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Full text of "Von alter und neuer Kunst : ausgewählte kunstgeschichtliche Aufsätze"

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DR.   THEODOR    FRIMMEL 


VON  ALTER  UND 
NEUER  KUNST 


(AUSGEWÄHLTE    KUNST6ESCHICHTLICHE 

AUFSÄTZE) 


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CARL    STEPHENSON    VERLAG,    WIEN   1. 


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BÜCHER     DER     KUNST 


ERSTER   BAND 


FRIMMEL,  VON  ALTER  UND  NEUER  KUNST 


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DR.  THEODOR    FRIMMEL 


VON  ALTER  UND 
NEUER  KUNST 

(AUSGEWÄHLTE    KUNST6ESCH  ICHTLICHE 

AUFSÄTZE) 


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CARL   STEPHENSON   VERLAG,   WIEN   1, 


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Alle  Rechte, 

auch  die  des  Nachdruckes  und  der  Übersetzung, 

vorbehalten. 


Copyright  by  Charles  Stephenson,  Vienna. 


S£P  1  5  1975 


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Druck  der  Zaunrith'schen  Buchdruckerei,  Salzbure 


FRIMMEL,  VON  ALTER  UND  NEUER  KUNST 


INHALT. 

Seite 

Die  Bellerophongruppe  des  Bertoldo 1 

Die  Terrakottabtisten  des  Alessandro  Vittoria  im  Österreichischen   Museum 

für  Kunst  und  Industrie 13 

Eine  Sl<ulptur  nach  Vesals  Anatomie 23 

Ein  Besuch  Thorwaldsens  in  Wien 26 

Einige  österreichische  Plastil<;er  des  18.  und  frühen  19.  Jahrhunderts  ....    30 

Lionardo  da  Vinci's  Auge 38 

Das  Wedigh-Bildnis  von  Hans  Holbein  dem  Jüngeren  in  der  Wiener  Galerie 

Schönborn-Puchheim 48 

Kunstgeschichtliche  Nachrichten  aus  Venedig 50 

Jakob  Toorenvliet  als  Wiener  Maler   und  die  Verteilung   seiner  Arbeiten  in 

österreichischen  Galerien 69 

Hans  Canon 82 

Carl  Friedrich  Lessing 102 

Ein  Brief  Anselm  Feuerbachs  an  den  Minister  Strehmayr 122 

Aus  der  Menzel-Ausstellung 128 


ABBILDUNGEN. 

Bertoldo    di   Giovanni :    Bellerophongruppe.  —  Alessandro  Vittoria :   Terrakotta- 
büsten. —  Hans  Holbein   der  Jüngere :    Bildnis  des   Hermann  Wedigh.  —  Jakob 
Toorenvliet:  Der  Trinker.  —  Carl  Friedrich  Lessing:  Harzlandschaft. 


VORWORT. 


Jahrzehnte  sind  es,  die  ich  dem  Studium  der  Künste,  zumeist  der 
bildenden  Künste  gewidmet  habe.  Unterbrochen  wurde  es  nur  durch 
Arbeiten  über  klassische  und  romantische  Musik,  die  ott  wochenlang 
das  Hauptgewicht  erhielten.  DaB  ich  auf  den  angedeuteten  Gebieten 
emsig  gearbeitet  habe,  ist  wohl  schon  bekannt,  und  ein  ansehn- 
licher Sto&  von  eigenen  Arbeiten  liegt  aufgehäuft,  darunter  nicht 
zulebt  auch  solche  über  bildende  Kunst.  Nur  zum  Teil  aber  wurden 
sie  soweit  beachtet,  daB  ich  sie  nicht  als  vergessen,  verloren  be- 
trachten mü^te.  Manches  ist  ja  in  wenig  gelesenen  Monatsschriften 
und  Tagesblättern  versteckt;  oder  bei  anderen  Studien,  die  in  her- 
vorragenden Blättern  erschienen  sind,  habe  kh  keine  Sonderabzüge 
erhalten,  was  ich  besonders  bei  der  Arbeit  über  Bertoldo  zu  be- 
klagen hatte.  Ich  konnte  diese  Arbeit  nicht  einmal  dem  Entded<er 
der  Bellerophongruppe  des  Bertoldo,  dem  mir  befreundeten 
L  Courajod,  in  der  herkömmlichen  Weise  übersenden.  Ähnliche 
Hindernisse  der  Verbreitung  stellten  sich  auch  bei  nodi  anderen 
Aufsähen  ein.  Deshalb  habe  ich  den  Gedanken  des  Herrn  Ver- 
legers gerne  aufgegriffen,  ein  Buch  herauszugeben,  das  unter  dem 
Titel  „Von  alter  und  neuer  Kunst"  einige  meiner  wenig  verbreiteten 
früheren  Arbeiten  mit  Ergänzungen  und  Verbesserungen  zusammen- 
faßt. Die  alte  Form  der  Aufsäfee  ist  im  wesentlichen  beibehalten, 
dodi  habe  ich  ab  und  zu  ohne  weiteres  einige  Fremdwörter  ver- 
deutscht und  andere  kleine  Änderungen  vorgenommen,  und  zwar 
ohne  besondere  Hinweise,  ohne  Klammern  oder  Fußnoten.  Die 
sachlichen  Verbesserungen  und  Zusäfee  verschiedener  Art  wurden 
zwischen  eckige  Klammern  [J'gesebt.  Dies  zu  den  Einzelheiten  der 
neu  bearbeiteten  alten  Studien.  —  Im  Ganzen  hoffe  ich  in  der  vor- 
liegenden Auswahl,  trob  der  guälenden  Ungunst  der  Verhältnisse, 
so  reichlichen  Stoff  geboten  zu  haben,  daß  nun  vielleicht  die  ehe- 
mals zum  Teil  übersehenen  Arbeiten  einen  neuen  Leserkreis  finden 
und  die  Wissenschaft  fördern  werden. 

Wien,  im  Herbst  1922.  Der  Verfasser. 


Die  Bellerophongruppe  des  Bertoldo.*^ 

Ser  Bartolomeo  Dei  schreibt  am  30.  Dezember  1491  seinem 
Onkel  Benedetto  Dei,  dem  beredten  Verteidiger  der  Medici  gegen 
das  venezianisctie  Pamptilet:  „Bertoldo  scultore  degnissimo,  e  di 
medaglie  optimo  fabricatore,  el  quäle  sempre  col  magnifico  Lorenzo 
faceva  cose  degne,  al  Poggio  s'e  morto  in  due  di.  Ctie  n'e  danno 
assai  e  a  lui  e  molto  doluto  die  non  se  ne  trovava  un  altro  in  Tos- 
cana  ne  forse  in  Italia  di  si  nobile  ingegno  e  arte  in  tali  cose."i} 

Der  Künstler,  um  den  es  sidi  in  dem  Briefe  tiandelt,  ist  Bertoldo, 
der  Sdiüler  des  Donatello,  der  Lehrer  des  Michelangelo,  ein  Meister, 
der  in  der  florentinisdien  Kunst  des  15.  Jahrhunderts  einen  überaus 
bedeutsamen  Plab  einnimmt.  Durch  ihn  reidien  sich  der  größte 
Plastiker  des  Quattrocento  und  der  Künstlertitan  des  Cinquecento 
geishg  die  Hände. 

Bertoldo's  Entwicklungsgang  ist  so  gut  wie  unbekannt  und  läßt 
sich  nur  aus  der  stilkritischen  Betrachtung  der  Werke  seiner  reifen 
Zeit,  aus  Andeutungen  der  Quellensdiriftsteller  und  aus  wenigen 
Urkunden  mit  einiger  Wahrsdieinlidikeit  vermuten.  Milanesi  lägt  ihn 
um  1420  geboren  sein,  eine  Angabe,  die  Münfe  und  Heiß  akzeptiert 
haben.2)  Bertoldo's  Todesjahr  (1491)  beachtend  und  die  Angabe, 
daß  er  ein  hohes  Alter  erreicht  hat,  finde  idi  keinen  Grund,  dieser 
Aufstellung  zu  widersprechen.  An  versdiiedenen  Orten  wird  Ber- 
ioldo  als  Florentiner^)  und  als  Sohn  eines  Giovanni  bezeidinet.^) 


*)  Erstdruck  im  „Jahrbuch  der  K.  h.  Sammlungen  des  a.  h.  Kaiserhauses", 
Bd.  V  (1887),  S.  90—96. 

*)  Milanesi  e  Pini,  La  scrittura  di  artisti  italiani,  Florenz,  1876,  Text  zu  Nr.  60. 

2)  Milanesi  e  Pini,  a.  a.  O.  —  Müntz,  Precurseurs  de  la  Renaissance,  Paris 
und  London,  1882,  p.  187.  —  Heiss,  Les  Medailleurs  de  la  Renaissance,  Band 
von  1885,  p.  76. 

3)  So  bei  Vasari.  Um  rasch  einen  Ueberblick  zu  geben  über  das  was  Vasari, 
an  verschiedenen  Stellen  seiner  Vite  über  Bertoldo  mitteilt,  stelle  ich  gleich  hier 

1  I 


Als  Florentiner  bekennt  er  sich  selber  auf  der  Inschrift  einer 
Medaille.  DaB  er  ein  Schüler  Donatello's  gewesen,  wird  von  Vasari 
mehrmals  erwähnt  und  ist  nodi  nicht  angezweifelt  worden,  obwohl 
seine  Werke  diese  Schülerschaft  nidit  eben  auffällig  bestätigen. 
Weder  der  Donatello,  der  in  seinem  Stiacciato  sich  der  Technik 


alle  diese  Stellen  zusammen:  Le  Monnier,  III,  261  (Milanesi,  II,  416).  Im  Leben 
des  Donatello;  von  diesem  ist  die  Rede  und  von  seinen  Arbeiten  für  San  Lorenzo 
zu  Florenz:  Ordinö  ancora  i  pergami  di  bronzo,  dentrovi  la  passione  di  Cristo; 
.  .  .  quali  non  potendo  egli  per  vecdiiezza  lavorare,  fini  Bertoldo  suo  creato, 
ed  a  ultima  perfezione  li  ridusse.  —  Le  Monnier,  III,  267  (Milanesi,  II,  423). 
Von  der  letzten  Zeit  des  Donatello  wird  gesprochen:  .  .  .  le  cose  dell'arte  lascid 
ai  suoi  discepoli:  i  quali  für ono  Bertoldo,  scultore  fiorentino,  die  l'imitö  assai, 
come  si  puö  vedere  in  una  battaglia  in  bronzo  d'uomini  a  cavallo  molto  bella, 
la  quäle  e  oggi  in  guardaroba  del  duca  Cosimo;  Nanni  d' Antonio  di  Banco  .  .  . 
In  den  Anmerkungen  beider  Vasari-Ausgaben  wird  Bertoldo's  Medaille  auf  Maho- 
met  besprochen.  Bezüglich  der  „battaglia"  heißt  es  in  beiden  Ausgaben:  anzi 
alcuni  dubitano  se  sia  o  non  sia  quella  iudicata  dal  Vasari,  perche  lor  sembra 
troppo  bella  per  essere  creduta  die  Bertoldo.  Le  lodi  gia  date  alla  medaglia  di 
Maometto,  e  piü  il  confronto  di  essa  con  questo  lavoro,  potrebbero  togliere  il 
dubbio.  —  Le  Monnier,  III,  269  (Milanesi,  II,  425)  gegen  Ende  der  Vita  des 
Donatello:  Rimase  a  Bertoldo,  suo  creato,  ogni  suo  lavoro,  e  massimamente 
i  pergami  di  bronzo  di  San  Lorenzo ;  die  da  lui  furono  poi  rinetti  la  maggior 
parte  e  condotti  a  quel  termine  che  e'  si  veggono  in  detta  diiesa.  —  Le  Monnier, 
VII,  204  (Milanesi,  IV,  257).  In  der  Vita  des  Bildhauers  Torrigiano  wird  von  den 
hervorragenden  Talenten  gesprochen,  die  Lorenzo  Magnifico  zu  sich  heranzog: 
.  .  .  Era  allora  custode  e  capo  di  detti  giovani  Bertoldo  scultore  fiorentino 
vecchio  e  pratico  maestro,  e  stato  gia  discepolo  di  Donato ;  onde  insegnava  loro, 
e  parimente  aveva  cura  alle  cose  del  giardino,  ed  a'  molti  disegni,  cartoni  e 
modeln  di  mano  di  Donato,  Pippo,  Masaccio,  Paolo  Ucello.  Fra  Giovanni,  Fra 
Filippo,  e  d'altri  maestri  paesani  e  forestieri  ...  —  Le  Monnier,  X,  246  (Mila- 
nesi' VI,  201).  Im  Leben  des  Malers  Bugiardini  heißt  es  von  diesem:  .  .  .  essendo 
giovinetto,  il  principio,  de' suoi  studi  fu  nel  giardino  de  Medici  in  sulla  piazza 
di  San  Marco:  nel  quäle  seguitando  d'imp arare  l'arte  sotto  Bertoldo  scultore, 
prese  amicizia  e  tanta  stretta  familiaritä  con  Michelangelo  Buonarotti,  che  poi 
fu  sempre  da  lui  molto  amato  ...  —  Le  Monnier  XII,  162  f.  (Milanesi,  VII,  141  f.) 
In  der  Vita  des  Michelangelo :  Teneva  in  quel  iempo  il  Magnifico  Lorenzo  de' 
Medici  nel  suo  giardino  in  sulla  piazza  di  San  Marco  Bertoldo  scultore,  non 
tanto  per  custode  o  giardiano  di  motte  belle  anticaglie  che  in  quello  aveva 
ragunate  e  racolte  con  gründe  spesa,  quanto  per  che,  desiderando  egli  somma- 
mente  di  creare  una  scuola  di  pittori  e  di  scultori  eccelenti,  voleva  che  elli 
avessero  per  giuda  e  per  capo  il  sopradetto  Bertoldo,  die  era  discepolo  di 
Donato;  ed  ancora  che  e'  fusse  si  vecdiio,  die  non  potesse  piü  operare,  era 
nientidimanco  maestro  molto  pratico  e  molto  reputato,  non  solo  per  avere 
diligentissime  rinettato  il  getto  de'  pergami  di  Donato  su  maestro,  ma  per 
molti  getti  ancora  die  egli  aveva  fatti  di  bronzo  di  battaglie  e  di  alcune  altre 
cose  piccole,  nel  magisterio  delle  quali  non  si  trovava  allora  in  Firenze  chi 
lo  avanzasse  .  .  .  Wenige  Zeilen  weiter  unten  wird  bezüglich  des  jungen  Torri- 
giano erwähnt:  .  .  lavorava  di  terra  certe  figure  tonde,  che  da  Bertoldo  gli 
erano  State  date  .  .  .  [Zu  beachten  auch  die  Anmerkungen  in  der  neuen  Vasari- 
Uebersetzung  von  A.  Gotschewski  und  G.  Gronau}. 

4)  Gonzati,   La  basilica  di  St.  Antonio  di  Padova,   Padua,   1852,   I,   S.  136 
und  XC. 


antiker  Gemmen  anschlieBt.  noch  der  Donatello,  der  sich  einem  aus- 
gesprochenen Realismus  hingibt,  ist  für  Bertoldo's  Stil  maBgebend 
gewesen.  Was  sie  beide  gemein  haben,  den  Sinn  für  lebhafte  Be- 
wegung, das  ist  mehr  etwas  von  vornherein  Gegebenes,  als  etwas, 
das  einen  Schulzusammenhang  beweisen  könnte.  Bertoldo  ist  aller- 
dings auch  Nachahmer  der  Antike;  diesen  Zug  aber  kann  er  der  Zeit 
überhaupt,  in  welcher  er  lebte,  verdanken;  nicht  gerade  von  Dona- 
tello mu6  er  ihn  ererbt  haben,  wenngleich  dies  am  wahrschein- 
lichsten ist.  In  den  legten  Jahren  des  Donatello,  der  1466  gestorben 
ist,  war  Bertoldo  dessen  bevorzugter  Schüler,  dem  die  Vollendung 
der  Reliefs  an  der  Kanzel  von  San  Lorenzo  zu  Florenz  anvertraut 
wurde.  Bertoldo's  Biographie  bleibt  dann  wieder  dunkel  bis  in  die 
lebten  Jahre  seines  Lebens. 

Ein  Brief  von  1479,  mitten  in  den  Nöten  des  Krieges  in  gereizter 
Stimmung  verfaßt,  übrigens  launig  geschrieben,  den  Bertoldo  an 
den  kunstliebenden  Mediceer  gerichtet  hat,  ist  uns  im  Archivio 
Mediceo  erhalten.^)  Das  Sdireiben  ist  ein  wohl  ironisch  gemeintes 
Bittgesuch  um  die  Stellung  eines  Küchenmeisters.^)  Am  Abende 
seines  Lebens  finden  wir  den  Künstler  mit  Padua  in  Verbindung. 
Möglicherweise  war  er  schon  mit  Donatello  dahin  gekommen,  als 
dieser  1443  des  „Gattamelata"  wegen  nach  Padua  übersiedelte. 
Erst  im  Jahre  1483  aber  wird  von  einer  Tätigkeit  des  Bertoldo  in 
Padua  ausdrücklich  gesprochen.  Gonzati^)  beriditet,  Bertoldo  hätte 
zwei  Reliefs  mit  Jonas,  der  ins  Meer  geworfen  wird  und  mit  dem 
Durchzug  durchs  rote  Meer  für  den  Santo  zu  Padua  anfertigen 
sollen.  Seine  Güsse  hätten  aber  wahrscheinlich  nidit  befriedigt, 
denn  Vellano,  ein  anderer  Schüler  des  Donatello,  erhielt  bald  darauf 
den  Auftrag,  die  Reliefs  mit  jenen  Darstellungen  auszuführen.  Die 
alternde  Hand  des  Bertoldo  oder  der  Lokalpatriotismus  der  Padu- 
aner  mag  diese  Zurückweisung  verschuldet  haben. 


5)  Gualandi,  Nuova  raccolta  di  lettere  sulla  pittura,  scultura  et  architettura  . . ., 
Bologna,  1844,  I,  S.  14.  (Brief  vom  29.  Juli.)  Milanesi  e  Pini  a.  a.  O. 

6)  Aus  dem  Anfange  des  Briefes  können  wir,  nebstbei  bemerkt,  den  Schluß 
ziehen,  Bertoldo  sei,  wie  ja  zu  erwarten,  auch  in  den  Lehren  der  Perspektive 
bewandert  gewesen  und  der  Architektur  nicht  ferne  gestanden.  Denn  er  schreibt : 
„In  questo  punto  ho  getta^o  via  ceselli,  iscarpelli  seste,  siquadra,  cera,  fuscelli, 
architettura,  prospettiva..."  Neben  den  Gegenständen,  die  den  Ziseleur 
und  Bildhauer  anzeigen,  liest  man  also  auch  von  Baukunst  und  Perspektive. 

7)  Gonzatti,  a.  a.  O. 


1* 


Im  Jahre  1485  wird  Bertoldo  im  Gefolge  des  Lorenzo  Magnifico 
bei  Gelegenheit  einer  Reise  nadi  Morba  erwähnt.») 

Alt  geworden,  wird  der  Künstler  vom  Mediceer  versorgt,  der  ihn 
zum  Aufseher  der  Kunstsammlungen  im  Garten  bei  San  Marco  und 
zum  Lehrer  der  jungen  Talente  madit,  die  er  in  jenem  Garten»)  her- 
anbilden lieg.  —  Dort  hat  auch  der  junge  Michelangelo  die  Lehren 
des  Bertoldo  vernommen. ^o) 

Gegen  Ende  von  1491  stirbt  dann  der  bei  seinen  Zeitgenossen 
hoch  angesehene  Künstler  zu  Poggio.^i) 

Von  den  Arbeiten  Bertoldo's  ist  uns  manches  erhalten  ge- 
blieben, das  von  der  Bedeutung  des  Künstlers  Zeugnis  ablegt.  Noch 
in  Zusammenhang  mü  Donatello  wurde  Bertoldo  als  der  Vollender 
der  Kanzelbrüstung  von  San  Lorenzo  zu  Florenz  genannt.  Donatello 
konnte  vorgerückten  Alters  wegen  die  Arbeit  nicht  mehr  selbst 
durchführen  und  überlieB  die  Vollendung  dem  Bertoldo.  Wohl  ist 
dabei  kaum  an  einen  Anteil  bezüglidi  der  Komposition  zu  denken; 
Bertoldo  dürfte  das  Werk  nur  ziseliert  haben.12)  ,,Rinetatto",  sagt 
Vasari.  Ist  der  Aretiner  hier  gut  unterriditet,  so  bleibt  ein  Anteil  am 
Modellieren  sehr  unwahrsdieinlidi,  da  es  der  Zusammenhang  ver- 
langen würde,  ihn  zu  nennen,  wenn  ein  solcher  zu  nennen  gewesen 
wäre.  (Die  Ansichten  über  den  Anteil  Bertoldo's  sind  übrigens  geteilt. 
Da&  die  großen  Reliefs  an  der  Kanzel,  soweit  sie  überhaupt  aus  jener 
Zeit  sind,  von  Donatello's  Hand  herstammen,  wird  nirgends  bestritten. 
Bezüglich  der  Relieffriese  aber,  die  über  den  großen  Darstellungen 


8)  A.  de  Reumont,  Lorenzo  de'  Medici,  2  Auflage,  II,  348  (nach  De  Lungo). 

9)  Vergl.  Vasari,  passim.  Condivi,  Leben  des  Michelangelo  (Eitelberger's 
Quellenschriften,  VI,  S.  13).  A.  de  Reumont,  Lorenzo  de'  Medici,  2.  Auflage,  II, 
167  f.  E.  Müntz,  Precurseurs,  S.  167  ff.  und  187  ff. 

10)  Es  ist  nicht  unwahrscheinlich,  daß  der  jugendliche  Schüler  in  seinem 
unvollendet  gelassenen  Relief  mit  der  Schlacht  der  Kentauren  und  Lapithen  die 
Ueberladung  mit  Figuren  seinem  Lehrer  verdankt,  den  wir  als  den  Schöpfer  eines 
ähnlich  überladenen  Reliefs  kennen  lernen  werden.  Eine  Anlehnung  im  Einzelnen 
wird  sich  wohl  kaum  nachweisen  lassen. 

11)  Gegenüber  der  Angabe  des  Briefes,  den  ich  eingangs  erwähnt  habe, 
kann  man  sich  einer  abweichenden  Angabe  des  Todesdatums  als  September  1492 
gegenüber  nur  sehr  reserviert  verhalten.  Heiss  a.  a.  O.  schreibt:  Suivant  une  note 
de  M.  G.  Milanesi,  qui  nous  a  ete  communiquee  par  M.  A.  Armand,  Bertoldo  etait 
fils  de  Giovanni  et  serait  mort  au  Poggio  a  Cajano,  maison  de  campagne  des 
Medicis  pres  de  Florence  en  septembre  1492. 

12)  Zu  diesem  Schlüsse  kommt  auch  H.  v.  Tschudi  in  seinem  Artikel:  Ber- 
toldo, für  das  Julius  Meyer'sche  „Neue  allgemeine  Künstlerlexikon".  Tschudi 
erinnert  auch  daran,  daß  am  Friese  der  Kanzel  die  Bezeichnung  mit  dem  Namen 
Donatello  angebracht  ist. 


sich  hinziehen  und  die,  flankiert  von  Gruppen  mit  Rossebändigern, 
anmutige  Spiele  nackter  Kinder  zur  Darstellung  bringen,  wurde  die 
Ansicht  geäußert,  dajs  hier  Bertoldo's  antikisierender  Gedankenkreis 
zu  erkennen  sei,  und  daB  man  eine  der  Stellen  bei  Vasari  dahin  zu 
deuten  hätte,  Bertoldo  sei  der  Schöpfer  jener  Friese.^»)  ich  meine, 
daB  die  spielenden  Kinder  hier  ganz  in  die  Familie  der  Donatello- 
sehen  Kinder  von  der  Kanzel  in  Prato  und  von  den  Chorschranken 
in  Florenz  gehören,  daB  ferner  die  Rossebändiger,!^)  vielmehr  aber 
noch  ihre  Pferde  mit  Bertoldo's  sonst  beobachtetem  Stile  nicht  in 
Einklang  zu  bringen  sind.  Eine  Ro&stirn,  die  der  Länge  nach  so  tief 
gefurcht  ist,  wie  sie  bei  einem  jener  Pferde  auf  dem  Friese  vor- 
kommt, kann  ich  bei  Bertoldo  nirgends  finden.  Die  Behandlung  des 
ganzen  Reliefs  überhaupt  stimmt  audi  nicht  mit  Bertoldo's  Weise 
überein.  Wenn  sich  im  Technischen  einzelne  auffallende  Analogien 
mit  Arbeiten  des  Bertoldo  finden,  so  kann  das  nichts  beweisen,  da 
ja  eine  äußerliche  Mitarbeiterschaft  des  Bertoldo  niemals  geleugnet 
worden  ist.  Die  Art  und  Weise  der  Ziselierung  der  Haare,  z.  B.  an 
dem  Friese  in  San  Lorenzo,  wiederholt  sich  an  den  wenigen  be- 
kannten Werken  des  Bertoldo  ziemlidi  genau.  Solche  äugerliche 
Übereinstimmungen  werden  vielleicht  die  Grenze  abgeben,  wie  weit 
man  die  Spuren  von  Bertoldo's  Hand  in  jenen  Reliefstreifen  ver- 
muten darf.  Ob  Bertoldo  die  Arbeiten  für  die  Kanzel  audi  gegossen 
hat  oder  nicht,  kann  uns  hier  ziemlidi  gleichgültig  sein.) 


13)  Wickhoff  in  den  Mitteilungen  des  Instituts  für  österreichische  Geschichts- 
forschung, III,  418. 

14)  Bezüglich  der  Rossebändiger  an  der  Kanzel  von  San  Lorenzo  möchte  ich 
hier  bemerken,  daß  Donatello  die  allgemeine  Idee  derselben  allerdings,  wie  ver- 
mutet worden  ist,  aus  Rom  mitgebracht  haben  kann,  wo  er  doch  wohl  die  Gruppen 
auf  dem  Monte  Cavallo  gesehen  haben  muß;  mit  diesen  zeigen  Donatello's 
Rossebändiger  wirklich  eine  gewisse  Verwandtschaft.  Indess  meine  ich,  daß  es 
ein  dem  Donatello  viel  näher  gelegenes  antikes  Bildwerk  gibt,  auf  das  seine 
Rossebändiger  zurückgeführt  werden  könnten.  Florenz  besaß  seit  den  Tagen  der 
Römer  einen  jener  zahlreichen  Sarkophage,  die  mit  Dioskurendarstellungen  flankiert 
sind.  Das  ehemals  außen  beim  Dom  aufgestellte  Werk  befindet  sich  seit  Langem 
im  Cortile  des  Palazzo  Riccardi  (vergl.  Gori,  Inscr.  antiq.,  III,  Taf.  X:  Lami, 
Lezioni  di  antichitä  Toscane,  I,  S.  142;  Dütschke,  Antike  Bildwerke  in  Ober- 
italien, II,  Nr.  105).  Der  rossebändigende  Dioskur  zur  Linken  jenes  Sarkophages 
zeigt  die  auffallendste  Uebereinstimmung  mit  dem  Rossebändiger  des  Donatello 
an  der  Kanzel;  weniger  der  Dioskur  zur  Rechten.  Eine  allgemeine  Uebereinstim- 
mung liegt  übrigens  schon  darin,  einen  Reliefstreifen  überhaupt  mit  Figuren  von 
Rossebändigern  zu  flankieren  (ganz  ähnliche  Dioskuren  weist  auch  ein  Sarkophag 
in  Pisa  auf.  Vergl.  Lasinio,  Raccolte  di  sarcofagi,  LXVI;  Dütschke,  a.  a.  O.,  I, 
Nr.  103.  Verwandte  Darstellungen  auf  Sarkophagen  sind  nicht  selten).  Bertoldo's 
Bellerophongruppe  läßt  sich  aber  auf  solche  Vorbilder  nicht  zurückführen. 


Als  selbständige  Arbeit  des  Bertoldo  nennt  uns  Vasari  „una 
b  a  1 1  a  g  1  i  a  in  bronzo  d'uomini  a  cavallo  molto  bella,  la  quäle  e 
oggi  in  guardaroba  del  duca  Cosimo".  Es  kann  tieute  nidit  daran 
gezweifelt  werden,  da&  Vasari  tiier  das  Relief  mit  der  figurenreidien 
Darstellung  einer  Reitersdiladit  meint,  das  man  gegenwärtig  im 
Bargello  zu  bewundern  Gelegentieit  tiat.i^)  Nacti  dem  zu  urteilen, 
was  sicti  tieute  über  Bertoldo's  künstlerisctie  Tätigkeit  ermitteln  lä^t, 
ist  das  Sdilactitrelief  in  Florenz  der  Höhepunkt  seines  Sdiaffens. 
Um  so  anregender  ist  es,  zu  wissen,  da&  dem  Bildtiauer  bei  dieser 
Arbeit  ein  antiker  Sarkoptiag  zum  Vorbilde  gedient  tiat.  Eines  der 
jüngsten  Hefte  des  „Neuen  allgemeinen  Künstlerlexikons"  bringt  in 
wenigen  Worten  die  Mitteilung,  daB  Professor  Robert  das  antike 
Vorbild  für  Bertoldo's  Werk  in  einem  Sarkoptiage  des  Campo  Santo 
zu  Pisa  gefunden  tiabe.  Nun  war  es  allerdings  nictit  mehr  schwierig, 
den  Sarkophag  auch  noch  näher  zu  beshmmen,  als  das  in  Dütschke's 
bekanntem  Budieiß)  unter  Nr.  60  angeführte  und  beschriebene  Denk- 
mal. Die  Anordnung  des  Vorbildes  und  des  späteren  Werkes  stimmt 
auffallend  überein;  das  Kostüm  ist  vielfach  abweidiend.  Die  hier 
angedeuteten  Beziehungen  des  florentinischen  Reliefs  zu  dem 
antiken  Sarkophag,  der  sich  in  arg  verstümmeltem  Zustande  be- 
findet, ist  übrigens  für  die  Kenntnis  Bertoldo's  von  geringerer  Widi- 
tigkeit,  als  für  die  Frage  nadi  der  Ergänzung  des  Sarkophages  im 
Ganzen  und  einiger  fragmenherter  Figuren  desselben  im  Einzelnen. 
DaB  Bertoldo's  Relief  von  der  Antike  beeinfluBt  sei,  muBte  schon 
aus  einigen  auffallenden  Zügen  desselben,  z.  B.  aus  der  Flankierung 
des  Reliefs  mit  Victorien,  erhellen.!"^) 

Als  ein  vortrefflidies  Werk  .des  Bertoldo  ist  uns  auch  die  mit 
dem  Namen  des  Meisters  bezeichnete  Medaille  auf  Mahomet  11. 
erhalten,i8)  an  die  sich  zwei  von  Armand  mitgeteilte,  bei  Hei&  ab- 


1*)  Eine  Note  in  der  Le-Monnier'schen  Ausgabe  des  Vasari  deutet  an,  daß 
sich  Stimmen  ehemals  gegen  diese  Identifizierung  erhoben  haben. 
16)  Antil^e  Bildwerke  in  Oberitalieu,  I.  Band. 

17)  Dergleichen  war  auf  antilten  Sarkophagen  nicht  selten.  Vergl.  unter 
anderen  Matz-Duhn,  Antike  Bildwerke  in  Rom  Nr.  2220,  sowie  2227  und  2228, 
und  Foggini,  Museo  Capitolino  IV,  Taf.  23. 

18)  Vergl.  Baldinucci:  Delle  notizie  de'  professori  del  disegno,  Florenz,  1768, 
III,  S.  8 6 f.;  J.  C.  W.  Moehsen  Beschreibung  einer  Berlinischen  Medaillensamm- 
lung, Berlin  und  Leipzig,  1773,  I,  S.  134,  kurze  Beschreibung  der  Mahomet- 
Medaille;  Jenaische  allgemeine  Literaturzeitung  vom  Jahre  1810,  S.  VIII;  Cicognara, 
Storia  della  scultura,   2.  Auflage,    IV,    S.  113  und  133;    Perkins,    Les  sculpteurs 


gebildete  unbezeichnete  Stücke  ansdilieBen.  Es  sind  dies  eine 
Medaille  auf  Leticia  Sanuto  und  ein  Revers  mit  dem  Triumph  einer 
Göttin.  Wotil  dürfte  Bertoldo  mehrere  Schaumünzen  als  die  drei 
bisher  bekannten  gegossen  haben,  da  er  ja  doch  „fabricatore 
(optimo)  d  i  m  e  d  a  g  1  i  e"  genannt  wird.i^)  Schon  1478  ist  in  einem 
Briefe2o)  des  Medailleurs  Guazaloti  an  Lorenze  de'  Medici  von 
„quattro  medaglie"  des  Bertoldo  die  Rede.  Kaum  ist  anzunehmen, 
daB  man  hier  an  vier  Exemplare  derselben  Medaille  denken  müsse, 
vielmehr  ist  es  naturgemäB,  vier  verschiedene  Schaumünzen  anzu- 
nehmen. Allerdings  bleiben  diese  erst  nachzuweisen.  Die  Medaille 
auf  Mahomet  ist  (nach  Friedländer)  um  1481  entstanden;  ihre  Be- 
zeichnung lautet:  „Opus  Bertoldi  Florentini  Sculptoris." 

Als  Arbeiten  des  Bertoldo  aus  dem  Jahre  1485  werden  von 
Milanesi  ohne  Quellenangabe  zwei  Putti  aus  Holz  für  den  Floren- 
tiner Dom  genannt.2i) 

Der  Anonymus  des  Morelli  endlich  erwähnt  ein  Werk  des  Ber- 
toldo zu  Padua  in  der  „Casa  de  M.  Alessandro  Capella  in  borgo 
zucco".  Neben  einigen  Anhken  und  einem  Gemälde  von  Montagna 
wird  unter  anderem  auch  folgendes  erwähnt: 

„Lo  bellorophonte  de  bronzo  che  riticne  el  Pegaso,  de 
grandezza  d'  un  piede,  tutto  ritondo,  fu  de  mano  de  Bertoldo,  ma 
gettado  da  Adriano  suo  discipolo  ed  e  opera  nettissima  e  buona."22} 

Courajod  hat  diesen  Bellerophon  des  Bertoldo  mit  der  hier 
publizierten  Bronze  der  kaiserlichen  Kunstsammlungen  idenhfiziert 
und  ist  damit  gewi^  vollkommen  im  Redit.23)  Denn  eine  genaue  stil- 


itaiiens,  Paris,  1869,  I,  S.  191;  J.  Friedländer,  Die  italienischen  Schaumünzen  des 
XV.  Jahrhunderts  (Jahrbuch  der  königlich  preußischen  Kunstsammlungen,  III, 
S.  33  f.,  Taf.  XXXII);  A.  Armand,  Les  medailleurs  Italiens  des  XV^  et  XVIe  siecles, 
2.  Auflage  (1883),  I,  76  f,  II,  288;  Wickhof,  a.  a.  O.,  III,  416;  A.  Heiß,  a.  a.  O. 
•9)  In  dem  eingangs  erwähnten  Briefe. 

20)  Brief  vom  11.  September  1478  (die  Jahreszahl  von  der  Hand  Lorenzos 
beigesetzt);  aufgefunden  von  Herrn  Guasti.  Guazaloti  unterschreibt  sich  als 
„canonicus  pratensis".  Mitgeteilt  von  Friedländer  in  den  Jahrbüchern  der  königlich 
preußischen  Kunstsammlungen,  II,  S.  229. 

21)  Milanesi  a  Pini  a.  a.  O.  Im  Neuen  Künstlerlexikon  wird  erwähnt,  daß 
drei  Reliefs  der  Sammlung  Dreyfuß  in  Paris  und  eines  bei  H.  v.  Beckerath  in 
Berlin  ohne  überzeugende  Begründung  dem  Bertoldo  zugeschrieben  worden  seien. 
Vergl.  auch  Gazette  des  beaux-arts,  1878,  XVIII.  Band,  S.  588. 

22)  Vergl.  Notizia  d'opere  di  disegno  publicata  e  illustrata  da  D.  Jacopo 
Morelli,  Ausgabe  von  Frizioni,  Bologna,  1884  [und  meine  eigene  Ausgabe  von 
188S,  S.  18]. 

23)  Vergl.  Bulletin  de  la  Societe  Nationale  des  Antiquaires  de  France,  1883, 
S.  148  f. ;  Frizzioni  gibt  ein  falsches  Zitat. 


kritische  Prüfung  läBt  unsere  Gruppe  wirklich  als  ein  Werk  erkennen, 
das  einerseits  mit  Bertoldo's  bezeidineter  Medaille  und  mit  dem 
Schladitenrelief  die  gröfete  Verwandtschaft  zeigt  und  das  anderer- 
seits auf  die  Beschreibung  beim  Anonymus  des  Morelli  genau  paBt. 
Courajod  hat  mit  dem  sicheren  Auge  des  belesenen  Kenners  das 
Richtige  getroffen.  Darüber  konnte  mich  eine  genaue  Untersuchung 
des  Bellerophon  belehren,  durdi  welche  eine  bisher  unbekannte,  be- 
weisende Tatsadie  ans  Licht  kam.  Idi  werde  später  auf  diesen 
Punkt  zurückkonrtmen. 

Vorerst  betraditen  wir  die  Gruppe  aus  der  Nähe.  (Unsere  Ab- 
bildung gibt  eine  verkleinerte  Ansidit.) 

Das  Flügelroß  ist  von  Bellerophon  am  Maule  gefaßt  worden; 
es  widerstrebt  der  ungewohnten  Hand  und  bäumt  sich  gewaltig; 
aber  mit  sicherem  Griffe  weiß  der  Jüngling  seinen  Fang  festzuhalten. 
Heftig  wirft  er  den  Oberkörper  zurück,  um  dem  Vorwärtsdrängen 
und  Aufstreben  des  Tieres  entgegenzuwirken.  Überdies  sollen 
Keulenschläge  den  ungebändigten  Hengst  zum  Gehorsam  zwingen. 
Denn  weitaus  holt  der  Held  mit  einer  kurzen  wuditigen  Keule. 

Dies  etwa  die  Situation,  die  der  Künstler  zur  Darstellung  ge- 
bradit  hat.  Um  das  ganze  Bild  nodi  bestimmter  zu  gestalten,  sei 
erwähnt,  daß  die  Gruppe  der  Höhe  nach  0.33  m,  also  ungefähr  einen 
Fuß,  mißt.  Die  niedrige  Plinthe  ist  0.105  lang  und  0.25  breit.  Der 
ziemlidi  (über  14  Kilogramm)  sdiwere  Hohlguß  zeigt  einige  ältere 
Restaurationen.  So  ist  der  rechte  Vorderfuß  des  Pegasus  am 
Carpus  offenbar  einmal  gänzlidi  abgebrodien  gewesen  und  nachher 
an  der  Brudistelle  gelötet  worden.  Dabei  hat  man  die  ursprünglidie 
Lage  nidit  ganz  genau  wiedergefunden.  An  der  rediten  Seite  des 
Pegasus,  in  der  Lendengegend,  findet  sidi  eine  ausgeflickte  Stelle, 
die  auf  der  Abbildung  nidit  zu  sehen  ist,  weil  sie  vom  rechten  Arm 
des  Bellerophontes  verded<t  wird.  Links  am  Thorax  des  Rosses  ge- 
wahrt man  unsdiwer  eine  große  vierseitige  Öffnung;  ein  kleines 
Stüd<  davon  ist  auf  der  Heliogravüre  siditbar.  Der  linke  Unter- 
schenkel des  Bellerophon  zeigt  ein  wenig  unter  der  Wadenmusku- 
latur einen  quer  verlaufenden  Sprung.  Abgesehen  von  diesen 
kleinen  Mängeln  ist  die  Erhaltung  der  Bronzegruppe  eine  vorzüg- 
lidie.  Edite  dunkle  braune  Patina  ist  neben  den  Resten  eines  alten 
Lacküberzuges  zu  bemerken,  durdi  dessen  ungleichmäßige  Erhaltung 
die  Oberflädie  hie  und  da  gefleckt  aussieht. 


8 


Bertoldo  di  Giovanni:  Beilerophongruppe  im  Österreichischen  Nationalmuseum 
zu  Wien. 


Das  Wichtigsie,  was  an  der  Figur  zu  beschreiben  ist,  dürfte 
übrigens  eine  Inschrift  sein,  die  sich  in  die  Unterseite  der  Phnthe 
tief  eingegraben  findet  und  die  folgendermaßen  lautet: 

EXPRESSIT  ME  BERThOLDVS  .   CONFLAVIT  HADRIÄNVS'^^) 

Diese  Inschrift  hat  wohl  schon  der  Anonimo  Morelliano  ge- 
lesen, als  die  Bronze  sich  noch  in  Padua  befand.  Damals  hatte 
man  noch  kaum  versucht,  diese  Künstlerinschrift  unleserlich  zu 
machen,  wie  das  seither  geschehen  sein  muß.^^)  Denn  von  der 
ganzen  Zeile  war,  als  ich  die  Gruppe  genau  zu  studieren  begann, 
ein  Teil  durch  überkleben  mit  Wachs  wirklich  unleserlich  gemacht. 
Verhältnismäßig  deutlidi  war  nur  zu  lesen:  conflavit  Hadrianus.  Erst 
eine  (allerdings  sehr  einfadie)  Reinigung^^)  der  Unterseite  ließ  die 
ganze  Zeile  in  ihrer  vollen  Bedeutung  zu  Tage  treten. 

Die  Inschrift  zerstreut  jeden  Zweifel  an  der  Autorschaft  Ber- 
toldo's,  da  ihre  äußeren  und  inneren  Merkmale  jeden  Gedanken  an 
eine  Fälschung  ausschließen. 

Demnach  wird  die  Bellerophongruppe  der  kaiserlichen  Kunst- 
sammlungen nunmehr  neben  der  bezeichneten  Medaille  auf  Ma- 
homet  II.  in  erster  Linie  die  Basis  für  die  Beurteilung  von  Bertoldo's 
Stil  zu  bilden  haben.  Mußte  man  früher  zu  diesem  Zwed<e  neben 
der  Medaille  das  immerhin  beglaubigte,  aber  nicht  bezeichnete 
Relief  einer  Reiterschladit  benüßen,  so  versdiiebt  sidi  das  Verhält- 
nis seit  der  Entded<ung  der  Insdirift  am  Bellerophon  in  der  an- 
gedeuteten Weise.  Dadurch  verliert  das  Relief  im  Bargello  sdiein- 
bar  an  Bedeutung,  eigentlich  gewinnt  es  aber  eine  neue  Stüße  für 
seine  Abstammung  von  Bertoldo,  die  man  bisher  nur  im  Hinblid< 
auf  Vasari  annehmen  durfte.  Denn  die  stilistische  Übereinstimmung 
des  Bellerophontes  mit  dem  Relief  in  Florenz  ist  eine  so  auffällige, 
daß  sie  geradewegs  die  Vermutung  nahelegt,  es  stammten  beide 
Werke  aus  derselben  Schaffensperiode  des  Meisters.  Der  Bellero- 
phon läßt  in  seiner  Modellierung  eine  Hand  erkennen,  die  mit  Vor- 


24)  Renaissancemajuskeln,   durchschnittlich  6  Millimeter  hoch.    Minuskel-h 
nur  im  Namen  Bertholdus. 

25)  Wohl  zu  dem  Zwecke,  um  die  Gruppe  bei  Gelegenheit  eines  Verkaufes 
als  Antike  gelten  zu  lassen. 

26)  Mit  Spiritus  Terebinthinae. 

9 


liebe  im  Hochrelief  arbeitet.27)  Der  Leib  des  Helden  senkt  sidi  mehr 
in  die  Masse  des  Pferdes,  als  dies  bei  einer  vollrund  gedachten 
Skulptur  möglich  wäre.  Als  Analogie  mit  Merkmalen  des  Reliefs 
im  Bargello  führe  ich  noch  an:  die  Bewaffnung  mit  einer  Keule.  Die- 
selbe haben  mehrere  Figuren  des  Reliefs  mit  der  Schlacht  aufzu- 
weisen. Die  Proportionen  und  die  lebhafte  Bewegung  der  Figuren 
geben  weitere  wichhge  Übereinstimmungen,  wie  denn  audi  in 
manchen  Einzelnheiten  Analogien  nidit  zu  verkennen  sind.  Auf  dem 
Florenhner  Relief  ebenso  wie  an  der  Bellerophongruppe  hat  Ber- 
toldo  den  Unterkieferwinkel  der  Pferde  so  abgerundet,  daB  sidi  als 
Begrenzung  eine  Linie  ergibt,  die  einer  Kreislinie  am  nädisten  steht 
und  dies  in  der  Weise,  daB  vom  Gelenk  bis  zum  horizontalen  Stück 
etwa  ein  Halbkreis  zur  Verwendung  kommt.  Donatello  hat  seine 
Pferde  anders  gebildet,  desgleichen  Ghiberti,  der  an  der  berühmten 
Bronzetür  des  Florentiner  Dombaptisteriums  seinen  Pferden  einen 
Kopf  wie  den  von  Ameisenbären  gegeben  hat.  Noch  andere  Bild- 
hauer des  Quattrocento  wieder  anders. 

Betrachten  wir  die  Bellerophontesgruppe  noch  einmal  für  sich, 
so  werden  wir  audi  hier  wie  im  Sdilachtrelief  antiken  Einfluß  ge- 
wahr, wenngleich  es  bisher  nicht  gelungen  ist,  ein  spezielles  Vorbild 
nadizuweisen.  Die  allgemeine  Haltung  von  Jüngling  und  Pferd 
kommt  allerdings  schon  in  der  griediischen  Kunst  fast  genau  so  vor, 
wie  an  Bertoldo's  Gruppe.  So  zeigt  ein  dem  Lehrer  des  Pheidias, 
dem  Hegias,  ehemals  zugeschriebenes  Relief,  das  gegenwärtig  im 
britisdien  Museum  aufbewahrt  wird^s)  und  das  Overbed<29)  für  ein 
Grabrelief  hält,  welches  „dem  Stile  nach  mit  Hegias  sdiwerlich 
etwas  zu  tun  hat",  die  allgemeine  Attitüd  der  Figuren  fast  ganz  so 
wie  an  der  Bellerophongruppe.  Ich  kann  gar  nicht  daran  zweifeln, 
da6  dem  Bertoldo  ein  Relief  ganz  ähnlicher  Art  für  seine  Bronze 
zum  Vorbild  gedient  hat. 

[Für  das  Flügelpferd  allein  könnten  audi  griechische  Münzen  in 
Frage  kommen,  deren  einige  solche  Pferdefiguren  aufweisen.   Ver- 


27)  Schon  Courajod  hat  a,  a.  O.  darauf  hingewiesen.  Er  sagt  von  der  Model- 
lierung des  Bellerophon:  „.  .  .  la  sculpture  de  ronde-bosse  est  traitee  comme  un 
travail  de  hautrelief." 

28)  Abgebildet  bei  C.  O.  Müller:  Denkmäler  der  alten  Kunst.  (Göttinnen. 
1835)  I,  Taf.  XIV. 

29  Overbeck,  Geschichte  der  griechischen  Plastik,  3.  Auflage,  I,  S.  118,  II, 
S.  365. 

i 

10 


gleiche  Museo  Borbonico  II,  Tafel  16,  F.  Imhof-Bliimer  „Griediische 
Münzen"  (Abhandlung  der  k.  bayr.  Akad.  d.  Wissenschaften  I.  Cl., 
XVIII.  Bd.,  III.  Abteil.)  und  „Jahreshefte  des  österr.  archäolog.  Insti- 
tuts", VIII.  Jahrgang  (mit  reichlichen  Literaturangaben).] 

Die  Zeit  zu  bestimmen,  wann  Bertoldo's  Bellerophontes  ent- 
standen ist,  dürfte  schwierig  sein.  Wir  haben  nur  in  der  Tatsache 
einen  Anhaltspunkt,  daB  sich  unsere  Bronze  im  16.  Jahrhundert  zu 
Padua  befunden  hat.  1483  wird  Bertoldo  in  Verbindung  mit  jener 
Stadt  genannt,  wodurch  die  Vermutung  nahegelegt  wird,  es  hätte 
der  Florentiner  Meister  die  Gruppe  damals  in  Padua  geschaffen. 

Die  Inschrift  unserer  Bronze  nennt  neben  Bertoldo  noch  einen 
zweiten  Namen,  nämlidi  den  des  GieBers.  Er  wird  Hadrianus 
genannt.  Noch  vor  kurzem  war  dieser  Name,  der  schon  beim  Ano- 
nimo  Morelliano  vorkommt,  nichts  als  leerer  Schall.  Durch  die 
Publikation  einer  Büste  Friedrichs  des  Weisen,  Kurfürsten  von 
Sachsen,  welche  mit  „Adrianus  Florentinus"  bezeichnet  ist,^^)  durch 
den  Nachweis  der  von  einem  Hadrianus  gegossenen  Bronze  des 
Bertoldo,  sowie  durch  eine  erst  im  Laufe  von  1885  bekannt  ge- 
wordene kleine  Skulptur  mit  Venus  und  Amor,  eine  Gruppe,  die 
gleichfalls  den  Namen  Hadrianus  trägt,^!)  sieht  man  sich  heute  in 
der  Lage,  an  den  Namen  einige  bestimmtere  Begriffe  von  handwerk- 
licher und  künsterischer  Tätigkeit  zu  knüpfen.  Dazu  kommt,  dag 
Milanesi  eine  urkundliche  Erwähnung  des  fraglichen  Hadrianus  auf- 
gefunden hat,  die  allerdings  hier  für  uns  nur  geringes  Interesse  hat, 
immerhin  aber  erwähnt  werden  muB:  der  Name  Adriano  di  Giovanni 
de'  Maestri  kommt  als  Zeugenunterschrift  auf  einer  Urkunde  von 
1499  vor.32) 


30  Jahrbuch  der  königlich  preußischen  Kunstsammlungen,  V,  S.  59,  60. 
Die  Büste,  von  der  sich  Abgüsse  in  einigen  deutschen  Sammlungen  finden,  ge- 
hört dem  Dresdener  Antikenkabinet. 

3>)  Vergl.  Courrier  de  L'Art,  1885,  S.  412  f.  Die  kleine  Gruppe  stellt  Venus 
und  Amor  vor  und  war  aus  der  Sammlung  von  J.  Sambon  zu  Mailand  1885  zur 
Ausstellung  von  Werken  edler  Metalle  nach  Nürnberg  geschickt  worden.  Vergl. 
auch  den  „Kunstfreund"  (Beiblatt  zu  den  Jahrbüchern  der  königlich  preußischen 
Kunstsammlungen  1885,  S.  286  und  343). 

32)  Frizzoni's  Ausgabe  der  „Notizia  d'opere  di  disegno"  von  anonimo 
Morelliano  bringt  folgende  handschriftliche  Notiz  Milanesi's  zum  Abdruck  auf 
Seite  248:  „Di  questo  Adriano  nessun  altro  autore  fuori  dell'  anonimo  fa  ricordo. 
lo  credo  ch'egli  sia  quell'Adriano  di  Giovanni  de'  maestri  scultore  e  maestro  di 
getti,  il  quäle  comparisce  come  testimone  in  uno  strumento  del  24  di  Maggie 
1499,   rogato   da   Ser  Pier  Francesco  Macalli   notaio  fiorentino,   e  fa   fede  che 

11 


SdilieBlich  sei  noch  erwähnt,  dafe  sich  im  Nachweise  der  Pro- 
venienz der  Bellerophongruppe  eine  Lücke  befindet.  Gegenwärtig 
ist  die  Bronze  in  der  II.  Gruppe  der  kunsthistorischen  Sammlungen 
des  allerhödisten  Kaiserhauses  aufgestellt.^^)  Dahin  kam  sie  im 
Jahre  1880  aus  dem  Äntikenkabinett,^^)  wo  sie  früher  unter  den 
„Kopien  oder  Imitationen  anhker  Werke"  geführt  Avorden.^s)  Die 
Fragen,  wann  und  woher  das  interessante  Werk  des  Bertoldo  ins 
Antikenkabinett  gelangt  ist,  bleiben  ebenso  unbeantwortet,  wie  die 
nach  den  Umständen,  unter  denen  das  Werk  aus  Padua  fortge- 
kommen ist.  Trofedem  kann,  nach  alledem  zu  schHegen,  was  oben 
vorgebracht  worden  ist,  nicht  im  mindesten  daran  gezweifelt  werden, 
daB  die  gegenwärhg  im  Besife  des  allerhöchsten  Kaiserhauses  be- 
findliche Bronze  idenhsdi  ist  mit  der,  die  sich  im  16.  Jahrhundert  zu 
Padua  bei  Älessandro  Capella  befand. 


Buonaccorso  di  Vittorio  Ghiberti  stette  due  anni  e  piü  a  servigi  del  Signor 
Virginio  Orsino  come  ingegnere  e  maestro  di  artiglierie  e  di  muraglie,  e  che  si 
parti  da  lui  del  mese  di  giugno  1488." 

33)  ]Das  war  also  damals,  als  die  erste  Veröffentlichung  geschah,  im  unteren 
Belvedere  in  der  sog.  Ambrasersammlung.  Seither  ist  die  wertvolle  Bronze  ins 
neue  Hofmuseum,  jetzt  Nationalmuseum,  geschafft  worden.  Eine  Abbildung  und 
Besprechung  mit  Hinweisen  auf  die  neue  Literatur,  finden  sich  bei  Jul.  v.  Schlosser  : 
„Werke  der  Kleinplastik  in  der  Skulpturensammlung  des  a.  h.  K.  h."  (1910)  Bd.  I, 
Nr.  I.  Dazu  auch  noch  Thieme  und  Beckers  Künsterlexikon  bei:  Adrianus  und 
Bertoldo.  Vor  wenigen  Jahren  ist  fürs  Museum  der  bildenden  Künste  zu  Buda- 
pest eine  Bertoldo'sche  Bronze  „Raub  der  Europa"  erworben  worden  [vergl. 
„Kunst  und  Kunstgewerbe"  1917,  S.  3^2.] 

34)  Laut  Nachtragsinventar  der  II.  Gruppe  (Nr.  199a). 

35)  Vergl.  Kenner  und  Sacken,  Die  Sammlungen  des  k.  k.  Münz-  und  Antiken- 
kabinetes,  Wien  1866,  S.  481. 

12 


Die  Terrakottabüsten  des  Alessandro  Vittoria 
im  Osterreidiisdien  Museum  für  Kunst  und 

Industrie.*^ 

Der  allgemeine  Eindruck,  den  man  von  venezianischer  Plastik 
empfängt,  ist  nidit  unwesentlidi  beeinflu|t  durch  die  Werke  des 
Alessandro  Vittoria.  Nadi  den  Namen  eines  Bartolomeo  Buon,  der 
Bregni,  Lombardi,  eines  Alessandro  Leopardi,  Jacopo  Sansovino,  ist 
es  stets  auch  der  des  Vittoria,  der  uns  in  den  Sinn  kommt,  wenn  von 
venezianischer  Skulptur  der  besten  Zeiten  die  Rede  ist.  Vittoria  war 
ein  langlebiger,  fruditbarer  Künstler.  Wie  zahlreidi  audi  die  Werke 
sind,  deren  Verlust  wir  zu  beklagen  haben,  so  sind  deren  doch  so 
viele,  besonders  in  Venedig,  erhalten,  dafe  man  ihnen  geradewegs 
auf  Sdiritt  und  Tritt  begegnet.  Wir  schlendern  unter  den  Arkaden 
der  Libreria  vecchia  und  sind  bald  die  zwei  weiblidien  Karyatiden 
gewahr  geworden,  die  den  Haupteingang  betonen.  Das  Monogramm 
auf  dem  Gürtel  der  einen  belehrt  uns  darüber,  daß  die  ältere  vene- 
zianische Ortsliteratur  Recht  hat,  die  beiden  vornehmen  Figuren  als 
Arbeiten  Vittoria's  zu  verzeichnen.  Die  Pradittreppe  hinaufsteigend, 
klingt  uns  Vittoria's  Name  wieder  aus  den  Stukkodekorationen  ent- 
gegen. Wir  wenden  uns  zum  Dogenpalast.  Vittoria  hat  einen  ge- 
wissen Anteil  an  den  beiden  „Giganti",  Mars  und  Neptun,  die  der 
herrlidien  Freitreppe  ihr  majestätisches  Ansehen  verleihen.  Die 
Ornamentik  der  Scala  d'oro  ist  wieder  Vittoria's  Werk,  dessen  Name 
auch  sonst  mit  dem  Dogenpalast  verknüpft  ist.  Im  Antikenmuseum 
oben  erinnern  wir  uns  ferner  wieder  an  Vittoria,  der  mit  einiger  Frei- 
heit viele  der  Statuen  restauriert  hat.  Als  nämlich  Vincenzo  Sca- 
mozzi  den  Vorsal  der  Libreria  vecdiia  (eines  Meisterwerkes  Sanso- 


*)  Erstdruck  in  den  „Mitteilungen  des  k.  k.  österr.  Museums  für  Kunst-  und 
Industrie"  (Wien,  1896,  Septemberheft.  Die  alte  Ueberschrift  noch  mit  dem  ,k.  k.") 

13 


vinesker  Kunst)  zu  einem  Antikenmuseum  umgestaltete,  in  weldiem 
die  Skulpturen  aus  den  Grimani'sdien  Schenkungen  aufgestellt 
werden  sollten,  —  es  war  um  1592  —  restaurierte  (nadi  Temanza's 
Angabe)  Alessandro  Vittoria  den  Inhalt  dieses  neuen  Museums,  der 
späterhin  bekanntlidi  in  den  Dogenpalast  gebracht  wurde.^e) 

Zu  den  auffallendsten  Werken  Vitloria's  im  Dogenpalast  ge- 
hören die  drei  Figuren  über  der  Tür,  die  vom  Anticollegio  zum  Col- 
leggio  führt.  Es  sind  signierte,  durch  Michelangelo  beeinflulte 
Werke,  die  aber  froh  der  Signatur  von  Moschini  verkannt  worden 
sind.37) 

Dann  kommen  noch  die  vielen  Werke  unseres  Künstlers  in  Be- 
tracht, die  sich  in  den  Kirchen  Venedigs  erhalten  haben:  der  groBe 
Hieronymus  bei  den  Frari  Cphotographiert,  auch  abgebildet  bei 
Temanza-Mosdiini  und  Yriarte:  Venise);  der  wenig  kleinere  kniende 
Heilige  in  San  Giovanni  e  Paolo,  wohin  er  aus  der  Scuola  di  San 
Gerolamo  gebracht  worden  ist;  der  Titelheilige  an  der  Fassade  von 
San  Zaccaria,   das  Selbstmonument  und  die  Statuetten  auf  den 


36)  Vergl.  Temanza :  Vita  di  Vincenzio  Scamozzi  Vicentino  architto  (Venedig 
1770),  S.  XXIi,  und  Valentinelli:  Marmi  scolpiti  nel  Museo  archeologico  della 
Marciana  die  Venezia  (1866),  S.  XII  ff.  —  Zu  Vittoria's  Anteil  an  den  Giganti 
vergl.  besonders  die  Urkunde  bei  G.  B.  Lorenzi:  Monumenti  per  servire  alla 
storia  del  palazzo  ducale  di  Venezia  I  (1868),  Lett.  D.  E.  939  (S.  482).  Aus  einer 
Urkunde  von  1572  geht  hervor,  daß  neben  dem  Hauptmeister  Jacopo  Sansovino 
hier  auch  die  Bildhauer  Domenico  da  Salö  und  Battista  di  Bernardin,  ganz  ab- 
gesehen von  einigen  Steinmetzen,  einen  gewissen  Anteil  an  der  Arbeit  haben. 
Gedanken  und  Modelle  waren  aber  wohl  von  Jacopo  Sansovino  allein,  der  seinen 
Namen  auf  die  Plinthen  setzte.  Zu  den  Stucchi  an  der  Scala  d'oro  vergl.  Fran- 
cesco Zanotto:  11  palazzo  ducale  II  (1858),  S.  3  ff.  und  6,  sowie  Temanza:  Vita  di 
Jacopo  Sansovino,  S.  42.  —  Für  die  meisten  der  genannten  Leistungen  Vittoria's 
ist  nachzulesen  bei  E.  Cicogna  in  den  „Iscrizioni  veneziane"  (nach  den  Registern), 
ferner  in  der  „Vita  di  Alessandro  Vittoria  scritta  e  publicata  da  Tommaso  Temanza 
ora  riprodotta  con  note  ed  emende"  (von  Moschini).  Venedig  1827  (wird  hier 
zitiert  als  Temanza-Moschini)  auch  in  der  „Biblioteca  Trentina"  (1858),  „Vita  di 
Alessandro  Vittoria  .  .  composta  dal  Conte  Benedetto  dei  Giovanelli  e  rifusa  e 
accresciuta  da  Tommaso  Gar"  (hier  zitiert  als  Giovanelli  und  Gar).  —  Zu  den 
Stucchi  in  der  Libreria  vecchia  vergl.  Francesco  Sansovino:  „Venezia,  cittä  nobi- 
lissima  .  .  .  descritta"  (1581),  Bl.  Ii4a.  Die  Karyatiden  an  der  Libreria  vecchia 
bedeuten  nach  Sansovino  „Fatica"  und  „Leggiadria".  Beide  Figuren  waren  schon 
1553  bestellt.  Vergl.  Giovanelli  und  Gar,  S.  119  (beweisende  Brief  stelle).  Daß 
jedesmal  auch  die  guten  Führer  durch  Venedig,  besonders  die  Guida  von  Moschini, 
aufzuschlagen  sind,  halte  ich  für  selbstverständlich. 

