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Ontario Council of University Libraries
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Hr
0
Dorhalle
zur
Griechifchen
Gefchichte und Mythologie.
Von
Johann Aſchold,
Profeſſor am konigl. bayer en pe Straubing,
ER —
— —
TEAM
—
4
Erſter Theil.
— RER —
Stuttgart und Tübingen,
im erlag der J. ©. Cotta'ſchen Buchhandlung.
1838.
Grande morae pretium, ritus cognoscere : quamvis
Difhcilis clivis huc via praebet iter.
Ovyıpıus.
‚#? :
ae et
a IR
Herrn Profeffor
Dr. Wilhelm Wachsmutb
in Leipgig,
Ritter ded Dannebrog »Ordend :c.,
Herrn
Dr. Joh. Chriſt. Fel. Bähr,
großherzogl. bad. Hofrath und Oberbibliothekar
in Heidelberg
und Herrn
Dr. Karl Friedr. Hermann,
ordentl. Profeſſor der Philologie an der Univerfität zu Marburg,
zum Zeichen
befonderer Hochachtung
gewidmet von:
Berfafler.
”
Borwort.
Die Theilnahme, welche mandhe Freunde und
Goͤnner dem Werfuche über die Gefchichte des Tro—
janifhen Krieges ſchenkten, war für den Berfaffer
ein eben fo mächtiger Sporn, als der Widerfprud,
welchen derfelbe von einigen Seiten fand, alle Sagen,
welche er in jenem Werfchen evörterte, einer neuen
Prüfung zu unterftellen, Bei diefen wiederholten
Studien Fam er zur Weberzeugung, daß einzelne
Mythen fih nicht eher mit einem guten Erfolge be:
handeln laflen, als bis man fich über den Inhalt
der gefammten Mythengeſchichte und die Grund»
föße, welche zur Erflärung derfelben feftgeftellt
werden müffen, verftändigt hat. Es boten ſich ihm
bei den vielfachen Unterfuchungen, welche er deßhalb
anftellte, manche Winfe dar, und diefe find in dem
vorliegenden Werke angedeutet. Sollten diefelben
vi
nur ald ein Sandkorn zum großen Bau einer wiffens
fhaftlihen Mythengeſchichte betrachtet werden, fo
fühlt fih der WVerfaffer ſchon hinlaͤnglich für die
Mühe belohnt, welche er auf diefes Buch verwen:
dete, Er ift weit entfernt, fich anzumaßen, daß alle
Bermuthungen, welche er aufftellt, gegründet feyen *).
*) Viele Widerfprühe müſſen ſchon deßhalb erhoben werden,
weil die Anſichten über die urſprüngliche Bedeutung der Grie—
chiſchen Götter zu verfchieden find. Der Verfaſſer glaubt,
daß fih die Menfchen nach ihrer Zerſtreuung von jenen er⸗
habenen und richtigen Anſichten, welche ſie von Gott und
allen göttlichen Dingen hatten, die ſie aber nicht ſich, ſondern
‚einer unmittelbaren Offenbarung verdankten, immer mehr
entfernten, und nur zu bald anfingen, ftatt des ewigen
Urlihtes, wie Stolberg fehr fhön bemerft, zeitliche Gegen-
ftände, Sonne und Mond, zu verehren, an weldhe ſich bald
andere Götter ähnlicher Art anfhlofen. Nur bei einem
Volke, den Hebraern, hat fi) ‚der (geoffenbarte) Glaube
an den einen wahren Gott erhalten, Diefe haben dephalb
aub theologiſche Schriften, bei allen andern Bol:
fern hingegen treffen wir bloß mythologifhe an.
Mer erwägt, wie wahr der heilige Paulus in feinem Briefe
an die Römer (c. 1 $. 23) von den Heiden fagt: „Sie,
vertaufhten die Herrlichkeit des unvergänglihen Gottes
mit dem Gleichniffe und Bilde des vergänglichen Menſchen,
aud der Vögel und vierfüßigen und Friehenden Thiere
der wird gewiß einfehen, wie fehr jene Gelehrten irren, welde
in allen Griechiſchen Mythen chriftlihe Glaubensfäge aus—
gedrüdt finden wollen, und jene keineswegs für Atomiften
vu
Da er die Befhränttheit menſchlichen Wiffens und
die Schwierigfeit des Gegenftandes fehr gut Fennt,
fo kann ihm nicht verborgen ſeyn, daß er nur zu oft
irre gegangen ift, und den Weg aus dem dunklen Las
byrinthe zum Lichte der Wahrheit verfehlt habe.
Allein wenn dieß nur nit in Bezug auf alle Ge:
genftände der Fall ift, welche in diefem Werfuche bes
fprochen werden, fo kann er fich noch immer damit
teöften, daß Männer, denen er die Schuhriemen
nicht auflöfen kann, bisweilen ein gleiches 2008 ges
habt haben. Er glaubt, daß, wenn der Eifer,
welcher ſich in der neueften Zeit an einzelnen Orten
für die Griechiſche Mothengefchichte zeigt, jene Aus-
dehnung gewinnt, welche die Wichtigkeit und Schwie-
rigkeit des Gegenftandes erfordert, der Weg zum
Studium der Sriehifhen Mythengeſchichte bald
mehr geebnet werden, und die fonderbare Anfiht in
den Hintergrund treten dürfte, als fey in ihr allein
unter allen Zweigen der Griechiſchen Alterthums»
wiffenfchaft nichts mit Sicherheit auszumitteln, und
alle Refultate für fubjektive Meinungen zu halten,
Freilich ift die Mythengeſchichte nicht derjenige
Theil der Alterthumskunde, welcher ſich fogleich mit
halten, welche die Griechiſche Mythologie als das darftellen,
was fie war.
yııı
mathematifcher Beftimmtheit behandeln läßt; allein
wird ihr jene Sorgfalt zu Theil, die fie verdient,
und gehen diejenigen, welche fich mit ihr befaffen,
ohne Worurtheil an das Studium der Quellen, fo
muß auch fie, wenn aud) nicht fo fehnell, doch all-
maͤhlig aufhören, ein Räthfel zu feyn. Kein Bor:
urtheil dürfte aber der Griechiſchen Mythengeſchichte
mehr gefchadet haben, als die Annahme , daß fie
das Werk einer Klaffe von weifen Männern fey,
welche die tiefften philofophifchen Wahrheiten in
Bilder einkleideten, um fie dadurch der Menge an⸗
ſchaulicher oder begreiflicher zu machen.
Der zweite Theil, welcher die im erften ange:
fangenen Materien weiter fortfegen foll, wird in
Bilde nachfolgen, und dem dritten, der Grund:
(inien zur Griechiſchen Götterlehre enthält, zur
Erleichterung des Gebrauches diefes Verfuches ein
vollfiändiges Negifter beigegeben werden. Nichts
wuͤnſcht dev Verfaffer fehnlicher, als daß ihn Freunde
und Kenner des Öegenftandes über alle Srrthümer
belehren möchten. Daß es ihm um Wahrheit zu
thun fey, dürften fie ſchon aus dem Umftande ab:
nehmen, daß er gar manche Anfichten, welche er
in dem Verſuche über den Trojanifchen Krieg aus-
ſprach, mit der größten Dffenberzigfeit berichtigte,
IX
alfo Eeineswegs von dem Wahne bethört ift, mie
Hr. Prof. Dr. Lange in Berlin glaubt, er. allein
habe überall das Nechte getroffen. Der Verfaffer
hätte gerne auf die Recenfion des genannten Gelehrz
ten und eines Unbekannten in Gersdorfs Reperto⸗
rium jetzt ſchon geantwortet, wenn er die zu einer
ſolchen Arbeit noͤthige Muße hätte. Hr. Dr. Lange
hat bei der Beurtheilung des Meiſterwerkes uͤber die
Dorer von C. O. Muͤller ſchon bewieſen, welche
Anſichten ihn bei der Abfaſſung vieler hiſtoriſcher
und mythologiſcher Recenſionen leiten, und da Muͤller
dieſelben in ſeiner*) Gegenkritik ſehr genau dargelegt
und die Recenſir⸗Methode dieſes Gelehrten fo charak⸗
terifivt hat, daß ihn das Publikum, welches für
das hellenifche Alterthum fich intereffirt, vollfommen
Eennt, fo halten wir es nicht für nöthig , feine Ein-
wendungen augenblicklich zu prüfen, fondern verfpa-
ven uns dieſe Sache bis zum Erfcheinen des zweiten
Bandes. Mielleicht erweifet er auch dieſem erſten
die Ehre einer ähnlichen Kritik, jo dag wir dann
feine beiden Arbeiten mit einander beleuchten koͤnnen.
In welcher Stimmung die Recenfion in
Gersdorfs Repertorium gefchrieben ward, dürfte
*) Müllers Prolegom. ©. ı — 36.
x
für alle Renner der Alterthumswiſſenſchaft Eein
Seheimniß feyn. Der Wunſch des Werfaffers,
daß Beurtheiler feines Verſuches doch mwenigftens
die Schwierigfeit de8 Gegenftandes und den Mangel
an Vorarbeiten über denfelben berücfichtigen, und
mehr auf das Ganze, als auf die Mängel und Ge
brechen einzelner Theile Rücficht nehmen möchten,
foheint von beiden Beurtheilern wenig beachtet
worden zu ſeyn. Indeß hofft er, daß billige
und wahrhaft gelehrte Männer, deren Wiffen nicht
bloß im Kopfe fißt, fondern den ganzen Men:
fhen durchdrungen hat, ihm die Gewährung diefes
Wunfdhes, den er nahdrüclichft wiederholt, nicht
verfagen, und bei Beurtheilung diefes Verfuches,
follten fie auch von der Mythengefhichte der Gries
chen ganz andere Anfihten haben, das Streben des
Berfaffers nicht ald ein Hafchen nad) auffallenden
Refultaten erklären dürften. Die Wahrheit
war fein einziges Ziel. Daß er fie vielleicht
felten erkannt hat, liegt nicht im Mangel an gutem
Willen, fondern in der Schwäche feiner Kräfte
und im Mangel an Hülfsmitteln. Zugleich will
er fich feierlich verwahren, daß man wegen Der
einzelnen geographifhen Beſtimmungen, welche
nur dann Bedeutung haben, wenn der Ort der
xi
Entftehung des Mythos, in dem fie vorkommen,
mit voller Gemwißheit ermittelt ift, ihn nicht
der Unwiffenheit in der Griehifhen Geographie
anfchuldige.
Sollten fi Druckfehler eingefhlichen haben,
fo werden fie am Ende des zweiten Theiles an:
gezeigt werden. Auch follen mande Nachträge
dort ihre Stelle finden. Nur auf einige Ums
ftände muß bier aufmerffam gemacht werden.
Das Wort allegorifch ift fononym mit philo:
fophifch genommen worden, und fteht überall,
wo e8 gebraudt ift, der naturfpmbolifchen
Erflärungsweife entgegen. Irrig ift die Behaups
tung, daß fih in der Urzeit noch Feine AUndeu-
tungen über die Strafen der Böfen im Senfeits
finden. Schon in der Slias (II, 278) fehen
wir das Gegentheil. Allein deßhalb dürften doch
die Erklärungen über Zantalos und Siſyphos
nichts von ihrer Bedeutung und Richtigkeit ver-
lieren. Die Zahl der Argonauten (S. 339 fg.)
dürfte urfprünglih aus fünfzig Perſonen beftan-
den, und viefelbe fombolifhe Bedeutung ge
habt haben, wie die fünfzig Kinder der Selene.
Wer die Erklärung der Beichäftigung des Sifp-
phos (©. 391) fonderbar finder, der bedenke, daß
zu
man die Sonne nicht bloß für eine Kugel, fons
dern auch für einen großen Stein hielt. Die Ver:
brennung des Herakles (S. 403) Fann fi) nur auf
den fombolifhen Zod oder Untergang der Sonne
beziehen. Das Ketos (S. 448) war als Seefrebs
oder als ein ähnliches Gefhöpf Symbol der Mond:
göttin. Wie fich die Luna aus dem Meere erhebt,
und in demfelben unterzutauchen fcheint, fo ließ
man auch ihr Symbol, das Ketos, fi) aus dem
Meere erheben, wie man den Widder des Phri-
x08 von Pofeidon abftammen lief. Den Namen
Yjas (©. 450 Not.) leiten andere von den Klagenab,
welche bei dem Alntergange der Sonne angeftimmt
wurden. Die Namen der Kinder des Laomedon
(©. 455) und die Bedeutung derfelben werden nicht
befremden, wenn man fi) erinnert, daß die Ticht-
götter in vielen Sagen Kinder des Hades heißen,
und daß man durd) das Verhältnig der Kinder zu
den Eltern ihre Abhängigfeit von dem Hades aus:
drücden wollte. Minos war (S. 488) in der
alten Sage, wie und dünft, ©ebieter über Him-
mel, Erde, Meer und Unterwelt, wie es Zeus war,
ehe er die Herrfchaft mit Pofeidon und Hades theilte,
Auch Dionyfos hatte ald Sonnengott urfprünglid)
einen eben fo ausgedehnten Wirfungsfreis. Aus
zus
den Sagen über den Rinderraub, welchen Hermes
(S. 550) ausführt, möchte ſich wohl ergeben,
warum die Rinder des Gerpones von Kafus rüd:
waͤrts in feine Höhle gezogen werden. Ueber die
Bedeutung der Entführung der Helena und Ahnlıs
cher Göttinen gibt uns Euripides (Helenav. 44 ffg.)
die beften Auffihlüffe.e Aus dem Umftande, dag
dort Hermes die Helena entführt, und durd) die
Lüfte fortträgt, fehen wir nicht bloß unfere Be:
bauptung über die Bedeutung diefer fombolifchen
Ausdrucksweiſe beftätigt, fondern es ift auch) Elar,
daß, wie wir fhon in der Geſchichte des Trojanifehen
Krieges vermuthet haben, Pharis und Paris ur:
ſpruͤnglich Prädifate des Hermes und demnad) von
diefem nicht verfchieden gewefen jeyen. Wenn wir
berückfihtigen, daß Hera den Mond an ihren
Schuhſchnaͤbeln hat, fo möchten wir uns der
Bermuthung hingeben, daß die Nabel oder Erho:
hungen auf dem Schilde des Agamemnon die den
Mond umgebenden Sterne ſymboliſch bezeichnen.
Statt einer zahllofen Menge nahm die Sage
eine fombolifhe Zahl. Bei den Irren und Wan
derungen der Kichtgötter, vorzüglich des Sonnen:
gottes, iftes fehr fchwer, immer zu beftimmen, ob
der Ort, von dem fie ausgehen, auf den tägli-
xıvV
hen Aufgang, oder die verfchiedenen Stellungen,
welche die Sonne während des Jahres am Him-
mel hat oder auf den Eultus hinweiſet. Deßhalb
wird man die Erflärungen, die wir gaben, milde
beurtheilen.. Der Alkide tritt ung aud) in der
fhönen Sage von den zwei Säulen, welche er im
Merten für die Schiffer errichtet haben foll, als
der im aͤußerſten Werften in den Wogen des
Meeres untertauchende Sonnengott entgegen.
Straubing, den 26 December 1837.
Der Verfaſſer.
Iuhalts- Verzeichniß.
Einleitung.
1. Ueber den Werth der Griehifhen Sagengefhichte
2. Inhalt der Griehifhen Sagengeſchichte ’
3. Weber die Alteften Quellen der Griechifchen Sagen-
sefhichte . a 4 }
4, Ueber die Folgen ber "menfelichen Darſtellung der
Griechiſchen Götter .
5. Ueber das Verhaͤltniß der ———— an
Griechiſchen Sagengefhichte zu einander Ä
6. Ueber die Grundfäße und Anhaltspunfte bei ber
Seite
1
18
38
75
94
Mpthenerklaͤrung.. EA
Erfter Theil.
Ueber die mythifche Bedeutung der Griechiſchen Sagen-
geſchichte.
1. Ueber die goͤttliche Natur und goͤttliche Verehrung der
Herven . — A A A e a
2. Weber die Eörperliche unſterdlichteit Heroen und
ihren Aufenthalt in dem Olympos und im Elyſion.
5. Weber die göttlihe Abkunft der Heroen : —
4. Ueber die Erzieher und den Aufenthalt der Heroen in
Grotten und auf Bergen . : %
5. Ueber die Beichäftigung und Sunftfertigteiten ii
en 2 ar en
153
170
4182
192
193
xvi
6. Weber die geiſtigen Vorzüge der Heroen und Heroinen
7. Ueber die Vermaͤhlung der Heroen mit Göftinen und
nie
[7
.
ihre Verbindung mit vielen Traun .». . .
. Weber die Kinder der Herven und die Anzahl derfelben
. Ueber den Inhalt der genealogifchen Verzeichniſſe
. Ueber das Auftreten der Heroen zu verſchiedenen Zeiten
und an verfchiedenen Orten 4 2 5 4
. Weber die Wanderungen und Srrfahrten der Heroen .
. Ueber die Pallaͤſte und Schakhaufer der Herven . e
. Ueber den Aufenthalt der Herven in Tempeln . R
Weber die Kleidung und den Schmud einiger Herven
und Hervinen . 2 E : k —
. Ueber die Speere und Bogen einiger Herven .
. Weber die Schilde des Achilleus, Herafles und Aga—
memnon
Ueber die Argo und einige —7 RR
. Meder den Kaften des Eurypylos und die einiger andern
Herven . . A . :
. Ueber das Hintabfteigen * Odyſens in * Hades
. Ueber die Beſchaͤftigung der Herven in dem Hades .
, Ueber die Dienftbarfeit bes Herafled und anderer
Heron . & . s :
. Ueber die große Herrſchaft des Minos, TRIERER
und Divmedes . z n n F j 3
Ueber den großen Reichthum einiger Herven . x
. Ueber den Reichthum der Herven an Heerden . E
Ueber die Klügelroffe des Achileus und anderer Herven
. Ueber die fombolifhe Bedeutung des Raubes und der
Entführung . . „ x ° x 2
Bon der ſymboliſchen Bedeutung pie Erlegung ſchaͤd⸗
licher Thiere . —
Seite
211
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352
426
485
500
511
528
546
567
Einleitung.
1. Ueber den Werth der Griechiſchen Sagengefchichte.
ar fein Zweig der Alterthumskunde wurde von den meiften
Gelehrten von jeher fo geringfügig und gleichgiltig behandelt,
wie die Mythengefchichte der Griechen. Wahrend die übrigen
Theile des großen Ganzen fid) gegenwärtig der forgfältigften
Pflege zu erfreuen haben, ift die Zahl derjenigen, welche fich
der Mythengefchichte annehmen, ziemlid) Hein. Sa, es gibt
faft Feinen Zweig des menfchlichen Miffens, welcher fo viele
und entfchiedene Gegner hätte, wie fie. Daß dieje feindfelige
Stimmung zur Forderung einer allfeitigen Kenntniß des claf
ſiſchen Alterthums eben nicht jonderlich günftig wirken koͤnne,
fieht wohl jeder ein, der von jener Befangenheit frei ift. Die
Abneigung gegen die Sagengefchichte ift indeffen nicht neu,
Schon Muretus F klagt darüber, und weifet diejenigen auf
gebührende MWeife zurecht, welche fih dem MWahne überlaffen,
als enthielte diefelbe nur abgeſchmackte Fabeln, welche müßige
Köpfe zum Zeitvertreib erfonnen hatten.
Allerdings ware es unbillig, zu verlangen, daß ihr alle
Freunde des claffiichen Alterthums gleiche Liebe zumenden
ſollen. So wenig ein verftändiger Mann verlangt, daß alle,
welche fich mit dem Studium befchäftigen, die Mathematik
4) Muretus de prest. iitt. human. opp. I. p- 151 sqg-
Rorhalle zur Griechischen Geſchichte. 1
2
oder die Rechtswiſſenſchaft als den wichtigften Theil des gan-
zen menfchlichen Wiffens betrachten follen, fo wenig Fann
man verlangen, daß fi) alle der Erforfchung der Mythen
widmen, oder befonderes Intereſſe für diefelben an den Tag
legen follen. Jeder Menfch hat eine befondere Vorliebe für ein-
zelne Gegenftände, welche ſich aus feinen yeiftigen Anlagen, der
erften Bildung, welche er genoß, und zum Theil audy aus den
Verhaͤltniſſen erklärt, in welchen er lebt. Allein deßhalb fol
ein Menfch , welcher Feinen Beruf zur Mathematik oder einer
andern Wiſſenſchaft in ſich fühlt, diefelbe nicht verachten.
Eben fo wenig darf auch die Mythengefchichte, wenn fie auch
andern Zweigen des Wiffens noch fo weit nachftehen follte,
wenn aud) noch fo wenige Menfchen befondere Vorliebe für
fie haben, deßhalb der Verachtung und Vernachlaffigung an-
heim gegeben werden, Unbillig ware es freilich, wenn man
die Mythengeſchichte für den wichtigften Theil der Griechifchen
Gefchichte erklären, und fie zum Hauptgegenftande der Alter-
thumsforſchung erheben wollte. Allein mit einer fo unbilligen
Forderung wird Fein inniger Freund des Alterthums hervor-
treten; jeder billige Forſcher wird ſich vollkommen zufrieden
geben, wenn er fieht, daß man auch diefem Fache den ihm ge⸗
bührenden Platz einraumt, und von jener Anmaßung abgeht,
welche die Mythengefchichte aus dem Kreife der Alterthums-
Funde ausgefchloffen wiffen will.
Ein vorzüglider Grund der Verachtung der Mpthen;
geihichte liegt in der Schwierigkeit derfelben und im der
großen DVerfchiedenheit der Nefultate, zu welchen die in der
neuern Zeit angeftellten Unterfuchungen geführt haben. Man
glaubt deßhalb, daß, wenn auch alle übrigen Gegenftände
3
einer befriedigenden Behandlung entgegenfehen ließen, diefe bei
der Mythengefchichte nie zu erwarten ſey, fo daß man die
Thorheit derjenigen nicht genug beklagen koͤnne, welche ihr
die fhönfte Zeit des Lebens und alle Kräfte widmeten. Go
wenig in andern Dingen alle Gelehrten in ihren Anſichten
und in den Refultaten ihrer Forſchungen übereinftimmen, eben
fo wenig laßt fi) in Bezug auf die Mythologie und Mythen—
gefhichte fogleich eine allgemeine DVerftandigung erwarten.
Daß fie zu den fchwierigften Gegenjtänden gehören, unter
liegt feinem Zweifel. Je ſchwieriger aber ein Zweig des
menfchlichen Wiffens ift, defto langſamer wird die Aufklärung
desfelben von Statten gehen, zumal wenn man ihm eben
feine fonderliche Mühe zumendet, wie dieß bei der Mythen—
geſchichte der Fall ift. Daß fie aber wegen diefer Schwierig-
feit nicht zu den unauflöslichen Raͤthſeln gehöre, beweifen die
Fortfchritte, welche in der neuern Zeit auch auf diefem Gebiete
durch den Eifer und die Einfiht Hochherziger und ums
befangener Gelehrten gemacht worden find, ‚welche
verhaͤltnißmaͤßig eben fo groß find, als jene, welche in andern
Theilen der Alterthumskunde fi) zeigen. Mer nur einen
flüchtigen Blick auf den Zuftand wirft, in welchem ſich die
Kenntniß der Griehifchen Mythologie und Mythengeſchichte
vor hundert Fahren befand, umd die Nefultate damit vers
gleicht, welcye wir den neueften Forfchern verdanken, der wird
ſich leicht überzeugen, daß große Fortichritte geſchehen find,
und eine endliche, befriedigende Loͤſung, follte diefelbe auch
noch fo ſpaͤt erfolgen, durchaus nicht in Abrede geftellt wers
den Fonne, So verſchieden auch die Anfichten waren, welche
die Mythologen bisher bei ihren Unterfuchungen leiteten, fo
# *
4
groß ift ihre Uebereinſtimmung in vielen fehwierigen Punkten,
und über viele wichtige Dinge hat man ſich bereits verftän-
digt. Ze weiter nun die Kenntniß aller Verhältniffe des
Alterthums gefoͤrdert wird, defto leichter iſt es, auch in dieſem
Zweige eine größere Einheit der Anftchten zu erzielen, und
alle Vorurtheile zu entfernen, Sobald man aber die My—
thengefchichte nicht mehr von fo verſchiedenen Gefichtspunf,
ten aus betrachtet, fondern, von einer richtigen. Anficht ger
leitet, fich ohne Vorurteile an ihre Loͤſung wagt, wird
man fie auf eine gewiß mehr befriedigende Weiſe zu behan⸗
deln im Stande ſeyn, und eine fo große Mebereinftimmung,
der verfchiedenften. Forſcher in ihren’ Refultaten wahrneh⸗
men, als dieſe in irgend einem andern ſchwierigen Theile
des menſchlichen Wiſſens moͤglich iſt. Je tiefere Einſichten
man in bie Bedeutung der Griechifchen Mythengeſchichte
gewinnt, defto mehr wird man fic) freuen, daß ein fo wich-
tiger Theil der Eulturgefchichte, welchen man fo lange ver-
achtete, und faft als ein unauflösbares Nathfel ganz aufge
ben wollte, nicht unbebaut geblieben tft. Daß eine allge-
mein befriedigende Loͤſung der Mythengeſchichte zu erwar-
ten ſey, fobald ihr die gehörige Aufmerkfamfeit gewidmet
wird, davon find ‚wir vollfommen überzeugt, wenn aud)
noch fo viele Decennien dahinfchwinden follten, bis dieß
gefchieht, e8 müßte denn die Alterthumskunde überhaupt
durch ungünftige VBerhaltniffe ganz in den Hintergrund ge-
drängt werden, —3
Daß die Mythengeſchichte eine eben fo ſorgfaͤltige
pflege verdiene, als irgend ein. anderer, Theil der. Alters
tbumsfunde, haben unbefangene Gelehrte ſchon längft aus⸗
5
gefprochen. Heffter bemerkt *) von der Sage, welche ers
zahle, wie die Inſel Rhodos das heilige Eiland des He
lios geworden ift, ganz richtig: „Kaum man etwas Schoͤ—
neres finden, als diefen Mythus, etwas Erhabeneres und
ber alfer Erhabenheit etwas Sinnigeres, Zarteres, Liebliche-
res? Selbſt wer noch Feine oder nur eine oberflächliche
Kenntniß von den herrlichen mythiſchen Dichtungen der
Griechen hat, wird ſich gewiß, liest er diefe alterthuͤmliche
Sagı, bingezogen fühlen zu den Volke, das ſolche anmu—
thige Schöpfungen hervorbringen Konnte.” Durch nichts
aber erprobt fich °) die tiefe Bedeutung, die innere Natür-
lichkeit und Wahrheit der altgriechiſchen Sagen mehr, als
dadurch, daß aus ihnen die gebilderften Dichter fo vieles
Großartige in fo ungezwungener und harmonifcher Begeg-
nung. und Verknüpfung zu den zufammengefesteften und
erhabenften Werfen ſchoͤpfen Fonnten, und die bildenden
Künftler, welche den Zauber verfelben auf den Falten Mar-
mor übertrusen, Werke im das Daſeyn riefen, welche noch
alle gebildeten Voͤlker mit Entzücden erfüllt haben. Die
Zanbergarten der Griechiſchen Sagengeſchichte, welche mit
den ſchoͤnſten und herrlichſten Blumen der Dichtung auf
das reichlichſte geziert ſind, gewaͤhren dem menſchlichen
Geiſte, welcher fuͤr Schoͤnheit empfaͤnglich iſt, ein reines
und angenehmes Vergnuͤgen, welches um ſo hoͤher ſteigt,
je mehr man ihre Bedeutung kennen lernt, und dadurch in
den Stand geſetzt ift, die Schönheit der Einkleidung nach
ihrer ganzen Bedeutung zu erfaffen.
2) Heffter, Rhodiſche Goͤtterdienſte, 5. S. 2.
3) Welcker, Aeſchyleiſche Trilogie, S. 88 69.
6
Die Fahreszeiten wechfeln regelmäßig mit einander
ab, täglich ftellt fich das große Schaufpiel von Entftehen
und Vergehen vor unfere Augen. Völker und Staaten
blühen und verfallen, Krieg und Friede folgen auf einander;
aber die Ideen, weldye ein Volk hatte, und die Bilder, in
welche es diefelben gekleidet hat, kehren nicht mehr zurüd.
Wie die Gedanken und Ideen eines Volkes feine Lichtpunfte
find, fo ift aud) die Art und Weiſe der Darftellung als eigen—
thuͤmliches Gepraͤge verfchiedener Völker und Zeiten höchft
wichtig, und es ift gewiß für den menfchlichen Geiſt fehr ins
tereffant, die Anfichten der verfchiedenen Völker in ihren ver-
ſchiedenen Bildungsperioden und die Form, in welcher fie dies
felben ausgedrüct haben, naher Fennen zu lernen. Das alte
Sprichwort, es gefchehe nichts Neues unter der Sonne, fon:
dern es wiederhole fi) nur das Alte in veränderter Geftalt,
tft nur in fo ferne richtig, als es von den äußern Erfcheinuns
gen verftanden wird. Aber die Falten und Krafte des menfch-
lichen Geiftes find unerfchöpflid; wie ein Proteus, vermag
er ſich plöglich in alle Geftalten zu verwandeln, und alle dies
jenigen zu täufchen, welche ihn ohne Mühe zu erfaffen waͤh—
nen. Menn auc alle Volker in der Kindheit ihres Lebens
ihre Anfchauungen und Gefühle in Bildern ausdrücen, und
in diefer Beziehung mit einander übereinftiimmen, fo ift doch
die Verfchiedenheit der Einkleidung ungemein groß, und wer
fi) von der Wahrheit diefer Behauptung überzeugen will, der
darf nur die Indiſche, Aegyptiſche und Nordiiche Mythologie
mit der Griechifchen vergleichen. Man hat in neuefter Zeit
auf die Aehnlichkeit der Griechifchen, Zndifchen und Germa-
niſchen Sprache aufmerkfam gemacht, und wir find weit ent:
7
fernt, die Uebereinftimmung, welche ſich in vielen Dingen
offenbart, in Abrede ftellen zu wollen. Nur darf man auf
der andern Seite nicht verfennen, daß die Verfchiedenheit der
drei genannten Sprachen in vielen wefentlichen Punkten nicht
Kleiner ift. So fehr alfo auch die einzelnen Völker als finn-
lich vernünftige Gefchöpfe mit einander übereinftimmen, fo
auffallend unterfcheiden fie fich wieder von einander, und müf-
fen ſich bei den taujendfältigen Kräften, welche im menfch-
lichen Geifte liegen, bei der Verfchiedenheit der climatifchen,
politifchen und bürgerlichen Verhältniffe von einander unter-
fcheiden.
Es gibt aber gewiß wenige Gegenjtande, welche fo er;
haben und des Menſchen in einem jo hohen Grade würdig
find, wie die Betrachtung der verfchiedenen Aeußerungen des
menfchlichen Geiftes bei den verjchiedenften Voͤlkern in den
verfchiedenen Perioden ihres Lebens, und wenn die Gefchichte
überhaupt zur Veredlung und Erhebung des Menfchen unge:
mein viel beiträgt, fo muß dieß befonders bei der Entwick—
lungsgefchichte des menſchlichen Geiftes der Fall feyn. Wenn
man die Natur mit allen ihren Erfcheinungen mit Recht ein
großes Wunder nennt, fo ift doch der Geift, dieſes Ebenbild
der Gottheit, ein noch ungleich größeres. Wenn wir über
die Kunſtmaͤßigkeit unferes Körpers mit Recht ftaunen, follen
wir die Erhabenheit unferes Geiftes, der fo viele und fo mans
nigfaltige Kräfte im ſich fchließt, nicht noch ungleicy mehr be-
wundern? Es ift eine fonderbare Erſcheinung, daß die Mens
ſchen nicht felten Dinge, welche ihnen ziemlich ferne liegen,
mit der größten Aufmerkſamkeit und Anftrengungen aller Urt
verfolgen, während fie andere, melche ihnen fo nahe liegen,
8
welche für fie ungemein wichtig und anziehend find, häufig
mit ©leichgiltigkeit, nicht felten mit Verachtung von fich weis
fen. Selbftfeuntniß hat der größte Weiſe des Griechifchen
Alterthums als die Urgquelle aller wahren Wiffenfchaft erklärt.
Die Befchaftigung mit der Geſchichte der Entwicklung des
menfchlichen Geiftes muß uns aber nothwendig viele Rathiel
des gewöhnlichen Lebens loͤſen, und uns zu einer richtigen
Selbftkenntniß wefentlich verhelfen. Wie weit Fennen wir
das Mefen des menfchlichen Geiftes? So gerne wir auch
die vielfachen Verdienfte, welche fich die Philofophen der alten
und neuen Zeit in diefer Hinficht erworben haben, anerkennen,
fo laßt fi doch nicht in Abrede ftellen, daß noch ungleich
mehr zu thun ift, als bisher gefchah, und daß die Pſychologie nur
auf hiſtoriſchem Boden eine fichere Grundlage gewinnen koͤnne.
Eine unbefangene und mit Umficht unternommene Behandlung
der Mythologien einzelner Völker dürfte für Pfychologie eine
ſehr große Ausbeute gewähren.
Wenn die Mythengefchichte fchon in Bezug auf die Ent:
wiclungsgefchichte des menfchlichen Geiftes ungemein wichtig,
und für jeden Gebildeten fehr anziehend ift, fo erhalt fie durch
die vielen Auffchlüffe, welche fie uns zu einem richtigen Ver:
ftandniffe der Leiftungen der alten Griechen in Kunft und
Wiffenfchaft gibt, eine noch höhere Bedeutung. Die Mytho:
Iogie ift die Quelle faft aller jener großartigen Schöpfungen,
welche die fpatere Zeit hervorgebracht hat, und Fann mit vol-
lem Rechte ein höchft großartiges und erhabenes Gedicht ge⸗
nannt werden. Mer die Kunſtwerke der fpatern Zeit ganz . |
verftehen will, darf mit der Mythengefchichte nicht unbekannt
jeyn. Wenn die Behauptung wahr ift, woran niemand zwei-
9
felt, daß die Gefchichte der neuern Zeit ohne nähere Kenntniß
jener des Alterthums nicht vollftandig aufgefaßt werden Tonne,
fo muß man auch zugeben, daß nur derjenige die Gefchichte
der Griechen zur Zeit ihrer hoͤchſten Blüthe richtig zu beur>
theilen im Stande ift, welcher fich mit ihren Anfängen innig
vertraut gemacht hat. So nothwendig es ift, die Jugend—
geſchichte jener Männer genau zu kennen, welche die Welt
durch ihre Thaten und die Erhabenheit ihres Charakters mit
Bewunderung erfüllten, eben fo wichtig und nothwendig ift
es für denjenigen, welcher fich die Thaten und Keiftungen der
Griechen in der fpatern Zeit erflären will, die Gefchichte und
befonders das geiftige Leben diefes Volkes bis zu jener Zeit
zu verfolgen, wo es in die Gefchichte eintritt. Wenn ſchon
in den Umbildungen und Veranderungen '), welche die Grie—
chiſchen Mythen in verfchiedenen Zeiten erfuhren, ungemein
viel Stoff für die Gefchichte der religiöfen und geiftigen Bil:
dung der Griechen liegt, fo muß in der allmahligen Entftehung
und Ausbildung derfelben und in der Erklärung und Darlegung
ihres Inhaltes noch ungleich mehr liegen.
Thoͤricht ware es alfo, zu glauben, jene bildliche Ausdrucks;
weife, welche ung in der Griechischen Sage in einer fo ſchoͤnen
Form entgegenleuchtet, fey für die gegenwärtige Zeit, welche
in allen Wiffenfchaften fo Großes und Ungewöhnliches gelei—
ftet, Feiner weitern Beachtung werth. Wenn eine genaue
und alljeitige Kenntniß der Griechiſchen Spradye das eine
große Hauptmittel ift, in den Geift der alten Dichter einzu-
dringen, und die Schönheit und Erhabenheit derfelben zu er—
4) Müller, Prolegomena S. 225,
10
faffen, fo ift die Alterthumskunde das andere, und eben fo
nothmwendig, wie das erftere. Ein großer, zum Verſtaͤndniß
aller Leiftungen in Kunft und Poeſie erforderlicher Theil der-
felben ift die Mythologie und die fie erganzende Mythen—
geichichte. Wahrend uns die Kenntniß der Sprache in den
Stand fett, die Wörter zu entziffern, eröffnet und die Kennts
niß der Alterthümer und der Mythologie die wahre Bedeu
tung aller Gedanken und Ideen, und verfchafft uns erft die
Möglichkeit eines wahren und vollftandigen Genuffes. Nur
derjenige, welcher mit allen Perioden der Entwiclungs-
gefchichte der Griechen ganz vertraut ift, und mit allen ihren
Verhaͤltniſſen ſich fo bekannt gemacht hat, wie wenn er un:
ter ihnen gelebt hatte, wird jedes Mort, welches fie fprechen,
jeden Gedanken, weldyen fie ausdrüden, ganz verftehen, und
in ihren Werfen jene Erhebung des Geiftes und Erquickung
des Gemüthes finden, welche fie in fo reichlihem Maße ge:
währen, wenn fie auf die gehörige Meife gelefen werden.
Wenn man nun auf die Grammatik fo große Sorgfalt
verwendet, um in den Wortfinn der Alten einzudringen, foll
dann die Alterthumskunde nicht eine gleich forgfältige Beach-
tung verdienen? So verfcpieden und miderfprechend auch
die Unfichten find, welche über die einzelnen Theile der Sprady-
lehre aufgeftellt wurden, fo Fonnte dadurd) der Eifer, fie nad)
allen Beziehungen zu beleuchten, doch nicht im geringften
geſchwaͤcht werden. Wir wollen hier nur an die verſchiedenen
Behauptungen erinnern, welche in Bezug auf die Griechifchen
Partikeln geltend gemacht wurden, und noch immer ausge
fprohen werden. Welch” eine Verfehrtheit wäre es, der
Lehre von, diefen fcheinbar geringen Sprachtheilchen deßhalb,
11
weil die verjchiedenen Verjuche, welche biöher zu ihrer Erklaͤ⸗
rung. angeftellt wurden, noch Feine alljeitige Befriedigung
gewähren, Feine. weitere Pflege zuwenden zu wollen! Wie
viele Decennien. werden noch vergehen, bis man eine voll»
fommene Uebereinftimmung der einzelnen Gelehrten über
die Bedeutung derfelben erwarten darf! Kein Gegenftand
des menfchlichen Wiffens wurde augenblicklich zu dem ge-
wünfchten Ziele geführt, fondern alle Zweige der Gelehr⸗
famfeit wurden allmählig und nur durch die größte Auf-
merkfamfeit und jorgfältigfte Pflege, welche man auf ſie
verwendete, weiter gefordert, und ruͤckten langſam, nicht mit
Riefenfchritten, vorwärts. Je ſchwieriger einer derfelben
war, und je weniger Pflege man ihm angedeihen ließ, defto
langjamer konnte dieje Foͤrderung vor fich gehen; daß
nicht bloß die Lehre von den Griechifchen Partikeln, fon-
dern auch die gefammte Mythengefchichte höchit ſchwierig
ſey, und nur zu lange vernachläffige wurde, muß jeder
Unbefangene zugeſtehen. Wird. der Eifer, welcher für Be:
handlung aller Theile der Grammatik ſich überall offen-
bart, noch einige Zeit genahrt und erhöht, jo dürfen wir
nicht zweifeln, dag alle die vielen widerfprechenden Ans
fihten, welche bisher über die fchwierigeren Punkte zum
Borfchein Famen, ausgeglichen werden. Dasfelbe günftige
Kefultat dürfen wir mit voller Zuverficht nicht bloß von
andern, noch in Dunkel gehüllten Gegenftanden der Alter-
tbumsfunde im weitern Sinne, fondern aud) von der My:
thologie und Mythengeſchichte mit voller Zuverficht erwar-
ten. Die Verfchiedenheit der Anfichten in Bezug auf Zn
balt und Behandlung der Sagen wird, wenn man nur
12
alle Vorurtheile ablegt, und ihre Erklärung nicht mehr im
den Hintergrund drangt, allmählig immer mehr verſchwin—
den, und dadurch eine der vorzüglichften Urfachen jener Ges
ringſchaͤtzung und Verachtung, welche fie bisher erfahren
hat, befeitigt werden. Es wird der Wahn aufhören, ale ob
ſich die Mothengefchichte durchaus nie auf eine befriedigende
Weiſe erklären laffe, und iſt diefer einmal entfernt, und
ihre hohe Bedeutung allgemein anerfannt, fo dürften wohl
ihre erklärteften Gegner in ihre innigſten ——— umge⸗
ſchaffen werden.
Man würde nie an einer befriedigenden Loͤſung ver-
zweifelt haben, hätte man bedacht, daß alle Offenbarungen
des menfchlichen Geiftes, feyen diefelden wegen der Form,
in welche fie gehülle find, auch noch fo dunkel für une,
vom Geifte erfaßt werden Fonnen, und daß man, waͤren
dieſelben nicht zu entziffern, überhaupt an der Erforſchung al:
ler Wahrheit verzweifeln müßte, Nichts fchadet einer Wiſ—
fenfchaft mehr, als die Vorurtheile, welche man gegen fie
bat, und wer an der Nichtigfeit diefer Behauptung zwei—
feln wollte, dürfte nur einige Jahre die Quellen der Grie-
chiſchen Sagen ftudiren, und dann die harten Urtheile pruͤ⸗
fen, welche über diefelben ausgefprochen wurben.
Man widmet gegenwärtig der Mythengefchichte der In—
dier große Aufmerkfamfert, und erwartet von dem Anbau und
der Pflege derfelben nicht bloß für die Eulturgefchichte der
alten Hindus, jondern aud) für die nähere Kenntniß ihrer
politiſchen Verhältniffe wichtige Refultate. Sogar die Mexi—
caniſche Sagengeſchichte und Mythologie hat in der neueften
Zeit eifrige Verehrer gefunden, und wenn man die Bemühungen,
13
welche einige Gelehrte auf Indiſche und Mericanifhe Alter-
thümer und auf die Mythologie diefer Völker verwenden,
dankbar anerkennt, fo darf man doc) diejenigen, welche ſich
mit,der Griechifchen befaſſen, nicht für befchäftigte Müßig-
ganger erklären. Daß die Griechische Mythologie der Indiſchen
an Schönheit der Form und aud) an Tiefe der Bedeutung vieler
Sagen nicht nachftehe, wird wohl niemand in Zweifel ziehen,
und wir Fonnen uns deßhalb die größere Theilnahme, welche
manfür die Indiſche zeigt, nur daraus erklären, daß fie uns viel
ferner liegt, als die Griechifche, und die Menfchen einmal
gewohnt find, alles, was fie nur aus weiter Ferne erblicen,
was ihnen neu ift, anzuftaunen, während fie das Naheliegende,
wenn es übrigens auch noch jo wichtig ift, mit Öleichgiltigfeit
betrachten.
Die Naturforfcher find im diefer Hinficht viel unbefan:
gener, als die Philologen. Kein Theil ſcheint ihnen in der
großen Kette ihrer Wiffenfchaften gering, gegen Feinen zeigen
fie Vorurtheile oder Verachtung. Die Kenntnis der Ge—
wachje und Thiere des Außerften Nordens wird von ihnen
eben jo unermüdet gefordert, wie die der Gewachfe und Thiere
der Tropenländer. Selbſt die Käfer und Schmetterlinge
haben ihre Freunde gefunden, Wer die Kortichritte, weldye
die Naturwiffenichaften in der neuern Zeit gemacht haben,
nur flüchtig beachtet hat, und die Schwierigkeiten, womit die
Erforfhung einzelner Iheile verbunden ift, einigermaßen
fennt, wird uns gerne zugeben, daß die glänzenden Reful-
tate, deren ſich die Naturforfcher rühmen, einzig als Folge
des unermüdeten Fleißes, den fie auf alle, felbit auf
die ſcheinbar unbedeutendften Dinge verwendeten, und der
14
großen Unbefangenheit, womit fie diefelben betrach⸗
teten, angefehen werden müffen.
Sobald diefer Eifer, welchen die Naturforfcher allen
ihren Disciplinen zuwenden, und die Unbefangenheit, mit
welcher fie diefelben ftudiren, fich auch auf die Alterthums—
funde ausdehnt, und die Mythengeſchichte nicht mehr ale
ein geringfügiger Theil derfelben oder als ein ewiges Raͤthſel
angefehen wird, werben die Fortfchritte, welche durch bie
geiftige Tüchtigfeit einiger Gelehrten bisher gemacht wurden,
ſchnell weiter gefördert werden, und man wird fich immer
beffer von ihrer Wichtigfeit überzeugen.
Nur hüte man ſich vor ‚dem Mahne, als ſey fie mit
der Gefhichte der fpatern Zeit auf gleiche Stufe
zu ftellen, als feyen die Ereigniffe und Vorfälle, welche fie
erzählt, theils für willkuͤrliche Erfindungen einzelner Dichter,
theils ohne alle weitere Prüfung für gefchichtliche That—
fachen zu erflären. Die Mythengeſchichte ift von der
eigentlichen Gefchichte weſentlich verfchieden, und mit der
Mythologie auf gleiche Stufe zu ſtellen. Mancher große
Gelehrte wurde durch die irrige Behauptung, als wäre die
Mothengefhichte von der wirklichen Geſchichte nicht ver-
Ihieden, und die ewigen MWiderfprüche, welche diefelbe ver;
anlaßte, gegen fie eingenommen. Schloffer fagt’) in feinem
Meifterwerfe: „Scheint doch unfere Zeit fi) die Aufgabe
5) Univerfal hiftorifche Weberfiht der alten Melt, I, ©. 289
sq. Wir werden ung über den eigentlichen Inhalt der My:
tbengefhihte in einem andern Capitel ausführlih er:
Flären. R
15
geftellt zu haben, Dinge, welche dem Beginne der eigent
lichen Geſchichte vorausgegangen und uͤber welche Feine
einzige zufammenhangende Nachricht auf uns gekommen iſt,
zum Hauptgegenftande der Gefchichte zu machen, und Luͤcken,
welche die alten Hiftoriker nicht wahrgenommen oder nicht
beobachtet haben, durch Anftrengung der Einbildungsfraft
auszufüllen. Leicht koͤnnte der Fältere Mann, welcher Zeit
rechnung, Zufammenhang und Kritik fordert, wo er Ge—
ſchichte erzählen foll, in Verfuchung kommen, alle Syſteme,
welche man neulich über die Urzeit des Griechifhen Vol
fes, über die Wanderungen der Stämme und des Eultus er»
ihaffen hat, zu verlachen, und jenfeit der Homerifchen
Zeit nur undurchdringliches Dunfel zu erblicken.“
Die Mythengefchichte kann und darf allerdings nie zum
Hauptgegenftande der Gefchichte gemacht werden, fondern
fie bildet, wie die Mythologie, ein eigenes für fich be-
ftehendes Ganze. Von einer Zeitrechnung kann hier durch-
aus Feine Rede ſeyn, und ſo wichtig und nothwendig die
Chronologie bei der wirklichen Geſchichte iſt, ſo wenig kann
ſie bei der Mythengeſchichte, welche ſich, Voͤlkerzuͤge und
einzelne wenige Ereigniſſe abgerechnet, nicht mit geſchicht—
lichen Vorfaͤllen befaßt, von Bedeutung ſeyn. Jener Zu—
ſammenhang, von welchem Schloſſer ſpricht, laͤßt ſich nur
in der politiſchen Geſchichte der ſpaͤtern Zeit verfolgen; die
einzelnen Theile der Mythengeſchichte haben allerdings auch
einen Zuſammenhang, aber dieſer iſt ein ganz anderer und
nicht von örtlichen Verhaͤltniſſen bedingt, wie bei der wirk—⸗
lichen Geſchichte; diefer innere Zufammenhang ift aber viel:
leicht größer, als jener, welcher fich bei der bisherigen Bes
16
handlung der politifchen Geſchichte Griechenlands herausge-
fellt Hat. Don zufammenhängenden Nachrichten über politi-
ſche Ereigniffe kann in der Mythengefchichte felten die Rede ſeyn.
Diejenigen, welche die Ueberlieferungen, die fich aus der
Urzeit erhalten haben, für gefchichtliche Wahrheit nehmen,
verwickeln ſich freilich in eine Menge von Widerfprüchen und
Rathfeln, welche einen ruhigen und befonnenen Geſchicht⸗
forfcher mit Staunen erfüllen müffen. Nimmt man aber
die Mythengeſchichte als das, was fie wirklich ift, fo wird
man wohl nicht behaupten, daß Feine einzige zufammenhans
gende Nachricht auf uns gekommen ſey. Allerdings find
viele Sagen in der Öeftalt, in welcher fie auf uns gefommen
find, abgeriffen und lücenhaft. Diefer Webelftand hat in
dem Verlufte der alten epifchen Gefange, welche den beiden
Homerifchen Gedichten theils vorausgingen, theild auf die»
felben folgten, feinen Grund; allein wir beſitzen doch noch
immer eine fo große Anzahl von Nachrichten, daß wir durch
eine ruhige Würdigung derjelben die Bedeutung der einzelnen
Sagen mit ziemlicher Beftimmtheit erklären koͤnnen. Die
Wanderungen der einzelnen Griechiſchen Volksſtaͤmme kennen
wir ziemlich genau, und aud) über die, Verbreitung des
Eultus mancher Öottheiten haben wir viele höchft befriedi-
gende Auffchlüffe. Von einem hiftorifchen Syſtem über die
Urzeit des Griechifchen Volfes kann gar Feine Rede feyn, und
es ware thoricht, wenn ſich ein Altertfumsforfcher dem Wahne
hingeben wollte, die Luͤcken, welche zwifchen der Urzeit des
Griechiſchen Volkes und der Wanderung: der Dorer liegen,
ausfüllen zu koͤnnen, Luͤcken, welche von Thukydides und
manchen andern Geſchichtſchreibern des Alterthums fehr gut
N ;
wahrgenommen wurden. Aber für die Culturgeſchichte Grie-
chenlands laſſen fich von einer ernfthaften und vorurtheilsfreien
Behandlung der Mythengefchichte die erfreulichften Refultate
erwarten, und diejelben haben ficherlich größern Werth, als
Angaben über Schlachten, über Eroberungen und Verwuͤ—
fiungen blühender Provinzen. Wir haben fo viele Nachrichten
über die bürgerlichen Einrichtungen und das geiftige Leben,
daß wir uns, wenn aud) Fein vollftändiges, doc) ziemlich
. deutliches Bild nicht bloß von dem Zeitalter der Achaer, fon-
dern auch) von der Urzeit entwerfen koͤnnen. Man will zwar
das Meifte‘), was wir über die religiofen Verhaltniffe der-
felben wiffen, zum großen Theil als nachhomeriſch darftellen,
aber fiher ohne Grund. Wieles gehört allerdings einer ſpaͤtern
Zeit an; allein deßhalb haben wir Feine Urfache, alle Ge;
brauche und Feſte, welche Homeros nicht erwahnt, für ſpaͤ—
tern Urfprunges zu halten. Die Nachrichten über den Zuſam—
menhang und die Wanderungen der einzelnen Stamme und
Zweige find ebenfalls nicht fo dürftig, als man gewöhnlich
zu glauben fcheint. Nur auf biftorifche Verfonen und eine
große Reihe von geſchichtlichen TIhatfachen, welche in einer
bieratifchen Zeit nicht haufig find, müffen wir verzichten, und
jelbft Helden, wie Achilleus und Agamemnon, der Götterlehre
anheim geben, obſchon fie in den Homerifchen Gefangen durch-
aus als Menfchen erfcheinen. Allein nicht bloß fie, fondern
auch alle Götter handeln ziemlich menfchlich.
6) Muller, VProlgeomena, ©. 260.
Vorhalle zur Griechiſchen Geichichte. 2
18
2, Inhalt der Griechifchen Sagengefchichte.
Noc immer herrfcht die Meinung, die Mythengefchichte
der Griechen Fonne durch eine forgfaltige Benügung der Quels
len und durch Fritifche Ausſcheidung des Schmuckes, welchen
ihr die Dichtung lieb, eine wiffenfchaftliche Seftalt gewinnen,
Pur wenige Gelehrte, welche, wie Buttmann und Welcker,
einen großen Theil ihres Lebens auf die Erforfchung dieſes
ichwierigen Theiles der alten Gefchichte verwendeten, find
zu der Weberzeugung gelangt, daß nicht bloß die Form,
fondern auch der Inhalt derfelben poetifcher Natur ift, und
daß eben hierin der wefentliche Unterfchied zwiſchen denjeni-
gen Sagen, welche der Urzeit angehören, umd jenen, welche
nad) dem Trojanifchen Krieg entftanden, gefucht werden müffe.
Es ift leicht, jagt Buttmann?), die Gedanfenlofigfeit derer
zu verachten, welche die ganze Mythologie ald ein Gewebe
willfürlicher Erdichtungen anfehen ; — eben fo leicht ift es,
den entgegengefeßten Irrthum derer zu firafen, welche die
mythologiſchen Erzählungen auf lauter Gefchichte zu
ruͤckſetzen. Der Griechiſchen Mythologie liegt nach Welder?)
eine in fich zufammenhangende Kette von Anfchauungen und
Speculationen über die Natur zu Grunde, die in einer
alterthümlichen , priefterliden Ausdrucksweife aufbewahrt
wurden, aber in dem Ganzen der Mythologie jekt fehr zer-
freut und zerftücelt liegen. Dieſes Spftem ift befonderg
nod in den Namen erhalten, welche im Homeros fchon als
1) Buttmann, Mytholog. I, 247. sq-
2) Anhana zu Schwend’3 Andeut. ©. 258,
19
Reſte einer frühern Zeit erfcheinen. Aus einfachen Natur;
bildern ging die Dichtung in Sagen und Maͤhrchen aus,
welche bei jeder Umbildung und Erweiterung mehr von ihrer
wahren Bedeutung einbüßten, und oft faum ein Andenken
davon retteten, befonders dann’), wenn durch Veraͤnde—
rungen im Gultus, deren es bei den vielen Volksftammen
und vielen Wanderungen unzählige gab, entgötterte Weſen
der Stammfage zufielen, und nun als perjünliche, hiftorijche
Weſen angefehen wurden. Allein nicht bloß diefe Götter,
weldye in die Reihen der fterblichen Menfchen herabgedruͤckt
worden waren, und ihre Gemahlinen, wenn diefelben ein
gleiches Schickſal hatten, wurden als gefchichtliche Perfonen
betrachtet, fondern man erklärte auch die ſymboliſchen Ihaten,
welche fie volldringen, für Biftorifche Ereigniffe, und nahm
eine Menge von Voͤlkerſchaften, welche anfänglich „ wie die
Satyren oder Kyklopen, nur ein poetifhes Dafeyn hatten, in
die Reihe derjenigen Völferfchaften auf, welche in der Urzeit
gelebt haben follen.
Durd) die buchftäbliche Auffaffung der Wanderungen des
Kefrops, des Danaos, des Kadmos und des Pelops, welche
doc) im jener Zeit, der fie ihre Entſtehung verdankten, eine
fombolifche Bedeutung hatten, wie die Srren der Jo oder Die
Wanderungen des Apollon , wurde Hellas mit einer Menge
von morgenlandiichen Coloniften uͤberſchwemmt, und nad
Theben Phoͤnicier, nad) Argos Aegyptier und Lydier, nach
Athen Aegyptier verjeßt, von denen aber fo wenig ein Colo—
3) Welder, Aeſchyl. Trilog. S. 132.
2
20
nift nach Griechenland Fam, als fich iernale, Phoͤnicier in
Theben nicderließen.
So wenig nad) den Unterfuchungen der neuern Forfcher
mehr bezweifelt werden kann, daß die Griechifchen Götter
Yradifaten der Sonne, des Mondes, des Morgen» und
Abenditernes, des Waſſers und anderer Gegenftande, welde
göttliche Verehrung genoffen, ihre Entftehung und ihr Da-
jeyn zu verdanken haben, eben fo wenig kann man bezwei-
feln, daß viele Heroen, welche uns Homeros vorführt, ehe—
dem Götter waren, durch die vielen Wanderungen der eins
zelnen Stamme aber und verfchtedene andere Umftande, welche
bald näher berührt werden follen, in die Reihe der Heroen
herabgedrücht wurden. Wenn aber diefe Heroen niemals als
gefchichtliche Perfonen angefehen werden dürfen, fo Fünnen
auch die Thaten, welche an ihre Namen geknuͤpft find, nicht
unbedingt für gefchichtliche Ereigniffe erklaͤrt werden.
Die große Anzahl von Göttern, welche auf diefe Weife
entfteht, darf nicht befremden, wenn man bedenft, daß die-
jelben ſaͤmmtlich aus Pradifaten hervorgingen, daß aber
Sonne und Mond bei der großen Wirkfamfeit, welche das
frühefte Alterthum diefen beiden großen Lichtkoͤrpern beilegte,
eine Menge von Namen haben mußten. Wir erinnern nur,
dag Ddin bei den alten Germanen zwölf Hauptnamen führte),
und außer diefen noch hundert und vierzehn andere Namen
hatte, In einem Arabifchen Hymnus wird Allah mit neun
und neunzig Eigenfchaften gepriefen. Won den vielen Pradi-
Taten, welche die Götter in den Orphiſchen Hymnen haben,
4) Welder bei Schwend, ©. 346.
21
brauchen wir hier nicht weiter zu fprechen, da diefelben hin⸗
länglich befannt find. MWenn nun Some und Mond bei
allen Stammen, welche Hellas bewohnten, verehrt, und
bet dem einen mit dieſem, bet andern mit jenem Namen
begrüßt wurden, follen wir ung wundern, daß fpäter, mo
man fich unter jedem Namen ein befonderes Weſen vor;
ftellte, eine Menge von Göttern entftehen mußte? Durch
die vielen Wanderungen, welche nach einer Menge von Sagen
und nad) dem Zeugniffe des größten Gefshichtfchreibers °)
Griechenlands Zuftand in der Urzeit vielfach veranderten,
wurde eine große Anzahl von diefen aus Pradifaten entftan-
enen Göttern im Eultus auf eine niedrige Stufe herabgedrüdt.
Seder Stamm hatte feine eigenen Götter, welche freilich ur—
fprünglicy auch Pradifaten ihre Entftehung verdanften. °)
Diefe hatten für ihn eine ungleich höhere Bedeutung, als die
desjenigen Volfes, in deſſen Gebiete er fich niederließ.
Wenn der Cultus der Götter des befiegten Volkes auch nicht
ganzlidy aufhorte, was bei der Frömmigkeit der verfchies
denen Zweige der Hellenen nicht wohl möglich war, fo Fonnte
derfelbe doch unmöglich in feinem alten Glanze fortbeftehen.
Es iſt bekannt, daß die Griechen in der Urzeit die Kraft
und Staͤrke, welche ſie entwickelten, als eine Gabe der
Goͤtter betrachteten, und daß das ſiegreiche Volk ſeine
Goͤtter, durch deren Unterſtuͤtzung es ein Land erobert
hatte, fuͤr ungleich maͤchtiger hielt, als jene des beſiegten
Stammes. Wie haͤtten alſo bei ſolchen Vorſtellungen die
Goͤtter unter andern Voͤlkerſchaften ſich in ihrer fruͤhern Wuͤrde
5) Thucydid. I, 2.
6) ef. Abfehnitt 5, diefer Einleitung.
22
und Bedeutung erhalten fonnen? Sie mußten allmahlig eine un:
tergeorbnete Rolle erhalten, und für Heroen angefehen werden,
Wenn aber die meiften der Heroen, welche uns des
Homeros Gefänge und andere alte Sagen vorführen, ches
dem Götter waren, wenn die Griechifchen Götter der Per-
ſonificirung der Pradifate der verjchiedenen Lichtförper und
Elemente, welche wan verehrte, ihr Dafeyn zu verdanfen
haben, wie ift es möglih, daß alle Thaten, welche fie
vollbringen, und die Schickſale, welche fie haben, als hi:
ftorifhe Ereigniffe angefehen werden dürfen? So wie die
Thaten der Götter nichts Anderes find, als die fymbo-
liſche Ausdrucksweiſe der verfchiedenen Vorgange am Himmel,
auf der Erde und im Maffer, fo möchten wohl auch die
TIhaten der Heroen, weldye früher Götter waren, feine
andere Bedeutung gehabt, und nur durch die irrige Aufs
faffung , welche fie fchon in der früheften Zeit erfuhren, die
jonderbare Geftalt gewonnen haben, im welcher fie ung
überliefert find. Die ſymboliſche Ausdrucksweiſe der. ein:
fachſten Natur: Ericheinungen erklärt fich aus der Cultur—
fiufe, auf welcher die verfchiedenen Griechischen Voͤlker—
\chaften in jener Zeit, in welche die Entftchung der Mythen
fällt, fanden. Ein Volk, welches ſich in der freien Natur
aufhält, großtentheild vom Ertrage feiner Heerden lebt,
und mit wiffenfchaftliher Bildung noch wenig oder gar
nicht vertraut ift, wird in der Kindheit feines Lebens, wo
Verſtaud und Phantafie noch nicht im gehorigen Einklange
find, fondern die Phantafie weit vorherrſcht, wie bei dem
Kinde, die verfchiedenen Erfcheinungen, welche am Himmel
vorgehen, ganz anders ausdrüden, als dieß Völker thun,
23
welche mit uns gleiche Bildung haben. Mas war natür-
licher, als daß ein Volk, wie die Griechen der Urzeit, den
Aufgang der Sonne durch die Geburt des Gonnengottes,
den Untergang derfelben durch den Tod verfinnlichte, und
den Kreislauf der Sonne und des Mondes durd) die Irren
der 50) oder Leto, wie man den Mond nannte, oder durch
die Wanderungen des Sonnengottes bezeichnete? Menn
fih der Dichter, um Gedanken und Ideen in einer an:
ihaulichern Form darzuftellen, der Bilder bedient, follen
fih nicht auch die Völker Griechenlands in der Urzeit
bildlich ausgedrüct haben?
Allen in der Urzeit der Griechen drückte nicht
bloß der Einzelne feine Gedanken und Anfchauungen in
bildlicher Form aus, fondern die ſymboliſche Ausdrucksweife
war ein Gemeingut des ganzen Volkes. Hierin liegt der
‘große Unterfchted zwifchen der bildlichen Ausdrucksweife der
Dichter und jener der alten Hellenen. Die Sage, bemerft
Müller‘), ift ein Leben, das innerfte des ganzen Volkes,
was jeden unmittelbar anging, und worin ein jeder mit:
lebte, „ja es bat, jagt er, überhaupt durchaus Feine gei-
flige Ihätigkeit eines Urvolfes freier Art gegeben, als eben
Sage und Mythus. Denn, wie in einem gemeinfchaft-
lichen Keime, liegt in diefen bejchleffen alles Glauben und
Denten und Wiffen des Urvolfes.” Wäre die mythiſche
Ausdrucksweiſe nur Sache einer gewiſſen Glaffe von Men-
ſchen gewefen, fo würde es fonderbar erfcheinen, wie diefelbe
den großen Eingang finden konnte, den fie doch ficher haben
7) Welder, Trilog. ©, 129.
8) Ordom. ©. 143.
24
mußte, um in ihrer ganzen Bedeutung und Geftalt ſich
durch alle Zahrhunderte zu erhalten. War fie aber die ge:
woͤhnliche Ausdrucksweife einer ganzen Zeit, fo kann es uns
nicht befremden, daß, fo verfchieden auch die Namen waren,
welche die Götter bei den einzelnen Völkern hatten, doc)
die Thaten, die fie vollbringen oder die ſymboliſche Aus:
drucksweiſe der verfchiedenen Natur Erfcheinungen. fi) bei
allen wieder findet. Wir erinnern in diefer Beziehung nur
an die Seren der So, der Leto, der Demeter, der Helena,
Hermione und Andromade, an die Wanderungen des
Apollon, des Dionyfos, des Odyſſeus, Paris, Menelaos
und vieler anderer Weſen, welche diefelbe Bedeutung, wie
diefe, ehedem hatten.
Mir Fonnen daher der Anſicht des Pauſanias nicht
beitreten, welcher glaubte”), daß die Weiſeſten unter den
Griechen nicht in deutlichen Worten, fondern auf eine raͤth—
jelhafte Art ihre Gedanken in der Urzeit vorgetragen haben,
weßhalb er das, was fie von Kronos fagen, als eine Aeuße-
rung weijer Ueberlegung betrachtet. Diefe Anficht hat in der
neuern Zeit mehr Beachtung gefunden, als fie verdient,
und die Durchführung derfelben '') hat der Mythologie ficher
nicht fo viel genügt, als fie ihr ſchadete. Sobald man die
griechifche Mythologie als das Werk einer Claſſe von Men:
ſchen, der weifeften des Volkes, anfah, mußte man freilich
auf die Vermuthung verfallen, daß fie Allegerien enthalte, und
9) Pausan. VII, 2.
10) Wir wundern uns, daß Creuzer (Spmbol. I, 6), diefer
ausgezeichnete Gelehrte, des Paufanias Anficht billigt,
25
daß unter den einfachften Bildern die größten philoſophiſchen
Wahrheiten verborgen feyen. Möller '') hat die Grundlofig-
keit diefer Annahme wohl erkannt, indem er fagt: „Der
eigentliche, tieffte Grund der Sage ift Fein Philofophem, etwa
von höhern Geiftern willfürlich erfunden, und, um es dem
rohen Haufen annehmlih r zu machen, in ſymboliſche Bil
derfprache eingehüllt, noch weniger ein urfprünglich geftalt-
und. bedeutungslofes Gebäude, das erft nad) und nach heran»
gebildet, und von Dichtern und Philofophen wetteifernd ver
feinert oder tieffinnig umgedeutet worden ware.’ Wie fehr
die Annahme, als enthalte die Griechiſche Sage Allegorien,
von einem richtigen Verſtaͤndniß der urfprünglichen Bedeu-
tung der einzelnen Mythen abführt, beweifet die Anficht, welche
Buttmann ») über die Sage des Herakles ausfpricht: „Das
Leben des Herafles ift ein fchoner und alter Mythus, darz
ftellend das Ideal menjchlicher Vollfommenheit, das heißt,
im Sinne des heroijchen Zeitalters die höchfte Körperkraft,
gepaart mit allen den Vorzügen des Geiftes und Gemüthes,
die jenes Zeitalter anerkennt, das deal, fage ich, diefe Bells
fommtenheit, geweiht dem Heile der Menfchheit, oder viel-
mehr, in feiner urfprünglichen Geſtalt, geweiht dem Heile
der eigenen Nation.‘
Wer die Abhandlung diefes ausgezeichneten Gelehrten
über Herakles kennt, und weiß, auf welche Refultate er durch die
bezeichnete Anficht kam, wird uns leicht zugeben, dag, wenn ſchon
ein fo tüchtiger und vielfeitiger Mann durch die allegorifche Auf-
. e.
12) Mytholog. 1, 249.
26
faffung eines Mythus fi) von der eigentlichen Bebeutung
desfelben fo weit entfernt, die Allegorie nur Verwirrung,
nicht Aufhellung in die Griechifche Mythologie bringen koͤnne.
Sonderbar wäre es, wenn man deßhalb, weil eine
große Anzahl von Heroen früher göttliche Ehre genoß, bes
haupten wollte, daß alle Herven: Namen urjprünglic) Pras
difate der Götter gewefen feyen. Daß viele Heroen Städte
Namen”) und andern Gegenftänden ihre Entftehung zu ver»
danken hatten, bemerften fcyon viele Gelehrte. Berge, Fluͤſſe
und Thaler, jagt Müller *), wurden zu mythifchen Perfo-
nen, Allein wenn der Name eines Heros von dem Namen
einer Stadt oder eines Fluffes oder Berges ge
bildet ift, fo darf man deßhalb noch Feineswegs glauben,
daß der Name diefes oder jenes Gegenftandes zufällig
entftanden ſey, und Feine weitere Beruͤckſichtigung verdiene.
Dagegen fprechen gar viele Punkte. In Schweden *) follen
noch jest fehr haufig Fluß, Berg und Quelle die Namen von
Göttern und den fie begleitenden Mythen haben. Eine Zus
jammenitellung folcher hieratifchen Namen von Flüffen, Quels
len, Triften und Inſeln der Griechen würde Verwunderung
erregen, und in Verbindung mit ihrer heiligen Botanik und
Thiergeſchichte manche nähere Beftimmung über die religiöfe
und geiftige Gultur der Urzeit geben.
Es wäre verkehrt, wenn man glauben wollte, daß die
15) Lobeck, de bell. Eleus. I, p. 19. Welcker, Trilog.
202. not. 328.
44) Prolegom. 226.
15) Welder bei Schwend, ©. 341.
2%
Griechischen Götter in der Urzeit eine Menge von Beinamen
von Ländern erhalten haben, ohne daß diefelben auf ihr Wefen
gerade eine Beziehung hatten. Apollon, jagt Buttmann *),
hieß Lykios auch ohne Lykien, wo er doch feinen berühmten
Tempel hatte, und Delos konnte ſich gluͤcklich ſchaͤtzen,
diefen Namen zu führen; dem Apollun und der Artemis
waren die Namen Delios und Delia fchon durch ihre altefte
Natur eigen, jo daß fie diefelben nicht erft von der Inſel
Delos zu erhalten brauchten.
Sp wenig wir uns alſo deßhalb, daß der Name ir
gend eines Heros von einer Stadt oder einem Fluffe ent
lehnt fcheint, zu der Annahme verleiten laffen dürfen, daß
derfelbe ſchon im der früheften Zeit Feine tiefere Bedeutung
gehabt habe, eben fo wenig dürfen wir die Zuverjicht hegen,
daß die vielen Sagen ”), welche ſich auf Gebräuche oder
auf das Feft eines Gottes und die dabei herfümmlichen Dar:
ftellungen oder auf alte Einrichtungen des öffentlichen Lebens
beziehen, nicht eben fo große Beachtung verdienen, wie
andere, im denen die fombolifche Ausdrucksweife einfacher
Natur: Erfcheinung gleich in die Augen fallt. Die Gebräuche
eines hieratifchen Volkes, der ganze Eultus desfelben, haben
immer eine Bedeutung, welche ihre Erklärung in der Natur
des Gottes und den Vorftellungen, melde man davon hatte,
findet. Die Reigentänze, welche mit dem Cultus des Apol⸗
lon und der Artemis in fo inniger Verbindung ftehen, wird
wohl ein mit den Verhältniffen der Urzeit der Griechen ver>
16) Mytholog. IL, 145. not.
17) Müller, Prolegom. ©. 231.
28
trauter Forſcher nicht aus der Zanzliebe der Griechen erfla-
ren, fondern er wird zu der Ueberzeugung gekommen fen,
daß diefelben urfprünglich den Umlauf der Sonne und des
Mondes feierten ®), wie die ſchwindelnden Nundetänze der
Druiden. Dasfelbe gilt von dem Fadellaufe, welcher in
Athen dem Prometheus gefeiert wurde. Haben die vielen
Trauerfefte, welde gegen Sonnenuntergang oder nad) dem
felben gefeiert wurden, nicht ehedem eine fehr ſchoͤne Bedeu;
tung gehabt? Sie wurden der verſchwundenen Sonne ge
feiert, über deren Untergang oder Tod, wie man denfelben
ſymboliſch ausdrüdte, man weinte und jammerte. Die Ver:
bindung von Trauer⸗ und Freudenfeften, welche wir im Eultus
fo vieler Götter finden, hat ihren Grund in der Freude, wor
mit die alteften Völker Griechenlands die aufgehende Sonne
begrüßten und verehrten, nachdem fie diefelde am Abend be-
klagt und betrauert hatten.
Die Landung der AUrgonauten auf Samothrake, fagt
Müller ®), war eine alte, allgemein angenommene Sage,
zu deren DBeftatigung man noch in fpater Zeit Phialen als
Weihgefchente der Argonauten auf dem Eilande vorzeigte. ”)
Wir fehen alſo, daß man in der früheften Zeit, che man die
Wohnung des Helios nach der Aeaifchen Inſel verfeßte, dieſes
Eiland als öftlihen Punkt betradhtere, wo der Sonnengott
ausruht, um in der Frühe feine Fahrt vom neuen zu bes
ginnen. Die Schaalen waren Feine Weihgefehenfe von See—
13) MWelder, Zrilog. ©. 129.
19) Müller, Orchom. ©. 265.
20) Diod. IV, 49.
29
fahrern, fondern Symbole des Sonnen-Bechers, auf welchem
der Sonnengott, wenn er am Abend feine Fahrt vollendet
hatte, nach dem fernen Often zurüdichiffte.
Ob die Mythengeſchichte auch hiftorifche Ereigniffe und his
ftorifche Perfonen enthalte, ift eine Frage, welche von verſchie—
denen Gelehrten noch Tange verfchieden behandelt und beant-
wortet werden dürfte. Was die Perfonen anbelangt, welche
in der Zeit vor der Wanderung der Herakliden
auftreten, fo dürften diefelben fammtlich der Mythologie
angehören , und nur eine poetifche oder ſymboliſche, aber
feine hiftorifche Bedeutung gehabt haben. Selbft die Namen
Aeolos, Fon, Aetolos und andere, für deren Eriftenz man
verjchiedene Gründe anführt, haben ihre Entftehung den Voͤl—
fern zu verdanken, welche diefe Namen getragen haben. Daß
aber die Jonier ihren Namen nicht von einem König ans
nahen, daß derfelbe, wie jener der Aeoler und fo vieler anderer
Bölkerfchaften ehedem eine ganz andere Bedeutung gebabt
babe, und cher von dem Pradifete eines Gottes *'), als von
21) Viele Volfernamen haben eine bieratifhe Bedeutung. Wir
wollen hier nur an die Namen Lykier, Netoler und Eleer
erinnern, welche auf den Cultus des Lichtgottes beftimmt
genug hinmweifen. Wenn man bedenkt, daß der Namen Xu:
thos, welchen Sons Vater trug, urfprünglih ald Zavsos
ein Prädikat des Apollon war; wenn man bedenft, daß die
Namen Safion, Jaſon und Aethon (Schwend S. 116) einen
und denfelben Gott bezeichneten; wenn man endlich er-
wägt, daB Jaſion auch Eetion hieß (Buttmann, Miothol.
II, 137,), fo dürfte man die Vermutbung nicht zu kuͤhn
finden, daB Son urfprünglih ein Praditat des Apolon war,
30
einem fterblichen Menfchen entlehnt ward, fcheint Faum einem
Zweifel unterworfen zu feyn. Daß die Mythengeſchichte
nicht bloß fombolifche Darftellungen von Natur-Erfcheinungen
und religiöfen Ideen, fondern auch gefchichtliche Begeben-
heiten enthalte, möchte wohl nicht beftritten werden koͤnnen.
„Es ift klar, fagt Müller ?), daß in der Mythologie zweier:
lei vorkommt, Angabe des Geſchehenen und Gedachtes.
Daß in der Mythologie Gedachtes vorfommt, unterliegt
feinem Zweifel; eher Fonnte man zweifeln, ob in der My—
thologie auch wir kliche Begebenheiten erzählt werben.
Aber es wäre doc) fonderbar, wenn die Form der Erzählung
von Handlungen und Schickſalen gar nichts ihr wirklich)
und ihr geradezu Entfprechendes enthalten follte.”” Aus der
Form der Erzählungen von Handlungen und Schickſalen
fönnen wir noch nicht auf den hiftorifchen Inhalt derfelben
fchliegen. Die Beftätigung diefer Behauptung geben die Ho-
merifchen Geſaͤnge. In denfelben treten die Götter ganz
wie Menfhen auf, und ihre Handlungsweife ift diefelbe,
wie jene der Menfchen, Wären die Olympier des Ho—
meros durch andere Völferfchaften in der fpätern Zeit ver
drängt worden, und zu Heroen herabgeſunken, fo würde
man fie für Menfchen halten, wie dieß bei vielen Griechi-
hen Heroen der Fall it, und da fie ganz menfchlich hans
dein, viele ihrer Thaten für Hiftorifche Ereigniffe anfehen,
Wir dürfen Feine Begebenheit aus der Periode vor
wie Kuthos oder Kanthos, und die Jonier ſich nach dem
Gotte benannt haben, melden fie vorzüglich verehrten.
22) Müller, Prolegom, ©, 67,
31
der Wanderung der Herakliden für ein hiſtoriſches Faktum an-
nchmen, wenn fie fi nicht durch die ftrengfte Kritif ale
folches feſthalten laßt. „Man fcheint, fagt Buttmann”),
als Grundſatz anzunehmen, im der Heroengeichichte alles,
was nad Abzug des Wunderbaren und der poe—
tifhen Ausführung des Einzelnen übrig bleibt, fo
weit für echt biftorifch zu halten, als die Kritik Feine
pofitiven anderweitigen Zweifel dagegen beibringt. Mir hin-
gegen hat es fich durch vielfaltige Betrachtungen und Zu:
fammenftellungen deutlich ausgefprochen, daß die hiſtoriſche
Forſchung alles Mythologifche fo weit für poetifch anzu
fehen hat, als es nicht nach pofitiven innern Merkmalen
oder außern Beftimmungsgründen als hiſtoriſch ſich ber
waͤhrt.“
Diefe Anſicht allein kann, wenn fie mit Unbefangens
beit und Eritifcher Confequenz durchgeführt wird, Licht in
das Chaos der Griechiſchen Mythengeſchichte bringen. Bei
der Durchführung derfelben dürften aber von allen Ereig—
niffen und Begebenheiten nur die einzelnen Wanderungen
der verfchiedenen Stämme, die Einnahme Troja’s durch He—
rafles oder die Miederlaffung der Pelasger im Zrojani:
chen Gebiete und die Eroberung Troja's durd) die Griechi—
{hen Coloniſten fich als hiftorifche Fafta fefthalten, alle an
dern Vorfälle aber auf eine poetifche oder ſymboliſche Grund»
lage zurücführen laffen; es dürften alfo ſowohl die vielen
Kampfe der Heroen unter einander, als auch die Kämpfe,
welde jie mit Thieren beftehen, fo wie auch die vielen
23) Buttmann, Moptholog I, 248,
32
Entwendungen von Rindern und die Entführung der Köni-
ginen der Mythologie, nicht der Gefchichte anheim fallen.
Freilid) wird man es jonderbar finden, daß ein fo großer
Zeitraum am hiftorifhen Creigniffen fo arm gemefen fey.
Allein dagegen bemerken wir, worauf fhon Müller) auf
merffam machte, daß, fo wenig wir annehmen dürfen,
daß ein Abfchnitt der Urzeit ohne Sage gemefen
jey, wir eben fo wenig die Meinung nahren dürfen, daß Die
Urzeit erſt gefchichtlicher Ereigniffe und Fakta bedurft
hätte, um darnach ein fo hohes, herrliches und finnvolles
Ganze zu fchaffen, wie es der Griechifhe Sagenfreis uns
darbietet. Es mochten allerdings viele Ereigniffe in dem
Zeitraum, von dem wir fprechen, vorgefommen feyn ; allein
die einzelnen Völferzüge abgerechnet, war ficherlich Feines
derfelben von einer foldyen Bedeutung , daß es bei der Rich»
tung, welche die Eultur genommen, eine folche Verherrlichung
hatte finden Fonnen, daß es auch der Nachwelt hätte über:
liefert werden Fonnen.
Mir haben die Wanderung der Herafliven als den
Zeitpunft feftgefeßt, bis zu welchem der Forfcher die Griechi—
ſche Gefchichte als mythifch zu betrachten habe. Damit foll
aber Feineswegs gefagt ſeyn, daß mit jenem Ereigniffe die
Mythenbildung ploͤtzlich aufhoͤrte. Sie dauerte viel:
mehr noch lange fort, allein nicht mehr in der Ausdehnung,
welche fie in der frühern Zeit, wo man außer der ſymbo—
lifchen Ausdrudsweife Feine andere Fannte, gehabt bat.
„Wenn die Moythenbildung in früherer Zeit ®) in einer
24) Müller, Orchom. ©, 142.
35) Müller, Prolegom, ©, 122.
33
gewiſſen Nothwendigkeit der Anfchauung ihren Grund hatte, .
fo Fann fie doch fortgedauert haben, nachdem diefe Noth—
wendigfeit verfhwunden war, durch die ummiderftehliche
Macht der Gewohnheit.‘ Allein fie hörte, wie fich die
ganze Denk- und Anfchauungsweife im Laufe der Zeit all:
mählig änderte, auf, die einzige Ausdrucksweiſe der
Nation zu feyn, und mußte immer mehr im den Hinter
grund treten. Cinzelne Spuren von Mytheubildung laffen
fi) bis in die Zeiten der Logographen nachweifen.
Ein anderer Irrthum, welcher der Erforfchung der
Griehifhen Mythengeſchichte ungemein fchadet, tft die Anz
nahme, daß die Griechen in den verjchtedenen Abs
Schnitten der frühern Zeit eine und diefelbe Sache an allen
Orten durdy ein und dasjelbe Bild ausgedräct haben, So
wenig die verfchiedenen Völfer, bei denen die Moythenbil-
dung thatig ift, irgend eine Anfchauung auf die naͤmliche
Meife ausdrücen, fondern wie fich diefe nad) Verſchieden—
beit ihrer Gultur, Lebensweife und anderer Verhaͤltniſſe
verfchiedener Bilder bedienen, eben fo dürften wir auch,
felbft wenn wir Feine zuverläffigen Beweiſe hätten, an—
nehmen, daß die Griechen eine Sache in den verfchiedenen
Perioden der frühern Zeit durch verfchiedene Bilder ver;
finnlihten. Der Grund, warum fie dieß thaten, dürfte
in der Werfchiedenheit der Lebensweiſe, der bürgerlichen
Einrihtung und vorzüglich der Eultur zu fuchen ſeyn. Ein
Nomaden: Volk, welches Feinen andern Neichthum Fennt,
als dem feiner Heerden, und fich größtentheils im der freien
Natur aufhält, wird wohl viele Dinge durch ganz andere
Symbole bezeichnen, als ein Volk, welches bereits zum
Vorhalle zur Griechiſchen Gefchichte. 3
34
Ackerbau übergegangen iſt, fich fefte Wohnfige erbaut und
in der Bildung bedeutende Fortfchritte gemacht hat. Wenn
fhon die einzelnen Menfchen ſich in den verfchiedenen Al—
tersftufen wefentlich ändern, und die Anfichten, welche fie
ale Männer haben, von denen, welche fie in den Juͤng—
Iingsjahren hegten, hoͤchſt verfchieden find, follen wir und
wundern, daß ein Wolf, welches fo verfchiedene Eultur-
ftufen durchläuft, wie die einzelnen Menfchen, feine Aus-
drucks⸗ und Anfchauungsweife andert ?
Mir wollen zur Beftätigung diefer Behauptung einige
Thatfachen anführen. Die Sonnengotter halten ſich waͤh—
rend der Nacht nach der alten Ausdrucksweiſe im Grabe
oder in einer Höhle auf, und werden in Höhlen erzogen.
