
Setter unhandlich für Felddienst, doch strotzte ihre
Ausstattung an Überfülle von Maxims.
Das zur Verwertung technischer Neuerungen
gegründete „Ingenieurkomitee" war mit Geschäften
der Küstenverteidigung überlastet. Auf Strandbat-
terien und Minen an den Weser- imd Emsmündungess
war kein Verlass, während auch die holländischen
dort postierten Küstenschiffe meist armselige Kasten
waren, die nur acht Knoten liefen und je zwei
— 289 —
100 Millimetergeschütze hatten. Ein Vorstoss zu
Lande, nachdem sie die Küstenanlagen zerstörten,
schwebte den Briten freilich vor, da ihre Selbstüber-
hebung nichts für unausführbar hält und das Wort
„unmöglich" in ihrem Dictionary nicht vorkommen
soll. Aber nach Abzug der gegen Holland bestimmten
4 Divisionen hatten sie nur 3 für Landungsversuch in
Deutschland anfangs vorrätig, nur durch weitere Ein-
stellimg von Freiwilligen und Milizen konnte diese
Zahl verdoppelt werden. Nim waren allerdings die
zweiunddreissig kriegsstarken Bataillone des Alto-
naer Armeekorps (mit vierten Bataillonen komplet-
tiert) auf weite Strecke verteilt und hatten wei-
terhin in Pommern nur vier Bataillone als Flanken-
deckung, so dass überraschende Landung der Bri-
ten an irgendeinem Punkte wohl anfangs mit über-
legenen Kräften geschehen konnte. Da aber die
Landwehren der Nord- und Ostseedistrikte über-
all aufgeboten, ausserdem die Garde als allgemeine
Reserve bei Berlin stand, konnte man jedem Versuch
gelassen entgegensehen. Neue Instruktion für „ge-
öffnete Ordnung", „zerstreutes Gefecht" machte mit
zeitgemässer Ausgestaltung modemer Grundsätze die
deutsche Infanterietaktik sicher der britischen über-
legea.
Das deutsche neue Infanteriegeschoss, S- Mu-
nition für Modell 98, übertraf ausserdem das bri-
tische bedeutend. Dies neue Vollmantelgeschoss, in
Mantel und Kern von demselben Metall wie das
frühere ältere, zerlegte sich beim Verlassen der Ge-
Völker Europas . . . ! I9
— 290 —
wehrmündung in einen zylindrischen verhältnismäs-
sig kurzen Bodenteil und einen steilkegrelförmigen
scharf zugespitzten langen Vorderteil. Seine unTtr-
änderliche Form bei durchschlagendem Widerstände
wirkte auf 800 Meter noch mit solchem Überschuss
lebendiger Kraft, dass sie stärkste Knochen glatt
durchriss und bei Körperlängsschüssen grosse Ein-
dringungstiefen erzielte. Schusskanäle bis 460 Milli-
meter in fester Muskulatur, bis 600 in Rippen und
Weichteilen, auf solche Entfemimg blieben auf 1350
Meter noch 130 und 400 Millimeter tief. Die Ver-
wundfähigkeit, obschon an sich etwas geringer als
bei schwereren Spitzgeschossen, war also an sich
immer noch sehr erheblich, vor allem konnte aber
dies S-Geschoss noch auf Distanzen wirken, die sonst
jenseits des gewöhnlichen Infanteriegefechts liegen,
also gegen weit entfernte Batterien und rückwärtige
Reserven. Dies machte sich beim Landfeldzu^ gegen
Frankreich wiederholt geltend, koimte aber selbst
hier gegen zu tief in Flussmündimg einfahrende
Schiffe durch Bestreichung des Oberdecks etwas
leisten. —
Am 30. begann Manns Angriff gegen Weser und
Oster-£ms, die Batterie auf Borkum koimte nicht
widerstehen, die Reste der deutschen Eskadre und
die holländischen Küstenpanzer durften keinen Ab-
wehrversuch an dieser Stelle mehr wagen. Die
noch gefechtsfähigen fünf britischen Panzer, sieben
Panzerkreuzer scheuten minenverseuchte Einfahrt,
doch kleinere Gefechtseinheiten gingen in der Ems
— 291 —
vor Anker, wo sie Kohlenvorräte und Proviant an-
sammelten, Truppenlandmig auch in der Wester-
Ems deckten. Zwei Bataillone Royal Marines imd
die Regimenter 1. Suffolk und Leicester gingen ans
Schanzen. Der Telegraph von Borkum hatte zwar
die Hanseatenbrigade rechtzeitig alarmiert, doch die
lokalen Verhältnisse verboten Landangriff angesichts
der englischen nahen Flottenlinie.
Auch die Briten nord-, nordwestlich von Helgo-
land bereiteten sich jetzt zur Schlacht vor. Kohlen
waren genug vorhanden, etwa 25 Tonnen für Torpedo-
boote, etwa 2000 Tonnen an Bord grosser Kreuzer,
die diese Masse rund um ihre Maschinen aufschich-
teten, als elastischen Schutz gegen Granattreffer.
Bei vielen wurde Petroleum angewendet, das doppelt
90 viel mechanische Kraft als Kohle besitzt und
das man für diesen Bedarf besonders in Magazin^i
ablagert und präpariert, so dass es nur bei hoher
Temperatur entzündbar wird. Die Erfindung des
französischen Colonel Renard, einer Gelatine von
Alkohol als Brennstoff für Schraubenmaschine, war
noch unbekannt.
Besondere Schnellfeuervorrichtungen für drei
neue kolossale Turmgeschütze von 34, 40, 42 Zentim.
mit Granaten, die 800 Kilogramm wogen und fast
iV« Meter Durchmesser hatten, wurden auf dem
,Dreadnought' untersucht und in richtigem Zustand
befunden. Telephonapparate, deren Empfiadlichkeit
das Schnarren der Torpedoschrauben auf weite Ferne
verrät, wurden ün imteren Schiffsraum aufgestellt.
19*
— 292 —
Lydittbomben, Brandgranaten, sowie zur Sprengung
von Minensperren die Portsmouther Lyditt-Petardefl
von fünf Unzen (hiindertfünfzig Gramm), wurden in
Fülle angehäuft oder in die Geschossaufzüge ein-
gehängt, Streuminen in Bereitschaft gehalten. Win-
zige Boote mit Pilzankem als Fahrwasserzeichen,
Werkstattdampfer mit Bojen für Tonnenlegung,
Spezialfahrzeuge wie Dampfer „Sanderson", um Ha-
varierte aus dem Feuer der Schlachtlinie zu schleppen,
lagen bereit. Ebenso Feuerschiffe und grosse rote
Signaltonnen, die man später aussetzen .wollte, wo
früher die jedem Reisenden bekannten Helgoländer
lagen. Die zwei im Seetreffen so schwer mitgenonh
menen Panzer waren bereits unterwegs nach Chatam
zur Reparierung. Von dort meldeten ununterbro-
chen Funksprüche, eine Trainschifflinie ent-
lang quer über die See: das Reservegeschwader
könne erst am 2. abends vollzählig eintreffen, zum
grossen Missvergnügen Beresfords, der nun auch
vom Londoner Admiralitätsamt die schweren Lan-
dungsmisserfolge in Holland imd Belgien erfuhr.
Von entscheidender Diversion des Kanalgeschwa-
ders und Landungsexpedition, durch deren glück-
liches Vordringen man eventuell später Ostfri«-
lands Küste im Rücken bedrohen könnte, war also
keine Rede mehr. Beresford lud den ihm unter-
stellten Admiral Drury ein, ihm Panzer „Hibemia*,
Kreuzer „Devonshire" zu senden. Hier in der Nords«
lag das entscheidende Schlachtfeld. „Hawke", „Ed-
gar", Kadettenschiff „Isis" erhielten mit anderswo
— 293 —
gebrauchten Kollegen „Arthur", „George**, „High-
flyer** jetzt wenigstens Panzergürtel, doch vom
besseren Typ (12000 Tonnen, 21 Knoten, zwei 23,5 cm-,
sechzehn 15,25 cm-Geschütze, sechszöUiger Panzer)
fehlten ihm „Euryalus", „Sutlej", „Hogue**. Ob-
schon er nach Abzweigung der Weser-Eskadre
nur über zehn Panzer, siebzehn grosse Kreuzer
verfügte, allerdings seine stärksten, nebst ,Dread-
nought', dessen Gefechtswert man auf mindestens
drei feindliche Schlachtschiffe anschlug, sah seine
Flotte infolge der massenhaften kleineren Gefechts-
körper noch so gewaltig aus, zumal seine Kreuzer
sich nicht wie die deutschen durch schöngeschweif-
ten Bug von Linienschiffen unterschieden und su
den Beschauer täuschten, dass auch am 30. der
deutsche Grossadmiral sich nicht rührte. Er zog nur
zwei Schiffe „Brandenburg"-Klasse, die trotz je sechs
28 cm-Kajionen in Doppel turm mit zehntausend Tomien
kaum mehr taugten als Sachsen-, Siegfriedklasse,
durch den Wilhelmskanal an sich. Doch blieben sie
vorläufig zwischen Brunsbüttel und Helgoland, um
gegen etwaige Überraschungen von dieser Seite den
Kanal zu sichern. Auf dessen Ostseite und weiter
nach Kap Skagen vorgeschoben patrouillierten zwei
Kreuzer und „Oldenburg** (Übergangstyp zwischen
Sachsen- und Siegfriedklasse). Die Küstenpanzerdi-
vision und starke Torpedoflottille blieben in der Kieler
Föhxde, da man nicht wissen konnte, ob der Feind
sich nicht in Nacht und Nebel davonmachen und
Überfall von Kiel früher als Vorstoss auf Hamburg
— 294 —
planen werde. Auch wusste coan gar nichts über Ver-
bleib des Reservegeschwaders, obschon man über
die Rolle des Kanalgeschwaders ja nun im klaren
war. Welche britischen Kräfte am 29. und heut
am 30. im Westen fochten, blieb imgewiss; eine
irrige Meldung des „Friedrich Karl" hatte Schiffe
des britischen Reservegeschwaders dort im Gefecht
feststellen wollen. Gleichwohl wirkte die Kunde vod
den grossen Erfolgen an Scheide imd Sambre so
erhebend, beim Parolebefehl heut früh verlesen und
mit kräftigem Hurra von allen Marmschaften be-
grüsst, dass der „Admiral" (so nennt man die Haupt-
flotte) wenigstens einen Vorstoss zu unternehmen
beschloss, um der drückenden Ungewissheit Hen
zu werden. Die unerfreuliche Meldung aus Wil-
helmshaven hatte doch insofern ihr Gutes, als sie
das FestUegen bedeutender Feindeskräfte dort kon-
statierte. Jetzt oder nie war der Augenblick, noch
etwas zu wagen imd dem Feind zu Leibe zu gehen,
ehe er sich ganz vereint. Aber als man am 31. früh
vorrückte, fand man nichts als Wasserfläche und
fem am Horizont die langen Rauchschwaden der
britischen Hauptmacht, die bis tief in die Nacht
durch ostentatives Manöverieren mit Scheinwerfern
und eine lange Postenkette von nun geschickt aus-
weichenden Destroyers und Scouts ihren Abzug ver-
schleierte. Man hatte das Nachsehen, und das
höhnische Schimpfen der braven deutschen Blau-
jacken, dass John Bull feige ausrücke, befriedigte
wahrlich nicht den Missmut der Offiziere.
— 295 —
Der ebenso kühne und gewandte als vorsichtige
britische Seestratege bedauerte zwar, dass er den
Eindruck jener britischen Niederlagen nicht durch
sofortigen grossen Seeerfolg abschwächen und ins
Gegenteil veikehren dürfe, auch bisher seine Kohlen
nutzlos verbrauche. Doch er hielt am einzig richtigen
Grundsatz fest, dass man zur Entscheidung möglichst
alle Kräfte vereinen müsse, rief daher sogar zwei
Panzer, zwei Kreuzer der Weser-Eskadre wieder zu
sich, die im Laufe des 1. Juni auf seinem rechten
Flügel eintrafen, und befahl dem verspäteten Re-
servegeschwader strenge, seinen Marsch zu beschleu-
nigen. Für den Fall, dass sich Gelegenheit fände,
die Operation weiter ostwärts zu verschieben und
vielleicht Helgoland vom Nordosten zu umgehen,
wurden britische Handelskapitäne, seit Jugend an
diese Wasser befahrend, als Lotsen instruiert, vor-
ausfahrend durch Raketensignal gefährliche Un-
tiefen im Wattenmeer anzuzeigen und dort Kähne
als Marksteine festzumachen, damit man nicht un-
versehens auf Grund gerate.
Um aber das heimliche Grollen seiner eigenen
Mannschaften, die in britischem Hochmut ein Aus-
weichen vor dem Kampf nicht begriffen imd bisher
von der deutschen zahmen Defensive eine schlechte
Meinung bekamen, zu besänftigen und das mora-
lische Gleichgewicht wiederherzustellen, das selbst
bei der eisernen britischen Flott^idisziplin nicht ver-
nachlässigt werden durfte, machte er am 1. Juni
eine Wiedervorwärtsdrehung von 15® nach Süd-
— 296 —
Osten. Lockte er den Feind hier sich nach, so bot
dieser dem im Westen heraneilenden Rese^veg^
schwader die linke Flanke. Dies taten die Deutseben
zwar nicht, sondern versagten ihre Linke, vom
gleichen Fleck manövrierend und nach Westen aus-
lugend, behielten aber mit der Rechten Fuhlnng.
Auf weite Distanz erhob sich eine heftige Kanonade
ohne sonderliche Wirkung.
Der britische Vizeadmiral in der Ems batte
am 30. die Angriffsschlachtparole „Duncan" ai&
gegeben : sei es, dass er in echt britischer Umrissen
heit Ostfriesland für holländisch bevölkert hielt und
angesichts der so kläglichen geflüchteten holländi-
schen Marine an Duncans Sieg bei Kamperdo«»
über eine damals noch immer ansehnliche hollän-
dische Seemacht erinnern wollte, sei es, dass er
seinen eigenen Panzer „Dimcan", auf den Namen
jenes alten Siegers getauft, ehren wollte» der in der
Seeschlacht sich allein ganz unversehrt erhielt B
war kein Geringes und sollte sich noch mehnnab
wiederholen, dass England gegen jede fremde Flotte
imd auf jedem Meer das Gedächtnis steter Siege
heraufbeschwören konnte. So flatterte denn auf
Beresfords Flaggschiff ,Dreadnought* (zu deutsdi:
, Fürchte nichts*) das Schlachtsignal heut und an
den folgenden Tagen: „The glorious first of June^r
wie im englischen Volksmund jene bittere Se^
Schlacht des greisen Lord Howe heisst, wo die
,Königin Charlotte* und der ,Brunswick* dem fran-
zÖ3ischen Riesenschiff ,Montagne* imd dem ,AcbiUe'
— 297 —
den Garaus machten. Gegen die jüngste europäische
Seemacht, die deutsche, konnte man sich freilich
noch nicht solcher Siegesannalen rühmen, doch das
Gefecht von neulich gab einen guten Anfang und
versprach noch mehr für diesen neuen „ersten Juni" 1
Die Deutschen, eine Falle witternd und bei
der Femkanonade gegen das überlegene britische
Kaliber im Nachteil, fielen langsam in die Linie
Wangeroog-Helgoland zurück. Die von der Weser
herangezogene Flottendivision, dabei der erfolgstolze
„Duncan", ging nachmittags vor, ward aber durch
frühere Manöverflottille (Kapt. Maass), Schulflottille
(Korv. K. Nordmann), Panzerkreuzer „Roon" genügend
abgefertigt. In der Nacht zum 2. imternahm eine
unterm Schutz des Kreuzers „Kaiserin Augusta** nach
Sylt abgeschwenkte Torpedodivision einen Vorstoss
gegen die rückwärtigen Verbindungen der feind-
lichen Linken, der anfangs glücklich verlief. Mehrere
Kohlendampfer wurden gesprengt, der Kreuzer „The-
seus" bekam ein kleines Leck, das er jedoch bald
reparieren konnte, einige Torpedos und Scouts
kamen durch Ineinanderstossen in der Nachtverwir-
rung zum Sinken. Schliesslich mussten bei klar-
werdendem Tageslicht die deutschen Nachtfrei-
beuter, strahlenförmig auseinanderschiessend, jeder
für sich verbergende Schatten suchen, als Destroyers
auf sie Jagd machten. S 117, 118 sahen sich dabei
weit hinter die britische Schlachtlinie verschlagen.
An der Ems und vor Weser und Jahde ver-
änderte sich nichts, als dass herangeführte deutsche
— 298 —
Feldartillerie die britischen Erdschanzen an der
Ems ohne sonderliche Wlrioing beschoss. Der
Feind landete alle seine Truppen dort und auf Bor*
kxun. Um ihn beim Ausräumen deutscher Flatter-
minen und Ausstreuen eigener Minen vor der Jahd^
mündung zu stören, brachen in der Nacht zum 2.
die noch frischen achtzehn Torpedoboote dieser Sta
tion und zwei Körper der mit Gottes Hilfe (eod-
lichl) in diesem Jahr fertiggestellten Unterseeboot
division aus Jahdebusen und Weser heraus, während
die zwei noch sehr kampffähigen Kreuzer „Adal-
bert" und „Friedrich Karl" (die schweren Paniff
„Wettin" und „Friedrich" gingen in Reparatur nad
Wilhelmshaven) drei in den Fluss weit vorgeschobeoe
britische Kreuzer überraschend anfielen.
Den dumpf aufstossenden Takt der Mascfaines-
kolben, als die Torpedos mit einer Schnelle tqd
27 Knoten die wogende Wasserfläche durchschnitten,
vernahmen die britischen vermoorten Werkstatts^
schiffe durchs Getöse ihrer eigenen Arbeit erst, als
es zu spät war. Sie wurden in die Tiefe geschleudeit,
einem bewachenden grösseren Kreuzer der Bauch
aufgeschlitzt. Dies unfreiwillige Harakiri traf audi
einen unversehens aus dem Halbschlaf geweckten
Destroyer. Die beiden Unterseeboote fanden vtf*
schiedene Ziele. Das eine rannte von unten das
riesige Paketboot „Oceana" über den Haufen, das
andere wirbelte mehrere verankerte Kohlenschiffe
durcheinander und rannte unterhalb einen schon
•
früher leicht beschädigten Panzer nieder.
299
Dagegen hielten die drei Kreuzer im Weser-
fluss guten Lugaus, ihre Wachtposten riefen recht-
zeitig: „Feind in Sicht 3 Strich voraus": auf Hom-
signale, gellende Pfiffe, Läuten der Schiffsglocken,
die eben noch „Four Beils" angezeigt hatten, strömte
die Mannschaft an Deck. Scheinwerfer kreuzten
ihre Garben, im sekundenraschen bleichen Licht
sah man die Silhouetten der ansegelnden beiden
„Prinzen"-Kreuzer, ihre drei schlanken Schlote kräu-
selten Dampf in die Morgendämmenmg. Es kam
sofort zu heftigem Nahkampf, in welchem „Adal-
bert" zwar so ziemlich abgeschossen wurde und
wenig fehlte, dass er nicht den Namen des einstigen
ersten deutschen Admirals mit sich in die Tiefe
nahm. „Friedrich Karl" ging aber mit einer seines
Namens würdigen Schneidigkeit drauf und richtete
den einen Briten so übel zu, dass sein Deck schon
schräg lag und einige Salven von. Maschinengewehren
die schreienden umkippenden Menschen förmlich wie
Ameisen über Bord fegten. Auch ein andrer Brite
legte sich auf Backbord etwas über, man hörte
Klirren von splitterndem Metall, und er suchte mit
dem dritten eiligst das Weite zur Mündung. Aus
Furcht vor den Unterseebooten, gegen welche so-
gleich drei britische vom Meere draussen aufgeboten
wurden, gab die ganze Blockadeflotte den Eingang
der Weser und Jahde frei. Die Deutschen zogen
sich zurück, als der Feind mit Macht von der See-
linie draussen andrang. Sie konnten mit dem Er-
gebnis zufrieden sein, das ihnen nur zwei havarierte
— 300 —
und nicht mal gekenterte Torpedoboote und dn
Unterseeboot kostete, von einem feindlichen in grau-
sem unterseeischem Kampfstrudel mit sich in die
Tiefe gezogen. —
Hiermit verstrich aber nun vollends die letzte
Frist, innerhalb welcher ein dreistes Vorgehen
deutscherseits auf Nicht Versammlung der feindUchen
Macht hoffen konnte. Denn am 2. meldeten überall
die noch brennenden Leuchttürme und hochgelegene
Telegraphenleitungen das Ansegeln einer neuen
mächtigen Flotte im westlichen Meer, deren um-
fangreiche Schlote dicke Ballen schwerlastenden wol-
kigen Rauches in die Luft warfen. Das Reserveg^
schwader betrat das flüssige Wellengelände des un-
geheuren Schlachtfelds. An diesem Tage bewegte
sich die britische Linke in Richtung auf HomsriS,
eine Flottille kundschaftete nach Sylt und Ammn
aus, beobachtete auf Höhe von Pellwoim die
Heveitnündung, zu. welcher sich übrigens heut die
abgeschnittenen Torpedos S 117, 118 durch
schlugen, in weitem Bogen den Destroyeis ent-
schlüpfend. S 119, einst auf Strecke Pawlowsk-Wm-
dau beim russischen Kriegshafen Libau bös havarieit
erlitt diesmal seine letzte Havarie: man sah es nk
wieder. „Kaiserin Augusta" imd Brandenburgklasse
hielten Linie östlich von Helgoland und wichen affl3-
früh südöstlich dahinter, nach unwirksamem Feuer-
gefecht gegen die heranwogende Übermacht da
Schutz der Inselbatterien begehrend. Schulschüf
„Ulan" und Vermessungsschiff „Hyäne" hielte»
— 301 —
ihnen den Eingang zum Kanal als Rückzugspforte
frei. Die Vorhut des Chatamgeschwaders lief am
2. mittags in die britische Schlachtlinie ein, und Be-
resford hätte gewünscht, schon heut konzentrisch
anzugreifen. Die Maschinen des Reservekorps, auf
äusserste Kraft gestellt, seit zwölf Stunden unter
Dampf, konnten aber keiner besonderen Leistung
mehr genügen. So verschob der britische Admiral
die Entscheidungsschlacht auf den folgenden Tag.
Er hatte Dreadnought, 21 Schlachtschiffe, 30 grosse
Kreuzer und eine Unzahl kleinerer Gefechtskörper
beieinander, denen die Deutschen nur 18 (neue
, Bundesrat', ,Friedrich d. Gr.*, ,Ersatz Kurfürst*)
einigermassen gleichwertige, 2 minderwertige Linien-
schiffe, zwölf grosse Kreuzer und erschreckende Min-
derzahl kleinerer Einheiten entgegenzustellen hatten,
wobei nur sechs Torpedodivisionen und eine Division
Torpedojäger einigen Trost gewährten. Nur Beihilfe
der Inselbatterien konnte dies Missverhältnis etwas
ausgleichen. Dort sahen die Festungskanoniere, jetzt
di« einzigen Bewohner des winzigen Eilands, schlicht
und dunkel mit ihren schwarzen Kragen und Auf-
schlägen sich vom hellen Gestein abhebend, finster
dem drohenden Ungewitter entgegen. Von der Falm-
Brüstung koimten die Offiziere durchs Görzglas deut-
lich erkennen, ohne des grossen Femrohrs vom
Beobachtungsstand zu bedürfen, wie die feindliche
Linke sich von Norden nach Osten fast senkrecht
auf die Nordostecke niedersenkte und von dort all-
mählich von Südost nach Nordwest entlangrollte.
302
Der Abstand wurde immer geringer, und schon aus
4500 m lässt sich die Insel von draussen überblickeiL
Die Panzerkuppehi im Oberland blinkten matt im
Abendschein. Vom verödeten Marinepier hatte sich
die sonst dort angebundene Torpedoflottille langst
losgewunden und die freie See gewonnen, da bd
Bombardement und Einkreisung der Insel ihre Ver-
nichtung unvermeidlich gewesen wäre. Man war gam
allein xmd konnte nun erproben, was Duell zwischen
Flotte imd Strandbatterie bedeutet, die so oft er-
örterte theoretische Frage lösen. Von Osten war
man blockiert, nur den Westrand deckte die deutsche
Flotte.
Da die Insel nach Nordost abfiel, bot sich von
dort das beste Schussfeld gegen das Quadrat von
500 m Durchmesser im eigentlichen Innern der In-
sel. Die um je 500 weitere Meter von dort zu baden
Seiten ausgedehnten Ränder der Längenerstreckung
brauchte man nicht unter Schuss zu halten. Schon
aus weiter Feme wäre ein so breites feststehendes
Ziel leicht zu treffen gewesen, obschon Oberland
500 m über Wasser lag. Hielt also nicht Bei-
stand der eigenen Flotte die feindliche den Insd-
batterien einigermassen vom Leibe, war ihr Scliiti-
sal auf die Dauer besiegelt. Die ruhige See er-
laubte bisher, statt in der Eibmündung zu warten
und die Kohlen zu schonen, sich seit fünf Tagen
draussen neben Helgoland zu halten. Inmierfain blid>
es ein peinlicher Zwang, dass man einerseits diesen
wichtigen Posten nicht opfern diurfte, andrerseits
— 303 —
sich seiner Mitwirkung beim Entscheidungskampf
auf offener See versichern wollte, die allein noch
eine Chance für Kräfteausgleich gab, und deshalb
gleich alles auf eine Karte setzen, die Hauptschlacht
annehmen musste. £s war wohlüberlegt, dass Be-
resford nicht zuerst gegen Eibmündung und Cux-
haven avancierte, wo ein leichterer Vorteil winkte,
sondern gleich das Schwerste erledigte, indem er
durch Beschiessung von Helgoland den Feind zur
Schlacht zwang.
Die riesigen Drahtnetze des Systems Bullivan
spannten vor den Panzerriesen ihre feingesponnenen
Maschen aus, um vor Torpedoangriff zu sichern,
während die besten Destroyers ,Ardent*, »Dragon*,
»Boxer* als geborene Feinde der Torpedoboote vor
der Front lauerten. Es gab hier keine älteren Mo-
delle, mit gepanzertem Blockhaus überm Spardeck,
zwei Barbettetürmchen und Panzerredouten. Diese
hohen Aufsätze, deren Bau Italien ins Masslose
übertrieb, verwarf man lange als unpraktisch. In
den modernsten Schiffen war nichts „for show",
alles einfach solide aufgebaut vom Zellensystem bis
zum Unterwasserbodenpanzer. Auch vom Typ Col-
lingwood, zwei Drehtürme in der Achse über einer
birnförmigen und einer rechtwinkligen Redoute, sah
man kein Exemplar, dagegen drei Typ Majestic
zwei Sovereign mit ihren wenig komplizierten Ober-
bauten, den paarweise nebeneinandergestellten
Schornsteinen, kreisförmiger Doppelbastion am Un-
terende der tiu-martigen Mäste, während die frühe-
— 304 —
ren Typs nur am Misenmast eine hatten. Sonst nui
Schiffe neuester Konstruktion, Typ Triiunph oder
Edward VII., über alle ragte ,Dreadnought' hervor.
Diese Ungetüme von fünfzig Metern Tiefe und
mindestens fünfzehntausend Tonnen Schwere, mit
achthundert Mann Besatzung oder von noch grösse-
rem Deplacement, bewegten sich in Peloton-Tri-
angeln, jedes folgende Peloton, je drei und drei,
genau im Kielwasser des andern. Zwei Seemeilen
hinter der Schlachtflotte ausser Schussbereich stand
unbeweglich der Mastenwald der Transportdampfer,
mehrfach Kolosse der Compagnie Cunard. Auf den
Flanken verstreute sich eine Wolke von Destroyers
und Torpedobooten, sozusagen als Kavallerie und
leichte Infanterie. Was die Jäger, nämlich die Tor-
pedos, nicht erraffen konnten, das mochte den
Todesritten dieser Meerreiterei zum Opfer fallen*.
Fahrzeugen von fabelhafter Schnelle, wie der ^Ancl'
der dreissig Knoten machte, »Albatros*, der sich
bis zu zweiunddreissig aufschwang. Hinter diesen
schlanken kleinen Eisenfischen der Torpedoier-
störer, von dreihundert Tonnen, schwammen halb-
gepanzerte Kreuzer II. Klasse von dreitausend Ton-
nen, meist im Typ ,Proserpina* und ,Magician' gc
halten, die neunzehn bis einundzwanzig Knoten liefen
Die Hälfte lief zwanzig, bei einem Gevricht von dret
tausendvierhundert Tonnen (zehntausend Pferdfr
kraft) und 275 Personen Bemannung. Weiter rück
wärts kamen die grossen Panzerkreuzer mit drei
oder vier Schornsteinen. (Neuste ,Defence*, »Shan^
— 305 —
non* vom Typ ,Natal' noch imvoUendet.) Unge-
schützte panzerlose Kreuzer I., II. Klasse breiteten
sich auf den Seiten aus, III. Klasse Scouts als
Vorposten ausgestellt.
Im dritten Peloton des Zentrums lag der
,Dreadnought' etwas abseit in einsamer Majestät,
vde ein geflügelter Drache, der im Gedränge der
andern Potwale, Hai- und Schwertfische sich ruhig
sein Opfer wählen will, seiner Unwiderstehlichkeit
sicher und unverwundbar in seiner harten Lind-
wurmhaut. An seinem riesigen Hauptmast, wo das
Gewirre von Stahldrähten mit Telegraphen- und
Telephonleitungen wie ein bleich schimmerndes Ge-
rippe in den Himmel hing, ging eine rote Kriegs-
flagge empor. Lord Beresfords Disposition be-
stimmte, dass die zwei hinteren Pelotons abschwen-
ken und die Helgoländer Batterien der östlichen
Uferseite zu Fall bringen sollten, erst hernach die
der Nordseite, immer ihr Feuer gegen einen Punkt
vereinend. Die übrige Flotte sollte unterdessen den
Kampf im Westen gegen die beweglichen taktischen
Einheiten des Gegners nähren, sich ausserm Be-
reich der Helgoländer Batterien haltend. Die na-
türlich nicht sichtbaren Unterseeboote lauerten auf
Gelegenheit, zwischen der deutschen Flotte durchzu-
schlüpfen und entweder dort Unheil anzurichten oder
rückwärts die Eibsperren zu sprengen.
Vom Inselchen Neuwerk aufsteigend, suchte Par-
sefalsches Luftschiff und Ballons, mit aeronautischem
Quadrant des Libellenquadrants ausgestattet, die ver-
Vdlker Europas ... 1 20
— 306 —
sammelte britische Streitmacht genauer festzasteUen,
während drüben der Ballon Vivienne III des Pro-
fessors Huntingdon über den Wassern schwebte
Lord Tweedmouth, Erster Lord der Admiralität,
der rastlos vor Kriegsausbruch auf der Admiiafitäts-
jacht „Enchantress" die Docks befuhr, hatte gute
Arbeit gemacht. Admiral Pearsons Nordseegesdiwa-
der bestand aus Linienschiffen ,,Captain", „Glas-
gow", „Triumph", „Valiant", ,Active", „Thunderer",
„Courageous", „Glory", „Renown", „Remarquable",
„Majestic", erstere sieben I. Klasse, ru welchen
zuerst in Friedenszeit noch „Duncan", später „Fonni-
dable", „Venerable", „Hood", „Cäsar" der Mittel
meerflotte stiessen, Vizeadmiral Adair schickte „Re
Solution", „Queen" der Reserveflotte. Dies Versetien
von Schiffseinheiten, dies Umformen der Ordre de
Bataille in letzter Stunde geschah absichtlich, um
den Gegner über die bisher bekannte Zusammen-
setzung zu täuschen. Ausserdem „Dreadnougbt*.
der nicht in der gewöhnlichen Liste geführt wurde,
1. Kreuzerdivision: der ganz neue „Minotaur"
als Flaggschiff des hierher von Korfu mit seinem
früheren Flaggschiff „Drake" versetzten Rearadmi-
rals Prinz Battenberg, „Glouoester", „Polyphcm",
„Olympia", „Londonderry", „Powerful", »Aurora",
„Argyll", „Achates", „Lancaster", „Roxburgb",
„Hampshire", „Kent", „Spartiate", „Forth", „Invin-
cible". 1. Permanente Flottille unter Rearadmiial
Winsloe: Kreuzer „Pembroke", „Saphire" (Flagg-
schiff dieser Hilfswaffen), „Theseus", Destroyen
— 307 —
„Ariel", „Albatros", „Flying Fish", „Contest",
„Dove", „Teazer ", „Checr<«rell", „Carry", „Vulture",
„Ribble", „Recruit", „Gipsy", „Foam", „Boxer",
„Griffin", „Ardent", „Dragon", „Busy", die letzteren
sechs von Mittelmeerflotte, kleineren Kreuzern
wie „Circe", „Proserpina", „Magician**, Torpedo-
divisionen, worunter grosse Torpedogunboats wie
„Speedy", „Wizard", und Submarinbooten von der
Klasse B. S. 5. Kreuzerdivision „Fox", „Hawke",
„Edgar", „Duke of Edinburgh", „Brilliant", „Im-
perieuse" nebst kleinen Scouts wie „Pathfinder",
„Forward", „Skirmisher". R. Adm. Henderson.
Von obigen Schiffen waren „Valiant", „Active"
beim neulichen Treffen ausser Gefecht gesetzt, „Lon-
donderry", „Argyll" gesunken, ausserdem durch
letzten Torpedoangriff ,,Courageous", „Gloucester"
gesunken, „Achates", „Pembroke" beschädigt.
„Cäsar", „Resolution", „Queen" lagen vor der Weser,
auch Kreuzer „Aurora" wartete dort bei jedem Mor-
genrot auf neuen Kampf neben dem starken „Forth".
Adairs Reservegeschwader zeigte Prachtschiffe
„Edward VII.", „Ocean", ,Albion", „Colossus", „Ca-
nopus", „Royal Oak" (vormals Malta, später Kanal-
geschwader), „Victory" und zwei neue Monstreschiffe
„Flying Dutchman", „Executioner". 6. Kreuzerdivi-
sion xunfasste hier „Talbot", „Blenheim", „Argo-
naut", „Abukir", „Vindictive", „Isis", „Dido" Getztere
zwei weggezogen schon früher von Malta), „Mi-
nerva", „Research", „Thetis" (früher Port Said), die 2.
Permanente Flottille „Natal", gedeckte Kreuzer zweiter
20*
— 308 —
Klasse, wie „Hebe", „Halcyon'* (früher Malta), die
Destroyers ,, Rother", „Salmon", „Sunfish", „Hasty",
„Wolf, „Greyhound", , Swonifish", „Ure", ,,Wcar"
„Myrmidon", „Bat", „Mennaid**, „Dee", „Ex-".
„Star", „Lynx", „Chelmer". Rearadmiral Fidd.
In den Dodcyards von Chatam und Sheemess
blieb nur der als Mechaniker-Schulschiff ausrangierte
„Indus", während der ihm neuerdings dienstlich at
tachierte Kreuzer „Wallaroo" der australischen Sta-
tion nach Sandwich Islands zurückkehrte. Ebenso
hatte Kreuzer „Sutlej", der früher Destroyers „Myr-
midon", „Bat" unter schwerer Sturmhavarie nad
England bugsierte, nach seinem Posten Singapore
zurückkehren sollen, hatte sich aber bei Kriegsaus^
bruch der 4. Kreuzerdivision (Neville) der Kanal-
flotte anschliessen müssen und sank vor Antwexpeo.
Femer verblieben dort die im Umbau begriffenen
veralteten Schiffe „Asia", „Bellerophon**, „Northum-
berland", „CoUingwood", ruhmiunwobene Schiffs^
namen, die an Navarino, Abukir, St. Helena, Tra-
falgar erinnerten. Torpedoschulschiffe „Vcmon'\
„Hekia" (früher Suez), Küstenwachen (Coastguardsl,
wie „Julia", sog^iannte Surveying Vessels, vie
„Triton". Trotzdem der englischen Mobilisienmgi
wie überhaupt dem gesamten heutigen Leben Eng
lands inklusive Industrie, Handel imd Kauf fahr-
teischiffahrt, viel Langsamkeit, Schlendrian, l's*
genauigkeit, Unpünktlichkeit, ja geradezu Unfleiss
und völliger Mangel an Selbsttätigkeit anhaftete und
das Stagnieren der veraltet zurückgebliebenen
— 309 —
schlechtorganisierten Aktionsformen in England gar
keinen Vergleich mit der deutschen Organisation
aushielt, war die materielle Macht an Schiffen, Geld,
Kredit eben immer noch erdrüdcend. Hinter
1 950 000 imd 700 000 Tonnen, welche englische und
amerikanische Marine in ihrer Neugestalt umfassen
sollten, fehlten beiden nur je 50 000, der deutschen
von geplanten 588000 noch 50000. Zählte man die
Kanalflotte unter Sir Bowen-Smith, die Mittelmeerflotte
unter Vizeadmiral May und Rearadmirals Sir Percy
Scott, Bridgeman, Chichester, ostasiatische und austra-
lische Eskadre unter Admiral Moore (früher Henry
Seymour), Vizeadmiralen Poe, Wilmot Fawkes, das
Northamerica-Westindies- and Particular Service Ge-
schwader der Atlantis unter Volladmiral Sir Bosanquet
imd Vizeadmiral George Egerton und afrikanische
Kreuzerflottille unter Rearadmiral Dumford hinzu, so
musste es sonderbar zugehen, wenn Grossbritannien
nicht seine Seeherrschaft behaupten konnte! —
Deutscherseits suchten die Minendivision imd
das Schulschiff für Küstenzwecke „Grille" das
Strandgewässer vor- und rückwärts ab, ob etwa hin-
durchgeschlichene Destroyers Minen verstreut
hätten. Schlepper Beowulf, Fairplay, Olga, Kiehn
setzten sich in Bereitschaft ziun Wegholen Hava-
rierter. Artillerieschulschiff „Schwaben" berechnete
Feuerdistanzen. Konteradmiral Zeye mit dem
früheren Schulgeschwader: „München'*, „Lübeck",
„Berlin", „Nymphe" (detachiert „Prinz Adalbert")
rekognoszierte zur Linken.
— 310 —
In glänzende rauschende Schanmstreifen lu bei-
den Seiten des Bugs teilte sich das deutsche Ge
Wässer, als die britischen Stahlwälle mit stöhnenden
Blöcken, knirschendem Gestänge und schlangenhaf-
tem Zischen der Ventile Dampf aufnahmen und
den Salzozon mit ihrem Qualmausblasen verpesteten.
Beschiessung Helgolands begann schon bei
Nacht nach genau erkundeten Zielen. Da die bri-
tischen Schiffe ihre abgeblendeten Lichter löschten
und mehrfach ihren Standort wechselten, wenn
Wogenstösse zu wuchtig an Anker und Schiffswand
zerrten und pendelnde Schwingungen sie hin und
her warfen, konnte das deutsche Feuern nach dem
Gehör und ungefähren Überblick gegen beweglich
wechselnde Ziele unmöglich viel ausrichten. Die
einstige Theorie, wahrscheinlich durch das alte Ge-
fecht bei Eckemförde gegen die dänischen Oriogs
,Christian' und ,Gefion' entstanden, dass verschanzte
Strandbatterien im Vorteil seien, erwies sich bei
heutiger stärkerer Panzerung und dem Riesenkaliber
der Schiffsgeschütze als längst überholt. Als morgens
das laufende Feuergefecht in rasendes Kettenfeuer
überging, schmolz die Bedienung schon bedenklieb.
Unterm schrecklichen Prall der Riesengeschosse
die am Helgoländer Felsengestein aufschlugen, schot-
terten die eingemauerten Geschützrohre, der Rücklauf
der Lafetten beimSchuss warf oft durch Luftdruckdie
Umgebimg zu Boden. Kaum sekundenlang wahrteo
die Pausen im endlosen Gebrüll dieser Kanonade,
von der selbst der Meeresboden zu erdröhnen schien.
— 311 —
Noch zuckten Feuerstrahlen über den Wall-
brüstungen, doch die Riesengranaten der Schiffe, von
zwölf Unzen, gleich vierhundert Kilo, mit Cordit ge-
füUt, richteten unablässige Verwüstung an. Nur vier
massiv eingebettete Strandgeschütze brüllten noch,
zwei davon hatten jedoch nur Ausblick gegen die
unmittelbare Meerenge südwestlich. Sie stellten ihr
Feuer ein und verdankten diesem Umstand, dass
das britische Bombardement nachliess und aufhörte,
da man glaubte, kein Geschütz stehe mehr heil auf
seinem Aufsatz. Der britische Verlust an Menschen
war nicht imerheblich, an Material gering, nur die
Panzerkuppel des ,Renown' durchschlug ein Voll-
treffer. Mittlerweile unterhielten die deutschen
Schiffe draussen auf See einen Femfeuerkampf
gegen die britische Deckungseskadre, der natürlich
nicht zu ihrem Vorteil ausschlug, weil ihre stärk-
sten 28 cm-Geschütze vom britischen Kaliber über-
troffen wurden.
Ein französisches Manöver bei Hy^res und der
Ernstfall auf Kuba, wo Admiral Simpson umsonst
das Fort Moro beschoss, sowie die NuU-Wirkimg der
japanischen Flotte gegen innere Bucht und
Inselforts bei Port Arthur, erweckten den Glauben,
dass solches Verhältnis sich gnmdsätzlich wieder-
holen müsse. Aber erstens fiel dort ein solches
materielles Übergewicht fort, während hier sechs
Linienschiffe, zwölf grosse Kreuzer mit fast hundert
Geschützen schwersten Kalibers, ohne noch zwei-
hundert Schnellfeuergeschütze zu zählen, den un-
— 312 —
natürlich engen Raum des Hdgoländer Inselchens
von oben bis unten abfegten. Und obschon die
Geschützbettungen an sich genügenden Schutz boten,
ermöglichte die lokale Gestaltung, eine Partie nach
der andern unter gemeinsames Feuer zu nehmen.
Zweitens standen hier die englischen Panzerkolosse
fast auf gleicher Stufe der Unverwundbarkeit,
wie die Batteriebefestigungen, und die häufige Ab-
irrung des Zielens infolge der Schiffsbewegungen
wurde durch die abnorme Kompaktheit der schma-
len Zielscheibe aufgewogen, wo auch ein Fehlschuss
immer noch Objekte in so zusanmiengedrängter Be-
festigung traf. Drittens konnte man bei voller Frei-
heit der Bewegung auf angemessene Entfernung das
Relief der Strandbatterien unter einem verhaltois-
mässig schwachen Schiesswinkel halten, und vienens
konnte imbegrenzter Zufluss von Reserven und Muni-
tion, wie er bei Strandbatterien möghch ist, hier
auf dem abgetrennten Eiland nicht nachhelfen. Der
Kommandant tröstete sich damit, dass er in Eile
mit Proviant und Munition für ein Jahr versehen
worden sei.
Umsonst hatte in voriger Nacht ein Kapitän-
leutnant seine Torpedoflottille ermuntert: „Wir sind
die Vorhut Deutschlands, die Nacht ist unsere
Rache.'* Die Briten waren in guter Hut. Sobald
man sich näherte, durchschossen weisse Licht-
strahlen den mächtigen Raum, blendend übergössen
sie vom hohen Meer den Helgoländer Fels mit
ihren elektrischen Garben, photographierten gleich-
— 313 —
sam im Hintergrund das Eiland mit seinen Terras-
sen, Gärten, Badeplätzen, den Pylonen des Kur*
hauses, schnitten die Wasserfläche nach beiden Sei-
ten ab wie schwarzen Karton auf Photographenplatte
und bildeten einen Lichtsektor von fünfzig Grad
auf der Strecke, von wo das verdächtige Geräusch
der Torpedoschrauben durch kurze Pause des Ge-
schützdonners hörbar. Die Meeresfinstemis dahinter
schien noch schwärzer als vorher, obschon es aus
ihr donnerte und blitzte. Doch in der Lichtzone tanz-
ten schwarze Pünktchen: Schwärme von Aufklä-
rimgsbooten rund mn die schwinmienden Zitadellen,
vor denen wie grössere Schatten die Profile von
Destroyers und Torpedofahrzeugen sich ausbreiteten.
Zwei rote Zünder signalisierten nach N.N.W.
zur Hauptflotte, die ihrerseits aus mächtiger Laterne
von rotem Glas ein Glühlicht am Mast des ,Dread-
nought' aushängte, der wie eine dominierende Ba-
stion auf der Flanke des weiten Mastenwalds vor-
sprang. Dort suchten sofort gleiche Scheinwerfer
die schäumende Tiefe ab. Bald tauchten breite
Wasserflächen in diese blendende Lichtbrandung
ein, bald spritzte weisser Schimmer wie aus einer
Giesskanne über blinkende Decks. In diesem weis-
sen Licht, aus dem in der Ferne Hunderte von
Masten und düstem Panzertürmen schwarz empor-
ragten, schien eine arktische Schneelandschaft hin-
gezaubert, am Rande von Tannenwaldung umrahmt,
Schaumspritzer rieselten als Schneeflocken, ja der
grelle Lichtkegel selber wuchs als schillernder Eis-
— 314 —
berg empor. Dazwischen funkelten grüne Glühpunkte,
wie Augenblitze einer unsichtbaren, fabelhaften See-
schlange : grüne Signalfunken über schwarzer Meeres-
tiefe, rotgestrichenem Schornstein grauer Rümpfe.
Als in der Morgensonne das tiefe Grau der Was-
serwüste sich zu Graugrün abtönte, machte die bri-
tische Schlachtordnung eine Schwenkung nach vom.
Die Helgoländer Batterien schienen nüttags so völ-
lig niedergekämpft, dass man an ihnen entlang ma-
növrieren konnte, die hinteren Pelotons von dort
eingehend. Die deutsche Flotte erhob ein tobendes
Feuer, um diese Entwicklung zu stören.
Durch das brausende Donnerwetter rauschten
drei Granaten von ungeheurer Grösse, nüt achtzig Kilo-
granun Cordit geladen. Eine verfehlte den ,Kaiser
Karr und peitschte das Meer zu einer Welle auf,
als sei ein indischer Taifun losgelassen. Die zweite
schlug einen Panzerturm des »Wilhelm 11/ von oben
bis unten durch, die Bemannung unter den Trümmern
begrabend, zwei Geschütze umknickend. Die dritte,
zu hoch gezielt, brach einen Mast des ,Zahringen*
in der Mitte durch, schnitt das Oberende eines
Schornsteins ab und quirlte hinterm Stern das zer-
wühlte Salzwasser wie in einem Trichter zusammen.
Dies war der freundliche Wink, mit dem ^Dread-
nought' sich ankündigte. Ein neues Riesenge-
schütz von Gussstahl, 405 Millimeter, spendete die
milde Gabe.
Doch während die deutsche halbmondförmige
Schlachtlinie langsam zurückwich und Beresford mit
— 315 —
dem Senkblei das Kielwasser nordwestlich von Helgo-
land sondieren Hess, um dort an den schweigenden
Strandbatterien vorbeizufahren, standen die wieder
aus den Kasematten hervorgekrochenen deutschen
Kanoniere noch fest an ihren vier unversehrten
Rohren, die Granaten um sich aufgeschichtet, die
Distanzen an dieser Stelle genau bekannt. Als die
britische Flotte mit „Volldampf voraus" ansetzte,
regnete ihr von Türmen, Brücken, Decks, Mast-
körben ein Schauer von Geschossen entgegen, und
plötzUch öffneten die vier noch intakten Festungs-
geschütze auf Helgoland, insbesondere die auf den
Durchgang nach Cuxhaven eingerichteten, nochmals
ihre Schlünde. Unter markerschütterndem Schmet-
tern klirrten die Eisenmassen des „Venerable", unter
Stössen der eigenen Batterieentladungen bis zum
untern Torpedoraum gleichzeitig erzitternd. Das
Hämmern seiner Maschine setzte aus, als stocke der
Herzschlag des Riesen unterm Panzergürtel, die
elektrischen Lampen erloschen, Kurzschlussbrand des
verwundeten Kabels frass sich durch schauriges
Dunkel der Unterwasserkanunem.
Jetzt begann die eigentliche Seeschlacht des
3. Juni mit unbeschreiblicher Furchtbarkeit. Das Re-
servegeschwader nahm seinen Kurs nach Süd-Süd-
osten, nach Backbord abfallend, und suchte einen
Halbkreis um die deutsche Linke zu schliessen. Der
„Duncan" und die „Glory** mit vielen Kreuzern
setzten diesen Kreis in schräger Richtung, Bug nach
Südosten, fort, und das übrige Nordseegeschwader
— 316 —
krümmte sich mit Front nach Süden und Sud-
westen, umschrieb eine krumme Bogenlinie mit der
linken Flanke an Helgoland. Dass es hier nur mit
grossen Opfern den Durchweg erzwingen konnte,
lag auf der Hand.
Das Reservegeschwader in Starbord-Linie drehte
fünf Strich nach Südost, was unouttelbar unten
Bugspriet der deutschen Linken bringen sollte, wäh-
rend es zugleich zur Minenstreuimg in Richtung
von Wangeroog Destroyers aussendete und „Picked
Boats" ihrerseits nach Minen pürschten. Dagegen
hatte das Nordseegeschwader, anfangs Stellung n
Starboard, dem plötzlichen Signal Beresfords zu ge
horchen: „Steam to portI Fast aheadi Speed inoea-
sed 16 knotsl"
Da Dreadnought drei Knoten schneller lief als
alle anderen, wurde er mit Recht anfangs zurück-
gehalten, um erst beim Entscheidungsstoss seine
Schnelle wie seine sonstige Kraft auszunützen. Hin-
ter der Front traf man Anstalten, Munition havarier-
ter Schiffe überzuladen. Rearadnural Winsloe sig-
nalisierte den leichten Fahrzeugen: „Drift astemC
„Abaft the fore-turret 1", indem einzelne Destroyers
und Torpedoboote längs dem Vorderteil der Linien-
schiffe entlang gUtten, um gegen jähen Torpedo-
anprall des Gegners zu decken. Dieser hielt jedoch
seine eigenen Torpedoflottillen vorerst zurück, wäh-
rend Fernfeuer der grossen Geschütze schon bald
anhob. Im Zentriun gaben die sogenannten Range-
Finders (Distanzbestimmer) auf der Fire-Control-Sta-
— 317 —
tioh des „Captain", Flaggschiff des Sir Archibald
Douglas (Commander der Station Portsmouth), an-
fangs an: „11000 Yards i" Auf solche Entfernung
konnte nur Dreadnought ordentlich feuern, dessen
unheimlich lange vier Turmgeschütze drohend vor-
lugten. Überall auf den hoch überm Wasser auf-
ragenden Brücken und im Conning-Tower der Kom-
mandanten goldbordierte Mützen beobachtender
Offiziere. Rearad. Campbell löste den ersten Schuss.
„6000 Yards!" Da erdröhnten Elf- und
Zwölfpfünder, unter Umdrehung der Turbinen
schössen die Schiffe vor, einander immer näher, bis
zuletzt Siebenpfüoider und' sogar Dreipfünder zur
Wirkung kamen. All die riesigen Türme rauchten und
blitzten, indes alle Pumpen spien, das Deck dauernd
unter Wasser setzend, imi vor Bränden zu schützen.
Auf den befeuchteten Dielen spürte man bald noch
andere Schlüpfrigkeit: rotes Nass quoll gleich aus
aufgerissenem Panzerdeck innerhalb der Zitadelle
des „Triumph", auf der „Glory" fiel ein Mast nut
dumpfem Krachen van und erschlug mehrere Be-
diener der Forward-Works. Die zwei Schornsteine
der Linienschiffe — nur Dreadnought und zwei neue
Monstreschiffe des Reservegeschwaders hatten de-
ren drei — boten in dieser Hinsicht weniger Schussziel,
als die drei der Kreuzer oder gar vier bei den
grössteUy wie bei dem gesunkenen „Gloucester".
Es dauerte denn auch nur kurze Zeit, dass
„Drake" über den einen Schornstein meldete : „Dropp-
ed astem after the military mastl" Die schöne
— 318 —
,,01ympia'', die so hochmütig und leidenschafdich los-
fuhr wie des makedonischen Welteroberers Mutter,
nach der sie vielleicht benannt war, verlor gleich
Kamm und Krone: Militärmast und zwei Schom-
steine über Bord. Auf dem „Captain", der als Haupt-
mann in den Feind führte, um seinem Namen Ehre
zu machen, ward die Fore-Barbette (7,5 in.) zertrüm-
mert, am Fore-Turret des „Triumph" verkrümmte
sich ein mittleres Geschütz (9,2 in.), am Rondel
des Militärmasts ein anderes (7,5 in.) durch böse
Treffer. Von Triumph spürte man also noch nichts!
Prinz Ludwig Battenberg, der auf der vorge-
bogenen Rechten der unregelmässigen Sdüachtlicie
kommandierte imd .sein neues Flaggschiff „Mino-
taur" wieder für sein früheres mitgebrachtes „Drake"
vertauschte, signalisierte besorgt: »Schwerer, un-
gleicher Kampf.'* Doch Beresford gab gleichmütig
zurück: „Reservegesdiwader bringt Entscfaeidmig."
Der hessische, englischnaturalisierte Prinz, ge-
gen seine Landsleute fechtend, war natürlich des
gleichen Geistes Kind, wie der deutschenglische Ge-
neral Graf Gleichen in der Emsmündung, der nach
der San Francisco-Katastrophe den Yankeesoldaten das
treuherrige Kompliment machte: „Nicht mal eng-
lische Soldaten hätten sich besser benommen, da-
mit habe ich das Höchste gesagt 1 1" Bei Angehörigen
keiner anderen Nation als der deutschen wäre solch
hebevolles Aufgehen in fremdem Ghauvinismus mög-
lich. Der deutsche Prinz hätte hier heimhchen Stcdz
empfinden sollen über die ausgezeichnete Haltung
— 319 —
seiner Blutsgenossen, denn die Deutschen schössen
und manövrierten durchweg gleichmässig gut, die
Engländer nur teilweise erstklassig, oft mangelhaft
wegen imordentlicher Ausbildung. Das grosse Hospi-
talschiff „Maine", als fliegendes Lazarett hinter der
Front, füllte sich schon bedenklich.
Natürlich ging es bei diesem ersten Verwickeln
auch deutscherseits nicht ohne Verluste ab. Auf
einem der drei Hauptkreuzer, welche gleich anfangs
die 1. und 5. britische Kreuzerdivision anfielen, zer-
splitterte förmlich das Fundament des Kommando-
turms, furchtbarer Schlag gegen den Aussenpanzer
tötete den innen an der Wand lehnenden Kapitän
durch blossen Luftdruck. Doch litten die Deutschen,
kühn die Femfeuerzone der Briten unter Volldampf
durchmessend und nahe beidrehend, anfangs be-
deutend weniger, eben infolge ihres besseren Schies-
sens. Das änderte sich freilich, als der Flanken-
druck des Reservegeschwaders begann und der
„Waldersee" als Flaggschiff dieser Abteilung die
Kreuzerdivision hinter die Linie zurückführte.
Der Lärm schwoll jetzt so an, dass Telephone
unhörbar wurden, Signalrohre (voice pipes) nicht
minder, automatische Melder versagten. Com-
mander Cowan des Scout ,,Skirmisher" überbrachte
mündlich Beresfords Befehl zu rücksichtslosem Vor-
gehen ans Reservegeschwader, der als Tender der
„Victory" dienende Destroyer „Star" schoss wie
Sternschnuppe pfeilschnell dahin, um den Befehl
weiterzugeben.
— 320 —
Stolz wehte in allen Toppen die Flagge des
Deutschen Reiches, ein schwarzes Kreuz auf weissem
Grunde, wie es einst die Ordensritter geführt. Stol-
zer noch blähte sich drüben Nelsons altes Sieges-
zeichen, das Rote Kreuz, das schon Blakes Puh«
tanem auf Bahn zur Weltherrschaft vorange-
leuchtet. Überall rasselten Maschinentelegraphen-
klingeln, scharrende Schaufeln hantierten zwbchen
rotweisser Kesselglut, die Ventüe summten unter
höchster Dampfanspannung, Kohlen glitzerten wie
schwarze Koboldaugen. An den Heckgeschutzen
standen die Kanoniere, die Ärmel am nackten Arme
hochgestreift, wild tanzten die Panzergiganten durch
den gurgelnden Sprudel der grauen Wassennassen,
deren helle Schaumstreifen sich hinterm Wellea-
brecher sekundenschnell in perlige Blasen auflösten.
Eine Bewölkung verdunkelte das Meer, hochaufran-
sehende Wogen brachten alle leichteren Fahrzeuge ins
Schwanken. Gegenüber den hellgrauen Schiffsleibeni
der Deutschen umsäumten die düster-schwarzen dtr
Briten selbst wie Wettergewölk den Horizont.
Das vorderste dreieckige Peloton der britischen
Linkoi, aus „Renown", „Formidable", „Venerable*
bestehend, glitt unterm toten Winkel der Helgolän-
der Batterien vorbei, geriet aber in einen wahren
Höllenrachen, als es auf der Westseite pfeüschneD
voranschoss. Vom Inselfels wie von „Karl der
Grosse", „Zähringen**, „Kaiser Wilhelm H." mit Ge-
schossen überschüttet, unterm Vibrieren wasser-
peitschender Schrauben erzitternd, da sie in dieser
321
qualvoll fürchterlichen Enge mit voller Maschinenkraft
nach vorwärts zum Rammen strebten, Hessen die
Britenschiffe ihre glatte nackte Eisenwand, schwarz-
grau und nass von über Bord schrägenden Wogen-
Spritzern, nahe vor den Deutschen erdröhnen. Doch,
den Rammstoss verfehlend, das Feuer ihrer Mittel-
artillerie den Feinden ins Gesicht prustend, trieben
,,Formidable" und „Venerable** bald darauf ent-
mastet durch die deutsche Linie. Glänzende Wasser-
strahlen buchten schon die geschwärzten Heizer
heim, die wie dunkle Rachegeister im HöUenschlimd
dämonisch arbeiteten und in ihrem engen Räume ein-
i^epfercht ruhmlosen feuchten Erstickungstod fanden.
Im Zentrum fochten „Mecklenburg", „Schwa-
ben", „Lothringen", „Wilhelm der Grosse" mit aus-
nehmender Tapferkeit, während zur Linken
„Deutschland", „Ersatz Kurfürst", „Witteisbach",
„Braunschweig", Kreuzer „Roon", „Yoric", „Zieten",
und „Prinz Heinrich" ausdauernd sich gegen immer
höher anschwellende Übermacht zur Wehr setzten.
Linienschiffe „Hannover", „Ponmiem", „Schlesien"»
„Preussen" als Zentrumechelon. Grösste Kreuzer „Wal-
dersee", „Ersatz Moltke", „Bülow", femer „Bis-
marck", „Gneisenau", Neubauten „Hertha" („Ari-
adne", „Frauenlob" auswärtig), „Hamburg"-Klasse
,,Arkona" als zweites Treffen, hinter das sie anfangs
vorm Andrang der britischen Schlachtschiffe aus-
wichen. Sie brachen jetzt erneut vor und warfen
sich auf die anschliessende Linke des Reserve-
Geschwaders und die 5. Kreuzerdivision.
Völker Europas ... I 21
— 322 —
Nach halbstündigem Nahkampf neigte sidi und
sank „Gneisenau" tiefer ins Wasser imd trieb sün-
wärts ab, manöverunfähig, obschon seine Eingeweide
unversehrt blieben. Auf „Bismarck", „Freya", „Ham-
burg" fielen zwei der drei Schornsteine, so dass
infolge mangelnden Luftzugs der Kohlenvcrbraüch
wahnsinnig stieg. Etwas seitwärts bestanden „Irene".
„Leipzig", „Bremen", „Nymphe", „Heia" nebst
den sechs Torpedojägern für sich allein ein scharfes
Gefecht gegen eine Wolke von Destroyers und klei-
nen Kreuzern, um nicht die deutsche linke Flanke
umwickeln zu lassen. Selbst das alte Schulschiff
„Mars"., dessen ständige Besatzimg von dreihundeit-
siebenunddreissig Köpfen meist durch Übungsstand
der Artillerieschüler auf fünfhundert stieg, licss hier
Flagge und Konunandozeichen sehen, mit übenahb-
gen Fähnrichen imd Deckoffizieren an Bord. Hinter
Linke und Mitte lauerten je zwei Torpedodivisionffl,
je zwei auf Südwestseite von Hdgoland. Liniensdiifi
„Barbarossa" bildete Echelon der äussersten Red-
ten, „Amazone",. „Heia", „Gefion", „Greif", Avisos
„Blitz", „Jagd", „Panther" d«r äussersten Linken.
«
Obschon jene Granaten des ,Dreadnought' vte
der drei starken Schiffe auf der deutschen Recfata
so übel begrüsst, hatten diese doch vermocht, das
erste Peloton des britischen Angriffs vernichtend
abzuschlagen. Aus der gesprengten gell aufschhich
zenden Maschine des ehrwürdigen alten Riesen,
der sich „Veneiable" nannte, durch schmale eiserne
Schotttüren und Wallgänge alle Heizer und durch
— 323 —
den Ventilator auch den dunstig niedern Steuer-
bordstorpedoraum verbrühend, ergoss sich ein heisser
Dampfstrom. Das Stampfen des Schiffsbaus ging
in Hin- und Herschleudem über, schrecklicher Krach
warf Matrosen und Kanonen gegeneinander in er-
stickendem Knäuel. Dann ein träges Schlendern,
dann ein wirbelnder Kreisel um sich selber, dann
nichts als Wassemacht. Offiziere in ölmänteln, Ma-
trosen in Korkwesten trieben auf der Flut, Wrack-
trümmer umklammernd. Was den zerknitterten Stahl
rahmen der Unterschiffskammer nicht mehr auf*
stossen konnte, sah sich vom Wasserscbwall in sticki-
ger Nacht erwürgt, ohne je wieder des Himmels
Blau zu schauen. Kein Rettungsboot fischte Er-
trinkende auf, Freund und Feind hatten etwas an-
deres zu tun, als sich um Bergung verzweifelnder
Schwimmer zu kümmern. Vom Steuerbordtorpedo
des „Zähringen" glatt durchschnitten, von Festungs-
bomben aus Helgoland in die gähnende Tiefe hin-
^bgedrückt, schlug der britische Koloss um, als
wolle er auf dem Kopfe stehen. Die rotangestrichene
Platte seines metallenen Rumpfes, auf der wie schat-
tenhafte Gespenster die von oben nach unten hinauf-
kletternden Mannschaften hinhuschten, färbte sich
röter von Blut, da immer noch Geschosse herab-
regneten, Glieder zerfetzend und Knochensplitter ins
Metall hineinkerbend. Eine Minute später verdeckte
das grause Bild die gurgelnde, gähnende Tiefe.
Der ebenso scharf angebende »,Formidable"
^ing nicht in die Tiefe, sondern hielt sich flott,
21*
— 324 —
obschon sein Hauptmast über Bord stünte, der
zweite auf Deck zusammenschlug, der dritte qaer
über die Kommandobrücke seine Drahtseile nieder-
senkte, sein Vorderschomstein durchbohrt, seine
Backbordmaschine durchlöchert. Wie ein Betrun-
kener hin und her schlingernd, erwies er sich fonni-
dabel genug, dem „Karl dem Grossen" vom auto-
matisch drehenden Panzerturm noch verderbliche
Geschosse zuzusenden. Dann schor er seitwärts nacb
Südost hinaus, zerschossen zum Wrack, unkenntlich
für den eigenen Kommandanten, statt der Schlote
ein paar brennende Stümpfe, entfernte sich schwer-
fällig vom Schauplatz seiner Taten und scheiterte
plump an Südwestecke von Helgoland.
Der „Renown" mit unklar gewordenen Schrau-
ben, schon früher durch die Inselkanonade versehrt,
drehte rückwärts, sein Achterdeck schwamm io
Blut, überfüllt von Sterbenden und Verstümmelten,
die in untere Gelasse über die senkrecht steüea
schmalen Schiffstreppen hinabkrochen und die eiser
nen Sprossen mit rosigem Lebensnass färbten. Sdn
Renommee war heut nicht sonderlich berühmt 1 Aber
„Venerable" xmd „Formidable" hatten sich nicht
lunsonst geopfert: eine Lücke war gebrochen, dem
Bereich der zwei Helgoländer Eckgeschütze etvas
entrückt, imd durch diese brach jetzt der furchtbare
,Dreadnought* herein. Ihm folgten ,Reniarquable',
,Majestic' mit Volldampf, die grossen Kreuzer ,Pover-
ful', „Minotaur*' und .Lancaster*.
Diesem Ansturm vermochten die drei deutsches
— 325 —
Hauptschiffe zur Rechten mit Kreuzerumgebung
,Schamhorst*, ,Stein', »Ersatz Meteor' nicht standzu-
halten. Wo alle Oberbauten des „Zähringen*' über Bord
gingen imd die durch Reelingsluken hineinplatschen-
den Wellen des hohen Seegangs schon ihre Schaum-
tropfen in rosigen Champagner zu verwandeln schie-
nen, mit klebrig geronnenem Blut vermischt, feuerte
die Mannschaft heldenmütig weiter, dem gewissen
Tode ins Auge schauend. Der ,Fürchtenichts* konnte
hier lernen, dass auch deutsche Männer nur Gott
fürchten und sonst nichts auf der Welt. Doch am
grauen Leib des stählernen Lindwurms drüben brach
sich jeder sausende Eisenschlag, es war, als klatsch-
ten die bestgezielten Granaten fruchtlos ab. Maje-
stätisch wühlte das britische Riesenschiff sich durch
die Flut, dass sein Heck einen Maelstromsprudel
aufzuwirbeln schien und der imgeheure Rumpf doch
alle emporschäumenden Wogen abschüttelte wie ohn-
mächtige Flocken. Ein erschütterndes Gebrüll —
der Feuerdrache schlug seine Fänge ein — durch
ein imstopfbares Loch, das wie eine Höhle aus der
Backbordwand hervorgähnte, brodelte aufquellender
Dampf der hereinpolternden Salzflut entgegen —
in zwei Stücke zerrissen, ging „Zähringen" mit
wehenden Flaggen und todesstolzem gellendem Auf-
schrei unter: „Hurra, es lebe der Kaiser 1"
Das Schiff, das den Namen Wilhelms H. trug,
warf dem ,Majestic' eine so feurige Kusshand zu, dass
er seitwärts im Kurs abfiel imd lieber den schon
schleppend matteren ,Karl den Grossen' berannte.
— 326 —
Auch dieser hohe Herr zeigte bereits an gerissenen
Ku£:eliöchem die gelben garstigen Flecken, welche
Lyditgranaten als Beleg hinterlassen.
».Gefecht abbrechen/' signalisierte Flagge mit
zwei gekreuzten Marschallstäben das Kommando des
Grossadmirals. Langsam wichen „Kaiser Karl" und
,, Wilhelm II." südwärts, wo Brandenburg- Schiffe
schwerfällig, schlechtgepanzert, ihr bisschen Kraft
einsetzten. Ebenso ging jetzt der „Barbarossa" ins
Feuer. Sofortiges Einsetzen dieser drei Schiffe verbot
bisher das enge Wellengelände westlich der Insel
Es konnte nur noch ein Schein sein, die Schlacht
aufrecht zu erhalten. „Schamhorsts" acht 21 cm ver-
sagten gegen sechs 23 vier 19 des Typs „Natal".
Im Zentrum und zur Linken tobte inzwischen
das fürchterliche Getümmel weiter.
Vom Reflex gelber Feuerzungen imd aufflam-
mender roter Lichter umspielt, unter flatternden
Rauchschleiern der Schlote und bläulich-weisslichem
Pulverdampf, den sausender Seewind, in die Wette
mit den Geschossen pfeifend, seewärts rollte, be
lebten die kämpfenden Schiffe auf der langen Fiodi
die unendliche Meerfläche, dies Spiegelbild der
Ewigkeit, in dem alle Flotten spurlos versinken.
Dort krochen langsam Angeschossene dahin, dort
schüttelten noch Kampfbereite mit ihren Lenzpumpen
das Sturzbad einer Lecköffnimg ab und wippten
wieder auf schaumgekrönter Woge wie weissbe-
schwingte Möwen. Dort barsten schwere Elisenge-
wichte krachend zusammen, dort bejubelten wütende
— 327 —
erhitzte Kanoniere einschlagende Treffer, wenn sie
ihren Mordmaschinen den ehernen Mund öffneten.
Die modernsten britischen Schiffe bemühten
sich, dem Feind nur ihre Vorderseite mit der schwer-
sten Turmartillerie zuzuwenden, so gleichzeitig die
schmälste Zielscheibe bietend. Doch bei allmäh-
licher Auflösimg in Einzelkämpfe liess sich dies
nicht durchführen, und bei unwillkürlichem Still-
liegen unter zeitweiligem Versagen der Schrauben
bot manches Schiff die verwundbare Breitseite,
welchen gefährlichen Augenblick die deutschen gut
geleiteten Panzerbrecher regelmässig benutzten.
Im Zentrum stand die Schlacht, während der
Grossadmiral vom Flaggschiff „Wilhelm IL** den
Kampf leitete. Des Auslands Fachleute urteUten
über den deutschen Schiffbau, dass er ohne Ori-
ginalität nüt Vorliebe fehlerhafte fremde Typen nach-
ahme. Aber wenn die britischen Schiffe kriegs-
mässiger imd praktischer organisiert, so hatten sie
doch auch ihre NachteUe. Da nämlich ihre älteren
Typen am eigentlichen Vorder- und Hinterteil am
schwächsten gedeckt, legte ihnen dies die Kampf-
weise mit der Breitseite auf. Als sie daher hier
in dichter Kolonne, ein Schiff genau in Kielraum
und Wasserlinie des andern, nordnordwestlich der
Insel durchbrechen wollten, tat das noch bis dahin
reichende Flankenfeuer der Insel ihnen rückwärts,
das Frontalfeuer am Vorderende grossen Schaden.
Sie evolutionierten sich daher in die Quere, was ihre
Geschwindigkeit sehr verlangsamte, und defilierten
— 328 —
so in langer Reihe an der deutschen Linie auf und
ab, zuerst von links nach rechts, dann wieder von
rechts nach links, fortwährend ihre starken Breit-
seiten dem Gegner darbietend. Dies verminderte zwar
ihren Verlust, aber auch ihre Manövrierfähigkeit.
Die ,Glory* wankte rückwärts und strandete
später bei Helgoland, wie jeder Gloiresucht zu wün-
schen wäre. Der Konmiandierende ihrer Heckbat-
terie war pulverisiert, wie einst der Batteriechef
des „Matsushima" in der Yaluschlacht, man fand von
ihm nur noch sein Fernglas. Die Brücken des
„Hood" und „Triumph" waren mit der Mannschaft
wegrasiert. Eine aus der Mitte vorbrechende deut-
sche Torpedodivision wurde allerdings durch Bul-
livannetze und ^mobile Estacade' abgewehrt» zwei
Boote verwickelten sich darin imd fehlten mit dem
Lanzierrohr. Zwei andere, die nordwärts umbogen,
um einen verwundbaren Punkt dieser schwimmenden
Festungen zu finden, sahen sich binnen einer halben
Stunde von Destroyers erjagt, durch Schnellfeuer
in die Maschinerie gesprengt, ehe sie auf Torpedo-
schussweite gelangten. Umsonst klebte des Füh-
rers Hand am Hebel, umsonst drückte er auf Knopf
des Signalapparats, um ,,Achtungl Los!" elektrisch
auf dessen Glasscheiben zu schreiben. Das ver-
grösserte S 132 tauchte jedoch, weiter links ans Re-
servegeschwader herangeratend, dicht vor der zacki-
gen Wand eines Schiffsriesen auf und grub ihm, mit
aufspritzender Wassersäule wie aus Walfischnuster.
ein solches Loch, dass der gigantische Gegner, nach-
329
dem er glatt über das Boot wegfuhr, beim Über-
holen im Seegang nach Steuerbord ausschor und
sich durch jene eigens dazu hergerichteten Spezial-
dampfer abschleppen Hess. Der Torpedo hatte nicht
genau genug getroffen, doch inunerhin so sehr, dass
der mit ausnahmsweise dünnem Panzergürtel ausge-
stattete „Glasgow** einen Wasserballast an Backbord
nahm, der ihn zum Verlassen der Schlachtreihe nötigte.
Kreuzer „Thcseus" kenterte: Schiffsname aus
Abukirschlacht in britischen Annalen berühmt. Auch
der Kreuzer „Hawke", den gleichzeitig das sechste
Torpedoboot und ein schwerer Treffer des deutschen
Kreuzers „Roon" in der Wasserlinie zum Sinken
brachten, erinnerte an einen ruhmreichen Sieger
iilter Zeit. Aber gleichzeitig brachte die englische
Rechte, obschon ,, Schamhorst", „Stein** von rechts
Lücke stopften, deutsche Schlachtlinie der Linken
zum Weichen. „Kurfürst** ging nieder, „Stein**
plumpste ins Wasser, von den Kreuzern „Halcyon**
und „Hebe** umkreist, die hier weder halcyonische
Windstille noch ambrosischen Nektar kredenzten.
Ob der Geist des grossen Kurfürsten, des ursprüng-
lichen Anregers deutscher Flottenmacht, traurig über
den Wassern schwebte?
Wie eine Eiche stand der ,Royal Oak* mit seinen
Platten von 30 Zentimetern Dicke, seine Turmge-
schütze entsandten schreckliche Schüsse. Eisen brach
wie Blech vor ihm entzwei: ganzer „Schamhorst**!
Auf den „Meerstaub*', wie die britische Marine
die neue Torpedobooterfindung bei ihrem Ursprung
— 330 —
verächtlich nannte, um sich gleich darauf dies Zer-
störungsmittel vervollkomnmet anzueignen, stäntea
sich die Destroyers wie Seegeier. Zwar schlingcnc
der schwergetroffene ,Foam* im Meeresschanm seit-
wärts, aber „Griffen' liess keinen Raub, den er an-
packte, aus seinen Greifkrallen, ,£amest' meinte es
ernst, ,Dragon' leckte seine glühende Drachenzunge,
,Ardent* züngelte heiss nach Beute, ,Boxcr* boxte
sich durch die hintere deutsche Schlachtreihe. Ihr
Hauptgeschütz von 76 Millimetern und die andeiD
fünf von 67 hielt alle Torpedoboote fem, sobald
sie nicht unbemerkt heranschleichen konnten, und
man hatte die Zahl der Destroyers nicht zweddosauf
hundertfünfzig Stück, jedes von zweihundertfünfzig
Tonnen, erhöht. Die Schrauben ihrer windschneilen
Maschinen fauchten unheilverkündend durch den
tiefen Bass der Panzerriesenstimmen.
Den „Braimschweig" holte nach mannhaftem
Todeskampf der Teufel in Gestalt des „Executioner"
und „Flying Dutchman", zwei ganz neuer briti-
scher Monstreschiffe. Deutscherseits hatte mas
durchweg die verschiedenen neusten vier Panitr-
klassen durcheinandergemischt, was nicht vorteübaf:
ausfiel. Vizeadmiral Graf Baudissin führte hier.
Der kleine Kreuzer „Leipzig** erlag in dieser
neuen Völkerschlacht; „Prinz Heinrich" wurde
genommen, nachdem der wütend um sich beissende
„Panther" zerfleischt und Schulschiff „Mars" voc
der britischen „Minerva" brüllend heimgeschickt vie
in der Iliade. Die Briten brachen in ein Triumph
— 331 —
geschrei aus, als sie den Namen des Höchstkom-
mandierenden der Reichsmarine auf dieser Prise
lasen. Fisdiereikreuzer „Zielen" erwies sich als
flinker Husar, bis man ihn weidgerecht anschoss
und in Gefangenschaft schleppte.
Gleichzeitig ereignete sich aber beim Verstoss
der linken deutschen Torpedodivision, der gleich dar-
auf erfolgte, ein eigentümlicher und deutscherseits
erhebender Vorfall. Im Seetreffen vor fünf Tagen
waren „Elsass", „Wörth", „Weissenburg", „Gazelle'*
g^esunken, „Hessen", „Pfeil", „Niobe", „Medusa"
erobert, erstere beiden halbe Trümmer, eiligst als
Prisen und Siegeszeichen nach Chatam abgeführt,
wo eine mit Extrazügen aus London herbeiströmende
Menge sie mit Tücherschwenken und brausendem
Hiphiphiphurra empfing. „Niobe", „Medusa" hin-
gegen hatten sich, förmlich geentert, zwar in völlig
gefechtsunfähigem Zustand ergeben, aber noch mit
ungeschmälerter Fahrbarkeit. Man hatte sie daher
auf See belassen, hinter die Front geschickt, um sie
später für eigene Schlepp- oder Administrations-
zwecke einzurichten. Ja, teils aus nachlässigem Hoch-
mut, teils um die Gefechtsstärke bei der bevor-
stehenden Schlacht nicht im mindesten zu schwä-
chen, übertrug man auf sie nur ein paar Mann
Prisenbesatzung unter zwei jüngsten Maats, die mit
der entwaffneten Bemannung kordial und human
verkehrten, da der Brite wie der Franzose nach
dem Siege, sobald seine Eitelkeit gesättigt, äusserst
gemütlich wird. Als aber nun bei vorübergehendem
— 332 —
Weichen des britischen Zentrums und verzweifel-
tem Ausfall der beiden Torpedodivisionen allge-
meine Verwirrung hinter der Front entstand und
die britische Linie an vielen Stellen dünne wurde,
überfielen die Deutschen ihre wenigen Wächter, be-
mächtigten sich ihrer Schiffe wieder, rissen die
Hebel ihrer noch klaren Maschinen zur höchsten
Spannung herum und erreichten in fliegender Hast,
weit hinter der britischen rechten Flanke südöstlich
herumbiegend, die Eibmündung im nämlichen
Augenblick, wo die deutsche Flotte im Schutze der
Nacht dort wieder einlief. —
Im Zentrum hatte die eine Weile stehende
Schlacht sogar eine günstige Wendung für die Deut-
schen genommen. Da gleichzeitig Signale von der
Helgoländer Seite lauteten: „Hier alles gut, feind-
licher Angriff abgeschlagen," so schien der Kampf
unerwartet erfreulich für die Deutschen zu stehen,
die sich beglückwünschten, in Gemeinschaft mit den
Inselbatterien das Feuer aufgenonmien zu habai.
Doch so kühn „ Witteisbach'* den „Duncan" be-
drängte, hielt doch der hartleidende „Hood" mit
der Pflichttreue jenes schlichten Seemanns der Nel-
sonzeit, der diesem Schiff den Namen lieh, das
Gefecht aufrecht. Sein Telegraphenkommando trate
unaufhörlich, Hess im dumpfen Torpedoraum drun-
ten „Readyl FireT* in elektrischen Glühlettem er-
strahlen auf weiss gestrichener Wand. Bei dem
heldenmütigen Naheherangehen der deutschen
Schiffe, um den Unterschied der überlegenen briti-
— 333 —
sehen Fernfeuerzone auszugleichen, wäre es den
Briten schlecht bekommen, wenn sie wie die Japs
ihre mittlere Artillerie abgeschafft hätten, was nur
gegen so miserable Marine wie die russische ange-
bracht scheint. Aber wenn die Deutschen auch dem
furchtbaren Gegner diese Überlegenheit entwanden,
so blieb doch nach wie vor das Geschossgewicht
selber. Gegen 24 Zentimeter, nur je zwölf 27, je
vier 28 Zentimeter Kaliber der Braunschweigklasse
spielten durchweg 30,5 Zentimeter, dem nur die
Fortgeschütze Helgolands und Cuxhavens ent-
sprachen, hier und da sogar 40 Zentimeter, 42
auf einigen Barbettetürmen. Den 15 und 21 Zenti-
metern der deutschen Kreuzer standen meist 23,
nicht selten 25 Zentimeter der britischen entgegen.
Dies musste auf die Dauer die Risse der Schusslöcher
zu Ungunsten der Deutschen verschieben.
Mittlerweile erwies sich Adairs Andrang nüt
Reservegeschwader unwiderstehlich. Dessen Flagg-
schiff „Edward VII." fuhr so stolz einher, als wolle
er die Nordsee gerade so dem Herrscher Britanniens
unterwerfen, wie seine Kollegin „Empress of India"
das Mittelmeer. Der „Ocean" fegte den Ozean, als
gehöre er ihm erb- und eigentümlich. „Albion" be-
arbeitete „Deutschland", als gelte es, den Vorrang
zwischen beiden Nationen durch Duell ihrer Namens-
vertreter zu entscheiden. Unaufhörlich pochten bri-
tische Brisanzgranaten einfahrend und zerschlagend
an die Panzerhaut des deutschen Alligators. Es klang,
als ob Zyklopen Felsblöcke gegeneinander rieben.
— 334 —
Bei der Auflösung in Einzelkämpfe, in braunen
Dunst gehüllt, war an geordnetes Sanuneln nicht
mehr zu denken. Flaggsignale des deutschen Gross*
admirals wurden meist nicht mehr verstanden. Die
Umwicklung der linken Flanke nach Untergang der
„Nymphe" und des „Leipzig" durch die pfeifende
Wolke der Destroyers und kleineren Kreuzer, die
hier dem Auge äusserlich eine wahrhaft erdrückende
Übermacht darstellten trotz ihres spezifisch geringen
Gefechtswerts gegen grössere Panzerkreuzer, iicss
sich nicht wieder gut, der jetzt durch Eingreifen
des „Dreadnought" auch am rechten Flügel ein-
reissende Rückschlag durch Festhalten des Zen-
trums nicht wett machen. Vordringen der Briten
auf beiden Flanken brachte die höchste Gefahr
nahe, umzingelt und von der Elbe abgeschnitten
zu werden, so dass nur Durchschlagen gradaus nach
Norden noch übrig geblieben wäre. Der Grossad-
miral gab daher durch vorher vereinbarte gelbe
Raketensignale das Zeichen zu allgemeinem Rück-
zug. In seiner höchsten Not beorderte er auch noch
seine gesparte Reserve heran: die zwei jüngsten,
erst kürzlich fertiggewordenen Einheiten der Reichs-
marine, grösste Panzer „Bundesrat" (mit drohender
Anspielung auf jenen bekannten beigelegten Zwisdies-
fall, den britischer Übermut nüt dem Postdampfo
gleichen Namens aufgespielt) und „Friedrich der
Grosse", nebst Kreuzer „Ersatz Blücher". Man hatte
sie, jetzt ohne Besorgnis für Kiel« durch den Kanal
im Laufe des Morgens herangezogen.
— 335 —
Das Signal ,, Kampf sofort abbrechen'* kam auf
dem linken Flügel zu spät. Unter wildem „Hurra,
hochl" der bis zum letzten Mann imd letzten
Augenblick heroisch ringenden Besatzung ging
„Deutschland'* unter. Hinein und hinaus aus ein-
gerissenem Doppelboden quoll es feucht, wie Blut
aus Todeswunde verströmt. Umsonst liessen die
Briten ihre Marineboote zu Wasser, die an ber-
stende Rumpfplanken geklammerte Mannschaft
wollte sich nicht ergeben. Noch beim Sinken schob
ein Kanonier ein letztes Geschoss von blutbeschmier-
ter Ladeschale ins russige, heut früh so blank ge-
putzte Rohr. Als ein sterbender Reservist mit brechen-
der Stimme „Deutschland, Deutschland über alles"
anstimmte, nahmen die dem Tode Geweihten herzhaft
aus voller Brust den Gesang auf, sich staunende
Bewunderung vom stolzen Gegner erzwingend. Der
quellende Wogenschwall wusch Blut und Leichen
von zerstampften Decksplatten nüt fort, als das
Vaterlandslied in Röcheln erstarb.