37)  Moschini:  Guida  per  la  cittä  di  Venezzia  I  (1815),  S.  417,  nennt  wenigstens 
hier  Vittoria's  Namen  nicht  und  scheint  die  Figuren  auf  den  Monogrammisten 
„B  L  F'  (wohl  B  I  F)  zu  beziehen,  dessen  Zeichen  an  der  Architektur  vorkommt. 
Später,  1827,  wieder  richtig  eingereiht  bei  Temanza-Moschini. 


Weihwasserbecken  in  derselben  Kirche,  eine  Büste  und  Putten- 
figuren in  Sant'  Antonio,  die  Heiligenfiguren  in  San  Salvadore,  die 
Grimanibüste  in  San  Sebastiano,  allerlei  Skulpturen  in  San  Giuliano, 
die  höchst  gelungenen  Sansovinesken-Gestalten  auf  einem  Altar  in 
San  Francesco  della  vigna,  wo  auch  die  Statuetten  der  beiden 
Weihwasserbecken  Vittoria's  Signatur  aufweisen;  endlich  eine 
Jakobsstatue  in  San  Giacomo  di  Rialto,  der  ehrwürdigsten  Kirche 
Venedigs.  --  Keine  Aufzählung  dies,  sondern  nur  Beispiele,  aus  der 
Masse  herausgegriffen,  die  mir  besonders  charakteristisch  er- 
scheinen und  mir  noch  fest  im  Gedächtnis  haften.  Dabei  möchte  ich 
die  Bemerkung  nicht  versäumen,  da&  es  recht  nüfelich  wäre,  vom 
Stande  der  neuesten  Kunstgeschichte  aus  doch  das  ganze  erhaltene 
Material  über  Vittoria  gelegentlich  zusammenzufassen  und  reich 
illustriert  zu  veröffentlichen.  Ist  doch  auch  außerhalb  der  Kirchen 
Venedigs,  ja  außerhalb  Venedigs  selbst  gar  vieles  von  Vittoria's 
Werken  erhalten.  Das  Correr'sche  Museum  (Museo  civico)  besifet 
zwei  dunkel  bestrichene  Terrakottabüsten,  deren  eine,  die  Rangone- 
büste,  signiert  ist  (AL.  VICT.  F.)^«)  In  demselben  Museum  verwahrt 
man  die  Reste  des  Kandelabers  aus  der  Capella  dell'  Rosario,  der 
angeblich  auf  Vittoria  zurückgehest}  Im  Besifee  der  Academia  zu 
Venedig  kennt  man  eine  Porträtbüste  von  Vittoria's  Hand.^o)  Eine 
lange  Reihe  von  Büsten,  die  ihm  oder  seiner  Schule  angehören  und 
die  sich  im  venezianisdien  Privatbesife  oder  im  Kunsthandel  be- 
fanden, nennt  Cicogna  in  seinem  großen  Werke  über  venezianisdie 
Inschriften. 

Was  anderswo  von  Vittoria's  Werken  erhalten  ist,  sei  hier  eben- 
falls nur  angedeutet.  Zu  Vicenza  hat  Vittoria  eine  reidie  Tätigkeit 
entfaltet.  In  Padua  sieht  man  von  ihm  im  Santo  das  Contarini- 
denkmal  (das  an  der  Plinthe,  auf  der  die  Sklavenfiguren  stehen, 
signiert  ist).  Andere  Arbeiten  enthält  die  Villa  Maser  bei  Treviso. 
wieder  anderes  anderswo  in  Museen,  z.  B.  in  Berlin.  Allzuwenig 
beaditet  ist  die  Büste  des  Laurentius  Capello  senior,  welche  eine 


38)  Nr.  7  der  Guida  von  1881  (S.  56),  Nach  Lazzari's  Angabe  ist  auch  die 
zweite,  die  Venierbüste,  signiert.  Vergl.  „Notizia  delle  opere  d'arte  . .  della  Raccolta 
Correr«  (1859),  S.  270. 

39)  Vergl.  Repertorium  für  Kunstwissenschaft  IV,  S.  202. 

40)  [Vergl.  „Le  Gallerie  nazionali  italiane",  V  (1902),  S.  80  ff.  Dort  sind  zwei 
Büsten  aus  den  Sammlungen  der  Academia  abgebildet.l 

15 


Hauptsehenswürdigkeit  der  Sammlung  in  der  Kommunalbibliottiek 
in  Trient  bildet.^i) 

[Die  lebensgroBe  Büste  des  vornetimen  Venezianers  im  Museo 
cristiano  zu  Brescia  von  1569  wurde  zwar  schon  sehr  oft  erwähnt, 
ist  aber  erst  1911  photographiert  worden.  Ich  fand  darauf  die  Jahres- 
zahl „MDLXIX"  und  nodi  das  „F"  (Fecit)  und  Schriftreste,  die  auf 
den  Namen  des  Dargestellten  zu  beziehen  sind.  Im  selben  Museum 
eine  stark  verstümmelte  Christusfigur  von  AI.  Vittoria.  ] 

Als  A  r  ch  i  t  e  k  t  ist  Vittoria  niemals  in  den  Vordergrund  ge- 
treten, obwohl  er  einen  Anteil  an  der  Fassade  von  San  Giuliano  hat 
und  obwohl  ihm  die  Überlieferung  die  Capella  dell'  Rosario,  die 
Scuola  di  San  Gerolamo  und  den  Palazzo  Balbi  zuschreibt.  Er  war 
auch  Ardiitekt  der  Scuola  di  San  Fantino  (später  Sife  des  Ateneo) 
nadi  Fr.  Zanotto  „II  palazzo  ducale"  IV,  S.  281. 

Als  Maler  ist  er  nur  durch  einige  nachgelassene  Bilder  be- 
kannt, die  längst  versdiollen  sind.  Sogar  Vittoria's  Medaillen 
verschwinden  neben  gleichzeitigen  italienischen  Arbeiten. ^2)  Nicht 
also  seine  großen  plastisdien  Werke.  Und  dag  die  Hauptbedeutung 
Vittoria's  in  seinen  lebensgroßen  Porträtbüsten  liegt,  ist  längst 


41)  Etwas  über  lebensgroße  Marmorbüste.  Signiert:  „ALEXANDIR  VICTORIA 
F  •"  (I  statt  E  in  Alexander).  Scheint  eine  der  spätesten  Arbeiten  des  Künstlers 

zu  sein.  Die  Büste  in  Trient  stammt  aus  der  Ca  Capello  in  Venedig  bei  Sta. 
Maria  Formosa,  wurde  1830  vom  Canonicus  Moschini  gekauft  und  dann  der  Stadt 
Trient  zum  Geschenk  gemacht.  Vergl.  Cicogna:  Iscrizione  venez.  III,  S.  513,  wo 
auch  noch  zitiert  wird  der  „messaggier  Tirolese"  vom  Dezember  1830  und  als 
secundär  die  „Gazetta  privilegiata".  Zusammenfassend  ist  die  Stelle  bei  Giovanelli 
und  Gar,  S.  94.  Die  Büste  soll  1599  gearbeitet  sein;  [seither  abgebildet  u.  a.  in 
dem  Werk:  „Die  österr.  Monarchie  in  Wort  und  Bild",  Tirol  S.  475.1  —  Zum 
Contarinidenkmal  in  Padua  s.  Gonzati:  La  basilica  di  Sant'  Antonio  di  Padova 
1852/53,  II,  184  ff,,  unci  Cicognara:  Storia  della  scultura  (Abbildung  der  zwei 
Sklaven).  —  Zu  den  Arbeiten  in  Vicenza  vergl.  neben  Temanza-Moschini  u.  a. 
auch  Temanza :  Vita  di  Andr.  Palladio,  S.  X  und  LI  f.,  zu  denen  in  der  Villa 
Maser  „l'art"  (Bd.  I)  und  Yriarte  ,La  vie  d'un  patricien  de  Venise  au  seizieme 
siede",  (1874),  S.  149 ff,  Yriarte  „Venise"  (1874),  S.  123 ff.;  secundär  Pietro 
Caliari :  Paolo  Veronese  (1888),  S.  78  f.  Bei  Giovanelli  und  Gar  (S.  33)  ein  allge- 
meiner Hinweis  auf  Algarotti's  Schriften.  —  Zu  den  Werken  Vittoria's  in  Berlin 
vergl.  Waagen  im  „Kunstblatt"  1846,  S.  257,  -Nagler's  Lexikon  und  Bode's  „Ita- 
lienische Plastik"  (eines  der  Handbücher  der  Königl.  Museen  zu  Berlin),  S.  165. 

42)  Vergl.  Tom.  Temanza:  Vita  di  Jacopo  Sansovino  (1752),  S. 40.  —  Temanza 
geht  auf  Urkunden  zurück.  Siehe  auch  Temanza-Moschini  und  Giovanelli  und 
Gar.  —  Das  Nachlaßverzeichnis  zählt  mehrere  Gemälde  auf  als  Werke  Vittoria's. 
Ueber  die  Medaillen  vergl.  neben  einigen  Erwähnungen  in  der  älteren  Literatur 
(z.  B.  bei  Temanza-Moschini,  S.  13  f.,  54  und  Giovanelli  und  Gar,  S.  92  und  106) 
hauptsächlich  Heiß:  Les  medailleurs  de  la  renaissance  (Venezianer  1887).  [Ferner 
Armand:  Medailleurs,  ital.  Hauptartikel  und  Supplement.l 

16 


ALessandro  Vittoria :  Terrakottabüste  im  Österreichischen  Museum  für  Kunst 
und  Industrie  zu  Wien. 


erkannt  und  ausgesprochen  worden.  Schon  Vasari  sagt,  Vittoria  sei 
„rarissimo  ne'  ritratti  di  marmo"  und  in  neuerer  Zeit  nannte  Yriarte 
unseren  Künstler  als  Porträtisten  unnachahmlich.^»)  Die  Veröffent- 
lichung der  B  i  1  d  n  i  s  b  ü  s  t  e  n,  die  sich  seit  1866  im  Besife  des 
OsterreichischenMuseumsfürKunstundlndustrie 
befinden, 44)  wird  also  vielleicht  willkommen  sein.  Noch  dazu  ge- 
hören sie  zweifellos  zu  den  besten  Arbeiten  des  Künstlers.  Endlich 
sind  zwei  derselben  hier  in  Wien  die  einzigen  inschriftlich  be- 
glaubigten Werke  des  Vittoria.  Die  Büste  des  Arztes  Fracastoro  im 
Hofmuseum  wird  zwar  mit  guter  Begründung  unserem  Künstler  zu- 
geschrieben, entbehrt  aber  einer  Signatur  oder  einer  urkundlichen 
Beglaubigung. 45) 

Die  drei  Terrakottabüsten,  die  hier  zum  ersten  Male  abgebildet 
werden,  sind  folgende:  1.  Die  Büste  einer  jungen  Dame  von  vollen 
Formen.  Die  Dargestellte  mag  ungefähr  30  Jahre  alt  gewesen  sein, 
als  sie  Vittoria  modellierte.  Gewandung  antikisierend.  Tracht  der 
Haare  venezianisch.  Die  Stirn  von  Ringelchen  umgeben,  die  beider- 
seits hodi  aufsteigen,  über  dem  Hinterhaupte  ein  bescheidener 
Knoten  aus  Zöpfen.  Auf  der  Kehrseite  am  Schnitt  der  linken  Sdiulter 
die  vertiefte  Inschrift  „^  ALEXAN  v  VICTORIA  ^  F  ^"  von  unten 
beginnend,  in  einer  Zeile  aufsteigend.  Die  Basis  ist  vorne  in  Form 
einer  Kartusche  gebildet,  deren  breiter  Rand  oben  und  unten  parallel 
verläuft  und  seitlich  S-förmig  gekrümmt  ist.  —  Höhe  bei  0.79. 

2.  Büste  eines  jungen  Mannes,  der  etwa  20  Jahre  zählen  dürfte. 
Der  Harnisch,  den  er  trägt,  wird  zum  Teil  von  einem  did<faltigen 
Mantel  bedeckt,  welchen  über  der  rediten  Schulter  eine  Agraffe  mit 
dickem,  pyramidenartigem  Knopfe  festhält  (als  „grossa  bordiia"  wird 
eine  solche  Agraffe  im  Italienischen  bezeichnet).  Kurzes  Haar.  Am 
Sdinitte  der  rechten  Sdiulter  bezeichnet:  „^  A  v  V  v  F  ^  ",  in  ver- 
tiefter Sdirift,  die  oben  beginnt.  Kartusche  wie  bei  1,  aber  bei  un- 
gefähr gleicher  Breite  etwas  höher. 


43)  Vergl.  Clcognara's:  ,Storia  della  scultura'  und  die  meisten  zusammen- 
fassenden Abschnitte  in  den  Kompendien  bis  lierauf  zu  Jak.  Burckhardt's  „Cicerone" 
vergl.  auch  Vasari  im  Leben  des  Jacopo  Sansovino  und  Yriarte's  „Venise"  (1878), 
S.  130. 

44)  Nach  gütiger  Mitteilung  des  Herrn  Kustos  [jetzt  Regierungsrats]  Fr.  Ritter 
sind  sie  1866  im  Inventar  eingetragen  als :  Büsten  aus  Terrakotta  von  AI.  Vittoria 
zu  dem  Ankaufspreise  von  je  400  fl.  in  Silber. 

45)  Veröffentlicht  im  „Jahrbuch  der  Kunsthistorischen  Sammlungen  des  A.  H. 
Kaiserhauses",  Bd.  V. 

17  2 


3.  Büste  einer  Matrone.  Realistisch  aufgefaßte  Gewandung. 
Kleid  mit  Krausen  am  Kragen  und  an  den  Sctiultern.  Das  Leibchen 
(wohl  Mieder)  ist  vorne  mittels  einer  Reihe  von  verzierten  Knöpfen 
gesdilossen,  die  man  sich  vermutlich  als  schwere  Goldknöpfe  vor- 
zustellen hat  (als  „grossi  bottoni  d'oro",  wie  sie  z.  B.  bei  Francesco 
Sansovino,  1581,  erwähnt  werden}.^«)  Der  Witwenschleier  ist  nicht 
zu  übersehen.  Die  Kartusche  vorn  an  der  Basis  ist  hier  etwas 
niedriger  als  bei  den  zwei  anderen  Büsten  und  unterscheidet  sidi 
von  den  Kartuschen  bei  1  und  2  auch  dadurch,  daß  in  ihr  Feld  ein 
wenig  erhobenes  Trapez  eingefügt  ist,  weldies  in  einiger  Entfernung 
die  innere  Begrenzungslinie  der  Umrahmung  im  allgemeinen  wieder- 
holt.  Ohne  Signatur.  -  Höhe  0.80. 

Trob  der  kleinen  Abweichung  im  Ornament  an  der  Basis  ist 
doch  die  Stilverwandtsdiaft  dieser  nidit  signierten  Büste  mit  anderen 
signierten  Arbeiten  des  Vittoria  eine  so  auffallende,  daß  zu  irgend 
welchen  Zweifeln  an  der  überlieferten  Benennung  hier  keinerlei 
Grund  vorliegt. 

Die  Tradition  bezeidmet  alle  drei  Büsten  als  Werke  des  Ales- 
sandro  Vittoria  und  nennt  die  Dargestellten  im  allgemeinen  Mit- 
glieder der  venezianisdien  Familie  Zorzi  (Giorgi).  Diese  Überliefe- 
rung, zusammengehalten  mit  einer  Stelle,  die  ich  bei  Giovanelli  und 
Gar  finde,  führt  denn  audi  zu  einer  sicheren  Angabe  über  die  Her- 
kunft der  Büsten.  Gar  teilt  in  einem  Anhang  zu  seiner  Vittoria- 
Biographie    einiges    mit,    das    ihm    von    Vincenzo    Lazzari    und 

E.  Cicogna  als  Beitrag  zu  seiner  Arbeit  gesdirieben  worden  war. 
Wie  es  scheint,  ist  es  Cicogna,  der  folgende  Mitteilungen  macht: 
„Ich  habe  im  verflossenen  jähre  1854  drei  Terrakottabüsten  im  Hofe 
der  Casa  Carregiani  beim  Ponte  dei  Greci  am  Rivo  di  San  Lorenzo 
gesehen.  Es  sind  zwei  weiblidie  und  eine  männlidie  (Büste).  Auf 
einer  der  zwei  (weiblidien)  finden  sidi  die  Worte  ALEX.  VICTORIA. 

F.  wie  gewöhnlidi  (bei  Vittoria)  auf  dem  Schnittstreifen.  Die  männ- 
lidie Büste  trägt  Vittoria's  Monogramm  A.  V.  F.  ebenfalls  an  der 
Rückseite.  Dieser  Palast,  der  jefet  Carregiani  hei&t,  gehörte  zur  Zeit 
des  Vittoria  der  Familie  Zorzi  oder  Giorgi.  Es  ist  also  wahrschein- 
lidi,  daß  die  drei  Büsten  Persönlicheiten  aus  der  Casa  Zorzi  dar- 
stellen."   Dazu  kommt  nodi,    daß  Temanza-Mosdiini,    ohne  diese 


■•6)  Vergl.  Venezia  cittä  nobiliss.  descritta,  Bl.  lo2a. 

18 


Büsten  ausdrücklich  zu  nennen,  den  Viitoria  mit  der  Stukko- 
dekoration  des  Palazzo  Zorzi  in  Verbindung  bringen.^?)  Cicogna 
und  Lazzari  sind  die  besten  Gewätirsmänner,  die  man  sich  denken 
kann. 

Wir  können  also  nach  dem  Mitgeteilten  nunmehr  nicht  zweifeln, 
da&  die  drei  Büsten,  die  1866  im  Osterr.  Museum  für  Kunst  und 
Industrie  auftauchen,  dieselben  sind,  die  von  einem  kritischen  Be- 
obachter 1854  noch  an  dem  Ort  ihrer  Bestimmung  in  Venedig,  im 
Palazzo  Giorgi-Carregiani  gesehen  worden  sind.  Die  geringe  Ab- 
weichung in  der  Angabe  der  Signatur:  ALEX  statt  ALEXAN  und  das 
Fehlen  einiger  Punkte  können  in  einer  brieflichen  Mitteilung  dodi 
nicht  als  bedeutend  angenommen  werden.  Die  Dargestellten  näher 
zu  bezeichnen,  als  es  oben  geschehen  ist,  war  bisher  nicht  möglich, 
da  die  Büsten  nicht  datiert  sind  und  sich  nur  vermutungsweise  in  die 
Zeit  um  1570  versehen  lassen.^»)  [Ich  gebe  weiter  unten  wohl  be- 
gründete Vermutungen,  die  auf  dem  Studium  der  Stammbäume  der 
ganzen  Verwandtschaft  fu&en.l  Am  frühesten  scheint  die  männlidie 
Büste  entstanden  zu  sein,  die  oben  als  2  beschrieben  wurde.  Die 
Falten  sind  sorgfältiger  behandelt,  als  es  mir  an  den  späteren 
Arbeiten  Vittoria's  erinnerlich  ist.  Deshalb  möchte  ich  auch  das 
Porträt  der  Matrone,  das  in  der  Gewandung  eine  gewisse  Manieriert- 
heit nicht  verleugnen  kann,  nicht  wenig  später  ansehen.  Auch  scheint 
mir  einerseits  die  hohe  Kartusche  auf  frühere,  andererseits  die 
niedrige  auf  spätere  Entstehungszeit  hinzudeuten.  Indes  ist  hier  wohl 
ein  sicheres  Urteil  nicht  eher  zu  fällen,  bis  nicht  längere  Reihen  von 
Abbildungen,  als  man  sie  jebt  hat,  zur  Vergleichung  vorliegen. 

Die  Herren  Kustoden  j.  Folnesics  und  Fr.  Ritter  machten  mich  auf 
Spuren  von  Vergoldung  aufmerksam,  die  sidi  an  den  beschriebenen 
Büsten  vorfinden.  So  gering  diese  Spuren  auch  sind,  so  unzweifel- 
haft ist  doch  ihr  wirkliches  Vorhandensein.  Goldspuren  sah  idi  am 
deutlichsten  in  den  Achselhöhlen,  im  linken  Ohr  und  nahe  dabei  im 
Haare  der  Büste  des  jungen  Mannes.   Auf  der  Matronenbüste  sind 


'^^  Temanza-MoschinJ,  S.  25  und  Register. 

4«)  Eine  ebenfalls  negative  Auskunft  über  die  Persönlichkeiten,  die  hier  von 
Vittoria  dargestellt  sind,  erhalte  ich  durch  die  Direktion  der  Markusbibliothek  in 
Venedig,  wo  man  so  freundlich  war,  nach  den  Zorzis  um  1570  nachzusuchen. 
Ich  ergreife  die  Gelegenheit,  um  dem  genannten  Institut  für  die  gütige  Bemühung 
bestens  zu  danken. 


19 


2* 


über  dem  rechten  Ohr  Spuren  von  Gold  nachzuweisen.  Die  Reste 
von  roter  Grundierung,  die  sich  z.  B.  in  einer  I^urche  des  Harnisches 
bei  2  und  in  einem  Löd^chen  bei  1  finden,  dürften  als  Poliment,  als 
die  Unterlage  für  die  Vergoldung  zu  deuten  sein. 

Im  Vorübergehen  sei  noch  auf  einige  Sdiäden  hingewiesen,  die 
an  den  Büsten  auffallen:  an  1  fehlt  eine  groBe  Falte,  die  von  der 
rechten  Schulter  schief  gegen  die  Mittellinie  herabreichte;  an  2  ist 
eine  lange,  von  der  Agraffe  absteigende  Falte  weggebrochen.  An 
der  Brudiflädie  gewahrt  man  Reste  einer  dunklen  Klebemasse,  die 
darauf  schlieBen  lassen,  dag  das  Fehlende  sdion  einmal  aufgeklebt 
und  dann  neuerlich  abgebrodien  worden  ist;  3  ist  am  wenigsten  gut 
erhalten.  Es  fehlen  zahlreidie  Stücke  des  Schleierrandes  rechts,  ein 
gro&es  Stüdk  der  Krause  an  der  linken  Schulter  und  der  Kragen  an 
der  linken  Halsseite. 

Die  Literatur  hat  die  drei  Terrakottabüsten  in  Wien  bisher  nur 
gestreift.  Eine  flüditige  Erwätinung  wurde  ihnen  1883  zuteil  in  den 
Mitteilungen  des  Museums*^)  und  später  im  fünften  Bande  des  Jahr- 
buches der  Kunsthistorischen  Sammlungen  des  allerhöchsten  Kaiser- 
hauses.50) 

Von  den  Angaben  in  den  Katalogen  und  Führern  des  Osterr. 
Museums  für  Kunst  und  Industrie  ist  jene  von  Belang,  die  sich  in  der 
dritten  Ausgabe  des  Kataloges  (also  im  Katalog  vom  April  1866) 
finden.  Mit  der  Nummer  2836  (früher  2407)  ist  dort  die  Büste  des 
jungen  Kriegers  „aus  der  Familie  Zorzi"  verzeidinet,  mit  Nr.  2837 
(früher  2408)  die  Büste  der  Dame,  die  oben  als  erstes  Stüd<  be- 
schrieben ist,  und  mit  Nr.  2838  (früher  2406)  die  Büste  der  Matrone. 
Auch  den  weiblidien  Büsten  ist  ein  Hinweis  auf  die  Familie  Zorzi 
beigegeben. 

In  dem  genannten  Kataloge  werden  dem  Vittoria  noch  zwei 
weitere  Büsten  zugesdirieben  (Nr.  2839  und  2840).  Eine  derselben, 
Nr.  2839  (früher  2548),  nähert  sidi  allerdings  dem  Stil  des  Vittoria, 
ohne  aber  als  Werk  desselben  zu  überzeugen.  Neben  Vittoria 
sdiufen  in  Venedig  nidit  wenige  andere  Schüler  Sansovino's  und 


49)  S.  490.  Sie  sind  in  einem  Berichte  über  die  Spitzer'schen  Bronzen  mit 
einer  früher  fallenden  Büste  der  weiland  Sammlung  Spitzer  in  eine  allgemeine 
Verbindung  gebracht  worden.  In  demselben  Berichte  auf  derselben  Seite  hätte 
ich  eine  (nicht  auf  Vittoria  bezügliche)  Verbesserung  anzubringen,  nämlich,  statt 
der  irrigen  Benennung  „Bollano",  Bellano. 

50)  S.  63  f . 

20 


auch  Schüler  des  Vittoria  selbst,  die  alle  von  der  Kunstgeschichte 
etwas  stiefmütterlich  behandelt  werden.  Ich  möchte  es  heute  noch 
vermeiden,  hier  einen  bestimmten  Namen  zu  nennen.  Die  lefete 
(Nr.  2840,  früher  2547)  gehört  nicht  einmal  dem  Kreise  des  Vittoria 
an.  Die  Büsten  aber,  die  hier  abgebildet  und  beschrieben  sind,  ge- 
hören zweifellos  zu  den  echten  Arbeiten  von  Vittoria's  Hand. 

[Während  eines  langen  Aufenthaltes  in  Venedig  1897  gelang  es 
mir,  die  Spur  zu  verfolgen,  die  mit  der  Überlieferung  des  Namens 
Zorzi  gegeben  war.  Ich  suchte  die  verschiedenen  Palazzi  Zorzi  auf 
und  fand  schließlich  den  richtigen,  nämlich  den  Palazzo  Zorzi- 
L  i  a  s  s  i  d  i  (früher  Carregiani),  den  Fondamenta  di  San  Lorenzo 
gegenüber,  denselben  Palast,  wo  Cicogna  die  Büsten  noch  gesehen 
hat.  Denn  seine  prächtige  Schauseite  liegt  am  Rio  dei  Greci.  Der 
Landeingang  befindet  sich  ungefähr  der  Kirche  S.  Giorgio  dei  Greci 
gegenüber  in  der  Calle  della  Madonna.  Von  dort  aus  gelangt  man 
in  den  Hof  und  zu  einem  geräumigen  Portego  aus  dem  16.  Jahr- 
hundert, der  freilich  neuere  Zutaten,  wie  z.  B.  eine  hohe  Vertäfelung 
enthält.  An  der  langen  Hinterwand  dieses  Porticus  wird  man  drei 
Konsole  gewahr,  auf  denen  lebensgroße  Büsten  standen,  neue  Ab- 
güsse, ich  weiß  nicht  nach  weldien  älteren  Arbeiten.  Auf  diesen 
alten  Konsolen  müssen  früher  die  drei  Büsten  ge- 
standen haben,  die  seit  1866  dem  Osterr.  Museum  für  Kunst 
und  Industrie  gehören.  Dr.  Gustav  Ludwig,  der  bekannte  Kunst- 
forscher, der  damals  in  Venedig  lebte,  ließ  den  Portego  durdi 
Tom.  Filippi  photographieren  und  besorgte  mir  noch  die  Stamm- 
bäume der  Zorzi  und  ihrer  nächsten  Verwandten  mit  jener  Aus- 
dauer und  jenem  Fleiß,  die  ihm  eigen  waren. 

Der  erwähnte  Palazzo  Zorzi  (jefet  Liassidi)  gehörte  sdion  dem 
meist  hervorragenden  Mitglied  der  Familie,  dem  Alvise  Giorgi 
(Zorzi),  der  eine  Menge  hoher  Würden  der  Reihe  nach  bekleidete. 
1570  war  er  als  Proveditor  generale  nach  Corfü  gesendet  worden 
zur  Verteidigung  der  Insel  gegen  die  Türken.  1576  hatte  er  dann 
eine  hohe  Stellung  im  Dogenpalast  inne.  Andere  Würden  reihten 
sidi  an.  1586  war  er  eine  Hauptperson  bei  der  Erriditung  der  Rialto- 
brüd<e.  Diesem  also  gehörte  der  Palast  am  Rio  San  Lorenzo,  bzw. 
den  Fondamenta  San  Lorenzo  gegenüber.  Seine  Lebenszeit  (1515 
bis  1593)  kommt  nahe  heran  an  die  des  Alessandro  Vittoria  (1524  bis 
1608),  doch  ist  es  klar,  daß  der  Künstler  noch  nicht  reif  gewesen,  als 


21 


Alvise  Zorzi  sein  Jünglingsalter  schon  voll  erreicht  hatte.  Die  Jung- 
lingsbüste  von  Vittoria  scheint  ja  einen  jungen  Menschen  von  etwa 
zwanzig  bis  fünfundzwanzig  Jahren  darzustellen.  Alvise  Zorzi 
war  1535  zwanzig  Jahre  alt,  als  Vittoria  noch  ein  Knäblein  von  zehn 
Jahren  gewesen.  Dieser  Zorzi  ist  also  nicht  dargestellt.  Aber 
er  wird  wohl  der  Auftraggeber  gewesen  sein,  der 
weit  später  bei  Alessandro  Vittoria  die  Büste  eines  Sohnes  bestellte. 
In  der  Jünglingsbüste  haben  wir  vielleicht  den  ältesten  Sohn 
des  Alvise  vor  uns,  der  Benedetto  hieß,  1555  geboren  und  1601 
gestorben  ist.  über  sein  Leben  dürfte  nidit  viel  mehr  bekannt  sein, 
als  daß  er  venezianischer  Senator  und  Philosoph  war.  Er  blieb  un- 
verehlicht.  Denkbar  wäre  es  audi,  da|  der  Zweitälteste 
Sohn,  Antonio  Zorzi  dargestellt  wäre.  Er  lebte  von  1558  bis 
1599  und  heiratete  1578  I  s  a  b  e  1 1  a  di  Bernardo  Zane.  Vielleidit  ist 
diese  Isabella  die  junge  Frau,  deren  Ebenbild  uns  in  einer  der  be- 
sdiriebenen  Büsten  erhalten  ist.  Die  ältere  Frau  könnte  Benedettos 
und  Antonios  Mutter  sein,  die  1543  Gemahlin  des  Alvise  Zorzi 
geworden  war  und  diesem  noch  1562  einen  dritten  Sohn  (Francesco) 
gebar.  Redinet  man  mit  der  wahrsdieinlidien  Entstehungszeit  der 
Jünglingsbüste:  um  1570,  so  erscheint  zunächst  ausgesdilossen,  daB 
die  Vittoriabüste  diesen  Francesco  Zorzi  darstelle,  der  erst  1562  ge- 
boren wurde.)  Dann  aber  könnte  die  dargestellte  Matrone  auch  die 
Toditer  des  alten  Benedetto  Zorzi  sein  (dieser  starb  1527),  die 
den  Francesco  Midiiel  (Micheli)  1530  geheiratet  hatte.  Dieser  Michiel 
lebte  von  1517  und  starb  sdion  1558. 

So  sind  denn  immerhin  einige  Erkenntnisse  gewonnen  worden. 
Beim  Ankauf  der  Büsten  erfuhr  man  nur,  dag  sie  Personen  aus  der 
Familie  Zorzi  darstellen.  Dann  konnte  idi  aus  Giovanelli  und  Gar 
nadiweisen,  da6  sie  ehedem  im  Palazzo  Zorzi  aufgestellt  waren. 
Nun  handelte  es  sich  um  das  Auffinden  des  riditigen  Palazzo  Zorzi. 
Audi  dieser  wurde  gefunden  und  die  Stammbäume  verhalfen  zu 
Vermutungen  über  die  Namen  der  Dargestellten. 

tlber  Alessandro  Vittoria  ist  seit  meiner  ersten  Veröffentlidiung 
der  Büsten  sehr  viel  gesdirieben  worden,  namentlich  aus  Anlafe  der 
Jubelfeier  von  1908.  Neue  Bücher  und  Aufsähe  in  Zeitschriften 
liegen  vor.  Dodi  wiederhole  idi  meine  alte  Arbeit,  um  sie  als  Erst- 
veröffentlichung aus  früherer  Zeit  festzulegen  und  ihr  meine  Er- 
gänzungen zu  den  Zorzi-Büsten  beizugeben.] 

22 


Eine  Skulptur  nach  Vesals  Anatomie» 


Im  Saale  XXII  des  neuen  Hofmuseums  ist  als  Nr.  15  der  Vitrine  X 
eine  metir  als  spannlange  Figur  aus  Kehlheimer  Stein  aufgestellt,  die 
einigermaBen  durdi  itire  Gestaltung  auffällt.  Ein  Skelett  von  setir 
realistisctier  Formengebung,  aber  ein  Skelett  otine  natürlidie  Bänder, 
so,  wie  es  die  Anatomen  seit  Jahrtiunderten  zum  Unterridit  benufeen, 
stetit  an  einer  Brüstung  oder  einem  Tisch,  stufet  den  Schädel  auf  die 
Linke  und  hebt  mit  der  Rechten  einen  Apfel  empor.  Weiter  zurüd< 
bemerkt  man  dort  auch  noch  einen  Apfelzweig  und  ein  Stundenglas. 
Um  den  Zweig  windet  sich  eine  Schlange.  Das  linke  Bein  des 
Skelettes  ist  über  das  rechte  geschlagen.  Die  Figur  vor  uns,  die  wie 
betrachtend  dasteht,  bedeutet  sicher  den  Tod,  da  sich  an  der  Hinter- 
wand der  Architektur  ein  Köcher  und  ein  Pfeil  dargestellt  finden,  die 
man  in  dem  gegebenen  Zusammenhang  nur  als  Attribute  des  Todes 
deuten  kann.  Die  vorliegende  Notiz  hat  es  übrigens  nidit  auf  eine 
ikonographische  Deutung  der  Figur  abgesehen,  sondern  auf  die  Mit- 
teilung, dag  der  bildende  Künstler  seine  Figur  in  Stellung 
und  Haltung  einer  Abbildung  bei  Vesal  nachge- 
bildet hat: 

In  dem  bekannten  Werk  über  Anatomie:  „De  humani  corporis 
fabrica"  findet  sich  (auf  Seite  164)  eine  malerisch  aufgefaßte  Seiten- 
ansicht eines  Skelettes  mit  übergeschlagenem  linken  Bein,  mit  auf- 
gestüfetem  Sdiädel  und  mit  einer  rechten  Hand,  die  nadi  etwas  greift, 
was  auf  dem  Tisdie  daneben  liegt.  In  diesen  Beziehungen  herrscht 
unter  beiden  Figuren  die  größte  Übereinstimmung.  Ein  Untersdiied, 
der  zwar  von  ikonographischer  Bedeutung  ist,  aber  gegen  die  Ent- 
lehnung nichts  beweist,  ist  der,  daß  die  Rechte  des  Skeletts  bei 


*)  Erstdruck  im  „Monatsblatt  des  Altertums -Vereines  zu  Wien",  Bd.  IV, 
Nr.  10,  mit  der  Ueberschrift  „Eine  Skulptur  nach  Vesals  Anatomie  in  den  Kunst- 
sammlungen des  allerhöchsten  Kaiserhauses".    Schluß  ein  wenig  umgearbeitet. 

23 


V  e  s  a  1  einen  Sdiädel  hält  statt  des  Apfels,  den  die  plastisch  aus- 
geführte Figur  aufzuweisen  hat.  Die  Dbereinstimmung  dagegen  er- 
strcd<t  sidi  sogar  auf  die  Profilierung  des  Tisdies,  auf  welchen  sidi 
das  Skelett  aufstüfet. 

Mit  dem  Nachweis  dieser  Entlehnung  wäre  eine  Zeitgrenze  ge- 
wonnen, vor  welcher  die  Entstehung  der  Steinfigur  nicht  zu  denken 
ist.  Die  Anatomie  des  Vesal  (mit  den  Abbildungen  nach  Stefan 
Calcar's,  des  Tizianschülers  Zeidinungen)  ersdiien  von  1542  auf  1543 
in  Basel.  Da  man  nicht  gut  annehmen  kann,  dafe  etwa  die  Abbildung 
bei  Vesal  nach  der  Steinfigur  gefertigt  wäre,  hätten  wir  also  für  die 
Entstehung  der  plastischen  Figur  als  wahrscheinlichen  Terminus  a 
quo  die  Zeit  von  1542  auf  1543  anzunehmen.  Als  Terminus  ad  quem 
hat  sidi  schon  bei  früheren  Erwähnungen^^)  der  Figur  das  Jahr  1596 
herausgestellt.  Die  Skulptur  ist  also  fast  sidier  nadi  1543  und  ge- 
wife  vor  1596  entstanden.  Dem  Stil  nadi  würde  idi  sie  näher  an 
1596  sehen  als  an  1542.  Auf  die  Frage  nach  dem  Künstler  der  Stein- 
figur kann  vorläufig  eine  Antwort  nidit  erteilt  werden.  Erwähnt  sei 
nur,  daB  eine  vorübergehende  Zuschreibung  der  Skulptur  an 
AI.  Collin  sidi  nidit  bewährt  hat.  Das  merkwürdige  Stück  stammt 
aus  der  alten  Sammlung  des  Erzherzogs  Ferdinand  von  Tirol,  aus 
der  Ambrasersammlung.  Im  ältesten  Inventar,  es  ist  das  von  1596, 
ist  die  Figur  zwar  verzeidinet,  doch  ohne  Nennung  eines  Künstler- 
namens, wie  folgt:  „In  ainem  sdiwarz  ebenen  geheüs  ein  fügur  vom 
Todt,  schön  ausgesdinitten".ö2} 

In  der  Stiftsammlung  zu  Göttweig  sah  idi  ein  kleines  Gemälde, 
das  ebenfalls  mittelbar,  oder  unmittelbar  auf  Vesals  Anatomie  zu- 
rüd<geht  und  ein  Skelett  in  derselben  Stellung  vorführt,  wie  die  te- 
sdiriebene  Skulptur.  In  den  Nebensadien  zeigt  es  allerlei  Ab- 
weidiungen.   Das  Bilddien  in  Göttweig  trägt  das  Datum  1643,  fällt 


51)  Vergl.  die  folgenden  Fußnoten. 

82)  Die  kleine  Literatur,  die  sich  an  die  Figur  knüpft,  wurde  von  mir  in  den 
„Beiträgen  zu  einer  Ikonographie  des  Todes"  zusammengestellt  (in  den  „Mit- 
teilungen der  k.  k.  Zentralkommission  für  Erhaltung  und  Erforschung  der  Kunst- 
und  historischen  Denkmale",  Neue  Folge,  Bd.  XXI,  S.  113  f.,  S.  144  des  Sonder- 
abdrucks). —  Das  Ambraser  Inventar  von  1596  ist  abgedruckt  im  „Jahrbuch  der 
kunsthistorischen  Sammlungen  des  a.  h.  Kais.  Hauses",  Bd.  Vli,  Regestenteil. 
Zur  Figur  S.  CCLXXXVII,  Fol.  376  I.  Seither  wurde  die  Figur  erwähnt  im  „Führer 
durch  die  Sammlung  kunstindustrieller  Gegenstände  im  neuen  Hofmuseum*. 
Ferner  beschrieben  und  abgebildet  bei  Julius  v.  Schlosser  „Werke  der  Klein- 
plastik." Bd.  I.,  S.  19  f.  und  Tafel  LI. 

24 


Alessandro  Vittoria .  Terrakottabiiste  im  Österreichischen  Museum  für  Kunst 
und  Industrie  zu  Wien. 


also  bedeutend  später,  als  die  Steinfigur  in  Wien,  nadi  der  es 
übrigens  nicht  kopiert  ist.  (Kurze  Besdireibung  otine  Hinweis  auf 
Vesal  oder  auf  die  Wiener  Skulptur  in  der  „Osterr.  Kunsttopo- 
grapliie,  Bd.  1  (19071,  S.  507,  Nr.  12.) 


25 


Ein  Besuch  Thorwaldsens  in  Wien/^ 

Der  dänisdie  Phidias  war  mehrere  Male,  wie  es  scheint,  zweimal 
in  Wien.  Im  allgemeinen  und  durdi  einige  Einzelheilen  ist  längst  der 
Wiener  Aufenthalt  im  November  1820  bekannt.  Der  Biograph  Thor- 
waldsens, Thiele,  wei&  einiges  davon  zu  berichten,  da  ihm  die  Tage- 
budiaufzeidmungen  eines  Reisebegleiters  (Pontoppidan)  zur  Ver- 
fügung standen.  Da  erfahren  wir  denn,  da&  der  Künstler  am  Sonn- 
tag den  5.  November  in  Wien  eintraf  und  im  Hotel  „Zum  Erzherzog 
Karl"  (in  der  KärntnerstraBe)  abstieg,  daB  er  die  herrlidien  Kunst- 
sammlungen besudite  und  „sidi  täglidi  in  höheren  Gesellschafts- 
kreisen zerstreute".  Das  Theater  fesselte  ihn,  nicht  zulefet  die  Schau- 
spielerin Stich  (später  Crelinger)  aus  Berlin,  die  damals  in  Wien 
gastierte.  Er  suchte  ihre  persönliche  Bekanntsdiaft  zu  madien.  Nach 
den  Akten  im  Ardiiv  der  Akademie  der  bildenden  Künste  zu  Wien 
zu  schliefeen,  wurde  er  von  Vertretern  dieser  Anstalt  in  der  Zeit  vom 
9.  bis  22.  November  in  die  bemerkenswerten  Kunstsammlungen  und 
zu  den  besonderen  Sehenswürdigkeiten  geleitet.  Wie  es  scheinen 
will,  war  dem  Künstler  damals  die  Hauptstadt  an  der  Donau  nodi 
verhältnismäßig  neu,  und  wir  dürfen  vielleidit  den  Wiener  Aufenthalt 
vom  Jahre  1820  als  den  ersten  ansehen.  Sicher  war  es  der  erste,  den 
er  als  berühmter  Künstler  erlebt  hat.  In  den  frühen  1840  er  Jahren 
ist  von  zwei  Wiener  Aufenthalten  Thorwaldsens  die  Rede,  wie  das 
Dr.  Ignaz  Jeitteles  erzählte.^s)  Dieser  hielt  sidi  in  jenen  Jahren 
gleichzeitig  mit  dem  berühmten  Bildhauer  in  Rom  auf  und  madite 
nebstbei  audi  davon  Mitteilung,  daß  Amerling,  der  Wiener  Maler, 


*)  Erweiterung  einer  Notiz  vom  26.  Jänner  1912  in  der  »Wiener  Abendppst". 
53)  Vergl.  Aug.  Lewald:  „Dr.  Ignaz  Jeitteles,  eine  Reise  nach  Rom"  (1844), 


S.  289. 

26 


der  später  so  berühmt  wurde,  in  Rom  1842  den  dänisdien  Künstler 
porträtiert  tiat.  Gemeint  ist  offenbar  die  Skizze,  denn  das  durcti- 
gebildete  Gemälde  trägt  die  Jahreszahl  1843.5^) 

Im  Jahre  1820  kam  Thorwaldsen  vom  Norden  her  nach  Wien. 
Er  war  aus  Rom,  wo  er  ja  zumeist  tätig  gewesen,  am  14.  Juli  1819 
abgereist,  um  sein  eigentliches  Vaterland,  Dänemark,  nach  viel- 
jähriger Abwesenheit  wieder  aufzusuchen.  Sdion  hoch  berühmt, 
wurde  er  in  Kopenhagen  und  auf  der  Reise  durch  Deutschland, 
Polen  und  Osterreich  allenthalben  gefeiert.  In  Troppau,  wo  er  sich 
drei  Tage  lang  (die  Tage  um  den  1.  November)  befand,  erfreute  er 
sich  „fürstlicher  Gunst"  und  „glänzender  Zerstreuungen".  Dort  kam 
er  mit  Kaiser  Alexander  von  Rußland  in  Berührung  und  Kaiser  Franz 
übertrug  ihm  dort  „die  Ausführung  eines  Monuments  zu  Ehren  des 
gerade  in  jenen  Tagen  zu  Leipzig  versdiiedenen  Fürsten  Sdiwarzen- 
berg  und  trug  ihm  auf,  für  dasselbe  einen  passenden  Plab  in  einer 
Kirche  Wiens  auszuwählen".  (Bekanntlich  blieb  es  bei  der  Skizze. 
Dieses  Monument  ist  niemals  ausgeführt  worden.)  Von  Thorwalsen- 
schen  Büsten  des  Kaisers  Franz  erfährt  man  durdi  das  Nach- 
sdilagebuch  von  F.  H.  Böckh  „Wiens  lebende  Schriftsteller"  (Nach- 
träge von  1823,  S.  111  und  113). 

Mit  dem  Staatskanzler  Metternich,  dessen  Büste  Thorwaldsen 
bereits  früher  in  Rom  modeliert  hatte,  erneuerte  er  die  freundschaft- 
lichen Beziehungen.  Wie  wir  sogleich  sehen  werden,  gab  Metternich 
den  Befehl,  dem  berühmten  Künstler  in  Wien  die  Besiditigung  der 
Kunstsachen  so  bequem  als  möglidi  zu  machen.  Thorwaldsen  war 
am  2.  November  (nach  Thiele  II,  S.  46  ff.)  aus  Troppau  abgereist  und 
am  5.  November,  wir  wissen  es  schon,  in  Wien  angelangt.  In  den 
Akten  der  Wiener  Akademie  steht  nun  folgendes,  und  zwar  gebudit 
als  „AuBerorde.itliche  Auslagen"  des  Jahres  1820,  „welche  zur  Be- 
folgung der  von  Sr.  D(urchlaucht)  dem  Herrn  Curator  [es  war  Fürst 
Metternichl  ausdrüd^Iidi  hieher  gelangten  Befehles,  dem  däni- 
schen Herrn  Staatsrathe  B.  Thorwaldsen  während  seines  Aufent-. 
haltes  in  Wien  die  nöthigen  Mittel  zum  Besuche  der  hiesigen  Museen, 
Galerien  und  anderer  Merkwürdigkeiten  auf  die  angenehmste  Weise 


54)  Genaueres  darüber  und  über  die  rasche  Enstehung  des  Bildnisses  bei 
L.  A.  Frank]  „Friedr.  v.  Amerling"  und  in  meinen  Blättern  für  Gemäldekunde 
Bd.  VII,  S.  99ff. 

27 


zu  versdiaffen,  gemacht  wurden".  —  „Für  Fiaker,  Stadtlehnewägen, 
und  der  Dienerschaft  hier  und  da  gegebene  Trinkgelder  vom  9ten  bis 
inclus  22t  November  dfes)  Kaufenden)  J(ahres)  167  fl.  45  kr..  Wien, 
den  2  Xbr.  820." 

Nach  dem  vielen  Umherfahren  und  Schauen  während  der  Wiener 
Tage  wird  sich  der  Künstler  wohl  etwas  Ruhe  für  die  Weiterreise 
vergönnt  haben.  Die  Abfahrt  von  Wien  scheint  erst  am  26.  November 
geschehen  zu  sein.  Dieses  Datum  wird  wenigstens  von  der  „Wiener 
Zeitung"  (vom  29.  November)  gemeldet.  Nebenbei  ist  zu  beachten, 
daß  in  der  genannten  Zeitung  vom  11.  bis  17.  November  1820  wieder- 
holt durdi  Artarias  Kunsthandlung  „Basreliefs  des  Bildhauers  Albr. 
Ritt.  V.  Thorwaldsen  .  .  in  Kupfer  gestochen"  angekündigt  wurden. 
Audi  sei  eines  Gedichtes  auf  Thorwaldsen  von  Sonnleitner  gedacht, 
das  im  November  1820  in  der  „Wiener  Zeitsdirift  für  Kunstliteratur" 
erschienen  ist.   (Thiele  11,  S.  64.) 

Den  hauptsächlichen  AnlaB  zum  Aufbruch  aus  Wien  dürfte  eine 
Nachridit  aus  Rom  abgegeben  haben,  die  dem  Künstler  durch  den 
Fürsten  Esterhazy  bekannt  wurde,  der  sie  ihm  aus  dem  Diario  di 
Roma  mitteilte.  Die  Werkstätte  Thorwaldsens  in  Rom  hatte  durch 
einen  Einsturz  sdiwer  gelitten.  Der  Brief  eines  Freundes  bradite 
viele  Einzelheiten  über  das  Unglück.^s)  Die  Romreise  erfolgte  über 
Wiener-Neustadt,  wo  der  Künstler  einen  Tag  verbrachte,  den  27.  No- 
vember. Am  28.  wurde  die  Fahrt  fortgesefet.  Es  ging  über  Villach, 
Udine,  Mestre,  Venedig,  Padua,  Verona  u.  s.  f.  Der  16.  Dezember 
sah  den  Künstler  wieder  in  Rom.ß^)  Dort  verblieb  er  nun  nahezu 
achtzehn  jähre.  Erst  1838  im  September  kehrte  er  wieder  nach 
Kopenhagen  zurüd<.  Durch  die  freiherrliche  Familie  Stampe  wurde 
er  bald  nadi  Nys,  ihrem  prächtigen  Landsife,  entführt,  wo  er  wieder 
künstlerisch  tätig  war.  Dann  zog  es  ihn  abermals  in  die  geliebte 
Tiberstadt,  wohin  (über  Bayern  und  die  Sdiweiz)  er  im  Stampe'schen 
Vierspänner  geführt  und  von  einigen  Mitgliedern  der  Familie  be- 
gleitet wurde.  Am  12.  September  1841  trafen  sie  in  Rom  ein.57)  Dort 


55)  Thiele  II.,  S.  66,   Plön  S.  75.    Zu  Fürst  Esterhazy  in  Verbindung   mit 
Thorwaldsen  siehe  .Kunstblatt*  von  1833,  Nr.  47  f. 

56)  Vergl.  L.  V.  Ulrich's   »Thorwaldsen  in  Rom  —  Aus  Wagners  Papieren", 
1887,  S,  9. 

57)  E.  Plön  S.  157  ff.  Am  28.  Oktober  war  Th.  wieder  in  Kopenhagen. 

28 


verblieb  er  bis  zum  2.  Oktober  1842.  In  aller  Stille  bracti  er  an  jenem 
Tage  auf,  um  nach  Dänemark  zurückzufatiren.  Dort  traf  er  nodi  im 
Herbst  jenes  Jatires  ein/»»)  DaB  er  seine  Tage  am  24.  März  1844  voll- 
endete, ist  allbekannt. 


58)  Nach  Urlichs  a.  a.  O.  nach  Albert  Repholtz  „Thorvaldsen  og  Nyso"  (1911) 
und  Carl  Friedr.  Wilckens  „Züge  aus  Thorwaldsens  Künstler-  und  Umgangsleben" 
(deutsch  von  Th.  Schorn)  1875,  S.  86. 

29 


Einige  österreichische  Plastiker  des  18.  und 
frühen  19*  Jahrhunderts* 

(Urkundliche  Nachrichten  über  Beyer,  Zauner,  Hagenauer,  Sautner, 

Schaller,  Käfemann  u.  a.)*) 

Der  Figurenschmud<  des  kaiserüchen  Schloßparkes  zu  Schön- 
brunn gehört  ohne  Zweifel  zu  den  bedeutenden  Arbeiten  seiner  Zeit 
und  Gattung;  voran  der  gro&e  Neptun-Brunnen.  Er  ist  ein  Werk 
Johann  Christian  Wilhelm  Beyers,  des  zu  Gotha  (1725)  geborenen, 
vielseitig  unterrichteten  Bildhauers,  der  jahrzehntelang  in  Wien  tätig 
war  und  ebenda  oder  in  Schönbrunn  1796  (nadi  neuer  Angabe  statt 
1806)  gestorben  ist.  Seine  Lebensgeschidite,  von  H.  Kabdebo  ver- 
faßt, steht  in  der  kurzlebigen  „Allgemeinen  Kunstchronik"  von  1880 
zu  lesen.  Auch  Josef  Dernjac  hat  sich  mit  Beyer  beschäftigt  in  der 
Studie  „Zur  Gesdiichte  von  Schönbrunn"  (1885),  und  von  demselben 
Verfasser  ist  der  Artikel  Beyer  in  Julius  Meyers  „Allgemeinem 
Künstlerlexikon",  das  jefet  zum  Teil  umgearbeitet,  zum  Teil  an- 
gestüd<elt  ein  neues  Leben  begonnen  hat.  Die  neue  Auflage,  die  von 
Ulr.  Thieme  und  Felix  Becker  begonnen  wurde,  wird  jebt  von  Thieme 
allein  redigiert.  Was  Beyer  betrifft,  so  geht  die  zweite  Auflage 
hauptsädilich  auf  die  oben  genannten  Vorarbeiten  zurüd<,  die  eine 
ganze  Reihe  von  Mitarbeitern  Beyers  bei  seinen  Werken  namhaft 
gemacht  haben.  Johann  Martin  F  i  s  ch  e  r  und  Z  a  u  n  e  r  sind  dar- 
unter diejenigen,  deren  Namen  späterhin  berühmt  geworden  sind. 
Sdiletterer,  Johann  Hagenauer,  Zädierl  werden  neben  anderen  eben- 
falls im  Gefolge  Beyers  genannt.  Übersehen  ist  dabei  ein  Bildhauer, 
zwar  von  Talent,  der  es  aber  nidit  verstanden  hat,  sich  in  der  großen 


*)  Erstdruck  in  der  „Wiener  Zeitung"  vom  28.  März  li?12. 

30 


Welt  durchzuseben.  Es  ist  Jotiann  S  a  u  t  n  e  r,  über  den  ganz  blut- 
wenig in  den  Lexika  zu  finden  ist  und  der  in  den  zusammenfassenden 
Darstellungen  der  Kunstentwicklung  in  Osterreicti  regelmäßig  durch 
seine  Abwesenheit  glänzt.  Und  gerade  Sautner  scheint,  wenn  nicht 
an  dem  schöpferischen  Gedanken,  so  doch  an  der  Formengebung 
des  Neptun-Brunnens  und  anderer  Beyer'scher  Arbeiten  mit- 
beteiligt gewesen  zu  sein.  Sicher  hat  er  daran  irgendwie 
als  Bildhauer  mitgearbeitet.  Diese  Sicherheit  wird  uns 
geboten  durch  Sautners  eigene  Angaben,  die  er  in  einem  Majestäts- 
gesuche zu  Papier  gebracht  hat.  Davon  noch  später.  Vorher  sei  es 
versucht,  aus  neu  aufgefundenen  urkundlichen  Angaben  eine  Art 
Lebensbeschreibung  des  Künstlers  zusammenzufinden.  Er  stammt 
aus  Mindelheim  in  Schwaben,  wo  er  (wohl  gegen  1760)  geboren  ist. 
Seit  1772  lebte  er  hauptsächlich  in  Wien.  An  der  Akademie  machte 
er  seine  Studien,  und  dort  fand  er  so  viele  Anerkennung,  daß  er  am 
24.  Juli  1781  zum  Ehrenmitglied  ernannt  wurde.  Für  Beyer  und 
Hagenauer  hatte  er  vorher  bei  der  Herstellung  vieler  Figuren  mit- 
gewirkt, die  den  Schönbrunner  Park  bis  heute  zieren.  In  dem  oben 
erwähnten  Majestätsgesudie,  das  1818  verfaßt  wurde,  schreibt 
Sautner,  daß  er  „im  Garten  zu  Schönbrunn  unter  der  Leitung  des 
k.  k.  Hofstatutarius  B  e  y  e  r  an  folgenden  Marmorfiguren"  gearbeitet 
hat,  „als  dem  Neptun  bey  dem  großen  Bassin,  11  Schuh  hoch,  dem 
janus,  der  Bellona,  einer  Wassernymphe,  einem  Neptun  bei  den 
Ruinen,  dem  Cincinnatus,  einem  Triton  und  einem  Seepferd." 
Sautner  fährt  fort:  „Ebenso  habe  ich  mehrere  andere  Modelle  ver- 
fertiget. Ferner  unter  der  Leitung  des  Herrn  Direktors  Hagen- 
auer hatte  idi  ebenfalls  in  Schönbrunn  den  Fabius  Maximus  und 
2  Bacdiantinnen  von  Marmor  zu  verferhgen."59) 

In  dem  erwähnten  Majestätsgesuch  bringt  Sautner  noch  vieles 
andere  vor,  so  z.  B.  daß  er  nach  den  Arbeiten  für  Sdiönbrunn 
„während  einer  kleinen  Zwisdienzeit"  mit  Erfolg  um  den  akademi- 
schen Preis  konkurrierte  und  danach  Mitglied  der  Akademie  wurde. 
Er  fährt  fort:  „Dann  erhielt  ich  den  Auftrag,  für  das  Observatorium 


59)  [Diese  Mitteilungen  enthalten  bedeutsame  Ergänzungen  der  gewöhnlichen 
Angaben  über  den  bildnerischen  Schmuclc  des  Schönbrunner-Parkes.  Der  Anteil 
Sautners  an  jenen  Arbeiten  ist  auch  übersehen  bei  F.  H.  Böckle  in  den  „Merk- 
würdigkeiten .  .  von  Wien"  (1823),  wo  sonst  alle  anderen  Künstler  der  Gruppe 
genannt  sind]. 

31 


der  k.  k.  Hofburg  vier  Büsten  von  Gyps,  benamtlich:  Ctiristus,  Moses, 
Plato  und  Pitagoras  (!)  zu  verfertigen,  und  nadi  deren  Vollendung 
habe  ich  unter  der  Leitung  des  Herrn  Directors  Edlen  von  Z  a  u  n  e  r 
an  der  Statue  Weiland  Sr.  Majestät  Kaiser  Joseph  des  Zweiten  bis 
zur  Aufstellung  gearbeitet." 

„Unter  mehreren  weiteren  Arbeiten  war  ich  dann  audi  so  glück- 
lich, das  Bildnis  Euer  Majestät  und  jenes  Sr.  Exzellenz  des  Herrn 
Grafen  von  Wrbna,  weldies  in  der  k.  k.  Hofburg  aufgestellt  ist,  aus 
Bronze  zu  verfertigen." 

Nun  geht  Sautner  auf  eine  andere  Arbeit  über,  die  nicht  für  den 
Hof  hergestellt  worden  ist,  auf  das  Collin-Denkmal  in  der  Karls- 
Kirdie  zu  Wien.  Die  Angaben  über  den  Meister  dieses  vornehmen 
Kunstwerkes  sind  in  versdiiedenen  Quellen  verschieden.  Zauner 
sollte  es  gemacht  haben.  Füger  hätte  es  gezeidmet.  Durch  einen 
Sdireibfehler  oder  Drud<fehler  wird  audi  ein  Bildhauer  Santner, 
auch  Sontner,  dafür  verantwortlich  gemacht,  der  niemand  anderer  ist 
als  unser  Sautner.  Um  so  erfreulidier  ist  es,  den  Urheber  des 
Werkes  selbst  darüber  zu  vernehmen.  Sautner  schreibt  in  dem  er- 
wähnten Majestätsgesudi  über  die  Sadie  folgendes:  „(5tens)  Ist  audi 
das  Haupt-Relief,  das  BildniB,  sowie  die  Urne  iiji  Fronton  an  dem 
Denkmal  des  k.  k.  Hofrathes  Heinrich  Joseph  Edlen  von  Collin  in  der 
hiesigen  Karlskirche  meine  Arbeit,  wie  das  folgende  Zeugnis  be- 
stätiget." Dieses  Zeugnis  liegt  dem  Gesuche  bei  und  ist  vom  Grafen 
Morib  Dietridistein  ausgestellt,  auf  dessen  Veranlassung  das  Denk- 
mal erriditet  worden  war.  Dietridistein  weist  auf  die  allgemeine 
Anerkennung  hin,  die  Sautners  Arbeit  bei  den  Kunstfreunden  ge- 
funden hat.  Hervorzuheben  ist,  dafe  weder  von  Sautner  selbst  ein 
anderer  Künstler  genannt  wird,  der  am  Collin-Denkmal  beteiligt  ge- 
wesen wäre,  noch  dafe  Dietrichstein  von  einem  beihelfenden  oder 
entwerfenden  Künstler  spridit.  Wie  es  sdieint,  ist  in  diesem  Fall 
audi  die  Skizze  von  Sautner  modelliert  worden.  Für  das  Bildnis 
Collins  mugte  eine  fremde  Vorlage  herangezogen  werden,  da  ja  das 
beste  Vorbild,  der  Diditer  selbst,  nidit  mehr  am  Leben  war,  als  der 
Auftrag  erfolgte.  Die  eigentlidie  Ausführung  des  Porträtmedaillons 
ist  aber  sidier  das  Verdienst  Sautners.  Das  „Hauptrelief",  es  sind 
die  zwei  traij^ernden  Jünglinge,  von  denen  einer  die  Sdilange  als 
Symbol  der  Ewigkeit,  der  andere  die  Fad<el  als  Symbol  des  Todes 
hält,  ist  sicher  Sautners  eigene  Arbeit.   Die  Erfindung  des  Ganzen, 


32 


.Alessandro  Vittoria:  Terrakottabüste  im  Österreichischen  Museum  für  Kunst 
und  Industrie  zu  Wien. 


das  wie  die  Sdimalseite  eines  riesigen  Sarkophags  angeordnet  ist, 
mag  einem  anderen  Kopf  entsprungen  sein.  Auf  keinen  Fall  kommen 
für  die  Erfindung  und  die  Skizze  die  zwei  sonst  natiezu  unbekannten 
Helfer  in  Frage:  Anton  Klement  und  joti.  Pactiolik,  die  otine  Quellen- 
angabe in  Naglers  Lexikon  als  Mitarbeiter  Sautners  genannt  werden. 