In der heroifchen Zeit, in welcher jeder vermögliche Mann
eine bequem eingerichtete Wohnung hatte, bekommen auch
die Götter herrliche Pallafte. Wahrend die frühefte Zeit den
Lauf der Sonne durch das Fortwaͤlzen eines geflügelten
Rades oder einer Kugel verfinnlichte, befam der Sonnen:
gott ſpaͤter ein Flügelpferd, und die heroifche Zeit, in welcher
die Streitwagen im Kriege eine große Rolle fpielten, gab
auch dem Somnengotte und der Mondgottin einen Wagen
mit Slügelroffen befpannt, auf welchem diefelben ihre Fahrt
am Himmel vollenden.
Die Veränderung der Bilder, deren man fich in den vers |
fhiedenen Zeiten bediente, hatte große Folgen, weldye, wie
uns dünft, bisher noch viel zu wenig beachtet wurden. So⸗
bald man fich bei der Veranderung der Kebensweife und. der
Gultur anderer Bilder oder Symbole bediente, mußten die
frühern allmahlig in Vergeffenheit gerathen, und dunkel
35
werden, fo daß wir uns nicht wundern dürfen, daß ſchon in
den Homerifchen Gefangen eine große Anzahl von Sagen
durch irrige Auffaffung.ganz Fomifch dargeftellt wird, welche
früher durchaus Feine Fomifche Bedeutung hatten. Wir ers
innern in diefer Beziehung nur an den Fall des Hephaͤſtos,
an das Binden des Zeus und das Herabhangen der Hera!
Diefe Mythen werden von Homeros fo erzählt, dag man
leicht einfieht, daß das Verftandniß ihres Sinnes zu feiner
Zeit längft erlofchen war. Wie viele Sagen wurden fchon,
durch irrige Auffaffung, in der heroiſchen Zeit fo entftellt, daß
man ihre Bedeutung Faum mehr erratben Fann! Wie viele
hatten fpater dasjelbe Schickſal!
Wir erinnern nur an das Loos, welches nach Homeros
Siſyphos, Tantalos und Srion im Scattenreiche haben!
Die fchöne Sage von Aftaon hatte ein ähnliches Schickſal.
Aftaon war aus einem Pradifate des Sonnengottes entſtan—
den, und im fo ferne, wie Schwend richtig °) bemerfr, von
Zeus nicht verfchieden. Der Hund, welcher mit ihm in Vers
bindung fteht, war Symbol des Sternenhimmels, wie jener
Argos, weldyen Hermes tödtet. Wie der Sonnengott in der
Frühe bei feinem Erſcheinen die Sterne verfcheucher, und
deßhalb den Argos tödtet, fo wird Aktaͤon am Abend von den
Sternen nach der Anfchauungsweife der alten Griechen ver:
drängt, und mach der bildlichen Ausdrucksweiſe der Ur-
zeit, welche den Argos Hund nannte, und den Unter:
gang der Sonne durd) den Tod bezeichnete, von feinem Hunde
getoͤdtet. Die fpatere Zeit nahm die Sage buchftablid, und
26) Andeutungen, ©. 548,
0”
36
glaubte, weil fie an Aftaon nur einen Sterblichen erkannte,
derfelbe haͤtte durch ein trauriges Loos feinen Tod gefunden.
Yus dem Namen des Klageliedes, welches bei dem Unter:
gange oder Verfehwinden der Sonne angeftimmt wurde, ward
ein befonderer Heros, Jalemos, gebildet, und diefer zum
Sohne des Apollon gemacht.
Je mehr fi) aljo die ganze Denkt > und AUnfchauungs-
weife der Griechen durd) die Umgeftaltung ihrer bürger:
lihen und politifchen Verhaltniffe änderte, defto dunkler
mußte der Sinn der alten Mythen werden, und wir dürfen
uns nicht wundern, daß die ichönften Sagen allmaͤhlig eine
ganz mährchenhafte Geftalt erhielten. Schon bei Homeros
und Hefiodos erfcheinet eine große Menge von Mythen in
diefer Geftalt, und alle Götter und Göttinen, welche bei den
vielen Wanderungen der Griechifchen Stämme in den Hinter;
grund gebrangt worden waren, treten fchon bei ihnen als
fterbliche Menfchen auf, was uns nicht befremden Fann,
da Homeros auch die Götter, welche fich im Cultus
erhalten hatten, auf eine ganz menfchliche Weiſe in die irdi-
hen Verhaͤltniſſe eingreifen, und ganz menſchlich fühlen und
handeln laßt. Wenn dem Sänger beider Darftellung mancher
Mythen die Bedeutung derfelben noch vorgefehwebt zu haben
ſcheint 7), jo ift doch an den meiften Stellen ein eigentlicher
Mißverftand der urfprünglichen Sagen nicht zu verfennen.
Es mußten fchon vor der Geburt des Homeros, da man in
der heroichen Zeit den Inhalt der alteften Mythen buchftablic)
auffaßte”), nothwendiger Weiſe Mißverftändniffe und Ent:
27) Welder, Trilog. ©. 151
28) Muͤller, Prolegom. ©. 542. sqq.
EEE
—
37
ftellungen aller Art entftehen. Der Mythos Fonnte, je fer»
ner die Zeit feiner Schöpfung lag, um fo weniger dasfelbe
Gefühl, diefelbe dee erregen, aus welcher er bervorgegans
gen war, und dadurch mußte die eigentliche Bedeutung des⸗
felben immer mehr verfchwinden, beſonders wenn er von
feinem Boden losgeriffen, in fremdartige Umgebungen bins
eingetragen wurde. Die Form blich, mußte aber, nachdem
einmal der Geift, welcher diefelbe ins Dafeyn gerufen hatte,
verfchwunden war, immer mehr erftarren. Je dunkler ung
eine Sage erfcheint, dejto höher dürfte in der Negel ihr
Alter feyn. 7) Daß die Sagen in der fpatern Zeit noch
größere Entftellungen erfahren mußten, als dieß bei vielen
ſchon in der heroifchen der Fall war, bedarf Feiner weitern
Erklärung. Wurde doch felbft die Bedeutung der einzelnen
Götter ſchon in der Zeit der Perſerkriege fo rathfelhaft, der
Sinn der Sagen, welche ſich über diefelben erhalten hat—
ten, und mit dem Cultus in der engften Verbindung ftan-
den, war fo ganz und gar erlofchen, daß die tragifchen
Dichter wieder zur Anrufung der Sonne, des Mondes, der
Flüffe zurückfehrten, aus deren Pradikaten die Olpmpifchen
Götter und der größte Theil der Heroen, weldye uns Die
Sage als Könige vorführt, hervorgegangen waren!
29) Müller, Proleg. ©. 229. Die alten Sagen von Argos,
fagt Müller, jene von Athen und Böotien haben dadurch,
daß ihre Bedeutung fo dunkel, ihr Inhalt fo mannigfal-
tig iſt, offenbar im Allgemeinen den Vorzug.
38
3. Weber die alteften Quellen der Griechiſchen Sagen:
| gefchichte.
Mir haben behauptet, daß bei der Richtung, welche die
Cultur der Griechen nahm, die gewöhnlichen Vorfälle des ges
meinen Lebens Feine ſolche Beruͤckſichtigung von Seite der
Sänger finden fonnten, daß uns diefelben, vielfach verherr
licht, hatten überliefert werden Fünnen, und daß wir von den
verfchiedenen Begebenheiten und Schickfalen der Griechen, ein-
zelne Wanderungen und die Anfieblungen in Troja ausgenom-
men, nichts wiffen, die übrigen Ereigniffe, welche in den
alten Gefangen gefeiert und in unzahligen Sagen wieder er-
zahlt werden, haben fammtlid) eine poetifche, Feine hiftorifche
Grundlage. Diefe Anficht erfcheint beim erften Anblic zu
kuͤhn, als daß fie Eingang finden follte, und fie dürfte felbft
bei jenen, welche frei von Vorurtheilen und mit den Quellen |
der Griechiſchen Mythengefchichte vertraut find, viele Beden- |
fen erregen, weil fie mit den bisherigen Annahmen der mei>
ften Gelehrten im Widerfpruch ftcht. Um ung vor dem Bor;
wurfe zu fichern, als fey es ung mehr um Fühne Hypothe⸗
fen, als um die Sache zu thun, fehen wir uns gemöthigt,
die altefte Poefie, die Trägerin der Sage, in Kürze zu be
leuchten, und aus der Befchaffenheit derfelben nachzumeifen,
daß die ausgefprochene Behauptung wohl nicht grundlog ſeyn
dürfte.
So lange die Sage eines Volfes Gemeingut aller
ift, fo lange diefelbe alle Neußerungen feiner geiftigen Thaͤ⸗
tigkeit enthaͤlt, ſo lange der Einzelne nicht willkuͤrlich aͤndern
darf, muß jede Erzaͤhlung, ſey dieſelbe auch noch ſo unbe⸗
|
|
— — —
—
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39
deutend, irgend cine Grundlage haben, die aber, wie wir
ſchon bemerkt haben, Feineswegs eine Biftorifche zu
feyn braucht. Die Erfcheinungen am Himmel, die vielen
Veränderungen, welche an demfelben vorgehen, der wohlthaͤ—
tige Einfluß der großen Kichtförper auf das Gedeihen der
Früchte und die Gefundheit der Menſchen und Ihiere, die
ſchaͤdlichen Folgen zu großer Hige, das Raufchen des Meeres
und der Flüffe und ahnliche Erfcheinungen nahmen die geiftige
Thaͤtigkeit der alten Hellenen, fo lange fie ſich unter freiem
Himmel ale Nomaden aufhielten, vorzugsweife in Anspruch,
und diefe Wahrnehmungen drückten fie auf eine ihrer geiftigen
Thätigkeit entfprechende MWeife in Bildern aus. Aus den
verfchiedenen Vradifaten, welde Sonne, Mond, einzelne
Sterne und das Meer hatten, gingen allmahlig Götter her—
vor. Der Uebergang von der Anbetung und Verehrung der
großen Kichtforper am Himmel und der Gewalt und Macht
der Gewaͤſſer zu unfterblichen Wefen, welche man in menſch—
licher Geftalt ') als Vorſteher und Gebieter über die Ele
1) Platon fagt im Kratvlos p- 397. e. d. ‚„‚Die alteiten Be-
wohner von Hellas haben meines Beduͤnkens die allein für
Götter gehalten, welche auch jekt noch vielen Barbaren
dafür gelten, Sonne, Mond und die Erde, die Gejtirne
und den Himmel. ef. Simplie. ad Epiet. p. 358-
Schweighäuf. u. Euftath. ad 1. I. p. 9. Bas. Für die
Erde und den Himmel würden wir das Meer feken.
Daß Erde und Himmel ſchon in der Urzeit als göft:
liche Wefen betrachtet wurden, möchten wir fehr bezweifeln,
fo wenig wir dieß für die fpatere Zeit, wo die Namen
Sata und Demeter für befondere Wefen betrachtet wur:
den, in Abrede fielen. Anfanas verehrten die Alteiten
40
mente anfah, erfolgte aber ficher nicht ploͤtzlich, ſondern es ver-
gingen Jahrhunderte, bis man fi) den Sonnengott oder bie
Mondgdttin fo vorftellte, wie diefelben bei Homeros er
fcheinen.
Wie die Namen diefer Götter fi auf die Befchaffen;
beit und die Wirfungen, welche man den großen Kichtern am
Himmel und ven Gewaffern beilegte, bezogen, fo waren auch
die Schieffale, weldye fie haben, und die Thaten, die fie
vollbringen, urfprünglid nichts anders, ale die fombolifche
Ausdrucksweiſe der verfchiedenen Erfcheinungen, welche man
im Waffer und am Himmel bemerkte, und die Verfinnlichung
des Einfluffes, welchen man der Sonne, dem Monde, dem
Morgen und Abendfterne auf die Erde und die auf derfel-
ben fich befindlichen lebenden Geſchoͤpfe und Gewaͤchſe bei-
legte. Was Fonnten nun die Priefter diefes Volkes, welche
Bewohner fiher die großen Lichtkoͤrper felbft, denen fie wegen
der großen Wirkſamkeit, welche fie denfelben beilegten,
eine Menge von Namen gaben, und zur Verfinnlichung
jener Wirkfamfeit und der Beſchaffenheit des Lichtes ver-
fchiedene Thiere beiligten. Sobald fie jich aber unter jedem
Namen ein befonderes Wefen vorftellten, mußten fie das:
felbe, wie es fcheint, anfänglich oft in folchen Thiergeftal-
ten auftreten laffen ; allein bei dem lebendigen Sinn, wel:
chen fie für Schönheit hatten, mußten die Thiergeftalten
allmählig weichen, und die menfchliche trat an ihre Stelle.
Wir haben viele Sagen, aus denen wir abnehmen, dab
dieſer Uebergang nicht plößlich, fondern allmählig erfolgte,
daß der menfchlichen Geftalt anfangs Theile von verfchie:
denen Thieren angeheftet wurden, bis auch diefe bei fort:
foreitender Bildung verfchwanden.
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j
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4l
zugleich feine Fürften und Sänger waren, anders preifen, als
diefe Thaten? Noch immer glauben viele Gelehrte, die
Hymnen der Orphiker hätten nichts anders enthalten, als
eine Darftellung der Macht irgend einer Gottheit in Pradi-
Faten, welche ſich auf diefelbe bezogen. Wir find weit ent-
fernt, beftreiten zu wollen, daß die alteften Sänger, d. h.
die Priefter der Hellenen, in der Urzeit vorzüglich die ver-
fohiedenen Beinamen des Gottes, welchem fie dienten, her
vorgehoben haben, und daß dadurd) die einzelnen Namen
jenen Ölanz erhielten, in welchem fie in die epifhe Poeſie
übergingen. Allein daß die Hymnen jener priefterlichen
Sänger fonft nichts enthielten, und immer auf der nam:
lihen Stufe geblieben ſeyen, dieß widerfpricht der Ge—
ſchichte.
Wie dieſe Anſicht ſich ſo lange erhalten kann, laͤßt
ſich leicht einſehen. Man nimmt jene Gedichte, welche ſich
unter dem Namen des Orpheus erhalten haben, oͤbſchon
ihre Unachtheit laͤngſt dargelegt ifi, ale Maßfiab, und be
urtheilt darnach alle Hymnen der früheften Zeit. Hoffent—
li wird man uns zugeben, daß die Homerifchen Hymnen
einen ungleich beffern Maßftab zur Beurtheilung der älte-
fien Poefie geben. Freilich wird niemand behaupten, daß
die Alteften Sanger der Urzeit Hymnen von jenem Um-
fange und der epifchen Entfaltung gedichtet haben, welche
uns in den größern Homerifhen Hymnen entgegentritt.
Für die Anfange der Griechifchen Poefie bieten die Flei-
nern Homerifchen Hymnen einen ungleich richtigern Maß—
ftab dar. Auf der andern Seite aber laßt ſich auch nicht
verfennen, daß dieſe religiofe Poeſie mit der Cultur des
42
Volkes fortfchreiten, und allmahlig eine epifche Entfaltung
gewinnen mußte, Es iſt natürlich, daß man bei der Ver⸗
herrlichung der Namen und Xttribute der Götter nicht.
Sahrhunderte fiehen bleiben Tonnte, fondern daß man,
nachdem diefe nach aller Beziehung gepriefen waren, und
die Cultur ſich allmaͤhlig erweiterte, zur Befingung der
Thaten der Götter übergehen mußte, in welchen ſich ja
ihre Macht und Herrlichkeit noch ungleich deutlicher aus>
ſprach, als in den Namen,
Auf diefe Weiſe erhielt die Griechifche Poeſie allmaͤh—
lig epifche Entfaltung, ohne daß fie das Gebiet der
Religion verließ, und einen weltlichen Charakter ans
nahm, Wir wollen diefe Behauptung dur Zeugniffe
näher zu begründen fuchen.
Als Hermes die Lyra erfunden hatte, fang ?) er von
der Liebe des Zeus zu feiner Mutter Maja und der Vers
mählung desfelben mit ihr, von feiner eigenen Geburt, pries
die glänzende Behaufung der Maja und die Zahl der Die-
ner in derfelben, fo wie aud) die Dreifüße uud die Beden,
welche in derfelben aufgehäuft lagen. Die Mufen verherr-
lichen die Macht des Zeus °), die hehre Hera , welche
mit goldenen Sandalen einhergeht, die Tochter des Aigis
haltenden Vaters, die lichtaugige Pallas, den Phobos Apol-
Ion, die ob ihrer Gefchoffe frohe Artemis, den Erderfchütterer
Pofeidon und die übrigen Götter Was Hermes und die
2) Hymn. Homeric. III, 54 sqq.
3) Hesiod. £Zoye, 2 sqq.
4) Theogon. 40 sqgq:
43
Mufen fingen, werden auch, wie jeder Kenner des Alters
thums gerne einräumen dürfte, die Priefter und Dichter
der früheften Zeit gefungen haben. Die Homerifchen Ge
fange geben uns die Ueberzeugung, daß nicht bloß die Na—
men und SPradifate der Götter, ihre Geburt und ihre
Schickſale, die Gegenftande, welche ihnen das Alterthum
wegen ihrer ehemaligen Bedeutung beilegte, fondern daß auch
die Thaten der Götter Gegenftand des alteften Gefanges
gewefen jenen. Der Sänger Demodofos fingt °) von der
Kiebe des Ares und der Aphrodite. Die Flucht des Die:
nyſos zur Thetis, der Fall des Hephäftos, das Herabhan-
gen der Hera, die Wanderungen der Götter zu den Aethio—
pen, die Thaten des Belleropbon, des Herakles, der
Kampf des Diomedes mit Aphrodite und Ares werden bei
Homeros auf eine Weiſe erzahlt, die ung Feinen Zweifel
laßt, daß diefe und ähnliche Schickſale und Thaten der
Götter bei den alten Griechen ſchon in der früheften Zeit
Gegenftand der Poefie geweſen ſeyen, und lange vor Ho—
meros eine ganz befondere Werberrlihung gefunden haben
müfjen.
Nah Virgilius °) befingt Jopas, welchen der erhabene
Atlas gelehrt, die Irren des Mondes, die Mühen ver
Sonne, er fingt, warum die Winterfonnen fo ſchnell in dem
Dfeanos untertauchen und welcher Verzug die faumigen
Naͤchte im Sommer verweilet, auch den Arkturus, Die
feuchte Hyade und die doppelte Barin, den Urfprung der
Menfchen und Thiere, der Blige und des Regens. Diefe
5) Hom. Odyss. VII, 266 sqg-
6) Virgil. Aen. I, 740 sgg:
*
44
Stelle beftätigt, daß die Ihaten der Götter, durch deren
Verherrlihung die alten religiofen Hymnen der Griedyen
allmählig ihre epifhe Entwiclung erhielten, urſpruͤnglich,
wie die Attribute der Götter, eine ſymboliſche Bedeu-
tung hatten, und ſich auf die Erfcheinungen, die in der Außern
Natur und am Himmel vorgehen, bezogen.
Wir muͤſſen daher, wenn wir die allmahligen Fort
fchritte der alteften Poeſie und ihren Inhalt, fo weit dieß bei
dem Mangel an Hülfsmitreln möglich ift, weiter verfolgen
wollen, vier Punkte vorzüglich in das Auge faflen: 1) Ver⸗
herrlichung der einzelnen Namen und Pradifate, Verherr—
lichung der verfchiedenen Attribute und Gegenftande, welche
man den Göttern beilegte, 3) Werberrlihung der Geburt
und Schicfale der Götter, und endlid 4) Verherrlichung
ihrer Kampfe und Thaten.
Daß die Namen und Pradifate der Götter in der Urzeit
vielfach befungen wurden, und in fo ferne fich diefelben auf
die Befchaffenheit und Wirkungen der Lichtförper und der Ge⸗
wäfjer bezogen, befungen werden mußten, unterliegt Feinem
Bedenken. Die Homerifchen Gefange erheben diefe Behaup-
tung über jeden Zweifel. Wie wäre es möglich gemelen,
daß, wären diefe Praͤdikate nicht durch die Verherrlichung,
welche fie fanden, unzertrennlich mit den einzelnen Göttern
verbunden worden, diefelben bei einzelnen Göttern und Heroen
fo regelmäßig wiederfehren Fonnten? Wir wollen im diefer
Beziehung nur an die Bowrtıs "Hoc und die yAuvxwrıg
’"A9nva erinnern, Mie oft werden diefe Prädifate er-
waͤhnt? Wie enge find diefelben mit den Göttinen ver
bunden, fo daß, wenn der Sänger diefe Göttinen nennt,
45
auch die Praͤdikate neben ihren Hauptnamen erfeheinen, Würde
dieß wohl ein Sanger von ſolch einem fchopferifchen Geifte,
wie Homeros, gethan haben, wenn nicht jene Pradifate in
allen frühern Gefangen der Pallas und der Hera gegeben
worden wären, fo daß er von dem Herfommen nicht abgehen
konnte?
Eben ſo verhaͤlt es ſich auch mit den Praͤdikaten, welche
die einzelnen Heroen bei ihm fuͤhren. So oft Odyſſeus auf—
tritt, erſcheint er entweder als Dulder, oder als Vielgewan—
derter oder als Staͤdteverwuͤſter oder als ſchlauer Held. Vor—
zuͤglich ſcheinen das letzte und das erſte Epitheton fruͤhzeitig
durch die Poeſie verherrlicht worden zu ſeyn. Agamemnon,
Herakles, Diomedes und Melampus zeichnen ſich als weit—
gebietende Herrſcher aus. Minos, Aeakos, Rhadamanthys,
Achilleus, Kadmos ſind als gerechte Richter geprieſen. Als
Heros im Kriege uͤbertrifft Achilleus alle andern Heroen durch
die Schnelligkeit feiner Füße, Menelaos durch feinen furcht⸗
baren Schlachtruf, Ajas durch feine gewaltige Größe und
Stärke. Homeros hat diefen Heroen eben fo wenig die Pra-
difate, welche fie bei ihm tragen, zuerft beigelegt, als er
jene erfunden hat, welche andere Herven bei ihm führen, fon:
dern er folgte auch hierin, wie in andern Dingen, der Ueber:
lieferung. Wie hatten aber diefe Prädifate fo unzertrennlich
mit einzelnen Heroen verknüpft werden Fünnen, wenn fie nicht
eben fo vielfach) befungen worden waren, wie die Perfonen,
denen fie beigelegt wurden ?
Da aber die Namen und Pradifate der Götter und
Heroen, welche eheden ebenfalls göttliche Verehrung ge:
noffen, das Weſen derfelben fehr genau bezeichneten, fo
46 k
fieht man wohl eim, wie bei ber vielfachen Verherr⸗
lichung, welche denfelben durch die Tempelpoeſie zu Theil
wurde, die Charaktere der einzelnen Goͤtter und
Heroen allmählig ein fo feftes Gepräge erhal:
ten mußten, daß die Dichter der heroifchen Zeit, welche
fib an die Weberlieferung hielten, Feine wefentliden
Beranderungen an denfelben vornehmen Fonnten, aber aud)
der Mühe überhoben waren, die Charaktere der Heroen,
die fie im ihre Gefänge verflochten, erft zu zeichnen. Soll
etwa Homeros den Charakter der Hera, des Apollon, des
Achilleus und anderer Götter und Heroen erft gezeichnet,
und willkürlich fo geftaltet haben, wie diefelben bet ihm
erfcheinen? Dieß wird wohl niemand glauben, der be
denft, daß, fo vielfach fi) auch der priefterliche Charakter
der Urzeit in dem heroifchen Zeitalter ſchon umgeftaltet
hatte, deßhalb doc) Fein Sänger von der Ueberlieferung ab-
weichen, und die Götter nad) eigener Laune von einer
ganz andern Seite darftellen Fonnte und durfte, als fie
vor ihm dargeftellt worden waren.
Die Grundzüge der einzelnen Charaktere waren ſchon
laͤngſt, wie man aus verſchiedenen Andeutungen ſieht, ſo
ſorgfaͤltig und beſtimmt bezeichnet, daß dieſelben nicht mehr
verändert werden Fonnten. Wenn Perſeus der herrlichſte
Kampfer der Worzeit heißt, wenn Neftor ) von Peirithoos
und andern Helden der Lapithen ſagt, ſolche Maͤnner habe
er nie geſehen, und werde ſie auch ſchwerlich je mehr
ſehen, ſo duͤrfte man doch wohl nicht zweifeln koͤnnen, daß
7) Hom. Il. I, 262 sqgq-
47
die Lapithen, Perſeus und alle Heroen, welche ehedem Goͤt⸗
ter waren, jene Charaktere und Vorzuͤge, mit welchen ſie
in den Sagen der ſpaͤtern Zeit erſcheinen, ſchon durch die
Tempel⸗Poeſie erhalten haben muͤſſen. Haͤtte ſich Neſtor
auf Peirithoos und ſeine Genoſſen berufen koͤnnen, waͤren
die Tugenden derſelben nicht aus alten Geſaͤngen allge—
mein bekannt geweſen?
Hera's Name mag Frau oder Herrin °) bedeuten,
in beiden Fallen fehen wir, wie fie den Charakter erhalten
mußte, welchen fie fchon bei Homeros hat. An dem Orte,
an welchem man die Mondgottin als mächtige Herrin oder
Herricherin verehrte, Fonnte die Sage und Tempel-Poeſie
zunachft nichts anders verherrlichen, als ihre Macht, der
nichts widerftehen Tann, vor der fich alles beugen
muß. Als fie fpater Götterfönigin und Gebieterin im
Dlympos wurde, (und welche andere Göttin hätte auch die
Poeſie mit mehr Recht zu diefer Würde erheben Tonnen,
als fie?) mußten die Grundzüge ihres Charakters durch
die Tempel-Poefie weiter ausgebildet werden, und ihr We—
fen allmahlig jene Umgeftaltung erhalten, in welcher fie in
der Slias erfcheint. Was Homeros von ihr erzahlt, iſt
nicht Erfindung feiner Zeit, fondern alte Sage und Uebers
lieferung. Auf gleiche Weife ift auch der Charakter der
Herven, welche ehedem Götter waren, fchon durch die Vers
berrlichung, die ihnen durch die alten Tempel-Sänger zu
Theil wurde, fo ausgebildet worden, daß fie jeder epifche
Sänger in feinen Gedichten aufführen Fonnte, ohne vorerſt
8) Schwend’3 Andeutungen, ©. 62. 291.
48
auf die Zeichnung ihrer Perfonlichkeit befondere Sorgfalt
zu verwenden.
Wir wollen bier nur drei Beifpiele anführen, den Ne
fior, Odyſſeus und Agamemnon. Neftor ift ale Gott des
Meeres ein Greis, wie Nereus. Wegen der Farbe des
Maffers befam er die grauen Haare, und fobald ihm diefe
beigelegt wurden, konnte man ihn nicht mehr als Züngling,
fondern nur als Greis darfiellen. Das Greifen Alter zeich-
net ſich durch Ruhe und Befonnenheit und durch tiefe Ein;
fiht in alle menſchlichen Verhaltniffe aus. Sp dürfen wir
uns nicht wundern, daß Neſtor überall, wo er auftritt, jene
Ruhe und Befonnenheit entwicelt, welche uns Liebe und
Verehrung gegen ihn einflößt, daß er überall auf die Zukunft,
nicht bloß auf den Augenblick der Gegenwart fieht, und wie
ein höheres MWefen, welches alle Aufwallungen des Blutes
und alle LeidenfchaftlichFeit abgeftreift hat, alle Verhaltniffe
beurtheilt, und deßhalb überall das Rechte trifft, fo daß
Agamemmon nichts fehnlicher wuͤnſcht, als noch zehn folche
Männer zu haben, und hofft, daß er in diefem Falle fchnell
an das Ziel feiner MWünfhe Fonımen würde, Won feinen
Lippen floß die Nede füßer als Honig. Sollte die hohe
Beredſamkeit, welche nicht Sache eines jeden Greiſes ift,
ihren Grund nicht darin haben, daß das Altertum dem
Waſſer begeifternde Kraft beilegte, und deßhalb fogar den
Apollon die Mantik von Glaukos erlernen ließ? Das Waſ—
fer hat aber auch noch eine andere Eigenfchaft. Es ift das
furchtbarſte Element, welchem nichts zu widerftehen vermag.
Aus diefem Grunde legte man dem Vofeidon das Pferd, das N
ftarkfte unter allen zahmen Thieren, bei. Aus diefem Um—
49
ſtande erflärt es fi), warum die ungewöhnliche Starke des
Neftor in vielen Epifoden der Ilias eine fo große Verherrs
lihung findet. Freilich mußte der heroifchen Zeit, welche
ihn als fterblichen König betrachtete, und ihn, um fein hohes
Alter zu erklären, drei Menfchenalter leben ließ, dunkel feyn,
wie ein Greis folhe Kraft und Starke befigen Tann, und da
die Wirklichkeit das Gegentheil zeigt, fo mußte die Vermu—
thung entftehen, daß er jene Vorzüge nur in feiner Zugend
gehabt habe, fo daß er fich vor Troja von einer ganz ans
dern Seite wirkſam zeigt. Nimmt man alle Stellen,
weldye den Neftor betreffen, zufammen, fo überzeugt man
fi gar leicht, daß er fchon lange vor Homeros den Cha—
rafter erhalten haben müffe, welcher uns mit folcher Der;
ehrung gegen ihn erfüllt, und da die frühefte Poeſie der
Griechen eine religidfe Grundlage hatte, fo fieht man
wohl ein, daß Neftor durch diefelbe niemals einen fo großen
Glanz hätte erhalten koͤnnen, wäre er urfprünglic nicht
mehr als König von Pylos geweien.
Auf gleiche Weife dürfte auch Odyſſeus feinen Cha-
rafter fchon in der früheften Zeit durch die religiöfe Poefte
erhalten haben. Als Sonnengott ift er fohlau und ver-
(hlagen, wie Hermes, und, wie diefer, voll Raͤnke; er
zeichnete fich durch die Gabe der Beredfamkfeit aus, wie
Hermes diefelde erfunden haben fol. Als Sonnengott ift er
ein gewaltiger Krieger und Stadtezerftorer, wie. Zeus oder
Apollon. Da aber der Sonnengott jeden Abend, wenn er
den Himmel verlaffen hat, fein Fahrzeug befteigt, um fi
auf demfelben nach dem fernen Oſten zu begeben, fo darf es
und nicht befremden, daß, wie Jopas von den Mühen der
Vorhalle zur Sriechifchen Gefhichte. 4
50
Sonne fingt, fo auch die Tempel-Sänger von den Leiden und
Befchwerden des Odyſſeus auf feinen nicht zu Ende zu fuͤh—
renden und immer von neuem zu unternehmenden Fahr:
ten fangen, und Odyſſeus auf diefe Weife der ftandhafte
Dulder ward, welchen wir in der Odyſſee erbliden, Als
Sonnengott, welder täglich im der Frühe feine Reife im
Dften beginnt, und nah Werften fahrt, kennt er freilich die |
Mohnftätten vieler Menfchen.
Auch Agamemnon, welcher früher bei den Karifchen
Voölkerfcbaften und den mit ihnen verwandten Zweigen die
nämliche Stelle behauptete, welche Zeus bei den Hellenen
hatte, fcheint den Charakter, mit welchem er in der Ilias
auftritt, fchon lange vor der Entftehung diefes Gedichtes ge:
habt zu haben. Wir glauben, daß ſich derfelbe aus dem
Praͤdikate Euryfreion, welches er ale Sonnengott trug, am
beften erflaren laffe. Das Licht verbreitet ſich beim Erſchei⸗
nen der Sonne nad) allen Richtungen. Seiner Macht kann
eben fo wenig etwas widerftehen, ale jener des Waſſers.
Agamemnon ward alſo, wie es ſcheint, in der fruͤhern Zeit
als maͤchtiger und gewaltiger Herrſcher gefeiert, und deßhalb
ſagt auch Homeros, Zeus habe ihm nur Einen Vorzug ver⸗
liehen, naͤmlich den, mit dem Scepter der Macht vor
allen Herrſchern der Erde geehrt zu ſeyn. Dieſe Be—
merkung des Saͤngers moͤchte unbefangene Leſer wohl uͤber⸗
zeugen, daß nicht erſt Homeros den Agamemnon fo gezeich-
net habe, wie er in feinem Meifterwerfe erfcheint, fondern
daß er ihn einführte, wie ihm bie älteften Sänger gefchildert
hatten. Sollen wir uns wundern, daß Agamemnon wegen
der großen Macht, die er als Sonnengott hatte, als ein
51
ftolzer, gebieterifcher Herrfcher erfcheint, welcher nichts von
Nachgiebigkeit hören will, daß er ferner wegen der Stellung,
welche er als Herrfcher über die gefammte Erde hatte, vor
Troja Gebieter aller Hellenen it? Wir glauben, daß man
ſich nicht fo faft darüber wundern dürfe, daß Agamemnon,
nachdem er einmal in die Neihe der Heroen herabgedrängt
war, als oberſter Gebieter aller Hellenen erfcheint, als dar:
über, daß er bei der vielfachen Verherrlichung, welche er in
alten Gefangen hatte, nicht als folcher hätte dargeftellt wer
den follen,
Mie die Namen und Charaktere der Heroen, welche
Praͤdikaten vom Sonne, Mond und Waſſer ihr Daſeyn zu
verdanken hatten, fehon lange vor Entftchung der Homeri-
fchen Gefänge befungen wurden, fo haben auch die Gegen
ftande und Attribute, welche fie ald Götter führten, früh:
zeitig eine große Verherrlihung gefunden, und mußten fie
auch erhalten, da fich diefelben eben fo jehr auf das Weſen
der Götter bezogen, wie die Namen und Praͤdikate. Mir
erinnern im diefer Beziehung an den Bogen des Apollon, an
feine Pfeile und an feinen Köcher, an den Wagen des Ares
und der Hera, an die Aegis, welche Zeus, Apollon und Pal
las mit einander gemein haben, an die Lanze der Pallas, an
die Sandalen und den Stab des Hermes! Wie oft werden
diefe Gegenftande erwähnt, und wie treulich legt Homeros
der Lanze der Pallas immer, fo oft er fie erwähnt, diefelben
Vorzüge bei! Hatte er den Göttern die genannten Gegen
ftände erft beigelegt, fo wäre er in der Wahl der Pradifate
durchaus nicht beſchraͤnkt geweſen. Allein da diefelben durch
die frühern Gefänge ficherlich fo vielfach gepriefen wurden,
4*
52
wie die Praͤdikate, welche die Götter führten, fo konnte er
die Beiwoͤrter nicht willfürlih wählen, fondern er mußte
fih an die Ueberlieferung halten. Daß diefe Gegenftände
vielfach gepriefen ‚wurden, Tonnen wir durch beftimmte Zeug-
niffe nachweifen. Hermes verherrlicht ) nicht bloß die Be—
baufung feiner Mutter Maja, fondern auch die Dreifüße
und Becken, welche in derſelben aufgehäuft lagen. Was
die Sage hier den Gott felbft preifen laßt, haben doc)
wohl auch die Priefter, welche zugleich) Sanger waren, ge:
priefen und verherrliht! Homeros fagt von dem Schilde
des Neftor, daß der Ruhm desfelben den Himmel er-
reicht habe. Wodurch Fonnte derfelbe diefen Glanz er:
halten, als durch die Poeſie? Waͤre er aber ein gewoͤhn⸗
licher Schild geweſen, harte er nicht, wie die Aegis, eine
fombolifhe Bedeutung gehabt, fo würde er ficher von Seite
der religiöfen Poeſie Feine fo große Verherrlichung erhalten
haben.
Die Argo nennt der Sänger der Dönifee 9) die viel
befungene, Wäre fie bloß von den weltlichen Sängern,
welche vor ihm lebten, gepriefen worden, fo hätte er ihr
jenes Pradifat noch keineswegs beilegen koͤnnen. Wenn
9) Hymn. Hom. III, 54 sgg.
410) Hom. Odyss. XH, 70. Welcker frimmt (Anhang zu
Schwend ©. 259) ganz mit unferer Anfiht über die Be:
fchaffenheit der alteften Griechiſchen Poeſie überein, indem
er fagt: „Der Griehifhen Poeſie lag groͤßtentheils dieſe
Hieratif zu Grund; ihr werden, wie weit fie fich frei ent:
faltete, die Wurzeln nachgewiefen, indem man, von ihr
felbft ausgehend, diefer im Dunfel der Urzeit nachſpuͤrt.“
53
nun die Argo von den Tempel-Sangern fo vielfach gepries
fen ward, foll das Schiff des Thefeus, foll jenes des Odyſſeus,
welche diefelbe Bedeutung hatten, nicht gleichfalld von jenen
Dichtern verherrlicht worden feyn ? Aus diefem Umftande
dürfte ſich auch erflären, warum die Schilde des Adhilleus,
des Agamemnon und Hektor, das MWehrgehenf des Herakles
und Menelaos in der epifchen Poefte in folch’ einem Slanze
erfcheinen, welchen diefe Gegenftände ficher, mie die viel-
befungene Argo, ſchon durd) die religiofe Poeſie der frühern
Zeit erhalten haben.
Menn wir bedenfen, daß die Grotten der Kirfe und
Kalypfo bei Homeros fo umftandlich befchrieben werden, daß
Hermes die Wohnung feiner Mutter verherrlicht, jo koͤnnen
wir leicht erachten, daß die Pallafte des Alfinoos und des
Menelaos, wie jene der Olympiſchen Götter, ſchon durch die
Sänger der frühern Zeit jene Herrlichkeit erhielten, welche
diefelben bei Homeros umſtrahlt, daß dieß aber nicht gefcher
ben wäre, hätten die Eigenthümer derfelben nicht früher eine
viel höhere Bedeutung gehabt, als diejenige ift, welche ihnen
in der fpätern Zeit angewiefen wurde.
Daß die Schickſale der Götter, ihre Geburt und ihr ſym—
bolifcher Tod Gegenftand des früheften Geſanges waren, er;
fehen wir aus den im Eingange diefes Capitels über die Ge—
fange des Hermes und der Mufen angeführten Stellen. Wenn
wir auch diefe beftimmten Zeugniffe nicht hatten, und aus
der Ungabe des Virgilius, daß Jopas die Mühen der Sonne,
die Irren des Mondes und ahnlicye Dinge pries, über die
urſpruͤngliche Bedeutung jener Schieffale nicht genau aufge-
Hlärt waren, fo Fönnten wir fchon aus der Art und Weiſe,
54
wie Homeros viele Sagen von den Schickſalen einzelner Goͤt⸗
ter darjtellt, mit großer Zuverficht abnehmen, daß diefelben
eine fombolifche Bedeutung hatten, und lange vor ihm muͤſſen
gepriefen worden fegyn. Die Tempel-Saͤnger, welche die
Attribute der Gotter fo vielfach verherrlichten, durften und
fonnten die Schidfale derfelben nicht mit Stillfehweigen über-
gehen, Niemand wird glauben, wenn er das Altertfun nur
einigermaßen Tennt, daß Homeros die Sagen von ber Feffe-
lung des Zeus, von dem Herabhängen der Hera, von dem
Falle des Hephäftos und viele ähnliche erfunden, und fich fo
weit vergeffen habe, mit den Göttern zu fcherzen. Wie De
modokos die Liebe des Ares und des Hephaftos befingt, fo
waren die eben genannten Schickſale des Zeus, der Hera und
des Hephaftos gewiß an vielen Orten, wo man dieſe Götter
verehrte, befungen worden. Sie enthielten urfprünglich durch⸗
aus nichts, was die Würde der Götter hätte verlegen koͤnnen.
Erft in der fpätern Zeit, welche die fombolifche Bedeutung
diefer Sagen aus dem Auge ließ, mußten diefelben anftößig
erfheinen. Daß Homeros den Sinn derfelben nicht mehr
fannte, fehen wir aus der Art, wie er fie erzaplt. Wer wird
nun aber behaupten, der Dichter habe abfichtlich fonderbare
Mythen gebildet, um dadurd) die Aufmerkſamkeit feiner Hörer
mehr zu feffeln? Die alten Sänger priefen die Geburt des
Zeus und anderer Götter, d. h. den Aufgang der Sonne und
des Mondes, fie fangen von dem Tode berfelben oder von
dem Ilntergange der Sonne, wie Jopas, von dem Hinab⸗
fteigen derfelben in den Hades und ihrer Dienftbarfeit bei
dem Beberrfcher desfelben, wie wir dieß aus Der Art und
Weiſe, auf welde Homeros die Dienftbarkeit des Apollon
55
und Pofeidon bei Laomedon erzählt, fehr beftimmt abnehmen
Tonnen, fie fangen von den Irren des Mondes und der
Sonne, wie Jopas, oder, nachdem aus den Pradifaten,
welche diefe Kichtförper trugen, Weſen mit menfchlicher Ge
ftalt gebildet worden waren, von den Wanderungen des Apol⸗
lon, des Bellerophon, von jenen der Xeto, der Demeter und
der Jo und aller derjenigen Götter, welche mit den angeführs
ten urfprünglich diefelbe Bedeutung hatten. Die Beweife
für diefe Behauptungen finden ſich theils in den Homerifchen
Hymmen, theils in der Ilias und Odyſſee. So wenig der
jenige Dichter, welcher den zweiten Hymnus an Apollon
dichtete, die Irren der Leto erfunden hat, eben fo wenig darf
man glauben, daß die Srrfahrten des Odyſſeus und die Wan.
derungen der Helena und des Menelaos von Homeros auss
gedacht worden feyen, welcher die Ruͤckkehr des Donffeus,
des Menelaos und der Helena von Troja benügte, und die
genannten Perfonen nach allen Richtungen herumirren ließ,
um feinen Gefangen eine große Ausdehnung und durch) die
Abentheuer, welche den genannten Weſen auf einer langen
Reiſe begegnen mußten, ein höheres Intereſſe zu verleihen.
Mer über den Sänger der Ilias oder Odyſſee fo urtheilt,
wahrlich, dem ift das Altertum eine unbefannte Welt,
Die Sirrfahrten des Odyſſeus waren, wie die Fahrten
des Helios, wie jene der vielbefungenen Argo langft vor Ho-
meros verherrlicht worden, wenn auch nicht in dem Umfange
und der Art, wie er fie behandelte.
Eben fo dürfen wir die vollfommenfte Zuverficht begen,
daß die Sagen über die Wanderungen der Helena und des
Menelaos fo alt fenen, als jene von Dem Irren der Leto und
56
Jo, und eben deßhalb, weil fie, wie diefe, ſymboliſche Bes
deutung hatten, von den Tempel-Sängern vielfach befungen
wurden. Die fchone Epifode von der Liebe des Hektor und
der Andromache verdankt ſicher ihre erfte Entftehung nicht
dem Homeros, fo viel fie auch durch ihn an Anmuth gemon-
nen haben mag, fondern, wie die Sage von der Kiebe des Ares
und der Aphrodite, jenen alten Sängern, melde nur religiöfe
Gegenftande verherrlichten. Dasfelbe dürfte auch von den
Freiern der Helena und der Penelopeia gelten.
Durch die Verherrlichung der Schidfale der einzelnen
Götter mußten die Hymmen ſchon eine ganz andere
. Seftalt befommen, als fie anfangs gehabt haben dürften,
wo fie nur eine Furze Anrufung der Götter und Angabe ihrer
Namen und Pradifate enthielten. Eine noch ungleich größere
Veränderung und Umgeftaltung dürfte die ältefte Poeſie der
Griechen durch die: Befingung der Thaten der Götter. und
jener Herven, welche früher Götter waren, gewonnen haben.
Die Beweife, daß diefelben vielfach gepriefen wurden, liefern
theil8 einzelne Angaben und Epifoden der Jlias und Odyſſee,
theils die Homerifchen Hymnen. Mie hatte Homeros den
Hermes Argostddter nennen koͤnnen, ohne über die Ber
deutung dieſes Namens nur ein Wort zu bemerken, wenn die
That des Gottes nicht vielfach befungen gemefen wäre, fo
daß er nur den Namen anzuführen brauchte, un diefelbe fei-
nen Hörern in das Gedaͤchtniß zuräczurufen? Den Sohn
der Danae *') nennt er den herrlichften Kämpfer der Vorzeit,
ohne von den Kämpfen, wodurch er ſich feinen Ruhm er-
11) Hom. Il. XIV, 319 egg.
57
warb, weitere Meldung zu machen. Wodurch konnte Per:
feus den ungewöhnlichen Glanz, welchen fchon diefer Name
über ihn verbreitet, erlangt Haben, als durch die vielfache
Berherrlihung, welche feine Thaten lange vor Homeros ger
funden haben müffen? Den Oreftes nennt 2) der Sänger
der Ddyffee Agamemnons gepriefenen Sohn, und bemerkt
an einer andern Stelle ®), daß den Dreftes rings unter den
fterblichen Menfhen der Ruf preifet, feit er den Mörder
Aigiſthos getoͤdtet.
Die Thaten der Götter, welche natürlich nur eine fyms
bolifhe Bedeutung haben Fonnten, laffen fich in dret große
Claffen eintheilen, in die Erlegung fchädlicher Ihiere, in die
Entwendung von Göttinen und Heerden und in Kämpfe.
Diefe fcheinen vorzugsweife von den Sängern vielfach geprie-
fen worden zu feyn. Damit wollen wir aber Feineswegs be-
haupten, daß nicht aud) die übrigen Yeußerungen ihrer Macht
in der frühern Zeit vielfache Verherrlichung gefunden haben,
Die Homerifhen Gefänge und die Hymnen enthalten zu
deutliche Spuren von der Verberrlichung der gefammten Wirk,
ſamkeit der einzelnen Götter, als daß man diefelbe in Zweifel
ziehen koͤnnte. Wer den Eingang der Ilias mit Aufmerk
ſamkeit liest, und die Schilderung des zürnenden Apollon
unbefangen betrachtet, dürfte uns wohl zugeben, daß ung
Homeros Feine ſolche Charakteriſtik *) des Gottes hätte geben
koͤnnen, wäre der Zorn des Gottes, fo wie die Folgen desfelben,
12) Od. I, 29 sq.
13) Odyss. I, 299 agg-
44) Il. I, A3 sqgq.
58
nicht ſchon vor ihm in vielen Liedern befungen gewefen. An
einer andern Stelle verherrlicht er den Gott als Beſchuͤtzer
und Schirmer von Killa und Tenedos”). Gewiß war No»
meros nicht der erfte Dichter, welcher den Apollon als Herr:
fcher von Tenedos pries. Pallas vermag reife in Züng-
linge umzuwandeln, und Günglinge mit aller Anmuth zu
umftrahlen, Hermes fchließt mit feinem Stabe die Augen
der Menfchen, und öffnet fie wieder. Soll Homeros diefe _
Dinge erfunden haben? Wir glauben, daß er nur der
alten Weberlieferung folgte, und wie hatten die Neußerungen
und Wirkungen der Macht der einzelnen Götter ein fo
feftes Gepraͤge erlangen Tonnen, wären viefelben nicht von
den ZTempel-Sängern vielfady verherrliht worden?
Allein wir dürfen nicht glauben, daß die religiöfe
Poefie die Macht und die Thaten der Götter anfangs in
einer fo großen epifchen Entfaltung befungen habe, wie
dieß in den größern Homerifhen Hymnen der Fall if.
Sicher ftellte man diefelben anfangs mit wenigen Morten
dar, wie dieß in den Eleinern KHomerifchen Hymnen *)
geſchieht. Erft als die Poeſie ſich weiter entwidelte, und
bei den Fortſchritten der Cultur fi allmählig hob, muß-
45) 11. I, 37 sq.
16) Wir wollen hiermit Feineswegs fagen, als hätten die Elei-
neren Hymnen, welhe des Homeros Namen tragen,
fammtlih ein höheres Alter, als die größern, was fich
durchaus nicht erweifen läßt, fondern wählten diefen Ber:
gleich einzig deßhalb, um auf den Unterfchied zwifchen der
furzen Darftellung einer That in wenigen VBerfen und
der epifchen Entfaltung derfelben aufmerkfam zu machen,
59
ten die Hymnen, welche die Macht und Thaten der Got:
ter verherrlichten, einen größern Umfang erhalten, wie ihn
der Hymnus an Demeter oder jener an Hermes hat.
Die Belchaftigung ber Götter Fonnte bei der fymboli⸗
fhen Bedeutung, welche diefelbe hatte, von den Tempel⸗
Sängern nicht unberüdjichtigt bleiben. Das Weben der
Kirfe und Kalypfo, der Pallas, Arete und Helena war,
wie man aus der Darftellung des Homeros abnehmen kann,
fhon lange vor ihm befungen worden, und mußte, in fo
ferne e8 die ſymboliſche Verſinnlichung der ſchaffenden
Macht diefer Göttinen war, von der religiofen Poeſie
verherrlicht werden, So groß auch der Glanz war, wel-
hen diefe ſymboliſchen Darftellungen durch die frühefte
Poefie erhielten, fo dürfte doch jener, welcher der Erlegung
von Thieren durch Götter, der Entführung von Göttinen,
der Entwendung von Rindern und den Kampfen, welche
einzelne Götter mit einander beftchen, zu Theil ward, noch
ungleich größer gewefen ſeyn. Je weiter die Poeſie fort
ſchritt, defto anziehender mußten diefe Gegenftände für die
Sänger werden, deſto größere Verherrlihung mußten die-
felben von ihrer Seite erhalten. Wir erinnern in dieſer
Beziehung zunörderft an die Erlegung des Pythiſchen Dras
hen durch Apollon. Wie ausführlich iſt diefelbe in dem
eriten Homerifhen Hymnos erzaͤhlt! Soll die Erlegung
der Hydra durch Herakles nicht eine eben fo große Vers
berrlihung gefunden haben? Die Zödtung der Chimära
durch) Bellerophon war ficher ſchon lange vor Homeros ber
fungen, und wie hatte Homeros den Perſeus den berr-
lichften Kampfer der Vorzeit nennen Tonnen, wäre fein
60
Kampf mit den Gorgonen nicht vielfach erzahlt und aus
geſchmuͤckt worden ? |
Die Sage von der Entführung der Europa durd) Zeus
ift uralt “), und wie diefes Creigniß nad) dem Trojani⸗
ſchen Kriege *) noch vielfach befungen wurde, fo war es
fiher fchon lange vor Homeros von Sängern verherrlicht.
worden, fo daß Homeros nur darauf hinzudeuten brauchte,
Waͤre dieß der Fall nicht gewefen, fo hatte er feinen Zuhörern
dunkel feyn müffen. Die Entführung des Tithonos durd)
Aurora, des Ganymedes durch Zeus hat Homeros nicht er-
funden, fondern ficher nach alten Gefängen erzählt. Sollten
wir irren, wenn wir behaupten, daß auch die Entführung
der Helena durch Thefeus und Paris fchon von den Tempel-
Sängern behandelt wurde, da fie diefelbe ſymboliſche Bedeu-
tung. hatte, wie die Entführung der Europa dur Zeus?
Ueberhaupt koͤnnen wir uns nicht zu der -Anficht bekennen,
als habe Homieros diefe und ahnliche Sagen erfunden. Mill
Fürlich hat der Sänger der Zlias und Odyſſee nichts erdich-
tet, und Fonnte es auch nicht. Zugleich war ein fo großer
Neichthum von Sagen und Gefangen. vorhanden, daß Fein
Dichter in die Nothwendigkeit verfeßt war, Mythen zu fchaf-
fen, und durch ihre dichterifche Behandlung fein Talent zu
zeigen,
Ein anderer der größern Homerifchen Hymnen verherr-
licht die Entwendung der Rinder des Apollon durch Hermes
auf eine fehr ausführliche Weife. Die Entwendung der Rin-
der des Iphikles durch Melampus erzählt Homeros nad)
47) Hom. Il. XIV, 321.
48) Schol, Hom. IM. VI, 130. Pausan. IX, 5.
6i
älteren Quellen und Liedern. Denn da er diefes Faktum
buchftablic faßt, welches doch eine ſymboliſche Bedeutung
gehabt hat, jo Fann er es unmöglich zuerft befungen haben.
Die Rinder des Dedipus und der Kampf um diefelben wer:
den bei Hefiodos ©) auf eine folche Weife erwahnt, dag man
fieht, daß diefelben vielfach verherrlicht wurden, und daß der
Kampf, welcher um diefelben ftattgefunden, ein Lieblinge:
gegenftand der Sänger geweſen feyn muͤſſe; fonft hatte ſich
Hefiodos nicht mit einer kurzen Hinweifung auf denjelben
begnügen koͤnnen, fondern die Sache entweder ausführlich
erzählen, oder ganz mit Stillfhweigen übergehen müffen.
Daß die Entwendung der Rinder des Geryones durch Her
rakles fchon von früheren Sängern gepriefen wurde, läßt
ſich aus dem hohen Slanze abnehmen, welcher den Alfiden
bei Homeros umgibt. Wie diefe Ihaten von den Tempel-
Sängern verberrlicht wurden, fo dürften auch alle ähnlichen
fhon lange vor Homeros Gegenftand des Geſanges gewe—
fen feyn.
Ungleich anziehender aber waren für die Poeſie die
vielen Kämpfe der einzelnen Götter, welche eine ſymbo—
liſche Bedeutung hatten, wie die Entführung der verſchie⸗
denen Goͤttinen und die Entwendung der Rinder. Der
Streit des Poſeidon und der Hera, des Poſeidon und der
Pallas ift befannt, und die Sagen von demielben find fo
alt, als der Cultus dieſer Goͤtter in Argos und Athen.
Aus einem einfachen Streite ward allmaͤhlig ein foͤrm—
licher Kampf, welcher, als man die ſymboliſche Bedeutung
19) Hesiod. &py. 161 sqq.
62
des Todes der einzelnen Götter, welche zu Heroen herab:
ſanken, buchſtaͤblich auffaßte, fo fehredliche Folgen haben
mußte, daß einer der Kampfenden verwundet oder gar ge
tödtet wurde, Der Kampf des Lyfurgos (Apollon) und des
Dionyfos ift aus der Ilias bekannt. Daß der Sänger
denfelben nicht zuerft verherrlichte, fondern nad) Altern Ge
fangen erzählte, fehen wir daraus, daß ihm die Bedeutung
desfelben fchon dunkel war. Der Streit des Achilfeus und
Odyſſeus hatte diefelbe Bedeutung. Ware er nicht ſchon von
Altern Sängern ausführlich erzählt worden, fo würde Ho
meros nicht fagen ”), Demodokos habe aus dem Gefange,
deffen Ruhm damals den Himmel erreichte, den
Zanf des Odyſſeus und Achilleus gewählt, welche fich vor
mals am feftlihen Male der Götter mit feindfeliger Rede
entzweiten.
Wenn dieſer Streit fo vielfah befungen war, daß
der Ruhm desfelben, wie der Sänger der Odyſſee fagt,
den Himmel erreichte:. foll die Menis des Peliden, fein
Streit mit Agamemnon nicht eben fo fehr von den
frühern Sängern verherrlicht worden feyn? Wir hegen die
Ueberzeugung, daß dieß niemand beftreiten, und jeder uns
befangene Lefer uns gern einraumen wird, daß die Kampfe
der einzelnen großen Herven, welche die Ilias enthalt, von
den Vorgangern des Homeros eben fo gepriefen wurden,
wie der Streit des Achilfeus und Odyſſeus. Der Kampf
des Achilleus mit Apollon und Paris?!) und der Tod des
20) Odyss. VIII, 74. sqgq.
24) Bei Homeros (I. XXIT, 359) fagt der fterbende Heftor,
63
Achilleus waren fiher fchon lange vor Homeros befungen,
fo auch der Kampf des Menelaos und Paris, welche,
weil fie ehedem diefelben Goͤtter waren, auch mit einer und
derfelben Göttin vermahlt find, Der Kampf des Diomes
des mit Aphrodite und Ares, welcyer diefelbe Bedeutung
hatte, wie der Streit des Vofeidon mit Pallas oder jener
des Dionyfos und Lykurgos, mußte bei feiner fombolifchen
Bedeutung von den Tempelfängern gepriefen werden. In
jener Zeit, in welcher die Sagen von demfelben entftanden,
fonnten diefe eben fo wenig etwas die Würde der ger
nannten Götter Verletzendes enthalten, als die Erzählun:
gen von dem Streite der Pallas und des Pofeidon. Da
fie vielfach verherrlicht wurden, gingen fie in die Dich-
tungen der heroifchen Zeit über, in welcher aber das Ver:
ſtaͤndniß derfelben bereits erlofhen war, fo daß diejenigen,
welche diefe Mythen dem Homeros beilegen, demfelben den
ſchrecklichen Vorwurf aufbuͤrden, den der Sänger der Jlias
durchaus nicht verjchuldete, als habe er die Würde der
Götter Feineswegs berücfichrigt, fondern nah Laune mit
denfelben, wie mit fterblihen Menfchen, gefpielt!
Daß diefe Kampfe fchon lange vor Homeros nicht mehr
verftanden wurden, aber weil fie vielfach befungen waren,
auch der Vergeffenheit nicht anheim fallen fonn-
ten, dürfte fi aus dem bisherigen Grörterungen abneb-
men lafjen. Sobald die Goͤtter, weldye diefe Kampfe mit
einander beftanden, in die Neihe der Herven herabgedrangt
Achilleus würde von Apollon und Paris am Skaͤiſchen
Thore getödtet werden,
64
und als Könige derjenigen Orte betrachtet wurden, an
welchen fie ehedem verehrt worden waren, mußten bie
Kämpfe bald eine veränderte Geftalt und eine große Ausdeh-
nung gewinnen. Wie Fonnte man in einer Zeit, in welcher
diefer Streit in gewöhnlicher und buchftablicher Bedeutung
aufgefaßt wurde, einzelne Könige, welche über mächtige
Reiche geboten, allein Fampfen laffen? Aus dem ſym⸗
bolifhen Kampfe ward durch Mißverftandnig ein form;
licher Krieg. Peirithoos und Eurytion, welcher ehedem
ein und derfelbe Gott waren, firitten um die Hippoda—
meta, welche mit jenem in eben-fo. naher Beziehung ftand,
wie mit diefem. Allein fobald beide als die Könige zweier
Bölferfchaften, der Keutauren und Lapithen, betrachtet wurden,
ward aus ihrem Streite ein blutiger Krieg”) zwiſchen den
Bölfern, über welche man fie herrfchen ließ, welcher viel
fach befungen, und felbft bei den Roͤmiſchen Dichtern noch
haufig erwähnt wurde, |
Daß der Streit des Eteofles und Polyneikes urfprüng-
lich eine fombolifche Bedeutung hatte, wie jener des Dio-
nyfos und des Lykurg, dürfte wohl keinem Zweifel unters
ltegen, und da der Streit des Peirithoos und Eurytion eine
jo fonderbare Geftalt erhielt, fo darf es uns nicht befrem—
den, daB aus dem Kampfe der beiden. Brüder, welcher
früher durchaus Feine politifche Bedeutung hatte, all-
mählig ein furchtbarer Kampf zweier Heere hervorging, welcher
ſchon lange vor Homeros verherrlicht wurde, wie der Krieg
der Kureten und Metoler ?), welcher in der alten Sage
22) Hom. Il. 1, 262.
235) Hom. Il. IX, 529.
65
eine ganz einfahe Sache bezeichnete, von welcher fpater
ausführlicher gefprochen werden fol. Wie fünnte Melea-
gros als Mufter eines Heros eingeführt werden, wenn nicht
feine That, wie jene des Perſeus, welchen Homeros den herr:
lichſten Kämpfer der Vorzeit nennt, ſchon von den frühern
Sängern vielfady ware verherrlicht worden !
Der Kampf des Neftor und des Itymoneus“) ward
in einen Krieg der Eleer und Pylier umgewandelt, und
durch die Dichter vielfac) erweitert und ausgefhmüdt. Das:
felbe gilt von dem Kampfe des Neftor mit Mulios *), dem
Eidame des Augeias, woraus bei der irrigen Auffaffung
desjelben in der fpatern Zeit ein Krieg der Pylier und Epeier
hervorging. Der Kampf des Herakles mit Neleus*) fcheint,
wie jener des Alfiden mit Hades”), fchon lange vor No:
meros durch die Gefange der frühern Dichter einen außer:
ordentlichen Glanz erlangt zu haben. Wenn Homeros von
Euryalos, dem Sohne des Mekiftheus, jagt”), er habe
alle Kadmeonen befiegt, fo kann man aus diefer Angabe
deutlih genug abuchmen, wel’ eine Verherrlihung auch
ihm durch die Tempels Sanger zu Theil wurde.
Wir Fonnten noch eine Menge ähnlicher Kampfe an:
führen, wenn die bieherigen Erörterungen für unſern Zweck
nicht vollfommen genügten. Wer diejelben unbefangen prüfr,
wird uns gerne zugeben, daß der Uebergang von der
24) Hom. Il. XI, 670 sggq.
25) Hom. Il. XI, 736 sqgq.
26) Hom. Il. XI, 690 sqgq-
27) Hom. il. V, 595. VIII, 566.
28) Hom. Il. XXIII, 677 sqg-
Borhalle zur Griechiſchen Geſchichte. 5
66
Tempel» Poefie zum epifchen Gefange nicht ploͤtzlich er-
folgte, und Feineswegs durch einzelne Sanger herbeigeführt
wurde. Gewöhnlich halt man den Thampris für den erften
epifchen Sänger, und glaubt, daß die Sage von feinem
Kampfe mit den Mufen und der Blindheit, womit er in Folge
desfelben geftraft wurde, ihren Grund in dem Umftande
habe, daß er zuerft die religiofe Poefie verließ, und
fi) mit der Verherrlichung weltlicher Gegenftande befhaf- -
tigte. AUbgefehen davon, daß ein einzelner Sänger der
Poefie, ſey er auch noch jo groß, wenn fie fo lange im
Dienfte der Religion geftanden, nicht ploͤtzlich eine welt
liche Richtung geben Fan, hat jener Mythos, wie der vom
Kampfe des Apollon und Marfyas, eine ganz andere, eine
ſymboliſche Bedeutung, von welcher fpater gefprochen werden
fol. Bei der großen Verherrlichung, weldye die Schickſale
und Thaten der einzelnen Götter durch die Tempel» Sänger
fanden, mußte die religtofe Poeſie mit der Zunahme der Eultur
allmahlig einen böhern Aufſchwung und eine große
epiſche Entfaltung erlangen, ohne daß ein Sänger den
einmal eingefchlagenen Weg zu verlaffen, und große Neue:
rungen zu wagen brauchte.
Mer die bisherigen Erdrterungen ohne Vorurtheile be
achtet, dürfte auch einjehen, wie bei dem hohen Glanze,
welchen die Schicfale und Thaten der Götter durd) die
frühern Sänger erhalten hatten, die Vorfälle des gewoͤhn⸗
lichen Lebens in der heroiſchen Zeit unbeachtet bleiben
mußten. Eine Menge von Goͤttern war durch die vielen
Voͤlkerwanderungen und politiſchen Umgeſtaltungen, welche
Griechenland in der fruͤhern Zeit erfuhr, zu Heroen herab⸗
67
gefunfen. Die Thaten, welche diefelben vollbrachten, und
ihre verfchiedenen Schickſale waren bei der religidfen
Bedeutung, welche fie ehedem hatten, von einer Reihe
von Sängern verherrlicht. Sobald die MWefen, an
deren Namen diejelben geknüpft waren, als fterbliche Koͤ—
nige und Gebieter derjenigen Drte angefehen wurden, wo
man fie ehedem als Götter verehrte, mußte man auch ihre
Thaten für gewöhnliche Ereigniffe und zum Theil für
Fühne Wbentheuer halten. Was konnte die Sänger der
heroifchen Zeit mehr anziehen, als die Fahrt der viel ber
fungenen Argo, was fonnte fie mehr anziehen, ald die
vielen Kämpfe der Heroen, aus denen allmählig Kriege
ganzer Völferfchaften hervorgegangen waren? Welche Manner
der heroifchen Zeit Fonnten fidy mit Herakles, mit Adil-
leus, Ajar, Odyſſeus, Neftor, Divmedes und vielen hun-
dert andern meſſen, welche früher Götter waren, und durch
die Tempelpoefie mit dem hoͤchſten Glanze umgeben
worden waren? Mer konute ſich im ganzen heroijchen
Zeitalter (aus der Claffe der Menfchen) dem Perfeus, dem
berrlichften Kampfer der Vorzeit, an die Seite fielen?
Mußten nicht die vielen Sänger der hereifchen Zeit, welche
fi) an den Höfen der Fürften aufhielten, durd) den Glanz
und die Herrlichkeit, welche diefe zu Heroen herabgefun:
fenen Götter und ihre Thaten umjirahlte, bezaubert, auf
Borfälle des gewöhnlichen Lebens, welche für die Poeſie
überhaupt nicht jo viel Anzichendes haben, wie vergangene
Zeiten und Vorfälle, mußten fie nicht auf die kleinen Fehden
und Voͤlkerbewegungen ihrer Zeit vergeffen? Hatten Dies
felben für die kriegeriſch gefinnten Fürften, denen fie Die
5*
68
Tage des Lebens verfchonerten, ein fo hohes Intereſſe haben
koͤnnen, wie die Abentheuer des gigantifchen Herakles und
anderer Heroen der Art, welche alle Hörer bezaubern mußten ?
Die Sänger Fonnten diefelben bei den vielen Vor—
gängern, welche fie auf diefem Felde hatten, ungleich anmu⸗
thiger erzählen, und auf ihre Hörer mächtiger wirken, als
dieß bei der Behandlung täglicher Vorfalle möglich geweſen
ware. In der Zeit nach dem Trojanifchen Kriege ereigneten
ſich mauche Begebenheiten, welche von den epifhen Dich—
tern hatten befungen werden fonnen Warum
thaten dieß Peifandrog, YPanyafıs, Antimados
und andere nicht, warum Fehrten ſe zu dem alten Sa—
genfreife zuruͤck?
Wenn ſich ſelbſt dieſe Dichter von dem der
alten Heroen angezogen fuͤhlten, und die Beſingung
ihrer Thaten anziehender fanden, als die Verherrlichung der
Vorfaͤlle der hiſtoriſchen Zeit, ſollen wir uns wundern, daß
dieß die Saͤnger der heroiſchen Zeit gethan haben, und
daß dadurch, da es damals noch keine Geſchichtſchreiber gab,
die meiſten Ereigniſſe, die natuͤrlich von keiner großen
Bedeutung waren, fuͤr uns in Vergeſſenheit geriethen,
und hoͤchſtens die vielen Voͤlkerzuͤge und Coloniſationen, wozu
auch die Sage von der doppelten Einnahme Ilions gehoͤrt,
von der Sage in einem mythiſchen Gewande dargeſtellt, in
die Schriften der Logographen uͤbergingen? Welche Helden
verherrlicht Pindaros, und wie gerne kehrt er zu den Heroen,
beſonders zu Herakles zuruͤck!
Der Reichthum an alten Geſaͤngen mußte in der he—
roiſchen Zeit ſehr groß ſeyn. Die Charaktere der zu Heroen
69
berabgefunfenen Götter hatten längft ihr feftes Gepräge er,
halten, die Creigniffe, Schickſale und Thaten, die an ihre
Namen gefnüpft waren, waren vielfach erweitert und ver-
fhönert worden. Die Sänger der heroifchen Zeit konnten
aus diefer Duelle nach Belieben fhöpfen, und die ſchoͤnſten
Blumen verbinden. Die Verknüpfung einzelner Sagen und
Kampfe zu einem großartigen Ganzen und die innere
Abrundung der einzelnen Theile, welche, wenn ein harmo-
niſches Merk entftehen follte, fowohl unter fich, als auch zu
der Idee, welche das Ganze durchdrang, ein gehöriges Ver—
baltnig haben mußten, das war die große Aufgabe, welche
den Dichtern. der heroifchen Zeit übrig gelaffen war. Die
Wahrheit diefer Behauptung verbürgt ung der Name Ho—
meros, welcher nichts anderes bedeutet, ale Ver
fnüpfer oder Zufammenfüger. Wir wollen in dieſer
Beziehung unfern verehrten Lehrer Welcker reden ”) laffen.
„Dem Homeros fcheinen in den Zeiten der Achaer und
in den früheren Heldenliever vorauggegangen zu feyn in
einer größern Fülle und in Anfehung mancher Stoffe von
einer größern innern Entfaltung und Durchbildung, als wir
fie bei irgend einem andern Wolfe Fennen oder vermuthen
dürfen. Seit der Ilias aber, die zwar gewiß nur als das
erfte vollfommene Mufter, nicht als die erfte Erfindung
einer neuen groͤßern Gattung zu betrachten ift, fehen
wir eine Reihe von epifchen Gedichten fi) drangen, die in
großem Umfang eine Menge von Verfonen und Begeben-
beiten zu einer dihterifhen Einheit zufammenfügen.
29) Der epifche Cyclus. S. 121 sqg-
To
Diefe große Neuerung und Erfindung, die größte, die je in
der Kunft gemacht worden ift, und gemacht werden Fonnte,
und die unter den Griechen, durch ihren Einfluß auf alle an:
dern Hauptgattungen, den Charakter und die Höhe ihrer
Kunft überhaupt entſchieden hat, ift bezeichnet durch den
Namen Homeros, ded Zufammenfügers Allgemein
war in alten Zeiten der Gebraud) , die Dichter, die Meifter
und Künftler, auch in Bezug auf befondere Arten der Werke
(wie Smilis und Endoͤos als Collectionamen) nicht nad) dem
zufälligen Eigennamen, fondern nach ihrem Stand
und Vermoͤgen zu nennen, wodurd) fie für ihre Umgebung
und Zeit Fenntlich genug waren, und im Mebergang auf fol-
gende Gefchlechter im Ganzen genommen einen höhern, den
allgemeinen Perfonen der Mythen ähnlichen Charakter er:
hielten. — Wie das niedere Volf von dem Salzmann, dem
Tuchmann fpricht, oder auch dem Arzt oder Quackſalber, der
das Land durchzieht, ohne fich um feinen Namen zu kuͤm⸗
mern, fo halt die Volfsfage ſich auch bei den Wahrfagern
und den Sängern gern an das Wort felbft oder an bes
zeichnende, meiftentheils chrende Beiworter. Indem man
allein im der Gegenwart lebt, bedarf es für die erften ihrer
Art, um fie allgemein zu unterfcheiden,, des Eigennamens
nicht: erft durch Denkmäler, Annalen und Gefhichte wird
das Bedürfniß der Namen erwedt und gepflegt, die ohne
jene nicht dauern, Faum über fünfzig Jahre ſich in der Erins
nerung des Volkes erhalten, wie längft bemerft worden ift.
Auch noch in Zeiten, Die zwar .litterarifch, aber doch noch
nicht fehreibfelig waren, und worin die Kunſt alles, ihre
Gefhichte nichts war, bat man oft fehr berühmte Meifter P
71
nur unter ihrem Vornamen oder einem Zunamen trau—
lich und als waren fie für die Gefchichte nicht da, fortgeführt,
bis diefe dennoch ſich ihrer bemächtigt, und ihnen die allein
auf die Gegenwart eingerichtete und aus dem naͤchſten Kreife
zufällig hervorgegangene Benennung entweder abgeftreift, oder
auch für immer feftgeftellt hat. Wenn aber andere Dichter:
namen unbeftimmter find, wie Hefiodos, Eumolpos, Mur
ſaͤos, ſo hat das Wort Homeros das Eigenthuͤmliche, daß
es eine befondere Gattung beſtimmt ausdruͤckt, die
der umfaſſenden und zur Einheit verbindenden Gedichte.
Vermuthen duͤrfen wir, obgleich in dem aͤlteſten Gebrauche
des Namens, ſo viel uns jetzt davon vorliegt, keineswegs
Grund gegeben iſt, daß derſelbe zuerſt als Beinamen
eines angeſehenen Individuums aufgekommen iſt, fo wie wir
kaum noch erfahren, daß Steſichoros Tiſias geheißen
hat, wie wir die Korinna auch Myia”), Kleobu—
line, die Rathfeldichterin, auh Eumetis genannt finden.
Sehen wir doc; auch anderwarts beliebte Dichter vom Wolfe
‚unter Beinamen herumgetragen °'). — Der Dichter der Ilias
ift eine Perfon, unter allen Gefchlechtern der Menfchen eine
der hervorragendſten; eine andere unbekannte Perfon, eine
hoͤchſt ſinnvolle und kunſtgeuͤbte, iſt der Dichter der Odyſſee;
nicht aber iſt der Homeros eine Perſon, welcher ſo viele
30) Creuzer, Melet. III, pag. 10. 16.
z1) Wie Saͤmund Siegfus, fagt Welder, im elften Jahrhun—
dert als Frode, der Weife, befannt war, der altfchottifche
Lermont von Ereildoune Thomas Rhymar (Neimer) ge:
nannt wurde. Weber Heinrich der Glichefare und William
die Madoc f. J. Grimm im Reinhart ©. CIX. CXLIX.
72
Voefien einige Zahrkunderte hindurd zu dichten fortfährt.
Allerdings ift es eine einzige Erfcheinung, wie die Vergötte-
rung bier mit gaͤnzlicher Unbefanntheit der wirklichen Le—
bensverhältniffe der Perfon zufammentrifft, angenommen,
daß Homeros als wirklicher Beiname des Dichters der Ilias,
im Leben oder bald nachher, aufgefommen fey, und daß
fein Anfehen, als Urhebers diefes Werks, den Anlaß gegeben
babe, ihn zur Gollectiv-Perfon oder zum Genius des Hel-
dengefangs zu erheben.”
Alfo urtheilt ein Mann, welcher durch vieljahriges
Studium fi) mit dem Geifte des Alterthums vollfommen
vertraut gemacht hat. Daß der Uebergang von der
Behandlung einzelner Sagen zur Verbindung einer
ganzen Reihe von Mythen, welde in innerer Ver—
bindung mit einander ftanden, nicht ploͤtzlich erfolgte,
fendern durch die frühern Sanger in vielen Beziehungen
vorbereitet wurde, laßt fich nicht ‚bezweifeln. Wir haben
erinnert, daß die Kampfe der zu Heroen herabgefunfenen
Götter allmählig zu biutigen Kriegen zwifchen denje |
nigen Völkern, welche diefelben verehrten, umgebildet wur- |
den. Sobald man den Menelaos ald König von Sparta '
anfah, den Paris ald Sohn des Herrfchers von Troja bes
trachtete, fobald man ihren Streit buchftablid) auffaßte, war
es fehr natürlich), daß man die beiden Heroen nicht allein
fampfen ließ, fondern die Voͤlker, über welche fie als
Könige geboten, in den Streit hereinzog, und hereinziehen
mußte. Die Sage nannte Agamemnon ale Bruder des
Menelaos. Agamemnon war, wie Priamos, wegen feiner
ehemaligen Bedeutung als Sonnengott, ald mächtiger Herr
73
fcher gepriefen, Sollte ein Bruder den andern im Kampfe
nicht unterfiügen? Sobald aber Agamemnon in den
Kampf des Menelaos und des Paris verflochten war,
mußten, wenn die Größe feiner Macht, welde in
fo vielen alten Sagen gefeiert war, verfinnlicht werden
follte, nothwendig die Herven und Bölkerfchaften Griechen-
lands in den Kampf verflochten und in Unterordnung unter
dem weithinherrfchenden Agamemnon eingeführt werden.
Aus dem nämlichen Grunde erfcheinen auch die den Teus
frern verwandten Völferfchaften und ihre Herven unter
den Fahnen des großen Herrichers Priamos.
Die Rückehr des Menelaos, des Odyſſeus, d. b.
die Wanderungen diefer und vieler anderer Nerven, welche
früher diefelbe fombolifche Bedeutung hatten, wie jene des
Apoilon und Memnon, wurden vielfacd) befungen, wie die des
Apollon auch Alfaos in einem ſchoͤnen Hymnos verherrlichte.
Mußte man, ald man die Bedeutung derfelben aus dem
Auge ließ, und die wandernden Götter für fterbliche Koͤ—
nige anſah, nicht auf die Vermuthung fommen, diefelben
batten bei ihrer Ruͤckkehr von Troja ungünftige Geſchicke ge
habt, und feyen in Folge derfelben fo vielfach umherge-
trieben worden? Mußte man nicht aus der NRüdkehr ein
zelner Götter, die man für Könige anfah, die Rückkehr
ganzer Völker, über welche fie nach der Sage geboten,
hervorgehen laffen, und auf diefe Weife die Dichtung von
der traurigen Ruͤckkehr der Achaer bilden, welche der
Sänger Phemios im Haufe des Odyſſeus befang ?
Wir müflen bier einer Einmendung begegnen, welche
von Hielen Seiten gemacht werden dürfte. Im der Dönffee
74
heißt es, daß derjenige Gefang die Herven am meiften er
gößte”), welcher ihre Ohren als der neuefte umraufchte.
Man Fönnte aus diefer Stelle folgern, daß, wenn bie
Herven oder Könige der Achaifchen Zeit eine fo große Vor-
liebe für jene Gefange hatten, welche die neueften Vor—
fälle enthielten, die Dichter, welche an ihren Höfen
lebten, auf die Ereigniffe der Gegenwart durchaus nicht
vergeffen durften, und Feineswegs nach Belieben zu dem
unerfchöpflichen Borne alter Sagen und Geſaͤnge zurüd-
fehren Fonnten, Wir koͤnnen nicht glauben, daß die an-
geführte Stelle diefen Sinn habe, fondern vermuthen, daß,
je neuer irgend ein Stoff hinſichtlich feiner epifchen Ent-
faltung war, er um fo anziehender erfchien. Es konnte
eine Sage uralt und ſchon vielfältig gefeiert worden feyn,
und deßhalb Fonnte der Geſang eines epiſchen Dichters,
welcher derſelben neuen Glanz und eine groͤßere und
fhönere Entfaltung gab, oder fie mit anderen ver-
wandten zu einem Ganzen verfnüpfte, dennod neu
aenannt werden. Man dürfte alfo hier zwifchen der ei-
gentlihen Grundlage eines Gefanges, welche uralten
Zeiten angehört, und zwifchen der Erweiterung und Ver-
ſchoͤnerung derfelben wohl einen Unterfchied zumachen haben.
Sind nun die Anfichten, welche wir bisher über die
ältefte Poefie der Griechen niedergelegt haben, nicht ganz un-
gegrändet, fo dürfte fich aus denfelben nicht bloß ergeben,
daß bei folhen Worarbeiten”) die Ilias und Odyſſee, jedes
32) Hom. Odyss. I, 351 sqgq.
35) Wir haben fhon in der Gefchichte des Trojanifhen Krieges
(S. 103 sqg.) aufmerkffam gemacht, daB Homeros am:
u. EEE En cu ne
75
diefer Gedichte durch einen Sänger, fehr wohl vollendet
werden Fonnten, fondern auch einleuchten, daß bei der buch»
fäblihen Auffaffung, welche ſymboliſche Ereigniffe in
der fpatern Zeit erfuhren, und der veränderten Stellung,
welche fo viele Götter erhielten, welche ſchon Homeros als
Sterbliche behandelt, die fpatern Griechen nothwendig glauben
mußten, alles, was Homeros erzähle, ſey buchftabliche
Wahrheit, und nicht mehr bedachten, daß zwar alles, was
er erzähle, irgend eine Wahrheit enthalte, daß aber
diefe nicht immer eine hiftorifche, fondern in den meiften
Fallen nur eine poetifche fen.
4. Ueber die Folgen der menfchlichen Darftellung der Götter.
Freilich werden manche Leſer noch nicht glauben, daß
e8 möglich gewefen fey, daß die Griechiſchen Götter, welche
bei den vielen Wanderungen und politiihen Veränderungen
in die Reihen der Heroen herabgedrüdt wurden, jemals als
Menfchen oder Heroen betrachtet werden Fonnten. Um nun
möglich als der erfte epifche Sänger der Griechen betrachtet
‚werden kann. Soll es nun nach fo vielen Vorgängern für
einen fo großen Dichter, wie.der DVerfaffer der Ilias war,
ammöglich gewefen ſeyn, ein Kunftwerk von folhem Um—
fange und ſolch' einer inneren Vollendung in's Daſeyn zu
rufen, wie die Ilias ift? So viel indeß auch vorgear-
beitet war, fo gehörte doch ein wahrhaft dichterifches Genie
dazu, um ein in allen Theilen fo abgerundetes und in
jeder ‚Beziehung, vollendetes ‚Ganze zu. ſchaffen, fo daß wir
‚weit entfernt ‚find, der fchöpferifhen „Kraft des Sängers
‚und feiner, geiftigen. Größe, zu nahe zu treten.
76
die Gründe darzulegen, welche uns bewogen, jene Anficht
auszufprechen, müffen wir die Art und Weiſe, wie Homeros
jene Götter darftellt, welche fi) im Eultus erhalten haben,
näher in das Auge faffen. Hier tritt uns ein wefentlicher
Unterfchied zwiſchen der Griechifchen Mythologie und jener
der Morgenländer und Nordifchen Völker entgegen. Waͤh—
rend die Nordifchen Götter ald Zwerge oder ungeheuere Riefen
erfcheinen, und jene der Morgenländer haufig fo entftellt find,
daß fie uns mit Schreien erfüllen, treten die Griechifchen
Götter bei Homeros, wie Menfchen, auf. Sie fühlen ganz
menfchlich, Haben verfchiedene Bedürfniffe, wie die Menfchen,
haben die menfchlihe Geftalt; nur find fie größer und
ſchoͤner, als die gewöhnlichen Menfchen. Damit wollen
wir aber Feineswegs behaupten, daß die Ureinwohner Grie-
chenlands, ſobald ſie ſich unter den vielen Praͤdikaten, welche
die von ihnen verehrten Gegenſtaͤnde trugen, beſtimmte Weſen
dachten, denſelben augenblicklich jene ſchoͤnen menfchlichen
Geſtalten gegeben haben, welche die ſpaͤtere Kunſt darſtellte. In
vielen Sagen wird von Doppelgeſtalten geſprochen, in andern
von Thiergeſtalten. Lykaon iſt ein Wolf, Kalliſto erſcheint als
Baͤrin, Leto als Woͤlfin, Dionyſos und Zeus als Stier, Asklepios
und andere Goͤtter als Schlangen. Demeter erſcheint mit einem
Pferdekopf, Pan mit Hoͤrnern und Ziegenfuͤßen, andere Goͤtter
mit andern Theilen von Thiergeſtalten. Allein weder die Thier—
geſtalten, noch die Verbindung einzelner Theile derſelben
mit der Geſtalt des menſchlichen Koͤrpers konnten ſich lange
erhalten. Die Griechen hatten zu viel Sinn fuͤr Schoͤnheit
und Ebenmaß, als daß dieſe Zerrgeſtalten bei fortſchreitender
Bildung durch die menſchliche Geſtalt nicht haͤtten verdraͤngt
Mn nn nn mn
77
werden ſollen. Friedrich Richter”) nennt die alten Griechen
ewige Sünglinge, Geſchoͤpfe einer Morgenzeit und eines
Morgenlandes, das mehr begeifterte, als beraufchte. „Denn
e8 lag, fagt er, im der gehörigen Mitte zwifchen einer Steppe
und erbrücender Fruchtbarkeit, fo wie zwifchen ewigen Wolfen
und einem leeren Himmelsraum. Die Zauberthäler waren
reihe Wiegen der Ueppigfeit und cines regfamen Lebens, von
denen ſich ein leichtes Wehen und Wogen in diefen fchöpfes
rifchen Edengarten verbreitete. Die climatifch mitgegebene
Mitte der Einbildungstraft zwiichen der eines Normanns und
Arabers hatte den entichiedenften Einfluß auf die geiftige
Entwicklung. Sie war namlich) gleichfam ein ftilles Sonnen:
licht zwifchen Faltem Mondjchein und einem zarte Keime
perfengenden Erdenfeuer.“
Ein Volt, welches in einem folden Lande lebte, und
mit folchen geiftigen Vorzügen begabt war, welches ein fo
reiner und hoher Sinn für Schönheit leitete, Fonnte an Thier:
geftalten und Zerrbildern nicht lange fefthalten, und mußte
die Götter allmahlig in menfchlicher Geftalt fi) denfen, und
in derfelben darftellen. Daß auch dieſer Uebergang nicht
plöglich erfolgte, daß Jahrhunderte verfloffen, ehe aus dem
Stier-Zeus der Homerifche Zeus, aus der Fuhgeftaltigen ®)
Hera die Homerifche Hera hervorging, bedarf Feiner Erinne—
rung, fondern dieß muß jeder Unbefangene von felbft ein;
54) Vorſchule der Aeſthetik. S. 95.
