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Full text of "Völker Europas ... ! Der krieg der zukunft"

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(^äoSj 


VÖLKER  EUROPAS...! 

Der  Krieg  der  Zukunft 


UÖLKER 
EÜROmSJ 


Der  Krieg  der  Zukunft 


von  *  •  * 


Erstes  bis  fünfzehntes  Tausend 


BERLIN 

VERLAG  von  RICH.  BONG 


Überaetsuagtrecht,  aowie  alle  anderen  Rechte  vorbehalten. 

Published  Jone  30,  1906.    Privilege  of  copyri^  in  the  United  State«, 
reserved  ander  the  Act  approved  Ifarch  3,  1905  by  Rieh.  Bong 


Druck  von  C.  Grumbach  in  Leipzig. 


Maisonne  glitzerte  über  Kreidefelsen,  Schloss  tind 
Strandbatterien,  wo  ungewöhnlich  reges  Leben  sich 
tummelte,  glänzte  weit  überm  schmalen  Meerstreifen 
nach  Calais,  wo  auf  den  sonst  so  verkehrreichen 
Wellen  eine  merkwürdig  abgestorbene  Öde  herrschte. 

Am  Hafenpier  von  Dover  standen  zwei  statt- 
liche Herren,  allein  und  ohne  sonstige  Begleitung. 
Die  Hafenoffizialen  hatten  ihnen,  die  Hand  an  der 
Mütze,  das  Feld  geräumt  und  den  ganzen  Um- 
kreis für  Publikmnverkehr  auf  eine  halbe  Stunde 
abgesperrt.  Wo  sonst  bei  Ankunft  jedes  Dampfers 
vier  Schnellzüge  nach  den  vier  Londoner  Haupt- 
stationen dicht  am  Strande  bereit  stehen,  so  hier 
ein  einzelner  Expresszug,  auf  den  Schienen  dicht 
zur  Landungstreppe  herangeschoben,  nur  Lokomo- 
tive und  Salonwagen.  Man  erwartete  offenbar  einen 
nicht  im  Fahrplan  angemeldeten  Spezialdampfer,  des- 
sen schwarzer  Rauch  bereits  über  der  blauschillem- 
den  Flut  dch  anmeldete,  und  dessen  Schornstein 
am  Horizonte  sich  abhob,  als  die  Fahrt  mit  Windes- 
schnelle  sich  näherte. 

„Sie  müssen  gleich  hier  sein."  Der  eine  Gentle- 
man steckte  die  Uhr,  die  er  soeben  zu  Rate  zog, 

Völker  Europas  .  .  .1  I 


—     2     — 

gemächlich  in  die  Tasche.  „Pünktlich  ohne  Verspä- 
tung. Selten  bei  Franzosen.  Hoffentlich  ein  günsti- 
ges Omen  für  pünktlichrechtzeitiges  Vorgehen.  Das 
plötzliche  Einrücken  des  19.  Korps  aus  Algier  nach 
Marokko  war  ein  hübscher  Streich,  doch  die  eben- 
so plötzliche  Kriegserklänmg  Deutschlands  daraufhin 
binnen  zwölf  Stunden  paralysierte  die  Uberraschimg. 
Unsere  langatmige  Parlamentsdebatte,  alle  Stinmien 
gegen  Radikale,  Arbeiterpartei  und  Iren,  kostete 
auch  Zeit." 

„Die  Mobilisierung  ist  in  vollem  Gange,  wie 
Depeschen  von  Brest  und  Toulon  bei  den  ,Horse- 
guards'  einliefen,"  erwiderte  der  andere,  dem  man 
den  Militär  ansah.  „Beiläufig  ist  schon  heut  hier 
Befehl  gegeben,  dass  die  Strecke  Calais — Dover  für 
Passagierverkehr  gesperrt.  Morgen  wird  Dover  in 
vollem  Verteidigungszustand  sein.  Unsem  Kauf- 
fahrteischiffen in  allen  Zonen  ward  schon  gestern, 
teils  vom  Marineamt,  teUs  von  Lloyds  her  priva**, 
die  entsprechende  Warnung  und  Weisung  gekabelt. 
Die  Deutschen  haben  in  der  Mobilisienmg  schon 
starken  Vorsprung,  doch  sie  haben  dies  vielleicht 
verabsäumt,  ein  Tag  kann  einen  Unterschied  für 
das  Schicksal  ihrer  Dampferlinien  machen.  Und 
wo  sollen  die  Dampfer  des  Norddeutschen  Lloyd 
denn  neutrale  Häfen  anlaufen?  Was  ist  neutral? 
Wladiwostok,  Nagasaki,  San  Francisco,  New  Or- 
leans oder  gar  Odessa,  Genua,  Barcelona,  Antwerpen, 
Amsterdam?  Lauter  zweifelhafte  Neutralitäten  in 
einem  Deutschland  schwerlich  günstigen  Sinne  oder 


—     3     — 

wenigstens  jeden  Augenblick  durch  unsere  alliierten 
Flotten  gefährdet.  Nach  Montevideo  oder  Buenos 
Ayres  können  doch  nicht  alle  flüchten/* 

„Da  gehen  Sie  viel  zu  weit.  Nordamerika  bleibt 
sicher  neutral,  und  in  dortige  Gewässer  dürften  im- 
sere  Kreuzer  wohl  schwerlich  sich  hinwagen.  Un- 
sere Vettern  drüben  haben  gegen  tms  einen  alten 
Famüienzank.  Gnade  uns  Gott,  wenn  sie  jetzt  dies 
Gespenst  aus  der  Blaubartkanuner  holen  I** 

„Bs^i  Blut  ist  dicker  als  Wasser.  Ich  baue 
fest  auf  die  verwandtschaftliche  Gesinnimg  der 
Angelsachsen  drüben.  Der  Washingtoner  Senat 
kann  unmöglich  damit  zufrieden  sein,  dass  die  Teu- 
tonen uns  über  den  Kopf  wachsen  oder  wenigstens 
dem  gottgewollten  Welttriumph  der  Angelsachsen 
beider  Hemisphären  einen  Strich  durch  die  Rech- 
nimg machen.  Man  wird  vielleicht  beim  Friedens- 
schluss  etwas  Kompensation  verlangen,  etwa  Ja- 
maika —  fort  mit  Schaden  1  — ,  aber  unsere  Nieder- 
werfung des  frechen  deutschen  Konkurrenten  als 
einen  Erfolg  in  eigener  Sache  mit  Jubel  begrüssen." 

„Gott  segne  Ihren  Optimismus  I  Und  die  starke 
deutsche,  vor  allem  die  so  vielfach  dominierende 
irische  Bevölkerung  drüben,  die  so  überaus  ein- 
flussreich bei  Wahlen  und  Verwaltung  ?  Ich  füicht\ 
ich  fürchte,  die  alten  Fenier  werden  die  Gelegen- 
heit benutzen,  uns  in  Irland  Unheil  anzurichten  und 
das  Homerule-Banner  mit  radikalster  Losreissungs- 
parole  zu  entfalten." 

„Ach  wasl    Die  Zeiten  von  Emmett  und  Grat- 
is 


—     4     — 

tan,  ja  selbst  von  Pamell  sind  vorüber.  Ein  paar 
nationalenglische  Regimenter  und  orangistische 
treue  MilizfreiwUlige  genügen  heut,  die  Ordnung 
aufrecht  zu  erhalten.  O  über  die  ewigen  Bedenk- 
lichkeiten der  Herren  Politiker!  Wir  Soldaten  sind 
Optimisten  von  Beruf,  sonst  könnten  wir  nicht  dreist 
und  gottesfürchtig  unsere  Arbeit  tun,  und  damit 
konmit  man  am  weitesten.  Irland  könnte  uns  einzig 
Ungelegenheiten   machen   mit   Hilfe   Frankreichs." 

„Hm,  ja,  unsers  heutigen  teuren  Verbündeten!" 
Der  Zivilist,  Mitglied  des  Kabinetts,  räusperte  sich 
leicht.  Beide  Herren  tauschten  unwillkürlich  mi- 
nutenlang einen  eigentümlichen  Blick  aus.  Sie  ver- 
standen sich  vollkommen.  „Lassen  wir  das!  Jeden- 
falls wird  Rücksicht  auf  die  deutschen  und  irischen 
Volksmassen  der  Union  recht  lebhaft  deren  Stel- 
lungnahme beeinflussen.  Nim,  aus  der  Schlusskonfe- 
renz der  Neutralen  heut  abend  werden  wir  ja  ent- 
nehmen, ob  Amerika  sich  zu  absoluter  bedingimgs- 
loser  Neutralität  bekennt  oder  sich  Hintertürchen 
offen  lässt.  Desgleichen  Japan.  Mein  Kollege  auf 
der   Konferenz   ist   bisher   wenig   befriedigt." 

„Die  Kerle  werden  gar  zu  frech!"  stiess  der 
Militär  zwischen  den  Zähnen  hervor.  „Meinem  Ge- 
fühle nach  hat  man  England  noch  nie  solchen 
Affront  zugefügt,  wie  damals,  wo  Kriegsminister 
und  Parlament  in  Tokio  öffentlich  unsre  kriegerische 
Leistungsfähigkeit  in  Zweifel  zogen.  Dafür  haben 
wir  imsre  glänzende  Isolierung  aufgegeben  und  uns 
mit  den  gelben  Teufeln  verbündet?!  Schöner  Dank 


—     5     — 

für  unsre  Herablassung  I    Na,  jedenfalls  decken  sie 
uns  den  Rücken  gegen  Russland." 

,Jst  zurzeit  unnötig,  weil  ungefährlich.  Dies 
war  eigentlich  mein  Hauptgrund,  für  sofortigen  . 
Krieg  gegen  Deutschland  zu  stimmen.  Solche  Welt- 
lage kommt  nicht  wieder,  die  russische  Revolution 
verschol)  das  europäische  Gleichgewicht  so  sehr  zu 
unsem  Gunsten." 

„Der  gnädige  Gott  hilft  immer  seinem  England  1" 
Der  Militär  strich  sich  feierlich  den  Schnauzbart  mit 
salbungsvollem  Stolz.    Der  Minister  lächelte  leicht: 

„Dies  erhebende  Gefühl  sollte  uns  aber  nicht 
abhalten,  die  grösste  Vorsicht  zu  beobachten.  Der 
Himmel  hilft  immer  dem,  der  sich  selber  hilft.  Sehr 
gerecht  1  Wir  traurigen  Berufspessimisten,  das  heisst 
Staatsmänner,  rechnen  vor  allem  nüt  der  Schlech- 
tigkeit der  menschlichen  Natur  und  hier  der  japani- 
schen insbesondere.  Wichtiger  als  Zukunftsträimie 
über  Garantierung  von  Indien  wäre  ims,  wenn  Japan 
uns  statt  dieser  Taube  auf  dem  Dach  heut  den  ein- 
fachen Spatzen  schenkte:  nämlich  unser  Bündnis 
so  auffasste,  dass  es  gegen  Deutschland  in  Ost- 
asien oder  Samoa  und  Marschallsinseln  aktiv  wird. 
Das  wenigste,  was  die  Japs  tun  können,  ist  Ver- 
pflichtung, die  europäische  Polizei  über  China  zu 
üben   im   Falle   dortiger   Unruhen." 

„Dort  ist  ja  alles  ruhig,  die  Gesandtschaften 
berichten  so  übereinstimmend,"  wandte  der  Militär 
ein.  „So  viel  Vertrauen  hab'  ich  doch  noch  zu 
unsrer  Diplomatie  .  .  obschon  .  ." 


—     6     — 

„Vor  dem  letzten  Boxeraufstand  klang  es  ähn- 
lich/' brummte  der  Minister.  „Falls  Japan  auf 
nichts  Bindendes  eingeht,  müssen  wir  unser  ost- 
asiatisches Geschwader  dort  belassen  imd  ebenso 
das  atlantische  zwischen  den  Antillen  imd  Kanada, 
zum  Schutze  des  Seehandels  gegen  deutsche 
Kaper,  Aufbringung  von  Schmugglern  imd  — 
ohne  es  offen  einzugestehen  —  weil  man  nie 
wissen  kann,  wie  sich  Amerika  zur  Lage  stellt, 
wenn  der  Seekrieg  sich  lange  hinzieht!  An- 
fangs dürfen  wir  auch  schwerlich  imser  Mittelmeer- 
geschwader wegziehen,  weil  Italiens  Haltung  nicht 
vöUig  geklärt." 

„Ich  denke,  sie  sei  klar  genug,  es  sei 
geheime  Garantie  geboten,  Konvention  abgeschlos- 
sen, dass  — " 

„Konvention  ist  zu  viel  gesagt,  solange  münd- 
liches Pourparler  nicht  zu  Papier  gebracht.  Schon 
anstandshalber,  damit  man  in  Berlin  und  Wien  nicht 
sofort  über  Italiens  Absichten  unterrichtet,  müssen 
unsere  Schiffe  offiziös  vor  Spezzia  und  Neapel  kreu- 
zen, als  gelte  es,  Italien  einzuschüchtern.  Dass  es 
Neutralität  zusicherte,  begreift  sich  aus  eigenstem 
Interesse,  doch  wohin  sich  dies  Interesse  ferner 
wenden  imd  wozu  sich*s  aufschwingen  wird,  das  lässt 
sich  trotz  aller  privaten,  uns  angenehmen  Winke  doch 
nur  vermuten.  Vorerst  sind  jedenfalls,  um  Ihre 
frühere  Frage  zu  beantworten,  russische  und  italie- 
nische Häfen  neutral,  niederländische  auch." 

„Letztere  Herrlichkeit  wird  nicht  lange  dauern  1" 


—     7     — 

lächelte  der  Militär  grimmig.  ,,Ah,  da  sind  unsre 
Herrschaften  !'* 

Der  Dampfer  hatte  sich  mittlerweile  dem  Lan- 
dungspunkt inmier  rascher  genähert  imd  angelegt. 
Drei  Herren  entstiegen  ihm  imd  grüssten  die  ent- 
gegeneilenden beiden  Engländer.  Der  Dampfer  blieb 
liegen,  imd  rascher  Meinimgswechsel  zwischen  dem 
französischen  Kapitän  imd  dem  britischen  Hafen- 
offizialen  ergab,  dass  das  Schiff  morgen  früh  mit 
den  französischen  Herren  wieder  in  See  stechen  werde. 

Unter  gegenseitiger  Begrüssung,  deren  anschei- 
nende Herzlichkeit  eine  gewisse  Zurückhaltimg  nicht 
ausschloss,  stellte  man  sich  gegenseitig  vor.  Neben 
einem  jüngeren,  süsslich  lächelnden  Diplomaten, 
Sendling  des  Quai  d'Orsay,  befand  sich  hier  ein 
Bevollmächtigter  der  Rue  St.  Dominique,  ein  ele- 
ganter schneidiger  Oberst  vom  Generalstab,  dem 
man  den  Zögling  von  St.  Cyr  und  Jesuitenschule 
förmlich  vom  Gesicht  ablas,  und  dessen  bretonischer 
Name  und  langer  Adelstitel  deutlich  besagte,  dass 
er  zu  jener  in  der  Armee  mächtigen  und  der  repu- 
blikanischen Regierung  verdächtigen  Generalstabs- 
clique gehörte,  die  heimlich  mit  Royalismus  lieb- 
äugelt, klerikal  bis  in  die  Knochen.  Jetzt  in  der 
Stunde  nationaler  Gefahr  schwiegen  natürlich  die 
Parteizwiste  innerhalb  des  Offizierskorps,  oder  sie  soll- 
ten es  wenigstens,  jeder  musste  an  die  Stelle  treten, 
wo  man  ihn  brauchte,  ohne  nach  seiner  Partei- 
gesinnung zu  fragen.  Das  hinderte  aber  nicht,  dass 
der    alte    General,    weisshaarig    mit  bronzebrauner 


—     8     — 

Wange,  die  längen  Dienst  unter  afrikanischer  Sonne 
verriet,  als  Haupt  des  delegierten  Kleeblatts  sich 
stets  in  gemessener  Kühle  von  dem  Generalstäbler 
absonderte  und  letzterer  diese  Entfremdung  gleich- 
falls  markierte. 

„Wir  sind  Ihnen  unendlich  verbunden,"  ver- 
sicherte der  britische  Militär,  sobald  man  den  Extra- 
zug bestieg  und  dieser  mit  rasender  Geschwindigkeit, 
wie  sie  auf  der  Küstenstrecke  der  London-Chatam- 
Dover  Railway  üblich,  nach  Charing  Gross  dahin- 
rollte.  „Die  Grundzüge  unserer  gem^samen  Ope- 
ration sind  ja  schon  früher  festgestellt,  aber  ge- 
wisse Einzelheiten  zu  vereinbaren  schien  angezeigt. 
Deshalb  erbaten  wir  persönUche  Gegenwart  von 
autoritären  Vertrauensmännern." 

„Wir  danken  verbindlichst,  dass  Sie  unserer 
Einladimg  folgten,"  fügte  das  Kabinettsmitglied  offi- 
ziös hinzu,  indem  er  seinem  französischen  Kollegen 
die  Hand  drückte,  „imd  empfinden  es  als  sinnige 
Aufmerksamkeit,  dass  gerade  Sie,  früher  als  Attache 
unter  uns  weilend  imd  mit  englischen  Verhältnissen 
so  wohl  vertraut,  zu  dieser  ausserordentlichen  Mis- 
sion erwählt  wurden." 

„O,  wir  kommen  sehr  gern,"  betonte  der  alte 
General  nicht  ohne  eine  gewisse  Schärfe.  „Denn 
gerade  wir  bedürfen  genauerer  Stipulierung  über 
Ihre  Expedition  nach  Antwerpen  und  Rotterdam, 
sowie  etwaiger  Truppentransporte  nach  Galais  tuid 
Boulogne." 

„Gewiss,  gewiss  I"   Der  britische  Militär  unter- 


—     9     — 

drückte  einen  Hustenanfall,  als  sei  ihm  bei  seiner 
überhasteten  Versicherung  etwas  in  die  unrechte 
Kehle  gekommen.  „Das  werden  Sie  alles  tabellarisch 
in  meinem  Bureau  verzeichnet  finden.  Wir  unserer- 
seits möchten  um  Auskunft  bitten,  ob  Ihre  Aktion 
aus  Flandern  uns  via  Antwerpen  vorarbeiten  wird." 

„Wie  Sie  es  überhaupt  mit  der  Neutralität  der 
Niederlande  halten?**  redete  der  Minister  hastig  auf 
den  französischen  Diplomaten  ein.  „Und  ist  Ver- 
letzung des  Schweizer  Territoriums  unumgänglich 
nötig?  England  ist  ja  am  Ende  ein  Mitgarant  der 
Schweizer  Unverletzbarkeit,  imd  es  ist  uns  peinlich, 
den  Sommeraufenthalt  unserer  britischen  Touristen 
ztun  Kriegsschauplatz  umgewandelt  zu  sehen,"  suchte 
er  einen  Anfall  humoristischer  Laune  hervorzukehren. 

Der  Franzose  lächelte  höflich: 

„So  schmerzlich  wir  es  empfinden,  britischen 
Ladies  und  Gentlemen  ihre  Sommerfrische  zu  ver- 
leiden, werden  wir  leider  diese  Störung  verursachen." 

„Die  Flankierung  der  Linie  Strassburg-Metz 
durch  breiten  AusfaU  über  Belfort-Basel  ist  zu  wert- 
voll, als  dass  wir  darauf  verzichten  könnten,"  fiel 
der  Generalstäbler  ein,  der  hingehört  hatte,  indes 
der  General  sich  mit  dem  britischen  Militär  in  er- 
regtes Fachgespräch  vertiefte. 

„Wohl,  da  müssen  wir  eben  konziliante  Formen 
wählen,"  nickte  der  britische  Staatsmann,  „um  das 
Odium  des  Völkerrechtsbruches  von  uns  abzuwälzen. 
Etwa  drohende  Ansammlung  deutscher  Massen  bei 
Basel  — " 


10 


„Wozu  so  viel  Mühel"  versetzte  der  Franzose 
kalt.  „Wir  haben  Beweis  in  Händen,  dass  die  Eid- 
genossenschaft in  Bern  mit  Haut  und  Haar  auf 
deutscher  Seite  steht.  Unsere  Note  ist  fertig:  wir 
beklagen,  dass  mangelnder  Grenzschutz  der  Schweiz 
uns  gebieterisch  zwingt,  selbst  den  Schutz  der  Schweiz 
gegen  Deutschland  zu  übernehmen." 

Während  beide  Diplomaten  nun  eifrig  Notizen 
verglichen,  mischte  sich  der  Generalstäbler  mit  ziem- 
lich arrogantem  Ton  in  die  Unterhaltung  der  bei- 
den höheren  miUtärischen  Würdenträger,  als  wolle 
er  andeuten,  dass  die  Rue  St.  Donünique  (General- 
stab) immer  der  guten  Stadt  Oran  (Algierisches 
Generalkommando)  vorgehe  und  selbst  den  Quai 
d'Orsay  (Auswärtiges  Amt)  mit  ihrer  Autorität  über- 
schatte. In  schnarrend  nonchalantem  Ton  trug  er 
statistische  Fachsimpelei  vor,  schnitt  dem  Afrikaner 
förmlich  das  Wort  ab  und  fand  bei  dem  Briten 
respektvolle  Gegenliebe,  der  als  Aristokrat  sofort 
dem  bretonischen  Standesgenossen  gesellschaftliches 
Vorrecht  einräumte. 

Der  alte  General  aus  Algier  machte  jedoch 
brüsk  den  Auseinandersetzimgen  über  die  „Be- 
deckungstruppen" an  der  belgischen  Grenze  ein 
Ende:  „Das  werden  wir  ja  bald  erledigen,  sobald 
wir  Ihr  Bureau  erreichen  und  dort  das  englische 
Mobilisierungsschema  vergleichen.  Was  mich  be- 
trifft, so  habe  ich  die  Ehre,  vor  Ihnen  zu  stehen, 
weil  der  General-en-chef  der  französischen  Heere 
Sie  über  unsere  Aktion  in  Marokko  zu  unterrichten 


—    11    — 

wünscht.  Hierfür  bin  ich  Sachverständiger  und  gebe 
Ihnen  Aufschlüsse,  um  etwaiger  Mitwirkung  Ihrer 
Flotte  und  jedenfalls  Ihrer  afrikanischen  Besatzim- 
gen  die  richtigen  Etappen  zu  regeln." 

Der  Brite  machte  sozusagen  ein  langes  Gesicht. 
„Unsere  Marine  hat  dort  nichts  zu  suchen,  wir 
schwächen  uns  ohnehin  genug  durch  so  viele  Ent- 
sendungen von  Jamaika  bis  Malta,  von  Port  Said 
bis  Honolulu,  wo  wir  doch  alle  Kräfte  in  der  Nord- 
see konzentrieren  sollten.  Unsere  Garnisonen  im 
Sudan  und  Ägypten  werden  wir  auch  kaum  schmä- 
lern können,  weil  — " 

„So,  sol"  hüstelte  der  General  trocken.  „Was 
mir  bei  Ägypten  einfällt,  Hess  der  türkische  Bot- 
schafter immer  noch  nichts  von  sich  hören?  Ich 
meine,  der  Ihrige  in  London,  denn  der  unsere  in 
Paris  ist  wegen  dringender  Privatgeschäfte  schon 
längere  Zeit  auf  Urlaub  verreist." 

„Der  Pascha  leidet  noch  immer  an  Influenza, 
das  rauhe  nordische  Klima  bt  ihm  nicht  zuträglich," 
wandte  der  Minister,  der  mit  halbem  Ohr  hinge- 
lauscht hatte,  sich  dem  General  zu  und  parierte  den 
wohlverstandenen  verhaltenen  Spott  der  teilnehmen- 
den Frage  nach  dem  Befinden  des  Türken:  „Ach 
beiläufig,  da  Herr  General  sich  erkundigen:  quid 
novi  ex  Africa?,  darf  ich  wohl  fragen:  wie  denken 
Sie  über  Russland?  Ist  Ihnen  jetzt  endlich  näheres 
bekannt  über  die  allerhöchsten  Intentionen  Sr. 
Majestät  des  Zaren?" 

Jetzt  war  die  Reihe  an  den  Franzosen,  betrete- 


—     13     — 

Militär  ein  Telegramm  überreichend:  „Ew.  Lord- 
schaft möchten  sich  doch  gleich  entscheiden  und 
Bescheid  für  Rückantwortdepesche  treffen."  Die  Bri- 
ten entschuldigten  sich  bei  ihren  französischen  Gä- 
sten, um  ihre  Briefschaften  zu  durchfliegen.  Die 
höflichen  Franzosen  verneigten  sich:  „Geschäfte 
gehen  allem  vorl",  beobachteten  aber  heimlich  den 
Gesichtsausdruck  ihrer  lieben  Verbündeten.  Der 
Staatsmann  hatte  zu  oft  Poker  gespielt,  um  nicht  das 
Bluffen  recht  wie  ein  Yankee  zu  verstehen,  aber 
dem  Militär  entfuhr  trotz  seiner  insularen  steifen 
Würde  ein  halber  Fluch.  Beide  tauschten  flüchtig 
einen  Blick  aus. 

„Schlechte  Nachrichten,  hoff  ich  doch  nicht?" 
flötete  der  Elegant  vom  Quai  d'Orsay  mit  öliger 
Stimme. 

„Nicht  grade  dasl  Aber  eine  Überraschimg, 
die  übrigens  ausschliesslich  britische  Angelegen- 
heiten betrifft  1"  winkte  der  Staatsmann  trocken  ab. 
Als  man  ein  Konferenzzimmer  in  Winchester  Palace 
betrat,  fragte  er  an :  „Ehe  wir  die  betreffenden;  schwe- 
benden Punkte  erledigen,  bitte  ich  mich  aufzuklären, 
wie  Sie  eigentlich  gegen  Italien  verfahren  wollen." 

„Bahl"  Der  hochgeborene  Generalstäbler 
machte  eine  wegwerfende  Handbewegung.  „Anstands- 
halber belassen  wir  die  Aipin-Truppen  sowie  Terri- 
torialreserven der  Regionen  Chamb^ry,  Grenoble, 
Arles,  Marseille  an  den  Seealpen  und  lassen  das 
Toulongeschwader  im  Meerbusen  von  Genua  kreu- 
zen.   Das  ist  alles.    Über  Italiens  befreundet  wohl- 


—     14     — 

wollende  Haltung  haben  wir  bündigste  Zusicherun- 
gen.  Das  ist  unsre  Sache." 

„Sehr  wohl.  Auch  von  der  Pforte  haben  wir  lau- 
ter korrekte  Zusagen  unsrerseits,"  versetzte  der  Brite 
gelassen  und  konnte  sich  kaum  enthalten,  scharf 
zu  parodieren :  „Das  ist  unsre  Sache."  Er  fügte  hin- 
zu: „Wie  die  Türkei,  notifiziert  uns  auch  Russland 
die  korrektesten  Sachen.  Ich  bin  entzückt  über  so 
viel  guten  Willen." 

Als  die  Konferenz  beendet  war  und  die  Franzo- 
sen sich  verabschiedet  hatten,  gähnte  der  britische 
Militär :  „Windig  und  falsch  wie  immer,  die  Französ- 
chenl  Wollen  unsre  Hilfe  für  ihr  Marokkogeschäft 
festlegen.  Prahlhänse!  Sahen  Sie,  wie  sie  alle  drei 
aufzuckten,  als  ich  wohlwollend  tröstete,  im  Fall  fran- 
zösischer Niederlage  würde  unser  Hilfskorps  die 
Sache  schon  ins  reine  bringen  ?"  Der  Minister  lächelte 
fein  Eitle  Menschen  können  einander  gegenseitig 
nicht  ausstehen,  Prahler  entrüsten  sich  über  Prah- 
ler. Wo  Gloire  imd  Glory  zusammenstossen,  da 
gibt  es  seelische  Reibung.  „Wie  sie  sich  vor  ims 
mit  Russland  blamieren  I" 

„Natürlich,  das  will  immer  nur  Geld.  Woher 
nehmen  und  nicht  stehlen  1  Schon  Rouvier  verbot 
ausdrücklich  der  Banque  de  France  Anleihen  ans 
Ausland,  solange  der  drohende  Konflikt  nicht  gelöst. 
Nim  bekam's  ja  wieder  neuen  Pump,  doch  der  ge- 
nügt knapp  für  innere  Bedürfnisse,  nicht  für  Kriegs- 
zwecke. Ausserdem  trägt  Russland  es  animos  nach, 


—     15     — 

dass  damals  französische  Behörden  dem  russischen 
Geschwader  Anlauf  en  inSaigun  verweigerten  imd  es 
so  Togo  in  die  Arme  trieben.  Wissen  Sie,  Mylord, 
was  mein  Nachrichtenbudget  soeben  besagt?  In 
kurzen  Worten:  Russland  rührt  keine  Hand,  der 
schwache  Truppenkordon  an  der  österreichischen 
und  türkischen  Grenze  ist  pure  Demonstration,  uns 
Sand  in  die  Augen  zu  streuen.  Unser  Nachrichten- 
dienst funktioniert  zu  gut,  als  dass  hier  Irrtum 
obwalten  könnte.  Dafür  fängt  die  Wühlerei  in  Per- 
sien und  Afghanistan  verdoppelt  wieder  an.  Wir 
müssen  jetzt  ein  Auge  zudrücken,  wenn  Russland 
sich  langsam  vorschiebt  und  im  trüben  fischt.  Und 
nüt  imsem  allzu  teuren  Freunden  in  Tokio  wird 
aus  Petersburg  förmlich  fraternisiert.** 

„Meine  Nachricht  ist  auch  fatal.  Man  verlangt 
Verstärkung  aus  Kapstadt  wegen  drohender  An- 
zeichen allgemeiner  Erhebung.  Ich  habe  sofort  ge- 
kabelt, dass  eine  Division  so  bald  wie  möglich  ab- 
gehen werde.    Neue  Schwächung  T* 

„Ich  habe  noch  andre  Botschaft.  Kaum  for- 
derten die  deutschen  Gesandten  in  London  und  Paris 
ihre  Pässe,  als  sämtliche  britischen  imd  französi- 
schen Schiffe  in  deutschen  und  österreichischen 
Häfen  als  Prisen  mit  Beschlag  belegt  wurden. 
Deutsche  Schiffe  aus  imsem  Häfen  sind,  augen- 
scheinlich längst  vorher  instruiert,  alle  ausgelaufen 
und  auf  hoher  See,  sich  in  neutrale  Wasser  zu  ret- 
ten.   Wir  konmien  zu  spät.*' 


—     16     — 

Als  die  drei  französischen  Delegierten  in  einem 
Privathaus  auf  St.  James*  Square  vor  Schlafengehen 
ihren  Absinth  schlürften,  herrschte  eine  etwas  be- 
klonmiene,   übermüdete   Stinunimg. 

„Ich  weiss  nicht  recht . .  doch  mir  scheint,  als  seien 
Sie  nicht  ganz  zufrieden,  mein  teurer  Generali"  warf 
der  Diplomat  hin,  mit  forschendem,  berufsmässigem 
Seitenblick.  Der  Afrikaner  genehmigte  sich  einen 
Absinth  und  nickte  gedankenvoll,  schwieg  aber. 

„Was  wollen  Sie  denn  weiter?"  brach  der  un- 
geduldige Aristokrat  los,  der  nun  mal  seine  Pike 
gegen  den  guten  Republikaner  nicht  loswerden 
konnte.  „Verzeihen  Sie,  aber  ein  misstrauischer  Rä- 
soimeur  ist  hier  nicht  am  Platze.  Ging  die  Ver- 
handlung nicht  glatt  von  statten?  Herrscht  nicht 
volle  Ubereinstinunung  über  den  Operationsplan  mit 
imsem  englischen  Alliierten?  Alles  in  bester  Ord- 
nung I   Wozu  also  Ihre  Sorgenfalte?'* 

„O,  was  das  betrifft,"  begann  der  Afrikaner 
langsam,  „so  habe  ich  keine  Bedenken  über  die 
gegenwärtige  Augenblickslage.  Wollen  wir  einmal 
den  Revanchekrieg  gegen  unsre  j^iseitsrheinischen 
Nachbarn   führen   — " 

„Was  jedes  echten  Franzosen  einzige  Sehnsucht 
seit  dreissig  Jahren  1"  fiel  der  Generalstäbler  heftig 
und  etwas  giftig  ein.  „Ich  will  nicht  hoffen^  dass 
Sie  in  letzter  Stunde  noch  an  der  Nützlichkeit  tmsrer 
grossen  Unternehmung  zweifeln  1" 

Der  General  sah  ihn  finster  an.  „Und  ich  will 
hoffen,  dass  Sie  einen  provokanten  Ton  vermeiden. 


—     17     — 

Am  Vorabend  des  Nationalkriegs  ziemt  sich  kein 
persönlicher  Zwist." 

„Aber  meine  Herren  1"  beschwichtigte  der  Di- 
plomat. „Was  soll  das  hier?  Am  Patriotismus  des 
Herrn  Generals  zu  zweifeln,  fiel  doch  natürlich  dem 
Grafen  nicht  ein.  Es  lässt  sich  freilich  nicht  leug- 
nen, dass  ein  grosser  Teil  des  französischen  Volkes 
sich  sozusagen  mit  dem  Frankfurter  Frieden  ab- 
fand. Die  ganze  jüngere  Generation  denkt  etwas 
skeptisch,  um  nicht  zu  sagen  zynisch,  über  die  El- 
sässer  Frage.  Doch  Ihr  ,Wenn*  sollte  ja  eine  Er- 
gänzung haben,  als  man  Sie  imterbrach:  Was  woll- 
ten Sie  sagen?" 

„Wenn  wir  Deutschland  angreifen  wollen  — ," 
hob  der  Afrikaner  wieder  an,  doch  diesmal  erhob 
der  Diplomat  selber  Einspruch  mit  verbindlich  ironi- 
schem Lächeln: 

„Pardon,  wenn  mm  auch  ich  Sie  unterbreche 
und  diesen  Verstoss  gegen  guten  Ton  zu  verzeihen 
bittet  Wir  Deutschland  angreifen  1  Nicht  mal  im 
Privatgespräch  dürfen  wir  solche  Wendung  brau- 
chen. Natürlich  sind  wir  die  meuchlings  und  über- 
mütig Angegriffenen!  Wir  nehmen  die  Herausfor- 
derung an,  das  ist  alles  1"  Dass  Frankreichs  jähe 
Attacke  gegen  Marokko  den  Krieg  unweigerlich  her- 
aufbeschwor, musste  möglichst  durch  Flunkereien 
umgedeutet  werden,  als  habe  Deutschland  aus  freier 
Hand  freventlich  den  Vogesennachbam  angerem- 
pelt. Der  Afrikaner  zuckte  die  Achseln:  „Bah, 
wir  sind  ja  unter  uns.  Wozu  Flausen  machen  ?  Wenn 

Völker  EnropM  .  .  .  |  2 


—     18     — 

man  jemanden  boykottiert,  so  greift  man'  ihn  nicht 
au,  aber  zwingt  ihn  zu  Repressalien.  Die  von  Del- 
cass6  inaugurierte  Politik,  deren  Zwecke  wir  fort- 
setzten, hat  völlige  Isolierung  Deutschlands  im  Auge 
und  ist  genau  so  aggressiv,  wie  Louis  Napoleons  ge- 
heime Intrigen  vor  1870.  Unterschied  bei  dieser 
Ähnlichkeit  liegt  nur  darin,  dass  damals  Osterreich 
und  Italien  ihre  Verbindlichkeit  nicht  erfüllten,  weil 
unsre  Niederlage  sich  überstürzte,  während  heut  un- 
ser AUüerter  England  wirklich  die  Walstatt  betritt. 
Offen  gestanden,  zu  meiner  grössten  Überraschung  I" 

„Wie,  Sie  meinen,  England  würde  —  Sie  fürch- 
teten, es  werde  uns  am  Ende  doch  noch  im  Stich 
lassen?"  Der  Diplomat  schüttelte  leicht  den  Kopf. 
„Da  waren  Sie  falsch  unterrichtet.  Hierin  sind  nur 
wir  vom  Quai  d'Orsay  kompetent.  Glauben  Sie, 
wir  wagten  uns  leichten  Herzens  in  solch  Aben- 
teuer ?  O  nein,  wir  hatten  zu  bestinunte  Abmachungen 
imd  Versicherungen  von  jenseits  des  Kanals." 

„Ich  fürchte  die  Danaer,  auch  wenn  sie  Ge- 
schenke  bringen!"    murmelte   der   Afrikaner. 

„Ach  Sie  quält  noch  immer  das  Gespenst  von 
Faschoda!"  näselte  der  Generalstäbler.  „Gewiss  sehr 
peinlich,  doch  England  gab  uns  ja  volle  Revanche 
durch  dies  Bündnis,  gab  uns  Marokko  für  Ägypten  1" 

„Sind  Sie  dessen  so  sicher?  England  schenkt 
immer  freigebig,  was  man  sich  erst  holen  soll.  Wir 
haben  Marokko  noch  nicht.  Gott  gebe,  dass  wir 
es  jemals  kriegen  1" 

„Solche  Schwarzseherei  immittelbar  vor  der  Ak- 


—     19     — 

tion  scheint  mir  mindestens  nicht  vorteilhaft."  Der 
Aristokrat  runzelte  die  Stirn. 

„BsLh,  Sie  kennen  die  Verhältnisse  dort  imten 
nicht,"  trumpfte  der  Afrikaner  ihn  gelassen  ab.  „Sie 
reden  von  Afrika,  wie  ein  Pariser  von  Paris,  und 
haben  keine  Ahnung." 

„Das  alles  bringt  uns  von  Ihrer  ursprünglichen 
unterbrochenen  Bemerkung  ab!"  kam  der  Diplomat 
neuen  Zwistigkeiten  zuvor. 

„Nein,  im  Grunde  bringt  es  nähert  Umschreibt 
nur  im  voraus,  was  ich  sagen  wollte  1"  versetzte  der 
General  gemessen.  „Also  nochmals:  wollen  wir  uns 
mit  Deutschland  schlagen,  so  ist  die  Stunde  ims 
listig.  Der  politische  Horizont  verändert  sich  oft 
über   Nacht,  nur  heut  sind  wir  Englands  sicher." 

„Gerade  weil  unser  eigentlicher  Alliierter  Russ- 
land so  gut  wie  ausgeschaltet  ist,"  bestätigte  der  Di- 
plomat. „Bündnis  mit  England,  solange  Russland  in 
voller  Macht,  wäre  uns  unmöglich  gewesen.  Trotz 
alles  englischen  Hasses  gegen  Deutschland  würde 
England  sich  gehütet  haben,  dem  Zweibun^  beizu- 
treten und  so  nur  Russlands  Obmacht  auf  dem 
Kontinent  zu  fördern.  Nun  Russland  leider  fürs 
erste  beseitigt  — " 

„Also  denn!"  Der  Aristokrat  schlug  imgeduldig 
mit  der  Hand  auf  den  Tisch.  „SoUten  wir  etwa 
warten,  bis  die  Zarenmacht  sich  wieder  erholte  ?  Das 
könnte  ein  Lustrum  dauern  I  Jedenfalls  begleitet  uns 
Russland  mit  seinen  Sympathien.  Italien  und  Spanien 
mit  etwas  mehr  .  .  .  imd  Frankreich  und  England 

2* 


20 


werden  mit  Deutschland  schon  fertig  werden.  Ich 
weiss  wohl/'  fuhr  er  hastig  fort,  da  der  Diplomat 
bedeutungsvoll  seine  Augenbrauen  hochzog  und  der 
General  sich  jeder  Beistimmung  enthielt,  „dass  wir 
möglichenfalls  zu  Lande  Rückschläge  erleben  wer- 
den, doch  unsere  Flotten  werden  dafür  Deutsch- 
land zur  Raison  bringen.  Handel  und  Flotte  ver- 
nichtet, lange  Küstenblockade,  schwere  ökonomische 
Depression  im  Innenlande,  Missvergnügen  der  Be- 
völkerung, Aufruhr  der  Sozialdemokraten  .  .  .  o,  ich 
sehe  rosig  in  die  Zukunft!" 

„Diese  Zukunftsmusik  gönne  ich  Ihnen  I"  gähnte 
der  General  leicht,  als  langweilten  ihn  solche  optimi- 
stischen Prophezeiungen.  „Mag  sein,  dass  es  so 
kommt,  hat  sogar  Wahrscheinlichkeit  für  sich.  Aber 
ich  wiederhole:  nicht  um  nächste  Gegenwart  gräme 
ich  mich.  Ich  meinerseits  höre  auch  Zukimftsmusik 
in  weiterer  Feme,  und  die  tönt  nicht  lieblich." 

„Ah,  wenn  ich  Sie  recht  verstehe,  hören  Sie 
Disharmonie  mit  unserm  teuren  Alliierten  ?  Hm,  man 
hat  so  seine  Gedanken  1"  Der  Diplomat  bhes  nach- 
denklich den  Rauch  seiner  Zigarette  vor  sich  hin. 

„WasI  Verrat  ?l"  fuhr  der  Edelmann  auf. 
Denn  wo  Begriffe  fehlen,  da  stellt  französischen  Ge- 
mütern das  Wort  Verrat  zur  rechten  Zeit  sich  ein. 

Der  Diplomat  lächelte.  „Nicht  gerade  Verrat  I 
Der  Herr  General  vermutet  nur  .  .  Darf  ich  Sie 
bitten,  sich  deutlich  auszudrücken  ?  Wir  sind  ja  unter 
uns  als  Patrioten." 

„Wohlan  I  Sie  werden  die  politische  und  diplo- 


—     21     — 

matische  Geschichte  Europas  wohl  besser  kennen  als 
ich.  Als  ungelehrter,  bescheidener  Soldat  weiss  ich 
nur  so  viel,  habe  aus  der  Geschichte  gelernt,  dass 
Englands  Bündnisse  immer  nur  einem  Vorteil  brin- 
gen, England  selber.  Da  war  der  Siebenjährige 
Krieg  — " 

„Ganz  recht  1  Friedrich  der  Grosse  diente  nur 
dazu,  Hannover  für  England  zu  schützen  und  unsere 
Finanzen  durch  endlosen  Landkrieg  zu  ruinieren. 
Subsidien  wurden  ihm  schäbig  und  unregelmässig 
bezahlt,  und  am  Schluss  liess  man  ihn  einfach  im 
Stich,  schloss  Separatfrieden  mit  uns.  Nachdem  man 
unsere  Kolonien  geraubt,  unsere  Seemacht  zertrüm- 
mert hatte,  welches  Interesse  besass  England  noch  an 
Unterstützung  des  armen  Preussen  ?  Nun  und  später, 
da  hatte  Preussen  wieder  ein  Lied  davon  zu  singen, 
wie  England  seinen  Freunden  Treue  hält.  Deutsch- 
land musste  Napoleons  Sturz  nur  besorgen,  lun  Bri- 
tanniens Meerbeute  in  Sicherheit  zu  bringen.  Auf 
dem  ersten  imd  zweiten  Pariser  Frieden  fanden  als 
Dank  die  deutschen  Interessen  keinen  ärgeren  Feind 
als  das  verbündete  Inselreich,  als  den  bei  Waterloo 
durch  Preussen  geretteten  Wellington." 

Der  Diplomat,  jener  historisch  geschulten  Gat- 
tung neuer  französischer  Staatsmannschaft  angehö- 
rig, wie  sie  in  Hanotaux'  Richelieu-Buch  ihren  Aus- 
druck findet,  trug  diese  Reminiszenzen  nicht  ohne 
Behagen  vor.  Selbst  der  Nationalist  stutzte  be- 
treten und  nahm  zum  Absinth  seine  Zuflucht,  indem 
er  flüsterte:  ,Ja,  das  perfide  Albion I" 


—     22     — 

Der  alte  Soldat  nickte.  „Und  was  schliesse  ich 
daraus  ?  Nicht  viel  Schönes.  Meine  Lebenserfahrung 
lehrte  mich,  dass  Menschen  sich  niemals  ändern, 
und  Völker  auch  nicht.  Egoisten  sind  wir  alle,  aber 
die  englische  Politik  treibt  die  Selbstsucht  bis  zur 
Ehrlosigkeit.  Nehmen  wir  an,  wir  würden  auf  dem 
Festland  gänzlich  geschlagen,  England  aber  zer- 
störe mittlerweile  Deutschlands  Flotte  und  Seehan- 
del —  was  verlangt  es  noch  weiter?  Wenn  seine 
Kaufleute  über  eigene  Handelsschädigung  während 
der  Seeblockade  murren  —  denn  der  Export  seiner 
Industrie  nach  Deutschland-Österreich  wird  für  das 
Inselland  doch  während  des  Seekriegs  unterbunden, 
und  wer  weiss,  ob  nicht  deutsche  Kreuzerkaper  auch 
ihrerseits  Unheil  anrichten  1  —  wozu  sollte  man  den 
Krieg  weiterführen,  da  doch  der  eigene  Sonderzweck 
dann  schon  err^cht  bt?'* 

„Ich  fürchte,  Sie  haben  nicht  ganz  unrecht," 
murmelte  der  Diplomat.  „Deutschland  seinerseits 
wird  nicht  an  Nachgeben  denken,  solange  es  zu 
Lande  übermächtig  bleibt.  Stehen  seine  Heere  vor 
Paris,  kümmert  sich's  wohl  wenig  um  Blockade  seiner 
Häfen.  Wozu  sollte  England  weiter  die  schweren 
Kriegskosten  auf  sich  laden,  da  es  doch  auch  seine 
Landmacht  daheim  mobilisiert  halten  muss,  ohne 
sie  aktiv  verwenden  zu  können?'* 

„Wieso  nicht  aktiv?  Landung  an  deutscher 
Küste  — "  wandte  der  Generalstäbler  ein,  aber  der 
General  lachte  nur. 

„Das  glauben  Sie  als  Fachmann  wohl  selber 


—     23     — 

nicht  I  Habe  mir  erzählen  lassen,  der  alte  Bismarck 
habe  auf  die  Frage  nach  solcher  Möglichkeit,  was 
man  gegen  das  Landungskorps  tun  solle,  trocken 
gespottet:  „Man  wird  die  Leute  verhaften/*  Ein 
guter  Witz.  Ist  ja  bloss  komisch,  nur  für grössenwahn- 
sinnige  Jingos  denkbar.  Das  bi&schen  britische  Armee 
inmitten  der  riesigen  deutschen  Kriegsmacht  I  Schon 
die  Landwehr  genügt,  sie  zu  erdrücken." 

„Übrigens  trösten  Sie  sich,"  brach  der  Diplomat 
ironisch  ab,  „solch  Missgeschick  wird  unsere  teu- 
ren Verbündeten  niemals  treffen.  Die  berühmte 
Landung  von  hunderttausend  Briten,  die  Lord  Lans- 
downe  dem  braven  Herrn  Delcass^  versprach,  würde 
doch  nie  stattfinden.  Welch  Interesse  hätte  Eng- 
land, zu  imsem  Gimsten  solch  Wagnis  zu  versuchen  I 
Ihm  liegt  nur  daran,  Deutschland  maritim  mög- 
lichst zu  schädigen.  Ist  das  geschehen,  hat*s  seine 
Aufgabe  erfüllt  und  kümmert  sich  keinen  Deut  um 
unser  Wohlergehen.  Mein  Gott,  das  ist  so 
menschlich  1" 

,^ber  das  britische  Kriegsdepartement  stellte 
doch  in  Aussicht,  eventuell  Hilfstruppen  über 
den  Kanal  zu  schicken,"  betonte  der  Nationalist, 
schon  etwas  kleinlaut.  Doch  der  General  lachte 
wieder. 

„Die  will  ich  erst  sehen,  eher  glaub'  ich*s  nicht. 
Und  die  hunderttausend  —  höchstens,  günstigsten- 
falls, denn  seine  Milizfreiwilligen  darf  England  doch 
nicht  ausser  Landes  verwenden  —  werden  den  Kohl 
auch  nicht  fett  machen,  wo  wir  Kontinentalen  nach 


—     24     — 

bewaffneten  Millionen  rechnen.  Würde  nur  unnütz 
unsere  eigenen  Verpflegungskosten  erhöhen.  So  viel 
Lärm  um  eine  Omelette  I  Die  albernen  Prahler  mit 
ihrem  Tommy  Atkinsl**  Der  Stockfranzose  sprach 
diesen  Spitznamen  des  britischen  Söldnersoldaten 
mit  breiter  Nachäffung  aus. 

„Nun,  dann  bliebe  inmier  noch  Landung  in  Hol- 
land!'* nahm  der  Generalstäbler  gewichtig  das  Argu- 
ment wieder  auf.    „Man  hat's  uns  zugesagt.'* 

„Mit  Verletzung  der  Neutralität,  nicht  wahr?" 
brunmite  der  General  unwirsch.  „Ja,  ja,  sie  munkeln 
davon,  und  gegen  Schwache  waren  sie  immer  kühn." 

„Es  wäre  doch  etwas  gewagt,"  flocht  der  Diplo- 
mat ein,  „sich  gerade  das  Land  des  Haager  Schieds- 
gerichts für  Neutralitätsbruch  zu  wählen  1" 

„Achl  Damit  wird  man's  sonst  nicht  so  genau 
nehmen  1"  lächelte  der  Sendling  der  Rue  St.  Do- 
minique.   Alle  sahen  sich  bedeutimgsvoll  an. 

„Jawohl,  aber  halten  Sie  die  Preussen  für  so 
dumm,  uns  gewisse  Dinge  nicht  nachzumachen?" 
betonte  der  General.  „Ehe  die  Briten  in  Holland 
landen  möchten,  sind  dort  sicher  die  Preussen  schon 
da.  Nein,  nein,  das  alles  sind  Schimären.  Auf  direkte 
englische  Hilfe  haben  wir  nicht  zu  rechnen,  nur 
auf  indirekte,  die  England  auf  eigenes  Konto  zu 
eigener  Absicht  liefert.  Ob  es  dabei  so  vollen 
Erfolg  hat,  wie  man  hofft,  ist  nicht  mal  sicher. 
Wenn  aber,  so  wird  es  eiligst  Frieden,  schliessen 
über  unsem  Kopf  weg,  sobald  es  ohne  ersichtlichen 
Nutzen  seine   Kriegskosten   weiter   vergeuden  soll. 


—     25     — 

Vergessen  wir  doch  nicht,  das$  eine  starke  Friedens- 
partei hier  am  Werke  isti  Wir  allein  werden  den 
Schaden  bezahlen/' 

,»Ich  mag  das  nicht  länger  hören  I"  Der  Na- 
tionalist erhob  sich  ungestüm:  „Sie  setzen  immer 
voraus,  dass  wir  unterliegen,  doch  wir  werden 
es  nicht.  Numerische  Überzahl  der  Deutschen  ?  Müs- 
sen sie  nicht  eine  Masse  Streitkräfte  an  der  russi- 
schen Grenze  belassen,  Österreich  auch?  Und  letz- 
teres wird  später  von  Italien  abgezogen  I" 

„Dass  Gott  erbarmt  Italien  1"  Der  »Afrikaner' 
spie  verächtlich  aus.  „BUden  Sie  sich  nur  keine 
Illusionen  I  Ich  will  zugeben,  dass  Deutschland  vor- 
sichtigerweise nicht  seine  Gesamtmacht  gegen  uns 
werfen  darf,  doch  wir  selbst  müssen  doch  auch 
Algier  bewachen  und  Marokko  bekämpfen.  Wer 
bürgt  dafür,  dass  Russland  sich  überhaupt  rührt, 
oder  dass  Italien  emstUch  eingreift  I  Auf  etwelche 
Übermacht  der  deutschen  Streitkräfte  müssen  wir 
immer   rechnen." 

„Was?  und  die  individuelle  Überlegenheit  des 
französischen  Soldaten?"  Der  Alte  schnitt  ein  sau- 
res Gesicht,  und  der  Diplomat  starrte  schweigend 
in  die  Luft.  „Und  unsere  überlegene  Schnellfeuer- 
artillerie ?** 

„Letzteres  zugestanden,  ersteres  der  neuen  Probe 
überlassen,  bleibt  als  günstigste  Erwartung  übrig: 
Wechselvolles  entscheidungsloses  Ringen,  immer 
angenommen,  dass  Deutschland  nicht  seine  ganze 
Übermacht  entfalten  und  Österreich  ihm  nicht  oben- 


—     26     — 

drein  aushelfen  kann.  Was  dann  ?  Auch  nur  dasselbe 
Ergebnis:  wir  erfolglos,  England  durch  maritimen 
Erfolg  gesättigt,  infolgedessen  friedenslustig.  Dann 
bleiben  wir  allein  und  bekommen  jedenfalls  nichts 
für  all  unsere  Opfer,  wenn  wir  nicht  gar  noch  etwas 
verlieren." 

„Ach,  das  sind  lauter  Schreckgespenster  von 
Schwarzguckemi'*  rief  der  Nationalist  zornig.  „Die 
Armee  hat  nur  daran  zu  denken,  dass  wir  endlich 
unsere  Revanche  holen.  Nur  mit  Zuversicht  meistert 
man  das  Glück.  Wir  werden  diesen  verfluchten 
Preussenhunden  zeigen,  wie  scharf  geschliffen  heut 
Frankreichs  Degen  ist.  Ich  begreife  nicht,  mein  Ge- 
neral," seine  Stimme  nahm  unwillkürlich  wieder  pro- 
vokatorische Färbung  an,  „wie  Sie  es  mit  Ihrer 
Vaterlandsliebe  verantworten  können,  just  vor  Be- 
ginn der  Schlacht  den  Alarmisten  zu  spielen." 

„Ich  muss  Sie  ersuchen,  mir  selbst  das  Urteil 
über  mein  Denken  zu  überlassen,"  mass  ihn  der 
Alte  mit  funkelndem  Blick.  „Mein  Handeln  wird 
einfach  das  eines  Soldaten  sein,  der  seine  Pflicht 
tut  bis  aufs  äusserste.  Zum  Warnen  ist's  zu  spät, 
das  Glas  muss  ausgetrunken  sein,  wie  man  es  ein- 
gesdienkt  hat.  Ich  werde  von  Stund  an,  auf  französi- 
schem Boden,  meine  Lippen  versiegeln.  Denn  Sie 
haben  recht,  man  soll  sich  und  andere  nicht  selber 
entmutigen.  Aber  da  man  mich  einmal  fragte,  be- 
kannte ich  ehrlich  meine  Befürchtung,  tmd  mir  ist's 
lieb,  dass  ich  so  ein  Zeugnis  hinterlasse,  nicht  jeder 
Franzose  sei  einfältig  ins  englische  Garn  gerannt. 


—     27     — 

Ja»  ich  bitte  um  Ihre  Verschwiegenheit»  denn  heut 
kann's  nichts  nützen,  meine  düstere  Meinung  zu 
verbreiten,  doch  vielleicht  werden  Sie  mir  später  als 
Zeugen  dienen,  dass  ich  manches  vorausgesagt. 
Wolle  Gott,  dass  ich  kein  Prophet  binl** 

„Mit  anderen  Worten,"  fiel  der  Diplomat  ein, 
„Sie  fürchten  nicht  den  Feind,  sondern  den  falschen 
Freund." 

„So  tu'  ich.  Und  gehe  noch  weiter.  Denn  vor- 
ausgesetzt den  mir  unwahrscheinlichen  Fall,  Deutsch- 
Land  würde  von  seiner  Machtstelliuxg  herabgedrückt, 
selbst  daim  sehe  ich  kein  Heil  für  die  Zukunft/' 

„Wie  das?'  staunte  der  Diplomat,  imd  der  Na- 
tionaUst  riss  die  Augen  weit  auf. 

Der  Alte  sah  finster  vor  sich  hin.  „Sie  fragen 
vielleicht,  warum  gerade  ich  zur  KassandraroUe  be- 
rufen sein  soll.  Das  will  ich  Ihnen  erklären  und 
dann  begreifen  Sie  sicher.  Ihr  alle  stiert  mehr  oder 
mktder  hypnotisiert  auf  die  Vogesen.  Meinethalben, 
obschon  ihr  so  gut  wie  ich  von  mancherlei  Augen- 
zeugen hörtet,  wie  völlig  Elsass  imd  selbst  Metz 
heut  teutonisiert  ist.  Gesetzt  den  Fall,  wir  erwürben 
es  zurüde,  was  machen  wir  nüt  der  deutschen  Bevöl- 
kerung, die  nun  ihrerseits  vom  Mutterlande  Be- 
freiung und  Revanche  hoffen  würde  ?  Und  die  Deut- 
schen sind  eine  grosse,  stolze  Nation,  die  ihre  Volks- 
ziffer jährlich  tun  eine  Million  erhöht,  schon  jetzt 
ein  volles  Drittel  volkreicher  als  Frankreich.  Würden 
die  sich  ruhig  gefallen  lassen,  dass  ihnen  Elsass, 
das  sie  nun  einmal  für  altes  deutsches  Land  halten, 


—     28     — 

heut  natürlich  germanischer  denn  je,  wieder  ent- 
rissen wird?  Also  bloss  Umkehr  der  Revanche, 
neuer,  endloser  Kampf,  und  diesmal  mit  britischer 
Hilfe  für  uns  ?  Wohl  katun,  weit  eher  vereintes  Her- 
fallen beider  germanischer  Reiche  über  unsere  Gren- 
zen \md  Kolonien,  beste  Gelegenheit  für  England, 
dem  dann  ein  geschwächtes  Deutschland  maritim 
nicht  mehr  gefährlich  wäre,  unser  afrikanisches  Reich 
einzustecken.  Denn  jetzt  komme  ich  zmn  Kern 
der  Frage.  Ich  bin  nicht  wie  ihr  ma  das  bisschen 
Elsass  bekümmert,  ich  lernte  da  draussen  die  wahre 
Zukunft  Frankreichs  in  Afrika  kennen,  die  einzige 
Aussicht,  uns  durch  Kolonisierung  neue  Bahnen 
zu  öffnen.*' 

„Und  die  will  uns  eben  Deutschland  in  Ma- 
rokko sperren  1*'  brauste  der  Nationalist  auf. 

„Sind  Sie  dessen  so  sicher?  Kann  Deutschland 
etwa  je  daran  denken,  Marokko  wie  ein  Kiautschou 
zu  pachten  oder,  wie  wir  wollen,  es  zu  tunisieren? 
Nein,  es  will  bloss  Freihafen  für  seinen  Handel 
und  seinen  Einfluss  in  der  muhamedanischen  Welt 
behaupten.  Dagegen  England,  imser  teurer  Allüert er, 
sieht  es  wirklich  nicht  scheelen  Blicks  auf  unsere 
Besitznahme  Marokkos,  auf  Erweiterung  unseres 
afrikanischen  Reiches?  Ah  bah,  ich  war  da  unten 
mit  Marchand,  ich  schmeckte  Faschoda  in  der  Nähe, 
ich  weiss,  was  ich  von  Englands  zärtlichem  Werben 
zu  halten  habe,  denn  ich  kenne  seine  Gelüste." 

„Ah,  ein  Anglophobel"  lächelte  der  Diplomat. 
„Heut   nicht   mehr   Model" 


—     29     — 

„Oho,  Anglophobe  war  ich  auch,  aber  immer 
mehr  Germanophobe  I"  trumpfte  der  Nationalist  auf. 
„Zum  Tetifel,  das  Hemd  ist  ims  näher  als  der  Rode, 
die  Vogesen  näher  als  der  Atlas  1" 

„Das  ist  optische  Täuschung,"  versetzte  der  Ge- 
neral gemessen.  „Für  alle,  die  Frankreichs  wahre 
Wohlfahrt  studierten,  ist  Algier  wichtiger  als  Metz. 
Die  Deutschen  wollten  uns  nichts  Ernstes  mehr  tun, 
was  sollten  sie  uns  auch  nehmen?  England  aber 
sinnt  auf  nichts  als  Zeit  und  Ort,  um  unsere  ganze 
afrikanische   Herrlichkeit   in   Stücke   zu   schlagen.'* 

Der  Diplomat  nickte  leicht  und  blies  den 
Dampf  seiner  Zigarette  in  blaue  Ringel.  „Nun  ja, 
der  Plan  von  Cecil  Rhodes,  ganz  Afrika  zu  britischem 
Besitz  zu  machen,  blieb  ja  kein  Geheimnis.  Und 
dass  England  mit  Abessynien  anbinden  will  und  sich 
über  angebliche  Greuel  im  Kongostaat  sittlich  ent- 
rüstet —  sittliche  Entrüstimg  meint  bei  England 
immer  Annexion  —  ist  ja  bekannt  genug.  Der  Appe- 
tit kommt  beim  Essen,  und  es  wäre  immerhin  möglich, 
uns  aus  Senegambien  und  Sudan  allmählich  hinaus- 
zudrängen. Madagaskar  liegt  als  französische  Ko- 
lonie auch  unbequem  für  die  indische  Route,  und 
Algier  ist  ein  zu  fetter  Bissen,  als  dass  er  nicht 
längst  den  britischen  Heisshunger  in  die  Nase 
stechen  sollte." 

Der  Nationalist  starrte  ihn  an :  „Sie  machen  mir 
ernstlich  bange.  Trauen  Sie  den  Leuten  wirklich 
zu  —  ?" 

„Vergessen  wir  doch  nicht,  dass  die  Briten  seit 


—     30     — 

dem  Mittelalter  unser  einziger  wirklicher  Erbfeind 
waren.  Wir  haben  die  Deutschen  mit  Krieg  über- 
zogen, ihnen  viel  Übles  getan,  doch  erst  seit  Lud- 
wig XIV.,  und  sie  haben  uns  im  Grunde  bloss  wie- 
der abgenommen,  was  wir  von  ihnen  weggerissen. 
Aber  England  —  sind  denn  seit  Crecy  und  Azin- 
court  bis  auf  Trafalgar  und  Waterloo  nicht  immer 
wir  die  Opfer  seiner  Arglist  und  Raublust  gewesen  ? 
Wo  sind  all  unsre  einstigen  Kolonien?  In  den  Zäh- 
nen des  britischen  Leopards.  Glaubt  man,  der  grosse 
Napoleon  habe  umsonst  England  als  unversöhnlichen 
Todfeind  Frankreichs  gehasst?  Und  jetzt  auf  ein- 
mal soll  alle  Vergangenheit  ausgelöscht,  nur  Deutsch- 
land tmser  Erbfeind  sein?  Das  ist  doch  zu  naiv. 
Nein,  unsre  teuren  heutigen  Alliierten  sind  imd  wer- 
den sein,  was  sie  immer  waren:  unser  gefährlich- 
ster gierigster  Feind.  Die  Deutschen  wollen  nichts 
Andres  mehr  von  uns,  als  dass  wir  uns  endlich  mit 
dem  Frankfurter  Frieden  abfinden,  im  übrigen 
streckten  sie  uns  ja  oft  genug  ostentativ  die  Hand 
entgegen." 

„Jawohl,  deutsch-französisches  Bündnis,  ich 
danke  schön!"  murrte  der  Nationalist.  „Erst  Metz 
heraus,    dann   wollen   wir   weiter   reden." 

Der  General  zuckte  die  Achseln.  „Meinethal- 
ben, dann  nicht.  Wir  brauchen  uns  ja  nicht  vor 
Freundschaft  um  den  Hals  zu  fallen.  Aber  statt 
dessen  sich  England  in  die  Arme  stürzen,  das  von 
uns  ganz  andre  Dinge  will,  das  uns  schon  Ägyp- 
ten abgeknöpft  hat  und  nur  auf  Gelegenheit  wartet. 


—     31     — 

unsre  afrikanische  Zukunft  zu  zerstören  —  das  ist 
mir  zu  bunt.  Ob  Herr  Delcasse  von  König  Eduard 
oder  Marquis  Lansdowne  gekauft  worden  sei,  wie 
doch  manche  Gerüchte  behaupteten,  weiss  ich  nicht. 
Vielleicht  ist  er  nach  seiner  Meinung  ein  guter 
Patriot,  aber  sicher  ein  sehr  dummer  Kerl.  Die 
russische  Allianz  folgte  natürlicher  Logik,  weil  Russ- 
land unsren  beiden  Feinden  England  und  Deutsch- 
land feindlich  gesinnt  mit  Interessengegensatz,  aber 
diese  englische  Entente  ist  schmachvoller  Wahn- 
sinn. Kein  Interesse  ist  uns  gemeinsam,  wohl  aber 
tausend  Interessen  wechselseitig  feindlich.  Hand 
aufs  Herz,  man  hat  die  Preussen  bei  uns  bitter 
gehasst,  aber  heut  verflog  das  längst,  nur  Anti- 
pathie gegen  England  ist  allen  Franzosen  ange- 
boren. Und  die  Briten  —  glauben  Sie  vielleicht, 
die  lieben  und  achten  uns?  Ach,  den  Deutschen 
tim  sie  die  Ehre  des  Hasses  an,  uns  belächeln  sie 
mit  gnädiger  Herablassung.    Ist's  nicht  so?" 

Der  Diplomat  lächelte.  „Eigentlich  ja.  Doch 
mich  dünkt,  dabei  wissen  sie  recht  gut,  dass  nur 
wir  ihnen  gefährUch  werden  könnten.  Nur  unsre 
Marine  ist  so  stark,  nur  unsre  Kolonialmacht  so 
gross,  unsre  Lage  in  Afrika  ihnen  so  nahe,  nur 
unsre  Küste  für  Landung  bei  Dover  geeignet,  nur 
wir  als  Katholiken  sind  fähig,  eine  irische  Rebellion 
zu  benützen  —  das  alles  weiss  England  ganz  gut." 

„Das  hoff  ichl"  Der  Nationalist  warf  stolz  den 
Kopf  in  den  Nacken.  „Und  eben  deshalb  wird  das 
perfide  Albion  sich  hüten,  mit  uns  anzubinden," 


—     32     — 

Der  Alte  lachte  heiser.  „Da  kennen  Sie  diese 
Leute  schlecht.  Ob  die  Engländer  wirklich  zur  Rolle 
de^  Römer  berufen  sind  und  einst  die  ganze  Welt 
anglisieren  werden,  jedenfalls  halten  sie  sich  selbst 
dafür  und  möchten  ihr  British  Empire  als  Impe- 
rium Romanum  von  Pol  zu  Pol  ausdehnen.  Das  ist 
ihr  heimliches,  unbeirrtes  Streben  von  Jahrhundert 
zu  Jahrhundert.  Nur  Napoleon  hat  sie  richtig  er- 
kannt." 

,»Sie  dünken  sich  das  auserwählte  Volk,  dem 
der  Herrgott  die  Erde  gegeben  mit  ihrer  Fülle," 
pflichtete  der  Diplomat  bei. 

,  Ja,  da  unten  in  Afrika  lernt  man  sie  kennen. 
Nein,  grade  weil  sie  fühlen,  dass  nur  wir  ihnen  mal 
gefährlich  werden  könnten,  suchen  sie  nüt  heuch- 
lerischem Judaskuss  imsre  Freundschaft,  um  später, 
haben  sie  uns  benutzt,  ihren  Streich  zu  führen.  Die 
würden  uns  nicht  dreimal,  sondern  hundertmal  ver- 
leugnen, wenn  es  in  ihren  Kram  passt.  Begreift 
ihr  denn  nicht  dies  Spiel?  Vor  Russlands  jetziger 
Schwächung  hätten  sie  nie  an  Bündnis  mit  uns 
gedacht,  weil  Russland  zu  gründlich  von  Englands 
Feindschaft  überzeugt  ist,  um  gutwillig  dessen 
falsche  Avancen  hinzunehmen.  Wir  allein  aber  sind 
nie  stark  genug,  um  England  an  die  Wand  zu 
drücken.  Eine  heimlich  drohende  deutsch-franzö- 
sisch-russische Koalition  war  allein  zu  fürchten.  Nun 
half  das  Schicksal,  Russland  vorerst  auszuschalten, 
und  jetzt  gilt  es,  Deutschland  und  Frankreich  noch- 
mals unheilbar  zu  verhetzen.    Wäre  aber  Deutsch- 


—     33     — 

land  auf  einige  Zeit  abgetan,  dann  kommt  Frank- 
reich an  die  Reih«,  dann  gibt*s  plötzlich  eine  deutsch- 
englische Belle  Alliance  gegen  uns.  So  denk'  ich 
mir  die  Sache." 

„Divide  et  imperal*'  nickte  der  Diplomat.  „Ich 
fürchte,  Sie  folgern  logisch,  mein  General.  Nur 
malen  Sie  zu  schwarz.  Atifgeschoben  ist  oft  auf- 
gehoben. Sie  berücksichtigen  nicht  die  liberale  Strö- 
mung in  diesem  Volk  von  Kaufleuten,  die  anti- 
militaristische, anti  -  imperialistische  Richtung  der 
inneren  Politik." 

„Bah,  darauf  geb'  ich  nicht  einen  Pfifferling. 
Ein  Volk  von  Shopkeepers  waren  sie  schon  lange, 
dem  sein  Handelsinteresse  über  alles  ging:  hat  dies 
je  ihren  Imperialismus  gehindert  ?  Wer  regiert  denn 
England?   Die  Kaufleute?" 

„Ich  denke,  das  Parlament,"  brummte  der  Edel- 
mann. „Uns  armen  Franzosen  hat  man  doch  seit 
Rousseau  und  Voltaire  stets  die  englische  Ver- 
fassung als  demokratisches  Muster  vorgehalten.  Gott 
sei's   geklagt  I" 

Der  Diplomat  lächelte,  der  General  lachte  dem 
Aristokraten  geradezu  ins  Gesicht:  „Das  ist  ja  der 
ungeheure  Schwindel,  mit  dem  dies  hochmütige  In- 
selland so  viele  Kontinentalen  düpierte.  Aufrichtige 
Demokratie  gibt*s  überhaupt  nur  in  Ländern  lateini- 
scher Rasse.  Heut  noch  blieb  England  das  konser- 
vativste Land  der  Welt;  Bestreiten  Sie  das  ?"  wandte 
er  sich  an  den  Diplotnaten. 

„Keineswegs.  Ich  war  früher  in  Petersburg  xmd 

Völker  Europas  .  .  . !  3 


—     34     — 

Berlin,  den  zwei  Bollwerken  des  Feudalregime,  doch 
ich  muss  bekennen,  manche  meiner  VorsteUungen 
haben  sich  da  sehr  geändert.  Lägen  die  Dinge  in 
Preussen  so,  wie  Oberflächliche  dem  äussern  Anschein 
glauben,  dann  hätte  die  Sozialdemokratie  dort  nie 
solche  organisierte  Gewalt  bekommen  können.  Und 
in  Russland  wäre  diese  jähe,  ungeheure  Revolution 
immöglich  gewesen,  wenn  nicht  ein  schroff  demo- 
kratischer Zug  dort  von  oben  bis  unten  längst  ge- 
herrscht hätte.  Der  russische  Adel  ist  teilweise  tm- 
endlich  liberaler  als  der  englische,  äussere  Standes- 
unterschiede sind  in  der  Gesellschaft  dort  förmlich 
verpönt,  der  Bürger  und  gar  der  Gebildete  verkehrt 
mit  dem  Hochadel  ohne  jede  Spur  der  snobhaften 
Unterwürfigkeit,  wie  der  englische  Mittelstand  sie 
der  Nobility  entgegenbringt.  Kurz,  in  England,  das 
sich  angeblich  amerikanisierte,  regiert  heut  noch 
wie  vor  alters  die  Aristokratie.'^ 

„Sehr  gesund  1"  murrte  der  Nationalist.  „Darin 
liegt  seine  Stäike.'* 

Der  General  blitzte  ihn  zornig  an:  „Diese  Pri- 
vatmeinung lass'  ich  Ihnen.  Aber  dann  sollten  Sie 
diese  Stärke  um  so  mehr  fürchten.  Unsre  radikale 
Demokratie  der  Republik  ist  den  britischen  Oli- 
garchen  heut  genau  so  ein  Dom  im  Auge,  wie  zur 
Zeit  der  grossen  Revolution  und  Napoleons,  der 
immerhin  ein  illegitimer  Volkskaiser  war.  Der 
unerbittliche  Hass,  taut  dekn  sie  uns  damals  ver« 
folgten,  war  noch  mehr  ein  feudaler  als  ein 
nationaler.'* 


—     35     — 

„Natürlich!"  fuhr  der  Legitimist  hitzig  auf.  „Ich 
sagte  ja  immer,  dass  wir  seit  dem  Sturz  unsrer  an- 
gestammten Dynastie  von  Gottes  Gnaden  immer 
unbeUebter  und  isolierter  in  Europa  wurden  I" 

„Pst,  werter  Grafl*'  warnte  der  Diplomat.  „Das 
gehört  nicht   hierher." 

„O  ja,  imbeliebt  bei  den  Dynasten,  beliebt  bei 
den  Völkemi"  trumpfte  der  Alte  ab.  „Die  Demo- 
kratie aller  Lande  blickt  auf  Frankreich  als  ihr 
geistiges  Oberhaupt.  Diese  moralischen  Eroberungen 
sichern  uns  für  immer  die  Sympathie  der  Lateiner 
imd  Slawen  überall  auf  Erden,  bezüglich  Italien 
zeigt  uns  seine  offizielle  Annäherung  bereits  den 
praktischen  Wert  solcher  —  solcher  — " 

„Imponderabilien,"  ergänzte  der  Diplomat,  dem 
diese  durch  Bismarck  eingeführte  Politikerphrase 
geläufig  war.  „Ich  gebe  zu,  dass  sogar  für  die 
heutige  Entente  eine  Zuneigimg  der  liberaleren 
Kreise  Englands  mitbestimmte,  sie  erst  ermöglichte. 
Uns  verzieh  man  unsere  masslose  Burenbegeiste- 
rung und  Engländerhetze,  während  des  Transvaal- 
kriegs, indes  man  den  Deutschen  das  gleiche  bis 
heute  nachträgt.  Und  nicht  mal  das  gleiche.  Denn 
der  Kaiser  Wilhelm  lehnte  ja  schroff  jeden  Empfang 
der  Burenhäupter  ab,  bei  uns  liess  sogar  der  Erz- 
bischof von  Paris  bei  Ankunft  des  Protestanten  Krü- 
ger alle  Festglocken  läuten.'* 

„Es  war  herrlich  1"  Der  Bretone  sah  die  an- 
dern herausfordernd  an.  „Und  danach  schwatzt 
man  noch  von  Intoleranz  der  katholischen  Kirche  1 

3* 


—     36     — 

Solchen  edeln  Patriotismus  vergalten  die  Herren 
Combes  und  Rouvier  durch  brutale  Unterdrückung! 
Doch  Atheisten  ist  ja  nichts  heilig,  nicht  mal  das 
Ehrgefühl." 

„Ich  darf  so  etwas  nicht  hören,"  mahnte  der 
Diplomat  offiziös.  „Ich  muss  mir  verbitten,  dass  Sie 
Äusserungen  ttm,  die  auch  des  Herrn  Generals  Ge- 
fühle verletzen." 

„Ah  pardoni  Ich  habe  eine  Rüge  meines  Rang- 
vorgesetzten verdient."  Der  Legitimist  neigte  mit 
ironischer  Demut  das  Haupt.  „Doch  wess  das  Herz 
voll  ist,  dess  gehet  der  Mund  über." 

„Ich  rüge  durchaus  nicht,"  versetzte  der  Ge- 
neral gelassen.  „Wir  sind,  zufällig  vereint  iii  ge- 
meinsamer patriotischer  Mission,  hier  Kameraden 
unter  uns.  Und  von  mir,  Oberst,  werden  Sie  wohl 
keine  Angeberei  erwarten.  Nach  dem  Krieg,  wenn 
wir  beide  ihn  überleben,  mögen  die  alten  Zwistig- 
keiten  zwischen  uns  Franzosen  wieder  aufleben,  bis 
dahin  Friede  1  und  werde  jeder  selig  nach  seiner 
Fasson.  Ich  selbst  bin  Freidenker,  doch  fällt  mir 
nicht  ein,  den  Patriotismus  unsres  Klerus  anzuzwei- 
feln. Denn  die  römische  Kirche  passt  sich  ja  überall 
dem  Nationalcharakter  an.  Mir  schien  immer  ein 
Irrtum,  den  Katholizismus  an  sich  für  die  spanische 
Inquisition  verantwortlich  zu  machen.  In  Spanien 
ist  er  eben  grausam  und  borniert  wie  das  spanische 
Volk,  in  Italien  machiavellistisch  und  kunstsinnig 
wie  die  Italiener,  in  Deutschland  zänkisch  und  schwer* 
fällig  wie  die  Deutschen,  in  Frankreich  und  Polen 


—     87     — 

in  erster  Linie  national,  weil  Chauvinismus  dort 
oberstes  National^esetz.  Unsre  gallikanische  Kirche 
war  immer  gut  französisch  den  Anmassungen  Roms 
gegenüber  seit  alter  Zeit.  Ich  tue  Ihnen  und  Ihren 
Gesinnungsgenossen  daher  nicht  das  Unrecht  an, 
dass  ich  etwas  Anderes  als  patriotische  Haltung  er- 
wartete bei  den  jetzigen  Wirren,  mögen  wir  nun 
siegen  oder  imterliegen.  Aber  ich  muss  erinnern, 
dass  auch  unsre  religiösen  Verhältnisse  den  bigotten 
Briten  ein  Greuel  sind,  den  einen  unsre  Freigei* 
sterei,  den  andern  unser  Katholizismus.  Von  wirk- 
licher Entente,  gegenseitigem  herzlichen  Verstehen 
rwischen  Briten  und  Franzosen  kann  also  überhaupt 
keine  Rede  sein,  unser  ganzes  Wesen  ist  antipodisch 
wie  Feuer  imd  Wasser.  Lehren  Sie  mich  die  Bri- 
ten kennen  I  Da  draussen  in  Afrika  erfährt  man,  mehr 
von  unsem  wiiklichen  Beziehimgen,  als  hier  zwi- 
schen Paris  tmd  London." 

„Ohol"  schmunzelte  der  Diplomat.  „Unsereins 
ist  auch  nicht  auf  den  Kopf  gefallen.  Ich'  beob- 
achtete genug,  um  Ihnen  beizustimmen.  So  selt- 
sam es  klingt,  scheint  mir  die  nächste  Verwandt- 
schaft zwischen  zwei  Völkern  nur  zwischen  den  zwei 
angeblichoi  Todfeinden  zu  bestehen:  Briten  tmd 
Deutschen.  Geistig  nun  schon  ganz  sicher,  siehe 
literarische  Wechselwirkung.  Ist  etwa  Shakespeare 
bei  uns  populär  oder  Goethe?  Die  Deutschen  ma- 
chen aus  Shakespeare  einen  Gott,  die  Gebildeten 
Englands  seit  Carlyle  dito  aus  Goethe.  Über 
Racine  und    Victor     Hugo    lachen    beide,    hoch- 


—     38     — 

stens  Zola  ist  in  Deutschland  verehrt,  hab*  ich 
vernommen  1'* 

„Der  Schmutzfink I  Der  Verräter!'*  brauste  der 
Nationalist  auf.  „Was  kümmert  uns  die  Unbildung 
dieser  halbbarbarischen  Völkerschaften,  ihr  schlechter 
Geschmack  I  Doch  Sie  selbst  geben  zu,  dass  die 
Briten  ims  unsre  Parteinahme  für  die  ketzerischen 
Buren  verziehen,  den  Deutschen  nicht.  Da  sieht 
man  doch,  wie  sehr  der  Herr  General  übertreibt," 
fügte  er  spitz  hinzu,  „wohin  allein  Englands  unver- 
söhnliche Feindschaft  zielt.  Den  antifranzösischen 
Verrat,  den  der  Herr  General  von  Grossbritannien 
dereinst  erwartet  unter  Aussöhnimg  mit  dem  ge- 
hassten  Deutschland,  kann  ich  also  nicht  ernst 
nehmen." 

Der  Alte  lachte  bitter.  „Ich  deute  dies  Sym- 
ptom ganz  anders.  Unseren  Britenhass  übersieht  man 
grossmütig  mit  verächtlicher  Herablassung,  weU  man 
uns  nicht  mehr  fürchtet,  wenigstens  nicht,  solange 
wir  allein  ohne  deutsche  Anlehnung.  Die  imver- 
söhnliche  Ranküne  gegen  Deutschland  ist  das  grösste 
Kompliment,  das  England  ihm  machen  kann.  Und 
es  gibt  einen  Hass,  der  verdammt  ähnlich  ist  nüt 
Hochachtung  und  heimlicher  Zuneigung.  O,  man  wird 
noch  Wunder  erleben  1  Auch  von  dem  Engländer- 
hass  der  Deutschen  halt'  ich  nicht  viel,  und  dass 
von  Franzosenhass  bei  ihnen  nichts  mehr  zu  spüren, 
wie  ich  mir  habe  sagen  lassen,  dünkt  nüch  auch 
kein  gutes  Zeichen.  Es  ist  wohl  der  nämliche  Denk- 
prozess  wie  umgekehrt  bei  den  Briten:  uns  fürchtet 


—     39     — 

man  nicht,  achtet  man  nicht,  die  Briten  hasst  man, 
weil  man  vor  ihnen  Respekt  hat,  aus  nationaler 
Eigenliebe.'* 

„Sie  sagen  fortwährend  Dinge,  mein  General,** 
der  Edelmann  stand  auf  und  reckte  sich,  „die  ein 
guter  Franzose  nicht  ohne  Erröten  hören  kann.  Uns 
nicht  achten,  nicht  fürchten,  uns,  die  wir  die  grosse 
Nation  hiessenl'* 

„Wenigstens  nannten  wir  uns  selber  sol"  warf 
der  Diplomat  ironisch  ein. 

„Nun,  wir  werden  noch  heute  zeigen,  wer  wir 
sind,  werden  Achtung  und  Furcht  erzwingen.  Frank- 
reich steht  an  einem  neuen  Wendepunkt  seiner 
nationalen  Grösse.'* 

„Noch  ist  Polen  nicht  verloren,"  murmelte  der 
Diplomat.  „Und  wie  denken  Sie  denn,  mein  Ge- 
neral, über  die  Verhasstheit  des  heutigen  Regime 
in  Deutschland,  über  kriegsfeindliche  Haltung  der 
mächtigen  Sozialdemokratie?  Darauf  setzt  man  in 
unseren  Regierungskreisen  grosse  Hoffi^ung." 

„Wenn  sie  sich  nur  nicht  täuscht  I"  Auch  der 
General  stand  auf  und  schnallte  den  Degen  um,  sich 
zum  Aufbruch  rüstend.  „In  Reih  imd  Glied  gegen 
den  Landesfeind  werden  die  Deutschen  ruhig  mar- 
schieren, ob  Sozialdemokraten  oder  nicht.  Sie  haben 
den  Instinkt  der  Disziplin.  Da  müsste  schon  ein 
Jena  vorhergehen,  wenn  dort  Aufruhr  losbrechen 
sollte  nach  russischem  Muster.  Nein,  umgekehrt, 
unsre  eigenen  Leute  fürchte  ich  bei  jedem  Rück- 
schlag,  Sozialisten   und  Anarchisten.    Werden   wir 


—     40     — 

geschlagen,  eine  neue  Kommune  1  So  tief  wie  bei 
uns  gehen  in  Deutschland  die  Parteizwiste  ohne- 
hin kaum.  Ein  Offizierkorps,  wo  Republikaner  und 
Monarchisten,  Freimaurer  und  Klerikale  sich  ge- 
genseitig denunzieren  imd  befehden,  gibt*s  dort  erst 
recht  nicht.  Im  Fall  des  Unglücks  kann  das  eine 
nette   Bescherung  werden!*' 

Der  Diplomat  zudcte  die  Achseln  und  warf  seine 
Zigarette  weg.  „Wer  leben  wird,  wird's  sehen.  Es 
lebe  die  Bagatelle  1  In  sechs  Monaten  sind  wir 
klüger  als  heut.  Die  Briten  haben  ein  Sprichwort: 
Prophezeie  nie,  wenn  du  nicht  weissti  Hoffen  wir, 
dass  Ihr  Pessimismus  zuschanden  wird.  Gut  Ding 
will  Weile  haben,  die  Hilfe  Italiens  und  vielleicht 
Russlands  muss  erst  ausreifen.  Bis  dahin  müssen 
wir   uns   über   Wasser   halten.'* 

„Ganz  meine  Meinung.  Wir  werden  tun,  was 
wir  können.  Auf  Wiedersehen  bis  morgen  auf  dem 
Üampfer,  meine  Herren  I"    Der  Alte  ging. 

„Auf  Wiedersehen  bei  Philippil"  stiess  der 
Edelmann  zwischen  den  Zähnen  hervor.  „Wol- 
len sehen,  wer  standhafter  für  Frankreich  ficht, 
die  Herren  Republikaner  oder  wir  vom  alten 
Stil.  Aber  recht  angenehm,  dies  Gefühl,  womit  man 
aus  England  zurückkehrt,  vergiftet  von  solch  arg- 
wöhnischer Einflüsterung!  Heiliger  Name  Gottes!'* 
Er  schüttelte  sich,  als  wolle  er  etwas  abwerfen. 
„Der  General  hat  mich  angesteckt,  ich  werd*s  nicht 
mehr  los.  Kampagne  beginnen  mit  einem  Verbün- 
deten, von  dem  man  sich  keiner  Treue  versieht,  ist 


—     41     — 

kein  erfreuliches  Geschäft.  All  mein  Enthusiasmus 
ist  zum  Teufel.  Vielleicht  hätte  man  sich  doch  län- 
ger besinnen  sollen,  eh  man  sich  auf  Englands 
Lockung  einliess.  Warum  habt  ihr  Diplomaten  euch 
nicht  besser  vorgesehen!  Unsereins  als  Soldat 
wünscht  Krieg  imd  Revanche,  doch  eure  Pflicht 
war*s,   die   Sache  kühler  zu  betrachten." 

„Da  haben  wir'sl"  rief  der  Diplomat  erregt. 
„Ich  seh'  es  kommen,  dass  man  uns  Vorwürfe  macht, 
wenn  die  Soldaten  den  Brei  verderben.  Habt  ihr 
nicht  immer  beteuert,  unsre  Armee  sei  heut  unüber- 
windlich? Bah,  das  riecht  ja  schon  nach  dem  ,leich- 
ten  Herzen'  und  »erzbereit*  von  1870.  Und  geht*s 
schief,  dann  sollen  unsre  Staatsmänner  leichtsinnig 
ins  Verderben  gesteuert  haben.  Hat  man  nicht  da- 
mals ^Rache  für  Sadowa'  gebrüllt,  und  würde  man 
heut  nicht  jede  Regierung  als  verkauft  und  ver- 
räterisch gebrandmarkt  haben,  wenn  sie  vor  Deutsch- 
lands Forderungen  in  Marokko  zurückwich?  Die 
Herren  Nationalisten  halten  sich  für  Patrioten,  wenn 
sie  patriotische  Regierungen  stürzen;  so  mögen  sie 
jetzt  auch  allein  die  Suppe  ausessen,  die  sie  uns 
eingebrockt.  Heiliger  D^roul^de,  steh  uns  bei  1"  Zor- 
nig schlug  er  hinter  sich  die  Türe  zu.  Der  Edel- 
maim  starrte  ihm  nach  und  seufzte  schwer: 

„Armes  Vaterland  I  Verraten  von  radikaler  Ka- 
naille!" 

Zu  gleicher  Stunde  beherbergte  das  Foreign 
Office  in  Downing  Street  eine  Konferenz  von  inter- 


—     42     — 

nationalster  Bedeutung.  Besondere  Bevollmächtigte, 
nicht  die  üblichen  Botschafter,  sondern  mit  gehei- 
men Instruktionen  versehene  Träger  einer  ausser- 
ordentlichen Mission,  tagten  hier:  die  Vertreter  der 
Neutralen,  soweit  sie  als  Hauptmächte  in  Betracht 
kamoi,  nämlich  Japans,  Spaniens,  Italiens  und  der 
nordamerikanischen  Union.  Ein  britischer  Minister 
imd  ein  hoher  Militär  leiteten  die  Verhandlung, 
als  Protokollführer  diente  ein  noch  junges  Parla- 
mentsnütglied,  ein  »kommender  Mann'  von  vielver- 
sprechender Routine.  Der  Minister  war  soeben  tele- 
phonisch abberufen,  er  hatte  bei  der  türkischen  Bot- 
schaft angefragt  und  kehrte  soeben  missmutig  zu- 
rück. Obschon  Grimd  und  Inhalt  seines  Telepho- 
nierens  unbekaimt,  drückte  der  schlaue  japanische 
Staatskünstler  sofort  auf  den  wunden  Punkt.  Mit 
seiner  sanften  Buschidostinune,  die  wie  mit  Sammet- 
pfötchen  streichelte,  lispelte  er  unter  fretmdlichem 
Zwinkern  der  Auglein: 

„Wir  alle  bedauern,  dass  unser  hochverehrter 
Kollege,  der  ständige  Vertreter  Sr.  Majestät  des 
Kaisers  der  Osmanen,  nicht  an  unsrer  so  wichtigen 
Beratung  teilnimmt.  Es  erregt  eine  gewisse  Ver- 
wundenmg,  nicht  wahr  ?  Wir  sahen  uns  gleich  nach 
ihm  lun.  Vor  Schluss  der  Konferenz  möchte  ich  doch 
darauf  koknmen  und  bei  unserm  verehnmgswürdigen 
Vorsitzenden  Erkundigungen  einziehen,  ob  — " 

„Ich  danke  Ew.  Exzellenz,  dass  Sie  mir  Gelegen- 
heit dazu  geben,**  brach  der  Brite  kurz  ab.  „Se. 
Exzellenz   der   türkische   Gesandte   lässt   sein  Aus- 


—     43     — 

bleiben  entschuldigen.  Er  ist  immer  noch  krank- 
heitshalber ans   Bett  gefesselt." 

„O,  wie  unendlich  wir  dies  beklagen  1"  seufzte 
der  Japaner.  »»Vollzählige  Übereinstinunung  aller  neu- 
tralen Mächte  wäre  doch  sehr  erwünscht.  Darf  ich 
bitten,  meine  besten  Wünsche  zur  baldigen  Wieder- 
herstellung unseres  teuren  Kollegen  zu  übermitteln  ?*' 
Die  anderen  Herren  murmelten  etwas  Ahnliches  nüt 
gelangweilter  Gleichgültigkeit,  nur  der  Italiener 
zuckte  leicht  mit  der  Lippe,  wobei  ihn  zwei  ver- 
stohlen beobachteten:  der  jugendliche  Protokollfüh- 
rer tmd  der  Japaner,  der  immer  das  Gras  wachsen 
hörte.  Ersterer,  der  sonst  stets  sein  Protokoll  durch- 
zustudieren schien,  erlaubte  sich  blitzschnelle  flüch- 
tige Aufblicke,  die  niemand  bemerkte,  als  der  Ja- 
paner. Letzterer  aber,  der  alles  sah,  schien  überhaupt 
nichts  zu  sehen.  So  still  und  harmlos  blieb  seine  un- 
bewegte Unschuldsmiene,  eine  stereotyp  lächelnde 
Maske. 

„Übrigens,"  fühlte  der  britische  Minister  sich 
bewogen,  offiziös  hinzuzufügen,  „hat  eine  Note  der 
Hohen  Pforte  genügende  Aufklärung  gegeben,  dass 
die  Türkei  natürlich  volle  Neutralität  bewahren 
werde." 

„Es  sei  denn,  ihre  eigenen  Interessen  würden 
tangiert,  nicht  so  ?"  flocht  der  Amerikaner  ein.  „Sehr 
kotrekt.  Ganz  wie  ich  bereits  bezüglich  der 
Vereinigten  Staaten  —  ach  beUäufig,  da  unser  japa- 
nischer Herr  Kollege  diese  Dinge  aufs  Tapet  brachte, 
wie  steht  es  denn  mit  dem  würdigen  Doyen  des 


% 
^ 


—     44     — 

hiesigen  diplomatischen  Korps,  dem  russischen  Bot- 
schafter? Ich  vermisste  sogleich  bei  Eintritt  in  die 
Konferenz  einen  Delegierten  des  Zaren." 

Diese  Anfrage  schien  dem  britischen  Minister 
gleichfalls  imlieb,  denn  er  runzelte  unwillkürlich  leicht 
die  Stirn.  „Die  kaiserlich  russische  Regierung," 
betonte  er  offiziös,  indem  er  jede  Silbe  gewichtig 
abwog  und  nachdrücklich  betonte,  „hat  passend  ge- 
funden, direkt  der  befreundeten,  französischen  Re- 
gierung ihre  Stellungnahme  kundzutun.  Bei  dem 
intimen  Verhältnis  beider  Reiche  fühlt  sich  die  hie- 
sige Regierung  Sr.  britannischen  Majestät  nicht  be- 
rufen, ihrerseits  besondere  Abmachungen  zu  hei- 
schen. Die  erforderlichen  Garantien  für  Russlands 
wohlwollende  Haltung  sind  ja  bereits  durch  frühere 
Traktate  des  Zweibundes  gewährleistet." 

Diese  zweideutige  xmd  zu  nichts  verpflichtende 
Mitteilung  nahm  man  mit  höflicher  Verbeugimg, 
aber  tiefem  Schweigen  entgegen.  Was  hiess  hier 
wohlwollende  Haltung  ?  I  Kam  Russland  seinen  Bünd- 
nisverpflichtimgen  nach?  Unter  so  bedrängten 
iimeren  Zuständen  höchst  unwahrscheinlich.  Der 
junge  Protokollführer  warf  wieder  einen  jähen  Sei- 
tenblick auf  den  Italiener,  der  Japaner  bewahrte 
sein  immer  gleiches,  verbindliches  Lächeln.  An  ihn 
wandte  sich  jetzt  der  britische  Minister: 

„Nachdem  wir  uns  über  alle  Punkte  geeinigt, 
bitte  ich,  zum  Schluss  des  Protokolls  noch- 
mals definitive  Beschlüsse  zusammenfassend,  zuerst 
den  Bevollmächtigten  Sr.  Majestät  des  Mikado,  er- 


—     46     — 

neut  kurz  und  bündig  Japans  Willensmeinung  zu 
äussern." 

Der  kleine  gelbe  Asiate  erhob  sich  mit  devoter 
Verbeugung :  ,  Jch  kann  nur  wiederholen,  dass  nach 
dem  Willen  meines  erhabenen  Herrn  Japan  die 
strengste  Neutralität  bezüglich  europäischer  Wirren 
bewahren  wird,  selbstverständlich  dem  Wortlaut  un- 
serer Verträge  mit  der  erhabenen  britischen  Regie- 
nmg  gemäss.  In  Asien  werden  wir  in  treuer  Allianz 
über  englischen  Besitzstand  wachen.  Sollte  z.  B. 
eine  übermächtige  deutsche  Flotte  dort  eingreifen, 
dann  wird  Japan  sicher  das  Feld  betreten." 

„Ein  solcher  Fall  dürfte  wohl  schwerlich  ein- 
treten," lehnte  der  Brite  hochmütig  ab.  Täuschte 
er  sich,  oder  durchzitterte  leise  Ironie  die  ölige  An- 
sprache des  Asiaten? 

„Ich  erlaubte  mir  bereits  früher  zu  bemerken/' 
fiel  der  britische  Militär  ein,  „dass  ich  vom  mUi- 
tärischen  Standptmkt  aus  eine  etwas  wärmere  An- 
teilnahme von  Anfang  an  für  wünschenswert  hielte. 
Es  würde  z.  B.  Kiautschou  als  feindliches  Gebiet  zu 
betrachten  sein  — " 

„Woran  die  britischen  Streitkräfte  gewiss  nichts 
hindert,"  gab  der  gelbe  Herr  nüt  unerschütterlicher 
Ruhe  zur  Antwort.  „Was  Japan  betrifft,  so  hat 
es  keinerlei  Ursache,  Feindseligkeiten  gegen  Deutsch- 
land zu  beginnen,  eine  altbefreundete  und  an- 
gesehene Macht,  mit  welcher  wir  in  langen,  nahen 
Beziehungen  stehen.  Aktiv  würde  Japan  sich  erst  in 
diese  ihm  fernliegenden  Händel  einmischen  dürfen. 


—     46     — 

sobald  die  Interessen  des  in  Asien  verbündeten  Eng- 
land eben  in  Asien  dringend  bedroht  werden." 

,,Da  dies  bei  jetziger  Sachlage  ausgeschlossen, 
müssen  wir  also  folgern,  dass  Japan  sich  über- 
haupt jeder  Aktion  enthalten  wird,"  betonte  der 
Militär  scharf.  „Womit  zugleich  die  Nötigung  für 
uns  verbunden,  selbst  eine  Eskadre  in  Ostasien 
zu  belassen.  Das  britische  Kriegsdepartement  nimmt 
von  dieser  Auffassung  der  Bündnispflicht  geziemend 
Akt." 

„Das  wird  gut  sein  und  freut  uns  sehr."  Der 
kleine  gelbe  Mann  behielt  sein  freundliches  Grinsen, 
doch  eine  gewisse  drohende  Würde  klang  aus  seinen 
glatten,  höflichen  Worten.  „Ebenso  wie  mein  er- 
habener Herr  Se.  Majestät  der  Mikado  vollkommen 
die  Rücksichten  zu  würdigen  wusste,  die  leider  das 
engbefreimdete  Grossbritannien  hinderten,  beim 
Friedensschluss  von  Portsmouth  für  tmsere  Rechte 
und  berechtigten  Forderungen  einzutreten.  Japan  wird 
stets  aufs  loyalste  dem  Wortlaut  seiner  Verträge 
nachkommen,  unbeschadet  seiner  vollen  Aktions- 
freiheit in  anderen  Angelegenheiten."  Er  Hess  sich 
ruhig  auf  seinen  Sitz  nieder  mit  einer  leichten  Geste, 
die  deutlich  besagte,  er  habe  sein  letztes  Wort  ge- 
sprochen. Die  anwesenden  Diplomaten  verrieten 
natürlich  mit  keinem  Wimperzucken,  was  sie  sich 
dazu  dachten.  Bei  der  Wendtmg  ,andere  Angelegen- 
heiten' schielte  der  Protokollführer  auf  den  Ame- 
rikaner und  sah  dann  wieder  auf  sein  Papier  nieder, 
in  das  er  ganz  vertieft  schien.  Zu  diesem  flüchtigen 


—     47     — 

Aufsehen  gab  ihm  jener  selbst  äusseren  Anlass» 
indem  er  sich  etwas  brüsk  erhob,  offenbar  geärgert, 
dass  der  britische  Minister  dem  Japaner  für  Schluss- 
erklärtmg  den  Vortritt  liess. 

>,Ich  kann  mich  dem  Herrn  Vorredner  nur  un- 
bedingt anschliessen,  soweit  mein  Auftrag  in  Ver« 
tretung  der  Vereinigten  Staaten  geht.  Natürlich 
werden  wir  bezüglich  europäischer  Wirren  strikteste 
Neutralität  beobachten,  behalten  uns  aber  natürlich 
freie  Hand  vor  bezüglich  Schutzes  amerikanischer 
Interessen  bei  sonstigen  aussereuropäischen  Ange-* 
legenheiten,  falls  diese  traurige  Weltkrise  weitere 
Kreise  zieht."  War  es  nicht  just  die  nämliche  Wen- 
dung, die  der  Japaner  gebrauchte?  Bei  »sonstigen 
Angelegenheiten'  richteten  sich  verstohlene  Blicke 
auf  den  Aussereuropäer,  der  aber  so  harmlos  und 
imschuldig  dreinschaute,  als  verstehe  er  kein  Ster- 
benswörtchen von  solchen  ernsten  Dingen,  die  über 
seinen  kindlichen  Horizont  gingen.  Der  britische 
Militär  bemerkte  nur  trocken:  „Darf  man  auch  de- 
finitiv zu  Protokoll  geben,  dass  die  starke  Flotten- 
rüstung der  Union  lediglich  defensive  Zwecke 
verfolgt  ?•• 

„Selbstverständlich,"  bekräftigte  der  Yankee 
hastig.  „Man  wird  begreifen,  dass  bei  Flottenkrieg 
von  solchem  Uinfang,  wie  er  bevorsteht,  es  unsere 
Sorge  sein  muss,  die  amerikanischen  Gewässer  vor 
jeder  störenden  Berührung  zu  hüten.  Unsere  Han- 
delswelt  wird  ohnehin  schwer  leiden  durch  die  euro- 
päische Blockade.    Uns  trifft  die  Schädigung  um 


—     48     — 

so  mehr,  als  wir  gerade  mit  Deutschland  in  starker 
merkantiler  Wechselwirkung   stehen." 

,»Ach,  das  wird  sich  schon  anderweitig  ausglei- 
chen!" winkte  der  Militär  mit  leichtem  Spotte  ab. 
„Während  der  alten  napoleonischen  Kriege  machte 
Onkel  Sam  kein  schlechtes  Schmuggelgeschäft  — 
verzeihen  Sie  vielmals!  Jedenfalls  nehmen  das  bri- 
tische Kriegsministerium  und  die  Lords  der  Ad- 
miralität, die  ich  zu  vertreten  die  Ehre  habe,  Ihre 
Erklärtmg  dankbar  entgegen."  Ob  gerade  so  dank- 
bar, liess  sich  aus  seinem  verdriesslich  spöttischen  Ge> 
sieht  nicht  erraten.  Eilfertig  sprang  jetzt  der  spanische 
Grande  von  seinem  Platze  auf,  um  dem  Italiener  zu- 
vorzukommen. Rangstreitigkeiten  der  Etikette  sind 
ja  die  Seele  der  hochmögenden  allweisen  Diplomatie : 

„Ich  glaube,  eine  ähnlich  gefasste  Vereinbarung 
abschliessen  zu  dürfen.  Gemäss  unsem  Abmachun- 
gen mit  Sr.  Britannischen  Majestät  Regienmg  ver- 
bürgen wir  an  und  für  sich  loyalste  Neutralität, 
verpflichten  uns  obendrein,  die  französische  Aktion 
gegen  Marokko  nach  Kräften  zu  fördern;  wenn 
es  sein  muss,  mit  Waffengewalt." 

„Auch  Italien  wird  sich  wohlwollendster  Neu- 
tralität befleissigen,"  kam  endlich  der  Italiener  zu 
Wort,  auf  dem  alle  Blicke  ruhten,  „getreu  seinem 
edeln  Vermittleiamt,  wie  sowohl  seine  alte  frühere 
formale  Dreibimdsverpflichtung  als  seine  auf  na- 
tionaler Sympathie  begründete  herzliche  Freund- 
schaft zu  den  hohen  Allüerten  England  und  Frank- 
reich sie  ihm  auferlegt." 


—     49     — 

„Darf  man  daraus  entnehmen,"  unterbrach  der 
Amerikaner  schroff,  mit  jener  zunehmenden  Drei- 
stigkeit der  Yankeepolitik,  zwar  für  sich  die  Monroe- 
doktrin in  Anspruch  zu  nehmen,  nichtsdestoweniger 
sich  in  europäische  Händel  immer  häufiger  ein« 
zumischen,  „dass  der  Dreibund  faktisch  nicht  mehr 
existiert  ?" 

„Der  Wortlaut  des  Geheimvertrags,"  lehnte 
jener  kalt  ab,  „ist  der  Welt  unbekannt.  £r  war  jeden- 
falls dem  Sinne  nach  nur  gegen  den  Zweibund  ab- 
geschlossen, und  ob  dieser  dem  Sinne  nach  noch 
existiert,  ist  wohl  eine  akademische  Frage,  die  erst 
die  Praxis  demnächst  lösen  wird.  Übrigens  sprach 
kein  geringerer  als  unser  aller  Meister,  der  selige 
Principe  di  Bismarck,  es  offen  aus,  dass  Verträge 
nur  ein  Blatt  Papier  bedeuten,  hinfällig,  sobald 
vitale  nationale  Interessen  in  Rede  stehen.  Diese 
heutige  Konferenz  spielt  ja  freilich  mit  offenen  Kar- 
ten, protokollarisch,  auf  ausdrücklichen  Wunsch  der 
kgl.  Grossbritannischen  Regierung.  Immerhin  wird 
wohl  jedem  Staate  überlassen  bleiben,  bindende  Auf- 
schlüsse für  sich  zu  behalten,  sofern  das  Staats- 
wohl es  bedingt.  Die  Herrschaften  werden  daher 
gütigst  mit  obiger  Feststellung  fürlieb  nehmen,  dass 
Italiens  Neutralität  gesichert  bleibt,  es  trete  denn 
der  Fall  ein,  dass  gravierende  Umstände  eine  andre 
Stellungnahme  nötig  machen." 

Der  Italiener  hatte  mit  jener  biedern  Ehrlich- 
keit seine  gänzlich  unklaren  Beteuerungen  vorge- 
tragen, deren  Pose  seit  Bismarck  zum  eisernen  Be- 

Völker  Europas  .  .  .  l  4 


—     50     — 

stand  der  Diplomatie  gehört.  Die  anderen  Kon- 
ferenzmitglieder trugen  dazu  eine  nichtssagende 
Miene  zur  Schau,  als  hörten  sie  die  plausibelsten 
Gemeinplätze.  Der  Japaner  nickte  mit  freundlich 
friedlichem  Grinsen,  nur  dem  groben  Amerikaner 
entfuhr  ein  undeutlicher,  grunzender  Laut,  ein  ,yHm  I" 
und  „Hai",  das  in  diplomatischer  Sprache  aus- 
drückte: Smart  Fellowl  Seift  ims  nicht  übel  ein! 
„Die  britische  Regierung  ist  völlig  zufrieden- 
gestellt von  so  offenen  loyalen  Gesinnungen!"  be- 
eilte sich  der  Brite  würdevoll  zu  versichern.  Der 
Protokollführer  sah  beharrlich  auf  seine  Papiere, 
die  er  mit  neuem  Schriftsatz  abschloss.  „Mir  bleibt 
nur  übrig,  den  ehrenwerten  illustren  Gentlemen  ins- 
gesamt für  die  Güte  zu  danken,  mit  welcher  sie 
unsrer  Einladung  Folge  leisteten,  und  besonders  ihren 
hohen  Regierungen  für  die  edle  Bereitwilligkeit,  mit 
der  sie  ihre  Bevollmächtigten  entsandten.  Diese  so 
überaus  offene  Aussprache  schien  uns  dem  heutigen 
Stand  der  politischen  Welt  angemessen.  Diploma- 
tische Geheimnisse  gibt*s  nicht  mehr,  diese  veraltete 
Technik  ist  vieux  jeu.  Morgen  würde  in  der  Presse 
durchsickern,  was  einzelne  Mächte  separat  verein- 
bart. Hier  nun,  wo  es  sich  lediglich  um  Fest- 
setzung der  Neutralitäten  handelt,  erschien  der  beste 
Ausweg,  ganz  offen  imter  uns  die  Lage  zu  erörtern 
und  durch  bindendes  Protokoll  dem  Status  quo  der 
Weltpolitik  einzuverleiben.  Das  ist  geschehen.  Jeder 
weiss  nun,  woran  er  ist.  Mit  nochmaligem  Ausdruck 
verbindlichsten  Dankes  hebe  ich  die  Sitzung  auf." 


—     51     — 

Aber  während  die  Delegierten  unter  gegen- 
seitigen verbindlichen  Zeremonien  sich  empfahlen, 
flüsterte  der  Militär  dem  Italiener  hastig  und  heim- 
lich zu:  „£s  bleibt  also  dabei?'* 

„Wenn  es  so  kommt,  wie  vorauszusehen,"  gab 
jener  in  gleichem  Flüsterton  zurück  und  empfahl 
sich   dann  laut  mit  unnötigem  Redeschwall. 

Der  Amerikaner  kicherte  in  sich  hinein:  wen 
will  man  denn  hier  täuschen  1  Indem  er  sich  mit 
kaltem  Gruss  vom  Japaner  trennte  und  zu  einem 
Cocktail  nach  Hause  fuhr,  dachte  er: 

„Das  wird  eine  dicke  Suppe  für  eiserne  Löffel. 
Italiens  Neutralität  ist  ein  so  zerbrechliches  Ge- 
fäss,  dass  beim  ersten  Brodeln  die  heisse  Suppe 
überrinnt.  Natürlich  wollen  die  Italianissimi  im  trü- 
ben fischen  und  sich  vom  Sieger,  sei's  wer's  wolle, 
was  schenken  lassen,  wie  1859,  1866,  im  Grunde 
auch  1870,  wo  sie  des  teuren  Gönners  Frankreich 
Niederlage  zur  Wegnahme  von  Rom  benutzten  und 
dem  Kirchenstaat  den  Garaus  machten.  Uns  kann*s 
recht  sein,  je  toller  desto  besser.  Je  vollständiger 
sich  ganz  Europa  schwächt,  desto  effektvoller  un< 
ser  Auftreten,  sobald  diese  Unvereinigten  Staaten 
von  Europa  sich  müde  rangen.  Anlass  zu  Ein- 
mischimg und  obligater  Kriegsei^lärung  kann  jeder 
Tag  im  Seekrieg  liefern.  Die  selige  Alabamafrage 
vom  Sezessionskrieg  irgendwo  in  verbesserter  Auf- 
lage, denn  irgendwie  wird  mal  die  amerikanische 
Flagge  auf  einem  Handelsschiff  verletzt  werden,  und 
dies!mal  nehmen  wir  einfach  Englands  Entschuldi- 

4* 


—     52     — 

gung  nicht  an.    Unsre  Gelbe  Presse  wird  zwar  von 
Britenfreundlichkeit  überfliessen,  aber  die  Irländer 
und  Deutschamerikaner  werden  schon  dafür  sorgen, 
dass  der  einstige  angestammte  Rivalitätshass  gegen 
die  Britishers  die  Mehrheit  der  Nation  beherrscht. 
Dazu  die  Handelsschädigung,  mit  jedem  Monat  des 
Seekriegs    wachsend,    womöglich   bei  der  prekären 
Arbeitslage  zu  sozialistischen  Tumulten  führend.  Also 
Ablenkung  nach  aussen.    Dies  ist  der  Augenblick, 
von  dem  Roosevelt  schon  so  lange  geträumt,  ame- 
rikanischen Imperialismus  grossen  Stils  zu  treiben, 
er  käme  so  günstig  nie  wieder.    Canada  muss  jetzt 
fallen.    Famos,  dass  wir  so  lange  warteten,  bis  Ca- 
nada durch  britische  Fürsorge  auf  einmal  ein  wert- 
vollstes Objekt  geworden,  früher  wenig  wert!    Ach, 
ich  höre  schon  die  Botschaft  des  Präsidenten,  zu- 
gleich   herrische  Botschaft   an  Europa,    dass  Ame- 
rika nicht  länger  diese  barbarischen  Kriegsattentate 
gegen  die  moderne  Kultur  dulden  werde!    Im  Na« 
men  der  Zivilisation  werden  wir  Frieden   schaffen 
und  als  Anwaltsgebühr  das  Nötige  einstreichen.  Viel- 
leicht auch  in  Ostasien.   Mir  schwant,  die  Japs  wer 
den  schon  bald  uns  auf  den  Plan  rufen  und  so  un- 
ser Frontmachen  gegen  England  erleichtem.    Ihre 
Umtriebe  auf  den  Philippinen  sind  ernst  gemeint,  sie 
werden  uns  dort  direkt  oder  indirekt  angreifen.  Da- 
zu  kommt   die   Chinabewegung.    Wir   werden    uns 
ein  Selbstmandat  zum  Schutz  der  Europäer  ausstellen 
und  kräftig  losgehen.  Da  winkt  noch  mancher  Preis 
in    Ozeanien.     Von    Samoa    bis    zu   Honolulu    ist's 


—     53     - 

nicht  weit,  von  Manila  nicht  bis  Java.  Bah,  vennut- 
lieh  denken  die  Japs  das  gleiche.  Das  wird  ein 
netter  Zusammenstoss.  Wohl,  ich  kalkuliere,  die 
Bahn  unsrer  Politik  sei  ganz  von  selber  vorgezeich- 
net. Wir  haben  Deutschland  unsrer  wärmsten  Neu- 
tralität versichert,  einer  andern  Sorte  als  der  hiesi- 
gen Neutralität  mit  Hintergedanken,  sogar  deutliche 
Ermutigungen  einfliessen  lassen,  halbe  Versprechen. 
Abel  ich  rechne,  es  wäre  schön  dumm,  schon  jetzt 
für  Deutschland  ins  Zeug  zu  gehen.  Ist  am  Ende 
doch  auch  ein  bittrer  kommerzieller  Konkurrent,  und 
unsre  Zukunft  bedingt,  dass  Deutschland  und  Eng- 
land auf  lange  geschwächt  werden.  Sind  diese  Euro- 
päer dumml  Arbeiten  uns  in  die  Hände.  Einmal 
müsste  Europa  ja  doch  vor  Amerika  kapitulieren, 
aber  sie  ebnen  ims  selbst  den  Weg.  Heut  noch 
wären  die  Vereinigten  Staaten  von  Europa  stark 
genug,  unsre  Entwicklung  zurückzuwerfen,  auch  Ost- 
asien Gesetze  zu  diktieren.  Doch  ihr  gegenseitiger 
alberner  Hass  und  Neid  treiben  sie  selbst  ins  Ver- 
derben. Die  Narren  I  Koalition  gegen  England,  Zer- 
trümmerung des  British  Empire,  bedeutet  gar  nichts 
als  allgemeine  Schwächung  Europas  gegen  die  an- 
dern Weltteile.  Englands  Weltmacht  ist  im  letzten 
Grunde  doch  nur  Europas  Mandatar  zur  Nieder- 
haltung der  andern  Rassen.  Und  umgekehrt  Ruin 
des  deutschen  Seehandels  —  davon  will  England 
profitieren?  Als  ob  wir  und  Japan  nicht  schon  ge- 
rüstet wären,  jetzt  sofort  die  Früchte  einzuheimsen, 
in  Ostasien  während  des  Kriegs  deutsche  und  bri- 


—     54     — 

tische  Firmen  zu  verdrängen!  Ach,  noch  nie  hing 
Amerikas  Himmel  so  voller  Geigen.  Heil  Columbia! 
Da&  Sternenbanner  bekommt  neue  Sterne.  Uns  allein 
gehört  die  Zukunft.    Das  walte  Gott!" 

.  •  .  Als  der  spanische  Delegierte  mit  herzog- 
licher Grandezza  seine  Havana  schmauchte  und 
beschaulich  Schokolade  schlürfte,  waren  seine  Träume 
minder  rosig.  „Es  ist  alles  ganz  gut  imd  schön,  wenn 
das  Volk  daheim  sich  immer  noch  einbildet,  wir 
seien  eine  Grossmacht,  die  mitredet.  Was  wird  für 
uns  bei  Intervention  in  Marokko  herauskommen? 
Nichts,  nur  unnütze  Kosten.  Man  wird  ims  irgend- 
einen kleinen  Küstenstreifen  als  Entschädigung 
hinwerfen,  Frankreich  bekommt  den  Löwenanteil, 
und  England  wird  auch  noch  beim  Frieden  dafür 
sorgen,  seine  jetzt  ziemlich  fadenscheinige  Gibraltar- 
stellung zu  befestigen.  Sollte  nüch  nicht  wimdem, 
wenn  es  nicht  Genta  und  Tanger  mit  Beschlag  be- 
legt. Wir  müssen  ims  jede  Bedingung  des  Friedens- 
traktates nachher  gefallen  lassen,  die  hohen  Kontra- 
henten Frankreich  imd  England  tun,  was  ihnen 
gutdünkt.  Glaubt  man,  dass  wir  ihnen  besondere 
Anhänglichkeit  entgegenbringen  ?  Die  Franzosen  sind 
unser  alter  Erbfeind,  wir  kennen  ihre  Übergriffe 
und  Habgier  zur  Genüge.  Und  die  Briten,  von 
denen  wir  seit  der  Armada  bis  Trafalgar  so  viel 
Böses  zu  leiden  hatten,  machten  sich  als  Bundes- 
genossen während  unsres  Befreiungskrieges  so  ver- 
hasst  wie  die  fränkischen  Eroberer.  Welche  Be- 
rührungspunkte  hat   unser   christgläubiges   konser- 


—    66     — 

vatives  Land  mit  den  kalten,  ketzerischen  Liberalen 
an  der  Themse  1  Und  die  Kirchenräuber,  Atheisten, 
Republikaner  an  der  Seine  sind  noch  schlimmer  als 
Ketzer  und  Heiden.  Deutschlands  konservative  Insti- 
tutionen als  Bollwerk  des  monarchischen  Gedan- 
kens stehen  uns  weit  näher,  vor  allem  haben  wir 
von  ihm  nichts  zu  fürchten,  selbst  wenn  es  sich 
in  Marokko  festsetzt.  Übrigens  leidet  imser  Handel 
auch  durch  diesen  Krieg,  da  wir  mit  Deutschland 
einen  guten  Export  haben.  Ausserdem  könnte  sein 
Standpimkt  der  offnen  Tür  in  Marokko  uns  nur 
willkommen  sein.  Wenn  die  Franzosen  uns  heut  eine 
Ausnahmebegünstigung  dabei  versprechen,  so  weiss 
man,  was  man  davon  zu  halten  hat :  ihr  Löwenanteil 
wird  mletzt  doch  noch  ziun  ausschliesslichen  Monopol. 
Spanien  und  Portugal  betrachteten  von  jeher  Ma- 
rokko als  ihre  Interessensphäre,  mm  sollen  wir  wohl 
noch  zufrieden  sein,  dass  Frankreich  ims  dort  ganz 
hinausdrängt,  und  sein  Afrikareich  uns  nun  von  Sü- 
den ebenso  umgürtet,  wie  es  von  Norden  an  den 
Pyrenäenpässen  ims  belauert  1  Wenn  man's  recht  be- 
denkt, geraten  wir  durch  diese  Konstellation  in  völ- 
liges Vasallenverhältnis  zu  Frankreich  imd  England. 
Und  dazu  sollen  wir  noch  helfen  1  £s  ist  zum  Ver- 
zweifeln, doch  was  will  man  machen!  Solange 
Deutschland  keine  Grossmacht  zur  See,  kann  es 
uns  nicht  stützen.  Die  Allüerten  könnten  uns  schon 
durch  blosse  Blockade  von  Barcelona,  Malaga,  Ca- 
diz,  Coruiia  ihrem  Willen  gefügig  machen,  ohne 
einen  Soldaten  zu  mobilisieren.  Wir  Kleinen  müssen 


—     56     — 

schon  froh  sein,  wenn  wir  nicht  gefressen  wer- 
den, und  wir  dürfen  im  Interesse  von  König  und 
Kirche  nichts  Ernstes  in  auswärtiger  Politik  wagen, 
weil  jeder  Misserfolg  uns  republikanischen  Umsturz 
oder  den  Anarchismus  auf  den  Leib  bringt.  Bei- 
läufig begünstigen  die  Franzosen,  unsere  lieben 
jetzigen  Freunde,  natürlich  unsere  republikanische 
Partei,  und  unsere  Anarchisten  haben  ihr  Brutnest, 
aus  dem  sie  immer  wieder  Kräfte  saugen,  auch  dort 
im  bösen  Nachbarland.  All  unsere  nationalen  und 
konservativen  Interessen  weisen  uns  also  auf  Tod- 
feindschaft gegen  Gallien  hin,  imd  nun  nimmt  es 
uns  noch  gar  ins  Schlepptau  für  seine  eigenen 
Machtinteressen  I  Mein  Trost  ist  nur,  dass  Marokko 
eine  harte  Nuss  zum  Knacken  aufgibt,  dass  es  noch 
lange  dauern  kann,  eh  Frankreichs  Magen  diese 
neue  Kost  verdaut,  und  dass  wir  selber  an  Aus- 
flüchten nicht  arm  sein  werden,  um  so  gut  ¥de 
nichts  zu  dieser  Eroberung  beizutragen.  Mich  wun- 
dert nur,  dass  die  edeln  Alliierten  ihre  anfängliche 
Zumutimg,  unser  bisschen  Flotte  und  Landmacht 
ihnen  gegen  Deutschland  zur  Verfügung  zu  stellen, 
gegenüber  unseren  Vorstellungen  aufgaben,  weil 
solche  Ausnutzung  Spaniens  für  fremde  Zwecke  un- 
sere Monarchie  für  immer  unpopulär  machen  und 
ihren  Bestand  gefährden  müsse.  Also  freuen  wir 
uns,  dass  das  Übel  nicht  noch  schlimmer  ist,  und 
tragen  wir  schweren  Herzens  dies  Joch  einer  schimpf- 
lichen Neutralität  in  majorem  Galliae  gloriam."  — 
Ganz  anders  aber  und  minder  entsagungsreich 


—     57     — 

betrachtete  Italiens  Vertreter,  dessen  klassisch  ab- 
getönte Beredsamkeit  mit  sonorer  Pose  die  Konfe- 
renzgespräche so  angenehm  belebt  hatte,  die  Chan- 
cen seines  Staates.  Ein  machiavellistisches  Lächeln 
umspielte  seine  Lippen,  als  er  mit  gerechtem  Stolze 
fühlte,  wie  unentwegt  ein  italienischer  Patriot  den 
Mantel  nach  dem  Winde  drehen  und  als  Nach- 
folger der  Roma  eterna,  wie  sowohl  das  Kapitol 
als  der  Vatikan  ihre  Geschäfte  betrieben,  von  heut 
auf  morgen  Freund  und  Feind  wechseln  dürfe. 

„Hoffentlich  wähnen  die  hohen  Alliierten  nicht, 
Italien  werde  sich  für  ihre  schönen  Augen  in  Un- 
kosten stürzen.  Das  sollte  mir  leid  tun.  Wir  haben 
uns  offiziell  zu  gar  nichts  verbindlich  gemacht,  meine 
privaten  Verheissungen  können  im  Notfall  nachher 
desavouiert  werden.  Wenn  sie  so  naiv  sind,  zu 
hoffen,  wir  spielten  nur  mit  Berlin-Wien  ein  un- 
gerades Spiel,  um  dafür  durch  dick  und  dünn  den 
Westmächten  zu  folgen,  könnte  ich  solchen  Irrtum 
nur  mitleidig  bedauern.  Falsches  Spiel,  per  baccol 
Wer  spielt  es  nicht  im  Staatsleben?  Doch  wir  sind 
wenigstens  unparteilich  und  verpflichten  uns  gegen 
niemand,  ihm  blindlings  Treue  zu  halten.  ,Wenn 
ich  mich  nicht  liebe,  wer  liebt  mich  dann!*  sagt 
unser  Sprichwort  so  schön  im  Volksmund.  Die 
anderen  denken  und  handeln  ebenso,  aber  plumper 
und  naiver.  Sich  über  uns  entrüsten,  wäre  zum 
Lachen.  Denn  was  man  uns  auch  vorwerfe,  eins 
muss  man  uns  lassen:  Patrioten  sind  wir  alle,  und 
Italiens  Wohl  bedingt,  dass  wir  imsere  materielle 


—     58     — 

Schwäche  durch  feine  List  ersetzen,  wie  unsere  hi- 
storscfaen  Traditionen  sie  uns  erb-  und  eigentümlich 
einimpften.  Tu  felix  Austria  nubel  können  wir  er- 
gänzen: Und  du,  glückliches  Italien,  verbünde  oder 
befreunde  dich  mit  aller  Welt,  suchet,  so  werdet 
ihr  finden,  wählet  und  das  Beste  behaltet!  —  In 
Berlin- Wien  haben  wir  hoch  und  heilig  geschworen, 
dass  die  antidreibündlerische  franzosenfreundhche 
Stinunimg  im  Lande  uns  für  den  Anbeginn  unmög- 
lich mache,  mit  bewaffneter  Hand  imserer  Verpflich- 
tung nachzukommen.  Später  aber  würden  wir  um 
so  energischer  losschlagen,  sobald  erst  Frankreichs 
voraussichtliche  Niederlage  eintrete,  an  der  wir  an- 
geblich nicht  zweifeln.  Damit  würden  wir  Zeit- 
gewinn erkaufen,  dass  die  Alliierten  nicht  selber 
gleich  über  uns  herfallen  und  imsere  Flotte  ver- 
nichten, Spezzia  zerstören,  unsere  Häfen  bombar- 
dieren. Indem  dies  durch  unsere  zwangsweise  Neu- 
tralität verhindert  werde,  würden  wir  unnützen  Kräfte- 
verlust sparen,  um  nachher  bei  günstigem  Um- 
schwimg  der  Lage  imsere  Macht  gegen  das  unter- 
liegende Frankreich  in  die  Wagschale  zu  werfen. 
Um  hierfür  gerüstet  zu  sein,  mobilisierten  wir  na- 
türlich auch,  ohne  ims  vom  Flecke  zu  rühren.  — 
Täuschten  wir  irgend  jemanden  damit?  Kaum. 
Als  Antwort  schiebt  Österreich  schon  vier  Korps 
an  die  Südgrenze.  Aber  äusserlich  machte  man  gute 
Miene  zum  bösen  Spiel  und  tat,  als  verlasse  man 
sich  wirklich  auf  imseren  guten  Wülen.  Und  im 
Grunde  verfahren  wir  dabei  nicht  imehriicher,  als 


—     59     — 

den  Westmächten  gegenüber.  Denn  wer  kann  schon 
jetzt  voraussagen,  ob  wir  nicht  wirklich  obiges  Ver- 
sprechen wahr  machen?  Ja,  der  britischen  und  fran- 
zösischen Regierung  haben  wir  privatim  beteuert, 
wir  warteten  nur  auf  Ausreifen  der  Lage,  um  Öster- 
reich zu  Wasser  und  zu  Lande  anzufallen.  Haben 
unter  der  Hand  die  feste  Zusicherimg  erhalten,  dass 
dann  Triest,  Trient  und  Albanien  unser  Siegespreis 
sein  würden.  Und  das  wäre  uns  gewiss  das  Will- 
kommenste. Aber  die  Alliierten  sollten  sich  nicht  mit 
der  Zuversicht  schmeicheln,  dass  wir  uns  auf  solch 
Abenteuer  einlassen,  das  beim  Scheitern  den  Ruin 
unserer  kaum  wiederhergestellten  Finanzen  bedeuten 
und  uns  unsere  Grossmachtstellung  kosten  könnte, 
wenn  nicht  alle  Chancen  für  imsern  Erfolg  sprechen. 
Österreichs  inneri>olitische  Zerrüttung  frass  sein  Heer 
kaum  an,  wenn  es  gilt,  nach  aussen  zu  streiten,  imd 
unterliegt  Frankreich,  stehen  wir  wehrlos  und  ohn- 
mächtig zu  Lande  da.  Das  bisschen  Küstenblockade 
hilft  ims  da  wenig.  Die  Frage  liegt  einfach  so,  ob  sich 
wirklich  ein  Übergewicht  gegen  Deutschland  heraus- 
stellt, tmd  ob  Russland  imstande  wäre,  Österreich 
im  Schach  zu  halten,  so  dass  es  gegen  uns  nur  einen 
kleinen  Teil  seiaer  Waffenmacht  defensiv  ver- 
wenden kann.  Hier  kann  die  geringste  Trübimg  des 
klaren  Urteüs  imsere  richtige  Abwägung  ins  Schwan- 
ken bringen.  Man  kann  nie  zu  vorsichtig  in  der  Wahl 
seiner  Freunde  sein.  Denn  es  lässt  sich  nicht  leug- 
nen, dass  wir  auch  gegen  Frankreich  Vorteile  zu 
erlangen   hätten,    wenn   wir   noch   rechtzeitig    zur 


—     60     — 

Beuteverteilimg  einseifen.  Um  Frankreich  zu  demü- 
tigen und  zu  schwächen,  würde  Deutschland  uns 
Nizza-Savoyen  hinwerfen,  was  unsere  Irredenta  wohl 
etwas  beschwichtigen  könnte,  auf  Tunis  hätten  wir 
dann  auch  gerechten  Anspruch.  Wer  weiss,  was  die 
Zeit  noch  bringt!  J'attendrai  mon  temps.  So  wollen 
wir  behutsam  lavieren,  bis  unser  Stichwort  ims  in 
die  Schranken  ruft  und  das  Versteckenspielen  enden 
darf:  La  commedia  h  finita."  — 

Als  die  fremden  Delegierten  die  drei  Briten  allein 
liessen,  sahen  diese  sich  stumm  an.  An  den  jungen 
Parlamentarier,  der  einen  Augenblick  dem  treuherzig 
scheidenden  Italiener  mit  mokantem  Lächeln  nach- 
blickte,  dann  leicht  gähnend  sein  Protokoll  zuschlug, 
wandte  sich  der  Minister  mit  unverhohlener  Ver- 
legenheit:  „Was  halten   Sie  davon?" 

„Wohl,  wir  müssen  uns  mit  der  Tatsache  abfin- 
den, dass  die  lange  Debatte  gar  nichts  erreichte, 
wir  nur  erfuhren,  was  wir  schon  wussten.  Es  liess 
sich  nichts  abmarkten.  Der  Jap  blieb  kühl  und 
zähe,  der  Yankee  zweideutig,  imd  beide  ominös." 

„Ja,  aber  gegen  wen  ?  Sie  massen  sich  doch  nur 
gegenseitig  mit  verstohlenen  Drohblicken,  wenn  ich 
sie  recht  verstand.  Nun,  ob  sie  sich  in  die  Haare 
geraten,  kann  uns  fürs  erste  kalt  lassen." 

„Meinen  Sie?  Wenn  Amerika  in  Asien  mit 
Japan  ficht,  tritt  doch  unsere  eigene  Bündnispflicht 
in  Kraft,  und  wir  hätten  dann  die  Union  selber  auf 
dem  Halse." 


—     61     — 

^,Das  Kurze  und  Lange  von  der  Sache  ist,"  der 
Militär  zuckte  verdriesslich  die  Achseln,  „dass  wir 
eine  starke  Eskadre  in  Ostasien  belassen  müssen. 
Den  Franzosen  wird  es  kaum  anders  gehen,  falls  die 
chinesische  Bewegung  um  sich  greift,  und  die  alten 
Schwarzflaggen  sich  gegen  Tonkin  und  Cochinchina 
wenden.  Das  sind  grosse  Unannehmlichkeiten,  die 
man  früher  doch  besser  hätte  überlegen  sollen.  Un- 
sere Diplomaten  sind  von  Japans  und  Amerikas 
freundschaftlichen  Tendenzen  allzusehr  überzeugt  ge- 
wesen. Einen  gehörigen  Teil  unserer  Flotte  brau- 
chen wir  ohnehin  in  dortigen  Gewässern,  um  even- 
tuell auf  die  holländischen  Kolonien  unsere  Hand 
zu  legen,  falls  die  Deutschen  frech  genug  sein  soll- 
ten, Holland  zu  besetzen  und  als  Faustpfand  zu 
belegen.  Vorwand  dazu  bietet  sich  ja  leicht:  um 
englische  Landung  dort  zu  hindern,  wofür  Holland 
zu  schwach." 

„Hm,  kam  Ihnen  nie  der  Gedanke,  dass  Deutsch« 
land  noch  was  anderes  Holländisches  als  Faustpfand 
gewinnen  könnte?"  Der  Parlamentarier  sah  ernst 
aus,  sein  heiterspöttischer  Ausdruck  verliess  ihn 
ganz.  „Was  sagen  Sie  zu  fünfzehntausend  kriegs- 
erfahrenen deutschen  Soldaten  in  Südwestafrika, 
die  ihren  Marsch  zum  Oranje-  und  Kapland  bewerk- 
stelligen können?  Mit  Mühe,  ich  geb*  es  zu,  doch 
wo  ein  Wille  ist,  da  ist  ein  Weg,  und  der  allge- 
meine Aufstand  der  Buren,  Afrikander  und  Schwar- 
zen, welch  letztere  ja  schon  in  Natal  sich  unliebsam 
bemerkbar  machen,  würde  den  Weg  erst  recht  eb- 


—     62     — 

nen.  Wenn  wir  schon  der  Buren  allein  mit  ^n^össter 
Mühe  und  riesigen  Opfern  Herr  wurden,  wie  stände 
es  denn  jetzt?  Die  ganze  Kolonie  ginge  für  Eng- 
land verloren  und  ihr  Zurückgewinn  würde  gün- 
stigenfalls doppelt  so  viel  Menschen  und  Geld  kosten, 
als  der  Transvaalkrieg,  an  dessen  Folgen  wir  noch 
heut  so  schwer  laborieren." 

„Ach,  das  sind  Schimären  I**  polterte  der  Militär. 
„Eine  Armee,  die  sich  nicht  rekrutieren  kann,  ist 
zur  Kapitulation  verurteilt :  So  bekannte  schon  Bona- 
parte bezüglich  seiner  ägyptischen  Expedition.  Die 
deutschen  Truppen  in  Afrika  wären  dauernd  vom 
Mutterland   abgeschnitten." 

„Würden  sich  aber  durch  dortige  Deutsche  und 
Holländer  genügend  rekrutieren.  Darauf  kommt  es 
hier  gar  nicht  an.  Denn  in  Südwestafrika  wären  sie 
ja  geradesogut  während  der  Kriegsdauer  abge- 
schnitten, deutsche  Schiffe  können  sie  nicht  recht- 
zeitig heimholen.  Als  das  verflossene  Tory-Mi- 
nisterium  den  patriotischen  Missgriff  beg^g,  He- 
reros imd  Hottentotten  gegen  die  Deutschen  zu 
hetzen,  rechnete  es  eben  nicht  auf  die  Möglichkeit, 
dass  wir  selber  in  offenen  Kampf  mit  Deutschland 
verwickelt  werden  würden,  so  bald  imd  doch  schon 
zu  spät,  da  der  Hereroauf  stand  mittlerweile  erlosch. 
Ich  habe  ja  nichts  gegen  Perfidie  im  politischen 
Leben,  britische  Realpolitik  gab  sich  nie  mit  Senti- 
mentalitäten ab,  aber  in  dieser  Hererofalle  fangen 
wir  uns  selber,  wie  wir  im  Grunde  schon  beim 
Transvaalerwerb  vom  Regen  in  die  Traufe  gerieten." 


—     63     — 

Der  Minister  seufzte.  „Das  stimmt.  Ich  war 
immer  dagegen.  Auch  so  eine  böse  Hinterlassen- 
schaft der  Herren  Chamberlain  imd  BalfourI" 

„Und  einiger  anderer,  die  wir  aus  Ehrfurcht 
nicht  nennen  wollen!"  murmelte  der  Parlamentarier 
vor  sich  hin.  „Übrigens  könnten  die  Pariser  Finan- 
ziers, die  hinter  Monsieur  R6voil  in  Algeziras  standen 
und  für  deren  kommerzielle  Gruppe  Frankreich  jetzt 
sein  Blut  vergiesst,  sich  eine  Lehre  an  uns  nehmen. 
Wenn  sie  überhaupt  je  Marokko  verschlucken,  wird 
es  ihnen  im  Magen  liegen  wie  dem  Londoner  Minen- 
syndikat.'* 

„Das  ist's  ebenl"  rief  der  Minister  unwirsch. 
„Die  Plutokraten  Rothschild  und  Beit  imd  all  die 
andern  Transvaaljuden  haben  sich  nicht  träumen 
lassen,  dass  all  unsere  Riesenkosten  zum  Fenster 
hinausgeworfen  sind.  Der  Minenbetrieb  ist  ruiniert, 
die  Restaurierung  des  Landes  fordert  endlose  Opfer, 
und  was  das  Schlimmste,  es  stellt  sich  jetzt  heraus, 
dass  man  überhaupt  Johannesburg  und  Kimberley 
weit  überschätzte.  Der  nämliche  Fall  wie  bei  den 
Califomischen  Minen:  das  alles  erschöpft  sich  mit 
der  Zeit.  England  hat  nie  ein  so  schlechtes  Geschäft 
gemacht  wie  bei  Vernichtung  der  Buren." 

„Ich  wiU  nicht  hoffen,  dass  hier  unpatriotische 
Gefühle  zutage  treten,  die  sich  in  letzter  Linie  gegen 
eine  sehr  hohe  Adresse  richten  würden,  die  ja  auch 
in  diesem  welthistorischen  Augenblick  die  Richtung 
unserer  Politik  bestimmt,"  brach  der  Militär  schroff 
und   barsch  ab.    „Die  infamen   Schmähungen  der 


—     64     — 

Deutschen  über  unsem  sogenannten  ^Raubzug'  wollen 
wir  doch  nicht  nachtönen.  Der  Krieg  war  gerecht 
und  heilig,  denn  wir  eroberten!  Jedes  Briten  Pflicht 
ist  der  Gedanke,  den  Union  Jack  inuner  weiter  über 
den  Erdball  flattern  zu  lassen.  Im  übrigen  halte 
ich  die  Kapgefahr  für  Hirngespinst.  Starker  Truppen- 
transport wird  nach  Dutban  abgelassen  werden  — ** 

„Was  Sie  nicht  sagen  I"  unterbrach  ihn  der  Par- 
lamentarier spitz.  „Und  was  bleibt  dann  für  Lan- 
dungen oder  wenigstens  Demonstrationen  unserer 
kleinen  Armeen  in  Europa,  was  für  Ägypten  und 
Sudan,  wo  sicher  auch  grosse  Verstärkung  nötig?" 

„Meinen  Sie  den  Kaiser  der  Sahara  oder  den 
neuen  Mahdi?"  lachte  jener  verächtlich  auf. 

„Nein,  ich  meine  den  alten  Menelik  und  ausser- 
dem den  so  robusten  kranken  Mann  am  Bosporus.*' 

„Ach,  Sie  schwärmen  I  Der  Sultan  wird  gerade 
wagen  — '* 

„O  doch!"  belehrte  ihn  der  Minister.  „Wir 
dürfen  uns  nicht  die  Tatsache  wegleugnen,  dass  die 
Türkei  unterm  Vorwand  der  arabischen  Unruhen 
immer  mehr  Streitkräfte  im  Paschalik  Damaskus 
anhäuft,  dass  trotz  all  unserer  drohenden  Beschwer- 
den türkische  Brigaden  an  unsrer  ägyptischen  Grenze 
lagern,  dass  der  Sultan  überhaupt  mobilisiert.  Das 
Vilajet  Janina  steckt  schon  voll  von  Redifmassen, 
dichte  Feldlager  sanuneln  sich  in  Macedonien,  als 
wolle  die  hohe  Pforte  sich  nicht  länger  einschüchtern 
lassen  und  die  Balkanfrage  auf  eigene  Verantwortung 
in  die  Hand  nehmen.    Natürlich,  Russlands  ist  man 


—     65     — 

vorerst  ledig,  Österreichs  durch  Deutschlands  Ver- 
mittlung sicher,  und  uns  konunt  blosse  Flottenbe- 
drohung von  Konstantinopel  jetzt  äusserst  ungelegen. 
Wenn  unsre  Flotte  auch  dreimal  stärker  als  die 
deutsche,  die  französische  fast  doppelt,  deren  Quali- 
tät zu  wünschen  übrig  lässt,  90  müssen  wir  ausser 
dem  ostasiatischen  noch  ein  erhebliches  Mittelmeer- 
geschwader imterhalten,  denn  mindestens  pro  forma 
muss  Italien  anfangs  beobachtet  werden.  In  Afrika 
braucht  man  auch  Schiffe  wegen  der  Kapgefahr. 
Nun  noch  die  Türkei  im  Zaum  halten  müssen, 
schwächt  unsre  Übermacht  zur  See  gegen  Deutsch- 
land doch  recht  erheblich.  Gewiss,  das  Nordsee- 
geschwader ist  schon  allein  weit  überlegen,  der 
»Dreadnought*  wird  das  Seinige  tun,  das  Reserve- 
kanalgeschwader verleiht  uns  erdrückendes  Über- 
gewicht im  Verem  mit  starker  französischer  Es- 
kadre  .  .  .  Doch  man  möchte  wünschen,  sich  ganz 
und  gar  gegen  Deutschland  konzentrieren  zu  könnexL 
Und  die  Gefahr  in  Afrika  ist  nicht  zu  unterschätzen. 
Sobald  der  Padischah  den  heiligen  Krieg  erklärt  und 
die  grüne  Fahne  des  Propheten  entroUt,  wird  die 
ganze  musehnännische  Welt  in  Flammen  stehen» 
von  Marokko  bis  Indien." 

„Für  Indien  lassen  Sie  Kitchener  sorgen  l"  Der 
Militär  strich  sich  den  Schniurbart.  „Was  für  Ängst- 
lichkeiten! Heut,  wo  Russland  aus  dem  Spiele  bleibt, 
wo  Japan  den  Schutz  Indiens  kontraktlich  mit  über- 
nahm — •• 

„B^>  mich  sollte  nicht  wundem,  wenn  schon  ja- 

V0Ucer  Europas  .  .  .  i  5 


—     66     — 

panische  Sendlinge  am  Ganges  hantierten,  um  Re- 
volte vorzubereiten.  Gemeinsamkeit  buddhistischer 
Tendenzen,  Hass  gegen,  die  Weissen,  Stolz  aller 
Asiaten  auf  Japans  Erfolge  werden  wir  dort  bald  am 
Werke  sehen.  Die. Boykottbewegung  gegen  alle  briti- 
schen Waren  in  Indien  sollte  doch  dem  Naivsten  über 
das  Mass  von  Hingebung  zu  denken  geben,  das  wir 
bei  unsern  braunen '  Vasallen  geniessen."  Der  Parla- 
mentarier machte  eine  unmutige  Bewegung.  „Mit 
solcher  Vogel-Strauss-Politik  verblendet  man  sich 
nur.  Statt  den  Kopf  in  den  Sand  zu  stecken,  sollten 
wir  geradaus  der  Weltlage  ins  Gesicht  schauen,  wie 
wir  unter  höherem  Einfluss.  sie  uns  jetzt  geschaffen." 

„Soll  das  heissen,  dass  Sie  unsem  Nationalkrieg 
gegen  Deutschlands  Frechheit  zum  Schutz  unsrer 
heiligsten  Güter  für  verfehlt  halten?*'  fragte. der  Mili- 
tär strenge.  „Das  möchte  ich  mir  doch  äusbitten: 
mehr  Respekt  vor  dem  einmütigen  Willen  des 
Landes  1" 

„Nun,  jiunl  »Einmütig*  ist  viel  zu  viel  gesagt  I" 
schob  der  Minister  kühl  diese  Übertreibung  beiseite. 
„Das  Hurragebrüll  des  Mobs  und  der  Jubel  vieler 
Interessenten  bilden  noch  kein  einstimmiges  Votimi. 
Die  Minister  Sr.  Majestät  haben  sich  leider  vor  die 
Alternative  gestellt,  entweder  vor  künstlicher  Pression 
von  ihrem  Platz  zu  weichen,  den  Sieg  des  Liberalis- 
mus aufs  neue  in  Frage  zu  stellen  und  einer  neuen 
jtngoistischen  Strömung  zur  Leitung  zu  verhelfen, 
oder  die  frühere  auswärtige  Politik  der  Balfour  und 
Lansdowne    wiederaufzunehmen    und    fortzusetzen. 


—     67     — 

Wir  entschieden  uns  für  das  letztere,  mm  Teil  auch 
überzeugt,  dass  irgendeinmal  Krieg  gegen  Deutsch- 
lands Anmassung  unvermeidlich  sei.'* 

„Unvermeidlich  wohl  grade  nicht,  aber  inuner- 
hin  nützlich/'  bekräftigte  der  jüngere  Mann  trocken* 
„Für  verfehlt  oder  auch  nur  verfrüht,  wie  Sir  Frede* 
rick  mir  zuschiebt,  halte  ich  den  Krieg  nicht.  Denn 
Frankreichs  Beihilfe  haben  wir  vielleicht  nur  heute 
sicher.  Nur  hätte  man  den  ganzen  Ernst  der  Lage 
gründlicher  vorher  studieren  sollen." 

„So  ?  Und  wer  verwirft  denn  Lord  Roberts'  Re- 
formvorschläge zur  allgemeinen  Wehrpflicht,  wer  will 
gar  die  Garnisonen  in  Indien  und  Canada  reduzieren, 
wer  machte  anfangs  —  Gott  sei  Dank  mnsonst  — 
Schwierigkeiten  gegen  Charles  Beresfords  Reformbill 
im  nautischen  Fach  zur  Flottenaufbesserung?  Wer 
anders  als  die  Liberalen  I  Ja,  wer  statt  Dilkes 
.Grosserem  Britannien'  ein  ,Klein-£ngIand'  will,  der 
hätte  allerdings  auf  diesen  europäischen  Krieg  ver- 
zichten sollen.  Für  so  Grosses  muss  man  nicht  selber 
klein  sein  wollen."  Der  MUitär  ging  stürmisch  im 
Zinuner  auf  und  ab,  hochrot  von  kochender  Er- 
regung. „Ich .'sehe  schon:  wenn  alles  nicht  so 
glänzend  geht,  wie  man  hofft,  dann  ladet  man  die 
JSchuld  auf  uns  Militärs  ab,  auf  unsre  nicht  genügende 
Rüstung  und  Administrierung.  Doch  wir  werden 
euch  Staatsmännern  den  Vorwurf  mit  Zinsen  zurück- 
geben/' 

„Wehrpflicht  im  kontinentalen  iSinne  ist  in  Eng- 
land unmÖ£^ch/'   sagte  der  Minister  gleichmütig. 

5* 


—     68     — 

„Niemals  wird  der  englische  Bürger  sich  Militaris- 
mus-Idealen anbequemen.  Es  widerspricht  zu  sehr 
der  freiheitlichen  Entwicklung,  dem  Selbstbestim- 
mungsrecht, der  Selbstregienmg  dieses  Landes. 
Gegen  Invasion  reichen  unsre  Freiwilligenmiliz  und 
Yeomanry  aus.  Dass  unsre  aktive  Armee  nicht  ge- 
nügt, offensive  Festlandkriege  zu  führen,  steht  fest. 
Das  hat  uns  Lord  Wolseley  zu  oft  gesagt.  Die  Zeiten 
Wellingtons  sind  vorüber,  und  dabei  —  was  unsre 
Glory-Patrioten  zu  oft  verkennen  —  sprachen  ausser- 
gewöhnliche  Umstände  in  Spanien  mit,  übrigens  nur 
einem  Nebentheater  der  grossen  Festlandskriege. 
Doch  wer  denkt  denn  auch  an  ernstliche  Tdlnahme 
unsrer  Landmacht!  Unsre  Seemacht  genügt,  \xm 
Deutschlands  Marine  und  Handel  tödlich  zu  treffen. 
Das  übrige  zu  Lande  mögen  die  Kontinentalen  aus- 
machen. Um  es  ehrlich  herauszusagen:  würden  wir 
über  Frankreichs  Niederlage  bittere  Tränen  weinen  ?** 

„Hahal"  Der  Parlamentarier  zitierte  lachend 
aus  Pope:  „Ich  kenne  keinen,  der  nicht  das  Un- 
glück seines  Nebenmenschen  recht  wie  ein  Christ 
ertrüge.  Schadenfreude  ist  der  reinste  Genuss.  Was 
meinen  Sie  wohl,  wie  tiefes  Beildd  bei  unsem  Pariser 
Herzensfreunden  herrschen  würde,  wenn  ein  deut- 
scher Torpedo  den  ,Dreadnought'  in  die  Luft 
sprengte  ?" 

„Sie  rechnen  schon  mit  französischer  Nieder- 
lage!" murrte  der  Militär.  „Sie  vergessen,  dass  wir 
auch  Italien  auf  unsrer  Seite  haben  werden«" 

„Was  Spanien  muss  und  Italien  will,  brauchten 


—     69     — 

wir  zwar  auch  nicht  erst  durch  diese  Konferenz  zu 
erfahren,"  flocht  der  Minister  ein. 

„Sind  Sie  dessen  so  sicher,  was  Italien  will? 
Das  laviert  hin  und  her." 

„Ich  erhielt  vom  Unterhändler  die  bestimmtesten 
Zusagen  — "  belehrte  der  General  gewichtig,  aber 
der  Skeptiker  lachte  nur:  „Verzeihung,  doch  Sie 
schlendern  so  sorglos  wie  Spaziergänger  in  Pall  Mall. 
Übrigens  weiss  ich  noch  gar  nicht,  ob  Italiens  Angriff»- 
drohung  gegen  Österreich  nicht  Deutschland  ganz 
genehm  ist  als  sicherstes  Mittel,  um  Österreich  beim 
deutschen  Bündnis  festzuhalten.  Aber  bestimmte  Zu- 
sagen —  von  Italien ! !  Warum  nicht  gar  vom  Spirit 
des  Seligen  Machiavelli  I  Ich  gebe  ja  gerne  zu,  dass 
Triest,  Trient  und  allenfalls  auch  das  Schweizer 
Tessin  fette  Bissen  sind,  um  sie  während  der  Welt- 
wirren zu  verschlingen.  Aber  man  könnte  dabei 
eklige  Knochen  zu  würgen  bekommen.  Wenn  nicht 
alle  Sachverständigen  lügen,  ist  mit  Österreicher 
Truppen  und  Schweizer  Milizen  nicht  gut  Kirschen 
essen.  Aber  wollen  Sie  mir  gefälligst  mitteilen, 
welche  schöne  Aussicht  sich  für  Italiens  sonstige 
Lebensinteressen  durch  unsem  Sieg  eröffnet  ?  Italien 
hat  nie  vergessen,  dass  man  es  um  seine  Ansprüche 
auf  Tunis  und  Tripolis  betrog.  Das  bisschen  Massaua 
wird  von  englischem  Territorium  umgrenzt,  tmd  wenn 
uns  gelingt,  später  Abessinien  wegztmehmen,  ist  die 
Vertreibung  der  Italiener  aus  Afrika  sicher  und  ihr 
Stand  als  Mittelmeermacht  für  immer  dahin.  Die 
Nachbarschaft  von  Malta  wird  man  wohl  auch  stets 


—     70     — 

so  übel  empfinden,  wie  Spanien  den  Pfähl  im  Fleisch : 
Gibraltar.  Kurz,  veranschlagen  wir  doch  immer,  dass 
wir  rwar  Italien  Vorteile  bieten,  aber  ts  dafür  neue 
Nachteile  in  den  Kauf  nehmen  muss,  weil  nach 
Niederlage  Deutschlands  es  gänzlich  von  Frankreich 
und  England  abhängig  wird  und  seine  Expansion  als 
Kolonialmacht  für  inuner  unterbunden  ist.  Es  gibt 
sicher  einsichtige  Italiener,  die  lieber  auf  Triest  als 
auf  Nordafrika-Küste  dauernd  verzichten  möchten. 
Und  Patrioten  sind  sie,  klug  sind  sie  auch,  die 
Italianissimi,  und  ihr  Risorgimento  wäre  wertlos, 
wenn  sie  nur  wieder  wie  vor  alters  ein  ohnmächtiger 
Spielball  der  französischen  Protektion,  ein  Klientel- 
Staat  der  Westmächte  würden." 

„Das  ist  alles  sehr  wahr  und  schön,"  der  Mini* 
ster  rümpfte  soziisagen  die  Nase,  denn  solche  Be- 
lehrung durch  einen  nicht  „im  Amt**  befindlichen 
Volksvertreter  imd  wahrscheinlichen  künftigen  Nach- 
folger setzt  einen  hohen  Beamten  stets  in  verdriess- 
liehe  Stinmiung,  „stimmt  aber  nicht  zu  den  aktuellen 
Tatsachen.  Denn  an  der  Franzosenfreundschaft 
der  Gebildeten  und  der  Abneigung  g^en  den  Drei- 
bund auf  der  ganzen  Apenninenhalbinsel  ist  nicht  zu 
zweifeln." 

„Unstreitig,  solche  Kurzsichtigkeit  ist  überall 
zu  Hause  bei  Ideologen  und  Spiessbürgem  jedes 
Landes,"  erwiderte  der  altkluge  Jüngling  ruhig.  „Die 
Ideologen  schwärmen  für  seelische  Verwandtschaf- 
ten und  sind  entsetzt,  wenn  sie  nachher  keine  Gegen- 
liebe finden,  die  guten  Bürger  hassen  jedes  äugen- 


—     71     — 

blickliche  Opfer,  also  hier  den  Dreibund,  weil  er 
ihnen  angeblich  unerschwingliche  Kosten  des  Steuer- 
säckels einträgt«  Aber  ich  wiederhole,  es  gibt  auch 
Vernünftige,  die  lieber  gegenwärtige  Bürden  tra- 
gen, um  damit  künftigen  viel  ärgeren  Opfern  vor- 
zubeugen. Crispi  hatte  gewiss  viel  Sünden  auf  dem 
Gewissen,  doch  ein  Patriot  in  seiner  Art  war  er 
gewiss,  als  er  den  Dreibund  als  einzige  Garantie 
für  Italiens  Zukunft  wählte.  Schon  die  Tunisaffaire 
verriet  ja,  dass  Deutschland  gern  Italien  die  kalte 
Schulter  zugewendet  hätte,  wenn  es  dafür  mit  Frank* 
reich  wieder  auf  guten  Fuss  kam  und  dessen  Ent- 
schädigungsbedürfnis auf .  den  schwächeren  Nach- 
bar ablenkte." 

„Eine  echt  Bismarcksche  Perfidiel"  entrüstete 
sich  der  Krieger  sittlich.  Beide  Politiker  sahen  sich 
lächelnd  an,  und  der  Minister  schmunzelte  humo- 
ristisch : 

„Von  Perfidie  wollen  doch  wir  nicht  reden. 
,Wohltätigkeit  beginnt  zu  Hause',  sagt  unser  prakti- 
sches Sprichwort  so  schön,  und  danach  sollte  jeder 
Staatsmann  handeln.  Aber  imser  junger  Kollege  über« 
.sieht,"  suchte  er  einen  belehrenden,  herablassenden 
Ton  anzuschlagen,  „dass  für  Italien  eine  andre  Ex- 
pansion sich  öffnet,  die  wir  ihm  gern  garantieren: 
auf  der  Balkanhalbinsel.  Dies  wird  obendrein  von 
Russland  begünstigt,  nüt  dem  Italien  vermutlich  ge- 
heime Abmachungen  hat  vaid  sicher  in  besonders 
herzlicher  Entente  steht.  Die  Heirat  des  begabten 
jungen  Königs  mit  der  montenegrinischen  Prinzessin 


—     72     — 

war  ein  schlauer  Streich  vorausschauender  Staats- 
kunst. Übrigens  wissen  wir  ja  —  insofern  traue  ich 
den  privaten  Mitteilungen  des  Unterhändlers  — , 
dass  Italien  sofort  Albanien  besetzen  wird," 

„Wirklich?  Schon  besetzen?  Und  sagten  Sie 
nicht  selbst,  dass  im  Vilajet  Janina  schon  ein  tüch- 
tiges Feldlager  von  Nizams  und  Redifs  anwächst? 
Der  bewusste  kranke  Mann  hat  in  seinen  Fieber- 
paroxysmen  manchmal  Bärenkräfte,  und  ich  erlaube 
mir,  der  italienischen  Expedition  das  Schicksal 
der  Griechen  im  letzten  Feldzug  zu  weissagen.'* 

„Dass  die  Türkei  zu  kräftigem  Widerstand  ent- 
schlossen und  überhaupt  Übles  im  Schilde  führt, 
ist  klar,"  gab  der  Minister  zu.  „Die  so  beliebten 
Gesundheitsrücksichten,  die  uns  jeder  mündlichen 
Aussprache  mit  unserm  hiesigen  osmanischen  Bot- 
schafter berauben,  werden  wohl  bald  seiner  schleu- 
nigen Abreise  Platz  machen.  Beiläufig  ist  aber 
italienisches  Betreten  der  Balkanhalbinsel  auch  ein 
Kriegsfall  für  Österreich." 

„Das  wird  sich  vorerst  hüten,  zu  intervenieren, 
aber  sich  vorbehalten,  später  die  Rechnung  auszu- 
gleichen und  es  Italien  aufs  Kerbholz  zu  setzen. 
Italien  spielt  ein  gewagtes  Spiel,  wenn  wir  nicht 
Deutschland  gänzlich  niederringen,  und  eben  des- 
halb wird  es  sich  dreimal  besinnen,  ehe  es  uns 
ernstlich  zu  Hilfe  kommt,"  beharrte  der  jüngere 
Politiker  bei  seiner  Auffassung. 

„Und  Russland?  Ist's  schon  quantit^  n^gli- 
geable?"  brunmite  der  Militär  unwirsch.    „Wird  es 


—     73     — 

nicht  wenigstens  Osterreich  und  Türkei  in  Schach 
halten,  wenn  es  auch  meinelhalben,  vertragsbrüchig 
gegen  Frankreich,  nichts  gegen  Deutschland  unter- 
nimmt?" 

„Darüber  lässt  sich  gar  nichts  sagen/'  bemerkte 
der  Minister  trocken.  „Die  inneren  Zustände  legen 
dem  Zaren  grösste  Zurückhaltung  auf.  Zum  Krieg- 
führen gehört  dreierlei:  Erstens  Geld,  zimi  andem- 
mal  Geld  und  zum  drittenmal  Geld.  Russland 
kann  aber  bei  den  Zeitläuften  nur  noch  finanzielle 
Aushilfe  aus  Berlin  erwarten,  wofür  es  wahrschein- 
lich schon  geheime  Neutralitätsbedingungen  einging. 
Dies  Geld  braucht  es  aber  hochnötig  im'  Innern. 
Ausserdem  kann  ihm  nichts  lieber  sein,  als  zuzu' 
schauen,  wie  nun  auch  die  andern  Grossmächte  sich 
schwächen.  Von  Russlands  Intervention  erwarte  ich 
gar  nichts,  höchstens  erst  am  Ende  des  Krieges, 
und  ob  es  dann  zu  unsern  Gunsten  eintritt,  ist 
höchst   zweifelhaft." 

„Zudem  wird  es  wohl  bald  seine  Aufmerksam- 
keit wieder  nach  Osten  lenken  müssen,"  fiel  der 
Parlamentarier  ein.  „Denn  ich  möchte  wetten, 
dass  Japan  und  China  uns  Überraschungen  vor- 
bereiten." 

„Unser  Alliierter  Japan  — "  hob  der  Militär 
an,  aber  stockte  und  starrte  in  die  leere  Luft.  Da 
stöhnten  die  beiden  Politiker,  imbehaglich  in  ihrer 
Haut,  packten  ihre  Papiere  zusammen  und  sagten 
gar  nichts  mehr. 


—     74     — 

In  Claridges  Hotel  schlürften  die  ganze  Nacht 
hindurch  der  japanische  Unterhändler  und  ein  ge- 
heimer chinesischer  Emissär  mit  ausserordentlichen 
VcUmachten,  Mandarin  von  vielen  Knöpf en mit  An- 
wärtschaft auf  die  gelbe  Jacke,  ihren  duftenden  Tee. 
Als  der  englisch  gekleidete  Herr  aus  dem  Reich 
der  aufgehenden  Sonne  imd  der  Chinamann  mit 
nationalem  Zopf  und  wallendem  seidenem  Talar  so 
dicht  beieinander  sassen,  konnte  man  so  recht  ihre 
Rassengemeinsamkeit  erkennen.  So  viel  kriegerisch 
ritterliches,  poetisch  erregbares  Malaienblut  in  die 
japanische  Rasse  hineinfloss,  so  assimilierte  es  sich 
doch  ganz  dem  mongolischen  Grundstock.  Wie  in 
England  das  Gälbche  und  Normannisch -Franzö- 
sische allmählich  ganz  im  Angelsächsischen  unterging, 
so  glich  sich  heut  die  Differenz  zwischen  Japani- 
schem und  Chinesischem  völlig  aus.  Nord-  un4  Süd- 
mongolen —  nicht  verschiedener  als  Nord-  und 
Südgeitnanen  —  fühlten  ihre  innige  Gemeinsam- 
keit im  tödlichen  Hass  gegen  die  weissen  Teufel, 
denen  man  nun  allmählich  unter  der  Maske  höf- 
licher Bewunderung  ihre  Tricks  imd  Schliche,  Kniffe 
und  Künste  abgelauscht  und  abgelernt. 

Der  Japaner  grinste  freundlicher  denn  je,  als 
er  mehrere  Kabeltelegramme  in  Chiffreschrift  stu- 
dierte, die  sein  chinesischer  Freund  ihm  unter- 
breitete : 

„Es  gereicht  uns  zur  besonderen  Genugtuung, 
dass  unsre  geheimen  Waffensendungen  nach  Nan- 
king   und    unsre    Instruktionsoffiziere,    von    deren 


—     75     — 

massenhafter  Einstellung  bei  euch  Europa  nur  ober- 
flächliche Ahnung  hat,  so  viel  Anklang  fanden.  Ich 
entnehme  dem  Inhalt  Ihrer  Weisungen,  dass  die 
planmässig  organisierte  Erhebung  Chinas  völlig  reif 
zum  Losschlagen  ist.  Eure  verschiedenen  Manöver 
bewundere  ich  herzlich.  Wie  niedlich  ist  z.  B.  die 
wiederholte  feierliche  Totsagung  Ihrer  Majestät  der 
Kaiserin- Witwe  I  Von  der  Dummheit  dieser  euro- 
päischen Diplomaten  macht  man  sich  keine  Vor- 
stellung. Mir  stockte  der  Atem,  als  ich  die  allge- 
meinen Versicherungen  der  Pekinger  Gesandtschaf- 
ten las,  in  China  sei  alles  ruhig,  ein  neuer  Boxer- 
aufstand femer  denn  je.  Erst  glaubte  ich  an  ab- 
sichtliches Pressemanöver,  aber  ich  weiss,  dass  man 
Originalberichte  gewisser  Botschafter  unterwegs  zur 
Einsicht  nahm  —  euer  Spionagedienst  wird  bald  so 
gut  wie  der  imsere  — ,  die  diesen  Blödsinn  bestäti- 
gen. Und  dass  man  diesen  europäischen  Krieg 
wagt,  überzeugt  uns  ja,  dass  niemand  hier  ahnt, 
was  sich  vorbereitet." 

„Hihihi  I"  Das  fettige  Gesicht  des  Chinesen 
strahlte  vor  schmalziger  Wonne.  „Ich  habe  immer 
gemeint,  diese  europäischen  Diplomaten  brauchen 
bloss  ein  Examen  zu  bestehen:  in  Dinerfestigkeit. 
Ein  guter  Magen  ist  die  Hauptsache  und  viel  Sitz- 
fleisch in  der  Kanzlei,  um  unendliche  Ballen  Papier 
mit  Tinte  zu  beklecksen,  lauter  unnützes  Zeug,  das  da^^ 
heim  in  den  Auswärtigen  Ämtern  halbgelesen  in 
den  Papierkorb  wandert.  Für  diesen  Scherz  müssen 
die  Steuerzahler  ungezählte  Summen  hergeben,  denn 


—     76     —    ■ 

der  Apparat  ist  kostspielig.  O,  bei  uns  zu  Haus 
haben  wir  andre  Mandarinenexamina  zu  bestehen 
als  Literaten  und  Gelehrte!  Bei  uns  armen  Bar- 
baren glaubt  man,  dass  nur  die  gebildetsten,  fähig- 
sten Köpfe  zum  Regieren  und  zum  Staatsbetriebe 
taugen.  Aber  diese  Hochzivilisierten  suchen  sich 
ihre  Regienmgsleiter  und  Politikvertreter  nach  der 
Geburt  und  Familie  aus,  und  da  kann,  man  sich  den- 
ken, wie  die  Völker  bedient  sind.  Sich  in.  den 
Salons  herimitreiben,  kleine  Privatintrigen  spinnen, 
Diners  imd  Bälle  geben,  ja  vor  allem  viel  tanzen 
und  essen,  das  ist  ihr  Metier,  und  ihr  Koch  ihr  wah- 
rer Kanzler.  Beim  Confutsel  Solche  Wichte  wollen 
auf  uns  herabschauen,  uns  etwas  lehren,  die  wir 
ein  höchstes  Kulturvolk  waren,  als  sie  noch  wie 
alte  Tamerlanhorden  untereinander  wüteten  und 
ihren  lächerlichen  kirchlichen  Aberglauben,  der 
selbst  unsem  kleinen  Kindern  zu  einfältig  wäre, 
von  Jahrhundert  zu  Jahrhundert  weiterschleppten  1" 
Wess  das  Herz  voll  ist,  dess  gehet  der  Mund 
über.  So  viel  Übertreibimg  in  diesem  halben  Zerr- 
bild europäischer  Zustände  lag,  ein  Kern  von  Wahr- 
heit darin  berechtigte  zu  solch  grimmigem  Ausfall 
wider  die  Überhebung  der  kaukasischen  Rasse.  Die 
lang  aufgespeicherte  Erbitterung  über  das  brutale 
Niedertreten  der  gelben  seitens  der  weissen  Men- 
schen, wie  es  besonders  in  Amerika  zur  Erscheinung 
kommt,  und  wie  der  chinesische  Kuli  es  überall  er- 
lebt, machte  sich  Luft.  Der  Japaner  grinste  bei- 
fällig : 


—     77     — 

"  „Nicht  ereifern,  hocherleuchteter,  hochge- 
schätzter Freund  I  Die  Weissen  haben  so  manches 
Gute,  was  wir  uns  vorher  aneignen  mussten,  näm- 
lich Erfindungen,  Technik,  kurzum  praktische  Dinge. 
Doch  wie  geringwertig  muss  dies  alles  im  Grund^ 
sein,  wenn  wir  Japaner  es  binnen  vierzig  Jahren 
nachmachen  konnten  I  Heut  bauen  wir  selbst  schon 
Panzerschiffe  und  Eisenbahnen,  erfinden  besondere 
Sprengpulver.  Und  ihr,  die  ihr  Schiesspulver  und 
Buchdruckerkunst  schon  so  viel  früher  erfandet,  als 
die  Weissen,  werdet  sicher  bald  gleiches  vermögen, 
sobald  ihr  euch  endlich  aufrafft.  Dies  allein  imponiert 
Europa.  Unser  hiesiger  Botschafter,  der  ausgezeich* 
netc  Mann,  konnte  sich  ja  nicht  versagen,  den  Witz 
zu  reissen:  ,Als  man  wusste,  wir  Japaner  hätten 
grosse  Schriftsteller  und  Künstler,  verachtete  man 
uns  als  Barbaren;  nun  man  aber  weiss,  dass  wir 
vorzüglich  töten  können,  hält  man  uns  für  eben' 
bürtige  Kultuilmenschen/  Nun,  wir  waren  früher 
ja  wirklich  etwas  —  sagen  wir;  Mittelalter,  feudal. 
Doch  kannten  wir  je  solche  Unterdrückung  der 
unteren  Klassen,  solche  greuliche  Intoleranz  in 
Glaubensdingen,  wie  diese  sogenannte  höhere  Rasse  ? 
Das  verbot  schon  Tmsre  höhere  Humanität  imd 
Sittlichkeit,  auch  imsre  feinere  gesellschaftliche  Sitte. 
Und  im  übrigen  —  was  prahlen  die  Leute  denn  mit 
ihrer  Literatur,  Kunst,  Gelehrsamkeit?  Die  Kunst 
fassen  wir  anders  aiif,  doch  steht  sie  in  ihrer  Weise 
grade  so  hoch,  und  das  erkennen  heut  Einsichtige  in 
EujTopa  an.    Und  geistige  Werke  —  nun,  die  unsem 


—     78     — 

kennen  sie  ja  nicht,  und  die  euren,  die  ich  unendlich 
verehre,  selbstverständlich  auch  nicht,"  setzte  er 
hastig  mit  Buschidowillen  hinzu,  wobei  beide  gel- 
boi  Würdenträger  sich  zeremoniöse  Knickse  mach- 
ten; „doch  mich  deucht,  um  den  Kulturstand  abzu- 
schätzen, konmit  es  hauptsächlich  darauf  an,  welche 
Geltimg  Autoren  in  der  Gesellschaft  haben.  Wir 
beide  smd  Literaten  und  Staatsmänner  zugleich  — 
von  der  Unbildimg  unsrer  europäischen  Kollegen, 
die  Ew.  Hocherleuchtetheit  so  witzig  geissein,  will 
ich  schon  gar  nicht  reden  — ;  aber  lesen  Sie  doch 
die  Biographien  grosser  eiiropäischer  Geister»  sehen 
Sie  sich  in  der  Gesellschaft  um,  welches  Ansehen 
geniesst  denn  da  der  Geist,  welche  Rollen  spielen 
hochbegabte  Männer,  die  man  bei  euch  zu  Man- 
darinen erster  Klasse  ernennen,  und  denen  bei 
ims  der  weiteste  Spielraum  gelassen  würde,  denen 
die  vornehmsten  EhrensteUen  offenständen?  Ver- 
folgt, verhöhnt,  ehe  sie  endlich  zur  Anerkennung  sich 
durchringen,  oft  aber  bei  Lebzeiten  ganz  unterdrückt 
imd  womöglich  dem  Hungertod  preisgegeben,  früher 
dem  Scheiterhaufen  und  Gefängnis,  heut  womöglich 
deüi  Irrenhaus  oder  dem  Strafrichter  überliefert  — 
so  haben  sich  allzeit  alle  wirklich  genialen  Euro* 
päer  durchs  Leben  gequält.  Und  man  sehe  sich  in 
der  Gesellschaft  um,  welchen  Rang  ninunt  der  gei- 
stige Arbeiter  dort  ein?  Gar  keinen.  Jeder  Tropf 
mit  Amt  und  Titel,  jeder  Geldprotz  gilt  mehr,  wenn 
man  den  verschleiernden  Nebel  des  Bildungsgeheu* 
chels  beiseite  schiebt.    Geburt  tmd  Geld  sind  die 


—     79     — 

einzigen  teuersten  Güter,  die  diese  Kulturbarbaren 
als  heilig  schätzen  und  schützen.  Bei  uns  sind  Adel, 
Offiziere,  Beamte  bescheidene  Diener  des  Vater- 
landes, materieller  Wohlstand  verleiht  an  sich  we* 
der  Einfluss  noch  Ehre,  bei  uns  herrschen  in  Wahr* 
heit  Geist  und  Verdienst."  Der  Japaner  wäre  bei- 
nahe vor  innerer  Erregung  aufgesprungen,  wenn 
das  ,Buschido'  ihn  nicht  niederhielt.  Doch  obschon 
sein  Gesicht  das  stereotype  sinnende  Lächeln  bei- 
behielt^  blitzten  seine  schiefgeschlitzten  Auglein  dä- 
monisch. „Wozu  ich  das  sage?  Uns  anzufeuern 
bei  unserm  grossen  Werk  nationaler  Wiedergeburt 
der  gielben  Rasse.  Wir  schulden  den  Weissen  gar 
keinen  geistigen  Respekt,  wir  zerstören  nichts,  was 
für  die  Menschheit  wertvoll,  imd  die  bösen  Miss- 
helligkeiten" ^—  er  meinte  ,die  Greuel*,  aber  Bu- 
schido-Taktik  unterdrückt  alle  unangenehmen  Aus- 
drücke —  „denen  die  Fremden  in  Ostasien  entgegen- 
gehen, wälzen  wir  auf  ihr  eigenes  Haupt.  Sie  woll- 
ten es  nicht  anders  mit  ihrer  Einmischung,  Auf- 
dringlichkeit, Ausbeutxmg  imd  Ungebühr,  und  wir 
'waschen  unsre  Hände  in  Unschuld." 

Das  tut  der  Mongole  immer.  Er  weiss  von 
nichts,  missbilligt  fromm,  was  er  angezettelt,  und 
kann  auch  hier  auf  christliche  Vorbilder  verweisen. 

Der  Chinese,  nicht  so  in  Buschidozucht  wie  der 
Japaner,  kniff  tückisch  seine  Augen  zusammen,  eine 
dimkle  hektische  Röte  überiflog  seine  vorspringen- 
den  Backenknochen,  sein  sonst  so  friedfertig-schel- 
misches Gesicht  verzerrte  sich  in  unheimlicher  Wut : 


—     80     — 

„Glaubst  du,  mein  hochgelehrter,  weiser  Freund, 
dass  man  bei  uns  zu  Hause  den  letzten  Raubzug 
verziehen  hat?  Da  hatten  wir  sie  alle  beisammen, 
die  Moskowiter,  die  Yankees,  die  Deutschen,  die 
Briten,  die  Italiener,  die  Franzosen,  und  sie  alle 
rangen  imi  die  Palme  der  Niedertracht.  Hehe,  wie 
uns  das  ergötzte,  als  die  Wahrheit  in  Europa  durch- 
sickerte, welche  Schandtaten  dies  Kulturgesindel  bei 
uns  vollbrachte,  und  allerorts  die  Wahrheitsprecher 
als  Verleiunder  zugedeckt  wurden  I  Das  ist  ihr  christ- 
liches Gewissen.  Ich  selbst,"  flocht  er  mit  leiser 
Betonung  ein,  „habe  auch  Verwandte  dabei  ver- 
loren, auch  Schaden  am  Eigentiun  erlitten,  ein  rei- 
cher Freund  von  mir  in  Tientsin  wurde  gänzlich 
ausgeplündert  —  und  Ew.  Weisheit  mögen  gütigst 
sich  denken,  mit  welchem  Mangel  an  persönlichem 
Eifer  ich  die  Ehre  hatte,  Vergeltung  für  all  solch 
milde  Christengaben  vorzubereiten.  Ich  sage  dir^ 
Freimd  Japaner,"  stiess  er  mit  einem  gurgelnden 
Laut  hervor,  „von  den  Gesandten,  Missionaren, 
Kaufleuten  und  sonstigen  Faulenzern  und  Ausbeu- 
tern in  Shangai,  Canton,  Kiautschou  entkonunt  kei- 
ner, und  ihren  Frauen  und  Kindern  wird  man  bei- 
bringen,  was   auf   chinesisch   Rache   heisst/* 

Beide  schwiegen  einen  Augenblick.  Den  zivi- 
lisierten Japaner  gruselte  es  leicht.  Der  Chinese 
schien  in  wonnevolle  Vorstellungen  versunken,  er 
lächelte  verklärt  wie  im  Opiumrausch. 

„Nur  um  eins  bitte  ich  offiziell  im  Namen  meiner 
hohen  Regierung,"  kehrte  der  Mann  aus  Tokio  zum 


—     81     — 

Praktischen  zurück:  „Nichts  verfrühen I  Sonst  könn- 
ten die  Kulturbarbaren  noch  in  letzter  Stunde  stutzig 
werden  und  im  gegenseitigen  Vertilgen  plötzlich  inne- 
halten. Alles  genau  fertig  machen,  aber  vollenden 
erst,  sobald  Land-  und  Seekrieg  in  Europa  in  ent- 
scheidendem Gange  r* 

Der  Chinese  nickte:  „Abgemacht I  Auch  den 
Aufstand  unserer  60000  Kulis  in  Südafrika  werden 
wir/  dortige  Umstände  beobachtend,  bis  dahin  ver- 
schieben, ebenso  die  allgemeinen  Kuliunruhen  in 
Ozeanien,  vielleicht  auch  in  Singapore  und  Malakka« 
Wie  steht's  mit  euren  eigenen  Versuchen  in  Indien  ?" 

„O,  Agenten  haben  wir  dort  genug.  Doch 
darüber  lässt  sich  noch  nichts  Gewisses  sagen.  Man 
muss  zuschauen,  ob  die  Inder  auf  Kunde  eurer 
Erhebung  und  anderer  Misshelligkeiten  Englands 
sich  zu  etwas  Ernstem  entsclüiessen.  Lord  Kitche- 
ner  ist  ein  übler  Mann." 

„Und  wenn  eure  Agenten  in  britische  Hände 
fielen?" 

„Sie  haben  nichts  Schriftliches,  und  jeder  weiss, 
was  ihm  ziemt,  um  sein  Geheinmis  unäusgeplaudert 
ins  Grab  zu  nehmen,"  versetzte  der  Japaner  kühl. 
Der  Chinese  verstand,  in  solchen  Fällen  wählt  man 
Harakiri.  „Man  wird  niemals  unsere  Regierung  über- 
führen können,  und  im  übrigen  fürchten  wir  Eng« 
lands  Rache  nicht  Das  wird  mit  den  lieben  Vettern 
jenseits  der  Atlantis  zu  tun  bekonmien  und  uns 
noch  herjdich  danken,  wenn  wir  die  armen  verfolgten 
Philippinos  untern  Schutz  unserer  Flagge  nehmen, 

VAUwr  EnropM  .  .  . !  6 


—     82     — 

den  Amerikanern  einige  Hiebe  zukommen  lassen. 
Vor  uns  beiden,  mein  Freund,  liegt  ein  Reich  unbe- 
grenzter Möglichkeiten.  Wenn  der  europäische  Krieg 
beendet,  ist  Asien  befreit." 

„O,  wie  unauslöschlichen  Dank  schulden  wir 
eurem  Rat  und  Beistand,  eurer  hohen  Erleuchtung, 
die  uns  Blinden  den  Weg  wiesl" 

„Ah,  nur  £w.  Weisheit  Güte  sagt  so  Schmeichel- 
haftes. Wer  auf  Weisheit  hört,  ist  selbst  ein  Weiser. 
Ich  bin  beauftragt,'*  legte  er  sich  in  offizielle  Posi- 
tur, „im  Namen  des  Sohnes  der  Sonne,  meines  aller- 
gnädigsten  göttlichen  Souveräns,  dem  Sohn  des  Him- 
mels, Ihrem  erhabensten  göttlichen  Herrscher,  tiefe 
Bewimderung  für  so  viel  Huld  imd  Gnade  auszu- 
drücken!" 

„So  viel  Huld  und  Gnade  Sr.  göttlichen  Maje^ 
stät  des  Mikado  wird  ewig  unvergessen  sein!" 

Beide  Würdenträger  schauten  sich  mit  unend- 
licher Zärtlichkeit  an  und  schlürften  nachdenklich 
ihren  Tee.  Was  sie  sich  dazu  dachten,  war  ihr  Ge> 
heinmis  oder  auch  nicht,  denn  jeder  kannte  sehr 
wohl  die  Gedanken  des  anderen. 

„Wenn  ihr  Bezopften  glaubt,  wir  würden  für  eure 
schönen  Augen  eure  Geschäfte  besorgen,  irrt  ihr  gewal- 
tig," sann  der  Japaner.  „Diese  alte  Mandschu-Dyna- 
stie  ist  längst  zum  Falle  reif.  Unsere  Flotte  wird 
eure  Häfen  besetzen,  unsere  Armee  in  Peking  ein- 
ziehen, unsere  Monarchie  in  Personalunion  beide 
Reiche  vereinen,  sobald  die  Zeit  erfüllt  ist." 

„Wenn  ihr  abtrünnigen  Europaaffen  euch:  ein- 


—     83     — 

bildet,  wir  lassen  uns  von  euch  übertölpeln,  seid  ihr 
schiefer  gewickelt  als  unsere  Zöpfe,"  blinzelte  der 
Chinese  in  sich  hinein,  während  er  mit  verschwom- 
menen Auglein  zur  Decke  stierte.  „Das  fehlte  noch, 
dass  ihr  Bastarde,  ihr  Auswandererauswurf  aus  Alt- 
china, einst  unsere  Vasallen,  jetzt  die  Alleinherren 
spieltet.  Ist  China  organisiert,  so  habt  ihr  uns  zu 
folgen,  nicht  wir  euch.  Korea,  Mandschurei,  Port 
Arthur  gehören  uns^  das  werdet  ihr  eines  Tages 
erfahren.** 


6* 


Sofort  nach  Eintreffen  der  entscheidenden 
Depeschen  aus  Tanger,  dass  die  Franzosen  gegen 
Marokko  vorrückten»  und  sichern  Feststellungen 
des  deutschen  Informationsbureaus  mit  den  Filialen 
in  Brüssel  und  Basel,  dass  fieberhafte  Tätigkeit  in 
französischen  Häfen  und  Zentralbahnstationen  be- 
ginne, legte  der  deutsche  Geschäftsträger  dem  bel- 
gischen Ministerium  eine  Note  vor,  die  den  Charakter 
eines  Ultimatum  trug: 

„Man  sei  imterrichtet,  dass  Frankreich  imd  En^:- 
land  im  Kriegsfall  die  belgische  Neutralität  nicht 
respektieren  würden.  Unter  diesen  Umständen  sei 
Deutschland  genötigt,  zu  Repressalien  zu  greifen  und 
Belgien  militärisch  zu  besetzen,  respektive  den  freien 
Durchzug  zu  verlangen.  Es  sei  nicht  \mbekannt, 
dass  Belgien  sich  dem  Gedanken  zuneige,  Antwerpen 
an  die  Briten  auszuliefern.  Allein  König  Leopold 
möge  wohl  bedenken,  dass  es  sich  ums  Schicksal 
seiner  Dynastie  handele.  Es  sei  unvergessen,  dass 
Louis  Napoleon  wiederholt  Bismarck  die  Abtretung 
Belgiens  als  Kompensation  anbot,  wie  Frankreich 
nie  vergessen  habe,  dass  Belgien  einst  dem  Empire 
Francais  einverleibt  war.  Femer  möge  der  König  im 
Auge  behalten,  dass  Englands  Absichten  auf  den 


—     85     — 

Kongostaat  schon  häufig  zutage  traten.  Für  den  An- 
schluss  an  Deutschland,  den  seine  Ehre  und  Existenz 
fordere,  werde  ihm  Belgiens  Fortbestehen  garantiert, 
widrigenfalls  Deutschland  sich  vorbehalte,  seinerseits 
Belgien  jeden  S(:hutz  izu  versagen.  Die  Zeit  dränge, 
binnen  vierundzwanzig  Stunden  müsse  Partei  er- 
griffen werden." 

Hoch  gingen  die  Wogen  des  Zwiespalts  im  belgi- 
schen Ministerrat.  Man  hatte  mit  der  Hinneigung  der 
Wallonen  zu  Frankreich,  der  Republikaner  zur 
stammverwandten  Republik,  aber  auch  mit  dem 
Widerwillen  der  Vlamen  gegen  die  Welschen  und 
ihren  Sympathien  für  die  deutsche  Nation  zu  rechnen. 
Natürlich  konnte  England  durch  Küstenblockade  und 
Bombardement  von  Antwerpen  dem  Lande  schweren 
Schaden  zufügen,  Belgien  als  erster  Kriegsschau- 
platz litt  sicher  von  Franzosen  und  Deutschen.  Aber 
zu  guter  Letzt  kam  es  doch  darauf  an,  wer  in  diesem 
ersten  Ringen  Sieger  bleibe,  da  ein  vom  Sieger  be- 
setztes Belgien  dann  in  verhältnismassig  geordnete 
Verhältnisse  kam,  wenigstens  als  Verbündeter  des 
Siegers.  Neutralität  musste  dem  Lande  doppelte 
Wunden  schlagen  und  liess  sich  ohnehin  nicht  durch- 
führen. Denn  dem  Wortlaut  der  Verträge  nach  musste 
Belgien  eben  gegen  die  erste  Macht,  die  seinen 
Boden  verletze,  seine  geringe  Streitkraft  richten. 
Nun  meldete  man  aber  ununterbrochene  Ansamm- 
lung deutscher  Massen  auf  der  Strecke  Aachen—' 
Lüttich.  Offenbar  besass  Deutschland  einen  Vor« 
Sprung  der  Mobilisierung.  Wenn  auch  Bahnzug  auf 


—     86     — 

Bahnzug  französische  Truppen  via  Charleroi  zur  Sam- 
brelinie  beförderte,  so  schien  doch  klar,  dass  deutsche 
Übermacht  bald  zur  Stelle  sein  werde.  Dann  war 
Belgien  verloren,  blieb  wahrscheinlich  bis  Schluss 
des  Krieges  als  Faustpfand  in  deytschen  Händen. 
Der  bei  allen  menschlichen  Schwächen  als  Regent 
höchst  achtungswerte  staatskluge  König  Leopold 
fühlte  sich  zudem  tief  erbittert  durch  die  unausbleib- 
liche Vemichtimg,  die  seinem  Lebenswerk,  dem 
Kongostaat,  durch  die  beiden  grossen  Afrikamachte 
drohte.  Siegten  diese  im  Weltkrieg,  war  der  Kongo- 
staat erst  recht  nicht  zu  retten.  .  Dann  besser  die 
augenblickliche  Gefahr  auf  sich  nehmen.  Denn  beim 
Siege  Deutschlands  war  möglich,  dass  es  Wiederhet* 
Stellung  des  mittlerweile  von  England  verschluckten 
Koiigostaats  sich  ausbedingte. 