Bei  den  Figuren  für  den  Sctiönbrunner  Park  sctieint  Sautner 
nur  die  allerdings  wictitigen  Hilfsmodelle  ausgefütirt  zu  tiaben  und 
an  der  Steinbildtiauerei  beteiligt  gewesen  zu  sein.  An  Zauners 
Kaiser-Josef-Denkmal  liat  Sautner  keinen  sctiöpferisctien  Anteil  ge- 
nommen. Zauners  Zeugnis  über  die  Angelegenheit  ist  als  Beilage 
des  Majestätsgesuches  erhalten  und  bestätigt,  daB  Johann  Sautner 
„bei  Bearbeitung  des  Monuments  Sr.  Majestät  Kaiser  Joseph  des 
zweiten  und  nachher  bei  mehreren  anderen  Arbeiten  als  Gehilfe  ver- 
wendet worden,  und  sich  als  geschicktes,  thätiges  und  fleißiges 
Individuum  gezeigt  habe,  auch  seiner  Rechtschaffenheit  und  be- 
sonders guten  moralischen  Karakters  wegen  anempfohlen  zu  werden 
verdiene". 

Gegen  1818  ging  es  bei  Sautner,  der  Familie  hatte,  in  den 
Finanzen  knapp  zusammen.  Dies  war  der  Anlafe  zu  dem  (oben  nahe- 
zu vollständig  mitgeteilten)  Majetätsgesuch,  in  welchem  Sautner 
sdilieBlich  um  einen  neuen  Auftrag  bat.  Es  scheint,  daB  es  mit  dem 
Gesuch  zusammenhängt,  wenn  wir  in  den  nächsten  Jahren  den  altern- 
den Bildhauer  damit  betraut  sehen,  alljährlich  das  Monument  der 
Erzherzogin  Maria  Christine,  das  bekannte  Werk  Canovas,  zu 
reinigen.  Vom  Herzog  Albert  von  Sachsen-Teschen,  dem  über- 
lebenden Gemahl  der  Erzherzogin,  war  ein  Kapital  von  4000  Gulden 
an  die  Akademie  gespendet  worden,  um  von  den  Interessen  die 
nötige  Instandhaltung  des  Monumentes  in  der  Augustinerkirdie  zu 
bestreiten.  Sautner  besorgte  die  Reinigung  des  Denkmals  in  den 
Jahren  von  1820  bis  1823,  wofür  er  jedesmal  90  fl.  Wiener  Währung 
ausbezahlt  bekam.  1824  wurde  es  durch  den  Bildhauer  Karl 
Arnold  gepufet.  Sautner  war  mittlerweile  gestorben.  Am  9.  No- 
vember 1823  hatte  er  einen  Schlaganfall  erlitten  mit  nadifolgender 
halbseitiger  Lähmung,  worüber  ein  ärztliches  Zeugnis  vorliegt. 
Einige  Wochen  nach  dieser  Attad<e  muB  Sautner  gestorben  sein. 
Denn  am  18.  Dezember  1823  wendete  sich  die  Witwe  an  die  Aka- 
demie um  eine  Unterstützung,  und  am  23.  Dezember  wurde  Sautners 
Ableben  als  kurz  vorher  erfolgt  bei  der  k.  k.  Landesregierung  ge- 


33 


meldet.  Das  noch  ausständige  Honorar  wurde  Inadi  langweiligem 
Zaudernl  an  die  notleidende  Witwe  ausgezatilt.  Sautners  Einkünfte 
waren  in  seiner  legten  Zeit  gering.  In  der  Akademie  der  bildenden 
Künste  besorgte  er  die  Gipsformerei,  worüber  einige  Rectinungen 
aus  den  Jatiren  1819  und  1820  Aufschlug  geben.  Dazu  kam  nocti  das 
Entgelt  für  die  Reinigung  des  Denkmals.  Von  einer  künstlerischen 
Tätigkeit  Sautners  in  jenen  Jahren  ist  nichts  bekannt.  Seine  alten 
Tage  verliefen  also  in  Dürftigkeit.  [Als  Tag  des  Ablebens  wird  bei 
C.  Bodenstein  „Hundert  Jahre  Kunstgeschichte  Wiens"  der  28.  No- 
vember 1824  angegeben.l 

über  die  Reinigung  des  Christinen-Denkmals 
hatte  1823  Professor  Joh.  S  di  a  1 1  e  r,  der  bekannte  Wiener  Bildhauer 
klassizistischer  Riditung,  dessen  meist  bekannte  Leistungen  wohl  die 
heilige  Margarete  auf  dem  Brunnen  in  der  Wiener  Vorstadt  Marga- 
reten und  die  riesige  Kinsky-Büste  im  Wiener-Neustädter  Akademie- 
park sein  dürften,  ein  Gutaditen  abzugeben.  Es  verdient  ebensosehr 
aus  dem  Gesichtspunkte  der  Denkmalpflege  betrachtet  zu  werden, 
als  es  in  Bezug  auf  schlechtes  Deutsch  unwillkürlidi  die  Aufmerk- 
samkeit der  Sprachkundigen  fesseln  dürfte.  In  Bezug  auf  D  e  n  k- 
m  a  1  s  ch  u  fe  sei  anerkennend  hervorgehoben,  da^  Sdialler  vor  un- 
vorsichtiger Reinigung  warnt.  Es  hatten  sidi  Fled<en  an  Stellen  des 
Denkmals  gezeigt,  an  denen  nidit  Staub  als  Veranlassung  des 
Fleckigwerdens  anzunehmen  war.  Nun  hatte  Erzherzog  Karl  unge- 
fähr im  Juli  1823  der  Akademie  seinen  Wunsdi  mitgeteilt,  daß  diese 
Flecken  beseitigt  werden.  Professor  Schaller  berichtete  über  die 
Sadie  am  6.  Juli  1823.  Der  sprachliche  Ausdrud<  und  die  individuelle 
Rechtsdireibung  sind  so  merkwürdig,  da&  einige  Zeilen  aus  Schallers 
Gutaditen  ein  wörtlidies  Anführen  verdienen.  So  schreibt  Schaller 
z.  B.:  „Da  die  Reinigung  dieses  Werkes  nur  durdi  Abwasdiung 
einiger  gewöhnlicher  und  bekannter  Mitteln,  welche  in  äsenden 
Säuren  bestehen,  die  die  Oberfläche  etwas  auflösen  und  somit  den 
Sdimub  weiternehmen,  oder  aber  durch  Absdileifen  mit  Bimsstein 
geschehen  kann. 

„So  ist  wohl  zu  eraditen  dafe  bey  öftern  wiederholen  solcher 
Mitteln  die  Zartheit  der  Oberfläche  durch  daB  erstere  bemerkte 
Mittel  abgefressen  und  durdi  das  Zweitere  abgestumpft  werden 
würden,  und  daher  bey  vorzunehmender  Reinhaltung  wohl  zu  be- 

34 


achten  wäre,  damit  das  Werk  mit  der  Zeit,  seinen  tiötieren  Kunst- 
getialt  nidit  verliehren  möctite." 

Es  ist  zu  beachten,  da&  „Zweitere"  wirkhch  in  Schallers  Hand- 
schrift steht.  Eigentlich  ganz  logisch  hatte  der  Bildhauer  ge- 
schlossen, daB  es  auch  einen  „Zweiteren"  geben  könne,  wenn  man 
schon  einen  „Ersteren"  hat  durchlaufen  lassen.  Wenn  noch  heute 
tausende  Male  „Ersterer"  und  „Lebterer"  geschrieben  wird,  so  ist 
das  im  Wesen  auch  nicht  gescheiter  als  Schallers  „Zweiterer". 

Das  kühne  Deutsch  des  Herrn  Professors  Schaller  wird  übrigens 
noch  überboten  durch  die  Sprachkünste  des  Alt-Wiener  Bildhauers 
K  ä  B  m  a  n  n,  der  sicher  ein  wirkliches,  eigenartiges  Talent  in  Bezug 
auf  Plastik  war,  von  dessen  mangelhafter  Bildung  und  Derbheit  man 
aber  noch  vor  wenigen  Jahrzehnten  durch  alte  Künstler  manche 
heitere  Erzählung  vernehmen  konnte.  Georges  Mayer  hat  davon  in 
seinem  Rahl-Buche  einiges  festgehalten.  1823  wurde  Kä&mann  in 
der  Professur  der  Bildhauereischule  an  der  Wiener  Akademie  durch 
Schaller  abgelöst.  Sdialler  war  aus  Rom  zurückgekehrt.  Nun  ging 
Kä&mann  als  Pensionär  in  die  ewige  Stadt.  Von  dort  aus  berichtet 
er  über  den  Beginn  seiner  Studien  an  den  Grafen  Rudolf  Czernin, 
den  damaligen  Vorsifeer  der  Akademie.  Kä&manns  Schreiben  sei 
vollständig  mitgeteilt: 

„Herr  Präsident 

„Euer  Hochgeborn,  meine  Pflidit  ruft  mich  über  mein  Stu- 
diumsanfang zu  Rom;  demselben  in  einem  kleinem  Detail  zu  be- 
richten. 

„Nach  dem  Unterricht  auf  der  k.  k.  Akademie  der  B.  K.  zu  Wien, 
unter  dem  da  Verlebten  Direktorium  nehmlich,  Füger,  Zauner, 
Fischer  und  dermahligen  Direktor  Cauzig,  dem  ich  so  viel  Dank- 
schuldig bin,  der  wie  ein  Vatter  an  mir  gehandelt  hat,  mir  seine 
selbsterprobte  Erfahrung  in  Italien  mittheilte,  und  mir  den  besten 
Weg  sagte  wie  ich  mei  Studium  beginnen  soll. 

„Wie  ich  zu  Rom  ankam,  suchte  ich  alle  die  da  befindlidien 
Kunstwerke  durch  zu  sehen,  welches  gewis  der  hödiste  GenuB  ist; 
für  einen  Künstler,  den  Stuffengang  der  Kunst  wie  sie  gestiegen 
ist  bis  zu  ihrer  Volkommenheit  zu  sehen  und  das  Studium  in  Rom 
fortzusefeen. 


35 


3* 


„Erstlich  hate  ich  12  Skizen  in  Tonerte  gemacht,  selbe  den 
berühmten  Künstler  Dorwaldsen  gewiesen,  und  er  selbst  die 
beste  aus  diesem  gewählt,  und  da  ich  sie  Lebensgroß  in  Gyps 
vollendete,  obbenanter  Künstler  beehrte  mich  öfter  mit  sein  Rath; 
das  Motif  ist  Merkur,  wie  er  den  Argos  durch  das  Flötenspiel  ein- 
geschläffert  hat,  sich  nach  ihm  umsieht  und  nach  dem  Schwert 
greift.  ' 

„Sollte  diese  Statue  bey  den  hiesigen  Künstlern  Baifall  er- 
halten, so  bin  ich  bereit,  sie  in  Marmor  zu  machen,  bey  guter  ge- 
legenheit  werde  idi  meine  Fügur  zeidinen,  um  sie  Euer  Hoch- 
gebohren weisen  zu  können. 

„Zweitens  Zeidine  idi  nach  antiken  fleißig,  übe  mich  in  Con- 
ponirn  in  Tonerte  und  Zeichnen,  dis  sind  die  Resuldate  von  mein 
Aufenthald  in  Rom. 

„Der  gehorsamst  unterzeichnete  bitted,  mir  durch  Direktor 
C  a  u  c  i  g  den  Befehl  ertheilen  zu  lassen,  ob  ich  den  rechten  Weg 
eingegangen  bin. 

„Diesen  Sommer  haben  wir  Ostreidier,  Akademie  gehalten, 
und  nach  den  Modell  der  Natur  studiert,  in  der  früh  von  6.  bis  8 
Uhr  in  den  Studium,  was  ich  von,  Professor  Schaller  übernohmen 
habe  welches  sich  in  Venezianischen  Palast  befindet,  da  idi  jefet, 
aber  zu  arbeiten  angefangen  habe  und  den  Plaß  brauche,  so  sind 
wir  unterbrodien  in  Modell  studirn,  wir  geben  uns  alle  mühe  ein 
Locall  zu  finden,  welche  sehr  teuer  sind  in  Rom  und  dan  alles  an- 
schaffen was  im  Winter  zu  diesem  Studium  nöthig  ist,  erfordert 
nun  bedeutende  Ausgabe  ich  hoffe  es  so  bald  als  möglich  zu 
stände  zu  bringen. 

„Besonders  muß  ich  den  hir  anwesenten  Professor  K  ä  d<  von 
der  Akademie  v.  St.  Luker  anrühmen,  ein  gebürtiger  Tiroller  der 
uns  Ostreichern  mit  sein  Vätterlichen  Raath  und  Liebe  an  die 
Hand  gehet,  der  Liebe  fühlt  wen  Ostreicher  sich  zu  Rom  befinden, 
Diesen  Schäfebaren  Künstler  Lieben  wir  wie  uns  selbst. 

„Der  Unterzeidinete  verbleibt  in  tiefster  Ehrfurdit,  dero  er- 
gebenste Pensioner 

Jos:  Käßmann 
m.  p. 
Kä&manns  Bericht  ist  nicht  datiert.   Doch  steht  außen:  „Präsen- 
tatum den  11.  Dez.  1823"  vermerkt.  In  der  Zeit  gegen  den  10.  April 


36 


war  KäBmann  von  Wien  abgereist.  Damit  sind  also  die  Zeitgrenzen 
abgemessen,  zwisctien  die  Kä^manns  Berictit  tiineinpa&t. 

Graf  Czernin  dürfte  metirmals  geläctielt  tiaben,  als  er  den  Brief 
des  urwüctisigen  Wieners  durctilas.  Dodi  mag  er  den  Intialt  beactitet 
tiaben.  Denn,  von  den  spractilictien  Ungetieuerlichkeiten  abgesetien, 
ist  Kä&mann's  Sctireiben  inhaltsreicti  genug  und  fesselt  uns  aucti 
tieute  nodi  durcti  metir  als  eine  Stelle,  nictit  zulefet  durcti  den  Hin- 
weis auf  Ttiorwaldsen  und  auf  den  alten  Tiroler  Maler  Mictiael 
K  ö  ck  (nictit  Käck),  der  so  setir  von  den  österreidiisctien  Künstlern 

in  Rom  veretirt  wurde. 

« 

Nictit  sei  es  versäumt,  die  Quellen  anzugeben,  aus  denen  die 
Mitteilungen  über  die  obengenannten  Bildtiauer  gesdiöpft  wurden. 
Es  sind  Urkunden  im  Arctiiv  der  Akademie  der  bildenden  Künste  in 
Wien,  und  zwar  in  den  Faszikeln  von  1818  bis  1824.  Die  Angabe  von 
Sautners  Ernennung  zum  Etirenmitglied  der  Akademie  im  jatire  1781 
stammt  aus  einem  alten  Verzeictinis  der  Ehrenmitglieder,  das  bei 
den  Akten  von  1818  liegt.  Im  „Goldenen  Bucti"  der  Akademie  ist 
das  Jatir  der  Ernennung  nidit  vermerkt,  überdies  ist  dort  die  falsctie 
Sctireibung  des  Namens  Santner  statt  Sautner  zu  beklagen. 

Für  die  Erlaubnis  zur  Benüfeung  des  Arctiivs  war  ich  Herrn 
Regierungsrat  L  o  1 1  zu  Dank  verpflichtet.  Lott  ist  hingegangen, 
noch  ehe  ich  etwas  von  den  neuen  Funden  veröffentlichen  konnte. 
Seit  dem  Tode  Lotts  und  schon  lange  vorher  ist  Herr  Sekretariats- 
adjunkt T  h  o  m  k  e  meinen  Arbeiten  freundlidi  entgegengekommen. 

[Seither  ist  auch  Thomke  seiner  Tätigkeit  durch  den  Tod  ent- 
rissen worden.] 


37 


Lionardo  da  Vinci's  Auge. 


') 


Vor  einem  Gemälde  stehend,  können  wir  selten  sofort  ent- 
sctieiden,  ob  der  Sdiöpfer  desselben  mit  gesundem  Äuge  begabt 
war  oder  nidit.  Allenfalls  wird  man  auffallende  Eigenschaften  des 
Farbensinnes  beurteilen  können,  aber  die  Refraktionskraft  des 
Auges  wird  sidi  hier  schwer  ermessen  lassen.  Der  Maler  mag  kurz- 
sichtig gewesen  sein,  bediente  sich  aber  zweckmäßiger  Brillen;  er 
mag  weitsichtig  gewesen  sein,  strengte  aber  seine  Akkomodation 
während  der  Arbeit  so  sehr  an,  daß  an  dem  Gemälde  nichts  den 
Fehler  seines  Auges  verrät.  Kurz,  Rückschlüsse  von  zwingender  Be- 
weiskraft gibt  es  hrer  nicht.  Vor  einer  langen  Reihe  von  Werken 
eines  und  desselben  Künstlers  aus  verschiedenen  Perioden  seines 
Schaffens  sind  wir  ein  wenig  besser  daran.  Flier  finden  wir  wohl  die 
peinliche  Sorgfalt  und  Feinheit  der  Pinselstridie  oder  Federzüge, 
die  Härte  der  Umrisse,  die  den  Jugendarbeiten  kurzsidihger  Künstler 
eigen  zu  sein  pflegen,  im  Gegensab  zur  breiten,  flüditigen,  weicheren 
Behandlungsweise  in  den  Gemälden  aus  der  späteren  Zeit  des- 
selben Malers.  Flüssigere,  weichere  Behandlungsweise  als  in  der 
Jugendzeit  finden  wir  aber  audi  nicht  selten  bei  alt  gewordenen 
Künstlern,  die  niemals  myopisdi  waren,  die  sich  einer  normalen 
Refraktion  erfreuten  oder  die  übersichtige  Augen  hatten.  Nicht  das 
Auge  allein  ist  hier  von  Wichtigkeit;  das  Temperament,  die  Er- 
ziehung im  allgemeinen,  die  künstlerische  Richtung  und  Sdiulung  im 
besonderen,  äußere  Sdiicksale,  Erkrankungen  und  nicht  zulebt  die 
zunehmende  Übung  der  Hand  spielen  mit  herein.  Wer  soll  das  alles 
riditig  sondern  und  verbinden  und  in  seinen  vielverflochtenen  Wir- 
kungen deuten]   Manche  Maler  fangen  an,  ihrem  Naturell  gemäß  in 


*)  Erstdruck  im  „Repertorium  für  Kunstwissenschaft",  1892,  Bd.  XV. 

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gro&en  Zügen  ganz  wüst  zu  sdiaffen,  nodi  ohne  viel  Können,  mit 
metir  oder  weniger  Talent,  mit  und  otine  Erfolg.  Oft  lernen  sie  erst 
hinterher  das  Feinere  an  ihrer  Kunst.  Andere  wieder  anders.  Manche 
sprunghaft  bis  zum  scheinbar  Sinnlosen.  Keine  klare  Gesebmä&ig- 
keit,  die  für  alle  Fälle  passen  würde.  Mit  Möglichkeiten  aber  und 
schwachen  Wahrscheinlichkeiten,  wie  sie  aus  solchen  Betrachtungen 
entspringen,  können  wir  uns  nicht  zufrieden  geben,  zumal,  wenn  es 
sich  um  einen  Künstler  handelt,  wie  Lionardo.  Lie^e  es  uns  bei 
tausend  anderen  Malern  kalt,  zu  wissen  oder  nicht  zu  wissen,  ob 
der  Mann  myopisch  war  oder  hypermetropisch,  oder  emmetropisch, 
so  zieht  uns  zu  dem  gro&en  Lionardo  eine  hinreichende  Anziehungs- 
'kraft  hin,  um  uns  auch  die  Frage  nach  dem  Refraktionszustand 
seiner  Augen  keineswegs  als  eine  müßige,  vielmehr  als  eine  sogar 
bedeutsame  erscheinen  zu  lassen. 

Man  kennt  Lionardo's  Universalität.  In  erster  Linie  war  er  ein 
trefflicher  Beobachter  der  äußeren  Natur,  deren  Geheimnisse  er  auf 
vorherrschend  inductivem  Wege  zu  ergründen  versuchte.  Er  war  ein 
großer  Naturforscher,  bemerkte  alles  rasch,  erfaßte  es  sicher,  was 
ihm  Auge  und  Ohr  zu  vernehmen  gaben  im  Freien,  zu  Hause,  bei 
Tag,  bei  Nadit.  Er  beobachtete  viele  untereinander  verwandte  Ein- 
zelheiten, um  daraus  allgemeine  Geseße  abzuleiten.  Das  Be- 
obachtete hält  er  mit  Scharfsinn  und  Kritik  in  Notizen  fest.  Nach  den 
erhaltenen  Handschriften  zu  urteilen  hat  er  während  seines  ganzen 
reifen  Lebensalters  Notizen  gesammelt,  scheinbar  planlos,  doch  ver- 
mutlich im  Hinblick  auf  bestimmte  Abhandlungen,  besonders  auf  ein 
zu  schaffendes  großartiges  Lehrbuch  der  Malerei,  einen  trattato 
della  pittura,  eine  Arbeit,  die  er  selbst  aber  niemals  vollendet  hat. 
An  der  Zusammenstellung  eines  Malerbuches  aus  Lionardo's  Hand- 
sdiriften  waren  schon  im  16.  Jahrhundert  überlebende  Freunde  und 
Schüler  tätig,  ebensowenig  jedoch  mit  abschließendem  Erfolg  als  der 
Meister  selbst,  ja  bis  heute  liegt  eine  vollständig  geordnete  Gesamt- 
ausgabe des  trattato  nicht  vor,  wiewohl  der  Maler  Heinrich  Ludwig 
(neuestens  wieder  öfter  genannt  wegen  seines  Prozesses  um  die 
Harzfarben  [H.  Ludwig  ist  nun  längst  tot]  durch  die  Herausgabe  der 
ältesten  Kompilation  aus  Lionardo's  Schriften  vor  einigen  Jahren  die 
Angelegenheit  wieder  neu  belebt,  obwohl  der  Kunsthistoriker  Jean 
Paul  Richter  sidi  durch  die  Herausgabe  der  „literary  works  of 
Lionardo  da  Vinci"  zweifellos  um  die  Förderung  einer  Trattato- 


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ausgäbe  sehr  verdient  gemacht  hat,  und  obwohl  Ravaisson-MoHien 
und  Beltrami  durch  Faksimileausgaben  der  Lionardo'schen  Manu- 
skripte das  Ganze  endlich  auf  einen  wissenschaftlichen  Fu|  gestellt 
haben.öo)  Auch  ohne  fertigen  Trattato  kann  man  sidi  übrigens  heute 
aus  den  angedeuteten  Publikationen  mit  einigem  Fleife  eine  überaus 
belehrende  Übersicht  über  die  erhaltenen  Notizen  Lionardo's  ver- 
schaffen. 

Diese  Aufschreibungen  des  vielseitigen  Meisters  sind  es  nun,  die 
es  auch  ermöglichen,  mit  Aussicht  auf  Erfolg,  die  Frage  nach  Lio- 
nardo's Auge  zu  untersuchen.  Wir  finden  Stellen  genug,  die  von  der 
Art  und  Weise  handeln,  w  i  e  Lionardo  gesehen  hat  und  die  es  be- 
weisen, daB  unser  Künstler  kurzsichtig  war.  Ob  er  je  Brillen 
länger  als  zum  bloßen  Versudi  getragen,  wü|te  ich  nicht  zu  er- 
gründen, wiewohl  er  mehrmals  von  Brillen  spricht,  von  konvexen 
und  konkaven,  die  er  aber  durdiaus  nicht  selbst  getragen  haben 
mu6.6i) 

Als  beweisende  Angaben,  aus  denen  Lionardo's  Myopie  her- 
vorgeht, sind  mir  die  folgenden  aufgefallen,  die  hier  nunmehr  be- 
nützt werden  sollen. 

Lionardo  notiert  mehrmals,  da^  die  groBe  Pupille  die 
Gegenstände  größer  sehen  lägt,  als  die  kleine.  Dann  sieht  Lio- 
nardo die  Sterne  durch  eine  kleine  Öffnung  kleiner  als  mit 
freiem  Auge,  endlich  kann  er  auf  große  Entfernung  zwei  [nicht 
deutlidi   gesehene]   Flammen   [besser]   untersdieiden,   wenn   er 


60)  [Zu  einer  Uebersicht  über  die  weit  ausgebreitete  Lionardoliteratur  verhilft 
am  besten  die  Bibliographie  in  der  »Raccolta  Vinciana",  die  seit  1905  in 
Mailand  erscheint.  Beachtenswerte  Uebersichten  über  die  Handschriften  des  sog. 
trattato  della  pittura  bei  Max  Jordan  „Das  Malerbuch  des  Lionardo  da  Vinci", 
1873,  (Sonderabdruck  aus  Zahn's  Jahrbuch  für  Kunstwissenschaft).  Von  Wichtig- 
keit sind  besonders  die  großen  Werke  von  J.  B.  Richter  „The  literary  work  of 
Beonardo  da  Vinci",  Ravaisson-Mollien  „Le  Manuscrits  de  L.  da  Vinci",  sechs 
Vände",  und  Sabachnikoff.  Daneben  große  und  kleine  Arbeiten  von  Beltrami, 
Lenturi,  Verga.  Für  die  Familiengeschichte  von  Wichtigkeit  Uzielli's  Forschungen. 
Ein  ganzer  Schwärm  von  kleinen  Büchern  und  Heften,  sowie  von  Abschnitten, 
in  den  Handbüchern  für  Kunstgeschichte  und  Geschichte  der  Malerei,  auch  für 
Geschichte  der  Bhysik,  der  Landschaftsmalerei  schließt  sich  den  großen  Haupt- 
werken an.  Die  neueste  Literatur  über  den  großen  Meister,  einschließlich  des, 
wie  es  heißt  umfassenden  nordischen  Werkes,  hat  ihren  Weg  noch  nicht  in  die 
Wiener  Bibliotheken  gefunden.    Wir  haben  begreiflicher  Weise  dafür  kein  GeldL 

6>)  [Von  Brillen  handelt  z.  B.  eine  Stelle  in  der  Pariser  Handschrift  D  (Vergl. 
M.  Charles  Ravaisson-Mollien  „Les  Manuscrits  de  Leonard  de  Vinci"  Mpt.  D  fol. 
2  recto  und  3  recto.    Siehe  auch  »Raccolta  Vinciana«   1912,  S.  13,  143,  146ff)j. 

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durch  eine  kleine  Öffnung  blickt,  wogegen  sie  zu  einem  [großen] 
Bilde  versdimelzen,  wenn  er  mit  freiem  Auge  tiinsdiaut. 

[Am  widitigsten  die  Stelle  im  Manuskript  H,  Fol.  86  und  88:  liier 
nadi  j.  P.  Richter  und  Ravaisson  Mollien,  doch  ohne  die  eigenartige 
Schreibweise  Lionardo's  der  Worteinteilung  und  Interpunktionen: 
„Quelle  popilla  che  sarä  maggiore  vederä  le  cose  di  maggior  figura. 
Questo  si  dimostra  nel  uedere  de  corpi  luminosi  et  massime  de 
celesti  quando  l'occhio  escie  delle  tenebre  e  subito  risgnarda  essi 
corpi.  Li  parirranno  maggiori  e  poi  diminuiscono,  e  si  riguarderai 
essi  corpi  per  un  picciolo  buso",  buso  ist  lombardischer  Dialekt  für: 
buco,  „li  uederai  minori,  perche  minore  parte  d'essa  [nämlich  der 
popilla]  s'adopera  a  tale  ofitio"  (Richter  Nr.  32).  —  Sogleich  eine 
Stelle  die  Ähnliches  besagt  (Richter  Nr.  33):  „Quell  ochio  che 
uscendo  dalle  tenebre  vedera  subito  un  corpo  luminoso  li  parrä 
assai  maggiore  nel  primo  isguardo  che  nel  perseverare  il  vederlo". 
Also  hat  Lionardo  beobachtet,  daB  er  größere  Zerstreuungskreise 
sah,  wenn  er  mit  großer  Pupille  aus  der  Dunkelheit  kam,  und  daB 
er  nach  einigem  Verweilen  im  Hellen  wieder  kleiner  zu  sehen  an- 
fing, da  sich  die  Pupille  dann  verkleinerte.  DaB  Lionardo  den  Einfluß 
des  Lichtes  auf  die  Pupillenweite  kannte,  steht  fest.  Dafür  ist  be- 
sonders beweisend  Lionardo's  Versuch  mit  dem  Blick  nach  einem 
Stern  und  mit  dem  allmählich  dem  Auge  genäherten  Kerzenlicht. 
(Richter  1,  S.  23  f.,  Nr.  24,  mit  Zeichnung.)  —  Beachtenswert  ferner 
die  Stelle:  „ . .  e  maggiore  popilla  vede  un  corpo  luminoso  di 
maggior  quantitä  et  di  piü  eccellente  splendore  che  la  popilla 
minore,  come  prova  chi  guarda  le  stelle  per  un  piccolo  fuoro  fatto 
nella  carta".  (Heinr.  Ludwig  Nr.  628.)  —  Endlich  für  uns  von  Be- 
deutung Lionardo's  Beobachtungen  ferner  Lichter,  die  er  mit  starken 
Zerstreuungskreisen  sah  (Richter  Nr.  249  aus  Codex  A,  Fol.  64  b, 
faksimiliert  bei  Ravaisson-Mollien):  „Se  porrai  2  candele  acciese 
appresso  l'una  all  altra  1/2  braccio  e  allontanerati  da  esse  200 
braccia  vedrai  per  l'accesimento  di  ciascuno  farsi  uno  solo  corpo 
luminoso  de  due  lumi  e  parrä  uno  solo  lume  grande  un  biraccio  — 
Se  vuoi  vedere  la  vera  grandezza  d'essi  corpi  luminosi  abbi  una 
assetta  sottile  e  fa  vi  uno  buso  quanto  sarebbe  uno  piccolo  puntale 
di  striga  e  ponite  la  tanto  presso  al  ochio  quanto  puoi  in  modo  che 
riguardando  per  esso  buso  il  sopra  detto  lume  tu  gli  vegga  assai 
spatio  d'aria  d'intorno  e  cosi  levando  e  ponendo  con  prestezza  essa 


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asse  del  tuo  ochio  cosi  con  prestezza  vedrai  crescere  e  sciemarec^) 
esso  lume". 

Die  Icbterwähnten  zwei  Beobachtungen  gehen  zuverlässig,  die 
erste  höchstwahrscheinhch  auf  Beobachtungen  an  Lionardo's 
eigenem  Auge  zurück. 

Zum  GröBersehen  mit  der  großen  Pupille  und  zum  Kleinersehen 
mit  der  kleinen,  ist  einiges  anzumerken.  Lionardo  mu^  diese  Be- 
obachtung nicht  unbedingt  vom  eigenen  Auge  abgeleitet  haben;  sie 
könnte  auch  einfach  mit  seiner  Theorie  vom  Sehen  zusammen- 
hängen, über  den  Weg  der  Lichtstrahlen  oder  gar  über  das  Wesen 
des  Lichtes  konnte  sich  der  Künstler  nicht  klar  sein.  Die  Be- 
dingungen für  solche  Erkenntnisse  waren  damals,  als  Lionardo 
dachte,  noch  lange  nicht  gegeben.  Er  konstruierte  sich  nach  bestem 
Können  eine  Theorie,  nach  welcher  ihm  die  Pupille  als  das  Wesent- 
lichste beim  Sehen  galt,  so  daB  er  auf  den  Gedanken  vom  GröBer- 
werden  der  Bilder  beim  GröBerwerden  der  Pupille  verfallen  mochte 
[konntet.  AuszuschlieBen  ist  es  jedoch  nidit  Ija  es  ist  höchst  wahr- 
scheinlich], daB  er  beim  Aufbau  der  Theorie  von  Beobachtungen  am 
eigenen  Auge  geleitet  wurde.  Deshalb  gehe  ich  auf  diesen  Punkt 
näher  ein. 

Für  ein  normales  Auge  (ein  emmetropisches)  trifft  die  Beobach- 
tung des  GröBersehens  mit  gröBerer  Pupille  nidit  zu.  Das  normale 
Auge  vereinigt  die  Strahlen,  die  aus  „unendlicher"  Entfernung,  z.  B. 
von  Fixsternen,  vom  Monde  kommen,  ebenso  reinlich  zu  einem  Bilde, 
wie  die  Strahlen  von  Dingen  der  näheren  und  nächsten  Umgebung, 
solange  die  Objekte  nidii  innerhalb  des  sogenannten  Nahepunktes 
liegen.  Ob  die  Pupille  durch  Atropin  auf  ein  GröBtes  erweitert  ist, 
ob  sie  durdi  Eserin  auf  ihr  Kleinstes  sidi  verengert,  die  BildgröBe 
wird  im  emmetropischen  Auge  dadurch  nicht  beeinfluBt,  stets  vor- 
ausgesefet,  daB  die  gesehenen  Gegenstände  nicht  innerhalb  des 
Nahepunktes  liegen.  Wer  aber  deutlich  sehen  und  beobaditen  will, 
bringt  sdion  instinktiv  die  Objekte  nidit  näher  zum  Auge  heran,  als 
der  Nahepunkt  liegt.  Bei  solchen  Augen  ist  also  von  einem 
Schwanken  der  BildgröBe  je  nach  der  Weite  der  Pupille  keine  Rede. 

Anders  stehen  die  Dinge  bei  Augen  von  abnormer  Refraktion. 


62)  „sciemare",  in  der  Handschrift  ssiemare  geschrieben,  ist  bei  Richter  aus- 
gelassen. Im  Faksimile  ist  das  Wort  deutlich  leserlich. 

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Bei  den  kurzsichfigen  oder  fernsichtigen  Augen  ist  das  Bild  eines 
Gegenstandes  in  den  meisten  Fällen  auf  der  Nebtiaut  mit  Zerstreu- 
ungskreisen umgeben.  Es  ersctieint  undeutlich.  Der  Myop,  der  keine 
Konkavgläser  trägt,  kann  z.  B.  sein  Auge  dem  gesehenen  Gegen- 
stand selten  soweit  nähern,  um  sie  ohne  Zerstreuungskreise  zu 
sehen.  Was  über  einige  Nasenlängen  hinausliegt,  erscheint  ihm  un- 
deutlich und  umso  undeutlidier,  je  weiter  es  entfernt  ist.  Der  Hyper- 
metrop  kämpft  dagegen  mit  der  Schwierigkeit,  kleine  Gegenstände 
nicht  fern  genug  vom  Auge  betrachten  zu  können,  um  nicht  ebenfalls 
durch  Zerstreuungskreise  zu  leiden.  Hält  er  den  Gegenstand  so 
weit  vom  Auge,  daB  er  ein  scharfes  Bild  hat,  so  ist  das  Bild  zu  klein, 
um  die  Einzelheiten  unterscheiden  zu  können.  Nähert  er  das  Objekt, 
so  sieht  er  es  undeutlich,  weil  das  Nefehautbild  von  störenden  Zer- 
streuungskreisen umgeben  ist.  In  die  Ferne  sieht  er  gewöhnlich 
scharf  und  deutlich,  wenn  sonst  keine  Störungen  vorhanden  sind. 

Mit  den  Erscheinungen,  die  ich  hier  erwähnt  habe,  sind  Millionen 
vollkommen  vertraut.  Die  wenigsten  aber  wissen,  da|  die  Zersfreu- 
ungskreise  ihrer  Augen  durch  Verkleinerung  der  Sehöffnung  sehr 
abgeschwächt  werden,  sei  es,  da^  die  Pupille  durch  willkürlidie  Ver- 
engerung der  Lidspalte  teilweise  verdeckt  wird,^^)  sei  es,  daB  die 
Pupille  durch  Reize  von  innen  oder  au^en  sich  selbst  verengert,  oder 
endlich,  daB  man  durch  eine  feine  Öffnung  blickt,  die  man  etwa  in 
einer  Spielkarte  mittels  einer  Nadel  hergestellt  hat.  je  kleiner  die 
Blendung,  desto  kleiner  die  Zerstreuungskreise,  desto  deutlidier  das 
Bild,  das  durdi  solche  Vorkehrungen,  wie  sie  erwähnt  wurden,  tat- 
sächlich verkleinert  wird,  bzw.  kleinere  Zerstreuungskreise  erhält. 
Nodi  eine  Beobachtung:  das  normale  Schwanken  der  Pupillenweite 
(das  nebenbei  bemerkt  von  L  i  o  n  a  r  d  o  sehr  wohl  gekannt  war) 
mu|  also  beim  Myopen  und  unter  Umständen  beim  Hypermetropen 
auch  ein  Schwanken  in  der  Bildgröße  zur  Folge  haben.  Vorhanden 
ist  dieses  Schwanken  sicher,'54)  doch  dürfte  es  den  wenigsten  un- 


63)  Hier  kommt  auch  der  Flüssigkeitsmeniskus  vor  dem  Auge  in  Betracht, 
der  als  Konkavlinse  wirkt  (Brücke).  Daß  die  Zerstreuungskreise  der  Myopischen 
durch  Kneifen  der  Lidspalte  verkleinert  werden,  findet  sich  in  den  Lehrbüchern 
der  Augenheilkunde  erwähnt. 

04)  Helmholtz  im  „Handbuch  der  physiologischen  Optik"  (2.  Auflage,  1896, 
S.  130  f.  weist  auf  den  Zusammenhang  der  Pupillenweite  mit  dem  Anspannen 
und  Nachlassen  der  Accomodation  hin.  Dieses  Spiel  der  Pupille  ist  nicht  zu  ver- 
wechseln mit  dem  „Hippus",  einem  krankhaften  Zustand. 


mittelbar  zum  Bewu&tsein  kommen,  wie  eben  tausend  andere  feine, 
ja  sogar  ganz  grobe  Ersctieinungen  in  unserem  Körper,  die  meist 
durdi  andere  stärkere  vortierrsctiende  Eindrücke  übertäubt  werden. 
Wer  bringt  sicti  zum  Beispiel  das  beständige  Wectiseln  des  Blut- 
druckes deutlich  zum  Bewußtsein?  Weldier  gesunde  Mensdi  denkt 
an  seine  Herztätigkeit?  Wer  tiat  eine  direkte  Fütilung  mit  den  widi- 
tigsten  Vorgängen  einer  normalen  Magenverdauung?  Sogar  un- 
zätilige  kranktiafte  Ersctieinungen  bleiben  unbemerkt.  Nun  will  man 
aber  dodi  gewisse  Nactiweise  über  solche  Dinge,  bevor  man  sie  als 
wissenschaftlich  beobachtet  gelten  läßt.  Die  Schwankungen  der 
Bildgröße^ö)  auf  der  Nefehaut,  die  mit  den  Schwankungen  im  Durch- 
messer der  Pupille  zugleich  auftreten,  sind  ja  in  optischer  Beziehung 
ganz  klar.  Doch  wünschen  wir  eine  Bestätigung  durch  unmittelbare 
Beobachtung.  So  leicht  zu  beobachten  ist  die  Ersdieinung  auch 
nicht,  wie  etwa  der  Herzschlag  oder  der  Puls.  Deshalb  finde  ich 
auch  nirgends  davon  eine  beshmmte  Erwähnung  (vielleicht  aus 
Mangel  eingehender  Literaturkenntnis,  wiewohl  ich  das  mir  Erreidi- 
bare  aufgeschlagen  habe.  Eine  Andeutung  davon,  daß  die  Bild- 
schärfe von  der  Pupillenweite  abhängt,  übrigen^  schon  bei  R.  Des- 
cartes:  „Dioptrica",  Cap.  V.,  pos.  6.  In  der  „Zeitschrift  für  Mathe- 
mahk  und  Physik"  1900  findet  sidi  ein  Aufsah  von  Wilh.  Elsässer: 
„Die  Funktion  des  Auges  bei  Lionardo  da  Vinci",  mir  bekannt  nur 
durch  den  Auszug  in  „Raccota  Vinciana"  III.,  S.  50  ff.).  Idi  selbst 
habe  die  erwähnte  Erscheinung  verhältnismäßig  spät  beobachtet  und 
das  nur  durch  Zufall  und  nidit  bei  einem  beabsiditigten  Versuch. 
Ein  Beobachter,  den  ich  für  absolut  zuverlässig  halte,  teilt  mir  fol- 
gendes mit: 

Ich  bin  stark  myopisch.  Vor  einigen  Jahren  war  es,  daß  ich  eines 
Abends  in  den  von  leichten  Wolken  umschleierten  Vollmond  blickte. 
Unser  Trabant  war 'durch  die  deckende  Hülle  in  seiner  Lichtstärke 
genügend  gedämpft,  um  mir  keine  störenden  Nachbilder  zu  ver- 
ursachen. Nun  wurde  ich  durch  ein  auffallendes  Größerwerden  und 
Schrumpfen  des  Mondbildes  in  meinem  Auge  beunruhigt,  da  es  mir 
bald  klar  wurde,  wie  ich  es  mit  einer  Folge  meiner  starken  Myopie 
zu  tun  habe.    Die  Art  und  Weise  des  Schwankens  im  Durchmesser 


65)  [Der  Ausdruck  „Bildgröße"  ist  nicht  im  theoretisch-optischem  Sinn  zu 
nehmen,  empfiehlt  sich  aber  im  gegebenen  Zusammenhang,  besonders  bei  Be- 
achtung dessen,  was  schon  oben  darüber  mitgeteilt  worden.] 

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des  Bildes  erinnerte  mich  sofort  an  das  Spiel  der  Pupille,  das  ich 
(schon  seit  meinen  Kinderjahren)  so  oft  an  fremden  und  an  den 
eigenen  Augen  beobachtet  hatte.  Um  eine  Täuschung  meinerseits 
auszuschließen,  ließ  ich  bei  mäßiger  seitlicher  Beleuchtung  durch 
eine  Lampe  von  einem  zweiten  Beobachter  meine  Pupille  über- 
wachen und  jede  Veränderung  des  Durchmessers  ansagen.  Nun 
zeigte  sich  das  vollkommenste  zeitliche  Zusammenfallen  der 
Schwankungen  im  Durchmesser  der  Pupille  mit  denen  im  Durch- 
messer des  Nefehautbildes.  Wurde  die  Pupille  größer,  so  erschien 
mir  auch  der  Mond  größer  und  ebenso  bei  der  Verkleinerung. 

Ungefähr  eine  halbe  Stunde  nach  diesem  überzeugenden  Ver- 
such war  der  Mond  frei,  ganz  ohne  Wolkenschleier  zu  sehen. 

Das  Experiment  wurde  nunmehr  nochmals  angestellt.  Wie  zu 
erwarten,  zeigte  die  Erscheinung  des  Schwankens  sich  unter  den 
neuen  Umständen  nur  sehr  unvollkommen.  Zu  Anfang  einige  kleine 
Schwankungen;  dann  ein  fast  unveränderliches  großes  Mondbild, 
das  in  der  Nebhaut  festsaß  und  sich  bei  Änderung  der  Blickrichtung 
leicht  als  Nachbild  zu  erkennen  gab.  Diesmal  störte  also  die  allzu- 
große Helligkeit  des  Mondes  die  Beobachtung.  War  das  Bild  ein- 
mal, zweimal  groß  geworden,  so  hatte  es  sich  so  stark  in  die  Retina 
eingebrannt,  daß  die  Schwankungen  des  Bildes,  die  sich  innerhalb 
des  großen  Durchmessers  abspielten,  nicht  mehr  bemerkt  werden 
konnten. 

Der  kleine  Versuch,  der  mir  in  dieser  Weise  mitgeteilt  wurde, 
brachte  mir  sofort  eine  Stelle  aus  L  i  o  n  a  r  d  o's  Malerbudi  ins  Ge- 
dächtnis, die  ich  vor  Jahren  in  einem  Referat  erwähnt  hatte.ß^)  Ich 
mußte  mir  sagen,  daß  Lionardo  vermutlich  am  eigenen  Auge  ganz 
richtig  beobachtet  hat,  wenn  er  mitteilt,  daß  die  große  Pupille  größer 
sehe  als  die  kleine.  Ich  mußte  mir  ferner  sagen,  daß  Lionardo  ver- 
mutlich kurzsichtige  Augen  gehabt  hat;  wenigstens  schien  sicher, 
daß  er  keine  emmetropischen  Augen  hatte,  die  ohne  Zerstreuungs- 
kreise sehen. 

Nun  handelt  es  sich  aber  darum,  zu  entscheiden,  ob  der  Künstler 
Myop  oder  Hvpermyop  war.  Die  Presbyopie,  die  Ubersichtigkeit  der 
Greise,  ließ  ich  deshalb  ganz  außer  Spiel,  weil  Lionardo's  Beobadi- 
tungen    über    die    besprochenen    Dinge    aus    einer    Zeit    stammen 


66)  Im  Repertorium  für  Kunstwissenschaft.  Band. VI 

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Idiirften],  als  der  Künstler  noch  keine  greisenhaften  Augen  haben 
konnte.  Die  einzelnen  Äufschreibungen  sind  ja  mit  einer  gewissen 
Sicherheit  zu  daheren.  [Ich  erinnere  daran,  da^  nach  dem  Zeugnis 
des  Luca  Pacioli  aus  dem  Jahre  1498  damals  ein  gro&er  Teil  des 
Trattato  schon  so  gut  wie  fertig  war.  (Pacioli,  „De  divina  propor- 
zione",  1509,  Cap.  I,  im  Briefe  an  Herzog  Lodovico  Maria  Sforza 
vom  9.  Februar  1498.  Vom  riesigen  Reiterdenkmal  ist  die  Rede. 
Dann  hei^t  es  von  Lionardo  in  einer  Einschaltung  „havendo  gia  con 
tutta  diligentia  al  degno  libro  de  pictura  e  movimenti  humani  posto 
fine".  Die  Beobachtungen  dazu  müssen  also  einige,  vielleidit  viele 
Jahre  weiter  zurückliegen  und  können  wohl  in  die  Zeit  vom  35.  bis 
45.  Lebensalter  verlegt  werden.   Presbyopie  ist  also  auszuschließen. 

Das  Ergebnis  der  weiteren  Forschungen  wurde  sdion  voraus- 
genommen. Der  Ausschlag  geschah  nach  der  Seite  der  Myopie  und 
das  auf  Grundlage  der  Beobachtungen  Lionardo's  über  die  Bilder 
der  Gestirne  und  über  die  zwei  Lichter,  die  aus  großer  Entfernung 
betrachtet  werden.  Lionardo  teilt  mit,  daß  er  zwei  Kerzen,  die  er  aus 
einer  Entfernung  von  200  Ellen  betrachtete  und  die  unter  sich  aber 
nur  eine  halbe  Elle  entfernt  waren,  als  eine  größere  Liditquelle 
wanrgenommen  habe.  Dann  blickte  er  hin  durch  eine  Blendung  von 
der  Größe  eines  Nadelshdies  und  konnte  nun  [wie  es  sdieintl  jede 
Kerzenflamme  für  sich  als  kleineres  Bild  untersdieiden.  Wäre  Lio- 
nardo Hypermetrop  gewesen,  so  hätte  er  die  zwei  Flammen  auch  mit 
freiem  Auge  gesondert  gesehen.  Dasselbe  gilt  nun  vom  Bilde  eines 
Sternes,  das  Lionardo  durdi  eine  kleine  Blendung  kleiner  sieht  als 
ohne  Blendung.  Weder  beim  emmetropischen  Auge 
noch  beim  hy  p  e  r  m  e  t  ro  p  i  s^ch  en  wäre  die  Erschei- 
nung des  Kleinerwerdens  erklärlich. 

So  leuchtet  es  denn  ein,  daß  einer  der  hervorragendsten 
Künstler  aller  Zeiten,  ein  Universalgeist,  den  man  kühn  neben 
Leibniß  und  Goethe  stellen  darf,  sich  wie  Millionen  andere  kleine 
Leute  mit  einer  merkbaren  Kurzsichtigkeit  abfinden  mußte. 
Sie  scheint  allerdings  niemals  jene  beunruhigende  Form  ange- 
nommen zu  haben,  die  von  der  modernen  Medizin  als  „bleibend 
progressive"  Kurzsiditigkeit^^)  bezeidinet  wird.    Denn  eine  soldie 


67)  Daß  die  Kurzsichtigkeit  Lionardos  nicht  höchstgradig  war,  erhellt  auch 
die  folgende  Stelle  (Richter  I,   S.  20,    Nr.  25):  „Se  l'ochio  ä  a  vedere  cosa  che 

46 


auffallende  Blödigkeif  des  Auges  wäre  den  Zeitgenossen  und  Bio- 
graphen kaum  entgangen.  Ein  vollkommen  gesundes  Äuge  aber, 
wie  es  fast  nur  bei  Leuten,  die  wenig  lesen  und  sctireiben  und  keine 
feinen  Arbeiten  zu  verrictiten  tiaben,  vorkommt,  stand  dem  großen 
Künstler  nictit  zur  Verfügung.  Seine  Natur  war  aufs  Erforschen  aus 
der  Nähe  angelegt.  Sicher  hat  er  viel  gelesen,  viel  kleine  Dinge  ge- 
zeichnet und  ganz  gewi^  geschrieben.  So  hat  er  sich  denn  vermut- 
lich auf  dem  Wege  der  Angewöhnung,  wie  viele  andere,  eine  Art  der 
Kurzsichtigkeit  erworben,  die  seiner  Beschäftigung  gemä&  war  und 
ihn  im  Arbeiten  und  Forschen  vielleicht  eher  förderte  denn  störte. 


sia  tropo  presso  non  la  puö  ben  giudicare,  com  interviene  a  quello  che  si  vol 
vedere  la  punte  del  naso  .  ."  Lionardo  konnte  also  die  eigene  Nase  nicht  genau 
sehen,  während  stark  Kurzsichtigen  dies  leicht  gelingt. 

47 


Das  Wedigh-Bildnis  von  Hans  Holbein  dem 
Jüngeren  in  der  Wiener  Galerie  Schönborn- 

Pudiheim,*^ 

In  der  gräflich  S  ch  ö  n  b  o  r  n'schen  Sammlung  zu  Wien  und  in 
der  Berliner  Galerie  befinden  sidi  zwei  männliche  Bildnisse  von 
H  o  1  b  e  i  n's  Hand,  die  aller  Wahrscheinlichkeit  nach  zwei  Mitglieder 
einer  und  derselben  Familie  darstellen.  Denn  auf  beiden  findet  sich 
dasselbe  Wappen  angebracht.  Sdion  Alfred  Weltmann  hat 
das  in  seinem  Werke  über  H  o  1  b  e  i  n  bemerkt.ös)  Das  [ehemals]  in 
Wien  befindliche  Gemälde  wird  hier  abgebildet.  (Auf  Holz:  Höhe  41, 
Breite  32  cm.)  Es  zeigt  die  Halbfigur  eines  jungen  Mannes  in  der 
Tracht  wohlhabender  deutscher  Bürger.  Das  Haupt  wird  von  einer 
schwarzen  Müfee  beded<t.  Die  gleichfalls  schwarze,  pelzgefütterte 
Schaube  lä^t  am  Halse  das  wei^e,  mit  schmalen  Zierstreifen  be- 
stid<te  Hemd,  an  der  Brust  ein  schwarzes  Unterkleid  hervorblid<en. 
In  gesunder  Röte  erblüht  das  Antlib,  das  ruhige,  sichere  Lebens- 
führung auszusprechen  sdieint.  Der  redite  Arm  liegt  auf  einer  mit 
grünen  Stoff  bedeckten  Brüstung.  Die  Linke  hält  die  Handschuhe 
und  trägt  am  Zeigefinger  einen  Ring,  auf  dessen  rotem  Steine  wir 
das  oben  erwähnte  Wappen  finden.  Dieses  zeigt  in  Wei&  einen 
dunklen  Sparren  und  je  ein  grünes  Blatt  in  den  Winkeln.  Für  die 
Beshmmung  der  dargestellten  Persönlidikeit  ist  das  Wappen  von 
Wichtigkeit,  weshalb  idi  vor  einiger  Zeit  der  Deutung  desselben 
nadigegangen  bin  (siehe  „Zeitschrift  für  bildende  Kunst",  Beiblatt, 


*)  Erstdruck  in  dem  Werk  „Wiener  Galerien",  das  im  Verlag  von  V.  Heck 
lieferungsweise  gegen  Ende  der  1880er  Jahre  erschienen  ist.  Aufnahmen  von  J. 
Löwy. 

68)  Vergl.  „Holbein  und  seine  Zeit",  2.  Auflage,  I.  S.  369  und  II.  S.  155,  siehe 
auch  „Gazette  des  beaux-arts"  1869,  I.  S.  16,  und  1887,  I.  S.  442,  sowie  auch 
Waagen's  „Kunstdenkmäier  in  Wien".  I.  313  f. 

46 


"% 


Hans  Holbein   der  Jüngere:   Bildnis   des  Hermann  Wedigh  {ehemals  in   der 
Galerie  Schönborn- Piichheim  zu  Wien).  —  Nach  der  Photographie  von  J.  Löwy. 


22.  Jahrgang,  Sp.  379,  und  „Kölnische  Volkszeitung"  vom  29.  April 
1887,  Feuilleton  von  J.  J.  Merlo).  Dabei  hat  sich  ergeben,  da&  jenes 
Wappen,  das  nicht  ganz  selten  vorkommt,  in  unserem  Falle  so  gut 
wie  sicher  als  das  der  kölnischen  Familie  Wedig,  auch  Weddigh  und 
Wedigh  zu  deuten  ist.  Auf  diese  Deutung  führt  nämlich  eine  leicht 
mit  Gold  gehöhte  Insdirift,  die  man  auf  dem  Schnitte  des  Buches 
liest,  das  links  im  Bilde  auffällt.  Dort  steht  nämlich:  „HER  ~  WID", 
was  man  bei  der  schwankenden  Schreibung  der  Namen  und  bei  der 
Häufigkeit,  mit  der  uns  der  Vorname  Hermann  in  der  Familie  Wedig 
begegnet,  jedenfalls  für  Her(man)  Wid(ig),  bzw.  Hermann  Wedig 
lesen  mu^. 

Auf  dem  etwas  stumpfblauen  Hintergrunde  unseres  Bildes  findet 
sich  folgende  Inschrift:  „ANNO  1532"  und  „AETATIS  SVAE  29". 
Die  Jahreszahl  gibt  uns  die  größte  Wahrscheinlichkeit,  dag  Hol- 
bein unser  Bildnis  während  seines  zweiten  Aufenthaltes  in  Eng- 
land geschaffen  hat.  Vermutlich  war  Hermann  Wedig  einer  jener 
deutschen  Kaufleute,  die  zu  London  im  Stahlhof  verkehrt  haben 
und  deren  H  o  1  b  e  i  n  mehrere  in  der  Zeit  von  1832  bis  1836  ge- 
malt hat. 

Die  Inschrift:  „veritas  odium  parit",  die  in  sauberen  kleinen 
Zügen  auf  dem  weisen  Blatt  links  unten  geschrieben  steht,  ist  wohl 
als  der  Wahlspruch  des  berüditigten  Aretiners  zu  nehmen.  Holbein's 
Monogramm  „HH"  steht  auf  dem  Buch. 


49 


Kunstgeschiditliche  Nachrichten 
aus  Venedig.*^ 

Die  alte  Venezia  ist  eines  der  meistgesuditen  Reiseziele.  Kunst- 
freundliches  Publikum  aus  aller  Herren  Ländern  strömt  dort  zu- 
sammen. Es  wäre  fesselnd,  über  den  Fremdenverkehr  in  Venedig 
ähnliche  Studien  anzustellen,  wie  sie  hier  für  Wien  E.  Grieszelich 
durdigeführt  hat.  Dann  könnte  man  wissen,  wie  viele  tausend 
Fremde  des  Jahres  in  Venedig  aus  und  ein  gehen  und  welche  Ein- 
nahmequelle sich  hier  der  Stadt  ersdiliefet.  Danadi  könnte  wieder 
berechnet  werden,  wie  hoch  das  Kapital  anzuschlagen  wäre,  das 
durch  diese  Einnahme  verzinst  wird.  Zweifellos  liegt  dieses  Kapital 
hauptsächlidi  in  den  Kunstsdiäfeen  Venedigs,  die  ja  dodi,  im 
weiten  Sinne  genommen,  als  die  Hauptmagnete  der  Wunderstadt 
angesehen  werden  müssen.  Der  Handelsverkehr  tritt  hier  zurück, 
was  besonders  auffällt,  wenn  man  Venedig  mit  gro&en  Hafen- 
städten anderswo  vergleicht.  Wie  kunstarm  ist  das  ferne  Hamburg, 
Bremen]  Sogar  das  schöne  Amsterdam  ist  weit  mehr  Handelsstadt 
als  Kunststätte.  Nach  Venedig  bringt  jeder  Schnellzug  Duzende  von 
Fremden,  die  gekommen  sind,  um  in  erster  Linie  die  Kunst  der 
Lagunenstadt,  wenn  nicht  genau,  so  doch  oberflächlich  kennen  zu 
lernen.  Dem  entspricht  denn  audi  die  Menge  und  die  Tiefe,  bzw. 
die  Seichtheit  der  Reiseliteratur  über  Venedig.  Alljährlich  erscheinen 
neue  Büdier  oder  neue  Auflagen  älterer  Reiseführer  in  allen  Spra- 
dien,  die  immer  wieder  von  neuem  das  Auffallendste  hervorheben, 
was  Venezia  zu  schauen  gibt,  aber  auch  nur  das  Auffallendste. 
Selten  eine  Erscheinung,  die  in  mehr  eigenartiger  Weise  von  der 
merkwürdigen  Stadt  handeln  würde.    Einige  Kapitel  in  dem  jüngst 


=')  Erstdruck  in  der  „Wiener  Zeitung"  vom  17.,  18.  und  19.  Juli  1896. 

50 


erschienenen  Buche  „Kennst  du  das  Land?"  von  J.  R.  Haarhaus  ge- 
hören als  erfreuhche  Ausnahme  hieher.  Die  enghsdie  Literatur  ist 
reich  an  leidhdien  (auch  an  unleidhchen)  Studien  über  Venedig. 
Fast  unübersehbar  ist  es,  was  in  Ilahen  über  die  Lagunenstadt  ge- 
schrieben worden  ist,  seit  Jahrzehnten,  seit  Jahrhunderten.  Auch 
Frankreich  stellt  ein  tüchtiges  Kontingent.  Die  gro^e  Masse  dieser 
Gesamthteratur  über  Venedig  t<ann  natürlich  nicht  immer  gründlich 
oder  originell  sein.  Besonders  die  neuere  und  neueste  Reiseliteratur 
läBt  in  dieser  Beziehung  vieles  zu  wünschen  übrig.  Wer  in  einem 
der  beliebten,  ia  in  den  ausführlichsten  Reisebüchern  z.  B.  etwas 
über  die  venetianischen  Maler  des  späten  17.  oder  gar  des  18.  Jahr- 
hunderts zu  finden  hofft,  wird  sich  bitter  enttäuscht  finden.  Mit  Aus- 
nahme Giambattista  Tiepolo's  sind  da  nur  wenige  Künstler  beachtet. 
Aber  wie  viele  ausgezeichnete  andere  Meister  gab  es  noch  zu 
Tiepolo's  Zeit  und  ein  wenig  früher  und  später  in  Venedig]  Für  all 
die  Guten,  auch  für  Bambini,  Brusaferro,  Celesti,  Pietro  Ricchi,  ge- 
nannt Lucchese,  Magiotto,  Piazetta,  für  Sebastiano  Ricci,  Antonio 
Zanchi  kein  Wort  der  Anerkennung,  keine  Angabe  ihrer  Haupt- 
werke. Die  zünftigen  Kunstleute  sind  daran  schuld.  Es  sei  ihnen 
nicht  übelgenommen,  dafe  sie  in  Venedig  zuerst  auf  Bellini,  die 
Vivarini,  auf  Carpaccio,  Giorgione,  Palma,  Tizian,  Veronese,  Tinto- 
retto  stürzen  und  mit  Eifer  die  primitiven  Muranesen  studieren;  aber 
daB  sie  Maler  von  großem  Können  und  gewaltiger  Phantasie,  wie 
sie  Venedig  auch  im  18.  Jahrhunderte  reichlich  hervorgebracht  hat, 
nur  so  reihenweise  totschweigen,  ist  eine  akademische  Albernheit. 
[Als  ich  schrieb,  war  dieser  Vorwurf  noch  sehr  berechtigt.  Man  ist 
seither  von  der  angedeuteten  Engherzigkeit  geheilt  worden.] 