35) Daß Hera in der frühern Zeit nicht bloß Boozıs war,
fondern auch die ganze Kuhgeftalt hatte, wie die So, hat
Müller über jeden Zweifel erhoben.
78
ſehen. Eben fo wenig laßt fich verfennen, daß die ältere
Poeſie, wie fie mit der weitern Verbreitung der Cultur ſich
veredelte, und einen großern Aufihwung gewann, auf diefe
Umgeftaltung wefentlihen Einfluß ausüben mußte, wie
wohl es verkehrt wäre, wenn man annehmen wollte, daß
fie durch diefelbe allein herbeigeführt worden fey.
Wir wollen nad) diefen Furzen Bemerkungen die Home—
riſche Götterwelt genauer betrachten, um unfere Behaup-
tung zu rechtfertigen, daß man nämlich jene Götter, welche
durch die Wanderungen und andere Verhaltniffe aus ihrer
alten Stelle verdrangt worden waren, bei der Art und MWeife,
wie fie in alten Gefangen erfchienen, nothwendig als Herven
und menfchlihe Weſen und ihre Attribute für gewöhnliche
Gegenftande, ihre Thaten aber für Fühne Abentheuer und
hiftorifche Ereigniffe anfehen mußte. Hephaftos ift als Son-
nengott Schöpfer und Künftler, aber Fein Schmied. Wie
erfcheint er aber ſchon bei Homeros!*) Er hat eine ganz
nach menfchlicher Weiſe eingerichtete MWerkftätte, Hammer,
Amboß und Blafebalge und einen eigenen Kaften, in welchem
er feine Gerathichaften und Werkzeuge aufbewahrt. Er waͤſcht
fih, wie ein mit Ruß bedeefter Seuerfünftler, das Antlitz,
den Hals und die mit Haaren bewachfene Bruft und die
beiden Hande mit einem Schwamme, zieht, wenn er Die
Werkſtaͤtte verlaßt, feinen Rock an, den er bei der Arbeit
ablegt. Kehrt er wieder im diefelbe zurück, jo wendet er
die Bälge in das Feuer, Felle unermeglich viel Erz in
Tiegeln auf die Gluth, auch Gold, Zinn und Silber,
56) Hom. Il, XVII, 310 sqq. Odyss. VIII, 274 sqg-
79
richtet den Amboß auf den Block, und ergreift mit der
Rechten den gewaltigen Hammer. Wäre Hephaftos durc)
die Wanderungen oder andere Umftände zu einem Heros
herabgefunfen, follte e8 ung wundern, wenn ihn die fpatere
Zeit für einen Metallarbeiter betrachtet hatte? Wir glauben,
dag man ſich eher wundern müßte, wenn dieß bei einer
folden Darftellung und Befchreibung feiner Perſon und
feiner Befchaftigung nicht gefchehen wäre.
Als Aphrodite von Diomedes verwundet worden war ”),
fohreiet fie laut auf, wirft ihren Sohn Aeneas, den fie
eben gejchirmt hatte, zur Erde hin, den dann Phobus in
feine Hande nimmt und rettet. Verwirrt enteilt fie,
Qualen erduldend, und als fie den Ares zur linken Seite
der Schlacht figend antrifft, bitter fie denfelben um fein
Gefpann, um in den Olympos zurüdzueilen. Ihre Mutter
Dione tröfter fie, wie eine Mutter ihre Tochter zu tröften
pflegt, mit den Worten: Dulde, liebes Kind, und faffe
dich, fo berrübt du auch biſt. Schon viele Götter dul-
deten ja Gram von Menfchen. Ares gerieth in die Ges
fangenfhaft der Aloeiden, und mußte fic) diefelbe gefallen
laffen. Hera ward von Herafles mit dreifchneidigen Pfeile
in die rechte Seite der Bruſt getroffen, und von furdhts
baren Schmerzen gequalt. Derfelbe Herafles durchbohrte
unten am Thore bei den Todten den Hades, und verur—
fachte ihm ſchrecklichen Schnierz. Doc Paon, der Götter:
arzt, legie ihm lindernden Balfam auf die Wunde; diefer
heilte auch die Wunde der Aphrodite. Als Ares von Dio—
37) Hom. Il. V, 543 sqq.
80
medes verwundet wurde, brüllte er ®), wie neuntaufend Krieger.
Wir fragen wieder: Haben wir Urfache, und zu wundern, daß
man jene Götter, welche aus ihrer hohen Stellung vers
drangt wurden, fpater für Menfchen anfah, da ihr ganzes
Mefen fiher fchon lange vor Homeros eben jo menfchlich
dargeftellt ward? Sollen oder Fonnen wir glauben, daß
Divmedes und Herakles, welche Götter verwunden, ſchon
in der Urzeit als Menfchen betrachtet wurden? Diefe Anz
nahme vertragt fich durchaus nicht mit den fchonen und zum
Theil erhabenen Anfichten, welche die Griechen von der
Macht der Götter hatten. Nicht bloß Herakles und Dio—
medes müffen alfo urfprünglicy Götter gewefen feyn, fondern
es mußte auch ihr Kampf mit den angeführten himmlifchen
Mächten nothwendig eine fymbolifche Bedeutung gehabt
haben, welche durchaus nichts die Würde der Götter Ver:
legendes enthielt, fo daß diefe Sagen erft durch die buchſtaͤb⸗
liche Auffaſſung anſtoͤßig wurden.
Zeus iſt der Lenker des Schickſales. Er theilt jedem
Menſchen ſein Loos zu. Wie ſinnlich haben dieß die Griechen
ausgedruͤckt! Zeus hat eine goldene Wage”), in welche er
die Loofe der AUchaer und Teufrer legt, und das Verhängniß
der Achaer finft zur Erde, und jenes der Teukrer fteigt zum
weiten Himmel empor! Achilleus fagt ') zum Priamos:
Wir Menſchen richten mit unferer Schwermurh und unferm
Grame nichts aus. Die Götter beftimmen das Schickſal
38) Hom. V, 859 sq-
3%) Hom. Il. VIII, 69 sqgq. ef. XXII, 209 sqq-
40) Hom. 11. XXIV, 524 sqq.
81
ber Sterblihen. Denn es ftehen vor Kronions Schwelle
zwei Faffer, von denen das eine voll des Wehes, das an-
dere voll des Heiles iſt. Denjenigen nun, welchem Zeus
vermifcht zutheilt, trifft abwechfelnd ein böfes und ein gutes
Loos. Wen er aber nur vom Wehe zutheilt, den verfolgt
herzzernagende Noth auf der Erde, und er irret bange um-
ber, weder von Göttern, noch von Menſchen geehrt.
Wie manche Ehegatten mit einander hadern, fo aud)
Zeus und Hera. Hera ift gewohnt, fagt Zeus"), zu ver
eiteln, was ich befchloffen habe, wodurch fie mich oft
zum Zorne reizt. Gr droht ihr fogar “), fie mit feiner Geißel
zu züchtigen, und hangt fie vom Himmel herab, er wirft, wie
ein zorniger Vater, ihren Sohn vom Olympos auf die Erde!
Hera ergreift die Artemis, mie eine zornige Mutter ihre
Tochter, und gibt ihr Obrfeigen, daß ihr die Gefchoffe ent—
fallen! Themis ruft”) auf Befehl des Zeus die Götter zur
Verſammlung zufammen, wie dieg auf Erden die Herolde
thaten. Sie begibt ſich zu den Wohnungen der einzelnen
Götter, und meldet ihmen den Befehl des Zeus. Keiner der
Götter unterlaßt, dem Gebote des Herrfchers nachzukommen,
fogar alle Nymphen und Stromgotter mit Ausnahme des
einzigen Dfeanos finden fich in dem Pallaſte des Zeus ein.
Ihetis zieht) wegen des nahen Todes ihres Sohnes Trauer:
Kleider an, wie wenn fie eine fterbliche Fuͤrſtin gewefen wäre.
—
44) Hom. Il. VII, 407 sqq.
42) Hom. Il. XV, 16 sq.
43) Hom. Il. XX, 4 sggq.
44) Hom. Il. XXIV, 93.
Vorhalle zur Griehifhen Geſchichte. 6
82
Der Sänger bemerkt, daß Feine Frau je fchwarzere Kleidung
umbhüllte, als fie. Apollon umwandelt Chryfe”), welches er
in feinen befondern Schuß genommen hatte, wie ein forg-
famer Hirt feine Heerde, um jedes Ungemad) von der ge-
liebten Stadt ferne zu halten. Er weidet, wie ein gemeiner
Hirt, die Heerden des Laomedon, und lief am Ende, wo es
fih um den Lohn handelte, fogar Gefahr, die Ohren zu vers
Iteren, Sollen Paris, Eetions Söhne, Andifes und Ae—
neas deßhalb, weil fie Heerden weiden, Menfchen gewefen
feyn, fol das Meiden der Heerden in den fie betreffenden
alten Sagen nicht diefelbe ſymboliſche Bedeutung gehabt
haben, welche dasselbe im Mythos des Apollon hatte?
Pofeidon löst dic Roſſe des Zeus %) von dem Wagen,
hebt denfelben zum Geftell empor, und umhüllt ihn mit Lein-
wand, wie ein gewöhnlicher Diener. Tief in den Schlünden
des Sundes “) zwiſchen Tenedos und Imbros iſt eine gerau-
mige Grotte. Dorthin ftellt Pofeidon feine vom Geſchirre
abgefpannten Roſſe, reicht ihnen ambrofifhe Nahrung zur
Koft, und umfchlingt die Füße derfelben mit goldenen,
unlösbaren und unzerbrechlichen Feffelr, daß
fie feft auf diefer Stelle verbleiben, bis er felbft zuruͤck⸗
fehrt. Um fich von dem Fortgange des Kampfes vor
Troja zu überzeugen, feßte”) er ſich auf den oberſten
Gipfel der gruͤnumwaldeten Samothrake. Als Dionyſo
45) Hom. IL I, 37 sq.
46) Hom. 11. VIII, 440 sqg.
47) Il. XIII, 32 sqq-
48) Il. XII, 10 sqq.
83
von Lykurgos “) verfolgt, ſich zur Thetis flüchtete, zitterte
er vor Angſt, wie ein in Schrecken gefeter Menſch.
Sollen wir uns wundern, daß die zu Heroen herab»
gefunfenen Götter für irdiſche Könige angefehen wurden,
wenn wir bedenken, wie felbft die Winde, der Schlaf, die
Bitten, Furt und Schreden bei Homeros auf eine ganz
menfchliche Weiſe dargeftellt werden, und ficher ſchon vor
ihm dargeftellt wurden? Die Winde) figen in der Wob-
nung des Zephyros froh am feftlihen Schmaus. Als fie
die Iris erblicten, welche fi) auf Bitten des Achilleus
in ihre Behaufung begab, fprangen fie alle von ihren
Siegen auf, und ein jeder lud fie ein, neben ihm Plat zu
nehmen. Als Sris ihnen gemeldet hatte, Achilleus hätte
gefleht, fie möchten das Todtengerüfte des Patroflos in
Gluth aufregen, da erheben fie fih mit furdtbarem Ge
töfe, tummeln NRegenwolfen her; bald nun fommen fie in
das Meer geftürzt, und es erhebt fi) die Brandung unter
dem braufenden Bauche. Sie eilen nun zur jcholligen
Troja, flürzen fi) dann in das Gerüft, und es Tnattert
die Gluth mächtig empor. Als Hera den Entſchluß faßte,
den Zeus zu berüden®!), begibt fie fi) nach Lemnos, wo
fie den Schlaf, den leiblichen Bruder des Todes, antrifft.
Sie faßt ihm freundlicdy bei der Hand, und tragt ihm ihr
Anliegen vor. Nachdem fie ihn endlih für ihren Plan
gervonnen bat, begeben fich beide mit einander zum da,
49) Il. VI, 135 sqgq-
50) Il. XXIV, 199 sgg.
54) DI. XIV, 225 sqgq-
6*
84
wo fi der Schlaf auf die höchfte Tanne feßt. Die uf
tigen Traumgebilde, fagt Penelopeia, haben eine doppelte i
Pforte”); die eine ift von Elfenbein, die andere von Horn, ;
Diejenigen Träume nun, weldye aus der Pforte des gefchlif- 9
fenen Elfenbeins fommen, täufchen den Geiſt durch eitle Ver: N
kuͤndigung; diejenigen aber, welche aus der geglätteten Pforte ”
des Hornes herausgehen, werben verwirklicht. Die reuigen 3
Bitten find Töchter des Zeus.”) Sie find lahm, runzlicht
und feitwärts blicfenden Auges, und ftrengen fich mit Sorge
an, auch hinter der Schuld zu wandeln. Die Schuld aber
ift frifch und hurtigen Fußes, denn fie läuft vor allen weithin
voraus, und Fommt zuvor, ſchadend den Menfchen, in jeg-
liches Land, während die reuigen Bitten als heilende folgen.
Mer nun die nahenden Töchter Kronions mit Scheu aufnimmt,
diefem frommen fie fehr, und hören auc feine Gebete; doch
wenn fie einer verfchmäaht, und troßigen Sinnes abweilet,
dann nahen fie fich dem Herrfcher Zeus, und flehen zu dem-
felben, daß dem Frevler die Schuld nahe, bie er Durch Schande
gebüßt bat.
Wie viele ähnliche Beifpiele koͤnnten wir noch anführen,
wenn man nicht ſchon aus dem bisher betrachteten erfehen
fonnte, daß die Griechen in der heroifchen Zeit alle Wer
fen, welche fie ald Götter oder Diener der Götter anfaben,
in menfchlicher Geftalt fi) dachten, und ganz menfchlich
fühlen, wie Menfchen handeln ließen, und deßhalb au
die Schickſale derfelben und ihre Thaten von gewöhnlicher
Vorfaͤllen nicht unterfchieden, und die Gegenftände, welch
52) Hom. Odyss. XIX, 560 sqq.
53) Hom. 11. IX, 502 sqg-
ee u: —
85
ihnen das frühefte Alterthum beigelegt hatte, für gewöhnliche
Geraͤthſchaften hielten. Sollen wir ung wundern, daß man
die Argo für das erfte große Schiff anfah, welches fich auf
das Meer wagte, und die Fahrten des Thefeus und Odyſſeus,
wie jene des Jaſon und Herafles, für Ereigniffe des alltäg>
lihen Lebens oder Fühne Abentheuer betrachtete, als dieſe
Götter aus ihrer frühern Stellung verdrängt worden waren ?
Hätte Helios ein gleiches Schickſal gehabt, fo würde die
Fahıt auf dem Sonnenfahne eben fo fonderbar behandelt
worden feyn, wie jene der Arge. Sollen wir und wundern,
daB man den Kampf des Achilleus und Agamemnon, des
Paris und Menelaos fo verkehrt auffaßte, und aus dem
Kampfe des Peirithoos und Eurytion, des Eteofles und
Polyneifes, des Neftor und Mulios und vieler anderer Hes
roen, die ehedem Götter waren, blutige Kriege zwiſchen den
Völkern, welden fie angehörten, hervorgehen ließ, da der
Streit des Lyfurgos und Dionyfos, des Ares und der Aphro-
dite mit Diomedes ein fo fonderbares Loos hatte, und ſelbſt
der Gott des Schattenreiches von Herakles verwundet ward,
und Hera dasſelbe Ungemach von ihm erfuhr? Waͤren Hera,
Aphrodite, Dionyſos und Hades aus der Reihe der Goͤtter
verdraͤngt worden, würden fie nicht als Heroinen und He
roen erfcheinen ?
Die Sagen von der Geburt und dem Tode fo vieler
Herven, welche früher eine fombolifhe Bedeutung hatten,
mußten auch viel zu der irrigen Anficht beitragen, als feyen
diefelben Könige gewefen. Die Geburt bezog fich in den
alten Mythen der Kichtgötter auf den Aufgang der Sonne
und des Mondes, der Tod auf den Untergang diefer großen
86
Lichtkoͤper. Die Sagen von der Geburt des Zeus find ber
fannt. Er hatte auf Kreta auch ein Grab °), welches auf
feinen fombolifchen Tod hinweifen follte. Hatte Zeus einem
andern Gotte weichen müffen, fo würde er, wie Minos, in
der Kretifchen Sage als ein mächtiger König erfcheinen, und
die neuere Gefchichte hätte die Sage buchftäblich genommen.
Eine große Anzahl von Heroen und Heroinen ftammt |
von Zeus und andern Göttern ab. Die Mythen, welche |
diefelben verherrlichen, find zum Theil uralt, und gehören
der hieratifchen Urzeit an. Wer wird nun glauben, daß die |
Priefter, welche zugleich die Lehrer des Volkes und Sänger |
waren, ihren Göttern UnfittlichFeit aufgebürdet haben? Hätte |
nicht ſchon diefer Umftand aufmerkfam machen follen, daß
Zeus und die übrigen Götter nicht an allen Orten mit den;
felben Göttinen vermahlt waren, daß die Mondgöttin eine
Menge von Prädifaten hatte, wie der Sonnengott, aus
denen allmaͤhlig eine Menge von Göttern und Goͤttinen her⸗
vorging, daß man alfo erft fpäter, wo man die Hera als die
rechtmäßige Gemahlin des Zeus betrachtete, der in den Sa—
gen anderer Orte, wo die Mondgottin andere Name
trug, mit andern Gattinen verbunden war, die Verbindung
mit denfelben für Xreulofigfeit gegen Hera anfehen mußte,
während die alten Mythen durchaus nichts die Würde dei
Götter Verlegendes enthielten? Was wir hier in Bezug
auf Zeus bemerkt haben, gilt auch von den übrigen Göttern
Hephaftos und Ares erfcheinen mit Aphrodite verbunden, en
an verfchiedenen Orten, wie Helena in Troja mit Paris, in |
54) Callimach. Hymn. in Jov. 6 sqq.
87
Griechenland mit Menelaos vermaplt war. Als man aber —,
wie dieß gefchah, laßt fich nicht leicht ausmitteln — die Aphro⸗
dite bloß als die Gattin des Hephaftos betrachtete, mußte
ihr Verhaͤltniß zu Ares freilich als Buhlichaft erfcheinen, wic
es aud) bei Homeros dargeftellt wird.
Alle jene Wefen nun, welche göttliche Vorzüge haben,
von Göttern abftammen, mit Göttern oder Göttinen verbuns
den find, waren früher Götter, und wurden erft Durch die
Veränderung der politifchen und religiofen Verhältniffe in
die Reihen der Heroen und Heroinen herabgedrüct, fo daß
fpäter neben den Theogonieen eigene Herogonieen entftanden,
welche diejenigen Wefen verherrlichten, welche ehedem mit den
Göttern auf gleicher Stufe ftanden. Unbefangene Gelehrte
haben auch eingefehen, daß vielen Göttern durch verfchiedene
Umftände eine ganz untergeordnete Stelle angewiefen wurde,
Mir erinnern vorzugsweife an Welder und Müller. Welder
fagt *): „Ein großer Theil der als Eigenfchaften der Naturs
Götter ausgeprägten Namen kommt nur noch in einer tie
feren Region der Herven und Dämonen, oder allego-
riſcher Wefen und poetifcher Figuren vor, in die fie früh oder
ſpaͤt berabgefunfen find.“ Müller’) bemerkt: „Für den,
welcher tiefer eindringt, gewinnt der Götterglaube in der My—
thologie bald immer mehr Bedeutung. Er entdeckt, daß die
Götter fehr oft unter Namen vorfommen, die fie gewöhnlich
nicht führen, die aber aus alten Beinamen derfelben ges
bildet find, und daß der Mythos, wie er uns überliefert ift,
ohne es fich deutlich merken zu laffen, daß er von einem
55) Bei Schwend, ©. 259.
56) Müller, Prolegom. ©. 73. ef. 271.
88
Gotte rede, doch oft noch Spuren enthalt, die den Nachfins
nenden darauf führen müffen. Sehr leicht gefchah es, daß
Beinamen der Götter an die Stelle der Hauptnamen traten,
und dadurch), daß fie ald Beinamen in folgenden Jahrhun⸗
derten abfamen, für eigentliche Herven-Namen gehalten |
wurden.“
Man Fonnte fi) wundern, daß wir eine Menge von
Herven für Götter erflären, oder wenigftens als poetifche
Geftalten bezeichnen, welche den verfchiedenen Prädikaten der
Götter ihre Entftehung zu verdanfen hatten, wenn dieß nur |
in Griehenland, und nicht auch bei vielen andern Bol: |
fern des Altertfums gefchehen wäre. Wir erinnern in diefer
Beziejung an Janus, Ftalus, Faunus und Saturnus. In
wie vielen Sagen iſt Saturnus als König von Italien ge:
feiert? In wie vielen erfcheinen auch Faunus und Janus,
welche gegenwärtig wohl Fein des Alterthums nur einigermaßen
Kundiger für fterbliche Menſchen anfehen wird, als mächtige
Könige der altitalifchen Wölkerfchaften! Wenn diefe im bie
Reihe der Herven herabgedrängt wurden, wenn die alte In—
difhe Gefchichte, wenn die Sagen der alten Germanen eine
Menge von Göttern als weltliche Fürften darftellen, foll dieß
nicht auch in Griechenland gefchehen fenn, welches fo vielen
politiihen Veränderungen unterworfen war?
„Offenbar, fagt Thukydides “), hatte das jeßt fogenannte
Hellas vormals Feine bleibenden Bewohner, jondern man
wechfelte die Wohnfige. Und jeder verließ ohne Schwierig
feit feine Heimath, fo oft ihn irgend eine Uebermacht be
57) Thucyd. I, 2.
89
drängte, Am meiften aber wechjelten gerade die beften Land»
fchaften ihre Bewohner, Theffalien, wie es jeßt heißt, und
Bootien, und Arfadien ausgenommen, die meiften Gegen-
den des Veloponnefos und, was fonft jehr vorzügliches Land
war. Denn wegen der Trefflichfeit des Bodens veranlaßte
theils bei einigen der Zuwachs des Vermögens verderbliche
Parteizwifte, theils war man den feindlichen Planen fremder
Stammgenoffen mehr ausgeſetzt.“ Hekataͤos erzählt ®), daß
ehedem der ganze Peloponnefos von Barbaren bewohnt war,
und Strabon tritt feiner Angabe nicht bloß bei, fondern feßt
hinzu, daß im der Urzeit faft ganz Griechenland Barbaren
inne hatten. Diefe Barbaren fünnen doch wohl nur die Thras
fer und die mit ihnen verwandten Stämme, die Leleger,
Karer, Kaufonen, Phrygier, Lykier und Pelasger feyn, welche
in der Urzeit nach den vorzüglichften Quellen nicht bloß die
Inſeln, fondern auch den Peloponnefos, Mittel> und zum
Theil auch Nordgriechenland inne hatten, ehe fich die Ueoler,
Jonier, Achaer und Dorer über die einzelnen Theile von Hel—
[as ausbreiteten.
Wer diefe Thatfachen bezweifeln will, muß die vorzügs
lichſten Quellen, die Bruchftüce des Hefiodos und der ans
dern alten Sänger, die Zeugniffe des Herodotos, Thuky—
dides, Ariftoteles, Ephoros, Strabon und anderer porzüg-
licher Schriftfteller als Lügen verwerfen, was feinem befon-
nenen Menfchen einfallen kann. An wie vielen Orten er;
fcheint in der Urzeit der Name der Thrafer? Mir finden
fie in Phokis, Böotien, auf Eubda, in Attifa und an vie
58) Strab. VII, c. 7, p. 113. ed. Tauchn,
90
len andern Orten, Wie bedeutend müffen ehedem die Ka-
rer und Leleger gewefen feyn, welche einen großen Theil
des Peloponnefos inne hatten, und nicht bloß die Inſeln
bewohnten. Leleger treffen wir auch in Lokris, in Aeto⸗
lien und Akarnanien an, und dafür ſprechen alte Zeuguiſſe.
In der Achäifchen Zeit find diefe Völker freilich in Hellas mit
andern verfchmolgen, und treten uns nur noch in Kleinafien
entgegen. Soll uns aber diefer Umftand, da wir durch
die vorzüglichften Schriftfteller von den vielen Veränderun:
gen, welche die einzelnen Landfchaften Griechenlands erfuhr
ren, unterrichtet find, zu der Behauptung berechtigen, daß,
weil Homeros die Leleger und Karer in Hellas nicht mehr
anführt, diefelben auch früher hier nicht gewohnt haben,
daß demnach alle Nachrichten, welche von ihrer Bedeutung
in diefem Lande fprechen, für leere Erdichtung zu halten
feyen? Nicht bloß einzelne Menfchen, Sondern ganze Voͤl⸗
fer welfen dahin, wie die Blätter- und Blüthen der
Baume, fagt Homeros, und wer bedenkt, welchen Glanz
die Achaer in den Homerifchen Gefangen haben, und weldye
untergeordnete Nolle fie in der Zeit des höchften Glanzes
der Griechifchen Staaten fpielen, bis fie fich endlich fparer
wieder erheben, als fich die maͤchtigſten Staaten erfchopft
hatten, der wird fich nicht wundern, daß die Peladger, Lele⸗
ger, Karer und Thraker, welche in der Urzeit in Hellas eine
fo hohe Bedeutung hatten, in dem Zeitalter der Achaer kaum
mehr erwahnt werden, da fie theild ganz verbrangt worden
waren, theils ſich nach ihrer Unterjochung unter den Helleni:
ſchen Stämmen verloren hatten.
Wenn auch alle diefe Völker diefelben Goͤtter, Sonne,
1
4
J
91
Mond, das Waſſer und andere Gegenftände verehrten, fo
wird doch niemand behaupten, daß ihre Götter diejelben
Namen hatten, fondern jeder unbefangene Leſer wird uns
gerne zugeben, daß, wenn diefe Völferfchaften auch von
den Hellenen nicht wefentlidy verfchieden waren, fondern,
ald Zweige der Thrafer, derfelben großen Nation angehört
haben dürften, zu welcher auch die Illyrier gehörten, zu
denen ein großer Gelehrter nicht mit Unrecht 9) Die
Makedonier zählt, dennoch die Namen der Götter bei der
Verfchiedenheit der einzelnen Dialekte und der Anſchauung,
von welcher die einzelnen Stämme bei der Benennung ih-
rer Götter ausgingen, verfchieden lauten mußten. Ueberall,
wo die Thrafer und die ihnen verwandten Stamme wohnten,
haben fie ihren Göttern Tempel erbaut. Manche derfelben
hatten ficherlich bei dem hieratifchen Charakter der Thraker
an einem Orte mehrere Tempel, wie Zeus, Apollon und
Pallas in der Hiftorifchen Zeit, Wie aber Zeus an jenen
Orten, wo er verehrt wurde und mehrere Tempel hatte,
verſchiedene Beinamen trug, fo dürfte auch mancher der
Thrafifchen und Karifchen Götter in ein und derfelben Stadt
unter verfchiedenen Beinamen verehrt worden feyn.
Diefe Völker verfhwanden, Tempel, Altare und Statuen
blieben, und fo mußten fich auch die Namen und Bei-
namen ber Götter erhalten, denen diefelben geweiht
worden waren,
In Argos treffen wir Karer, Pelasger und Achaer an.
Die Achaͤer waren vor der Wanderung der Herakliden hier
59) Müller, Dor. I, ©. 2 sq.
92
das herrfchende Voll. Karer und Velasger waren ver:
ſchwunden. Die Karer hatten fo gut für ihre Götter be
fondere Namen, wie die Pelasger und Achaer, die, au)
als Pelasger und Karer verdrängt waren, bei den vielen
Statuen und Tempeln, die fie gehabt haben dürften, nicht
in DVergeffenheit Fommen Fonnten. Die Namen Pelops,
Pleifthenes, Atreus, Thyeftes, Agamemnon, Aigiſthos und
Dreftes fcheinen den Karern, die Namen Euryſtheus, He
rafles, Diomedes den Pelasgern angehört zu haben, An
andern Orten traten eben fo viele und vielleicht noch meh—
rere Stämme theild neben- theilg nacheinander auf. Welche
Menge von Gdtter-Namen mußte nun unter diefen
Umftänden an einem und demfelben Orte zum Vors
fein Fommen !
Menn ein Gott, fagt Welder %), unter einem Volke
veraltet ift, oder einem fremden Wolfe, worum es fich hier
eigentlich handelt, angehört, fo wird er in die Reihen der
Heroen geftellt, und fein Water als ein fterblicher König
betrachtet. Sollen wir uns wundern, daß man, als Tyn-
dareus und Amphitryon als fterblihe Menfchen angefehen
wurden, den Hellenifchen Zeus als Vater der Helena und
des Herakles und fo vieler anderer Heroen nannte?
Die Namen und Thaten diefer zu Nerven herabgedruͤck⸗
ten Goͤtter waren vielfach beſungen, und ſicher waren die
Urheber derſelben in vielen Hymnen und Geſaͤngen eben fo
menschlich gefcildert worden, wie die Griechiſchen Götter
bei Homeros. Auf diefe Meife mußten fie freilich in die
60) Trilogie, 170 69.
93
Reihe der Menfchen geftellt werden, es mußten die Namen,
die ein Gott oder verwandte Götter an den einzelnen Orten
trugen, in genealogifche Verbindung gebracht werden,
man konnte ihre Schicffale und Thaten, bei der Art, wie fie
behandelt wurden, von gewöhnlichen Ereigniffen nicht mebr
unterfcheiden, und auf diefe Meife fuchte man in der fpätern
Zeit die große Luͤcke der frühern Geſchichte mit poetiichen
Geftalten und ſymboliſchen Ereigniffen auszufüllen,
Die Schriftfteller der fpatern Zeiten haben zum Theil
fehr wohl gefühlt, dag die Mythen nicht buchftäblich aufge-
faßt werden dürfen, und wir fehen, mit welcher Kritik
Thukydides die Altefte Geſchichte der Hellenen behandelt, um,
wie er felbft fagt, Dichtung und Wahrheit von einander zu
fcheiden; allein die vielfach verherrlichten Götter, wie Pers
feus, Achilleus, Odyſſeus, Diomedes, Agamemnon und aͤhn⸗
liche erfcheinen bei Homeros zu menſchlich, ale daß ein Hel—
lene, fo viele Nachrichten ſich auch über die frühere Bedeutung
derfelben erhalten hatten, hätte zweifeln koͤnnen, daß fie Koͤ—
nige gewejen feyen, und über jene Völker geberrfcht haben,
welche fie dem Sänger der Slias zu Folge anführten.
Menn and) eine Sage nod) fo mythiſch lautete, fo ward
fie bei der großen Achtung, welche man den Zeugniffen
des Alterthums ſchenkte, Doc) von den meiften tenfchen
als Faktum angenommen, keineswegs aber auf ihre por
tifhe Grundlage zurücdgeführt 9). Man batte die Mei-
61) Isocrat. orat. ad Demonik. (, 50. fagt: Zeus yao Hor-
zı£a zei Tavıe)ov yevvnoas, ws oil ui9or Akyovoı zwi
nayrec ztıotevouoı. Panegyric. 6,28, zei ya, & uvdo-
94
nung ®), daß, je älter irgend eine Sage war, ihr In—
halt um fo weniger bezweifelt werden dürfe, und felbft
die Erzählung, daß die Menfchen aus Steinen hervorgegangen
fenen, ward deßhalb nicht beftritten. Unter diefen Verhaͤlt—
niffen mußte aus der Mythengeſchichte derjenigen Voͤlker—
haften, welde vor den Hellenen die einzelnen Provinzen
Griechenlands bewohnten, eine Hervengefhichte in der Ge—
ftalt hervorgehen, meldye die Griechifche erhielt.
5. Üeber das gegenwärtige Perhältniß der verfchiedenen Quellen
der Griechifchen Aythengeſchichte.
Die altefte Duelle der Mythengeſchichte find für uns
die Homerifhen Geſaͤnge. Daß aber Homeros eben fo,
wie die Dichter, welche nad) ihm lebten, willfür-
lich verfchiedene Mythen erfand, laßt fich nicht beweiſen,
und widerfpricht allen Angaben, welche ſich über jene Zeit
erhalten haben, in welcher die mythifche Ausdrucksweiſe ein
Gemeingut der ganzen Nation war. Die Quelle der alte:
ftien Sänger war die Sage, aus diefer Quelle und den
alteften Liedern fchöpften die epiſchen Dichter, deren Werke
auch den Stoff zu den herrlichen Gefangen bdarboten,
welche fich unter dem Namen des Homeros erhalten haben.
Ins © koyos yEyovev, Öuws auto zei wir Önsnvaı 1005-
nzr&ı. cf. , 50.
62) Ovid. Fast. IV, 205. cf. Metam. I, 400. Saxa — quis hoc
erederet, nisi sit pro teste vetustas — ponere duritiem
coepere.
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1
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Nicht bei ihrem Witze, fagt Buttmann ‘), gingen die eins
fachen Forfcher des Altertfums zu Nathe, fondern fo vers
laffen wir fie auch von ihrer Vorzeit gefehen haben, fo
fragten fie dennoch bei diefer Vorzeit an, und was fie er
bielten, ein Luftgebild war es auch, aber ein weit erfreu-
licheres und lehrreicheres. Sagen maren es, dunkle zwar,
mangelhafte, bei denen die Kritik hätte geübt werden fol-
len, aber nicht gelbt wurde, wunderbare, unglaubliche.
Homeros hielt fich, wie jeder bei einem langern Studium
feiner Gefange einfehen muß, fo treu an die Sage
und die alten Lieder, daß wir uns nicht wundern dürz
fen, daß der größte Gefchichtfchreiber des Altertfums ihn
fo hoch ſchaͤtzte. Was er erzählt, ſtammt aus einer frü-
bern Zeit, in welcher. der Einzelne noch nicht nach Willfür
an der Sage ändern Fonnte, in welcher fie ein Gemeingut
war. Go lange aber die Sage ein Gemeingut eines Vol:
fes ift, hat fie immer sine fefte Grundlage. Allen
verkehrt ware c8 anzunehmen, daß diefe ſtets eine hifto-
rifche feyn muͤſſe.“ Ich will, fagt Buttmann ?), diefen
Sefchichtichreibern einige Weberzeugungen, die ich nicht mit
ihnen theile, auch nicht rauben. Aber das ift ihnen, wie
mir, Kar, daß die Sagen aus epifchem Munde kommen,
und mythiſcher Natur find.”
Wir wollen nur an einige Beifpiele erinnern, Die
Erzählungen von dem Hinabfteigen des Odyſſeus in die
Unterwelt, von der Erlegung des Rieſen Polnphemos und
1) Mptholog. I, 247.
2) Mytholog. IL, 235.
96
alle ahnlichen halt man für leere Erfindungen; was
der Dichter aber von den Irrfahrten des Ddyffeus fagt, was
er von dem Leben der Phaͤaken fingt, foll, einige Aus-
ſchmuͤckungen abgerechnet, Hiftorifhe Wahrheit feyn. Wer
verbürgt und, daß die Sagen von Volyphemos oder von
dem Hinabfteigen des Odyſſeus in den Hades junger feyen, |
als jene von dem Leben der Phaͤaken, oder welches Zeugniß
beftätigt, daß diefelben Erfindungen des Sängers feyen ?
Vielleicht der Umftand, daß fie fi) nicht mit der Annahme,
alle Mythen enthielten Hiftorifhe Thatfachen, vertra-
gen? Aus dem Umftande, daß ein Mythos für ung dunkel
ift, dürfen wir noch keineswegs folgern, daß derfelbe Feine
Bedeutung habe. Jeder Mythos aus der Urzeit maß eine
Bedeutung haben, und wenn die Mythen von des Odyſſeus
Hinabfteigen in den Hades oder von feinen Aufenthalte bei
der Kirfe und in der Grotte der Kalypſo eben fo alt find, wie
jene von feinen Srrfahrten, fo müffen fte wohl diefelbe poetische
Grundlage haben, wie diefe. Sie enthalten die Ausdrucksweiſe
einer und derſelben Zeit für verfchievene Wahrnehmun-
gen, nicht Spiele der Phantafie oder hiſtoriſche Ereigniffe.
Die große Treue und Zuverläffigkeit des Homeros be:
ſteht alfo nad) unferm Dafürhalten darin, daß er ſich, was
in feiner Zeit noch Faum denfbar war, nicht von den al-
ten Sagen entfernte, fondern Diefelben, fie mochten
ihm wunderbar oder als biftorifche Ereigniffe ers
fcheinen, mit einer befondern Genauigkeit erzählte, Wir er-
blicken alfo nur in jenen Sagen, welde von Voͤlkerzuͤgen
fprechen, eine hiftorifche Grundlage, die Kämpfe der großen
Heroen aber koͤnnen wir Feineswegs für geſchichtliche Fakta
97
annehmen. Daraus, daß Odyſſeus ’) den Demodokos lobt,
weil er der Achaer traurige Schickſale ganz in der Ord—
nung und der Wahrheit gemäß befungen habe, koͤnnen wir
beſtimmt abnehmen, daß die alten epifhen Sänger an den
Mythen nicht willfürlich ändern durften, Sonderbar aber
wäre e8, wenn wir aus bdiefer und ahnlichen Stellen
fchließen wollten, daß alle Sagen deßhalb, weil fie von
den epifchen Sängern der Ordnung und Wahrheit gemäß
vorgetragen wurden, hiftorifchen Snhaltes feyen. Das
Lob, welches Odyſſeus dem Sänger fpender, bezieht fi
einzig auf die Art feiner Darftellung, nicht auf die
hiftorifhe Grundlage. Es kann ein Sänger den Kampf
des Herafles mit der Hydra oder jenen des Apollon mit
dem Python fo getreulich erzählen, wie wenn beide Ereigniffe
hiftorifcher Natur wären, und wegen feiner Beachtung der
alten Ueberlieferung allgemeine Bewunderung einärnten.
Wir pflichten alfo vollfommen E. Ottfr. Müller *) bei,
daß die großen Gedichte des Homeros mythifchen Inhaltes
feyen. Sie behandeln Reihen von Sagen, die in einer engen,
ununterbrochenen Verbindung ftehen, und erwahnen nur hie
und da andere, außerhalb diefer Verbindung ftehende, fie ber
‚handeln diefelben fo, daß fie gefcjloffene, abgerundete Ganze
bilden. „Alles aber, was in diefen Gedichten handelnd auf:
tritt, handelt nady menſchlicher Meife, Götter, wie Men-
fchen, ja felbft Pferde göttlicher Race empfinten, und Schweine
denfen, wenn auch nur verzauberte. Die erzählten Handlun-
gen werden bis im die Hleinften Umſtaͤnde ausgeführt, und
3) Hom. Gdyss. VIII, 489 sqq. Müller, Prolegom. ©. 34.
4) Prolegom. ©. 55 fü.
Vorhalle zur Griechifhen Gefchichte. 7
98
mit gleicher Genauigkeit wird der Wille, der die That, und
der Gedanke, der den Willen zeugt, dargeftellt. Dem Auge
des Dichters find alle Gemüther aufgethan.
Bei diefer fcheinbar getreuen Darftellung wird auf der
andern Seite das Wunderbare auf Feine Weife ausgefchloffen,
und wenn der Dichter die Thaten feiner Heroen, die Haupt:
bandlungen, nie vollig über die Grenze des Möglichen hin-
aushebt, fo wirft dagegen eine obere und untere durchaus
ideelle und wunderbare Melt, mitfpielend und veranlaffend,
aufs Fraftigfte hinein. Diefe wunderbare Welt ift aber in
vielen Stüden der wirklichen fo nmachgebildet, daß wir
faft nie an das Wunderbare erinnert werden, und dem Dich:
ter mit einer Art von Ölauben folgen. Diefe Verknüpfung
zu einem Ganzen, diefe Ausführlichfeit der Darftellung, diefe |
durchgehende Motivirung des Handelns nebft der Behand- | |
lung des Wunderbaren mögen wir uns ald Principe der 1}
Homerifhen Mythendarjtellung hier ſchon merken; auf der-
andern Seite aber auch, daß alle diefe Eigenfchaften fi) doh
noch mit der Abficht vertragen, Wahres und Wirfliches zu |
erzählen.“ |
In Bezug auf die leiste Bemerkung erinnern wir, daß |
der Dichter freilich bei dem feften Gepräge, welches die fym>
bolifchen Thaten und Schieffale feiner Heroen durch die frühere
Poeſie erhalten hatten, und bei den Anfichten, welche man
ſchon zu feiner Zeit von der buchftäblichen Bedeutung der My I
then hegte, nicht denken Fonnte, das, was jene alten Dichter- |
Werke enthielten, und er aus denfelben fchöpfte, habe Feine |
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99
ganz mahrchenhafte Geftalt erhielten, hoͤchſt fonderbar vor;
fommen mußten, bei dem Glauben feiner Zeit an die Ver⸗
bindung der Götter und Menfchen, des Wunderbaren und
Wirklichen, nicht mit der Fackel der Kritik beleuchten, fon-
dern mußte fie ganz treuherzig erzahlen, wie felbft bie
Griechen der fpatern Zeit, auch wenn fie das Mythiſche
einer Erzählung einfahen, den inhalt der Erzählung doc)
nicht bezweifelten, und Feineswegs auf die poetiche Grund-
lage zuruͤckfuͤhrten.
„Dem Hefiodos, fagt Paufanias, legte das Alterthum
eine Menge von Gefangen °) bei, ein Gedicht auf die
Frauen, die großen Eden, eine Theogonie, Geſaͤnge auf
Melampus und Thefeus, wie er mit Peirithoos in den
Hades Hinabitieg, die Ermahnungen des Cheiron bei der
Unterweifung des Achilleus.“ Die Theogonie Fünnen wir
bier nicht naher betrachten, und von dem übrigen Öefängen
haben fih, die Werfe und Tage abgerechnet, nur Bruch»
ftüdfe erhalten, welche es ſchwer machen, über fein Ber:
haltniß zum Homeros ein vollfommen begründetes Urtheil
zu fallen. Die großen Eden und das PVerzeichniß der be
rühmten Heroinen mögen mit monchen Epifoden der No;
merifchen Gefange hinfihtlih der menſchlichen Schil—
derung der Verfonen, welche fie verherrlichten, und der
fombolifchen Gegenftände, welche diefelben führten, große
Nehnlichkeit gehabt haben. Eine Menge von Mythen,
welche in den Homerifchen Gedichten bei der Einrichtung
der Slias und Odyſſee nicht angeführt werben Fonnten,
5) Pausan. IX, 31, >5-
100
dürfte in diefen Gefangen nad) alten Sagen und Poefien
verherrlicht worden feyn, die uns, wenn fich diefelben erhal-
ten hätten, über viele Verhältniffe näher aufklaͤren, und über
manchen dunklen Mythos ein helleres Kicht verbreiten würden,
Vergleichen wir aber die Befchreibung des Schildes des Her 7
vafles mit jener des Achilleifhen Scildes bet Homeros, fo
laßt fich nicht verfennen, daß in manchen, wenn nicht in
allen Gefängen des Hefiodos die einfache Erzahlung, welche
wir an Homeros bewundern, Feineswegs mehr in gleichem
Grade durhgangig vorherrfchte, fondern daß nicht felten
viele ähnliche Attribute, welde an verfchiedenen Orten
dasfelbe bedeuteten, mit einander verfnüpft, und vielleicht
auch die Sagen von den Thaten und Schickjalen der Heroen
und Heroinen mehr ausgefchmückt und umgebildet waren, als
dieß in der Ilias der Fall ift. Sm vielen Bruchſtuͤcken des
Hefiodos, im Eingange der Theogonie und befondere in dem |
Mythos von Prometheus und Pandora tritt auch die Allego>
rie ſchon ziemlich deutlich hervor, welche nad) unferer Anficht
der Griehifhen Mythologie fremd war. Die allegorifche
Auffaffung und Behandlung der Mythen aber mußte zur
Verdunklung ihres einfachen Sinnes führen, und höchft nach-
theilig wirken. Vielleicht hat diefer Umftand beigetragen, daß
manche Forfcher der neuern Zeit für die Meinung fich erklär;
ten, die meiften Sagen, ja faft die ganze Mythologie müffe '
von diefem Geſichtspunkte aus betrachtet werden. Dadurch
gefhah ed, daß man in die meisten Mythen die erhabenjten
philofophifchen Kehren hineintrug, und die Vermuthung nahrte, |
die alten Weiſen hätten die bildliche Ausdrucsweife erfunden |
und gebraucht, um ihre Erfahrungen, ihre Lehren und die er⸗ |
101
babenften Wahrheiten dem rohen Haufen unter der Form von
Bildern einleuchtender und verftandlicher vorzutragen. Wie
nachtheilig aber diefe Anficht auf ein unbefangenes Prüfen
aller Sagen und auf ein fruchtbares Ermitteln ihrer einfachen
Bedeutung einwirken mußte, läßt fich leicht erachten. Wenn
indeß diejenigen Mythologen, welche fich zu derfelben befen-
nen, auch nicht gerade durch Heſiodos auf diefelbe geleitet
wurden, fo dürfte doch die allegorifche Behandlung vieler Sa—
gen in den Gefangen, welche feinen Namen trugen, auf Die
Mythendeutung der Griechen nicht ohne Einfluß geblieben
feyn. So gerne wir alfo auch zugeben, daß in den Heſiodi—⸗
hen Gefangen eine Menge von Sagen behandelt war, welche
in den Homerijchen Gedichten Feine Stelle finden fonnten, fo
1
möchten wir doch bezweifeln, ob die objective Darftellung,
melche wir an Homeros fo fehr bewundern, ſich aud) in allen
Merken, welche man dem Hefiodos beilegte, fo rein abipiegelte.
Eben fo wenig möchten wir aber behaupten, daß dieſe verjchies
denen Poefien, welche offenbar von verjchiedenen Sängern
berrührten, eine ſo durchgaͤngige Gleihfürmigfeit in
Bezug auf die Behandlung der Mythen hatten, wie wir fte
in den verfchtedenen Epifoden oder Nhapfodien des Homeros
antreffen. Wenigftens hat das Bruchſtuͤck, welches ſich in
der Theogonie über die Wirkſamkeit der Hekate erhalten hat,
ein fo rein epifches und alterthümliches Gepraͤge, daß es einen
ganz andern Sänger verrath, als derjenige war, welchem der
Anfang der Theogonie feine Entftchung zu verdanken hatte.
Einige der größten Gelehrten haben die Behauptung aus-
geiprochen, daß derjenige, welcher die Griechiſche Mythologie
und Mythengefchichte auf ihre einfache, alte Geftalt zurüd-
102
führen, und fie ald das, was fie war, darftellen wolle, ſich
an Homeros und Hefiodos halten müffe, dag alle Sagen,
welche diefe großen Dichter nicht anführen, einen jüngern
Urfprung hätten. Mit Recht bemerkt Müller ) gegen diefe
gewiß fehr einfeitige Behauptung: „Das Nichtwiffen eines
Dichters von einem Mythos beweist noch Teineswegs, daß
derfelbe zu feiner Zeit noch nicht vorhanden gemwefen fey.
Wie wollte Homeros z.B. der Demeter eine Rolle anweifen,
wie fie Hermes hat? Sollen die Epirotifchen, Theffalifchen
und Xetolifhen Sagen darum zum Theil nicht exiftirt haben, |
weil er fie nicht zu Fennen fcheint? Sch habe hier noch über»
dieß nichts von der Mahrfcheinlichfeit gefagt, daß Homeros
auch Manches verjchwiegen und bei Seite gelaffen haben
fonne, was er recht genau Fannte, nicht aus planmäßiger
Abficht und Fluger Berechnung, etwa, weil er gewiffen Reli- '
gionsanfichten abgemeigt war, fondern in dem Gefühl, daß
die Darftellung desfelben für feine Poefie unpaffend ſey —
da doc) auch Ilias und Odyſſee als einzelne Menfchenwerfe
unmoͤglich alle Richtungen des Menfchengeiftes darftellen
konnten.“
Wir glauben, daß man, wenn man bedacht haͤtte, welche
Aufgabe ſich Homeros und Heſiodos ſetzten, und wo ihre
Werke entſtanden, unmoͤglich die oben bezeichnete Behauptung
haͤtte ausſprechen koͤnnen. Der Saͤnger der Odyſſee wollte
die Ruͤckkehr des Odyſſeus und die dadurch herbeigefuͤhrte
Entfernung der Freier beſingen. Der Sänger ber Ilias
wollte die Menis des Peliden in ihrem Urfprunge, Fortgange,
Y
6) Prolegomena ©. 126 fg. |
203
in ihren Folgen, in ihrem Ende und den Folgen desfelben
darftellen. Wie ware es dem einen oder dem andern von
ihnen möglidy gewefen, in ſich abgeſchloſſene Kunſtwerke zu
ſchaffen, wenn fie alle Mythen von Bedentung in diefel-
ben hätten aufnehmen wollen? Hätten fie dieß gethan, fo
würden wir weder eine Ilias, noch eine Ddyffee haben,
fondern eine bunte Verkettung der verfchiedenartigften Dinge,
welche weder Einheit, noch inneren Zufammenhang zeigten.
Die beiden großen Sänger Fonnten demnach aus dem un:
erfhöpflichen Borne der Sagen nur diegenigen aufnehmen,
weldye nad) der Geftaltung, die jene Mythen von dem
Streit des Achilleus und Agamemnon und von den Str
fahrten des Ddyffeus zu ihrer Zeit befommen Hatten, in
einer unmittelbaren vder mittelbaren Beziehung
zu denjelben ftanden, und mußten, wenn fie die Ein:
heit und Harmonie ihrer Schöpfungen nicht felbft foren
wollten, alles von denfelben ausſchließen, was in Feiner
Beziehung damit ftand. Der Sinn für Harmonie und
Schönheit, welcher die alten Griechen vor andern Völfern
fo fehr auszeichnete, fchüsste fie auch im diefer Beziehung
vor Mißgriffen.
Ferner muß man bedenken, daß die Homerifchen Ge:
dichte in Kleinafien entftanden. Wer foll aber glauben,
daß die Aeoliſchen und Sonifchen Colonien, wenn auc)
noch fo viele Achäer den erftern beigefelft waren, den gan:
zen Sagenreichthum nicht bloß der verfchiedenen Voͤlker—
{haften Griechenlands, felbft der Thrafer und aller
ihnen verwandten Zweige, fondern auch alle Mo»
then der einzelnen Drte nach Afien verpflanzt haben? Was
104
konnten die Aeoler, Achaͤer und Sonier die Lofal» Sagen
der Epiroten, der Theffalier, Aetolier, Akarnanier, der Ar-
Fadier, was follten fie die Mythen der Thraker, Karer, Le
leger, Kaufonen und Pelasger befümmert haben? Wie
hätten fie fih, auch wenn fie ein fo befonderes Intereſſe
für diefelben gehabt hatten, eine vollſtaͤndige Kenntniß aller
Lokal» Sagen der genannten Voͤlker verſchaffen Tonnen ?
Wenn fid) aber diefe vollftändige Kenntniß aller Helleni-
fhen Mythen an Feinem Orte Kleinafiens vorfand, wo
follten die Sänger der Ilias und Odyſſee, welche in Klein-
afien geboren wurden, und dort ihre Bildung erhielten, die
felbe ſich angeeignet haben?
Nicht alle Mythen hatten durch die frühern Sanger
einen fo hohen Glanz erhalten, wie jene, welche den Per;
feus, die vielbefungene Argo, den Herakles und andere Göt-
ter verherrlihten. Nicht an allen Drten fanden fich
gleich viele und gleich vortrefflide Dichter, nicht
alle Sagen hatten für diefe ein gleihes Intereſſe,
nicht alle ließen fi) durch die Poefie mit gleihem Er
folge behandeln. Diejenigen Mythen, welche lange vor
Homeros befungen, und von einer Reihe von Sau
gern fo verherrlicht worden waren, daß ihr Ruhm, wie
fih Homeros felbft ausdrüdt, bie zum Himmel empor:
reichte, mußten dem Dichter der Ilias, wie jenem der
Odyſſee, freilich bekannt feyn, und aus diefen haben beide
ausgewählt, was für ihren Plan geeignet war, Wie foll-
ten fie aber felbft jene Mythen, weldye nur in der Volks—
fage an den verfchiedenen Orten fortlebten, wiffen? Wenn
alfo Homeros oder Hefiodos irgend einen Mythos nicht
105
erwähnen, fo fünnen aus diefem Umftande nur diejenigen,
weldye von dem Wahne befangen find, beide Sänger hätten
den Griechen ihre Gdttter und Mythen geſchaf—
fen, die Folgerung ziehen, daß derfelbe jüngern Urfprun-
ges jey. 3
Wenn Homeres nicht allen Göttern eine gleich große
Rolle in feinen Gefangen anweiſet, fondern einige derfelben
entweder gar nicht erjcheinen, oder doch eine höchft unterges
ordnete Stelle einnehmen, fo darf man ſich dadurd nicht irre
führen laffen. Diefe Erfheinung dürfte ſich aus denfelben
Gründen erklären lafjen, welche wir für die Nerven: Sage
geltend gemacht haben, Nicht alle Götter fanden bei den
Eoloniften Kleinafiens in gleichen Ehren. Diefe Thatfache
wird niemand beftreiten, der die Religions-Verhaͤltniſſe der
einzelnen Völferfchaften Griechenlands nur zum Theil kennt.
Nicht alle Götter boten für die Sanger gleich viel Intereſſe.
Apollon und Ares wurden fiher häufiger verherrlicht, als
Dionyfos und Demeter, welche bei der befchranften Bedeu—
tung, welche fie ſchon frühzeitig erhalten haben, der fich im-
mer mehr entwickelnden Voefte jene Nahrung nicht gewahr:
ten, welche viele andere Götter darboten. Welche Rolle hatte
ihnen auch der Sänger der Ddyffee anmeifen follen? Wir
fehen durchaus nicht ein, daß er irgend eine Veranlaſſung
gehabt habe, der Demeter oder dem Dionyſos jene Bedeu-
tung zu geben, welche Hermes und Pallas in der Dönffee
haben. Ferner darf man nicht überfehen, daß Pallas, Apol-
Ion, Aphrodite und andere Götter, welche in der Ilias eine
vorzuͤgliche Rolle fpielen, mit jenen Heroen, auf deren
Seite fie ftehen, in der alten Mythologie und Poefte eben
106
fo innig verfnüpft waren, als Aphrodite und Ares oder
Aphrodite und Hephäftos, fo daß der Sänger, welcher fo ger
treu überliefert, fobald er die zu Herven herabgefunfenen Götter
einführt, auch) die Ödtter in ihrer Nähe erſcheinen
laffen muß, mit denen fie in alten Liedern in der innigften
Beziehung ftanden. Wie follte er aber jene Götter einführen,
welche mit den von ihm erwähnten und gepriefenen Heroen
weder in einer freundlichen, noch aud) in einer
feindlichen Beziehung fanden? Diefer Umftand kann
nicht forgfältig genug beachtet werden. Mie alfo diefe
Götter, welche Homeros nicht anführt, deßhalb noch nicht
als Götter jüngeren Urfprunges angefehen werden Fonnen,
fo laßt fi) aud) niemals beweifen, daß die Entfichung jener
Mythen, welche in feinen oder des Hefiodos Gedichten nicht
vorkommen, in eine fpätere Zeit zu ſetzen ſey. Was wir
von des Homeros Stillfehweigen gejagt haben, laßt ſich auch
auf Hefiodos anwenden.
Mir Fehren nach diefer Unterbrechung zu denjenigen
Epifern zurüc, welche fih an Homeros anfchloffen. „Wenn
Homeros, fagt Müller”), einem eigentlichen Hiftorifer vergli-
chen werden kann, fo gleichen die Kykliker mehr Anna:
liften oder Chronikenſchreibern. Es ift Klar, daß im ihren Dich:
terwerfen der Zweck vorwaltete, die Sagen in nicht unge:
ſchmuͤcktem Gewande zu überliefern, daß Mythentradition
bei ihnen die Hauptfache war.“ Die Kyflifer, welche die
Lücden in dem großen Sagenfreife, die Homeros bei der
Oekonomie feiner Gedichte nicht ausfüllen Tonnte, ergangen
7) Prolegomena ©. 86.
107
wollten, hatten mehr Urfache, fid) auch um die Sagen unters
geordneten Ranges zu befümmern, als dieß bei dem Sänger
der Ilias oder jenem der Odyſſee der Fall war. In fo ferne
fich diefelben beftrebten, alle Sagen, welche der Ilias voraus
liegen, fo wie jene bis zum Tode des Telegonos vollſtaͤndig
zu überliefern, haben wir ihnen allerdings viele Aufjchlüffe
zu verdanken. Wir würden über manchen dunklen Mythos
beffer unterrichtet feyn, wenn fich ihre Werke erhalten hätten,
und wir und nicht auf die Angaben derjenigen Schriftfteller
befchränft fahen, welche diefelben bloß zu beftimmten Zwecken
bemüßten. Auf der andern Seite laßt ſich aber auch nicht
verfennen, daß die Sagen durch die Ausſchmuͤckung diefer
Sanger viel von ihrer einfachen Geftalt verloren, und viele
derfelben eine eben fo veränderte Geftalt erhalten haben dürf:
ten, wie fie der Mythos vom Falle des Hephaftos fchon wor
Homeros durch Mißverftandniß erhalten hat.
„Die Lyriker, fagt Müller), hatten bei der Abfaſſung
ihrer Gedichte und fo auch bei der Behandlung der Mythen
einen weit beftimmteren Zweck, als die Epiker. Sie dichte:
ten, um das Feft eines Gottes zu verherrlichen, einen Sieg
in öffentlichen Spielen zu preifen, für Gaftmähler, auch für
Leichenzüge. Sie wählten Mythen, welche diefen Abfichten
entfprachen, und es laßt fi vorausfegen, daß fie auch die
Erzählung öfter darnad) einrichteten.“ Allein da fid) diefelben
mit den Mythen der einzelnen Städte ’), für die fie ihre, zur
Feier von Göttern oder Menfchen beftimmten, Gedichte ver-
faßten, vielfach befchäftigten, jo hatten ihre Gefänge in dieſer
sy) ce.
9) Müller, S. 88 sq.
108
Beziehung für die Mythengefchichte große Bedeutung, vor
züglic) jene des Pindaros. ‚Denen, fagt Müller, welche die
Sage befonders anging, die fie am genaueften Fennen muß»
ten, Fonnten fie nicht hoffen, ein Machwerk von eigner Erz
findung für Wahrheit zu geben; wenn fie auch Manches aus:
ſchmuͤckten, fo ift gerade in folchen Fallen eine gewiffe Wahr;
haftigfeit in der Mpthenüberlieferung- von ihnen zu erwar⸗
ten.“ Es leuchtet von felbft ein, daß die Iyrifchen Dichter,
welche für irgend ein Feft einen Hymmos verfertigten, den
Sagenkreis desjenigen Ortes berüctfichtigen mußten, für wel:
chen fie dichteten. Auf diefe Weile Fam bei dem außer:
ordentlihen Reichthum, welchen die Griechen an
Hymmen hatten, eine Menge von Lofal-Mythen durch den
Glanz der Dichter aus dem Dunkel, in welchem fie fid) be;
fanden. Wenn wir bedenken, wie viele alte Lofal-Sagen
in den Siegesgefangen des Pindaros theils berührt, theile
umftandlicher erzahlt werden, fo koͤnnen wir wohl ermeffen,
welch? eine Menge von Mythen durch die verfchiedenen
lyriſchen Dichter zu Glanze Fam, und zum Theil der Vergef-
fenheit entriffen wurde, Mir wollen nur erinnern, daß
Aeakos bei Pindaros die Götter in einem Kampfe unterftüßt.
Wir finden Feine Stelle in einem frühern Schriftfteller, welche
dieſes Greigniß enthielte. Wenn fi nun alle oder doch der
größere Theil der Igrifchen Geſaͤnge der Griechen erhalten
hätte, wie ganz anders würden wir über die verfchiedenen
Lokal⸗Sagen unterrichtet feyn!
Indeß ift auch nicht zu verfennen, daß fi) manche Ly⸗
rifer Aenderungen der Sagen erlaubten. Wie weit fie hierin
gingen, laßt fi bei dem Mangel an zuverläffigen Anhalte-
109
punkten nicht wohl beftimmt ausfprechen. Nur dieß glauben
wir behaupten zu dürfen, daß wohl fchwerlich alle Lyriker mit
jener Treue und Gewiffenhaftigfeit in der Weberlieferung alter
Sagen verfuhren, wie Pindaros, und fich fo wenig eine Ab-
weichung erlaubten, ohne auf diefelbe aufmerffam zu machen
und fie zu rechtfertigen, wie diefer ehrwürdige Sänger es
thut. Nur jene Mythen Andert er ab, welche feinen erha—
benen Anftichten von der Würde der Götter widerfprechen '),
und nach jeinem Dafürhalten unmwahr feyn mußten. Er
bedachte nicht, oder vielmehr als Hellene Fonnte er ſich
nicht wohl die Ueberzeugung verjchaffen, daß die Mythen,
welche Dinge erzahlten, die fi) mit der Erhabenheit der
Götter nicht vertrugen, in der Zeit, welcher fie ihre Ent-
ftehung verdanften, von einem ganz andern Gefichtspunfte
betrachtet wurden, als dieß fpäater der Fall war, und daß
alles Unftößige der alten Sagen einzig durch die buchftab-
liche Auffaffung und die dadurch herbeigeführte Entftellung
derfelben veranlaßt worden war. Der chrwürdige Sänger
glaubte, daß manche Sagen glei anfangs durch Unwil-
fenheit oder üblen Willen der Menfchen entftellt worden
feven ). Daß Mißverſtaͤnd niß viel zur Entftellung
beitrug, unterliegt Feinem Zweifel; daß aber böfer Mille
einen fonderlich großen Einfluß geibt habe, und diefe Ent-
ftellungen in die frühefte Zeit hinaufzurüden ſeyen, moͤch—
ten wir ſehr bezweifeln. Daß der Mythos einen Kern
oder eine Grundlage enthalte, ftellt Pindaros nicht in Ab—
410) Pind. Pyth. III, 27. — IX, 45.
14) Olymp. J, 28. 47. cf. Nem. VII, 20.
110
rede, wohl aber Fonnte ihm nicht verborgen feyn, daß viele
Sagen durch die ältefte Poeſie vielfach erweitert * aus⸗
geſchmuͤckt worden ſeyen.
Eine große Menge von Sagen ward von den tragi—
ſchen Dichtern verſchoͤnert. Wir ſtimmen mit Müller voll
kommen überein ®), daß die Sagengeſchichte von ihnen öfter
dem attifchen Gaumen zurecht gemacht wurde, daß ihr hau-
fig benommen wurde, was dem National» Stolze der Athe-
naͤer nicht behagte, hinzugethan, was ihm füß und lieblic)
war, Indeß laͤßt fih nicht verfennen, daß durd) die Tra-
gifer viele Sagen auf uns gefommen find, welche ohne. fie
für ung verloren waren, und daß die Umgeftaltungen, welche fie
fich erlaubten, nicht immer fo weit gingen, daß da-
durch der Sinn der einzelnen Mythen für ung ganz dunkel gewor⸗
den wäre. Noch weniger haben wir Urſache, Angaben bloß
deßhalb, weil fich diefelben nur bei ihnen finden, für vers
dächtig zu halten, und ohne weitere Prüfung zu verwerfen,
Wen fie auch viele Sagen nach ihrem Plane umgeſtalteten,
fo laßt fich doch nicht wohl denken, daß fie fih willfür
lich verfchiedene Erdichtungen erlaubten. Sie hatten
bet der Vielgeftaltigfeit des großen Griechiſchen Sagenfreifes,
wie ung duͤnkt, nicht nothwendig, zu diefem Mittel ihre Zu:
flucht zu nehmen, und fo dürften fie auch nicht überall, wo
fie Veränderungen fich erlaubt zu haben fcheinen, wirklich ge,
andert haben, fondern in manchen Fällen nur andern Weber
lieferungen gefolgt ſeyn.
Beſonders ſcheinen Aefchylos und Sophokles ſich mit
12) Muͤller, Prolegomena, ©. 89.
111
ziemlicher Treue an die Weberlieferung gehalten zu haben.
Wenn fie bisweilen einen Mythos von einer andern Ans
ficht auffaßten, und eine andere Bedeutung in demfelben
fuchten, als er urſpruͤnglich gehabt haben dürfte, fo wird fich
dadurch Fein unbefangener Forfcher irre leiten laffen.
Die Dichter der fpatern Zeit, vorzüglich Kallimachog,
Parthenios, Lykophron, Euphorton und andere fuchten von
allen Een und Enden feltene, wenig befannte und halb vers
lorene Sagen auf ®), und in fo ferne haben wir ihrem Eifer
und ihrer Gelehrſamkeit gar manche Aufichlüffe zu verdanken,
welche ung über viele Punkte fehr gute Aufflärungen verfhafs
fen. Sie mußten bei der vielfachen Bearbeitung, welche die
meiften Mythen gefunden hatten, zu den minder befann-
ten Sagen ihre Zuflucht nehmen, wenn fie nicht das Alte
wiederholen wollten, Dazu trieb fie auch die Richtung, welche
ihre Zeit genommen hatte, in der man mehr durch große Ge—
lehrfamfeit, als durch wahrhaft dichterifche Vorzüge zu glaͤn—
zen fuchte, vielfach) an. Daß einige der fpatern Dichter fich
felbft durch Erfindung neuer Fabeln aus der Verlegenheit zu
helfen fuchten, laßt fich nicht beftreiten. Dieß ift fchon vor
ihnen gefchehen. Indeß geht man offenbar zu weit, wenn
man deßhalb aufihre Angaben überhaupt fein großes
Gewicht legt, oder fie gar Faum einer Beachtung würdigt.
Die Erfindungen, welche fie fic) erlaubten, dürften in den
meiften Fällen durch eine forgfaltige Prüfung leicht zu erken—
nen ſeyn. Vieles halten wir ohne Grund für Erfindung,
was fie aus alten Quellen entlehnten, welche uns längft ver-
13) Meineke de Euphor. 16. Müller, Prolegom. 91 fa.
112
loren gegangen find. Denn aus dem Umftande, daß eine
Sage nur bei ihnen erwähnt wird, den Schluß zu ziehen,
diefelbe gehöre ihnen an, felbft wenn fie durch Vergleichung
mit andern ähnlichen fich als alt erweiſet, möchte doch nicht
mehr eine befonnene Kritik, fondern Zmeifelfucht und Vorur⸗
theile verrathen,
Unter den Profaiften müffen wir zubörderft die Logogra⸗
phen, die Vorläufer der Hiftorifer, näher in das Auge faffen.
Die Quellen, aus welcyen fie ſchoͤpften, waren theils die ver-
ſchiedenen Lofal-Sagen und Ueberlieferungen, theils die alten
epifhen Gefange. In fo ferne verdienen die Nachrichten,
welche fie ung überliefern, die forgfältigfte Berücfichtigung,
und es laßt fich nicht verfennen, daß die Bruchftücke, welche
fich erhielten, doch wenigſtens einigen Erfag für die vielen
im Laufe der Zeit untergegangenen epifchen Gedichte bieten.
Die Art und Weiſe, wie fie die ihnen zu Gebote ftehenden
Hülfsmittel benügten, war größtentheils durch die Aufgabe,
welche fie fich bei der Abfaffung ihrer MWerfe gefett hatten,
bedingt. Sammeln und Ordnung und Verknüpfung des Ge
jammelten bat jeder beabfichtigt. Aber die Mahl der Sa—
gen hing von dem größern Umfang und der Ausdehnung des
Planes eines jeden ab. Syn fo ferne nicht jeder denfelben
Lofal-Sagen folgte, mußten fie allerdings, befonders in genea—
logiſchen Angaben, zu verfhiedenen Refultaten gelangen.
Ueber ihr Werfahren bet der Sichtung und Verfnüpfung des
gefammelten Stoff:s laßt ſich nad) der Anzahl der Bruch:
ftücfe Faum ein ficheres Urtheil fallen. Daß fie ausfchicden,
und ausscheiden mußten, verſteht fich von felbit. Auch zeigen
ſich fchon einige Spuren von Kritik, welche freilih noch in
u
118
ihrer Kindheit lag. Vieles, was ihnen grundlos vorfam, viele
Miderfprüche, welche ihnen räthfelhaft zu feyn duͤnkten, hätten
fi), wenn fie die poetifhe Grundlage der Sagen beachtet,
und fich von einer buchftäblichen Auffaffung losgeſagt hätten,
fehr wohl erflären laffen. Da wir die Grundſaͤtze, welche
fie bei ihrem Verfahren leiteten, nicht Fennen, fo vermögen
wir auch die Folgen, welche dasfelbe für die Geftaltung
mancher Mythen hatte, nicht zu beurtheilen. So viel läßt
ſich aber, ohne ihnen zu nahe zu treten, vielleicht behaupten,
daß fie befonders im der genealogifchen Verbindung der ver—
fchiedenen Weſen nicht immer am glüdlichften verfuhren. Da
aber diejelben Feine hiftorifche Bedeutung hatten, und Feiner
beftimmten Zeit ausfchließlich angehörten, fondern fich
in verfchiedenen Zeitperioden bewegten, fo darf man ihnen
dieß nicht fo fehr verargen. Die Logographen koͤnnen alfo
wohl als die Schöpfer des in den Schriften der Spätern herr-
ſchenden Mythenſyſtems betrachtet werden *).
„Die Hiftorifer Herodotos und Thukydides ”) behandeln
gelegenheitlich mythiſche Erzählungen, der erfte mehr im Einzel-
nen, der zweite allgemeiner, und ziehen aus ihnen Ergebniffe für
die Abftammung Griechiſcher Wölfer und ihre alte Lebensweiſe.
Für diefe Dinge hatten fie durchaus Feine andere Quelle,
als die Mythen, und es war alfo eine wiffenfchaftlide Be
bandlung des Mythos, der alten Genealogien und Heroen-
abentbeuer, auf die es hier ankam,” Thukydides ſah fehr
wohl ein, daß die Gefchichte der Urzeit nicht fo buchftäblich
14) Müller, Prolegom. S. 94 fr.
15) Müller, Prolegomena ©. 96.
Vorhalle zur Griechiſchen Gefdhichte. 8
114
genommen werden dürfe, wie fie die Dichter darftellten.
„Man wird, fagt er, nicht wohl irren, wenn man das Alterthum
fo, wie ich e8 entwickelt habe, anſieht, und nicht die Zobprei-
jungen der Dichter, welche die Sache vergrößernd ausſchmuͤck⸗
ten, glaubwürdiger findet, noch die Zufammenftellungen der
Sagenfchreiber, die mehr für anziehenden Vortrag, als nach
der Wahrheit verfaßt, unermeislich und meift Durch die Lange
der Zeit in unglaubhafte Fabeln übergegangen find ').” Man
fieht ein, worauf alfo der große Gefchichtichreiber fein Augen⸗
merk richtete. Er zweifelt fo wenig, als ein Dichter, an der
biftorifhen Grundlage der Mothengefchichte, und war
der Ueberzeugung, daß alles, was fi) in derfelben mit der
Wirklichkeit und mit der Hiftorifchen Kritik nicht vertrug, auf |
die Rechnung der Dichter und zum Theil auch der Kogogra- |
phen zu ſetzen ſey. Nach diefer Anficht mußte demnach fein |
Streben dahin gehen, dem poetifchen Schmuck und die Leber; I
ladung zu entfernen, und den Vorfällen ein einfaches, mit j
der Wirklichkeit im Einklange ftchendes Gepräge zu geben. |
Er zweifelt Teineswegs, daß Minos und Agamemnon große )
Könige waren, und betrachtet den erftern fogar als den Bes
gründer einer Seemacht. An die poetifche Grundlage der |
Mythen dachte er nicht, und Fonnte auch al& Grieche nicht
daran denken, eben fo wenig konnte er fich auf eine durch-
gängige Prüfung aller Mythen der einzelnen Völferfchaften
einlaffen, um eine vollftandige Weberficht der frühern Ge— |
ſchichte zu liefern; er befchränfte ſich darauf, Die Hauptpunfte |
aus dem großen Ganzen berporzubeben, und fie in möglichfter |
416) Thucyd. I, 21.
115
Kürze in ihrem Zufammenhange darzuftellen. Ob das harte
Urtheil, welches er über die Logographen fallt, auf alle mit
Recht angewendet werden koͤnne, möchten wir fehr bezwei—
feln. So hoc) wir Herodotos und Thukydides ald Gefchicht-
fehreiber ſchaͤtzen, fo Fonnen wir ihnen doch in Bezug auf
die Erwähnung und Behandlung einzelner Mythen nicht eben
fo großes und unbedingtes Vertrauen ſchenken. Ihre Quellen
waren diefelben, aus denen auch die Logographen und die Dich:
ter ſchoͤpften. Sie waren Griechen, wie diefe, und fo wenig
diefe ſich zu einer richtigen Anficht und Behandlung der alten
Sagen emporfhwingen Tonnten, eben fo wenig war es ben
großen Gefhichtfchreibern bei allen ihren geiftigen Vorzügen
möglich, den Inhalt der Mythen, die fie berührten, als das
zu bezeichnen, was er urfprünglich war.
| Später drang in die Hiftorifer das Beftreben, die
Mythen zur Gefchichte zu machen, wodurd) die alte My:
thengefchichte ziemlich verdunfelt wurde’). Statt die Mythen;
gefhichte für die Darftellung der Cultur zu benügen, für
welche fie fo viele und wichtige Aufſchluͤſſe enthält, gingen
fie darauf aus, aus derfelben eine gewöhnliche Fürften- und
Staatengefchichte zu bilden, und zu dieſem Zwecke ſchieden
fie das Wunderbare, das feheinbar Unmögliche und Phan-
taftifche aus. Mas ihnen bei dieſem Werfahren übrig blieb,
betrachteten fie als gefhichtlichen Stoff, und diefen angeb-
lichen Ereigniffen legten fie nun, um fie zu verknüpfen,
Motive unter, wie fie für ihre Zeit yaßten. Dadurch
wurde den Mythen ihr eigentliches Xeben genommen. Denn
47) Müller, Prolegom. ©. 97.
| 2
|
116
nicht alles, was fie für wunderbar, für unmöglich und phans
taftiich hielten, war Zuthat der Sänger, fondern es gehörte
zur Sache, e8 war in der Bedeutung und dem Weſen der
Mythen begründet, und erfchien nur denen als ein außerer,
unmefentliher Schmuf, welde fic) forglos dem Wahne
überließen, dog der Inhalt der Mythen durchaus biftorijcher
Natur ſeyn muͤſſe. Nimmt man bei den fhonften und
großartigiten Mythen die Einkleidung hinweg, wie fol |
man die urfprüngliche Grundlage, die frühere Bedeutung |
derfelben mehr erkennen?
Indeß dürfen wir auch nicht verfchweigen, daß nicht |
alle Hiftorifer der fpatern Zeit in der Behandlung der
Mythen auf diefe verkehrte Weiſe verfuhren; daß aber nur
wenige mit der Unbefangenheit und Treue erzählten, wie
dieß die Logographen thaten, dieß laßt ſich nicht verfennen, |
Mögen diefe bei der Auswahl auch nicht durchgängig mit |)
der größten Vorficht zu Werke gegangen feyn, mögen fie |
auch bei der Verfnüpfung und Abrundung ſich manche Yen; |
derungen erlaubt haben, jo haben ihre Schriften oder Bruch- |
ſtuͤcke, wie wir fagen muͤſſen, für uns doch eine ungleich |
größere Bedeutung, als die Entftellungen der pragmatifchen |
Hiftoriker, welche ihrem Talente mehr zutrauten, ald den |
alten Sängern.
„Die Philofophen *) hatten fich gleich vom Anfang mit | |
dem Mythos befchaftigt, und zwar auf zweierlei Meife. Er⸗
fiens hatten fie fich der mythiſchen Redeweiſe bedient, als | |
eines eigenthuͤmlichen Ausdrucks von Gedanken und Gefuͤh— | |
18) Müller, &. 99.
11%
len, die alteren wohl mehr aus einen innern Drange, als
aus freier Ueberlegung; es ſchien ihnen die angemeffenfte,
würdigfte Form, und wohl in vielen Fallen nicht bloß Form
zu ſeyn. Hernach trat mehr Abficht ein, und man wählte
den mythifchen Ausdruck feiner finnlihen Anfchaulichkeit, ſei—
ner Volfsmaßigkeit wegen.” Mill man den Einfluß, welchen
die Philofopgen auf die Umgeftaltung der Mythen hatten,
würdigen, fo darf man nicht vergeffen, wie fehr fich die ganze
Denk⸗ und Anfhauungsweife derjenigen Zeit, in welcher fie
lebten, von jener der Urzeit, in welche die Entftehung der Mythen
fallt, unterfchied. Wie ein Menſch Fein Fahr lang immer
derjelbe bleibt, fondern täglich entweder fortfchreitet oder ruͤck—
wärts geht, und befonders wenn Fleiß und Talente fich ent
fprehen, in wenigen Jahren fich fo verandert, daß er fi
felbft Faum mehr Fennt, fo bleibt auch ein Volk nicht immer
auf derfelben Stufe, befonders wenn es mit fo vielen Vor—
zügen ausgeftattet ift, wie dieß bei den alten Hellenen der
Fall war. Sie machten in der Gultur fchnelfe und außer;
ordentliche Fortſchritte. Wie Fonnten nun die Philoſophen,
die in einer viel fpätern Zeit auftraten, ſich fo fehr ihrer eige-
nen Denk» und Anfchauungsweife entaußern, daß es ihnen
möglich gewefen wäre, den einfachen Sinn der Mythen auf:
zufaffen? Indem fie aber den Suhalt derfelben nach ihren
Anfichten beftimmten, oder diefelben in die Mythen hinüber:
U trugen, mußten diefe allerdings eine große Bedeutung gemwin-
nen; 0b aber für die nähere Kenntniß der Mythologie und
der Gulturgefchichte der Urzeit Dadurch viel gewonnen wurde,
müffen wir fehr bezweifeln. Wir erinnern hier nur an die
Art und Weiſe, wie ung Prodikos den Herakles am Scheide:
118
wege vorführt. Die Erzählung, die und Kenophon aufbe-
wahrt hat, ift allerdings ſchͤn und bezaubernd. Daß aber
die Mythen, melde den Herakles betreffen, durch diefe
Darſtellung die geringfte Aufklärung gewonnen haben, Fons
nen wir nicht glauben, fondern find vielmehr der Weberzeu:
gung, daß die neuern Forfcher, welde den Herafles ale
deal eines Menſchen nad) den Vorftellungen der Griechen
in der heroifchen Zeit erklärten, durch die Erzahlung Des
Prodikos auf diefe gewiß irrige Unficht geleiter wurden.
Man darf nicht vergeffen, daß zwifchen der ur
ſpruͤnglichen Bedeutung eines Mythos und der Ger
ftalt, welche er im Laufe der Zeit durch vielfache Behand;
lung und zum Theil durch verkehrte Auffaffung erhielt, ein
großer Unterfchied ift. Wichtig hätte die phyfifhe Dew
tung der Griechiſchen Mythen werden koͤnnen, welche die
Philoſophen ſchon in den Zeiten des Sofrates übten *),
wenn fie mit größerer Umficht und Unbefangenheit durch
geführt worden wäre. Zuvoͤrderſt hatten diejenigen Philos
fophen, welche fi damit befaßten, ſich über die Gegen;
ftände, welche die Griechen in der frühern Zeit verehrten,
vollkommen verftandigen follen, und dieß ware ihnen in der
damaligen Zeit bei ihrer Kenntniß der Perfiihen Religions
serhältniffe nicht unmöglich gewejen. Allein dieß geſchah
nicht, und da fie Elemente und Gegenftande, welche die’
Griechen in ber Urzeit Feineswegs verehrten, als die Grund:
lage der Griechifchen Götterwelt betrachteten, fo konnten
bei ſolchen falſchen Vorausſetzungen ihre Deutungen auch
19) Davis. ad Cic. de N. D. I, 42.
119
nicht zu den natürlichften und erfreulichiten Refultaten fühs
ren. Am wenigften waren die Stoifer geeignet, im Ge:
biete der Mythologie auf diefem Wege mit Erfolg fortzu-
ſchreiten, da fie die Gabe, ſich von ihren Anfichten loszufagen,
nicht befaßen, fondern diefelben in der Mythologie, wie in
den Werken der Dichter durchſchimmern ſahen. Diejenigen
Philofophen, welche die Sagen über die Abftammung und
Thaten der einzelnen Götter durch die Annahme von vers
fhiedenen Wefen, welche die Namen Zeus, Apollon, Athena
und andere geführt haben follen, auszugleichen fuchten, waren
hierin nicht glüdlicher, als die neuern Mythologen, welche,
um chronologifche Widerfprüche zu befeitigen, zwei Könige
mit dem Namen Minos, Kefrops oder Pandion annehmen.
So großartig mandyen die morgenländifchen Ideen, welche
die Neuplatoniker in die Mythologie hinübertrugen, erfcheinen
mögen, fo wenig Fünnen diejenigen, welche in ihre Zußftapfen
treten, hoffen, die Griehifhen Mythen auf ihre urjprüngliche
Grundlage zurückzuführen. Wir find der feften Ueberzeus
gung, dag, wenn fich alle neuern Mythenforſcher an die eins
fahen Erzählungen der alten Dichter, Logographen, des Apol-
lodoros, Paufanias und der Scholtaften gehalten hatten, ohne
auf die Griechifchen Philoſophen befondere Rückficht zu nehmen,
und ſich durch ihre Deutungen blenden zu laffen, die Griechifche
Mythologie und Mythengeſchichte fhon eine ganz andere Ger
ftalt haben dürfte, als fie gegenwärtig hat.
Auch die Redner haben bei weiten die große Bedeutung
nicht, welche man ihnen gewöhnlich einräumt. Daß fie bei
der Bildung, welche fie genoffen, mit der Mythengefchichte
nicht unbekannt ſeyn Fonnten, bedarf kaum einer Erinnerung.
