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Full text of "Von der Sprache der Götter und Geister: bedeutungsgeschichtliche Untersuchungen zur homerischen und eddischen Göttersprache"

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M/vSTER  NEGATIVE  iNO.: 


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VON  DER  SPRACHE 
DER  GÖTTER  UND  GEISTER 

BEDEUTUNGSGESCHICHTLICHE 

UNTERSUCHUNGEN   ZUR  HOMERISCHEN 

UND  EDDISCHEN  GÖTTERSPRACHE 


VON 


HERMANN  GÜNTERT 


UNIVERSriY  OF  TORONTO 

LIBRARY 
MASTER  NEGATIVE  NO.: 
9i.Qo9../.L-r.k. 


HALLE  (SAALE) 

VEKLAG  VON  MAX  NIEMEYER 
1921 


An  allen  Orten  soll  meinem  Namen  geräncheit  und  ein 
reines  Speisopfer  geopfert  werden;  denn  mein  Name  soll 
herrlich  werden  unter  den  Heiden,  spricht  der  HErr  Zebaoth. 

Prophet  Maleachi  I.  11. 


\)  ava^,  ov  To  (iuvthÖv  ioxi  lo  ir  .Je?.(potq, 
o?Tf  Xf-yet  ovxf:  xqvktsi,  akXä  OTj/taiVEi. 

Heraklit. 


®ic  Stimme  ©DtteS. 
3)te  Kreaturen  fiiib  befe  (Siegen  SBorteS  Stimme: 
(5§  fingt  wnb  Hingt  fid^  felbft  in  Slnmutl)  unb  im  @rimme. 

Ang-elua  Silesius,  der  Cherubinische  Wandersmann,  1657,  I,  270. 


■xV 


a  f)  O   I  'X  /i 

\)(J  O  X  ^^  'X 


y 


FieilieiTii  Ludwig  von  Heyl  zu  Herrnsheira 

zugeeignet 

in  dankbarer  Erinnerung  an  unvergeßliche,  von  herzlichster  Freundschaft 

durchsounte  Wormser  Jugeudtage 


y 


Vorbemerkung. 


Wer  vom  Titel  verführt  von  den  folgenden  Blättern 
etwa  mystische  Erbauung  oder  gar  theosophische  Belehrung 
erwarten  sollt«,  tut  gut,  sie  ungelesen  aus  der  Hand  zu  legen. 
Wenn  sich  der  Verfasser  auch  nicht  gerade  jeden  Verständ- 
nisses mystischer  Erlebnisse  für  bar  hält,  so  galt  es  jedenfalls 
hier,  einem  streng  wissenschaftlichen  Problem  mit  philo- 
logischer Kritik  und  sprachwissenschaftlicher  Nüchternheit 
nachzuspüren:  daher  der  vor  allen  Weihrauchwölklein  war- 
nende Untertitel  des  Büchleins.  Die  Frage  nach  der  Her- 
kunft der  bei  Homer  und  in  der  Edda  als  Ausdrücke  der  Götter 
ausgegebenen  AVorte,  die  merkwürdigerweise  noch  keine  ge- 
nauere sprachwissenschaftliche  Behandlung  erfahren  hat,  war 
mir  zuerst  bei  meinen  Untersuchungen  über  die  ahurischen 
und  daevisclien  Ausdrücke  im  Awesta  ^)  entgegengetreten  und 
hielt  mein  Interesse  gefangen,  je  widersprechender  gelegent- 
liche, hier  und  dort  geäußerte  Erklärungsversuche,  die  mir 
allmählich  bekannt  wurden,  eine  Antwort  zu  geben  suchten. 
Da  es  also  nicht  allein  galt,  die  einzelnen  „Götterworte"  im 
besondern  sprachwissenschaftlich  zu  wägen,  sondern  auch  das 
Problem  als  ganzes  und  allgemein  zu  verstehen,  mußte  eine 
größere,  religionswissenschaftlich  gefärbte  Einleitung  meine 
Ansicht  von  der  Entstehung  dieses  Glaubens  aus  volkstüm- 
lichen Vorstellungen  von  der  Macht  des  Namens  und 
Worts  sachlich  begründen.  Da  jedoch  der  Wort-„aber"-glaube 
von  verschiedenen  Seiten  schon  ausgiebig  behandelt  ist,  konnte 
es  sich  für  unseren  Zweck  nur  darum  in  diesem  einleitenden 

')  Sitzungsberichte  d.  Heidelb.  Akad.  d.  Wiss. ,  1914,  13.  Abhandlung, 
vgl.  die  Fußn.  1  auf  Seite  3. 


VI 

Teile  handeln,  aiicli  den  solchen  Fragen  ferner  stehenden 
Leser  in  die  in  Betracht  kommenden  primitiven  Gedanken- 
gänge einzuführen  und  ihn  zu  dem  Punkte  zu  geleiten,  von 
dem  aus  ich  den  Gla,uben  an  eine  besondere  S])rache  der  Götter 
und  Geister,  ganz  allgemein  betrachtet,  erklären  zu  können 
glaube.  Um  erschöpfende  Materialsammlung  ist  es  mir  also 
in  diesem  ersten  allgemeinen  und  grundlegenden  Abschnitt 
keineswegs  zu  tun;  ich  glaube  aber,  daß  das  Gebotene,  das 
ich  aufgrund  eigener  Sammlungen  etwas  individueller  zu  ge- 
stalten suchte,  zur  Einleitung  in  das  eigentliche  semasio- 
logische  Problem  der  beiden  nächsten  Abschnitte  vollauf  ge- 
nügen dürfte.  Daß  ich  bei  einem  Stoffe,  der  Sprach-  und 
Eeligionshistoriker,  klassische  Philologen  und  Germanisten  in 
gleicher  Weise  angeht,  in  der  Darstellung  ausführlicher  und 
allgemein  verständlicher  sein  mußte,  als  das  bei  einer  rein  in 
ein  einziges  Sondergebiet  fallenden  Facharbeit  nötig  ist,  lag 
auf  der  Hand,  Wenn  ich  auch  den  philologischen  und  reli- 
gionswissenschaftlichen Fragen  keineswegs  auswich,  so  ist 
doch  die  ganze  Arbeit  in  erster  Linie  vom  Standpunkt  des 
Sprachwissenschaftlers  geschrieben,  der  sich  besonders 
für  die  Fragen  der  Wortgestaltung,  Wortschöpfung  und  Wort- 
bedeutung interessiert,  dem  aber  auch  die  Ansichten  ver- 
gangener Zeiten  über  die  Kraft  der  Sprache  und  des  Worts 
aller  Beachtung  wert  erscheinen;  insofern  ist  diese  Unter- 
suchung auch  als  Beitrag  zur  indogermanischen  Altertums- 
kunde gedacht.  — 

Für  freundlichen  Beistand  bei  der  Drucklegung  dieser 
Arbeit  spreche  ich  meinem  hochverehrten  Lehrer,  Herrn  Ge- 
heimrat Prof.  Dr.  Bartholoma e,  meinen  besten  Dank  aus;  sehr 
zu  Dank  verpflichtet  fühle  ich  mich  auch  gegen  meinen  Ver- 
leger, Herrn  Hermann  Niemeyer  in  Halle,  der  sich  trotz  der 
Ungunst  der  Zeitverhältnisse  in  der  entgegenkommendsten,  un- 
eigennützigsten Weise  meines  Buchs  angenommen  hat. 

Heidelberg,  im  Januar  1921. 

Hermann  Güntert. 


/ 


vi/ 


Inhaltsübersicht. 


Seite 
I.  Einleitender  und  grundlegender  Teil.  Der  Glaube  an  Geister- 
sprachen im  allgemeinen  und  seine  Erklärung: 

1.  Nomina  als  nuniina  und  omina 1 

2.  Engelszimgen 23 

3.  Die  Bildungsarten  von  Zauberworten 55 

II.  Teil.    Die  tiomerische  Götterspraclie: 

1.  GötterAvorte 89 

2.  Paare  von  Götter-  und  Menschenworten 104 

3.  Nachhomerische    Belege    für    Götterworte    und    sakrale 
Metaphern 116 

! 

I    III.  Teil.    Die  Synonyme  der  Alvissmpl: 

1.  Das  Gedicht  als  .Ganzes 130 

2.  Die  einzelnen  Geisterworte 140 

3.  Ergebnis  und  indische  Parallelen 151 

Ausklang.     Naturstimmen   als   Geistersprache   nach   einigen   Dichter- 
,    '  Zeugnissen 160 

/       Berichtigungen  und  Nachträge 172 

\ 

\       Seitenweiser: 


I.  Sachverzeichnis 173 

II.  Wörterverzeichnis 175 


1. 


Jl 


)m  leisen  Raunen  und  schaffenden  Weben  der  Natur  hat 
die  lauschende  Volksphantasie  seit  ältesten  Zeiten  viel  mehr 
gehört  als  nur  sinnlose  Geräusche  und  bedeutungsleere  Töne ; 
man  empfand  darin  vielmehr  die  vernehmlichen  Stimmen  über- 
menschlicher Mäclite  und  Wesen,  die  in  einer  geheimnisdunklen 
Rätselsprache  lispeln  und  wispern,  die  den  allmächtigen  Welten- 
schöpfer preisen,  die  aber  auch  dem  Sterblichen  Warnungen 
und  Ratschläge  zukommen  lassen,  wenn  er  ihre  Rede  zu  fassen 
vermag.  Höhe  und  Stand  der  religiösen  Anschauungen  ist 
bei  dieser  gefühlsmäßigen  Überzeugung  verhältnismäßig  gleich- 
gültig; mag  der  Mensch  sich  die  ganze  Natur  von  Geistern 
und  Dämonen  bevölkert  denken,  oder  mag  er  in  dem  Weltall 
und  seinem  gesetzmäßigen  Kosmos  selbst  die  wirkende  Gottheit 
verehren,  mag  er  sich  seinen  Gott  noch  so  geistig,  dem 
Menschenhirne  unfaßbar  vorstellen  oder  von  der  Herrschaft 
des  Unterbewußtseins,  des  „fremden  Gastes"  in  der  Menschen- 
seele, überzeugt  sein,  wie  ihn  kürzlich  Maeterlinck  ge- 
schildert hat'):  dieser  Grundüberzeugung,  daß  in  den  Stimmen 
der  Natur  göttliche  Mächte  reden  und  verkünden,  „was  ewig 
schaffend  uns  umwallt",  bleibt  zugänglich,  wer  überhaupt 
gefühlsmäßigen  Stimmungen  Berechtigung  und  Zutritt  in 
seiner  Seele  zugesteht: 

Die  Himmel  rühmen  des  Ewigoi  Ehre, 

Ihr  Schall  pflanzt  seinen  Namen  fort. 

Ihn  rühmt  der  Erdkreis,  ihn  preisen  die  Meere: 

Vernimm,  o  Mensch,  ihr  göttlich  Wort! 

Jahrtausendalte  Überlieferung   ist    es,    die   solche   Emp- 
findungen tief  in  der  fühlenden  Menschenbrust  gefestigt  und 

')  M.  Maeterlinck,  Der  fremde  Gast,  Jena  1919. 

Güiiteit,   Sijrac'lic  dor  Ciöttoi-  luid  Geister.  1 


geborgen  hat.  Der  g-estirnte  Nachthimmel  in  seiner  Majestät 
erschien  dem  größten  deutschen  Denker  als  eine  ehrfurcht- 
erregende Offenbarung  des  Ewigen,  Grenzenlosen,  und  selbst 
der  moderne,  exzentrische  Dichterpsycholog,  der  sich  so  gerne 
in  der  Rolle  eines  Gottleugners,  Gottzertrümmerers  gefällt,  ist 
hochempfänglich  für  diese  großartige  Zeichensprache  der 
Natur,  für  die  Erhabenheit  des  Sonnengestirns,  das  er  so  oft 
redend  einführt,  für  das  beredte  Schweigen  der  Flammen- 
schrift am  Sternengewölbe,  „ewiger  Bildwerke  Tafel";  er 
fühlt  seine  Seele  in  tiefsten  Tiefen  erschauern,  wenn  seine 
entzückte  Weisheit  ein  überirdisch  Zeichen  aus  anderen 
Welten  gleich  einer  stummen  Eede  des  Alls  zu  gewahren 
wähnt : 

Ich  sehe  hinauf  — 

Dort  rollen  Lichtmeere: 

—  0  Nacht,  0  Schweigen,  o  totenstiller  Lärm!  .  .  . 

Ich  sehe  ein  Zeichen  — ; 

aus  fernsten  Fernen 

sinkt  langsam  funkelnd  ein  Sternbild  gegen  mich  .  .  . 

Man  sage  nicht  oberflächlich,  das  sei  nur  dichterisches 
Bild,  nur  Gleichnis,  also  —  Dichter  -  Erschleichnis !  Das 
seelische  Erleben  und  Schauen  ist  das  gleiche,  ob  es  sich 
nun  hier  mehr  in  religiöser,  dort  mehr  in  ästhetischer  Form 
äußere. 

In  dieser  tlberzeugung  von  den  flüsternden  Geister- 
stimmen der  Natur  ist  einer  der  Hauptgründe  für  die  Weis- 
sagekunst, für  die  Mantik,  zu  sehen:  im  sanften  Säuseln  der 
Blätter  in  der  Krone  heiliger  Bäume  wie  im  murmelnden 
Geplätscher  eines  heiligen  Quells,  im  Flug  der  Vögel  wie  im 
Körperin nern  des  Götteropfers,  im  Donnergrollen  und  Sturmes- 
brausen wie  im  Flimmerglanze  der  Sternmyriaden  an  der 
entwölkten  nächtlichen  Himmelskuppel,  im  Verhalten  geweihter 
Tiere  wie  in  Traumgebilden:  —  überall  erlauschte  die  be- 
obachtende, hinhorchende  und  kombinierende  Menschenseele 
geheime  Zeichen,  versteckte  Winke  überirdischer  Wesen,  die 
in^ihrer  Art,  in  einer  seltsam  eigenen  Götter-  oder  Geister- 
sprache, Rätsel  des  Daseins  entsiegeln,  die  Warnungen  oder 
Ratschläge  dem  Kundigen  erteilen,  die  sogar  die  sterblichen 


Augen  ewig  verschleierte  Zukunft,  das  allgewaltige  Schicksal 
selbst,  zu  eröffnen  gewillt  sind.  Nur  besonders  begnadete, 
hellhörige  Menschen  freilich,  Priester  und  Sibyllen  zumal, 
aber  auch  die  Dichter  unti  Seher  verstehen  sich  auf  diese 
Göttersprache  und  vermögen  sie  den  anderen  Menschen  zu 
deuten  und  zu  übersetzen.  Ja  sogar  Menschenlippen  können 
diese  überirdische  Sprache  lallen,  dann  nämlich,  wenn  eine 
heilige  Begeisterung,  eine  mystische  Verzückung  eine  Steigerung 
über  menschliches  Maß  ermöglicht:  so  stammelte,  des  Gottes 
voll,  die  delphische  Pythia  rollenden  Auges  und  mit  schaum- 
bedecktem Mund  ihre  Rätselworte,  die  nur  dem  Priester  ver- 
ständlich waren,  so  denkt  sich  Aischylos  seine  Kassandra  in 
unklaren  Lauten  gleich  einer  Schwalbe  zwitschern,  i)  so  hörte 
der  mittelalterliche  Mystiker  in  unmittelbarem  Schauen  der 
Gottheit  und  der  Engelchöre  diese  himmlische  Sprache,  so 
redeten  seit  den  Tagen  des  Paulus  bis  in  unsere  unmittelbare 
Gegenwart  schwärmerische  Christen  in  einer  besonderen  Ver- 
zückung in  Stimmen  der  Engel,  so  berichten  geeignete  Medien 
im  Trance -Zustand  von  außermenschlichen  Sprachen.  Auf 
solche  Weise  kann  die  Rede  der  überirdischen  Wesen  un- 
mittelbar beobachtet  werden,  da  die  Personen  in  ihrer  Ver- 
zückung und  ihrem  Enthusiasmus  nur  das  Sprachrohr,  das 
willen-  und  bewußtlose  Sprachwerkzeug  der  Mächte  sind,  von 
denen  sie  „besessen"  werden.  Aber  der  Priester,  der  ja  diese 
fremdartigen  Worte  und  Schreie  zu  deuten  vermag,  kann 
dann  auch  seinerseits  mittels  solcher  magischen  Worte  sich 
mit  den  überirdischen  Mächten  ins  Benehmen  setzen :  Zauber- 
formeln und  -Sprüche  sind  nämlich,  in  diesem  Sinne  betrachtet, 
ebenfalls  nichts  anderes  als  die  Wörter  einer  Geistersprache, 
mittels  deren  der  Zauberer  den  Geistern  zu  gebieten  imstande 
ist.  Dies  wird  deutlicher,  sobald  wir  uns  die  Bedeutung 
des  Namens  und  Worts  in  primitivem  Volksdenken 
nur  einigermaßen  zu  vergegenwärtigen  suchen.-) 

')  Agamemnon  1050  f. 

■-)  Ich  stelle  die  wichtigste  Literatur  zusammen :  Tylor,  ürgesch.  d. 
Menschheit,  1866,  136 ff.,  Nyrüp,  Navuets  magt  in  Mindre  Afhandlinger  ud- 
give  af  det  Phil.-Histor.  Sarafund,  Kopenhagen  1887,  118 ff.,  Frazer,  The 
golden  bough  I-,  -10J3if.,  v.  Andrian,  Correspondenzbl.  d.  d.  Ges.  f.  Anthropol., 
Ethnol  u.  IJrgesch.,  27,  1890,  109  ff.,  Kroll,  Rhein.  Mus.  1898,345,  Giese- 

1* 


Goethes  Ausspruch.  Name  sei  Schall  und  Rauch,  ist 
nämlich  eine  ganz  junge,  moderne  Auffassung  und  hat  für 
ältere  Zeiten  jedenfalls  keine  Geltung.  Es  ist  übrigens  inter- 
essant, daß  der  Dichter,  dessen  grüblerischer  Faust  das  Wort 
ja  auch  so  hoch  unmöglich  schätzen  kann,  seinerseits  sehr 
wohl  ein  Gefühl  für  jenes  geheimnisvolle  Etwas  besaß,  das 
selbst  heute  noch  den  Namen  umgibt.  Wie  er  nämlich  in 
„Wahrheit  und  Dichtung"  erzählt, ')  schrieb  einst  der  krittlige 
Herder  in  Straßburg  an  den  Dichter  eine  Karte,  in  der 
Goethes  Name  nicht  eben  freundlich  unter  eine  trübe  etymo- 
logische Lupe  genommen  wurde :  „Z)er  von  Göttern  du  stammst, 
von  Goten  oder  vom  Kote,  Goethe,  sende  sie"^)  mir.^^  Der 
Dichter  fährt  weiter:  „Es  war  freilich  nicht  fein,  daß  ersieh 
mit  meinem  Namen  diesen  Spaß  erlaubte;  denn  der  Eigen- 
name eines  Menschen  ist  nicht  etwa  wie  ein  Mantel,  der  bloß 
um  ihn  herhängt,  und  an  dem  m.an  allenfalls  noch  zupfen  und 
zerren  kann,  sondern  ein  vollkommen  passendes  Kleid,  ja  wie 
die  Haut  selbst  ihm  über  und  über  angewachsen,  an  der  man 
nicht  schaben  und  schinden  darf,  ohne  ihn  selbst  zu  verletzen." 
Auch  Th.  Storm  hat  ein  feines  Verständnis  für  die  besondere 
Bedeutung  des  Namens  gehabt,  wenn  er  singt  s): 

Denn  ob  der  Nam  den  Menschen  macht. 
Oh  sich  der  Mensch  den  Namen, 
Das  ist,  weshalb  mir  oft,  7nein  Freund, 
Bescheidne  Zweifel  kamen. 


BRECHT,  Die  alttestameutliche  Schätzung-  des  GottesuameDS,  1901,  08 ff., 
Heittmüller,  Im  Namen  Jesu,  Forsch,  z.  Bei.  d.  alten  u.  neuen  Testam.  II, 
Dieterich,  Mithrasliturg-ie^,  1910,  llOff. ,  W.  Schmidt,  Die  Bedeutung 
des  Namens  im  Kult  und  Aberglauben,  Beilage  z.  Jahresber.  d.  Ludwig- 
Georgs-Gymnasiums  in  Darmstadt,  1912,  Hirzel,  Der  Name,  Abhandl.  d. 
Sachs.  Ges.  d.  Wiss.,  XXXVI,  Nr.  2.  Einzelnes  bei  Clodd,  Folk-Lore  I, 
1890,  272 f.,  Arch.  f.  Religionswiss.  IV,  1901,  Iff.,  Wbllhausen,  Reste 
arab. Heidentums -^  1897, 199ff.,  Kauffmann,  Balder,  1902, 198ff.,  A.Ermau, 
Aegypt.  Religion  1905,  101,  lOi,  155,  Schindler,  Aberglaube  des  Mittel- 
alters, 18.58,  96 ff.,  E.  Littmann,  Festschrift  f.  Andreas,  1916,  86 ff., 
Scheftelowitz,  Die  altpersische  Religion  und  das  Judentum,  1920,  S.  57. 

')  Aus  meinem  Leben,  10.  Buch. 

-)  Ciceros  Briefe. 

«)  In  dem  Gedicht  „Zur  Taufe".  So  behauptet  Origenr  s  c.  Gels.  I,  24  f., 
die  Namen  seien  nicht  d^iGn,  sondern  <fvati  geschaffen. 


Eins  aber  weiß  ich  ganz'  gewiß: 
Bedeutsam  sind  die  Namen. 

In  alten  Zeiten  vollends  ist  der  Name  und  das  Wort 
etwas  ähnliches  wie  eine  seelische  Substanz,  jedenfalls  etwas 
Reelles,  Wirkliches,  Seiendes,  etwas,  das  Leib  und  Seele  an 
Bedeutung  als  gleichwertig  galt.  Aus  der  altindischen,  be- 
sonders der  buddhistischen  Philosophie  ist  der  Ausdruck 
nämarüpa-  „Name  und  Aussehen"  zur  Bezeichnung  des  Wesens 
eines  Dinges  bekannt,')  in  der  Jfmä^H.sä- Lehre  begegnet 
der  ähnliche  Begriff  nämaguna-  „Name  und  Eigenschaft".  2) 
Die  alten  Ägj^pter  lehrten  geradezu,  der  Mensch  bestehe 
aus  Leib,  Seele,  dem  schattenhaften  anderen  Ich  (Ka)  und 
dem  Namen. 3)  Nach  ethnologischer  Quelle'*)  sollen  die 
Bewohner  von  Angmagsalik  an  der  Ostküste  von  Grönland 
kurz  und  bündig  behaupten,  der  Mensch  sei  aus  drei  Teilen 
zusammengesetzt,  aus  Leib,  Seele  und  Namen.  Wer  den 
Namen  eines  Geistes  kennt,  der  hat  Macht  über  ihn,  der  kann 
kraft  dieser  magischen  Gewalt  den  Dämon  zitieren.  Die 
feierlichen  Anrufungen  der  Götter  im  Gebet  und  Zauber  be- 
schwören nach  primitiver  Denkungsart  das  überirdische  Wesen; 
die  Verbindung  der  Menschenwelt  an  das  Geisterreich  ge- 
schieht lediglich  durch  Namensnennung.  Solange  man  eines 
Dämons  Namen  nicht  weiß,  kann  man  sich  seiner  nicht  er- 
wehren; er  ist  unangreifbar,  unfaßbar,  alle  Abwehrmaßregeln 
gegen  seine  Tücke  sind  Schläge  in  die  leere  Luft.  Das  be- 
kannte und  weit  verbreitete  Märchen  vom  „Rumpelstilzchen" 
lehrt  dies  aufs  anschaulichste.»)  Von  Hexen  in  Werwolfs- 
gestalt  singt  Goethes  „Zigeunerlied",  das  wirkungsvoll  hier- 
hergehörige abergläubische  Motive  verwendet.  Da  der  Zigeuner 
den  wahren  Namen  der  sieben  Wölfe  kennt,  machen  sie  bei 

0  S.  Oldenberg,  Buddha*  1900,  46.  262 ff.  und  Weltanschauung  der 
Brähm.-Texte  1919,  105. 

*)  Sat.  Br.  XI,  2,  'S,  1  heißt  es :  „Das  Weltall  reicht  so  weit  als  Gestalt 
und  Name." 

»)  A.  Erman,  Aegypt.  Religion,  1905,  8Hff. 

*)  V.  Andrian  im  Correspondenzblatt  d.  dtsch.  (jesellsch.  f.  Anthrop., 
Ethuol.  u.  Urgesch.  27,  1896,  Spalt«  115. 

•')  E.  Cloth,  The  pliilo.sophie  of  Rumpelstiltskin ,  The  Folk-Lore 
Journal  1888,  7,  157  ff. 


der  bloßen  Namensnennimg  kehrt,  weil  sie  sich  in  der  Zauber- 
gewalt des  Rufenden  wissen: 

Ich  schoß  einmal  eine  Katz'  am  Zaun, 
Der  Anne,  der  Hex',  ihre  schwarze  liehe  Katz'; 
Da  kamen  des  Nachts  sieben  Werwölf  zu  mir, 
Waren  sieben,  sieben  Weiber  vom  Dorf. 

Ich  kannte  sie  all',  ich  kannte  sie  wohl, 
Die  Anne,  die  Ursel,  die  Käth', 
Die  Liese,  die  Barbe,  die  Ev\  die  Beth; 
Sie  heulten  im  Kreise  mich  an. 

Da  nannf  ich  sie  alle  bei  Namen  laut : 
Was  willst  du,  Anne?    was  willst  du,  Beth? 
Da  rüttelten  sie  sich,  da  schüttelten  sie  sich 
Und  liefen  und  heulten  davon  .  .  . 

Wille  wau  wau  u)au! 

Wille  wo  wo  wo ! 

Wito  hu! 

Wer  den  zauberkräftigen  Namen  vergißt,  hat  jede  Herrschaft 
über  die  geisterhaften  Erscheinungen  verloren.  Das  zeigt 
abgesehen  von  Hauffs  bekanntem  „Kalif  Storch",  der  auf 
diesem  Motiv  beruht,  wieder  Goethe  im  „Zauberlehrling", 
der  die  (ieister,  die  er  rief,  nicht  mehr  los  werden  konnte'): 

.,Ach  ich  merk'  es!     Wehe!  uehe! 
Hab'  ich  doch  das  Wort  vergessen ! 
Ach,  das  Wort,  worauf  am  Ende 
Er  das  ivird,  was  er  gewesen! 

Eine  naive,  aber  in  ihrer  Art  ganz  folgerichtige  Logik 
liegt  den  primitiven  Vorstellungen  dieses  Namensaberglaubens 
zugrunde.  Nach  einer  jüdisclien  Geheimlehre'-)  z.  B.  kann 
man   einen   Dämon    dadurch    verscheuchen,    daß    man    seinen 

')  Den  Stoff  zu  dieser  Ballade  fand  Goethe  bekanntlich  bei  Lukian. 
Philopseudes  00  ff. 

^)  Aboda  zara  r2b,  Fesachiui  1 12  a,  s.  (jikskbrkcht,  Alttest.  Schät/iniy 
(1.  Gottesnamens  74,  Hkittmüm-kr,  Im  Namen  Jesu,  Forsch,  z.  R^lig.  d. 
alten  u.  neuen  Testaments  II,  165. 


Namen  wiederholt  ausspricht  und  dabei  jedesmal  eine  Silbe 
oder  einen  Buchstaben  wegläßt:  Schabriri,  briri,  riri,  iri,  rif 
Genau  zu  demselben  Zweck  wird  z.  B.  der  griechische  Spruch 
dienen  ') :  axQay.avuQßa  xccra{tßa  araQßa  rccQßa  agßa  Qßa  ßa  a 
Af'/f  oXor  ovToc  To  orotia  jm^/ryotidcö^. 

Name  ist  ein  Teil  des  Wesens ;  es  wird  hier  also  gleichsam 
von  dem  Wesen  des  Dämons  Stück  für  Stück  abgehackt,  und 
er  flüchtet,  um  auf  diesem  Wege  des  Analogiezaubers  nicht 
völlig  vernichtet  zu  werden.  Wie  man  mittels  magischer 
Analogiehandlung  eine  Wachspuppe  für  die  betreffende  Person, 
gegen  die  der  Schadenzauber  sich  wendet,  einsetzen  kann,  so 
daß  sie  selbst  die  Mißhandlungen  der  Puppe  am  eigenen  Leibe 
spürt,  wie  eines  Fingers  Glied,  ja  nur  die  Fußspur  genügt, 
um  die  ganze  Person  in  magische  Gewalt  zu  bekommen, 2)  so 
kann  man  mit  dem  Namen,  der  ja  ein  so  wesentliches  Stück 
der  dämonischen  Macht  ist,  Herr  über  sie  werden.  3) 

Natürlich  sind  diese  zauberkräftigen  Geisternamen  nicht 
allgemein  bekannt,  sind  nicht  etwa  dieselben,  wie  die  gewöhn- 
lichen Eigennamen,  mit  denen  der  Laie  den  Gott  oder  Geist 
benennt.  Es  handelt  sich  also  um  Geheimnamen,  deren 
Kenntnis  das  Vorrecht  der  Priester  und  Zauberer  ist.  Schon 
im  ältesten  Denkmal  des  Indogermanentums  spielen  diese  ge- 
heimen, „wirklichen"  Namen  eine  Rolle,  im  Egveda.   So  liest 

')  K.  Wkssely,  Ephesia  grammata  (Jahresbericht  d.  Franz  -  Joseph - 
Gymnasiums  in  Wien)  1886,  S.  28,  Nr.  303. 

2)  Vgl.  dazu  R.  Andree,  Ethnogr.  Parallelen  u.  Vergleiche  1889,  8  ff. 

')  Vgl.  z.  B.  AV  II,  31, 2 f.  (in  der  Übersetzung  Grills  Hundert  Lieder 
des  Atharva-Veda",  1888,  6): 

2.  Den  „Sichtbaren"  und  den  „Unsichtbaren' 
zerquetsch'  ich,  den  Kurüru  auch, 

Die  Aländti  und  Caluna 
zermalmen  alle  wir  durch' s  Wort. 

3.  Mit  mächt'ger  Waffe  tot'  ich  die  Aländu, 

ob  sie  verbrannt,  ob  nicht  —  sie  sind  unschädlich; 

Was  übrig,  wie  das  Abgetane,  zwing  ich 

durchs  Wort:  kein  einz'ger  Wurm  soll  übrig  bleiben. 

4.  Den  Wurm,  der  in  dem  Eingeweid. 
und  was  in  Kopf  und  Rippen  sitzt. 
Acaskacu,  Viadhoara 

zermalmen  wir  durch  unser  Wort. 


8 

man  z.  B.  RV  IX,  95,  2 :  devo  devdnäm  (jiihyäni  nämävis  hrnoti 
barhisi  pravace  „der  Gott  (sc.  Soma)  offenbart  der  Götter  ge- 
heime Namen,  sie  auf  der  Opferstreu  zu  verkünden". 
Ebenda  V,  5,  10  heißt  es:  „Dorthin  bringe  die  Opferspenden 
(havyäni),  wo  du,  Waldesherr  (vänaspäU-),  die  geheimen  Namen 
der  Götter  weißt."  ')  Vgl.  auch  IX,  58,  1,  wo  vom  geheimen 
Namen  der  Opferbutter  die  Rede  ist.  Nach  Sat.  Br.  II,  1,  2, 11 
ist  Ärjuna-  ein  geheimer  Name  Indras :  Ärjuno  ha  vai  namendro 
yad  asya  guhyanäma  'for  indeed  Indra  is  also  called  Ärjuna-, 
this  being  his  mystic  name';2)  Indra  ist  indha-  der  „Ent- 
flammer" VI,  1,  1,  2,  Agni  wird  Nabhas  genannt,  ebenda 
III,  5,  1,  32.  Auch  im  Awesta  ist  von  dem  „heiligsten  Namen" 
der  Gottheiten  die  Rede  (z.B.  Y5,3  und  sonst),  man  ge- 
braucht „den,  der  von  den  Namen  der  förderndste  ist"  (Y  36,3); 
der  Name  der  Amdsasx)entas  überwindet  die  Tücke  der  Dämonen 
(Yl,3).  So  wird  zifo'rvooc  in  Mysterien  jrvQiytv/jc,  Lucina 
mit  dem  Fremdwort  Ilithyia,  Proserpina  furva  genannt: 
'mystico  nomine'.^)  Kein  Mann  durfte  in  Rom,  wie  Cicero, 
de  harusp.  resp.  37  berichtet,  den  wahren  Namen  der  bona 
dea  erfahren.  Rom  hatte  ebenfalls  Geheimnamen,  die  man 
nicht  einmal  beim  Gottesdienst  nennen  durfte:  Serv.  zu  Verg. 
Aen.  I,  277  urbis  illius  verum  nomen  nemo  vel  in  sacris 
enuntiat.')  Nach  lo  Lydus  de  mensibus  IV,  25  soll  der 
sakrale  Name  Roms  Flora  gelautet  haben,  daneben  wird  als 
orof/a  TtkiorrAor  Amor  diesem  oro//«  uQarixöi'  Flora  gegen- 
übergestellt. Es  wird  von  Plin.  bist.  nat.  XXVIII,  18  erzählt, 
daß  dies  deswegen  geschah,  damit  Feinde  bei  einer  etwaigen 
Belagerung  der  Stadt  den  Namen  der  Stadtgottheit  nicht 
kennen  und  auf  diese  also  nicht  magisch  mit  Namensnennung 
einwirken  können.'^)  Arabisch  alWi  ist  natürlich  kein  Name, 
die  Muhammedaner  dürfen  ihn  daher  ständig  im  Munde  führen ; 

das  Wort  bedeutet  nur  der  „Gott",  der  wirkliclie  Name  Allahs 
/ 

*)  Siehe  Bühlbr  bei  v.  Andrian  a.a.O.  125,  Grdr.  d.  indo-ar.  Phil. 
III,  2,  47  und  170. 

■')  EGr,Ei.iN(i,  Sacr.  Books  oi  the  Easi  XTI,  1S8'2,  285,  §  11. 

•')  Siehe  Belege  bei  Lobeok,  Aglaophamiis  I,  401  f. 

*)  Lobeck,  Aglaoph.  274,  Fnßn.  g,  \V.  Scjhmidt,  Bedeutung  des 
jSamens,  S.  45. 

•)  Schmidt  a.  a.  0. 


ist  Geheimnis  1):  wer  ihn  kennt,  ist  des  größten  Zaubers 
mächtig.  Auch  bei  den  alten  Babyloniern  spielt  der  „heilige", 
„große"  Name  eine  gewichtige  Rolle.  £a  ist  in  diesen  Sagen 
der  Herr  der  ewigen  Geheimnisse,  er  oifenbart  den  „all- 
mächtigen, geheimnisvollen  Namen",  dem  sich  auch  die  Höllen- 
mächte beugen  müssen.-) 

Der  ägyptisclie  Zauberer  droht  dem  Gott,  seinen  Namen 
den  Menschen  zu  verraten,  so  daß  er  diesen  dienstbar  werden 
müßte,  wenn  er  des  Magiers  Wunsch  nicht  erfüllt.  3)  Im 
Totenbuch  spricht  der  Tote,  der  zur  Halle  der  beiden  Wahr- 
heiten gelangt,  also^):  „Gelobt  seist  du,  du  großer  Gott,  du 
Herr  der  beiden  Wahrheiten  .  .  .  ich  kenne  dich  und  kenne 
den  Namen  der  zweiundvierzig  Götter,  die  mit  dir  in  der 
Halle  der  beiden  Wahrheiten  sind."  In  einem  anderen  ägyp- 
tischen Text  spricht  Isis  zu  He:  „Sage  mir  deinen  Namen, 
mein  göttlicher  Vater ;  der  Mann,  dessen  Name  genannt  wird, 
bleibt  leben."  ^)  In  einem  griechischen  Papyrus  aus  Ägypten**) 
heißt  es:  „Erhöre  mich,  denn  ich  werde  den  großen  Namen 
aussprechen,  Thaoth,  den  jeder  Gott  verehrt  und  jeder  Dämon 
fürchtet."  •') 

Auch  bei  den  Juden  ')  wird  vom  Geheimnaraen  Gottes 
viel  geredet;  schon  zu  Jesu  Zeiten  durfte  der  wahre  Wert 
des  Wortes  r^^i-:^  nicht  ausgesprochen  werden;  auch  nur  einen 
Buchstaben  des  niedergeschriebenen  Wortes  auszulöschen,  galt 
als  Frevel.  Gottes  „wirklicher"  Name,  richtig  ausgesprochen, 
bewirkte  die  größten  Zauberkräfte,  die  einem  Menschen  be- 
schieden sein  können.  Das  bloße  Aussprechen  genügte,  den 
Gegner  zu  vernichten,  die  Naturkräfte  zu  beherrschen,  den 
Dienst  der  Geister  und  Dämonen  zu  erzwingen,  die  vor  dem 
magischen  Wort   erzittern;   bei  Krankheiten   Avird  damit  der 

')  Tylok,  Urgeschichte  18y,  Schmidt  a.a.O.  89,  De  Jon«,  Antikes 
Mysterienweseu ',  1909,  143;  Nöldeke,  Tabari  183. 

''■)  Lenormant,  Magie  und  Wahrsagekunst  der  Chaldäer^,    1920,  19. 

•')  A.  Erman,  Aegypt.  Relig.  154. 

♦)  A.  Erman  a.  a.  0.  104. 

")  A.  Erman  a  a.  0.  155. 

")  Dieterich,  Papyr.  mag.  1888,  800,  Wibdemann,  Relig.  d.  alten 
Ägypter  1890,  114. 

')  Vgl.  weitere  Belege  bei  Scheftelowitz,  Die  altpers.  Relig.  u.  d. 
.Judentum  1920,  S.  57,  Fnßn.  1. 


10 

„unreine  Geist"  ausgetrieben,  i)  In  der  Erscheinung  des 
feurigen  Busches  war  Moses  das  gewaltige  Wort  geoffenbart 
worden; 2)  er  soll  nach  späterer  jüdischer  Überlieferung  es 
auf  einen  Zauberstab  geritzt  haben  —  genau  wie  der  nordische 
Wiking  seine  zauberkräftigen  Runen  in  Stäbe  eingrub.    Als 


■»)  Vgl.  z.  B.  die  jüdische  Bleitafel  von  Hadrumetum,  Wünsch,  Defix. 
tabell.  CIA  Appeiid.  p.  XVII:  6Qxi'C,(o  ae  t6  ayiov  ovo^a,  o  ov  Xiyeraf 
.  .  .  xai  Ol  öaiixoveq  ^^sye^d-iöoiv  ^^xd-a/ußoi  xal  7ieQL(poß [oi  yevjo/xsvoi  .  .  . 

'^)  Als  praktische  Proben  weiterer  Geheimnamen  genüge  eine  mittel- 
alterliche Beschwörung  des  Geistes  Aziel,  die  hier  nach  Schindler,  Aber- 
glaube des  Mittelalters,  1858,  114  folgen  möge:  „Ich  N.  N.  beschwöre  dich 
Aziel  mit  diesen  Machtworten:  El  und  EU.  die  Adam  gehöret  und  aus- 
gerufen, und  durch  den  heiligen  JS'amen  Gottes  Agle,  den  Loth  mit  seiner 
ganzen  Familie  gehöret  und  durch  den  er  gesund  geworden,  und  bei  dem 
Namen  Jod,  den  Jakob  von  dem  Engel  gehöret,  der  mit  ihm  gerungen 
und  von  der  Hand  seines  Bruders  Esau  befreit  hat,  und  bei  dem  Namen 
AnapMereton,  den  Aaron  gehöret,  wodurch  er  beredt  und  verständig  wurde, 
und  bei  dem  heiligen  Namen  Zebaoth,  den  Moses  genennet,  wodurch  er 
alle  Wasser  und  Pfützen  in  Blut  verwandelte,  und  bei  dem  Namen  Escha- 
rejah  ariton,  den  Moses  genennet,  worauf  sich  alle  Wasser  in  Frösche 
verwandelt  haben,  die  in  den  ägyptischen  Häusern  alles  verwüsteten,  und 
bei  dem  Namen  Elgon,  den  Moses  genennet,  worauf  ein  solcher  Hagel  ent- 
stund, dergleichen  von  Anbeginn  der  Welt  niemals  gewesen  war,  und  bei 
dem  Namen  Adonai,  den  Moses  geueunet,  worauf  Heuschrecken  hervor- 
kamen, sich  über  ganz  Ägypten  auszubreiten  und  das  noch  übrige  Getreide 
zu  verzehren,  und  bei  dem  Namen  Scheiuüsnmoihia,  den  Josua  nennete, 
worauf  die  Sonne  ihren  Lauf  verlor  und  stille  stand,  und  bei  dem  Namen 
Alpha  und  Omega,  den  Daniel  nennete,  wodurch  ei'  den  großen  Drachen 
niederstieß  und  tötete,  und  bei  dem  Namen  EmonueL  den  die  drei  Jüng- 
linge, Sadrach,  Memcli  und  Abednego  in  dem  feurigen  Ofen  gesprochen 
und  dadurch  errettet  wurden,  und  bei  den  drei  verborgenen  Namen  unseres 
Herrn  und  allmächtigen  Gottes,  dem  Lebendigen  und  Wahrhaftigen,  Agle, 
Elohu,  Tetragrammaion  :  erscheine  mir  ganz  freundlich  vor  meinem  Kreise 
und  bringe,  was  ich  von  dir  fordere.  Das  gebiete  ich  dir,  Geist  Aziel, 
im  Namen  Jesu!"  Das  Geraisch  hebräischer,  griechischer  und  künstlicher 
Wörter  ist  sehr  lehrreich.  Ganz  ähnlich  lauten  die  altgriechischen  Be- 
schwörungsformeln, z.B.  ivtvxofxul  oot  xaxv.  tof!  luw  '&to^  Xußu(i)x>  9tot) 
Aöwvai  Ihfof}  Mi/ar}).  Hhov  ^ov(Jir/k  i^toC  raß(Jirj?.  i)-tov  ^Puiparjk  i>fof 
Aß()uoa^  iyiov  'Aß/Mvax}uva?.ßa  ux(jtmfiuxfQi  O^wl'  xv(jiov  .  .  .  S^tov  xvqIov 
Aaßu<f)Vtoxtj(j  (pix(io<poo<fio>xüjßioy  uf-rjiovoj  wvoirjta:  s.  Xakl  Wessely, 
Ephesia  Grammata  (Jahresbericht  des  Franz -Joseph -Gymnasiums  Wien). 
1886,-j'S.  22,* Nr.  210.  Über  den  „vollendeten  Namen"  Buddhas  s.  Oldbn- 
HiflRG,  Buddha^  148,  Max  Müller,  Vorlesungen  ül)er  die  Wiss.  d.  S[tra(lie 
1,28,   Maass,  Orpheus  71,  Fiifln. 


11 

kostbarstes  Erbe  überließ  der  Prophet  diesen  Stab  mit  dem 
eingeschnitzten  Zaubernamen,  womit  er  seine  Wunder  ver- 
richtet hatte,  seinem  Nachfolger  Josua.  Besonders  oft  redete 
man  von  zauberkräftigen  Siegelringen,  in  denen  der  Sehern, 
der  magische  Wundername,  eingraviert  war.  So  erzählt 
JosEPHOs  1)  vom  Juden  Eleazar.  der  mit  einem  solchen  Ring 
am  kaiserlichen  Hof  in  Rom  Dämonen  austrieb,  und  in  der 
Apokalypse  ist  von  einem  Siegelring  Grottes  die  Rede,  von 
einer  acfQcr/}L;  .Vtor  QtövTo^,  womit  die  Knechte  Gottes  aus 
den  zwölf  Stämmen  „versiegelt",  d.  h.  durcli  das  heilige  Zeichen 
vor  allen  Dämonen  geschützt  werden. 2)  Nach  späterer 
jüdischer  Überlief erung  3)  gab  C-rott  den  Israeliten  Waffen, 
„worin  sein  großer  Name  eingegraben  war;  so  lange  sie  in 
seinem  Besitz  waren,  hatte  der  Todesengel  keine  Macht 
über  sie". 

Im  Märchen  hat  sich,  wie  so  oft,  auch  dieser  Glaube 
besonders  schön  ausgeprägt;  im  ganzen  Morgenland  wird 
nämlich  von  dem  wundergewaltigen  Z aub erring '»)  Salomonis 
erzählt.  Er  war  halb  aus  Erz,  halb  aus  Eisen  geschmiedet, 
und  dem  König  als  Gnadengeschenk  vom  Himmel  zugesandt 
worden.  Der  Geheimname  Gottes  war  in  sein  Metall  ein- 
graviert, und  dadurch  machte  dieser  Talisman  seinen  Träger 
zum  Beherrscher  der  Geister,  zum  Fürsten  sowohl  der  guten 
Engel  als  der  bösen  Dschimu  die  insbesondere  die  Eisenteile 
des  Reifes  fürchteten.  Wer  entsinnt  sich  nicht  jenes  Märchens 
vom  bösen  Geist  aus  „Tausend  und  eine  Nacht",  der  in  einer 
von  Salümün  versiegelten  Flasclie  Jahrhunderte  lang  auf  dem 
Meeresboden  gefangen  lag,  und  der  dann  seinen  Befreier,  den 
Fischer,  zum  Dank  für  die  Erlösung  umbringen  will?  Oder 
wer  kennt  nicht  die  Geschichte  von  der  messingenen  Stadt 
aus  derselben  Märchensammlung,  wo  Fischer  drei  kupferne, 
altertümliche  Flaschen  aus  dem  Meere  Karkar  heraufholen, 
in  denen  gleichfalls  widerspenstige  IJsckinn  durcli  Suleimans 
mächtiges   Siegel   festgebannt   waren?    Sai.omons  Siegelring, 

•)  Antiqu.  VIII,  2,  ö. 
■')  7,  2f.;  9,  4. 

'■*)  äemöt  R.  F.  51,   vgl.  Sohbftblowitz  a.  a.  0.  ö7,  FuÖii. 
♦)  Döi>GBR.   SpliraefiH,  t!»l1,  03 ff'.  {a<f'(i(iy)i;  l\(/.o/nöri)i;),    Dir'jkrich, 
Abraxas  141  ff. 


12 

der  Zauberspiegel  Alexanders  und  der  Wunderbecher 
DscHEMSCHiDS  slud  persischeu  Dichtern  zufolge  die  drei  be- 
rühmtesten Kleinodien  der  drei  gewaltigsten  Herrscher  des 
Morgenlands.  Daß  man  sich  die  Geistersprache  gelegentlich 
aus  solch  wunderwirkenden  magischen  Worten  zusammen- 
gesetzt dachte,  sagt  Gülnare,  die  Prinzessin  aus  dem  Geschlecht 
der  Meergeister,  ausdrücklich:  „Unsere  gewöhnliche  Sprache 
ist  dieselbe,  in  welcher  die  auf  dem  Siegelring  des  großen 
Propheten  Salomo,  des  Sohnes  Davids,  eingegrabene  Inschrift 
abgefaßt  ist."  i)  Wir  sehen  hier  aufs  deutlichste,  wie  der 
Glauben  an  eine  Geister  spräche  sich  aus  Vorstellungen 
von  der  Zaubermacht  des  Worts  entwickelt  hat. 

Da  der  Name  und  sein  unvorsichtiges  Aussprechen  magische 
Folgen  haben  und  das  laute  Nennen  des  Namens  das  Erscheinen 
des  Geistes  herbeiführen  könnte,  so  gibt  es  eine  Menge  von 
Umschreibungen  und  Umgehungen  des  Namens. 

Wenn  man  den  Wolf  nennt, 
kommt  er  r/erennt 

heißt  es  im  Sprichwort.  Der  Teufel  wird  nie  beim  rechten 
Namen  genannt,  obwohl  doch  griech.  o  öidßoXoc,  auf  das 
Teufel  zurückgeht,  seinerseits  euphemistisch  ist  und  nur  an- 
deutend der  .^Verleumder'-''  bedeutet.'^)  So  redet  man  vom 
.^Gottseibeiuns'^ ^  vom  „Leibhaftigen^^,  dem  „JJösen''\  dem  „alten 
bösen  Feind'^]  vgl.  Meister  „  f/Viaw",  ti^gl.  Old  Nick,  dm.  Drolen 
„der  Schelm"  (mit  Anklang  an  den  gespenstischen  Trolll), 
■a,[s\.  skelmir  „Teufel",  eigtl.  „Schelm", 3)  usw.,  schon  im  neuen 
Testament  sind  Umschreibungen  für  den  großen  Widersacher 
üblich''):  ö  .7tn(/dCoJi'  (1.  Thess.  3,  5),  ö  jTovyoöc  (2.  Thess.  8, 3 ; 
Eph.  6,  16),  ixQyor  rz/c  t^ovolac:  tot  «V()oc  (Eph.  2,  2)  u.dgl. 
Griech.  t/ßQÖc,  lat.  initkicus  „der  Feind"  im  Sinne  von  „Teufel" 

')  l()Ol  Nacht,  rtbers.  v.  Weu^,  III,  17.  Ober  keltische  Feensprache 
vgl.  man  .J.  Rh^^s,  Celtic  Folklore,  Welsh  and  Manx  1,269  (Fairy  Ways 
and  Words). 

■■')  Fries,  fannen,  fännen  „Teiüel"  hängt  ebenso  mit  afries.  f'andlu, 
as.  fanden  „versuchen,  heimsuchen",  nlid.  fahndeit  zusammen.  Nach  Falk- 
Torp  a.a.O.  20;>  ist  norw.  fanden,  schwed. /'««  ,,'l'eut'el"  aus  dem  Frie- 
sischen entlehnt.     Dazu  gehört  auch  bair.  funfa'(r)l  „'Peufel". 

•■')  .Siehe  0.  Evbri>ing,  Die  paulin.  Angelologie  n.  Dämonologie,  USHH, 
y.  124.  ')  Fai.k-Torp,  Norw.  et.  Wb.  157. 


1?> 

gab  das  Vorbild  für  aisl.  fjdndinn,  engl,  fiend  ,.Te\\feV\  Im 
Kleinrussischen  nennt  man  den  „Tenfel"  ditko.  eigl.  „kleiner 
alter  Mann"  zn  did,  abg.  dedz  „Großvater",  im  Altkirchen- 
slavischen  ist  umgz  „Zauberer"  zugleich  Bezeichnung  des 
Teufels  wie  russ.  Bopon>,  poln.  uroy  „Feind,  Teufel",  und  das- 
selbe bedeutet  wahrscheinlich  auch  "^chrh,  russ.  4eprb,  cech.  cert 
usw.,  zu  cary  „Zauberei",  cnta  „Strich"  (von  dem  Ziehen  der 
Zauberstriche  und  -kreise).')  Der  ungarische  Bauer  nennt 
den  Teufel  meist  nicht  mit  dem  gewöhnlichen  Wort  ördöy, 
sondern  umschreibt  seinen  Namen  mit  Wendungen  wie  «  yonosz 
„der  Böse",  a  rosz  „der  Schlechte",  a  ros.i  leleJc  „die  schlechte 
Seele",  isten-bocsäss  „Gott-vergib",  isten-örizs  „Gottbewahr", 
/.9#ew-we-a<?/ „Gott-nicht-gib".2)  Auch  an  den  aus  Shakespeare s 
„Lustigen  Weibern  von  Windsor",  aus  Marlowes  und  Goethes 
„Faust"  bekannten  Namen  Mephistox)heles,  MephostopJieles,  der 
letzter  Linie  auf  hebräisches  Sprachgut  zurückgehen  dürfte, 
aber  dann  durch  gelehrte  Spekulation  an  gr.  ffo)q  „Licht", 
////  „nicht"  und  (filo^  .,lieb"  angeglichen  wurde,  mag  in  diesem 
Zusammenhang  erinnert  sein.  Am-amainyu,  der  Teufel  der 
Zara^/ms^r« -Religion,  wird  pleonastisch  der  „böse"  {aura-,  aka-, 
drdgvant-)  genannt.  In  Goethes  „Faust"  gestattet  der  Teufel 
nicht  einmal  der  Hexe  die  Anrede  ..Junker  Satan''': 

..Den  Namen,  Weih,  verhitt'  ich  mir,  .  .  . 

Dil  nennst  mich  Herr  Baron,  so  ist  die  Sache  ynt: 

Ich  hin  ein  Kavalier,  wie  andre  Kavaliere." 

Der  Name  wird  von  rückwärts  gelesen:  so  erhalten  wir  den 
Herrn  von  Natas  in  Hauffs  „Memoiren  des  Satans";  volks- 
tümlich wird  das  betreffende  Wort  entstellt:  so  kommen 
Formen  zustande,  wie  Deicker,  Döker,  Düker,  Denker,  Deihl, 
Diaocl  u.  ä.,  franz.  diacre,  diantre  statt  diahle,^)  poln.  diachel 
und  skrzahel  (nach  Brückner,  KZ  48, 175  aus  ,.Schratf^  xdiahel 
kontaminiert).     Damit   Flüche  nicht  infolge   der  den   bloßen 

')  Brückner,  KZ  48,  174 ;  doch  s.  Mikkola,  Wörter  u.  Sachen  II,  218. 

■-)  V.  Wlisocki,  Volksglaube  uud  religiöser  Brauch  der  Magyaren, 
1893,  S.  159. 

=*)  Eine  Menge  weiterer  Belege,  die  hier  zu  häufen  keinen  Zweck 
hätte,  bei  Nyrop,  Navnets  niagt,  ^lindre  Afhandlingar  af  det  philol.-histor. 
Samfund,  Kopenhagen  1887,  154  ff. 


14 

Worten  anhaftenden  Zaiibeikraft  wirksam  werden,  wird  eben- 
falls eine  lautliche  Veränderung  vorgenommen,  wie  volkstüm- 
liche Wendungen  zeigen:  Äch,  du  meine  Güte!  (für  Gott), 
Fots  Blitz,  eigtl.  Gottes  Blitz  (treffe  ihn  oder  es!),  Botz  Wetter, 
Donnerledder  statt  -weiter,  Donnerstag  noch  'nein!  d.i.  „Donner- 
wetter fahre  hinein".  Potz  Sajjperment  statt  Gottes  Sakrament, 
verflixt  statt  verflucht,  Kruzitürken,  -diaxl  statt  Kruzifix, 
heiliger  Bimham  oder  Strohsack  statt  des  Namens  eines  be- 
stimmten Schutzheiligen.  Norweg.  dmgeren,  dcekeren,  schwed. 
djäkelen,  norw.  jekel,  dekel  sind  aus  djcevelen  „der  Teufel" 
verdreht.  1)  In  anderen  Fällen  ist  der  Wortsinn  so  verblaßt, 
daß  man  geradezu  von  Interjektionen  reden  darf:  Herrje! 
für  Herr  Jesus,  Jegerl,  Jekus,  Jemine  (<  Jesus  domine),  Jerum, 
Jessas  oder  Jesses.  Scherzhaft  drohend  und  viel  harmloser 
als  einst  gebraucht  man  die  Redensart :  Dich  soll  das  Mäuslein 
beißen!,  ohne  heute  noch  zu  ahnen,  daß  man  damit  eigentlich 
dem  Nächsten  die  Pest  an  den  Hals  wünscht:  Mauset  steht 
für  *Meisel  =  mhd.  ml,sel,  mlselsuht  „Aussatz".  Auch  das  im 
neuen  Testament  so  schwer  verbotene  Narr  hat  im  Lauf  der 
Zeit  seine  Grundbedeutung  gemildert.  In  wieder  anderen 
Fällen  wird  ein  wesentliches  Wort  unterdrückt:  Da  soll  doch 
gleich  .  .  .!.  rerd  ....  Mein!  (nämlich  Gott)  usw.  Das  gleiche 
läßt  sich  natürlich  auch  aus  anderen  Sprachen  belegen,  vgl. 
nur  lat.  edepol,  medius  fidius,  Mehercle  u.  dgl.,  deren  ursprüng- 
liche Bedeutung  den  Römern  nicht  mehr  klar  war.  Da  der 
Teufel  keine  Macht  über  Gott  hat,  erklärt  es  sich  leicht,  daß 
er  und  seine  gespenstischen  Scharen  den  Namen  Gottes  nicht 
aussprechen  können  und  vor  seinem  Klang  entsetzt  davon- 
fliehen.  Auch  vor  dem  Gebet,  in  dem  der  Name  Gottes  an- 
gerufen wird,'-^)  flüchten  alle  böse  Dämonen,  wie  schon  Zara- 
thustra  durch  das  Ähunamirga -(Tehet  den  Teufel  abwehrt 
(V.  18, 1).  Umgekehrt  darf  man  auch  an  die  Gewalt  des 
Fluchs  erinnern,  der  um  so  gefährlicher  ist.  je  größere  Zauber- 
gewalt der  Verfluchende  besitzt.  =^) 

')  Falk-Torp,  Morw.-däu.  Et.  Wb.  J74. 

■^)  Das  Awesta  hat  für  eine  Gottheit,  deren  Namen  im  Gebet  genannt 
wird,  ein  eigenes  Adjektiv  geprägt:  aoj'fonäman-. 

ä)  Vgl.  Radkrmacher  über  Schelten  xxnd  Fluchen,  Arch.  f.  Religions- 
wiss.  XI,  1908,  Uli'.;  Baktholomae,  Air.  Wh.  ;W2,  s.v.  iijjunutno-. 


15 

Ein  anderer  Weg",  das  Gefährliche  des  Namens  zu  um- 
gehen, führt  zur  Umschreibung  mit  ganz  allgemeinen,  undeut- 
lichen Bezeichnungen,  deren  okkasionelle  Sonderbedeutung  sich 
erst  aus  dem  Zusammenhang  der  Rede  erraten  läßt;  man 
denke  beispielsweise  an  die  zahlreichen  Umschreibungen  für 
„zaubern"  durch  Verba,  die  ganz  farblos  „machen"  bedeuten, 
wie  dÄ.haröti,  lit.kereti  „jemand  verzaubern", i)  oder  an  die  Be- 
nennung von  Geistern  als  Dinger,  wie  lat.  bonae  res,  franz. 
males  cJioses,  nhd.  Wichtelmännchen  zu  got.  waihts  „Sache".  Es 
ist  mit  Grund  vermutet  worden,  daß  manche  auffallende  Um- 
schreibungen von  Tieren  so  zu  verstehen  sind.  Meidet  es  doch 
noch  heute  der  gemeine  Mann,  bestimmte  Tiere  mit  Namen 
zu  nennen,  namentlich  in  der  unheimlichen  Zeit  der  Zwölf- 
nächte „zwischen  den  Jahren",  weil  da  leicht  Gespenster  in 
Tiergestalt  umgehen  könnten.  Statt  Mäuse  sagt  man  Dinger, 
Bodenläufer,  statt  Fuchs  Langschivanz ,  Loiel,  Henading,  die 
Norweger  umschreiben  ulv  „Wolf"  mit  graaben  „Graubein", 
die  Dänen  rceve  „Fuchs"  mit  skogshund  „Waldhund"  u.  dgl. 
mehr.  '^)  Die  Marokkaner  nennen  die  Eule,  deren  Schrei  Unheil 
bedeutet,  „jener  der  Nacht"  mit  andeutender  Umschreibung 3) 
und  dürfen  am  Samstag  Abend  Worte  mit  dem  Sinn  Ei, 
Schere,  Nadel  und  Kohle  nicht  unmittelbar  aussprechen.  0 
Wenn  also  die  Germanen  den  Bären,''')  der  oft  als  Gespenster- 
tier gilt,  mit  einer  so  jungen,  durchsichtigen  Umschreibung 
den  „Braunen"  nannten  (vgl.  lit.  heras  „braun"),  oder  die 
Slaven  ihn  medved^,  d.  h.  „Honigfresser"  heißen,  obwohl  doch 
nach  Ausweis  von  lat.  ursus,  gr.  (Iqxtoc.  gall.  Arto-,  ir.  art,  ai. 
rhsahi,  usw.  ein  altererbtes  Wort  vorhanden  gewesen  sein  muß, 
so  mögen  solch  abergläubische  Gründe  bei  der  Aufgabe  des 
alten  Worts  mitgespielt  haben,  ß)  Ebenso  tritt  im  Slavischen 
die  Umschreibung   gad7,    für    die    alten   Ausdrücke  zmij  und 

')  Osthoff,  BB.  24, 109. 

*)  Siehe  Nyrop,  Navnets  magt,  122  ff. ;  Schmidt,  Bedeut.  d.  Namens  41. 

*)  E.  Mauchamp,  La  sorcellerie  au  Maroc  158. 

^)  Ebenda  nach  Freudenbbrg,  Die  Wahrsagekunst,  1919,  S.  156f. 

*)  Vgl.  dazu  E.  ScHWYZKR,  Sprache  u.  Religion,  Wissen  u.  Leben  VI. 
1910,  469;   Meillet,  Bull,  de  la  Soc.  de  Ling.  54,  152  ff. 

")  Siehe  J.  Löwenthal,  Arkiv  f.  nord.  Filol.  31,  1915,  155.  Ferner 
F.  Liebrecht,  Zur  Volkskunde,  1879,  18;  Schrader,  Reallex.',  1917,  S.  81f. 


16 

azh  „Schlange"  ein,  ein  Wort,  das  vielleiclit  der  „Prophet" 
bedeutete,  i)  Hierher  gehören  weiter  die  oft  beobachteten 
Euphemismen,  wie  gr.  Evf/Erldi-Q,  jrorToc  sv^sirog,  lat.  Mäneft 
wörtl.  die  „Guten",  Bene-  neben  Maleventum,  ai.  Sivah  der 
„Gütige"  usw.  Besonders  der  Orientale  ist  ängstlich,  durch 
Rühmen  seines  Glücks  und  Wohlstands  den  Neid  des  Schicksals 
oder  Teufels  zu  erregen.  Gibt  z.  B,  der  Türke  irgend  etwas 
Günstiges  in  Bezug  auf  sein  oder  seiner  Familie  Wohlergehen 
zu,  so  setzt  er  deutlich  hinzu:  „Dem  Teufel  Blei  in  die  Ohren!", 
wie  wir  in  solchen  Fällen  wohl  „unberufen !"  hinzufügen.  Dei- 
Araber  nennt  den  tödlichen  Schlangenbiß  beschönigend  den 
„lebenden  Biß"  (el  karsit  el  haya),  2)  und  in  hebräischen  Schriften 
wird  der  „Blinde"  gar  der  „Lichtreiche"  "^ms  "^js  genannte) 
Im  Persisch -Arabischen  heißt  „nein"  >*»-  xeir,  das  euphemistisch 
eigentlich  „gut,  das  Gute"  bedeutet.  Der  Zusatz  „selig"  oder 
„Gott  hab'  ihn  (sie)  selig!"  bei  Erwähnung  Verstorbener  scheint 
ursprünglich  ebenfalls  weniger  ein  Wunsch  für  die  Seele  des 
Abgeschiedenen,  als  Aäelmehr  eine  Beschwörung  gewesen  zu 
sein  in  der  Befürchtung,  sonst  könnte  der  Tote  infolge  der 
Namensnennung  erscheinen. 

Bei  primitiven  Völkerschaften  lassen  sich  ganze  Wort- 
reihen als  tahu  nachweisen.  Bei  Bewohnern  des  Sangir- 
Archipels  nördlich  von  Celebes  gibt  es  eine  sogen.  Sasahara- 
Ausdrucksweise. '')  „Das  Sasahara  weicht  von  der  Umgangs- 
sprache nur  in  einer  beschränkten  Zahl  von  Wörtern  ab; 
diese  Sasaharawörter  müssen  auf  dem  Meere  gebraucht  werden, 
angeblich,  um  die  Geister  zu  verhindern,  die  Absichten  der 
Seefahrer  zu  belauschen  und  zu  vereiteln,"  •')  Die  Priester- 
sprache der  Toradjas  auf  Celebes  vermeidet  ebenso  bestimmte 
Wörter  der  Alltagssprache  und  setzt  allgemeine  Umschrei- 
bungen ein,  die  an  Kenningar  der  Skalden  und  der  orientalischen 
Dichter    erinnern.")     Die   Dajaks    in   Niederländisch   Indien 

')  Brückner,  KZ  38,  2'20. 

'■')  Freudenberg,  Die  Wahisageknnst,  1919,  157  uacb  E.  Mauchamp 
la  sorcellerie  au  Maroc,  IUI  ü. 

'■')  ScnEFTELOWiTZ ,  D.  altpers.  Relig.  u.  d.  Judent.,  1920,  S.  63,  A.  2. 

*)  Johanna  Portengbn,  De  Oudgermaaiische  dichtertaal  in  haar 
ethnologisch  verband,  Leidener  Dissert.  1919,  3.  Cap. 

»)  Jellinek,  Zeitschr.  f.  österr.  Gymu.  68,  1917/18,  7(56. 

'■•)  Jellinkk,  a.  a.  0.  767. 


17 

haben  geradezu  zwei  vei-scliiedene  Sprachen,  eine  alltägliche 
und  eine  rituelle,  die  nur  aus  Ta//w -Wörtern  besteht. ') 

Aber  auch  umgekehrt  vermag  ein  Dämon  oder  sonst  eine 
feindliche  Macht  nichts  über  einen  Menschen,  dessen  Namen 
sie  nicht  kennt.  Ein  gutes  Beispiel  liefert  uns  das  Eddalied 
vom  Fdfnir.  Als  der  Lindwurm  Sigurds  Schwert  im  Herzen 
hat,  fragt  er  seinen  Mörder  nach  dem  Namen  und  der  Her- 
kunft.   Der  Prosatext  fährt  fort  2): 

Sigurpr  did])i  nafns  shis  fyr  ])vl  at  ])at  var  triia  peira  '1 
forneskju,  at  orp  feigs  manns  mcetti  mikit,  ef  kann  hglvapi  övin 
simim  mep  nafni  „Sigurd  verhehlte  seinen  Namen  deswegen, 
weil  das  der  Glaube  in  alter  Zeit  war,  eines  Sterbenden  Wort 
vermöge  viel,  wenn  er  seinen  Feind  mit  Namensnennung  ver- 
fluche." Jedenfalls  haben  solche  Ta?;«- Gebote  Entsprechungen 
bei  allen  Völkern  und  können  zum  Aussterben  eines  Worts 
führen  (vgl.  Gauthiot,  MSL  IG,  1910,  264  ff.). 

Bedrücken  Dämonen  den  Menschen,  so  rettet  ihn  nach 
weitverbreitetem  Glauben  in  äußerster  Gefahr  Namensände- 
rung, so  daß  die  Geister  irregeführt  werden.  Daher  erklärt 
sich  der  vielerorts  übliche  Brauch,  einem  Sclnverkranken  einen 
neuen  Namen  zu  geben,  s)  Ja  es  scheint  persische  Sitte  ge- 
wesen zu  sein,  Kindern  zunächst  gar  keinen  Namen  zu  geben, 
wie  dies  wenigstens  bei  FiEDtisi  von  FeredUn  und  Sarw  er- 
zählt wird.'»)  Denn  dann  können  die  Dämonen  dem  noch 
zarten,  wenig  widerstandsfähigen  Wesen  nichts  anhaben.  Ein 
namenloses  Geschöpf  ist  nicht  angreifbar,  ist  ein  zerfiatterndes 
Schemen.  Erst  der  Name  macht  das  Wesen  kenntlich,  am 
Namen  ist  es  von  anderen  zu  unterscheiden.  Da  wir  solche 
Gedankengänge  nachweislich  für  die  alte  Zeit  ansetzen  müssen, 
erscheint  die  Beziehung  von  gr.  öro//«,  \-At.nönien,  -ai.  näma 
usw.  zu  dem  in  lat.  nota  vorliegenden  Stamme  sehr  einleuch- 
tend. '•')    Alsdann  bliebe  auch  die  Verwandtschaft  von  gr.  ovoim 

')  Frazer,  The  golden  bougii  I-,  415ft'. ;   Kaufpmann,  Balder  198  ff. 

2)  Fäfnism.  nach  Str.  1  (ed.  Gering-  301). 

ä)  Belege  bei  Andrbe,  Ethuolog.  Parallelen  und  Vergleiche  173, 
Schmidt  a.  a.  0.  22  ff. 

*)  Siehe  Justi,  Altirau.  Namenbuch,  Vorwort  p.  v. 

*)  nüinen  und  -tjndmen  in  cognümen,  aynömeii  sind  Reimwortbilduugen, 
vgl.  aruss.Ä:nrt»if  „Zeichen",  s.  dazu  Verf.,  Reirawortbildungen  S.  168f.,  §272. 

(iüntert,   Sprarhe  der  Götter  und  Geister.  2 


18 

mit  ovoiiai,  orotög,  orotdyoj  zu  recht  bestehen:  die  Basis 
*n&-,  '''dnö-  scheint  „ein  Zeichen  machen"  bedeutet  zu  haben; 
im  Griechischen  liegt  dann  die  Bedeutungsvereng-erung; 
„zeichnen"  zu  „brandmarken,  tadeln,  schelten"  vor,  was  ohne 
weiteres  einleuchtet.  In  lat.  nota  darf  man  aber  nicht  mit 
W.Schulze')  Tiefstufengestalt  erblicken;  ich  glaube  über- 
haupt nicht  an  eine  ursprünglich  zweisilbige  schwere  Basis 
*onö-,  wie  Hiet,  Abi.  §  312,  sondern  wir  haben,  wie  bereits 
an  anderer  Stelle  von  mir  betont  ist, 2)  wegen  finn.  nime, 
läpp,  nama,  mordwin.  l'em,  ung.  nev,  samojed.  nem,  nim  von 
einem  Wortstück  *nem-  auszugehen,  bzw.  von  dessen  0- Ab- 
tönung *nom-.  In  lat.  nota  wird  also  ohne  weiteres  Normal- 
stufe vorliegen,  wie  in  ovo/ua,  övofjaL,  drorä^co  usw.  auch; 
nö-  aber  kann  nur  Dehnstufe  sein.  Der  irrationale  Vokal, 
der  nicht  allein  in  ovofia,  örof/ai,  sondern  auch  in  arm.  anun, 
ir.  ainm,  cymr.  anu,  apreuß.  emmens,  abg.  m?  >  *dnmen-  vor- 
liegt, ist  in  den  Kasus  mit  der  Tiefstufe  der  Basis  wegen  der 
Häufung  von  nm  entstanden  (nm-  >  9nm-)  und  dann  ana- 
logisch ausgebreitet  worden.  Hom.  roi'aro  P  25  enthält  Aug- 
ment, vgl.  orarai'  äri[täCtTai,  [diixf^rai  Hes.  Der  Name  also 
ist,  auch  rein  sprachlich  betrachtet,  das  „Wahrzeichen",  das 
Schihholeth,  woran  erst  das  Wesen  zu  erkennen  ist. 

Im  Sanskrit  bedeutet  ebenso  laJcsana-  n.  „Merkmal,  Zeichen, 
Bezeichnung"  auch  „Name",  i.  ß.  Kälidäsa  Meghad.  Str.  24. 
Das  hebräische  sem  „Name"  hat  gleichfalls  die  Grundbedeu- 
tung „Kennzeichen,  Merkmal".  3)  Georg.  sa¥eli  „Name"  ist 
wörtlich  das,  „was  Kraft  gibt".  4) 

Auch  bei  der  Hochzeit  kommt  gelegentlich  Namensänderung 
der  Ehegatten  vor,  weil  lüsterne  Dämonen  da  besonders  gern 
Schaden  sinnen.^)    Ein  türkisches  Volksmärchen ß)  erzählt  so 

1)  a'  und  3*  werden  im  Lateinischen  mir  zu  (t,  s.  Verf.,  Idg.  Ablaut- 
probleme, 1916,  §  71  ff. 

-)  Verf.,  Kalypso,  1919,  S.  48. 

ä)  Siehe  die  Bemerkungen  bei  Giesebrecht  a.  a.  0.  7  ff. ,  Herzog- 
Hauck,  Realeuzykl.  f.  prot.  Theol.«  13,  626. 

*)  JuSTi,  Iran.  Namenbuch  V.  ovofia  im  Sinn  von  „Schatten",  dem 
dämonischen  Doppelgänger  des  Menschen  nach  altem  Glauben,  bei  Eur. 
Hei.  43,  A.  DiETBRiCH,  Mithrasliturgie«,  1910,  229. 

5)  Siehe  z.  B.  Samter,  Geburt  u.  Tod,  1911,  106  ff. 

*)  Klnos,  Türk.  Volksmärchen  aus  Stambul  274  ff. 


19 

von  eineiii  Paar,  das  sich,  um  die  Dämonen  zu  täuschen. 
Schah  Meratn  und  Sade  Sultan  nennt.  Bekannt  ist  das  Verbot, 
chinesische  Kaiser  mit  ihrem  eigentlichen  Familiennamen  zu 
nennen;  bei  der  Regierung-  und  nach  dem  Tod  erhalten  sie 
einen  neuen  Namen.  Auch  die  sonstige  Annahme  neuer  Namen, 
etwa  bei  Päpsten  oder  beim  Eintritt  in  einen  Orden,  wird 
ursprünglich  viel  eigentlicher  gedacht  sein,  als  man  das  jetzt 
empfindet:  mit  dem  neuen  Namen  ist  gleichsam  die  ganze 
Persönlichkeit  eine  andere  geworden.  Wenn  wir  heute  ganz 
in  uneigentlicher,  formelhafter  Weise  Ausdrücke  gebrauchen 
wie  im  Namen  Gottes,  im  Namen  Jesu,^)  sogar  im  Namen 
des  —  Gesetzes,  werden  uns  diese  einst  sakralen  Formeln  erst 
bei  genauerem  Nachdenken  in  der  alten,  unmittelbaren  Be- 
deutung lebendig ;  erst  dann  begreifen  wir  wieder  den  tieferen 
Sinn  der  Bitte:  geheiligt  sei  dein  Name  oder  des  Gebots:  du 
sollst  den  Namen  des  Herrn  deines  Gottes  nicht  mißhrcmchen ! 
Im  Orient  sind  diese  Anrufungen  des  Namens  noch  viel  häu- 
figer und  lebendiger:  mau  denke  nur  an  die  Formel  hi  'smi 
llaM  'r-rahmmf  'r-raJßm  „im  Namen  Gottes,  des  Erbarmers, 
des  Milden!"  der  Araber,  Perser  und  Türken,  an  das^;«  näm  i 
datar  Örmazd  „Im  Namen  des  Schöpfers  0."  der  Parsen,  an  das 
Sri-Ganesäya  namah  der  Inder  usw.  Kein  mittelalterlicher 
Zauberspruch  ohne  Anrufung  des  Namens  Gottes,  des  Vaters 
oder  Christi,  oft  in  lateinischer  Sprache.  Wie  wesentlich  der 
Name  einer  Person  ist,  zeigt  auch  rein  sprachlich  der  nhd, 
Ausdruck  Weibsen  und  Mannsen,  der  aus  mhd.  imbes  und 
mannes  name  sich  verkürzt  hat.  2)  — 

Wenn  auch  im  Alten  Testament  von  einer  Göttersprache 
nicht  einmal  dort  die  Rede  ist,  wo  man  es  am  ehesten  erwarten 
könnte,  bei  der  Schöpfungsgeschichte,  so  war  es  andererseits 
späterer  Spekulation  doch  ein  leichtes,  zwischen  den  Zeilen 
von  magischen  Zauberworten  manches  herauszulesen. 

—  rnd  Gott  sprach:  ..Es  iverde  Licht",  und  es  ward 
Licht  .  .  . 

1)  Vgl.  schou  Matth.  18,20:  ov  yd(}  doiv  dvo  »;  tqüc  ovvrjy/xh'oi  ek 
ro  ifiov  ovofxa,  ixec  dfil  tv  (xtam  uvzuiv. 

2)  Vgl.  SiEB.s,  Mitteilungen  der  Schles.  G eselisch.  f.  Volkskunde,  19Ü5, 
S.  119  f.  und  oben  das  ind.  nämampam  als  philosophischen  Begriff  (S.  5). 


20 

Mit  diesen  g-edruiigenen,  schlichten  Worten  wird  ausdrucks- 
voll das  Urrätsel  nach  dem  ersten  Anlaß  alles  kosmischen 
Greschehens,  nach  dem  Zustandekommen  der  ersten  Kraft- 
äußeruug-,  erklärt  durch  den  göttlichen  Allmacht -Befehl:  „Er 
spricht,  so  geschieht  es,  er  gebeut,  so  steht's  da."  i)  In  das 
nächtige  Chaos  dröhnen  mit  ehernem  Klang  diese  elementaren 
Urworte,  diese  wahrhaft  göttlichen  Befehlsworte  hinaus,  das 
Aussprechen  dieser  Worte  war  die  erste  Schöpf ungs tat,  diese 
Gottes  Worte  geben  Veranlassung  und  Anstoß  zu  all  den  weiteren 
Schöpfungswundern:  'o^  ^  Mn  fäMn'^  „es  sei!  und  es  war" 
oder  cj)^  i:/  liun  fä-yakün  „es  sei!  und  es  ist!"  sind  die 
Zauberworte,  die  persische  Dichter  oft  erwähnen ;  '^)  in  mittel- 
alterlichen mystischen  Schriften  spielt  das  Fiatl  eine  große 
Rolle. 

Im  Anfang  war  das  Wort  .  .  . 

Dem  spekulisierenden  Altertum  mußte  diese  Kraft  des 
ersten  göttlichen  Befehls,  dieses  Ur  -  Gottesworts  als  ein 
magischer  Zauberakt  von  unbegreiflicher  Größe  und  Gewalt 
erscheinen.  Schon  der  Evangelist  fährt  nach  seinem  ersten 
Satze  weiter: 

und  das  Wort  war  Gott, 
Und  Gott  war  das  Wort.  ^) 

Die  schwierige  Logos -hehre,  aus  der  stoischen  Philosophie 
übernommen  und  mystisch  weitergebildet,  suchte  das  gött- 
liche Schöpferwort  und  den  göttlichen  Willen  oder  Gedanken 
gleichzusetzen.  Ursprünglicher  sagt  der  Psalmist  33,6:  „Die 
Himmel  sind  durch  das  Wort  des  Herrn  gemacht  und  all  ihr 
Heer  durch  den  Hauch  seines  Mundes." 

Über  die  Beschaffenheit  des  Gottesworts  gibt  es  in  hel- 
lenistischer Zeit  eine  ganze  Literatur ;  immer  wieder  begegnet 
man  der  Auffassung,  es  handle  sich  nicht  um  ein  eigentliches 
Wort,  „das  durch  die  Luft  klingt",  sondern  um  eine  geheimnis- 


>)  Ps.  33,  9. 

^)  Im  Persischen  geradezu  mit  der  Nominalbedeutung  „Schöpfung", 
ä)  Wir  erlauben  uns,  hier  Xöyog  in  seiner  eigentlichen  Bedeutung  zu 
übersetzen,  selbstverständlich  nicht  im  Sinn  der  Stelle. 


21 

volle  Kraft-  und  Willeiisäußeiuug  Gottes.  ^)  Während  wir 
hier  die  philosophische  Auffassung  wirken  sehen,-)  erfreute 
sich,  namentlich  in  der  jüdischen  Literatur,  auch  die  wörtliche, 
eigentliche  Auffassung  großer  Beliebtheit.  Bereits  in  früh- 
talmudischer  Zeit  wird  die  Erschaffung  der  Welt  weniger  auf 
jenen  elementaren  Urbefehl  selbst,  als  vielmehr  auf  die  Zauber- 
wirkung der  magisch -mächtigen  Buchstaben  des  heiligen  Ge- 
heimnamens Jehovas  zurückgeführt,  ^)  jenes  „großen  und  wun- 
derbarlichen  Namens,  der  da  heilig  ist",  wie  es  in  den  Psalmen 
heißt. '^)  In  der  Tat  ließ  sich  das  leicht  begründen:  In  der 
Genesis  wird  die  Entstehung  der  Menschensprache  ausdrück- 
lich dem  Menschen  selbst  zugeschrieben.  Zwar  schuf  Gott 
durch  Namensnennung  Tag  und  Nacht  und  benannte  die  Feste 
„Himmel",  das  Trockene  „Erde"  und  die  Sammlung  der  Wasser 
„Meer". 5)  Aber  nach  der  Erschaffung  des  Menschen  überläßt 
er  nach  ausdrücklicher  Angabe  der  heiligen  Schrift  diesem 
die  Benennung  der  Dinge :  „Denn  als  Gott  der  Herr  gemacht 
hatte  von  der  Erde  allerlei  Tiere  auf  dem  Felde  und  allerlei 
Vögel  unter  dem  Himmel,  brachte  er  sie  zu  dem  Menschen, 
daß   er  sie  sähe,  wie  er  sie  nennte.    Denn  wie  der  Mensch 


')  Siehe  über  dieses  Wort  Gottes  Karl  Gronau,  Poseidonios  \ind  die 
jüd.-ebristl.  Genesisexegese,  1914,  S.  69ff.,  wo  weitere  Belege;  vgl.  namentl. 
Chalc.  c.  138  zu  Tim.  41  A  auf  S.  71.  Eier  stehe  m;r  Basileios  Heiahem. 
I,  289  A:  t/  ovv  ^  (fojv>)  tov  xvqlov ;  nöxEQOv  Ti}.7jyi)  Tif^l  rov  aeQu;  .  .  . 
/]  drJQ  7ie7i?.7jY/idvog  g^Q^ävojv  /aexQi  tfjg  dxofiq  rov  tiqoc  ov  ylverai  fj  (piovrj ; 
Tj  ovöhtQOv  TovTüJv,  ä?J.'  hf-Qoyevt'jg  xiq  eaziv  avtrj,  (fccvzaaiovfiivov  rod 
Tjyefi-OVixoC  xtäv  dvd-QOjncDV,  ovq  civ  dxovSLV  ßovkrjxai  xfjq  iölaq  (pwvfjq  6 
&E('q;  Saxe  dvaloyiav  tyuv  xi]v  (pavxaoiav  xavx7]v  nQoq  xrjv  iv  xoTq  ovel- 
ijoiq  yivofjih'tjv  noV.äxiq.  Man  muß  sich  dabei  der  Grammatikerdefiuitiou 
erinnern;  z.  B.  Donatus  ars.  gr.  I:  vox  est  aer  ietus,  sensibüis  auditu, 
ähnlich  Prisciau.  I. 