Eine  weitere  Vernachlässigung,  die  in  der  Literatur  über  Venedig 
fast  ausnahmelos  zutage  tritt,  und  diese  Vernachlässigung  ist  ein 
Erbstück  früherer  Jahrhunderte  —  liegt  in  der  Mi&achtung  fremder 
Schulen,  wenn  es  gilt,  Vorhandenes  aufzuzählen.  Deutsche,  nieder- 
ländische und  französische  Meister  werden  dort  nicht  studiert,  ja 
kaum  angesehen,  gar  häufig  verkannt  und  gewaltsam  entweder  nach 
irgend  einem  berühmten  ausländischen  oder  nach  einem  damit  ver- 
wandten italienischen  Paradigma  abgewandelL  Den  Fachkreisen  ist 
es  längst  bekannt,  wie  wenig  man  darauf  geben  kann,  wenn  in 
Italien  ein  Bild  auf  Lukas  van  Leyden  (Luca  d'Olanda),  auf  Dürer, 
Holbein,  Cranach  getauft  ist.   Minder  berühmte  Namen  wurden  und 


51 


werden  bis  zur  Unkenntlichkeit  verstümmelt,  nidit  nur  in  der  Aus- 
spractie,  sondern  aucti  in  der  sdiriftlidien  Wiedergabe,  ja  sie 
wurden  ganz  vergessen  und  sdilieBlicti  durdi  kunstverwandte 
ilalienisctie  Namen  ersefet.  Treten  wir  z.  B.  bei  den  C  a  r  m  i  n  i 
ein,  in  jene  weiträumige,  ursprünglich  romanische  [über  das  Alter 
der  Gründung  gehen  die  Meinungen  auseinander,  was  uns  diesmal 
unbewegt  lassen  darf],  später  vielfadi  umgestaltete  Kirche.  Die 
Hauptwerke,  die  in  den  Reisebüchern  verzeichnet  stehen,  der  herr- 
lidie  Cima  da  Conegliano,  der  Lotto,  der  Tintoretto,  sind  uns  längst 
bekannt.  Mit  vertrautem  GruBe  nehmen  wir  diesmal  bald  von  ihnen 
Abschied.  Wir  wollen  es  einmal  versudien,  uns  in  dem  Gewirre  all 
der  übrigen  Bilder  und  Skulpturen  zurecht  zu  finden.  Die  zwei 
Engelsfiguren  von  Gerolamo  Campana  und  ein  Bronzerelief  in  der 
Art  des  Andrea  Riccio  haben  wir  bald  erschaut.  Ein  gro&es,  gut 
beleuchtetes  Bild  von  Alessandro  Varotari  fällt  bald  durch  seine 
deutliche  Signatur  auf,  noch  anderes  finde  ich  nach  den  Angaben 
der  „Guida"  von  Gianantonio  Moschini  aus  dem  Jahre  1815,  aus 
einem  handlidien  Werke,  das  idi  eben  in  der  Tasche  habe. 

Für  die  großen  Gemälde  aber,  die  in  langer  Reihe  jederseits 
oben  über  den  Arkaden  des  Hauptschiffes  hängen  und  zum  Teile 
interessant  und  gut  sind,  mu&  schon  ein  eigenes  Studium  eingeleitet 
werden,  um  sich  orientieren  zu  können.  Noch  schlimmer  steht  es  um 
die  Beshmmung  der  Bilder  an  den  Orgelbrüstungen,  trob  der  Patina 
höchst  wirkungsvoller,  farbensatter  Gemälde,  deren  einige  man  bei 
gutem  Lichte  unschwer  als  Werke  des  Andrea  S  ch  i  a  v  o  n  e  er- 
kennt. Moschini  und  die  besten  venetianisdien  Führer  bis  herauf 
zu  Quadri  (mehrere  Auflagen  gegen  1830)  und  zu  Haslauer  (1834), 
auch  bis  zu  Paoletti  (1840)  sdireiben  alle  diese  Bilder  an  den  beiden 
Orgelbrüstungen  links  und  rechts  demselben  Schiavone  zu.  Und 
dodi  ist  eines  darunter,  das  merklich  aus  der  Reihe  fällt,  für  das 
aber  sdiwer  sogleich  ein  Name  zu  finden  ist.  Auch  von  einer  Leiter 
aus,  die  mich  dem  Bilde  näher  brachte,  wu&te  ich  vor  der  stark  ver- 
rauchten Tafel,  die  eine  Circumcision  darstellt,  keinen  rechten  Rat. 
Vermutlidi  hat's  ein  Fremder  mit  venetianischer  Palette  gemalt.  Die 
ältere  topographische  Literatur  half  nun  aus  der  Verlegenheit;  so 
fand  sidi  in  einem  Führer  von  1797,  der  auf  gute  Angaben  zurück- 
geht, als  Meister  dieser  „Circoncisione"  folgender  genannt:  „S  i  g- 
nore  di  Giuseppe  Enz  o",  was  nidits  anderes  bedeutet  als 


52 


Joseph  Heinz.  Als  ältesie  Nachrichl«^)  ist  mir  hier  bekannt  eine 
Stelle  in  Boschini's  „Riche  minere  della  pittura"  (von  1664),  wo 
dieses  Bild  als  Werk  des  „Gioseffo  Enzo,  pittore  industrioso",  ge- 
nannt wird  (S.  371).  Der  Fall  ist  lehrreich,  weil  er  beweist,  einerseits 
wie  im  Laufe  der  Zeiten  die  kleineren  Namen  von  den  grö&eren  ge- 
radewegs verschlungen  werden,  und  andererseits,  wie  auch  der  im 
allgemeinen  noch  überlieferte  deutsche  Name  im  Italienischen  um- 
gestaltet wurde.  Schiavone  hat  hier  den  Enzo,  Heinfe,  verschlungen, 
und  heute  wird  das  Bild  des  Heinb  vom  Küster  als  Werk  des  Schia- 
vone vorgewiesen. 

Vergessen  ist  Heinzens  Name  auch  bei  einem  großen  Bilde  in 
San  Fantino  in  Venedig,  das  in  der  älteren  Literatur  genau  be- 
schrieben und  ebenso  bestimmt  auf  Heinfe  bezogen  wird,  als  man 
heute  noch  mit  Bestimmtheit  Heinfe'sche  Malweise  an  diesem  Bilde 
zu  erkennen  imstande  ist.  Ich  möchte  an  anderer  Stelle  ausführlich 
von  diesem  Werke  handeln.  [Die  meisten  der  Heinz'schen  Bilder,  die 
sich  in  Venedig  erhalten  haben,  stammen  vom  jüngeren  Joseph 
Heinz,  doch  mu&  man  die  „Circoncisione"  bei  den  Carmini  dem 
älteren  Maler  dieses  Namens  zuschreiben.  Die  ehedem  angekün- 
digten Erörterungen  über  die  Heinz'schen  Werke  in  Venedig  sind 
mittlerweile  in  den  „Neuen  Blättern  für  Gemäldekunde"  erschienen.] 
Hier  suche  ich  noch  andere  Beispiele  dafür  beizubringen,  wie  rasch 
in  Venedig  fremde  Namen  verloren  gegangen  sind.  In  der  eben  so 
reichen  und  äußerlich  glänzenden  als  innerlich  bedeutenden  G  a  1- 
1  e  r  i  e  des  Principe  Giovannelli  in  Venedig  (berühmt  durch  die 
Sogenannte  Gewitterlandschaft  des  Giorgione)  steht  ein  Bild  als 
„i  g  n  o  t  o"  verzeichnet,  dessen  Namen  man  im  vorigen  Jahrhundert 
noch  genau  kannte.  Es  stellt  Adam  und  Eva  dar,  welche  den  toten 
Abel  beweinen.  Ganz  eigenartige  holländische  Auffassung,  schon 
in  der  Komposition  und  Anordnung,  die  alle  drei  Figuren  links  zu- 
sammendrängt und  die  ersten  Eltern  ganz  bekleidet  erscheinen  lägt. 
Leider  ist  das  verhältnismäßig  kleine  Bild  an  einer  schattigen  Wand 
angebradit;  dodh  lieB  sich  die  holländische  Malweise  audi  so  deut- 
lidi  erkennen.  Am  Abend  vorher,  bevor  idi  in  der  Gallerie  Gio- 
vannelli war,  hatte  ich  einen  großen  Stich  von  P.  Monaco  gesehen, 


69)  In  Martinonis  Nachträgen  zur  „Venezia  descritta"  von  Sansovino,  die 
1663  erschienen  sind,  werden  bezüglich  der  „Circoncisione"  Zweifel  geäußert  und 
kein  bestimmter  Malername  genannt.  „Creduta  da  molti  dello  Schiavone"  heißt  es. 

53 


der  nach  diesem  Gemälde  in  der  Zeit  um  1740  angefertigt  worden 
war,  der  als  den  Befifeer  Giovannelli  nennt  und  als  Maler  —  Jan 
L  Y  s.  [Den]  Sticti  und  [das]  Bild  aus  so  frisctier  Erinnerung,  wie  sie 
tiier  vorlag,  zusammenzureimen,  war  nun  keine  Kunst.  Immertiin 
freute  es  midi,  die  nocti  immer  kleine  Zatil  von  sictieren  Bildern  des 
überaus  bedeutenden  tiolländisctien  Malers  Jan  Lys  (aus  Hoorn) 
wieder  um  eines  vermetiren  zu  können,  das  nocti  dazu  in  den 
ältesten  Nadirictiten  über  Jan  Lys  sction  erwälint  ist.  Venedig  be- 
sibt  zum  mindesten  nocti  zwei  gesidierte  Arbeiten  desselben  Lys, 
der  in  der  Literatur  gar  oft  mit  Dirk  van  der  Lisse  verwediselt  wor- 
den ist  und  über  den  man  das  meiste  durdi  Sandrarts  „Deutsdie 
Akademie"  und  lioubrakens  „Malerbudi"  erfätirt.  Lys,  der  gegen 
1590  geboren  sein  dürfte,  starb  1629  in  Venedig.  Zwei  gut  beglau- 
bigte  Bilder  befinden  sich  in  der  Galerie  zu  Pommersfelden,  in 
deren  neuem  Katalog  sie  denn  audi  verzeichnet  und  beschrieben 
stehen  (Nr.  337  und  338).  Ein  beglaubigter  „Lautenschläger"  büdet 
einen  wenig  beachteten  Bestandteil  der  Dresdner  Galerie. "^o)    ^uf 


70)  Ob  eine  reuige  Magdalena,  die  in  Dresden  dem  Lys  wohl  mit  Recht  zu 
geschrieben  wird,  indentisch  ist  mit  einem  Magdalenen-Bilde  der  Casa  Bonfadina 
das  Boschini  in  der  „Carta  del  navegar  pittoresco"  (1660,  S.  567)  erwähnt  und 
ein  wenig  beschreibt,  ist  erst  genau  zu  untersuchen,  mir  aber  sehr  wahrscheinlich. 
Zum  Mindesten  möchte  ich  auf  die  Möglichkeit  hingewiesen  haben.  [Seither  wurde 
das  Bild  durch  mich  in  Helbings  Monatsberichten  über  Kunstwissenschaft  ab- 
gebildet und  besprochen.}  Die  alten  venetianischen  Sammlungen  besaßen  viele 
Bilder  von  unserem  Lys,  der  in  Venedig  eine  gewisse  Rolle  gespielt  zu  haben 
scheint,  den  er  bewillkommte  1627  zusammen  mit  Nikolaus  Ringnerus  den  Maler 
Sandrart,  als  dieser  nach  Venedig  kam.  In  Hoets  Katalogsammlung  sind  mehrere 
Bilder  des  Lys  in  niederländischen  Sammlungen  genannt.  1746  befand  sich  in 
Pommersfelden  ein  „Hieronymus  in  der  Wüsten",  welcher  die  Posaunen  aus  den 
Wolken  anhört.  Lebensgroß.  Von  Joann  Lys.  4'  X  3'  2"  — ".  Neuestens  wurde 
ein  Jan  Lys  von  1645  auf  der  Auktion  Bruchmann  in  Köln  durch  Heberle  ver- 
steigert. Unter  der  überreichen  Literatur,  die  bei  Jan  Lys  in  Frage  kommt,  ist 
auch  Füßli's  großes  Lexikon  mit  samt  den  Nachträgen  (S.  743  und  Naglers 
Lexikon  zu  beachten.  Neuestens  vergleiche  De  Groots  Werk  über  Houbrakens 
Schaubühne  (besonders  279  ff.).  [Übei  Jan  Lys  möchte  ich  eine  Bemerkung  ein- 
schalten, die  zum  Teil  der  Wahrung  meiner  Rechte  dient.  Zur  Zeit,  als  manche 
jüngere  Fachgenossen  nuch  in  den  Anfangsstudien  staken,  habe  ich  die  Bedeutung 
des  Farbenzauberers  Jan  Lys  erkannt,  wie  ich  denn  auch  der  Reihe  nach  schon  vor 
Jahren  auf  viele  bis  dahin  unbekannte  Zusammenhänge  aufmerksam  gemacht  habe. 
Anerkannt  wurde  dies  auch  durch  Herrn  Dr.  R.  A.  Peltzer,  der  in  der  Lys-Forschung 
tüchtig  weiter  gearbeitet  hat.  Ich  verweise  im  Allgemeinen  auf  dessen  Mitteilungen 
in  den  „Studien  und  Skizzen  zur  Gemäldekunde",  Bd.  I,  S.  161  ff,  wo  die  ältere 
Literatur  angeführt  ist.  Eine  eigene  Arbeit  ist  in  Verlust  geraten  mitsamt  den 
Klischees,  die  in  Preßburg  in  der  Buchdruckerei  Alkalay  verbummeU  worden 
sind.  Es  waren  Erörterungen  über  verkannte  Bilder  in  Florenz  und  deren  Nach- 
bildungen. Bei  Gelegenheit  hole  ich  jene  verloren  gegangenen  Mitteilungen 
wieder  nach.} 

5^ 


einen  heiligen  Hieronymus  bei  den  Tolentini  in  Venedig,  der  auch 
bei  Houbraken  und  in  den  Lexicis  erwähnt  ist,  habe  ich  schon  vor 
Jahren  neuerhch  aufmerksam  gemacht,  als  ich  im  „Repeitorium  für 
Kunstwissenschaft"  über  die  Wiener  akademische  Galerie  Bericht 
erstattete.  (Bd.  XIV,  S.  83.)  Das  Bild  selbst  hatte  ich  damals  noch 
nicht  gesehen,  weshalb  ich  hier  eine  kurze  Beschreibung  dieses 
interessanten  Werkes,  das  übrigens  ebenfalls  von  allen  modernen 
Führern  übergangen  wird,  nachholen  will.  Es  ist  ein  bedeutendes, 
eigenartiges  Bild,  das  sich  freilich  in  einer  Galerie  und  sauber  ge- 
halten besser  ausnehmen  würde  als  verstaubt  und  ziemlich  hoch  an 
einer  Kirchenwand.  Hieronymus,  eine  reichlich  lebensgro&e  würdige 
Figur,  ist  auf  einem  Felsen  sibend  dargestellt.  Ein  rosafarbiger 
Mantel  von  eigentümlichem  Tone,  der  in  der  venetianischen  Farben- 
skala fehlt,  ist  über  den  rechten  Oberschenkel  gelegt  und  sticht 
lebhaft  gegen  das  wei^e  Linnen  ab,  das  die  Lenden  bedeckt.  Der 
Heilige  hält  die  Feder  in  der  Rechten.  Der  Blick  ist  nadi  oben  ge- 
richtet. Neben  Hieronymus  der  Löwe.  Links  gewahrt  man  einen 
Engel  von  feisten  holländischen  Formen,  der  mit  der  Linken  empor- 
deutet. Rechts  in  Wolken,  soweit  ich  unterscheiden  konnte,  ein 
zweiter  Engel.  Auffallend  sind  die  naturalistisch  braunen  Hände, 
die  auch  auf  anderen  Bildern  des  Jan  Lys  vorkommen,  und  das 
Rosarot,  das  nach  meiner  Erinnerung  auf  dem  einen  Bilde  des  Lys 
in  Pommersfelden  wiederkehrt  (aitf  der  Toilette  der  Venus).  Das 
groBe,  etwa  zwei  Meter  hohe  und  nidit  viel  weniger  breite  Bild  bei 
den  Tolentini  ist  ebenfalls  von  P.  Monaco  um  1740  gestochen 
worden,  ebenso  wie  das  Bild,  das  ich  bei  Giovannelli  wieder- 
gefunden habe,  wie  ein  anderes  mit  dem  verlorenen  Sohne,  von 
dem  noch  die  Rede  sein  wird,  und  wie  eine  Judith  mit  dem  Haupt 
des  Holofernes,  die  erst  wieder  zu  finden  ist  und  die  1739  im  Be- 
sifee  der  Familie  Widmann  in  Venedig  wmJ^)  Das  Bild  bei  den 
Tolentini  hat  seine  riditige  Benennung  niemals  ganz  verloren,  und 
der  intelligente  Custode,  der  mir  das  Studium  des  Bildes  aus  der 
Nähe  in  freundlidier  Weise  erleichterte,  wies  mir  auch  das  kleine 
venetianische  Journal  „11  Gazettino"  vom  1.  März  1895,  in  welchem 
das  Hieronymus-Bild  des  Lys  kurz  erwähnt  ist.  Die  ältere  topo- 
graphische Literatur  verzeichnet  es  regelmäfeig. 


71)  [Es  befindet  sich  heute  im  Museum  zu  Budapest,  Abb.  in  „Neue  Blätter 
für  Gemäldekunde",  I.  Jahrgang,  Heft  1.1 

55 


Weniger  gut  erging  es  in  dieser  Beziehung  dem  beglaubigten 
Bilde  des  Lys,  das  den  verlornen  Sohn  in  lockerer  Gesellschaft  dar- 
stellt und  das  sich  seit  Jahrzehnten  in  der  Accademia  zu 
Venedig  befindet.  Eine  Zeitlang  galt  es  als  Werk  eines  Unbekannten 
aus  der  „scuola  fiamingha".  Jefet  heifet  es  „Olis",  was  nun  freilich 
ungefähr  eben  so  unrichtig  ist  wie  die  allgemeinere  frühere  Be- 
nennung. Denn  J.  Olis  ist  ein  ganz  bestimmter,  von  Lys  verschie- 
dener holländischer  Maler,  der  urkundlich  nachgewiesen  ist  und  von 
dem  es  sichere  Bilder  in  Koblenz,  Gotha,  Mainz  (Sammlung  Fischer), 
im  Haag  und  anderswo  gibt.  Die  Sammlung  Doetsch  in  London  be- 
sag ein  signiertes  Werk  des  Olis  von  1640.  Herr  Landesgerichtsrat 
Pelber  in  Köln  besi^t  noch  jebt  eines.  [Das  Bild  ist  längst  nicht  mehr 
dort.]  In  der  alten  Wiener  Sammlung  Apponyi  war  er  durch  ein 
Sittenbild  vertreten.  Ob  die  Bilder,  die  mit  I.  Oly  signiert  sind  und 
deren  ich  eines  im  Schlosse  zu  Dessau  und  wieder  eines  vor  Jahren 
im  Wiener  Kunsthandel  gesehen  habe,  von  Olis  herrühren,  will  ich 
einstweilen  als  unbeantwortete  Frage  offen  lassen.  Auch  allerlei 
Literatur,  die  hier  zu  nennen  wäre  (so  mehrere  Artikel  von  Bredius), 
kann  hier  nicht  einzeln  aufgezählt  werden.  Als  sicher  aber  kann  es 
trofedem  gelten,  dafe  J.  Olis  und  Jan  Lys  zwei  grundverschiedene 
holländische  Maler  sind,  und  dag  der  „Verlorne  Sohn"  in  der  Aka- 
demie zu  Venedig  mit  Olis  nidits  zu  tun  hat,  sondern  ein  beglau- 
bigtes Werk  des  Jan  Lys  isL  » Sdion  Houbraken  rühmt  ein  Bild 
mit  der  „historie  van  den  verloren  Zoon",  und  Monaco's  Stich  aus 
der  Zeit  um  1740  nennt  den  Lys  ausdrüd<lich  als  Maler  dieses  Bildes 
mit  dem  verlornen  Sohne.  Eine  alte  Kopie  oder  Wiederholung 
dieses  Gemäldes  befindet  sich  in  den  Uffizien,  eine  andere  in  der 
Wiener  Akademie  (dort  als  Giov.  Batt.  Weenix,  Nr.  855).'^2)  Dqs 
Florentiner  Bild  hat  seinen  richtigen  Namen  merkwürdiger  Weise  bis 
in  die  Gegenwart  herein  gerettet.  [Dodi  fand  ich  dort  verkannt  noch 
anderes  von  J.  Lys.] 

Die  Galerie  in  der  „Accademia  di  belle  arti"  zu  Venedig  bietet 
neben  dem  „Fall"  Lys  nodi  einige  Dufeend  andere,  die  Belege  da- 
für abgeben  können,  daß  fremde  Meister  in  Venedig  nidit  studiert 
werden.  Audi  bei  der  neuen  Aufstellung  und  neuen  Katalogisierung 


72)  Dazu   meine   „Geschichte  der   Wiener   Gemäldesammlungen",  Kap    IV 
S.  32  u.  188. 

56 


der  ganzen  Sammlung  sind  sie  wieder  zu  kurz  gekommen.  So  ganz 
im  allgemeinen  kann  man  die  neue  Ordnung  der  Dinge  in  der  vene- 
tianischen  Akademie  guthei&en.  Aber  gerade  die  Punkte,  die  an- 
gedeutet wurden,  sind  entsctiieden  sctiwach.  Die  gedruckten  Fütirer 
und  Kataloge  der  Akademie  waren  niemals  so  durctigebildet,  da& 
sie  strengen  Anforderungen  hätten  genügen  können.  Und  so  ist 
aucti  die  neueste  Ersctieinung  dieser  Art  wieder  nur  für  ein  tialb- 
wissendes  großes  Publikum  berectinet.  Die  Wiedergabe  der  In- 
sctiriften  ist  ungenau;  die  Angaben  über  die  Herkunft  der  Bilder  sind 
lückentiaft.  Was  die  Benennungen  betrifft,  so  lä|t  sicti  ja  meist 
gegen  die  der  venetianisctien  Bilder  nictits  einwenden.  Bei  fremden 
Meistern  ist  man  aber  tierzlidi  sorglos  vorgegangen.  Eine  Reitie 
von  MiBverständnissen, verhältnismäßig  selten  unterbrochen  durch  zu- 
treffende Taufen,  werden  hier  nach  der  Nummernfolge  des  jefeigen 
Führers  in  aller  Kürze  besprochen.  Einige  Vermutungen  seien  da- 
neben angedeutet. 

Nr.  110  Landschaft  mit  nackten  mythologischen  Figuren;  dem 
Poelenburg  zugeschrieben,  aber  ziemlich  einleuchtend  als  Werk  des 
Moses  van  llytenbroeck.  Nr.  115  Landschaft  mit  Bauern,  die 
einen  Kavalier  verfolgen;  unzweifelhaft  nicht  von  Adriaen  van  de 
Velde,  der  im  Führer  genannt  wird,  sondern  eine  Kopie  nach  einem 
alten  Vlamen  aus  der  Valckenborch-Gruppe,  vermutlich  nach  Fried- 
rich van  Fald<enborch.  Nr.  116,  sicher  nicht  von  derselben  Hand, 
sondern  von  einem  Nachahmer  des  Paul  Bril.  Nr.  118,  gute  Kopie, 
etwa  nach  Van  Uden.  Nr.  119  nicht  Cornelis  de  Wael.  Nr.  120  weit 
entfernt  von  Philips  Wouwerman,  den  der  Führer  verantwortlich 
macht,  vielmehr  aus  der  Näh^  des  Peeter  Snayers.  Nr.  121 
und  122  italienische  Kopien,  etwa  nadi  Van  Uden;  keine  Spur  von 
Adriaen  van  de  Velde.  Nr.  125  wohl  venetianische  Kopie  nach 
einem  flandrischen  Landsdiaftsmaler  aus  Van  Udens  Nähe.  Nr.  126 
italienische  Kopie,  etwa  nach  Paul  Bril.  Nr.  127  kleine  Landschaft 
mit  Gebirgsstädtchen.  Paßt  vollkommen  zum  Stil  des  Anton 
M  i  r  o  u.  [Dazu  die  wertvolle  Schrift  von  Ed.  Pliebsch  „Die  Franken- 
thaler Maler"  (Leipzig,  1910).]  Mirou  hat,  wie  es  scheint,  audi  in 
Venedig  gearbeitet.  Nr.  128  nidit  C.  de  Wael.  Nr.  130  vermutlich 
venetianisdie  Kopie  nach  Lucas  van  Uden  (gehört  zu  Nr.  125). 
Nr.  131  Winterlandsdiaft  mit  Schlittsdiuhläufern,  erinnert  ein  wenig 
an  Adriaen  van  de  Venne,  hat  aber  mit  van  de  Velde,  der 


S7 


vom  Führer  genannt  wird,  gar  keine  Ähnlichkeit.  Nr.  137  einem  un- 
bekannten Fiammingo  (Flandrer)  zugeschrieben,  ist  offenbar  eine 
venetianische  Kopie  nach  Grimmer  oder  Brueghel.  Nr.  143  zeigt 
eine  auffallende  Verwandtschaft  mit  Adam  Elsheimer  (Ge- 
birgslandschaft mit  großem  Wasserfall.  Rechts  vorn  si^t  ein  Maler, 
der  die  Zeidienmappe  vor  sich  hält.  Daneben  steht  ein  Schüler.  Die 
rote  Figur  weiter  vorn  ist  gesdimackloser  Weise  später  hinzugemalt 
worden.)  Wäre  Poelenburg,  der  bisher  für  das  Bildchen  genannt 
wurde,  der  Urheber  desselben,  so  mü&te  man  annehmen,  daB  Els- 
heimer alles  Wichtige  übergangen  hat.  Nr.  145  ein  leider  etwas  her- 
untergekommenes Bildchen,  wird  dem  Dietrici  zugeschrieben.  Ich 
halte  es  seit  Jahren  für  ein  vernachlässigtes  Original  von  dem  Hol- 
länder Ary  de  Vois,  dessen  weiche,  warme,  holzbraune  Flächen 
hier  wiederkehren.  Nr.  146  sicher  nicht  „Bega  o  Begyn",  sondern 
vermutlich  alte  Kopie  nach  Adriaen  van  Ostade. 

In  einem  anderen  Saale  ist  die  Ausbeute  kaum  geringer.  Der 
„ignoto  Fiammingo"  von  Nr.  172  ist  dodi  wohl  niemand  anderer  als 
der  Olandese  M.  M  i  e  r  e  v  e  1 1.  Nr.  178  als  Jan  Steen  katalogisiert. 
„Bauernfamilie  bei  Tischgebet."  Vor  Jahren  sah  ich  auf  diesem 
guten,  farbenkräftigen  Bildchen  noch  die  Reste  einer  Signatur  des 
Steen.  Thomas  Wyck  kam  mir  freilich  vor  dem  Bilde  lebhaft  ins 
Gedächtnis. 

Ein  ganz  unzweifelhaft  echter  Steen  ist  aber  Nr.  180  „Die 
Familie  des  Aldiymisten",  ein  Bild,  zu  welchem  der  Führer  jeden- 
falls bemerken  sollte,  dafe  es  datiert  ist.  1668  steht  neben  der  echten 
Namensfertigung.  Denn  Steen  hat  seine  Bilder  selten  datiert,  wo- 
durch bei  ihnen  jede  Jahreszahl  besondere  kunstgesdiiditliche  Be- 
deutung gewinnt. 

Nr.  182  und  184  sind  zwei  Flügel  eines  „Jüngsten  Gerichtes"  von 
Hieronymus  Bosch  und  haben  mit  Bles,  der  im  Führer  ge- 
nannt wird,  nichts  zu  schaffen.  Beide  stammen,  wie  in  den  früheren 
Katalogen  und  audi  im  neuesten  Führer  erwähnt  ist,  aus  dem 
Dogenpalast.  Vermutlich  sind  es  dieselben  Bilder,  die  in  Bosdiini's 
,,Riche  minere"  (S.  30)  als  Szenen  aus  der  Apokalypse,  gemalt  von 
Bles  (Civetta),  erwähnt  werden.  Im  legten  Zimmer  der  Herren  vom 
Rate  der  Zehn  waren  diese  Bilder  zu  Boschini's  Zeiten,  also  um 
1660,  aufgestellt.  Die  Deutung  war  den  Venetianern  schwer  ge- 
fallen, ja  sie  ist  noch  jefet  im  Führer  zweifellos  vergriffen,  da  von 


58 


Szenen  aus  Dante's  „Inferno"  gesprodien  wird.  Wer  sich  einmal  in 
den  Geslaltenkreis  des  B  o  s  ch  vertieft  tiat,  wird  tiier  gar  bald  die 
Elemente  eines  jüngsten  Gerichtes  gewahr  (das  Urteil  der  Ver- 
dammten und  die  Aufnahme  der  Seligen  in  den  Himmel).  Die  zwei 
besprochenen  Flügel  sind  sicher  weder  von  Bles,  noch  stellen  sie 
danteske  oder  apokalyptische  Szenen  dar,  sondern  sie  gehören  ver- 
mutlich zu  einem  großen  jüngsten  Gerichte,  dessen  Mittelbild  mit 
dem  Seelenwäger  Michael  und  unzähligen  anderen  Figuren  noch 
jebt  im  lebten  Zimmer  des  Rates  der  Zehn  zu  finden  ist.  Ob  die 
Abmessungen  shmmen,  habe  ich  nicht  überprüft.  Die  Höhe  der 
Flügel  müBte  annähernd  dieselbe  sein  wie  beim  Mittelbilde  im 
Dogenpalast. 

Ganz  nebenbei  sei  hier  bemerkt,  da&  sich  nach  Boschini's  An- 
gabe im  Dogenpalaste  ein  Werk  befunden  hat,  dessen  Autor  „Giro- 
lamo  Basi"  genannt  wird.  Einen  Maler  Basi  kennt  die  venetianische 
Kunstgeschichte  nidit,  und  man  wird  annehmen  können,  daB  Giro- 
lamo  (also  Hieronymus)  Bosch  damit  gemeint  ist,  der  durch 
Schreibfehler,  Druckfehler  oder  Mißverständnis  um  seinen  richtigen 
Namen  gekommen  ist.  Man  erinnere  sich,  mit  welcher  Sorglosigkeit 
und  Schonungslosigkeit  alle  nordischen  Namen  in  Italien  behandelt 
wurden  und  oft  noch  jefet  behandelt  werden.  Das  erwähnte  Bild 
stellte  den  Kreuzestod  einer  Heiligen  dar.  Ob  es  wohl  idenhsch  ist 
mit  dem  Triptyciion,  das  bei  der  jüngsten  Neuaufstellung  der  Wiener 
Galerie  aufgetaucht  ist?  [Gewiß  stammt  das  Triptychon  von 
H.  Bosch,  ja  sogar  alle  zwei  Triptycha  der  neuen  Wiener  Auf- 
stellung aus  Venedig.  Dahin  sind  sie  noch  während  des  Waffen- 
stillstandes, wieder  zurückgekehrt.  Vergleiche  zu  diesen  Bildern 
auch  Zanotto  (1771)  und  meine  Geschichte  der  Wiener  Gemälde- 
sammlungen I,  S.  318,  332  und  460  ff.,  wo  ältere  Literatur  genannt 
ist.  Aus  dieser  sei  hervorgehoben  Vict.  Ceresole  „La  verite  sur  les 
depredations  autrichiennes  ä  Venise"  (Venedig  1867).  Aus  der 
neueren  Literatur  mögen  beachtet  werden  Dr.  Maurice  Gossart 
„Iheronymus  Bosch"  (S.  49)  und  Paul  Lafond  „Hieronymus  Bosch" 
(S.  66).  Beide  Bilder  waren  1838  aus  Venedig  nach  Wien  gekommen.] 

Nr.  183  ist  sicher  falsch  benannt  als  Ter-Borch,  denn  es  trägt, 
wenn  auch  verblaßt,  doch  sicher  leserlich  die  Signatur:  „Jac.  Ochter- 
velt  f.  16  .  7p,  also  eines  bekannten  Malers,  dessen  Stilcharakter 
denn  auch  deutlidi  genug  in  dem  vorliegenden  Bilde  zum  Ausdrucke 


59 


kommt.  Dargestellt  ist  eine  junge,  tiellgekleidete  Dame,  die  in  Otm- 
macht  gefallen  ist.  Metirere  andere  weiblictie  Figuren  und  der  Arzt 
sind  in  der  Nätie. 

Nr.  185  „Turmbau  von  Babel"  ist  ein  wirklidier  B  I  e  s  und,  so 
weit  icti  micti  erinnere  und  die  Lage  überblicke,  der  einzig  riditig 
bestimmte  in  ganz  Venedig.  Es  ist  aber  audi  eine  ganz  andere 
Hand  als  die  der  Flügel  mit  den  Darstellungen  zum  jüngsten  Ge- 
ridite. 

Nr.  187  wird  nodi  immer  dem  Bernard  van  Orley  zugesdirieben, 
obwotil  sdion  längst  im  „Repertorium  für  Kunstwissensdiaft" 
(Bd.  XII,  S.  381)  der  „Meister  der  weiblidien  Halbfiguren",  audi 
„Meister  der  Magdalenen",  als  Urheber  angegeben  worden  ist.  Dafe 
dieser,  vielleicht  französische  Maler,  hier  dem  Orley  nahekommt, 
bleibt  dabei  ganz  unbestritten. ^s) 

Der  Marien-Typus  des  folgenden  Madonnenbildes  (Nr.  188)  er- 
innert lebhaft  an  den  des  Prager  Dombildes  von  M  a  b  u  s  e.  Ohne 
Widerrede  ist  das  Bild  von  einem  italisierenden  Niederländer  ge- 
malt. Die  Zuschreibung  an  Cranach,  wie  sie  jefet  noch  beliebt  wird, 
lä&t  sich  in  keiner  Weise  verteidigen.  Dagegen  tat  man  sicher  recht, 
das  diaraktervolle,  hochinteressante  Bildnis  (Nr.  191)  mit  dem  Wahl- 
spruche „raison  l'enseigne"  dem  Hugo  van  der  Goes  (mit 
Wauters)  zuzusdireiben,  dessen  allgemeine  Malweise  und  be- 
sondere Züge  (z.  B.  die  starke  Betonung  der  Falten  an  den  Finger- 
gelenken) hier  unschwer  zu  erkennen  sind.  Hugo  van  der  Goes  ist 
den  Italienern  dadurch  näher  gerückt,  daB  sidi,  wie  bekannt,  sein 
Hauptbild  in  Florenz  befindet. 

Die  heilige  Katharina,  Nr.  192,  die  ein  „ignoto  Fiammingo"  ge- 
malt haben  soll,  ist  sicher  deutsdi,  sdiwäbisdi  aus  der  Zeit  des 
jüngeren  Holbein,  ohne  im  übrigen  die  Nennung  des  großen  Namens 
zu  rechtfertigen.  Ikonographisch  interessant  ist  es,  dag  die  Heilige 
hier  einen  dicken  Ring  von  der  bekannten  Form  der  Investiturringe 
in  der  Hand  hält. 

Nr.  193  ein  Blumenkorb  in  der  Art  Roeland  Savery's  und 
des  Ambrosius  Bosschaert  gemalt,  ist  —  glüd<lidierweise 
mit  Fragezeichen  —  dem  Jean  Battist  Monnoyer  zugesdirieben.  Das- 


73)  Dazu  Beilage  zur    „Münchener  allgemeinen  Zeitung*    vom   7.  Novem- 
ber  1902. 


60 


selbe  gilt  von  Nr.  199,  die  übrigens  nicht  als  Gegenstück  zu  Nr.  193 
anzuseilen  ist. 

Nr.  194  ein  Winterbild  von  Pieter  M  o  1  y  n,  ist  nidit  mit  dem 
ganzen  Vornamen  signiert,  sondern,  wie  gewötinlidi  bei  diesem 
Künstler,  mit:  MOLYn  und  dem  P,  das  über  das  M  gestellt  ist.  Die 
Jahreszatil  1656,  die  vom  Fütirer  genannt  wird,  war  für  midi  nidit 
auffindbar.  (Das  gute,  interessante  Bilddien  ist  von  Naya  seit  Jatiren 
aufgenommen  als  Nr.  320.) 

Das  weiblictie  Bildnis  Nr.  198  werden  die  meisten  bilder- 
kundigen Besudier  aus  dem  Norden  nidit  mit  dem  Fütirer  als 
Antoni  Moor  gelten  lassen,  sondern  Frans  Porbus,  dem 
älteren,  zusctireiben. 

Die  kleine  Landsdiaft  Nr.  200  kann  von  niemandem  ernstlidi 
für  ein  Werk  des  Sammetbruegtiel  tiingenommen  werden.  Wenn  ich 
einer  meiner  alten  Notizen  trauen  darf,  die  neuerlich  nicht  überprüft 
wurde,  so  ist  hier  in  bestem  Falle  an  einen  der  spätesten  Brueghel 
zu  denken. 

In  der  Loggia  Palladiana,  die  früher  so  unangenehm  überfüllt 
war  und  gegenwärtig  viel  besser  zu  genießen  und  zu  studieren  ist 
als  bei  der  früheren  Anordnung,  beginnen  wir  mit  zwei  Werken 
M  e  1  dl  i  o  r  d'H  ondecoeters  aus  der  alten  Sammlung  Molin. 
Es  sind  keine  Gegenstüd<e,  doch  gehören  sie  beide  ungefähr  der- 
selben Periode  des  Künstlers  an.  (Nr.  344  und  345.)  Ihre  Benennung 
wird  kaum  anzufechten  sein. 

Nr.  347  als  Claude  Lorrain  sehr  fraglidi;  eher  Swanevelt  oder 
ein  ihm  verwandter  Claude-Nadiahmer. 

Nr.  349  und  350  zwei  Landschaften,  sind  wohl  gar  nicht  aus  der 
„scuola  olandese",  sondern  dürften  der  Richtung  des  jüngeren 
Brand  angehören. 

Etwas  stark  daneben  gegriffen  wurde  bei  der  Benennung 
Momper  für  Nr.  352  und  353.  In  der  Tat  sind  es  poussineske  Land- 
schaften, die  große  Verwandtschaft  mit  jenem  RYsbraed<  haben, 
der  in  der  Pommersfeldener  Galerie  durch  ein  Hauptbild  ver- 
treten ist. 

Nr.  354  ein  roher  B  e  r  g  h  e  m,  wie  ich  meine,  richtig  benannt, 
ebenso  Nr.  355  als  J  o  h  n  R  i  I  e  y  und  Nr.  356  und  357  als  L  e  n  d  e  r  t 
B  r  a  m  e  r. 

Nr.  359  ein  artiges  Bilddien  mit  Landsdiaft  und  Shlleben,  wird 


61 


wohl  von  Gryeff  sein,  der  im  großen  und  kleinen  ähnliche  Gegen- 
stände gern  behandelt  hat.  Indes  lä^t  mich  vor  diesem  Bilde  mein 
Gedächtnis  jedesmal  im  Stiche.  Einmal  fand  ich  eine  Beziehung  zu 
den  späten  Bildern  des  PeeterGysels,  dann  notierte  ich  wieder, 
daB  die  Landschaft  an  den  Hintergrund  des  signierten  Jan  B  1  o  m 
im  „Ferdinandeum"  zu  Innsbruck  erinnere.  Mögen  andere  hier  im 
Auffinden  bestimmter  Züge  glücklicher  sein) 

Nr.  361  ein  sauber  durchgebildetes  Stilleben,  läfet  sich  nach  dem 
Stil  und  nadi  den  Resten  der  Signatur  vollkommen  sicher  be- 
stimmen. Die  harte,  etwas  bunte  Malerei  und  die  Insdirift:  „Nie- 
col(as)  van  v . . .  endael  A^  16(39)"  machen  es  vollkommen  klar,  dafe 
hier  die  Benennung  des  Führers  als  „Gio.  Bathsta  Simeone  Chardin" 
gänzlich  unhaltbar  ist  und  da&  der  treff lidie  N  i  c  1  a  s  van 
Veerendael  (im  Feuilleton  der  „Wiener  Zeitung"  vor  nidit  allzu 
langer  Zeit  genannt,  als  von  der  Galerie  im  Wiener  Schottenstift 
die  Rede  war]  als  Urheber  des  Stillebens  in  der  Loggia  Palladiana 
anzusehen  ist. 

Nr.  364  von  Adriaen  van  Nieulandt  sei  hier  erwähnt, 
weil  sich  dieses  Bild  in  seiner  Malweise  recht  gut  an  ein  signiertes 
Werk  desselben  Meisters  in  einer  Wiener  Sammlung,  in  der  Samm- 
lung Burger-Goll,  anreihL 

Die  Benennung  des  Bildes  mit  einem  Pferdemarkt,  Nr.  366,  als 
Berck-Heyde  beruht  auf  ungenauer  Lesung  der  Signatur,  von  der 
allerdings  nur  die  lefete  Silbe  vollkommen  klar  leserlich  ist.    Sie 

lautet  „ Borch";  davor  etwas  wie  ein  „m"  oder  „en".  Nach  der 

Malweise  kann  das  vorliegende  Bildchen  kaum  von  jemand  anderem 
sein  als  von  Jakob  van  Hughtenborch,  dem  älteren  Bruder 
des  allbekannten  Jan  van  Hughtenborch.  Ich  kenne  ein  signiertes 
Werk  des  Jakob  in  der  Galerie  zu  Hermannstadt,  das  midi  hier 
leitet.  In  der  Breslauer  Galerie  wird  eine  Jagdgesellschaft  in  einem 
Parke,  die  augenscheinlidi  von  diesem  Jakob  van  Hughtenbordi  ist, 
ebenfalls  dem  Berck-Heyde  zugeschrieben. 

Elsheimers  „Verleugnung  Christi  durch  Petrus"  ist  sdion 
von  Bode  gewürdigt  worden  (Nr.  368).  Audi  die  nächste  Nummer 
(369)  hat  sdion  einmal  zu  einer  kritischen  Bemerkung  AnlaB  ge- 
geben. Die  Benennung  Breenberg,  die  man  in  Venedig  dafür  zähe 
festhält,  entbehrt  nämlich  jeder  Begründung.  Sdion  vor  Jahren  fand 
ich  auf  der  kleinen  Gebirgslandsdiaft,  um  die  es  sich  hier  handelt, 


62 


das  Monogramm  L/VV  unierhalb  der  Jahreszahl  1582.  Wer  sich  um 
die  Landschaftsmalerei  der  angegebenen  Zeit  gekümmert  hat,  wird 
bald  ohne  Bedenl<en  das  kleine  Bild  dem  Lucasvan  Valcken- 
b  o  r  ch  zuschreiben,  auch  dann,  wenn  er  unterhalb  des  Mono- 
grammes  von  Valckenborch  noch  ein  zweites  gefunden  haben  sollte, 
das  sicher  nicht  in  neuerer  Zeit  aufgesefet  ist,  auch  wenn  er  der 
Ueberzeugung  sein  sollte,  da&  die  kleinen  Figuren  links,  in  tok- 
kierender  Weise  hingesefet,  nicht  von  Valckenborch's  Hand  sein 
können.  Diese  sind  um  ewa  ein  halbes  Jahrhundert  später  von 
Härmen  Saftleven  hineingemalt  worden,  der  unter  Valcken- 
borch's Signatur  einen  Strich  machte  und  dann  sein  Monogramm 
mit  der  Jahreszahl  1630  (oder  1650)  und  einem  „.F."  darunter- 
sefete.  Wir  haben  hier  den  seltenen  Fall  vor  uns,  da&  der  spätere 
Maler  ehrlich  und  gewissenhaft  genug  war,  seine  Retouchen  durch 
eine  Inschrift  anzudeuten. 

Nr.  370  ist  längst  als  freie  [alte]  Kopie  nach  einem  Bilde  des 
Heinz  in  der  Wiener  Galerie  erkannt.  (Hiezu  „Kleine  Galerie- 
Studien",  Bd.  I.) 

Nr.  371  „Susanna  und  die  Alten"  ist  doch  wohl  von  P  o  m  p  e  o 
B  a  1 1  o  n  i  und  nicht  von  Antoine  Coypel. 

Bei  Nr.  373  als  Gabriel  Mebu  ist  das  Fragezeichen,  das  der 
Führer  beisefet,  gar  sehr  gerechtfertigt.  Denn  das  Passionsbild,  das 
wir  hier  vor  uns  haben,  ist  o  b  e  r  d  e  u  t  s  ch  und  fällt  noch  ins 
16.  Jahrhundert.  (Gegen  den  Mefeu  Nr.  196,  Darstellung  einer 
schlummernden  Frau,  wüfete  ich  dagegen  nidits  einzuwenden.) 

Ziemlich  einfadi  wäre  die  Bestimmung  der  folgenden  Nummern 
374  und  375  gewesen,  wenn  die  Signatur  früher  so  bequem  zugäng- 
lich gewesen  wäre  als  jebt  in  der  neuen  Aufstellung.  Diese  beiden 
Landschaften  mit  kriegerischen  Figuren  werden  nodi  immer  einem 
fabelhaften  „Playnel"  zugeschrieben,  sind  aber  sicher  von  Paul 
J  u  V  e  n  e  1,  dessen  Signatur  auf  einem  der  kleinen  Breitbilder  voll- 
kommen deutlich  leserlich  ist.  „P.  Juvenel  Fecit  :  1633."  (In 
schwarzer  kleiner  Sdirift  rechts  auf  einer  Tafel  in  Nr.  375.)  P  und  I 
sind  verbunden,  ganz  so  wie  auf  dem  monogrammierten  Paul 
Juvenel  von  1636  in  Hermannstadt.'^*)  Dem  Stilcharakter  nach  sind 
die  zwei  Landschaften  in  der  Akademie  zu  Venedig  flandrisch. 


''^)  Faksimiliert    im    ersten   Hefte  der  neuen  Folge   der  „Kleinen   Galerie- 
Studien",  S.  76. 

63 


Das  Bildnis  Nr.  376  ist  dem  Miereveit  zugeschrieben,  liat  aber 
nidit  einmal  die  Qualität,  um  als  Ravestyn  gelten  zu  können. 

Einige  Mißgriffe  mit  fremden  Namen  sind  audi  sonst  nodi  zu 
verzeidinen,  z.  B.  in  dem  Räume  neben  dem  Saale  der  Hand- 
zeidinungen.  Nr.  66,  eine  mittelgroße  Landschaft  mit  dem  ver- 
lornen Sohne,  wird  dort  dem  Paolo  Fiammingo  (Paolo  Franceschi, 
das  ist  also  [Pauwel  Francks,  der  sogenannte]  Paul  Franchois)  zu- 
geschrieben, obwohl  das  einzige,  sicher  beglaubigte  Bild  dieses 
Frandiois  ein  großes  Historienbild  von  wesentlich  anderem  Cha- 
rakter ist.  Es  befindet  sich  im  großen  Ratsaale  (Sala  del'  maggior 
consiglio)  im  Dogenpalast  und  erinnert  so  ganz  im  allgemeinen  an 
Rubens,  wogegen  die  vorliegende  Landschaft  dem  mittleren  Stile 
des  Paul  Bril  entspricht,  ohne  uns  überzeugend  den  Namen  Bril  auf- 
zudrängen. 

Nr.  63  in  demselben  Räume  wird  dann  zerstreuter  Weise  dem 
Pierfrancesco  Mola  angedichtet,  obwohl  sie  in  höchstem  Grade 
überzeugend  von  GerardHoet  gemalt  isL  Der  sattblaue  Himmel, 
die  Färbung  und  Modellierung  der  Figuren  (dargestellt  ist  ein  Opfer- 
fest für  Diana)  sprechen  hier  deutlich  genug.  Es  gibt  ja  so  viele 
sichere  Bilder  von  Hoet,  daß  eine  Überprüfung  der  gewählten 
Diagnose  wenigstens  aus  frisdier  Erinnerung  mehrmals  geschehen 
konnte. 

Das  C  o  r  r  e  r'sche  Museum  (Museo  civico)  war  gerade  in 
einer  Umstellung  begriffen,  als  ich  es  jüngst  besuchte.  Nach  vielen 
alten  Bekannten  spähte  ich  vergebens  aus.  Troßdem  war  es  mög- 
lidi,  einiges  zu  notieren,  das  hieher  gehört,  sei  es,  weil  dadurdi 
weitere  Beispiele  von  der  Vernachlässigung  fremder  Sdiulen  bei- 
gebracht werden,  sei  es,  weil  damit  Seitenblid<e  auf  ö  s  t  e  r- 
r  e  i  ch  i  s  dl  e  Sammlungen  gegeben  sind.  So  weiß  man,  daß  die 
Gemäldesammlung  ].  V.  Noväk  in  Prag  ein  venetianisdies  Bild  be- 
sißt,  dessen  Insdirift  auf  den  seltenen  P.  Pasqualinus  hinweist. 
Der  Name  steht  vollständig  darauf,  doch  erlauben  die  Kürzungen, 
weldie  folgen,  keine  unbedingt  sidiere  Auflösung.  Deshalb  sind 
mündlidi  Zweifel  laut  geworden,  ob  mit  dem  Namen  Pasqualinus 
hier  audi  wirklich  der  Maler  und  nidit  etwa  der  Stifter  gemeint  sei. 
Im  Correr'schen  Museum  sieht  man  nun  einen  zweifellos  echt  sig- 
nierten Pasqualino,  der  weitere  Bedenken  bezüglich  des  Bildes  in 
Prag  überflüssig  machL  Ganz  abgesehen  von  der  übereinstimmen- 


64 


den  Palette,  finden  sidi  aucti  allerlei  kleine  Übereinstimmungen  im 
Sdinitt  der  Augen,  der  Hände,  die  auf  beiden  Bildern  wiederketiren. 
Auch  dürfte  es  wotil  niclit  otine  Bedeutung  sein,  dab  auf  beiden 
Werken  das  Ctiristuskind  jedesmal  einen  Finger  der  Madonna  um- 
klammert tiält:  ein  unmalerisdies  Motiv,  das  sonst  in  der  gleicti- 
zeitigen  venetianisctien  Kunst  gewi^  selir  selten  ist.  Das  Bild  im 
Museo  Correr  ist  mit  1496  datiert,  wonacti  man  das  vielleictit  im 
allgemeinen  etwas  freier  betiandelte  Werk  in  Prag  ein  wenig  später 
ansehen  wird. 

Nocti  eine  weitere  österreictiisctie  Sammlung  kommt  tiier  in  Be- 
tractit.  Bei  Karl  Ferdinand  Mautner  Ritter  von  Marktiof  in  Wien 
befindet  sicli  eine  kleine  „Anbetung  durcti  die  Magier"  vom  jüngeren 
Peeter  Bruegtiel.  [Der  Besifeer  ist  seitdem  gestorben  und  die 
Sammlung  längst  zersplittert.]  Im  Museo  civico  zu  Venedig  tiängt 
nun  (als  Nr.  58)  eine  Wiedertiolung  dieses  Bildes,  die  nach  meiner 
Schäbung  etwas  schwächer  ist  als  das  Exemplar  in  Wien,  obwohl 
es  die  alte  Bezeichnung  „P.  BREVGHEL."  trägt.  Der  Katalog  von 
1881  nennt  hier  den  richtigen  Namen.  Bei  vielen  anderen  Bildern 
begnügte  er  sich  mit  ganz  allgemeinen  Benennungen  oder  gab  auch 
falsche  Namen,  wie  z.  B.  bei  Nr.  57,  einer  flandrisdien  Kermife,  die 
als  Francken  geführt  wird,  aber  augenscheinlich  auf  ]  a  c  o  p 
Grimmer  [oder  Gillis  Mostaert]  zurückgeht.  Das  Bildchen  mi^t 
etwa  einen  halben  Meter  in  der  Breite  und  0,30  in  der  Höhe  und  ist 
mit  den  bekannten  Figuren  des  Grimmer  komponiert,  dessen  Palette 
auch  leicht  wieder  zu  erkennen  ist.  Grimmer  wird  übrigens  erst  seit 
wenigen  Jahren  beachtet  und  studiert,  so  daS  das  vorliegende 
Volksfest  bisher  übersehen  wurde. 

Ein  angeblicher  Peeter  Brueghel,  Nr.  19,  darstellend  lebhafte 
Szenen  in  einem  schlechten  Hause,  ist  augenscheinlich  ein  Werk  des 
flandrischen  Monogrammisten,  der  unter  dem  Namen  Braun- 
Schweiger  Monogrammist  ziemlich  allgemein  bekannt  ist. 
Sein  Hauptbild  befindet  sich  nämlich  in  der  Braunsdiweiger  Galerie. 
Eines  seiner  bekanntesten  Bilder  wird  vom  Städel'sdien  Museum  in 
Frankfurt  am  Main  bewahrt  (reproduziert  in  Kohledruck  von 
Ad.  Braun  in  Dornach).  Audi  die  Berliner  Galerie  und  die  Stutt- 
garter besifeen  derlei  Bilder  von  demselben  Meister,  der  vielleicht 
mit  Jan  van  Hemessen  identisch  ist.  Ein  Bild,  das  zwischen  dem  be- 
kannten Stile  des  Hemessen  und  den  Bildern  des  Braunschweiger 


65 


Monogrammisten  eine  Verbindung  herstellt,  befand  sich  in  Wien  bei 
dem  bekannten  Sammler  Julius  Stern.  Es  ist  ein  Breitbild  mit  Halb- 
figuren, das  nach  lionardesken  Motiven  zusammengesefet  ist.  Im 
Kabinett  Lebrun  ist  ein  Bildchen  des  Braunschweiger  Monogram- 
misten als  Q.  Metsys  gestochen  (S.  5).  [In  der  Zwischenzeit  bis  zum 
vorliegenden  Neudruck  ist  die  begründete  Vermutung  geäußert 
worden,  da&  Jan  v.  A  m  s  t  e  1  der  richhge  Name  des  Braun- 
Schweiger  Monogrammisten  sei,  und  zwar  zuerst  durch  Dr.  Gustav 
Glück  in  Thieme  &  Beckers  K.-L] 

Andere  Bemerkungen  über  weniger  auffallende  Bilder  des 
Museo  civico  werden  versdioben,  bis  die  Sammlung  wieder  neu  ge- 
ordnet und  katalogisiert  ist.  Auch  handelte  es  sich  für  uns  nur  um 
einige  Beispiele,  wie  es  audi  in  den  Abschnitten  über  die  Accademia 
und  über  einige  Bilder  in  venetianischen  Kirchen  der  Fall  war. 

Wer  wollte  sich  auch  der  Täuschung  hingeben,  daB  man  in 
einem  Feuilleton  alles  zusammenfassen  könne,  was  die  neuere 
Kunstgeschidite,  insbesondere  die  Gemäldekunde  jefet  über  Venedig, 
diese  einzige  Malerstadt,  zu  sagen  hätte.  Kunstnachrichten,  die 
gegenwärtig  aus  Venedig  kommen,  dürften  aber  eines  doch  nicht 
ganz  übersehen,  und  zwar  die  Tiepolo-Ausstellung,  die 
einige  Wochen  lang  im  Mai  und  Juni  des  laufenden  Jahres  dort  zu 
sehen  war.  Die  „Mostra  Tiepolesca",  wie  sie  offiziell  genannt 
wurde,  bot  viel  Anregung  und  hat  allerlei  beaditenswerte  Bilder  aus 
Privatsammlungen  hervorgelockt.  Die  großen  Deckenbilder  Tiepolo's 
aus  der  „Scuola  dei  Carmini"  (datiert  mit  1744)  waren  bisher  nie- 
mals so  bequem  zu  studieren  wie  hier.  Ein  netter  Katalog  aus 
Molmenti's  Feder  wird  den  meisten  Ausstellungsbesudiern  eine 
freundliche  Erinnerung  an  die  gesehenen  Gemälde  bilden. 

Als  grofee  Anziehungskraft,  wie  etwa  eine  breit  angelegte 
Kunstausstellung  moderner  Werke,  hat  die  Tiepolo-Schau  allerdings 
nicht  gewirkt.  Sie  ist  aber  neben  anderen  ein  erfreuliches  Zeichen 
eines  gewissen  Kunstsinnes,  von  dem  einige  Jahre  lang  in  Venedig 
nicht  allzu  viel  zu  verspüren  war.  Neuerlidi  wird  auch  wieder  mehr 
von  den  Kunstschäfeen  durch  Liditbilder  festgehalten,  so  da&  jemand, 
der  sidi  vor  fünf  bis  sechs  Jahren  schon  an  den  alten  und  veralteten 
Aufnahmen  satt  gesdiaut  hatte  und  ihrer  überdrüssig  geworden  war, 
nunmehr  wieder  viel  Neues  finden  wird,  das  ihn  anregt  und  fördert. 

Immerhin  wird  man  stets  lieber  die  entzückende  Farbenpracht 


66 


der  Originale  auf  sich  wirken  lassen  als  das  stumpie  Grau  in  Grau 
photographischer  Nachbildungen.  Und  die  Reize  der  Originale, 
Bauten,  Skulpturen,  Gemälde  scheinen  in  Venedig  nidit  veralten  zu 
sollen,  wenigstens  nicht  bei  einiger  kosmetischer  Nachhilfe.  Sobald 
sich  wieder  eine  gute  Gelegenheit  darbietet,  reisen  wir  wieder  hin, 
uns  an  den  Herrlichkeiten  der  alten  Venezia  zu  erfreuen.  [Wann 
wird  sich  diese  Gelegenheit  darbieten?   wann?!] 

[Zur  Geschichte  der  Venezianischen  Akademie.  Eines  der 
wichtigsten  Dokumente  für  die  Galerie  ist  die  Handschrift  im 
Archivio  di  Stato:  „Elenco  ed  illustrazioni  delle  pitture  consegnate 
alla  R.  Accademia  di  Belle  arti  in  Venezia  dal  delegato  della 
Corona  per  la  scelta  degli  oggetti  spettanti  all'  Arte  stesse,  giusto 
a  communicazione  di  Sua  Eccellenza  il  Signor  Conte  Senatore 
Intendente  Generale  dei  Beni  della  Corona  6  Febrraio  1811  Nr.  449 
ed  ordini  del  Signor  Direttore  Generale  della  Pubblica  Istruzione 
3  Dicembre  dell'  anno  stesso  Nr.  9365  al  Delegato  medesimo  Pietro 
Edwards"  (mit  langer  Einleitung  von  Edwards  und  einem  Verzeichnis 
der  Bilder,  in  welchem  die  Herkunft  genannt  und  Beschreibungen 
der  Bilder  geboten  werden),  ferner  die  „Atti  dell'  Accademia  di 
Belle  arti  in  Venezia"  von  1808  bis  1847  und  1850  ff.,  sowie  die  ein- 
schlägigen Abschnitte  in  den  Wiener  Hof-  und  Staatsschematismen 
jener  Zeit,  überdies  die  „Discorsi  lette  nella  J.  R.  Accademia  di  belle 
arti  di  Venezia  in  occasione  della  distribuzione  de'  premi  degli  anni 
1812,  1813,  1814,  1815"  (Venedig  1815).  Moschini  „Guida  per  la  citä 
di  Venezia"  (1815),  Bd.  II,  476.  —  Im  allgemeinen  erwähnt  sei  die 
weitverzweigte  Literatur  über  den  Raub  von  Bildern  durch  die  Fran- 
zosen. Daran  knüpft  an  Hormayr's  „Archiv  für  Geschichte",  1827, 
S.  519.  —  Als  eines  der  Hauptwerke  über  die  Accademia  ist  zu 
nennen  Francesco  Zanotto:  „Pinacoteca  della  Imp.  Reg.  Accademia 
Veneta  delle  belle  arh"  (1830).  —  Etwa  zu  beachten  Valery  „Voy- 
ages  en  Italic"  (1831).  Tschischka  „Kunst  und  Altertum  in  dem  öst. 
Kaiserstaate"  (1836),  S.  215.  E.  Paoletti  „II  fiore  de  Venezia",  III.  Bd. 
(1840),  S.  139  ff.  (Passavant  „Aus  Venedig  vom  Verfasser  des 
Naeman",  1853,  S.  148  ff.,  ohne  Quellenangaben.)  Abbe  Migne  „Dic- 
honnaire  des  Musees"  (1855)  schreibt  Valerys  Buch  aus.  Fr.  Zanotto 
„Nuovissima  Guida  di  Venezia"  (1856),  S.  498  ff.,  weit  besser  als 
etwa  A.  Lavice  „Revue  des  Musees  d'Italie"  (1862),  S.  453  ff .  - 
Mehrere   Guiden  und  Reisebüdier  für  Venedig   in   verschiedenen 


ei 


Kultursprachen;  ohne  besondere  Bedeutung.  „L'illustrazione  ita- 
Hana",  1895,  S.  307.  Beilage  der  „Münchener  allgemeinen  Zeitung", 
14.  und  15.  Oktober  1895.  Frimmel  „Geschidite  der  Wiener  Ge- 
mäldesammlungen" IV.  Kapitel  (1901),  zur  Abgabe  von  Gemälden 
aus  Venedig  an  die  Wiener  Akademie,  mit  Literaturangaben,  die 
hier  nidit  wiederholt  werden.  „L'Arte",  1913,  S.  241.  Die  neuesten 
Ereignisse  seit  1914  können  noch  nicht  erörtert  werden.  —  Die  Acca- 
demia  di  belle  arh  wurde  erst  1807  eröffnet,  doch  reicht  ihre  Vor- 
geschichte weit  zurück,  wie  man  aus  Sandrart's  Mitteilungen  (im 
Abschnitt  über  Jan  Lys)  entnehmen  kann  und  wie  es  auch  in  Lanzi 
(und  Quandt)  „Geschichte  der  Malerei  in  Italien"  II  (1831),  S.  242  f. 
angedeutet  ist.  —  über  die  ältere  Farsetti'sche  Akademie  vergleiche 
Moschini  „Della  letteratura  veneziana  del  secolo  XVIII.",  Bd.  III 
(1806),  S.  50.] 