120
Allein die vollftändige Kenntniß derfelben, welche fich jene
Schriftfteller aneigneten, die fid) vorzugsmeife mit der Samm⸗
lung und Aufzeichnung der Griechifchen Sagen beſchaͤftigten,
dürfen wir ihmen nicht zutrauen, In fo ferne die Mytho—
logie für fie nur ein fehr untergeorbnetes Intereſſe hatte, Fon-
nen wir auch nicht verlangen, von ihnen eine fritifche Erfla-
rung derjenigen Sagen zu erhalten, welche fie gelegenbeitlich
anführen, und auch nicht hoffen, daß fie die Mythen immer
mit jener Vollftandigkeit und Genauigkeit anführen, womit
andere Schriftfteller verführen. Sfofrates Erklärung, daß
eine Sage, wenn fie auch mythiſch erfcheine, deßhalb ihre
Glaubwürdigkeit doch nicht verliere, zeigt uns, dag wir von
den Rednern eben Feine größern Auffchlüffe über die Mythen-
gefchichte erwarten dürfen, als von den Philofophen, die in
diefer Beziehung noch ungleich wichtiger find, da fie viel hau:
figer von dem Sagenfreis Gebrauch machten, als dieß die
Redner thaten, und, wenn fie die Mythen auch vom fehr |
verfchiedenen Geſichtspunkten aus betrachteten, doch bald zur
Einficht Famen, daß diefelben im buchftäblichen Sinne nicht |
genommen werden Dürfen. |
Ungleich wichtiger find für ung die Werke des Apollor
doros und Paufanias und die verfchiedenen Nachrichten, welche
ſich durdy die Scholiaften und Lexikographen erhalten haben.
„Apollodoros hat, wie der Auszug feiner Mythenbibliothek |
zeigt, an dem Stoffe nichts gethan ”), als ihm geordnet, uns
gefahr auf diefelbe Weife, wie die Logographen, nur daß er
auch noch das Drama, auch wohl noch Späteres, benüßte, |
20) Müller, Proleg. ©, 101.
EHE GE 1. U ee
121
und eine Gefammtumfaffung bezweckte.“ Pauſanias gehört
zwar einer noch fpätern Zeit an. Allein diefer Uınftand kann
und nicht beftimmen, feinen Angaben nur eine höchft unter-
geordnete Bedeutung beizulegen, wenn wir die Quellen be>
ruͤckſichtigen, aus denen die meiften derfelben gefloffen find.
Es ftanden ihm nicht bloß die Werke der Dichter und frühern
Schriftfieller zu Gebote, fondern auf feiner Wanderung dur)
Hellas erfuhr er durch die Erfundigungen, die er von Pries
ftern, Tempeldienern und andern mit den Sagen ihrer Hei:
math vertrauten Männern einzog, viele Mythen, von denen
wir bei frühern Schriftftellern Feine Erwahnung finden. Wer
bedenkt, wie getreulich fich die Sagen, welche fid an den
Eultus eines Gottes Enüpften, von einer Generation auf die
andere verpflanzten, und wie umftandlich die übrigen Lokal—
mythen fich forterbten, der wird die hohe Bedeutung und bes
fondere Wichtigkeit, welche Paufanias für die Griechiſche Mys
thengefchichte hat, nicht in Abrede ſtellen. Befonders wichtig
ift auch die Angabe der verfchiedenen Attribute und Auss
zeichnungen, welche die einzelnen Götterbilder hatten, auf
die Fein Schriftfteller fo große Rücficht nahm, wie Pauſanias.
Aus folhen fcheinbar geringfügigen Gegenftänden lernen wir
oft die frühere Bedeutung eines Gottes und der denfelben be-
treffenden Sagen ungleid) beffer kennen, als aus einer Menge
Bermuthungen und willfürlicher Erklärungen anderer Schrift:
fteller,
Dur) die Scholiaften und Lexikographen ift uns eben:
falld ein großer Reichtum von Sagen aufbewahrt worden,
von denen wir, wären die Werke verfelben verloren gegan-
gen, wenig oder im vielen Fällen nichts wiffen würden. Die
122
Gelehrten, welche ſich mit der Erklärung der Dichter beſchaͤf—
tigten, und zu dieſem Behufe Commentare verfertigten, hatten
eine Menge der herrlichften Quellen vor fich, welche ung nicht
mehr zu Gebote ftehen. Wenn ſich auch einige derfelben mit
allegorifcher Deutung der alten Sagen befaßten, jo war doc)
die Anzahl derjenigen, welche einfahen, daß ihre Aufgabe nur
erheifhe, alle zum Verftändniffe der einzelnen Stellen eines
Dichters nöthigen Angaben zu fammeln, ohne ſich in eine
Erklärung derfelben einzulaffen, ungleich größer. Was fie
erzählen, ward nicht von ihnen erfonnen, ſondern aus Quellen
entlehnt. Wir wiffen fehr wohl, daß man diefen Erflärern,
aus deren Werfen die Scholien floffen, den Vorwurf macht,
fie hätten in gar vielen Fallen ſich durch allerlei Erfindungen
geholfen, und deßhalb ihre Angaben zu verdäachtigen fucht.
Allein, wie laßt fich beweifen, daß dieß, wenn es auch zus
weilen gefchehen ift, im der Regel gefhah? Bei der
gelehrten Richtung, welche das Zeitalter genommen hatte,
in welches der Anfang der Erklärung der alten Dichter fallt,
würde eine folbe Taͤuſchung gewiß Feinen fonderlich guten
Erfolg gehabt haben. Was follte auch Männer, welche ſich
durch Gelehrſamkeit auszeichneten, und fo viele Hülfsmittel
hatten, bewogen haben, zu folchen Kunftgriffen ihre Zuflucht
zu nehmen? Wir mögen manche Angabe, die ſich nur in
den Scholiaften oder fpatern Dichtern erhalten hat, für fehr
unzuverlaͤſſig erklären, welche ficher ihre guten Gewährsmän;
ner hatte. Wäre und der ganze Reichthum der Griechiſchen
Literatur erhalten worden, ſo wuͤrden wir wohl nicht ſo oft
in Verſuchung kommen, gegen Erzaͤhlungen der Scholiaſten
Zweifel zu erheben.
— —
123
Wir haben in Kürze die Quellen, aus denen die Gries
chiſche Mythengeſchichte bearbeitet werden muß, und das Ver⸗
baltniß derfelben zu einander angedeutet, und kounten ung hier
um fo fürzer faffen, als Müller fich hierüber mit einer Gruͤnd⸗
lichkeit erflärt hat, welche nichts zu wünfchen übrig laßt. Aus
einer unbefangenen Betrachtung der Nefultate diefer Erörtes
rungen dürfte fich ergeben, daß, fo viele Veränderungen bie
Griehifche Mythologie und Mythengeſchichte im Laufe der
Zeit auch erfahren hat, eine wiffenfchaftliche Behandlung der;
felben doch für Feine Unmöglichkeit erflärt werden Tonne, Daß
aber derjenige, welcher fi mit ihr befaßt, fich nicht an
einzelne Schriftfteller halten dürfe, fondern den ganzen Vors
rath der vorhandenen Angaben forgfältig berüdfichtigen
müffe, wenn er zu erfreulichen Refultaten gelangen will,
leuchtet vom felbft ein. „Die gewöhnlichen Gefchichtfchrei-
ber, ſagt Müller *)), find ungemein erfreut, wenn fie bei
KHerodotos oder gar bei Thufydides eine Notiz über die
Schickſale eines Stammes in der Vorzeit finden, und tras
gen dieß ald reines Faktum in ihre Bücher ein; Fommt
ihnen Dagegen über denfelben Gegenftand eine mythiſche
Angabe bei Pauſanias vor, fo zuden fie die Achfeln über
die Findliche Fabel, ohne zu bedenken, daß Herodotos und
Thukydides aus denfelben Quellen ſchoͤpften, und bei einem
Schriftfteller, wie Paufanias, die Lokalſagen von fehr großer
Wichtigkeit find.“
Ein anderer Fehler, dem fich viele zu Schulden kom⸗
men laffen, befteht darin, daß fie auf die Erklärungen und
21) Miller, Prolegom. S. 215.
124
Deutungen der Alten, befonders der Philojophen, zu viel
Gewicht legen. Wir find weit davon entfernt, behaupten
zu wollen, daß diefelben gar Feine Beruͤckſichtigung verdie-
nen. So wenig ein folder Eigendünfel zu billigen ware,
eben fo wenig darf man aber die Zuverfiht hegen, daß
diefe Deutungen uns einen Anhaltspunkt für die Behand:
lung der gefammten Mythengeſchichte geben Fon
nen, und ohne Fritifche und alljeitige Prüfung für wahr
anzunehmen feyen. Die alten Dichter und jene Schriftfteller,
welche die Sagen auf eine einfadhe Weiſe erzahlen, verdies
nen nad) unferm Dafürhalten eine ungleich größere Beach»
tung, und wenn wir ihre Erzählungen mit der Art des Eul-
tus der einzelnen Götter vergleichen, und die Symbole und
verfcbiedenen Gegenftände, welche denfelben heilig waren,
berücfichtigen, fo fommen wir gewiß zu erfreulichern Re—
fultaten, als wenn wir den Erflärungen und Deutungen
der Alten blindlings folgen.
6. Ueber die Grundſätze und Anhaltspunkte bei der Mythen-
Erklärung.
Daß die Griehifhe Mythengeſchichte nicht buchftab-
[ih genommen werden dürfe, fahen die größten Männer
des Alterthums fchon ein, fo verfhieden auch die Wege
waren, welche fie zur wiffenfchaftlichen Behandlung derfel-
ben oder zur Fritifchen Darftellung und Erklärung einzelner
Sagen einfchlugen. Daß die gefammte mythiſche Rede
bedeute und darum gedeutet werden müffe, fcheint eine
ausgemachte Sache zu ſeyn ). „Die Menſchen freilich
1) Müller, Prolegom. S. 279.
125
nehmen die Sagen über die Ereiguiffe der Vergangenheit
ohne Unterjchied und ungeprüft von einander an ?). So
wenig Mühe macht den meiften die Erforfchung der Wahr-
beit, jagt Thukydides )!“ Wie ſehr ſich diefer große Nie
fiorifer und andere Männer bemühten, die Griechiſche My—
tbengefchichte von einem wiffenfchaftlichen Standpunkte zu
betrachten, und mit welchem Erfolge fie dieß thaten, haben
wir angedeutet. Zu einer Fritifchen und unbefangenen Be
trachtung und Entwicklung diefer Sache dürften die Grie—
chen wohl im Ganzen nit Selbftentäußerung genug
gehabt haben, und es fcheint, daß, fo viele geiftige Vor—
züge fie auch hatten, ihnen doc) die Fähigkeit fehlte, fich
einem fremdgewordenen Dichten und Denken anzufchmie
gen, fo daß wir dem Alterthume im diefer Beziehung Feine
gefeßgebende Auftoritat einräumen, aber audy nicht zuge
ftehen '), dag die Erforfchung des mythifchen Ausdrucks
in unferer Zeit nicht mit größerer Sicherheit und wiſſen—
ſchaftlicher Folgerichtigfeit ausgeführt werden koͤnne. Unfere
Ueberzeugung, daß die Mythendeutung Feine Unmöglichkeit
fey, gründet fich befonders darauf, daß wir von dem Vers
bältniffe der Form zum Inhalt im Mythus, von der Thaͤ—
tigkeit der Mythenbildung fchon einen allgemeinen Begriff
haben, und uns cher einigermaßen in die Denkweiſe jener
alten Zeit hinein zu verfegen vermögen. Deßhalb Tonnen
wir der Anficht, welche ein Gelehrter in Jahn's Sahr-
2) Thucydid. I, 20.
3) Id. I, 22.
4) Müller, Proleaom. ©, 268.
126
büchern °) in Bezug auf eine Erflärung des Hinabfteigens des
Odyſſeus in den Hades ausgefprochen hat, nicht beitreten: „Die
ganze Deutung empfiehlt fich durch eine gewiffe Öenialität.
Die Wahrheit derfelben wird freilich Niemand glauben,
welcher weiß, daß man Mothen und Volfsdichtungen dar-
um niemals deuten fonne, weil fie, wenn fie auch ur⸗
ſpruͤnglich aus einer beftimmten Begebenheit oder aus einer
beftimmten orftellung hervorgingen, dody im Laufe der
Zeit fo vielfach und durch fo viele Einwirkungen ſich ver-
änderten, daß die Erkennung der Urbedeutung meift un-
mödglid wird. Wollten unfere Symbolifer nur öfter an
unfere vaterlandifchen Volksſagen oder im Mittelalter etwa
an die Sagen von Carl dem Großen und feinen Paladi-
nen, und an den hiftorifchen Hintergrund derfelben denken,
fo würden fie vielleicht die Mythendeutung etwas behut-
famer betreiben, und für wenig mehr, als für ein Spiel
des Witzes anfehen. Mllerdings gibt ed Mythen, de
ren urſpruͤngliche Bedeutung und Peranlaffung erfennbar
ift, aber felten find fie fo befchaffen, daß man ihre Erflä-
rung bis ins Einzelne verfolgen kann, es müßte denn feyn,
daß man auch nachweifen Fonnte, wie fie allmahlig erwei-
tert und durch willfürliche Zufäge verändert und ausge
ihmüct worden find. Nur ift diefes Letztere fehr felten,
und vielleiht bei Feiner Sage vollftandig möglich.”
Diefe Erflarung dürfte zeigen, wie weit das Studium
der Mythengefchichte in Bezug auf andere Theile der
Alterthumswiſſenſchaft noch zurüd it! Daß alle Mythen
5) Jahrbuͤcher, 17. Th. ©. 350,
127
ohne Ausnahme im Laufe der Zeit eine fo große Um—
anderung erlitten, daß die Erfennung ihrer Urbedeutung
meift unmöglidy wird, ift eine Behauptung, die man leicht
ausſprechen, aber nicht fo leicht beweiſen kann, und Die erft, wenn
dieß mit Gründlichkeit gefcbehen ift, Beachtung verdient. Die
Bergleihung der Griehifhen Mythengefchichte mit den Volks⸗
fagen und Mährchen des Mittelalters ift, wie man aus der bis—
berigen Erörterung abnehmen dürfte, höchft unpaffend, und
verräth, daß fih der Verfaffer jener Anzeige ficherlich noch
niemals ernftlich mit der Griehifchen Mythologie befaßt
babe, Wenn es, wie er jelbft zugefteht, Mythen gibt, deren
urfprüngliche Bedeutung und Veranlaſſung erfennbar ift,
fo laßt ſich nicht einfehen, was den Forfcher hindern fol,
ihre Erflärung bis in das Einzelne zu verfolgen. In vie
len, ja fehr vielen Fallen laßt fih auch mit der größten
Beftimmtheit nachweifen, wie Sagen allmählig erweitert
und verändert wurden. Marum foll ferner nur bei einis
gen Mythen die urfprüngliche Bedeutung ſich nachmweiien
laffen? Sind vielleicht die Quellen der Mythengeſchichte
gar fo dürftig, oder follen nur einzelne Sagen eine be-
fimmte Grundlage haben, andere aber, welche in derfelben
Zeit und unter denfelben Umſtaͤnden entffanden, als ein
Spiel der Phantafie zu betrachten ſeyn?
Daß übrigens die wiffenfchaftlihe Behandlung der
Griechiſchen Moythengefchichte Feine leichte Sache fen, be
darf Feines weitern Beweiſes. Die Sagen der Hellenen,
jagt Paufanias %), find in mehreren Punkten abweichend,
6) Pausan. VIIL, 53, 2. cf. IX, 16, A.
128
befonders aber in den Abftammungen. Diefe Abweichun-
gen ließen ſich noch leicht erflären, wenn es fonft Feine
Schwierigkeiten zu überwinden gäbe. Selbft wenn man
ſich fichere Anhaltspunkte zur Loͤſung diefer fchwierigen Auf-
gabe feftgefeßt bat, ift der Weg durch das große Labyrinth
no immer mißlich ’), jeder neue Schritt ift mit neuen
Schwierigfeiten verbunden, und eine durchgängige und all-
gemeine Befriedigung nur als ein fernes Ziel zu erreichen.
Wir Fonnen keineswegs bei allen Sagen über Mangel an An-
gaben klagen. Mit Recht erblidt Welder °) in der überwu-
chernden Fülle und der reizenden Verwachfenheit des Stoffes,
der die firengfte Gefegmäßigfeit und Ordnung in der Behand-
lung entgegengejetzt werden muß, eine ungleich größere Schwie⸗
rigfeit, als in der Dürftigfeit der Quellen. Schon Platon °)
fordert deßhalb für diefes Gejchaft einen fehr eifrigen und
mühevollen Mann, welcher Feine fonderlihen Anfprüche auf
Beifall macht.
Die erfte und wichtigfte Aufgabe eines jeden, der fich
mit der Griechifhen Mythologie und Sagengeſchichte mit
Erfolg befchaftigen will, fcheint darin zu beftehen, daß er
ſich durch ein forgfaltiges Studium aller Quellen gemiffe
Anhaltspunkte ſuche, an welche er fi, wie an Keitfterne,
bei feiner Wanderung durch das Gebiet der Griechifchen
Sagen balten kann. Mie der firenge Hiftorifer, welcher
die Quellen der Geſchichte mit Nutzen gebrauchen will, fi
7) Müller, ©. 205 fg.
8) MWelder, Anhang zu Schwend’s Andeutungen, S. 358.
9) Plat. Phaedr. p. 229. Müller, ©, 206.
129
erft dann an die Leſung derfelben wendet, wenn er fich
mit den Grundfägen, nach welchen diefelben zu ftudiren
find, vertraut gemacht hat: fo dürfte fid aud die Mytbo-
logie erft dann mit mehr Glück behandeln laffen, wenn
ſich die Gelehrten einmal über diefe Anhaltspunkte ver
-fandigt haben. So gut die Gefchichtfchreiber die Nothwen-
digkeit längft einfahen, fic) über gewiffe Regeln zu verftäns
digen, eben fo wohl fühlten diefelbe gewiß aud) die My—⸗
thologen; allein es dürfte nicht fo Teicht feyn, diefelben für
die Mythengefchichte fo fchnell auszumitteln, und ihre Rich—
tigkeit mit einer folchen Beftimmtheit darzulegen, daß bier
felben überall Eingang finden. Iſt dieß einmal gefchehen, —
was freilich fo bald noch nicht ftattfinden möchte, — dann
wird die Mythengefchichte in einem Decennium größere Fort
ſchritte machen, als fie bisher, wo man zum Theil ohne feften
Plan verfuhr, in fünfzig Fahren machte. Daß übrigens bei
der Feftftellung derfelben mit der größten Vorficht und Unbe—
fangenheit verfahren werden müffe, wenn nicht durch ein
ſolches Streben Verwirrung aller Art veranlaßt werden joll,
bedarf kaum einer Erinnerung.
In diefem Falle darf man nicht befürchten, die Sa—
gen in ein noch größeres Dunkel zu hüllen, als dasjenige
ift, welches diefelben fhon umgibt. Die wenigen Bemer-
ungen, welche wir mittheilen wollen, follen Feineswegs die—
fes fehwierige Problem löfen; wir find zufrieden, wenn es
| ung gelingt, nur ein Sandlorn zu dem großen. Baus
werk beizutragen.
Zupörderft muß, wie uns duͤnkt, nachgewieſen werden,
ob die Griehifhe Mythologie wirklich ein Aggregat von
Vorhalle zur Griechiſchen Gedichte. 9
130
Aegyptiſchen, Phoͤniziſchen und andern morgenländifchen
Sagen, ob die Griechifchen Götter morgenlaͤndiſchen Ur-
fprunges find, oder ob die Griechifhe Sage auf heimatb-
lihem Boden entftand, und zu dem "mächtigen Baume
emporwuchs, welcher in der fpätern Zeit fo verfchiedene
und herrliche Früchte trug. Bisher find die Meinungen
der Gelehrten über dieſen wichtigen Punkt noch getheilt.
Die cinen fuchen die Heimath der Griechifchen Götter und
Sagen im Morgenlande, befonders in Vorderafien, Phoͤ—
nizien und Aegypten; die andern betrachten die Öriechifche
Sage als ein Produkt, das aus der Verbindung orientali-
fher und Griechifcher Mythen emporfproßte, und fuchen
demnach die Heimath einiger Götter im Drient, die der
übrigen in Hellas. Eine dritte Claffe, welche gegenwär-
tig noch nicht fo viele Werfechter zahlen dürfte, wie die
zwei eben berührten, tritt der Anficht eines großen Schrift:
ftellers des Alterthums bei, daß die Hellenen Fein Miſch—
volf waren, daß alfo auch ihre Götter und Sagen nicht
aus allen Gegenden zufammengetragen feyen, fondern, wie
die Hellenen, eine und diefelbe Heimath haben.
Es möchte die Zeit nicht mehr ferne feyn, in welder
die Miderlegung der Annahme orientalifcher Coloniften in
Hellas dur Müller die wohloerdiente allgemeine An |
erfennung finden dürfte Das, was Müller über diefe
wichtige Sache beibringt, dürfte fo wahr ſeyn, als irgend |
ein Faktum der fpatern Gefchichte Griechenlands, und der
Sieg der Wahrheit kann, wenn er auch noch fo lange hine |
ausgefchoben wird, nicht zweifelhaft fern. Eine andere
Frage ift es aber, im welchem Berhältniffe die Thrafer
nn
131
und die ihnen verwandten Zweige zu den verſchiedenen
Stämmen der Hellenen ftanden? Waren diefelben weſent—
lich von einander verfchieden, oder war der Unterfchied, wel-
cher zwifchen ihmen ftattfand, nicht größer, als jener, welchen
wir in der hiftorifchen Zeit zwifchen den Soniern und Do—
rern wahrnehmen? Wir waren früher der Meinung, daß
die Hellenen und jene Thrakiſchen Zweige zwei mefentlich
verfchiedenen Bölferfchaften angehört haben. Die Verſchie⸗
denheit der Bauwerfe, welche in der Urzeit einen ganz an:
dern Charakter hatten, als in der fpatern, die priefterlicye
Regierungsform, viele eigenthämliche Züge in den Sitten
und in der Lebensweife, welche die Thrafer und die ihnen ver
wandten Stämme hatten, viele religiöfe Verhaltnifie, welche,
wie die Weihen auf Samothrafe, eine ganz eigene Erſchei—
nung find, die Angaben des Hekataͤss und Strabon, das
Hellas in der Urzeit von Barbaren befeßt war, und viele an—
dere Umftande von untergeordneter Bedeutung hatten und zu
jener Annahme beftimmt. Allein wenn man bedenkt, daß
die Delasger mit den Karern und Lelegern verwandt waren '),
und fchon durd) das Epitheton „die Goͤttlichen“ als ein hie:
10) Wir werden die Beweife in einem befondern Merfe Liefer.
Unfere frühere Behauptung, daß die Velasger ein Zweig
der Achaͤer waren, dürfte aljo eine Modification erleiden.
Die Pelasger jtehen, wie wir uns durch fortgefektes Quel-
lenſtudium überzeugt haben, mit den Dorern und den
Epeern und Minyern in einer viel nahern Beziehung, als
mit den Joniern; daß fie aber von diefen weſentlich ver-
ſchieden gewefen feyen, bürfte ſich wohl ſchwerlich beweiſen
laſſen.
9 *
132
ratisches Volk, wie die Thrafer, erfcheinen, wenn man er
wägt, daß fie aus Arkadien niemals verdrängt wurden, daß
aber die Arfader in der hiftorifchen Zeit keineswegs als Bar
baren bezeichnet werden, wenn man berücfichtigt, daß die
Aetoler und Epeer Zweige der Leleger und mit den Paoniern,
welche allgemein als ein Thrafifcher Zweig anerkannt find,
verwandt waren, von Homeros aber feineswegs als Barbaren
bezeichnet werden, wenn man ferner nicht vergißt, Daß die
Dorifche Staatseinrichtung und das dffentliche Leben der Do—
ver, fo viele Modificationen dasfelbe auch im Kaufe der Zeit
erfahren hat, doch noch immer eine große NehnlichFeit mit den
Berhaltniffen der frübern Zeit darbietet, fo möchte man der
Vermuthung nicht abgeneigt feyn, daß die Hellenen und die
Thraker, fo wie die mit diefen verwandten Zweige von
einem und demfelben Volke abftammten, und daß die
Derfchiedenheit zwifchen ihnen und den Hellenen nicht größer
war, als diejenige, welche zwifchen den Dorern und Joniern
ftattfand, daß diefe Verfchtedenheit aber ihren Grund nicht 3
in einer verfchiedenen Abftammung der beiden Voͤlker
hatte, fondern durch die Beſchaffenheit ihrer früheften 1
Mohnfige, ihrer Lebensweiſe, Beſchaͤftigung und anderer
Verhaͤltniſſe veranlaßt worden war. |
Menn aber die verfchiedenen Einwohner von Griechen:
land Feineswegs verfchiedener Abkunft, fondern nur verfchier
dene Ziveige einer und derfelben großen Nation waren, went
Phönizifche und Aegyptiſche Coloniften fih auf dem Feftlande
von Hellas niemals anbauten, fo kann auch die Griechifche
Sagengefchichte als Fein Aggregat der verfhieden
artigften Beftandtheile angefehen werden, und es
133
muͤſſen alle Erklaͤrungen der Griechiſchen Mythologie aus der
Aegyptiſchen und Phonizifchen bei Seite gelaffen werden.
Wenn auch die Aegyptiſche und Phonizifche Mythologie mit
der Hellenifchen in mancher Beziehung Aehnlichfeit zu haben
ſcheint, ‘eben in fo ferne in einer Hinficht alle Mythologien
in entfernter Beziehung zu einander ftehen, fo irret man ficher,
wenn man hieraus folgert, daß die Aegyptier gerade Diefel-
ben Goͤtter auf dieſelbe Weife, wie die Hellenen, verchrten,
oder fi derfelben Symbole zum Ausdrucke ihrer An:
ſchauungen und Vorftellungen bedienten, welche die Griechen
gebrauchten. In einem Lande, welches, wie Aegypten, von
Hellas in jeder Beziehung wefentlich verfchieden war, und auf
die geiftige Entwicelung der Einwohner ganz anders ein-
wirkte, als Hellas, mußten die verfchtedenen Vorftellungen
und Wahrnehmungen auf eine ganz andere Weife ausgedrückt
werden, als dieß in Hellas der Fall war. Weber die Götter
felbft, welche die Aegyptier verehrten, und die urfprüngliche
Bedeutung derfelben find wir nur aus Quellen von unterge-
ordnete Range unterrichtet, und fünnen deßhalb auch nicht
beftimmt ausfprechen, daß fie ehedem von den Griedhifchen
nicht verfchieden waren, fondern daß fid) nur der Eultus nad)
Berfchiedenheit der örtlichen Verhältniffe auf eine eigenthüm-
liche Meife geftaltete. Es ift befannt, wie fchnell die Grie-
ben, wenn fie einige Merkmale bei Negyptifchen Göttern
wahrzunehmen glaubten, welche die ihrigen auszeichneten, die:
felben mit einander verglichen, oder fie einander ganz gleich-
ftellten. Deßhalb Tann man hier nicht vorfichtig genug ver-
fahren, und es ift gewiß fehr gewagt, wenn man den Aegyp⸗
134
tifchen Phthas für den Hephaftos der Hellenen oder den Horos
für ihren Apollon erklärt.
Wir find daher der Ueberzeugung, daß diejenigen, welche
die vollfommene Gleichheit der Aegyptifchen und Hellenifchen
Götter ohne weitere Prüfung annehmen, und die Bedeutung
der Griehifchen Mythologie aus der Aegyptiſchen zu erklären
fuchen, eben fo befangen handeln, wie diejenigen, welche die
Deutungen der Griechifchen Philofophen für buchſtaͤbliche
Mahrheit halten, und hegen die Zuverficht, daß diejenigen,
welche die Griechifhe Götterlehre und Mothengefchichte für
fich betrachten, ohne auf die orientalifchen Mythen Ruͤckſicht
zu nehmen, zu ficheren Reſultaten gelangen dürften.
Ein zweiter Punkt, über welchen fich die verfchiedenen
Forſcher verftandigen müffen, wenn auf dieſem Gebiete etwas
Erfreuliches geleiftet, und das Dunkel, welches über dasfelbe
gezogen ift, zerftreut werden foll, ift noch wichtiger, als jener
erite. Es muß namlich, in fo ferne fich die Mythengefchichte
ohne eine genaue Kenntniß der Mythologie nicht verſtehen
laͤßt, nachgewieſen werden, welche Bedeutung die Grie—
chiſchen Goͤtter ehedem hatten. Bisher find hierüber ſehr
verſchiedene Anſichten ausgeſprochen worden, welche bei dem
großen Widerſpruche, in welchem ſie mit einander ſtehen, und bei
der geringen Pflege, welche die Mythologie im Verhaͤltniß zu
andern Gegenſtaͤnden der Alterthumswiſſenſchaft findet, noch
nicht ſo bald ausgeglichen werden duͤrften. Daß dieß aber
geſchehen muͤſſe, wenn die Bemuͤhungen der einzelnen Forſcher
zu dem gewuͤnſchten Ziele fuͤhren ſollen, duͤrfte wohl Niemand
in Abrede ſtellen. Es iſt klar, um nur Ein Beiſpiel anzu:
führen, daß derjenige, welcher die Hera als Göttin der Erbe
135
oder ald Symbol der Luft betrachtet, die auf fie bezüglichen
Sagen ganz anders erklären müffe, als derjenige, der ihren
Namen als eines ber vielen Praͤdikate betrachtet, welche die
Mondgöttin, d. h. der urfprünglich göttlich) verehrte Mond
trug. Wie aber die verſchiedenen Forjcher in diefer Hin-
ficht zu größerer Uebereinftimmung in ihren Anfichten gelan—
gen Fonnen, ift freilich eine andere Frage.
Wir glauben, daß, wenn fie fi nicht an zinzelne
Quellen halten, fondern alle über irgend eine Gottheit vor:
handenen Erzählungen mit einander vergleichen, und auf
die Befchaffenheit des Cultus und der verfchiedenen Attri-
bute, welche die Bildfaulen Hatten, die nöthige Ruͤckſicht
nehmen, jene Webereinftimmung dann, wenn fie auch nur
als ein fernes Ziel anzufehen ift, doch als Feine Unmoͤg—
lichfeit betrachtet werden darf. Mir wollen die Hera, welche
wir cben erwahnt haben, und einige ihrer Attribute näher
‚betrachten. Ihr Pradifat Bowrıs iſt uralt, und laßt uns
feinen Augenblick zweifeln, daß die Göttin dasfelbe niemals
‚geführt haben würde, hatte fie nicht in der alten Zeit Kuh:
geftalt gehabt, wie die Jo oder die Pafiphae. Der Hera
wurden heilige Kühe gehalten, und die Prieſterin fuhr auf
einem mit Kühen befpannten Wagen. Wir ſehen alſo,
daß Müllers Behauptung, daß die Hera urfprünglich nicht
bloß Bowrıs war, fondern in Kuhgeftalt gedacht wurde,
durch den Cultus beftätigt wird. Kann die Kuhgeftalt eine
Beziehung zur Luft haben? Dieß wird wohl Niemand
glauben. Eben fo wenig fehen wir ein, in wie ferne die-
jelbe mit der Erdgörtin in Verbindung gebracht werden
kann. Ein anderes Symbol der Hera ift der Pfau. Wenn
136
wir die Bedeutung diefes Symbols verftehen wollen, fo
dürfen wir nicht überfehen, daß derfelbe nad) der Sage
aus dem DBlute des Argos entftanden ift, und in Athen,
als er noch felten war, nur an den Numenten gezeigt wurde. |
Hera hat einen herrlichen Wagen, welchen uns Homeros
befchreibt. Diefen führt fie ſchon in den älteften Sagen.
Wozu bedarf die Erdgöttin oder die Göttin der untern
Luft des Wagens? Ohne Grund aber ward ihr derfelbe
eben fo wenig beigelegt, als der Pallas die Lanze, Bei
ihrem Sefte in Samos ward das Bild der Göttin aus
dem Tempel entfernt, verborgen und dann gefucht. Iſt
die Hera Erdgöttin, jo fieht man nicht ein, was Diefer
Gebraud) zu bedeuten habe, noch weniger, wenn man fie
für die Göttin der untern Luft erflart. Daß aber die Euls
tusgebräuche nicht als Werke des Zufalles betrachtet wers
den dürfen, fondern nur Verfinnlichung der Schickſale, Thas
ten und des Mefens der einzelnen Götter waren, dürfte in
unferer Zeit Niemand mehr beftreiten. Erwägen wir fers
ner, daß der Mond in Geſtalt von Schuhfchnäbeln an den
Füßen der Hera hangt, und daß fi) die Sterne im finn-
bildlichen Kranze um ihr Haupt drehen, daß fie vom Hims
mel herab gehängt war, und bald Zungfrau, bald Frau,
bald Wittwe ift, immer aber wieder zur Jungfrau wird,
wenn fie die MWittwengeftalt abgelegt hat, fo müffen wir
uns überzeugen, daß die Hera niemals Göttin der untern
Luft gemwefen fey, und wenn wir den Mond und die Sterne,
fo wie die oben berührten Umftände beachten, fo dürfte es
wohl Faum zweifelhaft feyn, daß fie auch nicht Erdgöttin
war. Dfeanos und Thetis find ihre Pflege-Eltern. In
13%
welcher Beziehung fteht die untere Luft zum Meere, oder
hatten die Griechen in der Urzeit etwa fchon die Anficht,
welche viele Naturhiſtoriker ausgefprochen haben, daß die
Erde aus dem Meere entftanden fey? Ihre Priefterin und
ältefte Tempeldienerin in Argos ift So, die Wandlerin, der
Mond. Wie diefe Yo in Argos ein Trauerfeft hatte ''),
fo ward aud) der Hera bei den Korinthiern ein Trauerfeft “)
gefeiert, wo vierzehn edle Kinder, fieben Knaben und fieben
Mädchen, gefchoren in Trauerkleidern dienten. Welche
Bedeutung foll diefes Trauerfeft bei der Göttin der untern
Luft haben? Welche Beziehung haben die fieben Knaben
und Mädchen zur Erdgüttin? Die Zahl bezieht fich offen:
bar auf die Tage der Woche; die Zeitrechnung ward aber
bei Feinem Volke, fo viel uns bekannt ift, an den Cultus
der Erdgöttin, fondern an jenen der Mondgöttin geknüpft.
Mit welcher Freude ward bei den Völfern, welche Sonne
und Mond verehrten, das Erfcheinen diefer beiden großen
Lichtkoͤrper begrüßt, mit welcher Trauer ihr Verfhwinden
begangen!
Schon diefe wenigen Angaben, welche nicht ein Dritt:
theil der wichtigen Sagen und Merkmale, aus denen fich
die Bedeutung der Hera erklärt, enthalten, dürften auf die
Vermuthung leiten, daß Hera weder Göttin der untern
Luft, noch der Erde war, ſondern Göttin des Mondes,
oder um einen richtigern Ausdruck zu gebrauchen, daß ihr
44) Suid. S. v. Iw.
12) Pausan. II, 3. 6. Schol, Eurip. Med. 276. ed. Matth,
Schwend, ©. 73.
158
Name eines der vielen Pradifate war, melche der Mond,
dem die Griechen goͤttliche Verehrung erwiefen, trug, und
aus denen fich die fpätere Zeit, welche unter jedem Namen
fich eine beftimmte Gottheit vorftelite, verſchiedene Weſen bil-
dete. Iſt Hera Mondgöttin, dann hat die Kuhgeftalt ihre
volle Bedeutung. Die Hörner erinnern an die Befchaffen-
heit des zunehmenden und abnehmenden Mondes; dann ift
es klar, warum fie Jungfrau, Frau und Wittwe ift, und ims
mer wieder Jungfrau wird, warum fie den Wagen hat, wel-
hen auch der Sonnengott nach den Vorftellungen der heroi-
ſchen Zeit zu feinen Fahrten gebraucht, und von Dfeanos und
Thetis erzogen wird, da fi) der Mond nach den Vorftelluns
gen der Alten aus dem Meere erhebt und im Meere verſchwin—
det. Die Entiwendung ihres Bildes aus dem Tempel erhält
num diefelbe Bedeutung, welche die Entführung der Europa
durch Zeus hat, und ihr Trauerfeft ift nichts anders, als die
inmbolifche Darftellung ihres Todes oder des Unterganges
des Mondes. Auch die übrigen berührten Punkte befom-
men in diefem Falle ihre Bedeutung. Allein wenn auch noch
fo viele Dinge ung für diefe Vermuthung ftimmten, die übrigen
Sagen und Gebräuche aber dagegen fprachen, und ſich mit
dem Weſen der Mondgottin nicht vertrügen, fo koͤnnten wir noch |
keineswegs die Zuverficht hegen, das Weſen der Hera richtig
aufgefaßt zu haben. Allein weit gefehlt, daß die übrigen
Mythen und Eultusgebräuche mit diefer Anſicht nicht im Ein-
klange ftehen follten, tragen diefelben vielmehr weſentlich dazu
bei, fie zu betätigen.
Nur ein Umftand erfcheint fonderbar, wie Hera, wenn
fie Mondgöttin war, jene Stelle im Götterfreife befommen
139
und jenen Charakter erhalten konnte, welchen fie fchon in den Ho⸗
merifchen Gefängen entwicelt. Ueber die Entftehung ihres Cha>
rafters, den fie theils ihrem Nanıen, theile der Rolle verdanft,
die fie im Olympos fpielt, haben wir unfere Vermuthung ſchon
ausgefprochen. Die hohe Stellung aber, welche fie im Olym-
p08 einnimmt, dürfte fie theils ihrem Namen, theild der Be—
deutung der Achaer, welche in jener Zeit Argos inne hatten,
in welche wir die Entftehung des Goͤtter⸗Syſtems fegen, zu
verdanken haben. Wie fehr mußte fich, fobald fie zur Herr:
fherin des Olympos erhoben wurde, ihre frühere Bedeutung
verändern! Hatten fich die Eultusgebräuche, die verfchiede>
nen Öegenftände, welche ihr die Urzeit beilegte, und die fie
betreffenden Sagen nicht erhalten, fo wirden wir unmöglich
glauben, daß fie ehedem Mondgottin war.
Man darf alfo, wenn man die urfprüngliche Bedeutung
der einzelnen Götter ermitteln will, fich durch den engen
und befhranften Wirkungskreis, welchen diefelben in
der fpatern Zeit erhielten, nicht taufchen laffen, fondern man
muß alles, was nur immer auf fie Bezug hat, forgfaltig ers
wagen, Ein Volk, welches den Mond verehrte, dürfte wohl
auch die Sonne verehrt haben. Diefe Vermuthung drangt
fih uns, nachdem wir das Mefen der Hera zum Theil be>
trachtet haben, eben fo unwillfürlich auf, als eine andere, daß
Sonne und Mond dann ficher nicht bloß bei einigen oder gar
nur einem Stamme, fondern wahrfcheinlich bet den meiften,
vielleicht bei allen Völferfchaften Griechenlands verehrt wurs
den, aber deßhalb nicht überall diefelben Namen trugen.
Die Verfchiedenheit der Namen dürfte fich nicht bloß aus den
Eigenthümlichkeiten der einzelnen Dialekte, fondern noch uns
140
gleich beffer aus dem verfchiedenen Wirkungen, weldye man
dem Monde zufchrteb, und der Anficht von feiner Befchaffen:
heit erklären. Hatte aber der Mond an verfchiedenen
Drten verfhiedene Namen, fo mußte fpäter, ale man
ſich unter jedem Namen eine beftimmte Gottheit vorftellte,
eine große Anzahl von Goͤttinen entftehen, die ehedem
ihrem Weſen nad) von der Hera wicht verfchteden waren,
Dasfelbe gilt auch von der Sonne und den einzelnen Sonnen»
göttern.
Dagegen koͤnnte man einwenden, daß, wenn auch viele
Griechifche Göttinen in wefentlichen Dingen einander fo Ahnlic)
find, daß man wirklich vermuthen möchte, daß fie urfprünglich
diefelbe Bedeutung gehabt haben, doch die Verfchiedenheit ders
felben noch ungleich größer fey. Daß die Griechiſchen Götter, wie
fie bei Homeros oder fpatern Dichtern erfcheinen, in wichtigen
Zügen fich wefentlich unterfcheiden, wollen wir nicht in Ab—
rede ftellen. Hermes, Apollon, Hephaftos und Ares treten
fo eigenthümlicy auf, daß man fich leicht der Vermuthung
bingeben möchte, die genannten Götter feyen urfprünglich
fchon durchaus von einander verfchieden gewefen. Go haben
allerdings auch Hera, Artemis, Aphrodite und Pallas fo viele
eigenthümliche Merkmale, daß man einem Gelehrten, welcher
ſich nicht felbft mit den Quellen der Griechiſchen Mythologie
beichäftigr hat, niemals verargen kann, wenn er behauptet,
diefelben fcheinen ſchon in der Urzeit ganz verfchiedene Rollen
gehabt zu haben. Mer aber die Quellen Fennt, und weiß, wie
vielfach die einzelnen Götter und Gdttinen, deren Namen ehedem
sprädifate der Sonne und des Mondes waren, befungen wur;
den; wer ferner erwägt, daß nicht alle Tempelſaͤnger jener
141
Orte, an denen der Sonnengott oder die Mondgottin verehrt
wurde, diefelben Eigenfchaften preifen Tonnten, fon:
derm bei der Verschiedenheit der Urfachen der Ver:
ebrung und der auf die verfchiedenen Merkmale der Kicht-
götter fi beziebenden Namen hier diefe ®), dort
jene Vorzüge einer Gottheit befonders herporheben muß»
tem, wird leicht einfehen, dag Götter, welche ehedem ihren:
Mefen nach nicht. verfchieden waren, unter diefen und an:
dern Verhaͤltniſſen allmahlig eine ſehr veranderte, be
ſchraͤnkte und eigenthuͤmliche Rolle erhalten mußten.
Es dürfte alfo einleuchten, dag wir uns nicht blindlings an
die Homerifche Darftellung der einzelnen Götter halten, und.
die Meinung hegen dürfen, diefelben hatten den Charakter,
welchen fie bei ihm entwiceln, ſchon urfprünglicy gehabt, fon-
dern es müffen alle Sagen früherer und fpaterer Zeit, alle
Eultusgebrauche und Attribute forgfältig verglichen werden,
wenn wir vor Irrthuͤmern gefichert bleiben wollen.
Wenn wir nun durch vielfache Wergleichungen zur Uebers
zeugung gelangen, dag Sonne und Mond, daß Morgen» und
Abendftern und an einzelnen Orten Griechenlands vielleicht .
auch die Planeten verehrt wurden, fo dürfen wir noch nicht
glauben, dag deßhalb alle Götter Sonnengoͤtter und alle
Göttinen Mondgöttinen fenen. Wir haben auch noch das
13) Wie man die Mondgöttin an einigen Orten als Kriegerin,
an andern als fchaffendes Weſen oder Vorfteherin der
Kuünfte, an andern wegen ihres wohlthätigen Einfluffes
auf das Gebdeiben aller Feldfruͤchte verehrte, fo mußte fih
natürlih auch ihre Charakter an verfhiebenen Orten ver-
fhieden geftalten.
142
Meer mit feinen befondern Göttern, wir haben die Nymphen
und ahnliche untergeordnete Weſen, wir haben den Beherr-
fcher der Unterwelt. Die zulegt genannten Götter find aber
fo genau gezeichnet, daß wohl Niemand auf den Gedanken
geräth, Hades oder VPoſeidon ſeyen Lichtgötter gewefen.
Iſt einmal ausgemittelt, daß die Griechen in der Urzeit,
wie die Perfer, Sonne und Mond, Waſſer und alle jene Ge-
genftande ), welche von höhern Wefen erfüllt zu ſeyn ſchie—
14) Sene Götter, welde, wie Dife, Eirene, Heſychia und aͤhn—
libe Weſen, abftraften Begriffen ihre Entftehung verdank—
ten, und deren Verehrung ficher erft ſpaͤter almaͤhlig Wur—
zeln faßte, keineswegs aber der Urzeit angehört, haben
ebenfalls ein fo beſtimmtes Gepraͤze, daß ihre Vedeutung
gleih in die Augen fahr, Wir muͤſſen bier auf zwei
Punkte aufmerffan machen, um Mißverſtaͤndniſfen vorzu—
beugen. Wenn die Griechen in dee fpatern Zeit, wo fie
auf einer ganz andern Gulturftafe jtanden, als in der Ur:
zeit, Die bezeichneten Wefen göttlich verehrten, fo darf man
bieraus doch wohl keineswegs fliegen, daß auch die Haupt-
götter ahnlihen Begriffen ihre Entftehung zu verdanken
hatten. Ferner muß man fich hüten, die Charitinen, Ho-
ren und Moiren, die Eleithyia, Hebe und Nemeſis mit den
oben angeführten Wefen auf aleihe Stufe zu ftellen. Hebe
und Nemefis hatten in der Urzeit eine eben fo große Be:
deutung, wie Hera oder Helena, die Tochter der Nemefis.
Die drei Horen, Charitinen, Moiren, die Gleithyen bezogen
ſich urfprünglih auf die drei Mondphafen, und entitanden
aus Prabifaten der Mondgottinen, die natürlih, de nicht
jeder Drt die Monbdgöttin wegen einer und derfelben Aeuße—
rung ihrer Macht verehrte, auch nicht überall biefelben ſeyn
143
men, verehrten, fo entſteht zunaͤchſt die Frage, wie weit
ſie die Wirkſamkeit der Sonne, wie weit ſie
jene des Mondes ausdehnten. Die Wirkſamkeit der
Mondgoͤttin ſchildert uns ein altes Fragment orphiſcher Poeſie,
welches ſich bei Heſiodos über die Hekate '°) erhalten hat. Ueber
die Macht und Mirffamfeit, welche man dem Sonnengotte
beilegte, haben wir freilich keine ſo zuſammenhaͤngende Aufz
klaͤrung aus der frühern Zeit; allein wir lernen diefelbe voll-
ſtaͤndig Fennen, wenn wir die Nachrichten über die Thaten
und Schickſale der einzelnen Sonnengötter und über die Art
und Weiſe ihrer Verehrung, über ihre Attribute und die Ber
fchaffenheit der Bildfäulen genau vergleichen. Wenn dieg
geichieht, fo wird man fidy überzeugen, daß die Griechen
Himmel und Erde, wie man gewöhnlich glaubt, urfprünglic)
nicht verehrten. Man wird einfehen, das die Namen De;
meter, Gaia, Nhea urfprünglic Pradifate waren, welche die
Mondgöttin wegen ihres wohlthäatigen und belebenden
Einfluffes auf die Erde trug, daß Zeus urfprünglich
Sonnengott war, wie Helios oder Apollon, und erft fpäter,
als er an die Spitze der Götter trat, einen ganz andern Mir;
kungskreis erhielt, als derjenige war, welchen er urfprünglich
hatte. Die Namen Gaia, Rheia und Demeter mußten fpa>
ter, als man fie als die eigenthuͤmlichen Namen beftimm:
ter Ööttinen betrachtete, und fi an ihre buchſtaͤbliche
Bedeutung bielt, ohne zu bedenken, daß fie früher, wie Eiletz
thyia, Themis, Hebe und Nemefis nur Pradifatedes Mon-
fonnten, fondern an verfhiedenen Orten nothwendig ver
fhicden lauten mußten.
15) Hesiod. Theog. 414 sqq.
144
des waren, zu vielfachen Mißverftandniffen: Veranlaffung
geben, und die Wefen, welche man fich unter denfelben dachte,
mußten auf diefe Weiſe einen Ro beſchraͤnkten Wirkungs⸗
kreis erhalten.
Vielleicht duͤrfte es ſonderbar ſcheinen, warum wir uns
uͤber Dinge ſo ausfuͤhrlich erklaͤren, welche mit unſerer Auf—
gabe in keiner naͤhern Beziehung zu ſtehen ſcheinen. Wir er—
wiedern auf dieſen Vorwurf, daß man, bevor man ſich nicht
uͤber die fruͤhere Bedeutung der Griechiſchen⸗Goͤtter und über
den großen Einfluß, welcyer der Sonne und dem Monde bei:
gelegt wurde, vollkommen verftändigt hat, weder die Schick—
fale und Thaten der einzelnen Götter, noch die Attribute und
die Art ihrer Verehrung verftehen Fan, War Apollon Son:
nengott, fo müffen fich fein Charakter, feine geiftigen und
förperlichen Vorzüge, feine Ihaten und Schickſale aus der
Beichaffenheit des Lichtes und den Anfichten, welche die Alten
von der Wirkung der Sonne, ihrem fcheinbaren Auf> und Unters
gange und ihrer fcheinbaren Bewegung hatten, erklären laf-
fen. Daß übrigens fein Charafter dadurdy, daß die Griechen _
ſich ihre Götter ſchon in der Homerifchen Zeit ziemlich menfcb-
lich dachten, und ihre Vorzüge und Schwächen auf dieſelben
übertrugen, vielfache Modificationen erleiden mußte,
bedarf kaum einer Erinnerung. Wer an der Richtigkeit die-
jer Behauptung zweifelt, der betrachte nur die Hera!
Haben wir einmal von der Griechifchen Mythologie rich:
tige Vorftellungen, verftchen wir die Bedeutung der Sym—
bole, welche die Götter haben, die Art ihrer Verehrung, ihre
Schickſale und Thaten, dann haben wir auch einen Anhalts-
punkt jür die Heroengefhichte gewonnen, Viele ‚der
tee
145
-
Herven werden von den Alten felbft Götter oder Abkoͤmm—
linge der Götter genannt. Viele haben geiftige oder koͤrper—
liche Vorzüge an ſich, welche nur Göttern eigenthümlid) find.
Viele vollbringen diefelben Thaten, wie die Götter, haben die-
felben Schicffale, diefelben Attribute, find entweder mit Goͤt—
tinen vermaͤhlt oder ftehen doch fonft mit ihnen in einer uns
zertrennlichen Verbindung. Wir wiffen, daß Götter, welche
Völkern angehörten, die durd) andere unterjocht wurden, auf
eine untergeordnete Stufe herabgedrüct wurden. Alle dieſe
Umſtaͤnde müffen uns die Ueberzeugung einflößen, daß wir
Herven nicht ohne weitere Prüfung der über fie erhaltenen
Angaben für Könige anfehen dürfen, jondern im Gegeutheil
alle, welche ſich nicht durch die deutlichiten Merkmale als
folche erweifen, für mythiſche Perfonen zu betrachten haben.
Die Gefege, welche wir bei der kritiſchen Beleuchtung
der Heroen⸗Geſchichte zu berücfichtigen haben, dürften ſich nun
leicht deftimmen laffen. Es ift natürlich, daß wir ihre El:
tern, die Art und den Ort ihrer Geburt und Erzie
bung, ihre Erzicher und Gefährten, ihre Kinder,
die Zahl und Eigenrhümlichfeiten derfelben,
ihre Schidfale und Thaten, die verfhiedenen
Gegenjtande, welche diejelben haben, ihren Tod
und den Ort desfelben, ihren Aufenthalt nad)
dem Tode und die Befchaffenbeit desfelben, die
Artihrer Verehrung, ibren Aufenthalt an vers
fhiedenen Orten, ihr Erfcheinen in verſchiede—
nenZeiten und alle ähnlichen Umftände der forg-
faltigfien Beachtung würdigen, und Dabei nicht blog auf die
Verhaͤltniſſe des menfchlihen Lebens, fondern auch auf die
Vorhalle zur Griechiſchen Geſchichte— 10
146
Schickſale und Thaten der Götter die größte Ruͤckſicht nehmen
müffen, Auf diefe Weife werden die Zweifel, ob ein Wefen der
wirflihen Geſchichte, oder ob dasjelbe der Ödtterwelt
angehört, ſchwinden, und wir werden einfehen, daß fich die fon-
derbaren Thaten, welche fo manche derfelben vollbringen,
aus der Bedeutung, welche fie früher hatten, erklären,
und nicht als willfürlihe Ausſchmuͤckungen und Phan—
taftereien der Sanger angefehen werden dürfen.
Soll aber bei dieſem Verfahren auch derjenige, welcher
die Mythengefchichte als wirkliche efchichte betrachtet, über:
zeugt werden, daß man diefelbe keineswegs ohne weitere Prü-
fung als foldye annehmen dürfe, fo möchte es nicht Hinreichen,
die Schicfale einzelner Herven von ihrem Auftre
ten bis zu ihrem Verſchwinden von andern aͤhn—
lichen abgefondert zu erklären, fondern es dürfte ums
gleich befjer feyn, die Art der Geburt und des Todes, den
Aufenthaltsort, die Befchäftigung und Thaten oder Schick
fale aller jener Herven, welche in der einen oder andern
Beziehung zu einander ftehen, in Verbindung zu brin
gen. Wenn z.B. ein Heros faft überall und in allen
Zeiten erfcheint, fp wird deßhalb gewiß einer, welcher die
Mytheugeſchichte und die gewöhnliche Gefchichte auf gleiche
Stufe frellt, noch nicht glauben, daß am feiner Hiftorifchen
Bedeutung gezweifelt werden Fonne, Wenn er aber fieht,
dag dieß bei einer Menge von Herven der Fall ift, fo
wird er es doch, wenn er fich auch von der Unrichtigkeit
feiner Anficht, welche ihm durch die Länge der Zeit
theuer geworden ift, nicht überzeugt, bet einer fo großen
Webereinffimmung nicht leicht mehr wagen, ferner mit
147
der Behauptung herborzutreten, daß ſolche Erfcheinungen auf
Rechnung der Sänger zw feßen feyen, welche nad) Bes
lieben Menfchen für Götter oder Kinder der Götter erflärten,
denfelben, um ihren Gefangen mehr Intereſſe zu geben, die
feltfamften Schieffale andichteten, fie die fonderbarften Aben;
theuer beftehen ließen, und am Ende felbft in den Olympos
verſetzten.
Wenn nur einmal das ſchreckliche Vorurtheil, daß alles,
was ſich in der Heroengeſchichte nicht mit der Wirklichkeit vers
trägt, bloß auf Rechnung der Dichter zu feßen ſey, vers
ſchwunden ift, und diejenigen, welche dasfelbe nährten, übers
zeugt find, daß die alten Sanger in ihren Merken nicht
blinde Millfür fchalten liegen, fondern fich getreulich an
die Ueberlieferung hielten, fo ift ſchon ungemein viel gewon-
nen. Sind die Thaten, welde einzelne Götter vollbringen,
von denen einzelner Heroen nicht verschieden, laſſen fich dieſe
Thaten aus der Wirklichkeit nimmermehr auf eine befriedi—
gende MWeife erklären, fo dürfte man doch wohl einfehen, daß
jene Thaten der Herven chedem diefelbe Bedeutung gehabt
haben mögen, wie die der Götter. Um aber die Bedeutung
derfelben zu ermitteln, ift es natürlich fehr nothwendig, zu
wiffen, was die Griechifchen Götter urjprünglich waren, und
in fo ferne dürften wir Feinen Vorwurf zu fürchten haben,
dag wir unfere Anficht über diefelben jo weit, als dieg in
Kürze gefchehen Fonnte, ausgefprochen haben.
Iſt die Auftorität der alten Quellen anerfannt, jo wird
man, wenn Heroen fich im Olympos aurbalten, wenn fie
als Götter verehrt und erwahnt werden, wenn fie Kender
hatten, welche ſich goͤttlicher Vorzuͤge erfreuten, nicht mehr
148
zu der fonderbaren Bemerkung die Zuflucht nehmen, daß diefe
Angaben Sache der Dichter feyen, fondern den Grund diefer
und ähnlicher Angaben in der frühern Bedeutung folcher We—
fen fuchen. Bei manchen Heroen laßt ſich ihre göttliche Na—
tur aus ihrer Geburt, ihren Erziehern, ihren Wohnorten, ihren
Ihaten und Schidfalen und vielen andern wichtigen Umftan-
den abnehmen. Ueber andere aber haben fi) nur wenige
Nachrichten erhalten. Hatten wir für die Ermittlung der
Bedeutung dieſer Legtern nicht an andern Heroen, über welche
ſich mehrere Nachrichten erhalten haben, und welche in diefer
oder jener Beziehung mit jenen in Verbindung ftehen, Anhalts:
punfte, fo würden wir über fie nie befriedigende Aufichlüffe
geben koͤnnen. Dieſer Umftand dürfte viel zur Rechtfertigung
diejer Einrichtung des vorliegenden DVerfuches beitragen. Daß
wir hier die einzelnen Kriterien für die Mythengeſchichte nicht
durchführten, fondern, um nicht zu weitläufig zu werden, fie
nur andeuteten, und. die Ausführung gleich in einer. Reihe
von Capiteln folgen laffen, wird uns fiher Niemand zum
Vorwurfe maden.
Ein großes Hülfsmittel zur Erfläarung der Thaten und
Schickſale eines Heros it auch die Etymologie. Dievielen
Namen, welche in den Homerifchen Gefangen erwahnt
werden '%), ericheinen größtentheild als Reſte einer frühern
Zeit. Manche derfelben laſſen fich aber nicht fo leicht auf
eine befriedigende Meije erklären. Ste gehören einer Zeit
an, in welcher die Thraker und die einzelnen denfelben ver-
wandten Zweige Griechenland inne hatten. ine andere
16) Weltter, bei Stwend S. 25%. Miülfer, Prolegom. ©. 340.
— ——
|
|
149
Claffe läßt fich aber auf eine befrtebigende Meife erflären.
Jene Namen aus einer fremden Sprache berleiten zu wollen,
ift ein alles verwirrender Ssrrthum. Jedes Volk fchafft fich
feine bieratifchen und poetifhen Namen für alle höheren und
freieren Anfchauungen, und pflegt diefelden keineswegs von
außen zu entlehnen; fie find fein alteftes Denken und Dich»
ten”). Einer der größten Gelehrten glaubt, daß ſchon die
Etymologie, felbft ohne nähere Berücfichtigung anderer Um:
ftande, zu einem richtigen Verftandniffe eines Mythos fuͤh—
ren koͤnne. Wir Fonnen ihm bierin unmöglich beiftimmen,
Daß fih auf diefem Wege fehr viel Teiften laſſe, wollen
mir nicht in Abrede ftellen. Allein wenn wir bedenken,
wie ſchwer es ift, immer die wahre Murzel eines Namens
zu finden, und erwägen, daß, in fo ferne ſich die einzelnen Na-
men nur auf einzelne Aeußerungen der Macht diefer oder
jener Gottheit beziehen, fo möchten wir der Etymologie doch
nur eine fehr untergeordnete Stelle anmweifen, Wer den My—
thos der Demeter einzig aus ihrem Namen zu erklären fucht,
muß nothwendig auf Srrthümer verfallen, und fo dürfte es
auch bei vielen andern Gottheiten und Heroen der Fall ſeyn.
Leider, fagt Müller *), ift die Etymologie immer noch
eine MWiffenfchaft, im der blindes Rathen gewöhnlicher ift,
als methodifches Forfchen, und in der, weil man zu fchnelf
alles erklären will, mehr verwirrt, als erklärt wird, und
Buttmann, der ſich vielfach mit der Griechifchen Mythen:
geſchichte befaßte, äußert ”): „Nichts ift leichter, als das
a7) Welder, 1. c. ©, 255. |
48) Müller, Prolegom. ©. 290.
19) Mptholog. II, 221.
150
Erymologifiren, wie man es gewöhnlih nimmt, naͤmlich
für einen Namen eine paffende Deutung zu finden.
Sa, man darf nur die Elemente einigermaßen handhaben
Tonnen, fo laßt fih, mit gehöriger Weite der Begriffe und
der Analogien, jeder Name auf einen egenftand deuten.
Es gibt daher eine Grenze hiftorifch überzeugender Deu-
tung, da diefe aber einer anders zieht, ald der andere, fo
mag ich Etymologien aus diefer Gattung nicht unter ‚die
Beweife hiftorifcher Gegenſtaͤnde ſetzen.“
Nach) unferm Dafürhalten ift die Etymologie, wenn man
ihr nur eine untergeordnete Stelle einraumt, keineswegs zu ver⸗
ſchmaͤhen. Wer.aber zuerjt irgend einen Namen erklärt, ohne
die Sagen, welche an denfelben geknüpft find, zu berüdfichti-
gen, und dDiefe nach der Bedeutung, welde er für den
Namen gefunden zu haben glaubt, geftaltet, der muß
auf Abwege gerathen. Hat man aber alle Mythen er-
forſcht, und eine beftimmte Vorftellung von diefem oder
jenem Weſen aus denfelben gewonnen, dann darf man
fih an die Erklärung des Namens wagen, ohne zu be—
fürchten, durch eine einfeitige Auffaffung desfelben zu fal-
hen Refultaten zu gelangen,
Viele Gelehrte find der Anficht, daß Namen von He:
soen, welche auch in der hiftorifchen Zeit vorkommen,
folden Deutungen nicht unterworfen werben dürfen; fie
glauben, daß die Perfonen, ‚welche diefelben in ‚der Mrzeit
trugen, eben fo gut als ‚hiftorifche betrachtet werden muͤſſen,
wie diejenigen, welche in der fpatern Zeit mit denfelben
auftreten. Diefer Schluß fcheint uns durchaus irrig zu
ſeyn. Es ift befannt, daß die Griechen, wie Ssfofrates
151
fagt, im gemeinen Leben die Mythen, wenn diefelben auch
noch fo räthfelhaft fchienen, für buchftäbliche Wahrheit nah—
men, und an der Eriftenz der Wefen, welche Thaten aus-
führten, gar nicht zweifelten. So wenig fie hierin richtig
geurtheilt haben dürften, fo gewagt und verkehrt möchte es
auch ſeyn, wenn man aus dem Umftande, daß viele Namen,
die in der mythifchen Zeit großen Glanz haben, in der hifto>
sifchen wiederkehren, fchließgen wollte, daß die mytbifchen
Perfonen deßhalb Hiftorifche Bedeutung haben müffen.
Befondere Berücfichtigung verdienen die Doppelnamen.
Paris heißt auch Alerandros, Caffandra heißt Alexandra,
Priamos heißt auch Podarkes, Jaſion wird auch Eetion”)
genannt, Hiſtoriſche Verfonen haben einen beftimmten
Namen. Wenn nun bei fo vielen mythiſchen Weſen zmet
oder mehrere Namen vorfommen, fo muß uns diefer Um—
ftand ſchon auf die Vermuthung leiten, daß Diefelben mohl
fchwerlich der Gefchichte angehören. Die Götter hatten
eine Menge von Namen, die fich auf die verſchiede—
nen Yeußerungen ihrer Macht und andere Verhaͤltniſſe be-
zogen. Daß aber hiftorifhe Perſonen, vorzüglich Frauen,
in der Urzeit fchon verfchiebene Pradifate wegen ihrer
Thaten oder anderer Umftande trugen, welche allmaͤhlig
eine fo hohe Bedeutung erhielten, wie die Hauptnamen
felbft, müffen wir in Zweifel ziehen.
Eine befondere Beachtung verdienen aud) die Praͤdi—
Tate, welche Götter und Herven in den alten Gefangen haben.
Die Wichtigkeit derfelben für den Mythenforſcher muß ſchon
20) Buttmann, Motbolog, II, 437.
152
einleuchten, wenn wir an den rgeiphontes, an die Hera
Boorıg und die Pallas YAavzwrız erinnern. Welche
wichtige Aufichlüffe gewährt ung das Praͤdikat Bowmıs
bei der Erklärung der HerasSage? Der Streit der Pal-
las mit Vofeidon muß immer dunkel bleiben, wenn man
nicht erwägt, daß Glaufos ein Pradifat des Meergottes
war, aus welchem man ein befonderes MWefen bildete, das
dann ein Sohn des Pofeidon hieß. Erwaͤgt man aber
diefen Umftand, vergleicht man damit die Schilderung der
Macht der Hekate bei Hefiodos, die auch über das Meer
gebietet, fo überzeugt man fich fehr leicht, daß die Pallas
audy über das Meer geboten, wie Hekate, und als
Beherrfcherin desfelben jenes Pradifat getragen habe. So
wichtig aber die Pradifate bei der Göttergefchichte find,
eben fo wichtig find fie auch für die Gefchichte der Herven.
Diele Gelehrte glauben noch immer, wir dürften die
felben wenig berückfichtigen, weil fie von Homeros ber:
rührten, der fie unter die Heroen feines Gefanges nad) Ber
lieben vertheilte. Waͤre diefe Anficht richtig, fo würden
fie freilich viel von ihrer Wichtigkeit verlieren; allein wir
koͤnnen dieß durchaus nicht zugeben, fondern hegen die Zw
verficht, Daß jeder, welcher berüdfichtigt, wie innig diefes
oder jenes Beiwort an einen Heros geknüpft ift, wie
regelmäßig dasfelbe wiederfehrt, mit uns bie
Ueberzeugung theilen dürfte, daß die meiften derfelben der
Urzeit angehörten, und durch die Tempel-Sänger fo viel
fach verherrlicht wurden, daß Homeros und Hefiodos im
Gebrauch derfelben unmöglich willfürlih verfahren konnten.
— wM
Erſter Theil,
Weber die mythiſche Bedeutung Der Griechifchen
Sanengefchichte.
Erſtes Sapitel.
Ueber die göttliche Watur und göttliche Perehrung der Heroen.
(&s ift fonderbar, wie man glauben Fonnte, die Griechifche
Mythengeſchichte laffe fich durch eine Fritifche Behandlung zur
wirklichen Gefchichte umwandeln, und die Perfonen, welche
in ihr auftreten, hatten gelebt und auf ihre Zeiten mächtig
eingewirft. Die göttlichen Vorzüge, welche fie an ſich ha—
ben, glaubte man der Dichtung anheim geben zu müffen,
fie feldft aber um feinen Preis der Mythologie überlaffen zu
dürfen. Selbft ein fehr tiefer Kenner des claſſiſchen Alter:
thums ') Außert: „Da die Heroen mit den Göttern in Ver;
bindung gebracht wurden, fo Fonnte es nicht fehlen, daß Mans
ches von den Göttern auf fie übergetragen wurde, und daß
die Herven-Sage in die Mythologie der Götter eindrang, zu-
mal wo Lücfen entftanden waren. Das merfwürdigfte Bei
fpiel fcheint mir die Gefchichte des Herakles. So vieles fin»
det fich in ihr, was ung denfelben ald Sonnengott darftellen
möchte, aber auch wiederum fo vieles, was ihn als bloßen
Heros zeigt, wie denn auch für das Heroiſche fein ganzer
1) Schwend’3 Mpthol: Andent, S, 22.
154
Charakter ftimmt. So ift?) unter den zwölf Arbeiten das
Reinigen des Augias-Stalles allerdings eine dee, die mit der
Sonnenmythologie verwandt fcheint. Augeias heißt der Leuch⸗
tende, und die Rinder des Keuchtenden koͤnnen recht gut die
oft vorfommenden Sonnen-Rinder ſeyn.“
Man fieht, wie nahe Schwend der Bedeutung des He-
rakles und Augeias Fam, und doc) fpricht er die Sache nicht
beftimmt aus. Wir Fonnen nicht begreifen, wie eine hiera-
tifche Zeit Herven und Götter in Verbindung bringen konnte,
wo wir überall die Macht und Herrlichfeit der Uranionen jo
weit über die menfchlichen Kräfte erhaben finden; noch meni-
ger aber fünnen wir einfehen, was die alten Griechen bewogen
haben follte, jo Manches von den Göttern auf die Menfchen
überzutragen? Syn der Urzeit Fonnte dieß nicht gefchehen,
und Fein Sanger einen Menfhen als einen Gott darftellen,
und die fpätere Zeit hatte Feine Veranlaſſung, Menfchen,
welche ihr fremd waren, zu Göttern zu erheben, und hatte
auch zu viel Ehrfurcht gegen die Götter, als daß fie den Un-
terfchied zwiſchen Unfterblichen und Sterblichen hatte aufheben
fonnen. Wenn fi nun in der Sage von Herakles und Au-
geias fo viele Züge finden, welche nur Goͤttern eigenthuͤmlich
find, fo folgt daraus nothwendig, daß fie Götter waren, welche
aber fpäter in die Reihe der Heroen herabgedrüdt wurden,
Unbefangene Forfcher haben auch ſchon laͤngſt in vielen my;
thiſchen Weſen Goͤtter erkannt, welche durch die Werände-
rung der politischen Verhaͤltniſſe aus ihrer Stellung verdrangt
wurden, Müller bemerkt’) in Bezug auf das Haus des Ad⸗
2) Schwend, S. 23.
3) Müller, Prolegomena, $, 306.
155
metos, welchen die Sage König von Phera nennt: „Nun
ift Phera eine Stadt der unterirdifchen Gottheiten. Hier
wurde Hekate ald Artemis Pheraͤa angebetet '), und es ift
offenbar diefelbe Göttin, welche der Alfeftis Brautgemach
mit Schlangen füllt, weil fie ihr nicht geopfert’). Auch
Perfephone-Brimo, welche mit dem unterirdifchen Hermes‘)
aus dem fehr nahe gelegenen Boͤbeiſchen See hervorfteigt,
ift wahrfcheinlich Feine andere. Endlich ift Admetos Mut-
ter, Klymene oder Periklymene7), ebenfalls eine Perſephone ),
und es ift überflüffig deutlich, daß in Phera eine düftere
Göttin der Unterwelt angebetet wurde, Admetos aber, der
Unbezwingliche, war ohne Zweifel, wie Ydamaftos’), ein
alter Beiname des Hades felbft, der neben jener weiblichen
Gottheit verehrt wurde.’ Aus dem Fortgange diefer Un-
terfuchungen dürfte nicht bloß erhellen, daß, wie Müller fehr
richtig bemerkt, Admetos Gott der Unterwelt war, fondern
auch einleuchten, daß die Alkeftis von Hefate und Artemis
nicht verjchieden war. Die drei genannten Namen bezeichs
neten urfprünglic ein und dasfelbe Weſen, und wurden
erft im Laufe der Zeit von einander getrennt, und unter
jedem Namen eine befondere Gottheit verehrt.
Semele und Dionyfos wurden früher auch ald Men:
{hen betrachtet, und Helena halten immer nod) viele für
4) Lycophron. Cass, 1180. Müller, Dorer ©. 1, S. 380, N. 4.
5) Apollod. I, 9, 45.
6) Propert. U, 2, 64.
7) Müller, Prolegom, S. 243. Orchomenos ©. 256.
8) Buttmann, Mptholog. II, 216.
9) Hom. Il. IX, 158. Miller, Prolegom. S. 306.
156
eine Königin von Sparta, obgleich Tangft erwiefen ift '),
daß fie Göttin war, und die Alten dieß auch mit Flaren
Worten fagen %). In den Namen Klymenos und Peri—
klymenos, welche fo häufig wiederfehren, hat man fehr rich—
tig Praͤdikate des Beherrſchers der Schattenwelt er-
Fannt. Don Trophonios und Agamedes fagt Buttmann ”),
dag fie Damonen gewefen ſeyen, weldye, wie viele andere,
die Herven-Form angenommen hätten. Auch Müller) er-
fennt in Trophonios ein höheres Wefen, und bemerkt: „So
zogen fich die Geftalten des Trophonios und Jaſion in
einen engen Kreis entfprechender Weſen zufammen.‘ Den
Agamemnon *) und Diomedes 9) erflären die Alten felbft
für Götter. Auch von Kadmos ') fagen fie, daß er aus
einen Prädifate des Hermes zu einem befondern Wefen um-
gebildet worden fey. In der Europa ”) erfennt Müller die
10) Heffter, Rhodiſche Götterdienfte, III, 72 fa. Müller,
Dor. II, 282. Meine Geihichte des Trojanifchen Krieges,
©. 116 fg.
41) Euripid. Helen. 1560. Isocrat. encom, Helen. c. 27.
12) Mptholog. 11, 229.
13) Orchomenos, 156.
44) Lycophr. Cass. 1123. Schol. et Canter l.c. et Potter
ad Lycophr. 355. Eustath. ad Il. II, p. 427. Hesych.
s. h.v. cf. Pausan. IX, 40, 11.
45) Pind. Nem. X, 7 et Schol.
16) Etymol. Gudian. 290. Phavorir. Lycophr. 162 et Schol.
Schol. Ap. Rhod. 1,915. Arcad. Grammatic.p.56. Nonn.
Dionysiac. IV, 88. Welder, über eine Kretifhe Eolonie,
©. 32 N. 74
47) Orchom. ©. 154, 263
|
157
Demeter Europa, weldye zu Lebadeia verehrt wurde. Bon
der Iphigeneia fagt Paufanias ®), daß fie als Hekate fort
lebte. Neleus und Nereus halt man für ein und dasfelbe
Mefen °). Penelopeia, die Gemahlin des Odyſſeus, nen:
nen die Alten Mutter des Pan”), welcher ein Sohn des
Hermes war,
Mir Fonnten noch eine große Anzahl von mythiſchen
Perfonen anführen, welche theils die Alten felbft für Götter
erklären, theils die neuern Forſcher als jolche erfannt haben,
wenn es hier nothwendig ware. Warum follen die genann-
ten Wefen Götter, aber alle übrigen, welche diefelben Eigen;
haften haben, wie fie, Menfchen feyn, und der Gefchichte
angehören? Hatten die übrigen in einer ungleich fpätern
Zeir gelebt, finden fie mit Göttern in Feiner Verbindung, fo
Fönnte man einen ſolchen Unterfchied eher nocdy annehmen. Allein
fie ſtammen aus ein und derfelben Zeit, und haben denfelben
Verhältniffen ihre Entftehung zu verdanken. Die Griechen
kannten in der Urzeit Feine andere Ausdrudsweife, als die
mythiſche *), und ift diefes der Fall, fo müffen alle jene We—
fen, welche derfelben ihre Entftebung und ihr Dafeyn zu ver-
danken haben, auf diefelbe Stufe gejtellt werden. Wenn
Europa, die Mutter des Minos, eine Göttin ift, warum
foll ihr Sohn ein König ſeyn, oder Achilleus, welcher von der
48) Pausan. ], 45, i.
19) Welder, Nachtrag zur Aeſchyleiſchen Trilogie, ©. 216, N.
107.
20) Lucian, Dial. D. 25. Duris ap. Scho!. Lycophr. 772.
21) Müller, Prolegom. S. 54 fg. und Welder bi Schwend
©. 255.
158
Meergottin Thetis ſtammt, als gef@ichtliche Perfon gelten?
Herafles ift nicht blog Sohn des Zeus und mit einer
Göttin vermahlt, fondern vollbringt auch Thaten, welche nur
em Gott vollbringen Fonnte, und halt fich im Olympos auf,
welcher für alle Menfchen verfchloffen und nur Göttern ge
öffnet ift. Es tft unbefangenen Forfchern *) nicht unbekannt,
daß alle Namen der Griechifchen Götter aus Pradifaten ent
ftanden feyen, und daß die Zahl derfelben bei emem hierati-
fhen Volke ungleich größer ift, als man gewöhnlich glaubt.
Mir jedem Namen verband fid) allmahlig der Begriff eines
befondern Mefens, wodurch eine Menge von Göttern entſte—
hen mußte, von denen durch die Veränderung der politiſchen
Verhaltniffe bei den vielen Voͤlkerzuͤgen, welche nicht bloß
die Sage erwahnt, fondern auch Thukydides nachdruͤcklichſt
bervorhebt, gar viele aus ihrer alten Stellung verdrangt wur⸗
den. Die meiften der Herven find aus Beiwoͤrtern der Goͤt—
ter hervorgegangen. Müller *) hat fehr gut eingefehen, daß
viele von folchen Weſen in eine genealogifche Verbindung ge:
bracht wurden, in welche fie urfprünglid) durchaus nicht ge
hörten. Hätte man die Griechiſche Sagengefäichte immer
mit der Mythologie zufanmımengehalten, und dte Perfonen,
welche in ihr auftreten, mit den Homeriſchen Goͤttern auf
gleiche Stufe geftellt, fo würden unſere Unfichten über die:
jelben ungleich richtiger ſeyn. Welcker, Müller und Butt:
mann”) haben langft die herrlichſten Winfe gegeben, und wir
22) Müller, Frolegem. ©. 306, Weider bei Schwenck, ©. 341.
33) Thucydid. T, 2.
24) Prolegemena, ©. 77.
25) Mp'holog. T, 248.
159
koͤnnen nicht umhin, hier anzuführen, was Buttmann in Bes
zug auf die Behandlung der ganzen Mythengefchichte fpricht :
„Sp viel indeffen glaube id) mit Zuverficht behaupten zu
fonnen, daß auch die gewöhnliche, in der Gefchichte und Alter:
thumskunde geltende Anficht immer noch des Hiftorifchen zu
viel in der Herven:Öefchichte erkenne. Man fcheint als
Grundſatz anzunehmen, alles darin, was nach Abzug des
Wunderbaren und der poetifchen Ausführung des Einzelnen
übrig bleibt, fo weit für acht hiftorifh zu halten, als die
Kritik Feine pofitiven anderweitigen Zweifel dagegen beibringt.
Mir hingegen hat es fi) dur) vielfältige Betrachtungen und
Zufammenftellungen deutlich ausgefprochen, daß die hiſtoriſche
Forfhung alles Mythologiſche nach einem freilich durch kri—
tifhe Beurtheilung zu beftimmenden Grenzpunft, wie etwa
in der Griechifchen Gefhichte von der fogenannten Ruͤckkehr
der Herakliden an aufiwarts, — fo weit für poctifc) anzufehen
bat, als es fich nicht nad) pofitiven innern Merkmalen
oder außern Beftimmungsgründen als hiftorifch bewahrt,
nicht daß man die Perfeus und Herakles, die Pelops und
Thefeus, die Odyſſeus und Achilleus, bloß weil ihre Geſchichte
mythologiſcher Art iſt, ohne weiters fuͤr poetiſche Perſonen
erklaͤren ſolle; der Geſchichtforſcher ſoll ſie nur eben ſo wenig
ohne weiters als hiſtoriſche Perſonen annehmen, da es
auf mehr als Eine Art möglich iſt, und auch wirklich geſche—
ben, daß poetifche Perſonen, durd) die Ueberlieferung
und die ſtete Häufung der Fakta im Munde der Dichter, all-
mählig in dem dunkeln National: Alterthume fo feften Fuß
gefaßt haben, daß fie ganz die Geſtalt hiftorifcher —
bekommen haben.“
160
Nicht bloß die Periode bis zur Wanderung der Hera-
kliden muß als mythiſch betrachtet werden, fondern man kann
auch bei der fpatern Gefchichte bis zum Anfange der fünfzig.
fien Olympiade nicht Sorgfalt und Eritifche Umficht genug
anwenden, wenn man Hiftorifches und Mythiſches gehörig
fcheiden will. Müller *) bemerkt ganz richtig: „Es ift Klar,
daß bis zur Dlympias fünfzig und vielleicht etwas weiter
herab, d. h. bis profaifche Schrififtellerei in Aufnahme Fam,
Gedanken und Meinungen mit Fakten verfhmolzen, unter
dem Griechifchen Volke haufig die Geftalt mythiſcher, wirt
lich geglaubter Erzählungen annahmen, fpater aber — wenn
man den Mythus nur von der philofophifchen Allegorie, der
geſchichtlichen Hypotheſe, dem epigrammatifchen Witzſpiele
zu ſcheiden ſucht — nicht leicht mehr.“ Nur darf man nicht
uͤberſehen, daß zwiſchen der Mytheugeſchichte der Urzeit und
der mythiſchen Einkleidung, welche nach dem Zuge der Dorer
noch lange fortdauerte, ein weſentlicher Unterſchied iſt. Die
Mythengeſchichte der Urzeit enthaͤlt keine geſchichtlichen Per—
ſonen, ſondern ſymboliſche, und ſelbſt die Thaten dieſer We—
ſen haben keine ſtreng geſchichtliche Grundlage; aber bei der
mythiſchen Einkleidung der ſpaͤtern Zeit darf nur der Kern
der Sage und die Form ſtrenge geſchieden werden, um die
geſchichtlichen Ergebniſſe auszumitteln. Wer dieß bei der
Mythengeſchichte thun will, welche vor dem Trojaniſchen
Kriege ſpielt, verwickelt ſich in Schwierigkeiten, aus denen
er ſich nicht mehr loswinden kann, und gibt derſelben auch eine
ihr durchaus fremdartige Geſtalt.
26) Muͤller, prolegomena, S. 189 fg.
ENT TEE Be —
— —
ATELIER 3 >
161
Wir wollen nun einige der vorzüglichften Grunde dar-
legen, aus denen man abnehmen kann, daß wir von allen
jenen Weſen, welche vor dem Zuge der Dorer auftreten,
feinem eine gefchichtliche Bedeutung beilegen dürfen, und daß
wir auch die Nachrichten über Völker und Thaten nicht firenge
genug prüfen Fonnen, wenn wir vor Srethümern gefichert feyn
wollen. Wir haben bereits oben mehrere Herven und Herpinen
angeführt, welche im Altertbume jelbft als Götter betrachtet
wurden, was in einer bieratifchen Zeit unmöglich hätte ge
ſchehen koͤnnen, waren fie nicht wirklich Götter irgend eines
serdrängten oder unterjochten Volkes gewefen. So wie Dio—
nyſos und Semele, welche man auch in der neuern Zeit lang
für fierbliche Weſen hielt, gegenwärtig ziemlich allgemein,
wenigfiens Dionyſos, als Götter erfannt werden, fo wird
dieß fpater bei hundert andern Weſen der Fall feyn, welche
mit den zwei genannten auf gleicher Stufe ſtehen. Göttliche
Verehrung Fonnten in der Urzeit Menjchen durchaus nicht er-
langen, am wenigften bei einem Prieſtervolke, wie es die
alten Einwohner von Griechenland waren. Man ftüst fi
gewöhnlich auf eine Angabe des Vaufanias ”), welcher fich
hierüber fehr unrichtig außert, indem er jagt: „Es wurden in
den alten Zeiten Menſchen felbft Götter, und diefe haben
noch bis jest jolchen Ehrenpreis, als Ariſtaͤss und Britomar-
tis, Herakles, der Alfmene Sohn, und Amphiaraos, dazu
noch Kaftor und Polydeukee.“ Die beiden Dioskuren waren
chon urfprünglih als Morgen: und Abendftern Götter *),
37) Paus. VIII, 2,2.
23) Shwend, Andeut. S. 195. Müller, Derer I, 356. N. 1.
Gefhichte des Troj. Krieges, S. 123 fa.