Dies  entschied.  Prompt  erfolgte  des  Königs  Ant- 
wort: bei  obwaltender  Lage  schliesse  er  für  den  Fall 
der  Neutralitätsverletzung  durch  die  Alliierten  ein 
Schutz-  und  Trutzbündnis  mit  Deutschland,  stelle 
sein  Land  unter  dessen  Schutz.  Nur  möge  man  dafür 
sorgen,  dass  formal  die  Alliierten  den  ersten  Schritt 
des  Rechtsbruchs  täten.  Dem  Vorschlag  des  deut- 
schen Militärattaches,  sofort  zu  mobilisieren  imd 
den  Hauptteil  der  belgischen  Truppen  auf  Antwerpen 
zu  instradiereh,  wo  sicher  ein  englischer  Angriff 
au  erwarten  sei,  ward  Folge  geleistet,  -r- 

Gleichzeitig  stand  der  deutsche  Gesandte  im 
Haag  vor  Königin  Wilhelmine  und  dem  deutschen 
Prinzgemahl   in   geheimer  Audienz^    Er   setzte  die 


—     87     — 

Bedenklichkeit  jeder  Neutralität  auseinander^  Yvenn 
der  betreffeüde  Staat  in  Mitleidenschaft  gezogen  zu 
werden  fürchten  müsse»  England  werde  b^stinunt 
Holland  als  Basis  für  Landungsoperationen  betrach- 
ten, was  Deutschland  natürlitk  durch  sofortige  Okku- 
patioii  Hollands  vergelten  werde.  Holland  iverde 
dann  allen  Unbilden  des  Kriegszustandes  preisge- 
geben. Entschliesöe  sich  dagegen  Holland,  Deutsch?' 
land  sofort  um  Hilfe  anzugehen  und  sein  kleines 
Heer  unter  deutschen  Befehl  zu  stellen,  so  könnö  dies 
verinieden .  und  England  am  Landen  gehindert  wer« 
den»  Als:  Garantie  müsse  man  aber  Verlangen,  dasä 
die  zwischen  Amsterdam  und  Texel  liegende  hollän- 
dische Küstenflotte  sofort,  ehe  sie  vom  britischen 
Kanalgeschwader  überrumpelt  werde,  sich  nach  Wil- 
helmshaven in  deutsches  Gewässer  begebe.  Sollte 
nicht  binnen .  sechs  Stunden  diesem  Vorschlag  zu- 
gestimmt werden,  so  müsse  Deutschland  in  berech- 
tigter Notwehr  imverzüglich  Einmarsch  in  Holland 
beginnen,  da  ein  Festsetzen  Englands  an  der  Rhein- 
mündung als  dauernde  Bedrohung  der  deutschen 
Flanke  niemals  geduldet  werden  dürfe.  Der  deutsche 
Kaiser  als  Verwandter  des  Hauses  Oranien  appelliere 
an  alte  freundschaftliche  Traditionen  zwischen 
Preussen  und  Holland,  gemahne  das  beun  Buren^ 
krieg  bewährte  Nationalgefühl  der  jungen  Königiil  an 
das  Schicksal  ihrer  Stammesgenossen  in  Südafrika, 
welche  soeben  zu  erneuter  Anstrengung  gegen  das 
britische  Joch  bereit  seien.  Unterliege  Deutschland, 
so  werde  Holland  völlig  unter  englische  Oberhoheit 


—     88     — 

geraten.  Deutschland  garantiere  einem  befreundeten 
Holland  sein  Fortbestehen,  ein  neutrales  oder  gar 
feindliches  müsse  es  dagegen  von  der  Landkarte 
streichen.  Dies  sei  keine  leere  Drohung.  Denn  wie 
inmier  die  Würfel  anderwärts  fallen  möchten,  im 
Landkrieg  werde  Deutschland  die  Oberhand  und 
für  den  Friedensschluss  Holland  und  Belgien  in  der 
Hand  behalten,  um  seipe  Verluste  zu  kompen- 
sieren. — 

Auch  hier  dauerte  die  Frist  der  Entschluss- 
fassung, noch  kürzer  gesteckt  als  bei  Belgien,  nicht 
lange.  Der  holländische  Staatsrat,  bisher  in  Vogel- 
Strauss-Politik  imd  schwankender  Schwäche  befangen, 
trug  freilich  der  antideutschen  Gesinnung  des  hol- 
ländischen Volkes  Rechnung,  das  in  unbegreiflicher 
Verblendung  sich  von  sdnen  nächsten  Blutsver* 
wandten,  den  Niederdeutschen,  abwendet  und  für 
Franzosen  schwärmt,  die  ihm  so  unsägliches  Eilend 
seit  Ludwig  XIV.  zufügten,  die  Briten  anbetet,  die 
es  doch  seit  alter  Zeit  als  bitterste  Handelskonkur« 
renten  und  seit  Cromwell  als  Zerstörer  der  holländi- 
schen See-  und  Kolonialmacht  kennen  sollte.  Ruyter 
und  Tromp,  die  alten  Seehelden  wider  Britanniens 
wachsende  Überhebung,  hätten  sich  im  Grabe  lunge- 
dreht,  wenn  sie  vernommen  hätten,  wie  man  auf 
adulierendem  Festbankett  der  niederländischen  für 
eine  besuchende  englische  Flotte  ihre  Namen  ein- 
flocht, um  fraternisierende  Komplimente  für  den 
übermächtigen  einstigen  Todfeind  England  zu 
drechseln.   Solches  Betragen  nach  dem  Burenkrieg 


—     80     — 

kann  man  wirklich  nur  sonderbar  nennen,  weiter 
kann  scheue  Unterwürfigkeit  vor  dem  Mächtigeren, 
einseitige  Rücksicht  auf  etwaige  Bedrohung  des 
Geld'  und  Kaff eesacks  bei  einem  Handelsvolke  nicht 
gehen.  Nicht  aber  entsprach  dem  gesunden  Gefühl 
der  braven  jimgen  Königin  solche  Entäusserung  na- 
tionaler Würde.  Trotz  aller  antideutschen  Gesinnung 
ihres  Hofes  hielt  sie  an  der  Auffassung  fest,  dass 
der  Burenkrieg  zeigte,  was  man  von  Englands  Über- 
griffen zu  erwarten  habe:  gänzliche  Verdrängung 
aller  Nichtengländer  aus  allen  Zonen  des  Erdballs. 
Geheime  Nachrichten  aus  Transvaal  und  Kapland 
steUten  dortige  Erhebung  des  holländischen  Ele- 
ments ausser  Frage,  selbst  die  britischen  Ansiedler 
verrieten  dort  Missvergnügen  mit  dem  Imperialis- 
mos  Lord  Milners.  Die  Nähe  des  deutschen  Korps  in 
Südwestafrika  wurde  wohl  erwogen,  sein  Beistand 
konnte  Vertreibung  der  britischen  Zwingherren  ge- 
währleisten. Natürlich  machte  die  Gegenpartei  gel- 
tend, dass  die  holländischen  Hafenstädte  schwer  mit- 
genommen, die  Sunda-Kolonien  von  England  erobert 
werden  würden.  Aber  demgegenüber  ward  betont, 
dass  beim  Siege  Englands  selbst  sklavische  Unter- 
tänigkeit Hollands  den  Besitz  der  Kolonien  nicht 
verbürge;  die  werde  England  unterm  Vorwand  der 
Beschützung  ohnehin  okkupieren.  Denn  was  der 
britische  Leopard  in  den  Klauen  hat,  lässt  er  nie 
wieder  los,  und  wo  sollte  England  sonst  den  Gewinn 
suchen,  den  es  von  jedem  Kriege  verlangt?  Andrer- 
seits wurde  Holland  vollends  ruiniert,  wenn  deutsche 


—     90     — 

Truppen  es  als  Feindesland  behandelten  und  admini- 
strierten,  und  Räumung  des  fetten  Landchens  i^ar 
den  Deutschen  höchstens  bei  deren  Völliger  Nieder- 
lage abzutrotzen,  was  gar  nicht  im  Bereich  der  Mög- 
lichkeit lag.  Bei  Separatfrieden  würde  das  Inselreich 
selbstverständlich  Holland  opfern,  sich  mit  Deutsch- 
land darein  teilen:  ihm  die  Kolonien,  letzterem  das 
Mutterland.  Zu  dieser  Logik  gesellte  sich,  noch  bei 
einigen  Jonkhers  die  innerpolitische  Angst  vor  der 
Revolution,  falls  Holland  zum  Kriegsschauplatz  werde» 
imd  etwa  französische  Truppen  dort  republikanische 
Ansteckung  verbreiteten«  Das  Fratermsieren  holländi- 
scher Sozialisten  mit  der  welschen  Republik  trieb  Hol- 
lands Adel  und  Bourgeoisie  widerwillig  Deutsch- 
land in  die  Arme,  dessen  konservativer  Monarchis- 
mus einen  WaU  gegen  innere  Anarchie  zu  bieten 
schien. 

Ehe  die  sechs  Stunden  abgelaufen,  hatte 
Deutschland  zustimmende  Antwort  in  Händöi.  Der 
Telegraph  beorderte  die  Küstenflotte,  ungesäumt 
Kohlen  einzunehmen  und,!  was  die  Maschinen  nur 
leisten  könnten,  mit  fluchtartiger  Hast  den  Jahde« 
busen  aufzusuchen,  an  deutsche  Admiralität  ver- 
wiesen. Das  kleine  Heer,  sogleich  mobilisiert,  sollte 
bei  Dortrecht  Stellung  fassen,  indes  das  deutsche 
X.  Armedcorps  über  .Utrecht  erwartet   wurde.  — 

Glatter  und  einfacher  spielte  sich  das  Einver* 
ständnis  bei  dem  dritten  neutralen  Kleinstaat  ab, 
dessen  Mitwirkung  in  Frage  katti.  Die  Eidgenossen- 
schaft io  Bern,  seit  lange  dem  Deutschen  Reich  dienst- 


—     91     — 

willig  gesinnt  aus  gerechter  Befürchtung  vor  franzö* 
sbchen  alten  Aspirationen  auf  Genf,  Wallis  und  die 
Jurapasse,  eingedenk  der  schrecklichen  Neutralitäts- 
leiden der  weiland  helvetischen  RepubUk,  gab  schon 
lange  zuvor  die  mannhafte  Versicherung,  dass  jeder 
Durchmarsch  der  Franzosen  durch  Kanton  Basel  mit 
voller  Waffengewalt  geahndet  werden  tmd  in  diesem 
Falle  die  Schweizer  Wehrkraft  sich  aktiv  auf  Deutsch« 
lands  Seite  stellen  solle.  Diesen  Einfall  über  Delle- 
Belfort  konnte  man  aber  bestimmt  voraussehen,  man 
hatte  geheime  Aufklärung,  auch  liess  die  Richtung 
der  französischen  Mobilisierungstransporte  bald 
keinen  Zweifel  darüber.  Begnügte  man  sich  aber  mit 
ohnmächtigem  Protest,  so  lag  es  im  strategischen 
Interesse  der  französischen  Heeresleitung,  noch  wei- 
ter nordöstlich  durch  die  Schweiz  auszugreifen  über 
Schaffhausen,  wie  dies  vor  alters  in  den  Revolu- 
tionskriegen so  richtig  in  verwundbare  Punkte  Süd 
deutschlands  hineingeführt  hatte.  £s  blieb  also  für 
die  Schweiz  keine  Wahl,  zumal  Verletzung  des 
schweizer  Territoriiuns  deutscherseits  völlig  ausge- 
schlossen und  wenigstens  in  der  ersten  Feldzugs- 
phase eine  Benützimg  der  Strecke  Basel-Genf  für 
einen  Vorstoss  nach  Südosten  —  wie  1814  —  für 
deutsche  Strategie  ohne  jeden  Wert. 

Das  eidgenössische  Kriegsdepartement  verfügte 
nach  sofortigem  Beschluss  des  Bundesrats  die  all: 
gemeine  Truppenzusammenziehung,  bereitete  die  Ein- 
beniftmg  der  Landwehr  und  des  Landsturmes  vor,  so- 
bald ein  französischer  Soldat  die  Jurapässe  betrete. 


—     92     — 

Trotz  einiger  französischer  Sympathien  und  ver- 
schiedener Versuche  der  Sozialisten,  den  Bundes- 
rat als  „kriechenden  Sklaven  des  Auslands"  zu  ver- 
schreien und  an  ein  Volksreferendum  zu  appellieren, 
begegnete  die  Entschlossenheit  und  Klarheit,  die 
aus  einem  Aufruf  des  Bundespräsidenten  sprach, 
keiner  Auflehnung,  wohl  aber  kräftiger  Billigung. 
Denn  der  nüchterne  Sinn  der  Schweizer  erkannte 
die  unweigerliche  Alternative:  verletzt  Frankreich 
neutrales  Gebiet,  so  zwingt  schon  nationales  Ehrg^e- 
fühl,  vielleicht  sogar  künftige  Existenz,  zu  energi- 
schem Einschreiten.  — 

Auch  mit  Dänemark  kam  man  rasch  zu  £nde. 
Noch  am  Tage  der  Kriegserklärung  wurden  sämt- 
liche Kauffahrer  der  Westmächte  im  Sund,  Ska- 
gerak  imd  Kattegatt  von  schon  zuvor  alarmierten 
und  auf  Jagd  gegangenen  deutschen  Kreuzern  auf« 
gebracht,  nur  unbehelligt  gelassen,  was  nach  Kopen- 
hagen entrann.  „Dies  sei  durch  die  Lage  geboten 
gewesen,**  notifizierte  der  deutsche  Gesandte,  „um 
die  zu  erwartenden  schweren  Einbussen  der  deut- 
schen Handelsmarine  auszugleichen.  Im  übrigen 
werde  die  dänische  Danebrogflagge  überall  respek- 
tiert werden.  Da  aber  die  Allüerten  aus  Rücksicht 
auf  Russland  jede  Antastung  Dänemarks  vermeiden 
würden,  sei  Mobilisierung  der  dänischen  Flotte  und 
Armee  nicht  geboten,  werde  daher  als  deutschfeind- 
liche Kimdgebung  betrachtet  und  sofort  durch  Be- 
setzung Jütlands  beantwortet  werden.  Diese  Mass- 
regel sei  überhaupt  zum  Schutze  Schleswigs  gegen 


—     93     — 

britische  Landung  nötig  und  werde  nur  unterbleiben, 
falls  Dänemailc  feierlich  strengste  Neutralität  ver- 
spreche." Da  dies  auch  der  Stimmung  des  Landes 
entsprach,  und  der  verwandte  russische  Hof  dringend 
solche  Politik  empfahl,  ging  Dänemark  willig  darauf 
ein  und  blieb  schweigender  Zuschauer.  — 

In  Schweden  dienten  die  deutschen  Sympathien 
König  Oskars  und  die  Erbitterung  schwedischer  Pa- 
trioten über  Englands  moralische  Unterstützung  der 
Losreissimg  Norwegens  wenigstens  dazu,  Russland 
um  Finnland  besorgt  zu  machen,  wo  neue  Erhebung 
gärte.  So  wenig  freimdlich  der  Skandinave  über 
Deutschland  denkt,  liess  überhaupt  die  öffentliche 
Meinung  der  drei  Reiche  im  allgemeinen  die  fran- 
zösische Version  nicht  gelten,  dass  Deutschland  der 
Friedensstörer  sei.  Zu  klar  lag  das  jahrelange  Kriegs« 
hetzen  Englands  vor  Augen,  zu  einfach  das  aggres- 
sive Vorgehen  Frankreichs  zutage,  zu  bekannt  war 
Deutschlands  alter  Standpimkt,  dass  es  einen  An- 
nexionsangriff auf  Marokko  als  Kriegsfall  betrachten 
werde.  Hatte  es  Frankreich  darauf  ankommen  las- 
sen, so  tat  es  jedenfalls  den  entscheidenden  Schritt 
auf  eigene  Verantwortung,  imd  Deutschland  die 
Schidd  eines  Friedensbruchs  zuzuschieben,  erinnerte 
an  die  Vorgänge  bei  der  Emser  Depesche.  Mit  Aus- 
nahme einiger  verbissener  greiser  Eiderdänen,  nach 
Seeland  emigrierter  Überreste  des  Prager  Friedens, 
die  heut  noch  von  „Artikel  Fünf"  deklamierten  und 
die  Stimde  der  Revanche  predigten,  empfing  man  die 
in  den  Kopenhagener  Hafen  geflüchteten  westlän- 


—     94     — 

(tischen  Kauffahrer  ohne  jeden  Enthusiasmus  und 
freute  sich  nur,  dass  wenigstens  eine  Wiederholung 
des  brutalen  Völkerrechtsbruchs  der  beiden  bri- 
tischen Bombardements  von  Kopenhagen  diesmal 
nicht  ru  befürchten  sei.  — 

In  Russland  verhielten  Gesellschaft,  Presse,  Be- 
völkerung sich  auffallend  kühl.  Nur  Teilnahme  Russ- 
lands an  den  europäischen  Wirren  hätte  allgemeine 
Entrüstung  erregt.  Die  akademische  Doktorfrage, 
wer  die  eigentliche  Initiative  zum  Losbruch  eines 
Weltkriegs  gab,  der  doch  so  lange  schon  in  der 
Luft  lag,  wolle  man  nicht  erörtern.  Jedenfalls  setzte 
der  Reichskanzler  detn  französischen  Botschafter  aus- 
einander, dass  der  Wortlaut  des  sogenannten  Zwei- 
bunds nur  Defensivtendenz  zum  Friedensschutz  atme. 
Unstreitig  liege  aber  jetzt  Offensivtendenz  Frank- 
reichs vor,  das  ja  auch  bei  seiner  offensiv  gemeinten 
Allianz  mit  England  keineswegs  bei  Russland  sich 
Rats  erholte.  Ebensowenig  könne  Russland,  zumal 
Frankreich  ja  lieber  sein  Geld  für  ruinösen  Krieg 
opfere,  statt  detn  befreundeten  Zarenreich  unter  die 
Arme  zu  greifen,  die  Herren  an  der  Seine  um  Rat 
fragen,  was  Russlands  wohlverstandenes  Interesse 
gebiete :  nämlich  Enthaltung  von  jeder  Einmischung 
in  Angelegenheiten,  die  doch  wirklich  nur  die  West- 
mächte angringen.  Bei  der  intimen  Entente  beider 
sei  dies  sozusagen  ein  gemeinsamer  Erbschafts- 
prozess,  eine  reine  Familiensache.  Für  Marokko 
nicht  die  Knochen  eines  taurischen  Grenadiers! 
Mit    Hinblick  auf   des   Reiches   innere   Lage   ver- 


—     95     — 

weise  er  daher  auf  den  Defensivinhalt  des 
Zweibunds. 

Die  abgeblitzte  französische  Politik  musste  also 
über  diese  faktisch  aufhörende  Allianz  zur  Tagesord* 
nung  übergehen.  Verrannt  in  die  englische  Schlinge, 
konnte  sie  auf  dieser  abschüssigen  Bahn  nur  weiter- 
rollen und  im  Falle  des  Sieges  die  russische  Allianz 
kündigen,  sich  fortan  dauernd  auf  England  stützen, 
ihren  natürlichsten  Interessenfeind.  Aber  ganz  ab* 
gesehen  von  der  inneren  Wirrnis,  die  jeden  aus« 
wärtigen  Krieg  des  Zaren  als  Selbstmord  erschei- 
nen liess,  abgesehen  von  privaten  dynastischen  Er- 
wäfi^mgen,  wonach  der  Zar  nur  in  Deutschland  noch 
Anlehnung  als  Bollwerk  des  monarchischen  Gedan- 
kens suchte  und  jede  Schwächimg  Deutschlands  wie 
eigenen  Rückgratbruch  fürchtete,  wäre  kriegerisches 
Vorgehen  ohne  jede  Chance  gewesen.  Bei  der 
Schwierigkeit,  ja  jetzigen  Unmöglichkeit  einer  nur 
einigermassen  geordneten,  geschweige  denn  recht- 
zeitigen, Mobilisierimg  hätten  Deutschland-Österreich 
sofort  Polen,  Schweden  sogar  Finnland  besetzen 
können,  und  bei  der  nationalen  Rebellion  dieser 
Völkerschaften  waren  die  endlichen  Folgen  nicht 
abzusehen.  Ausserdem  sprach  diesmal  die  Türkei 
mit,  wenn  der  „heilige  Krieg'*  die  Islamwelt 
entflammte,  schon  allein  Nährung  des  Tscher- 
kessenaufstands  von  dorther  konnte  bedenklich 
werden. 

So  notifizierte  denn  ein  ausserordentlicher  Am- 
bassadeur von  der  Newa  an  der  Spree  eine  womög- 


—     96     — 

lieh  noch  turmhöhere  traditionelle  Freundschaft  der 
altvereinten  nordischen  Kaiserreiche.  Wenn  Eng- 
land und  Deutschland  sich  Wunden  schlugen,  konnte 
es  ja  dem  heiligen  Russland  nur  recht  sein:  desto 
eher  vernarbten  seine  eigenen  tiefen  Wunden.  — 
In  der  Wiener  Hofburg  musste,  selbst  wenn 
man  Abfall  oder  wenigstens  mangelhafte  Innehai* 
tung  des  deutschen  Bündnisses  je  gewollt  und  ge- 
plant hätte,  die  gegenwärtige  Weltlage  zu  stärk- 
ster Bundestreue  begeistern.  Angst  vor  Russland 
und  deshalb  auch  vor  den  eigenen  slawischen  Staats- 
teilen fiel  jetzt  weg,  die  Deutschen  würden  in  wil- 
der Erregung  sich  von  der  Dynastie  losgesagt  haben, 
wenn  sie  nicht  das  Alldeutschtum  in  dieser  Gefahr 
hochhielt.  Den  Ungarn  aber,  so  sympathisch  sie 
für  die  Westmachte  fühlten  und  so  grundsätz- 
Uch  sie  gegen  jede  Wiener  Entschliessimg  oppo- 
nierten, kam  ihr  reifer  politischer  Sinn  zu  Hilfe. 
Ihre  einsichtigen  Politiker  erkannten,  dass  die  Nie- 
derlage Deutschlands  anfangs  Österreichs  Zerfall  und 
Ungarns  Selbständigkeit  ermöglichen,  dann  aber  Ost- 
europa völlig  dem  Einfluss  des  Panslawismus  unter- 
werfen würde,  womit  der  Magyaren  Untergang  end- 
gültig besiegelt.  In  der  regulären  Armee  zeigte  sich 
das  Band  der  anerzogenen  Anhänglichkeit  an  Fahne 
und  Kaiser  auch  bei  den  Mannschaften  stärker,  als 
man  geahnt  hatte.  Der  angeblich  in  allen  Fugen 
krachende  Donaustaat  erwies  die  Zusanmienschweis- 
sung  seines  bunten  Völkerschaftgemengsels  durch 
fünfhundertjährige   Geschichte   doch  fester,   als   zu 


—     97     — 

erwarten:  wie  ein  Totgesagter  lebte  er  noch  recht 
lange.  Denn  trotz  wüster  Erneuten  tschechischen 
Pöbels  imd  trotz  Gehorsamsverweigerungen  einzelner 
Honvedregimenter,  umrahmt  von  bliunenreichen 
Phrasenadressen  tschechischer  imd  imgarischer  Stu- 
denten  an  die  „sehlisüchtig  geliebte,  vorbildliche  fran- 
zösische Nation",  blieb  es  bei  diesen  rasch  unter- 
drückten Einzelausnahmen,  sobald  das  prahlende, 
drohende  Auftreten  der  Irredenta  und  ihres  Sprach- 
rohrs, der  ganzen  italienischen  Presse,  den  Natio- 
nalstolz der  eis-  und  transleithanischen  Kreise  gleich- 
massig  reizte.  Die  Magyaren  fühlten  sich  auf  ein- 
mal als  Angehörige  des  gemeinsamen  Doppelstaats, 
als  Italiens  lange  Finger  sich  über  Fiume  nach 
Triest  und  Dalmatien  ausstreckten,  das  Ungarn  als 
künftige  eigene  Beute  betrachtete,  imd  auf  das  auch 
die  Slawen  keinen  Verzicht  leisten  wollten.  Der 
alte  nationale  Gegensatz  meldete  sich  mit  voller 
Schärfe  an,  da  der  Südslawe  vom  Italiener,  den  er 
verachtet,  sich  noch  weniger  verdrängen  lassen  will 
als  vom  Deutschen,  den  er  hasst.  Verfrühtes  Spek- 
takeln der  Irredentisten  in  Triest,  Trient,  Roveredo, 
Riva,  Görz,  vorlaute  dreiste  Herausforderung  ita- 
lienischer Studenten  in  Innsbruck  führten  zu  all- 
gemeinen Ausbrüchen  des  VolksimwUlens,  imd  ein 
kroatisches  Regiment  wetteiferte  mit  einem  stock- 
magyarischen beim  Niederknallen  der  Aufrührer  in 
Triest.  Der  deutsche  Charakter  Wiens  prägte  sich 
natürlich  in  riesigen  Strassenumzügen  aus,  die  vor 
der  Hofburg,  dem  Ballhaus,  dem  Reichsrat  immer 

Völker  Europas  ...  1  7 


—     98     — 

wieder  den  Ruf  erschallen  Hessen:  „Hoch  Deutsch- 
land f  Nieder  mit  Italien  1"  Eine  Manifestation  sozia- 
listischer Böhmaken  in  Favoriten:  „Hoch  Frank- 
reich!  Nieder  mit  Deutschland!  Hoch  der  Frieden I 
Kein  Krieg  I"  brachte  den  Abgeordnetaa  Adler, 
Pemerstorfer,  Eldersch,  Ellenbogen  und  dem 
schimpfgewaltigen  Schuhmeier  blutige  Köpfe  ein, 
durch  Flutwelle  von  Christlichsozialen  und  Völ- 
kisch-Alldeutschen vereint  weggeschwemmt.  Sogar 
die  Anhänger  von  Schönerer,  Wolf  und  dem  Schrei- 
hals Iro  machten  eine  Ovation  für  Oberbürgermeister 
Lueger  mit,  der  mit  achtunggebietender  Festigkeit 
und  hinreissender  Beredsamkeit  auf  der  Freitreppe 
des  Rathauses  eine  Ansprache  an  mächtige  Volks- 
mengen hielt,  worin  er  „Zusammenstehen  mit  un- 
sem  deutschen  Brüdern  im  Reich"  proklamierte. 
In  den  nächsten  acht  Tagen  nach  Deutschlands 
Kriegserklärung  an  Frankreich  hatten  die  Verhält- 
nisse sich  schon  derart  geklärt,  dass  die  österrei- 
chische Heeresleitung,  deren  eifrige  Offiziere  vor 
Kriegslust  brannten,  welcher  Nationalität  sie  auch 
angehören  mochten,  ihre  Mobilmachung  vollenden 
und  ruhig  über  ihre  Kräfte  verfügen  k<mnte. 

In  Galizien  und  der  Bukowina  blieben  zwei  Korps 
zur  Beobachtung  Russlands,  in  Böhmen  eine  unga- 
rische Division,  in  Ungarn  ein  halbslawisches  Korps 
zurück,  um  vorerst  etwaige  Unruhen  zu  überwachen. 
In  Siebenbürgen,  Dalmatien,  Bosnien  und  der  Her- 
zegowina standen  eine  aktive  und  zwei  Landwehr- 
divisionen, um  Serbien  und  die  Sphäre  Saloniki  zu 


—     99     — 

beobachten  und  nach  vertraulicher  Vereinbarimg  mit 
Konstantinopel  im  Notfall  den  osmanischen  Nizams 
die  Hand  zu  reichen,  wenn  Italien  mit  Montenegro, 
Serbien,  Mazedonien  in  Albanien  sich  mausig  mache. 
Die  kleine  Flotte  machte  im  Kriegshafen  Pola  mobil 
und  streifte  die  adriatische  Küste  ab.  Drei  Korps, 
aus  Kärnten,  Krain,  Tirol  und  Steiermark  zusam- 
mengezogen, staffelten  sich  zwischen  Kufstein  und 
Fiume,  um  je  nach  Verhalten  Italiens,  vollzählig 
und  dann  durch  vier  Reservelandwehrdivisionen  ver- 
stärkt, dort  die  Südgrenze  zu  decken  oder  teilweise, 
falls  Italien  nicht  ernstlich  angreife,  den  sechs  Armee- 
korps nachgeschoben  zu  werden,  die  allmählich  an 
die  deutsche  Rheingrenze  abflössen.  Hierbei  gingen 
die  ersten  Staffeln  auf  den  Bahnlinien  Eger  und 
Passau  über  München,  vbn  da  über  Ulm  imd  Konstanz, 
die  zweiten  Staffeln  durften  später  schon  über  Lindau 
imd  Rorschach  die  Schweizer  Bahnstrecke  benutzen, 
da  um  diese  Zeit  sich  schon  Beitritt  der  Alpenrepu- 
blik vollzog. 

Deutscherseits  blieben  je  eine  Division  der  zwei 
ost-  und  westpreussischen,  des  Posener  und  Schlesi- 
schen  Armeekorps  nebst  vier  Landwehrdivisionen 
langes  der  russischen  Grenze  vorerst  zurück,  ebenso 
das  Gardekorps  in  Berlin  und  Umgegend,  während 
die  Depotorte  und  wichtigeren  Garnisonsplätze  fast 
nur  von  Landwehr  besetzt  wurden,  die  auch  überall 
auf  den  Etappenlinien  allmählich  die  Feldtruppen 
ablöste.  Desgleichen  sicherte  das  9.  Korps,  kom- 
plettiert um  eine  fortwährend  aus  anderen  Provinzen 

7* 


—     100     — 

vermehrte  Landwehrdivision,  die  Strecke  Flensburg- 
Hamburg,  Emden-Bremen.  Die  Garde,  für  inneren 
Sicherheitsdienst  sozusagen  als  politische  Polizei  be 
stimmt,  hatte  im  Notfall  die  Reserve  für  Küsten- 
schutz zu  bieten.  Das  10.  Korps  sollte  nach  Besetzung 
von  Holland  und  Angliedenmg  der  niederlän- 
dischen Streitkräfte  den  Küstenschutz  langes  der 
Zuydersee  und  Nieuwe  Waterweg  stellen,  nach  Ab- 
schlagen britischer  Landungsversuche  die  allgemeine 
Reserve  für  die  deutsche  I.  Armee  bilden  und  nach 
deren  Besetzung  von  Belgien  den  Etappendienst  von 
Nymwegen  bis  Brüssel-Lüttich  später  übemelunea 
Erlaubte  es  die  Entwicklung  der  Dinge,  würde  dies 
durch  Landwehmachschub  aus  Hannover  und  Hes- 
sen vermehrte  Korps  auch  nach  Antwerpen  deta- 
chieren. Das  7.,  8.,  11.  und  18.  Korps  (West- 
falen, Rheinland,  Thüringen,  Kurhessen  und 
Hessendarmstädter  Kontingent)  standen  als  L  Armee 
bei  Lüttich  und  schickten  sich  an,  Luxemburg 
zu  durchschreiten.  3.,  4.  preussische,  sächsische 
12.,  19.,  23.  Korps  gingen  über  Mainz  nach 
der  Mosel,  wo  die  beiden  reichsländischen  Korps 
bereits  am  anderen  Tage  nach  der  Kriegserklärung 
unter  Waffen  standen.  Dieser  H.  Armee  sollten 
bald  als  Reserve  das  2.  Korps,  nur  einige  aktive 
Bataillone  in  seinem  Landwehrbezirk  zum  Schutze 
von  Stettin,  Swinemünde,  Rügen  belassend,  sowie 
je  eine  Division  des  1.,  5.,  6.,  17.  folgen.  Die  des 
17.  (Danzig)  bheb  jedoch  im  Lande.  Auf  der  Strecke 
Landau-Kolmar-Freiburg  rückten  das  badische,  würt- 


-      101     — 

tembergische,  beide  bayerischen  Korps  und  ihr  Re- 
servekorps an,  denen  sich  später  die  nacheinander 
eintreffenden  österreichischen  Korps  einschieben 
sollten.  Dieser  III.  Armee  konnte  dann  die 
Schweizer  Mihz  eine  wirksame  Flankendeckung  ge- 
wahren. Allerdings  wurde  so  auf  dem  linken  Flügel 
der  Angriffslinie  eine  imverhältnismässige  Masse  von 
Kräften  zusammengepackt,  doch  kamen  die  natür- 
lichen örtlichen  Umstände  der  Anmarschrouten  für 
Süddeutsche  und  Österreicher  hierbei  gleichzeitig 
strategisch  zu  passe.  Deim  der  voraussichtliche 
grosse  Ausfall  der  französischen  Rechten  durch 
Trou^e  de  Beifort  und  Kanton  Basel,  sowie  dauernde 
Belästigung  der  deutschen  rückwärtigen  Flanke  für 
die  mittlere  Grenzlinie  seitens  des  Waffenlagers 
Beifort  machten  nötig,  eine  möglichst  starke  Haken- 
flanke dorthin  zu  bilden.  Sobald  die  feindliche  Of- 
fensive ganz  zurückgeschlagen,  mochten  die  hier 
angestauten  zehn,  beziehentlich  (Schweizer  inbegrif- 
fen) zwölf  Armeekorps  sich  breiter  nach  Südwesten 
auf  französisches  Gebiet  entfalten.  Dann  musste 
der  Druck  von  dorther  strategisch  vorteilhaft  wirken, 
des  Gegners  bei  Chalons-Rheims-Laon  befindliche 
Hauptmasse  umgehend  nordwärts  abdrängen,  wie 
die  alte  von  Clausewitz  empfohlene  und  spä- 
ter von  Moltke  ausgeführte  Methode  den  Weg 
wies.  — 

Was  die  Türkei  betraf,  so  hatte  der  deutsche 
Botschafter  dem  Sultan  vorgestellt:  „dass  die  Nie- 
derlage Deutschlands  ihn  seiner  letzten  Stütze  be- 


—     102     — 

rauben  werde  und  dann  das  Schicksal  der  Türkei 
besiegelt  sei.  Die  Westmächte  würden  dann,  um 
Russland  mit  der  neuen  Verschiebung  des  europäi- 
schen Gleichgewichts  zu  versöhnen  und  es  vom  fer- 
nen Osten  nach  Konstantinopel  abzulenken,  eine 
Aufteilung  der  Türkei  durchführen,  wobei  Frank- 
reich Syrien  und  Palästina,  England  sämtliche 
Häfen  und  Inseln  und  die  kleinasiatische  Küste, 
Russland  Rumelien  erhalten  würde.  Die  Bag- 
dadbahn werde  dann  natürlich  in  englische  Hände 
geraten.  Für  vertrauliche  Besprechungen  in  die- 
sem Sinne  lägen  schon  Anzeichen  vor.  Es  handle 
sich  daher  um  Sein  oder  Nichtsein  für  die  Türkei, 
und  solle  sich  der  Grossherr  daher  kurz  resol- 
vieren,  diese  letzte  Möglichkeit  zur  Behauptung 
seines  Staates  nicht  in  den  Wind  zu  schlagen. 
Die  Bewegung  in  der  ganzen  islamitischen  Welt 
wegen  der  Marokkoaffäre  biete  ihm  Gelegenheit, 
als  Schutzherr  der  afrikanischen  Muselmanen  auf- 
zutreten. Deutschland  verbürge  ihm  volle  Inte- 
grität seines  Gebietes,  wenn  er  aktiv  am  Weltkrieg 
teilnehmen  wolle." 

Abdul  Hamid,  bei  allen  Fehlem  ein  weitsichtiger 
Staatslenker,  verschloss  sich  diesen  Gründen  nicht. 
Persönlich  seit  lange  schwer  gereizt  durch  die  steten 
Einschüchterungsversuche  seitens  der  Westmächte, 
ohne  den  endgültigen  Verlust  Ägyptens  je  verwimden 
zu  haben,  verkannte  er  nicht  die  Gunst  der  Lage, 
dass  sein  gefährlichster  Gegner  Russland  augen- 
blicklich ihm  nichts  anhaben  konnte.    Dessen  Bot- 


—     103     — 

schafter  gab  vertraulich  zu  verstehen,  „dass  man  sich 
aus  Petersburg  jeder  Kontrolle  über  Massnahmen 
der  Türkei  in  der  gegenwärtigen  Krise  enthalten,  Bul- 
garien und  Rumänien  (auf  welch  letzteres  man  wegen 
der  bekannten  Affäre  mit  dem  meuterischen  Panzer- 
schiff „Potemkin"  einen  Zahn  hatte)  dringend  vom 
Unruhestiften  und  Belästigen  der  Pforte  abmahnen 
werde.  Nur  Unterstützung  des  tscherkessischen  Auf- 
standes seitens  türkischer  Behörden  werde  man  als 
unfreundlichen  Akt  betrachten." 

Gleichzeitig  erschien  aber  der  britische  Ge- 
schäftsträger beim  Grosswesir,  lun  nach  beliebter 
britischer  Methode  drohend  zu  bluffen.  „In  Maize- 
donien  seien  wieder  mal  ,Atrocities'  vorgefallen,  Ein- 
berufung der  Redifs  und  Verstärkung  der  Kom- 
mandos in  Albanien  lasse  auf  feindliche  Absich- 
ten gegen  die  Rajas  schliessen,  zumal  ein  keimender 
Fanatismus  in  der  muselmännischen  Bevölkerung 
sich  rege.  Femer  wünsche  man  Auskunft,  was  ein 
neuer  starker  Militärtransport  aus  dem  Vilajet  Konia 
nach  Syrien  bedeute.  Trotz  aller  Beschwichtigungs- 
versuche wiederhole  sich  der  frühere  Vorfall,  wo  ein 
Pascha  überraschend  die  Sinaihalbinsel  imd  sogar 
ägyptische  Grenzdörfer  besetzte.  Wenn  diese  seit 
lange  beobachtete  allmähliche  Truppenverschiebung 
nach  Süden  in  der  asiatischen  Türkei  nicht  aufhöre, 
müsse  England  jede  Annäherung  an  Ägypten  als 
Kriegsfall  betrachten  und  habe  dem  in  Malta  sta- 
tionierten Vizeadmiral  Scott  schon  Auftrag  erteilt, 
eventuell  die  Insel  Lesbos  erneut  zu  okkupieren  und 


—     104     — 

von  dort  mit  schärferen  Beweismitteln  die  Darda- 
nellen zu  berühren." 

Diese  Leistung  der  britischen  Diplomatie,  welche 
so  schöne  Erinnerung  an  arrogantes  Auftreten  fran- 
zösischer Botschafter  Cambon  und  Constans  vor  jener 
früheren  Flottendemonstration  erweckte,  führte  sich 
Abdul  Hamid  so  zornig  zu  Gemüte,  dass  er  eine 
grobe  Antwort  gab,  wie  England  sie  bisher  nicht 
gewohnt  war.  „Er  müsse  sich  solche  Einmischung 
in  Armeeverhältnisse  der  Osmanen  ein  für  allemal 
verbitten.  Die  Weltlage  fordere,  dass  die  Türkei  sich 
auf  erneute  Balkanunruhen  gefasst  mache.  Die 
Truppenkordons  in  Asien  seien  zum  Schutz  des  Baues 
der  Bagdadbahn  nötig,  ausserdem  zur  Überwachung 
der  noch  inmier  nicht  ganz  erloschenen  Aufstände  in 
Yemen.  Weit  eher  habe  die  Hohe  Pforte  ihrer- 
seits ihr  Befremden  zu  äussern  über  Umtriebe  gegen 
die  Bagdadbahn  und  Wühlereien  im  Balkan  und 
Armenien.  Es  sei  kein  Geheimnis,  dass  englische 
und  französische  Agenten,  ob  nun  offiziell  oder  privat, 
dabei  eine  Rolle  spielten.  Jedenfalls  habe  man  eng- 
lische Sovereigns  rollen  hören,  habe  auffälliges  Vor- 
handensein dieser  bekannten  Münze  in  Taschen  von 
Übelgesinnten  wahrgenommen.  Der  Padischah  sei 
nicht  gesonnen,  sich  alles  bieten  zu  lassen,  und  werde 
selber  die  Richtung  seiner  Politik  bestinmien/' 

Obschon  es  nicht  im  Interesse  Englands  lag, 
gerade  jetzt  noch  einen  Zwist  mit  dem  Osmanenreich 
vom  Zaun  zu  brechen,  fühlte  sich  der  britische  Hoch- 
mut zu  sittlich  entrüstet  über  solchen  Mangel  an 


—     105     — 

geziemender  Unterwürfigkeit,  dass  es  eine  ver- 
letzende Note  erliess:  ,,Grossbritannien  als  oberster 
Vertreter  christlicher  Gesittung  werde  die  Zustände 
im  Auge  behalten,  welche  etwa  christliche  Unter- 
tanen der  Türkei  schädigen  könnten.  Lord  Cromer 
habe  Auftrag,  an  der  ägyptischen  Grenze  Vorsichts- 
massregeln zu  treffen,  die  Garnison  von  Cypem  werde 
verstärkt  werden.  Auch  bleibe  es  bei  der  angedrohten 
Razzia  in  die  türkischen  Gewässer."  Zwar  verzichtete 
man  auf  Besetzung  von  Lesbos,  aber  tatsächlich 
dampfte  ein  Teil  des  Mittelmeergeschwaders  die  tür- 
kische Küste  entlang.  Dies  geschah  während  der 
ersten  Tage  der  westeuropäischen  Mobilisienmg,  als 
schon  von  Marokko  au^  der  wilde  Schrei  des  heiligen 
Krieges  gegen  die  Giaurs  zum  Himmel  stieg.  Die 
englische  Demonstration,  früher  so  oft  erfolgreich  an- 
gewendet, verfehlte  diesmal  ihren  Zweck.  In  Kon- 
stantinopel brach  wüster  Ingrimm  los,  und  im  Jildiz 
Kiosk  zitterte  man  vor  der  Möglichkeit,  die  Jung- 
türken möchten  als  Feinde  des  bestehenden  Re- 
gimes die  naive  religiösnationale  Erregung  der  Alt- 
türken benutzen,  deren  Mullahs  in  allen  Minaretts 
gegen  die  Bosheit  der  Ungläubigen  zeterten.  Die 
aus  Fez  auflohenden  Funken  setzten  längs  der  afri- 
kanischen Küste  schon  Asien  in  Brand,  das  schläf- 
rige Seelenleben  der  Islamiten  stand  in  hellen  Flam- 
ment  Millionen  Stimmen  forderten  gebieterisch: 
„Entrolle,  o  Kalif,  die  grüne  Fahne  des  Pro- 
pheten I" 

Mehr  der  Not  gehorchend  als   dem     eigenen 


—     106     — 

Triebe,  da  seiner  ängstlich  schlauen  Staatskunst  ein 
solches  Vabanquespiel  widersprach,  mehr  aus  Zwaag 
innerer  als  auswärtiger  Politik,  schwer  gekränkt  in 
seiner  Despotenwürde  und  von  der  Richtigkeit  der 
deutschen  Darlegung  durchdrungen,  warf  daher  Ab- 
dul Hamid  plötzlich  die  Maske  ab  und  die  Scheide 
von  sich,  verbrannte  alle  Schiffe  hinter  sich  und  warf 
sich  auf  die  Bahn  des  Glaubenskriegs.  „Als  Kalif 
und  Schirmherr  aller  Gläubigen,  als  Souzerän  dürfe 
er  Marokkos  Vergewaltigung  nicht  ruhig  mit  an- 
sehen. Auch  fühle  sich  sein  Gewissen  gequält,  dass 
er  die  Gläubigen  Ägyptens  dem  Joch  der  Ungläubi- 
gen nicht  ausliefern  dürfe.  Er  mahne  daher  Frank- 
reich, von  jeder  Antastung  Marokkos  abzustehen, 
und  stelle  England  anheim,  Ägypten  zu  räumen." 

Solch  unerhörte  Dreistigkeit  nahm  man  zwar  in  Paris 
und  London  mit  Gelächter  auf,  die  Gesandtschaften 
der  Alliierten  begaben  sich  an  Bord  ihrer  Stations- 
schiffe und  hinterliessen  ein  Ultimatum,  das  demüti- 
gende Abbitte  verlangte.  Doch  das  Lachen  verging 
ihnen,  als  statt  jeder  sonstigen  Antwort  eine  Bot- 
schaft des  Kalifen,  in  allen  Moscheen  verlesen,  alle 
Moslem  der  Erde  zum  Schutze  ihrer  heiligsten  Güter 
zu  den  Waffen  rief.  Am  gleichen  Tage  schloss  der 
Sultan  mit  Deutschland  Osterreich  geheime  Konven- 
tion ab,  deren  Schutz-  und  Trutzinhalt  freilich  absicht- 
lich nach  Petersburg  und  von  da  nach  Paris  durch- 
sickerte. 

Dass  die  Osmanen  als  altes  Kriegervolk  wirk- 
lich von  ihren  deutschen  Instruktoren  das  Nötige 


—     107     — 

lernten,  bewies  der  überraschend  schnelle  Vollzug 
der  heimlich  schon  zur  Hälfte  angebahnten  Mobili- 
sierung. Vier  Armeekorps  marschierten  mit  ziem- 
lich ordentlicher  Ausnutzung  des  spärlichen  Bahn- 
netzes zur  ägyptischen  Grenze,  zwei  beobachteten 
Bulgarien  und  Bessarabien,  eins  gamisonierte  gegen- 
über Kars,  wobei  sich  dem  russischen  Kabinett  das 
Berliner  verbürgte,  dass  dies  nur  Scheinanstalten 
seien,  ohne  im  entferntesten  an  Verwicklung  mit 
Russland  zu  denken.  Und  für  Italien  blühte  eine 
ähnliche  Überraschung,  als  es  nimmehr  notifizierte: 
„es  teile  die  Besorgnis  der  Westmächte  für  Gefahren 
christlicher  Bevölkerung  der  Türkei  und  sehe  sich 
daher  moralisch  genötigt,  Albanien  zu  besetzen." 
Als  imterm  Schutz  eines  bei  Brindisi  zusammen- 
gezogenen Hauptgeschwaders  zwei  italienische  Ar- 
meekorps nach  \md  nach  an  Albaniens  Küste  lande- 
ten, traten  ihnen  drei  türkische  entgegen,  während 
drei  Landwehrdivisionen  die  thessalischen  Pässe  ge- 
gen das  unruhig  werdende  und  nach  Krieg  schrei- 
ende Griechenland  bewachten.  Die  zahlreichen  Euro- 
päer in  Galata  und  Pera  stellten  sich  untern  Schutz 
des  deutschen  Botschafters  oder  flüchteten  in  Masse 
auf  die  britischen  Schiffe,  die  nunmehr  an  den 
Dardanellen  vor  Anker  gingen.  Doch  konnte  man 
nicht  hindern,  dass  schon  vorher  viele  englische 
und  französische  Handelsschiffe,  zwischen  den  Dar- 
danellenforts am  Entrinnen  gehemmt,  weggenom- 
men, versenkt  und  verbrannt  wurden,  und  eine 
Menge  Privateigentum  der  Alliierten  wilden  Pöbel- 


—     108     — 

exzessen  zum  Opfer  fiel.  Mit  den  Forts  fertig  zu 
werden  und  die  kleine  türkische  Flotte  zu  vemich- 
ten»  war  freilich  für  die  Briten  ein  Kinderspiel.  Das 
Schlimme  dabei  war  aber,  dass  nunmehr  die  ^^anze 
Mittelmeerflotte  an  Ort  und  Stelle  bleiben,  auch 
Frankreich  eine  Eskadre  nach  Mytilene  ent- 
senden musste.  Die  Hälfte  der  britischen  und  eng- 
lischen Marine  im  Mittelmeer  hatte  ausserdem  das 
Amt.  eine  Scheinbeobachtung  der  italienischen  Küste 
durchzuführen,  um  Italiens  unklare  Haltxmg  vorerst 
moralisch  zu  decken.  Man  kreuzte  vor  Spezzia,  Nea- 
pel, auf  der  Höhe  von  Sizilien,  während  Italien,  in 
volle  Mobilisierung,  angebliche  Verteidigimgsanstal- 
ten  traf,  in  Wahrheit  aber  schon  zwei  Drittel  seiner 
Marine  aus  dem  Tyrrhenischen  ins  Adriatische  Meer 
zog  und  unterm  Vorwand  der  albanischen  Expe- 
dition sich  immer  dichter  nach  Venedig  massierte. 
In  Venezien  standen  bereits  beide  lombardischen 
Armeekorps,  in  Ancona  als  Einschiffungspunkt  für 
I Strien  entstand  ein  grosses  Heerlager,  indes  der 
Küstenschutz  gegen  angebliche  Bedrohung  der  Al- 
liierten nur  massig  betrieben  und  die  piemontesischen 
Truppenteile  an  der  französischen  Grenze  so  auf- 
gestellt wurden,  dass  ebensogut  Bedrohung  des 
schweizerischen  Tessin  damit  gemeint  sein  konnte. 
An  der  Seealpensperre  kletterten  Bersaglieri  und 
Alpins  gegenseitig  herum,  ohne  sich  etwas  zuleide 
zu  tun,  die  rotweissblaue  Trikolore  der  französi- 
schen Grenzforts  schien  freundlich  die  rotweissgrüne 
der  italienischen  zu  grüssen. 


—     109     — 

So  war  denn  alles  ganz  anders  gekommen,  als 
frühere  Phantasien  gewbser  anonymer  Autoren  es 
ausgemalt,  die  naiverweise  an  Italiens  Bundestreue 
glaubten,  dagegen  Türkei  und  Schweiz  aus  dem 
Spiele  liessen  und  mit  verspäteter  Unentschlossen- 
heit  Hollands,  mit  direkter  Feindseligkeit  Belgiens 
rechneten.  Die  geradezu  unbegreifliche  Annahme, 
dass  es  in  Schlachten  auf  französischem  Boden  zu 
gewaltiger  Übermacht  der  Franzosen  kommen  werde, 
die  ebenso  unbegreifliche  Vorstellung,  als  könne 
England  mit  grossen  Streitkräften  auf  dem  Konti- 
tient  eingreifen,  verkehrte  sich  in  der  Praxis  ins 
Gegenteil.  Allerdings  sollte  der  ebenso  törichte  chau- 
vinbtische  Optinüsmus,  als  könne  ein  deutsches  Heer 
jeder  französischen  Übermacht  von  2:3  Herr  wer- 
den, sich  als  frommer  Wahn  herausstellen,  und  was 
von  Widerstandsfähigkeit  der  deutschen  Flotte  wi- 
der britische  Übermacht  zu  halten  sei,  lehrten  nur 
zu  bald  die  Ereignisse.  Von  einer  stürmischen  Hurra- 
begeisterung byzantinisch-chauvinistischer  Färbung, 
von  welcher  jene  Propheten  vorausgeschwärmt  hat- 
ten, die  überhaupt  durch  ihre  optimistischen  Über- 
treibungen viel  falsche  Selbsttäuschung  in  unklaren 
Köpfen  anrichteten,  war  gleichfalls  nichts  zu  spü- 
ren. Den  „Aufruf  an  mein  Volk"  beantwortete  keine 
spontane  Ovation,  sondern  nur  ernster  kurzer  Zu- 
ruf, der  ausdrückte,  dass  jedermann  entschlossen 
sei,  in  dieser  Gefahr  zu  Kaiser  und  Reich  zu  stehen. 

Aufruf  der  kaiserlichen  Botschaft  besagte,  dass 
es  sich  hier  nicht  um  Marokko  und  blosse  Handels- 


—     110     — 

und  Einflusssphären  handele,  sondern  um  lange  vor- 
bereitete Provokation,  Deutschland  zum  Kriegte  zu 
reizen,  und  um  geplanten  Überfall:  wenn  Deutsch- 
land nicht  den  Krieg  erklärte,  würde  man  ohne 
Kriegserklärung  bald  darauf  überrumpelt  worden 
sein.  Hierfür  wurden  Dokumente  ausgeführt,  und 
hatte  ja  in  der  Tat  die  deutsche  Presse  schon  vorher 
Alarmrufe  ausgestossen,  geheime  Mobilisierung 
scheine  bei  den  Westmächten  sich  vorzubereiten. 
Diesmal  leistete  das  deutsche  Informationsbureau 
Gutes,  Auswärtiges  Amt  und  Generalstab  hatten 
gleichmässig  Beweise  erhalten,  die  über  der  Al- 
liierten tiefere  Absicht  keinai  Zweifel  Hessen.  Un- 
ter solchen  Umständen  kurz  resolviert,  hatte  man 
acht  Tage  vor  dem  französischen  Einmarsch  in  Ma- 
rokko, über  dessen  Herannahen  man  stündlich  aus 
Tanger  auf  dem  laufenden  erhalten  wurde,  sich 
heimlich  in  Bereitschaft  gesetzt,  sofort  eine  schon 
lange  zuvor  für  solchen  Fall  vereinbarte  Chiffre- 
depesche an  alle  deutschen  Handelsschiffe  erlassen, 
andre  grosse  Handelsdampfer  in  Hamburg  und 
Bremen  zurückgehalten  und  deren  Armierung  vor- 
bereitet. Am  Tage  der  Kriegserklärimg  traf  der  ver- 
hängnisvolle Befehl  „Krieg  mobU*'  schon  beendete 
Vorbereitimgen.  Eingedenk  der  britischen  Ge- 
wohnheit, Kriege  stets  durch  Überfall  ohne  vor- 
herige Erklärung  zu  beginnen,  spielte  Deutschland 
diesmal  umsichtig  das  Prävenire  und  holte  den  in 
Ausführung  begriffenen  Mobüisierungsbeginn  Frank- 
reichs sofort  ein,  kam  mit  Vollendung  der  Kriegs- 


—    111    — 

bereitschaft  um  zwei  Tage  zuvor.  Für  die  Flotte 
freilich  konnte  dieser  Vorsprung  nichts  nützen,  da 
wegen  der  furchtbaren  Überlegenheit  der  Verbünde- 
ten zu  Wasser  eine  Offensive  deutscherseits  sich  von 
selber  ausschloss. 

Die  Sozialdemokraten  bewahrten  im  ganzen  eisi- 
ges Schweigen.  Zwar  forderte  die  Parteitaktik  einen 
donnernden  Protest  Bebeis  in  der  Reichstagsschluss- 
sitzung gegen  solchen  verbrecherischen  Weltkrieg- 
Selbstmord.  Doch  selbst  er  Hess  seine  anfängliche 
Behauptung  fallen,  dass  nur  Deutschlands  eigener 
Grössenwahn  es  ins  sinnlose  Marokkoabenteuer 
stürzte.  Denn  zu  klar  entpuppte  sich  die  Gehässigkeit 
Europas  gegen  das  Deutsche  Reich,  das  ausser  Öster- 
reichs Bündnis  nur  die  wertvolle  Freundschaf t  des 
Tiefseeforschers  und  Spielhöllenbeherrschers  in  Mo- 
naco zu  gemessen  schien.  Schon  Italiens  Unfreundlich- 
keit bewies  den  Zweck  der  Marokko-Falle,  Deutsch- 
land isoliert  einzuengen,  seiner  Industrie  das  Absatz- 
gebiet zu  schmälern  und  es  bei  erster  Gelegenheit  mit 
Krieg  zu  überziehen.  Wenn  man  sich  jede  diplo- 
matische Niederlage  gefaDen  liess,  würde  dies  das 
Übelwollen  der  Gegner  mildem?  Nein,  zu  immer 
neuer  Verletzung  deutscher  Interessen  ermutigen. 
Sollte  man  jetzt  etwa  den  bewaffneten  Überfall  der 
Aliierten  abwarten,  den  man  durch  eigene  moralische 
Schwäche  erst  recht  heraufbeschwor,  sollte  man  war- 
ten, bis  Russland  wieder  möglichst  bei  Kräften, 
dessen  Stellungnahme  keineswegs  sicher  vorauszu- 
sehen, sollte  man  die  Konstellation  der  grossen  is- 


112 


lamitischen  Bewegung  nicht  benutzen?  Unter  sol- 
chen Umständen  hatte  der  Bundesrat  einen  leichten 
Stand,  liberalen  Phrasenschwall  abzuschlagen,  und 
Bebel  fiel  auf  die  unangreifbare  Position  zurück, 
dass  allerdings  die  gesamte  kapitalistische  Gesell- 
schaft an  diesem  blutigen  Schandwerk  die  Schuld 
trage,  das  ihren  baldigen  allgemeinen  Zusammen- 
bruch vorausverkünde.  Diese  Prophezeiung  werde 
zuschanden  werden,  rief  Herr  v.  Kardorf f  pathetisch, 
aber  sie  machte  natürlich  Eindruck.  Karden  erliess 
ein  hochmögendes  Manifest  seiner  Unfehlbarkeit, 
das  er  mit  Trauerrand  ausstaffierte,  worin  unabseh- 
bare düstere  Folgen  und  Aushungerung  Deutsch- 
lands durch  die  Küstenblockade  in  freundliche  Aus- 
sicht gesteUt  wurden.  Doch  sachkundige  Artikel  be- 
wiesen bald,  dass  bei  Russlands  wohlwollender  Neu- 
tralität immer  Zufuhr  vom  Don  und  aus  Ungarn  offen 
bleibe  und  amerikanische  Privatschmuggelei  schwer- 
lich durch  Blockade  ganz  verhindert  werden  könne. 
Ziunüberfluss  gab  Herr  v.  Vollmar  das  Votum  der 
süddeutschen  Sozialdemokratie  ab,  dass  man  leider 
ausnahmsweise  auf  seiten  der  deutschen  Regierung 
stehen,  dass  Niederwerfung  und  Auspowerung  des 
Deutschen  Reichs  notwendig  die  Arbeiterschaft  am 
schwersten  treffen  müsse,  tun  deren  Los  die  fran- 
zösische Bourgeoisie  und  englische  Oligarchie,  wenn 
sie  siegten,  sich  wahrlich  nicht  kümmern  werde.  Das 
aUgemeine  Elend  des  Volkes  infolge  dieses  kapita- 
listischen Raubkrieges  verbessere  man  nicht  durch 
Kokettieren  mit  dem  Landesfeind,  sondern  verschlim- 


—     113     — 

mere  es.  Höchstens  Deutschlands  Sieg  könne  vom 
wirtschaftlichen  Untergang  erlösen.  Deshalb  müsse 
der  Sozialdemokrat  jetzt  wie  jeder  andere  seine  staats- 
bürgerliche Schuldigkeit  tun  und  blutenden  Herzens 
votiere  er  für  anstandslose  Annahme  des  Kriegsbud- 
gets. Dieser  Verrat  des  Genossen  VoUmar  gegen 
die  heiligsten  Grundsätze  der  Parteitage  zog  ihm 
freilich  eine  Flut  von  Verwünschungen  zu,  Grossin- 
quisitor Mehring  tat  ihn  in  den  grossen  Bann.  Doch 
merkwürdigerweise  fand  seine  Auffassung  bei  der 
überwiegenden  Mehrzahl  der  Sozialdemokraten  An- 
klang, die  trocken  fragten :  was  ihnen  jetzt  wohl  ein 
Jena  nützen  könne,  und  ob  der  Sieg  des  Auslands, 
das  vorerst  doch  jedenfalls  dem  deutschen  Volk  das 
tägliche  Brot  aus  den  Zähnen  reissen  wolle,  etwa 
später  andere  milde  Spenden  bescheren  werde 
ausser  üppigen  Kontributionen?  Dazu  kam,  dass 
zwar  die  unentwegtesten  französischen  Sozialisten 
einige  Protestversammlungen  abhielten,  deren  Er- 
gebnis sich  auf  oratorische  Leistungen  von  Jaur^s 
und  Guesde  beschränkte,  das  Volk  aber  mjassen- 
haft  ins  Feldgeschrei  „Die  Revanche  I  Nach  Berlin  !** 
einstimmte. 

Die  Erkenntnis,  dass  zweiundsechzig  Millionen 
Deutsche  nicht  länger  so  ohne  fette  Plätzchen  in 
der  Sonne  fortvegetieren  könnten,  dass  bei  weiterem 
Anwachsen  der  Bevölkerung  es  über  kurz  oder  lang 
eines  Tages  doch  aus  ökonomischen  Gründen  zum 
Kampf  um  breitere  Existenzbedingungen  kommen 
müsse,  legte  das  Fundament  für  eine  ruhige  verbissene 

Völker  Europas  ...  I  8 


—     114     — 

Entschlossenheit  der  Nation,  die  sich  dann  im  Laufe 
des  Krieges  zu  finsterem  Ingrimm  steigerte.  Der 
so  unendlich  wichtige  moralische  Faktor  ging  schon 
deshalb  auf  Deutschland  über,  weil  sich  der  Volks- 
stimmung das  Bewusstsein  aufdrängte,  im  Falle  der 
Niederlage  drohe  möglicherweise  Zerfall  des  Bundes- 
reichs, erneute  Zerstönmg  der  politischen  Obmacht, 
während  für  die  Westmächte  anscheinend  nichts  Ähn- 
liches auf  dem  Spiele  stand.  Wer  aber  für  Sein  oder 
Nichtsein  ficht,  tut  es  unwillkürlich  zäher  und 
grinuner  als  ein  Gegner,  der  wohl  viel  gewinnen, 
aber  wenig  Verlust  zu  befürchten  hat.  Diese  Über- 
zeugung der  deutschen  Volksseele  versprach  dem 
fremden  Ausbeutungsgelüst  nichts  Gutes,  zumal  bei 
den  Franzosen  die  einst  natürliche  und  noble  Revan- 
chegier heut  nur  als  künstliches  Gewächs  wucherte 
und  unzählige  einsichtige  Offiziere  noch  kurz  vor 
dem  englischen  Bündnis  lediglich  England  als  steten 
Erbfeind  Frankreichs  betrachtet,  in  Büchern  und  Ar- 
tikeln ihr  schlechtes  Herz  gegen  das  „befreundete" 
Inselreich  enthüllt  hatten.  Das  gegenseitige  unaus- 
rottbare Misstrauen  der  Verbündeten  konnte  noch 
ein  wichtiger  Faktor  der  Entwicklung  werden.  Ver- 
brüderungsfeste in  der  Guildhall  und  im  H6tel  de 
Ville  vertuschten  nur  die  wahre  Gesinmmg,  ein  dürfti- 
ger Lack  der  Oberfläche. 

Und  im  Kriege  entscheiden  überhaupt  Taten, 
nicht  Worte,  rauhe  Tatsachen,  nicht  Redereien.  Dass 
die  deutsche  Mobüisierung  sich  womöglich  noch 
prompter  wie  am  Schnürchen  abschnurrte,  als  zur 


—     115     — 

Moltkezeit,  begünstigt  durch  so  viel  neue  strate- 
gische Nebenbahnen,  wog  gleich  schwerer,  als  Fran- 
zosenliebe, Deutschenhass,  sozialistische  Putsche  in 
Brüssel,  Namur,  Charleroi,  Lüttich.  Denn  kaum 
betrat  die  erste  französische  Kavallerie  das  belgische 
Sambre-Ufer,  lärmend  von  den  Wallonen  begrüsst, 
als  die  deutsche  I.  Armee  sich  unaufhaltsam  über 
Verviers — Spa — Luxemburg  ins  Land  ergoss.  Dem 
geheimen  Abkonomen  gemäss  erklärte  König  Leopold 
die  französische  Überschreitimg  der  belgischen 
Grenze  unverzüglich  als  Kriegsfall  und  führte  die 
belgischen  halbmobilisierten  Truppen  teils  in  ein 
Lager  bei  Mecheln  den  Deutschen  entgegen,  teils 
warf  er  sie  nach  Antwerpen.  Dies  kam  den  Ver- 
bündeten höchst  imerwartet,  da  man  bis  zuletzt  mit 
Wankelmut  \md  Übergabe  Belgiens  und  besonders 
Antwerpens  rechnete,  durch  des  Königs  verschlossene 
Haltung  getäuscht.  Allerdings  brach  wegen  dieser 
Kimdgebung  der  Regierung  überall  Aufruhr  der 
wallonischen  Landesteile  und  der  Sozialisten  los, 
auch  die  kleine  Armee  gehorchte  nur  unwUlig  und 
wankte  moralisch.  Aber  die  deutsche  Überschwem- 
mung des  Landes,  zumal  die  Vlamen  umgekehrt 
zum  König  hielten  und  ihre  Milizen  zu  den  Waf- 
fen griffen,  kam  jedem  Umsichgreifen  der  bel- 
gischen Revolution  zuvor.  Die  vier  norddeutschen 
Kavalleriedivisionen  der  I.  Armee,  während  drei, 
gefolgt  von  zwei  anderen  der  zweiten  Staffel,  der 
IL  angehörten  und  die  Gesamtreiterei  der  süd- 
deutschen III.  Armee  zehn  Brigaden  betrug,  fegten 

8» 


—     116     — 

im  ersten  Anlauf  die  französischen  Vorposten  und 
Aufklärungstrupps  aus  dem  Felde. 

Am  20.  kam  es  bei  Arlon  zum  ersten  Zusammen- 
stoss  des  Feldzugs.  Obschon  die  reitenden  SchnelJ- 
feuerbatterien  der  3.  französischen  Kavalleriedivi- 
sion eine  gewisse  Überlegenheit  zeigten  und  zwei 
beigegebene  Chasseurbataillone  sich  mit  ge-wohn- 
ter  Gewandtheit  schlugen,  musste  die  Kavallerie  vor 
den  kombinierten  rheinischen,  westfälischen,  hessi- 
schen Husaren  das  Feld  räumen.  Das  ruhmreiche 
rheinische  Jägerbataillon,  unterstützt  von  1.  2.  Hes- 
sendarmstädter Jägern,  die  sich  ihrer  Amanvillers- 
Lorbeeren  erinnerten,  vertrieb  die  tapfem  3.  5. 
Chasseurs  aber  erst  dann,  als  auch  das  Füsilier- 
bataillon der  Nassauer  87  er  anlangte.  Die  Rad- 
fahrabteilungen spielten  dabei  eine  wirksame  Rolle. 
Am  nämlichen  Tage  ward  Lüttich  besetzt,  die  glänze 
15.  Division  drang  quer  auf  Namur  vor,  indes  die 
13.  von  Mastricht  auf  Mecheln  zustrebte. 

Die  französische  Nordarmee,  provisorisch  aus 
dem  1.,  2.,  3.  Korps  bestehend,  hatte  ihre  Mobili- 
sierung noch  nicht  vollendet  und  konnte  nur  mit 
sieben  Infanterie-,  vier  Kavalleriebrigaden  zwischen 
Namur  und  Genappes  Aufstellung  nehmen.  Zwar 
besetzte  ihr  linker  Flügel,  auf  englische  Diversion 
über  Antwerpen  bauend,  am  21.  nachts  Brüssel,  das 
eine  schwache  Garnison  ohne  Schwertstreich 
räumte.  Aber  am  22.  wurde  der  rechte  Flügel  bei 
Namur  nach  kurzem  erbittertem  Kampfe  von  Über- 
macht niedergerannt,  und  das  Westfälische  Korps, 


—     117     — 

dem  sich  das  belgische  Kontingent  bei  Mecheln  an- 
hing, erreichte  Löwen  schon  mittags,  mit  teilweiser 
Benutzung  der  dort  noch  unzerstörten  Bahn,  deren 
rollendes  Material  am  Knotenpunkt  Namur,  nicht 
rechtzeitig  entfernt,  in  deutsche  Hände  fiel.  Die 
französische  Mittelkolonne  bei  Wavre  wich  über 
die  Dyle  auf  Gembloux,  sali  sich  aber  durch  den 
Fall  Namurs  überholt  und  rettete  sich  in  aufreiben- 
dem Nachtmarsch  nach  Fleurus,  während  die  am 
stärksten  formierte  Linke  über  Quatrebras  und 
Frasnes  zurückfiel.  Am  23.  stiess  das  Rheinische  Korps 
nebst  zwei  Kavalleriedivisionen  zwischen  Fleurus  und 
Gilly  auf  die  erschöpfte  Mittelkolonne  und  dies- 
seits der  Sambre  bei  Chatelet  auf  den  bei  Na- 
mur geworfenen,  noch  ziemlich  unerschütterten 
Feind,  der  verzweifelt  standhielt,  um  dem  linken  Flü- 
gel Anschluss  zu  ermöglichen  und  jedenfalls  unge- 
fährdeten Rückzug  über  die  Sambre  zu  bewahren. 
Die  Preussen  überschritten  hier  teilweise  das 
alte  Schlachtfeld  von  Ligny,  diesmal  nicht  als  Ver- 
teidiger, sondern  als  Angreifer.  Nachdem  die  16.  Di- 
vision unter  schwerem  Verlust  den  Höhenzug  Som- 
bref-Point  du  Jour  erstürmt  und  die  Korpsartillerie 
dort  Fuss  gefasst,  scheiterte  zwar  zunächst  ein  wei- 
terer Vorstoss  auf  Ligny  und  Balatre  am  konzentri- 
schen ausgezeichneten  Feuer  der  französischen  Batte- 
rien. Sechs  deutsche  Reiterregimenter  schoben  sich 
jedoch  unterm  Schutz  der  Ariilleriefront  hinter  den 
Höhenwellen  auf  Wagnel^  St.  Amand  und  bedrohten 
des  Feindes  linke  Flanke,  so  zugleich  Verbindung 


—      118     — 

mit  dessen  linker  Flügelkolonne  unterbrechend, 
deren  Spitze  in  dieser  Richtung  gemeldet  wurde.  Die 
bei  Fleurus  fechtende  4.  französische  Division  sah 
sich  daher  genötigt,  ihre  Linke  zu  verlängern  und 
fünf  Bataillone  bis  La  Haye  seitwärts  zu  schieben. 
Ihre  Kavalleriebrigade  ritt  dort  an,  wich  aber  g^leich 
vor  solcher  Übermacht  zurück,  und  die  Ankunft  einer 
Kavalleriebrigade  der  linken  Kolonne  bewog^  die 
deutsche  Reiterei  nicht  zum  Abschwenken,  deren  vier 
reitende  Batterien  ein  höchst  empfindliches  Feuer  un- 
terhielten und  sich  von  drei  französischen,  später 
verstärkt  um  zwei  Fussbatterien,  nicht  verdrängen 
Hessen.  Auch  das  Vorbrechen  der  fünf  französischen 
Bataillone  über  St.  Amand  auf  Brye  kam  am  Flam- 
menstrom von  der  dortigen  Höhe  zum  Stehen,  die 
dort  postierten  zwei  Bataillone  warfen  die  feindlichen 
Schützenschwärme  weit  zurück.  Mittlerweile  raste 
am  Wald  von  Gilly  ein  hitziges  Gefecht.  Erst  nach 
vierstündigem  Kampf  liess  ihn  die  bei  Namur  ge- 
schlagene 1.  französische  Division  in  deutschen  Hän- 
den und  nahm  bei  Lambusart  eine  dichtere  Auf- 
stellung im  Anschluss  an  die  4.  Chatelet  ward 
behauptet,  längs  der  Sambre  tobte  kräftiger  Ar- 
tilleriekampf. Allein,  die  15.  Division  hatte  ihre 
Kraft  noch  nicht  verausgabt,'  die  Achtundzwanziger 
blieben  noch  in  Reserve,  und  allmählich  machte  sich 
das  numerische  Übergewicht  von  anwesenden  zwan- 
zig deutschen  gegen  nur  elf  französische  Batterien 
geltend,  so  rühmlich  der  letzteren  besseres  Material 
sich    bewährte.     Die    Batteriegruppe     bei   Ballatre 


—     119     — 

musste,  von  zwei  Seiten  in  der  Flanke  beschossen, 
in  teilweise  demontiertem  Zustand  abfahren,  und  dies 
gab  das  Signal  zu  gewaltigem  Vorstoss  nach  dieser 
Richtung  mit  der  Linken  der  16.  und  Rechten  der 
15.  Division.  Den  Gnmd  von  Balatre  und  den  Hohl- 
weg mit  der  Lignybachbrücke  im  Laufschritt  durch- 
messend, drangen  die  Rheinländer  in  die  feindliche 
Stellung  ein,  eroberten  den  Pachthof,  obschon  sich 
die  tapfem  Nordfranzosen  dort  bis  zu  erbittertem 
Handgemenge  wehrten,  und  machten  auch  Lambu- 
sart  unhaltbar,  Verbindung  zwischen  4.  und  1.  Di- 
vision zerschneidend.  Die  1.  knäuelte  sich  um  Cha- 
telet  zusammen  und  es  traten  hier  ähnliche  Ver- 
hältnisse ein,  wie  bei  Mouzon  a.  d.  Maas  am  Tag 
von  Beaumont.  Die  zu  spät  und  nur  teilweise  ^abge- 
leiteten Trains  und  Mimitionsparks  sperrten  zu  lange 
Brücke  und  Strassen  des  Städtchens,  Abfluss  des 
Rückzugs  über  die  Sambre  kam  nur  ruckweise 
zustande.  Es  war  fünf  Uhr  nachmittags.  Wäh- 
rend aber  die  1.  Division  notgedrungen  die 
Walstatt  verliess,  die  diesseitige  Vorstadt  schon  von 
deutschen  Schützen  wimmelte  und  ihre  Geschütze 
mit  schlimmster  Wirkung  den  Brückenzugang  be- 
schossen, und  die  4.  Division  ihre  durch  die  starke 
Entsendung  nach  links  geschwächte  Front  bei  Li- 
gny  nicht  mehr  halten  konnte,  sondern  über  den 
Bach  eiligen  bedrängten  Abmarsch  auf  Fleurus  an- 
trat, nur  Le  Hameau  links  noch  festhaltend,  drohte 
der  deutschen  Rechten  eine  grosse  Gefahr.  Der 
französische  kommandierende  General,  bei  der  lin- 


—     120     — 

ken  Kolonne  befindlich,  welcher  man  ursprünglich 
die  Hauptaktion  im  etwaigen  Verein  mit  britischem 
Landungskorps  zugetraut  hatte,  wollte  ursprünglich 
von  Frasnes  auf  St.  Amand  marschieren,  wie  einst 
das  Korps  Erlon,  um  dort  Stellung  zu  nehmen, 
falls  die  4.  Division  sich  behaupte,  oder  weiteren 
Rückzug  auf  Charleroi  zu  ordnen.  Da  seine  Avant- 
garde aber  mittags  den  dortigen  Aufmarsch 
überlegener  deutscher  Kavallerie  und  Artillerie  mel- 
dete, entschloss  er  sich,  nur  eine  Infanteriebri- 
gade auf  Wagnel6  vorzuschieben,  dagegen  mit 
der  noch  rückwärts  befindlichen  2.  Division,  einer 
Reiterbrigade  und  dem  Gros  seiner  Artillerie  über 
Trois  Barrettes  und  Marbais  der  preussischen  Stel- 
lung Brye-Sombref  in  den  Rücken  zu  fallen.  Das 
nämliche  Manöver,  das  einst  Napoleon  an  dieser 
Stelle  befahl  und  das  Ney  nicht  ausführte.  Deut- 
scherseits hatte  man  drei  Schwadronen  und  einen 
Jägerposten  nach  Marbais  entsendet,  von  wo  man, 
Streifpatrouillen  bis  Quatrebras  vortreibend,  vormit- 
tags den  Marsch  der  linken  Kolonne  auf  der  Briis- 
seler  Chaussee  feststellte,  senkrecht  zur  deutschen 
Front  seitwärts.  Unausgesetzten  Vorbeimarsch  auf 
und  über  Frasnes  meldeten  bisher  alle  deutschen 
Vedetten.  Es  gab  daher  Überraschung  und  Be- 
stürzung genug,  als  plötzlich  nach  vier  Uhr  das 
Feldtelephon  aus  Marbais  berichtete,  starke  Masse 
wälze  sich  dorthin  vor.  Das  gewonnene  Treffen 
war  damit  in  ein  neues  Stadium  getreten,  das  Rhei- 
nische  Korps   sah  sich  frischer   Übermacht   gegen- 


—     121     — 

über.  Der  Kommandierende  gab  folgende  Dispo- 
sition aus,  die  telephonisch  an  die  beiden  Divisio- 
näre  und  den  Chef  der  Reiterei  übermittelt  wurde; 

„Obschon  der  soeben  gemeldete  Angriff  der 
französischen  Linken  in  unsre  rückwärtige  Flanke 
den  Erfolg  des  Tages  in  Frage  stellt,  kann  es 
für  uns  nur  darauf  ankommen,  auf  Namur-Gembloux 
a.uszubiegen,  da  das  7.  Korps  bereits  die  Dyle 
überschritt  und  somit  auf  die  feindliche  linke  Flanke 
drückt,  was  dem  Feind  eine  Ausnutzung  unsres 
Rückzugs  verbietet.  Wird  der  Andrang  von  Mar- 
bais  übermächtig,  hat  die  16.  Division  staffelweise 
die  eroberte  Stellung  zu  räumen  unterm  Ausharren 
der  Artillerie.  Bis  dahin  sind  Ligny  und  möglichen- 
falls St.  Amand  vor  der  Front  zu  halten,  jedoch  hat 
das  Gros  der  Division  bei  Sombref  nordwärts  zu 
schwenken.  Die  15.  Division  setzt  den  Angriff  auf 
Chatelet  fort,  um  den  dortigen  geschlagenen 
Feind  jedenfalls  ausser  Aktion  zu  setzen  und  sich 
des  Flussübergangs  zu  versichern.  Sie  übernimmt 
die  Sicherung  der  Linie  Balatre-Ligny  gegen  Fleu- 
rus.  Die  Kavallerie  bei  St.  Amand  bleibt  möglichst 
lange  am  Feinde  und  zieht  erst  nach  Massgabe  der 
Gefechtsumstände  zwischen  Sombref  und  Ligny  ab. 
Ihre  Batterien  halten  möglichst  lange  den  Feind 
in  Respekt.** 

Als  sich  französische  Tirailleurschwärme  vor 
Marbais  entwickelten,  empfing  sie  gutgenährtes 
Feuer  der  abgesessenen  Schwadronen  und  des  Jä- 
gerpostens.   Der  Weisung  „Ort  so  lange  als  mög- 


—     122     — 

lieh  halten",  entsprach  der  Detachementskomman- 
deur  auf  so  geschickte  und  aufopfernde  Weise,  dass 
er  nachher  das  erste  Eiserne  Kreuz  I.  Klasse  in 
diesem  Feldzug  empfing.  Erst  nach  fünf  Uhr  be- 
stiegen die  Reisigen  ihre  Pferde,  die  Jäger  ihr  Fahr- 
rad und  verliessen  die  von  Granaten  gepflügte  Um- 
gegend von  Marbais.  Die  Franzosen,  obschon  vom 
langen  Marsch  aus  Brüssel  ermüdet,  drängten  mit 
energischer  Eile  nach.  Ihr  Chef  hatte  mit  umständ- 
licher Gefechtsentwicklung  seiner  Marschsäule  vor 
Marbais  unnütz  Zeit  verloren,  wollte  es  jetzt  durch 
verdoppelte  Eile  gutmachen,  ähnlich  wie  Mac  Ma- 
hon  bei  Magenta,  der  aus  langsamer  Bedächtig- 
keit plötzlich  in  beschleunigtes  Angriffstempo  über- 
ging. Voll  zum  Gefecht  entfaltet,  drang  die  2.  Di- 
vision gegen  die  acht  Bataillone  vor,  welche  die 
deutsche  Führung  ihr  auf  der  Strecke  Sombref- 
Point  du  Jour  entgegenstellen  konnte  nebst  acht 
Batterien.  Dies  Umschwenken  nach  Norden  hatte 
natürlich  Zeit  gekostet,  und  die  Ordnung  war  kaum 
notdürftig  hergestellt,  als  der  französische  Massen- 
stoss  erfolgte.  Das  Gelände  war  aber  dem  An- 
greifer nicht  günstig.  Jene  hohen  Kornfelder,  die 
damals  bei  der  Ligny-Schlacht  den  Plänklerschwär- 
men  Unterschlupf  gewährten,  standen  heut  noch 
nicht  in  Halmen  und  würden  gegen  moderne  Shrap- 
nelbestreuung  auch  wenig  gefruchtet  haben.  Über 
die  glatte  Ebene  gegen  den  Windmühlenhügel  von 
Brye  und  die  Abhänge  westlich  davon  avancierend, 
litten  die  Franzosen  bedeutend.   Auch  bekamen  die 


—     123     — 

vierzehn  Batterien  dieser  Kolonne  —  ausserdem  zwei 
reitende  beiWagnel6  —  mit  ferneren  vier  Batterien 
zu  tun,  die  als  zweite  rückwärtige  Etage  des  an- 
steigenden Geländes  ihre  frühere  Stellung  auf  dem 
Höhenzug,  Front  nach  Westen,  bewahrten  und  von 
hier  aus  nordwestlich  hinüberschossen,  ohne  dabei 
die  Ufer  des  Lignybachs  zu  ihren  Füssen  aus  den 
Augen  zu  verlieren.  Gegen  diese  richtete  sich  er- 
neuter Vorstoss  der  4.  Division,  bei  welcher  dies 
Eingreifen  der  linken  Hauptkolonne,  durch  umher- 
reitende Offiziere  in  ihren  Reihen  verkündet,  den 
erloschenen  Elan  neu  entfachte.  Etwa  um  viertel- 
sechs Uhr  brachen  die  fünf  Bataillone  ihres  linken 
Flügels  erneut  gegen  die  ihnen  bis  La  Haye  nachge- 
folgten zwei  rheinischen  Bataillone  vor,  unbeküm- 
mert imi  die  drohende  Haltung  der  deutschen  Rei- 
terei. Da  gleichzeitig  die  bei  Wagneid  zurückge- 
lassene 9.  Brigade  (der  2.  Division  bei  der  linken 
Kolonne  attachiert)  flankierend  anrückte,  die  Avant- 
gardenreiterei der  linken  Kolonne  sich  vorbewegte 
und  das  Feuer  ihrer  zwei  reitenden  Batterien  die 
'deutsche  dortige  Artilleriegruppe  zum  Aufprotzen 
zwang,  so  konnte  der  Widerstand  dort  nicht  von 
langer  Dauer  sein.  Nach  zwei  vergeblichen  Re- 
gimentsattacken zog  die  deutsche  Reiterei,  in  deren 
langen  Linien  das  Lebelgewehr  ohnehin  manchen 
Sattel  während  stillhaltender  Deckung  der  Geschütz- 
gruppe leerte,  auf  Sombref  ab.  Die  beiden  Ba- 
taillone wichen,  auf  die  Hälfte  geschmolzen,  bis 
hinter  Ligny,  wo  zwei  NachbarbataUlone  sich  gegen 


—     124     — 

eine  ganze  Brigade  hielten.  Das  Einrücken  der 
15.  Division  in  die  von  der  nordwärts  abmarschierten 
31.  Brigade  verlassene  Stellung  südöstlich  von 
Ligny  hatte  Aufenthalt  verursacht.  Nun  aber  stürm- 
ten dort  die  fast  noch  frischen  Achtundzwanziger, 
die  Helden  von  Sappignies,  mit  unbeugsamer  Kraft 
vor  und  rollten  die  französische  Linie  im  ersten  An- 
stosF  auf,  gleichzeitig  mit  den  Fliehenden  in  lan- 
gem Dauerlauf  die  Höhenwellen  von  Fleurus  er- 
steigend. Die  völlige  Umrennung  der  Franzosen  hing 
auch  damit  zusammen,  dass  die  Divisionsartillerie 
niedergekämpft  und  grösstenteils  gefechtsunfähig 
geworden  war,  während  die  deutsche  aus  ihrer  über- 
höhenden Stellung  nach  wie  vor  ihren  Granathagel 
schleuderte.  Es  war  sechs  Uhr.  Die  bisher  sieg- 
reich nördlich  von  Ligny  durchbrechende  Linke  der 
4.  Division,  deren  drei  reitende  Batterien  mit  grosser 
Bravour  zum  „Tome  de  Ligny",  einem  alten  Hünen- 
grab, bis  ins  Kleingewehrfeuer  vorfuhren,  musste 
HaL  machen,  sah  sich  rechts  überflügelt,  imd  die 
Verwirrung  von  dorther  teilte  sich  ihr  mit.  Flanken- 
feuer der  Besatzimg  aus  Ligny  und  volle  batterie- 
weise Granatsalven  der  Höhenbatterien  dahinter  be- 
wogen sie  vollends  zu  schleuniger  Umkehr.  Dagegen 
blieb  die  frische  9.  französische  Brigade  im  Avan- 
cieren auf  Brye,  warf  die  am  dortigen  Hohlweg 
Kehrt  machende  frühere  Besatzung  von  St.  Amand 
vollends  in  Trümmer  und  fiel  dem  jetzigen  Zentrum 
der  16.  Division  in  den  Rücken.  Eine  Krisis  trat 
ein.  Opfermutiger  Todesritt  einer  Ulanenbrigade  ret- 


—     125     — 

tete  mit  Mühe  ihre  hinterm  Hohlweg  wieder  ab- 
protzenden reitenden  Batterien,  nur  zwei  Stücke  und 
ein  liegengebliebenes  demontiertes  ohne  Bespannung 
fielen  in  französische  Hände.  Da  gleichzeitig  die 
2.  Division  mit  dreizehn  Bataillonen  die  deutsche 
Nordfront  erschütterte,  drangen  die  Franzosen  unter 
gellendem  Geschrei  „ Victoire,  Victoire  T'  von  vom  und 
hinten  in  Brye  ein.  Die  ganze  16.  Division  ausser 
den  zwei  in  Ligny  ausharrenden  Bataillonen  flutete 
entmutigt  und  erschöpft  auf  Sombref  zurück.  Nur 
die  Artillerie,  die  sehr  hart  durch  Gewehrfeuer  litt, 
drängte  sich  auf  dem  Höhenzug  zusammen  und  hielt 
durch  verzweifeltes  Schnellfeuer  das  Nachstossen  des 
Gegners  in  Schranken,  der  auch  mehrere  abge- 
schnittene Kompagnien  als  Gefangene  einheimste. 
Die  französische  Kavallerie  hieb  wiederholt  ein, 
die  deutsche  musste  zur  Deckung  des  Rückzugs  ge- 
spart werden.  Es  schien  unmöglich,  Sombref  lange  zu 
halten.  Zwar  hatte  der  deutsche  Kommandierende 
nun  Kunde  vom  vollen  Erfolg  der  15.  Division, 
doch  erleichterte  dies  vorderhand  nicht  die  schwie- 
rige Lage  der  16.  Bei  weiterem  Vordringen  der 
Franzosen  musste  auch  die  brave  Besatzung  von 
Ligny  preisgegeben  werden,  die  bereits  durch  fran- 
zösische Artillerie  vom  „Tome  de  Ligny"  und  aus 
Brye  grässlich  zusammengeschossen  wurde.  In  die- 
sem Augenblick  —  es  ging  auf  halb  sieben  Uhr  — 
kam  unerwartet  Hilfe.  Das  rheinische  Korps  hatte 
bei  seinem  schleunigen  Abmarsch  seine  noch  nicht 
ganz   fertigen   vierten   Reservebataillone   nicht   mit- 


—     126     — 

führen  können,  sie  folgten  erst  später  per  Bahn. 
Da  aber  die  Strecke  Lüttich — Namur,  vom  Feind 
teilweise  absichtlich,  weil  er  noch  an  eigenen  spä- 
teren Vormarsch  glaubte,  nur  sehr  unvoUkoirunen 
zerstört,  von  der  Tag  und  Nacht  arbeitenden  Kisen- 
bahnabteilung  wieder  fahrbar  gemacht  wurde,  trafen 
vormittags  dreieinhalb  dieser  Bataillone  und  eine 
Reservebatterie  bei  Namur  ein  und  marschierten 
spornstreichs  dem  Kanonendonner  zu.  Bei  Point  du 
Jour  durch  entgegeneilende  Adjutanten  aufgenom- 
men rückten  sie  sofort  in  die  mürbe  Schlachtlinie 
ein,  wo  ihr  Anblick  ein  ungeheures  Hurragebrüll 
entfesselte.  Zwei  begleitende  frische  Patronenwagen 
kamen  besonders  zu  statten,  da  viele  Bataillone  sich 
fast  ganz  verschossen  hatten  xmd  der  Ersatz  durch 
Munitionskolonne  schon  rar  wurde. 

Der  französische  Kommandierende,  mittlerweile 
per  Automobil  nach  Wagnel6  geeilt,  erfuhr  dort  die 
Niederlage  der  4.  Division,  deren  Chasseurbataillon 
soeben  auch  aus   Fleurus  vertrieben.    Er  beeiferte 
sich,  eine  neue  Front  zu  bilden,  hielt  das  Gelände- 
dreieck Le  Hameau-La  Haye-  St.  Amand  besetzt  und 
liess  der  ganz  zerschlagenen  Rechten  nur  empfehlen, 
langsam  auf  die  Chaussee  nach  Charleroi  zu  wei- 
chen, wenn  sie  müsse:  der  grosse  Sieg  bei  Brye 
werde  die  Verfolger  ohnehin  bald  ablenken.    Inzwi- 
schen  hatte    aber   die    1.    Division    Chatelet    gänz- 
lich aufgeben  imd  exzentrischen  Rückzug  längs  des 
jenseitigen    Ufers    auf    Charleroi   antreten   müssen, 
mühsam   gedeckt    durch    zwei   noch    einigermassen 


—     127     — 

kampffähige  Batterien  am  jenseitigen  Ufer.  Das 
diesseitige  Sambreufer  war  also  den  Deutschen  zu- 
gefallen, fernere  Offensive  nach  Belgien  hiermit  aus- 
sichtslos. Übrigens  kapitulierte  die  ganze  Nachhut 
dieser  Division  an  der  Stadtbrücke  von  Chatelet. 
Etwa  sieben  Bataillone  der  15.  Division  sammelten 
sich  bei  Fleurus,  wohin  immer  neue  Teile  nacheinan- 
der den  Achtimdzwanzigem  gefolgt  waren,  der  Rest 
lagerte  später  jenseits  der  Sambre,  wo  die  Artillerie 
mit   Femfeuer  verfolgte. 

Gleichzeitig  erhielten  aber  die  Deutschen  bei 
Sombref  noch  unerwartetere  Hilfe  von  zwei  verschie- 
denen Windrichtungen.  Das  westfälische  Korps  und 
die  belgische  Mecheln-Division  begannen  den  Vor- 
marsch über  die  Dylte  in  breiter  Front  Wavre- 
Ottignies  -  Limale  -  St.  Lambert,  die  zahlreiche  Rei- 
terei auf  dem  rechten  Flügel.  In  Brüssel  mit  dump- 
fem Schweigen  aufgenommen,  überschritt  sie  mit 
lautem  Jubel  das  alte  Siegesfeld  Waterloo-Plancenoit, 
wobei  Ansprachen  von  Regimentskommandeuren  die 
historische  Erinnerung  als  siegverkündend  betonten 
und  den  Belgiern  gegenüber  auf  „Belle  Alliance" 
anspielten.  In  der  Hoffnung,  die  linke  feindliche 
Kolonne  noch  einzuholen,  hatten  dreizehn  Schwa- 
dronen und  zwei  reitende  Schnellfeuerbatterien  einen 
Gewaltmarsch  darangesetzt  und  langten  so  vor  sechs 
Uhr  bei  Quatrebras  an,  wo  der  Kanonendonner  der 
Schlacht  ein  Rückwärtsgehen  der  Deutschen  zu  mel- 
den schien.  Man  rastete  eine  Stunde  mit  den  ziem- 
lieh  ausgepumpten  Pferden  und  fütterte,  so  gut  es 


—     128     — 

ging.  Bei  Piraumont  fand  man  eine  Tränke  und  am 
Bossuwald  eine  schattige  Lagerstelle.  Aber  der 
Schlachtlärm  von  Süden  schien  jetzt  siegreiches  Vor- 
dringen der  Deutschen  längs  der  Sambre  zu  ver- 
bürgen, und  im  Osten  raste  jedenfalls  die  Schlacht 
noch  weiter. 

„Aufsitzen  r*  Die  Trompeten  bliesen.  Offiziere 
feuerten  an:  „Leute,  drüben  stehen  Kameraden  in 
schwerem  Kampf.  Wir  müssen  das  Letzte  aus  Mann 
und  Ross  herausholen."  So  ging  es  im  Trab  durch 
die  Dämmerung  vor.  Eine  schwache  Lagerabtei- 
lung bei  Trois  Barrettes,  die  nach  leidiger  französi- 
scher Gewohnheit  keine  Vorposten  aussetzte,  stob 
schreiend  auseinander,  halbwegs  Marbais  fuhren  die 
Geschütze  auf.  Ihre  Granaten  prasselten  mit  gros- 
ser Sicherheit  in  die  deutlich  sichtbaren  Linien  der 
2.  französischen  Division. 

Die  Wirkung  dieses  Rückenfeuers  war  ausser- 
ordentlich. Selbst  der  bravste  Soldat  verlangt  von 
seinem  Feldherrn,  dass  er  ihm  den  Rücken  frei- 
hält, und  bekanntlich  ist  niemand  für  Panik  im- 
pressionabler  als  der  sonst  so  tapfere  Franzose.  An- 
fangs glaubte  man  an  ein  Fehlschiessen  der  eig^enen 
rückwärtigen  Batterien,  erkannte  aber  schnell»  dass 
Granaten  in  die  hinter  der  französischen  Artillerie 
niederkauernden  Soutiens  einschlugen,  bemerkte  die 
fernen  weissen .  Wölkchen  im  Rücken.  Ein  heftiger 
Ansturm  gegen  Sombref  um  sieben  Uhr  zerschellte 
soeben  am  Feuer  der  frischen  Reservebataillone, 
und  nun  tauchte  auch  von  Nordosten  ein  neuer  Geg- 


—     129     — 

ner  aut    Die  Vorhut  der  Hessendarmstädter  näm- 
lich, dem  rheinischen  Korps  seitwärts  folgend,  sah 
sich   nicht   auf   Fussmarsch   angewiesen,   wie     das 
westfälische  Korps  von  Wavre  aus,   sondern  fand 
eine  unzerstörte  Zweigbahn  bis  in  Gegend  von  Gern- 
bloux,  wo  sie  nachmittags  eintraf.    Der  heftige  Ka- 
nonendonner von  Südwesten  trieb  den  Abteilungs- 
chef zu  raschem  Vorgehen  an,  auf  seinem  Wege  fand 
er   nichts   als   kleine   Marschtrümmer    der    Mittel- 
kolonne imd  erfuhr  durch  aufgegriffene  Marodeure 
den  ungefähren  Stand  der  Dinge,  dass  die  4.  Di- 
vision bei  Sombref  oder  Fleurus  stehe.  Die  .Chaussee 
bis  zur  Gabelimg  Point  du  Jour  zu  benutzen,  wäre 
zwar  das  einfachste  gewesen,  führte  aber  hinter  die 
Front  der  dort  fechtenden  Deutschen.    Der  Hesse 
beschloss  daher,  von  dem  Ernst  des  Kampfes  immer 
mehr    durchdrungen,    je  näher   er  kam,  von    der 
Chaussee  Löwen- Wavre-Gembloux-Point  du  Jour  et- 
was  früher   abzubiegen    und   querfeldein   auf    die 
Namurer  Chaussee  loszumarschieren,  die  dorthin  von 
Quatrebras  quer  durchschneidet.  Dauernde  Beobach- 
timg   der    Dampflinien   lehrte,   dass   man   so    die 
linke  Flanke  der  von  Marbais  kommenden  Feinde 
umwickele.    So   erschienen  deim  just  nach  sieben 
Uhr  drei  Darmstädter  Bataillone,  eine  Batterie  und 
vier  Schwadronen  unmittelbar  in  der  französischen 
Flanke  vor  Marbais.    Das  Aufblitzen  neuer  Schüsse 
von  dort  gab  den  Franzosen  den  Rest.  In  wilder  Un- 
ordnimg  wälzte  die  Masse  der  2.  Division  sich  seit- 
wärts auf  Wagnel6,   wobei  sie  unterm  Feuer  der 

Völker  Europas  .  .  . !  9 


—     130     — 

beiden  reitenden  westfälbchen  Batterien  Spiessruten 
lief.   Nur  der  Aufopferung  eines  Chasseiui>ataillons, 
das  sich  rasch  nach  Marbais  hineinwarf,  und  zweier 
anderen,  die  in  Brye  die  Zähne  wiesen,  hatte  man 
zu  verdanken,  dass  nicht  die  ganze  Division  sich  in 
fliehende  Banden  auflöste.  Die  französische  Artillerie 
machte  im  Halbkreis  nach  drei  Seiten  Front  und 
feuerte  bis  zur  äussersten  Möghchkeit.    Die  9.  Bri- 
gade warf  sich  südlich   von  Brye  den  Deutschen 
entgegen,  die  jetzt  unter  lauten  Klängen  des  Sturm- 
marsches  und  Avanciersignals  von  den  Höhen  herab- 
stürmten.   Die  Reservebataillone  erreichten  in  einem 
Zuge  die  Mulde  von  Ligny  und  befreiten  die  dortige 
brave  Besatzung,  drängten  gleichzeitig  auf  Brye  und 
westwärts  über  den  Bach.  Die  Franzosen  fochten  hier 
noch  stark,  in  heller  Wut,  sich  den  scheinbar  sicheren 
Sieg  entrissen  zu  sehen.    Als  aber  jetzt  eine  Attacke 
von  zwei  Reiterbrigaden  aus  Sombref  und  der  Ge- 
schwader  aus    Trois    Barrettes    erfolgte,    war   kein 
Halten  mehr.  Die  Hessendarmstädter,  denen  sich  bei 
Nacht    das    tapfere    Franzosenhäuflein  in    Marbais 
ergab,  drängten  von  Nordosten,  die  Rheinländer  von 
Osten  und  Südosten,  gleichzeitig  griffen  die  bei  Fleu- 
rus  versammelten  Teile  der  15.  Division  die  Stellung 
bei  Le  Hameau  von  Süden  an,  die  bei  Trois  Bar- 
rettes angelangten  Geschwader  und  Geschütze  ver- 
folgten seitwärts  den  regellosen  Rückzug  auf  Wag- 
nel^,  der  noch  dadurch  erschwert  wurde,  dass  die 
linke  Kolonne  ihren  Train  noch  nicht  von  Frasnes 
nach  Marchienne  abgeleitet  hatte.   Die  drei  braven 


—     131     — 

reitenden  Batterien  am  „Tome  de  Ligny"  xmd  zwei 
andere  am  Hohlweg  von  Brye  wurden  zuerst  von 
der  preussischen  Reiterei  weggenommen,  zwei  fer- 
nere unterhalb  Marbais  zusammengehauen,  noch 
neim  Geschütze  bei  Wagnel^  erbeutet.  Ausserdem 
fand  man  auf  der  Charleroichaussee  noch  zehn  de- 
montierte Stücke  ohne  Bespannimg  und  viele  Muni- 
tionswagen. Nur  unterm  Schutze  der  Nacht  rettete 
sich  das  auf  die  Chaussee  zusammengedrängte  Heer 
nach  Charleroi  und  durch  diese  volkreiche  Arbei- 
terstadt über  die  Sambre,  wobei  es  zu  wüsten  Szenen 
mit  der  heulenden  Arbeiterschaft  der  nahen  Gruben- 
werke kam.  Völlige  Erschöpfimg  lähmte  weitere 
Verfolgung,  die  Sieger  lagerten  todmüde  bei  ihren 
mehrfach  zerschossenen  Fahnen.  Am  anderen  Mor- 
gen trafen  Teten  der  Westfalen  und  Belgier  über 
Gentinnes  imd  TiUy  ein.  Sie  fanden  auf  der  Wal- 
statt sechstausend  deutsche,  etwas  mehr  franzö- 
sische Tote  und  Verwundete,  aber  ausserdem  fünf- 
tausend Gefangene  und  im  ganzen  vierundsechzig 
eroberte  Geschütze  der  Franzosen.  Ein  grosser  Teil 
des  Trains  und  Geschützparks  ging  ihnen  gleich- 
falls verloren.  Die  „provisorische  Nordarmee"  als 
solche  hörte  auf  zu  bestehen,  da  ihre  Körper  jeden 
taktischen  Wert  verloren.  Noch  grösser  war  der 
strategische  imd  moralische  Erfolg  für  die  Deut- 
schen in  dieser  kleinen  Anfangsschlacht:  Belgien 
blieb  ihnen  sicher,  der  Nimbus  ihrer  Unbesiegbar 
keit  gewahrt. 


9* 


—     132     — 

Die  fünf  noch  fehlenden  Brigaden  der   Nord- 
armee hatten  inzwischen  Sedan  erreicht  und  bei  Cari- 
gnan  die  aus  Luxemburg  vertriebene  Vorhutreiterei 
aufgenommen.  Die  verfolgende  deutsche  befand  sich 
daher  bald  vor  überlegenen  Massen,  die  energisch 
gegen    das    11.  Thüringer    Korps    vorgingen,    das 
soeben   Luxemburg   durchzog.    Es  kam  daher  am 
24.,  25.,  26.  Mai  zu  hitzigen  Gefechten,  bei  welchen 
die  Franzosen  die  Oberhand  behaupteten.    Nur  der 
Sambreübergang  des  Rheinischen  Korps  über  Mar- 
chienne  und  Charleroi  bewog  sie  zum  Ausweichen 
in  den  Sperrfortrayon  der  Nordgrenze  zwischen  Mont- 
m6dy  und  Mdzi^res.     Der  geschlagene  und   demo- 
ralisierte Hauptteil  der  Nordarmee  zog  sich  westlich 
davon  nach  Flandern  zu,  wohin  bereits  vier  andre 
Armeekorps,  noch  teilweise  inkomplett,  aus  der  Zone 
Le  Mans-Rennes-Rouen     im     Transport    begriffen 
waren.    Bei  Dünkirchen,  Lille,  Cambrai,  Douai  bil- 
deten sich  grosse  Freilager  von  Territorialreserven 
der  Nordregionen  Flandern,  Picardie,  Cötes  du  Nord. 
Eine  Eskadre  des  atlantischen  Nordgeschwaders  lag 
bei  Le  Havre  als  Küstenschutz,  während  das  Gros 
der  Schiffe  sich  aus  Cherbourg  und  Brest  nach  der 
Nordsee  durch  den  Kanal  vorbewegte.    Eine    eng- 
lische Division  hatte  bei  Calais  und  Boulogne  landen 
sollen,  doch  entschuldigte  sich  das  War  Office,  man 
müsse  dies  auf  später  verschieben,  da  augenblick- 
lich alle  Kräfte  zur  Besitzergreifung  der  Niederlande 
vonnöten  seien.  Darüber,  als  eine  bombastische  Aus- 
rede,  spotteten  weidlich  die  Pariser  Boulevardiers 


—     133     — 

und  rissen  schnöde  Witze,  in  denen  die  innere  Zärt- 
lichkeit der  Franzosen  für  die  Roastbeafesser  recht 
drastisch  zum  Ausdruck  kam.  Denn  mit  der  Prome- 
nade durch  Holland  und  Belgien,  von  der  man  eng- 
lischerseits  geträumt,  sah  es  gar  nicht  nobel  aus. 
Am  22.  abends  erschien  das  Kanalgeschwader 
vor  Antwerpen  und  forderte  Übergabe,  am  23.  begann 
das  Bombardement  und  die  Ausschiffung  einer  Divi- 
sion auf  der  Insel  Walcheren,  der  alten  Fieberstätte 
berüchtigten  Angedenkens,  wo  so  viele  Gebeine  briti- 
scher Soldaten  modern.  Am  24.  verstummten  die 
von  belgischen  Truppen  schwach  genug  verteidigten 
Festungswerke,  die  Kanoniere  liefen  meist  davon, 
ein  Teil  des  Hafens  xmd  Arsenals  imd  anstossender 
Strassen  brannte  nieder.  Nach  dieser  humanen 
Grosstat  erzwang  die  Flotte  die  Landxmg  zahlreicher 
Schaluppen  und  Boote,  denen  unterm  Schutz  der 
Schiffskanonade  grosse  Abteilungen  von  Blaujacken 
und  Kakis,  untermischt  mit  Rotröcken  —  die  vor- 
nehmsten britischen  Regimenter  behielten  noch  den 
roten  Paraderock  der  bisher  üblichen  Uniform  bei  — 
mit  lautem  Hurra  entstiegen  und  sich  auf  die  bel- 
gische Besatzung  stürzten.  Nach  kurzer  Füsillade 
zog  diese  eilig  ab,  Antwerpen  gehörte  am  25.  abends 
den  Briten.  Desgleichen  hatte  ein  anderer  Teil  des 
Kanalgeschwaders  West-Zuydersee  am  24.  heimge- 
sucht, aber  die  entronnene  holländische  Marine 
nirgendwo  auf  Texel-Reede  entdeckt,  daher  aus  Arger 
Handelshäfen  Harlem-Muiden  von  Nordseeseite  bom- 
bardiert, da  Holland  das  Betreten  seiner  Strandgewäs- 


—     134     — 

ser  für  Kriegsfall  erklärte  und  dem  britischen  Gesand- 
ten seine  Pässe  zustellte.  Bei  Nieuwe  Waterweg, 
nächtlich  Forts  überrumpelnd«  landete  englische 
Division,  die  von  dort  Delft  und  Haag  besetzte. 

Aber  die  Bestürzung  der  Holländer  und  Vlamen 
über  diese  Ereignisse  nahm  bald  ein  Ende,  da  das 
Hannoversche  Korps  bereits  in  vollem  Anmarsch 
gegen  Vlissingen,  das  Westfälische  gegen  Antwer- 
pen war.  Dies  konnte  den  Briten  trotz  ihrer  zahl- 
reichen Spione  im  Lande  nicht  mehr  rechtzeitig  be- 
kannt werden,  da  sie  erstens  mit  der  Schnelligkeit 
deutscher  Märsche  nicht  rechneten,  daher  nach  dem 
ihnen  verratenen  ursprünglichen  Standort  der  deut- 
schen Korps  sie  viel  zu  entfernt  annahmen,  zweitens 
direkte  Verbindung  mit  der  französischen  Nordarmee 
am  24.  aufhörte,  und  deren  Oberleitimg  aus  falscher 
Scham  Rückzug  und  weiteren  Misserfolg  zu  spät 
meldete.  Die  Briten  wussten  daher  sowohl  bei 
Antwerpen  als  Helder  und  Hoom,  wo  die  Zuyder- 
see-Eskadre  drei  Marinebataillone  ausgeschifft  und 
eine  Strandbatterie  von  Schiffsgeschützen  errichtet 
hatte,  nur  von  französischer  Einnahme  Brüssels, 
glaubten  sich  daher  gegen  immittelbaren  Angriff 
gedeckt.  Die  eigenen  Erfolge  blies  die  Londoner 
Presse  gewaltig  auf,  und  als  dort  durch  Privatde- 
peschen von  Kriegskorrespondenten  die  Niederlage 
der  Nordarmee  bekannt  wurde,  ersparte  man  den 
Verbündeten  nicht  verletzendes  heuchlerisches  Bei- 
leid und  prahlerische  Tröstung,  dass  britische  Un- 
überwindLchkeit  alles  wieder  gutmachen  werde.  Man 


—     135     — 

kann  sich  denken,  mit  welch  dankbaren  Gefühlen  dies 
in  Frankreich  aufgenommen  wurde.  Pariser  Blätter 
erwiderten  scharf,  dass  die  im  Transvaalkrieg  so 
nett  bewährte  britische  Soldateska  erst  abwarten 
solle,  bis  sie  mit  Deutschen  zusammenstosse.  Zum 
A^rger  gesellte  sich  freilich  der  Neid,  da  man  den 
britischen  Erfolg  in  Holland  für  gewiss  hielt.  Um 
so  grösser  die  teils  freudige,  teils  im  allgemeinen 
Interesse  peinliche  Überraschimg,  als  bald  darauf 
das  französische  atlantische  Geschwader,  das  zur 
holländischen  Küste  hinaufdampfte,  die  schlechtesten 
Nachrichten  auch  über  die  britische  Aktion  depe- 
schierte. 

Das  Westfalenkorps  hatte  am  Morgen  nach  der 
Schlacht  von  Fleurus  die  bedrohliche  Lage  Antwer- 
pens erfahren,  stellte  daher  jeden  Weitermarsch  nach 
Süden  ein  und  schwenkte  nordwärts  von  der  Niveller 
Chaussee  hinüber.  Nur  eine  Reiterdivision  streifte  jen- 
seits bis  Mons-Maubeuge  weiter,  um  Telegraphen  und 
Bahnen  auf  französischem  Grenzgebiet  zu  zerstören, 
Unruhe  dort  zu  verbreiten  und  vor  allem  die  deut- 
schen Absichten  zu  verschleiern,  die  vorerst  noch 
nicht  Vorstoss  nach  Nordfrankreich  ins  Auge  fassten, 
ehe  nicht  Belgien  und  Holland  völlig  gesichert.  Dies 
entsprach  einer  gesunden  Methodik,  andrerseits 
konnte  man  der  französischen  Leitung  nicht  ver- 
denken, dass  sie  an  sofortige  Ausnutzimg  des  deut- 
schen Sieges  glaubte,  ihrerseits  nun  Feinde  überall 
sah,  vor  vereintem  Vorstoss  der  deutschen  Nord- 
armee sich  in  Defensivbereitschaft  setzte  und  nicht 


—     136     — 

etwa  sofortige  erneute  Offensive  zur  Entlastung  der 
Briten  für  nötig  hielt.  Man  hielt  sich  im  Festungs- 
und Sperrfortgürtel  der  Nordgrenze  zurück,  bis  die 
erwarteten  Massen  aus  Nordwestfrankreich  einge- 
troffen. 

In  der  Mitte,  wo  das  Hauptwaffenlager  Chalons- 
Rheims  die  Versammlung  der  Hauptkräfte  an  sich 
zog,  ruhten  bisher  anfangs  im  wesentlichen  die 
Waffen.  Den  beiden  sofort  mobilisierten  deutschen 
Grenzkorps  der  Reichslande  standen  6.  Chalons 
20.  Korps  (11.  Div.  Nancy,  39.  Toul)  nebst  .den 
sofort  ausgehobenen  Territorialdivisionen  dieser 
wichtigen  Region,  2.  K.  Div.,  Kürassierdivision  von 
Lun^ville  entgegen.  Da  die  Deutschen  hier  einen 
leichten  Mobilisierungsvorsprung  erzielten,  obschon 
französischerseits  diese  Grenzkorps  seit  lange  auf 
Kriegsfuss  unterhalten  wurden,  verletzten  zwar  an- 
fangs kavalleristische  Streifzüge  das  französische  Ge- 
biet, verbreiteten  Schrecken  und  zogen  Aufklärimg 
über  feindliche  Stellungen  ein.  Dies  vergalten  aber 
schleunigst  französische  Ausfälle  auf  deutsches  Ge- 
biet. So  verstrichen  drei  Tage.  Am  24.  bewegten 
französische  Massen  sich  ostwärts,  und  es  kam  am 
25.  zu  einem  heftigen  Zusammenstoss  auf  dem  alten 
Schlachtfeld  von  Mars  la  Tour-Vionville.  Die  Küras- 
sierdivision warf  die  entgegenprallende  deutsche  Ka- 
vallerie in  grimmigem  Choc  bei  Puxieux,  musste 
aber  vor  einer  starken  Batterie  am  Marienstandbild 
hinter  Tronville  ausbiegen  und  erhielt  scharfes  Feuer 
aus  Tronviller  Busch,  wo  sich  4.  10.  Jäger  (Bitsch) 


—     137     — 

einnisteten.  Umgekehrt  wurden  fünf  französische 
Reiterregimenter,  die  längs  der  Mulde  von  St.  Mar- 
cel gegen  die  Rezonviller  Chaussee  anritten,  von 
deutscher  ziemlich  gleich  starker  Reitermasse  ge- 
worfen, imd  eine  Batterie  vom  Vionviller  Kirchhof- 
hügel bestrich  verderblich  die  Römerstrasse,  bis  wo- 
hin feindliche  Infanteriemassen  vordrüdcten.  Diese 
bewahrten  jedoch  eine  gute  Haltimg  imd  schwärmten 
seitwärts  ins  Rezonviller  Tal  aus,  Vionville  von  Osten 
umfassend,  während  eine  grosse  Artillerielinie  von 
Westen  das  von  deutschem  Fussvolk  dichtbesetzte 
Dorf  unter  Schuss  nahm  und  eine  andre  Kolonne  den 
Tronviller  Busch  angriff.  Nach  wütendem  zweistün- 
digem Kampf,  wobei  die  Käppiträger  einen  wilden 
Elan  entfalteten,  mussten  die  Deutschen  beide  Stütz- 
punkte fahren  lassen.  Im  überaus  heftigen  Artillerie- 
duell hatten  die  deutschen  Rohrrücklaufgeschütze, 
mit  deren  verbessertem  Material  dieser  Teil  des  deut- 
schen Heeres  bewaffnet,  doch  einen  schweren  Stand 
gegen  die  Schnellfeuerbatterien,  deren  Schöpfer,  Ar- 
tilleriedirektor General  Deloye,  als  Zeuge  beim  Drey- 
fushandel  so  weise  und  sachkundig  von  der  aus- 
ländischen Presse  als  trottelhaft  verkinschter  Simpel- 
greis, der  sich  nicht  zu  helfen  weiss,  verschrien 
wurde.  Auch  schössen  die  französischen  Kanoniere 
ausgezeichnet,  und  eine  im  berüchtigten  „Borde- 
reau"  berührte  und  damals  vielerörterte  Einzelheit 
bewies  ihren  Wert  in  der  Emstprobe.  Von  den  Un- 
geheuerlichkeiten der  einstigen  Schlacht  von  Re- 
zonville,  wo  zwanzig  Batterien  nach  geringem  Ge- 


—    138     — 

Schossverbrauch  das  Schlachtfeld  verliessen,  um  sich 
zu  „ravitaillieren'*,  und  dann  gar  nicht  mehr  er- 
schienen unter  dem  Vorwand,  dass  sie  keinen  Auf- 
marschraum mehr  fänden,  fiel  heut  kein  Fall  vor. 
Doch  im  Gegenteil  litten  Artillerie  und  Infanterie 
der  Franzosen  unter  massloser  Geschossverschwen- 
dung, während  die  Deutschen  mit  festerer  Feuer- 
disziplin sparsam  haushielten.  So  konnte  es  denn 
nicht  fehlen,  dass  zuletzt  beim  Gegner  unverkenn- 
barer Munitionsmangel  eintrat,  während  Munitions- 
kolonnen  aus  Metz  ständig  eintrafen  und  dem  deut- 
schen Feuer  so  allmählich  eine  grosse  quantitative 
Überlegenheit  sicherten.  Obschon  hinter  und  mit 
ihren  Panzerschilden  der  Batterieständer  oft  greu- 
lich zusanunengeschossen,  bewahrten  die  deutschen 
Batterien  auf  dem  Höhenzug  zwischen  Vionviller 
Waldecke  und  Gorzer  Plateau  sowie  auf  der  Südwest- 
kuppe von  Rezonville  ihren  festen  Stand.  Neu  ein- 
treffende Haubitzbatterien,  die  weiter  vorwärts  keinen 
Raum  fanden,  fuhren  rückwärts  beim  Weissen  Hause 
auf,  wo  damals  bei  entgegengesetzten  und  grund- 
verschiedenen Stellungsverhältnissen  deutscherseits 
so  viel  Blut  floss,  und  richteten  ein  wirkimgsvoUes 
Femfeuer  auf  Massen,  die  über  die  Chaussee 
zwischen  Vionviller  Wald  und  Rezonville  anliefen 
und  sich  nordöstlich  von  Rezonville  gegen  Grave- 
lotte  ausbreiten  wollten.  Ein  feindliches  Detache- 
ment,  aus  2.,  4.  Chasseurs  ä  pied  12.  ä  cheval  imd 
reitender  Artillerie  bestehend,  das  in  kühner  weiter 
Umgehung  hier  am  Bois  des  Ognons  flankieren  wollte, 


—     139     — 

stiftete  zwar  grossen  Schaden,  sah  sich  aber  zuletzt 
durch  eine  von  Ars  und  Bois  de  Vaux  vorrückende 
deutsche  Kolonne  exzentrisch  abgedrängt.  Ein  ande- 
res starkes  Streifkommando,  das  über  Chambley  den 
Gorzer  Hohlweg  beunruhigen  wollte,  wich  später 
gleichfalls  südwärts  aus.  Denn  die  früher  bei  Puxieux 
geworfene  deutsche  Reiterei  bog  jetzt,  verstärkt  aus 
der  bei  St.  Marcel  früher  siegreichen  imd  nachher 
zurückgegangenen  Masse,  hinter  der  Tronviller  Mulde 
ab,  sobald  Angriff  frisch  angelangter  Bataillone  er- 
neut den  Tronviller  Busch  forcierte,-  und  zwang  die 
unterm  verstärkten  Feuer  deutscher  Batterien  auf  der 
Chaussee  hinter  Mars  la  Tour  haltende  Kürassier- 
division des  Generals  Pistor  (Lxm^ville)  durch  Flan^ 
kierung  über  Mariaville  Ferme,  die  Chaussee  freizu- 
geben. Hiemüt  wurde  fernere  Bedrohung  der  deut- 
schen Linken  aussichtslos,  und  die  französische 
Rechte  sah  sich  ihrerseits  durch  eine  über  Amanwei- 
1er  vorgehende  Division  des  Metzer  Lagers  im 
Rücken  bedroht.  Infolgedessen  stellte  der  Feind  den 
schon  ermatteten  und  erlahmten  Angriff  gegen  Re- 
zonville  eiligst  ein  und  trat  den  Rückzug  auf  Don- 
court-Etain an,  eine  Nachhut  in  Vionville  opfernd, 
St.  Marcel  und  das  Bruviller  Plateau  noch  längere 
Zeit  festhaltend.  Die  deutsche  Kolonne  aus  Aman- 
weiler  vertrieb  zwar  rasch  eine  bis  Vemeville  vorge- 
schobene Territorialbrigade,  kam  aber  vor  Doncourt 
abends  zum  Stehen,  das  eine  Ani^regarde  zähe  ver- 
teidigte. Die  über  Gravelotte  herangeströmten  deut- 
schen Verstärkungen  nahmen  die  Verfolgung  auf, 


—     140     — 

an  Stelle  der  mürben  Schlachthaufen,  die  bis  Rezon- 
viUe  zurückgedrückt,  und  stiessen  schräg  über  die 
Römerstrasse  gegen  St.  Marcel,  das  wie  BruviUe 
vom  Feind  endlich  geräumt  wurde.  Die  vereinte 
deutsche  Reiterei  ritt  auf  der  alten  Walstatt  von 
Ville  sur  Yron  an,  während  die  ihr  folgenden  Ba- 
taillone sich  wohl  hüteten,  die  Todesschlucht  des  Fond 
de  la  Cuve  (in  deutscher  Historie  irrtümlich  Grey^e- 
schlucht  getauft)  unseligen  Angedenkens  noch- 
mals frontal  zu  berennen,  und  nur  längs  des  Tron- 
viller  Busches  in  der  vorgeschobenen  Parzelle  gegen 
den  Ostrand  der  Schlucht  und  BruviUer  Höhe  tirail- 
lierten.  Die  französische,  hier  gleichfalls  grösstenteils 
vereinte,  Reiterei  wartete  den  Choc  nicht  ab,  son- 
dern überschritt  die  tiefe  Geländerinne  in  ihrem 
Rücken  (westlich  des  Fond  de  la  Cuve),  gedeckt  durch 
Salven  ihrer  reitenden  Batterien  bei  Greyfere  Fenne. 
Die  deutsche  reitende  Artillerie  erklomm  zwar  das 
Yronplateau  und  bearbeitete  die  Ferme  und  Bruviller 
Höhe  flankierend,  ihre  Granaten  folgten  den  Staub- 
wirbeln der  abziehenden  feindlichen  Reitennassen. 
Aber  ehe  die  Deutschen  ihrerseits  die  Geländerinne 
überschreiten  konnten,  wobei  abgesessene  Häuflein 
französischer  Reiter  aus  Yronwäldchen  und  Ferme 
La  Grange  so  lange  verderblich  mit  ihren  Repetier- 
karabinern schössen,  bis  sie  sich  abgeschnitten  er- 
geben mussten,  und  einige  Chasseurkompagnien  aus 
der  Grey^e  Ferme  vorgelagerten  Holzparzelle  gleich- 
falls ein  böses  Flankenfeuer  entsandten,  bis  sie  mit 
den  reitenden  Geschützen  das  Weite  suchten,  brach 


—     141     — 

die  Dunkelheit  herein.  Ja,  den  Ehrgeiz,  weiter  auf 
Jamy  zu  verfolgen,  erstickte  die  französische  gutge- 
führte Kavallerie  im  Keim,  indem  sie  sich  jenseits 
nochmals  zur  Attacke  formierte  und  die  mit  Über- 
schreiten der  Schlucht  nicht  fertige  und  in  Unord- 
nung geratene  deutsche  Reitermasse  vor  der  For- 
mation überraschte.  Nur  das  Eingreifen  der  eiligst 
bis  zum  früheren  französischen  Geschützposten  am 
Pachthof  Grey^re  vorgerasselten  deutschen  Artillerie 
setzte  durchschlagendem  Erfolg  dieser  scharfen 
Attacke  ein  Ziel.  Doch  verlor  die  teilweise  bis  zur 
und  in  die  Geländerinne  zurückgetriebene  deutsche 
Reiterei  dabei  Gefangene  und  sogar  eine  Standarte. 
Bei  solcher  Bewandtnis  konnte  man  auch  den  so 
lange  als  möglich  hinter  Bruville  und  Doncourt 
feuernden  Nachhutbatterien  keine  wirklichen  Tro- 
phäen abnehmen,  nur  acht  total  demontierte  Stücke 
blieben  am  Wege  liegen.  Am  anderen  Morgen  war 
das  französische  Heer  in  Richtung  auf  Verdun  ver- 
schwimden,  wo  der  Festimgsgürtel  dieses  Sperrlagers 
sie  aufnahm.  Der  äussere  Sieg  war  recht  teuer  er- 
kauft, an  Toten,  Verwundeten,  Vermissten,  Gefan- 
genen verlor  man  achttäusendachthundert,  der  Geg- 
ner neuntausend  Mann,  der  Verlust  glich  sich  beider- 
seits aus,  zumal  der  deutschen  Artillerie  nicht  we- 
niger als  vierzehn  Geschütze  unbrauchbar  zer- 
schossen und  viele  andere  beschädigt.  Obschon  na- 
türlich beide  Parteien  nach  gewohnter  Sitte  von 
„grosser  Übermacht"  des  Feindes  fanfaronierten, 
ohne  zu  bedenken,   dass   man  damit  der  eigenen 


—     142     — 

Führung  ein  Armutszeugnis  ausstellen  würde,  über- 
wog  die  französische  Streiterzahl  nur  unbedeutend. 
Es  fochten  deutscherseits  drei  mobüe  Divisionen  und 
eine  Lothringer  Landwehrbrigade,  die  gegen  ihre  frü- 
heren Landsleute  soldatisch  ihre  Pflicht  tat,  weshalb 
einige  in  Gefangenschaft  gefallene  Lothringer  von 
wütenden  Franzmännern  beschimpft  und  malträtiert 
wurden.  Ausserdem  achtundvierzig  Schwadronen,  zwei- 
hundertdreissig  Geschütze.  Französischerseits  6.  Korps 
146.  153.  156.  Rgt.  des  20.,  inkomplettes  Territorial- 
korps,  zweiundfünfzig  (8.  9.  12.  Drag.  5.  Hus.  5.  17. 
18.  Chass.  6.  Kav.  Brig.  Kür.  Div.)  Schwadronen, 
zweihundertzwanzig  Geschütze  8.  39.  Art.   R. 

Durch  die  Schlacht  bei  Fleurus  konnte  der 
Wahn  entstehen,  als  ob  vier  deutsche  sieben  fran- 
zösische Brigaden  vernichtend  aufs  Haupt  geschlagen 
hätten,  wie  die  deutsche  Presse  jubiüerte.  Man 
vergass  ganz,  dass  dort  die  1.  Division,  sobald  sie 
seitwärts  über  die  Sambre  geworfen,  für  das  Ge- 
fechtsfeld ganz  ausfiel,  dass  sechseinhalb  frische  Ba- 
taillone die  Deutschen  zuletzt  verstärkten  und  die 
Krise  von  sechsundzwanzig  deutschen  gegen  zwei- 
unddreissig  schwächer  formierte  französische  Batail- 
lone, zweiundzwanzig  deutschen  gegen  zwanzig  (sieben 
der  1.,  4.  Division  schon  gefechtsunfähig)  franzö- 
sische Batterien,  einundvierzig  deutschen  gegen  zwei- 
unddreissig  französische  Schwadronen  durchkämpft 
wurde,  dass  vor  allem  nur  die  wackere  selbständige 
Initiative  der  drei  Detachements  aus  Namur,  Qua- 
trebras,  Gembloux  die  16.  Division  vor  gänzlichem 


—     143     — 

Erliegen  rettete.  Die  französische  Führung  zeigte 
sich  allerdings  nicht  tadelfrei,  nachlässig  in  Siche- 
rung ihrer  Flanken,  aber  kühn  und  tatkräftig.  Sol- 
datisch liess  sich  nur  grössere  Kaltblütigkeit  imd 
bessere  Feuerdisziplin  der  Deutschen  erkennen,  da- 
gegen die  altbekannte  Gewandtheit  des  französi- 
schen Tirailleurs  und  hoher  persönlicher  Mut.  Die 
Sünden  im  Aufklärungswesen  der  weiland  kaiser- 
lichen Kavallerie  fielen  gleichfalls  weg,  die  Ar- 
tillerie betätigte  ihr  besseres  Material  und  schoss 
fast  gerade  so  treffsicher  wie  die  preussische,  nur 
mit  Administration  imd  Munitionsersatz  haperte  es 
immer  noch.  Scharfäugige  folgerten  aber  hieraus 
und  aus  der  zäheren  Ausharrungsfähigkeit  der  min- 
der nervösen  deutschen  Infanterie  die  Wahrschein- 
lichkeit, dass  im  Laufe  des  Feldzugs  die  Franzosen 
langsam,  aber  sicher  niedergerungen  würden,  so- 
bald erst  deutsche  Übermacht  in  ihr  Recht  trete. 
Für  die  Mittelarmee,  bei  der  erst  in  nächsten 
Tagen  die  norddeutschen  Korps  erster  und  zweiter 
Staffel  erwartet  wurden,  verbot  sich  jede  Fortsetzimg 
der  Offensive.  Nur  galt  es,  Montm^dy  zu  isolieren, 
wo  die  Rechte  der  feindlichen  Nordarmee  anschloss. 
So  rückte  denn  am  26.  aus  Diedenhofen  die  59.  60. 
85.  Brigade  der  Metzer  Grenzarmee  dorthin  vor,  indes 
die  67.  68.  86.  Division  von  Doncourt  über  St.  Pri- 
vat nach  Briey  marschierte,  wo  eine  frische  Terri« 
torialdivision  stand.  Diese  ward  zwar  in  nicht  uner- 
heblichen Gefechten  lun  Montois  und  Aubou6  zum 
Abmarsch  genötigt,  dagegen  behielt  das  20.  fran- 


—     144     — 

zösische  Korps  südlich  von  Montm^dy  die  Ober- 
hand. Am  29.  lagerten  die  Korps  von  Bourges  und 
Clermont  Ferrand  im  Lagerring  von  Verdun,  deut- 
scherseits langten  Brandenburger  und  Magdeburger 
vollzählig  mit  allen  Reservebataillonen  an,  die  bei- 
den kgl.  sächsischen  Korps  überschritten  bei  Cour- 
Celles,  Comy,  Nov^ant,  Pont  k  Mousson  die  Mosel. 
Da  aber  Mohtmddy  gut  verproviantiert  und  stark  mit 
„Bedeckungstruppen"  (separiert  vom  sonstigen  Korps 
verband  der  Grenzkorps)  garnisoniert,  überliess  der 
Generalissimus  Hagron  die  kleine  Festung  vor- 
erst sich  selbst  imd  etwaiger  Deckung  durch  Vor- 
stösse  der  Nordarmee  imd  bereitete  sich  zu  starrer 
Abwehr  in  der  Maaslinie  vor.  Aber  auch  deutscher- 
seits musste  man  vorerst  Offensive  ausschliessen, 
solange  nicht  die  niederländische  Aktion  gegen  die 
britische  Landung  geklärt  und  die  dortigen  deutschen 
Streitkräfte  für  die  Nordarmee  verfügbar  geworden, 
um  dann  konzentrische  Operation  gegen  Rheims  zu 
beginnen.  Und  obschon  soeben  überaus  erfreuliche 
Nachrichten  von  dorther  die  Gefahr  einer  dauernden 
Flankierimg  der  deutschen  Linie  von  der  Kanalküste 
her  beseitigt  zeigten,  fesselten  ausser  traurigen  Mit- 
teilungen von  deutscher  Nordküste  vor  allem  den  be- 
sorgten Blick  an  der  Mosel  weniger  die  Ereignisse  an 
Scheide  und  Maas,  als  an  der  südlichen  Rheing^renze. 
Dort  fiel  schon  am  20.  eine  gemischte  Truppe 
aller  drei  Waffengattungen  aus  Beifort  aus,  überfiel 
Freibiurg,  brandschatzte  das  Breisgau  und  streifte 
im    Schwarzwald.     Badische  Dragoner  und    schon 


—     145     — 

früher  auf  Kriegsfuss  gesetzte  drei  Bataillone,  so- 
fort aufgeboten,  machten  zwar  diesem  Unfug  in 
einem  hitzigen  Gefecht  am  Schwarzwalddefilee  bei 
Badenweiler  ein  Ende,  doch  die  Garnison  von  Kol- 
mar  koimte  nicht  hindern,  dass  die  heimlich  vor 
Kriegsausbruch  auf  drei  Divisionen  der  aktiven  Ar- 
mee angeschwollene  Besatzung  von  Beifort  sofort 
nachrückte  imter  geschickter  und  tätigster  Beihilfe 
ihrer  starken  Pontonier-,  Sappeur-  und  Eisenbahner- 
sektionen, die  alles  längst  hierfür  vorbereiteten.  Die 
Linie  der  Elsässer  Festimgen  war  hiermit  im  Rücken 
gefasst,  in  Strassburg  entstand  Panik,  gegen  Brei- 
sach schwärmten  schon  auf  der  anderen  Seite  fran- 
zösische Vedetten  imd  reguläre  Franctireurs,  aus 
Forestiers  und  Douaniers  zusammengesetzt.  Da  alle 
Kräfte  der  beiden  Grenzkorps  eiligst  gegen  die  Strecke 
Nancy-Toul  bei  Metz  zusammengezogen  wurden  zur 
Deckung  der  vorderen  Vogesenpässe,  blieb  der  El- 
sass  dem  französischen  Einfall  offen.  Dies  Hessen 
sich  Chasseurs  ä  cheval,  Hussards,  Velozipedsek- 
tionen  der  Fussjäger  und  andere  Freitruppen  nicht 
zweimal  sagen  und  spielten  innerhalb  der  nächsten 
Woche  eine  eigentümliche  Befreierrolle,  indem  sie 
die  „geraubte  Bruderprovinz"  nach  Kräften  plagten. 
Es  entstand  hier  bis  Ende  des  Monats  ein  reger 
Kleinkrieg,  insofern  die  Garnisonen  von  Pfalzburg, 
Breisach,  Kolmar  sich  in  häufigen  Ausfällen  übten, 
um  diesen  Raids  und  Razzias  vorzubeugen.  Eine 
Infanteriedivision  aus  Epinal  und  Remiremont  mit 
hierfür  bereitgestellten  Bergbatterien  überstieg  zu- 

V^lker  Europas  .  .  .  |  10 


—     146     — 

letzt  die  Vogesengrenze  an  geeigneter  Stelle  und 
marschierte  querdurch  auf  Strassburg,  wohin  sich 
eine  andre  Division  aus  Langres  über  Beifort  her- 
anschob, um  gemeinsam  Zemierung  zu  beginnen. 
Sobald  die  Bahngeleise  bis  dorthin  repariert,  sollte 
mit  Heranschaffung  genügender  Festungsartillerie 
nicht  gezögert  werden,  wofür  ja  Beifort  selber  ein 
schier  unerschöpfliches  Reservoir  bot.  Gründliche 
Beschiessung  des  deutschen  Strassburg  sollte  die 
einstige  des  französischen  vom  jenseitigen  Kehlufer 
heimzahlen,  und  das  Belfortkorps  hoffte  seinerseits 
Kehl  zu  erreichen,  um  von  dort  (die  dritte  Division 
des  badischen  14.  Korps,  zum  Teil  aus  Elsässem 
imd  den  rheinischen  Fünfundzwanzigem  in  Rastatt 
bestehend,  blieb  im  Elsass)  die  unglückliche  Stadt 
unter  zwei  Feuer  zu  bringen.  Ihm  trat  jetzt  am  23. 
abends  das  badische  (deutsche  Nr.  14)  Korps  mo- 
bilisiert mit  der  Freiburger  und  Karlsruher  Divi- 
sion entgegen.  Doch  an  diesem  Tage  wälzten  sich 
bereits  drei  Korps  aus  Dijon,  Langres,  Lyon,  zwar 
noch  inkomplett,  doch  durch  die  Ostkompagnie  mit 
Windeseile  befördert,  in  noch  gefährlicherer  Rich- 
tung vor.  Diese  Bahngesellschaft,  die  schon  im  ein- 
stigen Feldzug  aus  ihrem  Zentraldepot  Nancy  an- 
erkennenswerten Eifer  betätigte,  nutzte  diesmal 
das  Bahnnetz  umsichtig  aus,  und  der  Coup  war 
seit  lange  vom  fleissigen  Generalstab  vorbereitet 
worden.  Korpschefs  Lacroix  und  Mathis  übten  vorher. 
Ehe  man  sich's  versah,  merkten  die  Schweizer 
Grenzposten  eine  solche  Fülle  von  Streitkräften  bei 


—     147     — 

Delle,  Montb^liard,  Pontarlter  vor  sich  aufgestapelt, 
dass  vier  hinter  und  längs  Elsassgrenze  vorbrechende 
Alpinbataillone  von  Jurassiers  und  Jurafreischützen 
nebst  drei  mit  Maultieren  bespannten  Bergbatte* 
den  die  unbefestigten  Jurapässe  überkletterten  und 
freimachten,  ehe  das  Fribourger  und  Neuchateller 
Füsilierbataillon  sich  von  ihrem  Staunen  erholten. 
Natürlich  trug  der  Bemer  Telegraph  sofort  den 
Mobilmachungsbefehl  an  die  schon  vorbereitete 
Schweizer  Milizarmee,  was  aber  doch  mit  mancher- 
lei Unzuträglichkeiten  beim  „Feind  im  Land"  ver- 
bunden war  und  mit  mehr  Überstürzung  durchge- 
führt werden  musste,  als  man  voraussah.  Unauf- 
haltsam marschierte  das  Burgunder  Armeekorps 
querdurch  nach  Schaffhausen,  die  übrige  Masse  durch 
Kanton  Baselland,  indem  sie  das  sonst  tiefeinge- 
schnittene Rheintal  an  der  schmakten  Stelle,  Zu- 
sammenfluss  von  Rhein  und  Aar,  rasch  überbrückte. 
Requirieren  beim  Durchmarsch  geschah  über- 
all schonungslos.  In  Mülhausen,  das  dortige  Ula- 
nen schon  zu  Anfang  räumten  und  dessen  Bevölke- 
rung die  „Befreier"  mit  donnerndem  „Vive  la 
France  I"  empfing,  sehnten  die  reichen  Industriellen 
sich  in  nächsten  Wochen  nach  deutschem  Regime 
zurück,  durch  das  ihre  Einkünfte  wahrlich  nicht 
litten.  So  inbrünstig  man  dort  immer  nach  Paris 
schielte,  so  rührend  die  Pariser  die  Bildsäule  der 
trauernden  Schwesterprovinzen  mit  Blumen  zu  krän- 
zen pflegten,  machten  hier  die  Ansprüche  der  fran- 
zösischen Heeresverwaltung  keinen  Unterschied  und 

lo* 


—     148     — 

zogen  die  biedern  Mülhausener  emsig  zu  Kontri- 
butionen heran,  welche  diese  ja  als  milde  Gaben 
patriotischen  Opfermuts  auffassen  mochten! 

Die  Ereignisse  rollten  sich  jetzt  blitzschnell  ab. 
Am  27.  früh  überschritt  die  Rechte  der  Invastons- 
armee  den  Rhein  bei  Laufen  und  blieb  von  Süden 
im  Vorrücken  auf  Singen,  Stockach  und  Osterach, 
die  alten  Schlachtfelder  der  Republikanerzeit.  Das 
Zentrimi,  Basel  als  Etappenort  einrichtend  und  die 
schon  im  Rücken  gefassten  deutschen  Befestigung 
gen  bei  Hüningen  zu  Fall  bringend,  drohte  von 
Osten  nach  Stuttgart  hinüber,  die  Linke  marschierte 
auf  Lahr-Pforzheim-Durlach.  Die  ganze  französische 
Masse  überschwemmte  also  unverfroren  das  östliche 
Rheinufer  und  übte  so  auf  deutschen  Aufmarsch  bei 
Metz  moralischen  Druck.  In  Süddeutschland  hatte 
man  sich  auf  so  schnelle  Invasion  nicht  gefasst  ge- 
macht, daher  die  Mobilmachung  in  aller  Ruhe  be- 
trieben, wobei  für  Bayern  noch  in  Betracht  kam, 
die  Route  von  Passau  und  Kufstein  für  österreichi- 
schen Truppentransport  freizuhalten.  Sein  drittes 
Korps  (deutsche  Nr.  22)  war  noch  bei  Regensburg 
und  Ingolstadt,  das  zweite  (deutsche  Nr.  21)  kon- 
zentrierte sich  zwischen  Würzburg  und  Ulm,  nur 
das  erste  (deutsche  Nr.  20)  setzte  sich  schon  nach 
Speier  in  Marsch.  Das  württembergische  (deutsche 
Nr.  13)  Korps,  am  vierten  Tage  fertig,  befand  sich 
im  Vormarsch  auf  Singen,  um  zur  Rettung^  der 
Residenz  eine  Schlacht  zu  wagen.  Am  28.  berührten 
sich  allerorts  die  Vorhuten.    Die  württembergische 


—     149     — 

ward  von  überlegenen  Kräften  zurückgedrückt,  die 
badische  desgleichen.  Am  29.  gingen  drei  Divisio- 
nen gegen  das  badische  Korps  und  zwangen  es 
durch  Umfassung  zum  Rückzug,  der  am  30.  bis 
hinter  den  Neckar  fortgesetzt  werden  musste.  Die 
Württemberger  erwehrten  sich  an  diesem  Tage  kraft- 
voll des  Burgunder  Korps;  als  aber  das  Beifort- 
korps,  das  in  der  Mitte  schon  Württemberg  durch- 
querte, mit  völliger  Umfassung  drohte,  wichen  die 
Württemberger  bis  Heilbronn.  Baden  und  Stuttgart 
waren  also  preisgegeben,  und  die  süddeutsche  Be- 
völkerung schrie  zum  Himmel,  dass  man  sie  ohne 
Teilnahme  der  Norddeutschen  dem  Feind  überlie- 
fere. Die  oberste  deutsche  Heeresleitimg  handelte 
aber  nach  Moltkes  bekanntem  Wort:  „Hineinkom- 
men mögen  sie,  doch  schwerlich  wieder  herauskom- 
men." Denn  fetzt  wurde  das  Schweizer  Aufgebot 
auf  der  französischen  rückwärtigen  Flanke  fühlbar, 
das  von  Speier  ausgewichene  bayrische  Korps  be- 
drohte gleichfalls  die  Flanke,  die  andern  bayrischen 
Korps  kamen  in  höchster  Eile  auf  Ulm  heran,  und 
ein  österreichisches  Korps  debouchierte  bereits  mit 
Einwilligung  des  Schweizer  Bundesrats  auf  der  Vor- 
arlbergbahn über  Bux-Vaduz-Chur-  St.  Gallen,  ein  an- 
dres berührte  aus  Passau  schon  München,  ein  drittes 
kam  via  Linz-Innsbruck  gleichfalls  dorthin. 

Nachgerückte  Staffeln  der  drei  Südostkorps  und 
rasch  zusammengeraffte  Territorialtruppen,  während 
die  Alpins  die  Jurapässe  bewachten,  deckten  zwar 
die  Etappenlinie  Delle-Basel-Olten-Schaf fhausen.  Ver- 


—     IßO    — 

schiedene  Vorstösse  des  1.  Schweizer  Armeekorps 
in  dieser  Richtung  scheiterten  am  vorzüglichen  Feuer 
der  französischen  Artillerie  aus  umsichtig  gewählter 
Stellung.  Aber  der  Punkt  Schaffhausen  erwies  sich 
doch  so  empfindlich,  dass  das  Burgunder  Korps  staf- 
felförmig  zwischen  Singen  und  Schaffhausen  zurück- 
fiel, das  Belfortkorps  sich  mit  prahlerischer  Beset- 
zung   von    Stuttgart-Ludwigsburg,    die    entferntere 
Hauptmasse  mit  triumphierendem  Einzug  in  Karls- 
ruhe und   Bedrohung  Heiddbergs  begnügte,  ohne 
die  militärische   Operation  offensiv  weiterzuführeiL 
£s  hätte  nahegelegen,  die  bei  Mainz  anlangen- 
den  Truppentransporte  für  die   deutsche   Mittelar- 
mee dort  anzuhalten  und  über  Mannheim  den  Fran- 
zosen entgegenzuführen.    Doch  überwog  Rücksicht 
auf  die  allgemeine  militärische  Lage,  da  Schwächung 
der  Mittelarmee  auch  die  entscheidende  Aktion  der 
Nordarmee  in  Frage  stellte  und  erneute  Offensive 
des   Gegners   durch    Luxemburg   und   Belgien   ge- 
stattet  haben   würde.    Die   Norddeutschen   blieben 
also   nach  ihren  ursprünglichen   Bestimmungsorten 
instradiert,  und  die  Klage  des  Darmstädter   Hofs, 
dass  man  die  Truppen  des  Grossherzogtums,   das 
nunmehr  an   die  Reihe   zu  kommen   schien,  nach 
Belgien  abgab,   fand  taube   Ohren.    Es   liess  sich 
auch  ertragen,  dass  die  schönen  Frankfurterinnen, 
denen  ihr  Portemonnaie  es  gestattete,  Extrazüge  rhein- 
abwärts  nach  Ems  und  Koblenz  bestiegen  und  die 
Frankfurter   Börse   ihre   Werte   wegen   Nähe    des 
Feindes  sehr  tief  notierte,  überhaupt  deutsche  Reichs- 


—     161     — 

anleihe  um  zehn  Prozent  im  Kurs  sank    trotz  der 
aus    Belgien   gemeldeten   Erfolge. 

Nur  die  Landwehr  ward  allerorts  ordnungs- 
gemäss zu  den  Fahnen  berufen.  Aus  Baden  imd 
Württemberg,  wo  ihre  Sammlung  natürlich  gestört, 
schlössen  sich  viele  komi>agnieweise  mit  Waffen  und 
Gepäck  den  abrückenden  Mobiltruppen  an,  und  die 
Bezirkskommandeure  arbeiteten  ruhig  bis  zum  letz- 
ten   Augenblick,  als   wäre  nichts   geschehen. 

Der  französische  Konunandant  der  Südarmee 
begründete  sein  tatloses  Verweilen  bei  Stuttgart  und 
Karlsruhe  mit  dem  Ruhebedürfnis  seiner  durch  rast- 
losen Transport,  Marsch  und  Kampf  erschöpften 
Truppen.  Die  in  sein  Lager  wandernden  Jubel- 
hymnen  der  Pariser  Zeitungen,  die  sein  sogenanntes 
„Genie"  bis  in  den  Himmel  erhoben,  schmeichelten 
ihm  wenig.  Denn  der  bärbeissige  alte  Herr  sah 
voraus,  dass  diese  P6kins  ihm  später  mit  gleicher 
Sachkenntnis  ihr  uneingeschränktes  Misstrauens- 
votum  erteilen  würden.  Eingedenk  der  Erfahrungen 
des  Bourbakizugs  betrieb  er  eifrig  den  Intendanz- 
nachschub imd  „regelte  die  Verpflegung"  oder 
„ordnete  die  Verwaltung"  der  zeitweilig  eroberten 
Landesteile,  d.  h.  fouragierte  sie  bis  aufs  Blut.  Am 
31.  fand  er  seine  strategische  Lage  schon  recht  im- 
behaglich,  obschon  seine  weit  vorausgeschickte 
Reiterei  ihn  gut  bediente  und  ihn  zu  seinem  Er- 
staunen belehrte,  die  norddeutschen  Truppentrans- 
porte dauerten  nach  wie  vor  westwärts  fort.  Sah  er 
sich  aber  der  befürchteten  Gefahr  überhoben,  dass 


—     162     — 

diese  Masse  von  Norden  auf  ihn  fallen  werde»  wur- 
den die  Depeschen  und  Telegraphenrapporte  von 
Süden  immer  bedenklicher.  Gegen  die  externe  Stap- 
penlinie längs  der  Nordschweiz  zog  sich  das  Unheil 
inmier  dichter  zusammen.  Am  1.  Juni  erfolgte  ein 
neuer  Angriff  der  Schweizer  Milizen  mit  Überlegrenen 
Massen,  vor  dem  Ölten  geräiunt  werden  musste,  indes 
das  Burgunder  Korps  bei  Schaffhausen  nach  Osten 
und  Süden  Front  machte.  Die  vorgeschobene  Stel- 
lung konnte  unmöglich  innegehalten,  die  Basis 
musste  wieder  nach  Beifort  zurückverlegt  werden. 
Auf  Linie  Bruchsal-Rottweil  trat  die  französische 
Armee  gestaffelten  Rückzug  an,  die  besetzten  Resi- 
denzstädte räumend.  Nur  Umschliessung  von  Strass 
bürg  auf  der  Kehlseite  ward  beibehalten,  zumal  jenseits 
am  Westufer  des  Rheins  schon  Belagerungsgeschütze 
der  Langress- Division  dröhnten,  vor  deren  Donner- 
stimme alle  legendären  Störche  des  Markts  das 
Weite  suchten. 

Zur  Deckung  dieser  sonst  völlig  aussichtslosen 
Zernierung  eine  Schlacht  zu  liefern,  schien  ang^ängig. 
Als  daher  die  Badenser  und  Württemberger,  imi 
Landwehren  verstärkt,  neuerdings  den  Neckar  über- 
schritten und  die  ganze  bayrische  Armee  sich  süd- 
lich davon  vorbewegte,  kam  es  am  3.  Juni  zu  einer 
zusammenhängenden  Reihe  von  Treffen  in  weitem 
Umkreis.  Die  Süddeutschen,  durch  die  Leiden  ihrer 
Heimat  in  Harnisch  gebracht,  fochten  mit  erbitterter 
Wut,  und  das  Lyoner  Armeekorps  am  linken  fran- 
zösischen Flügel  glitt,  an  mehreren  Stellen  gesprengt. 


—     163     — 

aufgelöst  in  die  Schwarzwalddefileen  zurüde.  Da- 
gegen schirmten  die  ausgewählt  guten  Truppen  des 
Belfortlagers  die  französische  Rechte  gegen  die 
Bayern,  die  ihre  Massen  noch  lange  nicht  alle  heran- 
brachten. Jedenfalls  n^usste  Zemierung  von  Strass- 
bürg  auf  der  Kehler  Seite  sofort  aufgegeben  werden» 
und  dem  Burgunder  Korps,  durch  Bayern,  Schweizer, 
Österreicher  gleichzeitig  bedroht,  blieb  nichts  übrig, 
als  sich  mit  raschem  Entschluss  die  Grenze  entlang 
auf  Basel  Bahn  zu  brechen.  Dies  gelang  mit  be- 
merkenswerter Energie,  wobei  aber  eine  Nachhut 
unterging,  die  erst  den  Rheinfall  mit  ihrem  Blute 
färbte,  dann  in  den  Kanton  Zürich  durchbrach,  wo 
die  unbekannt  gebliebene  Befestigung  des  Buch- 
bergs sie  mit  weittragenden  Kanonensalven  be- 
g^rüsste,  hier  endlich  im  Kanton  Aarau  vor  den 
Schweizern  kapitulierte.  Das  österreichische  Korps, 
auf  verschiedenen  Routen  über Winterthur,  Pfäffikon, 
Zug,  Thalweil  befördert,  folgte  den  Schweizern  die 
Grenze  entlang,  die  nunmehr  mit  aller  Macht  auf 
Basel  losgingen,  die  Etappentruppen  hinter  Ölten 
vor  sich  hertreibend.  Der  französische  Armeechef 
sah  seine  jetzige  Lage  für  so  bedrohlich  an,  dass  er 
einen  Nachtmarsch  daransetzte,  um  sich  zwischen 
Freiburg  und  Basel  zu  konzentrieren.  Doch  am  5. 
früh  erschien  auch  diese  Stellung  so  unhaltbar,  da 
die  Schweizer  mit  grossem  Zorn  den  Angriff  auf 
Basel  begannen  und  die  Rheinbrücke  bei  Hüningen 
stürmten,  dass  der  Abmarsch  auf  Beifort  angeordnet 
wurde.    Dies  konnte  trotz  aller  Emsigkeit  der  Pon- 


—     154     — 

tonneurs  und  aller  Tapferkeit  der  verschiedenen  Ar- 
ri^regarden  nicht  ohne  erhebliche  Einbusse  ge- 
schehen, und  so  erreichte  das  so  siegesstolz  ausge- 
rückte Heer  sein  befestigtes  Ausfalltor  in  recht  be- 
schädigter Verfassung.  Dort  fand  es  freilich  ein 
frisches  Korps  aus  Aix-Arles  und  zwei  inkomplette 
Territorialkorps  vor,  auch  riesige  Magazine  in  aus- 
reichendem Verpflegungszustande,  und  die  unge- 
meine Stärke  der  Befestigungen  bannte  die  Gegner 
vorläufig  in  ihrer  Offensive  fest,  ehe  sie  dies  Boll- 
werk niederbrechen  konnten.  Doch  standen  ja  hierfür 
nun  ganz  gewaltige  Massen  bereit:  fünf  deutsche, 
drei  österreichische,  zwei  Schweizer  Korps. 

So  schwand  denn  fortan  jede  Gefahr  einer  fran- 
zösischen Invasion,  und  obschon  ein  Vergleich  mit 
Bourbakis  fruchtlosem  Zug  nicht  am  Platze  und 
imrühmliches  Ende  jener  Bourbakiarmee  hier  wahr- 
lich nicht  in  neuer  Auflage  erschien,  durfte  Frank- 
reich mit  dem  so  fröhlich  ausposaunten  Anfangs- 
erfolg wenig  zufrieden  sein.  Allerdings,  man  fügte 
Deutschlands  Land  und  Leuten  erheblichen  Schaden 
zu,  man  errang  einen  nicht  zu  unterschätzenden  mo- 
ralischen Erfolg,  dessen  vorübergehende  Wiikung 
aufs  Ausland  auch  eine  für  Deutschland  tmange- 
nehme  Folge  herbeiführte  als  Beeinflussung  Italiens 
und  Spaniens,  man  erwischte  einige  kriegerische  Lor- 
beeren xmd  schnitt  wenigstens  nicht  mit  allzu  schwe- 
rem Misserfolg  ab,  man  legte  die  deutsche  Mittel- 
armee für  einige  Zeit  lahm.  Gleichwohl  hatte  man 
umsonst  seit  lange  hohe  Hoffnungen  auf  diesen  ge- 


—     155     — 

heimen  strategischen  Plan  gesetzt,  für  dessen  Aus- 
führung man  gern  die  Feindschaft  der  Schweiz  in 
den   Kauf  nahm.    Die  verachtete  Schweizer  Miliz, 
die  man  mit  einem  Fusstritt  beiseite  zu  schleudern 
meinte,  erwies  sich  kräftig  genug,  und  der  Unwille 
über   mutwillige   Schädigung  des   Schweizer  Länd- 
chens beim  rücksichtslosen  Durchmarsch  erledigte 
nun  auch  die  Frage,  ob  man  die  Miliz  offensiv  ausser 
Landes  verwenden  dürfe.    Mit  Ausnahme  der  So- 
zialisten   und   einiger  französischer  Schweizer,    die 
jedoch  wegen  eines  scheiternden  Überrumpelungs- 
versuchs auf  St.  Maurice,  das  uneinnehmbare  Fort 
der  Genfer  Grenze,  von  ihrer  Gallierzuneigung  bald 
zurückkamen,   stinmite   der   Bundesrat   dafür,   dass 
bei   solchen  2^itläuften  die  Schweiz  nicht  in  Neu- 
tralität   zurückfallen,    sondern   sich  der   deutschen 
Armee   anschliessen   müsse,   da   ihre   Existenz   bei 
Frankreichs  Sieg  in  Gefahr  schwebe.  Nur  Landsturm 
und  ältere  Jahrgänge  der  Landwehr  dürften  nicht 
ausser  Landes  marschieren.   Doch  deren  Schonung 
erwies  sich  bald  als  verfrüht,  denn  ein  frecher  Ein- 
bruch Italiens  in  den  Kanton  Tessin  zwang  zu  all- 
gemeiner Einstellung  der  Waffenfähigen.   Mit  aner- 
kennenswerter Entschlossenheit  ging  aber  die  Eid- 
genossenschaft von  ihrer  Absicht,  die  zwei  mobilen 
Milizkorps  Deutschlands  zur  weiteren  Verfügung  zu 
stellen,  trotzdem  nicht  ab.    Nur  eine  Brigade  ver- 
stärkte die  Gotthardbesatzung,  da  man  ganz  Tessin 
räumte   und   die   Landwehr  für  hinreichend   hielt, 
die  beherrschenden  Alpenpässe  gegen  das  bisschen 


—     156     — 

Italiener  zu  verteidigen.  Der  Geringschätzung:  d^ 
Schweizer  Volks  für  den  südlichen  Nachbarn  trug 
diese  Verteilung  der  Kräfte  Rechnung.  Für  streng- 
sten  Anschluss  an  Deutschland  sprach  noch  der 
ökonomische  Beweggnmd  mit,  dass  bei  Italiens  und 
Frankreichs  Feindschaft  nur  durch  Deutschland- 
österreichs Bundeshilfe  genügende  Zufuhr  für  die 
Schweiz  gewährleistet  sei,  die  bei  Aufrechterhaltung 
ihrer  Wehrmacht  auf  Kriegsfuss  erst  recht  nicht 
ihre  Bevölkerung  aus  eigenen  Hilfsquellen  ernähren 
konnte. 

Während  so  im  Süden  das  Gleichgewicht  wie- 
derhergestellt, setzte  man  schon  früher  dem  briti- 
schen Dünkel  im  Norden  einen  Dämpfer  auf.  Der 
Befehlshaber  des  Expeditionskorps  in  Antwerpen, 
Sir  Redvers  Buller,  den  trotz  seines  Tugelafiasko  eine 
hohe  Konnexion  aus  seiner  Versenkung  wieder  her- 
vorholte, hielt  Brüssel  noch  für  verbündeten  Besitz 
und  trat  daher,  wofür  ihn  kein  Vorwurf  trifft,  den 
Vormarsch  dorthin  an.  In  Antwerpen  blieb  nur  eine 
Marineabteilung  nebst  ausgeschifftem  Schiffsge- 
schütz für  die  zertrümmerten  Forts,  deren  Repa- 
ratur und  Neuarmierung  sogleich  begonnen  werden 
sollte.  Den  Einwohnern  der  volkreichen  Stadt  gab 
man  strenge  Verhaltimgsbefehle,  ihre  Ruhe  zu  be- 
wahren. Bei  weiterem  Vormarsch  staunte  Sir  Red- 
vers nur  über  völliges  Ausbleiben  von  Nachrichten 
aus  Brüssel,  beruhigte  sich  aber  damit,  dass  die 
belgischen  Truppen  bei  ihrer  Flucht  aus  Antwerpen 


—     157     — 

alle  Telegraphendrähte  zerschnitten  haben  möchten 
und  dass  ihm  via  Lille  sicherlich  Nachricht  aus 
Antwerpen  nachgeschickt  werden  würde.  Die  hel- 
lsehe Division  erreichte  die  Vorposten  der  West- 
falen in  jammervollem  Zustand,  nachdem  sie  mehr 
als  die  Hälfte  an  Ausreißsem  imd  Nachzüglern,  ver- 
lor. Letztere  verkündeten  überall  im  Lande:  „Wir 
sind  vom  König  verkauft  I  Die  Allüerten  werden 
die  Deutschen  zu  Paaren  treiben,  wenn  die  über- 
haupt sich  herwagen  I"  Doch  in  den  vlämischen 
Dörfern,  wo  man  bereits  Durchzug  deutscher  Trup- 
pen in  bester  Manneszucht  und  von  stattlichem  Aus- 
sehen erlebte,  ward  gelassen  erwidert :  „Warten  wir's 
abl''  Die  überraschende  Freudenpost,  die  sich  am 
26.  wie  Lauffeuer  durch  ganz  Belgien  verbreitete, 
dasb  die  Franzosen  völlig  aus  Belgien  hinausge- 
-worfen  seien,  verwandelte  Niedergeschlagenheit  und 
Bestürzung  der  Truppen  und  Einwohner  in  auf- 
atmende Zuversicht;  selbst  die  Wallonen  freuten  sich, 
dass  man  fortan  nicht  mehr  Kriegstheater  abgebe, 
zumal  die  französischen  Befreier  und  Freunde  bei 
ihrem  Vormarsch  recht  viel  zu  wünschen  übrig 
Hessen  und  Belgien  als  Feindesland  behandelten.  Die 
Beschiessung  und  Wegnahme  von  Antwerpen,  dessen 
Übergabe  an  England  früher  belgische  Politiker 
offen  empfohlen,  erschien  jetzt  auf  einmal  als  schnö- 
der Übergriff.  Die  Mechelndivision  und  ihre  vier 
Reiterregimenter  gingen  daher  zur  Rechten  der  West- 
falen kampflustig  mit,  selbst  die  demoralisierten 
Reste  der  Antwerpendivision  brachte  man  halbwegs 


—     158     — 

von  Brüssel  zum  Stehen.    Bei  weiterem  Vormarsch 
fand   Sir   Redvers   die   Dörfer  meist  verlassen,  da 
die   Landleute   es   vorzogen,   dem  zu    erwartenden 
Gefecht  nicht  beizuwohnen.    Von  Gutwilligkeit  auf- 
gegriffener  und  ausgefragter  Einwohner  war  wenig 
zu  bemerken,  sie  schnitten  saure  Mienen  luid  graben 
mürrisch   unklaren   Bescheid.    Zwar  sickerten    Ge- 
rüchte  durch,   die   Deutschen   ständen   in    Brüssel, 
es  sei  irgendwo  eine  Schlacht  geschlagen,  doch  mass 
der  englische  Kommandierende  dem  keine  Bedeu- 
tung bei,  da  er  in  diesem  Fall  sicher  von  französi- 
scher Seite  diesseits  der  Sambre  um  Kooperatioii 
angegangen  sein  würde.   Die  Möglichkeit,  die  Fran- 
zosen seien  schon  jenseits  der  Sambre  ausser  Spiel, 
dämmerte   ihm  natürlich   nicht.    So   zog    sich   ein 
Netz  um  ihn  zusanunen.   Am  27.  mittags  meldeten 
die   Scots    Greysdragoner   und   die   Walliser    Füsi- 
liere, die  seine  Vorhut  bildeten,  man  sehe  auf  der 
Ebene    grosse    Staubwolken    aufsteigen    wie     von 
Marschsäulen.    „Das   müssen   Franzosen   sein,     die 
Verbindung  mit  uns  aufsuchen  I"  entschied  sich  BhI- 
1er  sorglos  und  liess  den  Vormarsch  nicht  einstellen, 
nur  näher  aufschliessen  und   Fühlung  seiner    Bri- 
gaden  unter   sich  aufnehmen.    Auf   den    Flanken, 
seiner  Meinung  nach  sicher  durch  französische  Stel- 
lungen gedeckt,  pürschten  nur  wenige  ,SGOuts'   das 
Gelände  ab.   Doch  eine  halbe  Stunde  später  krönte 
sich  der  Horizont  mit  weissen  Wölkchen,  imd  ein 
Adjutant,  im  Automobil  heransausend,  meldete  er- 
regt, die  Vorhut  bemerke  Feindesaufmaxsch.  £s  war 


—     159     — 

die  14.  Division,  die  den  Briten  unmittelbar  frontal 
entgegenkam,  nebst  der  auffahrenden  Korpsartillerie, 
deren  Granaten  schon  allenthalben  zwischen  und 
in  die  tiefen  Glieder  der  Marschkolonne  einschlu- 
gen. Nach  einem  Augenblick  der  Konfusion  ent- 
wickelten diese  sich  rasch  zum  Gefecht,  sich  mög- 
lichst auseinanderziehend,  was  im  Bereich  der  deut- 
schen Kanonade  natürlich  viele  Opfer  kostete.  Man 
war  förmlich  überrumpelt  und  nicht  imstande,  noch 
Schützengräben  aufzuwerfen  und  sich  ordnungsge- 
mäss einzubuddeln.  Doch  nahmen  die  Briten  den 
aufgedrungenen  Kampf  mit  ruhiger  Fassung  an,  an 
Rückzug  dachte  niemand. 

„Das  ist  eine  von  Brüssel  abgedrängte  Kolonne, 
die  man  uns  franzosischerseits  zutreibt,  oder  ein 
deutsches  Manöver,  ims  am  Eingreifen  in  eine  Feld- 
schlacht bei  Brüssel  zu  hindern,"  lautete  Bullers 
Urteil.  „Dann  wollen  wir  für  ein  neues  Waterloo  die 
damalige  Rolle  des  Marschall  Blutscher  (Blücher) 
spielen.  In  jedem  Fall  vorwärts  1"  Die  Schützen 
schwärmten  aus,  die  gutbediente  Feldartillerie  er- 
widerte die  deutschen  Eisengrüsse  nach  Noten.  Jene 
lächerlich  falsche  Vorstellung,  die  man  sich 
auf  dem  Kontinent  vom  britischen  „Söldner"  und 
seiner  angeblichen  taktischen  Unfähigkeit  im 
Transvaalkrieg  gebildet  —  bei  absonderlich  aus- 
sichtslosen Kämpfen  gegen  meisterlich  gedeckte  Mei- 
sterschützen, die  jeder  Annäherung  immer  femer 
auswichen  —  schwand  hier  gar  bald.  Das  nie- 
derdrückende   Gefühl,   einem  unsichtbaren,    wenig 


—     160     — 

mutigen  Feind,  der  sich  nie  aus  Deckungen  vor- 
wagte und  bloss  retirierte,  als  Scheibe  dienen  xa 
müssen,  hatte  damals  britische  Truppen  mit  Ver- 
lust von  ntu*  zwölf  Prozent  zum  Weichen  gebracht 
Jetzt  aber  zeigte  sich,  dass  die  Zeiten'  von  Albuera 
und  Waterloo,  wo  unter  Verlust  der  Hälfte  und  von 
zwei  Dritteln  der  Streitbaren  die  Briten  das  Feld 
behaupteten,  durchaus  nicht  vorüber  waren.  Auch 
fochten  die  britischen  Schützenschwärme  gewandter 
als  man  erwartete,  ihre  Rifles  schössen  ebenso  sicher 
und  gut  wie  ihre  Maxims  und  Geschütze.  Gleichwohl 
stellte  sich  die  gründlichere  militärische  Ausbildung 
und  bessere  Erfahrung  iQi  grossen  Feldkrie^  auf 
deutscher  Seite  so  bald  heraus,  dass  schon  nach 
einstündigem  Schützengefecht  Sir  Redvers  seine  Re^ 
serve,  die  schottische  Hochlandsbrigade  der  altbe- 
rühmten Regimenter  Gordon  und  Cameron,  vorholen 
musste,  um  in  sogenanntem  „Bajonettangriff*  das 
wankende  Vordertreffen  mit  vorzureissen  und  dem 
stehenden  Feuerkampf  gegen  vorteilhaftere  Aufstel- 
lung der  deutschen  Linie  ein  Ende  zu  machen. 

Pibrochs  der  Dudelsackpfeifer  gellten,  die  grün- 
roten Tartans  flatterten  im  Wind.  Mit  unübertrefflicher 
Tapferkeit  drangen  die  Highlanders  mehrfach  zwi- 
sehen  die  deutschen  Linien  ein,  nahe  an  die  Bat- 
teriestände heran.  Ein  dröhnender  Cheer:  ,Scotland 
for  everl  Hurra  for  Old  England!"  der  ganzen»  vor- 
stürzenden britischen  Infanterie  schien  das  kernige 
Hurra  der  Westfalen  ersticken  zu  wollen.  Zum  ersten 
Male  prallten  hier  die  beiden  kriegerischen  Germanen- 


OPERATION  DER  SUDARMEEN. 


ffmiSsisdteltkstPe 


^^ 


—     161     — 

Stämme  gegeneinander,  mit  Kelten  gemischte  Anglo- 
sachsen gegen  ihre  wahren  Altvordern  und  näch- 
sten Stammverwandten,  die  Niedersachsen.  Eine 
Zeitlang  schwankte  der  Kampf.  Obschon  aber  in 
Betracht  kam,  dass  sich  sehr  viele  Veteranen  aus 
Transvaal  und  Sudan  in  den  englischen  Reihen  be- 
fanden, während  die  deutschen  Rekruten  sämtlich 
zum  ersten  Male  Pulver  rochen,  machte  sich  die 
grössere  Gewandtheit  und  straffere  militärische  Er- 
ziehung der  deutschen  Volksmannen  bei  ebenbürtiger 
kaltblütiger  Standhaftigkeit  zuletzt  geltend.  Das 
überlegene  Feuer  der  deutschen  Artillerie  mähte 
die  Briten  reihenweise  nieder,  deren  Maxims  und 
Nordenfeldts  allerdings  auch  mörderisch  spielten. 
Als  Buller  eben  Abbrechen  des  ungleichen 
Kampfes  erwog,  meldeten  ihm  schreckensbleich  her- 
ansprengende Scouts,  dass  schon  hinter  seinen 
beiden  Flanken  bedeutende  Massen  ständen:  hinter 
der  rechten  die  13.  Division,  hinter  der  linken  die 
Belgier.  Ausser  sich,  schrie  der  englische  General 
verwirrte  Befehle  und  suchte  seine  engagierten  Trup- 
pen aus  dem  Frontalgefecht  herauszuziehen.  Aber 
die  Westfalen  packten  fest  zu,  Kanonendonner  von 
beiden  Seiten  verkündete  die  Umfassung  imd  bei 
allem  angeborenen  Löwenmut  konnten  die  britischen 
Truppen  sich  nicht  dem  Eindruck  entziehen,  dass 
sie  verloren  seien.  Die  zum  Teil  noch  intakte  Ma- 
rinebrigade, Bullers  Elitedivision  attachiert,  besetzte 
eine  Hügelwelle  nach  Westen,  um  so  lange  wie  mög- 
lich die  13.  Division  abzuwehren,  in  der  Front  opferte 

Völker  Europas  .  .  . !  II 


—     162     — 

sich  die  britische  Kavallerie  in  einem  Todesritt,  der 
die  waterlooberühmten  Scots  Greys  und  jenes  bei 
Omdnrman  so  glänzend  fechtende  Lancerreg^ent 
vom  Erdboden  vertilgte.  Die  Masse  der  fast  um- 
zingelten Division,  unwillkürlich  in  dichte  Kolomie 
zusammengeballt,  durchbrach  die  Belgier  und  zog 
längs  ihrer  und  der  nachstossenden  14.  Division 
langer  Feuerfront  nach  Nordosten  ab,  mit  eiserner 
Entschlossenheit  allen  damit  unausbleiblich  verbun- 
denen Blutverlust  verbeissend.  In  wildem  Gewalt- 
marsch, während  die  Marines  und  die  als  Nachhut 
ausharrende  »Schwarze  Wache*  der  Welsh  Fusi- 
leers,  so  gut  wie  vernichtet,  samt  fünf  sich  opfernden 
Batterien  imd  zahlreichen  Maxims  endlich  die  Waffen 
streckten,  wurden  bei  Ende  der  Nacht  die  Aussen- 
forts  von  Antwerpen  erreicht.  Todmüde  sanken  dort 
ganze  Haufen  zu  bleiernem  Schlafe  nieder.  Kaum 
graute  der  Morgen,  als  die  Vorposten  der  Deutschen 
erschienen,  deren  Kavallerie  im  Verein  mit  der  bei- 
gischen  noch  viele  Nachzügler  und  sonstige  Gefan- 
gene aufgriff,  den  ganzen  Train  imd  Geschützpark 
nebst  zwei  bespaimten  Batterien  erbeutete.  Die  noch 
nicht  genügend  ausgeflickten  und  kaum  annierten 
Forts  boten  keinen  Stützpunkt.  So  signalisierte  Vize- 
admiral Sir  Charles  Drury  auf  die  Schreckenskunde 
dem  verzweifelten  und  ganz  gebrochenen  General 
Buller,  dessen  John  BuU-Stiernackigkeit  zum  zweiten 
Male  englische  Truppen  ins  Verderben  brachte,  er 
werde  Deckung  sofortiger  Einschiffung  übernehmen. 
Es  entspann  sich  nun  ein  eigentümlicher  Kampf. 


—     163     — 

insofern  die  deutschen  Feldbatterien  zwar  im  Um- 
kreis den  Hafen  beherrschten,  aber  die  grösstenteils 
ausserhalb   auf   hoher   See   schwimmenden    Panzer 
nicht  zu  erreichen  vermochten,  deren  furchtbare  so 
viel   weiter  reichende   Dreissigzentimeter  nach   der 
Karte  schössen  und  in  jeder  zu  weit  vorgewagten 
Feldbatterie    grauenhafte    Verheerung    anrichteten, 
jede  geschlossene  Formation  des  andrängenden  Fuss- 
volks  vor  den  Forts  verboten.    Als  aber  nach  ver- 
zweifeltem Widerstand  der  nachhutbildenden  Gor- 
don Highlanders  die  von  Breschen  klaffenden  Forts 
in  deutsche  Hände  fielen  und  die  dort  zur  Neuar- 
mierung eingefügten  Schiffsgeschütze,  deren  Marine- 
kanoniere  sämtlich   tot  und  verwimdet  am  Boden 
lagen,  ohne  ihre  Stücke  vorher  alle  vernageln  zu 
können,    teilweise   herumgedreht    und    gegen    ihre 
eigenen    Panzerschiffe    gerichtet    wurden,    stiegen 
deutsche   Schützenlinien  überall  zum   Hafen  herab 
und  eröffneten  auf  die  enteilenden  Schaluppen  der 
britischen  Einschiffung  ein  entsetzliches  Schnellfeuer. 
Zwei    ankernde    Panzerkreuzer,     ,Latona',    ,Sutlej*, 
behaupteten  freilich  heldenmütig  ihren  Standort  und 
fügten  den  aufgelösten  deutschen  Schützenlinien  noch 
grosse  Verluste  zu,  bis  sie  durch  konzentrisches  Hau- 
bitzfeuer der  Feldgeschütze  und  der  eigenen  Schiffs- 
kanonen der  Forts  buchstäblich  in  die  Luft  flogen. 
Auf    Fort    Bath   schon   ausgeschiffte   Artillerie 
schleuderte  gleichfalls  Shrapnels  und  Granaten  her- 
über, so  dass  dauerndes  Besetzen  des  Strandes  zu- 
letzt unmöglich  wurde  und  die  Reste  der  unglück- 

II* 


—     164     — 

liehen  Division  nach  Walcheren  und  von  da  aui 
ihre  Transportdampfer  entkamen.  Ein  Teil  blieb 
jedoch  abgeschnitten  zurück,  viele  Schaluppen  sanken 
unter  Granattreffern,  an  Bord  der  anderen  führte 
man  noch  viele  frische  Tote  und  Verwundete  mit 
während  die  Masse  aller  früher  Verwundeten  mit 
den  Ambulanzen  in  Gefangenschaft  fiel.  Der  Sehen 
kostete  den  Engländern  im  ganzen  siebentausend 
Tote  und  Verwundete,  dreitausend  unverwundet  Ge- 
fangene, sechsundfünfzig  Feldgeschütze  und  die  g& 
samte  sonstige  Ausrüstung,  ausserdem  siebzehn 
Schiffsgeschütze  in  den  Forts.  Die  Deutschen  be- 
zahlten den  erstaunlichen  Erfolg  mit  viertausend 
Mann,  die  Belgier  wollten  auch  tausend  verlorer. 
haben. 

Die  vom  ,Figaro*  einst  denunzierte  friedliche 
Teutonisienmg  durch  Handelseinfluss  .  trat  jetzt 
hervor:  Da  der  ^  britische  Admlral  bei  seinem 
Bombardement  natürlich  auch  die  Stadt  nicht 
schonen  konnte  und  dort  mehrere  Feuersbrünste  aus- 
brachen, schlug  die  vorher  apathische  Stimmung 
Antwerpens  ins  Gegenteil  um.  Man  jubelte  den  Deut 
sehen  aufs  herzlichste  zu.  Das  Ansinnen,  selbständige 
Bürgerwehr  fortan  zum  Schutz  der  Forts  zu  stellen, 
ward  bereitwillig  entgegengenommen.  Am  28.  abends 
gehörte  Antwerpen  dem  am  26.  in  Brüssel  ernannten 
„Generalgouvernement  der  deutschen  Okkupations 
armee",  das  „im  Namen  Sr.  Majestät  des  Königs  der 
Belgier"  das  Land  militärisch  administrieren  sollte. 
Natürlich  schwand  ja  für  Antwerpen  selber  keines- 


—     165     — 

wegs  die  Gefahr,  da  das  britische  Geschwader,  bei 
dem  bald  darauf  auch  ein  französisches  eintraf,  die 
Blockade  beibehielt  und  am  30.  ein  neues  grausam.es 
Bombardement  eröffnete.  Man  hatte  die  Hafenvor- 
stadt eiligst  ausgeräumt,  so  dass  sie,  in  Flammen 
aufgehend,  wenigstens  nicht  mobiles  Eigentum  und 
Leben  der  Bewohner  begrub.  In  die  eigentliche 
Stadt  fielen  riesige  Sprenggeschosse  genug,  töteten 
auch  fünfzig  Einwohner,  was  aber  nur  die  Erbitterung 
vermehrte  und  für  künftig  verstärkte  verbesserte 
Löschvorrichtungen  der  Pompiers  verursachte.  Die 
Forts  litten  wieder  nicht  wenig  und  wurden  von 
Besatzung  geräumt,  da  die  teilweise  noch  nicht  ent- 
nagelten Geschütze  den  Kampf  doch  nicht  fortsetzen 
konnten.  Doch  jeder  Schuss  der  schweren  Schiffs- 
rohre kostet  nicht  nur  eine  hübsche  Sunune,  sondern 
bringt  auch  die  Rohre  selber  dem  Springen  näher, 
ein  Ende,  das  bei  zu  üppiger  Verwendung  jedem 
modernen  Geschütz  schwersten  Kalibers  droht.  Dieser 
Gesichtspunkt,  den  man  bei  Furcht  vor  dauernden 
Bombardementwiederholungen  viel  zu  wenig  im  Auge 
behält,  bewog  Sir  Charles  Drury,  von  fernerer  Be- 
schiessung  so  lange  abzulassen,  bis  die  britische 
Oberleitung  ,einen  neuen  Landungsversuch  verfüge. 
So  behielt  man  Zeit,  Antwerpen  in  besseren  Ver- 
teidigungszustand zu  setzen.  Tag  imd  Nacht  arbeitete 
die  zum  Kriegsdienst  herangezogene  Zivilbevölkerung 
an  Ausbesserung  und  weiterer  Verstärkung  der  Forts, 
für  welche  Festungsgeschütz  aus  Wesel  imd  Deutz 
in  nächster  Woche  herbeigeschafft  wurde.    Ausser- 


—     166     — 

dem  legte  man  am  Strande  leichte  Feldbefestig^ungen 
und  Batteriebestände  an,  da  Erfahnmg  lehrte,  dass 
Erdaufwürfe,    Papierrollen,    Baumwollenballen    dem 
Geschosshagel  besser  widerstehen,  als  feste  Gegen 
stände  aus  Stein  und  Holz.    Als  Garnison  blieb  nur 
die   27.    Brigade   zurück   nebst   drei   Genie-,      neun 
Festungsartilleriekompagnien.    Das  übrige  sollte  die 
von  deutschen  Unteroffizieren  täglich  gedrillte  Na- 
tionalgarde besorgen.  Schon  am  5.  Juni  standen  die 
übrigen  drei  westfälischen  Brigaden  und  sämtliche 
belgische   Reguläre  nebst  der  vereinten   Kavallerie 
bereit,  als  Rechte  der  Nordarmee  weitere  Offensive 
nach  Frankreich  über  Gent-Courtray  hineinzutrageit 
(72.  Lothr.  Brig.  früher  von  Paderborn  nach  Metz.; 
Noch  schlimmer  erging  es  dem  andern  britischen 
Expeditionskorps.      Der    kommandierende     General 
Lord  Methuen,  gleichfalls  aus  dem  Burenfeldzug  be< 
kannt,   früher   Militärattache  in   Berlin,  auch   beim 
Niedermetzeln    der    Ägypter    Arabi    Paschas    vor 
Alexandrien  als  Brigadechef  bekannt  geworden,  be- 
fand sich  soeben,  am  27.  nachmittags,  im  Vorrücken 
auf  Amsterdam,  kaum  dass  er  sein  Hauptquartier 
im  königlichen  Palais  des  Haag  genommen.  Funken- 
telegraphie  meldete  ihm  den  ,Erfolg*  der  Zuydersee- 
Eskadre,  die  auf  Nordsee  Harlemkanal  nicht  femer 
beschiessen  wollte,  um  die  Holländer  nicht  unnütz 
zu  erbittern.    Friedliche  Besetzung  der  grossen  Han- 
delsstadt durch  Methuen  von  der  Landseite  schien 
richtiger,  rasche  Beschlagnahme  ihrer  reichen  Hilfs- 
quellen erwünscht.   Dort  läuteten  alle  Sturmglocken. 


—     167     — 

Zerstörung  vieler  holländischen    und    fremden 
Schiffe  im  Kanal,  deren  Ladung  zwar  grösstenteils 
noch  rechtzeitig  an  Land  gelöscht,  imd  Verbrennung 
der  Hafenanlagen  von  Texel  und  Harlingen  hatte 
anfangs  bei  den  in  trägem  Wohlleben  erstickenden 
Mynheers,  deren  obere  Schichten  sonst  von  hervor- 
ragendem Büdtmgsstand,  Wehklagen  über  die  Regie- 
rung  erregt,    die   Holland   nicht    dem    Schutz   des 
übermächtigen   England   anvertrauen   wolle.    Doch 
danüt  mischte  sich  Empörung  über  das  schonungs- 
lose Verfahren  Englands,  das  doch  freundlich  mit 
Glacehandschuhen  die  zu  friedlichem  Empfang  be- 
reite Stadt  hätte  anfassen  sollen.    Neben  Patrioten, 
die  daran  erinnerten,  dass  im  Grunde  England  immer 
Hollands  Erbfeind  gewesen  und  durch  brutal  neidi- 
sche Rivalität  dessen  einstige  Grossmacht  ruinierte, 
erhob  sich  der  Pöbel  mit  teils  unklar  patriotischem 
Gebrüll  „Tod  allen  Fremden  1",  teils  mit  sozialisti- 
schen, teils  mit  einfachen  Plünderungsgelüsten.  Die 
Trommeln   der   Bürgerwehr,   die  sich  organisierte, 
wirbelten  durch  alle  Grachten.  In  dies  Tohuwabohu 
platzte  die  doppelte  Kunde  hinein,  dass  die  Briten 
schon  im  Haag  ständen,  dagegen  grosse  deutsche 
Massen  nebst   der   holländischen   Streitmacht    von 
Utrecht  unterwegs  zum  Entsatz  seien.  Dazu  ein  Auf- 
ruf der  Königin  an  ihr  treues  Volk,  Amsterdam  so 
lange  zu  halten,  womöglich  mit  Barrikadenbau,  bis 
die  Deutschen  da  seien,  deren  Flankenmarsch  die 
britische  Landungskolonne  mit  Untergang  bedrohe. 
Die  Stadt  erhob  sich  wirklich.   Als  die  ersten  engli- 


—     168     — 

sehen  Schwadronen  und  Velo-Riflemen  herannahten, 
fanden  sie  alle  Schlagbäume  und  Schleusentore  ge- 
sperrt, die  Kanäle  unter  Wasser,  Schüsse  fielen  aus 
den    nächsten    Vorstadtvillen.     Die    britische    Vor- 
hut machte  sich  zum  Ang^riff  fertig.   Doch  was  war 
das?    Zunehmende  Füsillade  vom  jenseitigen   Rand 
des  Amstellcanals  in  ihre  Flanke  verriet,  dass  dort 
wirkliche  Soldaten  angelangt  seien.  Tatsächlich  lang- 
ten die  Spitzen  der  20.  Division  noch  rechtzeitig  an, 
holländische  Kavallerie  ritt  in  die  Stadt  und  verkün- 
dete, dass  von  der  Landseite  die  Gefahr  vorüber  sei. 
Lord  Methuen,  in  Britenzom  über  die  Frechheit 
der  fremden  Stadt,  sich  dem  Einzug  britischer  Welt- 
gebieter zu  widersetzen,  befahl  sofortiges  Femfeuer 
der  Artillerie  nach  Amsterdam  hinein  und  entwickelte 
sich  zum  Angriff  im  Gewirr  der  Kanäle,  an  deren 
feuchten  Wiesen  und  sumpfigen  Rändern  allmählich 
immer  mehr   deutsche   Schützen  auftauchten.    Aus 
dem   satten   Grün   blitzte  es   überall,   obschon    das 
rauchschwache  Pulver  nirgendwo  den  Standort  deut- 
lich erkennen  liess.  Mit  schlagenden  Trommeln  und 
dem  Spiel  der  Pfeifer  stürzten  die  Briten  sich  vor, 
erstürmten  die  nächsten  Pachthöfe,  Windmühlen  und 
Villen,   erhielten  aber  so  zunehmendes  Feuer,   nun 
auch  von  verdeckten  Schnellfeuerbatterien,  dass  sie 
atemschöpfend   stillhielten.    In    diesem  Augenblick 
erhielt  Methuen,  während  sein  zweites  Treffen  noch 
aus  dem  Haag  debouchierte,  eine  so  merkwürdige 
Kunde,  dass  er  sich  betroffen  eines  besseren  besann 
und   überall  Halt  machen  liess.     Um    seine  Basis 


—     169     — 

Waterweg  war  er  nämlich  um  so  weniger  besorgt, 
als  er  dort  Ankunft  seiner  zweiten  Division  in  Bälde 
erwartete  und  ein  Ausgreifen  deutscher  Kräfte  dort- 
hin, deren  Vormarsch  Arnhem-Emmerich  er  bisher  nur 
vernahm,  gänzlich  unmöglich  schien.  Jetzt  aber  kam 
telephonischer  Rapport,  dass  die  schwachen  vor 
Rotterdam  landwärts  vorgetriebenen  Posten  sich 
grrossen  Massen  gegenübersähen,  die  aus  Nordosten 
herabkämen  imd  deren  etwaiges  Eingreifen  aus  Süd- 
osten gegen  Methuen  befürchtet  werden  müsse.  In 
der  Tat  hatte  die  19.  Division  in  einem  Gewaltmarsch, 
der  an  ihre  Leistung  bei  Mars  la  Tour  erinnerte, 
längst  den  Briten  die  Flanke  abgewonnen  imd  griff 
immer  mehr  in  deren  Rücken  aus.  Die  deutsche  und 
holländische  Kavallerie  ging  ihr  voraus  und  streifte 
bald  die  Küste  entlang,  die  Verbindung  mit  dem 
Haay  unterbrechend.  Auf  Dünenknicks  hoben  sich 
vor  den  ankernden  englischen  Transportdampfem 
im  Waterweg-Hafen  ferne  Reiterstandbilder  ab,  die 
hernach  lebendig  wurden  und  frohlockend  Karabiner- 
schüsse mit  der  spärlichen  Bemannimg  austauschten. 
Als  sich  Methuen  über  seine  Lage  klar  wurde,  dass 
er  weder  bei  Leyden-Harlem  zur  Zuydersee  durch- 
brechen, noch  wahrscheinlich  Waterweg  wieder  er- 
reichen könne,  blieb  ihm  nur  die  Wahl,  die  Trans- 
portflotte nach  der  Scheveninger  Gegend  herzurufen 
und  sich  im  Haag  so  lange  zu  halten,  bis  er  dort  an 
unsicherem  Strande,  die  Dampfer  hinter  sich,  eine 
wahrscheinlich  nur  per  Boot  mögliche  Einschiffung 
versuchen  könne. 