68 


Jacob  Toorcnvlict  als  Wiener  Maler  und  die 
Verteilung  seiner  Arbeiten  in  österreidiisdien 

Galerien/'^ 

Man  pflegt  Jacob  Toorenvliet  mit  Redit  als  einen  ti  o  1 1  ä  n  d  i- 
s  cti  e  n  Maler  zu  beliandeln.  Er  ist  nacti  den  Angaben  von  Bredius 
1635  oder  1636  in  Leyden  geboren  und  ebendort  1719  gestorben.  Wie 
Houbraken  mitteilt,  hat  sidi  Toorenvliet  längere  Zeit  in  Italien  auf- 
getialten,  in  Venedig,  in  Rom.  1686  trat  er  der  Leydener  Gilde  bei, 
in  weldier  er  seitdem  metirmals  urkundlicti  erwätint  ersctieint.  Trofe- 
dem  tiat  es  eine  bestimmte  Bereditigung,  diesen  liolländisctien 
Künstler  in  Zusammentiang  mit  der  Kunstgesctiictite 
Österreichs  zu  bringen.  Denn  Toorenvliet  ist,  wie  die  neuen 
Funde  von  Bredius  in  holländischen  Archiven  angeben,  1676  in 
O  s  t  e  r  r  e  i  ch,  und  zwar  in  W  i  e  n  nachweisbar,  womit  es  wohl  zu- 
sammenhängt, daB  sich  in  süddeutschen,  insbesondere  österreichi- 
schen und  Wiener  Sammlungen  so  viele  Werke  des  Toorenvliet  vor- 
finden. Bei  Namen  ersten  Ranges  erlaubt  die  örtliche  Verteilung 
der  Staffeleibilder  nicht  den  mindesten  Wahrsdieinlichkeitssdilug  auf 
den  Wohnort  des  Künstlers.  Jede  Galerie,  sie  sei  wo  immer  gelegen, 
ist  bestrebt,  sich  mit  Bildern  von  großen  Meistern  zu  schmücken.  Ein 
Raffael,  Dürer,  Holbein,  Rembrandt,  Rubens,  Velasquez,  Murillo  und 
einige  andere  sind  in  der  Verteilung  ihrer  Werke  ganz  international. 
Aber  bei  Malern  mindern  Ranges,  zumal  wenn  ihre  Bilder  noch  in 
altehrwürdigem  Besife  nachweisbar  sind,  so  daß  man  fortgesehte 
weite  Wanderungen  ausschließen  kann,  wird  eine  auffallende  Un- 


*)  Erstdruck  in  den  „Mitteilungen  der  k.  k.  Zentralkommission  für  Erforschung 
und  Erhaltung  der  Kunst-  und  historischen  Denkmale",  Neue  Folge,  Bd.  XIX, 
S.  158  ff.  Die  Arbeit  wurde  wesentlich  erweitert.  Das  alte  Oesterreich  hatte  da- 
mals, als  ich  schrieb,  noch  bestanden.  Heute  ist  davon  vieles,  sehr  vieles,  als 
„Ausland"  zu  verzeichnen. 

69 


gleichmäBigkeit  in  der  Verteilung  ihrer  Werke  zu  Rückschlüssen  auf 
die  Aufenthalte  des  Künstlers  AnlaB  geben  können.  So  steht  es  nun 
auch  mit  den  Gemälden  des  Jacob  Toorenvliet.  Wenn  ich 
zusammenstelle,  was  sich  davon  in  österreichischen  und  was  in 
fremden  Sammlungen  befindet,  so  ist  das  Übergewicht  zweifellos 
auf  Seiten  Österreichs. 

Teils  nach  eigenen  Reisenotizen,  teils  nach  der  Angabe  von 
Katalogen,  vermag  ich  in  au&er-österreichischen  Sammlungen  fol- 
gende Werke  von  Toorenvliet  zu  nennen:  zwei  Sittenbildchen  in  der 
Galerie  zu  Bordeaux,  eines  in  der  Braunschweiger  Galerie 
(alte  Nr.  614,  neue  319),  eines  in  der  Galerie  zu  Darmstadt 
(Nr.  421,  treffliches  Bild  von  1682;  ein  zweites  Bild,  Nr.  422,  wird  ihm 
irrtümlich  zugeschrieben,  stammt  aber  von  einem  späteren  Maler), 
vier  in  der  Dresdener  Galerie  (Nr.  1757  ff.  Nr.  1760  „Bei  der 
Wildhändlerin"  hat  sehr  gelitten,  ist  aber  in  seiner  Benennung  nicht 
anzuzweifeln),  eines  zu  Frankfurt  a.  M.  in  der  Sammlung  E.  S. 
Goldschmidt  (gutes  kräftiges  Werk  von  1676.  Es  waren  zwei  Bild- 
chen dort,  die  übrigens  aus  Wien  hingekommen  und  in  der  Reihe 
ausländischen  Besifees  nur  bedingungsweise  mitzählen),  eines  in  der 
herzoglichen  Gemäldesammlung  zu  G  o  t  h  a  (Nr.  254,  Halbfigur  eines 
Greises  von  1679),  eines  in  Hamburg  bei  Konsul  Weber  (eines  der 
Hauptbilder:  Ein  Büdhauer  in  seinem  Atelier.  Das  Bild  stammt  aus 
Wien  und  war  1883  dort  beim  Kunsthändler  Hirschler  zu  sehen. 
Weber  behielt  das  Bild  nur  etwa  10  Jahre  lang.  Es  ist  als  Wiener 
Erwerbung  von  1883  im  Verzeichnis  von  1892  beschrieben,  fehlt  aber 
in  den  späteren  Katalogen),  zwei  in  Hannover  (dem  Toorenvliet 
zugeschrieben),  zwei  in  Karlsruhe  (Nr.  271,  alt  533;  die  Spinnerin 
von  1667,  längst  richtig  benannt.  Außerdem  unter  der  verfehlten  Be- 
nennung Sorgh  ein  Bildchen:  Fischer  mit  Lachsschnitten,  Nr.  255, 
alt  516),  eines  (angeblich  von  Toorenvliet)  in  Osnabrüd<  beim 
Präsidenten  Stüve  (früher  in  Berlin),  zwei  in  Pommersfelden 
(neue  Nr.  577  und  578),  eines  in  S  ch  l  e  i  B  h  e  i  m  (Nr.  476,  alt  852), 
eines  in  S  ch  w  e  r  i  n  (Nr.  1040  vielleicht  von  Toorenvliet,  nicht  aber 
Nr.  1041),  eines  in  der  königlidien  Galerie  zu  Stockholm  (Nr.  661), 
eines  in  der  Universitätsgalerie  ebendort  (Nr.  132),  endlich  fünf  in 
Wiesentheid  (Nr.  575,  ein  Hauptbild  Kalt-und-warm-Bläser  und 
vier  kleine  Sittenbilder).  Von  einem  Bilde  des  Toorenvliet,  das  noch 
vor  einigen  Jahren  (es  war  bis  1890  dort:  Junger  Mann  umarmt  eine 

70 


Magd)  in  der  Sammlung  Menke  zu  Antwerpen  zu  finden  war, 
wei&  ich  den  gegenwärtigen  Aufbewatirungsort  nictit  anzugeben. 
Dasselbe  gilt  von  einem  Toorenvliet,  der  1893  auf  einer  Oemälde- 
versteigerung  in  C  ö  1  n  aufgetaudit  war. 

[Als  Nachtrag  zu  dieser  Liste,  die  vorläufig  die  alten  Samm- 
lungen bis  ungefähr  1850  ausschlieft,  wird  folgendes  geboten:  Im 
Ryksmuseum  zu  Amsterdam  zwei  spätere  Erwerbungen,  und 
zwar:  Die  Musiklektion,  die  aus  der  holländischen  Sammlung 
Gysbert  de  Clergue  stammt,  seit  1902  im  Ryksmuseum,  und  das  Bild- 
nis des  Carel  Quina  (im  Hintergrund  die  Peterskirche  in  Rom)  aus 
Amersfoort  stammend,  seit  1907  im  Ryksmuseum.  1895  kam  in  der 
Vente  Houk  in  Amsterdam  vor:  „le  buveur"  von  Toorenvliet. 

Ein  weiterer  Toorenvliet  kam  vor  1903  zu  Amsterdam  in  der 
Versteigerung  Insinger  van  Loon.  Ein  weiteres  (Bildhauer  in  seiner 
Werkstatt  an  einer  Marmorbüste  arbeitend;  ein  Jüngling  kommt  von 
links  herbei.  Signiert  „J  Toorenvliet  Fe",  gegen  1/2  Meter  hoch) 
wurde  1899  aus  Amsterdam  durch  den  älteren  Gondsticker  nach 
Prag  gebracht.  Es  ist  wohl  das  Bild,  das  vorher  bei  Konsul  Weber 
in  Hamburg  gewesen,  das  also  weiter  zurück  doch  aus  Wien 
stammt  (siebe  oben)  wurde  bei  der  Auktion  Schönlank  Nr.  189  als 
Toorenvliet  geführt. 

In  B  e  r  I  i  n  war  1914  bei  Lepke's  Versteigerung  vom  24.  Februar 
ein  signiertes  Bild,  das  im  Verzeichnis  abgebildet  ist  (Nr.  139).  — 
1917  in  Berlin  auf  der  Versteigerung  Kolasinski  waren  dem  Tooren- 
vliet zwei  kleine  Philosophenbilder  zugeschrieben. 

In  Bremen  ein  überaus  nettes  Bildchen  in  der  Kunsthalle 
(Nr.  245).  Ich  habe  es  schon  im  Frühling  1913  als  Werk  des  Tooren- 
vliet erkannt.  (Rundbilddien:  Raucher  mit  Weinglas.  Auf  Eiche.)  Bis 
dahin  galt  es  als  Werk  eines  Unbekannten.  Meine  Benennung  wurde 
1914  durch  Bredius  bestätigt. 

1915  in  der  59.  Auktion  bei  Creufeer  in  Aachen  wurde  ein 
mittelgroges  Leinwandbild  ausgeboten,  das  rechts  angeblich  mit 
„G  Toorenvliet  1675"  bezeichnet  war.  Darstellung:  ein  Jägerbursche. 
(Der  Buchstabe  G  wohl  verlesen.) 

Nach  Mitteilung  Dr.  De  Groot  befand  sich  1896  i  m  H  a  a  g  in  der 
Sammlung  Ruyssenaer  ein  Toorenvliet.^s) 


75)  In  jenem  Jahr  teilte  mir  Dr.  De  Groot  mit,  daß  Toorenvliets  in  Holland 
sehr  selten  sind. 

71 


Nachzutragen  sind  ferner  aus  der  Georgsgalerie  in  Han- 
nover ein  kleines  Holzbild  (22  x  ^7)  mit  lesender  alter  Frau.  In 
der  Auktion  zu  Köln  vom  Dezember  1896  nur  eine  Zuschreibung. 

Kopentiagen  die  Halbfigur  eines  Trinkers.  Das  vorziig- 
lidie  Bildchen  (anbei  abgebildet)  befindet  sich  in  der  Galerie 
Moltke. 

Aus  dem  Besife  des  Dr.  Alfr.  Beck  in  Leipzig  war  1889 
ebendort  ein  Toorenvliet  ausgestellt. 

Mailand  im  Museo  Poldi-Pezzoli  ein  kleiner,  riditig  be- 
nannter Toorenvliet:  Vorgebeugter  Mann  mit  schwarzem  Hut.  [Wurde 
vor  Jahren  gestohlen.  Dazu  Seemanns  Kunstchronik  N.  F.  XII,  Nr.  4, 
Sp.  62.   —    Weitere  Sdiicksale  mir  unbekannt.] 

München  in  der  Versteigerung  Hoch  von  1892  zwei  Werke 
von  1666. 

Paris  in  der  namenlosen  Versteigerung  vom  6.  und  7.  Februar 
im  Hotel  Drouot  „Les  Buveurs"  (40  X  32)  860  Fr.  („Le  Journal  des 
arts",  Februar  1907.) 

Riga  im  Museum  zwei  signierte  Bilder  (Nr.  217  und  218  der 
städtischen  Sammlung:  Sdilachtfest  und  Knabe  mit  Budi.  Vergl.  audi 
Zeitschrift  für  bildende  Kunst  1900,  XI,  S.  265.) 

S  dl  1  e  i  6  h  e  i  m  Nr.  476  (821)  Knaben  auf  dem  Vogelfang. 

S  ch  w  e  r  i  n  :  Der  Raucher.  [Abbildung  in  Nörings  Lichtdrud<-' 
Veröffentlichung,  Lief.  IV.] 

Venedig  im  Museo  Correr  zwei  kleine  Kupferbilder  Nr.  67 
und  68,  eines  mit  den  Resten  einer  echten  Signatur.  (Jurist  und 
dessen  Frau.) 

Vergleichen  wir  mit  dieser  Liste  von  29  [bzw.  51,  nicht  mit- 
geredinet die  Bilder,  die  nachweislidi  aus  Wien  stammen]  Gemälden 
die  folgende  Zusammenstellung,  die  aus  östereidiisdien 
Sammlungen  gewonnen  wird. 

Im  landgräflich  Fürstenberg'sdien  Sdilosse  zu  Enns  fand  ich 
vor  mehreren  Jahren  eines  der  Hauptbilder  des  Toorenvliet:  Kessel- 
flid<er  und  Magd  von  1669.^^)  Ebendort  dürfte  auch  eine  Marktszene 
von  unserem  Meister  gewesen  sein. 


76)  Beschrieben  in  Lützow  Seemann's  Kunstchronik  N.  F.  II.  Nr.  17.  Ver^ 
auch  meine  Kleinen  Galeriestudien  Heft  II  der  N.  F.  Seite  9. 

71 


Jakob  Toorenvliet :  Der  Trinker  (Galerie  Moltke  in  Kopenhagen).  —  Nach  def- 
Photographie  von  Hansen  &  Weller  in  Kopenhagen. 


In  G  r  a  z  bei  Dr.  Max  Schüler  befindet  sich  ein  weiteres  Haupt- 
bild von  Toorenvhet,  das  angebHch  den  Maler  selbst  und  seine  mit- 
gliederreiche Familie  zur  Darstellung  bringt.  Es  ist  ein  großes  Breit- 
bild (etwa  1.3  m  breit),  das  den  Namen  des  Künstlers  und  die  beiden 
Jahreszahlen  1687  und  1694  aufweist.  Dem  Gesichte  nach  zu  urteilen 
müBte  der  Maler  etwa  50  Jahre  alt  gewesen  sein,  als  er  sich  hier 
darstellte.  [Seither  versteigert  1909  durch  Wawra  in  Wien.  Brachte 
2100  Kronen.] 

Im  Bruckenthal'schen  Museum  zu  Hermannstadt  befindet 
sich  ein  kleines  Bildnis,  das  die  Jahreszahl  1668  trägt. 7^) 

Zwei  echte  Bildchen  im  Ferdinandeum  zu  I  n  n  s  b  r  u  ck  (Nr.  631 
Hühnerhändlerin  und  Nr.  632  Melonenverkäufer,  beide  vom  Jahre 
1669.78) 

In  der  Landes-Galerie  zu  Pest  (jefet  Museum  der  bildenden 
Künste  zu  Budapest)  ist  Nr.  345  (die  kranke  Frau)  vielleicht  als 
Toorenvliet  anzuerkennen,  dagegen  dürfte  Nr.  331  (Bauernmusik) 
doch  wohl  von  anderer  Hand  sein. 7^) 

Zu  Prag  findet  man  im  Rudolphinum  vier  gute  sichere 
Werke  des  Toorenvliet,  von  denen  zwei  das  Datum  1675  tragen 
(Nr.  690ff.).8o)  Ebendort  besifet  Herr  Fabrikant  J.  V.  Noväk  ein 
Sittenbildchen,  das  zwar  nicht  signiert  ist,  aber  in  jedem  Strich  die 
Weise  unseres  Künstlers  verrät.  Dargestellt  ist  eine  junge  Gemüse- 
händlerin, weldie  die  Liebkosungen  eines  alten  Nachbars  entgegen- 
nimmt. Auf  Kupfer.  (Aus  der  Sammlung  des  Barons  Steinife.  Ver- 
gleiche „Chronique  des  arts  et  de  la  curiositee"  1893,  S.  3,  und  den 
gedruckten  Katalog  der  Galerie  Noväk.) 

In  Wien  besibi  die  kaiserlidie  Galerie  ein  Werk  des 
Künstlers.81)  Die  fürstlich  L  i  e  ch  t  e  n  s  t  e  i  n'sche  Sammlung  ent- 
hält nicht  weniger  als  acht  Bilder  von  Toorenvliet,  die  gräflidi 
Cz  er  ni  n'sche  Galerie  zwei  Gemälde  (Nr.  213  und  214,  beide  von 


77)  Hiezu  meine  Kleinen  Galeriestudien,  Heft  I  der  N.  F.  Seite  42  und  den 
Katalog  der  Galerie. 

78)  Vergl,  hiezu  M.  Semper:  „Die  Gemäldesammlung  des  Ferdinandeums  in 
Innsbruck",  S.  57  und  den  Galeriekatalog. 

79)  Hiezu  meine  Kleinen  Galeriestudien,  Band  I,  S.  161  und  N.  F.  Heft  I, 
S.  43. 

80)  Vergl.  hiezu  den  Katalog  der  Galerie  des  Rudolphinums. 

81)  Hiezu  Kleine  Galeriestudien  ,,Von  den  Niederländern  in  der  kaiserlichen 
Gemäldesammlung  zu  Wien".  Das  Bildchen  stammt  wohl  aus  der  Sammlung 
Wrschowetz. 

73 


1667),  die  gräflich  S  ch  ö  n  b  o  r  n  -  B  u  ch  h  e  i  m'sche  eines  (Nr.  59, 
„Ein  Mann  mit  Fischen").  Hier  in  Wien  halte  ich  ferner  ein  ziemlich 
großes  Breitbild  mit  einer  figurenreichen  Darstellung  aus  dem  hol- 
ländischen Bauernleben  in  der  Sammlung  J.  V.  K  1  a  r  w  i  1 1  für  ein 
treffliches,  kerniges  Werk  des  Toorenvliet.  Die  besonderen  Quali- 
täten des  Bildes  haben  es  offenbar  veranlaBt,  daB  einmal  bei  Ge- 
legenheit eines  Verkaufes  der  Name  Jan  Steen  auf  das  Bild  ge- 
schrieben worden  ist,  der  noch  bis  in  neuere  Zeit  dem  erwähnten 
Gemälde  beigelegt  wurde.  Abbildung  und  Besprechung  in  „Blätter 
für  Gemäldekunde"  Bd.  II,  S.  11.)  Ebenso  hielt  ich  vor  mehreren 
Jahren  eine  Bauernhodizeit  (wohl  auch  Ehekontrakt)  der  Sammlung 
Kropf-Strache  für  eine  Arbeit  des  Toorenvliet.  Bis  vor 
wenigen  Jahren  [seither  sind  es  viele  geworden]  hat  hier  in  Wien 
Frau  von  Lahousen  einen  netten  Toorenvliet  (Gemüsehändler 
und  seine  Frau)  besessen,  der  seither  verkauft  worden  ist.  Dieses 
Bildchen  stammt  aus  der  Jage  r'schen  Familie,  die  in  der  Geschichte 
der  Wiener  Sammlungen  einen  bekannten  Namen  hat. 

[Für  diese  Gruppe  von  Werken  Toorenvliets  innerhalb  des 
alten  Osterreich  kommen  noch  viele  andere  in  Frage,  die  in 
meiner  ersten  Arbeit  übersehen  worden.  Es  sind  folgende:  Zu 
Wien  in  der  Galerie  des  Schottenstiftes  zwei  kleine  signierte 
Philosophenbilder  von  1677  und  1679  (damals  war  T.  in  Wien  tätig.) 
-—  In  der  Sammlung  Professor  Polifeer  befand  sich  ein  kleiner 
Toorenvliet.  —  1883  verzeidinete  der  Versteigerungskatalog  Rosen- 
berg in  Wien  ein  mittelgroBes  Breitbild  mit  vier  Figuren:  Konzert 
(Nr.  354),  das  damals  an  Wilhelm  Ritter  von  Gutmann  gelangt  sein 
soll.  —  In  der  Wiener  Galerie  Winter-Stummer  befand  sich  Jahr- 
zehnte lang  ein  signierter  Toorenvliet:  Der  Zauberer  von  1667  (be- 
schrieben im  gedruckten  Verzeichnis).  —  Weitere  Bilder  kamen 
dann  vor  in  den  Wiener  Versteigerungen  Krocker  Nr.  2487,  Strache 
Nr.  117  (Küchenmagd  von  einem  Manne  liebkost  —  ging  an  Posonyi 
um  32  fl.,  und  Eine  Eierverkäuferin;  kleine  Bilder)  und  Bossi  Nr.  239. 
—  In  der  Stiftgalerie  zu  St.  Florian  zwei  gute  Toorenvliet  Nr.  19 
und  20,  je  eine  Halbfigur  (alte  Frau  mit  Flasche  und  alter  Mann  mit 
Pfeifchen,  Gegenstücke,  Kupfer).  -—  In  Graz,  Landesgalerie:  An- 
tonius der  Einsiedler  (früher  bei  Baronin  Benedeck).  —  Ein  ver- 
dorbenes Bildchen,  wieder  mit  einem  Antonius  Eremita,  auf  weidiem 
Holz  gehörte  bis  1895  dem  Schriftsteller  Georg  Haas  in  G  1  o  g  g  n  i  fe. 


74 


—  Eine  Kopie,  oder  ein  stark  mitgenommenes  Original,  wurde  notiert 
in  der  Stiftsammlung  zu  Seitenstetten.  —  Ein  Bildctien  von 
T.,  das  vor  jatiren  aus  der  Troppauer  Gegend  nadi  Wien  kam, 
wurde  mir  durdi  Herrn  Oberleutnant  Rud.  Fiedler  vorgewiesen.  — 
Ein  Toorenvliet,  der  in  Italien  gemalt  sein  muB,  befand  sicti  im 
SctiloB  W  i  s  o  w  i  b  in  Mähren  (erwätint  in  „Blätter  für  Gemälde- 
kunde" Bd.  IV,  Heft  7,  S.  147:  Fünf  italienisdic  Landleute  in  der 
Nätie  der  Meeresküste).  —  Bis  in  die  neueste  Zeit  in  Wien  bei 
Sektionsctief  Brauntiof  ein  ectiter  Toorenvliet  mit  falsctier  Signatur. 

—  Bei  Dr.  Leon  Lilienfeld  ein  signiertes  Bildctien:  Sifeender  Mann 
links,  Frau  mit  Spinnrod<en  rectits  und  im  Mittelgrund  zwei  Neben- 
figuren (Lwd.  Hötie  46.5,  Breite  35  cm).  Es  ist  besprodien  und  ab- 
gebildet bei  G.  Glück  in  „Niederländisdie  Gemälde  aus  der  Samm- 
lung Dr.  Leon  Lilienfeld  in  Wien"  (1917,  S.  32  f.).  -  Im  Sommer  1917 
sali  idi  beim  Zatmtechniker  Burjas  in  Wien  zwei  gute  kleine 
Toorenvliet  mit  je  einem  jüdisdien  Schriftgeletirten  (Kupfer,  je 
21  X  16).  Diese  Bilddien  gelangten  damals  in  die  Wiener  Samm- 
lung B  . 

Vor  Jatiren  kamen  aus  der  Sammlung  Dr.  Gottheit  Meyer  zwei 
kleine  gute  Toorenvliet  (je  eine  Halbfigur  Magd  und  Köchin  aus 
den  Jahren  1675  und  1676,  Kupferbildchen)  zum  Bankier  Goldschmidt 
nach  Frankfurt  a.  M.  Sie  sind  oben  als  Frankfurter  Besib  erwähnt, 
zählen  aber  zum  älteren  Wiener  Besife. 

In  neuerer  Zeit  kamen  auch  vor:  Im  Dorotheum  1903  ein  kleines 
Kupferbild:  Junger  Mann,  an  einem  Tisch  sibend.  Hält  Tonpfeifchen 
und  Glas.  Links  oben  Reste  der  Signatur.  —  Im  Oktober  1912  im 
österr.  Kunstverein  ein  verhältnismäßig  großes  Bild:  Die  lustigen 
Zecher  (Lwd.  H.  50,  Br.  41  cm).  —  1914  in  der  Wiener  Auktion 
„Alpens"  vom  April  eine  sehr  gute  Anbetung  durch  die  Hirten,  die 
unbegreiflicher  Weise  als  Seb.  Bourdon  verzeichnet  war.  —  1910  bei 
der  Versteigerung  AI.  Helfert  im  Dorotheum  ein  Alchimist  von  1684 
auf  Kupfer.  Signiert  und  datiert.  (Ohne  Abmessungen.)  —  Im  März 
1918  im  Dorotheum  Nr.  273  eine  schwache  Arbeit,  wohl  alte  Kopie: 
Versuchung  des  heiligen  Antonius.  —  1919  im  Wiener  Privatbesi^: 
Trinker  mit  Römerglas.  Die  Linke  befriedigt  auf  die  Magengegend 
gelegt  (Eiche.  Hö.  24.5,  Br.  19.5  cm);  dürfte  ein  späteres  Werk  sein. 

—  Bald  danach  im  Antiquitätenladen  Paula  Wallentin  die  Halbfigur 
einer  drallen  jungen  Köchin  (kleines  Hochbild,  signiert  und  datiert 


75 


mit  1670  rechts  oben).  —  Im  Dezember  1919  im  Dorottieum  Kupfer- 
bild: Geisterbesdiwörer.  Edit  signiert,  Datum  verwisctit.  Auf  einem 
Sctiädel  lint<s  vorn  stetit  „SIC  ERIS  ET  TV"  (So  wirst  aucti  Du  sein). 
Frühe  Arbeit,  noch  nahe  der  Leydener  Zeit  des  Künstlers.  —  Bei 
Schidlof  im  Oktober  1919  ein  Kesselflicker  mit  Toorenvliets  Signatur 
und  der  Jahreszahl  1669.  Vorzügliches  Werk,  etwas  größer  als  die 
meisten  übrigen;  vielleicht  dasselbe  Bild  von  1669,  das  sich  vor 
vielen  Jahren  im  Schloß  zu  Enns  befunden  hat.  Es  beweist  nach  den 
Typen  und  der  Malweise,  da&  das  Gemälde  bei  Klarwill  wirklich  von 
Toorenvliet  ist.  Denselben  Beweis  könnte  auch  das  folgende  Werk 
erbringen,  das  im  Februar  1920  bei  Schidlof  zum  Vorschein  kam: 
„Beim  Zauberer"  bzw.  Taschenspieler  {Breitbild  mit  5  Personen, 
signiert).  —  Aus  ungefähr  derselben  Zeit,  also  um  1669  fallend,  mu& 
ein  kleines  Werk  stammen,  ein  Sittenbild  aus  den  niederen  Kreisen, 
das  ich  vor  Jahren  bei  Alex.  Fleischner  kennen  gelernt  habe. 

Dies  sind  zusammen  27  [bzw.  58]  Werke  des  Toorenvliet,  also 
fast  eben  so  viele,  ja  mehr,  als  wir  sie  zusammen  in  Deutschland, 
Frankreich,  Schweden  und  den  Niederlanden  haben  auffinden 
können.  In  den  Sammlungen  Italiens,  Rußlands,  Englands,  Spaniens 
kennt  man,  wenn  ich  nicht  irre,  überhaupt  keine  Werke  von  unserem 
Maler;  dagegen  entfallen  auf  Wien  allein  vierzehn  [bzw.  mehr 
als  zwanzig],  wovon  die  meisten  vollkommen  in  ihrer  Benennung  ge- 
sichert. Lä&t  man  es  überhaupt  gelten,  da&  in  unserem  Falle  den 
Zahlen  eine  gewisse  Bedeutung  zukommt,  so  wird  man  die  gro&e 
Anzahl  der  Toorenvliets  in  Wien  wohl  mit  dem  Aufenthalte  des 
Künstlers  in  der  alten  Kaiserstadt  in  Verbindung  bringen.  1676  war 
Toorenvliet  in  Wien,  vielleicht  auch  einige  Jahre  vorher  und  danach. 
(Neue  Angaben  hiezu  in  „Oud  Holland"  XXII,  Heft  3  und  XXV,  S.  12, 
und  den  „Blättern  für  Gemäldekunde"  IV,  S.  41  f.  Audi  die  jüngeren 
Maler  Toorenvliet  waren  in  Wien  tätig.)  Er  wird  hier  Verbindungen 
mit  den  Reichen  und  Mächtigen  eingegangen  sein,  die  ihm  vielleicht 
auch  noch  Bestellungen  verschafft  haben,  als  er  schon  wieder  in 
seine  holländische  Heimat  zurückgekehrt  war.  Warum  sind  nun 
gegenwärtig  in  Holland  so  gut  wie  keine  Werke  seiner  Hand  mehr 
erhalten?  In  Holland  dürfte  Toorenvliet  doch  ungleich  länger  wirk- 
sam gewesen  sein,  als  in  Osterreich.  Der  sdieinbare  Widerspruch 
löst  sich,  wenn  man  sidi  gegenwärtig  hält,  wie  riesig  in  Holland 
schon  seit  dem  17.  Jahrhundert  die  Ausfuhr  an  Bildern  war  und  wie 


le 


sich  Wien  die  längste  Zeit  metir  aufnetimend  in  Bezug  auf  Gemälde 
vertialten  tiat  und  wie  es  verhältnismäßig  spät  in  den  großen  Bilder- 
handel eingetreten  ist.  Amsterdam,  Paris,  London  sind  in  ihrem 
Gemäldehandel  gegen  Wien  um  ie  viele  Jahrzehnte  voraus.*^^)  Ehe- 
dem hat  es  in  holländischen  Sammlungen  sehr  viele  Toorenvliets 
gegeben.  Die  Hoet'sche  Katalogsammlung  liefert  dafür  den  Beweis. 
Im  ersten  Bande  (der  kein  Register  hat)  fand  ich  zum  Beispiel  als 
Bestandteile  einer  Amsterdamer  Versteigerung  von  1687  mehrere 
Bilder  des  Toorenvliet  verzeichnet:  Eine  Häringverkäuferin,  einen 
Doktor,  ein  Porträt,  einen  Zahnzieher  und  ein  zweifiguriges  Bild. 
Toorenvliet's  Name  kommt  auch  in  einem  Amsterdamer  Verzeichnis 
von  1695  vor,  dann  wieder  in  einem  von  1696  und  einem  von  1699 
(Nr.  45,  eine  Bauernhochzeit).  1707  gab  es,  wieder  zu  Amsterdam, 
einen  italienischen  Zahnzieher  von  Jacob  Toorenvliet  zu  kaufen, 
1708  ebendort  einen  Bohnenkönig  von  ihm.  1715  wurde  zu  Hoorn 
ein  betlehemitischer  Kindermord  feilgeboten,  1716  in  Amsterdam  ein 
Hauptbild  („een  capitael  stuck")  mit  einer  fröhlichen  Gesellschaft 
und  noch  zwei  Bilder  heitern  Inhalts.  Ich  gebe  nur  einige  Proben 
und  deute  nur  an,  daß  gelegentlich  auch  biblische  Darstellungen  von 
Toorenvliet  verzeichnet  werden,  wie  zwei  alttestamentlidie  Bilder 
1750  in  Leyden.  (Hoet  II,  S.  286.)  Meist  sind  es  allerdings  Sitten- 
bilder, die  uns  in  den  alten  Verzeichnissen  begegnen.  1754  wurde 
aus  dem  Nachlasse  Govaert  Flinks  zu  Rotterdam  verkauft:  „een 
groenwyf  en  boer,  die  haar  om  den  hals  vat,  vrolyk  van  couleur  en 
fraay  geschildert,  door  Jacob  Toorenvliet,  hoog  11,  breet  81/2  dui- 
men",  und  ein  Gegenstück  dazu  (zu  deutsch:  Eine  Gemüsefrau  und 
ein  Bauer,  der  sie  um  den  Hals  faßt,  von  fröhlicher  Färbung  und 
schön  gemalt  von  Jacob  Toorenvliet,  hoch  11",  breit  81/2").  Ein  Bild- 
chen desselben  Inhalts  ist  oben  als  Bestandteil  der  Noväk'schen 
Sammlung  bekannt  geworden.^^) 

Außerhalb  Österreichs  haben  sich  ehedem  noch  mehrere  andere 
Bilder  von  Toorenvliet  befunden,  so  z.  B.  gegen  1800  in  Brüssel 
„Une  compagnie  joyeuse",  aufgezählt  bei  Burtin  im  „Catalogue  de 
tableaux,  vendus  ä  Bruxelles  depuis  l'annee  1773"  (Abmessungen 


82)  Vergl.  hiezu  meinen  Artikel:  „Zur  Geschichte  der  Gemäldesammlungen 
in  Wien"  in  der  Münchener  allgemeinen  Zeitung  vom  11.  und  12,  März  1895. 

83)  Vergl.  Hoetl,  Seite  7  f.,  10,  30,  39,  46,  109,  130,  181,  198  ff.,  245,  298, 
342,  505,  569  und  Band  II  und  III  nach  Register. 

77 


nicht  bekannt).  —  In  G  e  n  t  befand  sidi  auf  der  Versteigerung  M.  van 
Rotterdam  1835  als  Nr.  33  ein  Toorenvliet  „Diverses  personnes 
assieses  ä  une  table  placee  devant  une  maison  rustique:  sur  la 
fable  se  trouvent  les  restes  d'un  repas"  (H.  48,  Br.  40  cm).  —  Zu 
Köln  in  der  alten  Weyer'sdien  Versteigerung  „Dentiste  de  pay 
sans"  (Lwd.,  14  Zoll  ti.,  20"  br.).  -  In  P  a  r  i  s  wurde  1777  im  Katalog 
der  Versteigerung  Randon  de  Boisset  als  Nr.  133  verzeidinet  von 
„Tourne-Uliet"  „une  diambre  dans  laquelle  sont  une  femme  assise 
tenant  une  bouteille  un  homme  qui  tient  sa  pipe  et  un  verre  dans 
ses  mains,  un  tonneau  leurs  sert  de  table;  sur  un  plan  plus  eloigne 
on  appergoit  deux  autres  tiommes"  (auf  Holz,  tiocti  16  franz.  Zoll, 
breit  12"  6'"). 

Warum  in  Italien,  wo  Toorenvliet  sidier  metirere  jatire  verbractit 
hat  —  er  war  ja  Mitglied  der  Sdiilderbent  in  Rom  —  fast  keine 
Arbeiten  von  ihm  aufzufinden  sind,  ist  sdiwieriger  zu  erklären.  Sei 
es,  da&  auch  hier  die  schwunghafte  Ausfuhr  von  Bildern  die  ehedem 
vorhandenen  Werke  Toorenvliet's  verschwinden  gemacht  hat,  sei  es, 
daB  die  Arbeiten  aus  der  Jugendzeit  des  Künstlers  nicht  richtig  er- 
kannt sind,  oder  dag  er  deren  überhaupt  in  Italien  nur  sehr  wenige 
geschaffen  oder  zurückgelassen  hat,  jedenfalls  müssen  wir  uns  die 
Tatsache  klar  machen,  dag  an  auffallenden  Stellen  in  Italien  keine 
Toorenvliet's  vorhanden  sind,  die  leicht  zu  erkennen  wären. 

Einen  ähnlidien  Oberblick,  wie  wir  ihn  oben  rasch  über  die 
Toorenvliet's  der  alten  holländischen  Sammlungen  erreichen  konn- 
ten, vermögen  wir  heute  über  die  Werke  unseres  Künstlers,  soweit 
sie  in  alten  österreidiischen  Galerien  vorhanden  waren,  nicht 
so  leicht  zu  gewinnen.  Die  alten  Kataloge  sind  gar  selten  geworden, 
und  Neudrucke,  wie  bei  Hoet  oder  anderswo,  gibt  es  noch  nidit.  Die 
Ausbeute,  die  ich  mühsam  gewonnen  habe,  ist  demnadi  ziemlich 
spärlich.  Im  alten  Inventar  der  Wrsdioweb'schen  Galerie  in  Prag 
werden  zwei  Toorenvliet's  verzeidinet:  Nr.  38  ein  Mefeger  und  Nr.  75 
Sänger  und  Sängerin.84)  In  Brunn  war  1825  ein  Toorenvliet  beim 
Landrate   Eberl.    Ebendort  besassen   V.   Gerschbauer  und  Doktor 


8^)  Dieses  Inventar  wurde  durch  mich  vor  einigen  Jahren  in  den  Mitteilungen 
der  k.  k.  Zentral-Kommission  veröffentlicht.  Toman  deutet  im  Repertorium  für  Kunst- 
wissenschaft X,  Seite  16,  an,  daß  der  Name  Toorenvliet  auch  im  gedruckten 
Verzeichnis  der  Sammlung  Wrschowetz  vorkommt. 

78 


Sdilosser  Werke  unseres  Künstlers. ^•'^)  (Nach  Simon  Schneider: 
„Briinn"  besafj  Herr  S.  Koppy  zu  Kumrowife  bei  Brunn  gegen  1820 
mehrere  Bilder  von  Toorenvliet.) 

In  Raab  beim  Grafen  Burghaus  ein  kleiner  Toorenvliet  von 
Hochformat,  der  gegen  1769  durch  den  Wiener  Karl  Pechwill  in  der 
GröBe  des  Vorbildes  gestochen  wurde  (Die  junge  Eierhändlerin  und 
der  alte  Versucher,  gen.  „la  vieillesse  amoureuse").  Im  ältesten 
Inventar  Esterhazy  von  1669  kommt  schon  ein  Toorenvliet  vor 
(freundliche  Mitteilung  des  Herrn  Dr.  Meiler). 

In  alten  Wiener  Sammlungen  sind  u.  a.  nachzuweisen  zwei 
Brustbilder,  Mann  und  Frau,  beim  Hofkriegsrat  v.  Hauern  (dazu  mein 
Lexikon  der  Wiener  Gemäldesammlungen  Bd.  II).  Im  ältesten  In- 
ventar der  Wiener  Schönborn-Galerie  kommen  vor:  „Vier  Kopff 
Bruststuck  vom  Dornflied".  Gegen  1813  in  der  Wiener  Galerie  Truch- 
seB-Wurzach  von  „Jakob  Toorenvliet:  Eine  Frau  mit  den  Licht  in  der 
Hand".  Bei  Fred.  J.  Foster  in  der  Zeit  vor  1830  ein  nicht  näher  be- 
zeichneter Toorenvliet,  der  mit  anderen  Bildern  am  18.  Februar  1830 
die  Erlaubnis  zur  Ausfuhr  aus  Wien  erhielt  (Archiv  der  Akademie 
der  bildenden  Künste).  In  einer  namenlosen  Wiener  Versteigerung 
von  1822  waren  Nr,  9  und  9  a  von  Toorenvliet.  1823  in  der  Versteige- 
rung Hauschka  zwei  Kupferbilder:  Ein  Flötenspieler  und  Ein  Geiger 
(dazu  das  gen.  Lexikon  der  Wiener  Gemäldesammlungen,  Bd.  II). 
1829  im  Katalog  Kaunib  „Das  Porträt  eines  alten  Mannes"  Nr.  26. 
1832  in  der  Sammlung  Soriot  de  l'Host  Nr.  127  „1  Toorenvliet  Che- 
miker". Später  noch  Toorenvliet's  bei  Hofbauer  (dazu  das  erwähnte 
Lexikon  Bd.  II). 

Das  Inventar  der  ältesten  Jäger'schen  Galerie  verzeichnet  eben- 
falls zwei  Werke  des  Toorenvliet:  Nr.  63  „Bauer  und  Bäuerin"  und 
Nr.  101  „Conversation"86) 

Zahlreiche  Bilder  von  unserem  Maler  finden  sich  1814  im  Ver- 
zeichnis der  Sammlung  Padiner  von  Eggenstorf  angeführt:  Nr.  190 
und  191,  je  „ein  Koch  mit  verschiedenem  Küchengeräte",  hoch 
t'41/2",  breit  1'2V2",  Nr.  226  und  227  zwei  „Bauernstücl<e",  Nr.  267 
und  268  „zwey  Conversationen",  Nr.  548  „zwey  Figuren  mit  einem 


85)  Vergl.  Berichte  und  Mitteilungen  des  Wiener  Altertumsvereines  von  1895 
(Band  XXIX). 

86)  Nach  Hormayr's  Archiv  von  1825,  S.  670  und  688,  Anm. 

79 


Hunde",  hoch  ru/s",  breit  8^^//',  Nr.  774  und  775  „Ein  betrunkener 
Silen'  'und  „Ein  lesendes  Weib",  hoch  9",  breit  7". 

So  mager  auch  diese  Ausbeute  aus  alten  österreichischen 
Sammlungsverzeichnissen  sein  mag,  ist  sie  doch  immerhin  lehrreich, 
da  sie  wieder  mit  einer  verhältnismäßig  großen  Zahl  auf  Wien 
hinweist. 

Die  Verteilung  der  Zeichnungen  Toorenvliet's  läßt  sich 
schwer  überblicken,  wenigstens  mit  dem  Material,  das  mir  vorliegt. 
Ich  kenne  nur  zwei  Rötelzeichnungen  im  Museum  zu  Weimar  (weib- 
liche Bildnisse)  und  einige  sichere  Blätter  in  der  Alberhna  zu  Wien: 
1.  Mädchen  vor  einem  Musikheft,  tlalbfigur;  2.  Der  Liebesantrag, 
zwei  Halbfiguren;  3.  Die  Magd,  die  sidi  schlafend  stellt,  links  ein 
Beobachter;  die  Signatur  ist  etwas  übergangen;  4.  Die  Magd  und 
der  lüsterne  Hausherr,  links  ihr  Geliebter;  Knieestück.  —  Eine  Zeich- 
nung: Ganzfigur  eines  Herrn,  erwähnt  im  „Cicerone"  von  1917, 
S.  211.  —  überdies  wurden  angemerkt  eine  Zeichnung  im  Louvre 
(Reiset  Nr.  594)  gilt  als  Selbstbildnis,  ein  signiertes  Blatt  von  1666 
in  der  Wiener  Versteigerung  Klinkosch,  ferner  1904  auf  der  Fr.  Mul- 
ler'schen  Versteigerung  vom  19.  Januar  in  Amsterdam  Nr.  358  „Por- 
trait de  l'artiste  represcute  assis  parmi  des  ruines  s'appuyant  du  bras 
gaudie  sur  le  soubassement  d'une  colonne.  II  porte  une  ample 
simarre  et  la  tete  est  coiffee  d'une  longue  perruque.  Signe:  J.  Toorn- 
vliet  F.:  Pierre  noire  sur  velin,  H.  33.5,  Br.  25."  —  Im  Katalog  Pelfeer 
von  1914  ist  dem  Toorenvliet  eine  Zeichnung  zugeschrieben,  —  Eine 
Erörterung  über  Toorenvliets  Selbstbildnisse  fällt  außer  den  Rahmen 
dieser  Studie. 

Ein  reidies  Malerwerk  des  Toorenvliet  befindet  sidi  in  der 
Wiener  Hofbibliothek  (ießt  Nationalbibliothek). 

Die  Nachträge  zu  F  ü  ß  1  i's  Lexikon  geben  einige  Andeutungen 
über  Zeichnungen  und  Suche  von  und  nach  Toorenvliet,  Van  der 
Kellen  hat  ferner  den  Künstler  in  seinen  peintre  graveur  hollan- 
dais  aufgenommen.  Audi  sonst  begegnet  uns  Toorenvliet's  Name 
nicht  selten  in  der  kunstgeschichtlichen  Literatur  seit  H  o  u  - 
braken's  großer  Sdiaubühne  (III,  164  ff.)  und  seit  Descamps 
(III,  121  ff.).87) 


87)  Vergl.   auch   Herrn.  Riegels   „Beitr:igc  zur  niederländischen  Kunstge- 
schichte" II,  335  f.,  Woermann:  Geschichte  der  Malerei  III,  797.  De  Grooi  Hou- 

80 


Die  Erwähnung  des  Toorenvliet  im  Zusammenhange  mit  Wien 
ist  jungen  Datums.  Man  verdankt  sie  B  r  e  d  i  u  s,  der  sie  seinen 
Freunden  briefhch  mitgeteilt  hat.  Auf  Umwegen  gelangte  sie  auch  in 
den  neuen  Katalog  der  Prager  Galerie,  der  sie  ohne  Quellenangabe 
benüfete.  Nach  direkter  Mitteilung  von  Bredius  wird  der  Wiener 
Aufenthalt  des  Toorenvliet  angeführt  in  meinem  „Verzeichnis  der 
Gemälde  in  gräflich  Schönborn-Wiesentscheid'schem  Besifee"  und  in 
meinen  kleinen  Galeriestudien.  Ich  meinte  nun,  da6  es  passend  sei, 
in  der  Reihe  der  vorliegenden  „Notizen  über  Werke  von  österreichi- 
schen Künstlern"  an  die  Angelegenheit  mit  Toorenvliet's  Aufenthalt 
in  Wien  zu  erinnern  und  darauf  hin  die  Verteilung  der  Arbeiten  des 
Künstlers  in  den  österreichischen  Sammlungen  zu  studieren. 

[Die  Verhältnisse  in  Bezug  auf  Verteilung  der  einzelnen  Meister 
in  verschiedenen  Ländern  haben  sich  seither  gründlich  geändert. 
Auch  Bilder  mittleren  und  geringeren  Wertes  sind  während  des 
Weltkrieges  und  bald  danadi  um  die  Welt  herum  gereist.  Die  nicht 
kriegführenden  Länder  haben  Unmengen  von  Gemälden  verschie- 
densten Wertes  aufgekauft,  oft  wohl  überlegt  und  vorsichtig,  aber 
auch  gelegentlich  planlos  und  überhastet.  Für  unsere  Tage  gilt  also 
die  frühere  Verteilung  nicht  mehr.  Die  heutige  Verteilung  der  Werke 
Toorenvliet's  ist  auch  nidit  ohne  weiteres  festzustellen.  Für  den 
Zweck  der  vorliegenden  Studie  ist  das  auch  gar  nicht  nötig,  denn  für 
diesen  war  gerade  die  frühere  Verteilung  der  Werke  von  grö&erer 
Bedeutung,  als  die  heutige.] 


braken''s  große  Schauburg  S.  172,  Jahrbuch  der  königl.  preuß.  Kunstsammlungen 
IV,  Seite  209.  Urkundliche  Nachrichten  von  Bredius  in  Obreen's  Archief  V,  240, 
254,  256,  258.  Die  briefliche  Mitteilung  von  Bredius  an  mich  bemerkt  zum  13. 
Mai  1676:  Abraham  Toorenvliet,  Maler,  vertritt  seinen  Sohn  Jakob  Toorenvliet, 
jetzt  zu  Wien  in  Oesterreich. 

81  6 


Hans  CanonP 

Canon  ist  eine  noch  sehr  unterschöfete  bedeutende  Erscheinung 
unter  den  Malern  des  19.  Jahrhunderts,  so  sehr  unterschäfet,  da&  eine 
vielgelesene  Geschidite  der  Malerei  des  19.  Jahrhunderts  den 
Künstler  nicht  einmal  im  Text  und  nur  im  Inhaltsverzeichnis  erwähnt. 
In  einigen  ähnlichen  Werken  ist  Canon  entweder  gänzlidi  über- 
gangen oder  an  unpassender  Stelle  mit  einigen  Worten  abgetan. 
Ohne  Zweifel  waren  Canon's  unstätes  Wesen,  seine  Wanderlust, 
sein  Jahre  lang  ungeminderter  Leichtsinn,  sein  vieles  Schulden- 
madien Hemmschuhe  persönlicher  Art  für  das  Erreichen  jener  An- 
erkennung, die  geringen  Talenten  oft  wie  von  selbst  in  den  Schofe 
fällt,  wenn  sie  nur  darauf  bedacht  sind  [ja  recht  sachte  aufzutreten 
und]  nidits  ungewöhnlidies  zu  leisten.  Canon  hatte  lange  gegen 
mächtige  Feinde  anzukämpfen,  die  er  nidit  zu  versöhnen  traditete, 
sondern  wohl  durch  Äußerungen  des  Jähzorns  und  stark  hervorge- 
kehrten Künstlerstolzes  erbitterte.  Nur  eine  Natur  von  der  aufeer- 
ordentlichen  Kraft  wie  die  Canon's  konnte  sdiliefelich  einen  Sieg  er- 
ringen, der  aber  teuer  genug  erkauft  war.  Erst  nadi  einem  mäch- 
tigen Jahre  langen  Ringen,  das  übrigens  nidit  so  sehr  einem  zu  ge- 
winnenden Ansehen,  als  der  künstlerischen  Vollendung  galt,  hat 
Canon  die  verdiente  Anerkennung  gefunden,  verhälnismä|ig  spät. 
Denn  ein  jäher  Tod  raffte  den  ursprünglich  überkräftigen,  späterhin 
allerdings  herzkranken  Mann  in  den  besten  Jahren  hinweg,  als  man 
eben  die  größten  Hoffnungen  auf  das  Schaffen  des  ausgereiften 
Künstlers  und  sdiließlich  noch  abgeklärten  Menschen  sehte. 

Der  Künstler  ist  am  15.  März  1830  zu  Wien  geboren.  Er  starb 
ebendort  am  12.  September  1885.   Mütterlidierseits  stammte  Canon 


*)  Erstdruck  1891   im  Ergänzungsband   der   Liliencron'schen   Allgemeinen 
deutschen  Biographie.  Die  alte  Arbeit  wurde  wesentlich  erweitert. 

82 


aus  der  altösterreichisdien  Malerfamilie  der  Altomonte  (Hohenberg). 
So  sagt  eine  bestimmte  Dberlieferung.  Das  Datum  der  Geburt  wird 
bei  Canon  in  versctiiedenen  Quellen  verschieden  angegeben.  Ich 
hielt  mich  an  die  Daten,  die  in  den  Urkunden  des  Kremser  Gym- 
nasiums vorkommen,  weil  diesen  höchstwahrscheinlich  die  Angaben 
des  Taufscheines  zugrunde  liegen.  Anderswo  liest  man  auch  1829, 
sogar  1828  als  Jahr  der  Geburt.  Als  Tag  wird  auch  der  3.  und  der 
13  März  (statt  des  15.)  genannt.  [Da  er  ein  uneheliches  Kind  war,  ist 
die  Nachforschung  in  den  Pfarrbüchern  bisher  erfolglos  gewesen.] 
Der  kleine  Hans,  bei  dem  sich  sehr  früh  künstlerische  Begabung 
zeigte,  besuchte  in  Wien  die  Normalschule.  Dann  schickte  ihn  sein 
Vater,  der  fürstlich  Starhemberg'sche  Wirtschaftsrat  Johann  S  t  r  a- 
s  ch  i  r  i  p  k  a,  nach  Krems  ans  Piaristengymnasium,  in  dessen  Kon- 
vikt  er  als  zahlender  Schüler  im  Oktober  1840  aufgenommen  wurde. 
Durch  mehrere  sichere  Mitteilungen  erscheint  es  im  allgemeinen  be- 
glaubigt, daB  Canon  in  seiner  Jugend  eine  Art  Nichtsnufe  war  und 
da&  er  wenig  lernte.  Nur  Mathematik  interessierte  ihn,  und  aus 
diesem  Unterrichtsgegenstande  erhielt  er  die  Noten  Ademinens  und 
Eminens,  was  unserem  „lobenswert"  und  „vorzüglich"  entspridit.  Im 
übrigen  sdieint  auf  die  Dauer  sogar  alle  Fürsprache  versagt  zu 
haben,  denn  schon  mit  Ende  Juli  1843  war  bei  Canon  das  Gymnasial- 
studium zu  Ende.88)  Eine  Nachricht  aus  der  Familie  von  Kerner,  die 
damals  in  Krems  lebte  und  in  deren  Hause  der  junge  Straschiripka 
verkehrte,  schildert  ihn  als  schlank  von  Gestalt,  blond,  und  als  einen 
Jungen  von  angenehmem,  geradezu  einnehmendem  Äußeren.  Er  sei 
ein  „fideles  Haus"  gewesen.  Von  den  Wissenschaften  hat  er  in 
Krems  nur  genascht,  die  meisten  Professoren  waren  mit  ihm  niemals 
zufrieden,  und  so  ähnlich  war  es  auch  in  Wien  am  Polytedinikum, 
das  er  1843  bis  1845  besuchte.  Er  wird  in  zwei  Jahrgängen  der 
Schülerlisten,  bzw.  der  Prüfungskataloge  genannt.  Dort  steht  ver- 
merkt, daB  er  im  Jahre  1843  auf  44  den  Gegenstand  „Technologie" 
fleißig  besudit  und  darauf  1.  Klasse  erhalten  hat.  Aus  den  „Ele- 
menten der  Mathematik"  hatte  er  zwar  keine  Klasse,  doch  besuchte 
er  dieses  Kollegium  „sehr  fleißig".  Aus  dem  „technischen  Zeichnen" 
trat  er  schon  innerhalb  des  ersten  Jahres  aus.  Die  „Sitten"  werden 


88)  Diese  Angaben  aus   Krems  werden   Herrn   Gerichtsadjunkten   Heinrich 
Kutler  in  Krems  verdankt. 


83 


6* 


als  „vollkommen  gemäB"  bezeichnet.  Nach  dem  Jahrgang  1844  auf  45 
erscheint  er  nicht  mehr  im  polytechnisdien  Institut  eingetragen.^o) 

Den  AnlaS  zu  dem  Versuch,  technische  Studien  zu  treiben, 
scheinen  einige  Spielereien  technischer  Art  abgegeben  zu  haben, 
die  er  noch  als  halbes  Kind  anzufertigen  verstand,  so  eine  kleine 
eiserne  Lokomotive,  die  er  zur  Freude  seiner  Geschwister  im  Garten 
laufen  machte  und  ein  Fallsdiirm,  mit  dem  er  sich  von  einem  turm- 
artigen Anbau  herabließ,  ohne  Schaden  zu  nehmen.^o)  diq  früher 
angedeutete  Neigung  zur  Malerei  scheint  indes  nach  und  nach  die 
Oberhand  gewonnen  zu  haben  und  der  junge  Brausekopf  bezog  die 
Wiener  Akademie  der  bildenden  Künste.  Der  8.  Oktober  1845  ist  als 
Eintrittstag  in  den  Akademieakten  vermerkt.  1846  wurde  Canon  in 
Gsellhofers  Vorbereitungsklasse  gesehen.  Noch  immer  war  aber  die 
richtige  Schule  für  den  Jüngling  nicht  gefunden.  Augenscheinlich  be- 
hagte  ihm  auch  die  Akademie  nicht,  vielleicht  deshalb,  weil  er,  wie 
in  Wiener  Künstlerkreisen  erzählt  wird,  seinen  damaligen  Mit- 
schülern an  Können  weit  überlegen  war.  Einige  Anregung  mag  er 
immerhin  gewonnen  haben.  Dann  dürfte  er  bald  seiner  Wege  ge- 
gangen sein,  denn  irgendwelche  weitere  Spuren  seiner  Anwesenheit 
an  der  Akademie  sind  in  den  Protokollen  nicht  mehr  aufzufinden. 
Dodi  verblieb  der  junge  Mann  vorläufig  bei  der  Künstlerlaufbahn. 
Im  Jahre  1847  finden  wir  ihn  Monate  lang  mit  Ferdinand  Waldmüller 
in  Verbindung.  Aber  auch  unter  dieser  Leitung  hielt  er  nicht  lange 
[nur  fünf  Monate,  wie  er  selbst  schrieb]  aus.  Die  unruhigen  Zeiten 
und  tollkühnes  Wesen  zogen  ihn  zum  Militär,  doch  scheint  der  Ein- 
tritt ins  Heer  nicht  freiwillig  geschehen  zu  sein.  Einer  der  Jugend- 
freunde Canon's,  der  nachmalige  Polizeirat  Viktor  Pittner,  erzählte 
mir,  daß  Canon  1848  während  der  Unruhen  in  Wien  mit  anderen 
jungen  Leuten  nahe  bei  der  Hauptstadt  verhaftet  wurde,  da  er 
Waffen  trug.  Nur  die  Berufung  auf  den  General  Hauslab,  seinen 
Verwandten  und  Gönner,  konnte  ihn  vor  der  standreditlichen  Be- 
handlung retten.  Er  wurde  aber  „abgestellt",  d.  h.  fürs  Militär  be- 
halten. In  dieser  neuen  Laufbahn  bradite  er  es  bald  zum  Kadetten. 
Er  diente  bei  den  Kürassieren  und  verließ  1853  als  Leutnant  die 
Armee.    In  den  50  er  Jahren  verkehrte  Straschiripka,  der  sich  in 


89)  [Angaben  aus  dem  Archiv,  die  ich  selbst  1901  dort  ermittelt  habe.] 

90)  Mitteilungen   der  Schwester   des  Künstlers   an  Herrn  Sektionsrat   A.  v. 
Honstetter. 