Borhalle zur Griechiſchen Geſchichte. 11
162
und Amphiaraos, welchen die Erde aufnimmt, ift der uns
tergehende Sonnengott, worauf fehon die Sage beftimmt
genug hinweifet, daß ihn fammt feinem Gefpanne die Erde
verfchlungen habe ?). Von der göttlichen Natur des Herafles
haben wir fchon gefprochen, und werden diefelbe im Verlaufe
diefer Abhandlungen noch genauer herportreten fehen. Britos |
martis war ein Pradifat der Mondgottin*), und Ariflaos |
ift aus einem Beiworte®'), welches ſowohl Zeus, als Ayollon |
trugen, zu einem befondern Weſen umgebildet worden, fo daß |
aljo Feines von den Wefen, welche Paufanias anführt, aus einem |
fterblichen Gefchöpfe zu einem Gotte geworden ift. Die gött-
liche Verehrung, welche fie bis auf die fpatere Zeit genoffen,
beweist und nur zu gut, daß fie fchon urfprünglich Götter
waren, und von allen Heroen und Heroinen, welche göttlich |
verehrt wurden, muß dasſelbe Urtheil gelten. Ino, die Tochter |
des Kadmos, halt man zum Theil noch immer für eine fterb- |
liche Königstochter, und doch erzahlt ſchon Homeros *), daß |
fie im Meere göttliche Ehre genoffen habe. Die Gefährtin |
der Nereiden, welche ſchon der Sänger der Odyſſee als Göt- |
tin kennt, und welche die Aeoler zu Elea mit Thränenfeften |
ehrten®), muß doch wohl eine Göttin gewefen feyn. Müller *)
29) Pind. Nem. IX, 61. Apollod. T, 85 23 J, 9, 16. Stat. Theb. N
VII, 818. Hyg. fab. 14.
30) Müller, Prolegom, S. 224.
31) Hesiod. Theog. 975. Virgil. Georg. 1V,335sqg. Paus.X. |
417,5. X, 30, 5.
32) Hom. Odyss. V, 356 sqgq-
33) Aristot. Rhetor. II, 23, 94.
34) Müller, Orhom. ©. 174 fg.
|
|
”
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163
findet in ihrer göttlichen Verehrung den höchft tieffinnigen
Gedanken ausgedrückt, daß das allerhöchfte und übermenfch-
liche Leiden die uranfängliche Schwachheit der Natur tilge,
und dadurch zu den Göttern erhebe; Ino fen im höchiten
Ucbermaße der Leiden eine Seegöttin geworden. So ſchoͤn
und erhaben diefe Anſicht ift, fo laßt fie fich doch auf eine fo eins
fache Zeit, wie die Urzeit der Griechen war, nicht anwenden.
Sie ift zu philoſophiſch, als daß wir fie Völkern zufchreiben
dürften, bei welchen zunachft die Phantafie thatig war. War
ein Weſen nicht ſchon urfprünglich eine Gottheit, wegen der
Standhaftigfeit, womit es Keiden aller Art ertrug, mürde
man dasfelbe wohl bewundert und gepriefen, aber niemals als
eine Göttin im Eultus geehrt haben. Daß Herafles göttliche
| Ehren hatte, ift befannt. Pauſanias *) jagt: „Don des Dä-
dalos Werfen find folgende zwei in Bootien, ein Herafles in
Theben und ein Trophonios bei den Kebadeiern; dergleichen
find zwei andere Schnigbilder auf Kreta, die Britomartis zu
Dlus und die Athena bei den Gnoſſiern.“ Der Umftand, dag
man die angeführten Bilder ale Werke des Dadalos betrach-
tete, verbürgt uns das Alter des Cultus der genannten Wer
fen, welcher der Urzeit angehörte, und nicht erft fpater einge:
fegt wurde. In der Urzeit aber hatte man mur Bilder der
Götter, nicht der Menfchen, und es wäre in einer hieratifchen
Zeit der größte Srevel gewefen, wenn man von Menfchen Bil-
|
|
der aufgeftellt, und denjelben göttliche Ehren erzeigt hätte.
| In Sikyon ward Herakles ebenfalls ald Gott verehrt ®).
35) Paus. IX, 40. $. 2.
36) Pausan. II, 10, 1.
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|
|
164
Wäre er nur ein Held gewefen, fo koͤnnte man nicht bes
greifen, wie er an einem Orte, welchem er Feine weſent⸗
lichen Dienfte geleiftet, als Gott hätte verehrt werden fol-
len. Auch Jolaos, welcher mit Herafles auf das innigfte
verbunden ift, hatte göttliche Verehrung ”). Zu Theben
wurden bei feinem Grabhügel, wo auch Amphitryon und
Allmene lagen ®), Kampfipiele gefeiert *), welche die Alten
nur zur Ehre der Götter veranftalteten "). Auch in Sparta "')
hatte Herafles eine alte Bildfaule, bei der Diejenigen opfer-
ten, welche von den Erwachjenen zu den Männern über:
traten, Er ward aud in Verbindung mit Helena ”) ver
ehrt, von welcher wir beftimmt wiffen, daß fie Göttin war.
Die göttlidie Verehrung, welche Adraftos *) genoß, ift aus
KHerodotos befannt. Von Diomedes fagt Pindaros *),
daß ihn Pallas zum Gotte erhöht habe, mit welcher er in
Argos verehrt wurde ”). Wie hatte ihn Pallas zum Gotte |
erheben koͤnnen, warum hätte man fein Bild mit jenem ber |
37) Pind. Ol. IX, p. 124, T.2. ed. Dissen,
38) Pind. Pyth. IX, 84. Nem. IV, 20 et Schol.
39) Boͤckh ad Pind. Ol. VII, 8a.
40) Wir werden diejenigen Wefen, welden man Kampfipiele
feierte, im Verlaufe diefer Unterfuhungen fammtlih als |
Götter kennen lernen.
41) Pausan. III, 14, 6.
43) Paus. III, 15,2.
43) Herodot. V, 67 et interpr.
44) Pind. Nem. X, 7 et Schol.
45) Callimach. Hym. in lavaer. Pallad. 35 sqq. und die Er:
Harer. |
165
Pallas im Inachos baden follen, wenn er nicht ſchon ur
fprünglich Gott gewefen wäre, und mit ihr in der nächften
Verbindung geftanden hatte? Von der alten Bildfäule, welche
Trophonios zu Lebadeia hatte, haben wir ſchon gefprochen.
Wir wollen hier nur bemerken, daß man ihm, wie dem Her-
mes, von dem er feinem Weſen nach nicht verfchieden war,
einen Midder opferte “).
In welchem Glanze ftand Pelops noch in der fpätern
Zeit, als die Stämme, welchen er angehörte, langft ver;
ſchwunden waren! Paufanias””) fagt: „In der Altis (zu
Dlympia) ift aud) das Velopeion, ein ehemals fehr heilig ge-
haltener Pla. Pelops ift von den Heroen zu Olympia bei
‚ den Eleern fo geehrt, wie Zeus vor allen übrigen Göttern.
Noch jet opfern ihm die jahrlihen Magiftratsperfonen.
Das Opfer befteht in einem ſchwarzen Midder ©). In der
Nähe diefes Heiligthums war der große Altar des Zeus “).
Diefer Eultus ift um fo bebeutungsvoller, als derfelbe mit
der idaifchen Grotte der Rhea und mit dem Des Kronos in
Verbindung fteht %). Der fchwarze Widder ift das Opfer:
thier des unterirdifchen Hermes °'), und die Verbindung, in
welcher das Heiligtum des Pelops mit dem großen Altare _
46) Pausan. IX, 39, 4.
47) Pausan. V, 15, 1. 2.
48) Dissen ad Pind. Olymp. I, 98. T. 2. p. 17.
49) Pausan. V, 43, 5. cf. Pind. Ol. III, 23 et Dissen T. 2,
p- 46,
50) Pind, Pyth. V, 18 et Dissen p. 57, T. 2. Olymp. II, 12
et Boͤckh u. Dissen |. ce.
54) Pausan. V, 27, 8.
166
des Zeus fteht, zeigt deutlich genug, daß Pelops bei den
Pelasgiſchen und Karifchen Voͤlkerſchaften diefelbe Stelle hatte,
welche Zeus bei den Hellenen einnahm. Wie in Elis, fo ward
er auch in Kleinaften als Gott verehrt. Won Pelops, fagt
Paufanias ”), ift aber auch) noch in Sipylos ein Thron vor
handen, auf dem Gipfel des Berges über dem Tempel der
Mutter Plaftene. Auch Zeus und alle Lichtgötter wurden
auf Bergen und Anhöhen verehrt. Wenn man bedenkt, daß
des Pelops Vater Tifchgenoffe der Götter war ?), daß Pelops
felbft verjuͤngt“) ward, fo fieht man deutlich genug ein,
daß er, wie Zeus und Hermes, Sonnengott war.
Eben fo beftimmt tritt die göttliche Verehrung des Aga-
memnon hervor, welchen felbft die fpatere Zeit noch als ein
und dasfelbe Wefen mit Zeus betrachtete ?), nur dürfen wir |
bier nicht an den Zeus der Hellenen, fondern an jenen der
Karer und Leleger denken ). Noch zur Zeit des Paufanias”) |
befaßen die Amyflaer das Bild der Kaffandra und der Kly- |
taimneftra, und dem Agamemnon zu Ehren war bei ihnen |
eine Bildfaule errichtet. Ware Agamemnon ein fterblicher |
52) Pausan. V, 43, 7.
53) Pind, Ol. 1, 37.
54) Pind. Ol. I, 26 sqg. und bie Erflärer, |
55) Lycophr. Cassandr. 1125 et Schol. . Eustath. ad ll. II,
p- 127. Hesych. s. h. v. Canter ad Lycophr.l.c. Pot- |
ter ad Lycophr. 335.
56) Dem Wefen nach waren beide nicht verfchieden, wohl aber '
den Namen nach ober in Bezug auf den Cultus. Weide
waren Sonnengötter, |
57) Pausan. II, 46. III, 49, 15:
16%
König geweſen, was hätte die Amyklaͤer ®), denen er fremd
war, bewegen koͤnnen, ihm eine Bildfäule zu ſetzen, und der
Kaſſandra einen Tempel zu erbauen? Kaffandra würde,
wenn fie bloß eine Kriegsgefangene geweſen wäre, in Hel-
| las als folche niemals göttliche "Verehrung erhalten haben.
Agamemnon fteht aber auch mit der Chryfeis in Werbin-
dung, welche von der Athena Chryſe durchaus nicht vers
fehieden feyn dürfte, Nicht bloß er, ſondern auch fein Scep-
ter genoß göttliche Verehrung *), und zwar an Orten, wel-
hen er als König durchaus hätte fremd feyn müffen. Er
kennt man ihm aber ald Karifchen Zeus, fo wird man fich
| leicht überzeugen, daß ſich fein Cultus bei den vielen Wan-
‚derungen der Karifchen Wölferfchaften nach verfchiedenen
Gegenden verbreiten mußte.
Wie Pelops, fo ftand auch Tyndareos mit Zeus in
Verbindung. Bor dem Tempel des Zeus Kosmetas ”)
war das Denkmal des Tyndareos. Die Sage nennt auch
bald den einen, bald den andern als Water der Helena,
fo daß wir, wenn wir berüdfichtigen, daß der Name des
Ortes Therapne, wo Helena und Menelaos “) verehrt
wurden, von Therapne, der Tochter des Lelex, abgelei-
tet wurde®), zu der Ueberzeugung gelangen müfjen, daß
58) Pind. Pyth. XI, v. 32 sqgq. et Dissen v. 345, T. 2.
Thierſch, I, ©. 331.
59) Pausan. IX,40, Hom. Il. II, 401 sqq- et Heyne excurs. 1,
de Agamemnonis sceptro. p. 440.
60) Paus. III, 17, 4.
64) Isocrat. encom. Helen. c. 27.
&62) Pausan. III, 19, 9.
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168
Tyndareos bei den Lelegifchen Voͤlkerſchaften, welche Sparta
und Meffenien vor der Ausbreitung der KHellenen bewohn⸗
ten®), diefelbe Stelle einnahm, weldye Zeus bei den Hel⸗
Ienen hatte. Die Bilder, welde den Diosfuren, den
Söhnen des Tyndareos, errichtet waren, verrathen das
hoͤchſte Altertfum. Es waren ®') zwei aufgerichtete Balken
mit zwei quer übergelegten, welche doch ficherlich beweifen
müffen, daß beide ſchon in den früheften Zeiten, wo die
Kunft noch auf einer fehr niedrigen Stufe fand, verehrt
wurden. Wie die Sage fie als Brüder verknüpfte, fo
hat fie auch der Cultus durch jene Querbalfen mit einan-
der verbunden. Achilleus wurde nicht bloß auf Leuke, fon;
dern auch in Griechenland aöttlich verehrt.”) Auf dem
Mege von Sparta nad) Arfadien hatte er einen Tempel,
welcher nicht geöffnet werden durfte. %) In Elis war ein
Ehrengrabmal des Achilleus, wo ihm die Eleifchen Frauen |
bei Sonnenuntergang an einem beftimmten Tage mit aller»
lei Gebräuchen verehrten, und befonders ein Klagegefchrei
über ihm erhoben”). Achilleus ftand als Heros weder zu |
Sparta und Arfadien, noch zu Elis in der geringften Ber
ziehung, und die göttliche Verehrung, welche er in legterm
Lande genoß, bemeifet, daß er ale Gott der alteften
Bölkerfchaften dabin gefommen fey. Nicht umfonft wird |
63) Pausan. III, 4. IV, A.
64) Müller, Dorer, I. ©. 408.
65) Paus. VI, 33.
66) Paus. III, 20.
67) Paus. VI, 35.
169
fhon von alten Sängern ®) erwähnt, daß die Polyrena
auf dem Orabhügel des Achilleus gefchlachtet ward. Men:
fehenopfer werden in der frühern Zeit bei den verfchiede-
nen Völkern Griechenlands haufig erwähnt, aber nur Göt-
tern wurden folche Opfer dargebradyt, und nie einem Men-
ſchen Kriegsgefangene geopfert. Theſeus war Beihüger
flüchtiger Sclaven.) Wie Dionyfos in diefer Beziehung
verehrt wurde, fo fteht auch Theſeus mit ihm auf gleicher
Stufe. Sein Sohn Hippolytos wurde an verfchiedenen
ten”) mit der Artemis verehrt, und kann, da er in
Aricta und Troͤzen mit ihr in eben derfelben Verbindung
fiebt, im welcher wir in andern Gegenden Apollon und
Artemis vereinigt antreffen, feinem Weſen nad) von die
fem Gotte auch nicht verfchieden gemefen ſeyn. Wir Fonns
ten noch eine große Neihe von Heroen und Heroinen an:
führen, welche göttliche Verehrung gemoffen, wenn die bis—
ber genannten nicht hinreichten, unfere Behauptung zu ber
ſtaͤtigen, daß die meiften Nerven, welche fpäter für Sterb>
liche gehalten wurden, in der Urzeit bei den Thrafifchen
Bölferfchaften als Götter verehrt wurden, und deßhalb
auch im der fpatern Zeit noch göttliche Ehre hatten, ob-
fhon fie durch die Verdrängung der Völkerfchaften , welchen
fie ehedem angehörten, in den Hintergrund traten.
68) Arktinos in feiner ’ZAlov zeocıs ap. Bekker Schol. in
Hom. Il. p. II.
69) Schol. Aristoph. Equit. 1523.
70) Buttm. Mytholog. II, 145 sqg:
170
Zweites Gapitel.
Ueber die Unfterblichkeit der Heroen und ihren Auſent-
halt im Olympos und den Elyfeifchen Gefilden.
Viele Weſen, welche man für Menfcher hält, lernen
wir durch die Vorzüge, welche fie im Olympos und Ely-
fion genießen, und durch die Unſterblichkeit, welche fie
mit den Göttern gemein haben, als Götter Fennen. Un
fterblichfeit ift der große Vorzug, welchen die Olympier
vor den Menfchen haben, ein Vorzug, der in einer hiera-
tifchen Zeit Feinem Heros, wenn fich derfelbe auch noch fo
verdient gemacht hätte, beigelegt worden: ware, hätte er
feinen Grund nicht in der frühern Bedeutung diefer Wefen
gehabt. Sp erzahlt uns die Sage”), daß Iphigeneia,
welche man ald Tochter eines fterblichen Königs betrachtet,
und nur für eine Priefterin der Artemis halt, ohne ihr eine
höhere Bedeutung zu geben, als Hekate fortgelebt habe.
Wenn fie als Hekate fortlebte, fo kann fie nur dem Namen,
niemals aber der Bedeutung nach von der Hefate verfchieden
gewefen feyn. Mufaos hatte in dem Buche von den Sfth-
mien erzählt), daß Medeia unfterblicd) geweſen ſey. Da
fich feine Angabe auf das Zeugniß des Hefiodos und Alk—
man ſtuͤtzt ”), fo Fann diefelbe unmöglich für eine Erfindung
der fpatern Zeit angefehen werden; auch ihren Kindern hat
74) Pausan. I, 43. 1.
72) Pind. Pyth. IV, 41 et Schol. Dissen. T. 2. p. 220.
Athenagor. c. 12.
75) Müller, Orchom. Es 269.
171
Hera”‘) Unfterblichfeit verliehen, weil, wie die Sage beifügt,
die Mutter der Verbindung mit Zeus auswid), und fich die
Hera dadurch zur Freundin machte. Allein Medeia ward
in Korinthos, wie die Jo in Argos, erſt fpäter von der Hera
getrennt, welche ehedem beide Prädifate hatte. Aus diefen
Pradifaten gingen nach ihrer Trennung von der Göttin,
welche fie urfprünglich führte, befondere Weſen hervor, welche
deßhalb unfterblich find, wie die Göttin felbft , welcher fie
gehörten. Daraus erklärt ſich auch die Unfterblichfeit der
Kinder der Medeia. Die fpatere Zeit, welche die Beziehung
der Jo und Medeia zur Hera nicht mehr verftand, ftellte
beide als Priefterinen der Göttin dar. Demeter nahrt den
Demophon ) und er wuchs heran, den Göttern vergleichbar.
Ein Meuſch fteht mit einer Göttin in Feiner ſolchen Verbins
dung, wie Demophon mit der genannten Göttin, und Fann
auf göttlihe Nahrung Feinen Anfpruc machen.
So wenig ein Menſch ſeinem Koͤrper nach un—
ſterblich iſt, ſo wenig iſt er einer Verjuͤngung faͤhig, und alle
jene Weſen, welche ſchon nach alten Sagen verjuͤngt werden,
koͤnnen auch niemals als Menſchen betrachtet werden. Ino
wirft den Melikertes in einen ſiedenden Keſſel, und ſtuͤrzt ſich
mit dem todten Kinde in die Fluthen, beide werden nun
Goͤtter, Ino wird Leukothea, Melikertes aber Palaͤmon.
Nah Ovidius wird Ino von ihrem Gemahle verfolgt, er ent-
reißt ihr den Learchos, und zerfchmettert ihn auf Steinen,
fie felbft gerath fodann in bafchifchen Taumel, und fpringt
74) Schol. Pind. Ol. 13, 75.
75) Hymn. Hom. in GCerer. 235»
172
mit dem andern Sohne in das Meer.) So erzählt bie
Sache auch die dritte Inhaltsangabe zu Pindaros Sfthmien,
und die erfte ſtimmt in der Hauptfache Damit Überein, nur
darin weicht fie ab, daß Ino, ehe fie in's Meer fpringt,
den andern Sohn in den Mafferfeffel wirft, ”) Ino und
Melifertes wurden ald Menfchen betrachte. Um num zu
erklären, wie fie Seegötter wurden, läßt fie die Gage in das
Meer fpringen. Auf diefe Weiſe hat fie aber Faum erklärt,
wie fie in das Meer kamen Mären fie nicht ſchon urs
ſpruͤnglich Götter gewefen, fo würden fie nach diefer That
im Meere, wie hundert andere Menfchen, zu Grunde ge
gangen feyn , ohne deßhalb göttliche Verehrung zu erlangen.
So ließ der Mythos auch den Meergott Glaufos, dem die
fpätere Zeit ebenfalls in die Neihe der Herven ftellte, ſich
erft in das Meer ftürzen, un denfelben zu dem Meergotte
umzuwandeln, der er fhon urfprünglid war.”) Hoͤchſt
bedeutjam ift c8, daß nach alter Sage”) Fafon von der Medeia
zerhadt und gekocht worden feyn fol. Die nämliche Erſchei—
nung kehrt in den Sagen über Kadmilos, Bakchos, Meli
fertes, Pelops, Aefon ”) und Peltas °') wieder; auch findet
76) Welder, Zrilog. ©. 337.
‚ 77) Sebol. Eurip. Med. 1294. Schol. Lycophr. 229.
78) Athen. VII, 48. Heffter, Rhod. Götterdienfte, 3. ©, 64.
N. 2.
79) Sehol. Aristoph. Equit. 1352. Eurip. Med. Hypothes,
Lycophr. 4315. Voss. ad Mel. Il, 76. 772. Müller, Orc.
267,
50) Müller, Orch. ©. 268.
81) Wir fehen feinen Grund ein, warum fir biefe Sage,
173
fi) in allen der dreifüßige Waſſerkeſſel, und die Zerſtuͤcklung
des Abſyrtos*) kann Feine andere Bedeutung”) gehabt
haben. Was war diejer myſtiſche Ritus anders, als eine
Berfinnlichung ihrer Verjüngung, welche in einer höchft ein—
fachen Naturerfcheinung ihren Grund hatte? Es ift befannt,
daß man die Hera als Jungfrau, Frau und Wittwe betrach-
tete, und daß fie durch das Bad, welches fie nahm, wieder
zur Fungfrau®) wurde, ihre dreifache Geftalt bezieht ſich
auf die dreifache Erfcheinung des Mondes, welcher aufnimmt,
voll wird, und wieder abnimmt, und jeden Monat in neuer,
perjüngter Geftalt erfcheint. So verfchwinder die Sonne
jeden Tag, was die kindliche Ausdrucksweife durch den Tod °*)
bezeichnete, um am andern Morgen in verjüngter Geſtalt
zu erfcheinen. Sobald man die genannten Wefen, welche
ihre Entftehung Beiwörtern des Sonnengottes zu verdanken
hatten, für Perfonen hielt, mußte die Darftellung ihres Todes
und ihrer Verzüngung freilich auf eine jonderbare Weiſe auf-
gefaßt werden. Sie müffen in dem Zauberfeffel jene Schön-
heit und jenen Zugendglanz wieder erhalten, in welchem die
Sonne an jedem Morgen glänzt. Freilich ſchließt dieje
die fo gut, wie die übrigen, eine fpmbolifche Bedeutung
bat, für jünger balten follen, als die andern.
82) Schol. Ap. Rhod. IV, 223. Heyne ad Apollodor.©. 384.
385) Schwends Andeutungen ©. 68.
84) Am beftimmtejten tritt die Wahrheit dieier Behauptung
in der Sage von dem Tode der Diosfuren und von dem
Grabe des Zeus hervor. cf. Gefhichte des Troj. Krieges,
©. 118, 125.
174
Anfiht alle gelehrien Erklärungen aus ®), welche von dem
Einzelnen der Zauberei ausgehen, und diefe aus den Kau-
kaſiſchen Ländern herzuleiten ſuchen, wie Böttiger alles
auf Munderfalben, Kräuterbäder und andere Dinge der
Art bezieht, und darin den Urfprung des Verjuͤngungs—
Proceſſes erkennen will. Wenn fih) das Leben eines Men:
ſchen durch kuͤnſtliche Mittel auch friften laßt, fo gibt es
doch Fein Mittel, einen reis zum Süngling umzufchaffen,
und die Angaben von der Ermordung des Zagreus und
dem Tode des Zeus zeigen nur zu gut, daß die Verjüns
gung der angeführten Weſen nur die bezeichnete Bedeutung
urjprünglicy gehabt haben dürfte. Dafür fpricht auch der
Umftand, daß bei vielen andern Heroen, welche ehedem
ebenfalld Götter waren, ftatt der Verjüngung die Erwe—
kung vom Tode vorfommt, die fih auf das Wiederer⸗
ibeinen der untergegangenen Sonne bezieht, wie die Ver:
jüngung. Nah Stefihoros *) erweckte Asklepios den Ka—
paneus und Lykurgos, nad) dem Verfaffer der Naupaktika
den Hippolytos, nah Panyaſis, den Tyndareos. Die
Angabe ”), dag Hippolytos nad dem Willen der Arte 1
mis wieder in das Leben gerufen wurde, bewahrt die Wahr⸗
heit unferer Behauptung nur zu gut, Mie der eine der
Dioskuren immer in der Unterwelt ift, während der an-
85) Bötkiger, Dafengemalde. 185. 169 ffy.
86) Buttm. Mptholog. II, 148 fig.
87) Lactant. Plaeit. 15, 48. Quem Aeseulapius Dianae
voluntate, cujus in vitae comes fuerat, reduxit ad su-
peros. Hine ab eadem Diana evocatus in nemus Ari-
175
dere oben lebt, d. h. am Himmel glänzt, fo fchlaft En-
dymion jedesmal, wenn die Mondgottin erfcheint ®), oder
nah Entfernung des bildlichen Ausdruckes, wenn der
Mond am Himmel glänzt, ift die Sonne unfichtbar, und
befindet fich nach der Ausdrucksweiſe des Findlichen Alter:
thums im Grabe. Wahrend Artemis mit ihrer Fadel den
Himmel erhellet, ift Hippolytos im Grabe, aus welchem er
fi wieder erhebt, wenn der Mond feine Laufbahn am
Morgen vollendet hat. Achilleus hatte ein doppeltes Loos,
entweder vor Troja in der Blüthe feines Lebens zu fallen,
und ſich unendlichen Nachruhm zu erwerben”), oder da—
heim ein hohes Alter zu erreichen. Jeder Menſch hat nur
ein beftimmtes Loos, für ihn gibt es durchaus Fein zweis
tes. Achilleus wird fehr alt oder ftirbt nie, indem die
Sonne nie für immer vom Himmel ganz verfchwinder, fo
lange unfere Erde fteht, und er ftirbt in der Blürhe der
Sahre, indem fie nad) einer kurzen Fahrt anı Himmel jeden
Abend untergeht, und erft am folgenden Morgen ihre Lauf:
bahn wieder betritt. Sobald er in die Reihen der Heroen
eintrat, bat man weder fein hohes Alter, noch den Tod
in der Blüthe der Fahre mehr verftanden, und der Sage
jene eben berührte raͤthſelhafte Wendung gegeben. Andere
Herven, welche ehedem Pradifate der Götter waren, leben
fo lange, daß man aus der Dauer ihres irdiichen Dafenns -
cinum mortalitatem exuit. cf. Buttm., Mptholog. II-
©. 148.
83) Schwends Andeutungen. S. 558.
89) Hom. Il. IX, 410 sqgq.
176
die fombolifche Bedeutung ihres Todes einfehen muß. eis
refias, der Prophet des Ismeniſchen Tempels, lebt fieben
Menfchenalter. 5 MNeftor Iebt drei Menfchenalter, was
von Feinem andern Heros erzahlt wird. Menelaos, Peleus
und Laertes verfchwinden aus der Sagengefshichte, ohne daß
man weiß, wohn fie gefommen find,
In der heroifchen Zeit ift allen Menfchen die Auf |
nahme in den Olympos verfchloffen, und auch die Elyſei⸗
fhen Gefilde find für die Frommen noch nicht geöffnet.
Wir finden aber viele Weſen theils in den Elnfeifchen Gefils
den, theils im Olympos, und die Anzahl der Olympifchen
Götter würde ungleich größer feyn, wenn nicht durch die
vielen Völferbewegungen eine Menge von Göttern aus ihrer
alten Stellung verdrangt worden mare. Herakles lebt
unter den Göttern, und ift mit der Hebe vermählt, während |
fih fein Eidolon im Schattenreiche befindet.) Er lebt im |
Dlympos als Sonnengott, weldher am KHimmelsraume
feine Fahrt beginnt und vollendet, und befindet fich im: |
Schattenreiche, wie Zeus oder die. Helena im Grabe, wenn |
er am Abend im Meere mit feinem Geſpanne 2) unterges '
taucht hat, bi8 er am andern Morgen wieder erfcheint, |
Deßhalb hält fih auch Dionyfos im Schattenreiche auf.
Als ihn die fpätere Zeit als Menfchen faßte, mußte freilich |
die Sage von feinem doppelten Aufenthalte eine andere Ger |
ftalt befommen,, und Herakles feldft wegen feiner Verdienfte |
90) Müller, Dorer 1, 435.
94) Hom. Odyss. XI, 602.
92) Hymn. Hom. XXXI, 15 sq.
168:
in den Olympos, fein Scattenbild aber in den Orkus vers
fegt werden. Wenn große Thaten fo viel vermocht hätten,
einen Menſchen unter die Zahl der Goͤtter zu erheben, ſo
wuͤrden viele andere große Maͤnner ſich einer aͤhnlichen Ehre
zu erfreuen gehabt haben. Allein ein von Prieſterkoͤnigen
beherrſchtes Volk, wie die alten Einwohner von Hellas
waren, macht zwiſchen Goͤttern und Menſchen einen ſo
großen Unterſchied, daß es einem Helden, wenn er uͤbri⸗
gens auch alle Vorzüge menfchlicher Vollfommenheit in fich
vereinigt, deßhalb noch Feineswegs einen Play unter den
Göttern einräumt. Die Sage von feinem Tode bat alfo
eine fombolifhe Bedeutung, wie das Grab des Zeus”), und
die Aufnahme unter die Götter beweifet, daß er denfelben
fhon urfprünglih angehört habe. Wer an der NRichtig-
feit dieſer Anfiht zweifelt, der denfe an Semele, die
| Mutter des Bakchos, die man lange für eine Königstochter
anfah. Sie befindet fih im Orkus, aus dem fie nad)
einigen Angaben”) Zeus, nach andern Bakchos in den
Olympos *) führte. Auch Perfephone befindet ſich abwech—
felnd im Orkus und im Olympos.*) Im Orkus befindet
ſich Semele, fo wie Perfephone, zur Zeit, welche der Mond
am Himmel unfichtbar und von demfelben verſchwunden tft;
93) Callimach. Hymn. in Jov. 6 sqq. Geſchichte des Troj.
Krieges S. 118.
94) Jacobs ad Anthol. Palat. I, 9, 402.
95) Dissen ad Pind. Ol. II, 26. p. 28. T. II. et Tafel ad
Loc.
96) Hymn. Hom. in Cerer. 335 sqgq. Ueber die Dauerihres
Aufenthaltes im Hades foll fpater gefprochen werden.
Vorhalle zur Griechiſchen Geſchichte. 12
178
..
fobald aber der Sonnengott vom Himmel ſich in die Fluthen
des Meeres niedertaucht, und in den Orkus hinabfteigt, vers
läßt die Mondgöttin das Schattenreich, und fährt mit ihrem
Gefpann am Himmel empor. Daher iſt es gleichgültig, ob
Semele von Zeus oder von Dionyfos in den Olympos ge⸗
führt wird. Sobald aber die Semele nicht mehr als Göttin
erfannt, und ihr Verweilen im Schattenreich irrig verftanden
wurde, mußte man freilich die Sache fo darftellen, als ware
fie urfprünglich Feine Göttin gewefen, fondern erft, nachdem
fie fich bereits lange im Orkus befunden, in den Olympos
geführt worden ”). Pallas liebt fie aber aus Feinem andern
Grunde*), alwrsil fie ihr dem Mefen nach vollfommen
gleid war. Von den Dioskuren bemerft der Sänger ber
Odyſſee“), daß fie den einen Tag leben, den andern von
neuem dahinfterben, und Ehre, wie die Götter, genießen '%).
Nach Pindaros halten fie fich ') abwechfelnd im Olympos
und im Grabe auf. Morgen» und Abendftern fterben tägs
lich dahin, indem fie vom Himmel verfchwinden, und eben
bei ihrem Erfcheinen auf, und während der eine ſich im
Olympos befindet, oder am Himmelsgewoͤlbe leuchtet, ift
97) Pindar. Ol. II, 26 et Schol.
98) Auch Perſephone erfcheint bloß deßhalb (Hymn. Homerie.
in Cerer. v. 444 sqq.) mit der Hekate auf das innigfte ver:
bunden.
99) XI, 302 sqq.
100) Söttlihe Ehre konnten in ber Urzeit, die noch Feine Men:
{hen vergötterte, nur Götter haben.
401) Pind. Nem. X, 79 sqgq-
179
der andere verborgen, oder halt fich nach der fombolifchen
Ausdrudsweife im Grabe auf. '”)
Semele, welche wir unter den Olympifchen Göttern
antreffen, vermweilt '®) nach andern Angaben in den Elyfeis
[hen Gefilden. Zeus entzog die Alkmene ') dem Begrab-
niffe, und führte fie ald Gattin des Rhadamanthys auf die
Inſeln der Seligen. Auch Kadmos fahrt '") auf einem mit
Drachen befpannten Magen mit der Harmonia ın die Ei
lande der Seligen, wahrend er nad andern Angaben als
Richter über die Verftorbenen '%) im Schattenreiche thront.
Dem Menelaos verkündete 7) Proteus, daß ihm nicht be»
flimmt fey, im Roffe weidenden Argos den Tod zu dulden,
fondern daß ihn die Götter dereinft an dag Ende der Erde
zur Elyfeifhen Flur führen würden, wo der braunliche Rha—
damanthys wohnte, weil er mit Helena vermählt ware, und
Zeus ihn als Eidam ehrte. Peleus ift wegen feiner Froms
migfeit im Elyfion, und den Achilleus führt Thetis dahin '®),
102) Geſchichte des Troj. Krieges ©. 125.
103) Antholog. Palat. II, 716.
104) Müller, Dor. I, 433.
405) Pind. Ol. 11, 78 et Schol. Dissen. c. T. I, p. 38. Eu-
ripid. Baech. 1337. Apollod. III, 5, 4. Schol. Pind.
Pyth. III, 153.
406) Pind. Pyth. III, 153.
107) Odyss. IV, 561 sqgq.
108) Pind. Ol. II, 79 et Dissen T. II, p. 58. Athen. XV,
695. Platon. Symp. p. 179 e und 180 b. et Ast. 1. c.
Apollon. Rhod. IV, 811 et Schol.
en
180
während er nach einer andern Angabe auf Leuke ‘®), dem
hellen Cilande, einer Inſel im Eurinifchen Meere, lebt, wo
er mit der Fphigeneia verehrt wurde‘), und Rennbahnen
zu feinen Uebungen hatte. Diffen glaubt, der Dienft des
Achilleus fen durch Kretifche Seefahrer dahingebracht wor;
den; nach der gewöhnlichen Annahme) Fam fein Leichnam
durc feine Mutter nach jener Inſel. Wir Fonnen Feiner
diefer Erklärungen beiftimmen, fondern wollen fpater eine
andere verfuchen. Der Sänger der Odyſſee laßt”) den
Achilleus im Schattenreiche fi aufhalten, und den Ddyf-
feus die höchft wichtigen Worte an ihn richten: „Dir aber,
Achilleus, gleicht in der Vorzeit Feiner an Seligfeit, noch in
der Zukunft; denn dich verehrten wir einft, als du Iebteft,
gleich Göttern, und jetzt gebieteft du, hier wohnend, mac)»
tig den Schatten.” ALS er tobt war '®), umftanden ihn die
Nymphen, und jammerten vor Gram. Auch die neun
Mufen Eagten, und nicht bloß die fterblichen Menfchen,
fondern aud) die ewigen Götter weinten fiebzehn Tage und
eben fo viele Nächte beftandig um ihn. Wäre Achilleus ein
Menfch gewefen, fo würden die Götter unmöglid) eine folche
Theilnahme gezeigt haben, oder will man etwa dem ehrwuͤr⸗
digen Altertfume zumuthen, daß diefe Sagen fammtlich von
Sängern willfürlih) erfunden worden feyen, und deßhalb
feine fo forgfaltige Beachtung verdienen? ine ſolche Bes
109) Pind. Nem. IV, 79 et Thiersch, T. II. p. 40.
440) Dissen ad Pind. T. I, p- 402.
411) Thierſch nach den Schol.1. c.
442) Homer. Odyss. XI, 482 sqg.
215) Hom. Odyss. XXIV, 58 sqq.
Inf
“ze
‚181
hauptung Fonnte wahrlich nur derjenige ausfprechen, welchem
I
alle DVerhältniffe der Urzeit der Griechen unbekannt wären.
Wenn fih aber Kadmos und Achilleus als Zodtenrichter
im Scattenreiche befinden, wenn Achilleus nad) andern
_ Angaben im Elyfion oder auf Keufe fortlebt, fo konnen fie
doch wohl unmöglich fterblihe Menfchen, fondern fie muͤſſen
_ Götter gewefen feyn, welche fpäter durch die Götter anderer
Völker, die fih am den Orten, wo fie urſpruͤnglich vers
ehrt wurden, niederließen, von ihrer hohen Stelle in die
Reihen der Herven herabgedrücdt wurden, Wir müffen hier,
| um allen Mißverftändniffen vorzubeugen, in Kürze bemer-
Ten, wie die Angaben über die verfchiedenen Aufenthalts:
Orte des Achilleus zu verftehen feyen. Wir haben fchon
erinnert, daB Semele und Dionyfos fih eben fo gut im
Orkus, als im Olympos aufhalten, weil Sonne und Mond
abwechfelnd am Himmel leuchten, und (unter der Erde
verborgen) den Augen der Menfchen unfichtbar find. Die
Sonne taucht im äußerften Weſten nieder, wo die
Eilande der Seligen find, wo alles Treiben der Menfchen
aufhört, und ewige Ruhe herrſcht. So gut man alfo den
Sonnengott oder die Mondgottin jene, Zeit, zu welcher fie
am. Himmel verfhmunden find, ſich im Orkus aufhalten
ließ, eben fo gut Fonute man fie in die Eilande der Goͤtter
verfegen, und ficherlich ‚waren diefe, ehe, der Olympos durch
die Thrakiſchen Sänger der Gdtterfig wurde, die Hallen
der unfterblichen. Götter. Der Sonnengott fteigt im O ften
empor. Daher hat die Sage feinen Pallaft fomohl in den
Weiten, wo er untertaucht ), ale auch in den Außerften
#448) Hom, Odyss. X, 343 sqg.
182
Dften verfegt‘”), wo er mit feinem Gefpann emporfährt,
wo auch die Behaufung feiner Vorläuferin, der Eos, ift’*).
Wenn fih alfo Achilleus nach einigen Angaben im Hades
als Gebieter über die Schatten aufhält, nad) andern in dem
Elyfion oder auf Leufe im Außerftien Often, fo haben wir
hierin durchaus Feine Widerfprüche, fondern wir fehen nur
die verfchiedenen MWohnfige, welche man dem Sonnengotte
anwies, verbunden. Natürlich mußte, fobald man die
Sage von feinem fombolifhen Tode buchſtaͤblich nahm,
auch die Erzählung von feinen verfchiedenen Mohnfigen
verdunfelt werden, und der Mahn entftehen, als hatte er
vorerft auf Erden gelebt, und wäre dann nad) einem der
genannten Drte verfegt worden.
Drittes Gapitel.
Ueber die göttlihe Abkunft der Heroen.
Viele Herven und Heroinen ftammen von Zeus und
andern Göttern ab, und treten dadurch mit denfelben in
unmittelbare Beziehung, jo daß man fich leicht überzeugen
kann, daß fie nur durch Mißverftand der fpätern Zeit für
Menfhen angefehen werden konnten. Wir wiffen zwar,
daß man diefe Verbindung von Göttern und Menfchen
auf eine alfegorifche Weiſe zu erklären ſucht; allein Allego-
rie ift der alten" Sage fremd. Buttmann glaubt‘), daß
445) Mimn. Eleg. 9, Stesichor. ap. Athen. XI, 6. of, my-
tholog. Briefe, 12, 155 — 18. Müller, Orchom.
©. 283.
446) Hom. Odyss. XI, 2. 3. sqgq-
417) Mptholog. 1, 249.
183
die altefte Griechiſche Dichtung die Erzeugung des NHera-
kles durch Zeus bloß geiftig verftanden wiffen wollte: „Edle,
große Naturen find nur dem Aeußern nah die Söhne
derer, welche ihre. Väter heißen; nur die Geftalt des fterb-
lichen Vaters hat fi der Mutter genaht; ihr wahres
Weſen ftammt von der Gottheit.” Wir mögen die Gries
chiſche Sage betrachten, von welcher Seite wir nur immer
„Tonnen, fo fehen wir im ihr diefe Anſicht durchaus nicht
beftätigt, fondern eher das Gegentheil, daß Götter und
Menfchen von einander wefentlich verfchieden feyen, und
deßhalb auch nicht einmal mit einander verglichen werden
Tonnen, ausgedrödt. Menelaos ') bemerkt dem Tele:
machos fehr ſchoͤn, daß es Fein Sterblicher wagen dürfe, fich
mit Zeus zu vergleichen. Mochte alfo ein Heros auch noch fo
große Thaten vollbringen , fo Fonnte er bei dem großen Uns
terfchiede, welchen man zwifchen Göttern und Menfchen feft-
feßte, deßhalb noch Fein Sohn des Zeus oder eines andern
Gottes heißen, Vorzüglich aber widerlegt fich jene Anficht
dadurch, daß gar viele Weſen Kinder des Zeus oder eines
andern Gottes genannt werden, welche fich Feineswegs,
wenn wir fie ald Menfchen betrachten, durch See;
lenadel oder große Thaten ausgezeichnet haben. Wir erin-
nern hier zunachft an Helena, welche eine Tochter des Zeus
heißt. Soll etwa das Altertum, wenn ihre Gefchichte
buchftäblih genommen werden darf, Treulofigfeit gegen den
Gatten ald etwas Großartiges angefehen haben? Diefe Be-
bauptung wird wohl niemand wagen. Tantalos ift ein Sohn
des Zeus, Was rühmet die Sage von ihm? Seinen Reich-
418) Hom. Odyss. IV, 78 sgq-
184
thum und feine Geſchwaͤtzigkeit, welche es ihm unmöglich |
machte‘), die Gcheimmiffe der Götter in feiner Bruft zu
verfhließen. Sollen wohl die Alten fo thöricht gewefen ſeyn,
Reichthum als eines der höchften Güter des Menfchen zu be "I
trachten, und den Tantalos deßhalb zu einem Sohne des |
Zeus zu erheben? Wir Fonnen fie unmöglich einer ſo ver⸗
kehrten Anficht befchuldigen. Aëthlios, der Water des
Endymion, wird ebenfalls ein Sohn des Zeus) genannt, N
ohne daß man, wenn obige Anſicht richtig waͤre, ſich ein— |
bilden Fonnte, warum er zu diefer Ehre gelangte. Es ift }
alfo fehr verfehrt, behaupten zu wollen, daß jeder, welcher
ſich als SHerrfcher oder Gefeggeber oder durch Seelen» Adel!
auszeichnete, deßhalb ein Sohn des Zeus, jeder, welcher
mit Weisheit oder Sehergabe ausgerüftet war, und als Dich⸗
ter bervorragte, ein Sohn des Zeus oder Apollon, jeder!
tapfere Krieger ein Sohn des Ares genannt wurde, fondern
die Abftammung der Herven von Göttern beweifet, daß Dies
felben urfpränglich Praͤdikate des Gottes waren, von de |
fie abftammen, und daß die Heroinen, welche von einem)
Gott abgeleitet werden, zu demfelben in der nämlichen Be
ziehung ftanden, in welcher Pallas zum Zeus, Artemis zum
Apollon, Sonne und Mond zu einander ftehen.
Mir wollen dieß durch einige Beifptele naher zu begrü
den fuchen. Herakles beurkundet fich ſchon durch feinen Aufl
enthalt im Olympos, durch die Verbindung mit Hebe, durc
1449) Pind. Olymp. I, 36 sqq. et Schol. 1. e. i
420) Apollod. I, 7, 5. Schol. Ap. Rhod. IV, 75, Paul
V, 4. Strab. 40. p, 7410. Conon. narrät. 44.
‚185
die Abftammung von Alfmene **) als Sonnengott, als welchen
wir ihn durch feine Wanderung zu den Hyperboreern, dem
heiligen Volke, zu welchem ſich auch Apollon begibt, noch
"näher kennen lernen. Wie fich die Irren der Jo und der
übrigen Mondgöttinen auf den unermüpdlichen Kreislauf des
"Mondes beziehen, jo die Wanderungen der Sonnengötter
auf den der Somne”?). Die Hpperboreer find fo wenig ein
> gefchichtliches Volk *), als es die Homeriſchen Aethiopen
find, und wohnen nach dem Angaben einiger Schriftſteller im
"Außerften Nord -DOflen, nad) denen der andern im außerften
Weſten, wie die Nerhiopen ) im Often und Werten find;
"im Often‘, weil ſich bier die Sonne erhebt, in ihrem Gebiete
aufgeht, im Weſten, weil fie Hier im ihrem Gebiete untergeht.
Wie die Aethiopen ein frommes Volk find, weil fie an der
Quelle des Lichtes wohnen, fo find es audy die Hyper—
boreer, welche den Sonnengott, weil er Freund der
Muſik und der Chöre ift, damit beftandig ehren. Hera—
kles wandert nicht bloß zu den Hnperboreern , fondern er be-
giebt fi) auf dem Sonnenfahne *) auch im den Außerften
Meften. Es ließen fich noch fehr viele andere Punkte nach—
weiſen, aus welchen man abnehmen müßte, daß Nerakles
21) Schwends Andent. ©. 264.
122) Welder, Aeſchyl. Trilog. 129 ffa.
123) Wir werden die Wahrheit diefer Behauptung durch einen
befondern Artikel zu erweifen ſuchen.
124) Hom. Odyss. I, 22 sqq. Die Erflärung, welche Nitzſch
von der Lage der Wohnfike der Aethiopen gibt, fteht mit
den Worten des Sängers durchaus im Widerſpruch.
425) Athen. XI, 781 d. 469. d. 470. c. d.
186
nicht wegen feiner großen Thaten, fondern deßhalb, weil er
Sonnengott war, Sohn des Zeus genannt wurde. Minos
ift Sohn des Zeus und der Europa”). Wie Apollon und
Herakles wandern, fo aud) Minos, und wie fi) die Sonnen-
götter in Grotten aufhalten 7) und als Begründer gefeh-
licher Ordnung erfcheinen '?), fo auch Minos, welcher aus
demfelben Grunde Richter der Schattenwelt ifi, aus welchem
wir den Achilleus als folchen Fennen gelernt haben. Askle⸗
pios und Paon heißen Söhne des Apollon W), und beide find
aus Pradikaten entftanden *), welche der Sonnengott als
Heilgott trug. Idomeneus leitet fein Gefchlecht von Helios
und der Pafiphae ab U). Nicht bloß fein Name), fondern
auch der Hahn, der Vogel des Sonnengottes'?) , welchen er
auf feinem Schilde hat"), überzeugen uns, Daß er einem
Beimorte des Sonnengottes feine Entftehung zu verdanfen
126) Hom. Il. XIV, 322.
127) Wir erinnern nur an die idäifche Grotte des Zeus, an
die Grotten des Dionyſos, an jene de3 Hermes, Pan und
Endymion.
125) Man denfe an Lykurgos und feine Beziehung zum Del:
phifchen Gotte, an die Namen Kadmos und Thefeug,
429) Proci. Hymn. in Apoll. 21. Procli. in Theolog. Plat. 6,
12. Eustath. ad Hom. Odyss. IV, 282. Macrob. Satur-
nal. 1, 120. Ueber Asklepios, Heyne ad Apollod. p.
276 sq-
150) Schwends Andeutungen, S. 206.
4151) Hom. Odyss. XIX, 181. Pausan. V, 25, 5.
132) Schwendd Andent. ©. 194.
435) Pausan. V, 25, 9.
454) Pausan: |. c.
187
hatte. Aug eias ift ein Sohn des Helios. Nicht bloß fein
Name verräth fi) als Pradifat ) der Sonne, fondern
feine Rinder, die Sonnenrinder ®), fielen uns denfelben
als nur dem Namen, nicht dem Weſen nad) von Helios ver;
fchieden dar. Lykaon fiammte von der Mondgottin “)
Kallifto ab. Sein Name ift von derfelben Wurzel gebildet,
aus welcher der Beiname Lyfaios“°) , den fowohl Zeus, als
Apollon trugen, gebildet ift, und feine Verwandlung in einen
- Molf??) ftellt ihn mit Apollon, welchem, wie dem Ares,
ald Sonnengotte der Wolf heilig war, auf diefelbe Stufe.
Rhadamanthys, welchen alte Angaben“) einen Sohn des
Zeus nennen, wandert"), wie Apollen und Herakles, und
ift, wie Kadmos, in den Elnfeifchen Gefilden'”), und
richtet über die Todten. Dinomaos, der Sohn des Ares "®),
bat eine Tochter Hippodameia, welche einem Praͤdikate der
Mondgöttin ihre Entftehung zu verdanken hat '"). Erginos,
der Sohn des Klymenos, hat zwei Söhne, Agamedes und
Trophonios, welche von Hermes ihrem Weſen nach nicht
435) Auyn, Licht, Glanz, Schimmer. Darum heißt er Sohn
des Helios, Schol. Lycophr. 41. Hyg. fab. 14.
136) Hom. Odyss. XII, 343 sgg. ®elder, Trilog. ©. 130 fg.
157) Müller, Prolegom. 244.
158) Schwends Andeut. S. 40.
439) Ovid. Metam. I, 244.
440) Hom. Il. XIV, 322.
441) Hom. Odyss. VII, 317 sgg.
442) Hom. Odyss. IV, 564.
443) Pausan. V, A, 5.
144) Schwenk ©. 225.
188
verſchieden find”) ,, jo. wie der Name feines Vaters‘) und
der. feinige!”) nur Praͤdikate des Beherrſchers der Schatten⸗
welt ſind.
Euphemos, welcher ſich als Waſſerlaͤufer auszeichnet *°),
iſt ein Sohn des Poſeidon ind der Europa "”), wie auch The
feus ein Sohn: desfelben Gottes *°) heißt. - Meer und Licht:
goͤtter werden deßhalb fo haufig mit einander verbunden,
weil die Sonne im. Meere untertaudht, und fic) aus dem
Meere erhebt, weßhalb ſich auch Hephaftos *) und Dionyſos "?)
bet der Theris ‚aufhalten. ‚Amphion, deffen Name ſich auf
den Umlauf der Sonne bezieht '?), ift ebenfalls Sohn des
Zeus. Den, Rhadamanthys nannte Kinathon "°), einen
"Sohn des Hephaftos,, weil diefer, Gott urfprünglich fo gut
Sonnengott war, wie e8 ehedem Zeus war, So koͤnnten
wir nod) bei vielem Göttern, welche fpäter in die Reihe der
Herven herabfanken, doppelte Eltern anführen, entweder
zwei Väter, melche Götter find, oder zwei Goͤttinen als
445) Pausan. IX, 37, 5. Cicer. de N. D. III, 22, 56.
446) Buttmann, Mytholog. II, 216.
147) ’Eoyri@ und Epyvum, sioyw, Eoyo, einfchließen. Hom.
Odyss. X, 238.
148)/Hom. Odyss. IV, 51. Müller, Orchom. 263.
449) Pind. Pyth. IV, 10. Hygin. Fab. 44. cf. Apoll. Rhod.
1, 179 et, Schol.
150) Müller, Yrolegom. ©. 271 ffe.
454) Hom. Il. XVII, 395 sqgq.
452) Hom. 11. VI, 150 sqq.
155) Schwend, ©. 196.
454) Pausan. VIII, 55, 5.
189
Mütter, oder noch mehrere, wenn man aus den bisher ans
geführten Stellen nicht ſchon hinlänglich erfehen koͤnnte,
daß die Abftammung oder Herleitung der Herven und Hes
roinen von Göttern fi) aus der ehemaligen Verwandtſchaft
diefer Weſen mit den Göttern, deren Kinder fie heißen, er-
Hart, und ihre Namen chedem nur Beinamen vderfelben
waren, die im Laufe der Zeit von denfelben getrennt, und
zu befondern Weſen erhoben wurden. Nennt die Sage
mehrere Götter als Väter oder Mütter, fo bat dieß feinen
Grund in den vielen und verfchiedenen Pradifaten, welche
die Götter an den einzelnen Orten hatten, oder in der Ver-
bindung, in welche man die Licht- und Maffer-Götter, wie
auch die des Schattenreiches mit einander brachte.
Ein anderer, wichtiger Punkt, welcher nicht überfehen
werden darf, find die Pradifate, welche viele Herven und He—
roinen tragen”), von denen wir hier nur auf das vorzüg-
lichfte derfelben, auf das Pradifat göttlich, aufmerkſam
machen wollen. Wir wiſſen ſehr gut, daß man zur Erfläs
rung desfelben gewöhnlich vorbringt, daß es nicht immer in
der ftrengften Bedeutung gefaßt werden dürfe, fondern über:
haupt alles Große und Ausgezeichnete in feiner Art bedeute,
Allein wer die Homerifchen Geſaͤnge unbefangen betrachtet,
der wird zu der Einficht gelangen, daß es nur von Göttern
und ihren Kindern, von den Gegenftänden, welche fie haben,
und welche deßhalb von ihrer göttlichen Natur durchdrungen
find, und von den Elementen gebraucht werde, welde von
455) Wir werden von den übrigen Prädifaten in einem beſon⸗
dern Abichnitte ſprechen.
190
Görtern erfüllt find, in denen ſich unfterblide Weſen aufhal-
ten, wie im Meere. Wenn Völker, wie die Pelasger '*), die-
fes Pradifat tragen, fo bezieht es fich bei ihnen eben auf den
priefterlichen Charakter, welder bei den Pelasgern befannt
genug ift, und auf die befondere Froͤmmigkeit und Goͤtterver⸗
ehrung, wodurch fie fich auszeichnen, wenn man es anders
nicht auf die unmittelbare Herleitung des Pelasgos von
Zeus *) beziehen will, was uns die einfachfte und richtigfte
Erklärung zu ſeyn ſcheint. Wie hätte der Sänger der Ddyf-
fee 5) die Klytaimneftra, welche fo verworfen war, daß fie
ihren eigenen Gemahl getödtet, göttlich nennen Tonnen, wenn
diefelbe nicht deßhalb jenes Beiwort getragen hätte, weil fie
urfprünglich Göttin war, und wenn die Ermordung des Aga⸗
memnon nicht eine fombolifche **) Bedeutung gehabt hätte,
welche im Kaufe der Zeit durch Mißverftandnig allmahlig ganz
entftcllt und verfannt wurde? Kein epifcher Sänger würde
einem Schweinhirten *) das Praͤdikat göttlich beigelegt ha—
ben, wenn er auch noch fo edler Natur gemefen ware, hätte der:
felbe e8 nicht ſchon in der Urzeit geführt, und fein Hirtenamt
nicht eine fombolifche Bedeutung gehabt, wie jenes des Apol-
lon, fo daß er erft im Laufe der Zeit, ald der Geift, welcher
den Mythus gefchaffen hatte, laͤngſt verſchwunden, und nur
456) Hom. Il. X, 429.
457) Dionys. Halicar. I, 17.
4158) Hom. Odyss. III, 266.
159) Sie bezieht fih auf den Untergang der Sonne, auf das
Verſchwinden derfelben zu ber Zeit, wann der Mond em:
porfteigt.
460) Hom. Odyss. XXT, 240.
191
die Form noch übrig war, für einen Menſchen und gewoͤhn—
lichen Hirten angefehen wurde. Wenn die Kampfroffe dee
Achilleus v) und des Adraftos'*) goͤttlich heißen, fo darf man
nicht vergeffen, daß alles, was die Götter haben, von ihrer
Natur durchdrungen ift, und beide Weſen ehedem Götter was
ren, welche die gefeierten Roffe aus dem nämlichen Grunde
haben, aus welchem fie Helios hat. Deßhalb darf man fich
auch nicht wundern, daß die Roſſe des Achilleus fogar pro>
phetifche Gabe”) befigen, und dieß Feineswegs für eine wills
fürlihe Erfindung des Sängers erklären. Die Licht- und
Waſſergoͤtter befigen diefe Auszeichnung, und warum foll fie
die Sage nicht auf die Roſſe des Achilleus übergetragen ha-
ben, da derjelbe nur dem Namen, nicht aber dem Wefen nach
von Apollon verfchieden war? Am fchwieriaften ift das Praͤ—
difat göttlich bei Ländern und Städten zu erflären, wenn
man die Bedeutung der Länder s und Städte: Namen aus
dem Auge laßt, bei denen dasfelbe vorfommt. Sollen wir
uns wundern, daß Elis diefes Beiwort hat, wenn wir be—
denfen, daß fein Name ein Lichtland *%) bezeichnet, wie der
Name Peloponnefos ”)? Warum follen Lander und Städte,
welche nad) Göttern benannt find, das Pradifat göttlich
nicht Haben? So dürfen wir alfo überzeugt feyn, daß Feis
ner jener Heroen und der vielen Heroinen, welche von Göt-
tern abftammen, oder diefes Beiwort haben, zu den fterb»
461) Hom. Il. VIII, 185.
4162) Hom. I. XXIU, 346.
465) Hom. Il. XIX, 405.
264) Schwends Andeut. S. 50.
165) Schwend, ©. 51.
192:
lichen Menſchen gehörte, ſondern daß dieſelben aus ‚Eigen:
ſchaftswoͤrtern, welche die Götter hatten, zu befondern Wer
fen umgebildet wurden, welche im Laufe der. Zeit nad) Vers
drangung oder Unterjochung der Völker, bei denen die Götz
ter diefelben führten, als Nerven betrachtet wurden.
Viertes Capitel.
Ueber die Erzieher und den Aufenthalt der Heroen in Grotten
und auf Bergen.
Auch von den Erziehern, welche einzelne Nerven und
Heroinen haben, müffen wir in Kürze fprechen. Ariſtaͤos
wird 1%) von den Horen erzogen, und von Cheiron unterrichtet.
Den Herakles nährte Hera '”) mit ihrer Mil), und die
Thebaner zeigten ſogar den Platz, wo fie diefes that, während
ipn der firenge Richter der Schattenwelt im der Bogen⸗
kunde unterrichtete ). Aeneias ward *) von den Nyms
phen des Berges Ida auferzogen, Den Achilleus erzog
die Meergöttin Thetis ), während ihn Cheiron"") auf
den Höhen des Pelion in der Bogen - und Krauterfunde
und in der Muſik unterwies. Nach Apollonios ) ward.
466) Hesiod. Theog. 975 et Schol.
167) Pausan. IX, 25, 2.
468) Apollod. III, 41,2. Schol. Lycophr. 50.
469) Hymn. Homeric. IV, 253 sqgq- |
4170) Hom. Il. XVIII, 436 sqgq.
171) Pind. Pyth. VI, 20 sqgq.
172) Ap. Rhod. IV, 813 et Schol.
193
Achilleus von den Najaden in der Grotte des Cheiron ers
zogen. Bei Cheiron wuchfen auch Jaſon “) und fein Sohn
Medeios '*) auf, und erhielten von ihm ihre Bildung. Die
Erzieherin des Trophonios '”) und des Demophon '*), wels
cher, wie ein Gott, mit Ambrofia genahrt wurde, ift die
Göttin Demeter. Den Telephos nährte eine Hirſchkuh 17)
mit ihrer Milch. Dedipus wird von dem Korinthifchen
Herrfcher Polybos erzogen, der aus einem Beiworte des
Hermes ) zu einem fterblichen Könige umgebildet ward.
Die Mutter der Helena") war Nemefis, und Leda, die naͤh⸗
rende Göttin *e), hat fie erzogen. Die Erzieherin der Nau—
fifaa heißt Eurymedufa *)y. Medeia, Medufa und Eurys
medufa aber find Pradifate der Mondgottin ). Erechtheus
oder Erichthonios, zwei Namen für ein und dasſelbe We-
fon 5), wurde im Pallas-Tempel von den drei Toͤchtern des
x
173) Hesiod. Ap, Schol. Pind. Nem. IIT, 92. Pind. Pyth. IV,
104 qq.
174) Müller, Orchom. 255.
475) Pausan. IX, 59,4. Müller, Orchom. ‚©. 155.
176) Hymn. Homeric. V, 237 sqgq-
477) Paus. IX, 31, 2.
178) Promathidas apud Athen. VII, p. 296 b.
179) Paus. I, 35, 7.
180) Leda und Leto waren nah Schwend von der Gaia dem
Weſen nach nicht verſchieden. Alterthumszeitferift von
1856, ©. 947 ffg.
181) Hom. Odyss. VII, 8.
182) Schwencks Andeut. ©, 232.
185) Welder, Trilog. ©. 284.
Vorhalle zur Griechiſchen Geſchichte. 13
194
Kekrops *), Aglauros, Herfe und Pandrofos, welche ſich auf
das Wefen der Mondgöttin ale Rährerin der Früchte und Saat:
keime beziehen '®), erzogen. Nun erinnern wir, daß bie
Mondgöttin Hekate von den Nymphen *) erzogen wurde;
die Nymphen *”) oder Hyaden ') find auch die Erzieherinen
des Bakchos, und wenn es heißt, daß ihn Ino als Mädchen
auferzogen habe, fo bezieht ſich diefe Sage auf den jungfraͤu⸗
lichen Dionyfos '®). Apollon ward nicht von feiner Mutter
genaͤhrt, fondern von der Themis *), welche urfprünglic)
mit Artemis *') ein und diefelbe Göttin war, mit Nektar
und Ambrofia auferzogen. Entweder muß man alle diefe
Nachrichten, welche großtentheils aus fehr alten und achtba-
ren Quellen fließen, ale Mahrchen, von leichtfertigen San-
gern erfunden, verwerfen, oder man muß fi überzeugen,
daß die angeführten Heroen und alle, welche fich mit ihnen
in denfelben Verhältniffen befinden, von Dionyſos, und die
genannten Heroinen von der Hefate und Artemis nicht ver-
fchieden waren, und niemals als gefchichtliche Perſonen be>
trachtet werden Tonnen.
484) Apollodor. III, 14,6. Paus. I, 18, 4. Ovid. Metam. II,
554.
185) Welder, Zrilog. ©. 286.
186) Schol. Theocrit. II, 12.
487) Hymn. Hom. 26, 5 sqgq-
188) Pherecyd.ap. Schol. 11.18, 486. Müller, Orhom. ©. 175.
489) Apollodor. III, A, 3. Senec. Oepid. 416. Welcker,
Nachtrag zur Aeſchyl. Trilog. ©, 109, N. 24.
190) Hymn. Homerie. I, 121 sqgq.
191) Welder bei Schwend, ©. 260.
195
Hinter Bergen fteigt die Sonne empor, und auf Ber:
gen ſcheinen Mond und Sterne in Hellas, wo fie einen un:
gleich größern Glanz haben, wie ein leuchtendes Feuer "*) zu
wandeln, hinter Bergen verlieren fie fich wieder. Was war
natürlicher, als daß man dem Sonnengotte und der Mond»
göttin Berge und die auf denfelben fi) befindlichen Grotten
als die angenehmften Aufenthaltsorte anwies? Wo hält ſich
Zeus lieber auf, als auf dem Ida? Heißt nicht Dionyfos *)
aus dem nämlichen Grunde der Bergwandler ? In einer
Grotte verbindet fih Zeus ) mit der Maja. Dionyfos
wuchs ) in einer Grotte auf. Endymion verweilt auf dem
Berge '%) Latmos, und verbindet fich hier mit Selene ).
Die Grotten der Hefate °), der Eileithyia °) und der Kirfe””)
und Kalypfo ”') find bekannt, wie aud) jene der Nymphen ).
Auch Apollon ®), Hermes”), die Diosfuren °®) und Pan”)
192) Allgemeine Zeitung von 1857, auferord. Beilage, ©. 544.
195) Welder, Nachtrag zur Aeſchyl. Trilog. ©. 186, N. 3.
194) Hymn. Hom. II, 5 sqq.
195) Hymn. Hom. XXVI, 6 sqq. cf. Welder, Nachtr. 188.
196) Schol. Theocrit. III, 49, p. 872.
'197) Schwencks Andeut. ©. 358.
198) Hymn. Homeric. V, 24 sq.
199) Hom. Odyss. XIX, 188 sqgq-
200) Hom. Odyss. X, 210 sqq.
201) Homer. Odyss. I, 15.
02) Odyss. VI, 122 sgq.
205) Pausan. I, 28, 4.
204) Hymn. Homeric. III, 6. cf. 350.
205) Hymn. Homeric. XXXII, 4 sq.
206) Hymn. Homeric. XIX, 10.
SC Te N Zu
13
196
haben ihre Grotten, und halten fi) auf Bergen auf. Aber
nicht bloß die genannten Götter, fondern auch eine Menge
von Herven und Heroinen verwerlen in Grotten und auf Ber;
gen. Don dem Aufenthalte des Ddyffeus In den Grotten
der Kirfe und Kalypfo ””) brauchen wir nicht ausführlich zu
fprechen, da derjelbe ohnehin befannt genug ift. Nach Sftros ”®)
ward er zu Alalkomenaͤ ausgefegt, und wuchs auf Den benad)-
barten Höhen zum SZüngling heran. Minos halt fich in
einer Grotte auf ®), und Herakles ward mit Hermes und
Apollon in einer Grotte verehrt"). Telephos ward auf dem
Berge Parthenion ”') ausgefegt. Die Vermaͤhlung des Per
leus und der Meergottin Thetis, bei welcher alle Götter ers
fhienen, wurde in der Grotte des Cheiron *") auf den Höhen
bes Berges Pelion gefeiert, und wahrfcheinlich ift das Theti—
deion °®), wo beide, fern vom Gemühle der Menfchen, woh-
nen, nichts anders, als die bezeichnete Grotte. Anchifes )
und Ueneas?®), fo wie die Söhne des Eetion **), halten fich
207) Odyss. I, 415. X, 210 sqgq.
208) Ap. Schol. Homer. Il. XXIII, 785- p. 624, ed. Bekk.
209) Homer. Odyss. XIX, 179 et Schol.
210) Paus. X, 32, 3.
211) Paus. VII, 48, 5. |
212) Pind. Isthm. VIII, 46. ef. Nem. III, 66. Diss. T.II,
p- 386.
215) Euripid. Andromach. 419 sqq. Pind. Nem. IV, 50 sq-
et Phereeyd. ap. Schol. 1. c. Thierſch, Th. 2, ©. 20.
214) Hymn. Homeric. IV, 74 sqgq.
345) Hymn. Homeric. IV, 254 sqgq-
2316) Hom. Il. VI, a24.
197
auf Bergen auf. Pafiphae irret auf Bergen umher”), und
Paris ?*) und Dedipus?") werden auf Bergen ausgefeßt. Wir
dürfen wohl hier die Frage ftellen: Iſt es möglich, daß Kür
nige fich ihr ganzes Leben lang, wie Veleus, oder doch einen
großen Theil desfelben in Grotten aufhalten, wie Odyſſeus
und Minos, ift ed möglich, daß eine fo große Unzahl von
Königsfühnen ausgeſetzt wurde, und auf Bergen oder in ſchauer⸗
lichen Wäldern heranwachſen mußte, ift e8 möglich, daß alle
diefe ausgefeßten, unglücklichen Wefen fo geſchickte und wohl—
wollende Menſchen fanden, die fie nicht bloß vor dem Unter;
gange bewahrten, fondern auch fo gut erzogen, daß fie alle
Vorzüge hatten, wodurch fich ein Fürft in der heroifchen Zeit
auszeichnen Fonnte, oder find auch diefe Erzählungen leere Er—
findungen, welche Feine weitere Beachtung verdienen? Na-
türlich mußte man den Odyſſeus, Yaris und Dedipus, fobald
man diefelben für fterbliche Menfchen hielt, und fich ihren
Aufenthalt auf Bergen nicht mehr erklären Fonnte, ausgefeßt
werden laffen. Aber davon wird man ficy doch wohl über-
zeugen, daß die Könige und Fürften fich nicht in Grotten auf
halten, und die Zugendjahre nicht auf Bergen verleben.
247) Virgil. Eclog. VI, 52 sqq. et Serv. L. c.
218) Apollod. II, 12, 5. Schol. Lycophr. 138. Hyg. fab. 91.
219) Hyg. fab. 66.
198
Fuͤnftes Capitel.
Don den Befhäftigungen und Kunftfertigheiten der Heroen.
Die verfchiedenen Befchaftigungen, welche von den ein-
zelnen Herven erwahnt werden, dürfen wir nicht mit Gtill-
ſchweigen übergehen. Wir wollen zuerft von dem Hirten-
amte, welches fo viele verwalten, einige Bemerkungen beis
bringen. Der Trojanifche König Laomedon hat einen Sohn
Bukolion ”), welcher die Heerden feines Waters weider, Wie
Bukolion, fo ift auch Anchiſes Hirt *, und Aeneas weidet
ebenfalls auf den Höhen?) des Ida die Heerden *). Das
Naͤmliche meldet die Sage von Paris”). Die fieben Söhne
des Eetion, welcher von Jaſion durchaus nicht verſchieden
war), Famen an einem Tage durch Achilleus um *), welcher
fie bei ihren Heerden tödtete. Auch Ariftäos ift Hirt”),
Würden wir bloß von einigen wenigen Heroen lefen, daß
fie auf Bergen und in fruchtbaren Thalern die großen Heer;
den meideten, fo fünnte man noch glauben, diejelben hatten
ein trauriges Schickſal gehabt, und deßhalb fich den niedrig:
220) Hom. 11. VI, 25 sqgq.
221) Hom. ll. V, 313. Hymn. Homeric. IV, 54 sqq.
222) Hom. Il. XX, 89 sqgq.
223) Daß Vater und Sohn diefelbe Beſchaͤftigung haben, zeigt
ner zu gut, daß fie aus verſchiedenen Pradifaten eines
und desfelben Gottes entitanden find.
224) Schol. Hom. Il. IH, 325. Schol. Lycophr. 47.
225) Buttmann, Mythol. U, ©, 137.
226) Hom. Il. VI, 423 sqgq.
227) Apollon. Rhod. II, 514. Müller, Orchom. S. 347.
199
ften Befchäftigungen unterziehen müffen; allein die Anzahl ders
felben ift zu groß, und wer wird glauben, daß der Liebling
der Aphrodite und ihr Sohn Aeneias gemeine Hirten gewefen
feyen, oder wer wird fi) zu der Vermuthung verftehen, daß
die Koͤnigsſoͤhne fi damals aus Liebe zu abentheuerlichen
Dingen jener Befchäftigung unterzogen haben? Erdichtung
oͤnnen Angaben, welche aus der älteften Quelle fließen, nicht
ſeyn. Wollen wir ung dieje fonderbare Erfcheinung erklären,
fo müffen wir zur Mythologie unfere Zuflucht nehmen, und
bier finden wir, dag nicht bloß Zeus und Herafles *) als
Heerden-Mehrer verehrt wurden, fondern daß Hermes in Ar-
Fadien?”) einem fterblichen Manne die Rinder weider, weil
er HeerdensBermehrer, wie Zeus und Herafles war, und daß
Apollon bei Admetos in Phera ”) und bei Laomedon in
Troja?) dasfelbe Gefchäft verrichtet, fo daß jene Weſen,
welche wir oben angeführt haben, nur aus verfhiedenen Na—
men und Pradifaten des Sonnengottes, der die Heerden meh-
vet, zu befondern Perfonen erwachfen find. Nun dürfte es
wohl nicht mehr zweifelhaft ſeyn, warum der Hirt des Odyfr
feus, Eumaios, götrlich Heißt. Wie die fpätere Zeit das
Hirtenamt, welches Hermes und Apollon ausüben, buchftäb-
lich nahm, fo mußte fie auch in Eumaios einen gewöhnlichen
Hirten erfennen,
Eine andere Befchäftigung, welche nicht forgfältig genug
228) Boch, Staatshaush. II, 398. Müller, Orchom. ©, 160.
229) Hymn. Homeric. XIX, 32 sqgq.
250) Müller, Prolegom, ©. 500 ffg.
251) Homeri Od. XXI, 448 sqgq.
2300
beachtet werben Fann, ift die Baufunft. Xrophonios und
Agamedes *) bauten nicht bloß das Schakhaus des Hyrieus
und den Thalamos der Alfmene, fondern auch den uralten
Tempel des Pofeidon Hippios *) und die eherne Behaufung
des Apollon zu Delphi ?). Wir haben den Trophonios
fhon als Gott Fennen gelernt, fo daß wir diefe Sagen eben
fo wenig buchftablich nehmen, als verwerfen koͤnnen. Odyſ⸗
feus hat fich feine wunderbare Lagerftätte *) felbft bereitet.
Man darf nur die Befchreibung derfelben bei dem Sänger ber
Odyſſee nachlefen, um die Ueberzeugung zu gewinnen, daß
diefes Bett Feine menfchliche Lagerſtaͤtte geweſen feyn koͤnne,
und Odyſſeus, welcher fi) mit der Penelopeia in demfel-
ben aufhält, nie als fterblicher König über Ithaka geherrfcht
habe. Paris erbaute fich feinen Pallaſt ſelbſt 7). Amphion
und Zethos erbauten die Stadt Theben, und befeftigten dies
felbe ®), Die Steine fügten fih bei dem Klange ihrer
Lyra von felbft zufammen *). In Megara half Apollon dem
Alktathoos bei dem Baue der Burg”). Dabei ftellte der
Gott nach der Sage feine Kithara auf einen Stein, von
232) Hom. Odyss. XIV, 48.
235) Müller, Orhom. ©. 245. cf. Schol. Aristoph. Nub. 508.
234) Pausan. VIII, 10, 2.
235) Paus. X, 5, 13. ef. Müller, Orchom. 95 ffg.
236) Hom. Odyss. XXIII, 188 sqgq.
237) Hom. Il. VI, 313 sqq.
258) Hom. Odyss. XI, 260 sqgq-
259) Apollon. Rhod. I, 740 et Phereeyd. ap. Schol. Ap. Rh.
%.c. Baus: IS, 6.
240) Müller, Prolegom. ©, 134,
201
dem man noch in fpatern Zeiten behauptete, er tüne, mit
einem Kiefel geworfen, wie die angefchlagene Saite jenes
Inſtrumentes*). Auch die Stadt Byzantion follen Apol-
lon und Pofeidon erbaut haben. Auch dabei ftellte Apol⸗
Ion feine Kithara auf einen Thurm. Davon leitete man
nicht bloß das Klingen eines Steines, fondern auch das
barmonifche Ineinandertoͤnen von fieben alten Thürmen
her *). Daß Apollon und Pofeidon in Verbindung mit
Aeakos die Mauern von Troja aufführten, ift bekannt ).
Man wird fragen, warum wir Apollon und Pofeidon an-
führen, welche allgemein als Götter verehrt wurden? Mir
mußten fie namhaft machen, um zu zeigen, daß auch fie
Baufünftler find, und die Sagen von den angeführten Her
roen aus demfelben Geſichtspunkte betrachtet werden müf-
fen, aus welchem wir fie bei Apolfon zu betrachten haben.
Hermes hieß als Weltbaumeifter in Theben Kadmos ).
Der Kichtgott ift Baufünftler. Bauen ift der fombolifche
Ausdruck für fhaffen und ordnen. Das Kicht brachte
Harmonie in den ungeregelten und verworrenen Zufland
241) Paus. I, 42,1. 2. Müller, Dor. I, 229,
242) Müller, Dor, II, 537. Prolegom. 1. c.
245) Hom. Il. XXI, 446 sqq. Pind, Ol. VIII, 39 sqq. ®e:
fhichte des Trojanifhen Krieges, ©. 43.
244) Welder, über eine Kret, Solonie, ©. 26 fg. erklärt den
Namen mufterhaft; nur denft er an einen weltlichen
König, nicht an den Sonnen-König. Hermes war aber
bei den Thrafifhen Völkern Sonnengott (Herodot. V,
7), Kadmos aber ein Prädikat des Hermes.
202
des Chaos ”°), das Kicht rief nach den Dorftellungen der
Alten die ſchoͤne Ordnung der Melt in das Dafenn, das
Kicht bringt alle Keime zum Blühen, reifet und zeitigt alle
Früchte. Daher erfcheinen die Lichtgötter durchaus ale Ber
gründer gefeglicher Ordnung und als Gefeggeber, wie Zeug,
Apollon, Minos, Theſeus und Lykurgos. Daß auch diefe
ſchoͤne Sage entftellt wurde, und die genannten Wefen wie
gewöhnliche Baumeifter erfcheinen, kann denjenigen nicht be-
fremden, welcher weiß, wie Homeros den Hephaͤſtos und
feine Werkftätte 2°) befchreibt. Liest man dieſe Schilde
rung, fo glaubt man nicht mehr einen Gott, fondern einen
rußigen Schmied vor fic) zu fehen. Muß ja der Gott fo»
gar alle Geräthfchaften, welche ein menfchlicher Feuerfünft-
ler nothwendig hat, anwenden, und ſich abmühen, daß er
von Schweiß faft ganz durchnaßt und von Ruß ſchrecklich
entftellt ift! Wären Trophonios, Agamedes, Paris, Odyſ⸗
ſeus, Amphion und Zethos Königsfühne gewefen, fo wuͤr⸗
den ſie ſich wohl mit Handwerken nicht befaßt haben, und
haͤtten ſie auch aus Neigung Kuͤnſte erlernt, ſo wuͤrden ſie
doch wenigſtens ein ſo ſchwieriges und muͤhevolles Geſchaͤft,
wie die Baukunſt, nicht in Ausuͤbung gebracht, noch weni⸗
ger, wie Trophonios und Agamedes, fuͤr andere Menſchen
gearbeitet haben. |
Man follte nur erwägen, daß, wenn die Lebensverhält-
niffe in verfchiedenen Zeiten bei verfchiedenen Völkern fich
auch noch fo eigenthuͤmlich geftalten, diefelben doch in gar
245) Ovid. Metam. I, v. 5 sqg.
246) Hom. Il. XVII], 440 sqg.
203
vielen Beziehungen Aehnlichfeit mit einander haben, und daß
m Alterthume Königsfühne fo wenig als praftifche Baufünft-
ler aufgetreten feyen, als dieß in der neuern Zeit der Fall if.
Die Heilkunftift auch ein Vorzug der Kichtgötter, Apollon,
Asklepios und Paan, welche aus Pradifaten des Apollon all:
mählig beſondere Götter wurden, find als Heilfünftler be
fannt?”). Der größte und vorzüglichfte Theil der Arznei
wiſſenſchaft beftand in jener Zeit in Chirurgie und Krauters
Funde. Daher hatte der Kichtgott auch den Namen Cheiron,
welcher aus dem nämlichen Grunde ein Kentauros oder Roffe-
ftachler ”©) ift, aus welchem Pelops diefes Praͤdikat trägt ””).
Auch) Jaſon?) und Achilleus ©) erlernen von Cheiron die Arz-
neifunde. Man hat aus diefer Angabe gefolgert, daß es im
Altertfume Sitte war, daß vornehme Juͤnglinge nicht bloß
in der Muſik, fondern auch in der Heilfunde unterwiefen
wurden, ohne zu bedenken, daß fi, hätte fi) die Sache
fo verhalten, auch in der fpatern Zeit doch noch einige Spu-
ren von diefer in der That auffallenden Sitte hatten erhalten
müffen. Allein davon zeigt fich durchaus Feine Spur. - Daß
Achilleus und Jaſon die Arzneifunde erlernen, Tann nicht be-
fremden. Sobald man fie ald Heroen betrachtete, Fonnte
man fich freilich nicht mehr erklären, warum fie mit Cheiron
247) Schwends Andeutung. ©. 206.
248) Buttmann, Mptholog. II, 59. |
249) Hom. Il. II, 104.
250) Hesiod. ap. Schol, Pind. Nem. III, 92. Pind. Pyth.
IV, 104 sqq. et Schol. Müller, Ordom. ©, 255.
251) Hom. Il. XI, 328 sqq. Pind. Pyth. VI, 20 sqg. et
Schoi.
204
in einer fo nahen Beziehung ftanden, und wie fie zu dem Ber
fig medicinifcher Kenntniffe gelangten. Daher entftand die
Sage, Cheiron hätte fie in der Arzneikunde unterwiefen, und
auf diefe Meife wurde diefer zum Vorſteher einer Nitter,
akademie, und feine Grotte zu einem Hörfaale für vornehme
Sünglinge! Auch Patroflos ift Arzt 7), wie fein Freund
Achilleus, und Herakles *) wurde fo gut als Heilgott verehrt,
wie Apollon. Daß Hippolytos *), der Sohn des Thefeus,
Arzt ift, wie Paan, und alle Vorzüge, welche diefer hatte,
befaß, dürfen wir als befannt vorausfegen. Würden wir
bloß einen Königsfohn im Befige medicinifcher Kenntniffe
antreffen, jo Eönnten wir allenfalls zugeben, daß er eine be
fondere Vorliebe für den Gegenftand gehabt habe; allein die
Zahl derfelben ift zu groß, und wenn wir bedenken, daß auch
Paͤan ganz menſchlich auftritt”®), fo dürfen wir uns nicht
wundern, daß die angeführten Weſen fpater ald Heroen be-
trachtet wurden, als fie durch andere Götter von ihrer frü-
bern Stelle verdrängt waren, Agamede”*), die Tochter des
Sonnen» Gottes oder Sohnes des Helios, des Augeias,
Fannte die Kräfte aller Kräuter, welche die Erde trägt, ein
feltener Vorzug einer Königstochter in einer fo frühen Zeit,
wo wir von dem Studium der Naturwiffenfchaften, befonders
252) Hom. 11. XI, 828 sqg.
255) Pausan. IX, 24, 3. Buttmann, Mptholog. I, 259, not. II,
146 ffg.
254) Serv. ad Virgil. Aen, VII, 776. Buttmann, Mptho:
logus II, 158.
255) Hom. Il. V, 900 sqg.
256) Hom. Il, XI, 439.
2053
von dem der Botanik, Faum cine Spur antreffen, und es ift
jedenfalls fehr rathfelhaft, wer die Königstochter in den Be:
fig fo ſchaͤtzbarer Kenntniffe feßte.
Die Kenntniffe, welche viele Fürften in der Muſik be-
figen, hat man Feiner weitern Beachtung gewürdigt, fondern
die Meinung genahrt, daß Muſik im früheften Alterthume,
wie gegenwärtig, zu den Gegenftänden des Unterrichts gehört
habe, wie fie fpäter in Griechenland einen vorzüglichen Theil
desfelben ausmachte, und von dem Kithariftes gelehrt wurde,
Daß diefe Einrichtung ſchon in der heroifchen Zeit beftanden
babe, laßt fih nicht nachweifen. Die Sänger lernten von
den Göttern 7) und den Mufen, welche fügen Gefang ver-
liehen *). Daß auch Herven von Mufen oder Sängern uns
terwiefen wurden, erzahlt Fein Schriftfteller des Alterthums.
Amphion bewegte, wie Orpheus, welcher aus einem Pradi-
Fate des Dionyfos Chthonios entftand ”°), durch feine Ges
fange und die Tone feiner Lyra Steine”). Die Sage iſt
allgemein bekannt. Nur darf man nicht vergeffen, daß er
feine wunderbare Lyra von Apollon oder Hermes”) oder von
den Mufen erhalten hat. Hermes ift Erfinder der Lyra”),
und Apollon hat diefelbe von ihm empfangen °®), Wenn
man bedenft, daß Amphions Name urfprünglich ein Pradifat
257) Hom. Odyss. XVII, 518 sqgq.
258) Hom. Odyss. VIII, 64.
259) Welder, Nachtrag zur Aeſchyl. Trilog. ©. 192, Note 50.