—     170     — 

Gleichzeitig  setzte  er  sich  mit  dem  Zuyder-Ge- 
schwader  in  ununterbrochenen  Verkehr  durch  draht- 
lose Telegraphie,  sofortige  Unterstützung  durch  die 
Flotte  erbittend.  Betroffen  antwortete  Rearadmiral 
Neville:  ,,Sende  sofort  Hälfte  memer  Eskadre  zur 
Deckung,  mache  mit  der  andern  starke  Demonstra- 
tion gegen  Amsterdam,  um  Aufmerksamkeit  abzu- 
lenken." £r  hielt  für  angebracht,  nördlich  die  aus- 
geschiffte Strandbatterie  Feuer  eröffnen  zu  lassen« 
fuhr  tiefer  in  die  Bucht  östlich,  legte  westlich 
sich  quer  vor  Y-Muiden,  wo  weder  Minen  noch  Tor- 
pedos die  Kanalforts  unterstützten.  Dies  Fem- 
feuer hatte  nur  den  Erfolg,  Amsterdam  in 
einen  Taumel  patriotischer  Wut  zu  versetzen, 
mit  lautem  Geschrei  über  die  völkerrechtswidrige 
Behandlung  einer  offenen  Handelsstadt.  Königin 
Wilhelmine,  soeben  inmitten  einer  Schw^ron 
schwarzgelber  Braunschweiger  Husaren  einfahrend, 
steigerte  durch  ihre  anmutige  Erscheinung  diese 
Stimmung.  Von  allen  Firsten  und  Simsen  der  violett 
und  kaffeebraun  angestrichenen  Häuser  oder  ziegel- 
roten Backsteintürmchen,  von  allen  Wipfeln  der  matt- 
grün rostfarbigen  Baumalleen  der  Kanalgrachte  winh 
pelte  die  rotgelbe  Nationalflagge.  Das  Volkslied 
,Oranje  Boven'  entstieg  unzähligen  Kehlen,  von  un- 
zähligen Oranjebitters  und  anderen  Kolonialschnäpsen 
begossen.  Ein  Caf  ^besitzer  zeigte  in  Saandam  das  Loch 
seiner  Porzellanwandmalerei,  wo  ein  Bombensplitter 
hineintraf  und  einen  Bambusstuhl  zerspellte,  und  for- 
derte zur  Rache  für  solche  Untat  auf.   Die  Amster- 


—     171     — 

damer  Extrablätter  über  britische  Barbarei  wanderten 
durchs  kleine  Ländchen  zwischen  Rhein  und  Scheide, 
die  Deutschen  als  Retter  in  der  Not  feiernd.  Der 
deutsche  Korpskommandant  liess  sich  übrigens  nicht 
beirren,  auch  nicht,  als  ein  Marinekommando  am  alten 
Arsenal  landete,  sondern  warf  nur  in  die  von  Bürger- 
miliz  wimmelnde  Stadt  das  Braunschweiger  Infanterie^ 
regiment  nebst  einer  Haubitzbatterie,  die  sich  gegen 
die  Strandbatterie  eingruben  und  allmählich  vor- 
schoben. Mit  drei  deutschen  und  vier  holländischen 
Regimentern,  die  seitwärts  der  Stadtenceinte  defi- 
lierten, drängte  er  Methuen  imablässig  nach,  dessen 
^Eilmarsch  rückwärts  bereits  die  Scheveningen  be- 
rührende Kavallerie  von  Südosten  her  belästigte.  Bei 
der  19.  Division  traf  per  Feldtelegraph  die  Kunde 
vom  Sieg  der  Westfalen  und  bevorstehender  Einnahme 
Antwerpens  ein  und  erhöhte  die  Spannkraft.  Mit  Auf- 
bietimg  aller  Kräfte  marschierte  man  küstenaufwärts, 
nur  zwei  Bataillone  und  eine  Batterie  nach  Water- 
weg entsendend,  um  dort  den  Landeplatz  für  weitere 
britische  Transporte  zu  sperren.  Doch  erreichte  man 
erst  abends  Flanke  und  Rücken  der  britischen  Auf- 
stellung am  Haag. 

Dort  setzte  sich  bisher  der  energische  Methuen 
mit  Umsicht  zur  Wehr,  die  Seinen  fochten  mit  fin- 
sterem Ingrimm.  Jeder  Tommy  Atkins  kennt  die 
fabelhafte  Mär  von  Sir  John  Moores  Rückzug  nach 
Corufia,  mit  britischer  Prahlerei  ausgeschmückt,  und 
schmeichelte  sich,  es  jenen  Ahnen  gleichzutun  und 
die  Verfolger  bis  zum  Eintreffen  der  Transportfahr- 


—     172     — 

zeuge  noch  vorher  tüchtig  durchzuwalken,  wie  falsche 
britische  Historie  es  darstellt.  Doch  lässt  sich  nicht 
leugnen,  dass  auch  hier  Beispiele  von  unbeug^samem 
Mannesmut  sich  zeigten,  wie  sie  uns  das  schlichte 
Tagebuch  des  Korporals  Harris  über  den  Moor  eschen 
Rückzug  verewigte.  Nichtsdestoweniger  liess  äch 
nicht  ändern,  dass  vor  Tagesschluss  alle  Aussen- 
stellungen  nacheinander  genommen  wurden  und  die 
britischen  Truppen  durch  die  Avenuen  des  schmucken 
Residenzstädtchens  zum  Strande  rückwärts  ström- 
ten. Die  Badeanlagen  von  Scheveningen  bildeten 
schon  ein  Trümmerwrack,  und  dem  deutsch^i  Par- 
lamentär trug  Methuen  auf,  Kapitulationsaufforde- 
rung hochmütig  ablehnend :  „Sagen  Sie  Ihrem  Chef, 
dass  ich  eventuell  den  Haag  niederbrennen  werde, 
um  Feuerschranke  zwischen  mir  und  dem  Feind 
zu  errichten.  Ich  bin  zu  allem  entschlossen,  bri- 
tische Truppen  ergeben  sich  nicht,  gewiss  nicht  un- 
ter meinem  Kommando."  In  deutscher  Sprache  fügte 
er  hinzu:  „Eure  Berliner  Zeitimgen  haben  mich  da- 
mals genug  beschimpft,  ,Maggersfontain'  wie  eine 
feige  Feldflucht  verhöhnt.  Ihr  werdet  sehen,  was 
von  euren  Dummheiten  wahr  ist."  Wirklich  liessen 
sich  die  um  Pardon  winkenden  weissen  Taschen- 
tücher, womit  laut  deutschen  und  französischen  Be- 
hauptungen ganze  Abteilungen  im  Burenkrieg  beim 
ersten  Verlust  die  Waffen  streckten,  nirgendwo 
sehen,  auch  nicht,  als  der  deutsche  Kommandierende 
trotz  Erschöpfung  seiner  marschmüden  Truppen  er- 
neuten Nachtangriff  beschloss.   So  wollte  man  den 


—     173     — 

Feind   zur   Strecke  bringen,   ehe  die    Einschiffung 
sich   vollzog,   da  man  telephonisch  aus  Waterweg 
<ias   Abdampfen   der  Transportflotte  erfuhr,   deren 
Lichter  auch  schon  draussen  auf  See  gesichtet  wur» 
den.    Mit  dem  Niederbrennen  des  Haag  hatte  es 
gute  Weile,  da  das  jähe  Eindringen  der  Deutschen, 
die  jetzt  selber  jede  Artillerieverwendung  aus  Rück- 
sicht auf  die  Holländer  vermieden,   ein  regelrech- 
tes Anzünden  immöglich  machte.    Doch  litten  viele 
Palais  imd  Villen  grausam  unter  dem  grausen  nächt- 
lichen Strassenkampf,  von  schwachen  Bränden  fahl 
beleuchtet.     Als    der   Morgen   anbrach,    war    kein 
Brite  mehr  im  Haag,  alles  zur  Küste  hinabgewor- 
fen, wo  die  Transportdampfer  bei  hohem  Seegang 
sich    nicht   nahe   herantrauten,   sondern   nur    eine 
Menge   Boote  aussetzten.    Gleichzeitig   hoben   sich 
aber    die    Panzerimgetüme    der    Zuyderflotte    aus 
der  Flut  und  öffneten  den  glühenden  Mund  ihrer 
Stückpforten  gegen  die  rechte  Flanke  der  Bedrän- 
ger, die  hier  etwas  auswichen  und  somit  der  Ein- 
schiffung Raum  geben  mussten.  Da  aber  die  Schiffe 
bald  nur  langsam  und  bedächtig  feuerten,  um  nicht 
das  im  Meemebel  undeutlich  verschwimmende  Ein- 
schiffungsgewimmel der  eigenen  Truppen  zu  gefähr- 
den   so  fuhren  die  deutschen  Batterien  bald  sehr 
nahe  an  der  Düne  auf  und  richteten  ihre  Geschosse 
gegen   die   Transportdampfer.    Mehrere   kenterten, 
gingen    imter,    in    den    Grund    geschossen,     ihre 
Masten  und  Raen  umspielten  auflodernde  Flammen. 
Auf  der  weithin  bestrichenen  Meerfläche  sank  ein 


—     174     — 

Boot  bach  dem  andern,  Schwimmer  und  Ertrunkene 
füllten  die  Wellen.  Eine  Schaluppe  und  ein  ^osses 
viereckiges  Floss,  mit  Fahrzeugoi  und  Protzen  be- 
laden,  schlugen  um  tmd  entleerten  ihre   kostbare 
Last  in  die  Tiefe.    Ununterbrochenes  Schnellfeuer 
der  „verbesserten"  deutschen  Gewehre  neuster  Ver- 
vollkommnung entmannte  endlich  die  verzweifelt  den 
Strand  haltenden  Streiter,  der  Union  Jack   senkte 
sich  nieder.    Der   Hauptteil  der   schönen    Division 
mit  dem  verwundeten  Lord  Methuen  selber,  dessen 
hochgewachsene  stolze  echtbritische  Erscheinun^r,  ein 
Vorbild  ritterlichen  Mutes,  jetzt  in  finsterem  Missmut 
abseits  stand  tmd  Beileidsbezeugung  ihm  privatim  be- 
kannter deutscher  Generale  nur  durch  herablassendes 
Kopfnicken    beantwortete,    wanderte  gefangen  zum 
Haag  zurück.  Von  dem  Rest  auf  den  Booten  rettete 
sich  nur  ein  Teil  unter  Beihilfe  bemannter  Dampf- 
pinassen der  Panzerschiffe,  ilie  mit  Rifles  tuid  Re- 
volverkanonen kaltblütig  den  Strand  unter  Schuss 
nahmen.    Da  jetzt   die   Granatkolosse   der    Kriegs* 
flotte  wie  Feuerdrachen  heransausten,  mehrere  Feld- 
geschütze sofort  zertrümmerten,   eine   Batterie   mit 
Mann  und  Maus  wegputzten  imd  auch  die  hanno- 
verschen Bataillone  übel  mitnahmen,  zogen  die  Sie- 
ger sich  ausser  Schussbereich  bis  hinter  den  Haag 
zurück.    Von  zwölftausend   Mann,   mit  denen    Me- 
thuen   ausgerückt,    kehrten    nur  zweitausend  nach 
England  heim.    Die  ganze  Artillerie  ging  verloren. 
Dazu  kam  der  Schaden  an  Transportdampfem  imd 
Booten.    Die  Deutschen,    todmüde  auf  ihren   Lor- 


—     175     — 

beeren  ausruhend,  verloren  noch  nicht  zweitausend, 
die    Holländer  vierhundert  Mann. 

Als  am   28.   mittags   die   neue   Transportflotte 
mit   Methuens  zweiter  Division  von  Waterweg  ge- 
meldet wurde,  ging  der  allgemeine  Wunsch  dahin, 
auch    diese    Truppe    ruhig    landen   zu   lassen,    um 
sie    dann    gleichfalls    aufzuheben.      Lieut.    General 
Knox    schien    aber    Unrat    zu    merken    und   setzte 
nur  ein  paar  Boote  ans  Land,  um  sich  nach  Ver- 
bleib der  anderen  Transportflotte  zu  erkundigen.  Ob- 
schon  die  dort  postierten  zwei  Bataillone  auf  eilige 
Instruierung  durch  den  Feldtelegraph  sich  zurück- 
zogen und  auch  ihre  Batterie  sich  nicht  zeigte,  er- 
schien dem  Engländer  dies  Abdampfen  der  früheren 
Transportmittel  so  verdächtig,  dass  er  sich  von  der 
Küste  langsam  entfernte,  wobei  ihm  die  rasch  vor- 
trabenden Geschütze  einige  gutsitzende  lange  Schüsse 
nachsandten.    Durch  den  Funkentelegraph  benach- 
richtigt, vereinte  sich  der  frische  Transport  mit  den 
Trümmern  des  ersten  tmd  hielt  sich  fortan  im  Schutz 
der  Panzer  auf  hoher  See.   Waterweg  wurde  fortan 
durch  ein  Detachement  und  zwei  Batterien  in  auf- 
geworfenen  E^tfibefestigungen   gesperrt,   auch   eine 
Mine  im  Hafen  und  eine  Flattermine  weiter  draussen 
angelegt,   ebenso   längs   der   Küste   am  Haag   ein 
Fostenkordon  mit  einer  Batterie  verteilt.  Um  Amster- 
dam von  fernerem  Überfall  zu  sichern,  veranlasste 
man  am   30.   früh    einen   Handstreich   gegen    die 
Strandbatterie,  die  der  Gegner  immer  noch  nicht 
einziehen   wollte.    Die   gesamte    schwere   Artillerie 


—     176     — 

des    Regiments    ,Schamhorst*    ging  zur   westlichen 
Halbinsel  ab  und  beschoss  die  Landzunge  aufs  hef- 
tigste, während  eine  rasch  per  Bahn  zurückg^eführte 
Brigade  im  Innern  den  Uferrand  umging.  Da  nun 
bald  die  Einschliessenden  in  förmlichen  Laufg^^äben 
die  Batterie  immer  näher  einkreisten  und  die  Be- 
dienung von  den  Erdwällen  hertmterschossen,  nahir 
der  herandampfende  Geschwaderchef  die  Besatzung 
auf,  die  sich  noch  retten  konnte.    Ein  Bergen  der 
acht  schweren  Schiffskanonen  gelang  aber  nicht  mehr, 
so  emsig  die  Geschosse  der  Panzer  den  Strand  ab- 
suchten, da  jede  zur  Bergfung  landende  Abteilung 
unterm  Gewehrfeuer  unsichtbar  in  der  Düne  ver- 
grabener Schützen  zusammenbrach,  auch  ein  nacht- 
licher Versuch  missglückte,  da  die  Deutschen  rasdos 
Wache  hielten  und  ihr  Scheinwerfer,  auf  der  bleichen 
Düne  hin  und  herschimmemd,  jedes  Aussteigen  aus 
den  Booten  verriet.   Murrend  fügte  sich  der  dortige 
Commodore  in  das  harte  Los,  auch  seinerseits  seine 
,glorreiche*   Unternehmung  nüt   einem  Verlust  ab 
schliessen  zu  müssen.   Die  stehengebliebenen  Stücke 
wurden  später  im  Triumph  nach  Amsterdam  zurück- 
geschafft und  mit  ihnen  und  anderen  Festungsstückeu 
ein  Batteriestand  an  anderer  Stelle  errichtet,  von  wo 
man  besser  die  Einfahrt  beherrschte.  Verteidigungs- 
werke bei  Kampen  und  Harderwyk  auf  Ost  seit  e  und 
am  Muidenkanal,  wo   Destroyers,   Brander,   leichte 
Kreuzer    noch    etwas    Tiefgang    fanden,    machten 
weitere  Heimsuchung  zu  zwecklosem  Beginnen.    Die 
britische  Eskadre  verliess  die  Zuydersee. 


—     177     — 

Die  holländische  Regierung  musste  sich  dazu 
bequemen,  während  ihre  Truppen  sämtlich  per  Bahn 
nebst  der  20.  Division  zur  französischen  Grenze  ab- 
S^eschoben  wurden^  nun  ihrerseits  die  Einsetzung  eines 
deutschen  Generalgouvemeurs  zu  genehmigen,  der 
Holland  militärisch  organisierte.  „Im  Namen  Ihrer 
Majestät  der  Königin  der  Niederlande"  wurde  ent- 
sprechende Aushebung  von  Mannschaften  angeord- 
net, die  nichtsahnend  zu  ihren  biederen  Bürgerkom- 
mandanten  strömenden  Milizbataillone  ohne  weiteres 
in  die  Ordre  de  Bataille  der  aktiven  holländischen 
Armee  aufgenommen  oder  als  Ersatzbataillone  mit 
älteren  aktiven  Cadres  verschmolzen.  Die  gleiche 
Massregel  führte  man  in  Belgien  durch,  dessen  Heer 
so  auf  viier  Divisionen  verdoppelt  wurde,  das  hollän- 
dische desgleichen.  Dass  dies  nicht  ohne  grollen- 
den Widerstand  abging,  verstand  sich  von  selber.  In 
Rotterdam,  Lüttich,  Brüssel  und  Charleroi  kam  es 
zu  blutigen  Aufständen,  die  jedoch  von.  der  deutschen 
Militärbehörde  um  so  leichter  niedergeschlagen  wur- 
den, als  die  Bürger  bald  den  sozialistischen  Charakter 
dieser  Bewegung  witterten  und  daher  die  Truppen, 
oft  mit  bewaffneter  Hand,  imterstützten.Doch  musste 
man  zur  Unterdrückung  der  Grubenarbeiterempö- 
rung in  Charleroi,  so  nahe  an  der  französischen 
Grenze,  die  alte  belgische  Mecheln-Division  zu 
Hilfe  nehmen,  die  dies,  seit  dem*  Tag  von  Ant« 
werpen  auf  deutsche  Waffenbrüderschaft  stolz,  mit 
Eifer  besorgte.  Die  Redensarten  der  Brüsseler  Ra- 
dikalen,  dass   man   so   den   Bürgerkrieg  entfesselt 

Völker  Europas  .  ,  .  l  12 


—     178     — 

habe,  blieben  ebenso  ohnmächtig,  wie  der  fromme 
Trost  in  Paris  und  London,  dass  Belgien  und  Hol- 
land, unterm  Joch  fremder  Zwingherren  seufzend, 
nur  darauf  brennten,  es  abzuschütteln.  Beide  Lander 
beruhigten  sich  damit,  dass  der  schnelle  Sieg^eslauf 
der  deutschen  Nachbarn  sie  wenigstens  binnen  acht 
Tagen  davon  erlöst  habe,  lange  als  Kampfplatz  für 
die  anderen  Nachbarn  zu  dienen,  von  deren  Liebens- 
würdigkeit man  auch  unangenehme  Begriffe  bekom- 
men hatte.  So  taten  denn  die  niederländischen  Trup- 
pen, einmal  im  eisernen  Band  der  deutschen  Heeres- 
ordnung eingekeilt,  vor  dem  Feind  das  Ihre,  was 
sie  konnten  und  mussten.  Die  Ruhe  in  Holland  imd 
Belgien  war  eine  so  völlige,  zumal  man  an  Heeres- 
lieferungen auf  den  deutschen  Etappenlinien  über 
Köln  und  Lüttich  reichlich  verdiente,  dass  Cnde  Juni 
sogar  die  19.  Division  und  27.  Brigade  von  zwei 
westfälisch-niederrheinischen  Landwehrdivisionen  ab- 
gelöst werden  konnten,  die  fortan  Küstenschutz  und 
Etappendienst  im  Verein  mit  der  Miliz  allein  übernah- 
men. 20 000  deutsche  Einwohner  sicherten  Antwerpen. 
Den  deutschen  Erfolg  versüsste  noch  der  Zank 
zwischen  beiderseitigen  Militärs  und  ein  sich  täglich 
mehr  vergiftender  Federkrieg  der  Londoner  und  Pa- 
riser Presse,  wo  jede  Partei  der  anderen  die  Schuld 
an  solchem  Missgeschicke  zuschob.  Dem  gerechten 
Vorwurf  Bullers,  dass  man  ihn  auf  die  Vorgäng^e  in 
Belgien  nicht  auf  dem  laufenden  erhielt,  hielt 
man  französischerseits  entgegen,  dass  die  britische 
Expedition  einen  Tag  später  als  vereinbart  in  See 


—     179     — 

stach,  und  bezeichnete  dies  als  Probe  mangelhafter 
Kriegsvorbereitnng.  Da  man  im  übrigen  die  Mit- 
schuld nicht  entkräften  konnte,  warf  man  sich  mit 
hämischer  Schadenfreude  auf  den  Methuen-Zug,  den 
man  als  hirnlosen  Tollhäuslerstreich  imd  Probe  für 
Unfähigkeit  britischer  Generale  brandmarkte.  Die 
englische  Lesart:  .bekannte  gallische  Unzuverlässig- 
keit,  Neuauflage  von  Sedan'  beantworteten  freund- 
liche Winke:  .bekannte  britische  Perfidie,  Neuauf- 
lage von  Colenso  und  Spionskop'.  Das  imnatürliche, 
nur  auf  gemeinsamem  künstlich  geschürtem  Hass 
ohne  sonstige  Sympathie  und  Interessengemeinschaft 
gegründete  Bündnis  hatte  schon  jetzt  einen  Riss 
bekommen.  In  London  wagten  sich  Stimmen  her- 
vor, da  Englands  maritime  Obmacht  an  anderer  Stelle 
wichtige  Erfolge  errang,  dass  man  Krieg  gegen 
Deutschland  besser  allein  bloss  zur  See  geführt  haben 
würde.  In  Paris  wurden  gar  Bemerkungen  laut, 
dass  man  am  Ende  noch  Deutschlands  Feindschaft 
Englands  Freundschaft  vorziehe.  Da  wurde  der 
erheblich  gesunkene  Barometer  der  öffentlichen  Mei- 
nung wieder  nach  oben  geschnellt  durch  einen  Macht- 
zuwachs: Italiens  Eingreifen.  — 

Trotzdem  das  Land  offen  Krieg  gegen  Österreich 
verlangte,  auf  den  man  sich  schon  jahrelang  heim- 
lich gerüstet,  und  aus  voller  Sympathie  für  die 
Alliierten  kein  Hehl  machte,  so  dass  die  stets  im 
französischen  Fahrwasser  segelnden  ,Corriere  della 
Sera'  und  ,Secolo*,  die  beiden  verbreitetsten  Blätter, 

12* 


—     180     — 

täglich  enthusiastische  Kundgebungen  vor  dem  fran- 
zösischen Konsulat  in  Mailand  verzeichnen  durften, 
und  der  französische  Botschafter  am  Quirinal  sich 
massloser  Zärtlichkeit  der  ^^lateinischen Brüder'^ kaum 
erwehren  konnte,  entsprach  es  nicht  den  Absichten 
der  italienischen  Politik,  sich  so  bald  für  eine  Seite 
zu  erklären.  Der  heimlich  befreundete  russische 
Hof  gab  zweideutig  unklare  Direktiven,  die  img^efähr 
bedeuteten,  Russland  werde  Besetzung  Albaniens 
wohlwollend  begrüssen,  Krieg  gegen  Österreich  we- 
der abraten  noch  empfehlen,  stehe  im  übrigen  dem 
Werdegang  der  Dinge  gleichgültig  gegenüber.  Auch 
kam  es  dem  ehrliebenden  begabten  jungen  König 
schwer  an,  eine  flagrante  Verletzung  der  Bundes- 
treue sofort  vom  Zatme  zu  brechen,  da  er  weder 
Grund  noch  Neigung  hatte,  sich  mit  Deutschland 
zu  verfeinden.  Dagegen  tat  ein  Hirtenbrief  des  Vati- 
kans, der  im  Gegensatz  zu  Italiens  kirchlicher  Indif- 
ferenz das  klerikal  gläubige  Osterreich  pries,  diesem 
Staate  einen  schlechten  Dienst  und  machte  Kampf 
wider  diesen  Bundesgenossen  des  Papsttums  erst 
recht  in  den  Augen  der  Italiener  zu  einem  heiligen 
Krieg.  Die  Putsche  der  Irredenta  in  Triest  und 
Trentino  brachten  die  Aufregung  zum  Siedepunkt, 
und  gleichzeitig  flog  die  Post  vom  französischen 
Siegeszug  nach  Karlsruhe  und  Stuttgart  herein,  von 
der  in  Italien  allein  gelesenen  tmd  massgebenden 
Pariser  Presse  ungeheuerlich  vergrössert.  Ein  wahn- 
sinniger Begeisterungstaumel  ergriff  Italiens  Gaue. 
„Jetzt  oder  nie!  Befreiung  der  italienischen  Brüder!" 


—     181     — 

johlten  riesige  Volksmengen  von  Venedig  bis  Nea- 
pel, von  Genua  bis  Palermo.  Republikaner,  Soziali- 
sten, Anarchisten  fragten  überall  drohend,  ob  man 
eine  so  vaterlandslose  Monarchie  noch  länger  dulden 
solle.  Victor  Emanuel  sah  wirklich  die  Monarchie 
in  Gefahr,  dabei  selber  vom  übertriebenen  Sieges- 
geschrei der  Franzosen  betäubt,  von  der  Glorie  mög- 
licher Eroberungen  geblendet.  Dass  die  nach  Al- 
banien entsendete  Streitmacht,  wegen  deren  Oster- 
reich schon  Vorstellungen  erhob,  dort  wahrschein- 
lich bald  neben  den  Türken  auf  österreichische  Bei- 
hilfe stossen  werde,  schien  gewiss.  Als  daher  eine 
drohende  Note  nach  Wien,  dass  Italien  wegen  bru- 
taler Misshandlung  italienischer  Stammesgenossen 
Entschädigung  und  Entschuldigung  verlange,  kurz 
und  schroff  abgelehnt  wurde,  stellte  man  dem  Bot- 
schafter am  12.  Juni  seine  Pässe  zu.  Sein  deutscher 
Kollege  ward  vertraulich  instruiert,  dass  der  Zwist 
mit  dem  Donaustaat  keineswegs  Bruch  mit  dem 
andern  Kaiserreich  nach  sich  ziehen  solle.  Nach 
geheimer  Verständigung  mit  dem  österreichischen 
Kabinett  gab  sich  Deutschland  damit  zufrieden,  da 
es  nicht  im  Interesse  Österreichs  lag,  wenn  die 
italienische  Flotte  ihr  Gewicht  gegen  Deutschland 
in  die  Wagschale  warf,  und  Deutschlands  Aufrecht- 
erhaltung am  besten  den  Bestand  Österreichs  ver- 
bürgte. Man  würde  nachher  schon  gemeinsam  die 
Rechnung  begleichen.  — 

Die  französische  Niederlage  in  Belgien  kam  nur 
in  abgeschwächter  entstellter,  die  englische  freilich 


—     182     — 

« 

in  voller  Form  zur  Kenntnis  des  italienischen  Pu- 
blikums, wofür  die  Polemik  in  der  Pariser  Presse  schon 
sorgte.  Später  musste  auch  notgedrungen  das  Zurück- 
weichen auf  Beifort  eingestanden  werden,  alles  Dinge, 
die  solch  nichtgewollte  Überstürzung  der  Partei- 
nahme bereuen  machten.  Es  war  zu  spät,  wieder 
einzulenken.  Doch  gleichzeitig  brachte  die  Bestä- 
tigung vieler  Berichte,  die  deutsche  Marine  sei  von 
der  britischen  angeblich  mit  Stumpf  und  Stil  aus- 
gerottet, den  Kriegstaumel  der  heissblütigen  Süd- 
länder zur  Siedehitze.  Unter  gellendem  ,Abasso  gli 
Tedeschil  Evvivaltalia  Unital*  wälzten  sich  die  beiden 
lombardischen  Korps  von  Ala  gen  Riva.  Als  es  wirk- 
lich ans  Schlagen  ging,  zeigten  sich  freilich  die  Süd- 
italiener minder  davon  erbaut.  Tausend  Nachlässig- 
keiten, Unterschleife,  Widerwüligkeiten  verzögerten 
dort  die  Mobilisierung  so  sehr,  dass  man  anfangs 
nur  das  toskanische,  venetische,  umbrische  Korps 
bereit  hatte,  die  sich  alsbald  gegen  die  Julischen 
und  Kamischen  Alpen  wendeten,  um  auf  Triests 
„Befreiung"  loszuziehen.  Zahlreiche  Freiwilligen- 
scharen nach  Garibaldinischem  Muster  begleiteten 
die  Armee,  während  das  romagnesische  imd  apulische 
Korps  schon  in  Albanien  landeten  und  nun  die  ge> 
samten  Eskadres  von  Spezzia,  Maddalena,  Neapel, 
Brindisi  auf  Höhe  von  Korfu  sich  vereinten.  Die 
türkische  Antwort  auf  die  albanesische Expedition,  die 
Türkei  betrachte  sich  im  Kriegszustand  mit  Italien, 
erregte  in  Monte  Citorio  lautes  Gelächter«  Ja,  der 
Übermut  stieg  so  sehr,  dass  man  sofort  in  Tessin  ein- 


—     183     — 

rückte,  um  gleich  ein  für  allemal  mit  allen  irredentisti- 
sehen  Aspirationen  reinen  Tisch  zu  machen,  sie  alle 
miteinander  zu  befriedigen.  Die  Schweiz  nahm  die 
machiavellistische  Ausflucht,  dass  die  Eidgenossen- 
schaft neutralitätsbrüchig  sei  imd  Italien  deshalb 
seine  Grenzen  schützen  müs^,  mjit  verächtlichem 
Gleichmut  entgegen.  Das  erste  piemontesische 
Korps,  das  in  dieser  Richtung  abmarschierte  \md  sich 
vor  allem  der  Simplonbahn  bemächtigen  wollte,  kam 
dort  übel  an.  Den  ganzen  Juni  durch  fielen  täglich 
Bergscharmützel  vor,  in  denen  zwar  die  Italiener  viel 
Mut  und  Gewandtheit,  die  Schweizer  aber  ihre  phy- 
sische Überlegenheit  und  ihr  unvergleichlich  bes- 
seres Schiessen  zur  Geltung  brachten.  Ein  Hand- 
streich auf  Domo  d'Ossola  scheiterte  unter  bösem 
Verlust  der  tapfem  Bersaglieri.  Bellinzona,  wo  die 
zum  Gotthard  abziehenden  Tessiner  Milizen  noch 
aus  Kaserne  und  Castello  lebhaft  feuerten  und 
gar  keine  Lust  verrieten,  zu  den  steuerbelasteten 
monarchischen  Sprachgenossen  überzulaufen,  ward 
zwar  feierlich  mit  rotweissgrüner  Fahne  geschmückt, 
und  im  weiten  Tal  zwischen  Luganer  See  und  Lago 
Maggiore  breiteten  die  Piemontesen  sich  aus.  Doch 
ihr  ernstlicher  Versuch  am  21.  Juni,  über  Faido  das 
Fort  Airolo  zu  berennen  und  seitwärts  über  den  Luck- 
manier  gegen  Rheintal  und  Oberalpsee  zu  umgehen, 
scheiterte  vollständig.  Den  grossen  Tunnel  zu  spren- 
gen, fand  der  Schweizer  Gotthardkommandant  nicht 
der  Mühe  wert,  er  wurde  nur  im  Innern  verschüttet 
und  gesperrt,  und  nach  der  italienischen  Seite  über 


—     184     — 

die  brausende  grünlichschäumende  Reuss   hinüber 
sausten  die  Geschosse  der  Andermatter  Forts  mit 
vernichtender  Wirkung,  da  sämtliche  Ziele  markiert 
und  genau  bekannt  waren.    Die  Landwehr  der  Ur- 
kantone    und  der    Luzemer  Reservedivision  unter 
Oberst  Segesser  verlachte  alle  Anstrengungen,  drei- 
undzwanzig Sturmversuche  auf  Fort  Airolo   schlug 
der  Komnumdeiu:  Hardoren  imter  Beihilfe  der  Goti- 
hardartillerie  blutig  ab.   Oberst  von  Tschamer  und 
der    aus    Zürich    hergeeilte   frühere   Gotthardchef 
Oberst  Professor  Affolter,   eine  der  grössten  artil- 
leristischen Autoritäten,  leiteten  die  Verteidigung  des 
Berges  mit  solcher  Umsicht,  dass  die  Italiener  fortan 
von  jedem  weiteren  Wagnis  abstanden.  Dem  früher 
offengelassenen,  seither  verhauenen  Pass  von  Domo 
d*Ossola  brachte  man  bei  nächtlichem  Überfall  rasch 
Hilfe  über  den  Kreuzlipass,  und  ein  weiterer  Ver- 
such am  25.  aus  Chiavenna,  den  Splügen  zu  for< 
eieren,    ward    von    der  Landwehr  von  Ander  und 
einer  Artilleriekompagnie  hohnlächelnd  abgewehrt. 
Mächtig    rollte   hier    das    Knattern   der   trefflichen 
Gewehre   des   Schweizer   Modells   die   steilen     Ab- 
grundwände der  Via  Mala  entlang.     Ferneres  Be- 
mühen, aus  dem  Veltlin  zum  Malojapass  emporzu- 
klinunen,  scheiterte  an  seiner  eigenen  Lächerlichkeit. 
Alldieseenergisch  angepackten,  aber  gänzlich  un- 
fruchtbaren Operationen  entsprangen  dem  kindlichen 
Heisshunger   Italiens,    sich   als   wahre   Grossmacht 
abzurunden  und  sichere  Alpengrenze  zu  gewinnen, 
auch     das     romanische     Engadin     als     italisches 


—     185     — 

Sprachgebiet  auffassend,  sowie  dem  sehr  praktischen 
Bestreben,  die  Simplon-  und  Gotthardbahn  ganz  in 
die  Hand  zu  bekommen,  sich  den  Ausgang  der  AI- 
bulabahn  zu  erwerben.  Bei  dem  allen  waren  aber 
die  Augen  grösser  als  der  Magen,  man  machte  die 
Rechnung  ohne  den  Schweizer  Wirt  1 

Als  das  zweite  piemontesische  Korps  von  Ber- 
gamo nach  Venezien  als  Reserve  der  Hauptarmee 
vorrücken  wollte,  kamen  ihm  schon  allerwärts  flüch- 
tende entscharte  Haufen  entgegen;  denn  das  Schick- 
sal des  Feldzugs  entschied  sich  im  Handumdrehen. 
Im  österreichischen  Heere  begrüsste  man  die  Kriegs- 
erklärung mit  fröhlichem  Jubel.  Die  traditionelle 
Geringschätzung  des  italienischen  Volkes  und  Staa- 
tes in  österreichischen  Kreisen  kam  hier  dem  Heer- 
bedürfnis entgegen  und  unterstützte  die  Kampflust. 
Man  beklagte  nur,  dass  man  nicht  schon  den  Jah- 
restag von  Custozza  auf  gleicher  italienischer  Wal- 
statt festlich  begehen  könne.  Die  Verletzung  des 
ungarischen  Grenzzipfels,  als  die  italienische  Armee 
unter  fortwährenden  Gefechten  am  Pradilpass,  bei 
Fontebba,  im  Val  Isonzo  und  am  Tagliamento  sich 
über  Fiume  imd  Aquileja  ins  Triestinische  wandte, 
brachte  Ungarn  und  Kroaten  so  in  Zorn,  dass  drei 
Honveddivisionen  verlangten,  ausserhalb  ihrer  in- 
ländischen Dienstpflicht  ins  Feld  nach  Italien  ge- 
führt zu  werden.  Es  wurden  wirklich  eine  Reihe 
Landwehrdivisionen  in  den  Alpenlanden  imd  dem 
Grenzerbezirk  aufgeboten,  sonst  nur  ein  aus  Linz 
nach  Innsbruck  gelangtes  Korps,  das  zum  Boden- 


—     186     — 

See  weiter  sollte,  sistiert  und  über  den  Brenner 
geleitet.  Die  schon  früher  gegen  Italien  an  der 
Grenze  aufgestellten  Streitkräfte  schienen  sonst  aus- 
reichend,  es  blieb  alles  beim  alten. 

Die  kleinen  veralteten  Sperrforts  bei  Nago  imd 
Mori  mussten  nach  braver  Gegenwehr  ge^^en  die 
Lombarden  kapitulieren,  indes  eine  Flottille  kleiner 
gepanzerter  Fahrzeuge  den  Gardasee  entlang:  fuhr, 
Torbole  in  Asche  schoss  und  in  Riva  Truppen  landete. 
Unter  massigem  Gefecht,  aber  Schritt  für  Schritt 
wich  die  in  Südtirol  postierte  ,Truppendivision*  nach 
Bozen  und  von  da  bis  .Franzensfeste,  wo  eine 
Kärntner  Landwehrdivision  auf  der  bekannten 
Schnellzuglinie  Villach — Franzensfeste  sich  aus- 
schiffte. Das  Innsbrucker  Korps  überstieg  schon 
den  Brenner.  Durchs  Tal  von  Brixen  und  Trient, 
wo  der  Einzug  des  Herzogs  der  Abruzzen  mit  Läuten 
aller  Glocken  gefeiert  wurde,  ergossen  sich  die  lom- 
bardischen Korps,  fest  entschlossen,  auch  den  Bren* 
nerpass  zu  stürmen.  Büchsen  des  Landsturms  von 
Passeier  gaben  ihnen  seitwärts  durchs  Meraner 
Teil  das  Geleit  und  fäit>ten  die  Wellen  der  £isack 
und  Etsch  mit  italienischem  Blute.  Als  die  Sonimer- 
sonne  des  19.  Juni  auf  den  Mauern  von  Franzens- 
feste schimmerte,  sahen  die  siegesgewissen  Lombar- 
den eine  statdiche  Streitmacht  breit  das  Tal  über- 
spannen. Aus  den  Waldbergen  sprühte  Feuer  von 
Tiroler  Schützen.  Unter  lautem  ,Evviva  Italial  La 
libertäl  Sempre  avanti,  SavoiaT  nahmen  die  Käm- 
pen Italiens  beherzt  den  Kampf  an,  man  kann  es 


—     187     — 

nicht  anders  sagen.  Drei  Stunden  wogte  der  Kampf 
liin  und  her.  Doch  das  überwältigende  Feuer  ihrer 
skXi  Material  und  Bedienung  weit  überlegenen  Ar- 
tillerie, ihres  alten  Ruhmes  eingedenk,  die  schreck* 
liehe  Treffsicherheit  der  Tiroler  Kaiserjäger  und 
die  weitere  Zone  des  verbesserten  Mannlicher- 
gewehrs  verschafften  den  Österreichern  einen  ra* 
sehen  Sieg,  den  ihre  in  altem  Landsknechtgeist  sol- 
datisch erzogene  und  von  Natur  kriegerische  Mann- 
schaft vollauf  verdiente.  Zuerst  wankte  das  Korps 
Alessandria,  dann  das  ostlombardische  von  Lodi, 
zuletzt  wich  alles  in  regelloser  Auflösung,  die  sich 
in  folgenden  Tagen  unter  Verfolgung  der  Tiroler 
Freischützen  zu  heller  Flucht  steigerte.  Bald  weh- 
ten wieder  schwarzgelbe  Banner  auf  den  Forts  von 
Nago,  an  deii  schroffen  glatten  Bergrücken,  Über- 
resten einstiger  Gletscher,  und  am  Wasserfall  des 
Gardasees  auf  der  gegenüberliegenden  Seite  troff 
noch  viel  Blut  herunter,  ehe  die  Geschlagenen  unter 
Zuhilfenahme  der  Seeflottille  Desenzano  erreich- 
ten. Dort  aber  am  Ossario  (Knochenhaus)  von 
San  Martino,  der  geweihten  Stätte  der  für  Italiens 
Einheit  Gefallenen,  am  freskengeschmückten  Turm- 
denkmal, am  Torre  di  Solferino  und  dem  düstem 
Zypressenhain  der  mit  Vignen,  Feigenbäumen  und 
Maulbeerpflanzungen  bedeckten  Landschaft  fluteten 
ihnen  schon  Trümmer  der  Schwesterarmee  entge- 
gen. In  einer  Kette  von  Kämpfen  zwischen  18.  und 
23.  Juni  hatte  das  mit  stürmischer  Frische  an- 
drängende kaiserliche  Heer    die  Italiener  allerorts 


—     188     — 

übei   die  Grenze  zurückgeworfen  und  stiess   durdi 
Friaul  bis  zum  Mincio  nach. 

Auf  der  alten  Walstatt  von  Solferino,  die  natcr- 
gemäss  zur  Schlacht  einladet,  weil  die  linke  Flanke 
auf  italienischer  Seite  durch  den  Gardasee  gedeckt 
kam  es  am  26.  zu  erneuter  Entscheidung,  da  die 
Italiener  wenigstens  die  Etschlinie  halten  wolltoi 
Diesmal  aber  mit  umgekehrter  Rollenverteilung. 
Denn  heut  hielten  die  Italiener  als  Verteidiger  dk 
Höhen  von  San  Martino,  von  denen  sie  erst  spät 
das  österreichische  Artilleriefeuer  vertrieb,  da  hie: 
nur  hinhaltendes  Gefecht  wogte.  Dagegen  erfolgtr 
ein  Gewaltstoss  der  Österreicher  gegen  Solfenno. 
dessen  Zypressenhügel  hier  wieder  den  SchauplaQ 
wilden  Gemetzels  abgab,  und  sie  brachen  gerade 
dort  nun  atn  Campo  di  Medole  durch,  wo  damah 
Mac  Mahon  ihr  Zentrum  durchbrach.  Oie  nach 
hartem  Kampf  aus  Guidizzolo  und  Rebecco  verjag 
ten  Venezianer  eilten  fluchtartig  auf  Verona  zurück, 
das  eine  kaiserliche  Seitenabteilung  schon  bedrohte 
Die  italienische  Mitte  bog  exzentrisch  nach  Süden 
aus,  die  Linke  zog  in  gerader  Richtimg  westlich  auf 
Brescia  ab.  In  Verona,  dem  früheren  Hauptquar- 
tier des  Königs  Victor  Emanuel,  gouvemierte  schon 
am  27.  ein  Feldmarschalleutnant,  das  von  jeder 
Hilfe  abgeschnittene  Venedig  kapitulierte  kampflos 
bald  darauf,  da  die  Aufopferungsgründe  der  Manin* 
Zeit  heut  vorüber.  Übern  Markusplatz  fluteten  die 
lustigen  Weisen  kaiserlicher  Musikkapellen,  in  den 
Gondeln  fuhren  flotte  Offiziere  zur  Isola  della  Sa- 


—     189     — 

lute  hinüber,  alle  Kauffahrer  flüchteten  vom  Lido 
und  der  Riva  degli  Sciavoni  auf  hohe;  See.  Wieder- 
uhi  hatte  man  die  verhassten  Tedeschi  im  Lande, 
^ro  früher  die  schwarzblauen  Waffenröcke  mit 
weissen  und  roten  Wollenschnüren  und  grauen  Ho- 
sen der  heimischen  Infanterie,  die  Federbüsche  tief- 
blauer Bersaglieri  den  Rialto  füllten.  Ihre  hellblauen 
und  grauen  Uniformen  mit  den  hohen  schwarzen 
Tuchmützen  der  Offiziere  spiegelten  sich  in  den 
grünlichen  Gewässern  der  Lagimen,  den  hellen  des 
Alpone,  den  himmelblauen  des  Gardasees.  Nur  die 
heimischen  Tauben  schnäbelten  sich  noch  an  Seuf- 
zerbrücke und  Flügellöwe,  als  verhöhne  die  Natur 
das  Hin  und  Her  menschlicher  Besitzrechte.  — 

Was  half  da  der  Trost,  dass   wenigstens  Ita- 
liens Fk)tte  durch  riesige  Übermacht  gesiegt  1  Schon 
am   18.   erschien  auf  dem  blauen   Meer  zwischen 
Pola  und  Triest  die  prachtvolle  Reihe  der  Panzer : 
„Dandolo",  „Lepanto",  „Italia",  „Duilio",  „Andrea 
Doria",   „Francesco   Morosini",   „Ruggero   di   Lau- 
ria", „Regina  Margarita",  „Benedetto  Brin",  „Em- 
manuele Filiberto",  „Admiral  St.  Bon",  „Umberto", 
„Sicilia",  „Sardegna",  „Vittorio  Emmanuele",  „Re- 
^na  Elena",  umgeben  von  leichteren  Panzerkreu- 
zern wie  „Etriuia"  und  „Lombardia".   Die  grossen, 
zu  Kreuzern  umgeschaffenen  Transportschiffe  „Euri- 
dice"  und  „Varese"  führten  Truppen  zur  Landung 
mit.    Die  kleine  österreichische  Marine  vermochte 
gegen  solche  Übermacht  nichts  weiter,  als   tapfer 
zu  sterben.    Während  einige  ihrer  veralteten   Kor- 


—     190     — 

vetten,  Monitore,  Fregatten  von  zweitausend  Tonnen 
in  Bai  von  Ragusa,  Sebenioo,  Bocche  di  Cattaro 
blieben,  wurde  trotz  sechzig  Forts  mit  fünfzig  Mes- 
sern der  Kriegshafen  Poia  in  zwölf stündigem  Feuer- 
kampf von  Grund  aus  zerstört,  „Habsburg",  „Baben- 
berg**,  „Arpad**,  „St.  Georg"  als  Wracks  zum  Flagge- 
streichen gezwungen.  Die  alte  Niederlage  von  Lissa 
war  gerächt,  doch  wie  unrühmlich  1  Wenn  auch  de 
Geist  Tegethoffs  nicht  mehr  über  den  Wasseni 
schwebte,  und  ein  Rammen  mit  Holzschiffen  heut 
ins  Reich  der  Fabel  zu  gehören  schien,  so  suchte 
der  österreichische  Admiral  doch  den  ungleichen 
Kampf  damit  glorreich  zu  Ende  zu  führen,  dass  er 
„Karl  VI.",  „Rudolf,  „Theresia",  „Elisabeth"  heran- 
brachte, bis  seine  „mittlere"  Artillerie  gegen  die 
43  Zentimeterrohre  der  Barbettetürme  auf  den  itaÜe- 
nischen  Panzern  durch  Nahfeuer  aufkomm^i  konnte. 
So  hatte  er  wirklich  „Lepanto"  imd  „Sardegna"  ausser 
Gefecht  gesetzt,  „Umberto"  durch  einen  Kemschuss 
zum  Explodieren  und  Sinken  gebracht,  eh  er  mit 
dem  Rest  seiner  Helden  den  Untergang  fand. 

Den  Hafen  von  Triest  hatte  man  sofort  blockiert, 
alle  fremden  dort  liegenden  Handelsschiffe,  darunter 
auch  deutsche,  als  Prisen  weggeschleppt,  Marine- 
truppen in  die  vom  österreichischen  Militär  lang- 
sam geräumte  meuterische  Stadt  am  21.  einrücke 
lassen.  Doch  nicht  lange  freute  man  sich  dieser 
Beute,  die  man  durch  gleichzeitige  Mitwirkung  der 
Landarmee  hätte  behaupten  können.  Sobald  aber 
diese  nach  Friaul  zurückgeworfen,  kam  von   Görz 


—     191     — 

eine  Landwehrdivision  nebst  einer  aktiven  Brigade, 
drang  sofort  in  die  von  Barrikaden  starrende  Stadt 
und  liess  sich  von  der  draussen  auf  See  »^schwingen* 
den*'  Fk)tte  nicht  einschüchtern,  die  doch  nicht  ihr 
geliebtes  brüderliches  Triest  bombardieren  durfte. 
Immer  mehr  österreichische  Truppen  häuften  sich 
bis  Ende  Juni  hier  an,  die  gelandeten  Marine- 
mannschaften  hatten  längst  ihren  Bord  wieder  auf- 
suchen müssen.  —  Obschon  24.  ArtilL-Rgt.  bei  Sol- 
f  erino  sich  nicht  ohne  begeisterte  Hingebung  schlug 
cKler  todesmutiges  Einsetzen  21.  Reiterregiments  Pa- 
dova  nebst  Corrazzieri  und  Carabinieri  der  könig- 
lichen Leibwachen  gegen  verfolgende  ungarische 
Falatinalhusaren  sich  allgemeine  Achtung  erzwang, 
zeigte  das  italienische  Militär  sich  dem  österreichi- 
schen nirgends  gewachsen.  — 

Aus  Albanien  verlautete  auch  nichts  Gutes.  Nach 
allerlei  Hin-  und  Hermärschen  auf  der  unwirtlichen 
Hochfläche  und  nach  wertlosen  Scharmützeln  kam  es 
auf  der  bergumgebenen  Ebene  von  Janina  zu  einer 
offenen  Feldschlacht,  in  welcher  die  Italiker  sich 
zwar  behaupteten  und  zwei  sizilianische  Schnellfeuer- 
batterien sich  gerade  so  brav  hielten  wie  bei  der 
abessinischen  Niederlage  von  Adua,  aber  doch  aus 
Emährungsgründen  wieder  zur  Küste  abzogen.  Mon- 
tenegriner links  und  Griechen  rechts  auf  den  Flanken 
richteten  trotz  aller  Tapferkeit  nichts  aus.  Serben, 
Bulgaren,  Rumänen  rührten  sich  nicht,  aus  Ungarn 
und  Rumelien  scharf  militärisch  überwacht,  in  der 
Hoffnung,  doch  noch  von  der  russischen  Sphinx  zu 


—     192     — 

erfahren,  was  sie  dazu  sage.  Aber  diese  gab  sich 
und  andern  Rätsel  auf  und  rollte  sich  selbst  in  den 
Abgrund,  da  erneute  Revolutiönchen  in  jedem  Gou- 
vemement  aufflammten.  Da  das  bosnische  Korps 
nunmehr  den  Türken  schleunige  Hilfe  zusag^te,  blieb 
den  Italienern  nichts  übrig,  als  sich  allmählich  auf 
ihre  Schiffe  zurückzuziehen.  Die  Expedition  war 
schmählich  gescheitert,  die  Lage  Italiens  verzweif- 
lungsvoll, da  man  nun  auch  für  die  Eritrea-Gefahr 
alle  Kräfte  brauchte  und  doch  so  wenige  mehr  hatte. 
Natürlich  schlug  die  Stimmung  der  wankelmütigen 
Nation  derart  um,  dass  man  die  Regierung,  die  man 
selbst  zum  Kriege  gehetzt,  kopfloser  Abenteuerlich- 
keit beschuldigte  und  alle  Niederlagen  nicht  der 
eigenen  Schwäche  masslosen  Grossmachtkitzels,  son- 
dern der  Dummheit  in  die  Schuhe  schob,  die  lauter 
Lamarmora  und  Baratieri  (ganz  tüchtige  Männer, 
die  nur  Unglück  hatten)  an  erste  Posten  stelle.  Hilfe 
für  Eritrea  lehnten  übrigens  die  Allüerten  mit  höf- 
lichem Hohne  ab,  da  man  selber  in  Afrika  »alle 
Hände  voll  zu  tim  habe,  Italien  aber  auf  eigene 
Faust  Krieg  führe  und  übrigens  sich  ja  gar  nicht 
gegen  Deutschland,  den  eigentlichen  Feind  der 
Alliierten,  erklärt  habe.  Wer  den  Schaden  hat 
braucht  für  den  Spott  nicht  zu  sorgen.  Da  plötzlich, 
als  gegen  Mitte  JuU  die  Lage  sich  immer  drückender 
gestaltete,  machte  der  deutsche  Botschafter  erstaun- 
liche Eröffnungen  und  Anerbietungen,  die  auf  ein- 
mal Lichtblicke  zeigten  und  bewiesen,  dass  Italien 
doch  noch  etwas  Wertvolles  besitze:  seine   Flotte. 


—     193     — 

Italien  griff  hier  mit  beiden  Händen  zu,  als  ihm 
Wiedereintritt  in  den  Dreibund  freigestellt  und  sogar 
ein  Gewinn  verheissen  wurde,  und  damit  trat  auch 
diese  Angelegenheit  in  eine  neue  Phase.  — 

Vor  Konstantinopel  hatte  die  Malta-Mittelmeer- 
eskadre   sich    recht   johnbullig   ausgetobt,    Stambul 
verheert,  türkische  Marine  zernichtet,  Galatabrücke 
und  Dardanellenforts  niedergelegt,  ohne  aber  ändern 
zu  können,  dass  die  besseren  Türkenschiffe  sich  ins 
Schwarze    Meer   an   russische    Ufer   flüchteten,   wo 
sie   angeblich  abgetakelt  wurden.    Russland  durch 
Verfolgen  auf  russisches  Gewässer  zu  verletzen,  lag 
nicht  in  Englands  Interesse,  ebensowenig  lohnte  es 
sich,  Pera  und  Galata  zu  bombardieren,  wo  man  die 
Europäer  schonen  musste.  Die  Eskadre  patrouillierte 
also  nur  Bosporus  und  Marmarameer  ab,  kontrollierte 
den  Hafen  von  Smyma,  nahm  deutsche  und  öster- 
reichische Schiffe  weg  und  amüsierte  sich  mit  De- 
monstration vor  Salonichi.  So  trieb  sie  es  den  ganzen 
Juni  durch,  bis  sie  plötzlich  andern  Auftrag  erhielt. 
Die  Gibraltar-Hälfte  der  Mittelmeerflotte  hatte 
ebensowenig  wie  das  französische  Toulongeschwader 
die  Säulen  des  Herkules  umschiffen  dürfen,  um  die 
maritime  Macht  in  der  Nordsee  zu  verstärken,  da  die 
Franzosen  ihre  afrikanischen  Küstenstädte,  die  Eng- 
länder jetzt  auch  Suez,  Port  Said  und  Alexandria 
behüten  mussten,  wo  die  islamitische  Gefahr  immer 
brennender  wurde.    Den  Franzosen  ging  es  Mitte 
Juni  gar  schlecht.    Kaum  rückte  General  de  Torcy 
aus,  als  in  Nordalgeria  ein  wilder  Aufstand  empor- 

Völker  Europas  ...  I  13 


—     194     — 

glimmte,  vom  imversöhnlichen  Feind  im  Mittel- 
sudan, dem  Emir  von  Hadrisia,  angestiftet.  Eine 
gegen  ihn  in  Kano,  sechs  Tagemärsche  von  Hadiisia, 
aufgebrochene  Strafexpedition  schickte  er  mit  bluti- 
gen Köpfen  heim,  und  die  Tuaregs  ritten  in  dichten 
Schwärmen  durch  die  Wüste  auf  Timbuktu.  Neger- 
stämme ergriffen  die  Waffen^  Viele  Kolonisten  fluch- 
teten  auf  die  kleine  vulkanische  Insel  Rachgoun, 
zwölf  Stunden  von  Gibraltar,  wo  Frankreich  Scbanz- 
bollwerke  für  eine  Kohlenstation  errichtete. 

Denn  zahllose  Reitermassen  der  marokkanischen 
Kabylen  überfluteten  schon  die  Küste  im  Rücken  des 
französischen  19.  Armeekorps,  das  mit  Hitze  und 
Durst  noch  mehr  als  den  wilden  Scharen  des  Sultans 
Mohammed  Said  zu  ringen  hatte.  Die  Oasen  Tafilet, 
Gouraca,  Touat,  die  Marokko  an  Frankreich  hatte 
abtreten  müssen,  überschwemmten  schon  flüchtige 
Reiterwolken  ritterlicher  Wüstenräuber,  die  beson- 
ders im  Kopfabschneiden  eine  von  den  Vätern 
vererbte  und  pietätvoll  gepflegte  Virtuosität  ent- 
wickelten. Die  spanischen  Hilfstruppen  erlitten  am 
18.  Juni  eine  greuliche  Niederlage,  kaum  hielt  sich 
Tanger  selbst  gegen  Überfall,  nur  mit  Hilfe  des 
grossen  Panzerkreuzers  ,Guichen'  (8000  Tonnen. 
25  000  Pferdekraft),  der  als  Schildwache  die  Meer> 
enge  abfuhr.  Am  21.  kehrte  das  Algerische  Korps 
in  abgerissenem,  zerfetztem  Zustand  nach  Constan- 
tine  heim,  um  wenigstens  Algier  selbst  zu  retten. 
Mittlerweile  flackerte  der  Aufstand  der  Islamiten 
weiter.  Aus  dem  Sudan  erhob  sich  ein  neuer  Mahdi 


—     195     — 

wie  ein  Samum,  der  alle  Oasen  verschüttet.  Die 
Bahn  in  Biskra  musste  verlassen  werden,  in  Tunis 
und  Tripolis  gab  es  nächtliche  Massacres,  wobei 
viele  Europäer  unter  Lanzen,  Dolchen  und  Flinten 
der  Araber  fielen.  Überall  predigten  die  Mullahs 
vom  Minarett  den  heiligen  Krieg,  bald  blieben  die 
Städte  Tunis,  Biserta,  Tripolis  die  letzten  Bollwerke 
der  europäischen  Herrschaft.  Jetzt  ging  es  auch 
den  Briten  ans  Leder.  Aus  dem  Niltal  stiegen  mäch- 
tige Schlachthaufen  von  Arabern  und  Negern  herauf, 
brachen  in  Nubien  ein  und  schnitten  Kartum  zu 
Lande  und  Wasser  ab.  Die  kleine  britische  Be- 
satzung wehrte  sich  auch  dann  noch  bis  ziun  letzten 
Mann,  als  die  angewori>enen  Sudanesen  zum  Feinde 
übergingen.  Bei  Assuan  kam  es  zu  einem  Treffen, 
ruhmvoll  für  britische  Eichenstärke,  wo  britische 
Vierecke  den  AnpraU  rasender  Fanatiker  abschlugen, 
sich  aber  längs  der  Bahnstrecke  nach  Ägypten  retten 
mussten,  weil  man  ihnen  das  Trinkwasser  der 
Brunnen  zu  verschütten  drohte.  Nildampfer  mit  briti- 
schen Sportsmen  und  Touristen,  die  zu  den  Vic- 
toriafällen reisen  wollten,  mussten  halbwegs  ange- 
halten werden  und  gelangten  nur  unter  grosser  Müh- 
seligkeit, auf  beiden  Ufern  von  wüsten  Schwärmen 
imter  Kugel-,  Pfeil-  und  Lanzenhagel  begleitet  und 
nächtlich  von  bewaffneten  Barken  halb  geentert,  nach 
Oberägypten  zurück.  Bald  schwemmten  entfesselte 
Horden  auch  dort  den  Widerstand  weg.  Dturch  die 
Ruinen  der  alten  Totenstädte  von  Luxor  trabten  Bar- 
baren,  vom  schwärzesten  Afrika  ausgespien.    Und 

13* 


—     196     — 

nun  kam  die  bitterste  Gefahr.  Denn  die  türkischen 
Regulären,  vereint  mit  beutegierigen  Beduinen- 
haufen, marschierten  ohne  weiteres  in  Ägypten  ein. 
Lord  Cromer  lieferte  zwar  am  28.  Juni  in  der  Ge- 
gend des  alten  Pelusium  eine  Schlacht,  worin  er  den 
Türken  Respekt  vor  den  nordischen  Herrenmenschea 
lehrte,  doch  die  wachsende  Übermacht  wurde  zu 
gross.  Der  Suezkanal  musste  geräumt  werden,  nur 
das  Erscheinen  der  Panzer  „Empress'*,  „Implacable'\ 
„Revenge**,  „Berwick*',  „Bulwark"  vor  Port  Said 
und  Alexandria  schirmte  diese  wichtigsten  Verkehrs- 
punkte. Eine  Mitte  Juni  aus  England  hergeschaffte 
Division,  meist  Militia  und  Volunteers,  vermochte 
den  Fall  von  Kairo  nicht  aufzuhalten,  wo  ein  grau- 
samer Aufstand  der  Fellachen  sich  an  den  britischen 
Zwingherren  rächte.  Der  einziehende  türkische 
Pascha  geriet  zwar  mit  dem  Mahdi  in  Zwist,  der 
gleichfalls  Ägypten  für  sich  beanspruchte  und  alle 
Ungläubigen  nüt  der  Schärfe  des  Schwertes  vertilgen 
wollte.  Aber  der  gemeinsame  Hass  wider  die  Euro- 
päer hielt  sie  beisammen  und  trieb  sie  vorwärts 
zur  Berennung  von  Alexandria,  die  jedoch  am  3.  Juli 
unterm  Feuer  der  englischen  Linienschiffe  xer- 
scheUte.  Die  Panzerkreuzer  „Suffolk"  und  „Le- 
viathan"  (von  der  sogenannten  „Kent"-Klasse)  hielten 
den  Suezkanal  frei  und  säuberten  die  Ufer,  mussten 
aber  später  zum  Schutz  von  Kassala  abdampfen, 
gegen  welche  britische  Kolonie  ein  neuer  furcht- 
barer Gegner  pochte.  Menelik  stieg  von  seinen  Ber- 
gen herab,  liess  den  Engländern  und  Italienern  durch 


—     197     — 

seinen  Minister  Ilg  sagen,  er  sei  ein  Verbündeter 
des  deutschen  Kaisers,  mit  dem  er  in  besten  Be- 
ziehungen stehe,  und  bitte  sich  schleuniges  Verlassen 
des  ihm  von  Rechts  wegen  gehörenden  Territoriums 
aus.  So  kam  er  der  ihm  von  England  für  später 
zugedachten  Expedition  zuvor.  Ras  Alula  drängte 
die  italienischen  Truppen  mit  riesiger  Übermacht 
nach  Massauah  hinein,  das  sich  jedoch  halten  konnte, 
obschon  diesmal  sämtliche Ascaris  zu  denAbessiniem 
überliefen,  wie  nach  und  nach  alle  Sudanesen  und 
Fellah-Bataillone  den  Briten  Gehorsam  aufkündigten 
und  ihre  von  England  gelieferten  Waffen  gegen 
ihre  britischen  Offiziere  kehrten.  So  konnten  sich 
England  und  Frankreich  überlegen,  was  es  hiess, 
einen  Weltbrand  anzünden  und  sich  einbilden,  er 
werde  sie  selbst  verschonen.  Nachdem  gemeinsam 
britische  und  französische  Garnisonen  den  Kongo- 
staat überfielen,  trieb  eine  aus  Zentralafrika  auf- 
schäumende Springflut  der  Niggerstänmie  sie  selbst 
hinaus  der  Küste  zu.  —  —  —  —  —  -»-  — 
Auf  der  langen  Nordostfront  Frankreichs  von 
Seille  und  Meurthe  bis  Scheide  und  Sambre  ver- 
strichen zehn  Tage  in  völliger  Untätigkeit.  Zweifel- 
los hätte  ein  Vorstoss  aus  Flandern  noch  am  1.  Juni, 
wo  man  mit  drei  frischen  Divisionen  der  aktiven  und 
vier  der  Territorialarmee  dazu  imstande  gewesen 
wäre,  die  Sphäre  des  westfälischen  Korps  gestört 
und  Durchführung  der  Militärorganisation  in  den 
Niederlanden  gehemmt.  Doch  man  erfuhr  zu  spät 
die  Volksaufstände   gegen   die   Wehrpflicht,   wollte 


—     198     — 

überhaupt  volle  Defensive  bewahren,  weil  man  über 
deutsche  Absichten  im  unklaren  blieb  und  die  bri- 
tischen Niederlagen  zu  abschreckend  wirkten.  Nach- 
richten von  britischen  Seeerfolgen,  die  später  ein- 
trafen, hoben  zwar  die  Zuversicht,  doch  besann  sich 
die  französische  Kavallerie  erst  langsam  auf  ihre 
Pflicht,  jene  sdt  dem  26.  Mai  keck  südlich  der 
Sambre  streifende  deutsche  Reiterei  zu  vertreiben. 
Dies  geschah  durch  21.  Dragons,  13.  Curassiers, 
die  Vorbewegung  stockte  aber  gleich  wieder.  Bis  die 
volle  Mobilisierung  ausgereift,  sollte  nichts  gewzgt, 
überhaupt  der  deutsche  Angriff  innerhalb  der 
Sperrfortlinien  von  Dünkirchen  bis  Toul  abgewar- 
tet werden.  Sei  dieser  abgeschlagen,  hatten  die 
Deutschen  sich  die  Köpfe  blutig  gerannt,  solle  der 
Gegenstoss  eintreten.  Eine  Diversion  zugrmsten  der 
Belfortarmee  schien  unnütz,  da  die  räumliche  £nt- 
femung  leinen  richtigen  Überblick  der  Lag^e  ver- 
bot. Geradeaus  gegen  Metz  würde  jede  Offoisive 
ja  doch  zum  Stehen  kommen.  Die  Rechte  der  Nord- 
armee tastete  aus  Carignan  mehrmals  imsicher  hin 
und  her,  was  zu  kleineren  Zusammenstössen  mit  dem 
11.  Korps  und  der  Darmstädter  Division  fährte.  An 
der  nördlichen  Maas  alles  stül.  Die  bei  M^- 
zihres  stehenden  Geschlagenen  von  Fleurus,  durch 
ein  neues  Chasseurbataillon  „1  bis**  aus  dessen  Depot 
Troyes  und  noch  fehlende  Batterien  ergänzt,  rührten 
sich  nicht  vor  dem  rheinischen  Kori>s.  Anfangs 
hatte  nur  die  sogenannte  „Ostarmee"  (1.,  2.,  6.,  7., 
20.  Korps)  ihre  Mobilisierung  ganz  vollendet,  wäh- 


—     199     — 

rend  der  jetzigen  Südarmee  bei  ihrer  überstürzten 
Invasion   noch   manche  nötigen   Bestandteile  man- 
gelten.   Jetzt  befanden  sich  jedoch  die  Korps  von 
Rennes,  Le  Mans,  Ronen  in  komplettem  Zustand  im 
Norden  und  auch  die  Korps  von  Toulouse,  Limo- 
ges,    Bordeaux   auf   dem   Transport  nach   Rheims. 
Deutscherseits  war  bei  Metz  auch  das  Pommer- 
sehe  Korps  der  zweiten  Staffel  eingetroffen.  Eine  hes- 
sische Landwehrdivision  erschien  in  Luxemburg  und 
übernahm  beim   allgemeinen   Vormarsch   die    Zer- 
nierung  von  Montm^dy  und  Bewachung  der  Mosel- 
gegend.  Die  deutsche  Mittelarmee  zählte  jetzt  fünf- 
zehn Infanterie-,  fünf  Kavalleriedivisionen,  die  fran- 
zösische   neun   aktive,   acht    territoriale  Divisionen 
nebst  zwölf  Reiterbrigaden,  dahinter  fünf  aktive  Di- 
visionen zweiter  Staffel.  Im  Norden  hatten  die  Fran- 
zosen  von   Lille   bis   Carignan   zwölf  aktive,   sechs 
territoriale    Divisionen   nebst    zehn    Reiterbrigaden, 
wobc^i   jedoch   zu   bemerken,   dass   alle   Territorial- 
truppen nicht  in  etatmässiger  Stärke  zur  Stelle  waren. 
Dagegen  hatten  die  Deutschen  dort  siebzehn  xmd 
fernere  drei  aus  Belgien  nachrückende  Infanterie-, 
elf  Reiterbrigaden,  dazu    sechzehn    belgisch-hollän- 
dische nebst   sechs   Reiterbrigaden.     Der  letzteren 
soldatische  Minderwertigkeit  Hess  sich  nicht  leugnen, 
ward  aber  viel  zu  niedrig  angeschlagen,  man  vergass, 
wie  brav  die  Holländer  in  Garde  und  Linie  Napo- 
leons sich  schlugen,  wie  damals  Belgier  zu  Fuss  und 
zu  Pferd  ihren  französischen  Kameraden  nicht  nach- 
standen, sogar  die  eingestellten  Nationalgarden  der 


—     200     — 

Departements  Scheide  und  Jemappes  bei  Lützen  und 
Leipzig  sich  hervortaten,  dass  nur  englische  Prahl- 
und  Selbstsucht  das  angebliche  Fliehen  der  Belgier 
bei  Waterloo  erfunden  hat. 

Es  war  also  töricht,  dass  man  französischer- 
seits  diese  Bundesvölker  als  ganz  unebenbürtig  be- 
trachtete und  dabei  übersah,  dass  man  bereits,  um 
den  deutschen  Massen  die  Spitze  zu  bieten,  sechs 
Territorialkorps  zweiten  Aufgebots  ins  Feld  stellte, 
während  die  Deutschen  ausser  ihren  „vierten"  Re- 
servebataillonen nur  Truppen  erster  Klasse  in  der 
Schlachtlinie  hatten.  Da  bei  den  deutschen  Kavalle- 
riedivisionen die  Korpskavallerien  nicht  mitgezählt, 
besassen  sie  auch  bei  der  Mittelarmee  ein  Überge- 
wicht an  Reiterei,  das  freilich  für  das  bevorstehende 
Ringen  um  Befestigungen  nicht  ins  Gewicht  fiel 
dafür  aber  einen  stärkeren  Aufklärungsschleier 
vor  den  Heeresbewegungen  gestattete.  Ausserdem 
waren  die  deutschen  Divisionen  wegen  ihrer  vierten 
Bataillone  und  der  stärkeren  Formation  der  Ba- 
taillonskörper den  französischen  durchschnittlich  um 
dreitausend  Mann  überlegen.  Die  Ausstattung  an 
Geschütz  war  ungefähr  gleich,  das  französische  Mate- 
rial besser,  die  Unterstützung  durch  schwere  Ge- 
schütze der  Sperrforts  gesichert,  zu  deren  Bekämp- 
fimg auch  schwerkalibriges  Geschütz  aus  Metz  vor- 
wärtsgeschafft wurde.  Die  Gewehrqualität  war  eher 
etwas  besser  auf  deutscher  Seite.  Es  standen  im 
Zentrum  ungefähr  250  000  deutsche  Streitbare  (ohne 
Artillerie  und  Train)  gegen  200  000  französische  mit 


—     201     — 

einer  Reserve  von  60  000  Mann,  also  vollkommen 
gleiche  Kräfte,  dagegen  im  Norden  200  000  französi- 
sche gegen  125  000  deutsche  nebst  ferneren  20  000 
Reserve  via  Antwerpen  und  100000  belgisch-hollän- 
dische Streitbare. 

Die  schwierige  Ernährung  so  grosser  Massen 
drängte  nun  beiderseits  endlich  zu  entscheidender 
Aktion.  Am  6.  Juni  hatte  das  beiderseitige  Beob- 
achten ein  Ende,  und  es  erhob  sich  ein  langes  blu- 
tiges Ringen  auf  der  ganzen  Linie.  Es  fiel  dabei 
der  bisher  schon  so  bewährten  deutschen  Nord- 
armee die  Aufgabe  zu,  die  französische  Zentralstel- 
lung bei  Rheims  durch  allmählichen  Druck  auf 
Laon  zu  umfassen,  indes  die  Mittelarmee  erst  die 
Maaslinie  frontal  überwältigen  und  bei  Verdun  durch- 
brechen musste. 

Etwa  am  8.  Juni  war  auch  die  Südarmee  mit 
notwendigen  Truppenauseinanderziehungen  so  weit 
fertig,  dass  der  Angriff  auf  die  gewaltige  Belfort- 
stellung  beginnen  konnte,  wo  vorerst  nur  170  000 
Franzosen  gegen  250000  Verbündete  standen,  bei- 
derseitige Verluste  abgezogen.  Es  überschritten  hier- 
bei die  Badenser  und  Württemberger  den  Rhein  bei 
Kehl,  worauf  die  beiden  Divisionen  Langres  und 
Epinal,  die  Zemierung  Strassburgs  aufgebend,  den 
Abmarsch  in  die  Vogesen  antraten.  Das  Elsass  zu 
säubern  war  an  sich  verlockend,  doch  hätte  man 
ein  Nachstossen  über  die  Vogesen  gern  für  Her- 
anziehung aller  Kräfte  gegen  Beifort  geopfert,  wenn 
nicht  strategisch  in  Betracht  kam,  dass  ein  Forcieren 


—     202     — 

der  unteren  Maaslinie  die  Verbindung  zwischen  der 
feindlichen  Mittel-  und  Südarmee  zerschnitt  und  da- 
her letztere  nach  Einnahme  der  BelfortsteUun^r  vom 
Innern  Frankreichs  zum  Rhonegebiet  abdrängen 
konnte.  Auch  mochte  ein  Hineinstossen  über  die 
Maas  die  weiteren  Truppentransporte  nach  Rheims 
stören  und  zu  weitem  Ausbiegen  über  Paris  ver- 
anlassen. Schon  befanden  sich  hier  eine  starke  Elite- 
division algerischer  Tirailleurs  und  Zuaven  nebst 
berittenen  ,Goums'  und  »Zephirs'  und  zwei  Briga- 
den Chasseurs  d'Afrique  und  Spahis  aus  Marseille 
unterwegs,  die  man  trotz  des  marokkanischen  Kriegs 
aus  Algier  herbeizog,  um  sich  dieser  auserlesenen 
Mannschaft  nicht  für  den  Entscheidungspunkt  zu 
berauben.  Diese  Truppen  schlössen  sich  nachher 
dem  Korps  von  Orleans  an  und  erreichten  mit  ihm 
zusammen  Rheims  am  17.  Juni,  verbunden  mit  zwei- 
Territorialdivisionen  des  Departements  Hautes-Pyre^ 
n^es,  der  Cevennen  und  des  französischen  Navarra, 
die  als  trotzige  Montagnards  besondere  soldatische 
Eigenschaften  aufwiesen.  Für  die  Südarmee  war 
eine  aus  aktivem  und  territorialem  Aufgebot  ge- 
mischte Korsendivision  im  Marsche,  die  aus  Pono 
Vecchio  übergeführt  und  mit  einer  ähnlich  gemisch- 
ten Division  Savoyer  und  einar  Division  Bouches-du- 
Rhöne  vereint  wurde.  Dagegen  sah  man  sich  bald  ge- 
nötigt, eine  Menge  Territorialtruppen  der  Regio- 
nen Toulouse,  Lyon,  Marseille,  gemischt  mit  an- 
deren Depotcadres  Provence  und  Dauphin^,  nach 
Algier  überzuschiffen,  wo  das  19.  Korps  mit  seinen 


—     203     — 

andern  dort  stationierten  Hilfstruppen  und  den 
Garnisonen  von  Biserta  und  Tunis  für  die  afrikani- 
schen Angelegenheiten   nicht   mehr  ausreichte. 

Frankreich  war  hiermit  schon  ziemlich  an  der 
Grenze  seiner  Leistungsfähigkeit  angekommen,  da  die 
weiter  auszuhebende  Million  Ersatzreserven  schon  be- 
denklich dem  glich,  was  man  in  Deutschland  Land- 
sturm oder  Ersatzreserve  IL  Klasse  nennen  würde.  Zur 
Besetzung  der  Pariser  Forts  standen  zwei  Terri- 
torialkorps in  Reserve,  zwei  weitere  bretonische  sam- 
melten sich  an  der  Loire.  In  Morbihan,  Beauce, 
C6te  d'Or  und  Puy  de  D6me  erstanden  grosse  La- 
ger für  Mobilgarden,  deren  Ausrüstung  man  fie- 
berhaft betrieb.  Von  seinen  achtunddreissig  akti* 
ven  Divisionen  hatte  Frankreich  schon  alle  und 
die  afrikanische  Elitedivision  ia  Bewegung,  von  eben- 
soviel territorialen  schon  neunzehn  am  Feinde,  sieben 
eingereiht  in  Reserve,  den  Rest  in  Ausrüstung, 
während  deutscherseits  nur  zwei  Landwehrdivisionen 
in  Holland,  eine  vor  Montm^dy  und  zwei  süddeut- 
sche, die  Mitte  Juni  ins  Elsass  nachrückten,  das 
Kriegstheater  betraten.  Da  man  jedoch  an  der  Nord- 
imd  Ostseeküste  sowie  als  Ersatz  der  als  letzte 
aktive  Reserve  von  der  russischen  Grenze  nach 
Metz  abgehenden  drei  Divisionen  im  ganzen  fer- 
nere zehn  Reservelandwehrdivisionen  unter  Waffen 
hielt,  betrug  die  Zahl  der  deutscherseits  im  Feld 
beteiligten  Streitbaren  schon  rund  eine  Million,  mit 
Garde  und  9.  Korps  und  drei  aktiven  Divisionen  an 
der   Ostgrenze   und  drei   noch   in    Holland-Belgien 


—     204     — 

stehenden  Aktivbrigaden  über  anderthalb  Millionen, 
Artillerie  und  Train  inbegriffen.  Französischerscits 
nicht  weniger.  Die  phantastischen  Ziffern,  mit  de- 
nen man  theoretisch  sonst  um  sich  warf,  wonach 
beide  Parteien  etwa  sieben  Millionen  unter  Waf- 
fen halten  könnten,  konnte  man  im  Ernstfall  kaum 
aufrechterhalten.  Derlei  kam  nur  in  Betracht,  wenn 
man  nach  Vernichtung  ganzer  Armeen  im  eigenen 
Lande  die  ausgemusterte  Ersatzreserve  II.  Klasse 
und  teilweise  Landsturm  bewaffnete.  Auf  dem  Pa- 
pier hatte  Frankreich  unter  Gambettas  Diktatur  zwar 
übei  drei  Millionen  unter  Waffen,  aber  dabei  alle 
Nationalgarden  inbegriffen  und  unter  Ausrüstungs- 
beihilfe  von  England  und  Amerika,  was  heut  weg- 
fiel, da  Englands  Werkstätten  jetzt  für  eigene  Sache 
tätig  und  Amerika  desgleichen.  Mehr  als  achthun- 
derttausend wirkliche  Feldtruppen,  trotz  der  angeb- 
lich allein  sechshunderttausend  Bewaffneten  in  Pa- 
ris, brachte  Frankreich  auch  damals  mit  Levde  ec 
masse  nicht  auf.  Die  Ernährung  so  ung^eheurer 
Armeen,  wie  sie  jetzt  im  Felde  standen,  durch 
dreihunderttausend  Niederländer,  Schweizer,  Öster- 
reicher —  später  noch  mehr  —  auf  den  JFlankec 
vermehrt,  fiel  aber  wegen  der  seither  so  mächtig 
angewachsenen  Bevölkerung  noch  schwerer  als  frü- 
her^  wollte  man  nicht  der  Zivilbevölkerung  über 
Gebühr  Nahrungsmittel  entziehen.  Handel  und  Wan- 
del stockte  ohnehin  genug,  weitere  Aushebimg  aUer 
Männer  musste  zu  gänzlicher  Aufhebung  des  Er- 
werbslebens  auf   unbestimmte   Frist   führen.      Und 


—     205     — 

während  allerdings  Besitzergreifung  des  reichen  Bei 
^ien  und  Holland  bedeutende  Hilfsquellen  erschloss, 
auch  die  früher  für  »Krieg  auf  zwei  Fronten*  ge- 
fürchtete Absperrung  nach  Osten  nicht  vorlag  und 
Südrussland  wie  Ungarn  grosse  Getreidelieferungen 
beistellte,  machte  sich  die  Blockade  der  deutschen 
Küste,  die  völlige  Unterbindung  des  Seehandels, 
doch  bald  fühlbar.  Alle  Lebensmittel  in  Deutsch- 
land schlugen  auf,  die  unteren  Volksklassen  litten 
stark»  trotz  aller  Fürsorge  und  peinlicher  Genauig- 
keit der  Verwaltung  drohte  an  mehreren  Punkten 
förmliche  Hungersnot.  Diese  Krisis  nahm  freilich 
erst  seit  1.  Juli  ihren  Anfang,  aber  sie  drückte 
dann  genug  auf  die  EntSchliessungen  an  höchster 
Stelle.  Erst  um  diese  Zeit  begannen  auch  sogenannte 
Hungerrevolten  und  kleine  sozialistische  Putsche,  die 
freilich  um  so  weniger  Gefahr  brachten,  als  die 
wehrfähige  Arbeiterschaft  sich  zu  zwei  Dritteln  in 
Reih  imd  Glied  befand,  aber  allerlei  lichtscheuem 
Gesindel  den  Vorwand  zu  Gewalttätigkeiten  boten. 
Strengste  Repressalien  der  Behörden  schreckten  zwar 
ab,  immerhin  blieb  der  Notstand  im  Lande  eine 
Tatsache. 

In  Frankreich,  das  sich  angeblich  „aus  sich 
selbst  ernähren  kann**  und  ein  Drittel  weniger  hun- 
grige Mäuler  zu  speisen  hat,  quälte  die  Magenfrage 
etwas  weniger,  zumal  Amerika  zwar  Ausfuhrverbot 
für  alle  Heeresgegenstände  erliess,  aber  Cerealien 
und  Konserven  nicht  als  Kriegskontrebande  be- 
trachtete.   Da   aber   England,   das   Zufuhr   so   viel 


—     206     — 

nötiger  hatte,  auch  viel  besser  bezahlte,  floss  all- 
mählich nur  ein  Zehntel  amerikanischer  Sendungen 
nach  Brest,  alles  übrige  nach  Liverpool  ab.  Femer 
stellte  schon  Ende  Juni  die  Dampferlinie  Algier- 
Marseille  ihre  gewöhnliche  erspriessliche  Tätigkeit 
für  die  Pariser  Markthallen  ein,  da  die  überraschende 
Ausdehnung  des  Aufruhrgebiets  in  Afrika  den  Kreis 
der  Lebensmitteldarbietung  immer  mehr  verengte, 
zudem  die  dortigen  französischen  Truppen  selber 
starke  Bedürfnisse  hatten,  die  natürlich  an  Ort  und 
Stelle  allem  vorgingen  und  aus  Spanien  und  Portugal, 
die  durch  Ausbleiben  des  gewöhnlichen  Imports  aus 
Frankreich  und  England  gleichfalls  litten,  nicht  ge- 
deckt werden  konnten.  So  wuchs  die  Unzufrieden- 
heit auch  in  Frankreich,  die  Anti-Militaristen  und 
gewerbsmässigen  Sans-Patrie  erhoben  ihr  Haupt,  in 
Creuzot  und  St.  Etienne  bemächtigten  sich  Sozialisten 
und  Anarchisten  vorübergehend  der  Eisenwerke  und 
der  Munizipalgewalt,  die  Arsenal-  und  Hafenarbeiter 
der  grossen  Küstenstädte  forderten  höhere  Löhne 
und  drohten  mit  Gewaltstreik,  wenn  man  nicht  alle 
Forderungen  bewillige,  im  üandrischen  Grubengebiet 
und  Rochefort  gab  es  allerlei  heissblütige  Tumulte, 
wobei  die  Befestigungswerke  der  Insel  d'Aix  einmal 
beinahe  von  Anarchisten  in  die  Luft  gespren^^t  wur- 
den. In  Nizza  und  Mentone  jammerte  man  Stein  und 
Bein  über  Ausbleiben  der  Fremden,  die  Spielbank  in 
Monte  Carlo  drohte  ihre  Zahlungen  einzustellen, 
nachdem  Frankreich  das  Fürstentümchen  nüt  riesi- 
ger Kontribution  belastet. 


207 


In  Italien,  das  politisch  schwere  Sorgen  hatte, 
gresellte  sich  ebenfalls  die  ökonomische  Not  hinzu. 
Der  Export  beschränkte  sich  auf  Frankreich,  der 
Import  blieb  ganz  aus,  die  liederliche  Kriegsadmini- 
stration frass  Unsummen,  die  Finanzen  gerieten  nach 
einem  Monat  in  solche  Unordnung,  dass  das  ohnehin 
schon  so  masslos  mit  Steuern  geplagte  Volk  noch 
eine  ausserordentliche  Kriegssteuer  bezahlen  sollte. 
Die  Eintreibung  dieser  ausgeschriebenen  Taxe  führte 
in  Sizilien,  Bari,  Forli,  Reggio,  Amalfi  zu  blutigen 
Unruhen,  wobei  Maffia  imd  Camorra  ihren  Schnitt 
machten.  In  der  Romagna  gab  es  anarchistische 
Attentate  und  Überfälle,  die  sogar  den  Transportde- 
pots für  Albanien  und  Istrien,  Ravenna  und  Ankona, 
irefährlich  wurden.  Die  süditalischen  Armeekorps 
wurden  durch  all  solche  Störungen  paralysiert,  und 
obendrein  musste  man  noch  der  Kolonie  Eritrea 
massenhaft  aushelfen,  sobald  diese  in  harte  Bedräng- 
nis geriet.  Der  wandelbare  Sinn  der  Italiener  schrie 
Ende  Juni  schon  nach  Frieden. 

In  Spanien  wurde  das  Stocken  des  Weltverkehrs 
übel  empfunden.  Die  Kaufleute  besonders  in  Malaga 
beschwerten  sich  über  den  Ausfall  des  einträgUchen 
Handels  mit  Deutschland,  für  sie  war  Hamburg 
mindestens  so  wertvoll  wie  London.  Die  spanische 
unabhängige  Presse  beklagte  schon  während  der 
Konferenz  von  Algesiras,  dass  man  Frankreichs  Ge- 
schäfte auf  Kosten  spänischer  alter  Prärogative  in 
Tanger  besorge  und  die  Regierung  durch  dick  imd 
dünn  mit  den  Westmächten  gehe,  obschon  Deutsch- 


—     208     — 

lands  Standpunkt  der  einzige  für  Spanien  erfreuliche 
sei.   Aus  Rücksicht  auf  des  jungen  Königs  englische 
Ehe  hatte  man  den  beweglichen  Vorstellungen  Ge- 
hör geschenkt,  Spaniens  Finanzen  gestatteten  nicht 
tätige  Teilnahme  und  Parteiergreifen  im  Weltkrieg. 
Bald  forderte  aber  Frankreich  in  arrogantem  Ton 
mehr  Truppenaufwand  gegen  Marokko,  wozu   sich 
ja    Spanien    verpflichtet    habe.     Auch  hierin  zeigte 
König    Alfonso,    der    ganz    und    gar    im    britisch- 
französischen   Fahrwasser    segelte,    sich    gehorsam 
und    willfährig.     Aber    als    nun    in    Marokko    die 
spanischen  Hilfstruppen  furchtbar  zugerichtet,  gjng 
das    Murren    der    Spanier    in    offene    Auflehnung 
über.    In  Barcelona  und  dem  alten  Anarchistennest 
Carthagena  kam  es  zu  offener  Empörung  gegen  die 
bewaffnete   Macht.    In  naiver   Unkenntnis   der  po- 
litischen  Ohnmacht   Spaniens,   im  Aberglauben   an 
Spaniens  Grösse  erzogen,  wollte  es  der  Bevölkerung 
durchaus   nicht   in  den   Kopf,   dass   man   willenlos 
zu  jedem  Machtgebot  aus  London  und  Paris  Ja  und 
Amen  sagen  müsse.  Drohende  Leitartikel  von  Pariser 
Nationalistenblättern,    dass    man    Spaniens    Armee 
als  Reserve  der  französischen  nördlich  der  Pyrenäen 
bedürfe,    gössen  Öl  ins  Feuer.     Und  endlich  kam 
ein  ,Untoward  Event',  wie  die  Briten  es  so  passend 
nennen,    das    von    weittragendsten    Folgen   werden 
sollte.  Seinem  alten  gedeihlichen  Grundsatz  gemäss, 
dass  England,  wenn  die  Kontinentalmächte  sich  auf 
dem  Festland  rauften,  irgendwo  bei  Neutralen,  wenn 
nicht  beim  Feinde,  sich  gute  Beute  als  ^Kompensation* 


—     209     — 

seiner  Kriegskosten  holen  solle,  spähte  die  Meerbe- 
herrscherin umher,  wo  es  etwas  zu  rabuschern  gebe. 
Mit  Gibraltar  und  Malta  hatte  es  früher  die  ein- 
zigen Schlüssel  des  Mittelmeerbeckens,  seither  wuchs 
aber  Biserta  zu  gleicher  Bedeutung  empor.   Schade, 
dass   man  die   Gelegenheit  nicht   benutzen  konnte, 
es  durch  Überfall  dem  französischen  Verbündeten 
abzugaunern!    Doch   da  war  ja  noch  ein   anderer 
Punkt  von  eminenter  Wichtigkeit  für  Flottenstrategie, 
eine  in  englischen  Händen  uneinnehmbare  Station, 
von  der  man  gleichzeitig  Barcelona  und  Toulon  unter 
den  drohenden   Schatten  des   Union  Jack  bringen 
konnte:    Fort  Mahon  auf  den  Balearen.   Schon  ein- 
mal hatte  England  dort  im  achtzehnten  Jahrhundert 
seine  Flagge  gehisst,  ein  britisches  Regiment  prunkte 
mit  Ruhmannalen  seiner  Verteidigung  von  Majorca 
und  Minorca.     Das  damals  wieder  Verlorene    jetzt 
wieder   einzubringen,    schien   an   der   Zeit.    Seinem 
edeln  System  getreu,  telegraphierte  das  Foreign  Of- 
fice   ans    Blockadegeschwader   von   Konstantinopel, 
es  solle  unverzüglich  in  See  stechen  und  in  Höhe 
von  Ajaccio  den  versiegelten  Befehl  eines  entgegen- 
gesandten Schnelldampfers  einnehmen.  Gleichzeitig 
lief   eine  Transportflotte  von   Gibraltar  aus,  wohin 
man  schon  zuvor  vier  Regimenter  geschickt  hatte, 
angeblich  um  die  Garnison  zu  verstärken.  Dies  schien 
mit  Bedrohung  Tangers  zusammenzuhängen  und  er- 
regte   daher   kein    besonderes    Aufsehen.    Auffällig 
wurde  erst,  dass  diese  Transportflotte  nach  Norden 
abfuhr.    Unterwegs  mit  dem  Panzergeschwader  ver-. 

Völker  Europas  .  .  . !  I4 


—     210     — 

einigt,  stiegen  die  britschen  Landtruppen  sofort  auf 
den  Balearen  ans  Land,  ohne  sich  um  erstaunte 
Fragen  der  Inselbehörden  zu  künunem,  das  Ge> 
schwader  forderte  Fort  Mahon  zur  Übergrabe  auf 
und  zwang  das  ganz  vernachlässigte  Felsnest  nach 
wenigen  Salven,  die  Flagge  zu  streichen.  Die  Ba- 
learen gehörten  den  Briten,  ehe  noch  die  ersteo 
Depeschen  des  Inselgouvemeurs  nach  Barcelona, 
ob  sich  denn  Spanien  über  Nacht  im  Kriegrszustand 
mit  England  befinde,  eine  Antwort  erhielten.  Denn 
gleich  nachher  wurde  der  dortige  Kabeldraht  mit 
dem  Festland  sowie  ein  Apparat  drahtloser  Tde- 
graphie  vorsorglich  vom  Eroberer  unbrauchbar  ge- 
macht. Eine  Note  des  britischen  Gesandten  in 
Madrid  notifizierte,  dass  die  feindliche  Stinomung 
der  sx)anischen  Bevölkerung,  mit  wachsender  Be 
sorgnis  und  befremdender  Trauer  in  London  beob- 
achtet, leider  diese  Vorsichtsmassregel  nödg  mache, 

* 

um  Spanien  in  wohlwollender  Neutralität  zu  halten 
und  sich  eventuell  der  jetzt  nötig  werdenden  wirk- 
lichen Bimdeshilfe  zu  versichern.  Dem  wild  in  Spa- 
nien aufbrausenden  Sturm  konnte  der  König  nicht 
widerstehen,  wenn  er  nicht  Anarchie  hervorrufen 
wollte.  Mit  knapper  Not  entrannen  der  britische 
Gesandte  und  Generalkonsul  in  Madrid  einem  Lynch- 
gericht der  rasenden  Volksmenge,  an  anderen  Orten 
wurden  die  Konsuln  misshandelt,  mehrere  Eng- 
länder und  auch  Franzosen  niedergestochen.  Ge- 
nugtuung musste  der  König  verweigern.  Dies  war 
der  Krieg. 


—     211     — 

England  rechnete  damit.  Die  auf  der  Reede  von 
Ferrol  liegende  schwache  spanische  Marine  sah  sich 
zi^ei  Tage  später  von  einem,  aus  der  nicht  mehr 
in  voller  Stärke  benötigten  Kanalflotte  und  zweiten 
Reserveeskadre  imter  Admiral  Sir  Wilson  vorsorglich 
zusammengesetzten,  fliegenden  Geschwader  über- 
fallen und  von  Gnmd  aus  zerstört.  Spanien  konnte 
sich  nicht  anders  rächen,  als  dass  es  Frankteich 
verantwortlich  machte  und  einerseits  an  den  Pyrenäen 
mobilisierte,  was  die  Franzosen  zwang,  alle  nach 
dem  Osten  von  dort  in  Marsch  gesetzten  Truppen- 
transporte anzuhalten,  andrerseits  dem  Sultan  von 
Marokko  spornstreichs  mitteilte,  dass  es  jede  Feind- 
seligkeit gegen  ihn  einstelle  und  gemeinsame  Sache 
gegen  die  Franzosen  machen  wolle.  Dieser  Zustand 
der  Dinge  am  2.  Juli  kam  allerdings  erst  am  6.  zu 
deutschen  Ohren,  da  Spanien  selbst  von  jeder  Kom- 
munizierung mit  Europa  abgeschnitten:  nämlich  aus 
Marokko  die  afrikanische  Küste  entlang  nach  Kairo 
und  von  dort  via  Konstantinopel.  Mittlerweile  hatte 
Kaiser  Wilhelm  aber  schon  eine  merkwürdige  un- 
klare Haltung  zweier  ohne  ersichtlichen  Grund  unter 
einem  Vorwand  vor  ihtn  erscheinender  französischer 
Parlamentäre  wahrgenommen.  Und  hiermit  trat  die 
überraschendste  Wendung  des  Weltkriegs  ein.  — 

Die  bayrische  Armee  hatte  in  der  Gegend  von 
Kolmar,  die  österreichische  (vorerst  nur  drei  Korps) 
bei  Hüningen,  die  schweizerische  bei  Basel  den 
Rhein  überschritten.  Da  das  uneinnehmbare  Bei- 
fort mit  seinen  weittragenden  Kanonen  die  französi- 

14* 


212 


sehe  Linke  deckte,  schienen  General  Deckherr's  13. 
14.  41.  Division  genügend,  um  sich  in  Festung  und 
Sperrforts  gegen  neun  bayrische  zu  halten.  Das 
übrige  Heer  bedeckte  in  festen,  verschanzten  Linien 
beide  Ufer  der  Lisaine,  ihr  erstes  Treffen  auf  der 
einstigen  Stellung  Werders,  nur  weiter  nach  rechts 
verlängert  und  nach  Nordosten  gekehrt,  das  zweite 
auf  den  Waldbergen,  von  denen  Bourbaki  nieder- 
stieg. Da  zahlreiche  Übergänge  beide '  Ufer  ver- 
banden, konnte  man  nach  Verlust  der  ersten  Stel- 
lung zwanglos  die  zweite  besetzen.  Am  8.  Juni  er- 
hob sich  riesige  Kanonade  auf  der  ganzen  Front, 
da  man  deutscherseits  ausser  den  Haubitzen  der 
Feldbatterien  alles  mögliche  Wurfgeschütz  aus  den 
Elsässer  Festungen  und  Landau  herbeiführte,  um 
die  Sperrforts  zum  Schweigen  zu  bringen.  Unter 
beiderseitigen  schweren  Verlusten  an  Menschen  und 
Material,  natürlich  grösserem  auf  Seite  des  minder 
gedeckten  Angreifers,  donnerte  dies  Ungewiiter  bis 
tief  in  die  Nacht.  Am  anderen  Morgen  meldeten 
jedoch  die  Fesselballons  der  Verbündeten,  dass  die 
Forts  sehr  bedeutend  beschädigt  seien  imd  offenbar 
tiefe  Bresche  klaffte.  Das  als  Zitadelle  ausg^ebaute 
Schloss  Montbeliard  stand  in  Flanunen,  die  blutrot 
durch  die  Nacht  leuchteten  und  auch  den  Frühnebel 
der  Flussufer  mit  Reflexen  färbten.  Beifort  selbst 
litt  wenig,  an  seinen  Felsbastionen  prallten  Mörser- 
bomben ab  oder  brachten  das  Gestein  nur  zum 
Bröckeln.  Dass  man  hier  nur  durch  Umfassung 
der  französischen  Stellung  Herr  werden  könne,  lag 


—     213     — 

auf  der  Hand.  Generalinspekteur  Prinz  Arnulf  schob 
daher  während  des  Tages  die  bayrische  Armee 
immer  mehr  rechts  südwestlich  an  Beifort  vorbei, 
wobei  die  Kanonen  des  Waffenlagers  diesen  Vor- 
beimarsch zwar  in  weiter  Femzone  auf  acht  Kilo- 
meter belästigen,  aber  die  Schwäche  der  Besatzung 
g^egen  solche  Übermacht  einen  Offensivausfall  zur 
Störung  der  Bewegung  verbot.  Die  bayrischen 
Ingenieure  hoben  seit  dem  9.  früh  Trancheen  vor 
Fort  Salbert,  Bessoncourt,  Roppe  aus,  Batterien 
und  Truppen  gruben  sich  so  gut  wie  möglich  ein. 
Man  konnte  hier  mit  keinem  Sturmangriff  Über- 
raschung erzielen,  nur  langwierige  förmliche  Be- 
lagerung mit  Laufgräben  fruchtete.  Am  10.  stand 
das  1.  (20.  deutsche)  bayrische  Korps  schon  im 
Rücken  von  Beifort  und  griff  weiter  aus,  die  franzö- 
sische Vorderstellung  bei  Chenebier  und  schon  die 
Flanke  der  zweiten  Linie  am  südlichen  Lisaineufer 
bedrohend.  Vorerst  freilich  nur  platonisch,  denn 
das.  heftige  dorthin  gerichtete  Rückenfeuer  der 
Festung  bannte  jede  unmittelbare  Annäherung  in 
ehrfürchtige  Feme.  Man  setzte  daher  den  Flanken- 
marsch noch  weiter  fort.  Am  11.  stand  schon  das 
3.  (22.  deutsche)  bayrische  Korps  am  vorherigen 
Aufmarschpunkt  des  l.^das  seinerseits  nachmittags 
in  weitem  Bogen  die  zweite  französische  Linie  um- 
f asste  und  aufs  heftigste  angriff. .  Der  französische 
Armeekommandant  bildete  zwar  eine  starke  Haken- 
flanke, indem  er  immer  mehr  Brigaden  des  zweiten 
Treffens    nach    links    abmarschieren   und    herum- 


—     214     — 

schwenken  liess,  entblösste  aber  so  seine  erste  Linie 
jenseits  der  Lisaine  von  nötigen  Reserven.  Heut 
fiel  General  Pau,  Kommandant  von  Beifort 
aus,  behelligte  .  das  3.  und  warf  anfangs  das 
frontal  verbliebene  2.  (21.  deutsche)  Korps  zurück, 
viele  Laufgräben  zerstörend.  Nach  überaus  blutigem 
Ringen  musste  er  aber  über  Les  Perches  ins  Lager 
zurück.  Inzwischen  hatten  am  9.  wiederholte  glän- 
zende Sturmläufe  der  Österreicher  gegen  das  feind- 
liche Zentrum  nur  wenig  Terrain  gewonnen  und 
schwere  Opfer  gekostet,  doch  wütete  auch  ihr  vor- 
treffliches Geschützfeuer  in  den  französischen  Reihen. 
Dagegen  machten  die  Schweizer  auf  der  linken 
Flanke  der  Verbündeten  in  Richtung  auf  Moni- 
b^liard  gute  Fortschritte,  und  trotz  der  beklemmen- 
den Enge  des  Raums  zwischen  Beifort  und  Basel 
welche  dem  Schlachtaufnuursch  besondere  Schwie- 
rigkeiten bereitete  und  zu  ünzweckipässiger  tiefer 
Massierung  zwang,  gelang  es  am  10.,  sich  breiter 
zu  entfalten,  indem  die  Schweizer  senkrecht  zur  fran- 
zösischen rechten  Flanke  einschwenkten.  Ein  star- 
kes Landwehraufgebot  der  Kantone  Bern  tmd  Basel- 
land hatte  inzwischen  die  als  Flankenschutz  immer 
noch  die  Jurapässe  haltenden  Alpinbataillone  und 
Franctireiurs  seit  zwei  Tagen  angegriffen  und  mit  un- 
widerstehlicher zäher  Tapferkeit,  wobei  auch  eine 
Guidenschwadron  mit  Maxims  auf  halsbrecherischem 
Pfad  sich  auszeichnete,  die  Känune  erstiegen.  Dem 
Armeekorps  des  Oberst  Wille  sich  anschliessend, 
drängten  diese  Kräfte  nun  schon  am  IL  gegen  die 


—     215     — 

lange  Etappenlinie  des  Feindes  im  Ognonstal,  wo 
infolge  der  Bahnverhältnisse  die  Zufuhrbasis  pa- 
rallel zur  französischen  rechten  Flanke  lief.  Zum 
Schutz  der  aufgestapelten  Materialbahnzüge  musste 
daher  auch  dort  eine  möglichst  starke  Hakenflanke 
gebildet  werden,  die  freilich  im  tiefeingeschnittenen 
Doubstal  gute  Stellung  fand  und  sich  am  ganzen 
Tag  behauptete.  Gleichwohl  war  mit  dieser  Um- 
fassung beider  Flanken  der  zweiten  Linie  die  Sache 
entschieden.  Die  erste,  von  allen  Reserven  entblösste 
Stellung  konnte  tmmöglich  langer  gehalten  werden, 
wollte  man  sich  nicht  einer  Katastrophe  aussetzen. 
Unter  überaus  furchtbarem  Feuer  vom  Mont 
Vaudois,  das  die  vordringenden  Österreicher  in 
Schach  hielt,  räumten  die  Franzosen  das  nördliche 
Lisaineufer,  was  im  wesentlichen  ohne  grosse 
Einbusse  gelang.  Wenigstens  erreichten  die  Oster- 
reicher  Chagny  und  das  Ufer  weiter  abwärts  erst, 
als  der  Gegner  schon  jenseits  hinterm  Eisenbahn- 
damm lag.  Der  k.  k.  Feldzeugmeister  drängte  hin- 
£^egen  nördlich  von  Montböliard,  sobald  die  Massen- 
batterie vom  Mont  Vaudois  verschwand,  so  eifrig 
nach,  dass  die  Regimenter  Deutschmeister  und  Kö- 
nig der  Belgier  in  das  Städtchen  gelangten,  ehe  noch 
die  Nachhut  hier  abzog.  Von  Südosten  her  durch 
die  Schweizer  umzingelt,  musste  dieser  Teil  die  Waf- 
fen strecken.  Dem  erneuten  Angriff  des  1.,  3.  bay- 
rischen Korps  am  12.  von  Norden  und  Nordwesten 
setzten  die  Franzosen  keinen  nachhaltigen  Wider- 
stand mehr  entgegen,  der  Feind  zog  allmählich  auf 


—     216     — 

Villersexel  und  Besangon  ab,  die  drei  Belfort-Di- 
visionen  ihrem  Schicksal  überlassend.  Von  wirk- 
licher Niederlage  konnte  keine  Rede  sein,  die  Ver- 
bündeten verloren  in  den  fünf  Schlachttag^en  fünf- 
undzwanzigtausend, die  Franzosen  einundzwanzig^u- 
send  Mann,  wovon  viertausend  Gefangene.  Das  wohl 
verproviantierte  Waffenlager  war  ja  stark  genüge,  sich 
lange  zu  halten  und  zahlreiche  deutsche  Kräfte  zu 
beschäftigen.  Am  13.  begann  Einschliessung  des 
Belfortrayons  durchs  2.,  3.  bayrische  Korps,  Öster- 
reicher und  Schweizer  folgten  auf  Besangon,  wäh- 
rend das  1.  bayrische  Korps  den  beschwerlichen 
Marsch  auf  Langres  antrat,  um  dortige  Neuansamm- 
lung von  Territorialmassen  an  diesem  geeigneten 
Punkte  zu  stören.  Die  Badenser  und  Württemberger 
erreichten,  nach  Wiederherstellung  des  halbge^ 
sprengten  grossen  Vogesentunnelf,  die  südliche  Mosel- 
strecke und  erzwangen  am  16.  unter  hefti^^en  Ge- 
fechten den  Flussübergang  hinter  Remiremont.  Ihre 
Gegner,  die  beiden  aus  Elsass  vertriebenen  Divi- 
sionen nebst  ihren  zahlreichen  Freitruppen  und 
,Vogesen Jägern*,  hatten  wiederholt  kehrtgemacht  mid 
sich  brav  entgegengestemmt.  Doch  der  schwache 
Kranz  der  Sperrforts  an  dieser  Stelle  bot  dem  Durch- 
bruch keine  besonderen  Schwierigkeiten,  sie  zogen 
sich  langsam  ins  Innere  Frankreichs  zurück,  Maas- 
Depotpunkt  Neufchateau  und  Marne  nacheinander 
räumend.  In  Montargis  und  Chatillon  sur-Seine  ent- 
standen Freilager  von  Mobil-  und  Nationalgarden. 
Der  Kommandeur  der  französischen  Südarmee 


—     217     — 

hatte  in  vollem  Masse  seine  Schuldigkeit  getan,  als 
er  unter  die  Kanonen  von  Besangon  zurückfiel  und 
sich  auf  Dijon  basierte.  Verbindung  mit  Nordfrank- 
reich musste  er  aufgeben  und  sich  auf  Verteidigung 
Burgunds  beschränken.  Verstärkungen  über  Lyon 
trafen  nicht  sehr  reichlich  ein,  aus  früher  ange- 
gebenen Gründen.  Die  Operationen  kamen  jetzt 
zum  Stillstand.  Nachhaltige  Verfolgung  blieb  aus, 
da  die  Schweizer  mm  genug  getan  zu  haben  glaub- 
ten, was  der  Oberkommandant  Oberst  Bleuler  un- 
umwunden zu  verstehen  gab.  Die  Milizarmee  hatte 
sich  besonderes  Lob  erworben,  ihre  Leistung  war 
musterhaft.  Der  österreichische  Feldzeugmeister  er- 
wartete Eintreffen  zweier  anderer,  bisher  wegen 
italienischen  Feldzugs  zurückgehaltener,  jetzt  frei- 
gewordener Korps,  um  Operative  über  Nuits  auf 
Dijon  zu  veranlagen.  Er  hatte  begreiflicherweise 
kein  rechtes  Herz  zu  der  Sache,  die  ja  eigentlich 
Osterreich  selbst  nichts  anging,  und  gedachte  seine 
Truppen  möglichst  zu  schonen.  Die  Verpflegung, 
obscbon  nun  das  von  französischer  Invasion  aus- 
gesogene Elsass  wieder  freistand,  machte  in  diesen 
rauhen  steinigen  Gegenden  der  Franche  Comt^  und 
Bourgogne,  wo  nur  der  Wein  gedeiht,  beiden  Par- 
teien Schwierigkeiten.  So  verging  der  Junimonat 
ohne  weitere  Schläge,  nur  Vorpostengefechte  und 
Aufklärungstmtemehmungen  hielten  beide  Gegner 
etwas  in  Atem.  Die  Belfortdivisionen,  die  sich  stets 
hervorragend  schlugen  und  am  11.,  12.  durch  seit 
wärtigen     Vorstoss     auch    den    Österreichern     zu 


—     218     — 

schaffen  machten,  unterhielten  eine  tätige  Vertei 
digung,  doch  rückten  die  deutschen  Laufgräben 
näher,  und  eine  Thüringer  Landwehrdivision  nebst 
einer  aus  dem  Elsass  entsandten  konnten  den  Stand 
des  3.  bayrischen  Korps  einnehmen»  das  jetzt  von 
Langres  abwärts  sich  neben  den  Österreichern  auf- 
stellte. Wiederaufnahme  der  Operationen  begann 
schwach  am  4.  Juli,  und  dann  traten  Veränderungen 
der  politischen  Lage  ein,  die  allen  weiteren  Taten 
ein  Ende  machten.  — 

Die  süddeutsche  Kavallerie  überschwemmte 
Lothringen,  wo  sie  in  Nancy  schon  preussischen 
Ulanen  die  Hand  reichte,  streifte  längs  Maas  und 
Marne  bis  Chaumont,  schnitt  so  die  französische 
Mittelarmee  von  Verbindimg  mit  dem  Süden  ab.  Am 
20.  Juni  unternahmen  die  Badenser  und  Württem* 
berger  einen  Vorstoss  auf  Brienne,  Troyes,  Arcis  snr 
Aube,  kombiniert  mit  der  Riesenschlacht,  die  auf 
der  Linie  Laon-Chalons  im  Gange  war  und  sich  bis 
Vitry  fortsetzte.  Dies  führte  zu  zwei  sehr  lebhaften 
Treffen  bei  Guilloti^re  und  Bar  am  21.,  22.,  worin 
die  Franzosen,  meist  Territorialtruppen,  zwar  endlich 
geschlagen  wurden,  aber  dem  Gegner  grosse  Ver- 
luste zufügten  und  sich  im  Delta  zwischen  Seine  und 
Aube  bei  M^ry  erneut  setzten.  Da  aus  Nogent 
bedeutende  Verstärkungen  eintrafen,  gingen  die  Süd 
deutschen  bis  östlich  von  Troyes  zurück.  Auch  hier 
unterbrach  eine  bis  Anfang  Juli  herrschende  Waffen- 
ruhe bald  die  Feindseligkeiten.  — 

Die  Augen  der  ganzen  Welt  richteten  sich  im 


—     219     — 

Juni  nach  der  nördlichen  Maas,  wo  die  Ent- 
scheidungsschlacht des  grossen  Ringens  der  beiden 
Kultumationen  sich  abspielen  musste.  Und  hier  hob 
jener  denkwürdige  Kampf  an,  dessen  Umfang  die 
Völkerschlacht  von  Leipzig  und  die  Schlacht  von 
Mukden  weit  hinter  sich  licss.  Die  Verpflegungs- 
frage legte  beiden  Teilen  nahe,  raschere  Entschei- 
dung zu  suchen,  infolgedessen  die  drei  Korps  und 
zwei  Territorialdivisionen  der  äussersten  französi- 
schen Linken  sich  gegen  Belgien  in  Bewegung 
setzten,  um  günstigenfalls  eine  Diversion  gegen  Ant- 
werpen zu  vollziehen.  Umgekehrt  hatte  das  belgisch- 
holländische Heer,  7.  Korps  und  20.  Division  den 
Auftrag,  diese  Streitmacht  nach  der  Nordküste  abzu- 
drängen und  am  Eingreifen  in  die  Entscheidungs- 
kämpfe zwischen  Aisnes  imd  Maas  zu  hindern.  Auf 
blitzschnellen  Vormarsch  der  Deutschen  überTour- 
nay,  unter  Zurückwerfimg  des  normannischen  Korps 
und  zahlreicher  Reiterei  am  7.  und  8.  Juni,  fasste 
die  ,Armee  von  Flandern*  bei  St.  Quentin  Posto, 
von  wo  man  sowohl  die  Route  nach  Cambrai  nord- 
östlich als   nach   Laon   südwestlich   beherrscht. 

Faidherbes  altes  Schlachtfeld  war  hier  nach  jeder 
Himmelsgegend  erweitert,  wie  es  den  grösseren 
Massen  entsprach,  und  der  deutsche  Angriff  erfolgte 
keineswegs  wie  .einst  unter  Goeben  auf  beiden  Ufern 
der  Somme  aus  Westen  und  Südwesten,  sondern 
diesmal  von  Osten  und  Südosten.  Da  es  der  ober- 
sten deutschen  Heeresleitimg  nicht  darauf  ankam, 
die  Franzosen  von  ihrem  nördlichen  Festungsvier- 


—     220     — 

eck   und   ihrer    Küstenbasis   abzudrängen,    sondern 
umgekehrt  von  ihrer  Verbindung  mit  Südosten,  lag 
hier  am  9.  der  Schwerpunkt  des   Angriffs.    Wäh- 
rend die  belgische  Armee  nördlich  gegen  die  Chaus- 
see nach  Cambrai  auf  Belle  Eglise,  die  holländische 
gegen  den  Bahnhof  von  St.  Quentin  ihre  Angriffs- 
richtung  nahm,  schwenkten  die  deutschen   fünf  Bri 
gaden  und  Reitermassen  so  herum,  dass  sie  S^rau- 
court  erreichten  und  von  dort,  wie  in  jener  früheren 
Schlacht,  gegen  Castres,  Giffecourt,  Grugy  vordran 
gen.   Die  Reiterei  schwärmte  weiter  aus,  aufs  West- 
ufer der   Somme,   und  sperrte  dort   die  Richtung 
nach  Laon.  Da  man  französischerseits  die  deutsche 
Absicht  nicht  erkannte,  sondern  dieser  den  Gesichts- 
punkt  beimass,   den   Gegner  von    Cambrai    wegzu- 
stossen,  häufte  sie  im  Nordosten  ihre  Hauptkräfte 
an,  die  denn  auch  den  Belgiern  schwere  Stunden 
bereiteten  und  sie  nachmittags  gänzlich  zurückwar- 
fen. Der  hoUändische  Angriff  auf  St.  Quentin  schritt 
auch  nicht  derart  vor,  um  hier  einen  Erfolg  erken- 
nen zu  lassen.    Dagegen  wurden  die  Franzosen  im 
Süden  von  Westfalen  und  Hannoveranern  von  Stel- 
lung zu  Stellung  getrieben  und  gerieten  nach  Mittag 
so  in  die  Enge,  dass   die  Stadt  unhaltbar  wurde. 
Der  gegnerische   Führer  ordnete  daher  Rückgang 
in   die    Linie   Savy-Selency-Francilly   an,    der    aber 
bereits  längs  des  Sommekanals  von  Batterien  deut- 
scher Reiterei  und  zwei  Jägerbataillonen   flankiert 
wurde. 

Während  die  Holländer  durch  St.  Quentin  nach- 


—     221     — 

rückten,  gelang  es  den  deutschen  Pionieren,  so 
schnell  Sommeübergänge  herzustellen,  dass  die 
deutsche  Heerabteilung  südlich  der  Stadt  aufs  West- 
ufer gelangte  und  dort  die  Flanke  der  neuen  fran- 
zösischen Stellung  bei  Roupy  und  Dallon  anfiel. 
Das  Korps  von  Rennes  leistete  dort  rühmlichen 
Widerstand.  Wieder  trank  das  Savyholz,  diesmal 
von  Südosten  und  nicht  von  Westen  wie  damals  ange- 
griffen, viel  deutsches  Blut.  Wieder  pfiffen  aus  der 
dahinterliegenden  Ziegelei,  Runkelrübenhaufen  und 
Mergelgruben,  unausgesetzt  die  Kugeln  der  Chas- 
seurs.  Wieder  donnerten  die  französischen  Schnell- 
feuerbatterien von  der  Windmühlenhöhe  sowie  dem 
Hohlweg  bei  Contimühle  mit  sehr  viel  stärkerer 
Wirkung  als  an  jenem  Januartag  des  vorigen  Jahr- 
hunderts. Wieder  taten  es  Territorialbatterien  der 
Regionen  Arras  und  Dünkirchen  den  aktiven  gleich, 
wie  damals.  Da  aber  der  französische  Armee- 
kommandant an  seiner  strategischen  Vorstellung  fest- 
hielt, räumte  er  vor  Nacht  alle  südlichen  Punkte  und 
bezog  mit  einer  Achtel-,  dann  Viertelschwenkung 
eine  ganz  neue  Front  mit  dem  Rücken  nach  Norden, 
wie  früher  nach  Westen.  Die  siegreiche  Linke  dehnte 
sich  weit  nordöstlich  über  die  Cambrai-Chaussee  aus, 
das  Zentrum  blieb  bei  Francilly,  die  Rechte  reckte 
sich  nach  Westen  in  die  Linie  Pouilly-Vermand- 
Caulaincourt.  Die  Verbündeten  hatten  hiermit  ihren 
strategischen  Zweck  erreicht-,  die  Chaussee  nach 
Laon  völlig  in  Besitz  genommen.  Doch  schien  nötig, 
den  Feind  noch  weiter  aus  der  südlichen  Entschei- 


—     222     — 

dungssphäre  zu  entfernen,  weshalb  die  deutsche  Füh- 
rung für  den  10.  folgende  Disposition  ausgab: 

„Die  belgische  Armee  erneuert  ihren  Schein- 
angriff mit  allem  Nachdruck,  die  holländische  ht- 
obachtet  nördlich  imd  westlich  der  Stadt  eine  zu- 
wartende Haltung,  die  deutsche  Heerabteilimg^  brei- 
tet sich  nach  Westen  aus  und  nimmt  die  Höhen 
von  Pouilly,  das  Kavalleriekorps  beunruhi^rt  weiter 
nordwestlich,  um  den  Feind  für  seine  Verbindimg 
mit   Albert-Peronne-Bapaume   besorgt  zu   machen/' 

Die  Folge  dieser  ebenso  sinnreich-zweckmässigen 
als  einfachen  Direktive  blieb  nicht  aus.  Zwar  wurden 
die  Belgier  erneut  zurückgeschlagen,  wobei  sie  Ge- 
fangene und  Geschütze  verloren,  die  Holländer  warf 
ein  gewaltiger  Gegenstoss  des  Normannischen  Korps 
(Rouen)  bis  in  die  Vorstadt  St.  Martin  hinein.  Wäh- 
rend aber  die  Franzosen  hier  aus  hinhaltendem  Ge- 
fecht zum  Angriff  übergingen  und  die  Pouilly- Wald- 
schlucht ihrer  Rechten  für  uneinnehmbar  hielten, 
brachen  die  Hannoveraner  nachmittags  den  mann- 
hafter Widerstand  der  Bretagner  bei  Caulaincourt 

Das  Schlösschen  des  weiland  Grossstallmeisten 
Napoleons  sah  hier  blutige  Szenen.  Die  nicht  vollzählig 
mit  Rohrrücklaufgeschützen  bewaffnete  deutsche  ver- 
mochte freilich  die  französische  Artillerie  hinter  der 
Waldschlucht  nicht  niederzukämpfen.  Doch  gr^g^ii 
Abend  meldete  der  Ballon  ein  massenhaftes  Zu- 
rückgehen leerer  Patronenwagen  und  Protzen  auf  der 
Chaussee  nach  Albert,  das  feindlrche  Geschütz-  und 
Gewehrfeuer  ward  zusehends  schwächer,  die  Fran- 


—     223     — 

zosen  verschossen  sich  wieder  zu  früh.  Nunmehr 
entwickelte  sich  die  deutsche  imix)nierende  Reiter- 
masse auf  der  Flankte  in  der  Ebene,  wohin  auch 
die  holländischen  Dragoner  und  Husaren  abge- 
zweigt, und  schüchterte  die  französische  schwächere 
Kavallerie  so  ein,  dass  sie  kampflos  dem  Zusammen- 
stoss  auswich.  In  den  so  lange  fechtenden  Reihen 
des  bretonischen  Fussvolks  zeigte  sich  infolge  der 
Wamungsrufe  „Kavallerie  kommt  1**  ein  Schwanken. 
Nach  höchstgesteigerten  Generalsalven  auf  der 
ganzen  Front,  wobei  deutsche  Infanterie  und  Hollän- 
der alle  Feuerkraft  zusammennahmen  und  die  hanno- 
versch-westfälische Artillerie  ihre  alten  Verdienste 
von  Mars  la  Tour  imd  Gravelotte  erneuerte,  brachen 
die  westfälischen  Bataillone  unter  betäubendem  Hurra, 
vollständig  in  Schwärme  aufgelöst,  in  die  Wald- 
schlucht vor  und  erstiegen  den  Höhenrand.  Da  bei 
der  Territorialdivision  von  Douai  jetzt  eine  Panik 
ausbrach,  und  überall  die  Munition  ausging,  auch 
die  Umgehung  der  deutschen  Reitermasse  ein  Ab- 
schneiden der  Etappen  nach  Peronne  befürchten 
Hess,  trat  das  feindliche  Heer  nun  bei  Nacht  eiligen 
Rückzug  an,  in  zwei  auseinandergehenden  Kolon- 
nen nach  Albert  und  Cambrai,  um  „Schiessbedarf 
zu  ergänzen  und  taktische  Ordnung  wiederherzustel- 
len". Manche  Nachzügler,  doch  nur  acht  Geschütze 
zurücklassend,  hatte  dieser  wichtige  Teil  der  französi- 
schen Nordarmee  sich  somit  völlig  aus  der  Nähe  von 
Laon  entfernt,  stets  nur  darauf  bedacht,  die  Küsten- 
und  nördliche   Festungsbasis    zu   schirmen.      Dort 


—     224     — 

störte  die  Neuversammlung  ihrer  Kräfte  nichts,  nur 
eine  deutsche  und  die  niederländischen  Reiter 
divisionen  blieben  an  der  Klinge.  In  der  Stellung  v: 
beiden  Seiten  von  St.  Quentin,  die  eiligst  befestig! 
wurde  durch  Erdschanzen  und  Verhaue,  bewachtt 
fortar  das  belgische  Armeekorps  die  Strassen  nad 
Nordosten,  Nordwesten  und  Südosten  (Cambrai,  AI 
berl,  Laon).  Obschon  man  sich  aber  auf  bundestre-e 
Zuverlässigkeit  der  Niederländer  jetzt  verlasser 
konnte,  da  nichts  so  solide  kittet  als  Waffenbrüder 
Schaft  im  Siege,  und  auch  die  Holländer  sich(durcti 
ihr  Beitragen  zum  Erfolg  zu  ..fühlen**  beganneo 
schien  doch  sicherer,  jeder  Möglichkeit  einer  mc- 
rauschen  Schwäche  bei  etwaigen  Rückschlägen  vor 
zub  engen  und  die  Bundestruppen  später  durch  die 
19.  Division  und  27.  Brigade  abzulösen,  als  diese 
auf  französisches  Gebiet  übei  traten. 

Man  hatte  also  deutscherseits  hier  mit  verkehrter 
Front  geschlagen,  und  unerwarteter  Rückenstoss  aus 
der  Gegend  von  Laon  wäre  schwer  zu  parieren  g^ 
wesen.  Doch  die  andre  Hälfte  der  französischen 
Nordarmee  auf  der  Linie  M^zi^res-Sedan-Carigna: 
ward  am  9.,  10.  planmässig  durch  nachdrückliche 
Vorstösse  des  rheinischen,  thüringer  Korps  imd  de; 
Hessendarmstädter  gefesselt.  Besonders  bei  Vri^^ 
aux  Bois,  St.  Menges  und  Fleigneux,  wo  die  einstigen 
entscheidenden  Stellungen  der  deutschen  Artillerit 
auf  amphitheatralisch  überhöhenden  Waldberges 
diesmal  von  überlegener  französischer  gekrönt  wur 
den,  kam  es  zu  scharfen  Kämpfen.    Die  Franzosen 


OPERATION:       x-i 

ST.OUENTIN-LAON  *"" 
REIMS-CHÄLONS 

ZcLhlert: 
DeuJtsdieKorps 

tutäMärjche. 


i 


OSommesous 


—     225     — 

schrieben  sich  einen  Defensivsieg  zu,  doch  der  Zweck 
der  deutschen  Demonstration  war  erreicht.  Schon 
am  11.  abends  meldeten  vorgeschobene  Aufklärungs- 
abteilungen auf  der  Strecke  Laon-La  Fire  ein  Vor- 
rücken deutscher  Massen  aus  Norden  senkrecht  zur 
Maaslinie,  wodurch  sich  bald  dem  französischen 
Generalstab  der  wahre  Sinn  der  Schlacht  bei  St. 
Quentin  aufklärte.  Gleichzeitig  machte  sich  drohende 
Vorbewegung  des  rechten  Flügels  der  deutschen 
Mittelarmee  südwestlich  von  Montm^dy  bemerkbar. 
Da  blieb  nichts  übrig  als  sofortiger  Abmarsch, 
wollte  man  nicht  von  zwei  Seiten  abgeschnitten  werden, 
da  die  französische  Hauptarmee  beiVerdun  sich  aus 
guten  Gründen  nicht  rührte.  Zwei  Territorialbri- 
gaden im  Lager  von  M^zi^res  und  den  Sperrforts 
zurücklassend,  gingen  die  Franzosen  am  12.  mittags 
in  zwei  Kolonnen  über  Flize,  Donchery,  Bazeilles 
und  auf  Strecke  Carignan-Givonne-Lamoncelle  über 
Remilly  zurück.  Das  Passieren  der  Maasbrücken  ver- 
ursachte jedoch  manchen  Aufenthalt,  und  die  nach- 
hutdeckende ArtUlerie  musste  schon  nachmittags  in 
Linie  Floing-lUy  retirieren,  da  das  thüringer  Korps, 
dem  keine  so  starken  Positionen  entgegenstanden, 
der  Carignan-Nachhut  mit  aller  Macht  nach-  und  sie 
ins  Bois  de  la  Garenne  hineindrängte.  Hiermit  wurde 
auch  die  neue  Artilleriestellung  am  Calvaire  d*Illy 
unhaltbar,  und  die  Nachhuten  mussten  sich  sputen, 
über  die  Maas  zu  entkommen.  Nur  das  kräftige 
Feuer  von  der  Sedan-Maasschleife  und  den  Grenz- 
forts her  vereitelte  sofortiges  Nachstossen  der  Rhein- 

Völker  Europas  ...  I  1 5 


—     226     — 

länder,  deren  Artillerie  nun  aber  von  den  überhöhen 
den  Punkten  das  Plateau  bis  zur  Nacht  unter  ver- 
derbliche Beschiessung  nahm.  Aus  Sedan,  dessen 
Einwohner  teilweise  flüchteten,  leckten  schon  rote 
Flammen  empor.  Da  die  aiif  RemUly  dinierten 
Darmstädter  und  Kurhessen  bereits  die  Flanke  der 
dort  südlich  der  Maas  abziehenden  Marschsäulen 
bedrohten,  wichen  die  noch  nördlich  der  Maas  be- 
findlichen Franzosen  am  Ufer  entlang  bis  BazeiHes 
aus  und  bewerkstelligten,  dort  von  konzentrischem 
Geschützfeuer  erreicht,  ihr  Entkommen  erst  bei  Flize 
am  13.  mittags  unterm  Schutz  des  dortigen  Forts. 

Dieser  Teil  der  .Nordarmee  (drei  aktive  Korps, 
zwei  Territorialdivisionen)  setzte  den  Abmarsch  un 
unterbrochen  bis  in  die  festen  Linien  von  Laon  foit. 
ihre  Reserve  bei  Soissons  sollte  die  algerische  Elite- 
division bilden. 

Diese  Gesamtoperation  der  beiderseitigen  Nord- 
armee kostete  den  Deutschen  dreissigtausend,  den 
Verbündeten  zwölftausend  Mann,  wobei  dreitausend 
Gefangene,  Ausreisser  und  Überläufer;  den  Fraih 
zosen  dreiunddreissigtausend  Mann,  vierzehn  Ge 
schütze,  wovon  fünftausend  Gefangene.  Obschon  also 
der  strategische  Zweck  völlig  erreicht,  gaben  die 
damit  verbundenen  Opfer  doch  sehr  zu  denken  und 
flössten  unwillkürlich  Grauen  vor  der  kommenden 
Hauptentscheidung  ein,  neben  der  alles  Bisherige 
nur  ein  Kinderspiel.  — 

Bei  der  deutschen  Mittelarmee  hatte  man  ein 
Vorschnellen  der  Linken  in  Richtung  auf  Toul  und 


—     227     — 

Commercy  unterhalb  Verdun  in  Aussicht  genommen. 
Dies  fährte  am  6.  zu  einem  grossen  Reitergefecht, 
am  7.  zu  hitzigem  Raufen  des  deutschen  Lothringer 
Korps  mit  dem  von  Clermont  Ferrand,  am  8.  zu 
verstärktem  Kampf,  indem  das  Elsasser  und  das 
Korps  von  Bourges  gegenseitig  eingriffen.  Das 
blutige  Treffen  blieb  taktisch  unentschieden,  die 
Franzosen  zogen  es  aber  vor,  die  Maasforts  aufzu- 
suchen, da  das  Brandenburger  Korps  sich  gegen  ihre 
Flanke  im  Vormarsch  befand.  Am  9.  ruhten  die 
Waffen,  Toul  ward  isoliert,  nur  von  Reiterei  zemiert, 
die  bei  den  bevorstehenden  Fluss-  und  Schanz- 
kämpfen doch  keine  tätige  Rolle  spielen  und  erst 
jenseits  wieder  ihre  Aufklärungsarbeit  antreten 
konnte.  Da  die  Verdunstellung  frontal  so  ziemlich 
unangreifbar  erschien,  musste  Druck  auf  beide  Flan- 
ken das  Seinige  tun.  Vom  10.  bis  13.  hob  daher  ein 
ermüdendes  Ringen  um  die  Maassperrforts  südlich 
von  Verdun  an,  Linie  Woel-Apremont  vor  St.  Mi- 
hiel.  Allerdings  gelang  es  den  Haubitzbatterien 
und  herangezogenen  Metzer  Festungsgeschützen, 
die  Forts  allmählich  zum  Schweigen  zu  bringen, 
doch  das  Überschreiten  des  Flusses  forderte  noch 
viel  Blut,  und  den  Melinitbomben  der  Sperrforts 
fehlte  es  nicht  an  Durchschlagskraft  an  geeigneter 
Stelle.  Endlich  erlahmte  der  brave  französische 
Widerstand,  an  einem  Punkte  infolge  Aufsässigkeit 
und  Verratgeschrei  einer  mit  Anarchisten  durch- 
setzten und  von  der  Antimilitaristen-Propaganda  be- 
arbeiteten Territorialbrigade,  und  das  deutsche  15., 

IS* 


—     228     — 

16.,  3.  Korps  befanden  sich  jenseits  der  Maas  unter 
pünktlich  sachverständigem  Brückenschlag:  mit  Be- 
nutzung notdürftig  und  ungenügend  gesprengter  fran- 
zösischer Übergangspunkte.  Inzwischen  hatten  die 
starkformierten  6.,  20.  Korps,  eine  Division  aus  Tou- 
louse und  drei  Territorialkorps  aus  Verdun  eine 
Offensive  unternommen,  da  sich  Unmut  im  französi 
sehen  Kriegsrat  gegen  eine  zum  Nationalcharakter 
nicht   passende  passive   Verteidigung   laut    machte. 

Am  8.  bei  Buzy  sah  sich  die  eine  sächsische 
Kavalleriedivision  von  überlegenem  Andrang  ver- 
trieben, am  9.  bei  Harville  die  fast  völlig  (ausser  ihres 
in  Berlin  verbliebenen  Kort)s)  auf  dem  Kriegstheater 
vereinte  Gardekavallerie.  Am  10.  kam  der  feindliche 
Anmarsch  vor  dem  Magdeburger  Korps  zum  Stehen. 

Mit  fester  Entschlossenheit  hielten  diese  alten, 
seit  jeher  in  preussischer  Kriegsgeschichte  rühmlich 
bekannten  Regimenter,  bei  Königgrätz  und  Beaumont 
so  hervorragend,  den  ungestümen  Angriff  aus.  Die 
Halberstädter  Kürassiere,  die  aufs  neue  ihrem  Regi- 
mentsnamen „Seydlitz"  Ehre  machten,  und  die  Alt- 
märkischen Ulanen,  ihre  Genossen  beim  weltberühm- 
ten Todesritt,  machten  im  Verein  mit  den  dunkel- 
grünen Magdeburger  und  hellgrünen  westfälischen 
Husaren  eine  verzweifelte  Attacke  gegen  vorprellende 
feindliche  Geschwader,  die  mit  Zersprengen  der  12^ 
16.  Dragons  (Pont  ä  Mousson,  Rheims)  12., 
20.  Chasseurs  (St.  Mihiel,  Sezanne)  nach  rasendem 
Handgemenge  endete.  Als  die  Söhne  von  Magde- 
burg und  Halle  (Erfurter  Division  beim  11.  Korps) 


—     229     — 

zu  erliegen  drohten,  kam  das  12.  sächsische  Korps 
rechtzeitig  zu  Hilfe  und  deckte  den  notwendig  ge- 
wordenen Rückzug.  Baillouds  ausgezeichnete  Trup- 
pen 6.,  20.  Korps,  die  besten  des  französischen  Heeres 
neben  denen  des  Belfortlagers,  bewahrten  ihre  glän- 
zende Haltung  auch  am  folgenden  Tage,  wo  sie, 
durch  den  Sieg  begeistert,  weiter  vordrangen,  und 
man  hatte  alle  Mühe,  sie  mit  dem  dritten  sächsischen 
(deutschen  Nr.  23}  Korps,  das  frisch  in  den  Kampf  trat, 
abzuwehren.  Die  schneidigen  Sächser  des  Leipziger 
Korps  fochten  glänzend  wie  immer,  doch  die  kriege- 
rischen Tugenden  der  Franken,  von  Dun-Chamy  bis 
Conflans-Etain-Spincourt  vorgeschnellt,  überstrahlten 
heut  alles.  (Besonders  1.  17.  20.  Ch.  26.  79.  Regt.) 
Eine  Division  von  Limoges  und  die  Territorial- 
division von  Epinay  wurden  dafür  durch  das  kaum 
angelangte  und  imverweilt  in  Marsch  gesetzte  Pom- 
mersche  Korps  nördUch  bei  Loupy-Stenay  gänzlich 
geschlagen.  Am  12.  Hessen  die  Nachrichten  aus  St. 
Quentin  und  M^zi^res  schleuniges  Zurückweichen 
in  die  Verdimlinien  rätUch  erscheinen.  Dort  wollte 
man  anfangs  Schlacht  liefern.  Da  aber  am  14. 
die  Stelltmg  sich  durch  jene  schon  westlich  der 
Maas  entwickelten  drei  deutschen  Korps  xmigangen 
zeigte  und  ein  breites  Vordringen  der  Deutschen 
über  Sedan  auf  Vouziers  auch  im  Norden  die 
Flusssperre  umging,  gab  ein  dreimal  berufener 
Kriegsrat  endlich  die  Stellung  auf.  Im  Verduner 
Sperrfortnetz  drei  Territorialbrigaden  zurücklassend, 
rückte  die  französische  Hauptarmee  am  15.  auf  Cha- 


—     230     — 

Ions  ab,  wo  ihre  grosse  Reserve  schon  in  Stellung 
ging.  Dort  auf  den  katalaunischen  Feldern,  dem  so 
genau  bekannten  Exender-  und  Manöverfeld  des 
Camp  de  Chalons,  wo  man  ähnliche  Umgehung  vor- 
erst nicht  befürchtete,  sollte  der  letzte  Strauss  ausge- 
fochten  werden,  um  dann  im  Falle  des  Misslingeos 
auf  Paris  zurückzufallen.  Die  Deutschen  folgten  über 
Bar  le  Puc-Menehould  durch  Argonnendefilee.  — 
In  Paris  gab  es  natürlich  grosses  Geschrei  und 
eine  Pöbelemeute,  welche  die  republikanische  Garde 
und  die  Nationalgarden  der  inneren  Arrondisse- 
ments  unter  ziemlichem  Blutvergiessen  nieder- 
schlugen. Klerikale  und  Radikale  bezichtigten  sich 
gegenseitig  unterirdischer  Manöver,  durch  die  sie 
das  Vaterland  auf  geheimnisvolle  Weise  verraten 
hätten.  Redaktionsstab  eines  obskuren  Blättchens 
„Gil  Blas'*,  das  sich  durch  sittliche  Entrüstung  über 
Verhöhnung  deutscher  Offiziere  im  „Simplizissimus" 
einmal  Reklame  machte,  ward  durchgeprügelt.  Ein 
sozialistisches  Blatt  taufte  die  französischen  Gene- 
räle ohne  weiteres  „die  Sendlinge  des  Tyrannen 
Wilhelm",  die  „Libre  Parole"  verlangte,  dass  samt- 
liche Juden  als  preussische  Spione  aufgehangen  wür« 
den,  ein  Anarchistenmeeting  in  Belleville  forderte 
auf,  den  Montmartre  mit  gesinnimgstreuen  Blusen- 
männem  zu  besetzen  und  ein  Observatoriiun  zu  er- 
richten, von  wo  man  aus  der  Vogelperspektive  das 
bevorstehende  Auskneifen  der  Bourgeoise  beobach- 
ten könne.  Der  „Temps"  legte  sein  offiziöses  Amts- 
gesicht in  gravitätische   Falten  und  munkelte   von 


—     231     — 

russischer     Intervention.     Die     „R^publique    Fran- 
gaise**  und  „Aurore"  wollten  die  Verantwortlichkeit 
nicht  untersuchen,  welche  die  klerikale  Propaganda 
im  jesuitisch   erzogenen   und  verseuchten   Offizier- 
korps an  der  unleugbaren  Tatsache  trage»  dass  bis- 
her der  so  lange  erträumte  Sieg  nach  flüchtigem 
buhlerischen  Lächeln  des  Glücks,  dieser  alten  Pa- 
riser Kokette,  die  Trikoloren  meide.  Dass  die  Bel- 
f  ortarmee,  deren  erneuter  Rückzug  in  Paris  zu  wüsten 
Tumulten  vor   Börse,   Stadthaus   und  Oper  führte, 
von  der  in  Beifort  ansässigen  Familie  Dreyfus  vor- 
her durch  Vermittlung  der  Bankhäuser  Bleichröder 
und  Mendelssohn  an  Preussen  verkauft  worden  sei, 
dieser  grosse  Verrat  stand  den  Nationalisten  fest.  Ein 
radikales  Blatt  erkannte  dagegen  in  dem  ehrenwerten 
Führer  dieser  Armee  die  Physiognomie  eines  neuen 
Bazaine,  während  das  in  der  Provinz  ungeheuer  ver- 
breitete   Organ    „La    Croix"    allen    Gläubigen     die 
schaudervolle  Enthüllung  verabreichte:  Lebon,  Chef 
der  Nordarmee,  sei  Freimaurer  und  ziehe  daher  die 
Strafe  des  Himmels  auf  ,unser  teures  Frankreich* 
herab.     Der   Erzbischof   von   Orleans   konnte   sich 
nicht  enthalten,  in  diesen  Schickimgen  eine  Prüfimg 
des  imglücklichen  Vaterlandes  zu  erkennen,  das  sich 
den  Satansdienem  mit  Haut  und  Haar  überHeferte 
und  der  heiligen  Kirche  den  schuldigen  Gehorsam 
verweigerte,  sich  an  Kreuz  und  Altar  mit  Todsünde 
vergriff.       Unter     schmerzhaften     Krokodilstränen 
flehten  Überbleibsel  der  früheren  Kongregationen  öf- 
fentlich den  lieben  Herrgott  an,  dass  er  seine  irdischen 


—     232     — 

Stellvertreter  doch  nicht  auf  solche  Weise  rächen, 
Sodom  und  Gomorrha  wegen  einiger  imsträflicher 
Gerechter  (siebe  jene  mit  Arrest  bestraften  Offi- 
ziere, die  an  Konfiszierung  von  Kirchengut  nicht 
teilnehmen  wollten,  die  gottgeliebten  Märtyrer)  Ue- 
ber  verschonen  möge.  Nur  die  wackeren  Cur^ 
der  niederen  Geistlichkeit  vergassen  allen  religiösen 
Hader,  enthielten  sich  aller  Anspielungen  und  pre- 
digten auf  den  Kanzeln  völlige  Hingabe  aller  Stände 
an  „La  Patrie  en  danger**,  obschon  eine  einfluss- 
reiche Banditenrotte,  die  sich  lästerlich  „Zentral- 
komitee Lx)uise  Micher*  taufte  und  den  Namen 
dieser  edeln  verleumdeten  Enthusiastin  unnützlich 
im  Munde  führte,  vor  allem  Teeren  und  Federn 
aller  Dorfgeistlichen  unter  Entwendung  der  Kir- 
chengefässe  (angeblich,  um  sie  als  Münze  einzu- 
schmelzen) gebieterisch  forderte. 

Den  Rückzug  auf  Chalons  feierte  soleime  Kei- 
lerei des  Jockeiklubs  mit  einer  anarchistisch  aufge* 
wiegelten  Volksmenge,  die  ein  Liebesmahl  und  Fest- 
essen der  dort  versammelten  Jeunesse  dor6e  zu 
einem  Steinbombardement  benutzte,  mit  dem.  hei- 
sem  Geheul:  „A  bas  les  Aristosl  Ils  fönt  rigolo,  les 
amis  de  Tennemil  Nous  sonmies  plante,  nous 
autres  Frangaisl"  Zur  Feier  des  Tages  wurde  die 
Redaktion  des  „Gil  Blas"  von  strammen  Patrioten, 
die  sich  jenes  aufsehenerregenden  Artikels  zu  Khren 
deutscher  Offiziere  erinnerten,  nochmals  windel- 
weich geprügelt. 

Wichtiger   als   diese   moraUschen   Eroberungen 


233 


der  Hauptstadt  und  die  psychologischen  Tiefblicke 
der  Journalisten  fiel  dem  französischen  Oberkom- 
mando auf  die  Nerven,  dass  die  neue  lange 
Schlachtlinie  Laon-Vitry  neuerdings  durch  den  Druck 
der  Bayern  und  Württemberger  auf  St.  Dizier  flan- 
kiert wurde.  Letztere  Bedrohung  fiel  zwar  aus,  weil 
die  aus  dem  Elsass  zurückgegangenen  schwachen 
Kräfte  in  dieser  Richtung,  wie  wir  sahen,  eine  lange 
rühmliche  Gegenwehr  leisteten  und  den  Deutschen 
ein  weiteres  Vorgehen  versalzten.  Immerhin  machte 
sich  am  16.  ein  Teil  der  deutschen  Reitermassen 
auf,  xmi  bis  ziun  Marnekanal  Fühlung  zu  gewinnen, 
und  das  Lothringer  Korps  langte  am  18.  vor  Vitry 
an.  Trotz  der  grossen  Verluste  der  Maasoperation, 
die  sich  alles  in  allem  wieder  auf  vierzigtausend 
Mann  bezifferten,  beschloss  man  deutscherseits,  die 
Entscheidung  nicht  zu  verzögern,  aus  politischen 
inneren  und  äusseren  und  aus  Emährungsgründen. 
Die  drei  Divisionen  der  Ostgrenze  waren  nun 
gleichfalls  bis  Metz  verladen  worden,  da  jede  Beobach- 
tung Russlands  sich  imnötig  zeigte,  imd  ersetzten  voll- 
auf die  Einbusse.  Eine  Gardelandwehrdivision,  schon 
frühzeitig  mobilisiert,  hatte  man  auch  noch  kommen 
lassen,  und  diese  übernahm  die  Einschliessimg  der 
Maasforts  und  der  Festung  Verdim.  Die  kleineren 
Forts  und  Toul  liess  man  unbeachtet  liegen,  da  die 
abgeschnittenen  Garnisonen  der  ersteren  ja  doch 
bald,  mangelhaft  verproviantiert,  dem  Hunger  erliegen 
mussten,  Toul  (20.  Geniebat.)  wie  zemiertes  Mont- 
m^dy  im  Laufe  des  Krieges  jedenfalls  kapitulieren 


~     234     — 

würden.     Die  nördlichen   Sperrforts  bei   Flize  imd 
M^zi^res  zu  brechen,  war  allerdings  schwieriger,  da 
diese  kleine  Festung  mit  genügenden  Vorräten  ver 
sehen  und  die   Lage  dieser  Befestigungen  an  der 
belgischen  Grenze  beklemmend  für  jede  Ctappenlinie, 
die  man  in  dieser  Richtimg  aus  Belgien   anlegen 
wollte.     Das  rheinische  und  ein  Teil  des  thüringer 
Korps  bemühten  sich  daher  bis  zum  20.,  die  starkf 
Territorialbesatzung  zu  Falle  zu  bringen,  was  aber 
weder  ununterbrochener  Beschiessung,  noch  Stunfr 
versuchen  gelang.    Immerhin  musste  das  wichtigs:e 
Fort    bei    Flize    endlich    seine    sturmfreien    Wäile 
räumen,    der   Durchgang  von   der   Grenze    bis  lu: 
Maas  ward  genügend  freigelegt,   zur  Abwehr  voe 
Ausfällen  aus  M^zi^res  eine  Brigade  nebst  einigen 
herangezogenen    belgischen    Landwehren  zurückge 
lassen,  da  man  die  beherrschenden  Punkte  verschanr 
und  durch  entsprechende  Batterien  gesichert  hatte. 
so  dass  Ausfälle  im  Rücken  der  deutschen  Heeres^ 
Säulen  dort  wenig  Aussicht  hatten.    Da  Montmedy 
gleichfalls  genügend  zerniert  und  der  Ring  um  Verdic 
durch  die  bis  zum  18.  dort  lagernden  deutschen Hau|^ 
massen  so  eng  geschlossen  war,  dass  fortwährendf 
Beschiessung  und  nächtliche  Wegnahme  eines  Haupc 
forts  des  äusseren  Rayons  die  Besatzung  ermudetf 
und  demoralisierte,  so  konnte  man  zuletzt  noch  aus 
der  hessischen  imd  Gardelandwehr  eine  kombinierte 
Division  als  Reserve  der  Feldarmee  nachschiebes 
Der  stärkere  Teil  .der  Landwehr  im  Verein  im" 
Reiterei  besorgte  Beobachtung  und  Zemierung  ^' 


—     235     — 

Montmddy,  Toul,  Verdun,  da  im  Fall  des  Sieges 
diese  französischen  Posten  doch  alle  verloren  waren, 
beim  Gegenteil  ein  Verschwenden  von  Kräften  an 
diese  unbeweglichen  Objekte  ein  Fehler  gewesen 
wäre.  Den  französischen  Verlust,  um  zehntausend 
Mann  geringer,  wie  es  dem  Verteidigungsverhältnis 
entsprach,  vermehrte  die  Zurücklassung  fast  eines 
ganzen  Territorialkorps  in  Verdun  und  M^ziferes  als 
Kräfteausfall.  Doch  rückten  ja  nun  alle  Reserven 
zweiter  Staffel  am  20.  in  die  Linie  ein.  Während  die 
Korps  von  Bourges  und  Clermont  nebst  den  übrigen 
Territorialtruppen  dieser  Gruppe  die  lange  Strecke 
südlich  von  Chalons  bis  Vitry  ausfüllten,  standen 
das  6.,  20.  Korps  bei  Chalons  imd  Sommesuippe, 
die  frischen  Korps  von  Limoges,  Toulouse,  Bordeaux 
bei  Rheims  und  im  dortigen  gewaltigen  Fortnetz, 
das  1.,  2.,  3.  Korps  und  ihre  Bleibsel  von  Territorial- 
truppen von  Berry  au  Bac  bis  Athis  und,  Laon,  da- 
hinter als  bewegliche  Reserve  das  Korps  von  Orleans, 
die  zwei  Territorialdivisionen  der  Montagnards,  die 
algerische  Division  (sämtlich  ganz  komplett  und  stark 
formiert)  zwischen  Soissons  und  Fismes  an  der  Aisne. 
Nach  allen  Verlusten  betrug  diese  Streitmacht  noch 
375  000  Streitbare  (70000  der  Nordarmee),  rund 
450  000  Mann  Effektivstand.  Die  Deutschen,  inbe- 
£rriffen  die  drei  neuen  Divisionen  und  die  Landwehr- 
reserven, zählten  gegen  die  Linie  Vitry-Rheims 
270000  Streitbare,  befanden  sich  also  hier  um 
35000  Mann  in  der  Minderzahl.  Gegen  Laon-Soissons, 
wo  die  von  St.  Quentin  herabkommenden  fünf  Bri- 


—     236     — 

gaden  und  die  Holländer  hinzutraten,  nicht  weniger 
als  180000  Streitbare,  da  am  21.  auch  die  bd 
St.  Quentin  abgelösten  Belgier  als  Reserve  dn- 
trafen.  Im  ganzen  nicht  viel  unter  550  000  Mann 
Effektivstand  (inklusive  Artillerie,  Train,  Offi- 
ziere usw.).  Eine  volle  Million  Kulturmenschen  waren 
alsobeisanunen,um  sich  nach  Möglichkeit  abzuwüigea 

Um  das  Zusammengreifen  der  verschiedenoi 
deutschen  Armeegruppen  in  der  Zerreibungszone  zu 
ermöglichen,  musste  natürlich  deutscherseits  ein 
zeitlicher  Unterschied  echelonartiger  Angriffe  ins 
Auge  gefasst  werden,  um  die  räumlichen  Entfernun- 
gen auszugleichen.  Die  Offensive  staffelte  sich  da- 
her unimterbrochen  von  links  nach  rechts,  so  dass 
der  Kampf  auf  der  äussersten  rechten  Flanke  gt- 
gen  Soissons,  räumlich  so  weit  getrennt,  erst  be- 
gann, als  er  schon  fünf  Tage  auf  der  Linken,  drei 
im  Zentrum,  zwei  am  sonstigen  rechten  Flügel  tobte. 

Unbeirrt  durch  lauter  trübe  Nachrichten  des 
Flottenkriegs,  sah  die  deutsche  Heeresleitung  der 
Entscheidung  hier  mit  Zuversicht  entgegen.  Das 
Schlinmiste  an  örtlichen  Schwierigkeiten  hatte  man 
ja  hinter  sich,  denn  das  war  unstreitig  die  Maas- 
sperre gewesen,  jetzt  brauchte  man  keinen  Fluss 
mehr  unter  Kanonen  von  Forts  angesichts  des  Fein- 
des zu  überschreiten.  Die  riesige  Aktion  zerfiel,  auf 
Dauer  von  vielen  Tagen  angelegt,  in  eine  Kette 
getrennter,  doch  in  sich  zusammenhängender  Ope- 
rationen.  Vom  18.  bis  22.  Juni  mühten  das  .15., 
16.   Korps  sich  auf  der  Südstrecke  ab,  ohne  viel 


—     237     — 

Boden  zu  gewinnen.    Im  Gegenteil  erlitt  man  am 
21.  noch    vor  Vitry  einen  erheblichen   Misserfolg. 
Diese  so  früh  begonnenen  heftigen  Scheinangriffe 
sollten  aber  lediglich  dazu  dienen,  die  ohnehin  schon 
durch  jenes  Vorrücken  der  Badenser  und  Württem- 
berger im  weiteren  Süden  erregte  Aufmerksamkeit 
der   französischen    Oberleitung   dorthin   abzulenken 
und  ansehnliche  Kräfte  dort  zu  fesseln.    Dem  Vor- 
gehen des  3.»  4.  Korps  auf  Sommepuis    ging    eine 
grosse  Reiterschlacht  am  19.  voraus,  imter  Eingrei- 
fen der  beiderseitigen  Vortruppen.    Sie  kostete  den 
Franzosen  zwar  drei  Standarten,  fünf  Kanonen,  tau- 
send Gefangene,  den  Deutschen  aber  grösseren  Blut- 
verlust, da  man  bei  dreistem  Verfolgen  ein  fürch- 
terliches Feuer  aus  der  französischen  Hauptstellung 
empfing.  Am  20.-  verhielten  die  Deutschen  sich  hier 
planmässig  passiv,  neckten  den  Gegner  nur  durch 
Gefechte  um  einzelne  Dorfgruppen  vor  seiner  eigent- 
lichen Front,  die  er  gleichsam  als  vorgeschobene 
Vorderbastionen  benutzte.     In  anhaltendem  Artille- 
riekampf von  je  zweihundertfünfzig  Geschützen  be- 
haupteten die  Franzosen  ein  leichtes  Übergewicht. 
Kräftiger  packten  das  2.  Korps  und  die  drei  frischen 
Divisionen  die  Sache  bei  Rheims  an,   die  erst  an 
diesem  Tage  vorgingen,  doch  die  vorderen  feind- 
lichen Linien  mit  eins  in  heftigem  Anlauf  ins  Sperr- 
fortnetz hineintrieben. 

Als  der  Abend  sank,  verröchelte  zwar  mancher 
Mann  der  Ostsee  und  Oder  auf  der  weiten  Ebene, 
über  welche  fern  die  Türme  der  herrlichen  Käthe- 


—     238     — 

drale  von  Rheims  wegragen.  Doch  in  Rheims,  6k- 
sem  Zentraldepot  des  gesamten  Sperrfortsystems 
und  Hauptquartier  der  französischen  Armee, 
herrschte  eine  düstere  Stimmung.  Man  leitete  eine 
grosse  Offensive  ein,  wai  den  dreisten  Gegner  weit 
zurückzutreiben.  Am  21.  früh  erhoben  die  Rheimscr 
Forts  eine  betäubende  Kanonade,  ihre  dröhnendE 
Stimme  übertönte  das  Grollen  von  sechshundot 
Feldgeschützen. 

Da  hier  beiderseits  frische  Truppen  sich  gegen- 
überstanden, die  grösstenteils  zum  ersten  Male  ws 
Feuer  kamen,  gestaltete  sich  das  Ringen  äusserst 
lebhaft  und  hartnäckig  mit  unverbrauchten  Kiif 
ten.  Der  Feind  hatte  am  vorigen  Tag  die  Hälfte 
seiner  Masse  nicht  engagiert,  jetzt  setzte  er  alles 
ein,  auch  das  Korps  von  Orleans«  hinter  die  Ffod: 
näher  heranziehend.  £s  war  ein  grossartiger  An- 
blick, als  die  Gascogner  in  imabsehbaren  Schlacht 
häufen  zwischen  den  Forts  vorbrachen  iind  unter 
Gesang  der  MarseiUaise  mit  vollem  Elan  ihre  gut 
geleiteten,  gewandt  ausgeführten  Angriffe  begannei 

Die  deutschen  Linien  wurden  zidetzt  nach  insea 
eingebogen,  aber  nirgends  gesprengt.  Natürlich  fügte 
ihr  kaltblütiges  Feuer  dem  Angreifer  sehr  schwere 
Verluste  zu.  Immerhin  verloren  sie  eine  lange  Streckt 
Boden,  imd  die  im  Rheimser  Rayon  Eingeschnürten 
fühlten  grosse  Erleichterung.  Ein  Versuch  der  deut- 
schen Reiterei,  das  für  Attacken  so  geeignete  Blacb- 
feld  von  Chalons  zu  ihrem  auf  Manövern  so  b^ 
liebten  und  eingeübten  Massenritt  in  tiefer  Kolonne 


—     239     — 

zu  benutzen,  brach  kläglich  unterm  Schnellfeuer  des 
150.  160.  (ständige  Chalons-Garnison)  zusammen, 
ehe  man  über  Tourbe  entferntere  Vesleufer 
erreichte.  Zuletzt  brach  noch  die  Kürassierdivision 
von  Lun^ville  aus  der  Seitengruppe  des  6.,  20.  Korps 
seitwärts  hervor  und  brachte  die  gelichteten  Reiter- 
liarste  erst  recht  auf  die  Reise,  auf  Nimmerwieder- 
sehen. Dies  missglückte  Unternehmen,  zwischen 
Chalons  und  Rheims  durchzubrechen,  fiel  mit  beider- 
seitigem Rückzug  der  Gegner  vor  der  Linie  Chalons- 
Sommepuis  zusanunen.  Das  zur  Unterstützung 
des  Rheimser  Verstosses  vorgebrochene  6.  Korps 
geriet  hier  auf  halbem  Wege  mit  den  selber  offensiv 
entgegenkommenden  Brandenbiu'gern  aneinander. 
Nach  Taten  ebenbürtiger  verzweifelter  Tapferkeit 
Endete  die  Affäre  damit,  dass  sozusagen  beide  Teile 
Kehrt  machten,  um  sich  in  früherer  Ausgangsstel- 
lung zu  sammeln.  Doch  Hess  sich  nicht  verkennen, 
dass  Franzosen  (37.  69.  R.  vernichtet)  Erschütterung 
tiefer  empfanden,  als  die  unverwüstlichen  Märker. 

Erst  an  diesem  Tage  griffen  Hessen,  Thüringer 
(18.»  11.  Korps)  das  1.,  2.  französische  Korps  nördlich 
imd  nordwestlich  von  Rheims  an.  Der  Kampf  war 
hart  bei  Athis,  östlich  von  Laon.  Die  durch  pa- 
triotischen Opfermut  von  jeher  bekannten  rüstigen 
Söhne  der  Ardennen  und  des  Aisnedepartements, 
deinen  Aushebung  eine  Territorialdivision  ausmachte, 
Hessen  es  an  Bitavour  nicht  fehlen.  Doch  zu  schwer 
hatte  1.  Korps  in  Schlacht  von  Fleurus  gelitten. 
Ausser  dem  Einschrumpfen  vieler  Truppenkörper,  wo 


—     240     — 

mehrfach  je  zwei  Bataillone  in  eins  hatten  ver 
schmolzen  wertien  tnüssen  trotz  neueingestelltem,  zum 
Teil  freiwilligem  Ersatz  der  unmittelbaren  Heimat, 
um  deren  Gau  sie  hier  fochten,  sass  ihnen  Erinnc 
rung  der  Niederlage  in  den  Knochen.  So  konnte  es 
nicht  fehlen,  dass  sie  endlich  nachgaben  und  gegen 
den  Weg  nach  Cfaonne  zurückwichen.  1.,  33. 
124.,  127.  Regiment  halbvernichtet.  Hingegen  be 
hauptete  das  2.  Korps  (Isle  de  France)  die  Aisn^ 
ufer  bei  Berry-au-Bac,  Pontau-Vert  und  Umgegend 
Die  Pariser  Regimenter  verlangten  hier  stürmisch 
weitere  Offensive.  Dies  sollte  ihnen  auch  am  21 
gewährt  werden,  mittlerweile  traten  aber  neue  Be- 
dingungen ein,  die  das  bisherige  Aussehen  der  Ri^ 
senschlacht  änderten. 

Am  21.  beschränkte  sich  das  durch  Detache- 
ment  bei  M6ziferes  geschwächte  rheinische  Korps 
auf  aussichtslose  Kanonade  gegenüber  dem  Fort 
System  der  Felsfeste  Laon,  von  der  6.  Division  ver- 
teidigt. Am  Nachmittag  dieses  Tages  kamen  aber 
bereits  die  Westfalen  und  Holländer  auf  der  äusse- 
ren Flanke  dieser  Stellung  an  und  breiteten  sicb. 
gleichfalls  ohne  etwas  Ernstes  anzubandeln,  lang 
sam  weiter  südwestlich  in  Luftlinie  Laon-Soissoss 
aus.  Noch  weiter  westlich  war  die  Hannoversche 
Division  im  Anmarsch,  hinter  ihr  folgten  die  Bd- 
gier.  Dieser  drohenden  Waffenlawine,  die  sid: 
gegen  den  empfindlichsten  Punkt  der  endlosen  fran- 
zösischen Schlachtlinie  heranwälzte,  hatte  man  dort 
vorerst  nur  die  5.  Division  entgegenzustellen. 


—     241     — 

Kriegsministerium,  von  Paris  den  Nachschub  be- 
sorgend imd  alle  Fäden  in  der  Hand  haltend,  war 
zwar  bereits  am  15.  sich  darüber  klar,  dass  die 
Deutschen  von  Norden  her  herabstossen  würden. 
Doch  hielt  es  die  Kühnheit  für  ausgeschlossen,  dass 
sie  gegen  die  geschlagene,  doch  immer  noch  statt- 
liche „Armee  von  Flandern"  nur  so  geringe  Streit- 
kräfte belassen  würden.  Aufforderung  seines  höch- 
sten Vorgesetzten,  des  Kriegsministers,  sobald  als 
tunlich  die  Offensive  wieder  zu  beginnen,  beantwor- 
tete der  Chef  dieser  Armee  dahin,  dass  er  sehen 
werde,  was  möglich  sei,  aber  mindestens  eine  Woche 
brauche,  sich  zu  „ravitaillieren"  imd  „ralliieren".  Auf 
erneutes  Drängen  aus  Paris  tastete  er  sich  am  18. 
vorsichtig  vor,  wie  im  Nebel,  den  weitgesponnenen 
Schleier  der  deutschen  Klavallerie  nirgends  durch- 
stossend.  Da  ihm  jedoch  wiederholte  Information 
zuging,  der  Feind  habe  sich  von  St.  Quentin  südlich 
disloziert,  machte  er  energische  Auskundung  am  19. 
und  begriff,  dass  der  Feind  ihn  offenbar  nur  täusche. 

Nachricht,  dass  eine  deutsche  Kolonne,  vonAnt- 
-werpen  kommend,  in  seiner  Flanke  durch  die  Pi- 
cardie  anmarschiere,  liess  ihn  wieder  stutzen,  und 
so  verlor  er  einen  kostbaren  Tag.  Erst  am  21.  ging 
er  von  Albert  und  Cambrai  konzentrisch  vor,  ohne 
aber  die  Hauptmasse  seiner  Armee  in  Fluss  zu  brin- 
gen. Vor  St.  Quentin,  wo  die  Belgier  schon  ab- 
rückten, befand  sich  ausser  zahlreicher  Reiterei  nur 
die  aus  Antwerpen  gekonmiene  Westfalenbrigade, 
die  hannoversche  19.  Division  noch  östlich  der  Stadt. 

Völker  Europas  .-  .  .  |  l6 


—     242     — 

• 

Mit  schneidiger  Selbsttätigkeit  marschierte  siescK 
fort  auf,  des  schwerfälligen  feindlichen  Anmarsches 
gewahr  werdend,  und  griff  die  Chaussee  an.  Die 
Entwicklung  der  stutzenden  Franzosen  ward  so  lange 
gehindert,  dass  am  22.  früh  die  gute  Stellung  Pouilly* 
Francilly  nordwestlich  der  Stadt  besetzt  werdcc 
konnte  und  die  nun  energisch  ansetzende  Über- 
macht  den  ganzen  Tag  über  nicht  ordentlich  vor- 
wärts kam.  Hierzu  trug  freilich  bei,  dass  die  wegen 
ihres  Patriotismus  vielgeehrte  Stadt  von  den  Fran 
zosen  geschont  werden  musste,  die  ihre  Beschiessung 
möglichst  von  ihr  ablenkten.  Erst  am  23.  früh  räum 
ten  die  drei  deutschen  Brigaden  langsam  St.  Quen- 
tin  und  Umgegend.  Obschon  ihr  Rapport  sehr  über- 
trieben vorschützte,  man  habe  drei  volle  feindliche 
Korps  abgeschlagen,  so  war  \md  blieb  es  doch 
ein  Heldenkampf,  bei  dem  die  hannoversche  Artille- 
rie sich  so  aufopferte  wie  einst  bei  Beaune  la  Ro- 
lande. Nur  zögernd  folgte  der  Gegner,  und  am 
24.  erhielt  er  vollends  solche  Nachrichten,  dass  er 
selbst  schleunig  Kehrt  machte.  Denn  die  Entschei- 
dimg fiel  lange,  alles  war  aus  imd  vorüber.  — 

So  hatte  also  die  überwältigende  Masse,  die 
man  in  der  französischen  linken  Flanke  auf  den  Hals 
bekam,  genügende  Rückendeckung  imd  konnte  am 
22.  ihr  Werk  beginnen.  Aus  Paris  sandte  man  Eisen- 
bahnzüge über  Trilpert  und  Meaux,  La  Fert^  und 
Chäteau  Thierry,  Sezanne  und  Montmirail  mit  eini- 
gen 'Depotbataillonen  und  viel  Mobilgarden,  um  bei 
Neuilly  St.  Front  die  Aisnefront  zu  verlängern.  Dit: 


—     243     — 

Besatzung  von  Comi»^gne  suchte  d^i  Vorübermarsch 
der  Belgier  zu  stören.   Dies  half  aber  alles  nichts. 

In  Eile  musste  die  algerische  Division  vor  Sois- 
sons  aufmarschieren,  die  Montagnarddivisionen  da- 
hinter, um  einer  so  erdrückenden  Umschlingung  vor- 
zubeugen. Während  am  22.  vor  Chalons  eine  Ruhe- 
pause mit  blossem  Artilleriekampf  eingelegt  wurde, 
gingen  das  Pariser  Korps  (Seine-et-Mame)  und  die 
drei  südfranzösischen  zwischen  Berry  und  Rheims 
nochmals  zum  Angriff  über  und  schüttelten  die  Deut- 
schen in  heissem  Ringen  auch  wirklich  etwas  wei- 
ter ab,  jedoch  unter  schweren  Verlusten.  Aber  das 
thüringer  Korps  trieb  das  1.  französische  immer 
weiter  über  Fetieux  ins  Lettetal  bis  zu  detti  Kreide- 
plateau von  Craonne,  so  dass  das  2.  aus  seiner 
Offensive  bis  Corbeny  zurückbiegen  musste.  Wäh- 
rend in  der  Front  vor  Laon  nur  Artilleriekampf 
tobte,  gingen  die  Westfalen  gegen  die  ganze  Strecke 
des  Ardonbaches  vor,  wo  die  6.  Division:  den  schma- 
len Sumpfdamm  bei  Etouvelle  und  Chivy  verteidigte. 
Nach  heftigem  Feuerkampf  erstürmten  die  West- 
falen mit  schlagenden  Tambours  die  hohlwegartigen 
Talengen  und  warfen  den  Feind  teils  rückwärts  auf 
Laon,  teils  ins  Lettetal  auf  Ailles  zurück.*  Die  Rheim- 
serChaussee  war  schon  ganz  im  Besitz  der  Deutschen, 
Verbindmig  zwischen  Rheims  und  Laon  zerschnitten. 

Unter  diesen  Umständen  konnte  das  Rheinische 
Korps  endlich  auch  Frontalangriff  auf  den  Berg- 
kegel wagen,  wo  die  Forts  drohend  ihre  eisernen 
Ballen  entluden.   Südwestlich  umgehend,  nahm  eine 

i6» 


—     244     — 

Brigade  Clacy  fort,  wo  die  Linke  der  Westfalen 
sich  anschloss.  Ein  Vordringen  gegen  den  Berg  und 
Festungsgürtel  wollte  trotzdem  nicht  gelingen.  Ge- 
gen Abend  stiessen  die  Holländer  vor  Chavignon 
auf  die  Algerier,  deren  auserlesene  Tüchtigkeit  sich 
gleich  bewährte.  Die  erste  holländische  Divistc« 
ward  in  die  Flucht  geschlagen,  die  zweite  in  Panik 
versetzt.  Doch  dieser  Erfolg  hob  die  immer  droheo- 
dere  Zerrüttung  der  französischen  Linken  nicht  auf. 

6.  Division  in  Laon  war  offenbar  abgeschnitten, 
was  freilich  für  diese  hier  als  Festungsbesatzung  ge- 
dachte Truppe  nichts  Auffälliges  hatte,  da  sie  ihr 
festes  Lager  nicht  räumen  sollte  und  wollte.  5.  Di- 
vision und  1.  Korps  waren  im  Lettetal  zusammenge- 
presst,  2.  Korps  stellte  sich  in  zwei  Linien  zwischen 
Berry,  Braine,  Ronzy  auf,  um  eine  starke  Seiten- 
deckung sowohl  nach  Rheims  als  nach  Craonne  zu 
bilden.  Die  Rheimser  Heergruppe  behauptete  noch 
ihre  vorgeschobene  Stellung,  und  der  französische 
Oberstratege  träumte  von  dem  abenteuerlichen 
Plan  eines  Zentrumdurchbruchs  nach  napoleoni- 
schem Muster.  Da  er  den  Erfolg  der  Alge- 
rier in  seiner  Tragweite  überschätzte,  hielt  er  die 
Stellung  von  Soissons  für  gesichert  und  schob  da- 
her das  Korps  von  Orleans  nun  vorwärts  zwischen 
Rheims  und  Chalons. 

Der  23.  sollte  also  der  Entscheidungstag:  wer- 
den, doch  gehörte  noch  ein  weiterer  Tag  dazu, 
die  französische  Zentralstellung  zu  bemeistem.  Mit 
anerkennenswerter  Bravour  stürzte  sich  das  Orleans- 


—     245     — 

korps,  als  wolle  es  hier  nahe  den  Maasgefilden 
ihrer  Heimat  den  Befreierruhm  der  Jungfrau*  er- 
neuem, in  die  Lücke  zwischen  dem  3.  und  2.  deut- 
schen Korps,  und  sämtliche  französischen  Schlacht- 
haufen von  Rlieims  bis  Sommepuis  begleiteten 
zu  beiden  Seiten  dies  stürmische  Anrennen.  Wieder 
wankten  die  deutschen  Linien,  Jäger-zu-Pferd  und 
reitendes  Feldjägerkorps  des  kaiserlichen  Hauptquar- 
tiers flogen  mit  ängstlichen  Befehlen  hin  und  her. 
Doch  in  ihren  mit  dem  Spaten  ausgehobenen  lan- 
gten Schützengräben  eingebuddelt,  trotzten  die  Bran- 
denburger mit  so  eiserner  Ruhe  dem  Überrennen, 
dass  die  Hochflut  der  feindlichen  Waffenwogen  sich 
an  dieser  Stelle  brach  und  endlich  abends  an  allen 
Punkten  zurückebbte.  An  der  mittleren  Aisne  ver- 
drängten die  Daitnstädter  zwar  das  Pariser  Korps 
noch  nirgends,  dagegen  bemächtigten  sich  die 
preussischen  Hessen  von  Corbeny  aus  des  Eingangs 
zum  Craonner  Plateau,  die  Thüringer  (21.  und  38. 
Division)  beherrschten  vom  Schnittpunkt  Fetieux 
aus  die  Strassen  nach  Chavignon  und  Soissons,  so 
dass  sie  das  150  Meter  hohe  Kalksteinplateau  im 
Rücken  angreifen  konnten.  Ein  konzentrisches  Er- 
klimmen dieser  Stellung  ward  in  Aussicht  genom- 
men, doch  zog  man  es  vor,  von  Corbeny  aus  Seiten- 
stösse  des  1.  Korps  zu  parieren  und  ohne  ernstere 
Opfer  lieber  das  Plateau  gänzlich  im  Rücken  zu 
isolieren,  bis  man  bei  Chlvy  schon  den  Westfalen 
die  Hand  reichte.  Mittags  war  man  hier  so  weit, 
um  imter  blosser  Beobachtung  der  im  Lettetal  ab- 


—     246     ~ 

geklemmtea  drei  Divisionen  gegen  Chavignon  in 
die  Flanke  der  Algerier  zu  drücken.  Gleichzeitig 
begann  der  Angriff  der  hannoverschen  20.  Division 
auf  Soissons,  das  die  Montagnards-Territorialen  mit 
vielem  Mut  verteidigten.  Als  aber  abends  auch  noch 
die  Belgier  westlich  von  Soissons  Brücken  schlu- 
gen und  die  von  der  Marne  hierher  eilenden  Pa- 
riser Entsendungen  (Mobilgarden  und  einigte  De- 
potbataillone) vor  sich  herjagten,  brach  das  ganze 
Gerüst  der  französischen  Stellung  in  sich  zusammen. 

Hinter  der  französischen  Schlachtlinie  ein  reges 
wildes  Treiben  auf  Dutzende  von  Kilometern.  Dampf- 
wölkchen und  Zischen  von  Lokomotiven  auf  den 
Bahnsträngen  inmitten  des  Fortrayons,  weissliches 
Glänzen  der  staubigen  Chausseen  in  der  Sonmier- 
sonne,  stählerne  Waffenschlangen  unterm  hellg^rünen 
Flaum  der  Pappelalleen,  Pfeifen  und  Schnauben  von 
Transportzügen,  Sanitätstrains  ,R^nard',  für  alle 
Fälle  aufgestapelt,  unter  peinlicher  Überwachung  der 
Dynamit-  und  Pulvervorräte  für  Bahn-  und  Brücken- 
sprengung bei  etwaigem  Abzug.  Weiter  vom  Klat- 
schen deutscher  Haubitzgranaten  gegen  dicke  Stein- 
wälle  der  Forts  oder  Blindagen  von  Erdschanzen. 
Auch  als  später  deutsche  Pioniere  sich  bemühten, 
regelrechte  Minengänge  wie  zu  förmlicher  Bela- 
gerung inmitten  dieser  neuartigen  Riesenschlacht 
herzustellen,  bestanden  die  Rheimser  Forts  jede 
Probe  und  trotzten  auch  dem  Steilfeuer  der  Hau- 
bitzen noch  lange,  während  sie  an  der  Maas  sich 


—     247     — 

schlechter  als  ihr  Ruf  erwiesen.  Aus  dem  Motor- 
luftschiff in  Toul  und  zwei  weiteren  bei  Rheims 
mit  zerlegbaren  Teilen  aus  Stahlrohren  (Firma  Le- 
baudy,  Erfinder  Juillot)  regneten  Sprengstoffe,  ent- 
gegen Abmachungen  der  Haager  Konferenz.  Das 
Schiessen  gegen  dies  lenkbare  Luftschiff  war  viel 
unbequemer  als  gegen  Fesselballons. 

Kein  Bild  einstiger  Feldzüge,  noch  weniger 
ähnlich  Manöver  xmd  gar  deutschem  Parade- 
pomp. Spitzen  und  Adler  der  Helme,  geputzte 
Knöpfe  und  das  sonstige  so  pedantisch  gepflegte 
Metallmaterial  der  Ausrüstung  zogen  schon  in 
ersten  Gefechten  so  rasch  das  Feuer  des 
Gegners  an,  dass  man  auf  Helmschmuck  wie 
auf  sonstige  saubere  Montur  verzichtete,  um  so 
mehr  der  Helm,  ob  mit  oder  ohne  Bezug,  Kopf- 
verwundungen verschlimmerte,  bis  man  in  Feldmütze 
und  auch  sonst  sehr  unvorschriftsmässigem  Äussern 
dem  blutigen  Ernst  der  Kriegswirklichkeit  sich  an- 
passte.  Das  so  schön  schimmernde  weissgewichste 
Riemenzeug,  die  blitzenden  Säbelscheiden  und  Tres- 
sen, die  nutzlos  aufgeschraubten  Bajonette  beim  letz- 
ten Angriff  verschwanden  wie  eitel  Firlefanz.  Nur 
möglichst  eingedunkelt  konnten  Leder  imd  Messing- 
beschläge innerhalb  der  Zerreibungszone  geduldet 
werden.  Die  Scheiden  überzog  ein  graues  Flor- 
futteral, den  Offizierssäbel  liess  man  drinnen  stecken. 
Wozu  sollte  er  dienen,  da  man  unter  heutigen  Ge- 
fechtsbedingungen den  Säbelwink  doch  nicht  mehr 
wahrnimmt  I    Nicht   nur   die   Buntheit   der   Reiterei 


—     248     — 

und  ihre  unpraktischen  zwecklosen  Lanzenfähnlein 
brachten  beiden  Parteien  Nachteile,  auch  die  dunkel- 
farbigen Waffenröcke  mit  ihren  darauf  verstreuten 
roten  Flecken  hätten  besser  einen  grauen  Ton  ge- 
habt, wie  die  grauen  Offiziersüberröcke,  die  man  aber 
bei  Sommerhitze  nicht  tragen  konnte.  Es  wurde  bei- 
derseits erst  besser,  als  das  Biwakelend  im  Lehm- 
matsch Lothringens  und  auf  Kreidehimius  der  Cham- 
pagne einen  ähnlichen  schmutzigtrüben  Farbenton 
herbeiführte,  wie  beim  britischen  gelblichgrünlichen 
Kakistoff. 

Das  Strahlen  des  Sonmiertags  über  dem 
Schlachtpanorama,  dessen  Dünensionen  alles  Dage- 
wesene weit  übertrafen,  beleuchtete  auf  sammetgrüner 
Flur  nur  endlose  schwarze  Schnüre  wie  wimmelnde 
Haufen  von  Wanderameisen:  inStrassengräben  oder 
Ackerfurchen  eingeschmiegte  Schützen,  zwischen  de* 
nen  der  aufgewühlte  Boden  mit  einer  Kieselfontäne 
unter  Granatspritzem  puffend  aufstäubte.  Diese  un- 
glückliche Landschaft  durchharkte  ein  eiserner  Rie- 
senpflug. Fern  am  Horizonte  wetterleuchtete  es  un- 
unterbrochen mit  schwefelgelben  kreisrunden  Blitzen, 
selten  glitzerten  die  unabsehbaren  Reihen  schwän- 
licher Donnerrohre  unter  vorüberhuschendem  Son- 
nenstrahl. Bis  in  abgesessene  Reiterharste  und  Am- 
bulanzen mit  dem  roten  Genfer  Kreuz  weit  hinter 
dem  Schlachtgewühl  rauschten  eiserne  Bälle  nieder. 
Heranrollende  Bahnzüge  in  weiter  Feme,  Feldtelegra- 
phen und  Telephonvorrichtungen  spürten  manchmal 
die    ungeheure    Fernwirkung    moderner    Geschütze 


—     249     — 

schweren  Kalibers.  Überall  klatschten  Sprengge- 
schosse in  die  Marschkolonnen  der  Reserven  hin- 
ein, einen  klebrig-schmierigen  Brei  zermalmter, 
ineinander  verknäuelter  Leiber  hinterlassend.  Zap- 
pelnde Pferde  mit  aufgerissenem  Bauch,  dass  die 
Eingeweide  hervorquollen,  schrien  markerschüt- 
ternd in  den  brausenden  Donner  hinein,  der  jedes 
sonstige  Getöse  verschlang. 

Hunderttausende  Gewehre  klapperten  im  Takt 
wie  ein  riesiger  Maschinenapparat,  die  knatternden 
Maschinengewehre  wie  hartes  KIlirren  eines  hell- 
klingenden Schmiedehammers.  Zwischen  der  fein- 
gezeichneten Linie  zarten  Blaudunstes,  wie  rauch- 
schwaches Pulver  ihn  erzeugt,  stoben  graugelbe  Rauch- 
wolken empor,  aus  deren  Rand  es  krachend  auf- 
flammte. Doch  diese  einschlagenden  Granaten  fürch- 
tete man  minder  als  den  Sprühregen  der  Schrapnell- 
trauben. Nur  in  nächster  Nähe  hörte  man  noch 
das  Rasseln  der  Schlösser  und  Einschnappen  der 
Gewehrkammem,  das  heisere  Brüllen  der  Komman« 
dos,  von  Offizieren  mit  aller  Lungenkraft  ausge- 
stossen,  das  Gellen  der  Signalpfeifen:  alles  ging 
unter  in  einem  blitzenden  Orkan.  Durchgehende 
rasende  Gespanne,  umgeschleuderte  Protzen  quer 
hinter  sich  herschleifend,  stampften  über  Menschen- 
fetzen weg.  Die  starren  Umrisse  der  deutschen  Bat- 
terien, die  unaufhörlich  ihr  heulendes  Gebell  in  die 
Lüfte  warfen,  wechselten  selten  die  Stellung  ihrer 
Ehrhardtschen  Schutzschilde  und  dampfenden  Erd- 
walleinschnitte. Verschwammen  sie  in  abendlichem 


—     250     — 

Dämmer,  standen  sie  meist  noch,  wo  sie  zum  Him- 
mel schrien,  als  die  erbarmungslose  Sonne  greQ 
auf  ihrer  Höhe  stand  und  auf  stinkendes  Leiches- 
feld  schwül  herniederstach. 

Weder  Feldflaschen  noch  bei  Nacht  in  die 
Schützenketten  vorgeschaffte  Ledersäcke  mit  Wasser 
reichten  aus,  um  die  schier  verdurstenden  Kämpfer 
in  dieser  von  Sonnenbrand  imd  Feuerglut  brodelnden 
Hölle  zu  laben.  Bei  Einbruch  der  Dunkelheit 
krochen  alle  Versprengten  in  den  dunkeln  Saum 
der  Gebüsche,  sich  endlich  im  Schatten  zu  kühlen. 
Was  in  der  vorderen  Linie  aushielt,  streckte  sich 
in  den  Schützengräben  zum  Schlafe  nieder.  Brach 
der  Morgen  an,  fanden  beide  Parteien  wieder  lücken- 
lose  Fronten,  die  in  rastloser  Blutarbeit  sich  abwürg- 
ten. Sprungweises  Vorgehen  rief  stets  eine  Flut  von 
Schrapnellstücken  und  eisernen  Hagelschlossen  der 
Maschinenbüchsen  herbei,  jedes  Abbauen  ein  ver- 
zehnfachtes Schnellfeuer  der  feindhchen  Schützen 
mit  den  neuen  Kugeln,  die  eine  Schnelle  von  mehr 
als  achthimdert  Metern  in  der  Sekunde  besitzen. 
Hier  und  da  legte  man  die  beliebten  Tornisterver- 
schanzungen an,  meist  liess  man  Gepäck  aber  beim 
Gepäckwagen  zurück,  die  Franzosen  durchweg,  de- 
ren Offiziere  übrigens  seit  lange  nicht  mehr  dec 
Degen  zogen,  sondern  nur  mit  einem  Kommando^ 
Stäbchen  in  der  Hand  die  Ihren  zu  leiten  wussteo. 

Die  französischen  Schnellfeuerbatterien,  ur- 
sprünglich nur  ä  vier  Stück  formiert,  hatte  man 
schon  bei  Ausbruch  des  Krieges  auf  sechs  vermehrt 


—     251     — 

-wie  die  deutschen,  um  Einheitlichkeit  der  Leitung 
zu  erleichtern.  Bei  so  ungeheurer  Ausdehnung  des 
Gefechtsgeländes  erwies  sich  aber  das  früher  so 
entscheidende  Gruppieren  von  Massenbatterien  nicht 
mehr  so  wirksam,  imd  der  Infanteriekampf  löste 
sich  sozusagen  in  Bataillonskämpfe  auf,  eine  selt^ 
same  Erscheinung.  Drei  Kompagnien  in  der 
Schwarmlinie,  eine  in  Reserve,  nahmen  die  Ba- 
taillone oft  eine  Front  von  elfhundert  Schritt  ein. 
Die  Gewehre  verschleimten  aber  so  bald  durch  das 
unablässige  Knallen,  dass  manchmal  ein  Viertel  der 
Kämpfer  sie  nicht  mehr  brauchen  konnte.  Beim 
Verteidigen  fester  Punkte  wandte  man  öfters  sogar 
Handgranaten  an,  eine  Kampfweise  der  guten  alten 
Zeit,  die  also  wieder  zu  Ehren  kam.  Beim  Angriff, 
meist  unter  Benutzung  von  Rauchschichten»  warf 
man  mitgeschleppte  Erdsäcke  möglichst  weit  vor, 
um  sich  in  raschem  Lauf  wieder  hinter  ihnen  zu 
decken.  Doch  es  fruchtete  selten,  Vorderlinien  wur- 
den fast  immer  aufgerieben.  Auf  zweihundert  Schritt 
berangekommen,  erwies  sich  der  tapferste  Angreifer 
zu  schwach,  einem  dann  einsetzenden  Gegenangriff 
zu  stehen.  Man  hatte  geglaubt,  dass  heutige  Fern- 
feuerzone einen  Nahkampf  unmöglich  mache.  Schon 
der  japanisch-russische  Krieg  erwies  das  Gegenteil» 
£s  kam  vor,  dass  der  Verteidiger  erst  auf  drei- 
hundert Meter  sein  Feuer  losliess,  Ergebnis  halbe 
Vernichtung,  dennoch  Vordringen  bis  auf  zwanzig 
Schritt,  umsonst  I 

Selbst  die  festesten  Nerven  zerfrass  dies  ma- 


—     252     — 

schinenmässige  Abdrücken  der  Mordwaffen,  dies  Alh 
geschlachtetwerden  von  unsichtbarem  Gegn^er,  der 
stete  Anblick  dieser  Rauchhügel,  wo  wellige  Gelände 
ketten  über  Talsenkungen  mit  flachem  Strich  sich 
wölbten  und  eine  endlose  Esse  aus  unterirdischem 
Nebelschleier  zu  qualmen  schien,  das  Schlittern  und 
Stampfen  dieser  orgelnden  Schlachtmaschine,  die 
wie  in  einem  Mörser  Zehntausende  zerstampfte,  dies 
sausende  Hinwirbeln  von  Dampf  und  Staub  wie  von 
verschüttenden   Lawinen. 

Von  den  brennenden  Zeltlagern  um  Rheims  bi$ 
nach  Rethel,  wohin  endloser  Wagentross  deutsche; 
Ambulanzen  trottete  imd  mit  proviantfassenden  Train- 
kolonnen  rumpelnd  und  polternd  sich  kreuzte,  erscholl 
millionenfaches  Höllenorchester  von  unaufhörliches 
Wehelauten,  Winunern,  Kreischen,  Röcheln,  Fluchen, 
Beten  ohnmächtiger  Menschen,  Verstümmelter,  Zer- 
schlagener, Sterbender.  Leichenhaufen  verkohlten 
am  Wege,  aus  anderen  in  Gruben  durcheinanderg^ 
stülpten  Kadavern  wehte  ein  Pesthauch  schimme- 
liger Verwesung  unterm  zersetzenden  breiten  Licht- 
strom der  Sommersonne.  Das  Eingraben  der  Toten 
beim  Vorwärts-Verlassen  von  Stellungen  wollte  wäh- 
rend des  Kampfes  nicht  von  statten  gehen,  nun  be- 
sorgten alle  Trainbataillone  und  gesammelten  ver- 
sprengten Drückeberger  hinter  der  Front  dies 
schaurige  Geschäft.  Der  scharfe  Zug  des  Nacht- 
windes verbreitete  den  Geruch  von  Leichengift, 
Eimer  mit  Karbol  mussten  umhergeschüttet  werden. 
Wie  wenn  rotbraune  Herbstblätter  niederrieseln  und 


—     253     —  . 

den  feuchten  Waldboden  versinkend  bedecken, 
tropfte  es  von  allen  Bäumen  und  Büschen,  breite 
Blutlachen  sickernd  zu  einem  Rosateich  verquellend. 
Zäh  und  elastisch  wie  indische  Baumwolle  hat- 
ten die  französischen,  unbeugsam  imd  biegsam  wie 
stählerne  Drahtgeflechte  die  deutschen  Kampf- 
linien den  fürchterlichen  Stössen  der  Kriegsfurie 
standgehalten.  Doch  der  deutsche  Stahl,  der  Krupp- 
sche Gussstahl  erwies  sich  zuletzt  als  das  festere 
Metall,  an  dem  alles  glühende  Erz  der  Gallierlanze 
zersplitterte.  Germaniens  Brünne  blieb  undurch- 
dringlich, der  Heerkönig  und  Herzog  aller  Deut- 
schen sah  hoch  zu  Ross  über  ersiegte  Walstatt  hin. 