0  Die  Logoslehre  geht  bekanntlich  durch  die  ganze  griechische  Philo- 
sophie und  beginnt  schon  bei  Heraklit,  s.  etwa  Aall,  Logos,  2  Bde. 

3)  Z.  B.  Berach  55  a,   s.  Heittmüller,  Im  Namen  Jesu  133. 

*)  99,  3,  s.  dazu  Giesebrecht,  Die  alttestamentl.  Schätzung  des 
Gottesnamens,  1901,  21  ff. 

5)  In  der  V^luspö  6  geben  die  Götter  ebenso  die  Namen  für  die  Zeiten 
und  beseitigen  damit  das  Chaos :  noti  ok  nipjum  n^fn  of  g^fu,  morgin  hetu 
ok  mipjan  dag,  undorn  ok  aptan,  <}rum  at  telja  „Nacht  und  Neumond  gaben 
sie  Namen,  Morgen  benannten  sie  und  Mittag  auch,  Zwielicht  und  Abend, 
die  Zeiten  zu  messen" :    „Namen  geben"  heißt  „erschaffen". 


22 

allerlei  lebendige  Tiere  nennen  würde,  so  sollten  sie  heißen. 
Und  der  Mensch  gab  einem  jeglichen  Vieh  und  Vogel  unter 
dem  Himmel  und  Tiere  auf  dem  Felde  seinen  Namen  .  .  ."  ') 
Die  Menschensprache  wird  also  von  Adam  erst  geschaffen. 
Wenn  sie  vor  der  Sprachverwirrung  auch  einheitlich,  rein 
und  unverfälscht  war  im  Gegensatz  zu  der  späteren  Rede  der 
Menschen,  2)  so  ist  doch  jedenfalls  soviel  klar,  daß  jene  gött- 
lichen Urworte  mit  dieser  späteren  willkürlichen  Dingbezeich- 
nung durch  Adam,  der  da  noch  gar  nicht  erschaffen  war, 
keine  Beziehung  haben  konnten,  es  ließ  sich  also  geradezu 
aus  der  Darstellung  der  Bibel  entnehmen,  daß  die  Götter- 
sprache, die  Worte,  in  denen  der  erste  Schöpferbefehl  erfolgte, 
mit  der  Menschensprache  nichts  gemein  haben  können,  daß 
es  also  eine  besondere  Gottessprache,  geheimnisvolle  Gottes- 
worte geben  müsse.  3)    Diese  kennen  zu  lernen,  ist  das  heiße 

')  Genes.  I,  2, 19. 

2)  Vgl.  dazu  Leibniz,  Op.  philos.,  ed.  Erdmann  1,53:  liugua  Adanüca 
vel  certe  vis  eins,  quam  iiuidam  se  uosse  et  in  nomiuibus  ab  Adamo  im- 
positis  essentias  rerum  iutueri  posse  contendunt,  nobis  certe  ignota  est, 
Über  das  Schöpfungswort  lesen  wir  Sat.  Br.  VI,  1,1,10:  Frajäpati  be- 
gelirte:  „Möchte  ich  geboren  werden  aus  diesen  Wassern!"  So  ging  er 
mit  dem  dreifachen  Wissen  in  das  Wasser  ein.  Daraus  entstand  ein  Ei. 
Er  berührte  es  und  sprach:  „Es  werde!  Es  werde!  und  nochmals  es  werde!" 
Daraus  ward  das  Gebet  {brdhma  n.)  geschaffen,  das  dreifache  Wissen." 
Noch  mehr  erinnert  an  die  Genesis  und  das  Schöpfungswort  Gottes  die 
Stelle  Sat.  Br.  XI,  1,6, 1  ff.  Aus  den  Wogenfluten  entstand  zunächst  das 
goldene  Weltei,  aus  diesem  in  einem  Jahr  Vrdjäpati.  Dann  heißt  es 
weiter:  „Nach  einem  Jahr  machte  er  Sprechversuche.  Er  sagte:  hhüh,  da. 
entstand  die  Erde.  Er  sagte  hhucah,  da  entstand  das  Himmelsgewölbe. 
Er  sagte  soah,  da  entstand  der  höchste  Himmel  ..." 

^)  Daß  in  der  Darstellung  der  Bibel  Gott  Vater  seinen  Schöpfungs- 
befehl in  der  gleichen  hebräischen  Sprache  erteilt,  in  der  die  ganze  Erzäh- 
lung gegeben  ist,  darf  man  nicht  als  einen  Widerspruch  mit  der  Erfindung 
der  Menschensprache  durch  Adam  ansehen,  insofern  also  das  Hebräische 
schon  vorhanden  gewesen  wäre,  ehe  der  Mensch  geschaffen  war  (s.  Benfky, 
Gesch.  d.  Sprach wissensch.,  1869,  S.  23).  Wie  hätte  das  im  schlichten  Er- 
/ählerton  der  Genesis  anders  ausgedrückt  werden  sollen?  Aber  dieser 
Punkt  ist  für  die  Spekulation  bedeutungsvoll  gewesen,  da  einmal,  wie  be- 
reits erwähnt,  die  Annahme  von  besonderen  Geheimworten  Gottes  entstand, 
wenn  davon  die  Darstellung  der  Bibel  auch  nichts  sagt.  Andrerseits  er- 
wuchs daher  die  Vorstellung,  das  Hebräische  sei  Ursprache  und  Geistersprache 
zugleich.  So  sagt  Hieronymus,  epist.  XVIII A  6,7  (ed.  Hilberg  S.  82): 
Initium  oris  et  communis  eloquii  et  hoc  omne,   quod  loquimur,  Hebraeam 


23 

Streben  der  Mystiker  von  Jeher  gewesen;  der  Weg-  dazu  ist 
die  mystische  Verzückung,  die  heilige  unmittelbare  Erleuch- 
tung, die  göttliche  Offenbarung. 


2. 

nWenn  Ich  mit  Menschen-  und  mit  Engehungen  redete 
und  hätte  der  Liehe  nicht,  so  wäre  ich  ein  tönend  Erz  oder 
eine  klingende  Schelle  .  .  ." 

Mit  diesen  stark  rhetorisch  gefärbten  Worten  i)  tritt 
Paulus  den  übertriebenen  Vorstellungen  von  der  „Gnaden- 
gabe" (x«'(>'(>/va)  des  Zungenredens  entgegen,  das  in  der 
jungen  Christengemeinde  zu  Korinth  bei  den  meisten  Mit- 
gliedern als  höchstes  Geschenk  des  „Geistes"  galt  Auch  für 
Paulus  handelt  es  sich  zwar  um  eine  erwünschte,  segens- 
reiche Geistesgabe,  aber  Selbstzweck  ist  ihm  das  Zungenreden 
nur  in  sehr  bedingtem  Grade:  er  schätzt  es  im  Gegensatz 
zur  Mehrzahl  der  Gemeindemitglieder  geringer  ein  als  die 
Weissagung.  Was  er  vor  allem  gegen  dieses  Zungen -Charisma 
einzuwenden  hat,  ist  die  Sinnlosigkeit  der  Worte,  die  der  Er- 
leuchtete in  seiner  Verzückung  stammelt,  und  die  niemand 
versteht,  wenn  kein  Ausleger  der  Gemeinde  diese  Geister- 
sprache übersetzen  kann  (14, 28).  Da  also  die  Eeden  in  der 
Engelssprache  der  Allgemeinheit  unklar  bleiben,  ist  diese  Gabe 
zwar  für  den  Verzückten  selbst  eine  Weihe  und  Erbauung, 
der  Gemeinde  aber  nützt  er  damit  nichts  (14,  2).  Dieser  ein- 
seitige Standpunkt  der  Zweckmäßigkeit,  die  Ansicht,  nur  des- 
halb sei  das  Weissagen  ein  höheres  Gnadengeschenk,  weil  sie 

linguam,  qua  vetus  testameutiim  scriptum  est,  universa  antiquitas  tradidit. 
Origines  11.  Homil.  in  numeros,  307  (=  Migne,  Patr.  Gr.-lat.  12,  S.  649) 
Manserit  autem  lingua  per  Adam  primitus  data,  ut  putamus,  Hebraea,  in  ea 
parte  hominum,  quae  non  pars  alicuins  angeli  .  .  .  sed  quae  Del  portio  per- 
mansit.  Der  Midras  (Beres.  E.  P.  18)  sieht  einen  Beweis  dafür,  daß  das  He- 
bräische die  Ursprache  ist,  in  der  Ableitung  des  Worts  UM  „Weib",  eigentl. 
„Männin'',  wie  Luther  übersetzt,  von  ü  „Mann",  weil  das  Weib  aus  des 
Mannes  Rippe  geschaffen  ist,  s.  Scheftelowitz,  Altpers.  Rel.  u.  d.  .ludent.  21 7. 
')  1.  Korinth.  13,1. 


24 

in  menschlicher  Sprache  erfolge  (14,  3  und  4),  war  gewiß 
manchem  jungen  Christen  in  ihrer  praktischen  Nüchternheit 
wenig  sympathisch.  Denn  das  Reden  in  Engelszungen  galt 
eben  als  Sprechen  in  der  göttlichen  Sprache,  wie  Paulus 
selbst  zugibt  (14,2):  o  /«(>  XaXmv  yXcoöön  ovx  drd^Qomoii 
XaXü,  dXXa  ^ecö'  ov6£}q  yicQ  dy.ovti,  Jirevf/art  dl  XaXü  jjx- 
öTTjQia :  6  di  jrQoffjiirtvcov  dvdQcöjtoia  XaXti  .  .  .  Beschrieben 
wird  das  Zungenreden  als  ein  Sprechen  in  die  Luft,^)  und 
schon  hier  wird  es  mit  dem  Reden  in  einer  Barbarensprache 
verglichen:  Idv  ovv  fit)  siöco  x))v  övrccfiir  ri/q  (pmvTjc,  tooftat 
Tfp  XaXovvTi  ßaQßagog  xai  6  XaXcöv  tv  liioi  ßdgßaQOQ  (14, 11). 
Ohne  Auslegung 2)  war  sie  unverständlich,  wie  eine  fremde 
Sprache. 

Unter  den  Theologen  ist  die  „Glossolalie"  Gegenstand 
der  ausführlichsten  Streitigkeiten  gewesen,  und  selbst  heute 
scheinen  alle  Schwierigkeiten  in  den  verschiedenen  Dar- 
stellungen der  Zungenrede  an  anderen  Stellen  des  Neuen 
Testaments 3)  noch  keineswegs  alle  behoben.*)  Uns  kann  es 
für  unseren  Zweck  nur  darauf  ankommen,  daß  man  das  Reden 


')  14,  9 :  £OEO&t  yuQ  elg  usQa  /.aXo'Ovrec. 

^)  14,28:  dieQfjtijVEvri'jQ;  12,10:  f-Qfitjvtia  yktuoodiv  u.  ö.  Die  Kmist 
der  Auslegnug  galt  auch  als  Charisma. 

3)  Außer  dem  1.  Korintherbrief  12ft'.  uoch  Acta  2,  1  14;  10,  41—48; 
11, 15 — 17;  19, 1—7  und  in  dem  späteren  Anhängsel  zum- Markusevangelium 
16,  9—20.    Siehe  auch  Texts  and  Studies  V,  1, 135. 

*)  LiETZMANN  in  seinem  Handb.  z.  n.  Test.  III,  J.  Weiss,  Der  erste 
Kor.,  Meyers  krit.-exeg.  Komment.^,  1910,  383 ff..  Feine  in  Herzog-Haucks 
Kealenz.  f.  d.  prot.  Kirche',  1908,  XXI,  749 ff..  Schiele -Zscharnack,  Re- 
ligion in  Geschichte  u.  Gegenwart  II,  1910,  1203  ff.  LiETZMANN  -  DiBELIUS, 
Briefe  d.  Paulus,  Handb.  z.  n.  Test.,  1913,  138 ;  Everling,  Paulin.  Angelo- 
logie  38.  Hilgenfeld,  Die  Glossolalie  in  d.  alten  Kirche,  1850,  Theologus 
in  Preuß.  Jahrb.  87  (1897),  223 ff.  Besonders  nützlich  war  mir  Eddison 
MosiMAN,  Das  Zungenreden,  geschichtl.  u.  psycholog.  untersucht.  Teil  I 
als  Heidelberger  Inaug.-Dissertation,  Leipzig  1911,  wo  noch  weitere  Lite- 
ratur verzeichnet  ist.  E.  Lombard,  De  la  glossolalie  chez  les  premiers 
chretiens,  Lausanne  1910.  P.  Bovet,  Revue  de  l'histoire  des  relig.  63, 
1911,  296  ff.  Von  den  verschiedenen  Ansichten  war  dem  Nichttheologeu, 
der  rein  vom  philol.-histor.  Standpunkt  aus  Stelleu  des  Neuen  Testaments 
genau  so  zu  werten  sucht,  wie  die  in  irgend  einem  anderen  Literaturdenkmal 
des  Hellenismus,  die  Auffassung  von  Joh.  Weiss  a.  a.  0.  und  von  Bousset, 
Die  Schriften  d.  Neu.  Testam.  II  nach  1.  Kor.  12, 11  am  einleuchtendsten. 


25 

in  „anderen  Zungen"  {htQaig  y/joooaic  Act.  2,4;  ähnlich 
xaivalc  Y?j<')66cac  Marc.  16.  17)  auf  ekstatisches  Reden  und 
Lallen  deuten  muß;  die  Erzählung  vom  Zungenreden  am 
Pflngstfest  (Act.  2, 1-  13)  ist  gegenüber  der  älteren  Erwäh- 
nung der  Glossolalie  im  Korintherbrief  legendarisch  aus- 
geschmückt, wie  schon  das  Bild  von  den  feurigen  Zungen, 
die  sich  auf  die  Jünger  senkten,  lehrt.  Weil  der  Begriff 
yXiöoöa  eben  ein  schwankender,  nicht  eindeutiger  ist,  hat  der 
Verfasser  der  Apostelgeschichte,  auf  ältere  Legenden  über  das 
Zungenreden  sich  stützend  und  sie  z.  T.  nicht  recht  verstehend, 
ein  Sprachenwunder  erzählen  wollen;  selbst  da  aber  deutet 
der  Spott  der  Ungläubigen,  die  Jünger  seien  „voll  süßen 
Weines"  (13),  darauf  hin,  daß  es  sich  vorzugsweise  um  ein 
scheinbar  sinnloses  Lallen  handelte:  Keineswegs  predigen  die 
Jünger  den  Juden,  Griechen  und  Römern  in  der  betreffenden 
Sprache,  sondern  sie  rühmen  in  „anderen"  Glossai  die  Wunder- 
taten Gottes  {xa  iihjalüa  xov  ^£of).  Sogar  Heiden  können 
in  „Zungen"  reden  und  Gott  preisen,  wie  es  von  Cornelius 
und  seinen  Freunden  in  Caesarea  (Act.  10,  1 — 48)  erzählt 
wird:  7Jxovov  yctQ  ammv  laXovvxcov  yXojüöaiQ  xcd  (jsyaZvi'ör- 
xo)v  xov  dtor.  Die  Hauptschwierigkeit,  die  an  den  verschie- 
denen Auffassungen  der  Theologen  schuld  ist,  scheint  nur  in 
dem  unklaren,  schillernden  Begriff  yXöiöoa  zu  liegen:  über- 
setzen wir  es  mit  „Zunge",  mit  „Mundart",  mit  „Sprach- 
fertigkeit" u.  dgl.,  so  geben  wii'  eben  stets  willkürlich  einen 
Ausschnitt  aus  der  umfassenden  Gesamtbedeutung,  die  das 
Wort  in  hellenistischer  Zeit  hatte.  Insbesondere  war  es  auch 
grammatischer  Fachausdruck:  ykojooici  und  Ätstic  sind  all- 
gemein bekannte  Termini  der  alexandrinischen  Grammatik, 
vgl.  noch  nhd.  Glosse.  Indem  ich  auf  die  genaueren  Erörte- 
rungen von  JoH.  Weiss  und  seinem  Schüler  E.  Mosiman,  sowie 
auf  BoussET  a.  a.  0.  verweisen  muß  wegen  aller  weiteren  Einzel- 
heiten, die  uns  hier  natürlich  nicht  weiter  beschäftigen  dürfen, 
sei  es  nur  gestattet,  der  Überzeugung  Ausdruck  zu  geben, 
daß  mit  yXcäooat  an  den  älteren  Stellen  nichts  gemeint  sein 
kann  als  die  Sprachen  der  Engel,  Ausdrücke  aus  einer  „an- 
deren", d.  h.  übermenschlichen,  göttlichen  Sprache,  worauf 
nicht  nur  das  unmittelbare  Zeugnis  des  PaujjUS  {rede  y?.oja- 
öcuQ  x(j5v  dyytXor   1.  Kor.  13,1),  sondern   auch  das  stehende 


26 

Preisen  Gottes ')  in  dieser  „Zungenrede"  hindeutet.  Die  sinn- 
losen, stammelnden  AVorte  der  Verzückten  galten  als  Reden 
in  einer  Geister-  oder  Engelssprache,  der  Sprache  insbesondere, 
in  welcher  die  Engel  Gott  preisen.  2)  Erst  indem  man  diese 
treQat  yhöooai  später  nicht  mehr  verstand  —  was  bei  dem 
schillernden  Begriff  und  der  Wundersucht  der  Zeit  gar  nicht 
zu  vermeiden  war  — ,  deutete  man  das  Zungenireden  auch  auf 
ein  Sprechen  in  einer  wirklich  lebendigen  Menschensprache, 
wie  das  z.  B.  die  gewöhnliche  Auffassung  der  Kirchenväter 
gewesen  ist.  Und  dabei  hätte  der  Apostel  doch  gewiß  keinen 
Grund  gehabt,  sich  in  diesem  Fall  über  die  Nutzlosigkeit  des 
Zungenredens  ^zu  beklagen.  Ja  gerade  deshalb  stellte  man  in 
der  jungen  Gemeinde  zu  Korinth  im  Gegensatz  zu  Paulus 
das  „Zungeureden"  über  die  Weissagung,  weil  diese  eben  nur 
in  menschlicher,  jenes  aber  in  der  himmlischen  Sprache  er- 
folgte. Im  2.  Korintherbrief  12,  4  berichtet  Paulus  von  Offen- 
barungen, die  er  hatte;  dabei  wird  von  „unaussprechbaren 
Worten",  die  kein  Mensch  sagen  könne,  gesprochen,  die  er 
im  Paradies  gehört;  hatte  er  doch  (im  1.  Kor.  14,18)  aus- 
drücklich erklärt,  daß  auch  er  sowohl  die  Gabe  des  Zungeu- 
redens  als  der  Weissagung  besäße:  xai  olöa  tov  Toinvror 
t'(rß(KOjio)'  .  .  .  oT.i  fjQjtdytj  tlg  ror  jncQachiOo)'  xat  i/xorötr 
nQQrjta.  q/J^kitcc,  Ic  ovx  i^ov  drdQo'jJTdj  XaÄ/jüai. 

Es  kann  nicht  bezweifelt  werden,  daß  in  den  christlichen 
(remeinden  hinsichtlich  der  „Zungenrede",  d.  h.  der  Gottes- 
sprache, nur  Ansichten  verbreitet  waren,  die  sich  in  der  Zeit 
des  Hellenismus  und  schon  vorher  über  die  Göttersprache 
finden.  Schon  der  Vergleich  mit  dem  ehernen  Becken  (/«/xoc 
'/■//öl')  und  dem  Tamburin  (xr/ißiüor)  an  der  Stelle  des  l.Kor.- 
Briefs,  von  der  wir  ausgingen,  weist  auf  die  orgiastischen 
Kulte  hin,  wie  sie  im  damaligen  „Heidentum"  allgemein  ver- 
breitet waren,  auf  die  dionysischen  Feiern  und  die  Verehrung 
der  großen  Göttermutter  Kybele.  So  haben  denn  auch 
Dieterich    und   Reitzenstein    die    Vorstellung    von    Götter- 

')  Act.  2, 1 1 ;  10,  46.     l.  Kor.  14,  2, 18. 

*)  Die  Auffassung,  Paulus  gebrauche  bloß  eine  rhetorische  Floskel, 
kann  ich  mir  darnach  nicht  zu  eigen  machen.  Mit  dem  Glauben  an  eine 
„englische"  Sprache  müßte  man  übrigens  trotzdem  rechnen,  weil  Paulus 
dies  Bild  sonst  nicht  hätte  gebrauchen  könneii. 


27 

und  Geistersprachen  im  Hellenisums  nachgewiesen. ')     „Ver- 
schiedenen Dialekt  sprechen  lieißt  verschiedene  Namen  Gottes 
nennen.     So   haben   die   männlichen   und  weiblichen   Götter, 
Erde  und  Himmel,  jeder  der  vier  Winde  eine  eigene  (fiovi], 
die  der  Gottbegnadete  kennt.    Diese   Anschauung  überträgt 
das  Judentum   auf  die  Engelwelt;   jede  ihrer  Scharen  preist 
Gott  in  einer  anderen  Sprache.    So  wird  in  den  Papyri  eine 
'AQyay/ihy.i]  i:?/,?/o-;  des  Moses  angeführt ;  sie  gibt  eine  wunder- 
liche Buchstabenverbindung  als  Namen  Gottes."    Es  bestätigt 
sich  also  auch  hier,  daß  der  Glaube  an  eine  Göttersprache 
sich   entwickelt  hat  aus  den   primitiven   Vorstellungen 
von  geheimen   Gottesnamen   und  magischen   Zauber- 
worten.   Aus  dem  sog.  Testament  des  Hiob  belegt  Reitzen- 
sTEiN  a.  a.  0.  57  gleichfalls  die  Vorstellung  von  einer  Engels- 
sprache: Die  drei  Töchter  Hiobs  erlangen  vor  dem  Tode  des 
Vaters  einen  Zaubergürtel  (vgl.  den  Kräftegürtel  der  alten 
Sagen).   Als  die  erste  den  Gürtel  anlegt,  erzählt  diese  Legende : 
'/KU    jraQa'/iQrina   t.c,03   yiyovh    rrc   t-avTfjg    Oüqxoc   .  .  .   djttfpO^t- 
c.aT<)    Tovc    dyybXixovq   vfivovc   tv    dyytkixij    rfojv/j    xal   vftvov 
(h'tfakjt!    Tfii   &ifö   xara  trjv  dyytXixf)v  vfcvoXoyiar.     Bei  der 
zweiten   heißt   es:    xa)   to  /.dv  OTÖf/a  arrP/g  dvtmßt  x))v  did 
XhXTov  xiöv  dQ'iövTvjy  .  .  .,  bei  der  dritten:  xal  fco;(£  xb  oxöfda 
djrofp&tyyofavor   tv   xfj    öiaXtxxco  xmv  iv  mpti  .  .  .  Xt/Mktjxtr 
()f    l)'   xTi  öta/Jxxoj  xcöv  XtQovßlit  öosoXoyovöa  xbv  dtOjroxfjv 
x(ör  dQtxojv  xxl.    In  seinem  Buch   „Die  hellenistischen  My- 
sterienreligionen, 1910,  S.  17  faßt  Reitzenstein  treffend  diese 
Vorstellungen  zusammen :  „Den  Namen  desselben  Gottes  ägyp- 
tisch, sjTisch,  phrygisch,  persisch,  auch  hebräiscli  zu  nennen, 
wird    allgemeiner    Brauch,    und    das    Bestreben,    zu    einer 
mystischen  Urreligion  emporzudringen,  zeigt  sich  in  dem  Ver- 
such,  auch   die  Sprache  der  'Engel'   oder  der  Gotteskräfte 
oder  bestimmter  Urgötter  hinzuzunehmen,  und  seltsam,  aber 
doch  auch  leicht  verständlich  verbinden  sich  hiermit  die  An- 
ruf ungsfornieln,   die   ein  bestimmter,   durch  Wunderkraft  be- 
sonders begnadeter  und  beglaubigter  Mann  der  näheren  Ver- 
gangenheit oder  Gegenwart  verwendet  und  gelehrt  hat;  viel- 


')  Dieterich,  Abraxas  4, 176  u.  ö.,  Rkitzenstein,  Poimaudies,  1904, 
S.  55ff.,  JoH.  Weiss,  Komment,  v.  Meyer^,  V,  338  ff.,   Mosiman  a.  a.  0.  41  ff. 


28 

leicht  war  ihm  eine  besonders  wirksame  Sprache  offenbart."  i) 
In  der  Asceusio  Jesaiae  6,  6  f.  2)  wird  gar  behauptet,  die  Engel 
selbst  hätten  verschiedene  Sprachen:  die  des  sechsten  Himmels 
haben  eine  andere  als  die  der  fünf  niederen  Himmel :  sed  non 
erat  vox  horum,  sicut  vox  eorum,  qui  in  quinque  coelis  angeli ; 
nee  sermo  erat,  sicut  sermo  eorum;  at  alia  vox  erat  illic. 
Genau  dieselbe  Vorstellung  finden  wir  im  Poimandres,  nach 
dem  ebenfalls  beim  Aufstieg  die  Seele  die  öwä^aic,  d.  h.  die 
verschiedenen  Geister  Gott  in  verschiedenen  Sprachen  loben 
hört  (s.  Poim.  I,  24 — 26).  Die  vielen  oro//«r«  äorjf/a,  ßag- 
ßuQiyM,  {heojTtOia,  isQi'c,  (pQixcoö)],  tCfjiOia  ygai/ftara,  die  voces 
mysticae,  die  nomina  sacra  oder  harhara,  wie  wir  sie  in 
Massen  in  Zauberpapyri  erhalten  sehen,  3)  sind  eben  nichts 
anderes  als  Wörter  der  Engels-  und  Geistersprache.  *) 

Auch  in  der  nachapostolischen  Zeit  war  das  „Zungen- 
reden" keineswegs  außer  Gebrauch  gekommen;  besonders  aus 
der  Zeit  des  Montanismus  im  2.  Jahrh.,  wo  ja  die  Ekstase 
Avieder  die  eigentliche  religiöse  Betätigung  war,  wird  uns  vom 
Ausstoßen  fremder  Worte  berichtet  {^tvocpcovin'^.  ^)  Die  Vor- 
stellung, daß  Engelscharen  an  Gottes  Thron  ununterbrochen 
Hallelujah  und  Gloria  singen  aus  Büchern,  die  in  goldner  Schrift 
offen  vor  ihnen  liegen,  und  in  Gesängen  und  Worten,  die  kein 
Mensch  aussprechen  kann,  Gott  preisen,  ist  in  mittelalterlichen 
Visionen,  wie  z.  B.  der  des  Albers  Tundalus,  wiederholt  an- 
zutreffen. 0)    Man  darf  auch  an  die  Sequenzen  beim  Graduale 


0  Weiteres  über  die  Engelssprache  bei  Eeitzenstbin,  Poimandres  267 
lind  Historia  Lausiaca  150  mit  Anm. 

2)  A.  HiLGENFELD,  Die  Glossolalie,  1850,  S.  63  f. 

•'')  Wesskly,  Epliesia  grammata,  Progr.  d.  Wien.  Franz- Joseph-Gyum. 
J886.    Dieterich,  Mithraslitnrgie^  36  ff. 

*)  Übrigens  sei  auch  an  das  ^6&a- Schreien  erinnert,  Ga).  i,  6;  Apok. 
Joh.  22,  7;  Rom.  8, 15;  1.  Kor.  12,  3,  16,  22.  Über  verba  Spiritus  sancti  vgl. 
auch  Siebs'  und  Hippbs  'Wort  und  Brauch',  Heft  12, 399,  Fußn.  2. 

'•>)  MosiMAN  a.  a.  0.  48. 

*)  Vgl.  E.  Peters,  Quellen  und  Charakter  der  Paradiesesvorstellungen 
in  der  Dichtung  vom  9. —12.  Jahrh. ,  Vogts  German.  Abhandl.  48,  1915, 
125  und  134.  Auch  die  Himmelsbriefe,  die  ja  ebenfalls  mit  ihren  Zauber- 
wörtern Mitteilungen  der  Götter  sind,  werden  mit  goldenen  Buchstaben  ge- 
schrieben; siehe  Dieterich,  Hessische  Blätter  f.  Volksk.  1,  19  ft'.;  Wiener 
Stud.  VIll,  175ff.;  Kauffmann,  Balder  194  u.  2U0. 


29 

Respousormm    erinnern,    die    ja    auf    den   Modulationen   des 
Hallelujali  beruhen. 

Und  auch  in  späteren  Zeiten  hat  sich  bei  gesteigerter 
religiöser  Erregung  sehr  häufig  das  „Zungenreden"  eingestellt. 
Der  heiligen  Hildegard,  die  als  Äbtissin  des  von  ihr  ge- 
gründeten Klosters  Rupertsberg  bei  Bingen  1179  gestorben 
ist,  werden  Glossen  aus  einer  unbekannten  Sprache  zu- 
geschrieben, die  ihr  der  göttliche  Geist  offenbart  haben  sollte. 
Bekannt  ist  ferner  die  Erregung  des  religiösen  Gefühls  bei 
den  Camisarden  in  den  Cevennen  am  Ende  des  17.  Jahrb., 
wobei  das  „Zungenreden"  eine  große  Rolle  spielte,  i)  Ein 
Camisarde  beschreibt  seinen  Zustand  der  Entzückung  so'^): 
„Stets  empfand  ich  dabei  eine  außerordentliche  Erhebung  zu 
Gott,  bei  welchem  ich  daher  beteure,  daß  ich  weder  durch 
irgend  jemand  bestochen  oder  verleitet,  noch  durch  eine  welt- 
liche Rücksicht  bewogen  bin,  durchaus  keine  anderen  Worte 
als  solche  auszusprechen,  welche  der  Geist  oder  der  Engel 
Gottes  selber  bildet,  indem  er  sich  meiner  Organe  bedient. 
Ihm  allein  überlasse  ich  daher  in  meinen  Ekstasen  die  Lenkung 
meiner  Zunge,  indem  ich  mich  nur  bestrebe,  meinen  Geist  auf 
Gott  zu  richten  und  die  Worte  zu  merken,  welche  mein  Mund 
ausspricht.  Ich  weiß,  daß  alsdann  eine  höhere  und  andei'e 
Macht  durch  mich  spricht.  Ich  denke  darüber  nicht  nach 
und  weiß  nicht  vorher,  was  ich  reden  werde."  Das  charakte- 
ristische Kennzeichen  ist  das  Zungenreden  endlich  für  die 
Irvingianer,  ja  die  Gründung  dieser  ursprünglich  schottischen 
und  englischen  Sekte  geht  auf  Fälle  von  Zungenreden  zurück, 
die  um  1830  in  Schottland  vorkamen.  Im  Gottesdienst  er- 
eigneten sich  dann  immer  häufiger  ekstatische  Anfälle  der 
Gläubigen;  nüchterne  Beobachter  bezeichneten  diese  Äuße- 
rungen des  „Geistes"  als  „unverständliches  Geschnatter",  als 
„die  Schreie  und  Seufzer  von  Verrückten."  ^)  Eine  Unter- 
suchung der  irvingianischen  „Glossen"  ergab,  daß  sie  nicht 
irgend  einer  Avirklichen  Sprache  angehören."*)     Und  noch  in 

»)  S.  GOEBEL,  Ztschr.  f.  hist. Theol.,  1854,  287 ff.;  MosiM.VNa.a.O.  50ff. 
^)  Nach  Theologus,  Preuß.  Jahrb. ,  1897,  87,235;    Weinel,  Die  Wir- 
kungen des  Geistes  u.  der  Geister,  1899,  S.  77. 
^)  Nach  MosiMAN  a.  a.  0.  57. 
*)  Weinel,  Wirkungen  d.  Geistes  73  f.    Ein  reiches  weiteres  Material, 


30 

vielen  anderen  Fällen,  teils  bei  einzelnen  Personen,  teils  bei 
Sekten,  wie  den  Jansenisten  in  Frankreich,  den  Quakers  zu 
Cromwells  Zeiten,  den  Milleriten,  den  Mormonen  usw.,  ist  das 
Zungenreden  beobachtet  worden:  überall  handelt  es  sich  um 
dieselbe,  nun  von  uns  schon  hinlänglich  beschriebene  Erschei- 
nung. Mit  Recht  sagt  W.James'):  „Alle  großen  und  führen- 
den Geister,  welche  die  christliche  Kirchengeschichte  kennt  — 
ein  Bernhard,  ein  Loyola,  ein  Luther,  ein  Fox,  ein  Wesley  — 
hörten  Stimmen  und  hatten  Visionen,  Verzückungen,  Ein- 
gebungen und  Offenbarungen.  Sie  waren  solchen  Zuständen 
unterworfen,  weil  sie  besonders  sensitive  Naturen  waren. 
Menschen  von  solcher  Gemütsanlage  sind  stets  dergleichen 
Zuständen  unterworfen." 

Zum  Schlüsse  dieser  Übersicht  will  ich  nur  noch  die  moderne 
Pfingstbewegung  in  Kassel  und  Umgebung  streifen,  worüber 
P.  Deews  in  der  Christlichen  Welt,  1908,  22.  Jahrg.,  Nr.  11, 
Sp.  271—276  und  Nr.  12,  Sp.  290  ff.  berichtet.  Das  Auf- 
fallendste an  dieser  Gemeinschaftsbewegung  war  wieder  das 
Zungenreden:  „Unter  starken  Zuckungen  und  nervösen  Er- 
regungen, unter  Niederstürzen  auf  den  Boden  bricht  erst  ein 
einzelner,  brechen  dann  immer  mehr  der  Teilnehmer  einer 
solchen  Versammlung  in  unartikulierte,  unverständliche  Laute 
aus,  die  Worte,  schließlich  kurze  Sätze  bilden.  Ein  Ohren- 
zeuge hielt  solch  ein  Sätzchen  fest.  Er  glaubte  gehöi't  zu 
haben:  schello  mo  dal  hadhad  tvotschihrei.  Ein  anderer  gibt 
den  Satz  eines  Zungenredners  (in  Kristiania)  folgendermaßen 

wieder : 

sangala,  singala,  sing  sing, 

mangala,  mangalo,  mang  mang  mang." 

Noch  seltsamer  klingt,  daß  bekannte  Kirchenlieder,  wie 
z.  B.  „Laßt  mich  gehen",  in  die  Zungensprache  übersetzt 
wurden  2) : 

das  hier  zu  häufen  keinen  Zweck  hätte,  bei  Mosiman  a.  a.  0.  57  ff.  Einzelnes 
schon  bei  Görres,  Mystik  II,  1837,  189  ff. 

•)  Die  religiöse  Erfahrung  in  ihrer  Mannig-faltigkeit,  übersetzt  von 
G.  WOBBERMIN,  1907,  439. 

2)  Paul  in  der  Monatsschrift  „Die  Heiligung",  Heft  Nr.  HO  vom 
Nov.  1907.  S.  auch  Österreich  in  den  Philos.  Vorträgen  veröffentlicht  von 
der  Kant -Gesellschaft,  Nr.  9,  1915. 


31 

schua  ea,  schua  ea, 
0  tschi  hiro  ti  ra  pea 
akhi  lungo  ta  ri  fungo 
t(  U  bara  ti  ra  tungo 
latschi  bungo  ti  tu  ta! 

Diese  Proben  für  das  moderne  Zungenreden,')  das  übrig-ens 
auch  in  Norwegen  und  Amerika  wieder  aufkam,  mügen  ge- 
nügen. Der  wissenschaftlich  prüfende  Betrachter  versteht  nur 
zu  gut  des  Paulus  Standpunkt  von  der  Zweck-  und  Nutz- 
losigkeit solcher  Äußerungen  in  ekstatischen  Erregungs- 
zuständen, sein  Hinweis  auf  den  enthusiastischen  Taumel  in 
heidnischen  Orgien  und  sein  Betonen  der  Liebe: 

„Wenn  ich  mit  3Ienschen-  und  mit  Engelszungen  redete 
und  hätte  der  Liebe  nicht,  so  wäre  ich  ein  tönend  Erz  oder 
eine  klingende  Schelle  .  .  ." 


3. 


h 


;s  wäre  völlig  irrig  zu  glauben,  die  Vorstellung  von  einer 
Geister-  oder  Engelssprache  wäre  etwas  ausschließlich  Christ- 
liches, nur  ein  Gnadengeschenk  des  „Geistes".  Wir  haben  ja 
oben  2)  bereits  betont,  daß  die  Zauberworte  der  Papyri  in 
gewissem  Sinn  nichts  anderes  sind  als  Glossen  einer  Götter- 
sprache. Wie  der  Zungenredner  in  ekstatischer  Verzückung 
lallte,  so  redete  auch  die  Pythia  in  unbewußtem  Enthusias- 
mus, 3)  so  gaben  überhaupt  die  Bakiden  und  Sibyllen  ihre 
dionysischen  Orakel.  Den  heiligen  Wahnsinn  als  Gottesdienst 
haben   wir   besonders   im   thrakischen   Dionysoskult,    dessen 


1)  RuBANOWiTSCH ,  Das  heutige  Zuugenreden,  Neumünster  1907. 
Schopf,  Zur  Kassler  Bewegung,  Boun  1907.  Franke,  Die  Versammlungen 
im  Kassler  Blaukreuzhause  in  nüchterner  Beleuchtung,  Kassel  1907.  Urban, 
Z.  gegenwärt.  „Pfingstbewegung'.  1910.  Weiteres  bei Mosiman a.a.O.  VII f. 

«)  S.  3  und  28. 

3)  Vgl.  z.  B.  Heraklit  bei  Plutarch  de  Pyth.  orac.  p.  397  A:  IlißvU.u 
Sh  /^uivo/xtruj  OTÖfxaxi,  xu^'  'HQÜxltuov,  aytlaara  xaX  axalliümaxu  („un- 
geschminkt") xttl  ußvfjioxtt  („ungesalbt")  <pi^tyyoixiv)]. 


32 

wahre  Natur  uns  erst  Erwin  Rhode  wieder  zu  verstehen 
gelehrt  hat  (Psyche  ^  II,  1  ff.) :  Wenn  die  schrillen  Flöten 
gellten,  Pauken  und  Tamburin  rasselten,  tobten  und  taumelten 
die  bekränzten  Mänaden  und  Korybanten,  des  Gottes  voll, 
in  tollen  Tänzen  den  Thyrsos  schwingend  unter  jauchzendem 
Jubelruf  durch  die  Nacht:  Im,  kö  Aiovvoi:  {euhoe  Bacche)!  In 
den  „Bakchen"  des  Eueipides  ist  anschaulich  geschildert,  wie 
diese  Raserei,  dieser  religiöse  Taumel,  alles  mit  sich  fortreißt 
in  wildem  Fanatismus  und  kein  Machtgebot  eines  Herrschers 
der  aus  Barbarenland  stammenden  BeAvegung  Einhalt  gebieten 
kann. 

Aber  auch  bei  kulturlosen  Völkern  findet  sich  die  Auf- 
fassung, die  Worte  von  Verzückten  i)  gehörten  einer  Geister-  oder 
Dämonensprache  an:  es  handelt  sich  eben  um  eine  allgemein 
menschliche  Anschauung,  die  in  der  Hauptsache  an  keine  Zeit, 
Kulturstufe  und  Rasse  gebunden  ist.  Gerade  in  primitiven 
Religionen  und  Kulturen  spielen  bekanntlich  Tänze  unter 
gellender  Musikbegleitung  eine  Hauptrolle ;  es  kann  also  nicht 
im  mindesten  überraschen,  daß  auch  vom  Reden  in  einer  Dä- 
monensprache, vom  „Zungenreden",  vom  Schreien  in  unartiku- 
lierten Lauten  öfters  berichtet  wird.  In  China  toben  bei 
Tempelfesten  Männer  oder  Weiber  halbnackt  in  toller  Be- 
sessenheit umher  und  stoßen  dabei  allerhand  Laute  aus,  „welche 


^)  Vergleiche  sprachliche  Bildungen,  wie  gr.  fxüvTig  zu  f^airofÄCii,  lat. 
vätes,  gall.  plur.  oväteig,  air.  fäifh  „Dichter"  zu  got.  wöps  „wütend,  be- 
sessen", aisl.  öpr,  ags.  tnöd,  ahd.  wuot  „wüteiid",  aisl.  6pr  „Poesie",  ags.  wöö 
„Gesang";  a.i.  viprah  „erregt,  begeistert",  subst.  „Dichter,  Seher"  zu  vepate 
„bebt,  zittert",  O^vtäg  „Bakchantin"  zu  lat. /Mro^fwj'or  „Raserei,  Verzückung". 
Ai.  kavih  „Seher,  Dichter"  hat  in  gr.  O^vo-oxoog  seine  etymologische  und 
semasiologische  Stütze  und  dürfte,  wie  lat.  augnr,  auspe.r:  auf  die  Deutung 
der  Zukunft  aus  Vorzeichen  gehen  (lat.  ömen  aus  *os-men  zu  üscen  „Wahr- 
sagevogel"), während  in  &iäl.  volva  „Weissagerin,  Zauberin"  (zu  ?;j>?r  „runder 
Stab",  got.  walus  „Stab")  und  vielleicht  in  gr.  Bäxtg  (zu  ßäxxQOv,  lat.  ha- 
culum?)  die  Vorstellung  der  mit  dem  Zauberstab  regierenden  Herren  der 
Geister  ursprünglich  der  Wortschöpfung  zugrunde  liegen  dürfte.  (Vgl. 
Gering,  Über  Weissag,  u.  Zauber  25,  Note  17.)  Seher  sitzen  auf  Stühlen, 
wenn  sie  ihre  Orakel  erteilen  (vgl.  die  nordischen  Vulven,  die  Pj'thia  usw.) ; 
so  versteht  man  aw.  upairi-gätu-  „Seher,  Visionär",  vgl.  Bartholomae, 
Wb.  395  s.  V.  Mit  dem  gr.  tvO^eog,  ivd^ovoiao/xög,  nhd.  besessen  vgl.  mau 
aLyätudhäna-,  yätudhärfi,  s.  Oldenberg,  Weltanschauung  d.  Brähm. -Texte, 
1919,  131.     SißvV.a  ist  nichtgriechischer  Herkunft. 


33 

dann  durch  Leute,  die  solche  Göttersprache  zu  verstehen  be- 
haupten, verdolmetscht  werden". ')  „In  PoljMiesien  werden  die 
Priester  \'on  ihrem  Gott  besessen ;  sie  werden  rasend,  die 
Muskeln  krampfhaft,  das  Gesicht  verändert  sich,  die  Augen 
verdrehen  sich,  sie  schäumen  am  Munde,  werfen  sich  auf  den 
Boden,  und  unter  dem  •  göttlichen'  Einfluß  äußern  sie  gellendes 
Geschrei,  heftige  und  oft  unverständliche  Worte,  indem  sie 
den  Willen  des  Gottes  offenbaren.  Andere  Priester  empfangen 
die  Mysterien  und  legen  sie  den  Leuten  aus."  ■)  Von  den 
Bataks  auf  Sumatra  wird  berichtet,  daß  sie  von  einem  Geist 
in  ekstatischem  Zustand  besessen  seien,  der  sich  einer  beson- 
deren Sprache  bediene.  Bei  Tänzen  der  Indianer,  bei  afrika- 
nischen Medizinmännern,  bei  den  Teufelstänzen  in  Indien,  bei 
den  tanzenden  Derwischen  —  überall  ^)  finden  wir  =  dieses 
Lallen  und  lieden  in  unartikulierten  Lauten,  das  die  Gläubigen 
als  ein  Sprechen  in  einer  überirdischen  Sprache  auffassen. 
„Bei  den  Makusi- Indianern  in  Guiana  werden  die  Blödsinnigen 
mit  besonderer  ehrfurchtsvoller  Scheu  behandelt,  da  es  all- 
gemein Überzeugung  ist,  daß  diese  Armen  in  inniger  Verbin- 
dung mit  dem  guten  Geiste  stehen,  weshalb  auch  ihre  Worte 
und  Handlungen  für  Aussprüche  der  Gottheit  gehalten  werden. 
Die  Buschneger  am  Maroni  in  (4uiana,  die  möglicherweise 
solche  Vorstellungen  den  Indianern  entlehnten,  halten  Krüppel 
und  Idioten  für  heilig  und  nennen  sie  fjado  pikht  „Gottes- 
kinder" ;  und  auch  die  brasilianischen  Indianer  behandeln  Blöd- 
sinnige rücksichtsvoll,  man  schreibt  ihnen  einen  besonderen 
Zusammenhang  mit  verborgenen  Kräften  und  prophetischen 
(iaben  zu."  ■*)  Sogar  bei  den  Russen  und  Muhammedanern 
herrscht  derselbe  Wahn :  „man  glaubt,  daß  sie  die  Gabe  be- 
sitzen, Gott  und  überirdische  Dinge  zu  schauen,  wobei  natür- 
lich ihr  Blick  für  irdische  Dinge  getrübt  wird."  •-) 

Ja,  es  kommt  gar  nicht  so  selten  vor,  daß  ein  Reden  in 

*)  De  Groot  in  Chantepie  de  la  Saussayes  Lehrb.  d.  Relig.-Gesch.^  1, 89. 

'^)  MosiMAX  a.a.O.  63  aus  \\.  Ei.t.is,  Polynesian  Researches,  London 
1858,  1,373  f. 

*)  Belege  bei  Mosiman  a.a.O.  63 f.,  auf  die  der  Kürze  wegen  hier 
verwiesen  sei. 

♦)  R.  Andrer,  Ethnogr.  Parallelen  u.  Vergleiche,  Neue  Folge,  1889.  3. 

■')  Andhee  a.  a.  0.  f). 

(iüntcrt,    Spriiolio  der  (nitti-i-  und  (jcistfr.  3 


34 

einer  unbekannten,  jedenfalls  der  großen  Menge  unverständ- 
lichen Sprache  einen  wesentlichen  Bestandteil  eines  religiösen 
Kultus  bildet.  Bei  den  Tänzen  der  Azteken  um  die  Pyra- 
miden von  Cholula  in  Mexiko  wurden  nach  Vater,  Mithrid. 
III,  3.  90  alte,  dem  Volk  ganz  unverständlich  gewordene  Ge- 
sänge gesungen.  Solche  Verwendung  unklarer,  kaum  den 
Priestern  selbst  noch  verständlicher  Sprachformen  beim  Gottes- 
dienst findet  sich  beim  Shintokultus  in  "Japan,  auch  auf  den 
Südseeinseln,  besonders  in  Otaheiti.  und  bei  den  Toradjas  auf 
( 'elebes. ')  Die  alten  Hymnen  des  Rgveda  sind  den  meisten 
Priestern,  die  sie  praktisch  beim  Gottesdienst  verAvenden,  und 
sicher  den  Laien,  die  daran  teilnehmen,  recht  unklar.  Die 
römischen  carmina  Saliorum  waren  den  Priestern  selbst  nicht 
mehr  verständlich,  2)  im  veralteten  Saturnier  soll  Faimns  seine 
Orakel  gegeben  haben.  3)  Aber  ist  das  schießlich  bei  uns 
anders?  wo  noch  in  der  Gegenwart  im  katholischen  Ritus 
(las  Latein  eine  so  Avichtige  Bedeutung  hat,  also  eine  Sprache, 
die  der  großen  Menge  der  gläubigen  Katholiken  ganz  unklar 
und  unverständlich  ist?  Mußte  doch  Kakl  der  Grosse  in 
einer  besonderen  Verfügung^)  dem  allgemeinen  Urteil  seiner 
germanischen  Untertanen  entgegentreten,  das  Latein  sei  die 
einzige  Sprache,  in  der  man  sich  allein  an  Gott  wenden  dürfe.  ^) 
Der  gemeine  Mann,  der  die  Priester  stets  diese  ihm  unklaren 
Worte  murmeln  hörte,  dem  man  gar  das  Auswendiglernen  des 
Vaterunsers  und  apostolischen  Glaubens  in  der  lateinischen, 
also  ihm  völlig  dunklen  Fassung  zumutete,  konnte  gar 
nicht  anders,  als  diese  lateinischen  Sprüche  mit  seinen  heid- 


*)  Einzelne  Belege  bei  .T.  G.  Müller,  Gesch.  d.  amerikan.  Urreligionen. 
B.isel  1855,  S.  458 f.;   Jkllinek,  Zeitsclir.  f.  österr.  Gymn.  68,  767. 

*)  Quintil.  I,  fi,  40:  Saliornm  carmina  vix  saferdotibns  snis  satis  in- 
^ellecta. 

*)  Varro  de  1.  1.  VII,  36:  versus  antiquissinii,  (|nil)us  Fannus  fata  ce- 
cinis.se  hominibus  videtur,  Saturnii  ai)pellantnr. 

*)  Frankfurter  Capitular  vom  Jahre  794.  ^ 

'■>)  Bekanntlich  ist  es  die  Lehre  der  Muhammedaner.  daß  der  Koran 
nur  in  der  arabischen  Sprache  seine  heilige  Kraft  besitzt,  in  einer  Über- 
setzung verliert  er  seine  Heiligkeit.  So  kommt  es,  daß  das  Arabische  al.s 
die  heilige  Sprache  sich  überall  dort  ausbreiten  mußte,  wo  der  Islam  als 
Religion  herrschte;  s.  Bknfry,  Gesch.  d.  Sprach wissensch.,  1869,  S.  187 
und  837. 


35 

nischen  Zauberformeln  auf  eine  Stufe  stellen  und  als  ein- 
zigen Grund  jenes  uns  ganz  unbegreiflichen  Gebots  annehmen, 
an  die  lateinischen  Worte  selbst  und  ihren  Klang'  sei  ein  be- 
sonderer Zauber  gebunden:  Gott  erhöre  gleichsam  nur  den, 
der  ihn  in  seiner  eignen  Sprache  anrufen  könne.  ^)  Bekannt- 
lich erklärt  man  so  meist  die  üblichste  Zauberformel  Hohis- 
poktis  als  eine  Entstellung  von  Iwr  est  corjmfi  (meum)  im 
Laienmunde,  weil  beim  Abendmahl  diese  Worte  so  oft  ge- 
murmelt werden:-)  sie  erinnerten  allzu  sehr  au  die  volkstüm- 
lichen Hexenmeister -Formeln  Acw.  »lax,  pax  oder  hahes.  palces. 
Im  griechisch-katholischen  Ritus  behält  man  die  altbulgarische 
Fassung  der  heiligen  Schrift  bei.  die  wegen  der  dialektischen 
Färbung  und  ihres  Alters  einem  modernen  ungebildeten  Slaven 
viel  Unklarheiten  bietet,  und  auch  die  Bibelübersetzung 
Luthers  enthält  trotz  der  kräftigen,  treuherzigen  Über- 
setzungsart, die  jedem  Protestanten  gefühlsmäßig  zusagt,  gar 
'manche  Schwierigkeiten  und  Unklarheiten  für  moderne  un- 
gebildete Leser,  wie  das  Avegen  ihres  Alters  gar  nicht  anders 
sein  kann.  Aber  gerade  das  gibt  diesen  Texten  ihren  Reiz: 
es  ist  nur  erwünscht,  wenn  hier  nicht  alles  so  klar  ist  wie 
in  der  Alltagssprache,  die  Dunkelheiten  verleihen  ihnen  etwas 
Mystisches,  was  seine  gefühlsmäßige  Wirkung  ausübt  und  aus- 
üben soll. 

In  alten  Zeiten  besteht  das  Ansehen  des  Priesters  und 
Zauberers,  des  Medizinmanns  oder  Schamanen  3)  zum  guten  Teil 
darauf,  daß  er  die  Formeln  und  Worte  der  Geistersprache  kennt 
und  versteht,  und  dieses  höhere  „Wissen"  wurde  auch  fast 
überall  ängstlich  geheim  gehalten:  sowohl  Druiden  als  Brah- 
manen  und  Schamanen  wußten  genau,  worauf  ihre  Macht  be- 
ruhte.    Von   einem   ägyptischen  Oberpriester  heißt  es.   er  sei 

')  Raumer,  Einwirkung  des  (-'bristentums  auf  die  ahd.  Sprache  248; 
Stkinmeyeu,  Denkmäler  II,  325 ;  KöiiEi.,  Gesch.  d.  d.  Litt.  1, 243 ;  A.  Fkeder- 
KTXO,  Wiss.  Beih.  z.  Zeitscbr.  d.  allgem.  Sprachvereins  III,  14/15,152. 

-')  Auch  wenn  es  zunächst  nur  der  Name  eines  Gauklers  gewesen 
sein  sollte,  wäre  doch  diese  Benennung  erst  aus  jenem  Zauberwort  ab- 
geleitet, vgl.  Kluge,  Et.Wb.-,  1910,  211;  Heyne,  Wh.  II»,  1906,  189  ft'.: 
Weigand,  Wb.-',  1909,  888  und  unten  über  griech.  d/<-nr«f  und  latein. 
(iuterj.)  imx! 

*)  Über  don  tiiniisclion  /fiuberer  s.  CoMPAiii-yrTi.  Kiilowala.  1892,  2l2ft'. 

3* 


36 

eingeweiht  „iu  die  Gotteswoite  und  (iottesdinge" ;  er  habe 
„eine  laute  Stimme,  wenn  er  den  Gott  preist". ')  Einen  be- 
sonders schönen  Fall  von  dem  Geheimnis  einei-  Göttersprache, 
die  nur  den  Priestern  bekannt  war,  vermag  ich  aus  dem  alten 
Inkareich  beizubringen:  Die  königliche  Familie  —  die  gewiß 
priesterliche  Funktionen  ausübte  —  kannte  eine  besondere 
Sprache,  die  sonst  niemand  erlernen  durfte,  weil  sie  für  göttlich 
galt.  -)  Von  dem  indischen  Brahmanen  heißt  es  ausdrücklich,  er 
müsse  sowohl  die  göttliche  als  die  menschliche  Sprache  be- 
herrschen (Käth.  14, 15;  Nir,  13, 9),  er  kennt  die  vierfache 
Art  des  Worts  (RV  1,  164,  45).  ^)  Von  dem  Zauberspruch  und 
der  magischen  Formel  (ai.  hrähman-  n.  zu  mir.  hriht  „Zauber- 
spruch") hat  der  Br&hmsiwe  {hrahmdn- m.)  seinen  Namen;  denn 
die  Vorstellung  vom  Brahman  ging  aus  von  der  des  heiligen, 
zauberkräftigen  Worts,  der  heiligen  Formel,  „um  sich  dann 
freilich  zu  einem  Ausdruck  für  die  ganze  dem  Brahmanen  und 
dem  Opfer  innewohnende  mystische  Kraft  zu  erweitern".^) 
Bfhasputi-  ist  der  Herr  des  zaubermächtigen  AVorts,  der  ver- 
göttlichte,  zum  Gott  erhobene  Priester. 

Wenn  Wahnsinnige  für  besondere  Lieblinge  Manitus  bei 
den  nordamerikanischen  Indianern  galten,  so  verstehen  Avir  nach 
den  vorausgehenden  (Tedankengängen  dies  jetzt  ohne  weiteres. 
Daß  man  das  Stammeln  unklarer  Worte,  unartikulierter  Laute 
aber  nicht  in  alter  Zeit  für  das  nahm,  was  es  ist,  nämlich 
für  eine  anormale,  unwillkürliche  Ausdrucksbewegung  in  ge- 
steigertem exzentrischem  Erregungszustand,  die  dem  Ver- 
drehen der  Augen,  dem  krampfhaften  Aberziehen  der  Glieder- 
muskeln usw.  ganz  gleichgeordnet  ist,  sondern  daß  man  dieses 
Lallen  auf  eine  überirdische  Geistersprache  bezog,  daran  ist 
nur  der  alte  Glaube   von   der  Zaubermacht  des  Namens  und 


*)  Nach  der  Übersetzung  bei  A.  Erman,  Agypt.  Religion,  1905,  Hand- 
buch d.  kgl.  Mus.  z.  Berlin  IX,  57. 

'^)  Nach  dem  Zeugnis  von  Gakcilasso  dr  i,a  Vega:  Y  es  de  saver 
que  los  Incas  tuuieron  otra  langua  particular  que  hablaran  entre  ellos  que 
no  la  entendian  los  denias  Indios,  ni  les  era  licito  aprenderla,  conio  leuguage 
divino,  s.  v.  T.schudi,  Kechua  -  .Sprache,  1853,  I,  12,  Fußn.  2. 

ä)  A.  Wehkr,  Ind.  Stud.  10,  1868,  97;  über  Ähnliches  von  den  Druiden 
^1.  WiNDi.sCH,  Tain  bo  Cüalnge,  1905,  XLIII. 

*)  Oiii'KNBERG,  Weltanschauung  d.  Brähniana- Texte,  1919,  131. 


des  Worts  allgemein  schuld,  von  dem  wir  ausgingen.  Die 
Vorstellungen  von  besonderen  Götter-  oder  (reister- 
sprachen  sind  also  nach  unseren  vorausgehenden  Unter- 
suchungen erwachsen  aus  der  allgemeineren  Anschauung 
älterer  Zeiten  von  der  magischen  Kraft,  die  einem  Wort 
als  solchem  innewohnt,  sie  sind  nur  ein  Seitenschößling 
des  Wortaberglaubens. 

Wir  müssen  uns  ja  heute  erst  künstlich  vergegenwärtigen, 
was  nicht  nur  der  Name,  von  dem  wir  oben  vorwiegend 
sprachen,  sondern  auch  das  Wort  allgemein  einer  primitiven 
Denkweise  bedeutete.  Am  ehsten  haben  für  unser  modernes 
Gefühl  Wörter  wie  HaUelujuh,  Sela  und  vor  allem  Amen,  dei'en 
wirkliche  Bedeutung  als  hebräische  Formen  den  wenigsten  Gläu- 
bigen ja  bekannt  ist  oder  wenigstens  zum  Bewußtsein  kommt, 
noch  einen  mystischen  Charakter.  Das  entsprechende  arab. 
amin  dient  wirklich  im  Märchen  geradezu  als  Zauberformel. ') 
Namentlich  der  Orientale  führt  den  Namen  Gottes  oder  eines 
Heiligen  ständig  im  Mund ;  man  denke  nur  an  persische  Formeln 
wie  bismilWi  „in  Gottes  Namen",  das  bei  Beginn  einer  jeden 
Handlung,  einer  Mahlzeit,  einer  Reise  usw.  verwendet  wird, 
oder  an  Ausrufsätze  wie  allalm  ukhar  „Gott  ist  groß!",  ijä 
'All  „0  Ali!",  inmlläh,  müsälläh,  xtidäyä  mh\  alhamdulilläh! , 
um  nur  die  allergewöhnlichsten  zu  nennen,  ^)  Das  bloße  Wort 
wirkt  magisch :  ein  Star  hatte  die  Worte  Ace  Maria  sprechen 
lernen;  als  ihn  einst  ein  Habicht  verfolgte  und  ihm  die  zwei 
Worte  entfuhren,  wurde  er  gerettet.  3)  Daher  sprechen  Muham- 
medaner  bei  Tagesanbruch  ein  glückbringendes  Wort  aus  (wie 
salem,  muharek  usw.).  dann  wird  man  Glück  haben;  deshalb 
stellt  der  Inder  an  die  Spitze  seines  Buchs  ein  gutes  mahgaldm. 
dann  wird  er  alle  Hindernisse  beseitigen.  In  i-ömischen  Sol- 
datenlisten mußte  ein  Name  von  guter  Vorbedeutung  die  Reihe 
eröffnen:    nomina  sind  omina! 

Über  Zauberformeln  noch  weiteres  hier  zu  sagen,  ist 
unnötig,   ihre  Bedeutung  ist   allgemein  bekannt.^)     Das  „Be- 

')  Siebe  Kunös,  Türk.  Volksmärchen  ans  Stanitinl  26H. 

■^)  Viele  andere  ttndet  man  bei  8.  Beck,  Neupers.  Konv.-tTramm.,  191-1. 
■S.  3o2,  395  ff.  n.  .sonst.  ^)  Sohindlbr,  Aberglaube  d.  Mittelalters  97. 

*)  Vgl.  die  vielen  Belege  bei  Wuttke,  Der  deutsche  Volksaberglaube', 
1900:    ferner  Häl.sk!,  l)er  ^Zauberspruch  bei  den  (iermanen,  Leipz.  Dissert.. 


sprechen*'  Avar  schon  in  ältesten  Zeiten,  auch  bei  den  Indo- 
germanen,  üblich,  vgl.  Wendungen  wie  gr.  IjTfod//  „Zauberlied", 
hjTfpöoc  „Zauberer",  lat.  mcantäre  „verhexen",  frz.  enchunter, 
ahd.  higalan  „besprechen,  verhexen",  aisl.  (/alinn  „verzaubert", 
(/aldr  „Zauberlied",  fascinäre  :  ßaoxah'cj,  fascinum  :  ßfcoxdi'io}\ 
/0//C  „Zauberer"  zu  700c  „Schrei", 2)  engl.  6'2>e?Z  „Zauberei"  aus 
ags.  s2)eU  „Rede",  nhd.  hesprechen,  heschreien.  slav.  rhc/io 
„Zauber"  zu  vlzmiti  'balbulire'  (<  '^uolso-),  lit.  rm-dyti  „be- 
sprechen" zu  vardaa  „Wort,  Rede",  iadeü  „besprechen", 
abg.  hajati,  ohavati  „besprechen,  zaubern",  mm  „Arzt,  Zau- 
berer" zu  griech.  Qfi^ia,  qtitojq,  ai.  ahhiyäyati  „bezaubert", 
wörtl.  „besingt",  vgl.  auch  ungar,  meyiye.ii:e  „beschrieen"  usw. 
Der  Zauberer  und  Hexenmeister  wird  nicht  nur  dunkle  Zauber- 
formeln murmeln,  auch  seine  Kräuter.  Geräte  und  Werkzeuge 
benennt  er  mit  seltsamen  Namen.  ^)  „Wo  sind"  —  heißt  es 
in  Walter  Scotts  Altertümler  III,  5  —  „wo  sind  Ihre  Amu- 
lette, Ihre  Platten,  Siegel,  Talismane,  Zaubersprüche,  Kristalle. 
Pentakel,  wo  der  magische  Spiegel  oder  die  geomantischen 
Figuren,  wo  Ihre  Bannformeln,  wo  Ihr  Abracadabra,  Freund? 
Wo  Ihr  Maifarren kraut,  wo  Ihr  Eisenkraut? 

All  Ihre  Kröten,  Krähen,  Drachen,  Funther, 
Sonne,  Mond,  Tierkreis  und  Firmament, 
Wo  Lato,  A^'och,  Zernieh,  Chibrit,  Heatitarit, 
Nebst  Tränken,  Pulvern,  all  dem  Ap^jarat, 
Ob  deren  Namen  schon  ein  MenscJi  könnt' 

närrisch  ir erden  '^" 

Die  Gaukler  und  Geisterbeschwörer  wußten  eben  sehr 
wohl,  welch  einen  mystischen  Eindruck  gerade  die  geheimnis- 
vollen Worte  bei  ihrem  Treiben  machten:  so  scheinen  sie  der 
Geistersprache  mächtig  zu  sein  und  können  den  Geistern  in 
ihrer  eigenen  Sprache  gebieten  und  sie  zitieren. 

l!)10,  PiiADEL,  üriech.  u.  süditalieii.  Gebete,  Beschwörungen  u.  Jxezepte  il. 
Mittelalters  (liel.  Vers.  u.  Vorarl).  III),  1907,  Heim,  Incantamenta  magica 
graeca  latina,  19.  Suppl.  d.  Jahrb.  f.  Phil.,  1892,  Gmix,  Hundert  Lieder  des 
Atharvaveda-',  1888,  sowie  überhaui)t  die  liit.  zum  AV.,  Schkftki-owitz, 
Die  altpers.  Relig.  u.  d.  Judentum,  1920,  23  (awest.  Gebete). 

>)  Siehe  Faj.k-Türp,  Norw.-dän.  et.Wb.  295.  Schkaukr,  Reallex.'  974  ft". 

')  Siehe  unten  Beispiele  aus  der  griedi.  u.  röni.  Priestersprache. 


Wir  meinen  heute,  auf  den  Sinn  des  Gebets  komme  es 
an,  und  man  soll  beim  Beten  „nicht  plappern  wie  die  Heiden" : 
aber  nach  primitivem  Glauben  wird  durch  häufige  Wieder- 
holung* die  Zauberkraft  des  Worts  nur  vermehrt:  so  kommt 
es  zu  solch  seltsamen  Einrichtungen  wie  den  tibetanischen 
Gebetsmühlen.  Aber  wohl  gemerkt,  die  Reihenfolge  der  Worte 
oder  der  Zauberformel  darf  nicht  geändert  werden,  sonst  ist 
die  Wirkung  umsonst;  namentlich  mußte  der  römische  Priester 
genau  auf  den  Wortlaut  und  die  richtige  Wortfolge  und  Aus- 
sprache achten.  *) 

Hier  läßt  sich  auch  die  Bedeutungsentwicklung  von  lat. 
f'oUum  und  die  dadurch  bedingte  unseres  deutschen  Blatt,  frz. 
feiülh\  engl.  Icaf  von  „Baumblatt"  zu  „Papierblatt"  erwähnen: 
die  sibyllinischen  Weissagungen  waren  tatsächlich  auf  Baum- 
blätter geschrieben,  wie  ja  Palmblätter  im  Orient  ein  gutes 
Schreibmaterial  abgeben.  Interessant  ist.  daß  dieser  Zusam- 
menhang von  ., Baumblatt"  mit  ., Blatt  Papier"  im  Rumänischen 
noch  eigenartig  empfunden  wird:  Am  Anfang  rumänischer 
Volkslieder  nämlich  wird  jedesmal  ein  „Blatt",  frimm  verde, 
einer  solchen  Pflanze  angerufen,  die  mit  dem  Inhalt  des 
Liedchens  in  einem  allegorischen  Zusammenhang  steht,  z.  B. 
ein  Eichenblatt  bei  Heldenliedern,  ein  Jasminblatt  bei  Liebes- 
liedern usw."-)  Im  alten  Indien  verwandte  man  glänzende 
Baumblätter,  die  man  zudem  mit  Schmalz  bestrich,  als  magische 
Spiegel;  indem  man  auf  das  Blatt  den  Blick  starr  heftete, 
trat  eine  Art  Hypnose  ein,  und  man  glaubte,  jetzt  auf  dem 
Blatt  die  Zukunft  lesen  zu  können.^) 

Bekannt  ist  ferner,  daß  Zettel  mit  magischen  AVörtern 
geradezu  verschluckt  werden,  z.  B.  um  sich  kugelfest  zu 
machen :  denn  auch  das  geschriebene  Wort  hat  liöchste  Zauber- 
kraft.'»)   Man  denke  nur  an  die  Amulette  und  vor  allem  an  die 

')  Vgl.  W.  St'HMji),  Aldi.  f.  Keligioiiswiss.  19,  273 ff.;  Fk.  Pfister, 
Berl.  phil.  ^^■ucbellschr.,  1920,  Nr.  27,28;  650. 

'^)  Vgl.  Wech.slkk,  Prakt.  Lehrbucii  d.  lumäu.  Sprache*,  1895,  188. 

*)  Fkeui>enber(^,  Wahrsagekniist  im  Spiegel  der  Zeit  und  Völker- 
geschichte, 1919,  11  »ach  K.  Schmidt,  Fakire  und  Fakirtum  im  alteu  und 
modernen  Indien. 

*)  Vgl.  VViri'KK,  1).  dlsi-.h.  Vulksalierglaube  '  243f.,  ScH.Miivr,  Itedeu- 
tnng  des  Namens  :!2. 


40 

„Himmelsbriefe".  Wie  körperlich  und  sinnfällig  man  sich  die 
Zauberworte  und  ihre  magische  Kraftsubstanz  dachte,  zeigt 
nichts  besser  als  die  nordische  Darstellung,  daß  in  den  Dichter- 
trank Oprerir  die  Runen  der  Dinge  geschabt  und  in  dem  Met 
umgerührt  worden  seien  (Sigrdr.  18:  ciliar  vom  af  skafnar 
pders  i'Qru  a  ristnar  oh  liverfpar  eil)  ^'^^^  helija  mjgj) ;  vgl.  auch 
HQvam.  141).  So  bereitet  die  Walküre  dem  Sigurd  einen 
Zanbertrank,  in  den  die  'Runen',  d.  h.  die  magischen  Xatur- 
kräfte  der  verschiedensten  Dinge,  eingerührt  sind:  wer  einen 
solchen  mit  Runen  durchdrungenen  Trank  in  sich  aufnimmt, 
wird  Herr  über  di^  so  magisch  mit  ihm  verbundene  Welt. 'j 
Sobald  eine  üble  Rune  abgeschabt  ist,  hört  auch  ihre  schäd- 
liche Wirkung  auf,  weil  eben  die  dämonische  Substanz  beseitigt 
ist.  Amulette  enthalten  oft  mystische  Zeichen,  deren  Zauber- 
kraft vor  allem  Unheil  feit.  Man  denke  wieder  an  die  Gebets- 
fähnchen und  Gebetsmühlen  der  Buddhisten,  die  das  heilige 
Om  mani  padme  hum !  ebenso  unheilabwehrend  abhaspeln,  als 
würden  diese  heiligen  Woi'te  gesprochen;  man  denke  an  die 
Hieroglyphen  der  Ägypter,  die  in  den  Tempeln  an  Wand  und 
Säule,  an  Tisch  und  Tempelgerät  als  heilige  Wesen  angebracht 
waren:  heißen  diese  Schriftzeichen  doch  geradezu  Gottes- 
worte,2)  der  ibisköpfige  Thoth,  der  Gott  aller  Wissenschaft 
und  Weisheit,  hatte  sie  den  Priestern  offenbart.  Näher  liegt 
uns  der  Runenzauber  der  alten  Germanen.  Auch  hier  hat 
ein  Gott,  Odin,  der  Vater  aller  Magie,  diesen  geAvaltigen  Zauber 
zwar  nicht  erfunden,  aber  doch  von  Mimirs  Haupt ^)  unter 
den  größten  Opfern  erlauscht  und  den  Menschen  offenbart. 
Die  Hgoamöl  vor  allem,  aber  auch  viele  andere  Quellen  reden 
leider  von  dem  Runenzauber  und  seiner  Verwendung  nur  im 
allgemeinen,  ohne  daß  uns  ein  tieferer  Einblick  in  das  Wesen 
dieses  Glaubens  oder  eine  genaue  Probe  eines  Zauberspruchs 
gegeben  würde.  Ursprünglich  muß  rmia  im  Altgermanischen 
„geheimnisvolles  Raunen,  Murmeln''  bedeutet  haben  und  ging 
also   zunächst   auf  das  Zauberwort,   nicht  auf  das  eingeritzte 

')  Siehe  tlazu  namentlich  Kai;ffmann.  Haider  184  ff. 

■-)  A.  Erman,  Ägypt.  Religion,  1!)U5,  S.  1'2. 

')  Zu  den  Sagen  vom  prophezeienden  abge.schlagenen  Menschenkopf 
vgl.  man  Lirkkkch'I',  Zur  Volkskunde.  1.S7!',  S.  289  ff.  Auch  in  einem  I)e- 
kannlen  Märchen  aus  „Tausend  und  eine  Nacht"  kommt  das  Motiv  vor. 


41 

Schriftzeichen'):  vgl.  got.  riinn  „Geheimnis",  r».  rmia  „heim- 
liches Flüstern",  ags.  tiin  „heimliches  Beratschlagen",  nilid. 
nme  „Flüstern,  heimliches  Beratschlagen",  nhd.  Ikmncu.  ahd. 
girüno  „heimlicher  Ratgeber",  got.  (luruni  „heimliches  Berat- 
schlagen", aisl.  riini  „vertrauter  Freund",  nin(a)  „Freundin" 
zu  vyna  „vertraulich  Öüstern",  ags.  niman,  engl,  roan,  nhd. 
raunen  usw.-)  Besonders  wichtig  ist  ir.  ;vm  „Geheimnis"  für 
diese  Grundbedeutung.  Das  finnische  rfuio.  aus  dem  Germa- 
nischen entlehnt,  bedeutet  gleichfalls  „Zauberlied"  und  nie- 
mals ein  Schriftzeichen.  ■■)  Keine  Frage  also,  daß  die  gewöhn- 
liche altnordische  Bedeutung  als  „Schriftzeichen"  sich  erst 
spät  und  sekundär  entwickelt  hat;-*)  im  übrigen  bedeutet  auch 
im  Aisl.  das  Wort  allgemeiner  „Lelire,  Weisheit,  Lied"  usw. 
Berühmt  und  oft  behandelt  ist  die  Stelle  der  Skirnismöl  37, 
wo  die  Verwünschungen,  die  S/iiniir  in  Freijra  Auftrag  der 
scliönen  Riesentoehter  Gerd  antut,  schließlich  durch  das  Ein- 
ritzen dreier  Runen  bekräftigt  werden.  Es  scheint  dabei  nicht 
jeder  beliebige  Stab  geeignet  gewesen  zu  sein,  wenigstens  er- 
klärt Slämir  ausdrücklich  (32): 

tu  liolts  ek  yekk  ok  til  hrä^-  cipar, 
(janihantein  at  (jeta : 
(jambantein  ek  ijat. 

„ich  ging  zu  Holze  und  zum  grünen  Baum,  einen  Zauberzweig 
zu  linden:  den  Zauberzweig  fand  ich."^)  Vielleicht  mußte 
das  Zweiglein  ungefähr  der  Gestalt  der  Hauptrune  gleichen, 
die  darauf  eingeritzt  werden  sollte?  Oder  mußte  der  Baum 
eine  besondere  Richtung  haben,  wie  dies  offenbar  Sigrdrifum.  10 
angedeutet  wird:  a  herkl  skal  r/sta  ok  ä  harri  cipar  es  lüta 
austr  limar    „auf  die  Borke  soll  man  sie   (die  limrdnar,   d.  h. 


'j  Die  umgekehrte  Bedeutungsentwicklung-  läßt  sich  bei  iiihd.  liesen 
„Weissagung-,  heimliches  Murmeln"  beobachten,  das  ahd.  Uozan  =  ags.  hleotan 
„das  Los  werfen"  fortsetzt. 

")  Ich  erinnere  dabei  an  den  athenischen  Heros  Ks///t^/os.  den  „Flüster- 
gott", der  das  Raunen  der  Gebete  fördert,  s.  Usenek,  Kl.  Schriften  IV,  468. 

•')  CoMPARBTTi,  Kalewala  od.  d.  tradit.  Poesie  d.  Finnen,  1892,  262  ff. 

•)  Vgl.  auch  E.  Mo(iK  in  Hoops  RL.  IV,  580  f. 

■')  Das  .Schlagen  mit  dem  Zauberzweig,  Str.  20  {Idnu^rcutli  /)i/,-  (liri)k) 
erinnert  an  das  Scdilagen  mit  der  ,,Lel)ensrute". 


42 

Astrimen)  ritzen  und  das  Gezweig  des  Baumes,  der  nach 
Osten  seine  Äste  streckt"  ?  AMr  wissen  das  alles  nicht  näher. 
Das  Ritzen  war  aber  jedenfalls  sehr  Avesentlich;  denn  das 
Abschaben  der  Zeichen  genügte,  um  den  Schadenzauber 
wirkungslos  zu  machen.  So  erklärt  Skirnir,  er  werde  auch, 
was  er  eingeschnitten,  nötigenfalls  wieder  abschaben. ")  Es  ist 
kaum  anders  denkbar,  als  daß  die  Runenzeichen,  ähnlich  den 
ägyptischen  Hieroglyphen  späterer  Zeit,  als  Verkörperung 
dämonischer  Wesen  und  Kräfte  anzusehen  sind.  Genauer 
gesagt,  man  glaubt  an  eine  „mystische  Kraftsubstanz",  die 
nicht  nur  einem  Wort  oder  einer  Formel  innewohnt,  sondern 
die  überhaupt  Menschen  und  Gegenstände  „heilig"  machen  kann ; 
eine  unpersönliche  Zauberkraft  erfüllt  alles  Heilige  und  Ge- 
weihte, sie  ist  es,  die  dem  Wort  sowohl  als  dem  mystischen 
Zeichen,  dem  Amulett  und  der  Schrift  innewohnt."^)  Auch 
die  Wortbedeutung  kann  im  Zauber  als  solche  magische  Macht 
angesehen  werden :  die  Pflanze  Apämärya-,  deren  Name  wört- 
lich ,. Abwischung"  zu  bedeuten  scheint,  wird  nun  als  apo- 
tropäisches  Zaubermittel  benutzt,  das  alles  Unheil  beseitigt, 
,. abwischt".  Einen  hundsköpligen  Dämon,  der  Krankheit  bringt, 
verjagt  man  durch  Würfelspiel;  denn  der  „Spieler"  heißt  im 
Sanskrit  scaijhnin- .  wörtlich  „Hundetöter".  3)  Dämonen  sind 
Wesen  mit  „üblem  Namen"  {durndmmi-  KW  11,  2h,2).  Zauber- 
worte sind  denn  auch  greifbar  deutlich  und  konkret  vorgestellt 
worden.  Als  dem  finnischen  Helden  Wäinämüinen  drei  Zauber- 
Avorte  fehlen,  um  ein  Schiff  zu  bauen,  sucht  er  sie  im  Gehirn 
der  Schwalben,  im  Kopfe  der  Schwäne,  im  Nacken  der  Gänse, 
auf  der  Zunge  der  Renntiere,  im  Munde  des  Eichhorns  und 
findet   Hunderte   von   Zauberwörtern,    wenn    auch    nicht   die. 


')  Vgl.  auch  Saxu  lirauiui.  T'J  uiul  Egils  Heilung'  des  Bauernmädchens 
in  Vermland,  Egils.  caj).  7o  (s.  u.  S.  47). 

■')  F.  Pflstek,  Beil.  Phil.  Wocheiischr.,  1920,  Nr.  27,28,  646 ff.  schlägt 
den  Namen  Orendd  (nach  einem  Irokesoiwoit,  die  Melane.sier  nennen  die.9e 
magisclie  Kraft  Mana)  für  diese  dvia/dL;,  dieses  zauberisclie  Flnidiim  vor. 
Vgl.  noch  8<)i)KKBi.<»M,  Das  Werdeii  des  Gottesglauhens,  1916,  Oi.denbehc;, 
Weltansch.  d.  l>r.-T.  i;53ff. ,  wo  liclitvoll  über  das  lin'ilniKm-  gehandelt  ist, 
Ders.,  Nachr.  d.  firött.  Ges.  d.  Wiss.,  1916,  710 ff.,  ModK,  llbergs  Neue  .lahr- 
b«cher22,  1919,  102. 

')  Siehe  Oi.denbekg,  Kelig.  d.  Veda  51;'),  A.  1,    \\'eltauschaimng  128. 


43 

welche  er  brauclit  (Kalewala  Run.  16,  125  ff.,  s.  Comparrtti, 
Der  Kalewala,  1892.  263).  Dadurch,  daß  der  heilige  Name 
gesprochen  und  gar  auf  eine  bestimmte  Stelle  eingeritzt  wurde, 
nötigte  man  also  die  durch  Kenntnis  des  Namens  beherrschte 
geisterartige  oder  dämonische  Kraft,  dort  zu  weilen  und  zu 
wirken,  wo  ihr  charakteristisches  AVesen,  ilir  Name,  an- 
gebracht wird:  wenn  Skirnir  einen  Thurs,  d.h.  die  Rune  J', 
einritzt,  so  ist  das  nicht  eine  bloße  Abkürzung  des  Worts  für 
., Riese"',  sondern  damit  werden  die  Riesen  gleichsam  magisch 
gezwungen,  zu  erscheinen  und  die  vorhergesprochene  Ver- 
wünschung auszuführen  (Str.  35)  •) : 

..Hrirnyinmiir  heißt  der  Tharse. 