260) Apoll. Rhod. Arg. I, 740 et Schol. Ic. Pausan. IX, 5.
261) Schol. Ap. Rh. L. c.
262) Hymn. Hom. IV, 22 sgq.
263) Pausan. V, 44, 6.
206
des Sonnengottes war, fo wird man leicht einfehen, wars
um er ein eben fo großer Tonkünftler ift, als Apollon oder Or:
pheus. Achilleus fingt zur Lyra *) den Ruhm der Hel:
den. Diefe Lyra war von Eetion, welcher, wie Buttmann
erwiefen hat ?%), mit Jaſion ein und dasfelbe Weſen war.
Paris fteht in diefer Beziehung dem Achilleus gleich *6).
Sein Name ift aus einem Pradifate des Hermes entftan-
den 7), fo daß man wohl einfieht, warum er der Lyra
kundig ift. Herakles erlernt die Lyrafunde °®) von Kinos,
und auch Theſeus ift *9) in derfelben nicht üunerfahren ge-
wefen, fonft hatte man ihm nicht mit einer Lyra im der
Hand abgebildet. Alle diefe Heroen haben die Lyra mit
Hermes und Apollon gemein, und haben fie aus demfelben
Grunde, aus welchem fie Hermes und Apollon haben.
Beſchaͤftigung mit dem Acker⸗, Weins und Gartens
bau ift zu Feiner Zeit Sache der Fürften gewefen, und wir
fehen auch nicht ein, wie die Heroen, welche Friegerifchen
Uebungen mit ganzer Seele zugethan waren, für die bezeich-
neten Befchäftigungen befonderes Intereſſe hatten in fich
fühlen können. Die arten des Dionyfos, welcher nicht
bloß Vorftcher des Wein- und etreidebaues, der Vieh—
264) Hom. II. IX, 186 sqgq-
265) Mytholog. IL, 137.
266) Hom. Il. XXIV, 29 et Schol.
377) Pharis ift Sohn des Hermes, Paus. IV, 50, Paoıs und
Meoıs aber bezeichnen dasfelbe Wefen. Geſchichte des
Trojan. Krieges, Vorrede S. XXV u, ©. 145, Note 105.
368) Paus. IX, 29, 9.
269) Paus. V, 19, 1.
207
zucht, fondern auch der ganzen Baumzucht iſt ”"), find be
Fannt. Laörtes, der Vater des Odyſſeus“9, lebt, getrennt
von allem Verkehr mit Menfchen, in ländlicher Einfamfeit,
und befchäftigt fich mit feinem Obft> und Weingarten,
weldyen er, ohne einen Diener zu haben, welcher die
ſchwierigſte Arbeit für ihn übernommen hätte, ganz allein
beſtellt. Wie hatte der reis, von Gram niedergebeugt,
den ganzen Anbau feiner artengefilde beforgen Fonnen ?
Doch bei einem Greife Fann die Befchäftigung mit dem
Feld + und Gartenbau nicht fo auffallend erfcheinen, wie
bei rüftigen Kriegern. Als folche find Bellerophon und
Meleagros befannt. Beide befigen Weinberge und Saat:
fluren °?), die fie gewiß nicht felber bebaut hatten, wären
fie Königsjühne gewefen. Sie waren Götter und. Vorjtes
her des Getreide:, Wein: und Dbftbaues, wie es Dionys
ſos war, und ihre Gärten und Gefilde haben diefelbe Be—
deutung, wie jene des Dionyſos.
Spinnen und Weben waren bei den Alten, wie wir
ſchon bemerkt haben, fombolifhe Ausdruͤcke für fchaffen >).
Die Moiren fpinnen jedem Menfchen den Faden feines Les
bens °”), d. h. bereiten ihm diefes oder jenes Loos. Die
Mondgöttin ift auch Schickſalsgoͤttin “), und die Moiren
find ungertrennlich mit ihr verbunden. Pallas hat deßhalb
270) Welder, Nachtrag, ©. 168 ffg. Note 8, 9 u. 10.
274) Hom. Odyss. I, 189 sqgq.
272) Hom. Il. IX, 579 sq. cf. Il. VI, 195.
375) Geſchichte des Trojanifchen Krieges, ©. 129.
274) Hom. Odyss. VII, 179. Il. XXIV, 208.
275) Gefhichte des Trojan. Krieges, ©. 133.
208
die Nadel, Spindel und den Mebeftuhl?”) als bezeichnende
Attribute, und ift die größte Weberin. Kalypfo fingt 7”) in
ihrer Grotte, und wirkt fi) mit goldener Spule ein Gewebe.
Die Nymphen haben in ihren Grotten ”°) lange Webftühle
von Stein, wo fie fhöne, meerpurpurne Gewänder aufziehen.
Artemis hat eine goldene Spindel?”), und ift Weberin, wie
die übrigen Mondgöttinen. Auch von der Helena fagt der Sän-
ger der Ddyffee ), daß fie der Artemis mit der goldenen
Spindel völlig gleich war. Von Alkandra =!) hatte fie eine
goldene Spindel und einen filbernen Korb mit goldenen Ran:
dern erhalten, welcher ganz mit gefponnenem Garne ange:
bauft war. Sie hatte einen Kaften ), welcher bunte Ge—
wander enthielt, die fie felbft gewirkt hatte. Eines davon;
das größte und fchönfte, welches zu unterft lag, und bel,
wie ein Stern, ftrahlte, gab fie dem Telemachos zum Ge;
fhenfe. Während ihres Aufenthaltes in Troja war fie mit
einem großen Doppelgewande befhafligt”). Auch Penelo-
yeia, die Mutter des Dan, arbeitet”) in ihrer Kammer uns
abläffig an einem großen und übermäßigen Doppelgewande.
276) Hom. Il. IX, 390. Odyss. XIII, 297.
277) Hom. Odyss. V, 61 sq-
278) Hom. Odyss. XII, 96 sqq-
379) Hom Il. XVI, 184.
280) Odyss. IV, 121 sqg-
281) Alfandra und Alkeſtis find Vrädikate der Mondgöttin,
Schwenck, ©. 203.
282) Hom. Odyss. XV, 103 sqgq.
285) Hom. Il. III, 125 sqg-
284) Odyss. XIX, 438 sgq-
209
Mas fie bei Tag webte, trennte fie bei der Nacht wieder auf,
und fo Fam fie mit ihrer Arbeit an fein Ende. Fuͤnfzig
Maägde *), eine Zahl, deren fpmbolifche Bedeutung jeder
Kenner des Alterthums einfehen muß, Fammen ihr die flockige
Wolle und fpinnen. Auch Arete, die erhabene Gattin des
Alkinvos, ift von fünfzig Dienerinen”) umgeben, welche mit
Spinnen und Meben befchaftigt find. Die Gewande, welche
fie verfertigen, find von meerpurpurner Farbe, oder blen-
dend weiß.
Man hat das Weben in allen diefen Sagen buchftäb-
ih genommen, und daraus gefhloffen, daß Spinnen und
Weben die- vorzüglidften Befhäftigungen der Frauen im
beroifchen Zeitalter waren, ohne zu bedenfen, daß dann Ars
temis und Pallas fammt den Nymphen ebenfalls in die Reihen
der Fürftinen geftellt werden müßten, und die Moiren nichts
anderes, ald gewöhnliche Spinnerinen geweſen waren. Denn
fie haben Spindel, Webjtuhl und Garn, wie die angeführten
Heroinen, und betreiben ihre Arbeit ganz auf diefelbe Weife.
Die Gewebe, welche Pallas verfertigt, dienen theils ihr,
theild andern Göttinen zu Gewaͤndern.) Daher darf es
und durchaus nicht befremden, daB man das Weben und
Spinnen bei der Helena, Penelope und der Hefabe”®), der
Gemahlin des Priamos, von einer gemeinen Arbeit nicht
unterfchied, und ihnen nicht bloß Spindel, Garn und den
285) Odyss. XVIII, 315 sqgq-
286) Hom. Odyss. VI, 52 sqq. VII, 4103 sggq.
287) Hom. Il. V, 735. XIV, 4178.
288) Hom. Il. XXIV, 228 sqq.
Vorhalle zur Griechifchen Geſchichte. 14
210
Webeſtuhl gab, fondern auch Käften, im welchen fie ihre
Gewebe aufhaufen. ) Sticken und andere feine Arbeiten
dienen zwar Fürftinen noch zur Unterhaltung; aber Spinnen
und Weben find zu muͤhevolle Arbeiten, als daß fie im der
heroifchen Zeit eine Lieblingsbefchaftigung der Königinen
hatten feyn follen. Dabei hat man die Doppelgewander,
welche Penelopeta und Helena liefern, und das Auftrennen
der Penelopera gar nicht beachter, welches doch wohl am
ſicherſten zu einem richtigen DVerftandniffe der Bedeutung
ihres Webens und des Doppelgewandes hatte führen muͤſ—
jen. Man kann das Doppelgewand, welches die Monds
göttin webt, auf zweifache Weiſe erfläaren. Legt man auf
die übermäßige Größe desjelben und auf die Beſtimmung,
welche das von der Venelopein angefangene Gewebe hatte,
welche ein Keichengewand für den alten Laertes ſeyn follte,
befonderes Gewicht, bedenkt man, daß ein Blumenrock *)
die Blüthe der Natur darftellte, fo Fann man dasfelbe auf
die Doppelgeftalt beziehen, weldye die Erde im Frühling
oder Sommer und im Winter hat. Während fie im Früb-
jahre mit Blumen und Gewächfen aller Art geziert ift, hat
fie im Winter ein Trauers oder Keichengewand. Das Auf
trennen würde dann im dem ewigen MWechfel zwifchen blü-
ben und verblühen, zwifchen entftehen und vergehen feine
Erflärung finden. Erwaͤgt man aber, daß der Ausdruck
fpinnen fomboliih das Schaffen und Wirken der Mond;
goͤttin bezeichnete, daß die Schickfalsgöttinen, von Denen Das |
— —
289) Odyss. XV, 103 aqgq.
290) Schwend, ©, 562.
211
Loos eines jeden Menſchen nach den Vorſtellungen der Al—
ten abhing, Spinnerinen und Weberinen ſind, ſo wird man
wohl die Vermuthung wahrſcheinlicher finden, daß ſich jenes
Doppelgewand, welches Helena und Penelopeia weben, auf
das doppelte Walten der Mondgoͤttin beziehe *'), welche
dem Menſchen Gluͤck und Unglück zutheilt, weßhalb die
Smyrnaer auch eine doppelte Nemefis verehrten ), und
daß das Auftrennen auf die Veränderung der Schicjale der
Menſchen hindeute.
Sechstes Capitel.
Von den geiſtigen Vorzügen der Heroen und Heroinen.
Noch ungleich bedeutſamer, als dieſe Beſchaͤftigungen,
ſind die geiſtigen Vorzuͤge, womit ſo viele Heroinen und
Heroen geſchmuͤckt ſind. Die Lichtgoͤtter wiſſen alles, ſie
durchſchauen alles, ſie kennen ſelbſt die Tiefen des Mee—
res). Helios iſt von allem, was auf der Erde vorgeht,
unterrichtet ®*). Er und Hekate *) vernahmen unter allen
Göttern allein das Rufen der Perſephone, als fie Hades
entführte. Hermes ift ”°), wie Helios, mit ſpaͤhendem Geifte
291) Auch bei dem Lichtgotte finden wir denfelben Wirkungs:
freis, auch von ihm gebt Gluͤck und Ungluͤck aus. Butt:
manns Mptbolog. II, 147. \
292) Welder bei Shwend, ©. 261 fg.
295) Hom. 11. VIII, 502 sqq.
294) Pind. Ol. VII, 62sqgq. 294b) Hymn, Hom. V, 22 qq.
295) Hom. Il. XX, 55.
14 *
212
geichmückt, und fo ſchlau, daß er den Apollon zweimal nach
einander täufchte ”°). Atlas Fennet ) alle Tiefen des Meeres.
Aber auh Siſyphos it fo fchlau, daß ihm der Sänger
der Ilias ”°) den fchlaueften unter allen Menfchen nennt.
Sein Name bezeichnet ſchon fein ganzes Weſen ). Bon
Ddyffeus, welcher mit Venelopeia, der Mutter des Pan,
vermaͤhlt ift, fagt felbit Pallas ”), daß ihm Fein Menfch
an Schlauheit gleihfommen koͤnne. Sa, er gleicher an Ver:
ftand felbft den unfterblichen Göttern ®'), und doc) haben die
Alten zwifchen Göttern und Menfchen einen großen Unter
fcbied gemacht. Bedenft man aber, daß Hermes der Vater
des Pan ifi, welchen die Sage einen Sohn der Penelopeia
und felbft des Odyſſeus nennt *), jo wird man fich feine
Schlauheit wohl erflären fonnen, und leicht begreifen, wie
ihn der Sänger mit den Göttern auf gleiche Stufe fiellen
fonnte. Auch Neftor gli) an Rath unfterblichen Göttern ).
In feinem Vater Neleus hat man fchon langft einen Gott
erkannt?); daß aber der Sehn eines Gottes von dem Vater
296) Alkäos ap. Horat. Od.T, 40, 7 sgg- et Schol.
297) Hom. Odyss. I, 52 sqgq.
298) Hom. 1. VI, 155 sqgq.
299) Sifpphos ift nur eine mit der Reduplikation verftärkte
Form von vopos.
300) Hom. Odyss. XII, 291 sqq: ef. XIX, 285.
501) Odyss. XTII, 39.
302) Schol. Theoerit. I, 3, 123. VII, 109.
503) Odyss. III, 409.
304) Welder, Nachtrag, ©. 216, Note 107.
213
mann
nicht verfchteden ſeyn Fann, und, wie er, gottliher Natur)
gewefen feyn müffe, liegt am Tage.
Der höchfte Grad von Weisheit hat etwas Zauberhaftes.
Daß alfo die Alten die Lichtgötter, welchen nichts unbekannt
ift, als Zauberer darjtellten, wird demjenigen nicht fonderbar
vorfommen, welcher weiß, daß man aud im Mittelalter
Männer, welche fich durch Kunft und Wiffenichaft gleich aus»
zeichneten, für Zauberer gehalten hat, wie es Gerbert erfuhr.
Nicht bloß Hermes hat den Zauberftab ”), womit er den
Menfchen die Augen ſchließt, und Greife in Fünglinge ums
wandelt, fondern auch Pallas Y), welche den Menſchen alle
Geftalten und Vorzüge des Körpers durch Hülfe desfelben
zu verleihen vermag ®). Die Zauberfünfte der Kirfe ®),
der Kalypfo ”°) und der Medeia °'') find bekannt. Helena
bereitere >) dem Telemachos einen Zaubertranf, welcher folche
Wirkungen harte, da er allen Gram wegen feines abweſen⸗
den Vaters vergaß. Es koͤnnte bier die Einwendung ge—
macht werden, daß Helena den angeführten Goͤttinen hierin
bedeutend nachſtuͤnde, und mit denfelben gar nicht verglichen
werden Fonne, da fie nicht durch Morte, fondern durch Säfte
305) Schwend, ©. 180.
506) Hom. Odyss. X, 275 sqq.
307) Hom. Odyss. XIII, 427 69q. Auch Kirke hat denfelben,
Hom. Odyss. X, 258 sqgq-
508) Hom. Odyss. V, 491. XVII, 137 sqgq-
309) Odyss. X, 210 sqq-
510) Odyss. VII, 255 sgg-
311) Pausan. II, 12, 1.
512) Odyss. IV, 249 sqq. Geſch. des Trojan. Krieg. ©. 151 fa.
214
jenen Zauber hervorbrachte. Naturfrafte haben nie eine folche
Wirfung, wenn fie fonft auch noch fo heilfam find. Die
Eigenthümlichfeit der Alten, alles zu verfürpern und durd)
außerlihe Gegenſtaͤnde zu verfinnlichen, offenbart ſich auc)
in diefer Sage. Kirke vermifcht ebenfalls verfchiedene Stoffe?"),
und bereitet aus denfelben ihren Zaubertranf, und Hermes ver-
mag nur durch feinen Stab und durch Krauter °") als Zau-
berer zu wirken. Odyſſeus tritt uns cbenfalls ald Zauber
fünftler entgegen, zwar nicht unmittelbar, doch mittelbar,
durch die Huld des Hermes, welcher natuͤrlich ihm, fobald
er als Menſch betrachtet wurde, erft die Macht verleihen
muß, fi) gegen alle Wirkungen des Zaubers zu fihügen.
Urfprünglid) waren beide ein und dasfelbe Weſen, wahrend
die verfchiedenen Namen Urſache waren, daß fie die fpatere
Zeit von einander trennte. Daß aber Könige und Koͤni—
ginen in der alten Zeit cben fo wenig, als gegenwärtig,
fid) mit Zauberfünften befaßten, und die Zauberei bei der
Medeia und Helena, wie bei Ddyffeus, eine tiefere Be—
deutung gehabt haben müffe, koͤnnen nur diejenigen in
Abrede fielen, welche allen Erklärungen der Mothengefchichte
abgeneigt find, und diefelbe in ihrer buchftablichen Bedeutung,
in welcher fie doch ein ewiges Raͤthſel ift, aufgefaßt wiſſen
wollen.
Die Kenntniß der Zukunft ift allen fterblichen Weſen
verborgen. Helenos ’®), der Sohn des Priamos, verjteht
515) Odyss, X, 254 sqgq.
514) Odyss. X, 287 sqq«
3175) Hom. Hl, VJ, 76.
215
nicht bloß den Flug der Vögel zu deuten, und den Men:
ſchen ihr Loos zu verfündigen, fondern er Fennt felbit die
geheimften Gedanken der Götter ”®). Seiner Schwefter Aler-
andra oder Kaffandra ””) ift nichts, was nur immer gefchiebt,
verborgen. Achilleus kennt das Schickſal, weldyes ihm be-
vorfieht. Die Meergottin Fonnte cs einem Menſchen ficher-
lich nicht mittheilen. Der Perkoſier Merops 8) nahm vor
allen fernes Geſchick wahr, und geftattete feinen Söhnen
nie, in den Kampf fich zu wagen; allein fie achteten nicht
auf feinen Rath. Amphiaraos °) und Polypheides *) find
bochgepriefene Wahrjager, wie in Korinthos Polyidos *9)
und in Theben Teireſias) als foldye bekaunt waren. Pit-
theus *) und Irophonios find Drakelpropheten, und Hip:
polytos **) ward aus einem foldyen zu einem vollendeten
Meifen umgebildet. Daß diefe Weſen, welche die Zukunft,
wie die Gegenwart Fennen, denen durchaus nichts verbor—
gen war, feine Könige und Konigsjohne waren, daß fich
dieje nicht mit der Wahrſagekunſt befchaftigten, fiebt wohl
jedermann ein. Man fonnte anführen, daß diejelben Lieb—
316) Il. VII, a4 5q.
517) Hom. Il. XXIV, 695 sgg-
518) Hom. Il. XI, 323 sqq-
319) Odyss. XV, 244 sggq-
320) Od. XV, 250 sqq.
321) Hom. Il. XIII, 665 sqg-
322) Selbit im Hades beſitzt er Diefe Gabe no. Hom. Odyss.
XI, 494 sqg-
525) Pausan. II, 31, 1.5.
324) Eur'pid, Hippolyt. 952, Buttmann, Motbolog. II, 118.
216
linge der Götter waren, und von diefen (von Zeus umd
Apollon) mit jenem Vorzuge geihmüdt worden feyen.
Mag ein Menſch auch mit noch fo vielen Vorzuͤgen be-
gluͤckt ſeyn, und einen noch fo fcharfen Blick in die allge:
meinen Verhältniffe der Zukunft thun: dic einzelnen Ver—
haltniffe Fennt er nicht, noch weniger vermag er die Ge—
danfen und Wünjche anderer zu erforfchen. Wollten wir
jene Seher deßhalb für Menfchen halten, weil fie ihre pro-
phetiihe Gabe nach der Sage von Apollon empfangen ha—
ben, jo müßten wir auch diefen ihnen vollfommen gleich»
ftellen.. Denn auch Apollon befist feine Sehergabe von
Zeus oder erlernte die ganze Mantif von Glaufos’”). Daß
der Kaffandra die Menfchen nicht glaubten, it eine Er;
ſcheinung, welche alle Seher, nicht fie allein, erfahren. Nie
mand will fich durch ernfte Wahrheiten aus dem Taumel ge-
genmwärtigen Gluͤckes auffchreden laffen, und die Menfchen
glauben in der Negel erft dann den Sprüdyen der Seher,
wenn das Unheil bereits mit feiner ganzen furchtbaren Macht
hereinbricht.
Siebentes Sapitel.
Ueber die Vermählung der Heroen mit Göttinen und ihre Per-
bindung mit vielen Frauen.
Einen andern, neuen Beweis, daß die größte Anzahl
der Mefen, weiche man ale Herven und Heroinen betrachtet, |
525) Nicandr. Aetol. ap. Athen. VII, p. 296. f. 297. a.
217
Götter und Göttinen waren, liefert der Umftand, daß viele
Heroen mit Göttinen, viele Heroinen mit Göttern vermählt
find. Man nimmt gewöhnlic an, daß die Könige in der
beroifchen Zeit) deßhalb mir Göttinen in Verbindung ge-
bracht worden feyen, weil man fie dadurch chren, und die
Völker auf ihre hohe Beftimmung aufmerkſam machen wollte.
Allein wenn man dadurch auc) die bezeichnete Abficht erreicht
hatte, jo ließe fi) doch nicht wohl annehmen, daß in einer
bieratifchen Zeit, welche Götter und Menfchen in allen Bezie—
dungen fo ftrenge von einander fchied, eine ſolche Gleichitel-
fung beider möglich gemwefen fen. Die Sänger handelren
hierin eben fo wenig nad) eigener Willfür, ale in ondern
Dingen, und wir überzeugen ung bei einer unbefangenen Prü-
fung ihrer Erzählungen nur zu gut, daß fie alten Ueber:
lieferungen folgten. Erfcheinen aber in denjelben Götter
und Menfchen im ehelicher Verbindung, fo dürften wir, auc)
wenn uns andere Beweismitrel fehlten, fchon daraus fchlie:
Ben, daß der Heros, mit welchem eine Göttin, oder der Gott,
mit welchem. eine Heroine vermaͤhlt ift, im der frühern Zeit
göttliche Verehrung genoſſen haben muͤſſe, und erft durch Ver:
anderung der Verhaͤltniſſe in die Reihen der Herven herabge-
drückt worden fen. Meliboia ift nad) Laſos *) Gemah—
lin des Hades, Epione iſt mit Asklepios *), Medeia mit Ja—
326) Ich habe früher ſelbſt dieſe Anſicht (Geſch. des Trojan, Krieg.
&.116) getheilt, und fühle mich verpflichtet, hier aufmerk—
fam zu machen, daß diefelbe durchaus ungegründet fer.
327) Athen. XIV, p. 622. e, Müller, Dor. II, 599 fg.
328) Paus. II, 29, 1.
218
fon), Alymene, die Tochter des Merops, mit Helios *)
verbunden , Yutonoe, die Tochter des Kadmos, mit Ari—
ftaos®). Peleus hat die Meergöttin Thetis, Kadmos die
Harmonia, die Tochter des Ares und der Aphrodite, zur Ge-
mahlin, Menelaos die Mondgottin Helena ®), Agamemnon
ihre Schweſter, die goͤttliche Klytaimneſtra, Neſtor die Mond»
göttin Eurydike WBy, die Tochter der Vorſteherin des Schatten-
reichs Klymene, Augeias Tochter Agamede ift mit Pofei-
don vermählt, welchem fie den Diktys acbar ®), wie Ha-
des hieß ®®). "
Noch ungleich mehr muß die Menge der Frauen,
welche bei den einzelnen Heroen erwähnt wird, bei unbefan:
genen Leſern die Ueberzeugung begründen, daß fie Feine fterb-
lichen Menſchen gewefen feyn Fünnen. Priamos”*) hat eine
Menge von Frauen, fo auch Herakles, und doc) ift es eine
ausgemachte Sache, daß bei den Griechen der heroifchen Zeit
Monogamie beftand, und daß ihnen die Polygamie der orien-
taliſchen Völferichaften durchaus fremd war. Die Gemah-
[in des Aeneias nennen einige Kreufa”), andere ») nennen
329) Müller, Orhom. ©. 267 ffe.
530) Ovid. Metam. I, 757. ef. Muncker ad Hyg. fab. 456.
331) Pausan. X, 47, 3.
5532) Geſchichte des Trojan, Krirges, ©. 146 ffg.
335) Apollod. KR 10, 3.
554) Hyg. fab. 45
555) Müller, —— ©. 308 ffg.
336) Hom. 11. XXI, 85 sqq:
557) Virgil, Aen. II, 71 sqgq.
338) Lesches ap. Pausan, X, 26; 4,
219
fie Eurgdife, wie auch die Gemahlin des Orpheus hieß, dei-
fen Name früher ein Praͤdikat des unterirdiſchen Dionyfos
war *). Achilleus ftcht in Verbindung mit den Töchtern
des Lykomedes °), mit Medeia *), und bat auf der Inſel
Leuke nach einigen die Iphigenia *”), welche als Hefate fort
lebte ü), nad) andern aber *) die Helena zur Gemahlin.
So fehr Odyſſeus die Penelopeia liebt *), fo fteht er doch
mit der Kirfe’*) und der Kalypfo in einer chen fo nahen
Beziehung ””). Athamas war nach einigen mit der Ino
und der Nephele zu gleicher Zeit *°) vermahblt, nah aus
dern *) vermaͤhlte er fich mit der Ino fpater, aber noch
bei Lebzeiten der Nephele, welche nah einer Angabe”),
die aus des Sophokles Athamas gefloffen zu ſeyn fcheint,
zur Göttin wurde, welche fie ſchon urfprünglich war. Ne
rodor ©) weiß von einer Gemahlin Nephele gar nichts,
339) Melder, Nachtrag, E. 192, Note 50.
340) Hom.Odyss. XI, 508. Sophoel. Philob’. 547. Sehol.
11. IX, 661. Hyg. fab. 96.
541) Muͤller, Orchom. ©. 280. 5
512) Schol. Lycophr, 474. 798. Kanne, Motbolse. ©. 114.
345) Pausan. I, 45,11,
544) Pausan. III, 49, 41.
545) Odyss. 1, 57 sqgq,
546) Odyss. X, 296 sqgq.
547) Odyss. 1, 15.
348) Apollodor. I, 9, 4.
549) Schol. Lycophr. 22.
550) Schol. Aristoph. Nub. 258,
554) Müller, Orchom, S. 168,
220
and Pindaros *) nennt ſiatt ihrer Demodike, Hippias,
Gorgopis, Pherekydes, Themiſto *)) ale Gemahlin des
Athamas. Die Gemahlin des Aöſon, des Vaters des Ja—
fon, nennen einige Alkimede, des Phylakos Tochter , an-
dere Polymede *), Heſiodos *6), Polymele, andere Poly—
pheme *7), andere Theognete oder Eteoklymene ®°), andere
Arne, Skarphe, Skraphe, Skaphe oder Rhoͤo 8)). Waͤh—
rend Jaſon mit der Medeia vermaͤhlt iſt, erſcheint Hera’)
ihm mit ganzer Seele zugethan. Homeros nennt die Ge |
mahlin des Didipus Epikaſte °'), andere, Jokaſte *), an:
dere nennen fie Aftymedufa ®). Die Gemahlin des Atreus
nennen einige Kreufa ®), andere Aörope®). Agamemnon
ift nicht bloß mit der Klytaimneftra 6) und der Kaflan-
dra *) verbunden, jendern hat noch überdieß die Chryſeis,
J
N
552) Pindar. Pyth. IV et Scho!.
553) Schol. Ap. Rhod. II, 1147.
353) Apollon. Rh. 1, 355. et Schol. Val. Fiace. I, 295. Hyg.
fab. 3. 14. Ovid. Fast. VI, 103. °
355) Apollod.T, 9,16. Schol. Lycopür. 872.
556) Ap. Eust. ad Odyss. XII, 70: Tzetz. Chil. VII, 96.
357) Schol. Ap. Rhod. J, 45.
358) Schol. 1. e.
359) Tzetz. Chil. VII, 980. Mezir. ad Ovid. IT, p. 46.
360) Pind. Pyth. IV, 154. Müller, Orchom. S. 267-
361) Ilom. Odyss. XI, 271.
562) Apollod. III, 5, 7.
365) Schol. 11. IV, 376.
364) Apollod. III, 42, 4. Hyg. 85. Schol. 11. II, 106.
365) Apolloll, ]. e.
366) Hom. I. ], 143 sq.
367) Odyss. XI, 424 sqgq-
321
welche er der Kiytaimnejira vollig gleih achtet”). Die
Mutter des Herakles it nach der gewöhnlichen Angabe
Alkmene *), nach Eudoros von Knidos aber Aiteria °”).
Die Gemahlin des Artifhen Königs Aegeus nennen einige
Medcia ”'), andere Chalfiope ”), andere Autochthe, Toch—
ter des Perfeus’?), andere Aethra, die Tochter des weiſen
Pirtheus *). Iſtros, welcher die Menge der Frauen Des
Theſeus durchgeht ”°), bemerkt, daß einige aus Kiebe feine
Frauen geworden jeyen, andere durch Entführung, andere
durch gefegliche Verbindung. Durch Entführung jeyen feine
Gemahlinen geworden Helena, Ariadne, Hippolyte und die
Töchter ded Kerfyon und Sinis; geſetzlich habe er geheis
vathet die Meliboia, nad) Pherefydes die Peribda, nad
Hefiodos die Kippe und Aigle. Vor der Helena babe er
die Anaro aus Troja entführt, nach der Hippolyte habe er
fih mit Phadra verbunden.
Wir Fünnten die Anzahl ahnlicher Beifpiele faft in das
Unendliche vermehren, wenn wir nicht beforgen müßten, un;
fere Leſer durch dieſe trodnen und widerfprechenden Der
zeichniffe zu ermüden, und nicht die Ueberzeugung begten,
: 368) Hom.1l. 1. c.
569) Schwend, ©. 264.
370) Athen. IX, p. 392.d.
371) Paus. II, 3, 7. Plut. Thes. c.42. Eurip. Med. 661.
372) Apollod. IN, 15, 6. Schol. Eurip. Med. 673. Schal.
Lycophr. 494.
373) Welder, Nachtr. zur Trilog. S. 206.
374) Welck. l.c.
375) Athen. XIII, p. 557. a. b.
222
daß fih alle die grumdverfchiedenen Nachrichten anf hifto-
riſchem Wege nicht ausgleichen laffen, wohl aber auf mytho-
logifhem. Zeus nennt bei Homeros ”°) die Frauen, mit
welchen er fich vermäplt hatte, und hier erfcheinen neben der
Hera die Öattin des Ixion, ferner Danae, Europa, Se
mele, Alfmene, Demeter und Leto. Aus andern Quellen
liege fih die Anzahl derfelben noch ungemein vergrößern, |
wenn es ung bier um Vollftändigkeit zu thun ware, Der
Sonnengott 7) Endymion ift nicht bloß mit Selene ver:
maͤhlt ”®), welche ihm fünfzig Töchter gebar, fondern aud)
mit der Afterodia, mit Chromia und Hyperippe. Es dringt
fich hier die Frage auf: find dieß verfchiedene Weſen, oder
nur verfchiedene Namen für ein und dasfelbe Wefen? Aus
dem Fortgange diefer Erdrterungen wird fich ergeben, daß
diefe ſcheinbar verfchiedenen Weſen aus verfchiedenen Namen
der Mondgöttin entftanden feyen, jo daß weder auf Endy-
mion, noch auf Zeus, wenn die alten Angaben gehörig auf-
gefaßt werden, der geringfte Vorwurf von Unſittlichkeit laftet.
So darf man auch die Namen der verfchiedenen Frauen,
welche die genannten Heroen, ehemals Götter, hatten, nicht
als Namen verfchiedener Perſonen betrachten, fondern muß
fie für Pradifate, welche die Mondgöttin an dem einzel:
nen Orten hatte, und die in der fpätern Zeit von verfchie-
denen Sängern und Sagenfchreibern verfnüpft wurden, ans |
fehen. Auf diefe Weije Iöfen fi) alle Widerfprüche, melche
376) Hom.1l. XIV, 315 sqq.
577) Schwend, ©. 358.
378) Pausan. V, 1, 2.
223
ſich fonft niemals loͤſen laſſen, von felbft, und es verfchwins,
det die verkehrte Meinung, als hatten die Alten jene abweis
chenden Sagen willfürlich erdichtet, und jeder Sänger oder
Logograph eine andere Frau genannt, um ebenfalls etwas
Neues zu fagen. Solche Entftellungen und DVerwirrungen
darf man den Alten, namentlich den epijchen Sängern der
frühern Zeit, durchaus nicht zumuthen.
Eben fo wenig darf man die Alten der Leichtfertigfeit an:
Hagen, wenn fie dem Gatten diefer oder jener Heroine bald
diefen, bald jenen Namen geben. Medeia wird nicht bloß
mir Achilleus, Jaſon und Aegeus, fondern auch mit Siſy—
phos °°) verbunden. Zeus felbit warb um fie, wie Hera
um Safon warb. Allein um dem Zorne der Hera auszuwei—
chen, entzog fie fich dem Himmelsfönig, wie die Sage mel;
der). Alkmene lebt nad) dem Tode des Amphitryon, der
nur eine ſymboliſche Bedeutung hat, mit Rhadamanthys *9,
und wird mit demjelben in die Elyjeifchen Gefilde verfegt. Her:
mione, die fchöne Tochter der Helena, ift nach einigen mit
Diomedes ?), nach andern mit Oreſtes, nad) andern mit
NMeoptolemos verbunden. Helena jteht nicht blog mit Adhil-
leus, Menelaos und Paris, fondern auch mit Deinhos
379) Theopomp. ap. Schol. Pind. Ol. 15, 75.
530) Eumelos ap. Pausan. Il, 3, 8.
384) Apollodor. II, 4, 11. Müller, Orchom. 148. Auch Odsss.
VII, 323 fpielt auf die Sage an.
382) Geſchichte des Troj. Krieges, S. 137. ef. Hom. Odyss.IV,
5sqg. et Schol. Ovid. Heroid. 8. et Mezir.1.c. Paus. I,
33. II,18. Hyg. fab. 125. Ibykos ap. Schol. Pind. Nem.
X, 12.
224
bos ) und Theſeus *) in Verbindung. Andromache ift nicht
bloß mit Hektor, fondern aud) mit Neoptolemos *) und Hele⸗
nos *) vermahlt. Ariadne ift Gemahlin des Dionyfog, des The:
jeus und des Glaukos *). Demerer vermaͤhlt fich nicht bloß mit
Zeus ”°) und Poſeidon*), fondern auch mit Safion””). Wir
fünnten nod) eine Menge von Goͤttinen und Heroinen anfüh:
ven, welche nach den verfhiedenen Lokal-Sagen vers
(hiedene Gatten haben. Die Mondgoͤttin wurde mit
dem Sounengotte vermahlt. Aber diefer hatte nicht
an allen Orten denfelben Namen. Die Mondgottin wurde
aus Gründen, welche fpater ihre Erörterung finden follen,
aud mit dem Gotte des Schattenreihes oder mit
dem Meergotte verbunden. Auf diefe Weiſe entfiand
natürlicy eine Menge von Oatten, als die Dichter die vers
ſchiedenen Lokalmythen mit einander verfnüpften, und die
Geſchichtſchreiber, welche in den Heroinen fterblihe Menfchen
erfennen, werden, mögen fie auch allen Scharffinn und alle
Gelehrſamkeit aufbieren, im diefe ſcheinbaren Widerfprüche
niemals Einheit bringen. Faßt man diefelben aber von dem-
felben Standpunft auf, von welchem die Mythologie betrach-
tet wird, fo wird man alle Abweichungen und Verfchieden,
583) Lesches ap. Bekk. Schol. in H. P. I.
384) Athen. XII, p. 557, a.b.
385) Nach des Arktinos ZAlov zeooss.
386) Virg. Aen. III, v. 325 sqq.
387) Athen. VII, p. 246 c.
388) Hom. Il. XIV, 315 sqg-
589) Pausan. VIII, 25,5. VII, a2, 1.
390) Hom. Odyss. V, 125. Athen, XIII, p. 566. d.
225
heiten der Art befriedigend ausgleichen Fünnen, und auch
einfehen, daß bie vielen und verfchiedenen Eltern,
welche nicht bloß bei einzelnen, ſondern faſt bei allen Heroi⸗
nen und Heroen angegeben werden, fich aus demfelben
Grunde erklären laffen.
Wir wollen nur einige Beifpiele der Art anführen. Aga⸗
memnon iſt nach Homeros ein Sohn des Atreus, nad) Her
fiodos aber!) des Pleifihenes. Apollodoros "?) nennt Pleifthes
ned als Vater des Agamemnon und Menelaos und Aerope
als Mutter, andere nennen den Vater Atreus, wie Homeros,
und die Mutter Aerope, andere nennen den Vater Vleifiher
nes und die Mutter Eriphyle. Homeros nennt den Odyſ—⸗
feus 25) Sohn des Laertes, wahrend er nad) andern Nach—
richten”) von Sifyphos und Antikleia ftammte. Helena
heißt bald eine Tochter des Zeus oder Tyndareus und der
Leda, bald Tochter des Paris und der Helena, bald Tochter
des Aigiſthos und der Klytaimneſtra, bald Tochter des Epi—
damnios *).
391) Ap. Schol. 11. I, 7 p. 5 ed. Bekk.
392) Apollod. IH, 2, cf. Schol. Eurip. Helen. 597. Orest.
5.16: 982 1010. Schol. Sophlel. Aj. 1312. Schol. ad
Lycophr. 150. Schol. Il. II, 249. Hyg. 97. Dicetys, I,
4. Lactant. ad Stat. Achill. E, 56. Mezir. ad Ovid.
Heroid. 8 p. 250 sqq-
593) Hom. Odyss. XVI, 119.
394) Schol. Sophoel. Aj. 4190. Schol. Lycophr. 1030. Eu-
ripid. Iphigen. in Aul. 529 Ovid. Metamorph. XII,
3t. Hyg- fab. 201.
395) Ptolem. IV, 49.
Borhalle zur Griechiſchen Gefchichte. 15
226
Mürden diefe Abweichungen bloß in der Mythenges
fchichte vorkommen, fo koͤnnte man diefelben vielleicht den
Eagenfchreibern zumuthen, oder andere Gründe der Art zu
ihrer Erklärung beibringen; allein wir finden fie aud) in der
Mythologie. Hekate ift nad) Heſiodos ’*) eine Tochter des
Perfes und der Afteria. Bakchylides *) nannte fie eine
Tochter der Nacht. Nach der Orphifchen Argonautif ®®) ift
fie eine Tochter des Tartaros, nad) Andern ) iſt fie eine
Tochter des Zeus und der Hera, oder des Zeus und der Des
meter oder der Pheraͤa. Leda, die Mutter der Helena, war
nach Zbyfos’”) aus Pleuron, nach Hellanikos aus Kalydon.
Sie heißt Tochter des Xetolifchen Königs Theſpios. Nach
Eumelos aber war fie eine Tochter des Glaufos und der
Panteidyia, nach Pherefydes war ihre Mutter Laophonte.
Den Seegoit Glaufos') nennt der Herafleote Promathidas
einen Sohn des Polybos, nad) Mnaſeas ift er ein Sohn des
Anthedon und der Alkyone, nad) Euanthes ift fein Water
Pofeidon. Uber nicht bloß bei diefen Göttern, fondern bei
allen werden verfchiedene Vater und eben fo verfchiedene
Mütter angeführt, und fogar bei denjenigen, welche fich bis
auf die foatefte Zeit im Eultus erhalten haben. Wer fi) von
der Wahrheit diefer Behauptung überzeugen will, der darf
nur die verfhiedenen Angaben bei Cicero in feinem Merke
596) Hesiod. Theog. 409 sggq.
397) Ap. Schol. Ap. Rhod. III, 861. 1034.
398) Orph. Argon. 396.
399) Schol. Theoerit. II, 12.
400) Schol. Ap. Rhod. I, 146.
404) Athen. VII, 296..b c d.
227
über das Weſen der Götter nachfehen. Es wäre fonderbar,
wenn man aus der Erwähnung verjchiedener Väter oder
Mütter auf verfchiedene Goͤtter fchließen wollte. Diefe
Derfchiedenheit der Angaben erklärt ſich, wie jene bei allen
Herven, einzig aus den verfchiedenen Namen, welche die
Götter an den einzelnen Orten hatten, und aus dem Umftande,
dag man hier als den Vater der Sonne den Meergott oder
Beherrfcher des Schattenreiches angab, an einem andern Orte
aber cin Weſen, welches aus einem Pradifate des Sonnen:
gotte® zu einem befondern Gotte erhoben worden war.
Achtes Capitel. ⸗
Ueber die Kinder der Heroen und die Anzahl derſelben.
Eine weitere Beftätigung unferer Anficht, daß die He:
roen und Heroinen nicht als fterblihe Menfchen betrachtet
werden dürfen, finden wir darin, daß die Kinder fo vieler
derfelben fich beim erften Anblicke als göttliche Wefen dar-
fielen. Die alten Sanger Fonnten doc) ficherlich in einer
hieratifchen Zeit die Götter nicht von Menſchen abftammen
lafien. Nah Moyrtilos waren die Hyaden“) welche den
Dionyfos aufzogen‘®), Züchter des Kadmos, nad) Euript:
des Töchter ') des Erechtheus. icero'”) nennt die Dioss
402) Schol. Arat. 172 p. 67-
403) Heyn. ad Apollod. p. 228. Welder, Nachtrag zur
Trilog. S. 188.
404) Schol. Arat. 1. ce.
405) N. D. 111, 21 . 53.
43"
228
turen Ufo, Melampus und Tmolus Söhne. des. Königs
Atreus. Don der Tochter des Agamemnon, von Iphige⸗
neia, welche als Hefate‘%) fortlebte, haben wir ſchon ge
fprochen. Pallas wird nicht bloß Tochter des Zeus, fondern
auch eines Königes mit Namen Pallas‘”) genannt. Jaſon
hatte einen Sohn Nebrophonos'*), ein Name, welcher ur-
fprünglich ein Pradifat des Dionyfos war'”). Odyſſeus
ift Vater des Pan’), und kann demnach von Hermes,
welchen die Arkadifhe Sage als Vater desfelben nennt,
nicht verfhieden gewefen feyn. Deneus hatte eine Tochter
Sorge’). Gorge und Gorgo find urfprünglicy Praͤdikate
der Mondgdttin gemwefen. Aleus hat einen Sohn Lykur⸗
gos“), welcher aus einem Beiworte des Sonnengottes*®),
und eine Tochter Auge, weldhe aus einem Pradikate der
Mondgöttin‘") zu befondern Wefen umgebildet wurden. |
Minyas’”?) hatte eine Tochter Klymene, weldhe andere
406) Pausan. I, 45, 1.
407) Cicero N. D. III, 23, 59.
408) Apollodor. I, 9, 47. Müller, Orchom. 268.
409) Schol. Aristoph. ran. 4242. Stat. Theb. V, 263.
Müller 1. c.
410) Schol. Theocrit. I, 3. 4123.
411) Pausan. X, 58, 3.
442) Pausan. VIII, A, 8.
413) Schwenck ©. 39.
414) Daraus erklärt-es ih auh, warum man den Ort, wo
fih des Aleus Grabmal befand, die Altäre des He⸗
108 nannte.
445) Schel. Ap. Rhod. I, 230. Sie hieß auch Periklymene
und Kteoflymene. |
229
noch beftimmter bezeichnen, indem fie ihr ausdruͤcklich den
Namen Verfephone") beilegen. Neftor hat eine Tochter
Hero”), welche ein Wunder von Schönheit ift, und einen
Sohn Perifiymenos, welcher, wie Klymenos ""), urfprüng-
lic) ein Prädikat des Beherrſchers des Schattenreiches war.
Prötos hat’) eine Tochter Iphianaſſa, mit welcher fich
Melampus vermählt, welcher von Dionyſos “) eben fo
wenig verfchieden ift, als Sphianaffa und Sphigeneia *)
von der Hekate oder Artemis. Theſeus hat einen Sohn
Hippolytos, welcher zugleidy mit Artemis verehrt wurde”).
Die altefte Tochter des Anchifes heift"?), wie jene des Dis
nomaos, Hippodameia, ein Name, welcher dem der Mond;
göttin als Hippia‘”) vollfommen gleich ift. Hektors Sohn
Aſtyanax trägt auch) den Namen Sfamandrios"?) Nun ift
aus Homeros befannt, daß der Fluß Sfamandros auch den
hieratifchen Namen Xanthos hatte, welcher auch ein Pradis
kat des Apollon war. Des Menelaos Tochter Hermione er-
weifet ſich ſchon durch die göttliche Verehrung"), welche
416) Müller, Orchom. S. 154 ffg.
417) Hom. Odyss. XI, 281 sqq.
418) Buttmann, Mptholog, IT, 216.
419) Apollod. II, 2. Diod. IV, 68. Schol. Pind. Nem.
IX, 30.
420) Welder, Nachtr. ©. 192, Not. 30.
424) Schwend, ©, 219.
422) Mytholog. II, 145 ffg.
423) Hom. II. XII, 427 sqq.
424) Schwend, ©. 225,
425) Homeri li. VI, 400.
426) Ibykos ap. Schol. Pind. Nem. %; 12.
230
+
fie in Gemeinfhaft mit Diomedes genoß, als Göttin. Die
Töchter des Kadmos, Ino“) und Semele ), wurden ſchon
von den Alten richtig als Göttinen betrachtet. Tydeus hat
einen Sohn Diomedes, welcher in Argos in Verbindung mit
Pallas ale Gott") verehrt wurde. Die Tochter des Bel:
Ierophon heißt Laodameia '*), ein Name, welchen die Mond»
göttin als Beherrfcherin der Unterwelt trug. Der König
Halmos von Orchomenos hat zwei Töchter”), Chryfe und
Chryfogoneia, welche ſich nicht auf den Reichthum beziehen,
wie man fälihlih glaubt, fondern auf die Natur und Bes
ſchaffenheit des Lichtes"). Beide Namen find Pradifate
der Mondgöttin, wie auch Pallas auf Samothrafe als Chryfe
verehrt wurde, und der Priefter des Apollon Chryſes heißt.
Ungleich wichtiger ift für den Mythenforſcher die Ans
zahl von Kindern, welde die Sage den alten Nerven
gibt. Pauſanias *9) meldet, Selene habe dem Endymion
fünfzig Toͤchter geboren. Boch und Müller beziehen")
die Zahl diefer Töchter auf die fünfzig Mondmonate, welche
die Olympiade enthielt, Wir würden diefer Anficht under
427) Heffter, Rhod. Götterd, III, 65,
428) Pind. Ol. II, 44 et Schol.
429) Pind. Nem. X, 42 et interpretes. Callimach. Hymn.
in Pallad. lavacr. v. 35 sqq. et Spanh. ]. ce.
430) Hom. Il. VI, 196 sqgq.
434) Müller, Orchom. ©, 1354,
452) Schwend, ©. 211, 232.
433) Pausan. V, A, 2.
434) Böckh, explicat. Pind. Ol. III, 48 p. 1358. Müller,
Dorer I, ©, 435,
231
dingt beitreten, wenn jene Zahl bloß in Elis vorkaͤme, was
aber nicht der Fall it. Wir finden fie an verſchiedenen
Orten, und möchten fie daher lieber auf die Anzahl der
Wochen beziehen. Theſtios *) hat fünfzig Töchter, mit
welchen fih Herakles in einer Nacht, nach andern in
fieben oder fünfzig Nächten verbindet *). Die Anzahl
der Nächte wird verfchieden angegeben. Die Zahl fieben
bezieht fich auf die Tage der Moche, die Zahl fünfzig aber,
wie jene der Töchter, auf die Anzahl der Wochen. Das
naos hat fünfzig Töchter, fein Bruder eben fo viele Söhne,
Daß die Danaiden als Nymphen erfcheinen, wird denjes
nigen nicht befremden , welcher bedenft, daß die Nymphen
mit dem Sonnengotte und der Mondgöttin, alfo eben mit
jenen Göttern, an deren Cultus die Zeitrechnung geknüpft
‚war, in beftändiger Verbindung ftehen, und mit ihnen
fogar Chorreigen aufführen, ja daß jelbft viele Namen ter
Nymphen *7) Pradifate der Mondgöttin find. Das bo-
denlofe Faß, in welches die Danaiden fhöpfen, ift Die Erde,
welche, fo viel Regenwaſſer auh vom Himmel herab-
ftrömt, doch im Sommer immer neuer Nahrung bedarf,
Mie die Alten alles bildlich ausdruͤckten, fo haben fie es aud)
bier gethan, und an die Stelle der nie zu fättigenden Erde
ein bodenlofes Faß geſetzt. Sobald aber diefes Schöpfen,
435) Pausan. IX, 27, 5.
456) Müller, Dor. 1. c.
437) Hom. 11. XVIH, 39 sqq. Wir erinnern nur am die
Namen Agave, SKallianeira, Pheruſa, Kallianaſſa, Tas
naſſa, Panope,
232
wie alle Mythen, buchftäblich aufgefaßt wurde, mußte man
freilih, da man die Danaiden nirgends als Perfonen auf
der Erde erblickte, diefe ihre Befchäftigung in die Unterwelt
verſetzen, und diefelbe als Strafe der Götter darftellen. Der
Tod der Söhne des Aegyptos hat eine ſymboliſche Bedeu⸗
tung, wie die Ermordung des Agamemnon dur Klytaim-
neftra. Lykaon, der Arkadifche Lichtgott“), hat fünfzig
Söhne”). Priamos, der König von Troja, hat fünfzig
Söhne und zwölf Züchter"). Arete, die Gemahlin des
Alfinoos, Hat fünfzig Dienerinen“), und eben fo viele
find bei der Penelopeia mit Spinnen und Weben“) ber
ſchaͤftigt. Helios hat”) fieben Heerden von Rindern
und eben fo viele von Schafen. Syn jeder Heerbe befinden
fi fünfzig Stüde, und dieſe Auzahl vergrößert ſich nach
Homeros niemals, vermindert ſich aber auch nie.
Wir fehen alfo unfere Vermuthung, daß die Zahl
fünfzig die Wochen, die Zahl zwölf die Monate und die
Zahl fieben die Tage bezeichne, vollfommen beftätigt. Die
Zahl fieben Fommt oft verdoppelt vor, indem fieben Knaben
und fieben Mädchen erwähnt worden, was wir darauf bes
ziehen, daß die Zeitrechnung nicht bloß an den Cultus der
438) Müller, Orchom. ©. 157. |
439) Apollod. III, 8, 1. Dionys. Hal. I, 15. Nicht umfonft
nennt Schol. Theocrit. 1d. I, 124 den Vater des &y:
faon Hermes,
430) Hom. Il. VI, 243 sqgq.
444) Hom. Odyss. VII, 403 sqg.
442) Hom. Odyss. XVII, 315 sgg-
443) Hom. Odyss. XI, 429 sqq.
233
Mondgöttin, fondern auch an jenen des Sonnengottes ge:
knuͤpft war. Deßhalb erfcheinen auch in der Zmölfzahl,
die nur von den Monaten verftanden werden Fan, haufig
ſechs Knaben und eben fo viele Maͤdchen. Medeia“) hat
fieben Knaben und eben fo viele Mädchen, welche durch die
Gunſt der Hera UnfterblichFeit erlangten’). Auf dem Fahr:
zeuge des Thefeus befanden fich ftets fieben Zünglinge und
eben fo viele Jungfrauen“). Niobe hat zwölf Kinder,
ſechs Knaben und eben fo viele Mädchen”). Neleus hatte
zwölf Söhne‘), Wir find der Ueberzeugung, daß diefe
Anzahl von Beifpielen, welche fich leicht bedeutend vermeh-
ren ließe, hinreichen dürfte, unbefangene Kefer zu überzeugen,
daß die Namen, wie die Zahl diefer Kinder , eine ſymbo—
Iifche Bedeutung haben, und daß deßhalb aud) die Eltern
nicht als Menfchen betrachtet werden Fünnen, wie man ge-
woͤhnlich thut, fondern, wie Endymion und Helios oder
wie Selene, in die Reihen der Götter gehören, daß fie ur -
fprünglich nicht als von Helios und Selene verfchiedene
444) Apollod. I, 9. 28. Pausan. Il, 3, 6. Philostr. Heroic.
XIX, 14. Schol. Pind. Ol. XIII, 75. Euripid. Med. 373.
Müller, Orchom. ©. 269,
445) Sie waren, wie ihre Mutter, ſchon urſpruͤnglich, ehe fie
in die Herven = Sage gezogen wurden, unfterblich.
446) Anderer Meinung ift Creuzer, Symbol. IV, 123 ffg.,
welcher jedoch darin mit ung vollfommen übereinftimmt,
daß die Erzählung nicht buchftäblich verftanden werden
darf.
447) Hom. Il. XXIV, 601 sqg.
- 448) Hom. Il. XI, 694 sqq.
234
Mefen eriftirten, fondern erft im Laufe der Zeit aus Praͤdi⸗
faten, welche Sonne und Mond an den einzelnen Orten
hatten, zu befonderen Weſen umgebildet wurden,
Sp wichtig die Zahlen fünfzig, zwölf und fieben find,
eben fo wichtig ift bei Töchtern die Zahl drei. Der Mond
bietet drei verfchiedene Erfcheinungen dar, er ift bald im
Wachſen begriffen, bald leuchtet feine volle Scheibe am Him⸗
mel, bald nimmt er ab, bis er endlich ganz vom Himmel
verihmwindet. Die Alten haben diefe drei verfchiedenen
Mondphafen auf verfchiedene Weiſe ausgedrüdt. In ber
Hera: Sage find fie durch ihre drei verfchiedenen Altersftufen
bezeichnet. Sie ift Zungfrau, Frau und Wittwe *®), wird
aber immer wieder Jungfrau. Hekate ward aus dem naͤm⸗
lihen Grunde in drei mit einander zufammenhangenden
GSeftalten®) abgebildet, und auf Dreiwegen verehrt. Ars
temis hat drei Dienerinen'), welche aus den Pradifaten,
die fie trug, entftanden.. Sie heißen Upis, Arge und Hes
faerge”?). Die Mondgöttin Medufa hat deßhalb‘?) noch
zwei Schweitern. Wie bei der Hera die drei Altersftufen
und die drei Horen, bei Aphrodite die drei Charitinen, bei
der Artemis die drei Dienerinen, bei der Hekate die drei Koͤr⸗
per, fo bezeichnen in der Gorgonen » Sage die drei Schwes
4419) Schwend, ©. 62 ffg.
450) Pausan. II, 30, 2.
451) Herodot. IV, 30. 35. Pausan. V, 7. IX, 37. Calli-
mach. Hymn. in Del. 292.
452) Schwend, ©. 67, 221.
453) Hesiod. Theogon. 277. Scut. Hercul. 225. Aeschyl.
Prometh. 798.
— — —— —
235
ftern die drei genannten Mondphafen. Dieje Zahl von drei
Schweſtern Fehrt fehr oft wieder, und fcheint und darum die
gewöhnlichfte Ausdrucsweife jener drei Erfcheinungen des
Mondes gewefen zu feyn. Agamemnon hat nad) Home—⸗
08°) drei Töchter, Chryſothemis, Sphianaffa und Lao—
dike. Wenn andere ftatt der Iphianaſſa Iphigeneia und
ftatt der Laodife Eleftra nennen, fo erklärt fich diefe Ab—
weichung aus dem verfchiedenen und vielen Pradifaten, welche
die Lichtgöttin hatte. Die drei Töchter der Klytaimneftra
haben diejelbe Bedeutung, welche die drei Gorgenen haben.
Amphiaraos hat ebenfallg drei Töchter, Eurydife, Demonaffa
und Allmene. ?) Kekrops hat drei Töchter”), Aglaurog,
Herſe und Pandrofos, welche mit der Mondgöttin Dallas”)
in der innigften Verbindung ftehen, und fich auf den Einfluß
beziehen”), welchen der Mond auf das Wachsthum aller
Früchte ausübt. Perſeus hat”) drei Töchter, Lampetie,
Aigle und Phaethufa, deren Namen Feiner weitern Erläus
terung bedürfen. Nah Homeros hüten Phaethuſa und Lam-
petie die Heerden des Helios.“e) Prötos, König von Ti⸗
ryns, hat drei Töchter), Iphinoe, Lyſippe und Iphia⸗
454) Hom. I. IX, 145 sqg-
455) Pausan. V, 17, 4.
456) Pausan. I, 18, 2.
457) Aristot. ap. Arnob. III, 31. Macrob. I, 17. III, 65.
Augustin. de civitat. Dei VIII, 16.
455) Welder, Aeſchpleiſche Trilog. S. 286. ef. Ovid. fast.
I, 681.
459) Schol. Hom. Odyss. XII, 208.
460) Hom. Odyss. XII, 432.
461) Hesiod. ap. Eustath. Od. 45, 401. Pherscyd. fragm.
236
naffa. Die Tochter des Neötes, mit welcher ſich Phrixos
vermahlte‘”), Chaltiope, wird von andern auch Euenia und
Jophaſſa genannt”), fo daß wir aud) hier die Dreigeftalt
der Mondgottin wieder erkennen, und wir glauben, nicht zu
irren, wenn wir die Vermuthung ausfprechen, daß als
Töchter des Kadmos urfprünglich nur Autonoe, Semele und
Agave genannt wurden, und Ino als vierte Schmwefter hin
zugefeßt wurde, weil die Mondgöttin zugleidy auch über das
Meer gebietet.“) Aus diefen Erörterungen wird man ſich
auch leicht erflären Fönnen, warum bei den epifchen San;
gern von drei Eileithyien und von drei Moiren Die Rede iſt.
Die Mondgoͤttin foͤrdert nicht bloß die Menſchen an das Licht,
ſondern fie iſt auch raͤchende und ſtrafende Goͤttin.“) Hätte
die Nemeſis fruͤher nicht mit der Mondgoͤttin in der innigſten
Verbindung geſtanden, ſo wuͤrde ſie nicht eine Tochter des
Okeanos heißen, und mit den Aethiopen nicht in einer eben
fo nahen Beziehung ftehen"*), wie Helios, welcher in dem
Bereiche ihres Kandes empor und niederfährt. "”)
ed. Sturz p. 124 sq. Schol. Hom. Odyss. XV, 225.
Apollod. II, 2. Diod. IV, 68. Schol. Pind. Nem. IX,
30. Clem. Alex. Strom. VII, p. 713. Welder, Nachtr.
193 N. 30.
462) Apollod. I, 9. 3.
463) Schol. Ap. Rhod. II, 1153.
464) Heffter, Rhod. Götterdienfte TIL, 65.
465) Gefhichte des Trojan. Krieges. ©. 132, ffg.
466) Pausan. I, 33, 3.
467) Hom. Odyss. I, 22 sqq-
ee
237
Neuntes Capitel.
Ueber den Inhalt der genealogiſchen Verzeichniſſe.
Nicht bloß einzelne Könige und Herven gehören der Dichtung
an, fondern alle, wie fie auch immer in den genealogis
fhen Berzeichniffen verbunden feyn mögen. Wir verweilen
deßhalb auf die Reihe der Trojaniſchen Könige und auf die
älteften Fürften von Sparta ), und wollen hier nur noch
jene von Elie, dem alten Kichtlande, hinzufügen. Sn
Elis foll zuerft Aethlios geherrfcht haben‘), ein Sohn des
Zeus und der VProtogeneia. Sein Sohn heißt Endymion,
dem Selene fünfzig Qöchter gebar. Er hatte drei Söhne,
Epeios, Paon und Aetolos, von denen der erfte dadurch,
daß er in.den Olympiſchen Wettkaͤmpfen fiegte, das Kür
nigthum erhielt. Paͤon, darüber entrüfter, floh an den
Strom Arios; Aetolos mußte ebenfalls auswandern, weil er
den Apis erfchlagen hatte, und von deffen Söhnen verfolgt
wurde. Als Epeios nun Finderlos ftarb, folgte ihm Eleios,
Sohn der Eurydife, Tochter des Endymion und Vater des
Augeias, welcher die großen Rinderheerden und dasSchag-
haus hatte. S
Aethlios ift aus einem Pradifate des Zeus entftans
den, welches diefer als Vorſteher der Olympiſchen Kampfe
hatte.) Daß die Dlympifchen Kampfe aber nicht erft
468) Gefchichte des Troj. Krieges S. 261 ffy. Pausan. III, 1.
469) Pausan. V, 1, 2. Apollod. I, 7. 5. Konon. 44.
470) Böckh, explic. Pind, Ol. III, p. 138.
238
durch" Iphitos eingefeßt wurden, fondern ſchon im der früs
beften Zeit beftanden, beweifen nicht bloß die Angaben über
Herafles und die Dioskuren, fondern auch der Umftand, daß
Aethlios“) bereits von Hefiodos erwahnt wird, und die
Homerifchen Geſaͤnge eine deutliche Hinweiſung auf dieſe
Kampfe enthalten.) Protogeneia, von welcher fic) die
Lokrer, wie die Epeier herleiteten, war urfprünglih Praͤ⸗
difat der Mondgöttin, welche diefen Namen deßhalb führt,
weil Sonne und Mond als die Erfigebornen der Schöpfung
betrachtet wurden, wie andere, welche das Waſſer als den
Urftoff aller Dinge anfahen, den Meergott Proteus nanıı
ten. ’?) Endymion'”), wie Deufalion’”) , waren Praͤdi⸗
Fate des Sonnengottes. Endymion ward vorzüglich bei
den Lelegern, zu welchen die Epeier und Lokrer gehörten”),
und bei den Karern verehrt. Auf dem Karifchen Berge
Latmos hatte er ein verfchloffenes Heiligthum.“) Umden
Latmos herum aber waren Pedafa und eine Anzahl anderer
Orte in alten Zeiten MWohnfitze der Leleger. Die fünfzig
Kinder, weldhe ihm Selene gebar, bezieht Boch”) auf
die fünfzig Mondmonate, aus denen die Olympiade bes
471) Ap. Schol. Apollon. Rhod. IV, 57. |
472) Hom. Il. XI, 699.
475) Schwendd Andeutungen, ©. 181.
474) Schwend, ©. 358.
475) Deufalos ift derjenige, welcher in die See taucht (Wels
der, Nachtr. ©. 517 Not. 281), wie Helios am Abend,
wo erden Sonnenkahn befteigt, und zum fernen Often fährt,
476) Böckh, explic. Pind. Ol. IX, p. 191.
477) Pausan. V, 1, 4. Müller, Prolegom, S. 323.
478) Böckh ad Ol. Ill, p. 158. Müller 1. c.
— — — —
239
ſtand, wahrſcheinlich aber haben wir darunter die Bezeich—
nung der Wochen des Jahres zu verfichen. Durch die
Veränderungen, welche Elis erfuhr, und das Eindringen
der Hellenifchen Götterdienfte mußte Endymion freilich viel
von feiner göttlichen Würde verlieren, und zum Heros herab:
fteigen. Seine Söhne Epeios, Päon und Xetolos find
fammtlich aus den Namen von drei mit einander verwandten
Volksſtaͤmmen entfianden , und wegen der gleichen Abſtam—
mung derfelben als Brüder mit einander verfnüpft worden.
Als die Sage die drei Brüder als geſchichtliche Perfonen
faßte, mußte freilich bei der großen Eutfernung, in welcher
die Epeier, Aetolier und Päonier von einander lebten, die
Wanderung erfunden, und Gründe, welche diefelde verans
laßten, angegeben werden, Die Zochter des Endymion,
Eurydike, ift urſpruͤnglich auch nur ein Beiwort der Mond:
goͤttin geweſen, und ihr Sohn Eleios hat ſeinen Namen
und ſein Daſeyn den Eleiern zu verdanken. Augeias aber
erweist ſich nicht bloß durch feinen Namen, ſondern auch
durch feine Heerden ald Sonnengott, fo wie fein Schatz⸗
haus und die Schatzhaͤuſer überhaupt, welche fi in Gries
chenland fanden, Göttergebaude waren, Mer bedenft, daß
nah den PVorftellungen der Alten die Sonnengötter, wie
die Mondgöttinen fich in dunfeln Grotten aufhalten, und
fih an das verfchloffene Heiligtum des Endymion auf
dem Berge Latmos erinnert‘”), wird ſich leicht erklären
koͤnnen, welche Bedeutung diefe unterirdifchen Heiligthuͤmer
bei den Lichtgöttern hatten.
479) Pausan. ]. c.
240
Zehntes Capitel.
Ueber das Auftreten der Heroen zu verſchiedenen Beiten und
an verfchiedenen Orten,
Menfhen und Fürften gehören einer beftimmten Zeit
und beftimmten. Orten an. Aber die Griechifchen Herven -
und Heroinen treffen wir zuallen Zeiten und an allen
Orten. Wem man auc) zugeben wollte, daß die Zeitrech—
nung bei dem Mangel an fchriftlichen Denfmälern nicht ges
nau habe eingehalten werden Tonnen, und daß man Abs
weichungen der Art fid) daraus erklaͤren müffe, ſo würde
doch nur folgen, daß die Chronologie viele Entftellungen er⸗
fahren habe, aber noch keineswegs, daß es für die Gefchichte
der heroifchen Zeit gar Feine Zeitrechnung gebe, daß bei
keinem Heros das Jahrhundert beftimmt werden Tonne,
welchem er angehörte. Und doch darf man mit den Quellen
der Griechiſchen Mythengeſchichte nur einigermaßen vertraut
feyn, um zu der Ueberzeugung zu gelangen, daß jeder der
gefeierten Helden mehrere hundert Zahre hätte leben müffen,
wenn er an allen Unternehmungen hätte Antheil nehmen
wollen, in welche ihn die Sage verwicelt hat. Man hat,
um fi) aus der Verlegenheit zu helfen, haufig: mehrere Kös
nige mit den Namen Minos, Kefrops, Pandion angenom- |
men, ohne auch nur die geringfte DVeranlaffung dazu zu
haben. Denn verfchiedene Eltern berechtigen, wie wir eben
zu zeigen verfuchten, noch Feineswegs zu der Behauptung, I
dag man deßhalb verfchiedene Heroen mit dieſem oder jenem
Namen annehmen dürfe. Buttmann ) hat recht gut einger
380) Buttmann, Mptholog. II, 233. |
2341
ſehen, daß ein anderer Weg eingefchlagen werden muͤſſe,
wenn man alle chronologifchen MWiderfprüche löfen wolle,
indem er in Bezug auf Minos jagt: „Man darf nur ein
wenig mit mythiſcher und romantifcher Literatur bewandert
feyn, fo wird man das Analogon von dem, was id) hier
fage, kennen. Auf einer fernen Inſel ift durch eine Sage
ein König befannt. So oft nun in jedem andern Gedichte
ein Held oder ein Ritter au diefe Inſel kommt, herrfcht der»
felbe König wieder da.“
Wir Finnen nicht ganz mit diefer Anſicht einverftanden
ſeyn, fondern erinnern, daß auf Kreta") viele Völker neben
einander wohnten, und auf einander folgten. Der Sänger
der Odyſſee fagt, daß auf dem Eilande viele, unzählbare
Menfchen in neunzig Städten wohnen, und die einen dieſe,
die andern jene Sprache reden, dort wohnten Achaer , eins
heimiſche Kreter voll Tapferkeit, dort waren auch Kydoner,
Dorier dreifachen Geſchlechts und göttliche Pelasger. Diefe
Voͤlker befaßen die Inſel zur Zeit des Trojanifchen Krieges.
Wie würden wir ftaunen, wenn ung ein Sanger über alle
Einwohner Kreta’s von der früheften Periode bis auf die Zeit
der Achaer unterrichtet hatte! Minos gehörte als Gott den
Ureinwohnern au, ſank aber, wie Endymion, im Kaufe der
Zeit in die Reihen der Herven herab. Die Götter der Thra>
fischen Zweige waren durch eine Menge von Geiängen ver:
berrlicht. Der Glanz, welcher fie umftrahlte, konnte nad)
der Unterjochung der Völkerfchaften, welchen fie angehörten,
un noͤglich ganz in Dunkelheit gerathen. So heißt Perſeus
481) Hom. Odyss. XIX, 174 sqgq.
Vorhalle zur Griechiſchen Geſchichte. 16
242
der herrlichſte Kaͤmpfer ) der Worzeit. Aber auch ihre
Thaten, welche, wie die Gegenftände, womit fie diefelben
ausführten, fombolifche Bedeutung hatten, waren durch eine
Reihe von Gefängen gepriefen. Sobald man fie als Mens
ſchen anfah, mußten fie ale Helden erften Rangs erfcheinen,
und ihre Thaten wegen des großartigen und abentheuerlichen
Gepräges, welches diefelben hatten, auch Lieblingsgegen⸗
ftande der epifchen Sänger werden, und auf diefe Meife
ein immer menfchlicheres Gewand befommen, während die
unbedeutenden Vorfälle der Gegenwart und die Perfonen, von
welchen diefelben ausgingen, in Vergeſſenheit geriethen, und
durch Feine Forſchungen mehr ermittelt werden Tonnen. Es
ift natuͤrlich, daß jeder Sänger, welcher von Kreta fprach,
den Minos nannte, und wenn von Phrhia, Ithaka oder
den Phaͤaken die Rede war, den Achillens, Odyſſeus und
Alkinoos auftreten ließ.
Götter gehoren Feiner Zeit an, fondern find über
alle Schranfen vderfelben erhaben. Dabei begingen die
Sänger, infoferne die Ereigniffe,, welche an jene Namen
geknüpft waren, Feine hiftorifche, fondern nur eine fombolifche
‚Bedeutung hatten, alfo durchaus Feiner beftimmten Periode
angehörten, aud) Feinen Sehler gegen die Zeitrechnung. Die
Zahlen, welche fie anführen, müffen von demfelben Stand-
punfte betrachtet werden, von weldhem wir die Anzahl
der Kinder vieler Heroen und Heroinen betrachtet haben 8).
Unbefangene Forſcher haben fi auch langft überzeugt,
482) Hom. 11. XIV, 520.
483) Wir werden hierüber in einem beſondern Artitel aus:
führ lichere Erklärungen geben.
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)
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243
daß don einer chronologifchen Beftimmung Feine Rede feyn
koͤnne, fobald von irgend einer mythifchen Perfon gefprochen
wird. Heffter geftcht, wie es fich für einen Freund ber
Mahrheit geziemt, ganz offen *), daß er früher den alten
Shronologen zu viel Glaubwürdigkeit geſchenkt, und dadurch
manchen Irrthum begangen habe, indem er Dinge beftim-
men wollte, welche durchaus Feiner chronologifhen Beftims
mung fähig find. Noch nachdrüdlicher fpricht ſich Müller)
hierüber aus: „Denen, die noch wäahnen, aus mythifchen
Genealogien, von allen Verfälfhungen der Poeten gereinigt,
fichere Zeitbeftimmungen entwickeln zu fonnen, lege ich beſonders
Folgendes zu entwirren vor, Es wird berichtet, daß Athas
mas Frau Themifto gewefen, die Tochter des Hypſeus,
Hypſeus ein Bruder des Andreus, Andreus demnach Oheim
der Themifto. Wenn alfo nun Andreus die Euippe, Enkelin
des Arhamas, zur Frau nimmt, fo heirathet er ins vierte
Glied hinaus, oder ift der Urgroßoheim feiner Frau, wunder:
lich) genug. Siſyphos erfcheint in der Stammtafel bald drei
Geſchlechter, bald eines vor Eteofles, jenes als Vater Ther⸗
fanderd und Bruder des Athamas, das andere als Vater
des Halmos. Bon Andreus und Athamas pflanzt fich die
Herrſchaft durch acht Gefchlechter in zwei Reihen bie auf
Orchomenos fort; von da geht fie durch eine eigene Verwir⸗
tung auf den um vier Gefchlechter früheren Klymenos
zurüc, deffen Nachkommen im vierten Gliede Askalaphos
und Salmenos find. Hier wären alfo die drei Gefchlechter
von Athamas bis Klymenos den fieben bis Orchomenos gleich.
484) Rhodiſche Sötterdienfte, II. S. IX der Vorrede.
485) Müller, Orchom. ©. 136. fg.
16*
244
Nun Fönnte man freilich annehmen, daß Paufanias und das
alte Orakel, das er anfuͤhrt, „Klymenos adliger Sohn ‚des
Presboniden, Erginos,“ einer falſchen Sage gefolgt feyen,
und die dagegen den Vorzug verdiene, die ald Söhne des
Orchomenos „Klymenos, Afpledon und Amphidokos göttlich
von Anſehn,“ nenne"), wie durch gleiche Werwechslung
auch Afpledon, hier ein Sohn des Orchomenos, fonft ein
Sohn Presbons von der Sterope heiße'”),. - Allein hiernach
würden zwifchen Athamas und Askalaphos zwoͤlf Geſchlech⸗
ter inne liegen, faſt alle aber zwiſchen dem Argonautenzuge,
deſſen Zeitgenoſſen Athamas Enkel waren, und dem Troja |
nischen Kriege, in einem Zeitraume, den die Jlias in ein |
Menfchenalter zufammendrängt. Man vergleiche doc) das |
mit, wie fonft die Mythologie die Aeolsſoͤhne in Bezug auf
den Trojanifchen Krieg berechnet. Bon Siſyphos ift Sarz |
pedon der vierte, nicht minder Glaufos ; die vierten Achil⸗
leus, Odyſſeus, Protefilaos von Deion, der ältere Patro- |
flos im dritten Geſchlecht; der Greis Neftor von Kretheus ’
im zweiten. Und diefe vier Gefcjlechtsalter find es, in
denen eigentlich alle Hellenifche Heroenfage auf- und abfteigt; !
was darüber hinaus liegt, find meift Völfernamen, oder h
ganz unbeſtimmte und zeitlofe Urfagen.’” Hätten die Perfo- |
nen, welche in der Mythengeſchichte auftreten, und die
fombolifhen Ereigniſſe, welche an ihre Namen geknuͤpft
ſind, eine hiſtoriſche Bedeutung, ſo muͤßten ſich doch wenig⸗
ſtens einige Anhaltspunkte fuͤr Chronologie feſtſetzen laſſen,
486) Stephan. Byzant. s. v. ‘s/orAndwv. Eustath ad Il. I
511. p. 206.
487) Schol. 1. 17, 511. Eustath. Etymol.
245
Allein dieß ift in der Mythengeſchichte eben jo wenig möglich,
als in der Mythologie, und wie fie beide fonft miteinander
übereinftimmen, und ſich gegenfeitig ergänzen, fo auch in
diefer Beziehung.
Sp wenig die Herven in einer beftimmten Zeit auf
treten, jo wenig gehören fie einem beftimmten Orte an.
Sie erfcheinen faft überall, und laffen fidy doch nirgends
als menfhliche Wefen fefthalten. Würden wir bloß einige
wenige Heroen an verfchiedenen Orten antreffen, jo müßten
wir uns die Einwendung gefallen laffen, daß fie durch befon;
dere Mißgeſchicke fo weit herumgetrieben wurden; allein Die
Zahl derjenigen, deren Namen uns an den verjchiedenften
und entlegenften Punkten begegnen, iſt faft granzenlos. Oidi—
pus ’®) wird in Theben geboren, in Korinthos,erzogen und
firbt in Attika. Achilleus wird in Phthia geboren, auf der
Inſel Skyros erzogen, fällt vor Troja, und lebt doc) mir der
Iphigeneia oder Helena in Leufe, wo er feine eigenen Renn—
bahnen hat, wahrend ihn andere im die Elnfeifchen Fluren
perjegen, oder zum Gebieter des Schattenreiches madyen. Er
wurde in Elis goͤttlich verehrt ) und hatte auf den Wege
458) Und doch feierte man ihm zu Cheben ein Leichenfeft, als
er eines gewaltfamen Todes geftorben war. Hom. Il. XXIII,
679 sqqg. Wenn er nah Homeros erjchlagen wird, jo hat
auch diefer Tod eine ſymboliſche Bedeutung, wie jener
des Agamemnon, und bezieht ſich auf den Untergang der
Sonne, was fih in der Enge, daß ihn die Erde ver:
fhlungen habe, deutlich genug ausipricht.
389) Pausan. VII, 23.
246
von Sparta nah Arkadien einen Tempel’), obwohl er,
da er auf Sfyros aufwuchs, und vor Troja fiel, mit Diefen
Ländern auch nicht in der entfernteften Beziehung fteht. Einer
der Söhne des Lykaon '") begibt fi) zu dem nächtlichen Tro⸗
„honios, und Agamedes, König von Stymphalos, führt mit
dem Bruder des Trophonios gleihen Namen. Kekrops
erfcheint an fehr vielen Orten außerhalb Griechenlands und
in Griechenland ſelbſt. Wir wollen nur einige von den
legtern anführen. Er gründete Athen auf der Inſel
Eubda‘”), welches das Diafifche hieß. Er erbaute die
alten Städte Eleufis und Athen am Triton in Boos
tien ), welche fpater der Kopaifche See verfchlang. Er
hatte ein Heroon in Haliartos °*) und ift König von Athen.
Hektor nimmt an dem Kampfe der Kureten und Netoler
Antheil‘”), und liegt in Theben begraben‘*), obwohl
Priamos feinen Leichnam von Achilleus nad) der Erzaͤh—
lung des Homeros"”) Iosfaufte, Es laßt fich durchaus
feine Veranlaſſung angeben, welche ihn, wäre er ein fterb-
licher Fürft geweſen, nad) Griechenland gebracht, und
bier dem Tode überliefert hatte, Um das Grab feiner Schwe-
fter ftritten®) die Einwohner von Amyfla mit den Myfe
490) Pausan. III, 20.
491) Müller, Orchom. ©. 157.
492) Stephan. Byzant. s. v. ‘43rvau, Strabon. X, 446.
495) Müller, Orchom. 122 ffg.
494) Pausan. IX, 33, 1.
495) Pind. Nem. IX, 39 et Schol.
496) Pausan. IX, 48, 5.
497) Hom. Il. XXIV, v. 175 sqgq.
498) Pind. Pyth. XI, 32 et Schol. Pausan. 11,16, 5. III, 19,5.
247
näern. Beide wollten dasfelbe befisen. In Amyklaͤ genoß
fie mit Agamemnon ) göttliche Verehrung, und dody ift
die Vermuthung ) durd) kein hiftorifches Zeugniß zur
MWahrfcheinlichfeit zu erheben, daß Amyklaͤ vor Alters der
Hauptfis der Pelopiden war. Mir erinnern an Dardas
nos und Aeneias. Den Dardanos treffen wir, um nur
die wichtigften Orte hier anzuführen, auf Samothrafe ®'),
in Arkadien?), in Xroja®) und in Etrurien“) an.
Wenn man fi auch fein Auftreten in Samothrafg und
Arkadien erklären koͤnnte, fo bliebe es für den Gedicht:
forſcher doch noch immer ein unlösbares Raͤthſel, wie er
von Etrurien nad) Troja gefommen ſey. Mare er durch
politifhe DVerhältniffe gezwungen worden, feine Heimath
zu verlaffen, fo würde er, wenn ihn das Schicjal auch
noch ſo fehr verfolgt hatte, doc) in andern Gegenden,
welche feinem Vaterlande naher lagen, fi) neue Wohnſitze
erobert haben. Agamemnon erfcheint nicht bloß vor Troja,
fondern auch auf der Inſel Kypros ®), ohne daß wir cin:
fehen, was ihn bewogen habe, fih nach derfelben zu be:
geben. Die Wanderungen des Kadmos, Danaos, Kekrops,
499) Pind. 1. c. et jnterpretes.
500) Müler, Orchom. ©. 319.
504) Apollodor. III, 12, 1. Strabon. 7. ©. 551. Lycophr.
et Schol. 29. 78. Conon. narrat. 21.
502) Dionys. Halie. I, 61.
503) Einige nennen Kreta als feine Heimath. Messala Cor-
vin. de prog. August. Serv. ad Virgil. Aen. III, 161.
504) Geſchichte des Trojan, Krieges, S, 268 fig.
505) Hom. Il. XI, 20,
248
Velops, Memnon, Menelaos und Paris find bekannt.
Wir treffen fie an fo vielen Orten an, daß wir unfere
Leſer ermüden würden, wenn wir diefelben hier alle auf-
zählen wollten. Nur auf einen Punkt wollen wir auf
merkfam machen. Ware Menelaos von Stürmen und
feindlichen Mächten auch ned) fo weit herumgerrieben wor—
den, fo würde er doch nicht nach Theben in Aegypten ges
fommen feyn. Seinen Aufenthalt in Sidon, in Libyen
und sauf der Inſel Kypros Faun man fich noch durch hi:
ſtoriſche Gründe erflären. Was ihn aber bewogen haben
fol, den Nil hinauf bis Theben zu fahren, bleibt ein
Raͤthſel. Buttmann”) hat recht gut erfannt, daß die
Mythenforſcher nichts mehr hemme, als der Umftand, daß
fie fih da feftbannen laffen, wo ihnen ein Name begeg-
net. Bei vielen der angeführten Heroen Fonnte man viel-
leicht, um die Urfache ihrer Wanderungen zu erklären, ver:
muthen, daß fie bei den vielen politifhen Veraͤnderungen,
welchen bie einzelnen Provinzen Griechenlands in der Ur:
zeit ausgefegt waren, mit ihren Voͤlkern dfter aus ihren
Wohnſitzen vertrieben wurden, und. deßhalb bald hier, bald !
dort erfcheinen. Allein dagegen ift zu bemerken, daß wir "
fie immer einzeln fehen, und Feine Spur darauf hindentet,
daß fie mit den von ihnen beherrſchten Völkern -gemandert
feyen. Wölkerwanderungen waren in jenen Zeiten aller:
dings eine gewöhnliche Erſcheinung; allein es tritt uns
bier immer ein Heros entgegen, welcher den Namen des:
jenigen Zweiges oder Stammes trägt, welcher aus feinen.
—
— —
——
506) Buttmann, Mytholog. II, 231.
—
—— ——
249
Wohnſitzen vertrieben wurde, z. B. Aetolos, Fon, Achaos,
Doros, Pelasgos und andere Namen, Wir koͤnnen durch
fein einziges Zeugniß der Alten nachweifen, nicht einmal
durch eine Vermuthung wahrfcheinlicy machen, daß Achaer
aus dem Peloponnefos fchon vor dem Trojanifchen Kriege nach
Kypros wanderten, um auf diefe Weiſe die Verbindung,
in welcher Agamemnon mit Kinyras fteht, in das gehörige
Licht zu ſetzen ”)
Eilftes Sapitel.
Ueber die Wanderungen und Irrfahrten der Heroen.