Als  der  24.  Juni  anbrach,  ohne  dass  die  fran- 
zösische Oberleitung  vollen  Überblick  gewann,  wo 
die  telephonischen  Meldungen  von  Viertelstimde  zu 
Viertelstunde  sich  drängten  und  oft  widersprachen, 
war  der  Ausgang  nicht  mehr  zweifelhaft.  Im  Zen- 
trum gewann  man  zwar  deutscherseits  kein  Terrain, 
liess  sich  von  der  trotzigen  über  Rheims-Chalons 
vorgeschnellten  kreisförmigen  Stellung  der  hier  fech- 
tenden sechs  französischen  Korps  nicht  zu  opfer- 
vollem Angriff  verlocken,  bis  man  mittags  endlich 
Abzugsbewegung  wahrnahm.  Denn  die  Ereignisse 
an  der  Aisne  bestimmten  den  französischen  Gene- 
ralissimus, von  starrsinnigem  Festhalten  der  Vesle- 
ufer  abzulassen:  das  Schicksal  von  Rheims  ward  in 
Laon  und  Soissons  entschieden.  Schon  vormittags 
erwies  sich  der  Fehler,  das  Orleanskorps  nicht  bei 


—     254     — 

Soissons  belassen  zu  haben,  iinreparierbar :  der  wch- 
tige  Ort  mit  seinem  alten  Festungswall  war  gegen 
Umgehung  der  Belgier  nicht  zu  halten.  Ciner  sol- 
chen Übermacht  gegenüber  blieb  den  tapfem  Terri- 
torialtruppen von  der  spanischen  Grenze  nichts  übrig. 
als  Schritt  für  Schritt  das  nördhche  Aisneufcr  zu 
räumen  und  östlich  auf  Fismes  zu  retirieren, 

In  qualvoller  Enge  zwischen  Westfalen,  Thü- 
ringern, Holländern  wehrte  sich  die  Algerische  Di- 
vision wie  ein  verwundeter  Atlaslöwe,  ihre  Turcos 
und  Zuaven  fielen  so  heldenhaft  wie  bei  Wörtk 
Der  Todesritt  ihrer  Elitereiterei,  der  Cbasseui? 
d'Afrique  \md  Spahis,  die  in  ihrem  roten  Burnus 
wie  Flamingos  über  einem  Blutteich  zu  flattern 
schienen,  blieb  allen  Augenzeugen  im  Gedächtnis. 
Nur  ihm  verdankten  die  Trümmer  dieser  glänzen- 
den Truppen  ihr  Entrinnen  nach  Fismes.  Ausfälle 
der  abgesprengten  Heergruppen  inLaon  undCraonne 
fruchteten  nicht,  sie  blieben  endgültig  abgescbnitteiL 
Den  100  Meter  hohen  Felsen  von  Laon  mit  Wein- 
bergen, steilen  Abfällen,  vereinzelten  Kuppen,  nas- 
sen Wiesen  imd  den  kaum  ersteigbaren  Vorstadtdör- 
fem  Ardon  und  Semilly  von  vom  oder  auch  vtm 
hinten  erklimmen  zu  wollen,  wo  heut  die  natürUdie 
Widerstandsfähigkeit  durch  Forts  mit  weiter  B^ 
Streichungssphäre  verzehnfacht,  dies  Vergnü^^en  be- 
reitete man  der  Besatzimg  nicht.  Lieber  deckte 
man  sich,  so  gut  es  ging,  gegen  die  Geschosse  der 
Forts,  die  weit  umher  nach  Norden,  Westen  und 
Süden  flogen. 


—     255     — 

Aus  dem  Lettetal  gab  es  für  die  dortigen  Divi- 
sionen kein  Entrinnen  mehr,  sobald  die  Darm- 
städter >endlich  Berry-au-Bac  einnahmen,  die  Thü- 
ringer bei  Chavignon  einen  Riegel  vorschoben,  und 
die  Belgier  von  Westen  her  am  jenseitigen  Ufer 
entlang  rückten :  sie  streckten  am  nächsten  Tage  die 
Waffen.  Das  französische  Zentriun  trat  nachmittags 
den  Abmarsch  zur  Marne  an,  wobei  die  Reste  der 
Linken  und  das  noch  verhältnismässig  intakte 
2.  Korps  die  Flanke  zu  decken  suchten,  jedoch  am 
folgenden  Tag  in  Auflösung  verfielen.  In  Rheims 
wies  das  Orleanskorps  noch  die  Zähne,  während  die 
beiden  erprobten  Korps  der  6.  Region  (Chalons) 
in  ungebeugter  stolzer  Haltung  die  katalaunischen 
Felder  verliessen  und  die  Rechte  unbesiegt  blieb.  Deut- 
scherseits erfolgte  jetzt  ein  wahres  Wettrennen  gegen 
die  ganze  Strecke  Rheims-Chalons.  Die  alte  Krö- 
nungsstadt der  Könige  von  Frankreich  sah  ein 
Schauspiel  düsterer  schauriger  Verwirrung,  als  die 
Heersäulen  imter  der  Trikolore,  gloiresüchtig  wie 
nur  je  unterm  Lilienbanner,  traurig  und  wutverzerrt 
vorüberrauschten. 

Unmittelbar  in  den  Rheimser  Rayon  nachzudrin- 
gen, verbot  das  Feuer  der  Forts,  die  gewichtigen 
Einspruch  erhoben.  Als  aber  die  bisher  in  Re- 
serve gehaltenen  sächsischen  12.  19.  23.  Korps  und 
die  nun  auch  als  Reserve  eingesetzte  kombinierte 
Landwehrdivision  zwischen  Aisne — Kanal — ^Vesle 
Mourmelon  norwestlich  umgingen,  musste  das  Nach- 
hutkorps  sich  beeilen,  um  nicht  abgeschnitten  zu 


—     256     — 

werden,  wie  die  im  Rheimser  Netz  verbliebenen 
Territorialtruppen,  die  sich  am  27.  in  ihr  Los  er- 
gaben und  kapitulierten.  Am  25.  früh  ging  die 
Axri^regarde  des  Orleanskorps  beim  Dorfe  Bezannes 
zugnmde.  Weitere  Hauptteile  des  innerlich  zer- 
schlagenen Heeres  zu  umgarnen,  glückte  nicht,  um- 
sonst machte  die  ganze  Reiterei  zur  Verfolgung 
sich  auf,  setzte  eine  ganze  Strecke  in  vollem  Trabe 
nach,  auf  dem  alten  Reitersiegesfeld  von  F&re  Cham- 
penoise  pflückte  sie  auch  am  27.  abends  keine  Lor- 
beeren, obschon  die  Franzosen  oft  kaum  noch  eine 
Patrone  im  Laufe  hatten.  Doch  die  letzte  Kugel, 
die  letzte  Kartätsche  genügt,  um  Reiteranprall  ab- 
zuschlagen, und  je  grösser  die  Reitermasse,  desto 
willkommener  das  Schussziel.  Die  Faselei,  erschüt- 
tertes Fussvolk,  das  sich  verschoss,  werde  einer 
Attacke  nie  widerstehen,  ist  bei  heutiger  Beschaffen- 
heit der  Feuerwaffen  nur  zu  belächeln.  Denn  der 
frühere  Wert  der  Reiterei,  nämUch  ihre  Schnellig- 
keit, wird  durch  die  Femfeuerzone  heut  hinfällig: 
die  Kugel  trifft  eben  viel  schneller,  als  die  Rosse 
rennen,  und  ein  völliges  Verschiessen  aller  Patro^ 
nen  ist  ein  zu  seltener  Fall,  als  dass  man  darauf 
rechnen  könnte. 

Der  Sieg  in  solcher  Riesenschlacht  war  mit 
Einbusse  von  fünfzigtausend  Toten  und  Verwmide- 
ten,  wovon  fast  zwei  Drittel  auf  das  Zentrum  ent- 
fielen, nicht  zu  teuer  bezahlt.  Ausserdem  fehlten 
den  Holländern  viele  Zersprengte  bei  den  Fahnen, 
Die  Franzosen  büssten  vierzigtausend  Tote  und  Ver- 


—     257     — 

wundete,  doch  ebensoviel  Gefangene,  Versprengte, 
Vermisste  ein,  wenn  man  die  Kapitulanten  in  Rheims 
und  später  Laon  hinzurechnet.  Ihr  moralischer  Fak- 
tor war  gebrochen,  es  trat  der  psychologische  Mo- 
ment ein,  wo  die  Wagschale  seelisch  zu  Ungunsten 
des  Besiegten  in  die  Höhe  schnellt.  Aber  in  die- 
sem nämlichen  Augenblick  traf  gleichzeitig  ein  Funke 
ins  Pulverfass  der  schon  aufs  äusserste  dem  eng- 
lischen „Verbündeten"  abgeneigten  Volksstimmung, 
der  mit  einmal  das  ganze  Bündnis  in  die  Luft 
sprengte:  der  freche  rechtsbrüchige  Raub  der  Ba- 
learen,  der  minder  gegen  Spaniep  als  gegen  Frank- 
reich selber  gerichtet  schien. 

In  Paris  hatte  der  eigene  Seeerfolg  Englands 
gegen  Deutschland,  für  Frankreichs  Interessen 
gleichgültig,  ebenso  verschnupft,  wie  das  völlige 
Lahmliegen  der  vorher  so  mächtig  ausgeprahlten 
Landungsoperation  gegen  die  Niederlande.  Drurys 
Kanalgeschwader  begnügte  sich  dort  fortan  mit 
blosser  Blockade,  durch  so  grosse  Rückschläge  ge- 
warnt, warf  hier  und  da  Granaten  iiach  Antwerpen 
undMuidenhafen  hinein  oder  an  den  Strand  bei  Water- 
weg, ohne  je  wieder  mit  Landung  Ernst  zu  machen, 
nachdem  ein  paar  nächtliche  Handstreiche  an  der 
Wachsamkeit  der  Küstenposten  und  der  guten  An* 
läge  der  Strandbatterien,  nochmals  gescheitert.  Bei 
der  völligen  Niederwerfung  der  deutschen  Streit- 
mittel zur  See  hatte  die  britische  Flotte  Ende  Juni 
nichts  Besonderes  mehr  zu  tim  und  erwog  allge- 

Völker  Europas  ...  1  17 


—     258     — 

meine  Dislozierung  teils  ins  Mittelmeer,  teils  nach 
der  Atlantis,  wo  Alarmnachrichten  über  die  merk 
würdig  schwüle  unheimliche  Stimmung  in  den  Ver- 
einigten Staaten  vorlagen.  Dort  hörten  Ende  ]m 
wie  auf  Kommando  die  tobenden  Protestmeetings 
und  Entrüstungsmanifeste  der  deutschen  und  irischen 
Bürger  völlig  auf,  als  habe  man  die  anglophoben 
Elemente  geheim  beschwichtigt  imd  sich  mit  ihnen 
verständigt.  Dagegen  spürte  man  in  den  britisdKQ 
Besitzungen  heimliche  Minierarbeit  von  Yankefr 
agenten.  Auffälligerweise  flaute  auch  das  Schimpfen 
der  Presse  gegen  Japan,  mit  dem  man  seit  Anfang 
Juni  in  Fehde  lag,  auf  einmal  ab.  Kaum  der  ^M 
zona  Kicker"  braute  noch  blutrünstige  Anekdoten 
über  chinesische  Greuel  und  möglichste  Austiignng 
aller  gelben  Leute  in  Califomien.  Infolgedessen  stach 
englische  Traiisportflotte  nach  Montreal  und  Qud)« 
in  See,  die  ein  halbaktives  Milizkorps  nach  Kanada 
beförderte.  Eine  andere  ansehnliche  Streitmacht  niit 
vielen  Volunteers  ging  nach  Südafrika,  von  wo  der 
Kabel  immer  bösere  Dinge  meldete.  Ferner  brauchte 
man  frische  Truppen  in  Nordafrika,  um  wenigstffls 
Alexandria  zu  halten  und  von  dort  Wiedererobening 
der  verlorenen  Gebiete  anzubahnen.  Die  Einbusse 
an  Besitz  und  Prestige  in  Afrika  war  wohlgeeignet, 
den  maritimen  Siegesrausch  zu  verbittern.  Auchio 
Ostasien  vergällten  den  Stolz  auf  Erwerb  der  hol- 

• 

ländischen  Sundainseln  die  Bedrängnis  in  Shangair 
die  laue  Zweideutigkeit  Japans,  der  zimehmende  Boy- 
kott englischer  Waren  in  Indien  und  die  Gännig 


—     259     — 

unter  den  dortigen  Muselmännern.  Doch  getreu 
seinem  Welteroberungssystem,  das  aufs  Haar  dem 
altrömischen  gleicht,  gibt  England  nie  einen  Posten 
auf,  nie  sein  Spiel  an  irgendeinem  Punkte  verloren, 
setzt  inmitten  eigener  Verluste  seine  Übergriffe  fort, 
fest  überzeugt,  zuletzt  das  Verlorene  zurückzuge- 
winnen, unterdessen  aber  neuen  Raub  dem  alten  hin- 
zufügend. Da  von  Deutschland  nichts  zu  holen, 
Frankreich  leider  alliiert  war,  musste  Spanien  her- 
halten. Man  konnte  sich  ja  denken,  dass  Frankreich 
der  Balearenraub  sehr  bitter  kränken  würde.  Ein 
bekannter  Marineautor  hatte  („Quadiilat^re  Naval 
Francs")  prophezeit:  „Ein  England,  das  auch  noch 
Mahon  hat,  ist  nicht  bloss  vorherrschend  im  Mittel- 
meer,  es  ist  dort  allein.  Das  wäre  das  Ende  jeder 
französrchen  Grossmacht  zur  See.  Nie  darf  man 
dies  erlauben,  nie  Spanien  gestatten,  die  Balearen 
abzutreten,  das  ist  eine  Frage  von  Leben  und  Tod." 
Aber  Frankreich  war  durch  Landniederlagen  jetzt 
ja  so  geschwächt,  sein  Toulongeschwader  zum  Schutz 
Nordafrikas  gegen  die  Islamiten  festgelegt,  sein 
Nordgeschwader  hatte  man  durch  rücksichtslose  Aus- 
nutzung in  der  Nordsee  vermindert.  Es  musste  sich 
wohl  oder  übel  fügen,  falls  os  nicht  riskieren  wollte, 
dass  der  treue  AllUerte  es  beim  Friedensschluss  ganz 
fallen  liess.  Doch  hier  zum  erstenmal  verrechnete 
sich  das  kluge  Inselreich,  es  rechnete  nicht  mit 
der  nationalen  Empfindlichkeit  und  mit  dem  nur 
eingeschläfert  unter  der  Asche  glinunenden  Briten- 
hass,  nicht  mit  der  schon  hochgesteigerten  Verstim- 

17* 


—     260     — 

mung  in  Paris. -Auf  Remonstrationen,  warum  Eng- 
land nicht  neue  Diversion  an  der  niederländischen 
Küste  unternehme,  antworteten  Naval  Department 
und  Lords  der  Admiralität  unverfroren:  „Dte  an- 
dauernden französischen  Niederlagen  machten  dies 
unnütz,  ja  sogar  gefährlich,  auch  habe  England  kein 
Interesse  daran,  mit  Rücksicht  auf  den  Friedens- 
schluss  die  Niederländer  noch  mehr  zu  erzürnen,  es 
brauche  vidmehr  all  seine  Regimenter  an  andern 
Punkten  für  die  eigene  Wohlfahrt."  Auf  herzbeweg- 
liche, dann  drohende  Mahnungen,  das  versprochene 
Armeekorps  endlich  nach  Boulogne-Calais  zu  senden, 
gab  es  ausweichende  Ausflüchte.  Erst  Ende  Juni 
landete  wirMich  eine  Division,  zusammengerafftes 
Volk,  zu  spät,  um  noch  mitzuwirken.  Zum  Schutz 
französischer  Interessen  in  Nordafrika  trug  die  bri- 
tische Flotte  oder  die  Besatzung  von  Gibraltar  nicht 
das  mindeste  bei.  Nun  aber  brachte  der  gegen  Ma- 
hon  geführte  Streich,  ein  Todesstreich  gegen  Frank- 
reichs Bedeutung  im  Mittelmeer,  den  Kelch  zum 
Überlaufen.  Die  hochgehenden  Wogen  der  Ent- 
rüstung sänftigte  kein  Ol  diplomatischer  Umschweife. 
Das  Marineministerium  erklärte  sofort  öf f entlick 
dass  Mahon  der  strategische  Punkt  für  alle  kombb 
nierten  Bewegtmgen  der  Routen  Toulon-Algier  und 
Toulon-Korsika-Biserta  sei,  580  Seemeilen  (40  Fahrt- 
stimden)  von  Malta,  430  Meilen  (siebenundzwanzig 
Stunden)  von  Gibraltar  entfernt.  Dies  würde  ein 
strategisches  Dreieck  ergeben,  das  die  drei  fran- 
zösischen  Flottenstationen  Portovechio    in  Korsika« 


—     261     — 

Rachgoun   in  Afrika,   Port'  Vendres   in   Roussillon 
völlig   annullierte.    Kategorisch   forderte   der   Quai 
d'Orsay  soforäge  Räumung  der  Balearen,  erwiderte 
Spaniens  kriegerische  Note  ftiit  der  Versicherung, 
dass  es  Englands  zynisches  Attentat  gleichzeitig  als 
unfreundlichen  Akt  gegen  Frankreich  betrachte,  und 
Hess  aus  Perpignan  und  Cästres  Truppen  nach  Port- 
Vendres  abgehen,  um  auf  den  transatlantischen  Pa- 
ketbooten ,Touraine'  und  ,Braganza'  nach  Minorca 
übergesetzt  zu  werden  und  so  wenigstens  Gemein- 
samkeit der  Besetzung  zu  erzielen.  Doch  der  schaden- 
frohe Spott  in  London  über  die  neuen  Misserfolge 
der  französischen  Heere  beeinflusste  die  hochmütig 
kühle  Antwortnote,    während    das    Jubilieren    über 
diesen  neuen  Triiimph  imperialistischer  Arglist  im 
britischen  Publikum  kein  Ende  nahm  und  der  Pu- 
blizist Stead  nebst  dem  Abgeordneten  Labouch^re 
öffentlich  im  Hydepailc  insultiert  wurden,  weil  sie 
den  Bruch  des  Völkerrechts  zu  denunzieren  wagten. 
„Frankreich  möge  sich  um  seine  eigene  gefährdete 
Lage  kümmern.    Was  die  naive  Zumutung  betreffe, 
französische  Truppen  in  Minorca  aufzunehmen,  so 
bedaure  man,  sagen  zu  müssen,  dass  der  britische 
Gouverneur  Instruktion  habe,  jede  solche  Annähe- 
rung als  Feindseligkeit  zu  behandeln.  England  habe 
bisher  vom  französischen  Bündnis  wenig  gehabt,  alle 
[Erfolge  allein  besorgen  müssen,  die  Marokkoaffäre 
habe  seine  eigehen  afrikanischen  Lande  zum  Abfall 
grebracht,  es  müsse  daher  sich  selber  Kompensationen 
suchen.** 


—     262     — 

Es  war  genug  xrnd  übergenug.  Nach  einem 
ausserordentlichen  Konseil  im  Palais  Luxembourg, 
während  Volksmassen  tinter  dem  Rufe  »»Friede  mit 
Deutschland,  Krieg  mit  England  I"  an  den  Fensten 
vorübertobten,  erschienen  plötzlich  aus  dem  fran- 
zösischen Heere,  das  aus  der  Champagne  in^  Departe- 
ment Seine>et-Mame  wich,  von  den  Deutschen  nur 
langsam  gefolgt,  zwei  hochgestellte  Generale  und 
ein  Zivildelegierter  des  Präsidenten  bei  den  deut- 
schen Vorpost^i.  Sie  erbaten  Unterredung  mit  St. 
Majestät  dem  Kaiser  in  ultrasekreter  Mission.  Die 
Zusammenkunft  ward  gewährt.  Auf  Präliminarien 
der  vorsichtigen  Anfrage,  was  man  von  Englands 
Übergriff  denke,  und  der  ehrerbietigen  Erkimdigung, 
ob  es  wahr  sei,  dass  England  über  Separatfrieden 
mit  Deutschland  geheime  Offerten  mache,  lautete 
die  Antwort  sehr  offen:  auf  erstere  achselzuckend, 
man  sei  derlei  von  England  gewohnt,  auf  letztere 
bejahend  nach  einiger  zögernden  Überraschung^. 

Es  war  Schuss  ins  Blaue  der  französischen  Diplo- 
matie gewesen,  entsprach  aber  den  Umständen.  Eng- 
lands Angebot,  Deutschland  möge  sich  an  Frank- 
reich schadlos  halten,  dürfe  Belgien  annektieren, 
müsse  aber  auf  jede  oranische  Erbschaft  verzichten, 
alle  holländischen  und  deutschen  Kolonien  an  Eng- 
land überlassen,  ausserdem  Antwerpen  an  KngUi^ 
als  Pfand  ausliefern,  würde  der  Kaiser  selbst  dann 
als  Unverschämtheit  abgewiesen  haben,  wenn  nicht 
die  furchtbare  Erbitterung  des  deutschen  Volkes 
gegen  England,  ohne  jedes  Übelwollen  gegen  Frank- 


—     263     — 

reich,  ein  Paktieren  mit  ersterem  ohnehin  ausser 
Frage  gestellt  hätte.  Jetzt  aber  rückte  Frank- 
reich seinerseits  mit  Vorschlag  eines  Separatfriedens 
heraus.  Vom  8.  bis  13.  Juli  währte  diese  geheime 
Verhandlung,  während  auf  getroffene  Verabredxmg 
eine  durch  Vorpostengeplänkel  maskierte  Waffen- 
ruhe herrschte.  Vorposten  tranken  sich  traulich  zu, 
Parlamentäre  verkehrten  kordial  miteinander. 

21.  Lancers  und  Westminster  Volunteers,  die 
anstandshalber  Promenade  nach  Boulogne  wie  einen 
Holidaytrip  von  Sommerausflüglem  unternahmen, 
meldeten  feindselige  Stimmung  der  Bevölkerung. 
1.  Kav.  Brigade  Scobell  (1.  Dragoon  Guards  5.  Irische 
Lancers  8.  Ir.  Hussars  21.  22.  Mounted  Infantry) 
sistierte  daher  Einschiff mig,  dito  Oxfordmiliz-Königin- 
leibhusaren (Chef  König  Eduard)  und  Yorkshire 
Dragoons. 

Gleichzeitig  spielte  der  Telegraph  unablässig 
zwischen  Berlin  und  Paris  nach  Wien,  Rom 
und  Madrid.  Am  14.  wurde  ratifiziert,  am  15.  die 
Welt  durch  ein  welthistorisches  Schriftstück  über- 
rascht, mit  dem  eine  neue  Epoche  der  Mensch- 
heit anhob. 


Der  bekannteste  Admiral  Beresford,  Comman- 
der-in-Chief  of  the  Mediterranian,  hiess  jetzt,  vor 
Kriegsausbruch  versetzt,  Commander  in  tbe  Gennan 
Ocean.  Unter  ihm  Admiral  Pearson,  Commander 
at  the  Nore,  Vizeadmirale  Adair,  Douglas,   Mann. 

•Die  Absicht,  etwa  dem  britischen  Nordseege- 
schwader entgegenzugehen  oder  das  westliche  Ka- 
nalgesthwader  offensiv  aufzusuchen,  ehe  sich  die 
britischen  Streitkräfte  mit  dem  französischen  Nord- 
geschwader und  dem  heimischen  Reserves^eschwader 
vereint,  liess  die  deutsche  Admiralität  sofort  faOen. 
Wo  waren  die  Zeiten  hin,  als  man  in  naiver  lUusioa 
über  Verrottung  der  britischen  Marine  sich  wiegte 
und  ein  Schiff  wie  „Kaiser  Wilhelm"  für  fähig  hielt 
allein  schon  grosse  Dinge  auszurichten!  Heut  stand 
man  unterm  Zeichen  des  furchtbaren  „Dreadnought", 
dessen  Stapellauf  in  England  solches  Entzücken  er- 
regt imd  mit  zum  Kriegswunsch  beigetragen  hatte! 

Freilich  wussten  Einsichtige  längst,  dass  jenes  un- 
vernünftige Geschrei  unwissender  Bierbankpolitiker 
und  Pressestrategen  über  einstigen  Umtausch  von 
Deutsch-Sansibar  gegen  die  ,Nussschale  Helgoland. 
als  ob  man  eine  Erstgeburt  um  ein  Linseni^ericht 
verhandelt  habe,  gerade  so  fehlging,  wie  manche 
andere  unberufene  Kritik  gegen  Massnahmen  des 
neuen  Kurses.  Nein,  der  Erwerb  von  Helgoland  war 


—     265     — 

nötig,  England  unter  damaligen  Flottenverhältnissen 
töricht,  darauf  verzichtet  zu  haben.  Wieviel  leichter 
würde  sich  der  Angriff  auf  Hamburg  gestalten,  ja 
sofortigen  unwiderstehlichen  Überfall  ermöglichen, 
wenn  Helgoland  noch  britische  Station  wäre!  Mit 
den  Helgoländeü  Batterien  hat  beiderseitige  Flotten- 
strategie stark  zu  rechnen.  Aber  anderseits,  wie 
schmolz  der  Wahn  dahin,  als  ob  diese  Festung  als 
Ausfallpforte  für  Torpedoflottille  uneinnehmbar  sei, 
wie  ein  beredter  Marineschriftsteller  es  noch  vor 
fünfzehn  Jahren  dargestellt  I  Damals  lag  bei  Eng- 
lands Marine  wirklich  noch  manches  im  argen,  seit- 
her hatte  Lord  Beresfords  Reformbill  alles. geändert. 
Wenn  zu  Nelsons  Zeit  die  Seekönigsorlogs  den  fran- 
zösischen, so  wenig  dies  bekannt,  an  Bauart  und 
Ausrüstung  oft  unterlegen  waren  und  nur  durch 
höhere  nautische  Gewandtheit  ihrer  unbesieglich 
tapferen  Bemannung  siegten,  so  hatte  England  heut 
einen  Vorsprung  nicht  nur  an  Zahl,  welche  die  vier 
stärksten  anderen  Flotten  zusammen  nur  eben  er- 
reichten, sondern  auch  an  Qualität  in  jeder  Be- 
ziehung. Die  Prahlereien  französischer  Marineschrift- 
steller noch  vor  wenigen  Jahren,  dass  man  durch 
Sous- Manns  das  britische  Übergewicht  in  Frage 
stelle,  fielen  heut  dahin,  wo  England  selbst  über 
hinreichende  Unterseeboote  verfügte,  wovon  Japan 
und  Deutschland  noch  weit  entfernt. 

Die  Phantasie,  eine  Hochseeschlacht  am  Ein- 
gang des  Kanals  zu  wagen,  zerrann  unter  der  Er- 
wägung, dass  selbst  im  Falle  des  Erfolgs  das  andere 


—     266     — 

britische  Geschwader  den  Rückzug  nach  dem  Nord- 
ostseekanal abschneiden  könne.  Als  einzige  günstige 
Aussicht  blieb,  die  Blockade  den  Sombier  durdi  aus- 
zuhaken, bis  im  Herbst  hoher  Seegang  ein  Forderen 
der  Eibmündung  und  anderer  wunder  Punkte  un- 
sicher machte  und  nicht  mehr  helle  Nächte  Torpedo^ 
angriffe  erschwerten.  Ein  Vorspnmg  der  Mobili- 
sierung, wie  ihn  Deutschland  auch  hier  durch  ^' 
herige  geheime  Vorbereitung  erzielte,  fiel  kaum  ins 
Gewicht,  da  man*s  nicht  offensiv  ausnützen  konnte 
Die  feindliche  Übermacht  war  ganz  ungeheuer. 
Von  den  70  (früher  55)  Linienschiffen  Englands 
(immer  nur  moderne,  nicht  Küstenpanzer  gerechnet, 
nicht  ältere  oder  im  Neubau  begriffene),  be- 
fanden sich  7  in  Ostasien,  6  in  Portsmouth,  5  in  der 
Atlantis,  12  im  Mittelmeer,  dazu  im  ganzen  53 
grosse  Kreuzer  von  über  5000  Tonnen  und  un- 
zählige kleinere.  Frankreich  mit  27  Linienschiffen, 
33  Kreuzern  (früher  25  und  30,  ausserdem  400  Tor- 
pilleürs  und  27  kleine  Kreuzer,  deren  Zahl  auf  eng- 
lischer Seite  Legion)  hatte  in  Asien  und  andern 
Weltteilen  5  Linienschiffe,  5  Kreuzer,  im  Mittehneer 
11  Linienschiffe  und  15  Kreuzer.  Inmierhin  blid)e9 
für  Nordoperationen  40  britische,  11  franzosisdte 
Linienschiffe,  57  britische,  13  französische  Kreuzer, 
denen  Deutschland  nur  26  und  17  (früher  22  und  14^ 
entgegenzustellen  hatte,  auf  verschiedenen  StatioDO 
sonst  befindliche  55  Kreuzer  abgerechnet,  die  nö8 
britischerseits,  weil  teilweise  zu  schwach  und  ver- 
altet,    zur     Reserve  -  Rumpelkammer    ausrangi^ 


—     267     — 

verächtlich  als  „Kuriositäten  aus  Wilhelms  Marine- 
museum*' verlachte.  Eigentlich  beruhte  die  Haupt- 
hoffnung  auf  zwanzig  Divisionen  von  Torpedo- 
booten. Die  Kreuzer,  worunter  acht  von  anstehn- 
licher  Stärke,  bildeten  verhältnismässig  den  Kern 
der  Flotte.  Wie  es  aber  erst  werden  sollte,  wenn 
Italien  endgültig  abfiel  oder  gar  seine  elf  grossen 
Schiffe  mit  dem  Gibraltar-  und  Toulongeschwader 
vereinte  und  der  grössere  Teil  dieser  34  Linien- 
schiffe, 47  Kreuzer  sich  gleichfalls  zur  deutschen 
Küste  wendete,  liess  sich  nicht  absehen.  Vor  letzterer 
Möglichkeit  blieb  Deutschland  freilich  durch  die 
rasche  Entwicklung  anderweitiger  Weltereignisse  be- 
hütet, gleichwohl  schien  auch  ohnedies  Atissicht  auf 
glücklichen  Widerstand  nicht  vorhanden. 

Strandforts  bei  Friedrichsort,  Cuxhaven,  Helgo- 
land usw.,  Minensperren,  Sperrwachen,  Leuchttürme 
waren  in  gutem  Stande,  der  Kaiser  Wilhelm-Kanal 
im  Belagerungszustand,  die  strategisch  so  bedeut* 
same  Anlage  (eins  der  grössten  Verdienste  des 
Kaisers)  durch  sofortige  Vereinigung  des  Ostseege- 
^hwaders  aus  Kiel  mit  dem  Nordseegeschwader 
gut  benutzt  worden.  Letzteres  enthielt  die  besten 
Schiffe:  drei  neueste,  fünf  der  Witteisbach-,  zehn 
der  „Kaiser"-  imd  „Deutschland"-,  „Braunschweig"- 
klasse,  zu  welchen  drei  der  Schwabenklasse  und  zwei 
der  Wörthklasse  stiessen,  nebst  zehn  grossen  Panzer- 
kreuzern und  sechs  Torpedodivisionen.  Abgenutzte 
Doppelzylinderkessel  ersetzte  man  überall  durch  neue 
Wasserrohrkessel  (Schulz).    Wasserdichte  Innenver- 


—     268     — 

bände,  neue  Einbauten,  erhöhten  die  Dampf  stärke 
und  Schwimmfähigkeit  Der  Rest  blieb  bei  Kid. 
dem  eigentlichen  Zentraldepot  der  kaiserlichai 
Marine,  deren  Reservisten  schon  alle  pünktlich  zur 
Stelle  waren,  ebenso  tausend  Schiffsjungren,  ausser 
den  jährlich  eingestellten  achthundert.  Wie  vide 
dieser  Knaben  gingen  sicherm  Tode  entg^egenl  Bd 
Kiel  lagerten  sieben  Mecklenburger  Bataillone.  Am 
22.  Mai  wurde  bei  diesen  Generalmarsch  geschlagen 
sie  defilierten  im  Präsentiermarsch  am  Grossadmiral 
Prinz  Heinrich  vorbei  und  nahmen  ihre  vorausl^ 
stimmten  Plätze  längs  der  Küste  bis  zum  Kanal  eto. 
Hinter  Cuxhaven  lagen  das  Lauenburger  Jägeita- 
taillon,  die  Schleswig-Holsteiner  Division  bei  Altotia, 
die  Hanseatenbrigade  imd  das  Oldenburger  Regi- 
ment weiter  nach  Ostfriesland.  Der  Norddeutsche 
Lloyd  stellte  natürlich  seine  Schleppdampfer  in 
Dienst  für  Bergung  havarierter  Kriegskörper,  die 
bei  Brunsbüttel  durch  ein  dort  verankertes  Schwimm- 
dock repariert  werden  konnten. 

Ausser  den  anständigen  Bauten  modemer  Kon- 
struktion besass  man  noch  dreizehn  alte  Linicc 
schiffe  der  „Sachsen"-  und  „Siegfried"-Klasse  von 
4000 — 7400  Torinen  und  einer  Geschwindigkeit  von 
nur  15  Knoten,  die  man  mit  ihren  21  cmrGescbützeo 
allenfalls  im  Belt  verwenden  konnte.  Die  hierbei 
mitgezählte  „Oldenburg"  und  im^iigebaute  „Württem- 
berg" hatte  24  cm  in  letzter  Stunde  erhalten. 

Helgoländer    Signalmast    und    Funkspruchamt 
nach    Kiel    meldeten    bis    zum    24.    abends    nicht« 


—     269     —  . 

vom  Feind.  Sehr  begreiflich,  weil  das  allein 
schon  heimlich  fertiggestellte  Kanalgeschwader  den 
Angriff  auf  Antwerpen,  Amsterdam,  Truppentrans, 
port  auf  Vlissingen  vorbereitete.  Das  von  seiner 
Basis  Rosyth  am  Firth  of  Forth  (Südostschott* 
land)  am  25.  endlich  teilweise  ausgelaufene  Nord« 
Seegeschwader  liess  auf  sich  warten,  einige  in 
Nähe  von  Helgoland  gesichtete  Kreuzer  rekognos- 
zierten die  Fahrstrasse,  wo  sie  nach  Entfemimg  aller 
Feuerschiffe  und  Tonnen  ohne  sichere  Piloten  keinen 
Anhaltspunkt  fanden,  um  Flottenbewegimgen  ein- 
zurichten. Die  Gesamtmobilisierung  der  britischen 
Marine  erforderte  übrigens  zwölf  Tage,  das  Reserve- 
geschwader in  Chatam  passierte  erst  am  1.  Juni 
den  Medwaykanal  nach  Sheerness,  die  Transport- 
flotte von  dort  folgte  erst  am  3.  zur  etwaigen  Lan- 
dung m  Ostfriesland,  während  die  dem  Nordsee^ 
geschwader  attachierte  Landungsdivision  am  30.  in 
Höhe  von  Helgoland  eintraf.  Da  das  Kanalgeschwa- 
der 12  Schiffe,  20  Kreuzer,  das  Reservegeschwader 
9  und  11  zählte,  besass  das  eigentliche  Offensivge- 
schwader Rosyth  selbst  19  und  26,  dabei  befand  sich 
ausserdem  aber  der  gefürchtete  ,Dreadnought*.  Das 
französische  Nordgeschwader  passierte  erst  am  letzten 
Maitag  die  holländische  Küste,  durch  Streitigkeiten 
mit  dem  britischen  Admiral  erst  vor  Antwerpen,  dann 
vor  Texel  aufgehalten,  da  infolge  der  schweren  briti- 
schen Landungsmisserfolge  in  den  Niederlanden  hin 
und  her  beraten  wurde,  ob  nochmalige  Versuche  mit 
Hilfe  des  französischen  Admirals  gemacht  und  etwa 


—     270     — 

ein  französisches  Landungskorps  dorthin  gewoifeo 
werden  solle.  Die  französische  oberste  Heereslei- 
tung verbot  dies  aber,  weil  man  die  Nordarmee 
nicht  schwächen  und  sich,  gewarnt  durchs  Beispiel 
des  britischen  Unfalls,  nicht  ähnlichem  aussetzen 
wollte.  Die  damalige  Zeitspanne,  in  welcher  die 
Alliierten  sich  gegenseitig  ihre  Niederlagen  in  die 
Zähne  warfen,  fiel  daher  auch  für  kombinierte  Of- 
fensivmanöver  der  Flotte  aus.  Endlich  einigte  man 
sich,  dass  die  Franzosen  nunmehr  nach  Osten  geges 
Wilhelmshaven  weitersteuem,  das  Kanalgeschwadei 
vorerst  die  Niederlandsküste  weiter  blockieren  solle. 

Diese  Verhältnisse,  die  sich  zum  Teil  voraussehen 
liessen,  weil  Operationen  von  Verbündeten  selten 
richtig  zusammenklappen,  verminderten  die  sons: 
mögliche  erdrückende  Übermacht  in  der  Nordsee 
auf  lange  Zeit  und  verzögerten  den  Erfolg  desRosytb- 
geschwaders.  Bemannung  der  Riesenflotte  hatte 
allerdings  auch  grosse  Schwierigkeiten  gemacht,  doch 
nicht  solche,  wie  französische  Marineschriftsteller, 
gegenüber  dem  unerschöpflichen  Reservoir  breto- 
nisch-normanhischerKüstenbevölkerung,  es  früher  ans- 
malten.  Obschon  sowohl  Wehrpflicht  als  einstiges 
Mittel  des  .,Pressens'  fehlten,  ersetzte  dies  massea- 
hafte  Anwerbung  von  Ausländem,  meist  Nor  wegen 
und  Handelsmatrosen. 

Est  am  28.  hatte  Admiral  Beresford  seine  Strdt- 
macht  vereint,  bis  dahin  Aufklärungsvorposten  kld 
nerer  Kreuzer  umherstreuend,  eines  TorpedoangriHs 
auf  hoher  See  gewärtig,  der  jedoch  wegen  m  hellefi  i 


—     271     ■— 

Mondwetters  ausblieb.  Als  braune  und  schwärzliche 
Rauchwolken  am  Horizont  sich  kräuselten,  beob- 
achtete man  vom  Helgolander  Fels,  dessen  Abend- 
schatten sich  breit  auf  die  Wasserfläche  senkte, 
während  der  folgenden  Nacht  die  bimten  elektri- 
schen Signallichter  der  feindlichen  Flotte.  Die 
deutsche  lag  mit  wohlgefüllten  Kohlenbunkern  klar 
zum  Gefecht.  Notgednmgene  Defensivtendenz,  zu- 
mal man  über  des  Gegners  Kriegsplan  gar  nicht 
und  über  seiüe  schon  vorhandene  Stärke  nur  un- 
vollkommen unterrichtet,  legte  nahe,  den  Kampf 
nur  im  Bereich  der  Helgoländer  Forts  aufzunehmen 
und  den  Feind  in  deren  Feuerkreis  hineinzulocken. 
Dass  vier  holländische  Küstenpanzer  nebst  elf 
mehr  oder  minder  tüchtigen  Kreuzern  imd  veralteten 
Korvetten  sich  in  den  Jahdebusen  gerettet  hatten, 
vermehrte  die  taktischen  Einheiten  der  von  dort 
zwischen  Bremerhaven  und  Emden  patrouillierenden 
und  gegen  den  Kanal  aufklärenden  sechs  Linien* 
schiffe  und  fünf  Kreuzer  allerdings  quantitativ.  Man 
bedurfte  deshalb  auch  keiner  Abzweigung  deutscher 
Küstenpanzer  von  Kiel  dorthin.  Gefechtswert  der 
Holländer  war  freilich  gering  anzuschlagen,  immer- 
hin kamen  sie  für  Verteidigungszwecke  in  Betracht. 
Kriegsboote,  mit  der  vom  Grossherzog  von  Olden- 
burg erfundenen  „Niki-Schraube"  ausgerüstet,  wag- 
ten sich  als  Aufklärer  weit  vor.  Da  der  Telegraph 
aus  Holland  über  dortige  Vorgänge  dauernd  auf  dem 
laufenden  erhielt  und  endlich  sicher  schien,  dass 
das  Kanalgeschwader  vorerst  an  westliche  Wasser 


—     272     — 

gefesselt  bleibe,  so  entschloss  sich  der  deutsche 
Vizeadmiral  im  Jahdebusen  nach  Norden  auszokim- 
den,  sich  weiter  von  der  Küste  entfernend«  Der 
kühn  aufklärende  Tender  „Fuchs"  hatte  nichts  vom 
Feinde  bemerkt. 

Für  den  bevorstehenden  VerzweiflungskampC  ei* 
füllte  es  denn  doch  mit  einiger  Zuversicht,  dass 
die  deutsche  durchgängige  Ausbildung  der  Mann- 
schaften besser  sein  müsse,  als  die  der  vielen  frisdi 
Angeworbenen  oder  eingestellten  Freiwilligen  der 
englischen  Marine,  und  eine  viel  grössere  Fülle  gt- 
dienter  Reservisten  durch  das  Wehrpflichtsystem 
verbürgt  werde.  Letzteres  traf  unbedingt  zu,  bei  er- 
sterem  liess  man  jedoch  ausser  acht,  dass  es  für 
Nordsee-  und  Mittelmeergeschwader  nicht  zutraf, 
weil  diese  Marinekorps  stets  auf  halbem  Kriegsfusser- 
halten  und  möglichst  mit  altgedienten  Mannschaften 
gefüllt  wurden.  Ausserdem  zeigte  der  Ernstfall,  dass 
zur  See  noch  mehr  alszu  Lande  heutzutage  die  Technik 
regiert,  also  stärkere  Geschütze  und  Panzer  den 
Ausschlag  geben.  Admiräl  Togos  Tagesbefehl  be- 
tonte zwar,  ein  kaltblütig  todesverachtend  zielender 
Kanonier  richte  mehr  aus,  als  hundert  unsichere  und 
erschreckte,  doch  solcher  Unterschied  galt  nur  für 
die  russische  elende  Tschuschima-Flotte,  bei  eng- 
lischen imd  deutschen  Matrosen  lässt  sich  nur  gleiche 
Todesverachtung  voraussetzen. 

Da  ein  mittleres  Schiff  für  hundert  Tage  Seekrieg 
durchschnittlich  pro  Tag  50  Toimen  Kohle  brancbt 
ein   grösseres   natürlich  mehr,   bedurften   Reserve- 


—     273     — 

und  Nordseegeschwader  mit  so  zahlreichen  Kreuzern 
jeder  Grösse,  ,Destroyers*  (Torpedozerstörern)  und 
Torpedos  ungefähr  900000  Tonnen  für  solche  Zeit. 
Da  man  so  viel  unmöglich  bei  sich  führen  konnte, 
wurden  mit  einer  starken  Reserve  von  Kohlenschiffen 
etwa  300  000  Tonnen  verladen,  nach  deren  Verbrauch 
man  auf  weitere  Kohlentransporte  per  Schiff  an- 
gewiesen, wollte  man  nicht  auf  die  Basis  Rosyth 
ziuückfallen  und  dort  neuen  Bedarf  fassen.  Daraus  er- 
gibt sich,  dass  die  moderne  Seestrategie  noch  mehr  als 
die  Landarmee  mit  der  Eisenbahn,  mit  dem  rein 
materiellen  Objekt  des  Kohlenersatzes  zu  rechnen 
hat,  der  sozusagen  das  tägliche  Brot  der  Schiffskörper 
bedeutet.  Lang  fortgeführte  Operationen  fem  von  der 
Basis  verbieten  sich  also  von  selbst,  ist  dieser  Ersatz 
nicht  unbedingt  gesichert,  und  alles  drängt  somit  zu 
rascher  Entscheidung  noch  mehr  als  im  Landkrieg* 

Colonel  Maurice  von  der  englischen  Artillerie 
rühmt  in  einem  Buche  mit  Stolz,  dass  unter  106 
Kriegen  Englands  nur  10  nüt  vorheriger  Kriegs- 
erklärung erfolgten,  sonst  England  stets  mitten  im 
Frieden  das  Völkerrecht  bracht  Das  Grossartige 
dabei  ist  weniger  die  Tatsache  selber,  als  ihr  offenes 
Anpreisen  I  Hier  wird  der  Cynismus  zur  Majestät,  die 
Naivität  zur  Genialität.  Die  Majestät  des  British 
Empire  thront  über  allen  Gesetzen,  sie  hat  nur 
ein  Gesetz:  Plus,  ultra I  Immer  weiter I 

Hier  zum  erstenmal  war  eine  Fremdmacht  dem 
englischen  Überfall  halb  zuvorgekommen,  indem 
Deutschland  auf  französische  Provokation  so  schnell 

Völker  Europas  .  .  .  t  l8 


—     274     — 

zum  Aussersten  griff,  wie  man  nicht  erwartete.  Doch 
unglücklicherwebe  blieb  ganz  ausgeschlossen,  dass 
man  des  Mobilisierungsvorsprimgs  einzig  natürlicbea 
Vorteil  daraus  zog,  nämlich  die  Offensive.  Eis  macht 
sich  am  grünen  Tisch  und  auf  dem  Papier  schon, 
die  innere  Linie  zwischen  zwei  feindlichen  getrenn- 
ten Massen  ausnutzen.  Aber  wenn  jede  dieser  Mas- 
sen fast  ebenso  stark  als  die  gesamte  eigene  Macht, 
so  ist  dies  Unterfangen  zur  See  noch  gefährlicher 
als  zu  Lande,  weil  man  dort  eine  so  schmale  Basb 
in  der  eigenen  Küste  hat  und,  davon  abgeschnittoi. 
wegen  Kohlenmangels  hilflos  wird.  Die  Phanta- 
sie einiger  Marinestrategen,  sofort  auszulaufen  und 
das  Kanalgeschwader  anzufallen,  hätte  unstreitig  in 
Wirklichkeit  umgesetzt  werden  können,  xmd  die  geg- 
nerischen Massnahmen  ermöglichten  den  Erfolg  so- 
gar noch  mehr,  als  zu  hoffen,  weil  das  Kanalge- 
schwader getrennt  vor  Amsterdam  tmd  Antwerpen 
kreuzte,  ersterer  Teil  also  möglichenfalls  erdrückt 
werden  konnte.  Wurde  er  aber  nicht  eingeholt, 
sondern  lockte  die  Deutschen  in  den  Kanal  sich 
nach,  so  gewann  das  stärkere  Rosythgeschwader  Zeit, 
der  deutschen  Flotte  in  Flanke  und  Rücken  zn 
fallen,  ihre  Basis  Hamburg  zu  zerstören.  Selbst  im 
günstigsten  Falle  bezahlte  man  kurzen  blendenden 
Anfangserfolg  mit  nachherigem  Untergang.  Bei  je> 
der  Offensive  musste  man  sich  darauf  gefasst  machen, 
dass  die  ganze  deutsche  Schlachtflotte  zum  Teufel 
ging,  nur  strikte  Defensive  taugte.  Schon  der  Auf- 
klärungsausfall der  Eskadre  von  Wilhelmshaven  fid 


—     275     — 

aus  diesem  Rahmen  heraus  und  erwies  sich  durch 
die  Probe  als  verfehlt. 

„Die  Engländer  sind  rücksichtslos  und  sehr  tüch- 
tig," äusserte  man  sich  im  AdmiraUtätsrat,  „gegen 
sie  hat  man  nur  einen  Helfer:  die  Zeit.  Das  Unter- 
brechen der  Einfuhr,  bloss  auf  Amerika  angewie- 
sen, muss  die  unfruchtbare  Insel  auf  die  Dauer  er- 
schöpfen. Die  richtige  Taktik  wäre  daher,  den  Krieg 
in  die  Länge  zu  ziehen,  Defensive  ä  outrance.  Zu 
lange  Blockade  unsrer  Küsten  nutzt  ihre  Maschinen 
ab,  braucht  ihre  Kohlen  auf,  ruiniert  ihr  furchtbares 
Geschützkaliber,  für  dessen  Schonung  sie  von  sel- 
ber auf  stetes  Bombardement  verzichten  müssen. 
Da  uns  der  Nordostseekanal  stete  Ausfälle  erleich- 
tert, wird  man  oft  die  Blockade  brechen  und  mit 
Kaperkreuzem  die  englische  Handelsmarine  belästi- 
gen können.  Der  von  französischen  Fachleuten  so 
oft  empfohlene  Kaperkrieg  steht  auch  uns  zu  Ge- 
bote, wenn  wir  alle  Schnelldampfer  und  grossen 
Faketboote  des  Norddeutschen  Lloyd,  der  Trans- 
atlantischen, Ostafrikanischen,  Ostasiatischen  Linie, 
in  armierte  Kaper  umwandeln.  Schade,  dass  uns 
nicht,  wie  in  solchem  Fall  den  Franzosen,  die  Dro- 
hung einer  Landung  übrig  bleibt,  die  wir  höchstens 
von  Holland  her  versuchen  könnten  auf  viel  weitere 
[Entfernung,  während  die.  Franzosen  den  Kanal  La 
Manche  an  schmälster  Stelle  überraschend  passie- 
ren können.  Ein  Glück  übrigens,  dass  Lord  Wolse- 
ley  sich  dem  Kanaltunnel  widersetzte,  denn  der 
Transport  britischer  Truppen  nach  Frankreich  wäre 

i8* 


—     276     — 

dann  ein  Kinderspiel,  und  wir  wären  dann  doch  ge- 
nötigt gewesen,  anfangs  in  den  Kanal  zu  laufen,  um 
diese  Möglichkeit  zu  hindern,  mit  Torpedos  den 
Tunnel  zu  zerstören.  Ein  Glück,  dass  wir  zu  so 
gewagten  Abenteuern  jetzt  nicht  gezwungen  sind.  Die 
Eibmündung  und  Helgoland  zu  halten,  wird  g^ 
lingen,  und  wir  brauchen  nichts  weiter."  .  . 

Am  29.  erhob  sich  plötzlich  ein  dichter  Rauch- 
schleier vor  der  britischen  Flotte,  braun  und  un- 
durchdringlich. Mit  rauchstarkem  Pulver  und  aller- 
hand übelriechenden  Explosivstoffen  wurde  dieser 
dicke  Flor  verbreitet,  der  bei  windstiller  Atmosphäre 
und  leichter  Brise  den  ganzen  Tag  anhielt.  Man 
konnte  sich  deutscherseits  diese  Massregel  nur  sc 
erklären,  dass  der  Feind  irgendeinen  Überfall  untenn 
Schutze  dieser  Verschleierungswand  vorbereite.  Mar 
verdoppelte  daher  die  Wachsamkeit  auf  der  gamen 
Linie,  besonders  spähten  die  Torpedos  aus  und  be- 
wachten mit  nervenaufreibender  Spannung  die  Ge- 
gend der  Flatterminen,  ob  dort  Unterseeboote  plötz- 
lich die  Flut  aufwühlen  würden.  Aber  nichts  regte 
sich.  Erst  im  Laufe  der  Nacht  löste  sich  das  Rät- 
sel  auf   traurig   überraschende  Weise. 

Sobald  nämlich  Beresford  am  vorigen  Frühmor 
gen  durch  Aufklärungskreuzer  erfuhr,  dass  aus  Wil 
helmshaven  eine  Eskadre  nordwärts  laufe,  beschloss 
er  auf  der  Stelle,  die  deutsche  Hauptmacht  vor  sieb 
zu  täuschen  und  mit  Vizeadmiral  Mann  seitvräns 
diese  Beute  abzufangen.  Vizeadmiral  Fische!  izn 
Jahdebusen  wusste  nur  aus   Helgoland,   dass  don 


—     277     — 

die  ganze  britische  Nordseeflotte  gesichtet,  glaubte 
also  mit  Kurs  nach  N.N.W,  höchstens  auf  et- 
waige Aufldärungskreuzer  des  Kanal-  oder  Reserve- 
geschwaders zu  stossen,  deren  Verbleib  er  feststel- 
len wollte.  Er  legte  daher  kein  Gewicht  darauf,  als 
ausser  ein  paar  vor  ihm  ausweichenden  und  am 
Horizont  fliehenden  kleinen  Kreuzern  plötzlich  ein 
Linienschiff  sechs  Meilen  vor  Backbord  gemeldet 
wurde.  Bald  darauf  tauchten  aber  Rauchwolken, 
dann  Mäste  und  Schlote  von  immer  mehr  feindlichen 
Panzern  am  Horizonte  auf,  die  unter  Volldampf  mit 
äusserster  Kohlenverschwendimg  auf  ihn  losfuhren. 
Entfernung  von  der  Küste  war  schon  zu  be- 
trächtlich, um  ohne  Kampf  entrinnen  zu  können,  auch 
sträubte  sich  dagegen  das  Selbstgefühl  der  deut- 
schen Marine.  Die  Linienschiffe  „Kaiser  Fried- 
rich", „Wettin",  „Elsass",  „Weissenburg",  „Wörth", 
„Hessen",  die  Kreuzer  „Prinz  Adalbert",  „Friedrich 
Karl",  „Gazelle",  „Medusa",  „Niobe",  „Pfeil"  stell- 
ten  sich  in  Schlachtordnung,  die  Hochseeboote  vor- 
aus, deren  Torpedolauf  die  passende  Schussdistanz 
(einst  400  Meter)  rasch  zu  erreichen  suchte,  gedeckt 
von  einer  Halbdivision  Torpedojäger.  Auf  4000  Me- 
ter begann  das  Geschützduell,  auf  2000  Meter  rückte 
es  zusanmien.  Überall  Aufzucken  gelber,  weisser, 
roter  Strahlen,  kein  grauweisser  Rauchschleier  wie 
vordem,  der  erbarmungsvoU  Schrecken  der  Verwü- 
stung verbirgt.  Aus  dem  Meerschlimd  spritzten  schäu- 
mende Wassergeiser.  Diese  Springbrunnen  ver- 
schluckten  untergehende   Torpedoboote,   Ladekam- 


—     278     — 

mer  und  gefüllte  Kammerschleuse  in  die  Tiefe  ent- 
leerend, als  sie  mit  rasender  Geschwindigkeit  des 
nötigen  Zwischenraum  durchmassen.  An  einigen 
Stellen  kam  es  zum  Rammen  und  halben  Entern, 
wobei  die  kleineren  Kreuzer  die  blauen  Wölkchen 
ihrer  Revolverkanonen  verstreuten.  Zerdrückte  Pan- 
zerschilde,  mit  der  Lafette  über  Bord  geschleuderte 
Stücke,  schiefgepresste  Schotten  und  vomüberhan- 
gende  Schornsteine,  blutige  Menschenknäuel  auf  dem 
Achterdeck  unter  Überschwemmung  platzender  Gra- 
naten, Fortstieben  von  Panzerbrüstung  der  Koat 
mandobrücken,  hellgellendes  Zerkrachen  von  Me- 
tall unterm  Heulen  der  flammenden  £isenmäulef, 
Pfeifen  von  Maschinengeschossen  durch  umgemahte 
Bemanntmgsreihen,  brennende  Kessel  mit  ruckwei- 
sen  dumpfen  Entladungen,  bis  heisser  Dampf  aos 
allen  Luken  aufzischte  und  die  Heizer  verbrühte, 
endlich  schwimmende  Wracks,  die  wie  kleine  Insel* 
Vulkane  ihren  Qualm  ausstiessen  und  dann  spur- 
los im  gähnenden  Meeresschlund  sich  begruben, 
schwarze  Pünktchen  verzweifelter  Schwimmer,  denen 
ausgesetzte  Boote  des  Siegers  rettende  Seile  uik! 
Taue  zuwarfen,  —  so  sah  dies  grause  Bild  eine 
Stunde  lang  aus. 

Am  ,Wettin'  waren  alle  Deckbauten  verschwinh 
den,  dem  .Friedrich*  fehlten  die  Schornsteine,  ak 
beide  das  Weite  suchten.  ,Elsass'  kenterte  unter 
mehreren  Volltreffern  des  britischen  ,Cäsar\  Die 
einst  so  vielgenannte  populäre  ,Gazelle*  sank  in  sieb 
zusammen.     Die    Halbdivision   Torpedojäger,    vor 


—    279     — 

dreifacher  Übermacht  der  Destroyers  eingeschnürt, 
erlag.  Nach  Ausscheeren  der  havarierten  beiden 
Linienschiffe  iind  der  kräftigen  Kreuzer  „Adalbert" 
und  „Friedrich  Karl",  die  ziemlich  unversehrt  den 
Kampf  abbrachen  und  entschlüpften,  war  von  der 
deutschen  Eskadre  nichts  mehr  zu  sehen,  alles  andere 
vernichtet,  was  vor  Fort  Meppens  morgens  so  fröh- 
lich „Klarschiff"  schlug  und  mit  Radwelle  des  Pater- 
nosterwerks seine  Geschossaufzüge  füllte.  Doch  auch 
den  Briten  war  die  Sache  nicht  leicht  geworden, 
von  ihren  acht  Panzern  waren  zwei  schwer,  fünf 
leicht  beschädigt,  wovon  freilich  vier  noch  völlig 
gefechtsfähig,  zwei  Kreuzer  gesunken.  D-Torpedo- 
flottille „Emden"  hatte  ihre  Pflicht  getan.  Umsonst 
bedeckten  die  Destroyers  diese  blitzschnell  her- 
ansausenden schlanken  Windhunde  mit  Schüssen 
ihrer  Schnellfeuerkanonen,  umsonst  verschwanden 
sieben  Flankenboote,  wie  aufgesogen  vom  Ab- 
grund, umsonst  flog  die  Heizmaschine  des  achten 
in  Stücke,  die  andern  setzten  ihren  Weg  unaufhalt- 
sam fort.  Die  Whiteheads  auswerfend,  erzeugten 
sie  riesige  Schaumgarben,  Wassersäulen  von  dreissig 
Metern  Höhe,  die  sofort  zwei  schwarze  Schiffsleiber 
in  die  Luft  hoben,  bis  sie,  wie  von  Axthieb  mitten- 
durchgebrochen, zerrisseti  zurücksanken  und  im 
kräuselnden  weiten  Schaumkreis  für  immer  nieder- 
gingen. Nur  grünes  Gerinnsel  und  weisser  Trich- 
ter mit  quirlenden  Blasen  verriet  eine  Weile,  wo 
das  deutsche  Meer  den  befleckenden  Feind  ver» 
schlang.  Zwei  der  Torpedoboote,  die  so  kühn  unsre 


—    280    — 

Niederlage  rächten,  entkamen.  Dem  S.  38  setzte 
schon  in  Nähe  der  Emsmündung,  während  vor  der 
Jahde  bei  Rotesand-Turm  Tender  ,Otter*  wie  eine  Ratte 
ersoff,  ein  Schuss  die  Maschine  in  Unordnung.  Doch 
,  Alice  Roosevelt*  kehrte  mitten  imter  Windsbraut  tob 
Geschossen  um,  nahm  den  Kameraden  ins  Schlepp- 
tau, und  beide  erreichten  wie  durch  ein  Wunder, 
ohne  zu  kentern,  das  schützende  Gestade.  Ein  Ta- 
gesbefehl der  Marine  rühmte  mit  Recht  die  Helden- 
tat, alle  überlebenden  Offiziere  erhielten  den  Pour- 
le-Merite,  hernach  auf  Segeljacht  ,Tilly  8*  von  Prinz 
Heinrich  zur  Tafel  geladen  und  durch  besondere 
Ansprachen  ausgezeichnet.  — 

Lord  Beresford  war  zwar  fest  überzeugt,  dass 
deutsche  Schiffe  der  „Kaiser"-  und  selbst  der  „NVit- 
telsbach"-Klasse  dem  „Dreadnought"  gegenüber 
keine  andere  Wahl  hätten,  als  sich  zu  ergeben  oder 
zu  sinken.  Obschon  er  also  nüt  dem  vor  Helgoland 
gebliebenen  Rest  seiner  Schiffe^  das  furchtbare 
Riesenschiff  in  der  Hand,  noch  stark  genug  schien, 
um  der  an  blosser  Zahl  dann  weit  überlegenen  deut- 
schen Flotte  die  Spitze  zu  bieten,  hielt  er  dennoch 
für  angezeigt,  jene  Rauchwand  zwischen  sich  und 
den  Gegner  zu  bringen,  um  ihm  das  Zusammen- 
schrumpfen der  frontal  übrigbleibenden  Macht  ZQ 
verstecken.  Ursprünglich  beabsichtigte  er,  sein  sieg- 
reiches Seitengeschwader  zu  sich  zurückzurufen.  D^ 
aber  alles  so  gut  ging,  entschied  er  sich  dafür.  i& 
der  Teilung  zu  verharren,  befahl  V.-A.  Mann  weiteren 
Vorstoss  gegen  Ems-  imd  Wesermündung.    Frontal 


—     281     — 

fiel  er  unterm  Winde  ab  und  entfernte  sich  etwas 
nach  Westen,  indem  er  durchschlagenden  Angriff 
auf  Helgoland  und  Cuxhaven  bis  zur  Ankunft  des 
Reservegeschwaders  verschob. 

Deutscherseits  glaubte  man  bei  Cuxhaven 
während  des  Seegefechts  im  Westen  dumpfen 
Kanonendonner  in  der  Feme  zu  hören.  Ein  aufstei- 
gender Nebel  verdickte  jedoch  die  Luft  und  dämpfte 
den  Schall,  so  dass  man  sich  damit  beruhigte,  es 
handle  sich  wohl  nur  tun  Vorpostenscharmützel.  Um 
so  peinlicher  die  Überraschung  am  andern  Morgen. 
Angesichts  der  numerischen  Minderzahl  des  jetzt 
in  Sicht  befindlichen  britischen  Restgeschwaders 
sprachen  sich  mehrere  Stimmen  für  sofortigen  An- 
griff aus.  Doch  die  begründete  Furcht  vor  dem 
,Dreadnought'  überwog,  und  es  blieb  dabei,  dass 
man  nur  in  Verbindung  mit  den  Helgoländer  Forts 
und  den  Küstenbefestigungen  sich  auf  Kampf  ein- 
lassen wolle. 

Eigentlich  konnten  nur  drei  letztgebaute  Panzer- 
kreuzer von  15000  Tonnen  und  25  Knoten,  welchen 
sich  in  letzter  Sttmde  noch  drei  soeben  fertig 
gewordene  Schlachtschiffe  von  18000  Tonnen  an- 
schlössen, sich  als  ebenbürtig  neben  den  besten  bri- 
tischen Schiffen  sehen  lassen.  Alles  übrige  —  Linien- 
schiffe von  10—13  200  Tonnen,  16—18  Knoten,  Kreu- 
zer von  9 — 11 500  Tonnen,  19 — 22,5  Knoten  —  blieb 
hinter  dem  besseren  Teil  der  britischen  Schiffsbe- 
stände zurück.  Dagegen  Hess  sich  nicht  verkennen, 
dass   die   deutsche   Flotte  mit   22   Schlachtschiffen 


—     282     — 

I.  Klasse  der  französischen  an  wirklichem  Gefecbts- 
wert  überlegen  gewesen  wäre,  da  diese  zwar  ausser 
lieh  einen  weit  überlegenen  Tonnengehalt  der  G^ 
samtmasse  besass  (schon  früher  inkl.  bewilligter  uitd 
im  Bau  begriffener  Schiffe  etwa  700000  Tonnen 
zu  435  000  deutscherseits,  wovon  353  000  der  Unies- 
schiffe,  82  200  der  grössten  Kreuzer),  aber  nur  19 
wirkliche  moderne  Schlachtschiffe  I.  Klasse  den  jetz: 
22  deutschen  dieser  Gattung  entgegenzustellen  hatte, 
obschon  die  unzureichende  Artillerie  der  »»Kaiser"- 
und  „Wittelsbach*'-Klasse  dies  Missverhältnis  dniger 
massen  ausgUch.  Da  selbst  die  so  übermässig  xogt- 
schwollene  japanische  Marine  nur  einen  TonneIlg^ 
halt  von  427  000  in  ihrer  Neuformation  erreichte  und 
hiervon  nur  die  neuesten  sechs  Schiffe  einen  (aller- 
dings sehr  hohen  und  allenr  deutschen  individuell 
weit  überlegenen)  besonderen  Gefechtswert  hatten, 
so  konnte  Kaiser  Wilhelm  mit  Befriedigung  auf  sein 
Werk  blicken,  dass  Deutschland  bei  aller  Sparsam- 
keit und  einer  weit  geringeren  Nationalschuld  als 
Frankreich  und  England  in  so  kurzer  Frist  dennoch 
zur  gefechtsmässig  zweitstärksten  Seemacht  empor- 
wuchs.   Wenigstens  in  Europa. 

Doch  im  fernen  Westen  erhob  sich  ein  neuer 
gewaltiger  Gegner:  die  Vereinigten  Staaten  brachten 
ihre  Marine  in  rasendem  Tempo  auf  eine  Höbe 
von  650  000  Tonnen,  wovon  371 900  für  28  Schlacht 
schiffe,  215  700  für  grosse  Kreuzer,  und  es  schien, 
als  ob  in  aller  Heimlichkeit  neue  ungeheure  An 
strengungen  gemacht  wären,   um  die   erst   für  das 


—     283     — 

zwölfte  Jahr  des  zwanzigsten  Jahrhunderts  vorge- 
sehene Vollendung  einer  Tabelle  von  33  modernsten 
Schiffen,  20  Panzerkreuzern  in  die  Wirklichkeit  um- 
zusetzen. Dagegen  hätte  Deutschland  erst  im  zwan- 
zigsten Jahr,  beim  schleifenden  Tempo  seines  durch 
Budgetnörgeleien  des  Reichstags  gehemmten  Aus- 
baus, über  38  kaum  ähnlich  gute  Schlachtschiffe 
(ausserdem  17  Küstenpanzer),  20  nicht  so  starke 
Kreuzer  verfügt.  Bbher  gelang  aber  nur,  5  der 
17  ältesten  Schiffe,  wovon  nur  4  der  „Brandenburg"- 
Klasse  überhaupt  Linienschiffe  genannt  werden  konn- 
ten, durch  vollwertige  zu  ergänzen.  Man  hatte  den 
233  000  Tonnen  der  besseren  19  Linienschiffe  nur 
etwa  50000  von  neuen  drei  beifügen  können,  den 
Kreuzern  etwa  45000  Tonnen,  während  die  fran- 
zösische Marine  in  gleichem  Zeitraum  nur  um 
60000,  die  britische  um  150000  Tonnen  sich  ver- 
mehrte. 

Aus  diesen  Vergleichen  ergibt  sich  1.,  dass  die 
Franzosen  zu  Wasser  gerade  so  wie  zu  Lande  gegen 
Deutschland  den  kürzeren  ziehen  mussten,  daher 
im  Anschluss  an  England  logisch  handelten,  so 
lange  sie  eben  törichterweise  die  deutsche 
Allianz  verschmähten;  2.,  dass  die  amerikani- 
sche Flotte  schon  jetzt  die  zweitstärkste  war  imd 
im  Verein  mit  der  jetzt  540  000  Tonnen  zählenden 
deutschen  wohl  den  Kampf  gegen  England  auf- 
nehmen konnte,  das  von  seinen  1900000  Tonnen 
ein  Viertel  zur  Deckung  seiner  weitverstreuten  Be- 
sitzungen abziehen  musste;    3.,  dass  also  die  Ent- 


—     284     — 

Scheidung  bei  einem  Weltkrieg  dort  lag,  wo- 
hin sich  Amerika  neigte.  Aller  Augen  in  der 
seemannischen  Welt  richteten  sich  zur  westlichen 
Hemisphäre  mit  unbehaglichem  Vorgefühl.  Weder 
England  noch  Deutschland,  trotz  seines  politisch 
vom  Kaiser  so  richtig  gedachten,  aber  fruchtloses 
Liebeswerbens,  konnten  sich  eines  freundschaftlichen 
Einflusses  in  Washington  rühmen.  Der  Yankee  blieb 
kühl  bis  ans  Herz  hinan,  zugeknöpft  in  seiner  so- 
genannten Neutralität,  und  seine  herzliche  Teilnahme 
drückte  sich  nur  in  der  edeln  Unverschämtheit  aus, 
mit  welcher  zwei  rasch  gebildete  ,Trusts'  alle  Kri^- 
führenden  mit  gleicher  UnparteUichkeit  versorgtes, 
nur  natürlich  dem  Bestzahlenden  —  und  das  war 
England  —  die  meiste  Kriegskonterbande  zuschanz- 
ten. Diese  biedere  Bevorzugung  fasste  man  auf  den 
britischen  Inseln  naiv  als  brüderliche  Liebe  der  trans- 
atlantischen Vettern  auf,  nur  die  Wissenden  erwehr- 
ten sich  nicht  eigentümlicher  Ahnung.  Für  sie  hing 
der  Himmel  Englands  nicht  ganz  voll  Geigen,  und 
man  machte  sich  auf  scharfes  Makeln,  womöglich 
auf  Waffengang,  mit  späterer  amerikanischer  Inter- 
vention beim  Friedensschluss  gefasst,  ohne  freilich 
an  früheres  Eingreifen  des  westlichen  Riesen  m 
denken,  so  seltsam  konvulsivisch  er  seine  Glieder 
reckte. 

Es  begreift  sich  daher,  dass  ein  weitsichtiger 
Patriot  wie  Admiral  Beresford  nicht  nüt  übermütiger 
Triumphzuversicht  an  seine  für  England  wichtigste 
Aufgabe  herantrat,  sondern  Lorbeeren  leichten  See- 


285 


siegs  über  Deutschland  nur  als  Erfolgvorschuss  für 
spätere  Verwicklungen  einheimste,  daher  nicht  mit 
nachlässiger  Siegesgewissheit,  sondern  mit  unermüd- 
lichem Ernst  ans  Werk  ging.  Den  Anfangssieg  liess 
er  durch  Verfolgung  nach  Borkum  ausbeuten, 
während  er  es  darauf  ankommen  liess,  ob  man  ihn 
selber  westlich  von  Helgoland  angreifen  werde. 

Das  Flaggschiff  „York"  der  Kreuzer -Auf- 
klärungsdivision (Konteradm.  Schmidt)  zog  im  allge- 
meinen richtige  Erkundigungen  ein,  und  es  kam 
der  Vorschlag  zur  Beratung,  ob  man  nicht  Beres- 
fords  Taktik  wiederholen,  ihn  frontal  hinhalten  und 
seitwärts  zur  Deckung  von  Bremerhaven  ausfallen 
solle.  Konteradmiral  Flachte,  Vorsitzender  des 
Schiffsbesichtigungsausschusses,  bekräftigte,  die 
Schlachtflotte  sei  von  oben  bis  imten,  vom  Turm 
bis  zur  Torpedoächraube,  in  bestem  Zustand,  und 
mehrere  Kapitäne-zur-See  drangen  in  den  Gross- 
admiral,  er  solle  dies  Wagnis  versuchen.  Doch  die 
Chefs  der  Küstensperren  beteuerten,  dass  man  ohne 
Beihilfe  sämtlicher  beweglicher  Streitkräfte  die  Eib- 
mündung und  Helgoland  nicht  halten  könne,  wenn 
der  Feind  das  Abdampfen  der  deutschen  Flotte 
rechtzeitig  bemerke  und  zu  Handstreich  benutze. 
lEs  blieb  also  alles  beim  alten.  Aus  der  Ostsee  mel- 
dete der  Küstenpanzer  „Ägir",  dieser  vielberufene 
schläfrig  schwerfällige  Meergreis,  durchaus  nicht 
Herr  der  Fluten,  dass  von  Dänemark  her  kein 
Feind  in  Sicht  sei. 

Zwei  verladbare  zerlegbare  Torpedovedetten  von 


—     286     — 

18  m  Länge  2  m  Breite,  18  Knots  schnelle  GasoHn- 
motorboote  voraus,  begann  die  siegreiche  britische 
Eskadre  die  Forcierung  der  Wesermündung.  DicTor- 
pedovedetten  hatten  je  zwei  Lanzierrohre,  eins  in  der 
Achse,  eins  um  200  Grad  drehbar,  ihr  schmaler 
Kielgang  von  nur  1  m  erlaubte  ihnen,  sehr  nahe 
am  Ufer  entlan'g  zu  streifen  und  sich  so  zu  verheim- 
lichen. Da  die  britischen  Kriegsknechte  sich  durch 
lebhaften  Appetit  auszeichnen,  so  folgte  eine  Pro- 
viantkolonne von  drei  Kauffahrteischiffen,  damit 
Tommy  Atkins  ausser  blauen  Bleibohnen  doch  auch 
Beefsteaks  imd  Konserven  zu  schmecken  bekomme. 
Seit  die  englische  Firma  Yarrow  in  französischem 
Auftrag  das  erste  Torpedofahrzeug  von  27  m  Lange 
im  Gewicht  von  30  Tonnen  baute  und  gegen  zu 
hohen  Seegang  dieser  Massstab  auf  35  m  50  Tonnen 
erhöht  werden  musste,  später  auf  37  m  87  Tonnen, 
die  sich  inmier  noch  nicht  von  der  Küste  entfernen 
konnten,  hatten  sich  die  neukonstruierten  Hochsee- 
boote von  46  m  Länge  150  Tonnen  aufwärts  (zwölf 
deutsche  ä  530  Tonn.  30  Knoten)  in  Angriffsinstru- 
mente verwandelt.  Zwar  gaben  bisherige  Seekriege 
—  japanisch-chinesischer,  amerikanisch-spanischer,  ja- 
panisch-russischer —  noch  keine  rechte  Vorstellung 
davon,  da  in  ersteren  diese  Waffe  entweder  fehhe 
oder  schlecht  gebraucht  wurde,  doch  zeigten  ja- 
panische Torpedos  vor  Port  Arthiur  schon  ihre 
Furchtbarkeit;  In  eigentlichen  Hochseeschlachten 
waren  sie  aber  noch  nicht  in  Masse  verwendet  wor- 
den. England  nahm  verhältnismässig  spät  diese  von 


—     287     — 

Frankreich  lanzierte  Waffe  an,  nutzte  sie  aber  dann 
mit  vollendeter  Sicherheit  aus. 

Den  zur  Wesermündung  entsendeten  Kriegs- 
schiffen waren  drei  riesige  Transportdampfer  nach- 
geeilt: die  jOceana*  der  White  Star-Linie  von  215  m 
Länge,  die  »Campania*  und  ,Lucania'  der  Compagnie 
Cunard,  letztere  159  m  lang,  20  m  breit,  alle  von 
13  m  Kieltiefe,  so  dass  sie  nicht  nahe  an  den  Strand 
herangehen  konnten.  Nur  „Lusitania"  und  deutsche 
Doppelschraubendampfer  „Auguste  Victoria"  und 
„Amerika"  übertrafen  sie  weit  an  Grösse.  Letztere 
bis  25000  Tonnen  Gehalt  und  42  500  Tonnen  Eigen- 
gewicht (Wasserverdrängung),  17200  Pferdekraft,  die 
4000  Menschen  fassten,  6 — 700  Fuss  Länge,  74  bis 
77  Breite,  54  Tiefe  und  eine  Fahrgeschwindigkeit 
von  18  Meilen  pro  Stunde  hatten.  Immerhin  fassten 
die  drei  britischen  Kolosse  etwa  sechstausend  Mann 
Soldaten,  eine  starke  Brigade  zur  Besetzung  Borkums 
imd  der  Flussufer,  nebst  Transp.-Sch.  „Dufferin". 

Sich  einen  festländischen  Brückenkopf  für  wei- 
tere Operationen  zu  sichern,  diesem  Bestreben  der 
Engländer  mussten  auch  deutsche  Landtruppen  zu 
begegnen  wissen.  Es  blieb  aber  ein  Übelstand,  dass 
9.  (Itzehoe),  24.  ,Lewinski',  während  33.,  34.  Feld- 
artillerieregiment in  Metz  schon  früh  das  Rohrrück- 
laufgeschütz erhielten  und  nach  dem  bekannten 
Scharfschiessen  in  Hagenau  das  14.  wie  das  15.,  16. 
Korps,  dann  das  8.,  13.»  18.  damit  sofort  ausgestattet 
wurden,  nur  teilweise  diese  vervollkommnete  Waffe 
erhielt    und  die  zum     Küstenschutz    aufgebotenen 


—     288     — 

Landwehrdivisionen  nur  veraltete  Artillerie  besassen. 
Dem  französischen  Geschütz  gegenüber,  dem  es  im 
Feststehen  ähnlich  sah,  besass  der  Mechanismus 
des  deutschen  Nachteil  grösserer  Empfindlichkeit  und 
versagte  leichter.  Doch  konnte  es  die  senkrechte 
und  wagrechte  Ebene  wechseln,  ohne  zum  Verrücken 
der  Lafette  gezwungen  zu  sein,  war  leicht  zu  heben, 
von  grosser  Treffsicherheit  und  für  die  Kanoniere  äus- 
serst bequem,  da  sie  beim  Schiessen  ruhig  hinter  den 
Schutzschilden  auf  dem  Geschütz  sitzenbleiben  konih 
ten,  ohne  durch  den  Schuss  irgendwie  belästigt  za 
werden.  Die  längst  ausgearbeiteten  Übungs-  und 
Schiessvorschriften  hatten  die  Artilleristen  in  ihren 
Kasernen  schon  vorher  theoretisch  unterrichtet,  in- 
dem man  ihnen,  besonders  denen  der  Garde  in  Span- 
dau, ein  Verschlussmodell  in  Holz  imd  Metall  und 
Übungslafetten  überwies,  die  den  Gesamtmechanis- 
mus,  insonderheit  der  Glyzerinbremse,  enthielten. 
Den  Rohrrücklaufbatterien  hatten  die  Briten  nichts 
Ebenbürtiges  entgegenzustellen,  ihr  bei  26.  28.  Brig. 
neueingeführter  18-Pfünder  mit  automatischem  Fuse- 
Setter  unhandlich  für  Felddienst,  doch  strotzte  ihre 
Ausstattung  an  Überfülle  von  Maxims. 

Das  zur  Verwertung  technischer  Neuerungen 
gegründete  „Ingenieurkomitee"  war  mit  Geschäften 
der  Küstenverteidigung  überlastet.  Auf  Strandbat- 
terien  und  Minen  an  den  Weser-  imd  Emsmündungess 
war  kein  Verlass,  während  auch  die  holländischen 
dort  postierten  Küstenschiffe  meist  armselige  Kasten 
waren,   die  nur   acht   Knoten    liefen   und    je  zwei 


—     289     — 

100  Millimetergeschütze  hatten.  Ein  Vorstoss  zu 
Lande,  nachdem  sie  die  Küstenanlagen  zerstörten, 
schwebte  den  Briten  freilich  vor,  da  ihre  Selbstüber- 
hebung nichts  für  unausführbar  hält  und  das  Wort 
„unmöglich"  in  ihrem  Dictionary  nicht  vorkommen 
soll.  Aber  nach  Abzug  der  gegen  Holland  bestimmten 
4  Divisionen  hatten  sie  nur  3  für  Landungsversuch  in 
Deutschland  anfangs  vorrätig,  nur  durch  weitere  Ein- 
stellimg  von  Freiwilligen  und  Milizen  konnte  diese 
Zahl  verdoppelt  werden.  Nim  waren  allerdings  die 
zweiunddreissig  kriegsstarken  Bataillone  des  Alto- 
naer  Armeekorps  (mit  vierten  Bataillonen  komplet- 
tiert) auf  weite  Strecke  verteilt  und  hatten  wei- 
terhin in  Pommern  nur  vier  Bataillone  als  Flanken- 
deckung, so  dass  überraschende  Landung  der  Bri- 
ten an  irgendeinem  Punkte  wohl  anfangs  mit  über- 
legenen Kräften  geschehen  konnte.  Da  aber  die 
Landwehren  der  Nord-  und  Ostseedistrikte  über- 
all aufgeboten,  ausserdem  die  Garde  als  allgemeine 
Reserve  bei  Berlin  stand,  konnte  man  jedem  Versuch 
gelassen  entgegensehen.  Neue  Instruktion  für  „ge- 
öffnete Ordnung",  „zerstreutes  Gefecht"  machte  mit 
zeitgemässer  Ausgestaltung  modemer  Grundsätze  die 
deutsche  Infanterietaktik  sicher  der  britischen  über- 
legea. 

Das  deutsche  neue  Infanteriegeschoss,  S- Mu- 
nition für  Modell  98,  übertraf  ausserdem  das  bri- 
tische bedeutend.  Dies  neue  Vollmantelgeschoss,  in 
Mantel  und  Kern  von  demselben  Metall  wie  das 
frühere  ältere,  zerlegte  sich  beim  Verlassen  der  Ge- 

Völker  Europas  .  .  . !  I9 


—     290     — 

wehrmündung  in  einen  zylindrischen  verhältnismäs- 
sig kurzen  Bodenteil  und  einen  steilkegrelförmigen 
scharf  zugespitzten  langen  Vorderteil.  Seine  unTtr- 
änderliche  Form  bei  durchschlagendem  Widerstände 
wirkte  auf  800  Meter  noch  mit  solchem  Überschuss 
lebendiger  Kraft,  dass  sie  stärkste  Knochen  glatt 
durchriss  und  bei  Körperlängsschüssen  grosse  Ein- 
dringungstiefen  erzielte.  Schusskanäle  bis  460  Milli- 
meter in  fester  Muskulatur,  bis  600  in  Rippen  und 
Weichteilen,  auf  solche  Entfemimg  blieben  auf  1350 
Meter  noch  130  und  400  Millimeter  tief.  Die  Ver- 
wundfähigkeit, obschon  an  sich  etwas  geringer  als 
bei  schwereren  Spitzgeschossen,  war  also  an  sich 
immer  noch  sehr  erheblich,  vor  allem  konnte  aber 
dies  S-Geschoss  noch  auf  Distanzen  wirken,  die  sonst 
jenseits  des  gewöhnlichen  Infanteriegefechts  liegen, 
also  gegen  weit  entfernte  Batterien  und  rückwärtige 
Reserven.  Dies  machte  sich  beim  Landfeldzu^  gegen 
Frankreich  wiederholt  geltend,  koimte  aber  selbst 
hier  gegen  zu  tief  in  Flussmündimg  einfahrende 
Schiffe  durch  Bestreichung  des  Oberdecks  etwas 
leisten.  — 

Am  30.  begann  Manns  Angriff  gegen  Weser  und 
Oster-£ms,  die  Batterie  auf  Borkum  koimte  nicht 
widerstehen,  die  Reste  der  deutschen  Eskadre  und 
die  holländischen  Küstenpanzer  durften  keinen  Ab- 
wehrversuch an  dieser  Stelle  mehr  wagen.  Die 
noch  gefechtsfähigen  fünf  britischen  Panzer,  sieben 
Panzerkreuzer  scheuten  minenverseuchte  Einfahrt, 
doch  kleinere  Gefechtseinheiten  gingen  in  der  Ems 


—     291     — 

vor  Anker,  wo  sie  Kohlenvorräte  und  Proviant  an- 
sammelten, Truppenlandmig  auch  in  der  Wester- 
Ems  deckten.  Zwei  Bataillone  Royal  Marines  imd 
die  Regimenter  1.  Suffolk  und  Leicester  gingen  ans 
Schanzen.  Der  Telegraph  von  Borkum  hatte  zwar 
die  Hanseatenbrigade  rechtzeitig  alarmiert,  doch  die 
lokalen  Verhältnisse  verboten  Landangriff  angesichts 
der  englischen  nahen  Flottenlinie. 

Auch  die  Briten  nord-,  nordwestlich  von  Helgo- 
land bereiteten  sich  jetzt  zur  Schlacht  vor.  Kohlen 
waren  genug  vorhanden,  etwa  25  Tonnen  für  Torpedo- 
boote, etwa  2000  Tonnen  an  Bord  grosser  Kreuzer, 
die  diese  Masse  rund  um  ihre  Maschinen  aufschich- 
teten, als  elastischen  Schutz  gegen  Granattreffer. 
Bei  vielen  wurde  Petroleum  angewendet,  das  doppelt 
90  viel  mechanische  Kraft  als  Kohle  besitzt  und 
das  man  für  diesen  Bedarf  besonders  in  Magazin^i 
ablagert  und  präpariert,  so  dass  es  nur  bei  hoher 
Temperatur  entzündbar  wird.  Die  Erfindung  des 
französischen  Colonel  Renard,  einer  Gelatine  von 
Alkohol  als  Brennstoff  für  Schraubenmaschine,  war 
noch  unbekannt. 

Besondere  Schnellfeuervorrichtungen  für  drei 
neue  kolossale  Turmgeschütze  von  34,  40,  42  Zentim. 
mit  Granaten,  die  800  Kilogramm  wogen  und  fast 
iV«  Meter  Durchmesser  hatten,  wurden  auf  dem 
,Dreadnought'  untersucht  und  in  richtigem  Zustand 
befunden.  Telephonapparate,  deren  Empfiadlichkeit 
das  Schnarren  der  Torpedoschrauben  auf  weite  Ferne 
verrät,  wurden  ün  imteren  Schiffsraum  aufgestellt. 

19* 


—     292     — 

Lydittbomben,  Brandgranaten,  sowie  zur  Sprengung 
von  Minensperren  die  Portsmouther  Lyditt-Petardefl 
von  fünf  Unzen  (hiindertfünfzig  Gramm),  wurden  in 
Fülle  angehäuft  oder  in  die  Geschossaufzüge  ein- 
gehängt, Streuminen  in  Bereitschaft  gehalten.  Win- 
zige Boote  mit    Pilzankem    als    Fahrwasserzeichen, 
Werkstattdampfer    mit    Bojen    für    Tonnenlegung, 
Spezialfahrzeuge  wie  Dampfer  „Sanderson",  um  Ha- 
varierte aus  dem  Feuer  der  Schlachtlinie  zu  schleppen, 
lagen  bereit.  Ebenso  Feuerschiffe  und  grosse  rote 
Signaltonnen,  die  man  später  aussetzen  .wollte,  wo 
früher  die  jedem  Reisenden  bekannten  Helgoländer 
lagen.  Die  zwei  im  Seetreffen  so  schwer  mitgenonh 
menen  Panzer  waren  bereits  unterwegs  nach  Chatam 
zur   Reparierung.    Von  dort  meldeten   ununterbro- 
chen     Funksprüche,      eine      Trainschifflinie     ent- 
lang quer  über  die   See:    das   Reservegeschwader 
könne  erst  am  2.  abends  vollzählig  eintreffen,  zum 
grossen   Missvergnügen   Beresfords,   der  nun   auch 
vom  Londoner  Admiralitätsamt  die  schweren  Lan- 
dungsmisserfolge    in  Holland    imd  Belgien    erfuhr. 
Von  entscheidender  Diversion  des  Kanalgeschwa- 
ders  und   Landungsexpedition,  durch  deren   glück- 
liches   Vordringen    man   eventuell   später   Ostfri«- 
lands  Küste  im  Rücken  bedrohen  könnte,  war  also 
keine  Rede  mehr.    Beresford  lud   den  ihm    unter- 
stellten Admiral  Drury  ein,  ihm  Panzer  „Hibemia*, 
Kreuzer  „Devonshire"  zu  senden.  Hier  in  der  Nords« 
lag  das  entscheidende  Schlachtfeld.  „Hawke",  „Ed- 
gar", Kadettenschiff  „Isis"  erhielten  mit  anderswo 


—     293     — 

gebrauchten  Kollegen  „Arthur",  „George**,  „High- 
flyer** jetzt  wenigstens  Panzergürtel,  doch  vom 
besseren  Typ  (12000  Tonnen,  21  Knoten,  zwei  23,5  cm-, 
sechzehn  15,25  cm-Geschütze,  sechszöUiger  Panzer) 
fehlten  ihm  „Euryalus",  „Sutlej",  „Hogue**.  Ob- 
schon  er  nach  Abzweigung  der  Weser-Eskadre 
nur  über  zehn  Panzer,  siebzehn  grosse  Kreuzer 
verfügte,  allerdings  seine  stärksten,  nebst  ,Dread- 
nought',  dessen  Gefechtswert  man  auf  mindestens 
drei  feindliche  Schlachtschiffe  anschlug,  sah  seine 
Flotte  infolge  der  massenhaften  kleineren  Gefechts- 
körper noch  so  gewaltig  aus,  zumal  seine  Kreuzer 
sich  nicht  wie  die  deutschen  durch  schöngeschweif- 
ten Bug  von  Linienschiffen  unterschieden  und  su 
den  Beschauer  täuschten,  dass  auch  am  30.  der 
deutsche  Grossadmiral  sich  nicht  rührte.  Er  zog  nur 
zwei  Schiffe  „Brandenburg"-Klasse,  die  trotz  je  sechs 
28  cm-Kajionen  in  Doppel  turm  mit  zehntausend  Tomien 
kaum  mehr  taugten  als  Sachsen-,  Siegfriedklasse, 
durch  den  Wilhelmskanal  an  sich.  Doch  blieben  sie 
vorläufig  zwischen  Brunsbüttel  und  Helgoland,  um 
gegen  etwaige  Überraschungen  von  dieser  Seite  den 
Kanal  zu  sichern.  Auf  dessen  Ostseite  und  weiter 
nach  Kap  Skagen  vorgeschoben  patrouillierten  zwei 
Kreuzer  und  „Oldenburg**  (Übergangstyp  zwischen 
Sachsen-  und  Siegfriedklasse).  Die  Küstenpanzerdi- 
vision und  starke  Torpedoflottille  blieben  in  der  Kieler 
Föhxde,  da  man  nicht  wissen  konnte,  ob  der  Feind 
sich  nicht  in  Nacht  und  Nebel  davonmachen  und 
Überfall  von  Kiel  früher  als  Vorstoss  auf  Hamburg 


—     294     — 

planen  werde.  Auch  wusste  coan  gar  nichts  über  Ver- 
bleib des  Reservegeschwaders,  obschon  man  über 
die  Rolle  des  Kanalgeschwaders  ja  nun  im  klaren 
war.  Welche  britischen  Kräfte  am  29.  und  heut 
am  30.  im  Westen  fochten,  blieb  imgewiss;  eine 
irrige  Meldung  des  „Friedrich  Karl"  hatte  Schiffe 
des  britischen  Reservegeschwaders  dort  im  Gefecht 
feststellen  wollen.  Gleichwohl  wirkte  die  Kunde  vod 
den  grossen  Erfolgen  an  Scheide  imd  Sambre  so 
erhebend,  beim  Parolebefehl  heut  früh  verlesen  und 
mit  kräftigem  Hurra  von  allen  Marmschaften  be- 
grüsst,  dass  der  „Admiral"  (so  nennt  man  die  Haupt- 
flotte) wenigstens  einen  Vorstoss  zu  unternehmen 
beschloss,  um  der  drückenden  Ungewissheit  Hen 
zu  werden.  Die  unerfreuliche  Meldung  aus  Wil- 
helmshaven hatte  doch  insofern  ihr  Gutes,  als  sie 
das  FestUegen  bedeutender  Feindeskräfte  dort  kon- 
statierte. Jetzt  oder  nie  war  der  Augenblick,  noch 
etwas  zu  wagen  imd  dem  Feind  zu  Leibe  zu  gehen, 
ehe  er  sich  ganz  vereint.  Aber  als  man  am  31.  früh 
vorrückte,  fand  man  nichts  als  Wasserfläche  und 
fem  am  Horizont  die  langen  Rauchschwaden  der 
britischen  Hauptmacht,  die  bis  tief  in  die  Nacht 
durch  ostentatives  Manöverieren  mit  Scheinwerfern 
und  eine  lange  Postenkette  von  nun  geschickt  aus- 
weichenden Destroyers  und  Scouts  ihren  Abzug  ver- 
schleierte. Man  hatte  das  Nachsehen,  und  das 
höhnische  Schimpfen  der  braven  deutschen  Blau- 
jacken, dass  John  Bull  feige  ausrücke,  befriedigte 
wahrlich  nicht  den  Missmut  der  Offiziere. 


—     295     — 

Der  ebenso  kühne  und  gewandte  als  vorsichtige 
britische  Seestratege  bedauerte  zwar,  dass  er  den 
Eindruck  jener  britischen  Niederlagen  nicht  durch 
sofortigen  grossen  Seeerfolg  abschwächen  und  ins 
Gegenteil  veikehren  dürfe,  auch  bisher  seine  Kohlen 
nutzlos  verbrauche.  Doch  er  hielt  am  einzig  richtigen 
Grundsatz  fest,  dass  man  zur  Entscheidung  möglichst 
alle  Kräfte  vereinen  müsse,  rief  daher  sogar  zwei 
Panzer,  zwei  Kreuzer  der  Weser-Eskadre  wieder  zu 
sich,  die  im  Laufe  des  1.  Juni  auf  seinem  rechten 
Flügel  eintrafen,  und  befahl  dem  verspäteten  Re- 
servegeschwader strenge,  seinen  Marsch  zu  beschleu- 
nigen. Für  den  Fall,  dass  sich  Gelegenheit  fände, 
die  Operation  weiter  ostwärts  zu  verschieben  und 
vielleicht  Helgoland  vom  Nordosten  zu  umgehen, 
wurden  britische  Handelskapitäne,  seit  Jugend  an 
diese  Wasser  befahrend,  als  Lotsen  instruiert,  vor- 
ausfahrend durch  Raketensignal  gefährliche  Un- 
tiefen im  Wattenmeer  anzuzeigen  und  dort  Kähne 
als  Marksteine  festzumachen,  damit  man  nicht  un- 
versehens auf  Grund  gerate. 

Um  aber  das  heimliche  Grollen  seiner  eigenen 
Mannschaften,  die  in  britischem  Hochmut  ein  Aus- 
weichen vor  dem  Kampf  nicht  begriffen  imd  bisher 
von  der  deutschen  zahmen  Defensive  eine  schlechte 
Meinung  bekamen,  zu  besänftigen  und  das  mora- 
lische Gleichgewicht  wiederherzustellen,  das  selbst 
bei  der  eisernen  britischen  Flott^idisziplin  nicht  ver- 
nachlässigt werden  durfte,  machte  er  am  1.  Juni 
eine   Wiedervorwärtsdrehung    von    15®   nach    Süd- 


—     296     — 

Osten.  Lockte  er  den  Feind  hier  sich  nach,  so  bot 
dieser  dem  im  Westen  heraneilenden  Rese^veg^ 
schwader  die  linke  Flanke.  Dies  taten  die  Deutseben 
zwar  nicht,  sondern  versagten  ihre  Linke,  vom 
gleichen  Fleck  manövrierend  und  nach  Westen  aus- 
lugend, behielten  aber  mit  der  Rechten  Fuhlnng. 
Auf  weite  Distanz  erhob  sich  eine  heftige  Kanonade 
ohne  sonderliche  Wirkung. 

Der  britische  Vizeadmiral  in  der  Ems  batte 
am  30.  die  Angriffsschlachtparole  „Duncan"  ai& 
gegeben :  sei  es,  dass  er  in  echt  britischer  Umrissen 
heit  Ostfriesland  für  holländisch  bevölkert  hielt  und 
angesichts  der  so  kläglichen  geflüchteten  holländi- 
schen Marine  an  Duncans  Sieg  bei  Kamperdo«» 
über  eine  damals  noch  immer  ansehnliche  hollän- 
dische Seemacht  erinnern  wollte,  sei  es,  dass  er 
seinen  eigenen  Panzer  „Dimcan",  auf  den  Namen 
jenes  alten  Siegers  getauft,  ehren  wollte»  der  in  der 
Seeschlacht  sich  allein  ganz  unversehrt  erhielt  B 
war  kein  Geringes  und  sollte  sich  noch  mehnnab 
wiederholen,  dass  England  gegen  jede  fremde  Flotte 
imd  auf  jedem  Meer  das  Gedächtnis  steter  Siege 
heraufbeschwören  konnte.  So  flatterte  denn  auf 
Beresfords  Flaggschiff  ,Dreadnought*  (zu  deutsdi: 
,  Fürchte  nichts*)  das  Schlachtsignal  heut  und  an 
den  folgenden  Tagen:  „The  glorious  first  of  June^r 
wie  im  englischen  Volksmund  jene  bittere  Se^ 
Schlacht  des  greisen  Lord  Howe  heisst,  wo  die 
,Königin  Charlotte*  und  der  ,Brunswick*  dem  fran- 
zÖ3ischen  Riesenschiff  ,Montagne*  imd  dem  ,AcbiUe' 


—     297     — 

den  Garaus  machten.  Gegen  die  jüngste  europäische 
Seemacht,  die  deutsche,  konnte  man  sich  freilich 
noch  nicht  solcher  Siegesannalen  rühmen,  doch  das 
Gefecht  von  neulich  gab  einen  guten  Anfang  und 
versprach  noch  mehr  für  diesen  neuen  „ersten  Juni"  1 

Die  Deutschen,  eine  Falle  witternd  und  bei 
der  Femkanonade  gegen  das  überlegene  britische 
Kaliber  im  Nachteil,  fielen  langsam  in  die  Linie 
Wangeroog-Helgoland  zurück.  Die  von  der  Weser 
herangezogene  Flottendivision,  dabei  der  erfolgstolze 
„Duncan",  ging  nachmittags  vor,  ward  aber  durch 
frühere  Manöverflottille  (Kapt.  Maass),  Schulflottille 
(Korv.  K.  Nordmann),  Panzerkreuzer  „Roon"  genügend 
abgefertigt.  In  der  Nacht  zum  2.  imternahm  eine 
unterm  Schutz  des  Kreuzers  „Kaiserin  Augusta**  nach 
Sylt  abgeschwenkte  Torpedodivision  einen  Vorstoss 
gegen  die  rückwärtigen  Verbindungen  der  feind- 
lichen Linken,  der  anfangs  glücklich  verlief.  Mehrere 
Kohlendampfer  wurden  gesprengt,  der  Kreuzer  „The- 
seus"  bekam  ein  kleines  Leck,  das  er  jedoch  bald 
reparieren  konnte,  einige  Torpedos  und  Scouts 
kamen  durch  Ineinanderstossen  in  der  Nachtverwir- 
rung zum  Sinken.  Schliesslich  mussten  bei  klar- 
werdendem Tageslicht  die  deutschen  Nachtfrei- 
beuter, strahlenförmig  auseinanderschiessend,  jeder 
für  sich  verbergende  Schatten  suchen,  als  Destroyers 
auf  sie  Jagd  machten.  S  117,  118  sahen  sich  dabei 
weit  hinter  die  britische  Schlachtlinie  verschlagen. 

An  der  Ems  und  vor  Weser  und  Jahde  ver- 
änderte sich  nichts,  als  dass  herangeführte  deutsche 


—     298     — 

Feldartillerie  die  britischen  Erdschanzen  an  der 
Ems  ohne  sonderliche  Wlrioing  beschoss.  Der 
Feind  landete  alle  seine  Truppen  dort  und  auf  Bor* 
kxun.  Um  ihn  beim  Ausräumen  deutscher  Flatter- 
minen und  Ausstreuen  eigener  Minen  vor  der  Jahd^ 
mündung  zu  stören,  brachen  in  der  Nacht  zum  2. 
die  noch  frischen  achtzehn  Torpedoboote  dieser  Sta 
tion  und  zwei  Körper  der  mit  Gottes  Hilfe  (eod- 
lichl)  in  diesem  Jahr  fertiggestellten  Unterseeboot 
division  aus  Jahdebusen  und  Weser  heraus,  während 
die  zwei  noch  sehr  kampffähigen  Kreuzer  „Adal- 
bert"  und  „Friedrich  Karl"  (die  schweren  Paniff 
„Wettin"  und  „Friedrich"  gingen  in  Reparatur  nad 
Wilhelmshaven)  drei  in  den  Fluss  weit  vorgeschobeoe 
britische  Kreuzer  überraschend  anfielen. 

Den  dumpf  aufstossenden  Takt  der  Mascfaines- 
kolben,  als  die  Torpedos  mit  einer  Schnelle  tqd 
27  Knoten  die  wogende  Wasserfläche  durchschnitten, 
vernahmen  die  britischen  vermoorten  Werkstatts^ 
schiffe  durchs  Getöse  ihrer  eigenen  Arbeit  erst,  als 
es  zu  spät  war.  Sie  wurden  in  die  Tiefe  geschleudeit, 
einem  bewachenden  grösseren  Kreuzer  der  Bauch 
aufgeschlitzt.  Dies  unfreiwillige  Harakiri  traf  audi 
einen  unversehens  aus  dem  Halbschlaf  geweckten 
Destroyer.  Die  beiden  Unterseeboote  fanden  vtf* 
schiedene  Ziele.  Das  eine  rannte  von  unten  das 
riesige  Paketboot  „Oceana"  über  den  Haufen,  das 
andere  wirbelte  mehrere  verankerte  Kohlenschiffe 
durcheinander  und  rannte  unterhalb   einen    schon 

• 

früher  leicht  beschädigten  Panzer  nieder. 


299 


Dagegen  hielten  die  drei  Kreuzer  im  Weser- 
fluss  guten  Lugaus,  ihre  Wachtposten  riefen  recht- 
zeitig: „Feind  in  Sicht  3  Strich  voraus":  auf  Hom- 
signale,  gellende  Pfiffe,  Läuten  der  Schiffsglocken, 
die  eben  noch  „Four  Beils"  angezeigt  hatten,  strömte 
die  Mannschaft  an  Deck.  Scheinwerfer  kreuzten 
ihre  Garben,  im  sekundenraschen  bleichen  Licht 
sah  man  die  Silhouetten  der  ansegelnden  beiden 
„Prinzen"-Kreuzer,  ihre  drei  schlanken  Schlote  kräu- 
selten Dampf  in  die  Morgendämmenmg.  Es  kam 
sofort  zu  heftigem  Nahkampf,  in  welchem  „Adal- 
bert"  zwar  so  ziemlich  abgeschossen  wurde  und 
wenig  fehlte,  dass  er  nicht  den  Namen  des  einstigen 
ersten  deutschen  Admirals  mit  sich  in  die  Tiefe 
nahm.  „Friedrich  Karl"  ging  aber  mit  einer  seines 
Namens  würdigen  Schneidigkeit  drauf  und  richtete 
den  einen  Briten  so  übel  zu,  dass  sein  Deck  schon 
schräg  lag  und  einige  Salven  von.  Maschinengewehren 
die  schreienden  umkippenden  Menschen  förmlich  wie 
Ameisen  über  Bord  fegten.  Auch  ein  andrer  Brite 
legte  sich  auf  Backbord  etwas  über,  man  hörte 
Klirren  von  splitterndem  Metall,  und  er  suchte  mit 
dem  dritten  eiligst  das  Weite  zur  Mündung.  Aus 
Furcht  vor  den  Unterseebooten,  gegen  welche  so- 
gleich drei  britische  vom  Meere  draussen  aufgeboten 
wurden,  gab  die  ganze  Blockadeflotte  den  Eingang 
der  Weser  und  Jahde  frei.  Die  Deutschen  zogen 
sich  zurück,  als  der  Feind  mit  Macht  von  der  See- 
linie draussen  andrang.  Sie  konnten  mit  dem  Er- 
gebnis zufrieden  sein,  das  ihnen  nur  zwei  havarierte 


—     300     — 

und  nicht  mal  gekenterte  Torpedoboote  und  dn 
Unterseeboot  kostete,  von  einem  feindlichen  in  grau- 
sem  unterseeischem  Kampfstrudel  mit  sich  in  die 
Tiefe  gezogen.  — 

Hiermit  verstrich  aber  nun  vollends  die  letzte 
Frist,  innerhalb  welcher  ein  dreistes  Vorgehen 
deutscherseits  auf  Nicht  Versammlung  der  feindUchen 
Macht  hoffen  konnte.  Denn  am  2.  meldeten  überall 
die  noch  brennenden  Leuchttürme  und  hochgelegene 
Telegraphenleitungen  das  Ansegeln  einer  neuen 
mächtigen  Flotte  im  westlichen  Meer,  deren  um- 
fangreiche Schlote  dicke  Ballen  schwerlastenden  wol- 
kigen Rauches  in  die  Luft  warfen.  Das  Reserveg^ 
schwader  betrat  das  flüssige  Wellengelände  des  un- 
geheuren Schlachtfelds.  An  diesem  Tage  bewegte 
sich  die  britische  Linke  in  Richtung  auf  HomsriS, 
eine  Flottille  kundschaftete  nach  Sylt  und  Ammn 
aus,  beobachtete  auf  Höhe  von  Pellwoim  die 
Heveitnündung,  zu.  welcher  sich  übrigens  heut  die 
abgeschnittenen  Torpedos  S  117,  118  durch 
schlugen,  in  weitem  Bogen  den  Destroyeis  ent- 
schlüpfend. S  119,  einst  auf  Strecke  Pawlowsk-Wm- 
dau  beim  russischen  Kriegshafen  Libau  bös  havarieit 
erlitt  diesmal  seine  letzte  Havarie:  man  sah  es  nk 
wieder.  „Kaiserin  Augusta"  imd  Brandenburgklasse 
hielten  Linie  östlich  von  Helgoland  und  wichen  affl3- 
früh  südöstlich  dahinter,  nach  unwirksamem  Feuer- 
gefecht gegen  die  heranwogende  Übermacht  da 
Schutz  der  Inselbatterien  begehrend.  Schulschüf 
„Ulan"    und    Vermessungsschiff    „Hyäne"    hielte» 


—     301     — 

ihnen  den  Eingang  zum  Kanal  als  Rückzugspforte 
frei.  Die  Vorhut  des  Chatamgeschwaders  lief  am 
2.  mittags  in  die  britische  Schlachtlinie  ein,  und  Be- 
resford  hätte  gewünscht,  schon  heut  konzentrisch 
anzugreifen.  Die  Maschinen  des  Reservekorps,  auf 
äusserste  Kraft  gestellt,  seit  zwölf  Stunden  unter 
Dampf,  konnten  aber  keiner  besonderen  Leistung 
mehr  genügen.  So  verschob  der  britische  Admiral 
die  Entscheidungsschlacht  auf  den  folgenden  Tag. 
Er  hatte  Dreadnought,  21  Schlachtschiffe,  30  grosse 
Kreuzer  und  eine  Unzahl  kleinerer  Gefechtskörper 
beieinander,  denen  die  Deutschen  nur  18  (neue 
, Bundesrat',  ,Friedrich  d.  Gr.*,  ,Ersatz  Kurfürst*) 
einigermassen  gleichwertige,  2  minderwertige  Linien- 
schiffe, zwölf  grosse  Kreuzer  und  erschreckende  Min- 
derzahl kleinerer  Einheiten  entgegenzustellen  hatten, 
wobei  nur  sechs  Torpedodivisionen  und  eine  Division 
Torpedojäger  einigen  Trost  gewährten.  Nur  Beihilfe 
der  Inselbatterien  konnte  dies  Missverhältnis  etwas 
ausgleichen.  Dort  sahen  die  Festungskanoniere,  jetzt 
di«  einzigen  Bewohner  des  winzigen  Eilands,  schlicht 
und  dunkel  mit  ihren  schwarzen  Kragen  und  Auf- 
schlägen sich  vom  hellen  Gestein  abhebend,  finster 
dem  drohenden  Ungewitter  entgegen.  Von  der  Falm- 
Brüstung  koimten  die  Offiziere  durchs  Görzglas  deut- 
lich erkennen,  ohne  des  grossen  Femrohrs  vom 
Beobachtungsstand  zu  bedürfen,  wie  die  feindliche 
Linke  sich  von  Norden  nach  Osten  fast  senkrecht 
auf  die  Nordostecke  niedersenkte  und  von  dort  all- 
mählich von  Südost  nach   Nordwest  entlangrollte. 


302 


Der  Abstand  wurde  immer  geringer,  und  schon  aus 
4500  m  lässt  sich  die  Insel  von  draussen  überblickeiL 

Die  Panzerkuppehi  im  Oberland  blinkten  matt  im 
Abendschein.  Vom  verödeten  Marinepier  hatte  sich 
die  sonst  dort  angebundene  Torpedoflottille  langst 
losgewunden  und  die  freie  See  gewonnen,  da  bd 
Bombardement  und  Einkreisung  der  Insel  ihre  Ver- 
nichtung unvermeidlich  gewesen  wäre.  Man  war  gam 
allein  xmd  konnte  nun  erproben,  was  Duell  zwischen 
Flotte  imd  Strandbatterie  bedeutet,  die  so  oft  er- 
örterte theoretische  Frage  lösen.  Von  Osten  war 
man  blockiert,  nur  den  Westrand  deckte  die  deutsche 
Flotte. 

Da  die  Insel  nach  Nordost  abfiel,  bot  sich  von 
dort  das  beste  Schussfeld  gegen  das  Quadrat  von 
500  m  Durchmesser  im  eigentlichen  Innern  der  In- 
sel. Die  um  je  500  weitere  Meter  von  dort  zu  baden 
Seiten  ausgedehnten  Ränder  der  Längenerstreckung 
brauchte  man  nicht  unter  Schuss  zu  halten.  Schon 
aus  weiter  Feme  wäre  ein  so  breites  feststehendes 
Ziel  leicht  zu  treffen  gewesen,  obschon  Oberland 
500  m  über  Wasser  lag.  Hielt  also  nicht  Bei- 
stand der  eigenen  Flotte  die  feindliche  den  Insd- 
batterien  einigermassen  vom  Leibe,  war  ihr  Scliiti- 
sal  auf  die  Dauer  besiegelt.  Die  ruhige  See  er- 
laubte bisher,  statt  in  der  Eibmündung  zu  warten 
und  die  Kohlen  zu  schonen,  sich  seit  fünf  Tagen 
draussen  neben  Helgoland  zu  halten.  Inmierfain  blid> 
es  ein  peinlicher  Zwang,  dass  man  einerseits  diesen 
wichtigen   Posten   nicht   opfern  diurfte,    andrerseits 


—     303     — 

sich  seiner  Mitwirkung  beim  Entscheidungskampf 
auf  offener  See  versichern  wollte,  die  allein  noch 
eine  Chance  für  Kräfteausgleich  gab,  und  deshalb 
gleich  alles  auf  eine  Karte  setzen,  die  Hauptschlacht 
annehmen  musste.  £s  war  wohlüberlegt,  dass  Be- 
resford  nicht  zuerst  gegen  Eibmündung  und  Cux- 
haven avancierte,  wo  ein  leichterer  Vorteil  winkte, 
sondern  gleich  das  Schwerste  erledigte,  indem  er 
durch  Beschiessung  von  Helgoland  den  Feind  zur 
Schlacht  zwang. 

Die  riesigen  Drahtnetze  des  Systems  Bullivan 
spannten  vor  den  Panzerriesen  ihre  feingesponnenen 
Maschen  aus,  um  vor  Torpedoangriff  zu  sichern, 
während  die  besten  Destroyers  ,Ardent*,  »Dragon*, 
»Boxer*  als  geborene  Feinde  der  Torpedoboote  vor 
der  Front  lauerten.   Es  gab  hier  keine  älteren  Mo- 
delle, mit  gepanzertem  Blockhaus  überm  Spardeck, 
zwei  Barbettetürmchen  und  Panzerredouten.   Diese 
hohen    Aufsätze,    deren  Bau  Italien  ins  Masslose 
übertrieb,  verwarf  man  lange  als  unpraktisch.    In 
den   modernsten   Schiffen  war  nichts  „for  show", 
alles  einfach  solide  aufgebaut  vom  Zellensystem  bis 
zum  Unterwasserbodenpanzer.  Auch  vom  Typ  Col- 
lingwood,  zwei  Drehtürme  in  der  Achse  über  einer 
birnförmigen  und  einer  rechtwinkligen  Redoute,  sah 
man    kein   Exemplar,  dagegen  drei  Typ   Majestic 
zwei  Sovereign  mit  ihren  wenig  komplizierten  Ober- 
bauten,    den     paarweise     nebeneinandergestellten 
Schornsteinen,  kreisförmiger  Doppelbastion  am  Un- 
terende der  tiu-martigen  Mäste,  während  die  frühe- 


—     304     — 

ren  Typs  nur  am  Misenmast  eine  hatten.  Sonst  nui 
Schiffe  neuester  Konstruktion,  Typ  Triiunph  oder 
Edward  VII.,  über  alle  ragte  ,Dreadnought' hervor. 
Diese  Ungetüme  von  fünfzig  Metern  Tiefe  und 
mindestens   fünfzehntausend  Tonnen  Schwere,  mit 
achthundert  Mann  Besatzung  oder  von  noch  grösse- 
rem   Deplacement,   bewegten    sich    in    Peloton-Tri- 
angeln, jedes  folgende  Peloton,  je  drei  und  drei, 
genau  im  Kielwasser  des  andern.    Zwei  Seemeilen 
hinter  der  Schlachtflotte  ausser  Schussbereich  stand 
unbeweglich  der  Mastenwald  der  Transportdampfer, 
mehrfach  Kolosse  der  Compagnie  Cunard.  Auf  den 
Flanken  verstreute  sich  eine  Wolke  von  Destroyers 
und  Torpedobooten,  sozusagen  als  Kavallerie  und 
leichte  Infanterie.   Was  die  Jäger,  nämlich  die  Tor- 
pedos,   nicht    erraffen    konnten,   das  mochte  den 
Todesritten   dieser   Meerreiterei  zum   Opfer  fallen*. 
Fahrzeugen  von  fabelhafter  Schnelle,  wie  der  ^Ancl' 
der   dreissig   Knoten   machte,    »Albatros*,  der  sich 
bis  zu  zweiunddreissig  aufschwang.    Hinter  diesen 
schlanken    kleinen    Eisenfischen    der     Torpedoier- 
störer,  von  dreihundert  Tonnen,  schwammen  halb- 
gepanzerte Kreuzer  II.  Klasse  von  dreitausend  Ton- 
nen, meist  im  Typ  ,Proserpina*  und  ,Magician'  gc 
halten,  die  neunzehn  bis  einundzwanzig  Knoten  liefen 
Die  Hälfte  lief  zwanzig,  bei  einem  Gevricht  von  dret 
tausendvierhundert    Tonnen    (zehntausend    Pferdfr 
kraft)  und  275  Personen  Bemannung.  Weiter  rück 
wärts   kamen   die   grossen   Panzerkreuzer  mit  drei 
oder  vier  Schornsteinen.    (Neuste  ,Defence*,  »Shan^ 


—     305     — 

non*  vom  Typ  ,Natal'  noch  imvoUendet.)  Unge- 
schützte panzerlose  Kreuzer  I.,  II.  Klasse  breiteten 
sich  auf  den  Seiten  aus,  III.  Klasse  Scouts  als 
Vorposten  ausgestellt. 

Im  dritten  Peloton  des  Zentrums  lag  der 
,Dreadnought'  etwas  abseit  in  einsamer  Majestät, 
vde  ein  geflügelter  Drache,  der  im  Gedränge  der 
andern  Potwale,  Hai-  und  Schwertfische  sich  ruhig 
sein  Opfer  wählen  will,  seiner  Unwiderstehlichkeit 
sicher  und  unverwundbar  in  seiner  harten  Lind- 
wurmhaut. An  seinem  riesigen  Hauptmast,  wo  das 
Gewirre  von  Stahldrähten  mit  Telegraphen-  und 
Telephonleitungen  wie  ein  bleich  schimmerndes  Ge- 
rippe in  den  Himmel  hing,  ging  eine  rote  Kriegs- 
flagge  empor.  Lord  Beresfords  Disposition  be- 
stimmte, dass  die  zwei  hinteren  Pelotons  abschwen- 
ken und  die  Helgoländer  Batterien  der  östlichen 
Uferseite  zu  Fall  bringen  sollten,  erst  hernach  die 
der  Nordseite,  immer  ihr  Feuer  gegen  einen  Punkt 
vereinend.  Die  übrige  Flotte  sollte  unterdessen  den 
Kampf  im  Westen  gegen  die  beweglichen  taktischen 
Einheiten  des  Gegners  nähren,  sich  ausserm  Be- 
reich der  Helgoländer  Batterien  haltend.  Die  na- 
türlich nicht  sichtbaren  Unterseeboote  lauerten  auf 
Gelegenheit,  zwischen  der  deutschen  Flotte  durchzu- 
schlüpfen und  entweder  dort  Unheil  anzurichten  oder 
rückwärts  die  Eibsperren  zu  sprengen. 

Vom  Inselchen  Neuwerk  aufsteigend,  suchte  Par- 
sefalsches  Luftschiff  und  Ballons,  mit  aeronautischem 
Quadrant  des  Libellenquadrants  ausgestattet,  die  ver- 

Vdlker  Europas  ...  1  20 


—     306     — 

sammelte  britische  Streitmacht  genauer  festzasteUen, 
während  drüben  der  Ballon  Vivienne  III  des  Pro- 
fessors  Huntingdon  über  den   Wassern  schwebte 

Lord  Tweedmouth,  Erster  Lord  der  Admiralität, 
der  rastlos  vor  Kriegsausbruch  auf  der  Admiiafitäts- 
jacht  „Enchantress"  die  Docks  befuhr,  hatte  gute 
Arbeit  gemacht.  Admiral  Pearsons  Nordseegesdiwa- 
der    bestand    aus  Linienschiffen  ,,Captain",  „Glas- 
gow", „Triumph",  „Valiant",  ,Active",  „Thunderer", 
„Courageous",  „Glory",  „Renown",  „Remarquable", 
„Majestic",    erstere    sieben    I.  Klasse,   ru  welchen 
zuerst  in  Friedenszeit  noch  „Duncan",  später  „Fonni- 
dable",  „Venerable",  „Hood",  „Cäsar"  der  Mittel 
meerflotte  stiessen,  Vizeadmiral  Adair  schickte  „Re 
Solution",  „Queen"  der  Reserveflotte.  Dies  Versetien 
von  Schiffseinheiten,  dies  Umformen  der  Ordre  de 
Bataille  in  letzter  Stunde  geschah  absichtlich,  um 
den  Gegner  über  die  bisher  bekannte  Zusammen- 
setzung  zu  täuschen.     Ausserdem   „Dreadnougbt*. 
der  nicht  in  der  gewöhnlichen  Liste  geführt  wurde, 

1.  Kreuzerdivision:  der  ganz  neue  „Minotaur" 
als  Flaggschiff  des  hierher  von  Korfu  mit  seinem 
früheren  Flaggschiff  „Drake"  versetzten  Rearadmi- 
rals  Prinz  Battenberg,  „Glouoester",  „Polyphcm", 
„Olympia",  „Londonderry",  „Powerful",  »Aurora", 
„Argyll",  „Achates",  „Lancaster",  „Roxburgb", 
„Hampshire",  „Kent",  „Spartiate",  „Forth",  „Invin- 
cible".  1.  Permanente  Flottille  unter  Rearadmiial 
Winsloe:  Kreuzer  „Pembroke",  „Saphire"  (Flagg- 
schiff   dieser    Hilfswaffen),    „Theseus",   Destroyen 


—     307     — 

„Ariel",  „Albatros",  „Flying  Fish",  „Contest", 
„Dove",  „Teazer ",  „Checr<«rell",  „Carry",  „Vulture", 
„Ribble",  „Recruit",  „Gipsy",  „Foam",  „Boxer", 
„Griffin",  „Ardent",  „Dragon",  „Busy",  die  letzteren 
sechs  von  Mittelmeerflotte,  kleineren  Kreuzern 
wie  „Circe",  „Proserpina",  „Magician**,  Torpedo- 
divisionen, worunter  grosse  Torpedogunboats  wie 
„Speedy",  „Wizard",  und  Submarinbooten  von  der 
Klasse  B.  S.  5.  Kreuzerdivision  „Fox",  „Hawke", 
„Edgar",  „Duke  of  Edinburgh",  „Brilliant",  „Im- 
perieuse"  nebst  kleinen  Scouts  wie  „Pathfinder", 
„Forward",  „Skirmisher".    R.  Adm.  Henderson. 

Von  obigen  Schiffen  waren  „Valiant",  „Active" 
beim  neulichen  Treffen  ausser  Gefecht  gesetzt,  „Lon- 
donderry",  „Argyll"  gesunken,  ausserdem  durch 
letzten  Torpedoangriff  ,,Courageous",  „Gloucester" 
gesunken,  „Achates",  „Pembroke"  beschädigt. 
„Cäsar",  „Resolution",  „Queen"  lagen  vor  der  Weser, 
auch  Kreuzer  „Aurora"  wartete  dort  bei  jedem  Mor- 
genrot auf  neuen  Kampf  neben  dem  starken  „Forth". 

Adairs  Reservegeschwader  zeigte  Prachtschiffe 
„Edward  VII.",  „Ocean",  ,Albion",  „Colossus",  „Ca- 
nopus",  „Royal  Oak"  (vormals  Malta,  später  Kanal- 
geschwader), „Victory"  und  zwei  neue  Monstreschiffe 
„Flying  Dutchman",  „Executioner".  6.  Kreuzerdivi- 
sion xunfasste  hier  „Talbot",  „Blenheim",  „Argo- 
naut", „Abukir",  „Vindictive",  „Isis",  „Dido"  Getztere 
zwei  weggezogen  schon  früher  von  Malta),  „Mi- 
nerva", „Research",  „Thetis"  (früher  Port  Said),  die  2. 
Permanente  Flottille  „Natal",  gedeckte  Kreuzer  zweiter 

20* 


—     308     — 

Klasse,  wie  „Hebe",  „Halcyon'*  (früher  Malta),  die 
Destroyers  ,, Rother",  „Salmon",  „Sunfish",  „Hasty", 
„Wolf,  „Greyhound",  ,  Swonifish",  „Ure",  ,,Wcar" 
„Myrmidon",  „Bat",  „Mennaid**,  „Dee",  „Ex-". 
„Star",   „Lynx",   „Chelmer".    Rearadmiral  Fidd. 

In  den  Dodcyards  von  Chatam  und  Sheemess 
blieb  nur  der  als  Mechaniker-Schulschiff  ausrangierte 
„Indus",  während  der  ihm  neuerdings  dienstlich  at 
tachierte  Kreuzer  „Wallaroo"  der  australischen  Sta- 
tion nach  Sandwich  Islands  zurückkehrte.    Ebenso 
hatte  Kreuzer  „Sutlej",  der  früher  Destroyers  „Myr- 
midon",   „Bat"  unter  schwerer  Sturmhavarie  nad 
England  bugsierte,  nach  seinem  Posten   Singapore 
zurückkehren  sollen,  hatte  sich  aber  bei  Kriegsaus^ 
bruch  der  4.   Kreuzerdivision   (Neville)   der  Kanal- 
flotte  anschliessen  müssen  und  sank  vor  Antwexpeo. 
Femer  verblieben  dort  die  im  Umbau  begriffenen 
veralteten  Schiffe  „Asia",  „Bellerophon**,  „Northum- 
berland",   „CoUingwood",    ruhmiunwobene    Schiffs^ 
namen,  die  an  Navarino,  Abukir,  St.  Helena,  Tra- 
falgar    erinnerten.    Torpedoschulschiffe     „Vcmon'\ 
„Hekia"  (früher  Suez),  Küstenwachen  (Coastguardsl, 
wie    „Julia",    sog^iannte    Surveying    Vessels,   vie 
„Triton".    Trotzdem  der  englischen   Mobilisienmgi 
wie  überhaupt  dem  gesamten  heutigen  Leben  Eng 
lands    inklusive    Industrie,    Handel    imd    Kauf  fahr- 
teischiffahrt,   viel    Langsamkeit,    Schlendrian,    l's* 
genauigkeit,   Unpünktlichkeit,  ja  geradezu   Unfleiss 
und  völliger  Mangel  an  Selbsttätigkeit  anhaftete  und 
das     Stagnieren     der     veraltet     zurückgebliebenen 


—     309     — 

schlechtorganisierten  Aktionsformen  in  England  gar 
keinen  Vergleich  mit  der  deutschen  Organisation 
aushielt,  war  die  materielle  Macht  an  Schiffen,  Geld, 
Kredit  eben  immer  noch  erdrüdcend.  Hinter 
1 950  000  imd  700  000  Tonnen,  welche  englische  und 
amerikanische  Marine  in  ihrer  Neugestalt  umfassen 
sollten,  fehlten  beiden  nur  je  50  000,  der  deutschen 
von  geplanten  588000  noch  50000.  Zählte  man  die 
Kanalflotte  unter  Sir  Bowen-Smith,  die  Mittelmeerflotte 
unter  Vizeadmiral  May  und  Rearadmirals  Sir  Percy 
Scott,  Bridgeman,  Chichester,  ostasiatische  und  austra- 
lische Eskadre  unter  Admiral  Moore  (früher  Henry 
Seymour),  Vizeadmiralen  Poe,  Wilmot  Fawkes,  das 
Northamerica-Westindies-  and  Particular  Service  Ge- 
schwader der  Atlantis  unter  Volladmiral  Sir  Bosanquet 
imd  Vizeadmiral  George  Egerton  und  afrikanische 
Kreuzerflottille  unter  Rearadmiral  Dumford  hinzu,  so 
musste  es  sonderbar  zugehen,  wenn  Grossbritannien 
nicht  seine  Seeherrschaft  behaupten  konnte!   — 

Deutscherseits  suchten  die  Minendivision  imd 
das  Schulschiff  für  Küstenzwecke  „Grille"  das 
Strandgewässer  vor-  und  rückwärts  ab,  ob  etwa  hin- 
durchgeschlichene Destroyers  Minen  verstreut 
hätten.  Schlepper  Beowulf,  Fairplay,  Olga,  Kiehn 
setzten  sich  in  Bereitschaft  ziun  Wegholen  Hava- 
rierter. Artillerieschulschiff  „Schwaben"  berechnete 
Feuerdistanzen.  Konteradmiral  Zeye  mit  dem 
früheren  Schulgeschwader:  „München'*,  „Lübeck", 
„Berlin",  „Nymphe"  (detachiert  „Prinz  Adalbert") 
rekognoszierte  zur  Linken. 


—     310     — 

In  glänzende  rauschende  Schanmstreifen  lu  bei- 
den Seiten  des  Bugs  teilte  sich  das  deutsche  Ge 
Wässer,  als  die  britischen  Stahlwälle  mit  stöhnenden 
Blöcken,  knirschendem  Gestänge  und  schlangenhaf- 
tem  Zischen  der  Ventile  Dampf  aufnahmen  und 
den  Salzozon  mit  ihrem  Qualmausblasen  verpesteten. 

Beschiessung  Helgolands  begann  schon  bei 
Nacht  nach  genau  erkundeten  Zielen.  Da  die  bri- 
tischen Schiffe  ihre  abgeblendeten  Lichter  löschten 
und  mehrfach  ihren  Standort  wechselten,  wenn 
Wogenstösse  zu  wuchtig  an  Anker  und  Schiffswand 
zerrten  und  pendelnde  Schwingungen  sie  hin  und 
her  warfen,  konnte  das  deutsche  Feuern  nach  dem 
Gehör  und  ungefähren  Überblick  gegen  beweglich 
wechselnde  Ziele  unmöglich  viel  ausrichten.  Die 
einstige  Theorie,  wahrscheinlich  durch  das  alte  Ge- 
fecht bei  Eckemförde  gegen  die  dänischen  Oriogs 
,Christian'  und  ,Gefion'  entstanden,  dass  verschanzte 
Strandbatterien  im  Vorteil  seien,  erwies  sich  bei 
heutiger  stärkerer  Panzerung  und  dem  Riesenkaliber 
der  Schiffsgeschütze  als  längst  überholt.  Als  morgens 
das  laufende  Feuergefecht  in  rasendes  Kettenfeuer 
überging,  schmolz  die  Bedienung  schon  bedenklieb. 
Unterm  schrecklichen  Prall  der  Riesengeschosse 
die  am  Helgoländer  Felsengestein  aufschlugen,  schot- 
terten die  eingemauerten  Geschützrohre,  der  Rücklauf 
der  Lafetten  beimSchuss  warf  oft  durch  Luftdruckdie 
Umgebimg  zu  Boden.  Kaum  sekundenlang  wahrteo 
die  Pausen  im  endlosen  Gebrüll  dieser  Kanonade, 
von  der  selbst  der  Meeresboden  zu  erdröhnen  schien. 


—     311     — 

Noch  zuckten  Feuerstrahlen  über  den  Wall- 
brüstungen, doch  die  Riesengranaten  der  Schiffe,  von 
zwölf  Unzen,  gleich  vierhundert  Kilo,  mit  Cordit  ge- 
füUt,  richteten  unablässige  Verwüstung  an.  Nur  vier 
massiv  eingebettete  Strandgeschütze  brüllten  noch, 
zwei  davon  hatten  jedoch  nur  Ausblick  gegen  die 
unmittelbare  Meerenge  südwestlich.  Sie  stellten  ihr 
Feuer  ein  und  verdankten  diesem  Umstand,  dass 
das  britische  Bombardement  nachliess  und  aufhörte, 
da  man  glaubte,  kein  Geschütz  stehe  mehr  heil  auf 
seinem  Aufsatz.  Der  britische  Verlust  an  Menschen 
war  nicht  imerheblich,  an  Material  gering,  nur  die 
Panzerkuppel  des  ,Renown'  durchschlug  ein  Voll- 
treffer. Mittlerweile  unterhielten  die  deutschen 
Schiffe  draussen  auf  See  einen  Femfeuerkampf 
gegen  die  britische  Deckungseskadre,  der  natürlich 
nicht  zu  ihrem  Vorteil  ausschlug,  weil  ihre  stärk- 
sten 28  cm-Geschütze  vom  britischen  Kaliber  über- 
troffen wurden. 

Ein  französisches  Manöver  bei  Hy^res  und  der 
Ernstfall  auf  Kuba,  wo  Admiral  Simpson  umsonst 
das  Fort  Moro  beschoss,  sowie  die  NuU-Wirkimg  der 
japanischen  Flotte  gegen  innere  Bucht  und 
Inselforts  bei  Port  Arthur,  erweckten  den  Glauben, 
dass  solches  Verhältnis  sich  gnmdsätzlich  wieder- 
holen müsse.  Aber  erstens  fiel  dort  ein  solches 
materielles  Übergewicht  fort,  während  hier  sechs 
Linienschiffe,  zwölf  grosse  Kreuzer  mit  fast  hundert 
Geschützen  schwersten  Kalibers,  ohne  noch  zwei- 
hundert  Schnellfeuergeschütze  zu  zählen,   den  un- 


—     312     — 

natürlich  engen  Raum  des  Hdgoländer  Inselchens 
von  oben  bis  unten  abfegten.     Und  obschon  die 
Geschützbettungen  an  sich  genügenden  Schutz  boten, 
ermöglichte  die  lokale  Gestaltung,  eine  Partie  nach 
der  andern   unter   gemeinsames  Feuer  zu  nehmen. 
Zweitens  standen  hier  die  englischen  Panzerkolosse 
fast    auf    gleicher     Stufe    der  Unverwundbarkeit, 
wie  die  Batteriebefestigungen,  und  die  häufige  Ab- 
irrung des  Zielens  infolge  der   Schiffsbewegungen 
wurde  durch  die  abnorme  Kompaktheit  der  schma- 
len Zielscheibe  aufgewogen,  wo  auch  ein  Fehlschuss 
immer  noch  Objekte  in  so  zusanmiengedrängter  Be- 
festigung traf.    Drittens  konnte  man  bei  voller  Frei- 
heit der  Bewegung  auf  angemessene  Entfernung  das 
Relief  der  Strandbatterien  unter  einem   verhaltois- 
mässig  schwachen  Schiesswinkel  halten,  und  vienens 
konnte  imbegrenzter  Zufluss  von  Reserven  und  Muni- 
tion, wie  er  bei  Strandbatterien  möghch  ist,  hier 
auf  dem  abgetrennten  Eiland  nicht  nachhelfen.  Der 
Kommandant  tröstete  sich  damit,  dass   er  in  Eile 
mit  Proviant  und  Munition  für  ein  Jahr  versehen 
worden  sei. 

Umsonst  hatte  in  voriger  Nacht  ein  Kapitän- 
leutnant seine  Torpedoflottille  ermuntert:  „Wir  sind 
die  Vorhut  Deutschlands,  die  Nacht  ist  unsere 
Rache.'*  Die  Briten  waren  in  guter  Hut.  Sobald 
man  sich  näherte,  durchschossen  weisse  Licht- 
strahlen den  mächtigen  Raum,  blendend  übergössen 
sie  vom  hohen  Meer  den  Helgoländer  Fels  mit 
ihren  elektrischen  Garben,  photographierten  gleich- 


—     313     — 

sam  im  Hintergrund  das  Eiland  mit  seinen  Terras- 
sen, Gärten,  Badeplätzen,  den  Pylonen  des  Kur* 
hauses,  schnitten  die  Wasserfläche  nach  beiden  Sei- 
ten  ab  wie  schwarzen  Karton  auf  Photographenplatte 
und  bildeten  einen  Lichtsektor  von  fünfzig  Grad 
auf  der  Strecke,  von  wo  das  verdächtige  Geräusch 
der  Torpedoschrauben  durch  kurze  Pause  des  Ge- 
schützdonners  hörbar.  Die  Meeresfinstemis  dahinter 
schien  noch  schwärzer  als  vorher,  obschon  es  aus 
ihr  donnerte  und  blitzte.  Doch  in  der  Lichtzone  tanz- 
ten schwarze  Pünktchen:  Schwärme  von  Aufklä- 
rimgsbooten  rund  mn  die  schwinmienden  Zitadellen, 
vor  denen  wie  grössere  Schatten  die  Profile  von 
Destroyers  und  Torpedofahrzeugen  sich  ausbreiteten. 
Zwei  rote  Zünder  signalisierten  nach  N.N.W. 
zur  Hauptflotte,  die  ihrerseits  aus  mächtiger  Laterne 
von  rotem  Glas  ein  Glühlicht  am  Mast  des  ,Dread- 
nought'  aushängte,  der  wie  eine  dominierende  Ba- 
stion auf  der  Flanke  des  weiten  Mastenwalds  vor- 
sprang. Dort  suchten  sofort  gleiche  Scheinwerfer 
die  schäumende  Tiefe  ab.  Bald  tauchten  breite 
Wasserflächen  in  diese  blendende  Lichtbrandung 
ein,  bald  spritzte  weisser  Schimmer  wie  aus  einer 
Giesskanne  über  blinkende  Decks.  In  diesem  weis- 
sen Licht,  aus  dem  in  der  Ferne  Hunderte  von 
Masten  und  düstem  Panzertürmen  schwarz  empor- 
ragten, schien  eine  arktische  Schneelandschaft  hin- 
gezaubert, am  Rande  von  Tannenwaldung  umrahmt, 
Schaumspritzer  rieselten  als  Schneeflocken,  ja  der 
grelle  Lichtkegel  selber  wuchs  als  schillernder  Eis- 


—     314     — 

berg  empor.  Dazwischen  funkelten  grüne  Glühpunkte, 
wie  Augenblitze  einer  unsichtbaren,  fabelhaften  See- 
schlange :  grüne  Signalfunken  über  schwarzer  Meeres- 
tiefe, rotgestrichenem  Schornstein  grauer  Rümpfe. 

Als  in  der  Morgensonne  das  tiefe  Grau  der  Was- 
serwüste sich  zu  Graugrün  abtönte,  machte  die  bri- 
tische Schlachtordnung  eine  Schwenkung  nach  vom. 
Die  Helgoländer  Batterien  schienen  nüttags  so  völ- 
lig niedergekämpft,  dass  man  an  ihnen  entlang  ma- 
növrieren konnte,  die  hinteren  Pelotons  von  dort 
eingehend.  Die  deutsche  Flotte  erhob  ein  tobendes 
Feuer,  um  diese  Entwicklung  zu  stören. 

Durch  das  brausende  Donnerwetter  rauschten 
drei  Granaten  von  ungeheurer  Grösse,  nüt  achtzig  Kilo- 
granun  Cordit  geladen.  Eine  verfehlte  den  ,Kaiser 
Karr  und  peitschte  das  Meer  zu  einer  Welle  auf, 
als  sei  ein  indischer  Taifun  losgelassen.  Die  zweite 
schlug  einen  Panzerturm  des  »Wilhelm  11/  von  oben 
bis  unten  durch,  die  Bemannung  unter  den  Trümmern 
begrabend,  zwei  Geschütze  umknickend.  Die  dritte, 
zu  hoch  gezielt,  brach  einen  Mast  des  ,Zahringen* 
in  der  Mitte  durch,  schnitt  das  Oberende  eines 
Schornsteins  ab  und  quirlte  hinterm  Stern  das  zer- 
wühlte Salzwasser  wie  in  einem  Trichter  zusammen. 
Dies  war  der  freundliche  Wink,  mit  dem  ^Dread- 
nought'  sich  ankündigte.  Ein  neues  Riesenge- 
schütz  von  Gussstahl,  405  Millimeter,  spendete  die 
milde  Gabe. 

Doch  während  die  deutsche  halbmondförmige 
Schlachtlinie  langsam  zurückwich  und  Beresford  mit 


—     315     — 

dem  Senkblei  das  Kielwasser  nordwestlich  von  Helgo- 
land sondieren  Hess,  um  dort  an  den  schweigenden 
Strandbatterien  vorbeizufahren,  standen  die  wieder 
aus  den  Kasematten  hervorgekrochenen  deutschen 
Kanoniere  noch  fest  an  ihren  vier  unversehrten 
Rohren,  die  Granaten  um  sich  aufgeschichtet,  die 
Distanzen  an  dieser  Stelle  genau  bekannt.  Als  die 
britische  Flotte  mit  „Volldampf  voraus"  ansetzte, 
regnete  ihr  von  Türmen,  Brücken,  Decks,  Mast- 
körben ein  Schauer  von  Geschossen  entgegen,  und 
plötzUch  öffneten  die  vier  noch  intakten  Festungs- 
geschütze auf  Helgoland,  insbesondere  die  auf  den 
Durchgang  nach  Cuxhaven  eingerichteten,  nochmals 
ihre  Schlünde.  Unter  markerschütterndem  Schmet- 
tern klirrten  die  Eisenmassen  des  „Venerable",  unter 
Stössen  der  eigenen  Batterieentladungen  bis  zum 
untern  Torpedoraum  gleichzeitig  erzitternd.  Das 
Hämmern  seiner  Maschine  setzte  aus,  als  stocke  der 
Herzschlag  des  Riesen  unterm  Panzergürtel,  die 
elektrischen  Lampen  erloschen,  Kurzschlussbrand  des 
verwundeten  Kabels  frass  sich  durch  schauriges 
Dunkel  der  Unterwasserkanunem. 

Jetzt  begann  die  eigentliche  Seeschlacht  des 
3.  Juni  mit  unbeschreiblicher  Furchtbarkeit.  Das  Re- 
servegeschwader nahm  seinen  Kurs  nach  Süd-Süd- 
osten, nach  Backbord  abfallend,  und  suchte  einen 
Halbkreis  um  die  deutsche  Linke  zu  schliessen.  Der 
„Duncan"  und  die  „Glory**  mit  vielen  Kreuzern 
setzten  diesen  Kreis  in  schräger  Richtung,  Bug  nach 
Südosten,  fort,  und  das  übrige  Nordseegeschwader 


—     316     — 

krümmte  sich  mit  Front  nach  Süden  und  Sud- 
westen, umschrieb  eine  krumme  Bogenlinie  mit  der 
linken  Flanke  an  Helgoland.  Dass  es  hier  nur  mit 
grossen  Opfern  den  Durchweg  erzwingen  konnte, 
lag  auf  der  Hand. 

Das  Reservegeschwader  in  Starbord-Linie  drehte 
fünf  Strich  nach  Südost,  was  unouttelbar  unten 
Bugspriet  der  deutschen  Linken  bringen  sollte,  wäh- 
rend es  zugleich  zur  Minenstreuimg  in  Richtung 
von  Wangeroog  Destroyers  aussendete  und  „Picked 
Boats"  ihrerseits  nach  Minen  pürschten.  Dagegen 
hatte  das  Nordseegeschwader,  anfangs  Stellung  n 
Starboard,  dem  plötzlichen  Signal  Beresfords  zu  ge 
horchen:  „Steam  to  portI  Fast  aheadi  Speed  inoea- 
sed  16  knotsl" 

Da  Dreadnought  drei  Knoten  schneller  lief  als 
alle  anderen,  wurde  er  mit  Recht  anfangs  zurück- 
gehalten, um  erst  beim  Entscheidungsstoss  seine 
Schnelle  wie  seine  sonstige  Kraft  auszunützen.  Hin- 
ter der  Front  traf  man  Anstalten,  Munition  havarier- 
ter Schiffe  überzuladen.  Rearadnural  Winsloe  sig- 
nalisierte den  leichten  Fahrzeugen:  „Drift  astemC 
„Abaft  the  fore-turret  1",  indem  einzelne  Destroyers 
und  Torpedoboote  längs  dem  Vorderteil  der  Linien- 
schiffe entlang  gUtten,  um  gegen  jähen  Torpedo- 
anprall des  Gegners  zu  decken.  Dieser  hielt  jedoch 
seine  eigenen  Torpedoflottillen  vorerst  zurück,  wäh- 
rend Fernfeuer  der  grossen  Geschütze  schon  bald 
anhob.  Im  Zentriun  gaben  die  sogenannten  Range- 
Finders  (Distanzbestimmer)  auf  der  Fire-Control-Sta- 


—     317     — 

tioh  des  „Captain",  Flaggschiff  des  Sir  Archibald 
Douglas  (Commander  der  Station  Portsmouth),  an- 
fangs an:  „11000  Yards i"  Auf  solche  Entfernung 
konnte  nur  Dreadnought  ordentlich  feuern,  dessen 
unheimlich  lange  vier  Turmgeschütze  drohend  vor- 
lugten. Überall  auf  den  hoch  überm  Wasser  auf- 
ragenden Brücken  und  im  Conning-Tower  der  Kom- 
mandanten goldbordierte  Mützen  beobachtender 
Offiziere.  Rearad.  Campbell  löste  den  ersten  Schuss. 

„6000  Yards!"  Da  erdröhnten  Elf-  und 
Zwölfpfünder,  unter  Umdrehung  der  Turbinen 
schössen  die  Schiffe  vor,  einander  immer  näher,  bis 
zuletzt  Siebenpfüoider  und'  sogar  Dreipfünder  zur 
Wirkung  kamen.  All  die  riesigen  Türme  rauchten  und 
blitzten,  indes  alle  Pumpen  spien,  das  Deck  dauernd 
unter  Wasser  setzend,  imi  vor  Bränden  zu  schützen. 
Auf  den  befeuchteten  Dielen  spürte  man  bald  noch 
andere  Schlüpfrigkeit:  rotes  Nass  quoll  gleich  aus 
aufgerissenem  Panzerdeck  innerhalb  der  Zitadelle 
des  „Triumph",  auf  der  „Glory"  fiel  ein  Mast  nut 
dumpfem  Krachen  van  und  erschlug  mehrere  Be- 
diener der  Forward-Works.  Die  zwei  Schornsteine 
der  Linienschiffe  —  nur  Dreadnought  und  zwei  neue 
Monstreschiffe  des  Reservegeschwaders  hatten  de- 
ren drei — boten  in  dieser  Hinsicht  weniger  Schussziel, 
als  die  drei  der  Kreuzer  oder  gar  vier  bei  den 
grössteUy    wie  bei  dem    gesunkenen  „Gloucester". 

Es  dauerte  denn  auch  nur  kurze  Zeit,  dass 
„Drake"  über  den  einen  Schornstein  meldete :  „Dropp- 
ed   astem   after   the   military   mastl"    Die   schöne 


—     318     — 

,,01ympia'',  die  so  hochmütig  und  leidenschafdich  los- 
fuhr wie  des  makedonischen  Welteroberers  Mutter, 
nach  der  sie  vielleicht  benannt  war,  verlor  gleich 
Kamm  und  Krone:  Militärmast  und  zwei  Schom- 
steine  über  Bord.  Auf  dem  „Captain",  der  als  Haupt- 
mann in  den  Feind  führte,  um  seinem  Namen  Ehre 
zu  machen,  ward  die  Fore-Barbette  (7,5  in.)  zertrüm- 
mert, am  Fore-Turret  des  „Triumph"  verkrümmte 
sich  ein  mittleres  Geschütz  (9,2  in.),  am  Rondel 
des  Militärmasts  ein  anderes  (7,5  in.)  durch  böse 
Treffer.  Von  Triumph  spürte  man  also  noch  nichts! 

Prinz  Ludwig  Battenberg,  der  auf  der  vorge- 
bogenen Rechten  der  unregelmässigen  Sdüachtlicie 
kommandierte  imd  .sein  neues  Flaggschiff  „Mino- 
taur"  wieder  für  sein  früheres  mitgebrachtes  „Drake" 
vertauschte,  signalisierte  besorgt:  »Schwerer,  un- 
gleicher Kampf.'*  Doch  Beresford  gab  gleichmütig 
zurück:  „Reservegesdiwader  bringt  Entscfaeidmig." 

Der  hessische,  englischnaturalisierte  Prinz,  ge- 
gen seine  Landsleute  fechtend,  war  natürlich  des 
gleichen  Geistes  Kind,  wie  der  deutschenglische  Ge- 
neral Graf  Gleichen  in  der  Emsmündung,  der  nach 
der  San  Francisco-Katastrophe  den  Yankeesoldaten  das 
treuherrige  Kompliment  machte:  „Nicht  mal  eng- 
lische Soldaten  hätten  sich  besser  benommen,  da- 
mit habe  ich  das  Höchste  gesagt  1 1"  Bei  Angehörigen 
keiner  anderen  Nation  als  der  deutschen  wäre  solch 
hebevolles  Aufgehen  in  fremdem  Ghauvinismus  mög- 
lich. Der  deutsche  Prinz  hätte  hier  heimhchen  Stcdz 
empfinden  sollen  über  die  ausgezeichnete  Haltung 


—     319     — 

seiner  Blutsgenossen,  denn  die  Deutschen  schössen 
und  manövrierten  durchweg  gleichmässig  gut,  die 
Engländer  nur  teilweise  erstklassig,  oft  mangelhaft 
wegen  imordentlicher  Ausbildung.  Das  grosse  Hospi- 
talschiff „Maine",  als  fliegendes  Lazarett  hinter  der 
Front,  füllte  sich  schon  bedenklich. 

Natürlich  ging  es  bei  diesem  ersten  Verwickeln 
auch  deutscherseits  nicht  ohne  Verluste  ab.  Auf 
einem  der  drei  Hauptkreuzer,  welche  gleich  anfangs 
die  1.  und  5.  britische  Kreuzerdivision  anfielen,  zer- 
splitterte förmlich  das  Fundament  des  Kommando- 
turms, furchtbarer  Schlag  gegen  den  Aussenpanzer 
tötete  den  innen  an  der  Wand  lehnenden  Kapitän 
durch  blossen  Luftdruck.  Doch  litten  die  Deutschen, 
kühn  die  Femfeuerzone  der  Briten  unter  Volldampf 
durchmessend  und  nahe  beidrehend,  anfangs  be- 
deutend weniger,  eben  infolge  ihres  besseren  Schies- 
sens. Das  änderte  sich  freilich,  als  der  Flanken- 
druck des  Reservegeschwaders  begann  und  der 
„Waldersee"  als  Flaggschiff  dieser  Abteilung  die 
Kreuzerdivision  hinter  die  Linie  zurückführte. 

Der  Lärm  schwoll  jetzt  so  an,  dass  Telephone 
unhörbar  wurden,  Signalrohre  (voice  pipes)  nicht 
minder,  automatische  Melder  versagten.  Com- 
mander Cowan  des  Scout  ,,Skirmisher"  überbrachte 
mündlich  Beresfords  Befehl  zu  rücksichtslosem  Vor- 
gehen  ans  Reservegeschwader,  der  als  Tender  der 
„Victory"  dienende  Destroyer  „Star"  schoss  wie 
Sternschnuppe  pfeilschnell  dahin,  um  den  Befehl 
weiterzugeben. 


—     320     — 

Stolz  wehte  in  allen  Toppen  die  Flagge  des 
Deutschen  Reiches,  ein  schwarzes  Kreuz  auf  weissem 
Grunde,  wie  es  einst  die  Ordensritter  geführt.  Stol- 
zer noch  blähte  sich  drüben  Nelsons  altes  Sieges- 
zeichen, das  Rote  Kreuz,  das  schon  Blakes  Puh« 
tanem  auf  Bahn  zur  Weltherrschaft  vorange- 
leuchtet. Überall  rasselten  Maschinentelegraphen- 
klingeln,  scharrende  Schaufeln  hantierten  zwbchen 
rotweisser  Kesselglut,  die  Ventüe  summten  unter 
höchster  Dampfanspannung,  Kohlen  glitzerten  wie 
schwarze  Koboldaugen.  An  den  Heckgeschutzen 
standen  die  Kanoniere,  die  Ärmel  am  nackten  Arme 
hochgestreift,  wild  tanzten  die  Panzergiganten  durch 
den  gurgelnden  Sprudel  der  grauen  Wassennassen, 
deren  helle  Schaumstreifen  sich  hinterm  Wellea- 
brecher  sekundenschnell  in  perlige  Blasen  auflösten. 
Eine  Bewölkung  verdunkelte  das  Meer,  hochaufran- 
sehende  Wogen  brachten  alle  leichteren  Fahrzeuge  ins 
Schwanken.  Gegenüber  den  hellgrauen  Schiffsleibeni 
der  Deutschen  umsäumten  die  düster-schwarzen  dtr 
Briten  selbst  wie  Wettergewölk  den   Horizont. 

Das  vorderste  dreieckige  Peloton  der  britischen 
Linkoi,  aus  „Renown",  „Formidable",  „Venerable* 
bestehend,  glitt  unterm  toten  Winkel  der  Helgolän- 
der  Batterien  vorbei,  geriet  aber  in  einen  wahren 
Höllenrachen,  als  es  auf  der  Westseite  pfeüschneD 
voranschoss.  Vom  Inselfels  wie  von  „Karl  der 
Grosse",  „Zähringen**,  „Kaiser  Wilhelm  H."  mit  Ge- 
schossen überschüttet,  unterm  Vibrieren  wasser- 
peitschender Schrauben  erzitternd,  da  sie  in  dieser 


321 


qualvoll  fürchterlichen  Enge  mit  voller  Maschinenkraft 
nach  vorwärts  zum  Rammen  strebten,  Hessen  die 
Britenschiffe  ihre  glatte  nackte  Eisenwand,  schwarz- 
grau und  nass  von  über  Bord  schrägenden  Wogen- 
Spritzern,  nahe  vor  den  Deutschen  erdröhnen.  Doch, 
den  Rammstoss  verfehlend,  das  Feuer  ihrer  Mittel- 
artillerie den  Feinden  ins  Gesicht  prustend,  trieben 
,,Formidable"  und   „Venerable**   bald   darauf     ent- 
mastet  durch  die  deutsche  Linie.  Glänzende  Wasser- 
strahlen   buchten    schon   die   geschwärzten   Heizer 
heim,  die  wie  dunkle  Rachegeister  im  HöUenschlimd 
dämonisch  arbeiteten  und  in  ihrem  engen  Räume  ein- 
i^epfercht  ruhmlosen  feuchten  Erstickungstod  fanden. 
Im   Zentrum  fochten   „Mecklenburg",   „Schwa- 
ben", „Lothringen",  „Wilhelm  der  Grosse"  mit  aus- 
nehmender     Tapferkeit,      während      zur      Linken 
„Deutschland",    „Ersatz    Kurfürst",    „Witteisbach", 
„Braunschweig",  Kreuzer  „Roon",  „Yoric",  „Zieten", 
und  „Prinz  Heinrich"  ausdauernd  sich  gegen  immer 
höher  anschwellende  Übermacht  zur  Wehr  setzten. 
Linienschiffe  „Hannover",  „Ponmiem",  „Schlesien"» 
„Preussen"  als  Zentrumechelon.  Grösste Kreuzer  „Wal- 
dersee",   „Ersatz    Moltke",    „Bülow",    femer    „Bis- 
marck",    „Gneisenau",    Neubauten  „Hertha"    („Ari- 
adne",   „Frauenlob"   auswärtig),   „Hamburg"-Klasse 
,,Arkona"  als  zweites  Treffen,  hinter  das  sie  anfangs 
vorm  Andrang  der  britischen   Schlachtschiffe  aus- 
wichen.    Sie  brachen  jetzt  erneut  vor  und  warfen 
sich    auf    die    anschliessende   Linke   des   Reserve- 
Geschwaders  und  die  5.  Kreuzerdivision. 

Völker  Europas  ...  I  21 


—     322     — 

Nach  halbstündigem  Nahkampf  neigte  sidi  und 
sank  „Gneisenau"  tiefer  ins  Wasser  imd  trieb  sün- 
wärts  ab,  manöverunfähig,  obschon  seine  Eingeweide 
unversehrt  blieben.  Auf  „Bismarck",  „Freya",  „Ham- 
burg"  fielen   zwei   der  drei   Schornsteine,  so  dass 
infolge  mangelnden  Luftzugs  der  Kohlenvcrbraüch 
wahnsinnig  stieg.  Etwas  seitwärts  bestanden  „Irene". 
„Leipzig",     „Bremen",    „Nymphe",    „Heia"   nebst 
den  sechs  Torpedojägern  für  sich  allein  ein  scharfes 
Gefecht  gegen  eine  Wolke  von  Destroyers  und  klei- 
nen Kreuzern,  um  nicht  die  deutsche  linke  Flanke 
umwickeln  zu  lassen.    Selbst  das  alte  Schulschiff 
„Mars".,  dessen  ständige  Besatzimg  von  dreihundeit- 
siebenunddreissig  Köpfen  meist  durch  Übungsstand 
der  Artillerieschüler  auf  fünfhundert  stieg,  licss  hier 
Flagge  und  Konunandozeichen  sehen,  mit  übenahb- 
gen  Fähnrichen  imd  Deckoffizieren  an  Bord.  Hinter 
Linke  und  Mitte  lauerten  je  zwei  Torpedodivisionffl, 
je  zwei  auf  Südwestseite  von  Hdgoland.  Liniensdiifi 
„Barbarossa"  bildete  Echelon  der  äussersten  Red- 
ten, „Amazone",.  „Heia",  „Gefion",  „Greif",  Avisos 
„Blitz",  „Jagd",  „Panther"  d«r  äussersten  Linken. 

« 

Obschon  jene  Granaten  des  ,Dreadnought'  vte 
der  drei  starken  Schiffe  auf  der  deutschen  Recfata 
so  übel  begrüsst,  hatten  diese  doch  vermocht,  das 
erste  Peloton  des  britischen  Angriffs  vernichtend 
abzuschlagen.  Aus  der  gesprengten  gell  aufschhich 
zenden  Maschine  des  ehrwürdigen  alten  Riesen, 
der  sich  „Veneiable"  nannte,  durch  schmale  eiserne 
Schotttüren  und  Wallgänge   alle  Heizer  und  durch 


—     323     — 

den  Ventilator   auch   den   dunstig  niedern   Steuer- 
bordstorpedoraum verbrühend,  ergoss  sich  ein  heisser 
Dampfstrom.    Das  Stampfen  des  Schiffsbaus  ging 
in  Hin-  und  Herschleudem  über,  schrecklicher  Krach 
warf  Matrosen  und  Kanonen  gegeneinander  in  er- 
stickendem Knäuel.    Dann  ein  träges  Schlendern, 
dann  ein  wirbelnder  Kreisel  um  sich  selber,  dann 
nichts  als  Wassemacht.  Offiziere  in  ölmänteln,  Ma- 
trosen in  Korkwesten  trieben  auf  der  Flut,  Wrack- 
trümmer umklammernd.  Was  den  zerknitterten  Stahl 
rahmen   der   Unterschiffskammer  nicht   mehr  auf* 
stossen  konnte,  sah  sich  vom  Wasserscbwall  in  sticki- 
ger Nacht  erwürgt,  ohne  je  wieder  des  Himmels 
Blau  zu   schauen.    Kein   Rettungsboot  fischte  Er- 
trinkende auf,  Freund  und  Feind  hatten  etwas  an- 
deres zu  tun,  als  sich  um  Bergung  verzweifelnder 
Schwimmer  zu  kümmern.    Vom  Steuerbordtorpedo 
des  „Zähringen"  glatt  durchschnitten,  von  Festungs- 
bomben aus  Helgoland  in  die  gähnende  Tiefe  hin- 
^bgedrückt,   schlug   der   britische   Koloss   um,   als 
wolle  er  auf  dem  Kopfe  stehen.  Die  rotangestrichene 
Platte  seines  metallenen  Rumpfes,  auf  der  wie  schat- 
tenhafte Gespenster  die  von  oben  nach  unten  hinauf- 
kletternden Mannschaften  hinhuschten,  färbte  sich 
röter  von  Blut,  da  immer  noch  Geschosse  herab- 
regneten,  Glieder  zerfetzend  und  Knochensplitter  ins 
Metall  hineinkerbend.  Eine  Minute  später  verdeckte 
das  grause  Bild  die  gurgelnde,  gähnende  Tiefe. 

Der   ebenso    scharf    angebende   »,Formidable" 
^ing  nicht  in  die  Tiefe,  sondern  hielt  sich  flott, 

21* 


—     324     — 

obschon  sein  Hauptmast  über  Bord  stünte,  der 
zweite  auf  Deck  zusammenschlug,  der  dritte  qaer 
über  die  Kommandobrücke  seine  Drahtseile  nieder- 
senkte,  sein  Vorderschomstein  durchbohrt,  seine 
Backbordmaschine  durchlöchert.  Wie  ein  Betrun- 
kener hin  und  her  schlingernd,  erwies  er  sich  fonni- 
dabel  genug,  dem  „Karl  dem  Grossen"  vom  auto- 
matisch drehenden  Panzerturm  noch  verderbliche 
Geschosse  zuzusenden.  Dann  schor  er  seitwärts  nacb 
Südost  hinaus,  zerschossen  zum  Wrack,  unkenntlich 
für  den  eigenen  Kommandanten,  statt  der  Schlote 
ein  paar  brennende  Stümpfe,  entfernte  sich  schwer- 
fällig vom  Schauplatz  seiner  Taten  und  scheiterte 
plump  an  Südwestecke  von  Helgoland. 

Der  „Renown"  mit  unklar  gewordenen  Schrau- 
ben, schon  früher  durch  die  Inselkanonade  versehrt, 
drehte  rückwärts,  sein  Achterdeck  schwamm  io 
Blut,  überfüllt  von  Sterbenden  und  Verstümmelten, 
die  in  untere  Gelasse  über  die  senkrecht  steüea 
schmalen  Schiffstreppen  hinabkrochen  und  die  eiser 
nen  Sprossen  mit  rosigem  Lebensnass  färbten.  Sdn 
Renommee  war  heut  nicht  sonderlich  berühmt  1  Aber 
„Venerable"  xmd  „Formidable"  hatten  sich  nicht 
lunsonst  geopfert:  eine  Lücke  war  gebrochen,  dem 
Bereich  der  zwei  Helgoländer  Eckgeschütze  etvas 
entrückt,  imd  durch  diese  brach  jetzt  der  furchtbare 
,Dreadnought*  herein.  Ihm  folgten  ,Reniarquable', 
,Majestic'  mit  Volldampf,  die  grossen  Kreuzer  ,Pover- 
ful',  „Minotaur*'  und  .Lancaster*. 

Diesem  Ansturm  vermochten  die  drei  deutsches 


—     325     — 

Hauptschiffe  zur  Rechten  mit  Kreuzerumgebung 
,Schamhorst*,  ,Stein',  »Ersatz  Meteor'  nicht  standzu- 
halten. Wo  alle  Oberbauten  des  „Zähringen*'  über  Bord 
gingen  imd  die  durch  Reelingsluken  hineinplatschen- 
den Wellen  des  hohen  Seegangs  schon  ihre  Schaum- 
tropfen in  rosigen  Champagner  zu  verwandeln  schie- 
nen, mit  klebrig  geronnenem  Blut  vermischt,  feuerte 
die  Mannschaft  heldenmütig  weiter,  dem  gewissen 
Tode  ins  Auge  schauend.  Der  ,Fürchtenichts*  konnte 
hier  lernen,  dass  auch  deutsche  Männer  nur  Gott 
fürchten  und  sonst  nichts  auf  der  Welt.  Doch  am 
grauen  Leib  des  stählernen  Lindwurms  drüben  brach 
sich  jeder  sausende  Eisenschlag,  es  war,  als  klatsch- 
ten die  bestgezielten  Granaten  fruchtlos  ab.  Maje- 
stätisch wühlte  das  britische  Riesenschiff  sich  durch 
die  Flut,  dass  sein  Heck  einen  Maelstromsprudel 
aufzuwirbeln  schien  und  der  imgeheure  Rumpf  doch 
alle  emporschäumenden  Wogen  abschüttelte  wie  ohn- 
mächtige Flocken.  Ein  erschütterndes  Gebrüll  — 
der  Feuerdrache  schlug  seine  Fänge  ein  —  durch 
ein  imstopfbares  Loch,  das  wie  eine  Höhle  aus  der 
Backbordwand  hervorgähnte,  brodelte  aufquellender 
Dampf  der  hereinpolternden  Salzflut  entgegen  — 
in  zwei  Stücke  zerrissen,  ging  „Zähringen"  mit 
wehenden  Flaggen  und  todesstolzem  gellendem  Auf- 
schrei unter:  „Hurra,  es  lebe  der  Kaiser  1" 

Das  Schiff,  das  den  Namen  Wilhelms  H.  trug, 
warf  dem  ,Majestic'  eine  so  feurige  Kusshand  zu,  dass 
er  seitwärts  im  Kurs  abfiel  imd  lieber  den  schon 
schleppend  matteren  ,Karl  den  Grossen'  berannte. 


—     326     — 

Auch  dieser  hohe  Herr  zeigte  bereits  an  gerissenen 
Ku£:eliöchem  die  gelben  garstigen  Flecken,  welche 
Lyditgranaten  als  Beleg  hinterlassen. 

».Gefecht  abbrechen/'  signalisierte  Flagge  mit 
zwei  gekreuzten  Marschallstäben  das  Kommando  des 
Grossadmirals.  Langsam  wichen  „Kaiser  Karl"  und 
,, Wilhelm  II."  südwärts,  wo  Brandenburg- Schiffe 
schwerfällig,  schlechtgepanzert,  ihr  bisschen  Kraft 
einsetzten.  Ebenso  ging  jetzt  der  „Barbarossa"  ins 
Feuer.  Sofortiges  Einsetzen  dieser  drei  Schiffe  verbot 
bisher  das  enge  Wellengelände  westlich  der  Insel 
Es  konnte  nur  noch  ein  Schein  sein,  die  Schlacht 
aufrecht  zu  erhalten.  „Schamhorsts"  acht  21  cm  ver- 
sagten gegen  sechs  23  vier  19  des  Typs  „Natal". 

Im  Zentrum  und  zur  Linken  tobte  inzwischen 
das  fürchterliche  Getümmel  weiter. 

Vom  Reflex  gelber  Feuerzungen  imd  aufflam- 
mender roter  Lichter  umspielt,  unter  flatternden 
Rauchschleiern  der  Schlote  und  bläulich-weisslichem 
Pulverdampf,  den  sausender  Seewind,  in  die  Wette 
mit  den  Geschossen  pfeifend,  seewärts  rollte,  be 
lebten  die  kämpfenden  Schiffe  auf  der  langen  Fiodi 
die  unendliche  Meerfläche,  dies  Spiegelbild  der 
Ewigkeit,  in  dem  alle  Flotten  spurlos  versinken. 
Dort  krochen  langsam  Angeschossene  dahin,  dort 
schüttelten  noch  Kampfbereite  mit  ihren  Lenzpumpen 
das  Sturzbad  einer  Lecköffnimg  ab  und  wippten 
wieder  auf  schaumgekrönter  Woge  wie  weissbe- 
schwingte  Möwen.  Dort  barsten  schwere  Elisenge- 
wichte krachend  zusammen,  dort  bejubelten  wütende 


—     327     — 

erhitzte  Kanoniere  einschlagende  Treffer,  wenn  sie 
ihren  Mordmaschinen  den  ehernen  Mund  öffneten. 

Die  modernsten  britischen  Schiffe  bemühten 
sich,  dem  Feind  nur  ihre  Vorderseite  mit  der  schwer- 
sten Turmartillerie  zuzuwenden,  so  gleichzeitig  die 
schmälste  Zielscheibe  bietend.  Doch  bei  allmäh- 
licher Auflösimg  in  Einzelkämpfe  liess  sich  dies 
nicht  durchführen,  und  bei  unwillkürlichem  Still- 
liegen unter  zeitweiligem  Versagen  der  Schrauben 
bot  manches  Schiff  die  verwundbare  Breitseite, 
welchen  gefährlichen  Augenblick  die  deutschen  gut 
geleiteten  Panzerbrecher  regelmässig  benutzten. 

Im  Zentrum  stand  die  Schlacht,  während  der 
Grossadmiral  vom  Flaggschiff  „Wilhelm  IL**  den 
Kampf  leitete.  Des  Auslands  Fachleute  urteUten 
über  den  deutschen  Schiffbau,  dass  er  ohne  Ori- 
ginalität nüt  Vorliebe  fehlerhafte  fremde  Typen  nach- 
ahme. Aber  wenn  die  britischen  Schiffe  kriegs- 
mässiger  imd  praktischer  organisiert,  so  hatten  sie 
doch  auch  ihre  NachteUe.  Da  nämlich  ihre  älteren 
Typen  am  eigentlichen  Vorder-  und  Hinterteil  am 
schwächsten  gedeckt,  legte  ihnen  dies  die  Kampf- 
weise mit  der  Breitseite  auf.  Als  sie  daher  hier 
in  dichter  Kolonne,  ein  Schiff  genau  in  Kielraum 
und  Wasserlinie  des  andern,  nordnordwestlich  der 
Insel  durchbrechen  wollten,  tat  das  noch  bis  dahin 
reichende  Flankenfeuer  der  Insel  ihnen  rückwärts, 
das  Frontalfeuer  am  Vorderende  grossen  Schaden. 
Sie  evolutionierten  sich  daher  in  die  Quere,  was  ihre 
Geschwindigkeit  sehr  verlangsamte,  und  defilierten 


—     328     — 

so  in  langer  Reihe  an  der  deutschen  Linie  auf  und 
ab,  zuerst  von  links  nach  rechts,  dann  wieder  von 
rechts  nach  links,  fortwährend  ihre  starken  Breit- 
seiten dem  Gegner  darbietend.  Dies  verminderte  zwar 
ihren  Verlust,  aber  auch  ihre  Manövrierfähigkeit. 

Die    ,Glory*    wankte   rückwärts   und     strandete 
später  bei  Helgoland,  wie  jeder  Gloiresucht  zu  wün- 
schen wäre.    Der  Konmiandierende  ihrer  Heckbat- 
terie  war   pulverisiert,   wie   einst   der    Batteriechef 
des  „Matsushima"  in  der  Yaluschlacht,  man  fand  von 
ihm    nur    noch   sein    Fernglas.     Die    Brücken    des 
„Hood"  und  „Triumph"  waren  mit  der  Mannschaft 
wegrasiert.    Eine  aus  der  Mitte  vorbrechende  deut- 
sche Torpedodivision  wurde  allerdings  durch   Bul- 
livannetze und  ^mobile  Estacade'  abgewehrt»    zwei 
Boote  verwickelten  sich  darin  imd  fehlten  mit  dem 
Lanzierrohr.    Zwei  andere,  die  nordwärts  umbogen, 
um  einen  verwundbaren  Punkt  dieser  schwimmenden 
Festungen  zu  finden,  sahen  sich  binnen  einer  halben 
Stunde  von  Destroyers   erjagt,   durch    Schnellfeuer 
in  die  Maschinerie  gesprengt,  ehe  sie  auf  Torpedo- 
schussweite gelangten.     Umsonst  klebte   des    Füh- 
rers Hand  am  Hebel,  umsonst  drückte  er  auf  Knopf 
des  Signalapparats,  um  ,,Achtungl  Los!"  elektrisch 
auf  dessen   Glasscheiben    zu  schreiben.     Das    ver- 
grösserte  S  132  tauchte  jedoch,  weiter  links  ans  Re- 
servegeschwader herangeratend,  dicht  vor  der  zacki- 
gen Wand  eines  Schiffsriesen  auf  und  grub  ihm,  mit 
aufspritzender  Wassersäule  wie  aus  Walfischnuster. 
ein  solches  Loch,  dass  der  gigantische  Gegner,  nach- 


329 


dem  er  glatt  über  das  Boot  wegfuhr,  beim  Über- 
holen im  Seegang  nach  Steuerbord  ausschor  und 
sich  durch  jene  eigens  dazu  hergerichteten  Spezial- 
dampfer  abschleppen  Hess.  Der  Torpedo  hatte  nicht 
genau  genug  getroffen,  doch  inunerhin  so  sehr,  dass 
der  mit  ausnahmsweise  dünnem  Panzergürtel  ausge- 
stattete „Glasgow**  einen  Wasserballast  an  Backbord 
nahm,  der  ihn  zum  Verlassen  der  Schlachtreihe  nötigte. 

Kreuzer  „Thcseus"  kenterte:  Schiffsname  aus 
Abukirschlacht  in  britischen  Annalen  berühmt.  Auch 
der  Kreuzer  „Hawke",  den  gleichzeitig  das  sechste 
Torpedoboot  und  ein  schwerer  Treffer  des  deutschen 
Kreuzers  „Roon"  in  der  Wasserlinie  zum  Sinken 
brachten,  erinnerte  an  einen  ruhmreichen  Sieger 
iilter  Zeit.  Aber  gleichzeitig  brachte  die  englische 
Rechte,  obschon  ,, Schamhorst",  „Stein**  von  rechts 
Lücke  stopften,  deutsche  Schlachtlinie  der  Linken 
zum  Weichen.  „Kurfürst**  ging  nieder,  „Stein** 
plumpste  ins  Wasser,  von  den  Kreuzern  „Halcyon** 
und  „Hebe**  umkreist,  die  hier  weder  halcyonische 
Windstille  noch  ambrosischen  Nektar  kredenzten. 
Ob  der  Geist  des  grossen  Kurfürsten,  des  ursprüng- 
lichen Anregers  deutscher  Flottenmacht,  traurig  über 
den  Wassern  schwebte? 

Wie  eine  Eiche  stand  der  ,Royal  Oak*  mit  seinen 
Platten  von  30  Zentimetern  Dicke,  seine  Turmge- 
schütze entsandten  schreckliche  Schüsse.  Eisen  brach 
wie  Blech  vor  ihm  entzwei:  ganzer  „Schamhorst**! 

Auf  den  „Meerstaub*',  wie  die  britische  Marine 
die  neue  Torpedobooterfindung  bei  ihrem  Ursprung 


—     330     — 

verächtlich  nannte,  um  sich  gleich  darauf  dies  Zer- 
störungsmittel vervollkomnmet  anzueignen,  stäntea 
sich  die  Destroyers  wie  Seegeier.  Zwar  schlingcnc 
der  schwergetroffene  ,Foam*  im  Meeresschanm  seit- 
wärts, aber  „Griffen'  liess  keinen  Raub,  den  er  an- 
packte, aus  seinen  Greifkrallen,  ,£amest'  meinte  es 
ernst,  ,Dragon'  leckte  seine  glühende  Drachenzunge, 
,Ardent*  züngelte  heiss  nach  Beute,  ,Boxcr*  boxte 
sich  durch  die  hintere  deutsche  Schlachtreihe.  Ihr 
Hauptgeschütz  von  76  Millimetern  und  die  andeiD 
fünf  von  67  hielt  alle  Torpedoboote  fem,  sobald 
sie  nicht  unbemerkt  heranschleichen  konnten,  und 
man  hatte  die  Zahl  der  Destroyers  nicht  zweddosauf 
hundertfünfzig  Stück,  jedes  von  zweihundertfünfzig 
Tonnen,  erhöht.  Die  Schrauben  ihrer  windschneilen 
Maschinen  fauchten  unheilverkündend  durch  den 
tiefen  Bass  der  Panzerriesenstimmen. 

Den  „Braimschweig"  holte  nach  mannhaftem 
Todeskampf  der  Teufel  in  Gestalt  des  „Executioner" 
und  „Flying  Dutchman",  zwei  ganz  neuer  briti- 
scher Monstreschiffe.  Deutscherseits  hatte  mas 
durchweg  die  verschiedenen  neusten  vier  Panitr- 
klassen  durcheinandergemischt,  was  nicht  vorteübaf: 
ausfiel.    Vizeadmiral  Graf  Baudissin  führte  hier. 

Der  kleine  Kreuzer  „Leipzig**  erlag  in  dieser 
neuen  Völkerschlacht;  „Prinz  Heinrich"  wurde 
genommen,  nachdem  der  wütend  um  sich  beissende 
„Panther"  zerfleischt  und  Schulschiff  „Mars"  voc 
der  britischen  „Minerva"  brüllend  heimgeschickt  vie 
in  der  Iliade.    Die  Briten  brachen  in  ein  Triumph 


—     331     — 

geschrei  aus,  als  sie  den  Namen  des  Höchstkom- 
mandierenden  der  Reichsmarine  auf  dieser  Prise 
lasen.  Fisdiereikreuzer  „Zielen"  erwies  sich  als 
flinker  Husar,  bis  man  ihn  weidgerecht  anschoss 
und  in   Gefangenschaft  schleppte. 

Gleichzeitig  ereignete  sich  aber  beim  Verstoss 
der  linken  deutschen  Torpedodivision,  der  gleich  dar- 
auf erfolgte,  ein  eigentümlicher  und  deutscherseits 
erhebender  Vorfall.  Im  Seetreffen  vor  fünf  Tagen 
waren  „Elsass",  „Wörth",  „Weissenburg",  „Gazelle'* 
g^esunken,  „Hessen",  „Pfeil",  „Niobe",  „Medusa" 
erobert,  erstere  beiden  halbe  Trümmer,  eiligst  als 
Prisen  und  Siegeszeichen  nach  Chatam  abgeführt, 
wo  eine  mit  Extrazügen  aus  London  herbeiströmende 
Menge  sie  mit  Tücherschwenken  und  brausendem 
Hiphiphiphurra  empfing.  „Niobe",  „Medusa"  hin- 
gegen hatten  sich,  förmlich  geentert,  zwar  in  völlig 
gefechtsunfähigem  Zustand  ergeben,  aber  noch  mit 
ungeschmälerter  Fahrbarkeit.  Man  hatte  sie  daher 
auf  See  belassen,  hinter  die  Front  geschickt,  um  sie 
später  für  eigene  Schlepp-  oder  Administrations- 
zwecke einzurichten.  Ja,  teils  aus  nachlässigem  Hoch- 
mut, teils  um  die  Gefechtsstärke  bei  der  bevor- 
stehenden Schlacht  nicht  im  mindesten  zu  schwä- 
chen, übertrug  man  auf  sie  nur  ein  paar  Mann 
Prisenbesatzung  unter  zwei  jüngsten  Maats,  die  mit 
der  entwaffneten  Bemannung  kordial  und  human 
verkehrten,  da  der  Brite  wie  der  Franzose  nach 
dem  Siege,  sobald  seine  Eitelkeit  gesättigt,  äusserst 
gemütlich  wird.   Als  aber  nun  bei  vorübergehendem 


—     332     — 

Weichen  des  britischen  Zentrums  und  verzweifel- 
tem Ausfall  der  beiden  Torpedodivisionen  allge- 
meine Verwirrung  hinter  der  Front  entstand  und 
die  britische  Linie  an  vielen  Stellen  dünne  wurde, 
überfielen  die  Deutschen  ihre  wenigen  Wächter,  be- 
mächtigten sich  ihrer  Schiffe  wieder,  rissen  die 
Hebel  ihrer  noch  klaren  Maschinen  zur  höchsten 
Spannung  herum  und  erreichten  in  fliegender  Hast, 
weit  hinter  der  britischen  rechten  Flanke  südöstlich 
herumbiegend,  die  Eibmündung  im  nämlichen 
Augenblick,  wo  die  deutsche  Flotte  im  Schutze  der 
Nacht  dort  wieder  einlief.  — 

Im  Zentrum  hatte  die  eine  Weile  stehende 
Schlacht  sogar  eine  günstige  Wendung  für  die  Deut- 
schen genommen.  Da  gleichzeitig  Signale  von  der 
Helgoländer  Seite  lauteten:  „Hier  alles  gut,  feind- 
licher Angriff  abgeschlagen,"  so  schien  der  Kampf 
unerwartet  erfreulich  für  die  Deutschen  zu  stehen, 
die  sich  beglückwünschten,  in  Gemeinschaft  mit  den 
Inselbatterien  das  Feuer  aufgenonmien  zu  habai. 
Doch  so  kühn  „ Witteisbach'*  den  „Duncan"  be- 
drängte, hielt  doch  der  hartleidende  „Hood"  mit 
der  Pflichttreue  jenes  schlichten  Seemanns  der  Nel- 
sonzeit, der  diesem  Schiff  den  Namen  lieh,  das 
Gefecht  aufrecht.  Sein  Telegraphenkommando  trate 
unaufhörlich,  Hess  im  dumpfen  Torpedoraum  drun- 
ten „Readyl  FireT*  in  elektrischen  Glühlettem  er- 
strahlen auf  weiss  gestrichener  Wand.  Bei  dem 
heldenmütigen  Naheherangehen  der  deutschen 
Schiffe,  um  den  Unterschied  der  überlegenen  briti- 


—     333     — 

sehen  Fernfeuerzone  auszugleichen,  wäre  es  den 
Briten  schlecht  bekommen,  wenn  sie  wie  die  Japs 
ihre  mittlere  Artillerie  abgeschafft  hätten,  was  nur 
gegen  so  miserable  Marine  wie  die  russische  ange- 
bracht scheint.  Aber  wenn  die  Deutschen  auch  dem 
furchtbaren  Gegner  diese  Überlegenheit  entwanden, 
so  blieb  doch  nach  wie  vor  das  Geschossgewicht 
selber.  Gegen  24  Zentimeter,  nur  je  zwölf  27,  je 
vier  28  Zentimeter  Kaliber  der  Braunschweigklasse 
spielten  durchweg  30,5  Zentimeter,  dem  nur  die 
Fortgeschütze  Helgolands  und  Cuxhavens  ent- 
sprachen, hier  und  da  sogar  40  Zentimeter,  42 
auf  einigen  Barbettetürmen.  Den  15  und  21  Zenti- 
metern der  deutschen  Kreuzer  standen  meist  23, 
nicht  selten  25  Zentimeter  der  britischen  entgegen. 
Dies  musste  auf  die  Dauer  die  Risse  der  Schusslöcher 
zu    Ungunsten  der   Deutschen  verschieben. 

Mittlerweile  erwies  sich  Adairs  Andrang  nüt 
Reservegeschwader  unwiderstehlich.  Dessen  Flagg- 
schiff „Edward  VII."  fuhr  so  stolz  einher,  als  wolle 
er  die  Nordsee  gerade  so  dem  Herrscher  Britanniens 
unterwerfen,  wie  seine  Kollegin  „Empress  of  India" 
das  Mittelmeer.  Der  „Ocean"  fegte  den  Ozean,  als 
gehöre  er  ihm  erb-  und  eigentümlich.  „Albion"  be- 
arbeitete „Deutschland",  als  gelte  es,  den  Vorrang 
zwischen  beiden  Nationen  durch  Duell  ihrer  Namens- 
vertreter zu  entscheiden.  Unaufhörlich  pochten  bri- 
tische Brisanzgranaten  einfahrend  und  zerschlagend 
an  die  Panzerhaut  des  deutschen  Alligators.  Es  klang, 
als  ob  Zyklopen   Felsblöcke  gegeneinander  rieben. 


—     334     — 

Bei  der  Auflösung  in  Einzelkämpfe,  in  braunen 
Dunst  gehüllt,  war  an  geordnetes  Sanuneln  nicht 
mehr  zu  denken.  Flaggsignale  des  deutschen  Gross* 
admirals  wurden  meist  nicht  mehr  verstanden.  Die 
Umwicklung  der  linken  Flanke  nach  Untergang  der 
„Nymphe"  und  des  „Leipzig"  durch  die  pfeifende 
Wolke  der  Destroyers  und  kleineren  Kreuzer,  die 
hier  dem  Auge  äusserlich  eine  wahrhaft  erdrückende 
Übermacht  darstellten  trotz  ihres  spezifisch  geringen 
Gefechtswerts  gegen  grössere  Panzerkreuzer,  iicss 
sich  nicht  wieder  gut,  der  jetzt  durch  Eingreifen 
des  „Dreadnought"  auch  am  rechten  Flügel  ein- 
reissende  Rückschlag  durch  Festhalten  des  Zen- 
trums nicht  wett  machen.  Vordringen  der  Briten 
auf  beiden  Flanken  brachte  die  höchste  Gefahr 
nahe,  umzingelt  und  von  der  Elbe  abgeschnitten 
zu  werden,  so  dass  nur  Durchschlagen  gradaus  nach 
Norden  noch  übrig  geblieben  wäre.  Der  Grossad- 
miral  gab  daher  durch  vorher  vereinbarte  gelbe 
Raketensignale  das  Zeichen  zu  allgemeinem  Rück- 
zug. In  seiner  höchsten  Not  beorderte  er  auch  noch 
seine  gesparte  Reserve  heran:  die  zwei  jüngsten, 
erst  kürzlich  fertiggewordenen  Einheiten  der  Reichs- 
marine, grösste  Panzer  „Bundesrat"  (mit  drohender 
Anspielung  auf  jenen  bekannten  beigelegten  Zwisdies- 
fall,  den  britischer  Übermut  nüt  dem  Postdampfo 
gleichen  Namens  aufgespielt)  und  „Friedrich  der 
Grosse",  nebst  Kreuzer  „Ersatz  Blücher".  Man  hatte 
sie,  jetzt  ohne  Besorgnis  für  Kiel«  durch  den  Kanal 
im   Laufe  des   Morgens   herangezogen. 


—     335     — 

Das  Signal  ,, Kampf  sofort  abbrechen'*  kam  auf 
dem  linken  Flügel  zu  spät.  Unter  wildem  „Hurra, 
hochl"  der  bis  zum  letzten  Mann  imd  letzten 
Augenblick  heroisch  ringenden  Besatzung  ging 
„Deutschland'*  unter.  Hinein  und  hinaus  aus  ein- 
gerissenem Doppelboden  quoll  es  feucht,  wie  Blut 
aus  Todeswunde  verströmt.  Umsonst  liessen  die 
Briten  ihre  Marineboote  zu  Wasser,  die  an  ber- 
stende Rumpfplanken  geklammerte  Mannschaft 
wollte  sich  nicht  ergeben.  Noch  beim  Sinken  schob 
ein  Kanonier  ein  letztes  Geschoss  von  blutbeschmier- 
ter Ladeschale  ins  russige,  heut  früh  so  blank  ge- 
putzte Rohr.  Als  ein  sterbender  Reservist  mit  brechen- 
der Stimme  „Deutschland,  Deutschland  über  alles" 
anstimmte,  nahmen  die  dem  Tode  Geweihten  herzhaft 
aus  voller  Brust  den  Gesang  auf,  sich  staunende 
Bewunderung  vom  stolzen  Gegner  erzwingend.  Der 
quellende  Wogenschwall  wusch  Blut  und  Leichen 
von  zerstampften  Decksplatten  nüt  fort,  als  das 
Vaterlandslied   in   Röcheln   erstarb. 

„Sie  sterben  wie  Briten  1"  rief  Kommandeur 
Pelham  des  „Albion",  ehrfurchtsvoll  das  Haupt  ent- 
blössend.  Seine  Leute  murmelten:  „Diese  Dutch- 
men  wären  wert,  Briten  zu  sein  1" 

Wie  ein  achtimgsvoUer  Salut  überm  noch  offenen 
Grabe  eines  ruhmvoll  gefallenen  Kriegers,  sollte  eine 
letzte  Salve  des  „Ocean"  über  der  „Wittclsbach" 
hin»  die  soeben,  alle  eingebrochenen  Innentreppen 
am  Vorder-  und  Hinterturm  mit  Leichen  vollgestopft, 
den  Wellentod  fand  auf  dem  Feld  ihrer  Ehre.  „And 


—     336     — 

let  him  alone  with  his  glory!"  zitierte  ein  romanti- 
scher junger  Midshipman  des  siegreichen  Briten- 
Schiffs  den  populären  Vers  aus  dem  Grabgesang  auf 
Sir  John  Moore.  — 

Was  waren  Tschuschima  und  Trafalgar,  Le- 
panto  und  Salamis  gegen  diese  grösste  Seeschlacht 
der  modernen  ZeitI 

Ach,  die  gute  alte  Zeit,  wo  man  nur  alle  vier 
Minuten  einen  Schuss  aus  grobem  Geschütz  lösen 
konnte!  Heut  zwanzig  bis  zweiundzwanzig  in  der 
Minute  I  Die  mittlere  Schnellfeuerartillerie  der  Eng 
länder  rasselte  unaufhörlich.  Dazwischen  erscholl 
als  Schnellfeuer  im  eigentlichen  Sinne  das  Knatteni 
der  automatischen  Maxims,  die  es  bis  auf  hundert 
und  sogar  zweihundert  Schuss  in  der  Minute  bringen. 
Die  Hotchkiss-Revolverkanonen  liessen  auch  nicht 
mit  sich  spassen.  Man  hörte  sie  aber  kaum,  wenn 
Kanonen  von  47  imd  67  Toimen  Kraftgewicht  ihre 
brüllende  Stimme  erhoben.  Selbst  bei  kleinerem 
Kaliber  durchbohrt  ein  Geschoss  bei  einer  Scbnellig 
keit  von  800  m  durchschnittlich  10  cm  Stahl  55  mm 
Eisen.  Noch  auf  viertausend  Meter  reisst  es  ein 
Torpedoboot  in  Stücke. 

Die  Whitehead- Torpedos  raschelten  dahin  mit 
einer  Schnelligkeit  von  dreissig  Knoten,  indem  die 
komprimierte  Luft  von  90  Graden  den  Motorappara! 
schwingen  liess,  als  die  doppelte  linke  Flügeldivisicm 
sich  in  Bewegung  setzte,  die  endlich  umwidcelte 
deutsche  Linke  herauszuhauen. 

Nach  heftigem  Kampfe  gab  „York"  gegen  brül- 


—     337     — 

lende  Übermacht  nach.  In  ungleichem  Ringen  der 
Kreuzer  „Nymphe"  und  „Thetis"  tauchten  die  deut^ 
sehe  Nymphe  und  die  britische  Meergöttin  beide 
ins  Wellengrab.  (Die  deutsche  „Thetis  und  die 
sagenumsponnenen  alten  Kreuzerkorvetten  „Lore- 
ley",  „Nixe"  umspülte  fast  gleichzeitig  der  Meer- 
grund an  femer  Küste.)  Man  bedurfte  hier  nicht 
der  schwimmenden  Särge  der  Siegfried-  und  Sachsen- 
klasse aus  der  Zeit  Stosch  und  Caprivi,  deren 
Ausfallcharakter  für  jedes  Hochseeengagement  man 
längst  feststellte.  Denn  wahrlich,  auch  bessere  see- 
tüchtige Typen  riss  hier  der  Strudel  hinab.  Selbst 
die  kleine  „Amazone"  wehrte  sich  ritterlich,  ihr 
tötender  Achill  war  hier  der  „Thunderer",  der  auch 
den  „Blitz"  mit  seinem  Donnerkeil  begrub. 