Der  dkli  1  iahen  soll 

An  des  Totenreichs  Tor; 

Zu  der  Frostriesen  Halle 

Sollst  hinfort  du  täylich 

Verhungert  hinschleichen, 

Verhungert  hinkriechen !" 

j.Sinnruneu''  (aisl.  hugrunar)  nennt  der  Isländer  diese 
wichtigste  und  älteste  Art  der  Zeichen  (Sigrdrif.  12):  Mimirs 
Haupt,  das  bekanntlich  auch  Odin  die  Zauberweisheit  lehrte, 
hatte  „weise  das  erste  Wort  gesprochen  und  sagte  richtige 
Stäbe*'.  ■■^)  Wenn  es  nun  in  den  folgenden  Versen  (Str.  15—17) 
weiter  heißt,  diese  Runen  seien  eingeritzt  auf  dem  Schild  vor 
dem  Sonnengott,  auf  dem  Ohr  und  Huf  seiner  beiden  Sonnen- 
rosse, auf  dem  Rade  Odins,  auf  Slelpiiirs  Zähnen  und  Bragis 
Zunge,  auf  dem  Schnabel  des  Adlers,  den  Pranken  des  Bären, 
den  Pfoten  des  A\^olfs,  auf  dem  Nagel  der  Norne  und  dem 
Schnabel  der  Eule  usw.,  so  ist,  wie  man  längst  erkannt  hat,  3) 
hier  von  einem  tatsächlichen  Einritzen  von  Schriftzeichen 
keine  Rede,  sondern  diese  Sinnrunen  sind  mystische,  amulett- 
artige Zeichen,    welche    die   Kräfte   der   betreffenden   Wesen 

'j  Nach  der  trefi'licbeu  iber.setzuiig  vou  Genzmek,  Edda  II,  1920, 
S.  31  f. 

*)  Ebenda  14:  /jü  nui'lli  Minis  hofa])  fi-oplild  <•■/  fi/rsdi  orf)  ok  xikj})! 
snnnu  alafi.  "• 

^)  Siehe  z.  B.  Uhi-and,  Zur  (iescli.  d.  Di.dit.  u.  Sage  VI,  1808,  S.  265, 
Kalff.mann,  Balder,  1<J02,  190  ff. 


44 

mystisch  verkörpern,  wie  bei  den  ältesten  Hieroglypiien  der 
Ägypter  und  vor  allem  wie  bei  den  bierogiyphartigen  Sym- 
bolen der  mittelamerikanisclien  Völker:  dem  geheimnisvollen 
Wort,  dem  Geheimnamen,  von  dem  wir  schon  so  oft  sprachen, 
tritt  hier  das  Geheimsymbol  zur  Seite,  dessen  Kenntnis,  dessen 
Niederschreiben  magischen  Einfluß  auf  die  Kraft  selbst  aus- 
übt. Ein  altnordischer  stafr  in  ältester  Bedeutung  war  geAviß 
ein  mit  einer  Rune  als  dem  Anfangsbuchstaben  und  zur  Er- 
setzung des  ganzen  Worts  versehener  Holzstab,  genau  wie  Moses' 
und  Josuas  Zauberstäbe  uacli  spätjüdischer  Vorstellung  (s.  o. 
S.  10).  Aus  solchen  Runenstäben  besteht  dann  die  Weisheit 
des  Zauberers.  In  dem  „Fluch  der  Busla"  werden  die  „sechs" 
(Runen)  auch  als  geheimnisvolle  Zauberzeichen  angesehen; 
rät  der  König  sie  nicht,  so  verfällt  er  der  Zauberin.  Es 
möge  der  Schluß  dieses  Fluchs  hier  folgen  ') : 

Sechs  kommen  hier: 
Sag  ihre  Namen, 
Entziffre  alle! 
Ich  £ei(/e  sie  dir. 
Batst  dti  sie  nicht, 
Wie  ich's  richtig  heiße, 
So  fahre  hin  sur  Hei, 
Von  Hunden  ^zerfleischt, 
Beine  Seele  aber 
Sinke  zur  Hölle! 

Es  heißt  ausdrücklich,  Mimir  habe  am  Brunnen  der  Urd  das 
„erste  Wort  und  richtige  Stäbe"  geoffenbart,  d.  h.  den  Geheim- 
namen und  sein  runisches  Symbol.  Daß  Wort  und  Zauber- 
handlung (Runenschneiden)  sich  ergänzen  müssen,  meint  doch 
wohl  auch  die  dunkle  Stelle  im  Rünatal  (Hovam.  142): 

or])  mer  af  orpi  orps  leitapi, 
verk  mer  af  verki  oerks 

„Wort  führte  mich  von  Wort  zu  Wort.  AVerk  mich  von  Werk  zu 
Werk."  2)    Wahrsclieinlich  konnten  auch  in  ältester  Zeit  Opfer 

')  Edda  von  F.  Gknzmek,  1'J2U,  II,  1S2. 

-)  Wahrscheinlich  ist  an  die  manische  Bindung  der  einzelnen  Runen 
durch  die  Alliteration  gedacht;  dadurch  wird  Wort  mit  Wort  verknüpft. 


45 

au  die  betreffenden  dämonischen  Wesen  den  Zauber  uutei- 
stützen.  Dies  kann  man  daraus  schließen,  daß  die  Runen  mit. 
Blut  gerötet  wurden.  Wichtig'  ist  dafür  die  metrisch  isolierte 
Strophe  Hovamol  145: 

Veiztu  hce  r/'sfa  skal,  vektu  hve  rdj)a  shal'^ 
reis  tu  hve  fn  shal,  veiztu  hve  freista  skal? 
rektu  hve  bipja  skal.  reiztu  hve  hUta  shal'^ 
reüfii  hve  senda  skal.  reüfu  hve  soa  skalY 

„Weißt  du,  wie  man  ritzen  soll.  Aveißt  du,  wie  man  raten 
soll,  weißt  du,  wie  man  färben  soll,  w^eißt  du.  wie  man  er- 
pioben  soll,  weißt  du,  wie  man  wünschen  soll,  w^eißt  du,  wie 
man  opfern  soll,  weißt  du,  wie  man  senden  soll,  w^eißt  du. 
wie  man  schlachten  soll?"'  Hovam.  158  sagt  Odin:  „so  ritze 
ich  und  färbe  die  Kunen"  {srä  ek  rist  ok  /  nhimn  fäk).  Ähnlich 
79.  3  und  143.  AVenn  man  später  Mennig  benützte,  so  ist  das 
deutlich  ein  Ersatz  für  die  einstigen  blutigen  Opfer:  wir  er- 
Avähnen  diesen  nebensächlichen  Zug  hier  nur,  weil  unser  Wort 
Zauher  da  seinen  Ursprung  hat:  aisl.  ^«;//r,  ^\\^.  .rouhar  ge- 
hört bekanntlich  zu  ags.  teafor  „Mennig"'. 

Endlich  sei  noch  betont,  daß  der  Geb rauch  der  Allite- 
ration, der  „Stäbe",  zweifellos  erst  im  Zauberspruch  üblich 
war  als  eine  geheimnisvolle  Binduug  der  Zauberkräfte  und 
von  da  erst  als  poetischer  Schmuck  allgemein  verwandt  wurde. 
Odin,  der  Vater,  des  Zaubers,  gewann  zugleich  auch  den  Dichter- 
met, den  begeisternden  Eausch trank,  Mimir ')  fand  nicht  nur 
das  erste  Wort,  sondern  auch  richtige  „Stäbe",  und  bei  jener 
Verwünschungsformel  der  Skirnismol.  von  der  wir  ausgingen, 
linden  wir  neben  dem  Runenritzen  auch  die  Alliteration  im 
Zauberspruch : 

Jmrs  r/stk  per  ok  pria  stafi: 
erfji  ok  epi  ok  öpoJa 

„einen  Thurs  ritze  ich  dir  und  der  Runen  dreie:  Lüsternheit, 
Leid  und  Liebesrasen".  2)  Hier  sieht  man  den  Stabreim  noch 
deutlich  in  seiner  eigensten  magischen  Bedeutung:    Wie  der 


')  Mit  Miniirs  Haupt  vergleiche  irian  den  Schädel  eines  etruskisclien 
Sehers,  von  dem  Piin.  nat.  hist.  28,  4  berichtet,  ('her  einen  Pferdekopf  inj 
Orakel  vgl.  Wrbrr,  Ind.  Stiid.  I,  381  Aiini.  '^)  Nach  Gknzmkk  S.  3'2. 


46 

Reim.i)  so  ist  auch  der  Stabreim  zuerst  im  Zauber- 
spruch aufgekommen  und  hatte  hier  eine  besondere 
geheimnisvoll  bindende  Kraft.  Erst  sekundär  sind  dann 
beide  Arten  des  Wort-  und  Redeschmucks  allgemeiner  in 
poetischer  Sprache  angewandt  worden.  2) 

Daß  die  vielen  Verwendungsarten  des  Runenzaubers,  wie 
sie  uns  die  Liederedda,  namentlich  in  der  Hovaraol  und  Sigr- 
drifum.j  lehrt,  keine  poetischen  Phantasien  darstellen,  sondern 
tatsächlich  von  den  alten  Nordländern  geübt  wurden,  das 
zeigen  die  Schilderungen  der  Sagas.  Die  Egilssaga  ist  be- 
sonders reich  an  Beispielen  für  Runenzauber:  wie  die  Walküre 
ihrem  Sigurd  Bierrunen  lehrt,  so  schützt  sich  Egil  durch 
Runen,  die  er  in  ein  Hörn  mit  vergiftetem  Trank  einritzt 
und  mit  seinem  eignen  Blut  rötet,  vor  der  Grefahr,  vergiftet 
zu  werden.  An  anderen  Stellen  ist  von  Runen  die  Rede, 
welche  die  zauberkräftige  AVirkung  der  Pferdeschädel  auf 
einer  Neidstange  erhöhen.^)  Wir  hören  ferner  in  Sagas  da- 
von, daß  Schwerter  mit  Runen  siegkräftig  werden,  daß  ein 
Mann  durch  eine  Baumwurzel  ums  Leben  kam,  auf  die  eine 
Hexe  Runen   geritzt   hatte  "*)  u.  dgl.  m.  ^)    Besonders  bekannt 

^)  Siehe  dazu  unten  i.  Absclinitt. 

-)  Vgl.  dazu  LiLiENKROHN,  Zui'  RuHsnlelire  17.  ß.  M.  Meyek,  Alt- 
gerraau.  Poesie  494,  rojrpAREiTi,  Kalewala  262 ff.  Man  entsinne  sich  in 
diesem  Zusammenhang'  an  die  Bedeutung  der  vedischen  JMetren  im  alt- 
indischen Kult :  Jcujaü,  Tn'sliib/i  usw.  Averden  ja  als  Gottheiten  angesehen, 
sie  heißen  dairi/äh  prajäh  „göttliche  (-feschöpfe",  deri/tih  oder  ilerikäh 
„Göttinnen".  „Nicht  bloß  die  Handlungen  der  Menschen,  auch  die  eignen 
Handlungen  der  Götter  selbst  bedürfen  zu  ihrem  Gelingen  des  Beistandes 
und  des  Schutzes  der  Metra.  Durch  sie  haben  dieselben  ihre  jetzige  Würde 
erlangt"  (Belege  für  diese  Angaben  bei  A.  Weber,  Ind.  Stud.  8,  1863,  lOf.). 
1  »er  Sinn  dieser  ganzen  Spekulationen  ist  doch  nur  der,  daß  in  den  metrisch 
gebundenen  Zaubersprüchen  eine  mystische,  allbezwingende  Kraft  liegt. 
Die  Metren  tragen  den  Göttern  das  Opfer  zu,  sie  heißen  devai/fniah  pdiifhfih 
„Götterpfad".  Der  alte  Glaube  vom  Wortdämon  ist  aucli  hier  immer  wieder 
leicht  zu  erkennen.  Auch  die  Runen  sind  göttlicher  Herkunft,  HQvam.  79 
rlimim  reginkummm . 

')-Cap.  57  (=  Sagabibl.  III,  189)  und  Vatnsdola  s.  (Forns.  54  u.  56). 

*)  Grettissaga  79  ff.  (=  Altn.  Sagabibl.  VIII,  274 ff.). 

5)  Man  vgl.  etwa  Uhland,  Schriften  VI,  225 ff.,  B.  Maonusson  Olsen, 
Rwnerne  i  den  oldislanske  literatnr,  Kopenhagen  1888,  6  ff..  Geklno,  i'ber 
Weissagung  und  Zauberei  im  nord.  Altertum.  l!)()2.  2()f.,  .Mock  in  Hdojis 
Kenllex.  IV,  581. 


47 

und  außerordentlicli  lehrreich  für  die  sinnfällige  Auffassung- 
der  Runenkiaft  ist  jener  Bericht  der  Rgilssaga.  i)  der  von 
der  Heilung  eines  kranken  Mädchens  durch  den  runenkundigen 
Skalden  handelt:  er  entdeckt  nämlich  unter  dem  Kopfkissen 
der  Kranken  einen  mit  üblen  Eunen  geritzten  Fischkiemen. 
Die  unheilvollen  Zeichen  werden  von  ihm  abgeschabt  und 
vernichtet,  und  dafür  schneidet  er  segenspendende  Heilrunen 
ein:  des  anderen  Morgens  ist  das  Mädchen  genesen.  Wenn 
es  also  heute  so  harmlos  klingt:  ich  schnitt  es  (fern  in  edle 
Rinden  ein  .  .  .,  so  ist  das  ein  Rest  alten  Eunen-  und  Liebes- 
zaubers, der  sich  bis  heute  gehalten  hat:  die  Namen  der 
Liebenden  und  damit  ihre  Herzen  werden  magisch  zusammen- 
gezwungen. 

Vor  allem  aber  wurden  Worte  und  Eunen,  die  auf  Stäbe 
geritzt  waren,  zur  Weissagung  und  zu  Orakeln  benutzt.  Eine 
nordische  Schwanenjungfrau  heißt  Olnin  „die  Alraune",  weil 
sie  die  Zukunft  versteht  wie  jene  Donaunixen,  die  Hagen  im 
Nibelungenlied  das  Ende  der  Nibelungen  weissagen.  Für  die 
Germanen  bezeugt  es  uns  Tacitfs  an  einer  oft  behandelten 
Stelle  der  Germania: 2)  aber  auch  für  (^riechen.  Eömer^^)  und 
Gallier^)  sind  Losorakel  bezeugt."^)  Eein  sprachlich  erklärt 
sich  ja  so  die  Bedeutung  des  Worts  Buchstabe  „buchener 
Eunenstab"  und  vor  allem  die  Etymologie  von  gr.  /o/o^- 
„Wort".  Dies  gehört  natürlich  zu  /Jynr,  aber  dessen  Grund- 
bedeutung war  nach  Ausweis  von  lat.  leffo.  coUic/o,  lefiio  usw. 
auf  alle  Fälle  „sammeln" ;  wie  nun  eben  lat.  lefio  „ich  sammle" 


»)  Cap.  73,  9  (=  Sagabibl.  III,  240  f.).  -)  Cap.  10. 

^)  In  Praeiieste  Avnrden  zu  den  sorfes  eichene  Stäbe  mit  Schriftzeicben 
benutzt,  ganz  wie  die  nordischen  Eunen,  s.  GOtte,  Delph.  Orakel  299,  Fußn.  1. 

*)  sortps  „Losorakel"  gab  es  vor  allem  in  Praeneste,  später  auch  in 
Patavia  (Sueton  Tib.  c.  14) ,  Antiuni  (Sueton  Calig'.  c.  57)  und  Tibur  (Stat. 
silv.  I,  3.).  Finnisch  sagt  man  h/ödd  (irjian  „Los  erraten"  wie  ahd.  Iiliozaii 
„wahrsagen,  zaubern"  zu  filior  „IjOs". 

■■')  Plin.  bist.  nat.  XXV,  105 :  es  ist  vom  Eisenkraut  {i-erhenmu)  die 
Rede:  utrafiiw  mrtinniar  (ialli  d  prurcinuiit  resjnmsd.  Auch  für  Perser. 
Skythen  und  Slaven  gibt  es  Belege  (vgl.  Schkftelowitz,  Altpers.  Rel.  u. 
d.  Judeut.,  192Ü,  91,  §84),  so  daß  diese  Art  des  Orakels  schon  den  Indo- 
germanen  bekannt  gewesen  sein  mag,  wie  denn  auch  viele  primitive  Völker 
das  Stäbclieiiwerten  und  Losschütteln  kennen,  vgl.  Tylok,  Primit.  Culture 
]',  1201'.     Weitere  spradiliche  Helege  bei  Verf..  Kalypso  24S,  Fußii.  2. 


48 

und  dann  „icli  lese"  lehrt,  wie  ebenso  —  unter  dem  Einfluß 
Yon  lat,  legere  —  unser  deutsches  lesen  eigentlich  „zusammen- 
lesen" (z.B.  Holz),  „sammeln"  beweist,  bedeutete  ?j)yoc  das  ,^Vort" 
im  Sinne  des  „gelesenen"  Orakels.  Man  vgl.  auch  nhd.  er- 
zäMen  oder  \dX.  sortilefiimu ,  sortärius.  hs^wz.  sor der.  So  zeigt 
die  ßedeutungsentwicklung  von  gr.  /o'/oc  l)esonders  schön  den 
Zusammenhang  von  Wort,  Zauber  und  Weissagung.  Ich  er- 
innere auch  an  ai.  m/mtra-  „Spruch,  Zauberspruch,  Lied", 
dem  im  Iranischen  aw.  mridra-  „heiliges  Wort",  pämird.  mutr 
„Zauberspruch",  aber  im  Griechischen  die  Sippe  von  ni'ivric, 
iiarTi iojHci ,  MavTc'}  'Name  einer  Seherin'  entspricht.  Lat. 
öräculum  gehört  natürlich  zu  ös  und  bedeutete  ursprünglich 
den  als  Prophezeiung  gedeuteten  AVortschwall  verzückter 
Seher  oder  Seherinnen,  i) 

Das  Ergebnis  der  Wort -Prophezeiungen,  sei  es  mittels 
Wortorakels,  sei  es  auf  Grund  des  in  Verzückung  stammelnden 
Propheten,  ergab  das  ,.Gesagte.  Gesprochene",  d.  h.  das  fätuni 
(zu  fäll,  gr.  (find)-  also  das  „Schicksal";  ähnlicher  Herkunft 
sind  lat.  fäs  und  nefäs,  ein  Ausdruck,  der  demnach  gleichfalls 
auf  die  Offenbarung  göttlicher  Rechts  Satzungen  geht.'-)  Im  Is- 
ländischen, besonders  der  Liederedda,  werden  die  (4ötter  oft 
genug  reijin  „die  Patmächte"  genannt;  aber  dieses  Wort  ist 
mit  tochar.  A  rakc,  B  rcke  „Wort"  und  abg.  reka  „spreche" 
engstens  verwandt:  serb.  rolro.  naroh.  „Schicksal"  bedeutet 
also  eigentlich  nur  der  „Ausspruch",  vgl.  russ.  itoKoüün  tcm. 
„Schicksalstag";  die  bulg.  Xarqniici  (eigentl.  „Besprecherinnen") 
„Schicksalsfrauen"  gehr)ren  ebenfalls  hierher.^')    It.  ditfa,  span. 

>)  Siehe  dazu  oben  S.  32  Fußu. 

-)  Der  Begriff  von  ai.  vrotä-.  aw.  urräta-  scheint  ebenfalls  in  .solchen 
Vorstellungen  seinen  Ausgangspunkt  zu  besitzen  („göttliche  Satzung'), 
weil  es  mit  la,t.  rcrbum,  uhd.  Wort  wurzelverwandt  sein  dürfte;  später 
entwickelt  sich  mehr  die  Gesaratbedeutung  „Gesetz,  Pflicht",  vgl.  lat. /'^Ts; 
s.  OLDBNBER(i,  Weltausch.  d.  Br.-T.  188;  Verf.,  Kalypso  257  ff.  und  248 ff., 
Avo  weitere  sprachliche  Belege.  Auch  an  die  römischen  Faiiiae  sei  er- 
innert; nacli  irriger  antiker  Etymologie  soll  sogar  Fumtiis  seinen  Namen 
von  seinen  Orakeln  haben;  Serv.  Aen.  VII,  47.  81:  F<mnic<  imo  xttc.  <pojvtjQ 
dictus,  quod  voce,  non  signis,  ostendit  futura,  s.  Otto,  RE'^  VI,  1909,  2058, 
Verf.,  Kalypso  256.    Man  ziehe  auch  gr.  'h'(j-<pcaiK,  l>io7itoiog  heran. 

")  Vgl.  Kkal;«!s  Skkc'a,  Glück  u.  Schicksal  i.  Volksglauben  d.  Südslavcn, 
1881),  127 f.,   SciiitAUKK,  IlbergsKeue.lnlnl).  22,  191!),  77,    Verf.,  Kalypso  249. 


49 

dicha  „Glück''  ist  die  Fortsetzung  eines  vulgärlat.  dirta  „das 
Gesagte"  im  Sinne  des  als  Schicksal  Geoffenbarteu.  Nähert 
sich  hier  das  ..Wort"'  schon  einer  gewaltigen  Schicksalsmacht, 
so  scheint  mau  geradezu  zu  einer  göttlichen  Verehrung  des 
Worts  gekommen  zu  sein ;  dabei  denke  ich  nicht  nur  an  den 
ja  konkret  gedachten  Loyos  der  griechischen,  speziell  helle- 
nistischen Philosophie,  sondern  auch  an  die  Väc  der  Inder, 
der  bereits  ein  eigener  Rigvedahymnus  (10, 125)  gewidmet  ist. 
Aus  den  Gewässern  ist  sie  entstanden  (v.  7)  als  erste  Ema- 
nation, ihr  Sohn  ist  Frajdpati.  So  wird  Väc  als  Göttin 
(dev'i)  verehrt,  ihr  häufigster  Beiname  ist  Sdrasvati  „die  Hin- 
gleitende" ')  Natürlich  hat  das  Opfer  auch  die  göttliche  Vac 
den  Menschen  geschenkt:  I»V  10.  71.  3:  „Mit  dem  Opfer 
gingen  sie  auf  der  Sprache  Spur.  Sie  fanden  sie  auf,  die  in 
die  Seher  eingegangen  war.  Sie  brachten  sie  her  und  ver- 
teilten sie  an  vielen  Orten.  Die  sieben  Sänger  jauchzten  ihr 
zusammen  zu."  2)  Nach  späterer  Spekulation  stammen  die 
Geschöpfe  aus  der  Ehe  zwischen  Frajdpati  und  der  Väc. 
Käth  XII,  5:  .,Frajdpat(  allein  war  dieses  Weltall;  er  hatte 
]'äc  zu  seiner  Genossin  und  vereinigte  sich  mit  ihr  ...  sie 
gebar  diese  Geschöpfe."  Ebenso  Sat.  Br.  VI,  1,2,7.=^)  Man 
darf  auch  an  den  awestischen  MaHra  Sp9nta,  den  vergöttlichten 
„heiligen  Spruch",  das  göttliche  Wort,  die  als  Gottheit  an- 
gesehene Offenbarung,  und  an  Akuna  Vairija-,  das  Hauptgebet 
der  Zarathustrier,  erinnern.  ^)  Ja,  in  einem  geAvissen  Sinne 
darf  man  bezweifeln,  ob  Platons  Lehre  von  den  „Ideen" 
möglich  geAvesen  wäre,  wenn  nicht  der  Wortsinn  dem  nur 
seine  Muttersprache  kennenden  Philosophen  eine  Vergött- 
lichung des  Wortbegri  iTs.  eine  Vergöttlichung  der  Worte,  nahe- 
gelegt hätte:  Platüns  „Ideen"  sind  im  Grunde,  wenn  man 
sie  einmal  von  diesem  einseitigen  Standpunkt  beurteilen  darf, 
nichts  als  vergöttlichte  Worte  und  M'ortbegriffe.  Darf  man 
es  der  bekannten  homerischen  Formel  von  den  Ixt-a  jirtQÖhvta 
entnehmen,   so   scheint   man   sich   in   altgriechischer  Zeit  die 

')  Siebe  dazu  A.Weber,  Ind.  Stutl.  9,  18(iö,  47oÜ". ;  Deussen,  Gescb. 
d.  Philosophie  1,1,  1894,  147 f.     Oldenbeuu,  Weltausch.  d.  Br.-T.  78ff. 
'^)  Hakuy,  Ved.-brahnian.  Periode,  189:5,  132. 
^)  Deussex  a.  a.  ü.  206,    1)jl(;ek,  Erlösung' d.  MeiiscliPii,  1902,  \:>\. 
M  Siehe  dazu  Dakmestetkk,  Essais  Oriciitaux   197. 

CiüiitiTt,    SihucIk'  dir  (löllcr  und  (icisU-f.  J. 


50 

Wörter  gelegentlich  als  geflügelte  Wortdämonen  vorgestellt  zu 
haben,  als  Boten  und  Mittler  zwischen  Göttern  und  Menschen, 
Je  konkrete!'  und  anschaulicher  man  sich  aber  einen  solchen 
Wortdänion  denkt,  um  so  begreiflicher  wird  seine  Anrufung 
im  Zauber:  wenn  bei  einem  bestimmten  Zauberwort  sich  etwa 
eine  Felsenpforte  öffnet, ')  so  wird  gleichsam  ein  Geist,  dessen 
Namen  man  kennt  und  der  deshalb  gehorchen  muß,  zitiert, 
um  diese  Handlung  auszuführen.  2)  Somit  kommen  wir  eben 
wieder  zum  Grundgedanken  von  einer  zaubermächtigen  Geister- 
sprache, von  magischen  Geheimnamen,  welche  dem,  der  sie 
versteht,  entweder  die  Geheimnisse  der  Zukunft  enthüllen, 
oder  ihm,  wenn  er  sie  selbst  spricht,  Gewalt  über  die  Geister- 
welt verleiht,  weil  er  in  der  Geistersprache  selbst  seine  Be- 
fehle erteilen  kann:  wer  die  Geister-  und  Dämonensprache 
versteht,  ist  also  ein  Prophet  und  Zauberer  zugleich,  je  nach- 
dem er  Geheimnisse  belausclit  oder  die  Worte  selbst  spricht. 

Anderer  Herkunft  scliließlich  sind  die  mystischen  Berichte 
über  Geistersprachen,  die  aus  moderneren  oder  mittelalter- 
lichen Quellen  geschöpft  sind.  Schon  Jacob  Böhmj-:  soll  in 
Worten  einer  höheren  Sprache,  der  ,,Natur.sprache",  geredet 
haben.  So  sagt  er  an  einer  Stelle-'):  „Welcher  Mensch  nun 
den  Verstand  hat  der  Sensuum,  als  der  Geister  der  Buch- 
staben, daß  er  verstehet,  wie  sich  die  Sensus  in  der  Lust 
haben  komponieret,  der  verstehet's  in  der  Fassung  des  Wortes, 
wenn  sich  das  zur  Substanz  fasset,  der  kann  die  sensualische 
Sprache  der  ganzen  Kreation  und  verstellet,  woraus  Adam 
hat  allen  Dingen  Namen  gegeben  ...  Da  alle  Völker  haben 
in  einer  Sprache  geredet,  da  haben  sie  einander  verstanden; 
als  sie  sich  aber  der  sensualischen  Sprache  nicht  wollten  ge- 
brauchen, so  ist  ihnen  der  rechte  Verstand  erloschen;  denn 
sie  fülireten  die  Geister  der  sensualischen  Sprachen  in  eine 
äußerliche   grobe  Form   und   fasseten   den   subtilen  Geist  des 

')  „Sesam,  öffiie  dich!"  im  Märchen  von  Ali  Baba  und  den  40  Räubern; 
„Berg  Semsi,  tu  dicli  auf!"  im  Märchen  vom  Simeliberg  (bei  Grimm  Nr.  142). 

'^)  Man  vgl.  dazu  Polivka,  Anm.  zu  Grimms  Märchen  111,  138  fl'. 

■")  Öeraphiu.  Blumen-Gärtlein  1700,  c.  35,  57  ff.  (Neudruck  von  A.  v.  d. 
Linden,  1918,  S.  221).  Man  vgl.  auch  das  Kapitel  „Von  der  Kraft  der 
Eigenuaiiii'!,'-  in  Acjkum'As  v.  NkitKshkim  „(lelieinior  Philosoiiliif^",  1,70. 


51 

Verstandes  in  eine  grobe  Form  .  .  .  kein  Volle  verstehet  mehr 
die  sensualisclie  Sprache,  nnd  die  Vögel  in  Lüften  upd  die 
'l'iere  im  Walde  verstehen  sie  nach  ihrer  Eigenschaft."  .Vlanch 
arme  Hexe  des  Mittelalters  mnrmelte  in  nnbekannten  S^)rachen 
und  mußte  dies  sich  als  schweres  Verbrechen  anrechnen  lassen : 
denn  dies  war  natürlich  nach  dem  sachkundigen  Urteil  dei- 
Inquisitoren  und  der  Henker  nicht  die  Engels-,  sondern  die 
Teufelssprache  der  Hölle!  So  wird  in  den  Akten  als  Probe 
/>.  B.  folgende  Aufzählung  in.vstischer  Namen  als  Beleg  an- 
geführt : 

Anrin.  Lalle,  Sabalos,  Aado,  Pater,  Aziel, 
Adonai.  Sado.  Vggoth,  Agra,  Jad,  Baphra'A) 

In  Königsberg  wurde  ein  Schwärmer  nacli  gräßlichen 
Martern  verbrannt,  der  sich  als  Vertreter  Gottes  auf  Erden 
ausgab  und  ein  Rundschreiben  mit  folgendem  Anfang  ver- 
breitet hatte'-):  AVlr  Johann,  Albreoht,  Adelgreif,  Sgrdos, 
Awafa.  Kauemata,  Killns,  Mataldis.  Schmalhilhnnndit ,  Sa- 
hr(i))dis.  Elioris!,  Hiipererzhoheirriesfer  nnd  luiiser,  Friedens- 
färst  der  gfoi.ten  Welt.  OherergTiönig  des  heiligen  Himmelreichs'' 
usw.  Vor  allem  aber  sind  es  geeignete  Medien,  die  in  ihrem 
abnormen  Zustand  Worte  aus  „übernatürlichen"  oder  ihnen 
sonst  völlig  fremden  Menschensprachen  gesprochen  haben 
sollen.  Auch  dui'ch  Tischklopfen  und  durch  die  Planchette. 
sowie  Mitteilungen  in  „Geisterschriften"  glauben  Spiritisten 
Offenbarungen  aus  dem  Geisterreich,  Geistermitteilungen  er- 
halten zu  haben.  ^)  Diese  Dinge  interessieren  uns  weniger 
als  die  sehr  genauen  Angaben  Swedenborgs  über  die  Sprache 
der  Engel,  wie  er  sie  am  klarsten  in  seiner  bekannten  Schrift 
De  coelo  et  eins  mii-abiiibus,  Londini  MD('OLVIII  ausführlicli 
beschreibt.'')  Es  wird  zunächst  betont,  daß  die  Engel  mit 
denselben  Organen  und  in  ähnlicher  Weise  wie  die  Menschen, 

')  B.  SiDi.s,  The  Psychologie  of  Suggestion,  1899,  341  ff.,  Mosiman, 
a.a.O.  60,    Horst,  Zauberbibliothek  4,  33;if. 

-1  Arnold,  Gesch.  d.  Kirclie  u.  d.  Ketzeitums  hei  ^Iayo- Hartmann, 
Wahrheiten  im  Volksaberghiiihen,  Leipzig  1854,  S.  GO. 

•'')  Wer  Belege  wünscht,  sehe  etwa  bei  Lku.mann,  Alierglanbe  und 
Zauljerei,  1898,  S.  254  ff.  nach,  wo  weitere  LiteratiU'. 

*)  Wir  zitieren  nnrli  Tatki.s  ('berselziing,   ISOil,  S.  182  fl'..  ^'SM. 


52 

wenn  auch  einsichtsvoller,  redeten,  und  daß  die  hörbaren  Sätze 
ebenfalls  in  Wörter  zerfallen.  Alle  Himmelsbewohner  sprechen 
nur  eine  Sprache  und  verstehen  sich  demnach  sämtlich  unter- 
einander, freilich  gibt  es  doch  eine  Art  Dialektverschieden- 
heit oder  Ausdrucksverschiedenheit  zwischen  den  Engeln  des 
himmlischen  Reiches  und  des  geistigen  Reiches  des  Herrn 
(§241):  die  himmlischen  Engel  reden  in  Wörtern,  in  welchen 
die  Vokale  a,  u  und  o  vorherrschen,  für  die  geistigen  Engels- 
worte sind  dagegen  e  und  i  bezeichnend.  Vor  allem  wird 
dann  von  dem  schwedischen  Geisterselier  behauptet,  die  Engels- 
sprache sei  ganz  Gefühl,  unmittelbarer  Gefühlsausdruck :  „Die 
Sprache  wird  hier  nicht  erlernt,  sondern  ist  jedem  eingepflanzt ; 
sie  entfließt  unmittelbar  ihrem  Gefühl  und  Denken;  die  Be- 
tonung der  Rede  entspricht  ihrem  Gefühl  und  die  Gliederungen 
des  Tones,  welche  die  Wörter  sind,  entsprechen  den  Denk- 
bildern, die  aus  dem  Gefühl  hervorgehen,  und  weil  die  Sprache 
ihnen  entspricht,  so  ist  auch  sie  geistig,  denn  sie  ist  das 
tönende  Gefühl  und  das  redende  Denken."  ')  •  •  •  »I^i^-  Engels- 
sprache hat  nichts  gemein  mit  den  menschlichen  Sprachen 
mit  Ausnahme  einiger  Wörter,  welche  aus  einem  bestimmten 
Gefühl  heraustöneu,2)  jedoch  nicht  mit  den  Wörtern  selbst, 
sondern  mit  ihrer  Bedeutung."  Den  Engeln  ist  es  unmöglich, 
so  versichert  Swedenboik^,  auch  nur  ein  ^^'ort  einer  mensch- 
lichen Sprache  auszusprechen,  und  es  ist  interessant,  wenn  er 
fortfährt:  „Es  wurde  mir  gesagt,  die  erste  Sprache  des  Men- 
schen auf  unserer  Erde  sei  damit  zusammengetroffen,  weil  sie 
dieselbe  aus  dem  Himmel  hatten,  auch  treffe  die  hebräische 
Sprache  in  einigem  damit  zusammen." ')  Von  den  weiteren  Aus- 
führungen sei  noch  erwähnt,  daß  die  Konsonanten  vor  allem 
Denkbilder,  die  Vokale  die  Gefühle  ausdrücken  (§  261,  S.  205), 
daß  es  auch  eine  Schrift  der  Engel  gibt,  der  Swedenborg 
ein  ganzes  Kapitel  weiht,  und  daß  Geister,  wenn  sie  aus  ihren 
himmlischen  Sphären  sich  zur  Erde  begeben  und  mit  Men- 
schen reden,  in  der  betreffenden  Menschensprache  sprechen 
können,   weil  sie  dann  in  des  Menschen  „ganzes  Gedächtnis" 

■)  §236,  S.  183f. 

■'')  Damit  meint  er  sicher  lautmalende  Wörter  mit  starkem  üefühls- 
exponenten.    8.  dazu  unten  unsere  Anffassuno'  von  Swrdknborgs  Lehren. 

■')  §  2:;7,  s.  185. 


53 

eintreleii;  über  den  vermciiil liehen  Widerspiucli  mit  der  obigen 
Behauptung',  kein  Engel  könne  Mensclienwoite  aussprechen, 
hilft  sich  SwEDENBOKCi  mit  dieser  Erklärung  hinweg,  daß  das 
Fühlen  und  Denken  des  Menschen  den  Engeln  als  ihr  eignes  . 
erscheine  und  sie  daher  auch  in  ihrer  gefühlsmäßigen  Sprech- 
art mit  einem  Menschen  reden  könnten  (S.  192,  §246);  ähn- 
lich habe  Gott  durch  Geister,  die  er  sandte,  auch  mit  den 
Propheten  gcs})rochen.  Die  Sprache  der  höllischen  Geister 
ciidlich  beruht  nach  Swedenborg  auf  demselben  Prinzip  des 
unmittelbarsten  Gefühlsausdrucks:  da  aber  diese  Gefühle  und 
Vorstellungen  hier  natürlich  unrein  und  böse  sind,  so  ist  den 
Engeln  die  höllische  Hede  „wie  ein  übler  Geruch,  der  die 
Nase  beleidigt''  (§  245,  S.  191). 

Diese  Mitteilungen  aus  den  Offenbarungen  des  berühmten 
(-Jeistersehers  müssen  uns  hier  genügen,  und  bei  aller  Phan- 
tasie heben  sie  sich  sehr  angenehm  von  vielen  anderen  Ent- 
hüllungen geringerer  Medien  ab.  die  liier  nicht  weiter  be- 
handelt zu  werden  brauchen.  Ein  einziges  in  der  deutschen 
Literatur  berühmtes  Beispiel  muß  uns  alle  die  anderen  er- 
setzen: ich  meine  die  Seherin  von  Prevorst,  deren  Biographie 
wir  JusTiNus  Kekner  verdanken.  Zweimal  wird  hier  auch 
von  der  „inneren"  Sprache  gehandelt  i):  ,.In  ihrem  halbwachen 
Zustand  sprach  Frau  H..  wie  schon  erwähnt,  öfter  eine  Sprache, 
die  einer  orientalischen  Sprache  ähnlich  zu  sein  schien.  Sie 
sagte  im  Halbschlaf -wachen  Zustand,  diese  Sprache  liege  von 
Natur  in  ihr,  und  es  sei  eine  Sprache  ähnlich  der,  die  zur 
Zeit  Jakobs  gesprochen  worden  sei;  in  jedem  Menschen  liege 
eine  ähnliche  Sprache  ...  Sie  konnte  sie  nur  im  halbwachen 
Zustand  sprechen  und  schreiben,  im  wachen  wußte  sie  von 
dieser  Sprache  durchaus  nichts.  Auch  nur  während  sie  schrieb, 
wußte  sie  die  Bedeutung  der  Worte,  blieb  sich  aber  in  der 
Schreibung  immer  völlig  konsequent."  Als  Beispiel  wird  an- 
geführt: Emelachan  „Dein  Geist  ist  ruhig  und  stille,  deine 
Seele  ist  zart,  dein  Fleisch  und  Blut  ist  stark,  leicht  brausen 
die  beiden,  wie  die  Wellen  im  Meer,  dann  spricht  das  Zarte 
in  dir:  komm  und  beruhige  dich!" 

')  Bd.   II,  208   und  229  von  Keüneks  sämtlichen  Werken,   Ausgabe 


54 

„Spraclikeiiner  fanden  in  dieser  Sprache  auch  wirklich  hier 
und  da  den  koptischen,  arabisclien  und  hebräischen  ähnliche 
Worte.  Das  Wort  Ehchaddai.  das  sie  öfter  für  Gott  ge- 
brauchte, heißt  im  Hebräischen  „der  Selbstgenügsame"  oder 
„Allmächtige".  Das  Wort  dalmachan  scheint  arabisch  zu  sein. 
Die  Redensart  bianacliU,  die  sie  allein  für  ihren  Lebensring 
noch  auszusprechen  wußte,  und  auf  dem  Sohnesring  mit 
widrigem  Gefühl  übersetzte,  heißt  nach  dem  Hebräischen: 
„ich  bin  im  seufzen"." 

In  modern  theosophischen  Kreisen  spielt  die  Sprache  der 
Marsbewohner  eine  große  Rolle,  von  der  verschiedene  Medien 
näheres  berichtet  haben.  *)  Auch  Maeterlinck  hat  in  seinem 
geistvollen  Buche  „Vom  Tode"  manches  Hierhergehörige  ge- 
streift 2):  wir  haben  für  unser  Problem  keine  Veranlassung, 
mit  diesen  theosophischen  Geheimnissen  uns  hier  weiter  zu 
beschäftigen,  die  uns  nur  um  der  Frage  selbst  wollen  von 
Interesse  sind.  Dagegen  kann  ich  mir  nicht  versagen,  unsere 
Übersicht  über  die  Ansichten  und  Lehren  von  übernatürlichen 
Sprachen  mit  den  Worten  abzuschließen,  mit  denen  Immek- 
MANN  in  seinem  „Münchhausen"  die  innere  Sprache  der  Seherin 
von  Prevorst  verspottet  hat;  denn  dieses  „Sanskrit  von  Pre- 
vorst,  die  Ursprache  der  Menschheit,  die  sie  in  ihrer  Ver- 
zückung gefunden",  gehört  doch  nun  einmal  unserer  deutschen 
Literatur  an  3):  „Als  war  in  den  Hof  kamen,  hörten  wir  den 
Knecht  zur  Magd  sagen:  .Schnuckli  huc/cli  ko remis i  qaitsch, 
dendrosto  gerialta  bnuy,  firdeisimi  mimfeistraijon  haiih  lauk 
schnapropäy (^ '  Die  Magd  versetzte:  ,Fressaun  dum  sclüiwj- 
laufsheest,  pimple,  timple,  simple,  feriauke,  meriankemau.' " 

1)  Vgl.  FbouKNOY,  Des  Indes  ä  la  plaiiete  Mars,  Gleiif  11»Ü0,  und  iui 
Arch.  de  psychol.  I,  Genf  1902. 

■^)  8.  133,  Fußn.  8;  auch  8.4-4  v' Automat.  Sprache"  in  den  Sitzungen 
mit  Mrs.  Wribut). 

")  II.  Teil,  4.  Buch:    l.>ic  Poltergeister  von  Weinsberg. 


oa 


4. 


% 


laben  wir  im  Vürausgehendeii  uns  im  allgemeinen  über 
das  Wesen  der  Götter-  und  Geistersprache  und  über  die 
Gründe  zu  dieser  weitverbreiteten  Vorstellung  klarzuwerden 
versucht,  so  ergibt  sich  nun  für  uns  die  besondere  Aufgabe, 
die  Worte  der  Götter-  und  Geistersprache  einmal  vom  Stand- 
punkt der  Sprachwissenschaft  aus  zu  betrachten.  Wie 
entstehen  —  so  lautet  unsere  neugierige  Frage  — ,  wie  ent- 
stehen solche  Worte,  solche  Sprachen,  die  nach  so  be- 
stimmten Angaben  nicht  von  dieser  Welt  sein  sollen?  Nach 
welchen  Gesichtspunkten  lassen  sie  sich  beurteilen  und  ein- 
teilen y 

Zunächst  haben  wir  da  natürlich  bloße  Geräusche  und 
unartikulierte  Töne  sowie  die  mächtigen  Stimmen  der  Natur 
selbst  auszuschalten,  obwohl  man  auch  in  ihnen  die  Sprache 
der  Götter  nach  unserer  obigen  Einführung  gesehen  hat. ') 
Namentlich  das  Grollen  des  Donners  hat  man  als  Geister- 
sprache aufgefaßt,  bzw.  umgekehrt  wird  berichtet,  daß  Gott 
odei'  ein  Geist  im  Donner  oder  mit  „Donnerstimme"  spricht. 
Schon  Klopstock  singt  in  der  „Frühlingsfeier" : 

Höret  ihr  koch  in  der  Wolke  den  Bonner  des  Herrn? 
Er  ruft:    Jehovu!   Jehova! 

Ähnlich  gebraucht  derselbe  Dichter  an  einer  anderen 
Stelle  dies  Bild  2): 

War  sie,  die  Donnerstimme,  nicht  eisern,  mit  der  er  uns 

äurief? 

Im  „Messias"  ist  oft  von  dem  Donner  als  der  zürnenden 
Stimme  Jehovas  die  Rede,  oder  er  kündet  doch  Gottes  Reden 
an,  z.  B.  I,  364 : 

1)  Siebe  Schwartz,  Die  poet.  Natuiaiischauungeu  d.  Griechen,  Römer 
11.  Deutschen,  Berlin  1879,  II,  137  und  unten  den  .Schlußabschnitt. 

'^)  Nur  im  Totenreich  ist  alles  still  und  schweigend,  die  Toten  können 
nicht  sprechen,  wenigstens  so  lange  sie  in  ihrem  besonderen  Reich,  dem 
„Haus  des  Schweigens*'  weilen,  s.  Hertz,  Spielmannsbuch  '666.  Vgl.  dazu 
.Jes.  38, 18.  Auch  die  Salamander  und  „Feuerleut"  haben  keine  Sprache. 
S(.'HiNi>i.BU,  .\bergiaube  d.  Mittelalters  15, 


Donnerwetter 

Stiegen  siim  wartenden  langsam  das  AUerheiUgste  nieder. 
Aber  noch  redete  Gott  nicht.    Die  heiligen  Donnerwetter 
Waren  Vcrhiindiger  nur  der  nahenden  göttlichen  Antwort. 

Vgl.  XIII,  999f.:  Der  Donnerton,  mit  dem  er  ruft,  IX,  71^2: 
so  sprechen  Donner  und  so  noch  oft. 

In  Bürgers  „Wildem  Jäger"  heißt  es: 

Hoch  über  seinem  Hawpt  herab 
Rief  furchtbar  mit  Gewittergrimme 
Dies  Urteil  eine  Donnerstimme. 

Nach  nordischer  Mythologie  ist  im  Donnergrollen  das  Rufen 
Thors  zu  sehen;')  in  Volkssagen  deutet  man  den  Donner  als 
Waidmannsruf  des  wilden  Jägers,  in  christlichen  Sagen,  z.  B. 
solchen  aus  Schwaben,  gilt  er  als  Schelten  Gottes:  Der  Himmels- 
ratterle balgt,  der  Himmeldattel  greint,  sagt  man  wohl.  -)  Daß 
ein  Gott  oder  Geist  mit  Donnerstimme  einen  Sterblichen  an- 
poltert, ließe  sich  leicht  aus  verschiedensten  Literaturen  belegen. 
Wir  begnügen  uns  hier  mit  einer  bezeichnenden  Stelle  aus 
der  Apokalypse"):  „Und  hörete  eine  Stimme  vom  Himmel, 
als  eines  großen  AVassers  und  wie  eine  Stimme  eines  großen 
Donners  {ffovtjr  ly.  xov  ovQicror  . . .  (öc  (foDjV  i^QovTf/i;  laytVj/c). 
Daß  Geisterstimmen  im  Sausen  des  Sturm.es,  im  Rauschen  der 
Zweige  usw.  gehört  werden,  bedarf  keiner  weiteren  Belege. 

Nur  gestreift  kann  hier  die  Vögelsprache  werden,  die 
aber  in  geAvissem  Sinne  gleichfalls  als  eine  Geisterrede  an- 
geschaut worden  ist.  Man  denke  nur  an  den  nordischen 
Sigurd,  der  nach  dem  Genuß  des  dampfenden  Drachenbluts 
gleichsam  selbst  Tier  geworden  ist  und  nun  die  Stimmen  der 
Meisen  versteht,  die  gleich  dem  Schicksal  selbst  sein  Tun 
und  Handeln  beeinflussen,  *)  man  denke  an  den  weitverbreiteten 
Märchentypus  vom  Mann,  der  die  Tiersprache  kennt,  worüber 
schon  Benfey  gehandelt  hat.'')  Man  mag  Stellen  wie  Aristoph. 
ran.  93  heranziehen : 

')  Mannharjj'I',  Gierm.  Myth.  W),  Pott,  Zt.  f.  Volkerps.  3,  1865,  344. 
■^)  Mbibr,  Sagen  aus  Schwabeii,  1852,  I  '251»  nach  Schwartz  a.  a.  0. 
»)  14,  2.  *)  Fafn.  81  ff. 

^)  Kl.  Schrift.  III,  23;  vgl.  weiter  Aarne,  Der  tierspracbk.  üMaini,  1!»14, 
Ztschr.  f.  Volksk.,  1914,  23,330  und    Läufer,  Keleti  SzQmle,  1901,  II,  45  ff. 


57 

L-^iffv).'Mih^  T((vt'  Iot'}  xa)  OTvjffx'/ffara, 
'/f XiiSovotr  i/oröfia,   )j'tihjT<d   Ti'yrtjC. 

Die  Seherin  Kassaudia  wird  in  Aischylos'  Agameiiin.  1145 
eine  Nachtigall  genannt,  der  Chor  vergleicht  nämlich  das  ihm 
nnverständliche  ekstatische  Reden  der  Prüi»lietin  mit  einer 
wohlklingenden  Vogelstimme : 

oUl  tu;  ^(n{)('(  .  .  . 
"Itvv  "Irrr  ötÜ'ovo'  d{{(f li^^ahl  -/Ar/jtic 

Vom  „Schwalbenzwitschern"  der  Seherinnen  ist  oft  bei  Lyko- 
PHRON  die  Kede,  z.  B.  Alexandra  v,  5  ff. : 

.  .  .  or  yä{t  i'jOvyoc  x «)(>// 
tXrOi:  XVf/OfJföv,  ojc  ji(>ii\  alöXov  uröiif. ' 
ilXX'  (lojrfToi'  ytciOa  .vaif/dyFj  ßof/v, 
<S((ffrtiff(cyroi'  fpotiiaZiv  Ix  Xaiifrör  ojxa, 
JE(fiyyoc  y.tXau'FjC  y/'/QW  txf(fifoi\ni)'t/. 

In  V.  Hoi-ziNGERS  Übersetzung: 

„.  .  .  Denn  nicht  Avie  sonst,  entrang 
in  Ruhe  sich  der  Spruch  der  Maid  Orakelmund; 
ein  ungeheuerlich  Gemisch  verworr'nen  Schalls 
entsandte  sie  der  Kehle  lorbeerduft'gem  Spalt 
und  .sprach  prophetisch  mit  dem  Ton  der  grausen  Sphinx." 

Ähnlich  heißt  es  am  Ende  von  Kassandras  Prophetie  v.  1461): 

orr  xay.ot  dt  Tic  .  .  . 
TijV  (foti-löXtjjTToi'  idv'cijii  ytXiööric 

„im  Unglück  wird  mancher  die  zukunt'tskundige  Schwalbe 
ehren.".  Aischylos  gebraucht  yiXidoriCur  im  Sinn  von  ßciQ- 
ßaQiCtir.^)  Die  Vogelsprache  wird  auch  bei  Vergil,  Aen. 
111,361  genannt,  wo  der  vates  so  angerufen  wird 2): 

•)  Fragin.  450 N,  s.  v.  Holzingkk  mx  v.  1460,  S.  38().  Vgl.  dazu 
HerODüT  11,57:  Tif/.itcrftc  (k-  fxoi  i^oxiovoi  xk>i'&>/itci  nfjoc  .Uoöwvukor 
hKi  tovdt  «i  yvt'dlxic,  <^iOT(  ßä(}ß(X(joi  i'/oc.v,  bAoxtov  f>;'  0(f  i  ofioUoc  OQVim 
*p{^^yykoD-ui. 

*)  Siehe  dazu  E.  Ffkikkk,  .Studien  zum  antiken  8tenis'laul)oii,  lülC. 
(=  iioix.s  Stüicljeia  II),   67. 


58 

Troiugena,  interpres  dlvom,  qui  numlna  Phoebi, 

qui  tripodas,  Clurü  laurus,  qui  sidera  sentis 

et  volucrum  lirujuas  et  praepetis  omina  pinnae. 

Ähnlich  X,  177 : 

.  .  .  caeli  etil  sidera  parent 
et  linyime  üolucnim  .  .  . 

Auch  an  die  Worte  des  Vog'elchors  bei  Aristophanes,  av.  716 
darf  man  erinnern: 

lO(nr  d' viüv  'Am^ojv,   JiM/oi,  Aojdf/r/j,  (poißoc.  [ijfolh'iv. 

FjrdüsT  redet  gelegentlich  davon,  daß  die  Nachtigall  ini 
Rosengarten  Pahlav'i,  d.  h.  älteres  Persisch  spreche ') : 

Steh'  auf  am  Morien,  Mick'  auf  und  dicht', 
Hör',  wie  die  Naclitigall  altpersisch  spricJitl 

Diese  Stelle  hat  offenbar  Platen  nachgeahmt,  wenn  er  in 
seiner  24.  Gasele  singt  ''■) : 

Die  Nachtigall,  die  Parsi  singet,  geirannst  du  lieh, 
Sie  singt  ja  mit  verwandter  Kehle  dem  Vaterland. 

Nach  dem  Bundeh.  19,  1(5  sprechen  die  seligen  Bewohner  von 
Yinias  Paradies  (var)  die  Sprache  der  Vögel,  weil  der  Vogel 
Karsiptar  dorthin  Zarathustras  Lehre  gebracht  hatte. 

Daß  man  auch  die  eherne  Zunge  der  Glocken  als  Geister- 
oder Engels  spräche  deutet,  mag  hier  gleichfalls  erwähnt  sein;  3) 
die  Totenglocke  ist  dabei  besonders  wichtig. 

Wenn  nun  aber  Götter  oder  Geister  in  menschlicher 
Sprache  reden,  wie  sie  tun  müssen,  wenn  sie  einem  gewöhn- 
lichen Sterblichen  etwas  verkünden  wollen,  scheint  man  ihnen 
doch  gelegentlich  eine  besondere  Aussprache  zugeschrieben 
zu  haben.    Wenigstens  erkennt  Aeneas  seine  göttliche  Mutter. 

')  V.  Hammer,  Die  scLüneu  Redekünste  Persieus,   1H18,  25. 

'^)  Gesammelte  Werke  bei  Cotta  II,  13. 

'*)  über  Glockensprache  vgi.  Ztscbr.  f.  Vulkskunde,  1!)05,  lä,  Ö-42,,  wo 
weitere  Literatur.  Das  Klingen  einer .  Glocke  .•spielte  bei  Muhammeds 
Visionen  eine  wesentliche  Eolle.  s.  Nöldbke.  Gesch.  d.  Korans,  1860,  J61'. 
—  Über  Sprache  der  Schiffe,  aisl.  skipainäl,  vgl.  Liebrkcht,  Zur  Volks- 
kunde, 187'J,  3651'.,  Lehmann -FiLHES,  Island.  Volkss.,  N.F.,  J891,  45. 
^lan  denke  nur  an  die  .sprechende  J/v/o. 


59 

obwohl  diese  in  der  Gestalt  eiuer  einfachen  .Tägerin  sich  ihm 
zeigt,  an  der  göttlichen  Stimme ') : 

0  —  quam  te  niemoreni,  rirf/o'^  numque  huad  tibi  roltus 
mortalis,  nee  rox  hominem  sonat;  o  dea  certe  .  .  . 

Offenbar  kann  es  sich  nur  um  den  süßen  Wohllaut  der  Stimme 
und  Aussprache  handeln,  wie  etwa  die  Musen  auch  ,. lilien- 
stimmig"-) genannt  werden.  Sprachlich  gehört  vielleicht  hierhei-, 
daß  o//r/>/y,  das  mit  unserem  singen,  got.  siggican  usw.  etymo- 
logisch nahe  verwandt  ist.  bei  Homer  nur  von  göttlichen 
Offenbarungen  gebraucht  wird:  daher  wird  Zti-g  jrarnifqido^ 
(-)  250  genannt.  Man  mag  sich  allerdings  bei  diesen  Worten 
auch  an  das  singende  Gemurmel  von  Zaubersprüchen  erinnern, 
für  das  wir  bereits  oben  S.  38  sprachliche  Belege  gegeben 
haben. 

Dem  Märchen  nach  zu  schließen,  gleicht  die  Stimme  der 
Zwerge  dem  Piepsen  von  Mäusen,  die  Stimme  der  Riesen  aber 
ist  ein  furchtbares  Gebrüll.^) 

Was  die  Sätze  der  Geistersprache  betrifft,  so  möge  eine 
höchst  seltsame  Erscheinung  genannt  sein,  die  uns  in  islän- 
dischen Sagen  zunächst  entgegentritt:  das  letzte  Wort  eines 
jeden  Satzes  wird  wiederholt.  Eine  Dienstmagd  hatte  ein 
Kind  ausgesetzt,  dessen  Seele  nun  umging:  ein  sog.  iHburpr. 
Als  die  Magd  einst  zu  einem  Essen  eingeladen  war,  klagt  sie 
beim  Melken  im  Stall  den  anderen  Frauen,  sie  habe  kein 
richtiges  Kleid  für  diese  Festlichkeit  anzuziehen.  „Da  ertönt 
von  der  A\^and  her  eine  Stimme  und  ruft: 

möpir  min  i  kct,  kvl, 
hüiddd  eklä  pci,  Jjvl ; 
eg  skal  IJa  Jjer  duluna  mina  iip  dansa  i, 

')  I,  328.  Damit  vgl.  man,  wie  in  Klopstocks  Me^ssias  Selima  Gott 
Vater  zuerst  aubetend  anredet,  V,  110  ff. : 

0  Du,  den  ich  er  blicke,  mit  icelchettt  Namen,  u  Krster, 
Ach,  mit  tvelchem  wimligeu  Nauien,  mit  ivekher  Entzückutuj, 
Neun'  ich  Dich,  dru  mein  Auge  nun  ach  zum  emteninal  anschaut? 
Gott!  Jehovu!  lUchler  der  Welt!  mein  Schöpfer!  mein  Vater! 
Oder  hörnt  Du  Dich  Heber  den  UnauHsprechUchen  nennen? 

')  Hesiod,  Theog.  41 :   onl  /.ttftluiooa. 

■'■}  V.  Negkt.rin,  (-fennan.  Mytliol.',  1906,  22  f. 


60 

„meine  Mutter  im  Scliafpferche,  Scliafpferche,  fürchte  du  nicht 
darum,  darum;  ich  will  dir  mein  Laken  leihen,  um  darin  zu 
tanzen".  In  einer  isländischen  Fassung  der  Leonorensage 
wird  von  einem  Burschen  erzählt,  der  am  Christabend,  wie 
verabredet,  seine  Liebste  Namens  (Tul^riin  abholen  wollte,  um 
den  Gottesdienst  zu  besuchen.  Als  er  über  einen  angeschwol- 
lenen Bach  setzen  wollte,  scheute  das  Pferd  vor  den  Eis- 
schollen, sinkt  in  den  Pluten  unter,  und  der  Reiter  wird  von 
scharfen  Eisschollen,  die  ihm  «ine  klaffende  Wunde  am  Hinter- 
kopfe beibringen,  getötet.  Lange  hatte  das  Mädchen  ver- 
gebens auf  ihn  gewartet.  Endlich  spät  in  der  Nacht  kommt 
der  Reiter,  hebt  sie  schweigend  hinter  sich  aufs  Pfeid  und 
reitet  nach  der  Kirche  zu.  Unterwegs  schaut  er  sich  um  und 
spricht : 

Mdninn  Upr, 

daupinn  ri])r: 

ser  ]nl  ekki  hvHan  blett  i  hnakka 
minum'^    Garnn,  Ganln! 

„Der  Mond  gleitet,  der  Tod  reitet,  siehst  du  nicht  den  weißen 
Flecken  an  meinem  Nacken?  Garun,  Garun!"'  Dem  Mädchen 
graut  es,  aber  sie  reiten  fort,  bis  sie  vor  einem  offenen  Grab 
am  Friedliof  bei  der  Kirche  halt  machen.  Da  si»richt  der 
Tote : 

hiddii  herna,  Ganln,  Gardn, 

mepan  eg  fli/t  hami  Faxa,  Faxa, 

(lustr  yfir  (jarpa,  garjm. 

„  Warte  du  liier,  Garun.  Garun.  bis  ich  den  Faxi,  Faxi ')  ost- 
wärts bringe  über  den  Zaun.  Zaun."  Da  das  Grab  am  Ein- 
gang des  Friedhofs  lag.  wo  im  Norden  häufig  die  Glocken 
hängen,  gelang  es  dem  entsetzten  Mädchen  noch  nach  dem 
Glockenseil  zu  greifen,  ehe  es  zusammenstürzte:  vor  dem 
Klang  der  geweihten  Glocke  flüchtete  das  Gespenst,  und  das 
Mädchen  war  gerettet.'-)  Besonders  interessant  ist  hier  auch 
die  Verdrehung  des  Namens  Gujnnn  zu  Gardn,  weil  ein  Ge- 


')  Der  Name  des  Pl'erds  („der  Mähiiige"  . 

')  Die  beiden  .Sagen  nach   Konrad  Maiirkk,   Island.  Volkssagen  d. 
Gegenwart,  18H0,  S.  59  n.  7:5 1. 


61 

spenst  (isl.  draugr)  den  Namen  (röttes  niclit  ansspreclien  kann 
(aisl.  Gu]>  =  „Gott").  1) 

Wie  soll  man  sich  diese  seltsame  Tatsache  eikläien? 
^\'em\  ich  eine  Vermutung  äußern  darf,  so  glaube  ich  auf  die 
gerade  im  Norden  verbreitete  Ansicht  hinweisen  zu  sollen, 
daß  das  p]cho  als  Sprache  der  Zwerge  gilt;  in  der  Henau}»« 
saga  ok  Bosa  c.  12  (FAS  III.  222)  und  in  färöischen  Liedern 
ist  dies  bezeugt,  und  heute  heißt  das  Echo  im  Isländischen 
(Irerymdl  „Zwergsprache".  Hierher  gehört  wohl  auch  slov. 
ntali/i,  maJic,  das  nicht  nur  „Kobold,  Teufel",  sondern  auch 
„Echo"  bedeutet:  dieses  wird  also  als  Dämonensprache  auf- 
gefaßt.'-) Das  Wiederklingen  der  Rede  im  P^cho  kann  sich 
die  Yolksphantasie  nur  so  erklären,  daß  ein  Geist  die  Antwoi't 
gibt,  wie  etwa  in  G.  Hauptmanns  ,. Versunkener  Glocke"  der 
Waldschratt  die  Leute  irreführt.  3)  Man  denke  nur  an  den 
römischen  Faimuft,  Picus  oder  Süranus.  deren  Stimme  man 
im  Walde  aus  dem  Dickicht  zu  vernehmen  wähnte;^)  nach 
LucREz  (IV.  579 ff.)  war  es  das  Echo,  das  Anlaß  zu  diesem 
Volksglauben  gab: 

Sechsmal,  siebenmal  auch,  hah  oft  au  den  Orten  ein  Wort  ich 
Wider  rufen  gehört;  so  warf  ein  Hügel  dem  andern 
Widerhallend  es  su,  um  wieder  xuriick  es  zu  bringen. 
Solche  Gegenden  träumt  nun  der  nahetvohnende  Landmann 
Von  den  Nymphen  bewohnt  und  den  siegenfüßigen  Satyrn, 
Faunen,  sagen  sie,  sind's,  die  stören  mit  nevJcischer  Kur.in:eil 
Fnd  mit  schälerndem  Lärm  die  närhtlirh  sch/veigende  Huhe. 

Diese  Ansicht  scheint  auch  sonst  zu  herrschen:  wenigstens 
lieißt  das  Echo  in  der  Geheim-  oder  Gaunersprache  bass  koll 
„Himmelsstimme"  aus  hehv.  bath  bil  „Tochterstimme".  ^)  — 

')  lu  einer  däniscbeu  Volksweise  von  'Venil  Fruva"  wagt  ähnlicli 
eine  Riesin  nicht  das  Wort  ,.Kirche"  auszusprechen  und  umsehreibt  es  mit 
verpi  pua  vigde  vollen;   s.  K.Smith,  Maal  og  Minne,  191S,  9. 

■')  Siehe  zu  dem  Wort  Bkücknkk.  KZ  :5.S,  t2ir)f. 

^)  I.  Akt,  4.  Szene:  „Zu  Hülfe!" 

*)  Weitere  zahlreiche  Belege  bei  Otto,  RE-^  1919,  VI,  2058. 

'■')  E.  BiscHOPF,  Wörterbuch  der  wichtigsten  Geheim-  und  lieruls- 
sprachen,  7.  Diese  bulk  kol  ist  den  'l'alnmdisten  die  niedrigste  Form  der 
Oftenbaruiig.  s.  Pinnek,  Talmud  Babli  2;5,  Sr(»LL,  Suggestii)u  u.  Hypno- 
lisnius  in  di-r  X'iilkrrpsvi-lioldyie,   1.S94,  y.'J. 


62 

Die  einzelnen  Worte,  die  einer  Geisterspraclie  zugeschrieben 
werden,  sind  nun  keineswegs  alle  des  gleichen  Ursprungs.  Wir 
müssen  zunächst  zwei  große  Abteilungen  unterscheiden: 

a)  Willkürliche  oder  unwillkürliche  Augenblicks- 
bildungen und 

b)  Wörter  aus  tatsächlich  vorhandenen  Menschen- 
sprachen, die  aus  näher  zu  untersuchenden  Gründen 
als  Ausdrücke  einer  G-eistersprache  ausgegeben  werden. 

Es  braucht  nicht  betont  zu  werden,  daß  für  uns  die  zweite 
Gruppe  (b)  Aveitaus  das  größte  Intei-esse  beansprucht  und  uns 
hier  vor  allem  zu  beschäftigen  hat.  Jene  erste  Abteilung  kann 
für  den  Sprachforscher  nur  als  Beispiel  für  „Urschöpfungen" 
in  Betracht  kommen ;  in  der  Hauptsache  aber  handelt  es  sich 
um  phantastische  Gebilde,  die  ja  unverständlich  sein  sollen, 
soweit  es  überhaupt  nicht  bloß  sinnlose,  unartikulierte  Schreie 
und  Ausdrucksbewegungen,  vom  bewußten  Willen  ganz  un- 
abhängige Lallmonologe  der  Sprachwerkzeuge  sind.  In  der 
Sprache  und  bei  neuen  AVortschöpfungen  von  Geisteskranken 
finden  sich  die  nächstliegendsten  Parallelen  für  diese  künst- 
lichen mystischen  Worte. ')  Wenn  Geisteskranke  nicht  schnell 
für  einen  Eindruck  ein  passendes  Wort  haben,  bilden  sie 
sich  häufig  ein  neues,  z.  B.  Wuffa.'i  für  Tauben. 2)  Vor  allem 
aber  ist  oft  beobachtet  worden  —  und  das  gehört  hauptsäch- 
lich hierher  — ,  daß  bei  akuten  Psychosen  ohne  Absicht  des 
Kranken  neue  Wörter  oder  neue  Wortbedeutungen  entstehen, 
worüber  die  Kranken  nach  Eintritt  des  ruhigen  Gemüts- 
zustands sich  selbst  wundern  und  Jedenfalls  keine  Erklärung 
wissen.  Die  Arten,  wie  diese  Wortneubildungen  Geisteskranker 
entstehen,  sind  etwa  folgende''):  1.  Absichtliche  und  bewußte 
Neubildungen  künstlicher  Art.  2.  Unwillkürliche  Wortneu- 
bildungen, die  in  akuten  Phasen  der  Krankheit  entstanden 
waren,  werden  dauernd  beibehalten,     o.  Subjektive  halluzina- 

')  Vgl.  Liebmann  u.  Edki.,  Die  Sprache  der  Geisteskranken,  190P): 
Strausky,  Über  Sprachverwirrtbeit,  1905,  Pfersdorff,  Zentralbl.  f.  Nerven- 
beilknnde,  1908,  nnd  vor  allem  die  guten  Bemerkungen  bei  .Tasi'Rk.s,  All- 
gemeine Psychopathologie^',  1920,  S.  137 l'f. 

••«)  FoRKL,  Arcliiv  f.  Psychiatrie,  'M,  974. 

■■    Nach  (Irni  Eiiiteiluiigsversucli  lici  .Iasimors.  a.a.O.   I-J:il'. 


63 

torische  Eindrücke  formen  sicli  zn  den  Kranken  selbst  nn- 
klaren  Wortgebilden.  i.  Artikulierte  Lautg-ebilde  ohne  jeden 
Sinn.  „Höchst  mannigfaltig'  sind  die  Erscheinungen  der  moto- 
rischen Erregung-  im  Sprachapparat,  die  man  Rede  drang- 
nennt. Die  Kranken  sprechen,  ohne  daß  uns  dies  aus  Affekten 
verständlich  wäre,  ohne  den  Zweck  der  Verständigung-  und 
der  Mitteilung,  sinnlos  alles  mögliche  vor  sich  hin.  Unauf- 
hörlich den  ganzen  Tag.  ja  Tage  und  Wochen  lang  geht  ihr 
Redefluß  .  .  ."  i)  Solche  Gesichtspunkte  kommen  auch  für 
unseren  besonderen  Fall,  den  als  Wörtern  einer  Götter-  oder 
Geistersprache  ausgegebenen  Lautgebilden,  für  die  Erklärung 
vor  allem  in  Betracht,  soweit  es  sich  eben  um  unwillkürliche 
Äußerungen  anormaler  Individuen  handelt. 

Im  einzelnen  muß  es  uns  genügen,  folgende  Andeutungen 
über  das  Entstehen  von  Geisterworten  unserer  ersten  Gruppe 
(a)  hier  zu  geben. 

1.  Bei  den  sinnlosen  Klangformen,  Ausrufen  und  onomato- 
poetischen Gebilden  handelt  es  sich  also  einfach  um  eine  Aus- 
drucksbewegung infolge  einer  sehr  starken  Gefühlseinwirkung 
oder  abnormer  psychischer  Verfassung,  um  Äußerungen  der 
Sprachorgane,  die  zum  größten  Teil  ohne  deutliches  Bewußt- 
sein des  Sprechenden  oder  Schreienden  in  seinem  anormalen 
Zustand  der  Verzückung.  Hysterie  oder  Besessenheit  unab- 
hängig von  seinem  AMllen  vor  sich  gehen.  Indem  solche  ein- 
zelnen Rufe  von  anderen  Menschen,  die  einen  Verzückten 
beobachten,  aufgenommen  oder  diesem  selbst  deutli('li  bewußt 
werden,  können  feststehende  Formeln  erwachsen,  wie  etwa 
das  Lvdr,  i-ri'.r,  iroi,  lat.  euhan,  enan.  eiiJ/oe  der  Bakchantinnen 
(s.  0.  S.  32).  Für  den  Sprachforscher  interessant  ist  es  nun  aber, 
daß  aus  den  so  gelegentlich  entstandenen  Sprach  „wurzeln" 
wirkliche  Wörter  abgeleitet  werden  können,  wie  das  Parti- 
zipium evt'cZojv,  lat.  eu(h)ans  „euhan  rufend*',  i-rul^,  lat.  enhias 
„die  Bakchantin",  Erafißtrc.  Ja  geradezu  Götternamen  können 
in  dieser  Weise  gelegentlich  entstehen,  wie  des  Dionysos  Bei- 
name Erioü,  \'A,i.  Eidimfi.-)  oder  wie  "laxyo^  nach  dem  Vorbild 


')  Jaspers,  a.  a.  0.  1-tl. 

^)  S.  dazu  f\.  M.Meyer,  Wörter  u.  Sadieii  1,63;    A.  Nehkinö,  Mitteil. 
<1.  Scliles.  (ies.  f.  VulksliUiKle   IS.    li)l(j.  2.".. 


von  ßäy.xoc  (zu  ßaßd^tir),  mit  dem  es  reimt,  zu  ur/oj,  ucx///, 
iax'/ic),  lay.ydi^c)  gebildet  ist.  0  Aber  diese  Wörter  scheinen 
ihrerseits  auch  mit  Ausrufen  Avie  lai,  «Icci,  uc  usw.  eugstens 
zusammeng-estellt  werden  zu  müssen,  vgl.  täCc»,  idX&iiOL:,  jon. 
u'j'Äiriio^,  (df'.Coj,  wie  tvdCo)  gebildet;  davon  kann  wieder  utf^ßoc 
nicht  getrennt  werden,  das  mit  {iQlai/ßog,  öiffvQa^/ßoc,  h^t\ußoc, 
'^'svuftßoi:  in  Era^ißtvc  reimt.  Vom  Refrain  (äXiror.  cäXiror 
des  Threnos  scheint  sich  die  Gottheit  Aivoc  entwickelt  zu 
haben,  wie  die  estnische  Gottheit  lAgo  aus  dem  Kehrreim  der 
Sonnwendlieder  %o,  ligo  (zu  ligot  „sich  schaukeln")  entstan- 
den ist.-)  Eine  andere  solche  Wortsippe  ist  griech.  dXolvyij. 
oXoXv^co,  sXtXi^oj,  d/.aXdCfo,  die  kürzlich  C.  Theander,  Eranos 
XV,  99  ff.  mit  Erfolg  und  Scharfsinn  behandelt  hat.  Die  Inter- 
jektion liegt  in  Ihitv,  tXihr  (z.B.  Aisch.  Prometh.  877)  vor; 
mit  Recht  führt  Theander  den  Gigantennamen  Wjvy.rojQ  auf 
*'OÄoXrxTO)Q  zurück  (a.a.O.  123).=*)  Ein  Aveiterer  Beiname  des 
Dionysos  ist  ^^^ußdCioc,  das  man  sicher  auf  den  kultischen 
Ausruf  oaßoi ,  aaßt-i  zurückzuführen  hat.  Ahnlich  ist  Üauör 
als  Beiname  Apolls  aufgrund  des  iij-ran/or  entstanden,  Hom. 
Hymn.  an  Apollo  Pyth.  11,94,  322,  339;")  vgl.  auch  ujii-  Ilaidr, 
Ti]vi:lXa  y.cOJÄvr/.',  USW.  So  scheint  die  awestische  Gottheit 
Sraosa-  mit  dem  vedischen  srausat  nicht  nur  lautlich  zu- 
sammenhängen, das  ein  heiliger  Ausdruck  des  Kultus  ist'"): 
astu  srausat!,  das  Sayaiia  mit  sraoamm  hharatal  „Hören  möge 
sein!''  glossiert,  entspricht  dem  awestischen  sraosö  kSa  astu 
„Hören  möge  sein!"  Ys.  55, 1,  und  dem  Sinne  nach  dem  griech. 
hiiptiiiHTi ,  lat.  favete  Unguis!  Aus  einem  Ausruf  ist  medius 
fidius  zu  einer  Gottheit  geworden,  es  wird  als  detis  sanctus 
mala  avertens  glossiert,  ß)  Von  den  Interjektionen  di  oi,  oluoi 
stammen  olinöZft,  olinfr/ij,  iuiior/im  usw.     So  wird  UV//  und 


')  Verf.  Reimwortl)il(lunge)i,  1!)14,  S.  220,  §344. 

■■*)  Nbhring,  a.  a.  0. 

*)  Ol)  freilieb  auch  ^(».vftniK  oder  gar  'OÄvoot-ic;  hierhergehört,  ist  mir 
(loch  l'raglicli  g-ebliebeu. 

♦)  Vgl.  über  den  Gott  Paian  vor  allem  L.  Peubner,  libergs  Nene 
-labrb.  22,  1919,  400f.  In  diesem  schönen  Vortrag  findet  man  iuidi  gute 
Bemerkungen  über  ü/.a/.r.  „Schlachtruf-',  ^/^A^f;  (S.  3S7). 

'')  Siehe  Spibuel,  Eran.  Altertumskunde  II,  lS7o,  9(1. 

'^)  liOKWK,   I'rtidnnnus  :i79. 


C5 

Ach  bei  uns  ja  ebenfalls  substantiviert,  und  Ableitungen  wie 
ächten  fanden  sich  ein ;  ähnlich  im  Griechischen  cuXtvog  „Klage- 
gesang" oder  itüt(ioc.  Von  den  eigentlichen  voces  mysticae  ge- 
hören Formen  hierher  wie  arlala'w.r/aia  (78), ')  tcüjm/m., 
L'U.aXa,  oarra'j.cÜM  (B02).  ih'/J.avi  (807),  ahxQay.o). ,  •^a).aXay, 
ay/.a/.ay  (338)  usw. 

2.  Eine  andere  recht  zahlreiche  Gruppe  mystischer  Worte, 
Geheimnamen  u.  dgl.  will  aber  dunkel  sein:  diese  unter- 
scheiden sich  also  von  den  Gefühlsäußerungen  der  vorigen  Ab- 
teilung deutlich,  weil  man  in  möglichst  phantastischer  Weise 
fremdklingende  Worte  schaffen  will.  Die  meisten  voces  my- 
sticae -der  Papyri  scheinen  mir  hierher  zu  gehören.  An  Namen 
und  Sätzen,  wie  lafo^iacf^Q'cVh^ioxn'oOÜMQixiJUfi  aivtai  (fiQxt- 
[tah  ii^ovvoiii-viQqa^O)  t^ac/cay  ffVioyjiQ  ffiyQOffVVQO  (potymßoy 
ia{ißada.  '/Qnii^iiitf  ifiaco  yf-rij  iitoj,  um  eine  ganz  beliebige  Stelle 
aus  Wessklys  Sammlungen  (Nr.  331)  herauszugreifen,  dürfte 
ein  Indogermanist  sich  vergebens  die  Zähne  ausbeißen,  wollte 
er  ernstliche  etymologische  Versuche  anstellen.  2)  Eher  möchte 
wohl  ein  Kenner  der  ägyptischen  und  semitischen  Sprachen 
ferne  Anklänge  hier  und  dort  feststellen.  Aber  in  der  Haupt- 
sache sind  dies  künstliche  und  spielerische  Lautgebilde,  deren 
fremdartiges  Aussehen  gerade  beabsichtigt  war.  Im  einzelnen 
erkennt  man  gelegentlich  die  Wege,  die  zur  Bildung  eines 
solchen  Wortungeheuers  führten.  Buchstabenmystik.  Vokalspiele 
und  Bildung  von  Palindromen  sind  häufig  festzustellen,  z.  B. 
laoi'.i  (101)  mit  der  symmetrischen  Anordnung,  verdreifacht 
t'.aa  fj//ti  o)«><')  tu  luac  oexo  (125,  207),  durcheinandergestellt  (20), 
in  allen  möglichen  Permntationen  zusammengekettet  und  durch 
Konsonanten  getrennt.  Sodann  spielen  sinnlose  Silbenpermu- 
lationen  eine  große  Rolle,  wie  z.B.  (fo(tiJoQCfOQßoQßoQO(f{S0), 
ojy-iiuQ-iiu.-yo)  (294),  yj'>{jf^yßi><'-yj'>'y  (297),  <cßQfoy  :  ßQcuoy  (306), 
ßaüaai^aßa  (287),  wobei  der  Sprachforscher  sogar  dissimila- 
torische  Bestrebungen  erkennt,  z.  B.  ßfhßaXi  (148)  gegen  ßi-{f- 

')  Die  Nuiumeru  beziehen  sich  auf  Wesselys  Sammlung. 
'-)  Vgl  übrigens  dazu  A.  Dibterich,  Mithraslithurgie-  36  ft'.,  auch 
G.  Schmidt,  Gnostische  Schriften  in  koptischer  Sprache,  Texte  u.  Uuter.s. 
VIII,  1.2,  146  ff.  Weitere  xovnxa  ovöucxc.  findet  mau  im  Papyr.  Paris 
v!l609,  s.  Denkschr.  (l.Wien.K.  Akad.  d.  Wis.s.,  Bd.  XXXVI,  1888  u.  :J^LII. 
1893,  V.  5G9. 

Güntert,  Sprache  dor  Götter  und  (ieister.  5 


66 

ßaXi  (149)  usw.,  und  spielerische  Ablautkläuge,  ^)  wie  ßa^tßtQßig 
(445),  ^aoxhV.ii.io.O'ü^V.fo  (244),  ßaQßüQUi).  :  ßaQßaQcajX  (94), 
lat.  butubatta (4:4:8) ;  Reimformen  sind  mir  besonders  aufgefallen: 
jcaayjiia/  (431),  roviiilXov  :  ßioijßiXXor  (3),  i?jcovy  :  oßQUjlovy 
(9),  oei./KjtiÄai<  :  ejitoiXcifj  (IS),  (fory-Qo-ßtoy  {^2) ,  adßovir: 
la^oviv  (75),  d^a&aßa&ad  :  ßaß-agißafh  (93),  a&{>aßadß^a  (96), 
ov(ji//X  :  oovQirjA  (113)  :  HorQitjÄ  (114);  iqq(ü(1  :  lOrQXitj).  (114). 
afjaQU-yciQaQa  (121),  aajjj/cof)  :  öaQßaoO  :  Taßaojf^  (163),  /«w«9  : 
öaßao)&  :  agßadiatod  (196),  Koof/f)  :  K'ttQßtji)  (233),  i/rijx-ovoiQi  : 
(fihjX-ovGiQi  (289),  öCiQa-qaQd  (300),  yaXxovn  :  y/cQ/QOcii  ("^20), 
(fcoy-(oßoy  (331) ,  thnroß  :  räh/.oß  (535)  u.  dgl.  m.  Reimende 
Formeln  begegnen  ja  auch  sonst  häufig,  worüber  ich  an  anderer 
Stelle  bereits  gehandelt  habe.  2)  Hierher  g-ehörten  vor  allem 
Catos  Zauberformeln  daries  :  dardaries  :  ((Sfataries  und  ista  : 
pista  :  sista  (Nr.  447)  oder  die  athenische  Brunneninschrift : 
vs  :  xvf- :  vjrtQxn,  die  altindisclien  Zauberworte  c/iindJu  :  bhindhl 
usw.  Dem  bekannten  Ahracadahra  des  Mittelalters  (Seremis 
Sammonicus)  läßt  sich  das  griechische  Zauberwort  ltcu'ff)dß()(i 
(241)  vergleichen.  Andere  mittelalterliche  Formeln  lauten  Ami : 
reli-.beli  und  Iku-  -.wax  -.imx.^)  Auch  beim  Zungenreden  spielt 
die  Reimassoziation  die  größte  Rolle. '')  So  bemerkt  der  Pastor 
Paul  bei  seinen  Selbstbeobachtungen  in  der  von  ihm  heraus- 
gegebenen Monatsschrift  „Die  Heiligung",  Nov.  1907:  „Ein 
jeder  kann  an  diesen  Worten  selien,  wie  sich  alles  so  merk- 
würdig reimt.  Das  Lied  „Laßt  mich  gehen"  war  also  in 
klangvollen  Reimen  übertragen  worden."  Auch  bei  dem  Lied 
„Jesu,  geh  voran"  habe  die  Übersetzung  in  der  „neuen" 
Sprache  mehr  Reime  als  in  dem  deutschen  Original.  Es  ist 
interessant,  daß  auch  Immermann  in  seiner  Parodie  des  ..Sans- 
krit von  Prevorst"  unbewußt  in  Reime  verfällt.'') 