84 


periodischen  Anläufen  durch  eigenes  emsiges  Studium  in  der 
Malerei  vervollkommnet  hatte,  viel  bei  den  Brüdern  Gaul,  den 
Malern,  die  ohne  Zweifel  einigen  Einfluß  auf  die  Entwicklung  des 
jungen  Künstlers  genommen  und  ihn  in  der  Porträtmalerei  und 
manchen  technischen  Dingen  gefördert  haben.  Im  Jahre  1856  malte 
er  das  treffliche  Bildnis  der  Schauspielerin  Katharina  Schiller,  das 
sich  in  der  Familie  Brezina  vererbt  hat  und  1892  in  der  Ausstellung 
für  Musik-  und  Theaterwesen  zu  Wien  viel  bewundert  wurde  (Ab- 
teilung der  Stadt  Wien,  Kat.  S.  144,  Nr.  461).  Als  1857  in  Wien  Tann- 
häuser zum  erstenmal  aufgeführt  wurde  und  Egghart  in  der  Titel- 
rolle [oder  vielmehr  als  Wolfram]  aufgetreten  war,  porträtierte  Stra- 
schiripka  den  genannten  Sänger.  [Den  Schauspieler  Mittel  zeichnete 
der  junge  Künstler  auf  Stein,  und  zwar  im  Pelz.  Dieses  Kleidungs- 
stück wurde  vom  Zeichner  unter  irgend  einem  Vorwand  ausgeliehen, 
um  es  nie  wieder  zurückzustellen.  Dieser  Streich,  der  vielleicht  öfter 
wiederholt  wurde  zum  Schaden  anderer,  wird  auch  mit  Aus- 
schmückungen weiter  erzählt.  A.  Eisenmenger  und  Franz  Gaul 
wußten  Beshmmtes  darüber.  Von  der  Familie  Krickl  lockte  der  an- 
gehende Maler  einen  Frack  heraus,  den  er  nicht  wieder  zurück- 
brachte. Als  man  ihn  dann  nichf  mehr  zum  Besuch  vorließ,  warf  er 
des  Nachts  die  Fenster  ein.  Ersdiwindeltes  Geld  und  Gut  wurde 
stets  gesdiwindest  mit  guten  Freunden  durchgebracht.  In  einem 
Döblinger  Kaffeehaus  gab  es  eine  höchst  bedenkliche  Szene  der  be- 
rauschten jungen  Leute,  und  Straschiripka  entkam  der  Wadie  nur 
durch  seine  außerordentliche  körperliche  Gewandtheit.  Man  lebte 
toll,  fuhr,  elegant  gekleidet,  im  Fiaker,  bis  wieder  die  äußerste  Ebbe 
in  der  Kassa  eintrat.  Dann  wurde  der  junge  Mann  gelegentlich  auch 
des  Winters  ohne  überkleid,  nur  im  Frackanzug  und  mit  auffallend 
mangelhaften  Schuhen,  frierend  auf  den  Straßen  gesehen,  bis  sich, 
meist  nur  vorübergehend,  neue  Gönner  oder  neue  Opfer  für  Hoch- 
staplereien  fanden.  In  jenem  Lebensabschnitt  war  Straschiripka  ge- 
radewegs ein  Lump.  Sein  eigener  Vater,  mit  dem  er  sich  überworfen 
hatte,  soll  dem  Maler  Fr.  Friedlander  gegenüber  geäußert  haben: 
„Wenn  er  (der  Sohn)  da  vor  mir  an  einem  Baum  gehenkt  werden 
sollte  und  ich  könnte  ihn  durch  eine  Handbewegung  retten,  idi  würde 
mich  nicht  rühren".  —  Aber  das  vielseitige  Talent,  Strasdiiripka 
war  nicht  nur  als  Maler,  sondern  audi  als  geschickter  Taschenspieler, 
Kunstreiter,  Turner,  Raufer,  Schübe,  unerreichter  Angler,  Feinkoch, 


85 


Deklamator,  Redner,  gewandter  Geseüsctiaftsmensch  bekannt,  be- 
wundert, dies  und  das  ri&  itin  endlicti  nadi  oben.]  Er  gewann  stets 
wieder  Freunde  und  Förderer,  die  itin  allmätilict)  in  andere  Batinen 
lenkten.  Die  Brüder  Gaul  waren  es  vermutlicti,  die  itin  mit  Karl  Ratil 
dem  jüngeren  in  persönlictie  Verbindung  bractiten.  Oline  eigentlidi 
der  Ratil'sdien  Sctiule  anzugetiören,  verkehrte  Strasctiiripka  docti 
im  Atelier  des  älteren  Malers,  wo  er  otine  Zweifel  manche  künstle- 
risdie  Förderung  erfuhr.  Ein  Bild,  das  Rahl's  EinfluB  ziemlidi  klar 
erkennen  läBt,  ist  die  Orientalin  beim  Diamantenhändler,  die  1886 
in  Wien  als  „Diamantenhändler"  ausgestellt  war.  Jugendwerken 
Canon's  aus  dieser  Periode  begegnete  ich  in  der  Sammlung  des 
Komponisten  Ed.  Kremser.  [Eine  Jugendarbeit:  Mönch  befand  sich 
auch  in  der  Franz  Trau'schen  Sammlung.  Aus  den  Jahren  1854  und 
1858  sind  mir  Steindrucke  von  Canon  bekannt  geworden,  und  zwar 
das  Bildnis  des  Opernsängers  Jules  Stockhausen  und  das  eines 
Knaben,  der  sich  an  ein  Klavier  lehnt.] 

Gegen  Ende  der  50  er  Jahre  des  Jahrhunderts  nannte  sich  der 
Künstler  schon  „C  a  n  o  n",  und  unter  diesem  nom  de  guerre  trat  er 
audi  an  die  Öffentlichkeit.  Sein  wahrer  Name  hatte  damals  gesell- 
sdiaftlich  keinen  guten  Klang  mehr.  Der  Name  Canon  hängt  mit 
einer  nidit  erzählbaren  Begebenheit  und  einer  symbolisdien  Ofen- 
röhre zusammen. 

Ein  Knabenbildnis  aus  dem  Jahre  1857,  es  war  nach  Canon's 
Tode  im  Wiener  Künstlerhause  zu  sehen,  erinnerte  nodi  an  die  Art 
der  vormärzlichen  Wiener  Schule.  Etwas  freier  behandelt  ist  das 
Bildnis  eines  Förderers  der  Canon'schen  Muse,  des  Grafen  O.  Sulli- 
van  de  Gra&,  das  zuerst  1858  beim  Kunsthändler  G.  Pladi  und  bald 
darauf  im  österreidiischen  Kunstverein  ausgestellt  war.  Es  fand 
Beifall  trofe  mancher  Sdiwächen,  die  dem  heutigen  Kunsturteil 
übrigens  viel  klarer  sein  müssen,  als  der  damaligen  Wiener  Be- 
urteilung. 

In  jenen  Jahren  ging  Canon  nach  Italien,  obwohl  er  dieses  Land 
der  schönen  Künste  anfänglidi  nicht  liebte  und  gegen  Neapel  ge- 
radewegs Widerwillen  hegte.  Auf  Italien  weist  ein  italienisches 
Blumenmäddien  mit  der  Signatur  „Canon  1859",  das  in  der  Samm- 
lung des  Grafen  Flemming  nadi  Karlsruhe  gelangt  ist.  Die  Mache 
an  dieser  etwa  viertel  lebensgroßen  Figur  ist  nodi  unvollkommen, 
z.  B.  ist  der  Fuß  böse  verzeichnet.  Aus  dem  Jahre  1859  stammt  ein 


86 


ungefähr  lebensgroBes  Porträt  eines  Geletirten  im  SctiloB  Fridau 
des  Herrn  Baron  Rud.  Isbary,  aucti  ein  Bildnis  des  Grafen  Edmund 
Zictiy  und  das  Mäddien  mit  Fisctien,  das  Aufsetien  erregte  und  in 
der  Folge  nactigebildet  wurde.  (Es  kam  in  die  Sammlung  A.  v. 
Zinner,  nictit  zu  verwectiseln  mit  der  Fisdivert<äuferin  der  Haerdtl- 
sdien  Sammlung.  Abbildung  dieses  Gemäldes  im  Lexikon  der  Wie- 
ner Gemäldesammlungen  Bd.  11.)  Eine  datierte  monogrammierte 
Zeictinung  aus  1859  mit  einem  Mädctien,  das  Fisctie  trägt,  befindet 
sicti  in  der  Albertina.  In  demselben  Jatire  entstand  aucti  ein  großes 
Altarbild  für  die  Deutsctiordenskirdie  in  Laibadi  (Böttidier  Nr.  3). 
(Dieses  Bild  ist  im  Stil  der  österreictiisctien  Barockmaler  getialten.) 
Dem  Jatire  1860  getiört  u.  a.  ein  gutes  Bildnis  des  jungen  Baron 
Todesco  in  Wien  an  (Knabe  in  hellem  Matrosenanzuge;  in  kühlem 
Tone  gehalten),  und  das  Bildnis  der  Frau  Geheimrat  Becker  bei 
Dr.  A.  Figdor  in  Wien.  1861  findet  sich  als  Datum  auf  einem  genre- 
artigen Bilde  mit  überlebensgroßen  Figuren.  Blasse  kalte  Färbung, 
aber  eine  geradezu  interessante,  dämmrige  Beleuchtung  zeichnen 
dieses  Werk  aus,  das  sich  in  der  Sammlung  Wiener  v.  Welten  in 
Wien  befindet  (Liebeserklärung);  ursprünglidi  war  es  in  Galvagni's 
Sammlung  in  Wien,  bei  deren  Versteigerung  es  um  551  fl.  an  den 
Ardiitekten  Romano  gelangte.  1861  war  der  Künstler  auch  als 
Karikaturzeichner  tätig.  Giskra,  Kuranda,  Smolka,  Palacky  wurden 
karikiert.  Mit  1861  datiert  ist  die  „Teüung  der  Beute",  die  in  der 
Wiener  Versteigerung  Meyer  Alszo  Rufebach  an  Charles  Meyer  ver- 
kauft wurde.  Demselben  Jahre  gehört  an  die  „Geflügelhändlerin" 
(eine  überlebensgrofee  Figur,  bis  1882  bei  Baron  Schey  von  Koromla). 
1862  ist  entstanden  „Tag  und  Nacht"  (ein  Neger  trägt  ein  weites 
Mädchen.  Bis  1882  bei  Baron  Schey  von  Koromla).  Ein  Überlebens- 
großer  Frauenkopf  von  blasser  Färbung  in  der  Dr.  Spifeer'schen 
Sammlung  auf  Sdiloß  Mannsberg  in  Kärnten  dürfte  hier  einzureihen 
sein.  —  In  Blindenmarkt  in  Niederösterreich  malte  Canon  1861 
ein  Fresko  mit  einem  Crucifixus  (nach  Angabe  des  „Wiener 
Tageblatt"  vom  21.  Januar  1886.)  Dieses  Werk  soll  künstle- 
risch bedeutend  sein,  und  überhaupt  scheint  es,  daß  der  Schritt  vom 
fastenden  Schüler  zum  sidier  angreifenden  Meister  von  Canon  in 
jener  Zeit  um  1860  getan  worden.  [Mit  1862  ist  ein  überlebensgrofees 
Brustbild  des  Dr.  E.  Schwarz  dahert,  der  sich  als  Teilnehmer  der 
österreichischen    Novara -Weltreise    einen    Namen    gemacht    hatte. 


87 


Dieses  Bild  befand  sich  um  1900  in  Budapester  geistlichem  Besib, 
und  zwar  beim  Leopoldstädter  Pfarrer  Lollok.  Ungefähr  gleichzeitig 
mit  dem  Schwarz-Bildnis  dürfte  das  ebenfalls  überlebensgroße 
Brustbild  eines  wohlgenährten  und  wohlgeformten  Mädchens  ent- 
standen sein,  das  im  März  1922  als  Nr.  5  „Italienerin"  bei  Glückselig 
und  Wärndorfer  in  Wien  versteigert  wurde.  1865  malte  er  den 
Kunstbruder  Hans  Thoma  (das  Bild  befindet  sich  im  Besife 
der  Berliner  Nahonalgalerie).  Um  jene  Zeit  unterstüfete  Graf 
Hans  Wilczek  den  Künstler  in  vornehmster  Weise.  Mehrere 
Bildnisse  wurden  bestellt.  Wilczek  nahm  den  Maler  nach  England 
mit  zur  Weltausstellung  und  von  dort  nadi  Karlsruhe.  In  Wien  hatte 
Canon  damals  auch  eine  Reihe  von  Aquarellen  geschaffen  mit  An- 
sichten aus  dem  Wilczek'schen  Tiergarten.  Sie  gelten  als  verschollen 
(nach  Mitteilungen  des  Grafen  Wilczek  und  seines  Sekretärs 
Dr.  Mandl).]  In  Karlsruhe,  wohin  Canon  sich  nun  wendete,  konnte  er 
[gefördert  durdi  den  Grafen  Fleming,  der  früher  bei  der  preußischen 
Botschaft  in  Wien  gewesen]  schon  als  fertiger  Maler  auftreten.  Die 
Bilder  aus  der  Karlsruher  Periode  des  Künstlers,  die  sidi  bis  1869 
erstreckt,  gehören  meines  Erachtens  zu  den  frischesten  Erzeugnissen 
Canon'sdier  Kunst,  sogleich  die  „Sdiwarzwälderin",  die  1868  im 
österreidiisdien  Kunstverein  ausgestellt  war,  später  in  den  Besib 
der  Schauspielerin  Wolter  übergegangen  ist  und  seit  einigen  Jahren 
eine  Zierde  der  Wiener  Sammlung  W.  Freyberg  bildet.  (Es  stellt  ein 
Mädchen  mit  einer  dunklen  Kabe  vor  und  ist  signiert  und  datiert. 
Eine  Abbildung  findet  sich  im  Verzeichnis  der  Aukhon  Wolter,  Wien 
1898.)  Aus  dem  Jahre  1868  stammt  die  Sifefigur  des  Majors 
H.  Schöpfer,  die  1902  vom  Ferdinandeum  in  Innsbruck  angekauft 
worden  ist.  Der  Karlsruher  Zeit  dürfte  angehören  ein  unvollendetes 
Bild  der  Sammlung  L.  Lobmeyr  (Canon  an  der  Staffelei.  In  der  Auf- 
fassung an  Jac.  Jordaens  erinnernd).  Zu  Sdiirmer  in  Karlsruhe 
scheint  Canon  in  ein  näheres  Verhältnis  getreten  zu  sein,  da  er  das 
Bildnis  des  älteren  Kunstgenossen  malte  [es  soll  in  vier  Stunden  ge- 
malt worden  sein.  Abgebildet  bei  Jos.  Aug.  Beringer:  „Die  badische 
Malerei".  Brieflidi  erwähnte  Canon  einmal,  daß  er  in  Sdiirmer 
einen  „Freund"  gefunden  hatte],  wogegen  er  mit  C.  F.  Lessing  nicht 
verkehrte,  den  er  eher  anfeindete.  Dodi  malte  er  Lessing's  Tochter, 
die  Gemahlin  Koberstein's.  Canon's  Kunst  übte  damals  schon  auf 
jüngere  Talente  eine  gewisse  Anziehungskraft  aus,  und  er  hatte 


88 


mehrere  talentvolle  Sctiüler.  Aucti  ein  großer  Auftrag  wurde  itim  zu- 
teil, und  zwar  in  der  Ausfütirung  der  dekorativen  Malereien  im  gro&- 
tierzoglictien  Wartesaal  des  Karlsrutier  Batmtiofes.  Diese  Arbeiten 
sind  wenig  genannt,  dürfen  aber  als  trefflictie  Leistungen  bezeictinet 
werden.  Es  sind  zwei  gro&e  Breitbilder  mit  Puttengestalten  (Eisen- 
batinwesen,  Telegraptiie  und  Post)  und  sectis  Füllungen  mit  Kinder- 
t<öpfen  und  Eroten.  Das  blütiende  Kolorit  ist  von  seltener  Frisctie, 
aber  die  übertriebenen  Formen  bedeuten  wotil  einen  Mangel.  Als 
bekanntere  Schöpfungen  der  Karlsruher  Periode  seien  noch  er- 
wähnt: „Der  Rüdenmeister"  aus  dem  Jahre  1866  (überlebensgrofee, 
aufrecht  stehende  Figur  von  kräftigem  Kolorit,  bezeichnet  und 
datiert).  Im  Besife  des  Grafen  Hans  Wilczek  und  im  Treppenhause 
des  Sctilosses  Seebarn  [eine  Zeillang  auch  leihweise  im  unteren 
Belvedere  aufgestellt],  ferner  „Die  Schafegräber"  von  1866  (Bötticher 
Nr.  6),  „Cromwell  an  der  Leiche  König  Karl  L"  (mit  1867  datiertes 
und  signiertes  Bild.  überlebensgroBe  Figur  auf  Schloß  Friedenstein 
in  Gotha.  Eine  zweite,  wohl  veränderte  Ausführung,  oder  handelte 
es  sich  um  eine  Kopie?,  war  aus  Baseler  Privatbesitz  1895  im  öster- 
reichischen Kunstverein  ausgestellt),  weiter  ein  Hauptwerk  des 
Künstlers  „Familienglück"  [signiert  und  datiert  mit  1869;  im  Besife 
des  Fürsten  Kinsky  ausgestellt  1886  in  der  Wiener  Canon- Ausstel- 
lung]. Endlich  die  „moderne  Judith"  (ein  Küchenmädchen,  im  Begriff 
einen  Hahn  zu  töten.  Signiertes  Stück  aus  1869).  Als  Werk  der 
Karlsruher  Periode  wurde  auch  die  sifeende  Figur  eines  Lauten- 
spielers abgebildet  (in  der  Zeitschrift  „Gartenlaube"  1886,  Nr.  2). 
Sie  scheint  durch  Frans  Hals  den  Älteren  angeregt  worden  zu  sein. 
Eine  Zeichnung  (sifeender  Alchymist;  im  Besife  des  Herrn  Baudirek- 
lors  V.  Herz  in  Wien)  verrät  eine  Nachempfindung  Rembrandt's  (Ab- 
bildung in  „Blätter  für  Gemäldekunde"  Bd.  II,  Heft  5).  Andere  Werke 
lassen  sein  liebevolles  Versenken  in  die  Werke  der  venezianisdien 
Maler  mehr  oder  weniger  vermuten.  Die  Malereien  im  grofeherzog- 
lichen  Wartesaal  lassen  den  Einfluß  des  Rubens  und  Jordaens  ver- 
spüren, und  damit  wäre  denn  eine  sdiwache  Seite  des  Canon'schen 
Talentes  aufgezeigt,  das  vielfach  einer  Nachempfindung  älterer 
großer  Vorbilder  zum  Opfer  fiel,  wobei  sogleich  auf  die  sonshge  Un- 
gleichmäBigkeit  im  Schaffen  des  Künstlers  hingewiesen  sei.  Canon's 
Wertsdiäfeung  der  alten  Meister  ist  seinem  freien  Schaffen  gewiB 
hinderlich  gewesen,  wie  denn  auch  sein  fortwährendes  Grübeln  und 


89 


Rechnen  manche  Arbeit  eher  verdorben  als  gefördert  hat.  Er  konnte 
sich  niemals  selbst  genügen  und  fand  nur  schwer  einen  bleibenden 
malerischen  Ausdruck  für  seine  Gedanken.  Ein  gewisser  Mangel  an 
Naivität  ist  dem  Künstler  oft  vorgeworfen  worden.  Sogar  in  seiner 
reifen  Zeit,  in  der  er  verhältnismäßig  eigenarhg  malte,  drängt  sidi 
noch  häufig  die  Erinnerung  an  Rubens'sche  Gestalten  merklidi,  oft 
störend  hervor,  z.  B.  im  Sieg  der  Wahrheit  (im  Besife  H.  O.  Miethke's) 
und  im  Kreislauf  des  Lebens  (im  Hofmuseum  zu  Wien).  Ganz  Canon 
ist  er  gewöhnlich  nur  in  seinen  Bildnissen,  deren  er  eine  große  An- 
zahl schuf. 

Von  allerlei  Reisen  abgesehen,  die  Canon  in  jenen  Jahren  unter- 
nommen hat  (so  war  er  z.  B.  mit  dem  Grafen  Hans  Wilczek,  wie 
schon  angedeutet,  in  England  und  in  Tunis),  kann  man  sagen,  daß 
er  von  Karlsruhe  1869  nadi  Stuttgart  übersiedelt  ist.  Canon's 
Reisen  sind  noch  keineswegs  mit  Klarheit  zu  überblicken.  Polizeirat 
Pittner  erinnerte  sidi,  daß  der  Maler  oft  in  Italien  gewesen,  daß  er 
Frankreich  und  Spanien  kennen  gelernt  und  mit  dem  Fürsten  Liedi- 
tenstein  Sdiottland,  Sdiweden  und  Norwegen  bereist  hat.  Auf 
Reise-Eindrücke  weist  ganz  deutlidi  die  „Flamingojagd",  die  1871 
in  Stuttgart  gemalt  ist.  In  der  genannten  Stadt  sind  audi  aus  dem 
Jahre  1870  „Mutterliebe"  (1886  in  Besife  des  Herrn  Niethammer  in 
Stuttgart),  das  Bild  „Waffenhändler"  (1870),  das  interessante  Bildnis 
des  Prinzen  zu  Sachsen-Weimar  (bezeichnet  und  mit  1870  dahert, 
Asphaltuntermalung  mit  dünnem  Farbenauftrag)  und  das  etwas 
flüchtig  behandelte  Bild  des  Dr.  Monde  (1870)  entstanden.  Eine  vor- 
zügliche Arbeit  aus  dem  Jahre  1870  ist  die  Tänzerin  mit  Tamburin, 
die  idi  vor  wenigen  Monaten  im  Verlag  der  schönen  Künste  in  Wien 
ausgestellt  gesehen  habe.  Der  „Page"  von  1870  kam  in  dieHamburger 
Kunsthalle.  Es  folgten  nun  1872  der  „Fischmarkt",  ein  Bild  von  etwas 
roher  Madie,  das  in  die  Budapester  Nationalgalerie  gelangt  ist.  Der 
vielleidit  früheste  Entwurf  dazu  wurde  mir  beim  Herrn  Gemälde- 
restaurator  Joh.  E.  Böhm  vorgewiesen.  Eine  spätere  Farbenskizze 
gehört  der  Staatsgalerie  (Abbildung  in  „Kunst  und  Kunsthandwerk" 
1917,  S.  73),  und  die  seither  berühmt  gewordene  „Loge  des  Jo- 
hannes", von  der  es  zwei  Ausführungen  gibt.  Die  vollendete  Aus- 
führung bildete  ein  Hauptstüd<  im  großen  Mittelsaale  des  Kunst- 
palastes auf  der  Wiener  Weltausstellung  von  1873,  und  ist  seither  in 
die  kaiserliche  Galerie  gelangt;  das  frühere  nicht  ganz  zu  Ende  ge- 


90 


führte  Bild  desselben  Gegenstandes  kam  erst  nadi  dem  Tode  des 
Künstlers  an  die  Offentlidit<eit,  wurde  vom  Kunsttiändler  H.  O. 
Miettike  übernommen  und  an  Seeger  nadi  Berlin  verkauft.  Zatil- 
reidie  Studien  zu  beiden  Bildern  sind  in  den  Wiener  Privatsamm- 
lungen zu  finden.  Die  Loge  des  Jotiannes  sollte  den  oft  wiedertiolten 
Ausspructi  des  Evangelisten  malerisdi  vertierrlidien:  Liebet  eudi 
untereinander.  Sie  ist  eine  gemalte  Aufforderung  zu  gegenseitiger 
Duldung  der  Konfessionen.  Canon's  eigene  Erläuterungen  zu  diesem 
Werke  sind  in  der  „Neuen  Freien  Presse"  vom  23.  Januar  1886  (S.  4) 
mitgeteilt.  DaB  die  „Loge  Johannis"  eine  gewisse  Verwandtschaft 
in  der  Anordnung  mit  dem  Altarbilde  des  Moretto  da  Brescia  im 
Städersctien  Institut  zu  Frankfurt  a.  M.  bekundet,  ist  oftmals  bemerkt 
worden.  In  dieselbe  Sctiaffensperiode,  welctie  die  „Loge  Jotiannis" 
angetiört,  kann  man  wotil  aucti  die  undatierte  „Danae"  einreihen,  ein 
kleines  treffliches  Bild,  das  1876  auf  einer  Posonyi'schen  Auktion 
vorkam  und  1886  in  der  Wiener  Canon-Ausstellung  wiederkehrte. 
Diese  „Danae",  die  den  Goldregen  aufnimmt,  zeigt  den  fertigen 
Meister  in  der  Modellierung  des  Nackten.  Noch  höher  dürfte  in 
dieser  Beziehung  stehen:  „Venus  und  Amor",  ein  verhältnismäßig 
kleines  undatiertes  Bild,  das  unter  dem  verwediselten  Namen  „Nadi 
dem  Bade"  in  Wien  ausgestellt  war.  „Nach  dem  Bade"  ist  ein  an- 
deres Werk  Canon's  (Bötticher  Nr.  85).  1872  ist  der  vielbesprochene 
„moderne  Diogenes"  entstanden,  der  einen  Flickschneider  bei  der 
Arbeit  zeigt  (Bötticher  Nr.  15).  Canon  sdirieb  auf  das  Bild:  „Wo 
immer  durch  die  Hüllen  der  Zivilisation  ein  Stüd<  Natur  blid<t,  sefet 
der  moderne  Kulturmensch  einen  Fled<  auf".  Ein  „badendes  Mäd- 
chen im  Walde",  eine  lebensgroße  Figur,  die  1876  in  einer  Posonyi- 
schen  Auktion  feilgeboten  wurde,  ist  gleidifalls  1872  entstanden. 
Und  demselben  Jahre  gehört  eine  beachtenswerte  Sepiazeichnung 
mit  der  „Auferweckung  der  Tochter  des  Jairus"  an.  Das  ein  wenig 
durdi  die  Rembrandtisten  beeinflußte  Blatt  gehört  der  Fürstin  Marie 
zu  Hohenlohe-Schillingsfürst.  In  den  70  er  Jahren  war  Canon,  wie 
schon  früher  wiederholt,  für  den  Grafen  Hans  Wilczek  tätig.  Unter 
anderem  wurden  für  den  Grafen  ein  Deckengemälde:  Diana  mit  Ge- 
folge und  mehrere  Bildnisse  ausgeführL 

Die  legten  zwölf  Jahre  von  Canon's  Schaffen  gehören  wieder 
der  österreichischen  Hauptstadt  an.  Durch  den  unbestrittenen  Erfolg 
mit  der  „Loge  Johannis"  war  Canon  ein  in  Wien  angesehener  und 


91 


geschabter  Maler  geworden.  Er  wurde  mit  Aufträgen  überhäuft,  und 
lange  Reihen  von  Bildnissen  wären  zu  nennen,  die  damals  ent- 
standen sind.  Einige  seien  hervorgehoben,  wie  die  ganze  Figur  der 
Frau  Regina  Friedländer  (1874),  wie  das  Brustbild  der  Frau  Henriette 
Wiener  von  Welten,  das  Bildnis  der  Baronin  Bourgoing-Kinsky  und 
des  Generals  Hauslab  (1875),  wie  das  Porträt  des  Dr.  Morife  Bene- 
dikt (1876),  wie  die  Bildnisse  für  die  gräflidie  Familie  Schönborn- 
Buchheim,  wie  die  Figur  des  Wiener  Bürgermeisters  Dr.  Felder, 
Werke,  denen  sich  nodi  viele  andere  anschlössen,  z.  B.  die  „Mittags- 
ruhe" (eine  daherte  Skizze  dazu  von  1877  beim  Fürsten  Liediten- 
stein).  Ferner  die  Bildnisse  der  Gräfin  Marie  Kinsky  (1874)  und  des 
jungen  Grafen  Hans  Wilczek  (1878). 

Bedeutungsvoll  für  Canon  war  eine  Reihe  von  Arbeiten,  die  mit 
dem  Wiener  Hofe  zusammenhängen,  dem  er  durch  den  Ankauf  der 
„Loge  Johannis"  näher  gerückt  worden  war.  1879  malte  Canon  ein 
Votivbild  zur  Feier  der  silbernen  Hochzeit  des  österreichischen 
Kaiserpaares  (es  befindet  sidi  in  der  Hofburg).  Im  folgenden  Jahre 
wurde  beim  Künstler  durch  den  Stadtrat  von  Prag  ein  Bildnis  des 
Kaisers  Franz  Josef  bestellt  (darstellend  den  Monarchen  im  Toison- 
Ornate;  vollendet  1882).  Für  die  Wiener  Universität  malte  Canon 
mehrere  Bilder,  noch  andere  für's  Unterriditsministerium.  Im  Hin- 
blick auf  die  damals  bevorstehende  Vollendung  des  Hofmuseums  für 
die  naturwissenschaftlichen  Sammlungen  erhielt  Canon  ferner  den 
Auftrag,  Skizzen  für  die  malerische  Ausschmückung  des  Treppen- 
hauses zu  entwerfen,  ein  Auftrag,  der  auf  die  Tätigkeit  des  Künstlers 
bis  zum  Ende  beshmmend  einwirkte.  Gegen  Ende  1880  und  1881 
malte  Canon  ein  Blatt  für  eines  der  Albums,  die  dem  Kronprinzen 
aus  AnlaB  seiner  Vermählung  überreicht  wurden.  Dann  folgte  das 
lebensgroße  Bildnis  der  Kronprinzessin  Stephanie.  (Seither  im  Besib 
des  Kaisers  von  Osterreich.)  Kronprinz  Rudolf  nahm  lebhaften  An- 
teil an  Canon's  Schaffen,  auch  an  den  ungewöhnlidi  ausgebreiteten 
Kenntnissen  des  Künstlers  auf  dem  Gebiete  der  vergleichenden 
Anatomie.  Die  veröffentlichten  Briefe  des  Kronprinzen  an  Canon 
zeigen  großes  Wohlwollen  und  viele  Bewunderung  (vgl.  „Neue  Freie 
Presse"  vom  2.  Dezember  1885).  1881  wurde  audi  ein  Brustbild  des 
Kaisers  Franz  Josef  begonnen.  [Demselben  Jahre  gehört  an  das 
lebensgroße  Damenbildnis  in  der  Berliner  Nationalgalerie,  das 
Frau    Luise    Bauer    oder    Frau    Jauner    darstellen    dürfte    und    im 


92 


Jahre  1886  angekauft  worden  ist,  ferner  das  Brustbild  des 
Grafen  Westptial,  das  an  den  regierenden  Fürsten  Jotiann 
von  und  zu  Liectitenstein  gelangte  und  spätertiin  im  SctiloB 
Feldsberg  zu  finden  war.]  In  den  friitien  80  er  Jatiren  stellte  Canon 
nictit  selten  im  Wiener  Künstlertiause  aus,  und  zwar  metirere  Bild- 
nisse, u.  a.  das  des  Prinzen  Napoleon  „Lulu"  (nacti  Ptiotograptiie 
gemalt),  ferner  die  beiden  Lannabildnisse  und  das  Smolkaporträt 
(ausgestellt  in  der  Jatiresausstellung  von  1884)  und  einige  Allegorien 
oder  allegorisch  gefärbte  Sittenbilder.  „Die  vier  Elemente",  ein  Bild 
von  frischester  Färbung,  wurde  in  der  Jahresausstellung  von  1883 
sehr  bewundert  (Blondine  von  üppigen  Formen  und  signiert  und  mit 

1882  datiert.  Mit  versteckter  Andeutung  des  feurigen  Temperaments, 
das  in  der  Dargestellten  zum  Ausdruck  kommt,  schrieb  Canon  dazu: 
„DaB  seint  (de)r  Elemente  vier.  Wer  deuf  denn  da  dafe  Feuer  hier"). 
Der  Maler  liebte  derlei  Beischriften,  mit  denen  er  sich  gelegentlich 
auch  böse  verkletterte,  wie  in  der  Legende  des  Fischmädchens  von 

1883  (eines  Bildes,  das  nach  Prag  verkauft  wurde  und  die  Inschrift 
zeigt:  „Wer  heftig  im  Verlangen,  fällt  in  Nefe  und  Angeln").  Ge- 
lungener und  durch  einen  netten  Seitenhieb  ausgezeichnet  waren 
Canon's  Reime  zur  Zeidmung  eines  Wiener  Dienstmannes  für  das 
Festblatt  „Vindobona",  das  1880  vom  Journalisten-  und  Schrift- 
stellerverein „Concordia"  herausgegeben  wurde.  Canon  schrieb: 
„Schwerer  Verdienst  /  Kleiner  Gewinnst  /  Leichte  Gewinnste  /  Gro&e 
Verdienste". 

Canon's  Arbeiten  wurden  in  jenen  Jahren  allenthalben  begehrt 
und  gesucht.  1884  malte  er  den  Kardinal  Fürsten  Schwarzenberg. 
Ein  Votivaltar  (das  Mittelbild  von  Canon,  die  beiden  Flügel  von 
Stauffer  vollendet),  1884  für  den  Grafen  Hans  Wilczek  gemalt,  war 
kurz  nach  seiner  Vollendung  im  Wiener  Künstlerhause  ausgestellt, 
wie  denn  überhaupt  jene  Zeit  für  Canon  eine  Zeit  der  Erfolge  und 
lauten  Anerkennung  war.  Hätte  den  nodi  immer  an  Bedeutung  zu- 
nehmenden Künstler  nicht  das  blendende  Lidit  des  Makart'schen 
Farbenzaubers  etwas  verdunkelt,  so  wäre  Canon  damals  ruhig  und 
zufrieden  gewesen,  zumal  seine  äußeren  Verhältnisse  und  sein 
Famüienleben  [er  hatte  sich  endlich  richtig  verheiratet]  sich  zu 
ordnen  begannen.  Aber  der  Wurm  eines  gewissen  Neides  nagte  ihm 
am  Herzen,  und  idi  habe  aus  Canon's  eigenem  Munde  eine  förmliche 
Angriffsrede  auf  Makart  mit  angehört,  die  freilich  bei  verschlossenen 


93 


Türen  gehalten  wurde.  [DaB  die  Rede  sehr  lang  dauerte,  se^en  alle 
voraus,  die  ihn  einmal  in  Redefluß  gebracht  hatten.]  Beide  Künstler 
waren  so  ganz  verschieden  geartet,  daB  sie  sich  unmöglich  verstehen 
konnten.  Canon,  der  oft  seinen  Bekannten  durch  sein  Integrieren 
und  Differenzieren  und  durch  das  etwas  gezwungene  Philosophieren 
geradewegs  unbequem  wurde,  ein  Künstler,  bei  dem  jeder  Strich 
überlegt,  berechnet,  ausgeklügelt  war,  und  der  Träumer  Makart,  bei 
dem  das  wortmä^ige  oder  gar  zahlengerechte  Denken  neben  den 
Farbenvorstellungen  nicht  aufkommen  konnte.  Als  Makart  1879  den 
bestridcend  farbenreidien  herrlichen  Festzug  künstlerisch  gesdiaffen 
hatte,  schrieb  Canon,  der  immer  gerne  ein  wenig  die  Feder  führte, 
folgendes  Epigramm:  „Der  Festzug  sonder  Rüge  /  Entkräftet  nicht 
den  Einwand  /  Daß  Kunst  nur  feste  Züge  /  Im  Hirn  und  auf  der  Lein- 
wand". 

[Als  Seltenheit  sei  ein  treffliches  Stilleben  hervorgehoben, 
„Canon  1885"  bezeichnet,  das  vor  nidit  langer  Zeit  bei  Wawra  in 
Wien  versteigert  wurde.] 

Gegen  die  Mitte  der  80  er  Jahre  zu  drängten  sich  die  Arbeiten 
für  das  Hofmuseum  immer  mehr  in  den  Vordergrund.  Das  riesige 
Deckenbild  „Der  Kreislauf  des  Lebens"  war  entworfen,  die  Lunetten- 
bilder,  die  rings  herum  angebradit  werden  sollten,  waren  zum  Teil 
sdion  ausgeführt.  Bei  einem  kurzen  Besuche  in  Canon's  Atelier  trug 
idi  nach  dem  inneren  Zusammenhang  der  angedeuteten  Bilderreihe 
und  Canon  sagte  mir  zu,  darüber  einige  Zeilen  zu  senden.  Idi  gebe 
sie  hier  getreu  und  nur  in  gewöhnlicher  Orthographie,  die  dem  Maler 
fremd  war,  wieder:  „Die  bisher  fertigen  Lunetten  stellen  deduktive, 
induktive  und  physisch-mathematisdie  Wissenschaft  dar.  Die  deduk- 
tive ist  durch  eine  Frauengestalt,  im  Begriffe  Fundamentallehrsäfee 
niederzuschreiben,  dargestellt;  ein  Kind  hält  die  Tafel;  auf  einer 
Rolle  sind  die  Lehrsäfee  moderner  Naturanschauung  angedeutet:  ,Die 
Kraft  ist  konstant'  und  ,Das  Wesen  der  erkennbaren  Natur  ist  Be- 
wegungsdifferenz'. (Man  horche!)  Die  induktive  ist  durch  eine,  einen 
Kristall  beobachtende  weibliche  Gestalt  versinnlicht,  die  von  Gegen- 
ständen der  Naturreiche  umgeben  ist  mit  einem  Kinde.  Physik  und 
Mathematik  gehören  dem  Mittelbogen  an  und  sind  zwei  weibliche 
Figuren  mit  den  üblichen  Emblemen.  Im  gleichen  Geist  sind  sämt- 
liche Lunelten  gehalten.  Das  Deckengemälde  versinnlicht  den  Kreis- 
lauf des  Lebens.   Unter  einer  sich  auftürmenden  Felsbrücke  ruht  im 


94 


Dunkel  die  Sphinx  auf  einem  den  Grund  deckenden  Stein.  Reaiis 
vom  Beschauer  entquillt  das  junge  Leben.  Kinder,  Jungfrau,  Jüngling, 
Mann  und  Frau  aufwärts  drängend,  im  Verein  mit  anderen  Gestalten 
im  Streben  nach  Ernährung,  Gut,  Ruhm  und  Macht.  In  der  Mitte  des 
Bogens  zwei  Reiter  im  Kampf  siegend  und  fallend.  Absturz,  Verlust 
der  Güter,  Versinken  in  den  Tod  schlieB(en)  den  Bogen  links. 
Blumen,  Blüten,  grünender  Baum,  der  Adler  in  den  Lüften  mit  dem 
Lorbeer  rechts;  vom  Blib  getroffene  Tanne,  auf  der  Leiche  stehender 
Aasgeier  zur  Linken.  Im  Vordergrunde  eine  Gestalt  sinnend,  der 
Gedanke,  das  Rätsel  zu  lösen."  Der  abgedruckte  Brief  ist  etwa  im 
April  1883  geschrieben  und  bezieht  sich  auf  die  durchgebildete 
Farbenskizze  zum  „Kreislauf  des  Lebens".  Die  Ausführung  im 
Großen,  die  nur  unwesentlich  von  der  Skizze  abwich,  wurde  am 
21.  Oktober  1884  begonnen  und  ungefähr  in  der  Mitte  März  1885 
vollendet.  Für  die  Aufstellung  der  riesigen  Leinwand  (von  35  X  ^^ 
FuB)  war  in  dem  verhältnismäßig  bescheidenen  Atelier  des  Künstlers 
in  der  Rasumovskygasse  kein  Raum,  weshalb  dem  Maler  ein  Saal  im 
Hofmuseum  eingeräumt  wurde,  und  sogar  dort  blieb  immer  ein  Teil 
des  Bildes  aufgerollt,  so  lange  noch  daran  gearbeitet  wurde.  Nach 
der  Vollendung  war  das  Werk  im  Künsllerhause  ausgestellf.  Dann 
nach  Vollendung  des  Baues  kam  es  an  die  groSe  Spiegeldecke,  für 
die  es  bestimmt  war.  Das  fertige  Bild  wurde  zumeist  als  groge  Lei- 
stung anerkannf,  ja  bewundert,  vielfach  kritisiert  und  einigermaßen 
bekrittelt.  Seit  der  Weltausstellung  von  1873,  die  den  Wienern  die 
Riesenleinwand  eines  Wierß  mit  dem  Sturz  der  Verdammten  und  ein 
Cabanel'sdies  Kolossalbild  in  demselben  Saale  zur  Schau  geboten 
hatte,  in  dem  auch  Canon's  „Loge  Johannis"  ausgestellt  war,  hatte 
man  an  der  Donau  kein  monumentales  Bild  von  ähnlidiem  Umfange 
gesehen.  Viele  wußten  nidit  recht,  wie  ein  so  ausgedehntes  Stück  zu 
betrachten  sei.  Auf  den  sehr  deutlichen  Zusammenhang  mit  dem 
großen  jüngsten  Gericht  des  Rubens  sind  nur  die  kunstgeschichtlich 
Geschulten  gekommen,  und  daß  Wierß  mit  seinem  Kolossalbilde 
doch  auch  ein  wenig  als  Anreger  gelten  konnte,  war  nur  in  einem 
einzigen  Nadirufe  angedeutet.  Alles  zusammengenommen,  war  der 
Erfolg,  den  Canon  mit  dem  „Kreislauf  des  Lebens"  errungen  hatte, 
ein  unbezweifelter. 

Der  Rivale  Makart  schwankte  damals  sdion  dem  Grabe  zu.  Sein 
müder  Pinsel  vermodite  es  nidit  mehr,  den  großen  Auftrag  auszu- 


95 


führen,  der  ihm  für  das  zweite  Hofmuseum,  für  das  Museum  der 
Kaiserlichen  Kunstsammlungen,  zuteil  geworden  war.  Dort  sollte  er 
für  das  Treppenhaus,  entsprechend  dem  Canon'schen  „Kreislaufe 
des  Lebens"  die  grofee  vierseitige  Decke  mit  einem  Riesenbilde 
zieren  (darstellend  den  Sieg  des  Lichtes)  und  eine  Reihe  von 
Lunettenbildern  ausführen.  Als  er  im  Herbst  1884  verschied,  hinter- 
ließ er  nur  die  Lunetten  und  eine  Farbenskizze  zum  großen  Mittel- 
bilde. Canon  erhielt  nun  den  Auftrag,  das  große  Bild  für  das  zweite 
Hofmuseum  zu  malen.  Aber  auch  Canon's  Arbeit  gedieh  nur  bis  zum 
Entwurf.  Neben  diesem  und  neben  den  oben  erwähnten  Lunetten, 
die  noch  nicht  alle  vollendet  waren,  malte  Canon  1885  noch  eine 
Obsthändlerin  und  ein  Bildnis  des  Sdiriftstellers  Emmerich  Ranzoni. 
Das  Bild  mit  der  Obsthändlerin  wanderte  kurz  nadi  seiner  Voll- 
endung nadi  Deutschland,  das  Porträt  Ranzoni's  wurde  nicht  mehr 
fertig  gemalt.  Die  Parze  sdinitt  unvorhergesehen  Canon's  Lebens- 
faden  entzwei.  Kurz  nachdem  der  Künstler  vom  Sommeraufenthalte 
in  die  Hauptstadt  zurüd<gekehrt  war,  verschied  er  nach  sdimerz- 
vollem  aber  kurzem  Leiden  an  einer  Zerreißung  des  Herzens  am 
12.  September  1885. 

Der  Künstler  war  in  seinen  lefeten  Jahren  eine  der  bekanntesten 
Persönlichkeiten  Wiens  geworden.  (1883  hatte  er  den  Reichel'sdien 
Künstlerpreis  und  den  Professortitel  erhalten.)  Zum  Bekanntwerden 
trug  nicht  wenig  seine  eigenartige  Tracht  bei,  die  im  wesentlichen 
sich  der  polnischen  näherte  (hohe  Stiefel,  Pluderhosen,  langsdiößiger 
Rock,  roter  Gürtel).  Jedermann  kannte  die  mäditige  Gestalt  mit  dem 
wohlgeformten  Haupte,  das  gewöhnlich  in  strengen  Falten  liegende 
Antlife  mit  dem  lang  hinabwallenden  bräunlichen  Barte.  Das  Leichen- 
begängnis gestaltete  sich  zu  einer  großen  Feierlichkeit.  Zahlreiche 
Nachrufe  ersdiienen  in  Zeitungen  und  Zeitschriften.  Allenthalben 
fühlte  man  empfindlidi  die  Lücke,  die  durdi  Canon's  Tod  entstanden 
war.  Bei  alledem  ist  es  zu  einer  ausreichenden  Würdigung  des 
Künstlers  bis  heute  nicht  gekommen,  und  wer  sidi  einen  llberblid< 
über  Canon's  Lebensgang  und  künstlerische  Tätigkeit  verschaffen 
will,  ist  auf  recht  dürftige  Quellen  angewiesen. 


96 


Literatur  und  andere  Quellen. 

Mitteilungen  aus  dem  Kreise  Canon's  und  eigene  Erinnerungen 
an  den  Künstler.  —  Freundlictie  Mitteilungen  aus  Urkunden  werden 
verdankt:  den  Herren  Gerictitsadjunkten  Heinricti  Kutler  in  Krems, 
Archivsadiunkten  H.  Ttiomke  in  Wien  und  Sekretär  Ludwig  Edl.  v. 
Drabek  in  Wien.  —  Gütige  mündlictie  Auskünfte  ertiielt  icti  von  den 
Herren  Polizeirat  V.  Pittner,  Prof.  Eisenmenger,  Sekretär  Dr.  K. 
Mandl,  Oberstabsarzt  Ctiimani,  Maler  Felix,  Maler  Stauffer  und  Bau- 
rat Jul.  V.  Herz.  —  Gedruckte  Nactirictiten:  C.  v.  Wurzbacti's  Bio- 
graph. Lexikon  (Artikel  Strasctiiripka).  —  Die  Künstlerlexika  von 
H.  A.  Müller,  Seubert,  Ttiieme  und  Becker.  —  Lüfeow's  Zeitsdirift  für 
bildende  Kunst  und  dessen  Kunstctironik  1873  bis  in  die  neueste 
Zeit.  —  Zatilreictie  Kataloge  von  Museen,  Ausstellungen,  Versteige- 
rungen (s.  unten).  —  E.  Ranzoni  „Die  Malerei  in  Wien"  (1873).  —  Die 
Zeitsdirift  „Heimat"  1880  (V,  Nr.  3).  -  Die  Zeitsctirift  „L'art"  in  den 
80  er  Jatiren.  -  W.  Lauser's  „Kunstctironik"  1883,  S.  68  (offener 
Brief  Canon's  an  Professor  Ttiausing,  jedenfalls  von  der  Redaktion 
der  Sctireibfetiler  entledigt.  Enthält  einige  zutreffende  Bemerkungen, 
singt  im  übrigen  das  langweilige  Lied,  da^  nur  der  kunstverständig 
sei,  der  selbst  berufsmäßig  Kunst  ausübe).  —  1885  beim  „Gschnas- 
fest"  der  Künstlergenossenschaft  erschien  eine  „zwanglose  Schön- 
heitsgalerie". Unter  dem,  von  Trentin  gezeichneten,  halb  karikierten 
Bildnis  Canon's  liest  man:  „Und  Canon  hier  erklärt  dir,  mein  Sohn  / 
Wenn  du  brav  bist  den  Rubensfleischfarbenton".  -—  Über  Canon's 
Kolossalbild  schrieb  Vincenti  für  die  „Beilage  zur  allgemeinen  Zei- 
tung", 9.  April  1885.  —  Zahlreiche  Nadhrufe  in  den  Wiener  Tages- 
blättern, in  Thode's  „Kunstfreund"  (1885,  S.  293  ff.),  in  der  Mün- 
chener „Allgemeinen  Zeitung"  (16.  Sept.  1885),  in  Lauser's  „Kunst- 
chronik" (1885),  in  der  „Leipziger  Illustr.  Zeitung"  vom  10.  Okt.  1885 
I,  Nr.  13,  II,  Nr.  52.  -  Bötticher,  Malerwerke  des  19.  Jahrh.  (1895).  Zu 
den  politischen  Karikaturen  Canon's  vgl.  „Die  Wage"  1898  Nr.  49.  — 
Lott  „Bericht  über  die  Studienjahre"  (Reichelpreis).  —  Frimmel  „Ge- 
schichte der  Wiener  Gemäldesammlungen",  an  mehreren  Stellen.  — 
„Erinnerungen  an  Canon"  von  Th.  Thomas  in  „Neue  Freie  Presse", 
23.  Oktober  1904.  -  R.  Schid<  „Tagebuchaufzeichnungen",  S.  348  f. 
(über  Canon's  Besuch  bei  Böcklin  in  Basel  am  3.  Mai  1869.  Mal- 
technische Erörterungen).  —  Ed.  Fuchs  „Die  Karikatur  der  euro- 
päischen Völker  (1904)  S.  299  ff .  —  „Canon,  am  Tage  der  Ent- 
hüllung seines  Denkmals",  Feuületon  von  Friedr.  Stern  im  „Neuen 
Wiener  Tagblatt"  (Geburtshaus  unrichtig  angegeben.  Einige  Über- 
lieferungen). —  „Hans  Canon  zur  Enthüllung  seines  Denkmals)"  von 
„Jim"  im  „Fremdenblatt",  Wien,  29.  Oktober  1905  (unsichere  bio- 
graphische Angaben,  sonst  nach  persönlichen  Erinnerungen).  — 
„Das  Denkmal  für  Maler  Canon"  im  „Illustrierten  Wiener  Extrablatt", 
27.    Oktober    1905.     Hinweis    darauf,    dag    am    Geburtshaus    des 

97  7 


Künstlers  in  der  Währingerstra&e  Nr.  81  schon  vor  Errichtung  des 
Standbildes  eine  Büste  Canon's  angebracht  worden.  Sparkassen- 
direktor Jos.  Winter  hat  diese  Büste  durch  Prof.  Weyr  ausführen 
lassen.  Ferner  Hinweis  auf  zwei  frühe  Bleishftzeichnungen,  Bild- 
nisse  aus  dem  Jahre  1853.  Eine  davon  kam  zu  Herrn  Gerhard  Ram- 
berg-Mayer,  die  andere  wurde  von  Jos.  Winter  erworben.  —  „Hans 
Canon  (Zur  Enthüllung  seines  Denkmals)",  „N.  Fr.  Presse",  27.  Ok- 
tober 1910,  von  A.  F.  Seligmann  (mit  wertvollen  Mitteilungen  aus 
hinterlassenen  Papieren  Canons,  in  denen  sich,  allerdings  etwas 
unbeholfene  Ansäfee  zur  Niederschrift  eines  theoretischen  Werkes 
über  Malerei  vorfanden).  —  Unter  den  Nachrufen,  die  1885  ge- 
druckt wurden  (s.  oben),  ist  Ranzoni's  knapp  zusammengefaßte  Le- 
bensbeschreibung hervorzuheben,  die  einen  langen  Brief  Canons 
benufet  („N.  Fr.  Presse",  16.  September  1885).  Canon  nennt  sich 
darin  selbst  einen  „Enkel  des  Malers  Altomonte  von  mütterlicher 
Seite".  1847  war  er  fünf  Monate  in  Waldmüller's  Schule.  1848  bis 
1853  war  er  Soldat,  über  die  nun  folgende  Rahlperiode  schrieb  er 
selbst:  „Rahl's  Schule  und  dessen  Schüler  waren  die  mächtigsten 
Einflüsse,  die  ich  empfing,  ohne  daß  ich  jedoch  der  Schule  selbst 
angehört  hätte".  -  „Im  Jahre  1862  ging  ich  nach  Karlsruhe  und  fand 
in  J.  W.  Sdiirmer  einen  Freund;  nach  seinem  im  Jahre  1863  erfolgten 
Tode  drängten  Prinzipien-Differenzen  mich  bald  in  eine  sdiwere 
Kampfesposition  gegen  Lessing,  Gude,  Des  Coudres  u.  a.  Es 
drängte  sich  eine  Gruppe  junger  Männer  um  mich,  denen  idi  ver- 
ständlich und  die  mir  sympathisch  waren.  Sie  hießen  spottweise  die 
Canonierer."  Ranzoni  schäfet  die  Anzahl  der  Canon'schen  Bildnisse 
auf  mehr  als  tausend.  —  Beachtenswert  auch  Ranzoni's  Bericht  über 
die  „Canon-Ausstellung"  („N.  Fr.  Presse",  23.  Jan.  1886,  mit  einem 
Brief  Canon's  über  die  Loge  des  Johannes).  —  Noch  weiter  zurück 
ist  als  gehaltvoll  hervorzuheben  Ranzoni's  „Canon  (ein  Künstler- 
porträt)" in  der  „N.  Fr.  Presse"  vom  6.  Juni  1874.  —  Von  dem  Bildnis 
der  Frau  Jauner  handelt  eine  Notiz  der  „Wiener  allgemeinen  Zei- 
tung" vom  12.  Nov.  1886  (Mittagsblatt).  Das  Bild  kam  in  die  Ber- 
liner Nationalgalerie.  ~  Aus  neuerer  Zeit  noch  vieles,  so  „Ein  Jahr- 
hundert österreichischer  Malerei",  Abbildungswerk,  1900,  IX.  Liefe- 
rung, und  L.  Hevesi  „Wiener  Totentanz"  (1899),  Georg  Fuchs 
„Wilhelm  Trübner  und  sein  Werk"  (1908,  S.  24  f.)  -  A.  F.  Selig- 
mann „Kunst  und  Künstler  von  gestern  und  heute"  (1910),  Wieder- 
abdruck des  Feuilletons  vom  27.  Oktober  1910  (siehe  oben).  — 
„Die  Kunst  für  Alle"  Bd.  XIX,  Heft  14,  S.  325,  und  Bd.  XXI,  Heft  3.  - 
J.  J.  Weber's  „Illustrierte  Zeitung"  vom  3.  Aug.  1905  Nr.  324  a.  ~  „Er- 
innerungen an  Hans  Canon"  von  Heinr.  v.  Angeli  in  „N.  Fr.  Presse" 
vom  11.  Sept.  1910;  in  demselben  Tagesblatt  vom  12.  Sept.  1910  „Er- 
innerungen an  Hans  Canon"  von  „v.";  ferner  wieder  in  der  „N.  Fr. 
Presse"  vom  14.  Sept.  1910  „Hans  Canon,  Erinnerungen"  von  Gräfin 
Stephanie  Wurmbrand-Stuppach  und  „Kronprinz  Rudolf  und  Canon" 

98 


von  Dr.  Mor.  Pufeker,  abermals  in  der  „N.  Fr.  Presse"  vom  17.  Sept. 
und  in  demselben  Blatt  vom  24.  Sept.  1910  ,,Eine  Erinnerung  an 
Canon"  von  „Dr.  K.  R."  (über  eine  Skizze  zur  „Loge  Jotiannis"  mit 
der  Inschritt  „Zur  freundlichen  Erinnerung  dem  veretirten  Dr.  Ellinger 
der  ergebene  Canon.  Stuttgart,  26.  Juli  1872",  und  über  ein  gefähr- 
licties  Unwohlsein  Canon's  im  Schwimmbad).  —  „Erinnerungen  an 
Hans  Canon"  von  M.  E.  Sare  in  dem  Tagesblatt  „Die  Zeit",  Wien, 

28.  Okt.   1905.    —    Frimmel   „Von   Hans   Canon",   „Montagsrevue", 

29.  Mai  1905.  —  Jos.  Aug.  Beringer  „Die  badische  Malerei  im  19.  Jahr- 
hundert (1913,  S.  56  f.).  -  J.  Klaus  „Martin  Altomonte"  (1916), 
S.  13.  —  „Der  Pockenpelz",  Notiz  von  „E.  F.  W."  in  der  Bei- 
lage zur  „Vossischen  Zeitung"  vom  2.  April  1919,  (Sehr  aus- 
geschmückte Erzählung  vom  entliehenen  Pelz,  der  wegen  angeb- 
licher Pockengefahr  nicht  mehr  zurückgestellt  wurde;  ferner  Mit- 
teilung von  einer  mißglückten  Brautwerbung  des  jungen,  mittellosen 
Malers.  Straschiripka  wurde  um  sein  Einkommen  gefragt.  Als  er 
eine  geringe  Summe  nannte,  sagte  Mama  vernichtend:  „So?,  das 
reicht  bei  meiner  Tochter  gerade  für  die  Taschentücher".  -  Er  ver- 
sefete  darauf:  „Wirklich,  wenn  ich  das  gewußt  hätte,  daß  Ihr  Fräulein 
Tochter  an  einer  chronischen  R  . . .  nase  leidet,  hätte  ich  gar  nicht 
um  sie  angehalten".)  —  „Studien  und  Skizzen  zur  Gemäldekunde" 
Bd.  IV,  S.  99,  Mai  1919.  über  die  zweimalige  Ausführung  des 
Canon'schen  Bildes  der  Königin  Nathalie  von  Serbien.  Erste  Aus- 
führung bei  Frau  Dr.  G.  v.  Mündel  in  Wien.  —  Donath's  „Kunst- 
wanderer" 1920,  S.  116.  —  Noch  andere  Literatur  wurde  im  Text  er- 
wähnt. 

Unter  den  Katalogen  sind  hervorzuheben:  „Canon's 
N  a  ch  1  a  ß".  Der  gesamte  Besife  des  Malers  wurde  am  9.  De- 
zember 1885  im  Atelier  (Wien,  III.  Bezirk,  Rasumofskygasse  27) 
durch  Löscher  versteigert.  Was  für  Canon's  Arbeiten  erzielt 
wurde,  war,  ähnlich  wie  in  anderen  Versteigerungen  künstle- 
rischer Nachlässe,  niederträchtig  unbedeutend.  Die  guten  Sachen 
darunter,  die  man  übrigens  auch  nidit  übermäßig  hoch  eingesdiäfet 
hatte,  blieben  ohne  jedes  Anbot.  „Kaum  die  Hälfte  der  vorhandenen 
Objekte"  wurde  losgeschlagen  („N.  Fr.  Presse"  vom  10.  Dez.  1885). 
Das  unferhge  Bildnis  des  Prinzen  „Lulu"  wurde  durch  Marquis  de 
Bica  um  500  fl.  erstanden.  Die  Tuschzeichnung  für  die  Decke  des 
naturgeschichtlichen  Museums  ging  um  700  fl.  an  Herrn  v.  Stockauer, 
eine  Farbenskizze  der  „Geflügelhändlerin"  um  650  fl.  an  einen  mir 
nicht  bekannten  Käufer.  August  Eisenmenger  erwarb  um  350  fl.  die 
Farbenskizze  zum  Familienbildnis,  Fräulein  Anna  Wirth,  Canon's 
Schülerin,  kaufte  um  400  fl.  ein  Stilleben  mit  zwei  Figuren.  Eine 
Zeichnung:  unvollendetes  Bildnis  des  Bürgermeisters  Uhl  kam  um 
100  fl.  an  die  Stadt  Wien,  das  unvollendete  Porträt  eines  jungen 
Rothschild  um  230  fl.  an  Dr.  Foregger.  Das  fertig  gemalte  Exemplar 
desselben    Bildnisses    gehörte    damals    Baron    Albert    Rothschild. 


99 


7* 


(„N.  Fr.  Presse",  10.  u.  12.  Dez.  1885.)  Ein  männlicher  Sfudienkopf 
wurde  vom  Herzog  von  Oldenburg  um  296  fl.  erstanden. 

Noch  während  dieser  Versteigerung  waren  mehr  als  200  Werke 
von  Canon  aus  dem  Besife  der  Frau  Dr.  Schmidt  auf  dem  Wege 
nach  Wien,  um  dort  in  der  geplanten  Canon-Ausstellung 
Plah  zu  finden.  Auch  die  zurückgebliebenen  Sachen  aus  Canon's 
Nachlaß  kamen  dahin,  um  neuerlich  ausgeboten  zu  werden,  und 
zwar  nach  Schluß  der  Canon-Ausstellung.  über  diese  gibt  Auf- 
schlug der  „Katalog  zur  Canon-Ausstellung  im  Künstlerhause" 
(Wien,  Verlag  des  Künstlerhauses,  1886).  Die  Ausstellung  war  glän- 
zend veranstaltet.  Nach  deren  Schluß  gegen  Ende  Februar 
1886  kamen  die  NachlaB-Bilder  und  die  aus  dem  Besife 
der  Lieblingstochter  Canon's,  der  Frau  Dr.  Schmidt,  unter  den 
riammer.  Miethke  versteigerte  diese  Werke  in  seiner  LXX.  Kunst- 
auktion unter  dem  allgemeinen  Titel:  „Canon's  Nachlaß  aus 
der  Karlsruher  und  Stuttgarter  Periode".  Hohe 
Preise  gab  es  auch  diesmal  nidit.  Mandies  ging  um  5  bis  6  fl.  ab. 
Zumeist  wurden  nur  zweistellige  Zahlen  erreicht,  nur  selten  Preise 
über  300  fl.  Nach  Miethke's  Mitteilungen  über  Preise  und  Käufer 
Folgendes:  Höchster  Preis  von  350  fl.  bei  Nr.  11  „Niederländisdier 
Fischmarkt",  Lwd.,  H.  38,  Br.  63.  Diese  Skizze  kam  damals  an 
Seybel.  Die  erste  groBe  Ausführung  der  „Loge  Johannis"  (Lwd., 
310  X  200)  wurde  von  Miethke  übernommen  und  kam  dann  zu 
Seeger  nach  Berlin.  Je  eine  Farbenskizze  zur  „Loge  Johannis"  kam 
an  Dr.  Fries  und  an  Seybel,  viele  andere  Studien  zu  demselben 
Bild  zum  Teil  an  Kodi,  Plattensteiner,  Frohner,  Wilczek,  Nemes, 
Hermann  u.  a.,  eine  Fischverkäuferin  an  Hirschler,  eine  Kränze- 
winderin  an  Himmelbauer,  eines  der  Selbstbildnisse  an  Prof.  Her- 
mann, ein  anderes  an  Lobmeyer,  ein  weiteres  an  Dr.  Fries,  der  auch 
eine  Skizze  zur  Flamingojagd  erwarb.  Die  Klio  (175  X  ^30)  kam 
zum  Kunsthändler  Schwarz.  Frohner  erwarb  eine  kleine  Landschaft 
(Nr.  17,  Ansicht  von  Heiligenberg)  um  11  fl.  Die  Suckow-Bildnisse 
gingen  an  Lobmeyer  und  Lieben.  Krämer  kaufte  das  Porträt  des 
Malers  Faber  du  Faure,  Graf  Wilczek  erwarb  die  Bildnisstudie  „Zwei 
Knaben"  (die  Kinder  des  Reichsgrafen  Salm),  H.  35,  Br.  25,  um  41  fl. 
Das  Porträt  des  Malers  Dittweiler  in  Karlsruhe  (41  X  ^^^  ^^^^  ^^ 
Palik  um  25  fl. 