Dies  Zentrumschiff  war  hier  bis  zum  äussersten 
Südende  der  beiderseitigen  Schlachtlinie  durchge- 
brochen: Beweis,  wie  verschlungen  hier  alles  drüber 
und  drunter  ging,  denn  umgekehrt  machte  „Walder- 
see" trotzig  die  Runde  entlang  der  britischen  Front 
von  Süden  nach  Norden  hin  und  her,  als  wolle  er 
den  gebietenden  Weltmarschall  spielen.  Und  wohl 
passte  auf  ihn  der  Nibelungenvers :  „Da  fiel  vor 
seinen  Händen  gar  mancher  Recke  zu  Tal."  Der 
trotzige  Korsar  und  Weltumsegeier  Francis  Drake 
hätte  keine  Freude  daran  gehabt,  wie  hier  „Drake" 
misshandelt  wurde.  Der  Menschenfresser  „Poly- 
phem"  bekam  eine  Ladung  in  seine  starrenden  Bat- 
teriekiefern, dass  ihm  die  Zähne  ausfielen,  auch  sah 
er  schon  einäugig  genug  aus  mit  seinen  weggeputzten 

Völker  Europas  .  .  . !  22 


—     338     — 

Schornsteinen.     „Saphire"  tauchte  Hals  über  Kopf 
in  die  nichts  weniger  als  saphirfarbene  Flut. 

Blauer  Sommerhinunel  formte  hier  keinen  blauen 
Farbenschmelz  der  Gewässer,  aber  auf  dem  grün- 
grauen  Meeresplan  zeichnete  sich  ein  Gürtel  von 
hellem  Smaragd  und  glitzernden  Schaumperlen  ab. 
wenn  das  Drehen  der  Schiffe  im  Halbkreis  die  Flut 
zerschnitt  oder  ein  sinkendes  Fahrzeug  seine  schauer- 
lichen Kreise  zog. 

Torpedo  S  32,  zum  Übungsgeschwader  des 
„York"  in  Friedenszeiten  gehörig,  machte  sich, 
um  seinen  Kameraden  zu  retten,  an  den  Kreuzer 
,Kent'  heran,  den  er,  selber  in  den  Gnmd  g^ebolut 
lebensgefährlich  verwundete.  Zvdschens  Torpedo- 
netz hineingleitend,  hatte  er  an  den  Rumpf  gepocht 
und  siehe  da,  es  ward  ihm  aufgetan.  Dafür  tötete 
die  gebieterische  „Imperieuse",  diese  stolze  Lady 
voll  französischem  Chic,  die  schlichte  schwächere 
,^Hertha",  „Irene".  „Research"  fand  denschlingemdca 
„Gneisenau"  heraus  und  suchte  sein  zerschossenes 
Gerippe  mit  Schüssen  ab,  bis  er  auf  immer  dem 
Oberlicht  Valet  sagte.  Auch  „Hamburg**,  ,»Arkona' 
sanken,  vom  kühnen  „Argonauten"  und  gehässiges 
„Vindictive"  eingeholt.  „Blenheim",  „Talbot",  ^b^ 
kir"  wollten  englische  Siegesfeste  erneuern,  kamen  je- 
doch beim  „Moltke"  übel  an.  „Herzog  von  Edinburgh 
hätte  als  Thronfolger  von  Coburg  deutsche  Art  besser 
lernen  sollen,  wenn  er  glaubte,  „Berlin"  werde  vor  ihm 
die  Flagge  streichen.  Diese  Schiffe  un  linken  Zen- 
trum entkamen,  ebenso  „München",  Turbinenkr.  „Lü- 


—     339     — 

beck",  „Prinzess  Wilh/*,  „Vict.  Luise",  einsamer 
Überrest  der  Linken  ,,Bremen"»  Dagegen  machte 
,Invincible*,  der  Unbezwingliche,  ein  Ende,  ge- 
meinsam mit  menschenfressendem  ,,Minotaur", 
der  durchs  Labyrinth  dieser  Seeschlacht  wie  toU 
hin  und  her  rannte.  „Bülow"  bekam  von  „Victory", 
der  Neugeburt  des  historischen  Flaggschiffs  von 
Trafalgar,  den  Todesstoss  und  endlich  trug  auch 
„Waldersee'*  ein  Angebinde  zum  Nelson-Andenken 
von  „Victory"  heim,  dass  er  bei  Wittsand  schei- 
terte. Doch  wieder  passte  auf  ihn  der  Nibe- 
lungenvers: „Es  hatten  seine  Hände  wohlvergolten 
seinen  Tod."  Denn  Kreuzer  „Brilliant"  sah  gar  nicht 
mehr  brillant  aus,  „Spartiate"  hätte  beinah  ein 
Thermopylengiab  gefunden,  Destroyer  „Dove"  hatte 
zerzaustes  Gefieder,  geknickte  Schwingen.  Das 
deutsche  Zentrum,  unmittelbar  in  der  Flanke  be- 
droht, schwamm  langsam  ab,  trotzig  wiederholt 
drehend  und  dem  Verfolger  die  Stirne  bietend. 

Der  neue  Ersatzkreuzer  „Pfeil"  (nicht  zu  ver- 
wechseln mit  dem  älteren  gleichen  Namens),  der  nach 
„Ersatz  Meteor"  auf  kaiserlicher  Werft  in  Danzig 
seine  Kielstreckung  erhielt,  und  das  von  der  Ger- 
maniawerft gebaute  Hochseeboot  G  137,  mit  Tur- 
binenmaschinen und  570  Tonnen  Wasserverdrang 
bei  einer  Geschwindigkeit  von  dreissig  Knoten, 
opferten  sich  heldenmütig  für  den  „Roon",  der  mit 
biedrer  umsichtiger  Tüchtigkeit,  seines  Namens 
würdig,  die  unvermeidliche  Rückzugsdeckung  or- 
ganisierte.   All  seine  Deckbauten,  Masten,  Schom- 

22* 


340 


steine  gingen  zum  Teufel,  mittschiffs  loderten  seine 
Kesselfeuerungen  offen  durchs  zerschlagene  Ded, 
doch  erst  unmittelbar  vor  der  Eibmündung  gab  das 
tapfere  Schiff  den  Kampf  auf  und  strich  die  Flagge, 
von  drei  Seiten  eingeholt.  Unterm  Schutz  des  Tor- 
pedovorstosses  entrann  das  Zentnun,  nur  „Schwaben" 
erlag,  förmlich  geentert  nach  markigen  Schwaben- 
streichen. „Wilhelm  der  Grosse'*,  nach  Schamhöm  ab 
gedrängt,  stiess  mit  „Wilhelm  IL"  zusammen  und 
setzte  mit  ihm  die  Rückfahrt  zur  Elbe  fort.  Einai 
Augenblick  begrüssten  sich  nahe  die  vier  Kaisei. 
dann  bog  „Barbarossa"  nach  Vogelsand  aus. 

Noch  reckten  sich  droben  am  Helgolander  Fds 
die  Kanoniere  hinter  ihren  Donnerrohren  im  Abesd^ 
grauen,  wie  selber  versteinerte  Bildwerke,  von  dunk- 
ler Bronze  überzogen.  Doch  wie  ein  spukhaftes 
Geisterphantom  der  Wasserwüste  jagte  der  „Drcad- 
nought"  dahin,  den  Fliehenden  nach,  ein  Fügender 
Holländer  modemer  Zerstörungskunst.  Die  öeot 
sehe  Reservedivision  hatte  sich  ihm  entgegenge 
worfen,  während  gleichzeitig  auch  die  doppelte  Tor- 
pedodivision  vom  Südrand  Helgolands  vorstürzte. 
um  sich  zu  opfern.  „Barbarossa"  machte  dem  „Dread- 
nought"  ehrerbietig  Platz  und  machte  sich  etva» 
verfrüht  davon,  nur  massig  heimgesucht.  Die  Bras- 
denburgklasse  und  „Kaiserin  Augusta"  schössen  sich 
schon  wirkungslos  mit  „Majestic"  imd  den  dro 
grossen  Kreuzern  herum,  da  sie  trotz  ihres  nicht  g^ 
ringen  Kalibers  sich  möglichst  ausser  Bereich  des 
Fernfeuerzone  hielten,  ein  nahes  Herangehen  wegcsi 


—     341     — 

ihrer  schwachen  Panzerbeschaffenheit  nicht  wagen 
konnten.  Dagegen  war  die  Kampfenergie  der  deut- 
schen Marine  so  unverwüstlich,  dassdie  zur  Hevermün- 
dung  imd  nach  Sylt  verschlagenen  Torpedoboote, 
noch  vier  an  der  Zahl,  trotzdem  sie  von  ihrem  vorigen 
nächtlichen  Ausflug  noch  arg  strapaziert,  noch- 
mals ausliefen.  Sie  richteten  östlich  von  Helgo- 
land, wo  sich  bereits  eine  Menge  Scouts,  ungedeckte 
Kreuzer  II.  Klasse  und  sogar  Transportschiffe  straf- 
los unterhalb  der  dort  schweigenden  Helgoländer 
Batterien  herumtrieben,  heillose  Verwirrimg  an,  ohne 
freilich  ernstlichen  Schaden  zu  tun. 

„Remarquable*",  unterm  weittragenden  Flanken- 
feuer des  „Brandenburg**  und  des  Genossen  seiner 
Klasse  den  Vormarsch  ruhig  fortsetzend,  wollte  sich 
heut  auch  bemeikenswert  machen.  Er  trieb  den 
leicht  havarierten  „Karl  den  Grossen"  vor  sich  her, 
während  ,Dreadnought'  allein  die  Reservedivision 
überwältigte,  die  nach  Passieren  der  noch  übrigen 
neun  Panzer,  indes  „Meteor**  meteorgleich  versank, 
noch  zur  Deckimg  den  Kampf  fortsetzte,  während 
„Barbarossa"  und  die  drei  minderwertigen  Schiffe 
der  äussersten  Rechten  noch  heil  zum  Wilhelms- 
kanal abschwammen,  weil  Weg  zur  Elbe  verlegt. 

Die  deutsche  Linke  war  vollständig  vernichtet. 
„York**,  mit  verbissenem  Yorkschen  Isegrimm  bis 
zuletzt  aushaltend,  brannte  im  Wattengnmd  hinter 
Baake  nieder,  auf  Strand  gesetzt.  „Lancaster**  der 
britischen  Linken  schnitt  ihm  so  hitzig  den  Rück- 
zug ab,  als  gelte  es  die  alte  Fehde  York-Lancaster 


—     342     — 

noch  einmal  aufzuwärmen.  Nach  allen  Seiten  sein 
entsetzliches  Feuer  speiend,  riss  „Dreadiiought"  deo 
„Bundesrat"  um,  dessen  Masutreservoir  durch  klaffen- 
den Bodenraum  zwischen  die  hämmernden  Kdben- 
Stangen  der  Kessel  tropfte,  so  dass  bald  überm 
ganzen  prachtvollen  Fahrzeug  verzehrende  Lohe  zn- 
sanunenschlug.  Die  Mannschaft  hatte  zu  wählen 
zwischen  Flanunen-  imd  Wassertod.  Den  „Friedrieb 
den  Grossen"  schleuderte  der  brüllende  Feuerdrache 
von  Nordergatt  auf  Klotzenloch,  wo  er  wie  ein  Klotz 
lange  festsass,  bis  die  Briten  ihn  als  Prise  flot: 
machten,  selbst  die  weisse  Innenwand  des  Torpedo- 
raums klaffend  mit  Blut  bespritzt.  Sein  ars^es  Leck 
hatte  er  nur  durch  Treffer  in  den  Vorderturm  d€< 
verfolgenden  „Majestic**  rächen  können,  wo  die 
riesige  Kanone  umfiel  mit  zerschmetterten  Rädern 
und  die  zu  spät  entspringende  Bedienung  zu  Brei 
zerquetschte.  Das  Schiff  sah  daher  auch  nicht  mehr 
majestätisch  aus,  als  es  die  Verfolgung  einstdite, 
Deutsche  Torpedos  griffen  an,  Verschlüsse 
schnappten  zu,  herumgerissene  Hebel  klappten,  das 
Geschoss  glitt  ins  Rohr  und  von  da  durchs  Wasso. 
doch  rasendes  Getöse  und  brüllendes  Drohnen  ver 
schlang  jeden  Lärm  da  unten,  verschlang  auch  die 
Schiffchen.  Dem  ,Dreadnought'  hatte  das  vereintif 
Feuerspeien  der  Geschützpforten  sämtlicher  zu  An^ 
fang  oder  zu  Ende  die  deutsche  Linke  bildendec 
Panzer  nichts  anzuhaben  vermocht.  £r  scbüttelie 
auch  Torpedoschwärme  ab,  als  wolle  er  den  Vexs 
des  Nibelungenlieds  illustrieren :  „Er  ging  vor  seinen 


—     343     — 

Feinden,  als  wie  ein  Eberschwein  zu  Walde  geht 
vor  Hunden."  Und  wenn  Stachelschweine  selbst 
die  Klapperschlange  nicht  fürchten,  so  zerbrach 
dieser  Feuerdrache  allen  Schwächeren  die  Eisen- 
stacheln. — 

Auf  der  Eibreede  fand  man  unerwartet 
„Oldenburg"  in  Aufnahmestellung.  Als  Küstenpanzer 
verächtlich  ausrangiert,  hatte  er  sich  nicht  nehmen 
lassen,  auf  eigene  Hand  durch  den  Kanal  zum 
Kanonendonner  hinzustreben,  und  erreichte  noch 
rechtzeitig  die  Elbe.  Die  grosse  Entscheidung 
war  gefallen.  Mit  dem  alle  Streiche  parierenden 
,, Blücher"  und  den  überraschend  sich  vorstellenden 
tragischen  Damen  „Niobe",  „Medusa",  die  sogar 
ihre  englischen  Gefangenen  mitbrachten,  sammelten 
sich  in  der  Eibmündung  noch  neun  Panzer,  mehr 
oder  minder  hart  mitgenommen,  acht  Kreuzer  des- 
gleichen. Von  vierzig  eingesetzten  Torpedobooten 
noch  zehn,  meist  unverletzt.  Der  letzte  Angriff  der 
rechten  Flügeldivision  hatte  die  Verfolgung,  von 
rechts  nach  links  dazwischenfahrend,  allerdings 
gehemmt,  ihre  Hälfte  verschluckte  aber  das  nun 
stillgewordene  Meer.  Das  hatte  die  Mittelartillerie 
des  ,Dreadnought'  getan,  ehe  noch  Destroyers  ihr 
Werk  begannen.  Die  linke  Division  war,  mit  Aus- 
nahme von  G  137,  völlig  zugrunde  gegangen,  sich 
opfernd.  Von  der  mittleren,  deren  Angriff  vorschnell 
zu  Ausnutzung  angeblichen  Sieges  im  Zentrum  er- 
folgte, kehrten  zwei  Boote  heim.  Desgleichen  ein 
Torpedojäger.    Die  vier  Unterseeboote  hatte  man 


—     344     — 

zurückgehalten,  doch  hatte  eins  sich  hinreissen  las- 
sen, dem  jDreadnought'  die  Weiche  abzugewinnen, 
der  jedoch  unerschütterlich  den  Anprall  wie  ein 
Fels  überstand  und  den  unglücklichen  Untersee- 
feind einfach  in  den  Grund  fuhr.  Die  kleineren  und 
ungedeckten  Kreuzer  sah  niemand  wieder,  die  Tiefe 
verschlang  sie  für  immer. 

Die  deutsche  Flotte  war  als  Offensivkörper  end 
gültig  zerstört.  Britischerseits  waren  drei  Panzer, 
drei  grosse  Kreuzer  gesunken,  ausserdem  neulich 
ein  Panzer,  ein  Kreuzer  vor  der  Wesermündung. 
Schwer  zerschossen  waren  vier  Panzer,  vier  Kreuzer: 
ein  Kreuzer  („Kent")  gebrauchsunfähigr  gewordoi. 
ebenso  ein  Kreuzer  vor  der  Wesermündung.  Sieben 
Torpedoboote,  sechs  Destroyers,  zwei  kleine,  drei  un- 
gedeckte Kreuzer  wurden  im  ganzen  vemiisst.  Femer 
.zwei  Kreuzer  gesimken,  zwei  Panzer  schwer  beschä- 
digt beim  Seetreffen  vor  fünf  Tagen.  Im  ganzen 
demnach  genau  vier  Panzer  und  acht  Kreuzer  ver 
loren.  Die  havarierten  sechs  Panzer,  vier  Kreuzer 
gingen  eiligst  mit  Schlepp  nach  Sheemess  zurück 
wo  unablässig  an  ihrer  Wiederherstellung  gearbeitec 
wurde,  sechs  leichtverwundete  Panzer,  drei  Kreuzer 
flickten  ihre  Schäden  nachher  gleich  an  der  £ms  ans 

Die  einundzwanzig  aktiven  Unterseeboote  jung 
!sten  Stils. hatten  am  Kampfe  nicht  teilgenommen, 
waren  auch  bei.  Ems- Angriff  und  Weser-Blockade 
nur  nut  wenigen  Exemplaren  vertreten.  Die  übrigen 
neunundzwanzig  älteren  Datums  lagen  meist  als  Ver- 


—     345     — 

teidiger  an  britischen  Küsten,  nur  wenige  waren 
dem  Mittelmeer-  und  Kanalgeschwader  zugeteilt,  wo 
sie  sich  sehr  wenig  bemerkbar  machten.  Die 
Engländer  teilten  durchaus  nicht  das  Vertrauen,  das 
die  Franzosen  in  die  von  ihnen  erfundene  Waffe 
setzten.  Die  französische  Erfindung  des  Torpedo 
hatte  sich  freilich  bewährt,  bezüglich  der  Sous-Marins 
sah  es  aber  so  aus,  als  ob  man  sich  irre  und  un- 
angenehmer Enttäuschung  aussetze.  Der  Aktions- 
radius dieser  neuen  nautischen  Bauten  blieb  wenig 
genügend,  ihr  Sehvermögen  ganz  ungenügend,  so- 
wohl sicheres  Navigieren  als  sicheres  Torpedieren 
fast  ausschliessend.  Doch  so  skeptisch  ablehnend 
sich  Deutschland  zu  dieser  Neuerung  verhielt, 
während  die  alles  nachäffenden  Italiener  schon  sehr 
früh  in  Spezzia  ein  solches  Fahrzeug  in  Dienst  stell- 
ten, konnte  es  sich  dem  Zuge  der  Zeit  nicht  ent- 
ziehen und  schuf  sich  vor  zwei  Jahren  das  erste 
Unterseeboot,  dem  jetzt  endlich  fünf  fernere  von  der 
Germaniawerft  gelieferte  folgten.  Zur  Küstenvertei- 
digu^g  war  dies  auch  unbedingt  nötig,  da  es  mora- 
lisch deprimierend  wirkt,  wenn  der  Feind  irgend- 
welche neuen  Hilfsnuttel  besitzt,  die  der  eigenen 
Marine  unbekannt  blieben.  Man  kannte  die  Hand- 
habung nun  und  fürchtete  sie  nicht.  Leider  teilte 
Lord  Beresford  nicht  dies  hoffnungsvolle  Urteil. 
Denn  so  wenig  er  vom  Gefechtswert  der  Untersee- 
boote für  offene  Seeschlacht  hielt,  gab  er  sich  doch 
keineswegs  damit  zufrieden,  sie  als  Staffage  zu  be- 
nutzen,   sondern   schob   sie   ins   Vordertreffen    für 


—     346     — 

Sprengung    der    Hauptflusssperren    an    Elbe  und 
Weser,  was  er  sofort  in  Angriff  nahm. 

Auf  der  Kieler  Werft  arbeitete  man  vor  Aus- 
bruch  des   Krieges  und  seither  täglich  fieberhaft. 
So  gelang  es,  noch  drei  frische  Torpedodivisionen 
von  Stapel  zu  lassen,  nebst  einer  Division  Torpedo- 
jäger, die  man  bisher  in  der  Kieler  Föhrde  zurück 
hielt.    Die  Mehrzahl  dieser  Schiffe  legte  sich  vor 
Brunsbüttel  zum  Schutz  des  Kanals,  andere  sollten 
per  Bahn  nach  Cuxhaven  verladen  werden.   Deno 
ein  Versuch,  am  5.  Juni  vom  Kanal  die  Küste  ent 
lang  dorthin  zu  schleichen,  missglückte  durch  die 
hochgesteigerte  Wachsamkeit  der  schon  weit  ai& 
gespannten   Blockadekette.    Lord   Beresford  schob 
eine  gemischte  Abteilung    von    drei  Panzern,  dm 
grossen   Kreuzern,   sieben  ungedeckten,   acht  Tor 
pedos,  sechs  Destroyers,  zehn  Scouts  nach  Südosten« 
um  den  Kanaleingang  zu  beobachten  und  ein  Aas^ 
laufen     der     dorthin     verscheuchten     sechs    noch 
heilen    (,Ulan*,   ,Hyäne'   inbegriffen)    Schiffe   m^ 
liehst  zu  verhindern.    Mit  den  noch  übri^^en  zwäf 
Panzern,  zwanzig  grossen  Kreuzern  und  den  Ueinerec 
Körpern  bewegte  er  sich  sofort  gegen  Weserfons 
und  Cuxhaven,  ohne  jedoch  schon  das  Bombarde 
ment   zu   beginnen.    Er   wollte   erst   die   sehr  vcr 
schossene  Munition  und  Kohlenbedarf  gn^ündlich  er 
ganzen,  die  für  6.  Juni  angemeldeten   „Hibemia' 
„Devonshire"  des  Kanalgeschwaders  an  sich  ziehec 
und  für  den  7.  die  Ankunft  der  französischen  Brest 
Eskadre  abwarten,  die  sich  endlich  hierher  aufg^ 


—     347     — 

macht  hatte.  Nicht  ohne  geheimen  Widerwillen,  den 
Briten  ihr  Werk  erleichtern  zu  sollen,  während  diese 
durch  ihre  Dummheiten  die  für  Belgien  versprochene 
Hilfsleistung  unmöglich  machten  und  so  für  fran- 
zösisches  Bundesinteresse  ganz  ausfielen« 

Nachdem  die  deutsche  Flotte  niedergekämpft, 
konnte  kein  Steilfeuer  der  Mörserbatterien  Helgo- 
land vor  Übergabe  retten.  Am  4.  liess  Beresford 
das  Signal  am  Topmast  wehen:  ,,Glorreicher  Sieg*', 
Musikkapellen  stimmten  „Rule  Britannia"  und  „God 
save  the  King'*  an.  Matrosen  gröhlten  mit  heisem 
Kehlen  den  ulkigen  Refrain:  „The  Queen  Victoria, 
the  Queen  Victo — oria,  the  Que — en  Victoria  and 
Empress  of  India,"  wohl  weil  die  Worte  ,Victory' 
und  ,Victoria'  gut  zusammenpassten.  Diesen  Spek- 
takel hörte  die  abgeschnittene  Inselbesatzung  traurig 
mit  an  Am  5.  begann  erneute  heftige  Beschiessung 
in  West,  Nordost,  Südwest  aus  erheblicher  Ent- 
fernung, wobei  die  30  Zentimeter  natürlich  nicht  den 
Standort  der  45  Zentimeter  erreichen  konnten.  Die 
sogenannten  neuen  „Petroleumgranaten",  die  ein 
phantasiereicher  britischer  Autor,  das  Gespenst  einer 
deutschen  Invasion  seinen  Landsleuten  an  die  Wand 
malend,  als  kommende  deutsche  Erfindung  prophe.- 
zeit  hatte,  waren  jetzt  nur  brittscherseits  vorhanden, 
ohne  übrigens  gegen  andere  als  wehrlose  Stadt- 
Objekte  das  ihnen  gespendete  Lob  zu  bestätigen.  Am 
6.  gab  es  kaum  noch  Bedienung,  da  die  wenigen 
Überlebenden  durch  keinen  Machtspruch  der  Offi- 
ziere aus  ihren  Kasematten  herauszubringen  waren. 


—     348     — 

Zwei  Geschütze  waren  ins  Wasser  geworfen,  eins 
halb  von  der  Lafette  gerollt,  dem  vierten  das  Lad^ 
podest  verbogen  und  die  Mündung  angesengt.  Insel 
und  Forts  glichen  einem  durcheinandergewürfeltai 
Trümmerhaufen.  Das  Monstreschiff  ,,Dreadnoaght" 
brauchte  nur  seine  Eisenmäuler  aufzutun,  um  jede 
Deckung  wegzuputzen.  Die  Panzerkuppeln  flogeii 
wie  Glas  auseinander.  Am  Abend  kapitulierte  der 
Kommandant,  nachdem  seine  Mörser  noch  dem  m- 
dringlich  näherfahrenden  „Albion"  einen  derben 
Denkzettel  erteilt  und  dem  Kreuzer  „Talbot"  ciq 
Stück  Panzer  weggerissen  hatten.  Er  übergab  auch 
Proviant  und  Kartuschen  in  teilweise  verbranntem 
zerfetztem  Zustande,  durch  Ausgabeluks  getroffen.  — 

Nach  dem-  glücklichen  Ausfall  der  Deutscbai 
im  Jahdebusen  beschränkte  sich  das  durch  Entsen- 
dung und  Verluste  auf  drei  Panzer,  zwei  Kreuzer 
geschmolzene  Blockadegeschwader  auf  blosse  Be* 
obachtung  der  Wesermündung.  Deutscherseits  wollte 
man  aus  lauem  Zuwarten  gegenüber  der  unwillig 
geduldeten  Landung  heraustreten,  aktive  Vertdifi- 
gung  gegen  die  Emsstellung  vornehmen,  mit  Land- 
streitkräften offensiv  werden,  da  es  mit  maritimen 
nicht  ging.  Überall  waren  deutscherseits  Leucht- 
türme, Telegraphen-  und  Telephonstationen  in  voller 
Tätigkeit  längs  der  Küste,  englischerseits  arbeitete 
man  init  Heliographen  und  einem  eigens  bei  Nor- 
derney  aufgebauten  Semaphor.  Das  Reservege* 
schwader  hatte  während  des  Schlachtanmarscbes 
seine  mitgeführten  Truppentransporte  südwärts  zoi 


—     349     — 

Ems  befördert,  und  es  stak  jetzt  dort  und  in  Borkum 
alles  voll  Rotröcken  und  Kakis.  Auf  eigens  hierzu 
eingerichteten  Fahrzeugen  \\nirden  fünf  Festungs^ 
Monstregeschütze  eines  neuen  Typs  ausgeschifft, 
jedes  vierzig  Fuss  lang,  ausserdem  zwölf  Elfzoll- 
Schnellfeuergeschütze  und  sechs  Pompom-Mörser. 
Dies  sollte  sowohl  zur  Armierung  der  Trutzschanzen 
als  Beschiessung  der  Weserforts  wohl  genügen,  und 
man  bedauerte  nur,  dass  man  sie  vor  Helgoland 
nicht  hatte  verwenden  können.  Auf  15000  Yards 
Distanz  berechnet,  mussten  solche  Schüsse  alles  vor 
sich  niederbrechen. 

Es  wäre  ja  hübsch  gewesen,  wenn  man  deutscher* 
seits  den  ollen  ehrlichen  „Agir"  als  Typ  einer  neuen 
pompösen  Ersatzklasse  von  acht  Nununem  neu  bauen 
und  die  Sachsen-Klasse  durch  vier  Dreadiioughts 
hätte  ersetzen  können,  wie  die  erfindimgsreichen 
Herren  Le  Queux- Wilson  ihren  Lesern  es  so  üppig 
auftischen.  Leider  liess  sich  dieser  sensationelle  Un- 
sinn einer  deutschen  Invasion  imd  überlegenen  deut- 
schen Flotte  nur  harmlosen  Ahnungslosen  einreden, 
und  niemand  ergötzte  sich  an  solchen  Trugbildern 
mehr,  als  die  britische  Blauwasserschule,  gegen 
welche  die  Verfasser  die  Armeereform  Lord  Roberts* 
mobil  machten.  Fürs  erste  schien  die  Seeniacht, 
„die  so  lange  von  einem  rein  aufgeblasenen  Re- 
nommee gelebt  hat,"  wie  diese  Prediger  in  der  Wüste 
ihren  Landsleuten  vorausverkündeten,  noch  gründ- 
lich ausreichend,  um  England  vor  jeder  Invasion 
zu  schützen  I  Die  Knauserigkeit  des  deutschen  Reichs- 


—     350     — 

tags  machte  jede  berechtigte  Flottenagitation  ni 
schänden.  Drüben  aber  bewilligten  gehdme  Paria 
mentskommissionen,  ohne  der  Öffentlichkeit  Rechen- 
schaft abzulegen,  Hals  über  Kopf  in  letzten  zwei 
Jahren  ausserordentliche  Kredite,  die  in  der  Bud* 
getliste  mit  undeutlichem  Gemurmel  unter  der  von 
allen  Auguren  wohlverstandenen  Rubrik  „für  all- 
gemeine vaterländische  Zwecke"  übergangen  wur- 
den. Da  durfte  nicht  wunder  nehmen,  dass  aQc 
Novitäten  kostspieliger  Zerstörungskunst  nur  im  bii 
tischen  Warenlager  geführt  wurden. 

Für  die  Truppentransporte  bildete  die  sogt 
nannte  „Division  von  Colchester"  den  Kern,  für  die 
Artillerie  das  Artillerielager  Shoeburyness  an  der 
Themsemündung,  wo  nahe  beim  Seebad  Southend  das 
Einschiffen  der  ElfzöUer  unter  wildem  Jubel  eines 
fashionablen  Publikums  von  statten  ging.  Die  Trans- 
porte des  Reservegeschwaders  kamen  teils  per  Bahn. 
teils  auf  den  zwei  Flüssen  Crouch  und  Blackwater 
bei  Maldon  ans  Meer,  aktivierte  Milizen  von  Essex 
und  Suffolk  und  Metropolitan- Volunteers  als  Um^ 
rahmung  der  Garnisonen  von  London,  Brightoa 
Canterbury.  Während  so  sechzig  Kilometer  v» 
London  diese  Einschiffung  sich  voUiog,  sammelteo 
sich  in  Norfolk  bei  Norwich  die  Milizen  des  Nor- 
dens und  Ostens,  wo  einst  Cromwells  ,£astem  Asso^ 
ciation'  ihre  Eisenseiten  fand,  und  stiessen  bei  Yai- 
mouth  vom  Lande  ab.  Ein  dritter  Transport,  für 
den  man  schon  lange  Material  auf  Insel  May  an^ 
sammelte,   brachte    MobiUsierte   von   Berwick   und 


—     351     — 

Newcastle  bei  Gateshead,   Sunderland,  Tynemouth 
an  Bord,   wo   der   so  lebhafte   Schiffsverkehr   der 
mit  Forts  umstandenen  Tynemündung  und  die  Eis- 
wick-Werke  der  weltberühmten  Waffenfirma  Arm- 
strong die  Ausrüstung  erleichterten.  Tatsächlich  la- 
gerten jetzt  zwei  aus  Regulären,  Reserve,  Yeomanry, 
Volunteers  buntgemischte  Divisionen  an  der  Ems 
unter  Befehl  des  im  Burenkrieg  bewährten  Gene- 
rals French.  General  Haig,  der  sich  als  Oberinspek- 
tor indischer  Kavallerie  seine  Sporen  erwarb,  fun- 
gierte als  ,Direktor  der  Militärerziehung  im  Haupt- 
quartier*, ein  wichtigster  Posten,  den  früher  Beau- 
champ-Walker,   als   Militärattache    von   Königgrätz 
bis  Paris  deutsche  Siegeszüge  begleitend,  lange  ein- 
nahm.    Bei  der  seltsamen   Organisation  der  briti- 
schen Home  Army,  angeblich  hundertachtzigtausend 
Mann,  wovon  aber  stets  Abzüge  für  die  Kolonien, 
brachte  Haig  nur  ein  bunt  zusammengewürfeltes  Ex- 
peditionskorps zustande.  Sir  John  French  (jüdischer 
Herkunft)    übernahm    als    Kommandierender     des 
1.  Armeekorps  (Aldershot)  die  Leitung.   Da  gab  es 
ausser   den  ganzen   Regimentern   Northumberland, 
Shropshire,  Durham,  1.,  2.  Liverpool  (zwei  Regimen- 
ter), Northhampton,  1.  Suffolk,  Leicester,  Somerset, 
schottische  Carmarthenshire  Füsiliere  imd  der  Rifle 
Brigade  die  verschiedensten  Einzelbataillone:  1.,  3. 
Border,    2.  Süd    Lancashire,    4.,  6.  Lancaster  Fus. 
7.  Kings  Royal  R.  L.  4.,  5.  Middlesex  3.,  4.  Norfolk 
3.  Loyal  North  Lancaster  12.  erstes  Yorkshire  1.,  4. 
zweites  Yorkshire  1.  Wiltshire  1.  Royal  Bercks  l.Dor- 


—     352     — 

setshire  1.  West  Riding  1.  Leinster  6.  Warwid 
4.  Essex  4.  Stafford  4.  Bedford  2.  Gloucester  2.  Lin- 
coln 2.  Cheshire  6.  East  Surrey  1.,  2.  Antrim  R.  O.A. 
1.  Guemsey  L.  I.  1.  Doaegal  R.  R.  G.  1.  Coro- 
wall  and  Devon  Miners  1.,  2.  Berkshire  I.  Y.  8.  V> 
lunteer  Suffolk.  Femer  wurden  die  R^^enter 
Royal  Highlanders,  1.  Scots  Guards  2.  SeaforthHigfa- 
landers  nebst  3.  King's  Own  Yorkshire  Light  lo* 
fantry  mit  den  Buffs  und  Coldstreamguards  zu  dner 
Gardebrigade  vereint,  wobei  4.  Reitende  49.  Fuss 
brigade  des  Aldershot-Artillerielagers  begleiteten 
dazu  10.,  18.,  20.  Batterie.  Den  fünftausend  lüm 
in  Ägypten,  Irische  Inniskillings  und  Sussd 
Regiment  Füsiliere  (früher  Kreta),  Irische  Inniski- 
lingsdragoner,  Lancashire  Füsiliere  imd  Worcester 
regiment  imd  U-Batterie  Christchurch  schon  ml 
gerechnet,  schob  man  seit  lange  auf  Prince  Line; 
Dampfern  wie  „City  of  Athens*',  die  tausend  Maos 
fassen,  zahlreiche  andere  Bataillone  obengeoaimter 
Regimenter  nach.  1.  Arg>'ll  und  Sutherland  Hlgb^ 
landers  1.  Seaforth  2.  Scots  Guards  sandten  je  ein 
Bataillon  nach  Kapstadt,  2.  Argyll  und  andere  Halb^ 
regimenter,  nach  Canada.  Von  der  Imperial  Yeoi 
(Maj.  Gen.  Hay,  CoUings)  berief  man  vorerstnurdicvffi 
Royal  Devon,  Hamshire,  Buckingham,  Oxfordshirc  eiß 
Deutscherseits  waren  ausser  der  Hanseatcfr 
brigade  und  einem  Holsteiner  Regiment  bcrtte 
sämtliche  Landwehrbataillone  des  siebenten  und  <üe 
niederrheinischen  des  achten  Korps  zur  Stelle  {^^ 
des  zehnten  und  achtzehnten  in  Holland  eingerück: 


—     353     — 

die  des  neunten  in  Holstein).    Die  Artillerie   war, 
wie  schon  gesagt,  nicht  ganz  auf  der  Höhe,,  aber 
zahlreich.   Da  „Friedrich"  xmd  „Wettin"  keine  Un- 
terwasser- und  Maschinenhavarie,  sondern  nur  starke 
Überwasserbeschädigung    erlitten    hatten,    so    ent- 
leerten sie  wieder  volle  Kohlenladung  in  ihre  Bun- 
ker wie  am   Mobilisierungstag,   flickten  notdürftig 
Takelwerk,    Masten    und   Schornsteine  wieder    zu- 
recht, fassten  scharf  Munition  und  machten  sich  klar 
zum    Gefecht.     Natürlich  auf  jede  Gefahr  hin,  da 
sechstägiges   Hämmern   bei   Tag   und   Nacht   ihre 
demolierten  Oberdeckungen  und  demontierten  Ge- 
schütze nicht  ersetzen  konnte.    Schnelldampfer  des 
Bremer  Lloyd,  auf  Werften  mit  dortigen  Beständen 
ausgerüstet,  sollten  als   Flusskanonenboote  dienen. 
„Friedrich  Karl"  war  wieder  zu  jeder  tapfern  Mbse- 
tat  geneigt,  nur  ,,AdaIbert"  lag  siech  danieder.  Panzer- 
K.-B,  jViper*,  ,Wespe*,  »Brummer*  hielten  sich  bereit. 
Sobald    die    Feldregimenter    durch    Landwehr 
auf    neuer    gradliniger    Vollbahn    Emden — ^Aurich 
und    Ems — Jahdekanal    verstärkt,    ward   sofortiger 
Sturmangriff  auf  die  Emser  Schanzen  beschlossen. 
Die  Briten,  denen  man  törichterweise  völlige  Un- 
kunde  militärischer   Einrichtungen  andichtete,   hat- 
ten bereits  Drahtgeflechte  weitimiher  gezogen  und 
waren  am  6.  eben  dabei,  ein  breites  Minenfeld  herzu- 
richten, dessen  Dynamiteruption  ganze  Kilometer  des 
Erdbodens  aufreissen  sollte.    Im  Beginn  dieser  er- 
quicklichen Arbeit  störte  sie  aber  hochgesteigertes 
Shrapnelfeuer.   Deutsche   Schützen   schwärmten  im 

Völker  Europas  ...  I  23 


—     354     — 

Laufschritt  vor,  scharfes  Knallen  und  Knattern  des 
Kleingewehrfeuers  ging  bald  in  nie  abreissendes  rol- 
lendes Prasseln  über,  das  jedem  Befehlsträger  das 
Wort  im  Munde  abschnitt.    Die  Briten  hatten  m 
ihrer  neuen  bösen  Zwanzigpfünder,  vier  ElfzöUer  mit 
unsäglicher  Mühe  in  Stellung  gebracht  und  bc&entöi 
sich  verbotener  Explosivstoffe.  Völkerrecht?  Makn- 
laturwert!    In  die  heranflutenden,  abschwenkenden, 
wellenförmig  sich  auseinanderbiegenden  Abteilungea 
geschlossener  deutscher  Soutiens  platzte  dies  Ver- 
derben    hinein,     konische    Splitter    runder   Bälk 
chronometrisch    pünktlich    umherschmeissend,  ^'^ 
der    Sämann    ein   Feld  bestreut.     Bis  zum  Train 
reichte  die  weite  Zerreibungszone.  Der  Hensdiia? 
stockte  schaudernd  beim  Anblick  dieser  fliegende 
Glut-   und   Eisenlawine.     In   den   deutschen  Bam 
rien  sah.  es  bald  übel  aus.    Zerkrümmte  Lafener. 
gekrümmte  verstümmelte  Leiber.    Doch  die  übrig? 
britische  Artillerie  taugte  nicht  viel,  ihre  Treffsicbei 
heit  stand  der  deutschen  nach.  Schon  knisterten  die 
Dachsparren  der  Blockhäuser  in  den  Erdschanz^ 
knirschte  und  knackte  das  verbogene  Hokwcrkde: 
Palisaden.  Wo  man  am  Strande  etwas  unvoiski^ 
tig  Heu  und  Stroh  für  die  Pferde  in  Bauemwags 
angehäuft,    stieg    schwelender,     augenzeibeissöKlff 
Rauch  auf  und  wirbelten  Funken  in  die  lAift-  ^^ 
imd  gelb  frass  der  Flammenschein  weiter,  Glut  übe? 
all.    Zu   nahe   verankerte   Proviantschiffe  frass  t' 
dernder  Brand,  man  musste  alle  dort  liegenden  Tni:^ 
port-  und  Verpflegungsschiffe  vom  Anker  lösen  ch«: 


—     355     — 

nach  Borkum  hinüberlotsen,  um  sie  nicht  in  rau- 
chende schwarze  Ruinen  verwandeln  zu  lassen.  Bren- 
nende Holzscheite  stoben  übers  Gewässer,  Feuer- 
werk zerstiebender  Raen.  Das  blendende  brausende 
Feuermeer  im  Rücken  der  Schanzen  knatterte  wie 
kleinkalibriges  Pelotonfeuer  und  machte  die  Briten 
stutzen.  Dazu  schwüle  Sommerhitze,  die  Luft  von 
einem  braunen  Staubnetz  umspannt. 

Aus  der  deutschen  Ballongondel  berichtete  maa 
die   Unordnung  hinter  der  britischen  Front.    Das 
einige   Zeit   schwächerwerdende   deutsche   Haubitz- 
feuer nahm  jetzt  noch  zu,  ein  Donner  wütete  los  wie 
nie  zuvor.  Man  hatte  vom  Arsenal  in  Wilhelmshaven 
zwei  30  Zentimeterstücke  herbeigeschafft,  die  jetzt 
erneute   Beschiessimg   aufnahmen.     Ihre   sechs   ge- 
waltigen Geschütze  neuster  Konstruktion  hätten  den 
Briten  gegen  feste  Objekte  ein  erschütterndes  Über- 
gewicht    verschafft,    hier    aber    gegen    Schützen- 
schwärme und  oft  die  Stellung  wechselnde  Batterien 
versagte  ihre  Wirkung  grösstenteils.  Je  dichter  hin- 
gegen die  Briten  in  den  Rayon  ihrer  Erdschanzen 
hineingedrängt,  desto  mörderischer  musste  die  kon- 
zentrische   Umgürtung    wirken.     Die    holsteinische 
Feldhaubitzabteilung    ergoss    ein   steiles   indirektes 
Feuer  mit  neuer  Elevation  auf  nur  2500  Meter,  in- 
dem sie  in  rasendem  Galopp  bis  zur  nächsten  vom 
Feind   geräumten   Erdwelle   vorging.    Wohl   strau- 
chelten viele  getroffene  Pferde,  Kanoniere  purzelten 
mit  zerschellter  Hirnschale  kopfüber  in  den  Staub. 
E>och,     das    Abprotzen    einmal    gelungen,    hielten 

23* 


—     356     — 

die  Holsteiner  so  zähe  aus,   wie  einst  vor  Aman 
villers. 

„Zu  faul  zum  Weglaufen,"  brummten  westfälische 
Landwehrleute,  die  diese  phlegmatischen  humorloscc 
Halbfriesen  nicht  leiden  konnten.  Frisia  non  ob- 
tat,  doch  der  Schlachtgesang  dieser  von  Holstä 
nem  und  Ostfriesen  bemannten  Feld-  und  Laod- 
wehrbatterien  gellte  dem  Feinde  noch  lange 
im   Ohr. 

Mit  strammem  Schritt  lösten  neu  anrückende 
Briten  ihre  niedergemähten  Vorderreihen  auf  ds 
Schanzwällen  ab.  Ununterbrochen  während  des  Ta 
ges  wurden  vom  Borkumer  Lager  her  Truppen  rr 
Verstärkung  gelandet.  Die  Lage  glich  ungefähr  de 
Düppeler  Schanzen  mit  der  vorgelagerten  Insd  A! 
sen.  Die  Briten  versuchten  natürlich  von  Anfan; 
an,  sobald  ihre  Vorposten  zurückgetrieben,  sich  mfe 
liehst  weit  vor  imd  seitwärts  der  Erdwerke  lu  est 
falten.  Doch  das  selten  abflauende  und  stets  vei 
stärkter  anschwellende  Geschütz-  imd  Gewehrfcucr 
der  Deutschen,  deren  Waffe  sich  ebenso  überlege 
erwies  wie  ihre  Gewandtheit  im  DeckungsucbcL 
machte  besonders  den  unausgebildeten  Milizen  o^- 
Freiwilligen  den  Aufenthalt  im  freien  Felde  c- 
möglich.  Es  gereichte  ihrer  starren  britischen  ^ 
fahrverachtung  nur  zur  Ehre,  dass  sie  so  lang*' 
aushielten  und  nach  Kräften  kaltblütig  schosses. 
Durchs  Baubaubunrni-bängbäng-tiktiktaknunnun  ^ 
Geschütze,  Maxims  und  Rifles  tönte  das  scharfe 
blecherne  preussische  Avanciersignal.    Nach  \^^ 


—     357     — 

ihre   Schützengräben  abbauend,   stürzten  die   Stür- 
mer auf  die  vorderste  Eckschanze  los. 

Die  Bewohner  der  Nordsee  haben  von  jeher 
etwas   gegen  die  Engländer    gehabt,    über    deren 
Hochmut  und  Rücksichtslosigkeit  allerlei  Mären  von 
Mund   zu   Mund   gingen.    Die   bekannten   ältesten 
Leute   konnten   sich   nicht   erinnern,   dass   ein  bri- 
tischer Handelssegler  je  vor  deutschen  in  deutschen 
Gewässern  höflich  ausgewichen  sei.  Erbitterung  über 
diesen  ruchlosen  Überfall,    wie    sie    es    auffassten, 
machte  die  Hanseaten,  Friesen,  Holsteiner,  West- 
falen wütend  wie  rasende  Berserker.  Über  Batterie- 
ruine im  Innern   der  Schanze,  über  grimmig  mit 
Kolben  und  Säbel  zum  Schädelspalten  ausholende 
oder  beim  Bajonettstich  Rache  suchende  Verteidiger 
brach  die  Sturmwelle  herein.    Es  sah  in  Schanze 
und  Seitengräben  aus,  wie  im  Dorf  Endiolulu,  als 
die  Regimenter  Morschansk  und  Zaraisk  das  133. 
japanische   Regiment   mit   dem  blanken   Stahl   ab- 
würgten. Mit  leeren  Patrontaschen  flohen  Reste  der 
Metropolitan  Volunteers,  deren  selbstgewählte  Offi- 
ziere,  vielfach   Noblemen  von   hoher  Familie,   mit 
dem  gespannten  Revolver  die  regellose  Feldflucht 
zu  stauen  suchten.  Gut  gezieltes  Geschützsalven-  und 
richtig  eingestelltes  Fernfeuer  der  neuen  deutschen 
S-Munition   hatte   hinter  der  britischen   Front   die 
Munitionskolonnen    femgebannt,    auffliegende    Pul- 
verkarren vermehrten  dort  den  höllischen  Kreis  der 
Feuersbrünste.    Es  schien,  als  ob  dies   Loch  sich 
nicht  stopfen  Hesse.   Gewannen  die  Deutschen  eine 


—     358     — 

Seitenstrasse  zum  Strande,  so  war  es  um  die  Briten 
geschehen.  Doch  mit  grösster  Hingebung  brach  eine 
gelandete  Brigade  sich  seitwärts  durch  eine  SenkuDg 
über  den  Dünenkamm  und  einige  brombeerbewacb 
sene  Knicks  Bahn  und  stand  wie  eine  dichte  Wand 
vor  den  aufgelöst  nachdrängenden  Deutschen.  Mit 
lautem  Feldgeschrei  und  unwiderstehlicher  Tapfer 
keit,  die  reissende  Bresche  der  Schlachtordnung 
füllend,  rollte  sie  die  losen  feindlichen  Schwänner 
linien  auf.  Wohl  riss  das  Kleinkaliber  grosse  Ludet 
in  ihre  eigenen  Reihen,  doch  die  Schamartillen? 
bekam  wieder  Luft,  die  Elfzöller  brüllten  mit  lieber 
hafter  Hast  los,  obschon  dem  einen  gleich  dan:i: 
der  Verschluss  zerfetzt  und  zwei  VierzöUern  dsi 
Ladepodest  glatt  weggefegt  wurde. 

Das  waren  nach  früherer  historischer  Benennung 
Regimenter  71  Leichtes,  95  Hochländer,  zwei  altbe 
rühmte  schottische,  die  mit  solcher  Energie  dr 
Gefecht  wiederherstellten.  Die  verlorene  Vorder 
schanze  wurde  vom  Regiment  Leicester  buchstäbl- 
mit  dem  Bajonett  zurückerobert,  freilich  hatte  ef 
dann  zu  bestehen  aufgehört,  Mann  an  Mann  gefalle- 

Tobender  Waffenlärm  erfüllte  wieder  dengniD-:^ 
Saatenhang  abwärts  von  den  Schanzen.  Da  f- 
eine  Mine  auf,  die  man  früher  noch  rechtzeitig  e- 
gelegt  und  deren  sich  jetzt  ein  vorstürzender  trr 
tischer  Korporal  erinnerte,  die  Zündschnur  mit  cin*^ 

■ 

Pistolenschuss  entladend.  Erde  und  Eisen  ^ 
glühende  Steine  begruben  eine  westfälische  KcC' 
pagnie  vollständig,  durch  dies  Chaos  wüster  Gro- 


j 


—     359     — 

und,  Knäuel  stürmten  die  Briten  weiter  vor,  die 
Deutschen  vor  sich  hertreibend  in  allgemeinem  An- 
lauf zu  beiden  Seiten  der  Strandwerke  über  das 
dampfende  Blachfeld. 

Da  kamen  mit  jankenden  knarrenden  Sätteln 
und  flatternden  Mähnen  der  Streitrosse  zwei  Schwa- 
dronen Oldenburger  Dragoner  und  eine  Reservisten- 
schwadron der  Krefelder  Tanzhusaren  herange- 
sprengt, die  einzige  Kavallerie,  die  man  westlich 
von  Hamburg  in  deutschen  Landen  an  der  Küste 
beliess.  Pferde,  die  so  lange  im  Kanonengebrüll 
mit  hängenden  Ohren  schnobernd  imd  zitternd  den 
Boden  scharrten,  griffen  jetzt  wie  Hirsche  auf  Treib- 
jagd mit  den  Hufen  aus,  in  einem  Gemisch  toller 
Angst  und  grässlicher  Verzweiflung  von  Sporn  und 
Zügel  ins  Verderben  gehetzt.  Mit  Blitzesschnelle 
funkelte  ein  starres  Lanzenbündel  zwischen  den  Feind, 
wie  von  einem  Orkan  über  den  Boden  fortgetragen. 
Der  englische  Vorstoss  zersplitterte  an  diesem  un- 
vorhergesehenen Gitter.  Die  Briten  fluteten  wieder 
in  ihre  Lehmschanzen  zurück,  aus  deren  Scharten 
der  winzige  Lauf  des  „Short  Rifle"  kaum  sichtbar 
hervorlugte,  bei  welchem  Visier,  Abzugbügel,  Ma- 
gazin so  eng  zusanmiengerückt,  dass  es  an  glatten 
Flächen  ziun  Anfassen  fehlt. 

Müde  ruhten  Hanseaten  und  Landwehren  bei 
ihren  Fahnen,  denen  beim  Morgenappell  an  vier- 
tausend Kameraden  fehlten,  tot  \md  verwundet  vor 
den  Schanzen  liegend.  Der  britische  Verlust  war 
grösser.  Durch  die  blutrot  erglühende  Sommernacht, 


—     360     — 

wo  Flammen  der  Blockhäuser,  Werkstätten,  Güter- 
schuppen und  Schiffe  ins  Meer  hineinbrandeten,  als 
stehe  die  Salzflut  wie  ein  Naphtasee  in  Flammen. 
klang  der  herzerhebende  Klang  des  deutsden 
Zapfenstreiches  zu  ihnen  herüber. 

Wie  am  blutigen  Abend  gab  es  auch  am  Morgen 
nichts  zu  essen,  auch  die  Feldflaschen  leer,  nirgends 
andere  Flüssigkeit  als  Blut.  In  quälendem  Durst 
tranken  viele  Inselsöhne  aus  der  geliebten  Meer 
flut,  das  Salzwasser  peinigte  vollends  den  ledueDden 
Gaumen.  Die  Proviantschiffe  suchten  zwar  mite 
Schutz  einiger  kleiner  Kreuzer  anzulegen,  doch  das 
weit  über  gewöhnlichen  Gewehrschuss  YmxjSr 
reichende  neue  Geschoss  der  Deutschen  bestrick 
die  Decks.  Letztere  hatten  abends  zwar  auch  vra 
noch  Patronen  im  Brotbeutel,  am  Morgen  erhicltcs 
sie  aber  reichliche  Atzung.  Die  Gefahr  jeder  Lafr 
düng,  von  ihrer  Verpflegsbasis  abgeschnitten  t& 
werden,  drängte  sich  dem  General  French  deramg 
auf,  dass  er  beschloss,  seine  Hauptmasse  nach  Bo: 
kum  zurückzunehmen.  Die  durcheinandergewiihlte 
Erdwerke  hielt  er  am  7.  noch.  Seine  Schützen,  vc<r 
den  Schanzen  eingebuddelt,  mussten  wieder  aus  df^ 
Erde  empor  und  ins  innere  Viereck  der  kaum  mehr 
Deckung  gewährenden  Werke  zurück.  Da  jedoc- 
ein  Panzer  nahe  am  Strande  Posto  fasste  und  ein 
Kreuzer  seitwärts  in  der  Ems  die  Flanke  dedte. 
dessen  scharfes  Feuer  freilich  unterm  HinschmelxK 
seiner  Bedienung  durch  ununterbrochenen  Gcschosr 
regen  schwächer  imd  schwächer  wurde,  nahmen  & 


—     361     — 

Deutschen  Abstand  von  erneutem  Sturm.      Schon 
während  des  Tages  nahmen  Transportschiffe  weit 
unten  am  Strand  die  meisten  Truppen  auf,  die  in 
Borkum  wieder  Proviant  fassen  sollten.    Niederge- 
halten in  seinen  Stellimgen,  nicht  ohne  neuen  er- 
heblichen Blutverlust  bei  gegenseitiger  Kanonade  bis 
in  die  Nacht  hinein,  räumte  French  um  Mittemacht 
das   deutsche   Festland.    Nur  ein   Bataillon   Royal 
Mar.    Light    Inf.    liess    Lieut.    General    Kent    auf 
Posten    zurück,    mit   den    vorerst   untransportabeln 
sechs  Geschützkolossen,  von  denen  jetzt  die  Hälfte 
gebrauchsunfähig.  Die  beiden  Kriegsschiffe,  in  ziem- 
lich gedeckte  Lage  zurückgehend,  sollten  durch  ihr 
Bestreichen  der  Düne  weitere  Annäherimg  an  die 
Schanztrümmer    vorläufig    hindern.     Da    man    am 
Morgen  die  Dampfsäulen  und  Segel  der  Transport- 
schiffe auf  See  nach  Borkum  zu  bemerkte  und  der 
Fesselballon  die  wirkliche  Lage  auskundete,  so  fühlte 
man  deutscherseits  kein  Bedürfnis,  den  schwachen 
englischen  Posten  zu  vertreiben,  was  angesichts  der 
beiden  britischen  Kriegsschiffe  doch  wohl  unnütze 
Opfer  gekostet  hätte.    Man  begnügte  sich,  Batterie- 
stände zu  errichten  imd  den  Meerarm  nach  Borkum 
so  zu  beherrschen,  dass  Proviantschiffe  von  dort  bei 
Tage  nicht   ungestraft  nahen  konnten.     So  hoffte 
man  den  britischen  Posten  auszuhungern,  dem  je- 
doch jede  Nacht  neue  Zufuhr  aus  Borkum  zuging. 
Hauptsache   blieb,    dass  fortan   ernstliche   Be- 
drohimg des  Festlands  hier  unmöglich,  Ansammlung 
von    Landenden     zu    Offensivzwecken     undenkbar 


—     362     — 

wurde.  Die  brirische  Operation  endete  also  in  Ost 
friesland  weit  schlechter,  als  es  anfangs  den  An- 
schein hatte. 

Mittlerweile  errang  der  Feind  aber  wescntfiche 
Vorteile  an  der  Weser,  was  auf  die  fortan  bloss  beob- 
achtende  Haltung  der  deutschen   Landtruppen  an 
der  Ems  nicht  ohne  Einfluss  blieb,  auch  ihre  sonst 
verfügbare   Übermacht   schwächte.     Schon   am  6. 
mittags  zog  man  das  hierher  detachierte  Holstemer 
Infanterieregiment  aus  dem   Feuer  und  sandte  es 
nach  Bremen,  wohin  auch  seine  Landwehrbatafflooe, 
auf  dem  Weg  zur  Ems  Gegenbefehl  erhaltend,  ab- 
marschierten.   Sobald  nämlich  der  französische  K^ 
miral  auf  Höhe  von  Texel  auf  Marconische  Ait  ao 
Beresford  meldete:    „Stelle  mich  zur   Dispositioii''. 
überlegte  sich  der  Brite,  dass  er  beim  voraussieb: 
lieh  leicht  zu   erwerbenden   Lorbeer   an  der  Elbe 
französischen  Ruhmanteil  nicht  brauchen  könne,  und 
lud  den  Franzosen  ein,  lieber  Kurs  zur  Weser  n 
halten,  wo  der  dortige  britische   Eskadrechef  ibn 
näher  orientieren  werde.    Gesagt,  getan.   Deutsche 
Leuchttürme  meldeten  am  6.  früh  Erscheinen  bcai 
artiger   Flotte   mit   wunderlich   hohen    Obcrbaulcc 
Glichen   schon  unter  deutschen  Schiffen  nur   ät 
neuesten  Typs  „Friedrich  der  Grosse",  „Bundesrat 
„Ers.  Kurfürst"  schmucklos  einfacher  Kri^^smassig 
keit  der  oben  so  kahlen  britischen  neueres  Sdis 
welche  ihre  Bemannung  scheinbar  minder  schütztet 
dafür  aber  dem  Feind  keine  schnell  zu  treffende- 
festen  Zielpunkte  boten,   so  bauten  die   Fraxuoses 


—     363     — 

Brücken  über  Brücken,  Türme  über  Türme,  worin 
sie  nur  noch  von  der  italienischen  falschen  Me- 
thode übertroffen  wurden. 

Die  französische  Marine  war  jedoch  guten 
Mutes,  die  alte  Rivalität  mit  der  englischen  durch 
ebenbürtige  Taten  auszufechten.  Diesmal  sollte  aus 
deutscher  Haut  das  Leder  gegerbt  werden,  aus  dem 
diese  antienglische  Rivalität  sich  Riemen  schnitt. 
£s  klang  den  Deutschen  als  seltsames  Omen,  dass 
der  erste  britische  Kreuzer,  dem  sie  begegneten  und 
der  ihnen  vorausfahrend  den  Weg  in  die  Weser 
wies,  „Cressy"  hiessl  Warum  nicht  gar  „Poitiers", 
„Azincourt",  „Vitoria",  „Waterloo"  I  Auch  „Abukir", 
„Trafalgar"  hätte  nicht  übel  geklungen! 

Mit  ,Hibemia',  ,Devonshire'  gingen  nämlich  auf 
freiwillige  Weisung  Sir  Bowen-Smiths  noch  fünf 
andre  Panzerkreuzer  der  Kanalflotte,  ,Cressy*,  ,Dia- 
dem*,  ,Endymion*,  ,Antrim*  (1.  KL),  ,Undaunted* 
zu  Beresford  ab,  da  es  in  der  Zuydersee  gar  nichts 
mehr  zu  tun  gab,  wo  Schlachtschiffe  und  grosse 
Kreuzer  nicht  verwendet  werden  konnten,  die  nur 
anfangs  holländische  Strandbatterien  niederrangen, 
später  Scharmützeln  zu  beiden  Seiten  des  Meerbusens 
oder  im  Ymuiden-Kanal  den  Destroyers  überlassen 
mussten.  ,Cressy',  ,Diadem',  unterwegs  angehalten 
und  zur  Jahde  beordert,  trafen  dort  frühere  vornehme 
Kollegen,  die  Schlachtschiffe  ,Queen*,  ,Resolution*, 
die  sich  jedoch  wenig  resolut  zeigten  und  „for  the 
Queen'*  keine  Rittertat  vollbrachten.  Kapitäne  Bailay 
und  Hayes-Saddler  folgten  geheimer  Weisung,  sich 


—     364     — 

zu  schonen  und  lieber  die  faulen  f ranzösbch^  Bim- 
desbrüder  sich  opfern  zu  lassen  I 

Torpilleurs  und  Kontre-Torpilleurs  stromanfwiits 
sendend,  die  das  Fahrwasser  von  Minen  säuberten, 
wobei  freilich  mehrere  Fahrzeuge  beschädigt  wurden, 
wartete  die  französische  Flotte  auf  Ebbe  und  warf 
dann  auf  wirksame  Schussweite  vor  den  Vordcrforts 
Brinkamahof  und  Langlütchen  Anker.  Diese  b^ 
Sassen  immer  nur  noch  teilweise  Geschütze  ans 
älterer  Zeit,  deren  Bereich  schon  auf  7000  m  endete. 
Gegen  britische  Kanonade  wären  sie  schon  mitugs 
kampfunfähig  geworden,  gegen  französische,  deren 
Mittelartillerie  ganz  ausgezeichnet  war,  deren  scfaveic 
aber  nicht  auf  gleicher  Höhe  stand,  hielten  sie  scb 
bis  gegen  Abend.  Da  lagen  endlich  Panzertünne 
und  Geschütze  in  Trümmern.  Panzer  „Amiral  Jan- 
r^guiberry",  Kreuzer  „Gambetta"  und  „Cham)*, 
diese  Revanchemahner  der  Marine,  machten  jedoch 
verdriesslich  mürrische  Gesichter  —  auch  Schiffe 
haben  nach  Gefecht  einen  besonderen  Ausdruck  für 
sachverständige  Augen  — ,  als  hier  und  da  Fcur 
in  ihren  ungepanzerten  Unterräumen  ausbrach  umi 
Bombensplitter  viele  Mannschaften  zerrissen.  Na« 
Konferenz  mit  dem  britischen  Eskadrechef  wurdca 
nun  Boote  ausgesetzt,  die  mit  Werkzeugen  und  ass^ 
gelegten  Konterminen  unter  Beihilfe  zahlreicher  Tor- 
pedoboote die  erste  Minenflusssperre  ausräumten  un^ 
durch  treibende  Flösse  die  zweite  Flusssperre  fest 

■ 

stellten.  Am  7.  früh  gaben  die  Franzosen  Volldampt 
und  wandten  sich  gegen  die  Innenforts,  noch  schlcch* 


—     365     — 

ter  armiert  als  die  vorderen.  Um  sie  zu  entlasten,  trab- 
ten zwei  Feldhaubitzbatterien  am  Westufer  entlang 
vor,  und  „Friedrich  Karl"  griff  den  Vorposten  stehen- 
den engUschen  Kreuzer  „Diadem"  an,  indes  die  noch 
frische  Doppel  -Torpedodivision  „Wilhelmshaven" 
und  die  halbreparierten  „Kaiser  Friedrich"  und  „Wet- 
tin" aus  Jahdebusen  ausliefen. 

Die  schlechten  Batterien  der  Weserforts  und  die 
so  imgleichen  Kampf  versuchenden  Feldhaubitzen 
trafen  wenigstens  gut.  Die  beiden  Heckgeschütze 
(pi^ces  de  chasse)  des  ,Amiral  Aube*  verstununten, 
er  musste  den  Bord  drehen,  um  mit  seinen  Seiten- 
geschützen (pi^ces  de  retraite)  den  Kampf  fortzu- 
setzen. Der  Kriegsmast  des  „Jaur^guiberry"  senkte 
sich  ganz  und  gar  über  die  Schiffsbrücke,  so  dass 
er  das  Feuer  seines  Reduit  einstellen  musste.  Der 
etwas  modernisierte  „Amiral  Baudin"  und  der 
,, Magen ta",  zur  Sicherung  der  Flanke  vor  Jahdebusen 
geschoben  und  dort  alsbald  heftig  angegriffen,  be- 
haupteten sich  zwar  gegen  „Kaiser  Friedrich",  „Wet- 
tin", die  sich  ihnen  jedoch  an  Geschwindigkeit  über- 
legen zeigten,  wie  schon  der  Chefkonstrukteur  Bertin 
bezüglich  „Kaiser"-  und  „Witteisbach" -Klasse  pro- 
phezeite. 

Die  Vorlage  des  Marineministers  Thomson,  acht- 
iindzwanzig  erstklassige  Schlachtschiffe  zu  schaffen, 
war  nicht  durchgegangen  und  das  Bewilligte  nur 
zum  Teil  durchgeführt.  Die  sechs  Schiffe  vom  Typ 
„R6publique"  und  „Patrie"  konnten  an  Gesamtge- 
fechtswert den  zehn  ähnlichen  der  „Braunschweig"- 


—     366     — 

und   ^eutschland'-Klasse    natürlich    nicht  entfernt 
verglichen  werden.    Die  alten  französischen  Schiffe 
vom  Typ  „Hoche",  der  noch  früher  im  vorigen  Jahr- 
hundert  vom   Stapel  lief,    sanken  durch  die  Ver- 
bessertmgen  der  heutigen  Technik  bis  zum  unter- 
geordneten Range  ausrangierter  Küstenpanzer  herah. 
Die  Torpilleurs  trugen  zwar  meist  den  neuen  Crcusot 
Typ,  einige  blieben  jedoch  altmodisch  hinter  neueE 
Anforderungen  zurück,  liefen  nur  sechzehn  Knoten 
bei  einer  Maschinenkraft  von  hundertzwanzig  Pfer- 
den und  mit  acht  Mann  »Equipage*.  Dagegen  bradt 
ten  es   die  »Torpilleurs  de  haute  mer'  vom  Schlage 
des  ,Forban*  bis  auf  einunddreissig,   ,Aquilon'  gar 
bis  auf  dreiunddreissig  Knoten.  Ihre  Kielspur  b^ 
trug  nur  zweieinhalb  Meter,  und  ihre  zwei  Rohre 
vorn  und  hinten,  die  von  beiden  Borden  pointieit 
werden  konnten,  umspannten  bis  zu  dreihundert  Grad 
den  Horizont.    Die  älteren  Küstenboote  von  27—37 
Metern,   in   1.,   2.,  3.   Klasse  geteüt,   blieben  zwar 
in  Brest  und  Cherbourg,  die  neuen   ,der  hohen  See' 
zeigten  aber  sehr  verschiedene  Typen:  die  Klassen 
jOuragan*,  ,Agile*,  ,Argonaute',  ,Cyclone*,  ,Forban' 
hatten   sämtlich   ihre   so   betitelten   Typschiffe  zur 
Stelle.    Übrigens  waren  auf  den  Panzern  die  Bel]^ 
villekessel  und  die  Geschütze  der  Systeme  Canft 
und  Bange  in  gutem  Stande.  Zur  Stelle  waren  auch 
zwanzig  der  besten  Unterseeboote  (Sous-Marins)  ^tJ^i 
Typ  Gustav  Z6d6  Nr.  3,  Morse,  Lutin,  Combet  Frank 
reich  besass  deren  nicht  weniger  als  sechsund>ier 
zig  und  wollte  weitere  fünfundachtzig  —  man  höre 


—     367     — 

und  staune  i  —  haben,  wozu  es  aber  noch  nicht  kam, 
solange  es  mit  nur  130  Millionen  Francs  jährlich 
sein  Marinebudget  bestritt,  Deutschland  mit  180. 
Von  49  Sous-Marins  zur  Verteidigung,  82  zum  An- 
griff, die  bis  zum  zwanzigsten  Jahr  des  20.  Jahrhun- 
derts bereit  ^ein  sollten,  hatte  Flottille  de  TOc^an 
28  und  50.  Die  grösseren  Einheiten  der  kombinierten 
Nordeskadre  bestanden  aus  den  Linienschiffen 
„Jdna",  „Magenta",  „Amiral  Baudin",  „Karl  Mar- 
ter*, „Justice",  „Jaur^guiberry",  „Charlemagne", 
„Gaulois",  „Neptune",  den  Panzerkreuaem  „Cond6", 
„Jeanne  d'Arc",  „Chanzy",  „Amiral  Aube'*,  „Victor 
Hugo",  „L6on  Gambetta",  „Gloire",  „Dupetit- 
Thouars",  „Isly",  „Chateaurenault",  „Entrecasteaux", 
„Sfax",  „Kleber".  Manche  gehörten  eigentlich  xur 
Touloneskadre,  man  hatte  aber  die  tüchtigsten 
Schiffe  vom  Mittelmeer  hierhergezogen,  ganz  wie 
englischerseits  geschah,  auch  hier  nahen  Krieg 
vorher  ins  Auge  fassend. 

Doch  bliebea  die  neuesten  Schiffe,  „Mirabeau", 
„Danton"  („Vergniaud",  „Condorcet",  „Voltaire", 
„Rousseau",  Kreuzer  „St.  Just"*  „Robespierre"  im 
Bau),  Kreuzer  „Michelet",  „Renan"  bei  Holland  zu- 
rück, da  man  inmier  noch  davon  träumte,  vor  Rotter- 
dam, wo  noch  sehr  grosse  Schiffe  genügenden  Kiel- 
gang finden,  einen  Schlag  zu  führen.  Hatten  doch 
beim  ersten  englischen  Angriff  Ymuiden-Befesti- 
gungen  wenig  geholfen  und  Kapitän  Warren  vom 
„Exmouth"  die  Forts  bei  Waterweg  niedergelegt. 
Sprach  aber  vielleicht  bei  diesem  Sparen  der  besten 


—     368     — 

französischen  Gefechtskörper  auch  heimliche  Be- 
rechnung mit,  möglichst  wenig  zu  Englands  Seesieg 
beizutragen?  — 

Der  Kampf  gegen  solche  Übermacht  konnte 
natürlich  nicht  lange  dauern.  .Friedrich*  und  ,Wet- 
tin'  in  ihrem  Rekonvaleszentenzustand  mussten  sofort 
ihr  Feuer  einstellen,  als  ,Karl  Martel'  dem  »Ma- 
genta'  und  ,Baudin'  zu  Hilfe  kam«  Nur  Furcht  vor 
der  starken  Torpedodivision  »Wilhelmshaven*»  deren 
sechzehn  Boote  sich  wacker  mit  einer  sich  fort- 
während mehrenden  Unzahl  französischer  Hocfase^ 
boote  herumschlugen  und  bereits  den  beiden  deut- 
schen Panzern  erlaubt  hatten,  ihre  überlegene  Ge- 
schwindigkeit gegen  die  sonst  überlegenen,  veO 
völlig  heilen,  französischen  manövrierend  tvsr 
zunutzen,  hemmte  die  Verfolgtmg.  Die  deutschen 
Panzer  waren  erneut  gehörig  beschädigt,  drei  Tor- 
pedos gesunken,  vier  verletzt.  Dagegen  zeigte  anch 
„Magenta",  der  hier  keineswegs  Mac  Mahons  Ma- 
gentaroUe  nachahmen  durfte,  breite  Schussrisse,  und 
„Karl  Marter*  hatte  sich,  wie  jener  alte  frankisdie 
Hammerheld  gegen  Araberschwärme,  andringen<ier 
Torpedoschwärme  kaum  erwehren  können.  Den  Ver 
such,  ,Kaiser  Friedrich'  mit  sich  in  die  Tiefe  n 
ziehen,  hatten  zwei  der  französischen  Torpiüenn, 
die  sich  aus  Scheu  vor  Flatterminen  heut  recbt 
ängstlich  benahmen  und  ihre  Übermacht  gegen  dje 
paar  Deutschen  nicht  richtig  verwendeten,  mit  ihrem 
Untergang  bezahlt.  Inzwischen  schoss  zwar  »»Frkc 
rieh  Karl"  dem  „Diadem**  sein  ganzes  Diadem  voi; 


—     369     — 

Masten  und  schmalem  Oberbau  weg,  musste  aber 
stromaufwärts  überHoheweg-Leuchtturm  abdampfen, 
als  auch  „Victor  Hugo"  seine  pomphafte  Rhetorik 
mit  hochtönendem  Donnergepolter  gegen  ihn  los-. 
Hess  und  „Chancy",  dem  offenbar  ein  Friedrich  Karl 
höchst  imsympathisch  war,  ihn  seitwärts  abschneiden 
wollte.  Fort  Langlütchen  I  sah  schon  aus,  wie  ein 
mit  Dynamit  gesprengter  Steinbruch,  die  eine  Feld- 
haubitzbatterie lag  in  ewiger  Todesstarre  niederge-* 
streckt,  über  den  treuen  holsteinischen  Kanonieren 
und  Fahrern  hielten  ein  paar  überlebende  Gäule 
mit  traurig  hängenden  Köpfen  die  Leichenwache, 
ohne  in  stummer  Pflichterfüllung  von  ihrer  Heimat, 
der  Batterie,  weichen  zu  wollen. 

Auch  holländische  Panzer  „Ewertsen",  „de 
Wett"  („Piet  Hein"  in  Y  vor  Amsterdam  verblieben) 
deckten  brav   Rückzug   der   deutschen   Schiffe. 

Auffällige  Sucht  der  französischen  Marine,  ihr 
bestes  Material  ängstlich  zu  schonen,  bei  Vizeadm. 
Gigon  aus  Rivalitätsneid  im  Hinblick  auf  künftige 
Komplikationen,  hatte  rechtzeitige  Massenerdrückung 
der  beiden  deutschen  Panzer  und  des  tapfem  Kreu- 
zers gehindert.  Dafür  musste  man  freilich  die  Be- 
leidigung einstecken,  dass  nach  französischer  Aufräu- 
mung der  zweiten  Sperre  und  der  dritten  vor  Bremer- 
haven der  britische  Eskadrechef  mit  seinen  schwachen 
Kräften  vorauskam,  Kai  und  Schiffsgehalt  des  Bre- 
merhavener Bassins  selbst  zerstörte  und  einige  Pri- 
sen fortführte.  Er  begründete  dies  trocken  damit, 
dass  der  endliche  Erfolg  lediglich  den  vorherigen 

Völker  Europas  ,  ,  ,\  24 


—     370     — 

Leistungen  der  britischen  Eskadre  zuzuschreiben  sei. 
daher   ihr  auch   allein  die   Siegesbeute   zukcHnme! 

Jubelnde  Leitartikel  der  englischen  Presse 
„Weserforts  und  Bremerhaven  von  der  britischen 
Flotte  erobert"  erregten  natürlich  in  Frankreich  leb^ 
haften  Unwillen.  Traurig  sah  der  Kreuzer  ,Jeanse 
d'Arc"  zu,  wie  der  brutale  Erbfeind  wieder  mal 
seinen  Raub  einsackte,  denn  Franzosen  sind  ja  sonst 
auch  sehr  für  so  was,  keine  Kostverächter!  Übrigens 
telegraphierte  jetzt  Beresford  an  den  französisches 
Kollegen,  dass  er  dringend  seiner  Mitwirkung  b 
Osten  bedürfe.  Dieser  quittierte  aber  über  bisheiige 
Dankbarkeit  der  Bundesgenossen  damit,  dass  er 
nur  einen  Teil  schickte,  das  übrige  ausserhalb  emsit: 
Aktion  in  Blockadedienst  vor  Ems,  Jahde,  Weser 
verteilte.  Der  englische  Admiral  machte  gute  Miene 
zum  bösen  Spiel,  stellte  sich  an,  als  verstehe  c: 
nicht,  imd  erklärte  sich  einverstanden.  Immerhin 
verhinderte  Anwesenheit  der  französischen  Eskadre 
endgültiges  Vertreiben  des  britischen  Landposteos 
an  der  Ems,  der  unterm  Schutz  der  Schiffskanonade, 
welche  die  deutschen  Batterien  zu  weiterem  Zurud- 
biegen  zwang,  seine  Erdwerke  wieder  aufrichtete  und 
so    wenigstens    deutsche    Landkräfte    dort    fessdu 

Da  aber  die  kleine  Insel  Borkum  so  viel  Trup- 
pen  nicht  fassen  konnte  und  wegen  Mangels  an  Trink* 
wasser  bei  Ernährung  durch  Konserven  und  Pökel 
fleisch  Skorbut  auszubrechen  drohte,  befürchtete  Ge^ 
neral  French  ein  neues  Walcheren  von  anno  daiu 
mal  und  verlegte  sein  durch  Krankheit  und  beson* 


—     371     — 

ders  Gefechts  Verlust  fast  auf  die  Hälfte  geschmol- 
zenes Korps  wieder  teilweise  auf  die  Transport- 
dampfer, die  es  auf  seinen  Vorschlag  nach  den 
Belten  in  die  Ostsee  beförderten,  wo  Beresford  einen 
Schlag  gegen  Kiel  versuchen  wollte.  Das  Ansinnen, 
etwa  noch  Wilhelmshaven  anzugreifen,  verwarf  der 
französische  Admiral  durchaus:  er  wolle  nicht  ris- 
kieren, von  den  dortigen  ausnahmsweise  starken 
Forts  abgeschmettert  zu  werden  ohne  Aussicht  auf 
Erfolg.  Die  dortigen  Werftanlagen  blieben  also 
in  voller  Arbeit  ungestört  und  vermehrten  die  Zahl 
der  Hochseeboote,  setzten  Handelsdampfer  und 
kleine  oder  ungedeckte  Kreuzer  in  Kriegszustand. 
Zwei  bisher  ungebrauchte  Torpedo-Divisionen  älte- 
rer, für  Offensive  heut  kaum  mehr  in  Frage  kommen- 
den, wurden  in  Weser  und  Jahde  verteilt,  die  Flot- 
tille „Emden"  durch  Verladung  über  Land  auf  zehn 
Boote  gebracht.  Die  vier  lädierten  Panzer  und 
Schlachtkreuzer  lagen  in  Reparatur.  An  offensives 
Sprengen  der  Blockade  war  natürlich  nicht  zu  den- 
ken, da  der  Feind  die  Mündungen  mit  Streuminen 
sperrte  und  vor  den  zertrümmerten  Weserforts  „Gam- 
betta"  und  „Chancy**  vor  Anker  legte,  so  dass  Neu- 
etablierung  von  Batterien  unmöglich  wurde.  Weser- 
aufwärts  bewachten  Kontre-Torpilleurs.  Andrerseits 
verwehrten  das  flache  Wasser  und  Versenkung  alter 
mit  Zement  beladener  Schiffe  in  den  Flüssen  wei- 
teres Vordringen,  und  der  Feind  hinderte  auch  nicht 
das  Aufwerfen  deutscher  Feldbefestigungen  gegen- 
über Borkum.    Besetzung  Bremens,  die  French  an- 

24* 


—     372     — 

f  angs  ins  Auge  f  asste,  erwies  sich  untunlich,  da  die 
Holsteiner  Fünfundachtziger  und  das  eigene  Bre- 
menser  Infanterieregiment  die  Stadt  besetitcn,  und 
das  weitreichende  neue  Gewehrgeschoss  auch  Br^ 
merhaven  beherrschte.  So  verstrich  hier  die  ganz^ 
lange  Zeit  bis  Mitte  Juli  ohne  jedes  Ereignis,  sor 
unter  anstrengendem  Blockadedienst  für  den  Be- 
lagerer, unter  minder  aufreibender  Vorpostentätigkeil 
der  Blockierten.  — 

Indessen  nahm  die  Entwicklung  der  Dinge  an 
der  Elbe  ihren  Gang.  Das  Minendepot  hatte  fi:r 
reichliche  Minensperren  oberhalb  Cuxhavens  ^ 
sorgt,  unterhalb  aber  davon  abgesehen.  Denn  naa 
hielt  an  der  Auffassung  fest,  die  in  der  Elbmäodun^ 
eingeschlossenen  siebzehn  Kriegsschiffe  (die  „Oldeß 
bürg"  durfte  man  dafür  kaum  mitrechnen)  mussten 
freie  Bewegimg  für  Ausfall  behalten.  Man  rechuc« 
darauf,  dass  die  zwei  gutarmierten  Cuxhavener  Forts 
sich  halten  würden,  hielt  auch  das  gefährliche  Falir 
wasser  der  Watten  und  vor  der  Mündung  fürsdi«*' 
passierbar  ohne  Lotsen.  Allein,  Beresford  besass 
ein  so  vorzügliches  Vermessimgspersonal  nüt  y^^ 
ständigen  Seekartenmappen  und  in  den  gedungen« 
Handelskapitänen  so  kimdige  Piloten,  dass  er  schoc 
am  7.  quer  vom  viereckigen  Leuchtturm  Neuw«"^ 
der  seine  Funktionen  für  deutsche  Seite  einsteD« 
hiusste,  sich  entwickelte.  Ausbojung  und  Betoc 
mmg  schritten  so  weit  vor,  dass  er  elbauf warts  k^ 
gehen  durfte.  Für  deutsche  Oberleitung  fiel  ^ 
schwerend  ins  Gewicht,  dass  der  so  hohe  strategisch 


—     373     — 

Wert  des  Nordostseekanals  augenblicklich  versagte, 
da  die  deutsche  Elbflotte  in  zwei  Teile  auseinander- 
gesprengt und  der  minderwertige  schwächere  Teil 
bei  Brunsbüttel  schwerlich  Flankenangriff  versuchen 
konnte.  Die  noch  intakten  britischen  Schiffe  waren 
durchweg  die  stärksten  und  besten  der  gesamteii 
britischen  Armada.  Ausserdem  schmeckte  man  das 
Grundübel  jeder  Defensive,  dass  man  sich  über  des 
Feindes  Angriffsrichtung  und  Konzentrationspunkt 
im  imklaren  befindet.  Denn  die  Möglichkeit,  dass 
Beresford  sich  mit  Besitz  von  Helgoland  begnü- 
gen, Forcierung  der  Elbstellung  auf  gelegene  Zeit 
verschieben,  dafür  sich  unvermutet  auf  Kiel  wer- 
fen könne,  seinen  Abmarsch  durch  starke  Vorposten 
verschleiernd,  während  man  nach  Fall  von  Helgo- 
land jede  Fühlung  mit  ihm  verlor,  fesselte  die  acht 
Schiffe  der  Siegfried-,  vier  der  Sachsenklasse  dau- 
ernd an  die  Kieler  Föhrde.  Mochte  ihr  Gefechts- 
wert noch  so  unbedeutend  sein,  schon  ihr  äusserer 
Anblick  vermehrte  imponierend  die  Schiffszahl,  und 
etwas  Feinde  konnten  sie  doch  immerhin  auf  sich 
abziehen.  Gewiss  wären  sie  in  der  Helgoländer  See- 
schlacht sämtlich  vernichtet  worden,  dafür  aber  viel- 
leicht drei  deutsche  Linienschiffe  mehr  intakt  aus 
dem  Kampfe  geschieden.  Doch  freilich,  dürfte  man 
diese  letzte  Reserve  des  Küstenschutzes  opfern? 
Rücksicht  auf  Kiel  gebot  ihre  Schonung. 

Vor  Hamburg '  lagen  also  die  Reste  der  deut- 
schen Flotte  stromaufwärts  verteilt.  Kämpfte  der 
Feind  die  Cuxhavener  Forts  nieder,  war  längerer 


—    374     — 

Aufenthalt   längs    der    Eibmündung  verboten,  uul 
man  musste  weiter  zurückgehen.    Nur  das  v<hi  Kiel 
schon  früher  hierher  verpflanzte  Schulschiff  j^^ 
kan",  das  durch  seine  geringe  Grösse  vielleicht  dem 
Feinde  nicht  auffiel,  sollte  an  der  zweiten  Sperre 
im  Flussbassin  liegen  bleiben,  nebst  Torpedobooten 
um  die  feindlichen  Anstalten  zur  Sperrefreüegung 
zu  überwachen.   Den  Elbschlepper  „Hamburg"  awi 
den  kleinen  kupfernen  Lotsendampfer  „Karpfanger". 
dessen  Dienste  man  ja  leider  nicht  mehr  benötigte 
versenkte   man   in   der   Mündung  und  fragte,  li« 
wohl  der  Feind  diese  vor  Port  Arthur  so  bedcutsaß 
gewordene   Sperre   beseitigen   werde.    Man  wkftc 
sich  zudem  in  falsche  Sicherheit  über  Dauerhaft!^ 
keit  der  Forts.   Da  der  feindliche  Angriff  von  Tag 
zu  Tag  ausblieb,  entwickelte  sich  am  Kai  der  Reede 
ein   ganz   gemütliches   Treiben. 

Hohe  Offiziere  des  Marinestabs,  kenntlich « 
ihren  breiten  hellblauen  Aufschlägen  am  langem 
schwarzblauen  Überrock,  gingen  plaudernd  spazl^ 
ren,  den  Tubus  wieder  ins  Futteral  steckend,  «na 
am  Horizont  noch  immer  keine  Rauchwolken  g^ 
sichtet.  Elegante  junge  Maats  aus  vornehmer  F^ 
milie,  auf  einstündigen  Urlaub  in  Cuxhaven^  ^ 
zierten  bei  „Alte  Liebe"  mit  ihrer  Hamburger  i^- 
herum,  schmiegsam  sehnige  Gestalten  in  knapp  a:^ 
liegender  Jacke  mit  dem  zierlichen  Dolch  an  ^ 
Hüfte,  das  feine  Trieder-Binocle  in  vorschriftsmässf 
weissbehandschuhter  Rechten,  Vollmatrosen,  für  A^ 
Zeichnung   in   der   Schlacht   schon  mit    der  jung^ 


/ 


—     375     — 

gestifteten  „Marinemedaille"  dekoriert,  benutzten 
dienstliche  Sendung  nach  St.  Pauli  zu  kurzem  Schar- 
muzieren  mit  ihren  Schätzen. 

Da  plötzlich  am  8.  Juni  früh  scholl  der  General- 
marsch und  alles  strömte  zu  den  Waffen.  Dem  er* 
regten  Debattieren  zu  schmauchender  Tonpfeife  und 
dampfendem  Grog  in  den  Schifferkneipen  machte 
bald  dröhnender  Kanonendonner  ein  Ende,  der  vom 
Meere  hereinschlug  und  in  Cuxhaven  alle  Fenster  er- 
klirren, später  vom  Luftdruck  zerspringen  Hess  .... 

Der  Morgen  des  8.  Juni  brach  trübe  an, 
ein  Strichregen  stob  dahin,  später  klärte  sich  das 
Wetter.  Um  die  grünen  Erdtraversen  der  Cuxhave* 
ner  Forts  Kugelbaake  und  Grimmerhöm  schlang  sich 
ein  flimmernder  Faden,  die  antretende  Besatzung 
von  Cuxhaven  schob  ein  glänziges  Waffenband  van 
das  Städtchen,  dessen  Ausräumen  für  die  flüchtenden 
Sinwohner  besorgend.  Während  braune  Fischer- 
boote, rotbraime  Kutter,  schlanke  schwarze  Briggs 
tmd  weissangestrichene  Dampfer  der  Handelsma- 
rine in  unkenntlichem  Gewimmel  stromaufwärts  fuh- 
ren oder  sich  hinterm  Neuen  Hafen  zusammendräng- 
ten, schwebte  eine  lange,  düstere  Linie  am  Hori- 
zont heran.  Die  Luft  war  mittags  klar  und  sichtig, 
frische  Brise  wühlte  schäumige  Wellenhügel  vor 
dem  kantigen   Bug  der  britischen  Ungetüme  auf. 

Ein  paar  deutsche  Torpedoboote,  als  Vorposten 
ausgestellt,  fielen  nach  hinten  ab  und  wurden  zur 
£lbe  einbezogen.  Die  massive  endlose  Mauer  der  briti- 
schen Flotte,  die  aus  der  Feme  dunkel  schillerte, 


—     376     — 

wie  aus  schwarzem  Marmor  zusammengefügt,  rüdcte 
allmählich  in  Dwarslinie  auseinander.  Hinter  späterem 
Halbkreis  versteckten  sich  Torpedos  und  Untersee- 
boote, um  sich,  vom  Lande  unsichtbar,  erst  dasn 
hervorzustürzen,  wenn  Einfahrt  in  die  Elbspema 
ihre  Tätigkeit  forderte.  Die  Kreuzer  wichen  see- 
wärts auf  den  Flanken  aus,  weniger  um  gegen  dai 
Nordostseekanal  oder  die  Weser  zu  .sichern  —  denn 
was  hatte  man  jetzt  noch  zu  fürchten  1  —  als  um 
sich,  dem  Feuerbereich  der  30,5  Zentimeter -Ge^ 
schütze  der  Forts  zu  entziehen,  ^egen  welche  vsn 
die  eigenen  schwersten  Kaliber  ihr  schauriges  Hofa^ 
lied  von  Englands  Unüberwindlichkeit  b^innen 
koimten. 

Ehe  IV.  Matrosenartillerie  der  vorderen  Forts, 
Ku£:elbaake  und  Kaiionenbatterie,  in  das  Schveie 
des  heutigen  Kampfes  eintrat,  hatte  sie  schon  aus- 
führlichen Bericht  über  die  ebenso  schweren  Kämpft 
die  sich  gestern  und  vorgestern  an  Ems  und  Weser 
abspielten.  Die  eine  Kunde  hob  die  Zuversicht,  die 
andere  drückte  sie  nieder.   Und  der  Taiu  ging  los. 

Zu  hoch  gehende  Granaten  platzten  sogldch  aoi 
Dächern  und  Kirchturm  von  Cuxhaven,  bald  vim 
merten  dort  alle  Feuerglocken,  während  dide 
Mauern  bröckelnde  Wucht  ins  unruhig  broddtKic 
Strandgewässer  entluden.  Aus  dem  Bahnhof,  wo  ge- 
rade ein  Truppenzug  der  Vienmdachziger  rangierte, 
flüchteten  die  Lokomotiven  mit  grellem  Angstpfi^ 
eine  stiess  ein  Piepsen  aus  wie  ein  schluchzendes Kini 
ein  Sprengstück  zerschmiss  ihr  Ventil  und  Bremst 


—     377     — 

Adjutanten  und  Ordonnanzen  flogen  hin  und 
her  nach  dem  Kriegshauptquartier  Altona.  Ein  Mel- 
dereiter kam  das  Ufer  entlang  bis  ,^lte  Liebe"  mit 
verhängtem  Zügel,  die  Hufe  seines  Pferdes  klirr- 
ten hart  auf  der  glatten  Chaussee,  er  meldete  dem 
Grossadmiral  einen  Gruss  vom  konunandierenden 
General:  „18.  Division  bereit,  etwaige  Landung  ab- 
zuwehren." Selbst  solches  unverschämte  Wagnis 
traute  man  den  Briten  schon  zu.  Ein  breites  Ballon- 
fahrzeug gab  unten  durch  Radfahrer  die  Meldung 
weiter,  die  von  droben  das  Schallrohr  per  Seil  ver- 
mittels Telephondrahts  vermittelte.  Die  Funkspruch- 
abteilung  liess  ihre  Drahtbündel  spielen,  überall 
klingelten  die  elektrischen  Apparate,  ohne  je  etwas 
Gutes  berichten  zu  können. 

Den  Kanonieren  in  „Kugelbatterie"  sausten 
schon  die  schwersten  Kugeln  um  die  Ohren,  mit 
denen  schwarze  Erdschollen  herimiflogen:  aufge- 
i¥Ühlte  abgerissene  Traversenteile.  Am  nach  vom 
abfallenden  ebenen  Strand  dröhnte  tausendfältig  der 
Boden,  ärger  als  unter  Reiterschlacht  hochaufstei- 
Spender  Gäule.  In  diesem  Gewittersturm  der  gellen- 
den, brüllenden  Seeschlacht  schollen  die  heulenden 
Sirenenpfiffe  der  Signale  schauriger  als  rollende 
Trommelwirbel  und  schmetternde  Homfanfaren  der 
r^mdschlacht.  Auf  die  braimen  Fahnen  der  hin- 
stiebenden Rauchwolken  stickten  die  gelben  Blitze 
der  Feuerschlünde  brokatene  Embleme  oder  eine 
fortlaufende  goldschillernde  Kette  elektrischen  Feuer- 
werks. 


—     378     — 

Anfangs     suchten    die     notdürftig     gefüdten 
deutschen   Panzer,  in   Kiellinie  hintereinander  ad- 
inarschierend,     ihr    Feuer     mit     dem    der   Forts 
zu    vereinen.      Wo     sich    ihnen     leichtes   Dampf- 
gewölk    mit    flotten    blauen    Ringeln  aus  niedenn 
Schlot   britischer   Hochseeboote    entgegenkräuseltc, 
die    schon    jetzt    pfeilschnell    und    tollkühn  wider 
die   erste    Minensperre  bei   Alte    Liebe  anrannten, 
ging  manches  der  kleinen  Ungeheuer  in  die  Tirfe. 
Doch  als  „Kugelbatterie"  zu  schweigen  begann  vd 
nur  einsilbig  noch  mitredete,  schoben  sich  ciüe  fenct- 
sprühenden   Linien  der  britischen  Panzer  langsam 
näher    und    zwangen   sie,   ihre   Stellung  stromauf- 
wärts des  Neuen  Hafens  zu  verlassen  und  aniser 
Bereich  des  so  viel  stärkeren  feindlichen  Kab'bets 
zu  ankern.     Hier  wurde  die  Fahrrinne  schon  sehr 
schmal  imd  für  Linienschiffe  unbequem,  bei  weiteran 
Zurückgehen    war    aktive   Beteiligung   sehr  eingt 
schränkt.     Die   britischen   Schiffsbatterien  nahmeo 
nunmehr  von  Meer  und  Fluss  her  die  drei  Strand- 
batterien in  die  Zange.    Sie  drängten  sich  in  engere: 
Halbkreis  mit  der  für  Schutz  und  Trutz  starksreB 
Vorderseite  zusanmien  und  erschütterten  schon  vc^ 
ihrem  Gebrüll  allein  die  Forts  in  ihren  Gnmdfcsten. 
Die   gefallene    Mannschaft   von   „Kanonenbatterie" 
musste  zweimal  ersetzt  werden.    Von  den  früheres 
schöngeschwungenen  Formen  der  Traversen  sah  noß 
nichts  mehr,   ihr  Grün  ging  in  schmutziges  Gran 
über,   wie  von    mächtigen    Maulwurfshaufen,    voa 
Spaten  oder  Tiertatzen  zerkratzt. 


I 


—     379     — 

Eine  Weile,  nachdem  auf  9000  m  der  „Albion" 
das  Feuer  eröffnet,  das  dann  alle  andern  Schiffe 
aufnahmen  und  weitertrugen,  schien  es,  als  werde 
der  Angriff  abgeschlgigen.  Dem  „Remarquable" 
setzten  mehrere  Treffer  mittschiffs  die  Mittelartil- 
lerie ausser  Gefecht.  Dem  „Captain"  zerstörte  eine 
senkrecht  durchkrepierende  Granate  alle  Tele- 
graphen- und  Signalleitungen  am  Kommandoturm. 
Aber  innerhalb  der  dreihundert  Meter  Abstand 
zwischen  den  einzelnen  Schiffen  spritzten  immer 
mehr  Fontänen  empor  wie  von  spielenden  Walen  und 
Delphinen:  immer  unsicherer  wurden  die  Fort- 
schüsse, da  ihre  Entfernungsmesser  abgeschossen  und 
das  eine  Bastionsgeschütz  linken  Flügels  der  Ka- 
nonenbatterie  unter  brechender  Lafette  sein  Rohr 
schräg  in  die  Luft  streckte,  das  andere  plötzlich 
schwieg,  weil  sein  Bremszylinder  kaputtging.  Einem 
dritten  verstopfte  ein  aufquirlender  Wirbel  von  Sand 
und  Gestein  die  Liderung.  Auf  die  Mittelbatterie 
von  Kugelbaake  schössen  sich  „Edward  VIL"  und 
„Hibemia"  mit  mathematischer  Unfehlbarkeit  ein, 
siebentausend  Meter  vor  ihr  sich  aufpflanzend.  Denn 
obschon  solche  Geschütze  15  km  weit  reichen,  sind 
Bereich  und  richtige  Zielzone  etwas  Verschiedenes. 

Auch  die  Erdböschungen  von  Fort  Grimmerhörn 
pflügte  Geschoss  nach  Geschoss  wie  mit  eisernen 
Harken,  hinter  ihm  verschwand  der  Turm  der  Gami- 
sonkirche,  wie  eine  spitze  Nase  bisher  durch  den 
branstigen  Qualm  herausguckend,  unter  einem  Wirbel 
von  Mörtel  und  Steinschutt.    Lagerhäuser  und  De- 


—     380     — 

pots  umwogte  eine  Feuerbrandung,  deren  Flacker- 
schein die  pulverschwarzen  verzerrten  Gesichter  der 
Kanoniere  gespenstig  überhauchte.  Die  letzte  I>  | 
düng  ins  überhitzte  Rohr  schiebend,  über  den 
Leichen  ihrer  Kameraden  mechanisch  weiter- 
arbeitend,  sahen  sie  die  Schiffe  frontal  in  dnem 
Schaumberg  bis  auf  fünftausendzweihundert  Meter 
heranrauschen.  Daim  in  ununterbrochenes  Doft 
nern  im  allergröbsten  Ton:  »»Dreadnought"  wollte 
wieder  mal  zeigen,  dass  er  sich  vor  gar  nichts  fürdte. 

Sein  elftes  Geschoss  sprengte  die  bombensicheie 
Munitionskammer  von  Kugelbaake,  dass  ae  mit 
Ladimg  und  Karren  in  die  Luft  flog,  lo^ 
noch  einmal  zuckten  jähe  Zünder  durchs  Kas6 
matt  des  Pulvermagazins  der  Kanonenbatterie, 
wo  letzte  Mörserschüsse  eben  ausgegeben  werden 
sollten.  Auch  diese  Traverse  jetzt  ein  einziger 
Trümmerhaufen.  Die  in  Höhe  des  Mittelgrunds  lu 
Anker  gegangenen  „Colossus",  „Albion**,  J^can'^, 
die  Kreuzer  „Powerful**,  „Invincible"  schickten  aA 
nun  an,  Grimmerhöm  vollends  abzutun,  was  abends 
gelang.    Das  Fort  gab  kaum  noch  einen  Schuss  ab. 

Nur  die  schon  vorher  beschädigten  beiden  Panzer, 

von  deren  Zentrumslage  sich  das  Fortfeuer  unwüi 
kürlich  angezogen  fühlte,  erlitten  neue  Verluste  tffid 
Havarien.  Dem  „Remarquable"  zermalmten  hinter 
einander  drei  Treffer  zuerst  die  Stahldecke  des 
Vorderturms,  zwischen  die  Spanten  ihre  Sprengstückc 
hineinklemmend,  dann  die  gesamte  Bemannung  its 
Turminnem,  sie  wie;  in  einem  Mörser  zerstampfend. 


—     381     — 

Dann  wurde  auch  noch  die  eiserne  Plattform,  welche 
am  Mast  dieser  Kriegsschiffe  die  Stelle  umschliesst, 
wo  sonst  nur  ein  Reif  den  Mast  umklammert,  mit 
ihrer  kreisförmigen  Lunette  und  den  Mast-Mitrail- 
leusen  kurz  und  klein  geschlagen,  in  fliegende  Bruch- 
stücke auseinandergestäubt,  die  vielen  Mannschaften 
den  Tod  brachten.  Dem  „Captain**  ging  zuerst  sein 
Backbordkessel  in  Fetzen,  dann  Versehrte  Entzün- 
dung freiliegender  Kartuschen  die  Steuerbordma- 
schine. Endlich  riss  ihm  auch  der  durchschossene 
Anker,  und  er  schor  aus.  Um  ihn  nicht  bis  zum 
Treiben  konunen  zu  lassen,  liess  ihn  Beresford  eiligst 
abschleppen.  Dies  hatten  die  Mörser  vermocht,  die 
im  neuen  Fort  »Thomsen*  nicht  hinter  blossen 
Sandhaufen,  sondern  Panzerkuppeln  standen  und  ihre 
steilen  Blitze  aufs  Deck  der  bis  in  ihren  Nahbereich 
gekommenen  Feinde  niederflanmien  Hessen.  Auch 
auf  anderen  Schiffen  fielen  Verletzungen  vor,  die 
Schlachtordnung  verwirrte  sich  unwillkürlich  durch 
unvorhergesehene  Bewegungen,  die  beinah  Zu- 
sammenstösse  herbeiführten.  Doch  dies  war  der 
Augenblick,  wo  Mr.  Dreadnought  als  echter  John 
Bull  nicht  säumte,  gebieterisch  seine  Stimme  zu  er- 
heben, vor  der  wie  unter  Jerichoposaunen  die  dichten 
Stahlmauem  der  Mörser  einstürzten. 

Als  die  Nacht  ihren  Flor  auf  den  steinernen 
Uferdanun  breitete,  lagen  Sandhaufen  und  Panzer- 
kuppeln, aus  denen  so  lange  lichte  Lohe  emporschoss, 
virüste  und  leer  vor  dem  rotbeleckten  Qualm  der 
breimenden  Hafenstadt.    In  der  Ferne  sah  es   so 


—     382     — 

aus,  als  sei  hier  ein  Panzerreptil  der  Vorzeit  g^ 
strandet,  dem  man  die  Haut  abweidete.  Das  dunkle 
Meer  schien  ein  ungeheurer  Sarg  der  GefaBeoai, 
der  Brand  eine  düstre  Katafalkfackel  über  gloties- 
den  Totenaugen.  Gelbliche  und  weisse  Lichter  seö- 
ten  Abendschein  und  Mond  auf  die  blasse  Düne, 
die  wie  vor  Grausen  erbleichte.  .Wie  geharnischte 
Reitermassen  wogten  die  dunkeln,  zackig  behebe 
ten  Umrisse  der  schwimmenden  Geschwader  in  der 
Ferne,  wo  der  leichtbreimende  Mastturm  des  „CaB> 
pus"  rot  erstrahlte  wie  eine  Purpurstandarte. 

In  der  Nacht,  während  Cuxhavens  Brand  mX 
tanzenden  zuckenden  Feuerschlangen  langsam  in  sid 
zusammensank,  nahm  das  Rondeboot  der  Vorpostea 
anscheinend  keine  verdächtigen  Bewegungen  ^^' 
Kaum  setzte  aber  am  Morgen  des  9.  Juiu  die  Flut 
ein,  als  die  britischen  Unterseeboote,  jetzt  zu  ihrer 
wahren  Aufgabe  vorgeführt,  mit  verzweifeltem  Todes- 
mut sich  opferten,  um  nüt  Konterminen  und  Qg^ 
nem  Hineinstossen  die  äussere  Minensperre  bei  der 
Oste    zu    vernichten,     Wildauf  schäumende  Wasser- 
säulen zeigten  an,  wie  da  imten  auf  dem  Grunde  des 
Meeres   unbekannte    und   bald    vergessene  Heide 
ihr  junges    Leben   wie   Wasser   hingossen  für  äß 
Vaterland.     Wahrlich,    was    der    moderne   Kultar 
mensch  leistet,  was  von  ihm  als  verdammte  Schul- 
digkeit verlangt  wird,  davor  wäre  ein  alter  Röoscr 
zurückgebebt.   Die  von  Fachleuten  bestrittene  Mög 
lichkeit,   mit    Submarines    Minen   zu   sprengen,  i^"- 
freilich  nur  denkbar  bei  äusserster  Entschlossenheil 


I 


—     383     — 

und  auch  etwas  Glück,  denn  ein  Teil  der  Untersee- 
boote stiess  in  Gegend  von  Feuerschiff  Elbe  III 
auf  Minen,  ohne  die  eigene  Kontermine  entzünden  zu 
können.  Über  die  offene  gerissene"  Lücke,  wo  un- 
schädliche Minen  mit  losen  Ankern  umhertrieben, 
soweit  sie  nicht  durch  Explosion  zersprengt,  stürm- 
ten die  windschn^Uen  Turbinen-Torpedoboote  her- 
ein, ihre  ganze  Schnelligkeit  von  dreissig  Knoten 
und  mehr  entfaltend.  Die  Flotte,  ankeraufgehend, 
segelte  an  Norderplatte  vorbei,  indes  gelandete  Ma- 
rineinfanterie Cuxhaven  und  Grimmerhörn  besetzte. 
Rattern  der  Ladekräne,  Pfeifen  der  Dampfpinassen, 
Klatschen  von  Rudern  und  Flossstangen  schuf  hier 
gemütlichen  Lärm  wie  im  tiefsten  Frieden,  als  ge- 
höre  die   deutsche   Küste   den   Briten. 

Die  deutschen  Panzer  wichen  weiter  elbauf- 
wärts, nachdem  die  deutschen  Torpedoboote  nach 
grimmem  Gefecht,  worin  die  kleinen  Seeraubtiere 
sich  gegenseitig  wie  Marder  zerfleischten,  von  er- 
drückender Übermacht  der  britischen  im  Verein  mit 
Unterseebooten  verjagt,  die  Beresford  rücksichts- 
los in  Masse  einsetzte.  Der  endlos  breite  Fluss 
füllte  sich  mit  umgekippten  Booten,  über  zwanzig 
Torpedo-  und  neun  Unterseeboote  kostete  der  An- 
griff, doch  er  drang  so  weit  durch,  dass  man  erst 
unmittelbar  vor  der  zweiten  wichtigsten  Sperre  bei 
Krautsand  oberhalb  Glückstadt  Halt  machte.  Spreng- 
und  Bojendetachements  arbeiteten  sofort,  Feuer- 
schiffe bezeichneten   die   Bahn   parallel  zum  Ufer. 

Da  Hochwasser  eine  noch  zehn  Meter  tiefe  Fahr- 


—     384     — 

rinne  bis  zur  Stadt  gewährte,  zweifelte  Beresford 
nicht  daran,  dass  er  nach  Überwältigung  der  zwei- 
ten stärkeren  Sperre  so  weit  an  Hamburg  heias- 
dringen  werde,  um  den  unermesslichen  dortigen  Ma* 
terialbesitzstand  grösstenteils  zu  zerstören.  Die  Ge- 
fahr  war   näher,   als   man  ahnte.    Die  hinter  die 
Sperre  herangezogenen  Panzerkanonenboote  hm 
ten  daran  nichts  ändern,  die  Torpedobootsdivisianea 
hatte  der  heftige  Kampf,   was  nicht  zusaImDeng^ 
schössen    und  weggenommen,    stromauf-  und  -ath 
wärts  zersprengt,  wobei  das  mit  durchschossener  Kette 
nicht  mehr  am  Anker  schwingende  Vorhutschiff  de: 
englischen  Flottensäule  sie  ungestraft  passierendem 
Den  bei  Steinsriff  lavierenden  „R.  Oak"  trieb  ea 
glücklich  angebrachter  Torpedoschuss  seitwärts,  so 
dass  er  in  die  klaffende  Sperre  und  dort  auf  die  pn- 
zige  noch  nicht  explodierte  Ufermine  lief .  Die.Kwügs- 
eiche*  fiell  Doch  was  wog  dieser  eine  Verlust!  Von 
Medem  bis  Krummendeich  britische  Sphäre  1 

Am  zehnten  wälzte  sich  eine  neue  Masse  tob 
Torpedos  und  Unterseebooten  geg^i  die  nrote 
Sperre  heran.  Ihr  Stahlnetz  hielt  nicht,  was  es 
versprach.  Zwar  glückte  kein  richtiger  Oberfall,  da 
Funken  aus  einem  Torpedoschlot  warnten  iJ&* 
Scheinwerfer  wie  auf  den  Schlag  eines  Zauberstais 
die  Morgendämmerung  in  lichten  Tag  verwandeltes. 

Doch  Schnellfeuer  der  Panzerkanonenboote  virkie 
nur  einen  Augenblick.  Während  Detonationen  v« 
unten  her  Luft  und  Wasser  erschütterten,  wo  Unter 
seeboote  um  den  Preis  eigener  Vemichtimg  völlig« 


—     385     — 

Sprengung  der  Minen  und  versenkten  Schiffe  be- 
sorgten, hing  sich  ein  Turbinenboot,  mit  äusserster 
Kraft  angerannt,  ins  Spermetz,  zusammengekettete 
Eisengewichte  zerrissen   die   Drahttaue  und  stäub- 
ten das  ganze  hängende  Geflecht  auseinander.  Zwar 
verwickelten  sich  einige  Boote  mit  den  Schrauben, 
sassen  fest   und  wurden  abgeschossen.    Doch  das 
Schwergewicht  der  nachstossenden  hinüberlaufenden 
Fahrzeuge    trieb   die  völlig   gerissene   Sperre    zur 
Seite.    Weit  voraus   blitzten   die   Scheinwerfer  der 
deutschen  Panzer  kurz  auf,  doch  das  Heranschnau- 
ben der  wilden  Jagd  feindlicher  Torpedoboote,  das 
unheimliche  Quirlen  des  Wassers  unterm  Stoss  der 
Unterseeboote,    das    eilige    Flüchten    des    einzigen 
noch  nicht  umgerollten  Kanonenboots  verkündeten 
so  nahe  Gefahr,  dass  man  sich  bis  unterhalb  Schu- 
lau  dem   Kampfplatz  entzog.    Nur  der  arme   alte 
„Pelikan"  lag  mit  abgeblendeten  Lichtem  still,  weil 
er  den  Turbinenbooten  doch  nicht  mehr  hätte  ent- 
-wischen  können,   imd   die   gleichfalls  zu  langsame 
„Oldenburg"   verblieb  am   rechten   Ufer,  da  fron- 
tales Standhalten  ihr  minder  unfehlbaren  Tod  ver- 
bürgte, als  von  Verfolgung  rückwärts  eingeholt  zu 
werden.   K,  B.  „Basilisk",  „Natter"  gesunken. 

Diesmal  gingen  zehn  Torpedo-,  zwölf  Untersee- 
boote drauf,  teils  gesunken,  teils  leck,  der  Rest  zog 
sich  ausser  Bereich  des  Haubitzfeuers  vom  linken 
Ufer,  dessen  Einschlag  ins  Wasser  tatsächlich  zwei 
Unterseeboote  durchs  blosse  Gewicht  erstickte.  Frei 
lag  aber  nun  das  Wasserfeld  vor  den   Briten,  um 

Völker  Europu  ...  I  25 


—     386     — 

die  Anlagen  bei  Schulau  und  die  Eibdörfer  zu  zer- 
stören. Ein  Veloziped-Zyklist  erschien  in  voller  Fahrt: 
„Sie  kommen,  sie  sind  drini"  Zwei  Mddeidtei 
jagten  verbängten  Zügels  heran  mid  wiesen  mit  der 
Hand  seitwärts:   „Da  sind  siel" 

Kaum  brachen  Marine* Winkelriede  mit  dos 
eigenen  Körper  freie  Bahn  zwisdben  die  Spenrn  ab 
mit  Windeseile  der  Kretizer  „Undaunted"  durdi  dif 
Lücke  fuhr,  gefolgt  von  „Petroleum",  in  dessen  ^ 
spur  noch  „Endymion"  und  „Fox"  hineinglitten.  Da: 
alte  Schulschiff  „Pelikan"  hätte  bei  seiner  Langsai& 
keit  —  nur  zehn  Knoten  Lauf  —  ohnehin  nicht  a^ 
kommen  können,  es  schoss  noch  rasch  mit  seme^ 
zwei  Hundertmillimetergeschützen,  um  im  nächst«) 
Augenblick  von  Schüssen  gänzlich  durchlöchert  n 
werden.  Der  arme  alte  Rappelkasten  ohne  ?va& 
neigte  sich  nach  Steuerbord  und  begann  unterzotaQ 
eben.  Doch  er  war  unter  Dampf  und  vennoduc 
noch  eine  letzte  Bewegung  zu  machen.  BeSen  eine 
am  linken  Ufer  aufgefahrenen  FeldhaubitzbatteiK 
und  Schnarren  von  Maschinengeschützen  machte  at 
die  britischen  Schiffe  keinen  Eindruck,  noch  veo:- 
ger  das  wohlgenährte  Gewehrfeuer  auf  achthunde^ 
Meter  Entfernung  von  den  Ufern  her,  das  gegen  t 
Oberdeck  klatschte.  Die  deutschen  Offiziere  k(*3- 
ten  durch  ihre  Krimstecher  die  Schiffsnamen  s 
goldenen  Lettern  lesen,  die  sich  leuchtend  vom  ^ 
kein  Grund  der  Bugfarbe  abhoben.  Mit  Mühe  )ai 
man  die  Mannschaft  in  ihren  Laufgraben  fest,  ^ 
diese  so  furchtbar  donnernden  Panzerdracheo  ^ 


—     387     — 

sie  selber  heranzufliegen  schienen,  als  wollten  sie 
alles  in  Grund  und  Boden  rennen. 

Diese  Kreuzer  hatten  jeder  (nur  „Petro- 
leum" war  kleiner)  Maschinen  von  fast  neun- 
tausend Pferdekraft,  vier  Torpedo -Lanzierrohren, 
fast  fünfhundert  Mann  Besatzung,  alle  schmalen 
leichten  Kielgang  von  nur  siebeneinhalb  Me- 
tern und  eine  Schnelligkeit  bis  über  zwanzig 
Knoten,  was  sie  zu  ihrer  Aufgabe  hier  beson- 
ders befähigte.  Umsonst  summten  Tausende  von 
Gewehrkugeln  wie  Moskitoschwärme  um  sie  her, 
sie  prallten  ab  wie  von  einem  Eisengitter,  am  Bug- 
spriet aufspringend.  Kein  Matrose  zeigte  sich  auf 
den  Brücken,  während  aus  den  Panzerpforten  das 
dröhnende  Feuer  lohte  und  ihre  SchneUfeuermitrail- 
lausen  von  Turm  und  Mast  das  Ufer  fegten.  Wie 
von  Piloten  geleitet,  weil  so  genau  vorher  durch 
Spione  imd  Seekarten  aufgeklärt,  fuhren  sie  weiter 
und  warfen  die  „Oldenburg"  auf  ihrem  Wege  nie- 
der. Dieser  alte  Küstenpanzer  (fünftausendzweihun- 
dert Tonnen,  vierzehn  Knoten),  seit  so  langer  Zeit 
vom  Stapel  gelaufen,  hatte  zwar  ausnahmsweise  24 
Zentimetergeschütze,  seine  leichtbeschwingten  Geg- 
ner aber  ausser  „Petroleum"  solche  von  9,2  Inches 
und  einen  Panzergürtel  von  beträchtlicher  Dicke. 
Gleichwohl  nahm  das  deutsche  Schiff  beherzt  den 
Kampf  auf  und  liess  auch  seine  Revolverkanonen 
spielen.  Sein  schwerfälliger  Oberbau  verschwand 
binnen  einer  Viertelstunde  als  Trünmierhaufen,  des- 
sen  mnherstiebende   Eisensplitter   viele   blaue  Jun- 

25* 


—     388     — 

gen  zerfetzten.  Doch  die  Geschütze  bliebeii  merk 
würdigerweise  unversehrt  und  ersetzten  durch  ihn 
kaltblütige  Bedienung,  was  ihnen  an  Kaliber  ab^ 
ging.  Dem  »»Petroleum",  so  explosiv  und  geßhrlid 
er  sich  gebärdete,  wurde  am  Heck  seine  ganze  Bat 
terie  in  Stücke  gerissen,  starre  Tote,  ächzende  Vei 
wundete  lagen  umher.  Noch  schlimmer  erging  es  dem 
eleganten  ,»£ndymion'\  der  seine  Schönheit  so  eitel 
im  Mondlicht  zu  spiegeln  schien :  eine  Sprengbombe, 
mit  Schiessbatunwolle  gefüllt,  traf  ihn  am  Vorder- 
steven, eine  andre  weiter  am  Rückenrumpf,  stoppte 
seinen  Servomotor  und  öffnete  eine  Bresche  bb 
ins  untere  Zellengewebe,  in  welche  sich  sofort  das 
Wasser  durch  alle  Sparren  ergoss.  Er  machte  eben 
Sprung  und  neigte  sich  nach  Backbord,  taudte 
daim  rückwärts  mit  dem  HinterteU  .imd  verliess  den 
Kampf,  um  am  Anker  aufziüaufen.  Gleichzeitig 
brach  aber  vorm  Turm  der  „Oldenburg"  eine  hohe 
rote  Lohe  aus,  die  man  innütten  so  harten  0^ 
fechts  nicht  löschen  konnte  und  dessen  Glut  die 
Kanoniere  am  Zielen  hinderte.  Der  wackere  Schiffe 
Veteran  zog  sich  daher  seitwärts  zurück,  ehe  nodi 
die  37-Millimeter-Revolverkanonen  des  „Fox**  ^ 
ner  Bemannung  den  Rest  gaben.  Die  engliscbea 
Kreuzer  warfen  jetzt,  dieses  Gegners  ledig,  viel  Gra 
naten  von  grosser  Explosivfähigkeit  auf  Schaiai^ 
Inzwischen  führte  aber  der  tödlich  getrofteot 
„Pelikan"  ein  Manöver  aus,  das  völlig  das  Schick 
sal  wendete.  Noch  unter  Dampf  mit  richtig  laufet 
der  Maschine»  schleppte  er  sich  mit  gesenkttii  Ma- 


—     389     — 

sten  wie  ein  flügellahmer  Vogel  in  die  offene  Kraut- 
sandsperre. Dort  halbversenkt  im  Wasser,  das  schon 
seine  Brücke  bespülte,  schwankte  er  hin  und  her, 
bis  eine  Explosion  Misenmast  und  Brücke  zerbrach 
und  den  Rumpf  unbeweglich  im  Wasser  festpflanzte. 
Der  Kommandant  hatte  einen  Torpedo,  den  er  an 
Bord  führte,  entzündet,  und  bald  darauf  explodierten 
auch  die  vom  Wasser  erreichten  Maschinenschrau- 
ben. Die  Mannschaft  rettete  sich  schwimmend.  Das 
versunkene  Schiff,  dessen  einer  Mast  noch  aus  der 
Flut  ragte,  schloss  unwiderbringlich  den  Eingang, 
sperrte  die  vier  Kreuzer  wie  in  einer  Mausefalle 
ein.  Ein  nach  vom  sich  verengendes,  hinten  ge- 
sperrtes  Flussbecken   mit   zwei   feindlichen   Ufern  1 

Dieser  „Pelikan"  hatte  sich  in  Wahrheit  die 
Brust  aufgerissen,  wie  in  der  Sage  mit  dem  eigenen 
Herzblut  seine  Jungen  nährend  I  Was  half*s,  dass 
zwei  englische  Panzer  jenseits,  die  Gefahr  erkennend, 
den  Schiffsleichnam  mit  ihren  Geschossen  plump 
zerfetzten  1  Sie  Hessen  nur  eine  ohnmächtige  Rache 
aus,  und  die  gierigen  Kreuzer  raimten  luiruhig  mit 
wilder  Hast  hin  und  her,  wie  eingeschlossene  Marder, 
die  mit  verzweifelter  Sprungkraft  ihrer  eisernen 
Sehnen  noch  die  Falle  hinter  sich  mitschleppen  oder 
selbst  das  eingeklemmte  Glied  im  Losreissen  am- 
putieren ! 

Anfangs  behielten  die  Kapitäne  ihre  britische 
K  xltblütigkeit  und  trösteten  ihre  ,Boys'  mit  der  Er- 
klärung, sie  hätten  hier  im  Fluss  keinen  Feind  zu 
fürchten  und  müssten  ruhig  warten,  bis  die  Passage 


—     390     — 

wieder  freigeräumt  werde.  „Fox"  machte  sich  audi 
sogleich  an  die  Arbeit,  setzte  Boote  mit  Geratscbaftes 
und  Torpedos  aus,  um  unterm  Wasser  wie  im  Fndis- 
bau,  seinem  Namen  gemäss,  sich  einen  Gang  zu 
wühlen.  Doch  was  von  Haubitzbatterien  noch  heu 
war,  richtete  sofort,  telegraphisch  benachrichtigt, 
seine  schweren  Geschosse  nach  diesem  genau  mar- 
kierten Ziel,  wo  jeder  Schuss  traf.  Ehe  er  mit  Auf- 
räumen begann,  erhielt  „Fox",  von  dem  ungewiss,  ob 
er  nach  dem  Tier  oder  dem  berühmten  Staatsmann 
benannt  sei,  eine  Ladung  durch  beide  Masdüno- 
kanunem.  Einen  Augenblick  huschte  er  wie  eio 
Fuchs  auf  Treibjagd  im  Zickzack  hin  tmd  her,  dam 
blieb  er  fest  liegen  nahe  dem  Ufer.  Die  Mamisdiaft 
rettete  sich  teilweise  auf  den  „Endymion",  das 
Schiff  tauchte  zwölf  Meter  tief  unter.  Ein  doo- 
nemdes  Hurra  der  Deutschen  begrüsste  diesai 
Erfolg. 

„Undaunted"  und  „Petroleum"  suchten  sich  jcti 
möglichst  ausser  Schussweite  der  Ufer  zu  halten, 
höher  am  Fluss  hinaufgleitend,  wo  sie  mit  wahrer 
Wut  umherfeuerten  und  mehrere  zur  Reparatur  z& 
rückgegangene  Torpedoboote  in  zerlumpte  Lappeo 
verwandelten.  Die  Flotte  draussen  erhob  erneut  eis 
furchtbares  Bombardement,  das  fast  alle  Feld-Panzer 
Schilde  zertrümmerte,  viele  Menschen  tötete,  doch  ^ 
Haubitzen  noch  immer  nicht  ganz  zum  Schwdgen 
brachte.  So  sank  die  Nacht  herein.  Mit  verzweifelter 
Unerschrockenheit,  ihrem  Schiffsnamen  ,Der  Ua^ 
erschrockene'  gemäss,  arbeiteten  die  Mannschaften 


—     391     — 

des  ,Undaunted'  bis  zum  andern  Morgen,  um  den 
gesunkenen  .Pelikan'  zu  heben,  während  .Petroleum* 
sich  abmühte,  »Endymion*  wieder  flottzumachen, 
dessen  Lage  den  rückwärtigen  Wasserlauf  der  ab- 
geschnittenen Kreuzer  blendete.  Doch  am  Morgen 
zeigte  sich  nicht  nur  die  .Oldenburg*  wieder,  die 
ihre  Flammen  an  Bord  gelöscht  und  ihre  Turm- 
geschütze wieder  gerichtet  hatte,  sondern  eine  Reihe 
Feldhaubitzen  gruben  sich  an  beiden  Ufern  in 
sichern  Ständen  ein  und  bereiteten  mit  neuem  Tages- 
licht den  Eingeschlossenen  ein  hartes  Willkommen. 
Femer  hatte  man  mit  einem  Spezialzug  zwei  frische 
Turbinenboote  verladen  und  ins  Wasser  gesetzt.  So- 
bald sie  ihr  natürliches  Element  unter  sich  spürten 
und  ihr  Feuer  anzündeten,  war  das  Explodieren 
des   ,Petroleum'  entschieden. 

Dieser  hatte  bei  Nacht,  in  deren  sternenklarer 
Stille  der  ruhige  breite  Fluss  nur  leise  plätscherte, 
ein  grelles  Tageslicht  durch  Scheinwerfer  auf  alle 
verdächtigen  Schatten  verbreitet,  zugleich  durch  laut- 
lose Strahlensprache  aufsprühender  Raketen  sich  mit 
der  Flotte  draussen  beredend,  deren  Antwortsignale 
übers  Meer  emporschössen.  Gegen  Morgen  liess 
aber  seine  Wachsamkeit  nach,  und  ein  Sektor  der 
Wasserkante  blieb  im  Schatten.  Dorthin  glitten  die 
Torpedos.  Der  ,Endymion*  bewegte  sich  um  einige 
Spannen,  der  noch  ganz  unversehrte  .Undaunted*  hatte 
wirklich  einen  schmalen  Durchgang  eröffnet.  Konnte 
,Endymion\  den  man  wohl  nicht  ohne  weiteres  im 
Stich  lassen  wollte,  heut  seine  Havarien  ausbessern. 


—     392     — 

setzte  »Undaunted*  seine  Befreiungsarbeit  fort,  so 
konnten  die  Kreuzer  sich  retten  oder  gar  ihre  Std* 
liing  behaupten  unter  Nachfluss  von  VerstäikungoL 
Schon  kreuzten  jenseits  draussen  vor  Krautsand 
,Dido*  und  ,H6he\   Doch  es  war  zu  spät 

Während  die  Haubitzen  ein  Steilfeuer  aufDedß 
und  Türme  richteten,  um  die  Geschosse  der  Krciaer 
von  den  Toipedobooten  abzuziehen,  dröhnte  das 
wohlbekannte  Rollen  submariner  Eacplosion  zweimal 
hintereinander  imd  verlor  sich  im  weiten  Raum,  das 
Echo  der  Ufer  wachrufend,  als  peitsdie  ein  unter- 
seeischer Vulkan  die  Tiefen  zu  einem  Orkanfi  aii 
Beide  Torpedos  trafen  den  »Petroleum*  zu  Tode.  Ohne 
einen  einzigen  Schuss  auf  seine  unsichtbaren  Gegoei 
abgeben  zu  können,  die  mit  gelösten  Trossen  und 
arbeitendem  Hebel  des  Maschinentelegrai^en  aufs 
Konunando  „Los!"  ihre  schreckliche  Waffe  durdis 
Gewässer  klatschen  liessen,  sank  das  schöne  Schiff  in 
wenigen  Minuten,  seine  Feuer  und  Lichter  m- 
löschten  in  aufschäumendem  Wasserbeig.  Seine 
Boote  ins  Wasser  setzend,  indes  der  rekonvaleszente 
,£ndymion'  rasch  die  seinen  entgegenschickte,  noch 
in  seinem  halbinvaliden  Zustand  die  Regel  befolgend, 
maskierte  der  sinkende  ,Petroleum'  die  Udnefi 
unheimlichen  Feinde,  die  sich  dies  zunutie 
machten. 

Aufs  neue  flogen  zwei  blanke  metallene  Zunder, 
und  indes  die  Boote  wie  Spukgespenster  im  bleiches 
Dämmer  verschwanden,  scheiterte  ,Endymion\  xnitt 
Schiffs  in  Höhe  der  Heizmaschinen  zerrissen.  Nor 


—     393     — 

die  Mastkörbe   beider  Schiffe,   gefüllt  mit  wütend 
schimpfenden   Matrosen,   hoben   sich  noch     überm 
Wasserspiegel,  die  ausgesetzten  Boote  schlugen  um. 
Doch  der  ,Undaunted'  war  nicht  gewillt,  dies 
trübe  Los  vor  Augen,  zu  streichen.  Britische  Schiffe, 
erfüllt  von  starken  Traditionen  und  Hochgefühl  bri- 
tischer Überlegenheit,  ergeben  sich  nicht.   Während 
Haubitzbomben   und  Vollgranaten   eines   Strandge- 
schützes sein  Deck  zertrünmierten,  manövrierte  der 
»Unerschrockene*     mit     erstaunlicher     Gewandtheit 
durch  den  schmalen  Eingang  \md  gewann  das  Freie, 
während  seine  wenigen  noch  aufrechten  Kanoniere 
unverdrossen    ihr    Amt    verrichteten.     Der     letzte 
Schuss,  den  sie  lösten,  machte  noch  eine  Haubitze 
unbrauchbar.     Zwei   Drittel  der  Mannschaft  fielen 
bei  dieser  todesverachtenden  Rettungsarbeit,  wo  die 
Seeleute,  ohne  aufzusehen  und  sich  um  irgendwelche 
Deckung  zu  kümmern,  ihre  nautische  Meisterschaft 
wie  auf  einem  Manöver  bekundeten.  Das  kaum  ernst- 
lich havarierte  Schiff,  dessen  Maschinenventile  und 
Kanonenverschlüsse   fast   unversehrt,    sah  für     ein 
Laienauge   wie   eine   Ruine   aus,   da   sein   Oberteil 
iflatt  weggeputzt.    Aber  das  liess  sich  in  Bälde  repa- 
rieren. Als  der  ,Undaunted'  ins  Dock  nach  Chatam 
kam,  grüsste  ihn  vieltausendköpfige  Menge  mit  don- 
nerndem   Hurra,   wie   die    Flottenbesatzimg,    unter 
deren  Ehrensalut  das  Heldenschiff  ins  Hintertreffen 
I>assierte,  wo  ein  Schleppdampfer  aus  St.  Katherine- 
docks  seine  ehrenvolle  Begleitung  wurde. 

Nichtsdestoweniger   erlitt   England   heut   einen 


—     394     — 

Schaden  von  30  Millionen  Mark,  dreier  Gefechts- 
einheiten im  Wert  von  32  000  Pferdekräften,  16O0O 
Tonnen,  da  „Endymion",  „Fox"  m  besten  Kiefr 
zern  IL  Klasse  zählten  und  an  Gewicht  die  Uitte 
zwischen  den  früher  das  Höchstmass  bezdd 
nenden  Kreuzern  von  5000  Tonnen  und  den  heutig^) 
allergrössten  hielten.  Fünf  schweren  Kalibers,  W- 
undzwanzig  „mittlere",  fünfzig  SchnellfeuergeschütK. 
über  tausend  Seemänner  gingen  verloren. 

Linderndes  Pflaster  auf  deutsche  Wundca  ^ 
ohne  Vernarben  noch  lange  offenstanden.  Wcnnnan 
bedenkt,  dass  schon  ein  gutes  Torpedoboot  fast  m 
halbe  Million  kostet,  kann  man  sich  den  Scbad® 
ausrechnen,  den  Deutschland  allein  an  Schiffen  aus- 
stand, ohne  von  zerstörten  Befestigungen,  Anlagen 
und  Privateigentum  zu  reden.  Bedenkt  man  andrei- 
seits,  dass  jeder  Schiffsschuss  viel  Geld  kostet,  jeder 
aus  englischen  Riesengeschützen  aber  ungehewr 
viel,  so  begreift  man,  warum  Lord  Beresford  eis 
Bombardement  von  solchem  Umfang  nicht  zu  wieder 
holen  wagte,  in  Sorge  um  sein  Material,  da  vid« 
Rohre  schon  zu  verschleimen  anfingen  und  eiiült 
zu  springen  drohten,  was  im  Laufe  des  kiirzeo  Khe^ 
ges  tatsächlich  nicht  nur  mehrfach,  sondern  massen 
haft  vorfiel. 

Von  Interesse  war  übrigens,  dass  der  IcidKtfc 
„Fox"  nach  der  Flottentabelle  auf  Linie  Sucz-Adtf 
lief,  die  drei  anderen  Kreuzer  ursprünglich  tfsc 
Maltageschwader  gehörten.  England  traf  eben  A^s 
lese  unter  den  besten  Schiffen  jeder  Gattung  und  y& 


—     395     — 

pflanzte  die  geeignetsten  nach  Norden:  neuer  Be- 
weis, dass  es  sich  seit  lange  mit  dem  Plan  eines 
Nordseekrieges  trug  und  einen  Überfall  auf  deutsche 
Küsten  plante,  die  stramme  deutsche  Kriegserklärung 
also  nur  zu  richtig  zuvorkam.  Doch  alle  Übermacht 
Englands  brachte  trotz  der  schneidigsten  Führung 
kein  durchschlagendes  Ergebnis.  Dass  die  deutsche 
Flotte  kampfunfähig  gemacht  werden  würde,  liess 
sich  voraussehen,  und  man  hatte  Bremen  und 
Hamburg  so  viel  Schaden  getan  als  möglich.  Aber 
ein  Zerstören  der  Häfen  hatte  doch  nicht  gelingen 
wollen.  Als  sein  Generalquartermaster  immer  mehr 
Rohrkrepierer  der  30,5  Zentimeter-Geschütze  fest- 
stellte und  meldete,  dass  viele  bis  zu  neunzig  Schuss 
abarbeiteten,  während  die  äusserste  Leistungsfähig- 
keit nur  hundert  Schuss  beträgt,  gab  sich  Lord 
Beresford  seufzend  darein,  dass  fortan  nur  noch 
Blockade  fruchten  könne. 

Natürlich  stellte  die  englische  Presse  den  Un- 
fall als  nebensächlichen  Zufall,  das  Ganze  als  gross- 
artigen Sieg  dar.  Beresford  war  anderer  Meinung 
und  gab  es  auf,  Hamburg  zu  berennen.  Jetzt  noch- 
mals die  versenkten  Schiffe  wegräumen,  kostete  Zeit, 
die  Deutschen  holten  aus  den  Etablissements  von 
Krupp  und  Ehrhardt  neues  Material  herbei,  um 
neue  Batterien  in  Erdaufwürfen  am  Ufer  bei  Schu- 
lau  hochgelegen  zu  errichten.  Um  Ritzebüttel 
schlang  sich  ein  Schützenkordon,  weiteres  Vor- 
dringen gefährdend.  Schon  sah  sich  die  Besatzung 
von  Cuxhaven  durch  Gewehrfeuer    belästigt,   doch 


—     396     — 

unterband  die  Drohung,  Glückstadt  zu  bombardieren, 
jede  weitere  Fortsetzung  einer  Offensive,  um  dk 
Briten  ins  Meer  zu  werfen.  Am  15.  nahm  der  hm 
sehe  Seestratege  sogar  seine  Vorpostenkette  bis  Hei 
goland  zurück,  da  das  Wetter  bewegter  wurde  iiihi 
er  für  Kohlenversorgung  dem  auf  der  Insel  ge 
stapelten  Depot  nahe  sein  wollte.  Ein  streng«  Be^ 
wachen  der  Eibmündung  war  nach  Einnahme  vtr 
Cuxhaven  unnötig,  da  die  in  ziemlich  flaches  Wi^ 
ser  getriebenen  deutschen  Panzer  doch  keinen  Aifr 
fall  mehr  versuchen  konnten.  Immerhin  gelangen 
so  dem  „Kaiser  Karl",  sich  bei  Nacht  und  Neb^' 
nach  Brunsbüttel  durchzuschleichen,  wo  er  sei« 
schon  halbvernarbten  Schlachtwunden  in'der  Sdil» 
senkammer  nochmals  pflegte,  um  sich  dann  fri^ 
und  gesund  dem  Kieler  Geschwader  anzuschliessa 
Ihm  folgten  „Blücher",  „Berlin",  „München",  ,M 
beck",  „Bremen". 

Dies  erachtete  man  nötig,  um  einem  dort  geahnter 
Überfall  doch  wenigstens  ein  richtiges  Uniensdun 
entgegenstellen  zu  können.  „Karl"  traf  dann  P^ 
seits  auf  der  Ostseeseite  den  „Kaiser  Barbarossa",  <i«^ 
den  dortigen  Eingang  bewachte,  während  der  Kre> 
zer  „Vineta",  bisher  in  Kieler  Werft,  an  StcDe  (kr 
„Augusta"  nach  Kap  Skagen  auskundete.  Ein  ^^^ 
such,  am  18.  die  Sperre  bei  Osteriff-Bnmsbü:-?^ 
zu  passieren,  misslang  aber  den  Briten  nichtt  ^ 
man  gehofft,  die  sich  hierbei  auch  der  Taucher  bc^ 
dienten.  Tore,  Molen,  Schleusen  wurden  ^^^ 
schössen,  doch  schien  Durchfahren  des  Kanals  odff 


—     397     — 

Landung  nicht  erspriesslich.  Diese  Demonstration 
und  das  Festkleben  der  Hauptflotte,  durch  die  ein 
getroffene  französische  Eskadre  vermehrt,  vor  der 
Elbe  sollte  nur  die  Aufmerksamkeit  von  dem  Plan 
ablenken,  den  man  gegen  Kiel  entwarf.  Doch  die 
Luftschifferabteilung,  im  Wattenmeer  beobachtend, 
meldeteam22.  rechtzeitig  ferne  graue  Schatten  überm 
blaugrünen  Gewässer  der  jütischen  Küste,  am  23. 
sogar,  dass  der  gewöhnliche  Platz  des  „Dreadnought" 
leer  sei,  an  diesem  Tage  gewann  „Vineta"  schon 
Fühlung  und  wich  durch  den  Sund  längs  der  Schwe- 
dischen Küste,  dicht  gefolgt  vom  Gegner.  Infolge- 
dessen fuhren  die  im  Kanal  versanunelten  Schiffe 
aus  und  vereinten  sich  nüt  den  zwölf  Küsten- 
panzern  von  Kiel,  da  Prinz  Heinrich  Bom- 
bardement des  Kriegshafens  möglichst  lange 
fernhalten  und  lieber  Hochseeschlacht  wagen 
wollte.    IIL  Matr.-Art.  (Lehe)  ward  alarnüert. 

Da  kam  es  herauf  aus  schwermütiger  Pracht  der 
blauen  Einsamkeit,  wie  ein  bleigraues  Stahlgebirge, 
aus  dessen  Schoss  dicker,  schwärzlicher,  schmutziger 
Rauch  quoll  wie  aus  einem  Vulkan.  Und  bald  öff- 
nete sich  wirklich  ein  unterirdischer  Krater  auf  die- 
sen stählernen  treibenden  Inseln.  Gelbe  Flammen 
wehten  aus  winkeligen  Stockwerken,  aus  eckigen  Deck- 
aufbauten, aus  Turmöffnungen  und  Stückpforten  und 
Brücken  der  etageweis  übereinandergetürmten  phan- 
tastisch verschnörkelten  Hochbauten  französischer 
Panzerschiffe.  Auf  langgestreckten  Decks  der  Croi- 
seurs   gruppierten   sich   vorn   und   hinten   um   den 


—     398     — 

Signalmast  je  zwei  Paar  niedriger  Schornstdne. 
Neben  diesem  überladen  bombastischen  Aufragn 
nahmen  sich  die  niedrigen  graubraun  angestricfaeDes 
Britenschiffe  fast  unansehnlich  aus,  recht  vie  nebec 
ritterlichem  Kavalier  auf  gezäumtem  pesigem  Streit 
ross  ein  garstiger  finsterer  Buschklepper. 

Das  am  25.  bei  Fehmam  anrennende  allüene 
Geschwader  war  auf  doppelte  Täuschung  beredmei 
so  klein,  dass  seine  Wegnahme  aus  der  Blockade- 
linie unbemerkt  bleiben  konnte,  so  auserlesen  nach 
Ausrüstung  und  Schnelligkeit,  dass  Überfall  voc 
Kiel  wohl  glücken  mochte.  „Charlemagne",  ,Jöu" 
„Gaulois",  „Neptune",  die  Kreuzer  „Isly",  „Gloiic" 
hatten  den  rechten  Flügel,  der  „Dreadnought"  ußd 
die  Kreuzer  „Devonshire",  „Dido",  „Isis",  ,f^ 
serpina",  „Magician",  die  besten  Destroyers  „Arit". 
„Albatros"  den  linken.  Den  Franzosen  folgten  x«i 
gemischte  Divisionen  von  Torpilleurs,  Konter-Tor 
pilleurs  und  Sous-Marins,  den  Briten  dcsgleichc- 
Die  Deutschen  stellten  sich  in  Schlachtordnung: 
„Karl",  „Barbarossa",  „Brandenburg"-Klassc,  ^ 
rahmt  von  Kreuzern  „Lübeck",  „Berlin",  «Mdö- 
eben",  „Ers.  Blücher",  „Bremen"  links.  „Siegfried'. 
„Odin",  „Hagen",  „Beowulf",  „Fritjof",  Kreiöä 
„Augusta",  „Vineta"  rechts,  die  übrigen  Schiffe  der 
Siegfried-  und  Sachsenklasse  dahinter  in  Resent> 
Minenschulschiff  „Rhein"  hinterm  rechten  Flöge- 
der  einzige  Kreuzer,  den  man  in  Kiel  nodi  auftn^- 
Äusserlich  schienen  also  die  Deutschen  in  bedeu- 
tender Überzahl,   in  Wahrheit   waren   nur  »Kai^ 


—     399     — 

yyB^barossa",  „Blücher",  allenfalls  ,,Augusta"  eben- 
bürtige Gegner.  An  Torpedos  führten  die  Deutschen 
nur  drei  Divisionen,  keine  Unterseeboote.  Die  neu- 
i^ebildete  4.  Kompagnie  der  3.  Torpedoabteilung 
blieb  in  Kiel  bei  dem  Restmaterial  und  den  noch 
nicht  in  Dienst  gestellten  Neubauten. 

Die  wartenden  deutschen  Schiffe  wendeten, 
machten  Dampf  auf,  lenkten  hinaus  zum  Nahkampf 
bis  auf  dreitausend  Meter  längs  Markelsdorferhuk. 

Der  Kampf  zur  Linken  entbrannte  mit  grösster 
Wut.  Zufällig  stiessen  „Karl  der  Grosse"  und  „Charle- 
magne"  aufeinander,  doch  die  deutsche  Auslegung 
dieser  historischen  Erscheinung  blieb  Meister.  Man 
hörte  Töne  wie  von  reissendem  Metall,  als  der  fran- 
zösische Carolus  auf  französisch  ohne  Adieu  Ab- 
schied nahm,  peinlich  am  Rudermechanismus  und 
an  der  Mast-Plattform  verletzt.  Dem  „J6na"  gelang 
es  nicht,  Preussen  aufs  Haupt  zu  schlagen,  denn 
der  alte  deutsche  „B^barossa"  zeigte  sich  so  frisch, 
als  käme  er  gerade  aus  dem  Kyffhäuser.  Man  musste 
früh  aufstehen,  um  ihm  etwas  vorzumachen.  Aber 
sein  fliegender  Bart,  das  Takelwerk,  war  rot  von 
tropfendem  Blut  und  wuchs,  wie  in  der  Sage  durch 
den  Tisch,  ins  Dedc  hinein,  mit  lautem  Gepolter 
durch  wiederholte  zu  hoch  gehende  Schüsse  her- 
untergeworfen. Dem  „Gaulois"  setzte  „Blücher"  so 
hart  zu,  als  gelte  es,  dem  Typ  eines  Chauvin  die 
Hosen  auszuklopfen.  Die  „Gloire"  ward  von  „Bre- 
men" so  grimnüg  angefallen,  als  wolle  er  die  gleich- 
namige   Patenstadt    an  ihren    Bedrängern  rächen. 


—     400     — 

„Isly"  kam  durch  das  zweite  Treffen,  die  Bran 
denburgklasse,  so  ins  Gedränge,  dass  seinSigoabnast, 
den  er,  wie  Henri  Quatre  seinen  Helmbusch  bei 
Ivry,  als  Merkzeichen  des  dichtesten  Getümmels  ans^ 
steckte,  wie  ein  geknicktes  Rohr  und  sein  Schorn- 
stein wie  ein  russiger  happen  herunterbing.  Der 
„Neptune"  glich  bald  einem  Rauchhügel,  wie  ein 
Kohlenmeiler  oder  Lavahaufen,  von  allen  Setta 
durch  Granaten  und  Torpedos  getroffen.  Duicb 
Splitterwirkung  der  abgeschossenen  hohen  Aufbameo 
wuchs  der  Verlust.  Plötzlich  steckte  „Nq>tune'*  die 
Steuerbordsreeling  ins  Wasser.  „Blücher"  gab  ikm 
den  Rest,  er  sank.  Wie  vergrabene  Maulwürfe  ans 
Erdlöchem,  vom  Hamster  aufgescheucht,  kroch  dk 
hinter  Deckungen  niedergedrückte  Besatzung  aus 
ihren  Winkeln  herauf,  doch  alles  spülte  die  Flu: 
hinweg.  Wüstes  Gemenge  wehrloser  Meosdes 
schwanun  auf  den  Wogen.  Der  Meergott  Neptus 
verlor  seinen  Dreizack  vorm  Feuergott  Pluto  der 
Unterwelt  und  dem  Blitzstrahl  Jupiters,  plumpstt 
wie  ein  Stein  ins  feuchte  Element.  Die  Framosea 
machten  sich  aus  dem  Staube  oder  richtiger  aus  des 
Pulver. 

Doch  inzwischen  ging  es  der  deutschen  Rechta 
schlimm.  Dort  traf  noch  der  von  australischer  Sta 
tion  vor  Kriegsausbruch  nach  Kapstadt  und  von  doit 
nach  Plymouth  berufene  Kreuzer  „Prometheus**  cit 
vorsorglich  als  Reserve  nachgeschickt,  gerade  aJs 
sein  Kollege,  der  grosse  „Devonshirc",  die  deutsche 
Linie  durchbrach.  Die  trauervollen  Wtwen  «ttdo' 


—     401     — 

und  „Isis**  weinten  um  ihr  Herzeleid  allzu  feurige  Trä- 
nen, die  düstere  „Proserpina"  flocht  tödliche  Kränze 
von  blauem  bleiernem  Mohn,  die  „Magierin"  verstand 
sich  auf  teuflische  Künste,  „Albatros",  der  nie  auf 
Land  rastende  ruhelose  Meervogel,  stürmte  wild  da- 
hin,  „Ariel"   wiegte  sich    unverwundbar    auf     den 
Wellen.  Und  „Dreadnought"  fuhr  unter  die  Küsten- 
panzer wie  ein  Leu  unter  eine  Hammelherde.    Da 
sank  „Siegfried",  von  seinem  Tatzenschlag  ins  Rück- 
grat getroffen,    wahrlich    kein    Drachentöter     vor 
diesem  Lindwurm  1    Da  flog  dem  grinunen  „Hagen" 
das  Haupt  vom  Rumpf:  Mäste,  Schornsteine,  Türme, 
Geschütze  I    „Odin"  zuckte  umsonst  den  siegbringen- 
den Speer  auf  diesen  Fenriswolf  wie  in  der  Götter- 
dämmerung: der  feuerspeiende  Rachen  verschlang 
ihn.     Langsam  senkte  er  sich  in  die  Wogen  und 
schwand  für  inuner.    „Frietjof"  war  kein  so  schnei- 
diger Holmgänger  und  Wiking,  dass  das  Ungeheuer 
ihn  nicht  ereilte  und  in  Stücke  riss.     Der  sturm- 
kühne  Recke   Meister   „Hildebrand"    entrann    nut 
knapper  Not,  wie  dem  Hagen  Tronje  im  Nibelungen- 
lied mit   böser  Wunde:  sein   Heck  ihm  abgesägt. 
Altvater  „Rhein",  der  soeben  den  fliehenden  Wel- 
schen  einen   letzten   nachbarlichen    Fusstritt      ver- 
setzen wollte,  deckte  nut  den  beiden  stärkeren  Kreu- 
zern rechten   Flügels  eilige  Flucht  nach  Kiel,   die 
nur  dadurch  noch  glückte,  dass  „Blücher"  diesmal 
eine  WaterlooroUe    gegen    die    Briten   spielte.     Er 
packte  „Dido"  tmsanft  von  hinten  bei  den  Haaren, 
bis    ihr    springender    Kessel    janmiervoll    aufschrie, 

Völker  Europas  .  .  .  |  36 


—     402      — 

und    stiess    den    luftigen    „Ariel"    kopfüber  in  die 
Wellen. 

Zwar  musste  „Rhein"  die  Flagge  streichen 
„Bremen'*  stranden,  elf  Torpedos  bezahlten  ihre  Hin 
gebung  mit  dem  Untergang,  doch  die  Masse 
erreichte  den  Kieler  Hafen.  Nur  „Barbarosäa" 
bog  seitwärts   abgedrängt   zum   Heiligenhafen  aiLv 

Vier  deutsche  Küstenpanzer  waren  gesunkai 
zwei  krochen  matt  wie  flügellahme  Fliegen  in  des 
Kieler  Hafen,  ihre  Deckborde  bis  zum  Rand  mit 
Leichen  gefüllt.  Sir  Charles  Campbell  drängte  rasd 
nach,  in  Richtung  auf  Bülcker  Leuchtturm,  später 
gefolgt  von  den  in  Scham  und  Zorn  wieder  keim 
machenden  Franzosen.  Das  Bombardement  begann 
unverzüglich.  Der  brandroten  Färbung  des  Abcifr 
himmels  mischte  sich  bald  braunrotes  Glühen  vcc 
Bränden.  Über  Kiel  lagerte  in  Richtung  des  Arsenals 
eine  rote  Wolke  mit  tanzenden  sprühenden  Lichiern 
Dampfspritzen,  Spritzendampfer  arbeiteten,  Panier 
K.-B.  ,Biene\  ,Hummer,  ,Mücke*  halfen  den  Fom 

Und  während  die  Alliierten  ihr  Gebrunam  «^ 
gereizte  Grizzlybären  vor  den  Hafenforts  anhober. 
zog  erst  die  eigentliche  Gefahr  herauf.  Die  Lut: 
Schiffer  vom  Kanal  meldeten  zu  Ende  der  Schlacb^ 
dass  man  fem  am  Horizont  im  Grossen  Belt  ein© 
starren  Mastenwald  bemerke,  der  im  Dunst  o^ 
wärts  verschwand.  Eine  grosse  britische  Transpon 
flotte,  begleitet  von  einer  Menge  kleiner  ungedeckter 
Kreuzer  und  Scouts,  schlängelte  sich  bei  Nacht  durcc 
die  dänischen  Mittelgewässer  mit  dreister  Verletnü^ 


—     403       - 

der  Neutralität,  zumal  frühere  Abgrenzung  der  Kü- 
stenzone auf  dreitausend  Meter  naiverweise  trotz  Er- 
weiterung der  Schusszone  noch  heut  bestehen  blieb. 
Teils  westlich  von  Laaland,  teils  östlich  von  Fünen 
bei  Marstallbucht  (Langeland)  schlich  sie  in  die 
Hohwachtbucht  herein. 

Boote,  Flösse,  Pinassen  legten  in  aller 
Heimlichkeit  an,  in  Schaluppen  entluden  die  grossen 
Dampfer  eine  Menge  Radfahrer-  und  Automobil-In- 
fanterie, auch  Artillerie  ward  nach  und  nach  ausge- 
schifft. 14. 18.  Hussars  erachtete  man  unnötig,  da  Autos 
für  Aufklärungszwecke  genügten.  Die  abgeschnitte- 
nen deutschen  Strandwachen  schössen  ihre  Gewehre 
ab,  um  Alarm  zu  geben,  doch  dicker  Frühnebeldunst 
erstickte  den  Ton,  verhing  auch  den  Beobachtungs- 
stationen und  dem  Leuchtturm  von  Friedrichsort 
die  Femsicht.  Als  vom  Hohenstein,  später  Bungs- 
berg,  Hügel  nordöstlich  von  Eutin,  endlich  das 
Unheil  bemerkt  wurde,  kam  das  Klappern  des  Feld- 
apparates zu  spät:  alle  Telcgraphenleitungen  längs 
der  Küste  hatte  die  vorausgeschickte  Automobil- 
Infanterie  unterbunden. 

In  Kieler  Hafen  teilte  man  bei  Nacht  den  An- 
kerplatz in  bestimmte  Scheinwerfer-Sektoren  für  je- 
den der  noch  übrigen  sieben  Küstenpanzer,  die 
Brandenburgklasse,  das  Linienschiff  „Karl"  und  die 
noch  übrigen  drei  Kreuzer,  die  im  Treffen  von  Feh- 
mam  tapfer  genug  ihren  Mann  standen,  doch  teil- 
weise arg  zerzaust  waren.  Schwimmende  Balken 
und  netzumflochtene  Drahttaue  sperrten  den  Zugang, 

26* 


—     404     — 

dahinter  Rondeboote.  Zwanzig  Torpedoboote  warea 
noch  im  Dienst,  in  fünf  Rotten  geteilt.  Depesden 
nach  Rendsburg,  Flensbuiig,  Eutin,  Plön,  PrcettteütcD 
dem  Küstengouvemement  die  Notlage  mit,  und 
pünktlich  genauer  Betrieb  auf  allen  BahnstatioDea 
verbürgte  rechtzeitige  Unterstützung.  Doch  auf  sc 
schnelle  Landung  bedeutender  Massen  hatte  wsl 
sich  nicht  gefasst  gemacht.  In  Kiel  herrschte  Panit 
als  Flüchtige  meldeten,  dass  schon  durch  I^ 
steierhagen  britische  Automobilprotzen  rasselten,  dd^ 
bald  darauf  starkes  Geschützfeuer  gegen  die  Fom 
Schönberg  und  Stosch  seitwärts  im  Rücken  ertönte 

Kasernen  von  Friedrichsort  am  Eingang  def 
Föhrde  leuchteten  nicht  mehr  weiss,  sondern  g^ 
in  Brand  geschossen.  Gegen  die  vorderen  Hate^ 
forts  gewann  der  weitreichende  Geschosshagel  de: 
Allüerten  bereits  die  Oberhand.  Griff  Land-  uwi 
Seeangriff  siegreich  zusanmien,  war  Kiel  valoia^ 

Dass  den  Unterseebooten,  falls  sie  sich  opfertm 
Sprengimg  der  Sperre  gelingen  werde,  wusste  ime 
von  der  Elbe  her.  Prinz  Heinrich  befahl  dabff 
schweren  Herzens  den  versammelten  Panzern,  iQ 
der  Frühe  Anker  auf  zu  gehen  und  aus  dem  Hafes 
becken  Kurs  auf  Schleimünde  zu  setzen,  um  ^ 
Belagerungsflotte  auf  jede  Gefahr  hin  so  lange  vk 

■ 

möglich  fernzuhalten,  ihren  eisernen  Ring  veoig 
stens  auf  einige  Stimden  zu  durchstossen,  bis  ^ 
Lande  Luft  geschafft  sei.  Es  galt,  lieber  die  akti 
ven  Verteidigungsmittel  zu  opfern,  um  den  ^^ 
auszuräumen   und   die   Stadt   zu  retten,  wo  sdf^ 


—     405     — 

Verzweiflungsrufe  der  Einwohner  zu  den  Kasernen 
der  1.  (2.  Wilhelmshaven)  Werftdivision  herauftönten. 
Von  Schraubenumdrehung  gerüttelte  Trossen  und 
gezerrte  Anker  wurden  losgeworfen,  unter  schrillen 
Glockenzeichen  setzten  sich  die  Stahlleiber  am 
26.  früh  erneut  in  Bewegung,  T.  B.  ^Sleipner',  »Car- 
men* voraus. 

Als  der  auf  Wache  befindliche  „Isly",  seit- 
wärts auch  den  Transportblocus  deckend,  beim  Spie- 
len des  Scheinwerfers  das  Heranstürmen  so  vieler 
Schiffskörper  bemerkte,  hielt  er  sich  nicht  mit 
Deckung  auf,  sondern  rettete  sich  selbst  in  Sicher- 
heit. Der  herbeieilenden  „Gloire"  machten  Schüsse 
des  „Blücher"  die  Schrauben  unklar,  so  dass  sie 
langsame  Fahrt  machen  musste.  Es  wäre  aus  mit 
ihr  gewesen,  wenn  nicht  „Proserpina"  und  „Al- 
batros" pfeilschnell  herangeeilt  und  dem  Gegner 
herzhaft  zu  Leibe  gegangen  wären,  dem  sich  jetzt 
auch  „Charlemagne"  in  den  Weg  warf.  Die  Vor- 
postenkette der  Torpilleurs,  an  einer  Stelle  über- 
rannt, schloss  sich  wieder  zusammen,  imd  es  ent- 
spann sich  lebhaftes  Scharmützel  mit  der  3.  deut- 
schen  Torpedodivision. 

Sobald  zur  Rechten  die  bisher  am  meisten  ge- 
schonten und  daher  jetzt  ins  Vordertreffen  gestell- 
ten Schiffe  der  Sachsenklasse  (siebentausendvierhun- 
dert Tonnen,  fünfzehn  Knoten,  „Württemberg"  stär- 
ker armiert)  die  feindlichen  Vorposten  hinter  sich  hat- 
ten, griffen  sie  unverzagt  mit  Todesverachtung  die 
schnelleren  stärkeren  britischen  Kreuzer  in  Nahkampf 


—     406     — 

an.     Diese    schon   früher    in    Marinekommissiona) 
empfohlene  Taktik  ergriff   das   einzige  Mittel,  bei 
ungenügender  Armierung  und  Schnelligkeit  aus  den 
veralteten   Typen  noch   Nutzen   zu  ziehen.   Natur 
lieh  zählte  man  dabei  auf  äusserste  Hingebung  der 
Mannschaften  gegen  bessere  Geschütze  und  Panier. 
Man  verrechnete  sich  darin  nicht.    „Württemberg' 
vorauf,   durchbrachen  die   Küstenpanzer  den  über 
raschten  Feind,  der  seine  Femfeuerzone  tatsädilid 
nicht  ausnutzen  konnte.    Das  Führerschiff  ramnö! 
die   ,,Dido'*   durch  und  durch,  als  ob  man  mec 
Fechter  den  Degen  durch  den  Leib  rennt,  obsd«£ 
deren  Artillerie  die   deutsche   Bemannung  hauf& 
weise  niederriss.    „Lass,  o  Königin,  uns  nidit  dö 
Schmerz  erneuern,"  Witwe  Dido  hatte  ihr  Teil,  nas 
hörte  nie   fürder  etwas   von  ihr.    Die   „Magiena 
brachte  nacheinander  alle  ihre  Geschütze  und  Bof 
torpedos  zum  Schuss,  musste  aber  mit  zerbrochenem 
Vordersteven   ausscheren.    Der    „Prometheus",  ät 
Treffen  von  Fehmam  als  Reserve  geschont,  erwies 
sich  hingegen  als   Himmelstürmer  von  titanisches: 
Ursprung  und  betätigte  seine  Liebe  zum  Menscbßi^ 
geschlecht,   indem  er   „Bayern"   aus  der  Schlacht- 
linie  heraus  weit  zurück  bis  in  die  Hafensperre  trieb. 
wo  „Bayern"  führerlos  treibend  imtersank  und  ^■ 
bei  die  Sperre  verunreinigte.    Seine  Hintennäiu»? 
„Baden"  und  „Sachsen"  nahmen  „Isis"  aufs  Kon^ 
die  sich  ihrer  kaum  erwehrte  mit  Beihilfe  der  op- 
tischen  gemischten   Torpedodivisionen.    Nach  Re- 
gerem Gefecht  lief  ihnen  der  Vorderraum  des  Decfc 


—     407     — 

voll  Wasser,  und  da  sie  keinen  Unterwasserboden- 
panzer besassen,  war  damit  ihr  Schicksal  entschie- 
den.   Sie  wichen  nach  rechts  zum  Hafen  aus,  woll- 
ten festmachen,  zu  Anker  gehen,  vermochten  dies 
nicht  und  setzten  sich  daher  am  Ufersande  auf,  um 
Sinken  zu  vermeiden.    Die  Mannschaft  verliess  ihre 
Schiffe,  weil  schutzlos  dem  Feuer  preisgegeben,  und 
verteilte   sich  tirailleurweise  am   Strande.    Nur  ein 
paar  standhafte  Kanoniere  bedienten  noch  die  halb- 
zertrümmerten Geschütze  und  hielten  sich  den  Feind 
etwas  vom  Leibe.    Inzwischen  hatte  „Dreadnought** 
den  zwei  noch  übrigen  Schiffen  der  Siegfriedklasse 
„Heimdair*,  „Ägir"  mit  Leichtigkeit  allein  den  Gar- 
aus gemacht  und  „Augusta**,  „Vineta"  in  den  Ha- 
fen getrieben.    „Württemberg**   kehrte  noch  recht- 
zeitig um  und  entkam  dem  Ungeheuer,  obschon  sein 
einkrachender  Kommandoturm  den  Kommandanten 
in  seinem  Sturz  begrub.    Inzwischen  ging  auf  Sig- 
nale der  linke  Flügel  gleichfalls  unter  die  Forts  zu- 
rück,   nachdem    er    alle    Franzosen    in    die    Flucht 
schlug.   Der  wieder  rückzugdeckende  „Blücher*'  und 
„Lübeck**,  von  „Jona**  und  „Gloire**  eingekeilt,  woll- 
ten offenbar  keine  neue  Lübecker  Kapitulation  an 
dieser  Ostseeküste  unterzeichnen  und  schlugen  sich 
durch,  indem  „Blücher**  unterwegs  dem  „Isly**  mit 
einer  furchtbaren  Salve  den  Boden  aufriss,  aus  der 
es  deutlich  klang:  „Herunter  muss  er  dochT*  Doch 
v^rurden    „Brandenburg**    und    „Berlin**,    landsmann- 
schaftlich Seite  an  Seite  fechtend,  auf  dem  Rückzug 
noch  von  Fernschüssen  des  „Devonshire**  ereilt  imd 


—     408     — 

misshandelt,  bis  sie  ausser  Sicht  waren.  „München'* 
teilte  das  gestrige  Schicksal  des  „Neptunc",  durd 
ein  Unterseeboot  durchbohrt  und  gleichzeitig  tod 
Granaten  niedergeschlagen.  Britischersdts  wiegte 
sich  nicht  der  fröhliche  „Albatros"  im  Morgenrot 
wippend  auf  der  heiligen  Salzflut,  sondern  fand  m- 
term  Meeresschaum,  gar  manchen  Faden  tief,  doe 
endliche   Schlaf-   und   Ruhestatte. 

Beide  Seetreffen,  die  den  Franzosen  zwei  Schiffe 
gesunken,  zwei  schwer  havariert,  den  Briten  dm 
gesunken,  eins  schwer  havariert,  den  Deutsches 
sechs  Schiffe  gesunken,  drei  gestrandet,  vier  schv? 
havariert  kosteten,  während  die  Deutschen  fünbehB 
und  die  Alliierten  zehn  Torpedoboote  verloren,  nr 
ren  nicht  umsonst  durchfochten.  Bombardement  und 
Unterstützung  der  Landung  hatte  so  lange  eingestdk 
werden  müssen,  ausserdem  ermöglichte  es  dem,,Bai- 
barossa"  erneutes  Auslaufen  aus  Heiligenhafen,  der 
Kurs  unterm  Winde  längs  der  Küste  nahm  vd 
gerade  im  rechten  Augenblick  in  Flanke  der  Tiass- 
portflottille  ein  Wörtchen  mitsprach.   — 

Von  der  Landungsbrücke  Bellevue,  Bmnswict 
Neimiühlen  bis  zu  den  Holtenauer  Kanalscfaleoses, 
über  Cronshagen,  Seewarte,  ergoss  sich  ein  Sti«£ 
alarmierter  deutscher  Feldtruppen,  Landwehren,  Ma 
rinebataillone  längs  der  Kieler  Föhrde.  Die  Laoen 
burger  Jäger  meldeten:  „Konmie  Bahn  Rastari** 
bei  Gaarden  in  Nähe  der  bedrohten  Germaniaverft 
marschierte  man.  Doch  die  Briten  hatten  sich  sd»® 
weit  in  den  Dörfern  der  Probstei  ausgebreitet,  viele 


—     409     — 

Haubitzen  mit  Automobilprotzen  vorgeschafft  und 
griffen  frontal  die  Forts  Stosch  und  Schönberg,  die 
Seeforts  Königen  iind  Heikendorf  von  der  Landseite 
schon  im  Rücken  an.  Sie  hatten  die.  Chaussee 
Lütjenburg-Kiel  inne  und  stiessen  noch  weiter  süd- 
westlich vom  Selenter  See.  Allwärts  brüllte  jetzt 
der  Schlachtendonner  auf  Meer  imd  Land,  vom 
Meer  zum  Lande,  vom  Lande  zum  Meer.  Immer 
neue  Transportdampfer  vollzogen  die  Ausladung 
ihrer  bewaffneten  Passagiere  bei  Kolberger  Heide. 
French  leitete.  Mit  hoher  Bravour  drangen  die 
Briten  aus  der  besetzten  Hohenfelder  Halbinsel  ge- 
gen Kiel  vor,  nahmen  neugebautes  Fort  Schönberg 
mit  Sturm,  brachten  andere  Forts  in  Bedrängnis. 
Wenn  Tommy  Atkins  früher  für  „die  Witwe" 
(Queen  Victoria)  in  allen  tropischen  Zonen  sein  Blut 
verspritzte,  warum  sollte  er*s  nicht  jetzt  im  Nor- 
den für  den  dicken  liebenswürdigen  Falstaffkönig, 
der  so  geschickt  als  angestellter  Croupier  der  grossen 
Spielhölle  British  Empire  die  Karten  mischtet 

Die  bis  halbwegs  Preetz  im  Süden  vorgerückten 
Abteilungen  warfen  holsteinische  Landwehren  und 
vertrieben  die  Mecklenburger  nachSchönhorst-Oppen- 
dorf  unter  Befehl  des  Generals  Franklyn,  indem  sie 
so  dem  weiter  nordwestlich  gelandeten  Korps  als 
Aussenring  Flanke  und  Rücken  deckten.  Div.  Paget 
xuiter  Majorgenerals  Hamilton,  Barton,  rückte  hinter 
Franklyn  herum  umnittelbar  auf  Kiel  und  die  Forts 
nach  Südwesten.  Als  aber  Lauenburger  Jäger  und  spä- 
ter Holsteiner  Vierundachtziger  am  Selenter  See  ein- 


—     410     — 

griffen,  pommersche  Landwehr  auf  Lütjenburg 
losging,  wich  Franklyn  allmählich  nord-  und  Strand- 
wärts  zurück,  und  das  Gefecht  setzte  sich  seitwärts 
fort,  so  dsLSs  Franklyn  die  britische  Linke  bildete, 
die  Rechte  mit  verkehrter  Front  nach  Möltenort- 
Dietrichsdorf  vordrang.  Landung  der  letzteren  bei 
Kolberger  Heide  hatte  man  deutscherseits  anfangs 
hindern  wollen.  Nur  eine  Seemeile  fem  lagen, 
1  orpedoavisos,  Torpedo jäger,  kleine  Kreuzer,  denen 
ihre  schwache  Kielspur  Annäherung  an  den  Strand 
gestattete.  Ihr  Feuer  antwortete  einer  hinter  Dünen 
versteckten  deutschen  Rohrrücklaufbatterie,  die  auf 
siebzehnhundert  Meter  den  Strand  unter  Feuer 
hielt.  Auf  das  Signal  eines  Kanonenschusses  in 
hoher  See  zuckten  Blitze  aus  Hunderten  schmaler 
Geschützmündungen  die  Schiffslinie  entlang:  nicht 
die  erschütternden  Schläge  der  geharnischten  Gi- 
ganten, sondern  das  harte,  trockene  Bellen  der 
Schnellfeuerartillerie  leichter  Schiffe  erscholl.  Und, 
merkwürdig  I  ein  dichter  Rauch  verhüllte  bald 
darauf  alle  Fahrzeuge,  kräuselte  sich  überm  Meer, 
klebte  wie  ein  schmutziger  ÖUappen  an  seiner  Ober- 
fläche fest  und  wurde  durch  die  Dunstballen,  welche 
die  leichten  Schiff sgeschülze  krachend  ausspien,  dicht 
über  den  Strand  hinaufgestossen  1 

„Verdammte  Kanaillen!"  rief  ein  Offizier 
laut.  „Sonst  rauchloses  Pulver,  jetzt  eins,  beson- 
ders angefertigt,  schwärzer  als  das  alte  Pulver,  um 
ihre  Schliche  zu  verbergen!"  In  der  Tat  sah  man 
nichts    mehr    vom    Meer.     „Sie    können    uns    die 


411 


Nase   in   den    Topf    stecken,    ohne    guten   Tag   zu 
sagen  1'* 

Gleichzeitig    zündeten    Granaten    hoch    in    der 
Luft,    schlugen  mit  schütterndem  Stoss  im  harten 
Sande  auf.    Cruiser  ,Velox',  Kontretorpilleurs  ,Bar- 
berousse*,    ,Carabine'    karabinerten   wie   auf    Treib- 
jagdanstand.   „Dort  links  schleicht  was  im  Nebel  T' 
schrie    ein    scharfäugiger    Freiwilliger,    der    einen 
hohen    Baum    erkletterte.     Bald    darauf    schrie   er: 
„Platte    Fahrzeuge,    reihenweise,     mit    roten     und 
grauen    Flecken    darin."    Fluchend    und    wetternd 
riss   der    Infanteriekommandeur    seine    Leute    nach 
links    herum,    wo    er    sich    umgangen    sah,    doch 
die   Landenden  hatten  ja  den  geraden  Weg  vom 
Wasser  her  zum  ausgewählten  Punkt,  während  der 
Verteidiger    in  Kreismarsch    parallel    zum    Strande 
tiefen  Sand  durchwaten  musste.   Ausserdem  wandten 
die    Briten,    um   eine   unerhörte    Schnelligkeit    der 
Ausschiffung  zu  erlangen,  ein  neues,  wimderbares 
Mittel    an.      Ihre    Schaluppen  wurden   nicht    von 
Dampfschiffen  geschleppt,  sondern  besassen  rück- 
wärts einen  Petroleummotor  und  rollten  wie  Automo- 
bile in  die  Brandung.    Da  sie  am  Stern  eine  Winker- 
Maxim-Mitrailleuse  führten,  legten  sie  auch  das  Ge- 
stade  vor   sich   her   von   Feinden   frei.     Den   um- 
g^angenen  Küstenwachen  machte  brave  Attacke  dreier 
Landwehrschwadronen  und  zweier Zügel6.blauer Hu- 
saren Luft,  die  mit  eingelegter  Lanze,  ihre  Offiziere 
voraus  den  Schwertarm  zum  Meere  ausstreckend, 
sich  auf  dichte  britische  Knäuel  stürzten,  die  noch 


—     412     — 

nicht  als  Kolonne  formiert  oder  als  Schütten  vss^ 
geschwärmt  waren.    Dieser  Anprall  wirkte  anfangs 
überwältigend,   zumal   die   Mitrailleusen  der  Sdu 
luppen  auf  das  Gewühl  nicht  zu  schiessen  vagteo, 
um  nicht    ihre  eigenen   Leute   zu  treffen.  Zdetit 
ertrank  aber  das  Reiterhäuflein  in  einer  Flut  immer 
dichterer  ausgeschiffter  Massen,  das  Blau  xemna 
unter  Kakifarbe,  nach  wütendem  Gemetzel  kamei 
nur  fünfzig  meist  verwundete  Reiter  mit  verhängten 
Zügel  zurück.    Ihr  Heldenritt  hatte  die  Ausschiffung 
sehr  verzögert,  viele  Briten  bedeckten  tot  und  fff 
wundet  den  Strand.    Aber  als  das  deutsche  Fos^ 
volk,  atemlos  herankeuchend,  sich  auf  dies  in  wiUe 
Unordnung    geratene    Menschengewimmel   sttoß 
wollte,    wo    Feldgeschütze  unangeschirrt  am  Meere 
standen  und  Maschinengewehre  achtlos  umherlage&. 
schlug  ihnen,  kaum  dass  sie  auf  tausend  Meter  heran 
waren,  ein  vernichtendes  Feuer  von  der  änsserta 
Postenkette  der  alliierten  Kreuzer  entgegen,  die  jcot 
wo  klüglich  die  Hexenküche  ihrer  Verschlaenmgs^ 
pose  nicht  mehr  rauchte,  freies  Schussfeld  hatten 
Man  musste  den  Rückzug  antreten,  auch  die  Düoefi 
batterie  bis  zur  nächsten  kleinen   Bodenerheboflg 
Aber  die  Funksprüche  der  Forts  knatterten  nidit 
imisonst.  Je  drohender  4.  Division  Franldyn  sich  ai& 
breitete,  je  mehr  Batterien  9.,  24.  Feldartfllerioegi^ 
ments  und  des  2.  Pommerschen  Landwehr-Küsttfr 
korps  rasselten  heran,  und  ihre  genau  markierte  Be> 
Streichung  riss  grosse  Lücken.  Freilidi  litten  and  ^ 
Deutschen  imterm  nun  heftig  entbrennenden  Feoer 


—     413     — 

der  Schiffe,  obschon  das  Landungskorps  Paget, 
je  weiter  es  sich  vom  Strand  entfernte,  desto  mehr 
des  Schutzes  dieser  Kanonade  entbehrte.  Gleich- 
wohl setzte  es  seinen  Flankenmarsch  bis  zum  näch- 
sten Bahndamm  fort,  unbekünmiert  imi  das  Fern- 
feuer verschiedener  längs  des  Weges  aus  Hasel- 
hecken und  Buschgestrüpp  aufgescheuchter  Posten. 
Gesamtzahl  gelandeter  Briten  schätzte  man  deut- 
scherseits sehr  richtig  auf  elftausend  Mann. 

Die  erbsgrünen  Erdschanzen  der  inneren  See- 
forts lagen  noch  auf  3000  m  fem,  als  rechts  Bartons' 
Kolonnen  auftauchten.    Über  dem  Braim  eines  hüge- 
ligen Ackers  hoben  sich  ein  paar  rote  Tirailleure 
wie  wackelnde  Truthähne  ab.  Möltenau-Batterie  hielt 
sich  bereit  am  Hafenrand,  um  den  Feind  beim  Nieder- 
steigen in  eine  Vertiefung  von  zehn  Metern  zu  be- 
streichen, etwa  2000  m  fem.  Die  Briten  schwenkten 
jedoch  links  ab  und  brachten  eine  mit  Gehölz  be- 
standene Geländewelle  zwischen  sich  imd  dies  Flan- 
kenfeuer.   Mancher  einstige   Burenfresserheld    von 
Transvaal,  der  sich  durch  Deportation  von  Frauen 
und  Kindern  in  die  sogenannten  Konzentrationslager 
einen  ebenso  grossen  Namen  machte  wie  der  arme 
General  Macdonald,  den  einige  perfide  Presseban- 
diten durch  Aufdeckung  seiner  erotischen  Helden- 
taten  im  Burenlande  zum  Selbstmord  trieben,  be- 
trachtete die  Schanzen  als  Bagatelle.    Von  Schiffs- 
kanonade  schon   hart   mitgenonmden,    würden    sie 
breschelegenden  Achtpfündem  nicht  widerstehen. 
Lieut.  General  Paget  ging  in  drei  Kolonnen  vor. 


—     414     — 

Die  1.,  2.  und  Coldstreamgarden  bildeten  die  Linke, 
die,  Kieler  Hafen  unmittelbar  angreifend,  das  Ar- 
senal zerstören  sollte,  während  die  Rechte,  28^ 
44.,  57.,  93.  Regiment,  lauter  in  Englands  Kiiegs^ 
annalen  berühmte  Truppen,  die  Schanzen  stünnt?. 
2.  Scots  Guards,  Royal  Scots  und  Buffs  folgten  al- 
zweites  Treffen  mit  Seaforth  und  Yoritshirt 
Leichte  Leib-Infanterie  (King's  Own)  und  Riik 
brigade  nebst  etwas  Mounted  (berittener)  Infantry 
Die  Mittelkolonne  blieb  als  Artilleriebedeci 
ung  und  Reserve  bei  Dietrichsdorf  und  sollte  ii 
die  Stadt  Kiel  einrücken.  Paget  erwies  sich,  w^e 
die  meisten  englischen  Generale,  keineswegs  so  ud 
fähig,  wie  die  falsch  ausgelegten  Vorgänge  des 
Burenkriegs  eine  törichte  Legende  verbreitet  hatto 
Die  Energie  und  Gewandtheit  seines  blitzschncßai 
Vormarsches  Hessen  nichts  zu  wünschen  übrig. 
ausserdem  würden  so  sehr  in  Brennerei  gecbtc 
Transvaalveteranen  das  Brandstiften  in  Kid  gewi^' 
sehr  fleissig  und  umsichtig  besorgt  haben. 

Doch  er  rechnete  nicht  mit  dem  alten  Spruch:  .AVu 
mich  umgeht,  ist  selbst  umgangen."  Während  ^ 
Mecklenburger  Brigade  nach  Kiel  zurückwich,  hatte 
die  Bahn  eine  nach  Elmschenhagen  herangeiogcne 
Gardebrigade  auf  Wellingdorf-Schönkirchen  Z^ 
rade  in  seine  rückwärtige  Flanke  geführt.  Auf  tele 
graphische  Weisungen  eilte  diese  im  Gewaltmanct 
dem  Kanonendonner  zu,  zuletzt  in  Laufschritt  über 
gehend,  als  Herold  eine  Batterie  vorausschickeni 
Des  Feindes  ansichtig  werdend,  der  in  dieser  Ri^ 


—     415     — 

tung  sich  keines  Übels  versah,  ruhten  die  Garden 
eine  Viertelstunde.  Dann  setzten  sie  den  Vormarsch 
mit  entfalteten  Fahnen  fort,  mit  solcher  Verachtung 
des  Gegners,  dass  sie  wie  auf  dem  Exerzierplatz 
marschierten.  Gerade  als  die  Briten  sich  zum  Sturm 
gegen  die  Schanzen  anschickten,  wo  man  sie  schon 
hart  genug  empfing,  warnten  Schüsse  ihrer  ausge- 
setzten Wachtposten  in  Flanke  und  Rücken. 

In  Position  rückwärtsstehende  Batterie  liess  sofort 
vom  Bearbeiten  der  Schanzen  ab  und  eröffnete  her- 
umdrehend ihr  Feuer  gegen  diese  wie  aus  der  Erde 
emporgewachsene  Kolonne.  Doch  ihre  zu  fernen 
Salven  hielten  den  Marsch  der  Garde  um  so  weniger 
auf,  als  deren  eigene  Batterie  kühn  vorausgaloppierte, 
in  freiem  Felde  abprotzte  und  den  britischen  Kol- 
legen durch  schräge  Geschossgrüsse  ein  solches  Will- 
kommen bereitete,  dass  sie  auf  Nimmerwiederkehr 
verschwanden.  Die  aufgelöst  ausgeschwärmten  zwan- 
zig Kompagnien  des  ersten  Treffens  überschütteten 
auf  600  m  die  rückwärts  ausweichende  britische  In- 
fanterie mit  einem  Kugelhagel,  unter  dem  sie  zu- 
sammenbrach. Auf  300  m  in  einem  Ruck  heran- 
rennend, schleuderten  die  Garden  eine  förmliche  Ge- 
neralsalve, welche  von  Lee-Enfields  standhaft,  so  gut 
es  gehen  wollte,  erwidert  wurde,  warfen  sich  dann 
buchstäblich  mit  dem  Bajonett  auf  den  Feind.  Denn 
was  anderen  Truppen  gegenüber,  russische  und  türki- 
sche Barbaren  ausgenommen,  heut  überflüssig,  war 
gegen  solche  steif  nackigen  Briten  nötig.  Mietlinge 
oder  nicht,  sie  starben  wo  sie  standen.    Auch  bei 


—     416      — 

den  Iren  schwieg  jeder  sonstige  Stammeshass,  ging 
es  fürs  British  Empire  gegen  den  Feind.  Die  57. 
betätigten  wieder  ihren  alten  unübersetzbaren  Spitz- 
namen :  ,Diehards'  (etwa :  ,Nicht  umzubringen')-  Dod 
die  Schanzen  und  die  Mecklenburger  Gewehre  timt 
ten  von  vom  auf.  Jeder  Widerstand  unnütz,  fast 
alle  Offiziere  gefallen,  lösten  die  Briten  sich  fliebesd 
in  zusanunenhanglose  Gruppen.  Auf  Kid  g^ 
worfen,  wo  ein  heftiger  Strassenkami^  zwisdia 
Mecklenburger  Jägern  und  I.  Seebataillon  gegcs 
die  britischen  Garden  und  die  Spitze  der  Bibttd^ 
kolonne  tobte,  trugen  diese  Trümmer  Unordnung  ic 
Hamiltons  Reihen,  in  deren  Rücken  der  unerbitt 
liehe  Flankenstoss  der  deutschen  Garden  hineinfahr 

Alles  bog  jetzt  seitwärts  zum  Selenter  See 
aus,  während  die  Deutschen  imunterbrochen  ihre 
Linie  verlängerten  und  immer  weiter  lunfassten.  Zvai 
leisteten  die  englischen  Garderegimenter  und  ^ 
Batterien  noch,  drei  Kilometer  vom  EmbaikatioBs^ 
punkt,  mannhafteste  Gegenwehr,  um  dem  zeitruD^ 
merten  Gros  die  Einschiffung  zu  decken.  Do<^ 
als  der  bisher  maskierte  „Barbarossa"  übennStiand^ 
winkel  zwischen  Hohwacht  und  Heide  auf  den  Dübcd 
dichte  feindliche  Haufen  sah,  liess  er  auf  2500  Q^ 
einen  Strom  von  Eisen  und  Sprengstoffen  los.  Audi 
die   Coldsteamgarde  stob  jetzt  zum   Strand  bii^^ 

Nur  das  betäubende  entsetzliche  Feuer  des  „Drcad^ 
nought"  und  der  übrigen  jetzt  die  deutsche  TcrW 
genden  alliierten  Flotte  rettete  vor  völligem  Arf 
reiben    der    Division    Paget,    die    alle    Gcschüw 


—     417     — 

tausend    Gefangene,    dreitausend    Tote    und   Ver- 
wundete hinter  sich  zurückliess.  • 

Diesmal  wehten  wirklich  oft  genug  als  Zeichen 
der  Ergebung  die  bekannten  weissen  Taschentücher 
des  Transvaalkriegs.  Entscharte  entledigten  sich 
ihrer  Tornister  und  oft  der  Waffen,  oder  kehrten 
die  Kolben  um,  als  Signal  des  Gewehrstreckens,  das 
bekannte  britische  „Hände  hochl"  für  schussbe- 
drohte Waffenträger  in  bedrängter  Lage  nach- 
ahmend. Kolonie  Franklyn  vollzog  ruhiger  ihre  Ein- 
schiffung, obschon  „Barbarossa"  hier  die  Transport- 
flotte in  grosse  Unordnung  brachte,  auch  sie  verlor 
zweitausend. 

Als  die  letzten  Schaluppen  und  Kähne  hinter 
den  weiter  draussen  schwimmenden  Paketbooten  ver- 
schwanden imd  die  Panzer  dem  Kieler  Hafen  ein 
donnerndes  Lebewohl  sagten,  nahm  John  French  für 
immer  Abschied  von  dem  Traum,  sich  Kiels  durch 
Landüberfall  zu  bemächtigen,  die  Deutschen  am 
eigenen  Herde  heimzusuchen.  Zu  Lande  hatten 
gegen  sie  britische  Truppen  nun  mal  kein  Glück  1 

Plötzlich  verschwanden  daher  die  Transport- 
riesen der  Cunard  Compagnie  aus  den  nordischen 
Gewässern  und  tauchten  nachher  zur  Verblüffung 
der  Spanier  imd  Franzosen  jenseits  der  Säulen  des 
Herkules  auf.  Was  wollten  sie  denn  im  Mittelmeer, 
da  sie  mit  ihren  dreizehn  Metern  Kielwasser  doch 
iinmöglich  den  Suezkanal  passieren  konnten?  Man 
erfuhr  es  bald  genug,  als  sie  ihre  Truppenladung 
auf  den  Balearen  löschten  1 

Völker  Europas  ...  1  2/ 


—     418     — 

Die  Blockadeflotte  ging  nach  MarstaQbucht  n- 
rück  unter  Anker  oder  kreuzte  unter  dänischen  In- 
seln in  neutralem  Gewässer,  ohne  sich  zu  genieren. 
Noch  ein  drolliger  Vorfall  ereignete  sich,  um  Eng- 
lands souveräne  Nichtachtung  aller  geschriebena 
Vertrage  zu  verdeutlichen.  Nach  dem  Text  des  Se^ 
rechts  darf  ein  Kriegsschiff  aus  neutralem  Hafa 
erst  vierundzwanzig  Stunden  nach  Abfahrt  eines 
feindlichen  dort  weilenden  Schiffes  auslaufen,  dod 
England  lacht  nur  über  solche  Paragrai^engerippe. 