')  Originell  ist  das  Ablautspiel  der  Vokale  in  eiueni  türkischen  Volks- 
märchen aus  Stambul  (bei  Künos  S.  69  und  231  ff.)  verwandt :  Dews,  also 
Dämonen,  beherrschen  mit  einem  Zauberwort  aus  ihrer  Sprache  den  Stein 
zu  einer  Höhle:  sagen  sie  cmujd,  so  öffnet  sich  der  Stein,  auf  den  Befehl 
runfid  aber  schließt  er  sich  wieder. 

2)  Reimwortbilduugeu  S.  216,  §  ;{40. 

')  Schindler,  Aberglauben  des  Mittelalters  261  u.  oben  S.  35. 

*)  Vgl.  das  obige  Beispiel  S.  30  f. 

•')  Siehe  oben  S.  54  luuiL.  laiih;  pimple,  limplc,  sinqjlf. 


67 

Ebenso  habe  icli  bereits  früher  die  Ansicht  vertreten,  ij 
daß  als  eine  Hauptquelle  für  die  Entstehung'  des  Reimes  und 
seine  Verwendung  in  der  Poesie  die  Zauberformel  und  der 
Zauberspruch,  sowie  magische  Formeln  anzusehen  seien,  und 
ich  brauche  also  hier  nicht  weiter  darauf  zurückzukommen.  2) 
Audi  wurde  dort  von  mir  bereits  auf  die  vielen  reimenden 
(iötternamen  aufmerksam  gemacht,  wodurch  die  Macht  des 
Gleichklangs  in  der  sakralen  Sprache  gleichfalls  bewiesen 
wird ;  es  seien  beispielsweise  hier  nur  erwähnt  ^) :  gr.  2iqiYytc  : 

')  Über  Reimwortbilduugeu  im  Arischen  und  Altgriechischen.  1914, 
S.  216  ff.,  §  310  ff.     8.  auch  Bartels,  Ztschr.  d.  Ver.  f.  Volksk.  V,  1895,  37. 

■■*)  Goethes  poetische  Ansicht,  daß  die  Liebe  die  beste  und  erste  Lehr- 
nieisterin  des  zarten  Reinispiels  Avar,  hat  übrigens  schon  in  einem  durch 
RÜCKERTS  Cbersetzimg  bekannten  persischen  Gedicht  ihre  seltsame  Ent- 
sprechung. Die  Griechin  Helena  findet  die  reimende  Rede  des  Lynkeus 
„seltsam  und  freundüch''  und  bittet  Faust  um  nähere  t'nterweisuug : 

..Ein  Ton  scheint  sich  dem  andern  zu  bequemen, 
Und  hat  ein  Wort  zum  Ohre  sirJi  gesellt. 
Ein  andres  liommt,  dem  ersten  liebzukosen." 

Faust  meint,  die  Wechselrede  locke  das  Reimspiel  hervor: 
Helena:   ^'o  sage  denn,  ivie  Sprech'  ich  auch  so  schön';' 
Faust:   Das  ist  gar  leicht:  es  muß  vom  Herzen  gehn. 
Und  ivenn  die  Brust  von  Sehnsucht  überfließt. 
Man  sieht  sich  um  und  fragt  — 
Helena :  Wei-  mitgenießf. 

Faust:   Nun  schaut  der  Geist  nicJit  vorwärts,  nicht  zurück. 
Die  Gegemcart  ollein  — 
Helena:  Ist  unser  Glück. 

So  lehrt  die  Harmonie  der  Empfindung  auch  den  Einklang  der  Worte  I 
Der  persische  Dichter  erzählt  so  von  der  liebenden  Sklavin  Dileram,  welche 
jedes  AVort  ihres  Herrn,  di^s  Schahs  Behram,  gleich  einem  Im.-Iio  nach- 
klingen ließ,  genau  wie  die  Eriii)findung  in  ihr  widerhallte: 

„Dileram!"    So  schloß  er  stets. 

Und  stets  schloß  sie:    „Schah  Behram !■• 

Und  so  icar  der  Beim  entblüht. 

H7/'  der  Held  zur  Huld  in  kam.  — 

Man  gestatte  diesen  Nachtrag  zu  meinen  „Reimwortbildungen"  als  einen 
poetischen  Beleg  zu  der  dort  vertretenen  Ansicht,  daß  gleiche  Empfin- 
dungen ixnd  Bedeutungen  auch  gern  durch  ähnliche  Lautgebilde  aus- 
gedrückt werden. 

^)  .Siehe  Reimwortbildungen  S.  219;  Idg.  Ablautprubleme  S.  75,  Fiilin.  1. 
wozu  hier  neue  Ergänzungen  treten. 

5* 


68 

^TQiyyeQ,  Jafidri/Q  :  J\i//i(T>j{>,  yiata  :  Fata,  Miji'fj  :  ^th]vri, 
yisQOjrtj :  2^TtQ0jtt'j,  Bäxx'^Q /'Jnxxo'i,  \?ii.  Mtitinus :  Tutinus,  Jovis: 
Vejovis,  Carmenta  :  Larenfa,  Äheona  :  Adeona,  Pavor  :  Pallor, 
Picmnnus  :  Pilumnus.  Anna  :  Peranna.  aisl.  Alfgdr  :  Valfgdr, 
die  Riesenmädcheii  Fenja  und  3Ienja,  die  Walküren  Hrist 
und  Mist,  die  Zwerge  Vitr  und  Litt,  Döri  und  Ori,  Skirfir 
und  Virfir,  Füi  und  Küi,  Göinn  und  Moinn,  Nainn  und  Präimt 
USW..1)  die  Hunde  Htiska  und  Lnska,  die  awestischen  Vögel 
Amru-  und  Camru- ,  die  arabischen  Engel  Härnt  und  Märüt 
im  Koran,  2)  die  liebräisclien  Dämonen  risake  und  Büsake'-^) 
und  die  ungarischen  Zwerge  PiUnko  und  Tilinko.  <)  Diese 
Belege  dürften  genügen,  um  die  Reimbildung  bei  Götternamen 
zu  beweisen.  Zweifellos  handelt  es  sich,  namentlich  bei  den 
nordischen  Namen,  zum  guten  Teil  um  rein  künstliche  Ge- 
bilde, die  erst  der  Reim  erzeugt  hat.  Dies  zeigt  uns  in  lehr- 
reicher Weise  ein  volkstümlicher  Andreas  segen.-^)  Will  ein 
Mädchen  seinen  zukünftigen  Mann  sehen,  so  braucht  es  nur 
am  Andreasabend  Hafer  und  Lein  in  die  vier  Ecken  seiner 
Kammer  zu  streuen  und  folgendes  Sprüchlein  zu  murmeln: 

Eas,  Keas, 
Mein  lieher  Andreas, 
Ich  sn\  ich  säe  Haherlein, 
Daß  mir  niein  Nermllerliebsfer  erschein'  . . . 

Die  beiden  ersten  Namen  sind  nur  Reimvariationen  zum 
Namen  des  Heiligen.—  Das  Musterbeispiel  eines  Palindroms 
sei  die  rox  mystica  i^aLvymcoor/oHoor/riaß  (173).  Auch  die 
Alliteration  spielt  gelegentlich  eine  Rolle,  wie  z.  B.  bei  dem 
charakteristischen  Wort  jrejrf(>.7r(>^jn//jTfjTt  (98),  gebrochene  Re- 
duplikationen wie  im  Gebilde  Briklibrit  in  Gkimms  Märchen 
usw.  Auch  dreimalige  und  noch  öftere  A¥iederholung  der- 
selben Silbenreihen  läßt  sich  oft  beobachten.  Wenn  also  der 
Sprachforscher  auch  sciion  manche  Kräfte  wirken  sieht,  die 
beim  Schaffen   solcher  grotesken  Gebilde   wirksam   waren  — 

')  Siehe  auch  Grimm,  Myth.*  375. 

'■')  Littmann,  Festschrift  f.  Andreas,  1916,  70  ft'. 

")  ScHKFTELOWiTZ,  Die  altpers.  Rel.  u.  d.  Judent.,  19'2ü,  60. 

*)  V.  Wlisocki,  Volksglaube  u.  relig.  Brauch  d.  Mag^yaren.  S.  33. 

■')  Vgl.  ScHiNDLKK,  Aberglaube  259. 


69 

in  der  Haui)tsache  wird  er  erkennen  müssen,  daß  bei  diesen 
höllischen  Fratzen  ein  methodisches  Forschen  und  Etymologi- 
sieren ganz  unangebracht  ist.  Das  gilt  auch  von  den  alt- 
indischen  ooces  mysiicae,  wie  hin  und  om,^)  während  vausat. 
rasat,  vmd-  (Sat. Br.  1,7,  2.21),  scäha  verständlicher  sind:  vasat 
ist  Aorist  von  raJi-/^)  sväha  entstand  aus  sn-aha,  (-««fZ;  ist  wohl 
aus  rausut  und  ciük  vermengt.  In  der  Formel  hin  bhilr  hhuvah 
srar  om!  Äsv.  S.  1,2,3  sind  Frajäimti^  drei  Schöpfungsworte, 
die  wir  oben  kennen  lernten  (S.  22,  A.  2),  von  den  beiden 
mystischen  Worten  hin  und  om  eingefaßt.  Während  hin  sprach- 
lich eine  gewöhnliche  Interjektion,  so  gut  wie  ai.  hum,  htm,  hls, 
hudul;  phat.  hninmä  usw.  darstellt,  dürften  bei  der  Bildung  von 
om  wohl  die  Substantive  ömäm.  „günstig,  helfend",  omdm.  „Gunst". 
omyu  „Schutz"  zu  ürati  „fördert,  schützt"  (=  =  lat.  acere)  eine  Rolle 
gespielt  haben.  Es  ist  ein  seltsam  Spiel  des  Zufalls,  daß  die 
gleiche  Silbe  auch  in  den  eleusinischen  Mysterien  beim  Schluß 
des  (rottesdienstes  den  Fortgehenden  zugerufen  wurde:  xo/g 
o/f-.TtU.  ■')  Aber  selbstverständlich  ist  die  Ansicht,  dieses  o//- 
sei  das  indische  om,  unhaltbar,  mahnen  doch  auch  die  sicher 
unverwandten  Wörter  liebr.  amen  und  lat.  ömen  zur  Vorsicht. 


1)  Über  diese  .Silbe  um.  die  oft  als  vierlautig  (lum  und  iiasaliscber 
Nachklang-  aufgefaßt  wird,  findet  man  in  den  Upanisaden  die  abenteuer- 
lichsten Lehren.  Es  genüge  hier  eine  kleine  Stelle  aus  dem  Isj-siiuha- 
Täpanlya  Up.  2, 1.  wo  Prajäpati  den  Göttern  das  Wort  om  auslegt:  ,,0)«, 
diese  Silbe  ist  dieses  All.  Seine  Erklärung  ist:  Das  Gewesene,  Seiende, 
Zukünftige,  dies  alles  ist  das  Wort  om.  Und  was  noch  anderes,  über  die 
drei  Zeiten  Hinausgehendes  es  gibt,  auch  das  ist  das  Wort  om  :  denn  dies 
alles  ist  brähma  (n.). '  A.  Weber,  Ind.  Stud.  9,  12t).  Oder  a.  a.  0.  1,  22:  „Die 
erste  mätrü  des  Wortes,  das  o,  ist  die  Erde,  die  Luft  ist  der  «-Laut,  der 
Himmel  der  /»-Laut,  die  Halb-//«7^yö  am  Ende  ist  die  Moudwelt"  {a  +  u + 
in  +  nasal.  Nachklang  =  om),  A.  Weber  a.  a.  0.  90;  auch  Ind.  Stud.  I,  255. 
Ähnlich  soll  in  Ahrmadahm  A  =  rf/>  ..Vater",  B  =  ?vi°;*  ..Sohn"  und  R  = 
ra^'h  „Geist"  bedeuten. 

■^)  Vgl.  dazu  EgCtKling,  8acr.  Books  of  the  East  XII,  8«,  Fußu.  2. 
A.  Weber,  Ind.  Stud.  9,  18G5,  92,  Fußn.  1. 

*)  Lobeck,  Aglaopb.  I,  775  ff.,  Dieterioh,  Mithrasliturgie^  216.  xöyc 
und  .1«^  sehen  wegen  des  besieichueuden  >  bzw.  ^  am  Ende  aus  wie  ono- 
matopoetische Lautgebilde  des  Tj^pus  von  nhd.  Kribs,  Krabs,  Klaps,  Bums, 
pardaate.  lat. /^öx.'  „basta"  (s.  o.  S.  35)  u.  dgi.  Dieselbe  charakteristische 
Bildung  auf  c  haben  wir  in  dem  ÄpoUohex  des  Leydner  Papyrus  (ägypt. 
hilf,-  ..Sporl)cr".  Urteil   \\  ikukmann.  Hclii;ion  der  ;>lteii  .Xgypter,  IH90,  145). 


70 

jTf'ts  erinnert  auch  an  das  mittelalterliche  Jia^,  max,  pax,  vgl. 
endlich  den  Ausruf  nlid.  FUx,  Flux,  Floria  (z.  B.  in  Zellers 
,yogelhändler").  Für  das  Awesta  begnüge  ich  mich,  auf  das 
„kabbalistische  Gremengsel" ')  an  der  Stelle  Y  11,9  zu  verweisen. 

3.  Als  besonders  wichtigen  Faktor  nennen  wir  die  Zahlen- 
mystik und  Onomantie:  Da  die  Buchstaben  im  Griechischen 
und  in  den  semitischen  Sprachen  auch  Zahlen  bedeuten,  ist 
hier  seit  den  Zeiten  der  Pj^thagoräer  manches  Geheimnis  zu 
enträtseln  gesucht  worden.  Der  große  Zaubergott  'Aßgaoac. 
ergibt  die  Zahl  365  {a  =  1)  +  {ß  =  2)  +  (o  =  100)  -f  («  =  1)  + 
( ö  =  200)  +  (a  =^  1)  +  (s  =  60).  2)  In  dem  Namen  des  persischen 
Mithras  entdeckte  spätere  Spekulation  in  der  Schreibung  MEJ- 
SPA^  die  Zahl  365,  und  man  deutete  dies  auf  den  Jahres- 
lauf des  Sonnengottes.  3) 

Namentlich  in  den  Lehren  der  Kabbala  spielt  die  Buch- 
stabenversetzung, Permutation,  Wortbildung  aus  Anfangs-  oder 
Endbuchstaben  von  Bibelsprüchen  eine  seltsam -phantastische 
Rolle.  Um  nur  ein  Beispiel  zu  nennen,  so  entsteht  aus  den 
ersten  Worten  der  Genesis:  „es  werde  Licht,  und  es  ward 
Licht" :  "IN  iiT^i  ^ix  "in-i  durch  einfache  Aneinanderreihung  der 
Anfangsbuchstaben  dieser  vier  Worte  der  neue  Gottes-  und 
Geheimname  xix^  Java.  Die  72  Gottesnamen  des  sog.  Schem- 
hamphoras.  des  „geteilten  Namens",  entstehen  in  ähnlicher 
Weise  aus  drei  Versen  4)  mit  72  Buchstaben  aus  dem  zweiten 
Buch  Mosis.  5)  Sprachwissenschaftlich  ließen  sich  aus  einer 
ganz  anderen  Welt  die  neuen  Wortschöpfungen  vergleichen, 
die  durch  Zusammenfügen  von  Anfangs  silben  oder  -lauten 
fester  Wortverbindungen  gerade  in  unserer  Zeit  so  beliebt 
sind,  wie  Äayrm>- Federhalter  (=  K.W.  Comp.),  i^«  (=  Inter- 

1)  Bartholomae,  Air.  Wli.  1171.  Über  ägyptische  Zaubersprüche 
mit  unklaren  Worten,  „die  zum  großen  Teil  sicher  als  geheime  Namen 
des  Gottes  gedacht  sind",  vgl.  A.  Ekman,  Ägypt.  Eelig.  156. 

-)  Siehe  Wkssely  a.  a.  0.  11,  avo  man  R.  12  ein  anderes  schönes  Bei- 
spiel findet  {7it(}i.az(:rjü). 

'■^)  HiERONYMUS  in  Arnos  e.  3  (Miunk,  Patr.  Lat.  25,  8p.  1018,  ^2bl), 
s.  dazu  WiNDiscHMANN,  Abhdl.  f.  d.  R.  d.  Morgenlands  I,  1859,  59  m.  Fußn.  3. 

*)  2.  Mos.  14,  V.  19,  20  u.  21. 

'')  Vgl.  z.  B.  Schindler,  Aberglaube  des  Mittelalters,  Breslau  1858. 
S.  i)f)f.     Lehman -Petersen,  Abergl.  u.  Zauberei,  1S98,  119  (m.  Tabelle). 


71 

nationale  Luftschiffahrt-Ausstellung),  r/fl,(=Union-Film- Aktien- 
gesellschaft). JlapiKj  usw.  Da  ferner  die  hebräischen  Buchstaben 
zugleich  Zahlen  wert  haben,  ein  Wort  also  auch  als  Zahl  ge- 
lesen werden  kann,  kam  man  auf  den  Gedanken.  Wörter  von 
gleichem  Zahlenwert  miteinander  gleichzusetzen  und  zu  ver- 
tauschen. Endlich  gibt  es  sehr  verwickelte  Lehren  von  der 
Permutation,  d.  h.  Buchstabenversetzung,  wie  z.  B.  die  „Kabbala 
der  neun  Kammern",  wodurch  neue  künstliche  Gottes-  oder 
Engelsnamen  entstehen.  Sprachwissenschaftlich  haben  alle 
diese  spitzfindigen  Methoden  einer  künstlichen  Wortschaffung 
nach  den  kabbalistis-^hen  Methoden  der  drei  Grundarten  Ge- 
matria,  Notariqon  und  Tennira  Aveiter  kein  Interesse  und 
mußten  hier  nur  des  Prinzips  wegen  erwähnt  Averden.  •) 

Hier  möge  auch  die  seltsame  Ansicht  von  der  Bildung 
des  Namens  Adam  ihre  Stelle  finden,  wie  sie  in  einem  im 
Mittelalter  weitverbreiteten  lateinischen  Text,  den  M.  Förster, 
Archiv  f.  Eeligionswissenschaft  11,  1908,  481  ff.  behandelt  hat, 
vertreten  wird:  c.  IV.  Cum  factus  fuit  Adam  et  non  erat 
nomen  eins,  vocavit  dominus  ({uattuor  angelos  suos  et  dixit 
eis:  ,.ite,  (luerite  nomen  istius  hominis!"  Angelus  Michael 
(h)abiit  in  Oriente  et  vidit  stellam.  cuius  nomen  AnathoUnL 
et  tulit  inde  A  et  adduxit  ante  dominum.  Angelus  Gabriel 
abiit  in  occidente  et  vidit  stellam,  cuius  nomen  erat  Disscis, 
et  tulit  inde  D  et  adduxit  ante  deum.  Angelus  Raphael  abiit 
in  aquilone  et  vidit  stellam,  cuius  nomen  erat  Archtus,  et  tulit 
inde  A  et  adduxit  ante  dominum.  Angelus  Uriel  abiit  in  me- 
ridiano  et  vidit  stellam.  cuius  nomen  erat  Mensehrion,  et  tulit 
inde  M  et  adduxit  ante  dominum.  Et  dixit  at  Uriel  dominus: 
„lege  litteras!"  et  dixit  Uriel:  ADAM.  Et  dixit  dominus: 
„sie  vocabitur  nomen  eins!" 

Mittelalterliche  Mystiker  werden  nicht  müde,  in  diesem 
Sinn  die  Geheimnisse  eines  Namens  zu  entschleiern.  Es  muß 
uns  als  Probe  eine  Stelle  aus  Jacob  Böhmes  Seraphinisch 
Blumengärtlein    1700,   cap.  85.  ölf)    genügen,    avo    der   Name 

')  Vgl.  E.  BiscHOKF,  Die  Kabbalah.  Einführung-  in  die  jüd.  Mystik 
u.  Geheimwissenschaft,  1908,  und  die  Elemente  der  Kabbalah,  1515. 

-=)  Neudruck  von  A.  v.  d.  Linden  (in  den  Geheim.  Wissenschaften  Ib), 
1918,  S.  219.  Wer  solche  schwindelerregende  Phantastereien  nur  dem 
Mittelalter  zutraut,  der  lese  G.  v.  Ltsts  „rrsj)ra('lie  der  Ario-Germanen  u. 


72 

Jesus  so  erklärt  wird:  „Der  innerliche  Verstand  in  den  fünf 
Vocalibus  ist  dieser:  I  ist  der  Name  lESUS.  E  ist  der  Name 
Engel.  0  ist  die  geformte  Weisheit  oder  Lust  des  I.  als  des 
lESUS,  und  ist  das  Zentrum  oder  Herz  GOTtes.  V  ist  der 
Geist,  als  das  SUS  an  dem  lESUS,  welcher  aus  der  Lust 
ausgehet.  A  ist  der  Anfang  und  das  Ende,  als  der  Wille 
der  ganzen  Fassung,  und  ist  der  Vater." 

Erwähnt  werden  mag  als  Gegenstück  zu  solcher  Art  von 
Namen  Zerlegung  die  Art,  wie  in  spiritistischen  Sitzungen 
durch  Klopflaute  Sätze  gebildet  werden:  „Derjenige,  welcher 
Mitteilungen  wünschte,  zeigte  der  Keihe  nach  auf  die  Buch- 
staben eines  gedruckten  Alphabets.  Klopflaute  gaben  dann 
die  Buchstaben  an,  welche  die  Antwort  bildeten.  Auf  diese 
Weise  konnten  Namen  oder  ganze  Sätze  schnell  zusammen- 
buchstabiert werden." ') 

4,  Der  Gefühlswert  des  reinen  Klanges  spielt  bei  den 
Geister-  und  Engels  sprachen  die  größte  Rolle.  Kühne  Wort- 
schöpfungen, die  in  Augenblicken  dichterischer  Begeisterung 
geboren  waren,  sind  ja  auch  in  der  Literatur  belegt.  Um  nur 
ein  bekanntes  Beispiel  zu  nennen:  Dehmel  schuf  im  „Trink- 
lied" so  sein  dagloni  gleia  ylühJala ;  das  erste  Wort  ist  ein  Beleg 
dafür,  daß  einem  Dichter  die  gewöhnliche  Sprache  einfach 
nicht  genügt  und  er  rein  gefühlsmäßig  —  nicht  nach  irgend- 
welchen formalen  oder  grammatischen  Vorbildern  —  ein  völlig 
neues  begeisterungtrunkenes  Wortgebilde  prägt : 

Singt  mir  das  Lied  com  Tode,  und  vom  Lehen, 
dagloni  gleia  glnldalu! 

ihre  Mysteriensprache"  oder  sein  „üeheimuis  der  Ruueii''  oder  E.  Tibdes 
Ur- arische  Gotteserkenutnis,  1917  nach,  wo  er  z.B.  belehrt  wird,  daß  alle 
germanischen  Pamenzeiehen  in  dem  „achtflächigen  Kristallsiegel",  dem 
,,Saphir"  und  ,,Stein  der  Weisen"  enthalten  sind  (S.  133 ff.).  Es  ist  lehr- 
j'eich,  Kräfte  auch  in  unserer  „modernen"  Zeit  wieder  am  Werk  zu  sehen, 
die  in  früheren  Tagen  sich  viel  ungehemmter  auswirken  konnten. 

')  A.  Lehmann,  Abergl.  u.  Zauberei '-',  1898,  248f.  Über  Buchstaben- 
zauber vgl.  im  übrigen  Dietbrich,  Rhein.  Mus.  5(3,  77  ff.  ==  Kl.  Schriften 
202 ff.:  BoLi.,  Sphaira  4t>9 ff. ;  Moök  in  Hoops  Realenc.  IV,  580,  Weber, 
Ind.  Stud.  2,  315ff.  Auch  erinnere  ich  an  die  bekannte  >iator  «repo-Forme]. 
^.  Fritsch,  Ztsc.hr.  f.  Ethnol.  XV,  1883:  Verhandl.  d.  ßerl.  anthrop.  Gesellsch. 
530  und  /nk'tzt  Skliomann,  Hess.  Rlälter  f.  N'olk^knnde  Xlll.  liJU,  154 ff. 


73 

Kling  Mang,  seht  schon  knicken  die  Reben, 
aber  sie  haben  uns  Trauben  gegeben. 
iralla  hei! 

Singt  mir  das  Lied  vom   Tode  and  vom  Leben, 
dagloni;  Scherben,  klirrlala ! 
KUngMaug :  neues  Glas!  trinkt!  wir  schweben 
über  dem   Leben,  an  dem  wir  kleben,  hei! 

So  ähnlicli  dürfte  das  Optinipoga  ,,du  mußt  schlafen"  der 
Seherin  von  Prevorst  zu  werten  sein.  Die  suggestive  Wir- 
kung des  Wortklangs  auf  Visionäre  und  Ekstatiker  läßt 
sich  häufig-  beobachten.  Wenn  Fhanz  von  Assisi  den  Namen 
„Bethlehem •'  aussprach,  empfand  er  eine  Süßigkeit  im  Mund, 
wenn  er  den  Namen  ,.Jesus"  nannte,  schmatzte  er  mit  den 
Lippen :  labia  sua,  cum  puerum  de  Bethlehem  vel  Jesum  uomi- 
naret,  quasi  lingebat  lingua.  felici  palato  degustans  et  de- 
glutiens  dulcedinem  verbi  huius. ') 

Die  Anhänger  einer  Sprachmystik  würden  hier  zu  ihrem 
liecht  kommen,  insofern  sie  überzeugt  sind,  daß  stets  bei 
einem  ^^'ortgebilde  der  lautliche,  akustische  Klangeindruck 
in  inniger  Beziehung  zum  Wortbegriff  stehe  —  nicht  nur  in 
der  verhältnismäßig  geringen  (liiippe  der  lautnachahmenden 
Schallwörter.  Solche  Mystiker  wähnen,  die  feinsten  Färbungen 
und  Schattierungen  der  Bedeutung-  aus  dem  bloßen  ^\'ortklang 
herauszuhören,  mehr  wie  das :  sie  glauben,  wie  sicli  dies  z.  B. 
auch  Jacob  Böhme  zutraute,  nur  am  lautlichen  Klang  eines 
ihnen  fremden  Worts  seine  Bedeutung  erraten  zu  können. 
Dann  gäbe  es  eigentlich  nur  eine  Avesentlich  lautmalende 
Sprache,  die  „innere"  odei-  ,.höhere''  Sprache,  wie  man  sie 
wohl  nennt,  die  „Natur-"  oder  „sensualische  Sprache"  wie  sie 
Jacob  Böuaje  heißt;  alle  wirklich  gesprochenen  wären  nur 
Zweige  und  Schößlinge  jener  allgemeinen  Ursprache,  hätten  sich 
aus  ihr  entartet,  weil  das  Gefühl  der  Menschen  sich  in  ihrer 
kulturellen  Entwicklung  änderte  und  differenzierte  und  sich  so 
auch  jener  engste  natürliche  Zusammenhang  von  Wortklang  und 

')  Siehe  ü.  Stolj.,  Siiggestioii  u.  Hypnotisiuus  i.  d.  Völkerpsychologie, 
l^eipzig  1894,  292  u.  ']77.  Andere  haben  Farbenempfinduugeu  beim  Ans- 
spreclieii  von  Worten,  „Schallpholi.smen",  s.  Htoli,  a.a.O.  476 tf. 


74 

Wortbedeutung  unter  dem  abnutzenden,  zerstörenden  Wirken 
des  x4.11taggebrauclis  allmählich  verlor  oder  doch  verdunkelte. ' ) 
Jedenfalls  ist  mir  nicht  zweifelhaft,  daß  Swedenborgs  oben 
kurz  dargelegte  Ansichten  über  die  Engels-  und  Teufels- 
sprache "2)  durchaus  auf  dieser  Vorstellung  beruhen,  wenn  auch 
alles  verfeinert  und  veredelt  ersclieint.  Man  könnte  offenbar 
diese  Swedenborg  sehe  Engels  spräche,  wenn  ich  anders  ihn 
recht  verstehe,  einer  trefflichen  Komposition  vergleichen,  die 
mit  dem  Ausdrucksvermögen  und  C-refühlsgehalt  der  Töne  eine 
bestimmte  Empfindung  oder  einen  bestimmten  Sinn  bis  zum 
völlig  eindeutigen  Ausdruck  zu  bringen  imstande  wäre,  da 
Wort  und  Sinn,  Wortklang  und  musikalischer  Ton  bis  zur 
höchsten  Vollkommenheit  einander  angepaßt  wären.  In  ähn- 
licher Weise  sagt  Kerner  in  der  „Seherin" :  „Soll  es  denn 
nicht  eine  Sprache  geben,  Avelche  die  Potenzen  und  Grada- 
tionen der  Naturdinge  ebenso  in  den  Charakteren  und  Wörtern 
ausdrückte,  wie  die  schaffende  Natur,  so  daß  beim  Hören  und 
Lesen  des  Wortes  zugleich  auch  alle  die  wesentlichen  Dinge 
selbst  zur  Vorstellung  gelangen?"  Wir  verstehen,  warum 
nach  Swedenborg  die  Sprache  der  Engel  keine  harten  Kon- 
konanten  kennt,  warum  keine  Konsonantenhäufungen  sich 
finden  und  sie  so  überreich  an  Vokalen  ist  (a.  a.O.  §  241,  S.  189j: 
sie  gleicht  einer  im  dokissimo  erklingenden,  das  reine  und 
schuldlose  Gemüt  der  Engel  eindeutig  und  restlos  wieder- 
gebenden sanften  Melodie.  So  nur  wird  schließlich  verständlich. 
Avarum  nach  Swedenborg  auch  jedem  Menschen  eine  ähn- 
liche Sprache  wie  die  der  Engel  eingepflanzt  ist:  „da  sie 
aber  bei  dem  Menschen  nicht,  wie  bei  den  Engeln,  in  die 
dem  Gefühl  analogen  A\'orte  fällt,  so  weiß  der  Mensch  nicht, 
daß  er  in  ihr  ist;  jedoch  liegt  hierin  der  Grund,  warum  der 
Mensch,  sobald  er  ins  andere  Leben  kommt,  sofort  dieselbe 
Sprache  mit  den  (Tcistern  und  Engeln  daselbst  gemein  hat, 
sie  zu  sprechen  weiß,  ohne  daß  ihn  jemand  lehrte"  (§  243, 
S.  190). 

Glauben  wir  su  die  Träume  unseres  Geistersehers  wohl 
begj-eifen  zu  können,  so  ist  gegen  jene  Theorie,  die  ja  auch 
in   dei-  Sprachwissenschaft  eine  Rolle   spielt  und  selbst  einen 

')  \'i4l.  (la/.»i  oben  S.  50.  -)  S.  52. 


Jacob  Grimm  betört  hat,  das  AValten  des  Begleitgefühls  ent- 
gegenzuhalten, des  zarten  Seelchens,  das  nicht  abgenutzten, 
unverbrauchten  ^Yorten  ihre  individuelle  Färbung,  ihre  zarte 
Leuchtkraft  und  ihren  feinen  Duft  verleiht. ')  Subjektivem 
Werten  und  nicht  zu  geringem  Phantasiespiel  wird  man  aber 
mit  nüchternem  Hinweis  auf  den  Gefühlswert  stets  einen 
schlimmen  Stand  haben.  Zur  näheren  Beleuchtung  der  An- 
sichten moderner  Mystiker  über  die  göttliche  Sprache  begnüge 
ich  mich  mit  einer  bezeichnenden  Stelle  aus  Saint  Jean  de 
LA  Croix,  La  Nuit  obscure  de  l'Ame  TL  17-):  „Wir  empfangen 
diese  mystische  Erkenntnis  Gottes  nicht  durch  Bilder  oder 
bildliche  Darstellungen,  deren  unser  Geist  sich  sonst  bedient. 
Da  nun  die  Sinne  und  die  Einbildungskraft  nicht  mit  im 
Spiel  sind,  so  erhalten  Avir  durch  diese  Erkenntnis  weder 
Gestalt  noch  Zeichen:  auch  können  wir  keinen  Bericht  dar- 
über geben  noch  etwas  als  Gleichnis  heranziehen ;  und  doch 
dringt  diese  geheimnisvolle  und  süße  Weisheit  tief  in  unsre 
innerste  Seele.  Man  denke  sich  einen  Menschen,  der  etwas 
zum  erstenmal  in  seinem  Leben  sieht.  Er  kann  es  verstehen, 
gebrauchen  und  genießen,  aber  er  weiß  es  weder  zu  benennen 
noch  zu  beschreiben,  obwohl  es  nur  ein  reines  Sinnending  ist. 
Um  wieviel  weniger  wird  er  das  können,  wenn  es  über  die 
Sinne  hinausgeht.  Das  ist  die  Eigentümlichkeit  der 
göttlichen  Sprache.'*)  Je  innerlicher,  geistiger  und  über- 
sinnlicher sie  ist,  je  mehr  geht  sie  über  die  Sinne  hinaus, 
sowohl  über  die  inneren  als  über  die  äußeren  und  erlegt  ihnen 
Schweigen  auf.  Die  Seele  fühlt  sich  dann  wie  in  einer  großen, 
tiefen  Einsamkeit,  zu  der  nichts  Geschaffenes  Zugang  hat.  in 
einer  unendlichen,  grenzenlosen  Einöde,  einer  Einöde,  die  um 
so  köstlicher  ist,  je  einsamer  sie  ist.  Li  diesem  Abgrund  der 
Weisheit  wächst  die  Seele,  indem  sie  aus  den  Quellen  der 
Erkenntnis  der  Liebe  trinkt  und  erkennt,  daß  unsere  AVorte. 
so  erhaben  und  gelehrt  sie  auch  sein  mögen,  doch  ganz  gemein, 
nichtssagend  und  ungeeignet  sind,  wenn  wir  sie  auf  göttliche 
Dinge  anwenden  wollen."    Das  musikalische  Element,  das  wir 


')  Verf.,  «itzuugsber.  d.  Heidelb.  Ak.  (l.  Wiss..  1914.  13.  Ablidl.,  S.  ISff. 
2)  .Tamb.s-Wobbermin,  Die  religiöse  Elf ahrung-,  Leipzig- 1907,  S.  378t. 
')  Von  niiv  gesperrt. 


76 

in  8wedenbor(tS  Beschreibung'  der  Engelssprache  zu  empfinden 
glaubten,  treffen  wir  auch  sonst  in  Beschreibungen  der  Mystiker 
an,  wenn  sie  von  der  Geistersprache  reden.  Man  vergleiche 
H.  P.  Blavatsky,  The  Voice  of  the  Silence'):  „Wer  die  Stimme 
der  Nada,  den  'klanglosen  Klang'  hören  und  verstehen  möchte, 
der  muß  die  Natur  der  Dharana  kennen  lernen  . . .  Wenn  ihm 
seine  eigene  (jestalt  unwirklich  erscheint,  wie  beim  Erwachen 
die  Gestalten  der  Träume,  wenn  er  aufhört,  das  Viele  zu 
sehen,  kann  er  das  Eine  erkennen  —  den  inneren  Klang,  der 
den  äußeren  verstummen  läßt.  Denn  dann  wird  die  Seele 
hören  und  das  Gehörte  behalten.  Und  dann  wird  die  Stimme 
des  Schweigens  zu  deinem  inneren  Ohre  sprechen.  Und  nun 
ist  dein  Selbst  im  Selbst  verloren,  du  selbst  in  dir  selbst, 
aufgegangen  in  dem  Selbst,  von  dem  du  zuerst  ausgegangen 
bist.  Sieh,  du  bist  das  Licht  und  der  Klang  geworden,  du 
bist  dein  Meister  und  dein  Gott.  Du  selbst  bist  der  Gegen- 
stand deines  Suchen«:  die  ungebrochene  Stimme,  die  durch  die 
Ewigkeiten  liindurchklingt  frei  von  Wechsel  und  Sünde,  in 
der  die  sieben  Töne  vereinigt  sind,  die  Stimme  des  Schweigens. 
Gm  tat  sat."  So  spielt,  wie  schon  erwähnt  (o.  S.  58,  A.  3),  das 
Klingen  einer  Glocke  in  Muhammeds  Offenbarungen  und 
Visionen  eine  große  Rolle. "-) 

5.  Der  ^^'ortrhythmus  und  die  Satzmelodie  sind  gleichfalls 
von  großer  Wichtigkeit:  so  klingt  der  Rhythmus  bei  dem  oft 
gebrauchten  Zauberwort  a-jh'.ruduralßa  oder  in  den  Sechs- 
silblern  )'aßoQy.aya(j(}OQiiti  (323),  it(((jxt)Jj-}.ncOxt/J.oj  (oft  ge- 
braucht), yMjHjrrxQÜiÄaiifiu  (337),  yoQßidOnvcr/aQövj  (127),  »V«//- 
})vXayiLa('j{h\),  axTkt:ioi}Lyi:(jyt/  (91),  ax(ji(f/^uuya}tu(jti.{ib9)  jedem, 
der  rhythmisches  Gefühl  besitzt,  in  das  Ohr.  In  dem  Abm- 
mduhm  ist  neben  dem  Reim  der  Rhythmus  nicht  zu  verkennen. 
Auch  kann  man  auf  die  oben  (S.  30)  angeführten  Worte  eines 
Zungenredners  hinweisen : 

xanifala.  mmfala.  simj  simj. 

}yiangal(i.  mangalo,  manq  mang  mang. 

wo    neben    F^eim    und   Ablautspiel    vor    allem   der  Rhythmus 

')  James -WoBBBRMiN  a.  a.  U.  3921. 

-')  .]a.mk.s-\\  (»HBKKMiN  iv.  11.  0.  442,  >«»>L,i>KKK.  (ie«ch.  (1.  Koiaü.s,  8.  It). 


77 

auffällt,  jener  volkstümli<^he  Vierheber,  den  schon  die  Kinder 
bei  ihrem  Spiel  stets  anwenden :  x  x  x  x  x. 

G.  Der  Spieltrieb,  wie  er  sich  in  sog.  „Streckformen" 
und  künstlichen  Sprachspielen  wie  der  2)0-,  /f- Sprache i)  u.dgl. 
äußert,  kommt  auch  für  die  Geisterworte  in  Betracht :  z.  B. 
^uijßaQtij'/.  JaijßaQau]?.  /ffoc  ^ßaijßaQCOj).  ßrjkßovtj).  (94),  f/:wjj- 
qcoQ(fco()ßa  ßoj(fOQCf/OQßa  ffOQrfOQffOQßa  ßcoßoQßoQßa  ßo)ßoQ- 
ßo(jßa  (373).  Ein  besonders  lehrreiches  Beispiel  entnehme  ich 
der  ungarischen  Literatur.'-)  J.  Arany,  läßt  in  dem  Gedicht 
,.J6ka  ördöge"  einen  Teufelsbeschwörer  so  sprechen:  turgu- 
dorgod  mirffit  fo rgoffa rgcuUfarr/dl  '^  argadöfsogorgont  margar- 
gadtfärgnL  Streicht  man  nun  nach  dem  System  der  sog. 
'Vogelsprache'  in  jeder  Silbe  >f/  ]  Vokal,  so  bleiben  zwei  ganz 
gewöhnliche  Sätze:  htdod  mit  fogattdl?  „weißt  du,  was  du 
versprochen  hast?"  adosoni  mamdial  „mein  Schuldner  ist  ge- 
blieben". 

7.  Nachahmung  eines  allgemeinen  Sprach  Charakters  in 
der  Wahl  besonderer  Vokale  oder  Konsonantengruppeu,  vor 
allem  auch  mit  üblichen  Endungen,  wie  wir  sie  oft  in  der 
Studentensprache  beobachten  (Buckelorum  „Buckliger".  Hal- 
lorum, SchlinkschlangscJdonim.  Fidibus  usw.)  ^)  Hier  scheint  bei 
den  roces  mgstime  das  Semitische,  vielleicht  auch  Ägyptische 
eine  besonders  vorbildliche  Rolle  gespielt  zu  haben:  viele 
Worte  haben  eine  semitische  Klangfarbe,  z.  B.  cüan  (21), 
0(}yo{)  (82),  if>(Kctj/.  :  iötqu/jX  (114),  (Kfvovr  (100),  dc.vovjr  (150), 
001^,7(261),  wo/ (276),  ;.«a«// (278),  .«^«xo/ (287)  usw.:  das 
sind  alles  natürlich  nur  subjektive  Eindrücke.  Bei  der  Kassler 
Pfingstbewegung  ist  ein  slavischei'  Einfluß  nicht  zu  verkennen : 
wotschikrei  usw.  Hier  spielen  zweifellos  unbewußt  fortwirkende 
Gehörseindrücke  eine  Rolle.  Dem  Sprachforscher  macht  die 
mittelalterliche  Formel  Ai/nnifiapt«  einen  indischen  Eindruck, 
sicherlich  mit  Unrecht. 

Sehr  interessant  ist  es,  bei  einem  über  ganz  Europa  ver- 
breiteten Märchen,")  wie  dem  „Rumpelstilzchen",  zu  beobachten. 

')  Neue  Proben  s.  Mitteil.  Schles.  Ge.s.  f.  Volkskunde,  1918,  S.  215. 
0  Siehe  Emerich  Kövi,  PBB  32,  1907,  554. 

')  Siehe  Kluge,  Deutsche  Studentensprache ,  1895,  40 f.  Belege  für 
allgemeine  Xachahnmng  bietet  das  Persische  bei  Aristophanes. 

*j  Siehe  die  Anmerkgn.  v.  I>oLrE--PoLi\  ka  z.  d.  .Märchen,  19U5,  495. 


78 

wie  der  Name  des  seinem  Wesen  in  allen  Varianten  stets 
gleichbleibenden  Kobolds  je  nach  der  betretenden  Sprache 
sich  ändert,  wie  man  also  bei  der  Übernahme  des  Märclien- 
stoffs  den  Geisternamen  nach  dem  betreffenden  Sprachgefühl 
umgewandelt  hat^): 

a)  Gewöhnliche  Namen:  dithmarsch.  Gehhart,  schlesw. 
Hans  Donnerstag,  oldenb.  Vater  FinA:  österr.  Felix,  franz.  Die 
et  Don,  bask.  Kirikitom. 

b)  Ablautende  Namen:  franz.  li.icdin  Fdcdon,  engl.  Tom 
Tit  Tot,  cech.  Tingl-Tangl,  schles.  Friemel,  Friemel,  Frumpenstü. 

c)  Reimformen:  poln.  (drei  Frauen)  Ciacia  Lacia,  Eup- 
eup-cup  pro  drodse,  nsächs.  HoUrühieh.  Bonneführlein,  silt. 
FMe  Nehhe-pen.  ostpreuß.  Fttle  Fettle. 

d)  Umschreibungen:  sizil.  ligna  di  smpa ,  ungar.  Varga- 
liiska,  westfäl.  Hoppeltinken ,  liess.  Biimpelstibchen ,  pomm. 
Doppeltiirk,  swaart  Hex,  österr.  Hpringhunderl ,  Knmmugeli 
Ziliguckerl,  tirol.  Kugerl,  Kistl  im  Körhl  Furzinigele,  Halmen - 
MJcerle,  Spit^hartele,  Waldlügele,  harz.  Fidlefitclien,  opfälz.  Spitz- 
bärtl,  schlesw.  Knirrfwker,  deutschung.  Winterkölhl,  niedsächs. 
Verlefrän.zehen ,  Joppentienchen,  antwerp.  KwispeUolje,  hess. 
Flederflitß,  olausitz.  Cijketarusk,  schott.  Fittletot,  Whuppity, 
Stoorie,  cech.  Knlfacek,  harz.  Pampernelle. 

e)  P  h  a n t  a s  i  e n  a m  e  n :  franz.  Racapet,  it al.  Tarandi),  Zoro- 
hiihli,  westfäl.  Zirkm-k,  schwed.  Titeliturl,  lothr.  Ropicjuet,  franz. 
Virloiivet,  Mirkikevir,  Bodomont.  deutsch  (dial.)  Hippche,  Island. 
(iilitrutt  usw. 

Es  ist  höchst  reizvoll,  diese  künstlichen  „Urschöpfungen" 
eines  Koboldnamens  stets  durch  den  allgemeinen  Sprach- 
charakter des  betreffenden  Volkes  bedingt  zu  sehen. 

8.  An  letzter  Stelle  dieser  ersten  Hauptgruppe  von  Götter- 
und  Geisterworten  möge  eine  Deutung  einzelner  Wörter  aus 
der  unbekannten  Sprache  2)  der  heiligen  Hildegaruis  versucht 
werden,  die  im  Jahre  1179  als  Äbtissin  des  Klosters  Rupertsberg 
bei  Bingen  gestorben  ist  (s.  0.  S.  29).    Es  ist  l)ekannt,  daß  diese 

')  Belege  der  Namen  bei  Poi>fvKA,  Ztschr.  f.  Volkskunde  10.  liKK», 
S.  254  ff.,  382  ff. 

*)  Abdruck  der  Glossen  beiEoTH,  Geschichtsquellen  aus  Nassau  III,  1880, 
S.  457  ff.  und  bei  Stkinmeyer,  Altbochd.  Glossen  ITT.  390  ff.  Die  anderen 
Werke  lici  Mi(iNK,  Patrologia  latiiia,  IUI.  197.  IS'm. 


79 

außerordentliche  Frau,  die  als  Dichterin  und  Philosophin,  als 
Ärztin  und  Naturforscherin  in  ihrer  Zeit  hervorragte,  Visionen 
hatte  und  als  Seherin  bei  ihren  Zeitgenossen  großes  Ansehen 
genoß.  So  soll  sie  im  Jahre  1141.  als  sie  im  43.  Lebensjahre 
stand,  plötzlich  ein  Licht  umleuchtet  haben,  und  sie  glaubte 
den  überirdischen  Befehl  zu  hören:  „Du  gebrechlich  Geschöpf, 
Staub  von  Staub  und  Asche  von  Asche,  sprich  und  schreibe, 
was  du  siehst  und  hörst.  Sprich  und  schreibe  nicht  nacli 
menschlicher  Rede,  nicht  nach  menschlicher  Einsicht,  nicht 
nach  menschlicher  Darstellungsweise,  sondern  so,  wie  du  es 
in  Gott  vernimmst,  so,  Avie  der  Schüler  die  Worte  des  Lehrers 
wiederholt!"'  ')  In  einem  Briet  an  den  Mönch  Wibert  von 
Gembloux  teilt  sie  Genaueres  über  die  Art  ihrer  Visionen 
mit  2):  „Wie  der  Spiegel,  der  alles  reflektiert,  in  einen  Rahmen 
gefaßt  wird,  so  hat  Gott  die  menschliche  Vernunft  in  den 
Rahmen  des  Körpers  eingeschlossen.  Durch  sie  schaut  der 
Mensch  die  Geheimnisse  Gottes  wie  in  einem  Spiegel  .  .  .  Von 
meiner  Kindheit  bis  zu  dieser  Stunde,  da  ich  über  siebzig 
Jahre  zähle,  gewahre  ich  ununterbrochen  jenes  Licht  in 
meinem  Innersten.  In  diesem  Licht  erhebt  sich  meine  Seele 
auf  Gottes  Geheiß  zur  Höhe  des  Himmels,  in  die  Lüfte  und 
zu  den  ^^^olken,  zu  den  entferntesten  Orten  und  ihren  Be- 
wohnern. Ich  sehe  alles  bis  ins  Kleinste.  Aber  ich  vernehme 
es  nicht  durch  die  fünf  Sinne  meines  Körpers,  ich  erreiche 
es  nicht  durch  intensive  Gedankenarbeit,  sondern  alles  steht 
klar  vor  meinem  Geiste.  Meine  Augen  sind  offen,  keine  Ek- 
stase umfängt  mich.  Ich  schaue  es  Tag  und  Nacht,  wachend 
und  nicht  träumend,  aber  oft  todkrank  und  sterbensmatt. 
Das  Licht,  welches  ich  erblicke,  ist  an  keinen  Raum  gebun- 
den. Abe»'  es  ist  heller  als  die  AVolke,  welche  die  Sonne 
trägt.  Es  hat  weder  Länge  noch  Breite  noch  Tiefe.  Ich 
nenne  es  den  „Schatten  des  lebendigen  Lichtes".  Wie  Sonne. 
Mond  und  Sterne  sich  im  Wasser  spiegeln,  so  spiegelt  sich 
in  ihm  Schrift  und  Wort.  Tun  und  Lassen  der  Menschen. 
Was  ich  in  diesem  Lichte  schaue,  verstehe  ich  sofort  und  be- 
halte  es   lange  Zeit.     Was   ich   aber  nicht  in  diesem  Lichte 


1)  JoH.  May,   Die  heilige  Hildegard  von  Hingen.   1911,   45. 
0  May  a.  a.  <J.  4r;. 


80 

erkenne,  bleibt  mir  fremd,  da  ich  keine  gelehrte  Bildung-  be- 
sitze. Was  ich  in  diesem  Lichte  sehe,  höre  oder  schreibe, 
bringe  ich  in  formlosen  lateinischen  Worten  vor,  so  wie  ich 
sie  in  der  Vision  vernehme.  Ich  schreibe  nicht,  wie  die  Philo- 
sophen, meine  Worte  erklingen  nicht  wie  die  menschliche 
Stimme,  sondern  sie  gleichen  einer  zuckenden  Flamme,  einei- 
Wolke,  die  in  klarer  Luft  schwebt.  Die  Gestalt  des  Lichts 
umfasse  ich  so  wenig,  als  ich  die  Sonnenkugel  mit  meiner 
Hand  umspannen  kann.  Manchmal,  jedoch  nicht  häufig,  sehe 
ich  in  der  Lichtwolke  ein  anderes  helleres  Licht,  das  ich  das 
'lebendige  Licht"  nenne." 

Liest  man  diese  Schilderungen  und  berücksichtigt  man, 
wie  interessant  und  wertvoll  gerade  für  den  Sprachforscher 
die  Pflanzennamen  in  den  Physica  der  Hildegabdis  sind, ») 
so  bringt  man  den  Mitteilungen  über  die  unbekannte  Sprache 
lebhaften  Anteil  entgegen,  um  leider  bald  enttäuscht  zu  werden. 
Denn  es  handelt  sich  bei  einer  ganzen  Anzahl  der  rund  900 
Glossen,  aus  denen  diese  lingua  ignota  per  simplicem  hominem 
Hildegardem  prolata  in  dem  Wiesbadener  Codex  Blatt  459  ff. 
besteht,  nicht,  wie  man  etwa  erwarten  sollte,  um  gefühls- 
durchtränkte  Lautgebilde  als  Ausdruck  eines  übermächtigen 
seelischen  Erlebnisses  und  verzückten  Schauens.  sondern  um 
—  spielerische  Verdrehungen  deutscher  und  latei- 
nischer Worte.  Es  ist  schon  bemerkenswert  und  unbestreit- 
bar, daß  die  „unbekannte  Schrift"  der  Hildegabdis  nichts  als 
eine  offenkundige  spielerische  Entstellung  der  damals  üblichen 
Schriftzüge  darstellt,  indem  der  Lautwert  der  Buchstaben 
nur  versetzt  und  ein  paar  Häkchen  und  Strichlein  an  die 
üblichen  Formen  gefügt  sind ;  -)  auch  Avird  man  von  vornherein 
enttäuscht,  statt  einer  Beschreibung  ganzer  Sätze  und  gram- 
matischer P'ormen  nur  Glossen  zu  finden.  Seltsam  und  be- 
fremdend für  unser  Gefühl  wirkt  auch  die  Verwendung  ver- 
einzelter Glossen  als  Götterworte  in  den  sonst  lateinisch  ge- 
schriebenen Hymnen  der  Heiligen,  z.  B.  (in  dedicatione  ecclesie 
Nr.  54):  O  ecclesia  or^chis  armis  divinis  precincta  et  iadncto 
ornata    tu   es  caldevmft  stigmatum  loifolum  et  urhs  scienciarmn 


')  Vgl.  z.  B.  Ztschr.  f.  (1.  WüitforscLuug-  TU,  800. 

••)  W.  tiKi.M.M,  Ztsclir.  f.  (l.  A.  (1,  1848,  324  ft". ;   May  a.a.O.  23if. 


81 

0  0  tu  es  eciam  cri^anca  in  alto  sono  et  es  chor^ca  gemma. 
Wenn  die  Glossen  ferner  im  seligen,  liclitverklärten  Schauen 
himmlischer  Geheimnisse  entstanden  Avären,  dann  verstünde 
man  nur  schwer,  daß  eine  Verstandes-,  nicht  gefühlsmäßige 
Logik  in  manchen  Bildungen  von  Götterworten  herrscht.  So 
z.  B.:  Mai^  'mater'  :  Hilpnai^  'noverca',  Feiteri^  'pater'  :  Hü^- 
2)euen^  'nutricus',  Petto rs  'patruus',  also  von  Feueri^  wie 
patruus  von  pater  abgeleitet,  ähnlich  Mai^fia  'matertera'  von 
Mai^  , mater',  Peuearre^  'patriarcha'  zu  Peuors,  Peueri^,  Pha- 
^Mr'avus'  und  isTwZ^jj/ia^io' 'attavus':  hier  war  unbestreitbar 
das  Lateinische  unmittelbares  Vorbild. 

Gehen  wir  aber  von  solchen  allgemeinen  Erwägungen  zu 
einer  kritischen  Prüfung  der  Einzelheiten  über,  dann  erinnern 
die  Glossen  der  Hlldegardis  nicht  an  die  Sprache  der  Seherin 
von  Prevorst  und  ähnliche  gefühlsgeschaffene  Lautgebilde, 
sondern  —  an  Geheimsprachen  spielerischer  Art,  wie  wir  sie 
auch  sonst  aus  der  mittelalterlichen  Literatur  kennen,  i)  So 
werden  z.  B.  in  den  Schriften  des  Grammatikers  Vikgilius, 
'De  duodecim  latinitatibus'  folgende  besondere  Methoden,  Ge- 
heimworte zu  bilden,  unterschieden:    L  die  usitata  latinitas, 

2.  statt  des  ganzen  Worts  wird  nur  ein  Buchstabe  geschrieben, 

3.  die  Neubildung  'nee  tota  usitata  nee  tota  inusitata',  wie  z.  B. 
gilmola  für  gula,  4.  spielerische  Umformungen  von  Zahlwörtern: 
nim  'unus',  dun  'duo',  5.  'metrofia,  hoc  est  intellectualis',  ut 
dicantabat  id  est  principium,  sade  id  est  iustitia,  6.  statt 
eines  Wortes  steht  ein  ganzer  Satz,  7.  statt  eines  Satzes  ein 
Wort,  8.  Vertauschuug  der  Casus  und  Modi,  9.  eine  Silbe 
erhält  die  mannigfaclisten  Bedeutungen,  10.  'pro  uno  fono 
usitato  multa  ponuntur",  11.  'spela,  hoc  est  humillima,  quae 
semper  res  terrenas  loquitur,  12.  polema,  hoc  est  superna, 
quae  de  superioribus  tractat'.  Zu  diesen  wunderlichen  Spiele- 
reien bemerkt  Goetz  mit  Recht:  „Wir  haben  hier  sj^stematisch 
durchgebildete  Geheimsprachen,  die  aber  nur  im  Schatten  der 
Schule  ein  dunkles  Dasein  führten,  den  Esoterikern  ein  geist- 
reiches oder  geistloses  Spiel,  den  Exotikern  gegenüber  ein 
Mittel,    sich    prahlerisch    geheimnisvoller   Weisheit   zu   rüh- 

0  Vgl.  Goetz,   Über  Dunkel-   und  Geheimspracheu  im  späten  und 
mittelalterlichen  Latein,  Ber.  d.  Verh.  d.  Sachs.  Ges.  d.  Wiss. ,  1896,  48,  62 ff. 
Güntert,  Sprache  der  Götter  und  Geister.  fi 


82 

men."  i)  Ähnliche  Weisheit,  die  uns  in  die  Technik  bei  der 
Bildung  von  Geheim  Wörtern  einführt,  findet  man  in  Schwenters 
„Steganologia  et  Steganographia  aucta  Geheime,  Magische, 
Natürliche  Red  vnnd  Schreibkunst"  aus  der  Zeit  um  1620: 
die  Silben-  und  Buchstabenänderung  und  ihre  Vertauschung 
spielt  dabei  die  Hauptrolle.  2)  Daß  wir  an  solche  Spielereien 
aucli  bei  den  meisten  Glossen  der  Hildegardis  zu  denken 
haben,  zeigt  die  Beobachtung,  daß  viele  „Götterworte"  in 
enger  Abhängigkeit  von  lateinischen  und  deutschen  Grund- 
wörtern, oft  mit  bestimmten,  häufig  wiederkehrenden  Suffixen, 
gebildet  sind.    Wir  unterscheiden: 

a)  Lateinisch-griechische  Grundwörter.  1.  Mit 
Suffixvariation,  z.  B.  -Uhi^  in  Kir^an^lihi^  'missalis  liber', 
Jpm^iolibi^  ' evangeliorum  liber',  Mumi^alibi^  'matutinalis  liber' 
ist  lat.  lih[er-\-iz;  folglich  enthält  Lihi^aman^  'liber'  nur  noch- 
malige Suffixerweiterung:  lih  +  w  +  am  -f  an$,  Iuri§  „Eichter" 
=^-  iur[is-  +  iz,  Agilarcliini^  '  magister  scholarum '  =  aytläQi[riQ, 
+  in  +  is,  Ieui§  'iecur'  =  lat.  ie[c]u[r  +  iz  mit  ausgelassenem  c, 
Maia^  'maxilla'  =  lat.  mafxjiflla  +  az,  Gole^ia  'coUum'  =  col- 
[lum  -\-  es  -\-  ia,  i?t<&iaM|'  'sanguis'  =  lat.  ruh[er  +  ian^,  Dormel 
'culus'  =  dor[su]m  -\-  el,  Kolin^ia  'colu'  =  col[u  -f  iw^  +  ia, 
G'id§ia  'faux'  ==  gtilfa  ~[-  §  +  ia,  Hascuül  'nasus',  sicher  Schreib- 
fehler für  Nascuül,  vgl.  Nascu-§ir^  'naseloch',  also  nasftis  +  cu, 
Cö5m^m ' Costa'  =  „gestrecktes"  cosfta  -f  in§  +  ia,  I)uoU§:  'nates' 
=  lat.  duo-  +  li^,  vgl.  frz.  les  deux  soeurs  =  'fesses',  Dizol  'do- 
minica  dies'  =  di[es  ■+-  sol[is,  Sanccuua  'cripta'  =  sanctua,  Ceril 
'cerebrum'  =  cer [ebnem  +  H,  No^ia  'ulula'  =  lat.  nocftua  +  ia, 
Fluan^  'tocium,  Harn'  =  flu[ere  +  an^,  ümbripo  'tectnm'  = 
umbrfa  +  i^  +  io  „Schattenspender",  Tronischia  'cathedra'  = 
t(h)ron[us,  dQÖvoq  +  iscJiia,  Mais  'mater'  =  mafter  +  is,  Neni^ 
'nepos' =  ne/2JOS  +  m>,  jBüsm^ 'bubulcus' :=&05  +  m^',  Scorin^ 
'cor'  =  s  +  cor  +  in^,  Figire^  'pictor'  =  ßgurfa  +  e^,  Pillix 
'capitellum'  =  caJpi/teJUfum  +  ix,  Ipari^  ' Spiritus'  =  sjpirfitus 
mit  Vokalspiel  +  ^>,  Äbiol  'abbas'  =  a6/^6a5  + «oZ,  Kanelis 
«cantor'  =  canffor,    Karin^  'cardinalis',    Enpholian^  'epus'  = 


>)  A.  a.  0.  S.  91. 

'^)  Siehe  den  Text  bei  Kluge,  Kotwelsch,  Quellen  u.  Wortschatz  der 
Gaunersprache  u.  d.  verw.  Geheimspracheu,  1901,  I,  132  ff. 


83 

infula  +  ian^,  Cherin  'gruz '  =  xaiQtiv,  Aigons  'deus',  Aiegan^ 
'angelus'  =  lat.  aefvum,  gr.  aifcov,  also  „der  ewige",  Osinz 
'mandibula'  =  lat.  os  +  ins,  Lu^eia  'oculus',  aber  Ln^immphia 
'  ougappel ',  Lupliet '  cilium '  =  lux  -f  dli[um,  Beni^scia '  dextra ' 
=r--  „segnende",  henfedjicfens,  Buian^  'vesica'  =  hu[lla  -f-  ian^, 
Zir^er  'anus'  =  circfulus  vom  Ring  im  Mastdarm,  Mon^chia  = 
mon[a]s[tenum]  +  chia,  Luican^  'lucerna'  =  lucferna,  Pere^ilin^ 
'  imperator '  =  iwjperfator  variiert,  lii/cJiol '  rex '  =  reg-,  wohl  mit 
alid.  riche  vermengt,  GospiUanj  'dapifer'  =  hospiftes,  mit  Va- 
riation des  Anlauts  wegen  Gast,  das  bei  der  Wortschöpfung 
vorschwebt,  Spari$in  „Wedel"  =  spar[gere  +  ^^  +  in,  Zim^i- 
tama  'exercitus'  ■■=  redupliziertes  exerjcitfus,  Nolisclia,  Deni- 
^imo  „November,  Dezember"  variieren  nur  die  ersten  Silben 
der  lateinischen  Worte.  Auiri^  'nauclerus'  =  [njavis  +  i^, 
Beluai^  'venator'  =  helua  -|-  is,  Zilix  'socius'  ==  sojcifus  -\-  lix, 
Zi^im '  circinum '  =  ci[r]ci[nu]m,  Bunaz  'responsorium'  =  du[o 
+  naz,  ^)  Korischol  'pfellel'  =  corifum  -\-  schol,  Kolian^  'claudus' 
=  yo)X[6c.  -f  ian^,  Beueriz  'pater'  =  pfater  rjeverfenchis  +  is, 
Kelions  'papa'  =  c[aput]  e[cc]le[siae ,  Tronpol  'patronus'  ^ 
X)a]tron[us  +  d  +  ol,  Brani$el  'bracchium'  =  hra[chium-\-nis+el, 
3Ialui$ia  'meretrix'  enthält  malfus  am  Anfang,  Mel$ita  'hunec- 
wir^'  =  mel,   Cruni$  =  crufs  +  ni£. 

2.  Umstellung  der  Buchstaben:  z.B.  Inimois  ^homo^  = 
hominis,  luv  ^ vir'  ^=  vir,  (vgl.  aber  C/^r?a^J 'testiculi',  Viriscal 
'barba'),  Vri^oil  'virgo'  =  virgo  +  il,  Loiffol  'populus'  ^=  xjopuli 
mit  spielerischem  Wandel  der  p  in  f,  Culi^in^  'villicus'  = 
vilfljicus  verstellt,  Scailo  'clericus'  aus  sacfer  +  ilo  umgestellt. 

b)  Deutsche  Grundwörter  liegen  vor  z.  B.  in  Fuscal 
*pes',  Funi^  'planta  pedis',  Fusclialio^  'bases'  =  fuß  +  cd,  +  ni^, 
Gar^in^  'hortulanus'  =  gart[en  -\-  in^,  Gagria  ^ eniser'  =  gackern 
„die  Schnatterin",  ürchio  'ciconia'  =  [stjorch  -}-  io,  Noi/ca 
'nathdegala'  =  Nacht[igall,  bzw.  mit  Anklang  von  lat.  noct-, 
vgl.  Noi^hi^  'nocticorax',  Suin^  'sudor'  =  stvitf^en,  Agi^inix 
'magister'  =  m]ages[ogo  +  in  +  ix,  Scraphin^  'krephelin'  =  s  + 
krapfo  „Krapfen"  +  in^,  Munchpdol  'nummularius'  =  munfi^a 
„Münze"  4-  Suffixkonglomerat,  Bimin^sta  'cos'  =  Bimsstein, 
Clomischol  'campana'  ==  „gestrecktes"  GlofcJce,  Zeia  'testis'  = 

•)  Siehe  oben  dun  'duo'. 

6* 


84 

^eifchen,  seifhen,  Z'mc^i'm 'candela'  =  Kienfspan,  Kinchfcali/ 
'candelabrum'  =  Kien  +  calix,  also  „Kienhalter",  Ziw^ia  'ansa' 
=  ^inkfen  +  ia,  Oir  'auris'  =  Ohr,  mit  Einwirkung  von  auris, 
Motm  'os'  =  Munfd  -\-  ü  mit  Vokal  Variation,  Malfhir  'molaris 
deus'  =  malen,  malmen  mit  möglicher  Einwirkung  von  lat. 
molaris,  Galich  ^menihrm-n'  ==  Glied,  g^'lid,  SiM.  gilit,  Danj 'in- 
testina' =  Barfm  +  ^  Büidio  'caelatura'  =  ahd.  Midi  „Bild", 
Sterauin^ia 'frons^  Stirn,  dhd.stirna,  mit  Vocal Variation,  Scar- 
dux '  dux ' = Schar,  ahd.  sl-ara  -f  dux,  Scal^io '  umerus '  =  Schulter, 
ahd.  scid[tirra  mit  Yokalvariation,  Kri^ia  'ecclesia'  =  Kretis, 
ahd.  krUd,  Hoil  'caput'  ho[uhit  +  il,  Li^o  'saltator'  =  ahd.  leih 
„Spiel,  Tanz",  Bahini^  'praedo'  =  rauhen  mit  Vermischung 
von  r apere,  Fulscaioli^  'auceps'  =  im  ersten  Glied  fofgajl,  got. 
ftigls  „Vogel",  Bumheri^ ''plsiwstrvim.^  =  Bums,  onomatopoetische 
Bildung,    Flagur  'flamma'  =  flackern,  lat.  flagrare. 

c)  Ein  slavisches  Grundwort  scheint  mir  Zuuen^ 
'sanctus'  =  abg.  si;^fe  „heilig"  zugrunde  zu  liegen,  was  ich  der 
seltsamen  Sprachbeziehung  wegen  besonders  erwähne.  Sogar 
Anklänge  an  Geheimsprachen  neuerer  Herkunft  finden  sich, 
z.B.  erinnert  Miskila  ^soror'  auffällig  an  Meschel,^)  MischV-) 
„Mädchen"  moderner  Geheimsprachen.  Da  ich  aber  sonst 
keine  weitereu  beweisenden  Beziehungen  mit  dem  Rotwelsch 
gefunden  habe,  kann  dies  ein  zufälliger  Anklang  sein  oder 
auf  ein  gemeinsames  hebräisches  Wort  zurückgehen.  Die 
Übersicht  über  die  von  mir  vorgetragenen  Deutungen  3)  dürfte 
zur  Genüge  den  Beweis  erbringen,  daß  wir  es  hier  mit  einer 
Art  Geheimsprache  zu  tun  haben,  und  daß  der  Spieltrieb  die 
größte  Eolle  bei  den  Glossen  der  Hildegakdis  spielt.  Ich 
kann  Johannes  May,  der  vom  katholischen  Standpunkt  aus 


1)  Kluge,  Kotwelsch,  1901,  489  (Krämersprache). 

'^)  a.  a.  0.  417  (Wiener  Dirneiispraehe). 

3)  Kur  etwa  ein  Dutzend  Glossen  fand  ich  bereits  gedeutet  bei 
GÖRRES,  Mystik,  1837,  11,153,  W.Grimm,  a.a.O.  339,  Goetz,  Ber.  d. 
Verb.  d.  Sachs.  Ges.  d.  Wiss.,  1896,  48,  92,  J.  May,  a.  a.  0.  232,  Kluge, 
Unser  Deutsch  =*,  1914,  71  ff.  Eine  ganze  Keibe  Vermutungen  kann  ich  hier 
nicht  weiter  anführen,  eine  möge  wegen  der  Kuriosität  des  Falles  wenigstens 
hier  folgen:  Arschia  'culix'  scheint  auf  einer  tollen  Mönchsetymologie  zu 
beruhen,  die  culix  von  culus  ableitete:  ctdus  M'urde  ins  Deutsche  übersetzt 
und  mit  dem  auch  sonst  begegnenden  Ausgang  -chia  vermummt. 


85 

das  Leben  der  Heiligen  scliildert,  im  übrigen  nur  beistimmen, 
wenn  er  über  die  „unbekannte  Spraclie"  sich  so  äußert  i): 
„In  freiem  Spiel  der  Phantasie  und  in  Anlehnung  an  bekannte 
Worte  hat  Hildegakd  ihre  unbekannte  Sprache  geschaffen  . . . 
Daß  sie  selbst  bei  Darstellung  der  Geheimsprache  unter  dem 
Einfluß  übernatürlicher  Erleuchtung  zu  stehen  glaubt,  ändert 
an  dieser  Tatsache  nichts.  Im  übrigen  hatten  schon  die 
Kluniazenser,  wie  später  die  Zisterzienser  eine  ausgebildete 
Zeichensprache  .  .  .  Nicht  ganz  so,  aber  ähnlich  wird  auch  der 
Zweck  der  Rupertsberger  Geheimsprache  gewesen  sein.  Zu- 
nächst mußte  es  auf  die  Zuhörer  einen  feierlichen,  tiefen  Ein- 
druck machen,  wenn  der  Konvent  in  einer  noch  nie  gehörten 
Sprache  verkehrte  oder  deren  Worte  in  fi-ommen  Liedern  ge- 
brauchte. Sodann  konnte  es  immerhin  von  AVert  sein,  in 
einer  politisch  und  religiös  aufgewühlten  Zeit  ein  Verständi- 
gungsmittel zu  besitzen,  das  nur  eingeweihten  Kreisen  ge- 
läufig war." 

Wir  kommen  zu  der  sprachlich  viel  reizvolleren  zweiten 
Hauptgruppe  von  Geisterworten,  nämlich  zu  denen,  die  aus 
tatsächlich  vorhandenen  Sprachen  genommen  sind.  Wir  können 
da  etwa  folgende  Fälle  absondern: 

1.  Formeln,  Gebete,  Namen  usw.  in  der  betr.  Mutter- 
sprache. Wie  häufig  ist  etwa  das  Vaterunser  oder  der  Name 
Gottes,  Christi  oder  irgend  eines  Heiligen  zugleich  magisches 
Zauberwort  in  Segen,  Amuletten,  Himmelsbriefen  usw.  2)  Man 
erinnere  sich  auch  an  das  'ici  Hussein  der  ekstatischen  Perser 
am  10.  Tag  des  Moharrem,  an  das  Allah  der  tanzenden  Der- 
wische, an  das  glory,  gloryl  in  den  'jerks'  der  Puritaner,  s) 
Aus  dem  griechischen  Altertum  darf  man  an  Formeln  denken 
wie  vfiijv  CO  vfaratt,  w  tov  "Aöcovtv,  co  Öid^vQaftße.  Dabei 
iiaben  naturgemäß  viele  der  Namen  einen  für  den  gemeinen 
Mann  fremdartigen  Klang.  Besonders  lehrreich  ist  es,  daß 
nach  nordischem  Volksglauben  die  Trolle  im  Hallingdal  sich 


>)  a.  a.  0.  232. 

■'')  Siehe  obiges  Beispiel  S.  lü,  A.  2. 

3)  Siehe  S.  Hbdin,  Zu  Land  uach  Indien,  1910,  II,  70 ;  0.  Stoll,  Sug- 
gestion u.  Hypnotismus  i.  d.  Völkerpsych.  381. 


86 

beim  Schwur  noch  des  altheidnischeii  altnordischen  Rufs  heil 
bedienen.  0 

2.  Fremde  Sprachen  liefern  einfach  Worte  einer  Geister- 
sprache. Wir  haben  oben  S.  34  f.  das  Latein  in  diesem  Sinne 
betrachtet,  und  es  ist  ganz  richtig  empfunden,  wenn  Hauff 
in  seinem  „Kalif  Storch"  das  Zauberwort  mutäbor  erfindet.  Im 
Hellenismus  gaben  echt  ägyptische  und  aramäische,  im  Ägyp- 
tischen phönizisch- semitische  Worte  2)  leicht  Material.  Daß 
dabei  Verdrehungen  mit  und  ohne  Absicht  begegnen  können, 
ist  selbstverständlich.  Als  Beispiele  nenne  ich  Adonai,  El, 
Sadai,  Zebaoth,  Alpha  Omega,  Athanatos,  Tetragrammatron 
u.  dgl.,  die  in  mittelalterlichen  Beschwörungsformeln  =*)  als 
Geisterworte  erscheinen,  und  bei  den  griechischen  voces  mysticae 
und  Zaubersprüchen  treffen  wir  ^äQctjtiQ  (25)  und  ^Jiid^  (92), 
MixarjX,  Faß^nß,  'Pcctpatß,  ^aßaco{}-  und  'Admvai  (z.  B.  210 
und  oft),  "laig  und  "S2oiqiq  (QQ),  'i^Qog  {182)  usw.")  In  den 
oracula  Sibyllina  finden  wir  folgende  cUp&^iToi  dyys^aTJQeg  in 
einen  Vers  zusammengefaßt  (v.  215,  ed.  Rzach): 

'Agaxtrj/,  '^Paizi^X  OvQitjX  2!afiu)X  ACar/X  xt. 

Bekannt  ist  die  Erörterung  der  kniffligen  Streitfrage,  ob 
die  Engel  griechisch  oder  hebräisch  sprechen,  die  im  Mittel- 
alter ebenso  ernstlich  erörtert  wurde,  wie  die  Sprachart,  die 
Adam  im  Paradies  gesprochen  habe.  Das  Wichtige  für  uns 
ist  hier  eben  die  Tatsache,  daß  man  auch  eine  bestehende 
Menschensprache  als  Paradies-  oder  Engels  spräche  ansah. 
Man  fühlt  sich  dabei  an  Goethes  Verse  erinnert: 

und  so  möchf  ich  alle  Freunde, 
jung  und  alt,  in  eins  versammeln, 
gar  mi  gern  in  deutscher  Sprache 
Paradieses  -Worte  stammeln. 

»)  E.  Smith,  Maal  og  Minne,  1918,  10.  Hier  finde  ich  auch  die  An- 
gabe, daß  die  Bevölkerung  in  Kaschmir  für  „Menschen"  das  alte  Sauskrit- 
wort  manöl  verwende,  während  das  ursprüngliche,  einheimische  von 
Dämonen  gebraucht  wird. 

2)  So  beim  „Löwenzauber",  A.  Erman,  Ägypt.  Eelig.  156. 

^)  Vgl.  das  obige  Beispiel,  S.  10,  A.  2  und  51. 

*)  Vgl.  Dieterich,  Abraxas  70 ff . ,  Bianchi,  Hess.  Blätter  f.  Volksk., 
1914,  104  ff. 


87 

Hier  kann  man  eine  bezeichnende  Stelle  aus  dem  Bihte- 
buoli  des  XIV.  Jahrb.,  das  Oberlin  in  Straßburg  1784  heraus- 
gab, einfügen  (S.  77 f.):  'So  vahet  man  denne  an  die  heiligen 
messe.  Die  singet  man  mit  vier  slachte  spräche;  dv  einv 
heizet  latin;  dv  ander  heizet  kriechs,  das  ist  l-i/rieh/son;  dv 
dritte  heizet  ebreisch,  das  ist  amen;  dv  vierdv  ist  himelschiv 
spräche,  das  ist  aUeluia.'  Vom  Lobpreisen  der  Engel  wird 
also  die  gut  hebräische  Form  hier  klar  und  bündig  als 
Himmels  spräche  ausgegeben.  Von  altertümlichen  Formen  in 
sakraler  Sprache  haben  wir  oben  bereits  gehandelt,  i)  Schon 
im  Neuen  Testament  spielen  Fremdwörter  eine  ähnliche  Rolle. 
Mit  Recht  sagt  E.  Schwyzer^):  „Manches  Hebräische  und 
Aramäische  in  der  Bibel  ist  beabsichtigt,  so  gut  wie  das 
semitische  K?Aiderwelsch  der  Fluchtafeln  und  Zauberpapyri, 
das  für  die  abergläubischen  Griechen  ebenso  verständlich  war 
wie  für  uns  Holcuspolius  und  Abrakadabra.^^ 

Fürs  Germanische  ist  bezeichnend,  daß  in  Märchen  ge- 
radezu Zigeunerisch  als  Geistersprache  zu  belegen  ist:  In 
einer  niederländischen  Sage  ist  von  buhlerischen  Zauberweibern 
die  Rede,  die  junge  Burschen  entführen  und  sie  mit  dem  AVort 
SchavaJienstauen  zum  Tanz  auffordern.  3)  Nach  Laistners 
ansprechender  Deutung  =*)  ist  das  eine  Verdrehung  von  zigeun. 
dsawa  te  stawen  „gehen  wir  tanzen".  Die  Zigeuner  haben 
stets  als  Kenner  von  Zauber-  und  Weis sagekünsten  gegolten; 
es  ist  also  wohl  verständlich,  daß  ihre  Sprache  als  dämonisch 
galt.  Verdrehungen  zigeunerischer  Worte  oder  wenigstens 
Worte  mit  einem  Zigeunersuffix  finden  wir,  wie  ebenfalls 
schon  Laistner^)  beobachtet  hat,  z.  B.  in  den  Wörtern  Ge- 
Icrippen,  Jcoflippen,  die  eine  Waldfrau  Kare  gebraucht;  vgl. 
zigeun.  Worte  auf  -dpen,  wie  z.  B.  boldpen  „Himmel",  sürdpen 
„Zopf",  riinddpen  „Ball",  dürlidpen  „Wahrsagen"  usw. 

Auch  die  bekannte  Sage  von  Belsazer  läßt  sich  in  diesem 
Zusammenhang  anführen,  die  durch  Heines  Ballade  so  volks- 
tümlich geworden  ist: 

»)  S.  34  f. 

-)  Wissen  und  Leben,  1910,  VI,  i73  in  einer  interessanten  Betrach- 
tung über  „Sprache  und  Religion". 

3)  Wolf,  Deutsche  Sagen,  Nr.  344,  S.  467. 

*)  Rätsel  der  Sphinx  II,  60.  »)  a.  a.  0.  59. 


88 

Und  sieh!  und  sieh!  an  weißer  Wand, 
Da  kam's  hervor  wie  Menschenhand, 

Und  schrieb  und  schrieb  an  tveißer  Wand 
Buchstaben  von  Feuer  und  schrieb  und  schwand  . . . 

Die  Magier  harnen,  doch  keiner  verstand 
Zu  deuten  die  Flammenschrift  an  der  Wand. 

„Das  aber  ist  die  Schrift,  allda  verzeichnet:  Mene,  mene,  tekel, 
u-pharsin.  Und  sie  bedeutet  dies:  Mene,  das  ist,  Gott  hat 
dein  Königreich  gezählt  und  vollendet.  Tekel,  das  ist,  mau 
hat  dich  in  einer  Wage  gewogen  und  zu  leicht  gefunden, 
Peres,  das  ist,  dein  Königreich  ist  zerteilt  und  den  Medern 
und  Persern  gegeben."  i) 

3.  Sogar  Wörter  der  Kinder  spräche  werden  gelegent- 
lich als  Geisterworte  ausgegeben.  In  der  Mühlknappensage 
sprechen  die  gespenstischen  Katzen  wie  kleine  Kinder,  wenn 
sie  sagen:  er  bäft  statt  er  schläft.'^) 

4.  Wir  wenden  uns  schließlich  zum  wichtigsten  und 
interessantesten  Fall,  der  den  Nerv  unserer  Untersuchung 
ausmacht:  als  Wörter  von  Göttersprachen  werden  auch  sonst 
übliche  und  belegte  Formen  der  betr.  Sprache  gewählt.  3)  So 
ist  es  in  den  beiden  bedeutungsvollsten  Belegen  für 
Götterworte  in  der  Literatur  überhaupt,  von  denen 
wir  mit  Absicht  bis  jetzt  noch  nicht  geredet  haben:  bei 
Homer  und  in  der  Älvissm^l  der  nordischen  Liederedda. 
Diesen  beiden  Fällen  hat  sich  also  jetzt  unsere  Untersuchung 
zuzuwenden. 