„Sie sterben wie Briten 1" rief Kommandeur
Pelham des „Albion", ehrfurchtsvoll das Haupt ent-
blössend. Seine Leute murmelten: „Diese Dutch-
men wären wert, Briten zu sein 1"
Wie ein achtimgsvoUer Salut überm noch offenen
Grabe eines ruhmvoll gefallenen Kriegers, sollte eine
letzte Salve des „Ocean" über der „Wittclsbach"
hin» die soeben, alle eingebrochenen Innentreppen
am Vorder- und Hinterturm mit Leichen vollgestopft,
den Wellentod fand auf dem Feld ihrer Ehre. „And
— 336 —
let him alone with his glory!" zitierte ein romanti-
scher junger Midshipman des siegreichen Briten-
Schiffs den populären Vers aus dem Grabgesang auf
Sir John Moore. —
Was waren Tschuschima und Trafalgar, Le-
panto und Salamis gegen diese grösste Seeschlacht
der modernen ZeitI
Ach, die gute alte Zeit, wo man nur alle vier
Minuten einen Schuss aus grobem Geschütz lösen
konnte! Heut zwanzig bis zweiundzwanzig in der
Minute I Die mittlere Schnellfeuerartillerie der Eng
länder rasselte unaufhörlich. Dazwischen erscholl
als Schnellfeuer im eigentlichen Sinne das Knatteni
der automatischen Maxims, die es bis auf hundert
und sogar zweihundert Schuss in der Minute bringen.
Die Hotchkiss-Revolverkanonen liessen auch nicht
mit sich spassen. Man hörte sie aber kaum, wenn
Kanonen von 47 imd 67 Toimen Kraftgewicht ihre
brüllende Stimme erhoben. Selbst bei kleinerem
Kaliber durchbohrt ein Geschoss bei einer Scbnellig
keit von 800 m durchschnittlich 10 cm Stahl 55 mm
Eisen. Noch auf viertausend Meter reisst es ein
Torpedoboot in Stücke.
Die Whitehead- Torpedos raschelten dahin mit
einer Schnelligkeit von dreissig Knoten, indem die
komprimierte Luft von 90 Graden den Motorappara!
schwingen liess, als die doppelte linke Flügeldivisicm
sich in Bewegung setzte, die endlich umwidcelte
deutsche Linke herauszuhauen.
Nach heftigem Kampfe gab „York" gegen brül-
— 337 —
lende Übermacht nach. In ungleichem Ringen der
Kreuzer „Nymphe" und „Thetis" tauchten die deut^
sehe Nymphe und die britische Meergöttin beide
ins Wellengrab. (Die deutsche „Thetis und die
sagenumsponnenen alten Kreuzerkorvetten „Lore-
ley", „Nixe" umspülte fast gleichzeitig der Meer-
grund an femer Küste.) Man bedurfte hier nicht
der schwimmenden Särge der Siegfried- und Sachsen-
klasse aus der Zeit Stosch und Caprivi, deren
Ausfallcharakter für jedes Hochseeengagement man
längst feststellte. Denn wahrlich, auch bessere see-
tüchtige Typen riss hier der Strudel hinab. Selbst
die kleine „Amazone" wehrte sich ritterlich, ihr
tötender Achill war hier der „Thunderer", der auch
den „Blitz" mit seinem Donnerkeil begrub.
Dies Zentrumschiff war hier bis zum äussersten
Südende der beiderseitigen Schlachtlinie durchge-
brochen: Beweis, wie verschlungen hier alles drüber
und drunter ging, denn umgekehrt machte „Walder-
see" trotzig die Runde entlang der britischen Front
von Süden nach Norden hin und her, als wolle er
den gebietenden Weltmarschall spielen. Und wohl
passte auf ihn der Nibelungenvers : „Da fiel vor
seinen Händen gar mancher Recke zu Tal." Der
trotzige Korsar und Weltumsegeier Francis Drake
hätte keine Freude daran gehabt, wie hier „Drake"
misshandelt wurde. Der Menschenfresser „Poly-
phem" bekam eine Ladung in seine starrenden Bat-
teriekiefern, dass ihm die Zähne ausfielen, auch sah
er schon einäugig genug aus mit seinen weggeputzten
Völker Europas . . . ! 22
— 338 —
Schornsteinen. „Saphire" tauchte Hals über Kopf
in die nichts weniger als saphirfarbene Flut.
Blauer Sommerhinunel formte hier keinen blauen
Farbenschmelz der Gewässer, aber auf dem grün-
grauen Meeresplan zeichnete sich ein Gürtel von
hellem Smaragd und glitzernden Schaumperlen ab.
wenn das Drehen der Schiffe im Halbkreis die Flut
zerschnitt oder ein sinkendes Fahrzeug seine schauer-
lichen Kreise zog.
Torpedo S 32, zum Übungsgeschwader des
„York" in Friedenszeiten gehörig, machte sich,
um seinen Kameraden zu retten, an den Kreuzer
,Kent' heran, den er, selber in den Gnmd g^ebolut
lebensgefährlich verwundete. Zvdschens Torpedo-
netz hineingleitend, hatte er an den Rumpf gepocht
und siehe da, es ward ihm aufgetan. Dafür tötete
die gebieterische „Imperieuse", diese stolze Lady
voll französischem Chic, die schlichte schwächere
,^Hertha", „Irene". „Research" fand denschlingemdca
„Gneisenau" heraus und suchte sein zerschossenes
Gerippe mit Schüssen ab, bis er auf immer dem
Oberlicht Valet sagte. Auch „Hamburg**, ,»Arkona'
sanken, vom kühnen „Argonauten" und gehässiges
„Vindictive" eingeholt. „Blenheim", „Talbot", ^b^
kir" wollten englische Siegesfeste erneuern, kamen je-
doch beim „Moltke" übel an. „Herzog von Edinburgh
hätte als Thronfolger von Coburg deutsche Art besser
lernen sollen, wenn er glaubte, „Berlin" werde vor ihm
die Flagge streichen. Diese Schiffe un linken Zen-
trum entkamen, ebenso „München", Turbinenkr. „Lü-
— 339 —
beck", „Prinzess Wilh/*, „Vict. Luise", einsamer
Überrest der Linken ,,Bremen"» Dagegen machte
,Invincible*, der Unbezwingliche, ein Ende, ge-
meinsam mit menschenfressendem ,,Minotaur",
der durchs Labyrinth dieser Seeschlacht wie toU
hin und her rannte. „Bülow" bekam von „Victory",
der Neugeburt des historischen Flaggschiffs von
Trafalgar, den Todesstoss und endlich trug auch
„Waldersee'* ein Angebinde zum Nelson-Andenken
von „Victory" heim, dass er bei Wittsand schei-
terte. Doch wieder passte auf ihn der Nibe-
lungenvers: „Es hatten seine Hände wohlvergolten
seinen Tod." Denn Kreuzer „Brilliant" sah gar nicht
mehr brillant aus, „Spartiate" hätte beinah ein
Thermopylengiab gefunden, Destroyer „Dove" hatte
zerzaustes Gefieder, geknickte Schwingen. Das
deutsche Zentrum, unmittelbar in der Flanke be-
droht, schwamm langsam ab, trotzig wiederholt
drehend und dem Verfolger die Stirne bietend.
Der neue Ersatzkreuzer „Pfeil" (nicht zu ver-
wechseln mit dem älteren gleichen Namens), der nach
„Ersatz Meteor" auf kaiserlicher Werft in Danzig
seine Kielstreckung erhielt, und das von der Ger-
maniawerft gebaute Hochseeboot G 137, mit Tur-
binenmaschinen und 570 Tonnen Wasserverdrang
bei einer Geschwindigkeit von dreissig Knoten,
opferten sich heldenmütig für den „Roon", der mit
biedrer umsichtiger Tüchtigkeit, seines Namens
würdig, die unvermeidliche Rückzugsdeckung or-
ganisierte. All seine Deckbauten, Masten, Schom-
22*
340
steine gingen zum Teufel, mittschiffs loderten seine
Kesselfeuerungen offen durchs zerschlagene Ded,
doch erst unmittelbar vor der Eibmündung gab das
tapfere Schiff den Kampf auf und strich die Flagge,
von drei Seiten eingeholt. Unterm Schutz des Tor-
pedovorstosses entrann das Zentnun, nur „Schwaben"
erlag, förmlich geentert nach markigen Schwaben-
streichen. „Wilhelm der Grosse'*, nach Schamhöm ab
gedrängt, stiess mit „Wilhelm IL" zusammen und
setzte mit ihm die Rückfahrt zur Elbe fort. Einai
Augenblick begrüssten sich nahe die vier Kaisei.
dann bog „Barbarossa" nach Vogelsand aus.
Noch reckten sich droben am Helgolander Fds
die Kanoniere hinter ihren Donnerrohren im Abesd^
grauen, wie selber versteinerte Bildwerke, von dunk-
ler Bronze überzogen. Doch wie ein spukhaftes
Geisterphantom der Wasserwüste jagte der „Drcad-
nought" dahin, den Fliehenden nach, ein Fügender
Holländer modemer Zerstörungskunst. Die öeot
sehe Reservedivision hatte sich ihm entgegenge
worfen, während gleichzeitig auch die doppelte Tor-
pedodivision vom Südrand Helgolands vorstürzte.
um sich zu opfern. „Barbarossa" machte dem „Dread-
nought" ehrerbietig Platz und machte sich etva»
verfrüht davon, nur massig heimgesucht. Die Bras-
denburgklasse und „Kaiserin Augusta" schössen sich
schon wirkungslos mit „Majestic" imd den dro
grossen Kreuzern herum, da sie trotz ihres nicht g^
ringen Kalibers sich möglichst ausser Bereich des
Fernfeuerzone hielten, ein nahes Herangehen wegcsi
— 341 —
ihrer schwachen Panzerbeschaffenheit nicht wagen
konnten. Dagegen war die Kampfenergie der deut-
schen Marine so unverwüstlich, dassdie zur Hevermün-
dung imd nach Sylt verschlagenen Torpedoboote,
noch vier an der Zahl, trotzdem sie von ihrem vorigen
nächtlichen Ausflug noch arg strapaziert, noch-
mals ausliefen. Sie richteten östlich von Helgo-
land, wo sich bereits eine Menge Scouts, ungedeckte
Kreuzer II. Klasse und sogar Transportschiffe straf-
los unterhalb der dort schweigenden Helgoländer
Batterien herumtrieben, heillose Verwirrimg an, ohne
freilich ernstlichen Schaden zu tun.
„Remarquable*", unterm weittragenden Flanken-
feuer des „Brandenburg** und des Genossen seiner
Klasse den Vormarsch ruhig fortsetzend, wollte sich
heut auch bemeikenswert machen. Er trieb den
leicht havarierten „Karl den Grossen" vor sich her,
während ,Dreadnought' allein die Reservedivision
überwältigte, die nach Passieren der noch übrigen
neun Panzer, indes „Meteor** meteorgleich versank,
noch zur Deckimg den Kampf fortsetzte, während
„Barbarossa" und die drei minderwertigen Schiffe
der äussersten Rechten noch heil zum Wilhelms-
kanal abschwammen, weil Weg zur Elbe verlegt.
Die deutsche Linke war vollständig vernichtet.
„York**, mit verbissenem Yorkschen Isegrimm bis
zuletzt aushaltend, brannte im Wattengnmd hinter
Baake nieder, auf Strand gesetzt. „Lancaster** der
britischen Linken schnitt ihm so hitzig den Rück-
zug ab, als gelte es die alte Fehde York-Lancaster
— 342 —
noch einmal aufzuwärmen. Nach allen Seiten sein
entsetzliches Feuer speiend, riss „Dreadiiought" deo
„Bundesrat" um, dessen Masutreservoir durch klaffen-
den Bodenraum zwischen die hämmernden Kdben-
Stangen der Kessel tropfte, so dass bald überm
ganzen prachtvollen Fahrzeug verzehrende Lohe zn-
sanunenschlug. Die Mannschaft hatte zu wählen
zwischen Flanunen- imd Wassertod. Den „Friedrieb
den Grossen" schleuderte der brüllende Feuerdrache
von Nordergatt auf Klotzenloch, wo er wie ein Klotz
lange festsass, bis die Briten ihn als Prise flot:
machten, selbst die weisse Innenwand des Torpedo-
raums klaffend mit Blut bespritzt. Sein ars^es Leck
hatte er nur durch Treffer in den Vorderturm d€<
verfolgenden „Majestic** rächen können, wo die
riesige Kanone umfiel mit zerschmetterten Rädern
und die zu spät entspringende Bedienung zu Brei
zerquetschte. Das Schiff sah daher auch nicht mehr
majestätisch aus, als es die Verfolgung einstdite,
Deutsche Torpedos griffen an, Verschlüsse
schnappten zu, herumgerissene Hebel klappten, das
Geschoss glitt ins Rohr und von da durchs Wasso.
doch rasendes Getöse und brüllendes Drohnen ver
schlang jeden Lärm da unten, verschlang auch die
Schiffchen. Dem ,Dreadnought' hatte das vereintif
Feuerspeien der Geschützpforten sämtlicher zu An^
fang oder zu Ende die deutsche Linke bildendec
Panzer nichts anzuhaben vermocht. £r scbüttelie
auch Torpedoschwärme ab, als wolle er den Vexs
des Nibelungenlieds illustrieren : „Er ging vor seinen
— 343 —
Feinden, als wie ein Eberschwein zu Walde geht
vor Hunden." Und wenn Stachelschweine selbst
die Klapperschlange nicht fürchten, so zerbrach
dieser Feuerdrache allen Schwächeren die Eisen-
stacheln. —
Auf der Eibreede fand man unerwartet
„Oldenburg" in Aufnahmestellung. Als Küstenpanzer
verächtlich ausrangiert, hatte er sich nicht nehmen
lassen, auf eigene Hand durch den Kanal zum
Kanonendonner hinzustreben, und erreichte noch
rechtzeitig die Elbe. Die grosse Entscheidung
war gefallen. Mit dem alle Streiche parierenden
,, Blücher" und den überraschend sich vorstellenden
tragischen Damen „Niobe", „Medusa", die sogar
ihre englischen Gefangenen mitbrachten, sammelten
sich in der Eibmündung noch neun Panzer, mehr
oder minder hart mitgenommen, acht Kreuzer des-
gleichen. Von vierzig eingesetzten Torpedobooten
noch zehn, meist unverletzt. Der letzte Angriff der
rechten Flügeldivision hatte die Verfolgung, von
rechts nach links dazwischenfahrend, allerdings
gehemmt, ihre Hälfte verschluckte aber das nun
stillgewordene Meer. Das hatte die Mittelartillerie
des ,Dreadnought' getan, ehe noch Destroyers ihr
Werk begannen. Die linke Division war, mit Aus-
nahme von G 137, völlig zugrunde gegangen, sich
opfernd. Von der mittleren, deren Angriff vorschnell
zu Ausnutzung angeblichen Sieges im Zentrum er-
folgte, kehrten zwei Boote heim. Desgleichen ein
Torpedojäger. Die vier Unterseeboote hatte man
— 344 —
zurückgehalten, doch hatte eins sich hinreissen las-
sen, dem jDreadnought' die Weiche abzugewinnen,
der jedoch unerschütterlich den Anprall wie ein
Fels überstand und den unglücklichen Untersee-
feind einfach in den Grund fuhr. Die kleineren und
ungedeckten Kreuzer sah niemand wieder, die Tiefe
verschlang sie für immer.
Die deutsche Flotte war als Offensivkörper end
gültig zerstört. Britischerseits waren drei Panzer,
drei grosse Kreuzer gesunken, ausserdem neulich
ein Panzer, ein Kreuzer vor der Wesermündung.
Schwer zerschossen waren vier Panzer, vier Kreuzer:
ein Kreuzer („Kent") gebrauchsunfähigr gewordoi.
ebenso ein Kreuzer vor der Wesermündung. Sieben
Torpedoboote, sechs Destroyers, zwei kleine, drei un-
gedeckte Kreuzer wurden im ganzen vemiisst. Femer
.zwei Kreuzer gesimken, zwei Panzer schwer beschä-
digt beim Seetreffen vor fünf Tagen. Im ganzen
demnach genau vier Panzer und acht Kreuzer ver
loren. Die havarierten sechs Panzer, vier Kreuzer
gingen eiligst mit Schlepp nach Sheemess zurück
wo unablässig an ihrer Wiederherstellung gearbeitec
wurde, sechs leichtverwundete Panzer, drei Kreuzer
flickten ihre Schäden nachher gleich an der £ms ans
Die einundzwanzig aktiven Unterseeboote jung
!sten Stils. hatten am Kampfe nicht teilgenommen,
waren auch bei. Ems- Angriff und Weser-Blockade
nur nut wenigen Exemplaren vertreten. Die übrigen
neunundzwanzig älteren Datums lagen meist als Ver-
— 345 —
teidiger an britischen Küsten, nur wenige waren
dem Mittelmeer- und Kanalgeschwader zugeteilt, wo
sie sich sehr wenig bemerkbar machten. Die
Engländer teilten durchaus nicht das Vertrauen, das
die Franzosen in die von ihnen erfundene Waffe
setzten. Die französische Erfindung des Torpedo
hatte sich freilich bewährt, bezüglich der Sous-Marins
sah es aber so aus, als ob man sich irre und un-
angenehmer Enttäuschung aussetze. Der Aktions-
radius dieser neuen nautischen Bauten blieb wenig
genügend, ihr Sehvermögen ganz ungenügend, so-
wohl sicheres Navigieren als sicheres Torpedieren
fast ausschliessend. Doch so skeptisch ablehnend
sich Deutschland zu dieser Neuerung verhielt,
während die alles nachäffenden Italiener schon sehr
früh in Spezzia ein solches Fahrzeug in Dienst stell-
ten, konnte es sich dem Zuge der Zeit nicht ent-
ziehen und schuf sich vor zwei Jahren das erste
Unterseeboot, dem jetzt endlich fünf fernere von der
Germaniawerft gelieferte folgten. Zur Küstenvertei-
digu^g war dies auch unbedingt nötig, da es mora-
lisch deprimierend wirkt, wenn der Feind irgend-
welche neuen Hilfsnuttel besitzt, die der eigenen
Marine unbekannt blieben. Man kannte die Hand-
habung nun und fürchtete sie nicht. Leider teilte
Lord Beresford nicht dies hoffnungsvolle Urteil.
Denn so wenig er vom Gefechtswert der Untersee-
boote für offene Seeschlacht hielt, gab er sich doch
keineswegs damit zufrieden, sie als Staffage zu be-
nutzen, sondern schob sie ins Vordertreffen für
— 346 —
Sprengung der Hauptflusssperren an Elbe und
Weser, was er sofort in Angriff nahm.
Auf der Kieler Werft arbeitete man vor Aus-
bruch des Krieges und seither täglich fieberhaft.
So gelang es, noch drei frische Torpedodivisionen
von Stapel zu lassen, nebst einer Division Torpedo-
jäger, die man bisher in der Kieler Föhrde zurück
hielt. Die Mehrzahl dieser Schiffe legte sich vor
Brunsbüttel zum Schutz des Kanals, andere sollten
per Bahn nach Cuxhaven verladen werden. Deno
ein Versuch, am 5. Juni vom Kanal die Küste ent
lang dorthin zu schleichen, missglückte durch die
hochgesteigerte Wachsamkeit der schon weit ai&
gespannten Blockadekette. Lord Beresford schob
eine gemischte Abteilung von drei Panzern, dm
grossen Kreuzern, sieben ungedeckten, acht Tor
pedos, sechs Destroyers, zehn Scouts nach Südosten«
um den Kanaleingang zu beobachten und ein Aas^
laufen der dorthin verscheuchten sechs noch
heilen (,Ulan*, ,Hyäne' inbegriffen) Schiffe m^
liehst zu verhindern. Mit den noch übri^^en zwäf
Panzern, zwanzig grossen Kreuzern und den Ueinerec
Körpern bewegte er sich sofort gegen Weserfons
und Cuxhaven, ohne jedoch schon das Bombarde
ment zu beginnen. Er wollte erst die sehr vcr
schossene Munition und Kohlenbedarf gn^ündlich er
ganzen, die für 6. Juni angemeldeten „Hibemia'
„Devonshire" des Kanalgeschwaders an sich ziehec
und für den 7. die Ankunft der französischen Brest
Eskadre abwarten, die sich endlich hierher aufg^
— 347 —
macht hatte. Nicht ohne geheimen Widerwillen, den
Briten ihr Werk erleichtern zu sollen, während diese
durch ihre Dummheiten die für Belgien versprochene
Hilfsleistung unmöglich machten und so für fran-
zösisches Bundesinteresse ganz ausfielen«
Nachdem die deutsche Flotte niedergekämpft,
konnte kein Steilfeuer der Mörserbatterien Helgo-
land vor Übergabe retten. Am 4. liess Beresford
das Signal am Topmast wehen: ,,Glorreicher Sieg*',
Musikkapellen stimmten „Rule Britannia" und „God
save the King'* an. Matrosen gröhlten mit heisem
Kehlen den ulkigen Refrain: „The Queen Victoria,
the Queen Victo — oria, the Que — en Victoria and
Empress of India," wohl weil die Worte ,Victory'
und ,Victoria' gut zusammenpassten. Diesen Spek-
takel hörte die abgeschnittene Inselbesatzung traurig
mit an Am 5. begann erneute heftige Beschiessung
in West, Nordost, Südwest aus erheblicher Ent-
fernung, wobei die 30 Zentimeter natürlich nicht den
Standort der 45 Zentimeter erreichen konnten. Die
sogenannten neuen „Petroleumgranaten", die ein
phantasiereicher britischer Autor, das Gespenst einer
deutschen Invasion seinen Landsleuten an die Wand
malend, als kommende deutsche Erfindung prophe.-
zeit hatte, waren jetzt nur brittscherseits vorhanden,
ohne übrigens gegen andere als wehrlose Stadt-
Objekte das ihnen gespendete Lob zu bestätigen. Am
6. gab es kaum noch Bedienung, da die wenigen
Überlebenden durch keinen Machtspruch der Offi-
ziere aus ihren Kasematten herauszubringen waren.
— 348 —
Zwei Geschütze waren ins Wasser geworfen, eins
halb von der Lafette gerollt, dem vierten das Lad^
podest verbogen und die Mündung angesengt. Insel
und Forts glichen einem durcheinandergewürfeltai
Trümmerhaufen. Das Monstreschiff ,,Dreadnoaght"
brauchte nur seine Eisenmäuler aufzutun, um jede
Deckung wegzuputzen. Die Panzerkuppeln flogeii
wie Glas auseinander. Am Abend kapitulierte der
Kommandant, nachdem seine Mörser noch dem m-
dringlich näherfahrenden „Albion" einen derben
Denkzettel erteilt und dem Kreuzer „Talbot" ciq
Stück Panzer weggerissen hatten. Er übergab auch
Proviant und Kartuschen in teilweise verbranntem
zerfetztem Zustande, durch Ausgabeluks getroffen. —
Nach dem- glücklichen Ausfall der Deutscbai
im Jahdebusen beschränkte sich das durch Entsen-
dung und Verluste auf drei Panzer, zwei Kreuzer
geschmolzene Blockadegeschwader auf blosse Be*
obachtung der Wesermündung. Deutscherseits wollte
man aus lauem Zuwarten gegenüber der unwillig
geduldeten Landung heraustreten, aktive Vertdifi-
gung gegen die Emsstellung vornehmen, mit Land-
streitkräften offensiv werden, da es mit maritimen
nicht ging. Überall waren deutscherseits Leucht-
türme, Telegraphen- und Telephonstationen in voller
Tätigkeit längs der Küste, englischerseits arbeitete
man init Heliographen und einem eigens bei Nor-
derney aufgebauten Semaphor. Das Reservege*
schwader hatte während des Schlachtanmarscbes
seine mitgeführten Truppentransporte südwärts zoi
— 349 —
Ems befördert, und es stak jetzt dort und in Borkum
alles voll Rotröcken und Kakis. Auf eigens hierzu
eingerichteten Fahrzeugen \\nirden fünf Festungs^
Monstregeschütze eines neuen Typs ausgeschifft,
jedes vierzig Fuss lang, ausserdem zwölf Elfzoll-
Schnellfeuergeschütze und sechs Pompom-Mörser.
Dies sollte sowohl zur Armierung der Trutzschanzen
als Beschiessung der Weserforts wohl genügen, und
man bedauerte nur, dass man sie vor Helgoland
nicht hatte verwenden können. Auf 15000 Yards
Distanz berechnet, mussten solche Schüsse alles vor
sich niederbrechen.
Es wäre ja hübsch gewesen, wenn man deutscher*
seits den ollen ehrlichen „Agir" als Typ einer neuen
pompösen Ersatzklasse von acht Nununem neu bauen
und die Sachsen-Klasse durch vier Dreadiioughts
hätte ersetzen können, wie die erfindimgsreichen
Herren Le Queux- Wilson ihren Lesern es so üppig
auftischen. Leider liess sich dieser sensationelle Un-
sinn einer deutschen Invasion imd überlegenen deut-
schen Flotte nur harmlosen Ahnungslosen einreden,
und niemand ergötzte sich an solchen Trugbildern
mehr, als die britische Blauwasserschule, gegen
welche die Verfasser die Armeereform Lord Roberts*
mobil machten. Fürs erste schien die Seeniacht,
„die so lange von einem rein aufgeblasenen Re-
nommee gelebt hat," wie diese Prediger in der Wüste
ihren Landsleuten vorausverkündeten, noch gründ-
lich ausreichend, um England vor jeder Invasion
zu schützen I Die Knauserigkeit des deutschen Reichs-
— 350 —
tags machte jede berechtigte Flottenagitation ni
schänden. Drüben aber bewilligten gehdme Paria
mentskommissionen, ohne der Öffentlichkeit Rechen-
schaft abzulegen, Hals über Kopf in letzten zwei
Jahren ausserordentliche Kredite, die in der Bud*
getliste mit undeutlichem Gemurmel unter der von
allen Auguren wohlverstandenen Rubrik „für all-
gemeine vaterländische Zwecke" übergangen wur-
den. Da durfte nicht wunder nehmen, dass aQc
Novitäten kostspieliger Zerstörungskunst nur im bii
tischen Warenlager geführt wurden.
Für die Truppentransporte bildete die sogt
nannte „Division von Colchester" den Kern, für die
Artillerie das Artillerielager Shoeburyness an der
Themsemündung, wo nahe beim Seebad Southend das
Einschiffen der ElfzöUer unter wildem Jubel eines
fashionablen Publikums von statten ging. Die Trans-
porte des Reservegeschwaders kamen teils per Bahn.
teils auf den zwei Flüssen Crouch und Blackwater
bei Maldon ans Meer, aktivierte Milizen von Essex
und Suffolk und Metropolitan- Volunteers als Um^
rahmung der Garnisonen von London, Brightoa
Canterbury. Während so sechzig Kilometer v»
London diese Einschiffung sich voUiog, sammelteo
sich in Norfolk bei Norwich die Milizen des Nor-
dens und Ostens, wo einst Cromwells ,£astem Asso^
ciation' ihre Eisenseiten fand, und stiessen bei Yai-
mouth vom Lande ab. Ein dritter Transport, für
den man schon lange Material auf Insel May an^
sammelte, brachte MobiUsierte von Berwick und
— 351 —
Newcastle bei Gateshead, Sunderland, Tynemouth
an Bord, wo der so lebhafte Schiffsverkehr der
mit Forts umstandenen Tynemündung und die Eis-
wick-Werke der weltberühmten Waffenfirma Arm-
strong die Ausrüstung erleichterten. Tatsächlich la-
gerten jetzt zwei aus Regulären, Reserve, Yeomanry,
Volunteers buntgemischte Divisionen an der Ems
unter Befehl des im Burenkrieg bewährten Gene-
rals French. General Haig, der sich als Oberinspek-
tor indischer Kavallerie seine Sporen erwarb, fun-
gierte als ,Direktor der Militärerziehung im Haupt-
quartier*, ein wichtigster Posten, den früher Beau-
champ-Walker, als Militärattache von Königgrätz
bis Paris deutsche Siegeszüge begleitend, lange ein-
nahm. Bei der seltsamen Organisation der briti-
schen Home Army, angeblich hundertachtzigtausend
Mann, wovon aber stets Abzüge für die Kolonien,
brachte Haig nur ein bunt zusammengewürfeltes Ex-
peditionskorps zustande. Sir John French (jüdischer
Herkunft) übernahm als Kommandierender des
1. Armeekorps (Aldershot) die Leitung. Da gab es
ausser den ganzen Regimentern Northumberland,
Shropshire, Durham, 1., 2. Liverpool (zwei Regimen-
ter), Northhampton, 1. Suffolk, Leicester, Somerset,
schottische Carmarthenshire Füsiliere imd der Rifle
Brigade die verschiedensten Einzelbataillone: 1., 3.
Border, 2. Süd Lancashire, 4., 6. Lancaster Fus.
7. Kings Royal R. L. 4., 5. Middlesex 3., 4. Norfolk
3. Loyal North Lancaster 12. erstes Yorkshire 1., 4.
zweites Yorkshire 1. Wiltshire 1. Royal Bercks l.Dor-
— 352 —
setshire 1. West Riding 1. Leinster 6. Warwid
4. Essex 4. Stafford 4. Bedford 2. Gloucester 2. Lin-
coln 2. Cheshire 6. East Surrey 1., 2. Antrim R. O.A.
1. Guemsey L. I. 1. Doaegal R. R. G. 1. Coro-
wall and Devon Miners 1., 2. Berkshire I. Y. 8. V>
lunteer Suffolk. Femer wurden die R^^enter
Royal Highlanders, 1. Scots Guards 2. SeaforthHigfa-
landers nebst 3. King's Own Yorkshire Light lo*
fantry mit den Buffs und Coldstreamguards zu dner
Gardebrigade vereint, wobei 4. Reitende 49. Fuss
brigade des Aldershot-Artillerielagers begleiteten
dazu 10., 18., 20. Batterie. Den fünftausend lüm
in Ägypten, Irische Inniskillings und Sussd
Regiment Füsiliere (früher Kreta), Irische Inniski-
lingsdragoner, Lancashire Füsiliere imd Worcester
regiment imd U-Batterie Christchurch schon ml
gerechnet, schob man seit lange auf Prince Line;
Dampfern wie „City of Athens*', die tausend Maos
fassen, zahlreiche andere Bataillone obengeoaimter
Regimenter nach. 1. Arg>'ll und Sutherland Hlgb^
landers 1. Seaforth 2. Scots Guards sandten je ein
Bataillon nach Kapstadt, 2. Argyll und andere Halb^
regimenter, nach Canada. Von der Imperial Yeoi
(Maj. Gen. Hay, CoUings) berief man vorerstnurdicvffi
Royal Devon, Hamshire, Buckingham, Oxfordshirc eiß
Deutscherseits waren ausser der Hanseatcfr
brigade und einem Holsteiner Regiment bcrtte
sämtliche Landwehrbataillone des siebenten und <üe
niederrheinischen des achten Korps zur Stelle {^^
des zehnten und achtzehnten in Holland eingerück:
— 353 —
die des neunten in Holstein). Die Artillerie war,
wie schon gesagt, nicht ganz auf der Höhe,, aber
zahlreich. Da „Friedrich" xmd „Wettin" keine Un-
terwasser- und Maschinenhavarie, sondern nur starke
Überwasserbeschädigung erlitten hatten, so ent-
leerten sie wieder volle Kohlenladung in ihre Bun-
ker wie am Mobilisierungstag, flickten notdürftig
Takelwerk, Masten und Schornsteine wieder zu-
recht, fassten scharf Munition und machten sich klar
zum Gefecht. Natürlich auf jede Gefahr hin, da
sechstägiges Hämmern bei Tag und Nacht ihre
demolierten Oberdeckungen und demontierten Ge-
schütze nicht ersetzen konnte. Schnelldampfer des
Bremer Lloyd, auf Werften mit dortigen Beständen
ausgerüstet, sollten als Flusskanonenboote dienen.
„Friedrich Karl" war wieder zu jeder tapfern Mbse-
tat geneigt, nur ,,AdaIbert" lag siech danieder. Panzer-
K.-B, jViper*, ,Wespe*, »Brummer* hielten sich bereit.
Sobald die Feldregimenter durch Landwehr
auf neuer gradliniger Vollbahn Emden — ^Aurich
und Ems — Jahdekanal verstärkt, ward sofortiger
Sturmangriff auf die Emser Schanzen beschlossen.
Die Briten, denen man törichterweise völlige Un-
kunde militärischer Einrichtungen andichtete, hat-
ten bereits Drahtgeflechte weitimiher gezogen und
waren am 6. eben dabei, ein breites Minenfeld herzu-
richten, dessen Dynamiteruption ganze Kilometer des
Erdbodens aufreissen sollte. Im Beginn dieser er-
quicklichen Arbeit störte sie aber hochgesteigertes
Shrapnelfeuer. Deutsche Schützen schwärmten im
Völker Europas ... I 23
— 354 —
Laufschritt vor, scharfes Knallen und Knattern des
Kleingewehrfeuers ging bald in nie abreissendes rol-
lendes Prasseln über, das jedem Befehlsträger das
Wort im Munde abschnitt. Die Briten hatten m
ihrer neuen bösen Zwanzigpfünder, vier ElfzöUer mit
unsäglicher Mühe in Stellung gebracht und bc&entöi
sich verbotener Explosivstoffe. Völkerrecht? Makn-
laturwert! In die heranflutenden, abschwenkenden,
wellenförmig sich auseinanderbiegenden Abteilungea
geschlossener deutscher Soutiens platzte dies Ver-
derben hinein, konische Splitter runder Bälk
chronometrisch pünktlich umherschmeissend, ^'^
der Sämann ein Feld bestreut. Bis zum Train
reichte die weite Zerreibungszone. Der Hensdiia?
stockte schaudernd beim Anblick dieser fliegende
Glut- und Eisenlawine. In den deutschen Bam
rien sah. es bald übel aus. Zerkrümmte Lafener.
gekrümmte verstümmelte Leiber. Doch die übrig?
britische Artillerie taugte nicht viel, ihre Treffsicbei
heit stand der deutschen nach. Schon knisterten die
Dachsparren der Blockhäuser in den Erdschanz^
knirschte und knackte das verbogene Hokwcrkde:
Palisaden. Wo man am Strande etwas unvoiski^
tig Heu und Stroh für die Pferde in Bauemwags
angehäuft, stieg schwelender, augenzeibeissöKlff
Rauch auf und wirbelten Funken in die lAift- ^^
imd gelb frass der Flammenschein weiter, Glut übe?
all. Zu nahe verankerte Proviantschiffe frass t'
dernder Brand, man musste alle dort liegenden Tni:^
port- und Verpflegungsschiffe vom Anker lösen ch«:
— 355 —
nach Borkum hinüberlotsen, um sie nicht in rau-
chende schwarze Ruinen verwandeln zu lassen. Bren-
nende Holzscheite stoben übers Gewässer, Feuer-
werk zerstiebender Raen. Das blendende brausende
Feuermeer im Rücken der Schanzen knatterte wie
kleinkalibriges Pelotonfeuer und machte die Briten
stutzen. Dazu schwüle Sommerhitze, die Luft von
einem braunen Staubnetz umspannt.
Aus der deutschen Ballongondel berichtete maa
die Unordnung hinter der britischen Front. Das
einige Zeit schwächerwerdende deutsche Haubitz-
feuer nahm jetzt noch zu, ein Donner wütete los wie
nie zuvor. Man hatte vom Arsenal in Wilhelmshaven
zwei 30 Zentimeterstücke herbeigeschafft, die jetzt
erneute Beschiessimg aufnahmen. Ihre sechs ge-
waltigen Geschütze neuster Konstruktion hätten den
Briten gegen feste Objekte ein erschütterndes Über-
gewicht verschafft, hier aber gegen Schützen-
schwärme und oft die Stellung wechselnde Batterien
versagte ihre Wirkung grösstenteils. Je dichter hin-
gegen die Briten in den Rayon ihrer Erdschanzen
hineingedrängt, desto mörderischer musste die kon-
zentrische Umgürtung wirken. Die holsteinische
Feldhaubitzabteilung ergoss ein steiles indirektes
Feuer mit neuer Elevation auf nur 2500 Meter, in-
dem sie in rasendem Galopp bis zur nächsten vom
Feind geräumten Erdwelle vorging. Wohl strau-
chelten viele getroffene Pferde, Kanoniere purzelten
mit zerschellter Hirnschale kopfüber in den Staub.
E>och, das Abprotzen einmal gelungen, hielten
23*
— 356 —
die Holsteiner so zähe aus, wie einst vor Aman
villers.
„Zu faul zum Weglaufen," brummten westfälische
Landwehrleute, die diese phlegmatischen humorloscc
Halbfriesen nicht leiden konnten. Frisia non ob-
tat, doch der Schlachtgesang dieser von Holstä
nem und Ostfriesen bemannten Feld- und Laod-
wehrbatterien gellte dem Feinde noch lange
im Ohr.
Mit strammem Schritt lösten neu anrückende
Briten ihre niedergemähten Vorderreihen auf ds
Schanzwällen ab. Ununterbrochen während des Ta
ges wurden vom Borkumer Lager her Truppen rr
Verstärkung gelandet. Die Lage glich ungefähr de
Düppeler Schanzen mit der vorgelagerten Insd A!
sen. Die Briten versuchten natürlich von Anfan;
an, sobald ihre Vorposten zurückgetrieben, sich mfe
liehst weit vor imd seitwärts der Erdwerke lu est
falten. Doch das selten abflauende und stets vei
stärkter anschwellende Geschütz- imd Gewehrfcucr
der Deutschen, deren Waffe sich ebenso überlege
erwies wie ihre Gewandtheit im DeckungsucbcL
machte besonders den unausgebildeten Milizen o^-
Freiwilligen den Aufenthalt im freien Felde c-
möglich. Es gereichte ihrer starren britischen ^
fahrverachtung nur zur Ehre, dass sie so lang*'
aushielten und nach Kräften kaltblütig schosses.
Durchs Baubaubunrni-bängbäng-tiktiktaknunnun ^
Geschütze, Maxims und Rifles tönte das scharfe
blecherne preussische Avanciersignal. Nach \^^
— 357 —
ihre Schützengräben abbauend, stürzten die Stür-
mer auf die vorderste Eckschanze los.
Die Bewohner der Nordsee haben von jeher
etwas gegen die Engländer gehabt, über deren
Hochmut und Rücksichtslosigkeit allerlei Mären von
Mund zu Mund gingen. Die bekannten ältesten
Leute konnten sich nicht erinnern, dass ein bri-
tischer Handelssegler je vor deutschen in deutschen
Gewässern höflich ausgewichen sei. Erbitterung über
diesen ruchlosen Überfall, wie sie es auffassten,
machte die Hanseaten, Friesen, Holsteiner, West-
falen wütend wie rasende Berserker. Über Batterie-
ruine im Innern der Schanze, über grimmig mit
Kolben und Säbel zum Schädelspalten ausholende
oder beim Bajonettstich Rache suchende Verteidiger
brach die Sturmwelle herein. Es sah in Schanze
und Seitengräben aus, wie im Dorf Endiolulu, als
die Regimenter Morschansk und Zaraisk das 133.
japanische Regiment mit dem blanken Stahl ab-
würgten. Mit leeren Patrontaschen flohen Reste der
Metropolitan Volunteers, deren selbstgewählte Offi-
ziere, vielfach Noblemen von hoher Familie, mit
dem gespannten Revolver die regellose Feldflucht
zu stauen suchten. Gut gezieltes Geschützsalven- und
richtig eingestelltes Fernfeuer der neuen deutschen
S-Munition hatte hinter der britischen Front die
Munitionskolonnen femgebannt, auffliegende Pul-
verkarren vermehrten dort den höllischen Kreis der
Feuersbrünste. Es schien, als ob dies Loch sich
nicht stopfen Hesse. Gewannen die Deutschen eine
— 358 —
Seitenstrasse zum Strande, so war es um die Briten
geschehen. Doch mit grösster Hingebung brach eine
gelandete Brigade sich seitwärts durch eine SenkuDg
über den Dünenkamm und einige brombeerbewacb
sene Knicks Bahn und stand wie eine dichte Wand
vor den aufgelöst nachdrängenden Deutschen. Mit
lautem Feldgeschrei und unwiderstehlicher Tapfer
keit, die reissende Bresche der Schlachtordnung
füllend, rollte sie die losen feindlichen Schwänner
linien auf. Wohl riss das Kleinkaliber grosse Ludet
in ihre eigenen Reihen, doch die Schamartillen?
bekam wieder Luft, die Elfzöller brüllten mit lieber
hafter Hast los, obschon dem einen gleich dan:i:
der Verschluss zerfetzt und zwei VierzöUern dsi
Ladepodest glatt weggefegt wurde.
Das waren nach früherer historischer Benennung
Regimenter 71 Leichtes, 95 Hochländer, zwei altbe
rühmte schottische, die mit solcher Energie dr
Gefecht wiederherstellten. Die verlorene Vorder
schanze wurde vom Regiment Leicester buchstäbl-
mit dem Bajonett zurückerobert, freilich hatte ef
dann zu bestehen aufgehört, Mann an Mann gefalle-
Tobender Waffenlärm erfüllte wieder dengniD-:^
Saatenhang abwärts von den Schanzen. Da f-
eine Mine auf, die man früher noch rechtzeitig e-
gelegt und deren sich jetzt ein vorstürzender trr
tischer Korporal erinnerte, die Zündschnur mit cin*^
■
Pistolenschuss entladend. Erde und Eisen ^
glühende Steine begruben eine westfälische KcC'
pagnie vollständig, durch dies Chaos wüster Gro-
j
— 359 —
und, Knäuel stürmten die Briten weiter vor, die
Deutschen vor sich hertreibend in allgemeinem An-
lauf zu beiden Seiten der Strandwerke über das
dampfende Blachfeld.
Da kamen mit jankenden knarrenden Sätteln
und flatternden Mähnen der Streitrosse zwei Schwa-
dronen Oldenburger Dragoner und eine Reservisten-
schwadron der Krefelder Tanzhusaren herange-
sprengt, die einzige Kavallerie, die man westlich
von Hamburg in deutschen Landen an der Küste
beliess. Pferde, die so lange im Kanonengebrüll
mit hängenden Ohren schnobernd imd zitternd den
Boden scharrten, griffen jetzt wie Hirsche auf Treib-
jagd mit den Hufen aus, in einem Gemisch toller
Angst und grässlicher Verzweiflung von Sporn und
Zügel ins Verderben gehetzt. Mit Blitzesschnelle
funkelte ein starres Lanzenbündel zwischen den Feind,
wie von einem Orkan über den Boden fortgetragen.
Der englische Vorstoss zersplitterte an diesem un-
vorhergesehenen Gitter. Die Briten fluteten wieder
in ihre Lehmschanzen zurück, aus deren Scharten
der winzige Lauf des „Short Rifle" kaum sichtbar
hervorlugte, bei welchem Visier, Abzugbügel, Ma-
gazin so eng zusanmiengerückt, dass es an glatten
Flächen ziun Anfassen fehlt.
Müde ruhten Hanseaten und Landwehren bei
ihren Fahnen, denen beim Morgenappell an vier-
tausend Kameraden fehlten, tot \md verwundet vor
den Schanzen liegend. Der britische Verlust war
grösser. Durch die blutrot erglühende Sommernacht,
— 360 —
wo Flammen der Blockhäuser, Werkstätten, Güter-
schuppen und Schiffe ins Meer hineinbrandeten, als
stehe die Salzflut wie ein Naphtasee in Flammen.
klang der herzerhebende Klang des deutsden
Zapfenstreiches zu ihnen herüber.
Wie am blutigen Abend gab es auch am Morgen
nichts zu essen, auch die Feldflaschen leer, nirgends
andere Flüssigkeit als Blut. In quälendem Durst
tranken viele Inselsöhne aus der geliebten Meer
flut, das Salzwasser peinigte vollends den ledueDden
Gaumen. Die Proviantschiffe suchten zwar mite
Schutz einiger kleiner Kreuzer anzulegen, doch das
weit über gewöhnlichen Gewehrschuss YmxjSr
reichende neue Geschoss der Deutschen bestrick
die Decks. Letztere hatten abends zwar auch vra
noch Patronen im Brotbeutel, am Morgen erhicltcs
sie aber reichliche Atzung. Die Gefahr jeder Lafr
düng, von ihrer Verpflegsbasis abgeschnitten t&
werden, drängte sich dem General French deramg
auf, dass er beschloss, seine Hauptmasse nach Bo:
kum zurückzunehmen. Die durcheinandergewiihlte
Erdwerke hielt er am 7. noch. Seine Schützen, vc<r
den Schanzen eingebuddelt, mussten wieder aus df^
Erde empor und ins innere Viereck der kaum mehr
Deckung gewährenden Werke zurück. Da jedoc-
ein Panzer nahe am Strande Posto fasste und ein
Kreuzer seitwärts in der Ems die Flanke dedte.
dessen scharfes Feuer freilich unterm HinschmelxK
seiner Bedienung durch ununterbrochenen Gcschosr
regen schwächer imd schwächer wurde, nahmen &
— 361 —
Deutschen Abstand von erneutem Sturm. Schon
während des Tages nahmen Transportschiffe weit
unten am Strand die meisten Truppen auf, die in
Borkum wieder Proviant fassen sollten. Niederge-
halten in seinen Stellimgen, nicht ohne neuen er-
heblichen Blutverlust bei gegenseitiger Kanonade bis
in die Nacht hinein, räumte French um Mittemacht
das deutsche Festland. Nur ein Bataillon Royal
Mar. Light Inf. liess Lieut. General Kent auf
Posten zurück, mit den vorerst untransportabeln
sechs Geschützkolossen, von denen jetzt die Hälfte
gebrauchsunfähig. Die beiden Kriegsschiffe, in ziem-
lich gedeckte Lage zurückgehend, sollten durch ihr
Bestreichen der Düne weitere Annäherimg an die
Schanztrümmer vorläufig hindern. Da man am
Morgen die Dampfsäulen und Segel der Transport-
schiffe auf See nach Borkum zu bemerkte und der
Fesselballon die wirkliche Lage auskundete, so fühlte
man deutscherseits kein Bedürfnis, den schwachen
englischen Posten zu vertreiben, was angesichts der
beiden britischen Kriegsschiffe doch wohl unnütze
Opfer gekostet hätte. Man begnügte sich, Batterie-
stände zu errichten imd den Meerarm nach Borkum
so zu beherrschen, dass Proviantschiffe von dort bei
Tage nicht ungestraft nahen konnten. So hoffte
man den britischen Posten auszuhungern, dem je-
doch jede Nacht neue Zufuhr aus Borkum zuging.
Hauptsache blieb, dass fortan ernstliche Be-
drohimg des Festlands hier unmöglich, Ansammlung
von Landenden zu Offensivzwecken undenkbar
— 362 —
wurde. Die brirische Operation endete also in Ost
friesland weit schlechter, als es anfangs den An-
schein hatte.
Mittlerweile errang der Feind aber wescntfiche
Vorteile an der Weser, was auf die fortan bloss beob-
achtende Haltung der deutschen Landtruppen an
der Ems nicht ohne Einfluss blieb, auch ihre sonst
verfügbare Übermacht schwächte. Schon am 6.
mittags zog man das hierher detachierte Holstemer
Infanterieregiment aus dem Feuer und sandte es
nach Bremen, wohin auch seine Landwehrbatafflooe,
auf dem Weg zur Ems Gegenbefehl erhaltend, ab-
marschierten. Sobald nämlich der französische K^
miral auf Höhe von Texel auf Marconische Ait ao
Beresford meldete: „Stelle mich zur Dispositioii''.
überlegte sich der Brite, dass er beim voraussieb:
lieh leicht zu erwerbenden Lorbeer an der Elbe
französischen Ruhmanteil nicht brauchen könne, und
lud den Franzosen ein, lieber Kurs zur Weser n
halten, wo der dortige britische Eskadrechef ibn
näher orientieren werde. Gesagt, getan. Deutsche
Leuchttürme meldeten am 6. früh Erscheinen bcai
artiger Flotte mit wunderlich hohen Obcrbaulcc
Glichen schon unter deutschen Schiffen nur ät
neuesten Typs „Friedrich der Grosse", „Bundesrat
„Ers. Kurfürst" schmucklos einfacher Kri^^smassig
keit der oben so kahlen britischen neueres Sdis
welche ihre Bemannung scheinbar minder schütztet
dafür aber dem Feind keine schnell zu treffende-
festen Zielpunkte boten, so bauten die Fraxuoses
— 363 —
Brücken über Brücken, Türme über Türme, worin
sie nur noch von der italienischen falschen Me-
thode übertroffen wurden.
Die französische Marine war jedoch guten
Mutes, die alte Rivalität mit der englischen durch
ebenbürtige Taten auszufechten. Diesmal sollte aus
deutscher Haut das Leder gegerbt werden, aus dem
diese antienglische Rivalität sich Riemen schnitt.
£s klang den Deutschen als seltsames Omen, dass
der erste britische Kreuzer, dem sie begegneten und
der ihnen vorausfahrend den Weg in die Weser
wies, „Cressy" hiessl Warum nicht gar „Poitiers",
„Azincourt", „Vitoria", „Waterloo" I Auch „Abukir",
„Trafalgar" hätte nicht übel geklungen!
Mit ,Hibemia', ,Devonshire' gingen nämlich auf
freiwillige Weisung Sir Bowen-Smiths noch fünf
andre Panzerkreuzer der Kanalflotte, ,Cressy*, ,Dia-
dem*, ,Endymion*, ,Antrim* (1. KL), ,Undaunted*
zu Beresford ab, da es in der Zuydersee gar nichts
mehr zu tun gab, wo Schlachtschiffe und grosse
Kreuzer nicht verwendet werden konnten, die nur
anfangs holländische Strandbatterien niederrangen,
später Scharmützeln zu beiden Seiten des Meerbusens
oder im Ymuiden-Kanal den Destroyers überlassen
mussten. ,Cressy', ,Diadem', unterwegs angehalten
und zur Jahde beordert, trafen dort frühere vornehme
Kollegen, die Schlachtschiffe ,Queen*, ,Resolution*,
die sich jedoch wenig resolut zeigten und „for the
Queen'* keine Rittertat vollbrachten. Kapitäne Bailay
und Hayes-Saddler folgten geheimer Weisung, sich
— 364 —
zu schonen und lieber die faulen f ranzösbch^ Bim-
desbrüder sich opfern zu lassen I
Torpilleurs und Kontre-Torpilleurs stromanfwiits
sendend, die das Fahrwasser von Minen säuberten,
wobei freilich mehrere Fahrzeuge beschädigt wurden,
wartete die französische Flotte auf Ebbe und warf
dann auf wirksame Schussweite vor den Vordcrforts
Brinkamahof und Langlütchen Anker. Diese b^
Sassen immer nur noch teilweise Geschütze ans
älterer Zeit, deren Bereich schon auf 7000 m endete.
Gegen britische Kanonade wären sie schon mitugs
kampfunfähig geworden, gegen französische, deren
Mittelartillerie ganz ausgezeichnet war, deren scfaveic
aber nicht auf gleicher Höhe stand, hielten sie scb
bis gegen Abend. Da lagen endlich Panzertünne
und Geschütze in Trümmern. Panzer „Amiral Jan-
r^guiberry", Kreuzer „Gambetta" und „Cham)*,
diese Revanchemahner der Marine, machten jedoch
verdriesslich mürrische Gesichter — auch Schiffe
haben nach Gefecht einen besonderen Ausdruck für
sachverständige Augen — , als hier und da Fcur
in ihren ungepanzerten Unterräumen ausbrach umi
Bombensplitter viele Mannschaften zerrissen. Na«
Konferenz mit dem britischen Eskadrechef wurdca
nun Boote ausgesetzt, die mit Werkzeugen und ass^
gelegten Konterminen unter Beihilfe zahlreicher Tor-
pedoboote die erste Minenflusssperre ausräumten un^
durch treibende Flösse die zweite Flusssperre fest
■
stellten. Am 7. früh gaben die Franzosen Volldampt
und wandten sich gegen die Innenforts, noch schlcch*
— 365 —
ter armiert als die vorderen. Um sie zu entlasten, trab-
ten zwei Feldhaubitzbatterien am Westufer entlang
vor, und „Friedrich Karl" griff den Vorposten stehen-
den engUschen Kreuzer „Diadem" an, indes die noch
frische Doppel -Torpedodivision „Wilhelmshaven"
und die halbreparierten „Kaiser Friedrich" und „Wet-
tin" aus Jahdebusen ausliefen.
Die schlechten Batterien der Weserforts und die
so imgleichen Kampf versuchenden Feldhaubitzen
trafen wenigstens gut. Die beiden Heckgeschütze
(pi^ces de chasse) des ,Amiral Aube* verstununten,
er musste den Bord drehen, um mit seinen Seiten-
geschützen (pi^ces de retraite) den Kampf fortzu-
setzen. Der Kriegsmast des „Jaur^guiberry" senkte
sich ganz und gar über die Schiffsbrücke, so dass
er das Feuer seines Reduit einstellen musste. Der
etwas modernisierte „Amiral Baudin" und der
,, Magen ta", zur Sicherung der Flanke vor Jahdebusen
geschoben und dort alsbald heftig angegriffen, be-
haupteten sich zwar gegen „Kaiser Friedrich", „Wet-
tin", die sich ihnen jedoch an Geschwindigkeit über-
legen zeigten, wie schon der Chefkonstrukteur Bertin
bezüglich „Kaiser"- und „Witteisbach" -Klasse pro-
phezeite.
Die Vorlage des Marineministers Thomson, acht-
iindzwanzig erstklassige Schlachtschiffe zu schaffen,
war nicht durchgegangen und das Bewilligte nur
zum Teil durchgeführt. Die sechs Schiffe vom Typ
„R6publique" und „Patrie" konnten an Gesamtge-
fechtswert den zehn ähnlichen der „Braunschweig"-
— 366 —
und ^eutschland'-Klasse natürlich nicht entfernt
verglichen werden. Die alten französischen Schiffe
vom Typ „Hoche", der noch früher im vorigen Jahr-
hundert vom Stapel lief, sanken durch die Ver-
bessertmgen der heutigen Technik bis zum unter-
geordneten Range ausrangierter Küstenpanzer herah.
Die Torpilleurs trugen zwar meist den neuen Crcusot
Typ, einige blieben jedoch altmodisch hinter neueE
Anforderungen zurück, liefen nur sechzehn Knoten
bei einer Maschinenkraft von hundertzwanzig Pfer-
den und mit acht Mann »Equipage*. Dagegen bradt
ten es die »Torpilleurs de haute mer' vom Schlage
des ,Forban* bis auf einunddreissig, ,Aquilon' gar
bis auf dreiunddreissig Knoten. Ihre Kielspur b^
trug nur zweieinhalb Meter, und ihre zwei Rohre
vorn und hinten, die von beiden Borden pointieit
werden konnten, umspannten bis zu dreihundert Grad
den Horizont. Die älteren Küstenboote von 27—37
Metern, in 1., 2., 3. Klasse geteüt, blieben zwar
in Brest und Cherbourg, die neuen ,der hohen See'
zeigten aber sehr verschiedene Typen: die Klassen
jOuragan*, ,Agile*, ,Argonaute', ,Cyclone*, ,Forban'
hatten sämtlich ihre so betitelten Typschiffe zur
Stelle. Übrigens waren auf den Panzern die Bel]^
villekessel und die Geschütze der Systeme Canft
und Bange in gutem Stande. Zur Stelle waren auch
zwanzig der besten Unterseeboote (Sous-Marins) ^tJ^i
Typ Gustav Z6d6 Nr. 3, Morse, Lutin, Combet Frank
reich besass deren nicht weniger als sechsund>ier
zig und wollte weitere fünfundachtzig — man höre
— 367 —
und staune i — haben, wozu es aber noch nicht kam,
solange es mit nur 130 Millionen Francs jährlich
sein Marinebudget bestritt, Deutschland mit 180.
Von 49 Sous-Marins zur Verteidigung, 82 zum An-
griff, die bis zum zwanzigsten Jahr des 20. Jahrhun-
derts bereit ^ein sollten, hatte Flottille de TOc^an
28 und 50. Die grösseren Einheiten der kombinierten
Nordeskadre bestanden aus den Linienschiffen
„Jdna", „Magenta", „Amiral Baudin", „Karl Mar-
ter*, „Justice", „Jaur^guiberry", „Charlemagne",
„Gaulois", „Neptune", den Panzerkreuaem „Cond6",
„Jeanne d'Arc", „Chanzy", „Amiral Aube'*, „Victor
Hugo", „L6on Gambetta", „Gloire", „Dupetit-
Thouars", „Isly", „Chateaurenault", „Entrecasteaux",
„Sfax", „Kleber". Manche gehörten eigentlich xur
Touloneskadre, man hatte aber die tüchtigsten
Schiffe vom Mittelmeer hierhergezogen, ganz wie
englischerseits geschah, auch hier nahen Krieg
vorher ins Auge fassend.
Doch bliebea die neuesten Schiffe, „Mirabeau",
„Danton" („Vergniaud", „Condorcet", „Voltaire",
„Rousseau", Kreuzer „St. Just"* „Robespierre" im
Bau), Kreuzer „Michelet", „Renan" bei Holland zu-
rück, da man inmier noch davon träumte, vor Rotter-
dam, wo noch sehr grosse Schiffe genügenden Kiel-
gang finden, einen Schlag zu führen. Hatten doch
beim ersten englischen Angriff Ymuiden-Befesti-
gungen wenig geholfen und Kapitän Warren vom
„Exmouth" die Forts bei Waterweg niedergelegt.
Sprach aber vielleicht bei diesem Sparen der besten
— 368 —
französischen Gefechtskörper auch heimliche Be-
rechnung mit, möglichst wenig zu Englands Seesieg
beizutragen? —
Der Kampf gegen solche Übermacht konnte
natürlich nicht lange dauern. .Friedrich* und ,Wet-
tin' in ihrem Rekonvaleszentenzustand mussten sofort
ihr Feuer einstellen, als ,Karl Martel' dem »Ma-
genta' und ,Baudin' zu Hilfe kam« Nur Furcht vor
der starken Torpedodivision »Wilhelmshaven*» deren
sechzehn Boote sich wacker mit einer sich fort-
während mehrenden Unzahl französischer Hocfase^
boote herumschlugen und bereits den beiden deut-
schen Panzern erlaubt hatten, ihre überlegene Ge-
schwindigkeit gegen die sonst überlegenen, veO
völlig heilen, französischen manövrierend tvsr
zunutzen, hemmte die Verfolgtmg. Die deutschen
Panzer waren erneut gehörig beschädigt, drei Tor-
pedos gesunken, vier verletzt. Dagegen zeigte anch
„Magenta", der hier keineswegs Mac Mahons Ma-
gentaroUe nachahmen durfte, breite Schussrisse, und
„Karl Marter* hatte sich, wie jener alte frankisdie
Hammerheld gegen Araberschwärme, andringen<ier
Torpedoschwärme kaum erwehren können. Den Ver
such, ,Kaiser Friedrich' mit sich in die Tiefe n
ziehen, hatten zwei der französischen Torpiüenn,
die sich aus Scheu vor Flatterminen heut recbt
ängstlich benahmen und ihre Übermacht gegen dje
paar Deutschen nicht richtig verwendeten, mit ihrem
Untergang bezahlt. Inzwischen schoss zwar »»Frkc
rieh Karl" dem „Diadem** sein ganzes Diadem voi;
— 369 —
Masten und schmalem Oberbau weg, musste aber
stromaufwärts überHoheweg-Leuchtturm abdampfen,
als auch „Victor Hugo" seine pomphafte Rhetorik
mit hochtönendem Donnergepolter gegen ihn los-.
Hess und „Chancy", dem offenbar ein Friedrich Karl
höchst imsympathisch war, ihn seitwärts abschneiden
wollte. Fort Langlütchen I sah schon aus, wie ein
mit Dynamit gesprengter Steinbruch, die eine Feld-
haubitzbatterie lag in ewiger Todesstarre niederge-*
streckt, über den treuen holsteinischen Kanonieren
und Fahrern hielten ein paar überlebende Gäule
mit traurig hängenden Köpfen die Leichenwache,
ohne in stummer Pflichterfüllung von ihrer Heimat,
der Batterie, weichen zu wollen.
Auch holländische Panzer „Ewertsen", „de
Wett" („Piet Hein" in Y vor Amsterdam verblieben)
deckten brav Rückzug der deutschen Schiffe.
Auffällige Sucht der französischen Marine, ihr
bestes Material ängstlich zu schonen, bei Vizeadm.
Gigon aus Rivalitätsneid im Hinblick auf künftige
Komplikationen, hatte rechtzeitige Massenerdrückung
der beiden deutschen Panzer und des tapfem Kreu-
zers gehindert. Dafür musste man freilich die Be-
leidigung einstecken, dass nach französischer Aufräu-
mung der zweiten Sperre und der dritten vor Bremer-
haven der britische Eskadrechef mit seinen schwachen
Kräften vorauskam, Kai und Schiffsgehalt des Bre-
merhavener Bassins selbst zerstörte und einige Pri-
sen fortführte. Er begründete dies trocken damit,
dass der endliche Erfolg lediglich den vorherigen
Völker Europas , , ,\ 24
— 370 —
Leistungen der britischen Eskadre zuzuschreiben sei.
daher ihr auch allein die Siegesbeute zukcHnme!
Jubelnde Leitartikel der englischen Presse
„Weserforts und Bremerhaven von der britischen
Flotte erobert" erregten natürlich in Frankreich leb^
haften Unwillen. Traurig sah der Kreuzer ,Jeanse
d'Arc" zu, wie der brutale Erbfeind wieder mal
seinen Raub einsackte, denn Franzosen sind ja sonst
auch sehr für so was, keine Kostverächter! Übrigens
telegraphierte jetzt Beresford an den französisches
Kollegen, dass er dringend seiner Mitwirkung b
Osten bedürfe. Dieser quittierte aber über bisheiige
Dankbarkeit der Bundesgenossen damit, dass er
nur einen Teil schickte, das übrige ausserhalb emsit:
Aktion in Blockadedienst vor Ems, Jahde, Weser
verteilte. Der englische Admiral machte gute Miene
zum bösen Spiel, stellte sich an, als verstehe c:
nicht, imd erklärte sich einverstanden. Immerhin
verhinderte Anwesenheit der französischen Eskadre
endgültiges Vertreiben des britischen Landposteos
an der Ems, der unterm Schutz der Schiffskanonade,
welche die deutschen Batterien zu weiterem Zurud-
biegen zwang, seine Erdwerke wieder aufrichtete und
so wenigstens deutsche Landkräfte dort fessdu
Da aber die kleine Insel Borkum so viel Trup-
pen nicht fassen konnte und wegen Mangels an Trink*
wasser bei Ernährung durch Konserven und Pökel
fleisch Skorbut auszubrechen drohte, befürchtete Ge^
neral French ein neues Walcheren von anno daiu
mal und verlegte sein durch Krankheit und beson*
— 371 —
ders Gefechts Verlust fast auf die Hälfte geschmol-
zenes Korps wieder teilweise auf die Transport-
dampfer, die es auf seinen Vorschlag nach den
Belten in die Ostsee beförderten, wo Beresford einen
Schlag gegen Kiel versuchen wollte. Das Ansinnen,
etwa noch Wilhelmshaven anzugreifen, verwarf der
französische Admiral durchaus: er wolle nicht ris-
kieren, von den dortigen ausnahmsweise starken
Forts abgeschmettert zu werden ohne Aussicht auf
Erfolg. Die dortigen Werftanlagen blieben also
in voller Arbeit ungestört und vermehrten die Zahl
der Hochseeboote, setzten Handelsdampfer und
kleine oder ungedeckte Kreuzer in Kriegszustand.
Zwei bisher ungebrauchte Torpedo-Divisionen älte-
rer, für Offensive heut kaum mehr in Frage kommen-
den, wurden in Weser und Jahde verteilt, die Flot-
tille „Emden" durch Verladung über Land auf zehn
Boote gebracht. Die vier lädierten Panzer und
Schlachtkreuzer lagen in Reparatur. An offensives
Sprengen der Blockade war natürlich nicht zu den-
ken, da der Feind die Mündungen mit Streuminen
sperrte und vor den zertrümmerten Weserforts „Gam-
betta" und „Chancy** vor Anker legte, so dass Neu-
etablierung von Batterien unmöglich wurde. Weser-
aufwärts bewachten Kontre-Torpilleurs. Andrerseits
verwehrten das flache Wasser und Versenkung alter
mit Zement beladener Schiffe in den Flüssen wei-
teres Vordringen, und der Feind hinderte auch nicht
das Aufwerfen deutscher Feldbefestigungen gegen-
über Borkum. Besetzung Bremens, die French an-
24*
— 372 —
f angs ins Auge f asste, erwies sich untunlich, da die
Holsteiner Fünfundachtziger und das eigene Bre-
menser Infanterieregiment die Stadt besetitcn, und
das weitreichende neue Gewehrgeschoss auch Br^
merhaven beherrschte. So verstrich hier die ganz^
lange Zeit bis Mitte Juli ohne jedes Ereignis, sor
unter anstrengendem Blockadedienst für den Be-
lagerer, unter minder aufreibender Vorpostentätigkeil
der Blockierten. —
Indessen nahm die Entwicklung der Dinge an
der Elbe ihren Gang. Das Minendepot hatte fi:r
reichliche Minensperren oberhalb Cuxhavens ^
sorgt, unterhalb aber davon abgesehen. Denn naa
hielt an der Auffassung fest, die in der Elbmäodun^
eingeschlossenen siebzehn Kriegsschiffe (die „Oldeß
bürg" durfte man dafür kaum mitrechnen) mussten
freie Bewegimg für Ausfall behalten. Man rechuc«
darauf, dass die zwei gutarmierten Cuxhavener Forts
sich halten würden, hielt auch das gefährliche Falir
wasser der Watten und vor der Mündung fürsdi«*'
passierbar ohne Lotsen. Allein, Beresford besass
ein so vorzügliches Vermessimgspersonal nüt y^^
ständigen Seekartenmappen und in den gedungen«
Handelskapitänen so kimdige Piloten, dass er schoc
am 7. quer vom viereckigen Leuchtturm Neuw«"^
der seine Funktionen für deutsche Seite einsteD«
hiusste, sich entwickelte. Ausbojung und Betoc
mmg schritten so weit vor, dass er elbauf warts k^
gehen durfte. Für deutsche Oberleitung fiel ^
schwerend ins Gewicht, dass der so hohe strategisch
— 373 —
Wert des Nordostseekanals augenblicklich versagte,
da die deutsche Elbflotte in zwei Teile auseinander-
gesprengt und der minderwertige schwächere Teil
bei Brunsbüttel schwerlich Flankenangriff versuchen
konnte. Die noch intakten britischen Schiffe waren
durchweg die stärksten und besten der gesamteii
britischen Armada. Ausserdem schmeckte man das
Grundübel jeder Defensive, dass man sich über des
Feindes Angriffsrichtung und Konzentrationspunkt
im imklaren befindet. Denn die Möglichkeit, dass
Beresford sich mit Besitz von Helgoland begnü-
gen, Forcierung der Elbstellung auf gelegene Zeit
verschieben, dafür sich unvermutet auf Kiel wer-
fen könne, seinen Abmarsch durch starke Vorposten
verschleiernd, während man nach Fall von Helgo-
land jede Fühlung mit ihm verlor, fesselte die acht
Schiffe der Siegfried-, vier der Sachsenklasse dau-
ernd an die Kieler Föhrde. Mochte ihr Gefechts-
wert noch so unbedeutend sein, schon ihr äusserer
Anblick vermehrte imponierend die Schiffszahl, und
etwas Feinde konnten sie doch immerhin auf sich
abziehen. Gewiss wären sie in der Helgoländer See-
schlacht sämtlich vernichtet worden, dafür aber viel-
leicht drei deutsche Linienschiffe mehr intakt aus
dem Kampfe geschieden. Doch freilich, dürfte man
diese letzte Reserve des Küstenschutzes opfern?
Rücksicht auf Kiel gebot ihre Schonung.
Vor Hamburg ' lagen also die Reste der deut-
schen Flotte stromaufwärts verteilt. Kämpfte der
Feind die Cuxhavener Forts nieder, war längerer
— 374 —
Aufenthalt längs der Eibmündung verboten, uul
man musste weiter zurückgehen. Nur das v<hi Kiel
schon früher hierher verpflanzte Schulschiff j^^
kan", das durch seine geringe Grösse vielleicht dem
Feinde nicht auffiel, sollte an der zweiten Sperre
im Flussbassin liegen bleiben, nebst Torpedobooten
um die feindlichen Anstalten zur Sperrefreüegung
zu überwachen. Den Elbschlepper „Hamburg" awi
den kleinen kupfernen Lotsendampfer „Karpfanger".
dessen Dienste man ja leider nicht mehr benötigte
versenkte man in der Mündung und fragte, li«
wohl der Feind diese vor Port Arthur so bedcutsaß
gewordene Sperre beseitigen werde. Man wkftc
sich zudem in falsche Sicherheit über Dauerhaft!^
keit der Forts. Da der feindliche Angriff von Tag
zu Tag ausblieb, entwickelte sich am Kai der Reede
ein ganz gemütliches Treiben.
Hohe Offiziere des Marinestabs, kenntlich «
ihren breiten hellblauen Aufschlägen am langem
schwarzblauen Überrock, gingen plaudernd spazl^
ren, den Tubus wieder ins Futteral steckend, «na
am Horizont noch immer keine Rauchwolken g^
sichtet. Elegante junge Maats aus vornehmer F^
milie, auf einstündigen Urlaub in Cuxhaven^ ^
zierten bei „Alte Liebe" mit ihrer Hamburger i^-
herum, schmiegsam sehnige Gestalten in knapp a:^
liegender Jacke mit dem zierlichen Dolch an ^
Hüfte, das feine Trieder-Binocle in vorschriftsmässf
weissbehandschuhter Rechten, Vollmatrosen, für A^
Zeichnung in der Schlacht schon mit der jung^
/
— 375 —
gestifteten „Marinemedaille" dekoriert, benutzten
dienstliche Sendung nach St. Pauli zu kurzem Schar-
muzieren mit ihren Schätzen.
Da plötzlich am 8. Juni früh scholl der General-
marsch und alles strömte zu den Waffen. Dem er*
regten Debattieren zu schmauchender Tonpfeife und
dampfendem Grog in den Schifferkneipen machte
bald dröhnender Kanonendonner ein Ende, der vom
Meere hereinschlug und in Cuxhaven alle Fenster er-
klirren, später vom Luftdruck zerspringen Hess ....
Der Morgen des 8. Juni brach trübe an,
ein Strichregen stob dahin, später klärte sich das
Wetter. Um die grünen Erdtraversen der Cuxhave*
ner Forts Kugelbaake und Grimmerhöm schlang sich
ein flimmernder Faden, die antretende Besatzung
von Cuxhaven schob ein glänziges Waffenband van
das Städtchen, dessen Ausräumen für die flüchtenden
Sinwohner besorgend. Während braune Fischer-
boote, rotbraime Kutter, schlanke schwarze Briggs
tmd weissangestrichene Dampfer der Handelsma-
rine in unkenntlichem Gewimmel stromaufwärts fuh-
ren oder sich hinterm Neuen Hafen zusammendräng-
ten, schwebte eine lange, düstere Linie am Hori-
zont heran. Die Luft war mittags klar und sichtig,
frische Brise wühlte schäumige Wellenhügel vor
dem kantigen Bug der britischen Ungetüme auf.
Ein paar deutsche Torpedoboote, als Vorposten
ausgestellt, fielen nach hinten ab und wurden zur
£lbe einbezogen. Die massive endlose Mauer der briti-
schen Flotte, die aus der Feme dunkel schillerte,
— 376 —
wie aus schwarzem Marmor zusammengefügt, rüdcte
allmählich in Dwarslinie auseinander. Hinter späterem
Halbkreis versteckten sich Torpedos und Untersee-
boote, um sich, vom Lande unsichtbar, erst dasn
hervorzustürzen, wenn Einfahrt in die Elbspema
ihre Tätigkeit forderte. Die Kreuzer wichen see-
wärts auf den Flanken aus, weniger um gegen dai
Nordostseekanal oder die Weser zu .sichern — denn
was hatte man jetzt noch zu fürchten 1 — als um
sich, dem Feuerbereich der 30,5 Zentimeter -Ge^
schütze der Forts zu entziehen, ^egen welche vsn
die eigenen schwersten Kaliber ihr schauriges Hofa^
lied von Englands Unüberwindlichkeit b^innen
koimten.
Ehe IV. Matrosenartillerie der vorderen Forts,
Ku£:elbaake und Kaiionenbatterie, in das Schveie
des heutigen Kampfes eintrat, hatte sie schon aus-
führlichen Bericht über die ebenso schweren Kämpft
die sich gestern und vorgestern an Ems und Weser
abspielten. Die eine Kunde hob die Zuversicht, die
andere drückte sie nieder. Und der Taiu ging los.
Zu hoch gehende Granaten platzten sogldch aoi
Dächern und Kirchturm von Cuxhaven, bald vim
merten dort alle Feuerglocken, während dide
Mauern bröckelnde Wucht ins unruhig broddtKic
Strandgewässer entluden. Aus dem Bahnhof, wo ge-
rade ein Truppenzug der Vienmdachziger rangierte,
flüchteten die Lokomotiven mit grellem Angstpfi^
eine stiess ein Piepsen aus wie ein schluchzendes Kini
ein Sprengstück zerschmiss ihr Ventil und Bremst
— 377 —
Adjutanten und Ordonnanzen flogen hin und
her nach dem Kriegshauptquartier Altona. Ein Mel-
dereiter kam das Ufer entlang bis ,^lte Liebe" mit
verhängtem Zügel, die Hufe seines Pferdes klirr-
ten hart auf der glatten Chaussee, er meldete dem
Grossadmiral einen Gruss vom konunandierenden
General: „18. Division bereit, etwaige Landung ab-
zuwehren." Selbst solches unverschämte Wagnis
traute man den Briten schon zu. Ein breites Ballon-
fahrzeug gab unten durch Radfahrer die Meldung
weiter, die von droben das Schallrohr per Seil ver-
mittels Telephondrahts vermittelte. Die Funkspruch-
abteilung liess ihre Drahtbündel spielen, überall
klingelten die elektrischen Apparate, ohne je etwas
Gutes berichten zu können.
Den Kanonieren in „Kugelbatterie" sausten
schon die schwersten Kugeln um die Ohren, mit
denen schwarze Erdschollen herimiflogen: aufge-
i¥Ühlte abgerissene Traversenteile. Am nach vom
abfallenden ebenen Strand dröhnte tausendfältig der
Boden, ärger als unter Reiterschlacht hochaufstei-
Spender Gäule. In diesem Gewittersturm der gellen-
den, brüllenden Seeschlacht schollen die heulenden
Sirenenpfiffe der Signale schauriger als rollende
Trommelwirbel und schmetternde Homfanfaren der
r^mdschlacht. Auf die braimen Fahnen der hin-
stiebenden Rauchwolken stickten die gelben Blitze
der Feuerschlünde brokatene Embleme oder eine
fortlaufende goldschillernde Kette elektrischen Feuer-
werks.
— 378 —
Anfangs suchten die notdürftig gefüdten
deutschen Panzer, in Kiellinie hintereinander ad-
inarschierend, ihr Feuer mit dem der Forts
zu vereinen. Wo sich ihnen leichtes Dampf-
gewölk mit flotten blauen Ringeln aus niedenn
Schlot britischer Hochseeboote entgegenkräuseltc,
die schon jetzt pfeilschnell und tollkühn wider
die erste Minensperre bei Alte Liebe anrannten,
ging manches der kleinen Ungeheuer in die Tirfe.
Doch als „Kugelbatterie" zu schweigen begann vd
nur einsilbig noch mitredete, schoben sich ciüe fenct-
sprühenden Linien der britischen Panzer langsam
näher und zwangen sie, ihre Stellung stromauf-
wärts des Neuen Hafens zu verlassen und aniser
Bereich des so viel stärkeren feindlichen Kab'bets
zu ankern. Hier wurde die Fahrrinne schon sehr
schmal imd für Linienschiffe unbequem, bei weiteran
Zurückgehen war aktive Beteiligung sehr eingt
schränkt. Die britischen Schiffsbatterien nahmeo
nunmehr von Meer und Fluss her die drei Strand-
batterien in die Zange. Sie drängten sich in engere:
Halbkreis mit der für Schutz und Trutz starksreB
Vorderseite zusanmien und erschütterten schon vc^
ihrem Gebrüll allein die Forts in ihren Gnmdfcsten.
Die gefallene Mannschaft von „Kanonenbatterie"
musste zweimal ersetzt werden. Von den früheres
schöngeschwungenen Formen der Traversen sah noß
nichts mehr, ihr Grün ging in schmutziges Gran
über, wie von mächtigen Maulwurfshaufen, voa
Spaten oder Tiertatzen zerkratzt.
I
— 379 —
Eine Weile, nachdem auf 9000 m der „Albion"
das Feuer eröffnet, das dann alle andern Schiffe
aufnahmen und weitertrugen, schien es, als werde
der Angriff abgeschlgigen. Dem „Remarquable"
setzten mehrere Treffer mittschiffs die Mittelartil-
lerie ausser Gefecht. Dem „Captain" zerstörte eine
senkrecht durchkrepierende Granate alle Tele-
graphen- und Signalleitungen am Kommandoturm.
Aber innerhalb der dreihundert Meter Abstand
zwischen den einzelnen Schiffen spritzten immer
mehr Fontänen empor wie von spielenden Walen und
Delphinen: immer unsicherer wurden die Fort-
schüsse, da ihre Entfernungsmesser abgeschossen und
das eine Bastionsgeschütz linken Flügels der Ka-
nonenbatterie unter brechender Lafette sein Rohr
schräg in die Luft streckte, das andere plötzlich
schwieg, weil sein Bremszylinder kaputtging. Einem
dritten verstopfte ein aufquirlender Wirbel von Sand
und Gestein die Liderung. Auf die Mittelbatterie
von Kugelbaake schössen sich „Edward VIL" und
„Hibemia" mit mathematischer Unfehlbarkeit ein,
siebentausend Meter vor ihr sich aufpflanzend. Denn
obschon solche Geschütze 15 km weit reichen, sind
Bereich und richtige Zielzone etwas Verschiedenes.
Auch die Erdböschungen von Fort Grimmerhörn
pflügte Geschoss nach Geschoss wie mit eisernen
Harken, hinter ihm verschwand der Turm der Gami-
sonkirche, wie eine spitze Nase bisher durch den
branstigen Qualm herausguckend, unter einem Wirbel
von Mörtel und Steinschutt. Lagerhäuser und De-
— 380 —
pots umwogte eine Feuerbrandung, deren Flacker-
schein die pulverschwarzen verzerrten Gesichter der
Kanoniere gespenstig überhauchte. Die letzte I> |
düng ins überhitzte Rohr schiebend, über den
Leichen ihrer Kameraden mechanisch weiter-
arbeitend, sahen sie die Schiffe frontal in dnem
Schaumberg bis auf fünftausendzweihundert Meter
heranrauschen. Daim in ununterbrochenes Doft
nern im allergröbsten Ton: »»Dreadnought" wollte
wieder mal zeigen, dass er sich vor gar nichts fürdte.
Sein elftes Geschoss sprengte die bombensicheie
Munitionskammer von Kugelbaake, dass ae mit
Ladimg und Karren in die Luft flog, lo^
noch einmal zuckten jähe Zünder durchs Kas6
matt des Pulvermagazins der Kanonenbatterie,
wo letzte Mörserschüsse eben ausgegeben werden
sollten. Auch diese Traverse jetzt ein einziger
Trümmerhaufen. Die in Höhe des Mittelgrunds lu
Anker gegangenen „Colossus", „Albion**, J^can'^,
die Kreuzer „Powerful**, „Invincible" schickten aA
nun an, Grimmerhöm vollends abzutun, was abends
gelang. Das Fort gab kaum noch einen Schuss ab.
Nur die schon vorher beschädigten beiden Panzer,
von deren Zentrumslage sich das Fortfeuer unwüi
kürlich angezogen fühlte, erlitten neue Verluste tffid
Havarien. Dem „Remarquable" zermalmten hinter
einander drei Treffer zuerst die Stahldecke des
Vorderturms, zwischen die Spanten ihre Sprengstückc
hineinklemmend, dann die gesamte Bemannung its
Turminnem, sie wie; in einem Mörser zerstampfend.
— 381 —
Dann wurde auch noch die eiserne Plattform, welche
am Mast dieser Kriegsschiffe die Stelle umschliesst,
wo sonst nur ein Reif den Mast umklammert, mit
ihrer kreisförmigen Lunette und den Mast-Mitrail-
leusen kurz und klein geschlagen, in fliegende Bruch-
stücke auseinandergestäubt, die vielen Mannschaften
den Tod brachten. Dem „Captain** ging zuerst sein
Backbordkessel in Fetzen, dann Versehrte Entzün-
dung freiliegender Kartuschen die Steuerbordma-
schine. Endlich riss ihm auch der durchschossene
Anker, und er schor aus. Um ihn nicht bis zum
Treiben konunen zu lassen, liess ihn Beresford eiligst
abschleppen. Dies hatten die Mörser vermocht, die
im neuen Fort »Thomsen* nicht hinter blossen
Sandhaufen, sondern Panzerkuppeln standen und ihre
steilen Blitze aufs Deck der bis in ihren Nahbereich
gekommenen Feinde niederflanmien Hessen. Auch
auf anderen Schiffen fielen Verletzungen vor, die
Schlachtordnung verwirrte sich unwillkürlich durch
unvorhergesehene Bewegungen, die beinah Zu-
sammenstösse herbeiführten. Doch dies war der
Augenblick, wo Mr. Dreadnought als echter John
Bull nicht säumte, gebieterisch seine Stimme zu er-
heben, vor der wie unter Jerichoposaunen die dichten
Stahlmauem der Mörser einstürzten.
Als die Nacht ihren Flor auf den steinernen
Uferdanun breitete, lagen Sandhaufen und Panzer-
kuppeln, aus denen so lange lichte Lohe emporschoss,
virüste und leer vor dem rotbeleckten Qualm der
breimenden Hafenstadt. In der Ferne sah es so
— 382 —
aus, als sei hier ein Panzerreptil der Vorzeit g^
strandet, dem man die Haut abweidete. Das dunkle
Meer schien ein ungeheurer Sarg der GefaBeoai,
der Brand eine düstre Katafalkfackel über gloties-
den Totenaugen. Gelbliche und weisse Lichter seö-
ten Abendschein und Mond auf die blasse Düne,
die wie vor Grausen erbleichte. .Wie geharnischte
Reitermassen wogten die dunkeln, zackig behebe
ten Umrisse der schwimmenden Geschwader in der
Ferne, wo der leichtbreimende Mastturm des „CaB>
pus" rot erstrahlte wie eine Purpurstandarte.
In der Nacht, während Cuxhavens Brand mX
tanzenden zuckenden Feuerschlangen langsam in sid
zusammensank, nahm das Rondeboot der Vorpostea
anscheinend keine verdächtigen Bewegungen ^^'
Kaum setzte aber am Morgen des 9. Juiu die Flut
ein, als die britischen Unterseeboote, jetzt zu ihrer
wahren Aufgabe vorgeführt, mit verzweifeltem Todes-
mut sich opferten, um nüt Konterminen und Qg^
nem Hineinstossen die äussere Minensperre bei der
Oste zu vernichten, Wildauf schäumende Wasser-
säulen zeigten an, wie da imten auf dem Grunde des
Meeres unbekannte und bald vergessene Heide
ihr junges Leben wie Wasser hingossen für äß
Vaterland. Wahrlich, was der moderne Kultar
mensch leistet, was von ihm als verdammte Schul-
digkeit verlangt wird, davor wäre ein alter Röoscr
zurückgebebt. Die von Fachleuten bestrittene Mög
lichkeit, mit Submarines Minen zu sprengen, i^"-
freilich nur denkbar bei äusserster Entschlossenheil
I
— 383 —
und auch etwas Glück, denn ein Teil der Untersee-
boote stiess in Gegend von Feuerschiff Elbe III
auf Minen, ohne die eigene Kontermine entzünden zu
können. Über die offene gerissene" Lücke, wo un-
schädliche Minen mit losen Ankern umhertrieben,
soweit sie nicht durch Explosion zersprengt, stürm-
ten die windschn^Uen Turbinen-Torpedoboote her-
ein, ihre ganze Schnelligkeit von dreissig Knoten
und mehr entfaltend. Die Flotte, ankeraufgehend,
segelte an Norderplatte vorbei, indes gelandete Ma-
rineinfanterie Cuxhaven und Grimmerhörn besetzte.