Auf Hiftorifchen Wegen laßt fich aljo weder das Er-
fcheinen fo vieler Heroen an fo vielen und von einander fo
entlegenen Orten, noch ihr Herumirren befriedigend
erklären. Bedenkt man aber, daß fie Götter waren, fo
wird man es fehr natürlich finden, daß ihre Namen nicht
auf einen einzelnen Ort oder ein einzelnes Land befchranft
ſeyn koͤnnen, fondern uns überall begegnen müffen, wo ſich
Zweige desjenigen Volkes angefiedelt hatten, welchem fie ans
gehörten. Auf diefe Weiſe fieht man wohl ein, daß es und
nicht befremden darf, wenn wir auch die Namen folcher
Götter, welche fpater in die Reihen der Herven herabgedruͤckt
507) Wären Agamemnon und Kinyras geichichtliche Perfon en,
fo könnten fie fhon wegen der Chronologie in feiner
Berbindung mit einander ſtehen. Sie wären nichts we:
niger , ald Zeitgenoffen, fondern durch Jahrhunderte von
einauder getrennt.
250
wurden, an vielen und verfchiedenen Orten finden; allein
noch bleibt es dunkel, was ihre Wanderungen bedeuten
follen’®). „Denunermüdlichen Kreislauf des Mom
des, fagt Welcker %), fcheint urfprünglich die von der
508) Ich habe bei der Erklärung der Wanderungen des Darda—
108, des Aeneias, des Menelaos und der Helena, der
Irrfahrten des Ddyffeus nur die Verbreitung ihres Eultus
vor Augen gehabt, und die tiefere Bedeutung dabei über:
ſehen. Man wird alfo nach diefen Bemerkungen jene
Abhandlungen fich leicht ergangen.
509) Welder, Trilog. 129. Die fombolifhe Bedeutung der
Wanderungen und Irren der Götter tritt in vielen Sagen
noch zu deutlich hervor, als dab man dieſclbe nicht erken—
nen follte. Der Sänger der Slias fagt, daß Bellero-
phon, als er (Il. VI, 200 sqq.) die ihm vom Lykiſchen
Könige auferlegten Unternehmungen vollbracht hatte, und
von demfelben dafür reichlich belohnt worden war, einfam
in der Aleiſchen Flurumberirrte, die Pfade
der Sterblihen vermeidend, und fein Herz in
Kummer abzehrte, weil er allen Himmliſchen verbaßt
gewefen fey. Allein wodurch, fragen wir billig, 308 er
fih den Haß der Götter zu, er, der nach den alten Sagen,
welche fich über ihn erhalten haben, mit allen Tugenden
geziert ift, und nie undankbar gegen die Olympier ſich
zeigt? Sit dieß nicht ein Zuſatz der Dichtung, welche
feine Srren, die man nicht mehr verftand, dadurch er-
Haren wollte? Dffenbar. Wo und was ift die von den
Wegen der Menſchen entlegene Aleifhe Flur? War
fie vieleicht eine Gegend in Lykien? Keineswegs; wir
treffen fie an vielen Orten an. Ihre Bedeutung wird
von felbft einleuchten, wenn man bedenkt, dag auch
251
Bremſe geftochene Fo zu bedeuten, und es ift wahrfcheins
ih, daß in einer diefem Bilde gemaßen Zeit zugleid) auch
Apollon nah Lykien als dem vftlichen Lichtlande wan—
dert, wo fib die Sonne erhebt, und den Beinamen
Aleos hatte (Müll. Dor. I, 149). Wie Bellerophon
in Lykien herrfchet, gebietet auh er (Hymn. Hom. Il,
4 sqg.) über Lykiens Auen. Die Aleifhe Flur ift der
Himmel; der Beiname, welchen Phöbos deßhalb führt,
bezieht fih auf feine Wanderung andemjelben.
Aus demfelben Grunde hatte auch Pallas den Beinamen
Alen, und die alte Kelegifhe Mondgöttin in Sikyon trug
denfelben ebenfalls. In Arkadien bei Mantineia (Paus.
VIII, 40, 2.) war auch eine Aleifche Flur; Halos foll von
der Magd des Athamas oder von feinem Umherirren
den Namen erhalten haben (Müller, Orhom. ©. 255).
Auch das Umherirren der Ino bringt fie (Muͤll. Orc,
474) mit der Qthamantifhen Ale zufammen, fo daß
man fih durch dieſe Hebereinftimmung der Sagen von
der tiefen Bedeutung derfelben wohl überzeugen Fann.
Die Aleifhe Flur, in welder Bellerophon irrt, oder das
Himmelsgewölbe, iſt allerdings weit von den Menfchen:
Pfaden entlegen. Wie Fonnte dasſelbe, wenn es die be-
zeichnete Bedeutung hatte, auf die Erde verfekt, und an
s fo vielen Orten gefucht werden? Durch den Cultus
derjenigen Götter und die Verbreitung desſelben, welche
wegen ihrer Jrremjenes Prädikat hatten. Wir
feben, daß fih mit dem Eultug alle Symbole verbrei:
teten, und lofal angewendet wurden, daß fogar die Hunde
der Perfephone oder die Planeten, daß die Rinder des
Helios und der Hüter der Fo, Argos, daß die nie ge:
mähten Auen, auf welhen die Rinder des Npollon
weiden, vom Himmel auf die Erde herabgezogen wurden,
252
ſchwindelnde Rundetänze, wie nad) den Druidengebraus
chen, diefen Umlauf feierten.” Wie uns alfo in vielen aus
dern Fällen zur Erklärung der fchwierigften Punkte der My—
thengefchichte die Mythologie die nöthigen Auffchlüffe gibt,
fo auch in diefem Falle. Die Irren der Mondgottinen bes
ziehen fi) auf den Kreislauf des Mondes, die Wanderungen
der Sonnengötter auf jenen der Sonne. Nicht bloß Fo irret,
fondern auch Leto, Demeter und die übrigen Mondgöttinen,
wenn auch bei vielen derfelben die Irren durch die Dichter
nicht fo ausgebildet und erweitert wurden, wie bei den ge
nannten drei Göttinen.
Apollon wandert zu den Hpperboreern und Lykiern, wie
ſich Helios täglid von den Aethiopen, welche im Oſten
wohnen, und in deren Gebiete er am Himmel emporfaͤhrt,
zu jenen begiebt, welche im aͤußerſten Weſten ihre Wohn⸗
ſitze haben, und in deren Gebiet er in die Wogen des
Meeres taucht. Herakles begiebt ſich nicht bloß zu den Hy—
perboreern, ſondern auch zu den Heſperiden, welche die
Sage nach dem aͤußerſten Weſten verſetzt. Dom naͤmlichen
Standpunkte muͤſſen auch die Wanderungen des Dardanos,
des Aeneias, des Kadmos, des Danaos, des Kekrops,
Pelops, des Agamemnon und Menelaos, des Oreſtes und
ſo vieler anderer Heroen, welche ehedem Goͤtter waren, be—
trachtet werden, wenn ſie verſtaͤndlich ſeyn ſollen. Die
Wanderungen des Memnon, des Minos nach Sicilien und
des Theſeus nach Kreta haben keine andere Bedeutung.
Freilich wird man uns hier den Vorwurf machen, daß
man ſich dieſe Erklärung nur dann gefallen laſſen konnte,
wenn alle diefe Wefen zu den Hyperboreern und zu den He
253
ſperiden im außerfien Meften fi) begeben würden. Dagegen
haben wir zu erinnern, daß, obſchon alle Wölfer, welche
den Kreislauf der Sonne und des Mondes auf jene fombo-
liſche Weife ausdrücten, in Bezug auf die Wanderungen der
Götter vollfommen mit einander übereinftimmen, doch die
Punkte, von denen bei einem jeden derfelben Sonne und
Mond ihren Lauf beginnen, und an denen fie denfelben
endigen, nach der Werfchiedenheit der Lage der einzelnen
Orte, Wohnfige und der geographifchen Kenntniffe ver
ſchieden angegeben werden müffen. Nicht alle Völker haben
an derfelben Stelle Oſten oder Weiten, was jeder Gebils
dete einfehen muß, fondern diefe Beftimmungen der Him—
melsgegenden richten ſich nach der Stelle, welche die Wohn—
fige eines Volkes auf der Erde einnehmen. Syn vielen
Sagen, wie in jener vom Raube der Europa, treffen mir
Bootien als öftliche, Kreta als weſtliche Graͤnze. Sin ans
dern erjcheint Vierten, Sieilien oder Hifpanien oder Libyen
als der weftliche, und Phoͤnikien oder Lykien oder Kypros
als der öftlihe Theil. Diejenigen, welche fih von der
Wahrheit diefer Behauptung überzeugen wollen, dürfen
beider Erklärung der Wanderungen der einzelnen Götter
nur immer fragen, von welchem Drte ift diefe oder jene
Sage ausgegangen, wo ift diefelbe einheimifch, und wenn
8 ihnen gelungen iſt, fich diefe Frage zu beantworten,
dann werden fie die Orte, von weldhen die Wanderungen
ausgehen, und an denen fie in den alten Sagen ihr Ziel
baben, ſehr paſſend finden,
Wie Helios täglih im Lande der Aethiopen feine
Fahrt beginnt, fo Fommt auch Menelaos mit der Helena
254
zu den Aethiopen %°). Aus der Verbindung, in welcher
diefe Yethiopen bei Homeros mit den Sidoniern ftehen, fieht
man, daß nur die im fernften Often wohnenden °*) gemeint
feyn koͤnnen. Statt jener Yethiopen, welche in der Gage
von der Fahrt des Helios im äußerften Werten wohnen,
erfcheinen in der Erzählung von den Wanderungen des
Menelaos und der Helena die Kibyer’?). Warum follten
andere Völker, welchen die Sonne an einer andern Stelle
aufging, und deren geographifdhe Kenntniffe größer waren,
als jene der in den innern Theilen Griechenlands wohs
nenden Zweige fih an die Aethiopen und Libyer als die
beiden. geographifch einander entgegengefegten Voͤlkerſchaften
feffeln laffen? Konnten fie nicht eben’ fo gut Kypros oder
Phoͤnikien als Oſtgraͤnze betrachten, ja mußten manche
diefe Gegenden nicht als den Bezirf des Sonnenaufgan⸗
ges annehmen? Warum follten fie aber bei der großen
Bedeutung, welche Sidon fhon im früheften Alterthume
hatte, bei dem Glanze, in weldyem das hundertthorige, den
Aethiopen fo nabe gelegene Theben glänzte, ftatt Phönis
fien nit Sidon, ſtatt Aegypten nicht Theben nennen,
und an bdiefe Punkte die Wanderungen des Menelaos
knuͤpfen?
Wir haben bei den Bemerkungen uͤber die Abſtam⸗
mung der Heroen ſchon geſehen, daß durch die Verknuͤ⸗
pfung der einzelnen Lokal-Sagen fomohl bei den
540) Hom. Odyss. IV, 84.
511) Odyss. I, 24.
512) Hom. Odyss. IV, 85.
255
Göttern, welche ſich als folche erhielten, als auch bet
jenen, welche fpäter in die Reihen der Heroen herabges
drückt wurden, eine Menge von Vätern und Muͤttern zum
Vorſchein Fam. Sollte es uns befremden, daß bei ber
Derfnüpfung der verfchiedenen Lokal-Sagen
über die Wanderungen der angeführten Mefen ftatt
eines einzigen Punktes zur Bezeichnung des Aufgangs
oder Unterganges eine Menge von Orten genannt wird,
welche, wenn wir fie nicht ſtets von der Stelle aus betrach-
ten, wo diefe oder jene Erzählung entftand, freilich nicht
immer als Oft- oder Meftgränze erfcheinen Tonnen ?
Melche Veränderungen mußte ferner auch hier die
Verbreitung geographifcher Kenntniffe hervorbringen! Müller
hat 9 trefflich gezeigt, daß im der alten Sage Lemnos das
alte Taurien war, daß die Inſel den Namen Aethiopien *)
führte. Welche verfchiedenen Gränzen hat man aber im
Kaufe der Zeit dem mythifchen Taurien angemwiefen ? Welches
Schickſal haben die Hnperboreer gehabt! Won der Lage
ihrer Mohnfige im Weiten wollen wir hier gar nicht jpre
chen, weil diefelbe die nämlihe fumbolifche Bedeutung
bat, wie die der im Untergang der Sonne wohnenden
Aethiopen, fondern nur an die Beftimmung ihrer Wohn-
fige im Often und im Nordoften erinnern °®) , welche faft
jeder Sänger anders bezeichnet.
515) Müller, Orhom. ©. 279. 310-
514) Steph. Byz. s. v. Ayuvos. Müller, Orhom. ©. 300 ffg-
515) Pind. Ol. II, 17 et Schol. 1. c. et Böckh. Sjafon
heißt (Müller, Orchom. 255 ffg.) der Völferhirt, und
256
So dunkel die Bedeutung der Wanderungen des Sons
nengottes und der Irren der Mondgöttin auf dieſe Weiſe
fhon wurde, fo mußte fie dur) einen andern Umftand noch
räthfelhafter werden. Die Sage, welche überall verknüpft
und Zufammenhang herfteltt, hat hier ihre Rechte noch) weiter
geltend gemacht, und alle vorzüglihen Drte des
Cultus mit jenen Gegenden, wo die Irren oder Wanderun:
gen beginnen und aufhören, in Verbindung gebracht. Ein
merfwürdiges und einleuchtendes Beifpiel bieten die Wan
doch irrt er als ein landlofer Klüchtling umher, wie
Herakles, welcher (Hymn. Hom. XV, 4 sqgq.) nicht bloß
auf dem Lande, fondern auch auf dem Meere umher:
fihweift. Dasfelbe thut aus dem naͤmlichen Grunde
Dionyſos. Er wandert bis in den fernften Often, und
mußte, je weiter man die Gränzen desſelben hinaus:
rücte, einen defto größern Weg zurücdlegen, und am
Ende bis nach Indien reifen. Dem Theoklymenos, deffen
kame (Buttmann, Mptholog. II, 216) urfprünglich nur _
ein Prädikat des Dionyſos Chthonios (MWelder, Nachtr.
192, N. 30) tft, war vom Scidfal beftimmt (Hom.
Odyss. XV, 270 sqgq.), die Welt zu durdirren,
Wenn nur ein einzelner Königs-Sohn als ein Fluͤchtling
umberwanderte, wenn nicht Götter dasſelbe Loos mit
ihnen theilten, fo Fönute man noch vermuthen, befondere
Mißgeſchicke hatten ihn in weiter Ferne umhergetrieben,
Allein die Uebereinftimmung der Mpthologie und Mythen:
Geſchichte, die große Zahl der zu Heroen herabgefunfe:
nen Götter, die Beichaffenheit. diefer Irren und viele
andere Nüdfichten geftstten ung nicht, einer folhen Ver:
muthung Raum zu geben, oder diefe Sagen als *
Erdichtungen zu verwerfen.
— —
|
|
|
257
derungen des Memnon und die Srren der Leto dar. Sie
geht von den Hyperboreern aus, und beſucht fat
alle Orte’), an welchen fich der Eultus des Apollon
und der Artemis bis zu jener Zeit verbreitet Hatte, in der
jener Hymnus entftanden if. Memnon befucht auf feinen
Wanderungen”) alle Hauptorte feines Cultus. Das Nam
lihe gilt von den Wanderungen des Kadmos, Kekrops,
Danaos, Pelops und Dreftes. Mer diefelben verftchen
will, vergleiche fie nur mit denen des Apollon, des Herakles
Dionyfos und Memnon.
Durch die Verknuͤpfung aller Hauptorte des Cultus
mit denjenigen, von welchen die alte Sage diefe Götter aus-
gehen ließ, und mit jenen, an welchen fie am Abend ihr Ziel
fanden, fo wie durch die verkehrte Zufammenftellung aller
diefer Drte, durch die verfchiedene Angabe der Lage derje⸗
nigen Voͤlker, welche dieſelben beſuchen, und die Ausſchmuͤ—
ckungen, welche dieſe Wanderungen durch frühere, ferner durch
die Entſtellung, welche ſie durch ſpaͤtere Saͤnger I. A
haben diefelben allerdings eine rathelhafte Geftalt befommen
müffen, wie fo manche andere Sagen, und eben weil ihre
urfprüngliche Bedeutung fo einfach), und die Form, welche
fie erhielten, jo kuͤnſtlich ausgefponnen ift, wird man ſich
noch lange nicht von der Wahrheit der ausgefprochenen Ans
ficht überzeugen laffen.
516) Hymn. Hom. I, 30 sgq.
517) Fr. Jacobs in den Derkihriften der Mündener Winde:
mie von 1810 ©. 3 — 46. Geſchichte des Troj. Krieges
S. 152 fig.
Berhalle zur Sriechtfhen Gefdichte. 17
258
Allein fo verkehrt es ware, die Wanderungen bes
Apollon einer geographifchen Unterfuchung unterftellen zu
wollen, fo wenig koͤnnen die der angeführten Heroen oder
bie Seren der Jo in das Bereich) der Geographie gezogen
werben. Die Zeitdauer derfelben hat ebenfalls eine ſym⸗
bolifche Bedeutung. Rhadamanthys °*) und viele andere
vollenden, wie Helios, ihre Reife in einem Tage, wie bie
Eonne ihren Lauf am Himmel. In andern Sagen’ er:
fcheinen andere heilige Zahlen, von denen wir nur die Zah:
len fieben °) und acht?) erwähnen wollen. Die Sieben,
zahl bezieht fich auf die Tage der Woche, die Zahl acht, welche
in den Sagen von den Wanderungen des Menelaos eine fo
wichtige Nolle fpielt, auf den ennaeterifchen Cyklus, welcher
in den meiften wiederkehrt 2). Wie nach Ablauf desfelben
5i8) Hom. Odyss. VII, 325 sggq-
519) Nitzſch ad Hom. Odyss. I, v. 14, p. 6.
530) Hom. Odyss. IV, 82.
31) Müller, Prolegomena, ©. 304. Wer an der Richtigkeit
der Erfiarung der Wanderungen des Menelaos zweifelt, |
und feinem Aufenthalte in Sidon und im Aegyptiſchen
Theben eine aefhichtlihe Bedeutung unterlegt, der er: F
wäge doch, daß auch Paris (Hom. Odyss. VI, 290 sqg.) '
nah Sidon fommt, und daß der Sidonifhe König Phai-
dimos (Odyss. XV, 414 sqq.), bei welchem Menelaos |
wohnt, in allen Phoͤniciſchen Könige: Verzeichniffen um:
fonft gefucht wird, daß der Name desfelben ein Prädikat |
des Sonnengottes war, welcher auch in andern Sagen der '
Glaͤnzende oder Leuchtende heißt; daß der Name des Phd-
nir. welden die Sage mit Kadmos in Verbindung bringt,
die nämliche Bedeutung hatte, und daß er eben fo wenig eine
259
das große Jahr vom neuen begann, fo ließ man auch den
Sonnengott feine große Reife innerhalb desfelben vollenden,
und fie ihn dann vom neuen antreten.
Wuͤrdiget man diefe zwar einfachen, aber vielleicht nicht
ganz grundlofen Bemerkungen einer. Aufmerkfamfeit, dann
dürften die Zweifel über die Aegy ptiſchen, Lydiſchen und
Phoͤniciſchen Eoloniften, welche mit Danaos und Kekrops,
mit Pelops und Kadmos nad) Griechenland gekommen feyn
follen, fich am ficherften und überzeugendften zur endlichen Ent-
ſcheidung Bringen laffen; es dürfte einleuchten, daß Kabd:
mos, wenn er von Phoͤnicien ausgeht, deßhalb eben fo wenig zu
einem Phoͤnicier gemacht werden dürfe, ald wir den Mene—
laos deßhalb, weil er Stdon und Kypros befucht, für einen
Sidonier oder für einen Kyprier erflärendürfen. Danaos und
Kekrops Fünnen dann eben fo wenig Aegyptier feyn, als
Menelaos deßhalb, weil er mit Helena Theben und Libyen
befucht, für einen Libyer oder Aegyptier erklärt werden
kann. Die Wanderungen des Pelops werden fich auf diefelbe
Weiſe erklären, und Niemand wird ihn deghalb, weil fein
Name in Lydien und Phrygien befannt ift, für einen Lydier
biftorifche Verfon ivar, unterliegt keinem Zweifel. Auch
der Name des Aeguptiihen Könige Polybos ift ein Prä-
difat des Sonnengottes geweſen. Bon dem Namen feiner
Gemahlin Alkandra haben wir ſchon geſprochen. Polybos
beißt (Athen. VII, p. 296. b.) ein Sohn des Hermes,
welcher das Kicht am Himmel empor: und von demfelten
wieder hinabführt. Warum ſollte Kadmos bei der ſym—
bolifhen Bedeutung feiner Wanderungen nicht auch, wie
Menelaos, nah Aegypten Fommen?
——
260
‚halten, fo wenig als man den Agamemnon wegen feiner Bes
ziehung zu Kinyras als einen Kyprier betrachten wird.
Helios fährt aus dem Morgenthore in fchräger Krüm-
mung zu dem Abendthore, und nachdem er fein Gefpann in
bem Okeanos gefühlet hat, befteigt er cin Fahrzeug von
ſchwebendem Golde, welches ihn mit wunderbarer Gefchwin-
digkeit langs dem nördlichen Geftade des Dfeanos nad) dem
fernften Oſten zurücbringt, wo er feine Roffe im Sonnen:
teiche ſchwemmt, und die Nacht hindurch bis zur Morgenröthe
bei den Seinigen ruht”). Auch Herakles befteigt den Sons
nenkahn ), und die Schifffahrt des Odyſſeus, welche nie ein
522) Hom. Odyss. III, 41. V,455. Stesichoros ap. Athen. XI,
6. Mimn.Eleg. 9. Voß, mptholog. Briefe II, 155, 160.
523) Athen. XI, p. 781. d. 469. d. 470.c.d. Wie Herakles
nah Spanien fommt, um die Rinder des Geryones zu
holen, fo begibt fih auch Odyſſeus (Gefhichte des Trojan.
Krieged, ©. 250) dahin. Hier zeigte man in ber Stadt
Ddpffeia im Tempel der Pallas noch in dem fpätern Zei:
ten Spiefe und Weberrefte von dem Fahrzeuge des Ddyf:
feus. Er kommt, wie Zeus mit der Europa, auch nad
Kreta (Odyss. XIX, 186 sqq-), nach Kpprog (Odyss. XVII,
443 sqg.), wie Menelaos, und nach Delos (Odyss. VI,
162 sqq.), wie Apollon, Sieben Jahre (Od.VII, 251 sqg.) '
hielt ihn Kalypſo auf Ogygia zuruͤck, im achten aber gebot
fieihm felber, er follte fih zur Heimfahrt anſchicken.
Die Wanderungen feines Sohnes Telemachos, welder
fi zu ihm verhält, wie Helios zum Hyperion, haben bie:
felbe Bedeutung. Auch er mußte, Als man fih unter fei-
nem Namen ein befonderes MWefen dachte, wandern, wie
fein Vater, und aus berfelben Urfache umberirren.
2361
Ende nimmt, hat diefelbe Bedeutung. Wer die Art und
Weife, wie Homeros die alten Sagen behandelt, in das Auge
faßt, wird ung leicht zugeben, daß die Fahrt des Odyſſeus bet
dem Sänger der Odyffee nicht mehr in ihrer alten und eins
fachen Geftalt erfcheint, fondern daß hier bereits, wie in dem
Homerifchen Hymnus, welcher die Irren der Leto befchreibt,
nicht bloß die verfchiedenen Lokal-Sagen verfnüpft
find, in welchen bald diefer, bald jener Ort oder jenes Volk
zur Bezeichnung der Oft. und Weft-Grenze genannt wurde,
fondern daß Odyſſeus auf feiner Fahrt auch alle jene Punkte
berührt ®), an welchen fein Name und fein Eultus einhei—
mifch waren,
Sp wenig alfo die Irren der Jo in das Gebiet der Geo
graphie gezogen werden Fünnen, eben fo wenig laſſen fich die
Irrfahrten des Odyffeus bloß auf hiftorifche oder geographifche
MWeife erklären. Sein Hinabfteigen in das Schattenreich
bat diefelbe Bedeutung, welche diefe Sage bei Dionnfos hat.
Mährend nach einer Ausdrucksweiſe Helios in feinem Pals
lafte ruht, nachdem er auf feinem Kahne den fernften Often
erreichte, oder feinen Pallaſt im Weſten hat, wo er unters
taucht, ruht er nach einer andern fombolifchen Darftellung
im Örabe, oder ift im Hades, in dem unfichtbaren Reiche,
oder fchlummert in einer Grotte, bis er wieder am Him—
mel erfcheint. Diefe verfchiedenen Ausdrucksweiſen für eine
und diefelbe Sache Tonnen nicht befremden, wenn man bes
| denft, daß diefelben verfchiedenen Orten und ver
fhiedenen Zeitperioden angehören, Se einfacher
ein Symbol ift, je natürlicher es erfcheint, ein um fo hoͤ⸗
524) Gefchichte des Trojan. Krieges, S. 236 ffg-
ſeltenen Erſcheinungen gehörten.
262
heres Alterthum duͤrfte es verrathen. Die einfachſte An—
ſicht, welche ſich Voͤlkern auf einer niedrigen Stufe der
Cultur darbot, war vielleicht die, daß die Sonne, ſobald
ſie verſchwunden, wie ein Menſch, ſobald ihn die Seele
verlaſſen hat, im Grabe ruhe, oder ſich in einer Grotte
auf Bergen aufhalte, hinter denen ſie verſchwindet, und
hinter denen ſie ſich wieder erhebt. An dieſe Ausdrucksweiſe
wuͤrden wir den Aufenthalt im Hades reihen. Die Sage,
welche den Helios in einem Pallaſte ruhen laͤßt, verſetzt
uns ſchon in eine ſpaͤtere Zeit, wo die Hirtenſtaͤmme zum
Ackerbau und zu feſten Wohnſitzen uͤbergegangen waren,
und bequem eingerichtete Wohnungen nicht mehr zu den
Zwoͤlftes Capitel.
Üeber die Palläſte und Schatzhäuſer der Heroen.
Die Beichaffenheit der Wohnungen einiger Nerven dür-
fen wir hier nicht mit Stillfchweigen übergehen, weil eine
unbefangene Betrachtung derfelben unferer Anficht von der
Bedeutung der ganzen Mythengefchichte größere Wahrfchein-
lichfeit geben dürfte. Der Pallaft des Menelaos ’>) ftrahlte,
wie der Glanz der Sonne oder des Mondes, Ringsum
glänzte”*) Erz in der helfen Wohnung, auch Elfenbein, Sil-
ber, Elektron und Gold, fo daß Telemachos voll Staunens
ausruft, fo müfle wohl der Vorhof des Zeus glänzen! Auch
—
525) Hom. Odyss. IV, 43 sgg-
526) Odyss. IV, 74 sgg-
263
des Alkinoos Pallaft °”) ftrahlt, wie der Glanz der Sonne
oder des Mondes, Die Wände waren aus gediegenem
Erze, gefimst mit blaͤulichem Stahle. Die Wohnung
war inmwendig mit einer goldenen Pforte verfchloffen. Auf
die eherne Schwelle waren inwendig filberne Pfoften gepflanzt,
der Kranz war von Silber und der Thürring von Gold.
Goldene und filberne Hunde, welche Hephäftos gebildet und
unfterblich in ewig blühender Jugend gefchaffen hatte, ums
fanden jegliche Seite. Der Sänger, welcher in der Uebers
lieferung alter Sagen ungemein getreu ift, kann diefe Bes
ſchreibungen unmöglich erfunden haben, fondern er erzählt
auch hier, was die Sage enthielt. So fehr der Schild des
Neſtor oder des Achilleus verherrlicht war, eben fo groß mußte
auch der Glanz fenn, welchen die Wohnungen des Alkinoos
und Menelaos durch die Dichter erhalten haben.
Nun drängt fih uns die Frage auf, ob Fürften-Palläfte
von diefer Pracht und Herrlichkeit in dem heroifchen Zeitalter
vorhanden waren, und wenn diefes der Fall war, warum me
der ein Logograph, noch fonft ein fpaterer Schriftfteller von
diefen Prachtgebauden die geringfte Erwähnung thut? Ein
Dallaft, deffen Wände aus Erz verfertigt waren, und von
bläulihem Stable glänzten, Fonnte allen Stürmen der Zeit
trogen, und wenn auch die Wanderung der Dorer noch fo
große Verwuͤſtungen angerichtet hätte, er würde bdenfelben
Widerftand geleiftert Haben. Allein wie Menelaos von der
Erde verfchwindet, ohne Daß wir wiffen, wohin er Fam, wenn
wir die Angabe des Homeros aus den Augen laffen, bei wels
chem ihm Proteus verfpricht, daß ihn die Götter als Eidam
527) Odyss. VII, 84 sgg-
264
des Zeus in die Elyfeifchen Gefilde führen werden, fo. vers
ſchwindet auch fein Pallaſt fpurlos, und weder von dem blau-
lichen Stahle, noch von den großen metallenen Wänden,
welche unmöglic) hatten vernichtet werden koͤnnen, gefchieht
weiter eine Erwähnung.
Was die Kunftfertigkeiten des beroifchen Zeitalters ans
belangt, fo waren diefelben, man mag fie auch noch fo hoc)
anfchlagen, nicht von der Art und der Reichthum nicht von
der Größe, daß ein Pallaft von ſolcher Pracht hatte aufge-
führt werden Tonnen. Der Vorrath von edlen Metallen,
von Gold und Silber, war damals in Griechenland Feines-
wegs jo bedeutend, daß man ganze Pallafte damit hätte vers
zieren Tonnen. Die Homerifchen Geſaͤnge legen auf faft jeder
Seite ein vollgültiges Zeugniß für Diefe Behauptung ab. Wir
wollen nur erinnern, daß jede der Troddeln, womit die Aegis
geziert war, einer Hekatombe gleich geachtet wird »). Melch’
einen unermeßlichen Reichthum hatte ein Fürft befigen müfs
fen, wenn er fich in Zeiten, in denen das Gold einen fo außer-
ordentlich großen Werth hatte, einen ſolchen Pallaft hatte
erbauen laſſen wollen! Die Schaghaufer erregen zwar,
wenn wir die Nachrichten über die ungehenern Maſſen ler
fen, aus denen fie zufammengefest waren, Staunen und
Dermunderung ; aber die Kunft fteht mit. der Anftren-
gung und Mühe, welche ihre Erbauung veranlaßte, durch-
aus in Feinem Verhaͤltniſſe, und vergleichen wir die Ange, |
ben über die Tempel der frühern Zeit mit jenen Schilde,
rungen der Wohnungen des Alfinoos und des Menelaos,
fo erfehen wir recht gut, daß die Baukunſt fich noch Feines>
528) Hom. XIII. Il. II, 448. XIV, 481:
265
wegs zu einer fo befondern Höhe emporgefchtwungen hatte, daß
ein ſolches Gebäude in einer fo frühen Zeit hatte aufge
führt werden Tonnen, Die goldenen Hunde, welche im
Pallajte des Alfinoos auf jeglicher Seite jtanden, werden
Kunftwerke des Hephäftos genannt. Wer wird aber glau-
ben, daß ein Weſen, wie Hephaftos, das gar nicht lebte,
und nur im Volfsglauben exiftirte, eine menſchliche Woh—
nung habe ansihmüden Fonnen? So wenig aber Home:
108 die ganze Beſchreibung erfunden hat, eben fo wenig
dürfen wir uns der Meinung hingeben, daß nur diefer Zu:
faß von den unfterblichen, aus Gold und Silber gebildeten
Hunden eine Erdichtung des Sängers fen, alles Webrige
aber gefchichtliche Bedeutung habe.
Wir müffen uns auch hier wieder auf das Gebiet der
- Mythologie verfegen, wenn wir alle Zweifel, welche die ger
nannten Pallafte erregen, nur zu einiger Zufriedenheit löfen
wollen. „Die Delphier, jagt Paufanias’*”), erzählten von
einem dritten Tempel des Apollon, daß er aus Erz und ein
Kunftwerf des Hephaftos geweſen fey, an welchem nach Pin-
daros goldene Keledonen oder Sängerinen herabhingen. Wie
es aber gefchehen, daß diefer Tempel untergegangen, Darüber
fiimmten die Angaben nicht überein; denn einige fagten, Daß
er in einen Erdfchlund verfunfen, andere aber, daß er durch
Feuer gefchmolzen fey.” So wenig diefer Tempel je geftanden
bat, eben fo wenig haben die Pallafte des Menelans und des
Alkinoos je exiſtirt. Die Sage hat fich hier das ganzliche
Verſchwinden aller Meberrefte auf eine leichte und bequeme
Weiſe zu erklären geſucht. Wir würden ficher doch wenig,
529) Pausan. X, 5, A.
266
ftens einige dunkle Nachrichten haben, wenn jener Tempefin
einen Erdſchlund verſunken, oder durch Feuer vernichtet wors
den wäre. Das Feuer hätte zwar die ehernen Wände zus
fammenfchmelzen, aber niemals fo gänzlich vertilgen Fonnen,
daß fi auch nicht die geringfie Spur davon mehr erhal-
ten hätte.
Der Pallaft, welchen fi) Hephäftos felbft gebaut ®),
war fternhell, unverganglid) und aus Erz aufgeführt. Der
Pallaft, welchen Poſeidon in den Fluthen des Meeres bei
Aegaͤ *!) hatte, war unvergänglic), wie jener des Hephäftos,
golden und fchimmerreich,. Auch den Vallaft des Zeus, wel,
cher von gleicher Befchaffenheit ift, und nur an Schönheit und
Pracht die genannten übertrifft, hat Hephaͤſtos *) erbaut.
Der Sanger befchreibt uns die Pallafte der Götter, mo fich
ihm eine Veranlaſſung darbietet, eben fo genau und lebendig,
wie wenn diefelben wirklich vorhanden gewefen wären. Kein
Menfc wird gegenwärtig mehr der Meinung feyn, daß dies
felben auf den Spigen des Berges Olympus oder in den Tie⸗
fen des Meeres wirklich eriftirt und Homeros diefelben mit eige-
nen Augen gefehen habe. Er hat fie fo wenig gefehen, als
jene des Alfinoos und Menelaos, fondern befchreibt fie nach
Sagen, deren Entftehung dem früheften Altertfume angehört.
Wir fehen alfo, daß wir wegen der genauen Schilderung,
welche Homeros von den genannten Palläften des Menelaos
und Alkinoos gibt, noch Feineswegs zu dem Schluffe berechtigt
feyen, daß diefelben in der heroifchen Zeit wirklich vorhanden
550) Hom. Il. XVIIL, 370 sggq-
534) I1. XIII, 22 sqq.
552) Hom, Il. XX, 40, sgg-
|
267
gewefen feyen, fo wenig man dieß von dem von Paufanias
erwähnten Apollo⸗Tempel oder von den Behaufungen der
Götter annehmen darf. Die Befchaffenheit diefer Pallafte
und der Stoffe, aus denen fie beftehen, führt uns auf ihre
fombolifche Bedeutung. Der bläulihe Stahl, womit des
Alfinoos und Menelaos Wohnungen verziert waren, bezieht
fi) auf die bläuliche Farbe des Himmels, fo wie das Erz
feine Erflärung in dem Gemölbe desfelben findet, welces
nad) den Vorftellungen®) der Alten ehern war. Der Glanz
des Elfenbeins deutet auf den Glanz desfelben, fo wie das
Elektron und das Gold. Der Glanz, von dem die Kicht-
götter umgeben waren, umftrahlt auch ihre Behaufung.
Apollon, Zeus und Hephäftos haben fich noch in der fpa-
tern Zeit als Götter erhalten. Menelaos und Alfinoos
traten in die Reihen der Herven; aber die Sagen von ihren
fombolifchen Pallaͤſten waren zu weit verbreitet, durch die
Sänger zu fehr verherrlicht, als daß diefelben hätten in Vers
geffenheit gerathen koͤnnen. Daraus erflärt es fich, wie fie,
ohne in der Wirklichkeit vorhanden zu feyn, in die Homeri⸗
ſchen Gefänge übergehen Fonnten. Daß die Alten den Glanz
und die Herrlichkeit, welche einen Gott umglänzte, auf feine
Behaufung übergetragen und diefelbe auf eine feinem Weſen
entiprechende Meife dargeftellt Haben, dafür fpricht die Schils
derung der Schauer erregenden Behaufung des Hades, welche
fo furchtbar ift, als der Gott, welcher ſich im derfelben auf
balt. Die goldenen Hunde, welche in dem Pallafte des Als
finoos an den Wänden ſtehen, treffen wir auh am Him—
833) Hom. Il. V, 504. XVII, 425. Odyss. III, 2. Auch eifern
wird dasfelbe genannt, Odyss. XV, 329. XVII, 565.
268
melsgewölbe an. Die Ppthagoreer nannten die Planeten")
Hunde der Perfephone, und die Hunde der Hekate *) find
die Sterne, welche man auch Rinder des Helios nannte, deren
Zahl ſich weder vergrößert, noch vermindert. Der Pallaft
des Meergottes darf uns nicht befremden; er ıft Bruder des
Zeus; fein Pallaft ift alfo nach dem feines Bruders eingerich-
tet. Der unvergänglice Glanz aller der genannten Palläfte
hat feinen Grund in der unverganglichen Schönheit des Him—
melögemwölbes, an welchem fih Sonne und Mond befinden,
an dem und in welchem fie wohnen. Aus der Vorftellung,
welche die Alten von der Befchaffenheit des Himmels⸗Gewoͤlbes
hatten, dürfte ſich auch der Name, welchen die Gemahlin des
Phriros hatte), Chalfiope, am beften erflaren. Diefe
Chalfiope ift von der Artemis ihrem Weſen nad) nicht vers
ſchieden. |
Menn nun die Palläfte des Menelaos und des Alfinoos
diefe ſymboliſche Bedeutung hatten, warum hat fie die Sage
auf die Erde verfeßt? Der Gott halt ſich nad) den Vorftel-
lungen der Griechen am liebften an dem Orte auf, wo er am
meiften geehrt wird. Apollon wandelt um Chryſe herum *”),
um diefe feine Lieblingsftadt vor allen Unfällen zu fchirmen.
Warum follen Menelaos und Helena nicht an dem Orte vor-
zugsweiſe vermeilen, wo ihr Cultus den höchften Glanz hatte?
Konnte er nicht eben fo gut Herrfcher von Sparta heißen, als
534) Clement. Alex. Strom. V, p. 663.
535) Welder, Aeſchyl. Trilogie, ©. 131.
556) Apollodor. I, 9, 4.
537) Hom. 11.1, 37,
269
Apollon bei Homeros als mächtiger Herrfcher von Tenedos *)
erfcheint? Waͤre Apollon durch andere Voͤlkerſtaͤmme und
andere Götter von feiner hohen Würde in die Reihen eines
Heros herabgedrücdt worden, fo wuͤrde ihn die Sage ficher-
lih König von Tenedos nennen, wie Menelaos König von
Sparta heißt. Sobald die Sage diefem hier einen feften
Wohnſitz anwies, mußte fie feinen Pallaft auch auf die
Erde verfegen, und natürlid) an den Ort, wo er mit der
Helena thront.
Mie viele andere Gegenftande, welche fih am Himmel
befinden, wurden auf die Erde verfet! Das merfwürdigfte
Beifpiel diefer Art bietet die Homerifche Erzählung von den
Rindern des Helios dar, welche ſich auf Sicilien befinden,
wohin die Dichtung die Wohnung des Gottes verfegte. Auch
die Hunde der Hefate und der Hüter der Jo, Argos, wurden
auf die Erde herabgezogen, fo wie die nie gemaͤhete Trift,
auf welcher die Rinder des Apollon weiden. Dasſelbe Schick⸗
fal hatte der Tempel des Apolfon, welcher aber, ald man ihn
fehen wollte, durch ein verzehrendes Feuer vernichtet werden,
oder in einem Erdfehlunde verfinfen mußte. Auch der Pallaft
des Menelaos verfchwand in der hiftorifchen Zeit von der Erde,
ohne daß wir wiffen, wohin er gefommen ift. Mie die bil
dende Kunft fpäter das Weſen der Götter durch verfchiedene
Attribute fo fchon bezeichnete, fo weifet auch die Behaufung
der Pallas auf ihre Bedeutung hin. Sie leuchtet ald Mond
am ehernen Himmelsgewoͤlbe, und wurde deßhalb in Sparta
als Chalkioikos) verehrt. Die Wände ihres Tempels in
538) Hom. 11. I, 38.
559) Paus. III, 10.
2710
ge
Athen waren, wie die neueften Entdeckungen lehren, mit
bläulichen Metallplatten überzogen, welche, wie der blauliche
Stahl an den Wänden des Pallaftes des Menelaos, au bie
Farbe des ehernen Himmels⸗Gewoͤlbes erinnern follten. So
gut ſich von diefem Tempel die Weberrefte bis auf unfere
Zeit erhalten, und allen Verwuͤſtungen der Barbaren getroßt
haben, eben fo gut würden auch, wenigſtens bis zu den
Zeiten des Lyfurgos, Trümmer von der Wohnung des Mes
nelaos übrig geblieben ſeyn, wenn diefelbe je exiftirt hatte.
Mas bei ihm, bei Alkinoos und dem Pythiſchen Apollon
nur Sage ift, und fombolifche Bedeutung hat, dieß hat die
bildende Kunft am Tempel der Chalfioifos und an jeuem
der Pallas in Athen verwirklicht.
Wir haben die Behauptung auggefprochen, daß bie
Alten nicht fo viel Gold und Silber hatten, um ein Ge
baude von jener Pracht herzuftellen, welche uns in dem
Pallafie des Alkinoos oder Menelaos entgegenleuchtet. Man
koͤnnte, um diefelbe zu widerlegen, anführen, daß fie Schäße
in Menge haben mußten, weil fie fi) ſonſt nicht befondere
unterirdiihe Behälter erbaut haben würden, Allein wir
find der feften Ueberzeugung, dag man das Wort Thefaus
108 durch Schagfammer nicht richtig überfeßt, obwohl wir
für den Augenblick Feine erſchoͤpfende Erklärung desjelben
zu geben wiffen, und halten die Thefauren für unterirdiſche
Tempel und Heiligthümer der Götter, welche nach der
Verdrangung der Thrafifhen, Karifhen und Lelegiſchen
Voͤlkerſchaften durch die einzelnen Zweige der Hellenen ihre
Bedeutung verloren, und zu verjchiedenen Sweden verwen;
det wurden, wie die Götter jener Voͤlkerſchaften zu Nerven
271
herabſanken. Zu dieſer Anſicht fuͤhrte uns eine Stelle des
Pauſanias, welcher ") ſagt:, Die Schatzkammer des Minyas,
ein Wunderwerk, welches keinem in Hellas oder auch ans
derwaͤrts nachfteht, ift folgender Art gebaut: aus Steinen
erhöht, bildet fie eine runde Geſtalt, und die Kuppel ift
nicht ganz ſpitz aufgeführt.“ Die Thefauren aus der
Urzeit, welche als Kyklopiſche Gebäude bezeichnet werden,
waren unterirdifch, und wurden oben mit einem großen
drehbaren Steine verfchloffen *). Auch in Delphi fcheint
das ältefte Adyton von ähnlicher Befchaffenheit gewefen zu
feyn, indem es, ein Merf des Trophonios und Agamedes,
aus fünf großen Steinen aufgeführt war"). Welche Beftims
mung oder Bedeutung hatten diefe Heiligthuͤmer, welchen auch
der eherne Thurm der Danae und der Labyrinthos °*) auf
Kreta beigefellt werden dürfen? Dürften wir eine Vermu—
thung wagen, fo würden wir uns diefelbe auf folgende
Weiſe erklären *). Die Entjtehung diefer Gebäude fällt
540) Paus. IX, 38, 2.
541) Plutarch. Philopöm. c. 14. Liv. 59,50. Walpole, p. 557.
Müller, Orchom. ©. 244.
542) Stephan. Byzant. .Seigpoi, &vda 10 advrov dx nevıe wa-
teoxevacras Aldoy, Eoyov Toopwviov zas Ayaundovs.
545) Schwend, ©. 115.
544) Wir erfuchen übrigens jeden Leier, zu bedenken, daß wir
nur eine Vermuthung ausfprehen, weldhe wir mit Ber:
gnügen zuruͤcknehmen, fobald eine befjere und erſchoͤpfende
Erklärung gegeben wird. Nur mit der Anficht Fönnen
wir ung durchaus nicht befreunden, daß fie unterirdiſche
Vorrathskammern geweſen ſeyen. Diefe Behauptung
wuͤrde man ſchwerlich geltend gemacht haben, haͤtte man
272
in eine bieratifche Zeit. Unterirdifche Heiligthümer find im
Alterthume eben Feine ungewöhnliche Erfcheinung, wie man
nicht bloß aus den vielen Nachrichten über die Tempel der
Indier, fondern auc aus der unterirdifchen Behaufung des
Trophonios, in welcher noch in der hiftorifchen Zeit Orakel
ertheilt wurden, erfehen Fann. Mit welcher Mühefeligkeit
das Hinabfteigen in die Höhle des Trophonios verbunden
war, laßt fi) aus Pauſanias Angabe”) erfehen. Die Del:
phifche Höhle, im welcher fich der Orakel: Drache Python
aufhielt, ift befannt, fo daß man es wohl nicht in Zmeifel
ziehen dürfte, daß ſich im der Urzeit auch in Griechenland
unterirdifche Heiligthümer fanden.
Diefe unterirdifhen Tempel, vorzüglich die Thefauren,
dürften ihre Entftehung dem Volfsglauben zu verdanken has
ben, Daß die Sonne oder der Mond zu jener Zeit, wo fie nicht
am Himmel leuchten, in einer unterirdifchen oder dunklen
Grotte oder im Hades oder im Grabe verborgen feyen.
Ihre eigentliche Behaufung ift aber das Himmels-Gemölbe,
und warum foll man, fobeld an die Stelle der Grotten
und Höhlen Gebäude traten, diefen unterivdifchen Tempelu
oder Thefauren nicht die bogenförmige Geftalt des Himmels-
Gewoͤlbes gegeben haben, welches ja nach) den Vorftelluns
bedacht, daß wir aus dem Gebrauche, welchen bie fpatere
Zeit davon machte, Feineswegs aufihre urfprünglihe Be:
deutung und Beſtimmung fchliefen dürfen. Der fpätern
Zeit war diefelbe fo fremd, wie die Mefen, für welche fie
aufgeführt worden waren.
545) Paus. IX, 39,5— 14, Paus. IX, 10, 1.
273
gen der Alten in der Mitte’) eine Oeffnung bat, die das
Thor bildet, durch welches die Götter aus> und eingehen?
Soll man diefe Anficht durchaus grundlos finden, wenn
man bedenft, wie viele Anlagen die Griechen zu Nachbil—
dungen der Art hatten, und welches Schickſal die Aegis
hatte, welche, urfprünglich das Himmels -Gewolbe vorftel-
lend, im Laufe der Jahrhunderte in einen gewöhnlichen
Schild umgewandelt wurde? Sollte man fi) hieraus nicht
amı befriedigendften erklären Fonnen, warum Melampus °”)
nicht bloß in Pylos hochragende Säle bewohnt, fondern
fi) auch in Argos feinen Pallaft hoch erbaut"), und Ne;
fior in einer hochgebauten Mohnung ) lebt? Aus der
Gefhichte und Alterthumskunde Tonnen wir uns die Ber
fhaffenheit diefer Wohnungen des Melampus und des
Neſtor nicht erflaren; denn, fo viel wir wiffen, ftimmen
alle Gelehrten darin überein, daß der Maännerfaal, in weis
chem fich die Könige und Heroen aufhielten, fich im Erd:
gefhoße befand, und die Frauen im Söller waren, der
aber aud) Feine gar jo hohe Lage hatte, daß der Sänger
Urfache gehabt hätte, diefelbe befonders hervorzuheben.
516) Voß, mytholog. Briefe J, S. 135.
5147) Hom. Odyss. XV, 226 sqgq-
548) Hom. Odyss. XV, 240 sqgq-
519) Odyss. XVII, 110 5qq. ef. 1. VI, 317.
Vorhalle zur Griechiſchen Gefäichte. 15
274
Dreizehntes Capitel.
Üeber den Aufenthalt der Heroen in Tempeln.
Wenn aud) die Palläfte des Menelaos und Alkinoos als
geroohnliche Wohnhaufer der Fürften und die Thefauren als
unterirdifche Schaßbehalter betrachtet werden dürften, jo ware
es doc) fonderbar genug, warum fich fo viele Herven in Tem:
peln aufhalten oder in denfelben begraben find! Apollon
trägt den Aeneias aus dem Schlachtgetummel hinweg, und
bringt ihn”) in fein Heiligtum, welches auf der Burg von
Troja fand, wo ihn Leto und Artemis im innerften und
heiligften Raume pflegten, und ihm Kraft und Herrlichkeit
fchenften. Auf die Rettung des Aeneias durch Apollon, wel
cher hier, wie an vielen andern Orten, ganz menfchlich eins
fchreitet, legen wir gerabe Fein großes Gewicht, obfchon fie
feine Verwandtfchaft mit dem Gotte deutlich genug beurfun:
det; allein die Angabe des Sängers, daß ihm der Gott in
den innerften Theil feines Tempels brachte, und Artemis und
ihre Mutter ihn als Liebling pflegten, laßt ſich wohl auf hifto>
riſche Weiſe nicht erklären. Mare damals Troja bereits in
der Gewalt der Achäer geweſen, dann fünnte man fagen, der
Gott mußte ihn, wenn er denfelben anders fchügen wollte,
an einer Stelle verbergen, welche Menfchen unzuganglich
war. Allein Troja befand fich damals noch in Feiner fo vers
bängnißvollen Lage; die Achaer Fonnten an eine baldige Ein-
nahme noch lange nicht denken, fo daß Aeneias in jedem
Haufe vor ihnen hinlänglich gefichert gewefen wäre. Soll
550) Hom. Il. V, 445 sqq.
275
‚vielleicht der Sänger fich hier wieder eine willfürliche Erfin-
dung erlaubt haben? Diefer Vermuthung widerfpricht Die
wichtige Thatfache, Daß Aeneias nicht bloß hier, fondern in
vielen andern Sagen mit dem Apollon-Cultus ®) in
der innigften Verbindung fteht, jo daß der Aufent-
halt des Heros in dem Heiligthume dieſes Gottes ohne
Zweifel eine tiefere Bedeutung haben, und auf die urfprüng-
liche göttliche Natur des Aeneias und feine Verwandtſchaft
mir Apollon fich beziehen dürfte. Pallas ‚begibt fib von
Scheria *) nad) Athen, wo fie in das Haus des Erechtheus
eilt. Nach) einer andern Sage wurde ’) Erechtheus im Tem:
pel der Pallas erzogen und von der Göttin felbft gepflegt, fo
dag aljo der alte Pallas-Tempel und das Haus des Erech-
theus als ein und dasſelbe Gebaͤude erfheinen.
Das Heiligtum der Demeter Thesmophoros foll einft
das Haus des Kadmos und feiner Nachkommen geweſen ſeyn.
Es laßt fi) aber, wenn wir alle Angaben, welche fic) uns
aus dem Alterthume über die einzelnen Tempel erhalten haben,
vergleichen, durch Fein einziges Zeugniß darthun, daß menfch-
liche Wohnungen in Götter = Tempel umgejbaffen worden
feyen. Kadmos und Demeter *) müffen alfo wohl jenes Heiz
551) Müller, Dorer I, 221 fg.
552) Hom. Odyss. VII, 78 sqq.
555) Hom. Il. II, 547 sqq. Würden diefe Angaben bloß von
fpätern Logographen erwähnt, fo koͤnate man fie eber als
geringfügig betrachten: allein beide ſtuͤtzen ſich auf die Al:
tete und ſchaͤtzbarſte Quelle, welche wir aber die Urgeſchichte
haben,
553) Pausan. IX, 16, 3.
18*
276
ligthum urfprünglich als Götter mit einander bewohnt haben,
Upis, Arge und Helaerge haben wir bereits als Praͤdikate
der Mondgottin Artemis kennen gelernt. Die drei Genien
oder Dienerinen, welche die Sage daraus bildete, Tonnen fi)
nur auf die drei Mondphafen beziehen, wie die drei Geftalten
der Hefate. Hekaerge hatte im Tempel der Göttin auf De
108 zur linfen Seite des Einganges ihr Grabmal”). Die
Grabmäler der Upis und Arge zeigte man hinter dem Tem-
pel: Daß diefe Grabmäler übrigens nur eine ſymboliſche
Bedeutung hatten, wie das Grab des Zeus oder der Ne:
lena *), brauchen wir nicht erft zu bemerken, Neben dem
Tempel der Artemis zu Negeira in Achaja fiand eine alte
Bildfäule, welche nad) der Ausfage der Negeiraten die Zoch:
ter des Agamemnon, Iphigeneia, vorftellte ). War die Arre,
mis ihrem Weſen nad) von der Sphigeneia verfchieden, fo fieht
man nicht ein, in welcher Beziehung ihre Bildfaule zu jener
der Göttin ftand. Denn das Alterthum har Menfchen, wenn
man die Iphigeneia für die Priefterin der Göttin erflaren
will, feine Bildfäulen errichtet °*). Allein unbefangene Forz-
fcher haben den Namen Sphigeneia””) laͤngſt als ein Pra-
difat der Mondgöttin erkannt.
555) Herodot.1V, 33. Clem. Alexandr. Protr. p. 39.
556) Gefhichte des Trojan. Krieges, ©. 118. cf. Callimach.
Hymn. in Jov. 6sqg- Pausan. III, 49, 9.
557) Pausan. VII, 26. 3.
558) Wir müffen, um allen Mifdeutungen vorzubeugen, hier
ausdruüdlich bemerken, dag wir nur von der Urzeit reden,
und fehr wohl wiffen, daß die fpatere Zeit mit Errichtung
von Bildfaulen freigebiger war.
559) Schwend, ©. 219,
277
Steht nicht Achilleus mit dem Ptoon ”) in der innigften
Verbindung? Man vergeffe nicht, daß Leto in der Nähe
desfelben*') den Apollon und die Artemis geboren haben foll,
und wenn man berücfichtigt, warum die Bildfaule der Iphi—
geneia neben dem Tempel der Artemis ftand, fo wird man
mohl einfehen, warum Achilleus nicht bloß mit dem NHeilig«
thume der Kinder der Leto in der nächften Beziehung fteht,
fondern auch begreifen, warum er auf Leuke mit der Fphiges
neia vermaplt iſt. Afrifios lag in dem Tempel der Pallas
begraben“), und die Göttin hatte felbft den Beinamen Afria.
Die Kinder der Medeia *) lagen im Tempel der Hera auf
der Burg von Korinthos begraben. Mo die Grundmauern
von dem Haufe des Dinomaos ftanden *"), waren zwei Al-
täre, von denen der eine Dem Zeus Herfeios, der andere aber
dem Zeus Keraunios geweiht war, Neben dem Pelopeion
war eine hohe Bildfaule mit einem Fleinen Bilde des Zeus,
welches die eine Hand ausftredte’®), Ein anderes Bild des
Zeus hatten die Kniedier der Cherrhonefos geweiht. Zu beiden
Seiten neben Zeus ftellten fie den Pelops und den Fluß Al-
pheios auf. Warum ftehen Zeus und Pelops, Zeus und Dino-
maos in einer fo nahen Verbindung? War es bei den Alten
vielleicht Sitte, Herven ſchon in frühefter Zeit in den Tem—
560) Plutarch. Gryli. 7,13. p. 224. Hutt. Lycophr. 258, 352
et Schol.
561) Paus. IX, 23, 3.
562) Clem. Alex. Prot. p. 29, ed, Sy)b. Muller, Dor, I. 397.
563) Pausan. II, 3, 6. Müller, Orchom. 269.
564) Paus. V, 14,5.
565) Pausan. V, 24, 1.
278
yeln der Götter zu begraben, oder ihre Bildfaulen neben denen
der Götter aufzuftellen? So viel ung befannt iff, findet
fi davon Feine Spur, und wir werden wohl am richtigften
urtheilen, wenn wir die Wermuthung ausfprechen, daß dieſe
Verbindung auf die Werwandtfchaft, in welcher die genann-
tem Mefen als Götter zu einander gedacht wurden, bezogen
werden müffe, und daß die Gräber nur eine ſymboliſche Ber
deutung haben.
Vierzehntes Gapitel.
Ueber die Kleidung und den Schmuck einiger Heroen und
Hersinen,
Sp geringfügig aud) das Gewand erfcheint, welches
ein Heros trägt, fo dürfen wir hier die Kleidung, in wel-
cher Odyſſeus °*) fi) nach Troja begab, doch nicht ganz
mit Stillfchweigen übergehen. „Er trug ein purpurnes Dop-
pelgewand, an dem fich eine goldene Spange und Schlie-
Ben mit doppelten Röhren befanden. Auf der Vorderſeite
war ein Hund abgebildet, welcher ein Rehkalb würgte,
das fi) mit feinen Füßen abmühte, um ihm zu entfliehen.
Unter dem Mantel trug er einen wunderkoͤſtlichen Leibrock,
welcher fo zart und fo fein war, wie die Schale einer ge-
trockneten Zwiebel, und fo hell ſchimmerte, wie die Sonne,
fo daß ihn viele Frauen mit Entzücken bewunderten.“ Daß
die Heroen, wenn fie fi) zu einem Kriege begaben, pur⸗
purne Mäntel von folcher Pracht trugen, ift uns unbefannt.
566) Hom. Odyss. XIX, 225 sqq-
279 )
In der Ilias, wo der Sänger oft genug Veranlaffung ger
habt hätte, auf folche Kunftwerfe einzelner Helden aufmerk
ſam zu machen, treffen wir feine einzige ahnliche Angabe.
Die allgemeinen Ausdrüce, ſchoͤn und neugemebt, welche
dort fo häufig wiederfehren, berechtigen uns doch nicht zu
der Annahme, daß die Kriegskleider von außerordentlicher
Schönheit waren, weil fie fonft naher bezeichnet wären.
Wir müflen uns aud hier wieder auf das Gebiet
der Mythologie begeben, wenn wir die Kleidung des
Odyſſeus erklären follen. Helios fit *) auf einem Thro—
ne, und ift mit einem Purpurmantel angethan. Daß fid
die Yurpurfarbe auf jenen Glanz beziehe ®), welchen die
Sonne vorzüglid bei ihrem Auf > und Untergange bat,
haben ſchon die Alten richtig erkannt. Der Sänger
nennt deßhalb die Eos, welche dem Sonnengotte die Pfor-
ten des Morgens aufichließt, und Göttern und Men-
fchen das Licht anfündigt, die Göttin mit Rofenfingern,
Ihr Vorhof *) ift ganz mit ofen beftreuet. Soll die
Purpurfarbe des Gewandes, womit Odyſſeus angethan
ift, eine andere Bedeutung haben? Der Hund, welcher
fi auf der Worderfeite desfelben befindet, bezieht ſich
fo gut auf die göttlihe Natur des Odyſſeus, mie Das
Medufenhaupt auf dem Gewande oder der Aegis der Pal-
las, Wie Jo von Argos gehütet wird, fo hat auch Odyſ—
fens den Argos in feiner Behaufung, welcher bei feiner An;
567) Ovid. Metam. II, 23 et interpret.
568) Virgil. Aen. VI, 644. Ovid. Fast. III, 518.
569) Ovid. Metam. II, 115 sq.
280
—
kunft dahin ſtirbt ), fo dag Odyſſeus, welchen wir ſchon
fo oft in Verbindung mit Hermes gefehen haben, ihm auch
ale Argos-Tödter gleichfteht. Der Sohn, welden Hypſi⸗
pyle dem Jaſon gebar, wird Nebrophonos, der Rehkalb—⸗
Tödter *), genannt, und Dionyfos 7°) ift in Rehhaͤute
gehüllt, wenn er den Fackel-Tanz auf dem Parnaſſos auf-
führt. Es darf uns alfo, wenn wir an die goldblonden
Haare des Nehes denken, nicht befremden, daß Dionyfos
in Rehe⸗Felle gehülft ift, da er früher ebenfalls Sonnen-
Gott war, und daß auf dem Mantel des Odyſſeus nicht
bloß der Argos, fondern auch ein Rehkalb erfcheint. Die
feindliche Beziehung, in welcher beide Thiere zu einander
erfcheinen,. beruht auf dem Mißverftändniß der fpatern Zeit,
welche die Bedeutung dieſer Thiere und ihr Verhaͤltniß zu
Ddyffeus nicht mehr Fannte. Pan hat das röthliche Vließ
des Luchfes um feine Schulter *), welches, wie das Neh-
fell, auf die Farbe des Sonnenlichtes hinmweifen fol, Pos
Inneifes *) ift in eine Löwenhaut gehüllt, ale er zu Adra—
fios kommt. Die Löwenhaut, welche Herakles trägt, iſt
befannt, wie auch das goldene oder purpurfarbige Vließ,
welches Phrivos in dem Haine des Ares aufhing. Was
fol das goldfarbige Vließ im Heiligthume des Ares anders
570) Hom, Odyss. XVII, 326 sq.
574) Apollodor. I, 9, 17.
572) Eurip. fragm. I. Aristoph. Ran.’ 41242. Stat. Theb.
V, 265. Müller, Orchom. ©. 268.
573) Hymn. Hom. XIX, 25 sgg-
574) Schol. Hom. Il. IV, 376, p. 136.
281
Sonnengott trägt? Wenn in den heißeften Tagen bet Auf-
gange des Hundafternes der Priefter mit auserlefenen vorneh—
men Sünglingen auf den Pelion ftieg, um den Zeus Aftäos
zu verehren, waren fie alle mit neuen, zottigen Widberfellen °”)
umgürtet. Die neuen, filberfarbig jhimmernden Widder
felle beziehen fich doch mohl auf den Kichtglanz? Hieraus
dürfte auch erhellen, warum der Leibrock, weldyen Odyſſeus
unter feinem Purpurmantel trug, hell ſchimmert, wie Die
Sonne. Wir wiffen allerdings, dag man auf derlei Gegen:
fände Feine befondere Aufmerkfamkeit richtet, und fie als
Kleinigkeiten, welche der Willkuͤr der Sänger angehörten,
verachtet. Doch wir Fünnen uns von diefer Willkuͤr nicht
überzeugen, fondern hegen die Zuverficht, daß fich aus fol-
chen fcheinbar Kleinen Dingen nicht felten die Bedeutung der
Götter am leichteften erkennen laffe.
Hier dürfen wir auch den Halsſchmuck nicht übergehen,
welchen einige Heroinen haben. Die Halskette, welche Har-
monia von der Aphrodite erhalt, ift aus Perlen zuſammen—
geſetzt. Auch Helena und Eriphyle haben gleihen Schmud.
Wichtig ift der Umftand, daß fich nicht bloß die Halskette der
Helena zu Delphi im Heiligthume des Apollon befindet °),
fondern aud) jene der Eriphyle. Waren diefe weiblichen Zier—
den wirklich vorher in dem Beſitze der zwei genannten Göt-
tinen oder Königinen, oder hat fie auch Apollon felbit, fo daß
fie fid) bei ihm, wie bei diefen Frauen auf feine Bedeutung
beziehen? In Olympia war auc Zeus mit einer Halskette
575) Müller, Orchom. S. 243.
576) Athen, VI, p. 232. c.d.f.
282
angethan ””), jo daB wir wohl behaupten dürfen, daß diefer
Schmuck den Kichtgöttern eben fo eigenthuͤmlich war, wie den
Goͤttinen. Sollen ſich die Perlen, woraus jene Halsketten
beftehen, nicht auf die Sterne, foll ſich das Gold nicht auf den
Lichtglanz beziehen? Die Krone der Artadne ift nichts an-
deres, als der Sternenfranz °). Die Mondgöttin ift von
den Sternen umgeben, weßhalb der weißfchimmernde Gter-
nenhimmel oder Argos der Hüter oder Gefährte der Jo heißt.
Warum foll die Mondgottin, in menfchlicher Geftalt abgebil-
det, nicht ebenfalls von dem Sternenglanze umgeben feyn, da
fie auch die Negis hat, und das Medufenhaupt ſich auf ihrem
Kleide befindet? Wie Harmonia ihre Halskette von der
Aphrodite empfangen hat, fo ift auch die Krone der Ariadne’”)
ein Geſchenk der Aphrodite oder des Dionyfos, und wenn
Thefeus diefe Krone aus den Tiefen des Meeres holt”), fo
thut er nichts anderes, ald Hermes, welcher die Ninder des
Apollon entwendet, oder die Sterne am Himmel emporführt.
Die Sterne fcheinen, wie die Sonne, aus dem Meere empor
zu tauchen, und fich in demfelben wieder zu verlieren. Der
Sonnengott führt fie nach den Vorftellungen der Alten am
Himmel empor, und führt fie wieder vom Himmel hinab.
Daß Ariadne, Eriphyle, Harmonis, Helena und Alk
mene ihren Schmud nicht urfprünglich haben, fondern als
577) Pausan. V, 22, 1.
578) Arat. Phaenom. 71sqq. Theon. ap. Arat. 74. Hygin.
Astron. Il, 5. Eratosth. Catast. 5. Meurs. Thes.e. 14.
Mezir. ad Ovid. II, p. 109,
579) Hyg. et Theon. 1. c.
580) Hyg: L. c.
*
283
Geſchenk von andern Goͤttern erhalten, erklaͤrt ſich aus der
untergeordneten Stelle, welche ihnen die ſpaͤtere Zeit anwies,
wo ſie nur als Dienerinen und Freundinen der ſpaͤtern Goͤt⸗
ter erſcheinen, mit welchen ſie fruͤher gleiche Ehre und gleiche
Bedeutung hatten. Dieſe Erſcheinung kehrt in der Griechi-
ſchen Sage zu oft wieder, als daß wir fie in Zweifel ziehen
koͤnnten, und fie muß uns um fo natürlicher erfcheinen, wenn
wir bedenfen, welchen engen Wirkungsfreis in der ſpaͤtern
Zeit fogar einzelne Götter und Göttinen erhielten, welche
früher mit Zeus und Hera gleiche Bedeutung hatten,
Fünfzehntes Capitel.
Ueber die Speere und Bogen einiger Heroen.
Auch) andere Gegenftände, welche einzelne Heroen haben,
find von der Art, daß die Weſen, welche diefelben haben, nicht
für Menfchen angefehen werden Fonnen, fondern in der Ur-
zeit eine höhere Bedeutung gehabt haben müffen. Wir erin-
nern zuborderft an das Scepter des Agamemnon, welches Fein
Menfchenwerk, fondern ein Kunſtſtuͤck des Hephaftos und
von ewiger Dauer ift. Hermes überbrachte dasfelbe dem Per
lops, und diefer vererbte *) es auf alle feine Nachkommen.
Dem Agamenmnon verlieh nad) Homeros ) Zeus nur einen
Hauptvorzug, nämlich den, mit dem Scepter der Macht
vor allen Königen geehrt zu werden. In Delphi °®) war
551) Hom. 11. II, 104 sqg.
582) Hom. 11. IX, 37 sqq-
583) Pausan. X, 50, 1..
284
Agamemnon abgebildet, mit dem Scepter ſich die linfe Schulz
ter unterjtügend, und in den Händen einen Stab haltend.
Paufanias) fagt: „Goͤttlich verehren die Charoneer vor
allem das Scepter des Agamemnon, und diefes Scepter ver;
ehren fie unter dem Namen Speer. And daß dasfelbe et-
was Höheres fen, offenbart nicht am wenigften der Glanz,
der von ihm auf jene Männer überging. Sie fagen aber, es
fey da gefunden worden, wo fie mit den Panopeern in Phokis
zufammengrenzen, und die Phofeer hatten auch Gold dabei
gefunden; ihmen aber fey das Scepter lieber geweſen, als das
Gold. Nah Phokis ift es aber nach meinem Dafürhalten
durch die Eleftra gebracht worden. Ein öffentlicher Tempel
ift für dasselbe nicht errichtet, fondern der Priefter eines jeden
Jahres bewahrt es in feinem Haufe, und alle Tage werden ihm
Opfer gebracht, und ein Tiſch fteht vor demfelben mit aller-
lei Sleifch und Backwerk gefüllt.
Mir wollen zuerft die Bemerkung des Paufanias, daß
die Charoneer das Scepter des Agamemnon unter dem Namen
Speer verehrten, etwas näher in das Auge faffen. Wir
haben ſchon früher den Agamemnon für den Karifchen Zeus
erflart ®), eine Anficht, welche durch die vielen neuen Be-
weife, die fi) uns für diefelbe dargeboten haben, immer tie-
fere Wurzel in uns faßt. Auf einer Münze der Stadt Jaſſus
in Karien 8) haben wir das Bild diefes Karifchen Zeus oder
Zeus Areios, welcher von den Schriftftellern des claffifchen
534) Pausan. IX, 40. 5.
585) Gefhichte des Troj. Krieges, ©. 182.
586) Münchner gelehrte Anzeigen von 1836, S. 14 fa.
285
Alterthums öfter genannt, deffen Geftalt aber nirgends be
ſchrieben wird. Aus diefer Münze erfehen wir, daß er bär-
tig, mit Helm und Kriegsrüftung, mit Schild und Lanze vor⸗
geftellt wurde, Diefe Lanze, als das vorzüglichfte Attribut
des Gottes, ſcheint alfo in der Urzeit Gegenftand ganz be—
fonderer Verehrung gewefen zu feyn, und nur daraus, daß
Agamemnon die nämliche Bedeutung ehedem hatte, wie der
Karifche Zeus, daß fein Name urfprünglich nur ein Pradifat
desfelben war, laßt fich die Ehre erklären, welche fein Scep⸗
ter noch in der fpatern Zeit genoß. Eines irdifchen Königs
Scepter kann nicht unalternd und unverganglich gas
nannt werden. Von ewiger Dauer find nur jene Gegen:
ftande, welche die Götter haben, die von ihrem Weſen durch»
drungen find. Der Zauberftab des Hermes ift *) unalternd,
die Pallafte des Poſeidon M) und des Hephäftos *) find uns
vergänglich, und der goldene Kranz, wontit die Räder an dem
Wagen der Hera”) geziert find, iſt unalternd.
Daß ein ſolches Scepter, welches einem Gotte ange
hörte, unter einem Friegerifchen Volke, wie die Karifchen und
Lelegifchen Stamme waren, Gegenftand göttlicher Verehrung
feyn mußte, darf uns nicht jonderbar dünfen. Die Jaſoniſche
Lanze genoß bei den Bebrykern ebenfalls göttliche Verehrung 9.
Der Divnyfos Kadmeios war ein Holz mit Erz überzogen,
587) Hymn. Hom. III, 530.
588) Hom. Il. XII, 22.
589) Hom. Il. XVII, 370.
590) Hom.Il. V, 723 sqg- ’
591) Ptolem. Heph. p. 482. Müller, Orchom. S. 276, N. 1.
286
und Gegenftand vorzüglicher Verehrung”). Wir willen”),
daß die Skythen, welche Ares als den Hauptgott verehrten,
ein Schwert ald Symbol desfelben hatten, welches fie ganz
befonders in Ehren hielten, für das fie aber feinen Tem-
pel errichteten. Etwas Achnliches treffen wir auch in Kap-
padokien an. In Komana in Kappadokien war das Schwert
der Iphigeneia Öegenftand vorzüglicher Verehrung *). Iphi⸗
geneia aber war nad) der Sage die Tochter des Agamemnon.
Der Karifhe Zeus hieß bei den Thrakiſchen Stammen in
Theben und auf der Inſel Kreta und in Arfadien Hermes.
Die Namen Zeus Areios, Agamemnon und Kadmos find
allerdings von einander verfchieden, aber nicht Die Gottheit,
welche die einzelnen Zweige der Thraker und Karer unter dies
fen Namen verehrten, Daraus erklärt es fich, wie die Sage
den Enyalios Ares ’”) zum Oheime des Kadmos machen
fonnte, welcher aus einem Pradilate des Hermes zu einem
befondern Wefen umgebildet wurde. Aus dem näamlichen
Grunde ift Ares Vater der Harmonia, welche mit Kadmos
vermahlt ift. Hermes oder Kadmos war, wie Zeus Areios
oder Agamemmon bei den Karern, bei den Thrakiſchen Zwei—
gen Himmelsfonig, und derjenige Gott °), welcher von den
Königen derfelben vorzüglich verehrt wurde, den fie auch als
Dbwalter in Kriege betrachteten. Obſchon Hermes im der
592) Pausan. IX, 12, 5.
593) Herodot. IV, 62.
594) Dio Cass. XXXV, 11. Geſchichte des Trojan. Krieges,
&, 1792.
595) Schol. Apoll. Rhod.]I, 916. Müfer, Orchom. ©. 217.
596) Herodot. V, 7.
2857
Griechiſchen Mythologie eine fehr untergeordnete Rolle erhielt,
fo fonnen wir doch noch aus vielen Dingen abnehmen, daß
er urſpruͤnglich auch Kriegsgott war. Selbſt bei Homeros
tritt er”) als Kämpfer auf, und ftellt ſich der Leto entgegen.
In Olympia °®) befand fich ein Hermes, welcher einen Wid-
der unter dem Arme trug, einen Helm auf dem Kopfe hatte
und mit einem Kriegsmantel angethan war. Diefes Weih-
geſchenk war von den Arfadiern aus Pheneos. Nicht weit
von dem Weihgeſchenke der Pheneaten war ein anderes Herz
mesbild mit einem Heroldsftabe. Die friegerifche Wirkſamkeit
des Hermes tritt auch noch in dem Umftande hervor”), daß
Kadmos bei den Kretern Helmbufh, Schild und Speer be>
deutete.
Iſt nun Agamemnon feinem Weſen nach als Karifcher
Zeus nicht von Hermes verjchieden, jo wird die Sage, daß
fein Scepter , welches fo heilig gehalten wurde, von Hermes
ftammte, wohl nicht mehr rathfelhaft erfcheinen. Der Gott,
welcher mit ihm verwandt tft, gibt ihm dasfelbe, Weil aber
Hermes in der Griechifhen Mythologie einen fehr unterge-
ordneten Rang hatte, und fchon bei Homeros als Bote der
Götter erfcheint, bringt er ihm das Scepter auf Befehl des
Zeus. Agamenmon hatte es ſchon urfprünglich; allein wie
follte er als fterblicher König, wie ihn fchon Homeros auf>
treten laßt, ein Kunftwerf des Hephäftos von ewiger Dauer
haben? Diefen Zweifel Fonnte fich die Sage nur durch Die
597) Hom. 11. XX, 72.
598) Pausan. V, 27, 6.
599) Kaduos, dogv, Aopos, donis, Kontes. Hesych.1I, 99. cf.
Con. 37. Müller, '. c.
288
Annahme lofen, daß feine Vorfahren dasfelbe durch beſon⸗
dere Gunſt der Goͤtter erhalten hatten. Die Verwandt—⸗
jhaft des Hermes und Agamemnon laͤßt fi) durch die
Art, wie Agamemnon®) in Delphi abgebildet war, und
wie wir den Hermes in Olympia dargeftellt fehen, nod)
naher erweifen. Wahrend jenes Bild des Hermes, welches
die Einwohner von Pheneos weihten, die Lanze hatte,
trug das andere den Stab. Agamemnon ftüßte ſich nach
der Erzählung des Paufantas mit der linfen Schulter auf
das Scepter oder feinen Speer, und hielt in den
Handen einen Stab. Was foll der Stab bedeuten ?
War Agamemnon König, fo hatte der Künftler, um auf
feine Herrfcherwürde aufmerffam zu machen, nur nöthig,
ihm das Scepter zu geben. Der Stab erfcheint in diefem
Falle ganz überflüffig. Sollte derfelbe nicht urfprünglich
mit jenem gleihe Bedeutung gehabt haben, womit Herz
mes") den Sterblihen die Augen zuſchließt, und die
Schlummernden wieder erweckt? Wir finden diefe Ver:
muthung nicht zu Fühn, da beide, Hermes und Agamem-
non, in jo vielen Beziehungen fich gleich erfcheinen, und
Thyeftes, der Bruder des Atreus, von welchem Agamem:
non abftammt, lämmerreid heißt"), wie Hermes mit
Hekate als Vermehrer der Heerden verehrt wurde‘®).
Uebrigens wiederholen wir die Verficherung, daß wir Diefe
600) Pausan. X, 50, 1.
601) Hom. Odyss. V, 47. XXIV, 2 sqg,
602) Hom. Il. II, 106.
603) Hesiod, Theogon. 441 sgg.
Me
Erklärung mit Vergnügen zurücknehmen, wenn eine beffere
dafür gegeben, und die gefchichtliche Bedeutung des Aga-
memnon fo dargeftellt wird, daß fie nicht * mehr an:
gefochten werden kann.
Das Scepter oder der Speer des Uchilleus ift ebens
falls von der Art, daß denfelben Niemand als das Sym—
bol feiner irdischen Macht und Würde erfennen wird‘).
Diefer Speer war”) groß, ſchwer und gediegen. Peleus
erhielt ihm vom Cheiron, welcher die Megende Eſche den
Hohen des Pelion enthauen hatte. Er war fo fchwer,
daß ihn außer Achilleus Feiner der Danaer zu gebrauchen
vermochte. Wo Achilleus mit demfelben erfchien, ſcheuchte
er die Trojaner") zurüd, und fie wagten es nicht mehr,
aus Dardanos fchirmenden Thoren vorzugehen. Nach
Pindaros hat fih Peleus‘”) diefen im Alterthum fo viel
fach gefeterten Speer auf dem Pelion felbft ausgefchnitten,
als er bereits in hohem Alter ftand.
Mie Ugamenmons Scepter oder Speer ein Gefchenf
der Götter und gottliher Natur war, fe ift auch die Lanze
des Cheiron, die Peleus von diefem erhielt, göttlicher Art.
Sie hat alle Merkmale, welche der Sänger von dem
604) Hätten ſich uns die vielen epifhen Gefänge, welche Hellas
bereits vor dem Zrojanifchen Kriege beſaß, erhalten, fo
koͤnnte über die ſymboliſche Bedeutung diefer Fanze gar
fein Sweifel obwalten.
605) Hom. Il. XVI, 110 sqgq. ef. Dissen ad Pind. T. II. p.
582. Heyne ad Apollodor. p. 514.
606) Hom. Il. V, 769 sqgq.
607) Pind. Nem. II, 55 et Scho!.
Vorhalle zur Griechifhen Geſchichte. 19
290
Speere der Pallas rühmt‘). Derſelbe ift groß, ſchwer
und gediegen, und wie fie damit die Reihen der Herven
überwältigt, denen fie zürnet, fo ift auch der Speer des
Achilleus ) zum Morde des Heldengejchlechts dem Pelion
enthauen worden. Cheiron felber ift von jenem Zeus Ak—
täog, welchem der Priefter, mit einem Midderfelle ange
than"), opferte, dem Thrafifchen Königs: Gotte Hermes,
nicht verfchieden. Er ift Kriegsgott, wie diefer; dieß ber
weist die. Erfahrenheit, welche er in Friegerifchen Webungen
befißt, er ift, wie Hermes, Heilgott und Arzt, und wie
Hermes die Lyra erfand, fo ift auch Cheiron Mufenfänft-
ler und Mufiter). Ware die Lanze des Achilleus von
gewöhnlicher Art gewefen, fo hätten fie ficherlich auch au—
dere Helden fchwingen fonnen. Ajas erfcheint als der ge:
waltigfte und Traftigfte unter den Achaern, und ift, was
Stärke”) anbelangt, nah dem Sänger der Slias und
jenem der Dönffee ſelbſt dem Peliden hierin überlegen.
Warum hatte diefer die Lanze nicht regieren fonnen, da
608 Hom. Od. I, 100 sq.
609) Hom. Il. XVI, 143 sq. zyv naroi pilp nope Xeiowy
Ilmkiov &x z00vpnS YPovov Euusvaı OWEOGL.
610) Müller, Orhom. ©. 218 fg.
6411) Hom. Il. IV, 214. XI, 850. Pind. Nem. Ill, 92 et
Schol. Pyth. 111,79 et Schol. IV, 182, VI, 19 et Schol.
Böttiger, Vafengemälde, 5. Heft ©. 144 fig. Voß, my—
thol. Briefe, II ©. 267.
612) Hom. Il. III, 226 sqg. Odyss. XI, 549 sqq. Das Lob,
welches ihm Ddyffeus hier ertheilt, enthalt alles, was
man von einem außerordentlihen Manne nur immer
fagen kann.
I SS A
PT:
zum Schwingen derjelben, wenn fie zum Kriege gehört
hatte, doch wohl ungewöhnliche Kraͤfte des Körpers, be
fonders ftarfe Arme Hingereicht hatten? Oder dürfen wir
die Behauptung geltend madyen, daß alle Sagen der Dichs
ter über diefe berühmte Lanze ein Spiel der Phantafie
ſeyen? Iſt es wahrſcheinlich, daß eine gewöhnliche Lanze
von Seite der. Sänger fich einer ſolchen Verherrlichung
zu erfreuen hatte? Wir Fonnen dieß nicht glauben.
Die Bogen, welche einige Herven haben, Fonnen wir
ebenfalls nicht für menjchlihe Waffen halten. Es war
fehr natürlich, dag man dem Sonnengotte und der Mond:
göttin, fobald man fie in menſchlicher Geftalt fich vorftellte,
und die Pfeile, wie das kindliche Altertum die Sonnen;
firahlen nannte 65), für gewöhnliche Pfeile hielt, auch einen
Bogen und Köcher geben mußte, mit denen fie jene Wir:
tungen bervorbringen, weldye von dem Lichte ausgehen.
Herakles‘") ficht im Orkus mit entblößtem Bogen, und
haͤlt, ſchrecklichen Blickes, den Pfeil auf der Schne, wie
wenn er denjelben jeden Augenblick abſchnellen wollte. Das
Gehaͤuge, welches um feine mächtige Bruft hängt, ift fürch-
terlich. Auf dem Riemen, welcher vom Golde heil ſtrahlte,
prangten viele Wunder, Bären und Eber und Löwen in
Wuth, Schlachten, Gefeht, Mord und Männervertilgung.
„Nie doch, fagt Homeros, fchafft” ein Künftler, ja nie ein
anderes Kunſtwerk, hat er ein foldes Gehang mit eigener
Kunft vollendet.” Man Tann aus diefen Worten deutlich
genug abnehmen, daß der Bogen des Herakles von Sängern
615) Schwenck, ©. 219.
614) Hom. Odyss. KT, 606 sqgq-
19*
292
eben jo vielfach gepriefen worden ſeyn müffe, wie jener des
Apollon. Ueber die Thiere, welche ſich auf dem Riemen be-
finden, und von der Beziehung derfelben zu dem Lichtgotte
wollen wir fpäter die nöthigen Bemerkungen beibringen. Er
glänzt von Gold, wie der Bogen des .Apollon von Silber,
oder wie die Aegis des Zeus goldene Troddeln hat, wegen
der Bedeutung, welche Herakles in der alten Mythologie
hatte. Die ganze Haltung des Herafles gleicht jener des
Apollon, von welchem der Sanger‘”) der Ilias fagt: „Er
enteilte zürnenden Herzens von den Hohen des Olympos,
und trug an der Schulter den Bogen und wohlverfchloffenen
Köcher. Bei jeder Bewegung oder jedem Schritte erfchollen
laut die Pfeile an der Schulter des zürnenden Gottes, welcher,
düfterer Nacht gleich, daherwandelte, fi) fodann von den
Schiffen entfernt feste, und den Pfeil abſchnellte, fo daß das
Getön des filbernen Bogens grauenvoll erklang.“ Die Aehn⸗
lichkeit zwifchen dem zürnenden Apollon und Herakles im
Hades ift fo groß, daß man diefelbe unmöglich als gering»
fügig anfehen darf. Beide kommen in fo vielfahe Berüb-
rungen, und haben fo viele Eigenfchaften mit einander ger
mein, daß es einem unbefangenen Forſcher nicht entgeht
daß beide früher ihrem Weſen nad) einander gleich geweſen
ſeyn müffen %), und nur die verfchiedenen Namen fie im
Laufe der Zeit zu verfchiedenen Wefen machten. Bei Home-
ros, welcher ung die ältefte Quelle ift, iſt Herakles, wie
615) Hom. 11. I, 44 sggq-
616) Damit fol keineswegs geſagt fenn, daß fie einem und
demfelben Bolfsftamme angehörten.