»)  Daniel  5, 25—28. 

^)  Laistnbr,  Rätsel  d.  Sphinx  II,  59' 

3)  Wenn  im  altindischen  Drama  die  Götter  Sanskrit  sprechen  wie 
Priester  und  Vornehme  gegenüber  dem  Präkrit  der  meisten  anderen  Per- 
sonen, so  handelt  es  sich  nm  Standes  sprachen,  wie  wir  sie  besonders  im 
Javanischen  ausgeprägt  finden. 


89 


9. 


^u  der  sonnenheitren,  klaren  Welt  Homers  den  Glauben 
an  eine  Götterspraclie, ')  ja  bestimmte  einzelne  Götterworte, 
anzutreffen,  hat  auf  den  ersten  Blick  etwas  Befremdliches. 
Denn  wie  unsere  vorausgehenden  Beobachtungen  gelehrt  haben, 
ist  man  bei  der  grundsätzlichen  Erklärung  dieses  Glaubens 
genötigt,  teils  tief  auf  primitive  Gedankengänge  kulturloser 
Völker  zurückzugehen,  teils  an  religiös  gesteigertes  Empfinden 
mystisch  veranlagter  Schwärmer  zudenken:  beides  Dinge,  die 
zu  Homers  Anschauungen  nicht  recht  zu  passen  scheinen.  Am 
wenigsten  der  dionysische  Enthusiasmus ;  denn  wie  E.  Eohde 
bewiesen  hat,  gibt  es  bei  Homer  nur  eine  apollinische  Mantik. 
Was  bei  den  Kreisen  aber,  für  die  der  Dichter  sang,  nicht 
oder  nicht  mehr  Glauben  genoß,  das  mag  in  Volksanschauung 
und  religiösem  Denken  einer  frühereii  Zeit  lebendig  gewesen 
sein.  Solch  eine  erstarrte  Formel  wie  die  tjtsa  jtTSQÖevra, 
bei  Homer  nur  noch  rhetorische  Wendung,  solch  eine  bild- 
liche Ausdrucksweise  wie  jroiov  Ot  txoq  q^rytr  iQXoq  oöorxov; 
beleuchtet  blitzartig  den  alten  Volksglauben  vom  geflügelten 
Wortdämon,  der  gleich  den  Vögeln  zwischen  Menschen  und  Un- 
sterblichen in  den  Höhen  des  Olymps  vermittelt.  Man  denkt 
an  die  Verse  in  Akistophanes'  „Vögeln",  die  von  der  Bedeu- 
tung der  geflügelten  Mittler  zwischen  Himmel  und  Erde 
handeln  2) : 

jiävra  Öb  OvtjTOlq  tOxiv  dqj'  in^aöv  rtöv  ö^riücov  xä  ^dytöxa  . . . 
eOiilv  d'  v(iiv  "Afificov,  AtXffoi,  AojÖcov/j,  ^olßoq,  'AjtöXXcov  . . . 
OQVLV  X8  vofii^txt  jtävd-''  üöcmtQ  Jitgl  fiavxsiag  diccxQivsi ' 
(pri^rj  y'vntv  OQVtq  löxi,  jtxaQfiöv  x^oQVid-a  xaltirt, 

^V}.lßo?.OV  OQVLV,    (pCOVyV   OQVLV,  dtQajlOVx'  OQVIV,  OVOV  OQVLV. 

üq'  ov  fpavsQcoQ  tii.Liig  i\uiv  töfiiv  fiavxslog  'AjtökXcov ; 

Der  Grund  zur  Vorstellung  einer  Göttersprache  bei  Homer 
muß  derselbe  gewesen  sein,  wie  in  all  den  uns  bereits  be- 
kannten Analogien ;  aber  der  hellenische  Dichter  hat  für  sein 
aristokratisches,  aufgeklärtes  Publikum,  das  so  kühl  von  den 

*)  Nägelsbach  -  AuTBNRiETH ,  Hom.  Theol.^  191.  435  ff.,  Gruppe, 
Griech.  Mythol.  II,  884. 

^)  708  ff.    Siehe  auch  oben  über  die  Vogelsprache  S.  57  f. 


90 

Göttern  und  dem  Jenseits  dachte,  nur  das  allgemeine  Motiv 
beibehalten,  das  ihm  aus  dem  Volksglauben  und  volkstüm- 
licher Tradition  bekannt  v^ar.  Dunkle  Zauberworte  aber 
konnte  er  nicht  mehr  gebrauchen,  sein  dichterisches  Gewissen, 
sein  Schönheitsideal  ließ  die  Götter  keine  rohe  Barbaren- 
sprache lallen ;  denn  die  Götter  sind  bei  Homer  nur  ins  Ideale 
gesteigerte  Menschen,  die  sich  ewiger  Jugend  erfreuen:  seine 
Götter  also  eine  barbarische  Sprache  reden  zu  lassen,  ist  in 
dieser  Zeit  ein  Ding  der  Unmöglichkeit,  und  „barbarisch" 
bleibt  eben  jede  Sprache,  die  nicht  hellenisch  ist.  Aber 
andrerseits  reizte  es  den  Dichter  doch,  einzelne  Proben  der 
Göttersprache  zu  geben,  schon  im  Interesse  seines  eigenen 
Standes:  die  hohe  Weisheit  des  Sängers,  dem  ja  die  göttliche 
Muse  die  Verse  zuflüstert,  der  sich  so  gern  nur  als  Werkzeug 
der  Musen  fühlt,  muß  in  strahlendstem  Lichte  erglänzen,  wenn 
er  gelegentlich  solche  Geheimnisse  von  der  Göttersprache  den 
anderen  Sterblichen  kündet.  Sagt  doch  Platon  im  Ion  534  E : 
Ol  de  xoirjval  ovöhv  dXX'  tj  tQfirjvelg  eIöl  rmv  ß^Hov.  Bei  Dio 
Chktsostomos ,  Or.  XI,  23  lesen  wir:  or  (^lövov  t$,dv  avrcö 
(sc.  'Oii)'jQ(o)  rag  allag  ylföxxaq,  iiiyvitiv  rag  rcöv  'EX?jjvcov 
xai  jTore  jAv  cdo)lL,tLV,  jrort  öt  öcogi^sii',  jtorl  6s  Id^eiv,  dXXä 
xcu  öiaörl  (d.  h.  in  der  Weise  des  Zeus,  also  in  der  „Götter- 
sprache") öta^JytaOat.  i) 

Wenn  demnach  keine  Zauberworte  barbarischen  Klangs 
für  den  Dichter  möglich  waren,  wie  hat  er  dann  seine 
einzelnen  Wörter  der  Göttersprache  geschaffen? 

Diese  Hauptfrage  unserer  Untersuchung  ist  in  der  ver- 
schiedensten, sich  oft  widersprechenden  Art  im  Altertum  wie 
in  der  neuen  Zeit  beantwortet  worden,  das  ganze  Problem  ist 
aber  noch  nicht  geklärt  2) :  die  einen  sehen  in  den  homerischen 
Götterwort.en  uralte,  aus  der  Alltags  spräche  längst  abgestor- 
bene Ausdrücke,  manche  redeten  gar  von  „pelasgisch"  — 
offenbar,  weil  sie  diese  Sprache  selbst  vorzüglich  verstan- 
den ?  — ,  die.  anderen  sehen  gerade  im  Gegenteil  in  ihnen  be- 
sonders klare  und  deutliche  Ausdrücke,  die  einen  sprechen 

0  Siehe  dazu  Thumb,  Haudb.  d.  gr.  Dial.  314,  §  290. 
'^)  Siehe  die  Kritik  älterer  Ansichten  bei  Nägklsbach-Autenrieth, 
Homer.  Theo!.-',  1884,  435  f. 


91 

von  einer  „hieratischen  Sprache"  und  einer  „Tradition  von 
Sprachaltertümern",  wieder  andere  von  eigenen  Erfindungen 
des  Dichters.  E.M.Meyee')  vermutete,  es  handle  sich  um  ältere 
Ausdrücke,  die  mit  Vermeidung  der  alltäglichen  ursprünglich 
in  der  Ansprache  an  Götter  und  Dämonen  verwendet  werden 
mußten.  ,. Diese  kunstmäßige  Verwendung  ließ  sie  dann  für 
den  gewöhnlichen  Gebrauch  absterben,  und  man  faßte  dann 
diese  für  den  Verkehr  mit  den  Göttern  bestimmten  Worte 
als  Idiotismen  der  Götter  auf."  Also  handelt  es  sich  nach 
E,  M.  Meteks  Ansicht  um  uralte,  nur  in  der  Fachsprache  der 
Priester  versteinert  erhaltene  Wörter;  so  schön  das  ausgedacht 
ist,  so  dürfte  auch  nicht  die  Spur  eines  Beweises  für  diese 
neuste  Theorie  zu  erbringen  sein.  2)  Früher  hatte  Cohen  ^) 
gemeint:  „Das  alte  Wort  scheidet  manchmal  gänzlich  aus  der 
Umgangssprache,  dann  lebt  es  in  der  Sprache  der  Götter; 
denn  die  Menschen  verstehen  es  nicht  mehr.  Das  Schwinden 
eines  Wortes  aus  der  Umgangssprache  und  sein  alleiniger 
Gebrauch  in  der  Sprache  der  Dichtung  ist  der  Grund  für  die 
auffallende  Erscheinung,  die  uns  bei  den  Griechen  und  Deutschen 
entgegentritt,  daß  die  Götter  eine  eigene  Sprache  sprechen." 
Weitere  Erklärungsversuche  werden  wir  noch  zu  behandeln 
haben. 

Den  Sprachforscher  lockt  hier  eine  reizvolle  Untersuchung 
eines  in  der  Hauptsache  semasiologischen  Problems.  Er  wird 
nüchtern  und  sachlich  festzustellen  versuchen,  ob  die  als 
Wörter  einer  Göttersprache  angeführten  Formen  künstliche 
Gebilde  oder  wirklich  echte,  natürliche  Sprachschöpfungen 
sind.  In  diesem  zweiten  Fall,  der  tatsächlich  hier  bei  Homer 
im  Gegensatz  zu  den  vielen  oben  besprochenen  Fällen  vor- 
liegt, gilt  es  den  Grund  zu  finden,  warum  man  ein  bestimmtes 
Wort  auf  einmal  der  göttlichen  Ausdrucks  weise  zugeteilt  hat, 
wieso  es  ein  solches  Adelsprädikat  verdient  habe.  Keine 
allgemeine  Betrachtungen  und  von  vornherein  vorgefaßte 
Theorien  können  hier  frommen,  sondern  Fall  für  Fall  will 
für  sich  allein  untersucht  sein. 


')  IF,  1901,  12,  51. 

^)  Oder  wie  sollte  z.B.  Z:ca-H^o<^  sich  dieser  Theorie  fügen":' 

')  Steinthals  Ztschr.  f.  Völkerpsychol.  u.  Sprachwiss.  G,  239. 


92 

Wir  beginnen  diese  Prüfung  mit  einem  der  cliarakte- 
ristischsten  Belege  aus  der  Odyssee.  Es  handelt  sich  um  die 
bekannte  Szene,  wo  Odysseus  auf  die  Insel  der  Zauberin  Kirke 
gelangt  und  voll  banger  Sorge  wegen  des  zu  langen  Aus- 
bleibens seiner  auf  Kundschaft  ausgeschickten  Gefährten  sich 
entschließt,  selbst  auf  die  Suche  auszugehen.  Unterwegs  er- 
scheint ihm  Hermes  und  berichtet  dem  Helden  von  dem  selt- 
samen Geschick  seiner  Freunde,  von  der  gefährlichen  Tücke 
Kirkes,  der  Zauberin.  Dann  bückt  er  sich  zur  Erde,  reißt 
eine  Wurzel  aus  dem  Erdreich  und  gibt  dies  lodlor  (fc'tQi^iaxov, 
dies  kostbare  Zauberkraut  dem  Odysseus  mit  dem  Rate,  es  in 
den  Mischtrank  zu  rühren,  den  Kirke  ihm  kredenzen  werde. 
Die  Stelle,  y,  302  ff.,  lautet : 

o'jc  ciQCc  ffOJPr/oaQ  jroQi  (fc'cQfiaxov  (({r/tu/övr/ic 
Ix  yab]Q  £Qv6aQ  xai  itoi  (fvdiv  avrov  tÖ£i^8V. 
QiC,'^  (lEV  (.(sXav  loxe,  ya)MXTi  de  tixsXov  ävd^oq' 
f^aölv  ÖE  fdv  xaXtovöi  d^soi '  yaX£:iidv  dt  r^  OQVöötiv 
drögaoi  ys  d^i^t/TOiöi,  {hsol  de  t£  jzdrra  övvavrai. 

Gehen  wir  zunächst  auf  das  Wort  [.icilv  selbst  ein,  so 
zeigt  seine  tatsäcliliche  Bezeugung  in  der  griechischen  Literatur, 
daß  es  bald  den  Hellenen  selbst  in  seiner  scharfen  Bedeutung 
nicht  mehr  recht  verständlich  war.  Die  späteren  Belege  sind 
mehr  oder  weniger  durch  Homer  bedingt.  Schon  im  Altertum 
haben  sich  die  Gelehrten  die  Frage  vorgelegt,  welche  Pflanze 
wohl  mit  dem  Moly  gemeint  sei.  So  lesen  wir  einerseits  bei 
Theophrast,  H.  pl.  9,  15,7:  ro  dl  nöJlv  jisql  ^eveov  xaX  ev 
Tll  KvlXrivii  (paolv  tivcu  xal  ofioiov  cj  ^'Oiüjqoc.  dQ7jX8,  rijV 
Hlv  QiC,av  8X0V  CrQoyyvXrjv  jcQoöe}/g:tQrj  XQOfivco,  ro  öi  (pvlXov 
ofioiov  OxüJaj  ■  yjjrjöd-ca  6t  arxcö  üiQoq  rt  xa  tiXt^L(ptt.Q[iaxa 
xai  xac  ^aaytiag. ')  Andrerseits  gibt  Dioskubides,  De  mater. 
med.  III,  47  (S.  60,  11  ed.  Wellmann)  an:  fioJXv  xä  //er 
(fjvXXa  tyti  dyQOJoxtf  ofioia  jtXaxvxtQu.  6t,  tjr)  y/jv  {xX(6fttva)' 
ävd-T]  XbvxoLOig  jtccQUjiXf/Oia,  yaXaxxoxQoa,  rööova  6t  xqoc,  xä 
xov  iov,  xavXor  6t  Xtjrxov,  7ii]'/to}V  x£00d()cov'  Ix' itxQOXi  6e 
iTctOxiV  ojotl  OxoQ6oti6tg  xi '  (>/ga  6t  fiiXQa,  ßoXßotL6rjC.  Der 
Scholiast  erklärt  fHüXv   xo  dy{>iov  mjyavov.    Diese  Stellen 


•)  Vgl.  auch  Plinius'  Hist.  uat.  XXV,  4  (8),  §  26—27. 


93 

zeigen  deutlich,  daß  den  Griechen  diese  Pflanze  ftcoXv  unklar 
blieb ;  wenn  der  Scholiast  einige  Eezepte  des  Hippokrates  und 
Galenos  angibt,  so  beweist  gerade  dies,  daß  nur  in  der 
"Wissenschaft  das  Wort  eine  Rolle  spielte,  in  der  Arzneikunde, 
wo  mystische  AVorte  für  bestimmte  Rezepte  sehr  beliebt  sind. 
Nur  auf  Grund  gelehrter  Forschung  wird  das  Mohj  als  eine 
Lauchart  oder  als  Alraune  gedeutet,  nicht  infolge  der  leben- 
digen Kenntnis  der  volkstümlichen  Wortbedeutung,  i) 

Andrerseits  freilich  ist  das  Wort  ficöÄv  gut  griechisch, 
und  die  immer  wieder  auftauchenden  Versuche,  dahinter  ein 
phönizisches,  ägyptisches  oder  iranisches  Wort  zu  suchen  oder 
es  als  eine  künstliche  Erfindung  des  Dichters  hinzustellen,-) 
sind  nichts  als  törichte  Phantasien.  Das  beweist  allein  schon 
die  Ableitung  (lojXv^a  „eine  besondere  Art  von  Knoblauch", 
der  nach  dem  Gloss.  Hipp,  nur  eine  Spitze  hatte  {ä:n)Jiv  xfjv 
x£g)ah)r  tyor)  und  als  Heilkraut  (jcgood^elvai  jtQoq  zag  ft/JTQag 
Hipp.  2,  595)  verwendet  wurde.  Sehr  wichtig  ist  der  Zusatz 
im  Gloss.  Hipp. :  rii'tg  (Vt  xo  iioJXv;  denn  daraus  erhellt,  daß 
die  Alten  selbst  nicht  an  dem  Zusammenhang  von  ^icöXv  und 
lioilv^cc  zAveifelten.  Zugleich  aber  wird  dadurch  verraten, 
auf  welche  Weise  die  Botaniker  die  Bedeutung  des  home- 
rischen fHoÄr  erschlossen:  es  ist  nur  ein  Rückschluß  von  der 
Bedeutung  des  abgeleiteten  üblichen  Worts  auf  die  dunkle 
des  homerischen.  Zum  Suffix  von  ficoXv-^a  vgl.  man  Formen 
wie  xrvi^a  :  zrrco ,  XaxtQVL^a,  x6QVL,a\  selbst  (»iL^a  könnte  bei 
der  Ableitung  (w'tlvCa  von  [.io)Xv  nicht  ganz  ohne  Einfluß  ge- 
blieben sein. 

Das  Adjektiv  ficolvg  „träge,  matt",  sowie  (.aoXvrco,  f^coZvoj 
„entkräfte",  dor.  (icöävc,  hat  mit  (icoXv  nichts  zu  schaffen,  wie 
man  zu  erwägen  geneigt  scheint  ;3)  diese  Wörter  gehören 
vielmehr  zu  hom.  [ilXtoq,  lit.  melas,  meist  plur.  melal  „Lüge". 
Zu  einem  geistreichen  Spiel  hat  diesen  Anklang  von  [^ioj).v 
und  (iöjXvq  Lykopheon  in  seiner  Alexandra  v.  679  benutzt, 
wo  er  von  dem  Kirkeabenteuer  berichtet: 


')  Vgl.  dazu  die  zusammenfassenden  Bemerkungen  bei  Murr,  Pflanzen- 
welt in  d.  griech.  Mythol.,  1890,  208  ff. 

')  So  Nägelsbach -AuTKNRiETH,  Hom.  Theol.^,  191,  §  144. 
■•)  Prellwitz,  Et.  Wb.^  305. 


94 

dXZd  VLV  (sc.  'Odv<j&fja)  ß^aßr/q 
fimXvQ,  öacoöei  QiC,a  xai  Ktagog  g^avslg 
NowaxQidrijq   TQixtrpaloq  ^aiögog  d-eög. 

„Doch  ilm  errettet  vor  Schaden  die  entkräftende  Wurzel  und 
das  Erscheinen  des  Totengotts  aus  Nonakris,  der  Dreikopf, 
dei-  frohe  Gott."  Ein  „etymologisclies  Vexierspie] "  nennt  es 
V.  HoLziNGEK  ganz  richtig.!) 

Daß  ftojh)  ein  sehr  altertümliches  Wort  ist,  lehrt  andrei-- 
seits  die  Vergleichung  mit  ai.  mülam  „Wurzel,  bes.  Zauber- 
wurzel" ;  midakäfman-  bedeutet  „Zauberei  mittels  Wurzeln". 
Die  Vergleichung  ist  an  sich  evident,  die  Lautverhältnisse 
mit  dem  Ablautspiel  ö(u)  :  ü  deuten  auf  hohe  Altertümlichkeit, 
auf  voreinzelsprachliches  Alter  des  Worts :  ^icölv  verhält  sich 
hinsichtlich  seines  Stammvokals  zu  ai.  mulam  etwa  wie  ftojfwg 
:  d[ivnow,  ficöQog,  lat.  niörus  :  ai.  mUräh  „dumm",  xgcö^m  :  got. 
hrukjan  „krähen",  qxoXsög  „Lager  wilder  Tiere"  :  (pvhj  usw.''') 
Gegenüber  diesen  sicheren  Ergebnissen  der  sprachwissenschaft- 
lichen Betrachtung  erscheinen  alle  Versuche,  in  ficöXv  ein 
orientalisches  Lehnwort  nachzuweisen,  von  vornherein  als  aus- 
sichtslos. ^) 

Die  sprachliche  Geschichte  von  ficöXv  erzählt  also  von 
alter  Zauberei  mit  Wurzeln,  wie  sie  überall  vorkommt. 

Krüt,  steine  und  wort 

diu  Tiant  an  hreften  grözen  hört, 

heißt  es  schon  in  Feeidanks  „Bescheidenheit".  Man  braucht 
nur  die  Alraune  zu  nennen,  was  möglicherweise  ^wjXv  sogar 
bedeutet  haben  könnte.  Der  germanische  Name  der  Mandra- 
gora beweist  ihre  Verwendung  im  Zauber,  selbst  wenn  wir 
sonst  von  den  „Alräunchen"  und  Galgenmännlein,  welche  aus 

')  Zur  stelle  S.  272  seiner  Ausgabe.  Man  vgl.  auch  die  Angabe  der 
Scliolien:  naQU  to  fnolvnv,  "  taxiv  aipccri'Qeiv  zu  (pÜQnuxa. 

2)  Kretschmer,  KZ  31,  386,  Hirt,  Abi.  38  ff. 

3)  De  Lagarde,  Ges.  Abhandl.  172 ff.,  R.  M.  Henry,  The  Class.  Rev. 
20,  435 ;  Fabeleien  bei  Brunnhofer  ,  Arische  Urzeit  298.  Unrichtig  ist 
auch  die  Ansicht,  ßöJXv  sei  ein  im  Anklang  an  fj.ü>).vq  erfundenes  Wort 
Homers,  Nägelsbach- Autenrieth,  Hom.  Theol.^  191.  Sogar  Sokrates 
hat  schon  über  das  fA<3?.v  gegrüljelt  und  deutet  es  als  Symbol  der  Vernunft, 
Xenoph.  Apomn.  I,  3,  7. 


95 

Wurzeln  der  Pflanze  hergestellt  werden,  nichts  wüßten'): 
ahd.  alriinat,  nmd.  alrUne  ist  die  „ganz  {al)  geheimnisvolle 
Wurzel"  :  got.  rmia  „Geheimnis",  as.  ahd.  rüna  „geheime  Be- 
sprechung", ags.  rün,  aisl.  rünar  „geheimnisvolle  Unterredung, 
Runen"  (s.  o.  S.  41).  Besonders  wichtig  ist  für  die  Homer- 
stelle der  Sagenzug,  daß  die  Alraune  nur  sehr  schwer  aus- 
zugraben ist.  Sie  wird  besondei-s  gern  unter  einem  Galgen 
gefunden;  im  letzten  Mondviertel  zur  Zeit  der  Sonnenwende 
oder  sonst  in  geeigneter  Stunde  wird  sie  unter  magisclien  Be- 
schwörungsformeln, oft  unter  Verwendung  eines  schwarzen 
Hundes,  gegraben;  in  dem  Augenblick,  da  sie  von  der  Erde 
weggenommen  wird,  ächzt  sie  schauerlicli  auf,  und  dieser 
klagende  Aufschrei  kann  der  suchenden  Person  besonders  ge- 
fährlich wei'den.2)  Die  Alraunwurzel  findet  im  Liebeszauber 
Verwendung,  verleiht  Reichtum  und  Fruchtbarkeit  und  ver- 
bürgt insbesondere  reichen  Kindersegen.  Wir  lesen  bei  Dios- 
KtJEiDES  geradezu:  (/(a'dQayoQccg ,  oi  ös  dvTipjXov,  ol  öh  diQ- 
y.aiav,  ol  6\  KLQyudar  xalovoiv.  tJi^iS?)  öoxii  r/  Qi^a  eivcu 
jTonjTix//  .  .  .  Ähnlich  finden  wir  bei  Plinius,  Hist.  nat.  XXV, 
13,94  die  Angabe:  mandrarjorani  alii  Circaeum  vocant . . .  cavent 
effossuri  contrarium  ventum  et  tribus  circulis  ante  gladio  circum- 
scribunt;  postea  fodiunt  ad  occasum  spectantes.  Also  alles  deutet 
in  der  Überlieferung  auf  Zauber,  was  auch  eine  Betrachtung 
allgemeiner  Art  bestätigt. 

Die  Kirkeepisode  ist  nämlich  ein  Märchen,  der  ganze  Stil, 
vor  allem  die  Motivierung  ist  märchenhaft.')  Die  Zauberin, 
des  Helios  Tochter,  eine  zweite  Medea  oder  Hekate,  wohnt 
im  Innern  eines  düstern,  nächtigen  Waldes  in  ihrem  Hexen- 
haus, dessen  Rauch  man  von  weitem  aus  den  Bäumen  empor- 
wirbeln sieht;  die  Hexenverwandlungen  von  Menschen  in  Tiere, 


»)  Grimm,  Myth.  4, 1005ff.,  Horst,  Zauberbibl.  6, 277  ff.,  Schlosser, 
Sage  vom  Galgemiiäunlein,  Diss.  Münster  1912,    Usener,  Kl.  Sehr.  IV,  131. 

2)  SöHNS,  Unsere  Pflanzen 5,  1912,  148;  Hertz,  Ges.  Abbandl.,  1905, 
259  ff. ;  Marzell,  Zauberpflanzen,  IS'aturw.  Wochenschr.,  N.  F.,  8,11.  Ab- 
bildung z.  B.  bei  SciiRADER,  Reallex.  d.  idg.  Altertumsk.'^,  1917,  72.  Aus 
■mandragoras  volksetymologisch  umgebildet  ist  frz.  main-de-gloire  einer- 
und engl,  mundrake,  norw.  dragedukke,  eigtl.  „Menscheudrache"  andrerseits, 
siehe  dazu  Falk-Torp,  Norw.-dän.  et.  Wb.  151  f. 

•'')  Siehe  dazu  Verf.,  Kalypso,  1919,  9  ff.,  17,  wo  weitere  Literatur. 


96 

die  aber  ihre  Menschenveriiunft  behalten,  der  stattliche  Hirsch 
der  die  Opfer  in  den  Hexenwald  locken  soll  {x  158),  die 
Zauberpflauze,  welche  die  in  Tiere  Verwandelten  in  manchen 
Märchen  erlöst,  wie  in  Grimms  Märchen  von  Joriiide  und 
Joringel,  wo  die  von  der  Hexe  in  eine  Nachtigall  verwandelte 
Heldin  mit  einer  blutroten  Zauberblume  erlöst  wird»):  all 
diese  Züge  beweisen  den  Märchencharakter  der  Kirkeepisode. 
Jetzt  verstehen  wir,  warum  gerade  Hermes  dem  Helden  bei- 
steht :  nicht  etwa  als  Götterbote  vom  Olymp  gesandt,  sondern 
in  seiner  Eigenschaft  als  Gott  des  Zaubers.  Ganz  richtig 
nennt  Lykophron  a.a.O.  den  Hermes  den  Kragog,  d.h.  den 
Totengott  (zu  zztgta,  y-TtgiCscr,  Öi.u-xtoQoq).'^)  Nur  durch 
Zauberkraft  gewinnt  er  die  Wurzel,  da  er  sich  bloß  da,  wo 
er  gerade  steht,  zu  bücken  braucht,  um  die  sonst  so  versteckt 
wachsende  Zauberpflanze  aus  dem  Erdreich  zu  ziehen:  solche 
Kräutlein  wachsen  nicht  gerade  am  Wege,  können  nicht  im 
hellen  Tageslicht  mühelos  gegraben  werden,  sie  stehen  im 
schattigen  Waldesdunkel  am  versteckten  Ort  — , 

ii)o  hei  mistelschiverem  Tannbaum 
die  Älraumvurz  heimlich  aufsprießt; 

nur  zur  guten  Stunde  nach  langen  Vorbereitungen  glückt 
unter  Gefahren  die  magische  Handlung.  Daher  fügt  auch 
Homer  ausdrücklich  hinzu  (x  305  f.) : 

ävögäöL  yt  iivfjTolcii,  d-tol  6t  re  jiävxa.  Övvavrai. 

Übrigens  deutet  noch  eine  weitere  Stelle  in  der  gi'ie- 
chischen  Überlieferung  selbst  darauf  hin,  daß  das  Moly  eine 
Zauberwurzel  war  gleich  unserer  Alraune  oder  der  Spiing- 
wurzel  unserer  Märchen^):  eine  andere  Zauberin,  gleichfalls 
eine  Heliostochter  wie  Kirke,  nämlich  Pasiphae,  bedient  sich 
in  einer  Sagenfassung,  die  deutlich  von  der  homerischen  olini 
der  Kirke  abhängig  ist,  einer  Zauberpflanze,  die  Wurzel  der 

')  Verf.,  Kalypso  9,  A.  4. 

-)  Nicht  zu  xxäo&ai  als  Gott  des  Gelderwerbs,  wie  von  Holzinger 
S.  125  übersetzt. 

3)  Siehe  noch  Marzell,  Zs.  f.  Volksk.,  1914,  24, 17;  Wortii.  Brauch  12, 
Iiidex  H.  V.  Wurzel,   Hkhn,  Kulturpll.  u.  Haust.«,  1911,  201  ff. 


97 

Kirke,  KiQxaia  qil^cc  genannt  wird;')  wir  lesen  nämlich  bei 
Apollodor  III,  15,3:  IIqöxqlv  Ktcfcdog  (lyfjfar).  t)  dl  Xaßovoa 
•/Qvoovv  6xt(farov  IlTsXtovTt  awEvimC^rai,  'acu  g^cogad-ttöa 
vjib  K£(fdXov  :!iQbQ  Mivcoa  (fevyFt.  6  de  avvfjc  tQÜ  xai  jteid-ti 
Ovi'iAdth'.  Et  Öt  yi  ovi>£X.ihot  fwi)  M'ivcoi,  äövvarov  i'iv  cdxi]v 
CKod^Tivai.  IlaOKfcaj  /«(),  SJceiö^  jioXXaiq  Mivcoq  övv7]vvaC,£ro 
yvi'äi$.\r,  IffaQ^iäy.Evöiv  avrdj',  yxa  bjtöxs  aXlij  övj'EvvdCoiro, 
tlq  rä  ciQ&^Qa  cuf'iti  {))/Qicc,  xal  ovrcog  djiojXXvrro.  tymnoc,  ovr 
avTOv  xvi'a  rcr/yv  dxovriov  re  i&vßoXov,  am  rovroiq  ÜQOXQig 
öovoa  T?]r  KiQxatar  jraTv  (nt,av  Trgog  rb  {i7]6h'  ßXdipai  Ovvtvvd- 
Ztrcu.  Die  Ähnlichkeiten  sind  zu  groß,  als  daß  man  Un- 
abhängigkeit von  der  homerischen  Kirke  erzählung  annehmen 
könnte.  Obwohl  aber  bei  Homer  die  ganze  Pflanze,  auch  die 
Blüte,  beschrieben  wird,  nennt  der  Dichter  hier  nur  die 
Wurzel  der  Kirke,  was  (.icöXv  nach  unseren  Ausführungen 
eben  wirklich  bedeutet.  Bei  Eusthatios  ist  die  Sage  er- 
halten, das  luöXv  sei  nach  einem  Kampfe  der  Kirke  mit  einem 
sie  bedrohenden  Giganten  Pikoloos  aus  dessen  Blut  entstanden. 
Damit  läßt  sich  nicht  nur  vergleichen,  daß  aus  dem  Samen 
des  Galgenmannes  die  Alraune  entsteht,  woran  Schwaetz^) 
erinnert  hat,  sondern  auch  die  blutrote  Farbe  der  Zauber- 
blume im  deutschen  Märchen  will  beachtet  sein. 

Seit  Aristaech  hat  man  sich  darüber  gewundert,  daß 
der  Name  des  Moly  nicht  wie  in  anderen  Fällen  von  Götter- 
worten auch  in  der  Menschensprache  vom  Dichter  angegeben 
worden  sei;  der  alexandrinische  Gelehrte  setzte  die  Öuih], 
oxL  ovx  tijie,  jccög  y.uXHxat  jtag'  dv&Qcojioig'  tJt/jyaye  yovr 
oxL  dyvcoöxov  löxiv  dv&Qcojioig.  Ähnlich  meint  der  Scholiast: 
ovxtxt  jTQOötd-rjxs  JtaQcc  dvd-Qcojtoig  övofidC,t6dai,  vjiIq  xov  f/t) 
^?jx(:lv  rjfiiv  x?]i'  Qi^ai'.  Gewiß  war  es  die  Vorstellung  des 
Dichters,  daß  es  sich  hier  um  ein  geheimnisvolles  Wort 
handle,  das  er  deswegen  nicht  in  die  Menschensprache  über- 
setzt, weil  die  Menschen  das  magische  Kräutlein  nicht  kennen, 
sondern   es   nur   unter  Anwendung  von  Beschwörungen  mit 

1)  Siehe  schon  Schwartz,  Prähistor.-anthropol.  Studien,  1884,  471  ff., 
dessen  Deutung  von  Moly  als  einer  „Blitzhlume"  freilich  Phantasterei  ist; 
ferner  Gruppe,  Gr.  Myth.^  708  und  Radermacher,  Die  Erzählungen  der 
Odyssee,  Sitzungsber.  d.  Kais.  Ak.  d.  Wiss.,  Wien  178,1,  1915,  S.  6. 

")  a.a.O.  472 f. 

(lüntprt,  Spi'uclio  (lov  (iötter  und  Geister.  7 


98 

dem  „eigentlichen"  Namen  der  Götterspraclie  auf  dem  Wege 
des  Zaubers  gewinnen  können. 

Die  spracliwissenschaftliclie  Nacliprüfung  ergibt  also  in 
diesem  Falle,  daß  es  sich  um  Vorstellungen  volkstümlicher 
Art,  um  Wortaberglauben  handelt,  der  bei  dem  märchenhaften 
Stil  der  ganzen  Episode  ohne  weiteres  von  dem  Dichter  dieser 
Stelle  beibehalten  wurde.  Das  Wort  selbst  aber  ist  nicht 
eine  künstliche  vox  mystica  oder  ein  Fremdwort,  i)  wie  sie  in 
späterer  Überlieferung,  in  Zauberpapyri,  insbesondere  auch  für 
Pflanzen  und  Zauberkräuter  belegt  sind,  sondern  der  Sänger 
wählte  nur  ein  altertümliches,  etwas  verstaubtes  Wort,  2)  dessen 
eigentliche  Bedeutung  nicht  mehr  recht  klar  ^var,  und  das  oft  im 
Zauber  vorkommen  mochte.  Das  daraus  entstandene  Begleit- 
gefühl genügte  dem  Dichter,  um  das  Wort  der  Sprache  der 
Götter  zuzuschreiben.  3)  Die  homerischen  Griechen  wollen 
von  Zauberei  und  Hexenkunst  wenig  wissen,  solche  ,Wwrzeln" 
wie  das  Moly  wachsen  nicht  in  der  heimischen  hellenischen 
Erde;  aus  fernen  Ländern,  aus  Ägypten  oder  Kolcliis,  kommen 
sie  her,  wie  das  Epos  selbst  (d  229)  angibt : 

. .  .  Aiyvjcx'u],  rfj  jiXtlüta  cpigti  ^iiöcogog  aQovQa 
(paQfiaTca,  üiolXa  {/ev  ioB-Xä  fiEiuyfdra,  jcoX?m  6e  XvyQa. 

Eine  Art  magischer  Speise  ist  auch  dfißQooia  und  vtxraQ, 
der  die  Götter  nach  homerischer  Anschauung  allein  ihre  Un- 
sterblichkeit verdanken.  Wenn  diese  Wörter  auch  gerade 
nicht  ausdrücklich  als  Bezeichnungen  der  Göttersprache  ge- 
nannt werden,  so  ist  doch  in  Wahrheit  das  tatsächliche  Ver- 
hältnis dem  Gebrauch  von  (.uölv  nicht  unähnlich.  dftßQooia 
und  rtxTag  bedeuten  beide  als  Synonyme  „Unsterblichkeit", 
welche  die  Götter  also  unmittelbar  in  Form  einer  Fäulnis 
und  Todeskeim  zerstörenden  Zaubernahrung  —  in  Form  eines 


')  R.  M.  Henry,  The  Class.  Eev.  20,  435  vergleicht  sachlich  mit 
Recht  Stelleu  aus  Zauherpapyri  und  faßt  Hermes  richtig  als  Gott  des 
Zaubers  in  der  Kirkeepisode;  seine  Schlüsse  auf  die  sprachliche  Katur  des 
Worts  fidjXv  aber  sind  ganz  verfehlt. 

^)  Man  könnte  etwa  unser  Wtirz  für  Wurzel  (hinsichtlich  des  Begleit- 
gefühls) vergleichen  in  Springiourz,  Hauswurz  u.  dgl. 

^)  Man  vgl.  das  heil  der  Trolle  von  Hallingdal  oben  S.  58f. 


99 

(fiiQUaxor  —  zu  sich  nehmen ;  an  andrer  Stelle  i)  habe  ich 
schon  betont,  wie  naiv  und  realistisch  sich  die  homerischen 
Griechen  die  Wirkung  dieses  Kräutleins  gegen  den  Tod  dachten : 
es  war  eine  die  Fäulnis  und  Verwesung  vernichtende,  daher 
ewig  jung  und  gesund  erhaltende  Panacee,  und  nur  diesem 
Universalmittel  allein  verdankten  die  homerischen  Götter  ihre 
Vorzugsstellung  vor  den  Sterblichen,  denen  eben  jenes  Lebens- 
elixir,  jene  kraukheitsvernichtenden  Säfte  der  Götterspeise 
nicht  zugänglich  waren.  Auch  die  germanische  und  keltische 
Mythologie  kennt  ebenso  wie  altorientalische  Sagen  die  leben- 
und  jugendspendenden  Äpfel  vom  Baum  des  Lebens,  und  die 
Gewinnung  vom  Wasser  des  Lebens  ist  ein  weitverbreitetes 
Märchenm.otiv.  So  begegnet  in  der  nordischen  Literatur  ein 
Kraut,  das  abgehauene  Glieder  vor  Verwesung  schützt,  Fas. 
III,  396,2)  und  selbst  Odins  Dichtermet  scheint  ursprünglich 
nur  mehr  ein  solches  Lebenselixir  gewesen  zu  sein; 3)  Runen, 
die  eingemengt  wurden,  hatten  ihn  zauberkräftig  gemacht, 
wie  es  Sigrdrif.  18  heißt: 

allar  voru  af  sJcafnar  ])cers  vgru  d  ristnar 
oJc  hverfpar  vip  enn  helga  nijg]) 
ok  sendar  ä  vipa  vega. 

„Abgeschabt  waren  alle,  die  eingeritzt  waren,  und  in  den 
'mächtigen  Met'  (d.  i.  eben  Ößrerir)  gemischt  und  weiten  Weg 
gesandt"  (s.  o.  S.  40). 

Da  die  Götter  der  homerischen  Welt  also  grundsätzlich 
und  im  Wesen  sich  von  den  Sterblichen  nicht  unterschieden, 
erklärt  sich  aus  dieser  gleichen,  nüchternen  Auffassung  der 
Unsterblichkeit  als  krankheitsfreies  Beharren  in  einem  Jugend- 
zustand dank  jener  allheilenden  Medizin  der  Götterspeise  ohne 
weiteres  die  Einschränkung  des  Worts  IxcoQ  auf  das  Blut  der 
Unsterblichen  im  Gegensatz  zum  menschlichen  aif/a.  Die 
Götter  enthalten  sich  aufs  strengste  jeder  Menschennahruug : 
also,  so  folgert  der  in  in  diesen  Dingen  sehr  rationalistisch 


')  Verf.,  Kalypso  S.  158  ff.,  über  meine  Etymologie  von  vtxrccQ  S.  161  f. 

*)  Vgl.  Gering,  Über  Weissagung  und  Zauber  im  nord.  Altertum, 
Kieler  Prorektoratsrede  1902,  S.  21. 

3)  Heusler  zu  Genzmers  Edda,  1920,  II,  169,  Fußn.  4.  Über  den 
heiligen  Met  vgl.  auch  Kauffmann,  Balder  192. 

7* 


100 

denkende  aufgeklärte  Jonier  der  homerischen  Zeit  —  also 
können  die  Götter  auch  nicht  denselben  Blutstoff  besitzen 
wie  die  „brotessenden"  i)  Sterblichen.  Der  Götterleib  besteht 
an  sich  nicht  etwa  aus  feineren  Substanzen  und  Elementen, 
die  homerischen  Götter  sind  keine  Sylphiden,  sie  haben  keine 
Astralgestalt,  sondern  der  Körper  der  Unsterblichen  bleibt 
nur  schön,  stark  und  jugendlich,  weil  die  aseptische  Kraft 
ihrer  Nahrung  Jede  schädlichen  Keime  abtötet.  Wird  doch 
einem  toten  Menschenkind  wie  Hektor  ein  wenig  Ambrosia 
und  Nektar  zur  Aufhaltung  der  Verwesung  eingeträufelt  (vgl. 
T  39  oder  W  186),  und  umgekehrt  wird  ein  Mensch  unsterblich, 
sobald  er  die  Ambrosia  und  den  Nektar  genießt.  Man  be- 
achte den  scharfen  Gegensatz,  der  ,'  196  ff.  zwischen  den  Speisen 
von  Kalypso  einerseits  und  Odysseus  andrerseits  betont  ist: 

pviicp?)  öh  xiihkL  jtaQCi  Jiäöav  iÖcodtjr, 

to&tip  y.al  jiiveiv,  oia  ßgorol  ävÖgsg  tdovoii'' 

avTtj  6^  dvTiov  t^sv  '06voO/~jog  {^doio, 

T)J   dl   jtaQ^  dfißQOOitp^   öficocu   xcu  I'^XTCCQ  tdtjyMV. 

Wer  so  kühl  und  nüchtern,  fast  möchte  man  sagen  natur- 
wissenschaftlich, denkt,  der  muß  zur  Ansicht  gedrängt  werden, 
auch  das  Blut  der  Unsterblichen,  das  aus  der  Götterspeise 
entsteht,  müsse  ein  feinerer  Körpersaft  gewesen  sein  als  das 
dick  und  träge  fließende  «1//«  der  Sterblichen,  wie  es  sich 
aus  deren  grober  und  derber  Kost  umsetzen  muß.  Als  Aphro- 
dite von  dem  berserkergleich  wütenden  Diomedes  an  der  zarten 
Hand  verletzt  wird,  erzählt  der  Säuger,  E  339  ff". : 

Qtt  d'  äf/ßQOTor  aif/a  d^toio, 
Ix^oQ,  olog  jrtQ  rs  QttL  fiaxaQtdOi.  d^tolöiv 
ov  yctQ  (jirov  tSouo',  oi'  Jilvovif  cudojia  oLvoV 
tovve'k'  ilraiiiovtc.  tlöi  xal  dOdraTOi  yMXtovTcci. 

Da  wir  also  sachlich  ohne  weiteres  verstehen,  daß  man 
in  dem  Götterblut  einen  ganz  besonderen,  feinen  Saft  sich 
dachte,  dürfte  es  ein  Leichtes  sein,  auch  rein  sprachlich  die 
Wahl  gerade  des  Worts  Ixojq  für  den  göttlichen  Lebenssaft 


')  Wie  bedeutsam  dieses  zunächst  so  farblose  Beiwort  al(pi]arai  ist, 
ergibt  sich  aus  unserer  Betrachtung. 


101 

zu  erklären.  Deim  niclits  anderes  als  eben  ..fehle  Fliisaiykeit, 
dünner  Saft''  in  mensclilichem  oder  tierischem  Fleische, 
„Lymphe"  hat  im  Altgriechischen  iyoJQ  bedeutet.  Das  zeigen 
ein  paar  Belege  anschaulich.  Wir  lesen  in  Platons  Timaios 
82  E :  orav  /«(>  T?]xofttvfj  oc'cq^  drdjcahv  siq  rag  cpXeßag  n)v 
T7ixiö6va  t^ifj,  TOT£  fJcTCi  jcrtvfiatoq  aifia  jiolv  .  . .  '/[pXäg  xcu 
lywQag  xcd  qXtyiiara  jtavxoiu  Icyßi,  und  besonders  83  C :  iycoQ 
ÖE,  6  (ihv  aificcTog  oQog  Jigäog,  6  6\  fis^.aivfjg  yoXfjg  ös^lag  re 
äyQiog.  Ferner  vgl.  Athen.  9,  399  E :  (ü)  ^.vjctirco  de  o'  oQcövra 
hyöiQa  Oxä^ovra  xQtcöv,  all'  löd-it  Xdßgojg  oder  Aristot.  hist. 
anim.  III,  c.  2, 19:  xotvotarov  (itv  sott  rö  ai^ia  jiäöi  zolg  tvaifioig 
Cfooig  . . .  iJTaira  de  ro  clvdloyov  rovroig,  lycoQ  xal  ivtg.  Be- 
sonders deutlich  ist  die  Stelle  III,  c.  19,94:  ylvtrcu  y«()(sc.  ro 
aificc)  iycoQOtiötg,  xcd  öiOQQOvrui  ovzcog  Sors  rjö?]  XLVtg  löiöav 
aifiarojÖtj  'lÖQcöra  oder  95:  yirttai  6h  jcezzofitvojv  Ig  lycöQog 
fdr  cdiita,  ig  aiiiazog  de  jiL^eh'j.  Auch  von  dem  wässerigen 
Bestandteil  der  Milch  wird  lyrng  gebraucht,  Arist.  hist.  anim. 
III,  C.  20,  100:  jräv  61  ydXa  lyti  iyöjQa  vöazcoB-jj,  o  xaXtizca 
oQQog.  Schon  diese  von  Homer  klärlich  völlig  unabhängigen 
Belege  zeigen,  daß  das  Wort  insbesondere  der  wissenschaft- 
lichen Fachsprache  angehörte,  in  der  Volkssprache  scheint  es 
wenig  üblich  gewesen  zu  sein.  Lange  war  lycoQ  noch  ter- 
minus  technicus  der  Mediziner ;  so  ist  es  z.  B.  bei  Philolaos 
dem  Pythagoreer  1) :  Xiyti  6e  zi/v  yoXt]v  lyoJQa  üvat  zTJg  öccq- 
xög.  üiaQd6o^6v  zs  avzög  dvrjQ  £Jil  zovzov  xtLVtf  Xiyu  ydg 
(i7]6s  zezdxO^cti  im  rop  7Jjtazi  ypXiiv,  hymQ*^  (isvzoi  rfjg  öaQxog 
elvai  zrjv  yoXriv.  Ähnlich  Anaxarchos  27  (=  bei  Deels  II 3, 
S.  145, 17) :  zovzX  (ilv  alfia  xal  ovx  lycoQ.  Vgl.  auch  die  An- 
gabe Hipp.  X.  eß6.  c.  7  =  Pseudo  -  Galen,  ji.  aizlag  nad^öyv  ed. 
Helmreich,  Hermes,  1911,  46,442:  oxozav  z6  zijg  ipvxf'ig  ^tQ- 
Hov  zf~jg  zoc  dvd-QOjjcov  Iv  zoiöi  OJrXdyyroiöi  xal  zfiöi  (fjXtipl 
ytvrjzai  jcXtov  zov  Iv  zovzoiOi  zotöi  yrngioiOiv  övyyevtog  &tQfiov 
zbv  tycöga  zöv  tS.o)  zov  ocofiazog  zov  vyQOP  xal  xpvyQOV  owdyov 
hp'  Uovzo  Hörn,  7jjriaXov  Tioitl  zozt  ism  zov  6m(iarog  xzX. 
Die  Etymologie  von  ixmg  ist  für  unsere  semasiologische 


')  Siehe  Diels,  Vorsokratiker  32,  A.  27.  P,  308,  24.  26.  Ich  verdanke 
den  Hinweis  darauf  der  Freundlichkeit  des  Herrn  Prof.  Dr.  Erwin  Pfeifer; 
vgl.  auch  E.  Smith,  Maal  og  Minne,  1918,  18. 


102 

Frage,  warum  gerade  dies  AVort  das  Götterblut  im  Gegensatz 
zu  dem  Synonym  «///«  bezeichne,  verhältnismäßig  gleichgültig ; 
man  gestatte  mir  aber  doch,  daß  ich  kurz  darauf  eingehe. 
Ein  Zusammenhang  mit  ix//«c,  wie  ihn  G.  Meyer  i)  vermutete, 
ist  nicht  vorhanden;  Peellwitz^)  verweist  auf  eine  Wurzel 
si  „senden",  Persson^)  möchte  Ablaut  zu  alf/a  annehmen, 
ohne  über  die  Länge  des  anlautenden  l-  eine  Erklärung  zu 
geben:  alles  verfehlte  Vermutungen.  Wörter  auf  -ojq  als 
Maskulina  sind  im  Altgriechischen  selten:  außer  6  xbXwq  ist 
vor  allem  6  axcoQ  „Grind,  Kopfausschlag"  zu  nennen.  Mir 
scheint  es  da  nicht  zu  kühn,  trotz  des  verschiedenen  Akzents 
äxcoQ  und  iymQ  miteinander  zu  vereinigen.  Die  Bedeutungen 
„wässeriger  Hautausschlag"  auf  der  einen  und  „Lymphe, 
wässeriges  Naß  im  Fleisch"  auf  der  anderen  Seite  stehen  sich 
äußerst  nahe;  man  vgl.  eine  Stelle,  wie  Galen.  14,313  (ed. 
Kühn):  djcöQfiq  Ovviöravrai  JitQl  zo  Z'fjg  x8cpa?S/g  öfQfia. 
covdfiaörai  de  djio  rov  övfiJiTOjftarog.  Xtjiräg  yccQ  eyei  xaza- 
TQrjösig,  6i'  cov  djcoQQtei  iyjcoQ  yliöyQog:  dycjQ  (äyojQ?)  ist 
also  lx<^Q  yXioxQog. 

Formal  sehe  ich  in  iycoQ  eine  i- Reduplikation  von  äyojQ-, 
denn  nicht  nur  in  Praesentien  wie  yiyvo^icu,  l'ortif/i,  lat.  sisto 
usw.,  sondern  auch  bei  Nomina  war  eine  i-Eeduplikation  seit 
alters  üblich.'*)  öjüjievco,  jraQ&-£vomjra ,  tv-Iji?j,  aw.  Im  (zur 
Basis  *oqu-  „sehen"  in  öaos,  lat.  oculus  usw.)  zeigen  ebenso  wie 
uQ/pn]  d.  i.  iQavä  zu  dgagiöxo)  dieselbe  Kontraktion  des  re- 
duplizierenden i- Vokals  mit  der  Schwächung  des  vokalischen 
Stammanlauts,  auch  hier  ist,  wie  in  lyok),  die  Kontraktions- 
silbe nicht  betont,  weil  sie  eine  Schwundstufe  enthält:  wie 
also  iQaj'ä  <  i -{- dr-  zu  normalem  dg- in  aQaQioxoj,  'wie  tv-Tjttj 
aus  <i-{-9cp-  zu  *dx-  in  öoai:  (<*öxie)  entstand,  so  deute 
ich  tycoQ  aus  i  +  dy-  zu  normalstufigem  chyrnQ.  Dieses  selbst 
hat  schwerlich  mit  dyvQov  „Spreu",  dxvQÖv  „Spreuhaufen" 
etwas  zu  schaffen  —  diese  Wörter  gehören  vielmehr  zu  dyv7i, 
got.  ahana  „Spreu"  usw.  — ,  sondern  ich  verbinde  dxcoQ  un- 
bedenklich mit  'AytQvjv,  'Ax^QOVöia,  dx^QOvota'  vdaxa  tXmdij 


')  Et.  Gr.  Wb.  II,  ib.        ')  Et.  Wb.^  201.        «)  AVurzelerw.  112,  A.  2. 
*)  BruCtMANn,  nQt'jrtj,  Ber.  d.  sächs.  Ges.  d.  Wiss.,  68,3,  1916,  S.  14ff., 
Verf.,  Idg.  Ablautprobleme  S.  134. 


103 

Hes.,  weiterhin  sind  demnach  lit.  izeras,  azeras  „Teich,  See", 
apreiiß.  assaran  „See",  russ.  ö3cpo  „Landsee,  See"  anzureihen, 
deren  Grundbedeutung  deutlich  „sumpfiges  Gewässer,  Schlamm" 
war.  Da  wir  bei  Homer  die  auffallende  Akkusativform  iyß 
E  416  finden,  scheint  im  Nominativausgang  trotz  des  ab- 
weichenden Geschlechts  das  bedeutuugsverwandte  vöcoq  ein- 
gewirkt zu  haben,  obwohl  wir  r- Ableitungen  ja  auch  in 
jlyJ()(or  und  seinen  Verwandten  antreffen.  Jedenfalls  ist  lyo^Q, 
rein  formal  betrachtet,  ein  uraltes  Wort,  weil  an  seiner  Ge- 
stalt Gesetze  geschaffen  haben,  die  weit  vor  der  historischen 
Periode  der  homerischen  Sprache  wirksam  waren. 

Was  andrerseits  gr.  aliia  betriffst,  so  halte  ich  an  der  gut 
begründeten  Vergleicliung  mit  nhd.  Seim,  ahd.  seim,  nhd.  seimig 
„schleimig",  mnd.  sem,  holländ.  seem,  norw.  (dial.)  seima  „Schicht 
von  Schleim  oder  zäher  Flüssigkeit"  fest,')  glaube  freilich, 
daß  auch  die  Sippe  von  nhd,  Schleim,  schleimig  speziell  im 
Hochdeutschen  als  Reimwort  einigen  Einfluß  auf  die  Bedeu- 
tung gewonnen  hat:  Seim  scheint  ursprünglich  „dicker  Saft" 
besagt  zu  haben,  erst  die  häufige  Verbindung  mit  Honig, 
ahd.  honanyseim  ist  an  der  engeren  Bedeutung  „süßer  Saft, 
Honigsaft,  Syrup"  schuld.  Daher  glaube  ich  auch  nicht,  daß 
ccluvhog  „schmeichelnd",  cufiv2.of(//T//g  „geschickt  im  Täuschen" 
mit  a\ucc  und  Seim  zu  verbinden  ist,  wie  man  2)  gemeint  hat ; 
dieses  Adjektiv  bedeutete  „listig  berechnend",  und  ich  sehe 
keinen  triftigen  Grund,  es  von  cd'fwjp  und  seinen  Verwandten 
loszureißen. 

Unsere  bedeutungsgeschichtliche  Frage,  warum  lycog  das 
Götterblut  im  Gegensatz  zu  dem  ali/a  bezeichne,  ist  also  auf 
das  einfachste  gelöst;  es  gab  urgriechisch  zwei  synonyme 
Wörter  für  „Saft":  tyojQ  war  lymphenähnlicher,  wässeriger 
Körpersaft,  iclifa  aber,  das  gewöhnliche  Wort  für  „Blut",  hatte 
diese  Bedeutung  wahrscheinlich  aus  einer  allgemeinen  von 
„dickflüssiger,  schleimiger  Saft"  verengt.  Den  geschilderten 
Anschauungen   vom   Wesen    der    (>eia   ^ojovTtg   entsprechend 


1)  Osthoff,  MU.  i,  144;  Prellwitz,  Gr.  Et.  Wb.*  15;  Boisacq, 
Dict.  et.  24. 

^)  ScHRADER,  KZ.  30,  463.  Sehr  fraglich  sind  mir  Schröders  Kom- 
binationen ZfdA.  42,  67. 


104 

konnte  man  zur  Bezeichnung  des  Götierbluts  nur  lyo'j{t  wählen. 
Man  kann  jene  Stelle,  von  der  wir  ausgingen,  E'SSOfl'.,  ein- 
fach übersetzen:  „es  floß  das  unsterbliche  Blut  der  Gottheit, 
der  (flüssige  oder  wässrige)  Saft,  wie  er  bei  seligen  Göttern 
zu  fließen  pflegt." 

Die  Fälle  Ixcoq,  vty.raQ  und  dfißgooia  scheiden  also  als 
Belege  für  die  homerische  Göttersprache  im  engeren  Sinne 
aus :  wenn  sie  auch  tatsächlich  auf  die  Götterwelt  beschränkt 
sind,  so  erklärt  sich  dies  aus  den  Anschauungen,  welche  in 
homerischen  Zeiten  vom  Wesen  der  Götter  verbreitet  waren. 


6. 

Wir  wenden  uns  den  Begriffen  zu,  bei  denen  Homer 
Doppelbenennungen,  ein  AVort  der  Menschen-  und  der  Götter- 
sprache nebeneinander,  angibt.    So  an  der  Stelle  a  291 : 

OQind-i  hyvQij  evaXlyxiog,  ?/v  r'  h'  Öq86öii> 
XaXxida  xixh]öxoi^öi  ß-eol,  ärÖQeg  de  xviavdiv. 

Es  handelt  sich  um  einen  gespenstischen  Nachtvogel,  in 
dessen  Gestalt  Hypnos  eine  riesige,  bis  zum  Äther  ragende 
Tanne  erstiegen  hat,  um  eine  Art  Uhu  oder  Kauz,  der  im 
Aberglauben  eine  so  große  Rolle  spielt.  Daß  dieser  unheim- 
liche Gespenstervogel  xaly.iq  eigentlich  ein  verzauberter 
Mensch  war,  merken  schon  die  Schollen  zu  diesem  Vers  an: 
in  Argos  erzählte  man  von  einer  gewissen  Harpalyke,  die  von 
ihrem  Vater  Kymenos  vergewaltigt  worden  war.  Den  dann 
geborenen  Sohn  Presbon  läßt  sie  schlachten  und  setzt  ihn 
dem  Vater  als  Speise  vor;  sie  aber  wird  in  den  yalxlg  ver- 
wandelt. Andrerseits  ist  XalrAg  der  Name  der  Mutter  der 
Kureten,  die  auch  K6[ißrj  heißt:  diese  -/.öußij  aber  wird  ihrer- 
seits der  'xoQcort/  (svdXiog)  gleichgesetzt  nach  Ausweis  der 
Hesychglosse :  xoifßa  •  xoQo'nnj  •  IIolvQQf'jrioi.  Es  ist  nahe- 
liegend, an  einen  Sturmvogel  zu  denken,  der  beim  Gewitter- 
zauber beteiligt  ist. ')    Nach  Studniczka ')  wäre  der  fliegende 

')  Gruppe,  Gr.  Myth.  899.  '')  Arch.  Jahrb.,  1887,  II,  280. 


105 

\'ogel,  der  auf  alten  Münzen  aus  Chalkis  abgebildet  ist,  nichts 
anderes  als  dieser  Gespenstervogelj  die  xo^ißi}. 

Fragen  wir,  warum  die  Menschen  diesen  unheimlichen 
Nachtvogel  xv/iiröig  nennen,  die  Götter  aber  yalyJg,  so  läßt 
sich  antworten,  daß  der  alltägliche,  gewöhnliche  Name  des 
Vogels  zweifellos  zrinröic  war.  Auch  von  Aristophanes 
Av.  1181  wird  neben  yriw  chrck  dieser  xvfuvdig  erwähnt,  und 
über  ihn  finden  wir  bei  Aristoteles,  Hist.  anim.  9,  12  be- 
stimmte Angaben,  worauf  schon  die  Schollen  ä291  Bezug 
nehmen:  o  xi\uii'6ig  oIxh  fdr  öqij,  Ion  6t  iiümq,  '/lalx'iL^cov, 
Tfjv   XQOicn^    xal    ^dys^oq   oööov   ItQas   ö   (paöOofpovog   —   c6q 

q)}]6lV   jiQtÖTOTthjQ  1)  •     JTCiQti     Öt    TtOll'    dtjXvzojQ    Xiftrai   fj    XV- 

fiiröiQ.  Der  Name  dürfte  zu  jenen  halb  onomatopoetischen 
Vogelbezeichnungen  gehören,  welche  enger  oder  weiter  mit 
xavas,  xav7]g  verwandt  scheinen,  wie  auch  xi?:i\uog,  xixvfdg, 
x'ixvßig,  xiTVfug,  xizxdßf/ ;  lat.  cuciibire  stellt  auch  nahe,  yal- 
xig  dagegen,  das  natürlich  nach  der  /rdxoc- Farbe  den  Vogel 
benennt  —  s.  o.  xalxi^cov  in  der  Glosse;  — ,  war  gerade  bei 
der  allgemeinen  adjektivischen  Bedeutung  ein  viel  geheimnis- 
vollerer, weil  vieldeutigerer  Name  mehr  andeutender  als  scharf 
bezeichnender  Art:  „der  eisenfarbige,  dunkle".''^)  Nach  spä- 
teren Angaben  kann  denn  auch  yaXydg  einen  Fisch  und  eine 
bestimmte  Eidechse  bedeutet  haben :  Aristoteles,  Hist.  anim. 
VIII,  c.  24, 147  dxoxreh'ei  öh  Öäxvovda  rj  öcpööga  Jtoisi  alyüv 
xcu  7)  xa?,oi\uey7j  yahdg  vjto  rircöv,  vjtö  6'  evicov  C^iyvig.  Dazu 
halte  man  die  Hesychgiosse  ^lyvlg-  1)  yalxi]  öavQa.'-')  Ari- 
stoteles fährt  fort:  eOti  ö'  ofioiov  ralg  ^iixQcüg  aavQaig,  xb 
öl  xQcö^ia  tolg  rviflivoig  ocpeoiv.  Aber  ebd.  4,  103  heißt  es 
auch:  ip6(fovg  öi  rirag  äffiäöi  (sc.  iy^veg)  xai  zQiyfiovg  ovg 
Xtyovöi  (jpmvslp  .  .  .  sri  61  yaXxlg  xcd  xoxxv^. 

Gehen  wir  auf  den  Gefühlswert  ein,  der  den  beiden 
Synonymen  yalxlg  und  xv{ai'6ig  im  Altgriechischen  anhaften 
mußte,  so  löst  sich  leicht  das  Problem  ihrer  Verteilung  auf 
Götter-  und  Menschensprache:   das  nüchtern  alltägliche,  also 


1)  A.  a.  0. :  Hist.  anim.  9,  12. 

''')  Vgl.  oben  die  marokkanische  Umschreibung  „jener  der  Kacht",  S.  15, 
sowie  andeutende  Umschreibungen  wie  vvxrtQlg,  l&t.  noctua,  n.M.  Klage- 
mutter, Tolenvoyel,  Leichhuhn  u.  dgl.  für  „Eule". 

«)  Thompson,  Greek  birds  108  ff. ;   Boisacq,  Dict.  et.  534. 


106 

xv/jivdig,  konnte  natürlich  nicht  als  Wort  der  Götterspi'ache 
ausgegeben  werden,  das  allgemein  andeutende,  daher  geheimnis- 
vollere und  vieldeutigere  ;fo:2x/g  aber  schien  dem  Dichter  um 
so  passender,  als  es  Sagen  über  eine  Verwandlung  in  diesen 
Vogel  gab,  als  man  sogar  eine  Gottheit  des  Namens  kannte. 
So  erhielt  der  Ausdruck  der  Göttersprache  zugleich  eine  ge- 
wisse Farblosigkeit  und  Vieldeutigkeit,  so  daß  sein  Verständnis 
den  Menschen  nicht  ganz  leicht  und  klar  war.  Es  ist  nur 
gut  begreiflich,  wenn  man  meinte,  die  Göttersprache  sei  nicht 
jedem  Menschen  oder  weiteres  verständlich;  da  aber  andrer- 
seits keine  Barbarenwörter  den  Göttern  zugemutet  werden 
konnten,  ließ  sich  diese  vorausgesetzte  schwere  Faßlichkeit 
von  Götteraussprüchen  nur  erreichen,  wenn  vieldeutige,  mehr 
andeutende  und  anspielende,  als  wirklich  scharf  bezeichnende 
Worte  den  Göttern  zugesprochen  wurden.  Man  kennt  ja  die 
Doppelsinnigkeit  der  späteren  Orakel,  die  auch  auf  ähnlichen 
Ursachen  beruht,  das  bekannte  yJß6)]Xov  der  Sprüche  des  Aos'iac, 
zu  der  wir  also  erste  Ansätze  in  diesen  Fällen  der  homerischen 
Göttersprache  entdecken.  Man  fühlt  sich  an  die  Verse  er- 
innert, mit  denen  der  Chor  in  Aischylos'  Agamemnon  12541 
Kassandras  Weissagungen  bespricht: 

KaöödvÖQCi'    %ai  fi/)v  äyccv  7'  "EVj/v'  bJiiöTajiac  (pdrcv. 
XoQog'    y.al  yaQ  rä  jtv&öxQaj'ta'  öv<jf/a{)-fj  6^  ofimg. 

Diese  Vorstellung,  die  Götter  redeten  zwar  hellenisch,  aber 
doch  für  menschliches  Fassungsvermögen  dunkel  und  schwer 
verständlich,  ließ  sich  praktisch  am  einzelnen  Wort  eben  nur 
durch  die  Wahl  allgemeiner,  andeutender  und  vieldeutiger 
Worte  veranschaulichen. 

Sahen  wir,  daß  schon  bei  der  ChalMs  Eigennamen  herein- 
spielen, so  ist  dies  erst  recht  bei  allen  noch  übrigen  Belegen 
der  Göttersprache  bei  Homer  der  Fall.    So  lesen  wir  5  813 ff.: 

iöTi  Ö8  TLq  jT{tojidQOid-t  jToZioQ  cdjiüa  xoXoj)'?/  .  .  . 
rrjv  i)  TOI  ävÖQhq  Baritiav  xlxXi/Oxoi^Ou^, 
dd-dvaroL  öt  rs  6i](ia  üioXvöxdQih^oio  MvQlvfjq. 

Ich  kann  auch  in  diesem  Falle  nur  denselben  Grund  zur  Ver- 
teilung der  beiden  Ortsbezeichnungen  erkennen,  den  wir  oben 
ermittelt  haben:    Der  alltägliche,   von  vornherein  gegebene 


107 

Ausdruck  i«t  Bariiia:  Das  Wort  bedeutet  „Dorngebüsclr'  als 
Ableitung  zu  ßchog,  ßatig  „Dornstraucli".  Eine  mehr  diclite- 
risclie  Umschreibung  dieses  nüchternen  Ortsnamens  ist  dem- 
gegenüber afjfia  MvQiVfjg.  Ich  kann  es  nicht  für  richtig  halten, 
in  dem  Namen  Myrina  selbst  ein  Wort  mit  dem  Sinne  „Dorn- 
strauch" zu  suchen,  indem  man  etwa  an  fjvQix?]  „Tamariske" 
erinnerte,  sondern  wir  haben  es  hier  mit  —  einer  Heroine 
und  Heroenkult  zu  tun.  Denn  nach  Angabe  der  Schollen  war 
MvQivti  eine  Amazone,  und  ich  wüßte  nicht,  weshalb  man 
dieser  bestimmten  Angabe  den  Glauben  versagen  sollte ;  Schol. 
ad  B  814 :  jioXv(jxdQ9^fioio '  xoXvxivrjrov,  raxsiac,  öiä  zö  ütoXXä 
IvtQyslv  avxTjV  Iv  reo  jioXi^uo'  OxccQf^f/ög  yag  t)  zcöv  jroöc'iv 
xivi]öig.  MvQiva  61  l4fiaL,(yrog  örofia.  Dazu  kommt  die  An- 
gabe bei  Strab.  XII,  c.6, 573 :  ojrov  xal  ^Af/aC,6v8g  xartd-aQQtjöav 
avxTjg  .  .  .  xoXeig  de  jralaiai  of/oXoyovi'tai  ajio'ji'Vfioi  avrcöv' 
iV  öl  ra  'IZiaxff  jcsÖlo)  xolowi]  xig  \ozlv,  7Ji'  tjzoi  ^ävögeg  Bazl- 
Eiav  xixhjOxovöiv,  dd^avazoi  ös  ze  öf/fia  xoXvöxc'cQd^fioio  Mv- 
Qivrjg'.   .  .  .  xal  ?)  MvQtva  ovv  STrcovvfiog  zavzrjg  Xtyezai. 

Ob  das  Sage  ist  oder  ob  sich  wirklich  ein  ö;)//«  auf  dem 
Hügel  befand  —  einerlei,  auf  jeden  Fall  handelt  es  sich  um 
eine  Kultstätte  einer  eponymen  Heroine  in  der  Troas.  Daß 
auch  sonst  in  Kleinasien  Verehrung  von  Amazonen  vorkam, 
daß  Amazonengräber  Gegenstand  kultischer  Verehrung  waren, 
ist  deutlich  nachgewiesen.  ^) 

Wenn  die  Götter  jene  Stätte,  welche  die  Menschen 
nüchtern  das  „Dorngebüsch"  heißen,  nach  der  Verehrungs- 
stätte eines  ihnen  näherstehenden  Wesens,  einer  Heroine,  be- 
nennen, welche  ebenfalls  göttliche  Verehrung  genoß,  so  ist 
das  ohne  weiteres  einleuchtend;  anders  ausgedrückt:  warum 
der  Sänger  die  Verteilung  der  synonymen  Bezeichnungen  der 
betreifenden  Örtlichkeit  eben  gerade  so  und  nicht  umgekehrt 
vornahm,  glauben  wir  vollauf  verstehen  zu  können. 

Genau  dieselbe  Sache  liegt  vor  bei  den  beiden  Namen, 
die  der  Skamanderfluß  in  der  Troas  bei  Homer  führt;    F74: 

^dyag  jcoza^bg  ßad-vdivi]g, 
ov  Scwd^ov  xaXtovOi  d-Eol,  ävÖQsg  dt  ^xäiiavÖQOV. 


')  Siehe  F.  Pfister,  Reliquienkiüt  im  Altertum  (=  Rel.  Vers.  u.  Vor 
arb.  V),  1,281  f. 


108 

Wieder  ist  der  tatsäcliliclie  Name  des  Flusses  2£y.aiiar'\)(}^ 
gewesen;  das  Wort  dürfte  ungriecliiscli  und  nur  im  Ausgang 
geschickt  an  den  Stamm  von  dvriQ  angeglichen  worden  sein. 
Jedenfalls  aber  hieß  der  Fluß  tatsächlich  so:  das  beweist 
sein  heutiger  Name  Mendere,  darauf  deutet  auch  die  metrische 
Schwierigkeit,  die  seine  Verwendung  im  Hexameter  bietet. 
Aca'&og  „der  gelbe",  wie  der  Flavus  Tiberis,  kann  demgegen- 
über nur  als  dichterisches,  schmückendes  Beiwort  gefaßt 
werden,  das  in  seiner  Allgemeinheit  sich,  wie  oben  ausgeführt, 
als  Götter  wort  eignete.  Es  wäre  möglich,  daß  ein  und  der- 
selbe Fluß  auch  zwei  Namen,  einen  barbarischen  und  einen 
griechischen,  gehabt  hat;  soll  doch  der  Mendere  tatsächlich 
gelbes  Wasser  haben,  i)  Man  hat  auch  vermutet,  2)  daß  ^ard-öc 
eine  Übersetzung  des  fremden  Worts  sein  könnte,  vgl.  den 
lykischen  Xanthos,  der  ja  ebenfalls  bei  Homer  erwähnt  wird  3): 
allein  das  läßt  sich  alles  nicht  wahrscheinlich  machen;  ja  die 
Volks  etymologische  Angleichung  des  fremden  Flußnamens  an 
den  Stamm  von  dvfJQ,  drögog  {^xdfi-avÖQog)  spricht  gegen 
eine  solche  Annahme.  Ein  Flußgott  Xanthos  kommt  auch  auf 
Münzen  vor; 4)  jedenfalls  waren  also  beide  Namen,  der  ge- 
Avöhnliche  und  die  von  einigen  Dichtern  gebrauchte  Umschrei- 
bung, nebeneinander  in  der  Überlieferung  gegeben,  und  für 
uns  ist  es  lehrreich,  wie  der  Dichter,  der  diese  Namen  auf 
Götter-  und  Menschensprache  verteilen  wollte,  vorgegangen 
ist.  Der  Flußgott  selbst  heißt  meist  Sdv&og,  doch  liest  man 
<P  305   auch:    ovÖl   2xd{zcti'ÖQog   ehjyt   ro   ov  (itvog,    dXl'  tri 


1)  Nägelsbach -AuTENRiETH,  Homer.  Theol.^  438.  Seltsames  steht 
bei  dem  Paradoxographen  Antigonus  c.  78  (=  rer.  natural.  Script.  Graeci 
minor,  ed.  0.  Keller,  p.  21, 18  ff.),  worauf  mich  Herr  Prof.  F.  Boll  freund- 
lichst aufmerksam  macht:  Sop^eTv  6h  xal  rov  'Zxäi.iavSgov  S.ar0^a  noieiv, 
616  xal  rov  7ioj7/T/}v  dvzl  SxafxävÖQOV  aÜvS-ov  avxov  uQOoayoQSveip. 
Ebenso  Paradox.  Vatican.  c.  11  (=  a.a.O.,  p.  107, 19 f.):  0  SxäfiavS^og 
^avd-ag  noiH  xaq  TQiyaq-  od^ev  xal  Zävd-oq  nag'  "^Of^rjgo)  nQoariyoQSvd^)}. 
Ähnlich  Aristot.  hist.  anim.  III,  12,  519  a :  öoxel  rfe  xal  6  SxäfcavÖQog  nora- 
(j.6g  ^ai'&a  ra  nQoßaxa  noielv  6id  xal  r6v"Ofi7jQÖv  (paoiv  avzl  Sxafiav- 
ÖQOv  :E:(xvd-ov  nQooayoQ£vtLV  avxov.  Vgl.  übrigens  auch  Platon,  Cratyl. 
391  E. 

■■^)  V.  WiLAMOWiTz,  Die  Ilias  und  Homer,  1916,  381  mit  Anm.  1. 

3)  B  877,  E  479,  M  313. 

0  Siehe  die  Belege  bei  Waser,  RE.^  1909,  VI,  2814. 


109 

jiäXXor  I  yonro  Urßttcji'i,  xo(tv6(jt  Öh  xrita  onoio.  Also  so 
konsequent  und  pedantisch,  den  Flußgott  nur  beim  Götter- 
namen zu  nennen,  ist  der  Dichter  nicht  gewesen. 

Einen  etwas  schwierigeren  Fall  haben  wir  in  der  Doppel- 
beneunung  des  Riesen  Aigaion  vor  uns,  A  401  ff. : 

dXXa  6v  xöv  y'   eXd^ovoa,  dsä,  vjreXvöao  ötöfiöjv, 
coy'  ty.ax6yyuQ0v  xaXJöao'  ag  fiaxgoj'  "OXvi^ijror, 
ov  BQu'cQ£cor  xaXiovöi  d-soi,  ävögeq  6a  ra  jrdvrag 
AiyaUor''    6  yaQ  avra  (jhj  ov  jraTQog  df/alrojv. 

Auch  hier  kann  Aiyalon'  nur  der  gewöhnliche  Name  sein, 
BQUiQacog  aber  ist  ein  poetischer  Beiname,  dessen  Sinn  jedem 
Griechen  klar  und  verständlich  war:  von  ßQiaQÖg,  ßgiagtog 
abgeleitet,  bedeutet  das  Wort  „der  Starke,  Schreckliche"  ^) 
und  paßt  aufs  beste  für  den  von  allen  Göttern  gefiirchteten 
Kraftmenschen,  der  selbst  den  Zeus  an  Körperstärke  übertraf: 
mit  seinen  Muskeln  prahlend  setzt  er  sich  wie  ein  gefeierter 
Meisterathlet  und  Ringkämpfer  neben  den  Vater  Kronion, 
y.vöa'C  yaUor,  und  flößt  mit  seinen  nervigen  Armen  allen  Un- 
sterblichen gründlichen  Respekt  ein  vor  seinen  dreinschlag- 
freudigen  Fäusten  .  . .  ror  xcu  vjiäÖaiOar  itdxaQag  daol  ovöa 

Jener  gewöhnliche  Name  des  Riesen  Aiyakov  entbehrt 
durchaus  solcher  Durchsichtigkeit,  Es  gehören  erst  weitere 
Untersuchungen  dazu,  um  diesen  Namen  des  Giganten  in  der 
Menschensprache  zu  verstehen.  Meiner  Überzeugung  nach 
hängt  er  zusammen  mit  alyag  „Wogen",  cdyiaXög  „Strand" 
und  ging  ursprünglich  auf  den  gewaltigen  Anprall  erregter, 
sturmgepeischter  Meereswogen,  die  mit  Donnertosen  gegen 
die  Küste  andringen.  Dem  Namen  nach  zu  schließen,  hätten 
wir  in  dem  Riesen  ui'sprünglich  einen  Wasserdämonen  zu  er- 
kennen. 2)  Dies  läßt  sich  wohl  auch  sachlich  noch  einiger- 
maßen stützen  3) :  Aigion  galt  als  Sohn  Poseidons  und  war  als 
Meer-  oder  Wassergeist  Heros  eponymos  mehrerer  Städte,  so 
insbesondere   der   Stadt   Aigai   an   der   Westseite   der   Insel 


1)  Siehe  Immisch,  Rhein.  Mus.,  1893,  47,  294. 

")  Anders,  mich  nicht  überzeugend,  Gruppk,  Gr.  Mythol.  414,  A.  5. 

ä)  Siehe  Schömann,  Opusc.  II,  95. 


110 

Euboia  bei  Karystos.  i)  Der  Sage  nach  mußte  er  von  Euboia 
nach  dem  Ehyndakos  an  der  Südküste  der  Propontis  aus- 
wandern, wo  sein  Grabmal  gezeigt  wurde.  Somit  verstehen 
wir  sehr  wohl,  warum  gerade  die  Meeresgöttin  Thetis  ihn 
aus  der  Wassertiefe  zur  Hilfeleistung  des  Zeus  heraufholte. 
Später  freilich  trat  dann  eine  Vermengung  ein  mit  anderen 
ly.azöyx^iQoi,  er  wurde  mit  Titanen,  Kyklopen,  Giganten  usw. 
zusammengebracht,  weil  auch  er,  wie  Poseidon,  Stürme  und 
Erdbeben  verursachte.  Den  bündigen  Beweis  für  die  Richtig- 
keit dieser  Auffassung  von  Aigaion  sehe  ich  darin,  daß  Poseidon 
selbst  gelegentlich  Aigaion  genannt  wird,  z.  B.  bei  Callim. 
fr.  103  (ed.  Schneider  II,  361):  Aiyaiowi  d^eol  oder  bei 
Lykopheon  135,  wo  er  das  Meersalz  Aljaimvoc;  ayvhi]v  jrdyov 
nennt.  Vgl.  Valer.  Flaccus  Argon.  1,  629:  vix  litore  puppem 
solvimus,  et  quanto  fremitu  se  sustulit  Aegon!  Das  nahe- 
stehende Aiyaloq  als  Beiname  Poseidons  steht  bei  Eur.  Alk.  595. 

Schon  Homer  nennt  ja  Aigai  als  besondere  Kultsttätte 
Poseidons.  2)  Unter  solchen  Umständen  kann  ich  nicht  als 
„Ziege"  enger  mit  Alyakov  vereinen  und  den  Giganten  für 
einen  ursprünglichen  Dämonen  in  Ziegengestalt  ansehen,  wie 
Gruppe 3)  will,  wo  at/sg  „Wogen",  aiyiaXoq  „Strand",  xarai- 
yi^co  „renne  mit  Gewalt  an",  ai.  ejati  „regt  sich"  so  trefflich  zu 
der  sachlichen  Seite  des  Problems  stimmen.  Ob  als  »Ziege" 
letzten  Endes  mit  dieser  Sippe  lautlich  verwandt  ist,  bleibt 
eine  Frage  für  sich  und  hat  uns  hier  nicht  weiter  zu  be- 
schäftigen. Wenn  Poseidon  selbst  gelegentlich  Aigaion  heißt, 
so  ist  dies  die  bekannte  Erscheinung,  daß  selbständige  Sonder- 
oder Lokalgottheiten  zum  Beinamen  persönlicher  Götter 
heruntersinken.  — 

Damit  sind  die  Belege  der  homerischen  Göttersprache  er- 
schöpft, und  wir  kommen  zu  dem  überraschenden  Ergebnis, 
daß  es  sich  in  den  Fällen,  wo  Homer  eine  Doppelbezeichnung 
für  ein  und  dasselbe  Objekt  in  menschlicher  und  göttlicher 


0  Siehe  Pauly -Wisse wa  EB.'*  I,  945;  v.  Holzinger  in  d.  Ausg.  d. 
Lykophr.  S.  186  zu  135 ;  Gruppe,  a.  a.  0.  583,  8. 

'■')  0  203  und  vor  allem  JV21:  Alyüq-  IV9-«  de  ol  xXvta.  öcüfucia 
ßiv&soL  Xifiv7jg  I  '/(jvaea  (xaQixalQOvxa  TezEvxaTai,  a<pd^iTcc  cclei.  Vgl.  auch 
hymn.  Hom.  22,  3 :   6'^  &'  '^EXixdivcc  xal  evQeiag  ^sysi  Aiyag. 