Rattern der Ladekräne, Pfeifen der Dampfpinassen,
Klatschen von Rudern und Flossstangen schuf hier
gemütlichen Lärm wie im tiefsten Frieden, als ge-
höre die deutsche Küste den Briten.
Die deutschen Panzer wichen weiter elbauf-
wärts, nachdem die deutschen Torpedoboote nach
grimmem Gefecht, worin die kleinen Seeraubtiere
sich gegenseitig wie Marder zerfleischten, von er-
drückender Übermacht der britischen im Verein mit
Unterseebooten verjagt, die Beresford rücksichts-
los in Masse einsetzte. Der endlos breite Fluss
füllte sich mit umgekippten Booten, über zwanzig
Torpedo- und neun Unterseeboote kostete der An-
griff, doch er drang so weit durch, dass man erst
unmittelbar vor der zweiten wichtigsten Sperre bei
Krautsand oberhalb Glückstadt Halt machte. Spreng-
und Bojendetachements arbeiteten sofort, Feuer-
schiffe bezeichneten die Bahn parallel zum Ufer.
Da Hochwasser eine noch zehn Meter tiefe Fahr-
— 384 —
rinne bis zur Stadt gewährte, zweifelte Beresford
nicht daran, dass er nach Überwältigung der zwei-
ten stärkeren Sperre so weit an Hamburg heias-
dringen werde, um den unermesslichen dortigen Ma*
terialbesitzstand grösstenteils zu zerstören. Die Ge-
fahr war näher, als man ahnte. Die hinter die
Sperre herangezogenen Panzerkanonenboote hm
ten daran nichts ändern, die Torpedobootsdivisianea
hatte der heftige Kampf, was nicht zusaImDeng^
schössen und weggenommen, stromauf- und -ath
wärts zersprengt, wobei das mit durchschossener Kette
nicht mehr am Anker schwingende Vorhutschiff de:
englischen Flottensäule sie ungestraft passierendem
Den bei Steinsriff lavierenden „R. Oak" trieb ea
glücklich angebrachter Torpedoschuss seitwärts, so
dass er in die klaffende Sperre und dort auf die pn-
zige noch nicht explodierte Ufermine lief . Die.Kwügs-
eiche* fiell Doch was wog dieser eine Verlust! Von
Medem bis Krummendeich britische Sphäre 1
Am zehnten wälzte sich eine neue Masse tob
Torpedos und Unterseebooten geg^i die nrote
Sperre heran. Ihr Stahlnetz hielt nicht, was es
versprach. Zwar glückte kein richtiger Oberfall, da
Funken aus einem Torpedoschlot warnten iJ&*
Scheinwerfer wie auf den Schlag eines Zauberstais
die Morgendämmerung in lichten Tag verwandeltes.
Doch Schnellfeuer der Panzerkanonenboote virkie
nur einen Augenblick. Während Detonationen v«
unten her Luft und Wasser erschütterten, wo Unter
seeboote um den Preis eigener Vemichtimg völlig«
— 385 —
Sprengung der Minen und versenkten Schiffe be-
sorgten, hing sich ein Turbinenboot, mit äusserster
Kraft angerannt, ins Spermetz, zusammengekettete
Eisengewichte zerrissen die Drahttaue und stäub-
ten das ganze hängende Geflecht auseinander. Zwar
verwickelten sich einige Boote mit den Schrauben,
sassen fest und wurden abgeschossen. Doch das
Schwergewicht der nachstossenden hinüberlaufenden
Fahrzeuge trieb die völlig gerissene Sperre zur
Seite. Weit voraus blitzten die Scheinwerfer der
deutschen Panzer kurz auf, doch das Heranschnau-
ben der wilden Jagd feindlicher Torpedoboote, das
unheimliche Quirlen des Wassers unterm Stoss der
Unterseeboote, das eilige Flüchten des einzigen
noch nicht umgerollten Kanonenboots verkündeten
so nahe Gefahr, dass man sich bis unterhalb Schu-
lau dem Kampfplatz entzog. Nur der arme alte
„Pelikan" lag mit abgeblendeten Lichtem still, weil
er den Turbinenbooten doch nicht mehr hätte ent-
-wischen können, imd die gleichfalls zu langsame
„Oldenburg" verblieb am rechten Ufer, da fron-
tales Standhalten ihr minder unfehlbaren Tod ver-
bürgte, als von Verfolgung rückwärts eingeholt zu
werden. K, B. „Basilisk", „Natter" gesunken.
Diesmal gingen zehn Torpedo-, zwölf Untersee-
boote drauf, teils gesunken, teils leck, der Rest zog
sich ausser Bereich des Haubitzfeuers vom linken
Ufer, dessen Einschlag ins Wasser tatsächlich zwei
Unterseeboote durchs blosse Gewicht erstickte. Frei
lag aber nun das Wasserfeld vor den Briten, um
Völker Europu ... I 25
— 386 —
die Anlagen bei Schulau und die Eibdörfer zu zer-
stören. Ein Veloziped-Zyklist erschien in voller Fahrt:
„Sie kommen, sie sind drini" Zwei Mddeidtei
jagten verbängten Zügels heran mid wiesen mit der
Hand seitwärts: „Da sind siel"
Kaum brachen Marine* Winkelriede mit dos
eigenen Körper freie Bahn zwisdben die Spenrn ab
mit Windeseile der Kretizer „Undaunted" durdi dif
Lücke fuhr, gefolgt von „Petroleum", in dessen ^
spur noch „Endymion" und „Fox" hineinglitten. Da:
alte Schulschiff „Pelikan" hätte bei seiner Langsai&
keit — nur zehn Knoten Lauf — ohnehin nicht a^
kommen können, es schoss noch rasch mit seme^
zwei Hundertmillimetergeschützen, um im nächst«)
Augenblick von Schüssen gänzlich durchlöchert n
werden. Der arme alte Rappelkasten ohne ?va&
neigte sich nach Steuerbord und begann unterzotaQ
eben. Doch er war unter Dampf und vennoduc
noch eine letzte Bewegung zu machen. BeSen eine
am linken Ufer aufgefahrenen FeldhaubitzbatteiK
und Schnarren von Maschinengeschützen machte at
die britischen Schiffe keinen Eindruck, noch veo:-
ger das wohlgenährte Gewehrfeuer auf achthunde^
Meter Entfernung von den Ufern her, das gegen t
Oberdeck klatschte. Die deutschen Offiziere k(*3-
ten durch ihre Krimstecher die Schiffsnamen s
goldenen Lettern lesen, die sich leuchtend vom ^
kein Grund der Bugfarbe abhoben. Mit Mühe )ai
man die Mannschaft in ihren Laufgraben fest, ^
diese so furchtbar donnernden Panzerdracheo ^
— 387 —
sie selber heranzufliegen schienen, als wollten sie
alles in Grund und Boden rennen.
Diese Kreuzer hatten jeder (nur „Petro-
leum" war kleiner) Maschinen von fast neun-
tausend Pferdekraft, vier Torpedo -Lanzierrohren,
fast fünfhundert Mann Besatzung, alle schmalen
leichten Kielgang von nur siebeneinhalb Me-
tern und eine Schnelligkeit bis über zwanzig
Knoten, was sie zu ihrer Aufgabe hier beson-
ders befähigte. Umsonst summten Tausende von
Gewehrkugeln wie Moskitoschwärme um sie her,
sie prallten ab wie von einem Eisengitter, am Bug-
spriet aufspringend. Kein Matrose zeigte sich auf
den Brücken, während aus den Panzerpforten das
dröhnende Feuer lohte und ihre SchneUfeuermitrail-
lausen von Turm und Mast das Ufer fegten. Wie
von Piloten geleitet, weil so genau vorher durch
Spione imd Seekarten aufgeklärt, fuhren sie weiter
und warfen die „Oldenburg" auf ihrem Wege nie-
der. Dieser alte Küstenpanzer (fünftausendzweihun-
dert Tonnen, vierzehn Knoten), seit so langer Zeit
vom Stapel gelaufen, hatte zwar ausnahmsweise 24
Zentimetergeschütze, seine leichtbeschwingten Geg-
ner aber ausser „Petroleum" solche von 9,2 Inches
und einen Panzergürtel von beträchtlicher Dicke.
Gleichwohl nahm das deutsche Schiff beherzt den
Kampf auf und liess auch seine Revolverkanonen
spielen. Sein schwerfälliger Oberbau verschwand
binnen einer Viertelstunde als Trünmierhaufen, des-
sen mnherstiebende Eisensplitter viele blaue Jun-
25*
— 388 —
gen zerfetzten. Doch die Geschütze bliebeii merk
würdigerweise unversehrt und ersetzten durch ihn
kaltblütige Bedienung, was ihnen an Kaliber ab^
ging. Dem »»Petroleum", so explosiv und geßhrlid
er sich gebärdete, wurde am Heck seine ganze Bat
terie in Stücke gerissen, starre Tote, ächzende Vei
wundete lagen umher. Noch schlimmer erging es dem
eleganten ,»£ndymion'\ der seine Schönheit so eitel
im Mondlicht zu spiegeln schien : eine Sprengbombe,
mit Schiessbatunwolle gefüllt, traf ihn am Vorder-
steven, eine andre weiter am Rückenrumpf, stoppte
seinen Servomotor und öffnete eine Bresche bb
ins untere Zellengewebe, in welche sich sofort das
Wasser durch alle Sparren ergoss. Er machte eben
Sprung und neigte sich nach Backbord, taudte
daim rückwärts mit dem HinterteU .imd verliess den
Kampf, um am Anker aufziüaufen. Gleichzeitig
brach aber vorm Turm der „Oldenburg" eine hohe
rote Lohe aus, die man innütten so harten 0^
fechts nicht löschen konnte und dessen Glut die
Kanoniere am Zielen hinderte. Der wackere Schiffe
Veteran zog sich daher seitwärts zurück, ehe nodi
die 37-Millimeter-Revolverkanonen des „Fox** ^
ner Bemannung den Rest gaben. Die engliscbea
Kreuzer warfen jetzt, dieses Gegners ledig, viel Gra
naten von grosser Explosivfähigkeit auf Schaiai^
Inzwischen führte aber der tödlich getrofteot
„Pelikan" ein Manöver aus, das völlig das Schick
sal wendete. Noch unter Dampf mit richtig laufet
der Maschine» schleppte er sich mit gesenkttii Ma-
— 389 —
sten wie ein flügellahmer Vogel in die offene Kraut-
sandsperre. Dort halbversenkt im Wasser, das schon
seine Brücke bespülte, schwankte er hin und her,
bis eine Explosion Misenmast und Brücke zerbrach
und den Rumpf unbeweglich im Wasser festpflanzte.
Der Kommandant hatte einen Torpedo, den er an
Bord führte, entzündet, und bald darauf explodierten
auch die vom Wasser erreichten Maschinenschrau-
ben. Die Mannschaft rettete sich schwimmend. Das
versunkene Schiff, dessen einer Mast noch aus der
Flut ragte, schloss unwiderbringlich den Eingang,
sperrte die vier Kreuzer wie in einer Mausefalle
ein. Ein nach vom sich verengendes, hinten ge-
sperrtes Flussbecken mit zwei feindlichen Ufern 1
Dieser „Pelikan" hatte sich in Wahrheit die
Brust aufgerissen, wie in der Sage mit dem eigenen
Herzblut seine Jungen nährend I Was half*s, dass
zwei englische Panzer jenseits, die Gefahr erkennend,
den Schiffsleichnam mit ihren Geschossen plump
zerfetzten 1 Sie Hessen nur eine ohnmächtige Rache
aus, und die gierigen Kreuzer raimten luiruhig mit
wilder Hast hin und her, wie eingeschlossene Marder,
die mit verzweifelter Sprungkraft ihrer eisernen
Sehnen noch die Falle hinter sich mitschleppen oder
selbst das eingeklemmte Glied im Losreissen am-
putieren !
Anfangs behielten die Kapitäne ihre britische
K xltblütigkeit und trösteten ihre ,Boys' mit der Er-
klärung, sie hätten hier im Fluss keinen Feind zu
fürchten und müssten ruhig warten, bis die Passage
— 390 —
wieder freigeräumt werde. „Fox" machte sich audi
sogleich an die Arbeit, setzte Boote mit Geratscbaftes
und Torpedos aus, um unterm Wasser wie im Fndis-
bau, seinem Namen gemäss, sich einen Gang zu
wühlen. Doch was von Haubitzbatterien noch heu
war, richtete sofort, telegraphisch benachrichtigt,
seine schweren Geschosse nach diesem genau mar-
kierten Ziel, wo jeder Schuss traf. Ehe er mit Auf-
räumen begann, erhielt „Fox", von dem ungewiss, ob
er nach dem Tier oder dem berühmten Staatsmann
benannt sei, eine Ladung durch beide Masdüno-
kanunem. Einen Augenblick huschte er wie eio
Fuchs auf Treibjagd im Zickzack hin tmd her, dam
blieb er fest liegen nahe dem Ufer. Die Mamisdiaft
rettete sich teilweise auf den „Endymion", das
Schiff tauchte zwölf Meter tief unter. Ein doo-
nemdes Hurra der Deutschen begrüsste diesai
Erfolg.
„Undaunted" und „Petroleum" suchten sich jcti
möglichst ausser Schussweite der Ufer zu halten,
höher am Fluss hinaufgleitend, wo sie mit wahrer
Wut umherfeuerten und mehrere zur Reparatur z&
rückgegangene Torpedoboote in zerlumpte Lappeo
verwandelten. Die Flotte draussen erhob erneut eis
furchtbares Bombardement, das fast alle Feld-Panzer
Schilde zertrümmerte, viele Menschen tötete, doch ^
Haubitzen noch immer nicht ganz zum Schwdgen
brachte. So sank die Nacht herein. Mit verzweifelter
Unerschrockenheit, ihrem Schiffsnamen ,Der Ua^
erschrockene' gemäss, arbeiteten die Mannschaften
— 391 —
des ,Undaunted' bis zum andern Morgen, um den
gesunkenen .Pelikan' zu heben, während .Petroleum*
sich abmühte, »Endymion* wieder flottzumachen,
dessen Lage den rückwärtigen Wasserlauf der ab-
geschnittenen Kreuzer blendete. Doch am Morgen
zeigte sich nicht nur die .Oldenburg* wieder, die
ihre Flammen an Bord gelöscht und ihre Turm-
geschütze wieder gerichtet hatte, sondern eine Reihe
Feldhaubitzen gruben sich an beiden Ufern in
sichern Ständen ein und bereiteten mit neuem Tages-
licht den Eingeschlossenen ein hartes Willkommen.
Femer hatte man mit einem Spezialzug zwei frische
Turbinenboote verladen und ins Wasser gesetzt. So-
bald sie ihr natürliches Element unter sich spürten
und ihr Feuer anzündeten, war das Explodieren
des ,Petroleum' entschieden.
Dieser hatte bei Nacht, in deren sternenklarer
Stille der ruhige breite Fluss nur leise plätscherte,
ein grelles Tageslicht durch Scheinwerfer auf alle
verdächtigen Schatten verbreitet, zugleich durch laut-
lose Strahlensprache aufsprühender Raketen sich mit
der Flotte draussen beredend, deren Antwortsignale
übers Meer emporschössen. Gegen Morgen liess
aber seine Wachsamkeit nach, und ein Sektor der
Wasserkante blieb im Schatten. Dorthin glitten die
Torpedos. Der ,Endymion* bewegte sich um einige
Spannen, der noch ganz unversehrte .Undaunted* hatte
wirklich einen schmalen Durchgang eröffnet. Konnte
,Endymion\ den man wohl nicht ohne weiteres im
Stich lassen wollte, heut seine Havarien ausbessern.
— 392 —
setzte »Undaunted* seine Befreiungsarbeit fort, so
konnten die Kreuzer sich retten oder gar ihre Std*
liing behaupten unter Nachfluss von VerstäikungoL
Schon kreuzten jenseits draussen vor Krautsand
,Dido* und ,H6he\ Doch es war zu spät
Während die Haubitzen ein Steilfeuer aufDedß
und Türme richteten, um die Geschosse der Krciaer
von den Toipedobooten abzuziehen, dröhnte das
wohlbekannte Rollen submariner Eacplosion zweimal
hintereinander imd verlor sich im weiten Raum, das
Echo der Ufer wachrufend, als peitsdie ein unter-
seeischer Vulkan die Tiefen zu einem Orkanfi aii
Beide Torpedos trafen den »Petroleum* zu Tode. Ohne
einen einzigen Schuss auf seine unsichtbaren Gegoei
abgeben zu können, die mit gelösten Trossen und
arbeitendem Hebel des Maschinentelegrai^en aufs
Konunando „Los!" ihre schreckliche Waffe durdis
Gewässer klatschen liessen, sank das schöne Schiff in
wenigen Minuten, seine Feuer und Lichter m-
löschten in aufschäumendem Wasserbeig. Seine
Boote ins Wasser setzend, indes der rekonvaleszente
,£ndymion' rasch die seinen entgegenschickte, noch
in seinem halbinvaliden Zustand die Regel befolgend,
maskierte der sinkende ,Petroleum' die Udnefi
unheimlichen Feinde, die sich dies zunutie
machten.
Aufs neue flogen zwei blanke metallene Zunder,
und indes die Boote wie Spukgespenster im bleiches
Dämmer verschwanden, scheiterte ,Endymion\ xnitt
Schiffs in Höhe der Heizmaschinen zerrissen. Nor
— 393 —
die Mastkörbe beider Schiffe, gefüllt mit wütend
schimpfenden Matrosen, hoben sich noch überm
Wasserspiegel, die ausgesetzten Boote schlugen um.
Doch der ,Undaunted' war nicht gewillt, dies
trübe Los vor Augen, zu streichen. Britische Schiffe,
erfüllt von starken Traditionen und Hochgefühl bri-
tischer Überlegenheit, ergeben sich nicht. Während
Haubitzbomben und Vollgranaten eines Strandge-
schützes sein Deck zertrünmierten, manövrierte der
»Unerschrockene* mit erstaunlicher Gewandtheit
durch den schmalen Eingang \md gewann das Freie,
während seine wenigen noch aufrechten Kanoniere
unverdrossen ihr Amt verrichteten. Der letzte
Schuss, den sie lösten, machte noch eine Haubitze
unbrauchbar. Zwei Drittel der Mannschaft fielen
bei dieser todesverachtenden Rettungsarbeit, wo die
Seeleute, ohne aufzusehen und sich um irgendwelche
Deckung zu kümmern, ihre nautische Meisterschaft
wie auf einem Manöver bekundeten. Das kaum ernst-
lich havarierte Schiff, dessen Maschinenventile und
Kanonenverschlüsse fast unversehrt, sah für ein
Laienauge wie eine Ruine aus, da sein Oberteil
iflatt weggeputzt. Aber das liess sich in Bälde repa-
rieren. Als der ,Undaunted' ins Dock nach Chatam
kam, grüsste ihn vieltausendköpfige Menge mit don-
nerndem Hurra, wie die Flottenbesatzimg, unter
deren Ehrensalut das Heldenschiff ins Hintertreffen
I>assierte, wo ein Schleppdampfer aus St. Katherine-
docks seine ehrenvolle Begleitung wurde.
Nichtsdestoweniger erlitt England heut einen
— 394 —
Schaden von 30 Millionen Mark, dreier Gefechts-
einheiten im Wert von 32 000 Pferdekräften, 16O0O
Tonnen, da „Endymion", „Fox" m besten Kiefr
zern IL Klasse zählten und an Gewicht die Uitte
zwischen den früher das Höchstmass bezdd
nenden Kreuzern von 5000 Tonnen und den heutig^)
allergrössten hielten. Fünf schweren Kalibers, W-
undzwanzig „mittlere", fünfzig SchnellfeuergeschütK.
über tausend Seemänner gingen verloren.
Linderndes Pflaster auf deutsche Wundca ^
ohne Vernarben noch lange offenstanden. Wcnnnan
bedenkt, dass schon ein gutes Torpedoboot fast m
halbe Million kostet, kann man sich den Scbad®
ausrechnen, den Deutschland allein an Schiffen aus-
stand, ohne von zerstörten Befestigungen, Anlagen
und Privateigentum zu reden. Bedenkt man andrei-
seits, dass jeder Schiffsschuss viel Geld kostet, jeder
aus englischen Riesengeschützen aber ungehewr
viel, so begreift man, warum Lord Beresford eis
Bombardement von solchem Umfang nicht zu wieder
holen wagte, in Sorge um sein Material, da vid«
Rohre schon zu verschleimen anfingen und eiiült
zu springen drohten, was im Laufe des kiirzeo Khe^
ges tatsächlich nicht nur mehrfach, sondern massen
haft vorfiel.
Von Interesse war übrigens, dass der IcidKtfc
„Fox" nach der Flottentabelle auf Linie Sucz-Adtf
lief, die drei anderen Kreuzer ursprünglich tfsc
Maltageschwader gehörten. England traf eben A^s
lese unter den besten Schiffen jeder Gattung und y&
— 395 —
pflanzte die geeignetsten nach Norden: neuer Be-
weis, dass es sich seit lange mit dem Plan eines
Nordseekrieges trug und einen Überfall auf deutsche
Küsten plante, die stramme deutsche Kriegserklärung
also nur zu richtig zuvorkam. Doch alle Übermacht
Englands brachte trotz der schneidigsten Führung
kein durchschlagendes Ergebnis. Dass die deutsche
Flotte kampfunfähig gemacht werden würde, liess
sich voraussehen, und man hatte Bremen und
Hamburg so viel Schaden getan als möglich. Aber
ein Zerstören der Häfen hatte doch nicht gelingen
wollen. Als sein Generalquartermaster immer mehr
Rohrkrepierer der 30,5 Zentimeter-Geschütze fest-
stellte und meldete, dass viele bis zu neunzig Schuss
abarbeiteten, während die äusserste Leistungsfähig-
keit nur hundert Schuss beträgt, gab sich Lord
Beresford seufzend darein, dass fortan nur noch
Blockade fruchten könne.
Natürlich stellte die englische Presse den Un-
fall als nebensächlichen Zufall, das Ganze als gross-
artigen Sieg dar. Beresford war anderer Meinung
und gab es auf, Hamburg zu berennen. Jetzt noch-
mals die versenkten Schiffe wegräumen, kostete Zeit,
die Deutschen holten aus den Etablissements von
Krupp und Ehrhardt neues Material herbei, um
neue Batterien in Erdaufwürfen am Ufer bei Schu-
lau hochgelegen zu errichten. Um Ritzebüttel
schlang sich ein Schützenkordon, weiteres Vor-
dringen gefährdend. Schon sah sich die Besatzung
von Cuxhaven durch Gewehrfeuer belästigt, doch
— 396 —
unterband die Drohung, Glückstadt zu bombardieren,
jede weitere Fortsetzung einer Offensive, um dk
Briten ins Meer zu werfen. Am 15. nahm der hm
sehe Seestratege sogar seine Vorpostenkette bis Hei
goland zurück, da das Wetter bewegter wurde iiihi
er für Kohlenversorgung dem auf der Insel ge
stapelten Depot nahe sein wollte. Ein streng« Be^
wachen der Eibmündung war nach Einnahme vtr
Cuxhaven unnötig, da die in ziemlich flaches Wi^
ser getriebenen deutschen Panzer doch keinen Aifr
fall mehr versuchen konnten. Immerhin gelangen
so dem „Kaiser Karl", sich bei Nacht und Neb^'
nach Brunsbüttel durchzuschleichen, wo er sei«
schon halbvernarbten Schlachtwunden in'der Sdil»
senkammer nochmals pflegte, um sich dann fri^
und gesund dem Kieler Geschwader anzuschliessa
Ihm folgten „Blücher", „Berlin", „München", ,M
beck", „Bremen".
Dies erachtete man nötig, um einem dort geahnter
Überfall doch wenigstens ein richtiges Uniensdun
entgegenstellen zu können. „Karl" traf dann P^
seits auf der Ostseeseite den „Kaiser Barbarossa", <i«^
den dortigen Eingang bewachte, während der Kre>
zer „Vineta", bisher in Kieler Werft, an StcDe (kr
„Augusta" nach Kap Skagen auskundete. Ein ^^^
such, am 18. die Sperre bei Osteriff-Bnmsbü:-?^
zu passieren, misslang aber den Briten nichtt ^
man gehofft, die sich hierbei auch der Taucher bc^
dienten. Tore, Molen, Schleusen wurden ^^^
schössen, doch schien Durchfahren des Kanals odff
— 397 —
Landung nicht erspriesslich. Diese Demonstration
und das Festkleben der Hauptflotte, durch die ein
getroffene französische Eskadre vermehrt, vor der
Elbe sollte nur die Aufmerksamkeit von dem Plan
ablenken, den man gegen Kiel entwarf. Doch die
Luftschifferabteilung, im Wattenmeer beobachtend,
meldeteam22. rechtzeitig ferne graue Schatten überm
blaugrünen Gewässer der jütischen Küste, am 23.
sogar, dass der gewöhnliche Platz des „Dreadnought"
leer sei, an diesem Tage gewann „Vineta" schon
Fühlung und wich durch den Sund längs der Schwe-
dischen Küste, dicht gefolgt vom Gegner. Infolge-
dessen fuhren die im Kanal versanunelten Schiffe
aus und vereinten sich nüt den zwölf Küsten-
panzern von Kiel, da Prinz Heinrich Bom-
bardement des Kriegshafens möglichst lange
fernhalten und lieber Hochseeschlacht wagen
wollte. IIL Matr.-Art. (Lehe) ward alarnüert.
Da kam es herauf aus schwermütiger Pracht der
blauen Einsamkeit, wie ein bleigraues Stahlgebirge,
aus dessen Schoss dicker, schwärzlicher, schmutziger
Rauch quoll wie aus einem Vulkan. Und bald öff-
nete sich wirklich ein unterirdischer Krater auf die-
sen stählernen treibenden Inseln. Gelbe Flammen
wehten aus winkeligen Stockwerken, aus eckigen Deck-
aufbauten, aus Turmöffnungen und Stückpforten und
Brücken der etageweis übereinandergetürmten phan-
tastisch verschnörkelten Hochbauten französischer
Panzerschiffe. Auf langgestreckten Decks der Croi-
seurs gruppierten sich vorn und hinten um den
— 398 —
Signalmast je zwei Paar niedriger Schornstdne.
Neben diesem überladen bombastischen Aufragn
nahmen sich die niedrigen graubraun angestricfaeDes
Britenschiffe fast unansehnlich aus, recht vie nebec
ritterlichem Kavalier auf gezäumtem pesigem Streit
ross ein garstiger finsterer Buschklepper.
Das am 25. bei Fehmam anrennende allüene
Geschwader war auf doppelte Täuschung beredmei
so klein, dass seine Wegnahme aus der Blockade-
linie unbemerkt bleiben konnte, so auserlesen nach
Ausrüstung und Schnelligkeit, dass Überfall voc
Kiel wohl glücken mochte. „Charlemagne", ,Jöu"
„Gaulois", „Neptune", die Kreuzer „Isly", „Gloiic"
hatten den rechten Flügel, der „Dreadnought" ußd
die Kreuzer „Devonshire", „Dido", „Isis", ,f^
serpina", „Magician", die besten Destroyers „Arit".
„Albatros" den linken. Den Franzosen folgten x«i
gemischte Divisionen von Torpilleurs, Konter-Tor
pilleurs und Sous-Marins, den Briten dcsgleichc-
Die Deutschen stellten sich in Schlachtordnung:
„Karl", „Barbarossa", „Brandenburg"-Klassc, ^
rahmt von Kreuzern „Lübeck", „Berlin", «Mdö-
eben", „Ers. Blücher", „Bremen" links. „Siegfried'.
„Odin", „Hagen", „Beowulf", „Fritjof", Kreiöä
„Augusta", „Vineta" rechts, die übrigen Schiffe der
Siegfried- und Sachsenklasse dahinter in Resent>
Minenschulschiff „Rhein" hinterm rechten Flöge-
der einzige Kreuzer, den man in Kiel nodi auftn^-
Äusserlich schienen also die Deutschen in bedeu-
tender Überzahl, in Wahrheit waren nur »Kai^
— 399 —
yyB^barossa", „Blücher", allenfalls ,,Augusta" eben-
bürtige Gegner. An Torpedos führten die Deutschen
nur drei Divisionen, keine Unterseeboote. Die neu-
i^ebildete 4. Kompagnie der 3. Torpedoabteilung
blieb in Kiel bei dem Restmaterial und den noch
nicht in Dienst gestellten Neubauten.
Die wartenden deutschen Schiffe wendeten,
machten Dampf auf, lenkten hinaus zum Nahkampf
bis auf dreitausend Meter längs Markelsdorferhuk.
Der Kampf zur Linken entbrannte mit grösster
Wut. Zufällig stiessen „Karl der Grosse" und „Charle-
magne" aufeinander, doch die deutsche Auslegung
dieser historischen Erscheinung blieb Meister. Man
hörte Töne wie von reissendem Metall, als der fran-
zösische Carolus auf französisch ohne Adieu Ab-
schied nahm, peinlich am Rudermechanismus und
an der Mast-Plattform verletzt. Dem „J6na" gelang
es nicht, Preussen aufs Haupt zu schlagen, denn
der alte deutsche „B^barossa" zeigte sich so frisch,
als käme er gerade aus dem Kyffhäuser. Man musste
früh aufstehen, um ihm etwas vorzumachen. Aber
sein fliegender Bart, das Takelwerk, war rot von
tropfendem Blut und wuchs, wie in der Sage durch
den Tisch, ins Dedc hinein, mit lautem Gepolter
durch wiederholte zu hoch gehende Schüsse her-
untergeworfen. Dem „Gaulois" setzte „Blücher" so
hart zu, als gelte es, dem Typ eines Chauvin die
Hosen auszuklopfen. Die „Gloire" ward von „Bre-
men" so grimnüg angefallen, als wolle er die gleich-
namige Patenstadt an ihren Bedrängern rächen.
— 400 —
„Isly" kam durch das zweite Treffen, die Bran
denburgklasse, so ins Gedränge, dass seinSigoabnast,
den er, wie Henri Quatre seinen Helmbusch bei
Ivry, als Merkzeichen des dichtesten Getümmels ans^
steckte, wie ein geknicktes Rohr und sein Schorn-
stein wie ein russiger happen herunterbing. Der
„Neptune" glich bald einem Rauchhügel, wie ein
Kohlenmeiler oder Lavahaufen, von allen Setta
durch Granaten und Torpedos getroffen. Duicb
Splitterwirkung der abgeschossenen hohen Aufbameo
wuchs der Verlust. Plötzlich steckte „Nq>tune'* die
Steuerbordsreeling ins Wasser. „Blücher" gab ikm
den Rest, er sank. Wie vergrabene Maulwürfe ans
Erdlöchem, vom Hamster aufgescheucht, kroch dk
hinter Deckungen niedergedrückte Besatzung aus
ihren Winkeln herauf, doch alles spülte die Flu:
hinweg. Wüstes Gemenge wehrloser Meosdes
schwanun auf den Wogen. Der Meergott Neptus
verlor seinen Dreizack vorm Feuergott Pluto der
Unterwelt und dem Blitzstrahl Jupiters, plumpstt
wie ein Stein ins feuchte Element. Die Framosea
machten sich aus dem Staube oder richtiger aus des
Pulver.
Doch inzwischen ging es der deutschen Rechta
schlimm. Dort traf noch der von australischer Sta
tion vor Kriegsausbruch nach Kapstadt und von doit
nach Plymouth berufene Kreuzer „Prometheus** cit
vorsorglich als Reserve nachgeschickt, gerade aJs
sein Kollege, der grosse „Devonshirc", die deutsche
Linie durchbrach. Die trauervollen Wtwen «ttdo'
— 401 —
und „Isis** weinten um ihr Herzeleid allzu feurige Trä-
nen, die düstere „Proserpina" flocht tödliche Kränze
von blauem bleiernem Mohn, die „Magierin" verstand
sich auf teuflische Künste, „Albatros", der nie auf
Land rastende ruhelose Meervogel, stürmte wild da-
hin, „Ariel" wiegte sich unverwundbar auf den
Wellen. Und „Dreadnought" fuhr unter die Küsten-
panzer wie ein Leu unter eine Hammelherde. Da
sank „Siegfried", von seinem Tatzenschlag ins Rück-
grat getroffen, wahrlich kein Drachentöter vor
diesem Lindwurm 1 Da flog dem grinunen „Hagen"
das Haupt vom Rumpf: Mäste, Schornsteine, Türme,
Geschütze I „Odin" zuckte umsonst den siegbringen-
den Speer auf diesen Fenriswolf wie in der Götter-
dämmerung: der feuerspeiende Rachen verschlang
ihn. Langsam senkte er sich in die Wogen und
schwand für inuner. „Frietjof" war kein so schnei-
diger Holmgänger und Wiking, dass das Ungeheuer
ihn nicht ereilte und in Stücke riss. Der sturm-
kühne Recke Meister „Hildebrand" entrann nut
knapper Not, wie dem Hagen Tronje im Nibelungen-
lied mit böser Wunde: sein Heck ihm abgesägt.
Altvater „Rhein", der soeben den fliehenden Wel-
schen einen letzten nachbarlichen Fusstritt ver-
setzen wollte, deckte nut den beiden stärkeren Kreu-
zern rechten Flügels eilige Flucht nach Kiel, die
nur dadurch noch glückte, dass „Blücher" diesmal
eine WaterlooroUe gegen die Briten spielte. Er
packte „Dido" tmsanft von hinten bei den Haaren,
bis ihr springender Kessel janmiervoll aufschrie,
Völker Europas . . . | 36
— 402 —
und stiess den luftigen „Ariel" kopfüber in die
Wellen.
Zwar musste „Rhein" die Flagge streichen
„Bremen'* stranden, elf Torpedos bezahlten ihre Hin
gebung mit dem Untergang, doch die Masse
erreichte den Kieler Hafen. Nur „Barbarosäa"
bog seitwärts abgedrängt zum Heiligenhafen aiLv
Vier deutsche Küstenpanzer waren gesunkai
zwei krochen matt wie flügellahme Fliegen in des
Kieler Hafen, ihre Deckborde bis zum Rand mit
Leichen gefüllt. Sir Charles Campbell drängte rasd
nach, in Richtung auf Bülcker Leuchtturm, später
gefolgt von den in Scham und Zorn wieder keim
machenden Franzosen. Das Bombardement begann
unverzüglich. Der brandroten Färbung des Abcifr
himmels mischte sich bald braunrotes Glühen vcc
Bränden. Über Kiel lagerte in Richtung des Arsenals
eine rote Wolke mit tanzenden sprühenden Lichiern
Dampfspritzen, Spritzendampfer arbeiteten, Panier
K.-B. ,Biene\ ,Hummer, ,Mücke* halfen den Fom
Und während die Alliierten ihr Gebrunam «^
gereizte Grizzlybären vor den Hafenforts anhober.
zog erst die eigentliche Gefahr herauf. Die Lut:
Schiffer vom Kanal meldeten zu Ende der Schlacb^
dass man fem am Horizont im Grossen Belt ein©
starren Mastenwald bemerke, der im Dunst o^
wärts verschwand. Eine grosse britische Transpon
flotte, begleitet von einer Menge kleiner ungedeckter
Kreuzer und Scouts, schlängelte sich bei Nacht durcc
die dänischen Mittelgewässer mit dreister Verletnü^
— 403 -
der Neutralität, zumal frühere Abgrenzung der Kü-
stenzone auf dreitausend Meter naiverweise trotz Er-
weiterung der Schusszone noch heut bestehen blieb.
Teils westlich von Laaland, teils östlich von Fünen
bei Marstallbucht (Langeland) schlich sie in die
Hohwachtbucht herein.
Boote, Flösse, Pinassen legten in aller
Heimlichkeit an, in Schaluppen entluden die grossen
Dampfer eine Menge Radfahrer- und Automobil-In-
fanterie, auch Artillerie ward nach und nach ausge-
schifft. 14. 18. Hussars erachtete man unnötig, da Autos
für Aufklärungszwecke genügten. Die abgeschnitte-
nen deutschen Strandwachen schössen ihre Gewehre
ab, um Alarm zu geben, doch dicker Frühnebeldunst
erstickte den Ton, verhing auch den Beobachtungs-
stationen und dem Leuchtturm von Friedrichsort
die Femsicht. Als vom Hohenstein, später Bungs-
berg, Hügel nordöstlich von Eutin, endlich das
Unheil bemerkt wurde, kam das Klappern des Feld-
apparates zu spät: alle Telcgraphenleitungen längs
der Küste hatte die vorausgeschickte Automobil-
Infanterie unterbunden.
In Kieler Hafen teilte man bei Nacht den An-
kerplatz in bestimmte Scheinwerfer-Sektoren für je-
den der noch übrigen sieben Küstenpanzer, die
Brandenburgklasse, das Linienschiff „Karl" und die
noch übrigen drei Kreuzer, die im Treffen von Feh-
mam tapfer genug ihren Mann standen, doch teil-
weise arg zerzaust waren. Schwimmende Balken
und netzumflochtene Drahttaue sperrten den Zugang,
26*
— 404 —
dahinter Rondeboote. Zwanzig Torpedoboote warea
noch im Dienst, in fünf Rotten geteilt. Depesden
nach Rendsburg, Flensbuiig, Eutin, Plön, PrcettteütcD
dem Küstengouvemement die Notlage mit, und
pünktlich genauer Betrieb auf allen BahnstatioDea
verbürgte rechtzeitige Unterstützung. Doch auf sc
schnelle Landung bedeutender Massen hatte wsl
sich nicht gefasst gemacht. In Kiel herrschte Panit
als Flüchtige meldeten, dass schon durch I^
steierhagen britische Automobilprotzen rasselten, dd^
bald darauf starkes Geschützfeuer gegen die Fom
Schönberg und Stosch seitwärts im Rücken ertönte
Kasernen von Friedrichsort am Eingang def
Föhrde leuchteten nicht mehr weiss, sondern g^
in Brand geschossen. Gegen die vorderen Hate^
forts gewann der weitreichende Geschosshagel de:
Allüerten bereits die Oberhand. Griff Land- uwi
Seeangriff siegreich zusanmien, war Kiel valoia^
Dass den Unterseebooten, falls sie sich opfertm
Sprengimg der Sperre gelingen werde, wusste ime
von der Elbe her. Prinz Heinrich befahl dabff
schweren Herzens den versammelten Panzern, iQ
der Frühe Anker auf zu gehen und aus dem Hafes
becken Kurs auf Schleimünde zu setzen, um ^
Belagerungsflotte auf jede Gefahr hin so lange vk
■
möglich fernzuhalten, ihren eisernen Ring veoig
stens auf einige Stimden zu durchstossen, bis ^
Lande Luft geschafft sei. Es galt, lieber die akti
ven Verteidigungsmittel zu opfern, um den ^^
auszuräumen und die Stadt zu retten, wo sdf^
— 405 —
Verzweiflungsrufe der Einwohner zu den Kasernen
der 1. (2. Wilhelmshaven) Werftdivision herauftönten.
Von Schraubenumdrehung gerüttelte Trossen und
gezerrte Anker wurden losgeworfen, unter schrillen
Glockenzeichen setzten sich die Stahlleiber am
26. früh erneut in Bewegung, T. B. ^Sleipner', »Car-
men* voraus.
Als der auf Wache befindliche „Isly", seit-
wärts auch den Transportblocus deckend, beim Spie-
len des Scheinwerfers das Heranstürmen so vieler
Schiffskörper bemerkte, hielt er sich nicht mit
Deckung auf, sondern rettete sich selbst in Sicher-
heit. Der herbeieilenden „Gloire" machten Schüsse
des „Blücher" die Schrauben unklar, so dass sie
langsame Fahrt machen musste. Es wäre aus mit
ihr gewesen, wenn nicht „Proserpina" und „Al-
batros" pfeilschnell herangeeilt und dem Gegner
herzhaft zu Leibe gegangen wären, dem sich jetzt
auch „Charlemagne" in den Weg warf. Die Vor-
postenkette der Torpilleurs, an einer Stelle über-
rannt, schloss sich wieder zusammen, imd es ent-
spann sich lebhaftes Scharmützel mit der 3. deut-
schen Torpedodivision.
Sobald zur Rechten die bisher am meisten ge-
schonten und daher jetzt ins Vordertreffen gestell-
ten Schiffe der Sachsenklasse (siebentausendvierhun-
dert Tonnen, fünfzehn Knoten, „Württemberg" stär-
ker armiert) die feindlichen Vorposten hinter sich hat-
ten, griffen sie unverzagt mit Todesverachtung die
schnelleren stärkeren britischen Kreuzer in Nahkampf
— 406 —
an. Diese schon früher in Marinekommissiona)
empfohlene Taktik ergriff das einzige Mittel, bei
ungenügender Armierung und Schnelligkeit aus den
veralteten Typen noch Nutzen zu ziehen. Natur
lieh zählte man dabei auf äusserste Hingebung der
Mannschaften gegen bessere Geschütze und Panier.
Man verrechnete sich darin nicht. „Württemberg'
vorauf, durchbrachen die Küstenpanzer den über
raschten Feind, der seine Femfeuerzone tatsädilid
nicht ausnutzen konnte. Das Führerschiff ramnö!
die ,,Dido'* durch und durch, als ob man mec
Fechter den Degen durch den Leib rennt, obsd«£
deren Artillerie die deutsche Bemannung hauf&
weise niederriss. „Lass, o Königin, uns nidit dö
Schmerz erneuern," Witwe Dido hatte ihr Teil, nas
hörte nie fürder etwas von ihr. Die „Magiena
brachte nacheinander alle ihre Geschütze und Bof
torpedos zum Schuss, musste aber mit zerbrochenem
Vordersteven ausscheren. Der „Prometheus", ät
Treffen von Fehmam als Reserve geschont, erwies
sich hingegen als Himmelstürmer von titanisches:
Ursprung und betätigte seine Liebe zum Menscbßi^
geschlecht, indem er „Bayern" aus der Schlacht-
linie heraus weit zurück bis in die Hafensperre trieb.
wo „Bayern" führerlos treibend imtersank und ^■
bei die Sperre verunreinigte. Seine Hintennäiu»?
„Baden" und „Sachsen" nahmen „Isis" aufs Kon^
die sich ihrer kaum erwehrte mit Beihilfe der op-
tischen gemischten Torpedodivisionen. Nach Re-
gerem Gefecht lief ihnen der Vorderraum des Decfc
— 407 —
voll Wasser, und da sie keinen Unterwasserboden-
panzer besassen, war damit ihr Schicksal entschie-
den. Sie wichen nach rechts zum Hafen aus, woll-
ten festmachen, zu Anker gehen, vermochten dies
nicht und setzten sich daher am Ufersande auf, um
Sinken zu vermeiden. Die Mannschaft verliess ihre
Schiffe, weil schutzlos dem Feuer preisgegeben, und
verteilte sich tirailleurweise am Strande. Nur ein
paar standhafte Kanoniere bedienten noch die halb-
zertrümmerten Geschütze und hielten sich den Feind
etwas vom Leibe. Inzwischen hatte „Dreadnought**
den zwei noch übrigen Schiffen der Siegfriedklasse
„Heimdair*, „Ägir" mit Leichtigkeit allein den Gar-
aus gemacht und „Augusta**, „Vineta" in den Ha-
fen getrieben. „Württemberg** kehrte noch recht-
zeitig um und entkam dem Ungeheuer, obschon sein
einkrachender Kommandoturm den Kommandanten
in seinem Sturz begrub. Inzwischen ging auf Sig-
nale der linke Flügel gleichfalls unter die Forts zu-
rück, nachdem er alle Franzosen in die Flucht
schlug. Der wieder rückzugdeckende „Blücher*' und
„Lübeck**, von „Jona** und „Gloire** eingekeilt, woll-
ten offenbar keine neue Lübecker Kapitulation an
dieser Ostseeküste unterzeichnen und schlugen sich
durch, indem „Blücher** unterwegs dem „Isly** mit
einer furchtbaren Salve den Boden aufriss, aus der
es deutlich klang: „Herunter muss er dochT* Doch
v^rurden „Brandenburg** und „Berlin**, landsmann-
schaftlich Seite an Seite fechtend, auf dem Rückzug
noch von Fernschüssen des „Devonshire** ereilt imd
— 408 —
misshandelt, bis sie ausser Sicht waren. „München'*
teilte das gestrige Schicksal des „Neptunc", durd
ein Unterseeboot durchbohrt und gleichzeitig tod
Granaten niedergeschlagen. Britischersdts wiegte
sich nicht der fröhliche „Albatros" im Morgenrot
wippend auf der heiligen Salzflut, sondern fand m-
term Meeresschaum, gar manchen Faden tief, doe
endliche Schlaf- und Ruhestatte.
Beide Seetreffen, die den Franzosen zwei Schiffe
gesunken, zwei schwer havariert, den Briten dm
gesunken, eins schwer havariert, den Deutsches
sechs Schiffe gesunken, drei gestrandet, vier schv?
havariert kosteten, während die Deutschen fünbehB
und die Alliierten zehn Torpedoboote verloren, nr
ren nicht umsonst durchfochten. Bombardement und
Unterstützung der Landung hatte so lange eingestdk
werden müssen, ausserdem ermöglichte es dem,,Bai-
barossa" erneutes Auslaufen aus Heiligenhafen, der
Kurs unterm Winde längs der Küste nahm vd
gerade im rechten Augenblick in Flanke der Tiass-
portflottille ein Wörtchen mitsprach. —
Von der Landungsbrücke Bellevue, Bmnswict
Neimiühlen bis zu den Holtenauer Kanalscfaleoses,
über Cronshagen, Seewarte, ergoss sich ein Sti«£
alarmierter deutscher Feldtruppen, Landwehren, Ma
rinebataillone längs der Kieler Föhrde. Die Laoen
burger Jäger meldeten: „Konmie Bahn Rastari**
bei Gaarden in Nähe der bedrohten Germaniaverft
marschierte man. Doch die Briten hatten sich sd»®
weit in den Dörfern der Probstei ausgebreitet, viele
— 409 —
Haubitzen mit Automobilprotzen vorgeschafft und
griffen frontal die Forts Stosch und Schönberg, die
Seeforts Königen iind Heikendorf von der Landseite
schon im Rücken an. Sie hatten die. Chaussee
Lütjenburg-Kiel inne und stiessen noch weiter süd-
westlich vom Selenter See. Allwärts brüllte jetzt
der Schlachtendonner auf Meer imd Land, vom
Meer zum Lande, vom Lande zum Meer. Immer
neue Transportdampfer vollzogen die Ausladung
ihrer bewaffneten Passagiere bei Kolberger Heide.
French leitete. Mit hoher Bravour drangen die
Briten aus der besetzten Hohenfelder Halbinsel ge-
gen Kiel vor, nahmen neugebautes Fort Schönberg
mit Sturm, brachten andere Forts in Bedrängnis.
Wenn Tommy Atkins früher für „die Witwe"
(Queen Victoria) in allen tropischen Zonen sein Blut
verspritzte, warum sollte er*s nicht jetzt im Nor-
den für den dicken liebenswürdigen Falstaffkönig,
der so geschickt als angestellter Croupier der grossen
Spielhölle British Empire die Karten mischtet
Die bis halbwegs Preetz im Süden vorgerückten
Abteilungen warfen holsteinische Landwehren und
vertrieben die Mecklenburger nachSchönhorst-Oppen-
dorf unter Befehl des Generals Franklyn, indem sie
so dem weiter nordwestlich gelandeten Korps als
Aussenring Flanke und Rücken deckten. Div. Paget
xuiter Majorgenerals Hamilton, Barton, rückte hinter
Franklyn herum umnittelbar auf Kiel und die Forts
nach Südwesten. Als aber Lauenburger Jäger und spä-
ter Holsteiner Vierundachtziger am Selenter See ein-
— 410 —
griffen, pommersche Landwehr auf Lütjenburg
losging, wich Franklyn allmählich nord- und Strand-
wärts zurück, und das Gefecht setzte sich seitwärts
fort, so dsLSs Franklyn die britische Linke bildete,
die Rechte mit verkehrter Front nach Möltenort-
Dietrichsdorf vordrang. Landung der letzteren bei
Kolberger Heide hatte man deutscherseits anfangs
hindern wollen. Nur eine Seemeile fem lagen,
1 orpedoavisos, Torpedo jäger, kleine Kreuzer, denen
ihre schwache Kielspur Annäherung an den Strand
gestattete. Ihr Feuer antwortete einer hinter Dünen
versteckten deutschen Rohrrücklaufbatterie, die auf
siebzehnhundert Meter den Strand unter Feuer
hielt. Auf das Signal eines Kanonenschusses in
hoher See zuckten Blitze aus Hunderten schmaler
Geschützmündungen die Schiffslinie entlang: nicht
die erschütternden Schläge der geharnischten Gi-
ganten, sondern das harte, trockene Bellen der
Schnellfeuerartillerie leichter Schiffe erscholl. Und,
merkwürdig I ein dichter Rauch verhüllte bald
darauf alle Fahrzeuge, kräuselte sich überm Meer,
klebte wie ein schmutziger ÖUappen an seiner Ober-
fläche fest und wurde durch die Dunstballen, welche
die leichten Schiff sgeschülze krachend ausspien, dicht
über den Strand hinaufgestossen 1
„Verdammte Kanaillen!" rief ein Offizier
laut. „Sonst rauchloses Pulver, jetzt eins, beson-
ders angefertigt, schwärzer als das alte Pulver, um
ihre Schliche zu verbergen!" In der Tat sah man
nichts mehr vom Meer. „Sie können uns die
411
Nase in den Topf stecken, ohne guten Tag zu
sagen 1'*
Gleichzeitig zündeten Granaten hoch in der
Luft, schlugen mit schütterndem Stoss im harten
Sande auf. Cruiser ,Velox', Kontretorpilleurs ,Bar-
berousse*, ,Carabine' karabinerten wie auf Treib-
jagdanstand. „Dort links schleicht was im Nebel T'
schrie ein scharfäugiger Freiwilliger, der einen
hohen Baum erkletterte. Bald darauf schrie er:
„Platte Fahrzeuge, reihenweise, mit roten und
grauen Flecken darin." Fluchend und wetternd
riss der Infanteriekommandeur seine Leute nach
links herum, wo er sich umgangen sah, doch
die Landenden hatten ja den geraden Weg vom
Wasser her zum ausgewählten Punkt, während der
Verteidiger in Kreismarsch parallel zum Strande
tiefen Sand durchwaten musste. Ausserdem wandten
die Briten, um eine unerhörte Schnelligkeit der
Ausschiffung zu erlangen, ein neues, wimderbares
Mittel an. Ihre Schaluppen wurden nicht von
Dampfschiffen geschleppt, sondern besassen rück-
wärts einen Petroleummotor und rollten wie Automo-
bile in die Brandung. Da sie am Stern eine Winker-
Maxim-Mitrailleuse führten, legten sie auch das Ge-
stade vor sich her von Feinden frei. Den um-
g^angenen Küstenwachen machte brave Attacke dreier
Landwehrschwadronen und zweier Zügel6.blauer Hu-
saren Luft, die mit eingelegter Lanze, ihre Offiziere
voraus den Schwertarm zum Meere ausstreckend,
sich auf dichte britische Knäuel stürzten, die noch
— 412 —
nicht als Kolonne formiert oder als Schütten vss^
geschwärmt waren. Dieser Anprall wirkte anfangs
überwältigend, zumal die Mitrailleusen der Sdu
luppen auf das Gewühl nicht zu schiessen vagteo,
um nicht ihre eigenen Leute zu treffen. Zdetit
ertrank aber das Reiterhäuflein in einer Flut immer
dichterer ausgeschiffter Massen, das Blau xemna
unter Kakifarbe, nach wütendem Gemetzel kamei
nur fünfzig meist verwundete Reiter mit verhängten
Zügel zurück. Ihr Heldenritt hatte die Ausschiffung
sehr verzögert, viele Briten bedeckten tot und fff
wundet den Strand. Aber als das deutsche Fos^
volk, atemlos herankeuchend, sich auf dies in wiUe
Unordnung geratene Menschengewimmel sttoß
wollte, wo Feldgeschütze unangeschirrt am Meere
standen und Maschinengewehre achtlos umherlage&.
schlug ihnen, kaum dass sie auf tausend Meter heran
waren, ein vernichtendes Feuer von der änsserta
Postenkette der alliierten Kreuzer entgegen, die jcot
wo klüglich die Hexenküche ihrer Verschlaenmgs^
pose nicht mehr rauchte, freies Schussfeld hatten
Man musste den Rückzug antreten, auch die Düoefi
batterie bis zur nächsten kleinen Bodenerheboflg
Aber die Funksprüche der Forts knatterten nidit
imisonst. Je drohender 4. Division Franldyn sich ai&
breitete, je mehr Batterien 9., 24. Feldartfllerioegi^
ments und des 2. Pommerschen Landwehr-Küsttfr
korps rasselten heran, und ihre genau markierte Be>
Streichung riss grosse Lücken. Freilidi litten and ^
Deutschen imterm nun heftig entbrennenden Feoer
— 413 —
der Schiffe, obschon das Landungskorps Paget,
je weiter es sich vom Strand entfernte, desto mehr
des Schutzes dieser Kanonade entbehrte. Gleich-
wohl setzte es seinen Flankenmarsch bis zum näch-
sten Bahndamm fort, unbekünmiert imi das Fern-
feuer verschiedener längs des Weges aus Hasel-
hecken und Buschgestrüpp aufgescheuchter Posten.
Gesamtzahl gelandeter Briten schätzte man deut-
scherseits sehr richtig auf elftausend Mann.
Die erbsgrünen Erdschanzen der inneren See-
forts lagen noch auf 3000 m fem, als rechts Bartons'
Kolonnen auftauchten. Über dem Braim eines hüge-
ligen Ackers hoben sich ein paar rote Tirailleure
wie wackelnde Truthähne ab. Möltenau-Batterie hielt
sich bereit am Hafenrand, um den Feind beim Nieder-
steigen in eine Vertiefung von zehn Metern zu be-
streichen, etwa 2000 m fem. Die Briten schwenkten
jedoch links ab und brachten eine mit Gehölz be-
standene Geländewelle zwischen sich imd dies Flan-
kenfeuer. Mancher einstige Burenfresserheld von
Transvaal, der sich durch Deportation von Frauen
und Kindern in die sogenannten Konzentrationslager
einen ebenso grossen Namen machte wie der arme
General Macdonald, den einige perfide Presseban-
diten durch Aufdeckung seiner erotischen Helden-
taten im Burenlande zum Selbstmord trieben, be-
trachtete die Schanzen als Bagatelle. Von Schiffs-
kanonade schon hart mitgenonmden, würden sie
breschelegenden Achtpfündem nicht widerstehen.
Lieut. General Paget ging in drei Kolonnen vor.
— 414 —
Die 1., 2. und Coldstreamgarden bildeten die Linke,
die, Kieler Hafen unmittelbar angreifend, das Ar-
senal zerstören sollte, während die Rechte, 28^
44., 57., 93. Regiment, lauter in Englands Kiiegs^
annalen berühmte Truppen, die Schanzen stünnt?.
2. Scots Guards, Royal Scots und Buffs folgten al-
zweites Treffen mit Seaforth und Yoritshirt
Leichte Leib-Infanterie (King's Own) und Riik
brigade nebst etwas Mounted (berittener) Infantry
Die Mittelkolonne blieb als Artilleriebedeci
ung und Reserve bei Dietrichsdorf und sollte ii
die Stadt Kiel einrücken. Paget erwies sich, w^e
die meisten englischen Generale, keineswegs so ud
fähig, wie die falsch ausgelegten Vorgänge des
Burenkriegs eine törichte Legende verbreitet hatto
Die Energie und Gewandtheit seines blitzschncßai
Vormarsches Hessen nichts zu wünschen übrig.
ausserdem würden so sehr in Brennerei gecbtc
Transvaalveteranen das Brandstiften in Kid gewi^'
sehr fleissig und umsichtig besorgt haben.
Doch er rechnete nicht mit dem alten Spruch: .AVu
mich umgeht, ist selbst umgangen." Während ^
Mecklenburger Brigade nach Kiel zurückwich, hatte
die Bahn eine nach Elmschenhagen herangeiogcne
Gardebrigade auf Wellingdorf-Schönkirchen Z^
rade in seine rückwärtige Flanke geführt. Auf tele
graphische Weisungen eilte diese im Gewaltmanct
dem Kanonendonner zu, zuletzt in Laufschritt über
gehend, als Herold eine Batterie vorausschickeni
Des Feindes ansichtig werdend, der in dieser Ri^
— 415 —
tung sich keines Übels versah, ruhten die Garden
eine Viertelstunde. Dann setzten sie den Vormarsch
mit entfalteten Fahnen fort, mit solcher Verachtung
des Gegners, dass sie wie auf dem Exerzierplatz
marschierten. Gerade als die Briten sich zum Sturm
gegen die Schanzen anschickten, wo man sie schon
hart genug empfing, warnten Schüsse ihrer ausge-
setzten Wachtposten in Flanke und Rücken.
In Position rückwärtsstehende Batterie liess sofort
vom Bearbeiten der Schanzen ab und eröffnete her-
umdrehend ihr Feuer gegen diese wie aus der Erde
emporgewachsene Kolonne. Doch ihre zu fernen
Salven hielten den Marsch der Garde um so weniger
auf, als deren eigene Batterie kühn vorausgaloppierte,
in freiem Felde abprotzte und den britischen Kol-
legen durch schräge Geschossgrüsse ein solches Will-
kommen bereitete, dass sie auf Nimmerwiederkehr
verschwanden. Die aufgelöst ausgeschwärmten zwan-
zig Kompagnien des ersten Treffens überschütteten
auf 600 m die rückwärts ausweichende britische In-
fanterie mit einem Kugelhagel, unter dem sie zu-
sammenbrach. Auf 300 m in einem Ruck heran-
rennend, schleuderten die Garden eine förmliche Ge-
neralsalve, welche von Lee-Enfields standhaft, so gut
es gehen wollte, erwidert wurde, warfen sich dann
buchstäblich mit dem Bajonett auf den Feind. Denn
was anderen Truppen gegenüber, russische und türki-
sche Barbaren ausgenommen, heut überflüssig, war
gegen solche steif nackigen Briten nötig. Mietlinge
oder nicht, sie starben wo sie standen. Auch bei
— 416 —
den Iren schwieg jeder sonstige Stammeshass, ging
es fürs British Empire gegen den Feind. Die 57.
betätigten wieder ihren alten unübersetzbaren Spitz-
namen : ,Diehards' (etwa : ,Nicht umzubringen')- Dod
die Schanzen und die Mecklenburger Gewehre timt
ten von vom auf. Jeder Widerstand unnütz, fast
alle Offiziere gefallen, lösten die Briten sich fliebesd
in zusanunenhanglose Gruppen. Auf Kid g^
worfen, wo ein heftiger Strassenkami^ zwisdia
Mecklenburger Jägern und I. Seebataillon gegcs
die britischen Garden und die Spitze der Bibttd^
kolonne tobte, trugen diese Trümmer Unordnung ic
Hamiltons Reihen, in deren Rücken der unerbitt
liehe Flankenstoss der deutschen Garden hineinfahr
Alles bog jetzt seitwärts zum Selenter See
aus, während die Deutschen imunterbrochen ihre
Linie verlängerten und immer weiter lunfassten. Zvai
leisteten die englischen Garderegimenter und ^
Batterien noch, drei Kilometer vom EmbaikatioBs^
punkt, mannhafteste Gegenwehr, um dem zeitruD^
merten Gros die Einschiffung zu decken. Do<^
als der bisher maskierte „Barbarossa" übennStiand^
winkel zwischen Hohwacht und Heide auf den Dübcd
dichte feindliche Haufen sah, liess er auf 2500 Q^
einen Strom von Eisen und Sprengstoffen los. Audi
die Coldsteamgarde stob jetzt zum Strand bii^^
Nur das betäubende entsetzliche Feuer des „Drcad^
nought" und der übrigen jetzt die deutsche TcrW
genden alliierten Flotte rettete vor völligem Arf
reiben der Division Paget, die alle Gcschüw
— 417 —
tausend Gefangene, dreitausend Tote und Ver-
wundete hinter sich zurückliess. •
Diesmal wehten wirklich oft genug als Zeichen
der Ergebung die bekannten weissen Taschentücher
des Transvaalkriegs. Entscharte entledigten sich
ihrer Tornister und oft der Waffen, oder kehrten
die Kolben um, als Signal des Gewehrstreckens, das
bekannte britische „Hände hochl" für schussbe-
drohte Waffenträger in bedrängter Lage nach-
ahmend. Kolonie Franklyn vollzog ruhiger ihre Ein-
schiffung, obschon „Barbarossa" hier die Transport-
flotte in grosse Unordnung brachte, auch sie verlor
zweitausend.
Als die letzten Schaluppen und Kähne hinter
den weiter draussen schwimmenden Paketbooten ver-
schwanden imd die Panzer dem Kieler Hafen ein
donnerndes Lebewohl sagten, nahm John French für
immer Abschied von dem Traum, sich Kiels durch
Landüberfall zu bemächtigen, die Deutschen am
eigenen Herde heimzusuchen. Zu Lande hatten
gegen sie britische Truppen nun mal kein Glück 1
Plötzlich verschwanden daher die Transport-
riesen der Cunard Compagnie aus den nordischen
Gewässern und tauchten nachher zur Verblüffung
der Spanier imd Franzosen jenseits der Säulen des
Herkules auf. Was wollten sie denn im Mittelmeer,
da sie mit ihren dreizehn Metern Kielwasser doch
iinmöglich den Suezkanal passieren konnten? Man
erfuhr es bald genug, als sie ihre Truppenladung
auf den Balearen löschten 1
Völker Europas ... 1 2/
— 418 —
Die Blockadeflotte ging nach MarstaQbucht n-
rück unter Anker oder kreuzte unter dänischen In-
seln in neutralem Gewässer, ohne sich zu genieren.
Noch ein drolliger Vorfall ereignete sich, um Eng-
lands souveräne Nichtachtung aller geschriebena
Vertrage zu verdeutlichen. Nach dem Text des Se^
rechts darf ein Kriegsschiff aus neutralem Hafa
erst vierundzwanzig Stunden nach Abfahrt eines
feindlichen dort weilenden Schiffes auslaufen, dod
England lacht nur über solche Paragrai^engerippe.
Die vorpostenstehende „Kaiserin Augusta"* md
Schulschiff ,,Delphin" waren, bei plötzlichem Nebd
aus dem Skagerak ins Kattegat, vom Sund weit abg^
konunen und hielten seitwärts auf Fünen, «o in
der Bucht die um Seeland herumgedampften Kremei
„Prometheus" und „Isis** neben ihnen Anker warieft
Als aber die deutschen Schiffe am Morgen demSoiKi
wieder zustrebten, waren ihnen die Engländer ohne
Zögern unverweilt auf den Fersen, und nur einigen
derben Winken der 15 cm-Granaten der „Augosu",
da das 10 cm-Kaliber des kleineren „Delphin" lü^
gar nichts ausrichten konnte, verdankte sie ihr En^
kommen hinter der britischen Blockadelinie. Docb
wturde sie von Eckernförde ab in den Wilhebnsbnil
gedrängt. Übrigens dampften die Franzosen eigen-
willig nach Helgoland zurück. —
Durch den Nordischen Bergungsverein hatten die
havarierten deutschen Schiffe sich einis^ermassen «i^
der herausgefüttert imd sahen wieder ganz anseho-
lich aus. Bei einem nächtliclien Ausfall innerhalb
J
— 419 —
der Eibmündung, nachdem man die versenkten
Schiffe wieder hob und neue Minen anlegte, führte
„Lothringen" dem ,,GauIois" sogar nachdrücklich zu
Gemüte, dass an Rückgewinnung Lotharingiens nicht
zu denken sei. Auch „Niobe" und „Medusa** kehrten
dem Feinde wieder ihr starres Antlitz zu, als wollten
sie ihn versteinern. Doch verboten in Cuxhaven aus-
geschiffte Elf- und Vierzöllei den Deutschen jedes
erneute Ausfallen. Die zerstörten Forts liess Beres-
ford nicht wiederherstellen, um dem niederge-
rungenen Gegner, an dessen baldiges Separat-Kapitu-
lieren vor England durch Friedensschluss man
glaubte, nicht für später den Neubau zu erleichtern.
Auch die vier wackern Havarierten des Weser-
geschwaders befanden sich wieder in erträglichem
Stande, so dass Deutschland, die isolierten Körper
in Kiel und am Kanal inbegriffen, noch zwölf
Linienschiffe und neim grössere Kreuzer besass.
Sin anderer Kreuzer ging freilich verloren. D^m
ein britisches fliegendes Geschwader in der Ost-
see, das einige Bomben nach Weichselmünde
hineinwarf und bemannte Boote aussetzen wollte,
was bei Küstentruppen des 17. Korps nur einen
Heiterkeitserfolg errang, belästigte die Berliner
Badegäste in Heringsdorf und Mistroy, die un-
bekümmert um den Seekrieg ihre altgewohnte
Sommerfrische aufsuchten, schmiss im Vorübergehen
ein Fort bei Swinemünde um und überfiel das ver-
ödete Rügen. Diese Gewässer hatte man auf jener
berüchtigten Übungsreise hübsch ausbaldowert, wo
27*
— 420 —
in »Sveinemönde* britische Maats so freundschaftkh
mit schönen Stettinerinnen kokettierten und der Bür-
germeister von Danzig eine so devote Verbrüdenmgs^
rede hielt, die von dem überaus kühlen Antworttdt
gramm des Kaisers an den britischen Anrempelungs-
Adnüral gar merkwürdig abstach. Der Kaiser wahrte
hier wahrlich allein die Würde Deutschlands gegea
diese augenfällige Provokation. Bei Rügen nun ward
,,Vineta" abgefasst und nach heldenmütiger G^co:
wehr abgeschossen, sie suchte jetzt da unten das
versunkene Vineta. Ihr Manövrieren und Feditcn
gewährte aber die nötige Frist für jede Vorsidtsr
massregel, Stettin mit der kostbaren Vulkanverft
vor Berührung zu sichern. —
England hatte alle für fremde Staaten in Af&
rüstung begriffenen Schiffe der heimischen Pri^
werften ohne weiteres für eigenen Staatsdienst g^
presst, zu Zwangspreis abgekauft, und sonoit Beres-
fords Gesamtverluste einigermassen gedeckt. SchÜBt
mer stand es aber mit der verbrauchten ArtiDcrie
und vor allem dem Maimschaftsersatz. Yidt beste
Offiziere und Vollmatrosen lagen tot und verwundet
darunter elf Kapitäne erster Klasse und ein Rear*
Admiral, während deutscherseits zwei Konteradmt
rale, drei hohe Offiziere des Marinestabs und vs^
gesamt dreiundfünfzig Kapitäne und Kapitanleot
nants von Kommandantenrang ihr Blut vergossen
Hier zeigte sich die Überlegenheit des ded
sehen Systems, insofern die Lücken schnell ersetzt
Schon zu Friedenszeiten stieg die Zahl der Fremdei
— 421 —
in der britischen Handelsmarine auf ein Viertel, und
beim übrigen befanden sich fast fünfzigtausend so-
grenannte Lascaris, nämlich Indier und sonstige Far-
bige. Diese konnte man höchstens als Heizer ein-
stellen, für den eigentlichen Mannschaftsverbrauch
fiel hingegen der Ersatz schwer, so viele Freiwillige
sich meldeten. Hatten sich also bei Mobilisierung
alle Schwierigkeiten ziemlich spielend gelöst, so
häuften sie sich jetzt.
Einen Strich durch die Rechnung machte auch
das halsstarrige Verhalten der französischen Admi-
ralität, die in der ersten Juliwoche peremptorisch
das Brestgeschwader abberief, weil die flandrische
Nordküste eines Schutzes bei Vordringen der deut-
schen Armee bedürfe. Infolgedessen konnte Beres-
ford zwar noch bis Mitte Juli eine mehrfach recht
lockere Blockade von Swinemünde bis Borkum unter-
halten, musste aber den jetzt ungenügend gedeckten
Cms-Posten endlich Hals über Kopf räumen, wobei
die Elf- und Vierzöller stehenblieben. Bei Cuxhaven
barg man sie noch rechtzeitig, als imvorhergesehene
Ereignisse das Aufgeben auch dieser Zwingburg ge-
boten. Das Ende der Geschichte lautete also gar
nicht so schön wie der Anfang, die harte Nuss war
nur zur Hälfte geknackt, Deutschland schwer, aber
nicht tödlich getroffen. Nichtsdestoweniger jubilierte
man in England. Das Königspaar samt Prince und
Princess of Wales fuhr auf der Hofjacht „Victoria-
Albert", während die kaiserliche Luxusjacht „Ho-
henzollem" längst den sauren Lustfahrten des
— 422 —
Sanitätsdienstes sich hingab, als Seekönigs-
familie herum, um sorglose Meerherrschaft zu mai
kieren.
Die innere Solidarität der germanischen Volk«
deren gemeinsames Rassegefühl leider noch lange
nicht lebendige Wirklichkeit, sprach sich in dei
ehrlichen Hochachtung aus, die man britischcrsciß
dem Heldenmut der deutschen Marine zollte. Mas
erzählte sich mit Bewunderung, dass in Tsingtaa, i^
die schmucke ,Thetis' wie eine schmachtende Nymp*"
in ihr Element für immer versank, die Mannsdaü
bis zuletzt mit lautem Gesang auf Deck blieb, ohne
die Flagge zu streichen, einstiges Beisiriel des nnt«
gehenden »Iltis* wiederholend. „Kein Märchen ^
beim legendären »Vengeur* der französischen Rc^
volution, sondern Wirklichkeit", betonten britische
Offiziere, die ihre Geringschätzimg französisdiei
Prahlerei nie verbergen, dabei freilich zu allen Prab
lereien ihrer eigenen heimischen Glory ein Auge n
drücken.
Man hatte deutscherseits nun möglichst aflc fp^
sen Handelsdampfer zu Kapern amüert : Vom Nori^
deutschen Lloyd fielen „Bayern", „Roon",„Koblcn2*
„Darmstadt", „Sigmaringen", „Wittekmd", Jen-
Phos", „Lübeck", „Albert", . Prinzess Alice" in bri>
sehe Hände, „Prinzess Irene", „Kassel", „Wünbnif'
„Preussen", „Karlsruhe", „Kronprinz", „Kaiser .
„Schwaben", „Prinzregent", „Hannover", „WeGt
gunde", „Willehad" lagen in neutralen Häfen, ^
gegen wurden der prächtige „Prinz Heinrich'*, ,.^-
— 423 —
heim der Grosse", „Friedrich der Grosse", „Neckar",
»,Roland", „Barbarossa", „Prinz Eitel" kriegerisch
umgeschaffen. Von der Hamburg-Südamerika-
Dampfschiffahrtsgesellschaft lagen „Asuncion",
„Mendoza", „Paulo" in Hamburg parat. „Argentina",
„Peroambuco" in Brasilien zurüdcgehalten, Nach-
richt fehlte von „S. Cruz", „C. Blanco", „Santa Rita",
„Kap Frio", „Santos", „Rio Grande". Die Ostafrika-
Linie hatte „Feldmarschall" verloren, „Kronprinz",
„Admiral", „Prinz Regent" waren nach Südamerika
ausgebogen, „Kaiser" und „Kanzler" lagen kriegsbe-
reit, dito „Ottensen", „Altona", „Augsburg" der
Australischen Gesellschaft, deren „Magdeburg",
„Berlin" später in Kopenhagen abtakeln mussten.
„Chemnitz" verloren. Von der Hamburg-Amerika-
Linic hatte man „Meteor", „Sevilla", „Schaumburg",
„Poseidon", „Hoerde", „Albingia", „Pontos",
„Moltke", „Prinz Oskar", „Gordon", die schon früher
zu Truppentransporten benutzte „Borussia", vor
allem die beiden Riesenschiife „Amerika", „Auguste
Victoria", während „Navarra", „Liberia", „Lugano",
„Abessinia", „Georgia", „Allemannia", „Laeisz", „Ga-
licia", „Pennsylvania", „Pisa", „Macedonia", „Skan-
dia", „Caledonia", „Karthago", „Armenia", „Bris-
£:avia", „Thessalia" in neutralem Gewässer sich
aufhielten und „City of Lucknow", „Teutonia", „Ra-
pallo", „Prinz Joachim", „Kronshagen" von Briten,
„Saxonia", „Barcelona", „Borva", „Artemisia", „Gra-
nada", „Antonina", „Dacia", „Rhenania", „Samba",
„St. Jan" von Franzosen gekapert. Die nach
— 424 —
neun Töchtern Woermann und Bohlen gfr
tauften Dampfer der Oceanischen Woennana-
Linie schwammen irgendwo in neutralen Wassern,
„Sommerfeld", „Solingen**, „DuisbuiBT*, „Bei-
der Australischen Gesellschaft. „Flensburg",
„Rostock", „Offenbach" widerrechtlich in AI-
bany zurückgehalten. „Weimar", „Gndsenau", „Nor
demey", „Bremen", „Frankfurt" (Lloyd), „Segovia'.
„La Plata", „Dalmatia", „Bismarck", „SchwanbuiT^.
„Bethania", „Senegambia", „Prinz Adalbert", pPrö
zess Vict. Luise" (Hamburg-Amerika), „Entrms"'
(Südamerikanische), „Harburg", „Varzin" (Austiali
sehe), „Bürgermeister", „Markgraf" (Ostafrikanh
sehe), „Lothar Bohlen", „Kurt Woermann", „Hol^
satia", „Vandalia", „Sparta", „Pallanza", „Patrida .
„Acilia", Marcomannia", „Blücher" an afrikanisd^
Küste gejagt. „Verbrenne!" „Versenke!" der einsti-
gen versiegelten Flottenordres britischer Seeräubei-
Politik erwies sich noch heut in Kraft. „Marburg.
„Bonn", „Königin Luise" (Lloyd), „Kronprinicss Ca
cilie", „Hellas", „Suthonia", „Christiania", „Hif«»Dia .
„Bulgaria**, „Batavia" (Hataburg-Amerika), „Saa
Nicolas", „Rhaetia", „Paranajua", „Birtioswalir
(Südamerikanische), hatten sich nach Walfischbai gfr
flüchtet, „Linden", „Meissen", „Bergedorf*, ,^
Sigismund", „Prinz Waldemar", „Lothringen" i^
Simpsonhafen. „Gera", „Stuttgart" in Triest intö
niert. Manche dieser Schiffe beschädigt, einige g^
strandet. „Zieten" (Lloyd) ausserdem im Ymfäit^
kanal in den Grund gebohrt. „Wittenberg'*, ,M^
— 425 —
(Lloyd), „Guabyba", „Bahia'* (Südamerika) blieben
verschollen, Reichspostdampfer „Schamhorst**, „Her-
zog** meldeten sich erst beim Friedensschluss aus
ihrem Versteck. Die Seekadettenschiffe „Charlotte",
und „Stosch** besorgten bei Nachlassen der
Blockade den Postdienst zwischen den Flotten-
stationen draussen. Da die Briten ihre Ostsee-
sperrung zuletzt ganz aufhoben, zirpte die in Kiel
reparierende, jetzt kriegsfertige, kleine „Grille" zwi-
schen Rügen und Bomholm ihr Lied.
Im allgemeinen konnte Beresford der deutschen
Marineleitung Anerkennung nicht versagen. So war
z. B. sehr richtig, dass man „Bremen**, „Panther**
von aussereuropäischer Station, wo sie verloren ge-
wesen wären, zur Nordsee berief. Station Wilhelms-
hafen und dortige Werftarbeit überwachten Konter-
admiral Wodrigimd Kapitän z. S. Poschmann fleissig.
Indessen Hess Ausfall des erst errichteten Tur-
binenboots S 125 bei Spikeroog den Schaden dieser
Anlage neben besserer Feuersicherheit, Kompass-
ruhe, leichter Bedienung, Unterhaltung, erschütte-
mngslosem Betrieb erkennen, nämlich grösseren
Kohlenverbrauch und schwierigere Stoppung bei
Rückwärtsfahrt, als bei Kolbenmaschinen. Letzteres
hatte viele britische Turbinenboote zu Fall gebracht.
Dagegen bewährte sich die eingeführte Parabellum-
Selbstladepistole (System Luger- Borchardt) beim
Kieler Gefecht.
Verstärkung der Flusssperren erreichte man, in-
dem man patentierte Erfindung der Firma Schnei-
— 426 —
der in Fulda ausnützte, den für drahtlose Tdc-
graphie geläuterten sogenannten »Fritter' zum AnffiK-
gen von Minen aus der Entfernung, ohne Benutzung
einer Leitung, zu verwenden. Durch Beebflussung
elektrischer Wellen wird die Füllmasse, das Frit-
pulver, zu einem guten Leiter und erringt unter B&
mischung von Sprengstoff, eines schlechten L&
ters, einen hohen elektrischen Widerstand, der s&
nerseits durch Einschaltung eines stärkeren deto
sehen Stroms überwunden wird. Von der Fnnkefr
gebestelle her wird nun in der entfernten Mioe
die Frittermasse glühend und zum Aufflie^ %^
bracht. Eine solche in Glut geratene Flattenuii».
offensiv aus der Eibmündung losgelassen, besda-
digte drei neu eingetroffene Reservepanzer ,J*riDce
Consort", „Princess Maud**, »»Alexandra" sdir crast
lieh. Die holde „Maud** weinte bittere salzige Led
tränen, ihre Lenzpumpen schöpften dies Danaidcfr
fass kaum aus. Dagegen erwies sich die AnnabnK
man könne vom Fesselballon den dunkeln Schatter
der Unterseeboote am hellen Meeresgrund dkcnn*
auch bei flachen Gewässern als falsch. Dazn s^
hörte ein besonders glücklicher Zufall.
Die von hundertfünfzig auf hundertacfatzig Noa
mern angeschwollenen Torpedoboote, von denen er
Drittel die Ostseehäfen bewachte, schmolzen t^
sehr. Doch machten sie bis zuletzt den Briten t^
schaffen. So sackte S 105 nachts bei stdfer Bc
unterm Bug des „Albion" weg bis zur wieder ati^
gelegten wei$sen Helgolandtonne: zerstörte dortig
— 427 —
Kohlendepot, sich selbst zur Eider durchschlagend.
£s kommt beim Torpedoboot eben alles auf die
Führung an, denn die holländischen bei Texel imd
Terschelling erlagen den britischen sofort.
Über den hohen Grad von Schlagfertigkeit, wel-
chen ihre Neuorganisation der britischen Flotte ver-
lieh, nährte man ebensowenig mehr frommen Kinder-
wahn, wie über die Möglichkeit, mit den wenigen
Kreuzern und Kapern dem britischen Seehandel hart
zusetzen zu können. Von einem „hypnotischen
Bann", wie jemand geweissagt hatte, der während
der Blockade den übermächtigen Feind in Defensive
rücken werde, merkte man auch nichts. Dagegen
trat allerdings der vorausgesehene Fall ein, dass die
Vereinigten Staaten, gestützt auf Paragraph 4 der
Pariser Konvention, die britische Blockade nicht als
effektiv betrachteten und die Schiffe unterm Ster-
nenbanner sich vom Schmuggel zu höchst ungenier-
tem Abladen von Kriegskonterbande in den deut-
schen Gewässern aufschwangen. England schwieg
still dazu, lun der im Hintergrund lauernden Gross-
macht keinen vielleicht erwünschten Zwischenfall für
Interventionsgelüste zu schaffen.
Übrigens widerlegte oder bekräftigte bisherige
Entwicklung alle früheren falschen oder richtigen
Prophezeiungen. Es war ja ein grober Buchstabe
gewesen, Landungsversuch bei Kiel, und zwar natür-
lich auf der allein angreifbaren Ostseite zu weis-
sagen, da eine tatkräftige Führung wie die britische
sich mindestens solchen Versuch nie entgehen lassen
— 428 —
würde. Ebenso selbstverständlich, dass die Biiten
von Langeland nach Hohwachtbucht die geradeste
Linie wählen würden. Aber dies alles war nur mög
lieh bei vorhergehendem Seesie^r im Belt, wie tat-
sächlich geschah, nicht wenn dieser Flottenangiifi
„abgeschlagen**, wie jener Autor es dargesteDt, iini
vor allem nicht zu Anfang des Krieges, da der Fdod
sich natürlich hütete, seine Streitkräfte zu tdkn.
ehe nicht vor der Elbe die Entscheidung fid. Ebenso
hatte ein anderer Autor nur Selbstverständliches an^
genommen, als er Besetzung von Borkum und Ems-
mündung britischerseits annahm. Denn solche Mass-
regel drängte sich schon im Hinblick auf kombiDiff-
ten britischen Angriff aus Holland auf. Aber dan£
fehlte viel, dass man sich dort bequem und ,Juik^
lieh** einrichten konnte 1 Deutsche Landtruppen und
Flussminen hatten doch auch ein Wörtchen mit
zureden. ÜberfüUtes Lager Borkum-Emden mosste
zuletzt schon an Emährungsschwierigkeit scheitta
falls eben nicht ein anderes Korps aus Holboc
die Hand reichte. Andrerseits machte ein gege:
jene anderen Autoren bissig polemisierender Se^
offizier sich nur lächerlich, wenn er Minen für ao^
reichend hielt, den Briten Eintritt in die Weser,
den Deutschen ebendort Ausfälle zu verbieten. Letz-
tere kannten die Fahrrinne genau, erstere hane:i
emsige Minensucher. Stände es so imfehlbar nct
Minengefahr, dann hätte kein Schiff je vor Port Ar
thur operieren können I Nein, mit Wehrlosigkcit voc
Bremerhaven und Weserforts hatte es seine Ricbtis-
— 429 —
keit, wohlgemerkt aber auch hier erst nach Nieder-
werfung der mobilen Streitkräfte und ohne die zer-
störten Punkte selbst behaupten zu können. Tempo
und Zeitfolge der Ereignisse waren daher
in jenen Prophezeiungen völlig verfehlt. Ganz
abgesehen vom unsinnigen Einfall des einen, die
Kanalflotte zu sofortiger Schlacht „aufsuchen" zu
wollen, oder des andern, sofortigen Torpedoangriff
gegen den vorsichtig auf hoher See operierenden
Feind vorzuspiegeln, was ersterer dann später durch
glücklichen Torpedoüberfall der britischen Ostsee-
flotte noch übertrumpfte, als ob britische Marine
weder Vorposten noch Destroyers kenne, konnte
überhaupt an Forcieren der Elbe und Weser eben-
sowenig wie an Überfall von Kiel gedacht werden,
ehe nicht deutsche Schlachtflotte tmd Helgoland
überwunden. Dass verfrühtes Bombardement von
Cuxhaven keinen Erfolg haben würde, liess sich
leicht berechnen: Beresford hätte also ein Narr
sein müssen, nüt Helgoland in Flanke und Rücken
das gefährliche Fahrwasser zu passieren, wo ihm
die deutsche Flotte übel mitspielen konnte. Andrer-
seits gebot aber Rücksicht auf Helgoland den Deut-
schen, wie schon mehrmals betont, unter allen Um-
ständen dort mit BeihUfe der wichtigen Strand-
batterien die Schlacht anzunehmen und mit die-
sem Hauptereignis endete also nicht der Ent-
scheidungskampf, sondern begann damit Dass aber
nachher Helgoland und Cuxhaven fallen müssten,
verstand sich wieder von selbst. Nur irrige Voraus-
— 430 —
Setzung über Wert von Strandbattehen konnte lu an-
derem Schlüsse führen. Ob Beresford je wirklich
an Hamburg hätte herandringen können, lässt sicli
schwer beurteilen. Jedenfalls beherrschte scmc Cui
havener Batterie die Wasserwege so weit, dass ar
aktive Verteidigung nicht zu denken war, falls jeoe
vier Kreuzer sich damals bei Schulau festgesetzt ihm!
für weiter nachfolgende noch weiter Bahn gebiodta
hätten.