Die  vorpostenstehende  „Kaiserin  Augusta"*  md 
Schulschiff  ,,Delphin"  waren,  bei  plötzlichem  Nebd 
aus  dem  Skagerak  ins  Kattegat,  vom  Sund  weit  abg^ 
konunen  und  hielten  seitwärts  auf  Fünen,  «o  in 
der  Bucht  die  um  Seeland  herumgedampften  Kremei 
„Prometheus"  und  „Isis**  neben  ihnen  Anker  warieft 
Als  aber  die  deutschen  Schiffe  am  Morgen  demSoiKi 
wieder  zustrebten,  waren  ihnen  die  Engländer  ohne 
Zögern  unverweilt  auf  den  Fersen,  und  nur  einigen 
derben  Winken  der  15  cm-Granaten  der  „Augosu", 
da  das  10  cm-Kaliber  des  kleineren  „Delphin"  lü^ 
gar  nichts  ausrichten  konnte,  verdankte  sie  ihr  En^ 
kommen  hinter  der  britischen  Blockadelinie.  Docb 
wturde  sie  von  Eckernförde  ab  in  den  Wilhebnsbnil 
gedrängt.  Übrigens  dampften  die  Franzosen  eigen- 
willig nach  Helgoland  zurück.  — 

Durch  den  Nordischen  Bergungsverein  hatten  die 
havarierten  deutschen  Schiffe  sich  einis^ermassen  «i^ 
der  herausgefüttert  imd  sahen  wieder  ganz  anseho- 
lich  aus.     Bei  einem  nächtliclien  Ausfall  innerhalb 


J 


—     419     — 

der  Eibmündung,   nachdem    man    die     versenkten 
Schiffe  wieder  hob  und  neue  Minen  anlegte,  führte 
„Lothringen"  dem  ,,GauIois"  sogar  nachdrücklich  zu 
Gemüte,  dass  an  Rückgewinnung  Lotharingiens  nicht 
zu  denken  sei.  Auch  „Niobe"  und  „Medusa**  kehrten 
dem  Feinde  wieder  ihr  starres  Antlitz  zu,  als  wollten 
sie  ihn  versteinern.    Doch  verboten  in  Cuxhaven  aus- 
geschiffte Elf-  und  Vierzöllei  den  Deutschen  jedes 
erneute  Ausfallen.   Die  zerstörten  Forts  liess  Beres- 
ford    nicht    wiederherstellen,    um    dem    niederge- 
rungenen Gegner,  an  dessen  baldiges  Separat-Kapitu- 
lieren    vor    England    durch    Friedensschluss   man 
glaubte,  nicht  für  später  den  Neubau  zu  erleichtern. 
Auch  die  vier  wackern  Havarierten  des  Weser- 
geschwaders befanden  sich  wieder  in  erträglichem 
Stande,  so  dass  Deutschland,  die  isolierten  Körper 
in    Kiel    und    am    Kanal    inbegriffen,    noch    zwölf 
Linienschiffe    und   neim    grössere   Kreuzer    besass. 
Sin  anderer  Kreuzer  ging  freilich  verloren.  D^m 
ein   britisches   fliegendes    Geschwader   in   der  Ost- 
see,    das    einige    Bomben    nach    Weichselmünde 
hineinwarf  und   bemannte   Boote  aussetzen  wollte, 
was   bei  Küstentruppen   des   17.   Korps  nur  einen 
Heiterkeitserfolg    errang,    belästigte    die    Berliner 
Badegäste    in    Heringsdorf    und    Mistroy,    die   un- 
bekümmert   um    den    Seekrieg    ihre    altgewohnte 
Sommerfrische  aufsuchten,  schmiss  im  Vorübergehen 
ein  Fort  bei  Swinemünde  um  und  überfiel  das  ver- 
ödete Rügen.    Diese  Gewässer  hatte  man  auf  jener 
berüchtigten  Übungsreise  hübsch  ausbaldowert,  wo 

27* 


—     420     — 

in  »Sveinemönde*  britische  Maats  so  freundschaftkh 
mit  schönen  Stettinerinnen  kokettierten  und  der  Bür- 
germeister von  Danzig  eine  so  devote  Verbrüdenmgs^ 
rede  hielt,  die  von  dem  überaus  kühlen  Antworttdt 
gramm  des  Kaisers  an  den  britischen  Anrempelungs- 
Adnüral  gar  merkwürdig  abstach.  Der  Kaiser  wahrte 
hier  wahrlich  allein  die  Würde  Deutschlands  gegea 
diese  augenfällige  Provokation.  Bei  Rügen  nun  ward 
,,Vineta"  abgefasst  und  nach  heldenmütiger  G^co: 
wehr  abgeschossen,  sie  suchte  jetzt  da  unten  das 
versunkene  Vineta.  Ihr  Manövrieren  und  Feditcn 
gewährte  aber  die  nötige  Frist  für  jede  Vorsidtsr 
massregel,  Stettin  mit  der  kostbaren  Vulkanverft 
vor  Berührung  zu  sichern.  — 

England  hatte  alle  für  fremde  Staaten  in  Af& 
rüstung  begriffenen  Schiffe  der  heimischen  Pri^ 
werften  ohne  weiteres  für  eigenen  Staatsdienst  g^ 
presst,  zu  Zwangspreis  abgekauft,  und  sonoit  Beres- 
fords  Gesamtverluste  einigermassen  gedeckt.  SchÜBt 
mer  stand  es  aber  mit  der  verbrauchten  ArtiDcrie 
und  vor  allem  dem  Maimschaftsersatz.  Yidt  beste 
Offiziere  und  Vollmatrosen  lagen  tot  und  verwundet 
darunter  elf  Kapitäne  erster  Klasse  und  ein  Rear* 
Admiral,  während  deutscherseits  zwei  Konteradmt 
rale,  drei  hohe  Offiziere  des  Marinestabs  und  vs^ 
gesamt  dreiundfünfzig  Kapitäne  und  Kapitanleot 
nants  von  Kommandantenrang  ihr  Blut  vergossen 

Hier  zeigte  sich  die  Überlegenheit  des  ded 
sehen  Systems,  insofern  die  Lücken  schnell  ersetzt 
Schon  zu  Friedenszeiten  stieg  die  Zahl  der  Fremdei 


—     421     — 

in  der  britischen  Handelsmarine  auf  ein  Viertel,  und 
beim  übrigen  befanden  sich  fast  fünfzigtausend  so- 
grenannte  Lascaris,  nämlich  Indier  und  sonstige  Far- 
bige. Diese  konnte  man  höchstens  als  Heizer  ein- 
stellen, für  den  eigentlichen  Mannschaftsverbrauch 
fiel  hingegen  der  Ersatz  schwer,  so  viele  Freiwillige 
sich  meldeten.  Hatten  sich  also  bei  Mobilisierung 
alle  Schwierigkeiten  ziemlich  spielend  gelöst,  so 
häuften  sie  sich  jetzt. 

Einen  Strich  durch  die  Rechnung  machte  auch 
das  halsstarrige  Verhalten  der  französischen  Admi- 
ralität, die  in  der  ersten  Juliwoche  peremptorisch 
das  Brestgeschwader  abberief,  weil  die  flandrische 
Nordküste  eines  Schutzes  bei  Vordringen  der  deut- 
schen Armee  bedürfe.  Infolgedessen  konnte  Beres- 
ford  zwar  noch  bis  Mitte  Juli  eine  mehrfach  recht 
lockere  Blockade  von  Swinemünde  bis  Borkum  unter- 
halten, musste  aber  den  jetzt  ungenügend  gedeckten 
Cms-Posten  endlich  Hals  über  Kopf  räumen,  wobei 
die  Elf-  und  Vierzöller  stehenblieben.  Bei  Cuxhaven 
barg  man  sie  noch  rechtzeitig,  als  imvorhergesehene 
Ereignisse  das  Aufgeben  auch  dieser  Zwingburg  ge- 
boten. Das  Ende  der  Geschichte  lautete  also  gar 
nicht  so  schön  wie  der  Anfang,  die  harte  Nuss  war 
nur  zur  Hälfte  geknackt,  Deutschland  schwer,  aber 
nicht  tödlich  getroffen.  Nichtsdestoweniger  jubilierte 
man  in  England.  Das  Königspaar  samt  Prince  und 
Princess  of  Wales  fuhr  auf  der  Hofjacht  „Victoria- 
Albert",  während  die  kaiserliche  Luxusjacht  „Ho- 
henzollem"    längst    den    sauren    Lustfahrten    des 


—     422     — 

Sanitätsdienstes  sich  hingab,  als  Seekönigs- 
familie  herum,  um  sorglose  Meerherrschaft  zu  mai 
kieren. 

Die  innere  Solidarität  der  germanischen  Volk« 
deren  gemeinsames  Rassegefühl  leider  noch  lange 
nicht  lebendige  Wirklichkeit,  sprach  sich  in  dei 
ehrlichen  Hochachtung  aus,  die  man  britischcrsciß 
dem  Heldenmut  der  deutschen  Marine  zollte.  Mas 
erzählte  sich  mit  Bewunderung,  dass  in  Tsingtaa,  i^ 
die  schmucke  ,Thetis'  wie  eine  schmachtende  Nymp*" 
in  ihr  Element  für  immer  versank,  die  Mannsdaü 
bis  zuletzt  mit  lautem  Gesang  auf  Deck  blieb,  ohne 
die  Flagge  zu  streichen,  einstiges  Beisiriel  des  nnt« 
gehenden  »Iltis*  wiederholend.  „Kein  Märchen  ^ 
beim  legendären  »Vengeur*  der  französischen  Rc^ 
volution,  sondern  Wirklichkeit",  betonten  britische 
Offiziere,  die  ihre  Geringschätzimg  französisdiei 
Prahlerei  nie  verbergen,  dabei  freilich  zu  allen  Prab 
lereien  ihrer  eigenen  heimischen  Glory  ein  Auge  n 
drücken. 

Man  hatte  deutscherseits  nun  möglichst  aflc  fp^ 
sen  Handelsdampfer  zu  Kapern  amüert :  Vom  Nori^ 
deutschen  Lloyd  fielen  „Bayern",  „Roon",„Koblcn2* 
„Darmstadt",  „Sigmaringen",  „Wittekmd",  Jen- 
Phos",  „Lübeck",  „Albert",  .  Prinzess  Alice"  in  bri> 
sehe  Hände,  „Prinzess  Irene",  „Kassel",  „Wünbnif' 
„Preussen",  „Karlsruhe",  „Kronprinz",  „Kaiser . 
„Schwaben",  „Prinzregent",  „Hannover",  „WeGt 
gunde",  „Willehad"  lagen  in  neutralen  Häfen,  ^ 
gegen  wurden  der  prächtige  „Prinz  Heinrich'*,  ,.^- 


—     423     — 

heim  der  Grosse",  „Friedrich  der  Grosse",  „Neckar", 
»,Roland",  „Barbarossa",  „Prinz  Eitel"   kriegerisch 
umgeschaffen.      Von      der     Hamburg-Südamerika- 
Dampfschiffahrtsgesellschaft      lagen      „Asuncion", 
„Mendoza",  „Paulo"  in  Hamburg  parat.  „Argentina", 
„Peroambuco"   in   Brasilien   zurüdcgehalten,   Nach- 
richt fehlte  von  „S.  Cruz",  „C.  Blanco",  „Santa  Rita", 
„Kap  Frio",  „Santos",  „Rio  Grande".  Die  Ostafrika- 
Linie  hatte  „Feldmarschall"  verloren,  „Kronprinz", 
„Admiral",  „Prinz  Regent"  waren  nach  Südamerika 
ausgebogen,  „Kaiser"  und  „Kanzler"  lagen  kriegsbe- 
reit,  dito    „Ottensen",   „Altona",    „Augsburg"    der 
Australischen    Gesellschaft,     deren     „Magdeburg", 
„Berlin"  später    in  Kopenhagen  abtakeln  mussten. 
„Chemnitz"  verloren.    Von  der  Hamburg-Amerika- 
Linic  hatte  man  „Meteor",  „Sevilla",  „Schaumburg", 
„Poseidon",        „Hoerde",       „Albingia",     „Pontos", 
„Moltke",  „Prinz  Oskar",  „Gordon",  die  schon  früher 
zu   Truppentransporten    benutzte    „Borussia",    vor 
allem  die  beiden  Riesenschiife  „Amerika",  „Auguste 
Victoria",  während  „Navarra",  „Liberia",  „Lugano", 
„Abessinia",  „Georgia",  „Allemannia",  „Laeisz",  „Ga- 
licia",  „Pennsylvania",  „Pisa",  „Macedonia",  „Skan- 
dia",    „Caledonia",   „Karthago",   „Armenia",   „Bris- 
£:avia",  „Thessalia"    in    neutralem    Gewässer    sich 
aufhielten  und  „City  of  Lucknow",  „Teutonia",  „Ra- 
pallo",  „Prinz  Joachim",  „Kronshagen"  von  Briten, 
„Saxonia",  „Barcelona",  „Borva",  „Artemisia",  „Gra- 
nada", „Antonina",  „Dacia",  „Rhenania",  „Samba", 
„St.     Jan"    von    Franzosen    gekapert.     Die    nach 


—     424     — 

neun     Töchtern      Woermann      und    Bohlen    gfr 
tauften     Dampfer     der     Oceanischen    Woennana- 
Linie  schwammen  irgendwo  in  neutralen  Wassern, 
„Sommerfeld",      „Solingen**,      „DuisbuiBT*,    „Bei- 
der     Australischen       Gesellschaft.      „Flensburg", 
„Rostock",      „Offenbach"     widerrechtlich    in   AI- 
bany  zurückgehalten.  „Weimar",  „Gndsenau",  „Nor 
demey",  „Bremen",  „Frankfurt"   (Lloyd),  „Segovia'. 
„La  Plata",  „Dalmatia",  „Bismarck",  „SchwanbuiT^. 
„Bethania",  „Senegambia",  „Prinz  Adalbert",  pPrö 
zess   Vict.    Luise"    (Hamburg-Amerika),  „Entrms"' 
(Südamerikanische),  „Harburg",  „Varzin"  (Austiali 
sehe),     „Bürgermeister",    „Markgraf"    (Ostafrikanh 
sehe),  „Lothar  Bohlen",  „Kurt  Woermann",  „Hol^ 
satia",  „Vandalia",  „Sparta",  „Pallanza",  „Patrida . 
„Acilia",  Marcomannia",  „Blücher"  an  afrikanisd^ 
Küste  gejagt.   „Verbrenne!"  „Versenke!"  der  einsti- 
gen versiegelten  Flottenordres  britischer  Seeräubei- 
Politik  erwies  sich  noch  heut  in  Kraft.  „Marburg. 
„Bonn",  „Königin  Luise"  (Lloyd),  „Kronprinicss  Ca 
cilie",  „Hellas",  „Suthonia",  „Christiania", „Hif«»Dia . 
„Bulgaria**,    „Batavia"     (Hataburg-Amerika),  „Saa 
Nicolas",    „Rhaetia",     „Paranajua",     „Birtioswalir 
(Südamerikanische),  hatten  sich  nach  Walfischbai  gfr 
flüchtet,  „Linden",  „Meissen",  „Bergedorf*,  ,^ 
Sigismund",  „Prinz  Waldemar",  „Lothringen"  i^ 
Simpsonhafen.   „Gera",  „Stuttgart"  in  Triest  intö 
niert.    Manche  dieser  Schiffe  beschädigt,  einige  g^ 
strandet.    „Zieten"    (Lloyd)  ausserdem  im  Ymfäit^ 
kanal  in  den  Grund  gebohrt.  „Wittenberg'*,  ,M^ 


—     425     — 

(Lloyd),  „Guabyba",  „Bahia'*  (Südamerika)  blieben 
verschollen,  Reichspostdampfer  „Schamhorst**,  „Her- 
zog** meldeten  sich  erst  beim  Friedensschluss  aus 
ihrem  Versteck.  Die  Seekadettenschiffe  „Charlotte", 
und  „Stosch**  besorgten  bei  Nachlassen  der 
Blockade  den  Postdienst  zwischen  den  Flotten- 
stationen draussen.  Da  die  Briten  ihre  Ostsee- 
sperrung zuletzt  ganz  aufhoben,  zirpte  die  in  Kiel 
reparierende,  jetzt  kriegsfertige,  kleine  „Grille"  zwi- 
schen Rügen  und  Bomholm  ihr  Lied. 

Im  allgemeinen  konnte  Beresford  der  deutschen 
Marineleitung  Anerkennung  nicht  versagen.  So  war 
z.  B.  sehr  richtig,  dass  man  „Bremen**,  „Panther** 
von  aussereuropäischer  Station,  wo  sie  verloren  ge- 
wesen wären,  zur  Nordsee  berief.  Station  Wilhelms- 
hafen und  dortige  Werftarbeit  überwachten  Konter- 
admiral Wodrigimd  Kapitän  z.  S.  Poschmann  fleissig. 
Indessen  Hess  Ausfall  des  erst  errichteten  Tur- 
binenboots S  125  bei  Spikeroog  den  Schaden  dieser 
Anlage  neben  besserer  Feuersicherheit,  Kompass- 
ruhe, leichter  Bedienung,  Unterhaltung,  erschütte- 
mngslosem  Betrieb  erkennen,  nämlich  grösseren 
Kohlenverbrauch  und  schwierigere  Stoppung  bei 
Rückwärtsfahrt,  als  bei  Kolbenmaschinen.  Letzteres 
hatte  viele  britische  Turbinenboote  zu  Fall  gebracht. 
Dagegen  bewährte  sich  die  eingeführte  Parabellum- 
Selbstladepistole  (System  Luger- Borchardt)  beim 
Kieler  Gefecht. 

Verstärkung  der  Flusssperren  erreichte  man,  in- 
dem man  patentierte  Erfindung  der  Firma  Schnei- 


—     426     — 

der  in  Fulda  ausnützte,  den  für  drahtlose  Tdc- 
graphie  geläuterten  sogenannten  »Fritter'  zum  AnffiK- 
gen  von  Minen  aus  der  Entfernung,  ohne  Benutzung 
einer  Leitung,  zu  verwenden.  Durch  Beebflussung 
elektrischer  Wellen  wird  die  Füllmasse,  das  Frit- 
pulver,  zu  einem  guten  Leiter  und  erringt  unter  B& 
mischung  von  Sprengstoff,  eines  schlechten  L& 
ters,  einen  hohen  elektrischen  Widerstand,  der  s& 
nerseits  durch  Einschaltung  eines  stärkeren  deto 
sehen  Stroms  überwunden  wird.  Von  der  Fnnkefr 
gebestelle  her  wird  nun  in  der  entfernten  Mioe 
die  Frittermasse  glühend  und  zum  Aufflie^  %^ 
bracht.  Eine  solche  in  Glut  geratene  Flattenuii». 
offensiv  aus  der  Eibmündung  losgelassen,  besda- 
digte  drei  neu  eingetroffene  Reservepanzer  ,J*riDce 
Consort",  „Princess  Maud**,  »»Alexandra"  sdir  crast 
lieh.  Die  holde  „Maud**  weinte  bittere  salzige  Led 
tränen,  ihre  Lenzpumpen  schöpften  dies  Danaidcfr 
fass  kaum  aus.  Dagegen  erwies  sich  die  AnnabnK 
man  könne  vom  Fesselballon  den  dunkeln  Schatter 
der  Unterseeboote  am  hellen  Meeresgrund  dkcnn* 
auch  bei  flachen  Gewässern  als  falsch.  Dazn  s^ 
hörte  ein  besonders  glücklicher  Zufall. 

Die  von  hundertfünfzig  auf  hundertacfatzig  Noa 
mern  angeschwollenen  Torpedoboote,  von  denen  er 
Drittel  die  Ostseehäfen  bewachte,  schmolzen  t^ 
sehr.  Doch  machten  sie  bis  zuletzt  den  Briten  t^ 
schaffen.  So  sackte  S  105  nachts  bei  stdfer  Bc 
unterm  Bug  des  „Albion"  weg  bis  zur  wieder  ati^ 
gelegten  wei$sen  Helgolandtonne:  zerstörte  dortig 


—     427     — 

Kohlendepot,  sich  selbst  zur  Eider  durchschlagend. 
£s  kommt  beim  Torpedoboot  eben  alles  auf  die 
Führung  an,  denn  die  holländischen  bei  Texel  imd 
Terschelling  erlagen  den  britischen  sofort. 

Über  den  hohen  Grad  von  Schlagfertigkeit,  wel- 
chen ihre  Neuorganisation  der  britischen  Flotte  ver- 
lieh, nährte  man  ebensowenig  mehr  frommen  Kinder- 
wahn, wie  über  die  Möglichkeit,  mit  den  wenigen 
Kreuzern  und  Kapern  dem  britischen  Seehandel  hart 
zusetzen  zu  können.  Von  einem  „hypnotischen 
Bann",  wie  jemand  geweissagt  hatte,  der  während 
der  Blockade  den  übermächtigen  Feind  in  Defensive 
rücken  werde,  merkte  man  auch  nichts.  Dagegen 
trat  allerdings  der  vorausgesehene  Fall  ein,  dass  die 
Vereinigten  Staaten,  gestützt  auf  Paragraph  4  der 
Pariser  Konvention,  die  britische  Blockade  nicht  als 
effektiv  betrachteten  und  die  Schiffe  unterm  Ster- 
nenbanner sich  vom  Schmuggel  zu  höchst  ungenier- 
tem Abladen  von  Kriegskonterbande  in  den  deut- 
schen Gewässern  aufschwangen.  England  schwieg 
still  dazu,  lun  der  im  Hintergrund  lauernden  Gross- 
macht  keinen  vielleicht  erwünschten  Zwischenfall  für 
Interventionsgelüste  zu  schaffen. 

Übrigens  widerlegte  oder  bekräftigte  bisherige 
Entwicklung  alle  früheren  falschen  oder  richtigen 
Prophezeiungen.  Es  war  ja  ein  grober  Buchstabe 
gewesen,  Landungsversuch  bei  Kiel,  und  zwar  natür- 
lich auf  der  allein  angreifbaren  Ostseite  zu  weis- 
sagen, da  eine  tatkräftige  Führung  wie  die  britische 
sich  mindestens  solchen  Versuch  nie  entgehen  lassen 


—     428     — 

würde.  Ebenso  selbstverständlich,  dass  die  Biiten 
von  Langeland  nach  Hohwachtbucht  die  geradeste 
Linie  wählen  würden.  Aber  dies  alles  war  nur  mög 
lieh  bei  vorhergehendem  Seesie^r  im  Belt,  wie  tat- 
sächlich geschah,  nicht  wenn  dieser  Flottenangiifi 
„abgeschlagen**,  wie  jener  Autor  es  dargesteDt,  iini 
vor  allem  nicht  zu  Anfang  des  Krieges,  da  der  Fdod 
sich  natürlich  hütete,  seine  Streitkräfte  zu  tdkn. 
ehe  nicht  vor  der  Elbe  die  Entscheidung  fid.  Ebenso 
hatte  ein  anderer  Autor  nur  Selbstverständliches  an^ 
genommen,  als  er  Besetzung  von  Borkum  und  Ems- 
mündung  britischerseits  annahm.  Denn  solche  Mass- 
regel drängte  sich  schon  im  Hinblick  auf  kombiDiff- 
ten  britischen  Angriff  aus  Holland  auf.  Aber  dan£ 
fehlte  viel,  dass  man  sich  dort  bequem  und  ,Juik^ 
lieh**  einrichten  konnte  1  Deutsche  Landtruppen  und 
Flussminen  hatten  doch  auch  ein  Wörtchen  mit 
zureden.  ÜberfüUtes  Lager  Borkum-Emden  mosste 
zuletzt  schon  an  Emährungsschwierigkeit  scheitta 
falls  eben  nicht  ein  anderes  Korps  aus  Holboc 
die  Hand  reichte.  Andrerseits  machte  ein  gege: 
jene  anderen  Autoren  bissig  polemisierender  Se^ 
offizier  sich  nur  lächerlich,  wenn  er  Minen  für  ao^ 
reichend  hielt,  den  Briten  Eintritt  in  die  Weser, 
den  Deutschen  ebendort  Ausfälle  zu  verbieten.  Letz- 
tere kannten  die  Fahrrinne  genau,  erstere  hane:i 
emsige  Minensucher.  Stände  es  so  imfehlbar  nct 
Minengefahr,  dann  hätte  kein  Schiff  je  vor  Port  Ar 
thur  operieren  können  I  Nein,  mit  Wehrlosigkcit  voc 
Bremerhaven  und  Weserforts  hatte  es  seine  Ricbtis- 


—     429     — 

keit,  wohlgemerkt  aber  auch  hier  erst  nach  Nieder- 
werfung der  mobilen  Streitkräfte  und  ohne  die  zer- 
störten Punkte  selbst  behaupten  zu  können.  Tempo 
und  Zeitfolge  der  Ereignisse  waren  daher 
in  jenen  Prophezeiungen  völlig  verfehlt.  Ganz 
abgesehen  vom  unsinnigen  Einfall  des  einen,  die 
Kanalflotte  zu  sofortiger  Schlacht  „aufsuchen"  zu 
wollen,  oder  des  andern,  sofortigen  Torpedoangriff 
gegen  den  vorsichtig  auf  hoher  See  operierenden 
Feind  vorzuspiegeln,  was  ersterer  dann  später  durch 
glücklichen  Torpedoüberfall  der  britischen  Ostsee- 
flotte noch  übertrumpfte,  als  ob  britische  Marine 
weder  Vorposten  noch  Destroyers  kenne,  konnte 
überhaupt  an  Forcieren  der  Elbe  und  Weser  eben- 
sowenig wie  an  Überfall  von  Kiel  gedacht  werden, 
ehe  nicht  deutsche  Schlachtflotte  tmd  Helgoland 
überwunden.  Dass  verfrühtes  Bombardement  von 
Cuxhaven  keinen  Erfolg  haben  würde,  liess  sich 
leicht  berechnen:  Beresford  hätte  also  ein  Narr 
sein  müssen,  nüt  Helgoland  in  Flanke  und  Rücken 
das  gefährliche  Fahrwasser  zu  passieren,  wo  ihm 
die  deutsche  Flotte  übel  mitspielen  konnte.  Andrer- 
seits gebot  aber  Rücksicht  auf  Helgoland  den  Deut- 
schen, wie  schon  mehrmals  betont,  unter  allen  Um- 
ständen dort  mit  BeihUfe  der  wichtigen  Strand- 
batterien die  Schlacht  anzunehmen  und  mit  die- 
sem Hauptereignis  endete  also  nicht  der  Ent- 
scheidungskampf, sondern  begann  damit  Dass  aber 
nachher  Helgoland  und  Cuxhaven  fallen  müssten, 
verstand  sich  wieder  von  selbst.   Nur  irrige  Voraus- 


—     430     — 

Setzung  über  Wert  von  Strandbattehen  konnte  lu  an- 
derem Schlüsse  führen.  Ob  Beresford  je  wirklich 
an  Hamburg  hätte  herandringen  können,  lässt  sicli 
schwer  beurteilen.  Jedenfalls  beherrschte  scmc  Cui 
havener  Batterie  die  Wasserwege  so  weit,  dass  ar 
aktive  Verteidigung  nicht  zu  denken  war,  falls  jeoe 
vier  Kreuzer  sich  damals  bei  Schulau  festgesetzt  ihm! 
für  weiter  nachfolgende  noch  weiter  Bahn  gebiodta 
hätten. 

Beresfords:    „Schlachtschiffe   sind  billiger  als 
Krieg",  auf  Bankett  der  Navy  League  gesprochen  in 
Friedenszeit,  enthielt  eine  Wahrheit,  die  Dcutsd- 
land  nun  am  eigenen  Leibe  erprobte.  Der  Landkrieg 
kostete  binnen  vierzig  Tagen  über  zweiemhalb  Mil- 
liarden, der  Seekrieg  sicher  nicht  weniger,  wenn  man 
all  seine  Schädigungen  in  Betracht  zog,  vom  Stocke 
des  Handels  und  sonstiger  riesiger  Einbusse  an  NV 
tionalvermögen  noch  ganz  zu  schweigen.    Den  Fraa^ 
zosen  kam  ihr   Kriegszustand   zu   Wasser  und  zs 
Lande  nicht  billiger,  zu  Lande  noch  viel  teurer  zc 
stehen,   was   bei   ihrer   schon   früher   schwebenden 
enormen  Nationalschuld  drückender  ins  Gewicht  ^ 
Die  Engländer  arbeiteten  ohnehin  sehr  kostspielig, 
da  ihre  Mannschaften  besoldet  werden  und  die  Land 
miliz  vorläufig  ganz  nutzlos  unter  Waffen  stand.  H^ 
bilisierung  und  Instanderhaltung  einer  solchen  Ri^ 
senflotte  auf  Kriegsfuss  verschlingt  Unsummen.  N«! 
kamen  bald  noch  hinzu  die  schweren  Veriusic  ß 
China  tmd  Afrika,  welche  entschieden  die  doitigtc 
deutschen  überwogen,  und  das  naturgemässc  Anr 


—     431      — 

saugen  französischer  Landesteile  durch  deutsche  Be- 
setzung. Der  Verlust  an  lebendigem  Eigentum,  d.  h. 
an  Menschen,  war  gleichfalls  auf  Seite  der  Alliierten 
entschieden  grösser,  Gefangene  und  Versprengte  ein- 
gerechnet. Kein  Wunder,  dass  die  Völker  den  Krieg 
von  Herzen  satt  hatten. 

In  England  freilich  blieb  alles  beim  alten  wie 
im    tiefsten    Frieden.    1.    Ayr-Galloway-Volunteers 
übten  Scheibenschiessen  im  neuen  Kriegshafen  In- 
vergordon.  Manchesterregiment  hielt  Parade  vor  In- 
spektor-General Duke  of  Connaught  und  Marschall 
Evelyn   Wood,    dessen   Sohn,    Major   in    Bengalen 
stehender  Royalsdragoner,  betrübte  Briefe  schrieb, 
dass  Royais  nicht  gegen  Regimentchef  Kaiser  Wil- 
helm fochten.    Regiment  Essex  auf  Malta  gab  einen 
Ball,  obschon  die  früheren  Kameraden  4.  Worcester 
in  Suez  von  achthundertfünfzig  auf  dreihundert  Mann 
schmolzen,  wie  der  als  flinke  Hinde  hin  imd  her 
laufende  Destroyer   ,Stag*   meldete.    Italiens   Miss- 
£:eschick     amüsierte,      dessen     Animosität     gegen 
Deutschland  sich  ja  schon  beim  Flottenbau  zeigte, 
indem  man  lieber  Armstrong  als  Krupp  Geld  ver- 
dienen liess.    Dass  dem  Unglückskreuzer  „Puglia" 
der  Tarantowerft  wieder  mal  20,3  cm-Geschütze  ent- 
zweisprangen, machte  Armstrongs  schlechte  Ware 
nicht  besser.     Russlands    neue    Panzer    ,Makarof\ 
,  Gertzog  Edinburgsky'  übten  friedliche  Spazierfahrt 
neben   schwedischen   Korvetten   ,Freia',    ,Saga'    im 
Sund.  Nur  noch  Frankreich  hatte  respektable  Flotte, 
dessen  Admirale  Maigrot  und  Caillard  plötzlich  die 


—     432     — 

deutsche  Küste  verliessen.  Hier  hatte  man  aDes 
Tourellegeschütz  durch  Reformen  in  ,räontö  des 
m^canismes  du  pointage*  und  ,hausses  optiques*  ver 
bessert.  Die  neue  vom  Ordonnanzoffizier  des  Ma^in^ 
ministers,  lieutenant  de  vaisseau  Petit,  erfundene  U 
nette  versprach  viel. 

Britische    Rekonvaleszenten   ,Valiant*,  ^ctive'. 
wollten  neurepariert   sich   rüstig  und  aktiv  idgea 
,Courageous',  von  Tauchern  gehoben,  ward  courag« 
geflickt,  ,Britannia*  ging  völlig  umgebaut  mit  12-  ^ 
6zölligen  Kanonen,  76  Millimeter-Granaten  nadi  OsJ^ 
»President*  mit  dem  neuen  »B^ll^roP^on'  und  Sub^ 
marindepotkreuzer  ,Bonadventure*  nach  Westinäcn 
ab.    An  ihre  Stelle  traten,  neben  dem  als  Knsieß 
wache  vor  Dartmouth  liegenden  Kreuzer  ,Espieöf 
die  Kreuzerdamen  ,Doris*,  ,Hermione*,  der  undurcb^ 
dringlich  gepanzerte  ,Impregnable*.  Obschon  kleinere 
Kreuzer   wie   ,Speedweir,    ,Acheron*    im  deuiscba 
Meer  keine  gute  Fahrt  machten  und  in  acherontiscb« 
Tiefe  stürzten,  hatte  man  noch  so  viele  wie  .Sinus. 
feinen    ,Hyacinth*    zum    Etappendienst.    Rearadffi 
Gamble  und  Gross  (Devoni)ort  und  PortsmouthR^ 
serve),  Superintendent  Sir.  A.  Barry  zogen  Schladi'- 
schiffe  ,Russer,  ,Cornwallis*,  ,Mars*,  ,Prince  George 
,Centurion'    zusammen,   wo   Conunodore  Tynoffi- 
sein  ,broad  i>ennon*  flattern  liess,   mit  40  Cardin 
Colliers,  Dampfer  Torridge  allein  mit  6000  Tonne 
rauchloser  Kohle.   Torp.-Schulschiff  ,Vemon*  berat 
Lieb  Vaterland,  kannst  ruhig  seini 


Von  seinen  Kolonien  erfuhr  Deutschland  seit 
lange  nichts  mehr.  Man  blieb  für  Ostasien  auf 
Nachrichten  des  sibirischen  Telegraphen  (Kabel 
Nagasaki- Wladiwostok)  angewiesen,  der  jedoch  nur 
Unsicheres  mitteilen  konnte,  da  die  Japaner  scharfe 
Zensur  übten  und  auch  chiffrierte  Depeschen  aus 
Amerika  nicht  mehr  durchliessen.  Nur  der  deut- 
sche Gesandte  in  Washington  bekam  Kunde  von 
den  östlichen  und  sonstigen  Ereignissen,  konnte 
aber  auf  dem  Kabel  New  York-Azoren  nur  anfangs 
einiges  nach  den  afrikanischen  Kolonien  berich- 
ten. Als  dann  Anfang  Juni  plötzlich  Krieg  zwi- 
schen Japan  und  den  Vereinigten  Staaten  ausbrach, 
hörten  natürlich  alle  Berichte  nach  Europa  auf,  und 
auch  von  Vigo  (Azoren)  liess  Portugal  keine  Depe- 
sche nach  Deutsch-Afrika  mehr  durch.  (Die  letzte 
besagte,  dass  Ninkwa  und  der  Runhaübergang  bei 
Kidatu  in  Ostafrika  noch  vom  Bezirksamtmann  Rode 
i^egen  Häuptling  Ameri  gehalten  werde.)  Dieser 
Kleinstaat  hatte  sich  zwar  für  Kaiser  Wilhelm  bei 
dessen  Besuch  begeistert,  weil  man  für  die  Delagoabai 
bangte,  die  England  schon  längst  okkupieren  wollte. 
Doch  an  alte  Vasallenschaft  seit  Wellingtons  Zeit 

Völker  Europu  .  .  . !  28 


—     434     — 

demütig  gewöhnt,  beugte  man  sich  jetzt  den  Macht 
Verhältnissen  und  trat  aus  der  Zone  wirklicher  N» 
tralität  gerne  zu  Gunsten  Englands  heraus,  wenn  es 
nur  nicht  aktive  Teilnahme  am  Kampfe  verlangte 
Ungeniert  nahmen  englische  Schiffe  auf  allen  por 
tugiesischen  Seestationen  Kohlen  ein,  portugiesiscbe 
Besatzungen  in  Afrika  zeigten  den  Deutschai  das 
sichtbarste  Übelwollen.  Doch  auch  dies  gehörte  ä 
schon  der  Vergangenheit  an,  Portugiesen  hattesi 
nichts  mehr  zu  tun  oder  zu  unterlassen,  übefaü 
vom  Erdboden  vertilgt.  In  Ademaua  (Südkamöiffi/ 
trieben  die  Akwas  frei  ihr  Unwesen,  wo  einst  PuR 
kamer,  Brauchitsch,  Dominik  gewaltet.  In  Kä«» 
Lukoliro,  Iringa,  Moragoro,  Kilossa  an  der  Ost 
küste   herrschte   die   Ruhe  des  Grabes.  — 

• 

Sichere  Kunde  von  den  Vorfällen  in  Ostasi« 
erhielt  man  in  Deutschland  sehr  spät,  und  i^ 
erst  nach  dem  plötzlichen  Abschluss  des  Friedes» 
mit  Italien.  Dem  Kreuzer  ,,Condor"  gelang  es  näifr 
lieh,  von  seinem  Stationsort  Australien  zu  entkonuDCE 
imd  in  kühner  abenteuerlicher  Fahrt  um  Singapor« 
herum  an  Ceylon  vorüber  den  Indischen  Ocean. 
dann  den  Persischen  Golf  imd  das  Rote  Mecrie 
durchkreuzen,  indem  er  bei  Nacht  mit  gelöschteß 
Lichtem  an  Aden  vorüberfuhr,  wo  ein  vercuiieHes 
britisches  Stationsschiff  lag.  Alle  übrigen  britisdie 
Schiffe  waren  damals  im  Gelben  Meer  und  vor  Ja^ 
zusammengezogen,  so  dass  die  Gewässer  bis  Sofl 
freilagen.  Dort  hatte  der  „Condor**  anfangs  die  Mcff* 
enge   durchs   Meerungeheuer  „Leviathan"  gcspcnt 


—     435     — 

gefunden.  Als  dies  und  „Suffolk"  aber  südlich  nach 
Kassala  die  Anker  lichteten,  passierte  ,,Condor"  bei 
Nacht  unbemerkt,  da  die  von  den  Islamiten  bedräng- 
ten Garnisonen  von  Suez  und  Port  Said  etwas  an- 
deres zu  tun  hatten,  als  sich  um   fremde  Schiffe 
zu  kmnmem.   Durchaus  unktmdig  der  europäischen 
Ereignisse,    durchlief   der   deutsche    Kreuzer    nun- 
mehr die  Syrte  und  wandte  sich  nach  Tarent,  um 
das  befreundete  Triest  zu  erreichen,  da  man  sich 
bei  Italien  in  befreundeten  Gewässern  glaubte.  Auf 
der  Höhe  von  Brindisi  angehalten,  konnte  man  aus 
dem   seltsamen  Betragen   der  Italiener   nicht   klug 
werden,  die  zwar  bedauerten.  Einfahrt  nach  Triest 
nicht  gestatten  zu  können,    aber  sich  in   Höflich- 
keiten erschöpften.  Es  war  die  Zeit  Anfang  Juli,  wo 
Italien  nicht  aus  noch  ein  wusste.    Zur  Beschlag- 
nahme  deutscher   Handelsschiffe   im   Triester   Ha- 
fen, neben  „Körber"  auch  Touristendampfer  „Thera- 
pia"  der  Levantiner  Linie,  hatte  der  deutsche  Bot- 
schafter anfangs  wohlweislich  geschwiegen,  nach  den 
italienischen  Niederlagen  aber  in  drohendem  Tone 
Rechenschaft  gefordert.   Dies  schon  aus  tieferen  di- 
plomatischen  Gründen,   um   Italien   durch   solchen 
Kriegsvorwand  einzuschüchtern,  sollte  es  wegen  An- 
schlusses an  die  geheime  Allianz  kontra  England 
Schvaerigkeiten  erheben.  Natürlich  wxurden  die  deut- 
schen Schiffe  sofort  in  Freiheit  gesetzt,  man  habe 
sie  mit  Fahrzeugen  des  österreichischen  Lloyd  ver- 
-wechselt.   Man  erschöpfte  sich  in  Entschuldigungen, 
und   Mitte  Juli  erhielt  der  unter  politischer   Qua- 

28* 


—     436     — 

rantäne  im  Meerbusen  von  Tarent  bewachte  „Con 
dor"  feierlichen  Besuch  des  italienischen  Adnmals, 
der  sich  mit  vieler  Devotion  .als  neuer  Waffenbruder 
des  allgewaltigen  Deutschland  vorstellte.  Der  Koo- 
mandant  des  „Condor"  hatte  jetzt  folgendes  nad 
Hause  zu  berichten.   (Er  hatte  übrigens  noch  unter 
wegs  den  Engländern  einen  schweren  Schaden  » 
gefügt.  Bei  Lloyds  imd  auf  dem  Marineamt  in  L^ 
don  herrschte  Bestürzung,  dass  Nachricht  aus  b- 
dien  ausblieb :  die  Kabelleitung  Aden-Bombay  ^ 
von  „Condor"  auf  einige  Zeit  unbrauchbar  gtm^ 
worden.    Erst  auf  der  Kabellinie  Valcnda-Ainerib 
erhielt  man  aus  Batavia  und  Pago-Pago,  ^  ^ 
amerikanische    Kabel    nach    Oceanien   endet,  B^ 
schwichtigung,  dass  in  Indien  nichts  Neues  vorfiek 
„Auf  Samoa-Islands  Vermessungsschiff  f^ 
am  1.  Juni  umzingelt  und  zmn  Flaggstreichen  r 
zwungen,  Apia  vom  Feind  besetzt.  Laut  Bericht  de 
Reichspostdam^fers  ,Schamhorst\  seither  gleichW^ 
vermisst,  auch  Vermessimgsschiff  ,Komef  bri  Bcrfc 
Abas  im  persischen  Golf  abgefangen.  S.  M.  Krcuie? 
,Cormoran*  auf  Fahrt  nach  Tsingtau  am  28.  M« 
von  feindlichem   Panzerkreuzer  eingeholt  und  vc: 
senkt.    S.   M.  Kreuzergeschwader  (,Thetis*,  ,N«* 
,Undine*,  »Elisabeth*,  »Geier*,  K.  B-   .Luchs'.  ,1^ 
vor  Tsingtau  4.  Juni  nach  tapferer  Gegenwdr  ^ 
englisch-französischer  Übermacht  vemichteL  Am? 
Strandbatterien  in  Tsingtau  zxmi  Schweigen  gfb^'^ 
Kiautschou  von  englischen  Marinemannschafteo  os 
kupiert.    Am  31.  Mai  ein  englischer  Truppcntra35^ 


437 


port  von  der  Indischen  Armee  in  Hongkong  ver- 
sammelt und  nach  Batavia  in  See  gegangen.  Am 
3.  Juni  holländische  Flottille  auf  Reede  von  Batavia 
abgetan,  die  Stadt  von  britischen  Matrosen  besetzt. 
Aufstand  der  Javaner  im  Innern.  Landimg  des  anglo- 
indischen  Truppentransports.  S.  M.  S.  ,Condor* 
dort  reparaturbedürftig,  aus  Freemantle  (Südwest- 
australien) in  Batavia  eingelaufen,  von  dort  ent- 
kommen." — 

In  London  wusste  man  natürlich  mehr.  An- 
nexion von  Sawai  und  Upolu  verlief  kampflos,  ob- 
schon  die  fremden  Arbeiter  aus  Tahiti  und  Neuen 
Hebriden  (Kanaken)  in  den  ehemals  Godefroyschen 
Pflanzungen  nicht  übel  Lust  zeigten,  sich  auf  Seite 
der  deutschen  Behörde  zu  schlagen,  von  der  sie 
besser  behandelt  werden,  als  sonst  von  englischen 
Kopra-Makers.  Am  Brotfruchtbaum-Hain  des  öst- 
lichen Vorgebirgs  Saluafata  in  Nähe  von  Vailili, 
wo  einst  viele  deutsche  Seeleute  im  samoanischen 
Bürgerkrieg  den  Tod  fanden,  sowie  an  der  mit  Taro- 
pflanzen  bestandenen  Fagaloabucht  musste  man  Gra- 
naten  zwischen  drohende  Haufen  von  Polynesiern 
werfen,  und  an  der  steilen  Südküste  wollten  die 
rauhen  kriegerischen  Dörfler  von  Falealili,  der  volk- 
reichsten Ortschaft  nächst  Apia,  in  Nähe  der  fran- 
zösischen Missionsstation  sich  auf  ein  Gefecht  ein- 
lassen. In  die  Brackwassersümpfe  vor  Apia  floss 
auch  einiges  Blut  von  Deutschen  und  Samoanem. 
Alle  bedachten  sich  bald  eines  Bessern.  Mit  dem 
„Planet"  wurden  hier  auch  der  Dampfschoner  „Sa- 


—     438     — 

moa",  beim  Bismarckarchipel  der  Lloyddampfer  „Lü- 
beck" (früher  Sidney-Apia)  gefangen. 

Mit  bitterm  Neid  blickten  die  Briten  auf  die 
Hawaünseln,  deren  riesigen  Zuckerbandel  (ndist 
Pulu-Pflanzenfamwolle,  Baumschwämmen,  Kiikn> 
nussöl,  Rindstalg,  Perlmuscheln,  gelben  Federn  d6' 
Inselvögel)  man  sich  so  gern  angeeignet  hätte,  da 
man  doch  mal  im  Zuge  war.  Leider  verbot  Ruck- 
sicht auf  Amerika  diese  Vergnügimgsfahrt  Lieb- 
licher Duft  der  Hawaischen  Blumenzucht,  wo  nur 
die  Rosen  geruchlos,  ward  von  balsamischen  Lüften 
Oceaniens  gen  Nordwesten  getragen,  als  sollte  die 
Blumenliebhaberei  eines  andern  Inselvolkes  da  drü- 
ben auf   Nipon   begrüsst  und  eingeladen  werden! 

Hingegen  konnte  England  sich  nicht  versaga 
Aimexion  von  Samoa  auch  auf  die  unabhängiges 
Tongainseln  auszudehnen.  Dem  drolligen  „Könige 
mit  seinen  drei  Ministem,  vierzig  Kanmierdeputiei 
ten,  fünfhundert  Leibgarden,  nebst  dazugehörig® 
Reichswappen,  ward  mitgeteilt,  dass  die  sechs  deci 
sehen  Ansiedelungen  seines  „Reiches"  Bedenken  e: 
regten,  daher  fortan  Handel  mit  Netzen,  Körbei, 
Elfenbeinschnitzerei  nur  noch  unter  oigtischc' 
Flagge  erlaubt  sei,  die  man  auf  dem  PalmU^tt 
dach  der  hohen  Kirche  von  Nukualofa  alsbald 
aufzog. 

Nicht  mal  das  bisher  im  Iimem  gegen  den  tu 
den  Arfakstanmi  unerforschte  Neuguinea  li^s  nun 
den  Deutschen.  Nachdem  im  holländischen  ^^ 
teil  das  Fort  Dubus  und  Pfahldorf  Dor6  von  eiti 


—     439     — 

gen  Blue-Jackets  besetzt  und  dem  Sultan  von  Tidore 
mitgeteilt,  dass  fortan  Tribut  von  Papua-Muskat- 
nüssen, Massoirinde,  Paradiesvögeln  an  den  Gou- 
verneur von  Queensland  (gegenüberliegendes  australi- 
sches Festland)  zu  zahlen  sei,  nahm  man  Kaiser- 
A^helmsland  in  Angriff,  das  allerdings  im  Verhält- 
nis zu  Holländisch-  und  Britischneuguinea  sich  schon 
einer  gewissen  Blüte  erfreut.  Die  deutsche  Neu- 
guineacompagnie  mit  ihren  Tochtergesellschaften 
„Kaiser  Wilhelms-Plantagen"  und  „Astrolabe"  hatte 
uiit  Tabak  und  Baiunwolle  sehr  guten  Erfolg  gehabt, 
nutzte  den  Pflanzenreichtimi  von  Yam-  und  Taro- 
wurzeln,  Areka-  und  Sagopalmen,  Brotfrucht-,  Mus- 
katnuss-,  Gewürznelkenbäumen,  Bambus,  Ingwer,  Ne- 
gerhirse, Sorghum,  Betelpfeffer  gut  aus,  führte  Me- 
lonenbäume, Tamarinden,  Limonen,  ölpalmen  und 
europäische  Gewächse,  Liberiakaffee  aus  Java,  Kaut- 
schuk-, Guttapercha-,  Kapokpflanzen,  Maniok,  Coca, 
Bixa  (für  Farbrinde)  ein.  Dieser  Herrlichkeit  wollte 
nun  ein  englischer  Überfall  ein  Ende  machen.  Ob- 
schon  aber  die  Dampfer  „Ysabel"  imd  „Ottilie", 
Segelschiffe  „Senta",  „Esmeralda"  und  Friedrich- 
wilhelmshafen selber  leicht  genommen  wxurden,  be- 
kam eine  Ausschiffung  einem  Marinepikett  schlecht. 
Auch  grössere  Landungen  schickte  die  Schutz- 
truppe, aus  miokesischen  Insulanern  imd  den  we- 
nigen Deutschen  bestehend,  mit  ihren  umgeänderten 
Chassepots  unverrichteter  Sache  heim.  Denn  die 
angeworbenen  viertausend  Arbeiter  von  den  deut- 
schen Inseln,  die  weit  gerechter  behandelt  wurden 


—     440     — 

als  irgendwo  sonst  die  unglücklichen  Kanaken,  fübl- 
ten  kein  Bedürfnis,  die  Regierung  zu  tauschen,  und 
standen  treu  zum  Landeshauptmann.   So  blodoerte 
der   britische  Admiral  nur   die  Küstenrander  und 
verschob  ernste  Okkupienmg  des  Pflanzergebicts  auf 
später,  wozu  ihm  jedoch  auch  bezüglich  der  Salo- 
monen und  des  Bismarckarchipels  eine  baldige  Um* 
gestaltung  der  Weltlage  keine  Zeit  liess.  Wie  gene 
hätte   man   die   »Deutsche   Handelsgesellschaft  der 
Südsee*  und  die  Firma  Hemsheim  von  Matapi  ver- 
drängt und  der  britischen  Firma  Forsayth  auf  Neu- 
pommem  ein  Monopol  unterm  Union  Jack  versdafft 
für  Kopra,  Tripangsäcke,  Perlmutterschalen  l  Dod 
einem   raschen   Streifzug   gelang   nur  die  Agentur 
Mioko  zu  zerstören  und  die  Gazellehalbinsel  su  b^ 
unruhigen,  doch  der  Reichskonunissar  liess  sich  noch 
nicht  von  Herbertshöhe  verdrängen.    Auf  den  ii^ 
völlig  unbesiedelten  Salomonen,  wo  nur  ein  Amen- 
kaner  Macdonald  und  ein  Händler  der  Finna  Farell 
eine  Zeitlang  die  einzigen  Weissen  waren  und  nnr 
ein    bisschen    Elfenbeinnüsse    ausgeführt    werden. 
machte  ein   britischer   Kreuzer   der  Tausendsdiiff- 
bucht  kurzen  Besuch,  dampfte  dann  nach  den  Mar 
Schallinseln,  wo  er  die  deutsche  Hauptstation,  defl 
Sitz    der  Jaluitgesellschaft,    leicht    genug  bcsctttc, 
da    unter   der   Handvoll   Weisser   nur   ein  Viertd 
Deutsche. 

Übrigens  wurden  auch  die  wertlosen  Karoöncu. 
Marianen,  Ladronen,  wo  der  spanische  Schiendrias 
alle  günstigen  Keime  austilgte,  mit  einer  Besatzong 


—     441     — 

in  Ponap^  bedacht,  weil  auch  hier  der  deutsche  Han- 
delseinfluss   tonangebend,   daher  zu   inhibieren  sei. 

Französisches  2.  Geschwader  ,des  mers  de  Chine' 
half  naiverweise  beim  Bewältigen  der  Sundainseln, 
wo  alle  holländischen  Faktoreien  und  deutschen  Han- 
delsniederlassungen auf  Bomeo  und  Sumatra  in  bri- 
tische Hände  fielen.  Französische  Kameradschaft 
wurde  sogar  für  den  Kleinkrieg  mit  den  holländi- 
schen Kolonialtruppen  auf  Java  und  zur  Zähmimg 
der  Malaiensultane  auf  Sumatra  in  Anspruch  ge- 
nominen, das  1.  Tonkinesische  Infanterieregiment 
treuherzig  vom  Gouverneur  Beau  (Indochina)  den 
Briten  zur  Verfügung  gestellt.  Die  problematische 
Herrschaft  Hollands  auf  Sumatra  und  Bomeo  wurde 
so  binnen  einem  Monat  durch  die  beiden  europäi- 
schen Grossmächte  erweitert.  Malaien  und  java- 
nische Mischlinge  sahen  sich  mit  trauriger  Über- 
raschung ganz  andern  Kräften  gegenüber,  als  das 
kleine  Holland  sie  jemals  aufbringen  konnte,  und 
es  wurde  recht  deutlich,  dass  die  so  unendlich  wert- 
vollen Sundainseln,  von  denen  eigentlich  nur  Java 
völlig  Holland  gehörte  und  deren  unermessliche 
Schätze  im  Innern  noch  meist  ungehoben  liegen, 
nur  in  der  Hand  einer  Grossmacht  für  Europa  wirk- 
lich auszunutzen  seien.  Die  holländischen  Mietlings- 
truppen, meist  Deutsche,  kapitulierten,  um  sich  nicht 
den  angeblich  laut  Multatulis  Anklagebüchem  so 
lange  gepeinigten,  in  Wahrheit  nur  tückisch  treu- 
losen Eingeborenen  ergeben  zu  müssen. 

Der  Freude  in  England  über  diesen  neuen,  so 


—     442     — 

lange  begehrten  Besitz  tat  es  auch  kernen  Eintrag, 
dass  die  beiden  andern  Mächte  des  Stillen  Oieaos, 
Japan  und  Amerika,  sich  unterdessen  in  den  Haaren 
lagen.     Es  kam  ja  nicht   unerwartet.    Japan,  dss 
sich  mit  höflicher  Kühle  von  der  britischen  Razsa 
auf  deutsche  Kriegs-  und  Handelsschiffe  fernhiei 
hess  alle  noch  nicht  nach  San  Francisco  und  Panam 
auf  rechtzeitige  chiffrierte  Vorherwamung  ans  Ham- 
burg, entronnenen  Dampfer  des  Lloyd  ruhig  Ae 
Jokohama  entwischen,  sah  dem  raschen  ÜbeifaD  ^ 
rührigen  kleinen   Kiautschougeschwaders   auf  ^ 
tisch-französische    Kauffahrer    (vom    20.   Mai   lis 
2.  Juni)  gemütlich  zu.    Dass  es  gleich  anfangs  soae 
ganze  Flotte  mobilisierte  und  auf  Fonnosa  drd  1^ 
sionen  landete,  während  in  Korea  und  den  nod  b^ 
setzten  Punkten  der  Mandschurei  eine  OkkupatioQf 
armee  nach   dem  Amur  hinüberschielte,  als  wölk 
sie  Russland  einen  Wink  mit  dem  2^unpfahl  g^ 
sich  nicht  zu  rühren,  blieb  den  Amerikanern  ^^ 
kein  Rätsel.     Der  von  japanischen  Emissären  g^ 
schürte  erneute  Aufstand  der  Philippinos,  durdi  n^ 
Niedermetzelung  der  ,Moros'  samt  Frauen  und  Kii^ 
dem  über  Yankeezivilisation  belehrt,  an  allen  Or» 
der   Inselgruppe   zwang  zu   ununterbrochener  Sa- 
düng  neuer  Regimenter,  doch  die  winzige  rcgii&« 
Armee  der  United  States  erwies  sich  v^Ug  unfife 
selbst   unter  Anschluss   eines  hochbezahltoi   F^ 
willigenkorps,  die  nötige  Aufgabe  zu  erfüllen.  ^ 
verschiedenen  Bestandteile  der  Philippinos  (SpiK^ 
Mestizen,  Neg^ritos  und  malaiische  Ta^en)  «i« 


—     443     — 

eins  im  Hass  wider  die  Amerikaner.  Von  der  in 
letzten  Jahren  fieberhaft  vermehrten  Flotte  lag  nur 
ein  kleinerer  Teil  bei  Manila,  der  grössere  blieb 
auffälligerweise  bei  Cuba,  angeblich  zum  Schutz  der 
wahrlich  nicht  bedrohten  Neutralität  der  atlantischen 
Gewässer. 

Dass  die  von  Spanien  vernachlässigten  Inseln 
mit  ihrem  Reichtum  an  Reis,  Zucker,  Manilahanf, 
Manilazigarren,   Kaffee,   Farbholz,    Fellen,   Bataten, 
Bananen,   Mangos,  Ananas,  Kokospalmen,  Kerbau- 
büffeln,  Wildschweinen,  Entenzucht  am  Pasigfluss, 
Schwalbennestern,  Perlenfischerei»  Kupfergruben  der 
Igorotten  am  Monte  Data  und  Goldminen  in  Nord- 
luzon,  Tapisstoffen  aus  Seide,  Stickereien  und  Matten 
aus  Ananasfasem,   wie  die  Visayer  sie  anfertigen, 
Bootzimmerei     der     Catalangonen,      den    Yankees 
in  die  Nase  stachen,  begreift  sich.    Nicht  aber  die 
Mischung  von  Gemeinheit  und  Dummheit,  mit  der 
sie  ihr  angebliches  Befreieramt  als  pures  Ausbeu- 
tungsrecht auffassten  und  für  jeden  spanischen  Miss- 
brauch zehn  neue  amerikanische  einführten.    Schon 
die   einst   so   berüchtigte   Schreckensherrschaft   der 
Piraten  auf  den  südlichen  Suluinseln  hätte  doch  vor 
dem   wilden   Kriegerinstinkt   der    Malaien    warnen 
sollen.   Auf  der  südlichsten  Insel  Mindanao  setzten 
die  mohanmiedanischen  Eingeborenen  des  Westens 
im  Kampf  gegen  die  neuen  Nordlandseindringlinge 
einfach  ihre  altgewohnten  Seeräubereien  fort.  Selbst 
in  den  rechtwinklig  regelmässigen  Strassen  von  Ma- 
nila   waren   einzelne   Americanos   bei   Nacht  kaum 


—     444     — 

ihres  Lebens  sicher,  die  zahlreichen  Chinesen  ver- 
mehrten die  GänmfiT»  wozu  noch  fanatische  Predig 
ten  gegen  die  nordischen  Ketzer  in  den  Jesuitea' 
kirchen  beitrugen.  Die  noch  unvollendete  Balut 
strecke  nach  Dagupan  ward  jede  Nacht  Yon  Insor 
genten  beschädigt.  Den  Hafen  Cotabato  übeifiela 
Tagalen  in  zahlreichen  Dschunken  und  wüteten  isi 
Kriss-Dolch  unter  amerikanischen  Strandwachen. 

Grössenwahn,  cynische  Gleichgültigkeit  geg« 
Menschenrechte,  schrankenlose  Habgier  und  Kw 
ruption  bilden  eben  ein  so  unausrottbares  Gazus 
im  plutokratischen  Milliardarunwesen  der  gior 
reichen  Vereinigten  Staaten,  denen  allein  die  Zt 
kunft  neben  dem  altersschwachen  Europa  gebör^ 
dass  diese  pöbelhafte  Pseudodemokratie  des  Knote 
tums  ihren  jungen  Imperialismus  so  zur  Schau  tmg: 
wie  ein  reichgewordener  Hausknecht  den  Grani 
seigneur  spielt.  Diese  protzigen  Profitwüterichc,  (fe 
selbst  ihre  angeblich  ideale  Abschaffung  der  SkU 
verei  nur  aus  niedrigsten  GeschäftskonkunenzgnX' 
den  in  Szene  setzten  und  denen  auch  die  leises» 
Ahnung  wahren  vornehmen  Freiheitsgefühls  i^ 
geht,  deren  vorlaute  naseweise  Frauenzimmer  dab^ 
ganz  logisch  jedem  lumpigen  Adelstitel  als  plebci 
sehe  Snobs  nachrennen  und  sidi  an  jeden  ,,adeligec^ 
Auswürfling  Europas  verschachern,  hatt«i  aber  aa 
den  Erfahrungen  mit  Cuba  und  Manila  noch  nicb' 
genug.  Nur  inmier  hübsch  weiter  die  Welt  befreie 

Am  1.  Juni  erschien  plötzlich  Admiral  Toff>  ^ 
Bereich  der  Philippinen  nebst  grosser  Transportfloc:^ 


—     445     — 

und   bemächtigte   sich   durch  jähen   Überfall   einer 
wichtigen  Küstenstrecke  auf  Panay  bei  dem  Städt- 
chen Il<?IIo.    Als  Begründung  führte  Japan  trocken 
an,  dass  Formosa  durch  den  steten  Kriegszustand 
auf  den  Philippinen  beunruhigt  werde  und  Anwesen- 
heit der  Flotte  des  Admirals   Dewey  eine   Gefahr 
für  Japans  Neutralität  bedeute,  ausserdem  Genug- 
tuung für  Ausweisung  und  Misshandlung  japanischer 
Staatsangehöriger  angemessen  sei.    Mit  dem  ganzen 
Hochgefühl  des  zukunftstolzen  Amerika  lief  zwar  der 
Sieger  von   San   Jago   dem  weltberühmten  Sieger 
von  Port  Arthur  und  Tschuschima  entgegen.  Seine 
Mannschaften  fochten  unerschrocken  genug,  seine 
guten  Geschütze  modernster  Konstruktion  schössen 
vortrefflich.  „Boston**,  „Princeton",  „Chicago",  „Mar- 
blehead",  das  eigentliche  frühere  Pacificgeschwader, 
„Wisconsin",  „Lancaster"  (früheres  Flaggschiff  der 
American-Asiatic-Squadron)  hielten  sich  im  Zentrum 
grut  unter  Adm.  Macalla.    Mit  Panzern  und  Kreuzern 
„Cleveland",  „Denver",  dem  neuen  „Ohio"  (vormals 
Linienschiff    von    neimzig    Kanonen),    „Alabama", 
„Chattanoga",    „Galveston",    „Eagle",     „Concord", 
„Tacoma",  „Ranger",  „Monadnok"  und  anderen  klei- 
neren durchbrach  teils  Vizeadmiral  Sigsby  an  einer 
Stelle  die  Japaner  zwischen  den  Inselchen  Corre- 
gidor,  Freyle,  Monja»  teils  suchte  Rearadmiral  Cjood- 
rich  leewards  die  Windflanke  abzugewinnen.  Vom 
Commander  mit  goldener  Laubstickerei  des  einge- 
stickten Blatts  auf  der  Achsel  bis  zum  Enseign  mit 
der  Ankerstickerei  am  Ärmel  taten  alle  Offiziere  ihre 


—     446     — 

Pflicht  unterm  Stemenbanner  g^erade  so  dfrig,  vi^ 
drüben  die  Gelben  in  der  schwarzen  Marineomfoim 
Doch  schon  nach  scharfem  einstündigem  Kampfe, 
wobei   die  auf  der  Werft  von  Yohusuka  gebaut 
„Satsuma"  und  die  in  Kure  verfertigte  ,^"  ^ 
die  Panzerkreuzer  „Ikoma"  und  „Tsukubo"  allein  r.- 
sammen  siebenundsechzigtausend  Tonnen  repräsc 
tierten  und  die  japanische  neue  Schiffsbaukunst  ver 
herrlichten,    zeigte   sich   das  japanische  Frontalis 
schwader,  das  mit  Segel  am  Mast  manÖTrierte  ^ 
die  „mittlere"  Artillerie  ganz  abg^eschafft  hatte  - 
sinnreiche  Vereinf achimgsreform  ?  — ,  tcduusdi  « 
weit  überlegen,  dass  Dewey,  als  ihm  plötzlich  durd 
nahen  Inselsund  von  Luzon  das  Flankengeschvader 
unter  Admiral  Kamamura  in  den  Rücken  dampfte 
vor  solcher  Übermacht  an  Zahl  und  Gefechts«- 
schleunigst  die   Flucht  ergriff.     Ein  Drittel  sdrie 
Geschwaders  ging  verloren,  das  übrige  war  so  Itf^ 
mitgenommen,  dass  es  seine  Havarien  im  Panaou 
kanal  ausbessern  ging.     Japanischerseits  sank  ^ 
der  „Minoshima",  wie  einst  der  „Hu^shima",dageg£^ 
trugen    „Okinoshima"    und    der  vormals  rvsäsdi 
„Tsugaru"  nur  leichte  Verletzung  davon.  Umgekcfc: 
schoss  man  der  sauberen  „Marblehead"  ihr  schönes 
Haupt  vom  Rumpf,  das  leider  nicht  von  Manuor 
war,  dem  „Eagle"  ward  für  immer  die  Schwing«  ^ 
stutzt,  der  „Ohio"   des  Far  West  fand  im  fem« 
Osten  sein  Grab,  „Ranger"  durfte  nie  mehr  Schoss- 
Range  suchen  I   Flaggschiff  „Katori"  rammte  ,X^ 
caster"  nieder.    (864  Mann,  Capt.  Sakamoto.) 


—     447     — 

Die  Philippinen,  nun  völlig  blockiert  und  iso- 
liert, waren  für  Protektorat  Japans  fast  ohne  Schwert- 
streich gewonnen,  da  die  Amerikaner,  um  nicht  der 
grausamen  Rache  der  Philippinos  ins  Garn  zu  lau- 
fen, für  freien  Abzug  mit  eins  kapitulierten.  Dies 
geschah  am  5.  Juni. 

Japanische  Firmen  bemächtigten  sich  sofort  des 
Handels  mit  Manilahanf  seilen,  Pinatuch  imd  Brome- 
liafasem  und  Pine-Apples.  Zahllose  Dschunken  mit 
den  eigentümlich  viereckigen  halbgefärbten  Segeln 
füllten  schon  den  koreanischen  Kanal  auf  Fahrt 
nach  dem  eroberten  Archipel,  durch  Simosendd 
Strait  an  Tschusimas  altem  Zaubereiland  vorbei, 
dessen  mimosenumflüsterter  Strand  mit  altersgrauen 
Tempeln  und  Dschungeln  voll  bunter  Pfauen  sich 
auf  kristallklarem  Wasser  spiegelt.  Goldbrokat,  Da- 
mast, Rips  von  Kiriu,  Webereien  von  Kioto,  die 
ganze  keramische  und  Seidenindustrie  Japans  über- 
flutete die  Phihppinen.  Im  altersgrauen  Schloss  der 
Shogune  unter  Schiebwänden  undRindendächem  von 
Chinokiholz  kicherten  die  Geister  der  Ahnen  wohl 
fröhlich  über  solche  Annexion  malaiischer  Brüder. 

Japanische  Transportschiffe  mit  Parlamentär- 
flagge setzten  am  20.  die  Kapitulanten  in  kali- 
fornischer Bai  ans  Land,  Hessen  dort  gleichzeitig 
ein  paar  gewiegte  Diplomaten  aus  Marquis  Itos 
Schule  zurück,  die  in  Washington  dem  Präsidenten 
einen  Besuch  abstatteten.  Während  des  WutgebrüUs 
von  Oregon  bis  Alabama  über  die  japanische  Frech« 
heit    und   verschiedener   Lynchgerichte   über   arme 


—     448     — 

der    Spionage    verdächtige    Chinamen  begann  im 
Weissen  Hause  ein  geheimnisvolles  Trdben. 

Beim  noch  immer  massgebenden  Roosenit 
gingen  Senatoren  ein  mid  aus,  um  geheime  Bc» 
tungen  zu  pflegen.  Das  noch  nicht  voUatisgenstete 
Reservegeschwader,  einige  noch  im  Bau  begrifi» 
Panzer,  die  Strandbatterien  und  Minensperren  bc 
New  Orleans  und  Manhattan-Bai  wurden  mit  fid^c- 
hafter  Eile  aus  allen  Beständen  der  Werfte  crgiÄ 
vollendet,  bemannt,  Kohlenvorräte  angehäuft  Ot- 
zielle  Notizen  verschleierten  zwar,  dass  diese  Hai' 
über  Kopf  ins  Grosse  hinaufgeschraubte  Rästung 
natürlich  nur  Krieg  mit  Japan  betreffe.  Aber  des 
britischen  Botschafter  fiel  auf,  dass  der  deutsd^ 
Gesandte  sehr  zufrieden  aussah,  dass  auch  in  W^ 
poLnt  eine  grosse  Regsamkeit  herrschte  und  im  Hsk 
von  Newyork  Massregeln  von  Verteidigungsbcre: 
Schaft  getroffen  wurden,  vor  allem,  dass  die  sst 
reiche  japanische  Flotte  in  rätselhafter  Untätigl^ 
verharrte,  nach  einigem  Hin-  und  Herkreuzen  *ic^ 
im  Chinesischen  Meer  auftauchte  imd  langsam  ssc 
wärts  statt  ostwärts  fuhr.  Das  kanadische  Gc' 
vemment  bekam  Nachricht  von  Geheimbefdl^ 
an  Milizen  der  Grenzterritorien,  sich  ausrücknof^^ 
bereit  zu  halten.  Und  währenddessen  setzten  f^' 
setzliche  imerwartete  Nachrichten  aus  China  «^ 
Gemüter  in  Spannung:  die  alliierten  Geschwader« 
belten  nach  London  und  Paris  den  jähen  Ansbni^ 
einer  allgemeinen  chinesischen  Erhebung  und  Free 
tenaustilgung  am  nämlichen  Tage,   dem  25.  ]^ 


—     449     — 

Es  war  die  Zeit,  wo  in  Europa  die  Landentschei- 
dung fiel,  daher  die  gegenseitige  Blutentziehung  und 
Entkräftung  der  weissen  Teufel  den  höchsten  Grad 
erreichte.  So  genau  und  pünktlich  hatten  die  chi- 
nesischen Diplomaten  in  Europa  mit  ihrem  schel- 
misch feisten  Unschuldslächeln  nach  Hause  berich- 
tet. Natürlich  meldeten  die  Gesandtschaften  aus 
Peking  nichts  als  korrekteste  Haltung  des  Yamen, 
dessen  fester  Wille  jede  Boxerei  zu  Paaren  treiben 
werde,   übrigens  herrsche  völlige  Ruhe  in  China. 

Ominöse  Ruhe  vor  dem  Sturme  konnten  die 
gesellschaftlich  so  reizvollen  Ambassaden,  die 
leider  ihren  Beruf  verfehlen,  so  recht  gemessen, 
als  plötzlich  die  Schildwachen  vor  ihrem  verschanzten 
Viertel  überfallen  und  niedergemacht  wurden,  unab- 
sehbare heulende  Massen  tigerhaft  gereizter  Gelber 
gegen  ihre  Mauern  brandeten.  Im  Innern  alle 
Europäer  mit  bestialer  Grausamkeit  umbringend, 
peitschten  die  Gelben  ihre  ungeheure  Menschen- 
woge bis  zur  Küste.  Ein  paar  halbtote  Flüchtlinge 
aus  Hankau  brachten  nach  Shangai  die  Schreckens- 
kunde, wo  das  Fremdenviertel  sich  sofort  be- 
waffnete, ebenso  in  Hongkong.  In  Kanton  kam  dies 
schon  zu  spät,  nur  ein  Teil  der  Fremden  konnte  von 
englischen  Marinebooten  aufgenommen  werden.  Da 
man  törichterweise  das  Internationale  Schutzkorps 
in  Tientsin  wegen  der  europäischen  Wirren  bedeu- 
tend schwächte  und  am  liebsten  ganz  aufgelöst 
hätte,  konnte  es  den  Gesandtschaften  keine  Hilfe 
bringen,    die    nach    verzweifelter    Gegenwehr   am 

Völker  Europas  ...  I  29 


—     450     — 

1.  Juli  erlagen.  Die  Gesandten  selber  wanderten  als 
Geiseln  in  chinesische  Gefangenschaft,  alles  übrige 
ward  hingemordet.  Hier  gab  es  viele  „Briefe»  <& 
ihn  nicht  erreichten"! 

Auf  Hilfeschrei  hatte  die  kaiserlich  chmesisdif 
Regierung  mit  der  trockenen  Aufforderung  geaot 
wortet,  sofort  Befehl  zur  Übergabe  der  Taku-Fom 
zu  erteilen;  dann  werde  man  sehen,  was  sich  nsi 
lasse,  und  die  Gesandten  nebst  ihren  Familiea  u 
europäischen  Schiffen  eskortieren.  Selbst  wess 
Stolz  imd  Ehrgefühl  dies  nicht  verboten  hätten,  vobe 
noch  zweifelhaft,  ob  der  Kommandant  von  Ta^ 
ohne  ausdrückliche  Weisung  der  heimischen  R^ 
gierung  dem  Ansinnen  entsprochen  hätte,  kanst^ 
man  chinesische  Arglist  zu  gut,  um  nicht  anc: 
hierin  eine  Falle  zu  vermuten.  Man  schlug  alx 
dies  Anerbieten  aus,  auf  Entsatz  hoffend,  da  dod 
die  alUierten  Flotten  und  Japan  furchtbare  ^^ 
nehmen  würden.  Doch  das  schien  die  Chinese 
wenig  zu  kümmern.  Statt  der  Boxerbanden  drängt« 
ein  wohlexerziertes  gutbewaffnetes  Heer  cbinesiscber 
Regulären,  das  gleichzeitig  von  der  Mandsdicici 
und  von  Nanking  heranrückte,  die  SchutztruppeDai:^ 
Tientsin  und  blockierte  die  Taku-Forts.  Ober  Kact 
schon  schlug  eine  heulende  Empörerbrandung  ^ 
sammen.  Noch  lagen  im  Hafen  die  Wracks  derdcit 
sehen  Schiffe,  von  .^Thetis"  ragten  nur  die  Mas» 
noch  aus  den  Riffs  imd  Sandbänken  hervor,  nodi  be^ 
fanden  sich  Gouverneur  imd  III.  Seebataillon  gi<^^ 
tenteils  in  englischem  Gewahrsam,  als  Briten  de^- 


—     451     — 

Deutsche,  Eroberer  und  Gefangene  sich  gleichmässig 
dem  Verderben  gegenübersahen.  Alles  kann  man 
den  Briten  als  Politikern  und  Kriegführenden  vor- 
werfen, nur  nicht  Mangel  an  Energie  und  Mut. 
Der  Okkupationsposten  der  gelandeten  Marinemann- 
schaften leistete  die  mannhafteste  Gegenwehr,  auf 
Antrag  der  Deutschen  gab  man  ihnen  die  Waffen 
wieder,  und  die  europäischen  Rivalen  verteidigten 
hier  Schulter  an  Schulter  das  weiland  kaiserlich 
deutsche  Gouvemementsgebäude  und  Arsenal.  Sich 
eine  Beute  von  einem  Wolfsrudel  aus  den  Zähnen 
reissen  zu  lassen,  zieu;t  nicht  dem  britischen  Wap- 
penleopard, der  sich  auch  gerne  Löwe  taufk 

Mit  Volldampf  kam  das  ganze  Ostasiatische  Ge- 
schwader von  den  Sundainseln  heran,  seine  Kano- 
nen bestrichen  Kiautschou  landeinwärts  auf  weiteste 
Distanz,  so  dass  die  Chinesen  hier  abliessen.  Die 
Schantungbahn,  jährlich  300  000  Tonnen  Frachtgüter 
befördernd,  und  das  so  wertvolle  Kohlenlager, 
Deutschlands  wertvollsten  Kolonialbesitz,  wollte  Eng- 
land jedenfalls  nicht  fahren  lassen.  Die  den  Jang- 
tsekiang  hinaufgeflüchteten  Flussschiffchen  „Tsing- 
tau"  imd  „Vaterland"  hatte  man  in  Shanghai  ent- 
waffnet, ebenso  die  von  Kiukiang  und  Tungtingsee 
landeinwärts  entronnenen  Kanonenboote  „Vorwärts", 
„Tiger",  „Jaguar",  jetzt  mussten  sie  dort  wieder  Dienst 
tun,  die  deutschen  Matrosen  schlössen  sich  wie  die 
einstige  Schutztruppe  von  Kiautschou  den  Briten 
an,  tun  die  Mongolen  abzuwehren.  Doch  der  An- 
drang   ward    immer    unerträglicher,    die    Marine- 

29* 


—     452     — 

mannschaften  reichten  nicht  aus,  als  neben  den 
unvollkommen  armierten  Volksmassen  auch  regs 
läres  chinesisches  Militär  mit  Kanonen  und  Maxims 
anrückte,  die  teils  ihre  Herkunft  aus  Deutschland, 
teils  aus  Armstrongschen  Werkstatten  verrieten:  sc 
dunmi  hatte  die  europäische  Profitwut  die  Fdnk 
der  weissen  Rasse  selber  mit  Zerstörungsmittck 
versehen. 

Die  chinesischen  Gesandten  waren  plötzlich  obei 
Nacht  aus  Europa  verschwunden,  jeder  hatte  Pisse 
auf  verschiedenen  Vorwand  erhalten,  alle  tanchfö 
in  New  York  wieder  auf  und  richteten  unterwegs 
gemeinsamen  Funkspruch  an  England,  Deutschlasd 
Frankreich,  des  Inhalts,  dass  China  endlich  Räa^ 
mung  seines  himmlischen  Reichs  von  europüsdier 
Befleckung  heische,  alle  abgetretenen  Provirnenin- 
rückverlange,  jede  Pachtung  annulliere!  Wkeniä 
dies  gemeint,  zeigte  das  plötzliche  Auftaudien  dtf 
berüchtigten  Schwarzflaggen  in  Tonkm  mit  6dxs 
wahren  Teipingwut,  während  ein  andres  cfainessdie 
Heer  von  Regulären  aus  Nangtschang  und  Jännas. 
japanisch  gedrillt  und  geführt,  die  Einwohner  tm 
Indochina,  längst  zuvor  durch  japanische  Agente: 
bearbeitet,  zu  allgemeinem  Aufstand  reizte.  Aod 
Siam,  alter  Zankapfel  zwischen  England  und  Fias^ 
reich,  regte  sich  unfreundlich,  sein  eupopäisdi  be 
fimisster  König  benahm  sich  sonderbar,  der  '^ 
Siams  weissem  Elefanten  verkörperte  Buddhagesu^^ 
flüsterte  offenbar  keine  Lehre  von  Frieden  ^ 
Versöhnung.    Zwischen  Bangkok  und  Rangun  «^ 


—     453     — 

tete  geheimnisvolles  Einvernehmen,  die  Prachtpago- 
den von  Mandale  schienen  das  britische  Residenz- 
gebäude feindselig  anzustarren:  In  Britisch-Birma 
gab  es  plötzlich  Unruhen.  In  Singapore  hatte  man 
Auflauf  an  der  Kanalkettenbrücke,  wüsten  Aufstand 
im  Chinesenviertel  und  überall  in  den  Straits-Settle- 
ments  lärmende  Malaien,  die  wie  ausser  sich  ,Amok* 
liefen.  Denn  überall  in  Asien  schien  die  Stunde 
der  Befreiung  gekommen,  wie  Japans  Sieg  über 
den  weissen  Zaren  es  den  Völkerschaften  von  Merw 
bis  zum  Hoangho  zugeflüstert.  In  Indien  hielten 
zwar  die  mit  Victoriakreuzen  gezierten  Raissadars 
der  Gourkas,  die  Shikoffiziere  und  mit  Baronet- 
titeln  geschmückten  Radschas  zum  , Kaiser  von  Hind', 
die  Maharadschahs  im  Norden  fahndeten  auf  japa- 
nische und  russische  Agenten,  die  man  aus  Tibet 
über  den  Himalaja  schmuggelte,  da  Lord  Curzons 
imperialistischer  Raubzug  unter  Oberst  Yoimghus- 
band  die  Hochländer  von  Lassa  zu  unversöhnlicher 
Feindschaft  aufstachelte.  Einen  Aufruhr  in  Allahabad 
und  Residentschaft  Bombay  schlug  Cav.  Insp.  Gen. 
Beatson  mit  eiserner  Hand  nieder,  doch  dies  alles 
beeinträchtigte  die  Fähigkeit,  nach  Afrika,  China, 
Oceanien  Hilfe  aus  anglo-indischer  Armee  zu 
schicken. 

Das  französische  Geschwader  hatte  natürlich 
nichts  Eiligeres  zu  tun,  als  Saigun  und  Hanoi  zu 
bewachen,  das  englische  bei  Hongkong  blieb  sich 
selbst  überlassen,  und  nun  kam  die  bitterste  Ent- 
täuschung. Japan,  das  man  mit  Feldzug  gegen  Ame- 


—     454     — 

rika  beschäftigt  wähnte,  erklärte  plötzlich,  dass  es 
Chinas  Forderung  für  berechtigt  halte  und  keines- 
falls mit  Waffengewalt  dagegen  auftreten  mcnic: 
In  Hongkong,  wo  die  unpraktisch  nach  eng 
lischem  Muster  gebaute  Fremdenstadt  die  schied- 
liehe  Hitze  nicht  abwehrt  und  steiler  Granitfels  über 
der  Stadt  in  so  sengender  Sommerglut  ungesuD(k 
Miasmen  aushaucht,  litten  die  dorthin  gesandten  Cfy 
Ion-Schützen  an  Ruhr,  weil  obendrein  durch  gü 
tigen  chinesischen  Branntwein  Samshu  berauscbL 
Die  Forts  von  Canton  (Dutch  Folly,  French  FoBy 
Red  Fort,  Napier)  befanden  sich  in  verwahrlostes 
Zustande,  nur  das  stärkste  Fort  Napier  behenschte 
noch  die  Gegend.  Die  alten  verfallenen  Bog«' 
forts  auf  Tigerinsel  am  Eingang  des  Perlflusscs  ^ 
melten  schon  von  chinesischen  Banden.  Wie  fofc 
wären  die  Briten  gewesen,  wenn  man  noch  ^ 
deutsche  Ostasiatische  Brigade  im  Lande  gehabt 
hätte !  Im  alten  Piraten-  imd  Schmugglemest  Tung 
shau  und  am  tatarischen  Wachttiirm  von  YcDow 
Point  blinkten  allnächtlich  Papierlatemen  ^oo 
Dschunkenflottillen,  die  wohlbewaffnete  Boxeibandcfi 
ans  Land  spieen.  Das  Opiumschiff  „Lady  Mai} 
Wood"  hatten  Piraten  schon  überfallen  und  g^ 
plündert,   die   Mannschaft  zu  Tode  gemartert.  So 

I 

mancher  chinesische  Grosskaufmann  imdSchmugg^ 
millionär,  der  seine  amerikanischen  Geschäftsfreunde 
und  Mitbetrüger  im  ,Chinesenrestaurant'  v<m  S^fl 
Francisco  opulent  zu  bewirten  pflegte,  frass  seßtf 
Haifischflossen,      Schildkrötensteaks     und    Vog^ 


—     456     — 

nester  mit  doppeltem  schnalzenden  Behagen  m  Aus- 
sicht auf  reiche  Beute  in  Canton  imd  Hongkong. 

Kanonenboote  „Bramble",  „Lapwing",  „Brito- 
inart",  „Thistle",  SIoop  „Clio"  vor  Shanghai  waren 
froh,  als  die  entwaffneten  deutschen  Kanonenboote 
wieder  in  Dienst  gestellt  wurden.  Admiral  Sir  Arthur 
Moore  hatte  bisher  leichtes  Spiel  gehabt,  Despatch- 
Vessel  „Alacrity"  meldete  Sieg  auf  Sieg.  Seinen 
Schlachtschiffen  „Royal  Sovereign",  „Malta**,  „Han- 
nibal"  (aUe  früher  Malta),  „Zeeland",  „Goliath", 
„Dominion",  Kreuzern  unter  Vizeadmiral  Poe  „St.  Ge- 
orge", „Terrible",  „Hermes"  (Flaggschiff),  „Inde- 
fatigable",  „Perseus",  „Andromeda",  „Vivid",  „King 
Alfred",  „Thames",  „Asträa"  konnten  die  hollän- 
dischen vom  Schlage  des  „Graveling"  vor  Batavia 
keinen  Widerstand  leisten.  Jetzt  aber  schien  es, 
als  ob  man  mehr  zu  tun  bekonmie.  Der  mit  dem 
amerikanischen  Dichter  gleichnamige  Sir  Edgar  Poe 
—  ein  echter  britischer  Mann  kann  keinen  Yankee 
leiden,  doch  seinen  Namen  trägt  er  gern  —  freute 
sich  schon,  als  es  hiess,  man  werde  vielleicht  mit 
den  Yaidcees  in  Bruch  geraten.  Australische 
Kreuzereskadre  „Psyche",  „Pioneer",  „Challenger", 
„Wallaro",  „Taulanga",  „Äolus",  „Pandora",  ,,Am- 
phitrite",  „Amazon"  u.  a.  zogen  sich  gegen  Hawai 
zusammen.    Doch  Japans  Haltung  veränderte  alles. 

Als  englische  Schiffe  vor  Taku  erschienen,  um  die 
Forts  zu  schützen,  fanden  sie  dort  über  Nacht  ja- 
panische ankern,  deren  Haltung  eine  seltsam  zwei- 
deutige schien.    Unter  solchen  Umständen  kabelte 


—    45«     — 

der  britische  Admiral  nach  Hause:  „Dass  Japans 
offenbarer  Verrat  ihm  keine  Wahl  lasse,  als  vor- 
läufig Taku,  Shanghai,  Hongkong  zu  räumen,  m 
wenigstens  Truppen  und  Ansiedler  zu  retten.  Spä- 
ter werde  man  ja  blutige  Rache  nehmen  und  köone 
dann  auch  mit  Japan  abrechnen,  das  man  ^' 
läufig  nicht  reizen  dürfe.  Hoffentlich  beschnnke 
sich  dessen  Niedertracht  auf  diese  passive  Umef- 
Stützung  Chinas  1*'  £s  hatte  etwas  Tragikomtsdies, 
wie  England,  das  doch  nie  an  moraltschen  Skru- 
peln litt,  jetzt  die  Perf  idie  der  Mongolen  als  etwas 
Unerhörtes  vorm  Richterstuhl  der  Geschichte  ver- 
klagte. Vorderhand  schwieg  die  englische  Prcse 
freilich  von  den  Gefühlen  des  britischen  PubükuiK 
gegen  den  lieben  Alliierten  in  Tokio,  ebenso  W 
kein  Wort  über  die  verdächtigen  Allüren  des  Vetter 
Sam,  der  einen  Coup  „im  Stile  des  transatlantisdia 
Meisters",  wie  ein  beliebter  Ausdruck  der  SchaA 
weit  lautet,  vorzubereiten  schien.  In  drohender  Üb- 
gewissheit  pflegt  man  unwillkürlich  Vogri-StraBSS« 
Politik,  will  das  Schlinmiste  nicht  sehen,  ehe  es 
unabwendbare  Tatsache.  An  die  ärgste  Möfi^chkeii 
dachten  selbst  Pessimisten  in  London  nicht.  So 
fuhr  denn  dreifache  Schreckenskunde,  jede  uner- 
warteter als  die  andere,  wie  ein  Blitz  zwar  nicbt 
aus  heiterm,  aber  massig  bewölktem  Himmel  nieder, 
der  sich  über  Nacht  mit  rabenschwarzen  Wolken  der 
furchtbarsten  je  dagewesenen  Gefahr  bedecken  sollte 
Ein  japanischer  Marineattach^,  dem  wegen  frü 
herer  kollegialer  Intimitäten  im  preussischen  Heere 


—     457     — 

ein  Begleiten  des  deutschen  Hauptquartiers  gestat- 
tet wurde  —  er  veri^ändete  sein  Ehrenwort,   nie 
die  kleinste  Notiz  über  Truppenbewegungen  nach 
London   zu  verraten,   und   es  konnte   Deutschland 
nur  lieb  sein,  wenn  man  im  neutralen  Japan  den 
günstigen  Stand  der  Dinge  beim  deutschen  Land- 
heer erfuhr   — ,   verschwand  am  10.   Juli   auf  ge- 
heinmisvolle  Weise.  Nun  kabelte  der  japanische  Bot- 
schafter in  London,  bei  dem  ein  Landsmann  in  Zivil 
am  11.  auftauchte,  bis  zum  13.  mit  Tokio  hin  und 
her,  ehe  er  seine  gepackten  Koffer  an  Bord  einer 
heimlich  gemieteten  amerikanischen  Jacht  brachte. 
Der  Marineattach6  hatte  mit  dem  unvergleich- 
lichen angeborenen  Spionagetalent  des  Jap   schon 
Lunte  gerochen,  als  die  militärischen  Operationen  in 
Frankreich  auf  eine  Weise  stockten,  die  sich  nie- 
mand erklären  konnte.  Er  brachte  in  Erfahrung,  dass 
der  deutsche  Reichskanzler  in  Chaumont  eintraf,  wo 
abseits  die  Delegierten  der  kontinentalen  Mächte  ver- 
handelten, dass  Italien  und  Spanien  dort  gleichfalls 
vertreten  seien.  Aus  dem  allen  zog  er  einen  Schluss, 
der  in   Tokio   mit   dem   blitzschnellen   Scharfblick 
der  Buschido-Schulung  sofort  gewürdigt  wurde.  Dies 
beschleunigte   den  Aufbruch  des  schon  völlig  rei- 
fen Geschwürs:  der  Verschwörung  gegen  das  Bri- 
tish  Empire. 

Am  15.  mittags  sass  der  Minbterrat  in  Downing- 
street  beisammen  unter  Zuziehung  einer  parlamen- 
tarischen Kommission,  in  welcher  sowohl  das  ein- 


—     458     — 

flussreichste  jugendliche  Mitglied  der  libeiaka  Par- 
tei, Winston  Churchill,  als  die  Führer  der  Oppo- 
sition, Balfotir  und  Chamberlain,  vertreten  waro. 
Die  Häupter  der  Primrose-League  gewannen  ihreji 
früheren  Einfluss  schon  zurück,  Englands  Politik 
stand  wieder  unterm  Zeichen  des  seligen  Beacoos^ 
field,  des  Primelnliebhabers  imd  Imperialismusgrisr 
ders,  der  mit  dem  Titel  ,£mpress  of  India'  die  s^ 
lige  Victoria  für  seine  Zwecke  g^eködert  und  ök 
Greater  Britain- Victoria  auf  dem  ganzen  Eidennfl^ 
eingesegnet  hatte. 

Soeben  beendete  der  Premier  seinen  lichtvoDa 
Vortrag :  „Der  Ministerrat  hat  also  einmütig  be 
schlössen,  was  nach  meinem  Gefühl  dringend  ge- 
boten und  einzig  richtig,  unsre  abgelehnten  Forde 
rungen  an  Deutschland  bedeutend  zu  ermissiges. 
Der  entscheidende  Landsieg  Kaiser  Wilhelms  nach: 
ihn  zimi  Herrn  des  Kontinents,  und  wir  müssende 
schnell  wie  möglich  mit  ihm  zu  Rande  konunöL 
Anspruch  auf  seine  Kolonien,  die  ja  zurzdt  sovcii 
uns  als  ihm  abgenonmien,  gewähren  wir  gern,  vci 
ziehten  auf  Antwerpen,  lassen  ihm  völlig  freie  Hani 
auf  dem  Festland." 

„Auch  bei  etwaiger  Annexion  von  Holland  ^ 
Belgien?"  wandte  Balfour  missmutig  ein« 

„Auch  danni  Wie  könnten  wir's  jetzt  binden- 
Darüber  wird  sich  später  schon  reden  lassen  Tmter 
neuen  Konstellationen,  sobald  die  amerikanische  (^ 
fahr  zerrann.  Wir  behalten  natürlich  die  hoBifr 
dischen  Kolonien.    Dies  und  die  Balearen  entscbir 


—     459     — 

digt  uns  vollauf,  nebst  langer  Konkurrenzbeseitigrung 
Deutschlands  für  Schiffahrt  und  Marine.  Vorgestern 
hat  die  Regierung  dieses  Landes  denü  deutschen 
Reichskanzler  unsre  neuen  Anträge  gemacht,  Sir 
Frank  Lascelies'  Bericht  steht  noch  aus.  Er  meldet 
nur,  er  sei  höflich,  aber  kühl  aufgenommen.  Un- 
streitig wird  aber  Deutschland  unter  so  günstigen 
Bedingungen  mit  uns  abschliessen,  um-  seine  ganze 
Macht  zur  Zermalmung  Frankreichs  zu  ver- 
wenden." 

„Frankreich  ist  glücklicherweise  noch  nicht  zer- 
malmt, kann  den  Widerstand  in  Paris  und  an  der 
Loire  noch  lange  fortspinnen,"  bemerkte  Chamber- 
lain  trocken.  „Uns  soll's  recht  sein,  wenn  die  Kon- 
tinentalen sich  noch  etwas  länger  die  Hälse  brechen. 
Was  Italien  betrifft,  so  ist's  ja  wohl  finanziell  rui- 
niert tmd  wird  eiligst  Frieden  schliessen,  obschon 
sein  Botschafter  einen  imklaren  Bescheid  gab,  nicht 
wahr?" 

„Italiens  Klarheit  oder  Unklarheit  kommt  nicht 
in  Betracht,"  zuckte  der  Kriegsminister  die  Achseln. 
„Spanien  wird  vor  uns  wohl  oder  übel  zu  Kreuze 
kriechen.  Die  Franzosen  nehmen  ihm  sonst  alle 
marokkanischen  Presidios  weg,  und  es  kann  finan- 
ziell Handelsabsperrung  und  Blockade  zwischen  den 
Westmächten  keine  Woche  aushalten." 

„Und  die  Balearen?  Und  der  spanische  Na- 
tionalstolz ?  Sie  denken  wie  immer  sehr  optimistisch," 
fiel  Winston  Churchill  spitzig  ein.  „Ich  warnte  schon 
bei  Ausbruch  des  Krieges  vor  übertriebenem  Opti- 


—     460     — 

mismus,  und  mindestens  in  vielen  Punkten  behielt 
ich  recht." 

„Aber  Sic  rechnen  nicht  mit  der  engÜschoi 
Heirat  des  jungen  Königs,"  lächelte  eio  Minister 
malitiös.  Alle  schmunzelten  unwillkürlich.  £r.g 
lands  Töchter,  wenn  ins  Ausland  verheiratet,  \kt 
ben  auch  dort  stockenglisch  bis  in  die  Knochea 
nehmen  niemals  die  Nationalität  ihres  Gatten  «i:k 
lieh  an,  was  ihnen  im  Grunde  nur  zur  Ehre  gereicb 
Es  wäre  hübsch,  wenn  deutsche  Frauen  in  ähniicbö 
Fällen  auch  so  dächten.  Aber  dass  sogar  die  ix 
Ausland  geborenen  Töchter  solcher  britischen  Prx 
zessinnenmütter  gemütlich  schwatzen:  ,Bei  uns  i: 
England'  imd  als  geborene  Deutsche,  wenn  EJt 
hohen  Personen  des  Auslands  vermählt,  antideutsche: 
britisches  Interesse  vertreten,  geht  denn  doch  n 
weit.  „Mich  interessiert  weit  mehr  die  unvcriceo 
bar  abtrünnige  Gesinnung  imsrer  französischem 
Alliierten." 

„Ich  gebe  zu,"  räusperte  sich  der  PrcBUt' 
„dass  dies  nicht  unbedenklich.  Doch  darauf  warec 
wir  ja  gefasst  bei  Wegnahme  der  Balearen  bd^ 
eskomtierten  im  voraus  eine  neue  Niederlage  Fraiü 
reichs  gegen  Deutschland,  was  ja  auch  nicht  aar 
blieb.  Was  soll  denn  Frankreich  anfangen?  ^^^ 
uns  auch  noch  den  Krieg  erklären?  Sich  ^ 
Deutschland  aussöhnen?  Deutschland  wird  nani: 
lieh  demütigende  Friedensbedingungen  steilen,  ^^ 
man  in  Paris  vorderhand  noch  nicht  annehmen  bß^ 
Dass   man  nach  dem  Kriege  uns   schweren  Oa^ 


—     461     — 

bewahren  wird,  darauf  müssen  wir's  ankommen 
lassen.  Die  Herzensgefühle  unsrer  Nachbarn  waren 
diesem  Lande  stets  gleichgültig,  Gott  sei  Dank,  auch 
wird  der  Groll  gegen  Deutschland  überwiegen." 

„Ich  teile  Ihre  Ansicht,"  pflichtete  Balfour  bei, 
„und  ich  muss  im  Namen  der  Oi^x)sition  jetzt  der 
Regierung  dieses  Landes  ein  Vertrauensvotum  er- 
teilen, der  geschickten  Leitung  ein  Zeugnis  der 
Hochachtung  ausstellen.  Tatsächlich  haben  wir 
Deutschland  und  Frankreich  beide  so  geschwächt, 
den  Alliierten  so  gut  wie  den  Feind,  dass  wir  sie 
auf  lange  los  sind.  Russland  ist  ausser  Spiel  gesetzt, 
jetzt  bleibt  nur  Amerika  als  Stein  des  Anstosses 
auf  unserm  Wege.  Doch  auch  darüber  wird  er 
hinwegrollen,  der  glorreiche  Jaggemautwagen  an- 
gelsächsischer Weltherrschaft." 

„Das  sehr  ehrenwerte  Mitglied  des  Hauses 
schlägt  hohe  Töne  an,"  butterte  Winston  Churchill 
seinen  Verwandten  spitz  ab,  „worin  ich  ihm  nicht 
folgen  mag.  Um  zum  Praktischen  zurückzukommen: 
wie  steht's  um  Canada?" 

„Hier  zeigen  sich  natürlich  die  Früchte  der 
Manchesterschule  gegen  meine  Schutzzolltheorie," 
ritt  Chamberlain  sein  altes  Steckenpferd.  „Die  dor- 
tige Missstimmung  der  Kolonie  — " 

„Ich  bitte,  Sie  unterbrechen  zu  dürfen  I"  rief 
der  Premier  scharf.  „Ist  dies  der  Augenblick,  um 
in  die  alte  Finanzdebatte  einzutreten?  Nur  die  nüli- 
tärischen  Autoritäten  dieses  Landes  haben  heut  das 
Wort." 


—     462     — 

„Canada  ist  durch  Truppensendung  gesidert," 
betonte  der  Kriegsminister.  „Natürlich  müssten  lir 
grössere  Anstrengungen  machen,  wenn  die  Union 
ihr  Milizsystem  ausbeutet  wie  beim  Seiesaonskneg^ 
Doch  wird  die  Flotte  auch  hier  den  Ausschlag  gcbta 
Würde  man  es  darauf  ankonmien  lassen,  dass  rlr 
die  Häfen  von  Baltimore  und  New  Oricans  & 
sammenschiessen»  den  Panamakanal  zerstören?  N^^ 
glaube  ich  nicht  an  ernstliche  Böswilligkeit  Anci^ 
kas.  Wenn  aber,  dann  um  so  besser.  Ergreifen  *t^ 
die  günstige  Gelegenheit,  dem  Panama-Spektakel  e2 
Ende  zu  machen,  durdi  den  sich  Amerika  als  Viä 
macht  etabliert  und  proklamiert  1'* 

„Ich  habe  den  Admiralen  unsrer  drei  Gesdi«> 
der  im  German  Ocean  schon  versiegelte  Brfdjlc 
zugehen  lassen,  die  ein  Vereinen  der  schon  langsam 
dislozierten  Flotte  auf  Höhe  der  Sheüands  is 
Auge  fasst,  um  eventuell  den  Angriff  gegen  Nf 
york  zu  eröffnen,"  verlautbarte  sich  der  Leiter  de 
Marine-Departements  gewichtig.  „Unser  Mittelmft- 
geschwader  wird  endlich  vereint  die  Suezenge  fr» 
legen,  Alexandria  befreien.  Sofort  nach  Tnti^ 
schluss  mit  Deutschland  werden  auch  die  freiwcrd«5^ 
den  Truppentransporte  dorthin  abgehen." 

Es  klopfte,  ein  Schriftstück  mit  amtlicbcm  s»^ 
gel  ward  überreicht,  das  der  Premier  mit  ernste 
Miene  durchflog. 

„Und  Japan?"  fragte  Churchill  unterdessei 
„Was  droht  von  dort?" 

„Gar  nichts.     Was  Sie  nur  immer  mit  ]^ 


—     463     — 

haben  I"  fuhr  Balfour  auf,  unter  dessen  Amtszeit  die 
japanische  Allianz  fiel  und  der  sich  dafür  verantwort- 
lich fühlte.  „Ich  gebe  zu,  dass  sich  nicht  jede  Hoff- 
nung erfüllt,  die  wir  daraiif  setzten.  Doch  Solidari- 
tät der  gelben  Rasse  war  ja  vorauszusehen.  Wir 
werden  später  darauf  zurückkommen,  ob  Japan  nicht 
eine  derbe  Lektion  verdient.  Zurzeit  aber  nützt  es 
uns  prächtig  als  Bundesgenosse  gegen  Amerika,  das 
von  Westen  und  Osten  erdrückt  wird.  Ich  wünschte, 
es  wäre  schon  so  weit  und  die  Union  hätte  sich 
erklärt." 

Der  Premier  erhob  sein  Haupt.  „Dies  Vergnü- 
gren können  Sie  haben.  Der  amerikanische  Gesandte 
erfreut  uns  mit  folgender  Note."  Und  er  las  ein 
längeres  Schriftstück  vor,  voll  verlogener  Klagen 
über  Schädigung  des  Weltmeerverkehrs  durch  diesen 
grausamen  Krieg,  der  auch  das  humane  Gefühl  der 
amerikanischen  Bevölkerung  tief  verletze  und  im 
übrigen  eine  konunerzielle  Stockung  jenseits  des 
Ozeans  herbeiführe.  Ausserdem  bedrohe  Vernich- 
tung der  deutschen  Seemacht  das  allgemeine  Gleich- 
g^ewicht  zur  See.  Um  Kompensation  zu  erlangen, 
sehe  man  sich  daher  gezwungen,  wenigstens  zu 
Hause  reinen  Tisch  zu  machen  und  die  Monroe- 
doktrin in  vollem  Masse  durchzuführen.  Eine  Bot- 
schaft des  Präsidenten  auf  Senatsbeschluss  habe  Mo- 
bilisierung der  Flotte  und  Einberufung  aller  Mi- 
lizen verfügt  und  fordere  England  auf,  Canada  und 
die  Antillen  zu  räumen,  widrigenfalls  Amerika  binnen 
drei  Tagen  die  Okkupation  beginnen  werde. 


—     464     — 

Ein  Aufschrei  der  Entrüstung  beantwortete  diese 
Unverschämtheit.  „Keine  Kriegserklärung,  nichts  er 
widern  I  Den  japanischen  Botschafter  sofort  is 
Kenntnis  setzen,  um  gemeinsamen  Kriegsplan  lu  I^ 
raten  I"  drängten  sich  die  Vorschläge. 

„Vor  allem  sofort  sich  mit  Deutschland  m 
ständigen  1  Womöglich  noch  weiter  mit  Bedingongc 
henmtergehenl  Damit  nur  völlig  Transpoitflocß 
imd  Kriegsflotte  parat  sindT' 

Aber  nach  einer  Stunde,  während  die  Telepbcg 
klingeln  ununterbrochen  anschlugen  und  alle  Vc: 
kehrungen  in  die  Wege  geleitet  wurden,  lief  eb 
Depesche  ein,  die  der  Premier  zornig  aus  der  Hasi 
warf:  „Der  japanische  Botschafter,  auffalligerwcs^ 
in  hoher  See,  setzt  sich  mit  mir  per  Harconisdic 
Apparat  in  Verbindung:  Friedensschluss  mit  Ainerb 
für  Abtretung  der  Philippinen!  Auch  diese  Hn- 
zu  Wasser  geworden!" 

„Und  auch  hier  sage  ich:  um  so  besser!"  Bai 
four  sprang  ungestüm  auf.  „So  behalten  wir  frae 
Hand  für  nachherige  Abrechnimg  mit  diesen  p^ 
f iden  tückischen  Gelbhäuten.  Die  gelbe  Ge^  ^ 
len  sie  uns  bezahlen  I"  Aber  der  bittre  Kelch  g^ 
noch  nicht  zur  Neige.  Abermals  nach  dner  Süs^' 
erhielten  der  Kolonial-  und  Marineminister  D^ 
sehen  aus  dem  fernen  Osten,  die  sie  anfznckzs 
machten.  Nach  Austausch  der  verhäognisv^ 
Blätter  sahen  sie  sich  mit  finsterm  Schweigen  a& 
die  anderen  Herren  sahen  betroffen  auf  sie. 

„Ich  bedaure,  den  sehr  ehrenwerten  Gentle»* 


—     465     — 

mitteilen  zu  müssen,"  brach  der  Kolonialminister  mit 
gepresster  Stimme  das  Schweigen,  „dass  die  japa- 
nische Regierung  imser  Ostasiatisches  Geschwader 
wissen  liess,  dass  sie  weitere  Beunruhigung  des 
Stillen  Ozeans  im  Interesse  der  Schiffahrt  nicht 
dulden  könne  und  daher  für  alle  Fälle  Java  be- 
setzen werde." 

Diese  hochgradige  Frechheit  hinimterzuwürgen, 
war  freilich  für  den  Britenstolz  eine  bittere  Pille. 
„Sie  haben  Glück  mit  Ihren  Zukunftshoffnungen  I'* 
nickte  Mr.  Winston  hämisch  Balfour  zu.  „Rechnen 
wir  also  schon  jetzt  ab!  Aber  wie?  Sind  wir  denn 
Japan  gewachsen,  wenn  es  Truppenmassen  landet?" 

„Sie  scheinen  sich  über  das  Unglück  Ihres  Lan- 
des zu  freuen  I"  wehrte  Balfour  barsch  ab.  „Im 
übrigen  muss  Frankreich  dort  seiner  Bundespflicht 
genügen,  schon  im  eigensten  Interesse  seiner  asiati- 
schen Besitztümer,  wider  Japans  Unersättlichkeit." 

Es  schien,  als  schwebe  dem  jüngeren  Parla- 
mentarier ein  beissender  Witz  auf  der  Zunge,  da  der 
Begriff  Unersättlichkeit  im  Munde  eines  britischen 
Imperialisten  eines  rührenden  Beigeschmacks  nicht 
entbehrt.  Doch  er  imterdrückte  seine  Heiterkeit, 
sagte  fest  und  bestimmt:  „Dies  sind  Lagen,  die 
alle  Briten,  welcher  Partei  und  Meinung  auch  immer. 
zu  einigem  Zusammenhalten  zwingen.  Selbstverständ- 
lich darf  von  Nachgeben  keine  Rede  sein,  imser 
Prestige  steht  auf  dem  Spiel.  Ich  werde  im  Haus 
der  Gemeinen  das  Wort  ergreifen  in  diesem  Sinne. 
Alles  kommt  jetzt  darauf  an,  mit  Deutschland  han- 

Völker  Europaa  ...  1  30 


—     466     — 

delseins  zu  werden.  Dann  mögen  Japan  und  Ame- 
rika sich  beide  in  acht  nehmen.  Auch  um  Ägypten 
ist  mir  nicht  bange,  und  wenn  Deutschland  er- 
ledigt, werden  auch  Frankreich  und  Spanien  v^ 
gen  der  Balearen  nicht  mucksen.  Wo  bleibt  deon 
Sir  Lascelles  ?  £r  hätte  doch  längst  Bescheid  bric^ 
gen  sollen.'* 

Als  die  fieberhafte  Unruhe  des  Premienninisters 
über  Ausbleiben  jeder  Nachricht  ihren  Gipfel  er 
reichte,  atmete  er  hoch  auf:  die  erwartete  DepesdK 
traf  ein,  von  ungemeinem  Umfang.  £r  las,  ent 
färbte  sich,  sank  totenbleich  in  den  Sessel  zurück  und 
starrte  seine  Kollegen  mit  hohlen  Augen  an,  ^ 
ihm  beisprangen,  einen  Ohnmachtsanfall  befürch 
tend.  Aber  der  Minister  ermannte  sich,  stand  auf  üdc 
sagte  leise  und  gemessen :  „Das  Haus  tagt  soeben 
Wollen  Sie  gütigst  telephonisch  ankündigen,  ^^ 
die  Regiertmg  eine  Mitteilung  von  ungewöhnliche' 
Tragweite  zu  machen  hat."  .  .  . 

Das  Parlament  füllte  seine  Bänke  sehr  vc- 
zählig.  Die  .Einpeitscher*  (Whippers-in),  die  s(»s: 
nur  bei  wichtigen  Abstimmungen  ihr  VertraucDsans 
besorgen,  möglichst  viel  Mitglieder  zur  Stelle  ß 
schaffen,  hatten  diesmal  Erfolg  gehabt.  Mit  ateo- 
loser  Spannung  lauschte  das  Haus   zuerst  der  &■ 

■ 

regten  Auseinandersetzung  des  Kolonialministers,  a^ 
dessen  Ressort  die  Fragen  Canada  und  Java  ßdö- 
über  Amerikas  und  Japans  unerhörte  PratensioDcs. 
Dann  erhob  sich  der  Staatssekretär  und  sprach  20 
eintönig  tonloser  Stimme: 


»J"' 


467 


»Den  ehrenwerten  Mitgliedern  wird  das  Sprich- 
wort bekannt  sein :  Ein  Unglück  kommt  nicht  allein. 
Ich  habe  die  Ehre,  diesem  hohen  Hause  das  AUer- 
schwerste  zu  unterbreiten.  Unser  soeben  von 
Deutschland  abgereister  Unterhändler  teilte  vorhin 
mit,  dass  in  sämtlichen  Hauptstädten  Europas  heut 
morgen  Extrablätter  amtlich  verbreitet  werden,  mit 
dem  Text  folgenden  vollzogenen  Vertrages."  Er 
las  aus  der  Depesche  ab: 

„I.  §  1.  Die  Regierungen  von  Deutschland, 
Frankreich,  Österreich,  Italien,  Spanien,  Holland, 
Belgien,  Schweiz  verbanden  sich  zu  einer  unkünd- 
baren, unverbrüchlichen,  unteilbaren  Allianz  in  der 
Form  einer  gemeinsamen  Zollunion  unter  dem  Titel 
„E uropäischer  Bun d". 

§  2.  Die  besagten  Staaten  garantieren  sich  ihren 
gegenseitigen  Besitzstand  gegen  jede  Einmischung 
des  Auslands,  nur  mit  Modifizierung  durch  folgende 
neue  Verträge. 

II.  Der  Friede  zwischen  dem  Deutschen  Reich 
und  Frankreich  ist  derart  geschlossen: 

§  1.  Frankreich  erkennt  nochmals  und  ein  für 
allemal  die  Grundlagen  des  Frankfurter  Friedens  an, 
verzichtetauf  jeden  Einwand  ausdrücklich  und  formell. 
§  2.  Es  erklärt  sich  mit  allen  sonstigen  Ver- 
änderungen und  Erwerbungen  einverstanden,  die 
Deutschland  für  gut  befinden  wird,  und  zahlt  eine 
Kriegsentschädigung  von  5  Milliarden,  ausserdem 
von  1  Milliarde  an  die  Schweiz  zur  Ausgleichung 
der  Neutralitätsverletzung. 

3o* 


—     468     — 

§  3.  Hierfür  garantiert  Deutschland  das  kok> 
niale  Territorium  Frankreichs  in  vollem  Bestände 
und  Einsetzung  einer  französischen  kommenielie:i 
und  politischen  Verwaltung  in  Ägypten  und  Nubiei 

III.  Der  Friede  zwischen  Österreich  und  ItalicE 
ist  derart  geschlossen: 

§  1.  Italien  erkennt  ein  für  allemal  das  öste: 
reichische  Besitzrecht  auf  Triest,  Fiume,  Gorz,Istii«r. 
Dalmatien  an  und  zahlt  eine  Milliarde  Kriegsect 
Schädigung. 

§  2.  Es  räumt  den  Kanton  Tessin  und  zai!: 
300  Millionen  Entschädigung  an  die  Schwcii.  D^ 
gleichen  200  Millionen  an  die  Türkei  und  venichte: 
ausdrücklich  auf  Albanien. 

§  3.  Dagegen  übergibt  Österreich,  um  bered 
tigten  alten  Aspirationen  Rechnimg  zu  tragen  und  de 
imerquickliches  Streitobjekt  aus  der  Welt  ru  sclui 
fen,  an  Italien  den  italienischen  Teil  von  Südtirc-. 
nämlich  den  Bezirk  von  Riva  und  die  Bistöinff 
Trident  und  Brixen. 

§  4.  Die  Kolonie  Eritrea  (Massaua)  wird  Italic 
garantiert  und  ihm  Kassala,  sowie  Tripolis  in  er 
weitertem  Umfang  als  neuer  Besitzstand  zo|^ 
sprochen. 

IV.  Der  ^Europäische  Bund*  vereinbarte  mit  ^^ 
Hohen  Pforte: 

§  1.  Ägypten  tritt  unter  die  legitime  Souvfias-' 
tat  Sr.  Majestät  des  Sultans  ziuiick,  jedoch  unter 
Massgabe  des  französischen  Einflusses.  Ausser  dtf 
kaiserlich   osmanischen    Truppen    haben  die  fr^ 


j 


—     469     — 

zösischen  das  Recht,  bei  allen  Wirren  in  Nord- 
afrika das  Niltal  zu  durchziehen  oder  zu  besetzen. 
Kartum  und  die  Zitadelle  von  Kairo  erhalten  fran- 
zösische Besatzung,  desgleichen  der  Bezirk  des  Suez- 
kanals. Alexandria  als  Bundeshafen  für  die  Ge- 
samtinteressen der  Europäischen  Union  wird  von 
französischen  und  türkischen  Truppen  gleichmäs- 
sig  besetzt. 

§  2.  Albanien  und  Thessalien  werden  der  Tür- 
kei garantiert.  Dagegen  tritt  sie  ganz  Mazedonien 
mit  Saloniki  an  Osterreich  ab. 

§  3.  Die  Dardanellen  stehen  unter  Protek- 
torat des  »Europäischen  Bundes',  der  sowohl  Pera 
und  Galata  als  den  Bosporus  als  extraterritoriales 
Bundesgebiet  übernimmt.  Die  türkische  Schiffahrt 
untersteht  dem  Tarif  der  Europäischen  Zollunion, 
die  ihre  Douane  im  Hafen  von  Smyrna  auf- 
schlägt. 

§  4.  Die  deutsche  Bagdadbahn  und  die  Mekka- 
bahn werden  unter  Beaufsichtigung  des  Deutschen 
Reichs  mit  Aufbietung  aller  Kräfte  gefördert. 
Deutschland  erhält  einen  Kohlenhafen  auf  Kreta, 
einen  auf  Rhodus,  Frankreich  einen  solchen  an 
der  syrischen  Küste.  Der  gesamte  sonstige  Be- 
sitzstand des  osmanischen  Reiches  wird  von  dem 
»Europäischen  Bund'  garantiert. 

V.  Frankreich  befindet  sich  im  Friedenszustand 
mit  Marokko  unter  Vemüttlung  Sr.  Majestät  des 
deutschen  Kaisers.  Casablanca  und  Mogador  wer- 
den deutsche  Stationen,  die  kommerzielle  Interessen- 


—     470     — 

Sphäre  fällt  an  Frankreich  und  Deutschland  lu  gi« 
chen  Teilen. 

VI.  Diese  Verbindlichkeiten  zu  erfüllen,  vti 
pflichten  sich  aUe  Kontrahenten,  wenn  es  sein  mus 
mit  Waffengewalt.  Sollte  durch  Einspruch  andere 
Mächte  dieser  Fall  eintreten,  so  behalten  die  hohes 
Kontrahenten  sich  vor,  obigen  Garantien  des  ef> 
gen  Friedens  und  einer  gesunden  RechtsordnuDg 
in  Europa  einige  Erweiterungen  hinzuzufügen."  - 

Der  Minister  hatte  geendet,  düstere  Stille  > 
gerte  über  der  Versammlung.  Chamberlain  hat  d« 
Sprecher  ums  Wort. 

„Es  braucht  kaum  gesagt  zu  werden,  Mt 
Speaker,  dass  diese  sogenannte  Allianz,  wobd  Eng 
lands  Alliierter  sich  über  seinen  Kopf  weg  ^■ 
dessen  Feind  verbündet,  ganz  einfach  Koalition  g^ 
gen  England  bedeutet.  Da  hätten  wir  sie  also 
die  äusserste  Gefahr,  von  welcher  so  lange  schwan- 
sehende Patrioten  geträumt,  deren  Verhinderung  sei 
einem  halben  Jahrhundert  das  Werk  unserer  F^ 
litik.  Und  mehr  als  europäische,  eine  Weltkoabiio= 
bedroht  uns,  wie  niemand  je  sie  ahnte.  Ich  n»i 
heut  nicht  untersuchen,  ob  Englands  frühere  js^' 
zende  Isolierung*  uns  vor  dieser  abschüssigen  Balc 
behütet  hätte.  Vom  Standpunkte  der  Opposition  - 

Zurufe :  „Die  uns  gerade  das  französische  Bön* 
nis  und  den  Angriff  auf  Deutschland  bescherte 

„Ganz  recht,  ich  will  unsern  Fehler  nicht  ^ 
schönigen,  wenn  es  ein  Fehler  ist.  Aber  die  !§'> 
lierung  hätte  andrerseits  wohl  auch  solche  Kca^^ 


—     471     — 

tion  beschleunigt  unter  Beitritt  Russlands,  weil  es 
sich  eben  hier  um  unversöhnliche  Interessengegen- 
sätze handelt.  England  muss  gross  sein  wie  das  alte 
Rom,  oder  es  kann  gar  nicht  sein.  Bisher  ging  ja 
alles  gut,  unsere  Meerherrschaft  ist  stärker  denn 
je,  wertvolle  Neuerwerbungen  sind  gewonnen.  Die 
Eingeborenenbewegung  in  Nordafrika  und  China 
Hess  sich  nicht  voraussehen  — " 

Zurufe:  „O  doch,  wenn  man  europäische  Hän- 
del anfingt" 

„Ich  spreche  hier  lediglich  als  früherer  Kolo- 
nialminister, dem  man  ja  auch  vorwarf,  die  Frei- 
staaten am  Oranjeriver  dem  britischen  Zepter  un- 
terworfen zu  haben.  Nun,  ich  bin  stolz  darauf  — " 

Zurufe:    „Wir   schmecken   die   Früchte  1" 

„Und  beglückwünsche  meine  Nachfolger  zu 
ihrem  patriotischen  Schachzug  gegen  Sundainseln 
und  Balearen.  Heut  glaubt  Europa  uns  schachmatt 
zu  setzen.  Ich  mache  das  Haus  aufmerksam  auf 
die  deutUche  Drohung  im  Schlusspassus  dieses  er- 
staunlichen Schriftstücks,  dessen  politischer  Meister- 
schaft ich  übrigens  meine  Bewimderung  nicht  ver- 
sagen kann.  Das  sogenannte  .Garantieren'  läuft  hier 
auf  souveränes  Schalten  und  Walten  mit  fremdem 
Kigentum  hinaus.  Mit  Ägypten  springt  man  um  wie 
mit  herrenlosem  Gut.  Immerhin  könnte  man  darauf 
eingehen,  wenn  wir  nur  Alexandria  imd  Suez  behal- 
ten. Mich  tröstet,  dass  von  den  Simdainseln  ge- 
schwiegen wird.  Gleichviel!  Einer  so  wohlüber- 
legten Naivität  gegenüber  gibt  es  nur  eine  Taktik: 


—     472     — 

den  Ball  auffangen  und  zurückschleudem  wie  bdm 
Fussballspiel.  Übrigens  wird  nichts  so  häss  g^ 
gessen  wie  gekocht.  Vielleicht  lasst  sich  Dod  Se 
paratabkommen  mit  Kaiser  Wilhelm  treffen.  Mdce 
Motion  geht  dahin,  sofort  gegen  diese  NeugrönduDg 
Protest  einzulegen  und  vor  allem  zuerst  Italien  dnrcb 
kräftigen  Hieb  zur  Besinnung  zu  bringen.  Eine  Euro- 
päische Union  ohne  England  ist  kein  Europa  mehr. 
sondern  ein  Fabrikat  ,in  Deutschland  gemacht',  ^i: 
müssen  Aufnahme  in  den  Bund  verlangen.  Das 
übrige  findet  sich."  Wohl  erhob  sich  Beifall,  docb 
von  den  Bänken  der  Arbeiterpartei,  der  Radikal« 
imd  Iren  erscholl  Murren:  „Sie  wollen  uns  ia 
neuen  Krieg  stürzen.  Die  Industrie  leidet  sdwo 
lange  genug." 

Der  Vertreter  von  Bradford  bat  unis  Wort: 
„Meine  Wähler  haben  mir  das  Mandat  erteilt,  ia 
ihrem  Namen  auf  Einstellung  der  Feindseligiaiiäa 
gegen  Deutschland  zu  dringen.  Die  sogenannte  Kod^ 
kurrenz  ist  nur  wohltätiger  Umsatz  von  Tausch»« 
ten.  Unsre  Bradforder  Garn-Manufaktur  und  die 
ganze  Textilindustrie  weiss  davon  ein  Lied  »i 
singen." 

Arbeiterführer  Fenwick  rief  zwischen  die  im  Lä^ 
des  Hauses  unverständlich  werdende  Rede  hineo' 
„Und  die  zunehmende  Arbeitslosigkeit  ?  Das  Stocken 
vieler  Branchen,  weil  unser  deutscher  Export  feh^^' 
Und  das  Steigen  aller  Lebensmittel  durch  Import- 
mangel  und  Profitauf schlag  der  Yankees?  Frieto 
Frieden  I" 


—     473     — 

Der  Attomey  -  General  begann  Auseinander- 
setzung, dass  Frankreich  kontraktbrüchig  und  sein 
Vertrag  null  und  nichtig  sei,  weil  es  der  Präzedenz 
seiner  Verpflichtung  gegen  England  nicht  gedacht. 
Doch  das  Geschwätz  ging  in  allgemeinem  Lärm 
und  Gelächter  unter,  so  dass  der  Premier  unter- 
brach: „Mein  gelehrter  Freimd  sollte  den  juristi- 
schen Standpunkt  fallen  lassen.'* 

Da  erhob  sich  Balfour :  „Die  ehrenwerten  Gentle- 
men,  die  soeben  gesprochen,  müssen  nicht  glauben, 
dass  wir  kein  Herz  für  die  Leiden  der  gewerb- 
treibenden  Bevölkenmg  haben.  Wir  sind  ein  Volk 
von  Handelsleuten  und  handeln  danach,  richten  uns 
danach.  Aber  gerade  deshalb  müssen  wir  auf  dem 
betretenen  Wege  fortfahren.  Ganz  richtig  ist  von 
Ausnutzung  unsrer  Notlage  durch  Amerika  ge- 
redet worden.  Um  so  mehr  müssen  wir  uns  mit 
bewaffneter  Hand  dagegen  verwahren,  dass  unsre 
Handelssuprematie,  nachdem  wir  Deutschland  ge- 
dämpft, durch  Amerika  vollends  in  die  Brüche  geht. 
Bisher  hatten  nur  Amerika  und  Japan  kommerziellen 
Vorteil  von  diesem  kurzen  Kriege,  wir  müssen  auch 
hierin  das  Verlorene  mit  Gewalt  zurückerobern.  Nur 
ein  Verräter  kann  die  amerikanische  Drohimg  ver- 
söhnhch  diskutieren,  doch  auch  von  schweigendem 
Verschlucken  der  japanischen  Insulte  kann  keine 
Rede  sein.  Die  Leute  meinen  es  ernst,  diplomati- 
sche Erörterung  würde  unnütz  Zeit  vertrödeln.  Ich 
stimme  für  schärfste  Ablehnung  solcher  unerhörten 
Zumutung,  dagegen  für  nochmaligen  Versuch  bei 


—     474     — 

Kaiser  Wilhelm,  auf  erträglichen  Friedenshiss  m 
Europa  zu  kommen,  ohne  unser  Prestige  leistöre 
zu  müssen.  Die  Idee  meines  ehrenwertoi  Freun 
des  Chamberlain  entspricht  auch  meinen  Intaitk^ 
nen.  Verhandeln  wir  über  die  Balearea  und  Djc- 
teilung  Ägyptens !  Sonst  bleiben  wir  fest  und  w«dje 
keinen  Fussbreit!" 

Kaum  aber  legte  sich  der  Beifallssturm  ^ 
diesen  Worten,  als  sich  Winston  ChurdriB  crhcc^ 
sein  Monokle  eingeklenunt  und  nonchalant  wie  i^ 
mer.  Unmutig  stiessen  die  Oppositionellen  ad  ^ 
einige  Iren  und  Radikale  begrüssten  ihn  wann. 

„Ich  bedaure,  mit  dem  sehr  ehrenwcrteß  ^'^ 
redner  nicht   übereinstimmen   zu   können/*  (Beö- 
bei  der  äussersten  Linken,  ironische  Zurufe  derb^ 
servativen  Opposition:  „NatürHch  nicht I  KanniE:- 
denken!    Nur  inmier  hübsch  das  Gegenteil  sage* 
Eine     imdeutliche     Stimme    näselte    vemehmbai 
„Das    ist    ein    Mann,    der    das    Reich   ins  ^^ 
derben   brachte,   voll   christlichem    Mitldd  ftr  g^- 
Johannesburger  Kulis I")    „Mn  Balfour  spricht^- 
Verhandeln  und  Ausgleich,  von  scharfer  Ablehacn: 
und  derlei  diplomatischen  Künsten.   Doch  idi  nis5- 
sagen,  zum  Manövrieren  ist  nicht  mehr  Zeit,  sf<^ 
dem  zum   Handeln  auf  Tod  und    Leben."  (T*^ 
Stille.    Vereinzelte  Cheers,  Aufhorchen  der  Kcoj^' 
vativen.)    „Der  Edle  Lord,  der  ims  das  AktensrJ?:^ 
vorlas,  scheint  nicht  allen  deutlich  vcmehmter  r 
wesen  zu  sein,  und  das  hochehrenwerte  MitgW^- 
Birmingham,  das  so  treffend  diese  geniale  Macte* 


—     475     — 

tion  als  ein  Meisterstück  bezeichnete,  dürfte  den 
vollen  Sinn  nicht  begriffen  haben."  (Lautes  „hört, 
hörtl"  auf  allen  Bänken.)  „Sehen  Sie  sich  die  ein- 
zelnen Teile  näher  an,  so  bedeutet  dies  nichts  an- 
deres als  Ausschliessung  Englands  vom  Schwarzen 
und  Mittelmeer,  Sperrung  der  Suezroute  für  In- 
dien. Das  sogenannte  ,Garantieren'  heisst  nichts 
anderes,  als  dass  man  Balearen  und  Sundainseln 
unter  allen  Umständen  uns  nicht  etwa  abhandeln, 
sondern  abnehmen  will.  Ich  teile  nicht  den  Trost, 
dass  von  den  Simdainseln  nicht  die  Rede  sei.  Das 
ist  im  Tenor  der  Abmachungen  schon  impliziert: 
, Besitzstand*!  Antrag  um  Aufnahme  in  den  ,Bund' 
würde  nur  als  Sprengungsversuch  ausgelegt  werden. 
Ich  verspreche  mir  gar  nichts  davon,  denn  man  will 
England  ausschliessen.  Die  Benutzung  der  Türkei, 
um  ims  in  Vorderasien  jeden  Einfluss  abzuschnei- 
den, und  die  schon  betonte  Manier,  Ägypten  zu  ver- 
schachern, die  unser  berühmtes  Mitglied  für  Bir- 
mingham sehr  richtig  als  souverän  bezeichnete,  lässt 
klar  erkennen,  dass  es  dem  »Europäischen  Bund* 
überhaupt  nicht  ums  Verhandeln  zu  tun  ist.  Die 
Zukunftsdrohung  am  Schlüsse,  wenn  wir  uns  nicht 
gutwillig  fügen,  kann  alles  mögliche  meinen:  Malta, 
Cypem,  was  weiss  ichl  Das  Ganze  ist  eine  plan- 
mässige  Insulte,  ein  Schlag  ins  Gesicht,  ein  An- 
spucken 1"  (Tobender  Applaus  bei  den  Konservativen, 
Zustimmung  bei  den  Liberalen,  Schweigen  bei  den 
Radikalen,  Unruhe  bei  den  Iren.)  „Dass  Europa  von 
dem  gleichzeitigen  Attentat  der  Transatlantier  und 


—     476     — 

Ostasiaten  Kenntnis  hatte,  wie  vielleicht  einige  arg 
wohnen,  glaube  ich  nicht.  Um  so  verfänglicher  die 
schon  von  Mr.  Chamberlain  hervorgehobene  Dn> 
hung  am  Schlüsse,  werm  irgendwer  gegen  solche 
Paragraphen  d.  h.  Beraubung  Englands  etwas  diixs^ 
wenden  habe.  Von  diplomatischen  Schritten  t-e- 
Kaiser  WilheUn  sehe  ich  nichts  ak  DemütigiSj 
voraus,  denn  man  hat  dort  keinen  guten  W^- 
zum  Frieden.  Und  den  Passus,  dass  Frankrei- 
allen  Neuerwerbungen  Deutschlands  bebtiin» 
deute  ich  mir  sogar  bezüglich  Südafrikas.  Dff? 
lehrte  Herr  Attomey-General  sprach  uns  von  'y^ 
schem  Recht,  doch  selbst  moralisches  Recht  gut  nii- 
im  Völkerleben.  Ich  komme  daher  zum  Schlüsse,  ö^ 
der  sogenannte  Europäbche  Bund  gar  kdnc  Defe 
sive,  sondern  Offensive  beabsichtigt,  sich  auch  c 
Ägypten  und  Rückgabe  der  Balearen  und  Sia-* 
inseln  nicht  begnügen  würde,  sondern  uns  do^^ 
solche  Insulte  zmn  Kampfe  reizen  will.  Nunw)- 
sie  soUen  ihn  haben!"  (Wüder  Beifall.  DerRedn^' 
steht  kühl  und  unbewegt.)  „Ich  war  für  Tempons:^ 
ren,  so  lange  es  möglich.  Jetzt  ist's  zu  spat,  y— 
Integrität  unsres  Reiches,  sondern  Sein  oder  N.o 
sein  steht  auf  dem  Spiel.  Noch  beherrscht  e<' 
Flotte  das  Meer,  Truppentransporte  nach  Kapso^ 
und  Quebec,  Suez  und  Gibraltar  sind  nur  ^^ 
Frage  der  Zeit.  Ich  beantrage,  durch  ausscrordes: 
liehe  BUl  die  gesamte  Müiz  von  GrossbritaBßJ« 
auszuheben  und  unter  gleichzeitigem  Flotfcnaßs- 
an  Europa,  Amerika,  Japan  den  Krieg  ta  erkUr* 


—     477     — 

Auch  Russland  ist  von  diesen  Vereinigten  Staaten 
von  Europa  ausgeschlossen,  als  Dank  für  seine  laue 
Hinterhältigkeit:  £s  macht  vielleicht  mit  uns  ge- 
meinsame Sache.  Doch  auch  allein  ist  England 
stark  genug,  um  einer  Welt  in  Waffen  die  Stirn  zu 
bieten.  Auf  imsrer  Insel  kommt  uns  niemand  bei, 
unsre  Flotte  ist  immer  noch  stark  genug,  um  die 
getrennten  Flotten  der  Feinde  niederzuhalten.  De- 
fensiv  gegen  Japan,  offensiv  gegen  Amerika  imd 
Frankreich,  Deutschland  kann  uns  nichts  mehr  scha- 
den. Meine  Herren,  ich  lege  Ihnen  allen  ans  Herz: 
nicht  nur  unsre  Würde  gebietet,  der  Provokation 
nicht  mit  schwächlichem  Zögern,  sondern  unbeug- 
samem Stolz  zu  begegnen,  sondern  auch  unsre  Zu- 
kunft und  Sicherheit.  Es  ist  ein  Aufwaschen:  früher 
oder  später  hätten  wir  doch  einmal  mit  Amerika 
imd  Frankreich  zu  tun  bekommen,  geschweige  mit 
den  Japs.  Wir  werden  es  ihnen  allen  besorgen  I 
Heut,  wo  wir  auf  der  Höhe  unsrer  Macht  stehen, 
Deutschland  zur  See  und  Russland  für  Indien  nicht 
zu  fürchten  haben,  kann  eine  letzte  gewaltige  An- 
strengung uns  für  immer  aller  Feinde  entledigen. 
Australien  und  Canada  werden  in  dieser  Not  ihr 
Mutterland  nicht  vergessen,  die  ganze  jahrtausend- 
lange Kraft  dieses  Landes  muss  sich  zusammenraffen. 
Meine  Herren,  erklären  Sie  auf  der  Stelle  imsem 
übermütigen  Bedräuem   den   Krieg  I" 

Rasender  Beifall,  Schreien,  Stampfen,  Hüte- 
schwenken,  Stöckeschwingen.  Der  Sprecher  befahl 
die    Abstimmung.     „Division,    Division  I"     (Abstim- 


—     478     — 

muns:!)    schrie  es  durch  alle  Gänge   des  Hauses, 
ob  vielleicht  noch  ein  verspätetes  Mitglied  fehlt 
Man  hat  dies  Parlament  oft  recht  unzeitgemäss  mi: 
dem  römischen  Senat  verglichen,  heut  gab  es  wci- 
lieh  eine  Ähnlichkeit.    Jeder  dieser  Manner  fühlte. 
dass  diese  schwere  Stunde  manche  Verschuldung 
und  Ungebühr  der  Vergangenheit  strafe,  aber  da» 
man  nüt  britischem  Starrkopf  die  Sünden  der  L* 
Oberergeschichte  tragen  und  nie   irrewerden  den«? 
an  Englands  historischer  Rolle.    Hannibal  tot  des 
Toren?    Ceterum  censeo,  Carthaginem  esse  delc- 
dam  I   Mit  allen  Stinmien  gegen  einige  der  Iren  er 
klärte  Englands  Reichstag  zur  Verteidigung  seiD&' 
Grösse  an  alle  Welt  den  Krieg. 


Sofort  nach  Abschluss  der  Europaischen  Vi»'' 
ward  der  Sultan  Abdul  Hamid  verständigt,  dass  e 
sich   dem   Bündnis   anzuschliessen   und  danach  ß 
halten  habe.    Wiedereinsetzung  des  Kbedivc  unter 
türkischer  Souzeränität  ward  ihm  zugestandeOf  ^ 
gegen  habe  er  an  Stelle  der  Briten  nunmehr  ^ 
Franzosen   als   europäische   Schutzherren  des  N^ 
tals  anzuerkennen,  ihnen  die  spätere  Neuvcrwaltoai 
zu  übertragen.    Gegen  Persien,  das  unter  heimiid»^ 
Anstiftung   Russlands   einen  schiitischen  Glaubecs^ 
krieg  gegen  Mesopotamien  begann  und  seine  Kuri* 
als  Wüteriche  hausen  Hess,  ward  dem  Sultan  glo^ 
zeitig  Hilfe  zugesagt,  der  Schah  verwarnt,  dass  ff 
sofort  Entschädigung  zahlen  und  für  Veigci«^ 
räubereien  türkischer  Baschibozuks  keine   fordet 


—     479     — 

dürfe.  Ebenso  ward  dem  Sultan  Albanien  erneut 
garantiert,  ihm  sonst  promi>te  Ausfühnmg  der  Oster- 
reich zugesprochenen  Gebietsabtretung  anempfohlen. 
Seine  Armee  in  Ägypten  und  seinen  Einfluss  habe  er 
sofort  einzusetzen,  um  die  Ruhe  in  Französisch- 
Afrika  wiederherzustellen.  Letzteres,  mit  allem  übri- 
gen einverstanden,  fiel  dem  Sultan  sehr  sauer.  Doch 
die  Erwägung,  dass  weitere  Ausbreitung  des  Mah- 
dismus imd  dauerndes  Festsetzen  der  wilden  Wüsten- 
stänune  an  der  ganzen  Küste  und  womöglich  im 
Niltal  selber  sein  eigenes  Prestige  schmälere  imd 
wirklichen  Wiedergewinn  von  Ägypten  in  Frage 
stelle,  bestimmte  ihn  denn  doch,  als  oberster  Kalif 
der  Gläubigen  sofortige  Rückkehr  der  Sudanhorden 
in  ihre  heisse  Heimat  zu  befehlen.  Die  Giaum  seien 
nun  von  Allah  genug  gezüchtigt,  der  in  seiner  un- 
endhchen  Barmherzigkeit  weiteren  Gnadenaufschub 
gewähre.  Berennung  von  Alexandria  werde  sein 
Ghazi  (Marschall)  Muktar  allein  übernehmen. 

Das  war  natürlich  in  den  Wind  gesprochen 
für  diese  Horden,  die  wie  die  gefürchteten  Heu- 
schreckenschwärme  Algiers  die  Küste  bedeckten. 
Der  Mullah,  des  Islam  afrikanischer  Papst,  der 
grünbeturbante  Scheich  der  Wüste,  umgeben  von  Se- 
nussi-Priestem,  stieg  inmitten  einer  unermesslichen 
Horde  von  seinem  Kamel,  breitete  sein  Lammfell 
als  Gebetsteppich  gen  Mekka  zum  heiligen  Kaaba- 
stein  und  belehrte  alle  Rechtgläubigen,  dass  der 
Kalif  seine  sogenannte  Stellvertreterschaft  Allahs 
durch   Schwäche  verwirkte.     Was  Aufschub  I     Die 


—     480     — 

Bekehrung  der  Giaum  werde  nie  erfolgen,  sie  seien 
von  Anbeginn  durch  Eblis,  den  Übeln  TeufeL  zo-' 
Verstocktheit  verflucht,  und  ,Dschejad*  (Glauben^ 
krieg)  dürfe  nur  mit  Vertilgung  aller  Heiden  nac 
Ketzer  enden.  Er,  der  Mullah,  entbinde  alle  A:^ 
hänger  des  Mahdi,  auf  den  gottlosen  Kalifoi  i: 
hören.  Er  exkommunizierte  sozusagen  mit  eber 
Bannbulle  alle  Irrlehrer  und  predigte  so  würderc. 
wie  einst  der  heilige  Augustin,  Bischof  von  Hi;? 
an  gleicher  Stätte,  hier  wo  die  Kathedrale  des  Ki' 
dinals  Lavigerie  und  die  Kapelle  zum  Gedächn 
des  heiligen  Königs  Louis  unter  Palmen,  Orange 
und  Bananen  auf  Ruinen  von  Byrsa  und  Reliqu^ 
feld  des  einstigen  Karthago  soeben  vom  Wiistcx 
gesindel  in  Asche  gelegt.  Zur  Feier  des  Tage  E> 
er  dann  noch  in  herrlichem  Autodafe  einige  h^-' 
lische  Missionare  und  im  verödeten  Tripolis  ^ 
wischte  Italiener  lebendig  verbrennen,  Fraücn  c- 
Kinder  in  die  Sklaverei  verkaufen. 

Dieser  begeisterten  Kundgebung  des  von  Oo: 
erleuchteten  geistlichen  Würdenträgers  huldigte  x 
türkische  Haki  Pascha,  Konunandeur  des  5.  Kcr?" 
imd  jetzt  der  ganzen  ägyptischen  Annee,  nut  e^ 
orientalischer  Arglist,  indem  er  nicht  etwa  is^ 
den  Mauern  der  alten  Alexanderstadt  sich  auf  Kas? 
mit  den  Mahdisten  einliess,  sondern  ostentativ  5«  | 
Lager  aufhob  und  nilabwärts  gegen  die  Ruck:=^ 
Strasse  der  Wüstenmänner  marschierte.  Natürf» 
benutzten  die  belagerten  Briten  dies  zu  wutaw^ 
Ausfall,   in  welchem  die  Mahdisten  eine  ^^' 


—     481     — 

liehe  Niederlage  erlitten,  zu  Tausenden  von  der 
Schärfe  des  Schwertes  noch  bei  der  Verfolgung  hin- 
gemäht. Sie  wollten  sich  jetzt  sengend  und  brennend 
ins  Niltal  hinüberwerfen,  sahen  sich  aber  hier  all- 
seits von  türkischen  Geschützen  und  Gewehren 
empfangen,  die  kurzen  Prozess  machten.  Die  ganze 
ungeheure  Horde  floh  auf  Kartum  zurück,  die  Küste 
freigebend,  während  die  Türken  umkehrten  und  die 
Briten  erneut  nach  Alexandria  hineintrieben.  Auch 
genehnugte  der  Padischah  Abgabe  eines  osmani- 
schen  Korps  zu  weiterer  Säuberung  von  Französisch- 
Afrika  und  beschied  den  Sultan  von  Marokko  in 
solchem  Sinne.  Daraus  hätte  dieser  sich  wenig  ge- 
macht, das  Geheiss  unbeachtet  gelassen,  wenn 
ihm  nicht  aus  Tanger,  wo  das  spanische  Presidio 
sich  immer  noch  hielt,  der  deutsche  Geschäftsträger 
am  marokkanischen  Hof  die  Beschlüsse  der  Kon- 
ferenz von  Chaumont  mitgeteilt  hätte.  Da  ihm 
hiernach  Integrität  seines  Besitzstandes  unter 
Deutschlands  Präsidium  verbürgt,  fügte  er  sich  gut- 
willig. Der  Krieg  hörte  auf,  obschon  Kabylen- 
schwärme  noch  längere  Zeit  beutesuchend  in  Algier 
streiften.  Der  Sandschak-Sherif,  den  als  Angebinde 
der  Padischah  selber  aus  Stambul  geschickt,  ward 
wieder  eingerollt.  Das  algerische  Armeekorps  konnte 
wieder  seinen  alten  Gamisonfunktionen  nachgehen, 
der  Aufruhr  in  Nordalgerien  erlosch  nach  und  nach, 
man  hatte  Müsse,  in  Constantine  und  Oran  sich 
gegen  englischen  Anprall  zu  schützen. 

Dem  Negus  Menelik  ward  angesagt,  dass  Italien 

Völker  Europas  ...  1  31 


—     482     — 

jetzt  unter  deutsch-franzosischem  Schutz  stehe,  ik 
daher  weiteres  Belastigen  Massauas  untexsagt  seL 
Auf  die  bittre  PUle  dieser  Verwarnung  streatc  man 
aber  das  Zuckerplätzchen  einer  pomphaften  ^^ 
und   Trutzallianz  gegen   England,  vor  dessen  r- 
planter  Vergewaltigung  jetzt  Abessinien  ein  für  aD^ 
mal   durch   die   neue   Ordnung    Ägyptens  behüu' 
werde,  wobei  die  Europäische  Union  besondeß  It: 
haft  an  Meneliks  Wohl  gedacht  habe.  Die  Scte 
chelei,     seinen    Titeln    noch    den   eines  „Veibi 
deten   des   grossen   Negus   im   Norden"  vor  de 
getreuen  schwarzen  Bergvolke  beifügen  und  so  s 
doppeltem  Lichte  eines  Kulturfreundes  strahlen  r. 
köimen,    rührte    diesen    afrikanischen   Peter  ^ 
Grossen  so  sehr,  dass  er  zu  allem  Ja  nnd  Ais^^ 
sagte,  das  zu  Fall  gebrachte  Kassala  an  Italiffl  i^ 
ausgab,  sich  aber  nicht  dazu  verstand,  geassm- 
mit  den  heidnischen  Türken  gegen  England  zu  ^ 
rieren.    Um  daher  seinem  beute-  und  kriegdüstenis 
Heere  eine  andere  Richtung  zu  geben,  das  er  du-* 
zu  baldige  Heimkehr  nicht    erzürnen  wollte,  ^ 
geisterte  er  die  rechtgläubigen  Christen  und  Sa- 
folger  des  sagenhaften  Priesters  Johannes,  ach  ^• 
christlicher  Liebe  der  Mahdisten  anzunehmen.  D*^ 
grinune  Raubzug  in  den  Rücken  Nubiens,  ins  W-^ 
des   heidnisch-islamitischen  Zentralafrika  führte  '^ 
fröhlichem  wechselseitigem  Niedermetzehi  der  A: 
bänger  Christi  imd  Mohanmieds,  fügte  Meneliks  Fe^^ 
herrnlorbeeren  ein  neues  Blatt  und  tüchtige  Gcök^ 
erweiterung  hinzu,  erleichterte  aber  spater  aoQ^- 


—     483     — 

seits  den  Türken  und  Franzosen  die  erneute  Erstür- 
mung Kartums.  Das  früher  britische  Somaliland 
hatten  schon  nach  dem  Tode  von  Ras  Makönnen  die 
abessinischen  Grenzstämme  gebrandschatzt,  jetzt 
liessen  sie  esnicht  mehr  los.  Engl.  Hafen  Portsuden  fiel. 

Solange  Lesseps  nicht  umsonst  gelebt  und  der 
Kanal  im  allgemeinen  europäischen  Interesse  keine 
Verschüttung  durch  Dynamitexplosionen  zu  befürch- 
ten hatte,  war  natürlich  den  Verteidigern  von  Is- 
maila  und  Port  Said  nicht  beizukommen.  Die  vom 
Wüstenstreif  Akaba,  wo  ein  deutsches  Konsortium 
ein  Kohlenlager  unterhielt,  bis  Fort  Nakhl  ausge- 
baute Bahn  beförderte  umsonst  Truppen  auf  Trup- 
pen. Hilfe  aus  Indien  sollte  baldigst  eintreffen. 
Untenb  Schutze  der  Flotte  hielt  sich  auch  Alexandria 
mit  echtenglischer  Unerschütterlichkeit.  Hatte  doch 
sogar  ein  Häuflein  engUscher  Sportsmen  und  Tou- 
risten, die' sich,  ihre  fellachischen  Heizer  im  Zaume 
haltend,  noch  rechtzeitig  zur  grossen  Nilbrücke  von 
Kairo  und  von  dort  ins  kleine  Fort  auf  der  Fels- 
schröffe  des  Mokkatam  gegenüber  der  Zitadelle  ge- 
rettet hatten,  Winchestergewehre  und  Elefanten- 
büchsen so  treffsicher  gehandhabt,  dass  der  ein- 
ziehende Haki  Pascha  ihnen  Leib  und  Leben  gegen 
mahdistische  Grausamkeit  ritterlich  zusicherte. 

Die  Lancashire  Füsilirs,  frühere  Kairo -Gar« 
nison,  mussten  übrigens  auf  Truppenschiff  „Del- 
wara"  nach  Malta  zurück,  wo  ein  Nucleus 
(Kadresdepot)  von  Matrosen  schon  zwei  alte 
Küstenpanzer     armierte,     weil     der     Kommandant 

31* 


—     484     — 

Major- General   Stokes   einen    Überfall  der  italiau- 
sehen  Flotte  befürchtete. 

Inzwischen   hatte   am   entgegengesetzten  ^ 
des  Kontinents  längs  der  Westküste  der  Simum  da 
losgelassenen  Neger  und  Araber  alle  framöstsdssi 
Posten  weggefegt.  Kanoes  mit  bewaffneten  Wilde: 
fuhren  bis  zur  Senegalmündung  hinauf,  sdbst  Dr 
Icai*   wurde   eingeäschert,   nur   St.   Louis  hidt  t 
Gouverneur  von  Senegambien  mit  aUen  geretteis 
Europäern  und  der  tapferen  Besatzung  von  »Senesi 
schützen*.    Doch  nach  Vertreibung  der  Mahdistz 
und  Einschläferung  der  Marokkaner  glätteten  §cü 
die  empörten  Wogen  immerhin  so  weit,  dass  vm 
mit  Gewissheit  voraussah,  wie  Frankroch  aÜisahlc: 
alle  verlorenen  Posten  zurückgewinnen  und  sein  air> 
kanisches  Reich  sich  vermehrt  durch  Neuerweib  t 
ganzen  ägyptischen   Interessensphäre,  dieser  ali^ 
Sehnsucht  französischer  Politik,  als  Phönix  aas  de 
Asche  erheben  werde.    Gleichwohl  mahnten  Ris^ 
fünfzigjähriger  Kulturerobererarbeit  daran,  wie  c 
vernünftig  Frankreich  durch  Anschhiss  an  EngUsc 
um  nur  ja  Deutschland  keinen  Anteil  am  nonbf^ 
kanischen  Absatzgebiet  zu  gönnen,  seine  wahre  ^ 
kunft  aufs  Spiel  setzte«    Solche  Erkenntnis  trivi^ 
neues  Gift  in  die  schwärende  Wunde  des  lasflüit 
Britenhasses,  der  alle  Schichten  der  französis^ 
Gesellschaft  durchdrang. 

Während  in  ganz  Guinea  die  lange  im  Teibor? 
nen  glimmende  Flamme  afrikanischer  Rachsucht  s^ 
Stätten  europäischer  Zivilisierung  verwüstete  undci' 


—     485     — 

holde  Zankapfel  des  Kongostaats,  den  man  Bel- 
gien aus  den  Zältnen  riss  und  über  den  Briten  und 
Franzosen  sich  geldgierige  Blicke  zuwarfen,  bald  nur 
noch  den  Eingeborenen  gehörte,  auch  im  Osten  die 
englische  Uganda-  und  deutsche  Dar-es-Salam-Bahn 
ihre  Trümmer  vermischten  und  Flüchtlinge  aller 
europäischen  Nationalitäten  in  holder  Eintracht  das 
gamisonentblösste  St.  Helena  füllten,  hielt  die  un- 
gewöhnliche deutsche  Waffenmacht  in  Südwestafrika 
allein  noch  die  Überflutung  aller  europäischen  An- 
siedelungen auf.  Die  Portugiesen,  in  Loanda  und 
ganz  Angola  niedergemetzelt,  riefen  den  Schutz 
derselben  Deutschen  an,  denen  sie  vordem  auf 
Kommando  Englands  eine  so  feindselige  ,Neu- 
tralität'  bezeugten.  Hereros  und  Hottentotten  hatte 
der  frühere  Feldzug  doch  derart  geschwächt  und 
entwaffnet,  dass  Swakopmund,  Windhuk,  Keetmans- 
hop  in  keine  ernste  Gefahr  gerieten,  Pequema  und 
Lüderitzland  von  Verheerung  freiblieben.  Gern  hätte 
England,  ehe  der  grosse  Wüstensturm  ausbrach  und 
man  in  aller  Gemütlichkeit  nur  die  deutschen  Kolo- 
nien abzufassen  hoffte,  dieHereros  wieder  mit  Waffen, 
Munition  und  Proviant  versehen.  Doch  Sympathie 
für  diese  verehrlichen  Menschetibrüder  hielt  der 
Besorgnis  nicht  Stich,  dass  das  Umsichgreifen  des 
Aufstandes  auch  den  kaum  niedergehaltenen 
Schwarmgeist  der  bösen  eigenen  Schwarzen  in  Natal 
wieder  wachrufen  könne.  Alle  anderen  deutschen 
Kolonien  und  schwachen  Seestreitkräfte  an  der 
west-  und  ostafrikanischen  Küste  hatte  der  unersätt- 


—     486     — 

liehe    Rachen      des      englischen     Haifischs  m 
schlungen. 

Das  vor  Durban  kreuzende  Stationsschxff  .Spokr' 
,Schwalbe*,  ,Seeadler*,  WolP,  .Bussard*  suchten  i? 
Sansibarischen  Stationen  Dar-es-Salam,  BagaiKP 
und  Tanga  zu  halten,  wurden  aber  durch  Pan»^ 
,Hindostan'  und  Kreuzergeschwader  aus  Aden  i^ 
Sinken  gebracht,  das  gleichzeitig  eine  indis'Ä^ 
Gourka-Brigade  überholte  und  die  kleinen  Häfen  fe 
Victoriasees  in  britische  Gewalt  brachte.  In  BerLt 
liquidierte  die  Kilimandscharo-Pflanzungsgesdlscbi. 
für  Plantagen  von  Kautschuk,  Agave,  Baumwolle  ndir- 
obligatem  Zebrafang.  Vor  Kamerun  lieferten  die  lifl 
beorderten  ,Frauenlob*,  ,Ariadne*,  ,Falke*  (Staä' 
Westindien)  französischen  Kreuzern  von  sta^»^- 
Deplacement  ein  letztes  Gefecht  und  retteten  sich,  c 
schädlich  gemacht,  die  Küste  entlang  bis  Lüderit^ 

Kamerun  und  Togo  hatten  schon  englische  M* 
rinebesatzung,  als  senegambische  Franzosen  ^ 
rücken  wollten  und  so  das  Nachsehen  bekamen,  ^* 
jeder,  der  mit  England  ein  Teilgeschäft  machen  **- 
Reste  der  deutschen  Schutztruppen  in  ihren  gra'^' 
ben  Röcken  und  flotten  Schlapphütoi  vcrsch^^ 
im  Innern,  auf  beiden  Küsten  Mittelafrikas  Tom  ^ 
maliland  bis  zum  Kamerunfluss  wehte  jetzt  emog"^ 
Rotkreuzflagge.  Aber  nicht  lange.  Denn  urptötti 
sahen  die  behaglich  eingenisteten  Kolonialraubers 
riesigen  Massen  von  Schwarzen  gegenüber,  die  t^ 
ter  entschlossenen  Häuptlingen  den  Briten  in  ^ 
merun  und  Dar-es-Salam  ein  schauriges  Ende  ber^ 


—     4Ä7     — 

teten.  Alles,  was  sich  nicht  auf  die  Schiffe  flüchten 
iconnte,  ward  niedergemacht.  Den  eigenen  früheren 
Besitzungen  wie  Mombas  ging  es  nicht  besser. 

Die  allgemeine  Lage  in  Afrika  war  schwer  zu 
überblicken.  Bei  Wadi  Haifa,  Suakin,  Berber  herrsch- 
ten die  Türken;  in  Dongola,  Darfur,  libyscher  Wüste 
hausten  noch  Mahdisten,  in  Kordofan  und  bei  El 
Obeid  pflanzte  der  Negus  sein  Banner  auf,  im  Tune- 
sischen, wo  die  Türkei  schon  früher  Frankreich  durch 
Besetzung  von  Kanem  am  Tschadsee  angerempelt 
hatte,  wirtschafteten  noch  fanatische  Marabus  mit 
ihren  Banden  unterm  Kaid  von  Tabor.  Lord  Cromers 
Kulturarbeit  in  Gezireh  zwischen  Blauem  und  Weis- 
sem Nil,  die  Bewässerungspläne  von  Sir  W.  Garstin  in 
Oberägypten,  alles  verloren  und  verwüstet!  Gegen 
das  türkische  Lager  bei  £1  Arish,  wo  die  Os- 
manen  längst  alle  ägyptischen  Grenzpfähle  nieder- 
rissen, hielt  sich  noch  tapfer  die  Besatzung  von 
Fort  Said.  Besonders  ein  Bataillon  Border  von 
der  schottischen  Grenze  und  die  wilde  irische 
Inniskillings-Infanterie  taten  Wunder  von  Tapfer- 
keit, vor  dem  gellenden  ,Kill  killT  der  Inniskillings- 
Dragoner  erzitterten  die  wüstesten  Baschibozuks  und 
Tscherkessenreiter.  —  In  Natal  stand  es  schlecht. 
Die  Polizeitruppe  und  Border-  und  Umvoti  Moun- 
ted  Rifles  unter  Oberst  Mansel,  die  Carabineers  unter 
Oberstleutnant  Mackay  und  die  irregulären  Roy- 
ston's  Horse  nebst  Zululand-Schützen  behaupteten  nur 
noch  Umgegend  von  Durban  unter  ihrem  Führer 
Colonel  Mackenzie  gegen  den  früher  heuchlerisch 


—     488     — 

jeden  Abfall  verschwörenden  Häuptling  Diniioli 
Die  in  England  angeworbene  Freischar  des  Lord 
Cardigan  schmolz  schon  bedenklich.  Die  Buren- 
kommandanten  Emmet  und  Grobelaar  zeigten  iw^i^ 
deutige  Haltung,  wie  der  Gouverneur  Sir  Höht 
Maccallum  berichtete.  —  Aus  Nigeria  retteten  sk" 
nur  zwei  Offiziere  des  Southern  Nigeria  Rcgimeoi 
Emir  Hadija  herrschte  unumschränkt  in  Sokoto  nr: 
Kano.  —  Von  Kairo  aus  erliess  der  frühere  dortige 
Oberkommissar  des  Sultans,  Marschall  Mukthar  h 
scha,  der  schon  ziu:  Friedenszeit  die  ungeba^dig^!l^ 
Sprache  gegen  England  führte,  den  Befehl  an  ai' 
Gläubigen  Afrikas,  unter  Oberhoheit  des  Kalifen  n 
rückzukehren.  Doch  so  befriedigt  die  OsmanenTc: 
der  Hassanmoschee  und  der  Citallenmoschee,  dere: 
Alabaster  in  violetten  Farbentönen  abends  schillere 
ihren  Gibilitabak  schmauchten,  fehlte  doch  viel  3^ 
Vollziehung  dieses  grossherrlichen  Mandats.  Inte 
asiatischen  Türkei  hatte  man  manchen  Nasenstüber 
Englands  einstecken  müssen«  Wohl  erfreuten  i^ 
Norden  gegenüber  Kars  und  Oli,  wo  die  Russen  s>^ 
nicht  rührten,  Erzerum  und  Bajaset,  dessen  zcnisseB^ 
Kalkfelsen  und  grellrote  Marmorwande  mit  Sv^"-^ 
Murads  Burgterrasse  und  armenischen  Klöstern  hi  • 
Islam  und  Christlichkeit  gleichmässig  umrahme: 
oder  das  aus  dunkelm  Gestein  erbaute  düstre  Di^^ 
bekr  in  Kurdistan  und  der  Seehafen  Trapezunt  neb?' 
Bahnlinie  Skutari-Ismid-Angora  sich  tiefster  Ri^^- 
Hingegen  hatte  Sir  Percy  Scott  bei  seiner  Raoü  ^ 
türkischen    Gewässern  ;nicht   nur    Chios,   Kos,  ^ 


—     489     — 

mos,  Rhodus  besetzt,  sondern  auch  auf  East  India 
Steamern  ,,Atalanta'\  „Phlegeton",  „Malta",  „Ma- 
lakka" verschiedentlich  Truppenkommandos  (Regi- 
ment Sussex)  aus  Cypern  und  Kreta  längs  der  Küste 
verstreut  und  Adana,  Schlüssel  der  cilicischen  Pässe, 
besetzt.  Wo  überm  Hellgrau  der  Beirut-Küste  das 
Rotbraun  des  Libanon  und  Schneepyramide  des  Her- 
mon  in  wechselnden  Farben  schwimmen,  wo  Da- 
maskus lächelt  aus  duftgeschwängertem  schillern- 
dem Meer  wasserdurchrauschter  Gärten,  Kuppeln, 
Minaretts,  hinter  sich  das  rötliche  Violett  der  gros- 
sen syrischen  Wüste,  und  wo  weissrosafarbene  Säu- 
lenreste des  Sonnentempels  von  Palmyra  zu  düster- 
ernster Kreuzfahrerburgruine  aufschauen,  überall 
scholl  Verwünschung  über  die  Frechheit  der  Giaurs. 
Aus  Sana  in  Yemen,  wo  auf  dimkle  Gassen  weiss- 
getünchte  Kuppel  der  Bakilimoschee  herabblickt, 
rüsteten  Araberbeduinen  einen  Raubzug  gegen  Aden, 
der  missglückte.  Dagegen  tröstete  man  sich  in  unein- 
nehmbarer Felsfeste  Mardin,  aiif  hohen  Terrassen 
von  Mosul  über  Ruinenhügeln  Ninives  und  grün- 
blau glasiertem  Ziegelschutt  Babylons,  dass  kein 
Ungläubiger  hierher  den  Fuss  je  setzen  werde.  Doch 
inzwischen  ging  Bau  der  Bagdadbahn  unter  deut- 
scher Überwachung  ruhig  weiter  bis  zu  den  Euphrat- 
kanälen,  wo  zahllose  Pahnenkronen  auf  dicken,  heis- 
sen  farbigen  Dünsten  und  blaugrauen  Nebeln  zu 
schwimmen  scheinen,  wo  Goldknäufe  des  Mauso- 
leums von  Musa  wie  glühende  Kuppeln  leuchten,  wo 
Flamingos   und   Pelikane   über   Durrahpflanzungen 


—     490     — 

und  Reisäckem  des  Oshashkanals  wie  imipaiBe. 
scharlachne,  orangegelbe  und  weisse  Blumen  in  Lüf- 
ten schweben.  Auch  in  Cypems  sonnveibranster 
Ebene,  aus  der  Nicosias  Palmen  und  OrangegäitGi 
als  Oase  aufragen,  bestellten  die  Ungläubigen  g^ 
lassen  die  Seidenkultur,  nur  mit  dem  Untersdied 
dass  der  sonst  stipulierte  Jahrestribut  aus  Faioj- 
gusta  ausblieb.  Früher  krönte  der  Halbmond  rr. 
dem  Rossschweif  gotische  und  altveneaankcbe 
Bauten,  heut  flatterte  dort  frech  die  RotkreuzbhK. 

Übrigens  beschäftigte  sich  Wadschid-Pasda 
Präses  der  Grenzuntersuchungskonmüssion,  mit  Ab^ 
wehr  der  Perser  am  Fort  Passwah,  während  Ptk 
Izzed  in  Albanien  kommandierte.  Stambul — ^Sbttr. 
— Gallipoli  war  wieder  frei,  selbst  die  alten  Stalioas^ 
schiffe  „Imogen",  „Petrel",  „Sesia"  (englisch,  fn> 
zösisch,  italienisch)  befleckten  nicht  mehr  die  Daica^ 
nellen.  Deutsche  „Loreley",  österreichische  „Tannj?" 
von  den  anderen  Christenhunden  zerschossen:  mod 
ten  sich  doch  alle  Giaurs  so  untereinander  le?- 
fleischen !  Der  „Sultan"  (früher  Clyde-Division)  bare 
sich  hier  so  lästerlich  aufgeführt,  als  wolle  er  <k5 
geheiligten  Sultan  selber  am  Barte  zui^en.  — 

Das  afrikanische  Kreuzergeschwader  des  Mie 
admirals  Dumford,  Panzer  ,Africa'  hinzu,  bcstas'i 
aus  „Crescent",  „Forte",  „Pelorus",  „Ariadne".  Letz- 
tere von  der  vierten  Kanal-Division  insgeheim  dorthiü 
detachiert,  um  diese  ohnehin  schon  starken  Krecie^ 
I.  Klasse  noch  gründlicher  zur  Beraubung  deutsd^ 
Kolonien  auszurüsten.  Man  blockierte  die  von  franic- 


—     491     — 

sischen  verjagten  deutschenKretizer  III.  Klasse  und 
die  wie  eine  zitternde  Lämmerherde  in  Walfischbai 
zusammengedrängten  flüchtigen  deutschen  Kauf- 
fahrer oder  patrouillierte  vor  Kapstadt.  Ausserdem 
ereilte  die  trauernde  „Ariadne"  ihre  schwächere 
deutsche  Namensschwester,  die  vor  Swapokmund 
unterm  Winde  lief,  und  bereitete  ihr  das  Schicksal 
des  ungetreuen  „Theseus"  bei  Helgoland.  Was 
halfst  In  Nordkamerun,  wo  eine  halbe  Million  wil- 
der Neger  vegetiert,  gab  es  unter  ölpalmen  und 
Kobabäumen  bei  Babanki,  Babungo,  Gaschaka  heut 
ebensowenig  Briten  mehr  als  Deutsche,  alles  ge- 
meinsam abgewürgt.  Doch  deckte  Dumford  die  briti- 
schen Enklaven  der  Nordwestküste,  Bathurst  mit 
Fort  St.  James  in  Senegal,  Freetown  und  Insel 
Sherbore  in  Sierra  Leone.  Sonst  aber  regierten  von 
Wadai  und  Bomu  bis  Liberia  und  Kumassi  die 
Schwarzen  unter  Führung  der  Aschanti  und  des 
Sultans  von  Dahomey,  dessen  Amazonenleibwache 
sich  bei  Pfählung  der  Kriegsgefangenen  hervortat. 
Arabische  Karawanen  trieben  wieder  schwung- 
vollen Menschenhandel,  Elfenbeinhändler  und  Ele- 
f antenzahnjäger  wurden  wieder  löbliche  Sklavenhalter 
wie  in  der  guten  alten  Zeit,  am  Kongo  kehrte  man  zur 
schönen  pietätvollen  Sitte  der  Menschenfresserei  zu- 
rück. Im  Osten  überfluteten  die  Wilden  ganz  Rho- 
desia,  Fort  Salisbury  fiel,  von  Mozambique  bis  Lo- 
renzo  Marques  bluteten  die  Portugiesen,  von  Lindy 
bis  Witu  warfen  die  Araber  das  fremde  Joch  ab, 
nur  Sansibar  selbst  schützte  Kreuzer  ,Terpsichore*. 


—     492     — 

Die  Prophezeiung  des  bekannten  anonymen  deni- 
schen Autors  über  allgemeinen  Aufstand  in  Aiiib 
hatte  sich,  freilich  nur  durch  Mitwirkung  der  aussei 
acht  gelassenen  Faktoren  Türkei-Abessinien,  bvcb- 
stäblich  erfüllt,  weil  sie  auf  selbstverständlicher  Iß^ 
beruhte.  Vielmehr  machten  seither  die  Natalunnibes, 
die  Gärung  in  Ägypten,  Tunis,  Nigeria  dies  Waii 
scheinliche  noch  ins  Auge  springender,  wie  es  daa 
tatsächlich  geschah. 

So  hatten  die  Briten  wenig  Vergnügai  vonihrefl 
kurzen  Raube  gehabt,  und  in  England  schüttelte 
man  bedenklich  den  Kopf,  was  vollends  ans  des 
wertvollsten  Besitz  Südafrika  werden  solle,  ^ 
dem  im  Norden  jetzt  über  den  halbmondförmiges 
elektrischen  Glühlichtem  unter  den  Minaretts  t® 
Kairo  der  türkische  Halbmond  wehte.  Als  Türke 
bis  Oase  Siwah  und  Abessinier  bis  Faschoda  «ff* 
drangen,  also  eine  einheimische  Macht  noch  v^ 
ter  ausdehnten,  schoben  sie  dem  grossen  Plan  tos 
Cecil  Rhodes  für  lange  einen  eisernen  ^egd  ^ 

Sollte  ganz  Afrika  für  Britannien  verlorengeht- 
Es  sah  so  aus.  Denn  Lord  Milner,  den  nach  kor 
zer  Absetzung  durch  die  liberale  R^crung  ^^ 
öffentlicher  Desavomerung  nimmehr  Sir  Edward 
Grey  und  Morley  selbst  wieder  auf  seinen  alten  ?^ 
sten  beriefen  als  geeignetsten  Mann:  für  diese  Stunde, 
telegraphierte  in  einem  fort  nach  London  und  CaP 
cutta,  und  was  er  zu  sagen  hatte,  klang  übd. 

Schon  sein  interimistischer  Vorgänger,  Lord  S* 
borne,   hatte   als   letzte   Amtshandlung   militärisd« 


—     493     — 

Besetzung  des  Distrikts  Fort  Yolland  anordnen 
müssen.  Dort  tanzten  heut  Neger  über  Trümmern.  — 

Militärdiktator  in  Indien,  Lord  Kitchener,  aus 
seinem  Zwist  mit  der  Zivilautorität  des  nicht 
minder  berühmten  früheren  Vizekönigs  Lord  Curzon 
siegreich  hervorgegangen  und  von  der  liberalen 
Kegierung  in  allen  Amtsbefugnissen  seiner  unum- 
schränkten Diktatur  trotz  aller  gegenteiligen  Par- 
lamentsanträge bestätigt  —  ein  neuer  schlagender 
Beweis  für  innere  Solidarität  der  Imperialisten 
und  Liberalen  dem  Ausland  gegenüber  und  für 
die  Auffassung  der  Reichslage  aus  rein,  kriege- 
rischen Gesichtspunkt^!  —  sandte  zwar  mit 
Paketbooten  der  Anchor  Line  vom  Schlage  der 
,,City  of  Rome"  (9000  Tonnen)  und  Dampfern  der 
Orient  Line  wiederholt  Verstärkungen  via  Co- 
lombo:  Bataillone  und  Schwadronen  von  Sikhs 
und  Gouikas  aus  Nepal,  eine  andere  Seapoy- 
brigade  und  drei  nationalbritische  Bataillone.  Aus 
dem  Mutterlande  vermochte  man  aber  nach  Ab- 
sendtmg  eines  früheren  Truppentransports  sich 
keine  neuen  Streitmittel  vom  Mimde  abzusparen, 
und  Milner  blieb  auf  sich  selbst  angewiesen. 

Basutos  und  Zulukaffern  brachen  aus  ihren 
Krals  hervor,  die  Buren  meuterten,  die  Afrikander 
der  Kapkolonie  wurden  schon  lange  schwierig,  auf 
die  Landmiliz  war  also  ausserhalb  der  Nationaleng- 
länder kein  Verlass.  Aus  der  Walfischbai  meldeten 
die  britischen  Kreuzer  plötzlich  den  Anmarsch  eines 
deutschen  Korps,  das  die  Kolonialbahnen  von  Wind- 


—     494     — 

buk  und  Otavi  zu  weiterer  Schienenl^uiig  benvue. 
Diese  Möglichkeit  war  längst  zuvor  im  Depeschen- 
wechsel  mit  dem  Berliner  Kolonialamt  bis  ins  est 
zelne  erörtert  worden :  sie  galt  mit  Recht  als  eine 
beste  Trumpfkarte,  wo  sonst  im  Vabanquespidgeg«Q 
Englands  Unerreichbarkeit  aUe  Chancen  versagte 
Hier  allein  konnte  man  England  deutscheiseis 
treffen,  nur  hier  gab's  eine  verwundbare  Achüks- 
f  erse  der  Meeresriesin.  Natürlich  nahm  dksex  scbcQ 
Ende  Mai  mit  dem  grösseren  Teil  des  deatscha 
Schutzkorps  unternommene  kühne  Zug  viel  Zeit  a 
Anspruch,  erst  Ende  Juni  erreichten  die  Deutscbcü 
das  vielberufene  Mafeking.  Mittlerweile  arbeitete 
ihren  Anstrengungen  aber  eine  unheimliche  En^»- 
rung  der  törichterweise  von  stumpfer  Profitwut  oad 
Johannesburg  geladenen  sechzigtausend  Chinescfi- 
kulis  vor.  Diese,  in  innerem  Zusammenhang  ^ 
dem  neuen  Boxertimi  in  China,  nahm  bald  sc^ 
chen  Umfang  an,  dass  der  einstige  Oranjefretstaat 
von  Majorgeneral  Montgommery  geräumt,  Bef 
schuanaland  den  Basutos  preisgegeben  wurde  xd 
alle  britische  Macht  sich  ntur  noch  in  der  Kapkdo 
nie  konzentrierte.  Die  Buren  standen  in  hellen  Ha':- 
f en  auf,  das  ehemalige  Polizeikonunando  von  Fr^ 
toria  bildete  sich,  die  alten  ,Comets'  traten  an  die 
Spitze  berittener  Freischützen,  Britenfeind  Beyes 
führte  den  Deutschen  ein  geschlossenes  Ueines 
Heer  zu.  Die  aufsässigen  chinesischen  Minenarbe^ 
ter,  die  sich  mit  allerlei  Unfug  und  Greueln  auf  da: 
Farmen  amüsierten,  begriffen  sehr  bald,  dass  ciit 


—     495     — 

den  Deutschen  nicht  gut  Kirschen  essen  sei,  und 
hielten  sich  abseits  wie  scheue  Schakale,  wenn,  der 
Löwe  vorbeijagt. 

Aber  das  Gebrüll  deutscher  Geschütze  und  Ma- 
schinengewehre drang  noch  nicht  zu  Ohren  der 
Kaffem  im  Südosten,  die  sich  mordend  auf  britisches 
Gebiet  ergossen.  Der  berüchtigte  Häuptling  Bamato 
schürte  die  sogenannte  äthiopische  Bewegung  imd 
schloss  Greytown  ein,  Durban  sah  sich  bald  ab- 
geschnitten. Eine  gehamischte  Warnung  des  deut- 
schen Generals  aus  Bloomfontain  wurde  verlacht, 
sein  Abgesandter  in  Stücke  gerissen,  sein  Kopf  als 
Antwort  von  frech  herangeschUchenen  Mordgesel- 
len ins  deutsche  Lager  geworfen.  Als  Ende  Juli 
der  Vormarsch  über  Colesberg  und  Colenso  gegen 
Kapstadt  beginnen  sollte  imd  die  Burenmiliz  am 
Oranjeriver  den  schwarzen  Horden  mannhaft  ent- 
gegentrat, liess  Milner  anfragen,  ob  man  nicht  die 
Entwicklung  der  europäischen  Lage  abwarten  wolle. 
Das  gemeinsame  Schicksal  aller  Weissen,  wenn  Ne- 
ger imd  Chinesen  sich  dies  gegenseitige  Vernichten 
der  Eiuropäer  zu  nutze  machten,  lege  ihm  den  Vor- 
schlag einer  Waffenruhe  zwischen  den  kriegführen- 
den Zivilisierten  nahe,  um  vorerst  die  Waffen  ver- 
eint gegen  das  Barbarenpack  zu  richten.  Der  deut- 
sche General  ging  darauf  ein.  Bis  Ende  August 
säuberte  er  ziur  Einöde  gewordene  Fluren,  in  hundert 
Einzelgefechten  die  schwarzen  Gesellen  an  weiteren 
Mordbrennereien  hindernd.  Über  Makala  und  Cette- 
veiograb  wehte  der  Vierideur.   Die  Kulis,  die  sich 


—     496     — 

an  den  Deutschen  vorbeischlichen  und  den  Sdivar 
zen  gesellen  wollten,  jagte  ein  verabredetes  Kcssd- 
treiben  von  Deutschen,  Briten  und  Af rikandennDixeii 
zur  Südwestecke  Afrikas  zurück,  wo  ihre  Küsten 
Wirtschaft  unter  scharfer  Kontrolle  britischer  Kreuze 
stand.  Bei  den  Schwarzen  flaute  aber  die  Energie 
der  Kriegführung  auffällig  ab,  weil  Menelik,  ne 
man  später  erfuhr,  seinen  im  Kaffemland  madi- 
gen Priestern  der  seltsamen  äthiopischen  Chnstc: 
kirche  aufs  Gewissen  band,  nichts  gegen  seine  de^ 
sehen  Freunde  zu  unternehmen,  und  hierdurch  asd 
das  Befehden  der  Briten  unterbunden  wurde.  £s^ 
lieh  kam  aus  Europa  erlösende  Kunde,  die  nakc 
Entsatz  und  Rachevergeltung  für  ganz  Süd-  lac 
Mittelafrika  in  Aussicht  stellte,  freilich  dem  l^ 
perialisten  Lord  Milner  das  Herz  brach. 

England  klopfte  zwar  sofort  in  Petersburg  ^ 
und  suchte  dort  Anschluss,  fand  aber  keine  Gego 
liebe.  Russland  hütete  sich  wohl,  sein  letztes  na 
nenswertes  Geschwader,  das  von  Wladiwostok,  gcga 
Japan,  das  obendrein  Sibiriens  weitverbreiteten  Auf- 
ruhr benutzen  konnte,  und  seine  meuterische  Ar 
mee  gegen  Deutschlands  nun  unbestrittene  MiÜti' 
hegemonie  aufs  Spiel  zu  setzen,  zumal  eine  pc^^ 
sehe  Revolution  aufs  neue  sich  ankündigte.  Ro^ 
lands  einzige  Kraft  blieb  noch  die  vis  inertiae  und  dse 
bisher  trügerische  Hoffnung  auf  gegenseitige  Schvi- 
chung  von  Deutschland  und  England,  die  wiedenss 
als   Stärkste  den  Weltkrieg  überlebten. 

In    Ostasien    Hess  sich  der   britische   AdmirJ 


—     497     — 

bei  Abfahrt  von  Hongkong  zuerst  durch   absicht- 
lich ausgesprengtes   Gerücht  düpieren,   die  japani- 
sche Hauptflotte  liege  wieder  bei  Sasebo,  um  Re- 
paraturen vorztmehmen.  Anschluss  des  australischen 
Überlandtelegraphen  an  Kabel  Singapur-Batavia  ver- 
sagte plötzlich.    Bald  darauf  brachte  der  britische 
Postdampfer  ,,Kawau"  von  Samoa  Islands  die  Kunde, 
dass  er  auf  Fahrt  nach  Tutuila  zwei  Kriegsschiffe 
in  der  Feme  bemerkte,  die  japanischen  Ursprungs 
schienen.    In  der  Tat  ankerten  bald  die  neuen  in 
London  gebauten  Schlachtschiffe  „Katori"  und  „Ka- 
schima"  und  die  Kreuzer  „Naniwa"  und  „Soya"  (frü- 
her russischer  „Warjag")  vor  Apia  und  manövrier- 
ten zwischen  den  Korallenbanken  mit  erstaunlicher 
Sicherheit,  die  auf  Lotsenkenntnisse  einer  Voraus- 
spionage schliessen  liess.    Bald  verjagten  sie  die  in 
Oceanien   patrouillierenden   britischen   Kreuzer,   da 
sie  auch  eine  Torpedoflottille  mitbrachten,  die  so- 
fort Jagd  auf  alle  europäischen  Kauffahrer  machte. 
Der  hier  noch  stationierte  amerikanische  Kreuzer 
„Wilmington"  sah  mit  Yankeephlegma  zu,  wie  die 
Japs  mit  affenartiger  Geschwindigkeit  Samoa  und 
Fidchi   Islands  mit   Truppenkommandos    besetzten 
und  einen  vorbereiteten  Aufstand  von  chinesischen 
und  polynesischen  Kulis  und  japanischen  Dockarbei- 
tern   in  Hawai  ihren  Zwecken  dienstbar  machten. 
Amerikanisches  Hoheitsrecht?  Natürlich,  sie  schütz- 
ten  bloss  Hawai  für  die  amerikanischen  Freundet 
Gegen  das  grosse  Kriegsschiff  „Katori",  dem  sich 
bald  noch  zwei  andre  stark  armierte  und  schnell- 

Völker  Europas  ...  I  32 


—     498     — 

fahrende  Panzerkreuzer  „Mikasa'*  und  „Aso"undAd- 
miral  Shimamuras  Freiwilligenflotte  geselltai,  vcr 
mochten  die  vor  Australien  zurückgelasseneii  paar 
englischen  Kreuzer  nicht  aufzukommen.  Hawais  un- 
vergleichliche Riesenvulkane  mit  Flammenkaskadö 
und  Feuersee  sahen  noch  nie  solche  Kriegseruptki 
wie  jetzt  über  Tropengrün  und  Schlingpflanzen  vca 
Hilo  imd  dem  Signalberg  Diamond  Head.  Jetr 
stellte  sich  auch  heraus,  weshalb  japanische  Spioce 
in  Australien  beim  Abzeichnen  der  Buchten,  Hafe> 
kais  und  spärlichen  Befestigungen  ertappt  «urdesi 
Die  Japaner  manövrierten  überall  wie  auf  bekanntä:: 
Gelände.  Ein  auf  der  japanischen  Dampferlinie  N^ 
gasaki-Honolulu  und  von  da  auf  der  nun  iffiic 
brochenen  neuen  Route  New  Westminster-Vancom^^ 
via  Honolulu  nach  Sidney  ins  Tasmanischc  Me^' 
beförderter  ansehnlicher  Truppentransport  landet« 
unvermutet  in  Neuseeland  und  setzte  sich  dort  a£ 
einer  geeigneten  Stelle  fest,  die  Maoris  zu  oßec 
kannibalischen  Befreiungskrieg  einladend. 

So  sah  denn  Oceanien  seine  künftigen  Herren. 
die  kleinen  gelben  Kerle  in  der  neuen  KhakiöJ^ 
form,  nur  durch  Aufschläge  nach  den  WaffengaJt^J 
gen  unterschieden:  rot  bei  der  Infanterie,  grünbr. 
der  Kavallerie,  gelb  bei  der  Artillerie,  kannosc 
bei  den  Pionieren,  dunkelgrün  beim  Sanitatspen^^ 
nal,  grau  bei  der  Intendantur,  schwarz  bei  der  Gä^ 
darmerie.  Die  aktiven  Regimenter  mit  einer  an- 
sehen Ziffer  des  betreffenden  Truppenteils  auf  ^- 
Kragen,   die   der    Landwehr   mit   einer   römische:^ 


—     499     — 

die  des  Landsturms  mit  je  einer  arabischen  und 
römischen.  Als  Gradabzeichen  nur  Achselklappen 
mit  Sternen,  die  bei  den  Streitbaren  nebst  den  Knöp- 
fen gelb,  bei  den  Nichtstreitbaren  weiss  sind.  Nur 
aie  Garde  durch  Kirschblütenzweig  imterm  Stern 
der  Mütze  und  Chrysanthemum  auf  den  Knöpfen 
ausgezeichnet.  Alles  so  schmucklos  und  so  prak- 
tisch wie  möglich.  Diese  nach  Java  und  Austral- 
inseln  abgesandten  Truppen  hatten  Nagasaki,  den 
schönsten  Hafen  der  Welt,  und  Hakodate  unter  wil- 
dem Jubel  der  Bevölkerung  etwa  so  verlassen,  wie 
römische  Legionen,  die  zu  Triumphatorzügen  mit 
der  Gewissheit  ausziehen,  jeden  Feind  unters  kau- 
dinische  Joch  zu  beugen.  Die  vierundachtzig  Türme 
der  heiligen  Felsfestung  Golconda  können  den  In- 
dem nicht  so  felsenfest  erscheinen,  wie  diesen  Misch- 
lingsabkommen malaiischer  Seeräuber  die  Eisen- 
türme ihrer  Panzerschiffe. 

Auf  Höhe  von  Aukland  Hessen  am  24.  Juli  die 
„Psyche",  „Challenger",  „Pegasus",  „Pioneer",  wäh- 
rend „Kangaroo"  gleich  anfangs  davonhüpfte  und 
„Calliope"  ihr  Sternbild  sinkend  verlöschen  liess, 
sich  auf  ein  Gefecht  ein.  Ihre  je  sechs  meist  nur 
10  cm -Geschütze  imd  Maschinenkanonen  erlagen 
aber  dem  schweren  Kaliber  der  Japaner.  Explo- 
dierende Backbordkessel  heruntergeschossenen  Flü- 
gelrosses „P^asus",  meterbreite  Risse  im  Rumpf 
der  zarten  „Psyche",  ein  übers  Heck  und  die  Reeling 
herüberhängender  Mast  des  „Herausforderers",  wo 
Mannschaft  dutzendweise  hinter  Panzerschilden  in 

32* 


—     500     — 

ihrem  Blute  la^  und  die  Pumpen  ein  Leck  auszu- 
schöpfen suchten,  zeigten  die  Wiikung  japanischer 
Granaten.  Nur  der  Bahnbrecher  .^Pioneer"  ging  als 
Sieger  aus  dem  Kampfe,  indem  er  ein  Freiwilligen- 
schiff rammte,  einem  andern  das  Torpedorohr  zer- 
trümmerte, einem  dritten  die  eine  Seite  mitsamt 
dem  Fallreep  und  Steuerbord  wegschor  und 
einem  heransausenden  Torpedoboot  knai^  entging, 
indem  er  mit  rückwartsschlagender  Maschine  stoppte. 
Die  Japaner  litten  also  auch  erheblich.  Die 
havarierten  britischen  Kreuzer  fuhren  bekümmert, 
„Aolus"  wahrlich  ohne  günstigen  Wind,  in  Häfen  des 
australischen  Kontinents,  wo  Musterung  von  Frei- 
willigen stattfand,  um  dem  Mutterland  Hilfe  zu 
bringen.  Jetzt  rief  der  Alarm  alles  zum  Küsten- 
schutze,  in  den  senkrecht  abgeschrofften  Blaubergen 
hinter  Sidney  warf  man  Schanzen  auf  gegen  ge* 
fürchtete  japanische  Landung.  Diese  blieb  natür- 
lich aus.  Dagegen  setzten  die  Japs  tatsächlich  auf 
Sumatra  und  Britisch-Bomeo  Truppen  ans  Land  und 
beschossen  die  Strandbatterien  von  Batavia.  Das 
noch  dort  befindliche  tonkinesische  Regiment  erbat 
freien  Abzug,  von  Japan  über  die  Lage  in  Europa  in 
Kenntnis  gesetzt,  was  die  Japs  höflich  gewährten. 
Die  schwache  indobritische  Brigade,  aus  Hongkong, 
wo  alle  Weissen  an  Bord  der  Schiffe  geflüchtet 
und  der  schöne  Gianitbau  des  deutschen  Germania- 
klubs in  Asche  sank,  als  Garnison  nach  Java  gelegt, 
vermochte  dies  nicht  zu  hindern,  denn  sie  reichte 
kaum  hin,  Batavia  selber  zu  decken.    Dagegen  ver- 


—     501     — 

weigerte  das  beranbrausende  ostasiatische  Geschwa- 
der das  freie  Geleit  nach  Tonkin  für  die  französi- 
schen Kapitulanten  und  lieferte  dem  Admiral  Togo 
vor  Batavia  am  26.  Juli  eine  Angriffsschlacht  mit 
dem  Erfolg,  dass  die  Japaner,  den  Strandbatterien 
entgegengetrieben,  bedeutend  litten.    Britischerseits 
sanken  zwei  Kreuzer  und  ein  Kriegsschiff  zweiter 
Klasse  vom  Typ   Majestic.     Die   Panzergürtel  der 
Japaner  aber   zeigten   manche    klaffende     Wunde. 
„Asahi",  „Fuji",  „Shikishima",  die  älteren  Schiffe, 
kamen  besser  davon,  als  die  gehobenen  weiland  russi- 
schen, heut  „Iwami",  „Hizen**,  „Sugami",  „Suwo", 
„Tango"*    Heil  blieb  die  neugebaute  „Yaschima". 
Nationalheld  ,King  Alfred*  bekam  von  ihr  Schläge. 
Im  Ganzen  konnte  Sir  Arthur  Moore  zufrieden 
sein,  die  Übermacht  geschwächt  und  den  japanischen 
Hochmut  etwas  gedämpft  zu  haben.    Er  verlor  nur 
die   von  Australien  herberufene   „Amphitrite",   die 
als  Meergöttin  sich  ihrem  heimischen  Element  ver- 
mählte, und  „Pandora",  die  aber  noch  sterbend  für 
„Suwo"  verderbliche  Gaben  in  ihrer   Büchse  trug, 
und  den  ungeschlachten  „Goliath".    Dagegen  schien 
„Malta"  stolz  Batavia  als  neues  Malta  in  Anspruch 
zu  nehmen,  „Hannibal"  schien  für  ein  Cannäaufgelegt, 
„Britannia",     „Sovereign",    „Dominion",  „Zealand", 
„Terrible"  deuteten  ihre  Namen,  dass  England  als 
schrecklicher  Souverän  seine  Oberherrschaft  auf  allen 
Meeren  behaupten  wolle.  Flaggschiff  „Hermes"  zeigte 
sich  als  flinker  Götterbote,  „Asträa"  als  Schlachtstern, 
„Perseus"   und   „Andromeda"   erlegten   gemeinsam 


—     502      — 

den  mongolischai  Drachen  der  Tiefe,  „Indefaügabk ' 
und  „Vivid"  machten  ihrem  AdjektivPrädikat  leb 
haft  Ehre,  „St.  George"  schlug  sich  ab  ritterficiier 
Schutzpatron  Altenglands,  „Thames"  vertrat  würdig 
im  fremden  Meer  den  weltberühmten  Fluss  derHdnia^ 

Wirklichen  Entsatz  Batavias  brachte  die  See 
Schlacht  aber  nicht.  Auf  Java  versah  der  früheic 
Versöhnungsstatthalter  von  Korea,  General  Hasa 
gawa,  emsig  die  Geschäfte  der  Padfierung,  iw^ 
Generalmajor  Murata  und  Kapitän  z.  S.  Miyaob 
gleichfalls  an  solchen  Dienst  gewöhnt.  Okkupaücc 
der  Philippinen  und  Gewürzinseln  überwachten. 