«)  a.  a.  0.  1148. 


111 

Sprache  angibt,  bei  dem  Göttenvort  nur  um  eine  poetische 
Umschreibung-  allgemeinerer  Art  handelt;  der  nüchterne, 
alltägliclie  Ausdruck  ersclieint  als  Name  in  der  Menschen- 
sprache. Man  überschaue  noch  einmal  die  Paare:  Statt  des 
g-ewöhnlichen  ^^y.dfiai'ÖQog  gilt  die  Umschreibung  „der  Gelb- 
liche", Zärfhog;  statt  xvfurdig  sagen  die  Götter  umschreibend 
und  andeutend  die  „Dunkle",  Xa?.yJg;  statt  Aigaion  gebrauchen 
sie  den  umschreibenden  Namen  „der  Starke",  BgucQHoq^  statt 
der  volkstümlichen  Ortsbezeichnung  „Dorngebüsch",  Baxieia, 
sprechen  sie  vom  „Grabmal  der  Heroine  Myrina".  Wir  sehen 
also,  daß  es  sich  um  einen  stilistischen  Kunstgriff, ')  um  etwas 
Gemachtes  und  Künstliches  handelt,  um  etwas,  was  mit  wirk- 
lich volkstümlichen  Anschauungen  zunächst  nichts  weiter  zu 
tun  zu  haben  scheint,  als  eben  den  allgemeinen  Glauben 
selbst,  daß  es  eine  besondere,  eigene  Göttersprache  gebe:  der 
war,  wie  unsere  Untersuchung  lehrte,  seit  vorhistorischen 
Zeiten  aus  den  Anschauungen  von  der  Zaubermacht  des 
Namens  und  Worts  entwickelt  worden  und  war  auch  zu 
homerischer  Zeit  in  der  Masse  des  Volks  zweifellos  ver- 
breitet. Indem  also  der  Dichter  den  echt  volkstümlichen 
Gedanken  aufgriff,  blieb  ihn  in  Fällen,  wo  er  nun  wirklich 
im  einzelnen  Doppelbezeichnungen  geben  wollte,  nur  eine 
künstliche  Erfindung,  nur  das  Mittel  dichterischer  Um- 
schreibung übrig,  weil  er  seine  Hellenengötter  kein 
barbarisch  es  Kauderwelsch  konnte  radebrechen  lassen. 
Diese  Umschreibungen  erschienen  einmal  edler  und 
gewählter  als  die  abgegriffenen  Wortmünzen  des  Alltags, 
waren  also  der  Unsterblichen  würdiger;  sodann  aber  blieb 
wegen  der  nur  andeutenden,  vielsinnigen  Bedeutung 
solcher  Umschreibungen  begreiflich,  warum  die  Götter - 
spräche  gewöhnlichen  Sterblichen  trotz  ihrer  echt 
hellenischen  Worte  unklar  und  unverständlich  sein 
mußte.  Es  gehört  eben  eine  genaue  und  intime  Kenntnis 
des  ganzen  Zusammenhangs,  also  eine  besondere  Vertrautheit 
mit  den  Gedanken  der  Götter  dazu,  um  zu  wissen,  daß  mit 

*)  Ich  darf  hier  daran  erinnern,  daß  auch  die  Unterscheidung  alm- 
risdie)'  und  daevischer  Wörter  im  Awesta  nach  meiner  Ansicht  letzten 
Grundes  bloß  auf  stilistischen  Erwägungen  beruht,  Verf.,  Sitzungsber.  d. 
Heidelb.  Akad.  d.  Wiss.,  1914,  13,  33  f. 


112 

der  „Dunklen"  ein  bestimmter  Vogel,  mit  dem  „Gelblichen" 
ein  Fluß  gemeint  ist:  Diese  Dunkelheit  und  Vielsinnigkeit 
der  Göttersprache,  die  wii'  später  aus  so  zahlreichen  Orakel- 
sprüchen kennen,  erscheint  somit  schon  bei  Homer  als  ihr 
bezeichnendstes  Merkmal. 

Ehe  wir  versuchen,  dies  unser  Resultat  noch  mehr  zu 
vertiefen  und  die  eben  klar  gelegte  Methode,  wie  die  home- 
rischen Sänger  bei  der  Schaffung  von  Götterausdrücken  vor- 
gingen, in  einen  größeren  Zusammenhang  einzubeziehen,  gilt 
es  zunächst,  unser  Ergebnis  gegen  andere  bereits  geäußerte 
Auffassungen  abzuwägen  und  zu  festigen.  Die  Ansicht  des 
alten  Scholiasten,  der  zu  ^403  bemerkt:  toJv  öwn'vficov  rö 
fisv  jtQOTSQor  ovofia  '^'0[.n]QO^  de  d^tovg  dvag)SQei,  rö  öl 
Ö8VTSQ0V  dg  dr&Qcojtovg,  ist  völlig  verkehrt;  einmal  handelt 
es  sich  bei  diesem  Problem  gar  nicht  um  wirkliche  Syno- 
nyme im  eigentlichen  Sinn,  sondern  um  poetische  Metaphern, 
sodann  sind  diese  dichterischen  Umschreibungen  künstlich, 
also  selbstverständlich  jünger  als  die  gewöhnlichen  Wörter 
der  Menschensprache.  Nur  im  Fall  jicüXv^)  ist  ein  veraltetes 
Wort  den  Göttern  zugesprochen  aus  sachlichen  Gründen:  ein 
entsprechendes  Wort  in  der  Menschensprache  aber  fehlt. 
Wenn  Eusthatios  urteilt,  als  Götterwort  fungiere  zd  xqhttop 
Tcöv  övoiidxcov,  tÖ  svysviOreQov,  zd  ötiivözsgov,  SO  läßt  sich 
das  nur  in  dem  engbeschränkten  Sinne  halten,  daß  die 
poetischen  Umschreibungen  gewählter  klingen  als  das  Wort 
der  Alltagssprache.  Auch  der  Vergleich  mit  der  Orakel- 
sprache, den  man  gezogen  hat,"^)  ist  nur  in  dem  von  uns 
schon  oben  beschriebenen  Umfang,  also  im  stilistischen  gemein- 
samen Grundprinzip,  richtig.  Auf  ganz  irriger  Fährte  wandelte 
V.  Leu  WEN,  3)  mit  seiner  Ansicht,  als  Götterworte  seien  nur 
echtgriechische  Worte  gewählt  worden,  die  der  Menschen- 
sprache aber  seien  dunkel  und  barbarisch.  Diese  Anschauung 
würde   nur  für  2ixä^iavÖQoq   passen,   das   auch  wir  für  ein 


»)  und  TIluyxxai,  /j.  61,  worüber  unten  S.  115  f. 

'■')  Nägelsbach  -  AuTENRiETH,  Homer.  Theol.^*  436,  der  selbst  erklärt, 
das  Orakel  wolle  dunkel  reden,  bei  Homer  sei  aber  von  dieser  Absiebt 
gar  keine  Rede. 

■0  Miieniosyue,  1892,  20, 138  ff.  Über  die  Ausführungen  von  E.  Smith, 
Maal  og  Miiuio,  1918,  14ff.,  siehe  unten  S.  113,  A.  1  und  S.  123,  A.  3. 


113 

hellenisiertes  Fremdwort  halten;  Barlsia,  xvfardig  oder 
Aiyaicov  sind  aber  gewiß  keine  Barbaren  Wörter ;  umgekehrt, 
wie  kann  v.  Loewen  in  den  Götternamen  „einfache"  Aus- 
drücke (simplicia  a.  a.  0.  139)  sehen  wollen,  was  bei  der  um- 
ständlichen Bezeichnung  0////«  jroXvoyMQ&fioio  MvQivijQ  geradezu 
absurd  klingt  ?  ')  Man  muß  doch  auch  beachten,  um  dies  noch 
einmal  zu  betonen,  daß  es  sich  in  all  den  hierhergehörenden 
Fällen  nie  um  echte,  in  der  Umgangssprache  lebendige 
Synonyme  und  deren  Verteilung  handelt,  obwohl  hier  Material 
genug  dem  Dichter  zu  Gebote  gestanden  hätte.  Wie  hätte 
aber  ein  Rhapsode  es  wagen  können,  ein  in  der  Volkssprache 
übliches  Wort  auf  einmal  der  Göttersprache  zuzuschreiben'-^ 
Auch  Kvk'^ala  scheint  mir  nicht  das  treibende  Motiv 
erkannt  zu  haben,  wenn  er  meint, 2)  daß  die  klaren  und 
durchsichtigen  Wörter  den  Göttern  zugesprochen  worden 
wären;  wie  Speise  und  Trank  bei  den  Göttern  besser  seien 
als  bei  den  Menschen,  so  sei  auch  ihre  Sprache  vollkommener : 
die  Götterworte  wären  somit  verständlich  und  klar,  die 
MenscheuAvorte  dunkel  und  unverständlich.  Hiergegen  läßt  sich 
sofort  wieder  geltend  machen,  daß  es  sich  nicht  um  einfache 
Synonyme  handelt,  sondern  um  andeutende  Umschreibungen, 
die  keineswegs  so  eindeutig  klar  sind,  wie  Kvicala  uns 
glauben  machen  will.  Für  iwjXv  gilt  diese  Theorie  erst  recht 
nicht.     Zudem  ist  dieses  etymologische  Werten  eines  Worts 


*)  Es  braucht  keiner  weitereu  Worte,  um  die  Unrichtigkeit  anderer 
Ansichten  über  die  homerische  „Götterglottik"  darzutun:  so,  wenn  Bern- 
HARDY  und  Nägelsbach- AuTBNRiETH,  Hom.  ThcoL'  191,  §  144  behaupten, 
es  handle  sich  um  „für  Humer  fremdsprachliche  Wörter",  um  eine  „Tra- 
dition von  Sprachaltertüniern" ;  oder  wenn  Lobeck  trotz  des  trefflichen 
Materials,  das  er  mit  großer  Belesenheit  gesammelt  hat,  feststellt,  es 
seien  eigene  Erfindungen  des  Dichters,  ein  elegaus  et  prope  necessarium 
mendacium,  Aglaoph.  II,  858  ff.  Oder  wenn  man  gar  wirkliche,  barbarische 
(„pelasgische")  Wörter  annahm.  R.  M.  Meyers  und  Cohens  Ansichten 
(s.  0.  S.  91)  passen  höchstens  auf  den  einen  Fall  ixwXv^  und  selbst  da  darf 
man  nicht  von  eigentlich  hieratischer  Sprache  reden;  für  Götterausdrücke 
wie  E!är9-og  oder  ycO.xiq  trifft  dieser  Erklärungsversuch  gar  nicht  zu.  Die 
Auffassung  von  E.Smith,  Maal  og  Minne,  1918,  12ff.  aber  unterschätzt 
m.  A.  den  Abstand  des  homerischen  Stils  von  primitivem  Denken ;  s.  dazu 
unten  S.  123,  A.  3  und  129. 

*)  Kritickö  a  exeget.  pfispevky  k  Platonovym  rozmluväm,  1896,  S.  285. 
Güntert,  Sprache  der  Götter  und  Geister.  8 


114 

für  die  homerische  Zeit  ganz  unwahrscheinlich:  was  xvfitvdiq 
oder  UxafmrÖQog  war,  das  wußte  man  klar  und  eindeutig, 
etymologische  Erwägungen  über  die  Herkunft  und  Verwandt- 
schaft dieser  Worte  hat  man  gewiß  nicht  angestellt. 

Man  hat  endlich  als  Parallele  zu  den  Fällen  homerischer 
.Götterworte  auf  jene  Doppelnamen  aufmerksam  gemacht,  die 
für  einzelne  Personen  in  den  Epen  Homees  bezeugt  sind.i) 
So  wird  Z402f.  bekanntlich  von  Hektors  Sohn  gesagt: 

'^ExTOQiörjv  .  .  . 
rov  Q  "ExTCOQ  xaXteOxe  Sxa^iavÖQiov,  avtaQ  ol  illXoi 
'AoTvdvaxr' '  oioc  yag  tQvtro   "Ihor  "Exroj^t. 

Dieselbe  Erklärung  des  zweiten  Namens  'Aörvävas  wird  auch 
X506  gegeben: 

'AöTvdims,  ov   TQcöeq  ejcixhjOir  xaXiovOLV. 
OLog  yaQ  öfpiv  sqvöo  jtvXaq  xai  r^r/^f^a  fiaxgcc. 

Ich  kann  dieser  „Parallele'^,  die  nur  auf  ganz  flüchtigen 
Blick  hin  an  das  Problem  der  Götterworte  erinnert,  keinerlei 
Berechtigung  zugestehen:  die  Sache  liegt  hier  völlig  anders. 
Hier  handelt  es  sich  um  einen  Beinamen,  eine  tjrixZtjOig,  um 
den  Vater  zu  ehren;  es  ist  genau  dasselbe  Prinzip,  einen 
Helden  im  Namen  oder  Beinamen  des  Sohnes  zu  ehren  oder 
zu  charakterisieren,  wie  wenn  Odysseus'  Sohn  TfjXtfiayog  „der 
in  der  Ferne  Kämpfende",  des  Orestes  Nachkomme  Teiodfiti'og 
„der  Rächer"  oder  Aias'  Sohn  nach  des  Vaters  berühmtem 
Schild  EvQvodxrjg  heißen  (s.  Geuppe,  Mythol.  741,  A.  4;  auch 
Navöixdä  ließe  sich  anführen),  ^xaiidvögiog,  nach  dem  Fluß- 
gott der  Heimat  gewählt,  war  also  der  ursprüngliche  Name 
von  Hektors  Söhnlein,  der  Beiname  bezweckt  eine  Ehrung  des 
Vaters;  dieses  ehrende  cognomen  hat  Hektor  selbst  begreif- 
licherweise nicht  gebraucht,  wohl  aber  seine  Umgebung.  So 
dürften  sich  diese  Doppelnamen  leicht  verstehen.  2)  Daß  es 
wirklich  solche  Beinamen  gab,  zeigt  ein  weiterer  Fall  eines 


»)  Van  Leuwen,  Mnemosyne,  1892,  XX,  140  und  schon  Nägelsbach- 
AuTENRiETH,  Hom.  Theol.^,  439 f.;   vgl.  auch  Platon,  Cratyl.  392 B,  C. 

•■')  Anders  v.  Wilamowitz,  Die  Ilias  und  Homer,  1916,  312,  der  ver- 
schiedene Tradition  annehmen  möchte. 


115 

homerischen  Doppelnamens:   f  561  ff.,  wo  von  einer  Kleopatra 
die  Rede  ist: 

rtp^  dl  Tor'  tv  (.ityäQOiOt  Jtarijf)  xal  Jiöxria  fifJTtjQ 
'AXy.vortjr  xtüieoy.ov  tjtcovvf^op,  ovvex'  «(>'  avT/jc 
fif'jTriQ  dXxvövoQ  jroXvjttVi)tOQ  oiTor  hypvöa 
y.Xai',  ort  /.nr  hxätQyoc  dvt'iQJtaot  <Poißog  'AjrokXojv. 

Also  wiederum  erhält  die  Tochter  nach  dem  Schicksal 
der  Mutter  einen  Zunamen  {tjTc6vi\uov).  Auch  der  bekannte 
Doppelname  Paris- AI exandros  bietet  keine  Parallele  zu  jenen 
Götterbenennungen.  Auf  Vasen  erscheint  fast  nur  der  letztere 
Name,  der  gewiß  mit  Alexandra,  einem  „Beinamen"  der 
argivischen  Hera,  zusammenhängt,  während  Paris  wahr- 
scheinlich mit  dem  Helenakult  Beziehungen  hat :  flagela  hieß, 
worauf  GrRUPPE,  Mythol.  305  hinweist,  eine  heilige  Schlange, 
die  in  manchen  Sagen  eine  Rolle  spielt.  Dem  Helenos  soll 
sie  die  Ohren  ausgeleckt  haben,  vielleicht  hat  Helenas  Gemahl 
daher  seinen  Namen,  den  andere  freilich  für  ungriechisch, 
etwa  phrygisch  halten. ')  Jedenfalls  dürfte  es  sich  in  diesem 
Fall  um  ursprünglich  selbständig  verehrte  Heroen  oder  Lokal- 
gottheiten handeln,  die  dann  in  der  Sagenfigur  des  Paris  ver- 
schmolzen sind.  Wie  dem  auch  sei,  diese  Beispiele  von  Doppel- 
namen beruhen  auf  jeden  Fall  auf  ganz  anderen  Voraus- 
setzungen und  können  das  Problem  der  Göttersprache  nicht 
aufhellen.  Die  scheinbare  Ähnlichkeit  in  der  Verteilung  zweier 
Synonyme  muß  bei  näherer  Prüfung  als  Täuschung  erkannt 
werden. 

Eine  Stelle  bleibt  uns  übrigens  noch  nachzutragen,  an  der 
Homer  einen  Eigennamen  der  Göttersprache  zuteilt,  ohne  aber 
—  wie  im  Falle  des  Moly'^)  —  das  entsprechende  Wort  der 
Menschensprache  anzugeben,  //  61 : 

fT^tr  [ih^  yciQ  jitTQai  tjiijQScpttg,  jcqotI  6'  avrag 
xvfca  faya  QOid^ü  xvavcojnöoq  'Afig)iTQiT/jg' 
nXayxTCcg  Öt)  roi  ricg  yt  ihtoi  //«x«(jfc  xaXtovöiv. 

»)  TOMASCHEK,  Sitzungsber.  d.  Wien.  Akad.  d.  Wiss.,  1894,  131,  19. 

*)  Daß  diese  beiden  Fälle  der  Odyssee  angehören,  während  die  Um- 
schreibungen in  der  Ilias  vorkommen,  scheint  mir  nicht  weiter  von  Belang 
und  dürfte  nur  diircL  den  verschiedenen  Stoff  (märchenhafter  .Grundzug 
der  Odyssee)  zu  erklären  sein. 


116 

Man  hat  den  Eindruck,  daß  diese  Odyssee -Stelle  nicht 
sehr  ursprüng-lich  empfunden  ist,  sondern  nach  anderen 
Mustern,  insbesondere  nach  dem  Falle  des  Moly,  geformt  ist. 
Die  Erklärung  selbst  ist  nicht  eben  schwierig  und  unsicher: 
es  handelt  sich  um  eine  rein  sagenhafte  Örtlichkeit,  und  um 
das  Geheimnisvolle,  Seltsame  und  Außermeuschliche  zu  be- 
tonen, bedient  sich  der  Dichter  nach  dem  Vorbild  anderer 
Stellen  des  Kunstgriffs,  WMyxral  als  Götterwort  auszugeben. 
Die  Entsprechung  in  der  Menschensprache  fehlt,  weil  die 
Menschen  jene  sagenumwobenen  Felsen  gar  nicht  kennen  und 
nie  gesehen  haben.  Das  Wort  jiXayxral,  sc.  jittgai  ist  natür- 
lich gut  griechisch  und  gehört  zu  jiXd^töthai.  Die  uns  heute 
geläufigeren  synonymen  Ausdrücke  ^^viijihiydötq  (Eurip.  Med. 
2.  1252),  mrjyddeg  (Ap.  Rhod.  2,  596),  auch  :SvvÖQOfidd£g 
(Theokr.  13,  22,  Eurip.  Iph.  Taur.  408),  ^JwoQfidÖsg  (Sim. 
fr.  22)  sind  sämtlich  nachhomerisch.  Höchstens  wäre  als 
Synonym  der  Ausdruck  'Afiß^ööiai  jrtTQm  in  Betracht  ge- 
kommen, weil  an  der  Homerstelle  von  den  Tauben  erzählt 
wird,  die  für  Zeus  Ambrosia  holen  und  dabei  durch  jene 
gefährlichen  Felsen  fliegen  müssen. 


7. 


B. 


>ei  der  tonangebenden  Stellung  Homers  in  der  antiken 
Literatur  ist  es  nicht  verwunderlich,  daß  sein  Vorbild  spätere 
Dichter  veranlaßt  hat,  gleichfalls  von  der  Göttersprache  zu 
berichten.  Interessant  daran  bleibt  nur  das  eine  bei  diesen 
Nachahmungen,  wie  der  betreffende  Dichter  die  tatsächliche 
Verteilung  der  Wörter  bei  Homek  aufgefaßt  hat.  So  läßt 
sich  schon  Hesiod  anführen,  der  fragm.  3  {=  186  ed.  Rzach) 
berichtet:  N?/öo)  tr  'Aßarrlöi  Öiy  \  T))r  jxq\v  Aßarriöa  y.ixXijoxov 
d-£ol  aihv  lovTtq,  \  Evßoiai^  de  ßoog  tot'  tJTOJVVfiov  corofiaosv 
Zevg. 

Der  scharfe  Gegensatz  zwischen  Götter-  und  Menschen- 
sprache wird  hier  schon  dadurch  verwischt,  daß  das  gewöhn- 
liche Menschenwort   für   die  Insel   dem  Zeus   zugeschrieben 


117 

wird.  Aber  im  übrigen  können  wir  leicht  dieselbe  Praxis  wie 
bei  HoMEE  feststellen:  lißccrriQ  sc.  i'f/oog  ist  eine  gewähltere 
Umschreibung  der  Insel  nach  den  euboiischen  Abanten,  bzw. 
nach  dem  Städtenamen  "Jßai  in  Phokis,  das  nach  Strabon 
X,  1,3  die  Urheimat  der  euboiischen  Abanten  gewesen  sein 
soll.')  Ähnlich  wie  in  dem  Fall  der  Heroine  Myrina  wird 
also  wieder  eine  Örtlichkeit  nach  einem  uralten,  heroenhaften 
Geschlecht  bezeichnet,  das  einst  das  Land  bewohnt  haben 
sollte.  Genau  dasselbe  Prinzip  der  Namensverteilung  liegt 
vor,  wenn  Pindae,  frgm.  87  (=  p.  397  Christ)  von  Delos  singt : 

av  TS  ßgoToi 
AäXov  xixXijoxovöip,  fiaxageg  d'  ti'  ^OXviijcco 
Tt]Xtg)avTOv  xvavtag  i^ovbc,  äoxQOV. 

Die  offenkundigste  Umschreibung  muß  als  Ausdrucksweise 
der  Olympier  herhalten.  Es  ist  längst  erkannt,  daß  hinter 
dem  artigen  Bilde  nichts  als  der  Name  'Acrsgia  steckt,  der 
für  Delos  —  wie  auch  für  Kreta  —  bezeugt  ist ;  2)  er  kommt 
von  einer  sagenhaften  Titanin  Hotsqicc,  die  mit  Ztvg  'AoTtQiog 
zusammenhängen  dürfte.  Bemerkenswert  erscheint  mir  also 
vor  allem,  daß  sowohl  Hesiod  wie  Pindae  die  Praxis  der  alten 
Rhapsoden,  Götterworte  durch  Umschreibungen  zu  gewinnen, 
wohl  durchschaut  und  daher  selbst  nachgeahmt  haben.  So 
wird  es  ja  auch  immer  mehr  Sitte,  in  der  Dichtersprache 
nicht  plump  den  wirklichen  Namen  einer  Örtlichkeit  zu 
nennen,  sondern  ihn  zu  ersetzen  und  zu  umschreiben. 

Auch  Platon  hat  einmal,  wenn  sichtlich  auch  nur  im 
Scherz,  von  einem  „Götterwort"  berichtet; 3)  es  handelt  sich 
um  eine  seltsame  Stelle  im  Phaidros,  c.  32,  252  B,  wo  offenbar 
mit  solchen  Götternamen  gespielt  wird:  tovto  öe  rö  jiäd-og, 
ob  jtal  xuXt,  jTQog  ov  örj  (jol  6  Xoyog,  ärd^gcojroi  f/iv  "Egcora 
6vo(idC,ov(jiv,  ^eot  de  o  xaXovOiv  dxovöag  slxorog  Siä  vE6z7]Ta 
yeXdoei.  XtyovOi  dt,  olfiai,  zLvhg  ^Ofir]Qid(öv  ix  rmv  djco&trcov 
tjtcöv  ovo  iJttj  eig  xbv  "Egcora,  dir  xh  exeQOV  vßgiöXLXOv  jtdvv 
xcu    ox'    OffjOÖQa    XL   IfifitxQov.     v^i'ovöi    df  (ode  •   ^xbv  d'  ^roi 


»)  Vgl.  TOEPFPER,  RE.2  I,  13  ff.,    V.  W1LAMOWITZ,  Herakl.  II,  93. 
2)  Vgl.  Callimach.,  Hym.  4, 37.  40. 197  usw.,  s.  Usener,  Kl.  Sehr.  IV,  49. 
ä)  Im  Cratyl.  400 D  heißt  es  viel  ernster:  ntgl  &ewv  ovöhv  i'o/xev  ovte 
nsQi   «vTcöi'  ovze  neQi  X(Lv  ovofxcawv,   uxza  noxe  avxol  hccvxovg  xaXoiaiv. 


118 

{)^i^7jTol  jAv  "EQcoTct  -/.aXoroL  Jior/jvor,  \  d{}dvccToi.  dt  IhtQona, 
6iä  jcreQOCpoiTOi'  drccyx7]i>/ 

Ob  dies  Zitat  aus  irgend  einem  Kykliker  echt  sein  mag, 
oder  ob  Platon  vielmehr,  wie  man^  mit  Grund  vermutet, 
die  Praxis  solcher  Dichterlinge,  die  das  Motiv  einer  Götter- 
sprache geschmacklos  zu  Tode  hetzten,  travestieren  wollte  oder 
vielleicht  nur  einer  Laune  nachgab  —  das  ganze  Kapitel  ist  in 
sehr  scherzendem  Ton  gehalten  — :  genug  für  uns  hier,  daß 
jedenfalls  auch  in  diesen  spielerischen  Versen  das  Götterwort 
eine  allgemein  andeutende  Umschreibung  ist  („der  Geflügelte"), 
welche  wegen  des  Reims  zum  gewöhnlichen  Menschen  wort 
uns  noch  besonders  auffällt :  "Egcoru  :  UxtQcoTa.  Wissen  wir 
doch,  daß  der  Eeim  auch  bei  anderen  Fällen  von  Götter- 
worten seine  wichtige  Rolle  gespielt  hat  (s.  o.  S.  66  ff.). 

Ein  später  Dichter,  Philoxenos  aus  Kythera,  hat  in 
seinem  Aüxvov  die  homerische  Göttersprache  gleichfalls  nach- 
geahmt, wenn  er  singt  2): 

jcoQd-filöag  jioXX(D7>  dya&cöv  JidXiv  siorpegov  ysfiovoag, 
tag  t(p?jf(£Qoi  TcaX.tovTL  TQajitCac,  dd^ävaroL  6t 

r'  jifiaXO^tlag  xtQag. 

Bekanntlich  wird  von  diesem  Amaltheia-Horn ,  das  Ovid 
dem  cornu  copiae  gleichsetzt,^)  gefabelt,  es  verleihe  Regen 
und  Fruchtbarkeit:  es  ist  eine  Variante  von  Fortunas  Füll- 
horn, mithin  haben  wir  als  Götterausdruck  wieder  nichts  als 
eine  poetische  Umschreibung. 

Auch  OviD  kann  hier  genannt  werden,  der  in  recht 
äußerlicher  Nachahmung  des  homerischen  Vorbilds  sich  den 
Effekt,  Götterworte  anzubringen,  nicht  entgehen  ließ.  So 
heißt  es  Metam.  11,640  von  einem  Traumgott: 

Hunc  Iceion  superi,  mortale  Phobetora  vulgus  nominat. 

Es  ist  interessant  festzustellen,  daß  der  römische  Epigone  die 
homerische  Technik  in  der  Prägung  von  Götterausdrücken  in 

')  KvicALA,  Kriticke  a  exeget.  pfispevky  K  Platouovym  rozmluväui, 
1896,  S.  283  ff. 

0  Bei  Athen.  XIV,  642  f.  Das  Material  hat  Lobeck,  Aglaoph.  II,  841  ff. 
seit  langem  (1829)  gesammelt. 

••')  Metam.  IX,  88. 


119 

diesen  Fällen  nicht  durchschaut  hat ;  er  wählt  blindlings  zwei 
Namen  aus,  um  sie  ebenso  willkürlich  zu  verteilen.  Vielleicht 
mochte  dem  gebildeten  Römer  der  angebliche  Menschenname 
Phobetor,  „der  Furchterregende"  zu  ffoßog,  (f.oßko  etwas 
durchsichtiger  gewesen  sein.  Icelus  dürfte  wohl  das  griech. 
'/xf/oc  „ähnlich"  sein,  weil  Traumgottheiten  oft  in  Gestalt 
eines  Menschen  erscheinen.  Im  übrigen  hat  Ovid  auch  die 
Homerstelle  von  dem  Moly  übernommen :  14,  292  : 

Pacifer  huic  dederat  florem  Cyllenius  alhum: 
Moly  vocant  superi:  nigra  radice  tenetur. 

Auch  hier  hat  man  durchaus  den  Eindruck  oberflächlicher 
Nachahmung,  von  dem  tieferen  Grund  des  homerischen  Ge- 
brauchs, von  dem  Gefühlswert,  den  die  „Würz"  Moly  für  den 
homerischen  Griechen  besaß,  hatte  der  römische  Dichter  keine 
Ahnung:  es  war  für  ihn  lediglich  ein  schönes  Dekorations- 
stück, das  er  seinem  Vorbilde  des  Effekts  wegen  entnahm. 

Die  Pythagoräer  scheinen  einen  feinen  Unterschied  im 
Gebrauch  der  Synonyme  d^t^uig,  dix?j  und  rofwg  gemacht  zu 
haben,  lamblich.  de  vita  Pyth.  IX,  46  (Natjck  S.  33):  tovq 
yciQ  dvd^QojJiovq  elöörag  ort  rojiog  ajiaq  jcgoodeiTCd  dixaio- 
ovvfjg,  fiv&ojtoitiv  TtjV  avTTJv  tu^iv  ix^iv  üiagd  ts  tcö  Au  t?)v 
ßtfiiv  xai  jcaQO.  reo  UIovtcovl  ti)v  Aixrjv  xal  xard  tag  jioXeig 
Tov  Nofiov.  Diese  feine  Unterscheidung  läßt  sich  wohl  ver- 
stehen: vof/og  ist  das  allgemeine,  übliche  Prosawort,  gehört 
also  den  Menschen  an,  i^tfiig  aber  hat  den  Nebenbegriff  der 
„göttlichen  Satzung"  (o.  S.  48),  hom.  d-^iiöxeg  nähert  sich  dem 
Sinn  „Götterbeschluß,  Orakel",  zudem  ist  ja  Otiag  eine  be- 
kannte homerische  Gottheit,  die  Tochter  des  Uranos  und  der 
Gaia  (0  87,93,  F4,  /?68).  Man  kann  dies  Bedeutungsverhältnis 
von  &tiug  und  ro/iog  dem  von  lat.  fäs  und  lex  vergleichen. 
Wenn  dlx)/  der  Unterwelt  zugesprochen  wird,  so  ist  wohl  an 
das  Totengericht  gedacht:  hier  hat  der  Begriff  „Gesetz" 
nicht  den  Nebensinn  der  heiligen  Göttersatzung,  sondern  des 
Richterspruchs,  dem  sich  alles  zu  unterwerfen  hat.  Solche 
Gleichsetzungen  von  Göttern  waren,  worauf  Lobeck  a.  a.  0. 
1098  mit  Recht  hinweist,  ein  auch  sonst  beliebtes  Spiel  theo- 
logischer Grübler;  so  wenn  Servius  zu  Aen.  IV,  610  bemerkt: 
Dirae   in   coelo,   Furiae   in  terris,   Eumenides  apud  inferos. 


120 

Hat  doch  angeblich  Pythagoras  gelehrt,  dem  Jupiter  und 
der  Juno  entspreche  Bis  und  Proserpina  in  der  Unterwelt.') 

Noch  vereinzelte  Überlieferungen  von  Götterworten  gibt 
es,  die  sich  hier  und  dort  versprengt  erhalten  haben,  und  die 
Lobeck  in  seinem  Aglaoph.  1829,  II,  841  ff.  bereits  gesammelt 
und  auch  in  der  Hauptsache  ganz  richtig  gewürdigt  hat.  So 
berichtet  z.  B.  Pheeekydes,^)  otl  gl  d-sol  rijv  rgctjuC^av  d-vcoQov 
xaXovoi.  Die  Erklärung  dieses  „Götterworts"  liegt  auf  der 
Hand:  natürlich  gehört  es  zu  &\hj,  fhvco,  dvfiu,  {hioig  usw. 
und  bezeichnet  den  Opfertisch,  der  für  die  Götter  in  dem 
Gottesdienst  allein  in  Betracht  kommt.  Das  Suffix  begegnet 
auch  in  O-vqcoqoc,  hom.  {)'V()a{/)(OQ6g  und  jrvXa(/)coQ6g  „Tür- 
hüter", sowie  in  att.  aQxvcoQÖg  „Netzwächter",  x7]moQ6g 
„Gärtner",  vXrjcoQog  (Akzent?)  „Waldhüter",  oxsvcoQÖg 
„Wächter  des  Trosses",  und  läßt  sich  erschließen  aus  den 
Denominativen  övöcoqloj  „beschwerliche  Wache  halten"  und 
oöojQto} '  oöoffvXaxTHv  (bei  Photios).  3)  dvcoQÖg  bedeutet  also 
genau  „das  Opfer  behütend  oder  bewahrend",  eine  leicht  ver- 
ständliche sakrale  Metaplier  für  den  Opfertisch  und  Altar, 

Ähnlich  liest  man  in  den  Schollen  zu  Theokrit  III,  22/3 
(S.  261  Wendel):  Kagvöriog  6  n^gya^u^jvög  (pr/öL  Kvariag  fjsv 
vjt'  di'ihQcojTcor,  vjto  6e  &£öyv  Öqxov  jrvXag  xaXtiüfhai.  Wahr- 
scheinlich ist  die  Stelle  verderbt,  da  man  nicht  recht  einsieht, 
was  sachlich  und  sprachlich  „Eidestore"  für  Symplegaden 
bedeuten  sollten  —  man  hat  <Pöqxov  (Meineke,  Wendel) 
konjiziert  — ,  jedenfalls  aber  ist  hier  wieder  eine  Umschreibung 
als  Götterwort  ausgegeben.  Bei  Harpokrat.  s.  v.  wird  be- 
merkt: JisXavov  xaXov(ikv  ?)fi£ig  ol  d-tol  a  xaXeirs  os/jvcög 
aX(pi{)-'  vfjeig  ol  ßgoroL  Dies  jiiXavog  ist  ein  sakrales  Wort, 
das  bestimmte  Opferspenden  und  insbesondere  eine  Art  Opfer- 
kuchen bezeichnete*):  weil  das  Wort  seiner  Bedeutung  nach 
dem  Götterkultus  angehört,  wird  es  als  Götterwort  aus- 
gegeben. Ähnlich  bemerkt  Epicharm,  statt  der  gewöhnlich 
o/iaiHriöai  genannten  Muscheln  sagten  die  Götter  die  „weißen", 

1)  Nach  LuTATius  zu  Stat.  Theb.  IV,  526;   Lobeck  a.  a.O.  1098. 

2)  Nach  Diog.  Laert.  1, 11  (ed.  Cobet  p.  31). 

')  Siehe  Schulze,  Qu.  ep.  19 ;  Boisacq,  Dict.  et.  359. 

♦)  Siehe  Persson,  Beitr.  II,  748,  A.  1;   Boisacq,  Dict.  et.  759  f. 


121 

/n-x«/')  —  offenbar  eine  Bedeutuiigsvereng-erung,  wie  sie  nur 
in  der  Fachsprache  von  Opferdienern  und  Priestern  entstehen 
konnte. 

Diese  zuletzt  genannten  Beispiele  leiten  uns  nun  zur 
Erkenntnis  über,  daß  die  Art,  wie  man  seit  Homeks  Zeiten 
Götterworte  bildete,  diese  Umschreibungen  oder  „sakralen 
Metaphern",  wie  wir  sie  nennen  wollen,  auch  sonst  in  religiös 
gehaltener,  feierlicher  Sprache  häufig  angewandt  wurden,  daß 
sie  für  den  sakralen  Stil  bezeichnend  waren.  Denn  um  mit 
dem  wichtigsten  zu  beginnen,  so  beruht  die  Ausdrucksweise 
der  Orakel  auf  ganz  dem  gleichen  stilistischen  Prinzip.  In 
wirklich  gesprochenen  Barbarensprachen  scheint  die  Pythia 
höchstens  Barbaren  gelegentlich  geantwortet  zu  haben, 2)  in 
voces  mi/sticar,  wie  wir  sie  oben  kennen  lernten,  niemals.  Die 
bekannte  Zweideutigkeit  und  Dunkelheit  der  Orakel  beruht 
allein  auf  diesen  Umschreibungen,  die  das  Gemeinte  nur  an- 
deuten, aber  nicht  scharf  und  klar  ausdrücken.  In  diesem 
Sinne  ist  das  berühmte  Wort  EI,  das  dem  Ankömmling  vom 
Tempel  in  Delphi  rätselhaft  entgegenleuchtete, »)  für  die  ganze 
Praxis  der  Pythia  bezeichnend.  „Hölzerne  Mauern"  statt 
„Schiffe"  zu  sagen  ist  also  eine  Stileigentümlichkeit  der 
sakralen  Rede,  und  es  ist  überraschend,  daß  diese  Ausbildung 
besonderer  Umschreibungen  in  religiös  gehaltener  Rede,  dieser 
sakralen  Metaphern,  bei  Homer  eben  in  den  Ausdrücken 
der  Göttersprache  beginnt.  6  äras  ov  zö  fiavTslor  toxi  Iv 
AeXtpolg,  ovrs  ksytt  ovrs  xQVJtrti,  dXXä  örj^ialvtL,  sagt  Heba- 
KLEiTos  —  eine  oft  zitierte,")  grundlegende  Stelle  bei  Plu- 
TAECH,  De  Pyth.  Orac,  c.  XXI  zur  Beleuchtung  der  Vieldeutig- 
keit und  Dunkelheit  der  Orakel,  der  cdoXorofioi  iQrj6[ioi,  des 
XQriOfiög  xißötjXoc  des  Aosiag,  wie  die  Griechen  sich  aus- 
drückten. Auch  vom  olympischen  Zeus  heißt  es  6  {^toc;  ajisotj- 
(icavtv.^)    Der  Gott  „ließ  die  Strahlen  der  Wahrheit  sich  in 


*)  Lobeck,  Aglaoph.  II,  863. 

2)  Z.  B.  im   karischen  Dialekt  gegeuüber  den  Abgesandten  des  Mar- 
donios,  Pausan.  IX,  23,    s.  Götte  209  A,  247  A. 

3)  Plutarch  schrieb  darüber  bekanntlich  eine  eigene  Abhandlung. 
*)  Lobeck,   Aglaoph.  11,841;    Götte,  Das  delphische  Orakel,   1839 

S.  115  f. 

*)  Vgl.  Weniger,  Arch.  f.  Religionswissenschaft,  1915,  18, 100. 


122 

der  Poesie  brechen",')  jedenfalls  reizten  die  geheim nis vollen 
Umschreibungen  dieser  Göttersprache  zum  Nachdenken  der 
Sachlage  an,  ])er  amhages,  ut  mos  oraculis  —  so  charakteri- 
siert dies  der  kühle  Tacittjs,  Annal.  II,  54.  Vor  allem  hat 
Plutarch  in  der  Abhandlung,  warum  die  Pythia  die  Orakel 
nicht  mehr  in  Versen  erteile,  sich  über  hierhergehörige  Pro- 
blem^e  ausgesprochen,  und  es  ist  für  uns  doppelt  interessant, 
seine  Auffassung  kennen  zu  lernen,  weil  hier  ein  Fachmann 
und  Priester  spricht.  „Wir  glauben",  —  so  heißt  es  cap.  22 
—  „daß  Apollon  zu  seinen  Anzeigen  sich  der  Sprache  der 
Reiher,  Zaunkönige  und  Raben  bediene,  und  verlangen  nicht, 
daß  sie,  weil  sie  Boten  und  Herolde  der  Götter  sind,  alles  in 
Worten  und  deutlich  aussprechen ;  allein  von  der  Pythia  ver- 
langen wir,  daß  sie  eine  Sprache  und  Ausdrucksweise  wie 
von  der  Bühne  führe,  keine  ungeschmückte  und  einfache, 
sondern  in  bestimmten  Versmaßen,  in  hochtrabender  Weise, 
voll  von  neuen  Worten  und  Bildern,-)  uuter  Flötenschall 
zu  uns  rede."  „In  der  alten  Zeit  mißgönnte  Apollon  der 
Wahrsagung  nicht  den  Schmuck  und  die  Anmut,  er  entfernte 
nicht  die  hier  geehrte  Muße  vom  Dreifuß,  sondern  führte  sie 
vielmehr  herzu,  indem  er  die  poetischen  Naturen  weckte  und 
ehrte ;  er  gab  ihnen  selbst  Bilder  ein  und  verlieh  ihnen  einen 
glänzenden  Vortrag,  der  ansprach  und  Bewunderung  erregte" 
(cap.  24).  Als  Beispiele  solch  sakraler  Metaphern  aus 
Apollons  Orakelsprache  erwähnt  sodann  Plutaech,  daß 
er  die  Delpher  xvQixdovii,  die  Spartaner  og:toß()Qovc,  die 
Männer  oQtmmg,  die  Flüsse  oQSfijrorag  genannt  habe.  Diese 
Proben  ergänzt  uns  Athen.  VI,  272 B  dahin,  daß  Apollon  die 
Thessaler  in  Orakelsprüchen  als  jtotxiloöl(pQovc,  die  Arkader 
als  ßcÜMi^f/gjdyoix,  die  Korinther  als  yoirixofttrQag  bezeichnet 
habe.  3)  Wir  sehen,  es  handelt  sich  in  diesen  Fällen  um  das- 
selbe Prinzip  wie  bei  der  homerischen  Göttersprache:  es 
sind  teils  durchsichtige  Metaphern  und  Verhüllungen,  teils 
seltner  gebrauchte,  offenbar  nur  in  dialektischer  Begrenzung 

^)  GöTTE  a.a.O.  116  nach  Plutarch s  Worten  a.a.O. 

^)  «AA'  tv  f^iTQcp  xul  dyxü)  xul  nXccaf-tari  xcd  ixt:xa<poQalq  oroficamv 
xal  fisr'  av?.oü  (piyeyyofjiivrjv  na^jl/itir  d^iovfier. 

^)  Bei  Hesych  heißt  es  ^v/xßöXovg  .  .  .  m'lg  dl  r«s  f*'«  ^'^s  <PWV<i 
yivo/xtvag  iiuvidaq^  Arch.  f.  Religionswiss.,  1915,  18,  84  Fußn. 


123 

übliche  Worte.  o()&(i)civtg  dürfte  wohl  mit  n^of/r,  n(){H/r, 
äipoQQog  USW.  zusammenzuhängen,  vgl.  lakon.  uQtjv,  jon.  '^QOf/r, 
aiol.  kret.  tQöfjr,  und  weiter  djz-tQi'uo.  i)  Dazu  gehört  die 
Hesychglosse  oQt'mvbQ  '  clrÖQSc. 

Übrigens  ist  diese  Ähnlichkeit  der  homerischen  Götter- 
worte und  solcher  Umschreibungen  der  Pythia  bereits  von 
den  Alten  beobachtet  worden,  so  daß  man  sagte,  die  Priesterin 
spreche  eben  die  Sprache  der  Götter:  Dio  Chrys.  X,  303, 1 
//  T?]r  avT))v  tivcu  öialty.ror  cn'd^Qcojtcov  yML  ß^ecöv  ro^iC,tig; 
(W.ä  TOOovTOV  dtaffhQti,  coörs  top  7iora(ibv  rov  tv  TqoUc 
Sccv&oi'  jtccq'  ly.droiQ  xaXitod^ai  xcu  vir  XaXxiöa  xvfiivöiv  — 
ö^fi'  xcu  doacfr/  rä  rröi'  '/QijOfaör  löTi  xcu  jToXXovc  i'jöi]  ts7j- 
.TdT?]x£r.  2)  Umschreibungen  liegen  ja  im  Wesen  jeder  dichte- 
rischen Ausdrucksweise,  weil  der  Dichter  die  abgegriffenen, 
schmutzig  gewordenen  Münzen  der  Alltagsrede  vermeiden  und 
durch  neue  blendende  Prägungen  von  frischem  Glänze  ersetzen 
will.  3)  Ähnliche  Metaphern  und  Bilder  im  allgemeinen  findet 
man  also  bei  jedem  Dichter.  Fürs  Griechische  braucht  man 
nur  an  den  würdevollen  Stil  eines  Aischylos  oder  Pindar  zu 
erinnern,   die  von  Umschreibungen   oft  Gebrauch  machen. 4) 

1)  Siehe  Boisacq,  Dict.  et.  68.  83.  ^)  Lobeck  a.  a.  0.  854. 

^)  Es  ist  eine  maßlose  Übertreibung  und  Einseitigkeit,  wenn  Johanna 
Portengen,  De  Oudgermaansche  dichtertaal  in  haar  ethnologisch  verband, 
Leidener  Diss.  1915,  alle  fenwm^ar  auf  einstige  Tabubegriffe  zurückführen 
will;  vgl.  auch  M.  H.  Jellinek,  Ztschr.  f.  österr.  Gymn.,  1917/18,  68,  770, 
eine  Besprechung,  auf  die  mich  Herr  Dr.  Franz  Eolf  Schröder  freund- 
lichst aufmerksam  gemacht  hat.  Umschreibungen  sind  nicht  nur  ein  nahe- 
liegendes stilistisches  Mittel  der  poetischen  Ausdrucksweise,  die  sich  da- 
durch von  der  nüchternen  Alltagssprache  abhebt,  sondern  auch  im  Volke 
ein  stets  beliebtes  Spiel;  man  erinnere  sich,  um  diese  Freude  an  ab- 
wechselndem Ausdruck  und  neuen  Bildern  auch  in  weitesten  Kreisen  des 
Volkes  zu  sehen,  nur  an  die  vielen  neugeschaffenen  Metaphern  der 
Soldatensprache,  wie  sie  sich  in  dem  Weltkrieg  studieren  ließ  (z.  B.  Hühner, 
Schvietterling,  Blechtuter,  Hornvieh,  Sinelmöpse:  „Musiker",  Schlachtmeister, 
Knochenschnster ,  Medizinmann,  Karholfähnrich,  Aspirinonkel:  „Arzt", 
Stottertante,  Fleischhackmaschine,  Totenorgel:  „Maschinengewehr"  usw.). 
Allerdings  geben  die  Sasahara -Wovta  der  Sangiresen  oder  die  Priester- 
sprache der  Toradjas  auf  Celebes  gute  Beispiele  für  sakrale  Metaphern. 
Aber  von  so  primitiven  Gewohnheiten  bis  zu  der  Höhe  von  homerischen 
und  auch  eddischen  Gedichten  ist  es  ein  weiter  und  auch  steiler  Weg! 

♦)  Siehe  jetzt  Dornseiff,  Pindars  Stil,  1921,  28  ff.,  worauf  mich  Herr 
Prof.  BOLL  freundlichst  hinweist. 


124 

Aber  in  der  besonderen  Verwendung  der  Metapher  in  der 
sakralen  Sprache,  von  der  wir  reden,  kommt  doch  ein  anderes 
hinzu:  die  Vieldeutigkeit  und  Dunkelheit  der  Orakel  war 
nicht  nur,  wie  man  schon  im  Altertum  behauptet  hat,i)  eine 
List  und  ein  Gebot  der  Klugheit  der  Priester,  um  nämlich 
hinterher  den  dunklen  Ausdruck  so  oder  so  den  tatsächlichen 
Geschehnissen  anzupassen  und  mit  den  Ratschlägen  des  Gottes 
stets  recht  zu  behalten,  sondern  sie  erwächst,  wenigstens  in 
der  älteren  Zeit,  aus  dem  Bestreben  und  Bedürfnis,  das  Heilige 
zu  verhüllen,  nicht  alles  plump  beim  Namen  zu  nennen;  die 
Umschreibungen  sind  Kennzeichen  religiöser,  feierlicher  Rede 
geworden,  weil  dies  der  ungewöhnliche,  geheimnisvolle  Cha- 
rakter einer  heiligen  Handlung  erforderte :  Mystische  Schatten, 
weihevolle  Dämmerung  gehören  nun  einmal  zum  Stil  einer 
religiösen,  an  das  Gefühl  und  die  Stimmung  sich  wendenden 
Feierlichkeit:  Die  „Götter  lieben  das  Geheime"  heißt  es  mit 
Recht  schon  im  Sat.  Brah.  VI,  1, 1, 2. 

Den  Beweis  für  die  Richtigkeit  dieser  Auffassung  sehe  ich 
vor  allem  in  den  Geheimworten  und  sakralen  Metaphern,  wie  sie 
bei  Pythagoräern  und  Orphikern  namentlich,  aber  auch  sonst  in 
Geheimkult  und  Mysterium  üblich  waren.  Läßt  sich  doch  ein 
ganzes  Glossar  2)  orphischer  und  pythagoräischer  Umschrei- 
bungen aus  den  reichhaltigen  Angaben  des  Clemens  Alexan- 
paiNus,  Strom.  V,  c.  VIII  f.  (=  Migne  Patr.  Gr.-Lat.  9,  S.  72  ff.)  zu- 
sammenstellen. Wir  müssen  wenigstens  einige  Proben  hierher- 
setzen (§  19  ff.) :  'AvÖQOxvötjg  yovv  6  IIvß-ayoQLxdg  rä  'Ecptöia  xa- 
XoviiEva  YQd/jfiara  tv  jtolXolc,  Ör)  jioXvd^QvXXtjta  ovta  övfißoXcov 
t^siv  (prjOl  rdS^LV  örjfiaiveiv  6h  "Aoxiov  /ilv  rö  öxorog,  p)  yaQ 
l'/ti  TOVTO  öxidv  ■  (f)(Jöq  6b  Kazdoxiov,  ajiei  xazavydC,ti  t?jv  oxidr ' 
Äl§,  xt  köTiv  Tj  yfj  xard  dg^cciccv  tjtcovvfiiav,  xal  Tergdg  6  Iviavrbg 
diu  rag  cogag,  Aafivafitvsvg  Öe  6  rj?uog,  6  öcifid^cov,  xd  Äloid 


')  Plutarch  de  Pyth.  orac.  25  bemerkt,  man  beschuldige  die  Poesie, 
welche  die  Orakel  verhüllte,  nicht  bloß,  daß  sie  die  Erkenntnis  des  Wahren 
hindere  und  Dunkelheit  und  Schatten  den  Aussprüchen  beimische,  sondern 
man  wolle  auch  Bilder,  Rätsel  und  Zweideutigkeiten  als  Rückhalte  und 
Schlupfwinkel  verdächtigen,  in  die  man,  wenn  die  Prophezeiung  nicht  ein- 
getroffen sei,  sich  verstecke  und  zurückziehe.  Vgl.  auch  F.  Dornseiff, 
a.  a.  0.  29. 

*)  Siehe  schon  Creuzer,  Symbolik  III,  480. 


125 

TS  f)  dh){)f)g  (prov7].  .  .  .  ox'yl  y.ai  'EjiiytvriQ  er  toJ  jtsq)  rfjg 
'ÖQfftcog  jioüjoecog  ra  lÖid^orra  jtccq'  'Ogcfü  ly.xid-tfitvÖQ  (ptjOi ' 
*  xsQxiöi  xafijn'XoyQcoOi '  xolq  aQÖxQOiq  firjvvsod^ai '  OT/jfiooi  de 
ToTg  av?M§i,  fiiror  dt  to  OJitQ^ta  d}.?.f]yoQ&iO{}^ai,  y.a)  öäxQva  Aibg 
Tov  (\ußQO}'  öt/Xovr  f/oiQccg  rt  av  rd  fitg?/  tz/C  öf>?./y'r//c,  TQUcxada 
y.cä  jTtrTixaidtxdrfjv  xal  voi\u?iviav'  6ib  xai  XtvyooxöXovg 
((vrdg  y.aXtir  tov  ^Ogcfta.  (fcoTog  oi'oag  fttQtj.  jidlir  dvO^ioi' 
}dr  TO  ia()  öui  Ttjj'  (pvOir,  d^jida  Öi  Ti)v  vvy.Ta  öid  TijV  drd- 
jTccvOh',  y.cä  yoQyöriov  xijv  oehjvijr  did  to  Ir  avTii  JtQOOoiJtov' 

'A<fQ0diTTjV    T8    TOT    XülQÜl'    XaS-'   Öv    ÖSl    OJTt'lQtLl^    Ibytöi^CiL    TtUQa 

Tcjj  {^toXoyoj. 

ToiavTa  xal  ol  üvdayoQeiOL  fjviööovTO,  ^SQOecpöinjg  fdi' 
xvvag  Tovg  jcXar//Tag,  Kqovov  dt  ddxQvov  tijv  d^dXaoöav 
dXXriyoQovvT^g  (§  371,  a.a.O.  S.  80). 

Die  hier  gebrauchten  Beispiele  zeigen  eine  ähnliche  Bil- 
dimgsweise  wie  die  homerischen  Götterworte;  meistens  sind 
es  Umschreibungen  von  mehr  oder  minder  poetischer  Kraft. 
Der  Sprachforscher  fühlt  sich  nicht  nur  an  die  poetischen 
Metaphern,  die  kenningar  und  Jieiti  der  nordischen  Skalden  und 
der  deutschen  Sprachgesellschaften  des  17.  Jahrhunderts  er- 
innert, sondern  geradezu  an  Ausdrücke  der  deutschen  —  Gauner- 
sprache, die  ja  gleichfalls  eine  Geheimsprache  ist  und  sein  soll;  i) 
jedenfalls  mußten  solche  zahlreich  verwandten  Metaphern  zu 
einer  dem  Laien  unverständlichen  Geheimsprache  führen. 

Sogar  Fremdwörter  werden  in  dieser  orphischen  Geheim- 
sprache verwandt,  wie  das  phrygische  ßeöv  „Wasser" ;  Cle- 
mens, a.a.O.  §  27,  S.  73:  ...  ßtdv  fdr  ya.Q  Tovg  <pQvyag  to  vÖcoq 
(fijOi  xaXeir,  xad^d  xal  'Ogcftvc'  "^  xal  ßtöv  Nvfupdcor  xaTa- 
XtißsTai  dyX.aov  vÖcoq.  '  dXXa  xal  6  d^vxrig  Alcov  ofioicog  cpal- 
fitTai  y()dg)co)' '  '  xal  ßtdv  Xaßojv  xaTa  yjiQför  xaTaytov  xal 
IjtI  T?)r  hQOOxojthjv  TQtjrov\  .  .  .  2JvrofiöXoyog  T?jg  TOiäode 
öos^jg  xal  6  Kn^ixrjvog  Nedvd^rjg  yQd<pco7'  TOvg  ßlaxedovcov  IsQtlg 
tv  Talg  xaTbvyalg  ßtÖv  xaTaxaXtlr  i'Xuco  avTOig  rf  xal  TOig 
Ttxvoig,  ojitQ  tQ(i)ivevovOLr  dtQa. 


*)  Man  vgl.  Ausdrücke,  wie  Vater  Weiß  „Winter",  Weißling  „Ei", 
Scheinling  „Auge",  Sehtvarzmantel  „Schornstein",  Trittliny  „Schuh",  Grün- 
hurt „Wiese''  usw.  Vgl.  Kluges  und  Günthers  Darstellungen  des  Rot- 
welsch, BiscHOFPs  Wörterbuch  der  Gaunersprache. 


126 

Von  hier  ist  es  dann  nicht  mehr  weit  zu  den  geheimnis- 
vollen und  geheimgehaltenen,  den  Laien  unverständlichen 
Fachausdrücken  der  Priestersprache,  wie  etwa  oUfvig,  wo- 
neben Hes.  aUfvor  •  aijxva  stejit :  es  dürfte  zu  öiipcov,  aicpröq  • 
y.troc,  oi(pvv£i  •  xtvoi  (Hes.)  gehören  und  mit  lat.  tlbia  ver- 
wandt sein:  ein  altes,  aber  ungebräuchlich  gewordenes  Wort. 
Vornehmlich  die  Römer  waren  in  der  Beibehaltung  solcher  sakral 
gebrauchten  Ausdrücke  sehr  konservativ.  Besonders  Arnobius 
VII  Cap,  24  hat  uns  alte  Namen  und  Fachausdrücke  der 
römischen  Priestersprache  aufbewahrt  (=  S,  1248  bei  Migne, 
Patr.  lat.  5) :  quid  sibi  reliqua  haec  volunt  magorum  cohaerentia 
disciplinis,  quae  in  sacrorum  reconditis  legibus  pontificalia  re- 
stituere  mysteria,  et  rebus  inseruere  divinis?  Quid  inquam, 
sibi  haec  volunt,  apexanes,  hirciae,  silicernia,  longavi?  quae 
sunt  nomina,  et  farciminum  genera,  hirquino  alia  sanguine, 
comminutis  alia  inculcata  pulmonibus.  Quid  taedae?  quid 
7iaeniae?  quid  offae?  non  vulgi,  sed  quibus  est  nomen  ap- 
pellatioque  penitae:  ex  quibus  quod  primum  est,  in  exiguas 
arvina  est  miculas,  catillaminum  insecta  de  more:  quod  in 
secundo  situm  est,  intestini  est  porrectio,  per  quam  proluvies 
editur;  succis  perexsiccata  vitalibus:  offa  autem  penita  est, 
cum  particula  visceris  cauda  preoris  amputata.  Quid polimina? 
quid  Omenta?  quid  palasea,  sive,  ut  quidam  cognominant, 
pilasea?  ex  quibus  est  nomen  omenti  pars  quaedam;  quo  re- 
ceptacula  ventrium  circumretita  finiuntur.  Bovis  cauda  est 
plasea,  siligine  et  sanguine  delibuta.  Polimina  porro  sunt  ea, 
quae  nos  proles  verecundius  dicimus:  a  vulgaribus  autem  as- 
solent  cognomine  testium  nuncupari.  Quid  fitilla,  quid  frumen, 
quid  africia,  quid  gratilla,  catumeum,  conspoUum,  cuhila?  ex 
quibus  duo,  quae  prima,  sunt  pultium  nomina,  sed  genere  et 
qualitate  di versa.  Series  vero,  quae  sequitur,  liborum  signi- 
flcantias  continet:  et  ipsis  non  est  una  eademque  formatio. 
Non  enim  placet  carnem  strebulam  nominare,  quae  taurorem 
e  coxendicibus  demitur,  pulpamenta  non  assa,  quae  in  verubus 
exta  sunt,  animata  prius  et  torrefacta  carbonibus:  non  salsa- 
mina  denique,  quae  sunt  una  commixtio  quadrinis  copulata  de 
frugibus.  Non  similiter  fendicas,  quae  et  ipsae  sunt  hirae, 
quas  plebis  oratio  ilia  solet,  cum  eloquitur,  nuncupare.  Non 
ratione  eadem  aenimnas,  quae  sunt  prima  in  gurgulionibus 


127 

capita,  quae  dejicere  cibos  et  referre  natura  est  ruminatoribus 
saeculis.  Non  magmenta,  non  augmina,  non  mille  species,  vel 
farciminum,  vel  fitillarum,  quibus  nomina  indidistis  obscura, 
vulgoque  ut  essent  aiigustiora,  fecistis.  Wir  liabeii  hier  eine 
ganze  Sammlung-  unklarer,  zum  Teil  sehr  unsicher  überlieferter 
Geheimausdrücke  der  römischen  Priestersprache.  Auch  sonst 
bringt  Arnobius  in  diesem  Buch  noch  dunkle  und  seltene 
Wörter  aus  dieser  Fachsprache,  wie  etwa  bria,  sympuvia 
(cap.  29)  u.  dgl.  Wichtig  ist  hier  das  Zeugnis  Quintilians 
(1, 6,  39  ff.) :  verba  a  vetustate  repetita  non  solum  magnos  ad- 
sertores  habent,  sed  etiam  adt'erunt  orationi  maiestatem  ali- 
quam  non  sine  delectatione :  nam  et  auctoritatem  antiquitatis 
habent  et,  quia  intermissa  sunt,  gratiam  novitati  similem 
parant.  sed  opus  est  modo,  ut  neque  crebra  sint  haec  nee 
manifesta,  quia  nihil  est  odiosus  adfectatione,  nee  utique  ab 
ultimis  et  iam  oblitteratis  repetita  temporibus,  qualia  sunt 
Hopper'  et  'antegerio'  et  'exanclare'  et  'prosapia'  et  Saliorum 
carmina  vix  sacerdotibus  suis  satis  intellecta.  Sed  illa 
mutari  vetat  religio  et  consecratis  utendum  est. 

Wenn  einerseits  die  Erwägung,  daß  die  Römer  in  reli- 
giösen und  sakralen  Dingen  sehr  konservativ  waren,  auf  hohe 
Altertümlichkeit  schließen  lassen,  so  läßt  andrerseits  die 
Spezialbedeutung  der  meisten  dieser  Ausdrücke  von  vorn- 
herein dem  Etymologen  dieses  Material  wenig  ergiebig  für 
seine  Zwecke  erscheinen. 

Von  lateinischen  sakralen  Geheimausdrücken  hat  Loewe 
im  Prodromus  corporis  Glossariorum  Latinorum  1876,  p.  377 
weiteres  Material  gesammelt.  Wir  erwähnen  candes:  'vasa 
fictilia  Saliorum',  tegularia  'maleflca,  eo  quod  supra  tegulas 
sacrificet',  amhignae  'oves  ex  utraque  parte  agnos  habentes', 
Maialis  'porcus  pinguis,  eo  quod  de  his  Maiae  sacriflcabant' 
und  Sonderbenennungen  bestimmter  Priesterarten,  wie  egones, 
econes  'sacerdotes  rustici',  fulguratores  'rustici  aruspices',  ex- 
stispnces  'haruspices,  ab  extis  hostiarum'. 

Wir  dürfen  auch  an  die  Umschreibungen  in  den  Geheim- 
kulten erinnern ;  ^)  in  den  orphischen  Mysterien  durfte  der  Name 


»)  Vgl.  dazu  Lobeck,  Aglaoph.  II,  846 f.;  Maass,  Orpheus,  1895,  G9f.; 
W.  Schmidt,  Bedeutung  des  Namens,  1912,  39  u.  45. 


128 

der  Gottheiten  nicht  genannt  werden,  sondern  wurde  durch 
andeutende  Umschreibungen  ersetzt. 

Seltsam  geheimnisvolle  Benennungen,  die  nur  dem  Ein- 
geweihten in  ihrer  Symbolik  verständlich  waren  und  trotz 
solcher  Auslegung  zum  Teil  in  uralte  Zeiten  des  Tierdienstes 
hinaufreichen  dürften,  führen  die  Mysten  selbst  in  ihren  ver- 
schiedenen Weihegraden.  In  den  Mithrasmysterien  hießen 
diese  z.  B.  corax  „Rabe",  xQV(pLoq,  cryphius  „Verborgener", 
miles  „Soldat",  leo  „Löwe",  Fersa  „Perser",  'IIXiod(j6fioc  helio- 
dromus  „Sonnenläufer",  pater  „Vater".  In  anderen  Geheim- 
kulten heißen  Eingeweihte  Bär,  Ochse,  Füllen;^)  da  auch 
Verkleidungen  dabei  vorkamen,  denkt  man  an  Tiertänze  und 
Maskeraden  primitiver  Völker.  Geheimnisvolle,  umschreibende 
Symbole  haben  sich  Ja  bis  heute  in  jedem  Geheimkult  er- 
halten, vgl.  die  der  Freimaurerei. 

Handelt  es  sich  hier  auch  nicht  mehr  um  den  Göttern 
zugeschriebene  Worte  oder  Metaphern,  so  lehrt  doch  dieser 
Blick  auf  Orakelrede  und  Fachausdrücke  der  Priestersprache 
das  Wesen  und  den  Grund  der  homerischen  Göttersprache 
noch  besser  und  tiefer  verstehen.  Zwei  Grundtypen  sakraler 
Rede  treten  uns  immer  deutlicher  entgegen:  sakraler 
Archaismus  und  sakrale  Metapher.  Neben  Umschrei- 
bungen, die  in  primitiveren  Zeiten  menschlichen  Denkens  von 
dem  Bestreben  veranlaßt  wurden,  etwas  Heiliges  und  Ge- 
weihtes nicht  plump  beim  Namen  zu  nennen,  die  Gottheit 
dadurch  nicht  etwa  herbeizurufen  oder  dem  Unberufenen  mit 
der  Kenntnis  des  heiligen,  geheimen  Namens  gar  eine  mächtige 
Zauberwaffe  in  die  Hand  zu  drücken,  erhalten  sich  gerade 
in  der  religiös  gefärbten  Sakralrede  mit  Vorliebe  alte  oder 
dialektisch  gefärbte  Wortformen,  die  der  großen  Menge,  mit 
der  Zeit  sogar  den  Priestern  selbst  unverständlich  geworden 
sind.  Hier  wirkt  der  uralte  Glaube  von  der  mystischen  Kraft 
des  Wortgebildes  und  Wortkörpers  nach:  wie  eine  magische 
Formel  stets  unverändert  in  der  gleichen  Wort-  und  Silben- 
folge  gesprochen   werden   muß,   wie  ihre  Wiederholung  die 


1)  CuMONT- Gehrich,  Mysterien  des  Mithra,  1903,  ll'2f.  Die  Pythia 
und  ihre  Priesterinuen  in  Delphi  hießen  „Bienen",  Pindar,  Pyth.  IV,  60: 
'/_Qrfi!A.6q  fxe?.icaag  JtXtplSoq. 


129 

Zauberkraft  stärkt,  ein  Versprechen  dagegen  von  übelster 
Wirkung  ist,  so  erhält  sich  in  sakraler  Rede  zähe  das  einzelne 
Wort,  weil  es  als  solches  für  heilig  empfunden  wird.  Die 
sakrale  Metapher  beruht  mithin  im  tiefsten  Grunde  auf 
primitivem  Volksglauben  von  der  Macht  des  Namens, 
der  sakrale  Archaismus  dagegen  auf  der  urwüchsigen  Vor- 
stellung von  der  magischen  Zauberkraft  eines  Worts. 
In  späterer  Entwicklung,  wenn  solche  primitiven  Gedanken 
längst  nicht  mehr  Geltung  haben,  erhalten  sich  Archaismen 
und  Umschreibungen  in  würdevoll  feierlicher,  religiös  ge- 
haltener Rede  und  Dichtung  als  stilistische  Kunstmittel. 

Für  beide  Typen,  für  sakrale  Archaismen  und  Metaphern, 
finden  wir  Belege  in  der  homerischen  Göttersprache;  sind  die 
meisten  der  hier  den  Göttern  zugeschriebenen  Ausdrücke  Um- 
schreibungen, so  bietet  uns  der  Fall  imXv  auch  ein  gutes 
Beispiel  für  einen  sakralen  Archaismus. 

Man  darf  aber  nicht  soweit  gehen  und  behaupten  wollen, 
die  Worte,  für  die  Umschreibungen  vorliegen,  seien  noch  zu 
HoMEES  Zeiten  für  den  Dichter  tahu  gewesen.')  Das  kann 
schon  deswegen  nicht  sein,  weil  die  Alltagsworte  ja  den 
Menschen  verbleiben.  Wäre  zu  Homers  Zeiten  die  Vorstellung 
von  der  Macht  des  Worts  und  Namens  noch  so  lebendig  ge- 
wesen wie  in  den  Gedichten  der  Sangiresen,^)  dann  müßten 
natürlich  die  Tabu -Wörter  den  Göttern,  die  Umschreibungen 
aber,  mit  denen  man  ja  eben  die  Heiligkeit  des  Namens  um- 
gehen will,  den  Menschen  zugeschrieben  sein.  Nein,  derartige 
Erklärungen  verkennen  denn  doch  den  Abstand  der  home- 
rischen Kultur  von  der  primitiver  Völker.  Man  darf 
das  Vorgehen  eines  lionierischen  Aoiden,  der  für  ein  aristo- 
kratisches, in  religiösen  Dingen  ziemlich  blasiertes  Publikum 
dichtete,  nicht  auf  eine  Stufe  stellen  mit  einem  asiatischen 
Schamanen  und  einem  Teufelsbeschwörer  der  Wilden! 

Wir  bleiben  also  bei  dem  Ergebnis,  daß  die  homerischen 
Sänger  in  der  Art,  in  der  sie  ihre  Götterworte  schufen,  in 
einer  Weise  verfuhren,  die  später  nicht  nur  von  sie  äußerlich 


')  Das  habe  ich  vor  allem  g&g&n.  die  Auffassung  von  E.  Smith,  Maal 
Off  Minne,  1918,  14  ff.  einzuwenden. 

*)  S.  0.  S.  16  und  Jbllinkk  ,  Ztschr.  f.  österr.  Gymn.,  1917/18,  68, 766. 
Güntert,  Sprache  der  Götter  und  Geister.  9 


130 

und  unmittelbar  nachahmenden  Dichtern,  sondern  von  dem 
religiös  gefärbten,  hohen  Stil  der  Dichtung  (Aischylos,  Pindar 
usw.)  und  der  Orakelsprache,  ja  sogar  der  priesterlichen  Fach- 
sprache weiter  verfolgt  worden  ist.  Die  wichtigsten  Mittel 
ihrerTechnik,  sakraler  Archaismus  und  sakraleMetapher, 
sind  zu  HoMEES  Zeiten  längst  stilistische  Kunstgriife  geworden, 
beruhen  aber,  wie  Parallelen  aus  anderen  Kulturen  beweisen, 
letzten  Endes  auf  primitiven  Vorstellungen  von  der  magischen 
Zauberkraft  des  Worts  und  Namens. 

Die  Gottheit  spricht  bei  Homer  nicht  so,  wie  sich  nüchtern 
die  Menschen  des  Alltags  ausdrücken,  aber  sie  gebraucht 
andrerseits  auch  keine  Geheimworte,  keine  künstlich  erklügelten 
Zauberglossen,  wie  der  Magier  und  Geisterbeschwörer,  noch 
tobt  sie  sich  aus  im  enthusiastischen  Schreien  und  Rufen, 
sondern  sie  hüllt  ihre  Winke  und  Weisungen  in  andeutende 
Umschreibungen  —  oder,  um  mit  Heraklit  zu  reden, 

ovrs  Xtysi,  ovrt  xqvjctsl,  d}.2.ä  örj^aivst. 


8. 


Ei 


;ine  auffallende,  schon  früh  beobachtete  Parallele  zur 
homerischen  Göttersprache  gewährt  ein  seltsames  Lied  der 
altnordischen  Liederedda,  die  Älvtsstnol,  in  der  uns  in  langen 
Strophen  von  Wörtern  der  Götter-  und  Geistersprachen  be- 
richtet wird.  Den  äußeren  Rahmen  dieses  merkwürdigen 
Gedichts  bildet  die  Verlobung  eines  Zwerges  Älnss,  des 
„Ganz -weisen",  mit  Thors  Tocliter  in  der  Abwesenheit  des 
Vaters.  Bei  seiner  Heimkehr  ist  der  Gott  nicht  sonderlich 
erbaut  von  seinem  zukünftigen  Schwiegersohn,  diesem  winzigen 
Burschen,  der  „blau  um  die  Nase"  ist,  als  hätte  er  die  Nacht 
bei  Leichen  zugebracht,  i)    Da  der  Handel  nun  aber  einmal, 


•)  Dies  geht  auf  die  eig:eutliche  Natur  vieler  Zwerge  als  Toten- 
dämouen,  siehe  dazu  Verf.,  Kalypso,  1919,  S.  73.  Über  die  Toten  im  Berge 
siehe  W.  v.  Unwkrth  ,  Untersuchungeu  über  Totenkult  und  Ödinverehrung, 
Vogts  Germauist.  Abhandl.,  1911,  37,  7  ff.    Als  Nachtrag  zu  den  „ver- 


I;  \ 


131 

wenn  auch  hinter  seinem  Rücken,  geschlossen  ist,  sucht  Thor 
nun  keineswegs  wie  in  fast  allen  anderen  solchen  Lagen  die 
Sache  mit  seinem  Hammer  wieder  in  Ordnung  zu  bringen, 
sondern  er  beschließt,  mit  einer  List  den  listigen  Werber 
loszuwerden:  er  fragt  ihn  nämlich  aus  nach  den  Namen  der 
wichtigsten  Dinge  in  allen  neun  Welten  und  weiß  dadurch  in 
schlauer  Berechnung  den  auf  seine  Weisheit  eitlen  Zwerg  so 
lange  hinzuhalten  und  zu  fesseln,  bis  die  ersten  Sonnenstrahlen 
den  Sohn  des  nächtigen  Dunkels  überraschen.  Dies  bedeutet 
aber  seine  Vernichtung:  nach  anderen  ähnlichen  Sagen  zu 
schließen,  wurde  nämlich  der  vom  Tageslicht  überraschte 
Zwerg  versteinert. 

Wir  wissen,  wie  beliebt  Wissenskämpfe  und  Rätselfragen 
als  Proben  der  Weisheit  im  nordischen  Altertum  waren,  und 
manch  geistiges  Turnier  wird  uns  in  der  Edda  und  den  Sagas 
geschildert.!)  Allein  die  Art,  wie  in  der  Alvissrngl  nur  nach 
Worten  der  verschiedenen  Götter-  und  Dämonensprachen 
examiniert  wird,  ist  nur  aus  der  Vorliebe  der  Nordländer  für 
Aufzählungen  erklärbar,  wie  sie  sich  ja  auch  bei  genea- 
logischen Werken  findet.  Das  Gedicht  macht  von  vornherein 
keinen  sehr  ursprünglichen  und  altertümlichen  Eindruck  schon 
wegen  der  äußeren  Einkleidung;  es  bleibt  gänzlich  unmotiviert, 
wieso  der  Zwerg  auf  Thors  Tochter,  deren  Namen  übrigens 
gar  nicht  genannt  wird,  so  zwingende  Anrechte  hat,  daß  der 
Vater  hier  ausnahmsweise  nicht  seine  Kraft  zu  gebrauchen 
wagt;  der  Schauplatz  der  Handlung  bleibt  unklar  und  wird 
nicht  einmal  angedeutet,  vor  allem  aber  befremdet  in  höchstem 
Grade,  Thor,  den  sonst  so  täppischen  Draufgänger  und  bäurischen 
Kraftgott,  als  listgewandten  Examinator  in  Dingen  der  Weis- 
heit über  einen  Zwerg  siegen  zu  sehen,  dessen  Klugheit  und 
Wissen  noch  besonders  betont  wird:  was  von  Odin  zu  er- 
warten wäre,  will  zu  dem  üblichen  Charakterbilde  Thors 
wenig  stimmen.    Die  Einteilung  des  Kosmos  in  neun  Räume 


mummten  Zwergengestalten"  gebe  ich  hier  noch  ai.  guhyakah  „Kobold, 
Yaksa"  zu  giihä  „Höhe,  Versteck",  gühati  „verbirgt,  verhüllt" ;  vgl.  auch 
aisl.  diüjüendingr  „Unterirdischer,  Kobold".  Über  den  Typus  des  mittel- 
alterlichen Zwergs  handelt  A.  Lütgens,  Vogts  Germanist.  Abhdl.  38,  1911. 
*)  Vgl.  nur  die  yafprüpmsmöl,  aber  auch  den  Streit  zwischen  Wäinä- 
möinen  und  Joukahainen  im  Kalewala  III. 

9* 


132 

bleibt  unklar,  zumal  nur  sechs  Bewohnerklassen  dieser  "Welten 
genannt  werden;  jedenfalls  ist  es  dem  Dichter  nicht  darum 
zu  tun,  diese  Bewohner  der  verschiedenen  Welten  scharf  zu 
scheiden:  er  spielt  mit  Umschreibungen,  wie  etwa  uppregin, 
ginnregin,  ohne  daß  der  Leser  weiß  —  und  wahrscheinlich 
wissen  soll  — ,  was  er  sich  im  einzelnen  darunter  zu  denken 
hat.  Was  sollen  z.  B.  uppregin  in  Strophe  10  sein,  wenn 
Äsen  und  Vanen  bereits  genannt  sind? 

So  erhält  man  den  Eindruck  einer  spielerischen,  ober- 
flächlichen Ausführung  des  an  sich  nicht  unebenen  Einfalls, 
im  Rahmen  der  Sage  von  der  Lichtempfindlichkeit  der 
Zwerge  i)  uns  eine  Sammlung  synonymer  Ausdrücke  zu  bieten, 
wie  sie  sonst  wohl  in  der  isländischen  Prosaliteratur  begegnen ; 
ebenso  halte  ich  das  Sagenmotiv  von  verschiedenen  Götter- 
und  Geistersprachen  an  sich  selbstverständlich  für  volkstümlich, 
wie  das  unsere  ganze  Untersuchung  lehrt.  Aber  die  Art,  wie 
diese  alten,  guten  Motive  dann  verarbeitet  sind,  kann  man 
nicht  als  sehr  glücklich  bezeichnen,  und  mir  bleibt  sowohl  die 
Bewunderung  als  die  Annahme  eines  relativ  hohen  Alters 
gleicherweise  unverständlich,  die  Finnur  Jonsson  für  dieses 
späte  Machwerk  eines  mäßigen  Dichters  übrig  hat  2)  Mit 
Eecht  meint  Heusler,  zu  diesem  Lied  „brauchte  es  das  Island 
um  1200,  gesättigt  wie  es  war  mit  meistersingerischer  Formen- 
kunst und  sprachtheoretischem  Eifer",  3)  mit  Recht  nennt  es 
Gering  4)  „ein  versifiziertes  Kapitel  aus  der  skaldischen 
Poetik". 

Wenn  also  der  ganze  Charakter  eines  solchen  Liedes  uns 
schwerlich  viel  über  altheidnische,  echt  germanische  Vor- 
stellungen von  Götter-  und  Geistersprachen  wird  lehren 
können,  so  ist  es  immerhin  ein  wichtiger  Beleg  für  diesen 
Glauben  selbst.    Auch  hier  erwächst  dem  Sprachforscher  die 

')  Siehe  dazii  v.  d.  Leyen,  Märchen  in  der  Edda,  49.  Die  Ansicht 
von  E.  Smith,  es  handle  sich  in  der  Einkleidung  unseres  Gedichts  um  das 
Motiv  des  Freiers,  der  durch  sein  Rätselraten  die  Prinzessin  erringt  (vgl. 
Turandof),  halte  ich  für  unrichtig,  s.  Maal  og  Minne,  1918,  17.  Auch 
Kauffmann,  Balder  200,  nimmt  mir  das  Motiv  zu  ernst  und  altertümlich. 

'■')  Den  oldn.  og  oldisl.  Litt.  Histor.  I,  165  ff.,  namentlich  170. 

»)  In  F.  Genzmers  Edda -Übersetzung,  1920,  II,  100. 

")  Edda -Übersetzung  81,  Fußn.  1. 


133 


Aufgabe,  die  Verteilung  der  Synonyme  zu  prüfen  und  die 
Grundsätze  zu  ermitteln,  nach  denen  der  Dichter  diese  Wen- 
dungen den  Göttern,  Vanen,  Eiben  usw.  zuteilte ;  was  nämlich 
bis  jetzt  über  dieses  Problem  erforscht  ist,  kann  nicht  völlig 
genügen J) 

Wir   halten   es   für   das   einfachste,   hier  zunächst  eine 
Übersicht  über  die  Verteilung  der  Synonyme  zu  geben: 


Strophe  10:   „Erde". 

*)  JWP  —  W'^A  mQnnum, 

b)  fold  —  mep  Qsum, 

c)  vegir  —  vanir, 

d)  igrän  —  jgtnar, 

e)  groandi  —  alfar, 

f)  aurr  —  uppregin. 

Strophe  12:   „Himmel". 

a)  himinn  —  mep  mgnnum, 

b)  hlyrnir  —  7nep  gopum, 

c)  vitidofnir  —  vanir, 

d)  uppheitnr  —  jgtnar, 

e)  fagra  robfr  —  alfar, 

f)  drjüpr  sah'  —  dvergar. 

Strophe  14:   „Mond". 

a)  mäni  —  ineP  mgnnum, 

b)  mylinn  —  mep  gopum, 

c)  hvel  —  i  lielju, 

d)  skyndir  —  jgtnar, 

e)  skin  —  dvergar, 

f)  drtali  —  alfar. 

Strophe  16:  „Sonne". 

a)  söl  —  m£p  mgnnum, 

b)  srnina  —  meP  gopum, 

c)  Dvalins  leika  —  dvergar, 

d)  eyglö  —  jgtnar, 

e)  fagra  hvel  —  alfar, 

f)  alskir  —  äsa  synir. 


Strophe  18:  „Wolke". 

a)  sk^  —  mep  mgnnum, 

b)  sMirvgn  —  mep  gopum, 

c)  vindflot  —  vanir, 

d)  ürvgn  —  jgtnar, 

e)  veprmegin  —  alfar, 

f)  hjalmr  hulips  —  i  helju. 