Beresfords: „Schlachtschiffe sind billiger als
Krieg", auf Bankett der Navy League gesprochen in
Friedenszeit, enthielt eine Wahrheit, die Dcutsd-
land nun am eigenen Leibe erprobte. Der Landkrieg
kostete binnen vierzig Tagen über zweiemhalb Mil-
liarden, der Seekrieg sicher nicht weniger, wenn man
all seine Schädigungen in Betracht zog, vom Stocke
des Handels und sonstiger riesiger Einbusse an NV
tionalvermögen noch ganz zu schweigen. Den Fraa^
zosen kam ihr Kriegszustand zu Wasser und zs
Lande nicht billiger, zu Lande noch viel teurer zc
stehen, was bei ihrer schon früher schwebenden
enormen Nationalschuld drückender ins Gewicht ^
Die Engländer arbeiteten ohnehin sehr kostspielig,
da ihre Mannschaften besoldet werden und die Land
miliz vorläufig ganz nutzlos unter Waffen stand. H^
bilisierung und Instanderhaltung einer solchen Ri^
senflotte auf Kriegsfuss verschlingt Unsummen. N«!
kamen bald noch hinzu die schweren Veriusic ß
China tmd Afrika, welche entschieden die doitigtc
deutschen überwogen, und das naturgemässc Anr
— 431 —
saugen französischer Landesteile durch deutsche Be-
setzung. Der Verlust an lebendigem Eigentum, d. h.
an Menschen, war gleichfalls auf Seite der Alliierten
entschieden grösser, Gefangene und Versprengte ein-
gerechnet. Kein Wunder, dass die Völker den Krieg
von Herzen satt hatten.
In England freilich blieb alles beim alten wie
im tiefsten Frieden. 1. Ayr-Galloway-Volunteers
übten Scheibenschiessen im neuen Kriegshafen In-
vergordon. Manchesterregiment hielt Parade vor In-
spektor-General Duke of Connaught und Marschall
Evelyn Wood, dessen Sohn, Major in Bengalen
stehender Royalsdragoner, betrübte Briefe schrieb,
dass Royais nicht gegen Regimentchef Kaiser Wil-
helm fochten. Regiment Essex auf Malta gab einen
Ball, obschon die früheren Kameraden 4. Worcester
in Suez von achthundertfünfzig auf dreihundert Mann
schmolzen, wie der als flinke Hinde hin imd her
laufende Destroyer ,Stag* meldete. Italiens Miss-
£:eschick amüsierte, dessen Animosität gegen
Deutschland sich ja schon beim Flottenbau zeigte,
indem man lieber Armstrong als Krupp Geld ver-
dienen liess. Dass dem Unglückskreuzer „Puglia"
der Tarantowerft wieder mal 20,3 cm-Geschütze ent-
zweisprangen, machte Armstrongs schlechte Ware
nicht besser. Russlands neue Panzer ,Makarof\
, Gertzog Edinburgsky' übten friedliche Spazierfahrt
neben schwedischen Korvetten ,Freia', ,Saga' im
Sund. Nur noch Frankreich hatte respektable Flotte,
dessen Admirale Maigrot und Caillard plötzlich die
— 432 —
deutsche Küste verliessen. Hier hatte man aDes
Tourellegeschütz durch Reformen in ,räontö des
m^canismes du pointage* und ,hausses optiques* ver
bessert. Die neue vom Ordonnanzoffizier des Ma^in^
ministers, lieutenant de vaisseau Petit, erfundene U
nette versprach viel.
Britische Rekonvaleszenten ,Valiant*, ^ctive'.
wollten neurepariert sich rüstig und aktiv idgea
,Courageous', von Tauchern gehoben, ward courag«
geflickt, ,Britannia* ging völlig umgebaut mit 12- ^
6zölligen Kanonen, 76 Millimeter-Granaten nadi OsJ^
»President* mit dem neuen »B^ll^roP^on' und Sub^
marindepotkreuzer ,Bonadventure* nach Westinäcn
ab. An ihre Stelle traten, neben dem als Knsieß
wache vor Dartmouth liegenden Kreuzer ,Espieöf
die Kreuzerdamen ,Doris*, ,Hermione*, der undurcb^
dringlich gepanzerte ,Impregnable*. Obschon kleinere
Kreuzer wie ,Speedweir, ,Acheron* im deuiscba
Meer keine gute Fahrt machten und in acherontiscb«
Tiefe stürzten, hatte man noch so viele wie .Sinus.
feinen ,Hyacinth* zum Etappendienst. Rearadffi
Gamble und Gross (Devoni)ort und PortsmouthR^
serve), Superintendent Sir. A. Barry zogen Schladi'-
schiffe ,Russer, ,Cornwallis*, ,Mars*, ,Prince George
,Centurion' zusammen, wo Conunodore Tynoffi-
sein ,broad i>ennon* flattern liess, mit 40 Cardin
Colliers, Dampfer Torridge allein mit 6000 Tonne
rauchloser Kohle. Torp.-Schulschiff ,Vemon* berat
Lieb Vaterland, kannst ruhig seini
Von seinen Kolonien erfuhr Deutschland seit
lange nichts mehr. Man blieb für Ostasien auf
Nachrichten des sibirischen Telegraphen (Kabel
Nagasaki- Wladiwostok) angewiesen, der jedoch nur
Unsicheres mitteilen konnte, da die Japaner scharfe
Zensur übten und auch chiffrierte Depeschen aus
Amerika nicht mehr durchliessen. Nur der deut-
sche Gesandte in Washington bekam Kunde von
den östlichen und sonstigen Ereignissen, konnte
aber auf dem Kabel New York-Azoren nur anfangs
einiges nach den afrikanischen Kolonien berich-
ten. Als dann Anfang Juni plötzlich Krieg zwi-
schen Japan und den Vereinigten Staaten ausbrach,
hörten natürlich alle Berichte nach Europa auf, und
auch von Vigo (Azoren) liess Portugal keine Depe-
sche nach Deutsch-Afrika mehr durch. (Die letzte
besagte, dass Ninkwa und der Runhaübergang bei
Kidatu in Ostafrika noch vom Bezirksamtmann Rode
i^egen Häuptling Ameri gehalten werde.) Dieser
Kleinstaat hatte sich zwar für Kaiser Wilhelm bei
dessen Besuch begeistert, weil man für die Delagoabai
bangte, die England schon längst okkupieren wollte.
Doch an alte Vasallenschaft seit Wellingtons Zeit
Völker Europu . . . ! 28
— 434 —
demütig gewöhnt, beugte man sich jetzt den Macht
Verhältnissen und trat aus der Zone wirklicher N»
tralität gerne zu Gunsten Englands heraus, wenn es
nur nicht aktive Teilnahme am Kampfe verlangte
Ungeniert nahmen englische Schiffe auf allen por
tugiesischen Seestationen Kohlen ein, portugiesiscbe
Besatzungen in Afrika zeigten den Deutschai das
sichtbarste Übelwollen. Doch auch dies gehörte ä
schon der Vergangenheit an, Portugiesen hattesi
nichts mehr zu tun oder zu unterlassen, übefaü
vom Erdboden vertilgt. In Ademaua (Südkamöiffi/
trieben die Akwas frei ihr Unwesen, wo einst PuR
kamer, Brauchitsch, Dominik gewaltet. In Kä«»
Lukoliro, Iringa, Moragoro, Kilossa an der Ost
küste herrschte die Ruhe des Grabes. —
•
Sichere Kunde von den Vorfällen in Ostasi«
erhielt man in Deutschland sehr spät, und i^
erst nach dem plötzlichen Abschluss des Friedes»
mit Italien. Dem Kreuzer ,,Condor" gelang es näifr
lieh, von seinem Stationsort Australien zu entkonuDCE
imd in kühner abenteuerlicher Fahrt um Singapor«
herum an Ceylon vorüber den Indischen Ocean.
dann den Persischen Golf imd das Rote Mecrie
durchkreuzen, indem er bei Nacht mit gelöschteß
Lichtem an Aden vorüberfuhr, wo ein vercuiieHes
britisches Stationsschiff lag. Alle übrigen britisdie
Schiffe waren damals im Gelben Meer und vor Ja^
zusammengezogen, so dass die Gewässer bis Sofl
freilagen. Dort hatte der „Condor** anfangs die Mcff*
enge durchs Meerungeheuer „Leviathan" gcspcnt
— 435 —
gefunden. Als dies und „Suffolk" aber südlich nach
Kassala die Anker lichteten, passierte ,,Condor" bei
Nacht unbemerkt, da die von den Islamiten bedräng-
ten Garnisonen von Suez und Port Said etwas an-
deres zu tun hatten, als sich um fremde Schiffe
zu kmnmem. Durchaus unktmdig der europäischen
Ereignisse, durchlief der deutsche Kreuzer nun-
mehr die Syrte und wandte sich nach Tarent, um
das befreundete Triest zu erreichen, da man sich
bei Italien in befreundeten Gewässern glaubte. Auf
der Höhe von Brindisi angehalten, konnte man aus
dem seltsamen Betragen der Italiener nicht klug
werden, die zwar bedauerten. Einfahrt nach Triest
nicht gestatten zu können, aber sich in Höflich-
keiten erschöpften. Es war die Zeit Anfang Juli, wo
Italien nicht aus noch ein wusste. Zur Beschlag-
nahme deutscher Handelsschiffe im Triester Ha-
fen, neben „Körber" auch Touristendampfer „Thera-
pia" der Levantiner Linie, hatte der deutsche Bot-
schafter anfangs wohlweislich geschwiegen, nach den
italienischen Niederlagen aber in drohendem Tone
Rechenschaft gefordert. Dies schon aus tieferen di-
plomatischen Gründen, um Italien durch solchen
Kriegsvorwand einzuschüchtern, sollte es wegen An-
schlusses an die geheime Allianz kontra England
Schvaerigkeiten erheben. Natürlich wxurden die deut-
schen Schiffe sofort in Freiheit gesetzt, man habe
sie mit Fahrzeugen des österreichischen Lloyd ver-
-wechselt. Man erschöpfte sich in Entschuldigungen,
und Mitte Juli erhielt der unter politischer Qua-
28*
— 436 —
rantäne im Meerbusen von Tarent bewachte „Con
dor" feierlichen Besuch des italienischen Adnmals,
der sich mit vieler Devotion .als neuer Waffenbruder
des allgewaltigen Deutschland vorstellte. Der Koo-
mandant des „Condor" hatte jetzt folgendes nad
Hause zu berichten. (Er hatte übrigens noch unter
wegs den Engländern einen schweren Schaden »
gefügt. Bei Lloyds imd auf dem Marineamt in L^
don herrschte Bestürzung, dass Nachricht aus b-
dien ausblieb : die Kabelleitung Aden-Bombay ^
von „Condor" auf einige Zeit unbrauchbar gtm^
worden. Erst auf der Kabellinie Valcnda-Ainerib
erhielt man aus Batavia und Pago-Pago, ^ ^
amerikanische Kabel nach Oceanien endet, B^
schwichtigung, dass in Indien nichts Neues vorfiek
„Auf Samoa-Islands Vermessungsschiff f^
am 1. Juni umzingelt und zmn Flaggstreichen r
zwungen, Apia vom Feind besetzt. Laut Bericht de
Reichspostdam^fers ,Schamhorst\ seither gleichW^
vermisst, auch Vermessimgsschiff ,Komef bri Bcrfc
Abas im persischen Golf abgefangen. S. M. Krcuie?
,Cormoran* auf Fahrt nach Tsingtau am 28. M«
von feindlichem Panzerkreuzer eingeholt und vc:
senkt. S. M. Kreuzergeschwader (,Thetis*, ,N«*
,Undine*, »Elisabeth*, »Geier*, K. B- .Luchs'. ,1^
vor Tsingtau 4. Juni nach tapferer Gegenwdr ^
englisch-französischer Übermacht vemichteL Am?
Strandbatterien in Tsingtau zxmi Schweigen gfb^'^
Kiautschou von englischen Marinemannschafteo os
kupiert. Am 31. Mai ein englischer Truppcntra35^
437
port von der Indischen Armee in Hongkong ver-
sammelt und nach Batavia in See gegangen. Am
3. Juni holländische Flottille auf Reede von Batavia
abgetan, die Stadt von britischen Matrosen besetzt.
Aufstand der Javaner im Innern. Landimg des anglo-
indischen Truppentransports. S. M. S. ,Condor*
dort reparaturbedürftig, aus Freemantle (Südwest-
australien) in Batavia eingelaufen, von dort ent-
kommen." —
In London wusste man natürlich mehr. An-
nexion von Sawai und Upolu verlief kampflos, ob-
schon die fremden Arbeiter aus Tahiti und Neuen
Hebriden (Kanaken) in den ehemals Godefroyschen
Pflanzungen nicht übel Lust zeigten, sich auf Seite
der deutschen Behörde zu schlagen, von der sie
besser behandelt werden, als sonst von englischen
Kopra-Makers. Am Brotfruchtbaum-Hain des öst-
lichen Vorgebirgs Saluafata in Nähe von Vailili,
wo einst viele deutsche Seeleute im samoanischen
Bürgerkrieg den Tod fanden, sowie an der mit Taro-
pflanzen bestandenen Fagaloabucht musste man Gra-
naten zwischen drohende Haufen von Polynesiern
werfen, und an der steilen Südküste wollten die
rauhen kriegerischen Dörfler von Falealili, der volk-
reichsten Ortschaft nächst Apia, in Nähe der fran-
zösischen Missionsstation sich auf ein Gefecht ein-
lassen. In die Brackwassersümpfe vor Apia floss
auch einiges Blut von Deutschen und Samoanem.
Alle bedachten sich bald eines Bessern. Mit dem
„Planet" wurden hier auch der Dampfschoner „Sa-
— 438 —
moa", beim Bismarckarchipel der Lloyddampfer „Lü-
beck" (früher Sidney-Apia) gefangen.
Mit bitterm Neid blickten die Briten auf die
Hawaünseln, deren riesigen Zuckerbandel (ndist
Pulu-Pflanzenfamwolle, Baumschwämmen, Kiikn>
nussöl, Rindstalg, Perlmuscheln, gelben Federn d6'
Inselvögel) man sich so gern angeeignet hätte, da
man doch mal im Zuge war. Leider verbot Ruck-
sicht auf Amerika diese Vergnügimgsfahrt Lieb-
licher Duft der Hawaischen Blumenzucht, wo nur
die Rosen geruchlos, ward von balsamischen Lüften
Oceaniens gen Nordwesten getragen, als sollte die
Blumenliebhaberei eines andern Inselvolkes da drü-
ben auf Nipon begrüsst und eingeladen werden!
Hingegen konnte England sich nicht versaga
Aimexion von Samoa auch auf die unabhängiges
Tongainseln auszudehnen. Dem drolligen „Könige
mit seinen drei Ministem, vierzig Kanmierdeputiei
ten, fünfhundert Leibgarden, nebst dazugehörig®
Reichswappen, ward mitgeteilt, dass die sechs deci
sehen Ansiedelungen seines „Reiches" Bedenken e:
regten, daher fortan Handel mit Netzen, Körbei,
Elfenbeinschnitzerei nur noch unter oigtischc'
Flagge erlaubt sei, die man auf dem PalmU^tt
dach der hohen Kirche von Nukualofa alsbald
aufzog.
Nicht mal das bisher im Iimem gegen den tu
den Arfakstanmi unerforschte Neuguinea li^s nun
den Deutschen. Nachdem im holländischen ^^
teil das Fort Dubus und Pfahldorf Dor6 von eiti
— 439 —
gen Blue-Jackets besetzt und dem Sultan von Tidore
mitgeteilt, dass fortan Tribut von Papua-Muskat-
nüssen, Massoirinde, Paradiesvögeln an den Gou-
verneur von Queensland (gegenüberliegendes australi-
sches Festland) zu zahlen sei, nahm man Kaiser-
A^helmsland in Angriff, das allerdings im Verhält-
nis zu Holländisch- und Britischneuguinea sich schon
einer gewissen Blüte erfreut. Die deutsche Neu-
guineacompagnie mit ihren Tochtergesellschaften
„Kaiser Wilhelms-Plantagen" und „Astrolabe" hatte
uiit Tabak und Baiunwolle sehr guten Erfolg gehabt,
nutzte den Pflanzenreichtimi von Yam- und Taro-
wurzeln, Areka- und Sagopalmen, Brotfrucht-, Mus-
katnuss-, Gewürznelkenbäumen, Bambus, Ingwer, Ne-
gerhirse, Sorghum, Betelpfeffer gut aus, führte Me-
lonenbäume, Tamarinden, Limonen, ölpalmen und
europäische Gewächse, Liberiakaffee aus Java, Kaut-
schuk-, Guttapercha-, Kapokpflanzen, Maniok, Coca,
Bixa (für Farbrinde) ein. Dieser Herrlichkeit wollte
nun ein englischer Überfall ein Ende machen. Ob-
schon aber die Dampfer „Ysabel" imd „Ottilie",
Segelschiffe „Senta", „Esmeralda" und Friedrich-
wilhelmshafen selber leicht genommen wxurden, be-
kam eine Ausschiffung einem Marinepikett schlecht.
Auch grössere Landungen schickte die Schutz-
truppe, aus miokesischen Insulanern imd den we-
nigen Deutschen bestehend, mit ihren umgeänderten
Chassepots unverrichteter Sache heim. Denn die
angeworbenen viertausend Arbeiter von den deut-
schen Inseln, die weit gerechter behandelt wurden
— 440 —
als irgendwo sonst die unglücklichen Kanaken, fübl-
ten kein Bedürfnis, die Regierung zu tauschen, und
standen treu zum Landeshauptmann. So blodoerte
der britische Admiral nur die Küstenrander und
verschob ernste Okkupienmg des Pflanzergebicts auf
später, wozu ihm jedoch auch bezüglich der Salo-
monen und des Bismarckarchipels eine baldige Um*
gestaltung der Weltlage keine Zeit liess. Wie gene
hätte man die »Deutsche Handelsgesellschaft der
Südsee* und die Firma Hemsheim von Matapi ver-
drängt und der britischen Firma Forsayth auf Neu-
pommem ein Monopol unterm Union Jack versdafft
für Kopra, Tripangsäcke, Perlmutterschalen l Dod
einem raschen Streifzug gelang nur die Agentur
Mioko zu zerstören und die Gazellehalbinsel su b^
unruhigen, doch der Reichskonunissar liess sich noch
nicht von Herbertshöhe verdrängen. Auf den ii^
völlig unbesiedelten Salomonen, wo nur ein Amen-
kaner Macdonald und ein Händler der Finna Farell
eine Zeitlang die einzigen Weissen waren und nnr
ein bisschen Elfenbeinnüsse ausgeführt werden.
machte ein britischer Kreuzer der Tausendsdiiff-
bucht kurzen Besuch, dampfte dann nach den Mar
Schallinseln, wo er die deutsche Hauptstation, defl
Sitz der Jaluitgesellschaft, leicht genug bcsctttc,
da unter der Handvoll Weisser nur ein Viertd
Deutsche.
Übrigens wurden auch die wertlosen Karoöncu.
Marianen, Ladronen, wo der spanische Schiendrias
alle günstigen Keime austilgte, mit einer Besatzong
— 441 —
in Ponap^ bedacht, weil auch hier der deutsche Han-
delseinfluss tonangebend, daher zu inhibieren sei.
Französisches 2. Geschwader ,des mers de Chine'
half naiverweise beim Bewältigen der Sundainseln,
wo alle holländischen Faktoreien und deutschen Han-
delsniederlassungen auf Bomeo und Sumatra in bri-
tische Hände fielen. Französische Kameradschaft
wurde sogar für den Kleinkrieg mit den holländi-
schen Kolonialtruppen auf Java und zur Zähmimg
der Malaiensultane auf Sumatra in Anspruch ge-
nominen, das 1. Tonkinesische Infanterieregiment
treuherzig vom Gouverneur Beau (Indochina) den
Briten zur Verfügung gestellt. Die problematische
Herrschaft Hollands auf Sumatra und Bomeo wurde
so binnen einem Monat durch die beiden europäi-
schen Grossmächte erweitert. Malaien und java-
nische Mischlinge sahen sich mit trauriger Über-
raschung ganz andern Kräften gegenüber, als das
kleine Holland sie jemals aufbringen konnte, und
es wurde recht deutlich, dass die so unendlich wert-
vollen Sundainseln, von denen eigentlich nur Java
völlig Holland gehörte und deren unermessliche
Schätze im Innern noch meist ungehoben liegen,
nur in der Hand einer Grossmacht für Europa wirk-
lich auszunutzen seien. Die holländischen Mietlings-
truppen, meist Deutsche, kapitulierten, um sich nicht
den angeblich laut Multatulis Anklagebüchem so
lange gepeinigten, in Wahrheit nur tückisch treu-
losen Eingeborenen ergeben zu müssen.
Der Freude in England über diesen neuen, so
— 442 —
lange begehrten Besitz tat es auch kernen Eintrag,
dass die beiden andern Mächte des Stillen Oieaos,
Japan und Amerika, sich unterdessen in den Haaren
lagen. Es kam ja nicht unerwartet. Japan, dss
sich mit höflicher Kühle von der britischen Razsa
auf deutsche Kriegs- und Handelsschiffe fernhiei
hess alle noch nicht nach San Francisco und Panam
auf rechtzeitige chiffrierte Vorherwamung ans Ham-
burg, entronnenen Dampfer des Lloyd ruhig Ae
Jokohama entwischen, sah dem raschen ÜbeifaD ^
rührigen kleinen Kiautschougeschwaders auf ^
tisch-französische Kauffahrer (vom 20. Mai lis
2. Juni) gemütlich zu. Dass es gleich anfangs soae
ganze Flotte mobilisierte und auf Fonnosa drd 1^
sionen landete, während in Korea und den nod b^
setzten Punkten der Mandschurei eine OkkupatioQf
armee nach dem Amur hinüberschielte, als wölk
sie Russland einen Wink mit dem 2^unpfahl g^
sich nicht zu rühren, blieb den Amerikanern ^^
kein Rätsel. Der von japanischen Emissären g^
schürte erneute Aufstand der Philippinos, durdi n^
Niedermetzelung der ,Moros' samt Frauen und Kii^
dem über Yankeezivilisation belehrt, an allen Or»
der Inselgruppe zwang zu ununterbrochener Sa-
düng neuer Regimenter, doch die winzige rcgii&«
Armee der United States erwies sich v^Ug unfife
selbst unter Anschluss eines hochbezahltoi F^
willigenkorps, die nötige Aufgabe zu erfüllen. ^
verschiedenen Bestandteile der Philippinos (SpiK^
Mestizen, Neg^ritos und malaiische Ta^en) «i«
— 443 —
eins im Hass wider die Amerikaner. Von der in
letzten Jahren fieberhaft vermehrten Flotte lag nur
ein kleinerer Teil bei Manila, der grössere blieb
auffälligerweise bei Cuba, angeblich zum Schutz der
wahrlich nicht bedrohten Neutralität der atlantischen
Gewässer.
Dass die von Spanien vernachlässigten Inseln
mit ihrem Reichtum an Reis, Zucker, Manilahanf,
Manilazigarren, Kaffee, Farbholz, Fellen, Bataten,
Bananen, Mangos, Ananas, Kokospalmen, Kerbau-
büffeln, Wildschweinen, Entenzucht am Pasigfluss,
Schwalbennestern, Perlenfischerei» Kupfergruben der
Igorotten am Monte Data und Goldminen in Nord-
luzon, Tapisstoffen aus Seide, Stickereien und Matten
aus Ananasfasem, wie die Visayer sie anfertigen,
Bootzimmerei der Catalangonen, den Yankees
in die Nase stachen, begreift sich. Nicht aber die
Mischung von Gemeinheit und Dummheit, mit der
sie ihr angebliches Befreieramt als pures Ausbeu-
tungsrecht auffassten und für jeden spanischen Miss-
brauch zehn neue amerikanische einführten. Schon
die einst so berüchtigte Schreckensherrschaft der
Piraten auf den südlichen Suluinseln hätte doch vor
dem wilden Kriegerinstinkt der Malaien warnen
sollen. Auf der südlichsten Insel Mindanao setzten
die mohanmiedanischen Eingeborenen des Westens
im Kampf gegen die neuen Nordlandseindringlinge
einfach ihre altgewohnten Seeräubereien fort. Selbst
in den rechtwinklig regelmässigen Strassen von Ma-
nila waren einzelne Americanos bei Nacht kaum
— 444 —
ihres Lebens sicher, die zahlreichen Chinesen ver-
mehrten die GänmfiT» wozu noch fanatische Predig
ten gegen die nordischen Ketzer in den Jesuitea'
kirchen beitrugen. Die noch unvollendete Balut
strecke nach Dagupan ward jede Nacht Yon Insor
genten beschädigt. Den Hafen Cotabato übeifiela
Tagalen in zahlreichen Dschunken und wüteten isi
Kriss-Dolch unter amerikanischen Strandwachen.
Grössenwahn, cynische Gleichgültigkeit geg«
Menschenrechte, schrankenlose Habgier und Kw
ruption bilden eben ein so unausrottbares Gazus
im plutokratischen Milliardarunwesen der gior
reichen Vereinigten Staaten, denen allein die Zt
kunft neben dem altersschwachen Europa gebör^
dass diese pöbelhafte Pseudodemokratie des Knote
tums ihren jungen Imperialismus so zur Schau tmg:
wie ein reichgewordener Hausknecht den Grani
seigneur spielt. Diese protzigen Profitwüterichc, (fe
selbst ihre angeblich ideale Abschaffung der SkU
verei nur aus niedrigsten GeschäftskonkunenzgnX'
den in Szene setzten und denen auch die leises»
Ahnung wahren vornehmen Freiheitsgefühls i^
geht, deren vorlaute naseweise Frauenzimmer dab^
ganz logisch jedem lumpigen Adelstitel als plebci
sehe Snobs nachrennen und sidi an jeden ,,adeligec^
Auswürfling Europas verschachern, hatt«i aber aa
den Erfahrungen mit Cuba und Manila noch nicb'
genug. Nur inmier hübsch weiter die Welt befreie
Am 1. Juni erschien plötzlich Admiral Toff> ^
Bereich der Philippinen nebst grosser Transportfloc:^
— 445 —
und bemächtigte sich durch jähen Überfall einer
wichtigen Küstenstrecke auf Panay bei dem Städt-
chen Il<?IIo. Als Begründung führte Japan trocken
an, dass Formosa durch den steten Kriegszustand
auf den Philippinen beunruhigt werde und Anwesen-
heit der Flotte des Admirals Dewey eine Gefahr
für Japans Neutralität bedeute, ausserdem Genug-
tuung für Ausweisung und Misshandlung japanischer
Staatsangehöriger angemessen sei. Mit dem ganzen
Hochgefühl des zukunftstolzen Amerika lief zwar der
Sieger von San Jago dem weltberühmten Sieger
von Port Arthur und Tschuschima entgegen. Seine
Mannschaften fochten unerschrocken genug, seine
guten Geschütze modernster Konstruktion schössen
vortrefflich. „Boston**, „Princeton", „Chicago", „Mar-
blehead", das eigentliche frühere Pacificgeschwader,
„Wisconsin", „Lancaster" (früheres Flaggschiff der
American-Asiatic-Squadron) hielten sich im Zentrum
grut unter Adm. Macalla. Mit Panzern und Kreuzern
„Cleveland", „Denver", dem neuen „Ohio" (vormals
Linienschiff von neimzig Kanonen), „Alabama",
„Chattanoga", „Galveston", „Eagle", „Concord",
„Tacoma", „Ranger", „Monadnok" und anderen klei-
neren durchbrach teils Vizeadmiral Sigsby an einer
Stelle die Japaner zwischen den Inselchen Corre-
gidor, Freyle, Monja» teils suchte Rearadmiral Cjood-
rich leewards die Windflanke abzugewinnen. Vom
Commander mit goldener Laubstickerei des einge-
stickten Blatts auf der Achsel bis zum Enseign mit
der Ankerstickerei am Ärmel taten alle Offiziere ihre
— 446 —
Pflicht unterm Stemenbanner g^erade so dfrig, vi^
drüben die Gelben in der schwarzen Marineomfoim
Doch schon nach scharfem einstündigem Kampfe,
wobei die auf der Werft von Yohusuka gebaut
„Satsuma" und die in Kure verfertigte ,^" ^
die Panzerkreuzer „Ikoma" und „Tsukubo" allein r.-
sammen siebenundsechzigtausend Tonnen repräsc
tierten und die japanische neue Schiffsbaukunst ver
herrlichten, zeigte sich das japanische Frontalis
schwader, das mit Segel am Mast manÖTrierte ^
die „mittlere" Artillerie ganz abg^eschafft hatte -
sinnreiche Vereinf achimgsreform ? — , tcduusdi «
weit überlegen, dass Dewey, als ihm plötzlich durd
nahen Inselsund von Luzon das Flankengeschvader
unter Admiral Kamamura in den Rücken dampfte
vor solcher Übermacht an Zahl und Gefechts«-
schleunigst die Flucht ergriff. Ein Drittel sdrie
Geschwaders ging verloren, das übrige war so Itf^
mitgenommen, dass es seine Havarien im Panaou
kanal ausbessern ging. Japanischerseits sank ^
der „Minoshima", wie einst der „Hu^shima",dageg£^
trugen „Okinoshima" und der vormals rvsäsdi
„Tsugaru" nur leichte Verletzung davon. Umgekcfc:
schoss man der sauberen „Marblehead" ihr schönes
Haupt vom Rumpf, das leider nicht von Manuor
war, dem „Eagle" ward für immer die Schwing« ^
stutzt, der „Ohio" des Far West fand im fem«
Osten sein Grab, „Ranger" durfte nie mehr Schoss-
Range suchen I Flaggschiff „Katori" rammte ,X^
caster" nieder. (864 Mann, Capt. Sakamoto.)
— 447 —
Die Philippinen, nun völlig blockiert und iso-
liert, waren für Protektorat Japans fast ohne Schwert-
streich gewonnen, da die Amerikaner, um nicht der
grausamen Rache der Philippinos ins Garn zu lau-
fen, für freien Abzug mit eins kapitulierten. Dies
geschah am 5. Juni.
Japanische Firmen bemächtigten sich sofort des
Handels mit Manilahanf seilen, Pinatuch imd Brome-
liafasem und Pine-Apples. Zahllose Dschunken mit
den eigentümlich viereckigen halbgefärbten Segeln
füllten schon den koreanischen Kanal auf Fahrt
nach dem eroberten Archipel, durch Simosendd
Strait an Tschusimas altem Zaubereiland vorbei,
dessen mimosenumflüsterter Strand mit altersgrauen
Tempeln und Dschungeln voll bunter Pfauen sich
auf kristallklarem Wasser spiegelt. Goldbrokat, Da-
mast, Rips von Kiriu, Webereien von Kioto, die
ganze keramische und Seidenindustrie Japans über-
flutete die Phihppinen. Im altersgrauen Schloss der
Shogune unter Schiebwänden undRindendächem von
Chinokiholz kicherten die Geister der Ahnen wohl
fröhlich über solche Annexion malaiischer Brüder.
Japanische Transportschiffe mit Parlamentär-
flagge setzten am 20. die Kapitulanten in kali-
fornischer Bai ans Land, Hessen dort gleichzeitig
ein paar gewiegte Diplomaten aus Marquis Itos
Schule zurück, die in Washington dem Präsidenten
einen Besuch abstatteten. Während des WutgebrüUs
von Oregon bis Alabama über die japanische Frech«
heit und verschiedener Lynchgerichte über arme
— 448 —
der Spionage verdächtige Chinamen begann im
Weissen Hause ein geheimnisvolles Trdben.
Beim noch immer massgebenden Roosenit
gingen Senatoren ein mid aus, um geheime Bc»
tungen zu pflegen. Das noch nicht voUatisgenstete
Reservegeschwader, einige noch im Bau begrifi»
Panzer, die Strandbatterien und Minensperren bc
New Orleans und Manhattan-Bai wurden mit fid^c-
hafter Eile aus allen Beständen der Werfte crgiÄ
vollendet, bemannt, Kohlenvorräte angehäuft Ot-
zielle Notizen verschleierten zwar, dass diese Hai'
über Kopf ins Grosse hinaufgeschraubte Rästung
natürlich nur Krieg mit Japan betreffe. Aber des
britischen Botschafter fiel auf, dass der deutsd^
Gesandte sehr zufrieden aussah, dass auch in W^
poLnt eine grosse Regsamkeit herrschte und im Hsk
von Newyork Massregeln von Verteidigungsbcre:
Schaft getroffen wurden, vor allem, dass die sst
reiche japanische Flotte in rätselhafter Untätigl^
verharrte, nach einigem Hin- und Herkreuzen *ic^
im Chinesischen Meer auftauchte imd langsam ssc
wärts statt ostwärts fuhr. Das kanadische Gc'
vemment bekam Nachricht von Geheimbefdl^
an Milizen der Grenzterritorien, sich ausrücknof^^
bereit zu halten. Und währenddessen setzten f^'
setzliche imerwartete Nachrichten aus China «^
Gemüter in Spannung: die alliierten Geschwader«
belten nach London und Paris den jähen Ansbni^
einer allgemeinen chinesischen Erhebung und Free
tenaustilgung am nämlichen Tage, dem 25. ]^
— 449 —
Es war die Zeit, wo in Europa die Landentschei-
dung fiel, daher die gegenseitige Blutentziehung und
Entkräftung der weissen Teufel den höchsten Grad
erreichte. So genau und pünktlich hatten die chi-
nesischen Diplomaten in Europa mit ihrem schel-
misch feisten Unschuldslächeln nach Hause berich-
tet. Natürlich meldeten die Gesandtschaften aus
Peking nichts als korrekteste Haltung des Yamen,
dessen fester Wille jede Boxerei zu Paaren treiben
werde, übrigens herrsche völlige Ruhe in China.
Ominöse Ruhe vor dem Sturme konnten die
gesellschaftlich so reizvollen Ambassaden, die
leider ihren Beruf verfehlen, so recht gemessen,
als plötzlich die Schildwachen vor ihrem verschanzten
Viertel überfallen und niedergemacht wurden, unab-
sehbare heulende Massen tigerhaft gereizter Gelber
gegen ihre Mauern brandeten. Im Innern alle
Europäer mit bestialer Grausamkeit umbringend,
peitschten die Gelben ihre ungeheure Menschen-
woge bis zur Küste. Ein paar halbtote Flüchtlinge
aus Hankau brachten nach Shangai die Schreckens-
kunde, wo das Fremdenviertel sich sofort be-
waffnete, ebenso in Hongkong. In Kanton kam dies
schon zu spät, nur ein Teil der Fremden konnte von
englischen Marinebooten aufgenommen werden. Da
man törichterweise das Internationale Schutzkorps
in Tientsin wegen der europäischen Wirren bedeu-
tend schwächte und am liebsten ganz aufgelöst
hätte, konnte es den Gesandtschaften keine Hilfe
bringen, die nach verzweifelter Gegenwehr am
Völker Europas ... I 29
— 450 —
1. Juli erlagen. Die Gesandten selber wanderten als
Geiseln in chinesische Gefangenschaft, alles übrige
ward hingemordet. Hier gab es viele „Briefe» <&
ihn nicht erreichten"!
Auf Hilfeschrei hatte die kaiserlich chmesisdif
Regierung mit der trockenen Aufforderung geaot
wortet, sofort Befehl zur Übergabe der Taku-Fom
zu erteilen; dann werde man sehen, was sich nsi
lasse, und die Gesandten nebst ihren Familiea u
europäischen Schiffen eskortieren. Selbst wess
Stolz imd Ehrgefühl dies nicht verboten hätten, vobe
noch zweifelhaft, ob der Kommandant von Ta^
ohne ausdrückliche Weisung der heimischen R^
gierung dem Ansinnen entsprochen hätte, kanst^
man chinesische Arglist zu gut, um nicht anc:
hierin eine Falle zu vermuten. Man schlug alx
dies Anerbieten aus, auf Entsatz hoffend, da dod
die alUierten Flotten und Japan furchtbare ^^
nehmen würden. Doch das schien die Chinese
wenig zu kümmern. Statt der Boxerbanden drängt«
ein wohlexerziertes gutbewaffnetes Heer cbinesiscber
Regulären, das gleichzeitig von der Mandsdicici
und von Nanking heranrückte, die SchutztruppeDai:^
Tientsin und blockierte die Taku-Forts. Ober Kact
schon schlug eine heulende Empörerbrandung ^
sammen. Noch lagen im Hafen die Wracks derdcit
sehen Schiffe, von .^Thetis" ragten nur die Mas»
noch aus den Riffs imd Sandbänken hervor, nodi be^
fanden sich Gouverneur imd III. Seebataillon gi<^^
tenteils in englischem Gewahrsam, als Briten de^-
— 451 —
Deutsche, Eroberer und Gefangene sich gleichmässig
dem Verderben gegenübersahen. Alles kann man
den Briten als Politikern und Kriegführenden vor-
werfen, nur nicht Mangel an Energie und Mut.
Der Okkupationsposten der gelandeten Marinemann-
schaften leistete die mannhafteste Gegenwehr, auf
Antrag der Deutschen gab man ihnen die Waffen
wieder, und die europäischen Rivalen verteidigten
hier Schulter an Schulter das weiland kaiserlich
deutsche Gouvemementsgebäude und Arsenal. Sich
eine Beute von einem Wolfsrudel aus den Zähnen
reissen zu lassen, zieu;t nicht dem britischen Wap-
penleopard, der sich auch gerne Löwe taufk
Mit Volldampf kam das ganze Ostasiatische Ge-
schwader von den Sundainseln heran, seine Kano-
nen bestrichen Kiautschou landeinwärts auf weiteste
Distanz, so dass die Chinesen hier abliessen. Die
Schantungbahn, jährlich 300 000 Tonnen Frachtgüter
befördernd, und das so wertvolle Kohlenlager,
Deutschlands wertvollsten Kolonialbesitz, wollte Eng-
land jedenfalls nicht fahren lassen. Die den Jang-
tsekiang hinaufgeflüchteten Flussschiffchen „Tsing-
tau" imd „Vaterland" hatte man in Shanghai ent-
waffnet, ebenso die von Kiukiang und Tungtingsee
landeinwärts entronnenen Kanonenboote „Vorwärts",
„Tiger", „Jaguar", jetzt mussten sie dort wieder Dienst
tun, die deutschen Matrosen schlössen sich wie die
einstige Schutztruppe von Kiautschou den Briten
an, tun die Mongolen abzuwehren. Doch der An-
drang ward immer unerträglicher, die Marine-
29*
— 452 —
mannschaften reichten nicht aus, als neben den
unvollkommen armierten Volksmassen auch regs
läres chinesisches Militär mit Kanonen und Maxims
anrückte, die teils ihre Herkunft aus Deutschland,
teils aus Armstrongschen Werkstatten verrieten: sc
dunmi hatte die europäische Profitwut die Fdnk
der weissen Rasse selber mit Zerstörungsmittck
versehen.
Die chinesischen Gesandten waren plötzlich obei
Nacht aus Europa verschwunden, jeder hatte Pisse
auf verschiedenen Vorwand erhalten, alle tanchfö
in New York wieder auf und richteten unterwegs
gemeinsamen Funkspruch an England, Deutschlasd
Frankreich, des Inhalts, dass China endlich Räa^
mung seines himmlischen Reichs von europüsdier
Befleckung heische, alle abgetretenen Provirnenin-
rückverlange, jede Pachtung annulliere! Wkeniä
dies gemeint, zeigte das plötzliche Auftaudien dtf
berüchtigten Schwarzflaggen in Tonkm mit 6dxs
wahren Teipingwut, während ein andres cfainessdie
Heer von Regulären aus Nangtschang und Jännas.
japanisch gedrillt und geführt, die Einwohner tm
Indochina, längst zuvor durch japanische Agente:
bearbeitet, zu allgemeinem Aufstand reizte. Aod
Siam, alter Zankapfel zwischen England und Fias^
reich, regte sich unfreundlich, sein eupopäisdi be
fimisster König benahm sich sonderbar, der '^
Siams weissem Elefanten verkörperte Buddhagesu^^
flüsterte offenbar keine Lehre von Frieden ^
Versöhnung. Zwischen Bangkok und Rangun «^
— 453 —
tete geheimnisvolles Einvernehmen, die Prachtpago-
den von Mandale schienen das britische Residenz-
gebäude feindselig anzustarren: In Britisch-Birma
gab es plötzlich Unruhen. In Singapore hatte man
Auflauf an der Kanalkettenbrücke, wüsten Aufstand
im Chinesenviertel und überall in den Straits-Settle-
ments lärmende Malaien, die wie ausser sich ,Amok*
liefen. Denn überall in Asien schien die Stunde
der Befreiung gekommen, wie Japans Sieg über
den weissen Zaren es den Völkerschaften von Merw
bis zum Hoangho zugeflüstert. In Indien hielten
zwar die mit Victoriakreuzen gezierten Raissadars
der Gourkas, die Shikoffiziere und mit Baronet-
titeln geschmückten Radschas zum , Kaiser von Hind',
die Maharadschahs im Norden fahndeten auf japa-
nische und russische Agenten, die man aus Tibet
über den Himalaja schmuggelte, da Lord Curzons
imperialistischer Raubzug unter Oberst Yoimghus-
band die Hochländer von Lassa zu unversöhnlicher
Feindschaft aufstachelte. Einen Aufruhr in Allahabad
und Residentschaft Bombay schlug Cav. Insp. Gen.
Beatson mit eiserner Hand nieder, doch dies alles
beeinträchtigte die Fähigkeit, nach Afrika, China,
Oceanien Hilfe aus anglo-indischer Armee zu
schicken.
Das französische Geschwader hatte natürlich
nichts Eiligeres zu tun, als Saigun und Hanoi zu
bewachen, das englische bei Hongkong blieb sich
selbst überlassen, und nun kam die bitterste Ent-
täuschung. Japan, das man mit Feldzug gegen Ame-
— 454 —
rika beschäftigt wähnte, erklärte plötzlich, dass es
Chinas Forderung für berechtigt halte und keines-
falls mit Waffengewalt dagegen auftreten mcnic:
In Hongkong, wo die unpraktisch nach eng
lischem Muster gebaute Fremdenstadt die schied-
liehe Hitze nicht abwehrt und steiler Granitfels über
der Stadt in so sengender Sommerglut ungesuD(k
Miasmen aushaucht, litten die dorthin gesandten Cfy
Ion-Schützen an Ruhr, weil obendrein durch gü
tigen chinesischen Branntwein Samshu berauscbL
Die Forts von Canton (Dutch Folly, French FoBy
Red Fort, Napier) befanden sich in verwahrlostes
Zustande, nur das stärkste Fort Napier behenschte
noch die Gegend. Die alten verfallenen Bog«'
forts auf Tigerinsel am Eingang des Perlflusscs ^
melten schon von chinesischen Banden. Wie fofc
wären die Briten gewesen, wenn man noch ^
deutsche Ostasiatische Brigade im Lande gehabt
hätte ! Im alten Piraten- imd Schmugglemest Tung
shau und am tatarischen Wachttiirm von YcDow
Point blinkten allnächtlich Papierlatemen ^oo
Dschunkenflottillen, die wohlbewaffnete Boxeibandcfi
ans Land spieen. Das Opiumschiff „Lady Mai}
Wood" hatten Piraten schon überfallen und g^
plündert, die Mannschaft zu Tode gemartert. So
I
mancher chinesische Grosskaufmann imdSchmugg^
millionär, der seine amerikanischen Geschäftsfreunde
und Mitbetrüger im ,Chinesenrestaurant' v<m S^fl
Francisco opulent zu bewirten pflegte, frass seßtf
Haifischflossen, Schildkrötensteaks und Vog^
— 456 —
nester mit doppeltem schnalzenden Behagen m Aus-
sicht auf reiche Beute in Canton imd Hongkong.
Kanonenboote „Bramble", „Lapwing", „Brito-
inart", „Thistle", SIoop „Clio" vor Shanghai waren
froh, als die entwaffneten deutschen Kanonenboote
wieder in Dienst gestellt wurden. Admiral Sir Arthur
Moore hatte bisher leichtes Spiel gehabt, Despatch-
Vessel „Alacrity" meldete Sieg auf Sieg. Seinen
Schlachtschiffen „Royal Sovereign", „Malta**, „Han-
nibal" (aUe früher Malta), „Zeeland", „Goliath",
„Dominion", Kreuzern unter Vizeadmiral Poe „St. Ge-
orge", „Terrible", „Hermes" (Flaggschiff), „Inde-
fatigable", „Perseus", „Andromeda", „Vivid", „King
Alfred", „Thames", „Asträa" konnten die hollän-
dischen vom Schlage des „Graveling" vor Batavia
keinen Widerstand leisten. Jetzt aber schien es,
als ob man mehr zu tun bekonmie. Der mit dem
amerikanischen Dichter gleichnamige Sir Edgar Poe
— ein echter britischer Mann kann keinen Yankee
leiden, doch seinen Namen trägt er gern — freute
sich schon, als es hiess, man werde vielleicht mit
den Yaidcees in Bruch geraten. Australische
Kreuzereskadre „Psyche", „Pioneer", „Challenger",
„Wallaro", „Taulanga", „Äolus", „Pandora", ,,Am-
phitrite", „Amazon" u. a. zogen sich gegen Hawai
zusammen. Doch Japans Haltung veränderte alles.
Als englische Schiffe vor Taku erschienen, um die
Forts zu schützen, fanden sie dort über Nacht ja-
panische ankern, deren Haltung eine seltsam zwei-
deutige schien. Unter solchen Umständen kabelte
— 45« —
der britische Admiral nach Hause: „Dass Japans
offenbarer Verrat ihm keine Wahl lasse, als vor-
läufig Taku, Shanghai, Hongkong zu räumen, m
wenigstens Truppen und Ansiedler zu retten. Spä-
ter werde man ja blutige Rache nehmen und köone
dann auch mit Japan abrechnen, das man ^'
läufig nicht reizen dürfe. Hoffentlich beschnnke
sich dessen Niedertracht auf diese passive Umef-
Stützung Chinas 1*' £s hatte etwas Tragikomtsdies,
wie England, das doch nie an moraltschen Skru-
peln litt, jetzt die Perf idie der Mongolen als etwas
Unerhörtes vorm Richterstuhl der Geschichte ver-
klagte. Vorderhand schwieg die englische Prcse
freilich von den Gefühlen des britischen PubükuiK
gegen den lieben Alliierten in Tokio, ebenso W
kein Wort über die verdächtigen Allüren des Vetter
Sam, der einen Coup „im Stile des transatlantisdia
Meisters", wie ein beliebter Ausdruck der SchaA
weit lautet, vorzubereiten schien. In drohender Üb-
gewissheit pflegt man unwillkürlich Vogri-StraBSS«
Politik, will das Schlinmiste nicht sehen, ehe es
unabwendbare Tatsache. An die ärgste Möfi^chkeii
dachten selbst Pessimisten in London nicht. So
fuhr denn dreifache Schreckenskunde, jede uner-
warteter als die andere, wie ein Blitz zwar nicbt
aus heiterm, aber massig bewölktem Himmel nieder,
der sich über Nacht mit rabenschwarzen Wolken der
furchtbarsten je dagewesenen Gefahr bedecken sollte
Ein japanischer Marineattach^, dem wegen frü
herer kollegialer Intimitäten im preussischen Heere
— 457 —
ein Begleiten des deutschen Hauptquartiers gestat-
tet wurde — er veri^ändete sein Ehrenwort, nie
die kleinste Notiz über Truppenbewegungen nach
London zu verraten, und es konnte Deutschland
nur lieb sein, wenn man im neutralen Japan den
günstigen Stand der Dinge beim deutschen Land-
heer erfuhr — , verschwand am 10. Juli auf ge-
heinmisvolle Weise. Nun kabelte der japanische Bot-
schafter in London, bei dem ein Landsmann in Zivil
am 11. auftauchte, bis zum 13. mit Tokio hin und
her, ehe er seine gepackten Koffer an Bord einer
heimlich gemieteten amerikanischen Jacht brachte.
Der Marineattach6 hatte mit dem unvergleich-
lichen angeborenen Spionagetalent des Jap schon
Lunte gerochen, als die militärischen Operationen in
Frankreich auf eine Weise stockten, die sich nie-
mand erklären konnte. Er brachte in Erfahrung, dass
der deutsche Reichskanzler in Chaumont eintraf, wo
abseits die Delegierten der kontinentalen Mächte ver-
handelten, dass Italien und Spanien dort gleichfalls
vertreten seien. Aus dem allen zog er einen Schluss,
der in Tokio mit dem blitzschnellen Scharfblick
der Buschido-Schulung sofort gewürdigt wurde. Dies
beschleunigte den Aufbruch des schon völlig rei-
fen Geschwürs: der Verschwörung gegen das Bri-
tish Empire.
Am 15. mittags sass der Minbterrat in Downing-
street beisammen unter Zuziehung einer parlamen-
tarischen Kommission, in welcher sowohl das ein-
— 458 —
flussreichste jugendliche Mitglied der libeiaka Par-
tei, Winston Churchill, als die Führer der Oppo-
sition, Balfotir und Chamberlain, vertreten waro.
Die Häupter der Primrose-League gewannen ihreji
früheren Einfluss schon zurück, Englands Politik
stand wieder unterm Zeichen des seligen Beacoos^
field, des Primelnliebhabers imd Imperialismusgrisr
ders, der mit dem Titel ,£mpress of India' die s^
lige Victoria für seine Zwecke g^eködert und ök
Greater Britain- Victoria auf dem ganzen Eidennfl^
eingesegnet hatte.
Soeben beendete der Premier seinen lichtvoDa
Vortrag : „Der Ministerrat hat also einmütig be
schlössen, was nach meinem Gefühl dringend ge-
boten und einzig richtig, unsre abgelehnten Forde
rungen an Deutschland bedeutend zu ermissiges.
Der entscheidende Landsieg Kaiser Wilhelms nach:
ihn zimi Herrn des Kontinents, und wir müssende
schnell wie möglich mit ihm zu Rande konunöL
Anspruch auf seine Kolonien, die ja zurzdt sovcii
uns als ihm abgenonmien, gewähren wir gern, vci
ziehten auf Antwerpen, lassen ihm völlig freie Hani
auf dem Festland."
„Auch bei etwaiger Annexion von Holland ^
Belgien?" wandte Balfour missmutig ein«
„Auch danni Wie könnten wir's jetzt binden-
Darüber wird sich später schon reden lassen Tmter
neuen Konstellationen, sobald die amerikanische (^
fahr zerrann. Wir behalten natürlich die hoBifr
dischen Kolonien. Dies und die Balearen entscbir
— 459 —
digt uns vollauf, nebst langer Konkurrenzbeseitigrung
Deutschlands für Schiffahrt und Marine. Vorgestern
hat die Regierung dieses Landes denü deutschen
Reichskanzler unsre neuen Anträge gemacht, Sir
Frank Lascelies' Bericht steht noch aus. Er meldet
nur, er sei höflich, aber kühl aufgenommen. Un-
streitig wird aber Deutschland unter so günstigen
Bedingungen mit uns abschliessen, um- seine ganze
Macht zur Zermalmung Frankreichs zu ver-
wenden."
„Frankreich ist glücklicherweise noch nicht zer-
malmt, kann den Widerstand in Paris und an der
Loire noch lange fortspinnen," bemerkte Chamber-
lain trocken. „Uns soll's recht sein, wenn die Kon-
tinentalen sich noch etwas länger die Hälse brechen.
Was Italien betrifft, so ist's ja wohl finanziell rui-
niert tmd wird eiligst Frieden schliessen, obschon
sein Botschafter einen imklaren Bescheid gab, nicht
wahr?"
„Italiens Klarheit oder Unklarheit kommt nicht
in Betracht," zuckte der Kriegsminister die Achseln.
„Spanien wird vor uns wohl oder übel zu Kreuze
kriechen. Die Franzosen nehmen ihm sonst alle
marokkanischen Presidios weg, und es kann finan-
ziell Handelsabsperrung und Blockade zwischen den
Westmächten keine Woche aushalten."
„Und die Balearen? Und der spanische Na-
tionalstolz ? Sie denken wie immer sehr optimistisch,"
fiel Winston Churchill spitzig ein. „Ich warnte schon
bei Ausbruch des Krieges vor übertriebenem Opti-
— 460 —
mismus, und mindestens in vielen Punkten behielt
ich recht."
„Aber Sic rechnen nicht mit der engÜschoi
Heirat des jungen Königs," lächelte eio Minister
malitiös. Alle schmunzelten unwillkürlich. £r.g
lands Töchter, wenn ins Ausland verheiratet, \kt
ben auch dort stockenglisch bis in die Knochea
nehmen niemals die Nationalität ihres Gatten «i:k
lieh an, was ihnen im Grunde nur zur Ehre gereicb
Es wäre hübsch, wenn deutsche Frauen in ähniicbö
Fällen auch so dächten. Aber dass sogar die ix
Ausland geborenen Töchter solcher britischen Prx
zessinnenmütter gemütlich schwatzen: ,Bei uns i:
England' imd als geborene Deutsche, wenn EJt
hohen Personen des Auslands vermählt, antideutsche:
britisches Interesse vertreten, geht denn doch n
weit. „Mich interessiert weit mehr die unvcriceo
bar abtrünnige Gesinnung imsrer französischem
Alliierten."
„Ich gebe zu," räusperte sich der PrcBUt'
„dass dies nicht unbedenklich. Doch darauf warec
wir ja gefasst bei Wegnahme der Balearen bd^
eskomtierten im voraus eine neue Niederlage Fraiü
reichs gegen Deutschland, was ja auch nicht aar
blieb. Was soll denn Frankreich anfangen? ^^^
uns auch noch den Krieg erklären? Sich ^
Deutschland aussöhnen? Deutschland wird nani:
lieh demütigende Friedensbedingungen steilen, ^^
man in Paris vorderhand noch nicht annehmen bß^
Dass man nach dem Kriege uns schweren Oa^
— 461 —
bewahren wird, darauf müssen wir's ankommen
lassen. Die Herzensgefühle unsrer Nachbarn waren
diesem Lande stets gleichgültig, Gott sei Dank, auch
wird der Groll gegen Deutschland überwiegen."
„Ich teile Ihre Ansicht," pflichtete Balfour bei,
„und ich muss im Namen der Oi^x)sition jetzt der
Regierung dieses Landes ein Vertrauensvotum er-
teilen, der geschickten Leitung ein Zeugnis der
Hochachtung ausstellen. Tatsächlich haben wir
Deutschland und Frankreich beide so geschwächt,
den Alliierten so gut wie den Feind, dass wir sie
auf lange los sind. Russland ist ausser Spiel gesetzt,
jetzt bleibt nur Amerika als Stein des Anstosses
auf unserm Wege. Doch auch darüber wird er
hinwegrollen, der glorreiche Jaggemautwagen an-
gelsächsischer Weltherrschaft."
„Das sehr ehrenwerte Mitglied des Hauses
schlägt hohe Töne an," butterte Winston Churchill
seinen Verwandten spitz ab, „worin ich ihm nicht
folgen mag. Um zum Praktischen zurückzukommen:
wie steht's um Canada?"
„Hier zeigen sich natürlich die Früchte der
Manchesterschule gegen meine Schutzzolltheorie,"
ritt Chamberlain sein altes Steckenpferd. „Die dor-
tige Missstimmung der Kolonie — "
„Ich bitte, Sie unterbrechen zu dürfen I" rief
der Premier scharf. „Ist dies der Augenblick, um
in die alte Finanzdebatte einzutreten? Nur die nüli-
tärischen Autoritäten dieses Landes haben heut das
Wort."
— 462 —
„Canada ist durch Truppensendung gesidert,"
betonte der Kriegsminister. „Natürlich müssten lir
grössere Anstrengungen machen, wenn die Union
ihr Milizsystem ausbeutet wie beim Seiesaonskneg^
Doch wird die Flotte auch hier den Ausschlag gcbta
Würde man es darauf ankonmien lassen, dass rlr
die Häfen von Baltimore und New Oricans &
sammenschiessen» den Panamakanal zerstören? N^^
glaube ich nicht an ernstliche Böswilligkeit Anci^
kas. Wenn aber, dann um so besser. Ergreifen *t^
die günstige Gelegenheit, dem Panama-Spektakel e2
Ende zu machen, durdi den sich Amerika als Viä
macht etabliert und proklamiert 1'*
„Ich habe den Admiralen unsrer drei Gesdi«>
der im German Ocean schon versiegelte Brfdjlc
zugehen lassen, die ein Vereinen der schon langsam
dislozierten Flotte auf Höhe der Sheüands is
Auge fasst, um eventuell den Angriff gegen Nf
york zu eröffnen," verlautbarte sich der Leiter de
Marine-Departements gewichtig. „Unser Mittelmft-
geschwader wird endlich vereint die Suezenge fr»
legen, Alexandria befreien. Sofort nach Tnti^
schluss mit Deutschland werden auch die freiwcrd«5^
den Truppentransporte dorthin abgehen."
Es klopfte, ein Schriftstück mit amtlicbcm s»^
gel ward überreicht, das der Premier mit ernste
Miene durchflog.
„Und Japan?" fragte Churchill unterdessei
„Was droht von dort?"
„Gar nichts. Was Sie nur immer mit ]^
— 463 —
haben I" fuhr Balfour auf, unter dessen Amtszeit die
japanische Allianz fiel und der sich dafür verantwort-
lich fühlte. „Ich gebe zu, dass sich nicht jede Hoff-
nung erfüllt, die wir daraiif setzten. Doch Solidari-
tät der gelben Rasse war ja vorauszusehen. Wir
werden später darauf zurückkommen, ob Japan nicht
eine derbe Lektion verdient. Zurzeit aber nützt es
uns prächtig als Bundesgenosse gegen Amerika, das
von Westen und Osten erdrückt wird. Ich wünschte,
es wäre schon so weit und die Union hätte sich
erklärt."
Der Premier erhob sein Haupt. „Dies Vergnü-
gren können Sie haben. Der amerikanische Gesandte
erfreut uns mit folgender Note." Und er las ein
längeres Schriftstück vor, voll verlogener Klagen
über Schädigung des Weltmeerverkehrs durch diesen
grausamen Krieg, der auch das humane Gefühl der
amerikanischen Bevölkerung tief verletze und im
übrigen eine konunerzielle Stockung jenseits des
Ozeans herbeiführe. Ausserdem bedrohe Vernich-
tung der deutschen Seemacht das allgemeine Gleich-
g^ewicht zur See. Um Kompensation zu erlangen,
sehe man sich daher gezwungen, wenigstens zu
Hause reinen Tisch zu machen und die Monroe-
doktrin in vollem Masse durchzuführen. Eine Bot-
schaft des Präsidenten auf Senatsbeschluss habe Mo-
bilisierung der Flotte und Einberufung aller Mi-
lizen verfügt und fordere England auf, Canada und
die Antillen zu räumen, widrigenfalls Amerika binnen
drei Tagen die Okkupation beginnen werde.
— 464 —
Ein Aufschrei der Entrüstung beantwortete diese
Unverschämtheit. „Keine Kriegserklärung, nichts er
widern I Den japanischen Botschafter sofort is
Kenntnis setzen, um gemeinsamen Kriegsplan lu I^
raten I" drängten sich die Vorschläge.
„Vor allem sofort sich mit Deutschland m
ständigen 1 Womöglich noch weiter mit Bedingongc
henmtergehenl Damit nur völlig Transpoitflocß
imd Kriegsflotte parat sindT'
Aber nach einer Stunde, während die Telepbcg
klingeln ununterbrochen anschlugen und alle Vc:
kehrungen in die Wege geleitet wurden, lief eb
Depesche ein, die der Premier zornig aus der Hasi
warf: „Der japanische Botschafter, auffalligerwcs^
in hoher See, setzt sich mit mir per Harconisdic
Apparat in Verbindung: Friedensschluss mit Ainerb
für Abtretung der Philippinen! Auch diese Hn-
zu Wasser geworden!"
„Und auch hier sage ich: um so besser!" Bai
four sprang ungestüm auf. „So behalten wir frae
Hand für nachherige Abrechnimg mit diesen p^
f iden tückischen Gelbhäuten. Die gelbe Ge^ ^
len sie uns bezahlen I" Aber der bittre Kelch g^
noch nicht zur Neige. Abermals nach dner Süs^'
erhielten der Kolonial- und Marineminister D^
sehen aus dem fernen Osten, die sie anfznckzs
machten. Nach Austausch der verhäognisv^
Blätter sahen sie sich mit finsterm Schweigen a&
die anderen Herren sahen betroffen auf sie.
„Ich bedaure, den sehr ehrenwerten Gentle»*
— 465 —
mitteilen zu müssen," brach der Kolonialminister mit
gepresster Stimme das Schweigen, „dass die japa-
nische Regierung imser Ostasiatisches Geschwader
wissen liess, dass sie weitere Beunruhigung des
Stillen Ozeans im Interesse der Schiffahrt nicht
dulden könne und daher für alle Fälle Java be-
setzen werde."
Diese hochgradige Frechheit hinimterzuwürgen,
war freilich für den Britenstolz eine bittere Pille.
„Sie haben Glück mit Ihren Zukunftshoffnungen I'*
nickte Mr. Winston hämisch Balfour zu. „Rechnen
wir also schon jetzt ab! Aber wie? Sind wir denn
Japan gewachsen, wenn es Truppenmassen landet?"
„Sie scheinen sich über das Unglück Ihres Lan-
des zu freuen I" wehrte Balfour barsch ab. „Im
übrigen muss Frankreich dort seiner Bundespflicht
genügen, schon im eigensten Interesse seiner asiati-
schen Besitztümer, wider Japans Unersättlichkeit."
Es schien, als schwebe dem jüngeren Parla-
mentarier ein beissender Witz auf der Zunge, da der
Begriff Unersättlichkeit im Munde eines britischen
Imperialisten eines rührenden Beigeschmacks nicht
entbehrt. Doch er imterdrückte seine Heiterkeit,
sagte fest und bestimmt: „Dies sind Lagen, die
alle Briten, welcher Partei und Meinung auch immer.
zu einigem Zusammenhalten zwingen. Selbstverständ-
lich darf von Nachgeben keine Rede sein, imser
Prestige steht auf dem Spiel. Ich werde im Haus
der Gemeinen das Wort ergreifen in diesem Sinne.
Alles kommt jetzt darauf an, mit Deutschland han-
Völker Europaa ... 1 30
— 466 —
delseins zu werden. Dann mögen Japan und Ame-
rika sich beide in acht nehmen. Auch um Ägypten
ist mir nicht bange, und wenn Deutschland er-
ledigt, werden auch Frankreich und Spanien v^
gen der Balearen nicht mucksen. Wo bleibt deon
Sir Lascelles ? £r hätte doch längst Bescheid bric^
gen sollen.'*
Als die fieberhafte Unruhe des Premienninisters
über Ausbleiben jeder Nachricht ihren Gipfel er
reichte, atmete er hoch auf: die erwartete DepesdK
traf ein, von ungemeinem Umfang. £r las, ent
färbte sich, sank totenbleich in den Sessel zurück und
starrte seine Kollegen mit hohlen Augen an, ^
ihm beisprangen, einen Ohnmachtsanfall befürch
tend. Aber der Minister ermannte sich, stand auf üdc
sagte leise und gemessen : „Das Haus tagt soeben
Wollen Sie gütigst telephonisch ankündigen, ^^
die Regiertmg eine Mitteilung von ungewöhnliche'
Tragweite zu machen hat." . . .
Das Parlament füllte seine Bänke sehr vc-
zählig. Die .Einpeitscher* (Whippers-in), die s(»s:
nur bei wichtigen Abstimmungen ihr VertraucDsans
besorgen, möglichst viel Mitglieder zur Stelle ß
schaffen, hatten diesmal Erfolg gehabt. Mit ateo-
loser Spannung lauschte das Haus zuerst der &■
■
regten Auseinandersetzung des Kolonialministers, a^
dessen Ressort die Fragen Canada und Java ßdö-
über Amerikas und Japans unerhörte PratensioDcs.
Dann erhob sich der Staatssekretär und sprach 20
eintönig tonloser Stimme:
»J"'
467
»Den ehrenwerten Mitgliedern wird das Sprich-
wort bekannt sein : Ein Unglück kommt nicht allein.
Ich habe die Ehre, diesem hohen Hause das AUer-
schwerste zu unterbreiten. Unser soeben von
Deutschland abgereister Unterhändler teilte vorhin
mit, dass in sämtlichen Hauptstädten Europas heut
morgen Extrablätter amtlich verbreitet werden, mit
dem Text folgenden vollzogenen Vertrages." Er
las aus der Depesche ab:
„I. § 1. Die Regierungen von Deutschland,
Frankreich, Österreich, Italien, Spanien, Holland,
Belgien, Schweiz verbanden sich zu einer unkünd-
baren, unverbrüchlichen, unteilbaren Allianz in der
Form einer gemeinsamen Zollunion unter dem Titel
„E uropäischer Bun d".
§ 2. Die besagten Staaten garantieren sich ihren
gegenseitigen Besitzstand gegen jede Einmischung
des Auslands, nur mit Modifizierung durch folgende
neue Verträge.
II. Der Friede zwischen dem Deutschen Reich
und Frankreich ist derart geschlossen:
§ 1. Frankreich erkennt nochmals und ein für
allemal die Grundlagen des Frankfurter Friedens an,
verzichtetauf jeden Einwand ausdrücklich und formell.
§ 2. Es erklärt sich mit allen sonstigen Ver-
änderungen und Erwerbungen einverstanden, die
Deutschland für gut befinden wird, und zahlt eine
Kriegsentschädigung von 5 Milliarden, ausserdem
von 1 Milliarde an die Schweiz zur Ausgleichung
der Neutralitätsverletzung.
3o*
— 468 —
§ 3. Hierfür garantiert Deutschland das kok>
niale Territorium Frankreichs in vollem Bestände
und Einsetzung einer französischen kommenielie:i
und politischen Verwaltung in Ägypten und Nubiei
III. Der Friede zwischen Österreich und ItalicE
ist derart geschlossen:
§ 1. Italien erkennt ein für allemal das öste:
reichische Besitzrecht auf Triest, Fiume, Gorz,Istii«r.
Dalmatien an und zahlt eine Milliarde Kriegsect
Schädigung.
§ 2. Es räumt den Kanton Tessin und zai!:
300 Millionen Entschädigung an die Schwcii. D^
gleichen 200 Millionen an die Türkei und venichte:
ausdrücklich auf Albanien.
§ 3. Dagegen übergibt Österreich, um bered
tigten alten Aspirationen Rechnimg zu tragen und de
imerquickliches Streitobjekt aus der Welt ru sclui
fen, an Italien den italienischen Teil von Südtirc-.
nämlich den Bezirk von Riva und die Bistöinff
Trident und Brixen.
§ 4. Die Kolonie Eritrea (Massaua) wird Italic
garantiert und ihm Kassala, sowie Tripolis in er
weitertem Umfang als neuer Besitzstand zo|^
sprochen.
IV. Der ^Europäische Bund* vereinbarte mit ^^
Hohen Pforte:
§ 1. Ägypten tritt unter die legitime Souvfias-'
tat Sr. Majestät des Sultans ziuiick, jedoch unter
Massgabe des französischen Einflusses. Ausser dtf
kaiserlich osmanischen Truppen haben die fr^
j
— 469 —
zösischen das Recht, bei allen Wirren in Nord-
afrika das Niltal zu durchziehen oder zu besetzen.
Kartum und die Zitadelle von Kairo erhalten fran-
zösische Besatzung, desgleichen der Bezirk des Suez-
kanals. Alexandria als Bundeshafen für die Ge-
samtinteressen der Europäischen Union wird von
französischen und türkischen Truppen gleichmäs-
sig besetzt.
§ 2. Albanien und Thessalien werden der Tür-
kei garantiert. Dagegen tritt sie ganz Mazedonien
mit Saloniki an Osterreich ab.
§ 3. Die Dardanellen stehen unter Protek-
torat des »Europäischen Bundes', der sowohl Pera
und Galata als den Bosporus als extraterritoriales
Bundesgebiet übernimmt. Die türkische Schiffahrt
untersteht dem Tarif der Europäischen Zollunion,
die ihre Douane im Hafen von Smyrna auf-
schlägt.
§ 4. Die deutsche Bagdadbahn und die Mekka-
bahn werden unter Beaufsichtigung des Deutschen
Reichs mit Aufbietung aller Kräfte gefördert.
Deutschland erhält einen Kohlenhafen auf Kreta,
einen auf Rhodus, Frankreich einen solchen an
der syrischen Küste. Der gesamte sonstige Be-
sitzstand des osmanischen Reiches wird von dem
»Europäischen Bund' garantiert.
V. Frankreich befindet sich im Friedenszustand
mit Marokko unter Vemüttlung Sr. Majestät des
deutschen Kaisers. Casablanca und Mogador wer-
den deutsche Stationen, die kommerzielle Interessen-
— 470 —
Sphäre fällt an Frankreich und Deutschland lu gi«
chen Teilen.
VI. Diese Verbindlichkeiten zu erfüllen, vti
pflichten sich aUe Kontrahenten, wenn es sein mus
mit Waffengewalt. Sollte durch Einspruch andere
Mächte dieser Fall eintreten, so behalten die hohes
Kontrahenten sich vor, obigen Garantien des ef>
gen Friedens und einer gesunden RechtsordnuDg
in Europa einige Erweiterungen hinzuzufügen." -
Der Minister hatte geendet, düstere Stille >
gerte über der Versammlung. Chamberlain hat d«
Sprecher ums Wort.
„Es braucht kaum gesagt zu werden, Mt
Speaker, dass diese sogenannte Allianz, wobd Eng
lands Alliierter sich über seinen Kopf weg ^■
dessen Feind verbündet, ganz einfach Koalition g^
gen England bedeutet. Da hätten wir sie also
die äusserste Gefahr, von welcher so lange schwan-
sehende Patrioten geträumt, deren Verhinderung sei
einem halben Jahrhundert das Werk unserer F^
litik. Und mehr als europäische, eine Weltkoabiio=
bedroht uns, wie niemand je sie ahnte. Ich n»i
heut nicht untersuchen, ob Englands frühere js^'
zende Isolierung* uns vor dieser abschüssigen Balc
behütet hätte. Vom Standpunkte der Opposition -
Zurufe : „Die uns gerade das französische Bön*
nis und den Angriff auf Deutschland bescherte
„Ganz recht, ich will unsern Fehler nicht ^
schönigen, wenn es ein Fehler ist. Aber die !§'>
lierung hätte andrerseits wohl auch solche Kca^^
— 471 —
tion beschleunigt unter Beitritt Russlands, weil es
sich eben hier um unversöhnliche Interessengegen-
sätze handelt. England muss gross sein wie das alte
Rom, oder es kann gar nicht sein. Bisher ging ja
alles gut, unsere Meerherrschaft ist stärker denn
je, wertvolle Neuerwerbungen sind gewonnen. Die
Eingeborenenbewegung in Nordafrika und China
Hess sich nicht voraussehen — "
Zurufe: „O doch, wenn man europäische Hän-
del anfingt"
„Ich spreche hier lediglich als früherer Kolo-
nialminister, dem man ja auch vorwarf, die Frei-
staaten am Oranjeriver dem britischen Zepter un-
terworfen zu haben. Nun, ich bin stolz darauf — "
Zurufe: „Wir schmecken die Früchte 1"
„Und beglückwünsche meine Nachfolger zu
ihrem patriotischen Schachzug gegen Sundainseln
und Balearen. Heut glaubt Europa uns schachmatt
zu setzen. Ich mache das Haus aufmerksam auf
die deutUche Drohung im Schlusspassus dieses er-
staunlichen Schriftstücks, dessen politischer Meister-
schaft ich übrigens meine Bewimderung nicht ver-
sagen kann. Das sogenannte .Garantieren' läuft hier
auf souveränes Schalten und Walten mit fremdem
Kigentum hinaus. Mit Ägypten springt man um wie
mit herrenlosem Gut. Immerhin könnte man darauf
eingehen, wenn wir nur Alexandria imd Suez behal-
ten. Mich tröstet, dass von den Simdainseln ge-
schwiegen wird. Gleichviel! Einer so wohlüber-
legten Naivität gegenüber gibt es nur eine Taktik:
— 472 —
den Ball auffangen und zurückschleudem wie bdm
Fussballspiel. Übrigens wird nichts so häss g^
gessen wie gekocht. Vielleicht lasst sich Dod Se
paratabkommen mit Kaiser Wilhelm treffen. Mdce
Motion geht dahin, sofort gegen diese NeugrönduDg
Protest einzulegen und vor allem zuerst Italien dnrcb
kräftigen Hieb zur Besinnung zu bringen. Eine Euro-
päische Union ohne England ist kein Europa mehr.
sondern ein Fabrikat ,in Deutschland gemacht', ^i:
müssen Aufnahme in den Bund verlangen. Das
übrige findet sich." Wohl erhob sich Beifall, docb
von den Bänken der Arbeiterpartei, der Radikal«
imd Iren erscholl Murren: „Sie wollen uns ia
neuen Krieg stürzen. Die Industrie leidet sdwo
lange genug."
Der Vertreter von Bradford bat unis Wort:
„Meine Wähler haben mir das Mandat erteilt, ia
ihrem Namen auf Einstellung der Feindseligiaiiäa
gegen Deutschland zu dringen. Die sogenannte Kod^
kurrenz ist nur wohltätiger Umsatz von Tausch»«
ten. Unsre Bradforder Garn-Manufaktur und die
ganze Textilindustrie weiss davon ein Lied »i
singen."
Arbeiterführer Fenwick rief zwischen die im Lä^
des Hauses unverständlich werdende Rede hineo'
„Und die zunehmende Arbeitslosigkeit ? Das Stocken
vieler Branchen, weil unser deutscher Export feh^^'
Und das Steigen aller Lebensmittel durch Import-
mangel und Profitauf schlag der Yankees? Frieto
Frieden I"
— 473 —
Der Attomey - General begann Auseinander-
setzung, dass Frankreich kontraktbrüchig und sein
Vertrag null und nichtig sei, weil es der Präzedenz
seiner Verpflichtung gegen England nicht gedacht.
Doch das Geschwätz ging in allgemeinem Lärm
und Gelächter unter, so dass der Premier unter-
brach: „Mein gelehrter Freimd sollte den juristi-
schen Standpunkt fallen lassen.'*
Da erhob sich Balfour : „Die ehrenwerten Gentle-
men, die soeben gesprochen, müssen nicht glauben,
dass wir kein Herz für die Leiden der gewerb-
treibenden Bevölkenmg haben. Wir sind ein Volk
von Handelsleuten und handeln danach, richten uns
danach. Aber gerade deshalb müssen wir auf dem
betretenen Wege fortfahren. Ganz richtig ist von
Ausnutzung unsrer Notlage durch Amerika ge-
redet worden. Um so mehr müssen wir uns mit
bewaffneter Hand dagegen verwahren, dass unsre
Handelssuprematie, nachdem wir Deutschland ge-
dämpft, durch Amerika vollends in die Brüche geht.
Bisher hatten nur Amerika und Japan kommerziellen
Vorteil von diesem kurzen Kriege, wir müssen auch
hierin das Verlorene mit Gewalt zurückerobern. Nur
ein Verräter kann die amerikanische Drohimg ver-
söhnhch diskutieren, doch auch von schweigendem
Verschlucken der japanischen Insulte kann keine
Rede sein. Die Leute meinen es ernst, diplomati-
sche Erörterung würde unnütz Zeit vertrödeln. Ich
stimme für schärfste Ablehnung solcher unerhörten
Zumutung, dagegen für nochmaligen Versuch bei
— 474 —
Kaiser Wilhelm, auf erträglichen Friedenshiss m
Europa zu kommen, ohne unser Prestige leistöre
zu müssen. Die Idee meines ehrenwertoi Freun
des Chamberlain entspricht auch meinen Intaitk^
nen. Verhandeln wir über die Balearea und Djc-
teilung Ägyptens ! Sonst bleiben wir fest und w«dje
keinen Fussbreit!"
Kaum aber legte sich der Beifallssturm ^
diesen Worten, als sich Winston ChurdriB crhcc^
sein Monokle eingeklenunt und nonchalant wie i^
mer. Unmutig stiessen die Oppositionellen ad ^
einige Iren und Radikale begrüssten ihn wann.
„Ich bedaure, mit dem sehr ehrenwcrteß ^'^
redner nicht übereinstimmen zu können/* (Beö-
bei der äussersten Linken, ironische Zurufe derb^
servativen Opposition: „NatürHch nicht I KanniE:-
denken! Nur inmier hübsch das Gegenteil sage*
Eine imdeutliche Stimme näselte vemehmbai
„Das ist ein Mann, der das Reich ins ^^
derben brachte, voll christlichem Mitldd ftr g^-
Johannesburger Kulis I") „Mn Balfour spricht^-
Verhandeln und Ausgleich, von scharfer Ablehacn:
und derlei diplomatischen Künsten. Doch idi nis5-
sagen, zum Manövrieren ist nicht mehr Zeit, sf<^
dem zum Handeln auf Tod und Leben." (T*^
Stille. Vereinzelte Cheers, Aufhorchen der Kcoj^'
vativen.) „Der Edle Lord, der ims das AktensrJ?:^
vorlas, scheint nicht allen deutlich vcmehmter r
wesen zu sein, und das hochehrenwerte MitgW^-
Birmingham, das so treffend diese geniale Macte*
— 475 —
tion als ein Meisterstück bezeichnete, dürfte den
vollen Sinn nicht begriffen haben." (Lautes „hört,
hörtl" auf allen Bänken.) „Sehen Sie sich die ein-
zelnen Teile näher an, so bedeutet dies nichts an-
deres als Ausschliessung Englands vom Schwarzen
und Mittelmeer, Sperrung der Suezroute für In-
dien. Das sogenannte ,Garantieren' heisst nichts
anderes, als dass man Balearen und Sundainseln
unter allen Umständen uns nicht etwa abhandeln,
sondern abnehmen will. Ich teile nicht den Trost,
dass von den Simdainseln nicht die Rede sei. Das
ist im Tenor der Abmachungen schon impliziert:
, Besitzstand*! Antrag um Aufnahme in den ,Bund'
würde nur als Sprengungsversuch ausgelegt werden.
Ich verspreche mir gar nichts davon, denn man will
England ausschliessen. Die Benutzung der Türkei,
um ims in Vorderasien jeden Einfluss abzuschnei-
den, und die schon betonte Manier, Ägypten zu ver-
schachern, die unser berühmtes Mitglied für Bir-
mingham sehr richtig als souverän bezeichnete, lässt
klar erkennen, dass es dem »Europäischen Bund*
überhaupt nicht ums Verhandeln zu tun ist. Die
Zukunftsdrohung am Schlüsse, wenn wir uns nicht
gutwillig fügen, kann alles mögliche meinen: Malta,
Cypem, was weiss ichl Das Ganze ist eine plan-
mässige Insulte, ein Schlag ins Gesicht, ein An-
spucken 1" (Tobender Applaus bei den Konservativen,
Zustimmung bei den Liberalen, Schweigen bei den
Radikalen, Unruhe bei den Iren.) „Dass Europa von
dem gleichzeitigen Attentat der Transatlantier und
— 476 —
Ostasiaten Kenntnis hatte, wie vielleicht einige arg
wohnen, glaube ich nicht. Um so verfänglicher die
schon von Mr. Chamberlain hervorgehobene Dn>
hung am Schlüsse, werm irgendwer gegen solche
Paragraphen d. h. Beraubung Englands etwas diixs^
wenden habe. Von diplomatischen Schritten t-e-
Kaiser WilheUn sehe ich nichts ak DemütigiSj
voraus, denn man hat dort keinen guten W^-
zum Frieden. Und den Passus, dass Frankrei-
allen Neuerwerbungen Deutschlands bebtiin»
deute ich mir sogar bezüglich Südafrikas. Dff?
lehrte Herr Attomey-General sprach uns von 'y^
schem Recht, doch selbst moralisches Recht gut nii-
im Völkerleben. Ich komme daher zum Schlüsse, ö^
der sogenannte Europäbche Bund gar kdnc Defe
sive, sondern Offensive beabsichtigt, sich auch c
Ägypten und Rückgabe der Balearen und Sia-*
inseln nicht begnügen würde, sondern uns do^^
solche Insulte zmn Kampfe reizen will. Nunw)-
sie soUen ihn haben!" (Wüder Beifall. DerRedn^'
steht kühl und unbewegt.) „Ich war für Tempons:^
ren, so lange es möglich. Jetzt ist's zu spat, y—
Integrität unsres Reiches, sondern Sein oder N.o
sein steht auf dem Spiel. Noch beherrscht e<'
Flotte das Meer, Truppentransporte nach Kapso^
und Quebec, Suez und Gibraltar sind nur ^^
Frage der Zeit. Ich beantrage, durch ausscrordes:
liehe BUl die gesamte Müiz von GrossbritaBßJ«
auszuheben und unter gleichzeitigem Flotfcnaßs-
an Europa, Amerika, Japan den Krieg ta erkUr*
— 477 —
Auch Russland ist von diesen Vereinigten Staaten
von Europa ausgeschlossen, als Dank für seine laue
Hinterhältigkeit: £s macht vielleicht mit uns ge-
meinsame Sache. Doch auch allein ist England
stark genug, um einer Welt in Waffen die Stirn zu
bieten. Auf imsrer Insel kommt uns niemand bei,
unsre Flotte ist immer noch stark genug, um die
getrennten Flotten der Feinde niederzuhalten. De-
fensiv gegen Japan, offensiv gegen Amerika imd
Frankreich, Deutschland kann uns nichts mehr scha-
den. Meine Herren, ich lege Ihnen allen ans Herz:
nicht nur unsre Würde gebietet, der Provokation
nicht mit schwächlichem Zögern, sondern unbeug-
samem Stolz zu begegnen, sondern auch unsre Zu-
kunft und Sicherheit. Es ist ein Aufwaschen: früher
oder später hätten wir doch einmal mit Amerika
imd Frankreich zu tun bekommen, geschweige mit
den Japs. Wir werden es ihnen allen besorgen I
Heut, wo wir auf der Höhe unsrer Macht stehen,
Deutschland zur See und Russland für Indien nicht
zu fürchten haben, kann eine letzte gewaltige An-
strengung uns für immer aller Feinde entledigen.
Australien und Canada werden in dieser Not ihr
Mutterland nicht vergessen, die ganze jahrtausend-
lange Kraft dieses Landes muss sich zusammenraffen.
Meine Herren, erklären Sie auf der Stelle imsem
übermütigen Bedräuem den Krieg I"
Rasender Beifall, Schreien, Stampfen, Hüte-
schwenken, Stöckeschwingen. Der Sprecher befahl
die Abstimmung. „Division, Division I" (Abstim-
— 478 —
muns:!) schrie es durch alle Gänge des Hauses,
ob vielleicht noch ein verspätetes Mitglied fehlt
Man hat dies Parlament oft recht unzeitgemäss mi:
dem römischen Senat verglichen, heut gab es wci-
lieh eine Ähnlichkeit. Jeder dieser Manner fühlte.
dass diese schwere Stunde manche Verschuldung
und Ungebühr der Vergangenheit strafe, aber da»
man nüt britischem Starrkopf die Sünden der L*
Oberergeschichte tragen und nie irrewerden den«?
an Englands historischer Rolle. Hannibal tot des
Toren? Ceterum censeo, Carthaginem esse delc-
dam I Mit allen Stinmien gegen einige der Iren er
klärte Englands Reichstag zur Verteidigung seiD&'
Grösse an alle Welt den Krieg.
Sofort nach Abschluss der Europaischen Vi»''
ward der Sultan Abdul Hamid verständigt, dass e
sich dem Bündnis anzuschliessen und danach ß
halten habe. Wiedereinsetzung des Kbedivc unter
türkischer Souzeränität ward ihm zugestandeOf ^
gegen habe er an Stelle der Briten nunmehr ^
Franzosen als europäische Schutzherren des N^
tals anzuerkennen, ihnen die spätere Neuvcrwaltoai
zu übertragen. Gegen Persien, das unter heimiid»^
Anstiftung Russlands einen schiitischen Glaubecs^
krieg gegen Mesopotamien begann und seine Kuri*
als Wüteriche hausen Hess, ward dem Sultan glo^
zeitig Hilfe zugesagt, der Schah verwarnt, dass ff
sofort Entschädigung zahlen und für Veigci«^
räubereien türkischer Baschibozuks keine fordet
— 479 —
dürfe. Ebenso ward dem Sultan Albanien erneut
garantiert, ihm sonst promi>te Ausfühnmg der Oster-
reich zugesprochenen Gebietsabtretung anempfohlen.