Die  französische  Flotte  am  Strand  von  Chin> 
indien  rührte  sich  nicht,  weder  gewillt,  ihren  Schs^ 
posten  zu  verlassen,  noch  auch  den  Japanern  i' 
Handwerk  zu  erleichtem.  Die  britische  Flotte  ^ 
sich  zwischen  die  Sunde  der  verschiedenen  Inst 
gruppen  zurück  und  zwang  die  Japaner  zu  steten  As 
passen.  Batavia  und  einige  andre  Faktoreien,  «^• 
das  befestigte  Kota  Radjah  in  Nordsumatra,  Fois 
de  Kok  und  Valdman  im  Osten,  wmrden  behaupif* 
da  sich  etwas  ähnliches  wie  in  Kiautschou  wiede' 
holte,  nämlich  die  Reste  der  früheren  niederlaßt- 
sehen  Kolonialtruppe  bei  England  lieber  Diai^t- 
nahmen,  als  die  Insel  den  Mongolen  zu  übeilassci 
Der  Krieg  zog  sich  auch  hier  bis  Mitte  Augrist  öi: 
scheidungslos  in  die  Länge,  bis  Befehl  aus  EoroP^ 
zwar  sicheren  späteren  Entsatz  Batavias,  doch  r: 
gleich  das  Entlassenwerden  der  Sundainseln  ans  ^ 
tischen  Krallen  in  Aussicht  stellte. 


—     503     — 

Die  durch  Schriften  des  holländischen  Autors 
Multatuli  fälschlich  genährte  Vorstellung,  Holland 
treibe  Misswirtschaft  in  Oceanien,  beruht  freilich  auf 
schnöder  Verkennung,  da  man  im  Gegenteil  dem 
„Rat  von  Indien**  das  ehrendste  Zeugnis  ausstellen 
muss.  Unter  seiner  klugen  Verwaltung  hat  Java 
seine  Einwohnerzahl  fast  verfünffacht,  Batävia  seine 
Reis-  und  Surabaya  seine  Tabakausfuhr  jährlich 
erhöht.  Wohl  aber  vermag  ein  Kleinstaat  wie  Hol- 
land niemals  genügende  militärische  Mittel  aufzu- 
bringen, um  ein  von  kriegerischen  Rassen  besiedeltes 
Inselreich  richtig  zu  besitzen.  Ausserhalb  Javas  blieb 
Hollands  Herrschaft  nur  eine  nominelle  kaufmänni- 
sche. Und  doch  steckt  hier  glänzendste  Zukimft 
für  Kolonisierung. 

Die  unerhört  gleichmässige  Wärme  und  Un- 
veränderlichkeit  des  Klimas  auf  den  Sundainseln, 
wo  die  Differenz  der  Temperatur  zwischen  wärmstem 
und  kältestem  Monat  nur  einen  Grad  beträgt,  würde 
diese  herrlichen  Lande,  ein  Kolonialjuwel  ersten  Ran- 
ges, für  Europäer  gerade  so  gesund  machen,  wie 
für  die  Eingeborenen,  wenn  nicht  die  holländische 
Nachbildung  der  heimischen  Grachte  und  Kanäle 
sowie  die  unvernünftig  unenthaltsame  Lebensweise 
der  Weissen  za  Fiebern  Anlass  böte.  Das  alles  mnss 
von  Grund  aus  geändert  werden  unter  deutscher 
Zucht,  sollen  die  Sundainseln  je  wirklich  das  für 
Europa  leisten,  wozu  sie  berufen  sind.  Der  Südost- 
passat an  der  Javaküste  und  der  zum  Gebirg  hinauf- 
wehende Westmonsiun  stellen  ein  Gleichgewicht  zwi- 


—     504      — 

sehen  Feuchtigkeit  und  Trodcenheit  her,  wie  es  nicht 
angenehmer  gedacht  werden  kann. 

So  fanden  es  auch  die  genügsamen  Japs,  die  in 
Surabaya  sich  schon  häuslich  niederliessen  und  mög 
liehst  mit  den  malaiischen  Javanesen  und  den  An 
bem  fraternisierten.  Die  früheren  Malaienr^imecte; 
in  holländischen  Diensten,  die  zuerst  gegen  ^ 
Holländer  imd  jetzt  auch  gegen  die  neuen  engliscbs 
Herren  gemeutert  hatten,  wollten  dies  Spiel  acd 
gegen  die  Japs  wiederholen,  als  diesen  em  Über 
fall  gegen  die  liebliche  Villenstadt  Buitenzoig,  Ba- 
tavias  Gesundheitsstation,  schwer  missglückte.  Deni 
die  Ureinwohner  gingen  von  dem  gesimden  Grimd^ 
satz  aus,  dass  die  Fremden  alle  miteinander  tms^^ 
werden  müssten  und  man  sich  imter  ihnen  m^^ 
nur  dem  zur  Zeit  Stärksten  unterzuordnen  bnuche. 

Die  freundUchen  Japs  hatten  viel  Verständnis  fc 
solche  Auffassung  und  versprachen  den  Meoteien: 
goldene  Berge,  worauf  sie  die  in  Täuschang  ^ 
wiegten  plötzlich  umstellten  und  mit  Maxims  so 
lange  gemütlich  mitraillierten,  bis  sie  winselnd  ud 
Gnade  baten.  Dies  Gemetzel  stellte  das  moialisdie 
Ansehen  Japans  sogleich  wieder  her.  Audi  die 
Araber  in  Palembang  auf  Ost-Sumatra  noacbten  ein* 
fürchtig  Salaam  vor  so  bösen  Männern,  und  die 
Chinesen  in  Padang  auf  West-Sumatra,  hinter  ihre 
Kalkmauem  vor  dem  Banner  der  aufgehenden  Soo^- 
zitternd,  beugten  ihre  Zöpfe  in  den  Staub.  Die  Hänpt* 
linge  der  Atjeh  in  Nord-Sumatra,  so  lange  Holla» 
trotzend  und  dessen  Kolonialbudget  mit  stetem  D^ 


—     605     — 

izit  belastend,  wollten  mit  Japans  falschem  Lächeln 
lichts  zu  tim  haben  und  stellten  Geiseln  mit  der  Ver- 
sicherung, dass  sie  den  Herrn  Mikado  für  den  mäch- 
igsten aller  Tiger  hielten.  Kurz,  es  liess  sich  vor- 
aussehen, dass  der  neue  japanische  Eroberer  bald 
gründlicher  auf  den  Sundainseln  Meister  sein  werde, 
lis  Holland  im  Laufe  von  Jahrhunderten.  Padang, 
Benkulen,  Telok  Betong  auf  Südwest-,  Hafen  Oleh- 
eh  auf  Nord-Sumatra  hatten  schon  japanische  Gar- 
nisonen, und  in  Dorf-Kampongs  des  Innern  zwischen 
Reisfeldern  imd  Kokospalmen,  wohin  noch  nie  ein 
Elolländer  den  Fuss  setzte,  streiften  tmgestört  japa- 
nische Automobilvedetten,  Tribut  fordernd  und  Mar- 
ken für  künftige  Eisenbahnen  absteckend.  Auf  der 
deinen  Nebeninsel  Banka  richtete  jener  Marineoffi- 
zier, der  ein  einheimisches  System  drahtloser  Tele- 
^raphie  für  Kriegszwecke  erfand,  seiue  Apparate  ein. 
InPretianak,  Haupthafen  in Westbomeo  und  Sitz 
iiolländischer  Residentschaft,  und  Samarindo  der 
Südöstküste  nahmen  japanische  Armeelieferanten 
rreundlichst  den  ganzen  Handel  mit  Schildpatt, 
Schildkröteneiem,  Trepang,  Vogelnestern,  Bienen- 
nrachs  und  Guttapercha  aus  den  Händen  der  chine- 
sischen Kaufleute  und  errichteten  ein  japanisches 
Einfuhrmonopol.  Vor  dem  Palast  des  Sultans  von 
Kutei,  weiss  angestrichen  mit  galvanisiertem  Eisen- 
dach, spazierten  japanische  Schildwachen  und 
grinsten  höflich  den  braunschwarzen  Fürsten  an, 
der  auf  seiner  Veranda  wehmütig  seiner  bisherigen 
halben  Unabhängigkeit  gedachte.   Die  im  Rückgang 


—      506     — 

befindliche  Diamantgrube  von  Martapura  untersodh 

ten  bereits  japanische  Ingenieure.   Andere  Expedr 

tionen    mit    Fachleuten    sollten   unaufgescUosseDc 

Bodenschätze  von  Eisen  und  Kohle  mit  der  Wiat 

schelrute  ihrer  mongolischen  Findigkeit  entdcdffi 

Im  Hauptsitz  des  Pfefferhandels,  der  auf  PßUc 

erbauten  oder  auf  dem  Wasser  schwimmendeiiHafe& 

Stadt  Bandjermassin,  wo  malaiischer  und  holläodr 

scher  Wasserbaustil   ihre  seltsame  Vcrwandtsda.*' 

bekimdeten,  schlug  schon  ein  eigens  »nannter  W 

gouvemeur  sein  Quartier  auf.    Im  europ^schenAie^ 

tel  der  Sumpfinsel  Tattas,  wo  die  Holzhäuschen  ba 

niederem  Wasserstand  als  Strasse  nur  einea  Sasif 

graben   und   bei   Hochwasser  einen  Kanal  haben. 

zwischen  Läden  und  Wechselbanken  des  Chinese 

vierteis  und  im  malaiischen  Hauptteil  dieses  oicsd^ 

sehen  Venedig,  wo  sonst  von  Haus  zu  Haas  c^ 

kleinen  Tambanganskähne  den  täglichen  Maiktre: 

kehr  mit  Kokosnüssen,  Obst,  getrockneten  Fisch« 

vermittelten,  patrouillierten  jetzt  Rondeboote  wx  J^ 

panischen  Zoll-  imd  Steuerbeamten.    Die  vortreß- 

liehen  grossen  Sampangs-Boote  aus  Eisenhok,  ^'• 

Lagerhäusern  am  Strande  ankernd,  requirierte  ^ 

für  Militärtransportzwecke. 

Mit  dem  üppig  aufgeblühten  Britisch-Nordbonif' 

ward  gleichfalls  kurzer  Prozess  gemacht  Die  vti 
zig  Millionen  Tonnen  Bauholz  an  den  Flussuf«^ 
beim  Hafen  Sandakan  waren  ein  gefundenes Fress^a^ 
nicht  minder  der  mächtige  Vorrat  von  Sago,  G<^''^ 
Zinnober  und  vor  allem  Kohlen,  von  welchen  altJ 


—     507     — 

schon  die  kleine  Nebeninsel  Labuan  unerschöpf- 
lichen Abbau  gewährt.  Die  fünfundzwanzig  Handels- 
häuser in  Kudat  und  Elopura  an  der  Sandakanbai 
waren  übrigens  mit  der  Annexion  nicht  ganz  unzu- 
frieden, da  sie,  vaterlandslos  wie  der  richtige  Kauf- 
mann denkt,  gleichgültig,  unter  wessen  Regienmg 
er  gute  Geschäfte  macht,  sich  viel  von  japanischer 
Rücksichtslosigkeit  für  Erschliessen  der  ungeheuren 
Holzmassen  der  Innenwälder  versprachen.  Die  Chi- 
neseneinwanderer der  Stadt  Kutjing  in  Provinz  Se- 
rawak,  wo  das  fruchtbare  Radjangtal  ausser  Boden- 
früchten und  Fischfang  noch  Eisen,  Antimon,  Queck- 
silber, Kohle,  Gold,  Edelsteine  gewährt,  begrüssten 
ihre  schlitzäugigen  Mongolenbrüder  mit  ungeheu- 
chelter  Zärtlichkeit.  Weniger  erbaut  davon  zeigten 
sich  die  zahlreichen  Malaien,  die  von  gleichfalls 
einst  vorhandener  Verwandtschaft  nüt  der  japani- 
schen Bastardrasse  nichts  wussten  und  über  despo- 
tische Neigung  dieser  gelben  Fremdlinge  argen  Ver- 
dacht schöpften.  Infolgedessen  unterstützten  die 
halbzivUisierten  Dajaken  heimlich  und  offen  die  bar- 
barischen Punanstämme  im  Innern,  die  allen  fliehen- 
den Briten  ein  Obdach  gewährten  und  aus  ihren 
Urwäldern  einen  zähen  Guerillakrieg  gegen  die 
japanische  Küstengarnison  eröffneten.  Mit  Ausnahme 
dieser  Punkte  beherrschte  aber  Japan  nun  ganz  Borneo. 
Dagegen  blühte  ihm  bisher  geringer  Erfolg 
gegen  Celebes.  Dort  widersetzte  sich  die  den  Euro- 
päern geneigte  Bevölkerung,  die  ihren  Wohlstand 
dem  holländischen  Regierungssystem  verdankte,  tat- 


—     508      — 

kräftig  der  japanischen  Beglückung.  Die  ganz  g^ 
ringen  europäischen  Streitkräfte  an  dieser  Stdk, 
englische  und  ehemalige  holländische  Kolomalsci^ 
daten  (meist  Deutsche)  untermischt,  ergänzte  dne 
tüchtige  Aushebimg  von  Minahassa-EingeboreDSs, 
zivilisierte  imd  zum  Christentimi  übergetretene  Aas- 
nahme-Malaien  von  lichterer  Hautfarbe.  Die  g^ 
radezu  musterhafte  Leistung  der  holländischen  Kl* 
lonialverwaltung  in  diesem  Nordgebiete  der  freoi- 
baren  Insel  trug  also  ihre  Früchte  in  Zeit  der  Not 
Der  kriegerische  und  im  Verhältnis  zu  Negern  mä 
Mongolen  ritterliche,  ehrenhafte  Charakter  des  Ma- 
laien macht  ihn,  wenn  gut  behandelt  und  durd 
Anhänglichkeit  an  den  Europäer  gefesselt,  zu  das 
wertvollsten  Eingeborenenstamm,  den  irgendeise  Ko 
lonie  der  Welt  besitzt.  Die  einheimischen  Kcs- 
troUeure  der  mächtigen  Kaffeepflanzungen  bevacb- 
ten  nach  wie  vor  rechtschaffen  die  Arbeit  im  Innern 
an  der  Küste  verhinderten  Europäer  und  malaäsclä 
Milizen  gemeinsam  die  Landung  bei  Menado,  der 
reinlichen  Garten-  und  Villenstadt  auf  der  ^'^ 
westlichen  Landzunge.  Nur  bei  Gorontalo  auf  ^^ 
nordöstlichsten  Landzunge  setzte  das  japanische  (j^ 
schwader  Truppen  ans  Land,  die  sich  dort  verschal 
ten.  Das  britische  Geschwader  war  auch  noch  start 
genug,  die  Südküste  zu  schirmen,  wo  die  Bugi  ^" 
Mangkassaren,  Mohammedaner  wie  alle  Malaien  ai;3 
ser  den  Minahassa,  gleichfalls  den  Europäern  tre:i 
blieben  und  den  chinesischen  Geschäftsleuten  ^ 
Aufpassen  über  Spionage  das  Leben  sauer  machteü 


—     509     — 

Im  reinlichen  Mangkassar,  wo  Meerebbe  täglich 
allen  Unrat  fortspült,  ging  der  Trepangfang  unge- 
stört fort,  alle  Sunda-Postdampfer  suchten  dort  Zu- 
flucht. Von  der  südlich  liegenden  Viehzucht-Insel 
Soleijer  brachte  man  imgestört  die  hochgeschätzten 
kleinen  Pferde  nach  Celebes,  wo  eine  Postenkette  von 
g:ut  Berittenen  die  Küsten  garnierte. 

Das  politische  Verhältnis  auf  Celebes  war  eigen- 
tümlich, da  die  Briten  bei  ihrer  kurzen  Besitzergreifung 
der  Sundainseln  zwar  denNordteil  im  ersten  Schrecken 
sich  unterwarfen,  aber  noch  nicht  richtig  Fuss  fass- 
ten,  weil  die  Eingeborenen  durchweg  mit  den  hol- 
ländischen Behörden  im  Fort  Mangkassar  sympathi- 
sierten. Jetzt  gegenüber  der  japanischen  Fremdherr- 
schaft handelten  Engländer,  Holländer,  malaiische 
Häuptlinge  gemeinsam,  Erledigung  des  Hoheitrechts 
auf  später  verschiebend.  Südlich  von  Celebes,  öst- 
lich von  Java,  sassen  holländische  Behörden  immer 
noch  auf  der  Insel  Flores,  wo  am  Fusse  des  Vul- 
kans Larantuka  eine  Holzkirche  mit  Dächern  von 
g^rauem  Alang-Gras  das  einzige  Merkmal  europäischer 
Kultur  in  zwei  malaiischen  Fürstentümern  bedeutet. 
Ebenso  in  der  Ansiedlung  Adenara  auf  der  sonst 
kvenig  erforschten  kleinen  Südwestergruppe,  auf  dem 
fruchtbaren  vulkanischen  Eiland  Sumbama,  während 
britische  Detachements  auf  Lombok  und  Bali,  un- 
mittelbar östlich  neben  Java,  angelegt  hatten,  wo 
lie  heftige  Brandung  der  Hafenbucht  Ampanam 
iedoch  ein  längeres  Verweilen  von  Flottenstationären 
iusschloss.    Da  Bali  noch  dem  einst  hier  allmäch- 


—     510     — 

tigen  Brahmanismus  huldigt  und  mit  geschnitzten 
Tiergestalten  seiner  wohlerhaltenen  Tempel  und  dei 
Form  seiner  Bambushütten  an  Indien  erinoert,  de- 
gleichen Lombok  vom  Radjah  von  Bali  im  wwr 
zehnten  Jahrhundert  erobert  und  zum  Brahmanismiß 
bekehrt  wurde,  so  dass  in  der  BaumaDee  von  Ma 
taram  das  mit  roten  Backsteinpfeilem  gcäen^ 
Schloss  des  Oberbrahminen  gleichfalls  incfisch  an 
mutet,  so  fiel  es  den  gelandeten  Anglo-Indcrn  nici^ 
schwer,  den  Radschah  als  Stammverwandten  c- 
Glaubensgenossen  anzusprechen  und  ihm  erdichtete 
Grüsse  des  Radschah  von  Nepal  und  Nizam  von 

■ 

Hydrabad  zu  überbringen.  Reis,  Tamarinden  tmö 
Rinder  von  Bali,  oder  Tabak,  Mais,  Yam,  Zucker 
röhr  von  Lombok  sind  nicht  zu  verachtende  Güter. 
ebensowenig  Sandelholz  und  Pferdezucht  der  sud 
liebsten  Insel  Sumba,  Kaffeebau  in  Kupang  auf  ^ 
südöstlichsten  Insel  Timor,  wo  Mischlinge  von  Cb 
nesen,  Weissen,  Eingeborenen  noch  ein  beschäm 
liches  Dasein  führen :  all  diese  von  Holland  wemf 
beachteten  Gebiete  eröffnen  einem  stärkeroi  köi 
tigen  Kolonisator  ein  ergiebiges  Feld.  Im  ganz  vtf 
nachlässigten  Ostteil  der  Insel,  den  Portugiesen  is^ 
mer  noch  nominell  zugehörig,  hatte  übrigens  der 
britische  Admiral  mit  edler  Unparteilichkeit  gle<^ 
falls  den  Union  Jack  gehisst,  so  wie  er  freilK-' 
umgekehrt  die  vorm  Chinaaufstand  flüchtenden  Ec 
wohner  der  Portugiesenstadt  Macao  unter  seinem 
Schutz  nahm. 

Der  grosse  Banda-Sund  zwischen  Celcbcs  tff- 


—     511     — 

Neuguinea  bildete  gleichsam  eine  Wasserscheide 
zwischen  Japans  und  Europas  Macht.  Denn  die 
auf  dessen  Südostseite  liegenden  und  überm  Arafura- 
Sund  mit  Australien  in  naher  Verbindung  stehenden 
Koralleninselchen  wie  Goram,  Kei-  und  Tenimberin- 
inseln  betrat  noch  kein  Japaner.  Doch  befanden  sich 
nur  wenige  Europäer  dort,  ausser  einigen  deutschen 
Ansiedlern.  Kokosöl,  Muskatnüsse,  Teakholz,  Segel- 
matten wurden  auf  den  von  Kei-Insulanem  verfer- 
tigten Prauen  (grossen  Booten)  noch  ungestört  ver- 
handelt, und  der  hier  beginnende  Einschlag  austra- 
lischer Papuaneger  veränderte  nicht  die  malaiische 
Antipathie  gegen   die   gelben  Zähnefletscher. 

Dagegen  hatte  man  die  so  wertvollen  Molukken  mit 
ihrer  Vorherrschaft  in  Gewürznelken,  Sago,  Muskat 
und  Pfeffer  schon  der  japanischen  Eroberung  ab- 
treten müssen.  Schlitzäugige  Handelsagenten  aus 
Jokohama  ergingen  sich  schon  in  den  Gewürzhainen 
des  Vulkans  von  Ternate,  im  fruchtbaren  Ostwald 
von  Ceram  fesselten  Mango  und  Mangustan  und 
andere  Tropenfrüchte  die  Aufmerksamkeit.  Nach 
Besetzung  der  grossen  Molukken  bekamen  auch 
die  Banda-Inseln  japanische  Einquartierimg.  Nur 
zur  Verteidigung  von  Amboina,  Hauptverkehrspunkt 
im  Osten  des  malaiischen  Archipels,  traf  man  anfangs 
Vorkehrungen,  wollte  aber  dann  den  unter  Palmen 
und  Hecken  blühender  Sträucher  vergrabenen  Ort 
nicht  der  Zerstörung  aussetzen.  Bald  nahm  hier  ein 
Haupt  teil  japanischer  Flotte  im  trefflichen  Anker- 
grund der  Amboinabai  Station. 


—     512     — 

Übrigens  wollte  Japan  auch  nach  Westen  seine 
Machtsphäre  erweitem,  die  wegen  Mattenfabrikatioa 
bekannte  Nikobarengruppe  im  Bengalischen  Meer- 
busen westlich  der  Malakka-Meerenge  wegnehmes, 
was  auch  für  Tschaura  und  Kar  Nikobar  gebcg 
Auf  Kamorta  umgürteten  sich  aber  die  dort  stets  & 
ternierten  vierhundertfünfzig  britischen  Sträfling? 
unter  Amnestieerlass  bewaffnet,  mit  dem  gan^ 
Stolze  ihres  Albion  und  drehten  den  Japs  eine  lang? 
Nase,  wobei  ein  paar  gebildete  Frechlinge  höhnk- 
Lieder  aus  Sullivans  »Mikado*  anstimmten.  Dagegri 
bemächtigte  Japan  sich  später  der  französische: 
Pulo-Condor-Inseln  vor  dem  Mekongdelta,  strat^t 
wichtig. 

Das  Bombay  Staff  Corps  lachte  nur  über  a"r 
ländische  Träume  von  neuem  Meutereikrieg.  »' 
denn  auch  russischer  Einfall  aus  Pamir  längst  du'^ 
strategische  Bahnen  zu  den  verschanzten  Himab:^ 
passen  unmöglich  gemacht.  Kitcheners  scharfe  Zcii 
liess  ihrer  nicht  spotten. 

Riesenbananen  Singapores,  wie  sie  dnst  E*^ 
in  seiner  ,Sketcher's  Tour*  gezeichnet,  trugen  necf 
Früchte :  Gehangene.  Die  vier  Bahnlinien  der  Sta' 
Settlements,  Malakkas  Zinnschätze  ausbeutend,  os^ 
die  Pfahlbaustadt  Pulo  Penang  (Georgetown)  uiitc: 
hohen  Waldbergen  blieben  noch  unbelästigt.  I' 
Indien  gärte  es  «zwar  entlang  der  monotonen,  schait^ 
umbrandeten  Palmenküste  der  Präsidentschaft  M> 
dras,  wo  von  graublauem  Hintergrund,  saftigem  Gn<£ 
von   Gummibäumen   und   braungelbem   Sand  hcl^* 


—     513     — 

Strandstädtchen  sich  abheben,  mit  weissrotgelb  ge- 
tünchten. Häusern  oder  ungepf lästerten  rotange- 
strichenen Strassen  wie  in  Cochin,  wo  Vasco  de 
Gamas  Gebeine  schlummern.  Tanjore,  Sitz  des 
reinsten  Brahminentums  mit  dem  berühmten 
Tempel,  ward  schwierig.  Doch  die  starke  Besatzung 
der  Festung  Trichinopoli  hielt  strenge  Wache,  ebenso 
Fort  St.  Georg  im  Süden  von  Madras  und  der  strate- 
gische Posten  Bellary  an  Bahnstrecke  Goa-Madras, 
Handel  mit  Kokosöl,  Pfeffer,  Ingwer  ging  ebenso 
ruhig  weiter,  wie  der  mit  Erdöl  in  Birma,  wo  eine 
Art  Streik  in  Rubingruben  von  Mogok  rasch  nieder- 
geschlagen wurde.  Aus  dem  Tempel  von  Mandale 
mit  hinmielanstürmenden  Pyramiden  und  ausge- 
bauchten Kuppeln  voll  wunderbarer  Ornamentik, 
Goldspitzen  mit  faustdicken  Rubinen  und  Smaragden, 
kunstvollen  Skulpturen  der  Wände  stierten  feind- 
selige Birmanenaugen  hervor.  Doch  es  blieb  bei 
nächtlicher  Ermordung  einzelner  britischer  Schild- 
wachen. Im  tieferen  Indien,  wo  die  , Nationalliga* 
der  Hindus  seit  lange  wühlte,  kam  es  zu  Aufruhr 
gegen  das  Salzmonopol,  doch  nur  hier  imd  da.  Im 
Pandschab  blieb  Labore  ruhig,  in  seinen  roten  Sand- 
stein- und  Marmorbauten  mit  Mosaikfussböden  lebte 
man  träge  wie  immer.  Im  Mahavedatempel  mit 
Goldkuppeln  und  Glockentürmen  zu  Amritsar  am 
Teich  der  Unsterblichkeit,  der  heiligen  Stadt  der 
Sikhs,  betete  man  sogar  für  englische  Siege.  Weniger 
in  der  arabischen  Dschemna- Moschee  von  Delhi, 
vor  deren  breiter  Freitreppe  imd   schlanken  Mina- 

Völker  Europas  ...  I  33 


—     514     — 

retts  die  Moslem  ihre  Gebetknickse  machten.  Unta 
roten  palmblattbedeckten  Lehmhütten  von  Mysort 
schärfte  man  verborgene  Waffen.  Am  grossamgc 
Grabdenkmal  Tadsch  in  Agra,  wo  sonst  im  blto 
prangenden  Park  nur  Rosen»  Lilien,  Zypressen,  P> 
tanen  über  sprudelnden  Bassins  ihre  GehemmsK 
flüstern,  flüsterten  Verschwörer.  Durchs  hodJg^ 
wölbte  Portal  mit  schwarzen  arabischen  Inschnftes. 
wo  den  majestätischen  Kuppelbau  des  wö& 
marmornen  Wunderwerks  vieredelgeforaiteMinareni 
flankieren,  daneben  zwei  kleine  Gebetmoschecn  sc 
rotem  Sandstein,  schritten  finstre  Männer  cm  ^ 
aus  zu  geheimer  Zusammenkunft.  Doch  ruhig  g^ 
man  im  stufenweise  vom  heiligen  Ganges  aufstelle 
den  Benares  den  Geschäften  nach,  über  Golkonda: 
Diamantgruben  wachte  die  englische  Besatiung  - 
Haiderabad.  Touristen  besuchten  nach  wie  ?or  (^ 
Grottentempel  Ellore  mit  Pfeilerreihen  voll  steincro:' 
Elefanten  und  Löwen.  Der  hindostamsche  U» 
ward  nicht  lebendig  I  Kalkutta  mit  seinen  Forts  ^ 
Süden  und  Norden  lag  im  tiefsten  Frieden.  >- 
mindc»  Jeypore,  Indiens  schönstes  Juwel  mit  Nanöü 
museum,  rosabemalten  Palästen  indischen  Stils.  P 
ziert  mit  weissen  Ornamenten,  mit  rosafarbc:'- 
Zinnen  und  teppichbelegter  Säulenhalle  des  Mi- 
radschaschlosses,  grellen  Tempelmalereien,  ^' 
zenen  Stadttoren.  Nur  die  berühmten  Tänierii^ 
der  Parsenkolonie  Surat  tanzten  heimliche  Mcoter- 
und  die  Parsi  in  Bombay  warfen  in  ihre  ,Tünne  v^' 
Schweigens*,  kreisrunde  niedrige  Mauerwerke  un" 


—     515     — 

Zypressen,  wo  Geier  die  ausgesetzten  Leichen  ske- 
lettieren,  auch  heimlich  ermordete  Briten. 

In  Aden  bewachte  das  von  Madras  schon  früher 
dorthin  verpflanzte  2.  Regiment  Suffolk  das  Rote 
Meer  im  Verein  mit  „Hindostan**,  „Ganges*',  „Niger". 

Auf  Kohlenstation  Tschagosinseln,  auf  den  Lak- 
kadiven,  wo  Kaurimuscheln  verhandelt  werden,  auf 
Ceylon,  wo  Tee-  und  Kaffeekultur  ihre  Ernte  ruhig 
betrieb,  dachte  man  an  keine  Japaner.  Nur  einmal 
hatte  ein  kleiner  Kreuzer  mit  dem  japanischen 
Sonnenwimpel  die  weisse  Brandung,  den  dunkeln 
Kokoswald  von  Colombo  begrüsst.  Unter  senkrecht 
herabfallenden  Sonnenstrahlen,  die  blitzende  Reflexe 
auf  Deck  und  Mäste  malten,  machte  er  aber  kehrt 
und  verschwand.  Denn  fem  am  Horizont  entdeckte 
er  den  britischen  Kreuzer  „Indef atigable"  (Station 
Singapore,  in  Herrn  Le  Queux'  Invasionsphantasie 
allen  Ernstes  als  Schlachtschiff  der  Clyde-Division 
aufgezählt !),  der  wirklich  ,unermüdlich*  das  Indische 
Meer  absuchte. 

Als  man  „Prometheus"  von  seiner  Station  Sidney 
zur  Nordsee  abberief,  um  möglichst  viel  starke 
Kreuzer  zur  Blockade  an  Ort  und  Stelle  zu  haben, 
ahnte  man  freilich  nicht,  dass  auch  Australien  ge- 
fährdet werden  könnte.  Wohlfeiler  Spott,  warum 
deutsch-englische  Fehde  notwendig  einen  Weltkrieg 
entzünden  müsse,  blamierte  sich  eben  gründlich. 
Denn  diesbezügliche  Prophezeiungen  übertraf  die 
Wirklichkeit,  da  man  bei  solcher  Phantasie  törichter- 
weise   Amerika,    Japan,    Türkei,     Abessinien     aus- 

33* 


—     516     — 

schaltete,  die  in  solchen  Strudel  ohnehin  xmthiBdD- 
gezogen  sein  würden,  selbst  wenn  sie  nicht  gewclt 
hätten.  Ähnlich  irrig  erwies  sich  der  ausgesprochai^ 
Zweifel,  ob  Österreich  seiner  Bündnispflicht  genüge: 
werde,  was  durch  Italiens  Haltung  und  dea  Alto 
sehen  Konflikt  sich  von  selber  bejahte.  Man  «: 
gass  bei  solchen  Zweifeln,  dass  die  Interessen-^  «^ 
Politik  heut  zu  viel  Eisen  im  Feuer  hat,  um  Kau? 
wirklich  erstklassiger  Grossmächte  —  als  welche  Ites 
nur  noch  England,  Nordamerika,  Deutschland  gä^ 
dürfen  —  lokalisieren  zu  können. 

.  .  .  Indessen  erlebten  die  Franzosen  auch  eis; 
schlimme  Zeit.  Dass  er  Pondichery  und  die  vjer 
anderen  französischen  Städte  in  Vorderindien  c 
geschoren  liess,  durfte  man  Kitchener  nicht  lumstsJi 
Doch  bestand  eine  Art  Waffenstillstand  stillschws 
genden  Übereinkommens  zwischen  Briten  und  Fiai: 
zosen,  den  neueingetretenen  Kriegszustand  so  larx- 
zu  ignorieren,  als  die  gemeinsame  Auf ruhrgef abr  .^ 
tens  der  Asiaten  obwaltete.  Auch  an  Goa  und  I  - 
beschloss  Kitchener  sich  später  schadlos  zu  haltet 
da  so  schwache  Leute  wie  die  Portugiesen  ^'- 
nicht  erlauben  sollen,  unsichere  Kantonisten  ^-' 
unklarer  Färbung  zu  sein. 

Cochinchina  litt  schwer  durch  Aufhören  sdn- 
Reisabsatzes  nach  China,  Kambotscha  konnte  sg^^ 
Gumnü  nicht  los  werden,  Annam  nicht  Sac- 
Zucker,  Ölkuchen,  Häute,  Hörner.  Auf  veröden 
Messen  und  Märkten  wehklagte  man  überAusbleii»^" 
von  Tee  und  Opium.    Doch  sass  der  Resident  nc^ 


517 


ruhig  in  der  Festungshauptstadt  Hue  mit  Fort 
Tuanan.  Nur  die  Moi  und  Laos  im  Gebirge  zogen 
die  Gelbflagge  der  Empörung  auf,  die  Annamiten 
verhielten  sich  tatlos.  — 

Den  Deutschen  gegenüber  verfuhren  die  Japa- 
ner so :  begrüssten  sie  als  Befreundete,  schützten  an- 
scheinend ihre  Schiffe,  Niederlassungen,  Handels- 
häuser,  leiteten  aber  den  Handel  Mikronesiens,  der 
jetzt  ganz  den  Deutschen  gehört  haben  würde,  mög- 
lichst in  die  eigene  Tasche.  Vorstellimg  des  deut- 
schen Konsuls,  dass  in  Apia  wieder  deutsche  Flagge 
g^ehisst  werden  möge,  blieb  unbeachtet.  Mit  der 
gleichen  Methode  geheimen  gegenseitigen  Misstrau- 
ens  behandelten  sich  Franzosen  und  Japaner.  Es 
war  den  Briten  natürlich  unmöglich  gewesen,  mit 
ihren  jetzt  so  schwachen  Kräften  etwas  gegen  Fran- 
zösisch-Oceanien  zu  unternehmen,  wo  Frankreich  so 
ungeschickt  ein  übertriebenes  Militär-  und  Beamten- 
personal unterhielt  und  durch  riesige  Sträflingskolo- 
nien jede  selbständige  Entwicklung  der  freien  Ko- 
lonisten unterband,  ausserdem  die  ursprünglich  sehr 
zahlreichen  Eingeborenen  unzweckmässig  sogar  mit 
katholisch-klerikalen  Zwangsbekehrungen  schika- 
nierte. Unbegreiflicherweise  hat  die  spottschlechte 
Verwaltung  von  Neukaledonien  und  Tahiti  noch 
Lobredner  gegenüber  dem  britischen  System  gefun- 
den, während  man  die  in  Neuguinea  und  Kiautschou 
musterhafte  und  selbst  in  Afrika,  wo  man  den  preussi- 
sehen  Leutnant  und  Referendar  statt  des  Kaufmanns 
Lind  praktischen  Kolonisten  nach  Schema  F  pedan* 


—     518     — 

tisch-schneidig  walten  lässt,  noch  immerhin  leidlide 
Kolonisierungsarbeit  der  Deutschen  mit  Schimpf  und 
Schande  bedeckte.  In  Wahrheit  ist  Französisch-Oct- 
anien  augenblicklich  das  schwere  Geld  nicht  wtit 
das  es  kostet.  Hätte  man  auf  Neukaledonien  nicht 
wenigstens  einige  Originalartikel  der  Hobaosfiib 
(Akazie,  Kolonialfichte,  Tamanu),  Gummi  vom  N:- 
aulisbaum  und  guten  Viehstand  (sogar  Wettrciöc 
für  Pferdestüterei),  so  stände  es  agrikulturdl  hinter 
allen  Kolonien  weit  zurück,  auch  die  „Soci^te  c* 
Nickel"  am  Mont  d'Or  bringt  nichts  Ordentlichti 
Guano  von  den  Chesterfieldinseln  wenig.  Für  rxll 
tausend  Deportierte  bei  Numea,  auf  der  FichtcmiL^ 
und  anderswo  sind  allerdings  elfhundert  Soldate 
Bewachung  nicht  zu  viel,  aber  dass  auch  ncumcb 
hundert  Aufseher  und  dreitausendf ünfhundert  Kö?.*- 
eines  Beamtenstandes  mit  Frau  und  Kindcm  ^ 
Budget  belasten,  ist  trostlos.  Wallisinsehi  habt 
etwas  Koprahandel,  Australinseln  gar  nichts.  A:^ 
Tahiti,  den  Gesellschafts-  und  Untermwindinseln  P-' 
duziert  man  trotz  prachtvollsten  Bodens  nur  ä«^ 
weisse  Baumwolle  und  ausserdem  OrangeRiiro  '- 
vier  Fabriken,  sonst  liegt  der  Handel  gam  in  bn^ 
tisch-amerikanischen  oder,  wie  in  Teavania,  <if-' 
sehen  Händen.  Dies  wäre  eine  Kolonie  für  Dentsv 
landl  Das  von  hundertfünfzig  Marineinfanterist^ 
in  der  Kaserne  von  Popiti  geschützte  Artillericarsr 
nal  für  Stationsschiffe  lockte  immerhin  als  B«ctf 
mehr  als  die  Berge  von  Blumen  und  Früchtai  i 
der  Esplanade  vor  den  Pariser  Kaffeehäusern 


..> 


ci 


—     519     — 

auf  der  östlicheren  Paumotii-  und  Gambiergruppe, 
die  schon  durch  Raubbau  erschöpften  Perlenbänke 
oder  die  ruinierten  Sandelholzbestände  der  Marque- 
sas.  Auch  auf  diesen  Inseln  regiert  tatsächlich  der 
deutsche  Kaufmann,  nämlich  die  deutsche  „Soci6t6 
conmierciale  de  l'Oc&mie"  unter  französischem  Na- 
men. Dieser  Zustände  eingedenk,  verachteten  die 
Japaner  und  Briten  das  französische  Gut  als  zu  un- 
bedeutend, um  erst  noch  ein  Gefecht  mit  Fort  Phae- 
ton  und  einem  Stationsschiff  vor  Tahiti  für  so  zwei- 
felhafte Erwerbung  riskieren  zu  sollen.  Die  Fran- 
zosen hatten  also  im  ganzen  noch  Glück  mit  ihren 
vogelfreien  Kolonien,  da  Mauritius  unangegriffen 
blieb  und  General  Trentinian  nebst  Kreuzer  ,Alger* 
Aufstand  in  Madagaskar  niederschlug.  Nur  Neue 
Hebriden,  diesen  angenehmen  Sommeraufenthalt  in- 
ternierter politischer  Sträflinge,  hatte  eine  von  Austra- 
lien in  der  Sidney- Werft  gerüstete  Kaperflottille 
grebrandschatzt.  Die  englischen  und  französischen 
Missionare,  Kopra-Makers  (Kokosnusskemtrockner) 
und  Kanaken  (Lohnarbeiter)  feierten  dies  Ereignis 
durch  wechselseitige  Keilerei. 

Auf  Tonkin,  wo  halbwilde  Laos  und  ,Tirailleurs 
chinois'  von  Quangtschauwan  mit  den  Chinesen 
gemeinsame  Sache  machten,  später  seine  Hand 
zu  legen,  behielt  England  sich  vor,  falls  alles 
gutgehe:  man  würde  es  dann  den  Chinesen 
wieder  abjagen.  Diese  erlitten  soeben  bei  Laokai 
eine  empfindliche  Niederlage,  womit  die  Franzosen 
ihre  eigene  einstige  Schlappe  bei  Langson  rächten. 


—     520     — 

Noch  wehrten  die  fünfundzwanzi^ausend  Soldatei 
Beaus  sich  brav,  obschon  sie   Frankreichs  bem"Ei- 
dernswerte  neue  Südchinabahn  preisgaben  und  Fiebe 
beim  schlechten  Zustand  ihrer  Hospitäler  dicRöbea 
lichtete.  Ausser  dortigem  Grenzkrieg,  der  imSongb- 
delta  zwischen  Haiphong  und   Hanoi  hin  und  hrr 
wogte,  und  Hinauffahren  chinesischer  Flusskanonct- 
boote  sank  China  in  seine  alte  Lethargie  zurück,  ve: 
sorgte  nur  Japan  mit  Proviant  und  Kohlen  und  b^ 
förderte  auf  Japans  Drängen  eine  Truppenabteilxii 
nach  der  Halbinsel  Malakka,  wo  sich  erneut  Malak: 
und   chinesische  Ansiedler  unnütz   machten.   A\.k 
„Redbreast"   bekam   rote   Brust,    blutiger  CbertiL 
Kitchener    war    aber    gleich     bei    der   Hari 
und  ein  schreckliches   Strafgericht   brach  über  i- 
Aufrührer  herein,  nachdem  die  gelandeten  Chineser 
von  einer  per  Bahn  rasch  aus  Birma  herangefühni: 
angloindischen   Division    ins    Meer    getrieben.  I  • 
kleine  chinesische  Kriegsflotte,  die  zur  Deckung  naii'- 
vor  Anker  gegangen  war,   ergriff  schon  vor  Fe!- 
artillerie   schweren   Kalibers   die   Flucht.    Vom  &^ 
strandeten  Kreuzer   „Pao"   (vom   Stettiner  y\i&si 
gebaut)  retteten  die  Engländer  zwar  die  Mannsdi- 
vorm  Ertrinkungstode,  aber  nur,  um  sie  Mann  tV 
Mann  vor  Kanonenmündungen  zu  binden  und  nac' 
beliebter   Sitte   des   alten   mdischen   Meutereikri.^- 
»wegzublasen*.     Diese    feierliche    Exekution  roao' 
auf  die  Eingeborenen  den  Eindruck,  dass  die  Engla: 
der  doch  grosse  und  gottgesegnete  Männer  seien,  *^ 
solchen  orientalischen  Herrschaften  nur  Grausami 


—     521     — 

imponiert.  Der  Krieg  nahm  überhaupt  einen  so 
grässhchen  Charakter  rachsüchtiger  Vertilgung  an, 
dass  bald  sämtliche  aus  Kanton  als  Geiseln  mitge- 
führten chinesischen  Notabein  hoch  an  den  Raaen 
britischer  Schiffe  baumelten,  dass  dito  ein  Befehl 
des  australischen  Parlaments  alle  auf  australischem 
Boden  betroffenen  Japaner  ohne  Untersuchung  auf- 
zuknüpfen verordnete,  dass  Japaner  gegen  Malaien 
mit  Feuer  und  Schwert  wüteten,  alle  Dschunken  im 
Sundasund  ohne  Erbarmen  niederrannten,  einerlei, 
ob  Seeräuber  oder  nicht.  Den  über  ganz  Indien 
verhängten  Belagerungszustand  fasste  Kitchener  so 
auf,  dass  jeder  Distriktskommissar  ohne  weiteres, 
ohne  Kriegsgericht,  jeden  Verdächtigen  niederknal- 
len durfte.  Drei  einheimische  Professoren  am  Hin- 
doo-CoUege  wurden  bloss  wegen  zweideutiger  Re- 
den nacheinander  suspendiert,  arretiert,  füsiliert. 
Durch  solch  drakonische  Strenge  brachte  man  aber 
die  riesige  Menschenwoge  Hindostans,  kaum  dass 
sie  etwas  emporzuwellen  sich  anschickte,  zum  Ver- 
sanden. Kitchener  konnte  ungestört  den  „Omrah" 
(10  000  Tonnen)  der  P.  &  O.  Line,  als  Kriegsdampfer 
mit  Vickersgeschützen  von  76  Millimetern  und  einem 
Rücklaufgeschütz  von  57  ausgerüstet,  nebst  anderen 
Paketbooten  der  Peninsular  Oriental  Line  nach  Suez 
entsenden,  um  dort  eine  starke  Brigade  mit  Maxims 
auszuschiffen.  Die  Ankunft  dieser  Verstärkung,  bald 
fühlbar  durch  beherztes  Vordringen  längs  der  Küste, 
um  Alexandria  von  der  Landseite  zu  entsetzen,  und 
schleunige    Neuverproviantierung    der    bedrängten 


—     522     — 

Feste  von  der  Seeseite,  war  um  sp  nötiger,  als  jetit 
sämtliche  britische  Schiffe  in  der  Nacht  MmlSji] 
die  Anker  gelichtet  und  sich  geheim  gebliebeECii 
Ziele  zugewendet  hatten.  Am  Frühmorgen  des  19. 
wusste  man  in  Biserta,  wohin  sie  ihr  Stcocmu 
herumgerollt  1   — 

Das  sogenannte  Wiedererwachen  Chinas,  ^ 
neuerdings  bewaffnete  Massen  längs  der  Langai 
Mauer  entlangwälzte  und  Tschungusenbanden  ^' 
eine  Avantgarde  neuer  mongolischer  VölkcrwaiKk^ 
rung  in  die  Mandschurei  vorschickte,  deröi  Bi5 
man  bis  Charbin  spürte  und  mehr  fürchtete  ü^ 
die  Rudel  verhungerter  Amurtiger,  dieser  nngcahs^' 
Wellenschlag  am  Stillen  Ozean  warf  seine  Ersehet* 
rung  bis  Irkutsk.  Schon  verglich  man  auch  '' 
Saigun  das  französische  Indochina  mit  dem  Mect 
von  Juarez  und  Bazaine,  unsicher,  unfruchtbar.  Eit 
zu  vielem  Blute  gedüngt,  voll  schauriger  Hintff 
halte,  aus  dem  man  sich  bald  davonschleichen  müssf 

Es  schien  klar,  dass  eine  Einzelmacht  sich  it'- 
mehr  lange  werde  in  Ostasien  behaupten  konJ^i 
nur  das  vereinte  Europa  die  chinesische  Flut  ec 
dämmen  könne,  doch  kein  Europa  ohne  Engi*^- 
und  seine  Flotte.  Im  übrigen  spielte  sich  das  chit- 
sische  Leben,  kaum  dass  es  alle  Europäer  vcrsclüa:^ 
wieder  so  unbeweglich  ab  wie  seit  Jahrtauscn«^ 
Unendliche  Geduld,  unglaubliche  Verschlagenli^ 
philosophische  Ruhe  seiner  Institutionen  vcricä^ 
dieser  unverrückbaren  Masse  eine  träge  Starr 
die  nicht  der  japanische  Ansporn,  nur  die  Hung^' 


—     523     — 

peitsche  aufstacheln  kann.  Die  chinesischen  An- 
leihen auf  europäischem  Markt,  auf  deren  guten 
Kursstand  und  fünfprozentige  Zinsen  besonders  das 
deutsche  Privatpublikum  hereinfiel,  genossen  als 
Börsenpapier  jetzt  Makulaturwert.  China  grinste  ver- 
gnügt über  den  Trost  der  Käufer,  dass  die  britischen 
Zollwächter  Sir  Robert  Hart  undDetring  ja  stets  übers 
Eingehen  der  verpfändeten  Küstenzölle  wachen  wür- 
den, und  die  rechtzeitig  in  japanische  Wasser  ge- 
flüchteten chinesischen  Handelsschiffe  machten  den 
weissen  Teufeln  eine  lange  Nase.  Die  Ostasiatische 
Bank  stellte  ihre  Zahlungen  ein,  mehrere  grosse 
Banken  Europas  gerieten  in  Deroute.  Diese  Dinge 
berücksichtigte  man  in  London  und  Berlin  gar  sehr 
für  den  täglich  stärkeren  Wimsch,  lieber  Einigkeit 
Europas  bezüglich  Chinas  herbeizuführen.  —  — 

Am  15.  Juli  hatten  selbst  auf  den  Alpenstationen 
Scheidegg,  Rigi,  Gotthard,  Simplon  die  Marconi- 
schen Funken  die  frohe  Post  des  Festlandfriedens 
weitergetragen.  In  Europa  begann  der  Kampf  gegen 
England  damit,  dass  man  die  so  oft  vom  perfiden 
Albion  geübte  mala  fides  ein  wenig  nachahmte.  Die 
aus  Boulogne  landeinwärts  gesandte  17.  Inf.  Brigade 
Dawson  (Belfast)  nebst  7.  Prinzess  Royais  Dragoons 
sah  sich,  als  man  gerade  auf  Ordre  aus  Harwich 
hastig  die  eigenen  Transportschiffe  aufsuchen  wollte, 
von  allen  Seiten  zerniert  und  nach  kurzem  Kampf  zur 
Waffenstreckung  gezwimgen.  Die  sofort  aus  den 
deutschen  und  holländischen  Gewässern  abberufenen 
britischen  Flotten  rächten  dies  damit,  dass   sie  in 


—     524     — 

ununterbrochenem  Vorüberdampfen  durch  den  Kanal 
von  Ost  nach  West  sämtlich  das  offene  Bodogcc 
mit  einem  Granatsegen  bedachten,  der  die  ganze 
Unterstadt  (Basse  Ville)  in  Asche  legte.  Dafür  iräg 
ten  deutsche  Torpedoboote  einen  Überfall  bei  Wiad 
und  Wetter  eines  dichten  Kanalnebels  auf  den  Med 
waykanal,  dessen  Eingang  sie  rechtzeitig  durch  Vtr 
senkimg  eines  steinebeladencn  Fahrzeuges  speirtti 
und  den  Kriegshafen  Shemess,  wo  sie  versckr 
denes  Unheil  anrichteten.  Daim  schlichen  ae  e 
Nebel  wieder  durch  die  englische  Kreuarposia 
kette  zurück,  die  zwischen  Portsmouth,  Plymoia 
Milesend,  Gravesend  allein  noch  die  englische  Sekf 
des  Kanals  bewachte  und  auf  der  Südostküste  l%- 
lands  Sicherheitsposten  ausstellte,  um  etwaige  dr-t 
sehe  Angriffsversuche  zu  beobachten.  Die  britiso? 
Flottenstrategie  räumte  nämlich  die  ganze  Nori^« 
nur  die  Humbermündung  und  Rosyth  durch  Stiast 
batterien  tmd  Torpedos  bewachend,  um  ihre  p^^ 
Masse  in  höchster  Eile  teüs  nordwestlich  auf  Art« 
rika,  teils  südlich  auf  Frankreich  zu  werfen. 

Deutscherseits  konnte  an  eigentlichen  Setkre: 
kaum  gedacht  werden,  man  musste  hierbei  die\^- 
bündeten  ihrem  Schicksal  überlassen.  Dagegen  vc 
liess  man  sich  noch  auf  so  viel  Gefechtskraft  ^'- 
eigenen  Flottenreste,  dass  man  diesmal  emsu: 
das  Projekt  einer  Landung  auf  englischen  Boci 
ins  Auge  fasste.  Es  lag  die  Idee  eines  Erfinc^ 
vor,  Kriegsboote  aus  Aluminium  herzustellen,  ä'-' 
einanderzunehmen,      stückweise      zusammenges:*- 


—     525     — 

ähnlich  dem  Typ  neuester  britischer  Kanonenboote 
aus  dem  oberen  Nil.  Setzte  man  auch  alle  Öfen 
der  heimischen  Metallurgie  in  Tätigkeit,  so  würde 
dies  freilich  viel  zu  lange  gedauert  haben,  um  für 
fünf  Armeekorps  mit  Pferden  und  Material  das  Nö- 
tige zu  bauen.  Wohl  aber  konnte  man  binnen  einem 
Monat  genug  Boote,  und  zwar  von  Eisen,  nicht  von 
Aluminium,  herstellen,  um  wenigstens  die  Avant- 
E^arde  den  Transportschiffen  vorauszusenden.  Es  kam 
auf  den  Versuch  an.  Ausser  HuU  und  Yarmouth,  die 
sich  von  selbst  als  Landungsstellen  darboten,  warf 
man  Augenmerk  auf  Lowestoft  und  Weyboume,  wo 
das  Meer  bis  an  den  Strand  fünfundzwanzig  Fuss 
:ief  ist,  also  dichtes  Herannahen  der  Schiffe  ermög- 
licht. Selbst  wenn  eigentlicher  Überfall  misslang 
jnd  unter  gutsitzenden  Kugeltreffem  der  Küsten- 
ivachen  manches  Boot  nach  Steuerbord  ausschor, 
iess  sich  jedenfalls  Landung  erzwingen,  solange 
iie  britische  Hauptflotte  fem.  Nur  huldigte  man 
licht  mehr  dem  kindisch  überschwenglichen  Traum- 
bild, dass  dann  die  Deutschen  widerstandslos  Eng- 
and  von  einem  Ende  zum  andern  durchziehen  könn- 
en. Man  wusste  sehr  genau,  dass  britische  Yeo- 
nanry,  britische  Volunteers  zu  fechten  und  zu  ster- 
ben wissen,  dass  die  ganze  Masse  des  stolzen  Vol- 
ces  zu  den  Waffen  greifen  werde. 

Mittlerweile  bombardierte  schon  die  früher  vor 
Antwerpen  kreuzende  Eskadre  nach  Herzenslust  die 
iVerke  der  Insel  Aix  bei  Rochefort.  Das  submarine 
iCabel  von  Brest  nach  St.  Pierre  auf  Martinique  riss 


—     526     — 

schon,  nachdem  es  noch  eben  gemeldet,  Q\a^ 
loupe  sei  von  Jamaika  aus  überfallen  und  geplünds: 
worden.  Offenbar  rissen  dort  England  imd  Amerib 
sich  um  die  Beute  als  Alleinherrscher  in  West 
Indien,  dortige  französische  und  hollandische  Ko* 
nien  erkannte  man  überhaupt  nicht  mehr  an.  D^' 
früher  am  Zuydersee  belassene  Blockadegeschwadi: 
nahm  jetzt  die  gleiche  Rolle  vor  Brest  auf,  wo  Föh 
Tolinguet  bald  die  Marke  von  Lyditbomben  tr^i 
Beide  £skadres  vereinigten  sich  dann  vorCheihoa^ 
wo  sie  auf  vier  Seemeilen  Entfernung  beilegten  32u 
bis  ins  Arsenal  feuerten,  jedoch  aus  Furcht  vcs 
Unterseebooten  nicht  tiefer  hineinsteuerten.  SoOif 
doch  hier  nur  Blockade  unterhalten,  der  Feind  ^ 
neckt  und  etwaige  Transportflotten  im  Hafen  g^ 
fesselt  werden.  Denn  das  Gespenst  einer  Landur? 
auf  Irland  ging  schon  unheimlich  um. 

Ausser  grösseren  und  kleineren  Kreuzern  beliessc- 
die  vier  ,Lords  der  Häfen*,  die  ein  Verteidigtii4> 
committee  bildeten,  nur  12  Linienschiffe  zur  Dcd^ 
Englands  und  Beunruhigung  der  franzoäsciie: 
Nord-  und  Westküste,  indes  das  zweite  Reserre?^ 
schwader  von  Ferrol  nach  Gibraltar  abdampfte,-^ 
die  Balearenflotte  zu  verstärken.  Hatte  Frankreci 
doch  wegen  der  afrikanischen  Unruhen  schon  U^ 
Juni  die  Hälfte  des  Nordgeschwaders  dorthin  r 
sandt,  die  sich  von  Cadix  eben  nach  Biscrta  wenv.- 
wollte,  als  sie  telegraphisch  erst  den  Befehl  ^ 
Haltmachen  empfing  beim  Beginn  des  Balearc^" 
konflikts,  dann,  als  die  Geheimverhandlung  in  ^^* 


—     527     — 

mont  sich  zuspitzte,  zum  Abdampfen  gegen  Fort 
Mahon.  Kaum  über  den  »Europäischen  Bund'  unter- 
richtet, sah  sie  dort  alsbald  die  englische  Okku- 
pationsflotte am  16.  abends  vorbrechen.  Das  Lon- 
doner Marineamt  hatte  schon  am  15.  über  Gibraltar, 
den  noch  funktionierenden  Kabel  nach  Valencia  be- 
nutzend, welchen  dort  ein  britischer  Kreuzer  be- 
wachte, Geschwaderchef  Scott  in  Kenntnis  gesetzt, 
dass  sofortiges  Losschlagen  ohne  Kriegserklärung 
g^egen  Frankreich  beschlossen  sei.  Die  gleiche  In- 
struktion erhielt  das  Geschwader  bei  Alexandria, 
während  Wilsons  Ferrolgeschwader  ungehindert  unter 
Gibraltars  Kanonen  an  Ceuta  vorüberglitt  und  so- 
fort von  rückwärts  auf  das  Franzosengeschwader  vor 
den  Balearen  Jagd  machte.  Durch  einen  schnellen 
Torpilleur  aus  Corsika,  der  drei  »Zerstörern*  des  Alex- 
ajidriageschwaders  entkam,  welche  soeben  alle  Ver- 
bindungslinien zwischen  Italien  und  Afrika  unterbra- 
chen, erhielt  das  zwischen  Algier  undBiserta  lagernde 
Toulongeschwader  erst  am  17.  abends  Kenntnis  von 
den  Vorgängen  in  Europa.  Es  eilte  sofort  in  nord- 
östlicher Richtung  vor  und  vereinte  sich  an  den 
kleinen  Hy^reinseln  mit  Maigrots  Nordeskadre»  die 
sich  mit  Verlust  des  ,Bouvet*,  gesunken,  und  des 
prachtvollen  Kreuzers  ,Guichen*,  Flagge  gestrichen, 
aus  den  Balearengewässern  rettete.  Ferrolgeschwader, 
/on  Südwesten  in  Flanke  und  Rücken  erschienen, 
zwang  zu  eiliger  Flucht. 

Sir  George  Warrender  des  ,Camarvon*  bewährte 
lier  sein  Schiffsmotto :  ,The  red  dragon  leads  the  way.* 


—     528      — 

Vom  Juan-Golf  abgeschnitten,  steuertedicTcrfolgte 
Minderzahl  um  Corsika  herum,  dessen  Küstenläag: 
von  hundertneunzig  Kilometern  ein  lustiges  Trei> 
jagen  gestattete.  Der  alte  Turm  von  Bonifado,Lei:dr 
türm  von  Pertusato,  die  kleinen  Inseln  Laveza 
Piana,  Ratini,  Cavallo,  Golf  von  Santa  Manzo,  Ber^' 
von  Cagna  über  Sartena  schwanden  nacheinander  vor 
dem  Blick  der  Verfolger,  die  sich  angelegen  x^ 
Hessen,  den  Achtmeilenkabel  von  Bonifacio  nach  ^•^ 
Teresa  auf  Sardinien  und  die  einzige  Verbind.^ 
Corsikas  mit  dem  Festland,  das  Kabel  Macinagg^ 
Livomo,  zu  sprengen.  Da  die  italieniscbc  Fkc- 
soeben  erst  vom  adriatischen  zimi  tyrrhenischcnMet' 
aufbrach,  fanden  die  Briten  auf  ihrem  dreisten  Zw 
die  ganze  Küste  leer,  wo  man  in  Spezzia  und  Ma«^ 
dalena  wie  im  korsischen  Porto  Vecchio  in  to-f- 
Schrecken  überhastete  Vorkehrungen  traf.  Ja,  ^ 
mächtig  war  der  Eindruck  dieser  britischen  wilcr: 
Kühnheit,  da  man  schon  die  ganze  Mittekneerlbttr 
vereint  wähnte,  dass  der  französische  Adcsr«- 
Touchard  den  Hafen  von  Toulon  aufsuchte,  ohi- 
Schlacht  anzunehmen.  Vizeadmiral  Bellue  war  dafc 

Doch  am  20.  Juli  abends  entschloss  er  siC 
dem  Drängen  der  öffentlichen  Meinung  nachgebcr.- 
in  hohe  See  dem  übermütigen  Feind  entgcgeiu*: 
fahren.    Konteradmiral    Mancetons    2.  Div.  vörii:^ 

In  Toulon  herrschte  grosse  Erregung,  ^i^"- 
die  Vaubanstrasse  und  über  den  Freiheitsplatz  wT'e 
ten  dichte  Menschenmassen.  Statt  der  bengatsci^- 
Beleuchtung    und    der    orangegelben   BallcAs,  ^ 


—     529     — 

denen  man  den  Friedensschluss  von  Chaumont  und 
das  Frontmachen  gegen  £ngland  begrüsste,  löschte 
man  möglichst  die  Lichter  und  bewunderte  nur 
draussen  im  Hafen  die  Illuminierung  durch  elek- 
trische Scheinwerfer  der  Forts  und  des  Toulonge- 
schwaders,  in  drei  Linien  auf  weniger  als  eine  See- 
meile Umkreis.  Von  den  Forts  Rouge  und  Croix 
am  Mont  Faron  im  Westen,  fünfhundert  Meter  über 
der  Stadt,  klangen  Homsignale,  von  anderen  auf 
den  Forts  Mourillon  imd  Grande-Tour  im  Osten 
erwidert.  Das  vorgeschobene  Fort  £guilette,  ,Klein- 
gibraltar'  im  Volksmund,  wo  einst  die  ,Batterie  der 
Furchtlosen'  des  Hauptmanns  Bonaparte  gedonnert, 
bewachte  und  beleuchtete  die  Grosse  Reede,  wei- 
terhin Kais,  Magazine,  Arsenalateliers  und  Bassins 
der  ,Darse  de  Castigneau'  mit  ihrer  geometrisch 
abgemessenen  scharfen  Enceinte. 

Der  Marinepräfekt  arbeitete  mit  dem  General- 
stab der  Flotte,  am  Grossmast  des  Flaggschiffs  fun- 
kelte das  Weissfeuer  des  Admiralsignals,  wo  am 
Tag  die  Trikolore  vom  Pavillon  wehte.  Gegen  Mor- 
gen präsentierten  die  Funktionäre  der  Schiffsleitem 
und  -treppen,  als  der  kommandierende  Adnüral  seine 
Panzerbrücke  betrat,  vom  Pavillonkapitän,  dem  zwei- 
ten Leutnant  und  dem  Stab  des  Quarterdecks  emp- 
fangen, indes  der  Quartermeister  durch  heulenden 
Sirenenpfiff  den  anderen  dreissig  Kapitänen  und 
fünf  Konteradmiralen  ein  verabredetes  Signal  gab. 
Allsogleich  stieg  an  allen  Signalmasten  die  Schlacht- 
parole der  Winkflaggen  auf,  an  jenen  kleinen,  ein- 

Völker  Europas  .  .  .  |  34 


—     530     — 

zigen  Seesieg  über  England  zur  Nelsonzdt  erinnenü 
„Algesiras.**   O  biedre  Algesiras-Konferenzl 

Die  englische  vereinte  Flotte  schob  ihre  Inift 
seeboote  seitwärts  vor,  einen  Ring  gegen  die  tdn:^ 
liehen  bildend,  die  sich  jedoch  vom  Hochsecgcfed 
wohlweislich  zurückhielten,  wofür  ihre  RoUe  nk^^ 
taugt.  Sie  zwang  den  Feind  zur  Schlacht  dm- 
das  einfachste  Mittel  von  der  Welt:  Bombardeicö: 
von  Marseille.  Das  Balearengeschwader,  unte^^-p 
die  Bahngeleise  von  Comiche  durch  gelandete  )^ 
trosen  zerstörend,  lief  den  Meerbusen  entlang  ^ 
eröffnete  am  18.  abends  überraschend  sein  Fes: 
auf  die  Insel  Ratonneau,  sieben  Kilometer  vor  Mi* 
seille.  Die  dortigen  Batterien  und  die  von  Pba:^ 
Nikolas,  Endoume  erwiderten  timsonst  mit  m^^ 
gern  Erfolg.  Brandgranaten  und  aus  Kanonen  ^ 
47  und  67  Tonnen  Gewicht  neue  Riescngescfes^ 
von  besonderer  Explosivkraft  setzten  alsbaW  d? 
Douanegebäude  und  ganze  Entrepots  amQuaüJo!i'^- 
in  Flanmien,  die  auch  vom  Bahnhof  und  der  l^ 
Publikstrasse  aufloderten.  Am  19.  demonstrierte  d^ 
englische  Admiral  so  gewandt,  Landungs-  undSnii^ 
versuche  vorschützend,  dass  aus  Nfmes  Territory. 
truppen  auf  der  Bahn  abgelassen  wurden,  derHi-^ 
schrei  Marseilles  aber  die  Toulonflotte  bcwog,  ^^ 
Entsatz  zu  konunen.  Auf  solche  Reizung  rtds^ 
man  englischerseits.  Sobald  man  Aufbrucfasbe^- 
gung  deutlich  wahrnahm,  dampfte  das  Blocks* 
geschwader  vor  Marseille  bei  Nacht  ab  und  ^' 
einte  sich  am  20.  früh  mit  Wilsons  Ferrolgeschwac?* 


—     531     — 

Admiral  Wilson  übernahm  das  Kommando  der 
lier  vereinten  Flotte.  Da  von  Alexandria  „Em- 
)ress  of  India",  „Revenge",  „Devastation",  „Bul- 
vark'*,  „Nile**  nebst  kleinem  Kreuzern,  wie  „Scylla**, 
,Fortress'*,  „Fearless**  unter  Rearadmiral  Chichester 
camen,  waren  hier  nur  zur  Stelle  von  Mittelmeer- 
ichiffen  „Prince  of  Wales**  (Flaggschiff),  „Ra- 
nillies**,  „Anson**,  „London",  „Camperdown**,  „Irre- 
istible**  (Flaggschiff  des  Rearadmirals  Bridge- 
nan),  „Sultan**  (Flaggschiff  des  Rearadmirals  Sir 
^ercy  Scott),  „Implacable**.  2.  Kreuzerdivision  „Mon- 
nouth**,  „Black  Prince*',  „Comwall**,  „Gibraltar**, 
,Cumberland**,  „Orlando",  „Narcissus**,  „Barham**, 
I.  Kreuzerdivision  „Camarvou**,  „Berwick",  „Venus**, 
,Egmont**,  T.  G.  B.  „Salamander**,  „Hasard**.  („Suf- 
olk**,  „Leviathan**  der  3.  bei  Suez,  „Lancaster**, 
Minerva**,  „Blenheim**  der  3.  und  „Drake**,  „Un- 
launted**,  „Hebe**,  „Halcyon**,  „Dido**  der  2.  nach 
•forden  abgegangen).  Destroyers  wie  „Mallard", 
,Bruizer**.    Das  Ganze  unter  Rearadmiral  Lambton. 

Dazu  von  Kanalflotte  V.  A.  Howes  Linienschiffe 
.Excellent**  (L  Klasse,  wie  „Wales**,  „Sultan**),  „lUu- 
trious**,  „Albemarle**  (Schiessschulschiff),  „Ex- 
nouth**,  „Swiftsure**,  „Jupiter**  und  4.  Kreuzerdivi- 
ion  „Good  Hope**  (Flaggschiff  des  Rearadmirals 
^eville),  „Europa**,  „Juno**,  „Niobe**,  „Diana**, 
Thamar**,  „Essex**,  „Agamemnon**.  („Latona**,  „Sut- 
5J"  vor  Antwerpen  gesunken,  „Endymion**  vor  Ham- 
burg, „Antrim",  „Devonshire**,  „Cressy**,  „Diadem", 
Undaunted"  bei  Beresford,  „Bedford**,  „Leicester- 

34* 


—     532     — 

shire"  im  Kanal  verblieben  nebst  „Euryalus"  ^ 
„Hogue").  Dazu  kleinere  von  Leutnants  gcfit' 
Kreuzer,  wie  „Robin",  „Moorhen". 

Übrigens  führte  man  bezeidmcnderwose  ^- 
einheimischen  Gouverneur  von  Alexandria,  Id^-^ 
Pascha,  als  Geisel  mit  an  Bord.  „Juno",  „Vea:? 
wurden  entsendet,  um  die  Eskadre  Chidwstcr  anir. 
suchen,  die  man  bei  Suda-Bai  vermutete.  " 

Französischerseits  befanden  sich  die  ncKs:^ 
Schiffe  zur  SteUe,  „Danton",  „Mirabean"  (BestüäA 
79,   2  unterseeisch),    glänzender    „Jules  Mid^ 
hervorragender  Kreuzer  „Emest  Renan",  die  c 
lichenKreuzertyps  „Marseillaise",  „Forbin",„Cosv: 
die  nebst  „Amiral  Aube"  eigenthch  Wcstii«üädr- 
Geschwader  ausmachten,   jetzt   aber  unter  Ko- • 
admiral  Campion  nach  Eiuopa  berufen,  vorbei  ]■ 
doch  bekanntlidi  zur  Nordsee.    Es  hatte  etwas  r« 
zeichnendes  für  den  Kulturrang  der  framoasu^ 
Nation,  dass  nur  in  ihrer  Marine  bedeutende  Sa 
auf  den  Namen  reingeistiger  Kapazitäten  Vols: 
Hugo,  Renan,  Michelet,  Condorcet  getaufti  Be^^^ 
lieh  hingegen,  dass  Schiffe  wie  „Couronne"  ^'' 
holt  im  Touloner  Hafen  reparieren  musstcn^voo'^ 
fällen  mitten  im  Frieden  betroffen  infolge  W'^ 
lieber  Schmierölung.    Britischerseits  wutde  die  :- 
Reparatur  nach  Chatam  geschickte  „Aurora"  so^^' 
mit  Ausbesserung  fertig,  dass  sie  schon  frob^ ' 
Gibraltar  das  Alexandriageschwader  verstärkte^ 
der  Nordsee  entbehrlich  geworden  .  .  . 

Vor  den  Flanken  lagen  Destroyers,  um  i^ 


—     533     — 

Forpilleurs  und  Contre-Torpillcurs  die  eigene  Tor- 
>edoflottille  zu  decken.  Gegen  achtzehn  Linienschiffe, 
leunzehn  grosse  Kreuzer  rannten  vierzehn  imd  neun- 
sehn britische,  an  Torpedobooten  waren  die  Fran- 
zosen, an  Torpedojägem  die  Briten  überlegen.  Stolz 
latterte  das  Schlachtsignal:  „Nelson  und  Hawke", 
\n  jene  siegreichen  Admirale  mahnend,  die  einst 
/or  Toulon  die  Rotkreuzflagge  hochhielten.  Fran- 
sosenkreuzer  ,Montcalm'  fürchte  neues  Quebec! 

Am  Heck  der  Vorderschiffe  schäumte  das  azur- 
3laue  Meer  von  den  ersten  Granaten  auf,  die  eine 
^rünweisse  Spur  wie  ein  schillerndes  hingeschlän- 
^eltes  Seidenband  schnitten.  Dann  öffnete  sich  die 
FlöUe  der  Stückpforten,  Breitseiten  und  Turmka- 
nonen spielten  gleichzeitig,  dumpfe  Einzelschläge  gin- 
g^en  bald  in  unimterbrochenes  Rollen  über,  vom 
Donner  furchtbarer  Explosionen  wie  im  Auftakt 
»ines  Refrains  begleitet.  Planken  und  Eisensplitter 
stoben    mit   menschlichen    Gliedmassen    umher  .  .  . 

„Irresistible"  zeigte  sich  unwiderstehlich  gegen 
„Patrie",  bis  die  „Marseillaise"  tobend  dem  Vater- 
iand-in-Gefahr  half,  „Dupleix"  mit  Revolutionselan. 

Vizeadm.  May  brachte  den  „Michelet"  in  arge 
Not,  dem  „Prince  of  Wales"  tat  es  sein  einstiger 
Plantagenet-Vorgänger,  der  ,,Schwarze  Prinz",  gleich. 
Schwimmende  Feste  „Gibraltar"  brachte  den  Kreuzer 
„Gueydon"  gleich  anfangs  zum  Sinken.  „Impla- 
cable"  erwies  sich  »unversöhnlich*  im  Hetzen  der 
Franzosen.  Der  Ehrenwerte  Sir  Lambton  durch- 
brach des  Feindes  rechten  Flügel  und  fuhr  tief  hinein. 


—     534     — 

T.  Dep.  „Vulkan"  spie  Flammen,  „Orlando  raufte  ü 
richtiger  Furioso  in  einem  tempo  iH'estissimo,  „Säk 
mander"  fühlte  sich  wohl  im  feiirigcn  Eenc:: 
Doch  riss  Zufalltreffer  dem  „Hasard"  die  Badben: 
maschine  entzwei,  und  „Narcissus"  konnte  sein  Si- 
allzu  selbstverliebt  im  Wasser  beschauen,  als  er  i:: 
dem  Heck  tief  einsank.  Eine  Weile  ging  es  für  c- 
Franzosen  wieder  gut.  „Renan"  zeigte  sich  als  enk-' 
Kritiker  britischer  Panzerplatten,  als  er  dem  Ji^ 
cellent"  scharf  bewies,  dass  nichts  so  exzelleDt  y- 
um  einem  gutgezielten  Nahfeuer  zu  widcrsteb: 
„R^publique"  riss  mit  halb  vorbeigehendem  Ran:^ 
stoss  dem  „Sultan"  die  Brust  auf,  als  wolle  >'■ 
Abscheu  vor  Monarchen  bekunden,  „K16ber*\  S^- 
Cond6*  wollten  britische  Siegesnamen  wie  .,R^ 
lies"  und  Trafalgarerinnerung  des  „Si^iftsure"  n- 
gelten  lassen.  Doch  „London"  hielt  den  Ruhm  -^  • 
Weltmetropole  aufrecht,  „Jupiter"  schlug  dreiu  i* 
richtiger  Jupiter  tonans.  Als  die  weidfrohe  „Dijt* 
und  Heerfürst  „Agamemnon"  seitwärts  Kontcra:' 
Grimonet  (Reserve)  anfielen  und  gegen  das  neue  Ti 
Toulon  in  Rücken  der  Franzosen  kreuzten,  g^- 
ihre  Linke  in  Unordnung.  Rearadmiral  Ne\il'.f  " 
wickelte  sie,  Lord  „Essex"  wetteiferte  mit  -' 
„Black  Prince"  am  andern  Flügel,  und  „Good  H  > 
war  guter  Hoffnung,  die  feindliche  Nachhut  :- 
zuheben.  Der  Honourable  Lambton  gab  der  A^ 
rönne"  einen  so  unhöflichen  Rippenstoss»  dassi^' 
Krone  in  die  Tiefe  taumelte,  sie  entmastet  d^^  - 
trieb.    Destroyer  „Bruizer"  (Beuler)  stiess  den  '^ 


—     535     — 

tretorpilleur  „Dunquerque"  so  erbittert  nieder,  als 
solle  der  Zwist  wegen  der  niederländischen  Grenz- 
ereignisse hierher  verlegt  und  ausgefochten  werden 
wie  ein  Gottesgericht.  „Danton**  polterte,  als  wolle 
er  brüllen  ,toujours  de  Taudace*,  „Mirabeau**  wollte 
nur  ,den  Spitzen  der  Bajonette'  oder  Rammspome 
weichen.  Doch  „Vergniaud"  parlierte  nicht  mit  Giron- 
distenpathos, „Condorcet"  hielt  nicht  chemische  Vor- 
lesimg mit  Brisanzgranaten  und  Melinit:  noch  im  Bau! 
Der  neue  „Camperdown**  wiederholte  die  Kata- 
strophe des  früheren  gleichnamigen  Schiffs.  Nach- 
dem seine  Maschinenschrauben  zerschmettert  und 
grosse  Teile  seiner  Panzerbekleidung  in  ganzen 
Stücken  von  ihm  losgerissen,  ging  er  zuletzt  unter 
Torpedoknall  mit  Mann  und  Maus  imter.  Der  fran- 
zösische „Brennus",  dessen  früherer  Kapitän  Campion 
dem  Namen  des  alten  streitbaren  Gallierkönigs  imd 
seinem  eigenen  (auf  deutsch:  Kämpe)  Ehre  machte, 
flog  zum  Teil  in  die  Luft,  während  der  Rumpf 
sank:  ein  seltsam  schauriges  Doppelschauspiel.  Zwei 
französische  Unteradmirale  fielen  auf  ihrer  Kom- 
mandobrücke. „Anson",  vielfach  getroffen,  schwankte 
in  horizontaler  Lage  zwischen  „Cond6**  und 
„Hoche",  die  nach  Backbord  überlagen.  Der  ver- 
altete „Swiftsure"  schrammte  am  Flaggschiff  „Amiral 
Duperr6"  vorbei  und  stiess  ihm  ein  Loch,  sein  eige- 
nes baldiges  Untersinken  teuer  erkaufend.  Zuletzt 
entwirrten  sich  die  Einzelkämpfe,  die  britische  Re- 
serve machte  eine  schwungvolle  Wendung  nach 
Steuerbord  und  gewann  dem  Gegner  imter  günsti- 


—     536     — 

gern  Seegang  durchweg  die  Flanke  ab.  Langsam 
pendelte  die  französische  Schlachtreihe  zurück,  ehe 
Weile  lag  sie  eingeschnürt  wie  ein  Block  inmi'tr: 
konzentrischen  Feuers,  dann  löste  sie  sich  auf  uii 
floh  unter  den  Schutz  der  Touloner  Forts,  de 
Kurs  eine  Meile  vom  Lande  längs  der  Küste  hal 
tend  und  von  Destroyers  in  fliegender  Fahrt  wr 
folgt.  Der  „Suf f  ren"  als  Nachhut  führte  den  ausskbtr 
losen  Widerstand  ehrenvoll  durch  his  nim  bine.-: 
Ende,  bis  sein  Vorschiff  mit  dem  ausnahmswe?« 
vollgepanzerten  Oberdeck  hochemporgebäumt  sec 
Heck  niederdrückte  und  dann  alles  unter  Wasser 
verschwand.  Auch  dies  Schiff  machte  seinem  Ta'^ 
namen  Ehre,  der  Geist  des  alten  Seehelden  c- 
Englandhassers  konnte  daran  wehmütige  Fm:- 
haben.  Der  verfolgte  „Mass^na"  stoppte  vsa^ 
massig,  rannte  an  einem  Riff  auf  und  blieb  di-t 
vorm  Eingang  des  Hafens  liegen,  wo  sem  -^^ 
stossen  eine  lange  Springwelle  an  den  Strand  schil- 
derte. Sein  Namenstaufpate,  der  sogenannte  Sc^ 
des  Sieges  und  einstiger  Gouverneur  von  Toui^ 
konnte  sich  im  Grabe  umdrehen  bei  diesem  Sk; 
von  Toulonl  Die  Franzosen  hatten  sieben  ü^ 
schiffe,  fünf  Kreuzer,  zahlreiche  kleinere  Tdhns^ 
verloren,  die  Briten  erkauften  ihren  Sieg  n"^  ^■ 
Linienschiffen,  zwei  Kreuzern  und  einer  Menge T- 
pedos.  Dagegen  war  ihr  Blutverlust  so  schwer^- 
der  französische,  die  britische  Mannschaft  hatte  e«^  - 
wie  in  alter  Ruhmeszeit  durch  eiserne  Todcs^'^^av 
tung  ihre  kaltblütige  standhafte  Ruhe  bewahrt.  ^^- 


—     537     — 

mochte  der  verzweifelte  französische  Admiral  aus- 
rufen: „Unser  Erbfeind  von  Jeanne  d'Arc  bis  Na- 
poleon heisst  England.  Pas  de  chancel*'  .  .  . 

Sobald  sich  seit  Ende  Juni  die  Wogen  des  Afri- 
kaneraufstands verliefen,  riss  in  Algier  und  Tunis 
eine  schläfrige  Geniächlii:hkeit  ein.  Ermüdet  von 
den  vielen  Schreckenswochen,  hielt  der  Rest  von 
Französisch-Afrika  eine  gemütliche  Siesta.  Araber- 
scheichs, durch  jüdischen  Wucher  ausgepowert, 
hielten  sich  wieder  an  die  Verheissungen  des  anti- 
semitischen Deputierten  Lasies  und  nahmen  den 
Bakschisch  »öffentlicher  Regierungsunterstützung  für 
die  Notleidenden  des  Krieges'  an  der  Banque  d'Al- 
g^rie  in  Empfang.  Das  früher  so  lebhaft  gesponnene 
Spionagenetz  des  britischen  Informationsoffice  zer- 
flatterte, man  verlor  die  Fäden  aus  der  Hand.  Doch 
nicht  so  sehr,  dass  nicht  der  britische  Geschwader- 
chef vor  Alexandria  wichtige  Nachricht  über  Dienst- 
nachlässigkeit in  Biserta  empfangen  hätte.  Die  Nähe 
von  Malta,  wo  die  drohenden  Kanonen  des  imein- 
nehmbaren  La  Valette  weithin  das  Meer  bestreichen 
und  das  Felsobservatorium  noch  weiteren  Rundblick 
gestattet,  machte  unbeacht*ite  Annäherung  der  ita- 
lienischen Flotte  längs  des  Südrands  von  Sizilien 
unmöglich.  Vielmehr  gebot  sich  dem  italienischen 
Admiral  äusserste  Vorsicht,  da  er  ohne  jede  Aus- 
kunft über  Verbleib  der  Briten  war  und  diese  im 
Schatten  von  Malta  in  der  Paulsbai  lauem  konnten, 
um  sich  unversehens  auf  die  Marschsäule  der  ita- 
lienischen  Flotte   zu   stürzen.     Auf   den    Inselchen 


—     538     — 

Pantellaria  und  Zambra  war  ein  Relais  von  Appania 
drahtloser  Telegraphie  über  Gozzo  und  Roten  Tunn 
zwischen  Malta  und  der  britischen  Flotte  gelegt,  s 
dass  Rearadmiral  Chichester  sicher  sein  konnte,  völlig 
rechtzeitig  über  Bewegungen  in  seinem  Rücken  tis 
Osten  her  unterrichtet  zu  werden.  Da  Funksprüche 
aus  Norden  ihn  belehrten,  dass  die  Franzosen  scf 
Toulon  wichen,  so  hatte  er  auch  hier  nidiB  n 
befürchten.  Ein  Handstreich  auf  Biserta  hatte  als: 
Aussicht  auf  Erfolg  ohne  jede  Störung,  «imal  sie 
zurzeit  kein  einziges  Unterseeboot  dort  befand. 

Beim  Kap  Bon  französisches  Gewässer  dnröh 
furchend,  langten  die  Destroyers,  Torpedos  ce 
Cruisers  der  Vorhut  am  19.  früh  vor  BiserU  aL 
wo  sich  niemand  ihres  Kommens  versah. 

Dies  „afrikanische  Toulon",  Schöpfung  des  be^ 
rühmten  Admirals  Aube,  liegt  nahe  der  einscgö 
Stelle  des  römischen  Utica,  am  vorderen  Ende  cm- 
breiten  Halbinsel,  zwischen  welcher  und  einer  g^ 
überliegenden  schmaleren  Landzunge  ein  Kanal  t;: 
ansehnlicher  Länge  imd  Breite  in  den  sogenanntes 
Lac  de  Bizerte  hineinführt,  der  im  Grunde  gar  kes 
„See",  sondern  ein  gewaltiger  Meerbusen  von  f^ 
zehn  Kilometern  Durchmesser  und  fünfzehn  Meter 
Tiefe  ist.  An  dessen  südwestlichem  Ufer  Üegt  ^ 
eigentliche  Stadt  des  Bezirks,  Ferryville,  mit  ^ 
Arsenal  und  den  Docks,  während  „Bizerte"  seltt* 
nur  die  Forts  umfasst,  welche  in  letzten  Jal^"- 
neuvermehrt  waren,  ohne  dass  irgendeine  Karte  q^ 
über  Aufschluss  gab.     Den  allgegenwärtigen  bn- 


—     539     — 

sehen  Spionen,  da  der  goldene  Sovereign  immer 
Nehmer  findet,  blieben  aber  diese  geheimgehaltenen 
Befestigungen  nicht  verborgen:  der  britische  Ad- 
miral  bedurfte  keines  Lotsen,  genau  über  alle  lo- 
kalen Punkte  orientiert.  Ein  schmaler  Wasser- 
streifen von  neun  Kilometern  Länge,  an  dessen  Süd- 
westende der  kleine  Hafen  La  Goulette  mit  den 
Schuppen  der  Compagnie  Transatiantique  lag,  ver- 
band den  Kanal  mit  dem  Meer.  Dort  sollte  im 
Kriegsfall  eine  „Estacade"  errichtet  und  eine  Tor- 
pedolinie aufgepflanzt  werden.  Durch  einen  merk- 
würdigen Zufall  hatte  man  aber  den  seit  einigen 
Tagen  bestehenden,  tatsächlich  aber  erst  vorgestern 
im  Mittelmeer  greifbar  gewordenen  Kriegszustand 
mit  England  erst  gestern  überhaupt  erfahren.  Das 
Stationsschiff  Kreuzer  „Dunois**  begab  sich  nach 
Tunis  zum  Präfekt  Anthouard.  Von  Arsenalbassins 
bei  Sidi-Abdallah  vollendete  man  nur  1  und  4,  halb 
3,  während  Nr.  2  für  grosse  Schiffe  im  Anfangs- 
stadium. Da  die  bisher  allein  dort  als  Feinde  vor- 
handenen Afrikaner  ja  nur  zu  Lande  kamen,  dachte 
kein  Mensch  in  Biserta  an  Ausführen  der  Kriegs- 
artikel. Bei  Ferryville  und  in  den  Forts  kampierte 
die  Besatzung,  am  kleinen  Binnensee  von  Djebel- 
Iskeul  westlich  der  Bahnlinie  das  4.  Zuavenregiment. 
Bei  Dar-Hussein  hatte  Roux,  Kommandant  der 
Militärdivision,  noch  drei  algerische  Tirailleur- 
bataillone  und  ein  Regiment  Chasseurs  d'Airique, 
welche  die  Bahn  von  Tunis  rasch  an  den  ,See'  bis 
Station  Ound-Tindja  spedieren  konnte.     Dass  eng- 


—     540     — 

lische  Schiffe  von  Gibraltar  aus  vor  Mcts^-KcIbi 
demonstrieren  würden,  erschien  möglicL  Dass  aber 
von  Osten  her,  wo  man  die  britischen  SdüffciEit 
Verteidigung   Alexandrias   beschäftigt  wusste,  ök 
Gefahr  drohen  solle,  fiel  niemandem  ein.  Man  hatte 
höchstens  einen  ,Bluff  vermutet.   Das  Arsenal  eat 
hielt  100  000  Tonnen  Kohle  und  bedeutenden  Pe- 
troleumvorrat, vom  Generalkonmiissär  des  Adnüa^ 
strationsdienstes,   vom*  Direktor    der  hydraulischö 
Arbeiten  und  vom  Hafeninspekteur  gemeinsam  Tcf 
waltet.    Drei  rote  horizontale  Signallichter  draussea 
auf  See  hatten  die  Fischer  der  »Compagnie  du  P«tf, 
deren   riesiges   Fangnetz   am  Eingang  des  Kaial» 
sich  vor  jedem  passierenden  Schiff  heben  und  scs 
ken  muss,  nach  der  kleinen  ,Bucht  ohne  Namen. 
wo  Torpedos,  zwei  Kanonenboote,  Sousmaiin  \^ 
tin*    der    »Defense     Mobile*     lagen,    vor  Morge 
gemeldet.    Man  zerbrach  sich  wenig  den  Kopf  ^ 
über.    Alles  war  still,   das   Seewasser  strömte  nc: 
einer  Schnelligkeit  von  zwei  Knoten  durch  den  Kan^ 
zum  Meer.  Der  S6maphore  entdeckte  beim  Morgfs^ 
grauen  drei  Schiffe  unbekannter  Herkunft  und  nei 
sie  mit  Signalen  an.    Keine  Antwort. 

Plötzlich  tauchte  eine  ganze  Flotte  von  d' 
Seiten  her  auf,  entwickelte  sich  aus  Osten,  Noruet 
Westen  mit  fabelhafter  Schnelle  und  überschürj^ 
in  sofortigem  Vorwärtsdampfen  die  Batterien  \'on  *-* 
biod  und  Zebla,  das  geschlossene  Fort  Demmaundu 
Redoute  von  Rada,  die  eine  Landung  iwischoi  i* 
Bizerte  und  Cap  Blanc  verbot,  mit  ununterbrochene: 


Bombardement.  In  wildem  Alarm  liefen  dort  Ka- 
noniere und  Besatzung  zu  ihren  Posten,  letztere 
musste  aber  schon  bald  rückwäns  herausgezogen 
werden,  am  nicht  samt  den  Kasematten  zermalmt 
zu  werden.  Das  neue  Fort  Espagne  am  Stadtwall 
und  der  alten  Zitadelle  schoss  jedoch  mit  guter 
■Wirkung,  die  Decksplatten  des  Vorderschiffs  in  dieser 
Kichtung  „Empress  of  India"  schwammen  in  Blut, 
Gleichwohl  rückten  die  Briten,  ursprüngUch  auf  vier 
Seemeilen  Distanz  feuernd,  immer  weiter  auf  aller- 
wirksamste  Schussnähe  vor.  „Revenge"  und  „Bul- 
wark",  Malta-Stationäre,  bearbeiteten  die  Ostforts, 
bis  sie  schwiegen,  „Aurora",  „Charybdis",  „Scylla", 
Suez- Stationäre,  warfen  dem  Fort  d'Espagne  solche 
(glühenden  Kusshände  zu,  dass  fast  alle  Geschütz- 
bedienung in  dieser  feurigen  Umarmungstarb  und  die 
Besauung  wie  von  Flanunenschlangen  erdrückt.  Wäh- 
rend die  Fortswälle  in  Trümmern  lagen,  notierte  man 
auf  den  Schiffen  nur  geringfügige  Beschädigung, 
als  der  Wind  den  leichten  Pulverqualm  niederdrückte. 
Auf  der  „Empress"  war  der  Scheinwerferapparat  in 
Unordnung  mit  verbogenen  Eisenstäben,  auf  der 
,, Revenge"  der  PeÜkompass  umgeworfen,  dem  „Bul- 
wark"  bei  sonst  intakter  Maschine  der  Verschluss 
des  Kohlenraums  verletzt. 

Jetzt  mussten  auch  die  Forts  Roumadia,  Salem 
und  Remel  daran  glauben,  ihr  Feuer  ward  schwächer 
und  schwächer.  Von  acht  Torpilleurs  kamen 
sechs  und  Sousmarin  ,Lutin'  zum  Sinken,  ehe 
sie  dem  Kreuzer  „Aurora"  nahten,  ein  Teil  der  Mann- 


—     542     — 

Schaft  rettete  sich  auf  Canots  von  saturierton  Lei 
wandsegeltuch,  die  auf  diesen  Fahrzeugen  üblid,  üi 
die  Bai  von  Cebra.     Nur  Sousm.  ,Gnom*,  JCorrigiD 
schlechtgepanzerte  Kanonenboote  blieben  nodi  n: 
Verteidigung  des  Kanals,  denn  die  andere  TorpeikH 
division  (acht  Boote,  nicht  sechs  wie  bei  der  deutschen 
Marine)  begleitete  den  Aufbruch  der  Schlachtflott'. 
Der  M^ecin  -  Major  (Oberstabsarzt)  der  4.  Zuavs 
hatte  schon  alle  Hände  voll  zu  tun,  in  der  >>-■ 
Stadt    wurden    die    Ambulanzen    auf   der  Terrasse 
der   Zollkontrolle,   in   der   Schule  und  im  Zollao: 
von   Lyditbomben  erreicht,   später  auch  das  pocn 
pöse  Hospital,  wo  der  Oberschiffschirurg  die  rici^ 
tigsten  ,  Fälle*  erledigte.    Das  Geschrei  der  Amr* 
tierten  durchschnitt  die  vibrierende  Luft.  Die  H^ 
bis  120  Meter  überm  Meer  ihr  Relief  erhd)en(ie: 
Nordforts  waren  ebenso  schnell  niedergekämpft,  ^' 
die  andern,  nur  70,  ja  49  Meter  überm  Meeresspieg^^ 
Die  Altstadt  brannte  auch,  das  Dock  der  Compaq- 
du  Port  brannte  nieder,  alles  rollende  Material derEaiiJ 
B6ne-Guelma  floh  bis  zur  Fischereistation.  Als  (t- 
Mittagssonne  auf  dem  Zergoun-Berg  glänzte,  wäre' 
nur   noch   die   rückwärtigen    Redouten  Kebir  .:r- 
Sidi-Yaya  zur  Deckung  des  Arsenals  von  Fcrr>v. - 
imstande.     Am   Bord    des    Kanals    lagen  bei  Bt' 
Nego,  Sidi  Kassem  und  Ras  Sallam  die  Zuaven  hin: ^ 
Erdaufschüttungen.    Man  fürchtete    Landung  ^^ 
Truppen  westlich  von  Oued  Damous,  wo  die  D J^ 
bei   schöner  Jahreszeit  leichtes  Aussteigen  enrö*; 
lichte.    Statt  dessen  hätte  man  lieber  den  Kanal  ci" 


—     543     — 

Schaluppen  verstopfen  sollen,  vermied  dies  aber,  um 
nicht  etwa  hierher  flüchtenden  französischen  Schif- 
fen dies  Asyl  zu  sperren,  verliess  sich  auf  zwei 
,  schlaf  ende  Torpedominen.  Da  zerriss  ein  Hagel  bri- 
tischer Granaten,  mit  genauer  Präzision  nach  diesei 
Richtung  entsendet,  da  die  britische  Admiralität 
seit  Jahren  das  Innere  Bisertas  durch  Spione  aus- 
kundschaftete, den  Leitungsdraht  und  die  Minen  ver- 
pufften unschädlich.  Allsogleich  flammte  von  einem 
Ballon,  der  aus  dem  britischen  Flaggschiff  über  den 
Kanal  aufgestiegen  war,  ein  Raketensignal  empor. 
Da  sah  man  das  erstaunliche  Schauspiel,  dass  zwei 
britische  Kreuzer  sich  mit  Volldampf  in  den  langen 
Wasserstreifen  vor  dem  Kanal,  dann  in  diesen  selber 
stürzten  und  mit  aller  Maschinenkraft  in  den  See 
hineinfuhren.  Das  Kabel  Tunis-Marseille  hatte  ein 
Torpedoboot,  an  Ras  Zebib  und  Hundeinsel  vor- 
überstreifend, während  der  Nacht  gesprengt: 
in  Frankreich  konnte  man  also  nichts  von  Biser- 
tas Gefahr  hören,  bis  alles  vorüber.  Die  Mobile 
Kolonne  von  Tunis,  aus  4.  Turkos  und  einem  Ba- 
taillon Fremdenlegion  bestehend,  kam  noch  nicht 
bis  zum  Arsenal  von  Ferryville,  von  wo  noch  25 
Kilometer  bis  zum  Meerstrand.  Während  bei  der 
Colonne  am  See  Akjel  und  der  Furt  von  Dada 
noch  sechzig  Patronen  pro  Mann  von  den  Maultieren 
abgeladen  wurden,  erdröhnten  schon  Schüsse  gegen 
das  unschätzbare  Arsenal.  Während  die  Zuaven 
am  Strand  bei  Ras  Sebla,  Engola,  Hemhir-es-Sael, 
Djebel-Soumeur,   Ben  Hassen  und  Sidi   Sliagroum 


—     544     — 

umsonst  auf  britische  Landung  und  Chasseon 
d*Afrique  längs  der  Schlucht  von  Kabd  und  Om 
Krenzir  auf  ein  Attackenobjekt  dieser  Art  lauentru 
war  in  ihrem  Rücken  das  Unheil  schon  gesdfe 

„Scylla"  raste  den  See  entlang,  ohne  sich  ume 
paar  verlorene  Schüsse  des  Forts  Kebir  lu  kümnier- 
und  vernichtete  im  Vorüberfahren  Bord  an  Bor: 
die  zwei  Kanonenboote  gründlich  mit  allenücbs:^: 
Breitseite.  Aus  Scylla  in  die  ,Charybdis*!  Sidep 
Torpedos  103,  106,  die  am  hellen  Tag  aus  ßf 
,Namenlosen  Bai'  ausfallen  woUten,  mit  d&e: 
Salve  nieder,  beide  Kreuzer  legten  1200  Metern 
dem  Kai  des  Arsenals  an.  Als  sie  nach  einer  ?t>^- 
Stunde  den  See  wieder  verliessen  und  langsam  dcrc 
den  Kanal  zurückfuhren,  stand  hinter  iimea  ü-^ 
in  Flammen :  Arsenal  und  Docks  und  Kohleadepc- 
nur  das  leere  Bassin  blieb  übrig  Auch  in  FötvvL' 
liess  sich  der  Brand  erst  am  andern  Tage  loschc^ 

Umsonst  wirbelten  alle  Tronmieln  der  l^^ 
kaseme  Alarm  im  oberen  Biserta,  umsonst  pfiff  ^ 
Schnellfeuer  der  Lebelgewehre  vom  westlichen  ^ 
und  Kanalufer,  es  prallte  unschädlich  an  den  PaE^'^ 
wänden  ab,  und  eine  einzige  Salve  des  „Rewog- 
der  jetzt  dreist  und  ungehindert  dicht  am  äussere 
Strande  entlangbirschte,  riss  die  stanze  Kaserne^ 
vielen  himdert  Zuaven  nieder,  tunherfliegende  Ba»=^ 
und  Steinfetzen  töteten  sogar  mehrere  als  Orf. 
nanzen  verzweifelt  herangaloppierende  arabix-'^ 
„Zefyrs"  und  „Goums". 

Rearadmiral     Chichester    hatte    erreicht,  ^'^ 


—     545     — 

er  wollte:  nicht  auf  Besitzergreifung,  sondern 
Zerstörung  Bisertas  kam  es  an.  Da  aus  Malta 
das  Nahen  der  italienischen  Flotte  gemeldet 
wurde,  so  lichtete  er  noch  vor  Abend  die 
Anker  und  steuerte  nach  Nordosten,  indem 
er  zugleich  mit  seinem  Commandeur  vor  Tou- 
Ion  per  Funkspruch  konferierte.  Schon  am  Nach- 
mittag des  21.  durfte  er  seiner  eigenen  Eskadre  die 
Signalbotschaft  hissen:  „Grosser  Sieg  der  Kame- 
raden vor  Toulon,"  während  er  gleichzeitig  den  dort 
befehligenden  Admiral  der  Nordeskadre  einlud, 
ihm  für  morgen  eine  Schiffsdivision  Verstärkung  zu 
senden,  da  er  auch  den  Italienern  den  Garaus 
machen  wolle.  Admiral  Canevaro,  der  auch  Herzog 
von  Aosta  an  Bord  hatte,  getraute  sich  nicht,  Fort 
Manuel  auf  Malta  zu  berennen,  wo  zurzeit  nur  zwei 
ausrangierte  ältere  Panzer,  „Deukalion",  „Dädalus** 
lagen.  Er  misstraute  seinen  eigenen  Panzerplatten, 
da  die  von  Untersuchungskommission  entlarvten 
Schwindeleien  der  Temi-Gesellschaft,  wobei  korrupte 
Verwaltung  mit  Zolldefraudation  Hand  in  Hand 
arbeitete,  noch  immer  nicht  ganz  beseitigt  und  Ka- 
nonen aus  Gusseisen  statt  aus  Erz  noch  nicht  überall 
ersetzt  waren,  trotz  Adm.  Mirabellos  Versicherung. 
Als  am  22.  früh  der  Italiener  seine  Auf- 
klärungsschiffe vorschob,  bereitete  ihm  „Aurora", 
i^om  Biserta-Triimiph  gebläht,  eine  blutige  Morgen- 
röte. Der  noch  ganz  frische  Kreuzer  „Liguria", 
ier  an  der  Triest-Operation  nicht  teilnahm,  ward  kurz 
und  klein  geschossen,  „Etniria**  und  „Lombardia" 

Völker  Europas  .  .  .  !  35 


—     546     — 

gaben  eiligst  Konterdamirf.  Vier  Panier,  Admiril 
Aubry,  sechs  Zerstörer,  trafen  erst  spater  ein.  Da 
Adm.  Gresets  Schiffe  sich  trotzdem  in  beträcbtiicher 
Übermacht  sahen,  wollten  sie  ihre  Waffenehrc  nicbi 
durch  sofortiges  Feldräumen  gefährden,  so  wemg  es 
im  Interesse  Italiens  lag,  sich  für  seine  rwangswessi 
neuen  Verbündeten  zu  opfern.  Das  EngagenÄt 
wurde  allgemein.  Die  italienische  schwere  ArtificrK 
von  43  Zentimetern,  die  schwerste  aller  Marina. 
wirkte  natürlich  scharf.  Dem  „Ramillies"  wurds 
alle  Mäste  und  Schornsteine  über  Bord  gcsdunissa 
der  „Bulwarck"  entsprach  seinem  Namen  hier  nkt: 
und  bot  kein  Bollwerk  gegen  solche  Panzerbrechaif 
Aber  umgekehrt  durchschlugen  die  britiscae; 
Granaten  glatt  die  ungeschirmten  Bordwände  der  iJJ^ 
liener,  wüteten  zwischen  den  ungedeckten  BarbetI^ 
türmen.  Der  „Revenge"  nahm  arge  Rache.  ,J)^ 
Station"  machte  ihrem  Namen  „Verwüstung"  *^' 
Die  beiden  Damen  „Juno"  und  „Venus",  zweiKiew«:' 
göttinnen,  führten  böse  Tänze  auf.  Aus  den  D^ 
luken  des  „Dandolo"  brachen  zischende  Stia^'- 
dampfender   Kesselexplosion,   dem   „Morosini"  ^- 

• 

„Andrea  Doria"  flog  der  ganze  phantastische  &F^ 
putz  ihrer  unförmlich  grotesken  Oberbauten  3 
Stücke.  Alle  drei  Namensvertreter  berühmtester  ö 
lienischer  Seehelden  aus  alter  Zeit,  da  der  H^t- 
mond  nicht  stehen  durfte,  wo  der  FlügeDöwc  S£ 
Marcos  hintrat,  hissten  die  weisse  Flagge.  Dena^^ 
tauchten  plötzlich,  von  Toulon  mit  Volldampf  ^^^ 
keuchend,  Panzer  „Swiftsure",   „Illustrious",  M^ 


—     547     — 

don",  Kreuzer  „Thamar",  „Hope",  „Egmont"  überm 
Horizont  empor,  und  bei  diesem  Anblick  neuer  Hilfe 
erschien  am  Admiralsmast  Chichesters  jenes  be- 
rühmte Signal,  das  zugleich  ,Nahkampf'  und 
,Sieg'  bedeutet,  weil  dem  Briten  beides  zusammen- 
fallen soll.  Das  abnorme  Kaliber  der  italienischen 
Geschützkolosse  ist  eben  darauf  berechnet,  dass  man 
den  Feind  fernhalten  und  vorher  zusammenschiessen 
werde:  tritt  dies  nicht  ein  gegenüber  so  starker 
Panzerung  imd  auf  so  weite  Entfernung,  so  hat  man 
der  „mittleren"  Artillerie  nichts  entgegenzustellen 
und  ist  bei  der  eigenen  Bordschwäche  wehrlos  dem 
beherzten  Gegner  ausgeliefert,  der  nahe  auf  den  Leib 
rückt.  Auch  Aubrys  Reserveeskadre  begab  sich  auf 
die  Reise.  „Fearless**,  „Hussar"  furchtlos  hurtig  zur 
Verfolgung!  „Fortress"  wies  als  kleine  unnahbare 
Wellenfestung  alle  Künste  der  „Königin  Margareta" 
ab,  mit  dem  Nahfeuer  alle  zu  weiten,  Schüsse  der 
spröden  Schönen  vereitelnd,  die  ihren  Gegner  nicht 
abschütteln  konnte,  wie  eine  Bärin  eine  englische 
Dogge,  bis  sie  vor  dem  stolzen  Mr.  „lUustrious"  die 
weisse  Flagge  neigte.  „Königin  Elena"  musste  froh 
sein,  dass  nicht  auch  sie  vom  rauhen  Sieger  un- 
sanft gestellt  und  ungalant  in  Sklaverei  geschleppt 
wurde.  Ein  Teil  der  Italiener  erreichte  Kap  Miseno 
und  Gaeta,  ein  andrer  die  Reede  von  Neapel, 
der  Hauptteil  ward  in  die  Meerenge  von  Messina 
getrieben,  wobei  Unterseeboote  ,Squalo',  ,Glauco*  um- 
kamen. Beschiessung  der  offenen  Stadt  Neapel  unter- 
liess  Sir  Chichester,  obschon  es  ihm  in  allen  Fingern 

35* 


—     548     —     ' 

juckte ;  man  wollte  ja  Italien  eher  mürbe  machs: 
als  zur  Verzweiflung  treiben.  O  Garibal<ül  Ad 
„Capreras**  Kommandobrücke  der  Union  JackI  Dit 
Prisen  nach  Malta  abliefernd,  unterhielt  man  nur 
schwache  Blockade,  die  Hauptkraft  zur  Blockade  Tot 
Ions  sammelnd,  um  Herausbrechen  der  Franai^si 
zu  hindern.   England  war  mm  Herr  im  Mittelmeer. 

Das  Trockendock  in  Bremerton  am  Puget-Sjri 
und  das  noch  kostspieligere  grosse  SchwimnMkKk 
an   der  Atlantischen   Küste   hatten  vollauf  zu  tn 
gehabt.     Wellingtonia,    Douglastanne,    Riesem«icf 
der   Pacifischen   Kordilleren  wurden  dem  Sterce: 
banner  dienstbar  als  Mäste  und  Kiele.  Da  die  Ar 
beitslöhne  in  Amerika  viel  höher  als  anderswo  t2» 
an  Stelle  jedes  militärischen  Dienstzwanges  nur  A:^ 
Werbung    die    nötige    Mannschaft    liefern  konn'f 
kostete  der  Neubau  dieser  Flotte,  die  zur  Zeit  de 
Kubakriegs  nur   fünf  veraltete   Linienschiffe,  J^ 
Panzerkreuzer,  zehn  unfähige   Monitors  zählte,  ni 
türlich  ein  unglaubliches  Geld.    Seit  aber  Marina 
Sekretär  Bonaparte  seine  bekannte  Etatvorlage  dura 
drückte,  wuchs  die  amerikanische  Marine  auf  dreis?^ 
moderne  Linienschiffe,  zwanzig  grosse  Kreuier,  c- 
stere   mit    einem    Gehalt   von    10 — 18000  Tonne 
letztere  von  8—16  000,  wobei  die  Schnelligkeit  oer 
ersteren   16—20,   der  letzteren   21   und  22  Knotts 
betrug.   Die  Linienschiffe  repräsentierten  einen  i^ 
halt  von  400  000,  die  Kreuzer  von  250  000  Tonnen 
so  dass  diese  Flotte  es  allein  im  Notfall  mit  dcs 


J 


in  Betracht  kommenden  giösseren  modernen  Ge- 
fechtseinheiten Deutschlands  und  Frankreichs 
(4300004-350000)  oder  gar  einer  dieser  Mächte  im 
Verein  mit  Japan  (250000  modernste)  aufnehmen 
konnte. 

Ältere  ausrangierte  Körper,  mit  denen  Dewey  und 
Schley  die  jämmerliche  spanische  Marine  zerschos- 
sen, dienten  als  Küstenpanzer,  Die  zahlreichen  Moni- 
tore, Avisos,  Kanonenboote  älteren  Datums  bewach- 
ten die  Flussmündungen.  Auch  hatte  man  noch  eine 
Menge  kleinerer  Kreuzer  geschaffen  und  vier  wei- 
tere Linienschiffe,  eins  darunter  von  20000  Tonnen, 
andere  noch  im  Bau  oder  in  endgültiger  Aus- 
rüstung, so  dass  der  Gesamtgehalt  der  aktiven  ameri- 
kanischen Marine  720  000  Tonnen  betrug  für  den 
Anfang,  was  sich  in  Bälde  auf  800  000  steigern 
konnte.  Dazu  kam  noch,  dass  alle  neuen  Schiffe  über- 
haupt kein  Geschutzkaliber  unter  30,5  Zentimetern 
führten.  Allerdings  hatten  die  Kosten,  vom  Dollar 
in  Mark  umgerechnet,  seit  drei  Jahren  1'/»  Milliar- 
den betragen,  während  Deutschland  im  gleichen 
Zeitraum  nur  800  Millionen  ausgab,  ausserdem  hatte 
man  noch  eine  halbe  Milliarde  extra  für  Docks, 
Strandbefestigungen,  Reserveersatz  heimhch  im  Etat 
durchgeschmuggelt.  Ein  so  blitzschnelles  Anwach- 
sen von  Flottenmacht  war  noch  nie  dagewesen  und 
erinnerte  an  jene  drei  Millionen  gutequipierter  treff- 
lich bewaffneter  Soldaten,  welche  die  Nordstaaten 
bei  damals  sehr  geringer  Bevölkerungsziffer  im  Se- 
zessionskrieg  ihrem   Milizsystem  abgetrotzt  hatten. 


—     550     — 

Eia  ausserordentlicher  Kredit  für  die  Landannee, 
deren  regulären  Bestand  man  durch  Anwerbimg  «- 
nigstens  auf  150000  Mann  brachte,  und  Masscfr 
ausrüstung  der  Miliz  ward  anstandslos  und  dn 
mutig  vom  Kongress  bewilligt. 

Ausser  einiger  Franzosenschwarmerei  desSdbst 
herrschers  Mr.  Benett  im  „Newyork  Heiald"  a>^ 
sentimentalen  Vorträgen  auf  des  ebenso  allgcwaltigo 
Presseautokraten  Pulitzer  origineller  Joumalistcnisfr 
versität  »Columbia*  über  das  Thema  ,Blut  ist  dkka 
als  Wasser*  verfolgte  das  nationalamerikamsd: 
Publilomi  den  europäischen  Krieg  mit  spöttisckr 
Gleichgültigkeit,  Ein  geistvoller  deutscher  Professc^' 
in  Boston  versicherte  seinen  neuen  Landslccta 
und  Gönnern,  dass  sie  ein  Volk  von  Idealistai  sdcü 
was  man  mit  beifälligem  Schmunzeln  entgegennafcs. 
und  ein  deutscher  »ausgetauschter*  Professor  in  Ha: 
vard  College  tauschte  mit  seinem  .umgetauschrca 
amerikanischen  Kollegen  in  Berlin  fettgedruckte 
Verbrüderungsmanifeste  in  der  Presse  ans,  ^'' 
über  der  famose  Milliardär  Rockefeller,  g: 
geborener  Schwabe,  einen  ErstickungsanfaU  ^ 
Lachen  bekam.  Die  Kuhssen  waren  also  s«! 
fältig  zusammengeschoben,  bis  die  plötilK^ 
Szenenverwandlung  aufs  Stichwort  des  Regisscö^ 
der  immer  noch  Roosevelt  hiess,  vor  sich  und  de 
Vorhang  zur  tragischen  Komödie  auf  gehen  konn-'^ 

Geschwindigkeit  ist  keine  Hexerei  für  amcnss^ 
nische  Technik.  Nachdem  noch  Vanderbildt,  Ast^'-. 
Morgan,  Gould  junior  als  höchste  kommerzielle  Oia»' 


in  aiversen  imervrews  Descnemigi,  aas  „neurrau- 
tätsgeschäft"  lasse  sich  sehr  „f«n"  an  und  werfe 
fetteste  Dividenden  ab,  während  zwei  neue  Exem- 
plare von  „Erieprinz"  und  „Bonanzakönig"  sich  im 
Gebiet  der  heimischen  Armeelieferungen  über  Nacht 
auf  taten  und  in  Wallstreet  amerikanische  Bahn- 
aktien einen  fabelhaften  Schwindelkurs  erzielten, 
stickten  die  Damen  der  Fünften  Avenue  pompöse 
Seidenbanner  für  die  Milizen.  Romantisch  phantasie- 
reiche Federmänner  im  geschwollenen  Stil  des  Oberst 
Savage  Tmd  mit  selbstgegebenen  Offizierstil  ein  vom 
Schlage  des  Bret  Harteschen  „Oberst"  StarbotEle 
teilten  dem  American  Citizen  mit,  was  er  schon 
wusstc:  dass  die  Milizen  von  Wisconsin,  Tennessee, 
Kentucky,  Ohio,  die  soeben  Canadische  Grenze  über- 
schritten, gerade  so  wie  die  von  Florida,  Louisiana, 
Georgien,  Carolina,  Virginien,  die  im  Lager  von 
Tampa  lagerten,  sicherlich  Cäsars  zehnte  Legion, 
Cromwells  Eisenseiten,  Friedrichs  Grenadiere  und 
Napoleons  alte  Garde  miteinander  windelweich  ge- 
prügelt haben  würden.  Der  Rummel  ging  los,  die 
Fräsidentbo tschaft  entzündete  eine  wenig  nach  Tem- 
perenzlertum  riechende  Begeisterung  unter  obliga- 
tem Indianergeheul,  Englands  stolze  Antwort  er- 
regte mitleidiges   Achselzucken. 

Schon  am  17.  schob  die  Pacificbahn  Milizen  zur 
Küstenverteidigung  ab,  am  18.  besetzten  ein  paar 
Freiwillige,  die  mehr  wie  Freibeuter  aussahen,  von 
Panama  aus  das  Küstengebiet  British-Honduras.  Am 
gleichen  Tage  begann  der  Vormarsch  in  Canada, 


—     552     — 

am  19.  landeten  50  000  Re^äre  auf  Cuba. 
das  Pacificgeschwader,  vom  Panamakanal  ai& 
laufend,  blockierte  Kingston  auJf  Jamaika,  indes  dis 
zwei  Drittel  der  Flotte  umfassende  Atlantische  Gt 
schwader  von  CharlestonSavanna  und  Chesapeäk 
bai  her  der  von  Liverpool  erwarteten  britischen  Set 
macht  entgegenging.  Dort  hielten  sich  zwar  ^ 
schon  blockierten  und  beschossenen  grosaitigea 
Festungswerke  der  britischen  Bermudasinseto,  dcd 
wie   lange  nochl   — 

In  Schottland  sammelten  sich  die  Clyde-V^ufr 
teers  und  1.,  2.  Lothian  Volunteer  Brigade  bei  Edx 
bürg.    Schlachtschiff  „President"  lag  dort  urspräng 
lieh  vor  Schottland,  gleichzeitig  als  Schulsdüff  n2^1 
Küstenpanzer,   ging   aber   seither   ziu*  Atlands  a^ 
Die    vernachlässigten    Strandforts    bei   Leith  ^^ 
Queensferry  wurden  ausgebessert,  unterhalb  der\i€r 
ten  Brücke  im  Forth  eine  tüchtige  Sperre  vorg^ 
sehen,    ebenso    im   Mersey    Minen   gelegt.    Zas 
Schutz  von  Liverpool  arbeitete  dort  die  Royal  Nä^ 
Volunteer  Reserve.     Kohlenlager  von  Cardiff,  r^ 
troleumdepots  bei  Berry,  Kynochs  Patronenfabrit: 
lieferten  alles  Nötige  fürs  Volunteer  Artilleo'  ^^ 
von   Balsall   Heath  bei   Birmingham.  Die  omiiäs« 
offene    Landungsstelle    bei    Weyboum  Gap  wur« 
verschanzt,   Torpedos   dorthin   verladen.    Torp^öc- 
Schulschiff  „Actäon"  in  Sheemess  hatte  viel  w  ^ 
förmlich  abgehetzt  wie  sein  Namensvetter  ?on  ^^ 
Meute    stündlicher   dringender   Anforderungen  "'^ 
Reservedivisionsflottille  Devonport.  Die  T.  B.  25,  ^ 


j 


6t>,  liid  Dracnten  aortnin  Alarm,  aass  aeutsctie  Kreu- 
zer sich  schon  auf  Höhe  von  Ameland  längs  Nord- 
ostholland zeigten.  Die  sonst  bei  Dartmouth  als 
Schulschiff  Iagemde„Britannia"waj  inzwischen,  neu- 
armiert, nach  Östasien  abgegangen.  Während  des  See- 
kriegs gegen  Deutschland  hatte  eine  Kreuzerreserve, 
bestehend  aus  „Euryalus",  „Leicestershlre"  (Rosyth), 
i.Hogue"  (Sheerness),  „Bahama"  (früher  Gibraltar), 
sich  anfangs  vor  Harwich,  später  im  Georgskanal 
aufgehalten  und  von  dort  mit  Teilen  der  Kanalflotte 
den  Streich  gegen  Ferrol  geführt.  Nach  Erledigung 
der  spanischen  Marine  dampften  sie  jedoch  in  die 
Atlantis  westwärts,  als  Beunruhigung  wegen  Ame- 
rikas Umtrieben  eintrat.  Man  behielt  also,  da  auch 
sechs  der  Kanalschlachtschiffe  nach  dem  Mittel- 
meer abgingen,  augenblicklich  zum  Küstenschutz  nur 
reparierte  Verwundete  des  Nordgeschwaders:  „Ac- 
tive", „Valiant",  „Remarquable",  „Hood",  „Renown", 
„Duncan",  „Captaiu",  Kreuzer  „Polyphem",  „Spar- 
tiate",  „Drake",  „Olympia",  während  „Kent"  rui- 
niert blieb  und  „Glasgow"  sich  noch  nicht  erholte, 
ebensowenig  „Prinzess  Maud"  des  Reservegeschwa- 
ders, dessen  zwei  andere  letztgesandte  Neubauten 
nebst  einem  neu  in  Dienst  gestellten  „Vanguard"  mit 
den  noch  intakten  acht  älteren  noch  eine  stattliche 
Masse  von  elf  Schlachtschiffen  bildeten.  Hierzu 
gegen  Amerika  sieben  intakte  Schiffe  der  Clyde- 
division  nebst  Reserveschiff  .Prince  George",  noch 
übrige  sechzehn  (fünf  entsendet)  grosse  Kreuzer  1., 
5.,    6.   Division,   entsprechende   kleinere    Einheiten. 


—     554     — 

Unter  Destroyers  hatten  deutsche  Schosse  dbc 
Minen  gehörig  aufgeräumt,  der  „Bittcm"  iffifl 
„Gipsy"  war  ein  bitterer  Hexentrank  gebraut  wor- 
den, „Blackwater"  geriet  in  allzu  finstres  Wasser 
auf  Meeresgrund,  „Success",  „Contest"  fanden  mä. 
Erfolg  im  Ringen,  „Teazer"  neckte  umsonst,  t« 
„Ribble"  blieb  selbst  nur  eine  Schaumblase  ab  leöie 
Spur,  „Recruit"  zog  in  seinen  ersten  und  Icctea 
Feldzug,  „Flying  Fish"  und  „Salmon"  entgiagc 
nicht  dem  tödlichen  Angelhaken.  Doch  es  \^ 
ben  inmier  noch  genug  übrig  und  vertdlten  ssdi 
jetzt :  teils  an  der  Küste,  wie  „Boyne"  am  iriscbet 
Boynefluss  und  „Swordfish",  der  im  irischen  Si- 
nai jedem  Eindringling  sein  Schwert  einbobre 
wollte,  oder  „Bat",  die  rastlos  wie  eine  Fledcrfflä® 
zwischen  Clyde  und  Humber  hin  und  her  kreiste,  cüsi 
„Mermaid",  die  lockend  und  tückisch  auf  den  Wc^ 
gen  schwebte;  teils  aufs  neue  Atlanticgesch«<^' 
wo  „Wolf",  „Greyhound",  „Hasty"  sich  hastig  ass 
Beutejagen  machten  und  „Myrmidon"  aflc  ked^ 
Myrmidonen  des  Westens  in  die  Schranken  fordet? 

Der  Kreuzer  „Prometheus"  befand  sich  auf  de: 
Weg  zum  irischen  Kanal.  Die  am  Kap  Verde  b^ 
zende  „Ariadne",  welche  dort  unhöflich  V«^ 
Wechsel  im  Verhalten  der  portugiesischen  Kri'^r' 
schiffe  „Gama"  und  „Carlos"  bemerkte,  ^^• 
Marschorder,  Lissabon  anzidaufen  und  Cornla  ^ 
beobachten.  Ausser  sieben  reparierten  li^ 
schiffen  des  Nordgeschwaders  ward  auch  „Iß^ 
bei   Davenport   wieder   in   Dienst   gestellt,  der  '^ 


^^cnuiscnui  Disner  mcm  ausuei.  „Kepuise  ,  „kc- 
sistance"  sollten  Abwehr  und  Widerstand  leisten, 
wie  ihr  Name  besagte,  „Defiance",  „Redoutable" 
sich  trotzig  und  furchtbar  zeigen,  wenn  dn 
dreister  Feind  Kap  Lizard  passiere,  „Cambridge"  sich 
für  Altenglands  Kulturstätten  schlagen.  Admiral  Sir 
Bowen-Smith  übernahm  Gcsamtleitung  der  Vertei- 
digung und  wurde  ihm  nach  den  Mittelmeersiegen 
schleunige  Rücksendung  der  4.  Kreuzerdivision  tmd 
femer  zehn  Schlachtschiffe  von  dort  in  Aussicht 
gestellt.  Ausser  den  neunzehn  Schlachtschiffen, 
die  Beresford  in  Richtung  auf  Baltimore  sammelte, 
gab  es  noch  das  frühere  Atlanticgeschwader  des 
Admirals  Bosanquet.  Dies  bestand  aus  Linienschiffen 
,, Commonwealth",  „Magnificent",  „Barfleur",  „Rüs- 
sel", „Vengeance"  (vorher  Kanal),  und  dem  soeben 
neu  vom  Stapel  laufenden  „Bellerophon",  während  das 
nach  „Dominion"  Canada  benannte  Schiff  nach  Ost- 
asien abging,  damals  ungestört  in  Friedenszeit  den 
Panamakanal  benutzend.  Das  ursprünglich  allein  im 
Atlantic  stationierende  Kreuzergeschwader  „Royal 
Arthur",  „Highflyer",  „Cambrjan",  „Flora",  „Cam- 
berlan",  „Amethyst",  „Arrogant",  „Thome"  war  zu- 
erst um  „Tenedos",  „Rinaldo",  „Bonadventure", 
„Donegal",  „Furious"  vom  Kanal,  „Bahama"  vom 
Mittelmeer,  dann  um  neue  Umbaukreuzer  „Vestal", 
„Spider",  „Oberon"  vermehrt  worden.  Die  einsti- 
gen Fünf zigkanonenf reg atten  „Raleigh",  „St.  Jean 
d'Acre"  wurden  in  geschützte,  „Grecian",  „Petrell" 
(Paketbootkreuzer  in  Südamerika)  und  sogar  Paket- 


—     556     — 

boot  „Express",  Dampfloop  „Alecto**  in  ungededie 
Kreuzer  umgewandelt.  Letztere  hatten  in  bra- 
silianischen Gewässern  zu  tun.  Dort  benahmen  sid 
aber  die  Regierungsgewalten  in  Rio  de  Janeiro  vdc 
Pernambuco  unterm  Druck  Nordamerikas  sowie  E:: 
fluss  der  zahlreichen  deutschen  Ansiedler  (Blumemi 
Petropolis)  schon  geradezu  feindselig.  N  tg 
drungen  verschob  Admiral  Bosanquet  eine  Züch: 
gung  so  gotteslästerlicher  Meuterei  wider  die  g  • 
liehe  Ordnung  der  Britenhegemonie.  Sein  Fiau"; 
schiff  im  Frieden,  den  schönen  alten  Kreuzer  „Rf-^ 
Arthur",  verliess  er  für  Schlachtschiff  „Furio-:? 
indes  sein  Unterchef  Sir  G.  Egerton  den  ^^'' 
geance**  bestieg.  Dies  sah  symbolisch  aus,  cer- 
„wütende"  „Rache"  an  dem  perfiden  transatlanc^i- 
Vettern  schwor  man  sich  zu.  Despat ch-Vessel  (D^r 
schenfahrzeug)  „Surprise"  brachte  Befehl  des  nun rr 
Grossadmiral  erhobenen  Beresford,  unverzüglicfa  ^ 
Westindien  den  Kampf  aufzunehmen.  Bei  Can  "^ 
blieben  nurdieSurveying-Vessels  „Egeria",  „Sv^ 
doch  erschienen  dort  eüig  „Duke  of  Edinbui;^- 
und  „Brilliant"  (Nordgeschwader)  auf  ihrem  frühe: ' 
Stationsposten  Neufundland.  Da  nun  auch  „HofJ^ 
in  sein  altes  Standquartier  Westindien  zurückke^-' 
„Leicestershire",  „Bedford"  und  der  neue  rrj.' 
tige  Kreuzer  „Euryalus"  gleichfalls  Bosanquet  y-- 
stärkten,  so  mochte  er  die  Aktion  getrosten  M- ' 
beginnen.  Zum  Überfluss  sandte  ihm  Beresford  ai 
noch  die  beiden  von  der  Ministersgattin  Lady  Cr:'- 
getauften  Schiffsgeburten,  mit  denen  England  r- 


Zeit  der  Algesiraskonterenz  schwanger  ging:  den 
gleich  anfangs  verbrauchten  Kreuzer  „Minotaur"  in 
Begleitung  des  „Powerful"  und  das  Linienschiff  „Hi- 
bemia",  welch  letzteres  am  Schluss  des  deutschen 
Krieges  nur  als  Etappen deckung  zwischen  Texel 
und  Rosyth  auf  und  ab  fuhr,  obscbon  bei  den  zwölf 
Linienschiffsnummem  der  Wilsonschen  Kanalflotte 
mitzählend.  Durch  eine  Menge  kleiner  Kreuzer 
„Keslrell",  „Cormorant",  „Diamond",  „Dryad", 
„Zephyr",  „Vullure",  „Arun",  Panzer  „President" 
schwoll  die  äussere  Stärke  dicker  Westindja-Squadron 
noch  mehr  an.  Mit  sieben  Linienschiffen,  fünfzehn 
grossen  Panzerkreuzern  und  so  vielen  II.  Klasse 
war  diese  „Fleet  in  being"  freilich  Deweys  Pacific- 
ge schwader  gewachsen. 

Sobald  Commander  Smith  des  Kreuzers  „Ta- 
coma"  das  Nahen  der  Briten  auskundete,  rüstete 
Dewey  sich  zur  Schlacht.  Er  hatte  nach  früheren 
Verlusten  —  gesunken  oder  noch  reparaturbedürftig 
—  „Boston",  „Chicago",  „Gloucester",  „Potomac", 
„Denver",  „Princeton",  die  neuen  Schiffe  „Minnea- 
polis",  „Minnesota",  Kreuzer  „Tacoma",  „Paducah", 
,,Marietta",  „Dubuque",  „Swetara",  prunkvoll  fertig- 
gestellte „Constitution".  Die  Hauptflotte  unter  den 
Admiralen  Sampson  und  Schley,  den  Unteradmiralen 
Coghlan,  Bradford,  Cowles,  Davis  sammelte  sich 
an  der  mittleren  Ostküste  und  vereinte  sich  mit 
Konteradmiral  Bronson,  der  mit  seiner  Division 
„Pennsylvania",  „Colorado",  „Westvirginia",  „Mary- 
land" vor  Tampa  kreuzte.  „Maine",  „Iowa",  „Ben- 


—     568     — 

nington",  Kreuzer  „Porter",  „Rodgers",  „Duponr. 
„Blackeley",  „Nicholson"  unter  Vizeadmiral  Enrs 
erhob  vor  Halifax  fruchtlos  wütendes  Bombardemat. 
O,  an  noch  unversehrte  zwölfzöllige  Panzer  britischff 
Orlogs  würden  überall  neue  Explosivgcscbosa 
pochen,  prahlte  man  mit  Stolz,  Wie  Krieg^an^ 
Taubenpost,  Kraftwagen,  sogar  Schneeschuhli£f' 
für  Nordcanada  in  Fülle  bereitgestellt,  so  für  See^ 
krieg  unterseeische  Kohlenlager  grössten  Mas^ 
Stabs,  eine  nur  teilweise  von  den  britischen  .Ticr 
Lords  der  Häfen'  eingeführte  Neuerung.  Dasnes 
Riesenschiff  „Delaware"  von  20  000  Tonnen  ^ 
12  Riesengeschützen  von  45  cm  bildete  den  Keit 
einer  Gruppe  von  funkelnagelneuen  Meistcrsdiifi- 
„Columbia",  „Sevem".  „Newark",  Kreuzer  Jtm 
See".  Ältere:  „Kearsarge",  „Independance**,  .X"^ 
souri",  „Constellation",  „Florida",  „Texas",  ß- 
nois",  „Brooklyn",  „Indiana",  »»Massachusetts",  »Kc 
tucky",  die  Kreuzer  „Dolphin",  „Mayflower",  S^ 
Moines'*,  „Justin",  „Charleston'*,  „Nashvillc**,  „See: 
pion",  neue  Taufnamen  „Lincoln",  „Grant",  ,3^ 
kershill",  „Franklin",  „Jefferson",  „Georgia",  ,X^"- 
siana",  „Rhode  Island",  „Connecticut",  „Virginia' 
Kreuzer  „Newyersey",  „Washington**,  „Raleigh*'  u«^ 
wobeiTonneimiassstab  nurw«iigvoneinanderabsad 
Von  diesen  dreissig  Schlachtschiffen  (abiügi- 
der  Verluste)  zwanzig  neu,  zwölf  erstklassig,  »D^ 
wäre"  dem  „Dreadnought"  mehr  als  ebenbi'tc 
von  neuen  Kreuzern  drei  anscheinend  so  got.  ^^ 
kaum    eins    der    britischen    Marine.      Zwei  n«sf 


Jackson",  vier  Kreuzer,  „Sherman",  „Sheridan", 
„Gates",  „Stuart",  befanden  sich  im  Bau.  Vor  Fort 
Sumter  (Charleston)  lagen  auf  ,waiting  Orders' 
ausrangierte  ältere  Schiffe  „Oregon",  „Culgoa"  „Ter- 
ror", Drydodt-Kreuzer  „Dewey",  der  gleichfalls  zur 
Disposition  gestellte  Rearadmiial  Diddns  übernahm 
Küstenschutz.  Den  BaUondienst  nahm  der  bekannte 
Major  Hersey,  drahtlose  Kriegstelegraphie  nach 
eigenem  System  der  bekannte  de  Forest  in  die  Hand, 
Für  Forts  Wadsworth  und  King  William  bei  New- 
york  hatte  man  zwei  50  cm-Kanonenkolosse  fertig- 
gebracht. Bei  den  Torpedoflottillen  befanden  sich 
Motorboote,  wie  sie  Deutschland  schon  einführte  und 
Konteradmiral  Breusing  sie  auch  bei  Verteidigung 
von  Tsingtau  anwandte,  in  reichlicher  Zahl.  Schon 
wagten  sich  armierte  Revenue-Cutters  (Zollkutter) 
oder  Walfischfahrer,  wie  z,  B.  „Picagune"  den  eng- 
lischen Schoner  „Ogilvie"  und  Brigg  „Pilot"  frech 
haipunierte,  als  Kaper  bis  in  die  Südsee,  wo  das 
Kreuz  des  Südens  vom  Sternenhimmel  auf  manch 
dreiste  Freibeutertat  niederstrahlte,  wo  französischer- 
seits  sich  nur  noch  die  umgearbeitete  alte  Korvette 
„La  Belle"  und  als  Monitor  renovierter  Dampfaviso 
„Caton"  tmter  Führung  eines  Fregattenkapitäns  (ver- 
alteter Titel  dieser  Marine)  herumtrieben.  In  Battery 
Point,  Sidneys  Vorhafen,  und  auf  Thursday  Islands, 
dem  Befestigungswerk  von  Queensland,  untersuchten 
Delegierte  der  Federal  Defence  ängstlich  den  Küsten- 
schutz.    Früher  hatte  man  kriegsmässigen  Ausbau 


(rüW^'i* 


—     560     -- 

des  Simpsonhafens  in  Deutsch-Australien  und  äcg 
reiche  Konkurrenz  der  zwei  DoppelschraubendaiEpfe 
„Waldemar'*  und  „Sigismund"  im  mdanesschen 
Archipel  als  »Bedrohung*  denunziert:  heul  emjrfasi 
man  ernstere  Bedrohung  I  Auch  Canada  hatte  mii 
der  angelsächsischen  Verbrüderung  eigenartig  n 
rechnen.  Den  Generalen  Porter  und  Elliot  iGrri- 
und  Funston  befehligten  das  Truppenlager  k 
Tampa)  stellte  Indiana  Steamer  Company  all  üb^ 
Fahrzeuge  zum  Militärtransport,  darunter  den  ncsea 
Schnelldampfer  „Roosevelt"  zwischen  Chicago  iß^ 
Michigan  City,  der  vierundzwanzig  englische  Mela 
in  der  Stunde  lief.  Drüben  m  Canada  hatten  aatc 
lieh  Dampfer  Victorian  und  Virginian,  femer  die  iwfl 
neuen  der  Empress-Klasse  ihre  Fahrten  einstcDe: 
müssen,  nicht  minder  Allan-Linie  und  United  Adaoa^ 
Mail,  White  Star  Liner  „Teutonic",  ,^abic"- 

Ja,  kaum  verliess  der  Unionsgesandte  in  LocQ^ 
sein  pomphaftes  Palais  Dorchester  House,  nach^ 
er  noch  Schadenersatzklage  eines  gewissen  r^ 
rican  Citizen*  Whitehouse  auf  fünf  Milüoncn  Dc^ 
lars  wegen  angeblichen  Kontraktbruches  durch  br^ 
tische  Okkupation  von  Ägypten  feierlichst  eirg^ 
reicht,  als  sich  die  anglosächsische  Verbindung  g^-^ 
herrlich  offenbarte.  Da  stellte  sich  auf  ein::^ 
heraus,  was  jene  hochtrabenden  Reden  wert  va.*^ 
die  Sir  W.  Laurier  und  der  illustre  Gast  Ani-?« 
Carnegie  im  Canadian  Club,  Toronto,  austausditci^ 
Der  prominente  American  Citizen  und  ehcnßt?' 
Schotte   hatte  freilich  Ausfälle  auf  Trans^aalkn^^ 


una  zane  winKC  uoer  rneaiicne  Annexion  v^anaoas 
nicht  gespart,  indem  er  den  sbinreicheo  umgekehr- 
ten Vergleich  zog,  Canada  (d.  h.  ein  selbständig 
unabhängiges)  werde  einst  die  Vereinigten  Staaten 
ebenso  annektieren,  wie  das  kleine  Schottland  ge- 
wissermassen  das  grosse  England  durch  Thron- 
folge annektiert  habe.  Recht  geschmackvoll  und 
schmeichelhaft,  wobei  wirklich  die  lächelnden  Zu- 
hörer nicht  das  Gift  der  Zuckerpille,  den  wahren 
Sinn  dieser  Andeutung  schmeckten.  Gegenseitig  aber 
stellten  die  Herren  sich  als  „Rasse- Imperialisten" 
vor,  nur  meinte  jeder  etwas  anderes,  jeder  von  seinem 
Standpunkt  aus,  Und  welche  Dienste  leistete  jetzt  der 
prominente  Gast  seinen  canadischen  Freunden  ?  Car- 
negie-Stahlcompagnie  arbeitete  fieberhaft  1  Das  war 
die  friedliche  Annexion  1  Die  Briten  schienen  wirk- 
lich mit  Blindheit  geschlagen.  Gegen  wen  baute 
denn  der  Yankee-Imperialismus  für  zehn  Millionen 
Dollars  den  „Delaware",  drückte  die  Naval  Appro- 
priation Bill  glatt  durch,  einen  Tag  nach  der  San 
Francisco  Katastrophe  ?  Dem  stolzen  Patriotismus  des 
genialen  Roosevelt,  eines  geistig  und  ethisch  gleich 
hochstehenden  R^lidealisten,  wird  niemand  gerechte 
Bewunderung  versagen,  um  diesen  wahrhaft  bedeu- 
tenden Mann  muss  man  Amerika  beneiden;  doch 
sein  altruistisches  Wohlwollen  für  alle  Welt,  be- 
sonders den  deutschen  Michel,  war  rein  platonisch, 
amerikanische  Weltherrschaft  sein  wahres  Ideal.  — 
Nur  einige  berufsmässige  Pessimisten  meinten, 
es  sei  nicht  alles  Gold,  was  glänzt.    Man  habe  bei 

Völker  Enrop«  .  .  .  r  36 


—     562     — 

Marinearmierung  zu  viele  ,smart  fellows*  Gdd  ver- 
dienen lassen,  es  seien  vermutlich  kolossale  unter- 
schleife  vorgekommen,  manche  Ausrüstungsgegcn 
stände  nicht  in  Ordnung.  Die  Intendantur  im  Lagtr 
von  Tampa  berüchtigten  Angedenkens  werde  foi^ 
auch  diesmal  ihre  Aufwartung  machen.  Aber  soldi 
vaterlandslosen  Gesellen  entgingen  mit  Mühe  docß 
Lynchgericht  des  öffentlichen  Unwillens. 

Da  die  transatlantische  Republik  natürlidi  ver 
brief te  Rechte  auf  Unverfrorenheit  beatit  und  ^^ 
nicht  scheuen  darf,   selbst  England  etwa  wie  i«. 
scherifische   Majestät  den   Maghzen  von  Manfe 
zu  mtassregeln,  so  musste  der  gotteslästerlidie  Fr^ 
yel  strenge  geahndet  werden,  dass  der  Gowerasr 
von  Jamaika  auf  den  Räximungsbefebl  trodcn  s: 
wortete:    „Der  Vertreter  Sr.  Britannischen  MajcsBt 
hat   Räubern  nichts   weiter  mitzuteilen."    D^  ^ 
alle  amerikanischen  Bürger  auf  der  Insel  auswö, 
ihr   Eigentum   mit   Beschlag  belegte,  nnveiÄ^c^ 
auf  das  Sternenbanner  des  Linienschiffs  „GIoocöK^ 
feuern  liess,  machte  das  Mass  voll.    AllerdiDgsp& 
sierten  dem  vom  Mexikanischen  Golf  auslarföt^e 
Geschwader  gleich  kleine  UnannebmlichkeitciL  D^^^ 
„Minnesota"   brach   die   Schraube  am  Steacib:r<- 
dem  „Boston"  versagten  auf  einmal  alle  Masd^- 
die  „Illinois"  zeigte  sich  an  verschiedenen  Stö^^ 
reparaturbedürftig.     Die   Pessimisten  sollten  ^^^ 
nicht  recht  behalten,  imd  Dewey  setzte  seincß  ^^ 

r. 

stoss  fort,  obschon  ihm  Nähe  einer  britischen- 
kadre  am  21.  gemeldet  wurde. 


Waffenbrüder  vor  Toulon  vernichteten  zehn  im  Ge- 

-  Wässer  der  Caraibeninseln  erscheinende  britische 
Schiffe  das  schwache  westindische  Geschwader  der 
Franzosen.  Zwischen  ihnen  und  den  Briten  herrschte 
grosse  Erbitterung,  da  beide  sich  des  Verrats  be- 
schuldigten. Auf  die  Kunde  von  Frankreichs  Ab- 
trünnigkeit nahm  ein  alter  Comtnodore  die  Mütze 
ab,  blickte  fromm  lum  Himmel  und  betete:  „Ich 
nehme  Gott  zum  Zeugen,  dass  Frankreich  sich  ent- 
ehrt hat.    Mögest  du,  o  Herr  Gott,  die  Meineidigen 

-  strafen  I"     Dass    England    selber    durch    cynische 
.    Selbstsucht  den  Bundesgenossen  reizte  und  mit  ihm 

umsprang  wie  mit  einem  dummen  Jungen,  begriff 
natürlich  nicht  das  grogbegossene  Gemüt  der  biedern 
Bruder  Theer,  in  deren  dicken  Seebärenschädel 
ja  nichts  hineingeht  als  ,Rule,  Britatmia'.  So  fiel 
man  denn  beim  Inselchen  Aves,  westlich  von  Gua- 
deloupe-Martinique, mit  wahrer  Wollust  über  das 
französische  Häuflein  her,  das  nur  aus  dem  Linien- 
schiff „St.  Louis",  dem  „Redoutable",  dem  Kreuzer 
„Jean  Bart",  dem  Sous-Marin  „Hollande"  und 
einigen  Torpedos  bestand. 

Ais  die  französischen  Kanoniere  von  ihren  ge- 
reinigten und  sauber  geputzten  Rohren  die  Schutz- 
kappen abnahmen,  konnten  sie  mit  einem  Blicke 
sehen,  dass  Widerstand  unnütz  sei.  Der  „St.  Louis" 
focht  eine  Weile  ritterlich  wie  der  alte  Franzosen- 
könig, bis  imter  Detonationen,  die  seine  eine  Schiffs- 
wand halb  entzweirissen,  ein  Wassersturz  sein  Hinter- 
36» 


—     564     — 

deck  überschäumte.  Dann  strich  er  die  Trikolore 
und  wurde  als  Prise  ins  Schlepptau  genommen,  da 
sein  Leck  noch  zu  stopfen  war.  Das  Untersedwot, 
von  unten  wie  ein  Schwertfisch  heraufbohrend,  tö 
mochte  die  wasserdichten  Schotten  des  briüschcs 
Panzers  „RusseF*  nicht  zu  durchstossen,  dessen  Kfe 
den  unsichtbaren  Feind  überrannte.  Der  „Redi^ 
table",  ein  Schiff  klang^voUen  Namens,  das  an  fr» 
zösischen  Heldenkampf  bei  Trafalgar  erimierts, 
zog  sich  mit  dem  sehr  geknickten  Kaperhclden  Jo^ 
Bart"  spornstreichs  nordwestlich  in  MonaAVassff 
Strasse  von  Portorico  nach  St.  Dominique,  wo  D? 
weys  Panamageschwader  herandampfte. 

Da  Frankreich  in  keinem  Bündnis  mit  der  l'ni^'^ 
stand,  die  doch  auch  an  Frankreichs  Antiflen  ^ 
höhnischen  Räumimgsbefehl  erteilte,  so  hiess  fcsct 
Übertritt  einfach  Abtakeln  und  Abrüsten.  Zwiscbcs 
zwei  übermächtigen  Feinden  eingeklenomt,  frag  ^ 
Franzose,  schon  in  neutralem  Gewässer,  durch  ^^^ 
nal  bei  dem  Yankeeadmiral  an,  ob  er  ihm  fres 
Durchfahrt  gestatte.  Dieser  verneinte  schroff  <2e 
Union  dulde  keine  europäischen  Kriegsschiffe  in  *- 
amerikanischen  Atlantis.  Der  frantösische  komsi" 
dierende  Kapitän  kämpfte  einen  schweren  hk^*^ 
sehen  Kampf:  sich  zwecklos  abschlachten  lassen  1^' 
die  brave  Bemaimung*  und  die  Schiffe  opfern,  ^ 
sie  für  Frankreich  zu  erhalten,  Erfi^ebung  war  nöc? 
aber  an  wen  ?  Dann  machte  er  kehrt  nüt  GegeEfc-*^ 
und  lief  mit  weisser  Flagge  den  Briten  in  die  M^ 

An    Bord    des    Admirals    Bosanquet   g^" 


weil  ich  mich  doch  noch  lieber  Europäern  aus- 
liefere als  Amerikanern.  Die  sind  unser  aller  Feind. 
Vielldcht  versteht  man  nicht,  dass  ich  aus  Pflicht 
nach  bestem  Ermessen  handele,  doch  ich  werde  dies 
nicht  mehr  hören."  Sprach's  und  schoss  sich  blitz- 
schnell eine  Kugel  vor  den  Kopf,  so  dass  sein  Gehirn 
seine  goldnen  Epauletts  und  die  grünen  Wollepau- 
letts  seines  begleitenden  ,Commandant'  überspritzte. 
Die  englischen  Offiziere  nahmen  diese  merk- 
würdige, durch  den  Tod  besiegelte  Erklärung  einiger- 
massen  betroffen  auf  und  versanken  in  Nachdenken. 
Jedenfalls  waren  es  alles  eher  als  gemischte  Ge- 
fühle, mit  denen  sie  sich  jetzt  unmittelbar  zur  See- 
schlacht rüsteten:  ausschliessliche  rechtschaffene 
Wut  gegen  die  Yankees  im  Herzen.  Am  Signalmast 
des  Flaggschiffs  „Furious"  stieg  die  Parole  auf: 
,,Rodney  und  St.  Dominique",  jenes  alten  grimmen 
Sieges  über  die  Franzosen  gedenkend,  zu  einer  Zeit, 
wo  England  und  Frankreich  sich  noch  um  die  Ob- 
macht  in  Amerika  stritten.  Längst  verlor  Frankreich 
die  Südstaaten,  Canada,  St.  Domingo,  längst  aber 
auch  England  seine  einstigen  Kolonien,  die  heut  zu 
nie  geahnter  Grösse  emporwuchsen.  Welche  Wen- 
dung durch   Gottes  Fügung  1 

Die  Pacificflotte  hatte  ihren  Verlust  in  der 
Philippinenschlacht  seither  nur  teilweise  durch  Aus- 
besserung und  Wiedereinstellung  notdürftig  ge- 
flickter Havarierter  ersetzt,  schwächte  sich  jetzt  noch 
mehr    durch    Zurücklassung    des    nach    Cuba   ver- 


—     566     — 

schleppten  „Boston".     Die  äussern  taktischen  Ein- 
heiten   waren    daher    fürs  blosse  Auge  ungeßhr 
gleich    bei    beiden    Parteien,    doch   überwog  der 
Tonnengehalt  bei  weitem  auf  Deweys  Seite,  England 
hatte,  seine  Hauptmacht  in  der  nördlichen  Atlans 
zusammenziehend,  nur  die  ursprüngliche  Atlandscbc 
Eskadre  hauptsächlich  von  schnellen  Kreuzern  bcasf 
tragt,   Kingston  zu  entsetzen.     Die  Amerikaner  s 
heller  Erbosung,  dass  ihnen  Fang  der  franiösiscbce 
Schiffe  entging,  denen  sie  eine  unschädliche  Ladi2s 
nachschickten,  griffen  mit  wildem  Übermut  sofcft 
an,  da  es  ihnen  gegen  die  meist  kleineren  engÜscb^ 
Kreuzer  nicht  fehlen  könne.   Doch  die  heutige  Feeer 
technik,  wo  man  auf  acht  Seemeilen  das  Fcrnfecsf 
eröffnen  imd  den  Emstkampf  auf  drei  Seemele 
einfädeln  kann,  wie  zu  Nelsons  Zeit  auf  sechshuDdc 
Schritt,  ist  einer  unausgebildeten  kriegsunerfahieoc 
jungen  Flotte  erst  recht  nicht  günstig.    Eo«  ^ 
mannimg,  deren  Kern  aus  früheren,  Handelsmatrosa 
die  erst  seit  wenigen  Jahren  den  Bodai  ihies  be- 
stimmten  Schiffes   unter  den   Füssen  hatten,  ^ 
deren  Masse  aus  Neulingen  imd  obendrein  oft  A«^ 
ländem  bestand,  konnte  unmöglich  mit  dntf  vc: 
hohem  Väterlands-  und  Ehrgefühl  geschweBten,  ^ 
heitlicher  zusammengesetzten  und  durchgebildete 
von  mralten  nautischen  Traditionen  getragenen,)«^-' 
obendrein  durch  monatelange  Kriegserfahnnig  S*^ 
stählten  Marine  konkurrieren. 

„Wir  sind  mit  den  Deutschen  fertig  ge^idft 
die  ganze  Kerle  sind,  und  sollten  die  Yankees  ni^ 


^ 


ziere  ihren  Leuten  zu.  Schon  nach  der  ersten  halben 
Stunde  Fernfeuers  bemerkte  man  Zeichen  von  Ner- 
vosität in  den  Bewegungen  der  Yankeeschiffe,  die 
nicht  gewohnt  waren,  ihr  Feuer  sachgemäss  auf 
einen  Punkt  zu  vereinen,  und  daher  vielfach  ins 
Blaue  schössen.  „Powerful",  der  grosse  britische 
Kreuzer,  erwies  sich  in  der  Tat  mächtig.  Seine 
unablässigen  genauen  Treffer  verscheuchten  die  Be- 
dienung zweier  amerikanischer  Panzer  von  den  Lade- 
podesten, nachdem  wahre  Leichenhügel  um  die  Bat- 
terien aufgeschichtet.  Überhitzte  Stahlrohre  sprangen 
in  der  Glut  von  Explosionen,  das  Material  der 
Trust-Lieferanten  zeigte  sich  nicht  zweifelsohne. 
Manche  Eisenplatten  wurden  allzu  rasch  wie  ein 
Sieb  durchlöchert.  Die  gewaltige  „Minneapolis"  be- 
kam Treffer  unter  der  Wasserlinie,  ins  Vorder-  und 
Hinterschiff  zugleich,  so  dass  sie  zu  schwanken 
schien,  ob  sie  zuerst  ihr  Vorkastell  in  die  Luft 
bäumen  oder  nach  hinten  überholen  solle. 

So  ging  ihr  der  schmucke  neue  „Euryalus"  zu 
Leihe.  „Hochflieger"  breitete  seine  Feuerschwingen, 
,,Hibemia"  prüfte  ihre  junge  Kraft,  als  wolle  sie 
Irlands  (Hibemias)  Loyalität  verbürgen,  „President" 
schien  den  Yankee-Präsidenten  zu  verlachen.  Der 
kriegerische  „Bellorophon"  wollte  Drachen  erlegen. 
Der  „Königliche  Arthur"  schlug  sich  wie  ein  Paladin 
von  König  Artus'  Tafelrunde,  „Flora"  holte  aus, 
als  wolle  sie  bis  Florida  in  einem  Ruck  durchbrechen, 
,,Raleigh"  stürmte  unerschrocken,  als  gelte  es,  noch- 


—     568     — 

mals  Virginien  zu  entdecken,  „Bahama",  als  lolk 
sie  ihre  hiesigen  Taufinseln  schirmen,  „Rinaldo" 
war  ein  Rinaldini,  „Bonadventure"  ging  auf  glück- 
liche Abenteuer  aus,  „Oberon"  führte  wirbligen  Elfen- 
tanz auf,  „Spider"  reckte  sich  als  Seespinne,  Äe 
„Vestalin"  lehnte  jede  Feindesberührung  spröde  ab. 
„Cormorant**  sauste  als  gieriger  Seerabc  dalün. 
„Commonwealth"  schlug  sich  fürs  Gemeinwohl,  das 
britische  wohlverstanden,  als   Panzer  1.  Klasse 

„Gloucester"  traf  der  Rammsporn  des  „Furiocs' 
durch  und  durch,  ein  Wasserberg  grub  sich  in  das 
gerissene  Loch  nach,  so  dass  der  Amerikaner  naca 
Steuerbord  sich  querlegte  imd  die  pustenden  Schno- 
ben   den    Kiel    nach  oben   drehten.  Der  funkfh 

■ 

nagelneue  Prachtkreuzer  „Constitution",  als  Emtz 

der  alten  gleichnamigen  Fregatte,  eines  historisoi 

nationalen  Inventarstücks  pietätvoll  gedacht,  machte 

einen  Sprung,  stand  still,  drehte  sich  xmi  sich  sdbsi 

und  legte  weit  über.    Diese  Katastrophen  traten  oß, 

als  die  Briten  auf  zweitausend  Meter  und  noch  nähff 

[  herangingen   und   das   Donnergepolter  ihrer  küt 

r  berechneten   Salven  den  Yankees   unmittelbar  as 

f  Deck  schleuderten.    Ihre  zahlreichen  kleinen  Krcc- 

zer,  wobei  mehrere  ungepanzerte  sich  heroisch  opf« 
ten,  neckten  und  fesselten  die  Flügel,  wo  Destroyen 
und  Torpedoboote  schwere  Verwirrung  anrichtctcß^ 
In  dieser  Branche  betätigte  die  junge  amerikanisch« 
Marine  eine  rührende  Unerfahrenheit.  Die  grosso 
Torpedos  „Pluton"  und  „Furor",  hochfahrend  so 
getauft  nach  den  bei  San  Jago  untergegangenen  Boo^ 


geschickt,  wie  diese,  liefen  erst  später  an,  statt 
sofort  hinter  den  Kreuzern  sich  versteckt  zu  halten, 
und  wurden  so  abgeschossen.  Als  nun  noch  „Minne- 
sota" und  „Illinois"  durch  das  schlechte  Funktio- 
nieren ihrer  Maschinen  den  Rückzug  behinderten, 
konnten  die  Vankees  von  Glück  sagen,  dass  sowohl 
die  Nacht  als  Unwetter  mit  hohem  Seegang  herauf- 
zogen und  die  Briten  nötigten,  Anker  auszuwerfen 
und  zu  „schwingen",  statt  rastlos  zu  verfolgen.  Den 
Japs  gegenüber  hatte  die  Verachtung  der  gelben 
Ras']e  den  eingebildeten  Mannen  des  Sternenban- 
ners ein  moralisches  Rückgrat  gegeben,  den  Briten 
gegenüber  konnten  sie  das  Empfinden  eines  un- 
gezogenen Sohnes  nicht  loswerden,  der  von  seinem 
Vater  gezüchtigt  wird.  —  — 

...  So  grossen  Enthusiasmus  all  diese  fast 
gleichzeitig  gemeldeten  Siege  in  England  erweckten, 
furchten  doch  Sorgen  die  Stirn  der  Staatsmänner. 
Trotz  Kitcheners  Strenge  gab  es  neue  Anzeichen 
der  aus  Konstantinopel  seit  lange  geschürten  pan- 
islamitischen Bewegung  unter  den  indischen  Musel- 
manen, die  einmal  fünfzehnhundert  Buddhisten  des 
Dorfes  Likianeh  durch  Hinweis  auf  nationale  Be- 
freiung zum  Islam  bekehrton  und  eine  rührende 
Vorliebe  für  die  angeblich  stammverwandten  Japa- 
ner schon  bei  deren  letzter  Himgersnot  bekimde- 
ten.  Die  von  zwei  japanischen  Professoren  Motoda 
und  Harada,  Politikern  in  der  Toga  des  Gelehrten, 
Geistlichen  und  obendrein  Christen,  durch  ihre  Vor- 


träge  über  Japans  vorbildliche  Grösse  in  Kilhmi 
gestreute  Saat  ging  üppig  auf.  Dass  diese  Bidd' 
greise  als  Vertreter  der  „Japan  National  Comd 
of  the  Young  Men  Christian  Association"  in  äi: 
Lande  pilgerten  und  das  Evangelium  wm  jx}^ 
Zukunft  auf  diesem  nicht  mehr  ungewöhnüdia 
Heilspfad  verbreiteten,  gab  solcher  .chrisllicliHi' Fw 
paganda  einen  pikanten  Beigeschmack.  Ob  der  L 
verpooler  Mob  die  Redaktionsstube  des  orifflufisted 
subventionierten  Journals  .Crescent',  das  einen  mo- 
sehen  Halbmond  als  Devise  trug,  und  Croniion 
einer  allen  Ernstes  dort  im  Bau  begriffenen  w 
schee     gleichzeitig    demolierte,    konnte  den  F^' 


Übergewicht  in  Oceanien  bitlere  Früchte  tragen. 

Atif  Fidchi  Islands  betrieben  schon  japanische 
Finnen  den  bedeutenden  Handel  mit  Baumwolle, 
Kopra,  Melasse,  Angorahaar,  Walfischöl,  Perlmutter. 
Deutsche  und  britische  Häuser  hatten  das  Nach- 
sehen, ebenso  die  „New  Guinea  Colonization  Asso- 
ciation" für  Sagopalmen  und  Töpferei. 

Die  Südinsel  von  Neuseeland  mit  Fjorden,  al- 
pinen Schneegipfeln,  dem  Riesengletscher  des  dach- 
förmigen Mount  Cook,  der  Eisnadel  und  Fimtreppe 
des  Mount  Tasman,  mit  dem  Goldfeld  von  Otago 
und  der  vomehmen  Hauptstadt  Dunedin,  die  sich 
eines  Museums,  Hospitals,  botanischen  Gartens, 
einer  Universität  und  Bibliothek  rühmt,  behauptete 
man  noch  teilweise  unter  schweren  Opfern  an  Eigen- 
tum. Doch  wandelten  schon  imter  den  Trauerweiden 
des  Heathcoteflüsschens  und  vor  Kathedrale  und 
Staatsbank  von  Christchurch  japanische  Wacht- 
posten, und  vor  der  bedeutenden  Werft  der  Krater- 
bucht von  Lyttelton  lagen  japanische  Kreuzer.  Natür- 
lich standen  überall  Sägewerke,  Seifensiedereien, 
Eisengiessereien,  Brauereien  der  betriebsamen  Dop- 
pelinsel still,  ebenso  Flachsbau  und  Förderung  der 
Braun-,  Pech-  und  bituminösen  Kohlen.  Nelson  an 
der  Cookstrasse,  die  sonst  völlig  von  Japans  Schiffen 
beherrscht,  hielt  sich  wegen  des  ungünstigen  Haf«i- 
eingangs.  Am  herrlichen  Alpensee  Pukaki  nahm  ein 
Maori-Raubzug  ein  blutiges  Ende.  Dagegen  besass 
Japan  schon  völlig  die  Nordinsel  mit  ihrai  Aschen- 


kegeln,    Vulkanen,     Geisern,    dampfenden  Sprint 
bninnen    und    kochenden    Quellen    des  Waikno, 
Schlämmkessela,   rosigen   Kieselsinterterrassoi  am 
türkisblauen   Becken,   Wasserfällen  des  Taoposte, 
weissen  Bimssteinklippen,  der  wunderbaren  ]imi- 
säule  des  Springspnidels  Piori,  der  Ueblichkst  in 
Mount  Egmont,  eines  erloschenen,  und  der  düüEni 
Erhabenheit  des  Tarawera,  eines  noch  aibetioni« 
Vulkans,   dessen  letzter    grausiger   Ausbruch  iffl 
ganzen   Warmen   See   mit   Sinterufero  und  Waffl 
Dampfwolken  des  Tatarafaspnidels  verschlang.  Z«i 
sehen   schwarzen   Basaltmauem   und  grünen  tla- 
hecken   der   Landsitze   von  Aukland  unienn  pjn 
diesischen  Mount  Eden,  sowie  in  Wellington,  N)f«ti, 
New  Plymouth  gingen  japanische  Zivilbeamte  ^ 
zieren.    Selbst   die   Seelöwen.   Robben,  AlbanwK. 
Papageien,  Sturmtaucher.  Pinguine  der  südlid  S<» 
Seeland  hingelagerten  unbewohnten  Inseln  wuident« 
japanischen  Bootexpeditionen  aufgestört,  an  der  *iit 
dersamen   steilen  Tuffküste  der  .Antipoden'  er''* 
sich  eine  Flottenstation  für  Funkspruch.  Die  Sc 
thern  Fisher  Company  musste  hier  ebenso  auf  ^^ 
fischfang  verzichten,  wie  die  Phönix  Guano  Cio 
pany  auf  Guanoverladuog  der  Sporaden-Phöini'' 
ninginseln  mit  phosphorsaurem  Kalk. 

Sogar  malaiische  Freibeuter  unter  japaiuscW 
Offizieren  unterstanden  sich  jetzt,  lustige  Aosfl^' 
aufs  australische  Festland  zu  unternehmen.  In  *" 
retonbai  wie  im  Strandbaff  des  Murray  bei  G<»l*^ 
ja  selbst  auf  der  Kängunihmsel   von  Adelaide  c 


brennend,  um  straflos  wieder  zu  verschwinden.  Der 
Seeverkehr  in  Australien  litt  auch  schon  unge- 
mein. Die  British  India  Steam  Navigation  konnte 
ihre  „Queensland  Mail"  nicht  mehr  durchbringen. 
Viele  Schiffe  der  Union  Steamship  of  New  Zealand, 
Australasian  United  und  Tasmanian  Navigation  Com- 
pany fielen  in  japanische  Hände,  andere  der  Linie 
Vancouver-Sidney  in  amerikanische.  Nur  die  ameri- 
kanische Oceanic  Steamship  Company  hatte  davon 
den  Vorteil.  In  Levuka  auf  Ovalau  und  Suwa  (Fid- 
schiinseln), dem  Anlegeplatz  der  Pacific  Mail  Steam- 
ship, stauten  sich  Dampfer  verschiedener  Linien, 
die  sich  nicht  auf  hohe  See  wagten,  ebenso  die 
Segelschiffe  des  Hauses  Tandonnet  von  Bordeaux. 
Zwischen  Karolinen  und  Marschallsinseln  stellten  die 
spanischen  Postdampfer  ihre  Fahrt  ein.  Nur  die 
furchtlose  Schiffahrt  der  Polynesier  auf  ihren  Ein- 
bäumen oder  zusammengestellten  Doppelkanoes 
währte  fort.  Beide  Kabel  von  Süd-Java  nach  Pal- 
merston-Port  Darwin  und  nach  Roebukbai  zer- 
schnitten die  Japaner,  ebenso  die  Kabel  Sidney- Wel- 
lington (Neuseeland)  und  Melhoume-Dalrymphle 
(Tasmanien).  Selbst  der  grosse  Überlandtelegraph 
zwischen  Spencer-Golf,  Georgssund  und  Roebukbai 
und  der  andere  von  Palmerston  nach  Eyre-See 
schienen  Störungen  unterworfen,  die  Drähte  zwischen 
den  Goldfeldern  Halls  Creek  im  Kimberleydi strikt 
und  den  Küstenhäfen  funktionierten  nicht  mehr,  von 
Chinesen  oder  Papuas  in  japanischem  Sold  verletzt. 


—     574     — 

Auf  der  schönen  Kunststrasse  von  Hobart  auf 
Tasmanien  mit  den  nebenherlaufenden  Bahnstiängöi 
gab  es  unerklärliche  Dynamitexplosionen  bö  Laua- 
ceston.     Auf    Neuseeland    erstieg    em  japanisdier 
Posten  den  Arthurspass  und  unterbrach  die  Bahn- 
strecke  Greymouth-Christchurch.  Bei  Nelson  und 
Hellwellyn  rissen  Maoris  bei  Nacht  die  Schienen  auf. 
Selbst  im  australischen  Festland  veranlasste  nervöse 
Besorgnis  vor  kecken  Anschlägen  der  Japs  und  ihrer 
chinesischen  oder  eingeborenen  Spiessgesellen  stän 
dige  Bewachung  empfindlicher  Bahnpunkte,  wie  de 
Brücke  bei  Blackwood  und  über  den  Hawkesbcry. 
Die  Diggers  (Goldgräber)  fragten,  wie  sie  ihre  Nug 
gets    (Klumpen),   die    Squatters    (Pächter)  auf  dea 
Runs,  wie  sie  ihre  Schafwolle  und  gefrorenes  Fleisci 
oder  ihr  Eukalyptusholz  und  Heu  vom  FitffO)^!-': 
loswerden  wollten,  wenn  diese  Unsicherheit  des  Sec^ 
Verkehrs  andauere.    Die  sozialistische  Tendern  de 
Australier  zeigte  bei  den  Bushmen  bedenkliche  >t 
gung,  ins  Kommunistische  überzugehenuntermDroci 
der  beginnenden  Geschäftskrise,  die  selbst  Damp*' 
(Brot  aus  Weizenmehl  und  Wasser)  verteuerte. Grosse 
Dürre  trotz  der  artesischen  Brunnen  und  Benes^ 
lungsfelder  am  Darling  und  Murray,  so  dass  d«: 
Lehmboden  in  roten  wirbeligen  Staub  zerfiel,  w^ 
senhaftes  Auftreten  von  Dingos  xmd  Heuschredui 
quälte   den   Ackerbau.     Die  kleinen  Besitier  *'^ 
freigewähltem  Boden  (Freeselectors)  litten  am  e* 
sten,  und  die  besten  Farmer  des   Landes,  nanu:  - 
die  Deutschen  in  Südaustralien,  hatten  es  sch^^* 


eaormea  Ausgabea  und  Schuldenlasten  der  einzelnen 
Provinzen  (vometmilicb  Queenslands  und  Neusee- 
lands) machten  die  Lage  besonders  drückend.  Hier 
konnte  man  erkennen,  was  selbst  nur  ein  Monat 
Kriegszustand  mit  Kiistenblockade  einem  unfertigen 
Staate  kostet.  In  den  Coolgardie-  und  Murchison- 
goldfeldem  Westaustraliens,  in  den  Kalkstein-,  Koh- 
len-, Jaspis-,  Achat- Grube n ;  auf  den  subtropischen 
Reisfeldern  und  Roma-Weinbergen,  Eisfleischfabri- 
kcn  von  Brisbane,  Gympin-Woolgar-Morgangold- 
schachten,  den  Kupferbergwerken  von  Clermont, 
Percy,  Concurry  und  Kohlengruben  von  Rockbamp- 
ton  und  Darling  Downs,  den  Essen  und  Stampf- 
mühlen  in  Nordaustralien;  in  den  Orangemarmelade- 
fabriken, Goldseife-  und  Quarzriff  Wäschereien  bei 
Batburst,  Silberbergen  von  Broken  Hill,  den  Lagern 
von  gasreicher  Kokskohle  und  Biandschiefer  zu  Pe- 
troleimibereitung  bei  Newcastle  und  Hartley  in  Neu- 
siidwales.  den  Fleiscbkonservefabriken  und  Zucker- 
mühlen  von  Sidney,  den  Fruchtkonservefabriken, 
MaulbeerpflanzuQgen  von  Adelaide,  Kupferschmel- 
zen von  Wallaroo;  den  Goldminen  Castleniain,  Bal- 
larat,  Sandhurst,  Beecbworth  in  Victoria,  in  den  Ree- 
dereien des  prachtvollen  Melbourne,  einer  Wunder- 
leistung eigener  Schaffenskraft  dieser  grossen  ein- 
stigen Verbrecherkolonie  Australien  —  überall  stag- 
nierte die  Arbeit.  Auf  der  Südinsel  Tasmanien  stellte 
die  New  Golden  Gate  Mining  Company  ihren  Be- 
trieb ein.    Das  Netzwerk  von  Bleierzgängen  im  sUu- 


Erschliessung  der  Otavigruben  und  KiöHnang  des 
Bergbaus  sich  wegen  der  sogenannten  Ovambofrage 
und  im  Amboland  demütig  nach  Englands  Billigung, 
nach  Wohlwollen  der  portugiesischen  Behörden  um- 
sahen I  Das  allmächtige  England  und  ohnmächtige 
Portugal  schwanden  gleichmässig  in  Afrika  von  der 
Bildfläche,  und  bei  ihrer  Stellung  in  Südafrika  und 
ihrer  Begünstigung  durch  Menellk  liess  sich  die 
Sacbr  90  an,  als  ob  jetzt  nur  noch  die  Deutschen 
Rechte  in  Afrika  hätten  I 

Übrigens  tet  Portugal  schon  Busse.  Es  bettelte 
untertänigst  um  Aufnahme  in  den  „Europäischen 
Bimd".  Der  Gouverneur  von  Madeira  stattete  dem 
deutschen  Humboldthaus  auf  Spanisch-Teneriffa  Be- 
such ab  und  hielt  eine  feierliche  Staatsrede  über 
die  glühende  Zuneigung  der  Nachkommen  Ema- 
nuels  des  „Grossen",  Albuquerques  des  „Grossen", 
Camoens  des  „Grossen"  —  bei  diesen  Gemegrossen 
beisst  alles  Eigene  „gross"  —  für  das  ideale  Volk 
der  Dichter  und  Denker.  Dieser  Appell  an  den 
Idealismus  verhallte  ungehört.  Solche  Züge  tiefer 
Unterwürfigkeit  vor  dem  Präsidium  des  Europabun- 
des verrieten  aber  ein  böses  Symptom  für  Englands 
schlechtstehende  Aktien:  die  Ratten  verlassen  das 
sinkende  Schiff.  — 

In  Amerika  hatte  man  zwar  den  Antillen  Luft 
geschafft,  Barbados,  Trinidad  und  das  den.  Nieder- 
ländern abgenommene  Surinam  gedeckt,  das  fran- 
zösische Martinique  am  23.  Juli  durch  Marinetrup- 

VClker  Europu  .  .  .  !  37 


—     578     — 

pen  besetzt.  Aber  aus  Canada  häuften  sidi  bis  Ende 
des  Monats  die  trüben  Nachrichten.  Zwar  xeigte 
die  Bevölkerung,  auch  die  haibfranzösische  der  alten 
Kolonistenfamilien  und  die  indianische,  keineswegs 
Bereitwilligkeit,  sich  von  den  Segnungen  axneiikanF 
scher  Freiheit  beglücken  zu  lassen,  da  sie  zur  G^ 
nüge  wusste,  was  darunter  zu  verstehen  sei  ic^ 
dass  man  in  der  britischen  Monarchie  weit  mehr 
persönliche  Freiheit  und  sicher  mehr  anstandigt  ini 
bestechliche  Beamtenordnung  genoss.  Aber  vids 
schwebte  wenigstens  Autonomie  der  grossen  K> 
lonie  von  britischer  Bevormundung  vor,  man  woDt? 
sich  aus  London  nicht  mehr  am  Gängelband  füfars 
lassen.  Die  canadischen  MUizen  führten  den  Kaicr 
bisher  ziemlich  lau,  die  amerikanbchen  über 
schwenunten  weithin  das  Land,  und  es  liess  sich  ttn 
hersehen,  dass  die  britischen  Regulären,  ob  vcc 
so  verstärkt,  auf  die  Dauer  bis  an  den  Lawrence 
Strom  zurückgedrängt  werden  würden,  wenn  d>* 
Union  Ernst  machte  und  ihre  riesigen  MensdieC' 
mittel  in   Fluss   brachte. 

Mit  Zentralamerika  sprang  sie  schon  gam  oa^ 
Beheben  um.  Costarica  erhielt  Ausfuhrverbot  t: 
seine  Patronen-  und  Eisenbahnfabriken,  Brettschc^ 
dereien  und  Gerbereien,  die  sich  sämtlich  der  Un^^ 
zur  Verfügimg  stellen  mussten,  natürlich  zu  Zwange 
preisen.  Kaffee-  und  Bananenhandel  sowie  Perier. 
fischerei  blieben  innerhalb  Amerikas  gestattet,  uc-^ 
Aufsicht  eines  treuherzigen  Yankeekonsortiums.  X^ 
caragua,  das  noch  mehr  als  Costarica  unter  As^ 


—     579     — 

hören  des  Ausfuhrhandels  mit  Deutschland  gelitten 
hatte,  durfte  auf  Ausfuhr  von  Schwefel  und  Eisen- 
vitriol der  Chontales-Minen,  von  Gelbholz  und  Häu- 
ten verzichten.  Honduras  lernte,  dass  Zedern  und 
Mahagoni  wegen  Schiffsbaus  Konterbande  seien. 
Dagegen  zeigte  Uncle  Sam  sich  geneigt,  eine  neue 
Hondurasbank  gesegneten  Pariser  Schwindelange- 
denkens zu  stiften.  Honduras-Krach,  dieser  Name 
sagt  genug  wohl  schon.  Salvador  wurde  wegen  In- 
digo belästigt,  Guatemala  wegen  Silberdollars  und 
Bleis  von  Mataquescintla.  Kaffee,  Cochenille,  Pfeffer, 
Zimt,  Rami6  (Gespinstpflanze),  Sassaparille  wurden 
freigegeben,  da  man  die  Finanzen  dieser  gutfun- 
dierten Staaten  für  spätere  Annexion  schonen  wollte. 
Auf  beiden  Seiten  des  Isthmus  blockiert,  hing  wirt- 
schaftliches wie  politisches  Fortbestehen  natürlich 
ganz  von  Laune  der  Union  ab.  — 

Als  Preis  des  Sieges  über  das  Pacificgeschwa- 
der  hatten  die  Briten  sich  Portoricos  rasch  bemäch- 
tigen wollen.  Doch  der  schwer  zugängliche  stark- 
befestigte Hafen  der  Hauptstadt  San  Juan,  auf  einem 
Inselchen  gegenüber  dem  Inselfestlande,  gab  sich 
nicht  so  leicht.  Über  Salzlagimen  der  sechs  kleinen 
holländischen  Inseln,  wo  Phosphatlager  und  Coche- 
nillezucht den  allgemeinen  Niedergang  nicht  auf- 
halten und  Anschluss  an  eine  Grossmacht  als  ein- 
ziges Mittel  zur  wirklichen  Ausbeutung  von  Kolonial- 
besitz ebenso  deutlich  wird  wie  in  Surinam  nüt 
seinen  halbverhungerten  Maniokfressem,  wehte  zwar 
der   Union   Jack.    Auch  über  roten   Dächern  und 

37* 


—     580     — 

Kokospalmen  des  steilfelsigen  danischen  St.  Thomas, 
wo  gleichfalls  die  Zuckerrohrplantagen  dahin^edieQ. 
Dies  neutrale  Gebiet  eignete  man  sich  efligst  an 
unter  dem  Vorwand,  dass  diese  drei  Jungfcmmsdr 
heimlich  von  Dänemark  schon  an  die  Unioa  fcr 
kauft  seien.    Kakao,  Angostura-Likör  und  Asfiat 
von  Tobago,  wichtige  Kohlenstation  Port  Castries 
auf  den  Windward  Islands,  Riun  von  Barbados,  b 
digo  und  Arrowroot  der  Leewaxd  Islands,  dieDocfe 
von  Antigua,   Docks,   Telegraphenkabel  imd  hc^ 
dertfünfzehn  Zuckerfabriken  von  Demaraia,  die  Vi^ 
Zucht  auf  den  Virgin-Inselchen  xmd  Barbuda,  ^ 
Kronlehen  der  Seemannsfamilie  Codrington,  das  & 
folgedessen  die  britische  Marine  mit  besonderer  Zart 
lichkeit  betrachtet,  blieben  noch  gedeckt  und  ^ 
versehrt.    Doch  die  nordwestlich  der  Antülen  «kc 
Festland  vorgelagerten  Bahamainseln,  die  als  Hei:: 
aller  Blockadebrecher  während  des  Sezesacoskriep 
eine     so     historische    Rolle    spielten,     fidei   ^ 
Schwammfischerei,    Schildkrötenfang,    Handd  c- 
Perlmutter,   Schildpatt,   Guano,   Farbholz,   Anaiai 
Bananen,    Limonen,    Melonen   als    wertvolle  Brc^ 
schon  den  Yankees  zu.    Eine  Transportftotte  ^ 
Tampa  her  trug  das   Sternenbanner  nach  Nasst 
Harbour,  das  schon  ohnehin  seit  lange  als  IdisQ^ 
scher   Kurort   dem   Dollar   gehörte.    Die  DamFv:' 
der  spanischen  Compafäa  transatlantica,  Herreraliii:' 
wurden  natürlich  ebenso  ungeniert  weggcnonöa* 
wie  die  von  Liverpool  fahrenden  der  Firma  VCi'X- 
Forman  &  Co.,  der  Harrison-  oder  Westindia-  s^ 


—     581     — 

Pacific-Line  oder  Royal  Mail-Steamer.  Ausser  zahl- 
reichen von  Staats  wegen  ausgerüsteten  Kapern  mach- 
ten noch  eine  Menge  schamloser  Freibeuter  den  Stil- 
len und  Atlantischen  Ozean  unsicher,  die  ihr  Privat- 
konto im  Auftrag  eines  prominenten  Trusts  der 
grössten  Reedereien  mit  patriotischem  Sternenban- 
ner zudeckten  imd  diesen  Mantel  christlicher  Liebe 
über  jeden  Raub  breiteten,  den  sie  ohne  amtlichen 
Kaperbrief  aufbrachten.  Die  Regierung  drückte  gern 
ein  Auge  zu,  da  es  doch  ihr  eigener  Stolz  und  Ge- 
winn, wenn  American  Citizens  gute  Geschäfte  machen. 
Den  südamerikanischen  Staaten  ward  ohne 
weiteres  insinuiert,  dass  die  Monroe-Doktrin  bis  Kap 
Hörn  gelte,  dass  die  Union  sich  also  in  Kriegszu- 
stand mit  allen  Europäern  befinde,  die  noch  in 
Südamerika  Besitzungen  hätten.  £s  sei  den  Süd- 
amerikanern  anheimgestellt,  ob  sie  sofort  zu  Schutz 
und  Trutz  sich  unters  Protektorat  der  Union  stellen 
wollten,  jedenfalls  werde  neutrales  Wasser  nicht  an- 
erkannt. Ein  Recht  auf  Schiffahrt  besitze  über- 
haupt nur  noch  die  amerikanische  Linie  Newyork- 
Rio-Montevideo.  Die  britische  Liverpool-Callaolinie 
der  Pacific  Steam  Navigation  Company  sei  vogelfrei, 
einerlei  wo  ihre  Güter  betroffen  würden.  Die  fran- 
zosische Compagnie  G6n^rale  Transatiantique  unter- 
falle gleichen  Bestimmungen  auf  ihrer  Linie  St.  Na- 
zaire-La  Guaira,  ebenso  Havre-Valparaiso  und  die 
unter  spanischer  Flagge  segelnde  Gesellschaft  Campo 
von  Bordeaux.  Was  die  Hamburg-Amerikanische 
Paketfahrt-Aktiengesellschaft  nach   Venezuela   oder 


—     582     — 

Warendampfer  der  Gesellschaft  „Kosmos"  betreffe, 
sowie  belgische  und  italienische  Dampfer  nadi  Rio. 
behalte  man  sich  weiteres  vor,  bis  die  Stellimg  zn 
Deutschland  als  etwaigem  Verbündeten  geklärt.  Die 
amerikanische  Pacific  Mail  Steamship  Company, 
bisher  nur  von  San  Francisco  bis  Panama  laufend 
werde  von  jetzt  ab  allein  den  Verkehr  an  der  Wes 
küste  von  Südamerika  übernehmen,  wofür  die  dük^ 
nische  Regierung  natürlich  die  bisher  der  britische 
Navigation  Company  gewährte  Subvention  dorthE 
zu  übertragen  habe.  Die  chilenische  Conqjania  Sc 
americana  de  vapores  nach  Panama  habe  ihre 
Schiffe  für  Truppentransport  zu  stellen.  Die  fbcb^ 
gehenden,  nur  mit  Holz  geheizten  und  ein  einägcs 
Schaufelrad  am  Hinterteil  führenden  britisda 
Dampfer  auf  dem  Magdalena  imd  Orinoko  sdct 
als  herrenloses  Gut  zu  betrachten,  die  Fahrt  acf 
dem  Amazonenstrom  sei  nur  im  Innern  gestacd 
die  brasilianische  Amazon  Navigation  Company  vac 
die  peruanische  hatten  während  Kriegszeit  jedes 
Passieren  der  Mündimg  einzustellen,  da  Ausfol^ 
verbot  gegen  Europa  von  der  Union  erlassen  se 
Dasselbe  gelte  für  paraguayische  Beschiffung  des 
La  Plata.  Da  Französisch-Guyana  sich  in  Spent 
befinde  und  demnächst  von  der  Union  anneköer^ 
werde,  dürfe  kein  dort  den  Verkehr  unterhaltcades 
Curare  (indiaiusches  Rindenkanoe)  die  Grenze  pa^ 
sieren.  Den  Indianern  von  Peru  und  Bolivia  sß 
gnädigst  gestattet,  auf  ihren  Balsas  (spitzzipfeiig^ 
Schläuchen  von  Seehundsfellen,  mit  Ocker  r5üiö 


—     683     — 

angestrichen)  Spionagebotschaften  nach  neuen  Hafen 
Chiviqui  (United  Fruit  Company)  zu  bringen. 

Diesen  dreisten  Anordnungen  in  gebieterischem 
Tone,  die  über  den  ganzen  Erdteil  als  selbstverständ- 
lich den  Belagerungs-  imd  über  Europa  den  Zufuhr- 
Blockadezustand  verhängten,  fügten  sich  die  braven 
südamerikanischen  Raubstaaten  anfangs  ohne  Mur- 
ren,  teils  aus   eigener   liebenswürdiger   Animosität 
gegen  die  ordnungsliebenden   Europäer,   teils   aus 
Angst  vor  der  Union,  die  nach  Bau  des  Panama- 
kanals sie  ohnehin  in  drohender  Abhängigkeit  hielt. 
Brasilien  erklärte,  seine   Fazendas-Besitzer  mit 
Aussicht  auf  Steigen  der  Kaffeepreise  vertröstend, 
Kaffee,  Früchte,  Gummi,  Vanille  für  Kriegskonter- 
bande und  schloss  den  Hafen  von  Rio,  stellte  seine 
kleine  Marine  der  Union  zur  Verfügung.    Uruguay 
tat  desgleichen  für  Vieh,  Paraguay  für  Mat^-Tee, 
Argentinien    für    Fleischkonserven,  Weizen,    Mais, 
Chile  für  alle  Cerealien  und  Gemüse,  vor  allem  für 
Kohlen  und   Salpeter.   Schwimmdocks  und  Hafen- 
dämme   von    Valparaiso    hatten    zurzeit    für    die 
XJnionsmarine    als    etwaiger    Reparaturort    keinen 
"Wert,  da  im  Juli  dort  Nordwinde  unerträglich  wü- 
ten.   Ecuador  durfte  Kakao  und  vegetabilisches  El- 
fenbein, dagegen  nicht  Häute  imd  Medizinalpflan- 
zen ausführen,  nicht  einmal  seinen  erstklassigen  Ka- 
kao. BoliviasPotosiminen  mussten  ihr  Silber,  die  von 
Coroooro  und  Characilla  ihr  Kupfer,  Zinn  und  Blei, 
für  Kriegszwecke  brauchbar,  als  Ausfuhrartikel  ver- 
bieten,  selbst   Chinarinde   sollte   Europa   so   lange 


—     584     — 

entbehren.  Die  Bewohner  des  Titikakasees  mtss- 
ten  froh  sein,  dass  nicht  auch  noch  AlpakawoQe. 
Tabak,  Pfeffer  als  Kriegskonterbande  galten.  Fem 
unterlag  den  gleichen  Verboten,  besonders  für  Stein- 
kohlen von  Ancachs  und  Quecksilber  von  Huan 
cavelica.  Die  vergeudeten  Guanolager  kamen  niclR 
mehr  in  Betracht.  Das  wehrlose  verwahrk)Stc  La^i 
geriet  durch  die  Nötigung  „zu  rüsten"  bald  in  solde 
Geldnot,  dass  man  wieder  mal  Goldplatten  der  LiiD3^ 
Kathedrale,  wie  früher  die  Silbersaulen  des  Ho6 
altars,  einschmelzen  musste. 

Columbia,  wegen  Panama  und  Colon  sdKSi 
gänzlich  in  unionistischen  Händen,  empfing  ät 
Weisung,  jetzt  bei  Kriegszustand  sich  völlig  unter 
Yankeeverwaltung  zu  stellen.  Schlechter  konnte  es 
ja  dort  nicht  werden,  wo  Waldfrevel  den  Chinarind^ 
Handel  abschnitt  und  infolge  schlechten  Verieb 
es  sich  nicht  mal  lohnt,  Kartoffeln  auf  den  Maib 
zu  bringen.  Der  Goldgruben  von  Antioquia,  Toto 
Choco.  und  Smaragdgruben  von  Muzo  nahm  ea 
„Ring"  sich  gleich  liebevoll  an.  Eisen,  Kohlea. 
Agavefasem  (für  Seile,  Stricke,  Hängematten),  Baö 
(für  Armeehüte)  wurden  zur  Kriegskonterbandc  er 
nannt.  Vom  Donünikanerkloster  in  Panama  r^eite 
ein  ausserordentlicher  Konmiissar  das  Land  iß 
fröhlichsten  Flibustierstil  von  anno  dazumal,  wo  ecs* 
lische  Seeräuber  dort  auf  spanischem  Boden  vnt* 
schafteten  oder  später  der  famose  Räuberhauptnunfi 
Walker  in  Nicaragua  den  byronischen  Koisarea 
spielte.    In  Cartagena  de  las  Indias,  einst  eine  de: 


—     585     — 

grössten  Festungen  der  Welt  und  Sammelpunkt  der 
spanischen  Silberflotten,  baggerte  man  den  ver- 
sandeten Hafenkanal  gehörig  aus.  Hier  und  in 
Puerto  Columbia  und  dem  Flussdampf  er- Abladeplatz 
Baranquilla  schlug  die  „Naval  Administration  for 
National  Defence"  ihr  Hauptquartier  für  West-  und 
Südküste  auf.  In  kapellengeschmückter  Hochland- 
hauptstadt Bogota  mit  ihren  luftgetrockneten  Ziegel- 
bauten fristete  der  sogenannte  Präsident  noch  ein 
Schattendasein  nüt  hoher  obrigkeitlicher  Erlaubnis. 
Dagegen  standen  Tabakpflanzung  Ambulema  und 
Steinkohlenlager  Zipaquira  schon  unter  unionistischer 
Staatsaufsicht. 

Mit  Venezuela  verfuhr  man  glimpflicher,  teils 
aus  Scheu  vor  dem  rauhbeinigen  Spitzbuben  im  Prä- 
sidentensessel, der  sich  durch  erfreulichen  Trotz  ge- 
gen Englands  und  Deutschlands  Gläubigerdrohun- 
gen den  Beifall  jedes  gesunden  Transatlantiergemüts 
erwarb,  teils,  weil  man  wegen  unklarer  Beziehung 
zu  Deutschland  die  dort  tonangebende  deutsche 
Kaufmannschaft  schonen  wollte.  Der  Kaffeehandel 
blieb  unbeschränkt,  ebenso  das  Goldwaschen  in  Do- 
rado  und  Yuruari,  nur  das  Bleierz  von  Carupano 
und  Kohlen  von  Naricual  erhielten  Ausfuhrverbot. 
Da  grosse  Vorräte  vonTonkabohnen,Dividivischoten, 
braunem  Zucker,  Kopaivabalsam,  Fischleim,  Kokosöl, 
Ziegenfellen  für  das  Riesendepot  in  Panama  ange- 
kauft wvu-den,  ergaben  sich  die  Einwohner  und  an- 
fangs auch  die  in  Maracaibo  und  Carabobo  lebenden 
Deutschen  in  ihr  Los,  dass  La  Guaira  mit  seiner 


—     586     — 

schlechten  offenen  Reede  und  die  fortgesdiotzte 
Halbinsel  Puerto  Cabello  mit  ihrem  zageschutteta 
Meeresarm  ohne  weiteres  von  Unionsmarine  b^ 
setzt  wurden.  Die  Zigarrenfabriken  in  Yaritaguaund 
Barinas  erhielten  unversehens  lauter  willfährige  Ak- 
tionäre unter  einem  Aufsichtsrat  von  bravoi  Man 
nem  aus  dem  Norden. 