Strophe  20:   „Wind". 

a)  vindr  —  mep  mgnnum, 

b)  vgfupr  —  mep  gopum, 

c)  gneggjupr  —  ginnregin, 

d)  epir  —  jgtnar, 

e)  dynfari  —  alfar,  ■ 

f)  hvipupr  —  i  helju. 

Strophe  22:  „Luft"  (genauer 
„Windstille"). 

a)  logn  —  mep  mgnnum, 

b)  legi  —  mep  gopum, 
e)   vindslot  —  vanir, 

d)  ofhly  —  jgtnar, 

e)  dagsefi  —  alfar, 

f)  dags  Vera  —  dvergar. 

Strophe  24:  „Meer". 

a)  sc6r  —  mep  mgnnum, 

b)  silcegja  —  mep  gopum, 

c)  vägr  —  vanir, 

d)  älheimr  —  jgtnar, 

e)  Idgastafr  —  alfar. 

f)  djiipr  marr  —  dvergar. 


')  J.  Grimm,  Myth.*  1,275;  3,101,  Simrock,  Edda  n888,  S.  400, 
Weinhold,  Altnord.  Leben  78,  Mogk,  Grdr.*2,598,  Symonds,  Edda 
S.  CCLXVIII,  Detter-Heinzel,  Edda  II,  309ff.,  Schütte,  If.  17,  451, 
Hbusler,  Archiv  f.  d.  St.  n.  Spr.,  1906,  116,  264 ff.;    Helm,  PBB.  32,  99 ff. 


134 


Strophe  26:   „Feuer".  '  Strophe  30:   „Nacht". 

a)  eldr  —  meß  mgnnum,  a)  ngtt  —  meß  nignnum, 

b)  funi  —  7neß  gsum,  b)  njöl  —  meß  goßum, 

c)  vdginn  —  vanir,  \       c)  grima  —  ginnregin, 

d)  freki  —  jgtnar,  |       d)  öljös  —  jgtnar, 

e)  forhrennir  —  dvergar  e)  svefngaman  —  alfar, 

f)  hrgßußr  —  i  Jielju.  j        f)  draumnjgrim  —  dvergar. 

Strophe  28:   „Wald".  i                Strophe  32:   „Saat". 

a)  vißr  —  meß  mgnnum,  a)  bygg  —  mep  mgnnum, 

b)  vallar  fax  —  meß  goßum,  i       b)  barr  —  meß  goßum, 


c)  hlißßang  —  halir, 

d)  eldi  —  jgtnar, 

e)  fagrlimi  —  cdfar, 

f)  vgndr  —  vanir. 


c)  vgxtr  —  vanir, 

d)  ciiti  —  jgtnar, 

e)  lägastafr  —  alfar, 

f)  hnipinn  —  i  helju. 


Strophe  34:  „Bier". 

a)  gl  —  meß  mgnnum, 

b)  hjörr  —  vißß  gsum, 

c)  veig  —  vanir, 

d)  hreinn  Iggr  —  jgtnar, 

e)  mjgßr  —  i  helju, 

f)  sumbl  —  Suttungs  synir. 

Es  wäre  nach  meiner  Ansicht  völlig  verfehlt,  wollte  mau 
aus  den  Angaben  des  jungen  Gedichts  entscheidende  Schlüsse 
auf  die  altnordische  mythische  Geographie  ziehen,  das  zeigen 
die  offenkundigen  Äußerlichkeiten  und  Formeln,  mit  denen 
der  Dichter  arbeitet.  Daher  verzichte  ich  hier  von  vorn- 
herein darauf,  etwa  aus  den  älteren  Eddaliedern  die  genauere 
Grenze  in  der  Bedeutung  von  uppregin,  goß  oder  cesir  fest- 
zustellen') und  mit  dem  Gebrauch  in  der  Alvissm^l  zu  ver- 
gleichen. In  der  Hauptsache  spielen  in  des  Dichters  Phantasie 
folgende  Wesen  eine  Rolle,  unter  die  er  seine  Synonyme  ver- 
teilt: 1.  Menschen,  2.  Äsen,  3.  Vanen,  4.  Riesen,  5.  Alben, 
6.  Zwerge.  Davon  stehen  sich  bereits  Alben  (5)  und  Zwerge  (6) 
nahe  genug,  wenn  auch  dvergar  ein  viel  engerer  Ausdruck 
als  alfar  ist,  vgl.  die  Ijosalfar.  Sind  doch  in  Str.  14  dvergar 
und    alfar    als    etwas   Verschiedenes    genannt.     Die   Wesen 


')  Eine  an  und  für  sich  ganz  lehrreiche  Untersuchung,  die  einmal 
augestellt  werden  sollte.    Dazu  käme  noch  tivar,  firar  usw. 


135 

'/  helju  sind  Zwerge  und  Toten,  obwohl  freilich  sonst  vom 
Schweigen  der  Hei  viel  geredet  wird  (s.  o.  S.  55,  A.  2). 

Wer  sich  also  immerhin  abmühte,  zwischen  alfar  und 
dvergar,  zwischen  dceryar  und  halir  bezw.  den  Wesen  i  helju 
einen  Unterschied  herauszuklauben,  der  müßte  dann  sofort 
des  weiteren  erklären,  warum  diese  Wesen  nur  gelegentlich 
genannt  werden  und  nicht  gleichmäßig  in  jeder  Strophe.  Es 
könnte  sich  billigerweise  doch  nur  um  Umschreibungen  jener 
sechs  Hauptklassen  handeln,  von  denen  wir  ausgehen.  Suttungr 
war  bekanntlich  der  Riese,  dem  Odin  den  Dichtermet  ab- 
gewann; Suttungs  Söhne,  Str.  34,  können  also  nur  Riesen  sein, 
dabei  sind  in  derselben  Strophe  aber  die  Riesen  bereits  mit 
einem  Wort  bedacht  {jgtnar  34  d).  Was  stellte  sich  der 
Dichter  unter  iq)pregin  (Str.  10  f.)  vor,  wo  bereits  Äsen,  Vanen 
und  Alben  (d.  h.  Lichtalben)  in  der  gleichen  Strophe  genannt 
sind?  Was  sind  die  go]),  wenn  Str.  16  daneben  die  Äsen, 
Str.  18.  22.  24.  26.  32  neben  ihnen  die  Vanen  genannt  werden? 
Hier  also  ernstlich  nach  tieferen  sachlichen  Erklärungen 
suchen,  wäre  gewiß  sehr  unangebracht. 

Eine  Antwort  will  freilich  nur  die  Frage  haben:  wie 
kommt  der  Dichter  zu  solchen  Unklarheiten?  Sollte  es  sich 
um  zwei  Synonyme  der  betreffenden  Sondersprache  handeln, 
sollten  z.  B.  also  für  „Bier"  zwei  Ausdrücke  in  der  Riesen- 
sprache vorhanden  gewesen  sein?  Vielleicht  gar  weil  die 
Riesen  dieses  Naß  so  liebten  und  in  ihren  Kellern  zwei  ver- 
schiedene „Bräue"  führten?  Und  sollte  in  Str.  10  ein  sowohl 
der  Äsen-  als  der  Vanensprache  gemeinsamer  Ausdruck  vor- 
liegen ? 

Den  alleinigen  Schlüssel  für  das  Verständnis  dieser  an- 
scheinend so  verzwickten  Probleme,  den  Schlüssel  insbesondere 
zur  Frage  nach  der  Verteilung  der  Synonyme  liefert,  wie  man 
m.  A.  noch  nicht  in  gebührendem  Maße  beachtet  hat  —  die 
Aufmerksamkeit  auf  die  Verstechnik  und  Alliteration.  *)  Der 
Dichter  hat  den  Vorrat  seiner  Synonyme  in  der  Hauptsache 


»)  Schon  SiMROCK,  Edda  «1888,  S.  400  macht  allgemein  darauf  auf- 
merksam ;  dann  Kauffmann,  Balder  202,  Schütte,  IF.  17, 451  und  Helm, 
PBB.,  1907,  32,102,  deren  Standpunkt  wir  freilich  sämtlich  nicht  ganz 
billigen  können. 


136 

nach  den  Geboten  der  Alliteration  verteilt.  Am  deutlichsten 
lehren  dies  die  Vanen  -Worte :  sie  lauten  alle  mit  v-  an :  vegir, 
vindofnir,  vindflot,  vindslot,  vägr,  vceginn,  vgndr,  vgxtr,  veig. 
Nun  fehlen  aber  Vanen  Wörter  in  den  Strophen  14. 16.  20  u.  30, 
und  ich  besinne  mich  keinen  Augenblick,  um  dafür  folgen- 
den Grund  anzugeben:  Dem  „Dichter"  waren  hier  einfach 
keine  mit  v-  anlautenden  Synonyme  zur  Hand.  Natür- 
lich mußte  die  entstehende  Lücke  des  fehlenden  Vanenworts 
ausgefüllt  werden,  und  da  scheute  sich  der  Verfasser  nicht, 
in  Str.  14.  16  und  30  den  Zwergen  noch  die  Alben  beizu- 
fügen, während  ihn  in  Str.  20  zur  Einführung  der  seltsamen, 
einmal  erwähnten  ginnregin  lediglich  der  Stabreim  mit 
gneggjup  veranlaßt  hat.  Die  rätselhaften  uppregin  (Str.  10) 
trotz  der  Äsen,  Vanen  und  Alben  sind  nur  durch  das  al- 
litterierende  Synonym  aurr  beschworen  worden,  und  um  das 
Wort  sumbl  unterzubringen,  hat  der  Dichter  das  Gewaltmittel 
nicht  verschmäht,  die  Kenning  Sutümgs  Söhne  (=  Riesen) 
zu  gebrauchen,  dessen  ungeachtet,  daß  die  Riesen  in  dieser 
Str.  34  bereits  ihr  Wort  erhalten  hatten. 

Auch  die  Kehrseite  dieser  Praxis  darf  nicht  übersehen 
werden:  warum,  so  fragt  man  billigerweise,  fehlen  unter  den 
Synonymen  für  „Wolke"  so  gewöhnliche  Wörter  wie  nifl  oder 
])oka?^)  Man  kann  nur  antworten,  weil  der  Dichter  sie  nicht 
allitterierend  unterzubringen  wußte.  Lediglich  eine  beschränkte 
Anzahl  von  Stellen  ertrug  nämlich  die  beliebige  Verwendung 
eines  Synonyms.  Die  erste  Tonstelle  (a)  in  jeder  Ljöpahättr- 
Strophe  gebührte  dem  gewöhnlichen  Prosawort,  das  als  Wort 
der  Menschen  gilt.  Dabei  ertappen  wir  den  Dichter  bei  der 
gemütlichen  Gedankenlosigkeit,  daß  er  Thor,  den  Gott,  bis 
auf  einen  Fall  (Str.  23),  das  gewöhnliche  Menschen  wort  ge- 
brauchen läßt.  Die  einzige  Ausnahme  ist  marr,  womit  der 
Gott  nach  dem  „Meer"  fragt,  ein  Wort,  das  in  der  Antwort 
des  Älviss  als  Bezeichnung  der  —  Zwergensprache  wiederholt 
wird:  man  zerbreche  sich  ja  nicht  den  Kopf  nach  irgend 
welchen    „Feinheiten"   —   Thor    habe    den   Zwerg    zu   Fall 


*)  Damit  man  sehe,  wie  wenig  konseqiient  der  Dichter  sowohl  in  der 
Wahl  der  Synonyme  als  der  Wesen,  denen  er  sie  zuspricht,  vorging,  geben 
wir  die  Sammlung  der  wichtigsten  Synonyme  bei  Snorri. 


137 

bringen  wollen  oder  dgl.  — ;  nein,  für  seinen  Stab  mit  menn 
in  Str.  23  war  dem  Dichter  marr  am  bequemsten  gewesen. 

Stelle  a  in  jeder  Strophe  ist  also  in  der  Hauptsache  fest- 
gegeben, hier  darf  nur  ein  prosaisches  übliches  Wort  der 
Umgangssprache  stehen.  Auch  die  Stelle  b  ist  nicht  völlig 
frei:  einmal  sieht  man  deutlich,  wie  in  den  meisten  Fällen 
die  Allitteration  wieder  für  die  Wahl  des  Götterworts  aus- 
schlaggebend war;  1)  wenn  es  aber  einmal  dem  bei  seinen 
metrischen  Nöten  schwitzenden  Versemeister  gelungen  war, 
die  Stäbe  anders  zu  verteilen,  wählt  er  altertümliche  Syno- 
nyme, wie  wir  noch  sehen  werden.  Nur  in  Strophe  10.  26 
und  34  also  herrscht  keine  Bindung  zwischen  Menschen-  und 
Götterwort,  und  da  beobachtet  man,  daß  das  Menschen  wort 
mit  Vokal  anlautet:  10:  jgrp,  26:  eldr,  34:  gl,  aber  eben 
in  diesen  Fällen  finden  wir,  unbestreitbar  wieder  metri  causa, 
statt  des  üblichen  Ausdrucks  mep  go])um  vielmehr  gsum.  Der 
Gebrauch  von  Äsen  anstatt  der  Götter  ist  also  durch  keinerlei 
sachliche  Gründe  bedingt.  Wirkliche  Freiheit  für  die  Wahl 
des  Synonyms  der  Göttersprache  kann  man  demnach  nur 
in  den  drei  Strophen  10  (fold),  26  (funi)  und  34  (hjgrr)  zu- 
geben, wenn  man  auch  damit  rechnen  darf,  daß  einmal  zu- 
fällig dem  Dichter  ein  alliterierendes  Wort  in  die  Hände  kam, 
das  er  auch  aus  sachlichen,  nicht  bloß  metrischen  Gründen 
gerade  den  Göttern  zugeschrieben  hat,'-)  Über  Stellung  c, 
wo  die  Vanenworte  meistens^)  untergebracht  sind,  haben  wir 
schon  geredet;  war  kein  Wort  mit  v-  zur  Stelle,  dann  sucht 
sich  der  Dichter  zu  einem  Synonym  eine  beliebige  Benennung 
von  allitterierenden  Wesen,  denen  das  Synonym  dann  zugeteilt 
wird:  Str.  14c:  Jivel  den  Wesen  i  helju  trotz  dvergar  und 
alfar  in  derselben  Strophe;  Str.  16  c:  Bvalins  leika  den 
dvergar  trotz  alfar  in  der  Stellung  e,  20  c :  gneggjuj^r  den  ein- 
maligen ginnregin,   28  e:  hUpjiang  den  Jialir,   30  c:  grima  den 


')  Und  zwar  Stabreim  mit  dem  Menschenwort  in  Stellung  a;  mau 
prüfe  Str.  12:  hitninn  :  hlyrner,  14:  mäni  :  mylinn,  16:  söl  :  sunna, 
18 :  sky  :  skürvgn,  20 :  vindr  :  vgfupr,  22 :  logn  :  lägt,  24 :  scer  :  silobgja, 
28:  vipr :  vaUar  fax ,  30:  ngtt-.njöl,  32:  bygg  :  barr.  Diese  Liste  muß 
alle  Zweifel  verstummen  lassen.  *)  Vgl.  etwa  barr,  Str.  32. 

^)  Nur  28  f.  sind  die  vanir  mit  ihrem  Wort  vgndr  in  die  letzte  Vers- 
zeile geraten. 


138 

ginnregin.  Genau  dasselbe  Prinzip  wie  in  der  Stellung  c 
herrscht  in  der  entsprechenden  Stelle  f  der  zweiten  Hälfte  der 
Z/q/)a/?a^^r- Strophe:  das  Wort  ist  mit  dem  Wesen,  dessen 
Sprache  es  angehören  soll,  durch  Stabreim  gebunden.  Sind 
Wörter  mit  d-  zur  Stelle,  so  müssen  sie  die  dvergar  nehmen; 
so  Str.  12:  drjiipr  sälr,  22:  dagsvera,  24:  djiljJr  marr,  30: 
draumnJQrun;  hat  der  Dichter  Synonyme  mit  h-  im  Anlaut, 
dann  wählt  er  zur  Bezeichnung  der  (Nacht)alben  die  Wesen 
ihelju;  so  in  Str.  18:  hjdlmr  hulijjs,  20:  hvipupr,  26:  hrQ])u])r, 
32:  hnijnnn.  Auch  in  Str.  34  ist  zweifellos  der  Ausdruck 
'/  helju  gewählt  wegen  des  bequemen  Stabs  mit  hreina  Igg, 
wenn  dies  diesmal  auch  in  einer  früheren  Versstelle  (d)  be- 
gegnet. Wie  aber,  wenn  keine  Synonyme  oder  Umschreibungen 
mit  anlautendem  d-  oder  It-  zur  Hand  stehen?  Dann  müssen 
eben  die  Zwerge  bzw.  Wesen  i  helju,  denen  meistens  diese 
Versstelle  f  gehört,  anderen  Weltbewohnern  weichen.  Außer 
den  schon  besprochenen  Strophen  28  und  34,  wo  die  Vanen 
und  Suttungssöhne  eingesetzt  sind,  kommen  nur  vokalisch  an- 
lautende Synonyme  in  Betracht.  Man  sollte  vielleicht  glauben, 
der  Dichter  habe  dann  wenigstens  eine  Klasse  von  Wesen 
konsequent  beibehalten,  da  ja  alle  Vokale  miteinander  al- 
litterieren,  etwa  die  Äsen  oder  die  uppregin;  aber  nein, 
gleichsam  um  mit  seiner  „Geschicklichkeit"  in  der  Hand- 
habung der  Stäbe  zu  spielen,  vielleicht  auch,  um  ja  keine 
genauere  Scheidung  der  Wesen  in  den  sechs  Welten  auf- 
kommen zu  lassen  und  somit  jede  genaue  Nachprüfung  zu 
vereiteln,  um  —  wenn  ich  so  sagen  darf  —  seine  AUitterations- 
spuren  zu  verwischen,  hat  er  mit  dem  Überfluß  gespielt :  Str.  10 
bindet  er  aur  und  uppregin,  obwohl  doch  Äsen  und  Vanen 
berücksichtigt  sind,  Str.  16  alsJcir  mit  äsa  sgnir,  obwohl  doch 
die  Götter  bereits  genannt  sind,  und  Str.  14  wagt  er  es  ruhig 
drtali  den  alfar  zuzusprechen,  obwohl  unmittelbar  vorher  die 
dvergar  bereits  mit  ihrem  Wort  bedacht  sind.  Man  muß  doch 
zugeben,  etwa  iqypregin  hätte  an  allen  drei  Stellen  ohne 
weiteres  eingeführt  werden  können,  wäre  es  hier  überhaupt  auf 
größere  Einheitlichkeit  angekommen,  i) 


')  Die  timr  sind  offenbar  nicht  heraugezogeu ,   weil  keine  mit  t  an- 
lautenden Synonyme  in  Betracht  kamen. 


139 

Es  erübrigt,  noch  einiges  zu  den  Stellungen  d— e  zu  sagen. 
Zu  Anfang  (d)  spielen  hier  meistens  die  jgtnar  eine  Rolle, 
und  so  war  es  einfach  und  bequem  in  demselben  Versteil  nach 
der  Cäsur  (Stellung  e)  die  alfar,  wenn  möglich,  einzuführen, 
und  so  vokalisch  anlautende  Synonyme,  die  ja  sieben-  bis  acht- 
fach häufiger  sind  als  Woi-te  mit  einem  bestimmten  konsonan- 
tischen Anlaut,  damit  zu  binden ;  in  diesen  Fällen  ^)  allitteriert 
dann  gleichzeitig  das  jQtunn-^^ori  auch  mit  dem  Namen  der 
Riesen  selbst.  In  den  drei  noch  übrigen  Fällen  finden  wir  die 
Stäbe  anders  verteilt:  Str.  14  und  26  konnten  Riesen-  und 
Zwergen  wort  allitterieren  (sJcyndi :  sJcin  bezw.  freka  :  forhrenni), 
das  Riesenwort  hreinn  Iggr  in  Str.  34  wird  mit  der  Wesens- 
bezeichnung i  helju  an  Stelle  e  gebunden. 

Diese  etwas  umständliche,  aber  nicht  zu  vermeidende 
Heranziehung  der  metrischen  Verhältnisse  hat  uns,  wie  ich 
meine,  in  der  Erklärung  dieses  Gedichts  ein  gut  Teil  weiter- 
gebracht, und  wir  sehen,  nur  in  ganz  beschränktem  Umfang 
können  wir  jetzt  noch  die  Frage  aufrecht  erhalten,  nach 
welchen  Grundsätzen  der  Dichter  in  den  wenigen  Fällen  seine 
Synonyma  verteilt  hat,  wo  ihn  keine  metrischen  Fesseln  be- 
drückten. Zugleich  ergibt  diese  Prüfung  die  Unrichtigkeit 
der  Annahme,  die  Allitteration  zwischen  dem  betreffenden 
Wort  und  den  übernatürlichen  Wesen  beruhe  auf  altheid- 
nischen Vorstellungen  von  der  magischen  Bindung  durch 
Stabreim :  die  mit  v-  anlautenden  Vanenworte  und  der  Anlaut 
des  Worts  vanir  seien  geheimnisvoll  gebunden.  2)  Die  genaue 
Durchsicht  der  Synonyme  und  der  Vergleich  des  Wortanlauts 
der  Wesen,  dem  sie  zugeteilt  sind,  lehrt  deutlich,  daß  mit 
solch  urwüchsigen,  primitiven  Gedankengängen  bei  unserem 
Gedicht  nicht  mehr  gerechnet  werden  darf. 

Daß  die  Objekte,  die  benannt  werden,  in  einer  gewissen 
Reihenfolge  auftreten,  hat  man  längst  beobachtet  ^) :  wir  haben 

^)  Str.  10:  Igren  (j{)tuar),  12:  uppheim,  16:  ei/gl6,  IS:  ürvgn,  20:  epi, 
22:  ofhly,  24:  älheim,  28:  elcli,  30:  öljos,  '62:ceti  allitterieren  sämtlich  mit  alfar. 

*)  So  scheint  sich  Kauffmann,  Balder  1902,  die  Sache  zu  denken, 
der  überhaupt  das  Gedicht  m.  A.  für  viel  zu  altertümlich  hält  und  es  als 
Quelle  für  alt- primitive  Vorstellungen  doch  wohl  überschätzt. 

*)  E.  M.  Meyer  ,  Altgerm,  Poesie  nach  ihren  formelhaften  Elementen 
beschrieben,  S.  469,    Mogk,  Pauls  üruudr.'*  597. 


140 

die  Paaie  Erde  —  Himmel,  Mond  — Sonne,  Wolke — Wind, 
Luft  — Meer,  Feuer— Wald  (Holz),  Nacht,  Saat  — Bier  (d.h. 
aus  Getreide  gewonnenes  Produkt).  Es  liegt  auf  der  Hand, 
daß  der  Nacht  als  Gegenstück  Synonyme  für  den  „Tag"  ent- 
sprechen müßten:  Ist  eine  Strophe  verloren  gegangen?  hat  sie 
der  „Dichter"  nicht  zuwege  gebracht?  oder  ist  eine  Strophe 
vielleicht  interpoliert?  — 

Es  erübrigt  uns  noch,  die  Synonyme  selbst  unter  Be- 
rücksichtigung aller  entwickelter  metrischer  Vorbehalte  ein 
wenig  näher  zu  prüfen.') 

1.  Erde. 

Das  den  Göttern  zugeschriebene  Wort  fold  ist  metrisch 
nicht  gebunden,  weil  der  Stab  auf  jgr])  —  gsum  ruht,  der 
Dichter  hatte  also,  wie  oben  S.  137  bemerkt,  hier  ziemliche 
Freiheit.  Er  wählt  ein  echt  germanisches,  auch  in  nordischer 
Poesie  öfter  gebrauchtes  Wort,  das  aber  offenbar  in  der  Um- 
gangssprache nicht  mehr  recht  üblich  war:  es  ist  nur  im 
Faeröer  Dialekt  {fold)  erhalten,  in  den  neunordischen  Sprachen 
dagegen  als  selbständige  Form  abgestorben;  lediglich  in  Orts- 
namen erstarrt  als  letztes  Kompositionsglied  {-fold  oder  -foll) 
ist  es  nachweisbar.  Gehen  wir  dagegen  zurück,  so  finden  wir 
darin  eine  alte  schwundstufige  Variante  zu  dem  bekannten 
Wort  german.  "^felpa-  (in  nhd.  Feld,  ahd.  feld,  engl,  field  usw.), 
die  auch  in  as.  folda,  ags.  folde  vorliegt.  Nach  Ausweis  von 
ai.  prthivi  „Erde",  das  in  der  Wurzelstufe  an  fold  erinnert, 
abg.  polje  „Feld",  lat.  planus  usw.  haben  wir  es  mit  einem 
Schößling  eines  altindogermanischen  Worts  zu  tun. 

vegir,  metrisch  wegen  vanir  gewählt,  ist  in  seiner  Be- 
deutung von  „Erde"  gewaltsam  zurechtgebogen  und  läßt  sich 
in  diesem  Sinne  sonst  nicht  nachweisen;  das  Wort  bedeutet 
vielmehr  „Wege,  Pfade"  und  ist  die  altisländische  Ent- 
sprechung zu  unserem  Weg,  ags.  weg,  engl,  way,  norw.  vei  usw. 
Allerdings  kommt  im  Kompositum  vegr  gelegentlich  in  Ver- 
wendungen  vor,   die   eine   gewisse  Annäherung  an  die  Be- 


*)  Um  eine  Übersicht  über  die  zur  Verfügung  stehenden  Synonyme 
zu  geben,  genügt  es,  die  betr.  Ausdrücke  aus  Snorris  Edda,  anzufügen. 
Tür  „Erde"  vgl.  Sn.,  Edda  I,  472  ff. :  j^rß,  fold,  gnmd,  haupr,  land,  läp, 
hlöPyn,  frön,  figrgyn. 


141 

deutung  von  „Erde,  Land"  aufweisen,  z.  B.  austrvegr  „Osten", 
«  austrvega  (Ls.  59,  3)  „ostwärts",  su^rvegr  „Süden",  norpvegr 
(=  ags.  noröiveg)  „nordwärts";  vor  allem  möchte  ich  auf 
foldvegr  aufmerksam  machen,  das  Baiddr.  3  3  begegnet  und 
etwa  „gangbare  Erdoberfläche"  bedeutet;  denn  auch  im  Ags. 
begegnet  das  also  offenbar  altertümliche  Kompositum  foldweg. 
Man  sieht  demnach  immerhin  den  Weg,  auf  dem  man  vegir  als 
ein  Synonym  von  Wörtern  für  „Erde"  aufführen  konnte. 
atirr,  das  den  iippregin  zuerkannt  wird  wegen  des  vokalischen 
Anlauts,  bedeutet  vielmehr  der  „sandige  Erdboden"  nach 
Ausweis  von  norw.  aur  „eisenhaltiger  Kies",  nd.  ür  „eisen- 
haltiger Sand",  holl.  oer  „Eisenerz",  schwed.  ör,  dän.  (dial.)  m\ 
Wichtig  ist  auch  ags.  ear  „Erde";  eine  Ableitung  dazu  ist 
aisl.  e^rrf.  „flache  Küstenstrecke",  norw.  ör  „sandiger  Strand".i) 
Der  Ausdruck  hyija  auri  'terra  condere'  hätte  vielleicht  eher 
auf  die  Welt  der  Unterirdischen  als  die  der  uppregin  gepaßt; 
wird  doch  aurvanga  sjgt  Vsp.  14,  4  von  dem  Zwergenland  ge- 
braucht, ein  Zwerg  heißt  geradezu  Aiirvangr,  doch  offenbar 
von  seinem  Aufenthalt  im  Erdinnern  (Vsp.  13, 4).  Aber  die 
dvergar  kommen  eben  aus  metrischen  Gründen  von  vornherein 
nicht  in  Betracht,  und  mindestens  die  alfar  einzusetzen,  konnte 
sich  der  Dichter  nicht  entschließen,  weil  er  sie  in  der  vorher- 
gehenden Stelle  schon  untergebracht  hatte.  Um  wenigstens 
sachlich  und  mythologisch  richtiger  vorzugehen,  hätte  er  mit 
den  upipregin  das  igren  der  Stelle  d  binden  sollen,  und  dann 
den  alfar  in  Stellung  f  das  passendere  aurr  zusprechen  können; 
aber  so  einfach  auch  diese  Umstellung  gewesen  Wäre,  wir 
können  sie  von  einem  so  äußerlich  arbeitenden  Versemacher, 
wie  dem  Dichter  der  Alvissmgl,  nicht  verlangen.  Die  beiden 
noch  bleibenden  Synonyme  für  „Erde"  igrän  und  groandi 
machen  den  Eindruck  junger  Erfindungen  und  Umschreibungen 
und  stehen  mit  den  vier  anderen  Benennungen  nicht  auf  der- 
selben Stufe:  groandi,  ein  substantiviertes  Partizipium  zu 
gröa,  ist  die  „Grünende",  fgren  bedeutet  ähnlich,  nur  adjek- 
tivisch „schön  grünend"  und  läßt  sich  mit  mhd.  ingrüene  engstens 
vergleichen.  Im  Norwegischen  ist  heute  noch  tgren  „grünlich" 
gebräuchlich.     Hier   handelt  es  sich  also  nur  um  poetische 


')  Falk  und  Torp,  Norw.  et.  Wb.  36. 


142 

Metaphern,  nicht  wie  in  den  anderen  Fällen,  um  wirklich 
übliche  Wörter. 

2.    Himmel,  i) 

Das  Götterwort  hlyrnir  ist  metrisch  durch  Allitteration 
mit  liiminn  gebunden,  und  seine  Zuteilung  ist  somit  nicht 
mehr  frei  gewesen.  Bei  Dichtern  kommt  dieses  Wort  öfter 
im  Sinn  von  „Himmel"  vor.  2)  Es  ist  eine  Ableitung  von 
hlyrn  n.  „Tageszeit",  bedeutet  also  eigentlich  „Zeiten";  auch 
Snobri  kennt  es  als  Synonym  für  „Himmel". 

Alle  anderen  Ausdrücke  sind  Umschreibungen  und  vom 
Dichter  nach  naheliegenden  Mustern  erst  selbst  geprägt. 
vindofnir  „Windweber"  entspricht  etwa  den  Kenningar  vmd- 
heimr  oder  vindhjalmr  „Windhelm"  an  anderen  Stellen  der 
Edda  (HH.  2,  48,  3;  Vsp.  63,  4),  und  man  wundert  sich  nur, 
daß  der  Dichter  nicht  eines  von  diesen  Wörtern  gewählt  hat. 
Auch  uppheimr  ist  eine  Kenning  und  nach  vindhemr,  jgtun- 
heimr  usw.  mit  der  Vorsilbe  gebildet,  die  in  dem  agerm.  uphi- 
minn,  as.  uphimil,  ags.  upheofon  vorliegt.  Aber  sonst  ist  dies 
uppheimr  „das  Oberheim"  nicht  belegt,  so  wenig  wie  die 
poetischen  Umschreibungen  fagra  rcefr  „das  schöne  Dach" 
und  drjtipr  salr  „triefender  Saal"  noch  sonst  vorkommen. 
Man  wundert  sich,  daß  der  Dichter,  wenn  er  doch  neue  Um- 
schreibungen heranzog,  dann  nicht  wenigstens  solche  einführte, 
die  eine  klarere  Durchführung  der  verschiedenen  Wesen  er- 
möglichten. Im  übrigen  mag  bemerkt  sein,  daß  an  das  „schöne 
Dach"  unsres  Skalden  auffällig  eine  Umschreibung  der  fin- 
nischen laulajat  für  „Himmel"  im  Kalewala  erinnert:  hirjohansi 
„bunter  Deckel".-')  Doch  ist  das  Bild  vom  Himmel  als  dem 
„Dach"  der  Erde  auch  sonst  anzutreffen.  Eine  ähnliche  aisl. 
Kenning  ist  salpak  „Dach  des  Bodens".  So  stellt  man,  wohl 
mit  Recht,  unser  Himmel,  as.  hedan,  ags.  heofon,   aisl.  Jiiminn, 


*)  Synonyme  bei  Sn.,  Edda  I,  470.  592 f.;  II,  568 f.:  himinn,  .hlyrnir, 
heippornir,  hreggmimir,  andlängr,  Ijösfari,  drifandi,  skaturnir,  vipfepmir, 
vetmimir,  leijitr,  hrjöpr,  viphläinn. 

'^)  Belege  bei  Egilsson,  Lex.  poet.,  1860,  363. 

")  Vgl.  D.  CoMPARETTi,  Der  Kalewala  oder  die  traditionelle  Poesie 
der  Finnen,  Halle  1892,  S.  195,  wo  Fußn.  5  auch  gut  auf  lit.  danghs 
„Himmel"  zu  dengiü  „decke",  davktis  „Deckel"  hingewiesen  wird.  Sielie 
auch  Reichklts  Arbeit  über  den  steinernen  Himmel  IF.  32,  23  ff. 


143 

got.  Jiimins  <  Viemin-  zu  gr.  xiitUd-Qor  „Dach",  y.cqiäoa  „Ge- 
wölbe", lat.  camur  „gewölbt".  Die  Bedeutung  „Decke"  findet 
sich  in  nd.  liemel,  mndl.  kemelte,  ahd.  himiUa,  ags.  hüsheofon, 
heofon  rof,  ^än.  sengchimmel,  norw.  himlmg;  vgl.  aucli  nhd. 
HimmelheU.  Ob  dies  nocli  ein  Rest  der  alten  allgemeineren 
Bedeutung  ist,  dürfte  freilich  trotz  ihrer  Verbreitung  in 
mehreren  germanischen  Dialekten  fraglich  bleiben.  Wahr- 
scheinlich sind  sie  alle  erst  einzelsprachlich  aus  der  urgeima- 
nischen  Bedeutung  „Himmel"  übertragen.  Dazu  kommt,  daß 
man  in  den  Kirchen  oder  Festsälen  die  Decke  gei-n  als 
Himmel  blau  malte  und  mit  Sternen  verzierte. ') 

3.  Mond.  2) 
mylinn,  wegen  des  Stabs  mit  niani  den  Göttern  zu- 
gesprochen, scheint  der  „Feurige"  zu  bedeuten ;  man  denkt  an 
Verwandtschaft  mit  schwed.  moln  „Wolke " ;  3)  sicher  ist  die 
Grundbedeutung  nicht  auszumachen.  Dagegen  entspricht  sMn, 
der  Zwergenausdruck,  dem  norw.sJdn;  unser  nhd.  Seit  ein  ist 
eine  Ablautsdublette  dazu,  das  Wort  bedeutet  „Glanz,  Licht, 
Leuchte",  bekannt  ist  das  Kompositum  solsJcin  „Sonnenschein". 
Daß  diese  allgemeine  Bedeutung  des  Worts  vom  Mond  ge- 
braucht wird,  ist  Erfindung  des  Dichters.  Dabei  spielte  natür- 
lich wieder  die  Allitteration  mit  dem  Riesenwort  sJcyndir  seine 
Rolle.  Dies  bedeutet  eigentlich  der  „Eilende"  als  Ableitung 
von  shynda  „sich  schnell  vorwärts  bewegen",  sJcunda  ser  „be- 
schleunigen", norw.  shjnde  sig  „sich  beeilen",  &gs.scijndan  „be- 
schleunigen, eilen",  as.  shundian  „antreiben",  ahd.  scimten. 
Wir  haben  also,  trotzdem  auch  Snorei  das  Wort  unter  den 
Synon3anen  erwähnt,  nichts  als  eine  poetische  Umschreibung: 
sie  geht  wohl  auf  den  „Flug  der  Zeit";  denn  das  Albenwort 
drtali  „Jahresberechner"  —  nur  wegen  der  Allitteration  den 
Alben  zugesprochen  —  geht  ja  gleichfalls  auf  den  Mond  als 
Zeitrechner,  als  die  Himmelsuhr,   als  die  vielleicht  schon  in 


»)  Vgl.  Falku.  TORP,  Norw.  et.  Wb.  404.  1482.  Heyne,  Hausalter- 
tümer 1,  79;    A.  Nehring,  Mitt.  d.  Scliles.  Ges.  f.  Volksk.,  1916,  18,  21  f. 

2)  Sn.  ,  Edda  I,  472 :  müni,  ny,  nip,  ärtali,  mulmn,  fengari,  glämr, 
skyndir,  skjidgr,  skramr. 

»)  Vgl.  ViGFUSSON,  An  Icel.-Engl.  dict.,  p.  440;  Genzmer,  Edda 
n,  102  übersetzt  „Minderer",  denkt  er  au  mi/lja  „zermalmen"? 


144 

alter  Zeit  der  Mond  angesehen  wurde,  i)  hverfanda  hvel  end- 
lich „das  rollende  Rad",  wie  man  bei  der  Hei  den  Mond  der 
Allitteration  wegen  benennen  soll,  ist  eine  ohne  weiteres  ver- 
ständliche künstliche  Umschreibung. 

4.   Sonne.  2) 

Durch  Stabreim  mit  dem  gewöhnlichen  söl  (=  norw, 
schwed.  50?)  gebunden  ist  das  Götterwort  sunna:  hier  lieferte 
der  Zufall  dem  Dichter  von  selbst  eine  allitterierende  Form. 
Es  ist  ein  Seitensprößling,  der  zur  selben  Basis  gehört  wie 
sol]  aber  im  Nordischen  scheint  der  sonst  so  weit  im  Ger- 
manischen verbreitete  w- Stamm  im  Absterben  gewesen  zu 
sein,  in  der  Edda  kommt  sunna,  das  ahd.  sunna,  nhd.  Sonne, 
ags.  afr.  sunne,  got,  sunnö  entspricht,  sonst  nicht  vor.  Nur 
im  Wort  für  „Sonntag"  hat  sich  in  den  nordischen  Dialekten 
der  Stamm,  als  erstes  Kompositionsglied  versteinert,  erhalten: 
faerör.  sunnudagr,  aschwed.  sunnudagher,  adän.  sundagh,  norw. 
sendag,  die  dem  ahd.  sunnüntag,  ags.  sunnandceg  „dies  Solls" 
usw.  entspreclien.  Wir  haben  hier  also  einen  Fall  wie  oben 
bei  fold:  den  Göttern  wird  ein  echt  germanisches,  nur  bereits 
veraltetes  Wort  zugeteilt.  Alles,  was  bleibt,  sind  Spielereien : 
JDvalins  leika  ist  eine  unklare  Kenning;  man  deutet  „Dvalins 
Gespielin  oder  Spielzeug",  indem  man  aisl.  leikr  „Spiel,  Spott" 
(=  got.  laiks  „Tanz"  usw.)  heranzieht.  Genzmer  übersetzt 
mir  unverständlich  „Dwalins  Zwang".  3)  Vielleicht  gibt  die 
Bedeutung  „Dvalins  Gespött"  einen  besseren  Sinn,  wenn  man 
sich  dabei  denkt,  daß  die  von  der  Sonne  versteinerten  Zwerge 
zum  Gespött  werden.  Nach  Dettek-Heinzel*)  begegnet  die- 
selbe Kenning  auch  Fas  1,475,  wo  man  liest:  sä  (nigrhui) 
d/repr  skini  Dvalins  leiku,  wo  also  ebenfalls  auf  diesen  Mythos 

')  Dabei  denke  ich  an  die  bekannte,  wenn  auch  neuerdings  an- 
gefochtene Etymologie  von  idg.  *mens  „Mond"  (in  ai.  maJi,  aw.  mäh- 
„Mond",  air.  mi  usw.)  als  „Zeitmesser"  zur  Basis  *jne-  „messen".  In  den 
aisl.  Kenuingar  haben  wir  jedenfalls  eine  gute  semasiologische  Parallele, 
und  morphologisch  unmöglich  ist  diese  Deutung  ebenfalls  nicht,  wenn 
andrerseits  auch  keineswegs  gesichert. 

*)  Sn.  ,  Edda  I,  472 :  sunna,  VQpull,  eyglöa,  alskir,  s^ni,  fagrahval, 
Uknskin,  Dvalins  leika,  älfrgpull,  ifr-rgpull,  mylen. 

3)  Edda  II,  102. 

*)  Ssemundar  Edda  II,  310. 


145 

angespielt  wird,  fagra  hvel  „das  schöne  Rad",  ey(ßo  „die 
immer  g-lühende"  und  alsMr  „die  ganz  reine"  sind  durch- 
sichtige, junge  Metaphern. 

5.  Wolken. 

Abgesehen  von  dem  gewöhnlichen  shy  (=  norw.  schwed. 
shj,  engl.  [Lehnwort]  sky  „sichtbarer  Himmel")  haben  wir  es 
mit  unursprünglichen,  „gemachten"  Umschreibungen  zu  tun. 
Dabei  begegnen  wieder  einmal  zwei  Reimwörter,  deren  Rolle 
auch  in  der  Göttersprache  uns  schon  bekannt  ist:  shürvgn 
„Regenhoffnung",  wegen  der  Allitteration  mit  shy  den  Göttern 
zuerkannt,  und  ilrv^n  „Regenwolken  -  Hoffnung".  i)  vindflof, 
das  Vanenwort,  bezeichnet  die  Wolken  als  „Segler  der  Lüfte", 
vgl.  Vera  ä  floH  „schwimmen",  vejjrmegin  „Wetterkraft"  ist 
nur  hier  belegt,  während  hjalmr  hidips,  wie  die  Leute  der  Hei 
das  Gewölk  nennen,  auf  den  sagenhaften  Heihelm  der  Nacht- 
alben deutet,  der  unser  nhd.  Tarnliappe  entspricht.  Hier  also 
stoßen  wir  einmal  auf  eine  Umschreibung,  die  durch  mytho- 
logische Vorstellungen  veranlaßt  ist, 

6.  Wind.  2) 

Das  mit  vindr  allitterierende  Götterwort  vgfujir  ist  in 
Grmn.  543  ein  Beiname  Odins  und  bedeutet  „Waberer";  ein 
sonst  übliches  dichterisches  Wort  für  „Wind"  ist  vindofnir 
„Windweber",  gneggjupr  aber  heißt  der  „.Vieherer"  (zu  gneggja 
=  norw.  gnegge  „leise  wiehern",  schwed.  gnägga  usw.)  und 
geht  also  auf  das  Bild  des  Sturmrosses.  Spir  ist  der  „Schreier" 
zu  ä2)a  „schreien,  rufen"  (zu  got.  ivöpjan,  ahd.  ivuofan  usw.), 
}ivijm2>r  „der  Stürmische"  (zu  hvipa  ,5Windstoß",  auch  „Seufzer"), 
und  dynfari  heißt  der  „mit  Gebraus  Einherfahrende"  (zu  dynr 
„Gedröhn",  norw.  dm\.  dyn,  d.gs.  dynian  usw.):  —  alles,  wie 
m.an  sieht,  uneigentliche  Metaphern,  keine  wirklichen  Synonyme. 


')  ttr  zu  norw.  (dial.)  ür  „Regenwolken",  aisl.  auch  „Staubregen,  alt- 
dän.  ur,  verwandt  mit  der  Sippe  von  ovQia  „best.  Wasservogel",  lat.  ürlnor 
„tauche"  usw.;  skür  =  norw.  skur  „Regenschauer"  entspricht  unserem 
Schauer,  ahd.  scür. 

^)  Sn.,  Edda  1, 486 :  hregg,  byrr,  glygg,  kret,  gjösta,  vindr ;  dann  wird 
unsere  Strophe  zitiert. 

Güntert,  Sprache  der  Götter  und  Geister.  IQ 


146 

7.  Luft  (bzw.  Windstille). 
Gegenüber  der  erregten  Luft,  dem  Sturmesbrausen,  das 
den  Metaphern  der  eben  behandelten  Strophe  zugrunde  lag, 
wird  unter  „Luft"  hier  die  „Windstille"  bezeichnet  durch  das 
die  Reihe  eröffnende  logn  (=  norw.  logn  „geschützt"  [vom 
Wasser],  alt. dän.  lufgjn  „Windstille,  Ruhe").  Ugi,  das  damit 
gebundene  Götterwort,  bedeutet  eigentlich  „das  Sichlegen  (des 
Sturmes)",  norw.  dial.  %je  „Aufhören  des  Sturmes",  was  ebenso 
vind-slot  n.  „Windriegel"  d.  h.  „Windstille"  besagt.  ofJütj, 
wie  die  Riesen  die  Luft  nennen,  scheint  auf  die  schwüle  Wind- 
stille vor  einem  Gewitter  zu  gehen:  lily  „Wärme"  =  norw. 
dial.  lya  „milde  Luft"  ist  durch  of  verstärkt.  Unklar  und 
geschraubt  sind  die  beiden  letzten  Kenningar:  dag-sefi  mag 
„Mildern  des  Tags"  bedeuten,  i)  dags  vera  „das  Bleiben  bzw. 
Ruhen  des  Tags"  oder  wohl  richtiger  „der  Aufenthaltsort 
des  Tags". 

8.    Meer.  2) 

Das  den  Göttern  wegen  Allitteration  mit  scsr  zuerkannte 
silmgja  ist  ajia^  Ityonevov  und  macht  der  etymologischen  Zer- 
gliederung Mühe.  Wahrscheinlich  haben  wir  si-ldegja  zu  trennen, 
wo  si  die  bekannte  verstärkende  Vorsilbe  ist  (=  ahd.,  ags. 
usw.  sin)  und  Idegja  (zu  Idegi  n.  „Platz,  wo  Schiffe  vertaut 
liegen",  neunorw.  sJcipslcegje  „Hafen")  auf  die  weithin  ver- 
breiteten Wasser  ginge:  „überallhin  ausgebreitete  Flut". 3) 
Trennen  wir  sü-cegja,  so  könnte  das  zweite  Glied  wohl  mit 
cegir  zusammengebracht  werden,  aber  sil  macht  Schwierig- 
keiten. Nach  einigen  4)  soll  es  „schweigende  AVasser"  be- 
deuten, eine  auch  sachlich  etwas  bedenkliche  Deutung.  0) 
Jedenfalls  aber  ist  dies  hier  den  Göttern  nur  aus  metrischen 
Gründen  zugesprochene  Wort  eine  ganz  künstliche  Schöpfung. 
Das  neben  scer  in  dieser  Strophe  verwendete  altertümliche, 
echt  germanische  Wort  ist  nicht  den  Göttern,  sondern  viel- 


^)  Nach  Gering,  Wb.  144,  889;  also  zu  sefa,  das  wohl  aus  dem  älteren 
svefa  dissimiliert  ist ;  vgl.  Rf>.  45. 

2)  Sn.,  Edda  1,492:  marr,  JEgir,  Gumir,  Hlcer,  haf,  leip,  ver,  sali, 
i90>  grgpir. 

8)  So  Gering,  Wb.  909. 

*)  So  ViGFÜssoN,  Corp.  poet.  bor.  1,  483. 

*)  Got.  süan,  lat.  sikre  hat  doch  kaum  mit  sil  etwas  zu  schaffen. 


I4f 

inetir  den  dvergar  zuerkannt  worden :   marr,   das  got,  marei, 
marisaiws,  as.  meri,   ahd.  meri,  nhd.  Meer  entspricht,   ist  aber 
im  Nordischen  bereits  im  Absterben  begriffen.    Das  nur  noch 
im  älteren  Dänischen  und  Schwedischen  selbständig  erhaltene 
Wort   ist   heute   lediglich   in   Kompositen   erstarrt   erhalten, 
wie  in  marsvin  „best.  Fisch",  marhalm  „Meergras"  usw.    Es 
ist  also  entschieden  irrig,  wenn  man  gemeint  hat,  den  Göttern 
seien  nur  die  alten  echt  germanischen  Wörter  zugesprochen 
worden.  1)    Sogar  metrisch  hätte  sich  das  AVort,  wenn  es  der 
Dichter  unbedingt  den  Göttern  hätte  überlassen  wollen,  ohne 
Schwierigkeit  mit  dem  m-  von  mgnnum  der  ersten  Vershälfte 
binden  lassen.    Es  ist  eben  verkehrt,  bei  dem  Dichter  irgend- 
welche ratio  in  der  Verteilung  zu  suchen  außer  den  oberfläch- 
lichsten  metrischen  Beweggründen:   er  hat  marr  nicht  mit 
mgunum  gebunden,  weil  er  sein  silcegja  sonst  nicht  gut  unter- 
gebracht haben  würde.    Sogar  das  Vanenwort  ist  ein  echtes 
altgermanisches  Synonym,   wenn  es  auch  gemeingermanisch 
(wohl  aber  aisl.)  nicht  gerade  „Meer"   im  eigentlichen  Sinne 
bedeutet  hat:   vdgr  „Meerbusen,  See"  ist  die  nordische  Ent- 
sprechung von  ahd.  iväg  „bewegtes  Wasser,  Woge,  Meer",  nhd. 
Woge,   Sign.  IV (Bg  „Woge",  schweb,  vag  „Woge"  usw.     dlheimr 
bedeutet  „Aalheim",   ist  also  eine  künstliche  Umschreibung. 
Idgastafr  heißt  bei  den  Alben  nicht  nur  das  „Meer",  sondern 
nach  Str.  32  auch  die  Saat,  d.  h.  wohl  die  „Gerste",  eine  selt- 
same Doppelbedeutung,    stafr,  das  Ja  oft  als  zweites  Kom- 
positionsglied begegnet,  scheint  recht  verblaßt  gebraucht  zu 
sein   im  Sinne  von   „Stoff";    das  erste  Glied  kann  zu  laga 
„mit  Flüssigkeit  übergießen",  insbes.  das  Malz  beim  Brauen, 
gehören.    Wir  verstehen  also  am  Ende,  daß  das  Bier  bzw.  die 
Gerste,   aus  der  mit  AVasser  Bier  gebraut  wurde,  als  Idga- 
stafr bezeichnet  würde,  wieso  man  aber  das  Meer  einen  „Bräu- 
stoff"  nennen   kann,   etwa  weil   man  zum  Bierbrauen  auch 
Wasser  bedarf  oder  wegen  des  Gischts,  leuchtet  weniger  ein. 
Das  erste  Kompositionsglied  wird  also  in  diesem  Fall  nicht,  wie 
unten  in  Str.  32,  mit  dem  Terminus  technicus  laga  „brauen" 
zu  verbinden,  sondern  vielmehr  enger  mit  Iggr  „Flüssigkeit, 

^)  Schütte,  IF.  17,  451  ff.    Dagegen  auch  schon  Heusler,  Archiv  f. 

d.  Stud.  d.  neueren  Spr.  116,  N.  S.,  1906,  16,  264 f.  und  Helm,  PBB.,  1907, 

32,  99  ff. 

10* 


148 

Wasser,  Fluß,  Binnensee"  (=  norw.  laag  „aufgegossenes 
Wasser",  ags.  lagii  „See,  Fluß,  Wasser",  as.  lagu)  zu  vereinen 
sein.  Mit  dieser  Sippe  ist  auch  aisl.  lä  „Meer",  norw.  dial. 
laa  „ Sumpf wasser",  sowie  weiterhin  lat.  lacus,  ir.  loch  „See" 
usw.  verwandt.  Den  farblosen  Ausgang  -stafr  scheint  dann 
dieses  Synonym  von  jenem  zweiten  lägastafr  übernommen  zu 
haben,  wo  er  mehr  berechtigt  ist.  lägastafr  in  unserer  Strophe 
wäre  etwa  „Wasserstoff". 

9.  Feuer.  1) 
Das  Götterwort  funi  ist  metrisch  nicht  gebunden,  so  daß 
der  Dichter  frei  schalten  konnte :  wir  haben  denn  auch  wieder 
ein  altes  Wort,  das  im  Absterben  begriffen  war  und  in  den 
neunordischen  Sprachen  nicht  mehr  begegnet:  es  ist  mit  got. 
fön  n.  „Feuer"  gen.  funins,  apreuß.  panno  „Feuer"  usw.  zu 
verbinden. 2).  vceginn  ist  Konjektur  für  das  überlieferte  vag, 
das  offenbar  aus  der  eben  behandelten  Strophe  durch  ein 
Versehen  des  Schreibers  verschleppt  ist.  Wie  dies  Wort,  so 
sind  auch  die  übrigen  bloß  junge  Umschreibungen :  frehi  „das 
gierige",  forbrennir  „derVerbrenner"  im^  hrgpupr  Aer  „Schnelle". 

10.  Wald. 
Die  ganze  Strophe  enthält,  vom  Menschenwort  vipr 
„Wald,  Holz"  (=  norw.  schwed.  ved)  und  dem  Yanenwort 
vgndr  „Rute,  Busch"  =  got.  ivandus  abgesehen,  nur  ganz  ge- 
künstelte Umschreibungen:  vallar  fax  „Mähne  des  Gefildes", 
hl/])pang  „Tang  der  Berghalde",  eldi  „Nahrung"  (sc.  des  Feuers), 
fagrlimi  „schönzweigig".  Bemerkenswert  ist  die  etwas  zu- 
rechtgebogene Bedeutung  des  Vanenworts :  sowohl  im  Gotischen 
{wandus)  als  in  den  neunordischen  Sprachen  (norw.  vaand) 
bedeutet  es  „Eute,  Gerte",  höchstens  „Gebüsch",  aber  nicht 
eigentlich  „Wald".  Auch  sei  betont,  daß  das  immerhin  ur- 
nordische Wort  diesmal  den  Vanen,  nicht  den  Göttern  zugeteilt 

wurde 

11.    Nacht  (und  Nebel).  3) 

Das  mit  ngtt  gebundene  njol  ist  wieder  ein  altes  Wort, 
das  dem  ahd.  nebul  „Nebel"  entspricht.    In  den  neunordischen 

0  Sn.,  Edda  I,  506:    eldr,  log/',  häl,  glcepr,  eisa,  gm,  hyrr,  viti,  funi, 
hriwi,  letjgr.  «)  Vgl.  Bartholomae,  PßB.,  191G,  41,  272  ff. 

•'')  Sn.,  Edda  II,  485  finden  sich  die  meisten  heiti  wieder. 


149 

Dialekten  ist  es  nicht  mehr  vorhanden,  grma  faßt  die  Nacht 
desgleichen  als  „Nebelmaske",  als  „Tarnhelm",')  und  würde 
gut  für  die  Zwerge  passen.  Aber  die  erbarmungslose  Vers- 
not zwingt  den  Dichter  mit  den  ginnregin  zu  operieren, 
während  nur  der  Allitteration  wegen  die  Söhne  der  Nacht, 
die  Zwerge,  sie  wenig  passend  drcmm-njgrun  „Traum web erin" 
nennen  sollen,  svefngaman  „Erquickung  durch  den  Schlaf" 
und  ö-Ij6s  „Lichtlosigkeit"   sind  wieder  farblose,  künstliche 

Metaphern. 

12.    Saat,  bzw.  Getreide. 

barr  m.,  das  mit  dem  gewöhnlichen  Ausdruck  allitterierende 
Götterwort,  ist  wieder  eine  echt  altgermanische  Bildung,  die 
aber  im  Nordischen  poetisch  und  altertümlich  geklungen  haben 
muß:  vgl.  ags  here  „Gerste",  lat. /ar,  got.  adj.  ianVems  „von 
Gerste"  usw.  Nur  die  Zusammensetzung  norw.  harlog  „Malz- 
wasser" hat  im  1.  Kompositionsglied  das  Wort  im  Neunordischen 
noch  bewahrt.  Die  lebenskräftigere  verwandte  2)  Form  aisl. 
harr  n.  „Nadeln,  Baumsprossen"  hat  sich  dagegen  in  norw.  har, 
schwed.  harr  selbständig  erhalten.  Das  Vanenwort  vQxtr  be- 
deutet „Wuchs"  (=  got.  wahstus  und  dän.  veJcst  „Wuchs, 
Wachstum",  auch  „Gewächs",  schweb  växt) :  hier  liegt  also 
wieder  der  Fall  vor,  daß  ein  altgermanisches  Wort  in  seiner 
Bedeutung  gepreßt  worden  ist,  um  ein  passendes  Synonym 
zu  erhalten.  Auch  ceti,  wie  die  Eiesen  die  Saat  nennen,  hat 
eine  viel  allgemeinere  Wortbedeutung:  „Speise,  Nahrung", 
vgl.  norw.  ceta  „Aas".  Über  lägastafr  „Bräustoff",  das  hier 
an  passender  Stelle  steht,  haben  wir  oben  bereits  gesprochen.^^) 
hnipinn  „biegsam"  geht  auf  die  Halme  des  Getreides. 

13.   Bier. 

Die  metrisch  sehr  einfache  Verteilung  von  gl  und  hjörr 
auf  Menschen  und  Göttern  entbehrt  nicht  des  Interesses.  Das 
ältere  Wort  für  „Bier"  war  jedenfalls  gl,  das  „ungehopftes" 
Bier  bedeutete;   vgl.  ags.  ealo,  alo]),   dän.  0I,  schwed.  öl,  as. 


1)  Siehe  dazu  Verf.,  Kalypso  111  ff. 

2)  Vgl.  dazu  Hoops,  Waldbäume  u.  Kulturpfi.  360,  wo  wegeu  des 
Gebrauchs  von  harr  in  unserem  Lied  auf  die  vielleicht  verwandte  Hesych- 
glosse  (f'jQov  Tj  zcüv  ilfj^aiojv  d^tcöv  x(iO(ft'j  hingewiesen  wird. 

ä)  S.  147f. 


150 

alo-fat  „Bierfaß",  holländ.  aal,  mhd.  alschaf  „Trinkgefäß"  und 
weiter  lit.  alüs  „Bier",  apreuß.  alu  „Met",  abg-.  oh  „Bier", 
finn.  (Lehnwort)  olut  „Bier".  Bekanntlich  wird  in  einem 
Schenkungsbrief  Karls  d.  Gr.  an  die  Abtei  in  St.  Denys  der 
Hopfenbau  für  Deutschland  zuerst  bezeugt:  erst  zur  Zeit  der 
Völkerwanderung  lernten  die  Germanen  durch  Berührung  mit 
asiatischen  Völkern  die  Verwendung  des  Hopfens  zur  Bier- 
bereitung kennen.  Bier  dagegen  bedeutet  „gehopftes  Bräu"; 
unterscheidet  doch  der  Engländer  noch  heute  sehr  wohl  zwischen 
beer  und  ale.  Aisl.  hjörr  ist  nun  ziemlich  sicher  aus  ags.  heor 
entlehnt,  so  daß  das  Wort  ursprünglich  nur  dem  West- 
germanischen angehört :  ahd.  hior,  afries.  Uar,  as.  Uor,  holländ. 
hier\  aus  dem  Germanischen  entlehnt  ist  franz.  liere,  Italien. 
hirra.  Daß  das  Wort  also  bereits  urgermanisch  gewesen  sein 
sollte,  halte  ich  aus  diesen  sachlichen  Gründen  für  unwahr- 
scheinlich.') Damit  fällt  denn  auch  die  ganze  etymologische 
Auffassung  des  Worts  von  Schrader,^)  der  in  wenig  über- 
zeugender Weise  ein  Gebilde  urgerman.  *hi-us:a-  aus  vollerem 
*M-uesa-,  *bi-iiusa-  „Bienensaft"  =  „Honig"  konstruiert.  Ganz 
abgesehen  von  der  unmöglichen  Bildung  dieses  Kompositums 
setzt  sie  sachlich  voraus,  „Bier"  sei,  wie  Met,  ursprünglich 
ein  Honiggetränk  gewesen.  Wegen  gelegentlicher  Angaben, 
es  sei  dem  Gerstenbräu  auch  manchmal  Honig  beigemengt 
worden,  darf  man  doch  nicht  die  Sache  auf  den  Kopf  stellen 
und  für  „Bier"  statt  von  „Gerstenbräu"  vielmehr  von  einem 
„Honigtrank"  ausgehen;  das  war  seit  vorgermanischer  Zeit 
allein  der  Met.  Aus  ebendenselbem  Grunde  ist  mir  auch  die 
Annahme,  das  Wort  gehöre  zu  „brauen",  etwa  aus  *breu-ro- 
dissimiliert,  ganz  unwahrscheinlich,  eben  weil  es  ja  nur  west- 
germanisch, also  jüngerer  Herkunft  ist :  zur  Völkerwanderungs- 
zeit konnte  für  das  neuartige  Bräu  keine  solche  Bildung  mehr 
vorgenommen  werden.  Man  könnte  annehmen,  daß  hier  aus  slav. 
pivo  „Bier",  Stamm  *pives-,  piti  „trinken"  entlehnt  "sei,  3)  wie 
\\t.  xw^as  „Bier",  apreuß,  J)^^<'^5  ~  poln.  ^mo  „Bier"  zweifellos 
ein  slavisches  Lehnwort  darstellen.     Aber  wenn  man  auch 


')  Siehe  M.  Heyne,  Nahruiigswesen  341. 
2)  Reallex ,  1017,  I-,  45. 

•■')  So  Kuhn,  KZ.  35, 3l3ff.  Ähnlich  uud  mii-  unannehmbar  E.  Schröder 
bei  HüOPS,  Eeallex.  I,  279  ff. 


151 

sachlich  die  erwähnte  Heimat  des  Hopfens  dafür  anführen 
könnte,  so  weiß  ich  mir  im  Punkte  des  Lautlichen  nicht  zu 
helfen:  wohei-  das  -r-?  woher  das  h-  statt  ^j-?  Da  müßte 
denn  schon  angenommen  werden,  ein  altes  *beura-  oder  Heusa- 
„Gerstensaft"  zu  german.  *beuuu-  in  ags.  Leo,  aisl.  bygg  „Gerste" 
sei  durch  dieses  slav.  *piues-  „Bier"  umgebildet  worden:  sehr 
glaublich  sieht  mir  auch  dies  nicht  aus.  Vielleicht  ist  die 
Sache  ganz  anders  verlaufen:  Bier  scheint,  wie  Heyne, 
Nahrungswesen  341  schon  annahm,  nichts  als  das  romanische 
(vulgärlat.)  hiver e  (mit  spirantischer  Aussprache  des  zweiten 
h)  zu  sein,  das  die  Germanen  annahmen,  wobei  v  zu  o  voka- 
lisiert  wurde:  roman.  hirer(e)  >  hior.  Für  das  neue  „Bräu", 
das  Mode  wurde,  wählte  man  ein  romanisches  Fremdwort,  wie 
das  in  dieser  Zeit  ja  in  so  vielen  Fällen  üblich  war'):  das 
Getränk  xat'  tsox/jr,  vgl.  vor  allem  Italien,  bevere  „trinken". 
Daß  slav.  *xnves-  in  der  Geschichte  unseres  Worts  „Bier"  eine 
Rolle  gespielt  hat,  ist  mithin  eine  unnötige  Annahme. 

Das  aisl.  bjorr  wird  nur  von  ausländischem  Bier  gebraucht, 
für  das  neu  importierte  Hopfenbräu;  und  dies  erhalten  die 
Götter  zugewiesen:  hier  glaube  ich  freilich  auch,  daß  der 
Dichter  seine  S3monyme  mit  Absicht  verteilt  hat,  insofern  er 
also  das  beste,  schmackhafteste  Getränk  neuester  Bräuart  den 
Göttern  zuspricht.  Das  Vanenwort  veiy  „berauschendes  Ge- 
tränk" (=  norw.  veigja  „Saft")  ist  ein  mehr  poetisches  Wort, 
aber  daß  es  den  Vanen  angehört,  daran  ist  nur  das  anlautende 
V-  schuld.  Jireinn  Iggr  bedeutet  „klare  Flüssigkeit",  sumhl 
(=  ags.  symbel)  ist  „festliches  Gelage,  festlicher  Trunk".  Bei 
der  Hei  trinkt  man  überhaupt  kein  Bier,  sondern  —  Met 
(mJQpr),  eine  seltsame  Gleichgültigkeit  in  der  Wahl  dieses 
zweiten  berauschenden  Hauptgetränks  der  Nordleute:  den 
sachlichen  Unterschied  von  Bier  und  Met  hat  der  Dichter 
einfach  unberücksichtigt  gelassen. 

Unsere  Prüfung  der  einzelnen  Synonyme  läßt  sich  etwa 
in  folgendes  Ergebnis  zusammenfassen: 

1.  Der  Dichter  der  AMssrngl  hat  den  alten,  echt  heid- 
nischen Volksglauben,  daß  die  Götter  und  Geister  eine  be- 

>)  Vgl.  Seiler,  Die  Entwicklung  der  deutschen  Kultur  im  Si)iegel 
des  Lehnworts,  1900,  II,  31  ff.,  besonders  47. 


152 

sondere  Sprache  sprechen,  die  nur  der  Zauberer  und  Priester 
kennt,  dahin  erweitert,  daß  er,  um  Synonyme  in  origineller 
Weise  zusammenzustellen,  auch  den  Zwergen,  Eiesen,  Vanen 
usw.,  also  allen  Bewohnern  der  verschiedenen  Welten  eine 
besondere  Sprache  beilegt.  Diese  Schematisierung  ist  sub- 
jektive Erfindung  des  Dichters,  auf  die  er  ohne  weiteres  von 
Jenem  allgemeinen  Glauben  aus  geraten  konnte.  So  hatte  er 
einen  originellen  Rahmen  für  die  Sammlung  seiner  Sjoionyme; 
weil  es  sich  stets  um  mehr  als  zwei  handelte,  mußte  er  auf 
seine  Theorie  von  verschiedenen  Geistersprachen  verfallen. 
Zudem  ist  die  Gegenüberstellung  der  verschiedenen  mythischen 
Wesen  in  der  nordischen  Dichtung  ein  sehr  beliebtes  Motiv. 
Man  denke  an  die  Frage :  „Was  gibts  bei  den  Äsen,  was  gibts 
bei  den  Alben?"  der  Pnjmshvi^a  oder  an  eine  Strophe,  wie 
etwa  H(}vam.  144: 

Opinn  mep  gsum,  en  fyr  glfum  JDainn, 

Dvalinn  dvergmn  fyrir 
Alsvipr  mep  jgtnum  ... 

„0.  bei  den  Äsen,  aber  bei  den  Alben  D.,  Dv.  bei  den 
Zwergen,  AI.  bei  den  Riesen",  wo  die  Namen  großer  Runen- 
meister unter  den  verschiedenen  Wesen  aufgezählt  und  ein- 
ander gegenübergestellt  sind.    Ganz   ähnlich  Sigrdrifum.  18: 

pcer'u  mep  ösum,  pcer'u  meP  glfum, 
smnar  mep  visum  vgnum, 
sumar  hafa  mensJcir  menn. 

„Diese  (Runen)  sind  bei  den  Äsen,  diese  bei  den  Alben,  einige 
bei  den  weisen  Vanen,  einige  haben  die  Menschen".  Es  lag 
für  einen  Skalden  nicht  allzu  weit  ab,  diese  „Runen"  durch 
tatsächliche,  einzelne  Worte  zu  belegen,  die  er  auf  die  einzelnen 
Wesen  verteilte ;  ein  Vorbild  von  außen  anzunehmen,  ist  nicht 
nötig.  An  Einwirkung  kymrischer  Triaden  ^)  zu  denken,  halte 
ich  also  für  unnötig  und  ganz  unerweisbar.  Noch  eher  ließe 
sich,  namentlich  bei  der  Überzeugung  von  weitgehender  christ- 
licher Beeinflussung  der  Eddadichtung  und  eddischen  Mytho- 
logie an  die  Vorstellung  von  besonderen  Engelssprachen  in 


»)  Heusler,  a.a.O.  266,   Neckel,  Beitr.  z.  Eddaforsch.  S.  402;    an 
keltischen  Einfluß  dachte  auch  schon  Vigfüsson,  Corp.  bor.  I,  60. 


153 

frühchristlichen  Texten  erinnern,  die  wir  oben  S.27  angetroffen 
haben:  nötig  oder  nur  wahrscheinlich  ist  auch  das  nicht. 

2.  Es  handelt  sich  nicht  um  eine  konsequente  Zusammen- 
stellung bereits  vorhandener,  üblicher  Synonyme  für  je  ein  und 
dieselbe  Bedeutungsgruppe,  sondern  der  Dichter  schafft  sehr 
häufig  neue  Umschreibungen  eigner  Prägung:  Freude  an 
sprachschöpferischer  Tätigkeit  ist  ihm  nicht  abzusprechen, 
und  die  Alvissm^l  ist  kein  gewöhnliches  heitatalA) 

3.  Die  Verteilung  der  einzelnen  Wörter  auf  die  Wesen 
der  verschiedenen  Welten  erfolgt  in  den  weitaus  meisten 
Fällen  nach  rein  metrischen  oder  verstechnischen  Gesichts- 
punkten-): die  Rücksicht  auf  die  AUitteration  erklärt  ebenso 
sehr  die  Wahl  der  einzelnen  Weltenbewohner  (bzw.  ihrer 
Namen)  selbst,  denen  das  Wort  zugesprochen  wird,  wie  die 
betreffende  Verteilung  der  Synonyme  untereinander. 

4.  Wo  es  sich  ohne  metrischen  Zwang  machen  ließ,  ist 
der  Dichter  bemüht,  den  Göttern  ein  altertümliches,  in  der 
Alltagsrede  nicht  mehr  übliches  Wort  zuzuschreiben.  Doch 
ist  dies  —  eben  infolge  metrischer  Einflüsse  —  keineswegs 
konsequent  in  allen  Fällen  durchgeführt  (s.  S.  147.  148,  Nr.  10). 
Auch  ein  junges  Lehnwort  für  eine  aus  dem  Ausland  be- 
zogene Ware  gehört  den  Göttern  an  (björr). 

5.  Die  einzelnen  Wörter  selbst  sind  alle  echt  isländischer 
Herkunft;  'voces  mysticae',  Zauberglossen  oder  künstliche 
Wortschöpfungen  liat  der  nordische  Dichter  ebenso  wie  Homer 
verschmäht. 

6.  Im  einzelnen  lassen  sich  die  Synonyme  in  folgende 
Gruppen  einteilen: 

a)  Veraltete  altgermanische  Wörter  mit  hohem  dichte- 
rischen Begleitgefühl,  wie  funi,  sunna,  marr,  njöl  usw.,  also 
sakrale  Archaismen,  wenn  wir  den  Ausdruck  wieder  ein- 
führen dürfen. 

b)  Dichterische  Umschreibungen,  Kenningar,  die  auch 
sonst  belegt  sind,  z.  B.  grima,  mylinn,  hlyrnir. 

c)  Die  Alltagsworte  der  Prosa  geben  stets  die  Menschen- 
worte. 


0  Siehe  auch  Hbusler,  a.  a.  0.  265. 

'^)  Ohne  daß  darin  irgend  etwas  von  altem  ßunenzauber  zu  finden  wäre. 


154 

d)  Der  Dichter  modifiziert  öfters  die  Bedeutung  eclit 
nordischer  Wörter  (meist  Verengerung)  z.  B.  vQndr  ,J\Vald", 
skin  „Mond" ;  dies  erinnert  an  die  vielseitige  Bedeutung  home- 
rischer Götter  Worte  {Sdr&'og,  yahciQ,  s.o.  S.  Ulf.). 

e)  Der  Dichter  schafft  neue  selbständige  Metaphern  für 
den  betr.  Begriff,  wie  z.  B.  älheimr  für  „Meer",  Jmijnnn  „bieg- 
sam" für  „Getreidehalm"  usw. 

f)  Diese  Umschreibungen  sind  meistens  nach  ganz  all- 
gemeinen Gesichtspunkten  gewählt  und  ebenfalls  (vgl.  d)  nicht 
besonders  scharf  und  charakteristisch. 

g)  Von  mythologischen  Anspielungen  sind  nur  zwei  Motive 
verwandt :  das  von  der  Versteinerung  der  Zwerge  durch  Sonnen- 
licht {Bvalins  leika)  und  das  vom  hüllenden  Wolkenhelm,  von 
der  Tarnkappe  (hjalmr  hulips  und  grima). 

Völlig  verfehlt  war  schon  die  von  Grimma)  erwogene, 
dann  von  Schütte'^)  im  einzelnen  vertretene  Hypothese,  daß 
menn  die  Skandinavier,  aber  go])  nicht  Götter,  sondern  — 
Goten  bedeuteten,  „so  daß  söl  das  nordische,  sunna  das  alt- 
gotische Wort  wäre" ;  nicht  einmal  das  ist  ohne  Einschränkung 
(s.  unsere  These  4)  richtig,  daß  die  südgermanischen  Wörter 
nur  den  Göttern  zugeteilt  seien,  vgl.  die  Synonyme  marr,  vägr, 
sumbl,  veig.^)  Diese  Theorie  verkennt  völlig  das  Wesen  des 
Liedes  und  die  treibende  Kraft  in  der  Verteilung  der  Synonyme. 

Die  seltsame  Parallele,  die  Axel  Olrik  zwischen  den 
Synonymen  und  Metaphern  der  Alvissm^l  und  der  Fachsprache 
der  —  Fischer  der  Shetlandinseln  zog,"*)  und  die  Magnus 
Olsen  5)  noch  erweiterte,  führt  nicht  unmittelbar  zur  Lösung 
des  Problems,  ist  aber  im  Prinzip  auf  richtigem  Wege.  Denn 
in  dieser  Fischersprache  spielt  ebenso  wie  in  dem  Sasalmra 
(o.  S.  IG)  der  Aberglaube  die  Hauptrolle :  damit  die  Geister  und 
Dämonen  nicht  die  Absicht  der  Fischer  aus  ihren  Vv"orten  ent- 
nehmen, bedienen  sie  sich  einer  aus  Metaphern  bestehenden 


1)  J.  Grimm,  MythoL*  III,  101;    Gr.  D.  Spr.  768;    Kl.  Schriften  3,  221. 

2)  IF.  17,  451  ff. 

8)  Heusler,  Arch.  f.  d.  Stud.  d.  neuer.  Spr.  116,  N.  S.,  1906,  16, 264 f., 
Helm,  PBB.,  1907,  32,  99  ff. 

*)  Nord.  Tidskr.  för  vetenskap,  konst  och industri,  1897,  339;  E.Smith, 
Maal  og  Minne,  1918,  12. 

'-)  Maal  og  Minne  1909,  91  ff. 


155 

Geheimsprache.  Ähnliches  ist  ja  auch  von  der  Jägersprache 
bekannt.  Aber  damit  kann  man  nicht  unmittelbar  die  Syno- 
nyme des  Eddalieds  vergleichen,  wo  die  Metaphern  ja  nicht 
die  Menschen,  sondern  gerade  umgekehrt  die  übernatürlichen 
Wesen  anwenden.  Nur  eine  allgemeine  Parallele  bleibt  also 
übrig,  die  das  Wesen  sakraler  Metaphern  beleuchtet.  Ähnlich 
wie  für  Homer  (o.  S.  129),  sträube  ich  mich  auch  für  die 
relativ  späte  Älvissm<^l  gegen  zu  unmittelbare  Vergleiche  mit 
primitiven  Anschauungen:  davon  daß  der  Dichter  solchen 
Wortaberglauben  noch  ernst  genommen  hätte,  kann  keine 
Kede  sein,  wohl  aber  benützte  er  volkstümliche  Anschauungen, 
frei  und  selbständig  verAvendet  er  sie  als  stilistische  und 
künstlerische  Mittel. 

Vielleicht  dürfte  dieses  Ergebnis  unserer  Prüfung  des 
Eddalieds  von  den  Geistersprachen  manchen  ernüchtern,  aber 
mag  es  sich  auch  in  der  Ausführung  der  einzelnen  Worte 
und  Metaphern  nur  um  die  spielerische  Synonymensammlung 
eines  geistreichen  Isländers  handeln,  ohne  daß  dabei  noch  viel 
von  altheidnischer  Runenweisheit  zu  spüren  ist,  der  Grund- 
gedanke seiner  Einkleidung,  diese  allgemeine  Voraussetzung, 
daß  die  Götter,  Riesen  und  Alben  in  dunklen  Umschreibungen 
oder  alten,  kaum  noch  ihrem  Sinn  nach  verständlichen 
Wörtern  reden,  ist  uns  das  wertvollste  an  dem  Gedicht. 
Denn  es  ist  eine  echt  nordisch  empfundene  Vorstellung,  daß 
Runenweisheit  und  Skaldschaft  etwas  Mystisches  und  Ge- 
heimnisvolles sind,  und  daß  diese  Weisheit  in  Runen  ver- 
borgen werden  müsse,  verborgen  vor  der  unheiligen  Menge: 
fela  i  rünum  „in  Runen  verbergen,  verhüllen"  wird  geradezu 
als  das  Wesen  dieser  heidnischen  Weisheit  gepriesen.  Dies 
zeigt  folgende  Stelle  in  Sn.  Edda  I,  c.  58  (S.  214  Arnam.): 
en  ])at  Jigfum  ver  orptdk  nii  mep  oss,  at  halla  giillit  munntal 
Pessa  jgtna,  en  ver  felum  i  rünum  epa  i  sJcäldsJcap  svä,  at  ver 
Jcgllum  pat  mal  ejja  tal  pessa  jgtna.  ])ä  mcelti  ^gir:  patpyJcJci 
mer  vera  vel  folgit  i  rünum.  „Aber  wir  haben  jetzt  diese 
Redensart  unter  uns,  das  Gold  die  Mundzählung  dieser 
Riesen  (nämlich  des  I>jaz%  ipi  und  Gängr,  von  denen  vorher 
die  Rede  war)  zu  nennen,  aber  wir  verbergen  es  in  Runen 
oder  Skaldenkunst   so,   daß  wir  es  Rede  oder  Wort  dieser 


156 

Riesen  1)  nennen.  Da  sprach  Aegir:  Das  bedünkt  mich  wohl 
in  Runen  verborgen." 

Also  wir  haben  es  im  letzten  Grunde  auch  hier  bei  den 
Synonymen  der  isländischen  GeisteTworte,  wie  bei  der  home- 
rischen Göttersprache,  mit  „sakralen  Archaismen  und  Me- 
taphern" zu  tun. 

Nennt  doch  Thor  am  Ende  der  AlvissmQl  35  die  Me- 
taphern „alte  Stäbe",  d.h.  alte,  geheime  Weisheit: 

ek  sah  aldrigi  fleiri  forna  stafi 

„ich  habe  noch  nie  mehr  erfahren  an  alten  Stäben",  d.  h.  „an 
Vorzeitkunde",  wie  Genzmer  II,  104  treffend  übersetzt.  Der 
dem  Lied  zugrunde  liegende  Hauptgedanke  ist  also  nach 
unserem  Dafürhalten  aus  echt  heidnischen,  volkstümlichen 
Anschauungen  von  der  Heiligkeit  und  mystischen  Kraft  des 
Worts  in  primitivem  Denken  erwachsen;  die  Art,  wie  der 
Verfasser  des  Liedes  aber  die  einzelnen  „sakralen  Archaismen 
und  Metaphern"  schuf,  verrät  dann  freilich  wenig  Verständnis 
mehr  für  diesen  Glauben  und  wenig  Ehrfurcht  vor  dem  reli- 
giösen Stil:  für  ihn  war  es  eine  reizvolle  Skaldenspielerei,''') 
jener  Glaube,  den  ihm  die  Überlieferung  bot,  den  er  auf  lite- 
rarischem Wege  studieren  konnte,  gab  ihm  einen  schönen 
Rahmen  ab  für  seine  Synonymensammlung;  eine  einst 
lebendige  religiöse  Vorstellung  wird  unter  seinen  Händen 
zum  prunkenden  Dekorationsstück. 

Wie  hoch  die  Nordländer  das  sakrale  Geheimnis,  ihre 
Runen  Weisheit,  einschätzten,  ergibt  sich  ja  schon  aus  ihrer 
Vorliebe  für  Aufzählung  mythischer  Verhältnisse  und  Namen, 
die  stets  nur  einzelnen  bekannt  sind,  die  sich  dann  im  Weis- 
heitskampfe messen.  Gerade  im  Norden  ist  der  Typus  eines 
tiefsten  Geheimnisses,  das  niemand  entsiegeln  kann,  ausgeprägt 
worden  in  der  schwersten  aller  Fragen,  was  Odin  seinem  toten 


')  Daß  die  Riesen  ein  Wesen  anders  benennen  als  die  anderen  Wesen, 
kommt  gelegentlich  auch  sonst  noch  vor.  Gylfag.  5  (=  Sn.,  Edda  ed. 
Arnam.  p.  42)  heißt  es  vom  „Urriesen" :  ok  var  sa  iwfndr  Ymir,  en  Hrim- 
ßussar  liulla  han  Örgelmi  „und  er  war  Ymir  genannt,  aber  die  Reifriesen 
nennen  ihn  Orgelmir." 

2)  Dies  muß  ich  nochmals  gegen  Kauffmann,  Balder  200  ff.  betonen, 
der  das  Gedicht  für  zu  altertümlich  hält. 


157 

Sohn  Balder,  ehe  die  Flammen  dessen  Scheiterhaufen  umloliten, 
noch  ins  Ohr  geraunt  habe.  An  dieser  Frage  scheitert  das 
Wissen  VafJ)rü]>nirs  sowohl  wie  das  Gestumhlindis: 

Nicht  einer  iveiß, 
Was  in  alten  Tagen 
Beinern  Sohn  du  gesagt! 