Seine Armee in Ägypten und seinen Einfluss habe er
sofort einzusetzen, um die Ruhe in Französisch-
Afrika wiederherzustellen. Letzteres, mit allem übri-
gen einverstanden, fiel dem Sultan sehr sauer. Doch
die Erwägung, dass weitere Ausbreitung des Mah-
dismus imd dauerndes Festsetzen der wilden Wüsten-
stänune an der ganzen Küste und womöglich im
Niltal selber sein eigenes Prestige schmälere imd
wirklichen Wiedergewinn von Ägypten in Frage
stelle, bestimmte ihn denn doch, als oberster Kalif
der Gläubigen sofortige Rückkehr der Sudanhorden
in ihre heisse Heimat zu befehlen. Die Giaum seien
nun von Allah genug gezüchtigt, der in seiner un-
endhchen Barmherzigkeit weiteren Gnadenaufschub
gewähre. Berennung von Alexandria werde sein
Ghazi (Marschall) Muktar allein übernehmen.
Das war natürlich in den Wind gesprochen
für diese Horden, die wie die gefürchteten Heu-
schreckenschwärme Algiers die Küste bedeckten.
Der Mullah, des Islam afrikanischer Papst, der
grünbeturbante Scheich der Wüste, umgeben von Se-
nussi-Priestem, stieg inmitten einer unermesslichen
Horde von seinem Kamel, breitete sein Lammfell
als Gebetsteppich gen Mekka zum heiligen Kaaba-
stein und belehrte alle Rechtgläubigen, dass der
Kalif seine sogenannte Stellvertreterschaft Allahs
durch Schwäche verwirkte. Was Aufschub I Die
— 480 —
Bekehrung der Giaum werde nie erfolgen, sie seien
von Anbeginn durch Eblis, den Übeln TeufeL zo-'
Verstocktheit verflucht, und ,Dschejad* (Glauben^
krieg) dürfe nur mit Vertilgung aller Heiden nac
Ketzer enden. Er, der Mullah, entbinde alle A:^
hänger des Mahdi, auf den gottlosen Kalifoi i:
hören. Er exkommunizierte sozusagen mit eber
Bannbulle alle Irrlehrer und predigte so würderc.
wie einst der heilige Augustin, Bischof von Hi;?
an gleicher Stätte, hier wo die Kathedrale des Ki'
dinals Lavigerie und die Kapelle zum Gedächn
des heiligen Königs Louis unter Palmen, Orange
und Bananen auf Ruinen von Byrsa und Reliqu^
feld des einstigen Karthago soeben vom Wiistcx
gesindel in Asche gelegt. Zur Feier des Tage E>
er dann noch in herrlichem Autodafe einige h^-'
lische Missionare und im verödeten Tripolis ^
wischte Italiener lebendig verbrennen, Fraücn c-
Kinder in die Sklaverei verkaufen.
Dieser begeisterten Kundgebung des von Oo:
erleuchteten geistlichen Würdenträgers huldigte x
türkische Haki Pascha, Konunandeur des 5. Kcr?"
imd jetzt der ganzen ägyptischen Annee, nut e^
orientalischer Arglist, indem er nicht etwa is^
den Mauern der alten Alexanderstadt sich auf Kas?
mit den Mahdisten einliess, sondern ostentativ 5« |
Lager aufhob und nilabwärts gegen die Ruck:=^
Strasse der Wüstenmänner marschierte. Natürf»
benutzten die belagerten Briten dies zu wutaw^
Ausfall, in welchem die Mahdisten eine ^^'
— 481 —
liehe Niederlage erlitten, zu Tausenden von der
Schärfe des Schwertes noch bei der Verfolgung hin-
gemäht. Sie wollten sich jetzt sengend und brennend
ins Niltal hinüberwerfen, sahen sich aber hier all-
seits von türkischen Geschützen und Gewehren
empfangen, die kurzen Prozess machten. Die ganze
ungeheure Horde floh auf Kartum zurück, die Küste
freigebend, während die Türken umkehrten und die
Briten erneut nach Alexandria hineintrieben. Auch
genehnugte der Padischah Abgabe eines osmani-
schen Korps zu weiterer Säuberung von Französisch-
Afrika und beschied den Sultan von Marokko in
solchem Sinne. Daraus hätte dieser sich wenig ge-
macht, das Geheiss unbeachtet gelassen, wenn
ihm nicht aus Tanger, wo das spanische Presidio
sich immer noch hielt, der deutsche Geschäftsträger
am marokkanischen Hof die Beschlüsse der Kon-
ferenz von Chaumont mitgeteilt hätte. Da ihm
hiernach Integrität seines Besitzstandes unter
Deutschlands Präsidium verbürgt, fügte er sich gut-
willig. Der Krieg hörte auf, obschon Kabylen-
schwärme noch längere Zeit beutesuchend in Algier
streiften. Der Sandschak-Sherif, den als Angebinde
der Padischah selber aus Stambul geschickt, ward
wieder eingerollt. Das algerische Armeekorps konnte
wieder seinen alten Gamisonfunktionen nachgehen,
der Aufruhr in Nordalgerien erlosch nach und nach,
man hatte Müsse, in Constantine und Oran sich
gegen englischen Anprall zu schützen.
Dem Negus Menelik ward angesagt, dass Italien
Völker Europas ... 1 31
— 482 —
jetzt unter deutsch-franzosischem Schutz stehe, ik
daher weiteres Belastigen Massauas untexsagt seL
Auf die bittre PUle dieser Verwarnung streatc man
aber das Zuckerplätzchen einer pomphaften ^^
und Trutzallianz gegen England, vor dessen r-
planter Vergewaltigung jetzt Abessinien ein für aD^
mal durch die neue Ordnung Ägyptens behüu'
werde, wobei die Europäische Union besondeß It:
haft an Meneliks Wohl gedacht habe. Die Scte
chelei, seinen Titeln noch den eines „Veibi
deten des grossen Negus im Norden" vor de
getreuen schwarzen Bergvolke beifügen und so s
doppeltem Lichte eines Kulturfreundes strahlen r.
köimen, rührte diesen afrikanischen Peter ^
Grossen so sehr, dass er zu allem Ja nnd Ais^^
sagte, das zu Fall gebrachte Kassala an Italiffl i^
ausgab, sich aber nicht dazu verstand, geassm-
mit den heidnischen Türken gegen England zu ^
rieren. Um daher seinem beute- und kriegdüstenis
Heere eine andere Richtung zu geben, das er du-*
zu baldige Heimkehr nicht erzürnen wollte, ^
geisterte er die rechtgläubigen Christen und Sa-
folger des sagenhaften Priesters Johannes, ach ^•
christlicher Liebe der Mahdisten anzunehmen. D*^
grinune Raubzug in den Rücken Nubiens, ins W-^
des heidnisch-islamitischen Zentralafrika führte '^
fröhlichem wechselseitigem Niedermetzehi der A:
bänger Christi imd Mohanmieds, fügte Meneliks Fe^^
herrnlorbeeren ein neues Blatt und tüchtige Gcök^
erweiterung hinzu, erleichterte aber spater aoQ^-
— 483 —
seits den Türken und Franzosen die erneute Erstür-
mung Kartums. Das früher britische Somaliland
hatten schon nach dem Tode von Ras Makönnen die
abessinischen Grenzstämme gebrandschatzt, jetzt
liessen sie esnicht mehr los. Engl. Hafen Portsuden fiel.
Solange Lesseps nicht umsonst gelebt und der
Kanal im allgemeinen europäischen Interesse keine
Verschüttung durch Dynamitexplosionen zu befürch-
ten hatte, war natürlich den Verteidigern von Is-
maila und Port Said nicht beizukommen. Die vom
Wüstenstreif Akaba, wo ein deutsches Konsortium
ein Kohlenlager unterhielt, bis Fort Nakhl ausge-
baute Bahn beförderte umsonst Truppen auf Trup-
pen. Hilfe aus Indien sollte baldigst eintreffen.
Untenb Schutze der Flotte hielt sich auch Alexandria
mit echtenglischer Unerschütterlichkeit. Hatte doch
sogar ein Häuflein engUscher Sportsmen und Tou-
risten, die' sich, ihre fellachischen Heizer im Zaume
haltend, noch rechtzeitig zur grossen Nilbrücke von
Kairo und von dort ins kleine Fort auf der Fels-
schröffe des Mokkatam gegenüber der Zitadelle ge-
rettet hatten, Winchestergewehre und Elefanten-
büchsen so treffsicher gehandhabt, dass der ein-
ziehende Haki Pascha ihnen Leib und Leben gegen
mahdistische Grausamkeit ritterlich zusicherte.
Die Lancashire Füsilirs, frühere Kairo -Gar«
nison, mussten übrigens auf Truppenschiff „Del-
wara" nach Malta zurück, wo ein Nucleus
(Kadresdepot) von Matrosen schon zwei alte
Küstenpanzer armierte, weil der Kommandant
31*
— 484 —
Major- General Stokes einen Überfall der italiau-
sehen Flotte befürchtete.
Inzwischen hatte am entgegengesetzten ^
des Kontinents längs der Westküste der Simum da
losgelassenen Neger und Araber alle framöstsdssi
Posten weggefegt. Kanoes mit bewaffneten Wilde:
fuhren bis zur Senegalmündung hinauf, sdbst Dr
Icai* wurde eingeäschert, nur St. Louis hidt t
Gouverneur von Senegambien mit aUen geretteis
Europäern und der tapferen Besatzung von »Senesi
schützen*. Doch nach Vertreibung der Mahdistz
und Einschläferung der Marokkaner glätteten §cü
die empörten Wogen immerhin so weit, dass vm
mit Gewissheit voraussah, wie Frankroch aÜisahlc:
alle verlorenen Posten zurückgewinnen und sein air>
kanisches Reich sich vermehrt durch Neuerweib t
ganzen ägyptischen Interessensphäre, dieser ali^
Sehnsucht französischer Politik, als Phönix aas de
Asche erheben werde. Gleichwohl mahnten Ris^
fünfzigjähriger Kulturerobererarbeit daran, wie c
vernünftig Frankreich durch Anschhiss an EngUsc
um nur ja Deutschland keinen Anteil am nonbf^
kanischen Absatzgebiet zu gönnen, seine wahre ^
kunft aufs Spiel setzte« Solche Erkenntnis trivi^
neues Gift in die schwärende Wunde des lasflüit
Britenhasses, der alle Schichten der französis^
Gesellschaft durchdrang.
Während in ganz Guinea die lange im Teibor?
nen glimmende Flamme afrikanischer Rachsucht s^
Stätten europäischer Zivilisierung verwüstete undci'
— 485 —
holde Zankapfel des Kongostaats, den man Bel-
gien aus den Zältnen riss und über den Briten und
Franzosen sich geldgierige Blicke zuwarfen, bald nur
noch den Eingeborenen gehörte, auch im Osten die
englische Uganda- und deutsche Dar-es-Salam-Bahn
ihre Trümmer vermischten und Flüchtlinge aller
europäischen Nationalitäten in holder Eintracht das
gamisonentblösste St. Helena füllten, hielt die un-
gewöhnliche deutsche Waffenmacht in Südwestafrika
allein noch die Überflutung aller europäischen An-
siedelungen auf. Die Portugiesen, in Loanda und
ganz Angola niedergemetzelt, riefen den Schutz
derselben Deutschen an, denen sie vordem auf
Kommando Englands eine so feindselige ,Neu-
tralität' bezeugten. Hereros und Hottentotten hatte
der frühere Feldzug doch derart geschwächt und
entwaffnet, dass Swakopmund, Windhuk, Keetmans-
hop in keine ernste Gefahr gerieten, Pequema und
Lüderitzland von Verheerung freiblieben. Gern hätte
England, ehe der grosse Wüstensturm ausbrach und
man in aller Gemütlichkeit nur die deutschen Kolo-
nien abzufassen hoffte, dieHereros wieder mit Waffen,
Munition und Proviant versehen. Doch Sympathie
für diese verehrlichen Menschetibrüder hielt der
Besorgnis nicht Stich, dass das Umsichgreifen des
Aufstandes auch den kaum niedergehaltenen
Schwarmgeist der bösen eigenen Schwarzen in Natal
wieder wachrufen könne. Alle anderen deutschen
Kolonien und schwachen Seestreitkräfte an der
west- und ostafrikanischen Küste hatte der unersätt-
— 486 —
liehe Rachen des englischen Haifischs m
schlungen.
Das vor Durban kreuzende Stationsschxff .Spokr'
,Schwalbe*, ,Seeadler*, WolP, .Bussard* suchten i?
Sansibarischen Stationen Dar-es-Salam, BagaiKP
und Tanga zu halten, wurden aber durch Pan»^
,Hindostan' und Kreuzergeschwader aus Aden i^
Sinken gebracht, das gleichzeitig eine indis'Ä^
Gourka-Brigade überholte und die kleinen Häfen fe
Victoriasees in britische Gewalt brachte. In BerLt
liquidierte die Kilimandscharo-Pflanzungsgesdlscbi.
für Plantagen von Kautschuk, Agave, Baumwolle ndir-
obligatem Zebrafang. Vor Kamerun lieferten die lifl
beorderten ,Frauenlob*, ,Ariadne*, ,Falke* (Staä'
Westindien) französischen Kreuzern von sta^»^-
Deplacement ein letztes Gefecht und retteten sich, c
schädlich gemacht, die Küste entlang bis Lüderit^
Kamerun und Togo hatten schon englische M*
rinebesatzung, als senegambische Franzosen ^
rücken wollten und so das Nachsehen bekamen, ^*
jeder, der mit England ein Teilgeschäft machen **-
Reste der deutschen Schutztruppen in ihren gra'^'
ben Röcken und flotten Schlapphütoi vcrsch^^
im Innern, auf beiden Küsten Mittelafrikas Tom ^
maliland bis zum Kamerunfluss wehte jetzt emog"^
Rotkreuzflagge. Aber nicht lange. Denn urptötti
sahen die behaglich eingenisteten Kolonialraubers
riesigen Massen von Schwarzen gegenüber, die t^
ter entschlossenen Häuptlingen den Briten in ^
merun und Dar-es-Salam ein schauriges Ende ber^
— 4Ä7 —
teten. Alles, was sich nicht auf die Schiffe flüchten
iconnte, ward niedergemacht. Den eigenen früheren
Besitzungen wie Mombas ging es nicht besser.
Die allgemeine Lage in Afrika war schwer zu
überblicken. Bei Wadi Haifa, Suakin, Berber herrsch-
ten die Türken; in Dongola, Darfur, libyscher Wüste
hausten noch Mahdisten, in Kordofan und bei El
Obeid pflanzte der Negus sein Banner auf, im Tune-
sischen, wo die Türkei schon früher Frankreich durch
Besetzung von Kanem am Tschadsee angerempelt
hatte, wirtschafteten noch fanatische Marabus mit
ihren Banden unterm Kaid von Tabor. Lord Cromers
Kulturarbeit in Gezireh zwischen Blauem und Weis-
sem Nil, die Bewässerungspläne von Sir W. Garstin in
Oberägypten, alles verloren und verwüstet! Gegen
das türkische Lager bei £1 Arish, wo die Os-
manen längst alle ägyptischen Grenzpfähle nieder-
rissen, hielt sich noch tapfer die Besatzung von
Fort Said. Besonders ein Bataillon Border von
der schottischen Grenze und die wilde irische
Inniskillings-Infanterie taten Wunder von Tapfer-
keit, vor dem gellenden ,Kill killT der Inniskillings-
Dragoner erzitterten die wüstesten Baschibozuks und
Tscherkessenreiter. — In Natal stand es schlecht.
Die Polizeitruppe und Border- und Umvoti Moun-
ted Rifles unter Oberst Mansel, die Carabineers unter
Oberstleutnant Mackay und die irregulären Roy-
ston's Horse nebst Zululand-Schützen behaupteten nur
noch Umgegend von Durban unter ihrem Führer
Colonel Mackenzie gegen den früher heuchlerisch
— 488 —
jeden Abfall verschwörenden Häuptling Diniioli
Die in England angeworbene Freischar des Lord
Cardigan schmolz schon bedenklich. Die Buren-
kommandanten Emmet und Grobelaar zeigten iw^i^
deutige Haltung, wie der Gouverneur Sir Höht
Maccallum berichtete. — Aus Nigeria retteten sk"
nur zwei Offiziere des Southern Nigeria Rcgimeoi
Emir Hadija herrschte unumschränkt in Sokoto nr:
Kano. — Von Kairo aus erliess der frühere dortige
Oberkommissar des Sultans, Marschall Mukthar h
scha, der schon ziu: Friedenszeit die ungeba^dig^!l^
Sprache gegen England führte, den Befehl an ai'
Gläubigen Afrikas, unter Oberhoheit des Kalifen n
rückzukehren. Doch so befriedigt die OsmanenTc:
der Hassanmoschee und der Citallenmoschee, dere:
Alabaster in violetten Farbentönen abends schillere
ihren Gibilitabak schmauchten, fehlte doch viel 3^
Vollziehung dieses grossherrlichen Mandats. Inte
asiatischen Türkei hatte man manchen Nasenstüber
Englands einstecken müssen« Wohl erfreuten i^
Norden gegenüber Kars und Oli, wo die Russen s>^
nicht rührten, Erzerum und Bajaset, dessen zcnisseB^
Kalkfelsen und grellrote Marmorwande mit Sv^"-^
Murads Burgterrasse und armenischen Klöstern hi •
Islam und Christlichkeit gleichmässig umrahme:
oder das aus dunkelm Gestein erbaute düstre Di^^
bekr in Kurdistan und der Seehafen Trapezunt neb?'
Bahnlinie Skutari-Ismid-Angora sich tiefster Ri^^-
Hingegen hatte Sir Percy Scott bei seiner Raoü ^
türkischen Gewässern ;nicht nur Chios, Kos, ^
— 489 —
mos, Rhodus besetzt, sondern auch auf East India
Steamern ,,Atalanta'\ „Phlegeton", „Malta", „Ma-
lakka" verschiedentlich Truppenkommandos (Regi-
ment Sussex) aus Cypern und Kreta längs der Küste
verstreut und Adana, Schlüssel der cilicischen Pässe,
besetzt. Wo überm Hellgrau der Beirut-Küste das
Rotbraun des Libanon und Schneepyramide des Her-
mon in wechselnden Farben schwimmen, wo Da-
maskus lächelt aus duftgeschwängertem schillern-
dem Meer wasserdurchrauschter Gärten, Kuppeln,
Minaretts, hinter sich das rötliche Violett der gros-
sen syrischen Wüste, und wo weissrosafarbene Säu-
lenreste des Sonnentempels von Palmyra zu düster-
ernster Kreuzfahrerburgruine aufschauen, überall
scholl Verwünschung über die Frechheit der Giaurs.
Aus Sana in Yemen, wo auf dimkle Gassen weiss-
getünchte Kuppel der Bakilimoschee herabblickt,
rüsteten Araberbeduinen einen Raubzug gegen Aden,
der missglückte. Dagegen tröstete man sich in unein-
nehmbarer Felsfeste Mardin, aiif hohen Terrassen
von Mosul über Ruinenhügeln Ninives und grün-
blau glasiertem Ziegelschutt Babylons, dass kein
Ungläubiger hierher den Fuss je setzen werde. Doch
inzwischen ging Bau der Bagdadbahn unter deut-
scher Überwachung ruhig weiter bis zu den Euphrat-
kanälen, wo zahllose Pahnenkronen auf dicken, heis-
sen farbigen Dünsten und blaugrauen Nebeln zu
schwimmen scheinen, wo Goldknäufe des Mauso-
leums von Musa wie glühende Kuppeln leuchten, wo
Flamingos und Pelikane über Durrahpflanzungen
— 490 —
und Reisäckem des Oshashkanals wie imipaiBe.
scharlachne, orangegelbe und weisse Blumen in Lüf-
ten schweben. Auch in Cypems sonnveibranster
Ebene, aus der Nicosias Palmen und OrangegäitGi
als Oase aufragen, bestellten die Ungläubigen g^
lassen die Seidenkultur, nur mit dem Untersdied
dass der sonst stipulierte Jahrestribut aus Faioj-
gusta ausblieb. Früher krönte der Halbmond rr.
dem Rossschweif gotische und altveneaankcbe
Bauten, heut flatterte dort frech die RotkreuzbhK.
Übrigens beschäftigte sich Wadschid-Pasda
Präses der Grenzuntersuchungskonmüssion, mit Ab^
wehr der Perser am Fort Passwah, während Ptk
Izzed in Albanien kommandierte. Stambul — ^Sbttr.
— Gallipoli war wieder frei, selbst die alten Stalioas^
schiffe „Imogen", „Petrel", „Sesia" (englisch, fn>
zösisch, italienisch) befleckten nicht mehr die Daica^
nellen. Deutsche „Loreley", österreichische „Tannj?"
von den anderen Christenhunden zerschossen: mod
ten sich doch alle Giaurs so untereinander le?-
fleischen ! Der „Sultan" (früher Clyde-Division) bare
sich hier so lästerlich aufgeführt, als wolle er <k5
geheiligten Sultan selber am Barte zui^en. —
Das afrikanische Kreuzergeschwader des Mie
admirals Dumford, Panzer ,Africa' hinzu, bcstas'i
aus „Crescent", „Forte", „Pelorus", „Ariadne". Letz-
tere von der vierten Kanal-Division insgeheim dorthiü
detachiert, um diese ohnehin schon starken Krecie^
I. Klasse noch gründlicher zur Beraubung deutsd^
Kolonien auszurüsten. Man blockierte die von franic-
— 491 —
sischen verjagten deutschenKretizer III. Klasse und
die wie eine zitternde Lämmerherde in Walfischbai
zusammengedrängten flüchtigen deutschen Kauf-
fahrer oder patrouillierte vor Kapstadt. Ausserdem
ereilte die trauernde „Ariadne" ihre schwächere
deutsche Namensschwester, die vor Swapokmund
unterm Winde lief, und bereitete ihr das Schicksal
des ungetreuen „Theseus" bei Helgoland. Was
halfst In Nordkamerun, wo eine halbe Million wil-
der Neger vegetiert, gab es unter ölpalmen und
Kobabäumen bei Babanki, Babungo, Gaschaka heut
ebensowenig Briten mehr als Deutsche, alles ge-
meinsam abgewürgt. Doch deckte Dumford die briti-
schen Enklaven der Nordwestküste, Bathurst mit
Fort St. James in Senegal, Freetown und Insel
Sherbore in Sierra Leone. Sonst aber regierten von
Wadai und Bomu bis Liberia und Kumassi die
Schwarzen unter Führung der Aschanti und des
Sultans von Dahomey, dessen Amazonenleibwache
sich bei Pfählung der Kriegsgefangenen hervortat.
Arabische Karawanen trieben wieder schwung-
vollen Menschenhandel, Elfenbeinhändler und Ele-
f antenzahnjäger wurden wieder löbliche Sklavenhalter
wie in der guten alten Zeit, am Kongo kehrte man zur
schönen pietätvollen Sitte der Menschenfresserei zu-
rück. Im Osten überfluteten die Wilden ganz Rho-
desia, Fort Salisbury fiel, von Mozambique bis Lo-
renzo Marques bluteten die Portugiesen, von Lindy
bis Witu warfen die Araber das fremde Joch ab,
nur Sansibar selbst schützte Kreuzer ,Terpsichore*.
— 492 —
Die Prophezeiung des bekannten anonymen deni-
schen Autors über allgemeinen Aufstand in Aiiib
hatte sich, freilich nur durch Mitwirkung der aussei
acht gelassenen Faktoren Türkei-Abessinien, bvcb-
stäblich erfüllt, weil sie auf selbstverständlicher Iß^
beruhte. Vielmehr machten seither die Natalunnibes,
die Gärung in Ägypten, Tunis, Nigeria dies Waii
scheinliche noch ins Auge springender, wie es daa
tatsächlich geschah.
So hatten die Briten wenig Vergnügai vonihrefl
kurzen Raube gehabt, und in England schüttelte
man bedenklich den Kopf, was vollends ans des
wertvollsten Besitz Südafrika werden solle, ^
dem im Norden jetzt über den halbmondförmiges
elektrischen Glühlichtem unter den Minaretts t®
Kairo der türkische Halbmond wehte. Als Türke
bis Oase Siwah und Abessinier bis Faschoda «ff*
drangen, also eine einheimische Macht noch v^
ter ausdehnten, schoben sie dem grossen Plan tos
Cecil Rhodes für lange einen eisernen ^egd ^
Sollte ganz Afrika für Britannien verlorengeht-
Es sah so aus. Denn Lord Milner, den nach kor
zer Absetzung durch die liberale R^crung ^^
öffentlicher Desavomerung nimmehr Sir Edward
Grey und Morley selbst wieder auf seinen alten ?^
sten beriefen als geeignetsten Mann: für diese Stunde,
telegraphierte in einem fort nach London und CaP
cutta, und was er zu sagen hatte, klang übd.
Schon sein interimistischer Vorgänger, Lord S*
borne, hatte als letzte Amtshandlung militärisd«
— 493 —
Besetzung des Distrikts Fort Yolland anordnen
müssen. Dort tanzten heut Neger über Trümmern. —
Militärdiktator in Indien, Lord Kitchener, aus
seinem Zwist mit der Zivilautorität des nicht
minder berühmten früheren Vizekönigs Lord Curzon
siegreich hervorgegangen und von der liberalen
Kegierung in allen Amtsbefugnissen seiner unum-
schränkten Diktatur trotz aller gegenteiligen Par-
lamentsanträge bestätigt — ein neuer schlagender
Beweis für innere Solidarität der Imperialisten
und Liberalen dem Ausland gegenüber und für
die Auffassung der Reichslage aus rein, kriege-
rischen Gesichtspunkt^! — sandte zwar mit
Paketbooten der Anchor Line vom Schlage der
,,City of Rome" (9000 Tonnen) und Dampfern der
Orient Line wiederholt Verstärkungen via Co-
lombo: Bataillone und Schwadronen von Sikhs
und Gouikas aus Nepal, eine andere Seapoy-
brigade und drei nationalbritische Bataillone. Aus
dem Mutterlande vermochte man aber nach Ab-
sendtmg eines früheren Truppentransports sich
keine neuen Streitmittel vom Mimde abzusparen,
und Milner blieb auf sich selbst angewiesen.
Basutos und Zulukaffern brachen aus ihren
Krals hervor, die Buren meuterten, die Afrikander
der Kapkolonie wurden schon lange schwierig, auf
die Landmiliz war also ausserhalb der Nationaleng-
länder kein Verlass. Aus der Walfischbai meldeten
die britischen Kreuzer plötzlich den Anmarsch eines
deutschen Korps, das die Kolonialbahnen von Wind-
— 494 —
buk und Otavi zu weiterer Schienenl^uiig benvue.
Diese Möglichkeit war längst zuvor im Depeschen-
wechsel mit dem Berliner Kolonialamt bis ins est
zelne erörtert worden : sie galt mit Recht als eine
beste Trumpfkarte, wo sonst im Vabanquespidgeg«Q
Englands Unerreichbarkeit aUe Chancen versagte
Hier allein konnte man England deutscheiseis
treffen, nur hier gab's eine verwundbare Achüks-
f erse der Meeresriesin. Natürlich nahm dksex scbcQ
Ende Mai mit dem grösseren Teil des deatscha
Schutzkorps unternommene kühne Zug viel Zeit a
Anspruch, erst Ende Juni erreichten die Deutscbcü
das vielberufene Mafeking. Mittlerweile arbeitete
ihren Anstrengungen aber eine unheimliche En^»-
rung der törichterweise von stumpfer Profitwut oad
Johannesburg geladenen sechzigtausend Chinescfi-
kulis vor. Diese, in innerem Zusammenhang ^
dem neuen Boxertimi in China, nahm bald sc^
chen Umfang an, dass der einstige Oranjefretstaat
von Majorgeneral Montgommery geräumt, Bef
schuanaland den Basutos preisgegeben wurde xd
alle britische Macht sich ntur noch in der Kapkdo
nie konzentrierte. Die Buren standen in hellen Ha':-
f en auf, das ehemalige Polizeikonunando von Fr^
toria bildete sich, die alten ,Comets' traten an die
Spitze berittener Freischützen, Britenfeind Beyes
führte den Deutschen ein geschlossenes Ueines
Heer zu. Die aufsässigen chinesischen Minenarbe^
ter, die sich mit allerlei Unfug und Greueln auf da:
Farmen amüsierten, begriffen sehr bald, dass ciit
— 495 —
den Deutschen nicht gut Kirschen essen sei, und
hielten sich abseits wie scheue Schakale, wenn, der
Löwe vorbeijagt.
Aber das Gebrüll deutscher Geschütze und Ma-
schinengewehre drang noch nicht zu Ohren der
Kaffem im Südosten, die sich mordend auf britisches
Gebiet ergossen. Der berüchtigte Häuptling Bamato
schürte die sogenannte äthiopische Bewegung imd
schloss Greytown ein, Durban sah sich bald ab-
geschnitten. Eine gehamischte Warnung des deut-
schen Generals aus Bloomfontain wurde verlacht,
sein Abgesandter in Stücke gerissen, sein Kopf als
Antwort von frech herangeschUchenen Mordgesel-
len ins deutsche Lager geworfen. Als Ende Juli
der Vormarsch über Colesberg und Colenso gegen
Kapstadt beginnen sollte imd die Burenmiliz am
Oranjeriver den schwarzen Horden mannhaft ent-
gegentrat, liess Milner anfragen, ob man nicht die
Entwicklung der europäischen Lage abwarten wolle.
Das gemeinsame Schicksal aller Weissen, wenn Ne-
ger imd Chinesen sich dies gegenseitige Vernichten
der Eiuropäer zu nutze machten, lege ihm den Vor-
schlag einer Waffenruhe zwischen den kriegführen-
den Zivilisierten nahe, um vorerst die Waffen ver-
eint gegen das Barbarenpack zu richten. Der deut-
sche General ging darauf ein. Bis Ende August
säuberte er ziur Einöde gewordene Fluren, in hundert
Einzelgefechten die schwarzen Gesellen an weiteren
Mordbrennereien hindernd. Über Makala und Cette-
veiograb wehte der Vierideur. Die Kulis, die sich
— 496 —
an den Deutschen vorbeischlichen und den Sdivar
zen gesellen wollten, jagte ein verabredetes Kcssd-
treiben von Deutschen, Briten und Af rikandennDixeii
zur Südwestecke Afrikas zurück, wo ihre Küsten
Wirtschaft unter scharfer Kontrolle britischer Kreuze
stand. Bei den Schwarzen flaute aber die Energie
der Kriegführung auffällig ab, weil Menelik, ne
man später erfuhr, seinen im Kaffemland madi-
gen Priestern der seltsamen äthiopischen Chnstc:
kirche aufs Gewissen band, nichts gegen seine de^
sehen Freunde zu unternehmen, und hierdurch asd
das Befehden der Briten unterbunden wurde. £s^
lieh kam aus Europa erlösende Kunde, die nakc
Entsatz und Rachevergeltung für ganz Süd- lac
Mittelafrika in Aussicht stellte, freilich dem l^
perialisten Lord Milner das Herz brach.
England klopfte zwar sofort in Petersburg ^
und suchte dort Anschluss, fand aber keine Gego
liebe. Russland hütete sich wohl, sein letztes na
nenswertes Geschwader, das von Wladiwostok, gcga
Japan, das obendrein Sibiriens weitverbreiteten Auf-
ruhr benutzen konnte, und seine meuterische Ar
mee gegen Deutschlands nun unbestrittene MiÜti'
hegemonie aufs Spiel zu setzen, zumal eine pc^^
sehe Revolution aufs neue sich ankündigte. Ro^
lands einzige Kraft blieb noch die vis inertiae und dse
bisher trügerische Hoffnung auf gegenseitige Schvi-
chung von Deutschland und England, die wiedenss
als Stärkste den Weltkrieg überlebten.
In Ostasien Hess sich der britische AdmirJ
— 497 —
bei Abfahrt von Hongkong zuerst durch absicht-
lich ausgesprengtes Gerücht düpieren, die japani-
sche Hauptflotte liege wieder bei Sasebo, um Re-
paraturen vorztmehmen. Anschluss des australischen
Überlandtelegraphen an Kabel Singapur-Batavia ver-
sagte plötzlich. Bald darauf brachte der britische
Postdampfer ,,Kawau" von Samoa Islands die Kunde,
dass er auf Fahrt nach Tutuila zwei Kriegsschiffe
in der Feme bemerkte, die japanischen Ursprungs
schienen. In der Tat ankerten bald die neuen in
London gebauten Schlachtschiffe „Katori" und „Ka-
schima" und die Kreuzer „Naniwa" und „Soya" (frü-
her russischer „Warjag") vor Apia und manövrier-
ten zwischen den Korallenbanken mit erstaunlicher
Sicherheit, die auf Lotsenkenntnisse einer Voraus-
spionage schliessen liess. Bald verjagten sie die in
Oceanien patrouillierenden britischen Kreuzer, da
sie auch eine Torpedoflottille mitbrachten, die so-
fort Jagd auf alle europäischen Kauffahrer machte.
Der hier noch stationierte amerikanische Kreuzer
„Wilmington" sah mit Yankeephlegma zu, wie die
Japs mit affenartiger Geschwindigkeit Samoa und
Fidchi Islands mit Truppenkommandos besetzten
und einen vorbereiteten Aufstand von chinesischen
und polynesischen Kulis und japanischen Dockarbei-
tern in Hawai ihren Zwecken dienstbar machten.
Amerikanisches Hoheitsrecht? Natürlich, sie schütz-
ten bloss Hawai für die amerikanischen Freundet
Gegen das grosse Kriegsschiff „Katori", dem sich
bald noch zwei andre stark armierte und schnell-
Völker Europas ... I 32
— 498 —
fahrende Panzerkreuzer „Mikasa'* und „Aso"undAd-
miral Shimamuras Freiwilligenflotte geselltai, vcr
mochten die vor Australien zurückgelasseneii paar
englischen Kreuzer nicht aufzukommen. Hawais un-
vergleichliche Riesenvulkane mit Flammenkaskadö
und Feuersee sahen noch nie solche Kriegseruptki
wie jetzt über Tropengrün und Schlingpflanzen vca
Hilo imd dem Signalberg Diamond Head. Jetr
stellte sich auch heraus, weshalb japanische Spioce
in Australien beim Abzeichnen der Buchten, Hafe>
kais und spärlichen Befestigungen ertappt «urdesi
Die Japaner manövrierten überall wie auf bekanntä::
Gelände. Ein auf der japanischen Dampferlinie N^
gasaki-Honolulu und von da auf der nun iffiic
brochenen neuen Route New Westminster-Vancom^^
via Honolulu nach Sidney ins Tasmanischc Me^'
beförderter ansehnlicher Truppentransport landet«
unvermutet in Neuseeland und setzte sich dort a£
einer geeigneten Stelle fest, die Maoris zu oßec
kannibalischen Befreiungskrieg einladend.
So sah denn Oceanien seine künftigen Herren.
die kleinen gelben Kerle in der neuen KhakiöJ^
form, nur durch Aufschläge nach den WaffengaJt^J
gen unterschieden: rot bei der Infanterie, grünbr.
der Kavallerie, gelb bei der Artillerie, kannosc
bei den Pionieren, dunkelgrün beim Sanitatspen^^
nal, grau bei der Intendantur, schwarz bei der Gä^
darmerie. Die aktiven Regimenter mit einer an-
sehen Ziffer des betreffenden Truppenteils auf ^-
Kragen, die der Landwehr mit einer römische:^
— 499 —
die des Landsturms mit je einer arabischen und
römischen. Als Gradabzeichen nur Achselklappen
mit Sternen, die bei den Streitbaren nebst den Knöp-
fen gelb, bei den Nichtstreitbaren weiss sind. Nur
aie Garde durch Kirschblütenzweig imterm Stern
der Mütze und Chrysanthemum auf den Knöpfen
ausgezeichnet. Alles so schmucklos und so prak-
tisch wie möglich. Diese nach Java und Austral-
inseln abgesandten Truppen hatten Nagasaki, den
schönsten Hafen der Welt, und Hakodate unter wil-
dem Jubel der Bevölkerung etwa so verlassen, wie
römische Legionen, die zu Triumphatorzügen mit
der Gewissheit ausziehen, jeden Feind unters kau-
dinische Joch zu beugen. Die vierundachtzig Türme
der heiligen Felsfestung Golconda können den In-
dem nicht so felsenfest erscheinen, wie diesen Misch-
lingsabkommen malaiischer Seeräuber die Eisen-
türme ihrer Panzerschiffe.
Auf Höhe von Aukland Hessen am 24. Juli die
„Psyche", „Challenger", „Pegasus", „Pioneer", wäh-
rend „Kangaroo" gleich anfangs davonhüpfte und
„Calliope" ihr Sternbild sinkend verlöschen liess,
sich auf ein Gefecht ein. Ihre je sechs meist nur
10 cm -Geschütze imd Maschinenkanonen erlagen
aber dem schweren Kaliber der Japaner. Explo-
dierende Backbordkessel heruntergeschossenen Flü-
gelrosses „P^asus", meterbreite Risse im Rumpf
der zarten „Psyche", ein übers Heck und die Reeling
herüberhängender Mast des „Herausforderers", wo
Mannschaft dutzendweise hinter Panzerschilden in
32*
— 500 —
ihrem Blute la^ und die Pumpen ein Leck auszu-
schöpfen suchten, zeigten die Wiikung japanischer
Granaten. Nur der Bahnbrecher .^Pioneer" ging als
Sieger aus dem Kampfe, indem er ein Freiwilligen-
schiff rammte, einem andern das Torpedorohr zer-
trümmerte, einem dritten die eine Seite mitsamt
dem Fallreep und Steuerbord wegschor und
einem heransausenden Torpedoboot knai^ entging,
indem er mit rückwartsschlagender Maschine stoppte.
Die Japaner litten also auch erheblich. Die
havarierten britischen Kreuzer fuhren bekümmert,
„Aolus" wahrlich ohne günstigen Wind, in Häfen des
australischen Kontinents, wo Musterung von Frei-
willigen stattfand, um dem Mutterland Hilfe zu
bringen. Jetzt rief der Alarm alles zum Küsten-
schutze, in den senkrecht abgeschrofften Blaubergen
hinter Sidney warf man Schanzen auf gegen ge*
fürchtete japanische Landung. Diese blieb natür-
lich aus. Dagegen setzten die Japs tatsächlich auf
Sumatra und Britisch-Bomeo Truppen ans Land und
beschossen die Strandbatterien von Batavia. Das
noch dort befindliche tonkinesische Regiment erbat
freien Abzug, von Japan über die Lage in Europa in
Kenntnis gesetzt, was die Japs höflich gewährten.
Die schwache indobritische Brigade, aus Hongkong,
wo alle Weissen an Bord der Schiffe geflüchtet
und der schöne Gianitbau des deutschen Germania-
klubs in Asche sank, als Garnison nach Java gelegt,
vermochte dies nicht zu hindern, denn sie reichte
kaum hin, Batavia selber zu decken. Dagegen ver-
— 501 —
weigerte das beranbrausende ostasiatische Geschwa-
der das freie Geleit nach Tonkin für die französi-
schen Kapitulanten und lieferte dem Admiral Togo
vor Batavia am 26. Juli eine Angriffsschlacht mit
dem Erfolg, dass die Japaner, den Strandbatterien
entgegengetrieben, bedeutend litten. Britischerseits
sanken zwei Kreuzer und ein Kriegsschiff zweiter
Klasse vom Typ Majestic. Die Panzergürtel der
Japaner aber zeigten manche klaffende Wunde.
„Asahi", „Fuji", „Shikishima", die älteren Schiffe,
kamen besser davon, als die gehobenen weiland russi-
schen, heut „Iwami", „Hizen**, „Sugami", „Suwo",
„Tango"* Heil blieb die neugebaute „Yaschima".
Nationalheld ,King Alfred* bekam von ihr Schläge.
Im Ganzen konnte Sir Arthur Moore zufrieden
sein, die Übermacht geschwächt und den japanischen
Hochmut etwas gedämpft zu haben. Er verlor nur
die von Australien herberufene „Amphitrite", die
als Meergöttin sich ihrem heimischen Element ver-
mählte, und „Pandora", die aber noch sterbend für
„Suwo" verderbliche Gaben in ihrer Büchse trug,
und den ungeschlachten „Goliath". Dagegen schien
„Malta" stolz Batavia als neues Malta in Anspruch
zu nehmen, „Hannibal" schien für ein Cannäaufgelegt,
„Britannia", „Sovereign", „Dominion", „Zealand",
„Terrible" deuteten ihre Namen, dass England als
schrecklicher Souverän seine Oberherrschaft auf allen
Meeren behaupten wolle. Flaggschiff „Hermes" zeigte
sich als flinker Götterbote, „Asträa" als Schlachtstern,
„Perseus" und „Andromeda" erlegten gemeinsam
— 502 —
den mongolischai Drachen der Tiefe, „Indefaügabk '
und „Vivid" machten ihrem AdjektivPrädikat leb
haft Ehre, „St. George" schlug sich ab ritterficiier
Schutzpatron Altenglands, „Thames" vertrat würdig
im fremden Meer den weltberühmten Fluss derHdnia^
Wirklichen Entsatz Batavias brachte die See
Schlacht aber nicht. Auf Java versah der früheic
Versöhnungsstatthalter von Korea, General Hasa
gawa, emsig die Geschäfte der Padfierung, iw^
Generalmajor Murata und Kapitän z. S. Miyaob
gleichfalls an solchen Dienst gewöhnt. Okkupaücc
der Philippinen und Gewürzinseln überwachten.
Die französische Flotte am Strand von Chin>
indien rührte sich nicht, weder gewillt, ihren Schs^
posten zu verlassen, noch auch den Japanern i'
Handwerk zu erleichtem. Die britische Flotte ^
sich zwischen die Sunde der verschiedenen Inst
gruppen zurück und zwang die Japaner zu steten As
passen. Batavia und einige andre Faktoreien, «^•
das befestigte Kota Radjah in Nordsumatra, Fois
de Kok und Valdman im Osten, wmrden behaupif*
da sich etwas ähnliches wie in Kiautschou wiede'
holte, nämlich die Reste der früheren niederlaßt-
sehen Kolonialtruppe bei England lieber Diai^t-
nahmen, als die Insel den Mongolen zu übeilassci
Der Krieg zog sich auch hier bis Mitte Augrist öi:
scheidungslos in die Länge, bis Befehl aus EoroP^
zwar sicheren späteren Entsatz Batavias, doch r:
gleich das Entlassenwerden der Sundainseln ans ^
tischen Krallen in Aussicht stellte.
— 503 —
Die durch Schriften des holländischen Autors
Multatuli fälschlich genährte Vorstellung, Holland
treibe Misswirtschaft in Oceanien, beruht freilich auf
schnöder Verkennung, da man im Gegenteil dem
„Rat von Indien** das ehrendste Zeugnis ausstellen
muss. Unter seiner klugen Verwaltung hat Java
seine Einwohnerzahl fast verfünffacht, Batävia seine
Reis- und Surabaya seine Tabakausfuhr jährlich
erhöht. Wohl aber vermag ein Kleinstaat wie Hol-
land niemals genügende militärische Mittel aufzu-
bringen, um ein von kriegerischen Rassen besiedeltes
Inselreich richtig zu besitzen. Ausserhalb Javas blieb
Hollands Herrschaft nur eine nominelle kaufmänni-
sche. Und doch steckt hier glänzendste Zukimft
für Kolonisierung.
Die unerhört gleichmässige Wärme und Un-
veränderlichkeit des Klimas auf den Sundainseln,
wo die Differenz der Temperatur zwischen wärmstem
und kältestem Monat nur einen Grad beträgt, würde
diese herrlichen Lande, ein Kolonialjuwel ersten Ran-
ges, für Europäer gerade so gesund machen, wie
für die Eingeborenen, wenn nicht die holländische
Nachbildung der heimischen Grachte und Kanäle
sowie die unvernünftig unenthaltsame Lebensweise
der Weissen za Fiebern Anlass böte. Das alles mnss
von Grund aus geändert werden unter deutscher
Zucht, sollen die Sundainseln je wirklich das für
Europa leisten, wozu sie berufen sind. Der Südost-
passat an der Javaküste und der zum Gebirg hinauf-
wehende Westmonsiun stellen ein Gleichgewicht zwi-
— 504 —
sehen Feuchtigkeit und Trodcenheit her, wie es nicht
angenehmer gedacht werden kann.
So fanden es auch die genügsamen Japs, die in
Surabaya sich schon häuslich niederliessen und mög
liehst mit den malaiischen Javanesen und den An
bem fraternisierten. Die früheren Malaienr^imecte;
in holländischen Diensten, die zuerst gegen ^
Holländer imd jetzt auch gegen die neuen engliscbs
Herren gemeutert hatten, wollten dies Spiel acd
gegen die Japs wiederholen, als diesen em Über
fall gegen die liebliche Villenstadt Buitenzoig, Ba-
tavias Gesundheitsstation, schwer missglückte. Deni
die Ureinwohner gingen von dem gesimden Grimd^
satz aus, dass die Fremden alle miteinander tms^^
werden müssten und man sich imter ihnen m^^
nur dem zur Zeit Stärksten unterzuordnen bnuche.
Die freundUchen Japs hatten viel Verständnis fc
solche Auffassung und versprachen den Meoteien:
goldene Berge, worauf sie die in Täuschang ^
wiegten plötzlich umstellten und mit Maxims so
lange gemütlich mitraillierten, bis sie winselnd ud
Gnade baten. Dies Gemetzel stellte das moialisdie
Ansehen Japans sogleich wieder her. Audi die
Araber in Palembang auf Ost-Sumatra noacbten ein*
fürchtig Salaam vor so bösen Männern, und die
Chinesen in Padang auf West-Sumatra, hinter ihre
Kalkmauem vor dem Banner der aufgehenden Soo^-
zitternd, beugten ihre Zöpfe in den Staub. Die Hänpt*
linge der Atjeh in Nord-Sumatra, so lange Holla»
trotzend und dessen Kolonialbudget mit stetem D^
— 605 —
izit belastend, wollten mit Japans falschem Lächeln
lichts zu tim haben und stellten Geiseln mit der Ver-
sicherung, dass sie den Herrn Mikado für den mäch-
igsten aller Tiger hielten. Kurz, es liess sich vor-
aussehen, dass der neue japanische Eroberer bald
gründlicher auf den Sundainseln Meister sein werde,
lis Holland im Laufe von Jahrhunderten. Padang,
Benkulen, Telok Betong auf Südwest-, Hafen Oleh-
eh auf Nord-Sumatra hatten schon japanische Gar-
nisonen, und in Dorf-Kampongs des Innern zwischen
Reisfeldern imd Kokospalmen, wohin noch nie ein
Elolländer den Fuss setzte, streiften tmgestört japa-
nische Automobilvedetten, Tribut fordernd und Mar-
ken für künftige Eisenbahnen absteckend. Auf der
deinen Nebeninsel Banka richtete jener Marineoffi-
zier, der ein einheimisches System drahtloser Tele-
^raphie für Kriegszwecke erfand, seiue Apparate ein.
InPretianak, Haupthafen in Westbomeo und Sitz
iiolländischer Residentschaft, und Samarindo der
Südöstküste nahmen japanische Armeelieferanten
rreundlichst den ganzen Handel mit Schildpatt,
Schildkröteneiem, Trepang, Vogelnestern, Bienen-
nrachs und Guttapercha aus den Händen der chine-
sischen Kaufleute und errichteten ein japanisches
Einfuhrmonopol. Vor dem Palast des Sultans von
Kutei, weiss angestrichen mit galvanisiertem Eisen-
dach, spazierten japanische Schildwachen und
grinsten höflich den braunschwarzen Fürsten an,
der auf seiner Veranda wehmütig seiner bisherigen
halben Unabhängigkeit gedachte. Die im Rückgang
— 506 —
befindliche Diamantgrube von Martapura untersodh
ten bereits japanische Ingenieure. Andere Expedr
tionen mit Fachleuten sollten unaufgescUosseDc
Bodenschätze von Eisen und Kohle mit der Wiat
schelrute ihrer mongolischen Findigkeit entdcdffi
Im Hauptsitz des Pfefferhandels, der auf PßUc
erbauten oder auf dem Wasser schwimmendeiiHafe&
Stadt Bandjermassin, wo malaiischer und holläodr
scher Wasserbaustil ihre seltsame Vcrwandtsda.*'
bekimdeten, schlug schon ein eigens »nannter W
gouvemeur sein Quartier auf. Im europ^schenAie^
tel der Sumpfinsel Tattas, wo die Holzhäuschen ba
niederem Wasserstand als Strasse nur einea Sasif
graben und bei Hochwasser einen Kanal haben.
zwischen Läden und Wechselbanken des Chinese
vierteis und im malaiischen Hauptteil dieses oicsd^
sehen Venedig, wo sonst von Haus zu Haas c^
kleinen Tambanganskähne den täglichen Maiktre:
kehr mit Kokosnüssen, Obst, getrockneten Fisch«
vermittelten, patrouillierten jetzt Rondeboote wx J^
panischen Zoll- imd Steuerbeamten. Die vortreß-
liehen grossen Sampangs-Boote aus Eisenhok, ^'•
Lagerhäusern am Strande ankernd, requirierte ^
für Militärtransportzwecke.
Mit dem üppig aufgeblühten Britisch-Nordbonif'
ward gleichfalls kurzer Prozess gemacht Die vti
zig Millionen Tonnen Bauholz an den Flussuf«^
beim Hafen Sandakan waren ein gefundenes Fress^a^
nicht minder der mächtige Vorrat von Sago, G<^''^
Zinnober und vor allem Kohlen, von welchen altJ
— 507 —
schon die kleine Nebeninsel Labuan unerschöpf-
lichen Abbau gewährt. Die fünfundzwanzig Handels-
häuser in Kudat und Elopura an der Sandakanbai
waren übrigens mit der Annexion nicht ganz unzu-
frieden, da sie, vaterlandslos wie der richtige Kauf-
mann denkt, gleichgültig, unter wessen Regienmg
er gute Geschäfte macht, sich viel von japanischer
Rücksichtslosigkeit für Erschliessen der ungeheuren
Holzmassen der Innenwälder versprachen. Die Chi-
neseneinwanderer der Stadt Kutjing in Provinz Se-
rawak, wo das fruchtbare Radjangtal ausser Boden-
früchten und Fischfang noch Eisen, Antimon, Queck-
silber, Kohle, Gold, Edelsteine gewährt, begrüssten
ihre schlitzäugigen Mongolenbrüder mit ungeheu-
chelter Zärtlichkeit. Weniger erbaut davon zeigten
sich die zahlreichen Malaien, die von gleichfalls
einst vorhandener Verwandtschaft nüt der japani-
schen Bastardrasse nichts wussten und über despo-
tische Neigung dieser gelben Fremdlinge argen Ver-
dacht schöpften. Infolgedessen unterstützten die
halbzivUisierten Dajaken heimlich und offen die bar-
barischen Punanstämme im Innern, die allen fliehen-
den Briten ein Obdach gewährten und aus ihren
Urwäldern einen zähen Guerillakrieg gegen die
japanische Küstengarnison eröffneten. Mit Ausnahme
dieser Punkte beherrschte aber Japan nun ganz Borneo.
Dagegen blühte ihm bisher geringer Erfolg
gegen Celebes. Dort widersetzte sich die den Euro-
päern geneigte Bevölkerung, die ihren Wohlstand
dem holländischen Regierungssystem verdankte, tat-
— 508 —
kräftig der japanischen Beglückung. Die ganz g^
ringen europäischen Streitkräfte an dieser Stdk,
englische und ehemalige holländische Kolomalsci^
daten (meist Deutsche) untermischt, ergänzte dne
tüchtige Aushebimg von Minahassa-EingeboreDSs,
zivilisierte imd zum Christentimi übergetretene Aas-
nahme-Malaien von lichterer Hautfarbe. Die g^
radezu musterhafte Leistung der holländischen Kl*
lonialverwaltung in diesem Nordgebiete der freoi-
baren Insel trug also ihre Früchte in Zeit der Not
Der kriegerische und im Verhältnis zu Negern mä
Mongolen ritterliche, ehrenhafte Charakter des Ma-
laien macht ihn, wenn gut behandelt und durd
Anhänglichkeit an den Europäer gefesselt, zu das
wertvollsten Eingeborenenstamm, den irgendeise Ko
lonie der Welt besitzt. Die einheimischen Kcs-
troUeure der mächtigen Kaffeepflanzungen bevacb-
ten nach wie vor rechtschaffen die Arbeit im Innern
an der Küste verhinderten Europäer und malaäsclä
Milizen gemeinsam die Landung bei Menado, der
reinlichen Garten- und Villenstadt auf der ^'^
westlichen Landzunge. Nur bei Gorontalo auf ^^
nordöstlichsten Landzunge setzte das japanische (j^
schwader Truppen ans Land, die sich dort verschal
ten. Das britische Geschwader war auch noch start
genug, die Südküste zu schirmen, wo die Bugi ^"
Mangkassaren, Mohammedaner wie alle Malaien ai;3
ser den Minahassa, gleichfalls den Europäern tre:i
blieben und den chinesischen Geschäftsleuten ^
Aufpassen über Spionage das Leben sauer machteü
— 509 —
Im reinlichen Mangkassar, wo Meerebbe täglich
allen Unrat fortspült, ging der Trepangfang unge-
stört fort, alle Sunda-Postdampfer suchten dort Zu-
flucht. Von der südlich liegenden Viehzucht-Insel
Soleijer brachte man imgestört die hochgeschätzten
kleinen Pferde nach Celebes, wo eine Postenkette von
g:ut Berittenen die Küsten garnierte.
Das politische Verhältnis auf Celebes war eigen-
tümlich, da die Briten bei ihrer kurzen Besitzergreifung
der Sundainseln zwar denNordteil im ersten Schrecken
sich unterwarfen, aber noch nicht richtig Fuss fass-
ten, weil die Eingeborenen durchweg mit den hol-
ländischen Behörden im Fort Mangkassar sympathi-
sierten. Jetzt gegenüber der japanischen Fremdherr-
schaft handelten Engländer, Holländer, malaiische
Häuptlinge gemeinsam, Erledigung des Hoheitrechts
auf später verschiebend. Südlich von Celebes, öst-
lich von Java, sassen holländische Behörden immer
noch auf der Insel Flores, wo am Fusse des Vul-
kans Larantuka eine Holzkirche mit Dächern von
g^rauem Alang-Gras das einzige Merkmal europäischer
Kultur in zwei malaiischen Fürstentümern bedeutet.
Ebenso in der Ansiedlung Adenara auf der sonst
kvenig erforschten kleinen Südwestergruppe, auf dem
fruchtbaren vulkanischen Eiland Sumbama, während
britische Detachements auf Lombok und Bali, un-
mittelbar östlich neben Java, angelegt hatten, wo
lie heftige Brandung der Hafenbucht Ampanam
iedoch ein längeres Verweilen von Flottenstationären
iusschloss. Da Bali noch dem einst hier allmäch-
— 510 —
tigen Brahmanismus huldigt und mit geschnitzten
Tiergestalten seiner wohlerhaltenen Tempel und dei
Form seiner Bambushütten an Indien erinoert, de-
gleichen Lombok vom Radjah von Bali im wwr
zehnten Jahrhundert erobert und zum Brahmanismiß
bekehrt wurde, so dass in der BaumaDee von Ma
taram das mit roten Backsteinpfeilem gcäen^
Schloss des Oberbrahminen gleichfalls incfisch an
mutet, so fiel es den gelandeten Anglo-Indcrn nici^
schwer, den Radschah als Stammverwandten c-
Glaubensgenossen anzusprechen und ihm erdichtete
Grüsse des Radschah von Nepal und Nizam von
■
Hydrabad zu überbringen. Reis, Tamarinden tmö
Rinder von Bali, oder Tabak, Mais, Yam, Zucker
röhr von Lombok sind nicht zu verachtende Güter.
ebensowenig Sandelholz und Pferdezucht der sud
liebsten Insel Sumba, Kaffeebau in Kupang auf ^
südöstlichsten Insel Timor, wo Mischlinge von Cb
nesen, Weissen, Eingeborenen noch ein beschäm
liches Dasein führen : all diese von Holland wemf
beachteten Gebiete eröffnen einem stärkeroi köi
tigen Kolonisator ein ergiebiges Feld. Im ganz vtf
nachlässigten Ostteil der Insel, den Portugiesen is^
mer noch nominell zugehörig, hatte übrigens der
britische Admiral mit edler Unparteilichkeit gle<^
falls den Union Jack gehisst, so wie er freilK-'
umgekehrt die vorm Chinaaufstand flüchtenden Ec
wohner der Portugiesenstadt Macao unter seinem
Schutz nahm.
Der grosse Banda-Sund zwischen Celcbcs tff-
— 511 —
Neuguinea bildete gleichsam eine Wasserscheide
zwischen Japans und Europas Macht. Denn die
auf dessen Südostseite liegenden und überm Arafura-
Sund mit Australien in naher Verbindung stehenden
Koralleninselchen wie Goram, Kei- und Tenimberin-
inseln betrat noch kein Japaner. Doch befanden sich
nur wenige Europäer dort, ausser einigen deutschen
Ansiedlern. Kokosöl, Muskatnüsse, Teakholz, Segel-
matten wurden auf den von Kei-Insulanem verfer-
tigten Prauen (grossen Booten) noch ungestört ver-
handelt, und der hier beginnende Einschlag austra-
lischer Papuaneger veränderte nicht die malaiische
Antipathie gegen die gelben Zähnefletscher.
Dagegen hatte man die so wertvollen Molukken mit
ihrer Vorherrschaft in Gewürznelken, Sago, Muskat
und Pfeffer schon der japanischen Eroberung ab-
treten müssen. Schlitzäugige Handelsagenten aus
Jokohama ergingen sich schon in den Gewürzhainen
des Vulkans von Ternate, im fruchtbaren Ostwald
von Ceram fesselten Mango und Mangustan und
andere Tropenfrüchte die Aufmerksamkeit. Nach
Besetzung der grossen Molukken bekamen auch
die Banda-Inseln japanische Einquartierimg. Nur
zur Verteidigung von Amboina, Hauptverkehrspunkt
im Osten des malaiischen Archipels, traf man anfangs
Vorkehrungen, wollte aber dann den unter Palmen
und Hecken blühender Sträucher vergrabenen Ort
nicht der Zerstörung aussetzen. Bald nahm hier ein
Haupt teil japanischer Flotte im trefflichen Anker-
grund der Amboinabai Station.
— 512 —
Übrigens wollte Japan auch nach Westen seine
Machtsphäre erweitem, die wegen Mattenfabrikatioa
bekannte Nikobarengruppe im Bengalischen Meer-
busen westlich der Malakka-Meerenge wegnehmes,
was auch für Tschaura und Kar Nikobar gebcg
Auf Kamorta umgürteten sich aber die dort stets &
ternierten vierhundertfünfzig britischen Sträfling?
unter Amnestieerlass bewaffnet, mit dem gan^
Stolze ihres Albion und drehten den Japs eine lang?
Nase, wobei ein paar gebildete Frechlinge höhnk-
Lieder aus Sullivans »Mikado* anstimmten. Dagegri
bemächtigte Japan sich später der französische:
Pulo-Condor-Inseln vor dem Mekongdelta, strat^t
wichtig.
Das Bombay Staff Corps lachte nur über a"r
ländische Träume von neuem Meutereikrieg. »'
denn auch russischer Einfall aus Pamir längst du'^
strategische Bahnen zu den verschanzten Himab:^
passen unmöglich gemacht. Kitcheners scharfe Zcii
liess ihrer nicht spotten.
Riesenbananen Singapores, wie sie dnst E*^
in seiner ,Sketcher's Tour* gezeichnet, trugen necf
Früchte : Gehangene. Die vier Bahnlinien der Sta'
Settlements, Malakkas Zinnschätze ausbeutend, os^
die Pfahlbaustadt Pulo Penang (Georgetown) uiitc:
hohen Waldbergen blieben noch unbelästigt. I'
Indien gärte es «zwar entlang der monotonen, schait^
umbrandeten Palmenküste der Präsidentschaft M>
dras, wo von graublauem Hintergrund, saftigem Gn<£
von Gummibäumen und braungelbem Sand hcl^*
— 513 —
Strandstädtchen sich abheben, mit weissrotgelb ge-
tünchten. Häusern oder ungepf lästerten rotange-
strichenen Strassen wie in Cochin, wo Vasco de
Gamas Gebeine schlummern. Tanjore, Sitz des
reinsten Brahminentums mit dem berühmten
Tempel, ward schwierig. Doch die starke Besatzung
der Festung Trichinopoli hielt strenge Wache, ebenso
Fort St. Georg im Süden von Madras und der strate-
gische Posten Bellary an Bahnstrecke Goa-Madras,
Handel mit Kokosöl, Pfeffer, Ingwer ging ebenso
ruhig weiter, wie der mit Erdöl in Birma, wo eine
Art Streik in Rubingruben von Mogok rasch nieder-
geschlagen wurde. Aus dem Tempel von Mandale
mit hinmielanstürmenden Pyramiden und ausge-
bauchten Kuppeln voll wunderbarer Ornamentik,
Goldspitzen mit faustdicken Rubinen und Smaragden,
kunstvollen Skulpturen der Wände stierten feind-
selige Birmanenaugen hervor. Doch es blieb bei
nächtlicher Ermordung einzelner britischer Schild-
wachen. Im tieferen Indien, wo die , Nationalliga*
der Hindus seit lange wühlte, kam es zu Aufruhr
gegen das Salzmonopol, doch nur hier imd da. Im
Pandschab blieb Labore ruhig, in seinen roten Sand-
stein- und Marmorbauten mit Mosaikfussböden lebte
man träge wie immer. Im Mahavedatempel mit
Goldkuppeln und Glockentürmen zu Amritsar am
Teich der Unsterblichkeit, der heiligen Stadt der
Sikhs, betete man sogar für englische Siege. Weniger
in der arabischen Dschemna- Moschee von Delhi,
vor deren breiter Freitreppe imd schlanken Mina-
Völker Europas ... I 33
— 514 —
retts die Moslem ihre Gebetknickse machten. Unta
roten palmblattbedeckten Lehmhütten von Mysort
schärfte man verborgene Waffen. Am grossamgc
Grabdenkmal Tadsch in Agra, wo sonst im blto
prangenden Park nur Rosen» Lilien, Zypressen, P>
tanen über sprudelnden Bassins ihre GehemmsK
flüstern, flüsterten Verschwörer. Durchs hodJg^
wölbte Portal mit schwarzen arabischen Inschnftes.
wo den majestätischen Kuppelbau des wö&
marmornen Wunderwerks vieredelgeforaiteMinareni
flankieren, daneben zwei kleine Gebetmoschecn sc
rotem Sandstein, schritten finstre Männer cm ^
aus zu geheimer Zusammenkunft. Doch ruhig g^
man im stufenweise vom heiligen Ganges aufstelle
den Benares den Geschäften nach, über Golkonda:
Diamantgruben wachte die englische Besatiung -
Haiderabad. Touristen besuchten nach wie ?or (^
Grottentempel Ellore mit Pfeilerreihen voll steincro:'
Elefanten und Löwen. Der hindostamsche U»
ward nicht lebendig I Kalkutta mit seinen Forts ^
Süden und Norden lag im tiefsten Frieden. >-
mindc» Jeypore, Indiens schönstes Juwel mit Nanöü
museum, rosabemalten Palästen indischen Stils. P
ziert mit weissen Ornamenten, mit rosafarbc:'-
Zinnen und teppichbelegter Säulenhalle des Mi-
radschaschlosses, grellen Tempelmalereien, ^'
zenen Stadttoren. Nur die berühmten Tänierii^
der Parsenkolonie Surat tanzten heimliche Mcoter-
und die Parsi in Bombay warfen in ihre ,Tünne v^'
Schweigens*, kreisrunde niedrige Mauerwerke un"
— 515 —
Zypressen, wo Geier die ausgesetzten Leichen ske-
lettieren, auch heimlich ermordete Briten.
In Aden bewachte das von Madras schon früher
dorthin verpflanzte 2. Regiment Suffolk das Rote
Meer im Verein mit „Hindostan**, „Ganges*', „Niger".
Auf Kohlenstation Tschagosinseln, auf den Lak-
kadiven, wo Kaurimuscheln verhandelt werden, auf
Ceylon, wo Tee- und Kaffeekultur ihre Ernte ruhig
betrieb, dachte man an keine Japaner. Nur einmal
hatte ein kleiner Kreuzer mit dem japanischen
Sonnenwimpel die weisse Brandung, den dunkeln
Kokoswald von Colombo begrüsst. Unter senkrecht
herabfallenden Sonnenstrahlen, die blitzende Reflexe
auf Deck und Mäste malten, machte er aber kehrt
und verschwand. Denn fem am Horizont entdeckte
er den britischen Kreuzer „Indef atigable" (Station
Singapore, in Herrn Le Queux' Invasionsphantasie
allen Ernstes als Schlachtschiff der Clyde-Division
aufgezählt !), der wirklich ,unermüdlich* das Indische
Meer absuchte.
Als man „Prometheus" von seiner Station Sidney
zur Nordsee abberief, um möglichst viel starke
Kreuzer zur Blockade an Ort und Stelle zu haben,
ahnte man freilich nicht, dass auch Australien ge-
fährdet werden könnte. Wohlfeiler Spott, warum
deutsch-englische Fehde notwendig einen Weltkrieg
entzünden müsse, blamierte sich eben gründlich.
Denn diesbezügliche Prophezeiungen übertraf die
Wirklichkeit, da man bei solcher Phantasie törichter-
weise Amerika, Japan, Türkei, Abessinien aus-
33*
— 516 —
schaltete, die in solchen Strudel ohnehin xmthiBdD-
gezogen sein würden, selbst wenn sie nicht gewclt
hätten. Ähnlich irrig erwies sich der ausgesprochai^
Zweifel, ob Österreich seiner Bündnispflicht genüge:
werde, was durch Italiens Haltung und dea Alto
sehen Konflikt sich von selber bejahte. Man «:
gass bei solchen Zweifeln, dass die Interessen-^ «^
Politik heut zu viel Eisen im Feuer hat, um Kau?
wirklich erstklassiger Grossmächte — als welche Ites
nur noch England, Nordamerika, Deutschland gä^
dürfen — lokalisieren zu können.
. . . Indessen erlebten die Franzosen auch eis;
schlimme Zeit. Dass er Pondichery und die vjer
anderen französischen Städte in Vorderindien c
geschoren liess, durfte man Kitchener nicht lumstsJi
Doch bestand eine Art Waffenstillstand stillschws
genden Übereinkommens zwischen Briten und Fiai:
zosen, den neueingetretenen Kriegszustand so larx-
zu ignorieren, als die gemeinsame Auf ruhrgef abr .^
tens der Asiaten obwaltete. Auch an Goa und I -
beschloss Kitchener sich später schadlos zu haltet
da so schwache Leute wie die Portugiesen ^'-
nicht erlauben sollen, unsichere Kantonisten ^-'
unklarer Färbung zu sein.
Cochinchina litt schwer durch Aufhören sdn-
Reisabsatzes nach China, Kambotscha konnte sg^^
Gumnü nicht los werden, Annam nicht Sac-
Zucker, Ölkuchen, Häute, Hörner. Auf veröden
Messen und Märkten wehklagte man überAusbleii»^"
von Tee und Opium. Doch sass der Resident nc^
517
ruhig in der Festungshauptstadt Hue mit Fort
Tuanan. Nur die Moi und Laos im Gebirge zogen
die Gelbflagge der Empörung auf, die Annamiten
verhielten sich tatlos. —
Den Deutschen gegenüber verfuhren die Japa-
ner so : begrüssten sie als Befreundete, schützten an-
scheinend ihre Schiffe, Niederlassungen, Handels-
häuser, leiteten aber den Handel Mikronesiens, der
jetzt ganz den Deutschen gehört haben würde, mög-
lichst in die eigene Tasche. Vorstellimg des deut-
schen Konsuls, dass in Apia wieder deutsche Flagge
g^ehisst werden möge, blieb unbeachtet. Mit der
gleichen Methode geheimen gegenseitigen Misstrau-
ens behandelten sich Franzosen und Japaner. Es
war den Briten natürlich unmöglich gewesen, mit
ihren jetzt so schwachen Kräften etwas gegen Fran-
zösisch-Oceanien zu unternehmen, wo Frankreich so
ungeschickt ein übertriebenes Militär- und Beamten-
personal unterhielt und durch riesige Sträflingskolo-
nien jede selbständige Entwicklung der freien Ko-
lonisten unterband, ausserdem die ursprünglich sehr
zahlreichen Eingeborenen unzweckmässig sogar mit
katholisch-klerikalen Zwangsbekehrungen schika-
nierte. Unbegreiflicherweise hat die spottschlechte
Verwaltung von Neukaledonien und Tahiti noch
Lobredner gegenüber dem britischen System gefun-
den, während man die in Neuguinea und Kiautschou
musterhafte und selbst in Afrika, wo man den preussi-
sehen Leutnant und Referendar statt des Kaufmanns
Lind praktischen Kolonisten nach Schema F pedan*
— 518 —
tisch-schneidig walten lässt, noch immerhin leidlide
Kolonisierungsarbeit der Deutschen mit Schimpf und
Schande bedeckte. In Wahrheit ist Französisch-Oct-
anien augenblicklich das schwere Geld nicht wtit
das es kostet. Hätte man auf Neukaledonien nicht
wenigstens einige Originalartikel der Hobaosfiib
(Akazie, Kolonialfichte, Tamanu), Gummi vom N:-
aulisbaum und guten Viehstand (sogar Wettrciöc
für Pferdestüterei), so stände es agrikulturdl hinter
allen Kolonien weit zurück, auch die „Soci^te c*
Nickel" am Mont d'Or bringt nichts Ordentlichti
Guano von den Chesterfieldinseln wenig. Für rxll
tausend Deportierte bei Numea, auf der FichtcmiL^
und anderswo sind allerdings elfhundert Soldate
Bewachung nicht zu viel, aber dass auch ncumcb
hundert Aufseher und dreitausendf ünfhundert Kö?.*-
eines Beamtenstandes mit Frau und Kindcm ^
Budget belasten, ist trostlos. Wallisinsehi habt
etwas Koprahandel, Australinseln gar nichts. A:^
Tahiti, den Gesellschafts- und Untermwindinseln P-'
duziert man trotz prachtvollsten Bodens nur ä«^
weisse Baumwolle und ausserdem OrangeRiiro '-
vier Fabriken, sonst liegt der Handel gam in bn^
tisch-amerikanischen oder, wie in Teavania, <if-'
sehen Händen. Dies wäre eine Kolonie für Dentsv
landl Das von hundertfünfzig Marineinfanterist^
in der Kaserne von Popiti geschützte Artillericarsr
nal für Stationsschiffe lockte immerhin als B«ctf
mehr als die Berge von Blumen und Früchtai i
der Esplanade vor den Pariser Kaffeehäusern
..>
ci
— 519 —
auf der östlicheren Paumotii- und Gambiergruppe,
die schon durch Raubbau erschöpften Perlenbänke
oder die ruinierten Sandelholzbestände der Marque-
sas. Auch auf diesen Inseln regiert tatsächlich der
deutsche Kaufmann, nämlich die deutsche „Soci6t6
conmierciale de l'Oc&mie" unter französischem Na-
men. Dieser Zustände eingedenk, verachteten die
Japaner und Briten das französische Gut als zu un-
bedeutend, um erst noch ein Gefecht mit Fort Phae-
ton und einem Stationsschiff vor Tahiti für so zwei-
felhafte Erwerbung riskieren zu sollen. Die Fran-
zosen hatten also im ganzen noch Glück mit ihren
vogelfreien Kolonien, da Mauritius unangegriffen
blieb und General Trentinian nebst Kreuzer ,Alger*
Aufstand in Madagaskar niederschlug. Nur Neue
Hebriden, diesen angenehmen Sommeraufenthalt in-
ternierter politischer Sträflinge, hatte eine von Austra-
lien in der Sidney- Werft gerüstete Kaperflottille
grebrandschatzt. Die englischen und französischen
Missionare, Kopra-Makers (Kokosnusskemtrockner)
und Kanaken (Lohnarbeiter) feierten dies Ereignis
durch wechselseitige Keilerei.
Auf Tonkin, wo halbwilde Laos und ,Tirailleurs
chinois' von Quangtschauwan mit den Chinesen
gemeinsame Sache machten, später seine Hand
zu legen, behielt England sich vor, falls alles
gutgehe: man würde es dann den Chinesen
wieder abjagen. Diese erlitten soeben bei Laokai
eine empfindliche Niederlage, womit die Franzosen
ihre eigene einstige Schlappe bei Langson rächten.
— 520 —
Noch wehrten die fünfundzwanzi^ausend Soldatei
Beaus sich brav, obschon sie Frankreichs bem"Ei-
dernswerte neue Südchinabahn preisgaben und Fiebe
beim schlechten Zustand ihrer Hospitäler dicRöbea
lichtete. Ausser dortigem Grenzkrieg, der imSongb-
delta zwischen Haiphong und Hanoi hin und hrr
wogte, und Hinauffahren chinesischer Flusskanonct-
boote sank China in seine alte Lethargie zurück, ve:
sorgte nur Japan mit Proviant und Kohlen und b^
förderte auf Japans Drängen eine Truppenabteilxii
nach der Halbinsel Malakka, wo sich erneut Malak:
und chinesische Ansiedler unnütz machten. A\.k
„Redbreast" bekam rote Brust, blutiger CbertiL
Kitchener war aber gleich bei der Hari
und ein schreckliches Strafgericht brach über i-
Aufrührer herein, nachdem die gelandeten Chineser
von einer per Bahn rasch aus Birma herangefühni:
angloindischen Division ins Meer getrieben. I •
kleine chinesische Kriegsflotte, die zur Deckung naii'-
vor Anker gegangen war, ergriff schon vor Fe!-
artillerie schweren Kalibers die Flucht. Vom &^
strandeten Kreuzer „Pao" (vom Stettiner y\i&si
gebaut) retteten die Engländer zwar die Mannsdi-
vorm Ertrinkungstode, aber nur, um sie Mann tV
Mann vor Kanonenmündungen zu binden und nac'
beliebter Sitte des alten mdischen Meutereikri.^-
»wegzublasen*. Diese feierliche Exekution roao'
auf die Eingeborenen den Eindruck, dass die Engla:
der doch grosse und gottgesegnete Männer seien, *^
solchen orientalischen Herrschaften nur Grausami
— 521 —
imponiert. Der Krieg nahm überhaupt einen so
grässhchen Charakter rachsüchtiger Vertilgung an,
dass bald sämtliche aus Kanton als Geiseln mitge-
führten chinesischen Notabein hoch an den Raaen
britischer Schiffe baumelten, dass dito ein Befehl
des australischen Parlaments alle auf australischem
Boden betroffenen Japaner ohne Untersuchung auf-
zuknüpfen verordnete, dass Japaner gegen Malaien
mit Feuer und Schwert wüteten, alle Dschunken im
Sundasund ohne Erbarmen niederrannten, einerlei,
ob Seeräuber oder nicht. Den über ganz Indien
verhängten Belagerungszustand fasste Kitchener so
auf, dass jeder Distriktskommissar ohne weiteres,
ohne Kriegsgericht, jeden Verdächtigen niederknal-
len durfte. Drei einheimische Professoren am Hin-
doo-CoUege wurden bloss wegen zweideutiger Re-
den nacheinander suspendiert, arretiert, füsiliert.
Durch solch drakonische Strenge brachte man aber
die riesige Menschenwoge Hindostans, kaum dass
sie etwas emporzuwellen sich anschickte, zum Ver-
sanden. Kitchener konnte ungestört den „Omrah"
(10 000 Tonnen) der P. & O. Line, als Kriegsdampfer
mit Vickersgeschützen von 76 Millimetern und einem
Rücklaufgeschütz von 57 ausgerüstet, nebst anderen
Paketbooten der Peninsular Oriental Line nach Suez
entsenden, um dort eine starke Brigade mit Maxims
auszuschiffen. Die Ankunft dieser Verstärkung, bald
fühlbar durch beherztes Vordringen längs der Küste,
um Alexandria von der Landseite zu entsetzen, und
schleunige Neuverproviantierung der bedrängten
— 522 —
Feste von der Seeseite, war um sp nötiger, als jetit
sämtliche britische Schiffe in der Nacht MmlSji]
die Anker gelichtet und sich geheim gebliebeECii
Ziele zugewendet hatten. Am Frühmorgen des 19.
wusste man in Biserta, wohin sie ihr Stcocmu
herumgerollt 1 —
Das sogenannte Wiedererwachen Chinas, ^
neuerdings bewaffnete Massen längs der Langai
Mauer entlangwälzte und Tschungusenbanden ^'
eine Avantgarde neuer mongolischer VölkcrwaiKk^
rung in die Mandschurei vorschickte, deröi Bi5
man bis Charbin spürte und mehr fürchtete ü^
die Rudel verhungerter Amurtiger, dieser nngcahs^'
Wellenschlag am Stillen Ozean warf seine Ersehet*
rung bis Irkutsk. Schon verglich man auch ''
Saigun das französische Indochina mit dem Mect
von Juarez und Bazaine, unsicher, unfruchtbar. Eit
zu vielem Blute gedüngt, voll schauriger Hintff
halte, aus dem man sich bald davonschleichen müssf
Es schien klar, dass eine Einzelmacht sich it'-
mehr lange werde in Ostasien behaupten konJ^i
nur das vereinte Europa die chinesische Flut ec
dämmen könne, doch kein Europa ohne Engi*^-
und seine Flotte. Im übrigen spielte sich das chit-
sische Leben, kaum dass es alle Europäer vcrsclüa:^
wieder so unbeweglich ab wie seit Jahrtauscn«^
Unendliche Geduld, unglaubliche Verschlagenli^
philosophische Ruhe seiner Institutionen vcricä^
dieser unverrückbaren Masse eine träge Starr
die nicht der japanische Ansporn, nur die Hung^'
— 523 —
peitsche aufstacheln kann. Die chinesischen An-
leihen auf europäischem Markt, auf deren guten
Kursstand und fünfprozentige Zinsen besonders das
deutsche Privatpublikum hereinfiel, genossen als
Börsenpapier jetzt Makulaturwert. China grinste ver-
gnügt über den Trost der Käufer, dass die britischen
Zollwächter Sir Robert Hart undDetring ja stets übers
Eingehen der verpfändeten Küstenzölle wachen wür-
den, und die rechtzeitig in japanische Wasser ge-
flüchteten chinesischen Handelsschiffe machten den
weissen Teufeln eine lange Nase. Die Ostasiatische
Bank stellte ihre Zahlungen ein, mehrere grosse
Banken Europas gerieten in Deroute. Diese Dinge
berücksichtigte man in London und Berlin gar sehr
für den täglich stärkeren Wimsch, lieber Einigkeit
Europas bezüglich Chinas herbeizuführen. — —
Am 15. Juli hatten selbst auf den Alpenstationen
Scheidegg, Rigi, Gotthard, Simplon die Marconi-
schen Funken die frohe Post des Festlandfriedens
weitergetragen. In Europa begann der Kampf gegen
England damit, dass man die so oft vom perfiden
Albion geübte mala fides ein wenig nachahmte. Die
aus Boulogne landeinwärts gesandte 17. Inf. Brigade
Dawson (Belfast) nebst 7. Prinzess Royais Dragoons
sah sich, als man gerade auf Ordre aus Harwich
hastig die eigenen Transportschiffe aufsuchen wollte,
von allen Seiten zerniert und nach kurzem Kampf zur
Waffenstreckung gezwimgen. Die sofort aus den
deutschen und holländischen Gewässern abberufenen
britischen Flotten rächten dies damit, dass sie in
— 524 —
ununterbrochenem Vorüberdampfen durch den Kanal
von Ost nach West sämtlich das offene Bodogcc
mit einem Granatsegen bedachten, der die ganze
Unterstadt (Basse Ville) in Asche legte. Dafür iräg
ten deutsche Torpedoboote einen Überfall bei Wiad
und Wetter eines dichten Kanalnebels auf den Med
waykanal, dessen Eingang sie rechtzeitig durch Vtr
senkimg eines steinebeladencn Fahrzeuges speirtti
und den Kriegshafen Shemess, wo sie versckr
denes Unheil anrichteten. Daim schlichen ae e
Nebel wieder durch die englische Kreuarposia
kette zurück, die zwischen Portsmouth, Plymoia
Milesend, Gravesend allein noch die englische Sekf
des Kanals bewachte und auf der Südostküste l%-
lands Sicherheitsposten ausstellte, um etwaige dr-t
sehe Angriffsversuche zu beobachten. Die britiso?
Flottenstrategie räumte nämlich die ganze Nori^«
nur die Humbermündung und Rosyth durch Stiast
batterien tmd Torpedos bewachend, um ihre p^^
Masse in höchster Eile teüs nordwestlich auf Art«
rika, teils südlich auf Frankreich zu werfen.
Deutscherseits konnte an eigentlichen Setkre:
kaum gedacht werden, man musste hierbei die\^-
bündeten ihrem Schicksal überlassen. Dagegen vc
liess man sich noch auf so viel Gefechtskraft ^'-
eigenen Flottenreste, dass man diesmal emsu:
das Projekt einer Landung auf englischen Boci
ins Auge fasste. Es lag die Idee eines Erfinc^
vor, Kriegsboote aus Aluminium herzustellen, ä'-'
einanderzunehmen, stückweise zusammenges:*-
— 525 —
ähnlich dem Typ neuester britischer Kanonenboote
aus dem oberen Nil. Setzte man auch alle Öfen
der heimischen Metallurgie in Tätigkeit, so würde
dies freilich viel zu lange gedauert haben, um für
fünf Armeekorps mit Pferden und Material das Nö-
tige zu bauen. Wohl aber konnte man binnen einem
Monat genug Boote, und zwar von Eisen, nicht von
Aluminium, herstellen, um wenigstens die Avant-
E^arde den Transportschiffen vorauszusenden. Es kam
auf den Versuch an. Ausser HuU und Yarmouth, die
sich von selbst als Landungsstellen darboten, warf
man Augenmerk auf Lowestoft und Weyboume, wo
das Meer bis an den Strand fünfundzwanzig Fuss
:ief ist, also dichtes Herannahen der Schiffe ermög-
licht. Selbst wenn eigentlicher Überfall misslang
jnd unter gutsitzenden Kugeltreffem der Küsten-
ivachen manches Boot nach Steuerbord ausschor,
iess sich jedenfalls Landung erzwingen, solange
iie britische Hauptflotte fem. Nur huldigte man
licht mehr dem kindisch überschwenglichen Traum-
bild, dass dann die Deutschen widerstandslos Eng-
and von einem Ende zum andern durchziehen könn-
en. Man wusste sehr genau, dass britische Yeo-
nanry, britische Volunteers zu fechten und zu ster-
ben wissen, dass die ganze Masse des stolzen Vol-
ces zu den Waffen greifen werde.
Mittlerweile bombardierte schon die früher vor
Antwerpen kreuzende Eskadre nach Herzenslust die
iVerke der Insel Aix bei Rochefort. Das submarine
iCabel von Brest nach St. Pierre auf Martinique riss
— 526 —
schon, nachdem es noch eben gemeldet, Q\a^
loupe sei von Jamaika aus überfallen und geplünds:
worden. Offenbar rissen dort England imd Amerib
sich um die Beute als Alleinherrscher in West
Indien, dortige französische und hollandische Ko*
nien erkannte man überhaupt nicht mehr an. D^'
früher am Zuydersee belassene Blockadegeschwadi:
nahm jetzt die gleiche Rolle vor Brest auf, wo Föh
Tolinguet bald die Marke von Lyditbomben tr^i
Beide £skadres vereinigten sich dann vorCheihoa^
wo sie auf vier Seemeilen Entfernung beilegten 32u
bis ins Arsenal feuerten, jedoch aus Furcht vcs
Unterseebooten nicht tiefer hineinsteuerten. SoOif
doch hier nur Blockade unterhalten, der Feind ^
neckt und etwaige Transportflotten im Hafen g^
fesselt werden. Denn das Gespenst einer Landur?
auf Irland ging schon unheimlich um.