Bolivars  Bildsäule  auf  Plaza  von  Caracas  und 
Konkordienplatz  von  Maracaibo  sah  so  trübselig 
drein,  als  halte  der  „B^fi'^er*'  das  dort  heimisck 
gelbe  Fieber  für  minder  ungesund,  als  diese  lixDtff- 
wäldlerische  „Sanierung"  republikanischer  Unab- 
hängigkeit. 

Als  schönen  Zug  gesunder  nationaler  Eigesan 
muss  man  es  gelten  lassen,  dass  eine  sinnig  hunasc 
Aktienkompagnie  von  Yankees  den  Cocui-BnuuitweiD 
aus  Agavensaft  für  zu  unsittlich  und  gesu]idhd& 
schädlich  hielt,  deshalb  angeblich  geschmuggeltem 
„echten"  Jamaika-Rum  (amerikanisches  Gewächs)  n 
Zwangspreisen  eines  Staatspatentmonopols  in  ^^ 
nezuela  einführte.  Ein  physikalischer  Versuch,  iß 
ein  erstaunliches  nekromantisches  Ergebnis  lödste: 
nämlich  die  leeren  Privattaschen  der  Staatsräte  ia 
Caracas  mit  lauter  blanken  Silberdollars  füllte  vsi 
ausserdem  das  heimische  Bankkonto  der  umonisQ- 
schen  Intendanz-  und  Zollbeamten  geheimnisvoD  ff- 
höhtelMan  muss  im  Leben  oft  ein  Auge  zudrücken,  b6 
sonders  wenn  man  mit  Silberdollars  dem  andof» 
Auge  den  Star  besticht  I 

Mit  Französisch-Guayana,  dieser  Musterkoloni^ 


—     587     — 

aller  Erbärmlichkeit,  nahmen  sich  inzwischen  die 
Briten  urgesunde  Freiheiten  heraus,  indem  sie  mit 
einer  Miliz  einrückten,  nach  kurzer  Gegenwehr  der 
Handvoll  Franzosen  die  Sträflinge  in  Cayenne  be- 
freiten und  das  internationale  Gesindel  von  India- 
nem,  indischen  Kulis,  Anamiten,  Buschnegem,  Ara- 
bem,  Mulatten,  Chinesen  als  Ersatzheizer  und  son- 
stige Diensttuende  für  die  Flotte  pressten  oder  zur 
Küstenschutzarbeit  nach  Demarara  verpflanzten. 

So  ging  es  also  in  Südamerika  lustig  her,  und 
die  Union  hielt  es  gar  nicht  mehr  nötig,  mit  Einzel- 
staaten zu  verhandeln,  sondern  erliess  eine  Washing- 
toner   öffentliche    Botschaft  an   ganz   Südamerika, 
wonach  Ausfuhr   von   Pferden,   Kohlen  imd   jeder 
Art  von  Nutzhölzern,  Blau-  und  Braunhartsholz  in- 
begriffen, für  die  ganze  Kriegsdauer  verboten.    Um 
jedoch   mit   gleicher   ungeschminkter    Unparteilich- 
keit auch  die  Europäer  Mores  zu  lehren,  erklärte 
eine   väterliche   Präsidentbotschaft   das    ganze    be- 
wegliche Privateigentum  der  englischen  Besitzer  ame- 
rikanischer Eisenbahnprioritäten  bis  auf  weiteres  für 
sequestriert,  jede  Zinszahlung  ohnehin  für  inhibiert: 
ein   dem  britischen   Nationalvermögen   zugedachter 
Streich,  dessen  gar  nicht  zu  beziffernder   Schaden 
das  britische  Kapital  halb  ruinieren  musste,  wenn 
je  ernstlich  durchgeführt. 

Die  meist  in  südamerikanische  Häfen  geflüch- 
teten deutschen  Handebschiffe  hatte  man  teilweise 
üoch  verständigen  können  vermittels  des  wieder 
'unktionierenden  von  Portugal  eiligst  zur  Verfügung 


—     588     — 

gestellten  Kabels  von  Vigo:  „Wegen  veränderter 
politischer  Lage  möglichst  auslaufen.  Route  nach 
Lissabon-Bordeaux  frei."  Einem  Teil  gelang  es,  von 
südamerikanbcher  Ostküste  zu  entkommen,  die  an- 
dern sahen  sich  im  Hafen  zurückgehalten  oder  inir- 
den  später  von  unionistischen  Kapern  höflich,  aber 
entschieden,  in  „neutrale"  amerikanische  Gewässer 
zurückgescheucht.  Ahnlich  erging  es  denen,  die  n 
späterer  Periode  aus  nordamerikanischen  Häfen  sid 
wegzustehlen  suchten,  nur  wenige  entwischten.  Dass 
die  britischen  fast  sämtlich  gekapert  wurden,  ver- 
stand sich  von  selbst  .  .  .  Inzwischen  r^nete  es 
Granaten  zwischen  die  Melonenbäume,  WacboWff, 
Königspalmen,  Zedern,  Oleanderbüsche,  Zwiebel- na^ 
Tomatenfelder  der  Bermudischen  KoralleninseliL 
Doch  die  von  ihrer  ständigen  Tausendmann-StäA^ 
längst  aufs  Dreifache  erhöhte  Garnison  der  Fesnmg^ 
docks  von  Hamilton  hielt  tapfer  den  Platz,  troa 
meuterischen  Aufruhrs  der  Mulatten,  Neger  be- 
Deportierten.  Zur  Deckimg  dieser  wichtigsten  Koh^ 
len-  und  Flottenstation  musste  voraussichtlich  Lori 
Beresford  eine  Schlacht  wagen. 

In  dem  Bestreben,  ein  für  allemal  mit  alles 
schwebenden  Fragen  ins  reine  zu  kommen,  solang? 
sich  Europa  nicht  dazwischenmengen  könne  wie  fso^ 
beim  mexikanischen  Abenteuer  Louis  Napoleon 
hatte  die  Union  schon  vorher  das  wirtschaftlii 
abhängige  Mexiko  eingeschüchtert.  Ein  schwad^ 
gefügter  Föderativstaat  von  elf  Millionen  Einwc^ 
nem,  von   denen  kaum  zwanzig  Prozent  wirkücbf 


—     589     — 

Weisse   und   Kreolen,   alles   andere   Mestizen    und 
Indianer,  konnte  in  seines  Nichts  durchbohrendem 
Gefühle  zu  allem  nur  Ja  und  Amen  sagen.    Die 
fünf  Kanonenboote  imd  den  Hafen  von  Vera  Cruz 
lieh  sich  die  Union  freundlichst  für  die  Kriegszeit 
aus  und  verlangte  Angliederung  der  mexikanischen 
Armee  von  161 000  Mann  Kriegsstärke  zmn  Küsten- 
schutz des  Golfs  und  des  Pacific.   Das  kleine  Bahn- 
netz von  Yucatan  ward  für  strategische  Transport- 
zwecke  mit  Beschlag  belegt.  Zur  Regelung  der  Aus- 
fuhr ward   Mexiko   zum   Eintritt  in   die  Zollunion 
gezwungen.     Silbererzgang    £1    Doctor    und    Veta 
Madre,  Opalfundstätten  San  Juan  imd  Eisengiesserei 
Zimapan,  Baumwollwebereien  von  San  Miguel,  Berg- 
bau für   Kohlen  und   Erze  in    Sonora,   Baumwoll- 
tücher von  Tenancingo  imd  sogar  die  Hanfkultur  soll- 
ten während  des  Kampfes  gegen  Europa  ausschliess- 
lich für  Bedürfnisse  der  Union  arbeiten.  Um  diesen 
Forderungen   Nachdruck  zu  verleihen,  berief   man 
schon  frühzeitig  die  Milizen  von  Kalifornien,  Texas, 
Arizona,  Alabama,  Mississippi  zu  den  Fahnen  und  es 
fiel  Mexiko  nicht  ein,  ohne  jede  Möglichkeit  einer 
auswärtigen  Anlehnung  den  Gehorsam  zu  verweigern. 
Im  Lande  der  Tornados,  Blizzards,  Hurricanes, 
der  wahnsinnigen  Temperaturstürze,  geht  alles  mit 
abnormer  Überhastung  und  Schnelle.  Aus  den  2170 
Offizieren,    25  220    Mann    des    regulären    Bimdes- 
heers  waren  über  Nacht  150  000  Angeworbene  ge- 
worden. Die  36  Schiffe  mit  10000  Mann  Besatzung 
der  früheren  Flotte  bildeten  nur  noch  die  Reserve 


—     690     — 

der  neuen  modernen  Schlachtflotte  von  55  Sdiiffea 
(einige  noch  im  Bau)  mit  50  000  Mann  Besatzung. 
Was  die  MUizkörper  betraf,  so  rechnete  man  mit 
ungezählten  Millionen  Menschen  und  hatte  Aus- 
rüstung für  übergenug,  xun  Canada  mit  einer  mhien 
Völkerwanderung  zu  beglücken.  Viehhöfe  md 
Schlächtereien  (Armour  &  Co.)  in  Chicago  besorgtes 
Verpflegung  im  grössten  Stil.  Eisenindustrie  mid 
Maschinenfabrikation  entsprachen  willig  jedem 
höchstgesteigerten  Wunsch  des  Yankee-Impcriate- 
mus.  Die  schwimmenden  Paläste  der  riesigen  Tlassr 
dampfer  auf  dem  Mississippi,  Ohio,  Hudson,  die 
Riesenfähren  bei  New  York,  New  Orleans,  Detroit 
Portland  beförderten  ununterbrochen  Kri^^smatemi 
und  Truppen  zur  Küste,  wo  die  Bahnen  nicht  as- 
reichten.  Die  Connecticutkanäle  in  Nähe  der  Had* 
bey.  und  Tumerfälle,  der  Middlesexkanal  bei  Boston. 
der  £rie-  und  Hudsonchamplainkanal  dienten  des 
Lagern  der  neuenglischen  Milizen  gegen  Ostcanada. 
Die  unvollendeten  Ohio-Kanäle  von  Georgetown  und 
Richmond  erleichterten  inunerhin  Anlage  emes  Zcß- 
tralproviantdepots  bei  Pittsburgh.  Der  Susqucban- 
na-Kanal  Reading-Middletown,  die  Kohlentranspai^* 
kanäle  von  Philadelphia  und  Alleghany-Eriesee  i-ti 
mittelten  Ansanmilung  grosser  Kohlendepots  fcr 
Flotte  imd  Armeebahnen.  Der  Cleveland-Mians 
(Cincinnati)-£vansvillekanal  machte  Tnippcn^'e^' 
Schiebungen  gegen  Canada  zwischen  Ohio  und  den 
Grossen  Seen  leicht,  zu  welchen  der  MichigankaB^l 
auch  Ersatztransporte  sogar  vom  Mississippi  ernw?' 


—     591     — 

lichte.  Endlich  waren  St.  Mary-  und  St.  Clairkanal 
an  den  Seen,  Morriskanal  zwischen  Hudson  und 
Delaware,  Raritan-  und  Merrimackanal  dem  Auf- 
stellen einer  Panzerflottille  günstig,  die  zum  Einbruch 
in  das  canadische  Gebiet  des  Lawrencestroms  und 
jedenfalls  zur  Verteidigung  diente.  Über  die  hölzerne 
Bahnbrücke  der  New  York-Eriebahn  bei  Portago 
rasselten  ununterbrochen  Militärzüge.  Bei  Knoten- 
punkten wie  Buffalo,  Atlanta,  Chattanooga,  Mem- 
phis, Vicksburgh,  Nashville,  Corinth,  Louisville,  De- 
catur  stapelte  man  imgeheure  Vorräte  an.  Nord-Süd- 
Padfic,  Union  and  Central-Pacific,  Atlantic  and  Pa- 
cific Railway  Hessen  endlose  Transportzüge  rollen. 
Die  riesige  Eisenbrücke  der  Denverbahn  dröhnte 
kaum  mehr  von  Wagenlast,  als  die  gigantischen 
Hängebrücken  bei  Pittsburgh,  Clifton,  St.  Louis, 
Quincy,  Kansas  City,  Omaha,  Evansville,  Albany 
vom  Marschtritt  der  Milizregimenter.  Selbst  die 
Brooklyner  E^striverbrücke  musste  zeitweilig  zu 
Kriegstransportzwecken  herhalten,  für  sonstigen  Ver- 
kehr stundenlang  gesperrt. 

Im  Norden  boten  Deutsche  und  Iren  neben 
den  unkriegerischen  Yankees  einen  guten  Fundus 
und  Hauptstock  militärischen  Milizwerts,  bei  beiden 
machte  sich  Nationalhass  gegen  England  scharf 
geltend.  Die  Deutschen  von  Milwaukee  und  Cin- 
cinnati  schworen  laut,  Zerstörung  von  Cuxhaven 
und  Bremerhaven  imd  jede  Unbill  des  „alten 
Vaterlands"  als  amerikanische  Bürger  zu  rächen. 
Die   anglophile  „gelbe"  Presse,  früher  so  mächtig 


—     592     — 

und  mit  britischem  Gelde  subventioniert,  mosste 
den  Mund  halten.  Sie  tat  ihn  erst  auf  b»  sehr 
veränderter  Weltlage,  um  neuerdings  Frieden  Bad 
Bündnis  mit  England  behufs  Weltherrschaft  Tff 
einten  Angelsachsentums  2u  empfehlen.  Doch  c 
spät,  mn  England,  selbst  wenn  die  Union  dac 
willens  gewesen  wäre,  den  plötzlichen  Cbeiti. 
und  die  dann  vielleicht  niu:  aufgeschobene  dauerßd« 
Bedrohung  Canadas  und  Westindiens  vergessen  e 
machen.  Eins  aber  liess  sich  schon  jetzt  über 
sehen:  dass  keine  einzelne  europäische  Mac:* 
imstande  sei,  gegen  Amerika  das  Feld  zu  halr«t 
falls  es  ein  wirtschaftliches  Aushungern  Lvjo^ 
bezweckte,  dass  vor  allem  Canada  sicher  von  Eo; 
land   allein   nicht   behauptet   werden  konnte. 

Die  sechs  Industriestaaten  von  NeuEngl^- 
hatten  ihre  Milizlager  zwischen  Vermont  und  Ccn 
cord.  Hier  im  Nordosten  gegenüber  Montreal  ^' 
hielt  man  sich  vorerst  defensiv.  Im  allgcoen:: 
taten  die  Nordstaaten  schon  genug,  indem  sie  »i^ 
ihren  Siebzigprozent-Beitrag  zum  Gesamtstcucrwc: 
der  Union  von  siebzehn  auf  fünfundzwanzig  Mil&s« 
Dollars  im  Jahresbudget  während  der  Kriegsei*  ^ 
höhten.  Die  am  dichtesten  bevölkerten  drei  nutJe-ö 
atlantischen  Küstenstaaten  New  York,  New  Veisc~ 
Pennsylvanien  besetzten  mit  ihren  Milizen  teils «: 
Zugänge  der  Grossen  Seen  bei  Rochester  und  cö: 
befestigten  Oswego  und  den  Lorenzstromhafen^t 
densburg,  teils  Long  Island,  um  für  die  Hafenfö- 
der  New  York-Bai  bei  der  Hand  zu  sein.  In  denl- 


—     593     — 

versitäten  Harvard,  Yale,  Comell,  dem  Chautauqua- 
Institut  lind  dem  College  von  Syracuse  hielt  man 
Gratisvorlesungen  vor  einem  Monstre-Auditorium 
über  die  Zukunft  des  Imperialismus  und  das  über- 
legene militärische  Genie  der  amerikanischen  Rasse 
von  Washington  bis  Lee  imd  Grant,  auf  der  techni- 
schen Hochschule  von  Hoboken  über  neue  Kriegs- 
technik und  Edisons   Dynamitkanonenproblem  I 

Harrisburgh  (Pensylvania)  wmrde  Hauptquartier 
einer  Mittelarmee,  die  vor  allem  Belästigung  PhUa- 
delphias  durch  etwaige  Landimgen  in  der  Delaware- 
bai hindern  sollte.  Aber  das  schien  unnötig,  da 
die  Flotte  schon  der  britischen  Meister  gehen  würde. 
Wichtiger  und  zeitgemässer  schien  das  Problem,  wie 
man  einen  offensiven  Massentransport  von  Truppen 
nach  Irland  werfen  könne. 

Die  beiden  Nordstaaten  des  Ohiobeckens  (Ohio 
und  Indiana)  und  die  Uferstaaten  der  Grossen  Seen 
(Michigan,  Illinois,  Wisconsin)  hatten  die  Offensiv- 
kraft gegen  Canada  zu  stellen.  Die  Staaten  des 
Nord-Mississippiufers  (Minnesota,  Iowa,  Missouri)  bil- 
deten eine  Reservearmee  zwischen  St.  Louis  und 
Jefferson  City  für  die  Südostküste,  insonderheit  das 
angreifbare  Baltimore. 

Von  den  südlichen  atlantischen  Küstenstaaten 
sandten  Nord-  und  Südcarolina,  Georgien,  Florida 
ihre  Milizen  nach  Tampa  für  Transport  nach  West- 
indien, während  die  von  Delaware,  Maryland,  Vir- 
ginisL  (nebst  dem  Bundesdistrikt  Washington-Colum- 
bia) vorerst  für  Küstenverteidigung  der  Linie  Balti- 

Völker  Europas  ...  1  38 


—     5M     — 

more-Wilmington  in  Betracht  kamen.  Die  streitbare 
Miliz  von  Virginia,  eine  der  besten  m  der  Umon, 
zwischen   Charlottesville  und  den  Appotoinaxfillöi 
ihr  Lager  aufschlagend,  bedauerte  nur,  dass  sie  ihn 
vorzüglichen  Pferde  nicht  zur  Anwendung  bring« 
konnte  wie  zu  Stuarts  Zeiten.    Vom  HauptqaartiG 
Richmond  aus  geschah  alles,  um  die  Chesapeak6 
Bai   in  Verteidigungszustand   zu  setzen,  wobei  dk 
verödete  Marineakademie  von  Annapolis,  deren  K^ 
detten   sämtlich  aktiv  einrückten,  an  einer   «{tt 
Seitenbucht  besonders   ins   Gewicht  fiel.    Das  g^ 
waltige   Baltimore,   an  einer  Verzweigung  der  Bt 
gelegen,  können  freilich  nur  Schiffe  von  sechs  Meten 
Tiefgang  erreichen,  doch  genügte  dies  ja  ßr  brh 
tische  Torpedos,  Destnoyers,  Unterseeboote,  falk^i* 
amerikanische  Flotte  verjagt,  deren  grosse  Sdiife« 
sich  ja  ihrerseits  nicht  in  den  Hafen  hier  znrüdflckcs 
konnten.     Bei    der    Tragweite    britischer  Mmsö^ 
geschütze  würde  Beschiessung  von  drausscn  her  ad 
weite   Distanz  auch   schon  Verderben  bringen,  sc 
dass  Hopkinscollege  und  Peabodyinstitut  wohl  ^ 
ihre  Sicherheit  fürchten  mochten.    Den  Bahnb»^ 
punkt  Hagerstown  sowie  Cumberland  am  OhicvBafe 
morekanal  schützten  starke  Batterien. 

Von  den  Golf  Staaten  gab  Louisiana  seine  Miliic 
zum  Konzentrationslager  von  Tampa  ab,  wähi«^ 
die  von  Alabama  und  Texas,  den  beiden  Haflp 
Baumwolleproduzenten,  anfangs  am  Rio  Grai^ 
gegen  Mexiko,  später  zwischen  Galveston  und  N^ 
Orleans  sich  verteilten.   Die  gewaltigen  KoUeobf*^ 


—     595     — 

von  Alabama,  kaum  hinter  denen  von  Michigan  zu- 
rückstehend, boten  für  alle  Fälle  einen  Stützpunkt 
des  Antillengeschwaders,  zum  Ausfuhrhafen  Mobile 
schaffte  man  mächtige  Vorräte  aus  Tuscaloosa  den 
Black  Warrior  River  entlang.  Texas,  in  Rinder- 
und Schafzucht  ebenso  obenanstehend  wie  im  Baum- 
wollbau, speicherte  herdenweise  Fleischverpflegung 
auf.  Natürlich  gebot  Schutz  des  so  hochbedeutenden 
New  Orleans  besondere  Rücksicht.  Seit  durch  Eads* 
Regulierungswerk  der  mittleren  Mississippimündung 
das  Delta  der  Schilf-  und  Zypressensümpfe  für  die 
grössten  Ozeandampfer  freigelegt,  steht  der  Ein- 
fahrt von  Kriegsschiffen  hier  nichts  im  Wege. 
Die  schleichenden  Wasserläufe  (Bayous)  und  künst- 
lichen Schutzdämme  (Levees)  waren  jedoch  der 
Landverteidigung  günstig,  die  Forts  Philipp  und 
Jackson  beherrschten  den  Fluss,  von  Sümpfen  um- 
geben. Vorerst  ging  man  in  den  Salzwerken  von 
Iberia  und  bei  der  immensen  Zucker-  und  Reis- 
emte  dieses  tropischen  Staates  der  gewohnten  Arbeit 
nach,  als  sei  ein  Anprall  britischer  Geschwader  un- 
denkbar. Jedenfalls  gab  die  Miliz  der  Staaten  Mis- 
sissippi und  Arkansas  eine  Reserve  für  diese  Küsten^ 
strecke  ab,  die  bei  Jackson  imd  Fort  Smith  ihre 
Sammelpunkte  haben   sollte. 

Von  den  Südstaaten  des  Ohiobeckens  konnte  das 
grosse  Kohlenland  West-Virginia  eine  Milizreserve 
für  Baltimore  ausscheiden,  dagegen  beförderte  man 
unablässig  streitbare  Landwehr  von  Tennessee  und 
Kentucky  nach  Norden,  um  mit  der  von  Ohio  imd 

38* 


—     596     — 

Wisconsin  den  Einfall  in  Canada  zu  betroben.  Auf 
der  Tennesseer  Vanderbilt-Universitat  zu  NashTÜk 
bildeten  sämtliche  Studenten  ein  Frawilligenkoips, 
kokett  ausstaffiert.  Im  Pferde-  und  Tabakstaat 
Kentucky  entwickelte  sich  auf  den  Hauptmärktes 
Lexington  und  Louisville  ein  buntes  kriegenscks 
Treiben.  Über  das  merkwürdig^e  Blaugras  da  Kert 
tückischen  Heideprärie  trabten  flotte  Schwadronen 
prachtvoll  beritten,   Rough  Riders. 

Die  inneren  Weststaaten  Kansas,  Montana,  Söd 
Dakota,  Wyoming,  Idaho,  Nevada,  samt  dem  Mor* 
monen-Territorium  Utah  und  Indian  Territory  ar 
Red  River,  brauchten  nicht  zu  mobilisieren.  Ac 
»Salzsee*  und  in  den  Silbergruben  von  Carsoo  giog 
man  ebenso  gleichgültig  der  gewohnten  Besdöf 
tigung  nach,  wie  fashionable  Kiirgäste  in  BadeoUff 
Saratoga  imd  Hot  Springs  im  Osten  und  Sode 
oder  Vergnügungsbummler  im  Montanischen  Yel 
lowstonepark  sich  herumtrieben.  Dagegen  stdhes 
sich  Milizen  von  Nebraska  und  Nord-Dakota  w 
sehen  Lincoln  und  Bismarck  auf,  um  Einmarsch  is 
Canada  mit  Richtung  auf  Winnipeg-See  zu  erzwiQ9& 
Eine  auserlesene  Brigade  von  Bergwerksarbehess 
schob  sich  bei  Coeur  d'Al&ne  aus  Idaho  vor,  er 
Vancouver,  die  heut  so  zukunftsreiche  Hafcostac 
von  British  Columbia,  zu;  bedrohen.  Die  Rocky  Mocr 
tains  von  Colorado  erfüllte  nur  gewohnter  liz^ 
der  Erzhütten  von  Pueblo  und  Leadville,  der  Gract 
sehen  Schmelzwerke  von  Denver.  Nur  die  Zögü&S^ 
der  Bergakademie  von  Golden  hielten  es  für  am« 


—     597     — 

santer,  die  Tour  nach  Canada  mit  den  Arbeitern  bei 
Coeur  d'Al^ne  anzutreten. 

Die  abenteuerlichen  Elemente  von  Kalifornien, 
Arizona,  Neumexiko  fanden  es  gar  nicht  übel,  längs 
der  mexikanischen  Grenze  zu  paradieren  und  statt 
des  geliebten  Revolvers  einmal  Büchsen  in  Reih 
und  Glied  zu  führen.  Als  dies  hinfällig  wurde,  be- 
schäftigte man  sich  in  San  Franzisco  und  Stockton 
wie  zuvor  mit  Liefenmg  von  so  und  so  viel  Busheis 
Weizen  oder  Barren  Quecksilbers  von  New  Idria. 
Am  Fährplatz  Oakland  errichtete  man  eine  Schanze, 
vor  Universität  Berkeley  einen  Batteriestand,  auf 
Sternwarte  Mount  Hamilton  ein  Observatorium  für 
weite  Beobachtung  des  Stillen  Ozeans.  Dagegen 
nahmen  die  Nordweststaaten  Oregon  und  Washing- 
ton tätigen  Anteil  am  Kriege.  Von  Portland-Astoria 
liefen  armierte  Kauffahrer  und  Transportschiffe  gegen 
Vancouver  aus,  ebenso  aus  Olympia  am  Pugetsund 
und  den  breiten  Seehäfen  Seattle  und  Townsend.  Von 
Spokane  FaUs,  dem  Pferdemarkt,  streifte  Reiterei 
über  die  Grenze  ins  Dominion  of  Canada.  Das  wilde 
oder  halbwilde  Verbrechervolk  von  Alaska  verpasste 
natürlich  nicht  die  schöne  Gelegenheit  zu  einem 
patriotischen  „Raid",  zu  deutsch:  zum  Morden  und 
Plündern,  scharmützelte  über  Klondyke  und  zwi- 
schen Meer  und  Eliasberg  herein. 

.  .  .  Die  französischen  Fischereistationen  St. 
Pierre  und  Miquelon  bei  Neufundland,  klägliche 
Reste  des  französischen  Kolonialreiches  von  Mont- 
real bis  Neworleans,  hatte  man  aus  St.  Johns  und 


—     598     — 

Harbour  Grace,  den  Neufundländer  Häfen  für  Stock- 
fisch-, Hering-  und  Seehundsfang,  eiligst  in  Bcsa 
genommen.  Darüber  lachte  die  Union  nicht  wenig: 
sparte  Arbeit  für  später.  In  der  irisch  gciiüsci> 
ten  Bevölkerung  von  Neufundland  gärten  übrigcas 
auch  schon  irisch-antienglische  Neigungen.  In  La- 
brador zu  beiden  Seiten  der  Hudsonbai,  sowie  de: 
weiten  Urwald-Fels-Sumpf-Wasserwüdnisscn  der  cia 
stigen  Hudsonbaigesellschaft  am  MacJcenaef^'' 
gegenüber  Alasca  im  äusserst en  Nordwesten,  « 
Bären,  Biber,  Hermeline,  Bisams,  Otter  die  Pehjäg^ 
versorgen,  versahen  sich  die  Blockhaus-Forts  ^ojt 
Churchill,  Sevem  am  Westrand  der  Bai,  sowie  aa 
Bärensee  und  Mackenzie  die  Forts  Simpson,  Ne- 
man, Good  Hope  Franklin  mit  Proviant  und  Mis> 
tion.  (Weiter  im  Innern  die  Forts  Enterprisc,  ^ 
Reliance  —  südlicher  Chippeway,  Du  Lac.)  D<>- 
kräuselte  sich  noch  kein  Rauch  amerikanische 
Kreuzerkaper  über  dem  düstem  arktischen  Gewisse: 
Dagegen  erschienen  solche  bald  vorKapBret- 
und  in  der  Northumberlandstrasse  und  längs  <i>' 
Fundybai,  den  Küsten  der  Provinzen  NeuschottlaE^ 
und  Neubraunschweig.  Es  kamen  immer  mehr  n» 
füllten  den  St.  Lorenz-Golf  und  beschossen  Cka: 
lottetown,  den  Exporthafen  der  Prince  Edward 
Insel,  deren  haferbauende  schottische  KokKflstö 
durch  Fanale  dem  Festland  ihre  Not  anzeig^^i 
Nur  zwei  armierte  Küstendampfer  ,  Marquis  ofLo^ 
und  jPrincess  Louise'  befanden  sich  im  Golf.  ^ 
jedoch  herzhaft  die  Mündung  des  mächtigen  Loret 


—     599     — 

Stroms  verteidigten.  Seit  18.  Juli  begann  eine  £s- 
kadre  von  Boston  her  ihre  Operation,  suchte  die 
tiefeingeschnittene  Meerenge  zwischen  Neuschott- 
land und  Neubraunschweig  ab,  blockierte  die  Häfen 
St.  John  und  Moncton,  sperrte  den  St.  Johnsriver, 
indes  eine  Milizdivision  von  Massachusetts  vom  Land 
her  sich  diesem  Flusse  näherte  und  die  Holzhändler 
von  Fredericton  in  Angst  setzte.  Doch  vermehrten 
dort  die  blocküberstreuten,  mit  Glacialschutt  imd 
Torfmoor  gefüllten  Bergtäler  ein  lebhaftes  Vorschrei- 
ten,  und  auch  in  Neuschottland  wagte  die  Eskadre 
sich  nicht  an  die  Flotten-  und  Militärstation  Hali- 
fax heran,  deren  auch  im  Winter  eisfreien  Fjord 
man  wohlgeschützt  fand.  Diese  wegen  ihrer  be- 
deutenden Kohlen-  und  Erzförderimg  für  die  briti- 
sche Marine,  wegen  ihrer  Fischereien  für  den  Han- 
del wichtigste,  aber  kleinste  Provinz  konnte  man 
für  gesichert  halten  mit  Ausnahme  der  Kap  Breton- 
Insel,  wo  die  nur  vier  Kilometer  breite  Meerenge 
yGut  of  Canso',  den  St.  Peterskanal  und  die  Inter- 
kolonialbahn  auf  der  schmalen  Chingnacto-Landenge 
Blockadegeschütze  beherrschten. 

Umgekehrt  lag  das  Tief-  und  niedrige  Tafelland 
der  Provinz  Quebec  zu  beiden  Seiten  des  Lorenz- 
stroms dem  Einfall  von  Norden  zur  See  und  von 
Süden  zu  Lande  offen,  der  ihren  Holzhandel,  Vieh- 
stand imd  Industrieverkehr  bedrohte.  Noch  mehr 
galt  dies  für  Provinz  Ontario,  Canadas  Kornkammer. 
In  der  Tat  landeten  fortwährend  unterm  Schutz  von 
Panzerflottillen  Regimenter  von  Wisconsin  und  Ohio 


—     600     — 

auf  der  canadiscben  Nordostseite  des  Oberen  Sees, 
während  andere  von  Michigan  und  Tennessee  über 
den  Michigan-  in  den  Huronensee  einbogen  und  zu- 
gleich die  weit  vorgestreckte  Grenzhallnnsd  Oota- 
rios  mit  der  Hauptstadt  Toronto  vom  Eriescc  a 
umfassen  suchten.  Dies  ungemein  reiche  Land,  io 
Getreidekultur  (Weizen,  Hafer,  Gerste,  Erbsen)  seflÄ 
die  gesegnetsten  Unionsstaaten  übertreffend,  in  Vie^ 
zucht  imd  Forstbestand  obenan  in  Britischameiila, 
mit  Aussichten  zu  fabelhafter  Kupfeiprodukdcm  nflu 
dabei  nicht  arm  an  Petroleum,  Salz  und  Nickel,  m. 
der  regsten  Industrie  verbunden,  liess  sich  böD 
mehr  halten.  Victoria-Rifles  und  Reguläre  taten,  «s 
sie  konnten,  schnell  armierter  Dampfer  „Tunistan" 
nebst  einigen  Kanonenbooten  birschten  die  Se^ 
ufer  ab,  solange  wie  möglich.  Doch  das  Aufgebot 
der  unionistischen  Machtmittel  war  zu  erdrückend. 

Sobald  längs  der  ganzen  Nord-  und  Ostküste  des 
Oberen  Sees  die  Landimg  erzwungen,  wurde  aud 
das  Nordwestufer  des  Huronensees  allmähücb  »■ 
haltbar.  Eine  von  Albany  aufbrechende  neu«iglis<^ 
Milizdivision  bedrohte  Kingston,  während  amexib- 
nische  Reguläre  mit  einer  Panzerflottille  den  Zugani 
aus  dem  Erie-  und  Ontariosee  erzwangen  und  o^ 
heftigem  Gefecht  im  Nordostwinkel  letzteren  kws- 
sten  Sees  landeten.  Die  Torontohalbinsel  m«ss» 
nun,  allseits  lungangen,  geräumt  werden. 

Am  23.  rückten  die  Unionisten  unter  botess 
Singen  und  Pfeifen  des  „Heil,  Columbia**  ^ 
„Yankee  Doodle"  in  die  grösste  canadische  Industtie- 


—     601     — 

Stadt  Toronto  ein.  Auch  Ottawa  schien  nicht  mehr 
sicher,    die    Bundeshauptstadt.     Aus    dem    gotisch 
prächtigen  hochgelegenen   Parlamentsgebäude  und 
den  sonstigen   grossartigen   Regierungsbauten   ver- 
legte   das    Zentralgouvernement    seinen    Sitz    nach 
Montreal,  das  trotz  seiner  Grenzlage  vermöge  seines 
Kanalnetzes,  mit  der  zur  Verteidigung  verschanzten 
unterminierten  Victoriabrücke,   einem  Wunder  der 
Baukunst,  besser  zu  decken  schien.   Auch  Universi- 
tät Ottowa  wanderte  zur  Montrealer  Mac  Gill-Uni' 
versity  aus.    Von  Kingston,  wo  alle  Kadetten  der 
canadischen   Militärakademie  als   Fähnriche   einge- 
reiht wurden,  machte  eine  englische  Kolonne  einen 
derben  Ausfall,  der  die  neuenglischen  Yankeemilizen 
in  wilde  Flucht  jagte.  Hinterm  gekrümmten  Ottawa- 
fluss  und  dessen  Chaudi^rewasserfällen  bezogen  die 
Briten  starke  Stellungen,  gegen  welche  am  27.  ein 
mit    Ungestüm   unternommener   Angriff   von   Ten- 
nessee-Milizen und  Regulären  unter  starkem  Verlust 
scheiterte.    L.  Gen.  Douglas'  London  Scottish  und 
Scots  Guards  fochten  gut. 

So  kam  hier  der  Feldzug  längere  Zeit  zum 
Stehen,  zumal  die  Hitze  dieses  „canadischen  Italien" 
sogar  im  Herbst  während  des  ,Indian  Summer' 
Märsche  in  diesem  durchschnittenen  Waldgelände 
sehr  beschwerlich  macht.  Dagegen  wehte  leider 
schon  überm  Ontariohafen  Hamilton,  Huronhafen 
Goderich  und  Obererseehafen  Port  Arthur,  den  De- 
:roit-  und  St.  Clair-Flussübergängen  Windsor  und 
Samia.    das   Sternenbanner.    Petroleumquellen  von 


—     602     — 

Samia,  Salzquellen  von  Goderich,  Kupfcrmincii  m 
Sudbury  wurden  ohne  weiteres  mit  Beschlag  bdegt. 
Den  Niagara  besass  man  schon  bei  Clifton,  öa 
Welhindkanal  bei  St.  Catharines,  die  canadisd« 
Pacificbahn  durch  ihren  Gabelpunkt  Sudboiy.  Ak 
man  den  Produktenmarkt  London  im  Namca  de 
Vereinigten  Staaten  annektierte,  bejubelte  man  m 
dieses  Namens  Vorbedeutung,  als  liege  aud  schoß 
die  Welthauptstadt  des  Britentums  überwunden  dff 
Union  zu  Füssen! 

Inzwischen  beschoss  die  um  Kap  Breton  hensfr 
gebogene  und  in  den  meerbreiten  Lorenßtrom  ö^ 
gelaufene  Eskadre  das  am  linken  Ufer  hochgelegen 
Quebec,  das  „canadische  Gibraltar"*,  ohne  sät 
liehen  Erfolg.  Dagegen  brachte  weit  im  Westen  der 
Provinz  Ontario  das  Milizkorps  von  Kentod?«^ 
Fort  William  zu  Fall,  seine  trefflich  berittene  ft 
vallerie  streifte  bis  Winnipeg  und  Portage  la  Pi^ 
Allerdings  machen  die  zahlreichen  Stronasdindlö 
im  Gewirr  von  Flüssen  imd  grossen  Seen  ^ 
getreidehaltigen  Buschprärien  der  Westprovini  ^ 
nitoba  die  Märsche  imd  Wasserübergänge  schwien? 
Immerhin  wurde  die  grosse  Bahnlinie,  wdche  u 
nada  quer  von  Ost  nach  West  jetzt  darchschncni«''^ 
bei  Selkirk  erreicht,  vom  Aufgebot  von  Nord-DaJ^*^ 
sogar  bei  Brandon  westlich  von  Winnipeg  und  ^ 
noch  westlicher  bei  Regina,  der  kleinen  Hanpoo» 

• 

der  drei  separaten  Nordwestterritorien,  von  ^  Q*^ 

Zweigbahn  weiter  nördlich  nach  Prince  Albert  i^ 

Grosse  Entfernungen  bis  zum  Wumip^g-  ^ 


—     603     — 

Manitobasee  wollten  erst  zeitlich  durchmessen  sein. 
Aber  die  Müllereistadt  Winnipeg  selber  musste,  von 
Westen  und  Osten  umgangen,  den  Eindringlingen 
überlassen  werden,  hiermit  der  Knotenpimkt  für  die 
dort  einmündende  Nebraska-Zweigbahn,  so  dass  nun- 
mehr  von    Bismarck    her    Proviant    und   sonstiger 
Nachschub   regelmässig  auf  die  canadische   Bahn- 
strecke  überführt   werden   konnten.    Von   letzterer 
besassen  die  Briten  Ende  Juli  nur  noch  die  Ost- 
strecke Callander-Montreal-Halifax.   Denn  auch  die 
äusserste    Weststrecke    Calgary-Vancouver    befand 
sich*  schon  in  amerikanischen  Händen.    Es  war  ein 
unheilbares    Missgeschick    für    Canada,    dass    die 
Bodenbeschaffenheit  und  die  Städtelage  zum  Bahn- 
bau so  nahe  und  parallel  zur  Grenze  gezwungen 
hatten.  Sobald  der  Feind  diese  Bahn  sich  aneignete, 
unterband  er  dem  grossen  Lande  die  Lebensader. 
Ende  Juli  kam  es  noch  zu  hitzigea  Gefechten 
bei  Fort  Alexander  am  Ostufer  des  mächtigen  Win- 
nipegsee,  bei  Fort  Pellye  westlich  vom  Manitoba- 
see, in  welchen  die  schwache  Landmiliz  imd  vier 
reguläre  nationalenglische  Bataillone  sich  wacker  be- 
haupteten.   Doch  ein  Seitendetachement  der  Miliz 
von   Nebraska  hatte  sich  westlich  ausgedehnt,  die 
Bahnlinie  entlangmarschierend,   und  Calgary  über- 
rumpelt, wohin  bereits  Teile  der  Bergmannsbrigade 
von  Coeur  d*Al^ne  und  Teile  der  Oregonmiliz  un- 
terwegs waren.    Diese  imd  die   Seetransporte   von 
Olympia  erreichten  ziemlich  gleichzeitig  am  22.  die 
Gegend  von  Vancouverfluss  zu  Land  und  See.  Diese 


—     604     — 

über  die  Massen  zukunftsreiche  und  blitzschnell  cm- 
porgreblühte  Stadt,  Endpunkt  der  Canadianbafan  i]nd 
Abfahrtspunkt  für  neue  Dampferlinien  nach  Ost- 
asien imd  Australien,  hatte  als  geringen  Schatz  seiner 
schönen  tiefen  Bucht  nur  die  vorgelagerte  Vat 
couverinsel  mit  einigen  Batterien  imd  der  MaiiiM- 
Station  Esquimault,  in  der  jedoch,  nur  drd  kidse 
ungedeckte  Kreuzer  sich  befanden.  Nach  «ncm 
scharfen  Gefecht,  wobei  die  armierten  Handds- 
dampfer von  Oregon  durch  ein  Geschwader  alterer 
ausrangierter  Kriegsschiffe  unterstützt  wurden,  ver- 
lor Britisch-Columbia  die  Insel,  die  Hauptstadt  Vk- 
toria  nahe  der  Südostspitze,  endlich  Vancomrer 
selber.  Die  genommenen  britischen  Kreuzer,  dcrcß 
Bemannung  fast  Mann  für  Mann  fiel,  schleppte  maii 
laubbekränzt  in  Triimiphatorzug  in  den  Unionskriefs- 
hafen  am  Pugetsund. 

Weiterer  Vormarsch  ins  wilde  HochgeUig^aJ^ 
des  Moimt  Hooker  und  der  KüstenkordiUeren  ver- 
bot sich  aber  von  selbst,  die  streitbaren  Hochländer 
konnten  dort  Schritt  für  Schritt  ihre  Pässe  mit  des 
Forts  Edmonton,  George,  nördlicher  Forts  MacLeod, 
St.  John,  verteidigen.  (Dahinter  noch,  von  Süden 
nach  Norden,  die  Forts  Vermillon,  Halkett,  liard, 
Providence.)  Das  durch  Sägeholz,  Kohlen,  Fisdh 
fang  wohlhäbige  und  vielleicht  einst  durch  Silber- 
ausbeute reiche  Columbia  konnte  also  die  Unio- 
nistengier  vorerst  ebensowenig  an  sich  raffen,  aB 
die  sehr  abbauwürdigen  Kretazeenkohlen-Prairiefi 
und   Steppen   in   den   Nordwestterritorien,   wo  dö 


—     605     — 

sogenannte  Felsgebirgs  -  Park  (mit  den  heissen 
Quellen  von  Banff)  einen  Mittelpunkt  der  zweiten 
Verteidigungslinie  abgab,  nachdem  Calgary,  wo  die 
Canadian  Pacific  Railway  ins  Hochland  aufsteigt,  von 
Norden  und  Westen  gleichzeitig  genommen  imd  die 
weit  südlich  davon  liegende  Grenzgamison  von  Fort 
Hamilton  abgeschnitten.  Da  die  bei  Calgary  ver- 
einten Milizen  von  Oregon  und  Nebraska  nunmehr, 
das  Bergland  links  lassend,  durchs  ebene  Tal  auf 
Prince  Albert  marschierten,  mussten  die  Briten  das 
vordere  Seerevier  ganz  räumen  und  in  die  Linie  Fort 
Pitt-Fort  la  Come,  La  Roche,  La  Rouge  zurückfallen. 
So  stand  es  Ende  Juli  in  Canada.  — 

.  .  .  Das  Pacificgeschwader  schlug  sich  ja  bei 
St.  Dominique  nicht  sonderlich  gut,  obschon  die 
Berufsoffiziere  und  die  Freiwilligen  aus  vornehmen 
Familien  natürlich  grosse  persönliche  Bravour  ent- 
falteten. Doch  das  Atlantische  Geschwader  des  Ad- 
mirals  Sampson,  in  jeder  Beziehung  die  Hauptmacht, 
lag  noch  unbezwungen. 

Und  mm  brachen  Schlag  auf  Schlag  über  Eng- 
land noch  schwerere  Besorgnisse  herein.  Die  dro- 
hende Zusanmienziehung  deutscher  Truppen  an  der 
holländischen  imd  ostfriesischen  Küste  verhinderte 
ausreichende  Heeresentsendung  nach  Canada.  Den 
Resten  der  deutschen  Flotte  half  man  durch  frische 
Torpedoflottillen  nach,  die  seit  Beginn  des  Krieges 
rastlos  auf  kaiserlichen  Werften  verfertigt  wurden 
und  deren  eine  mit  erstaunlicher  Kühnheit  die  jetzt 


—     606     — 

freie  Nordsee  durchflog,  bei  Nacht  in  den  Firth  &f 
Forth  einfuhr  und  die  grosse  Flottenbaas  Ros>ih 
zu  sprengen  suchte.  Dies  misslang  zwar  sogar  jetzt 
obschon  ein  britischer  Tendenzschreiber,  um  Ro- 
berts' Armeereform  durchzudrücken,  seine  Zukuofts 
Phantasie  über  „Deutsche  Invasion'*  mit  deutsches 
glücklichem  Torpedoangriff  auf  Rosyth  begann;  eine 
Unsinnigkeit,  die  ungefähr  auf  grleicher  Stufe  m 
den  Ausführungen  in  deutschen  Weltkri^^noases 
stand,  die  Indien  von  den  Russen  erobern  und 
die  britische  Flotte  von  der  deutsch-französisd» 
allein  ruinieren  Hessen.  Doch  selbst  der  misslungeoe 
Versuch  verbreitete  Schrecken,  man  hörte  allcrf^ 
Fabeln  über  neue  Transportvorrichtungen  der  Dcd 
sehen  und  befand  sich  in  ähnlicher  Stimmung  ^ 
einst  bei  Napoleons  Camp  de  Boulogne.  l8<^ 
mitten  in  diese  imklaren  Befürchtungen  platzte  v.t 
eine  Bombe  lakonisches  Teleg^ramm  aus  Dublin 
hinein:  „28.  Juli.  8,35  a.  m.  Französische  Trai& 
porte  bei  Cork  und  Limerick  gestern  nacht  gelande 
Aufstand  in   Ulster."   —  — 

Das  submarine  Brester  Kabel  nach  Amerib 
hatten  britische  Schiffe  allerdings  zerstört,  docü 
nicht  so  früh,  dass  nicht  noch  zuvor  eilige  Depescfaa 
des  Fenier-Zentralkomitees  aus  New  York  an  irische 
Gesinnungsgenossen  ins  französbche  Asyl  durchge 
schlüpft  wären,  gefährliche  Verschwörer  und  Ver 
bannte  wie  jener  im  Burenkrieg  bekanntgewordesc 
und  wegen  Hochverrats  zum  Tode  verurteilte  Obers: 
Diese  hatten  noch  knapp  Zeit,  sich   mit  dem  g^ 


—    eo7    — 

heimen  Revolutionskomitee  in    Belfast    in  Verbin- 
dung zu   setzen  und  der  französischen   Regierimg 
geeignete  Vorschläge  zu  machen.     Die  Erinnerung 
an  Hoches  gescheiterte  Expedition  imd  die  ,Armee 
des  Ozeans'  unterm  Direktorium,  die  gleichen  Zweck 
verfolgte,  war  noch  so  lebendig,  dass  man  in  der 
Rue  Bourgogne  (Marineministerium)  mit  Gier  den 
Plan  aufgriff,   Landung  in  Irland  zmn  Zweck  der 
Rebellierung  des  Grünen  Erin  zu  versuchen,  dessen 
katholisch-keltische    Ureinwohnerschaft    von     jeher 
neben  dem  Sachsenhass  zärtliche  Neigung  für  die 
französischen  Stanmi-  und  Religionsgenossen  nährt. 
Kanalblockade  bis  Kap  Lizard  konnte  Viceadm. 
Howe  nach  Abschiebung  von  vier  Fünfteln  der  Linien- 
schiffe  auf  andere  strategische   Punkte   unmöglich 
so    strenge    durdiführen    —    zumal    Ausfälle    von 
Untersee-  und  Torpedobooten  imter  V.-A.  Bayle  die 
Blockade    in    Spannung    hielten    — ,    dass     nicht 
Schmuggler  von  Jersey  Islands,  seit  Jahrhunderten 
an  dies  Handwerk  gewöhnt,  Vereinbarungen  hin  und 
her  trugen.    Man  kam  überein,  dass  am  25.  oder 
21.  ein  Expeditionskorps  landen  werde.    Da  die  ame- 
rikanischen Fenier  die  trügerische  Zusicherung  einer 
Landung  amerikanischer  Transporte  gaben,     wozu 
mmerhin  erst  Niederkämpfung  der  britischen  At- 
antisflotte   gehört   hätte,   so   waren   die   phantasie- 
-eichen  turbulenten  „Polen  des  Westens"  bereit,  so- 
gleich Erins  altes  Wappen,  das  grüne  unsterbliche 
<leeblatt  und  die  Harfe,  als  Panier  der  Befreiung 
iufzupflanzen.    Offenbar  konnte  die  Expedition  nur 


—     ©08     — 

mit  kleinen  Kräften  ausgeführt  werden,  da  die  fra^ 
zösische  halbierte  Nordeskadre  zu  geringe  Stärke 
besass,  um  gegen  die  britischen  Blockadesdüffe  die 
hohe  See  zu  halten.  Doch  eine  kleine  aoserlesese 
Macht  genügte  ja,  um  dem  Aufstand  in  Irland  mili- 
tärisch Kern  und  Stütze  zu  verleihen. 

Man  verlud  daher  im  Hafenstädtchen  St.  Nazaire 
auf  dem  »Caledonien*  und  andern  geräumigen  Ind3> 
china-Schiffen  der  Messa^^eries  Maritimes,  90w% 
Kriegsschulschiff  „Dugay  Trouin"  imd  der  as 
Algier  geflüchteten , ViUe  de  Barcelone'  vier  Chassecr 
bataillone,  1.,  2.  Zuaven,  3.  Algerische  Tiiaiüeiirs. 
2.  Chasseurs  d'Afrique.  Zur  Deckung  dieser  Sdutej^ 
dampfer  bestimmte  man  fünf  „Torpedo-Kreuzer" 
(Zerstörer),  jeder  mit  5  Kanonen  ä  10  Zentiinefer. 
6  ä  47  Millimeter,  11  ä  37  MiUimeter  „ä  tir  rapide 
5  Tuben  des  Lanciertorpedo  ausgerüstet.  „Condo: . 
„Egervier",  „Faucon",  „Vautour"  liefen  sechieb^ 
„Condor"  neunzehn,  „Claymore"  gar  dreissig  Knoteü 
Nur  letztere  gepanzert,  mit  154  Mann  Besatzong 
von  einem  Fregattenkapitän  kommandiert.  Hiem: 
kam  noch  der  schnellste  Torpedofahrer  „Aquiloa 
ein  Eisenfisch  von  44  Metern  Länge,  34  Mann  ^ 
einem  Kiosk  von  Eisen,  nebst  Torpedobooten  180 
202.  Die  Sousmarins  Goubet,  Gynmote,  Naival 
folgten  ihrem  Chef,  dem  neuen  Mustezmode*! 
„Loutre**,  einem  stählernen  Karpfen  von  45  Meten: 
Länge,  11  Metern  Höhe,  5  Metern  Breite,  mit  z^c. 
Canons,  ä  37  Millimeter.  Nach  dem  System  Nor- 
mand  für  Torpilleurs  wurde  zuerst  der   „Narwal , 


—     609     — 

Schöpfung  des  bekannten  Erfinders  Laubreuf,  dann 
jedes  andere  dieser  leichten  Fahrzeuge  statt  mit 
Kohlen  mit  Petroleum  ^reladen,  um  die  Schnelligkeit 
zu  erhöhen.  Den  Offizieren  wurde  eingeschärft,  dass 
es  nicht  darauf  ankomme,  ob  sie  alle  sich  opferten, 
wenn  nur  der  Truppentransport  Festland  unter  die 
Füsse  bekomme.  Bisher  hatte  die  französische  Ma- 
rine schlecht  abgeschnitten,  sich  auch  bei  Toulon 
nicht  mit  Ruhm  bedeckt,  doch  die  Niederlagen  im 
Mittelmeer  verstärkten  nur  die  Erbitterung.  Die  aus- 
erlesene Besatzung  der  kleinen  Eliteschiffe,  von 
Pierre  Loti  so  treffend  gezeichnete  Bretonen,  brannte 
darauf,  sich  hervorzutun,  imd  so  gelang  denn  der 
Streich  über  alles  Erwarten. 

Die  drohende  Bewegung  der  deutschen  Armee 
und  Flotte  lenkte  gerade  in  diesem  Augenblick  den 
britischen  Blockadedienst  ostwärts  ab,  eine  Verdün- 
nung und  Linksschiebung  der  Vorpostenlinie  fand 
statt.  Begünstigt  von  dimkler  Nacht,  erreichte  der 
Truppentransport  an  zwei  Pimkten  die  irische  Küste, 
durch  Fanale  der  f enischen  Aufrührer  und  entgegen- 
gesandte Lotsen  gelenkt.  Erst  im  Frühdämmer  des 
27.  spürte  Kreuzer  „Prometheus"  die  als  langsamste 
nachhutbildenden  „Faucon"  und  „Vautour"  auf. 
Doch  diese  Raubvögel  fassten  mit  den  Krallen  ihrer 
44  Geschütze  so  scharf  zu,  dass  ihm  sein  Panzer 
nichts  half. 

Seine  Kessel  versagten  unter  Treffern,  der 
Panzergürtel  riss,  wo  er  hinterm  zweiten  Mäste  auf- 
hört, durch  Torpedos,  die  kleinen  kecken  Gegner 

Vdlker  Europas  .  .  . !  39 


—     610     — 

feuerten  von  ihren  zehn  Tuben  fünf  hinterdnande: 
ab,  dass  Stahlbalken  sich  auseinanderbogen,  die 
Reeliog  wie  dürres  Pergament  zusammenrollte.  De 
Falke  stiess  zu,  der  Geier  schlug  den  Schnabel  eis. 
dem  „Prometheus**  sein  Feuer  stehlend,  dessen  Ma 
schinen  stoppend  erloschen.  Die  zu  schmalen  Zfö 
Objekte  der  kleinen  beweglichen  Schiffe  madts 
den  britischen  Kanonieren  beim  Schwanken  od' 
Schlingern  des  Rumpfes  genaues  Bemessen  ^ 
Schüsse  immöglich,  unschädlich  klatsditen  Granats^ 
in  die  Wasserzwischenräume.  Um  das  noch  o»^' 
lecke  wertvolle  Schiff  zu  retten,  strich  der  Kai«^ 
die  Flagge,  wofür  er  nachher  zu  Hause  infam  kassc. 
wurde :  ein  britischer  Seemarm  hat  an  nicbzs  ^ 
denken,  als  an  Sieg  oder  Vernichtung,  schwädiBdi 
Kompromisseln  widerspricht  dem  Seekoniggeist  --•' 
Rule  Britannial  Mit  der  Prise  im  Schlepp,  bBC 
die  beiden  Raubvögel  mit  kaum  zerzausten  ^^ 
knickten  Schwingen  bei  ihren  Genossen  wieder  i^ 
von  frenetischem  Applaus  begrüsst.  Auf  der  Koc^ 
mandobrücke  des  „Prometheus"  wehte  überm  hcio 
tergeholten  Union  Jack  die  aufgepflanzte  Trikok^ 
Zu  neuer  Überschiffung  nach  Quccnsto«ii  jc- 
Cap  Clear  bei  Cork,  wo  der  Dampfer  „Sabrina 
der  Irish  Company  weggenommen  und  für  7^ 
port  irischer  Freischaren  eingerichtet  wurde,  sta- 
der  Unterchef  des  Grossen  Generalstabs,  G«^ 
Zimmer,  in  Pallice,  Lorient.  RueUe,  Indrct,  GoffiP^ 
Quiberon  aus  verschiedenen  Armeekorps  beiötw? 
2.,  41-,  47.,  102.,  114.,  144.  Regiment  (GranviDe.R* 


—     611     — 

nes,.St.  Malo,  Chartres,  Maixent,  Bordeaux).  „Stella 
Maris"  und  „Alg^rie"  stachen  bereits  mit  der  Vor- 
hut in  See.  Wohl  mochte  der  Lord-Leutnant  von 
Irland,  Lord  Aberdeen,  telegraphieren:  „HiH«  drin- 
gend nötig.  Hab^  hier  nur  drei  Bataillone  Royal 
Irish,  Dublin  City  R.  G.  A.,  Royal  Dublin  Fusileers, 
North  of  Irland."  General  Lord  Grenfell  depe- 
schierte: „Mangel  an  Pom-Poms  und  Nordenfeldts." 

Doch  Angstwut  der  City-Pfeffersäcke,  feiger 
Krämersinn  einer  Nation  of  Shopkeepers,  der  alles 
schnuppe  ausser  ,business*,  kam  nur  als  schmutzige 
Blase  an  die  Oberfläche.  Darunter  wogte  gewaltig 
der  alte  normannische  Conquistadorengeist,  verdutzt 
genug,  dass  er  nicht  mehr  erobern,  sondern  sich 
verteidigen  solle. 

Der  Überwachungsausschuss  der  Territoryal 
Army  tat,  was  er  konnte.  Der  Duke  of  Bed- 
ford  sandte  Hampshire  Carabineers,  Lords  Bingham 
und  Chesham  13.  Middlesex  Rifles,  Viscount  Har- 
dinge  andere  Milizen  nach  Bristol  zur  Überschiffung 
nach  Irland,  während  Marquis  TuUibardines  be- 
rittene yScottish  Horse'  und  Lord  Lovats  Schützen 
,Lovats  Scouts*  die  bisher  bei  Motherbank  ge- 
moorten  Transportschiffe  Medusa,  Rinaldo,  Phi- 
lomel  flottmachten,  besetzten  und  um  Orkneys  und 
Hebriden  herum  zur  irischen  Westküste  absegelten. 
General  Leach  benutzte  schiffbaren  Firth  öf  Clyde. 
An  Stelle  des  gefangenen  Officer  General  the  Lord 
Methuen,  Commander-in-Chief  of  the  Eastem  Com- 
mand,  übernahm  Major-General  Stopford  das  Kom- 

39* 


—     612     — 

mando  der  Ostküste.  Wenn  Oberst  Cuthbert,  Stabs- 
chef in  Afirypten,  meldete,  dass  von  15  Offizieren 
564  Mann  Irischer  Dragoner  9  und  315  tot  und 
verwundet  seien,  so  bot  diese  soldatische  Treue 
noch  keine  Bürgschaft  für  Gesinnung  anderer  Iri- 
scher Truppenteile.  In  Amerika  berieten  schon 
Kriegsstaatssekretär  Taft,  Rearadmiral  Converse, 
Vorsteher  des  Bureau  of  Navigation,  Mr.  Newberry, 
Acting  Secretary  of  the  Navy,  ob  man  nüt  den 
Auxiliary  Transports  Brutus,  Cesar,  Glacier  imd  dem 
riesigen  Drydock  ,Dewey'  unter  Schutz  der  neuer- 
dings als  Reserveeskadre  vereinten  Linienschiffe 
»Kearsarge*,  ,Potomac\  »Rhode  Island',  »Charleston', 
der  Kreuzer  ,Dubuque*,  ,Raleigh',  »Marietta*,  »Tal- 
bot'  nach  Irland  durchkommen  könne  während  der 
erwarteten  heissen  Seeschlacht  vor  Baltimore.  In 
Voraussicht  solcher  Dinge  sandte  Lord  Tweedmouth 
daher,  während  Kreuzer  »Hampshire*,  »Roxburgh*, 
»Topaze*  der  Clydereserve  sich  im  topazfarbigen 
Wasser  des  Firth  of  Forth  spiegelten  und  Schottland 
bewachten,  ,Centurion*,  Kreuzer  ,Havock*,  ,Terror', 
,Gladiator'  vom  Solwayfirth  nach  Lough  Foyle  und 
Sligobucht,  von  wo  sie  Zerstörung  und  Schrecken 
den  Fremden  entgegenschleudem  oder  sich  wie 
römische  Centurionen  für  die  neue  Roma  opfern,  in 
der  Arena  als  Gladiatoren  fallen  sollten:  Te  mori- 
turi,  Britannia,  salutant.  Und  da  auch  dies  noch 
nicht  genügend  schien,  ordnete  Beresford  an,  dass 
,Colossus.'  sich  kolossal  aufpflanze,  ,Canopus'  als 
Tropenstem  mit  seinen  Lichtern  und  Scheinwerfern 


—     613     — 

das  Karaibenmeer  beleuchte:  Rückenechelon  nach 
Südwesten,  um  auch  dort  Durchschlüpfen  feindlicher 
Transporte  zu  hindern.  Drahtlose  elektrische  Tor- 
pedoträger, bisher  nur  wenig  eingeführt,  wurden  an 
die  irischen  Küstenwachen  verteilt.  Auch  rächte 
Kreuzer  ,Blake*  tagsdarauf  den  gefesselten  Pro- 
metheus,'indem  er  , Justice*  und  ,Galil6e*  allein  toll- 
kühn anfiel  und  ihnen  ein  solches  Gefecht  lieferte, 
dass  die  ,Gerechtigkeit'  in  Dampfexplosionen  ihr 
Haupt  verhüllte  und  niemand  vor  diesem  Apostata 
ausrufen  konnte:  Galiläer,  du  siegst I  Wohl  musste 
britischer  Kreuzer  ,Hogue*  bedauern,  dass  er  nicht 
dabei  war,  als  vom  Kap  La  Hogue  her  ein  neuer 
Feind  in  Sicht  kam.  Doch  der  Geist  des  alten  puri- 
tanischen Seehelden  Blake,  dessen  Milizflotte  zuerst 
Englands  Seeherrschaft  begründete,  schien  über  sie 
gekonunen,  als  die  Briten  hier  unter  rauhem  Trotz- 
gelächter: ,Damn  these  foreign  chaps,  down  with 
all  the  foreignersl'  dem  wenig  stürmischen  Panzer 
,Temp6te*,  einem  Umbau  früherer  altmodischer  Fre- 
gatte, unter  der  Nase  davonfuhren  und,  auf  fran- 
zösisch ohne  Adieu  Abschied  nehmend,  die  beiden 
französischen  Panzerhelden  als  Invaliden  zurück- 
liessen.  So  geschehen  zwischen  Scilly-  und  Channel- 
Islands,  wo  die  Fremden  auf  ungünstigem  Ge- 
wässer lavierten  und  Untiefen  bei  Eddystone 
scheuten.  Dagegen  wurde  am  gleichen  Tage  ,Re- 
pulse'  nur  mit  Mühe  seinem  Namen  gerecht,  zwi- 
schen Weymouth  und  Insel  Wight  gegen  den  düstem 
,Rousseau\  der  von  ragenden  Oberbauten  donnernde 


—     614     — 

,lettres  de  la  montagne*  spie.  Heut  landete  aucli 
ein  deutsches  Kriegsboot  bei  Sandmile  Fiat  nntexhalb 
Hüll  und  fuhr,  nachdem  Küstentelegraph  »mön, 
unbehelligt  wieder  ab.  Mit  Entsetzen  meldöfs 
Scouts,  dass  der  angeblich  schnöde  Rest  deutscher 
Marine  jetzt  schon  allein  mit  dem  britischeii  dt- 
fensivgeschwader  fertig  werden  kömie.  Die  Mann- 
schaft war  dort  überall  vollzählig  ergänzt.  Bedurft« 
man  auch  leider  nicht  mehr  der  achthundertsechiig 
Köpfe  Bemannung  für  die  zwei  grössten  Neubaaia 
,Bundesraf,  »Friedrich  der  Grosse*  L^^^ 
Sachsen*,  »Ersatz  Bayern*),  so  trugen  doch  c^ 
andern  grössten  Schlachtschiffe  wieder  ihre  äeböh 
hundertdreissig  Mann,  der  entkommene  grosste 
Kreuzer  siebenhundertneunzig,  Rest  der  »Schaifr 
horst'-Klasse  siebenhundertvierzig,  Rest  d&  ,Rooo 
Klasse  sechshundertzwänzig,  ein  Neubau  der  vff 
nichteten  ,Ersatz  Meteor'-Klasse,  soeben  auf  Stap- 
gelegrt,  dreihundertzehn,  die  ,Hamburg*-KIassc  dre,- 
hundert,  die  Torpedos  rund  siebzig,  wie  insgemes 
wegen  verstärkter  Bewaffnung  und  MaschiDO- 
leistung  die  Besatzungsziffer  schon  vor  dem  Kneg« 
erhöht. 

Doch  der  soliden  Organisation  des  monarch^ 
sehen  Deutschland  entsprach  eine  zwar  flüchtige^ 
aber  noch  grossartigere  Improvisienmg  und  Selbst 
Organisierung  der  Yankeerepublik.  Gewiss,  er  gf- 
bärdete  sich  nicht  gerade  anmutig,  etwas  scbnoddcni 
Bramarbasierendes  und  heisshungrig  Tolpatsclflfö 
haftete  dem  transatlantischen  Riesen  an.  undHeoß 


—     615     — 

kränkender  Vers  von  den  »Gleichheitsflegeln*  tönt 
noch  heute.  Nichtsdestoweniger  konnte  man  sich 
achtiingsvollen  Staunens  nicht  bei  dem  Anblick  er- 
wehren, wie  diese  Urdemokratie  ohne  jeden  zen- 
tralistischen  Regierungsapparat  ihre  ungeheuren 
Kräfte  aus  eigenem  Antrieb  der  gesamten  selbst- 
regierenden Massen  gleichsam  aus  dem  Handgelenk 
hinschleuderte.  Union  und  Deutschland  vereint  — 
das  wäre    Finis   Britanniael 

Ein  Truppenzusanmienzug  von  Royal  Fusileers 
(City  of  London),  Prince  of  Wales'  West  Yorkshire 
Rgt.,  The  Queen's  Own  West  Kent,  Duke  of  Cam- 
bridges Own  Middlesex,  Milizen  3.  Welsh,  Königs- 
regiment Shropshire,  2.  Duke  of  Comwallis,  Sunder» 
land,  nebst  Lancashire  Nr.  3  battery,  Lancashire  und 
Northumberland  Hussars,  marschierte  bei  Sheffield. 
Im  Norden  standen  Milizen  2.  Glamorgan  1.  New- 
castle  1.  Argyll  und  Bute  3.  Dumfries,  Prinzess 
Louisa*s  Argyll,  Duke  of  Albany's  Ross  Buffs  am 
Tay  und  Tyne.  Die  irischen  Connaught  Rangers  und 
Munster  Fusileers  hatte  man  schon  früher  nach  Ja- 
maica  befördert,  wo  Westindia-Regiment  nicht  aus- 
reichte. Die  Arbeit  der  freiwilligen  Submarine  Miners 
im  Solent  bewachte  Panzer  ,Comwallis'  jede  Nacht 
mit  zwei  ,streaming  lights'  am  Fore-  und  Mainmast, 
wie  es  Board  of  Admiralty  längst  für  alle  britischen 
Schiffe  angeordnet.  In  der  R.  Nav.  Gunnery  School 
erteilte  Professor  Ewing,  Director  of  Naval  Educa- 
tion,  täglich  Reifezeugnisse  für  Kadetten.  Nur  solche 


—     616     — 

Knaben-Offiziere  sah  man  auf  „Victorious",  Kren^ 
zern  „Wildfire",  „Roebuck",  „Medusa",  „IpMgaüa'* 
(ursprünglich  Spezial  Service  beim  „Venion"),  D^ 
stroyers  „Quail",  „Ostrich",  „Ferret",  „Horact",  (& 
man  auch  noch  zur  Deckung  Südirlands  heraund 
indes  „Antrim*'  gleichnamige  Nordprovini  abfuhr. 
Die  wackeren  Jimgen  schwuren  sich  zwar  za. 
ihre  Wildfeuer  siegreich  schnell  wie  Wiesel,  Hör 
nissen,  Rehböcke,  Strausse,  zähe  wie  Knbbec 
laufen  zu  lassen,  ein  MedusenschUd  dem  FeiDd 
entgegenzustrecken  imd  sich  wie  Iphigenia  acf 
dem  Altar  des  Vaterlandes  zum  Ojrfer  zu  bringea. 
Auch  das  auf  Troopship  „Cestrian"  der  irischcnLcr 
landlinie  eingeschiffte  Freiwilligenkorps  der  Urt 
versitäten  Cambridge  und  Dublin  freute  ädi  vi 
kriegerische  Studentenstreiche.  Doch  jugendlidiff 
Leichtsinn  veikannte  den  Ernst  der  Lage.  Seit  Frank- 
reich endlich  die  kaum  vollendeten  Panzer  „Voltaire 
„Rousseau"  ins  Wasser  gesetzt  und  diese  RevolutioBy 
Prediger  ihre  Aufruhrstimme  nach  Irlands  Gestade 
trugen,  seit  Danziger  Schichaü»Werft,  Schöpfer  der 
Klasse  „Ersatz  Meteor",  sich  daran  machte,  necc 
Klasse  „Ersatz  Wörth"  in  Angriff  zu  nehmen,  da 
die  frühere  leider  nur  ein  Wörth  und  Wcissenbas 
im  umgekehrten  Sinne  am  eigenen  Leibe  eriebtc. 
seit  die  deutsche  Restflotte  in  neuen  Veibandffl 
sich  rüstig  einfuhr,  mochten  noch  so  viele  )äea^ 
Kreuzer  zur  Küstenverteidigung  stossen,  wl«^ 
musste  der  Ring  durchbrochen  werden.  Was  bß 
es  Deutschland  darauf  an,  fünfzigtausend  Soldaten 


—     617     — 

zu  opfern,  wenn  man  so  viele  in  zehn  Abteilungen 
landen  und  mit  jäher  Razzia  allen  Veikehr  in  Eng- 
land  auf  Wochen  unterbinden  konnte,  wie  schon 
General  French  vor  dem  Kriege  prophezeite!  Der 
ritterliche  Britenhasser  ,Dunois'  von  Biserta  hatte 
schon  etwas  Rache  genonmien,  indem  er  den  Kabel 
Valencia  im  Rücken  der  britischen  Sieger  sprengte, 
die  zerschossene  ,Justice'  tröstete  sich  mit  Gam- 
bettas  Phrase  von  immanenter  Gerechtigkeit  der 
Dinge,  denn  sie  legte  jetzt  auf  Scillyinseln  Beschlag. 
Wahrlich,  Englands  Wehrmacht  glich  einem  schon 
vom  tief  eingesunkenen  und  zu  langsam  gehenden 
Boot,  indes  von  allen  Seiten  ein  Rudel  wütender 
Walrosse  mit  fletschenden  Hauern  heranschwanmi. 
Von  Ost,  Süd,  West  machten  die  Bedränger  sich 
auf.  Es  schien,  als  ob  die  ganze  Welt  sich  im 
Innern  des  britischen  Reiches  ein  Stelldichein  geben 
wolle.  Jetzt  brauchte  bloss  noch  Russland  vor  In- 
diens Toren  sich  einzustellen.  Genickfang,  Hallali, 
sin  Schlag  aufs  Herz,  auf  die  britischen  Inseln 
selber,  dann  sai&en  alle  Glieder  des  Kolonialbaus 
craftlos  zusammen. 

.  .  Der  zerrüttete  deutsche  Seehandel  schöpfte 
vieder  Hoffnung.  Z.  B.  konnte  man  Hafentransit 
md  Bahnnetz  Siams,  früher  ganz  in  deutschen  Hän* 
len,  worauf  jetzt  schon  Japan  begehrliche  Blicke 
/arf,  mit  französischer  Hilfe  zurückerwerben.  Leider 
ilieben   Amerika   und   Australien   verschlossen. 

Die  Reichsflotte  lief  wie  zur  Friedenszeit  in 
wei    Schlachtgeschwadern.    Das   erste  unter   Vize- 


—     618     — 

admiral  Graf  Baudissin,  wo  auch  jetzt  Grossadmraiy 
flagge  mit   zwei   gekreuzten   Marschallstiben  rä- 
pelte,  zählte  die  noch  vollzählige  Kaiscrklasse,  lab- 
rend  die  etwas  grössere,  hauptsächlich  durch  besseres 
Schutz  des  Vorderturms  unterschiedene  Wittelsbacih 
klasse  nur  noch  durch  zwei  Körper  vertreten.  Ot 
schwinde  Manövrierfähigkeit  und  reichliche  MW 
artillerie  (je  achtzehn  15  cm,  zwölf  8  cm,  x«nag 
leichte  Stücke)  liess  sich  diesen  sieben  Schiffen  nidfl 
absprechen.    Dies  glich  aber  unzureichende  Pan«^ 
rung  der  Kaiserklasse  (30  cm  älterer  Methode  tot 
Erfindung  des  Kruppschen  Härtungsverfahrens}  b»- 
geringe  Schwerartillerie  beider  Klassen  (nur  je  riff 
24  cm)  nicht  aus.  Das  zweite  Geschwader  des  Vi»- 
admirals   Fischel  zeigte  dagegen   noch  fünf  Über 
lebende   der   durchaus   tüchtigen    Schwabcn-Braufr 
Schweigklasse,  in  der  grossen  Seeschlacht  genug«» 
erprobt,  nüt  ihren  22,5  cm  dicken  Härtungsplatto 
allen    Kappgeschossen    trotzend,   mit   drri  SchcKX- 
steinen,  je  vier  28  cm,  je  zwölf  27  cm,  je  \ier2ehn 
17  cm,  vierzehn  8  cm.  Auch  die  zwei  angeschk»s^ 
nen  Brandenburgtyps  hatten  vorm  ersten  Geschwader 
stärkere  Artillerie  voraus,  nämlich  je  sechs  28  csa 
in  Doppeltürmen.    Die  sich  aus   Fachkreisen  b«f 
vorwagende  Behauptung,  unser  28  cm  sei  dem  3ö.i 
der  Briten  völlig  ebenbürtig,  erwies  sich  zwar  über 
trieben,  immerhin  gab  dies  Kaliber  dem  feindliches 
wenig  nach  und  entschied  hierbei  nur  die  Zahl,  ^ 
nur  (inkl.  Wörthklasse  und  der  Neuklasse  „&sau 
Kurfürst",   welche  je  acht  28   cm   trug)  84  dieses 


—     619     — 

Kalibers  (nebst  150  von  27  cm)  gegen  165  britische 
von  30  und  9  von  34,  40,  42  cm  vorhanden  ge- 
wesen waren.  Da  aber  Brandenburg- Wörth-Klasse 
eine  noch  schlechtere  Panzerung  der  Schiffsgefässe 
(40  cm  alter  tmgehärteter  Gattung  bloss  am  Ober- 
teil) und  vollends  mittelmässige  Geschwindigkeit  be- 
sass,  hatte  sie  nicht  viel  ausrichten  können.  Ein 
Wunder,  dass  sie  vor  Kiel  gegen  die  Franzosen  so 
gut  ihren  Mann  stand.  Dagegen  befanden  sich 
Reserveschwimmkraft  vermöge  wasserdichter  Zellen 
sowie  innere  Panzerwand  bis  zum  Schiffsboden  hin- 
ter  der  Aussenhaut  bei  Schwaben-Braunschweig- 
klasse in  so  solidem  Zustand  wie  bei  den  besten 
britischen  Schiffskörpern. 

Am  meisten  Schmerz  und  Befremden  erregte  es 
in  Deutschland,  dass  die  drei  jüngsten  Typs  von 
18  000  Tonnen  in  der  Seeschlacht  so  schnell  zu- 
grunde gingen,  ohne  dem  Feind  entsprechenden 
Schaden  zu  tun,  wie  dies  wenigstens  die  grossen 
neuen  Kreuzer  vermochten.  Die  Presse  machte  dem 
„Konstruktions-Departement"  ungerechte  Vorwürfe, 
als  ob  es  zu  schwach  gegen  Spreng-  und  Panzer- 
granaten gebaut  habe.  Doch  man  vergass,  dass 
„Ersatz  Kurfürst"  gleich  mit  erdrückender  Über- 
macht zu  tun  bekam  und  beim  Wirrwarr  allgemeiner 
Umwickelung  auf  der  umklammerten  Linken  in 
qualvolle  Enge  geriet,  so  dass  er  seine  Kraft  nicht 
ausnutzen  konnte.  Für  „Bundesrat",  „Fried- 
rich d.  Gr."  traf  dies  in  erhöhtem  Masse  zu,  da 
sie  eine  Zeitlang  den  Kampf  ganz  allein  fortsetzten 


—     620     — 

und  daher  tatsächlich  nicht  nur  mit  dem  individoell 
überlegenen  ,Dreadnought\  sondern  mit  dncm  «a 
allen  Seiten  losbrechenden  Feindesorkan  zu  ringcs 
hatten,  was  sie  bald  ins  ungünstigste  Fahrvaser 
trieb.  Nichtsdestoweniger  hatte  ihr  Widerstand  döi 
Feind  so  lange  aufgehalten,  um  die  übrigen  Panzer 
zu  retten,  und  Schiffe  von  geringerer  Grösse  hättcfl 
dies  nicht  fertig  gebracht.  Der  Einwand,  man  habe 
sie  lieber  gleich  anfangs  ins  Vordertreffen  schicken 
sollen,  erledigte  sich  schon  damit,  dass  der  Gegn& 
genau  so  verfuhr,  seine  drei  grössten  Schiffe  eist 
zur  Entscheidung  einsetzte.  Hätte  die  deutsche  Flotte 
bei  ihrem  Zusanunenbruch  nicht  noch  diese  löitc 
starke  Reserve  gehabt,  so  wären  doppelt  so  viel 
Panzer  verloren  gegangen.  Trotzdem  liess  sich  nicb: 
verkennen,  dass  zwar  diejenige  Marineschule  (J^^ 
Ecole  des  seligen  Admiral  Aube)  unrecht  hatte,  die 
von  Linienschiffen  überhaupt  nichts  mehr  wissen 
wollte  und  nur  Unheil  (wie  noch  der  Friedensapostel 
Baron  d'Estournelles,  übrigens  selbst  ein  Mitarbeiter 
Bisertas,  vor  der  neuen  Dantonklasse  warnte)  v^ 
steten  Wachstum  der  Schiffsmassstäbe  prophezeite. 
Doch  auch  diejenigen  Theoretiker  behielten  mch' 
recht,  die  alles  Heil  ausschliesslich  vom  materielle:. 
Faktor  solcher  Ungetüme  erwarteten.  Die  zwei  ^ 
ziehentlich  fünf  neuen  Monslreschiffe  des  britiscbec 
Reservegeschwaders  leisteten  an  sich  nicht  mehr  »^^ 
die  anderen  Panzer  und  ,Dreadnought*  nur  deshalb 
so  viel,  weil  er  teils  nur  beim  Entscheidungöföss 
gegen  schon  mürben  oder  (Kiel)  gegen  gam  minder- 


—     621     — 

wertigen  Gegner  eingesetzt  wurde.  Sonst  hätte  jeder 
der  drei  grössten  deutschen  Typs  ein  Einzelduell  gegen 
.Dreadnought'  nicht  zu  scheuen  brauchen,  selbst  um 
den  Preis  eigener  Vernichtung  ihn  trotz  seines  muster- 
gültigen Panzers  wohl  schwer  beschädigen  können. 
Der  letzte  Schlusskampf  bei  Helgoland  musste  also 
unter  solchem  Gesichtspunkt  beurteilt   werden. 

Die  grossen  Kreuzer,  während  Splitterdeck  und 
Korkdamm  in  der  Wasserlinie  die  kleinen  natür- 
lich nicht  vor  baldigem  Sinken  schützte,  bewährten 
sich  gut.  Gleichwohl  hatte  „Schamhorst"  (11 500 
Tonnen,  acht  21  cm)  sofort  den  kürzeren  gezogen, 
als  er  sich  feindlichem  Linienschiff  entgegenwarf, 
die  etwas  schwächeren  „Roon",  „York**  Oe  vier 
21  cm,  zehn  15  cm)  hielten  sich  hingegen  lange 
gegen  Kreuzerübermacht. 

Von     denen     I.     Klasse     schwamm     „Ersatz 
Moltke"    mit    vier    Schornsteinen,     die     man     als 
Drehungspivot  im  Auge  behalten  konnte,  vor  „Adal- 
bert",   „Friedrich  Karl",   „Berlin"   (je  drei  Schorn- 
steine), „Ers.  Blücher"  (Typ.  Schamhorst)  vor  „Mün- 
chen", „Lübeck",  „Augusta".   Die  kleinen  „Niobe", 
„Delphin",   „Hyäne",   „Ulan"   führte   die   gefällige 
Flottenschönbeit  „Medusa",  die  leider  ihre  Rivalin 
„Ariadne"  vermisste,  wie  denn  auch  der  hübsche 
„Frauenlob"   fern   in  Afrika   der   bösen   britischen 
Lady   „Africa"  kein  Loblied  sang,  die  ihm  jüngst 
vor  Walfisehbai  wie  eine  keifende  Xanthippe  hart 
zusetzte.    Man    ergänzte   diese   Kleinkreuzerflottille 
durch  früher  ausrangierte  neuarmiert  in  Dienst  ge- 


—     622     — 

stellte  „Hai",  „Meteor",  „Möwe",  „Reiher",  grosse 
„Hansa"  (früher  Tsingtau  wie  „Niobc",  „Leipzig". 
von  dort  ebenso  heimbenifen  wie  die  übcrseciscbei: 
„Bremen",     „Panther"),     Schulschiffe    „Moltke. 
„Blücher",  Spezialschiff  „Kaiseradler"  (bishcrDaimg 
Kanonenboot  „Eber",  uralte  Hafensduffe  „Kaiser" 
„Alexandrine".  Schon  befand  sich  Ersatz  im  Bau  ia 
„Luchs",  „Iltis",  die  ein  schärferes  Gebiss  ak  vorden 
wetzen  sollten.  Auch  der  alte  Freiherr,  deutscher  Eis 
heit  Grund-  und  Eckstein  „Stein"  wollte  wieder  ab 
Ersatzschiff  auferstehen.  Ja  sogar  für  Waffensdun:^ 
Schamhorst    („brach    die    schönste    Hddenlanie 
plante   man   erneut   Ersatz,   schon  jetzt  im  Kric» 
machte    man    sich  an  Neubaubeginn  für  oächstt 
Jahre.  Selbst  Hafenschiffe  „Saturn",  „Uranus"  gi 
gen  nebst  armierten  Handelsdampf em  „Montevideo 
„Ed.    Woermann"     auf     Kaperei     aus.    Dcstrove: 
jTrasher*,  der  sich  auskimdend   zu  weit  vorwa^*- 
erhielt  von  ihnen  selber  Wichse,  statt  andre  diircb^ 
zuhauen,  wie  sein  Name  prahlte.    Bei  Ncuinstafia- 
setzten  der  Torpedoflottille,  wo  die  auf  4000  m  er 
höhte   Schussweite  bisher  nirgends   in  Sccschiaclfi 
und    nur    in    Ausfallgeplänkel   vorkam,  zog   "^ 
Dampfturbinensystem  Zoelly  noch  mehr  als  bishö 
zu   Rate.    T.   G   132   mit   5,2   Schnellfcuergcscbä': 
von  55  cm  Rohrlänge  machte  schon  Falmooih  csu 
Milfordhaven  unsicher.    G  110  verwundete  den  erst 
klassigen  Kreuzer  „Roxburgh" .  vor  Rosyth,  ehe  e 
unterging,  vereinzelt  wie  „Taku"  und  S.  90  in  fal- 
schem Kampf  vor  Tsingtau.   Doch  S  81,  als  Tcoöe: 


—     623     — 

des  ,31ücher'*  dienend,  legte  dafür  Destroyer  „Seal** 
auf  den  Grund.  Dagegen  stiess  der  muntre  „Del- 
phin", weder  bei  Helgoland  noch  Kiel  im  Feuer, 
früher  vor  Danzig  patrouillierend,  unfreiwillige 
Wasserspritzer  aus,  vor  Humbermündung  vom  Meer- 
beduinen „Arab"  verscheudit. 

Admiral  v.  Bendemann,  Chef  der  Nordseestation, 
leitete    den    Zusammenzug    der   Truppentransport- 
dampfer für  etwaigen  Landungsversuch,  sowie  fran- 
zösischerseits  General  Armagnac,  Kommandierender 
des  8.  Korps  (Bourges),  Teile  von  14.   15.  Korps 
und  von  17.  (Toulouse),  vermehrt  um  4.  24.  Kolonial- 
regiment, als  Reserve  nach  Toulon  beförderte,  Art« 
Gtn,  Oudard  Küstenschutz  gegen  britische   Hand- 
streiche übernahm.  Ebenso  stellte  General  Pendezec, 
Membre  du   Conseil   Sup^rieur  de  la  Guerre,    bei 
Port-Fama  (Ostfront  von  Biserta)  Artillerietransport 
nach    Ceuta   zu   etwaiger   späterer   Berennung    Gi- 
braltars. Der  gewaltige  ,Danton',  in  der  Seeschlacht 
bei    Toulon    noch  ärgere  Niederlage  verhindernd, 
brach   jetzt   nebst   T.   327,   362   und  Torpilleur-Di- 
visionär  der  1.  M^diterrande-Flottille  ,Cyclone*   die 
^geschwächte    Blockade,    fuhr    mit    „Cyclop**,    „Go- 
liath",   „Tourbillon"   aus,  sobald   England   die   Es- 
kadre  Wilsons  nordwärts  heranziehen  musste.    Der 
von   Tonkin  herberufene,  bloss  gedeckte  (prot^g^). 
Dicht  vollgepanzerte  Kreuzer  „Friant"  dampfte  nüt 
„Kleber**    verwegen    nach    Alexandria   ab,   als    ob 
ersterer  wieder  Alte  Garde  sein  und  Narben  wiq 
kein  anderer  riskieren,  letzterer  mit  Löwenstimme  so 


—     624     — 

wie    jener    hünenhafte    Recke    bei   Heliopolis  ät 
Briten  aus  Ägypten  verscheuchen  «oQe! 

Die  Irische  Küsteneskadre  unter  Admiral  Sil 
Harris,  während  Admiral  Cyprian  Bridge  SchottlanG 
verteidigen  sollte,  verlor  Kreuzer  ,Cyntbu' 
,Cygnet*,  von  Devonport  weggezogen,  bei  d^ 
lichem  Angriff  des  Konteradmirals  K^raudroi  x: 
2.  Kreuzerdivision  der  3.  tun  aus  Krcuxern  b^ 
stehenden  Eskadre.  „Jeanne  d'Arc"  rächte  ter 
Frankreichs  Leid,  „Dupuy  de  Lome'*  imd  Konter 
torpilleur  „Tromblon"  schnitten  der  holden  Cynüt: 
so  die  Cour,  dass  sie  sich  ergab.  Von  der  1.  u^' 
Vision  waren  „Montcalm",  „Gunydon",  von  2.  L*^ 
kadre  „Gloire",  „Condd"  und  der  kleinere  „Gra\*« 
früher  ausser  Gefecht  gesetzt,  von  1.  3.  Edoc:- 
taten  sich  die  noch  frischen  „Jules  Ferry"f  J^ 
petit-Thouars"  hervor,  letzterer  wollte  nicht  12& 
sonst  an  den  sterbenden  Helden  von  Abukir  i^ 
mahnt  sein  und  dem  Erbfeind  zu  Leibe  gebet 
Reservepanzer  „Amiral  Baudin",  „Formidabic, 
„D6vastation"  (Brest)  wehrten  schon  friUicr  t^ 
Inselchen  Quessant  und  Gap  de  la  Ch^vre,  Küstöi 
panzer  „Henri  IV."  „Tr^houart",  „Bouvines*'  (Cb«^ 
bourg)  am  Inselchen  Pelld,  Obertorpüleur  ,fi^' 
barde"  zwischen  Inseln  GKron  und  K€  (Rochefon 
nächtlichen  Vorstoss  ab,  den  einige  verwegene  I^^ 
plare  der  neuen  Klasse  C.  S.  uater  See  vcrsachies^ 
Der  Ring  von  Naval  Gonstruction  Firms  in  Ga^ 
gow  (Fairfield,  Brown,  Laird,  Clydebank)  baute  näs 
lieh  Submarines  von  fünfhimdert  Tonnen  statt  (k: 


—     625     — 

früheren  A.  B.  S.  (zweihundert,  dreihundert).  Nebst 
e^rösserer  Form  Torpedo vedelten,  die  früher  mit  nur 
120  Pferdekraftmaschine  nur  16  Knoten  liefen, 
führten  die  Franzosen  auch  statt  der  „coup  de  240*' 
»,de  22  tonnes"  grösseres  Kaliber  der  Strandbatte- 
rien ein,  so  dass  man  von  Port  d*Aill6  (Dieppe), 
F6camp,  Cap  d'Antifer,  Cap  de  la  Hfeve  (Le  Havre) 
bis  Point  de  Barfleur  die  ganze  Seine-Bai  beherrschte. 
Freundliche  Besuche  wie  in  alter  britischer  See- 
königszeit waren  also  ganz  ausgeschlossen. 

Auch  die  Yankees  waren  guten  Mutes,  obschon 
Rearadm.  Mason,  Chef  der  Navy  Ordnance,  Stein 
Lind  Bein  über  Administrationslodderei  klagte. 
Dewey,  der  volkstümliche  Rede-Admiral,  versicherte 
laut:  Batterie  des  ,Missouri',  weil  von  lauter  jungen 
V^oUblut-Amerikanern  bedient,  werde  genau  so  viel 
Treffer  machen,  wie  früher  als  Preissieger  imSchiess- 
wettkampf.  Übergrosse  Unterseeboote  der  Firma 
Late  erregten  Jubel.  Es  schien,  als  ob  Karl  Schurz' 
Prophezeiung,  nur  Krieg  gegen  England  werde  je 
in  Amerika  populär  sein  und  man  ergötze  sich  bloss 
über  Naivetät  der  Briten,  immer  von  „lieben  Vettern 
jenseits  des  Meeres'*  zu  schwärmen,  sich  bewahr 
beite.  Wozu  taufte  man  denn  sonst  ein  Holzschiff 
von  dreissig  Metern  Länge,  bei  Manöver  vor  Neu- 
yrork  probeweise  in  die  Luft  gesprengt,  damals 
.Dreadnought* !   Das  klang  deutlich  genug. 

Längs  der  Küste  war  schon  Vorhutkrieg  im  Gange. 
Die  bisher  nicht  engagierten  Kreuzer  ,Leander*, 
,Sappho*,  ,Bachante'  vom  Caraibenmeer  geschickten 

Vi^Iker  Europas  .  ,  .  {  40 


—     626     — 

»Arrogant',  der  sich  den  Frenchmen  g^enübcr  wak- 
lich arrogant  benahm,  teilte  Reserveadnural  Sir 
Lewis  Beaumont  (Commander-in-Chief  der  Staöoo 
Davonport)  der  1.  Permanenten  Flottille  lu,  die 
2.  Destroyer-Flottille  erhielt  wieder  wie  im  Friöte 
den  „Forth".  Beide,  gewöhnlich  nur  auf  je  did 
Scouts  zwölf  Destroyer  berechnet,  wurden  neuer 
dings  vermehrt  um  .Wizard*,  ,Racehorsc\  .Tigcr' 
,Zebra*,  ,Hunter*,  ,Locust',  .Syren*,  ,Conßkt\ 
,Sprightl/,  ,Gala',  ,Bullfinch\  .Snipc*,  .Onrcll 
,Itchen*,  ,Usk*,  ,Crane*,  ,FoyIe-,  ,Teviof,  »^'idgeoE 
,Spanker',  ,Doon*,  ,Rivaz*,  ,Derwent',  ,Nith',  .Ness 
,Waveney*.  Diese  Rennpferde,  Zebras,  Tiger,  Jag^ 
himde  in  voller  Gala  ihrer  Neurüstung  trabten  die 
Küste  Neuenglands  ab  und  trieben  ihr  Handwes 
destroyermässig  als  zerstörende  ,Hexeninöste:, 
brachten  dreiste  Yankeekaper  auf  und  gingen  aas 
jedem  .Konflikt*  heil  hervor,  als  unfassbare  Heu 
schrecken  davonhüpf end,  kam  ein  zu  starker  Gegnö 
in   Sicht. 

Dagegen  fürchtete  Admiral  Fournier,  Obercbct 
inCherbourg,  dass  man  dem  neuestenTypderKüstcs- 
Destroyers  nicht  beikommen  werde.  Sein  cßtfc 
Exemplar  ,Gadfly*  (hundertsiebzig  Fuss  lang,  acbeU" 
undzwanzig  Knoten,  Parsons  Turbinenmaschinenc^ 
Thomycroft- Wasserrohrkessel,  zwei  Zwölfpfüß^^ 
,quick  fire*,  drei  Torpedos)  begann  seme  Tätigkeit  o: 
Verein  mit  herbeordertem  Panzer  »Jupiter*  undtg» 
,Leda*  durch  feurig  vernichtende  Umarmung  irzn^ 
scher   Kontertorpilleurflottille,   die  mit  Liebkoscsi 


—     627     — 

von  Jupiterschwänen  ä  la  Leda  wenig  Ähnlichkeit 
hatte.     „Argus",    „Vigilant"    wachten   scharfäugig. 
Die  genannten  grösseren  Kreuzer  zwangen  sogar 
Rearadm.  Melville,   der  mit  neuarmiertem  älterem 
Jahrgang       ,Trenton*,       ,Hancock*,       »Baltimore*, 
Kreuzern       ,Wolverine*,      ,Wabash*,      ,Don      Juan 
d'Austria'   auslief,    zur    Umkehr   nach    Neuyorkbai. 
Hier  empfingen  Forts  Hancode  und  Hamilton  auf 
Long  Island  freilich   die  Verfolger  so   übel,   dass 
,Sappho*   schlimme   Neigung  zeigte,   sich  am  Vor- 
gebirg   Montauk   Point   zur    Flut   abzustürzen,   und 
,  Leander*  keine  Schwimmfahrt  durch  solche  Meer- 
enge wagte,  ,Bachante*  wie  betrunken  davontaumelte. 
In  Canada  verliess  man  sich  umsonst  aufs  neue, 
angeblich    dem    Lee-Enfield    überlegene    Ross-Ge- 
wehr.    Panzer  ,Trafalgar*,  Destroyers  »Patrol*,  ,Sen- 
tinel*,     ,Lively*,     ,Fawn*,     ,Cheerful*,     Wachtschiff 
,Sphinx',     Scout     ,Adventure*     patrouillierten    imi- 
sonst  als  Schildwache  früher  zwischen  Puget-Sund 
und  Behringsstrasse  hin  und  her.    Ihnen  war  nicht 
,munter*  und  ,lustig*  zumute,  ihr  ,Abenteuer*  endete 
mit  einem  Trafalgar  in  umgekehrtem  Sinne.  Solche 
britischen  Bruizer,  wie  sie  im  Mittelmeer  so  derb 
geboxt,  konnten  hier  froh  sein,  wenn  ihnen  Meer- 
boxerei  nicht  lebenslängliche  lebensgefährliche  Quet- 
schungen eintrug.    Nur  ,Sphinx'  entrann  der  bösen 
Sphinx  Amerika.    Da  von  siebenundsiebzigtausend 
Regiilären  des   Service-Abroad  so  viele  nach  allen 
Windrichtungen     verteilt     werden    mussten,    blieb 
zur    Behauptung     Canadas    zu    wenig    übrig,    und 

40* 


—     628     — 

die  Union  drohte  immer  ungestümer  nack  Norden 
hinüber. 

Als  Kreuzer  ,Circe',  »Europa*,  auf  die  als  Kapei 
schwärmende  United  State's  tug  ,Niiu'  Jagd 
machend,  vom  Unterseeboot  .Purpoise*  bösen  Sttchei^ 
gruss  bekamen,  grüsste  man  das  Omen,  dass  Girre 
Europa  ihre  Buhlkunst  verschwende  und  ein  frdes 
Amerika  nicht  in  ihren  Schweinekofai  sperren  könse 
das  vielmehr  als  borstiges  Stachelschwein  sich 
sträube.  Ähnlich  riss  ein  japanischer  Wäigengel 
unter  See  das  River-Ship  ,Kinsha',  Sloops  ,Ca: 
mus',  ,Clio'  vor  Schanghai  in  Stücke,  als  solle  Cii: 
ein  neues  Geschichtsblatt  aufschlagen :  es  gdit  n 
Ende  mit  Europas  Obmachtl  An  neuen  Prcnkr* 
minister  Australiens,  dem  Japan  auch  gutwillige  Ib.- 
düng  der  jetzt  so  sehr  zu  passe  kommenden  neoffi 
Dampferlinie  nach  Neuseeland  verdankte,  ergifie 
lockende  Aufforderung,  doch  jetzt  Unabbangigke^ 
zu  erwerben,  Europas  Bevormundung  für  immer  ab- 
zuschütteln, wie  einst  die  Vereinigten  Staaten.  Gen<k 
das  berechtigte  Misstrauen  gegen  Japan,  das  frihcr 
Senator  Dawson  Einladung  des  Admirals  Sbiin^ 
mura  ablehnen  liess,  da  Japans  Flotte  nur  ris 
Spionieren  solche  Höflichkeitsvisite  mache,  t-A 
Australien  den  Yankees   in   die  Arme. 

Auch  die  sogenannte  Calvolehre,  köstliche  Fort 
bildung  der  Monroedoktrin,  wonach  nämlich  Eukh» 
keine  Schulden  auf  amerikanischem  Boden  eintreibe 
dürfe,  fand  Anklang  in  Australien,  leuchtete  als  oacb- 
ahmenswert  ein.    Schon  Porfirio  Diaz,  erleuchtete' 


—     629     — 

Präsident  von  Mexiko,  fand  sich  hierin  ganz  einig 
und  seelenverwandt  mit  den  Americanos  del  Nord 
auf  gemeinsamem   idealem   Rechtsboden  I 

Dies  war  also  das  Endel 

Das  hatte  man  sich  nicht  träumen  lassen,  als 
man  in  London  die  famose  Begeisterungskomödie 
vor  den  deutschen  Bürgermeistern  aufspielte.  Viel- 
leicht hier  und  da  ehrlich  gemeint  in  spon- 
taner Autosuggestion  des  Augenblicks,  beiläufig  mit 
netter  Gleichgültigkeit  für  die  Gefühle  der  noch  eben 
erst  umarmten  Alliierten  an  der  Seine.  Hauptsäch- 
lich aber  berechnendste  Heuchelei,  neues  Atten- 
tat auf  deutsche  Interessen  zu  maskieren.  £s  war 
köstlich,  wie  plötzlich  über  Nacht  der  »majestätische 
Genius  Deutschlands*  ,unsre  teutonischen  Stammes- 
brüder* Schlagworte  eines  Verhimmlungsrummels 
wurden,  der  natürlich  diese  braven  deutschen 
Michels  völlig  benebelte,  damit  sie  daheim  verkünden 
möchten  beim  unentwegten  liberalen  Bürgertum: 
britische  wie  deutsche  Liberale  (lies  Handeltreibende) 
fürchten  nur  Gott  Merkur»  und  sonst  nichts  auf 
der  Welt,  daher  nichts  so  sehr  als  handelstörende 
Händelsucht.  Konkurrenz?  Die  Erde  hat  für  alle 
Raum,  rief  Winston  Churchill  pathetisch,  besonders 
wenn  jeder  gute  Fleck  Erde  schon  von  Briten  be- 
legt. Die  Deutschen  mögen  wie  Schillers  Dichter 
bei  Zeus  im  Hinmiel  wohnen,  das  soll  ihnen  un- 
benommen sein.  So  grossmütig  ist  das  edle  Eng» 
landl    Nur  eine  Kleinigkeit  wünscht  es  für  all  die 


—     630     — 

zarten  Aufmerksamkeiten,  deutsche  Tafelreden  (ks 
Kriegsministers     imd     deutsches     Tiscfagd)et   des 
Bischofs  von  London,  nebenbei  einzuhandeln:  Koo- 
trolle  der  deutschen  Bagdadbahn.   Von  Leuten,  ät 
im  selben  Augenblick,  wo  er  ims  endgültig  auf  däi 
Isolierschemel  gedrückt,   König   Eduard  als  ,trei^ 
sten    wärmsten    Freund    Deutschlands'    hochleböi 
lassen,  darf    man    ja    kein  Erröten  beansprucha:. 
Aber  es  hiess  die  Schamlosigkeit  doch  etwas  vd: 
treiben,  wenn  ehrerbietige  Hochachtung  vor  aBem 
Deutschen  als  Normalzustand  des  gebildeten  Briten 
ausposaunt   wurde,   während   in   jedem    englische 
Roman  ein  vorkommender  Deutscher  stets  den  Hans- 
wurst oder  den  ethischen  Prügeljungen  abgibt.  Ji 
von   verträglichster   Gemeinsamkeit    der  Interesses 
fabelte  man  im  selben  Atemzug,  wo  man  mit  Russ^ 
land  ein  Unterbinden  der  deutschen  Bahn  zwischen 
Bagdad  und  persischem  Golf  verabreden  wollte,  (N»^ 
türlich  nur  mit  Reservatio  mentalis,  Vorbehalt  be- 
liebiger Kündigung,  beiderseits  vorgeschützt.)  Di« 
ganze  Verbrüderungsfarce  war  nur  in  Szene  gesetr, 
teils    um    dies  Vorhaben    zu  bemänteln,    teils  um 
Deutschland  einige  Zeit  bezüglich  der  Türkei  laho 
zulegen.   Die  auffallende  Feindseligkeit  des  SuIuds 
lehrte  ja,  was  man  für  Ägypten  zu  erwarten  hatte, 
falls  die  britische  Flotte  nicht  mehr  vollzählig  x°i^ 
ihrem  Apparat  im  Piräus  demonstrieren  konnte,  weil 
durch  Deutschland  gefesselt.   Also  hübsch  Sand  i:i 
die  Augen   streuen  I    In   allem  gross,   sind  Britea 
nicht  umsonst  auch   Meister   der   Heuchelei.   ^^»^ 


—     631     — 

Marokkofrage  für  Frankreich,  bot  eben  Bagdad- 
bahn für  England  unvermeidlichen  Zankapfel,  es 
konnte  und  wollte  sie  nicht  im  Vollbesitz  der  Deut* 
sehen  Bank  dulden.  Den  vom  Zaim  gebrochenen 
Akabakonflikt  nahm  man  ja  nicht  ohne  gewichtige 
Gründe  so  ernst,  obschon  damals  gelungene  Ein- 
schüchterung die  unterdrückte  Wut  der  Islamwelt 
noch  mehr  reizte.  Verbindung  Suez -Indien  auf  Land- 
weg blieb  strategisch-politisch-ökonomisches  ZieL 
Zwischen  Ormuzstrasse,  wo  Bahreininsel  Kischem 
britische  Flagge  trug,  und  neuem  Kriegshafen  Fa- 
magusta  (Cypern),  von  wo  man  Iskanderbai  imd 
Alexandrette  beherrscht,  direkte  Verbindung  zu  legen 
(Bolanpass — Quetta — Seistan — Südpersien — Bagdad), 
schwebte  schon   Disraeli  vor. 

Während  alle  Schichten  dieser  politisch  wunder- 
bar geschulten  Nation  die  Deutschen  bei  der  Bürger- 
meistervisite  mit  Eiapopeia  phrasenhafter  Wiegen- 
lieder einlullten,  hielt  im  selben  Augenblick  Ad- 
miral  Campbell  im  R.  Un.  Service  Institute  einen 
Vortrag,  dass  Kriegserklärung  stets  mit  schon  er- 
folgter Vernichtung  des  Feindes  durch  rohen  Über- 
fall zeitlich  sich  decken  müsse  11    Sapienti  sat. 

Den  Weltkrieg  an  sich  hatte  ununterbrochene 
Steigerung  der  Rüstimgen  imvermeidlich  gemacht, 
da  der  sogenannte  bewaffnete  Frieden  angesichts 
der  drohenden  sozialen  Revolution  die  Steuerlast 
allmählich  unerträglich  machte,  besonders  in  Eng- 
land, wo  man  pro  Kopf  der  Bevölkerung  für  Kriegs- 
zvtrecke  doppelt  so  viel  als  in  Deutschland  veraus- 


—     632     — 

gabte,  und  es  doch  niemand  mit  Abrüsten  enut 
meinte.  Da  aber  trotzdem  gerade  in  England  de 
anderswo  lahmende  Befürchtung  sozialistisdier  Ein- 
pörung  wegfiel  und  nur  England  wiiidiche  k^eg^ 
rische  Absichten  hegte,  weil  Deutschlands  Koobn- 
renz  bei  friedlichem  Wettkampf  bald  unviderstEih 
lieh  werden  musste,  so  liess  sidi  mindestens  ses 
Angriff  gegen  Deutschland,  ob  mit  oder  ohne  fnD- 
zösische  Allianz^  eines  Tages  sicher  erwarten.  Diese 
Angriff  konnte  jedoch  nie  isoliert  bleiben,  musste 
unweigerlich  Weltkrieg  nach  sich  ziehen.  Hierba 
wäre  andre  Konstellation  der  Mächte  nur  dann  mög- 
lich gewesen,  wenn  Russland  in  wahnwitziger  Ve- 
kennung  eigenster  Interessen  an  ernstliche  Ai& 
söhnung  mit  England  dachte,  statt  bisher  nur  das^ 
zu  kokettieren,  und  als  Alliierter  Frankrdcbs  des 
Degen  zog.  Solcher  Selbstmord  wäre  der  jetit  gaßi 
zerfahrenen  russischen  Politik  wohl  zuzutrancn  g^ 
wesen,  doch  spielten  zu  viel  andre  Faktoren  nÄ. 
um  Ausführung  einer  Tripleallianz  gegen  das  iso- 
lierte Deutschland  zuzulassen.  Zu  viele  Militärs  io 
Russland  dachten  an  neuen  Krieg  gegen  Japan,  iisi* 
gekehrt  gab  Japan  weitere  Aspirationen  keinesvc^s 
auf,  so  dass  schon  auf  diesem  Umweg  Rnsslaini 
sich  England  erneut  feindlich  gegenübersah.  Selbst 
in  diesem  Falle  wäre  übrigens  der  Landkrieg  inuser 
noch  zu  Deutschlands  Gimsten  entschieden  worden, 

• 

da  die  verrottete  und  revolutionär  verseuchte  rasa- 
sehe  Armee  kein  Gewicht  in  die  Wagschale  warf,  bib 
eine  dann  bestimmt  vorauszusehende  Erhebung  Poleos 


—     633     — 

und  sonstiges  Neuerwachen  der  Gesamtrevolution 
wettzumachen,  falls  Deutschland  seine  ungeheure 
Kriegsorganisation  vollständig  ausnutzte.  Frank- 
reichs innerpolitische  Zustände,  die  jeden  Augen- 
blick sozialistische  Unruhen  gewärtigen  lassen, 
schwächten  seine  äusserlich  so  stattliche  Militär- 
macht so  sehr,  dass  Deutschland  heut  Krieg. auf  zwei 
Fronten  nicht  zu  scheuen  brauchte,  zumal  es  gegen 
Russland  sicher  die  Türkei  zur  Seite  gehabt  hätte, 
selbst  ohne  Österreichs  Beihilfe.  Letztere  aber 
konnte  nicht  ausbleiben,  weil  nur  Niederlage  Russ- 
lands den  Bestand  Österreichs  sicherte.  Andrerseits 
streute  die  Erklärung  Guicciardinis,  Italien  habe 
mit  Österreich  über  alle  schwebenden  Fragen  das 
freundlichste  Abkommen  getroffen,  nur  grünen  Neu- 
lingen Sand  in  die  Augen.  Selbst  wenn  Österreich 
mit  Italiens  Fussfassen  in  Albanien  einverstanden 
wäre,  bUebe  ja  immer  die  Irredenta  als  stete 
Drohung.  Es  kam  also  in  Wirklichkeit  so,  wie  Reali- 
tät es  forderte,  nicht  wie  Versöhnungsphrasen  es 
bemäntelten.  Andrerseits  hätte  Frankreich  an  sich 
gern  auf  jedes  Duell  mit  Deutschland  verzichtet,  von 
dessen  Ausgang  immer  nur  der  treue  Sekundant 
England  den  Hauptvorteil  zu  erwarten  hätte;  doch 
Armexion  Marokkos  wurde  durch  die  grosse  islamiti- 
sche Bewegung,  die  Algier  und  Tunis  in  schwerer 
Unsicherheit  hielt,  gebieterische  Notwendigkeit.  Da 
ausserdem  mächtige  Finanzgruppen  auf  diese  An- 
nexion lossteuerten,  war  über  kurz  oder  lang  kriege« 
rische  Aktion  gegen  Marokko  vorauszusehen.    Dies 


—     634     — 

durfte  Deutschland  nicht  dulden,  wollte  es  okht  sda 
Prestige  färimmerverlieren  und  die  wichtJgeBvndesgt 

nossenschaf  t  der  islamitischen  Welt  aufs  Spiel  setzea. 
Ferner  lajg:  auf  der  Hand,  dass  Japan  sid  nicht 
nehmen  lassen  würde,  bei  Weltwirren  ein  Wörtcbe: 
mitzureden.  Was  es  aber  vor  allem  braucht,  sitc 
die  Philippinen  imd  womöglich  die  Sundainseln.  Nsn 
wäre  allerdings  möglich  gewesen,  dass  die  Un»^ 
ihre  ganze  Macht  gegen  Japan  gewendet  und  des- 
halb der  Krieg  in  Ostasien  eine  andre  Wendung 
genommen  hätte.  Allein,  da  unterschätzt  man  äe 
Emsicht  des  Yankee-Imperialismus.  Europas  Kneg^ 
zustand  erheischte  aus  wirtschaftlichen  Gründen  aß 
merksame  Selbstbereitschaft  der  Union,  um  da^^ 
möglichsten  Vorteil  zu  ziehen :  Vertust  der  ohnchk 
unhaltbaren  Philippinen  kam  daneben  wenig  in  B^ 
tracht.  Übrigens  arbeitete  man  auf  Einverständnß 
mit  Japan  schon  lange  los,  wie  denn  bezeichnender- 
weise japanische  Hilfsgelder  für  San  Francisco  aas- 
nahmsweise  angenommen  wurden.  Niederwerfna? 
Deutschlands  hätte  Englands  Macht  so  geschwdi. 
dass  Absichten  auf  Canada  und  Westindien,  dertt 
britischer  Besitzstand  doch  nun  mal  mit  Monio^ 
doktrin  unvereinbar,  vielleicht  für  inuner  illusorisch 
geworden  wären.  Unter  solchen  Umständen  vff 
stand  sich  von  selber,  dass  die  Union  sich  wer;* 
um  Japan,  sehr  um  Europa  künunerte  und  »^ 
Eingreifen  dorthin  lauerte.  Was  sowohl  B«^- 
als  Deutschland  von  amerikanischer  FreundschaK 
hofften,  beruhte  auf  naiver  Unkenntnis.  Am  ^* 


—     635     — 

ligsten  sahen  freilich  Träume  eines  deutsch-ameri« 
kanischen  Bündnisses  aus.  Ein  Blick  in  die  ameri- 
kanische Presse,  im  wesentlichen  wahre  Volksstim- 
mung widerspiegelnd,  konnte  eines  besseren  be- 
lehren. Doch  auch  das  sonst  so  kühle  England 
liess  sich  durch  äusseren  Schein  bitter  täuschen. 
Allerdings  mochte  die  ,Times*  über  deutsche  Un- 
wissenheit lächeln,  wenn  man  dort  mit  Britenhass 
einer  ausgestorbenen  Yankee-Generation  rechnete, 
nur  vergass  England,  dass  Deutsche  und  Iren  ein 
so  wichtiges  Element  der  Vereinigten  Staaten  bilden 
und  dort  alle  Volkskreise  Einfluss  haben.  Wenn 
also  Yankees  altenghscher  Herkunft  als  Gesandte 
in  London  laute  Verbrüderxmgsreden  hielten,  wie  z.  ß. 
beim  Bankett  des  Königlichen  Literarischen  Unter- 
stützungsvereins, oder  wenn  man  während  des  Buren- 
kriegs ostentativ  Hospitalschiff  „Maine"  als  milde 
Freimdschaftsgabe  schenkte,  so  entsprach  dies  noch 
keineswegs  der  allgemeinen  Gesinnung.  Unzweifel- 
haft fühlte  die  herrschende  englischredende  Rasse 
Amerikas  sich  zu  England  hingezogen,  ihr  eigener 
Hochmut  sättigte  sich  mit  an  Englands  Muttermacht, 
doch  waren  dies  eben  Gefühle  einer  selbst  sehr  ein- 
gebildeten und  unabhängigen  Tochter.  Damit,  dass 
der  Brite  nur  den  Yankee  und  der  Yankee  nur  den 
Briten  als  ebenbürtig  anerkennt  und  tausend  Gemein- 
samkeiten beide  verbinden,  ist  noch  nicht  gesagt, 
dass  ihre  realen  Interessen  eins  seien.  Es  gibt  auch 
in  Familien  feindliche  Brüder,  die  einander  im 
Wege   stehen.     Beiden   gaukelt   das   Phantom   tat- 


—     636     — 

sächlichster  Weltherrschaft  vor,  beide  können  es  g^ 
meinsam  xücht  erreichen.  Ks  kränkt  den  amenkan 
sehen  Dünkel  genug,  dass  wenigstens  äusseiüch  Eng- 
land noch  bei  weitem  mächtiger,  dass  es  auchfinamieL 
die  Unionsstaaten  als  Provinz  in  Abhängigkeit  bilt 
wie  der  geistvolle  Karl  Peters  einmal  dokumenur 
belegte.  Bei  ununterbrochenem  Wachsen  der  Bc 
völkerung  und  gleichmässiger  industrieller  Übopr^' 
duktion  muss  die  Union,  will  sie  nicht  soziale  R^ 
volution  heraufbeschwören,  weiteres  Absatzgebiet  de« 
Weltmaiktes  suchen:  dafür  ist  ihr  Deutschlani 
recht  unbequem,  England  aber  noch  weit  mehr,  un^ 
Ausschaltung  Deutschlands  würde  Englands  kccb 
merzielles  Übergewicht  auf  lange  hinaus  entscheidei 
Kaltrechnender  Yankeeverstand  wird  sich  daher  mn 
Bezug  auf  ,01d  Home*  England  nie  von  sentimefr 
talen  Rücksichten  leiten  lassen,  sondem  im  S^ 
gebenen  AugenbUck  ,reckon*  und  ,calculate\  <la» 
maii  jetzt  feste  zugreifen  und  dem  Konkurrenten  ec 
Bein  stellen  müsse,  öffentliches  Abschwören  'f^ 
Annexionsgelüsts  gegen  Britisch- Amerika  ist  also  m 
in  den  Wind  geredet,  und  die  Briten  sind  scbör. 
dumm,  darauf  hereinzufallen.  Stellungnahme  äc 
Union  im  Weltkrieg  konnte  deshalb  keine  ander? 
sein,  wie  sie  tatsächlich  sich  entwidceltc,  Logik  <k' 
Dinge  zwang  dazu. 

Aber  die  nämliche  eiserne  Logik  brachte  l^ 
ropas  Unvernunft  endUch  zur  Einsicht,  dass  es  sei 
gemeinsam  gegen  Amerika  imd  Ostasiea  weLta 
müsse.    Denn  bei  Abhängigkeit  von  überscciscirt 


—     637     — 

Cerealien,  Reis,  Kaffee,  Tee,  Tabak,  Fleischkon- 
serven und  Eisfleisch,  bei  dringender  Notwendigkeit» 
amerikanische  und  asiatische  Märkte  für  europäische 
Industrie  offenzuhalten,  würde  Europa  sowohl  indu- 
striell als  agräulturell  einfach  an  Aushungerung 
ersticken,  wenn  Amerika  und  Ostasien  sich  absperren 
und  ihren  Willen  d&tieren.  Lächerliche  gehässige 
Torheit  der  Europäer  untereinander,  die  sich  wie 
kläffende  Köter  um  jeden  Knochen  rauften,  während 
der  Fuchs  ihnen  den  wahren  Braten  davontrug, 
legte  ihnen  die  blutige  Strafe  auf,  dass  erst  ent- 
setzliche Opfer  eines  Weltkriegs  sie  auf  den  rich- 
tigen Pfad  brachten.  Und  zwar  durch  unerwartetes 
Mitspielen  von  ,imtoward  events',  die  freilich  in 
solchem  Falle  immer  zu  erwarten  sind,  weil  imma- 
nente Logik  der  Entwicklung  unbeirrt  weiterwandelt, 
hocherhaben  über  kindische  Intermezzi  von  Augen- 
blickspolitikem  oder  Parteikuhhandel  der  Parlamente 
mit  ihrem  Wahlmodus  für  wohlhabende  Unfähige 
oder  pfiffige  Streber.  Nur  Englands  Kurzsichtig- 
keit verschuldete  dies  alles.  Seine  Perfidie  und 
Brutalität  in  allen  Ehren,  denn  in  Politik  gibt*s 
keine  Moral,  und  Briten  wie  Yankees  haben  das 
gute  Recht,  Konsequenzen  ihres  Weltherrschafts- 
dusels zu  ziehen  mit  schonungsloser  Vergewalti- 
gung der  Schwächeren.  Doch  Englands  antideut- 
sche Gehässigkeit  war  nach  Talleyrands  Bonmot 
schlimmer  als  ein  Verbrechen,  es  war  ein  Fehler. 
Gewiss  würde  volle  Niederwerfung  Deutschlands  er- 
neut Englands   Handelsmonopol  begründet  haben. 


—     638     — 

wie  aber  stände  es  politisch?  Nur  durch  KosL 
tion  aller  Mächte,  unter  untätigem  ZuschaM 
Österreichs,  was  ganz  ausgeschlossen,  wäre  Deotso 
lands  Besiegung  zu  Lande  denkbar,  obsdxm  ci- 
wahrscheinlich :  daraus  hätten  aber  Frankreich  m^ 
Russland  den  grössten  Vorteil  gezogen,  waren  sr 
erstailct,  dass  sie  nun  mit  Ernst  ihre  antienglischei: 
Interessen  wahrnehmen  konnten.  Die  von  Köe$ 
Eduards  Staatsklugheit  verhinderte  KoalitiDn  g^ 
England  wäre  dann  einfach  zehn  Jahre  später  erfolg: 
England  hätte  sich  dann  durch  unversöhnlicbes 
Deutschland  und  notwendig  immer  antipodisd» 
Frankreich-Russland  den  Dolch  selber  geschliffc 
der  ihm  den  Garaus  machte.  Doch  Völker  wenka 
wie  Menschen  nicht  von  Vernunft,  sondern  Leüe 
Schäften  gelenkt.  Englands  toUe  Selbstübcrhebunf 
wie  sie  sich  in  Chauvinistenbüchem  eines  Rcvere?: 
Fidgett  ein  dauerndes  Denkmal  des  Grössenwalc:-* 
setzte,  bedurfte  nicht  alberner  Hetzbücher,  wie  .,12 
vasion"  und  „The  enemy  in  our  midst",  wdch  letztm 
Infamie  die  armen  harmlosen  Deutschen  inncrißä 
Englands  dem  rohen  Mob  auslieferte  und  Utsaci. 
lieh  zu  einem  Deutschenmassacre  in  Whitecha;* 
führte.  Denn  allgemeiner  Volkswille  hetitc  schc- 
selber  auf  Bruch  mit  Deutschland  los.  Wie  hebt? 
man  über  Sympathiemeetings  einiger  Inteflekttidl' 
oder  Interessenten,  deren  Privatkonto  durch  t^ 
zweiung  mit  Deutschland  litt  I  Unverkennbare  G^ 
hässigkeit  verleidete  sogar  schon  deutschen  Haiiö^' 
reisenden  und  Touristen  den  Aufenthalt:  spräche: 


—     639     — 

sie  in  Restaurants  laut  deutsch,  forderte  man  sie  auf, 
das  Lokal  zu  verlassen.  Schlaue  Abrüstimgsfarce 
als  Antrag  neuer  Haager  Konferenz  im  Augenblick, 
wo  England  stärker  gerüstet  denn  je,  sollte  nur 
Deutschland  als  Störenfried  anschwärzen.  — 

Doch  freilich,  eins  hätte  Englands  sogenannte 
Friedensliebe  sich  nicht  einbilden  dürfen:  dass 
Deutschland  untertänigst  um  jeden  Preis  Frieden 
halten,  d.  h.  die  weiterwiikenden  Segnungen  der 
Ära  Balfour-Chamberlain  eskomptieren  werde,  wo- 
nach England  nach  Gottes  unerforschlichem  Rat- 
schluss  auch  noch  Arabien,  Abessinien,  Kongo  in 
die  Tasche  stecken  imd  Deutschland  überall  das 
Nachsehen  lassen  würde.  Solcher  Friede  könnte  den 
Briten  passen,  und  ihre  Dreistigkeit  geht  so  weit, 
dass  ein  Abrüstungsredner  im  House  of  Commons 
klagte,  das  böse  Deutschland  habe  nicht  mal  durch 
grossmütige  Abtretung  Helgolands  sich  erweichen 
lassen,  als  ob  England  nicht  damals  einfach  Sansibar 
dafür  eingehandelt  hätte.  Nein,  so  hatte  man  nicht 
gewettet:  Deutschlands  wahre  Patrioten  hatten  be- 
stimmte Zukunftsabsichten,  die  sie  für  wirkliche 
,Saturierung'  unsrer  gewaltigen  Rasse  für  nötig  er- 
achten. Die  Flinte  ins  Korn  zu  werfen  imd  vor 
angelsächsischer  Weltherrschaft  ohne  weiteres  die 
Waffen  zu  strecken,  lag  keine  Veranlassung  vor.  Das 
seefahrende  Deutschland,  dessen  Zukunft  nach  des 
Kaisers  genialem  Wort  wirklich  auf  dem  Wasser 
liegt,  wünscht  gerade  so  gut  sein  Expansionsbedürfnis 
zu  befriedigen,  wie  Briten  und  Franzosen,  und  würde 


—     er- 
sieh mit  seiner  unablässig  vermehiten  Vdksmasse 
—   schon  gibt   es   fast  achtzig  Millionen  dcmsd 
redende  Menschen  in  Europa,  fast  gerade  so  viel  viz 
Briten  und  Franzosen  zusammen  oder  wie  die  pol> 
glotte  Unionsbevölkemng  —  zu  seinem  Recht  m 
holfen  haben,  ob  so  oder  so.    Wollte  Sribstsud: 
der  andern  Europäer  dies  nicht  zulassen,  bäiunte 
sie  sich  nur  gegen  unerbittliche  Logik  der  Wirk 
lichkeit  auf,  die  man  nie  ungestraft  vcrktit.  Das 
langduldende,      geduldig      arbeitende,    nrit    alicr 
Zähigkeit  neuverjüngte  Tatkraft  einstiger  deutsche: 
Kaiser-  imd  Hansaherrlichkeit  verschmebcnde,  ati 
allen  geistigen  und  praktischen  Gebieten  führende 
unvergleichlich  organisierte,   wohlhabende,  waffc 
starke  Deutschland,  das  binnen  so  kuner  Spanat 
Zeit   seit   dem   Frankfurter    Frieden  als  Industrie 
und  Schiffahrtsstaat  die  grösste  Leistung  der  We.i 
geschichte  in  unerhörtem  Aufschwung  vollbrachte, 
woran  der  initiative  Einfluss  Wilhchns  IL  eincQ  nur 
vom  Ausland   richtig  gewürdigten  Anteil  trug  " 
dies  Deutschland,  wahrhaft  friedliebend,  wäre  ja  doch 
zuletzt  zum  Weltkri^  gezwungen  worden,  sote 
neidische  Eifersucht  und  frecher  Eigendünkel  sc 
mit  der  Tatsache  einer  deutschen  Weltmacht  nidi 
abfinden  wollte.   Nur  deutsch-englische  Alliam,  *•' 
Ähnlichkeit  von  Rasse  und  Weltanschauung  sie  vor 
schreibt    und    wie    sie    der    weiten  Welt  Oeseiif 
geben,  weder  Amerika  noch  Asien  fürchten  würde 
hätte  das   Unheil  verhindert.    Doch  erst   grininJ 
eigene  Not  brachte  England  zur  .  Besinnung. 


Das  House  of  Commons  „tagte"  in  ausserordent- 
licher Sitzung  um  Mitternacht  des  29.  Juli.  Überall 
bleiche  erregte  Gesichter.  Auf  Interpellation  des 
Abgeordneten  Redmond,  ob  Belagerungszustand 
über  Irland  verhängt  sei,  gab  der  Kriegsminister 
den  trockenen  Bescheid: 

„Die  zarte  Fürsorge  des  ehrenwerten  Herrn  für 
Irlands  Sicherheit  mag  sich  beruhigen.  Von  Seiten 
der  Regierung  dieses  Landes  ist  der  Lage  ent- 
sprochen worden.  Eine  reguläre  und  eine  Miliz- 
division übersetzen  soeben  den  Georgskanal,  um  den 
Lordleutnant  von  Dublin  zu  unterstützen.  Das  fran- 
zösische Expeditionskorps  ist  an  sich  unbeträchtlich. 
Wir  verzichten  auf  Beunruhigung  der  loyalen  Ein- 
wohner und  werden  Belagerungszustand  nicht  ver- 
hängen!" Nur  immer  altrömisch  I  Hannibal  vor  den 
Foren,  doch  Cato  baut  Rüben. 

Der  Sprecher:  „Es  steht  zur  Erledigung  der 
Dringlichkeitsantrag  von  Mr.  Keir-Hardie  und  Ge- 
lossen  namens  der  Arbeiterpartei  über  die  innere 
N^otlage." 

Der  Arbeiterführer  verlas  ein  Programm  der 
Parteioberhäupter  Bums  und  Hyndman,  wie  in  so- 
dalistischem    Sinne    durch    ausserordentliche    Aus- 

VÖIker  Europas  .  .  .  !  41 


—     642     — 

nahmegesetze  die  drohende  Hungersnot  gdind«: 
werden  solle,  und  verbreitete  sich  über  das  plöa 
liehe  Stocken  jeder  nennenswerten  Schiffahrt  Eag 
land  sei  von  seinen  Kolonien  abgeschnitten,  der 
letzte  Weizenkonvoi  aus  Indien  und  Australien  vor 
vierzehn  Tagen  angelangt,  die  Nordsee  ?on  den 
Deutschen  beherrscht,  die  Westküste  GrossbritaL 
niens  von  französischen  und  amerikanischen  Kapcm 
belästigt. 

Der  Premier  gab  eine  kühle  amtliche  Erw 
derung.  Man  sah  ihm  an,  dass  ganz  andere  Sorg^ 
ihn  drückten,  und  das  Haus  hatte  beim  Anblick 
der  vollzählig  besetzten  Ministerbänke  den  Ein 
druck,  als  ob  wieder  etwas  Wichtiges  beForstcbe 

„Der  ehrenwerte  Vorredner  mag  überzeugt  scffi 
dass  Sr.  Majestät  Regierung  alles  aufwenden  wir«^ 
die  arbeitende  Bevölkerung  zufriedenzustellen.  Ik 
übrigen  verbietet  die  vorläufige  Verteilung  unsrer 
Streitkräfte  zur  See,  die  Deutschen  aus  der  Noni 
see  zurückzuwerfen,  solange  nicht  die  volle  Herr 
Schaft  im  Atlantischen  Ozean  gewonnen." 

„Ich  möchte  erfahren,  Mr.  Speaker,"  wandte  skii 
Chamberlain  an  den  Sprecher,  „weshalb  unser  \ei 
trafuensmann  Lord  Beresford  noch  immer  nicht  rc: 
Rettung  Canadas  aufbrach,  obschon  sein  2^^- 
notwendig  die  Kohlenvorräte  der  Flotte  angreift 

Der  Marinestaatssekretär  erhob  sich.  „Das  seh- 
ehrenwerte  Mitglied  für  Birmingham  dürfte  seic 
nautischen  Kenntnisse  wohl  dem  fachmännischem 
Urteil  ynsres  grossen  Admirals  unterordnen."  i^ 


—     643     — 

lächter.)    ,,Sehr  treffend  bezeichnete  er  ihn,   Lord 
Beresford  ist  in  der  Tat  der  Vertrauensmann  dieses 
Landes  in  der  schwersten  Krise,  die  es  je  bestand. 
,  Nicht  aufbrach'  ist  inkorrekt.    £s  war  unmögUch, 
früher  alle   verfügbaren   Kräfte   nach   der  Atlantis 
zu  konzentrieren.    Dies  geschah  am  26.  d.  M.,  imd 
von  da  an  verlor  der  Admiral  keine  Zeit,  den  Feind 
zu  stellen.    Die  beiden  gegnerischen   Flotten  sind 
einander    in    Sicht    auf    Seehöhe    von    Baltimore. 
Unser   Stratege   hält   Zerstörung   des    Hafens    von 
Baltimore    und    später    der    Manhattan-Forts    der 
Newyorker  Reede  für  das  würdigste  Kampfobjekt. 
Unsre    Felsforts    vor    Quebec    können    sich   selber 
schützen.    Die  am  24.  dort  vor  Anker  gegangene 
feindliche   Eskadre   wird   wahrscheinlich    jetzt    ab- 
dampfen zur  Vereinigimg  mit  ihrem  Gros,  was  uns 
unlieb   wäre,  jedenfalls  aber  Quebec  auf  der  See- 
seite befreit.   Mr.  Chamberlain  möge  übrigens  nicht 
ausser  acht  lassen,  dass  es  sich  heut  nicht  sowohl 
um  Rettung  seines  geliebten  Canada,  das  wir  mit 
Gottes     Hilfe     behaupten     werden,     sondern     des 
eigenen  Mutterlandes  handelt.'* 

Unter  tiefer  Stille,  die  dieser  scharfen  Abferti- 
gung folgte,  erkundigte  sich  ein  irischer  Nationalist 
mit  unverkennbarer  Schadenfreude  und  heuchleri- 
schem Pathos,  von  boshafter  Ironie  durchbUtzt,  nach 
dem  Bestand  gegenseitiger  Streitkräfte  im  fernen 
Westen,  was  ihm  Beklenmiung  einflösse.  Aller 
Blicke  richteten  sich  nach  der  Minbterbank,  imd 
[iian   erwartete   Ablehnung   der   indiskreten   Frage. 

41* 


—     644     — 

Doch  nach  kurzem  Getuschel  gab  der  Marincmmister 
gelassen  Auskunft,  allerdings  mit  einem  nieder 
schmetternden  Blick  auf  den  heimlichen  Reidis\tr 
räter : 

„Das  patriotische  Mitglied,  das  soeben  gespro 
chen,  berührt  mit  der  ihm  eigenen  wannherage: 
Vaterlandsliebe  eine  offene  Wunde.  Ich  will  hi  r 
nichts  verschleiern.  Trotz  unglaublicher  Ans::e: 
gungen  in  den  Docks  für  Wiedereinstellung  havanf: 
ter  Körper  und  Neuaufbesserung  der  vielfach  ru 
nierten  schweren  Artillerie  erreicht  die  neue  Ok 
kupationsflotte  vor  dem  nordamerikanischen  Kf»^ 
tinent*  nur  eine  Stärke  von  24  Linienschiffen.  :. 
grossen,  42  kleineren  Kreuzern  nebst  den  dazu  S' 
hörigen  kleineren  Einheiten,  das  Ariantische  Ck 
schwader  in  Westindien  natürlich  inbegriffen.  Des 
gegenüber  verfügt  die  Union  nach  Abzug  iJ'J 
Verluste  bei  Manila  und  St.  Dominique  und  wahr 
scheinlichen  sonstigen  Abzügen  über  mindestcDs . 
Linienschiffe,  grössere  Kreuzer,  während  die  Zifj 
ihrer  kleineren  Nebenwaffen  —  kleine  Kreuzer" 
der  Klasse,  Destroyers  —  allerdings  hinter  der  un* 
rigen  sehr  zurücksteht,  die  Torpedozahl  sich  wo: 
ungefähr  ausgleicht.  Dazu  treten  noch  des  Gegr-t-- 
Küstenpanzer.  Der  Redner  mag  also  um  seine  ajrr 
rikanischen  Freunde  unbesorgt  sein,  sie  sind  s'Xi 
genug." 

Ein  eisiger  Hauch  schien  durch  das  Hau?  *- 
wehen.  Aber  ,Okkupationsflotte*  klang  gut.  Nor  i3 
mer   hübsch   römisch  I    Ja,   noch  gab's  nichts  r:^ 


i 


—      645      — 

Okkupieren,  doch  schon  nahm  man*s  als  selbstver- 
ständlich vorweg! 

Mit  einem  Anklang  von  Wehmut  in  der  Stimme 
frug  Balfour:  „Was  beabsichiigt  Se.  Lordschaft  der 
Admiral  zu  tun?** 

„Das  kann  ich  mit  wenigen  Worten  sagen:  bei 
Misserfolg  das  Westindische  Geschwader  an  sich 
zu  ziehen  und  in  einer  neuen  Entscheidungsschlacht 
Englands  atlantische  Seite  zu  decken,  bei  Erfolg 
die  schon  früher  angeführten  Pläne  auszuführen, 
5 ich  dann  südwärts  zu  wenden,  um  im  Verein  mit 
Jeni  Atlantischen  Geschwader  die  Sperrforts  von 
Mew  Orleans  niederzulegen  und  eventuell  die  Ameri- 
kaner zu  einer  neuen  Schlacht  bei  Cheasepeak-Bai 
:u  zwingen.  Ich  bedaure  betonen  zu  müssen,  dass 
ier  Edle  Lord  momentan  nur  über  17  Linienschiffe, 
L6  grosse,  25  kleine  Kreuzer  verfügt,  der  Feind  un- 
mittelbar gegenüber  vor  Fort  Monroe  und  Kap  Hat- 
eras  über  22  Linienschiffe,  11  grösste  und  etwa 
25  kleinere  Kreuzer,  doch  sämtlich  neugerüstet, 
A^ährend  unsre  schwere  Artillerie  kaum  zur  Hälfte  ein 
anges  Gefecht  bestehen  kann.  Trotz  dieser  un- 
i^ünstigen  Chancen  meldete  der  Edle  Lord  soeben 
durch  Funkspruch,  dass  er  morgen,  den  30.,  den 
Feind  angreifen  werde,  ehe  dessen  Quebec-Eskadre 
leran,  die  man  auf  4  Linienschiffe,  3  grosse  Kreuzer 
schätzt.  Die  Gebete  jedes  echten  Briten  begleiten 
len    Helden   auf   seiner  schweren   Fahrt.'* 

Wieder  tiefe  Stille.  „Ich  möchte  den  Kriegs- 
ninister  fragen**,  krächzte  ein  Radical  mit  Grabes- 


—     646     — 

stimme,  „was  zur  Verteidigun^r  dieses  Landes  geges 
Invasion  geschehen  ist." 

„Ich  wüsste  nicht,  warum  ich  verschveigec 
sollte,"  gab  dieser  kalt  zurück,  „dass  wir  rnsd 
450  000  Mann  innerhalb  der  britischen  Inseln  unter 
Waffen  halten,  wobei  ein  Teil  der  Miliz  in  aktive 
Feldtruppen  umgewandelt.  Nach  Canada  konntec 
wir  nach  und  nach  seit  Mai  63000,  nach  Kapstadt 
12000  Mann  werfen.  In  Kapland,  Gibraltar,  Mala 
Alexandria,  Suez  stehen  sonst  noch  etwa  lOOOC 
6000,  8000,  23000  Mann,  auf  den  Balearen  3(XK 
Macht  ein  Total  von  572000  Mann  unter  Waffea 
während  die  angloindische  Armee  weitere  Truppen 
nach  Suez,  Batavia,  Neuseeland  entsenden  wird.  Is 
Australien  und  Canada  haben  wir  ausserdem  die 
Landesmiliz.  Dies  System  ermöglicht  uns  genügend« 
Defensive,  natürhch  keine  Offensive  zu  Lande/' 

„Mit  welcher  die  famosen  britischen  Truppes 
ja  auch  schönes  Fiasko  machten,  siehe  Antweipec 
Nieuwe  Waterweg,  Boikum,  Kiel!**  brummte  esaiß 
den  Reihen  der  Iren. 

„Unser  Vertrauen  beruht  auf  der  Flotte",  rief 
Balfour  von  seinem  Sitze  aus.  „Wie  aber  konnte  dies 
Durchschlüpfen  nach  Irland  glücken?  Ein  Geruch' 
geht  um,  S.  M.  S.  »Prometheus*  habe  die  Flagg? 
gestrichen.  Ich  beantrage  Todesstrafe  für  der 
Kapitän,  der  solche  Schande  überlebte."  Nor  in: 
mer  altrömisch  I 

„Ein  Kriegsgericht  wird  die  verschiedenen  ^^ 
antwortlichkeiten   feststellen**,   kam   es   gleichmiitig 


—     647     — 

von  der  Ministerbank  zurück,  wo  gelangweilte  Mienen 
zu  verraten  schienen,  dass  man  all  diese  Redereien 
als  blosses  Geplänkel  vor  einer  bevorstehenden 
Hauptschlacht  betrachte.  Wieder  raunten  mehrere 
sich  zu,  dass  dort  sich  offenbar  etwas  vorbereite. 
Schwüle  Stimmung  lagerte  über  dem  Hause. 

Der  Generalstaatsanwalt  (Attorney-General) 
Lawson- Walton  erhob  sich:  „Mr.  Speaker,  sowohl 
im  Namen  meiner  politischen  Freunde,  als  auf  sehr 
hohe  Anregimg  von  seiten  der  Krone,  beantrage  ich, 
unserm  ruhmreichen  Admiral  Lord  Beresford  die 
nämliche  Staatsdotation  zu  verleihen,  wie  den  Ge- 
neralen Lord  Kitchener  und  Lord  Roberts."  Nur 
immer  altrömisch  I  Noch  am  Rand  des  Abgrundes 
verleiht  man  goldene  Bürgerkronen,  Kränze  von 
Lorbeer  und  Eichenlaub,  Imperatortitel  für  Kon- 
suln und  Prokonsuln  I 

Ungestüm  sprang  der  Arbeiterdeputierte  Shak- 
leton  auf,  unter  allgemeinem  Gemmmel  imd  Un- 
ruhe, teUs  Beifallsscharren,  teils  Murren:  „Sie  wäh- 
len gut  den  Augenblick,  das  Budget  mit  Verschwen- 
dung öffentlicher  Gelder  zu  belasten.  Im  Namen 
des  notleidenden  Volkes,  insbesondere  der  Trade- 
Unions,  die  sich  weitere  Protestmeetings  vorbehal- 
ten, erhebe  ich  Einspruch,  dass  — " 

Doch  der  Speaker  erhob  seinen  Stab:  „Genug, 
Sirl  Der  Antrag  Lawson- Walton  ist  zu  den  Akten 
genommen,  und  der  gelehrte  Herr  Mr.  Attorney- 
General  wird  morgen  seine  Motion  begründen.  Für 
heute  schliesse  ich  die  öffentliche  Sitzung,  verfüge 


—     648     — 

sofortige  Räumung  der  Galerien.  Alle  Fremden  mtx 
auch  die  Vertreter  der  Presse  haben  den  Saal  zu 
verlassen,  da  Sr.  Majestät  Regierung  dem  hoher. 
Hause  eine  ultrasekrete  Eröffnung  zu  machen  hai.° 

Nachdem  die  Clerks  den  Fall  zu  den  Akttc 
nahmen,  während  die  Konstabier  ihn  ausfühnec 
erhob  sich  unter  erwartungsvollem  Schweigen  ku 
anderer  als  Winston  Churchill.  Er  war  bleich  una 
sein  Auge  schweifte  einen  Augenblick  über  die  gahr 
nende  Leere  der  Galerien  hin,  als  blicke  er  ins 
Weite.    Dann  begann  er  mit  fester  Stimme: 

„Es  ist  mir  von  meinen  Kollegen  der  ehren 
volle,  doch  eines  schmerzlichen  Stachels  nicht  en: 
behrende  Auftrag  geworden,  die  wahre  Lage  n 
entschleiern  und  diejenigen  letzten  Beschlüsse  zt 
erörtern,  zu  welchen  das  Ministerium  sich  leide: 
gezwungen  fühlt."  (Hört,  hört,  hörti)  „Da  die>' 
Beschlüsse  jede  Heimlichtuerei  ausschliessen.  hahe-. 
wir  alle  Anfragen  betreffs  Sicherheit  des  Reichs  m' 
möglichster  Offenheit  unbefangen  beantwortet.  Ic 
muss  jedoch  deutlicher  werden.  Als  Regierungsu: 
treter  für  die  Kolonien  habe  ich  vielleicht  den  we: 
testen  Überblick  und  erlaube  mir  daher,  den  G<r 
samteindruck  wiederzugeben.  Lassen  Sie  uns  Pc 
sten  für  Posten  durchgehen  1  Unsere  Position  in  Cb: 
asien  ist  verloren,  unsere  Lage  in  Oceanien  mind. 
stens  nicht  gut.  Ich  zweifle,  ob  wir  Batavia  unc 
Neuseeland  noch  lange  halten  können.  Die  jap^ 
nische  Übermacht,  nicht  zufrieden,  uns  aus  dtc 
Stillen  Ozean  verdrängt  zu  haben,  belästigt  Au5tra 


—     649     — 

lien  und  erregt  dort  Unfrieden.  Schon  äusserten 
sich  soziahstische  Mitglieder  des  australischen  Par- 
laments dahin,  man  möge  mit  Japan  ein  Abkommen 
treffen  und  den  Kontinent  neutral  erklären,  d.  h. 
sich  der  Pflichten  gegen  das  Home  Government 
entledigen,  ein  neuer  Schritt  auf  dem  Weg  zur  Un- 
abhängigkeit." (Unruhe,  Chamberlain  zieht  unmutig 
seinen  Zylinder  tief  in  die  Stirn,  einge  andere  nehmen 
den  Hut  ab  und  trocknen  sich  die  Schläfe,  als  sei 
ihnen  heiss.)  „Über  Indien  urteilt  Generalissimus 
Kitchener  nicht  übermässig  hoffnungsvoll.  Der  Edle 
Lord  hält  einen  neuen  Meutereikrieg  für  möglich, 
falls  China  französisch  Indochina  überschwemme  und 
Japan  Truppen  lande,  woran  es  beim  Übergewicht 
seiner  maritimen  Mittel  in  dortigen  Meeren  kaum 
gehindert  werden  kann.  Bei  langer  Fortdauer  des 
Krieges  würde  auch  Verlust  des  Indischen  Ozeans 
für  uns  auf  dem  Spiele  stehen."  (Steigende  Bewe- 
gung, jedoch  ohne  laute  Äusserungen.)  „Steht  es 
so  im  Osten,  so  noch  schlimmer  im  fernen  Süden. 
Alle  Mitteilungen  Lord  Milners  besagen,  dass  bei 
gemeinsamem  Handeln  von  Deutschen,  Boers  und 
Eingeborenen  Kapstadt  unbedingt  verloren  geht 
oder,  um  eine  andere  sehr  bezeichnende  Wen- 
dung zu  brauchen,  gegea*^^ingeborene  und  Afri- 
kander  nur  zu  halten  ;Äjäre  durch  Beihilfe  der 
Deutschen.'*  (Vielhunömfaches  ,Hört,  Hört,  HörtI* 
in  gespannter  Erregung  ^eigt  dem  Redner,  dass  seine 
von  ihm  eigentümlich  unterstrichenen  Worte  ver- 
standen  worden  sind.     Einige   Schlaue   spitzen  die 


—     650     — 

Ohren  und  nicken  sich  bedeutungsvoll  zu.)  ,Jat 
sächlich  gehört  uns  von  Afrika  nichts  mdir  ab 
Alexandria  und  Suez.  Nun  glaube  ich  zwar  verbürgen 
zu  dürfen,  dass  keine  Macht  der  Welt  diese  Stütz 
punkte  unserer  Mittelmeermacht  britischen  EidieD 
herzen  entreissen  wird."  (Matter  Beifall.)  ,^iiinal 
unsere  brave  Marine  dort  völlig  alle  Gegner  aus  dem 
Felde  schlug.  Der  ehrenwerte  Mr.  Hudson  hat  uns 
neulich  mit  einer  sozialistischen  Diatribe  b^lückt 
über  den  güldenen  Danaeregen  von  Bathorden,  ^ü^- 
toriakreuzen,  Medaillen,  der  aufs  Offizierkorps  ät- 
ser  in  unserer  Geschichte  für  immer  unstcrbüdicD 
Geschwader  niedergegangen  sei.  Well,  ihren  He.- 
dentaten  allein  verdanken  wir,  dass  England  nicht  als 
Bittender  mit  entblössten  Händen  dazustehen  biandit 
wenn  ihm  einfallen  sollte,  mit  seinen  europäisdieD 
Feinden  zu  verhandeln."  (Brausender  Bdfall,  der 
sich  jedoch  bei  den  nachfolgenden  Worten  legt  vd 
wieder  düsterer  StiUe  weicht.)  „Auch  im  fernen  ^^ 
sten  hatten  wir  einen  schönen  Erfolg  zu  vcneichner. 
Westindien  bleibt  vorläufig  unser.  Doch  wie  lange = 
In  Canada  würden  Quebec  und  Montreal  sich  na 
dann  noch  lange  halten,  wenn  wir  genügende 
Kräfte  vom  Mutterland  senden  könnten.  Doch  Sk 
alle  kennen  unsre  Bedrohung  durch  deutsche  In 
vasion  bei  augenblicklicher  notgedrungener  EntWf*^ 
sung  unserer  Ostküste,  und  Hilfssendung  nach  der 
anderen  Hemisphäre  müsste  aufhören,  falls  unsen 
Flotte  nicht  mehr  den  Ozean  beherrscht.  Wer  aber 
bürgt  dafür,   dass   Lx)rd  Beresford  morgen  Sieger 


—     651     — 

bleibt,  —  und  wenn,  ob  er  nicht  dabei  verblutet, 
^e  das  Heer  seines  Ahnherrn  bei  Albueral" 

Tiefe  bedrückende  Stille.  Einige  ältere  Mit- 
glieder schluchzten  laut,  ein  paar  jüngere  knirsch- 
:en  mit  zusammengebissenen  Zähnen.  Sie  sahen  in 
hres  Geistes  Aug'  den  Helden,  angetan  mit  Stern 
ind  blauem  Band  des  unlängst  verliehenen  ,Star- 
md-Garter*  (Hosenbandorden),  auf  blutüberströmtem 
Quarterdeck  seines  Flaggschiff  es,  und  wünschten  mit 
labei  zu  sein,  wo  man  für  England  stirbt. 

„Nun  noch  diese  irische  Bedrohung  am  eigenen 
Herd!  Ja,  man  würde  ihrer  Herr  werden,  ich  zweifle 
nicht  daran,  unter  Strömen  von  Blut,  doch  welch 
neue  unheilbar  nach  innen  eiternde  Wunde  J  Und 
woher  sollen  wir  uns  erholen,  neue  Kräfte  schöpfen 
3ei  solcher  Depression  aller  Geschäfte  und  Indu- 
strien? Unser  Kredit  auf  dem  Weltmarkt,  bisher 
LinermessUch,  wird  ganz  zu  nichte.  Unsre  bislang 
Festen  imd  sogar  gestiegenen  Konsols  sanken  mit 
sinem  Ruck,  selbst  die  ,Bank  von  England'  ist  er- 
schüttert. Kurz,  jene  Gefahr,  mit  der  uns  einst  Na- 
poleons Kontinentalsperre  bedrohte,  sie  ist  nun  wirk- 
lich da,  heut,  wo  Grossbritannien  äusserlich  mäch- 
tiger und  reicher  denn  je.  Wenn  damals  angesehene 
Firmen  fallierten  und  die  Komtaxe  wirkliche  Him- 
gersnöte  erzeugte,  um  wie  viel  mehr  dann  jetzt  bei 
solcher  Übervölkerung!  Damals  beherrschten  wir 
das  weite  Weltmeer  überall,  Amerikas  Zufuhr  stand 
uns  frei :  beides  fällt  heut  weg.  Unsre  sogenannten  un- 
erschöpflichen  Hilfsquellen  versiegen  durch  solche 


—     652     — 

Feindesflammen    von   allen   Seiten,   unsre  fesiestm 
Bollwerke  schrumpfen  zu  Asche  ein.    Wolle  Gon. 
Lord  Beresford  möge  morgen  ein  Trafalgar  feier. 
Doch  selbst  dies  risse  uns  kaum  aus  der  Not  D.r 
Yankees  sind  zähe  und  unverwüstlich,  wenn  sie  i.':':. 
mal  auf  ein  Geschäft  versteiften,   und  es  sind  d^rr 
Feinde  zu  viele.   Viele  Hunde  sind  des  Bären  Tod 
Dauert  dieser  Stand  der  Dinge  noch  viele  Monate 
so  siecht  Englands  Volk  dahin,   und  nichts  bleu*. 
uns  am  Ende,  als  willenlose  Kapitulation  oder.  i:h 
zittre    es    zu    sagen,    völliger    Zusammenbruch  des 
Reiches,  ruhmloser  Untergang.**    (Wilde  erregte  Zu 
rufe.    Viele  Mitglieder  ballen  die  Faust  gegen  die 
Iren.    Die  Erregung  wächst.)    „Da  bewog  ein  Mit 
glied    der    Regierung    seine    Kollegen,    unter  zwei 
Übeln  das  kleinere  zu  wählen.   Mit  Amerika  auf  ab- 
ständiger  Basis  zu   verhandeln,  ist   unmöglich,  mi: 
Japan  ebenso.   Beide  wollen  uns  Dinge  abschröpfer*, 
die  wir  vorerst  noch  in  Händen  haben  und  nicht  güi 
willig  hergeben.  Doch  der  Europäische  Bundkönr. 
uns  nur  abverlangen,  was  wir  ohnehin  fahren  lasse: 
müssen:  die  eroberten  Sundainseln,  das  fast  schtc 
verlorene  Südafrika,  Ägypten.  Freilich,  werden  «i* 
ganz  erdrückt,  so  würde  man  noch  Gibraltar,  Malta 
irische  Unabhängigkeit  von  uns  heischen  und  Go:i 
weiss  was  für  andere  Demütigungen.   Jemand  erb": 
sich,    unmittelbar   an    Se.    Majestät   den  deutschen 
Kaiser  zu  appellieren,  dass  er  das  Schwert  in  c\^ 
Scheide  stecke.    Ich  schäme  mich  nicht,  zu  s^i;?- 
dass  ich  dies  Regierungsmitglied,  dass  ich  dieser  ]e 


/ 

/ 


—     653     — 

nand  bin,  und  werde  die  Verantwortung*  keinem 
Indern  in  die  Schuhe  schieben.  Ich  übernehme  und 
rage  sie."  (Schwüle  Pause  der  Erwartung.)  „Ich 
jestatte  mir,  dem  Hause  unter  Diskretion  den  Brief 
:u  verlesen,  den  ich  an  Se.  Majestät  zu  richten 
vagte.  Ein  ungewöhnliches  Abweichen  von  allen 
liplomatischen  Usancen,  so  ungewöhnlich  wie  die 
Lage  selber. 

„Sire ! 
Der  Grossadmiral  von  England,  Lord  Charles 
Beresford,  hat  den  Befehl,  die  Vereinigten  Staaten- 
Flotte  vor  Baltimore  anzugreifen  und  zu  schlagen, 
[ndem  er  erwartet,  dass  jedermann  seine  Schuldig- 
rceit  tue,  wird  er  das  Signalwimpel  flattern  lassen: 
Briten,  ihr  fechtet  heut  nicht  nur  für  Englands, 
sondern  Europas  Unabhängigkeit.'  Sollte  Europa 
dies  undankbar  verkennen,  so  wird  die  Zukunft  leh- 
ren, worüber  der  Ausgang  dieses  Kampfes  entschei- 
det. Englands  Zusammenbruch  zieht  nach  sich  das 
Ende  der  europäischen  Hegemonie.  Der  Europäi- 
sche Bund  wider  uns  spielt,  ohne  es  zu  ahnen, 
nur  Amerikas  Spiel  und  der  Gelben  Rasse  Spiel. 
Beide  Gefahren  hatte  Ew.  Majestät  Tiefblick  schon 
Frühe  erkannt,  Sie  werden  auch  jetzt  durch  äusseren 
Schein  die  Wahrheit  erkennen.  Vielleicht  kam  Ew. 
Majestät  zu  Ohren,  dass  der  französische  Komman- 
dant in  Westindien  sich  im  letzten  Augenblick  lieber 
uns  als  den  Amerikanern  ergab:  ,Das  sind  unser 
aller  Feinde.*  Mögen  diese  Worte  einen  Wider- 
hall in  Ihrem  kaiserlichen  Herzen  finden!    In  Wür- 


—     654     — 

digung  der  allgemeinen  europäischen  Gefahr  ki 
die  königlich  britische  Regierung  die  Ehre,  sich  an 
die  kaiserlich  deutsche  mit  dem  Angebot  sofortiges: 
Friedensschlusses  zu  wenden,  falls  die  uns  auferleg 
ten  Opfer  nicht  allzuschwere.** 

„Meine  Herren,  diese  Depesche  erging  am  25. 
Schon  abends  traf  höflichste  Rückantwort  du,  dass 
Deutschland  sich  mit  Frankreich  verständigai 
müsse.  Am  26.  langte  die  schriftliche  NonnieniBg 
der  Bedingungen  an.  Wir  haben  abgemarktet,  vas 
zu  markten  war.  Die  irische  Affäre  ist  nur  - 
ich  will  nicht  sagen  der  letzte  Nagel  zum  Saigt 
denn  Gott  sei  Dank  ist  Englands  Grösse  noch  unbt 
erdigt,  doch  das  letzte  Zünglein  auJ  der  Wagt 
der  letzte  Tropfen,  der  den  Kelch  überlaufen  madt 
Es  bleibt  keine  Wahl.  Die  Regierungen  sind  einig. 
wir  haben  die  Bedingungen  angenonunen,  wenn  das 
Parlament  sie  genehmiget." 

Die  tragische  Stille  brach  Balfours  sehne 
dende  Stimme :  „Und  was  sind  diese  Bedingungen* 

„Vor  vierzehn  Tagen  wiu'de  von  dieser  Stae 
die  Akte  des  Europäischen  Bundes  verlesen.  Heut 
empfangen  Sie  dazu  die  Ergänzung.  —  Zum  Ver 
ständnis  eines  Paragraphen  schicke  ich  voraus,  dass 
Holland,  Luxemburg,  Belgien  in  staatsrechtliches 
Verhältnis  als  Bundesstaaten  in  das  Deutsche  Reich 
eintreten,  demnach  auch  Hollands  Kolonien  dem 
Protektorat  des  Deutschen  Kaisers  anheimfa^ 
len."  (Unruhe.  Rufe:  „Aha!  Die  oraniscfic 
Erbschaft!") 


—     655     — 

„I.  Zwischen  den  hohen  Regierungen  des  Europäi- 
schen Bundes  und  der  Regierung  Sr.  Majestät  des 
Königs  von  Grossbritannien  und  Irland,  Kaisers  von 
Indien,  ist  der  Frieden  geschlossen  auf  folgender 
Grundlage : 

§  1.  England  zahlt  eine  Entschädigung  von 
10  Milliarden  Mark  an  Deutschland  für  die  ihm 
zugefügten  schweren  Verluste."  (Stöhnendes  „O,  o  V* 
von  Nationalökonomen  des  Hauses.)  „Frankreich 
verzichtet  auf  Geldentschädigung  für  Zerstörung  Bi- 
sertas,  in  Anrechnung  der  bestehenden  eigentüm- 
lichen Verhältnisse."  (Ein  Ruf  ,Judas  verzichtet 
auf  seine   Silberlinge  I"    Verächtliches   Lachen.) 

§  2.  England  gibt  an  Spanien  die  Balearen  zu- 
rück und  räumt  Ägypten  nach  Massgabe  der  frühe- 
ren Bestimmungen  des  Europäischen  Bundes."  (Ver- 
schiedene Rufe  „Nimmermehr  I")  „Doch  behält  es 
Port  Said  und  Suezkanal."  (Allgemeines  freudiges 
„Ahl")  „Es  gibt  die  Sundainseln  an  Holland  unter 
deutschem  Protektorat  zurück  und  tritt  die  ehe- 
maligen Burenrepubliken,  Rhodesia,  Nordgrenze  von 
Kapland  imd  Hafen  Durban  an  Deutschland  ab." 
(Rufe  „Unverschämt!  Wir  wollen  nichts  mehr  hö- 
ren I")  Dagegen  behält  es  die  eigentliche  Kapkolo- 
nie und  Natal."  (Wieder  befriedigtes  „Ahl"  Höhni- 
sche Rufe  der  Iren:  „Das  für  Jameson,  und  Maju- 
bal"  Ein  Radikaler:  „Nicht  mal  bei  Gladstone  konn- 
ten die  Buren  ihr  Recht  finden,  als  Sir  Bartle  Frere 
ihnen  den  ,Rand*  und  Kimberley  stabil  Immanente 
Gerechtigkeit  der  Dinge!") 


—     656     — 

„II.  England  tritt  der  Zollunion  Europas  fürsiä 
und  seine  Kolonien  bei,  natürlich  unter  voller  \\  ab 
rung  seiner  sonstigen  politischen  Unabhängigkeit. 
(Unbestimmte  Aufnahme.) 

„IIL  Der  Europäische  Bund  garantiert  den: 
Britischen  Reich  ein  für  allemal  seinen  gesamten 
sonstigen  Besitzstand.  Was  verlorengegangent 
aussereuropäische  Besitzungen  betrifft,  so  trin  der 
Status  quo  wie  vor  dem  Kriege  wieder  ein,  wobc. 
die  Kontrahenten  sich  verpflichten,  jedermann  n 
seinem  früheren  Rechte  zu  verhelfen."  (Rauschen 
des  „Hört,  hört!*'  Beifälliges  Murmeln.)  „Von  dit 
ser  Abmachung  ist  Portugal  ausgeschlossen,  das  der 
Europäischen  Bund  nicht  angehört.  Madeira  und  di 
Azoren  fallen  an  Deutschland,  alle  übrigen  Kolonia. 
besitzungen  Portugals  an  England."  (Zunehmende 
freudige  Bewegung.  Man  machte  also  doch  noch  ein 
Geschäft  I) 

„IV.  Wie  aus  dem  Tenor  dieser  Abmachung  he: 
vorgeht,  ist  in  der  Garantierung  des  britischen  ^' 
sitzstandes  zugleich  involviert,  dass  der  Europäiscß^ 
Bund  zu  Wasser  und  zu  Lande  mit  allen  ihm  lu 
Gebote  stehenden  Mitteln  gegen  die  Übergriffe  Anie 
rikas  und  Japans  den  britischen  Interessen  zur  Seite 
steht.  Jeder  einseitige  Friedensschluss  der  KonTc 
henten  mit  den  genannten  Mächten  wird  ausdrückbc:. 
und  feierlich  ausgeschlossen." 

Meine  Herren,  ich  sehe,  dass  Sie  den  Sni 
dieses  Schriftstücks  voll  erfassten.  Wir  behalte: 
Suez  und  Kapstadt,  mehr  können  wir  nicht  verlangf^ 


—     657     — 

vexui  wir  damit  unser  Gesamtreich  für  alle  Zukunft 
lecken.  Ich  habe  nur  noch  hinzuzufügen,  dass  nach 
Ihrer  Genehmigung  des  Vertrages  der  deutsche  Bot- 
»cliafter  an  Japan  wegen  der  Sundainseln,  der  fran- 
lösische  an  die  Vereinigten  Staaten  wegen  der  fran- 
:ösischen  kleinen  Antillen,  beides  Bestandteile  der 
Bimdesgemeinschaft,  den  Krieg  erklären  wird  im 
Mamen  des  Europäischen  Bundes." 

Einstimmig,  sogar  unter  Teilnahme  der  Iren, 
interzeichnete  das  Abstinunungsvotum  des  briti- 
schen Parlaments  eine  Uikunde,  welche  für  immer 
ias  Aussehen  des  Erdballs  ändert,  die  verdiente 
und  durch  jahrtausendlange  Kulturarbeit  verbriefte 
Suprematie  Europas  für  ewig  begründet,  die  Streitaxt 
zwischen  europäischen  Brudervölkern  begräbt  und 
der  gelben  wie  der  transatlantischen  Weltgefahr  ein 
jähes  Ende  bereitet. 

Das  walte  Gottl  Die  Vereinigten  Staaten  von 
Europal 


Ende. 


Völker  Europas  .  .  . !  42 


Anhang. 

Tabelle  der  britischeii  Flotte  1906. 

Im  Text  ist  kriegsmässige  Zasammensetzong  unter 
mannigfachem  Austausch  von  Schiffen  zwischen  den  ver- 
schiedenen Geschwadern  angenommen.  Verschieboc: 
von  Teilen  der  Mittelmeerflotte  nach  Norden  kann  12 
vielen  Fällen  schon  jetzt  festgestellt  werden.  Die  ix 
Text  ausserhalb  der  tatsächlich  schon  bestehenden  Schi^e 
angefahrten  Schiffsnamen  sind  erfunden  for  isneriuib 
nächster  Jahre  zu  bauende  Reserveschiffe,  gerade  «c 
wie  far  deutsche  etwaige  Neubauten  erfundene  Name: 
geboten  werden  mussten.  Im  ganzen  dürften  deutsche 
Marinekreise  bisher  keine  ähnlich  vollzählige  Ordre  de 
Bataüle  britischer  Seemacht  besitzen.  Die  mit  eines 
Stern  versehenen  Namen  sind  im  Text  anderem  V^lr- 
kungskreis  zugeteilt 

Mittelmeer  (Malta  und  Gibraltar)  Admiral  Lere 
Beresford.  Vizeadmiral  Maj.  Sc  hl  achtschiff  di^  > 
sionen:  Rearadmiral  Sir  Chichester  (Gibraltar).  Rer- 
admiral  Bridgeman  (Malta).  Reserve:  Rearadmiral  S- 
Percy  Scott  (Malta).  Kreuzerdivision  en:  Rearadmin 
Prinz  Ludwig  Battenberg.  Rearadmiral  Hononiable  S- 
Hepworth  Lambton. 

„Prince  of  Wales**  (Admiralsflaggschifl%  gRamillit?" 
(Flaggschiff),  „Anson**,  „Bulwark**  (Flaggschiff),  .Rcvengt*. 
„Empress  of  India**,  „Irresistible"  (Flaggschiff  Biidgemacf 
„Implacable**,  „Camperdown**,  „Devastation",  JSalta:*. 
„London***,  „Queen***  (vom  Kanal  wieder  zurückbeordft. 
„Hood"*,  „Cäsar***,  „Excellent"*,  „Venerable«*  .Fcm- 
dable***  „Defiance***,  «Repulse***,  „Royal  Oak***  ^Hanr- 
bal***  „Malta***,  „Royal  Sovereign«*.  (,,Cäsar*^  seh  n 
Kanal,  Kreuzer  „Niobe**,  heut  Flagpchiff  Gambiers.  R(^' 
serve,  „Repulse*«  „Oak**,  „Defiance**).  ^Nüc**,  «Trafen 

2.  Kreuzerdivision  (Korfu):  „Drake**  (Flac-- 
schiff),  „Comwall**,  „Cumberland**,  „Bahama**,  ^.BiäK 
Prince**,  „Berwick**,  „Niobe**.  II.  Klasse:  „Thesexis' 
„Dido***,  „Hebe***,  „Scylla**  (heut  Chatam),  ^Gibralrnr. 

3.  Kreuzerdivisin  (Port  Said):  ^Xeviathi:^* 
(Flaggschifi).  „Lancaster***,  „Suffolk",  „Camarvon**,  -Moc- 
mouth**  (z.  Z.  Colombo),  „Egmont**,  ••Minerva'*.  IL  KIa5?f : 
„Venus**,   „Orlando",   „Narcissus**,  „Undaunted*^.  -B^'* 


—     659     — 

ham^\  Kleinere  Kreuzer:  „Hasard^S  „Saiamander^S 
„Scylla",  „Charybdis",  „Hossar^S  „Fortress**,  „Fearless" 
usw.  Destroyers:  „Bmizer**,  „Foam***,  „Boxer***,  „Ar- 
dent***,  „Griffon***,  „Dragon***,  „Mallard**,  „Banshee***, 
„Stag**  usw.  Mnnitions-  und  Torpedovorratsschiff  „Vul- 
kan**. Despatch  -  Vessel  „Surprise**.  Hospitalschiff: 
„Maine**.  Torpedodepotschiff  „Hekla**  (Port  Said).  26 
Schlachtschiffe,  24  grosse  Kreuzer  (12  L  Klasse). 

Kanal  (Pl3rmouth,  Portsmouth) :  Admiral  Bowen-Smith, 
Adm.  Wilson.  Vizead.  Howe,  Drury.  Rearad.  Gross, 
Neville.    (Wilson  aktiver  Admiral,  wie  Adair  bei  Reserve.) 

„Exmouth**  (Flaggschiff  Wilsons),  „Jupiter**  (früher 
(Malta),  „Swiftsure**,  „Resistance**,  „Redoutable**,  „lUustri- 
ous",  „Victorious***,  „Barfleur***,  „Cambridge**,  „(Goliath***, 
„Triumph**  (früher  Clydedivision,  Schlachtschiff  I.  Klasse 
1904)»  „Hibemia**  (dito  1906),  „Indus**,  „Britannia**,  „Pre- 
sident** (ersteres  1906  als  Schulschiff,  letzteres  als  Kästen- 
panzer bei  Dartmouth  und  Schottland  ausrangiert),  „Maje- 
stic***,  „Glory***,  „Albemarle**,  „Rüssel***,  „Cornwallis**. 

4.  Kreuzerdivision:  „Good  Hope**  (Flaggschiff 
Nevilles),  „Devonshire**,  „Euryalus**,  „Sutlej**  (früher 
China),  „Essex**,  „Donegal**  (alle  I.  Klasse  neuesten  Typs). 

„Hawke**,  „Edgar**,  „Latona**,  „Juno**,  „Ariadne***, 
„Endymion**,  „Europa**,  „Research***,  „Argus***,  „Blake**, 
„Impregnable**,  „Terrible**  (Flaggschiff  Cross*)*,  „Hermi- 
one**,  „Thames***,  „St  George***,  „Pembroke**,  „Wallaroo** 
(bis  1906  Australien),  „Furious***.  Kleinere  Kreuzer:  „Le- 
ander**, „Terror**,  „Gladiator**,  „Topaze**,  „Petroleum**. 
Destroyers:  „Havock**,  „Boyne**,  „Ouse**,  „Colne**, 
„Kaie**,  „Lee**,  „Success**,  „Blackwater**,  „Bittem**, 
„Gipsy**,  „Roebuck**.  („Hawke**,  der  jedoch  stets  als  grosser 
Kreuzer  galt,  „Edgar**,  „St  George**  angeblich  noch  unge- 
panzert). 20  Schlachtschiffe,  24  grosse  Kreuzer  ( 10  L  Klasse). 
K.  B.  „Dryad",  „Blazer**,  „Bustard**,  Shoreship  „Reggis**. 

Nordsee  (Ros3rth,  Clyde)  Admiral  Sir  H.  L.  Pearson, 
Höchstkommandierender  im  Norden.  Vizead.  Mann, 
Rearad.  Campbell,  Henderson,  Winsloe.  „Captain**, 
„Valiant**,  „Active**,  „Thunderer**,  „Glasgow**,  „Coura- 
geous**,  „Duncan**  (früher  Malta),  „Remarquable**,  „Re- 
nown**,  „Dreadnought**  (Kapitän  Bacon  vom  „Irresistible**). 

42* 


—     660     — 

I.  Kreuzerdivision:  »Jnvincible»*  (Typ  oberstes 
Ran|3[e8),  „Natal**,  „Minotani**,  «.Gloncester  (aDc  Tkr 
allererster  Klasse),  »J-eicestershire***,  „Olympia-,  «Lös- 
dondeny**,  „Imperieuse^,  „Polyphem'*,  ^chater.  J^ 
gyll",  ^partiate",  „Powerful"  (Typ  L  Klasse),  ^trim-. 
„Roxburgh",  „Hampshire^  „Gräften**.  Transportmanoe- 
schoner  „Philomela**,  Riesendampfer  „LnsitaDJa**  (3S00: 
Tonnen,  25  Knoten).  Depotschifl  „Tyne",  Spcc  ,.Heani- 

1.  Permanente  Flottille:  ,;Saphii**.  KreBier. 
Flaggschiff  Winsloes.  Kleinere:  ,,Siiias%  «Hyamtii". 
„Circe**.  Destrojers :  „Gossamer**, , Jason**,  „Flybig  Fish-. 
„Contest**,  „Doon**,  „Teazer**,  »,Chee^weIl^  ,.Garn-. 
„Vulture**,  „Ribble**,  »Jtecruit**,  „Dee^  „Exe**.  -Sör. 
„Brazen",  „Eden«,  „Vixen",  ,,Ferret",„Da8her*,,Siiapper. 
„Hörnet«,  „Racer«.  Scouts:  „Pathfinder«,  .Forward*  ns». 
IG  Schlachtschiffe,  18  Kreuzer  (12  L  Klasse). 

Reserve  (Sheemess^Chatam- Devonport).  Admiri 
Beaumont  Rearad.  Adair  (früher  Malta)  und  GamHe 
„Resolution***  (Flaggschiff),  „Albion^  „Colossns-,  ^CaD> 
pus**,  „Ocean**,  „Magnificent**»,  „Dominion***, „Mair.^a 
ward  VIl.**,  „Vengeance**  (reformiert,  19  Knoten)*.  S\^- 
tory**,  „Commonwealth***,  „Prince  Geoi^e",  „Ccntorior 

2,  Permanente  Reservedivision  undFlottiUc 
Kreuzer  „Talbot",  „Argonaut**,  „Abukii**,  „Vindictire- 
„Bedford**,  „Hogue**  (bis  1906  Westindien).  TL  Klasse 
„Doris**,  „Thetis**  (bis  1906  Port  Said),  J[phigellia^  Jsr 
(bis  1906  Malta,  Kadettenschiff),  „Blenheim^  ,3achani " 
„Cynthia**,  „Cygnet**.  Destroyers:  „Opossum«,  S^okv. 
,Lynx**,  „Chelmer**,  „Greyhound**,  Swordfish-,  -Mj^* 
midon**,  „Bat**,  „Ure**,  „Wear**,  „Mermaid^  Jto>- 
„Wolf*,  „Sunfish**,  „Rother**,  „Salmon**.  Toipcdoscha.- 
schiff  „Actäon**.  „Bonadventure**  (früher  Kreuzer  in  Cto 
Depot  for  Submar.  „Vivid***.  Surveying  Vessei  ^Tritor 
Scout„Skirmisher**,  „Foresight«.  Panzer  „Hindostan-.-N^* 
Zealand**,  „Afiica**  entsendet  Kreuzer  „Forth-  br 
Destroyers.    17  Schlachtschiffe,  17  Kreuzer  (7 1 1^^^ 

Atlantic  (4.  Cruiser)  Squadron  (Kingston.  Ber- 
mudas, Halifax,  Newfoundland  Fishery).  Admiral  >^ 
Bosanquet  Rearad.  Sir  Egerton. 

Kreuzer  „Royal  Arthur«  (Flaggschiff,  früher  Kani« 


—     661     — 

^Highflyer^  (früher  Kadettenschiff,  Kanal),  „Brilliant^, 
^Dakeof  fidinbnrgh**  (Neafandiand),  „Camberlan*',  ^^lora", 
..Arrogant**.  —  „Amethystes  „Sappho*'  (Neafandiand,  deta- 
chiert nach  Chatam),  „Diamond''.  Sarveying  Vessels: 
„£geria'',  ^Sphinx^  („Arthar",  „Highflyer"  angeblich  noch 
angepanzert}.  Nenerdings  „Earyalas*'  Flaggschiff„Thamar^. 

AsiaticandEast-India-Sqaadron.  Vizeadmirale 
Sir  Edgar  Poe  and  Sir  A.  Moore.  Kreazer  „Hermes** 
(FlaggschifiF),  „Indefatigable**  (Singapore,  arsprünglich  zar 
4.  Division  gehörig),  „Perseas^  (East-India),  „Andromeda" 
„Asträa«,  „King  Alfred«  (FL-Sch.  Moores),  „Kent***  „Fox«* 
(Aden),  „Proserpina",  K.B.  „Robin*%  „Redbreast**,  „Thistle**, 
„Britomart**,  „Bramble**,  „Lapwing**  (Shangai),  „Dwari**. 
Despatch  Vessel:  „Alacrity**,  Sloops  „Clio**,  „Cadmas**. 

Aastralien.  V.-A.  Sir Wilmot Fawkes.  „Prometheas** 
(Sidney)*,  „Calliope",  „Challenger" ,  „Pioneer**  (beide 
Melboame),  „Taalanga**  (Melanesien),  „Kangaroo**, 
„Psyche**,  „Pegasas**.  Kleinere  Kreazer:  „Pandora**,  „Am- 
phitrite**,  „Amazon**,  „Äolas**.  Sloop„Shearwater"(Victoria). 
Heat  „Powerfiil**,  Flaggsch.,  „Äolas**,  „Amphitrite**  Kanal. 

Cape  of  Good  Ho pe-Sqaadron (Kapstadt).  Rear- 
admiral  Damford.  „Crescent**  (FlaggschiilO ,  „Peloras»*, 
„Forte**,  „Niger**,  „Ganges**,  „Terpsichore**  (Sansibar), 
Wachtschiff  „Goldfinch**  (Dakar). 

Fern.  Kreazer: „Cochrane", „Magician**, „Medasa**, 
„Agamemnon**,  „Fireqaen**,  „Cressy**,  „Diadem**,  „Diana", 
„Kestrell**.— „  Vigilant**,  „Sylvia**,  „Zephir**,  „Rinaldo**,  „Val- 
tare**,  „Aran**,  „Daneddin**,  „Rivaz",  „Thorne**,  „Tene- 
dos**,  „Cormorant**.  Scoats  „Adventare**,  „Attentive**,  De- 
stroyer  „Indastry**,  „Ettrick**,  „Eme**,  „Spanier**,  „Weiland", 
„SeaguU**,  ,Jad**,  „Falcon**,  „Kennet**,  „Osprey**,  „Affrid". 

Nene  Schliffe  von  1906:  Monstreschiff  „Dread- 
noaght**,  vier  andere  gleichen  Typs  beschlossen.  „  H  i  b  e  r  - 
nia",  Kreazer  „Minotaar**,  „Forth**,  „Natal** 
(14  000  Tons).  1905 :  „  E  a  r y  a  1  a  s  **,  6  Typ  „Devonshire**, 
9„Kent**.  Klasse  „Edward  VII.**,  „Dominion**,  „Common- 
wealth**, „Hindostan**,  „New-Zealand**. 

Alte  Schiffe:  „Britannia**,  „CoUingwood** ,  „Asia**, 
„Inconstant**,  „Northamberland**,  „Bellerophon**  als  aas- 
rangiert,  wahrscheinlich  za  Küstenpanzem  amgeformt 


—     662     — 

In  Auktion  verkauft  als  Schiffe  UL  Klasse:  ,^apeit'. 
,,Amphion^S„IronDnke*%  Kreuzer  ,4>anae^,  ,4-eda**,«Piir 
„Vincent^,  „Ringaroma*^  und  5  Kanonenboote  L  Klasse. 

Kustenpanzer:  ,Julia**  (Clyde),  z.Z.  auch  .J^rcs- 
dent«"  (Schottland),  „Britannia'SKreuzeT^Espiegle^  (Kanal. 

Im  glänzen  zuizeit  73  oder  70  Linienschiffe  (eikh- 
sive  ,Jndu8^,  „President^,  „Britannia*'),  ixo  grosse  Kies* 
zer  von  5— 14000  Tonnen.  Angabe  in  nenen  deatsches 
Fachwerken  55  Linienschiffe,  82  grosse  Kreuzer,  1720Q00 
Tonnen  ist  schon  heut  veraltet,  überholt  BemanDuiu: 
dürfte  mit  95  000  für  Linienschiffe  und  grosse  Kreoie:. 
S5000  für  alle  kleineren  Einheiten  nicht  zu  hoch  bemessec 
sein.  Nach  neuester  Verordnung  haben  nur  die  Schlacb:- 
schifle  I.  Klasse  („Triumph«,  „Edward  VU.'O  imd  Kiea 
zer  I.  Klasse  Detachements  der  Royal  Marine  Aitüleiy. 
alle  anderen  bedient  von  Royal  Marine  Light  Isfaniry. 
während  früher  erstere  nur  f^  Schlachtschiffe,  letztere 
für  alle  Kreuzer  in  Betracht  kam.  Viele  neue  Kreoiei 
mit  4  und  noch  mehr  „power-worked*'- Geschützen  tob 
mindestens  9,2  Zoll  sind  stärker  als  ältere  Schlachtschid^e 
daher  obige  Umwandlung.  Wenn  man  bcdenkti  d^s 
nach  neuester  Berechnung  jeder  englische  Infanteris: 
jährlich,  in  deutsches  Geld  umgerechnet,  1150  Hark  da- 
heim, 1500  in  Indien  kostet,  jeder  Kavallerist  1260  qs<^ 
1650,  jeder  Pioneer  1550,  jeder  Fuss-  und  reitende  Ar- 
tillerist 1 180—1300,  1600— 1740  Mark,  so  mache  man  sich 
von  den  unerschwinglichen  Kosten  einen  Begriff,  die  em 
englische  See-  und  Landmobilisiemng  erfordert 

Bei  ,Dreadnought*  und  seiner  Klasse  (19000  Tonnen 
sind  statt  zehn  30  cm  von  uns  je  ein  34, 40,  42  cm  angenom- 
men, was  gesteigerter  Anforderung  besser  entspricht  ose 
durch  Wegfallen  von  fünf  30  cm  ausgeglichen  werden  kans- 
Jedes  Geschütz  Afterturret  wiegt  angeblich  100  Tonnen 
Rotgestrichener  Schornstein  (war-paint)  z.  B.  ,ßtdhT^' 

Commander  of  Portsmouth:  V.  Ai  Douglas.  Super- 
intendent of  Dockyards:  R.  Ad,  Barry.  Deputy-Adja; 
Gen.  of  R.  Marines:  Lieut  Gen.  Wright  Inspectoi  0 
Target  Shooting:  R.  Ad.  Scott  Überzählige  Aäsm^ 
Sir  Seymour,  Harris,  Bridge,  Fitzgerald,  Frecmantk 
Pensioniert:  R.  Ad.  Barrow,Bearcroa,  Mac  GiU  Cochnue. 


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—     663     — 

Nea  ernannt:  R.  Ad.  Field,  Tudor,  Inglefield.  Controller 
of  the  Navy:  Capt  Jackson.  Chief  Officer  of  Coastguard: 
Blackmore.  Constmctive  Manager:  Crocker.  Depot: 
Commodore  Fisher.    Oberintendant  Barlow. 

Schiessrecord :  bei  „Drake^^  Record  in  Coaling:  „Ar- 
gonaut*^ (53  Tons  per  Stande,  normal  23  „Resolution*'). 
Kohlenbedarf  för  Manöver:  600000  Tons.  Instraktions- 
schiff :  „Renown"  (Commodore  Tyrrowith)  statt  „Revenge**. 
Dolmetscher  för  deutsch:  Major  Kappy  bei  „Eurya- 
lus"  usw.  Drahtlose  Telegraphie :  „Garry**  usw.  Torpedoschul- 
schiff: „Vemon''.  Portsmouth:  Forts  Noman,  Blockhouse, 
Coaldepot  C.  1.  Sheemess:  Schiessschulschiff  „Cam- 
bridge".   (Auch  „Defiance",  „Endymion".) 

Gescheitert:  „Montague** (14 200 Tonnen,  1 9 000 Pferd e- 
kraff ,  Kosten  30  Millionen,  Bauzeit  5  Jahre).  Schiffbau- 
statten: Yarrow's  Poplar  Works  usw.  Neueste  Typs: 
Coastguard-Destroyers  „Gadfly".  Scouts  mit  iVa  Zoll 
Panzer,  zehn  12-,  acht  8-Pfundem,  zwei  Untertorpedo- 
ausstossrohren,  25  Knoten.  Im  Bau:  Kreuzer  „Shannon^, 
,.Defence",  27000  Pferdekraft,  6— 10 -zölliger  Panzer^  14 
Barbettegeschätze,  18  Zwölfpfander  „quick  fire*'.  5  Maxims. 

Neueste  französische  Schilfe  1906. 

„Michelet^S  „Renan'S  grosse  Kreuzer.  Im  Bau: 
„Danton'*  (18000  Tonn.  19  Knot  4  ä  30,  12  a  24  cm, 
1 6  Schnellfeuergeschütze).  Zum  Bau  befohlen :  „Voltaire". 
..Mirabeau",  „Condorcet**,  „ Vergniand".  Letztgeschaffenes 
Torpedoboot:  362  („Flottille  de  l'Oc^an,  Flottille  des  Mer 
de  Chine";  1902  erst 200 Torpilleurs).  Gesunken  „Farfadet". 

Spezialitat:  Avisotorpilleur  „Rance",  Mission  Hydro- 
graphique^Madagascar.  Bassin  far  Schiffsmodelle,  schwim- 
mende.  Schiessscheiben.  Telemeter  des  Major  G^rard- 

Ameiikasische  Marine. 

„Boston**,  „Chicago" ,  „Princeton",  „Marblehead", 
„Lancaster**,  „Galveston",  „Chattanoga",  ..Denver**,  „Ala- 
bama". —  „Charleston",  „Oeveland",  „Missouri**,  „Flo- 
rida", „Texas**,  „Bennington".  —  „Independance**,  „Con- 
stellation",  „Maine**,  „Massachusetts",  „Brooklyn**,  „Po- 
tomac**,  „Iowa**.  —  „Westvirginia",  „Pensylvania**,  „Mar}'- 
land",  „Colorado**.  —  „Illinois",  „Indiana",  „Kears- 
arge**,  „Gloucester",  ..Kentucky".  „Minneapolis**,  „Tren- 


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«» 


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ton**.  Kreuzer  „Concord**,  „Tacoma**,  «Monadnok' 
,JEagle*',  ,,Raleigh**,  ,»Marietta*S  „Dolphin**,  „Jusrir. 
„Mayflower**,  „Porter**,  „Nicholson**,  JBlakelef*,  ^Dg- 
pont**,  „Rodgers**,  „Des  Moines**,  „Dubuqne^,  Diydock 
Dewey**,  „Don Juan  d' Austria«  „Talbot",  „Ranger**.  Koste : 
Nashville**,  ,3tockton'*,  „Oregon-,  „Culgoa",  ^Terror. 
Hawai:  „Wisconsin**,  „Ohio**.  —  „Baltimore**,  „Haa- 
cock**,  Kreuzer  „Wolverine",  „Wabash**.  Neu:  „Rhode 
Island^  „Connecticut**,  „Virginia**,  ,J-uisiana^  Kreiuer 
„Washington**,  „New  Yersey**,  „Tennessee**,  Im  Ban: 
„Delaware**  (allerersten  Ranges),  „Newark**,  ,3eveni-. 
„Columbia**.  Ganz  neu:  „Greorgia**,  26  Knoten.  Amdlian 
Transports:  „Brutus**,  „Cäsar**,  „Glacier*.  DestroTers: 
„Dixie**,  „Rainbow**,  ,3aiTy**,  Bainbridge**,„Scncca-,  „Nm- 
gehow**,  „Preble",  „Perry**,  „Arkansas**,  ,,Na>ada"„JLoois^ 
Experts  drahtloser  Telegraphie :  Lieut  Commaoders 
Kaiser  und  Robinson.  Neue  Flottenstation:  Ca>ite. 
Patriotische  Neuerung:  Ehrenbezeugung  jedes  SchiSs, 
das  Mount  Vemon  (Washingtons  Haus)  passiert. 

Neueste  Vorlage:  Nur  ELreuzer  in  Asien,  alle 
Schlachtschiffe  „als  enorme  Flotte**  im  Atlant  Meer 
zusammenziehen,  alsogegenEuropaü  Warum  wohl :. 

Verhältnis  für  1908:  50  englische  Schiffe  nid: 
älter  als  16  Jahre.  32  erstklassig  gegenüber  13  Deutsch- 
land, 8  Frankreich,  angeblich  19  Amerika. 

Ital.  Marine.  Im  Bau:  „Roma**,  „Napoli**,  „Marco**, 
„Giorgio",  20  Torpediere  Typ  „Orione",  „Pegaso",  ^CigBö-. 
„Alcione",  Subm.  Typ  „Otaria**,  „Tricheco**,  .»NarraJoi^. 
Ausrangiert:  „StromboH",  „Messaggcxo",  ,,Archiinc<ic''- 
Österreich.  Küstensch.  K.  B.  „NautUuA*',  ^Albatros" 
usw.  Schweden.  Panzer  „Dristigheten**  usw.  JUmemBxt 
Kreuzer  „Hekla**  usw.    Norwegen«  K.  B.  »«Sleipoer". 

Anmerkung.  Bezüglich  des  französischen  £in^^ 
in  Kanton  Basel  ist  die  neue  strategische  Elsaß -Bahn 
Cemay-Dannemarie  gegenüber  Delle  mitberechnet 

Rhein.  Jäger  sonst  Schlettstadt,  Mecklenb.  Colmar. 
Hessendarmstadter  (S.  116}  als  wiederformiert  ange- 
nommen. (S.  143  Z.  26  lies  „Brigade**  statt  „Division' 
„Ers.  Wacht**,  „Danzig**,  „Königsberg**  im  Text  aiKio^ 
getauft 


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HARVARD  LAW  LIBRARY 
FROM  THE  LIBRARY 


RAMON  DE  DALMAU  Y  DE  OUVART 
MARQUES  DE  OLIVART 


Received  December  31, 191 1 


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