Odin  selbst  hatte  sich  diese  geheimnisvollen  Weisheitslehren 
der  Runen  und  Stäbe  ja  erst  in  höchster  Not  erworben,  da 
er  an  der  Weltesche  hing  und  Mimir  ihm  Zauberlieder  und 
Lebenstrank  gewährte  Der  Sänger,  der  am  Nornenquell  von 
diesem  Mysterium  berichtet,  gelobt  ebenfalls  feierliches  Hüten 
der  Geheimnisse  i) : 

Ich  schaute  und  schivieg, 
Ich  schaute  und  sann, 
Hörte  der  Waltenden  Wort, 
Von  Fiunen  hörte  ich  reden  . . . 
Wie  sie  wirkten  Weihgötter 
Und  sie  sog  der  Zauberherr: 
Das  schlauste  ist,  du  schweigst . . . 


Auch  aus  der  altindischen  Literatur  lassen  sich,  wie 
anhangsweise  hier  kurz  bemerkt  sein  möge,  Belege  für  den 
Glauben  an  eine  Göttersprache  und  einzelne  Götterworte 
selbst  anführen.  Als  Sprache  der  Götter  gelten  zunächst  die 
heiligen  Hymnen  des  Rgveda  in  der  Ausdrucksweise  der 
Grammatiker.  So  sagt  z.  B.  Mahidäsa,  der  Bearbeiter  der 
ersten  sechs  Bücher  des  Aitareya-Brähmaria,  öfter:  yad  vai 
devänäm  neti  tad  esäm  o5m  iti  „was  bei  den  Göttern  'nein', 
ist  bei  den  Menschen  'ja' ",  was  nach  B.  Liebich,  Zur  Ein- 
führung in  die  indische  einheimische  Sprachwissenschaft,  1919, 
11,62)  heißen  soll,  daß  die  später  „nicht"  bedeutende  Partikel 
na  im  Rgveda  auch  in  offenbar  bejahten  Sätzen  im  Sinne  von 


1)  HQvam.  111  u.  79  in  Genzmers  Übertragung,  Edda,  1920,  11, 170  ff. 
■")  Sitzungsber.  d.  Heidelb.  Akad.  d.  Wiss.,  phil.-hist.  Kl.,  1919,  15, 
AbhaiuU. 


158 

'wie,  gleich  als  ob'  erscheint.  9  Entsprechend  werden  als 
„Götterworte"  von  den  Grammatikern  ungebräuchliche  Aus- 
drücke des  Egveda  angeführt,  wie  z.  B.  agnistoma  für  agni- 
stoma,  nyagrodlia  für  nyagroJia  oder  mänusa  für  mädusa'^) 
Damit  kann  man  den  griechischen  Ausdruck  Öiaori  „in  der 
Art  des  Zeus"  vergleichen,  womit  die  Götterworte  gemeint 
sind,  Dio  Chrys.  Or.  XI,  23  (s.  o.  S.  90).  Bei  Somadeva  1. 
59.  64  ist  von  vier  Sprachen  die  Rede,  von  Sanskrit,  Prakrit, 
Volksdialekt  und  Dämonensprache,  s)  Als  Probe  der  indischen 
Sagen  von  der  Ursprache  möge  hier  die  Stelle  Taitt.  S.  VI, 
4,  73  in  Liebichs  Übersetzung 4)  dienen:  „Die  Väc  (d.h.  das 
als  Gottheit  gedachte  Wort)  redete  abgewandt,  undeutlich. 
Die  Götter  sprachen  zum  Indra:  lege  uns  diese  Sprache  aus- 
einander . . .  Indra  stieg  mitten  hinein  und  legte  sie  aus- 
einander. Darum  wird  diese  Sprache  artikuliert  gesprochen." 
Es  gibt  eine  Legende,  nach  der  die  Sprache  früher  nicht 
artikuliert  war  {niruMam),  und  nur  der  vierte  Teil  von  ihr 
wurde  es  alsdann,  d.  h.  drei  Viertel  der  Väc  bleibt  Menschen 
unverständlich,  man  vgl.  Satap.  Br.  IV,  1,  3,  11  ff.  5)  und  RV.  8, 
89,  10,  Auch  die  „Tiere  von  aller  Gestalt"  sprechen  diese 
Väc  (RV.  9,  89,11),  die  Menschen  reden  nach  RV.  1,  164,45 
das  erste  Viertel,  die  drei  den  gewöhnlichen  Menschen  un- 
verständlichen Spracharten  kennen  nach  dieser  Stelle  nur  die 
Brähmana,  welche  einsichtig,  ß) 

Es  gibt  nun  auch  einzelne  „Götterworte",  die  solche  all- 
gemeinen Angaben  bestätigen;  ich  meine  nicht  nur  'nomina  sacra' 
wie  svälia,  hin,  om,')  vausat  u.dgl.  (o.  S.  69),  sondern  Einzel- 
ausdrücke, die  in  ihrer  Art  an  die  homerischen  Götterworte 
erinnern.  ^)    So  liest  man  z.  B.  Sat.  Br.  I,  1,  4,  4 :  atlia  hrmä- 


1)  Sogar  Metren  der  Götter  werden  in  indischen  Quellen  denen  der 
Menschen  gegenübergestellt,  s.  Weber,  Ind.  Stud,  1863,  8,  75 

=*)  Belege  bei  Liebich,  a.  a.  0.  7. 

3)  J.  Grimm,  Mythol."  Nachtr.  III,  101.  *)  a.  a.  0.  S.  10. 

s)  Siehe  Eggeling,  Sacr.  Books  of  the  East,  1885,  XXVI,  267. 

^)  Siehe  dazu  E.  Hardy,  Ved.-brahmanische  Periode  d.  Religion  d. 
alten  Indiens,   1893,   131  f. 

')  om  wird  als  Götterwort  dem  menschlichen  iathä  entgegengestellt, 
Sänkh.  15,  27,  13. 

")  Siehe  A.  Weber,  Ind.  Streifen,  1868,  1,46;  Ind.  Stud.,  1868,  10,97 
und  Ludwig  bei  Kvicala,  Kri ticke  a  exegeticke  pfispevky  k  Platanovüra 


159 

jinam  ädatte  sarmäs'iti,  carma  vä'etat  hrsiiasija  :  tad  asya  tan 
mänusmn,  sarma  devattä,  tasmäd  äha  sarmasUi!  „Er  erfaßt 
nun  das  schwarze  Fell  (sc.  einer  Antilope)  mit  den  Worten: 
'Du  bist  ein  Schutz  {sarman-)\  es  ist  dies  nämlich  die  Haut 
(carman-)  der  schwarzen  (Antilope) :  Dies  (sc.  carman-)  ist  sein 
menschlicher  (Name),  Schutz  (sarman-)  aber  (sagt  man)  bei 
den  Göttern,  deshalb  sagt  er:  'Du  bist  ein  Schutz'." 
A.  Weber,  Ind.  Streifen  I,  46  übersetzte  Carman-  freilich  durch 
„heilbringend"  und  ihm  folgend  Eggeling,  Sacr.  Books  of  the 
East,  1882,  XII,  24  durch  'bliss-bestowing',  aber  dem  kann 
ich  nicht  beistimmen:  es  muß  doch  dem  Substantiv  carman- 
der  Menschensprache  wieder  das  Substantiv  sarman-  in  der 
Göttersprache  entsprechen,  carman-  ist  ein  übliches  Wort  mit 
der  Bedeutung  „Haut,  Fell",  das  Eeimwort  sarman-  kann  auch 
„Hülle,  Decke"  bedeuten,  hat  aber  außerdem  noch  den  Sinn 
von  „Schirm,  Schutzdach,  Schutz,  Obhut" ;  es  ist  mit  unserem 
nhd.  Helm,  got.  hilms  usw.  urverwandt.  Stellen  wir  also  auch 
hier  die  Frage  nach  dem  Grund  der  Verteilung  dieser  Syno- 
nyme auf  Götter-  und  Menschensprache,  so  wurde  dem  ge- 
wöhnlichen carman-  das  reimende  sarman-  gegenübergestellt, 
weil  es  bei  seinem  viel  weiteren  Bedeutungsumfang  ein  geist- 
reiches Spiel  {Dache  ~  Schutz)  gestattet,  aber  zugleich  auch 
die  Vieldeutigkeit  und  Dunkelheit  besitzt,  die  für  die  Aus- 
drucksweise der  Götter  so  bezeichnend  ist.  Daß  unsere  Auf- 
fassung von  sarman-  als  „Schutz,  Zuflucht,  Obhut"  u.  dgl.  zu- 
trifft, lehrt  die  ähnliche  Stelle  Sat.  Br.  III,  2,  1,  8,  wo  auch 
Eggeling  1)  übersetzt:  „He  then  kneels  down  with  his  right 
knee  (on  the  skin)  with  the  text,  'Thou  art  a  refuge  :  afford 
me  refuye!'  for  the  skin  {carma)  of  the  black  deer  it  is  in- 
deed  among  men,  but  among  the  gods  it  is  a  refuge  {sarma) : 
therefore  he  says,  'Thou  art  a  refuge  :  afford  nie  refuge.'" 

Ähnlich  heißt  es  Sat.  Br.  X,  4,  1,  16,  dem  Menschenwort 
kalä  „kleiner  Teil,  i/io"  entspreche  in  der  Göttersprache  aksara--. 
'now  what  a  digit  is  to  men  that  a  syllable  is  to  the  gods.' 2) 


rozmluvatn  Faidros  Gorgias,  S.  284  ff.  Zum  allgemeinen  auch  J.  v.  Negelein, 
Germ.  Mythol.»,  1906,  22  ff. 

1)  Sacr.  Books  of  the  East,   1885,  XXVI,  27. 

2)  Sacr.  Books,  1897,  XLUI,  347. 


160 

Diese  Verteilung  beruht  auf  spitzfindiger  Spekulation:  dem 
kleinen  Maß  der  Menschen  entspricht  das  Absolute  {aksara-) 
der  Götter,  dessen  Kenntnis  nach  Sat.  Br.  XIV,  6,  8,  8  nur  dem 
Brahmanen  allein  zusteht. 

Eine  besonders  gute  Parallele  zu  der  eddischen  Götter- 
und  Geistersprache  aber  gewährt  die  Stelle  Sat.  Br.  X,  6,  4,  1, 
wo  die  Namen  für  „Pferd"  nicht  nur  in  der  Göttersprache, 
sondern  auch  in  der  Sprache  der  Gandharven  und  Asuren  an- 
geführt sind.  Wir  geben  gleich  Eggelingsi)  Übersetzung:  *As 
Haya  it  carried  the  gods,  as  Väjin  the  Gandharvas,  as  Arvan 
the  Asuras,  as  Asva  men.'  äSva-,  das  gewöhnlichste  der  Sjmo- 
nyme,  gehört  den  Menschen,  das  Götterwort  hciya-  „Eoß",  das 
in  armen,  ji  „Pferd"  seine  Entsprechung  findet,  ist  poetisch 
und  nicht  mehr  in  der  Alltags  spräche  üblich,  immerhin  aber 
ein  altererbtes  Wort.  Väjin-,  eigentlich  „Renner",  und  drvant- 
„Renner",  junge  dichterische  Umschreibungen  der  Vedasänger 
für  „Pferd",  werden  dann  als  Ausdrücke  der  Dichtung  den 
anderen  beiden  Klassen  übernatürlicher  Wesen  zugesprochen, 
wobei  die  Allitteration  von  äsura-  und  ärvant-  die  Verteilung 
bis  ins  einzelnste  erklären  dürfte.  Es  ist  sehr  bemerkenswert, 
daß  wir  in  diesem  Falle  eine  solche  Ähnlichkeit 2)  in  altindischer 
und  altisländischer  Literatur  antreffen,  wo  von  gegenseitigem 
Zusammenhang  oder  von  Beeinflussung  selbstverständlich  keine 
Rede  sein  kann. 


9. 


% 


unsere  Untersuchung  geht  zu  Ende,  und  wir  hoffen,  ihre 
beiden  Grundfragen,  die  allgemeine,  wie  man  überhaupt  zum 
Glauben  an  Geistersprachen  gekommen  sein  mag,  und  die  be- 


1)  a.  a.  0.  XLIII,  401. 

^)  Sogar  in  ägyptischen  Pyramidentexten  scheinen  Worte  der  Götter- 
sprache vorzukommen.  Ein  alter  Spruch,  der  dem  Toten  die  Benutzung 
der  Himmelsleiter  (»«o/ce<)  ermöglichen  soll,  lautet:  „KommQ  moket,  komme 
poket,  komme  dein  Name,  den  die  Götter  sagten."  A.  Erman,  Ägypt.  Relig. 
15G  fügt  hinzu:  „Hier  mag  gemeint  sein,  daß  die  Götter  die  Leiter  nicht 
moJcet  nennen,  wie  die  Menschen,  sondern  pokeV  Wir  aber  beobachten 
wieder  die  Kraft  des  Reims  am  Werk,  s.  dazu  oben  S. 67. 118.  145. 159. 


161 

sondere,  welchen  Ursprungs  und  welcher  Bildungsart  diese 
Wörter  seien,  die  in  der  Literatur  und  volkstümlichen  Über- 
lieferung als  Ausdrücke  der  Götter  und  Geister  vorkommen, 
wenigstens  in  der  Hauptsache  beantwortet  zu  haben. 

Wir  beobacliteten  die  Herkunft  und  Bildung  von  Wörtern 
aus  der  Götter-  und  Geistersprache  vom  ekstatischen  Schrei 
der  Verzückten  und  Besessenen  bis  zu  sprachmystischen  Voi-- 
stellungen  von  einer  ganz  gefühlsmäßigen,  den  Ausdrucks- 
mitteln der  Musik  zu  vergleichenden  Engels  spräche,  vom  be- 
wußt und  absichtlich  geprägten  Geheimwort  des  Magiers  bis 
zur  sakralen  Metapher  und  dicliterischen  Umschreibung,  wir 
bemerkten,  wie  aus  den  sakralen  Archaismen  und  Metaphern 
sich  allmählich  stilistische  Kunstmittel  entwickelten.  Wir 
dürfen  hier  noch  an  die  mj^stische  Auslegung  ganzer  Texte 
erinnern,  wo  nach  der  Überzeugung  der  Gläubigen  die  Gott- 
heit sich  zwar  gewöhnlicher  Menschenrede  für  ilire  Offen- 
barungen bedient,  aber  in  Wahrheit  mit  dieser  profanen 
Form  einen  ganz  anderen,  tiefen  Sinn  verbindet.  Man  ent- 
sinne sich,  um  ein  Beispiel  für  diese  Art  göttlicher  Rede  zu 
geben,  an  die  beliebten  Deutungen  der  heiligen  Schrift  mystice 
und  spiritualiter ,  wie  man  sie  u.  a.  auch  bei  Otfried  von 
Weissenbtjrg  findet,  an  die  mystische  Auslegung  des  hohen 
Liedes,  an  die  Sprache  der  Propheten,  der  Sibyllinischen 
Orakel  oder  der  Offenbarung  Johannis.  Man  denke  an  die 
Weisheit  der  Sufis,  die  es  fertiggebracht  haben,  die  rosen- 
duftigen Liebes-  und  Weinlieder  des  größten  persischen 
Lyrikers  „mystisch"  auszudeuten!  Allegorie  und  Symbolismus 
sind  stets  naheliegende  Ausdrucksformen  für  Offenbarungen 
und  mystische  Erlebnisse  gewesen,  schon  weil  die  Sprache 
das  Übersinnliche  und  Gefühlsmäßige  ja  doch  nur  im  Bild 
und  Gleichnis  wiedergeben  kann,  wenn  derjenige,  der  visionäre 
Erlebnisse  hatte,  seine  Gesichte  und  Gefühle  nüchternen  All- 
tagsmenschen zu  veranschaulichen  sucht :  ihm  selbst  war  diese 
übernatürliche  Mitteilung  in  ihrer  Bedeutung  ohne  weiteres 
klar  und  verständlich.  In  diesem  Sinn  darf  man  auch  ein 
Dainionion,  des  Busens  innere  Stimme,  das  Raunen  des  Ge- 
wissens in  der  eigenen  Brust  als  eine  Geistersprache  an- 
sehen. — 

Güntert,   Sprache  dor  Götter  und  Geister.  Xi. 


162 

Für  uns  heute  hat  das  Wort  längst  seine  alte  dämonische 
Zaubermacht  eingebüßt,  es  ist  uns  zur  bloßen  Marke  und 
Münze  im  geistigen  Austausch  herabgesunken;  also  wird  der 
Glaube  an  zauberwirkende,  geisterzitierende  Zauberglossen 
den  meisten  zunächst  nur  als  törichtes  Ammenmärchen  aus 
der  Kindheit  der  Völker  oder  als  tolle  Phantasterei  erscheinen. 
Die  Spuren  des  alten  Glaubens,  der  auch  heute  immer  wieder 
auflebt,  sind  aber  in  manchen  Wendungen  und  Redensarten  >) 
zu  erkennen,  die  wir  jetzt  stets  noch  im  Munde  führen,  ohne  den 
tieferen  Grund  ihrer  Entstehung  zu  empfinden.  Vor  allem  aber 
haben  diese  Anschauungen  in  bedeutenden  Werken  der  Welt- 
literatur ihre  künstlerische  Verwertung  gefunden,  und  das 
allein  würde  unsere  Untersuchung  rechtfertigen.  Der  Glaube 
an  Geisterstimmen  im  allgemeinen  aber  ist  heute  noch  so 
frisch  wie  einst  und  wird  sich  erhalten,  solange  Einbildungs- 
kraft und  warmes  Naturgefühl  noch  ein  Menschenherz  er- 
wärmen. Das  unbezähmbare  Sehnen  über  menschliche  Ge- 
bundenheit nach  einem  ewig -schönen  Eeich  des  Lichts  und 
der  Freiheit,  die  flammende  Begeisterung,  der  „heilige  Wahn" 
kennzeichnet  nicht  nur  den  Propheten,  sondern  auch  den 
wahren  Dichter:  Seher  und  Sänger  war  im  Altertum  ein 
einziger  Begriff.  So  berichten  neben  den  großen  Propheten 
gerade  die  größten  Dichter  von  jenem  überirdischen  Geister- 
reich und  seinen  Stimmen,  das  sie  in  verzückter  Seligkeit  ge- 
schaut haben.  Wer  also  über  jenes  Traumreich  der  Sehnsucht 
weiteres  wissen  will,  der  frage  nur  bei  Dichtern  an,  die  auch 
das  Motiv  der  Geistersprache  immer  wieder  ausnützen.  Ein 
paar  Belege  mögen  uns  dies  veranschaulichen. 

An  erster  Stelle  müssen  wir  hier  Klopstock,  den  „sera- 
phischen Dichter"  nennen,  der  in  seinem  „Messias"  öfters 
auch  von  der  Sprache  Gottes  und  der  Geister  oder  Engel 
redet,  von  der  Sprache  „der  Himmel,  die  Gott  an  dem  Throne 
hesingt"  (IX,  420),  ^)  von  einem  Wort,  wie  es  Himmlische  hören 
(XI,  596).  Die  Dunkelheit  der  Göttersprache  wird  oft  betont 
(z.  B.  I,  188 ff.,  wiederholt  I,  354 ff.): 


0  Siehe  oben  S.  19. 

'^)  Zitat  nach  der  Ausgabe  von  Klopstock  s  Werken,  herausgegeben 
von  Hamkl  in  Kürschners  National -Literatur. 


163 

„Jetzo  erhöhen  sich  neue,  geheimnisvolle  Gespräche 
Zivischen  ihm  und  deni  Ewigen,  scMclisalenthi'dlenden  Inhalts, 
Heilig  und  furchtbar  und  hehr,  voll  nie  gehoffter  Entscheidung, 
Selbst  Unsterblichen  dunkel  .  . . 

Ähnlich  VIII,  236.  Auch  von  einer  „himmlischen  Schrift" 
auf  der  Schicksalstafel  im  Allerheiligsten  Gottes  weiß  der 
Dichter  zu  singen  (11,  319  ff.).  Wir  finden  den  Glauben  von 
heiligen  Geheimnamen  Gottes  im  „Messias"  wieder,  die  kein 
Teufel  aussprechen  darf  (II,  813 ff.): 

.  .  .  Äch,  nun  verzweifl'  ich  von  neuem. 
Denn  gelästert  haV  ich  Jehova!   ich  nannf  ihn  mit  Namen, 
Heiligen  Namen,  die  nennen  kein  Sünder  darf  ohne  Ver- 
söhner! 

Gottes  „unsterblicher",  „göttlicher  Name"  wird  oft  erwähnt, 
z.  B.  VIII,  380.  436.  Das  Gefühlsmäßige,  das  nach  unseren 
obigen  Ausführungen  der  Himmels  spräche  eignet,  beschreibt 
Klopstock  mit  den  Worten  (IV,  654 ff.): 

. .  .  Sein  niederschauendes  Äuge 
Schauete  Tiefsinn  her,  mit  einer  Hoheit  vereinet, 
Die,  unaussprechlich  der  Sprache  des  Menschen,  nur  sterbende 

Christen 
Fühlen  und  durch  ihr  Lächeln  im  Tode  beim  Namen  sie 

nennen. 

Ist  es  schon  erstaunlich,  wie  sich  solche  urwüchsigen  all- 
gemeinen Anschauungen  von  der  himmlischen  Sprache  in  Klop- 
stock s  „Messias"  nachweisen  lassen,  so  ist  es  vollends  über- 
raschend, daß  uns  der  Dichter  ganz  ähnlich  wie  Homee  sogar 
Doppelnamen  eines  Wesens  oder  Dings  in  göttlicher  und 
menschlicher  Sprache  verrät.    So  heißt  es  von  Eloa  (I,  291): 

„Gott  nennt  ihn  den  'Erwählten',   der  Himmel  Eloa" 
(d.  h.  der  „gottgewählte"  v.  293).  i)    Und  noch  bezeichnender 
ist  der  Doppelname,  den  der  Dichter  für  die  Milchstraße  an- 
führt (V,  149  f.): 

Gott  ging  jetzt  durch  die  Sterne,  die  „Milchstraße"  wir  nennen, 
Aber  bei  den  Unsterblichen  heißt  sie  die  „liuhstatt  Gottes". 


')  Vgl.  auch  I,  56 :   Gabriel  nennen  die  Himmlisclien  ihn. 

11* 


164 

Denn  da  der  erste  himmlische  Sabhath  vollendet  die  Welt  sah, 
Stand  der  Ewige  dort  und  schaute  den  werdenden  Säbbath. 

Hier  ist  die  Parallele  zu  Homees  Götternamen  völlig  durch- 
geführt, und  der  Dichter  muß  den  Grund  der  heiligen  Um- 
schreibung erst  angeben,  die  Menschen  also  in  ein  himmlisches 
Geheimnis  einweihen,  ehe  diese  die  sakrale  Metapher  verstehen 
können.  Etwas  Ähnliches  sind  die  „neuen  Namen"  der  Erde, 
die  öfter  erwähnt  werden,  z.  B.  I,  520  ff. : 

Bings  erschollen  zugleich  die  neuen  Namen  der  Erde. 
Gabriel  hörte  die  Namen:  „Du  Königin  unter  den  Erden, 
Augenmerk  der  Geschaffenen,  vertrauteste  Freundin  des 

Himmels, 
Zweite  Wohnung  der  Herrlichkeit  Gottes,  unsterbliche  Zeugin 
Jener  geheimen  erhabenen  Tat  des  großen  Messias!''' 
Also  ertönte  durchhallt  von  englischen  Stimmen  der  Umkreis. 

Ähnlich  IX,  173. 

Selbst  hier  haben  wir  also  wieder  unsere  bekannten 
sakralen  Umschreibungen.  Das  Hallelujah  der  Engelchöre, 
das  Donnern  bei  Gottes  Zorn,  das  sanfte  Windes  säuseln  bei 
der  Anwesenheit  des  Allmächtigen  —  das  sind  Einzelzüge,  die 
sich  jedem  Leser  des  „Messias"  eingeprägt  haben  und  nicht 
belegt  zu  werden  brauchen. 

Auch  andere  Dichter  melden  uns  von  der  Sprache  im 
Reiche  ferner  Seligen,  deren  Sonnenlande  sie  in  ihren  ent- 
zücktesten Träumen  geschaut  haben.  Ein  paar  Beispiele  nur 
können  hier  herausgegriffen  werden.  Bekannt  ist  Möeikes 
Märchentraum  vom  Land,  „das  ferne  leuchtet":  er  kannte 
Sprache  und  Namen  der  Bewohner  seines  Atlantis.  Suckel- 
borst,  der  „sichere  Mann",  schreibt  in  sein  Buch,  das  er  aus 
den  Scheunentüren  der  Bauern  sich  handlich  hergerichtet, 
was  er  in  seiner  Jahrtausende  alten  Erinnerung  als  alter 
Riese  noch  zusammenbringen  konnte  an  Kenntnis  der  Vorzeit : 

Aber  auf  einmal  jetzt,  in  des  stattlichen  Werkes  Betrachtung, 
Wächst  ihm  der  Geist,  und  er  nimmt  die  mächtige  Kohle  vom 

Boden, 
Legt  vor  das  offene  Buch  sich  nieder  und  schreibet  aus  Kräften 


165 

Striche,  so  grad  wie  krumm,  in  unnachsagharen  Sx)rachen, 
Kratzt  und  schreibt  und  hrummelt  dabei  mit  zufriedenem 

NachdrucJc. 

Erinnert  sei  auch  an  die  Berichte  über  die  Zwerge  und 
Riesen  in  Swifts  unsterblichem  Gulliver. ')  Es  sei  mir  ge- 
stattet, aus  zwei  neueren  Kunstmärchen  die  jüngsten  Belege 
für  eine  Geistersprache  anzuführen,  die  mir  bekannt  geworden 
sind.  Max  Eyth^)  erzählt  in  einem  Märchen:  „Allein  sie 
traf  in  den  Schatten  der  Zweige  eines  Brotfruchtbaums  und 
rief  die  Schlange.  Dreimal  mußte  sie  rufen  in  Zauberivorten, 
die  kein  Sterblicher  mehr  verstand.  Es  ivar  die  Sprache,  die 
die  Geschöpfe  der  Erde  gesprochen  hatten,  ehe  Menschen  tvaren." 
Dies  erinnert  an  eine  Stelle  gleich  zu  Anfang  in  Novalis' 
„Ofterdingen" :  ..Ich  hörte  einst  von  alten  Zeiten  reden,  wie 
da  die  Tiere  und  Bäume  und  Felsen  mit  den  Menschen  ge- 
sprochen hätten.  Mir  ist  grade  so,  als  ivollten  sie  allaugen- 
blicklich anfangen,  und  als  könnte  ich  es  ihnen  ansehen,  ivas 
sie  mir  sagen  wollten.  Es  muß  noch  viel  Worte  geben,  die  ich 
nicht  iveiß :  ivüßte  ich  mehr,  so  könnte  ich  viel  besser  alles  be- 
greifen." Paul  Keller  weiß  noch  Genaueres  über  die  Sprache 
im  Märchenland.  3)  Nicht  nur  die  sonderbarsten  Eigennamen, 
wie  Herididasufoturu,^)  Dr.  Schnugu,  Prinz  Hamrigula,  Fräu- 
lein Elkaguntascha,  die  Stadt  Marilkaporta  usw.  erwähnt  der 
volkstümliche  Dichter,  sogar  über  die  Grammatik  dieser  Sprache 
weiß  er  Einzelheiten  zu  berichten :  „Aber  das  Märchenland  ist 
glücklich;  es  hat  eine  Sprache,  die  alle  verstehen,  in  der  alle  Sub- 
stantiva  nach  dein  Muster  des  Wortes  „Bruder"  dekliniert 
tverden,  und  in  der  das  Eigenschaftswort  „ehrlich"  das  einzige 
ist,  das  sich  nicht  steigern  läßt.  Diese  Sprache  ist  so  kinder- 
leicht und  einfach,  daß  man  sie  in  wenigen  Tagen  lernen  kann. 
Mancher  begreift  sie  in  einer  Stunde;  ja,  ich  glaube,  die  Be- 
gnadetsten tverden  damit  geboren."  Somit  wissen  wir  es,  wo- 
her die  Sonntagskinder  und  Dichter  diese  Kenntnis  der  Geister- 
sprache besitzen:   es  ist  die  Muse,  die  ihnen  diese  Gabe  an 

1)  Vgl.  dazu  Revue  de  linguistique,  1912,  45,  78  f. 

')  Der  Kampf  um  die  Cheopspyramide*  II,  200. 

«)  Das  letzte  Mär;hen,  31.  — 35.  Aufl.,  69. 

*)  a.  a.  0.  S.  75,  vgl.  auch  F.  Lienhards  XII.  Bune  „Gesang  der  Seligen". 


166 

der  Wiege  verlieh,  ao  rühmt  sich  schon  der  homerische  Rhap- 
sode; es  ist  die  gesteigerte  Feinfühligkeit  und  Empfindsamkeit 
des  Genius,  so  sagen  wir  heute;  es  ist  die  Hellhörigkeit  für 
die  flüsternden  Stimmen  der  Natur,  welche  dem  Dichter  wirk- 
lich etwas  zu  sagen  haben: 

Sein  Ohr  vernimmt  den  Einklang  der  Natur  .  .  ., 
Und  sein  Gefühl  belebt  das  Unbelebte  ... 

Um  hier  nur  einen  dieser  Begnadeten  aus  der  Zeit  des 
Mittelalters  als  einen  solchen  Hüter  dieser  herrlichen  Gabe 
zu  nennen,  —  wer  erinnert  sich  nicht  des  Heiligen  von  Assisi, 
der  mit  Blumen  und  Wellen  redete,  der  auch  in  Tier  und 
Gestein  die  Werke  göttlicher  Allmacht  erkannte  und  liebevoll 
sich  dem  ganzen  All  nahte?  „Eine  wahrhaftige  und  lautere 
Güte  des  Herzens  ist  wie  ein  magisches  Geheimnis  Salomonis, 
welches  dem  Menschen  die  Sprache  der  Tiere  und  das  innere 
Wesen  der  Pflanzen,  Bäume,  Steine  und  Berge  erschließt,  so 
daß  vor  seinen  Augen  die  vielfältige  Schöpfung  als  eine  völlige 
Einheit  liegt  und  keine  verborgenen  und  feindlichen  Klüfte 
und  Schattenreiche  hat.  Franziskus  verstand,  als  ein  solcher 
Liebling  Gottes  die  Schönheit  der  Erde,  wie  nur  selten  ein 
anderer  Dichter  sie  verstand,  er  liebte  jedes  große  und  kleine 
Geschöpf,  sie  aber  liebten  ihn  wieder  und  gaben  ihm  Antwort. 
Wenn  er  müde  war  mit  Menschen  zu  reden,  ging  er  zu  den 
Wiesen,  Wäldern  und  Tälern  und  vernahm  in  Quellen  und 
Winden  und  Vogelgesang  die  süße,  mächtige  Sprache  des 
Paradieses."  i)  in  seinem  „Sonnengesang",  den  laudes  creatu- 
rarum,  spricht  er  von  dem  'Herrn  Bruder',  dem  Sonnengestirn 
(messor  lo  fratre  sole),  von  'der  Schwester  Luna'  (sora  luna), 
vom  'Bruder  Wind'  (fratre  vento),  von  der  'Schwester  Wasser' 
(sor  acqua),  vom  'Bruder  Feuer'  {fratre  focu),  von  unserer 
'Schwester,  der  Mutter  Erde'  (sora  nostra  matre  terra):  brü- 
derlich, in  inniger  Bruderliebe  gibt  er  sich  dem  All  und  allem 
Geschaffenen  hin.  Später  hatten  vor  allem  die  Romantiker 
ein  besonders  scharfes  Ohr  für  die  Geisterstimmen  der  Natur ; 
denn  nach  den  schönen  Worten  von  Ricabda  Huch^)  waren 


^)  Herm.  Hesse,  Franz  von  Assisi  (Die  Dichtung,  Bd.  XIII),  S.  52  f. 
O  Ausbreitung  und  Verfall  der  Romantik,  1902,  206. 


167 

sie  tiberzeugt,  „daß  der  Bildersprache  des  Dichters,  des  Kindes 
und  des  ursprünglichen  Menschen  eine  Wirklichkeit  entspricht, 
die  durch  die  Entwicklung  des  Unbewußten  zum  Bewußtsein 
in  Zeit  und  Raum  verloren,  aber  ewig  wahr  und  da  sei  und 
auch  für  den  Menschen  wiedergewonnen  werden  müsse." 
Kein  anderer  als  Herder  hatte  in  seiner  berühmten  Ab- 
handlung vom  „Ursprung  der  Sprache"  gelehrt:  „Wie  das 
erste  Wörterbuch  der  menschlichen  Seele  eine  lebendige 
Epopöe  der  tönenden  und  handelnden  Natur  war,  so  war  die 
erste  Grammatik  nichts  als  ein  philosophischer  Versuch,  diese 
Epopöe  zur  regelmäßigen  Geschichte  zu  machen."  Woher 
diese  seine  romantisch -schwärmerischen  Ansichten  stammen, 
ist  nicht  schwer  zu  erraten,  wenn  man  Hamanns  Ausspruch 
über  die  Ursprache  kennt :  „Jede  Erscheinung  war  den  ersten 
Menschen  ein  Wort,  das  Zeichen,  Sinnbild  und  Unterpfand 
einer  neuen  geheimen,  unaussprechlichen,  aber  desto  innigeren 
Vereinigung,  Mitteilung  und  Gemeinschaft  göttlicher  Energie 
und  Ideen.  Alles,  was  der  Mensch  im  Anfang  sah,  beschaute 
und  mit  seiner  Hand  betastete,  Avar  ein  lebendiges  Wort. 
Mit  diesem  Worte  im  Munde  und  im  Herzen  war  der  Ur- 
sprung der  Sprache  so  nahe  und  so  leicht,  wie  ein  Kinder- 
spiel." 

So  läßt  Platen  seinen  Faust  klagen,  daß  er  die  Stimmen 
der  Natur  nicht  fassen  könne'): 

Was  in  dem  Boden  dieser  Bäume  wurzelt,  wer  versteht's? 
Was  diese  Lüfte  Tcaum  vernehmbar  lispeln,  wer  versteht's? 
Sie  alle  sagen  etwas,  doch  sie  sagen  nichts  zu  mir, 
Und  ihre  Sprache  klingt  dem  eingeschränkten  Sinne  fremd. 
Ach,  so  begegnet  immer  seltner  ein  Verwandtes  mir, 
Und  tvenige  mir  verstehn  das  Weben  dieser  tiefen  Brust: 
So  hauch'  ich's  feurig  mm  in  ahnungsvollen  Dichterklang, 
Doch  ach,  das  Wort  zerstückelt,  kümmerlich.  Unendliches! 


')  Fausts  Gebet,  Gesammelte  Werke,  Cotta,  I,  2(&.  Nach  einer 
estuischen  Volkssage  hat  der  göttliche  Urheber  des  Gesanges  und  der 
Sprache  „das  Rauschen  seines  Gewandes  auf  Wald  und  Bach,  die  grellsten 
Töne  auf  den  Wind,  die  zarteren  auf  die  Singvögel,  den  vollen  und  tiefen 
Wohllaut  aber  auf  das  Menschengeschlecht"  übertragen,  dessen  Rede  also 
göttlichen  Ursprungs  ist,  s.  Uhland,  Zur  Geschichte  der  Dichtung  und 
Sage,  1868,  VI,  222. 


168 

Nicht  der  klügelnde  Verstand,  nur  Phantasie  und  feines 
dichterisches  Empfinden,  nur  die  Liebe  zum  All,  das  kosmische 
Bewußtsein  des  Mystikers  lehren  diese  Geisterstimmen  der 
Natur  verstehen,  wie  es  uns  ein  Walt  Whitman  so  schön 
schildert  i) :  „Ich  glaube  an  dich,  meine  Seele  . .  .  Komm  mit 
mir  hinaus  ins  Freie,  löse  das  Band  deiner  Zunge !  . . .  Sprich 
nur  leise  mit  mir,  ich  liebe  das  Summen  deiner  sanften  Stimme. 
So  lagen  wir  einst  an  einem  lichten  Sommermorgen.  Bald 
waren  um  mich  der  Friede  und  die  Erkenntnis,  die  über  alle 
irdische  Weisheit  erhaben  ist.  Ich  fühle  mich  in  Gottes  Hand ; 
ich  wußte,  der  Geist  Gottes  sei  meinesgleichen,  und  alle 
Menschen,  die  je  gelebt  hatten,  meine  Brüder  und  Schwestern. 
Und  ich  erkannte  die  Liebe  als  Grund  der  Schöpfung." 
Bekannt  ist  Beethovens  Gebet:  „Allmächtiger,  im  Walde 
bin  ich  selig,  glücklich  im  Walde,  jeder  Baum  spricht 
durch  dich.  0  Gott,  welche  Herrlichkeit  in  einer  solchen 
Waldgegend!" 

Sehr  innig  und  anschaulich  hat  uns  dies  Geheimnis  von 
der  Sprache  Gottes  in  der  Natur  E.  T.  A.  Hoffmann  in  seinem 
Meisterwerk,  dem  „Goldnen  Topf",  geoffenbart.  Hat  doch 
gerade  dieser  geniale  Künstler  und  Dichter  besonders  tiefe 
Einblicke  in  die  Nachtwelt  des  Dämonischen  getan,  und  man 
erzählt,  er  selbst  habe  sich  vor  seinen  gespenstischen,  unheim- 
lich bizarren  Phantasiegestalten,  insbesondere  vor  jenem  so  oft 
geschilderten  wunderlich -schrulligen  Alten  mit  dem  spöttischen 
Hohnlächeln  um  die  Lippen,  zuweilen  gefürchtet.  Es  war  das 
unmittelbarste  Urerlebnis  des  Dichters,  denn  diese  Gestalt 
kehrt  mit  der  gleichen  verzerrten  und  grotesken  Wunderlich- 
keit in  allen  seinen  bedeutenderen  Werken  wieder,  mag  sie 
nun  Archivarius  Lindhorst,  Obergerichtsrat  Drosselmeyer,  Eat 
Krespel  oder  wie  sonst  heißen:  es  war  eben  die  eine  Seite 
seines  eigenen  Wesens,  und  schon  der  Volksglaube  warnt  nach- 
drücklich, um  die  gespenstererfüllte  Mitternacht  sein  eigen 
Bild  in  einem  Spiegel  zu  beschauen  ... 

Aber  der  Künstler  hatte  auch  heitere  und  sonnige  Züge, 
und  gerade  bei  seinem  Anseimus,  dem  großen  Kind  mit  dem 


')  Nach  James -WOBBERMiN,  Die  religiöse  Erfahrung,  1907,  S.  368. 
Vgl.  auch  oben  Jacob  Böhme,  Über  die  sensualische  Sprache  S.  74  ff. 


169 

innigen  Dichtergemüt,  dem  unpraktischen  Phantasten  und 
Träumer,  dem  reinen  Toren,  finden  wir  jene  Eigenschaft 
Tassos  wieder,  jene  Fähigkeit,  in  kindlicher  Naivität,  mit 
liebender  Hingabe  die  lispelnden  Stimmen  der  Natur,  das 
Säuseln  der  Blätter,  das  Murmeln  des  Wassers,  das  Zwitschern 
der  Vögel  als  sinnvolle,  hingeflüsterte  Geistersprache  zu  deuten 
und  nachzufühlen ') : 

„Glühende  Hyazinthen  und  TuUpanen  und  Hosen  erheben 
ihre  schönen  Häupter,  und  ihre  Hüfte  rufen  in  gar  lieblichen 
Lauten  dem  Glücklichen  zu:  Wandle,  ivandle  unter  uns,  Ge- 
liebter, der  du  uns  verstehst  —  unser  Duft  ist  die  Sehnsucht 
der  Liebe  .  .  .  wir  lieben  dich  und  sind  dein  immerdar! 

„Hie  goldnen  Strahlen  brennen  in  glühenden  Tönen:  ivir 
sind  Feuer  von  der  Liebe  entzündet! 

„Her  Hüft  ist  die  Sehnsucht,  aber  Feuer  das  Verlangen, 
und  wohnen  wir  nicht  in  deiner  Brust?  ivir  sind  ja  dein  eigen! 

„Es  rischeln  und  rauschen  die  dunJden  Büsche,  —  die 
hohen  Bäume:  Komme  zu  uns!  Glücklicher  . . .  Geliebter!  Feuer 
ist  das  Verlangen,  aber  Hoffnung  unser  kühler  Schatten!  wir 
umsäuseln  liebend  dein  Haupt,  denn  du  verstehst  uns,  iveil  die 
Liebe  in  deiner  Brust  tvohnt  .  .  . 

„Hie  Quellen  und  Bäche  plätschern  und  sprudeln:  Geliebter, 
wandle  nicht  so  schnell  vorüber,  schaue  in  unser  Kristall  .  .  . 
dein  Bild  wohnt  in  uns,  das  wir  liebend  bewahren,  denn  du 
hast  uns  verstanden  .  .  . 

„Im  Jubelchor  zwitschern  und  singen  bunte  Vögelein:  Höre 
uns,  höre  uns,  wir  sind  die  Freude,  die  Wonne,  das  Entzücken 
der  Liebe  .  .  ." 

So  ist  unserem  Dichter  in  der  Natur  alles  verständlichen 
Singens  und  sinnvollen,  beredten  Klingens  voll ;  diese  raunenden 
Geisterstimmen  tönen  ihm  gleich  Äolsharfen  das  selige  Evan- 
gelium von  der  all  bezwingenden,  all  einenden  Liebesmacht,  die 
den  stumpfen  und  tauben  Sterblichen  allein  hellhörig  zu 
machen  imstande  ist,  das  beseligende,  herz  erschauernde  Evan- 
gelium von  der  alles  Geschaffene  umfassenden  Liebe  zur  gött- 


1)  Zwölfte  Vigilie.  Ähnliche  Stellen  über  die  unverstandenen  Stimmen 
der  Natur  auch  im  „Meister  Floh",  im  „Klein  Zaches",  im  „Fremden  Kind" 
und  anderen  Werken  des  Dichters. 


170 

liehen  Allnatur.  In  ihrer  Geistersprache  wisf^ern  diese  Natur- 
stimmen dem  Dichter  das  gleiche  zu,  was  die  mystischen 
Chöre   in   der  Gralsburg   auf  Monsalvat   dem   reinen  Toren 

zujubeln : 

Selig  in  Liehe! 

Nichts  anderes  lehrt  „das  große  "Wort"  der  Upanischaden 
als  höchste  Denkerweisheit: 

TAT   TVAM    ASI 

„Das  bist  du!'' 

Das  rauschen  die  Büsche  und  Bäume,  das  plätschern  die 
Wasser,  das  jauchzen  die  Vöglein!  .  .  . 

Es  ist  die  schönste  und  tiefsinnigste  Geistersprache,  von 
der  uns  solche  Dichterzeugnisse  künden,  in  ihrer  Wirkungs- 
macht und  Ausdrucksweise  der  Musik  verwandt,  die  nach  des 
Dichters  Wort  ja  allein  von  allen  Künsten  unmittelbar  die 
Seele  ausspricht.  Gegenüber  einer  solchen  Geistersprache  mit 
ihrem  süßen  Wohllaut  und  ihrem  tiefen  Sinn  für  den,  der  mit 
sehnendem  Herzen  und  fühlender  Seele  sich  ihr  hinzugeben 
und  sie  zu  fassen  vermag,  will  uns  der  gewaltsame  Versuch, 
das  innere  Wahrnehmen  und  Deuten  dieser  Geisterstimmen, 
das  beseligende  Hören  und  visionäre  Schauen  des  Mystikers 
in  einzelnen,  abgerissenen  Zauberglossen,  in  lesbaren,  artiku- 
lierten Lautgebilden  einer  unheiligen  Menge  wiederzugeben 
und  begreiflich  zu  machen,  wie  wir  dies  oft  in  unserer  Unter- 
suchung beobachteten,  nur  wie  eine  plumpe  Entstellung,  wie 
die  unschöne  Entweihung  und  verstandesfrostige  Verzerrung 
eines  heiligen  Dichtergeheimnisses  erscheinen. 

Was  Platens  Faust  nur  dumpf  und  unklar  als  hohes 
Glück  ahnt,  die  Gabe,  den  „menschenähnlichen  Lauten"  in  der 
Natur  einen  tieferen  Sinn  abzugewinnen  und  diese  erlauschten 
Geheimnisse  für  das  eigene  seelische  Erleben  und  Schauen, 
für  Wirken  und  Schaffen  fruchtbar  zu  machen  und  zu  nützen 
—  das  empfindet  Goethes  Faust,  das  empfindet  Goethe  selbst 
in  jenem  tief  ergreifenden  Gebet  „Wald  und  Höhle''  gerade  als 
sein  köstlichstes  Gottesgeschenk;  wie  Fkanziskus  von  Assisi 
sieht  er  überall  in  der  all  belebten  Natur  seine  Brüder: 


171 


Erhabner  Geist,  du  gabst  mir,  (jabst  mir  alles. 

Warum  ich  bat     Du  hast  mir  nicht  umsonst 

Dein  Angesicht  im  Feuer  zugetvendet. 

Gabst  mir  die  herrliche  Natur  zum  Königreich, 

Kraft,  sie  zu  fühlen,  zu  genießen.    Nicht 

Kalt  staunenden  Besuch  erlaubst  du  nur, 

Vergönnest  mir,  in  ihre  tiefe  Brust 

Wie  in  den  Busen  eines  Freunds  zti  schauen. 

Du  führst  die  Beihe  der  Lebendigen 

Vor  mir  vorbei  und  lehrst  mich  meine  Brüder 

Im  stillen  Busch,  in  Luft  und  Wasser  kennen  . 

Und  steigt  vor  meinem  Blich  der  reine  Mond 

Besänftigend  herüber,  schiveben  mir 

Von  Felsenivänden,  aus  dem  feuchten  Busch 

Der  Vorwelt  silberne  Gestalten  auf 

Und  lindern  der  Betrachtung  strenge  Lust. 


-i€)ffi<34- 


172 


Berichtigungen  und  Nacliträge. 

Zu  S.  9  ff. :  Nach  eiuer  äthiopischen  Quelle  teilt  Jesus  seinen  Jüngern 
selbst  den  großen  Geheimnamen  Gottes  mit,  s.  Littmann,  Festschrift  für 
Andreas  S.  86. 

S.  32,  Z.  1  V.  0. :  lies  Rohde. 

S.  32,  Z.  6  V.  0. :  lies  statt  uo,  loj  vielmehr  Iw,  l(i>. 

Zu  S.  42:  Beim  bloßen  Wort  ghftä-  flammt  schon  Agni-  auf, 
Sat.  I,  4, 1,  13.  19. 

Zu  S.  61:  Man  denke  auch  an  den  Loreleyfelsen  bei  St.  Goar,  der 
durch  sein  mehrfaches  Echo  berühmt  ist.  Die  Wiederholungen  in  Gebeten 
(z.  B.  gT.  ioov  vaov,  a>  <plXs  ZsC  oder  nXiXoTOV  ovkov  ovXov  '(ei  l'ovXov 
'i'ei)  sind  ganz  andrer  Art:  hier  soll  durch  Wiederholung  die  Bitte  nach- 
drücklicher geäußert  werden. 

Zu  S.  63:  Zu  unsrer  ersten  Gruppe  gehört  auch  der  seltsame  Ruf 
tiil-tul,  der  beim  nordischen  Julfest  ausgestoßen  wurde.  Man  mag  ferner 
an  den  griechischen  ovQio/xög,  nonnvofiog  und  die  okoXvyi^  denken,  vgl. 
dazu  jetzt  F.  Heiler,  Das  Gebet ^  1920,  48. 

Zu  S.  73:  Zur  Wirkung  des  Namens  Jesu  vgl.  man  Angelus  Silesius, 
Cherubin.  Wandersmann  III,  27: 

®er  fftffe  S@[u§  9iaf)m'  i[t  §6mg  auf  ber  3uny: 

Qm  C^r  ein  Srautgefang,  im  §er^  ein  "Ji^eubenfprung. 

Zu  S.  74:  Im  Gegensatz  zu  Swedenborgs  Ansichten  von  der 
Himmels  Sprache  verständigen  sich  die  Engel  nach  Dante  ebne  jede  Worte 
oder  Klänge  miteinander:  sie  lesen  ihre  Gedanken,  die  im  göttlichen  Lichte 
gespiegelt  sind,  ohne  weitere  lautliche  Mitteilung,  s.  dazu  Vosslers  an- 
regenden Vortrag  „Über  das  Verhältnis  von  Sprache  und  Religion",  Neuere 
Spr.,  1920,  28,  103,  der  mir  erst  nach  der  Drucklegung  meiner  Arbeit  be- 
kannt geworden  ist. 

S.  142,  Z.  4  V.  0. :  lies  Jilyrnir  statt  hlyrnir. 

Zu  S.  164 ff.:  Zur  Ansicht  vom  Wort  Gottes  in  der  Natur  möge  hier 
noch  der  Ausspruch  von  Christian  Morgenstern,  Wir  fanden  einen  Pfad, 
1914,  folgen:  „Es  ist  wohl  gerade  in  unserer  aufgeregten  Epoche  mehr 
denn  je  nötig,  den  Blick  .  .  .  von  der  Tageszeitung  weg  auf  jene  ewige 
Zeitung  zu  richten,  deren  Buchstaben  die  Sterne  sind,  deren  Inhalt  die 
Liebe  und  deren  Verfasser  Gott  ist." 


Seitenweiser. 

(A.  =  Anmerkung,   N.  =  Nachtrag.) 


I.   Sachverzeichnis. 


Abanten  117. 

Abba  schreien  28,  A.  4. 

Adam,  Bildung  des  Namens  71,  seine 

Sprache  22. 
Aigai  109  f. 
Allegorie  161. 
Allitteration  135  ff.  160. 
Alraune  94.  96. 
Alvissmgl  130  ff. 
Amaltheias  Hörn  118. 
Ambrosia  98  ff. 
Andreassegen  68. 
Äpfel  der  Hesperiden  98. 
Archaismus,  sakraler  128  ff.  153  ff. 
Argo  58,  A.  3. 
Ausrufe,  ekstatische  63 f.  85.  172  N. 

Balder  157. 

Begleitgefühl  eines  Worts  75.  98  mit 

A.2.  119. 
Beinamen  110.  114. 
Belsazer  87  f. 
Beschwörungen  10. 
Bier  150  f. 

Blätter  im  Orakel  39. 
Blödsinnige  im  Aberglauben  33.  36. 
Böhme,  Jac,  seine  Natursprache  50f. 

73.  168,  Erklärung  von  Jesus  72. 

Camisarden  29. 
Chalkis  104. 

Dante  über  die  Engelssprache  172  N. 
Delos  117. 


Dichtermet  Odins  40.  98  f. 

Donner  als  Gottes  stimme  56.  164. 

Doppelnamen  114. 

Echo  61.  172  N. 

Engel,   Sprache   der   27 f.   51  ff.   74. 

172  N. 
Euboia  116  ff. 
Eule  15.  105  mit  A.  2. 
Euphemismus  16. 

Fachsprache  101,  der  Priester  120 f., 

der  Fischer  154,   der  Jäger  155. 
Fluch  14. 

Franz  von  Assisi  73.  166. 
Füllhorn  118. 

Galgenmann  94.  97. 

Gaunersprache  84.  125. 

Gebetsmühlen  39 f. 

Geheimes  runisches  Wissen  155  ff. 

Geheimsprache  81  f. 

Geistesl<ranke,  ihre  Sprache  62 f. 

Glockensprache  58.  76. 

Glossen  der  Hüdegardis  80.  82  ff. 

Goethe,  Zigeunerlied  5,  Zauberlehr- 
ling 6,  Tasso  166,  Faust  13.  170  f., 
über  seinen  Namen  4. 

Götter  bei  Homer  89  f.  100. 

Götternamen,  reimende  68,  ägyp- 
tische 9. 

Götterworte,  griechische  92 ff.,  alt- 
isländische 140  ff.,  altindische  159, 
ägyptische  160,  A.  2. 


174 


Hafis  161. 

Hamann    über    den    Ursprung    der 

Sprache  167. 
Harpalyke  104. 
Hauff,  Kalif  Storch  6.  86. 
Helenes  115. 
Herder  über  d.  Ursprung  d.  Sprache 

167. 
Hermes  als  Totengott  96. 
Hildegardis,  Die  heilige  29.  78 ff. 
Himmel  als  Dach  142  mit  A. 
Himmelsbriefe  28,  A.  6.  40. 
Hopfen  150. 

Immermanns  Münchhausen  54. 
Irvingianer  29. 

Jesus,  mystische  Deutung  seines 
Namens  72.  172  N. 

Kabbala  71. 

Kassandra  8. 

Kenningar  16.  123.  125.  140ff. 

Kindersprache  88. 

Kirke  92.  95  f. 

Kleopalra  115. 

Klopflaule  d.  Spiritisten  72. 

Klopslock  s  Messias  55  f.  162  ff. 

Koboidnamen  78. 

Lebensrute  41,  A.  5. 

Logos  20  f.  49. 

Loreley  172  N. 

Losorakel  47  A. 

Luthers  Bibelübersetzung  35. 

Märchen  vom  Rumpelstilzchen  5.  77  f., 
1001  Nacht  11  f.  40,  A.  3.  50,  A.  1, 
Simeliberg  50,  A.  1 ,  Jorinde  96, 
Kalif  Storch  6.  86,  türkische  18  f. 
66,  A.  1. 

Mandragora  94.  96. 

Mendere  108. 

Mephistopheles  18. 

Metapher,  sakrale  121  f.  124.  128. 
153  f.,  volkstümliche  123. 

Metren,  göttliche  46,  der  Götter  158, 
A.l. 

Mimir  40.  45.  157. 


Minos  97. 

Mond  als  Himmelsuhr  144. 
Muhammeds  Visionen  58,  A.  3.  76. 
Myrina  107. 

Mysterien  Grade  in  128. 
Mystiker,  ihre  Ansichten  von  Geister- 
sprachen 50  ff.  75  f. 

Name  im  Volksglauben  4  ff.,  Geheim- 
namen 7 ff.  172 N.,  Umschreibungen 
d.  N.  13  ff.,  Änderung  d.  N.  17. 

Nektar  98  ff. 

Oberlins  Blhtebuoh  87. 
Orakelsprache  106.  121  f. 
Orenda  42,  A.  2. 
Orphiker  124f. 

Palindrome  68. 

Paris  115. 

Pasiphae  96. 

Paulus  28  ff. 

Permutation  70. 

Pferdekopf  45  A.  46. 

Pfingstbewegung  30. 

Pikoloos  97. 

Pindars  Stü  128.  130. 

Piaton  über  Göttersprache  117,  A.  3. 

Prevorst,  Seherin  53  f.  73. 

Priestersprache  121,  römische  126. 

Psithyros  41,  A.  2. 

Pythagoräer  119.  124. 


Rätselfragen  131.  132,  A.  1. 
Reim  46.   66  ff.   118.   145.  159. 

A.2. 
Rhythmus  der  Zauberwörter  76. 
Runenweisheit  155. 
Runenzauber  40ff.  46 f. 

Salier,  Lieder  der  34.  127. 
Sasahara  16.  154. 
Sehern  9  ff.  18. 
Schemhamphoras  70. 
Schiffsprache  58,  A.  8. 
Schöpfungsworte  20 ff.  69. 
Siegelring  11. 
Spiegel  Alexanders  13. 


160, 


17J 


Spieltrieb  77.  81. 

Sprachgesellschaften,  Deutsche  125. 

Sprachspiele,  Künstliche  77.  81. 

Springwurzel  96. 

Stabreim  46.  135  ff.  160. 

Standessprachen  88,  der  Priester  101. 
120 f.,  der  Fischer  154,  der  Sol- 
daten 123,  der  Gauner  84.  125. 

Studentensprache  77. 

Swedenborg  über  Engels  spräche  51  ff. 
74.  172  N. 

Symbolismus  40.  161. 

Synonyme  der  Alvissmol  133  ff. 

Tabu  16  f.  123.  129. 

Tarnkappe  145.  149.  154. 

Teufelsnamen  13  f. 

Themis  119. 

Thor  in  der  Alvissmol  131. 

Tote  können  nicht  sprechen  55,  A.  2. 

135. 
Triaden,  Kymrische  152. 
Turandot  132,  A.  1. 

Umschreibung  15. 105,  A.2,  s.Metapher. 
Urschöpfungen,  Gefühlsmäßige   72 f., 
bei  Geisteskranken  62. 


Vac,  ai.  Göttin  der  Sprache  49.  158. 
Vieldeutigl<eit    der  Götterworte    106. 

121  f.  154. 
Voces  mysticae  65 ff.  158. 
Vogelsprache  56  f.  89. 
Volksetymologie  14.  95,  A.  2. 

Wäinämoinen,    finnischer   Sagenheld 

42.  131  A. 
Wasser  des  Lebens  98. 
Weissagung  2. 
Wort   im  Volksglauben    37 ff.,    au.s 

Anfangsbuchst,  mehrerer  Wörter 

neu  gebildet  70. 

Xanthos  91,  A.  2.  108.  111  f. 

Ymir  156,  A.  1. 

Zahlenmystik  70. 

Zauberblume  96. 

Zauberformeln  66. 

Zigeunersprache  87. 

Zungenreden  23ff.  66. 

Zwerge,  oft  Totendämonen  130,  A.  1, 

scheuen  das  Licht  131,  ihre  Sprache 

59.  61.  140  ff. 


IL   Wörterverzeichnis. 


1.    Indogermanische  Sprachen. 


Altindisch. 

ak$ara-  159  f. 
agm$toma  158 
apämärga-  42 
ahhigäyati  38 
Arjuna-  8 
ürvant-  160 
ävati  69 
ä&va-  160 
üidha-  8 
ejati  HO 


om  69  m.  A.,  158  m.  A.  7 
Ö7nä  69 
kald-  159 
Tcaröti  15 
Tcavi-  32  A. 
guhyaka-  131  A. 
gühati  131  A. 
ghxtä-  172  N. 
cdrman-  159 
jagall-  46,  A.  2 
tatha  158,  A.  7 
tri?iubh-  46,  A.  2. 


durnäman-  42 
na  157 
nämaguna-  5 
näman-  8.  17 
nämampa-  5 
nyagrodha-  158 
pi-thivt-  140 
phat  69 

brähman-  36.  42,  A.  2 
mdntra-  48 
mäs-  144,  A.  1 
mürä-  94 


176 

yätudhäna-  32  A. 
lak$a>ia-  18 
va$at  69 
Väc-  49.  158 
väjin-  160 
viiwa-  32  A. 
vaxik  69 
vau$at  69.  158 
vratä-  48,  A.2 
Sräa-  16 
srau^cit  64 
svaghnin-  42 
sväJia  69.  158 
Jiäya-  160 
M/«  69.  158 
^MW  69 

Zigeunexüsch. 

bohpen  87 
surdpen  87 

Awestisch. 
aoxtü-näman-  14  A.  2 
J.»ra  Mainyu-  13 
J.wrw-  68 

Ahunavairya-  14.  49 
tlä  102 

upamana-  14,  A.  3 
upairi-gätu-  32  A. 
wväta-  48,  A.  2 
Camru-  68 
wä/t-  144,  A.  1 
mq^ra-  48 
ma&ra  sp&nta-  49 
Sraoia-  64 

Neuiraniscli. 
xe?V  (npers.-arab.)  16 
?(Mi<r  (pamirdial.)  48 

Armenisch. 

rtWfJi  18 
>■  160 

Altgriechisch. 

'Aßavriq  116  f. 
aiß^w  64 
^ty«/  109 


Alyaieov  109 
«tyee  109  f. 
alyLaXöq,  109  f. 
ßt'AiVOV  64  f. 
ßI;Uß  99.  103 
al(x.vXiog  103 
ulfxwv  103 
ßfs^  110 
ßjötß  124 
ßAßAß^w  64 
'^A£|ßvdi>og  115 
'AXxvovTj  115 
aX(prjOTi]q  100,  A.  1 

dfxuS-lTiSai  120 
'Af^aX&elag  xtQaq  118 

außQoaia  98  f. 

Afißgöaiai  nh^ai  116 

Kfxvßwv  94 

avtlßriXov  95 

ßTr-E^ßw  123 

aQagioxü)  102 

ß^y/e  125 

ßpari;cy(*o?  120 

CCQQTjV  123 

aoxioq  124 
'AoreQia  117 

UoTVßVßl   114 

'/l;(t'()ü>v  102  f. 
ß^vr/  102 
a;(t;pox'  102 
ß/w^  (ä'/C^Q)  102 

ßußa^w  64 
Bß;(r/e  32  A. 
Bäxxoc,  64.  68 
ßaXuv>](payoi  122 
ßuoxuivio  38 
Baxleia  106  ff. 
/9ßro?  107 

^srfv  (phryg.  LW.)  125 
BoiaQEujg  109 

rßz-ß  67 

y'iYvojxai  102 
yAwoaß  25 
yo?;g  38 
yojiyovto»'  125 


öäxQva  Aiöq  125 
öafjtva/jievevq  124 

/trjfl^TT^Q    67 

()iß/?o;.og  12 
diß;ifTopoi;  96 
6id^vQai.ißog  64 
()/;^jj  119 
SvawQSüj  120 

M  121 

e('(0/;v  (lakou.)  123 
£LQrjv7j  102 
sAeAtC  64 
tAeA/^w  64 
sv^eog  32  A. 
^viTijJ  102 

STIfß  7tTf()6£VTa   49 

impÖT]  38 
€()ff»?v  (jou.)  123 
"E'ptoe  117  f. 
£i5ß^ü>v  63 
Evafxßevg  63 
et;«'»'  63 
£;i;/9otß  116 
evtßS  63 

Evßsviöeg  16.  119 
evlfivog  (ir.övTog)  16 
evot  63 

EvQvoaxiig  114 
ev(p7ifieiT£  64 
t'xd()Ö€  12 
Zeve  '^tfwptoi?  117 
^tyv/g  105 

TiXioSQOfioq  128 

S'fiMie  119 
iyeoneoioq  48,  A.  2 
a^i:0(paxoq  48,  A.  2 
i)(}iafj.ßog  64 
^vf«?  32  A. 
y^vüöpeöo?  32  A. 
y^i;()a>pöe  120 
di.'ü>  120 
O^rcy^Jog  120 
tßtity  64 
i«/  64 


"lay/oq  63.  68 
iä?.e/xog  64 f. 
iufxßog  64 
läyu}  64 
l'^vfißoq  64 
i'xeloq  119 
t;^(W«?  102 
'laTTj/Ltt  102 
//<5  (Acc.  Sing.)  103 
t/wp  99  ff. 

xuficcQa  143 

xttxaiyi'C,w  110 

xuxüaxioq  124 

^aj;«>^  105 

;ifeAc«4)  102 

xrjnwQoq  120 

xlßÖrjXoq  106.  121  f. 

xixxäßt]  105 

xlxvßiq  105 

KiQxaia  gi'Ca  95.  97 
xixv/iuc  105 
xfisXt&QOv  143 
Pfvv^ß  9 
pfdyl  69 

;^o^/?a,  ;fd^^»/  104  f. 
^oß«^  128 
;fd()v^a  93 
xoQCüvri  104 
}CQV(pioq  128 
Ar()CM5cy  94 
KxÜQoq  96 
xxsQea  96 
xxeQit.(o  96 
Kväveai  120 
xv/xivdiq  104  ff. 
;iirvv£g  4>eQO£<p6vT]q  125 

kaxsQv^a  93 
^4/vo?  64 
At'l  124 
Aöyo?  47 
^o^/ß?  106 

Mßr«  67 
(xuvÖQuyÖQuq  95 
fxuvxtvofxui.  48 
iaßVTic  32,  A.  1.  48 

Güntert,  Sprache  der 


(xslenq  93 
M^?)";?  67 
(M/to?  125 
fiv()ixt]  107 
Mv(jLva  106  ff. 
(MCW/V  92  ff. 

H(i}Xv(v)ü)  93.  94  A.  1 
iWfSAve  93  f. 
(iwfxoq  94 
ßWQoq  94 

Navaixäa  114 
V6XXUQ   98  f. 
vd/^oj  119 
vvxxsQiq  105,  A.  2 

Äßi'^o?  107  f.  123 

OÖlOQtU)   120 

ol(ixoi)  64 
oliiioyi]  64 
dAoP.iy?/  64 
'OXvxxiOQ  64 
"OAv^Tiog  64,  A.  3 
'OXvoaevq  64,  A.  3 
ofxnä^  69 
d^a^;?  59 
Svttxai  18 
ovofxa  17 
oninevü}  102 
OQefijäveq  122  f. 
d'ööe  102 
ov()/ß  145,  A.  1 
oipeoßoQOi  122 

Ilaicüv  64 
narofi<paioq  59 
TTß^  69,  A.  3 
TlaQela  115 
TittQ^evonlna  102 
flß{>t?  115 
mXavoq  120 
TrfAffßrfeij  57,  A.  1 
nXayxxai  115  f. 
7i?MC,o/xat  116 
nXtjyüöeq  116 
noixiXööKpQoi  122 
Üxl-Qwq  118 
Götter  und  GeiBter. 


177 

nvXaeoQÖq  120 
TtVQiyevt'iq  8 
nvQixuot.  122 

pcFß  ^0*0  vre?  103 
^^//ß  38 
f>/?ß  93 

.Tßy^ß^to?  64 
öß/?or  64 
^eAv?Vj;  67 
oißvXXa  32  A. 
ötVvf?  126 
oi<p(ov  126 
SxafiavÖQioq  114 
2';tfß^ßj;dpoe  107  f.  123 
ö;i;ei;ö>pd?  120 
oxQiyyeq  67 
SvunXrjyäötq  116 
-S'vvrf^OjUßrfeg  116 
2'i;ro(3^ßdt5  116 
arplyyeq  66 
OifQaylq  11 

Tsioä/xevoq  114 
TeT()ß?  124 
TTjXs/xaxoq  114 
xijveXXa  64 

vdcop  103 
vAj/w^jo?  120 

^'?jMt  48 
^d^oe  119 
yvAjy  94 
^(uAfde  94 

XaXxlt,ü)v  105 
Z«A;<rtg  104  ff. 
XeXi6ovit,a)  57 
XOivixo/xexQai  122 
ävaxo  18 

Lateinisch. 

Abeona  68 
africia  126 
agnomen  17,  A.  5 
amhignae  127 
-4mor  8 

12 


178 


Anna  Peranna  68 
apexanes  126 
augmina  127 
augur  32  A, 
aveo  69 

Beneventum  16 
bria  127 

camwr  143 
candes  127 
Carmenta  68 
catumeum  126 
cognomen  17,  A.  5 
conspolmm  126 
corwM  copiae  118 
cubula  126 
cucubio  105 

Dirae  119 
Dis  120 

eclepol  14 
egones  127 
öMÄoe  32.  63 
exstispices  127 

/"ar  149 
/■as  4.  119 
fascino  38 
Fatuae  48,  A.  2 
fatum  48 
Faunus  48,  A.  2 
favete  Unguis  64 
^<t7to  126 
FZora  8 
folium  39 
frumen  126 
fulguratores  127 
Furiae  119 
/wror  32  A. 
/«rt?«  8 

gratüla  126 

hireiae  126 

IceZoM  118  f. 
llithyia  8 
incanto  38 
inimicus  12 


tocMS  148 
Larenta  68 
Ze^fo  47  f. 
Zeo  128 
Zea?  119 
longavi  126 

maginenta  127 
Maialis  127 
mandragoras  95 
Manes  16 

medius  fidius  14.  64 
mehercle  14 
OT^7es  128 
mo/?/  119 
morus  94 
Mutinus  68 

naeniae  126 
we/as  48 
noctua  105,  A.  2 
noinen  17 
wo^a  17  f. 

oeulus  102 
o^ae  126 
owiew  32  A.  69. 
Omenta  126 
oraculum  48 
oscen  32 A. 

palasea  126 
PaZZor  68 
Pavor  68 
i?aa:  69,  A.  3.  70 
Persa  128 
Phobetor  118  f. 
Picumnus  68 
Pilumnus  68 
planus  140 
polimina  126 
Proserpina  120 

res  bonae  15 

salsamina  126 
silicerina  126 
s«s(o  102 
sortilegimn  48 
sympuvia  127 


taedae  126 
tegularia  127 
fiöm  126 
topper  127 
Tutinus  68 
urinor  145,  A.  1 

«jates  32  A. 
Vejovis  68 
verbum  48,  A.  2 

Italienisch. 

bevere  151 
6/rra  150    ' 

(^»«a  48 

Französisch. 
&«ere  150 
choses  (males)  15 
diacre,  diantre  13 
enchanter  38 
feuille  39 

main-de-gloire  95,  A.  2 
sorcier  48 

Spanisch. 
(?ic/ta  49 

Rumänisch. 

frunzä  verde  39 

Irisch, 
(air.  u.  mir.  nicht  ge- 
schieden.) 
am7?i  18 
&n7t<  36 
/■«iY/t  32  A. 
Zoc/t  148 
wi  144,  A.  1 
riiw  41 

Kymrisch. 

a»Jj<  18 


Gotisch. 

uhana  102 

barizeins  149 

fön  148 

hihns  159 

himins  143 
hrükjan  94 
ZaiX's  144 
marei  147 

marisams  147 
nT>ja  41.  95 

siggioan  59 
SMw>jö  144 
wahstus  149 
««rt/Ms  32  A. 
mmidus  148 
«i'öpia«  145 
^ö/)s  32  A, 

Althochdeutsch. 

a/n7?«rt  95 

btgalan  38 

*«or  150 

M/  140 
ginmo  41 
himilza  143 
/jfoo^r  47^  A  4 

hliozan  47,  A.  4 
honangseim  103 
^^^«H  41,  A.  1 
>«^n  147 
»i^ÖM^  148 
scunten  I43 
s«<r  145,  A.  1 
Sem  103 
sm-  146 
sunna  I44 
sufmUntag  I44 
wä«7  147 
tvuofan  145 
^Mo<  32  A. 
zoubar  45 

Mittelhochdeutsch. 
alschaf  150 
ingrüene  141 


fe^f(?n  41,  A.  1 
misehuht  14 

Neuhochdeutsch. 
Abrncadabm    38.     66 

69,  A.l.   76.  87. 
-4c/j  65 
Alraune  95 
^wm  37.  69 
Aspirinonkel  123,  A.  3 

-B«>  15 

besessen  32  A. 
besprechen  38 
■B«^-  150 
-B^a«  39 

Blechtiiter  123  A.  3 
Briklibrit  68 
Suchstabe  47 
Buckelorum  77 
•Bwwis  69,  A.  3 

-De?6;  13 
Dinger  15 
^Donnerstimme  56 

£"^0«  163 
erzählen  48 


179 


fahnden  12,  A.  2 
Fankerl  12,  A.  2 
J^eZfZ  140 
Fidibus  77 

^^ieischhackmaschine 
123,  A.  3 

-F&,  i^/aa;  70 

Gottseibeiuns  12 
Grünhart  125,  A.  1 

Hallelujah  37 

Hauswurz  98,  A.  2 

-öe^>w  159 

Henading  15 
Herrje  14 
Himmel  142 
Himmelbett  143 
Himmels  Straße  163 
Hokuspokus  35 
Hornvieh  123,  A.  3 


Jesses  14 

Karbolfähnrich  123 
A.3 

Klagemutter  105,  A  2 
^?«i?s  69,  A.  3 

Knochenschuster  123 

A.3 
Än^»s  69,  A.  3 

Leichhuhn  105,  A.  2 
fesen  48 
io2e?  15 

Mannsen  19 
Mäuslein  I4 
ü/wr  147 

Mephistopheles  13 

-ZV«>«e  18  f. 
iVarr  I4 
iVe5<??  148 

Pardautz  69,  A.  3 
-Pote  £fofe  14 

raunen  41 
Rumpelstilzchen  5.  77 f. 


Sapperment  14 
Satan  13 
Schauer  145,  A.  1 
Schein  I43 
Scheinling  125,  A.  1 
ScJüeim  103 
Schratt  13 

Schwarzmantel  125,  A.  1 
sem^V/  103 
-Se^a  37 
sm^m  59 
Sonne  I44 
Sonntag  I44 
Spielmöpse  123,  A.  3 
Sprtngwurz  98,  A.  2 
Stottertante  123,  A.  3 

^m/eZ  12  f. 
Totenorgel  123,  A.  3 
Totenvogel  105,  A.  2 
Trittling  125,  A.  1 

12* 


180 

unberufen  16 

Vater  Weiß  125,  A.  1       j 

Weg  140  j 

Weh  64  I 

Weibsen  19  i 

Weißling  125,  A.  1  ^  | 

Wichtelmännchen  15  I 

Woge  147  ] 

TTorZ  48,  A.  2 

Zauber  45 

Altsächsisch. 

oiofat  150 
fctor  150 
/■«ndö»  12,  A.  2 
/"oZda  140 
heban  142 
Zo(/M  148 
rima  41.  95 
skundian  143 
wphimil  142 

Mittel-  u.  Neunieder- 
deutBch. 

alrüne  95 
/iemeZ  143 
sem  103 
ür  141 

Mittelniederländ. 
liemelte  143 

Holländisch. 

aoi  150 
6^r  150 
oer  141 
^reejw  103 

Friesisch. 

biar  150 
fandia  12,  A.  2 
fannen  12,  A.  2 
SMWwe  144 


Angelsächsisch. 

6eö  151 
beor  150 
ftere  149 
dynian  145 
eaZo  149 
mr  141 
folde  140 
foldweg  141 
Zteofow  142 
hleotan  41  A. 
hüslieofon  143 
Zar/W  148 

norÖweg  141 

nm  41.  95 

rünian  41 

scyndan  143 

speZi  38 

sunna-tulceg  144 

sunne  144 

symbel  151 

teafor  45 

upheofon  142 

i<;e(/  140 

1ÜÖ9  32  A. 

tt!^^  147 

I  Englisch. 

aZe  150 

fteer  150 

^eZd  140 

^«cZ  13 

Zea/"  39 

mandrake  95,  A.  2 

roitn  41 

sÄ;^/  145 

sjjeZZ  38 

iüai/  140 

Altisländisch. 

alfar  134  f. 
AZ/'pdr  68 
älheimr  147 
artaZt  143 
awr  141 
i  awvanga  sigt  141 


austrvegr  141 

fta/T  149 
ZyoVr  149  f. 
bygg  151 

dagsefi  146 
(Zo(;.s  Vera  146 
djüplendingr  131  A. 
Don  68 
draugr  61 
draumnjgrtm  149 
Dvalins  leiJca  144 
dvergar  134 
dvergmäl  61 
dynfari  145 
(Zym*  145 

eZdt  148 
ei/^Zö  145 
eyrr  141 

fagrlimi  148 
Fenja  68 
F^^^■  68 
fjändinn  13 
/löti  a  145 

foW  140 

foldvegr  141 

forbrennir  148 

/VeÄ^  148 

/Mwi  148 

galinn,  galdr  38 
gneggja  145 
gneggjupr  145 
Göinn  68 
^q/)  134  f. 
^n'wft  149 
groandi  141 

Äetii  125 
himinn  142 
hlippang  148 
%  146 
hlyrnir  142 
hnipinn  149 
ifrtse  68 
hrgpupr  148 
hugrünar  43 


181 


hvel  (hverfandn)  144  f. 
hvipa  145 
hvipupr  145 
%(;'«  auri  141 

igmn  141 
JQtunheimr  142 
kenningar  123.  125 

?a  148 

^ofif«  147 
lägastafr  147  ff. 
Z^?Är  144 
ii</-  68 
/ofifn  146 
%>•  147.  151 
Luska  68 
to<7«  146 
legi  146 

wmrr  147 
Menja  68 
ilf2S«  68 
»yp/)^- 151 
viylinn  143 
w»y?;a  143,  A.  3 

Näitm  68 
«iöZ  148 
norpvegr  141 

o/%  146 
öljös  149 
Ör«  68 
o>  32  A. 
Ößr&rir  40.  99 
pl  149  f. 
P^rtin  47 

ref/m  48 
rünt  41.  95 
jKws^a  68 
r^na  41 
rc^/V  C/a<7^a;  142 

sah  (drjüpr)  142 
saZ/)rtÄ;  142 
sefa  146,  A.  1 
si-  147 
silcbgja  146 


skelmir  12 
sÄm  143 
skipamäl  58 
Sä;<V7?/-  68 
sA«r  145,  A.  1 
skürvgn  145 

shjndir  148 
so/  144 
sölskin  148 
sto/>-  44 
SMWÖZ  151 
sunna  144 
Suttungr  135 
sujbrvegr  141 
svefngaman  149 
toM/r  45 
uphiminn  142 
uppheimr  142 
uppregin  135 
«ir  145,  A.  1 
ttrwpw  145 
«a^fr  147 
Fa//p5>-  68 
vallar  fax  148 
t'<?5fr  140 
^Je^V7  151 
veprmegin  145 
vindflot  145 
vindheimr  142 
vindofnir  142.  145 
vindslot  146 
F^V;•  68 
i'«j6r  148 
vp/M/)r  145 
vpZva  32  A. 
vpn(?r  148 
vpa;«r  149 
vckginn  148 
CB<^■  149 
#a  145 
0i)iV  145 


Norwegisch, 
(mr  141 
&ar  149 


öar/o^f  149 

dragedukke  95,  A.  2 
<^y«  145 
doegeren  14 

/awfZ^i  12,  A.  2 
fifwe<75(e  145 
graaben  15 

liimling  143 

e<Sfr0M  141 
ieÄ;^/  14 

Zaa  148 
/««(/  148 
logn  146 
Zya  146 
%i<9  146 

marhahn  147 
marswin  147 

sema  103 
sä;mi  143 
skipslcegje  146 
skogshund  15 
sÄ;«r  145,  A.  1 
s%  145 
sÄywf^e  stg  143 
so?  144 
sendag  144 

«r  145,  A.  1 

vaatid  148 
tJeeZ  148 
m  140 
veigja  151 
ceto  149 
er  141 


Schwedisch, 
iar;-  149 
djäkelen  14 
/■«n  12,  A.  2 
gnägga  145 
OToZw  143 
ü/  149 
tir  141 


182 


shy  145 
sol  144 

sunnudagJier  144 
ved  148 
växt  149 
väg  147 

Dänisch. 

drolsn  12 
ZMCöfjw  146 
sengelihnmel  143 
sundagh  144 
«je/csi  149 
0?  149 
er  141 

Litauisch. 

aZws  150 
azeras  103 
fteras  15 
dangüs  142,  A.  3 
danktis  142,  A.  3 
dengiü  142,  A.  3 
izeras  103 
hereti  15 

melas,  pl.  «leZai  93 
pyvas  150 
vafdyti  38 
zadeti  38 


Preufsisch. 

aZw  150 
assaran  103 
emmens  18 
panno  148 
2>*iü»s  150 

Altbulgarisch 
(Altkirchenslavisch). 

(?l&  16 
bajati  38 
car?/  13 
crsia  13 
(Zef^s  13 
^arfs  15 
«Mf  18 
medvedz  15 
obajati  38 
oZg  150 
2)«<i  150 
^eüo  150 
jpoZje  140 
reÄ;<j  48 
vZacTis  38 
vlZiK^ti  38 
«racö  38 
?;ra(jr5  13 
^rw»;  15 


Russisch. 

BOpOITb    13 

znam^  (aruss.)  17,  A.  5 
osepo  103 
poKOBOH  ji;eHB  48 
lepTL  13 

Polnisch. 
diachel  13 
J9^■^<;o  150 
skrzabel  13 
iüro</  13 

Cechisch. 
cert  13 

Slovenisch. 
'»tafo'/c  61 

Serbisch. 

narokT)  48 
roÄ;s  48 

Bulgarisch. 

Nanpcnici  48 

Tocharisch. 
rake,  reke  48 


2.    Finnisch-ugrische  Sprachen. 


Pinnisch. 

Ungarisch. 

kirjukansi  142 

megigezve  38 

mme  18 

«^w  18 

olut  150 

öi'äög  13 

rrmo  41 

Pj7t«Ao  68 

Tilinko  68 

Lappisch. 

nama  18 

Samojedisch 

/»<?»!.  18 

Estnisch. 

%o<  64 

183 


Hebräisch. 
hath  M  61 
BüMkt  68 
*ä  23  A. 
mä  23  A, 
Jahve  9 


3.    Semitische  Sprachen. 


Sem  9.  18 
makB  68 

Arabisch. 

cdläh  8 
Härüt  68 


inSälläh  37 
Märj7<  68 
a-e/r  (pers.)  16 

Babylonisch. 
Ea  9 


I  Ägyptisch. 

j    bak  69,  A.  3 
J    Afl  5 


4.    Sonstige  Sprachen. 

«jofe«  160,  A.  2 
jpoÄ:^<  160,  A.  2 
r/to<7i  9.  40 


Georgisch. 

sak<:eli  18 


Druck  von  Karras 


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