Ausser grösseren und kleineren Kreuzern beliessc-
die vier ,Lords der Häfen*, die ein Verteidigtii4>
committee bildeten, nur 12 Linienschiffe zur Dcd^
Englands und Beunruhigung der franzoäsciie:
Nord- und Westküste, indes das zweite Reserre?^
schwader von Ferrol nach Gibraltar abdampfte,-^
die Balearenflotte zu verstärken. Hatte Frankreci
doch wegen der afrikanischen Unruhen schon U^
Juni die Hälfte des Nordgeschwaders dorthin r
sandt, die sich von Cadix eben nach Biscrta wenv.-
wollte, als sie telegraphisch erst den Befehl ^
Haltmachen empfing beim Beginn des Balearc^"
konflikts, dann, als die Geheimverhandlung in ^^*
— 527 —
mont sich zuspitzte, zum Abdampfen gegen Fort
Mahon. Kaum über den »Europäischen Bund' unter-
richtet, sah sie dort alsbald die englische Okku-
pationsflotte am 16. abends vorbrechen. Das Lon-
doner Marineamt hatte schon am 15. über Gibraltar,
den noch funktionierenden Kabel nach Valencia be-
nutzend, welchen dort ein britischer Kreuzer be-
wachte, Geschwaderchef Scott in Kenntnis gesetzt,
dass sofortiges Losschlagen ohne Kriegserklärung
g^egen Frankreich beschlossen sei. Die gleiche In-
struktion erhielt das Geschwader bei Alexandria,
während Wilsons Ferrolgeschwader ungehindert unter
Gibraltars Kanonen an Ceuta vorüberglitt und so-
fort von rückwärts auf das Franzosengeschwader vor
den Balearen Jagd machte. Durch einen schnellen
Torpilleur aus Corsika, der drei »Zerstörern* des Alex-
ajidriageschwaders entkam, welche soeben alle Ver-
bindungslinien zwischen Italien und Afrika unterbra-
chen, erhielt das zwischen Algier undBiserta lagernde
Toulongeschwader erst am 17. abends Kenntnis von
den Vorgängen in Europa. Es eilte sofort in nord-
östlicher Richtung vor und vereinte sich an den
kleinen Hy^reinseln mit Maigrots Nordeskadre» die
sich mit Verlust des ,Bouvet*, gesunken, und des
prachtvollen Kreuzers ,Guichen*, Flagge gestrichen,
aus den Balearengewässern rettete. Ferrolgeschwader,
/on Südwesten in Flanke und Rücken erschienen,
zwang zu eiliger Flucht.
Sir George Warrender des ,Camarvon* bewährte
lier sein Schiffsmotto : ,The red dragon leads the way.*
— 528 —
Vom Juan-Golf abgeschnitten, steuertedicTcrfolgte
Minderzahl um Corsika herum, dessen Küstenläag:
von hundertneunzig Kilometern ein lustiges Trei>
jagen gestattete. Der alte Turm von Bonifado,Lei:dr
türm von Pertusato, die kleinen Inseln Laveza
Piana, Ratini, Cavallo, Golf von Santa Manzo, Ber^'
von Cagna über Sartena schwanden nacheinander vor
dem Blick der Verfolger, die sich angelegen x^
Hessen, den Achtmeilenkabel von Bonifacio nach ^•^
Teresa auf Sardinien und die einzige Verbind.^
Corsikas mit dem Festland, das Kabel Macinagg^
Livomo, zu sprengen. Da die italieniscbc Fkc-
soeben erst vom adriatischen zimi tyrrhenischcnMet'
aufbrach, fanden die Briten auf ihrem dreisten Zw
die ganze Küste leer, wo man in Spezzia und Ma«^
dalena wie im korsischen Porto Vecchio in to-f-
Schrecken überhastete Vorkehrungen traf. Ja, ^
mächtig war der Eindruck dieser britischen wilcr:
Kühnheit, da man schon die ganze Mittekneerlbttr
vereint wähnte, dass der französische Adcsr«-
Touchard den Hafen von Toulon aufsuchte, ohi-
Schlacht anzunehmen. Vizeadmiral Bellue war dafc
Doch am 20. Juli abends entschloss er siC
dem Drängen der öffentlichen Meinung nachgebcr.-
in hohe See dem übermütigen Feind entgcgeiu*:
fahren. Konteradmiral Mancetons 2. Div. vörii:^
In Toulon herrschte grosse Erregung, ^i^"-
die Vaubanstrasse und über den Freiheitsplatz wT'e
ten dichte Menschenmassen. Statt der bengatsci^-
Beleuchtung und der orangegelben BallcAs, ^
— 529 —
denen man den Friedensschluss von Chaumont und
das Frontmachen gegen £ngland begrüsste, löschte
man möglichst die Lichter und bewunderte nur
draussen im Hafen die Illuminierung durch elek-
trische Scheinwerfer der Forts und des Toulonge-
schwaders, in drei Linien auf weniger als eine See-
meile Umkreis. Von den Forts Rouge und Croix
am Mont Faron im Westen, fünfhundert Meter über
der Stadt, klangen Homsignale, von anderen auf
den Forts Mourillon imd Grande-Tour im Osten
erwidert. Das vorgeschobene Fort £guilette, ,Klein-
gibraltar' im Volksmund, wo einst die ,Batterie der
Furchtlosen' des Hauptmanns Bonaparte gedonnert,
bewachte und beleuchtete die Grosse Reede, wei-
terhin Kais, Magazine, Arsenalateliers und Bassins
der ,Darse de Castigneau' mit ihrer geometrisch
abgemessenen scharfen Enceinte.
Der Marinepräfekt arbeitete mit dem General-
stab der Flotte, am Grossmast des Flaggschiffs fun-
kelte das Weissfeuer des Admiralsignals, wo am
Tag die Trikolore vom Pavillon wehte. Gegen Mor-
gen präsentierten die Funktionäre der Schiffsleitem
und -treppen, als der kommandierende Adnüral seine
Panzerbrücke betrat, vom Pavillonkapitän, dem zwei-
ten Leutnant und dem Stab des Quarterdecks emp-
fangen, indes der Quartermeister durch heulenden
Sirenenpfiff den anderen dreissig Kapitänen und
fünf Konteradmiralen ein verabredetes Signal gab.
Allsogleich stieg an allen Signalmasten die Schlacht-
parole der Winkflaggen auf, an jenen kleinen, ein-
Völker Europas . . . | 34
— 530 —
zigen Seesieg über England zur Nelsonzdt erinnenü
„Algesiras.** O biedre Algesiras-Konferenzl
Die englische vereinte Flotte schob ihre Inift
seeboote seitwärts vor, einen Ring gegen die tdn:^
liehen bildend, die sich jedoch vom Hochsecgcfed
wohlweislich zurückhielten, wofür ihre RoUe nk^^
taugt. Sie zwang den Feind zur Schlacht dm-
das einfachste Mittel von der Welt: Bombardeicö:
von Marseille. Das Balearengeschwader, unte^^-p
die Bahngeleise von Comiche durch gelandete )^
trosen zerstörend, lief den Meerbusen entlang ^
eröffnete am 18. abends überraschend sein Fes:
auf die Insel Ratonneau, sieben Kilometer vor Mi*
seille. Die dortigen Batterien und die von Pba:^
Nikolas, Endoume erwiderten timsonst mit m^^
gern Erfolg. Brandgranaten und aus Kanonen ^
47 und 67 Tonnen Gewicht neue Riescngescfes^
von besonderer Explosivkraft setzten alsbaW d?
Douanegebäude und ganze Entrepots amQuaüJo!i'^-
in Flanmien, die auch vom Bahnhof und der l^
Publikstrasse aufloderten. Am 19. demonstrierte d^
englische Admiral so gewandt, Landungs- undSnii^
versuche vorschützend, dass aus Nfmes Territory.
truppen auf der Bahn abgelassen wurden, derHi-^
schrei Marseilles aber die Toulonflotte bcwog, ^^
Entsatz zu konunen. Auf solche Reizung rtds^
man englischerseits. Sobald man Aufbrucfasbe^-
gung deutlich wahrnahm, dampfte das Blocks*
geschwader vor Marseille bei Nacht ab und ^'
einte sich am 20. früh mit Wilsons Ferrolgeschwac?*
— 531 —
Admiral Wilson übernahm das Kommando der
lier vereinten Flotte. Da von Alexandria „Em-
)ress of India", „Revenge", „Devastation", „Bul-
vark'*, „Nile** nebst kleinem Kreuzern, wie „Scylla**,
,Fortress'*, „Fearless** unter Rearadmiral Chichester
camen, waren hier nur zur Stelle von Mittelmeer-
ichiffen „Prince of Wales** (Flaggschiff), „Ra-
nillies**, „Anson**, „London", „Camperdown**, „Irre-
istible** (Flaggschiff des Rearadmirals Bridge-
nan), „Sultan** (Flaggschiff des Rearadmirals Sir
^ercy Scott), „Implacable**. 2. Kreuzerdivision „Mon-
nouth**, „Black Prince*', „Comwall**, „Gibraltar**,
,Cumberland**, „Orlando", „Narcissus**, „Barham**,
I. Kreuzerdivision „Camarvou**, „Berwick", „Venus**,
,Egmont**, T. G. B. „Salamander**, „Hasard**. („Suf-
olk**, „Leviathan** der 3. bei Suez, „Lancaster**,
Minerva**, „Blenheim** der 3. und „Drake**, „Un-
launted**, „Hebe**, „Halcyon**, „Dido** der 2. nach
•forden abgegangen). Destroyers wie „Mallard",
,Bruizer**. Das Ganze unter Rearadmiral Lambton.
Dazu von Kanalflotte V. A. Howes Linienschiffe
.Excellent** (L Klasse, wie „Wales**, „Sultan**), „lUu-
trious**, „Albemarle** (Schiessschulschiff), „Ex-
nouth**, „Swiftsure**, „Jupiter** und 4. Kreuzerdivi-
ion „Good Hope** (Flaggschiff des Rearadmirals
^eville), „Europa**, „Juno**, „Niobe**, „Diana**,
Thamar**, „Essex**, „Agamemnon**. („Latona**, „Sut-
5J" vor Antwerpen gesunken, „Endymion** vor Ham-
burg, „Antrim", „Devonshire**, „Cressy**, „Diadem",
Undaunted" bei Beresford, „Bedford**, „Leicester-
34*
— 532 —
shire" im Kanal verblieben nebst „Euryalus" ^
„Hogue"). Dazu kleinere von Leutnants gcfit'
Kreuzer, wie „Robin", „Moorhen".
Übrigens führte man bezeidmcnderwose ^-
einheimischen Gouverneur von Alexandria, Id^-^
Pascha, als Geisel mit an Bord. „Juno", „Vea:?
wurden entsendet, um die Eskadre Chidwstcr anir.
suchen, die man bei Suda-Bai vermutete. "
Französischerseits befanden sich die ncKs:^
Schiffe zur SteUe, „Danton", „Mirabean" (BestüäA
79, 2 unterseeisch), glänzender „Jules Mid^
hervorragender Kreuzer „Emest Renan", die c
lichenKreuzertyps „Marseillaise", „Forbin",„Cosv:
die nebst „Amiral Aube" eigenthch Wcstii«üädr-
Geschwader ausmachten, jetzt aber unter Ko- •
admiral Campion nach Eiuopa berufen, vorbei ]■
doch bekanntlidi zur Nordsee. Es hatte etwas r«
zeichnendes für den Kulturrang der framoasu^
Nation, dass nur in ihrer Marine bedeutende Sa
auf den Namen reingeistiger Kapazitäten Vols:
Hugo, Renan, Michelet, Condorcet getaufti Be^^^
lieh hingegen, dass Schiffe wie „Couronne" ^''
holt im Touloner Hafen reparieren musstcn^voo'^
fällen mitten im Frieden betroffen infolge W'^
lieber Schmierölung. Britischerseits wutde die :-
Reparatur nach Chatam geschickte „Aurora" so^^'
mit Ausbesserung fertig, dass sie schon frob^ '
Gibraltar das Alexandriageschwader verstärkte^
der Nordsee entbehrlich geworden . . .
Vor den Flanken lagen Destroyers, um i^
— 533 —
Forpilleurs und Contre-Torpillcurs die eigene Tor-
>edoflottille zu decken. Gegen achtzehn Linienschiffe,
leunzehn grosse Kreuzer rannten vierzehn imd neun-
sehn britische, an Torpedobooten waren die Fran-
zosen, an Torpedojägem die Briten überlegen. Stolz
latterte das Schlachtsignal: „Nelson und Hawke",
\n jene siegreichen Admirale mahnend, die einst
/or Toulon die Rotkreuzflagge hochhielten. Fran-
sosenkreuzer ,Montcalm' fürchte neues Quebec!
Am Heck der Vorderschiffe schäumte das azur-
3laue Meer von den ersten Granaten auf, die eine
^rünweisse Spur wie ein schillerndes hingeschlän-
^eltes Seidenband schnitten. Dann öffnete sich die
FlöUe der Stückpforten, Breitseiten und Turmka-
nonen spielten gleichzeitig, dumpfe Einzelschläge gin-
g^en bald in unimterbrochenes Rollen über, vom
Donner furchtbarer Explosionen wie im Auftakt
»ines Refrains begleitet. Planken und Eisensplitter
stoben mit menschlichen Gliedmassen umher . . .
„Irresistible" zeigte sich unwiderstehlich gegen
„Patrie", bis die „Marseillaise" tobend dem Vater-
iand-in-Gefahr half, „Dupleix" mit Revolutionselan.
Vizeadm. May brachte den „Michelet" in arge
Not, dem „Prince of Wales" tat es sein einstiger
Plantagenet-Vorgänger, der ,,Schwarze Prinz", gleich.
Schwimmende Feste „Gibraltar" brachte den Kreuzer
„Gueydon" gleich anfangs zum Sinken. „Impla-
cable" erwies sich »unversöhnlich* im Hetzen der
Franzosen. Der Ehrenwerte Sir Lambton durch-
brach des Feindes rechten Flügel und fuhr tief hinein.
— 534 —
T. Dep. „Vulkan" spie Flammen, „Orlando raufte ü
richtiger Furioso in einem tempo iH'estissimo, „Säk
mander" fühlte sich wohl im feiirigcn Eenc::
Doch riss Zufalltreffer dem „Hasard" die Badben:
maschine entzwei, und „Narcissus" konnte sein Si-
allzu selbstverliebt im Wasser beschauen, als er i::
dem Heck tief einsank. Eine Weile ging es für c-
Franzosen wieder gut. „Renan" zeigte sich als enk-'
Kritiker britischer Panzerplatten, als er dem Ji^
cellent" scharf bewies, dass nichts so exzelleDt y-
um einem gutgezielten Nahfeuer zu widcrsteb:
„R^publique" riss mit halb vorbeigehendem Ran:^
stoss dem „Sultan" die Brust auf, als wolle >'■
Abscheu vor Monarchen bekunden, „K16ber*\ S^-
Cond6* wollten britische Siegesnamen wie .,R^
lies" und Trafalgarerinnerung des „Si^iftsure" n-
gelten lassen. Doch „London" hielt den Ruhm -^ •
Weltmetropole aufrecht, „Jupiter" schlug dreiu i*
richtiger Jupiter tonans. Als die weidfrohe „Dijt*
und Heerfürst „Agamemnon" seitwärts Kontcra:'
Grimonet (Reserve) anfielen und gegen das neue Ti
Toulon in Rücken der Franzosen kreuzten, g^-
ihre Linke in Unordnung. Rearadmiral Ne\il'.f "
wickelte sie, Lord „Essex" wetteiferte mit -'
„Black Prince" am andern Flügel, und „Good H >
war guter Hoffnung, die feindliche Nachhut :-
zuheben. Der Honourable Lambton gab der A^
rönne" einen so unhöflichen Rippenstoss» dassi^'
Krone in die Tiefe taumelte, sie entmastet d^^ -
trieb. Destroyer „Bruizer" (Beuler) stiess den '^
— 535 —
tretorpilleur „Dunquerque" so erbittert nieder, als
solle der Zwist wegen der niederländischen Grenz-
ereignisse hierher verlegt und ausgefochten werden
wie ein Gottesgericht. „Danton** polterte, als wolle
er brüllen ,toujours de Taudace*, „Mirabeau** wollte
nur ,den Spitzen der Bajonette' oder Rammspome
weichen. Doch „Vergniaud" parlierte nicht mit Giron-
distenpathos, „Condorcet" hielt nicht chemische Vor-
lesimg mit Brisanzgranaten und Melinit: noch im Bau!
Der neue „Camperdown** wiederholte die Kata-
strophe des früheren gleichnamigen Schiffs. Nach-
dem seine Maschinenschrauben zerschmettert und
grosse Teile seiner Panzerbekleidung in ganzen
Stücken von ihm losgerissen, ging er zuletzt unter
Torpedoknall mit Mann und Maus imter. Der fran-
zösische „Brennus", dessen früherer Kapitän Campion
dem Namen des alten streitbaren Gallierkönigs imd
seinem eigenen (auf deutsch: Kämpe) Ehre machte,
flog zum Teil in die Luft, während der Rumpf
sank: ein seltsam schauriges Doppelschauspiel. Zwei
französische Unteradmirale fielen auf ihrer Kom-
mandobrücke. „Anson", vielfach getroffen, schwankte
in horizontaler Lage zwischen „Cond6** und
„Hoche", die nach Backbord überlagen. Der ver-
altete „Swiftsure" schrammte am Flaggschiff „Amiral
Duperr6" vorbei und stiess ihm ein Loch, sein eige-
nes baldiges Untersinken teuer erkaufend. Zuletzt
entwirrten sich die Einzelkämpfe, die britische Re-
serve machte eine schwungvolle Wendung nach
Steuerbord und gewann dem Gegner imter günsti-
— 536 —
gern Seegang durchweg die Flanke ab. Langsam
pendelte die französische Schlachtreihe zurück, ehe
Weile lag sie eingeschnürt wie ein Block inmi'tr:
konzentrischen Feuers, dann löste sie sich auf uii
floh unter den Schutz der Touloner Forts, de
Kurs eine Meile vom Lande längs der Küste hal
tend und von Destroyers in fliegender Fahrt wr
folgt. Der „Suf f ren" als Nachhut führte den ausskbtr
losen Widerstand ehrenvoll durch his nim bine.-:
Ende, bis sein Vorschiff mit dem ausnahmswe?«
vollgepanzerten Oberdeck hochemporgebäumt sec
Heck niederdrückte und dann alles unter Wasser
verschwand. Auch dies Schiff machte seinem Ta'^
namen Ehre, der Geist des alten Seehelden c-
Englandhassers konnte daran wehmütige Fm:-
haben. Der verfolgte „Mass^na" stoppte vsa^
massig, rannte an einem Riff auf und blieb di-t
vorm Eingang des Hafens liegen, wo sem -^^
stossen eine lange Springwelle an den Strand schil-
derte. Sein Namenstaufpate, der sogenannte Sc^
des Sieges und einstiger Gouverneur von Toui^
konnte sich im Grabe umdrehen bei diesem Sk;
von Toulonl Die Franzosen hatten sieben ü^
schiffe, fünf Kreuzer, zahlreiche kleinere Tdhns^
verloren, die Briten erkauften ihren Sieg n"^ ^■
Linienschiffen, zwei Kreuzern und einer Menge T-
pedos. Dagegen war ihr Blutverlust so schwer^-
der französische, die britische Mannschaft hatte e«^ -
wie in alter Ruhmeszeit durch eiserne Todcs^'^^av
tung ihre kaltblütige standhafte Ruhe bewahrt. ^^-
— 537 —
mochte der verzweifelte französische Admiral aus-
rufen: „Unser Erbfeind von Jeanne d'Arc bis Na-
poleon heisst England. Pas de chancel*' . . .
Sobald sich seit Ende Juni die Wogen des Afri-
kaneraufstands verliefen, riss in Algier und Tunis
eine schläfrige Geniächlii:hkeit ein. Ermüdet von
den vielen Schreckenswochen, hielt der Rest von
Französisch-Afrika eine gemütliche Siesta. Araber-
scheichs, durch jüdischen Wucher ausgepowert,
hielten sich wieder an die Verheissungen des anti-
semitischen Deputierten Lasies und nahmen den
Bakschisch »öffentlicher Regierungsunterstützung für
die Notleidenden des Krieges' an der Banque d'Al-
g^rie in Empfang. Das früher so lebhaft gesponnene
Spionagenetz des britischen Informationsoffice zer-
flatterte, man verlor die Fäden aus der Hand. Doch
nicht so sehr, dass nicht der britische Geschwader-
chef vor Alexandria wichtige Nachricht über Dienst-
nachlässigkeit in Biserta empfangen hätte. Die Nähe
von Malta, wo die drohenden Kanonen des imein-
nehmbaren La Valette weithin das Meer bestreichen
und das Felsobservatorium noch weiteren Rundblick
gestattet, machte unbeacht*ite Annäherung der ita-
lienischen Flotte längs des Südrands von Sizilien
unmöglich. Vielmehr gebot sich dem italienischen
Admiral äusserste Vorsicht, da er ohne jede Aus-
kunft über Verbleib der Briten war und diese im
Schatten von Malta in der Paulsbai lauem konnten,
um sich unversehens auf die Marschsäule der ita-
lienischen Flotte zu stürzen. Auf den Inselchen
— 538 —
Pantellaria und Zambra war ein Relais von Appania
drahtloser Telegraphie über Gozzo und Roten Tunn
zwischen Malta und der britischen Flotte gelegt, s
dass Rearadmiral Chichester sicher sein konnte, völlig
rechtzeitig über Bewegungen in seinem Rücken tis
Osten her unterrichtet zu werden. Da Funksprüche
aus Norden ihn belehrten, dass die Franzosen scf
Toulon wichen, so hatte er auch hier nidiB n
befürchten. Ein Handstreich auf Biserta hatte als:
Aussicht auf Erfolg ohne jede Störung, «imal sie
zurzeit kein einziges Unterseeboot dort befand.
Beim Kap Bon französisches Gewässer dnröh
furchend, langten die Destroyers, Torpedos ce
Cruisers der Vorhut am 19. früh vor BiserU aL
wo sich niemand ihres Kommens versah.
Dies „afrikanische Toulon", Schöpfung des be^
rühmten Admirals Aube, liegt nahe der einscgö
Stelle des römischen Utica, am vorderen Ende cm-
breiten Halbinsel, zwischen welcher und einer g^
überliegenden schmaleren Landzunge ein Kanal t;:
ansehnlicher Länge imd Breite in den sogenanntes
Lac de Bizerte hineinführt, der im Grunde gar kes
„See", sondern ein gewaltiger Meerbusen von f^
zehn Kilometern Durchmesser und fünfzehn Meter
Tiefe ist. An dessen südwestlichem Ufer Üegt ^
eigentliche Stadt des Bezirks, Ferryville, mit ^
Arsenal und den Docks, während „Bizerte" seltt*
nur die Forts umfasst, welche in letzten Jal^"-
neuvermehrt waren, ohne dass irgendeine Karte q^
über Aufschluss gab. Den allgegenwärtigen bn-
— 539 —
sehen Spionen, da der goldene Sovereign immer
Nehmer findet, blieben aber diese geheimgehaltenen
Befestigungen nicht verborgen: der britische Ad-
miral bedurfte keines Lotsen, genau über alle lo-
kalen Punkte orientiert. Ein schmaler Wasser-
streifen von neun Kilometern Länge, an dessen Süd-
westende der kleine Hafen La Goulette mit den
Schuppen der Compagnie Transatiantique lag, ver-
band den Kanal mit dem Meer. Dort sollte im
Kriegsfall eine „Estacade" errichtet und eine Tor-
pedolinie aufgepflanzt werden. Durch einen merk-
würdigen Zufall hatte man aber den seit einigen
Tagen bestehenden, tatsächlich aber erst vorgestern
im Mittelmeer greifbar gewordenen Kriegszustand
mit England erst gestern überhaupt erfahren. Das
Stationsschiff Kreuzer „Dunois** begab sich nach
Tunis zum Präfekt Anthouard. Von Arsenalbassins
bei Sidi-Abdallah vollendete man nur 1 und 4, halb
3, während Nr. 2 für grosse Schiffe im Anfangs-
stadium. Da die bisher allein dort als Feinde vor-
handenen Afrikaner ja nur zu Lande kamen, dachte
kein Mensch in Biserta an Ausführen der Kriegs-
artikel. Bei Ferryville und in den Forts kampierte
die Besatzung, am kleinen Binnensee von Djebel-
Iskeul westlich der Bahnlinie das 4. Zuavenregiment.
Bei Dar-Hussein hatte Roux, Kommandant der
Militärdivision, noch drei algerische Tirailleur-
bataillone und ein Regiment Chasseurs d'Airique,
welche die Bahn von Tunis rasch an den ,See' bis
Station Ound-Tindja spedieren konnte. Dass eng-
— 540 —
lische Schiffe von Gibraltar aus vor Mcts^-KcIbi
demonstrieren würden, erschien möglicL Dass aber
von Osten her, wo man die britischen SdüffciEit
Verteidigung Alexandrias beschäftigt wusste, ök
Gefahr drohen solle, fiel niemandem ein. Man hatte
höchstens einen ,Bluff vermutet. Das Arsenal eat
hielt 100 000 Tonnen Kohle und bedeutenden Pe-
troleumvorrat, vom Generalkonmiissär des Adnüa^
strationsdienstes, vom* Direktor der hydraulischö
Arbeiten und vom Hafeninspekteur gemeinsam Tcf
waltet. Drei rote horizontale Signallichter draussea
auf See hatten die Fischer der »Compagnie du P«tf,
deren riesiges Fangnetz am Eingang des Kaial»
sich vor jedem passierenden Schiff heben und scs
ken muss, nach der kleinen ,Bucht ohne Namen.
wo Torpedos, zwei Kanonenboote, Sousmaiin \^
tin* der »Defense Mobile* lagen, vor Morge
gemeldet. Man zerbrach sich wenig den Kopf ^
über. Alles war still, das Seewasser strömte nc:
einer Schnelligkeit von zwei Knoten durch den Kan^
zum Meer. Der S6maphore entdeckte beim Morgfs^
grauen drei Schiffe unbekannter Herkunft und nei
sie mit Signalen an. Keine Antwort.
Plötzlich tauchte eine ganze Flotte von d'
Seiten her auf, entwickelte sich aus Osten, Noruet
Westen mit fabelhafter Schnelle und überschürj^
in sofortigem Vorwärtsdampfen die Batterien \'on *-*
biod und Zebla, das geschlossene Fort Demmaundu
Redoute von Rada, die eine Landung iwischoi i*
Bizerte und Cap Blanc verbot, mit ununterbrochene:
Bombardement. In wildem Alarm liefen dort Ka-
noniere und Besatzung zu ihren Posten, letztere
musste aber schon bald rückwäns herausgezogen
werden, am nicht samt den Kasematten zermalmt
zu werden. Das neue Fort Espagne am Stadtwall
und der alten Zitadelle schoss jedoch mit guter
■Wirkung, die Decksplatten des Vorderschiffs in dieser
Kichtung „Empress of India" schwammen in Blut,
Gleichwohl rückten die Briten, ursprüngUch auf vier
Seemeilen Distanz feuernd, immer weiter auf aller-
wirksamste Schussnähe vor. „Revenge" und „Bul-
wark", Malta-Stationäre, bearbeiteten die Ostforts,
bis sie schwiegen, „Aurora", „Charybdis", „Scylla",
Suez- Stationäre, warfen dem Fort d'Espagne solche
(glühenden Kusshände zu, dass fast alle Geschütz-
bedienung in dieser feurigen Umarmungstarb und die
Besauung wie von Flanunenschlangen erdrückt. Wäh-
rend die Fortswälle in Trümmern lagen, notierte man
auf den Schiffen nur geringfügige Beschädigung,
als der Wind den leichten Pulverqualm niederdrückte.
Auf der „Empress" war der Scheinwerferapparat in
Unordnung mit verbogenen Eisenstäben, auf der
,, Revenge" der PeÜkompass umgeworfen, dem „Bul-
wark" bei sonst intakter Maschine der Verschluss
des Kohlenraums verletzt.
Jetzt mussten auch die Forts Roumadia, Salem
und Remel daran glauben, ihr Feuer ward schwächer
und schwächer. Von acht Torpilleurs kamen
sechs und Sousmarin ,Lutin' zum Sinken, ehe
sie dem Kreuzer „Aurora" nahten, ein Teil der Mann-
— 542 —
Schaft rettete sich auf Canots von saturierton Lei
wandsegeltuch, die auf diesen Fahrzeugen üblid, üi
die Bai von Cebra. Nur Sousm. ,Gnom*, JCorrigiD
schlechtgepanzerte Kanonenboote blieben nodi n:
Verteidigung des Kanals, denn die andere TorpeikH
division (acht Boote, nicht sechs wie bei der deutschen
Marine) begleitete den Aufbruch der Schlachtflott'.
Der M^ecin - Major (Oberstabsarzt) der 4. Zuavs
hatte schon alle Hände voll zu tun, in der >>-■
Stadt wurden die Ambulanzen auf der Terrasse
der Zollkontrolle, in der Schule und im Zollao:
von Lyditbomben erreicht, später auch das pocn
pöse Hospital, wo der Oberschiffschirurg die rici^
tigsten , Fälle* erledigte. Das Geschrei der Amr*
tierten durchschnitt die vibrierende Luft. Die H^
bis 120 Meter überm Meer ihr Relief erhd)en(ie:
Nordforts waren ebenso schnell niedergekämpft, ^'
die andern, nur 70, ja 49 Meter überm Meeresspieg^^
Die Altstadt brannte auch, das Dock der Compaq-
du Port brannte nieder, alles rollende Material derEaiiJ
B6ne-Guelma floh bis zur Fischereistation. Als (t-
Mittagssonne auf dem Zergoun-Berg glänzte, wäre'
nur noch die rückwärtigen Redouten Kebir .:r-
Sidi-Yaya zur Deckung des Arsenals von Fcrr>v. -
imstande. Am Bord des Kanals lagen bei Bt'
Nego, Sidi Kassem und Ras Sallam die Zuaven hin: ^
Erdaufschüttungen. Man fürchtete Landung ^^
Truppen westlich von Oued Damous, wo die D J^
bei schöner Jahreszeit leichtes Aussteigen enrö*;
lichte. Statt dessen hätte man lieber den Kanal ci"
— 543 —
Schaluppen verstopfen sollen, vermied dies aber, um
nicht etwa hierher flüchtenden französischen Schif-
fen dies Asyl zu sperren, verliess sich auf zwei
, schlaf ende Torpedominen. Da zerriss ein Hagel bri-
tischer Granaten, mit genauer Präzision nach diesei
Richtung entsendet, da die britische Admiralität
seit Jahren das Innere Bisertas durch Spione aus-
kundschaftete, den Leitungsdraht und die Minen ver-
pufften unschädlich. Allsogleich flammte von einem
Ballon, der aus dem britischen Flaggschiff über den
Kanal aufgestiegen war, ein Raketensignal empor.
Da sah man das erstaunliche Schauspiel, dass zwei
britische Kreuzer sich mit Volldampf in den langen
Wasserstreifen vor dem Kanal, dann in diesen selber
stürzten und mit aller Maschinenkraft in den See
hineinfuhren. Das Kabel Tunis-Marseille hatte ein
Torpedoboot, an Ras Zebib und Hundeinsel vor-
überstreifend, während der Nacht gesprengt:
in Frankreich konnte man also nichts von Biser-
tas Gefahr hören, bis alles vorüber. Die Mobile
Kolonne von Tunis, aus 4. Turkos und einem Ba-
taillon Fremdenlegion bestehend, kam noch nicht
bis zum Arsenal von Ferryville, von wo noch 25
Kilometer bis zum Meerstrand. Während bei der
Colonne am See Akjel und der Furt von Dada
noch sechzig Patronen pro Mann von den Maultieren
abgeladen wurden, erdröhnten schon Schüsse gegen
das unschätzbare Arsenal. Während die Zuaven
am Strand bei Ras Sebla, Engola, Hemhir-es-Sael,
Djebel-Soumeur, Ben Hassen und Sidi Sliagroum
— 544 —
umsonst auf britische Landung und Chasseon
d*Afrique längs der Schlucht von Kabd und Om
Krenzir auf ein Attackenobjekt dieser Art lauentru
war in ihrem Rücken das Unheil schon gesdfe
„Scylla" raste den See entlang, ohne sich ume
paar verlorene Schüsse des Forts Kebir lu kümnier-
und vernichtete im Vorüberfahren Bord an Bor:
die zwei Kanonenboote gründlich mit allenücbs:^:
Breitseite. Aus Scylla in die ,Charybdis*! Sidep
Torpedos 103, 106, die am hellen Tag aus ßf
,Namenlosen Bai' ausfallen woUten, mit d&e:
Salve nieder, beide Kreuzer legten 1200 Metern
dem Kai des Arsenals an. Als sie nach einer ?t>^-
Stunde den See wieder verliessen und langsam dcrc
den Kanal zurückfuhren, stand hinter iimea ü-^
in Flammen : Arsenal und Docks und Kohleadepc-
nur das leere Bassin blieb übrig Auch in FötvvL'
liess sich der Brand erst am andern Tage loschc^
Umsonst wirbelten alle Tronmieln der l^^
kaseme Alarm im oberen Biserta, umsonst pfiff ^
Schnellfeuer der Lebelgewehre vom westlichen ^
und Kanalufer, es prallte unschädlich an den PaE^'^
wänden ab, und eine einzige Salve des „Rewog-
der jetzt dreist und ungehindert dicht am äussere
Strande entlangbirschte, riss die stanze Kaserne^
vielen himdert Zuaven nieder, tunherfliegende Ba»=^
und Steinfetzen töteten sogar mehrere als Orf.
nanzen verzweifelt herangaloppierende arabix-'^
„Zefyrs" und „Goums".
Rearadmiral Chichester hatte erreicht, ^'^
— 545 —
er wollte: nicht auf Besitzergreifung, sondern
Zerstörung Bisertas kam es an. Da aus Malta
das Nahen der italienischen Flotte gemeldet
wurde, so lichtete er noch vor Abend die
Anker und steuerte nach Nordosten, indem
er zugleich mit seinem Commandeur vor Tou-
Ion per Funkspruch konferierte. Schon am Nach-
mittag des 21. durfte er seiner eigenen Eskadre die
Signalbotschaft hissen: „Grosser Sieg der Kame-
raden vor Toulon," während er gleichzeitig den dort
befehligenden Admiral der Nordeskadre einlud,
ihm für morgen eine Schiffsdivision Verstärkung zu
senden, da er auch den Italienern den Garaus
machen wolle. Admiral Canevaro, der auch Herzog
von Aosta an Bord hatte, getraute sich nicht, Fort
Manuel auf Malta zu berennen, wo zurzeit nur zwei
ausrangierte ältere Panzer, „Deukalion", „Dädalus**
lagen. Er misstraute seinen eigenen Panzerplatten,
da die von Untersuchungskommission entlarvten
Schwindeleien der Temi-Gesellschaft, wobei korrupte
Verwaltung mit Zolldefraudation Hand in Hand
arbeitete, noch immer nicht ganz beseitigt und Ka-
nonen aus Gusseisen statt aus Erz noch nicht überall
ersetzt waren, trotz Adm. Mirabellos Versicherung.
Als am 22. früh der Italiener seine Auf-
klärungsschiffe vorschob, bereitete ihm „Aurora",
i^om Biserta-Triimiph gebläht, eine blutige Morgen-
röte. Der noch ganz frische Kreuzer „Liguria",
ier an der Triest-Operation nicht teilnahm, ward kurz
und klein geschossen, „Etniria** und „Lombardia"
Völker Europas . . . ! 35
— 546 —
gaben eiligst Konterdamirf. Vier Panier, Admiril
Aubry, sechs Zerstörer, trafen erst spater ein. Da
Adm. Gresets Schiffe sich trotzdem in beträcbtiicher
Übermacht sahen, wollten sie ihre Waffenehrc nicbi
durch sofortiges Feldräumen gefährden, so wemg es
im Interesse Italiens lag, sich für seine rwangswessi
neuen Verbündeten zu opfern. Das EngagenÄt
wurde allgemein. Die italienische schwere ArtificrK
von 43 Zentimetern, die schwerste aller Marina.
wirkte natürlich scharf. Dem „Ramillies" wurds
alle Mäste und Schornsteine über Bord gcsdunissa
der „Bulwarck" entsprach seinem Namen hier nkt:
und bot kein Bollwerk gegen solche Panzerbrechaif
Aber umgekehrt durchschlugen die britiscae;
Granaten glatt die ungeschirmten Bordwände der iJJ^
liener, wüteten zwischen den ungedeckten BarbetI^
türmen. Der „Revenge" nahm arge Rache. ,J)^
Station" machte ihrem Namen „Verwüstung" *^'
Die beiden Damen „Juno" und „Venus", zweiKiew«:'
göttinnen, führten böse Tänze auf. Aus den D^
luken des „Dandolo" brachen zischende Stia^'-
dampfender Kesselexplosion, dem „Morosini" ^-
•
„Andrea Doria" flog der ganze phantastische &F^
putz ihrer unförmlich grotesken Oberbauten 3
Stücke. Alle drei Namensvertreter berühmtester ö
lienischer Seehelden aus alter Zeit, da der H^t-
mond nicht stehen durfte, wo der FlügeDöwc S£
Marcos hintrat, hissten die weisse Flagge. Dena^^
tauchten plötzlich, von Toulon mit Volldampf ^^^
keuchend, Panzer „Swiftsure", „Illustrious", M^
— 547 —
don", Kreuzer „Thamar", „Hope", „Egmont" überm
Horizont empor, und bei diesem Anblick neuer Hilfe
erschien am Admiralsmast Chichesters jenes be-
rühmte Signal, das zugleich ,Nahkampf' und
,Sieg' bedeutet, weil dem Briten beides zusammen-
fallen soll. Das abnorme Kaliber der italienischen
Geschützkolosse ist eben darauf berechnet, dass man
den Feind fernhalten und vorher zusammenschiessen
werde: tritt dies nicht ein gegenüber so starker
Panzerung imd auf so weite Entfernung, so hat man
der „mittleren" Artillerie nichts entgegenzustellen
und ist bei der eigenen Bordschwäche wehrlos dem
beherzten Gegner ausgeliefert, der nahe auf den Leib
rückt. Auch Aubrys Reserveeskadre begab sich auf
die Reise. „Fearless**, „Hussar" furchtlos hurtig zur
Verfolgung! „Fortress" wies als kleine unnahbare
Wellenfestung alle Künste der „Königin Margareta"
ab, mit dem Nahfeuer alle zu weiten, Schüsse der
spröden Schönen vereitelnd, die ihren Gegner nicht
abschütteln konnte, wie eine Bärin eine englische
Dogge, bis sie vor dem stolzen Mr. „lUustrious" die
weisse Flagge neigte. „Königin Elena" musste froh
sein, dass nicht auch sie vom rauhen Sieger un-
sanft gestellt und ungalant in Sklaverei geschleppt
wurde. Ein Teil der Italiener erreichte Kap Miseno
und Gaeta, ein andrer die Reede von Neapel,
der Hauptteil ward in die Meerenge von Messina
getrieben, wobei Unterseeboote ,Squalo', ,Glauco* um-
kamen. Beschiessung der offenen Stadt Neapel unter-
liess Sir Chichester, obschon es ihm in allen Fingern
35*
— 548 — '
juckte ; man wollte ja Italien eher mürbe machs:
als zur Verzweiflung treiben. O Garibal<ül Ad
„Capreras** Kommandobrücke der Union JackI Dit
Prisen nach Malta abliefernd, unterhielt man nur
schwache Blockade, die Hauptkraft zur Blockade Tot
Ions sammelnd, um Herausbrechen der Franai^si
zu hindern. England war mm Herr im Mittelmeer.
Das Trockendock in Bremerton am Puget-Sjri
und das noch kostspieligere grosse SchwimnMkKk
an der Atlantischen Küste hatten vollauf zu tn
gehabt. Wellingtonia, Douglastanne, Riesem«icf
der Pacifischen Kordilleren wurden dem Sterce:
banner dienstbar als Mäste und Kiele. Da die Ar
beitslöhne in Amerika viel höher als anderswo t2»
an Stelle jedes militärischen Dienstzwanges nur A:^
Werbung die nötige Mannschaft liefern konn'f
kostete der Neubau dieser Flotte, die zur Zeit de
Kubakriegs nur fünf veraltete Linienschiffe, J^
Panzerkreuzer, zehn unfähige Monitors zählte, ni
türlich ein unglaubliches Geld. Seit aber Marina
Sekretär Bonaparte seine bekannte Etatvorlage dura
drückte, wuchs die amerikanische Marine auf dreis?^
moderne Linienschiffe, zwanzig grosse Kreuier, c-
stere mit einem Gehalt von 10 — 18000 Tonne
letztere von 8—16 000, wobei die Schnelligkeit oer
ersteren 16—20, der letzteren 21 und 22 Knotts
betrug. Die Linienschiffe repräsentierten einen i^
halt von 400 000, die Kreuzer von 250 000 Tonnen
so dass diese Flotte es allein im Notfall mit dcs
J
in Betracht kommenden giösseren modernen Ge-
fechtseinheiten Deutschlands und Frankreichs
(4300004-350000) oder gar einer dieser Mächte im
Verein mit Japan (250000 modernste) aufnehmen
konnte.
Ältere ausrangierte Körper, mit denen Dewey und
Schley die jämmerliche spanische Marine zerschos-
sen, dienten als Küstenpanzer, Die zahlreichen Moni-
tore, Avisos, Kanonenboote älteren Datums bewach-
ten die Flussmündungen. Auch hatte man noch eine
Menge kleinerer Kreuzer geschaffen und vier wei-
tere Linienschiffe, eins darunter von 20000 Tonnen,
andere noch im Bau oder in endgültiger Aus-
rüstung, so dass der Gesamtgehalt der aktiven ameri-
kanischen Marine 720 000 Tonnen betrug für den
Anfang, was sich in Bälde auf 800 000 steigern
konnte. Dazu kam noch, dass alle neuen Schiffe über-
haupt kein Geschutzkaliber unter 30,5 Zentimetern
führten. Allerdings hatten die Kosten, vom Dollar
in Mark umgerechnet, seit drei Jahren 1'/» Milliar-
den betragen, während Deutschland im gleichen
Zeitraum nur 800 Millionen ausgab, ausserdem hatte
man noch eine halbe Milliarde extra für Docks,
Strandbefestigungen, Reserveersatz heimhch im Etat
durchgeschmuggelt. Ein so blitzschnelles Anwach-
sen von Flottenmacht war noch nie dagewesen und
erinnerte an jene drei Millionen gutequipierter treff-
lich bewaffneter Soldaten, welche die Nordstaaten
bei damals sehr geringer Bevölkerungsziffer im Se-
zessionskrieg ihrem Milizsystem abgetrotzt hatten.
— 550 —
Eia ausserordentlicher Kredit für die Landannee,
deren regulären Bestand man durch Anwerbimg «-
nigstens auf 150000 Mann brachte, und Masscfr
ausrüstung der Miliz ward anstandslos und dn
mutig vom Kongress bewilligt.
Ausser einiger Franzosenschwarmerei desSdbst
herrschers Mr. Benett im „Newyork Heiald" a>^
sentimentalen Vorträgen auf des ebenso allgcwaltigo
Presseautokraten Pulitzer origineller Joumalistcnisfr
versität »Columbia* über das Thema ,Blut ist dkka
als Wasser* verfolgte das nationalamerikamsd:
Publilomi den europäischen Krieg mit spöttisckr
Gleichgültigkeit, Ein geistvoller deutscher Professc^'
in Boston versicherte seinen neuen Landslccta
und Gönnern, dass sie ein Volk von Idealistai sdcü
was man mit beifälligem Schmunzeln entgegennafcs.
und ein deutscher »ausgetauschter* Professor in Ha:
vard College tauschte mit seinem .umgetauschrca
amerikanischen Kollegen in Berlin fettgedruckte
Verbrüderungsmanifeste in der Presse ans, ^''
über der famose Milliardär Rockefeller, g:
geborener Schwabe, einen ErstickungsanfaU ^
Lachen bekam. Die Kuhssen waren also s«!
fältig zusammengeschoben, bis die plötilK^
Szenenverwandlung aufs Stichwort des Regisscö^
der immer noch Roosevelt hiess, vor sich und de
Vorhang zur tragischen Komödie auf gehen konn-'^
Geschwindigkeit ist keine Hexerei für amcnss^
nische Technik. Nachdem noch Vanderbildt, Ast^'-.
Morgan, Gould junior als höchste kommerzielle Oia»'
in aiversen imervrews Descnemigi, aas „neurrau-
tätsgeschäft" lasse sich sehr „f«n" an und werfe
fetteste Dividenden ab, während zwei neue Exem-
plare von „Erieprinz" und „Bonanzakönig" sich im
Gebiet der heimischen Armeelieferungen über Nacht
auf taten und in Wallstreet amerikanische Bahn-
aktien einen fabelhaften Schwindelkurs erzielten,
stickten die Damen der Fünften Avenue pompöse
Seidenbanner für die Milizen. Romantisch phantasie-
reiche Federmänner im geschwollenen Stil des Oberst
Savage Tmd mit selbstgegebenen Offizierstil ein vom
Schlage des Bret Harteschen „Oberst" StarbotEle
teilten dem American Citizen mit, was er schon
wusstc: dass die Milizen von Wisconsin, Tennessee,
Kentucky, Ohio, die soeben Canadische Grenze über-
schritten, gerade so wie die von Florida, Louisiana,
Georgien, Carolina, Virginien, die im Lager von
Tampa lagerten, sicherlich Cäsars zehnte Legion,
Cromwells Eisenseiten, Friedrichs Grenadiere und
Napoleons alte Garde miteinander windelweich ge-
prügelt haben würden. Der Rummel ging los, die
Fräsidentbo tschaft entzündete eine wenig nach Tem-
perenzlertum riechende Begeisterung unter obliga-
tem Indianergeheul, Englands stolze Antwort er-
regte mitleidiges Achselzucken.
Schon am 17. schob die Pacificbahn Milizen zur
Küstenverteidigung ab, am 18. besetzten ein paar
Freiwillige, die mehr wie Freibeuter aussahen, von
Panama aus das Küstengebiet British-Honduras. Am
gleichen Tage begann der Vormarsch in Canada,
— 552 —
am 19. landeten 50 000 Re^äre auf Cuba.
das Pacificgeschwader, vom Panamakanal ai&
laufend, blockierte Kingston auJf Jamaika, indes dis
zwei Drittel der Flotte umfassende Atlantische Gt
schwader von CharlestonSavanna und Chesapeäk
bai her der von Liverpool erwarteten britischen Set
macht entgegenging. Dort hielten sich zwar ^
schon blockierten und beschossenen grosaitigea
Festungswerke der britischen Bermudasinseto, dcd
wie lange nochl —
In Schottland sammelten sich die Clyde-V^ufr
teers und 1., 2. Lothian Volunteer Brigade bei Edx
bürg. Schlachtschiff „President" lag dort urspräng
lieh vor Schottland, gleichzeitig als Schulsdüff n2^1
Küstenpanzer, ging aber seither ziu* Atlands a^
Die vernachlässigten Strandforts bei Leith ^^
Queensferry wurden ausgebessert, unterhalb der\i€r
ten Brücke im Forth eine tüchtige Sperre vorg^
sehen, ebenso im Mersey Minen gelegt. Zas
Schutz von Liverpool arbeitete dort die Royal Nä^
Volunteer Reserve. Kohlenlager von Cardiff, r^
troleumdepots bei Berry, Kynochs Patronenfabrit:
lieferten alles Nötige fürs Volunteer Artilleo' ^^
von Balsall Heath bei Birmingham. Die omiiäs«
offene Landungsstelle bei Weyboum Gap wur«
verschanzt, Torpedos dorthin verladen. Torp^öc-
Schulschiff „Actäon" in Sheemess hatte viel w ^
förmlich abgehetzt wie sein Namensvetter ?on ^^
Meute stündlicher dringender Anforderungen "'^
Reservedivisionsflottille Devonport. Die T. B. 25, ^
j
6t>, liid Dracnten aortnin Alarm, aass aeutsctie Kreu-
zer sich schon auf Höhe von Ameland längs Nord-
ostholland zeigten. Die sonst bei Dartmouth als
Schulschiff Iagemde„Britannia"waj inzwischen, neu-
armiert, nach Östasien abgegangen. Während des See-
kriegs gegen Deutschland hatte eine Kreuzerreserve,
bestehend aus „Euryalus", „Leicestershlre" (Rosyth),
i.Hogue" (Sheerness), „Bahama" (früher Gibraltar),
sich anfangs vor Harwich, später im Georgskanal
aufgehalten und von dort mit Teilen der Kanalflotte
den Streich gegen Ferrol geführt. Nach Erledigung
der spanischen Marine dampften sie jedoch in die
Atlantis westwärts, als Beunruhigung wegen Ame-
rikas Umtrieben eintrat. Man behielt also, da auch
sechs der Kanalschlachtschiffe nach dem Mittel-
meer abgingen, augenblicklich zum Küstenschutz nur
reparierte Verwundete des Nordgeschwaders: „Ac-
tive", „Valiant", „Remarquable", „Hood", „Renown",
„Duncan", „Captaiu", Kreuzer „Polyphem", „Spar-
tiate", „Drake", „Olympia", während „Kent" rui-
niert blieb und „Glasgow" sich noch nicht erholte,
ebensowenig „Prinzess Maud" des Reservegeschwa-
ders, dessen zwei andere letztgesandte Neubauten
nebst einem neu in Dienst gestellten „Vanguard" mit
den noch intakten acht älteren noch eine stattliche
Masse von elf Schlachtschiffen bildeten. Hierzu
gegen Amerika sieben intakte Schiffe der Clyde-
division nebst Reserveschiff .Prince George", noch
übrige sechzehn (fünf entsendet) grosse Kreuzer 1.,
5., 6. Division, entsprechende kleinere Einheiten.
— 554 —
Unter Destroyers hatten deutsche Schosse dbc
Minen gehörig aufgeräumt, der „Bittcm" iffifl
„Gipsy" war ein bitterer Hexentrank gebraut wor-
den, „Blackwater" geriet in allzu finstres Wasser
auf Meeresgrund, „Success", „Contest" fanden mä.
Erfolg im Ringen, „Teazer" neckte umsonst, t«
„Ribble" blieb selbst nur eine Schaumblase ab leöie
Spur, „Recruit" zog in seinen ersten und Icctea
Feldzug, „Flying Fish" und „Salmon" entgiagc
nicht dem tödlichen Angelhaken. Doch es \^
ben inmier noch genug übrig und vertdlten ssdi
jetzt : teils an der Küste, wie „Boyne" am iriscbet
Boynefluss und „Swordfish", der im irischen Si-
nai jedem Eindringling sein Schwert einbobre
wollte, oder „Bat", die rastlos wie eine Fledcrfflä®
zwischen Clyde und Humber hin und her kreiste, cüsi
„Mermaid", die lockend und tückisch auf den Wc^
gen schwebte; teils aufs neue Atlanticgesch«<^'
wo „Wolf", „Greyhound", „Hasty" sich hastig ass
Beutejagen machten und „Myrmidon" aflc ked^
Myrmidonen des Westens in die Schranken fordet?
Der Kreuzer „Prometheus" befand sich auf de:
Weg zum irischen Kanal. Die am Kap Verde b^
zende „Ariadne", welche dort unhöflich V«^
Wechsel im Verhalten der portugiesischen Kri'^r'
schiffe „Gama" und „Carlos" bemerkte, ^^•
Marschorder, Lissabon anzidaufen und Cornla ^
beobachten. Ausser sieben reparierten li^
schiffen des Nordgeschwaders ward auch „Iß^
bei Davenport wieder in Dienst gestellt, der '^
^^cnuiscnui Disner mcm ausuei. „Kepuise , „kc-
sistance" sollten Abwehr und Widerstand leisten,
wie ihr Name besagte, „Defiance", „Redoutable"
sich trotzig und furchtbar zeigen, wenn dn
dreister Feind Kap Lizard passiere, „Cambridge" sich
für Altenglands Kulturstätten schlagen. Admiral Sir
Bowen-Smith übernahm Gcsamtleitung der Vertei-
digung und wurde ihm nach den Mittelmeersiegen
schleunige Rücksendung der 4. Kreuzerdivision tmd
femer zehn Schlachtschiffe von dort in Aussicht
gestellt. Ausser den neunzehn Schlachtschiffen,
die Beresford in Richtung auf Baltimore sammelte,
gab es noch das frühere Atlanticgeschwader des
Admirals Bosanquet. Dies bestand aus Linienschiffen
,, Commonwealth", „Magnificent", „Barfleur", „Rüs-
sel", „Vengeance" (vorher Kanal), und dem soeben
neu vom Stapel laufenden „Bellerophon", während das
nach „Dominion" Canada benannte Schiff nach Ost-
asien abging, damals ungestört in Friedenszeit den
Panamakanal benutzend. Das ursprünglich allein im
Atlantic stationierende Kreuzergeschwader „Royal
Arthur", „Highflyer", „Cambrjan", „Flora", „Cam-
berlan", „Amethyst", „Arrogant", „Thome" war zu-
erst um „Tenedos", „Rinaldo", „Bonadventure",
„Donegal", „Furious" vom Kanal, „Bahama" vom
Mittelmeer, dann um neue Umbaukreuzer „Vestal",
„Spider", „Oberon" vermehrt worden. Die einsti-
gen Fünf zigkanonenf reg atten „Raleigh", „St. Jean
d'Acre" wurden in geschützte, „Grecian", „Petrell"
(Paketbootkreuzer in Südamerika) und sogar Paket-
— 556 —
boot „Express", Dampfloop „Alecto** in ungededie
Kreuzer umgewandelt. Letztere hatten in bra-
silianischen Gewässern zu tun. Dort benahmen sid
aber die Regierungsgewalten in Rio de Janeiro vdc
Pernambuco unterm Druck Nordamerikas sowie E::
fluss der zahlreichen deutschen Ansiedler (Blumemi
Petropolis) schon geradezu feindselig. N tg
drungen verschob Admiral Bosanquet eine Züch:
gung so gotteslästerlicher Meuterei wider die g •
liehe Ordnung der Britenhegemonie. Sein Fiau";
schiff im Frieden, den schönen alten Kreuzer „Rf-^
Arthur", verliess er für Schlachtschiff „Furio-:?
indes sein Unterchef Sir G. Egerton den ^^''
geance** bestieg. Dies sah symbolisch aus, cer-
„wütende" „Rache" an dem perfiden transatlanc^i-
Vettern schwor man sich zu. Despat ch-Vessel (D^r
schenfahrzeug) „Surprise" brachte Befehl des nun rr
Grossadmiral erhobenen Beresford, unverzüglicfa ^
Westindien den Kampf aufzunehmen. Bei Can "^
blieben nurdieSurveying-Vessels „Egeria", „Sv^
doch erschienen dort eüig „Duke of Edinbui;^-
und „Brilliant" (Nordgeschwader) auf ihrem frühe: '
Stationsposten Neufundland. Da nun auch „HofJ^
in sein altes Standquartier Westindien zurückke^-'
„Leicestershire", „Bedford" und der neue rrj.'
tige Kreuzer „Euryalus" gleichfalls Bosanquet y--
stärkten, so mochte er die Aktion getrosten M- '
beginnen. Zum Überfluss sandte ihm Beresford ai
noch die beiden von der Ministersgattin Lady Cr:'-
getauften Schiffsgeburten, mit denen England r-
Zeit der Algesiraskonterenz schwanger ging: den
gleich anfangs verbrauchten Kreuzer „Minotaur" in
Begleitung des „Powerful" und das Linienschiff „Hi-
bemia", welch letzteres am Schluss des deutschen
Krieges nur als Etappen deckung zwischen Texel
und Rosyth auf und ab fuhr, obscbon bei den zwölf
Linienschiffsnummem der Wilsonschen Kanalflotte
mitzählend. Durch eine Menge kleiner Kreuzer
„Keslrell", „Cormorant", „Diamond", „Dryad",
„Zephyr", „Vullure", „Arun", Panzer „President"
schwoll die äussere Stärke dicker Westindja-Squadron
noch mehr an. Mit sieben Linienschiffen, fünfzehn
grossen Panzerkreuzern und so vielen II. Klasse
war diese „Fleet in being" freilich Deweys Pacific-
ge schwader gewachsen.
Sobald Commander Smith des Kreuzers „Ta-
coma" das Nahen der Briten auskundete, rüstete
Dewey sich zur Schlacht. Er hatte nach früheren
Verlusten — gesunken oder noch reparaturbedürftig
— „Boston", „Chicago", „Gloucester", „Potomac",
„Denver", „Princeton", die neuen Schiffe „Minnea-
polis", „Minnesota", Kreuzer „Tacoma", „Paducah",
,,Marietta", „Dubuque", „Swetara", prunkvoll fertig-
gestellte „Constitution". Die Hauptflotte unter den
Admiralen Sampson und Schley, den Unteradmiralen
Coghlan, Bradford, Cowles, Davis sammelte sich
an der mittleren Ostküste und vereinte sich mit
Konteradmiral Bronson, der mit seiner Division
„Pennsylvania", „Colorado", „Westvirginia", „Mary-
land" vor Tampa kreuzte. „Maine", „Iowa", „Ben-
— 568 —
nington", Kreuzer „Porter", „Rodgers", „Duponr.
„Blackeley", „Nicholson" unter Vizeadmiral Enrs
erhob vor Halifax fruchtlos wütendes Bombardemat.
O, an noch unversehrte zwölfzöllige Panzer britischff
Orlogs würden überall neue Explosivgcscbosa
pochen, prahlte man mit Stolz, Wie Krieg^an^
Taubenpost, Kraftwagen, sogar Schneeschuhli£f'
für Nordcanada in Fülle bereitgestellt, so für See^
krieg unterseeische Kohlenlager grössten Mas^
Stabs, eine nur teilweise von den britischen .Ticr
Lords der Häfen' eingeführte Neuerung. Dasnes
Riesenschiff „Delaware" von 20 000 Tonnen ^
12 Riesengeschützen von 45 cm bildete den Keit
einer Gruppe von funkelnagelneuen Meistcrsdiifi-
„Columbia", „Sevem". „Newark", Kreuzer Jtm
See". Ältere: „Kearsarge", „Independance**, .X"^
souri", „Constellation", „Florida", „Texas", ß-
nois", „Brooklyn", „Indiana", »»Massachusetts", »Kc
tucky", die Kreuzer „Dolphin", „Mayflower", S^
Moines'*, „Justin", „Charleston'*, „Nashvillc**, „See:
pion", neue Taufnamen „Lincoln", „Grant", ,3^
kershill", „Franklin", „Jefferson", „Georgia", ,X^"-
siana", „Rhode Island", „Connecticut", „Virginia'
Kreuzer „Newyersey", „Washington**, „Raleigh*' u«^
wobeiTonneimiassstab nurw«iigvoneinanderabsad
Von diesen dreissig Schlachtschiffen (abiügi-
der Verluste) zwanzig neu, zwölf erstklassig, »D^
wäre" dem „Dreadnought" mehr als ebenbi'tc
von neuen Kreuzern drei anscheinend so got. ^^
kaum eins der britischen Marine. Zwei n«sf
Jackson", vier Kreuzer, „Sherman", „Sheridan",
„Gates", „Stuart", befanden sich im Bau. Vor Fort
Sumter (Charleston) lagen auf ,waiting Orders'
ausrangierte ältere Schiffe „Oregon", „Culgoa" „Ter-
ror", Drydodt-Kreuzer „Dewey", der gleichfalls zur
Disposition gestellte Rearadmiial Diddns übernahm
Küstenschutz. Den BaUondienst nahm der bekannte
Major Hersey, drahtlose Kriegstelegraphie nach
eigenem System der bekannte de Forest in die Hand,
Für Forts Wadsworth und King William bei New-
york hatte man zwei 50 cm-Kanonenkolosse fertig-
gebracht. Bei den Torpedoflottillen befanden sich
Motorboote, wie sie Deutschland schon einführte und
Konteradmiral Breusing sie auch bei Verteidigung
von Tsingtau anwandte, in reichlicher Zahl. Schon
wagten sich armierte Revenue-Cutters (Zollkutter)
oder Walfischfahrer, wie z, B. „Picagune" den eng-
lischen Schoner „Ogilvie" und Brigg „Pilot" frech
haipunierte, als Kaper bis in die Südsee, wo das
Kreuz des Südens vom Sternenhimmel auf manch
dreiste Freibeutertat niederstrahlte, wo französischer-
seits sich nur noch die umgearbeitete alte Korvette
„La Belle" und als Monitor renovierter Dampfaviso
„Caton" tmter Führung eines Fregattenkapitäns (ver-
alteter Titel dieser Marine) herumtrieben. In Battery
Point, Sidneys Vorhafen, und auf Thursday Islands,
dem Befestigungswerk von Queensland, untersuchten
Delegierte der Federal Defence ängstlich den Küsten-
schutz. Früher hatte man kriegsmässigen Ausbau
(rüW^'i*
— 560 --
des Simpsonhafens in Deutsch-Australien und äcg
reiche Konkurrenz der zwei DoppelschraubendaiEpfe
„Waldemar'* und „Sigismund" im mdanesschen
Archipel als »Bedrohung* denunziert: heul emjrfasi
man ernstere Bedrohung I Auch Canada hatte mii
der angelsächsischen Verbrüderung eigenartig n
rechnen. Den Generalen Porter und Elliot iGrri-
und Funston befehligten das Truppenlager k
Tampa) stellte Indiana Steamer Company all üb^
Fahrzeuge zum Militärtransport, darunter den ncsea
Schnelldampfer „Roosevelt" zwischen Chicago iß^
Michigan City, der vierundzwanzig englische Mela
in der Stunde lief. Drüben m Canada hatten aatc
lieh Dampfer Victorian und Virginian, femer die iwfl
neuen der Empress-Klasse ihre Fahrten einstcDe:
müssen, nicht minder Allan-Linie und United Adaoa^
Mail, White Star Liner „Teutonic", ,^abic"-
Ja, kaum verliess der Unionsgesandte in LocQ^
sein pomphaftes Palais Dorchester House, nach^
er noch Schadenersatzklage eines gewissen r^
rican Citizen* Whitehouse auf fünf Milüoncn Dc^
lars wegen angeblichen Kontraktbruches durch br^
tische Okkupation von Ägypten feierlichst eirg^
reicht, als sich die anglosächsische Verbindung g^-^
herrlich offenbarte. Da stellte sich auf ein::^
heraus, was jene hochtrabenden Reden wert va.*^
die Sir W. Laurier und der illustre Gast Ani-?«
Carnegie im Canadian Club, Toronto, austausditci^
Der prominente American Citizen und ehcnßt?'
Schotte hatte freilich Ausfälle auf Trans^aalkn^^
una zane winKC uoer rneaiicne Annexion v^anaoas
nicht gespart, indem er den sbinreicheo umgekehr-
ten Vergleich zog, Canada (d. h. ein selbständig
unabhängiges) werde einst die Vereinigten Staaten
ebenso annektieren, wie das kleine Schottland ge-
wissermassen das grosse England durch Thron-
folge annektiert habe. Recht geschmackvoll und
schmeichelhaft, wobei wirklich die lächelnden Zu-
hörer nicht das Gift der Zuckerpille, den wahren
Sinn dieser Andeutung schmeckten. Gegenseitig aber
stellten die Herren sich als „Rasse- Imperialisten"
vor, nur meinte jeder etwas anderes, jeder von seinem
Standpunkt aus, Und welche Dienste leistete jetzt der
prominente Gast seinen canadischen Freunden ? Car-
negie-Stahlcompagnie arbeitete fieberhaft 1 Das war
die friedliche Annexion 1 Die Briten schienen wirk-
lich mit Blindheit geschlagen. Gegen wen baute
denn der Yankee-Imperialismus für zehn Millionen
Dollars den „Delaware", drückte die Naval Appro-
priation Bill glatt durch, einen Tag nach der San
Francisco Katastrophe ? Dem stolzen Patriotismus des
genialen Roosevelt, eines geistig und ethisch gleich
hochstehenden R^lidealisten, wird niemand gerechte
Bewunderung versagen, um diesen wahrhaft bedeu-
tenden Mann muss man Amerika beneiden; doch
sein altruistisches Wohlwollen für alle Welt, be-
sonders den deutschen Michel, war rein platonisch,
amerikanische Weltherrschaft sein wahres Ideal. —
Nur einige berufsmässige Pessimisten meinten,
es sei nicht alles Gold, was glänzt. Man habe bei
Völker Enrop« . . . r 36
— 562 —
Marinearmierung zu viele ,smart fellows* Gdd ver-
dienen lassen, es seien vermutlich kolossale unter-
schleife vorgekommen, manche Ausrüstungsgegcn
stände nicht in Ordnung. Die Intendantur im Lagtr
von Tampa berüchtigten Angedenkens werde foi^
auch diesmal ihre Aufwartung machen. Aber soldi
vaterlandslosen Gesellen entgingen mit Mühe docß
Lynchgericht des öffentlichen Unwillens.
Da die transatlantische Republik natürlidi ver
brief te Rechte auf Unverfrorenheit beatit und ^^
nicht scheuen darf, selbst England etwa wie i«.
scherifische Majestät den Maghzen von Manfe
zu mtassregeln, so musste der gotteslästerlidie Fr^
yel strenge geahndet werden, dass der Gowerasr
von Jamaika auf den Räximungsbefebl trodcn s:
wortete: „Der Vertreter Sr. Britannischen MajcsBt
hat Räubern nichts weiter mitzuteilen." D^ ^
alle amerikanischen Bürger auf der Insel auswö,
ihr Eigentum mit Beschlag belegte, nnveiÄ^c^
auf das Sternenbanner des Linienschiffs „GIoocöK^
feuern liess, machte das Mass voll. AllerdiDgsp&
sierten dem vom Mexikanischen Golf auslarföt^e
Geschwader gleich kleine UnannebmlichkeitciL D^^^
„Minnesota" brach die Schraube am Steacib:r<-
dem „Boston" versagten auf einmal alle Masd^-
die „Illinois" zeigte sich an verschiedenen Stö^^
reparaturbedürftig. Die Pessimisten sollten ^^^
nicht recht behalten, imd Dewey setzte seincß ^^
r.
stoss fort, obschon ihm Nähe einer britischen-
kadre am 21. gemeldet wurde.
Waffenbrüder vor Toulon vernichteten zehn im Ge-
- Wässer der Caraibeninseln erscheinende britische
Schiffe das schwache westindische Geschwader der
Franzosen. Zwischen ihnen und den Briten herrschte
grosse Erbitterung, da beide sich des Verrats be-
schuldigten. Auf die Kunde von Frankreichs Ab-
trünnigkeit nahm ein alter Comtnodore die Mütze
ab, blickte fromm lum Himmel und betete: „Ich
nehme Gott zum Zeugen, dass Frankreich sich ent-
ehrt hat. Mögest du, o Herr Gott, die Meineidigen
- strafen I" Dass England selber durch cynische
. Selbstsucht den Bundesgenossen reizte und mit ihm
umsprang wie mit einem dummen Jungen, begriff
natürlich nicht das grogbegossene Gemüt der biedern
Bruder Theer, in deren dicken Seebärenschädel
ja nichts hineingeht als ,Rule, Britatmia'. So fiel
man denn beim Inselchen Aves, westlich von Gua-
deloupe-Martinique, mit wahrer Wollust über das
französische Häuflein her, das nur aus dem Linien-
schiff „St. Louis", dem „Redoutable", dem Kreuzer
„Jean Bart", dem Sous-Marin „Hollande" und
einigen Torpedos bestand.
Ais die französischen Kanoniere von ihren ge-
reinigten und sauber geputzten Rohren die Schutz-
kappen abnahmen, konnten sie mit einem Blicke
sehen, dass Widerstand unnütz sei. Der „St. Louis"
focht eine Weile ritterlich wie der alte Franzosen-
könig, bis imter Detonationen, die seine eine Schiffs-
wand halb entzweirissen, ein Wassersturz sein Hinter-
36»
— 564 —
deck überschäumte. Dann strich er die Trikolore
und wurde als Prise ins Schlepptau genommen, da
sein Leck noch zu stopfen war. Das Untersedwot,
von unten wie ein Schwertfisch heraufbohrend, tö
mochte die wasserdichten Schotten des briüschcs
Panzers „RusseF* nicht zu durchstossen, dessen Kfe
den unsichtbaren Feind überrannte. Der „Redi^
table", ein Schiff klang^voUen Namens, das an fr»
zösischen Heldenkampf bei Trafalgar erimierts,
zog sich mit dem sehr geknickten Kaperhclden Jo^
Bart" spornstreichs nordwestlich in MonaAVassff
Strasse von Portorico nach St. Dominique, wo D?
weys Panamageschwader herandampfte.
Da Frankreich in keinem Bündnis mit der l'ni^'^
stand, die doch auch an Frankreichs Antiflen ^
höhnischen Räumimgsbefehl erteilte, so hiess fcsct
Übertritt einfach Abtakeln und Abrüsten. Zwiscbcs
zwei übermächtigen Feinden eingeklenomt, frag ^
Franzose, schon in neutralem Gewässer, durch ^^^
nal bei dem Yankeeadmiral an, ob er ihm fres
Durchfahrt gestatte. Dieser verneinte schroff <2e
Union dulde keine europäischen Kriegsschiffe in *-
amerikanischen Atlantis. Der frantösische komsi"
dierende Kapitän kämpfte einen schweren hk^*^
sehen Kampf: sich zwecklos abschlachten lassen 1^'
die brave Bemaimung* und die Schiffe opfern, ^
sie für Frankreich zu erhalten, Erfi^ebung war nöc?
aber an wen ? Dann machte er kehrt nüt GegeEfc-*^
und lief mit weisser Flagge den Briten in die M^
An Bord des Admirals Bosanquet g^"
weil ich mich doch noch lieber Europäern aus-
liefere als Amerikanern. Die sind unser aller Feind.
Vielldcht versteht man nicht, dass ich aus Pflicht
nach bestem Ermessen handele, doch ich werde dies
nicht mehr hören." Sprach's und schoss sich blitz-
schnell eine Kugel vor den Kopf, so dass sein Gehirn
seine goldnen Epauletts und die grünen Wollepau-
letts seines begleitenden ,Commandant' überspritzte.
Die englischen Offiziere nahmen diese merk-
würdige, durch den Tod besiegelte Erklärung einiger-
massen betroffen auf und versanken in Nachdenken.
Jedenfalls waren es alles eher als gemischte Ge-
fühle, mit denen sie sich jetzt unmittelbar zur See-
schlacht rüsteten: ausschliessliche rechtschaffene
Wut gegen die Yankees im Herzen. Am Signalmast
des Flaggschiffs „Furious" stieg die Parole auf:
,,Rodney und St. Dominique", jenes alten grimmen
Sieges über die Franzosen gedenkend, zu einer Zeit,
wo England und Frankreich sich noch um die Ob-
macht in Amerika stritten. Längst verlor Frankreich
die Südstaaten, Canada, St. Domingo, längst aber
auch England seine einstigen Kolonien, die heut zu
nie geahnter Grösse emporwuchsen. Welche Wen-
dung durch Gottes Fügung 1
Die Pacificflotte hatte ihren Verlust in der
Philippinenschlacht seither nur teilweise durch Aus-
besserung und Wiedereinstellung notdürftig ge-
flickter Havarierter ersetzt, schwächte sich jetzt noch
mehr durch Zurücklassung des nach Cuba ver-
— 566 —
schleppten „Boston". Die äussern taktischen Ein-
heiten waren daher fürs blosse Auge ungeßhr
gleich bei beiden Parteien, doch überwog der
Tonnengehalt bei weitem auf Deweys Seite, England
hatte, seine Hauptmacht in der nördlichen Atlans
zusammenziehend, nur die ursprüngliche Atlandscbc
Eskadre hauptsächlich von schnellen Kreuzern bcasf
tragt, Kingston zu entsetzen. Die Amerikaner s
heller Erbosung, dass ihnen Fang der franiösiscbce
Schiffe entging, denen sie eine unschädliche Ladi2s
nachschickten, griffen mit wildem Übermut sofcft
an, da es ihnen gegen die meist kleineren engÜscb^
Kreuzer nicht fehlen könne. Doch die heutige Feeer
technik, wo man auf acht Seemeilen das Fcrnfecsf
eröffnen imd den Emstkampf auf drei Seemele
einfädeln kann, wie zu Nelsons Zeit auf sechshuDdc
Schritt, ist einer unausgebildeten kriegsunerfahieoc
jungen Flotte erst recht nicht günstig. Eo« ^
mannimg, deren Kern aus früheren, Handelsmatrosa
die erst seit wenigen Jahren den Bodai ihies be-
stimmten Schiffes unter den Füssen hatten, ^
deren Masse aus Neulingen imd obendrein oft A«^
ländem bestand, konnte unmöglich mit dntf vc:
hohem Väterlands- und Ehrgefühl geschweBten, ^
heitlicher zusammengesetzten und durchgebildete
von mralten nautischen Traditionen getragenen,)«^-'
obendrein durch monatelange Kriegserfahnnig S*^
stählten Marine konkurrieren.
„Wir sind mit den Deutschen fertig ge^idft
die ganze Kerle sind, und sollten die Yankees ni^
^
ziere ihren Leuten zu. Schon nach der ersten halben
Stunde Fernfeuers bemerkte man Zeichen von Ner-
vosität in den Bewegungen der Yankeeschiffe, die
nicht gewohnt waren, ihr Feuer sachgemäss auf
einen Punkt zu vereinen, und daher vielfach ins
Blaue schössen. „Powerful", der grosse britische
Kreuzer, erwies sich in der Tat mächtig. Seine
unablässigen genauen Treffer verscheuchten die Be-
dienung zweier amerikanischer Panzer von den Lade-
podesten, nachdem wahre Leichenhügel um die Bat-
terien aufgeschichtet. Überhitzte Stahlrohre sprangen
in der Glut von Explosionen, das Material der
Trust-Lieferanten zeigte sich nicht zweifelsohne.
Manche Eisenplatten wurden allzu rasch wie ein
Sieb durchlöchert. Die gewaltige „Minneapolis" be-
kam Treffer unter der Wasserlinie, ins Vorder- und
Hinterschiff zugleich, so dass sie zu schwanken
schien, ob sie zuerst ihr Vorkastell in die Luft
bäumen oder nach hinten überholen solle.
So ging ihr der schmucke neue „Euryalus" zu
Leihe. „Hochflieger" breitete seine Feuerschwingen,
,,Hibemia" prüfte ihre junge Kraft, als wolle sie
Irlands (Hibemias) Loyalität verbürgen, „President"
schien den Yankee-Präsidenten zu verlachen. Der
kriegerische „Bellorophon" wollte Drachen erlegen.
Der „Königliche Arthur" schlug sich wie ein Paladin
von König Artus' Tafelrunde, „Flora" holte aus,
als wolle sie bis Florida in einem Ruck durchbrechen,
,,Raleigh" stürmte unerschrocken, als gelte es, noch-
— 568 —
mals Virginien zu entdecken, „Bahama", als lolk
sie ihre hiesigen Taufinseln schirmen, „Rinaldo"
war ein Rinaldini, „Bonadventure" ging auf glück-
liche Abenteuer aus, „Oberon" führte wirbligen Elfen-
tanz auf, „Spider" reckte sich als Seespinne, Äe
„Vestalin" lehnte jede Feindesberührung spröde ab.
„Cormorant** sauste als gieriger Seerabc dalün.
„Commonwealth" schlug sich fürs Gemeinwohl, das
britische wohlverstanden, als Panzer 1. Klasse
„Gloucester" traf der Rammsporn des „Furiocs'
durch und durch, ein Wasserberg grub sich in das
gerissene Loch nach, so dass der Amerikaner naca
Steuerbord sich querlegte imd die pustenden Schno-
ben den Kiel nach oben drehten. Der funkfh
■
nagelneue Prachtkreuzer „Constitution", als Emtz
der alten gleichnamigen Fregatte, eines historisoi
nationalen Inventarstücks pietätvoll gedacht, machte
einen Sprung, stand still, drehte sich xmi sich sdbsi
und legte weit über. Diese Katastrophen traten oß,
als die Briten auf zweitausend Meter und noch nähff
[ herangingen und das Donnergepolter ihrer küt
r berechneten Salven den Yankees unmittelbar as
f Deck schleuderten. Ihre zahlreichen kleinen Krcc-
zer, wobei mehrere ungepanzerte sich heroisch opf«
ten, neckten und fesselten die Flügel, wo Destroyen
und Torpedoboote schwere Verwirrung anrichtctcß^
In dieser Branche betätigte die junge amerikanisch«
Marine eine rührende Unerfahrenheit. Die grosso
Torpedos „Pluton" und „Furor", hochfahrend so
getauft nach den bei San Jago untergegangenen Boo^
geschickt, wie diese, liefen erst später an, statt
sofort hinter den Kreuzern sich versteckt zu halten,
und wurden so abgeschossen. Als nun noch „Minne-
sota" und „Illinois" durch das schlechte Funktio-
nieren ihrer Maschinen den Rückzug behinderten,
konnten die Vankees von Glück sagen, dass sowohl
die Nacht als Unwetter mit hohem Seegang herauf-
zogen und die Briten nötigten, Anker auszuwerfen
und zu „schwingen", statt rastlos zu verfolgen. Den
Japs gegenüber hatte die Verachtung der gelben
Ras']e den eingebildeten Mannen des Sternenban-
ners ein moralisches Rückgrat gegeben, den Briten
gegenüber konnten sie das Empfinden eines un-
gezogenen Sohnes nicht loswerden, der von seinem
Vater gezüchtigt wird. — —
... So grossen Enthusiasmus all diese fast
gleichzeitig gemeldeten Siege in England erweckten,
furchten doch Sorgen die Stirn der Staatsmänner.
Trotz Kitcheners Strenge gab es neue Anzeichen
der aus Konstantinopel seit lange geschürten pan-
islamitischen Bewegung unter den indischen Musel-
manen, die einmal fünfzehnhundert Buddhisten des
Dorfes Likianeh durch Hinweis auf nationale Be-
freiung zum Islam bekehrton und eine rührende
Vorliebe für die angeblich stammverwandten Japa-
ner schon bei deren letzter Himgersnot bekimde-
ten. Die von zwei japanischen Professoren Motoda
und Harada, Politikern in der Toga des Gelehrten,
Geistlichen und obendrein Christen, durch ihre Vor-
träge über Japans vorbildliche Grösse in Kilhmi
gestreute Saat ging üppig auf. Dass diese Bidd'
greise als Vertreter der „Japan National Comd
of the Young Men Christian Association" in äi:
Lande pilgerten und das Evangelium wm jx}^
Zukunft auf diesem nicht mehr ungewöhnüdia
Heilspfad verbreiteten, gab solcher .chrisllicliHi' Fw
paganda einen pikanten Beigeschmack. Ob der L
verpooler Mob die Redaktionsstube des orifflufisted
subventionierten Journals .Crescent', das einen mo-
sehen Halbmond als Devise trug, und Croniion
einer allen Ernstes dort im Bau begriffenen w
schee gleichzeitig demolierte, konnte den F^'
Übergewicht in Oceanien bitlere Früchte tragen.
Atif Fidchi Islands betrieben schon japanische
Finnen den bedeutenden Handel mit Baumwolle,
Kopra, Melasse, Angorahaar, Walfischöl, Perlmutter.
Deutsche und britische Häuser hatten das Nach-
sehen, ebenso die „New Guinea Colonization Asso-
ciation" für Sagopalmen und Töpferei.
Die Südinsel von Neuseeland mit Fjorden, al-
pinen Schneegipfeln, dem Riesengletscher des dach-
förmigen Mount Cook, der Eisnadel und Fimtreppe
des Mount Tasman, mit dem Goldfeld von Otago
und der vomehmen Hauptstadt Dunedin, die sich
eines Museums, Hospitals, botanischen Gartens,
einer Universität und Bibliothek rühmt, behauptete
man noch teilweise unter schweren Opfern an Eigen-
tum. Doch wandelten schon imter den Trauerweiden
des Heathcoteflüsschens und vor Kathedrale und
Staatsbank von Christchurch japanische Wacht-
posten, und vor der bedeutenden Werft der Krater-
bucht von Lyttelton lagen japanische Kreuzer. Natür-
lich standen überall Sägewerke, Seifensiedereien,
Eisengiessereien, Brauereien der betriebsamen Dop-
pelinsel still, ebenso Flachsbau und Förderung der
Braun-, Pech- und bituminösen Kohlen. Nelson an
der Cookstrasse, die sonst völlig von Japans Schiffen
beherrscht, hielt sich wegen des ungünstigen Haf«i-
eingangs. Am herrlichen Alpensee Pukaki nahm ein
Maori-Raubzug ein blutiges Ende. Dagegen besass
Japan schon völlig die Nordinsel mit ihrai Aschen-
kegeln, Vulkanen, Geisern, dampfenden Sprint
bninnen und kochenden Quellen des Waikno,
Schlämmkessela, rosigen Kieselsinterterrassoi am
türkisblauen Becken, Wasserfällen des Taoposte,
weissen Bimssteinklippen, der wunderbaren ]imi-
säule des Springspnidels Piori, der Ueblichkst in
Mount Egmont, eines erloschenen, und der düüEni
Erhabenheit des Tarawera, eines noch aibetioni«
Vulkans, dessen letzter grausiger Ausbruch iffl
ganzen Warmen See mit Sinterufero und Waffl
Dampfwolken des Tatarafaspnidels verschlang. Z«i
sehen schwarzen Basaltmauem und grünen tla-
hecken der Landsitze von Aukland unienn pjn
diesischen Mount Eden, sowie in Wellington, N)f«ti,
New Plymouth gingen japanische Zivilbeamte ^
zieren. Selbst die Seelöwen. Robben, AlbanwK.
Papageien, Sturmtaucher. Pinguine der südlid S<»
Seeland hingelagerten unbewohnten Inseln wuident«
japanischen Bootexpeditionen aufgestört, an der *iit
dersamen steilen Tuffküste der .Antipoden' er''*
sich eine Flottenstation für Funkspruch. Die Sc
thern Fisher Company musste hier ebenso auf ^^
fischfang verzichten, wie die Phönix Guano Cio
pany auf Guanoverladuog der Sporaden-Phöini''
ninginseln mit phosphorsaurem Kalk.
Sogar malaiische Freibeuter unter japaiuscW
Offizieren unterstanden sich jetzt, lustige Aosfl^'
aufs australische Festland zu unternehmen. In *"
retonbai wie im Strandbaff des Murray bei G<»l*^
ja selbst auf der Kängunihmsel von Adelaide c
brennend, um straflos wieder zu verschwinden. Der
Seeverkehr in Australien litt auch schon unge-
mein. Die British India Steam Navigation konnte
ihre „Queensland Mail" nicht mehr durchbringen.
Viele Schiffe der Union Steamship of New Zealand,
Australasian United und Tasmanian Navigation Com-
pany fielen in japanische Hände, andere der Linie
Vancouver-Sidney in amerikanische. Nur die ameri-
kanische Oceanic Steamship Company hatte davon
den Vorteil. In Levuka auf Ovalau und Suwa (Fid-
schiinseln), dem Anlegeplatz der Pacific Mail Steam-
ship, stauten sich Dampfer verschiedener Linien,
die sich nicht auf hohe See wagten, ebenso die
Segelschiffe des Hauses Tandonnet von Bordeaux.