In  den  Wiener  Versteigerungen  der  jüngsten  Jahre  kamen 
wiederholt  gute  Werke  von  Canon  unter  den  Hammer,  besonders 
1920  im  April  bei  Schidlof,  wo  u.  a.  eine  Landschaft  zu  sehen  war, 
die  deutlidist  den  Einfluß  der  Flandrer  aus  der  Rubenszeit  verriet, 
besonders  des  L.  v.  Uden;  ferner  gab  es  dort  ein  Selbstbildnis 
Canon's  bei  der  Staffelei,  auf  der  ein  halb  fertiges  Madonnenbild 
steht.  In  derselben  Versteigerung  auch  eine  Skizze  zur  allegorischen 
Figur:  Die  vier  Elemente. 


100 


Auf  die  Büste  von  Weyr  an  Canon's  Geburtshaus  und  auf  das 
Weyr'sdie  überaus  gelungene  Standbild  wurde  wiederholt  hin- 
gewiesen. Dieses  war  1904  in  der  k.  1<.  ErzgieBerei  schon  fertig  und 
wurde  1905  enthüllt.  Die  Canon-Figur  ist  auch  in  kleinerem  Format 
ausgeführt  worden.  Nun  sei  schließlich  noch  nachgetragen,  daß 
Canon's  Grab  auf  dem  protestantischen  Friedhof  vor  der  Mableins- 
dorfer  Kirche  mit  einem  schief  hingelegten  Grabstein  bedeckt  ist, 
auf  welchem 

„HANS 

CANON" 
die  einzige  einfache  Inschrift  ist. 


101 


Carl  Friedrich  Lessing. 

Carl  Friedrich  Lessing  als  Landschaftsmaler.*) 

So  viele  Menschen  es  gibt,  so  vielerlei  Arten  gibt  es  auch,  die 
uns  umgebende  Natur  zu  betrachten.  Kein  Mangel  an  den  schroff- 
sten Gegensäfeen.  Angeborene  und  erworbene  Eigentümlichkeiten 
beeinflufeen  in  einer  Anzahl,  die  kaum  zu  überblicken,  die  Natur- 
auffassung eines  Menschen.  Von  der  Naturauffassung  im  weiteren 
Sinne  wollen  wir  gleich  hier  den  engeren  Begriff  der  Landschafts- 
auffassung lostrennen.  Auf  diese  nun  üben  Alter,  Geschlecht, 
Temperament,  Erziehung,  Umgebung,  Lektüre,  Studien  gewiß  einen 
bestimmten  Einfluß  aus,  ohne  daß  es  möglich  wäre,  ihn  jedesmal 
haarklein  zu  verfolgen  und  nachzuweisen.  Audi  einzelne  Kultur- 
perioden beeinflussen  das  „landschaftliche"  Auge,  worauf  W.H.Riehl 
schon  vor  Jahren  in  einem  geistvoll  geschriebenen  Essay  aufmerk- 
sam gemacht  hat. 

In  dem  folgenden  soll  uns  die  landschaftliche  Auffassung  eines 
der  berühmtesten  modernen  Landschaftsmaler,  Carl  Friedrich 
Lessing's,  eines  Mannes  von  ziemlich  ausgesprochen  melancho- 
lischem Temperament,  beschäftigen;  Lessing  ist  gerade  in  dem 
Punkte  seiner  Naturauffassung  so  originell  und  so  verschieden  von 
den  meisten  unserer  modernsten  Landschafter,  daß  es  wohl  die 
Mühe  lohnt,  den  berühmten  Mann  von  dieser  Seite  eingehend  zu  be- 
trachten. Was  vor  allem  in  die  Augen  fällt  bei  einem  tiberblicken 
seiner  Tätigkeit  als  Landschaftsmaler,  das  ist  neben  einer  un- 
erschöpflich reidien  Phantasie  das  im  geographischen  Sinne  ver- 
hältnismäßig engbegrenzte  Gebiet,  bei  dem  er  den  Stoff  seiner  Dar- 
stellungen entnimmt;  es  sind  immer  nur  die  Eitel,  der  S  o  1 1  i  n  g, 


*)  Erstdruck  in  der  „Montags-Revue"  vom  21.  Februar  1881  (Wien). 

102 


der  Harz,  die  fränkische  Schweiz,  das  Siebengebirge 
und  endhch  die  Niederungen  seiner  sdilesischen  Heimat, 
die  wir  auf  seinen  Bildern  widerfinden.  Nach  einer  Darstellung  aus 
den  Alpen  aus  Italien  oder  aus  den  skandinavischen  Ländern  würden 
wir  vergebens  suchen;  auch  den  Herrlichkeiten  des  Meeres  und  der 
Küste  blieb  er  fast  gänzlich  fern,  und  wenn  wir  nicht  irren,  ist  eine 
Tuschzeichnung  einer  brandenden  See  (felsige  Küste),  welche  wahr- 
scheinlich im  Jahre  1825  unter  dem  Einflüsse  der  Reise-Eindrücke 
von  der  Insel  Rügen  entworfen  wurde,  die  einzige  Darstellung 
maritimer  Natur. 

Haben  wir  uns  aber  mit  den  Grenzen  seines  Darstellungsgebietes 
einmal  vertraut  gemacht,  so  werden  wir  innerhalb  derselben  alsbald 
eine  sonst  seltene  und  liebevolle  Vertiefung  gewahr,  so  da&  der 
scheinbare  Mangel  nun  als  Tugend  erscheint;  in  dem  beschränkten 
Gärtchen  seiner  ausschließlich  deutschen  Landschaftsmalerei  hat 
Lessing  Blumen  gezogen  in  einer  Fülle,  Herrlichkeit  und  Mannigfaltig- 
keit, die  wir  uns  nur  durch  einen  langen  in  Harmonie  hinströmen- 
den Lebenslauf  erklären  können.  Aber  auch  sonst  brauchte  Lessing 
den  Vorwurf  der  Einseitigkeit  nidit  im  entferntesten  zu  fürchten;  war 
er  doch  in  einer  langen  Periode  seines  Lebens  (von  zirka  1827  bis 
1867)  ein  vielseihger  Historienmaler,  der  sidi  als  solcher  die  Lor- 
beeren der  alten  und  neuen  Welt  verdient  hatte. 

Verweilen  wir  noch  bei  der  freiwillig  auferlegten  Beschränkung, 
zu  deren  Illustrahon  ein  in  der  Schweiz  und  über  dieselbe  ge- 
schriebener Brief  Lessing's  zunächst  besondecs  geeignet  erscheint. 
Das  Schreiben  ist  an  Lessing's  Frau  gerichtet  und  soll  hier,  obwohl 
nur  in  seiner  ersten  Hälfte  auf  unser  Thema  bezüglich,  dennoch,  um 
das  an  und  für  sich  interessante  Dokument  nicht  zu  zerstückeln,  in 
seiner  ganzen  Ausdehnung  abgedruckt  werden.  Die  Jahreszahl  fehlt 
in  der  Daherung,  ist  aber  höchstwahrscheinlich  als  1864  [besser  1865 
auf  1866]  zu  ergänzen.  Otto  Lessing,  der  jefet  als  Bildhauer  in  Berlin 
lebende  Sohn  des  Malers,  teilte  mir  freundlichst  mit,  er  erinnere  sich, 
wenn  auch  nicht  ganz  genau,  daß  sein  Vater  im  Spätherbstes  i)  1863 
auf  Wunsch  des  Großherzogs  von  Baden  in  die  Schweiz  gereist  sei. 
Das  Tagebuch  des  Malers,  dessen  wir  in  unserem  Feuilleton  vom 
31.  Jänner  1881   Erwähnung  getan  [siehe  den  nächsten  Abschnitt], 


91)  Archivrat  Dr.  Fr.  v.  Weech  aus  Karlsruhe  teilte  uns  mit,  Lessing  sei  von 
1865  auf  66  in  der  Schweiz  gewesen. 

103 


läfet  uns  diesmal  im  Suche;  doch  enthält  es  auch  nichts,  was  unserer 
Annahme  widerspräche;  es  zeigt  nämlich  in  der  Zeit  vom  Dezember 
1863  bis  zum  März  1864  eine  Lücke  und  wieder  eine  ähnliche  von 
August  1865  bis  August  1866  in  den  Aufschreibungen,  welche  eher 
für  als  gegen  unsere  Annahme  gedeutet  werden  könnte.  Nun  der 
Brief: 

„Vevey,  Jänner,  Freitag  Morgen. 
Liebe  Idal 

Vorgestern  Abend,  ungefähr  um  8  Uhr,  bin  ich  hier  angelangt. 
Bisher  war  ich  vom  Wetter  sehr  begünstigt  gewesen,  aber  seit 
gestern  Morgen  regnet  es  ununterbrochen  fort  und  sieht  aus,  als 
wollte  es  noch  länger  anhalten;  von  südlichen  Klima  daher  habe 
ich  keine  Probe  erlebt.  In  Bern,  wo  ich  mich  2  halbe  Tage  auf- 
gehalten habe,  habe  ich  nun  zum  erstenmale,  wenn  auch  nicht 
nahe,  doch  sehr  deutlich,  die  Alpenkette  im  grellsten  Sonnenschein 
und  zwar  an  verschiedenen  Tageszeiten  gesehen.  Der  Anblick  hat 
mich  nicht  so  überrascht,  als  ich's  erwartet  hatte,  denn  ich  hatte 
mir  die  Berge  noch  viel  höher  gedacht.  Außerdem  m  a  ch  e  n 
diese  Sdinee-  und  Eisberge  einen  sehr  un- 
ruhigen  Eindruck,  der  mir  mit  der  Zeit  nodi  zunahm.  Am 
meisten  gefielen  sie  mir  spät  Abends,  wo  sie  ganz  im  Schatten 
waren.  So  ist  mir  auf  der  ganzen  Tour  noch  eine  für  mich  un- 
angenehme Eigenschaft  der  Schweizer  Landschaften  aufgefallen, 
dafe  sich  eine  Menge  Berglinien  übereinander  befinden,  nach  dem 
Hintergrunde  unter  den  Umständen  immer  höher,  die  fürs  Auge 
gar  keine  Vermittlung  darbieten,  und  daher  gleichsam  lauter  Seb- 
stücke  wie  in  der  Coulissenwelt  bilden.  Die  Vorgründe  und  auch 
Mittelgründe  sind  oft  sehr  malerisch  in  ihrer  ganzen  Anlage,  nur 
werden  sie  Einem  durch  den  nicht  wenigen  aber  ganz  elenden 
Wald,  welcher  weder  Natur  noch  Kunst  ist,  verdorben.  Außer 
einigen  alten  Linden  habe  ich  noch  keinen  vernünfhgen  Baum 
sehen  können,  audi  hier  scheint's  derselbe  Fall.  Große,  sehr  un- 
erfreuliche Strecken  habe  ich  mit  der  Eisenbahn  durchfahren,  wie 
sie  kaum  sdilechter  in  Thüringen  und  auf  der  Hochebene  zwischen 
Ulm  und  Mündien  zu  finden  sind,  und  dabei  oft  ganz  vortreffliche 
Bodenverhältnisse.  Nach  meiner  nur  geringen  Beobachtung  kommt 
es  mir  vor,  als  wäre  die  Gegend  zwischen  Basel  und  Ölten  die  für 


104 


einen  Maler  braiiclibarste  gewesen.  Als  ich  diese  Gegenden 
durchfuhr  und  alle  AugenbHcke  brauchbare  Sachen  sah,  dachte 
idi  bei  mir  ,  wenn  sich's  in  der  Schweiz  so  steigern  sollte,  dann 
hätten  die  Menschen  doch  recht  in  die  Schweiz  so  verliebt  zu  sein. 
Aber  dieser  Eindruck  wurde  mir  nur  zu  bald  wieder  verwisdit.  In 
der  Basel-Landschaft  ist  nämlich  der  Wald  auch  etwas  besser  be- 
wirtschaftet. Von  der  so  gepriesenen  Umgebung  des  Genfersees 
kann  ich  Dir  noch  nicht  viel  schreiben,  indem  ich  noch  nicht  viel 
anders  vor  die  Thür  gekommen,  als  in  das  Quartier  unseres  Herrn. 
Nur  so  viel  kann  ich  Dir  schon  melden,  da&  das  Klima  zur  Zeit  viel 
winterlidier  ist,  als  in  Carlsruhe,  und  wenn  man  noch  jenseits  trost- 
lose Berge,  die  savoy'schen  Alpen  mit  dem  vielen  Schnee  be- 
trachtet, wird  der  Eindruck  des  Winters  noch  mehr  gesteigert. 
Sehr  schön  ist  dabei  das  bewegte  Wasser  des  Sees  anzusehen. 
Wenn  aber  das  Wetter  besser  wird  und  ich  die  Umgebungen 
einigermaßen  kennen  gelernt  habe,  hole  ich  das  Fehlende  nach. 

Gestern  Morgens  hatte  ich  zuerst  Freidorf  aufgesucht,  den  ich 
in  langem  Schlafrocke  und  beim  Studium  der  französisdien 
Sprache  vorfand. 

Nach  langem  Plaudern  wurde  ich  zum  GroBherzog  gerufen, 
bei  dem  ich  wohl  über  eine  Stunde  zubringen  muBte;  daß  er  außer- 
ordentlidi  freundlidi  gewesen,  kannst  Du  Dir  leicht  denken.  Zur 
Mittagstafel  bin  ich  ein-  für  allemal  eingeladen,  auch  hatte  er  mir 
gleich  eine  Partie  nach  dem  Schlosse  Chillon  vorgeschlagen,  zu 
deren  Ausführung  es  jedoch  des  schlechten  Wetters  wegen  nicht 
mehr  kommen  konnte.  Darauf  besuchte  ich  Schrickel,  ebenfalls  in 
demselben  Costüme,  war  aber  mit  allerlei  Büchern  umgeben,  die 
auf  die  Geschichte  der  Umgebung  Bezug  haben,  dann  auch  Stern- 
berg, der  in  Hemdesärmeln  saß  und  ebenfalls  Studium  zur  Ver- 
vollkommnung der  französischen  Sprache  trieb.  Alle  drei  wohnen 
natürlich  in  ein  und  demselben  Hause.  Hut  und  Frack  sind  unnöthig 
mitgenommen,  denn  auch  zur  Tafel  gestern,  die  von  5  bis  9  Uhr 
gedauert,  erscheint  man  im  täglichen  Costüme.  Der  Kaffee  wurde 
in  Schrickel's  Zimmer  genommen  und  dabei  stark  geraucht.  Nach 
der  Versicherung  der  drei  Herren  hatten  sie  in  der  ganzen  Zeit 
keine  lange  Weile  auszustehen  gehabt,  indem  sie  ganz  nach  Ge- 
fallen sich  beschäftigen  konnten.  Nur  selten  begleiten  sie  den 
Grofeherzog  und  zwar  dann  auch  nur  Einer. 


105 


Mit  der  Kenntnis  meines  Bischen  Französisch  wäre  ich  schlecht 
tortgekommen,  hätte  es  nicht  das  Glück  gewollt,  da|  ich  auch 
namentlich  hier  einen  Kellner  vorgefunden  hätte,  der  ein  Deutscher 
ist  und  als  Volontär  dient. 

Wenn  Du  kannst  schreibe  mir  recht  bald  ein  paar  Zeilen,  wie 
es  Euch  geht.  Aber  wie  gesagt  recht  bald,  denn  sollte  dieses 
schlechte  Wetter  verhalten,  so  werde  idi  auf  die  Reize  dieser  so 
gepriesenen  südlichen  Gegend  sehr  bald  verzichten. 

Nun  lebe  recht  wohl,  liebste  Idal 

GrüBe  die  Kinder  und  Alle  herzlichst.  ^ 

Stets  Dein  C.  F.  Lessing." 

Wir  können  uns  nicht  verhehlen,  dafe  in  diesem  Briefe  ein  ge- 
wisses Vorurteil  gegen  die  Alpennatur  zum  Ausdrud<  kommt,  müssen 
aber  anderseits  zugestehen,  daB  die  winterliche  Jahreszeit  nicht  eben 
die  geeignetste  war,  um  Lessing  die  Sdiönheiten  der  Sdiweizer- 
landschaft  besonders  begehrenswert  erscheinen  zu  lassen.  Wie  dem 
auch  sei,  Lessing  hielt  trofe  gro&herzoglidier  Freundlichkeit,  trofe  des 
„Verliebtseins"  der  Welt  in  die  Schweiz,  fest  an  seinen  deutschen 
Hügeln  und  Bergen. 

Wir  wüßten  auch  nicht,  daß  sich  auf  seinen  Bildern  Nachklänge 
jener  Schweizerreise  (deren  Dauer  uns  übrigens  nicht  genau  bekannt 
ist)  nachweisen  lie&en;  auf  den  Landschaften  der  allernädisten  Zeit, 
sowie  auf  allen  folgenden  finden  wir  nach  wie  vor  die  Motive  aus  den 
von  uns  Eingangs  genannten  Gegenden.  Unter  diesen  spielte  schon 
von  der  ersten  Düsseldorfer  Zeit  des  Künstlers  an  die  E  i  f  e  1  eine 
wichtige  Rolle.  Schon  die  im  Jahre  1834  gemalte  „Eifellandschaft" 
der  Berliner  Nationalgalerie  läfet  auf  ein  vorhergegangenes,  ein- 
gehendes Studium  dieses  interessanten  Gebirges  mit  seinen  sonder- 
baren Felsformen  und  kleinen  Bergseen  (Maaren)  sdilieBen.  Zeich- 
nungen und  Studien,  sowie  viele  Landschaften  aus  den  versdiieden- 
sten  Perioden  von  Lessing's  Wirken  weisen  darauf  hin,  eine  wie 
gro&e  Vorliebe  er  für  diese  Gegend  bis  in  sein  spätes  Alter  bewahrt 
habe.  Ein  Brief  aus  dem  Jahre  1871  und  eine  zweite  sehr  bekannte 
Eifellandschaft  aus  dem  Jahre  1875  (Berliner  Nationalgalerie,  Nr.  392) 
sprechen  dies  sehr  deutlidi  aus.  Den  Brief  teilen  wir  hier,  ebenfalls 
unverkürzt,  nach  dem  Manuskripte  Lessing's  mit,  hauptsächlich  als 
Gegensafe  zu  dem  Schweizer  Briefe. 


106 


„Geroldstein»2)  den  13.  Oktober  1871. 

Liebste  Ida! 

Nadi  Deiner  lebten  Nactirictit,  daB  Karl'-^-)  bereits  in  Lorch  sidi 
befindet,  wäre  auch  für  uns  Zeit  von  tiier  aufzubredien,  um  mehr 
da  das  Wetter  für  unsere  Studien  höchst  ungünstig  ist.  Seitdem 
der  Westwind  seit  einigen  Tagen  aufgehört,  ist  es  trocken  ge- 
worden aber  so  kalt,  da^  man  beim  Stillsifeen  im  Freien  sich  leicht 
etwas  erholen  kann.  Mit  Konrad^^)  ist's  schon  so  der  Fall,  indem 
er  an  Zahnschmerzen  zu  leiden  hat,  und  seine  Paar  angefangenen 
Studien  kaum  wohl  beendigen  wird.  Besonders  sind  die  Nachmit- 
tage kalt  und  windig.  Ich  glaube  aber,  daB  hier  die  Luft  sehr  ge- 
sund sein  mu&,  denn  sonst  würden  wir  nach  den  überstandenen 
Strapazen  wohl  mehr  zu  leiden  haben.  Jemehrichaberdie 
hiesige  Natur  kennen  lerne,  jemehr  bin  ich  von 
ihr  entzückt  und  bedaure  nur  keine  Studien  machen  zu 
können,  die  dieselbe  eigentlich  näher  charakterisieren  würde,  da 
es  aber  hierbei  nöthig  wäre  sich  auf  kahle  Höhen  zu  sehen,  wo 
der  Wind  darüber  fegt,  so  ist  es  für  diesmal  unmöglich  und  ver- 
tröste mich  auf  die  Zukunft.  Müller,  der  wirklich  sein  Versprechen 
gehalten  hat  uns  zu  besuchen,  ist  ebenfalls  von  der  Gegend  hier 
sehr  erbaut  und  sagte  ein  über  das  andere  Mal,  Prachtvoll! 
Prachtvoll]  Leider  werde  ich  wahrscheinlich  (einige  hier  in  dem 
schadhaften  Manuskripte  fehlende  Worte  sind  leicht  und  sicher  zu 
ergänzen)  nur  3  Studien  mitbringen  die  unter  dem  Schufee  von 
Basaltfelsen  gezeichnet  sind  und  ihnen  entnommen  sind. 

Leider  sieht  es  heute  aus  als  wollten  die  Paar  erträglich  guten 
Tage  wieder  ihr  Ende  nehmen. 

Was  Du  mir  über  Heinrich  geschrieben,  ist  mir  nicht  ganz  klar, 
nur  ersehe  ich  daraus,  daß  mein  Bedenken,  begründet  gewesen. 
Robert  Heuser^s)  kommt  nicht  hieher  wie  Adele^ß)  an  Konrad  ge- 
schrieben, das  Wetter  sdieint  ihn  abgehalten  zu  haben. 


92)  Geroldstein,  ein  kleiner  Ort  an  der  Kyll  in  der  Eifel,  unweit  des  vulkani- 
schen Nerotberges. 

93)  Wahrscheinlich  Lessing's  Sohn  Karl  (geb.  1847). 

94)  Konrad  Lessing,   Sohn  des  Malers,    geb.  1852,  jetzt  selbst  Landschafts- 
maler. 

ö5)  Ein  Verwandter  aus  der  Familie  von  Lessing's  Gemahlin, 
96)  Wahrscheinlich  Adeline  Heuser  eine  Schwester  Ida's. 

107 


Wenn  Lepke^"^)  nicht  beide  Landschaften  nehmen  sollte,  so 
wü&te  ich  augenbhcklich  keinen  Rath,  aber  jedenfalls  wäre  ich 
nicht  dafür  sie  dem  Kunsthändler  nach  Breslau  zu  senden,  indem 
dort  zu  wenig  Aussicht  vorhanden  ist.  Für  diesmal,  liebste  Ida, 
fasse  ich  mich  kurz,  indem  ich  an  Karl  noch  ein  Paar  Zeilen 
schreiben  möchte,  damit  er  die  Gewißheit  erlange,  dal  wir  auch 
wirklich  und  zwar  bald  dorthin  zu  kommen  gedenken. 

Lebe  recht  wohl  und  grü&e  die  jungens  vielmals. 

Stets  Dein 

Karl." 

Auch  dieser  Brief  wurde  aus  dem  oben  angedeuteten  Grunde 
vollständig  wiedergegeben.  Es  zeigt  uns  Lessing  als  liebevollen 
Gatten  und  Vater  und  ist  besonders  für  unser  heutiges  Thema  von 
Bedeutung. 

Lessing's  Vorliebe  für  die  Eifel  wäre  also  dokumentiert.  Fast 
noch  mehr  als  die  Eifel  war  der  Harz  und  besonders  der  nördliche 
Rand  (in  einem  Briefe  vom  20.  Oktober  1850  aus  Quedlinburg  findet 
sich  eine  hieher  gehörige  Stelle)  des  „Unterharzes"  und  dessen  Vor- 
berge, eine  Lieblingsgegend  des  Malers  durch's  ganze  Leben  hin- 
durch. Von  einer  seiner  jugendreisen  in  das  sonderbar  geformte  und 
Sagenreiche  Gebirge  wollen  wir  weiter  unten  sprechen  und  lassen 
eine  Stelle  aus  einem  langen  (hier  nidit  ganz  mitzuteilenden)  Briefe 
folgen,  die  deutlich  genug  unseren  Ausspruch  bestähgt.  Aus 
Blankenberg  am  Harz  schreibt  der  Maler  im  August  1864  an  seine 
Gemahlin:  „Von  jeher  habe  ich  diese  Gegend  geliebt 
und  ich  gestehe,  da&  ich  wieder  so  viel  Neues  entdeckt  habe,  was 
idi  leider  bei  dem  ununterbrochen  heftigen  Winde  nicht  so  ausbeuten 
kann,  als  ich  es  möchte;  namentlidi  sind  es  Waldpartien,  die  mir 
früher  noch  gar  nicht  bekannt  waren  .  .  ."  Nodi  aus  dem  Jahre  1874 
finde  ich  einen  Brief,  auf  einer  Harzreise  gesdirieben,  in  welchem 
von  Studienzeichnen  die  Rede  ist.  Um  jedodi  auf  die  erwähnten 
Jugendreisen  in  den  Harz  zurückzukommen,  sei  hier  neben  dem  Hin- 
weis auf  zahlreiche  Harzstudien  auf  der  vor  kurzem  eröffneten 
Lessing-Ausstellung  unseres  Künstlerhauses  (besonders  Nr.  210—213 
und  Nr.   230)   eine   besonders   diarakteristische   Stelle   aus   einem 


97)  Der  bekannte  Kunsthändler  in  Berlin. 

108 


kleinen  Tagebudie  beigebracht,  das  der  Maler  ouf  einer  Studienreise 
im  Jatire  1836  fiitirte.  Das  ganze  Tagebucti  hier  mitzuteilen,  hie&e  die 
Prinzipien,  nach  denen  die  beiden  Briefe  abgedruckt  sind,  zu  weit 
treiben.)    Am  16.  September  des  genannten  Jahres  fuhr  der  junge 
Künstler  am  Regenstein  vorbei  nach  Blankenbur  g.-"')    Im 
Tagebudie  heiBt  es  da:  „Interessante  Bildung  des  Sandsteins,  noch 
mehr  hat  mich  diese  angezogen  auf  dem  weiteren  Wege,  der  mich 
längs  der  Teufelsmaue  r^o)  vorüberführte  ....   Diese  Klippen 
bestehen   ganz   aus   neuerem   Sandstein,   der  mit   vielen   sandigen 
Eisenadern  und  mit  Klüften  voll  Thon-  und  Farbenerde  durchzogen 
ist,  enthält  viel  Muschel-  und  Blätterabdrücke,  wird  zu  allerlei  Behuf 
verarbeitet  und  ausgeführt."    An  demselben  Tage  besteigt  er  die 
Ro&trappe,  von  wo  er  die  Aussicht  in's  B  o  d  e  t  a  I  hinab  bewundert. 
Im  Tagebuche  heiBt  es  davon:  „daB  mir  dieses  Thal  gefällt,  versteht 
sich  von  selbst,  noch  mehr  würde  es  mir  gefallen,  hätte  Herr  v.  Bülow 
nicht  so  menschenfreundlidi  gedacht  und  seine  bequemeren  Wege 
und  Anlagen  unterlassen.    Es  ist  zwar  für  die  Reisenden  dadurch 
bequem  gemacht,  paBt  aber  für  eine  solche  Gegend  durchaus  nicht. 
Daher  wo  man  jefet  hinspuckt,  spuckt  man  einen  auf  Reisenden  und 
besonders  auf  diese  ledernen  Studenten,  die  jebt  ihre  Ferien  haben." 
Wer  erinnerte  sich  hier  nicht  an  H.  Heine's  „Harzreise"?    Es  sind 
nun  allerdings  keine  Töne,  wie  sie  der  Dichter  dort  anstimmt,  desto 
entsdiiedener  drücken  sie  aber  die  Meinung  und  Überzeugung  des 
Tagebuchschreibers  aus.  Die  Stelle  ist  für  Lessing  ungemein  charak- 
teristisch;   er    gehört    zu    denen,    die    „schwarze    Röcke,    seid'ne 
Strümpfe  —  weiBe  höfliche  Manchetten"  nidit  für  den  Höhepunkt 
menschlicher  Kultur  halten,  sondern  denen  der  reine  Naturgenug  in 
den  Bergen  durch  solche  städtische  Reminiszenzen  nur  vergällt  wird. 
Wie  wir  in  den  Spalten  dieses  Blattes  schon  zu  erwähnen  Gelegen- 
heit hatten,  kleidete  sidi  Lessing  nadi  Jägerart  und  zog  das  Land- 
leben jedem  anderen  vor.    [Vergl.  den  Abschnitt  „Carl  Friedrich 
Lessing  als  Schübe".]     Auf  der  Rückkehr  von  der  eben  bespro- 
chenen Studienreise  kommt  er  nach  Kassel  und  gibt  seinem  Wider- 
willen gegen  das  Stadtleben  folgenden  Ausdruck:  „Mein  Leben  im 
Solling  und  einem  Theile  des  Harzes  steht  in  einem  solchen  Con- 


98)  Blankenburg,  Städchen  im  Unterharz. 

99)  Viele  Studien  aus  dieser  Gegend,  welche  die  „Lessing-Ausstellung"  ent- 
hält, bilden  eine  willkommene  Illustration  zu  dieser  Stelle. 

109 


traste  zu  dem  Städteleben,  da^  es  mir  ganz  unerträglich  vorkommt." 
(Das  „es"  bezietit  sicti  auf  das  Stadtleben.) 

Ein  Leidites  wäre  es  uns,  aucti  die  anderen  Lieblingsgegenden 
des  großen  Meisters  mit  Briefstellen  usw.  zu  belegen,  docti  sdieint 
es  ersprießlicher,  eine  kurze  Übersicht  des  Wirkens  von  Lessing  als 
Landschaftsmaler  zu  geben  und  schließlich  zu  seiner  Natur- 
auffassung zurückzukehren. 

Das  erste  größere  Gemälde  Lessing's  war  bekanntlich  eine 
Landschaft:  „Klosterkirchhof  mit  Ruinen"  (1826);ioo)  sie  hat  in  der 
koloristischen  Stimmung  eine  anerkannte  Ähnlichkeit  mit  dem 
„Judenkirchhof"  J.  Ruysdael's  in  der  Dresdener  Galerie,  ist  jedoch 
unabhängig  von  diesem  Bilde  oder  einer  Reproduktion  desselben 
entstanden  (so  teilte  mir  Otto  Lessing  nach  einem  Ausspruch  seines 
Vaters  mit).  Dieses  in  seiner  Vollendung  und  tiefsinnigen  Auffassung 
der  Natur  höchst  bedeutende  Erstlingswerk  wurde,  wie  bekannt,  die 
Veranlassung  zu  Lessing's  Übersiedlung  von  Berlin  nach  Düsseldorf, 
wo  er  sich  unter  W.  v.  Sdiadow's  Leitung  der  Historienmalerei 
widmete,  ohne  deshalb  seine  landschaftlidien  Studien  abzubrechen. 
Schon  im  Jahre  1828  ist  eine  zweite  große  Landschaft  entstanden, 
die  jeßt  der  Berliner  Nationalgalerie  gehörige  (Nr.  202)  „Ritter- 
b  u  r  g".  Das  Bild  ist,  sowie  einige  andere,  ebenfalls  in  der  National- 
galerie  befindliche  Landsdiaften  Lessing's  (ältere  „Eifellandschaft" 
und  „Waldkapelle")  aus  jener  Periode  charakteristisch  für  des 
Malers  Technik  bis  gegen  1840.  Auf  der  Wiener  Ausstellung  gibt 
(Nr.  230)  die  von  Prof.  Hauser  exponierte  Harzlandsdiaft  aus 
dem  Jahre  1835  einen  Begriff  von  dieser  Tedinik.ioi)  Dem  nächsten 
Jahre  gehört  die  bekannte  Eifelseelandschaft  des  städhschen 
Museums  zu  Leipzig  an.  1837  folgte  die  berühmte  „tausend- 
jährige E  i  ch  e"  usw.  Die  von  Lessing  in  diesen  Bildern  ver- 
folgte Richtung  und  Technik  in  jener  Zeit  wurde  mehrfadi  nadi- 
geahmt.  Funk,  Hesse,  Lasinski,  Pose  müssen  hier,  obwohl 
in  Süddeutsdiland  wenig  gekannt,  erwähnt  werden.  Zu  origineller 
Gestaltung  hat  es  aber  keiner  von  diesen  gebracht  und  Lessing 


WO)  Eigentum  des  Herrn  "Rittergutsbesitzers  Kolbe  auf  Pritzlow.  —  Im  Tage- 
buch wird  eine  Lithographie  danach  erwähnt  —  uns  unbekannt  —  auf  der  Aus- 
stellung findet  sich"  der  Entwurf  zu  diesem  Bilde. 

>oi)  [Dieses  Bild  wurde  unlängst  veröffentlicht  in  Lieferung  II  der  "Neuen 
Blätter  für  Gemäldekunde.  Die  Abbildung  wird  im  vorliegenden  Buch  wiederholt.] 

110 


stand  hoch  über  ihnen,  wie  sich  dies  schon  in  seinen  Landschaften 
der  nädisten  Jahre  zeigt.  Eine  ganz  besonders  hervorragende  Stel- 
lung unter  diesen  nimmt  die  „schlesische  Landschaft"  der 
Nationalgalerie  ein  (vollendet  1841).  Das  Bild  ist  eine  der  schönsten 
[damals]  modernen  Landschaften  überhaupt.  Der  Künstler  verseht 
uns  in  eine  flache  Sumpfgegend,  mit  Buschwerl<  und  Kiefern  spärlich 
bewachsen.  Im  fernen  Hintergrunde  gewahrt  man  die  Türme  einer 
Stadt;  im  Mittelgrunde  eine  Gruppe  von  Kiefern.  Die  Sonne  ist  eben 
versunken  und  die  lichtdurchtränkte  Atmosphäre  des  Westens  wirft 
unbestimmte  Schlagschatten  gegen  den  Vordergrund.  Ein  einsamer 
Wanderer  schreitet  durch  die  Gegend. 

Diese  zauberhaft  reizende  Landschaft  gehört  jenem  Stadium 
von  Lessing's  technischer  Entwicklung  an,  in  welchem  er  sich  von 
der  befangenen  Art  seiner  ersten  Periode  losrei&t  und  einer  flotteren 
Pinselführung  entgegengeht.  Was  Lessing  an  Landschaften  vor 
diesem  Bilde  gemalt,  zeichnet  sich  aus  durch  eine  strenge,  gegen 
spätere  Werke  fast  harte  Zeichnung,  durch  bis  ins  kleinste  sorgsam 
studierte  Details,  dünnen  diskreten  Farbenauftrag  und  durch  einen 
warmen  bräunlichen  Gesamtton  (im  Gegensabe  zu  dem  helleren 
seiner  späteren  Zeit).  Zu  Anfang  der  40  er  Jahre  bis  gegen  1860 
kommt  nun  eine  Zeit,  wo  Lessing  mehr  pastos,  freier  und  breiter 
malte  als  vorher.  Seine  Pinselführung  wird  auch  später  immer 
kühner  bis  in  die  allerlebte  Zeit,  wo  eine  leichte  Lähmung  des  rechten 
Armes  nur  ein  Malen  mit  Führung  durch  die  linke  Hand  gestattete. 
Abgesehen  von  dem  lebterwähnten  Umstände  scheint  es,  dag  die 
Veränderung  von  Lessing's  Technik  nicht  allein  durch  die  zu- 
nehmende  Routine  der  Hand,  sondern  auch  durch  Veränderungen 
im  Auge  bedingt  war.  Bei  einer  rein  technischen  Analyse  von 
Lessing'schen  Landschaften,  wobei  also  die  Werke  nur  auf  ihre  Ent- 
stehung durch  das  Zusammenwirken  von  Auge  und  Hand  geprüft 
werden,  erkennen  wir  in  der  minutiösen  Ausführung  (auch  der 
Mittel-  und  Hintergründe)  in  der  ersten  Periode  das  emmetropische 
(normale)  Auge,  das  mit  grober  Schärfe  alle  Einzelheiten  abbildet, 
in  der  Befangenheit  der  Formgebung,  die  noch  nicht  vollendete 
Routine  der  Hand.  Später  wird  diese  Routine  immer  gröber  und  die 
wachsende  Breite  der  Behandlung  deutet  darauf  hin,  dab  Lessing's 
Auge  sich  allmählich  der  (akkomodativen)  Anstrengung  bewubt  wird, 
welche  mit  feiner  Detailausführung  verbunden  ist;  Lessing  wurde 


111 


presbyopisch  fmeist,  wenn  auch  fälschlich,  mit  „weitsichhg")  über- 
seht. Damit  stimmt  auch  die  Mitteilung  überein,  da&  der  Maler  zirka 
1865  begonnen  habe  sich  beim  Arbeiten  der  Konvexgläser  zu  be- 
dienen. 

Jener  Periode  nun  von  Lessing's  Landschaftsmalerei,  bei  weldier 
wir  früher  der  technischen  Analyse  zu  Liebe  abgebrodien  hatten, 
gehört  der  berühmte  „K  1  o  s  t  e  r  b  r  a  n  d"  der  Dresdener  Galerie 
und  die  „Verteidigung  eines  Kirchhofes  im  30  jäh- 
r  i  g  e  n  K  r  i  e  ge",  an,  jenes  Praditstück  unserer  Ausstellung,  an 
dem  eben  auch  das  von  uns  über  die  Tedinik  Lessings  mitgeteilte 
seine  Bestätigung  findet.  Ebenso  illustrieren  die  zahlreidien  Land- 
schaften aus  späterer  Zeit  bis  zur  lefeten  unvollendeten  unseren  Text 
in  passender  Weise. 

Kehren  wir  nun  zu  Lessing's  Landschaftsauffassung  und  seiner 
Art,  die  Natur  zu  beobaditen,  zurück.  DaB  er  sdion  von  seinem 
Vater  in  Polnisch-Wartenberg  auf  die  freie  Natur  hingewiesen 
worden,  findet  man  andern  Orts  genügend  betont. 

Dasselbe  geschah  mit  seinen  botanischen  Studien,  als  deren 
Zeugen  noch  einige  Blätter  erhalten  sind,  z.  B.  „Aesculus  hippo- 
castanum",  wie  er  selber  dazu  schrieb).  Audi  von  seinen  geo- 
logischen Studien  drangen  Nachrichten  in  die  Öffentlichkeit. 

Müller  V.  Königswinter  berichtet,  daB  Lessing  mit  Noggerath's 
„Gebirg  im  Rheinland  Westfalen  nach  mineralogischem  und  chemi- 
schem Bezüge",  die  schönen  Täler  des  Siebengebirges  und  die 
ernsten  Gegenden  der  Eifel  durdizogen  habe.  Lessing  sah  nicht 
allein  mit  dem  Blick  des  Malers,  sondern  auch  mit  dem  des  Natur- 
forsdiers.  Daher  seine  sorgfältige  Naturbetrachtung.  Wie  genau  er 
es  damit  genommen,  geht  aus  vielen  Stellen  in  seinen  Briefen  und 
Tagebüchern  hervor  in  eines  der  lefctgenannten  schreibt  er  1836  am 
15.  Mai:  „SonnenfinsterniB-  Besondere  Gestaltung  der  Sdilag- 
schatten  und  der  bei  Bäumen  durchfallenden  kleinen  Lichter,  die 
nicht,  wie  gewöhnlich,  ihre  runde  Form  behielten,  sondern  in  Gestalt 
eines  halben  Mondes  erschienen."  Lessing's  feiner  Blick  für  das 
ewig  Wechselnde  der  Beleuditungsphänomene  ist  noch  nirgends 
hervorgehoben  worden  und  dodi  verleiht  gerade  die  genaue  Be- 
obaditung  atmosphärischer  Erscheinungen  den  meisten  seiner  Land- 
schaften ihren  Hauptreiz.  Das  Farbengedächtnis  des  Künstlers  war 
ein  auBerordentliches;  so  viel  gezeichneten  Studien  wir  audi  be- 


112 


Carl  Friedrich  Lessing :  Harzlandschaft  —  {1922  im  Wiener  Kunsthandel). 


gegnen,  Farbenstiidien  nach  der  Natur  gemalt  finden  wir  nidit  und 
dennoch  keine  Landschaft,  auf  welcher  das  Kolorit  nicht  naturgemäB 
wäre.  Wenn  Lessing  des  Abends  das  Freie  suchte  und  wie  er  es 
liebte,  in  Gesellschaft  spazieren  ging,  blieb  er  oft  stehen,  wenn  sich 
seinem  virtuosen  Blick  ein  interessantes  Beleuchtungsphänomen  dar- 
bot. Man  konnte  dann  sicher  sein  (so  teilt  mir  Otto  Lessing  mit),  da& 
am  andern  Morgen  eine  landschaftliche  Skizze  entstand,  in  der- 
selben Shmmung  und  Beleuchtung,  aber  mit  einer  ganz  anderen 
Gegend,  als  in  welcher  der  Spaziergang  stattgefunden  hatte.  Dies 
führt  uns  darauf,  den  Entwicklungsgang,  welchen  die  meisten  seiner 
Landschaften  durchgemacht,  hier  kurz  anzudeuten.  Lessing's  Ge- 
dächtnis bewahrte  einen  Schafe  von  genau  nach  der  Natur  studierten 
landschaftlidien  Einzelheiten  und  allgemeinen  Charakteren.  Bei  der 
besprochenen  Beschränkung,  die  er  sich  absiditlich  bezüglich  der 
darzustellenden  Gegenden  auferlegte,  kannte  er  seine  Lieblings- 
landschaften so  genau  wie  kein  anderer. 

Mit  diesem  Material  nun  arbeitete  seine  Phantasie  unter  Auf- 
sicht einer  nidit  gewöhnlichen  Kenntnis  der  Naturwissenschaften; 
aus  diesem  Vorrat  komponierte  er  seine  Landschaften,  durchaus 
realishsch,  dodi  wie  begreiflich,  ohne  die  Natur  sklavisch  nachzu- 
ahmen und  dennoch  befriedigen  seine  Landschaften  nicht  nur  den 
ästhehschen  Sinn  des  Beschauers,  sondern  auch  naturwissenschaft- 
liche Ansprüche  und  darin  liegt  gewi^  ein  gro&er  Wert  dieser 
Bilder.  Zudem  hatte  Lessing  für  die  Übereinstimmung  von 
Landsdiaft  und  Staffage  den  vollkommensten  Sinn,  die 
feinste  Empfindung.  In  ein  kleines  Reisetagebuch  aus  dem  jähre 
1836  (das  mir  die  Güte  des  Herrn  Karl  Koberstein  in  Dresden  zur 
Verfügung  stellte),  schreibt  Lessing  bei  Gelegenheit  einer  Wande- 
rung in  der  Umgebung  des  Solling:  „  . . .  übrigens  traf  man  auf 
diesem  ganzen  Wege  kein  Haus,  nur  einige  Köhlerhütien  und  einiges 
Wild  unterbrach  oder  vermehrte  vielmehr  die  Einsamkeit." 
Wer  auf  einsamen  Gebirgspfaden  einmal  ein  Reh  belausdit  hat, 
wird  dieser  Stelle  das  richtige  Gefühl  entgegenbringen.  Für 
seine  Landschaften,  seien  es  Buchenwälder,  feudite  Niederungen, 
seien  es  enge  Felspforten  oder  kahle  Höhen,  findet  er  immer  in  der 
Staffage  einen  verwandten  Ton  und  wählt  dafür  eine  Beleuchtung, 
die  vortrefflich  zum  Ganzen  stimmt.  Da  sifet  ein  einsamer  Vogel  im 
schattigen    Walde,    dessen    Ruhe    wohl    nur    selten    durch    eines 


113 


Menschen  Tritt  gestört  wird,  denn  wir  setien  da  ein  Wirrsal  von  halb- 
vermoderten  Baumstämmen,  moosbewachsenen  Felstrümmern  und 
schöngesdiwungenen  Farnkräutern;  alles  ist  so  geblieben,  wie  es 
die  Natur  geschaffen.  Auf  einem  andern  Bild  dawider  sehen  wir  im 
Mittelgrund  einer  öden  Gegend  rauchende  Trümmer  eines  Hauses. 
Bleigrauer  Himmel  lastet  auf  der  Gegend.  Im  Vordergrund  ge- 
wahren wir  einen  Erschlagenen  und  um  ihn  die  Spuren  eines  statt- 
gehabten Kampfes.  Bei  Betrachtung  anderer  Bilder  haben  wir  das 
Gefühl,  als  mü&te  sich  im  nächsten  Moment  über  die  Landschaft 
breites  warmes  Sonnenlicht  ergießen  und  uns  deutlicher  ersdieinen 
lassen,  was  einige  unheimliche  Gesellen  im  Schilde  führen,  die  dort 
auf  dem  sandigen  Wege  auf  uns  zuschreiten.  Am  häufigsten  wählte 
Lessing  seine  Staffage  aus  dem  30  jährigen  Kriege  (die  Mönche, 
Kreuzfahrer  und  Räuber  nidit  zu  vergessen),  ferner  aus  dem  Leben 
des  Waidmannes,  des  Schmugglers.  Seltener  finden  sidi  Polaken 
und  Zigeuner;  auch  Landleute  und  Bauern  sind  selten,  wie  denn 
überhaupt  bei  Lessing  moderne  Staffage  nur  vereinzelt  vorkommt; 
aber  auch  diese  harmoniert  stets  in  bewundernswerter  Weise  mit 
dem  übrigen,  so  z.  B.  auf  der  späteren  Eifellandschaft  (1875,  der 
Berliner  Nationalgalerie).  Noch  ziehen  ganz  niedrig  kleine  Wolken 
und  Nebelstreifen  durch  das  Tal  und  werfen  flüchtige  Sdiatten  auf 
die  vom  Gewitterregen  noch  triefende  Gegend,  in  deren  Hintergrund 
wir  ein  brennendes  Dorf  erblicken.  Ein  Blife  hat  gezündet.  Er- 
sdireckte  Landleute  eilen  auf  der  sich  durdi  den  Talgrund  hin- 
windenden  Strafe  dem  Dorfe  zu,  um  zu  retten,  was  nodi  möglich  ist. 

Lessing  liebte  es,  in  seiner  späteren  Zeit  die  Natur  während 
oder  nach  elementaren  Ereignissen  (Stürmen,  Gewittern)  zu  schil- 
dern. Auf  dem  sdion  erwähnten  Bilde:  „Verteidigung  eines  Kirch- 
hofes im  30  jährigen  Kriege"  (aus  der  Düsseldorfer  Galerie)  er- 
blicken wir  mächtige  Laubbäume  vom  Sturme  gebogen.  Die  in  der 
Staffage  zum  Ausdruck  gebrachte  aufregende  Situation  (man  er- 
wartet von  Seite  der  Verteidiger,  die  vor  kurzem  einen  harten  StrauB 
bestanden  haben  müssen,  denn  ein  Sterbender  liegt  mitten  unter 
dem  wilden  Kriegsvolk,  einen  neuen  Angriff  und  über  die  wellige 
Fläche  der  Landschaft  her  sieht  man  schon  eine  Rotte  von  Mord- 
brennern herankommen)  wird  noch  erhöht  durch  den  ungemütlichen 
Sturmwind,  der  über  die  Gegend  dahinbrausL 

Ebenso  wie  gewaltige  Ereignisse  der  Witterung,  wu^te  Lessing 


114 


auch  die  Tages-  und  Jahreszeiten  in  ihrem  innersten  Wesen  zu  er- 
fassen und  mit  einer  Mannigfaltigkeit  darzustellen,  die  gewi^  un- 
seren Ausspruch  rechtfertigt,  der  berühmte  Künstler  habe  sich  in 
dem  einmal  gewählten  Stoff  vertieft  wie  kaum  ein  anderer.  So 
stehen  wir  von  einem  gewaltigen,  durchaus  originellen  Sctiaffen,  auf 
das  etwas  genauer  als  bisher  einzugehen  wir  eben  versucht  haben, 
dessen  volle  Würdigung  jedoch  der  Zukunft  überlassen  werden  mu&. 


Carl  Friedrich  Lessing  als  Schütze.*^ 

„Hätte  ihm  jemand  gesagt,  er  male  schlecht,  so  würde  er  das 
ruhiger  hingenommen  haben,  als  wenn  ihn  jemand  einen  schlechten 
Jäger  geheimen  hätte."  So  etwa  sprechen  des  Malers  Lessing  Ver- 
wandte über  seine  Leidenschaft  für  die  Jagd  und  alles,  was  mit  dem 
edlen  Weidwerk  in  Zusammenhang  stand.  Der  Jäger  hielt  dem  Maler 
in  Lessing  fast  das  Gleichgewicht.  Aus  den  Tagebüchern  und  vielen 
Briefen  des  am  5.  Juli  1880  verstorbenen  Malers,  welche  mir  durdi 
die  groBe  Freundlichkeit  seiner  Erben  zur  Verfügung  stehen,  isi 
diese  in  den  bisherigen  Publikahonen  über  Lessing  kaum  genügend 
betonte  Jagdliebhaberei  klar  zu  erkennen;  mancher  Brief  enthält 
lange  Stellen,  ja  oft  ganze  Seiten  über  Jagderlebnisse  auf  jenen 
Ausflügen,  die  Lessing  alljährlich  zur  passenden  Jahreszeit  nadi  den 
verschiedensten  Revieren  zu  unternehmen  pflegte.  Da  gab  es  dann 
auch  Bemerkungen  in  dem  sonst  nur  der  Kunst  und  der  allgemeinen 
Buchführung  gewidmeten  Tagebuche.  Im  Jahre  1837  schreibt  er  von 
einem  Jagdciusflug  über  Geldern,  Kevelar  nach  Goch  (Forsthaus 
Grunewald):  „Jch  habe  bei  meinem  zwölftägigen  Aufenthalte  da- 
selbst so  viel  als  gar  nichts  gezeichnet,  aber  um  so  mehr  gepürscht." 
Es  war  das  SchüfeCw^iwesen  überhaupt,  das  ihn  von  jeher  anzog,  und 
über  die  Erfolge  auf  Jer  Düsseldorfer  Schiegstätte,  wo  er  mit  Sohn, 
Hildebrand,  Stilke,  Hasenclever  und  mehreren  anderen  Künstlern 
durch  viele  Jahre  sdioB  und  seine  sichere  Hand  bewährte,  führte  er 
ein  eigenes,  in  mit  bisher  unverständlichen  Zeichen  beschriebenes 
Tagebuch,  weldies  sich  derzeit  bei  dem  Dichter  und  Schauspieler 
Karl  Koberstein,  dem  Schwiegersohne  des  Malers,  zu  Dresden  be- 


I 


*)  Erstdruck  in  der  Wiener  „Montags-Revue"  vom  31.  Jänner  1881. 

115  8* 


findet.102)  Ein  ebendort  verwahrtes  kleines  Tagebuch  aus  dem  Jahre 
1836  handelt  von  einer  Studienreise,  die  der  junge  Maler  auch  zu 
Jagdausflügen  benufete.  Neben  den  Notizen  über  Berge,  Wälder, 
schöne  Bäume,  landschaftliche  Charaktere  usw.  nehmen  die  Be- 
merkungen über  Jagd  Cund  Militär)  den  gröBten  Raum  in  Anspruch; 
beinahe  ebensoviel  Sorge  als  das  UnvoUendetbleiben  einer  Skizze 
nadi  der  Natur  durch  eingetretene  Ungunst  der  Witterung,  macht 
ihm  die  Ausbesserung  seiner  Flinte  oder  das  Mißlingen  eines 
Schusses.  [Die  Teilnahme  an  den  Erscheinungen  in  der  Natur  be- 
rührt sich  oft  mit  dem  rein  Jägerhaften.  Neben  einer  seltenen  Be- 
leuchtungswirkung fesselt  ihn  sogleidi  das  Wild.  Aus  dem  Tier- 
garten bei  Cleve  schrieb  er  am  15.  Oktober  1845  an  seine  Braut: 
„Wie  häufig  ich  auch  selbst  starken  Hirschen  nahe  gewesen,  will  ich 
Dir  mündlich  berichten."  Unmittelbar  davon  hatte  er  geschrieben: 
„Wie  sdiön  die  Natur  in  dieser  Beleuchtung  sich  in  diesen  Tagen 
ausgenommen  .  .  .",  und  in  demselben  Brief:  „Gestern  bei  dem 
schönen  Wetter  war  ich  den  ganzen  Tag  im  Walde  und  habe  auch 
die  Gelegenheit  benüfet,  mir  eine  starke  hochstammige  Buche  zu 
zeichnen,  zu  der  mir  der  Förster  Budde  gebradit  hatte."  Das  „mir" 
statt  „mich"  sei  dem  Norddeutschen  verziehen.]  Mit  demselben 
Ernst,  mit  derselben  Ausdauer,  weldie  er  an  seine  malerischen  Ent- 
würfe und  an  die  Ausführung  seiner  Gemälde  wandte,  konnte  er 
auch  einem  schönen  Wilde  so  lange  nadistellen,  bis  seine  Kugel  es 
erreicht  hatte.  Wer  Lessing's  Bilder  kennt,  wird  zugestehen  müssen, 
daß  Schießwaffen  darauf  eine  wichtige  Rolle  spielen.  Es  braucht 
hier  nur  auf  die  durdi  mandierlei  Reproduktionen,  auch  durch 
Farbendruck,  verbreitete  „Verteidigung  eines  Engpasses"  (Nr.  206 
der  Berliner  Nationalgalerie)  und  auf  die  vielen  anderen  Bilder  mit 
Figuren  aus  dem  30  jährigen  Kriege  hingewiesen  werden. 

Lessing  verleugnete  die  Vorliebe  für  die  Jagd  auch  in  der  Klei- 
dung nicht  (er  trug  sidi  am  liebsten  grau  und  grün  und  nach  Jäger- 
zuschnitt) und  zum  Jagdkostüm  paßte  vortrefflich  sein  wetter- 
gebräuntes Antlib-  Lessing  war  stets  ein  Bild  der  Gesundheit  und 
männlidien  Kraft  bis  in  sein  hohes  Alter  und  nur  in  den  allerlebten 
Jahren  scheint  ihm  die  Zunahme  seines  Herzleidens  rasches  Berg- 
steigen und  forcierte  Märsche  überhaupt  verboten  zu  haben.    Bis 


•02)  [Der  jetzige  Besitzer  ist  mir  nicht  bekannt. 

116 


dahin  war  er  ein  Freund  körperlicher  Bewegung,  namenlHch  im 
Freien;  er  war  Reiter,  besaB  wiederholt  ein  Pferd  (er  hatte  bei  den 
Ulanen  gedient)  und  alle  ritterlichen  Übungen  waren  ihm  geläufig;  mit 
seinem  Freunde  Hatten,  einem  Offizier,  schlug  er  Säbel;  die  Übungen 
im  Sdieibenschiegen  auf  dem  Grafenberge  bei  Düsseldorf  wurden 
schon  erwähnt;  auch  dem  Eislaufeni^^^)  scheint  er  nicht  fern  ge- 
standen zu  haben,  wie  aus  einigen  Tagebuchstellen  hervorgeht.  Als 
Bestätigung  meiner  Mitteilungen  über  Lessing's  Jagdliebhaberei 
möge  folgendes  dienen.  Am  4.  August  1853  schreibt  er  aus  Ballen- 
stedt  an  seine  Frau  in  Düsseldorf:  , . . .  Deinen  zweiten  Brief  wollte 
ich  jedoch  erst  abwarten,  bevor  ich  Dir  eine  Antwort  schicken  wollte, 
denn  idi  war  weder  sehr  aufgelegt  zum  Schreiben,  noch  hatte  ich 
Stoff,  der  desselben  werth  gewesen;  was  das  Lefetere  betrifft,  so  be- 
finde ich  mich  noch  in  derselben  Lage,  d.  h.  was  die  Jagd  anbelangt. 
Trofedem,  da|  in  des  Oberförster  Tiefe  Revier  ein  sehr  guter  Wild- 
stand ist  (Rehe,  Hirsche  und  Sauen),  so  ist  bis  jefet  nodi  alle  Mühe, 
die  ich  mir  mit  meinem  jungen  Pürschgefährten,  der  dem  kleinen 
Polms  täuschend  ähnlich  sieht,  gegeben  habe,  vergeblich  gewesen. 
Meine  Passion  für  diese  Art  Jagd  brauche  idi  Dir  wohl  nicht  erst  zu 
schildern,  Du  hast  schon  hinreichende  Beweise  ihrer  Stärke  gehabt, 
doch  gestehe  ich  Dir,  daB  jene  hier  abermals  einen  starken  StoB  er- 
leidet, denn  wenn  man  nach  so  vielen  Anstrengungen  gar  kein  oder 
nur  ein  schlechtes  Resultat  erzielt,  so  mu&  man  am  Ende  sich  sagen, 
du  bist  ein  Narr,  wenn  du  noch  ferner  dieser  Leidenschaft  fröhnst. 
Es  ist  freilich  schwer,  wenn  selbige  so  stark  ist  wie  bei  mir,  aus 
diesen  schlimmen  Erfahrungen  eine  Lehre  zu  ziehen,  die  man  be- 
folgt, denn  immer  hat  man  die  Hoffnung,  das  nächste  Mal  geht  es 
besser;  das  zu  glauben  sind  auch  alle  Pürschenden  berechtigt,  nur 
ich  habe  nun  schon  seit  drei  bis  vier  Jahren  ein  Pedi,  was  dodi  am 
Ende  die  stärkste  Passion  zugrunde  riditet.  Noch  einmal,  aber  zum 
legten  Male,  will  ich  es  heute  Mittag  versuchen,  gelingt  es  wieder 
nicht,  dann  wird  zusammengepackt  und  noch  ein  paar  Studien  bei 
Blankenburg  gemacht,  um  den  üblen  Eindruck  des  legten  Theiles  der 
Reise  zu  verwischen.  Nie  nehme  ich  meine  Büchse  wieder  auf  Stu- 


■03)  Nach  Otto  Lessings  freundlicher  Mitteilung  übte  er  den  Eislauf  bis  ins 
Alter.  Auf  Lessings  Schützentum  beziehen  sich  auch  Stellen  in  Briefen  von  1841 
und  1846,  die  schon  gedruckt  sind  u.  zw,  in  der  ».Zeitschrift  für  bildende  Kunst" 
vom  März  1882,  S.  188. 

117 


dienreisen  mit.  Wenn  ich  Dir  hiermit  auch  viel  vorlamenhrt  habe,  so 
bezieht  sich  dies  nur  auf  mein  Jagdunglück,  denn  manchen  Natur- 
genuB  habe  ich  trobdem  gehabt,  namentlich  Beleuchtungen  von 
Waldpartien,  wie  man  sie  sonst  und  bei  ganz  heiterem  Himmel  nicht 
leicht  zu  sehen  bekommt." 


Der  Maler  Carl  Friedrich  Lessing  und  die  Musik.*) 

Wer  in  den  lefeten  Tagen  bei  Durchwanderung  der  Räume  un- 
seres Künstlerhauses  sich  an  den  daselbst  seit  15.  Februar  aus- 
gestellten Skizzen,  Zeichnungen  und  Ölbildern  des  berühmten 
Lessing  erfreute,  dachte  gewiB  nicht  daran,  dafe  derselbe  Mann,  der 
die  Menschen  und  die  ihn  umgebende  Natur  so  fein  zu  beobaditen 
gewußt,  nebstbei  auch  ein  großer  Verehrer  der  Musik  gewesen  sei. 
Zwar  übte  Lessing  nicht  selbst  Musik  aus,  lieB  jedoch  keine  Gelegen- 
heit, gute  Musik  zu  hören,  unbenufet  vorübergehen.  Insbesondere 
war  es  Beethoven,  dessen  Werke  er  vor  allem  verehrte,  und  zwar, 
dies  muB  bemerkt  werden,  zu  einer  Zeit,  als  Beethoven's  Musik  noch 
keineswegs  jene  enorme  Verbreitung  gefunden  hatte  wie  heutzutage, 
wo  auf  keinem  Klavier  und  erklänge  es  auch  fast  ausschlie&lidi  für 
Modekompositionen,  die  „Pathetique"  oder  die  „Mondschein- 
Sonate"  fehlt.  Lessing's  Beethovenverehrung  schreibt  sich  nämlich 
sdion  aus  den  30  er  Jahren  her;  er  hat  sie  festgehalten  bis  zu  seinem 
im  verflossenen  Jahre  (am  5.  Juni)  erfolgten  Tode.  Aus  mehreren  mir 
zur  Verfügung  stehenden  Briefen  Lessing's,  welche  er  im  Frühjahr 
1841  an  seine  Braut  Ida  Heuser  (aus  Gummersbadi  bei  Köln)  schrieb, 
geht  hervor,  da&  er  derselben  damals  die  Beethoven'sdie  Äs-dur- 
Sonate  (Op.  26)  zum  Geschenk  gemacht  habe,  als  eine  seiner  Lieb- 
lings-Kompositionen. Ida,  des  Malers  nachherige  Gemahlin,  erfreute 
sich  des  Gesdienkes  und  sie  war  es,  welche  dem  Künstler  später 
durdi  ihr  Pianospiel  manche  freundliche  Stunde  bereitete. 

Neben  Beethoven  war  es  auch  Mendelssohn,  für  den  Lessing 
gro^e  Vorliebe  hegte  (so  nadi  der  Überlieferung  in  der  Familie). 
Der  Maler  schreibt  Sohntag  den  22.  Mai  1836  in  sein  Tagebuch,  das 
sonst  nur  der  Malerei,  den  Geschäftsnotizen  und  höchstens  der  Jagd 


*)  Erstdruck  in  „Wiener  Signale",  herausgegeben  von  Ignaz  Kugel  (wurde 
ohne  Korrektur  gedruckt),  5.  März  1881. 