Zwischen Karolinen und Marschallsinseln stellten die
spanischen Postdampfer ihre Fahrt ein. Nur die
furchtlose Schiffahrt der Polynesier auf ihren Ein-
bäumen oder zusammengestellten Doppelkanoes
währte fort. Beide Kabel von Süd-Java nach Pal-
merston-Port Darwin und nach Roebukbai zer-
schnitten die Japaner, ebenso die Kabel Sidney- Wel-
lington (Neuseeland) und Melhoume-Dalrymphle
(Tasmanien). Selbst der grosse Überlandtelegraph
zwischen Spencer-Golf, Georgssund und Roebukbai
und der andere von Palmerston nach Eyre-See
schienen Störungen unterworfen, die Drähte zwischen
den Goldfeldern Halls Creek im Kimberleydi strikt
und den Küstenhäfen funktionierten nicht mehr, von
Chinesen oder Papuas in japanischem Sold verletzt.
— 574 —
Auf der schönen Kunststrasse von Hobart auf
Tasmanien mit den nebenherlaufenden Bahnstiängöi
gab es unerklärliche Dynamitexplosionen bö Laua-
ceston. Auf Neuseeland erstieg em japanisdier
Posten den Arthurspass und unterbrach die Bahn-
strecke Greymouth-Christchurch. Bei Nelson und
Hellwellyn rissen Maoris bei Nacht die Schienen auf.
Selbst im australischen Festland veranlasste nervöse
Besorgnis vor kecken Anschlägen der Japs und ihrer
chinesischen oder eingeborenen Spiessgesellen stän
dige Bewachung empfindlicher Bahnpunkte, wie de
Brücke bei Blackwood und über den Hawkesbcry.
Die Diggers (Goldgräber) fragten, wie sie ihre Nug
gets (Klumpen), die Squatters (Pächter) auf dea
Runs, wie sie ihre Schafwolle und gefrorenes Fleisci
oder ihr Eukalyptusholz und Heu vom FitffO)^!-':
loswerden wollten, wenn diese Unsicherheit des Sec^
Verkehrs andauere. Die sozialistische Tendern de
Australier zeigte bei den Bushmen bedenkliche >t
gung, ins Kommunistische überzugehenuntermDroci
der beginnenden Geschäftskrise, die selbst Damp*'
(Brot aus Weizenmehl und Wasser) verteuerte. Grosse
Dürre trotz der artesischen Brunnen und Benes^
lungsfelder am Darling und Murray, so dass d«:
Lehmboden in roten wirbeligen Staub zerfiel, w^
senhaftes Auftreten von Dingos xmd Heuschredui
quälte den Ackerbau. Die kleinen Besitier *'^
freigewähltem Boden (Freeselectors) litten am e*
sten, und die besten Farmer des Landes, nanu: -
die Deutschen in Südaustralien, hatten es sch^^*
eaormea Ausgabea und Schuldenlasten der einzelnen
Provinzen (vometmilicb Queenslands und Neusee-
lands) machten die Lage besonders drückend. Hier
konnte man erkennen, was selbst nur ein Monat
Kriegszustand mit Kiistenblockade einem unfertigen
Staate kostet. In den Coolgardie- und Murchison-
goldfeldem Westaustraliens, in den Kalkstein-, Koh-
len-, Jaspis-, Achat- Grube n ; auf den subtropischen
Reisfeldern und Roma-Weinbergen, Eisfleischfabri-
kcn von Brisbane, Gympin-Woolgar-Morgangold-
schachten, den Kupferbergwerken von Clermont,
Percy, Concurry und Kohlengruben von Rockbamp-
ton und Darling Downs, den Essen und Stampf-
mühlen in Nordaustralien; in den Orangemarmelade-
fabriken, Goldseife- und Quarzriff Wäschereien bei
Batburst, Silberbergen von Broken Hill, den Lagern
von gasreicher Kokskohle und Biandschiefer zu Pe-
troleimibereitung bei Newcastle und Hartley in Neu-
siidwales. den Fleiscbkonservefabriken und Zucker-
mühlen von Sidney, den Fruchtkonservefabriken,
MaulbeerpflanzuQgen von Adelaide, Kupferschmel-
zen von Wallaroo; den Goldminen Castleniain, Bal-
larat, Sandhurst, Beecbworth in Victoria, in den Ree-
dereien des prachtvollen Melbourne, einer Wunder-
leistung eigener Schaffenskraft dieser grossen ein-
stigen Verbrecherkolonie Australien — überall stag-
nierte die Arbeit. Auf der Südinsel Tasmanien stellte
die New Golden Gate Mining Company ihren Be-
trieb ein. Das Netzwerk von Bleierzgängen im sUu-
Erschliessung der Otavigruben und KiöHnang des
Bergbaus sich wegen der sogenannten Ovambofrage
und im Amboland demütig nach Englands Billigung,
nach Wohlwollen der portugiesischen Behörden um-
sahen I Das allmächtige England und ohnmächtige
Portugal schwanden gleichmässig in Afrika von der
Bildfläche, und bei ihrer Stellung in Südafrika und
ihrer Begünstigung durch Menellk liess sich die
Sacbr 90 an, als ob jetzt nur noch die Deutschen
Rechte in Afrika hätten I
Übrigens tet Portugal schon Busse. Es bettelte
untertänigst um Aufnahme in den „Europäischen
Bimd". Der Gouverneur von Madeira stattete dem
deutschen Humboldthaus auf Spanisch-Teneriffa Be-
such ab und hielt eine feierliche Staatsrede über
die glühende Zuneigung der Nachkommen Ema-
nuels des „Grossen", Albuquerques des „Grossen",
Camoens des „Grossen" — bei diesen Gemegrossen
beisst alles Eigene „gross" — für das ideale Volk
der Dichter und Denker. Dieser Appell an den
Idealismus verhallte ungehört. Solche Züge tiefer
Unterwürfigkeit vor dem Präsidium des Europabun-
des verrieten aber ein böses Symptom für Englands
schlechtstehende Aktien: die Ratten verlassen das
sinkende Schiff. —
In Amerika hatte man zwar den Antillen Luft
geschafft, Barbados, Trinidad und das den. Nieder-
ländern abgenommene Surinam gedeckt, das fran-
zösische Martinique am 23. Juli durch Marinetrup-
VClker Europu . . . ! 37
— 578 —
pen besetzt. Aber aus Canada häuften sidi bis Ende
des Monats die trüben Nachrichten. Zwar xeigte
die Bevölkerung, auch die haibfranzösische der alten
Kolonistenfamilien und die indianische, keineswegs
Bereitwilligkeit, sich von den Segnungen axneiikanF
scher Freiheit beglücken zu lassen, da sie zur G^
nüge wusste, was darunter zu verstehen sei ic^
dass man in der britischen Monarchie weit mehr
persönliche Freiheit und sicher mehr anstandigt ini
bestechliche Beamtenordnung genoss. Aber vids
schwebte wenigstens Autonomie der grossen K>
lonie von britischer Bevormundung vor, man woDt?
sich aus London nicht mehr am Gängelband füfars
lassen. Die canadischen MUizen führten den Kaicr
bisher ziemlich lau, die amerikanbchen über
schwenunten weithin das Land, und es liess sich ttn
hersehen, dass die britischen Regulären, ob vcc
so verstärkt, auf die Dauer bis an den Lawrence
Strom zurückgedrängt werden würden, wenn d>*
Union Ernst machte und ihre riesigen MensdieC'
mittel in Fluss brachte.
Mit Zentralamerika sprang sie schon gam oa^
Beheben um. Costarica erhielt Ausfuhrverbot t:
seine Patronen- und Eisenbahnfabriken, Brettschc^
dereien und Gerbereien, die sich sämtlich der Un^^
zur Verfügimg stellen mussten, natürlich zu Zwange
preisen. Kaffee- und Bananenhandel sowie Perier.
fischerei blieben innerhalb Amerikas gestattet, uc-^
Aufsicht eines treuherzigen Yankeekonsortiums. X^
caragua, das noch mehr als Costarica unter As^
— 579 —
hören des Ausfuhrhandels mit Deutschland gelitten
hatte, durfte auf Ausfuhr von Schwefel und Eisen-
vitriol der Chontales-Minen, von Gelbholz und Häu-
ten verzichten. Honduras lernte, dass Zedern und
Mahagoni wegen Schiffsbaus Konterbande seien.
Dagegen zeigte Uncle Sam sich geneigt, eine neue
Hondurasbank gesegneten Pariser Schwindelange-
denkens zu stiften. Honduras-Krach, dieser Name
sagt genug wohl schon. Salvador wurde wegen In-
digo belästigt, Guatemala wegen Silberdollars und
Bleis von Mataquescintla. Kaffee, Cochenille, Pfeffer,
Zimt, Rami6 (Gespinstpflanze), Sassaparille wurden
freigegeben, da man die Finanzen dieser gutfun-
dierten Staaten für spätere Annexion schonen wollte.
Auf beiden Seiten des Isthmus blockiert, hing wirt-
schaftliches wie politisches Fortbestehen natürlich
ganz von Laune der Union ab. —
Als Preis des Sieges über das Pacificgeschwa-
der hatten die Briten sich Portoricos rasch bemäch-
tigen wollen. Doch der schwer zugängliche stark-
befestigte Hafen der Hauptstadt San Juan, auf einem
Inselchen gegenüber dem Inselfestlande, gab sich
nicht so leicht. Über Salzlagimen der sechs kleinen
holländischen Inseln, wo Phosphatlager und Coche-
nillezucht den allgemeinen Niedergang nicht auf-
halten und Anschluss an eine Grossmacht als ein-
ziges Mittel zur wirklichen Ausbeutung von Kolonial-
besitz ebenso deutlich wird wie in Surinam nüt
seinen halbverhungerten Maniokfressem, wehte zwar
der Union Jack. Auch über roten Dächern und
37*
— 580 —
Kokospalmen des steilfelsigen danischen St. Thomas,
wo gleichfalls die Zuckerrohrplantagen dahin^edieQ.
Dies neutrale Gebiet eignete man sich efligst an
unter dem Vorwand, dass diese drei Jungfcmmsdr
heimlich von Dänemark schon an die Unioa fcr
kauft seien. Kakao, Angostura-Likör und Asfiat
von Tobago, wichtige Kohlenstation Port Castries
auf den Windward Islands, Riun von Barbados, b
digo und Arrowroot der Leewaxd Islands, dieDocfe
von Antigua, Docks, Telegraphenkabel imd hc^
dertfünfzehn Zuckerfabriken von Demaraia, die Vi^
Zucht auf den Virgin-Inselchen xmd Barbuda, ^
Kronlehen der Seemannsfamilie Codrington, das &
folgedessen die britische Marine mit besonderer Zart
lichkeit betrachtet, blieben noch gedeckt und ^
versehrt. Doch die nordwestlich der Antülen «kc
Festland vorgelagerten Bahamainseln, die als Hei::
aller Blockadebrecher während des Sezesacoskriep
eine so historische Rolle spielten, fidei ^
Schwammfischerei, Schildkrötenfang, Handd c-
Perlmutter, Schildpatt, Guano, Farbholz, Anaiai
Bananen, Limonen, Melonen als wertvolle Brc^
schon den Yankees zu. Eine Transportftotte ^
Tampa her trug das Sternenbanner nach Nasst
Harbour, das schon ohnehin seit lange als IdisQ^
scher Kurort dem Dollar gehörte. Die DamFv:'
der spanischen Compafäa transatlantica, Herreraliii:'
wurden natürlich ebenso ungeniert weggcnonöa*
wie die von Liverpool fahrenden der Firma VCi'X-
Forman & Co., der Harrison- oder Westindia- s^
— 581 —
Pacific-Line oder Royal Mail-Steamer. Ausser zahl-
reichen von Staats wegen ausgerüsteten Kapern mach-
ten noch eine Menge schamloser Freibeuter den Stil-
len und Atlantischen Ozean unsicher, die ihr Privat-
konto im Auftrag eines prominenten Trusts der
grössten Reedereien mit patriotischem Sternenban-
ner zudeckten imd diesen Mantel christlicher Liebe
über jeden Raub breiteten, den sie ohne amtlichen
Kaperbrief aufbrachten. Die Regierung drückte gern
ein Auge zu, da es doch ihr eigener Stolz und Ge-
winn, wenn American Citizens gute Geschäfte machen.
Den südamerikanischen Staaten ward ohne
weiteres insinuiert, dass die Monroe-Doktrin bis Kap
Hörn gelte, dass die Union sich also in Kriegszu-
stand mit allen Europäern befinde, die noch in
Südamerika Besitzungen hätten. £s sei den Süd-
amerikanern anheimgestellt, ob sie sofort zu Schutz
und Trutz sich unters Protektorat der Union stellen
wollten, jedenfalls werde neutrales Wasser nicht an-
erkannt. Ein Recht auf Schiffahrt besitze über-
haupt nur noch die amerikanische Linie Newyork-
Rio-Montevideo. Die britische Liverpool-Callaolinie
der Pacific Steam Navigation Company sei vogelfrei,
einerlei wo ihre Güter betroffen würden. Die fran-
zosische Compagnie G6n^rale Transatiantique unter-
falle gleichen Bestimmungen auf ihrer Linie St. Na-
zaire-La Guaira, ebenso Havre-Valparaiso und die
unter spanischer Flagge segelnde Gesellschaft Campo
von Bordeaux. Was die Hamburg-Amerikanische
Paketfahrt-Aktiengesellschaft nach Venezuela oder
— 582 —
Warendampfer der Gesellschaft „Kosmos" betreffe,
sowie belgische und italienische Dampfer nadi Rio.
behalte man sich weiteres vor, bis die Stellimg zn
Deutschland als etwaigem Verbündeten geklärt. Die
amerikanische Pacific Mail Steamship Company,
bisher nur von San Francisco bis Panama laufend
werde von jetzt ab allein den Verkehr an der Wes
küste von Südamerika übernehmen, wofür die dük^
nische Regierung natürlich die bisher der britische
Navigation Company gewährte Subvention dorthE
zu übertragen habe. Die chilenische Conqjania Sc
americana de vapores nach Panama habe ihre
Schiffe für Truppentransport zu stellen. Die fbcb^
gehenden, nur mit Holz geheizten und ein einägcs
Schaufelrad am Hinterteil führenden britisda
Dampfer auf dem Magdalena imd Orinoko sdct
als herrenloses Gut zu betrachten, die Fahrt acf
dem Amazonenstrom sei nur im Innern gestacd
die brasilianische Amazon Navigation Company vac
die peruanische hatten während Kriegszeit jedes
Passieren der Mündimg einzustellen, da Ausfol^
verbot gegen Europa von der Union erlassen se
Dasselbe gelte für paraguayische Beschiffung des
La Plata. Da Französisch-Guyana sich in Spent
befinde und demnächst von der Union anneköer^
werde, dürfe kein dort den Verkehr unterhaltcades
Curare (indiaiusches Rindenkanoe) die Grenze pa^
sieren. Den Indianern von Peru und Bolivia sß
gnädigst gestattet, auf ihren Balsas (spitzzipfeiig^
Schläuchen von Seehundsfellen, mit Ocker r5üiö
— 683 —
angestrichen) Spionagebotschaften nach neuen Hafen
Chiviqui (United Fruit Company) zu bringen.
Diesen dreisten Anordnungen in gebieterischem
Tone, die über den ganzen Erdteil als selbstverständ-
lich den Belagerungs- imd über Europa den Zufuhr-
Blockadezustand verhängten, fügten sich die braven
südamerikanischen Raubstaaten anfangs ohne Mur-
ren, teils aus eigener liebenswürdiger Animosität
gegen die ordnungsliebenden Europäer, teils aus
Angst vor der Union, die nach Bau des Panama-
kanals sie ohnehin in drohender Abhängigkeit hielt.
Brasilien erklärte, seine Fazendas-Besitzer mit
Aussicht auf Steigen der Kaffeepreise vertröstend,
Kaffee, Früchte, Gummi, Vanille für Kriegskonter-
bande und schloss den Hafen von Rio, stellte seine
kleine Marine der Union zur Verfügung. Uruguay
tat desgleichen für Vieh, Paraguay für Mat^-Tee,
Argentinien für Fleischkonserven, Weizen, Mais,
Chile für alle Cerealien und Gemüse, vor allem für
Kohlen und Salpeter. Schwimmdocks und Hafen-
dämme von Valparaiso hatten zurzeit für die
XJnionsmarine als etwaiger Reparaturort keinen
"Wert, da im Juli dort Nordwinde unerträglich wü-
ten. Ecuador durfte Kakao und vegetabilisches El-
fenbein, dagegen nicht Häute imd Medizinalpflan-
zen ausführen, nicht einmal seinen erstklassigen Ka-
kao. BoliviasPotosiminen mussten ihr Silber, die von
Coroooro und Characilla ihr Kupfer, Zinn und Blei,
für Kriegszwecke brauchbar, als Ausfuhrartikel ver-
bieten, selbst Chinarinde sollte Europa so lange
— 584 —
entbehren. Die Bewohner des Titikakasees mtss-
ten froh sein, dass nicht auch noch AlpakawoQe.
Tabak, Pfeffer als Kriegskonterbande galten. Fem
unterlag den gleichen Verboten, besonders für Stein-
kohlen von Ancachs und Quecksilber von Huan
cavelica. Die vergeudeten Guanolager kamen niclR
mehr in Betracht. Das wehrlose verwahrk)Stc La^i
geriet durch die Nötigung „zu rüsten" bald in solde
Geldnot, dass man wieder mal Goldplatten der LiiD3^
Kathedrale, wie früher die Silbersaulen des Ho6
altars, einschmelzen musste.
Columbia, wegen Panama und Colon sdKSi
gänzlich in unionistischen Händen, empfing ät
Weisung, jetzt bei Kriegszustand sich völlig unter
Yankeeverwaltung zu stellen. Schlechter konnte es
ja dort nicht werden, wo Waldfrevel den Chinarind^
Handel abschnitt und infolge schlechten Verieb
es sich nicht mal lohnt, Kartoffeln auf den Maib
zu bringen. Der Goldgruben von Antioquia, Toto
Choco. und Smaragdgruben von Muzo nahm ea
„Ring" sich gleich liebevoll an. Eisen, Kohlea.
Agavefasem (für Seile, Stricke, Hängematten), Baö
(für Armeehüte) wurden zur Kriegskonterbandc er
nannt. Vom Donünikanerkloster in Panama r^eite
ein ausserordentlicher Konmiissar das Land iß
fröhlichsten Flibustierstil von anno dazumal, wo ecs*
lische Seeräuber dort auf spanischem Boden vnt*
schafteten oder später der famose Räuberhauptnunfi
Walker in Nicaragua den byronischen Koisarea
spielte. In Cartagena de las Indias, einst eine de:
— 585 —
grössten Festungen der Welt und Sammelpunkt der
spanischen Silberflotten, baggerte man den ver-
sandeten Hafenkanal gehörig aus. Hier und in
Puerto Columbia und dem Flussdampf er- Abladeplatz
Baranquilla schlug die „Naval Administration for
National Defence" ihr Hauptquartier für West- und
Südküste auf. In kapellengeschmückter Hochland-
hauptstadt Bogota mit ihren luftgetrockneten Ziegel-
bauten fristete der sogenannte Präsident noch ein
Schattendasein nüt hoher obrigkeitlicher Erlaubnis.
Dagegen standen Tabakpflanzung Ambulema und
Steinkohlenlager Zipaquira schon unter unionistischer
Staatsaufsicht.
Mit Venezuela verfuhr man glimpflicher, teils
aus Scheu vor dem rauhbeinigen Spitzbuben im Prä-
sidentensessel, der sich durch erfreulichen Trotz ge-
gen Englands und Deutschlands Gläubigerdrohun-
gen den Beifall jedes gesunden Transatlantiergemüts
erwarb, teils, weil man wegen unklarer Beziehung
zu Deutschland die dort tonangebende deutsche
Kaufmannschaft schonen wollte. Der Kaffeehandel
blieb unbeschränkt, ebenso das Goldwaschen in Do-
rado und Yuruari, nur das Bleierz von Carupano
und Kohlen von Naricual erhielten Ausfuhrverbot.
Da grosse Vorräte vonTonkabohnen,Dividivischoten,
braunem Zucker, Kopaivabalsam, Fischleim, Kokosöl,
Ziegenfellen für das Riesendepot in Panama ange-
kauft wvu-den, ergaben sich die Einwohner und an-
fangs auch die in Maracaibo und Carabobo lebenden
Deutschen in ihr Los, dass La Guaira mit seiner
— 586 —
schlechten offenen Reede und die fortgesdiotzte
Halbinsel Puerto Cabello mit ihrem zageschutteta
Meeresarm ohne weiteres von Unionsmarine b^
setzt wurden. Die Zigarrenfabriken in Yaritaguaund
Barinas erhielten unversehens lauter willfährige Ak-
tionäre unter einem Aufsichtsrat von bravoi Man
nem aus dem Norden.
Bolivars Bildsäule auf Plaza von Caracas und
Konkordienplatz von Maracaibo sah so trübselig
drein, als halte der „B^fi'^er*' das dort heimisck
gelbe Fieber für minder ungesund, als diese lixDtff-
wäldlerische „Sanierung" republikanischer Unab-
hängigkeit.
Als schönen Zug gesunder nationaler Eigesan
muss man es gelten lassen, dass eine sinnig hunasc
Aktienkompagnie von Yankees den Cocui-BnuuitweiD
aus Agavensaft für zu unsittlich und gesu]idhd&
schädlich hielt, deshalb angeblich geschmuggeltem
„echten" Jamaika-Rum (amerikanisches Gewächs) n
Zwangspreisen eines Staatspatentmonopols in ^^
nezuela einführte. Ein physikalischer Versuch, iß
ein erstaunliches nekromantisches Ergebnis lödste:
nämlich die leeren Privattaschen der Staatsräte ia
Caracas mit lauter blanken Silberdollars füllte vsi
ausserdem das heimische Bankkonto der umonisQ-
schen Intendanz- und Zollbeamten geheimnisvoD ff-
höhtelMan muss im Leben oft ein Auge zudrücken, b6
sonders wenn man mit Silberdollars dem andof»
Auge den Star besticht I
Mit Französisch-Guayana, dieser Musterkoloni^
— 587 —
aller Erbärmlichkeit, nahmen sich inzwischen die
Briten urgesunde Freiheiten heraus, indem sie mit
einer Miliz einrückten, nach kurzer Gegenwehr der
Handvoll Franzosen die Sträflinge in Cayenne be-
freiten und das internationale Gesindel von India-
nem, indischen Kulis, Anamiten, Buschnegem, Ara-
bem, Mulatten, Chinesen als Ersatzheizer und son-
stige Diensttuende für die Flotte pressten oder zur
Küstenschutzarbeit nach Demarara verpflanzten.
So ging es also in Südamerika lustig her, und
die Union hielt es gar nicht mehr nötig, mit Einzel-
staaten zu verhandeln, sondern erliess eine Washing-
toner öffentliche Botschaft an ganz Südamerika,
wonach Ausfuhr von Pferden, Kohlen imd jeder
Art von Nutzhölzern, Blau- und Braunhartsholz in-
begriffen, für die ganze Kriegsdauer verboten. Um
jedoch mit gleicher ungeschminkter Unparteilich-
keit auch die Europäer Mores zu lehren, erklärte
eine väterliche Präsidentbotschaft das ganze be-
wegliche Privateigentum der englischen Besitzer ame-
rikanischer Eisenbahnprioritäten bis auf weiteres für
sequestriert, jede Zinszahlung ohnehin für inhibiert:
ein dem britischen Nationalvermögen zugedachter
Streich, dessen gar nicht zu beziffernder Schaden
das britische Kapital halb ruinieren musste, wenn
je ernstlich durchgeführt.
Die meist in südamerikanische Häfen geflüch-
teten deutschen Handebschiffe hatte man teilweise
üoch verständigen können vermittels des wieder
'unktionierenden von Portugal eiligst zur Verfügung
— 588 —
gestellten Kabels von Vigo: „Wegen veränderter
politischer Lage möglichst auslaufen. Route nach
Lissabon-Bordeaux frei." Einem Teil gelang es, von
südamerikanbcher Ostküste zu entkommen, die an-
dern sahen sich im Hafen zurückgehalten oder inir-
den später von unionistischen Kapern höflich, aber
entschieden, in „neutrale" amerikanische Gewässer
zurückgescheucht. Ahnlich erging es denen, die n
späterer Periode aus nordamerikanischen Häfen sid
wegzustehlen suchten, nur wenige entwischten. Dass
die britischen fast sämtlich gekapert wurden, ver-
stand sich von selbst . . . Inzwischen r^nete es
Granaten zwischen die Melonenbäume, WacboWff,
Königspalmen, Zedern, Oleanderbüsche, Zwiebel- na^
Tomatenfelder der Bermudischen KoralleninseliL
Doch die von ihrer ständigen Tausendmann-StäA^
längst aufs Dreifache erhöhte Garnison der Fesnmg^
docks von Hamilton hielt tapfer den Platz, troa
meuterischen Aufruhrs der Mulatten, Neger be-
Deportierten. Zur Deckimg dieser wichtigsten Koh^
len- und Flottenstation musste voraussichtlich Lori
Beresford eine Schlacht wagen.
In dem Bestreben, ein für allemal mit alles
schwebenden Fragen ins reine zu kommen, solang?
sich Europa nicht dazwischenmengen könne wie fso^
beim mexikanischen Abenteuer Louis Napoleon
hatte die Union schon vorher das wirtschaftlii
abhängige Mexiko eingeschüchtert. Ein schwad^
gefügter Föderativstaat von elf Millionen Einwc^
nem, von denen kaum zwanzig Prozent wirkücbf
— 589 —
Weisse und Kreolen, alles andere Mestizen und
Indianer, konnte in seines Nichts durchbohrendem
Gefühle zu allem nur Ja und Amen sagen. Die
fünf Kanonenboote imd den Hafen von Vera Cruz
lieh sich die Union freundlichst für die Kriegszeit
aus und verlangte Angliederung der mexikanischen
Armee von 161 000 Mann Kriegsstärke zmn Küsten-
schutz des Golfs und des Pacific. Das kleine Bahn-
netz von Yucatan ward für strategische Transport-
zwecke mit Beschlag belegt. Zur Regelung der Aus-
fuhr ward Mexiko zum Eintritt in die Zollunion
gezwungen. Silbererzgang £1 Doctor und Veta
Madre, Opalfundstätten San Juan imd Eisengiesserei
Zimapan, Baumwollwebereien von San Miguel, Berg-
bau für Kohlen und Erze in Sonora, Baumwoll-
tücher von Tenancingo imd sogar die Hanfkultur soll-
ten während des Kampfes gegen Europa ausschliess-
lich für Bedürfnisse der Union arbeiten. Um diesen
Forderungen Nachdruck zu verleihen, berief man
schon frühzeitig die Milizen von Kalifornien, Texas,
Arizona, Alabama, Mississippi zu den Fahnen und es
fiel Mexiko nicht ein, ohne jede Möglichkeit einer
auswärtigen Anlehnung den Gehorsam zu verweigern.
Im Lande der Tornados, Blizzards, Hurricanes,
der wahnsinnigen Temperaturstürze, geht alles mit
abnormer Überhastung und Schnelle. Aus den 2170
Offizieren, 25 220 Mann des regulären Bimdes-
heers waren über Nacht 150 000 Angeworbene ge-
worden. Die 36 Schiffe mit 10000 Mann Besatzung
der früheren Flotte bildeten nur noch die Reserve
— 690 —
der neuen modernen Schlachtflotte von 55 Sdiiffea
(einige noch im Bau) mit 50 000 Mann Besatzung.
Was die MUizkörper betraf, so rechnete man mit
ungezählten Millionen Menschen und hatte Aus-
rüstung für übergenug, xun Canada mit einer mhien
Völkerwanderung zu beglücken. Viehhöfe md
Schlächtereien (Armour & Co.) in Chicago besorgtes
Verpflegung im grössten Stil. Eisenindustrie mid
Maschinenfabrikation entsprachen willig jedem
höchstgesteigerten Wunsch des Yankee-Impcriate-
mus. Die schwimmenden Paläste der riesigen Tlassr
dampfer auf dem Mississippi, Ohio, Hudson, die
Riesenfähren bei New York, New Orleans, Detroit
Portland beförderten ununterbrochen Kri^^smatemi
und Truppen zur Küste, wo die Bahnen nicht as-
reichten. Die Connecticutkanäle in Nähe der Had*
bey. und Tumerfälle, der Middlesexkanal bei Boston.
der £rie- und Hudsonchamplainkanal dienten des
Lagern der neuenglischen Milizen gegen Ostcanada.
Die unvollendeten Ohio-Kanäle von Georgetown und
Richmond erleichterten inunerhin Anlage emes Zcß-
tralproviantdepots bei Pittsburgh. Der Susqucban-
na-Kanal Reading-Middletown, die Kohlentranspai^*
kanäle von Philadelphia und Alleghany-Eriesee i-ti
mittelten Ansanmilung grosser Kohlendepots fcr
Flotte imd Armeebahnen. Der Cleveland-Mians
(Cincinnati)-£vansvillekanal machte Tnippcn^'e^'
Schiebungen gegen Canada zwischen Ohio und den
Grossen Seen leicht, zu welchen der MichigankaB^l
auch Ersatztransporte sogar vom Mississippi ernw?'
— 591 —
lichte. Endlich waren St. Mary- und St. Clairkanal
an den Seen, Morriskanal zwischen Hudson und
Delaware, Raritan- und Merrimackanal dem Auf-
stellen einer Panzerflottille günstig, die zum Einbruch
in das canadische Gebiet des Lawrencestroms und
jedenfalls zur Verteidigung diente. Über die hölzerne
Bahnbrücke der New York-Eriebahn bei Portago
rasselten ununterbrochen Militärzüge. Bei Knoten-
punkten wie Buffalo, Atlanta, Chattanooga, Mem-
phis, Vicksburgh, Nashville, Corinth, Louisville, De-
catur stapelte man imgeheure Vorräte an. Nord-Süd-
Padfic, Union and Central-Pacific, Atlantic and Pa-
cific Railway Hessen endlose Transportzüge rollen.
Die riesige Eisenbrücke der Denverbahn dröhnte
kaum mehr von Wagenlast, als die gigantischen
Hängebrücken bei Pittsburgh, Clifton, St. Louis,
Quincy, Kansas City, Omaha, Evansville, Albany
vom Marschtritt der Milizregimenter. Selbst die
Brooklyner E^striverbrücke musste zeitweilig zu
Kriegstransportzwecken herhalten, für sonstigen Ver-
kehr stundenlang gesperrt.
Im Norden boten Deutsche und Iren neben
den unkriegerischen Yankees einen guten Fundus
und Hauptstock militärischen Milizwerts, bei beiden
machte sich Nationalhass gegen England scharf
geltend. Die Deutschen von Milwaukee und Cin-
cinnati schworen laut, Zerstörung von Cuxhaven
und Bremerhaven imd jede Unbill des „alten
Vaterlands" als amerikanische Bürger zu rächen.
Die anglophile „gelbe" Presse, früher so mächtig
— 592 —
und mit britischem Gelde subventioniert, mosste
den Mund halten. Sie tat ihn erst auf b» sehr
veränderter Weltlage, um neuerdings Frieden Bad
Bündnis mit England behufs Weltherrschaft Tff
einten Angelsachsentums 2u empfehlen. Doch c
spät, mn England, selbst wenn die Union dac
willens gewesen wäre, den plötzlichen Cbeiti.
und die dann vielleicht niu: aufgeschobene dauerßd«
Bedrohung Canadas und Westindiens vergessen e
machen. Eins aber liess sich schon jetzt über
sehen: dass keine einzelne europäische Mac:*
imstande sei, gegen Amerika das Feld zu halr«t
falls es ein wirtschaftliches Aushungern Lvjo^
bezweckte, dass vor allem Canada sicher von Eo;
land allein nicht behauptet werden konnte.
Die sechs Industriestaaten von NeuEngl^-
hatten ihre Milizlager zwischen Vermont und Ccn
cord. Hier im Nordosten gegenüber Montreal ^'
hielt man sich vorerst defensiv. Im allgcoen::
taten die Nordstaaten schon genug, indem sie »i^
ihren Siebzigprozent-Beitrag zum Gesamtstcucrwc:
der Union von siebzehn auf fünfundzwanzig Mil&s«
Dollars im Jahresbudget während der Kriegsei* ^
höhten. Die am dichtesten bevölkerten drei nutJe-ö
atlantischen Küstenstaaten New York, New Veisc~
Pennsylvanien besetzten mit ihren Milizen teils «:
Zugänge der Grossen Seen bei Rochester und cö:
befestigten Oswego und den Lorenzstromhafen^t
densburg, teils Long Island, um für die Hafenfö-
der New York-Bai bei der Hand zu sein. In denl-
— 593 —
versitäten Harvard, Yale, Comell, dem Chautauqua-
Institut lind dem College von Syracuse hielt man
Gratisvorlesungen vor einem Monstre-Auditorium
über die Zukunft des Imperialismus und das über-
legene militärische Genie der amerikanischen Rasse
von Washington bis Lee imd Grant, auf der techni-
schen Hochschule von Hoboken über neue Kriegs-
technik und Edisons Dynamitkanonenproblem I
Harrisburgh (Pensylvania) wmrde Hauptquartier
einer Mittelarmee, die vor allem Belästigung PhUa-
delphias durch etwaige Landimgen in der Delaware-
bai hindern sollte. Aber das schien unnötig, da
die Flotte schon der britischen Meister gehen würde.
Wichtiger und zeitgemässer schien das Problem, wie
man einen offensiven Massentransport von Truppen
nach Irland werfen könne.
Die beiden Nordstaaten des Ohiobeckens (Ohio
und Indiana) und die Uferstaaten der Grossen Seen
(Michigan, Illinois, Wisconsin) hatten die Offensiv-
kraft gegen Canada zu stellen. Die Staaten des
Nord-Mississippiufers (Minnesota, Iowa, Missouri) bil-
deten eine Reservearmee zwischen St. Louis und
Jefferson City für die Südostküste, insonderheit das
angreifbare Baltimore.
Von den südlichen atlantischen Küstenstaaten
sandten Nord- und Südcarolina, Georgien, Florida
ihre Milizen nach Tampa für Transport nach West-
indien, während die von Delaware, Maryland, Vir-
ginisL (nebst dem Bundesdistrikt Washington-Colum-
bia) vorerst für Küstenverteidigung der Linie Balti-
Völker Europas ... 1 38
— 5M —
more-Wilmington in Betracht kamen. Die streitbare
Miliz von Virginia, eine der besten m der Umon,
zwischen Charlottesville und den Appotoinaxfillöi
ihr Lager aufschlagend, bedauerte nur, dass sie ihn
vorzüglichen Pferde nicht zur Anwendung bring«
konnte wie zu Stuarts Zeiten. Vom HauptqaartiG
Richmond aus geschah alles, um die Chesapeak6
Bai in Verteidigungszustand zu setzen, wobei dk
verödete Marineakademie von Annapolis, deren K^
detten sämtlich aktiv einrückten, an einer «{tt
Seitenbucht besonders ins Gewicht fiel. Das g^
waltige Baltimore, an einer Verzweigung der Bt
gelegen, können freilich nur Schiffe von sechs Meten
Tiefgang erreichen, doch genügte dies ja ßr brh
tische Torpedos, Destnoyers, Unterseeboote, falk^i*
amerikanische Flotte verjagt, deren grosse Sdiife«
sich ja ihrerseits nicht in den Hafen hier znrüdflckcs
konnten. Bei der Tragweite britischer Mmsö^
geschütze würde Beschiessung von drausscn her ad
weite Distanz auch schon Verderben bringen, sc
dass Hopkinscollege und Peabodyinstitut wohl ^
ihre Sicherheit fürchten mochten. Den Bahnb»^
punkt Hagerstown sowie Cumberland am OhicvBafe
morekanal schützten starke Batterien.
Von den Golf Staaten gab Louisiana seine Miliic
zum Konzentrationslager von Tampa ab, wähi«^
die von Alabama und Texas, den beiden Haflp
Baumwolleproduzenten, anfangs am Rio Grai^
gegen Mexiko, später zwischen Galveston und N^
Orleans sich verteilten. Die gewaltigen KoUeobf*^
— 595 —
von Alabama, kaum hinter denen von Michigan zu-
rückstehend, boten für alle Fälle einen Stützpunkt
des Antillengeschwaders, zum Ausfuhrhafen Mobile
schaffte man mächtige Vorräte aus Tuscaloosa den
Black Warrior River entlang. Texas, in Rinder-
und Schafzucht ebenso obenanstehend wie im Baum-
wollbau, speicherte herdenweise Fleischverpflegung
auf. Natürlich gebot Schutz des so hochbedeutenden
New Orleans besondere Rücksicht. Seit durch Eads*
Regulierungswerk der mittleren Mississippimündung
das Delta der Schilf- und Zypressensümpfe für die
grössten Ozeandampfer freigelegt, steht der Ein-
fahrt von Kriegsschiffen hier nichts im Wege.
Die schleichenden Wasserläufe (Bayous) und künst-
lichen Schutzdämme (Levees) waren jedoch der
Landverteidigung günstig, die Forts Philipp und
Jackson beherrschten den Fluss, von Sümpfen um-
geben. Vorerst ging man in den Salzwerken von
Iberia und bei der immensen Zucker- und Reis-
emte dieses tropischen Staates der gewohnten Arbeit
nach, als sei ein Anprall britischer Geschwader un-
denkbar. Jedenfalls gab die Miliz der Staaten Mis-
sissippi und Arkansas eine Reserve für diese Küsten^
strecke ab, die bei Jackson imd Fort Smith ihre
Sammelpunkte haben sollte.
Von den Südstaaten des Ohiobeckens konnte das
grosse Kohlenland West-Virginia eine Milizreserve
für Baltimore ausscheiden, dagegen beförderte man
unablässig streitbare Landwehr von Tennessee und
Kentucky nach Norden, um mit der von Ohio imd
38*
— 596 —
Wisconsin den Einfall in Canada zu betroben. Auf
der Tennesseer Vanderbilt-Universitat zu NashTÜk
bildeten sämtliche Studenten ein Frawilligenkoips,
kokett ausstaffiert. Im Pferde- und Tabakstaat
Kentucky entwickelte sich auf den Hauptmärktes
Lexington und Louisville ein buntes kriegenscks
Treiben. Über das merkwürdig^e Blaugras da Kert
tückischen Heideprärie trabten flotte Schwadronen
prachtvoll beritten, Rough Riders.
Die inneren Weststaaten Kansas, Montana, Söd
Dakota, Wyoming, Idaho, Nevada, samt dem Mor*
monen-Territorium Utah und Indian Territory ar
Red River, brauchten nicht zu mobilisieren. Ac
»Salzsee* und in den Silbergruben von Carsoo giog
man ebenso gleichgültig der gewohnten Besdöf
tigung nach, wie fashionable Kiirgäste in BadeoUff
Saratoga imd Hot Springs im Osten und Sode
oder Vergnügungsbummler im Montanischen Yel
lowstonepark sich herumtrieben. Dagegen stdhes
sich Milizen von Nebraska und Nord-Dakota w
sehen Lincoln und Bismarck auf, um Einmarsch is
Canada mit Richtung auf Winnipeg-See zu erzwiQ9&
Eine auserlesene Brigade von Bergwerksarbehess
schob sich bei Coeur d'Al&ne aus Idaho vor, er
Vancouver, die heut so zukunftsreiche Hafcostac
von British Columbia, zu; bedrohen. Die Rocky Mocr
tains von Colorado erfüllte nur gewohnter liz^
der Erzhütten von Pueblo und Leadville, der Gract
sehen Schmelzwerke von Denver. Nur die Zögü&S^
der Bergakademie von Golden hielten es für am«
— 597 —
santer, die Tour nach Canada mit den Arbeitern bei
Coeur d'Al^ne anzutreten.
Die abenteuerlichen Elemente von Kalifornien,
Arizona, Neumexiko fanden es gar nicht übel, längs
der mexikanischen Grenze zu paradieren und statt
des geliebten Revolvers einmal Büchsen in Reih
und Glied zu führen. Als dies hinfällig wurde, be-
schäftigte man sich in San Franzisco und Stockton
wie zuvor mit Liefenmg von so und so viel Busheis
Weizen oder Barren Quecksilbers von New Idria.
Am Fährplatz Oakland errichtete man eine Schanze,
vor Universität Berkeley einen Batteriestand, auf
Sternwarte Mount Hamilton ein Observatorium für
weite Beobachtung des Stillen Ozeans. Dagegen
nahmen die Nordweststaaten Oregon und Washing-
ton tätigen Anteil am Kriege. Von Portland-Astoria
liefen armierte Kauffahrer und Transportschiffe gegen
Vancouver aus, ebenso aus Olympia am Pugetsund
und den breiten Seehäfen Seattle und Townsend. Von
Spokane FaUs, dem Pferdemarkt, streifte Reiterei
über die Grenze ins Dominion of Canada. Das wilde
oder halbwilde Verbrechervolk von Alaska verpasste
natürlich nicht die schöne Gelegenheit zu einem
patriotischen „Raid", zu deutsch: zum Morden und
Plündern, scharmützelte über Klondyke und zwi-
schen Meer und Eliasberg herein.
. . . Die französischen Fischereistationen St.
Pierre und Miquelon bei Neufundland, klägliche
Reste des französischen Kolonialreiches von Mont-
real bis Neworleans, hatte man aus St. Johns und
— 598 —
Harbour Grace, den Neufundländer Häfen für Stock-
fisch-, Hering- und Seehundsfang, eiligst in Bcsa
genommen. Darüber lachte die Union nicht wenig:
sparte Arbeit für später. In der irisch gciiüsci>
ten Bevölkerung von Neufundland gärten übrigcas
auch schon irisch-antienglische Neigungen. In La-
brador zu beiden Seiten der Hudsonbai, sowie de:
weiten Urwald-Fels-Sumpf-Wasserwüdnisscn der cia
stigen Hudsonbaigesellschaft am MacJcenaef^''
gegenüber Alasca im äusserst en Nordwesten, «
Bären, Biber, Hermeline, Bisams, Otter die Pehjäg^
versorgen, versahen sich die Blockhaus-Forts ^ojt
Churchill, Sevem am Westrand der Bai, sowie aa
Bärensee und Mackenzie die Forts Simpson, Ne-
man, Good Hope Franklin mit Proviant und Mis>
tion. (Weiter im Innern die Forts Enterprisc, ^
Reliance — südlicher Chippeway, Du Lac.) D<>-
kräuselte sich noch kein Rauch amerikanische
Kreuzerkaper über dem düstem arktischen Gewisse:
Dagegen erschienen solche bald vorKapBret-
und in der Northumberlandstrasse und längs <i>'
Fundybai, den Küsten der Provinzen NeuschottlaE^
und Neubraunschweig. Es kamen immer mehr n»
füllten den St. Lorenz-Golf und beschossen Cka:
lottetown, den Exporthafen der Prince Edward
Insel, deren haferbauende schottische KokKflstö
durch Fanale dem Festland ihre Not anzeig^^i
Nur zwei armierte Küstendampfer , Marquis ofLo^
und jPrincess Louise' befanden sich im Golf. ^
jedoch herzhaft die Mündung des mächtigen Loret
— 599 —
Stroms verteidigten. Seit 18. Juli begann eine £s-
kadre von Boston her ihre Operation, suchte die
tiefeingeschnittene Meerenge zwischen Neuschott-
land und Neubraunschweig ab, blockierte die Häfen
St. John und Moncton, sperrte den St. Johnsriver,
indes eine Milizdivision von Massachusetts vom Land
her sich diesem Flusse näherte und die Holzhändler
von Fredericton in Angst setzte. Doch vermehrten
dort die blocküberstreuten, mit Glacialschutt imd
Torfmoor gefüllten Bergtäler ein lebhaftes Vorschrei-
ten, und auch in Neuschottland wagte die Eskadre
sich nicht an die Flotten- und Militärstation Hali-
fax heran, deren auch im Winter eisfreien Fjord
man wohlgeschützt fand. Diese wegen ihrer be-
deutenden Kohlen- und Erzförderimg für die briti-
sche Marine, wegen ihrer Fischereien für den Han-
del wichtigste, aber kleinste Provinz konnte man
für gesichert halten mit Ausnahme der Kap Breton-
Insel, wo die nur vier Kilometer breite Meerenge
yGut of Canso', den St. Peterskanal und die Inter-
kolonialbahn auf der schmalen Chingnacto-Landenge
Blockadegeschütze beherrschten.
Umgekehrt lag das Tief- und niedrige Tafelland
der Provinz Quebec zu beiden Seiten des Lorenz-
stroms dem Einfall von Norden zur See und von
Süden zu Lande offen, der ihren Holzhandel, Vieh-
stand imd Industrieverkehr bedrohte. Noch mehr
galt dies für Provinz Ontario, Canadas Kornkammer.
In der Tat landeten fortwährend unterm Schutz von
Panzerflottillen Regimenter von Wisconsin und Ohio
— 600 —
auf der canadiscben Nordostseite des Oberen Sees,
während andere von Michigan und Tennessee über
den Michigan- in den Huronensee einbogen und zu-
gleich die weit vorgestreckte Grenzhallnnsd Oota-
rios mit der Hauptstadt Toronto vom Eriescc a
umfassen suchten. Dies ungemein reiche Land, io
Getreidekultur (Weizen, Hafer, Gerste, Erbsen) seflÄ
die gesegnetsten Unionsstaaten übertreffend, in Vie^
zucht imd Forstbestand obenan in Britischameiila,
mit Aussichten zu fabelhafter Kupfeiprodukdcm nflu
dabei nicht arm an Petroleum, Salz und Nickel, m.
der regsten Industrie verbunden, liess sich böD
mehr halten. Victoria-Rifles und Reguläre taten, «s
sie konnten, schnell armierter Dampfer „Tunistan"
nebst einigen Kanonenbooten birschten die Se^
ufer ab, solange wie möglich. Doch das Aufgebot
der unionistischen Machtmittel war zu erdrückend.
Sobald längs der ganzen Nord- und Ostküste des
Oberen Sees die Landimg erzwungen, wurde aud
das Nordwestufer des Huronensees allmähücb »■
haltbar. Eine von Albany aufbrechende neu«iglis<^
Milizdivision bedrohte Kingston, während amexib-
nische Reguläre mit einer Panzerflottille den Zugani
aus dem Erie- und Ontariosee erzwangen und o^
heftigem Gefecht im Nordostwinkel letzteren kws-
sten Sees landeten. Die Torontohalbinsel m«ss»
nun, allseits lungangen, geräumt werden.
Am 23. rückten die Unionisten unter botess
Singen und Pfeifen des „Heil, Columbia** ^
„Yankee Doodle" in die grösste canadische Industtie-
— 601 —
Stadt Toronto ein. Auch Ottawa schien nicht mehr
sicher, die Bundeshauptstadt. Aus dem gotisch
prächtigen hochgelegenen Parlamentsgebäude und
den sonstigen grossartigen Regierungsbauten ver-
legte das Zentralgouvernement seinen Sitz nach
Montreal, das trotz seiner Grenzlage vermöge seines
Kanalnetzes, mit der zur Verteidigung verschanzten
unterminierten Victoriabrücke, einem Wunder der
Baukunst, besser zu decken schien. Auch Universi-
tät Ottowa wanderte zur Montrealer Mac Gill-Uni'
versity aus. Von Kingston, wo alle Kadetten der
canadischen Militärakademie als Fähnriche einge-
reiht wurden, machte eine englische Kolonne einen
derben Ausfall, der die neuenglischen Yankeemilizen
in wilde Flucht jagte. Hinterm gekrümmten Ottawa-
fluss und dessen Chaudi^rewasserfällen bezogen die
Briten starke Stellungen, gegen welche am 27. ein
mit Ungestüm unternommener Angriff von Ten-
nessee-Milizen und Regulären unter starkem Verlust
scheiterte. L. Gen. Douglas' London Scottish und
Scots Guards fochten gut.
So kam hier der Feldzug längere Zeit zum
Stehen, zumal die Hitze dieses „canadischen Italien"
sogar im Herbst während des ,Indian Summer'
Märsche in diesem durchschnittenen Waldgelände
sehr beschwerlich macht. Dagegen wehte leider
schon überm Ontariohafen Hamilton, Huronhafen
Goderich und Obererseehafen Port Arthur, den De-
:roit- und St. Clair-Flussübergängen Windsor und
Samia. das Sternenbanner. Petroleumquellen von
— 602 —
Samia, Salzquellen von Goderich, Kupfcrmincii m
Sudbury wurden ohne weiteres mit Beschlag bdegt.
Den Niagara besass man schon bei Clifton, öa
Welhindkanal bei St. Catharines, die canadisd«
Pacificbahn durch ihren Gabelpunkt Sudboiy. Ak
man den Produktenmarkt London im Namca de
Vereinigten Staaten annektierte, bejubelte man m
dieses Namens Vorbedeutung, als liege aud schoß
die Welthauptstadt des Britentums überwunden dff
Union zu Füssen!
Inzwischen beschoss die um Kap Breton hensfr
gebogene und in den meerbreiten Lorenßtrom ö^
gelaufene Eskadre das am linken Ufer hochgelegen
Quebec, das „canadische Gibraltar"*, ohne sät
liehen Erfolg. Dagegen brachte weit im Westen der
Provinz Ontario das Milizkorps von Kentod?«^
Fort William zu Fall, seine trefflich berittene ft
vallerie streifte bis Winnipeg und Portage la Pi^
Allerdings machen die zahlreichen Stronasdindlö
im Gewirr von Flüssen imd grossen Seen ^
getreidehaltigen Buschprärien der Westprovini ^
nitoba die Märsche imd Wasserübergänge schwien?
Immerhin wurde die grosse Bahnlinie, wdche u
nada quer von Ost nach West jetzt darchschncni«''^
bei Selkirk erreicht, vom Aufgebot von Nord-DaJ^*^
sogar bei Brandon westlich von Winnipeg und ^
noch westlicher bei Regina, der kleinen Hanpoo»
•
der drei separaten Nordwestterritorien, von ^ Q*^
Zweigbahn weiter nördlich nach Prince Albert i^
Grosse Entfernungen bis zum Wumip^g- ^
— 603 —
Manitobasee wollten erst zeitlich durchmessen sein.
Aber die Müllereistadt Winnipeg selber musste, von
Westen und Osten umgangen, den Eindringlingen
überlassen werden, hiermit der Knotenpimkt für die
dort einmündende Nebraska-Zweigbahn, so dass nun-
mehr von Bismarck her Proviant und sonstiger
Nachschub regelmässig auf die canadische Bahn-
strecke überführt werden konnten. Von letzterer
besassen die Briten Ende Juli nur noch die Ost-
strecke Callander-Montreal-Halifax. Denn auch die
äusserste Weststrecke Calgary-Vancouver befand
sich* schon in amerikanischen Händen. Es war ein
unheilbares Missgeschick für Canada, dass die
Bodenbeschaffenheit und die Städtelage zum Bahn-
bau so nahe und parallel zur Grenze gezwungen
hatten. Sobald der Feind diese Bahn sich aneignete,
unterband er dem grossen Lande die Lebensader.
Ende Juli kam es noch zu hitzigea Gefechten
bei Fort Alexander am Ostufer des mächtigen Win-
nipegsee, bei Fort Pellye westlich vom Manitoba-
see, in welchen die schwache Landmiliz imd vier
reguläre nationalenglische Bataillone sich wacker be-
haupteten. Doch ein Seitendetachement der Miliz
von Nebraska hatte sich westlich ausgedehnt, die
Bahnlinie entlangmarschierend, und Calgary über-
rumpelt, wohin bereits Teile der Bergmannsbrigade
von Coeur d*Al^ne und Teile der Oregonmiliz un-
terwegs waren. Diese imd die Seetransporte von
Olympia erreichten ziemlich gleichzeitig am 22. die
Gegend von Vancouverfluss zu Land und See. Diese
— 604 —
über die Massen zukunftsreiche und blitzschnell cm-
porgreblühte Stadt, Endpunkt der Canadianbafan i]nd
Abfahrtspunkt für neue Dampferlinien nach Ost-
asien imd Australien, hatte als geringen Schatz seiner
schönen tiefen Bucht nur die vorgelagerte Vat
couverinsel mit einigen Batterien imd der MaiiiM-
Station Esquimault, in der jedoch, nur drd kidse
ungedeckte Kreuzer sich befanden. Nach «ncm
scharfen Gefecht, wobei die armierten Handds-
dampfer von Oregon durch ein Geschwader alterer
ausrangierter Kriegsschiffe unterstützt wurden, ver-
lor Britisch-Columbia die Insel, die Hauptstadt Vk-
toria nahe der Südostspitze, endlich Vancomrer
selber. Die genommenen britischen Kreuzer, dcrcß
Bemannung fast Mann für Mann fiel, schleppte maii
laubbekränzt in Triimiphatorzug in den Unionskriefs-
hafen am Pugetsund.
Weiterer Vormarsch ins wilde HochgeUig^aJ^
des Moimt Hooker und der KüstenkordiUeren ver-
bot sich aber von selbst, die streitbaren Hochländer
konnten dort Schritt für Schritt ihre Pässe mit des
Forts Edmonton, George, nördlicher Forts MacLeod,
St. John, verteidigen. (Dahinter noch, von Süden
nach Norden, die Forts Vermillon, Halkett, liard,
Providence.) Das durch Sägeholz, Kohlen, Fisdh
fang wohlhäbige und vielleicht einst durch Silber-
ausbeute reiche Columbia konnte also die Unio-
nistengier vorerst ebensowenig an sich raffen, aB
die sehr abbauwürdigen Kretazeenkohlen-Prairiefi
und Steppen in den Nordwestterritorien, wo dö
— 605 —
sogenannte Felsgebirgs - Park (mit den heissen
Quellen von Banff) einen Mittelpunkt der zweiten
Verteidigungslinie abgab, nachdem Calgary, wo die
Canadian Pacific Railway ins Hochland aufsteigt, von
Norden und Westen gleichzeitig genommen imd die
weit südlich davon liegende Grenzgamison von Fort
Hamilton abgeschnitten. Da die bei Calgary ver-
einten Milizen von Oregon und Nebraska nunmehr,
das Bergland links lassend, durchs ebene Tal auf
Prince Albert marschierten, mussten die Briten das
vordere Seerevier ganz räumen und in die Linie Fort
Pitt-Fort la Come, La Roche, La Rouge zurückfallen.
So stand es Ende Juli in Canada. —
. . . Das Pacificgeschwader schlug sich ja bei
St. Dominique nicht sonderlich gut, obschon die
Berufsoffiziere und die Freiwilligen aus vornehmen
Familien natürlich grosse persönliche Bravour ent-
falteten. Doch das Atlantische Geschwader des Ad-
mirals Sampson, in jeder Beziehung die Hauptmacht,
lag noch unbezwungen.
Und mm brachen Schlag auf Schlag über Eng-
land noch schwerere Besorgnisse herein. Die dro-
hende Zusanmienziehung deutscher Truppen an der
holländischen imd ostfriesischen Küste verhinderte
ausreichende Heeresentsendung nach Canada. Den
Resten der deutschen Flotte half man durch frische
Torpedoflottillen nach, die seit Beginn des Krieges
rastlos auf kaiserlichen Werften verfertigt wurden
und deren eine mit erstaunlicher Kühnheit die jetzt
— 606 —
freie Nordsee durchflog, bei Nacht in den Firth &f
Forth einfuhr und die grosse Flottenbaas Ros>ih
zu sprengen suchte. Dies misslang zwar sogar jetzt
obschon ein britischer Tendenzschreiber, um Ro-
berts' Armeereform durchzudrücken, seine Zukuofts
Phantasie über „Deutsche Invasion'* mit deutsches
glücklichem Torpedoangriff auf Rosyth begann; eine
Unsinnigkeit, die ungefähr auf grleicher Stufe m
den Ausführungen in deutschen Weltkri^^noases
stand, die Indien von den Russen erobern und
die britische Flotte von der deutsch-französisd»
allein ruinieren Hessen. Doch selbst der misslungeoe
Versuch verbreitete Schrecken, man hörte allcrf^
Fabeln über neue Transportvorrichtungen der Dcd
sehen und befand sich in ähnlicher Stimmung ^
einst bei Napoleons Camp de Boulogne. l8<^
mitten in diese imklaren Befürchtungen platzte v.t
eine Bombe lakonisches Teleg^ramm aus Dublin
hinein: „28. Juli. 8,35 a. m. Französische Trai&
porte bei Cork und Limerick gestern nacht gelande
Aufstand in Ulster." — —
Das submarine Brester Kabel nach Amerib
hatten britische Schiffe allerdings zerstört, docü
nicht so früh, dass nicht noch zuvor eilige Depescfaa
des Fenier-Zentralkomitees aus New York an irische
Gesinnungsgenossen ins französbche Asyl durchge
schlüpft wären, gefährliche Verschwörer und Ver
bannte wie jener im Burenkrieg bekanntgewordesc
und wegen Hochverrats zum Tode verurteilte Obers:
Diese hatten noch knapp Zeit, sich mit dem g^
— eo7 —
heimen Revolutionskomitee in Belfast in Verbin-
dung zu setzen und der französischen Regierimg
geeignete Vorschläge zu machen. Die Erinnerung
an Hoches gescheiterte Expedition imd die ,Armee
des Ozeans' unterm Direktorium, die gleichen Zweck
verfolgte, war noch so lebendig, dass man in der
Rue Bourgogne (Marineministerium) mit Gier den
Plan aufgriff, Landung in Irland zmn Zweck der
Rebellierung des Grünen Erin zu versuchen, dessen
katholisch-keltische Ureinwohnerschaft von jeher
neben dem Sachsenhass zärtliche Neigung für die
französischen Stanmi- und Religionsgenossen nährt.
Kanalblockade bis Kap Lizard konnte Viceadm.
Howe nach Abschiebung von vier Fünfteln der Linien-
schiffe auf andere strategische Punkte unmöglich
so strenge durdiführen — zumal Ausfälle von
Untersee- und Torpedobooten imter V.-A. Bayle die
Blockade in Spannung hielten — , dass nicht
Schmuggler von Jersey Islands, seit Jahrhunderten
an dies Handwerk gewöhnt, Vereinbarungen hin und
her trugen. Man kam überein, dass am 25. oder
21. ein Expeditionskorps landen werde. Da die ame-
rikanischen Fenier die trügerische Zusicherung einer
Landung amerikanischer Transporte gaben, wozu
mmerhin erst Niederkämpfung der britischen At-
antisflotte gehört hätte, so waren die phantasie-
-eichen turbulenten „Polen des Westens" bereit, so-
gleich Erins altes Wappen, das grüne unsterbliche
<leeblatt und die Harfe, als Panier der Befreiung
iufzupflanzen. Offenbar konnte die Expedition nur
— ©08 —
mit kleinen Kräften ausgeführt werden, da die fra^
zösische halbierte Nordeskadre zu geringe Stärke
besass, um gegen die britischen Blockadesdüffe die
hohe See zu halten. Doch eine kleine aoserlesese
Macht genügte ja, um dem Aufstand in Irland mili-
tärisch Kern und Stütze zu verleihen.
Man verlud daher im Hafenstädtchen St. Nazaire
auf dem »Caledonien* und andern geräumigen Ind3>
china-Schiffen der Messa^^eries Maritimes, 90w%
Kriegsschulschiff „Dugay Trouin" imd der as
Algier geflüchteten , ViUe de Barcelone' vier Chassecr
bataillone, 1., 2. Zuaven, 3. Algerische Tiiaiüeiirs.
2. Chasseurs d'Afrique. Zur Deckung dieser Sdutej^
dampfer bestimmte man fünf „Torpedo-Kreuzer"
(Zerstörer), jeder mit 5 Kanonen ä 10 Zentiinefer.
6 ä 47 Millimeter, 11 ä 37 MiUimeter „ä tir rapide
5 Tuben des Lanciertorpedo ausgerüstet. „Condo: .
„Egervier", „Faucon", „Vautour" liefen sechieb^
„Condor" neunzehn, „Claymore" gar dreissig Knoteü
Nur letztere gepanzert, mit 154 Mann Besatzong
von einem Fregattenkapitän kommandiert. Hiem:
kam noch der schnellste Torpedofahrer „Aquiloa
ein Eisenfisch von 44 Metern Länge, 34 Mann ^
einem Kiosk von Eisen, nebst Torpedobooten 180
202. Die Sousmarins Goubet, Gynmote, Naival
folgten ihrem Chef, dem neuen Mustezmode*!
„Loutre**, einem stählernen Karpfen von 45 Meten:
Länge, 11 Metern Höhe, 5 Metern Breite, mit z^c.
Canons, ä 37 Millimeter. Nach dem System Nor-
mand für Torpilleurs wurde zuerst der „Narwal ,
— 609 —
Schöpfung des bekannten Erfinders Laubreuf, dann
jedes andere dieser leichten Fahrzeuge statt mit
Kohlen mit Petroleum ^reladen, um die Schnelligkeit
zu erhöhen. Den Offizieren wurde eingeschärft, dass
es nicht darauf ankomme, ob sie alle sich opferten,
wenn nur der Truppentransport Festland unter die
Füsse bekomme. Bisher hatte die französische Ma-
rine schlecht abgeschnitten, sich auch bei Toulon
nicht mit Ruhm bedeckt, doch die Niederlagen im
Mittelmeer verstärkten nur die Erbitterung. Die aus-
erlesene Besatzung der kleinen Eliteschiffe, von
Pierre Loti so treffend gezeichnete Bretonen, brannte
darauf, sich hervorzutun, imd so gelang denn der
Streich über alles Erwarten.
Die drohende Bewegung der deutschen Armee
und Flotte lenkte gerade in diesem Augenblick den
britischen Blockadedienst ostwärts ab, eine Verdün-
nung und Linksschiebung der Vorpostenlinie fand
statt. Begünstigt von dimkler Nacht, erreichte der
Truppentransport an zwei Pimkten die irische Küste,
durch Fanale der f enischen Aufrührer und entgegen-
gesandte Lotsen gelenkt. Erst im Frühdämmer des
27. spürte Kreuzer „Prometheus" die als langsamste
nachhutbildenden „Faucon" und „Vautour" auf.
Doch diese Raubvögel fassten mit den Krallen ihrer
44 Geschütze so scharf zu, dass ihm sein Panzer
nichts half.
Seine Kessel versagten unter Treffern, der
Panzergürtel riss, wo er hinterm zweiten Mäste auf-
hört, durch Torpedos, die kleinen kecken Gegner
Vdlker Europas . . . ! 39
— 610 —
feuerten von ihren zehn Tuben fünf hinterdnande:
ab, dass Stahlbalken sich auseinanderbogen, die
Reeliog wie dürres Pergament zusammenrollte. De
Falke stiess zu, der Geier schlug den Schnabel eis.
dem „Prometheus** sein Feuer stehlend, dessen Ma
schinen stoppend erloschen. Die zu schmalen Zfö
Objekte der kleinen beweglichen Schiffe madts
den britischen Kanonieren beim Schwanken od'
Schlingern des Rumpfes genaues Bemessen ^
Schüsse immöglich, unschädlich klatsditen Granats^
in die Wasserzwischenräume. Um das noch o»^'
lecke wertvolle Schiff zu retten, strich der Kai«^
die Flagge, wofür er nachher zu Hause infam kassc.
wurde : ein britischer Seemarm hat an nicbzs ^
denken, als an Sieg oder Vernichtung, schwädiBdi
Kompromisseln widerspricht dem Seekoniggeist --•'
Rule Britannial Mit der Prise im Schlepp, bBC
die beiden Raubvögel mit kaum zerzausten ^^
knickten Schwingen bei ihren Genossen wieder i^
von frenetischem Applaus begrüsst. Auf der Koc^
mandobrücke des „Prometheus" wehte überm hcio
tergeholten Union Jack die aufgepflanzte Trikok^
Zu neuer Überschiffung nach Quccnsto«ii jc-
Cap Clear bei Cork, wo der Dampfer „Sabrina
der Irish Company weggenommen und für 7^
port irischer Freischaren eingerichtet wurde, sta-
der Unterchef des Grossen Generalstabs, G«^
Zimmer, in Pallice, Lorient. RueUe, Indrct, GoffiP^
Quiberon aus verschiedenen Armeekorps beiötw?
2., 41-, 47., 102., 114., 144. Regiment (GranviDe.R*
— 611 —
nes,.St. Malo, Chartres, Maixent, Bordeaux). „Stella
Maris" und „Alg^rie" stachen bereits mit der Vor-
hut in See. Wohl mochte der Lord-Leutnant von
Irland, Lord Aberdeen, telegraphieren: „HiH« drin-
gend nötig. Hab^ hier nur drei Bataillone Royal
Irish, Dublin City R. G. A., Royal Dublin Fusileers,
North of Irland." General Lord Grenfell depe-
schierte: „Mangel an Pom-Poms und Nordenfeldts."
Doch Angstwut der City-Pfeffersäcke, feiger
Krämersinn einer Nation of Shopkeepers, der alles
schnuppe ausser ,business*, kam nur als schmutzige
Blase an die Oberfläche. Darunter wogte gewaltig
der alte normannische Conquistadorengeist, verdutzt
genug, dass er nicht mehr erobern, sondern sich
verteidigen solle.
Der Überwachungsausschuss der Territoryal
Army tat, was er konnte. Der Duke of Bed-
ford sandte Hampshire Carabineers, Lords Bingham
und Chesham 13. Middlesex Rifles, Viscount Har-
dinge andere Milizen nach Bristol zur Überschiffung
nach Irland, während Marquis TuUibardines be-
rittene yScottish Horse' und Lord Lovats Schützen
,Lovats Scouts* die bisher bei Motherbank ge-
moorten Transportschiffe Medusa, Rinaldo, Phi-
lomel flottmachten, besetzten und um Orkneys und
Hebriden herum zur irischen Westküste absegelten.
General Leach benutzte schiffbaren Firth öf Clyde.
An Stelle des gefangenen Officer General the Lord
Methuen, Commander-in-Chief of the Eastem Com-
mand, übernahm Major-General Stopford das Kom-
39*
— 612 —
mando der Ostküste. Wenn Oberst Cuthbert, Stabs-
chef in Afirypten, meldete, dass von 15 Offizieren
564 Mann Irischer Dragoner 9 und 315 tot und
verwundet seien, so bot diese soldatische Treue
noch keine Bürgschaft für Gesinnung anderer Iri-
scher Truppenteile. In Amerika berieten schon
Kriegsstaatssekretär Taft, Rearadmiral Converse,
Vorsteher des Bureau of Navigation, Mr. Newberry,
Acting Secretary of the Navy, ob man nüt den
Auxiliary Transports Brutus, Cesar, Glacier imd dem
riesigen Drydock ,Dewey' unter Schutz der neuer-
dings als Reserveeskadre vereinten Linienschiffe
»Kearsarge*, ,Potomac\ »Rhode Island', »Charleston',
der Kreuzer ,Dubuque*, ,Raleigh', »Marietta*, »Tal-
bot' nach Irland durchkommen könne während der
erwarteten heissen Seeschlacht vor Baltimore. In
Voraussicht solcher Dinge sandte Lord Tweedmouth
daher, während Kreuzer »Hampshire*, »Roxburgh*,
»Topaze* der Clydereserve sich im topazfarbigen
Wasser des Firth of Forth spiegelten und Schottland
bewachten, ,Centurion*, Kreuzer ,Havock*, ,Terror',
,Gladiator' vom Solwayfirth nach Lough Foyle und
Sligobucht, von wo sie Zerstörung und Schrecken
den Fremden entgegenschleudem oder sich wie
römische Centurionen für die neue Roma opfern, in
der Arena als Gladiatoren fallen sollten: Te mori-
turi, Britannia, salutant. Und da auch dies noch
nicht genügend schien, ordnete Beresford an, dass
,Colossus.' sich kolossal aufpflanze, ,Canopus' als
Tropenstem mit seinen Lichtern und Scheinwerfern
— 613 —
das Karaibenmeer beleuchte: Rückenechelon nach
Südwesten, um auch dort Durchschlüpfen feindlicher
Transporte zu hindern. Drahtlose elektrische Tor-
pedoträger, bisher nur wenig eingeführt, wurden an
die irischen Küstenwachen verteilt. Auch rächte
Kreuzer ,Blake* tagsdarauf den gefesselten Pro-
metheus,'indem er , Justice* und ,Galil6e* allein toll-
kühn anfiel und ihnen ein solches Gefecht lieferte,
dass die ,Gerechtigkeit' in Dampfexplosionen ihr
Haupt verhüllte und niemand vor diesem Apostata
ausrufen konnte: Galiläer, du siegst I Wohl musste
britischer Kreuzer ,Hogue* bedauern, dass er nicht
dabei war, als vom Kap La Hogue her ein neuer
Feind in Sicht kam. Doch der Geist des alten puri-
tanischen Seehelden Blake, dessen Milizflotte zuerst
Englands Seeherrschaft begründete, schien über sie
gekonunen, als die Briten hier unter rauhem Trotz-
gelächter: ,Damn these foreign chaps, down with
all the foreignersl' dem wenig stürmischen Panzer
,Temp6te*, einem Umbau früherer altmodischer Fre-
gatte, unter der Nase davonfuhren und, auf fran-
zösisch ohne Adieu Abschied nehmend, die beiden
französischen Panzerhelden als Invaliden zurück-
liessen. So geschehen zwischen Scilly- und Channel-
Islands, wo die Fremden auf ungünstigem Ge-
wässer lavierten und Untiefen bei Eddystone
scheuten. Dagegen wurde am gleichen Tage ,Re-
pulse' nur mit Mühe seinem Namen gerecht, zwi-
schen Weymouth und Insel Wight gegen den düstem
,Rousseau\ der von ragenden Oberbauten donnernde
— 614 —
,lettres de la montagne* spie. Heut landete aucli
ein deutsches Kriegsboot bei Sandmile Fiat nntexhalb
Hüll und fuhr, nachdem Küstentelegraph »mön,
unbehelligt wieder ab. Mit Entsetzen meldöfs
Scouts, dass der angeblich schnöde Rest deutscher
Marine jetzt schon allein mit dem britischeii dt-
fensivgeschwader fertig werden kömie. Die Mann-
schaft war dort überall vollzählig ergänzt. Bedurft«
man auch leider nicht mehr der achthundertsechiig
Köpfe Bemannung für die zwei grössten Neubaaia
,Bundesraf, »Friedrich der Grosse* L^^^
Sachsen*, »Ersatz Bayern*), so trugen doch c^
andern grössten Schlachtschiffe wieder ihre äeböh
hundertdreissig Mann, der entkommene grosste
Kreuzer siebenhundertneunzig, Rest der »Schaifr
horst'-Klasse siebenhundertvierzig, Rest d& ,Rooo
Klasse sechshundertzwänzig, ein Neubau der vff
nichteten ,Ersatz Meteor'-Klasse, soeben auf Stap-
gelegrt, dreihundertzehn, die ,Hamburg*-KIassc dre,-
hundert, die Torpedos rund siebzig, wie insgemes
wegen verstärkter Bewaffnung und MaschiDO-
leistung die Besatzungsziffer schon vor dem Kneg«
erhöht.
Doch der soliden Organisation des monarch^
sehen Deutschland entsprach eine zwar flüchtige^
aber noch grossartigere Improvisienmg und Selbst
Organisierung der Yankeerepublik. Gewiss, er gf-
bärdete sich nicht gerade anmutig, etwas scbnoddcni
Bramarbasierendes und heisshungrig Tolpatsclflfö
haftete dem transatlantischen Riesen an. undHeoß
— 615 —
kränkender Vers von den »Gleichheitsflegeln* tönt
noch heute. Nichtsdestoweniger konnte man sich
achtiingsvollen Staunens nicht bei dem Anblick er-
wehren, wie diese Urdemokratie ohne jeden zen-
tralistischen Regierungsapparat ihre ungeheuren
Kräfte aus eigenem Antrieb der gesamten selbst-
regierenden Massen gleichsam aus dem Handgelenk
hinschleuderte. Union und Deutschland vereint —
das wäre Finis Britanniael
Ein Truppenzusanmienzug von Royal Fusileers
(City of London), Prince of Wales' West Yorkshire
Rgt., The Queen's Own West Kent, Duke of Cam-
bridges Own Middlesex, Milizen 3. Welsh, Königs-
regiment Shropshire, 2. Duke of Comwallis, Sunder»
land, nebst Lancashire Nr. 3 battery, Lancashire und
Northumberland Hussars, marschierte bei Sheffield.
Im Norden standen Milizen 2. Glamorgan 1. New-
castle 1. Argyll und Bute 3. Dumfries, Prinzess
Louisa*s Argyll, Duke of Albany's Ross Buffs am
Tay und Tyne. Die irischen Connaught Rangers und
Munster Fusileers hatte man schon früher nach Ja-
maica befördert, wo Westindia-Regiment nicht aus-
reichte. Die Arbeit der freiwilligen Submarine Miners
im Solent bewachte Panzer ,Comwallis' jede Nacht
mit zwei ,streaming lights' am Fore- und Mainmast,
wie es Board of Admiralty längst für alle britischen
Schiffe angeordnet. In der R. Nav. Gunnery School
erteilte Professor Ewing, Director of Naval Educa-
tion, täglich Reifezeugnisse für Kadetten. Nur solche
— 616 —
Knaben-Offiziere sah man auf „Victorious", Kren^
zern „Wildfire", „Roebuck", „Medusa", „IpMgaüa'*
(ursprünglich Spezial Service beim „Venion"), D^
stroyers „Quail", „Ostrich", „Ferret", „Horact", (&
man auch noch zur Deckung Südirlands heraund
indes „Antrim*' gleichnamige Nordprovini abfuhr.
Die wackeren Jimgen schwuren sich zwar za.
ihre Wildfeuer siegreich schnell wie Wiesel, Hör
nissen, Rehböcke, Strausse, zähe wie Knbbec
laufen zu lassen, ein MedusenschUd dem FeiDd
entgegenzustrecken imd sich wie Iphigenia acf
dem Altar des Vaterlandes zum Ojrfer zu bringea.
Auch das auf Troopship „Cestrian" der irischcnLcr
landlinie eingeschiffte Freiwilligenkorps der Urt
versitäten Cambridge und Dublin freute ädi vi
kriegerische Studentenstreiche. Doch jugendlidiff
Leichtsinn veikannte den Ernst der Lage. Seit Frank-
reich endlich die kaum vollendeten Panzer „Voltaire
„Rousseau" ins Wasser gesetzt und diese RevolutioBy
Prediger ihre Aufruhrstimme nach Irlands Gestade
trugen, seit Danziger Schichaü»Werft, Schöpfer der
Klasse „Ersatz Meteor", sich daran machte, necc
Klasse „Ersatz Wörth" in Angriff zu nehmen, da
die frühere leider nur ein Wörth und Wcissenbas
im umgekehrten Sinne am eigenen Leibe eriebtc.
seit die deutsche Restflotte in neuen Veibandffl
sich rüstig einfuhr, mochten noch so viele )äea^
Kreuzer zur Küstenverteidigung stossen, wl«^
musste der Ring durchbrochen werden. Was bß
es Deutschland darauf an, fünfzigtausend Soldaten
— 617 —
zu opfern, wenn man so viele in zehn Abteilungen
landen und mit jäher Razzia allen Veikehr in Eng-
land auf Wochen unterbinden konnte, wie schon
General French vor dem Kriege prophezeite! Der
ritterliche Britenhasser ,Dunois' von Biserta hatte
schon etwas Rache genonmien, indem er den Kabel
Valencia im Rücken der britischen Sieger sprengte,
die zerschossene ,Justice' tröstete sich mit Gam-
bettas Phrase von immanenter Gerechtigkeit der
Dinge, denn sie legte jetzt auf Scillyinseln Beschlag.
Wahrlich, Englands Wehrmacht glich einem schon
vom tief eingesunkenen und zu langsam gehenden
Boot, indes von allen Seiten ein Rudel wütender
Walrosse mit fletschenden Hauern heranschwanmi.
Von Ost, Süd, West machten die Bedränger sich
auf. Es schien, als ob die ganze Welt sich im
Innern des britischen Reiches ein Stelldichein geben
wolle. Jetzt brauchte bloss noch Russland vor In-
diens Toren sich einzustellen. Genickfang, Hallali,
sin Schlag aufs Herz, auf die britischen Inseln
selber, dann sai&en alle Glieder des Kolonialbaus
craftlos zusammen.
. . Der zerrüttete deutsche Seehandel schöpfte
vieder Hoffnung. Z. B. konnte man Hafentransit
md Bahnnetz Siams, früher ganz in deutschen Hän*
len, worauf jetzt schon Japan begehrliche Blicke
/arf, mit französischer Hilfe zurückerwerben. Leider
ilieben Amerika und Australien verschlossen.
Die Reichsflotte lief wie zur Friedenszeit in
wei Schlachtgeschwadern. Das erste unter Vize-
— 618 —
admiral Graf Baudissin, wo auch jetzt Grossadmraiy
flagge mit zwei gekreuzten Marschallstiben rä-
pelte, zählte die noch vollzählige Kaiscrklasse, lab-
rend die etwas grössere, hauptsächlich durch besseres
Schutz des Vorderturms unterschiedene Wittelsbacih
klasse nur noch durch zwei Körper vertreten. Ot
schwinde Manövrierfähigkeit und reichliche MW
artillerie (je achtzehn 15 cm, zwölf 8 cm, x«nag
leichte Stücke) liess sich diesen sieben Schiffen nidfl
absprechen. Dies glich aber unzureichende Pan«^
rung der Kaiserklasse (30 cm älterer Methode tot
Erfindung des Kruppschen Härtungsverfahrens} b»-
geringe Schwerartillerie beider Klassen (nur je riff
24 cm) nicht aus. Das zweite Geschwader des Vi»-
admirals Fischel zeigte dagegen noch fünf Über
lebende der durchaus tüchtigen Schwabcn-Braufr
Schweigklasse, in der grossen Seeschlacht genug«»
erprobt, nüt ihren 22,5 cm dicken Härtungsplatto
allen Kappgeschossen trotzend, mit drri SchcKX-
steinen, je vier 28 cm, je zwölf 27 cm, je \ier2ehn
17 cm, vierzehn 8 cm. Auch die zwei angeschk»s^
nen Brandenburgtyps hatten vorm ersten Geschwader
stärkere Artillerie voraus, nämlich je sechs 28 csa
in Doppeltürmen. Die sich aus Fachkreisen b«f
vorwagende Behauptung, unser 28 cm sei dem 3ö.i
der Briten völlig ebenbürtig, erwies sich zwar über
trieben, immerhin gab dies Kaliber dem feindliches
wenig nach und entschied hierbei nur die Zahl, ^
nur (inkl. Wörthklasse und der Neuklasse „&sau
Kurfürst", welche je acht 28 cm trug) 84 dieses
— 619 —
Kalibers (nebst 150 von 27 cm) gegen 165 britische
von 30 und 9 von 34, 40, 42 cm vorhanden ge-
wesen waren. Da aber Brandenburg- Wörth-Klasse
eine noch schlechtere Panzerung der Schiffsgefässe
(40 cm alter tmgehärteter Gattung bloss am Ober-
teil) und vollends mittelmässige Geschwindigkeit be-
sass, hatte sie nicht viel ausrichten können. Ein
Wunder, dass sie vor Kiel gegen die Franzosen so
gut ihren Mann stand. Dagegen befanden sich
Reserveschwimmkraft vermöge wasserdichter Zellen
sowie innere Panzerwand bis zum Schiffsboden hin-
ter der Aussenhaut bei Schwaben-Braunschweig-
klasse in so solidem Zustand wie bei den besten
britischen Schiffskörpern.
Am meisten Schmerz und Befremden erregte es
in Deutschland, dass die drei jüngsten Typs von
18 000 Tonnen in der Seeschlacht so schnell zu-
grunde gingen, ohne dem Feind entsprechenden
Schaden zu tun, wie dies wenigstens die grossen
neuen Kreuzer vermochten. Die Presse machte dem
„Konstruktions-Departement" ungerechte Vorwürfe,
als ob es zu schwach gegen Spreng- und Panzer-
granaten gebaut habe. Doch man vergass, dass
„Ersatz Kurfürst" gleich mit erdrückender Über-
macht zu tun bekam und beim Wirrwarr allgemeiner
Umwickelung auf der umklammerten Linken in
qualvolle Enge geriet, so dass er seine Kraft nicht
ausnutzen konnte. Für „Bundesrat", „Fried-
rich d. Gr." traf dies in erhöhtem Masse zu, da
sie eine Zeitlang den Kampf ganz allein fortsetzten
— 620 —
und daher tatsächlich nicht nur mit dem individoell
überlegenen ,Dreadnought\ sondern mit dncm «a
allen Seiten losbrechenden Feindesorkan zu ringcs
hatten, was sie bald ins ungünstigste Fahrvaser
trieb. Nichtsdestoweniger hatte ihr Widerstand döi
Feind so lange aufgehalten, um die übrigen Panzer
zu retten, und Schiffe von geringerer Grösse hättcfl
dies nicht fertig gebracht. Der Einwand, man habe
sie lieber gleich anfangs ins Vordertreffen schicken
sollen, erledigte sich schon damit, dass der Gegn&
genau so verfuhr, seine drei grössten Schiffe eist
zur Entscheidung einsetzte. Hätte die deutsche Flotte
bei ihrem Zusanunenbruch nicht noch diese löitc
starke Reserve gehabt, so wären doppelt so viel
Panzer verloren gegangen. Trotzdem liess sich nicb:
verkennen, dass zwar diejenige Marineschule (J^^
Ecole des seligen Admiral Aube) unrecht hatte, die
von Linienschiffen überhaupt nichts mehr wissen
wollte und nur Unheil (wie noch der Friedensapostel
Baron d'Estournelles, übrigens selbst ein Mitarbeiter
Bisertas, vor der neuen Dantonklasse warnte) v^
steten Wachstum der Schiffsmassstäbe prophezeite.
Doch auch diejenigen Theoretiker behielten mch'
recht, die alles Heil ausschliesslich vom materielle:.
Faktor solcher Ungetüme erwarteten. Die zwei ^
ziehentlich fünf neuen Monslreschiffe des britiscbec
Reservegeschwaders leisteten an sich nicht mehr »^^
die anderen Panzer und ,Dreadnought* nur deshalb
so viel, weil er teils nur beim Entscheidungöföss
gegen schon mürben oder (Kiel) gegen gam minder-
— 621 —
wertigen Gegner eingesetzt wurde. Sonst hätte jeder
der drei grössten deutschen Typs ein Einzelduell gegen
.Dreadnought' nicht zu scheuen brauchen, selbst um
den Preis eigener Vernichtung ihn trotz seines muster-
gültigen Panzers wohl schwer beschädigen können.
Der letzte Schlusskampf bei Helgoland musste also
unter solchem Gesichtspunkt beurteilt werden.
Die grossen Kreuzer, während Splitterdeck und
Korkdamm in der Wasserlinie die kleinen natür-
lich nicht vor baldigem Sinken schützte, bewährten
sich gut. Gleichwohl hatte „Schamhorst" (11 500
Tonnen, acht 21 cm) sofort den kürzeren gezogen,
als er sich feindlichem Linienschiff entgegenwarf,
die etwas schwächeren „Roon", „York** Oe vier
21 cm, zehn 15 cm) hielten sich hingegen lange
gegen Kreuzerübermacht.
Von denen I. Klasse schwamm „Ersatz
Moltke" mit vier Schornsteinen, die man als
Drehungspivot im Auge behalten konnte, vor „Adal-
bert", „Friedrich Karl", „Berlin" (je drei Schorn-
steine), „Ers. Blücher" (Typ. Schamhorst) vor „Mün-
chen", „Lübeck", „Augusta". Die kleinen „Niobe",
„Delphin", „Hyäne", „Ulan" führte die gefällige
Flottenschönbeit „Medusa", die leider ihre Rivalin
„Ariadne" vermisste, wie denn auch der hübsche
„Frauenlob" fern in Afrika der bösen britischen
Lady „Africa" kein Loblied sang, die ihm jüngst
vor Walfisehbai wie eine keifende Xanthippe hart
zusetzte. Man ergänzte diese Kleinkreuzerflottille
durch früher ausrangierte neuarmiert in Dienst ge-
— 622 —
stellte „Hai", „Meteor", „Möwe", „Reiher", grosse
„Hansa" (früher Tsingtau wie „Niobc", „Leipzig".
von dort ebenso heimbenifen wie die übcrseciscbei:
„Bremen", „Panther"), Schulschiffe „Moltke.
„Blücher", Spezialschiff „Kaiseradler" (bishcrDaimg
Kanonenboot „Eber", uralte Hafensduffe „Kaiser"
„Alexandrine". Schon befand sich Ersatz im Bau ia
„Luchs", „Iltis", die ein schärferes Gebiss ak vorden
wetzen sollten. Auch der alte Freiherr, deutscher Eis
heit Grund- und Eckstein „Stein" wollte wieder ab
Ersatzschiff auferstehen. Ja sogar für Waffensdun:^
Schamhorst („brach die schönste Hddenlanie
plante man erneut Ersatz, schon jetzt im Kric»
machte man sich an Neubaubeginn für oächstt
Jahre. Selbst Hafenschiffe „Saturn", „Uranus" gi
gen nebst armierten Handelsdampf em „Montevideo
„Ed. Woermann" auf Kaperei aus. Dcstrove:
jTrasher*, der sich auskimdend zu weit vorwa^*-
erhielt von ihnen selber Wichse, statt andre diircb^
zuhauen, wie sein Name prahlte. Bei Ncuinstafia-
setzten der Torpedoflottille, wo die auf 4000 m er
höhte Schussweite bisher nirgends in Sccschiaclfi
und nur in Ausfallgeplänkel vorkam, zog "^
Dampfturbinensystem Zoelly noch mehr als bishö
zu Rate. T. G 132 mit 5,2 Schnellfcuergcscbä':
von 55 cm Rohrlänge machte schon Falmooih csu
Milfordhaven unsicher. G 110 verwundete den erst
klassigen Kreuzer „Roxburgh" . vor Rosyth, ehe e
unterging, vereinzelt wie „Taku" und S. 90 in fal-
schem Kampf vor Tsingtau. Doch S 81, als Tcoöe:
— 623 —
des ,31ücher'* dienend, legte dafür Destroyer „Seal**
auf den Grund. Dagegen stiess der muntre „Del-
phin", weder bei Helgoland noch Kiel im Feuer,
früher vor Danzig patrouillierend, unfreiwillige
Wasserspritzer aus, vor Humbermündung vom Meer-
beduinen „Arab" verscheudit.
Admiral v. Bendemann, Chef der Nordseestation,
leitete den Zusammenzug der Truppentransport-
dampfer für etwaigen Landungsversuch, sowie fran-
zösischerseits General Armagnac, Kommandierender
des 8. Korps (Bourges), Teile von 14. 15. Korps
und von 17. (Toulouse), vermehrt um 4. 24. Kolonial-
regiment, als Reserve nach Toulon beförderte, Art«
Gtn, Oudard Küstenschutz gegen britische Hand-
streiche übernahm. Ebenso stellte General Pendezec,
Membre du Conseil Sup^rieur de la Guerre, bei
Port-Fama (Ostfront von Biserta) Artillerietransport
nach Ceuta zu etwaiger späterer Berennung Gi-
braltars. Der gewaltige ,Danton', in der Seeschlacht
bei Toulon noch ärgere Niederlage verhindernd,
brach jetzt nebst T. 327, 362 und Torpilleur-Di-
visionär der 1. M^diterrande-Flottille ,Cyclone* die
^geschwächte Blockade, fuhr mit „Cyclop**, „Go-
liath", „Tourbillon" aus, sobald England die Es-
kadre Wilsons nordwärts heranziehen musste. Der
von Tonkin herberufene, bloss gedeckte (prot^g^).
Dicht vollgepanzerte Kreuzer „Friant" dampfte nüt
„Kleber** verwegen nach Alexandria ab, als ob
ersterer wieder Alte Garde sein und Narben wiq
kein anderer riskieren, letzterer mit Löwenstimme so
— 624 —
wie jener hünenhafte Recke bei Heliopolis ät
Briten aus Ägypten verscheuchen «oQe!
Die Irische Küsteneskadre unter Admiral Sil
Harris, während Admiral Cyprian Bridge SchottlanG
verteidigen sollte, verlor Kreuzer ,Cyntbu'
,Cygnet*, von Devonport weggezogen, bei d^
lichem Angriff des Konteradmirals K^raudroi x:
2. Kreuzerdivision der 3. tun aus Krcuxern b^
stehenden Eskadre. „Jeanne d'Arc" rächte ter
Frankreichs Leid, „Dupuy de Lome'* imd Konter
torpilleur „Tromblon" schnitten der holden Cynüt:
so die Cour, dass sie sich ergab. Von der 1. u^'
Vision waren „Montcalm", „Gunydon", von 2. L*^
kadre „Gloire", „Condd" und der kleinere „Gra\*«
früher ausser Gefecht gesetzt, von 1. 3. Edoc:-
taten sich die noch frischen „Jules Ferry"f J^
petit-Thouars" hervor, letzterer wollte nicht 12&
sonst an den sterbenden Helden von Abukir i^
mahnt sein und dem Erbfeind zu Leibe gebet
Reservepanzer „Amiral Baudin", „Formidabic,
„D6vastation" (Brest) wehrten schon friUicr t^
Inselchen Quessant und Gap de la Ch^vre, Küstöi
panzer „Henri IV." „Tr^houart", „Bouvines*' (Cb«^
bourg) am Inselchen Pelld, Obertorpüleur ,fi^'
barde" zwischen Inseln GKron und K€ (Rochefon
nächtlichen Vorstoss ab, den einige verwegene I^^
plare der neuen Klasse C. S. uater See vcrsachies^
Der Ring von Naval Gonstruction Firms in Ga^
gow (Fairfield, Brown, Laird, Clydebank) baute näs
lieh Submarines von fünfhimdert Tonnen statt (k:
— 625 —
früheren A. B. S. (zweihundert, dreihundert). Nebst
e^rösserer Form Torpedo vedelten, die früher mit nur
120 Pferdekraftmaschine nur 16 Knoten liefen,
führten die Franzosen auch statt der „coup de 240*'
»,de 22 tonnes" grösseres Kaliber der Strandbatte-
rien ein, so dass man von Port d*Aill6 (Dieppe),
F6camp, Cap d'Antifer, Cap de la Hfeve (Le Havre)
bis Point de Barfleur die ganze Seine-Bai beherrschte.
Freundliche Besuche wie in alter britischer See-
königszeit waren also ganz ausgeschlossen.
Auch die Yankees waren guten Mutes, obschon
Rearadm. Mason, Chef der Navy Ordnance, Stein
Lind Bein über Administrationslodderei klagte.
Dewey, der volkstümliche Rede-Admiral, versicherte
laut: Batterie des ,Missouri', weil von lauter jungen
V^oUblut-Amerikanern bedient, werde genau so viel
Treffer machen, wie früher als Preissieger imSchiess-
wettkampf. Übergrosse Unterseeboote der Firma
Late erregten Jubel. Es schien, als ob Karl Schurz'
Prophezeiung, nur Krieg gegen England werde je
in Amerika populär sein und man ergötze sich bloss
über Naivetät der Briten, immer von „lieben Vettern
jenseits des Meeres'* zu schwärmen, sich bewahr
beite. Wozu taufte man denn sonst ein Holzschiff
von dreissig Metern Länge, bei Manöver vor Neu-
yrork probeweise in die Luft gesprengt, damals
.Dreadnought* ! Das klang deutlich genug.
Längs der Küste war schon Vorhutkrieg im Gange.
Die bisher nicht engagierten Kreuzer ,Leander*,
,Sappho*, ,Bachante' vom Caraibenmeer geschickten
Vi^Iker Europas . , . { 40
— 626 —
»Arrogant', der sich den Frenchmen g^enübcr wak-
lich arrogant benahm, teilte Reserveadnural Sir
Lewis Beaumont (Commander-in-Chief der Staöoo
Davonport) der 1. Permanenten Flottille lu, die
2. Destroyer-Flottille erhielt wieder wie im Friöte
den „Forth". Beide, gewöhnlich nur auf je did
Scouts zwölf Destroyer berechnet, wurden neuer
dings vermehrt um .Wizard*, ,Racehorsc\ .Tigcr'
,Zebra*, ,Hunter*, ,Locust', .Syren*, ,Conßkt\
,Sprightl/, ,Gala', ,Bullfinch\ .Snipc*, .Onrcll
,Itchen*, ,Usk*, ,Crane*, ,FoyIe-, ,Teviof, »^'idgeoE
,Spanker', ,Doon*, ,Rivaz*, ,Derwent', ,Nith', .Ness
,Waveney*. Diese Rennpferde, Zebras, Tiger, Jag^
himde in voller Gala ihrer Neurüstung trabten die
Küste Neuenglands ab und trieben ihr Handwes
destroyermässig als zerstörende ,Hexeninöste:,
brachten dreiste Yankeekaper auf und gingen aas
jedem .Konflikt* heil hervor, als unfassbare Heu
schrecken davonhüpf end, kam ein zu starker Gegnö
in Sicht.
Dagegen fürchtete Admiral Fournier, Obercbct
inCherbourg, dass man dem neuestenTypderKüstcs-
Destroyers nicht beikommen werde. Sein cßtfc
Exemplar ,Gadfly* (hundertsiebzig Fuss lang, acbeU"
undzwanzig Knoten, Parsons Turbinenmaschinenc^
Thomycroft- Wasserrohrkessel, zwei Zwölfpfüß^^
,quick fire*, drei Torpedos) begann seme Tätigkeit o:
Verein mit herbeordertem Panzer »Jupiter* undtg»
,Leda* durch feurig vernichtende Umarmung irzn^
scher Kontertorpilleurflottille, die mit Liebkoscsi
— 627 —
von Jupiterschwänen ä la Leda wenig Ähnlichkeit
hatte. „Argus", „Vigilant" wachten scharfäugig.
Die genannten grösseren Kreuzer zwangen sogar
Rearadm. Melville, der mit neuarmiertem älterem
Jahrgang ,Trenton*, ,Hancock*, »Baltimore*,
Kreuzern ,Wolverine*, ,Wabash*, ,Don Juan
d'Austria' auslief, zur Umkehr nach Neuyorkbai.
Hier empfingen Forts Hancode und Hamilton auf
Long Island freilich die Verfolger so übel, dass
,Sappho* schlimme Neigung zeigte, sich am Vor-
gebirg Montauk Point zur Flut abzustürzen, und
, Leander* keine Schwimmfahrt durch solche Meer-
enge wagte, ,Bachante* wie betrunken davontaumelte.
In Canada verliess man sich umsonst aufs neue,
angeblich dem Lee-Enfield überlegene Ross-Ge-
wehr. Panzer ,Trafalgar*, Destroyers »Patrol*, ,Sen-
tinel*, ,Lively*, ,Fawn*, ,Cheerful*, Wachtschiff
,Sphinx', Scout ,Adventure* patrouillierten imi-
sonst als Schildwache früher zwischen Puget-Sund
und Behringsstrasse hin und her. Ihnen war nicht
,munter* und ,lustig* zumute, ihr ,Abenteuer* endete
mit einem Trafalgar in umgekehrtem Sinne. Solche
britischen Bruizer, wie sie im Mittelmeer so derb
geboxt, konnten hier froh sein, wenn ihnen Meer-
boxerei nicht lebenslängliche lebensgefährliche Quet-
schungen eintrug. Nur ,Sphinx' entrann der bösen
Sphinx Amerika. Da von siebenundsiebzigtausend
Regiilären des Service-Abroad so viele nach allen
Windrichtungen verteilt werden mussten, blieb
zur Behauptung Canadas zu wenig übrig, und
40*
— 628 —
die Union drohte immer ungestümer nack Norden
hinüber.
Als Kreuzer ,Circe', »Europa*, auf die als Kapei
schwärmende United State's tug ,Niiu' Jagd
machend, vom Unterseeboot .Purpoise* bösen Sttchei^
gruss bekamen, grüsste man das Omen, dass Girre
Europa ihre Buhlkunst verschwende und ein frdes
Amerika nicht in ihren Schweinekofai sperren könse
das vielmehr als borstiges Stachelschwein sich
sträube. Ähnlich riss ein japanischer Wäigengel
unter See das River-Ship ,Kinsha', Sloops ,Ca:
mus', ,Clio' vor Schanghai in Stücke, als solle Cii:
ein neues Geschichtsblatt aufschlagen : es gdit n
Ende mit Europas Obmachtl An neuen Prcnkr*
minister Australiens, dem Japan auch gutwillige Ib.-
düng der jetzt so sehr zu passe kommenden neoffi
Dampferlinie nach Neuseeland verdankte, ergifie
lockende Aufforderung, doch jetzt Unabbangigke^
zu erwerben, Europas Bevormundung für immer ab-
zuschütteln, wie einst die Vereinigten Staaten. Gen<k
das berechtigte Misstrauen gegen Japan, das frihcr
Senator Dawson Einladung des Admirals Sbiin^
mura ablehnen liess, da Japans Flotte nur ris
Spionieren solche Höflichkeitsvisite mache, t-A
Australien den Yankees in die Arme.
Auch die sogenannte Calvolehre, köstliche Fort
bildung der Monroedoktrin, wonach nämlich Eukh»
keine Schulden auf amerikanischem Boden eintreibe
dürfe, fand Anklang in Australien, leuchtete als oacb-
ahmenswert ein. Schon Porfirio Diaz, erleuchtete'
— 629 —
Präsident von Mexiko, fand sich hierin ganz einig
und seelenverwandt mit den Americanos del Nord
auf gemeinsamem idealem Rechtsboden I
Dies war also das Endel
Das hatte man sich nicht träumen lassen, als
man in London die famose Begeisterungskomödie
vor den deutschen Bürgermeistern aufspielte. Viel-
leicht hier und da ehrlich gemeint in spon-
taner Autosuggestion des Augenblicks, beiläufig mit
netter Gleichgültigkeit für die Gefühle der noch eben
erst umarmten Alliierten an der Seine. Hauptsäch-
lich aber berechnendste Heuchelei, neues Atten-
tat auf deutsche Interessen zu maskieren. £s war
köstlich, wie plötzlich über Nacht der »majestätische
Genius Deutschlands* ,unsre teutonischen Stammes-
brüder* Schlagworte eines Verhimmlungsrummels
wurden, der natürlich diese braven deutschen
Michels völlig benebelte, damit sie daheim verkünden
möchten beim unentwegten liberalen Bürgertum:
britische wie deutsche Liberale (lies Handeltreibende)
fürchten nur Gott Merkur» und sonst nichts auf
der Welt, daher nichts so sehr als handelstörende
Händelsucht. Konkurrenz? Die Erde hat für alle
Raum, rief Winston Churchill pathetisch, besonders
wenn jeder gute Fleck Erde schon von Briten be-
legt. Die Deutschen mögen wie Schillers Dichter
bei Zeus im Hinmiel wohnen, das soll ihnen un-
benommen sein. So grossmütig ist das edle Eng»
landl Nur eine Kleinigkeit wünscht es für all die
— 630 —
zarten Aufmerksamkeiten, deutsche Tafelreden (ks
Kriegsministers imd deutsches Tiscfagd)et des
Bischofs von London, nebenbei einzuhandeln: Koo-
trolle der deutschen Bagdadbahn. Von Leuten, ät
im selben Augenblick, wo er ims endgültig auf däi
Isolierschemel gedrückt, König Eduard als ,trei^
sten wärmsten Freund Deutschlands' hochleböi
lassen, darf man ja kein Erröten beansprucha:.
Aber es hiess die Schamlosigkeit doch etwas vd:
treiben, wenn ehrerbietige Hochachtung vor aBem
Deutschen als Normalzustand des gebildeten Briten
ausposaunt wurde, während in jedem englische
Roman ein vorkommender Deutscher stets den Hans-
wurst oder den ethischen Prügeljungen abgibt. Ji
von verträglichster Gemeinsamkeit der Interesses
fabelte man im selben Atemzug, wo man mit Russ^
land ein Unterbinden der deutschen Bahn zwischen
Bagdad und persischem Golf verabreden wollte, (N»^
türlich nur mit Reservatio mentalis, Vorbehalt be-
liebiger Kündigung, beiderseits vorgeschützt.) Di«
ganze Verbrüderungsfarce war nur in Szene gesetr,
teils um dies Vorhaben zu bemänteln, teils um
Deutschland einige Zeit bezüglich der Türkei laho
zulegen. Die auffallende Feindseligkeit des SuIuds
lehrte ja, was man für Ägypten zu erwarten hatte,
falls die britische Flotte nicht mehr vollzählig x°i^
ihrem Apparat im Piräus demonstrieren konnte, weil
durch Deutschland gefesselt. Also hübsch Sand i:i
die Augen streuen I In allem gross, sind Britea
nicht umsonst auch Meister der Heuchelei. ^^»^
— 631 —
Marokkofrage für Frankreich, bot eben Bagdad-
bahn für England unvermeidlichen Zankapfel, es
konnte und wollte sie nicht im Vollbesitz der Deut*
sehen Bank dulden. Den vom Zaim gebrochenen
Akabakonflikt nahm man ja nicht ohne gewichtige
Gründe so ernst, obschon damals gelungene Ein-
schüchterung die unterdrückte Wut der Islamwelt
noch mehr reizte. Verbindung Suez -Indien auf Land-
weg blieb strategisch-politisch-ökonomisches ZieL
Zwischen Ormuzstrasse, wo Bahreininsel Kischem
britische Flagge trug, und neuem Kriegshafen Fa-
magusta (Cypern), von wo man Iskanderbai imd
Alexandrette beherrscht, direkte Verbindung zu legen
(Bolanpass — Quetta — Seistan — Südpersien — Bagdad),
schwebte schon Disraeli vor.
Während alle Schichten dieser politisch wunder-
bar geschulten Nation die Deutschen bei der Bürger-
meistervisite mit Eiapopeia phrasenhafter Wiegen-
lieder einlullten, hielt im selben Augenblick Ad-
miral Campbell im R. Un. Service Institute einen
Vortrag, dass Kriegserklärung stets mit schon er-
folgter Vernichtung des Feindes durch rohen Über-
fall zeitlich sich decken müsse 11 Sapienti sat.
Den Weltkrieg an sich hatte ununterbrochene
Steigerung der Rüstimgen imvermeidlich gemacht,
da der sogenannte bewaffnete Frieden angesichts
der drohenden sozialen Revolution die Steuerlast
allmählich unerträglich machte, besonders in Eng-
land, wo man pro Kopf der Bevölkerung für Kriegs-
zvtrecke doppelt so viel als in Deutschland veraus-
— 632 —
gabte, und es doch niemand mit Abrüsten enut
meinte. Da aber trotzdem gerade in England de
anderswo lahmende Befürchtung sozialistisdier Ein-
pörung wegfiel und nur England wiiidiche k^eg^
rische Absichten hegte, weil Deutschlands Koobn-
renz bei friedlichem Wettkampf bald unviderstEih
lieh werden musste, so liess sidi mindestens ses
Angriff gegen Deutschland, ob mit oder ohne fnD-
zösische Allianz^ eines Tages sicher erwarten. Diese
Angriff konnte jedoch nie isoliert bleiben, musste
unweigerlich Weltkrieg nach sich ziehen. Hierba
wäre andre Konstellation der Mächte nur dann mög-
lich gewesen, wenn Russland in wahnwitziger Ve-
kennung eigenster Interessen an ernstliche Ai&
söhnung mit England dachte, statt bisher nur das^
zu kokettieren, und als Alliierter Frankrdcbs des
Degen zog. Solcher Selbstmord wäre der jetit gaßi
zerfahrenen russischen Politik wohl zuzutrancn g^
wesen, doch spielten zu viel andre Faktoren nÄ.
um Ausführung einer Tripleallianz gegen das iso-
lierte Deutschland zuzulassen. Zu viele Militärs io
Russland dachten an neuen Krieg gegen Japan, iisi*
gekehrt gab Japan weitere Aspirationen keinesvc^s
auf, so dass schon auf diesem Umweg Rnsslaini
sich England erneut feindlich gegenübersah. Selbst
in diesem Falle wäre übrigens der Landkrieg inuser
noch zu Deutschlands Gimsten entschieden worden,
•
da die verrottete und revolutionär verseuchte rasa-
sehe Armee kein Gewicht in die Wagschale warf, bib
eine dann bestimmt vorauszusehende Erhebung Poleos
— 633 —
und sonstiges Neuerwachen der Gesamtrevolution
wettzumachen, falls Deutschland seine ungeheure
Kriegsorganisation vollständig ausnutzte. Frank-
reichs innerpolitische Zustände, die jeden Augen-
blick sozialistische Unruhen gewärtigen lassen,
schwächten seine äusserlich so stattliche Militär-
macht so sehr, dass Deutschland heut Krieg. auf zwei
Fronten nicht zu scheuen brauchte, zumal es gegen
Russland sicher die Türkei zur Seite gehabt hätte,
selbst ohne Österreichs Beihilfe. Letztere aber
konnte nicht ausbleiben, weil nur Niederlage Russ-
lands den Bestand Österreichs sicherte. Andrerseits
streute die Erklärung Guicciardinis, Italien habe
mit Österreich über alle schwebenden Fragen das
freundlichste Abkommen getroffen, nur grünen Neu-
lingen Sand in die Augen. Selbst wenn Österreich
mit Italiens Fussfassen in Albanien einverstanden
wäre, bUebe ja immer die Irredenta als stete
Drohung. Es kam also in Wirklichkeit so, wie Reali-
tät es forderte, nicht wie Versöhnungsphrasen es
bemäntelten. Andrerseits hätte Frankreich an sich
gern auf jedes Duell mit Deutschland verzichtet, von
dessen Ausgang immer nur der treue Sekundant
England den Hauptvorteil zu erwarten hätte; doch
Armexion Marokkos wurde durch die grosse islamiti-
sche Bewegung, die Algier und Tunis in schwerer
Unsicherheit hielt, gebieterische Notwendigkeit. Da
ausserdem mächtige Finanzgruppen auf diese An-
nexion lossteuerten, war über kurz oder lang kriege«
rische Aktion gegen Marokko vorauszusehen. Dies
— 634 —
durfte Deutschland nicht dulden, wollte es okht sda
Prestige färimmerverlieren und die wichtJgeBvndesgt
nossenschaf t der islamitischen Welt aufs Spiel setzea.
Ferner lajg: auf der Hand, dass Japan sid nicht
nehmen lassen würde, bei Weltwirren ein Wörtcbe:
mitzureden. Was es aber vor allem braucht, sitc
die Philippinen imd womöglich die Sundainseln. Nsn
wäre allerdings möglich gewesen, dass die Un»^
ihre ganze Macht gegen Japan gewendet und des-
halb der Krieg in Ostasien eine andre Wendung
genommen hätte. Allein, da unterschätzt man äe
Emsicht des Yankee-Imperialismus. Europas Kneg^
zustand erheischte aus wirtschaftlichen Gründen aß
merksame Selbstbereitschaft der Union, um da^^
möglichsten Vorteil zu ziehen : Vertust der ohnchk
unhaltbaren Philippinen kam daneben wenig in B^
tracht. Übrigens arbeitete man auf Einverständnß
mit Japan schon lange los, wie denn bezeichnender-
weise japanische Hilfsgelder für San Francisco aas-
nahmsweise angenommen wurden. Niederwerfna?
Deutschlands hätte Englands Macht so geschwdi.
dass Absichten auf Canada und Westindien, dertt
britischer Besitzstand doch nun mal mit Monio^
doktrin unvereinbar, vielleicht für inuner illusorisch
geworden wären. Unter solchen Umständen vff
stand sich von selber, dass die Union sich wer;*
um Japan, sehr um Europa künunerte und »^
Eingreifen dorthin lauerte. Was sowohl B«^-
als Deutschland von amerikanischer FreundschaK
hofften, beruhte auf naiver Unkenntnis. Am ^*
— 635 —
ligsten sahen freilich Träume eines deutsch-ameri«
kanischen Bündnisses aus. Ein Blick in die ameri-
kanische Presse, im wesentlichen wahre Volksstim-
mung widerspiegelnd, konnte eines besseren be-
lehren. Doch auch das sonst so kühle England
liess sich durch äusseren Schein bitter täuschen.
Allerdings mochte die ,Times* über deutsche Un-
wissenheit lächeln, wenn man dort mit Britenhass
einer ausgestorbenen Yankee-Generation rechnete,
nur vergass England, dass Deutsche und Iren ein
so wichtiges Element der Vereinigten Staaten bilden
und dort alle Volkskreise Einfluss haben. Wenn
also Yankees altenghscher Herkunft als Gesandte
in London laute Verbrüderxmgsreden hielten, wie z. ß.
beim Bankett des Königlichen Literarischen Unter-
stützungsvereins, oder wenn man während des Buren-
kriegs ostentativ Hospitalschiff „Maine" als milde
Freimdschaftsgabe schenkte, so entsprach dies noch
keineswegs der allgemeinen Gesinnung. Unzweifel-
haft fühlte die herrschende englischredende Rasse
Amerikas sich zu England hingezogen, ihr eigener
Hochmut sättigte sich mit an Englands Muttermacht,
doch waren dies eben Gefühle einer selbst sehr ein-
gebildeten und unabhängigen Tochter. Damit, dass
der Brite nur den Yankee und der Yankee nur den
Briten als ebenbürtig anerkennt und tausend Gemein-
samkeiten beide verbinden, ist noch nicht gesagt,
dass ihre realen Interessen eins seien. Es gibt auch
in Familien feindliche Brüder, die einander im
Wege stehen. Beiden gaukelt das Phantom tat-
— 636 —
sächlichster Weltherrschaft vor, beide können es g^
meinsam xücht erreichen. Ks kränkt den amenkan
sehen Dünkel genug, dass wenigstens äusseiüch Eng-
land noch bei weitem mächtiger, dass es auchfinamieL
die Unionsstaaten als Provinz in Abhängigkeit bilt
wie der geistvolle Karl Peters einmal dokumenur
belegte. Bei ununterbrochenem Wachsen der Bc
völkerung und gleichmässiger industrieller Übopr^'
duktion muss die Union, will sie nicht soziale R^
volution heraufbeschwören, weiteres Absatzgebiet de«
Weltmaiktes suchen: dafür ist ihr Deutschlani
recht unbequem, England aber noch weit mehr, un^
Ausschaltung Deutschlands würde Englands kccb
merzielles Übergewicht auf lange hinaus entscheidei
Kaltrechnender Yankeeverstand wird sich daher mn
Bezug auf ,01d Home* England nie von sentimefr
talen Rücksichten leiten lassen, sondem im S^
gebenen AugenbUck ,reckon* und ,calculate\ <la»
maii jetzt feste zugreifen und dem Konkurrenten ec
Bein stellen müsse, öffentliches Abschwören 'f^
Annexionsgelüsts gegen Britisch- Amerika ist also m
in den Wind geredet, und die Briten sind scbör.
dumm, darauf hereinzufallen. Stellungnahme äc
Union im Weltkrieg konnte deshalb keine ander?
sein, wie sie tatsächlich sich entwidceltc, Logik <k'
Dinge zwang dazu.
Aber die nämliche eiserne Logik brachte l^
ropas Unvernunft endUch zur Einsicht, dass es sei
gemeinsam gegen Amerika imd Ostasiea weLta
müsse. Denn bei Abhängigkeit von überscciscirt
— 637 —
Cerealien, Reis, Kaffee, Tee, Tabak, Fleischkon-
serven und Eisfleisch, bei dringender Notwendigkeit»
amerikanische und asiatische Märkte für europäische
Industrie offenzuhalten, würde Europa sowohl indu-
striell als agräulturell einfach an Aushungerung
ersticken, wenn Amerika und Ostasien sich absperren
und ihren Willen d&tieren. Lächerliche gehässige
Torheit der Europäer untereinander, die sich wie
kläffende Köter um jeden Knochen rauften, während
der Fuchs ihnen den wahren Braten davontrug,
legte ihnen die blutige Strafe auf, dass erst ent-
setzliche Opfer eines Weltkriegs sie auf den rich-
tigen Pfad brachten. Und zwar durch unerwartetes
Mitspielen von ,imtoward events', die freilich in
solchem Falle immer zu erwarten sind, weil imma-
nente Logik der Entwicklung unbeirrt weiterwandelt,
hocherhaben über kindische Intermezzi von Augen-
blickspolitikem oder Parteikuhhandel der Parlamente
mit ihrem Wahlmodus für wohlhabende Unfähige
oder pfiffige Streber. Nur Englands Kurzsichtig-
keit verschuldete dies alles. Seine Perfidie und
Brutalität in allen Ehren, denn in Politik gibt*s
keine Moral, und Briten wie Yankees haben das
gute Recht, Konsequenzen ihres Weltherrschafts-
dusels zu ziehen mit schonungsloser Vergewalti-
gung der Schwächeren. Doch Englands antideut-
sche Gehässigkeit war nach Talleyrands Bonmot
schlimmer als ein Verbrechen, es war ein Fehler.
Gewiss würde volle Niederwerfung Deutschlands er-
neut Englands Handelsmonopol begründet haben.
— 638 —
wie aber stände es politisch? Nur durch KosL
tion aller Mächte, unter untätigem ZuschaM
Österreichs, was ganz ausgeschlossen, wäre Deotso
lands Besiegung zu Lande denkbar, obsdxm ci-
wahrscheinlich : daraus hätten aber Frankreich m^
Russland den grössten Vorteil gezogen, waren sr
erstailct, dass sie nun mit Ernst ihre antienglischei:
Interessen wahrnehmen konnten. Die von Köe$
Eduards Staatsklugheit verhinderte KoalitiDn g^
England wäre dann einfach zehn Jahre später erfolg:
England hätte sich dann durch unversöhnlicbes
Deutschland und notwendig immer antipodisd»
Frankreich-Russland den Dolch selber geschliffc
der ihm den Garaus machte. Doch Völker wenka
wie Menschen nicht von Vernunft, sondern Leüe
Schäften gelenkt. Englands toUe Selbstübcrhebunf
wie sie sich in Chauvinistenbüchem eines Rcvere?:
Fidgett ein dauerndes Denkmal des Grössenwalc:-*
setzte, bedurfte nicht alberner Hetzbücher, wie .,12
vasion" und „The enemy in our midst", wdch letztm
Infamie die armen harmlosen Deutschen inncrißä
Englands dem rohen Mob auslieferte und Utsaci.
lieh zu einem Deutschenmassacre in Whitecha;*
führte. Denn allgemeiner Volkswille hetitc schc-
selber auf Bruch mit Deutschland los. Wie hebt?
man über Sympathiemeetings einiger Inteflekttidl'
oder Interessenten, deren Privatkonto durch t^
zweiung mit Deutschland litt I Unverkennbare G^
hässigkeit verleidete sogar schon deutschen Haiiö^'
reisenden und Touristen den Aufenthalt: spräche:
— 639 —
sie in Restaurants laut deutsch, forderte man sie auf,
das Lokal zu verlassen. Schlaue Abrüstimgsfarce
als Antrag neuer Haager Konferenz im Augenblick,
wo England stärker gerüstet denn je, sollte nur
Deutschland als Störenfried anschwärzen. —
Doch freilich, eins hätte Englands sogenannte
Friedensliebe sich nicht einbilden dürfen: dass
Deutschland untertänigst um jeden Preis Frieden
halten, d. h. die weiterwiikenden Segnungen der
Ära Balfour-Chamberlain eskomptieren werde, wo-
nach England nach Gottes unerforschlichem Rat-
schluss auch noch Arabien, Abessinien, Kongo in
die Tasche stecken imd Deutschland überall das
Nachsehen lassen würde. Solcher Friede könnte den
Briten passen, und ihre Dreistigkeit geht so weit,
dass ein Abrüstungsredner im House of Commons
klagte, das böse Deutschland habe nicht mal durch
grossmütige Abtretung Helgolands sich erweichen
lassen, als ob England nicht damals einfach Sansibar
dafür eingehandelt hätte. Nein, so hatte man nicht
gewettet: Deutschlands wahre Patrioten hatten be-
stimmte Zukunftsabsichten, die sie für wirkliche
,Saturierung' unsrer gewaltigen Rasse für nötig er-
achten. Die Flinte ins Korn zu werfen imd vor
angelsächsischer Weltherrschaft ohne weiteres die
Waffen zu strecken, lag keine Veranlassung vor. Das
seefahrende Deutschland, dessen Zukunft nach des
Kaisers genialem Wort wirklich auf dem Wasser
liegt, wünscht gerade so gut sein Expansionsbedürfnis
zu befriedigen, wie Briten und Franzosen, und würde
— er-
sieh mit seiner unablässig vermehiten Vdksmasse
— schon gibt es fast achtzig Millionen dcmsd
redende Menschen in Europa, fast gerade so viel viz
Briten und Franzosen zusammen oder wie die pol>
glotte Unionsbevölkemng — zu seinem Recht m
holfen haben, ob so oder so. Wollte Sribstsud:
der andern Europäer dies nicht zulassen, bäiunte
sie sich nur gegen unerbittliche Logik der Wirk
lichkeit auf, die man nie ungestraft vcrktit. Das
langduldende, geduldig arbeitende, nrit alicr
Zähigkeit neuverjüngte Tatkraft einstiger deutsche:
Kaiser- imd Hansaherrlichkeit verschmebcnde, ati
allen geistigen und praktischen Gebieten führende
unvergleichlich organisierte, wohlhabende, waffc
starke Deutschland, das binnen so kuner Spanat
Zeit seit dem Frankfurter Frieden als Industrie
und Schiffahrtsstaat die grösste Leistung der We.i
geschichte in unerhörtem Aufschwung vollbrachte,
woran der initiative Einfluss Wilhchns IL eincQ nur
vom Ausland richtig gewürdigten Anteil trug "
dies Deutschland, wahrhaft friedliebend, wäre ja doch
zuletzt zum Weltkri^ gezwungen worden, sote
neidische Eifersucht und frecher Eigendünkel sc
mit der Tatsache einer deutschen Weltmacht nidi
abfinden wollte. Nur deutsch-englische Alliam, *•'
Ähnlichkeit von Rasse und Weltanschauung sie vor
schreibt und wie sie der weiten Welt Oeseiif
geben, weder Amerika noch Asien fürchten würde
hätte das Unheil verhindert. Doch erst grininJ
eigene Not brachte England zur . Besinnung.
Das House of Commons „tagte" in ausserordent-
licher Sitzung um Mitternacht des 29. Juli. Überall
bleiche erregte Gesichter. Auf Interpellation des
Abgeordneten Redmond, ob Belagerungszustand
über Irland verhängt sei, gab der Kriegsminister
den trockenen Bescheid:
„Die zarte Fürsorge des ehrenwerten Herrn für
Irlands Sicherheit mag sich beruhigen. Von Seiten
der Regierung dieses Landes ist der Lage ent-
sprochen worden. Eine reguläre und eine Miliz-
division übersetzen soeben den Georgskanal, um den
Lordleutnant von Dublin zu unterstützen. Das fran-
zösische Expeditionskorps ist an sich unbeträchtlich.
Wir verzichten auf Beunruhigung der loyalen Ein-
wohner und werden Belagerungszustand nicht ver-
hängen!" Nur immer altrömisch I Hannibal vor den
Foren, doch Cato baut Rüben.
Der Sprecher: „Es steht zur Erledigung der
Dringlichkeitsantrag von Mr. Keir-Hardie und Ge-
lossen namens der Arbeiterpartei über die innere
N^otlage."
Der Arbeiterführer verlas ein Programm der
Parteioberhäupter Bums und Hyndman, wie in so-
dalistischem Sinne durch ausserordentliche Aus-
VÖIker Europas . . . ! 41
— 642 —
nahmegesetze die drohende Hungersnot gdind«:
werden solle, und verbreitete sich über das plöa
liehe Stocken jeder nennenswerten Schiffahrt Eag
land sei von seinen Kolonien abgeschnitten, der
letzte Weizenkonvoi aus Indien und Australien vor
vierzehn Tagen angelangt, die Nordsee ?on den
Deutschen beherrscht, die Westküste GrossbritaL
niens von französischen und amerikanischen Kapcm
belästigt.
Der Premier gab eine kühle amtliche Erw
derung. Man sah ihm an, dass ganz andere Sorg^
ihn drückten, und das Haus hatte beim Anblick
der vollzählig besetzten Ministerbänke den Ein
druck, als ob wieder etwas Wichtiges beForstcbe
„Der ehrenwerte Vorredner mag überzeugt scffi
dass Sr. Majestät Regierung alles aufwenden wir«^
die arbeitende Bevölkerung zufriedenzustellen. Ik
übrigen verbietet die vorläufige Verteilung unsrer
Streitkräfte zur See, die Deutschen aus der Noni
see zurückzuwerfen, solange nicht die volle Herr
Schaft im Atlantischen Ozean gewonnen."
„Ich möchte erfahren, Mr. Speaker," wandte skii
Chamberlain an den Sprecher, „weshalb unser \ei
trafuensmann Lord Beresford noch immer nicht rc:
Rettung Canadas aufbrach, obschon sein 2^^-
notwendig die Kohlenvorräte der Flotte angreift
Der Marinestaatssekretär erhob sich. „Das seh-
ehrenwerte Mitglied für Birmingham dürfte seic
nautischen Kenntnisse wohl dem fachmännischem
Urteil ynsres grossen Admirals unterordnen." i^
— 643 —
lächter.) ,,Sehr treffend bezeichnete er ihn, Lord
Beresford ist in der Tat der Vertrauensmann dieses
Landes in der schwersten Krise, die es je bestand.
, Nicht aufbrach' ist inkorrekt. £s war unmögUch,
früher alle verfügbaren Kräfte nach der Atlantis
zu konzentrieren. Dies geschah am 26. d. M., imd
von da an verlor der Admiral keine Zeit, den Feind
zu stellen. Die beiden gegnerischen Flotten sind
einander in Sicht auf Seehöhe von Baltimore.
Unser Stratege hält Zerstörung des Hafens von
Baltimore und später der Manhattan-Forts der
Newyorker Reede für das würdigste Kampfobjekt.
Unsre Felsforts vor Quebec können sich selber
schützen. Die am 24. dort vor Anker gegangene
feindliche Eskadre wird wahrscheinlich jetzt ab-
dampfen zur Vereinigimg mit ihrem Gros, was uns
unlieb wäre, jedenfalls aber Quebec auf der See-
seite befreit. Mr. Chamberlain möge übrigens nicht
ausser acht lassen, dass es sich heut nicht sowohl
um Rettung seines geliebten Canada, das wir mit
Gottes Hilfe behaupten werden, sondern des
eigenen Mutterlandes handelt.'*
Unter tiefer Stille, die dieser scharfen Abferti-
gung folgte, erkundigte sich ein irischer Nationalist
mit unverkennbarer Schadenfreude und heuchleri-
schem Pathos, von boshafter Ironie durchbUtzt, nach
dem Bestand gegenseitiger Streitkräfte im fernen
Westen, was ihm Beklenmiung einflösse. Aller
Blicke richteten sich nach der Minbterbank, imd
[iian erwartete Ablehnung der indiskreten Frage.
41*
— 644 —
Doch nach kurzem Getuschel gab der Marincmmister
gelassen Auskunft, allerdings mit einem nieder
schmetternden Blick auf den heimlichen Reidis\tr
räter :
„Das patriotische Mitglied, das soeben gespro
chen, berührt mit der ihm eigenen wannherage:
Vaterlandsliebe eine offene Wunde. Ich will hi r
nichts verschleiern. Trotz unglaublicher Ans::e:
gungen in den Docks für Wiedereinstellung havanf:
ter Körper und Neuaufbesserung der vielfach ru
nierten schweren Artillerie erreicht die neue Ok
kupationsflotte vor dem nordamerikanischen Kf»^
tinent* nur eine Stärke von 24 Linienschiffen. :.
grossen, 42 kleineren Kreuzern nebst den dazu S'
hörigen kleineren Einheiten, das Ariantische Ck
schwader in Westindien natürlich inbegriffen. Des
gegenüber verfügt die Union nach Abzug iJ'J
Verluste bei Manila und St. Dominique und wahr
scheinlichen sonstigen Abzügen über mindestcDs .
Linienschiffe, grössere Kreuzer, während die Zifj
ihrer kleineren Nebenwaffen — kleine Kreuzer"
der Klasse, Destroyers — allerdings hinter der un*
rigen sehr zurücksteht, die Torpedozahl sich wo:
ungefähr ausgleicht. Dazu treten noch des Gegr-t--
Küstenpanzer. Der Redner mag also um seine ajrr
rikanischen Freunde unbesorgt sein, sie sind s'Xi
genug."
Ein eisiger Hauch schien durch das Hau? *-
wehen. Aber ,Okkupationsflotte* klang gut. Nor i3
mer hübsch römisch I Ja, noch gab's nichts r:^
i
— 645 —
Okkupieren, doch schon nahm man*s als selbstver-
ständlich vorweg!
Mit einem Anklang von Wehmut in der Stimme
frug Balfour: „Was beabsichiigt Se. Lordschaft der
Admiral zu tun?**
„Das kann ich mit wenigen Worten sagen: bei
Misserfolg das Westindische Geschwader an sich
zu ziehen und in einer neuen Entscheidungsschlacht
Englands atlantische Seite zu decken, bei Erfolg
die schon früher angeführten Pläne auszuführen,
5 ich dann südwärts zu wenden, um im Verein mit
Jeni Atlantischen Geschwader die Sperrforts von
Mew Orleans niederzulegen und eventuell die Ameri-
kaner zu einer neuen Schlacht bei Cheasepeak-Bai
:u zwingen. Ich bedaure betonen zu müssen, dass
ier Edle Lord momentan nur über 17 Linienschiffe,
L6 grosse, 25 kleine Kreuzer verfügt, der Feind un-
mittelbar gegenüber vor Fort Monroe und Kap Hat-
eras über 22 Linienschiffe, 11 grösste und etwa
25 kleinere Kreuzer, doch sämtlich neugerüstet,
A^ährend unsre schwere Artillerie kaum zur Hälfte ein
anges Gefecht bestehen kann. Trotz dieser un-
i^ünstigen Chancen meldete der Edle Lord soeben
durch Funkspruch, dass er morgen, den 30., den
Feind angreifen werde, ehe dessen Quebec-Eskadre
leran, die man auf 4 Linienschiffe, 3 grosse Kreuzer
schätzt. Die Gebete jedes echten Briten begleiten
len Helden auf seiner schweren Fahrt.'*
Wieder tiefe Stille. „Ich möchte den Kriegs-
ninister fragen**, krächzte ein Radical mit Grabes-
— 646 —
stimme, „was zur Verteidigun^r dieses Landes geges
Invasion geschehen ist."
„Ich wüsste nicht, warum ich verschveigec
sollte," gab dieser kalt zurück, „dass wir rnsd
450 000 Mann innerhalb der britischen Inseln unter
Waffen halten, wobei ein Teil der Miliz in aktive
Feldtruppen umgewandelt. Nach Canada konntec
wir nach und nach seit Mai 63000, nach Kapstadt
12000 Mann werfen. In Kapland, Gibraltar, Mala
Alexandria, Suez stehen sonst noch etwa lOOOC
6000, 8000, 23000 Mann, auf den Balearen 3(XK
Macht ein Total von 572000 Mann unter Waffea
während die angloindische Armee weitere Truppen
nach Suez, Batavia, Neuseeland entsenden wird. Is
Australien und Canada haben wir ausserdem die
Landesmiliz. Dies System ermöglicht uns genügend«
Defensive, natürhch keine Offensive zu Lande/'
„Mit welcher die famosen britischen Truppes
ja auch schönes Fiasko machten, siehe Antweipec
Nieuwe Waterweg, Boikum, Kiel!** brummte esaiß
den Reihen der Iren.
„Unser Vertrauen beruht auf der Flotte", rief
Balfour von seinem Sitze aus. „Wie aber konnte dies
Durchschlüpfen nach Irland glücken? Ein Geruch'
geht um, S. M. S. »Prometheus* habe die Flagg?
gestrichen. Ich beantrage Todesstrafe für der
Kapitän, der solche Schande überlebte." Nor in:
mer altrömisch I
„Ein Kriegsgericht wird die verschiedenen ^^
antwortlichkeiten feststellen**, kam es gleichmiitig
— 647 —
von der Ministerbank zurück, wo gelangweilte Mienen
zu verraten schienen, dass man all diese Redereien
als blosses Geplänkel vor einer bevorstehenden
Hauptschlacht betrachte. Wieder raunten mehrere
sich zu, dass dort sich offenbar etwas vorbereite.
Schwüle Stimmung lagerte über dem Hause.
Der Generalstaatsanwalt (Attorney-General)
Lawson- Walton erhob sich: „Mr. Speaker, sowohl
im Namen meiner politischen Freunde, als auf sehr
hohe Anregimg von seiten der Krone, beantrage ich,
unserm ruhmreichen Admiral Lord Beresford die
nämliche Staatsdotation zu verleihen, wie den Ge-
neralen Lord Kitchener und Lord Roberts." Nur
immer altrömisch I Noch am Rand des Abgrundes
verleiht man goldene Bürgerkronen, Kränze von
Lorbeer und Eichenlaub, Imperatortitel für Kon-
suln und Prokonsuln I
Ungestüm sprang der Arbeiterdeputierte Shak-
leton auf, unter allgemeinem Gemmmel imd Un-
ruhe, teUs Beifallsscharren, teils Murren: „Sie wäh-
len gut den Augenblick, das Budget mit Verschwen-
dung öffentlicher Gelder zu belasten. Im Namen
des notleidenden Volkes, insbesondere der Trade-
Unions, die sich weitere Protestmeetings vorbehal-
ten, erhebe ich Einspruch, dass — "
Doch der Speaker erhob seinen Stab: „Genug,
Sirl Der Antrag Lawson- Walton ist zu den Akten
genommen, und der gelehrte Herr Mr. Attorney-
General wird morgen seine Motion begründen. Für
heute schliesse ich die öffentliche Sitzung, verfüge
— 648 —
sofortige Räumung der Galerien. Alle Fremden mtx
auch die Vertreter der Presse haben den Saal zu
verlassen, da Sr. Majestät Regierung dem hoher.
Hause eine ultrasekrete Eröffnung zu machen hai.°
Nachdem die Clerks den Fall zu den Akttc
nahmen, während die Konstabier ihn ausfühnec
erhob sich unter erwartungsvollem Schweigen ku
anderer als Winston Churchill. Er war bleich una
sein Auge schweifte einen Augenblick über die gahr
nende Leere der Galerien hin, als blicke er ins
Weite. Dann begann er mit fester Stimme:
„Es ist mir von meinen Kollegen der ehren
volle, doch eines schmerzlichen Stachels nicht en:
behrende Auftrag geworden, die wahre Lage n
entschleiern und diejenigen letzten Beschlüsse zt
erörtern, zu welchen das Ministerium sich leide:
gezwungen fühlt." (Hört, hört, hörti) „Da die>'
Beschlüsse jede Heimlichtuerei ausschliessen. hahe-.
wir alle Anfragen betreffs Sicherheit des Reichs m'
möglichster Offenheit unbefangen beantwortet. Ic
muss jedoch deutlicher werden. Als Regierungsu:
treter für die Kolonien habe ich vielleicht den we:
testen Überblick und erlaube mir daher, den G<r
samteindruck wiederzugeben. Lassen Sie uns Pc
sten für Posten durchgehen 1 Unsere Position in Cb:
asien ist verloren, unsere Lage in Oceanien mind.
stens nicht gut. Ich zweifle, ob wir Batavia unc
Neuseeland noch lange halten können. Die jap^
nische Übermacht, nicht zufrieden, uns aus dtc
Stillen Ozean verdrängt zu haben, belästigt Au5tra
— 649 —
lien und erregt dort Unfrieden. Schon äusserten
sich soziahstische Mitglieder des australischen Par-
laments dahin, man möge mit Japan ein Abkommen
treffen und den Kontinent neutral erklären, d. h.
sich der Pflichten gegen das Home Government
entledigen, ein neuer Schritt auf dem Weg zur Un-
abhängigkeit." (Unruhe, Chamberlain zieht unmutig
seinen Zylinder tief in die Stirn, einge andere nehmen
den Hut ab und trocknen sich die Schläfe, als sei
ihnen heiss.) „Über Indien urteilt Generalissimus
Kitchener nicht übermässig hoffnungsvoll. Der Edle
Lord hält einen neuen Meutereikrieg für möglich,
falls China französisch Indochina überschwemme und
Japan Truppen lande, woran es beim Übergewicht
seiner maritimen Mittel in dortigen Meeren kaum
gehindert werden kann. Bei langer Fortdauer des
Krieges würde auch Verlust des Indischen Ozeans
für uns auf dem Spiele stehen." (Steigende Bewe-
gung, jedoch ohne laute Äusserungen.) „Steht es
so im Osten, so noch schlimmer im fernen Süden.
Alle Mitteilungen Lord Milners besagen, dass bei
gemeinsamem Handeln von Deutschen, Boers und
Eingeborenen Kapstadt unbedingt verloren geht
oder, um eine andere sehr bezeichnende Wen-
dung zu brauchen, gegea*^^ingeborene und Afri-
kander nur zu halten ;Äjäre durch Beihilfe der
Deutschen.'* (Vielhunömfaches ,Hört, Hört, HörtI*
in gespannter Erregung ^eigt dem Redner, dass seine
von ihm eigentümlich unterstrichenen Worte ver-
standen worden sind. Einige Schlaue spitzen die
— 650 —
Ohren und nicken sich bedeutungsvoll zu.) ,Jat
sächlich gehört uns von Afrika nichts mdir ab
Alexandria und Suez. Nun glaube ich zwar verbürgen
zu dürfen, dass keine Macht der Welt diese Stütz
punkte unserer Mittelmeermacht britischen EidieD
herzen entreissen wird." (Matter Beifall.) ,^iiinal
unsere brave Marine dort völlig alle Gegner aus dem
Felde schlug. Der ehrenwerte Mr. Hudson hat uns
neulich mit einer sozialistischen Diatribe b^lückt
über den güldenen Danaeregen von Bathorden, ^ü^-
toriakreuzen, Medaillen, der aufs Offizierkorps ät-
ser in unserer Geschichte für immer unstcrbüdicD
Geschwader niedergegangen sei. Well, ihren He.-
dentaten allein verdanken wir, dass England nicht als
Bittender mit entblössten Händen dazustehen biandit
wenn ihm einfallen sollte, mit seinen europäisdieD
Feinden zu verhandeln." (Brausender Bdfall, der
sich jedoch bei den nachfolgenden Worten legt vd
wieder düsterer StiUe weicht.) „Auch im fernen ^^
sten hatten wir einen schönen Erfolg zu vcneichner.
Westindien bleibt vorläufig unser. Doch wie lange =
In Canada würden Quebec und Montreal sich na
dann noch lange halten, wenn wir genügende
Kräfte vom Mutterland senden könnten. Doch Sk
alle kennen unsre Bedrohung durch deutsche In
vasion bei augenblicklicher notgedrungener EntWf*^
sung unserer Ostküste, und Hilfssendung nach der
anderen Hemisphäre müsste aufhören, falls unsen
Flotte nicht mehr den Ozean beherrscht. Wer aber
bürgt dafür, dass Lx)rd Beresford morgen Sieger
— 651 —
bleibt, — und wenn, ob er nicht dabei verblutet,
^e das Heer seines Ahnherrn bei Albueral"
Tiefe bedrückende Stille. Einige ältere Mit-
glieder schluchzten laut, ein paar jüngere knirsch-
:en mit zusammengebissenen Zähnen. Sie sahen in
hres Geistes Aug' den Helden, angetan mit Stern
ind blauem Band des unlängst verliehenen ,Star-
md-Garter* (Hosenbandorden), auf blutüberströmtem
Quarterdeck seines Flaggschiff es, und wünschten mit
labei zu sein, wo man für England stirbt.
„Nun noch diese irische Bedrohung am eigenen
Herd! Ja, man würde ihrer Herr werden, ich zweifle
nicht daran, unter Strömen von Blut, doch welch
neue unheilbar nach innen eiternde Wunde J Und
woher sollen wir uns erholen, neue Kräfte schöpfen
3ei solcher Depression aller Geschäfte und Indu-
strien? Unser Kredit auf dem Weltmarkt, bisher
LinermessUch, wird ganz zu nichte. Unsre bislang
Festen imd sogar gestiegenen Konsols sanken mit
sinem Ruck, selbst die ,Bank von England' ist er-
schüttert. Kurz, jene Gefahr, mit der uns einst Na-
poleons Kontinentalsperre bedrohte, sie ist nun wirk-
lich da, heut, wo Grossbritannien äusserlich mäch-
tiger und reicher denn je. Wenn damals angesehene
Firmen fallierten und die Komtaxe wirkliche Him-
gersnöte erzeugte, um wie viel mehr dann jetzt bei
solcher Übervölkerung! Damals beherrschten wir
das weite Weltmeer überall, Amerikas Zufuhr stand
uns frei : beides fällt heut weg. Unsre sogenannten un-
erschöpflichen Hilfsquellen versiegen durch solche
— 652 —
Feindesflammen von allen Seiten, unsre fesiestm
Bollwerke schrumpfen zu Asche ein. Wolle Gon.
Lord Beresford möge morgen ein Trafalgar feier.
Doch selbst dies risse uns kaum aus der Not D.r
Yankees sind zähe und unverwüstlich, wenn sie i.':':.
mal auf ein Geschäft versteiften, und es sind d^rr
Feinde zu viele. Viele Hunde sind des Bären Tod
Dauert dieser Stand der Dinge noch viele Monate
so siecht Englands Volk dahin, und nichts bleu*.
uns am Ende, als willenlose Kapitulation oder. i:h
zittre es zu sagen, völliger Zusammenbruch des
Reiches, ruhmloser Untergang.** (Wilde erregte Zu
rufe. Viele Mitglieder ballen die Faust gegen die
Iren. Die Erregung wächst.) „Da bewog ein Mit
glied der Regierung seine Kollegen, unter zwei
Übeln das kleinere zu wählen. Mit Amerika auf ab-
ständiger Basis zu verhandeln, ist unmöglich, mi:
Japan ebenso. Beide wollen uns Dinge abschröpfer*,
die wir vorerst noch in Händen haben und nicht güi
willig hergeben. Doch der Europäische Bundkönr.
uns nur abverlangen, was wir ohnehin fahren lasse:
müssen: die eroberten Sundainseln, das fast schtc
verlorene Südafrika, Ägypten. Freilich, werden «i*
ganz erdrückt, so würde man noch Gibraltar, Malta
irische Unabhängigkeit von uns heischen und Go:i
weiss was für andere Demütigungen. Jemand erb":
sich, unmittelbar an Se. Majestät den deutschen
Kaiser zu appellieren, dass er das Schwert in c\^
Scheide stecke. Ich schäme mich nicht, zu s^i;?-
dass ich dies Regierungsmitglied, dass ich dieser ]e
/
/
— 653 —
nand bin, und werde die Verantwortung* keinem
Indern in die Schuhe schieben. Ich übernehme und
rage sie." (Schwüle Pause der Erwartung.) „Ich
jestatte mir, dem Hause unter Diskretion den Brief
:u verlesen, den ich an Se. Majestät zu richten
vagte. Ein ungewöhnliches Abweichen von allen
liplomatischen Usancen, so ungewöhnlich wie die
Lage selber.
„Sire !
Der Grossadmiral von England, Lord Charles
Beresford, hat den Befehl, die Vereinigten Staaten-
Flotte vor Baltimore anzugreifen und zu schlagen,
[ndem er erwartet, dass jedermann seine Schuldig-
rceit tue, wird er das Signalwimpel flattern lassen:
Briten, ihr fechtet heut nicht nur für Englands,
sondern Europas Unabhängigkeit.' Sollte Europa
dies undankbar verkennen, so wird die Zukunft leh-
ren, worüber der Ausgang dieses Kampfes entschei-
det. Englands Zusammenbruch zieht nach sich das
Ende der europäischen Hegemonie. Der Europäi-
sche Bund wider uns spielt, ohne es zu ahnen,
nur Amerikas Spiel und der Gelben Rasse Spiel.
Beide Gefahren hatte Ew. Majestät Tiefblick schon
Frühe erkannt, Sie werden auch jetzt durch äusseren
Schein die Wahrheit erkennen. Vielleicht kam Ew.
Majestät zu Ohren, dass der französische Komman-
dant in Westindien sich im letzten Augenblick lieber
uns als den Amerikanern ergab: ,Das sind unser
aller Feinde.* Mögen diese Worte einen Wider-
hall in Ihrem kaiserlichen Herzen finden! In Wür-
— 654 —
digung der allgemeinen europäischen Gefahr ki
die königlich britische Regierung die Ehre, sich an
die kaiserlich deutsche mit dem Angebot sofortiges:
Friedensschlusses zu wenden, falls die uns auferleg
ten Opfer nicht allzuschwere.**
„Meine Herren, diese Depesche erging am 25.
Schon abends traf höflichste Rückantwort du, dass
Deutschland sich mit Frankreich verständigai
müsse. Am 26. langte die schriftliche NonnieniBg
der Bedingungen an. Wir haben abgemarktet, vas
zu markten war. Die irische Affäre ist nur -
ich will nicht sagen der letzte Nagel zum Saigt
denn Gott sei Dank ist Englands Grösse noch unbt
erdigt, doch das letzte Zünglein auJ der Wagt
der letzte Tropfen, der den Kelch überlaufen madt
Es bleibt keine Wahl. Die Regierungen sind einig.
wir haben die Bedingungen angenonunen, wenn das
Parlament sie genehmiget."
Die tragische Stille brach Balfours sehne
dende Stimme : „Und was sind diese Bedingungen*
„Vor vierzehn Tagen wiu'de von dieser Stae
die Akte des Europäischen Bundes verlesen. Heut
empfangen Sie dazu die Ergänzung. — Zum Ver
ständnis eines Paragraphen schicke ich voraus, dass
Holland, Luxemburg, Belgien in staatsrechtliches
Verhältnis als Bundesstaaten in das Deutsche Reich
eintreten, demnach auch Hollands Kolonien dem
Protektorat des Deutschen Kaisers anheimfa^
len." (Unruhe. Rufe: „Aha! Die oraniscfic
Erbschaft!")
— 655 —
„I. Zwischen den hohen Regierungen des Europäi-
schen Bundes und der Regierung Sr. Majestät des
Königs von Grossbritannien und Irland, Kaisers von
Indien, ist der Frieden geschlossen auf folgender
Grundlage :
§ 1. England zahlt eine Entschädigung von
10 Milliarden Mark an Deutschland für die ihm
zugefügten schweren Verluste." (Stöhnendes „O, o V*
von Nationalökonomen des Hauses.) „Frankreich
verzichtet auf Geldentschädigung für Zerstörung Bi-
sertas, in Anrechnung der bestehenden eigentüm-
lichen Verhältnisse." (Ein Ruf ,Judas verzichtet
auf seine Silberlinge I" Verächtliches Lachen.)
§ 2. England gibt an Spanien die Balearen zu-
rück und räumt Ägypten nach Massgabe der frühe-
ren Bestimmungen des Europäischen Bundes." (Ver-
schiedene Rufe „Nimmermehr I") „Doch behält es
Port Said und Suezkanal." (Allgemeines freudiges
„Ahl") „Es gibt die Sundainseln an Holland unter
deutschem Protektorat zurück und tritt die ehe-
maligen Burenrepubliken, Rhodesia, Nordgrenze von
Kapland imd Hafen Durban an Deutschland ab."
(Rufe „Unverschämt! Wir wollen nichts mehr hö-
ren I") Dagegen behält es die eigentliche Kapkolo-
nie und Natal." (Wieder befriedigtes „Ahl" Höhni-
sche Rufe der Iren: „Das für Jameson, und Maju-
bal" Ein Radikaler: „Nicht mal bei Gladstone konn-
ten die Buren ihr Recht finden, als Sir Bartle Frere
ihnen den ,Rand* und Kimberley stabil Immanente
Gerechtigkeit der Dinge!")
— 656 —
„II. England tritt der Zollunion Europas fürsiä
und seine Kolonien bei, natürlich unter voller \\ ab
rung seiner sonstigen politischen Unabhängigkeit.
(Unbestimmte Aufnahme.)
„IIL Der Europäische Bund garantiert den:
Britischen Reich ein für allemal seinen gesamten
sonstigen Besitzstand. Was verlorengegangent
aussereuropäische Besitzungen betrifft, so trin der
Status quo wie vor dem Kriege wieder ein, wobc.
die Kontrahenten sich verpflichten, jedermann n
seinem früheren Rechte zu verhelfen." (Rauschen
des „Hört, hört!*' Beifälliges Murmeln.) „Von dit
ser Abmachung ist Portugal ausgeschlossen, das der
Europäischen Bund nicht angehört. Madeira und di
Azoren fallen an Deutschland, alle übrigen Kolonia.
besitzungen Portugals an England." (Zunehmende
freudige Bewegung. Man machte also doch noch ein
Geschäft I)
„IV. Wie aus dem Tenor dieser Abmachung he:
vorgeht, ist in der Garantierung des britischen ^'
sitzstandes zugleich involviert, dass der Europäiscß^
Bund zu Wasser und zu Lande mit allen ihm lu
Gebote stehenden Mitteln gegen die Übergriffe Anie
rikas und Japans den britischen Interessen zur Seite
steht. Jeder einseitige Friedensschluss der KonTc
henten mit den genannten Mächten wird ausdrückbc:.
und feierlich ausgeschlossen."
Meine Herren, ich sehe, dass Sie den Sni
dieses Schriftstücks voll erfassten. Wir behalte:
Suez und Kapstadt, mehr können wir nicht verlangf^
— 657 —
vexui wir damit unser Gesamtreich für alle Zukunft
lecken. Ich habe nur noch hinzuzufügen, dass nach
Ihrer Genehmigung des Vertrages der deutsche Bot-
»cliafter an Japan wegen der Sundainseln, der fran-
lösische an die Vereinigten Staaten wegen der fran-
:ösischen kleinen Antillen, beides Bestandteile der
Bimdesgemeinschaft, den Krieg erklären wird im
Mamen des Europäischen Bundes."
Einstimmig, sogar unter Teilnahme der Iren,
interzeichnete das Abstinunungsvotum des briti-
schen Parlaments eine Uikunde, welche für immer
ias Aussehen des Erdballs ändert, die verdiente
und durch jahrtausendlange Kulturarbeit verbriefte
Suprematie Europas für ewig begründet, die Streitaxt
zwischen europäischen Brudervölkern begräbt und
der gelben wie der transatlantischen Weltgefahr ein
jähes Ende bereitet.
Das walte Gottl Die Vereinigten Staaten von
Europal
Ende.
Völker Europas . . . ! 42
Anhang.
Tabelle der britischeii Flotte 1906.
Im Text ist kriegsmässige Zasammensetzong unter
mannigfachem Austausch von Schiffen zwischen den ver-
schiedenen Geschwadern angenommen. Verschieboc:
von Teilen der Mittelmeerflotte nach Norden kann 12
vielen Fällen schon jetzt festgestellt werden. Die ix
Text ausserhalb der tatsächlich schon bestehenden Schi^e
angefahrten Schiffsnamen sind erfunden for isneriuib
nächster Jahre zu bauende Reserveschiffe, gerade «c
wie far deutsche etwaige Neubauten erfundene Name:
geboten werden mussten. Im ganzen dürften deutsche
Marinekreise bisher keine ähnlich vollzählige Ordre de
Bataüle britischer Seemacht besitzen. Die mit eines
Stern versehenen Namen sind im Text anderem V^lr-
kungskreis zugeteilt
Mittelmeer (Malta und Gibraltar) Admiral Lere
Beresford. Vizeadmiral Maj. Sc hl achtschiff di^ >
sionen: Rearadmiral Sir Chichester (Gibraltar). Rer-
admiral Bridgeman (Malta). Reserve: Rearadmiral S-
Percy Scott (Malta). Kreuzerdivision en: Rearadmin
Prinz Ludwig Battenberg. Rearadmiral Hononiable S-
Hepworth Lambton.
„Prince of Wales** (Admiralsflaggschifl% gRamillit?"
(Flaggschiff), „Anson**, „Bulwark** (Flaggschiff), .Rcvengt*.
„Empress of India**, „Irresistible" (Flaggschiff Biidgemacf
„Implacable**, „Camperdown**, „Devastation", JSalta:*.
„London***, „Queen*** (vom Kanal wieder zurückbeordft.
„Hood"*, „Cäsar***, „Excellent"*, „Venerable«* .Fcm-
dable*** „Defiance***, «Repulse***, „Royal Oak*** ^Hanr-
bal*** „Malta***, „Royal Sovereign«*. (,,Cäsar*^ seh n
Kanal, Kreuzer „Niobe**, heut Flagpchiff Gambiers. R(^'
serve, „Repulse*« „Oak**, „Defiance**). ^Nüc**, «Trafen
2. Kreuzerdivision (Korfu): „Drake** (Flac--
schiff), „Comwall**, „Cumberland**, „Bahama**, ^.BiäK
Prince**, „Berwick**, „Niobe**. II. Klasse: „Thesexis'
„Dido***, „Hebe***, „Scylla** (heut Chatam), ^Gibralrnr.
3. Kreuzerdivisin (Port Said): ^Xeviathi:^*
(Flaggschifi). „Lancaster***, „Suffolk", „Camarvon**, -Moc-
mouth** (z. Z. Colombo), „Egmont**, ••Minerva'*. IL KIa5?f :
„Venus**, „Orlando", „Narcissus**, „Undaunted*^. -B^'*
— 659 —
ham^\ Kleinere Kreuzer: „Hasard^S „Saiamander^S
„Scylla", „Charybdis", „Hossar^S „Fortress**, „Fearless"
usw. Destroyers: „Bmizer**, „Foam***, „Boxer***, „Ar-
dent***, „Griffon***, „Dragon***, „Mallard**, „Banshee***,
„Stag** usw. Mnnitions- und Torpedovorratsschiff „Vul-
kan**. Despatch - Vessel „Surprise**. Hospitalschiff:
„Maine**. Torpedodepotschiff „Hekla** (Port Said). 26
Schlachtschiffe, 24 grosse Kreuzer (12 L Klasse).
Kanal (Pl3rmouth, Portsmouth) : Admiral Bowen-Smith,
Adm. Wilson. Vizead. Howe, Drury. Rearad. Gross,
Neville. (Wilson aktiver Admiral, wie Adair bei Reserve.)
„Exmouth** (Flaggschiff Wilsons), „Jupiter** (früher
(Malta), „Swiftsure**, „Resistance**, „Redoutable**, „lUustri-
ous", „Victorious***, „Barfleur***, „Cambridge**, „(Goliath***,
„Triumph** (früher Clydedivision, Schlachtschiff I. Klasse
1904)» „Hibemia** (dito 1906), „Indus**, „Britannia**, „Pre-
sident** (ersteres 1906 als Schulschiff, letzteres als Kästen-
panzer bei Dartmouth und Schottland ausrangiert), „Maje-
stic***, „Glory***, „Albemarle**, „Rüssel***, „Cornwallis**.
4. Kreuzerdivision: „Good Hope** (Flaggschiff
Nevilles), „Devonshire**, „Euryalus**, „Sutlej** (früher
China), „Essex**, „Donegal** (alle I. Klasse neuesten Typs).
„Hawke**, „Edgar**, „Latona**, „Juno**, „Ariadne***,
„Endymion**, „Europa**, „Research***, „Argus***, „Blake**,
„Impregnable**, „Terrible** (Flaggschiff Cross*)*, „Hermi-
one**, „Thames***, „St George***, „Pembroke**, „Wallaroo**
(bis 1906 Australien), „Furious***. Kleinere Kreuzer: „Le-
ander**, „Terror**, „Gladiator**, „Topaze**, „Petroleum**.
Destroyers: „Havock**, „Boyne**, „Ouse**, „Colne**,
„Kaie**, „Lee**, „Success**, „Blackwater**, „Bittem**,
„Gipsy**, „Roebuck**. („Hawke**, der jedoch stets als grosser
Kreuzer galt, „Edgar**, „St George** angeblich noch unge-
panzert). 20 Schlachtschiffe, 24 grosse Kreuzer ( 10 L Klasse).
K. B. „Dryad", „Blazer**, „Bustard**, Shoreship „Reggis**.
Nordsee (Ros3rth, Clyde) Admiral Sir H. L. Pearson,
Höchstkommandierender im Norden. Vizead. Mann,
Rearad. Campbell, Henderson, Winsloe. „Captain**,
„Valiant**, „Active**, „Thunderer**, „Glasgow**, „Coura-
geous**, „Duncan** (früher Malta), „Remarquable**, „Re-
nown**, „Dreadnought** (Kapitän Bacon vom „Irresistible**).
42*
— 660 —
I. Kreuzerdivision: »Jnvincible»* (Typ oberstes
Ran|3[e8), „Natal**, „Minotani**, «.Gloncester (aDc Tkr
allererster Klasse), »J-eicestershire***, „Olympia-, «Lös-
dondeny**, „Imperieuse^, „Polyphem'*, ^chater. J^
gyll", ^partiate", „Powerful" (Typ L Klasse), ^trim-.
„Roxburgh", „Hampshire^ „Gräften**. Transportmanoe-
schoner „Philomela**, Riesendampfer „LnsitaDJa** (3S00:
Tonnen, 25 Knoten). Depotschifl „Tyne", Spcc ,.Heani-
1. Permanente Flottille: ,;Saphii**. KreBier.
Flaggschiff Winsloes. Kleinere: ,,Siiias% «Hyamtii".
„Circe**. Destrojers : „Gossamer**, , Jason**, „Flybig Fish-.
„Contest**, „Doon**, „Teazer**, »,Chee^weIl^ ,.Garn-.
„Vulture**, „Ribble**, »Jtecruit**, „Dee^ „Exe**. -Sör.
„Brazen", „Eden«, „Vixen", ,,Ferret",„Da8her*,,Siiapper.
„Hörnet«, „Racer«. Scouts: „Pathfinder«, .Forward* ns».
IG Schlachtschiffe, 18 Kreuzer (12 L Klasse).
Reserve (Sheemess^Chatam- Devonport). Admiri
Beaumont Rearad. Adair (früher Malta) und GamHe
„Resolution*** (Flaggschiff), „Albion^ „Colossns-, ^CaD>
pus**, „Ocean**, „Magnificent**», „Dominion***, „Mair.^a
ward VIl.**, „Vengeance** (reformiert, 19 Knoten)*. S\^-
tory**, „Commonwealth***, „Prince Geoi^e", „Ccntorior
2, Permanente Reservedivision undFlottiUc
Kreuzer „Talbot", „Argonaut**, „Abukii**, „Vindictire-
„Bedford**, „Hogue** (bis 1906 Westindien). TL Klasse
„Doris**, „Thetis** (bis 1906 Port Said), J[phigellia^ Jsr
(bis 1906 Malta, Kadettenschiff), „Blenheim^ ,3achani "
„Cynthia**, „Cygnet**. Destroyers: „Opossum«, S^okv.
,Lynx**, „Chelmer**, „Greyhound**, Swordfish-, -Mj^*
midon**, „Bat**, „Ure**, „Wear**, „Mermaid^ Jto>-
„Wolf*, „Sunfish**, „Rother**, „Salmon**. Toipcdoscha.-
schiff „Actäon**. „Bonadventure** (früher Kreuzer in Cto
Depot for Submar. „Vivid***. Surveying Vessei ^Tritor
Scout„Skirmisher**, „Foresight«. Panzer „Hindostan-.-N^*
Zealand**, „Afiica** entsendet Kreuzer „Forth- br
Destroyers. 17 Schlachtschiffe, 17 Kreuzer (7 1 1^^^
Atlantic (4. Cruiser) Squadron (Kingston. Ber-
mudas, Halifax, Newfoundland Fishery). Admiral >^
Bosanquet Rearad. Sir Egerton.
Kreuzer „Royal Arthur« (Flaggschiff, früher Kani«
— 661 —
^Highflyer^ (früher Kadettenschiff, Kanal), „Brilliant^,
^Dakeof fidinbnrgh** (Neafandiand), „Camberlan*', ^^lora",
..Arrogant**. — „Amethystes „Sappho*' (Neafandiand, deta-
chiert nach Chatam), „Diamond''. Sarveying Vessels:
„£geria'', ^Sphinx^ („Arthar", „Highflyer" angeblich noch
angepanzert}. Nenerdings „Earyalas*' Flaggschiff„Thamar^.
AsiaticandEast-India-Sqaadron. Vizeadmirale
Sir Edgar Poe and Sir A. Moore. Kreazer „Hermes**
(FlaggschifiF), „Indefatigable** (Singapore, arsprünglich zar
4. Division gehörig), „Perseas^ (East-India), „Andromeda"
„Asträa«, „King Alfred« (FL-Sch. Moores), „Kent*** „Fox«*
(Aden), „Proserpina", K.B. „Robin*% „Redbreast**, „Thistle**,
„Britomart**, „Bramble**, „Lapwing** (Shangai), „Dwari**.
Despatch Vessel: „Alacrity**, Sloops „Clio**, „Cadmas**.
Aastralien. V.-A. Sir Wilmot Fawkes. „Prometheas**
(Sidney)*, „Calliope", „Challenger" , „Pioneer** (beide
Melboame), „Taalanga** (Melanesien), „Kangaroo**,
„Psyche**, „Pegasas**. Kleinere Kreazer: „Pandora**, „Am-
phitrite**, „Amazon**, „Äolas**. Sloop„Shearwater"(Victoria).
Heat „Powerfiil**, Flaggsch., „Äolas**, „Amphitrite** Kanal.
Cape of Good Ho pe-Sqaadron (Kapstadt). Rear-
admiral Damford. „Crescent** (FlaggschiilO , „Peloras»*,
„Forte**, „Niger**, „Ganges**, „Terpsichore** (Sansibar),
Wachtschiff „Goldfinch** (Dakar).
Fern. Kreazer: „Cochrane", „Magician**, „Medasa**,
„Agamemnon**, „Fireqaen**, „Cressy**, „Diadem**, „Diana",
„Kestrell**.— „ Vigilant**, „Sylvia**, „Zephir**, „Rinaldo**, „Val-
tare**, „Aran**, „Daneddin**, „Rivaz", „Thorne**, „Tene-
dos**, „Cormorant**. Scoats „Adventare**, „Attentive**, De-
stroyer „Indastry**, „Ettrick**, „Eme**, „Spanier**, „Weiland",
„SeaguU**, ,Jad**, „Falcon**, „Kennet**, „Osprey**, „Affrid".
Nene Schliffe von 1906: Monstreschiff „Dread-
noaght**, vier andere gleichen Typs beschlossen. „ H i b e r -
nia", Kreazer „Minotaar**, „Forth**, „Natal**
(14 000 Tons). 1905 : „ E a r y a 1 a s **, 6 Typ „Devonshire**,
9„Kent**. Klasse „Edward VII.**, „Dominion**, „Common-
wealth**, „Hindostan**, „New-Zealand**.
Alte Schiffe: „Britannia**, „CoUingwood** , „Asia**,
„Inconstant**, „Northamberland**, „Bellerophon** als aas-
rangiert, wahrscheinlich za Küstenpanzem amgeformt
— 662 —
In Auktion verkauft als Schiffe UL Klasse: ,^apeit'.
,,Amphion^S„IronDnke*% Kreuzer ,4>anae^, ,4-eda**,«Piir
„Vincent^, „Ringaroma*^ und 5 Kanonenboote L Klasse.
Kustenpanzer: ,Julia** (Clyde), z.Z. auch .J^rcs-
dent«" (Schottland), „Britannia'SKreuzeT^Espiegle^ (Kanal.
Im glänzen zuizeit 73 oder 70 Linienschiffe (eikh-
sive ,Jndu8^, „President^, „Britannia*'), ixo grosse Kies*
zer von 5— 14000 Tonnen. Angabe in nenen deatsches
Fachwerken 55 Linienschiffe, 82 grosse Kreuzer, 1720Q00
Tonnen ist schon heut veraltet, überholt BemanDuiu:
dürfte mit 95 000 für Linienschiffe und grosse Kreoie:.
S5000 für alle kleineren Einheiten nicht zu hoch bemessec
sein. Nach neuester Verordnung haben nur die Schlacb:-
schifle I. Klasse („Triumph«, „Edward VU.'O imd Kiea
zer I. Klasse Detachements der Royal Marine Aitüleiy.
alle anderen bedient von Royal Marine Light Isfaniry.
während früher erstere nur f^ Schlachtschiffe, letztere
für alle Kreuzer in Betracht kam. Viele neue Kreoiei
mit 4 und noch mehr „power-worked*'- Geschützen tob
mindestens 9,2 Zoll sind stärker als ältere Schlachtschid^e
daher obige Umwandlung. Wenn man bcdenkti d^s
nach neuester Berechnung jeder englische Infanteris:
jährlich, in deutsches Geld umgerechnet, 1150 Hark da-
heim, 1500 in Indien kostet, jeder Kavallerist 1260 qs<^
1650, jeder Pioneer 1550, jeder Fuss- und reitende Ar-
tillerist 1 180—1300, 1600— 1740 Mark, so mache man sich
von den unerschwinglichen Kosten einen Begriff, die em
englische See- und Landmobilisiemng erfordert
Bei ,Dreadnought* und seiner Klasse (19000 Tonnen
sind statt zehn 30 cm von uns je ein 34, 40, 42 cm angenom-
men, was gesteigerter Anforderung besser entspricht ose
durch Wegfallen von fünf 30 cm ausgeglichen werden kans-
Jedes Geschütz Afterturret wiegt angeblich 100 Tonnen
Rotgestrichener Schornstein (war-paint) z. B. ,ßtdhT^'
Commander of Portsmouth: V. Ai Douglas. Super-
intendent of Dockyards: R. Ad, Barry. Deputy-Adja;
Gen. of R. Marines: Lieut Gen. Wright Inspectoi 0
Target Shooting: R. Ad. Scott Überzählige Aäsm^
Sir Seymour, Harris, Bridge, Fitzgerald, Frecmantk
Pensioniert: R. Ad. Barrow,Bearcroa, Mac GiU Cochnue.
iS
t
— 663 —
Nea ernannt: R. Ad. Field, Tudor, Inglefield. Controller
of the Navy: Capt Jackson. Chief Officer of Coastguard:
Blackmore. Constmctive Manager: Crocker. Depot:
Commodore Fisher. Oberintendant Barlow.
Schiessrecord : bei „Drake^^ Record in Coaling: „Ar-
gonaut*^ (53 Tons per Stande, normal 23 „Resolution*').
Kohlenbedarf för Manöver: 600000 Tons. Instraktions-
schiff : „Renown" (Commodore Tyrrowith) statt „Revenge**.
Dolmetscher för deutsch: Major Kappy bei „Eurya-
lus" usw. Drahtlose Telegraphie : „Garry** usw. Torpedoschul-
schiff: „Vemon''. Portsmouth: Forts Noman, Blockhouse,
Coaldepot C. 1. Sheemess: Schiessschulschiff „Cam-
bridge". (Auch „Defiance", „Endymion".)
Gescheitert: „Montague** (14 200 Tonnen, 1 9 000 Pferd e-
kraff , Kosten 30 Millionen, Bauzeit 5 Jahre). Schiffbau-
statten: Yarrow's Poplar Works usw. Neueste Typs:
Coastguard-Destroyers „Gadfly". Scouts mit iVa Zoll
Panzer, zehn 12-, acht 8-Pfundem, zwei Untertorpedo-
ausstossrohren, 25 Knoten. Im Bau: Kreuzer „Shannon^,
,.Defence", 27000 Pferdekraft, 6— 10 -zölliger Panzer^ 14
Barbettegeschätze, 18 Zwölfpfander „quick fire*'. 5 Maxims.
Neueste französische Schilfe 1906.
„Michelet^S „Renan'S grosse Kreuzer. Im Bau:
„Danton'* (18000 Tonn. 19 Knot 4 ä 30, 12 a 24 cm,
1 6 Schnellfeuergeschütze). Zum Bau befohlen : „Voltaire".
..Mirabeau", „Condorcet**, „ Vergniand". Letztgeschaffenes
Torpedoboot: 362 („Flottille de l'Oc^an, Flottille des Mer
de Chine"; 1902 erst 200 Torpilleurs). Gesunken „Farfadet".
Spezialitat: Avisotorpilleur „Rance", Mission Hydro-
graphique^Madagascar. Bassin far Schiffsmodelle, schwim-
mende. Schiessscheiben. Telemeter des Major G^rard-
Ameiikasische Marine.
„Boston**, „Chicago" , „Princeton", „Marblehead",
„Lancaster**, „Galveston", „Chattanoga", ..Denver**, „Ala-
bama". — „Charleston", „Oeveland", „Missouri**, „Flo-
rida", „Texas**, „Bennington". — „Independance**, „Con-
stellation", „Maine**, „Massachusetts", „Brooklyn**, „Po-
tomac**, „Iowa**. — „Westvirginia", „Pensylvania**, „Mar}'-
land", „Colorado**. — „Illinois", „Indiana", „Kears-
arge**, „Gloucester", ..Kentucky". „Minneapolis**, „Tren-
»»
«»
664
ton**. Kreuzer „Concord**, „Tacoma**, «Monadnok'
,JEagle*', ,,Raleigh**, ,»Marietta*S „Dolphin**, „Jusrir.
„Mayflower**, „Porter**, „Nicholson**, JBlakelef*, ^Dg-
pont**, „Rodgers**, „Des Moines**, „Dubuqne^, Diydock
Dewey**, „Don Juan d' Austria« „Talbot", „Ranger**. Koste :
Nashville**, ,3tockton'*, „Oregon-, „Culgoa", ^Terror.
Hawai: „Wisconsin**, „Ohio**. — „Baltimore**, „Haa-
cock**, Kreuzer „Wolverine", „Wabash**. Neu: „Rhode
Island^ „Connecticut**, „Virginia**, ,J-uisiana^ Kreiuer
„Washington**, „New Yersey**, „Tennessee**, Im Ban:
„Delaware** (allerersten Ranges), „Newark**, ,3eveni-.
„Columbia**. Ganz neu: „Greorgia**, 26 Knoten. Amdlian
Transports: „Brutus**, „Cäsar**, „Glacier*. DestroTers:
„Dixie**, „Rainbow**, ,3aiTy**, Bainbridge**,„Scncca-, „Nm-
gehow**, „Preble", „Perry**, „Arkansas**, ,,Na>ada"„JLoois^
Experts drahtloser Telegraphie : Lieut Commaoders
Kaiser und Robinson. Neue Flottenstation: Ca>ite.
Patriotische Neuerung: Ehrenbezeugung jedes SchiSs,
das Mount Vemon (Washingtons Haus) passiert.
Neueste Vorlage: Nur ELreuzer in Asien, alle
Schlachtschiffe „als enorme Flotte** im Atlant Meer
zusammenziehen, alsogegenEuropaü Warum wohl :.
Verhältnis für 1908: 50 englische Schiffe nid:
älter als 16 Jahre. 32 erstklassig gegenüber 13 Deutsch-
land, 8 Frankreich, angeblich 19 Amerika.
Ital. Marine. Im Bau: „Roma**, „Napoli**, „Marco**,
„Giorgio", 20 Torpediere Typ „Orione", „Pegaso", ^CigBö-.
„Alcione", Subm. Typ „Otaria**, „Tricheco**, .»NarraJoi^.
Ausrangiert: „StromboH", „Messaggcxo", ,,Archiinc<ic''-
Österreich. Küstensch. K. B. „NautUuA*', ^Albatros"
usw. Schweden. Panzer „Dristigheten** usw. JUmemBxt
Kreuzer „Hekla** usw. Norwegen« K. B. »«Sleipoer".
Anmerkung. Bezüglich des französischen £in^^
in Kanton Basel ist die neue strategische Elsaß -Bahn
Cemay-Dannemarie gegenüber Delle mitberechnet
Rhein. Jäger sonst Schlettstadt, Mecklenb. Colmar.
Hessendarmstadter (S. 116} als wiederformiert ange-
nommen. (S. 143 Z. 26 lies „Brigade** statt „Division'
„Ers. Wacht**, „Danzig**, „Königsberg** im Text aiKio^
getauft
i
HARVARD LAW LIBRARY
FROM THE LIBRARY
RAMON DE DALMAU Y DE OUVART
MARQUES DE OLIVART
Received December 31, 191 1
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