118 


gewidmet  ist:  „Pfingstfest.  Paulus  gro&es  Oratorium  von  F.  Men- 
delssotin."  So  kurz  diese  Notiz  ist,  so  setir  wir  ein  Urteil  über  den 
Paulus  vermissen,  läBt  sidi  dodi  tür  den,  der  Lessing's  kurze  und 
bündige  Ausdrucksweise  in  seinem  Tagebuche  kennt,  vermuten,  da& 
der  Maler  die  Auffütirung  besudit,  und  daB  sie  auf  itin  einen  be- 
deutenden Eindruck  gemadit  tiabe,  obwotil,  wie  wir  weiter  unten 
tiören  werden,  sidi  die  beiden  Künstler  im  Jatire  1836  sdion  zer- 
tragen  tiatten. 

Mendelssotin,  der  fast  ein  ebenso  offenes  Äuge  für  die  bilden- 
den Künste  wie  ein  offenes  Otir  für  Musik  tiatte,  mu^te  sidi  not- 
wendigerweise für  den  sdion  zu  Anfang  der  30  er  Jatire  einiger- 
maßen berütimten  Lessing  interessieren;  dies  kommt  denn  audi  zum 
Ausdruck  in  dem  Briefe  Mendelssolin's  aus  „Paris,  den  15.  Februar 
1832,"  gesdirieben  an  Professor  Zelter  in  Berlin,  worin  er  Lessing 
unter  Sdiadow's  Sdiülern  einzig  mit  Namen  anfütirL  Zuerst  sdireibt 
Mendelssohn  von  einigen  deutschen  Städten,  welche  er  auf  der 
Reise  nach  Paris  berührte,  dann  auch  von  Lessing's  damaligem 
Aufenthalte  (Lessing  wirkte  von  1827—1858  in  Düsseldorf);  die  Stelle 
lautet:  „Und  dann  kommt  man  nach  Düsseldorf,  wo  wieder  Schadow 
mit  seinen  Schülern  ist  und  aus  allen  Kräften  arbeitet  und  treibt, 
damit  etwas  entsteht;  wo  Lessing  seine  Zeichnungen  so 
gelegentlich  macht  und  ausführt,  wenn  die  Leute 
es  bestelle  n."  Diese  Worte  deuten  aber  auch  zugleich  darauf 
hin,  daB  Mendelssohn  dem  Maler  nicht  jene  anerkennende  Achtung 
zollte,  die  er  eigentlich  verdient  hätte;  die  Worte  klingen  fast  hodi- 
mütig  und  treffen  keineswegs  den  Kern  von  Lessing's  Wesen,  von 
seiner  Schaffensweise.  In  diesem  Verkennen  von  Seite  Mendels- 
sohn's  scheint  es  audi  zu  liegen,  daß  er  sich  später,  nadidem  er 
nadi  Düsseldorf  berufen  worden  (1833),  gegen  den  Maler  eine  Takt- 
losigkeit zusdiulden  kommen  ließ,  weldie  das  anfangs  gute  Verhält- 
nis der  beiden  Künstler  gänzlich  umgestaltete.  Der  Hergang  war 
folgender  und  ereignete  sidi  während  Mendelssohn's  dreijährigem 
Aufenthalte  in  Düsseldorf,  also  vor  1836.  Lessing,  ein  in  allen  ritter- 
lidien  Übungen  bewanderter  junger  Mann,  hielt  in  jener  Zeit  ein 
Reitpferd;  dasselbe  tat  damals  Mendelssohn.  Beide  benüfeten  für 
die  Pferde  einen  und  denselben  Stall.  Dort  liefe  nun  Mendelssohn 
ohne  weitere  Anfrage  Lessing's  Reitpferd  an  einen  minderen  Plafe 
führen    und    dafür   sein    eigenes    hinstellen.    Lessing    verstand    in 


119 


Dingen,  bei  denen  seine  Rechte  angetastet  wurden,  nicht  den  ge- 
ringsten Scherz,  und  als  er  im  Reiterkostüm  und  mit  der  Reitpeitsche 
in  der  liand  den  Stall  betrat,  um  sein  Pferd  für  einen  Spazierritt  zu 
besteigen  und  als  er  die  Zuriicksefeung  seines  Pferdes  bemerkte, 
kehrte  er  augenblicklich  um  und  ging  mit  Stiefeln  und  Sporen  direkt 
in  Mendelssohn's  Wohnung,  wo  es  zu  Auseinandersebungen  ge- 
kommen sein  soll,  von  welchen  auf  beiden  Seiten  längere  Zeit  ge- 
schwiegen wurde.  Au&er  dem  Zerwürfnis  der  beiden  hatte  diese 
Affäre  noch  die  Folge,  daB  Mendelssohn,  der  Lessing's  Schwester  (?) 
ein  Lied  ohne  Worte  gewidmet  hatte,  diese  Widmung  zurückzog  und 
an  Stelle  jenes  Stückes,  dessen  noch  unveröffentlidites  Autograph 
sich  im  Besifee  der  Erben  des  Malers  befindet  (es  war  ein  Klavier- 
stück in  Form  eines  Canons)  den  bekannten  Trauermarsch  in  E-moll 
sefete. 

Die  Musikpflege  im  Hause  Lessing's  wurde  jedoch  durch  den 
peinlichen  Zwisdienfall  nicht  gestört,  und  wie  schon  angedeutet, 
blieb  der  Maler  bis  an  den  Abend  seines  Lebens  ein  Musikfreund. 
Die  Mitteilung  einer  bisher  unveröffentlichten,  auf  Lessing's  Inter- 
esse für  Musik  bezüglichen  Briefstelle  dürfte  vielleicht  unsere  Leser 
interessieren.  Lessing  schreibt  aus  Quedlinburg,  den  20.  October 
1850",  einem  Orte,  dessen  nähere  und  weitere  Umgebung  (Halber- 
stadt, Blankenburg,  Ballenstedt)  zu  den  Lieblingspunkten  des  Malers 
für  seine  Studien  gehörte,  an  seine  Frau:  „ . . .  Auch  einem  Ballen- 
stedter  Hofconcert  habe  ich  beigewohnt;  es  war  im  Hoftheater,  wo- 
zu Karten  ausgetheilt  werden  auf  Befehl  des  Herzogs.  Dieser  so 
verrufene  Herzog  hat  doch  noch  bessere  Liebhabereien  als  mancher 
andere  gepriesene.  Er  hat  seine  besondere  Hofcapelle,  bestehend 
aus  ungefähr  26  Musikern,  die  er  besoldet  und  die  unter  der  Direk- 
tion des  Capellmeisters  Klaus^^^)  stehen,  den  idi  gestern  bei  einem 
Mittagessen  bei  Tieb^^^)  persönlich  kennen  gelernt  habe.  Ferner  hält 
sich  der  Herzog  alle  Winter  ein  Theater,  wozu  er  sein  Sdiauspiel- 
haus,  sein  Orchester,  Beleuditung  gratis  gibt  und  noch  jeden  Monat 
den  Sdiauspielern  100  Reichsthaler  zusdiiefet;  ist  das  nidit  alles 
möglidie  von  einem  verrückten  Herzog?  Für  Jagd  und  Pferde  gibt 
er  nur  so  viel  aus,  als  es  sein  mufe;  audi  einen  Hofmaler  hat  er, 


104)  Viktor  Klaus  war  seit  1847  Anhalt-Bernburg'scher  Hofkapellmeister. 
'05)  Oberförster  zu  Ballenstedt. 

120 


einen  gewissen  Kügelgen,!"»')  den  ich  aber  nicht  kennen  gelernt  habe. 
Musik  ist  seine  Hauptleidenschaft,  er  besucht  jede  Probe,  deren  es 
sehr  viele  gibt,  denn  alle  Wochen  ist  wenigstens  ein  Concert,  wozu 
er  die  Musikstücke  selbst  auswählt;  der  Capellmeister  muB  sogar  in 
gewissen  Abendstunden  alle  Tage  bei  ihm  sein.  So  verrückt  wie  ihn 
der  Ruf  macht,  scheint  er  nicht  zu  sein,  eine  Menge  Anecdoten,  die 
über  ihn  im  Schwange  sind,  sind  erlogen,  wie  man  mir  versicherte. 
.  .  .  v"  So  gewinnen  wir  denn  durch  den  Maler  Lessing  hier  einen 
interessanten  Einblick  in  das  Musik-Treiben  eines  kleinen  deutschen 
Hofes. 


106)  Wilhelm  v.  Kügelgen  ein  Sohn  Gerhards  v.  Kügelgen,  des  Freundes  von 
Beethoven.  W.  v.  Kügelgen  wurde  1834  Hofmaler  des  Herzogs  Alex.  v.  Bernburg, 
1835  dessen  Kammerherr. 

121 


Ein  Brief  Anselm  Feuerbachs  an  den  Minister 

Strehmayr.*^ 

Idealisten  von  edlem,  ernsten  Streben  können  sich  schwer  oder 
gar  nicht  in  die  Wiener  Art  finden.  Diese  war  vor  einigen  Jahr- 
zehnten noch  leichtlebiger,  ja  leichtsinniger  als  heute,  nicht  zulefet 
im  Kunstleben  zur  Zeit,  da  der  Maler  Anselm  Feuerbach  in  Wien 
wirkte.  „Gschnas",  das  sind  heitere  Künstlerlaunen,  besonders 
wifeige  Sdiöpfungen  mit  Benufeung  wunderlichen  Materials,  und 
„Makartbuschen",  das  waren  in  lod^erer  Weise  aus  dürrem  Schilf 
und  derlei  Gräsern,  aus  Palmenblättern  und  etlidien  frischen  Blumen 
gebildete  Sträuge,  diese  wurden  vorzüglich  vom  damaligen  Wiener 
bejubelt.  Makart,  dem  bei  seinen  Bildern  kaum  viel  anderes  vor- 
schwebte als  Farbenwirkung  und  —  Sinnlidikeit,  war  der  Held  des 
Tages.  Der  denkende  Canon  konnte  sich  nur  mit  Mühe  neben  ihm 
geltend  madien.  Erst  nadi  Makarts  Tode  wurde  Canon  voll  ge- 
würdigt. Dann  in  besdieidenem  Abstand  noch  die  Rahlschüler 
Bitterlich,  Eisenmenger,  Griepenkerl,  die  als  monumenatale  Kolo- 
risten  ihr  Feld  behaupteten.  Die  religiöse  Malerei  war  hauptsädilich 
durdi  den  greisen  Führich  vertreten.  Ringsum  eine  Menge  aufstei- 
gender Gestirne,  viele  kleine  darunter,  die  alle  zumeist  einem  aus- 
gesprochenen Realismus  huldigten  und,  nodi  wenig  beachtet,  nach 
Geltung  rangen.  Für  den  überaus  fein  und  zart  besaiteten,  vornehm 
gesinnten,  arglosen  Anselm  Feuerbach  hatte  Wien  keinen 
rechten  Plab,  hatten  die  Wiener  kein  rechtes  Verständnis.  Er  war  im 
Frühling  1873  aus  der  Ewigen  Stadt  am  Tiber  an  die  Donau  ge- 
kommen. Im  Jahre  1872  hatte  er  von  der  Unterrichtsbehörde  einen 
Ruf  zur  Professur  der  Historienmalerei  an  der  Akademie  der  büden- 


*)  Erstdruck  in  der  Zeitschrift  „Deutsche  Revue"  (herausgegeben  von  Rieh. 
Fleischer)  Mai  1915.  Band  XL,  S.  238  ff. 

122 


den  Künste  erhalten.  Aber  nur  etwa  drei  Jatire  tiat  er  es  im  „gemüi- 
lidien"  Wien  ausgetialten.  Die  Verständnislosigkeit  der  meisten 
Wiener  artete  vor  den  Werken  Feuerbadi's  mit  itirem  erdenentrück- 
ten Stil,  dem  melandiolisctien  Orundton  und  der  damals  etwas 
letimig  gewordenen  Farbe  geradeswegs  in  eine  Feuerbaditiefee  aus. 
Die  GroBtieit  der  Auffassung,  die  einzig  trefflictie  Modellierung,  die 
Einfachheit  der  Linien  galten  gar  nichts.  Der  kränkliche  Mann  malte, 
las,  lehrte,  malte  wieder,  fand  sich  aber  nicht  in  die  Wiener.  Man 
erfährt  dies  aus  des  Künstlers  „Vermächtnis",  das,  von  der  über- 
lebenden hochbegabten  Stiefmutter  des  Künstlers  mit  Verständnis 
überarbeitet,  in  vieler  Händen  ist.  Im  „Vermächtnis"  schreibt  er  aud) 
von  dem  „Sturm",  der  über  ihn  losbrach,  als  in  Wien  seine  gro^e 
„Amazonenschlacht"  und  das  zweite  „Gastmahl  des  Plato"  aus- 
gestellt waren.  Zudem  wurde  Feuerbach  bald  danach  von  der 
Steuerbehörde  in  einer  geradewegs  unbegreiflichen  Weise  drang- 
saliert. Die  Unterrichtsbehörde  lieB  ihn  freilich  nicht  fallen  und  gab 
sich  Mühe,  ihm  die  Wege  zu  ebnen,  aber  Feuerbach  selbst  hatte  von 
den  Fachgenossen  an  der  Akademie,  ja  von  ganz  Wien,  wo  ihm 
auch  Staub  und  Wind  am  Leben  zehrten,  gerade  genug.  Er  bat  um 
seine  Entlassung.  Auf  diese  Angelegenheit  bezieht  sidi  Feuerbachs 
folgender  Brief,  der  an  den  damaligen  Minister  für  Kultus  und  Unter- 
richt Dr.  Karl  Edlen  v.  Strehmayr  geriditet  ist.  Das  Schreiben  folgt 
in  der  unverfälschten  Fassung  des  Künstlers  und  in  Gänze,  da  es 
bedeutungsvoll  genug  ist  und  bisher  nicht  bekannt  gemacht  wor- 
den war. 

„Hochgeehrter  Herr  Minister! 

Euer  Exzellenz  mögen  mir  gestatten,  in  vertraulicher  Weise 
die  Kette  von  Umständen,  welche  meine  Entlassung  zur  Noth- 
wendigkeit  gestalteten,  hiemit  näher  zu  beleuchten. 

1.  Man  legte  mir,  das  Jahr  1875  nachträglich  einschließend, 
eine  jährlidie  Steuer  von  nahezu  2000  Gulden,  demnach  mehr  als 
die  Hälfte  meiner  Besoldung  auf  und  erwiederte  meine  mehr- 
fachen Gesuche  um  Verringerung  dieser  unverhältnismäBigen  und 
untragbaren  Last  mit  Executionsdrohungen  in  Wohnung  und 
Atelier. 

2.  Bei  Abstimmung  des  italienischen  Reisestipendiums  ist  mein 
und  der  Akademie  talentvollster  Schüler,  Herr  Ernst,  zum  zweiten 
male  durchgefallen  und  es  wurde  ihm  ein  mittelmäßig  begabter 


123 


Schüler  vorgezogen,  welcher  mit  Arbeiten  auftrat,  die  bereits  im 
vorigen  Jahre  den  Schulpreis  erhalten  hatten,  während  sich  Herr 
Ernst  mit  drei  neuen  Bildern  bei  der  Concurenz  betheiligte,  dar- 
unter ein  MännerbildniB,  wie  es  sdiwerlich  auf  einer  andern  Aka- 
demie von  einem  zwanzigjährigen  Künstler  gemalt  wird. 

Da  ich  in  solchem  Verfahren  nur  eine  auf  Kosten  der  Schüler 
bethätigte  unfreundliche  Gesinnung  gegen  den  Lehrer  erblicken 
kann,  und  Unpartheilichkeit  mir  als  die  erste  Pflicht  eines  Prü- 
fungscomites  erscheint,  so  vermag  ich  einen  gedeihlidien  Fort- 
gang mir  nicht  als  möglich  zu  denken  bei  Wiederholung  ähnlicher 
Vorgänge. 

3.  Nachdem  Eure  Exzellenz  mich  durch  den  Auftrag,  die  Decke 
des  glyptischen  Saales  der  neuen  Akademie  mit  der  Schöpfungs- 
geschichte auszumalen  beehrten,  stellte  ich  sofort  das  Material, 
theils  aus  Paris,  theils  in  Wien  selbst  zusammen  und  bereitete 
mich  das  grofee  Mittelbild  zu  beginnen.  Nadidem  mir  indeg  klar 
ward,  daB  man  ein  passendes  Atelier,  welches  die  erforderliche 
Höhe  hatte,  nicht  finden  konnte  oder  wollte,  begann  idi  den 
unteren  Cyklus  von  vier  Bildern  in  vierzehn  überlebensgroßen 
Figuren  und  vollendete  sie  bis  auf  etwa  achttägige  Arbeit  der  Zu- 
sammenstimmung, in  fünf  Monaten.  Als  dann,  nachdem  ich  Zeit 
Mühe  und  Geld  in  reichlichem  Maa&e  verwendet  und  die  große 
Arbeit  fertig  im  Atelier  stand,  ward  mir  bedeutet,  daß  die  adit 
Plafondbilder  nicht  gemalt  werden  sollten,  sondern  daß  nur  von 
einem  Mittelstück  die  Rede  wäre. 

Nur  das  feste  Vertrauen,  daß  es  mir  gestattet  würde,  meine 
künstlerische  Aufgabe  im  ganzen  Umfange  durdi  die  innerlich 
zusammenhängenden  neun  Plafondbilder  zu  lösen,  ließ  midi  auf 
einen  Preis  eingehen,  der  mit  der  Arbeit  nicht  im  Verhältniß  steht. 
Die  Herstellung  eines  Mittelbildes  allein  würde  ich  nie  über- 
nommen haben. 

4.  So  geschah  es,  daß  eine  Reihe  von  mißliebigen  Umständen 
mich  in  dauernder  Aufregung  erhielt,  weldie  dann  mit  Veran- 
lassung zu  einer  schweren  Krankheit  wurde,  in  deren  Folge  ich  zu 
dem  gegenwärtigen  Schritt  veranlaßt  bin. 

Die  Liebe  und  Aditung  meiner  Schüler  ist  die  einzige,  aber 
vollgültige  Entsdiädigung  für  die  Opfer,  welche  idi  gebradit  habe 
und  die  jefet  durch  meinen  Rücktritt  ihren  Absdiluß  finden. 


124 


Euer  Exzellenz  mögen  mir  noch  ein  geschäftlidies  Wort  er- 
lauben. Ist  ein  tiohes  Ministerium  gesonnen,  midi  dennodi  den 
ganzen  Plafond  vollenden  zu  lassen,  so  werde  icti  mit  der  Zeit 
in  Rom  Gelegenheit  zur  Ausführung  finden.  Im  anderen  Falle  bin 
ich  gern  bereit,  nach  Abzug  meiner  Ausgaben  für  Bildermaterial 
und  Steuerzahlung,  nicht  minder  für  die  verlorene  fünfmonatliche 
Arbeit,  den  Rest  des  mir  seiner  Zeit  gewährten  Vorschusses  durch 
ein  der  Sachlage  angemessenes  Bild  auszugleichen. 

Mich  offen  und  wahrhaftig  Euer  Exzellenz  gegenüber  auszu- 
sprechen habe  ich  als  Pflicht  und  als  Bedürfnis  gefühlt.  Im  Inter- 
esse der  Akademie  selbst  möchte  ich  wünschen,  dafe  ähnliche 
trübe  Erfahrungen  meinem  Nachfolger  erspart  werden  könnten. 

Mit  ausgezeichneter  Hochachtung  Eurer  Excellenz 

ergebenster 
Wien,  14./6.  76.  Anselm  Feuerbach." 

Die  Urschrift  dieses  Briefes  ist  mir  vor  Jahren  von  einem  der 
Hauslehrer  meiner  Söhne  geschenkt  worden.  Den  Namen  habe  ich 
leider  nicht  vermerkt  und  schließlich  vergessen,  so  daß  ich  nur  im 
allgemeinen  für  das  Geschenk  danken  kann.  Der  Brief  soll  sidi 
unter  ausgemusterten  Akten  gefunden  haben.  Strehmayr  machte 
mit  dem  Bleistift  Bemerkungen  in  den  Rand,  und  eine  Note  in  Rötel- 
schrift zeigt  die  mir  wohlbekannte  Hand  Rudolf  v.  Eitelbergers,  des 
damaligen  Kunstreferenten  im  Ministerium.  Eitelberger  war  es,  auf 
dessen  Veranlassung  nach  Führich's  Versefeung  in  den  Ruhestand 
Feuerbach  1872  den  Ruf  nach  Wien  erhalten  hatte.  (Über  Strehmayr, 
den  ich  nur  vom  Sehen  und  nach  seinem  Wirken  im  Ministerium 
kannte,  erhielt  ich  dankenswerte  Auskünfte  aus  dem  Archiv  des 
österreichischen  Unterrichtsministeriums.  Mit  Rudolf  v.  Eitelberger 
war  ich  anfangs  als  sein  Sdiüler,  später  als  stellvertretender  Kustos 
im  Osterreichischen  Museum  für  Kunst  und  Industrie  jahrlang  be- 
kannt. Eitelberger  hat  nicht  nur  als  Gründer  des  genannten  Museums, 
sondern  audi  in  vielen  anderen  Kunstangelegenheiten  überaus  an- 
regend gewirkt,  und  daß  er  gelegentlich  gegen  Waldmüller  ge- 
sdirieben  hat,  ist  ihm  längst  verziehen.  Was  die  Angaben  aus  Feuer- 
bach's  Leben  betrifft,  so  sind  in  den  Veröffentlichungen  über  den 
Künstler  von  Jul.  Allgeyer,  H.  Uhde-Bernays  und  A.  v.  Oechelhäuser 
wohl  manche  Stellen  über  den  Wiener  Aufenthalt  des  Künstlers  und 


125 


über  die  Quelle  des  „Vermächtnisses"  zu  finden,  aber  die  Einzel- 
heiten aus  dem  oben  mitgeteilten  Brief  fehlen.  Der  Schüler,  der  im 
Brief  besonders  genannt  wird,  ist  Rudolf  Ernst,  der  talentvolle  Maler, 
der  von  Wien  nach  Paris  auswanderte. 

Aus  Strehmayrs  handschriftlichen  Bemerkungen  geht  hervor, 
da&  der  Minister  damals  noch  hoffte,  Feuerbach  in  Wien  festhalten 
zu  können.  Zur  „Nothwendigkeit"  der  Entlassung  madit  er  ein 
Fragezeidien.  Zur  Steuergeschidite  notiert  er:  „unbegreiflich".  Zur 
Ungerechtigkeit  bei  der  Preisverteilung  sdireibt  er  in  den  Briefrand: 
„Professoren-Collegium  der  Akademie!  Der  Sadie  wäre  auf  den 
Grund  zu  sehen."  Zum  dritten  Punkt  und  zu  Feuerbach's  „geschäft- 
lichem Wort"  findet  man  die  Anmerkung  des  Ministers:  „Wird  sich 
wohl  trob  der  Finanz-Calamität  nodi  ausgleidien  lassen." 

Eitelberger's  Rotstift  zeigt  sich  an  der  Stelle,  wo  Feuerbadi  das 
Zurückziehen  des  Auftrages  der  Nebenbilder  beklagt  und  wo  der 
Künstler  schreibt:  „ward  mir  bedeutet,  dag  die  adit  Plafondbilder 
nicht  gemalt  werden  sollten".  Das  „mir  bedeutet"  wird  durch  Eitel- 
berger  rot  unterstrichen,  und  im  Rande  wird  die  Frage  hinzugefügt 
„von  wem?  und  in  weldiem  Auftrage?" 

Das  oben  mitgeteilte  Sdireiben  wurde  gewi&  rasdi  beantwortet. 
Die  nicht  datierte  briefliche  Antwort  Strehmayr's  liegt  mir  als  Ent- 
wurf in  der  Urschrift  des  Ministers  vor.  Sie  lobt  und  anerkennt  in 
beweglidier  Rede  die  Lehrtätigkeit  und  das  sonstige  künstlerische 
Wirken  Feuerbach's,  gibt  der  Hoffnung  Ausdruck,  da&  der  Künstler 
doch  noch  umzustimmen  sein  werde,  und  erteilt  dem  Künstler  sofort 
einen  Urlaub  bis  1.  Oktober  (1876).  Neben  der  Antwort  Strehmayr's 
kenne  ich  auch  Briefe  von  Feuerbach's  Mutter,  die  sidi  auf  die  An- 
gelegenheit beziehen.  Es  sind  zwei  Mitteilungen  in  Abschrift,  an 
Eitelberger  gerichtet,  und  eine  Ursdirift  an  den  Minister,  alle  aus 
dem  Jahre  1879.  Feuerbach's  Erkrankung  wird  u.  a.  in  diesen  Briefen 
besprochen.  Das  Leiden  des  Künstlers  war  ernst  genug.  Feuerbach 
hat  nach  der  Wiener  Kampagne  nidit  mehr  lange  gelebL  Man  weife 
es,  die  Wiener  Gemütlichkeit  hat  ihm  das  Herz  abgedrüdct,  bzw.  die 
fortwährenden  Aufregungen  haben  den  ungewöhnlich  reizbaren 
Mann  entweder  krank  gemacht  oder  sie  haben  ein  schon  vor- 
handenes Übel  in  reifeender  Eile  gefördert.  Feuerbach  starb  nach 
vergeblichen  Versuchen,  sidi  da  und  dort  wieder  zu  erholen,  in 
Venedig  am  4.  Januar  1880.  Wien  hat  sich  seitdem  dodi  wohl  stark 


126 


verändert,  zu  seinen  Gunsten.  Es  ist  ernster  geworden,  audi  wenn 
die  Gattung  der  Widersactier  alles  Gro&en  noch  lange  nicht  aus- 
gestorben  ist. 


127 


Aus  der  MenzeUAusstellung/ 


Ein  köstlicher  Kunstgenufe,  der  jefet  den  Wienern  geboten  wird! 
Reichlich  beschickt  und  anregend  ist  die  Jahresausstellung  im 
Künstlerhause  und  mitten  darin  ein  Saal  und  zwei  Zimmer  voller 
Menzel.  Ich  war  jüngst  ins  Studium  moderner  Mystiker  vertieft, 
als  die  Nachricht  von  der  Eröffnung  der  Menzel-Ausstellung  durch 
die  Blätter  ging.  Helldunkel  der  Gedanken,  viel  Unklarheit  des 
Wollens,  ahnungsvolles  Suchen  und  Tasten,  mandie  großartige 
Form,  hie  und  da  bedeutendes  Können,  das  war  es,  was  ich  in  den 
Werken  der  mystischen  Maler  vor  mir  hatte.  Ganz  anders  klingt  die 
Tonleiter  der  Menzel- Ausstellung:  geistige  Klarheit,  Helle,  warm 
pulsierendes  Leben,  zielbewußtes  Schaffen,  allenthalben  erstaun- 
liche Sicherheit.  Ein  drastisdier  Gegensaß:  diese  Symboliker  und 
der  Geschichtsmaler  Menzel.  So  weitherzig  ich  in  der  kunstphilo- 
sophisdien  Beurteilung  audi  bin,  da  ich  einsehe,  wie  jede,  audi  die 
nebelhafteste  Richtung  mit  Notwendigkeit  sich  bildet,  so  bleibe  idi 
nun  dennoch  mit  Wohlbehagen  eine  Zeit  lang  bei  der  sdiarf  durch- 
dachten Weise  Adolf  Menzel's,  der  als  Schilderer  von  Kultur  und 
Sitte  ohne  Widerrede  den  Gipfelpunkt  moderner  deutscher  Malerei 
bedeutet.  Wir  sind  sicher,  daß  des  Jahrhunderts  Ende  keinen  grö- 
ßeren bringen  wird.  Fast  ist  man  versucht,  den  „kleinen"  Menzel 
überhaupt  seit  der  Periode  Dürer-Holbein  als  den  größten  deutschen 
Maler  hinzustellen;  so  vielseitig,  so  gedankentief,  so  meisterlich  in 
allem,  was  Zeichnen  und  Malen  heißt,  ist  dieser  merkwürdige 
Künstler. 

Menzel's  Entwicklungsgang  ist  aber  auch  eigentümlidi  genug 
und  liegt  weit  ab  von  der  Schablone,  nach  der  die  meisten  seiner 
Zeitgenossen  gebildet  wurden.   Zunädist  waren  jedenfalls  die  Ein- 


*)  Erstdruck  in  der  „Montagsrevue"  Wien,  6.  April  1896.  (Hier  unverändert). 

128 


drücke  der  Kindheit  in  seiner  Vaterstadt  Breslau,  mit  seinem  prädi- 
tigen  Rattiause,  seinem  SctiioB,  seinen  Kirctien,  seinen  mannigfadien 
Mütilen  an  den  malerisctien  Ufern  der  Oder,  mit  den  vielen  Gassen 
voll  altersgrauen  Häusern,  endlicti  mit  seinen  ungezätilten  Erinne- 
rungen an  den  siebenjätirigen  Krieg,  von  großer  Bedeutung  für  den 
malerisctien  und  den  gesdiictillidien  Sinn  des  Künstlers.  Von  der 
antikisierenden  Riditung,  die  zu  Anfang  des  Jatirhunderls  allgemein 
herrsdite  und  itire  langen  akademisdien  Sdiatten  nodi  bis  in  die 
Gegenwart  tiereinwirft,  ist  der  1815  geborene  Künstler  nur  wenig 
beeinflußt  worden  und  die  Kürze  der  Zeit  (man  liest:  nur  ein  lialbes 
Jatir),  die  der  Kunstjünger  an  der  Akademie  in  Berlin  zugebradit 
tiatte,  kann  man  nur  als  günstige  Bedingung  für  das  Werden  eines 
eigenartigen  Malers  preisen.  Menzel  ist  aus  der  ptiantasievollen 
Kunst  der  deutsctien  Romantik  tiervorgewadisen,  otine  sidi  itir  aber 
mit  Leib  und  Seele  zu  versdireiben.  Menzel  ist  ferner  als  prak- 
tisdier  Tediniker  aufgewadisen,  und  zwar  im  Hause  seines  Vaters, 
der  eine  lithographisdie  Anstalt  leitete,  zuerst  in  Breslau,  dann  seit 
1830  in  Berlin.  Im  Vatertiause  erlernte  er  die  Handgriffe  des  Litho- 
graptien,  die  er  bald  eigenartig  weiterbildete.  Dort  tiat  er  otine 
Zweifel  audi  Strixner's  Littiograptiien  nadi  den  Dürer'sdien  Rand- 
zeidinungen  für  Maximilians  I.  Gebetbudi  kennen  gelernt,  deren 
Verbindung  von  Figuren  und  Geranke  sidi  itim  tief  ins  Gedäditnis 
eingeprägt  tiaben  mag  und  gewiß  für  die  Kompositionsweise  seiner 
zahlreidien  Diplome  und  Adressen  aussdilaggebend  war.  Obwohl 
der  junge  Adolf  anfangs  einer  wissensdiaftlichen  Laufbahn  zuge- 
führt werden  solte,  drängte  es  ihn  doch  weit  mehr  zur  bildenden 
KunsL  Gar  bald  wurde  sie  ihm  auch  zur  Ernährerin.  Denn  Vater 
Menzel  starb  im  Jahre  1832  und  der  Sohn  mußte,  wie  die  Biographen 
berichten,  ans  Verdienen  denken.  Vignetten,  Geschäftskarten  und 
Ähnliches  mußte  damals  ziemlich  handwerksmäßig  geschaffen  wer- 
den. Aber  Hand  und  Auge  fanden  dabei  förderliche  Übung.  Was  in 
der  Ausstellung  aus  der  Frühzeit  des  Meisters  zu  sehen  ist,  das  sind 
nicht  mehr  jene  kleinen  handwerklichen  Produkte,  sondern  schon 
etwas  freiere  Schöpfungen  aus  der  Zeit  von  1834  aufwärts.  Eine 
Aktstudie  aus  jenem  Jahre  1834  (ausgestellt  im  Eckpavillon  rechts) 
markiert  die  kurzen  Studien  nach  akademischer  ArL  Demselben 
Jahre  gehört  als  abgeschlossene  Arbeit  der  „Gesellenbrief  des  Ge- 
werbes der  Zimmerleute"  an,  der  mit  der  Feder  auf  den  Stein  ge- 


129 


zeichnet  ist  und  allerlei  Geranke  mit  Figuren  verbindet.  Da  sind 
dann  auch  die  gemütvoll  und  humoristisch  erfundenen  fünf  Sinne 
(Nr.  26  von  1835)  zu  nennen,  dann  die  lustigen  Figürchen,  die  sidi 
zwischen  den  Ranken  des  Diploms  tummeln,  welches  Menzel  1836 
für  den  Potsdamer  Kunstverein  gezeichnet  hat  (Nr.  12),  ferner  das 
dramatisch  bewegte  „Vater  unser"  von  1837  (Nr.  25),  der  „Brief  der 
Maurer"  von  1838  (Nr.  24),  das  lushg  erfundene  Diplom  des  Berliner 
Schie^vereines  für  Offiziere  von  1839  (Nr.  27)  und  das  ernster  ge- 
haltene Titelbild  für  „Die  neuere  deutsche  Kunst"  vom  Grafen  Ra- 
czynski  aus  dem  Jahre  1841  (Nr.  23).  Derselben  Stilperiode  gehört 
auch  das  gotisierende  Tüelbild  der  „Denkwürdigkeiten  aus  der  bran- 
denburgisch-preu&ischen  Geschichte"  an.  Alle  diese  Arbeiten  hängen 
noch  in  der  Formengebung  und  allgemeinen  Anordnung  mit  der 
romantisdien  Richtung  zusammen,  die  Eugen  Neureuther  und  Adolf 
Sdirödter  in  Deutschland  hauptsädilidi  vertraten,  wenn  auch 
Menzel's  Blätter  in  der  Erfindung  vielleicht  geistreicher  und  gewig 
vielfach  eigenartiger  sind,  als  ähnliche  fremde  Arbeiten  aus  der- 
selben Zeit.  Späterhin  erfuhr  diese  halb  ornamentale,  halb  figurale 
Kunst  Menzel's  noch  eine  Steigerung,  und  zwar  in  den  farbigen 
Praditadressen,  wie  sie  jefet  ebenfalls  hier  in  der  Ausstellung  zu 
sehen  sind.  Eine  stammt  aus  dem  Jahre  1850,  die  andere  aus  der 
glorreichsten  Zeit  des  Deutsdien  Reiches,  nach  den  Siegen  von 
1870.  Es  ist  der  Berliner  Ehrenbürgerbrief,  für  Moltke  1872  her- 
gestellt. In  beiden  herrscht  ein  seltener  Gedankenreichtum,  wie  ihn 
eben  nur  ein  Menzel  erfinden  und  malerisch  ausdrücken  konnte. 

Die  schon  erwähnten  „Denkwürdigkeiten  aus  der  branden- 
burgisch-preufeischen  Geschichte"  (1834  komponiert,  1836  und  1837 
veröffentlicht)  waren  wohl  die  ersten  geschichtlichen  Kompositionen, 
mit  denen  Menzel  in  die  Öffentlichkeit  trat,  obwohl  ihn  historische 
Stoffe  sdion  in  seiner  allerersten  Zeit  lebhaft  beschäftigt  hatten. 
„Die  Sdiulstunde  in  der  Geschichte",  begeisterte  ihn  (wie  er  selbst 
erzählt)  „zu  den  ersten  Komposihonen  aus  römisdier,  mittelalter- 
lidier,  audi  neuester  Historie,  alles  sehr  ernst  gemeint  und  genau 
mit  Bleistift  ausgeführt".  Menzel's  Zeichnungen  zu  den  „Denkwür- 
digkeiten" sind  für  uns  hier  in  Wien  audi  insofern  von  Interesse,  als 
sie  wohl  zur  Anregung  für  die  P.  J.  N.  Geiger'schen  vaterländischen 
Immortellen  und  für  die  historisdien  Memorabilien  geworden  sind, 
die  wenige  Jahre  nach  Menzel's  Arbeiten  ans  Licht  traten  (1838  bis 


130 


I 


1840).  Geiger  (1805—1880)  ist,  wenn  auch  in  bescheidener  Ent- 
fernung, eine  Art  Parallelerscheinung  zu  Menzel,  dessen  überwälti- 
gende Kraft  ihm  aber  fehlte.  Auch  lebte  Geiger  im  „Capua  der 
Geister",  Menzel  aber  im  schneidigen  Berlin,  das  gerade  während 
der  Lebenszeit  Menzel's  einen  ungeheuren  Aufschwung  ge- 
nommen hat. 

Was  wir  in  der  Ausstellung  vermissen,  ist  unter  den  frühen 
Menzel'schen  Werken  die  Reihe  zu  „Künstlers  Erdenwallen",  die 
mit  ihren  Anspielungen  auf  den  dornenvollen  Pfad  des  Malers  ge- 
wiB  im  geselligen  Heim  der  Künstler  großes  Interesse  gefunden 
hatte.  Einige  etwas  flüchtige  Gelegenheitsarbeiten,  deren  Be- 
ziehungen den  meisten  Besuchern  gänzlich  unbekannt  sein  dürften 
(Nr.  32  und  35),  hätten  ohne  Zweifel  den  Blättern  zu  „Künstlers 
Erdenwallen"  recht  gut  ihren  Plafe  einräumen  können.  Bei  vieler 
MuBe  und  freundlichem  Entgegenkommen  der  Besifeer  lieBe  sich 
auch  von  den  späteren  Arbeiten  Menzel's  nodi  gar  vieles  beibringen, 
das  die  erstaunliche  Schaffenskraft  des  Künstlers  veranschaulichen 
würde.  Nichts  weiter  aber  davon.  Es  ist  genug  des  Interessanten 
hier.  Sind  wir  doch  in  die  Ausstellung,  nicht  um  zu  kritisieren, 
sondern  um  genie&end  zu  lernen.  Die  großen  Züge  des  bisherigen 
imposanten  Lebenswerkes  Menzel's  sind  im  Künstlerhause  so  deut- 
lich vor  uns  ausgebreitet,  wie  man  sie  vorher  in  Wien  niemals  hat 
überblicken  können.  Man  ist  froh,  die  meisten  charakteristischen 
Hauptwerke  nebeneinander  zu  finden,  so  unter  anderen  audi  viele 
Blätter,  die  uns  Meister  Menzel  als  Radierer  vorführen.  Be- 
sonders die  frühen  40  er  jähre  des  Jahrhunderts  sahen  den  Künstler 
vor  der  Kupferplatte  mit  der  Radiernadel  in  der  Hand.  Allerlei 
Blätter  aus  den  Jahren  1843  und  1844  sind  in  den  Pultkästen  vor 
unseren  Blicken  ausgebreitet.  Daneben  spätere  Äfeungen  aus  den 
80  er  und  90  er  Jahren.  Mit  Teilnahme  verfolgen  wir  es,  wie  riesig 
der  Meister  in  seiner  Kunst  gewadisen  ist,  von  den  ersten  „Radier- 
versuchen" bis  herauf  in  die  iüngste  Zeit.  Als  Kuriosum  möchte  ich 
einen  männlichen  Studienkopf  aus  dem  Jahre  1844  hervorheben,  zu 
dem  Menzel  nachträglich  vermerkte:  „Mit  Messerklinge  gekraut". 
Es  ist  ein  eigentümliches  Blatt  (Nr.  73  a).  Doch  sind  es  nicht  die 
Radierungen,  denen  Menzel  seine  Berühmtheit  verdankt. 

Die  Arbeiten,  die  Menzel  zuerst  am  meisten  bekannt  gemacht 
haben,    sind    seine    Holzschnitt-Illustrationen    zur    G  e  s  ch  i  ch  t  e 


131 


9* 


Friedrichs  des  Großen,  von  denen  hier  auch  einige  wenige 
Beispiele  zu  sehen  sind.  Unendhch  viel  ist  über  diese  geislspriihen- 
den,  bezaubernden,  erfindungsreichen  Bildchen  geschrieben  worden. 
Schwierig,  hier  Neues  beizubringen.  Trobdem  kann  der  Wunsch  nicht 
unterdrückt  werden,  dag  sich  eine  zweite  Auflage  des  Kataloges 
etwas  eingehender  mit  diesen  Werken  beschäfhge  als  die  erste,  die 
ja  in  der  Eile  der  Herstellung  mandies  übersehen  durfte.  Wie  sich 
Menzel  als  Illustrator  im  weitesten  Sinne  des  Wortes  in  die  Zeiten 
Friedrichs  des  Großen  versenkte,  ist  immer  wieder  bewunderungs- 
würdig. Nicht  das  Kleinste  wird  von  ihm  verschmäht,  wenn  er  es  für 
die  geschichtlidie  Ehrlidikeit  nöhg  erachtet.  Kein  Uniformknopf, 
keine  Kokarde  ist  ihm  zu  unbedeutend  bei  den  Vorstudien  für  Kunst- 
drucke oder  Ölgemälde.  Menzel  macht  sich  die  Arbeit  nicht  leidit. 
Für  seine  Repräsentahonsbilder  hat  er  ganze  Reihen  von  Bildnis- 
studien  gezeichnet  und  gemalt,  deren  die  Ausstellung  u.  a.  sehr  viele 
enthält,  welche  als  Vorbereitung  für  das  groBe  Bild  mit  der  Krönung 
König  Wilhelms  in  Königsberg  dienten  und  welche  dem  Meister  viel- 
leidit  ebenso  viel  Mühe  als  Galle  bereitet  haben.  Eine  Farbenskizze 
von  1861  an  diesem  Krönungsbüde,  dessen  gro&e  Ausführung  im  Ber- 
liner Sdilosse  zu  finden  ist  [bzw.  war],  ziert  die  Ausstellung  (Nr.  270). 
Neben  den  Porträten  aber  sind  es  unzählige,  scheinbar  nebensädilidie 
Dinge,  die  Menzel  vorher  genau  studierte,  bevor  er  an  die  Ausfüh- 
rung großer  Arbeiten  ging.  Wenn  irgend  jemand,  so  dürfte  es  sich 
Menzel  erlauben,  auf  sein  ans  Fabelhafte  grenzende  Gedächtnis  für 
Formen  und  Farben  zu  pochen.  Nie  aber  verliert  er  die  Fühlung  mit 
der  Natur.  Trobdem  wäre  es  ganz  verkehrt,  ihn  einen  Naturalisten 
zu  nennen.  Pecht  sagt  ganz  riditig:  „Ein  platter  Abschreiber  der 
Natur  ist  er  zeitlebens  nie  gewesen,  sondern  immer  ein  Dichter". 
Die  Studien  nach  der  Natur  sind  ihm  nur  Mittel  zum  Zwed<,  nur  die 
Kontrolle  seiner  Einbildungskraft.  Das  wird  auf  dieser  Ausstellung 
vollkommen  klar,  die  ja  einerseits  so  viele  Zeichnungen  nadi  der 
Natur  enthält  und  anderseits  so  viele  Kompositionen,  die  zwar  in 
der  virtuosen  Ausführung  eines  Menzel  wie  Momentaufnahmen  aus- 
sehen, die  aber  als  Ganzes  doch  niemals  nach  der  Natur  gezeichnet 
worden  sein  können.  Ganz  abgesehen  von  der  Darstellung  histori- 
scher Stoffe,  sehen  wir  auch  bei  den  Bildern  aus  Menzel's  eigener 
Zeit  und  Umgebung  stets  das  Walten  einer  mächtigen  Phantasie 
ausgeprägt.   Die  Abreise  Königs  Wilhelm  I.  zur  Armee  im  Juli  1870, 


132 


die  vielen  Darslellungen  von  Hoffesten  und  Ähnliches  und  nicht  an 
lebter  Stelle  das  Bild  mit  der  Leichenfeier  der  Märzgefallenen  des 
Jahres  1848  können  )a  nicht  als  ganze  Bilder  mit  so  und  so  viel 
Figuren  von  der  Natur  abgeschrieben  sein.  Audi  entfällt  bei  der 
frühen  Entstehung  jener  Bilder  jeder  Verdacht,  als  lägen  ihnen 
Augenblicksphotographien  zugrunde,  wie  sie  von  Künstlern  der 
jüngsten  Jahre  gelegentlich  benübt  werden.  All  die  vollendeten 
Aquarelle,  Gouachebildchen  und  Ölgemälde  Menzel's,  so  mühelos 
hingeworfen  sie  auch  oft  aussehen,  sind  fast  jedesmal  die  Frucht 
einer  ebenso  gesteigerten  Erfindungsgabe,  wie  gewisserhafter  Stu- 
dien, feinen  Wählens  und  Abwägens. 

Es  liegt  in  der  Natur  der  Sache,  da&  von  den  grofeen  fertigen 
Ölgemälden  des  Meisters  hier  verhältnismäBig  wenige  zu  sehen 
sind.  Gemälde  sind  dodi  weit  mehr  den  Schädlichkeiten  einer  weiten 
Versendung  ausgesefct,  als  Zeichnungen,  Kunstdrucke,  Aquarelle  und 
kleine  Olskizzen.  Die  lefeterwähnten  müssen  uns  in  der  Ausstellung 
in  den  meisten  Fällen  für  die  gro&en  Gemälde  entschädigen,  die 
übrigens  zum  Teil  allbekannt  sind,  wie  das  „Flötenkonzert  Friedrichs 
des  Großen",  wie  die  „Tafelrunde  bei  Friedrich",  welche  beide 
Bilder  jahraus,  jahrein  in  der  Berliner  Nationalgalerie  zu  sehen  sind. 
Erfreulidi  ist  es,  wenigstens  das  gro&e  Walzwerk  im  fertigen 
Original  hier  zu  sehen,  audi  unter  dem  Titel  „Moderne  Cyclopen" 
bekannt,  ein  Bild,  das  den  völlig  ausgereiften  Stil  des  Künstlers  ver- 
tritt. Es  ist  1875  vollendet  und  ebensosehr  packend  durch  seine  Dar- 
stellung, als  interessant  durch  die  glückliche  Überwindung  unzähliger 
heimtückischer  Schwierigkeiten  in  der  Zeichnung  und  Liditwirkung. 

Von  den  Friedrichsbildern  Menzel's  findet  man  in  der  Aus- 
stellung nur  die  Begegnung  Josefs  II.  und  Königs  Friedrich  in  Neisse 
als  großes  Ölbild  (1857  vollendet).  Die  übrigen  sieht  man  in  Farben- 
skizzen, die  sicher  in  ihrer  Art  auch  hödist  lehrreidi  und  interessant 
sind.  Unter  den  fertigen  Bildern  wird  wohl  jeden  Besucher  jenes 
längere  Zeit  fesseln,  das  den  Palaisgarten  des  Prinzen  Albrecht 
von  Preußen  in  Berlin  zur  Darstellung  bringt  (Nr.  275).  In  moderner 
pastoser  Oltechnik,  die  den  Zeitgenossen  eines  Courbet  erkennen 
lä^t,  ist  hier  ein  Stimmungsbild  von  seltener  Kraft  geschaffen.  Das 
landschaftliche  wiegt  vor.  Menzel  ist  ungewöhnlich  vielseitig.  Wenn 
auch  Bilder  mit  einem  Gewirre  ungezählter  menschlicher  Figuren, 
von  denen  alle  wichtigen  bis  ins  Kleinste  charakterisiert  sind,  seine 


133 


Hauplstärke  bilden  dürften,  so  stellt  er  doch  kaum  minder  gewandt 
audi  landsctiaftliche  Motive,  Tiere  aller  Art,  Blumen,  Condiilien, 
hunderterlei  Beiwerk  dar.  Und  was  unser  Staunen  bei  allem  wach- 
ruft, das  er  malt,  ist  die  treffsichere  Virtuosität  der  Mache.  Für 
Menzel  scheint  es  da  überhaupt  keine  Schwierigkeit  zu  geben. 
Schon  gegen  Ende  der  40  er  Jahre  schuf  seine  Hand  solche  Wunder- 
werke, wie  z.  B.  das  Bildnis  der  Frau  Professor  Meyerheim  (Nr.  253 
aus  dem  Jahre  1847).  Technisch  vielleicht  unerreicht  ist  dann  der 
„Aschermittwoch-Morgen  im  Berliner  Tiergarten"  (Nr.  256  von  1885), 
und  was  sollte  man  hier  nicht  noch  alles  anführen,  audi  unter  den 
Zeichnungen  und  Kunstdrucken,  die  so  viel  technisch  Bedeutsames 
bieten.  Machen  wir  es  uns  klar;  die  Menzel-Ausstellung  enthält  nidit 
eine  langweilige  oder  schlechte  Nummer.  Für  so  seltene  Genüsse 
ist  man  der  Künstlergenossenschaft  zu  ganz  besonderem  Dank  ver- 
pfliditet. 


134 


cSv 


NEUERSCHEINUNGEN 

DES 

VERLAGES  CARL  STEPHENSON 

WIEN  L 


PREISE    VOM     OKTOBER    1922. 


In  meinem  Verlag  erscheinen : 

Neue  Blätter 

für 

Gcmäldckunde 

herausgegeben  von  Dr.  Theodor  Frimmel. 


Erscheint 

sechsmal  jährlich.  Bezugspreis  (6  Hefte) 

400  Mark. 


INHALT  DES  OKTOBER-HEFTES 

Fred  Benz  (Basel),  Über  die  wissenschaftliche  Prüfung  von  Gemälden 

und    die   Aufdeckung    von    Fälschungen.  —  Hofrat   Dr.  J.  Meder 

(Albertina  Wien),  Notizen  über  Emanuel  Peter.  —  Dr.  H.  Egger  (Graz), 

Eine  Joseph  von  Hempel-Ausstellung  in  Graz.  —  Hofrat  Konstantin 

Danhelovsky,    Altösterreichische    Maler    in    einem   jugoslavischen 

Schlosse.  —  P.  Esch,  Ein  signiertes  Gemälde  von  Peeter  von  Avont.  — 

Dr.  Theodor  Frimmel,  Rubens  und  der  Apoll  vom  Belvedere.  — 

Bemerkungen  zu  Johann  Spillenberger.  —  Rundgang 

durch  die  Wiener  Galerien, 

etc.  etc. 


Im  November  erscheint 


Franz  Grillparzer 

Studien  zur  Literatur 


Mit  einem  Bildnis  des  Dichters  und  einem  Schrift-Faksimile. 

Auf  holzfreiem  Papier  in  Halbleinenband  660  Mark, 

in  Halbleder  1760  Mark. 


Grillparzers  „Studien  zur  Literatur",  bisher  der  Allgemeinheit  viel  zu 
wenig  bekannt,  zählen  zu  den  wertvollsten  und  interessantesten 
Werken  über  das  Gebiet  der  Weltliteratur.  Die  erhabene  Kälte  dieses 
klarblickenden  und  genialen  Geistes  —  das  Hindernis  für  eine  un- 
mittelbare Wirkung  seiner  dramatischen  Schöpfungen  —  gibt  gerade 
diesen  kritischen  Studien  einen  ganz  außergewöhnlichen  Reiz. 
Nirgends  trockene  Kritik  —  überall  die  temperament-  und  geistvolle 
Anteilnahme  eines  Genies,  eines  Dichters  an  den  Schöpfungen  der 
Dichtkunst,  eine  sicherblickende  Einschätzung  von  deren  Wert  und 
Unwert.  DIESE  „STUDIEN  ZUR  LITERATUR"  DÜRFTEN  KEINEM 
MENSCHEN  VON  INNERER  KULTUR  UNBEKANNT  BLEIBEN. 


Im  November  erscheint: 

Das  Taghorn 

Dichtungen  und  Melodien 
des  bayrisdi=österreidiisdien  Minnesangs. 

Eine  sangbare  Neuausgabe  mit  dichtungsgeschichtlicher  und 
musil^alischer  Einführung,   Klavierbegleitung,  Buch- 
schmuck und  farbigen  Bildern  nach 
alten  Originalen. 


Herausgegeben  von 

Dr.  Bernhard  Paumgartner,  Direktor  des  Mozarteums  in  Salzburg, 

und  Alfred  Rottauscher. 


Drei  flexibel  gebundene  Quartbände  in  einer  Mappe,  Preis  5000  Mark. 
Die  erste  Sammlung  des  Minnesangs  mit  Melodien. 


INHALT: 

I.  BAND  (dichtungsgeschichtlicher  Teil) :  Rittertum,  Minnedienst  und  ro- 
manischer Stil.  —  Die  ersten  Blüten.  Der  Hof  der  Babenberger.  —  Reinmar 
der  Alte.  —  Walther  von  der  Vogelweide.  —  Die  höfische  Schule  in 
Bayern  und  Österreich.  —  Wien  unter  Leopold  VI.  und  Friedrich  IL  — 
Neidhart  von  Reuental  und  die  dörfische  Schule.  —  Tannhäuser.  —  Zwei 
Jahrhunderte  der  Mystik.  —  Der  Mönch  von  Salzburg.  — 
Hugo  von  Montfort.  —  Oswald  von  Wolkenstein. 

IL  BAND  (Textband) :  70  Lieder. 

III.  BAND :  Die  Melodien  (mit  Klavierbegleitung). 


Die  Wiedererweckung  der  Jahrhunderte  lang  tot  gelegenen  Lieder  des  Minne- 
sangs.—Verlebendigung  der  Melodien  durch  eine  formvollendete  und  tem- 
peramentvoll angepaßte  Klavierbegleitung  —  feinfühlige  Übertragung  der 
Texte  unter  Berücksichtigung  des  gesungenen  Wortes.  Die  außerordent- 
liche Schönheit  dieser  ursprünglichen  Melodien,  der  Wohlklang  der  Lieder, 
der  in  der  Verschiedenheit  der  Artung  sichtbare  Gang  ihrer  Entwicklung 
und  der  lebendige,  geschichtliche  Teil,  der  uns  diesen  Entwicklungsgang 
bloßlegt,  ergeben  ein  Werk  von  unerhörter  Gesamtwirkung. 


Soeben  erschien: 

Leopold  Mozart 

Versuch  einer  gründlichen 

Violinschule 

Faksimiledruck  getreu  nach  dem  Original. 

280  Seiten  (Quart)  Text  mit  vier  Stichen  und  einer  Notenbeilage. 

In  Batik-Pappband  1650  Mark, 

Vorzugsausgabe  in  Halbleder  3300  Mark. 


Dieses  Buch,  im  Faksimiledruck  durch  Oscar  Brandstetter,  Leipzig,  der 
Einband  von  F.  Rollinger,  Wien,  hergestellt,  ist  ein  buchtechnisches  Meister- 
werk geworden.  Das  wundervolle  drucktechnische  Empfinden,  das  gleich 
ursprünglich-geschmackvoll  heute  nur  in  den  seltensten  Fällen  erreicht 
wird,  erscheint  durch  die  exakte  photographische  Wiedergabe  zu  neuem 
Leben  erweckt.  Die  Anordnung  des  Druckes,  die  verschiedenen  ganz- 
seitigen Stiche,  die  barocken  Vignetten  am  Ende  der  einzelnen  Kapitel 
fügen  sich  zu  einem  reizenden  Gesamtbild  dieses  Buches  zusammen, 
welches  das  Entzücken  aller  jener  Bibliophilen  gebildet  hat,  die  bisher 
die  ersten  Exemplare  des  Neudruckes  zu  Gesicht  bekommen  haben.  — 
Wird  die  Ausgabe  dadurch  zu  einer  willkommenen  Gabe  für  jeden  Bücher- 
freund, so  wird  sie  in  nicht  minderem  Maße  von  jedem  Musikliebhaber 
fniudig  begrüßt  werden.  Die  Mozartsche  Violinschule  war  seinerzeit  das 
erste,  in  deutscher  Sprache  erschienene  Lehrbuch  des  Violinspiels,  dem 
tatsächliche  Bedeutung  zukam.  Gleich  dem  Bachschen  „Versuch  über  die 
wahre  Art,  das  Klavier  zu  spielen",  zählt  das  Werk  zu  den  Standardwerken 
der  musikpädagogischen  Literatur.  In  dem  Briefwechsel  Zelter-Goethe 
finden  wir  darüber  das  Urteil:  „Die  Mozart'sche  Violinschule  ist  ein  Werk, 
das  sich  brauchen  läßt,  so  lange  die  Violine  eine  Violine  bleibt,  sie  ist  sogar 
gut  geschrieben."  Und  tatsächlich  ist  dieses  Buch,  nach  dessen  Methode 
Mozarts  großer  Sohn  seine  musikalische  Ausbildung  erhielt,  und  welches  die 
musikalischen  Verhältnisse  der  für  die  klassische  Aera  Haydn-Mozart-Beet- 
hoven  grundlegenden  Epoche  widerspiegelt,  mit  solcher  Frische,  mit  solchem 
Verstand  und  Witz  geschrieben,  daß  es  weit  über  den  bloßen  musikpädago- 
gischen Rahmen  hinauswächst  und  ein  allgemein  interessantes 
Kulturdokument  von  unverwelklicher  Frische  bildet. 


Im  November  erscheint: 


Dr.  Rudolf  Stephan  Hoffmann 

Erich  Wolfgang  Korngold 

mit  zahlreichen  Notenbeispielen,  zwei  Porträts  des 
Komponisten,  dem  Faksimile  einer  Partitur- 
seite,  dem  Porträt  der  Jeritza  als 
„Violanta"   und  einem 
Szenenbild. 


In  Halbleinenband  660  Mark,  Halbleder  1650  Mark. 


Korngold  ist  zweifellos  eine  der  interessantesten  Erscheinungen 
unter  den  Komponisten  der  jungen  Generation.  Als  er  —  zwölf- 
jährig—zum erstenmal  mit  seiner  Pantomine  „Der  Schneemann" 
vor  die  Öffentlichkeit  trat,  hat  der  Streit  für  und  wider  ihn  ein- 
gesetzt und  ist  seitdem  nicht  verstummt.  Während  seine  Werke 
längst  erfolgreich  über  die  Grenzen  Österreichs  und  Deutschlands 
hinausgedrungen  sind  —  vor  nicht  zu  langer  Zeit  hat  „Die  tote 
Stadt"  an  der  New- Yorker  Metropolitan  ihre  Erstaufführung  unter 
außerordentlichem  Beifall  erlebt  —  wird  gerade  in  seiner  Heimat 
noch  immer  die  rein  sachliche  Beurteilung  seines  Schaffens  durch 
kleinliche  Gehässigkeiten  jeder  Art  verdrängt.  —  Auf  Anregung  des 
Verlages  hat  Dr.  Hoffmann  das  vorliegende  Buch,  eine  prägnante, 
objektiv  eingehende  kritische  Betrachtung  über  das  Werden  und 
Schaffen  Korngolds,  sachlich-kritische  Analysen  seiner  Schöpfungen 
geschrieben.  Unter  Beleuchtung  und  nach  Beiseiteschiebung  aller 
jener  Umstände,  die  bisher  vielfach  die  uneinbeflußte  Betrachtung 
der  Korngold'schen  Werke  behinderten,  werden  diese  nun  von  dem 
Standpunkte  ihres  tatsächlichen  künstlerischen  Wertes  analysiert. 
Ein  besonderes  Kapitel  hat  der  Verfasser  der  mißbräuchlichen  Ver- 
mengung von  Rassen-  und  Kunst-Problem  gewidmet. 


Im  November  erscheint: 


Die    schönen     Bücher    der     Musik 


Erster  und  zweiter  Band 

Wolfgang  Amadc  Mozart 

Erster  Band:  Vater  und  Sohn. 
Zweiter  Band:  Lebenstragödie. 


Auf  holzfreiem  Papier. 
In  flexiblem  Pappband.  Mit  drei  Reproduk- 
tionen in  Vierfarbendruck  und  zahlreichen  einfarbigen 
Reproduktionen.  —  Preis  jedes  Bandes 
600  Mark. 


Während  aus  den  so  zahlreichen  Musikerbiographien  immer  der 
Autor  des  Buches  mehr  als  der  Geschilderte  hervortritt,  soll  in  diesen 
Büchern  versucht  werden,  ein  unmittelbares  Bild  der  Meister  zu 
gewinnen.  Durch  chronologische  Anordnung  der  Dokumente  seines 
Lebens,  seiner  Briefe  und  der  Briefe  des  Vaters  (in  originalgetreuer 
Wiedergabe),  unter  Weglassung  nur  der  wirklich  nebensächlichen 
Details  finden  wir  das  reizvoll  lebendige  Bild  Mozarts,  so  wie  er 
wirklich  war.  Eine  besondere  individuelle  Anpassung  der  Ausstattung 
des  Buches  an  seinen  Inhalt,  ein  feinfühliges  Zusammenwirken  von 
Druck,  Papier  und  Buchschmuck  ergibt  den  beabsichtigten  besonders 
schönen  Gesamteindruck  dieser  Bücher. 


cSv 


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UNIVERSITY  OF  TORONTO  LIBRARY 


IT 


7.W5 
F7 


Frimmel,  Theodor  von 

Von  alter  und  neuer  Kunst 


ü  IV. 


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