293
Apollon, immer mit Bogen und MWehrgehenk”) verfehen.
In dem Hefiodifchen Gedichte’) hat er, wie Achilleus, Schild
und Lanze, Ob ihn aber erft die Spatern in der Loͤwenhaut
und mit der Keule als einen Halbwilden und als Abentheu-
rer °®) darftellten, oder ob fie nur zu den uralten Sagen zus
ruͤckkehrten, ift eine große Frage. Wir zweifeln fehr, daß
achtbare Sänger, bei denen er zuerft mit diefen Attributen
auftritt, diefelben ihm willfürlich beigelegt haben. Wahr:
fcheinlicher ift es, daß fie, nachdem Schild, Bogen und
Speer Feiner weitern Verherrlihung mehr fahig waren, zu
den uralten Sagen zurückehrten. Warum foll Herakles
die goldgelbe Loͤwenhaut nicht tragen, nachdem auch Yan
in das vöthliche Vließ des Kuchfes”®) gehuͤllt iſt? Dürfte
die Keule als rohefte Waffe nicht die erfte gewefen fenn,
welche die Sage dem Gotte beilegte? Uns dünft, daß, je
einfacher und roher ein Attribut ift, dasfelbe ein um fo hd-
beres Alterthum verräth.
Der Bogen des Odyſſeus ift zwar von den Dichtern
nicht ſo verherrlicht, wie jener des Herakles; aber doch auch
zu merkwuͤrdig, als daß er nicht eine kurze Betrachtung ver⸗
dienen follte. Diefen Bogen hatte Odyſſeus vom Sohne des
Eurptos, von Sphitos, erhalten‘); nie trug ihn, fagt
Homeros, der edle Odyſſeus, wenn er zum Streite auszog,
617) Hom. Il. V, 395. Odyss. VIII, 224.
618) Heinrich, Prolegom. in Scut. p. 69.
619) Dissen, explicat. Pind. Pyth. I, 5 p- 525. Buttmann
ad Sophocl, Philokt. 726.
620) Müller, Dorer I, ©. 443.
624) Odyss. XXI, '32 sqg.
294
fondern er ließ ihn. dann in feinem Pallafte ruhen. Aber in
der Heimath ſich aufhaltend, trug er denfelben immer. Diefer
Bogen war fo groß, und die Sehne desselben fo mächtig,
daß ihn Fein Freier, fo ftark diefelben aud) waren, zu fpan-
nen vermochte, wahrend ihn Odyſſeus mit der nämlichen
Reichtigfeit fpannte®”), mit welcher, wie ſich der Sänger
ausdruͤckt, ein Mufifer eine Saite fpannet. Wie Apollon,
hatte Ddyffeus‘?) aud) einen Köcher voll Pfeile, welcher viele
bittere Todesgefchoffe enthielt.
Wir betrachten zuerft den urfprünglichen Eigenthümer
dieſes Bogens. Eurytos‘”') heißt der Bogenfpauner. Sein
Name war ein Prädikat des Sonnengottes, welches diefer als
gewaltiger Bogenfchüge trug. Der Name feines Sohnes Iphi⸗
to8 bezieht ſich 8) auf die Macht des Sonnengottes, wie Iphi⸗
geneia auf jene der Mondgottin. Was Apollon bei denDorern
und, andern. Hellenifchen Stämmen war, waren Eurytos und
Iphitos inDechalia. Beide Namen waren urfprünglic) Praͤdi⸗
kate des Sonnengottes in der genannten Stadt, wurden
aber, fobald man ſich unter jedem Namen ein befonderes
Wefen, vorftellte, als Water und Sohn mit einander: ver:
knuͤpft, wie Helios und Hyperion, oder Apollon und Askle:
pios. Der wichtigere Name fcheint ung Iphitos. Als
Sonnengott hat er jene berühmten Pferde, welche Autolykos
622) Hom. Odyss. XXI, 405 sggq.
623) Odyss. 1. c. v. 50.
524.625) Damii Lexic. Homeric. s. h. v. Schon fein Wettftreit
mit Apolon und die Verherrlichung, welche er als der
beruͤhmteſte Bogenfhüße feiner Zeit hatte, rechtfertigt die
Erflärung des Namens.
en Al
295
raubte, und dann NHerafles an fich brachte‘?'). Apollon
tödtete‘”) den Eurytos, weil er den Gott zu einem Wett⸗
ſtreite herausgefordert hatte. Er und Herakles allein wett:
eiferten ſelbſt mit Unſterblichen“) in der Kunſt, den Bogen
zu ſchießen, ſie ſind hierin Goͤttern vollkommen gleich. Wenn
es die Menſchen in einer Kunſt auch noch ſo weit bringen,
ſo vermoͤgen ſie doch wegen der Beſchraͤnktheit ihrer Natur
niemals, es Göttern gleichzuthun. Diejenigen Heroen, welche
fih mit diefen meffen , find urfprünglich höhere Weſen ger
weſen.
Der Tod des Eurytos hatte ehedem ſymboliſche Bedeus
tung, wie jener des Zeus. Sobald aber die Sage denfelben
in der gewöhnlichen Bedeutung nahm, fo mußte fie eine
Beranlaffung desfelben ausmitteln. Diefe bot ihr der Streit
des Eurytos mit Apollon, welcher fich auf die gleiche Natur
beider Götter) bezieht, Aus demfelben Grunde lich die
Sage auch) den Sphitos *) durch Herakles umkommen. Wie
diefe einfachen Erzählungen im Kaufe der Zeit entftellt wurden,
fo mußten auch die Roſſe des Entytos und fein Bogen ver;
ſchiedene Befitzer befommen. Eurytos hatte den Bogen als
Sonnengott, auch Odyſſeus aus demfelben Grunde. Die
Beſitzthuͤmer der Menfchen gehen nad) ihrem Tode an andere
über, So ließ die Sage den vielbefungenen Bogen an Odyfs
625b) Damii Lexic. 1. c.
626) Hom. Odyss. VIII, 227 sgq.
627) 1. c. 224 sqg-
628) Wir werden über den Streit der Götter in einer befon-
dern Abhandlung ung ausführliger erklären.
629) Hom. Odyss. XXI, 36 sq.
296
ſeus übergehen, febald man den Tod des Gottes im buch»
ftäblichen Sinne nahm, um zu erflären, wie Odyſſeus eine
fo vortreffliche Waffe an ſich brachte, Die Zlügelroffe, welche
er als Sonnengott hatte, haben auch Herafles und Autoly-
fos, welcher als Sohn des Hermes”) eben diefe Bedeutung
hatte. Wie kamen ſterbliche Könige in den Befiß derfelben?
Die Sage hat diefe Frage fehr fonderbar gelöst. Autolykos
entwendet diefelben, und von ihm gehen fie an Herakles über.
Raubt nicht Herakles felbft dem Apollon den Dreifuß **),
weil ihm derfelbe urfprünglich gebührte, wie dem Delpbifchen
Gotte? Allein als Heros betrachtet, kann er den Dreifuß
des Sohnes der Leto nicht mit Recht befigen. Er wird alfo ,
zum Tempelrauber! Eurytos hat als Sonnengott jene be-
rübmten Rinder”), weldhe mit den Rindern des Helios in
Sicilien diefelbe fombolifhe Bedeutung haben.
Wäre der Bogen, weldyen Odyffeus hatte, eine gewoͤhn⸗
lihe Waffe gewefen, warum follte er denfelben nicht in den
Krieg mitgenommen haben, da er bei der furdhtbaren Größe
und Stärke desfelben damit die fchredlichiten Verwuͤſtungen
630) Pausan. VII, 4. Hyg. fab. 200. 201. Strabon. IX,
p. 459. Schol. Hom. Od. 19, 369. Ap. Rhod. I, 172.
Mezir. ad Ovid. I. p. 48. Heyne, excurs. Il. ad Aen.
II. Hom. Odyss. XIX, 395 sqq. fagt, daß Autolpfos
durch DVerfehlagenheit und feine falichen Eide vor allen
Menfchen berühmt war, und daB er biefe Vorzuͤge von
Hermes erhalten habe. Bater und Sohn haben gleiche
Katur.
631) Pausan. III, 24, 8. VIII, 37, 4. X, 13, 7.
652) Heyne ad Apollod. p. 196 sq.
297
hätte anrichten Fonnen? Nahm er ihm vielleicht nicht mit,
um ihn nicht abzunügen? Warum trug er ihm dann zu
Haufe beftandig? War wohl Odyſſeus immer mit der Jagd
oder mit andern Friegerifchen Uebungen in Ithaka beſchaͤftigt,
daß er denfelben nie ablegte? Einen gewöhnlichen Bogen,
welchen Odyſſeus fo leicht fpannet, als ein Tonkünftler die
Saite eines Inſtrumentes, müjjen aud) andere, wenn nicht
mit der nämlichen Leichtigkeit, doch mit Anftrengung aller
Kräfte zu fpannen vermögen. Unter den Freiern waren fehr
rüftige Manner und Sünglinge, und dürften wir die ganze
Erzählung buchftäblich nehmen, fo würden wir ficher lefen,
daB ihm andere eben fo leicht fpannten,, als Odyſſeus. Nach
der Befchreibung, welche Homeros von ihm macht *), war
Odyſſeus Feinesmwegs fo groß und Forperlich ftarf, daß man
ihn mit Tityos oder Polyphemos zufammenftellen Fünnte.
Sechzehntes Capitel.
Ueber die Schilde des Adilleus, Herakles und Agamennon.
Der Schild des Achilleus hat in artiftifcher Beziehung
viele und berühmte Erklärer gefunden, Ob man ihn aber
von mythologiſcher Seite betrachtet, und die Frage gehörig
erörtert habe, ob derfelbe in der Wirklichkeit vorhanden war,
ift ung unbekannt. Wir müffen, che wir einen Verſuch zur
Beantwortung derfelben machen koͤnnen, zubdrderft die Negis,
den großen Schild, welchen Zeus, Apollon und Pallas
655) Hom. Il. II, 193 sqg-
298
tragen, etwas naher ins Auge faffen. Schwenk") fagt:
„Da nun die Griechen fi), ehe fie Fünftlichere Schilde be-
faßen, der Thierhäute als Schutzwaffe bedienten, fo erman-
gelte man nicht, dem Zeus aus feinem ſymboliſchen MWidder-
felle eine Aegis als Schild anzudidhten. Man verwendete
diefes Thier noch weiter in der Gefchichte Des Zeus, umd
ließ ihn als Kleinen Knaben von einer Ziege Amaltheia
fäugen.” Wir koͤnnen hier mit diefem gelehrten und unbe
fangenen Forfcher Hinfichtlic) der Bedeutung der Aegis nicht
übereinftimmen, und auch nicht glauben, daß die Griechen
jemals Thierhaͤute als Schutzwaffen gebrauchten, fondern
hegen die Weberzeugung, daß fich die Thierfelle, mit denen
einige Herven angethan find, auf die ehemalige göttliche
Natur derjelben bezieben. Welcker hat die Aegis nach un-
form Dafürbalten ungleich beffer aufgefaßt, wenn er‘)
jagt: „In der Region, worin das Walten der Athena ift,
erfcheint als erhabenftes Meteor der Mond, welchen noch
Herakleitos für lauteres Feuer erflarte*), an des Himmels
Aegis das leuchtende, fonft auch in graufem Zauber
mächtige Medufen- Haupt.” Die Negis ift das Himmels-
gewoͤlbe, deffen Geftalt die alten Voͤlker wohl fehr natürs
ih mit einem gewoͤlbten Schilde vergleichen konnten.
Auch über die Sage, daß die Aegis des Zeus aus dem
Felle der Amaltheia verfertigt war, bat Meldfer eine voll
kommen befriedigende Erflarung gegeben”). „Ohne Zwei⸗
634) Andent. ©, 41,
635) Aeſchyl. Trilog. ©. 281.
636) Arnob. III, 31. Macrob. I, 17. II, 4.
637) Aeſchyl. Trilog. S. 155.
299
fel bedeutete die Aegis der Athene, gefchüttelt über dem
Arm, oder vor der Bruft getragen mit der Mondmeduſa
inmitten, jo wie aud) die Göttin von Eleufis in dem
Koloß zu Cambridge vorgeftellt ift, urfprünglich, wie die
des Zeus, Sturm und Gewoͤlk“), melde das Ziegenfell,
Alyis, durch phonetifche Hieroglyphe ausdrüdt. Die Ziege ift
darum auc das Regen und Sturm bringende Geftirn,
welches dann nad) der mythiſchen Amalgamirkfunft der
Amalthea zugeführt, und von ihr in eine Noble, wo die
Stürme fchlafen, eingefchloffen wird,”
Wir wollen nun die einzelnen Stellen über die Aegis
anführen, um dur eine Wergleihung aller Merkmale,
welche ſich an derfelben befinden, näher zu beweifen, daß
fie urfprünglid das Himmelsgewolbe war, welches
die Alten im ihrer bildlichen Sprache den gewölbten oder ge-
rundeten Schild des Zeus oder Apollon oder der Pallas
nannten. Zeus nimmt‘) die hellleuchtende und quafienum-
bordete Aegis, und indem er fie mächtig fchüttelt, bligt
und donnert er laut, und verhüllt den Ida im dunkle
Wolfen. Hephaftos hat diefelbe gefchmiedet‘"), und Zeug
fie zum Entfegen der Menfchen empfangen, Sie iſt hoch—
feierlich, rauh umfaumt, und Phoͤbos wandelt, fie tragend,
in Gewoͤlk gehüllt einher. Ste heißt die fchredfliche *), welche
658) Fdeler über den Urfprung der Stern - Namen, ©. 309.
Greuzer, Symb. II, 426-
639) Hom. Il. XVII, 593.
640) Hom. Il, XV, 306 sqgq:
644) Hom. Il. XXL, 400: sqq.
300
des Zens flammender Donner nie bezahmt. Gie iſt “”) fehr
werthvoll, indem hundert goldene Troddeln oder Quaften
von ihr herabhängen, und umnalternd und unfterblic).
Rund umher‘) ift fie mit drohendem Schrecken begranst.
Auf ihr ıft Streit, Schügung, die ftarre Verfolgung und
das Haupt der Medufa, des entfeglichen Ungeheuers.
Wenn Pallas die Menfchen verderbende Aegis von der Dede
berabnimmt®"), fo durchzittert alle Bangen und Entfegen.
In Athen war an der fühlichen Mauer der Akropolis ),
welche fi) nach dem Theater zumendete, das vergoldete
Haupt der Gorgone Medufa aufgerichtet, von einer Aegis
umgeben.
Mir haben die wichtigften Stellen, welche fih aus
dem früheften Alterthum über die Aegis erhalten haben,
zufammengeftellt, um die Leſer in den Stand zu fegen,
fi von der ehemaligen Bedeutung derfelben eine richtige
Borftellung zu bilden. Drei Götter tragen diefelbe, Zeug
und feine beiden Kinder, Vallas und Apollon. Zeus war
urfprünglid Sonnengott, wie Apollon, und Pallas ift
ale Mondgottin bekannt genug‘). Auf der Aegis befindet
fih das Haupt der Medufa, der Mond, weldes Pallas
auch auf ihrem Gewande trägt, wie die Kuh, welcher
642) Hom. 11. II, 447 sqq.
643) Hom. 11, V, 738 sqgq.
644) Hom. Odyss. XXI, 297 sqgq-
645) Pausan. I, 21, 4.
646) Arnob. III, 31. Maerob. I, 47. III, 4. Augustin. de C.
D. VII, 46. Welcker, Aeſchpl. Trilog. 281.
301
Kadmos folgt, auf jeder Seite die Scheibe des Vollmondes
bat. Die bläuliche Farbe des Himmelsgewölbes verglich
man mit der bläulichen Farbe des Stahles, und glaubte,
daß dasjelbe aus Erz oder Eifen bejtehe. Daher entitand
die Sage, Hephaftos habe die Aegis verfertigt. Die Blige
erfheinen am Himmel, das Gerolle des Donners verbreitet
fi) von demfelben weiter, und die Werterwolfen umhüllen
ihn, wenn es bligt und donnert. Deshalb befinden fich auf
der Aegis Blitz und Donner, und der Ida ift in Wolfen
gehuͤllt, fobald fie Zeus ergreift. Was war natürlicher, ald
die Vermuthung, daß Zeus mit diefem gemwölbten Schilde das
Gerolle des Donners erzeuge, was natürlicher, als daß
man ihn die Aegis faffen ließ, jobald es donnerte, und
der Himmel fih in Wolfen hüllte? Nichts erichredit die
Menfchen, welche noch auf einer niedrigen Stufe der Eultur
ſtehen, mehr als Bliz und Donner. Wie finnvoll fagt alfo
der Mythus, daß fie Zeus zum Entiegen der Menfchen trage,
und Pallas, fobald fie diefelbe ergreift, alles mit Angſt er-
fülle. Sie ift rauh umfaumt, und es bangen von thr hun—
dert goldene Troddeln herab. Sollten wir irren, wenn wir
diefe Ausdrücde auf die Kichtftreifen oder Wolkenſaͤume be-
ziehen, welche das Himmelsgewölbe umgeben? Sollte das
Eindliche Alterthum diefe azurnen Wölfhen nicht durch die
Troddeln verfinnlicht haben? Sie tft hochfeterlich und uns
ſterblich, und wird felbft von des Zeus flammendem Donner
nie bezwungen. Alles verzehrt das Feuer; aber fo viele Blige
auch den Himmel durchfreuzen, fo erfcheint ung doch das
ſchoͤne, blaue Gewölbe desfelben jeden Morgen in feiner vo:
rigen Herrlichkeit und Pracht. Warum follte die Sage nun
302
diefes wunderbare Gewolbe mit feinen vielen Lichtern und den
fonderbaren Erſcheinungen, welche an demjelben vorgehen,
nicht hochfeierlih und unvergänglich nennen?
Konnte die Friegerifche Zeit der Achaͤer, im welcher
fhon fo viele Symbole nicht mehr verftanden wurden, Die
Aegis, diefen großen, ſymboliſchen Schild wohl auf etwas an:
ders beziehen, als auf den Krieg? Welchen Einfluß diefe
Beziehung der Aegis auf den Krieg auf die Verunftaltung
der Dinge, welche fich an ihr befinden, ausübte, erfehen wir
aus Homeros. An die Stelle der Furcht und des Entfegens,
welches die am Himmel vorgehenden Erfcheinungen bei den
Menfhen in der Kindheit ihrer Tage verurfachen, treten
Streit, Schuͤtzung und ftarre Verfolgung, fo daß die Aegis
ganz, wie ein gewöhnlicher Schild, erjhiene, wenn das Me:
dufenhaupt ihr nicht verblieben wäre, und auch dieſes ware
ſicherlich durch andere Perfonificationen des Krieges und
deffen, was er in feinem Gefolge hat, verdrangt worden,
hätte man das Medufenhaupt nicht als Das furchtbarfte Schreck⸗
mittel angefehen. So erzahlt Pauſanias °”), Jodama, eine
Priefterin der Pallas, fey des Nachts in das Heiligthum
der Göttin gegangen, und diefe fey ihr erfchienen. Pallas
aber habe auf ihrem Unterfleive das Haupt der Gorgone Me:
duſa gehabt, und fobald Jodama folche erblictte, fey fie ein
Stein geworden. Darum legte jeden Tag eine Frau Feuer
auf den Altar der Jodama, und rief dazu dreimal in booti-
{her Mundart: Jodama lebt, und verlangt Feuer. Die
Jodama ift Pallas ſelbſt. Aus einem Pradifate der Göttin
647) Pausan. IX. 34, 1.
u —
303
ward fie, wie Jo Priefterin der Hera wurde, Dienerin der
Pallas. Die Verfteinerung, welche das Haupt der Medufa
hervorbringt, iſt bei den Alten Ausdruck des hoͤchſten
Grades von Furcht oder Grauen Warum aber
die Mondgöttin Medufa, vorzüglich ihr Haupt, Gegenftand
des Entſetzens und furchtbarften Schreckens war, kann nicht
zweifelhaft ſeyn, wenn man die Geftalt desjelben betrachtet.
Die Schlangen, welche bei ihr die Stelle der Haare vertreten,
hatten eine ſymboliſche Bedeutung, wie jene, welche den
Magen der Demeter oder des Kadmos zogen; allein als der
Geift , welcher die alten Mythen gefchaffen hatte, entwichen
war, und diefe Schlangen für gewöhnliche Thiere galten,
mußte die Medufa, die furchtbarblidende Göttin, wegen
ihrer Attribute freilich zum Ungeheuer und am Ende zu einem
gewöhnlichen Schredbilde werden. Das Ziegenfell, aus
welchem die Aegis nach einer andern Anficht verfertigt war,
das fih auf Sturm und Gewolf, welche fih am Himmel
befinden, bezog, weil die Ziege als das Sturm und Regen
bringende Geſtirnes) angefehen wurde, mußte am Ende bei
‚dem jonderbaren Schickſale, welches diefe Symbole hatten,
eben fo verfannt, und in cin gewöhnliches Fell umgeichaffen
werden, jobald man die Aegis von gewöhnlichen Schilden
nicht mehr unterfchied,, und glaubte, dag das Fell, woraus
diefe beftand, von denen, welche zu Schilden verwendet
wurden, nicht weſentlich habe verfchieden ſeyn koͤnnen.
648) Ideler, über den Urfprung der Stern -Namen. ©. 509.
Creuzers Symbol, II, 426, Welder, Aeſchpleiſch. Trilog.
©, 153.
304
Daß die Aegis mur Kichtgotter, welche am Himmel
berichten, tragen Fonnten, Teuchtet aus den bisherigen Be—
merfungen ein. In welche Reihe haben wir nun den
Achilleus zu flellen, welcher die Aegis ebenfalls tragt, in
jene der Götter oder in die der Menfhen? Die Antwort
mag fich jeder unbefangene Kenner des Alterthums felbft
geben. Pallas hängt s) dem Achilleus die quaftenumbordete
Aegis um die mächtige Schulter, und umfränzte fein Haupt
mit heiligem Gewölfe, und ihn umftrahlte ringsum Teuch-
tendes Feuer. Auch der Schild, welchen er gewöhnlich
trug, ftellt fic) als von der Aegis urfprünglic nicht ver
fchieden dar. Denn auch auf diefem ıft Grauen und Ent-
fegen®®). Als Aeneias den ehernen Speer auf denfelben
ſchwang, fo daß er von dem gewaltigen Wurfe ringsum
hallte, hielt der Pelide den Schild ferne, weil er, wie der
Sänger beifegt, nicht bedachte, daß es nicht fo leicht fen
für hinfallige Menfchen, herrliche Gaben der Götter zu
bewaltigen. Diefer Schtld war groß und gediegen®') und
fendete feinen Glanz ferne, ahnlid dem Vollmond. Adil-
leus leuchtet in feiner Wehr?) und glänzt, wie der Stern,
welchen die Menfchen Drions Hund nennen, oder ahnlich
dem Schimmer einer lodernden Feuerebrunft und der heil
619) Hom. 1. XVII, 203 sqg. avıao "Ayılleis wpro Au
pilos. dupi BD’ Adnyn wuoıs &ydlucıcı Adi eiyida
Suooavoscoey. dupi dE oi xepakn vepos Eoreye die
Hedoy zoVcEoV, &7 I aurov dale yhoya neupevowoer.
650) Hom. Il. XX, 259 sqgq.
651) Hom. Il. XIX, 375 sqg.
652) Hom. Il. XXTI, 25 sqg.
Te ARE
8305
aufgehenden Sonne ©). Seine ganze Wehr war unver
gaͤnglich 663), und ein Geſchenk der Goͤtter, welches dieſelben
dem Peleus an jenem Tage gaben”), als fie ihm die Thetis
als Gefährtin feines Lebens zuführten. Sie war gewaltig
und fhön und ein Wunder zum Anfehen.
Wir wollen die wichtigen Merkmale, welche der Schild
des Achilleus und feine Wehr überhaupt darbietet, mit den
Eigenthümlichkeiten der Aegis zufammenftellen. Wie Zeus,
Apollon und Pallas die Aegis führen, jo bat fie auch
Achilleus. Sein Schild ift ein Kunftwerf des Hephaͤſtos,
wie die Yegis, und offenbar aus derrfelben Grunde. Wie
die Aegis, das ſtets in feinem Glanze ftrahlende Hims
melsgemwölbe, unalternd und unfterblich ift, jo ift es auch
der Schild des Achilleus, ein Vorzug, welcher nur Göttern
und folden Gegenftanden zufommt, welche diefelben haben, ‘
und welche von ihrem göttlichen Weſen durchdrungen find.
Der Schild des Adhilleus ift groß und gediegen; groß
wegen des weiten Umfanges, den das Himmelsgewolbe
bat, und gediegen, wegen der Vergleichung der bläulichen
Farbe desfelben mit der Bläue des Stahles, weßhalb man
ed auch ald aus Erz oder Eiſen beftchend betrachtete. Auf
der Aegis ift das Haupt der Medufa, das Symbol des
Bollmondes; und der Schild des Peliden glanzt, ahnlich dem
Vollmonde. Achilleus glänzt in feiner Rüftung, wie eine
lodernde Feuersbrunft oder wie die hellaufgehende Sonne.
Die Aegis iſt von goldenen Troddeln umgeben, welche fih
655) Hom. Il. XXI, 134 sqq.
654) 11. XVII, 194 sqq.
655) I. XVII, 82 sqgq.
Vorhalle zur Griechiſchen Geſchichte. 230
306
auf. die Kichtfireifen,, oder wenn man diefe Erklärung uns
paffend findet, als goldene Beftandtheile auf den Licht:
glanz überhaupt beziehen, Wie die Aegis grauenvoll und
fhrelih ift, fo fehen wir auch auf des Achilleus Schild
Grauen und Entfegen. Die Aegis ift hehr und fehr werth-
voll; die Wehr des Peliden fchon und gewaltig, ein Wunder
dem Anblick. Wie der Ida in Wolfen gehüllt ift, wenn fie
Zeus faßt, wie den Phobos Apollon Gewoͤlk umgibt, wenn
er die Aegis trägt, fo umgibt den Achilleus ein goldenes Ges
wolf, als ihm Pallas die Aegis um die mächtige Schulter
bangte. Achilleus, welcher dem Zeus und Apollon durch die
Aegis, welche Fein Menfch hatte, und durch feine unfterbliche
Wehr ganz gleich erfcheint, ift offenbar ehedem als dasjelbe
Mefen in Phrhia verehrt worden, welches Zeus und Apollon
bei den Hellenifchen Stämmen waren.
Den Schild des Adhilleus hat uns Homeros ®%) aus:
führlich befchrieben. Wie verhält ſich nun derfelbe zur Aegis,
die er mit Apollon und mit Zeus gemein hat? Diefe Frage
fünnen wir erjt dann zu beantworten fuchen, wenn wir die
Schilderung desfelben in Kürze erörtert haben. Auf dem
Schilde des Achilleus find zuwörderft Himmel, Erde und
Meer abgebildet. Wir bleiben bei der Erde ſtehen. Hier
erblicken wir zwei Städte, in der einen begegnen wir einer
Hochzeit⸗Feier, aber auch einem Streit wegen der Sühne um
einen erfchlagenen Mann, in der andern befriegen fich zwei
Heere. Weiter fehen wir ein breites und loderes Brachfeld,
das zum drittenmale gepflügt ift, ein Feld mit tiefmallender
Saat, wo die Schnitrer mähen, eine Trift in einem anmu⸗
656) Hom. Il. XVIII, 478 sgg.
307
thigen Thale, von Rindern durchſchwaͤrmt, eın Reben⸗Gefilde,
einen Reigen, jenem gleich, welchen einft Dadalog für die
Ariadne gebildet, und einen fingenden Knaben. |
Wenn wir diefen Schild als Friegerifche Ruͤſtung bes
trachten follen, fo Fünnen wir zuvoͤrderſt nicht einfehen, was
Himmel, Erde und Meer, was fo viele friedliche Scenen
aus dem menfchlichen Leben bedeuten follen. Kriegerifche
Gegenftände, Kämpfe, verwüftete Städte, reißende Thiere,
Ares mit feinem ganzen Gefolge würden auf demſelben abge»
bildet fenn, wenn er anders urfprünglich nur die entferntefte
Beziehung auf den Krieg gehabt hätte, und einemenfchliche Wehr
gewefen ware. Aber nur in einer Stadt begegnen wir zwei
Heeren, welche im Kampfe mit einander begriffen find, Der
größte Theil des Schildes enthalt ganz andere Scenen. Sol-
len wir unfere Vermuthung über die Bedeutung desjelben aus-
fprechen, fo erflären wir, daß uns auf demjelben die wichtig:
ften Theile des großen Wirkungskreiſes verzeichnet find, wels
chen der Sonnengott in der alten Sage hatte.
Zeus gebietet, bevor er die Herrfchaft mit feinen Brüs
dern theilt, über Himmel, Erde, Meer und Unterwelt. Auch
Dionyfos hatte ehedem den namlichen Wirkungskreis. Er
gebot über den Himmel”), über die Erde), über das Meer *)
657) Sn der fpatern Zeit mußte er freilich vor Zeus zurüdtre:
ten, und Hermes den Knaben zum Himmel emporführen
(Paus. II, 18, 7.), über welchen er ehedem, wie Zeug, ge:
berrfcht hatte.
658) Ueber die Erde gebietet er, in fo ferne ſich fein Einfluß
auf alles, was diefelbe hervorbringt, erftredt, Welcker,
Nachtrag, S. 136 fr.
- 659) Horat, Od. II, 19,47. \
20 *
308
und die Unterwelt. Die Mondgöttin, über welche fich ein
Orphiſches Bruchſtuͤck ®) erhalten hat, aus dem wir ben
großen Umfang ihrer Macht am deutlichften abnehmen
koͤnnen, die Mondgöttin Hekate gebietet ebenfalls über Him-
mel, Erde und Meer. Auf dem Schilde des Achilleus ift
eine Stadt, in welcher eine Hochzeit gefeiert, und ein
Streit wegen der Sühne eines Erfchlagenen geführt wird.
Zeus ift Vorſteher der ehelichen Werhaltniffe ') und der
Sühne ®), Auch Hekate ift Richterin 9), In der andern
Stadt, welche auf dem Schilde des Achilleus abgebildet
war, Fampften zwei Meere mit einander. Zeus ift Obwal-
ter im Kriege‘*), Hermes %) und Dionyfos find ebenfalls
als Kriegsgdtter urjprünglich verehrt worden, und Hekate
heißt ausdruͤcklich Worfteherin des Krieges). Auf dem
Schilde des Achilleus ift ein dreimal gepflügtes Brachfeld,
ein Gefilde voll tiefwallender Saat, auf welchem bie
Schnitter mähen, und ein Nebengefilde. Zeus ift nicht |
bloß als Befürderer des Ackerbaues ”) unter dem Beinamen
Georgos, fondern auch als Vorfteher aller Gewaͤchſe ©),
alfo auch der Neben, verehrt worden, obfehon Dionyfos in !
660) Hesiod. Theog. 411 sqq.
664) Creuzer II, 515 sq.
662) Pausan. V, 14, 8.
6653) Hesiod. Theog. 434.
664) Hom. Il. XIX, 224.
665) Pausan. V, 27.5.
666) Hesiod. Theogon. 435 sqg-
667) Boͤckh, corp. inscript. I, 482, not. 523.
668) Creuzer II, 495 sq. III, 382.
— —
— ——
309
letterer Beziehung fpater ein größeres Anſehen erlangte.
Auf dem Schilde des Achilleus begegnen wir einer Trift
und einer Heerde von weidenden Nindern. Auch Zeus
wurde ®), wie Hefate und Hermes”), als Heerden-Gott
und Vermehrer derfelben verehrt. Reigentaͤnze und Geſang
find in der fpätern Sage von Zeus allerdings in den Hins
tergrund getreten; aber es haben ſich doch noch Spuren
genug erhalten, die uns die Ueberzeugung gewähren, daß
Zeus urſpruͤnglich als Sonnengott auch Vorfteher der Reis
gentänze und Muſik war, wie es Hermes °”') geweſen ift.
Wie hätten die Cureten den jungen Gott mit Mufif und
Geſang ehren Fonnen ), wenn diefe Künfte feiner Natur
fremd gemefen wären?
Soll nun diefe Vermuthung, daß die verfchiedenen Ges
genftände, die auf dem Kunftgebilde des Hephäftos ange,
bracht waren, auf die Wirkſamkeit des Achilleus hindeuten,
als eine grundlofe Annahme zurücgewiefen werden Fonnen,
wenn man die Attribute berücfichtigt, welche der Aegis
beigelegt wurden, und erwägt, daß diejelben mit den Him⸗
melögewölbe, das fie vorftellte, und der Natur der Götter,
welche fie trugen, im fchönften Einklang ftanden? Ob
diefer Schild als Zierde eines Tempels exiftirt habe oder
nicht, laſſen wir dahingeftellt jeyn, Wir glauben, daß er
669) Zeus hieß Ariftäog (Schol. Apoll. Rhod. II, 498 5q.); der
Wirkungskreis des Ariſtaͤos aber ift befannt,
670) Hesiod. Theog. 444 sqq.
674) Creuzer Ill, 375 sq.
672) Creuzer II, 514 sqg-
310
fo wenig, als die Aegis, je vorhanden war, aber durch die
große und vielfache WVerherrlichung, welche er von Seite
der Sänger erfuhr, eine hohe Bedeutung und ein fo feftes
Gepräge erhielt, daß man e3 nicht fonderbar finden Fann,
daß er im die epifche Poeſie überging; ſicherlich befchrieb
ihn fchon mancher Sänger vor Homeros. Ob Homeros
mehr eine Klare Vorftellung von der alten Bedeutung des—
felben gehabt habe, möchten wir nicht bejahen, da er auch
die Aegis als einen wirklichen Schild darfiellt. Dieß hin;
derte ihm aber nicht, beide Schilde, welde fo vielfach
und nad) allen Beziehungen gepriefen waren, fo beftimmt
nach allen ihren heilen zu befchreiben, wie wenn er dier
felben vor ſich gehabt Hatte. In welcher Beziehung die
Aegis bei Achilleus zu Dem bezeichneten Schilde ftand,
dürfte fih aus dem bisherigen Erörterungen leicht ergeben.
Wir haben zwei fombolifche Gegenftande, die fich beide
auf feine göttliche Natur beziehen, und ihm an verfchie
denen Drtem beigelegt wurden. Wahrend die eine Sage
auf dem fombolifchen Schilde bloß das hervorhob, was
fih am Himmel, welchen derfelbe vorftellte, befindet, trug
die andere alle Theile der Welt und der menfchlichen Ber:
baltniffe, auf welche der Sonnengott feinen Einfluß geltend
macht, auf denfelben über. Wie Homeros die zwei Ge
mablinen, die Aphrodite und Charis, welche dem Hephaͤſtos
an verſchiedenen Orten beigelegt wurden, mit einander
verbindet, und bald dieſe, bald jene als feine Lebensgefaͤhr—
tin nennt: fo find bei Achilleus auch die zwei Sagen von
feinem Schilde verfnüpft.
311
‚ Der Schild des Herakles °) hat zwar viele übertries
bene Ausſchmuͤckungen erfahren, aber die vorzüglichften
Merkmale, welche uns die Bedeutung desfelben am beften
offenbaren, find doch nicht durch andere unmwefentliche Dinge
verdrängt worden. Daß er nicht blindlings nad) jenem
des Achilleus befungen wurde, bemeifen die vielen eigens
thümlichen Merkmale, welche er vor jenem voraus hat. Er
ift, wie die Aegis, ein Kunſtwerk des Hephaftos, und fo
ftarf, dag er weder durchbrochen, noch zerfchmettert werden
fann. Die Scheibe umher ift von Schmelz, Eleftron, EI-
fenbein und feurig glanzendem Golde, und in der Mitte
von Streifen des bläulichen Stahles durchzogen, melde bes
reits erflart wurden, wie der Glanz des Goldes und des
Elektrons. Auf demfelben war ein Drache, über deffen
gerungelter Stirne Zwietracht ſchwebte, und Schaarengetüm-
mel empörte, und zwölf gräßliche Schlangen mit bläulichen
Rüden, welche die zwölf Monate anzudeuten fcheinen. Der
Drache ift Symbol des Sonnengottes, wie der Mondgöts
tin). Eber und Löwen Ffampfen mit einander. Beide
Arten von Thieren ſtehen ebenfalls mit den Kichtgöttern im
der nächften Beziehung. Dionyſos hatte die Geftalt eines
Loͤwen angenommen °°), als er gegen die Giganten ans
fämpfte, und der Kalydonifche Eber, welchen Artemis fandte,
ift befannt. Auf dem Schilde des Herafles befinder fih
673) Hesiod. scut. 139 sqg.
674) Schwend, ©. 206.
675) Horat. Od. II, 49, 21 sqq. Tu, quum parentis regna
per arduum Cohors Gigantum scanderet impia, Rhoe-
tum retorsisti leonis unguibus, horribilique mala.
312
auch reg mit feinem Geſpann und Pallas, welche als
Kriegsgoͤtter verehrt wurden, aber auch als Kichtgötter, als
Sonne und Mond. Wie Fame der Chor der unfterblichen
Götter und Apollon, der mit goldener Harfe des Reigens
füßes Getön anftimmt, auf den Schild des Alfiden, wäre
derfelbe nicht urfprünglich mit der Aegis oder dem Him⸗
melögewölbe vollkommen gleich gewefen? Perſeus und die
Gorgonen treten uns ebenfalls entgegen, und Perſeus ift
weder von dem Schilde entfernt, nod) berührt er denfelben
mit feinem Fuße. Er hing nirgend befeftigt, und wurde
doch von dem Kunftwerfe nicht losgeriſſen. Wir haben
wieder Sonne und Mond, Perſeus als Sonnengott und
die drei Medufen als Mondgöttin in dreifacher Geftalt,
wegen der drei verfchiedenen Mondphaſen. Perſeus ift aus
Gold gebildet, und hat an den Füßen die geflügelten Soh—
len. Das Gold ift doch offenbar hier Symbol des Son-
nenglanzes. Ein Saatfeld, ein Rebengefilde, eine Hochzeit-
feier und eine Schlacht hat diefer Schild mit dem des
Achilleus gemein, unterfcheidet fi) aber von demfelben da-
durch, daß im Kriege die drei Parcen erfcheinen, umd eine
Jagd⸗Scene und ein Wettlampf vorfommen, bei welchem
ein Dreifuß als Preis ausgefekt iſt. Der Kichtgott iſt Za-
ger und Vorſteher der Kampfſpiele; ihm iſt auch der Drei-
fuß gemweihet. Er ift Lenker des Schidfals, und theilt
als folcher °) jedem Menfchen fein Loos zu. Ferner ift
auf dem Schilde des Alfiden ein Meeres» Hafen und ber
Okeanos, welcher den Rand ringsum umfließt. Der Son;
nengott gebietet au) über Das Waſſer. Ihm ift ber Schwan
" 676) Hom. Odyss, VI, 188 2qq.
23222 22.2.0247
313
wegen feines weißen Gefieder heilig. Deßhalb erheben fich
aus dem Okeanos, der auf dem Schilde des Alfiden darges
ftellt ift, Schwäne. Wie fünnte aber der Ofeanos, welchen
fi) die Alten als einen die Erde umgürtenden Strom
dachten, den Rand des Schildes umgeben, wäre derjelbe nicht
urfprüngli Symbol des Himmelsgewoͤlbes, welches an feis
nen außerften Enden mit dem Meere zufammen zu grenzen
fcheint, gemwefen ?
Sollen wir unfere Anficht über den Schild des Alki—
den darlegen, fo muͤſſen wir zuvoͤrderſt bemerken, daß beide
Schilde des Achilleus, die Aegis und der andere, welcher
den Wirfungsfreis des Gottes andeutet, hier mit ihren At:
tributen vereinigt find, fo daß wir vieles auf demſelben
finden, was mur auf die Aegis oder das Himmelsgewoͤlbe
gedeutet, vieles aber, was auf den Wirkungskreis des Son-
nengottes, der fid) auch auf Erde und Meer erftreckt, bezogen
werden muß. Warum follen wir ung über eine ſolche Ver:
mengung der einzelnen Attribute, über die Uebertragung def-
fen, was bei Achilleus auf zwei Schilden ift,. auf einen ein-
zigen wundern, da wir bisher fo oft Gelegenheit gehabt
haben, zu fehen, wie die Sänger die verfchiedenften
Sagen der einzelnen Orte mit einander zu
einem Ganzen verknuͤpften? Schon bei Homeros
trägt der Pelide beide Schilde, und wahrlich, es war fehr
natürlich, daß die Sänger, welche überall verfnüpften, auch
bier, was fich auf beiden fand, auf einen einzigen übertrus
gen, um des Wunderbaren recht viel beifammen zu haben.
Eine andere Bemerkung, welche ſich uns bei näherer
Betrachtung der Hefiodifchen Beſchreibung aufdraͤngt, ift
314
diefe, daß der Dichter, abgefehen von der Vereinigung der
wefentlicben Merfmale beider Schilde, die namlihe Sache
durch verfchiedene Symbole ausgedrüdt, und auch hier wieder
verfchiedene Sagen verfnüpft bat, fo daß der Schild des
Altiden ziemlich an Ueberladung leidet. Wir wollen hier
nur auf einen Punkt aufmerffam machen, Ares und Pal»
las bedeuteten urfprünglich dasfelbe, was Perfeus und bie
Medufa an andern Orten waren. Der ſchwebende Verfeus,
welcher fich nie von des Herafles Schilde trennt, und doc)
nicht an demfelben befeftigt ift, offenbaret ſich ſchon durch
diefe fonderbare Verbindung mit demfelben ald die am Him-
melsgewoͤlbe wandelnde Sonne, weldye, obwohl fie an dem
felben nicht feft hangt, doch nicht davon losgeriffen wird.
Sonne und Mond mußten allerdings auf dem Schilde des
Sonnengottes ſeyn. Allein wozu war es noͤthig, den Ares
und die Pallas, welche bei andern Staͤmmen in der Urzeit
dasselbe bezeichneten, neben Perſeus und den Gorgonen abzu⸗
bilden? Der Sänger hat alfo Götter, welche an verfchieder
nen Orten als diefelben Wefen verehrt wurden, zufammen-
geftellt, und die Pallas und den Ares hier nur als Krieges
götter, wie es fcheint, betrachtet. Auf dem Schilde des
Alkiden ift ein Drache und zwölf Schlangen. Drachen und
Schlangen find Symbole für die namliche Sache, und wenn
auch die Zwoͤlfzahl eine fehr natürliche Bedeutung hat, war-
um erfcheint noch der einzelne Drache? uch diefer ift hier
wieder von einer fehr befchranften Seite aufgefaßt, und nur
auf den Streit und Krieg bezogen, weßhalb die Zwietracht
über feiner Stirne ſchwebt, und die Schaarengetümmel empört,
obſchon er urfprünglich eine ungleich weitere Bedeutung hatte,
315
und Symbol des Sonnengottes und der Mondgottin über:
haupt war, alfo auf ihren ganzen Wirfungsfreis hinmwies,
Auf jeden Fall ift das Bruchftüd‘, welches des Hefiodos Nas
men trägt, viel jünger, als die Ilias.
Einfach und finnvoll ift die Befchreibung des Schildes
des Agamemmnon ©), welche ihr hohes Alterthum mur zu deut-
li) an der Stirne tragt. Der Schild desfelben ift gewal—
tig, ſchoͤn und reich an Kunſt. Um ihn laufen zehn eherne
Kreife herum, auch umblinfen ihn zwanzig weiße Nabel von
Zinn, nur der mittlere ift von der dunklen Blaue des Stahles.
Auf dem Schilde felbft find nicht bloß Grauen und Entfegen,
jondern es droht auch fchlangelnd mit wuthfunfelndem Blick
die Schrecdfengeftalt der Sorge. Das Gehenk des Schildes
war von Silber. Auf demfelben wand ein bläulicher Drache
graßlich den Leib mit drei Hauptern, welche aus einem Halſe
emporragten.
Sp einfach diefe Befchreibung ift, fo beftimmt ftellt ſich
die Bedeutung des Gegenftandes und die vollfommiene Gleich—
beit desfelben mit der Aegis heraus. Um den Schild laufen
zehn eherne Kreife. Wie das Erz auf den Stoff, aus welchem
das Himmelsgewölbe nad) den Vorftellungen der Alten be
ftand, binweifet, fo beziehen ſich die Kreife auf die Wölbun-
gen desfelben. Was die zwanzig weißen Nabel von Zinn
bedeuten, deren mittlerer von der dunklen Bläue des Stahles
ift, Fonnen wir nicht fagen, Nur fo viel fcheint uns ausge
macht zu feyn, daß man diefelben nicht als einen zufälligen
Schmuck und als eine Zuthat des Dichters anfehen darf.
Wie auf der Aegis, fo erfcheint auch auf diefem Schilde die
677) Hom. Il. XI, 32 sqg.
316
Gorgo oder der Mond, und Grauen und Entfeßen, welches
wir auf der Aegis ebenfalls antreffen, Der Drache ift Sym⸗
bol der Mondgöttin, wie des Somnengottes. Der Mond
bat, indem er bald im Aufnehmen begriffen, bald voll ift, bald
wieder abnimmt, drei verfchiedene Phafen. Deßhalb hat man
die Hekate °°) mit drei Köpfen oder drei Körpern abgebil-
det, deßhalb hat man der Medufa noch zwei Schweftern
gegeben, deßhalb ift Hera Jungfrau, Frau und Wittwe,
deghalb hat jenes Symbol der Mondgottin drei Köpfe,
welche aus einem Halſe fi winden. Der Schild des
Agamemnon ift fchon und kunſtvoll, wie die Aegis, weil
es nichts Kunftuolleres gibt, als das Himmelsgewoͤlbe mit
allen feinen Kichtern, und unzerſtoͤrbar, wie die Aegis nie
altert, |
Men diefer Schild nicht von der göttlichen Natur des
Agamenmon überzeugt, der betrachte feinen Panzer ©), welchen
er von Kinyras zum Gefchenfe erhalten hat. Rings um
denfelben wechfelten zehn Streifen von blaufchimmerndem
Stahl, zwölf von funkelndem Golde und zwanzig andere
von Zinn. uch drei blaulihe Drachen erhoben fich auf
demfelben, welche einen Glanz verbreiteten, wie der Regen⸗
bogen. Schon die Zahlen müffen alle unbefangenen Leſer
von der fombolifchen Bedeutung diefes Harniſches überzeus
gen. Die Zwoͤlfzahl bezieht fi) auf die Monate, die Zahlen
zehn und zwanzig auf die Theile des einzelnen Monates,
welcher wegen der Dreiheit der Erfcheinungen, welche der
678) Pausan. II, 22, 7. II, 30, 2. cf. Orph. Argon. 975.
Serv. ad Virg. Aen. IV, 511.
679) Hom. Il. XI, 19 sqgq.
317
Mond darbietet, in drei Dekaden eingetheilt wurde. Zehn
ift die einfache Dekade, zwanzig bezieht fi) auf die beiden
legten. Die drei Drachen brauchen wir nicht weiter zu ers
Hären.: Der bläuliche Stahl ift Symbol der blauen Farbe
des Himmelsgewölbes, wie ſich das Gold auf den gelblichen
Schimmer des Lichtes bezieht.
Man überfehe nicht, daß diefer Panzer ein Gefchent
des Kinyras ift, und Kinyras als Vater des Adonis “) der
Götterwelt angehört. Seine Beziehung zur Aphrodite W),
mit welcher er auf Kypros in der namlichen Verbindung ftand,
in welcher Hephäftos in der Griechifchen und Ares“) in der
alten Thrakifchen Sage zu diefer Göttin ftehen, ift befannt,
und hätten wir die alten Gefange über diefelbe, fo würden
wir fehen, daß beide Götter auf Kypros diefelbe Bedeutung
hatten, welche Apollon und Artemis oder Zeus und Hera in
der Griechifchen Götterlehre einnehmen. Auch Agamemnon
ift mit Aphrodite auf das engfte verbunden. Er gründet der
680) Schwend, ©. 259.
681) Pind. Pyth.II, 29 etSchol. Schol. Nem. III, 30. Theocrit.
I, 10 et Schol. Apollod. III, 13, 5. Hygin. Fab. 242. 270.
Anton. Lib. 34. Meursius de Cypro II, 9.
682) Die unerlaubte Verbindung, in welder Ares mit der Aphro—
dite fteht, Fann nicht dagegen fprechen, fondern zeigt viel-
mebr, daß der Gott urfprünglich mit ihr irgendwo verbun-
den war, ehe die ſpaͤtere Sage beide von einander logriß.
Dann mußte ihr Verhältniß freilich als frevelhaft erfchei-
nen. Warum bat denn Aphrodite den Wagen des Ares
(Hom. Il. V, 355), wenn beide in früherer Zeit nicht mit
einander verbunden waren?
318
Argynnis den erfien Tempel‘®), und Ereuzer‘") hat ſchon
langft aufmerkfam gemacht, daß die Götter in der alten
Sage nicht felten die erften Lehrer der mit ihrem Eultus ver:
bundenen Gebräuche und die Erbauer ihrer Tempel und Be:
gründer iprer Verehrung find, und wir dürften ſchwerlich ir-
ren, wenn wir die Vermuthung ausfprechen, daß Agamems
non, welcher der Aphrodite Argynnis in Bootien den erften
Tempel erbaut, und ihren Eultus begründet, mit der Göttin
in demſelben verehrt wurde, und mit Ihr in derfelben Verbindung
ftand, in welcher wir Pallas und Divmedes °®) in Argos ans
treffen. Die Oafifreundfchaft, die zwifchen Agamemnon und
Kinyras, welche durch Jahrhunderte von einander getrennt
find, ftattfindet, darf wohl nicht buchftablicy gefaßt, fondern
nur auf die Verwandtfchaft der zwei am verfchiedenen Orten
verehrten Götter gedeutet werden, welche beide diefelben Attri-
bute haben, aber als Oaftfreunde und Menfchen betrachtet,
einander Gefchenfe NONE: wie es in der heroifchen Zeit
Sitte war.
Noch müffen wir feinen Helm in Kürze erwähnen °%),
der eine viergipflichte Kuppel bat, wie der: Helm der Pal:
las #7), welcher fo groß war, daß er Fußfampfer aus hundert
Städren zu decken vermochte. Die Größe, welche der Helm
der Pallas hat, muß felbft den befangenften Leſer überzeugen,
683) Athen. XIH, p. 605.
684) Creuzer, Symbol. ], 15.
685) Pind. Nem. X, 12 et Schol. Callim. in Fe lavaer.
35 sqq. et Spanh. I. c.
686) Hom. Il. XI, 41 sq.
687) Hom. Il. V, 743 sqq.
— —
—— — —
—
— cccc—
€ — (EEE
— —
319
daß die urfprüngliche Bedeutung desjelben eine fombolifche ge-
weſen feyn müffe. Von der Größe desjenigen, welchen Aga—
memnon bat, fagt zwar der Sänger nichts. Aber ſchon die
Erwähnung der viergipflichten Kuppel, welche beiden gemein:
fam ift, möchte für die gleiche Bedeutung beider fprechen.
Die Vierzahl war bei den Thrafern dem Sonnengotte beis
lig. Deßhalb Haben nicht bloß die Hermen viereckige Ges
ftalt, fondern auch die alte Lyra, welche Erfindung des Her:
mes war, hat Hier Saiten, die des Apollon aber fieben.
Wie das Himmelsgewölbe mit einem Schilde verfinnlicht
wurde, fo fonnte es auch der unermeßliche Helm der Kicht-
götter heißen, unter welchem allerdings die Fußkaͤmpfer von
mehr als hundert Städten hinlanglichen Raum haben, ohne
mit einander nur in Berührung zu fommen. Auf dem Haupte
der Pallas, welche als Kriegerin in menſchlicher Geftalt auf
tritt, muß ſich diefer Helm freilich nicht gut ausgenommen
haben, und die Angabe des Homeros lautet, oe auf:
gefaßt, fonderbar genug.
Nicht bloß der Schild des Agamemnon und fein Wehrs
gehenk hatten fombolifche Bedeutung, fondern auch jener des
Menelaos. Auch auf dem Schilde diefes Heros‘®) war der
Drade, das Symbol der Lichtgötter, abgebilder. Wir würs
den uns über denfelben freilich viel beftimmter erklären koͤn—
nen, wie über jenen des Neflor, wenn wir eine ausführliche
Beichreibung desfelben von einem alten Sänger befaßen, oder
die Beichaffenheit des Föftlichen Panzers des Diomedes wifs
ſen würden, welchen Hephäftos ©) verfertigt hatte. Wenn
688) Pausan. X, 26, 1.
689) Hom. Il. VIII, 195.
322
dem unermeßlichen Raume des Himmelsgewölbes ergeben,
wie die Größe ded Helmes, welchen Pallas tragt. Das
ungewöhnliche Lob, welches dem Ajas fein erflärtefter Feind,
Odyſſeus ), fpendet, liefert uns einen fprechenden Beweis
von der Größe, welche er, wie Achilleus und fo viele
Götter der Urzeit, durch den Gefang erhalten hatte, und
nicht umfonft nennt ihn Priamos °”) den gewaltigen Mann.
Nicht bloß er, fondern auch feine Mehr fcheint vielfache Vers
berrlichung erhalten zu haben.
Wichtig ift fein Streit um die Waffen des Achilleus,
in welchen er mit Odyſſeus gerierh °°%). Beide machen auf
diefelben Anfprüche, weil fie urfprünglich mit ihm gleicher
Natur waren, wie Pallas, Hera und Aphrodite um den
goldenen Apfel ftreiten, weil alle drei, freilih an verſchie—
denen Orten, als Chegdttinen ©”) verehrt wurden. Pallas
und Poſeidon ftreiten deßhalb um den Beſitz von Attifa ®),
weil beide Gottheiten über dasfelbe Element geboten. Aus
dem nämlichen Grunde trägt auch Patroklos die erfte Rü-
fung des Achilleus. Warum follen nicht Patroklos, Hek⸗
tor und Odyſſeus dieſelbe führen, und Ajas darauf An—
fprüche machen, da aud) die Aegis bald den Zeus, bald .
den Apollon oder die Pallas ſchirmt? Wären Apollon,
— — \
694) Hom. Odyss. XI, 543 sgg.
695) Hom. Il. III, 226 sq.
696) Welder, 1. c.
697) Geſchichte des Trojanifchen — S. 138.
698) Dieſer Streit wiederholt ſich in ſo vielen Sagen, daß wir
ihn zum Gegenſtande einer beſondern Abhandlung machen
werden.
EEE
— —
323
Zeus und die Pallas durch andere Götter verdrängt mors
den, wie Ajas, Odyſſeus, Achilfeus und Patroklos, fo würde
die Yegis auch nach dem fymbolifchen Tode des Zeus oder
auf irgend eine andere Weife an Apollon und die Pallas
übergegangen feyn, oder es würden die drei Götter um diefelbe
einen Streit mit einander begonnen haben, und wenige würs
den mehr auf ihre Bedeutung achten.
Noch auf ein ähnliches Symbol müffen wir aufmerffam
machen, das freilid) viele ala höchft unbedeutend anfehen wer;
den, das aber in jener Zeit, im welcher die Mythen entftan-
den, doch auch feine Bedeutung gehabt haben dürfte. Bei
den zur Ehre des Patroklos veranftalteten Leichenfpielen bringt
Achilleus) auch) eine rohgeformte Kugel, welche vor
dem Eetion oft warf, und Achilleus nach dem Tode desfels
ben mit anderer Habe an ſich brachte. Er fordert die Kampf
genoffen auf, auch diefen Kampf zu verfuchen, um fich die
Kugel zu verdienen, welche ihrer Anftrengung wohl würdig
wäre. Denn wenn einer auch ein großes Gebiet von frucht:
tragenden Aeckern hätte, fo gewährte ihm diefelbe doch auf
fünf Jahre Eifen genug, fo daß er niemals aus Mangel an
demfelben einen Hirten oder Pflüger in die Stadt ſchicken
dürfte.
Sp wenig die Angaben über die Aegis ald eine Erfin:
dung des Homeros angefehen werden dürfen, eben fo wenig
darf man die Sage von diefer Kugel für ein Mährchen er—
klaͤren, und ihre ungewöhnliche Größe als bloße Ausſchmuͤckung
oder Uebertreibung des Saͤngers betrachten. Waͤre ſie eine
gewoͤhnliche Kugel geweſen, jo müßte fie nad) der Verſiche—
699) Hom. ll. XXIII, 826 sqgq-
21°
322
dem unermeßlichen Naume des Himmelsgewölbes ergeben,
wie die Größe ded Helmes, welchen Pallas trägt. Das
ungewöhnliche Lob, welches dem Ajas fein erflärtefter Feind,
Odyſſeus ®*), fpendet, liefert ung einen fprechenden Beweis
von der Größe, welche er, wie Uchilleus und fo viele
Götter der Urzeit, durch den Gefang erhalten hatte, und
nicht umfonft nennt ihn Priamos ©”) den gewaltigen Mann,
Nicht bloß er, fondern auch feine Mehr fcheint vielfache Vers
berrlichung erhalten zu haben.
Wichtig ift fein Streit um die Maffen des Achilleus,
in welchen er mit Odyſſeus gerierh *e). Beide machen auf
diefelben Anſpruͤche, weil fie urfprünglih mit ihm gleicher
Natur waren, wie Pallas, Hera und Aphrodite um den
goldenen Apfel ftreiten, weil alle drei, freilih am verſchie—
denen Orten, als Chegöttinen ©”) verehrt wurden. Pallas
und Pofeidon ftreiten deßhalb um den Befis von Attifa ®),
weil beide Gottheiten über dasfelbe Element geboten. Aug
dem naͤmlichen Grunde trägt auch Patroflos die erfte Rü-
fung des Achilleus. Warum follen nicht Patroflos, Hek⸗
tor und Odyſſeus diefelbe führen, und Ajas darauf An-
fprüche machen, da auch die Aegis bald den Zeus, bald
den Apollon oder die Pallas ſchirmt? Wären Apollon,
694) Hom. Odyss. XI, 543 sgg.
695) Hom. Il. III, 226 sq.
696) Welder, 1. c.
697) Geſchichte des Trojanifchen — S. 138.
698) Dieſer Streit wiederholt ſich in ſo vielen Sagen, daß wir
ihn zum Gegenſtande einer beſondern Abhandlung machen
werden.
—
a ee EL
823
Zeus und die Vallas durd) andere Götter verdrängt wor⸗
den, wie Ajas, Odyſſeus, Achilfeus und Patroklos, fo würde
die Negis auch nach dem fymbolifchen Tode des Zeus oder
auf irgend eine andere Weife an Apollon und die Pallas
übergegangen feyn, oder es würden bie drei Götter um diefelbe
einen Streit mit einander begonnen haben, und wenige würz
den mehr auf ihre Bedeutung achten.
Noch auf ein ähnliches Symbol müffen wir aufmerffam
machen, das freilic) viele als höchft unbedeutend anfehen wer—
den, das aber in jener Zeit, im welcher die Mythen entftan-
den, doch auch feine Bedeutung gehabt haben dürfte, Bei
den zur Ehre des Patroklos veranftalteten Leichenfpielen bringt
Achilleus) auch eine rohgeformte Kugel, welche vor
dem Eetion oft warf, und Achilleus nach dem Tode desfels
ben mit anderer Habe an fich brachte. Er fordert die Kampf
genoffen auf, auch diefen Kampf zu verfuchen, um fich die
Kugel zu verdienen, welche ihrer Anftrengung wohl würdig
ware. Denn wenn einer auch ein großes Gebiet von frucht-
tragenden Aeckern hätte, fo gewährte ihm diefelbe doch auf
fünf Jahre Eifen genug, fo daß er niemals aus Mangel an
demfelben einen Hirten oder Pflüger in die Stadt ſchicken
dürfte.
Sp wenig die Angaben über die Aegis ald eine Erfin:
dung des Homeros angefehen werden dürfen, eben fo wenig
darf man die Sage von diefer Kugel für ein Mährchen er-
‚Haren, und ihre ungewöhnliche Größe als bloße Ausſchmuͤckung
oder Uebertreibung des Saͤngers betrachten. Waͤre ſie eine
gewöhnliche Kugel geweſen, jo müßte fie nad) der Verſiche⸗
699) Hom. 1]. XXIII, 326 sqgq-
21*
324
rung des Achilleus, daß der Sieger, felbft wen er der größte
Grundbefizer wäre, für fünf Fahre Eifen genug hätte, von
einer ſolchen Größe gemwefen ſeyn, daß fie weder Eetion, noch
ein anderer Held hatte werfen, vielleicht Faum von der Erde
enporheben können. Der ehemalige Befiger derfelben, Eetion,
war mit Safion ”®) ein und dasfelbe Weſen, und dag
Jaſion, welcher fich mir der Demeter auf dreimal geadertem
Brachfelde verbindet, in der alten Thrakiſchen Mythologie
Sonnengoti’war, dürfte wohl nicht zweifelhaft feyn, fo wie
auch der Umftand, daß fein Tod, wie jener des Eetion, in
der Urzeit nur eine fombolifche Bedeutung hatte. Achilleus befigt
diefe Kugel, wie die Aegis, weil er bei den alten Einwoh— |
nern von Phthia dasſelbe Wefen war, welches an andern Or- |
ten Eetion oder Jaſion hieß.
Sollten wir eine Vermuthung über diefe Kugel und |
das Werfen derfelben ausfprechen dürfen, fo würden wir |
zuvoͤrderſt erinnern, daß felbft lange nach dem Trojaniichen
Kriege die Sonne noch als eine feurige Kugel angefehen
wurde, daß felbft Herakleitos ») den Mond noch für lau-
teres Feuer erklärte. Sollte diefe robgeformte Kugel,
welche durch ihre Geſtalt ihr hohes Alterthum ſchon ver:
rath, nicht Symbol jener am Himmel fich befindlichen Ku, '
gel geweſen feyn, follte in jener Periode, im welcher alle
Vorftellungen ein ziemlich fonderbares Gewand erhielten, '
nicht die Meinung geherrfcht haben, daß fie der Sonnen; |
gott am Himmel fortwälze? Daß fie bei Homeros als |
700) Buttmann, Mpthol. II, ©. 137. 185.
701) Arnob. III, 31. Macrob. Saturnal. I, 47. III, 4. Welder,
Trilog. S. 281.
325
eim Eifenklumpen erfcheint, und das Verſtaͤndniß derſelben
längft verfchwunden war, da nach den Anfichten der herois
fhen Zeit der Sonnengott auf einem Wagen fahrt, wie
die Kriegshelden, darf nicht auffallen, da auch hundert an-
dere Symbole durch Mißverſtaͤndniß bereits damals ganz
verzerrt waren.
Siebenzehntes Capitel.
Ueber die Argos und einige ähnliche Fahrzeuge.
Es war für Völfer, welche von der Befchaffenheit der
Erde und des Meeres nur mangelhafte Vorftellungen befaßen,
eine räthfelhafte Sache, wie der Sonnengott, wenn er feine
Fahrt am Himmel vollendet, von dem Außerfien Punkte im
Weſten wieder zu dem fernften Often gelange, um diefelbe am
andern Morgen hier vom neuen zu beginnen. Was war natürz
licher, als ihm ein Fahrzeug zu geben, auf welchem er in
unglaublicher Schnelligkeit dahin gelangt? Darin ftimmen
alle Angaben überein, daß er ſich dieſes Mittels bedient,
fo verfchieden auch die Nachrichten über feinen Pallaft find,
welchen einige im MWeften, andere im Oſten fuchen‘). Man
fonnte ihn auch, wie wir fchon bemerft haben, eben dahin
verfeßen, wo die Sonne untergebt, und den Helios hier
ausruhen lafjen, aber auch im Dften fuchen, wo fie fich
1) Hom. Odyss. XI, 345 sqq. XII, 3 sq. Stesich. ap.
Athen. XI, 6. Mimnerm. Eleg. 9. Eurip. Phaeth.
ap. Strab. I, p. 35. Nonn. XII, 4. Stat. Thebaid. III,
507. Ovid. Metam. 1,777. Voß, Myth. Briefe, 11, 155.160.
326
erhebt. Das ihn alfo einige Völker hier, andere dort
wohnen ließen, darf uns nicht befremden. Später hat
man beide Sagen mit einander verbunden, und nun ent-
ftand die Frage, wo denn Helios eigentlich gewohnt habe,
welche, fobald man obige Bemerfung nicht im Auge hat,
ſich niemals befriedigend löfen laßt. Won der großen Fahrt
des Odyſſeus haben wir fchon gefprochen. Wie der Son-
nengott ein Freund des Bogens und des Viergefpan
nes ift, ſo war Odyſſeus, welcher jeden Abend feinen Kahn
vom neuen befteigt, ein befonderer Freund der Schifffahrt.
Er jelbft ſagt), daß er Feldbau und die Gefchafte des
Haufes nie geliebt habe, aber cin Schiff und Nudergeräthe
habe er beftändig geliebt, fo daß man daraus fehr gut ab»
nehmen Fann, dag das lange Schiffen des Odyſſeus erft
fpäter ald Strafe der Götter angefehen wurde, als man
denfelben als Heros betrachtete, und Ithaka für feine Heiz
math anfah, wo er früher befonders verehrt wurde. Unter
den Göttern, weldye ihm fein trauriges Loos bereiten muß-
ten, Tonnte man natürlich nur den Beherrfcher desjenigen
Elementes nennen, auf welchem er ſich mit feinem Schiffe
befand. Gr vollendete die Fahre’) in einer Nacht, und
ftellte, als die dammernde Eos mit Rofenfingern empor:
flieg, das Schiff in die bergende Grotte, wo die Nymphen
ihre Stühle hatten. Am Morgen nämlicdy bedarf der Son-
nengott des Schiffes nicht mehr, fondern nun beginnt er
feine Sahrt mit dem Magen. Helios ruht, wenn er Die
Thore des Oſtens erreicht hat, in feinem Pallafte, Odyſ—
%) Hom. Odyss. XIV, 222 qq.
3) Homer. Odyss. XII, 546.
327
feus ‚aber in den Grotten der Mondgüttinen Kirfe und
Kalypſo.
Die fpätere Zeit hat viele Lokal⸗Sagen über die Rich—
tung der Fahrt des Odyſſeus und die verfchiedenen Drte feines
Cultus, wie bei den Irren der Leto, mit einander verknuͤpft,
ſo daß dadurch Odyſſeus freilich nicht immer in einer Nacht
an den Ort kommen konnte, wo ſich die Sonne erhebt, fon;
dern mach verfchiedenen Richtungen umherfährt. Daß der
Sonnemvagen bei ihm nicht erwahnt wird, darf als Fein
Gegenbeweis betrachtet werden. Wir haben nicht alle als
ten Sagen, fondern nur einen ſehr Eleinen Theil derfelben.
Wenn wir alle befaßen, fo würden wir wohl auch feinen
fünftlihen Wagen und feine Slügelroffe Tennen lernen. So—
dann darf man nicht überfehen, daß von manchen Göttern
ihr fumbolifher Schild, von andern ihr Wagen, von andern
ihr Kahn oder Fahrzeug vorzugsweie bejungen wurde, wie
dieß bei Döyffeus der Fall iſt. Sobald er (und dieß geſchah
ſchon geraume Zeit vor Entftchung der Odyſſee) in die Reihe
der Herven getreten war, fobald feine beftandigen Seefahrten
als Folgen des Zornes des Poſeidon betrachtet wurden, und
die Meinung allgemein ſich geltend gemacht hatte, Odyſſeus
habe nach Beendigung des Trojaniſchen Krieges nad) Haufe
fegeln wollen: Fonnte die Sage und Dichtung von feinem
Gefpanne nicht mehr reden, fondern nur vom Meere und den
traurigen Schicffalen, welche er auf demjelben erfuhr, Doch
leſen wir im Eingange der Ddyffee, daß er vieler Menfchen
Wohnſtaͤtten ſah, und ihre Gefinnung kennen lernte, eine
Bemerkung, welche uns den am Himmelsgewölbe fahrenden
Sonnengott noch recht gut erfennen laßt, welcher die Wohn:
328
ftätten der Menfchen von feiner Höhe herab fieht, und alles
hört und weiß, was gefchieht, welcher mir feinem jcharfen
Auge felbft bis auf den Grund des Meeres ſchauet.
Herafles ift nicht bloß Schiffer, fondern er hat felbft
den Sonnenfahn oder Becher”). Peifandros ließ ihn in einem
Becher, welcher dem Helios gehörte, über den Okeanos fchifr
fen, um die Rinder des Geryones zu holen. Den Becher
erhielt er aber nicyt unmittelbar vom Helios, fondern vom
Okeanos oder Nereus’). Als Herakles mit dem Tage feine
Fahrt vollendet hatte, gab er den Becher oder Kahn an He-
lios ab, damit diefer auf demfelben zu feinem Pallaſte gelan-
gen konnte. Die Rinder, welche Herakles holt, find bie
Sonnen-Kinder °) oder die Sterne, welche er am Abend im
äußerften Weften, wo die Sonne untergeht, emporführt. Als
man ihn als Heros anfah, mußte er feine Reife zu Waſſer
und zu Land nad) jenen Gegenden vollenden, während er fie in
der alten Sage ficherlih, wie Helios, auf feinem Gefpanne
am Himmel vollentete. Die Heldenfage ließ ihn den Son-
nenkahn, welchen er hatte, um nach dem oͤſtlichen Theile ver
Melt vom Weſten zurüd'zufehren, gebrauchen, um vom Feft:
lande über das Meer nad) Erytheia zu fegeln! Die Dich—
tung bat hier die zwei verfchiedenen Fahrten des Sonnen:
gottes, jene am Himmel und die Rückkehr zur See, nicht
von einander gefchieden, jondern mit einander vermifcht. Ob
4) Stesich. frag. p. 17, ed. Such. Pisandr. ap. Athen.
XI, p. 469. d. Müller, Dor. I, 424.
5) Cl. Alexandr. Strom. p. 31, ed. Pott. Heyne ad Apol-
lodor. p. 161. Müller, Dorer I, 425.
6) Schol. Odyss. XII, 301, p. 413.:Buttm.
329
er den Kahn von Nereus oder, wie Helios, vom Okeanos ers
halt, ift gleichgiltig, beide Götter gebieten über das Meer,
und deßhalb fteht der Kahn, deffen man zur Fahrt auf
ihrem Elemente bedarf, beiden zur Verfügung. Freilich)
mußte Herafles, welcher fpater aus feiner Stelle verdrängt
wurde, diefen Kahn nur zur Ausführung einer Unter:
uehmung erhalten, wahrend er denſelben nad der alten
Sage ficher alle Abende beftieg, um den nämlichen Meg zu:
ruͤckzulegen, welchen nad) andern Lokal Sagen, weldye
ven Helios als Sonnengott feierten, diefer jeden Abend zur
See zu vollenden hatte,
Rhadamanthys haben wir fchon wegen feines Aufent-
haltes im Elyfion und der hohen Würde, welche er im Hades
befleidet, ald Sonnengott Fennen gelernt. Durd) eine wid;
tige Sage’) überzeugen wir uns aber noch mehr von diefer
feiner ehemaligen Bedeutung. Alfinoos jagt zu Odyſſeus,
daß er zu feiner Heimfahrt rüftige Männer beftellen wolle,
welche ihn raſch nad) Haufe bringen, oder an jeden andern
Ort, wohin er verlangte, fordern würden, wenn derfelbe
auch noch weiter entfernt ware, als die Inſel Eubda, welche
nach der Erzählung derjenigen Phaͤaken, die den Rhadaman—
thys dorthin brachten, fehr weit von ihrem Gebiete entfernt
ware. Diefer wollte den Tityos befuchen, den Sohn der
Erde; die Phaͤaken brachten ihn ohne Beſchwerde in einem
Zage an den Ort feiner Beftimmung, und führten ihr wieder
in die Heimath zurüc.
Wer diefe Erzählung als Gefchichte faßt, und den
75 Hom. Odyss. VII, 317 sgg-
330
Phaaken in der Nahe Griechenlands einen Wohnſitz ans
meifer, oder fie auf die Inſel Kerkyra verfeßt, der verwis
delt fih in Schwierigkeiten, welche Fein menſchlicher Vers
fiand zu löfen vermag. Wenn Rhadamanthys Bruder des
mächtigen See: Königs Minos ift, und einen Freund auf
Euboͤa zu befuchen wünfcht, warum begibt er ſich erft zu
den Phaͤaken, da die Kreter nach der gewöhnlichen Annah-
me die beiten Seefahrer in jenen Zeiten waren? Thuky—
dides®) raunıt ihnen in diefer Bezichung den Vorzug vor
allen übrigen Völkerfchaften Griechenlands ein, und nennt
feinen Bruder Minos den erften Gründer einer Seemadt.
Mas hätte alfo den Rhadamanthys beftimmen koͤnnen, ſich
vorerft zu den Phaͤaken zu begeben? Oper glaubt man,
daß die Sänger der damaligen Zeit in der Erdkunde fo
unmwiffend waren, daß fie die Meinung hegten, der Weg
von Kreta nach Eubda führe bei Kerfyra vorbei ?
Rhadamanthys befinder fich bei den Phaͤaken aus
dem nämlichen Grunde, aus welchem Odyſſeus bet ihnen
ift, und Helios die Aethiopen befucht. Sie haben diefelbe
Bedeutung’), welche die im aͤußerſten Weſten wohnenden
Aerhiopen harten. Iſt der Sonnengott im Gebiete derfel-
ben vom Himmel in das Meer geftiegen, dann begibt er
fih auf feinen Kahn, und fährt nach dem fernften Diten.
So fahrt Odyſſeus von ihrem Gebiete aus nad Haufe,
8) Thucyd. I, c. 4. ef. Aristot. Pol. II, c. 8. Diod. Sieul.
IV, 64. V, 54. Herod. VII, 169 sqq. Stob. serm. 42.
Strab. X, p. 476. Meurs. Cret., III, e. 3.
9) Wir werden dieſe Behauptung in einem befondern Ab-
ſchnitt über die mythiſchen Voͤlkerſchaften rechtfertigen.
—
—
—————————— — a | ————
331
und Rhadamanthys fahrt nach der Inſel Eubda, welche
einigen Völferfchaften Griechenlands als der öftlichfte Punkt
erfchien, wie andere Bootien oder Lemnos als folchen betrach—
teten. Wir haben fchon erinnert, und müffen bier, um
allen Mißverftandniffen vorzubeugen, neuerdings bemerken,
daß nicht alie Bewohner des Feftlandes und die vielen zu
Griechenland gehörigen Voͤlkerſchaften Often an derfelben
Stelle fuhen, und nicht dasfelbe Land als weftliche Graͤnze
betrachten Fonnten, daß die Sage aber, welche alles ver;
Be nüpfte, auch die verfchiedenen Oſt- und Weſtgraͤnzen,
die in den einzelnen Lokalmythen vorfamen, mit
einander verbunden hat. Rhadamanthys kann von
Kreta, wo fein Bruder herrfcht, er kann von den Phaaken
sus nad) Euböa fahren. In der Sage von der Ent-
führung der Europa durch Zeus erfcheint Kreta als der weft
lihfte und Böotien als der öftlihfte Punkt, während wir
un der angeführten von Rhadamanthys das Phaͤakenland
und die Inſel Eubda ald Granzpunfte im Weſten und Often
kennen lernen. Rhadamanthys gelangt, fo weit aud) das
Phaafenland und Eubva nad) der Erfläarung des Alfinoos
von einander entlegen find), in einer Nacht, wie Helios
auf feinem Kahne, in unglaublicher Schnelligkeit an feinen
Beſtimmungsort. Da aber die Menfchen nicht bei de
10) Nun ficht man ein, dab die Worte des Alkinoos Beden—
tung haben. Dften und Welten als die entgegengefeßten
Punkte der Erde find freilich fehr weit von einander ent:
legen, und nur ein Sonnengott kann den unermeßlichen
Meg in einer Nacht auf feinem fchnellen Fahrzeuge zu:
ruͤcklegen.
332
Nacht reifen, und Rhadamanthys fon lange vor Home—
108 in die Reihen der Herven gedrangt wurde, fo vollen
det er feine Fahrt in einem Tage, und anftatt feine Reife
von Eubda nad) Kreta auf dem Sonnenwagen am Himmel
zu machen, müffen ihn die Phaͤaken wieder zuruͤckfuͤhren.
Ueber die Bedeutung feines Befuches bei Tityos und bie
Natur desfelben wollen wir fpater unfere Vermuthung aus—
ſprechen.
Die Fahrt des Minos nach dem Peloponneſos, dem Licht⸗
lande, oder ſein Zug gegen Megara hat urſpruͤnglich dieſelbe
Bedeutung gehabt, wie jene des Theſeus nach der Inſel
Kreta; nur gebt bei dieſem die Richtung des Weges
von Oſten nad) Weſten, nad) der attiichen Sage, während
er nach der Eretifchen von Weften nach Often fuhr, wie He
lios. Minos und Thefeus haben als weltliche Fürften und
Geſetzgeber durch die vielen Geſaͤnge der heroifchen Zeit ein
zu menfchliches Gepräge erhalten, als dag man diefe ur
fprüngliche Bedeutung ihrer Fahrten als richtig anerkennen
follte. Man wird es im Öegentheile als die größte Kühn-
heit betrachten, daß wir am diefelbe nur erinnern, Allein
die Kiebe zur Wahrheit und die Erwägung des fonderbaren
Schickſales, welches felbft die Gdttergefhichte der Griechen
im Laufe der Zeit erhielt, und demnach aud) die Götterge:
fhichte jener Völferfchaften, welche in der Urzeit Hellas
inne hatten, ebenfalls erfahren mußte, beftimmte uns, dieſe
Meinung auszufprechen. Don den fieben Knaben und fieben
Sungfrauen, welche Thefeus auf feinem Schiffe hat, und
der ſymboliſchen Bedeutung derfelben haben wir ſchon ges
ſprochen. Diefe vierzehn Kinder ſtehen zu ihm in eben fo
333
naher Beziehung, wie die vierzehn unfterblichen Kinder der
Mondgöttin Medeia zum Sonnengotte Jaſon. |
Mas fonnte nun den Theſeus, fobald er als fterblicher
König betrachtet wurde, zu einer Fahrt nad) Kreta beftims
men, wie famen die vierzehn Kinder auf fein Schiff? Warum
war fein Name auf der Inſel Krets und fein Aufenthalt im
Labyrinthos und der glückliche Ruͤckweg, welchen er aus dem>
felben fand, fo gefeiert? Die Sage wußte diefe Frage Ichnell
zu beantworten. Die Menjchenopfer, welche auf Kreta dem
Stiergotte gefchlachter wurden, boten ihr eine herrliche Vers
anlaffung zur Fahrt des Theſeus nad) Kreta. „Athen war
von diefer Inſel abhangig, und mußte einen Zehent von
Menfchen für den Minotaurus entrichten, und der König
die unglücklichen Opfer dahin führen.” Athen war nie von
Kreta abhängig. Am die Beziehung des Theſeus und feines
Fahrzeuges zum Delifchen Heiligthume, an fein Hinabftei-
gen in den Hades, an jeinen Aufenthalt im Labyrinthos oder
der Sonnen: Grotte, d. h. dem im Weſten“) gelegenen
Sonnenpallaft und an das abermalige Hervorgehen der Sonne
aus demfelben ward nicht weiter gedacht, und auch auf die
vielen und verfchiedenen Göttinen, mit welchen er vermahlt
ift, Feine Rücficht genommen. Er war einmal der ange
fehenfte König von *) Attifa, der an allen wichtigen Vorfällen
feiner Zeit Antheil nahm, und fo lange lebte, daß feine
11) Wir haben oben Kon erinnert, dag man die Wohnung
des Helios nicht bloß im Dften, fondern auch im Weiten
ſuchte, und daß fich beide Annahmen fehr wohl erklären
laffen.
42) Sophoel. Pbilokt. 564 et Wunder; 1. c.
334
Söhne, obwohl er ein Zeitgenoffe des Minos ift, am Tro⸗
janifchen Kriege den lebhafteſten Antheil nehmen!
Ungleich deutlicher tritt der Sonnenfahn in den Sagen
über die vielgepriefene Argo hervor. Schon der Name diefes
Fahrzeuges”), welches, weil es dem Lichtgott trug, vorzugs⸗
weile das fhimmernde oder fchnelle heißt, und bie
Auszeichnung des Hauptbalfens, welcher, wie die Pferde
des Achilleus, fprechen und weisfagen konnte “), wie auch der
Umſtand, daß es Pallas an den Himmel verfeßte, hattedie
Altertfumsforfcher Überzeugen follen, daß dasſelbe doc) ſchwer⸗
lich eim menfchliches Werk geweſen fey, und Feineswegs ale
15) Andere beziehen den Namen auf die Schnelligkeit des
Schiffes. Diod. Sicul. IV, 42. Hyg. Astron. I, 37.
Serv. ad Virgil. Eclog., IV, 34. Passow (8. v. «pyos)
bat recht gut nachgewieſen, dag Argos beide Bedeu: |
tungen babe, und den Zufammenhang derfelben erflärt.
Rir wollen die Bedeutung „ſchnell“ Feineswegs verwerfen,
da wir ſehr wohl willen, daß der Sonnengott feine Fahrt
auf dem Kahme mit unglaublicher Schnelligkeit vollendet.
Die Ableitungen des Namens von dem Baumeifter Argos
(Apollod. I, 9, 16. Schol. Ap. Rhod. I, 4. Hyg. fab.
14.) oder von Argos, als dem Drte ber Erbauung, oder
von den Argivern, die es geführt (Schol. Lycophr. 883),
find abgefhmadt, und zeugen nur zu deutlich, daß man
von der Beltimmung der Argo in jener Zeit, in welcher
diefe Erzählungen entftanden, gar feine Ahnung mehr
Batte.
14) Diefes Brett fol Pallas von einer Eiche in Dodona ge:
bracht haben. Lycophr. 1379. Nach Apoll. Rhod. I, 525
sqg. befand ſich dasfelbe im Mordertheile des Schiffes,
nad) Val. Flace. (I, 229) im Hintertheile.
335
das erfte lange Schiff *°) betrachtet werden dürfe, auf welchem
ſich die Griechen auf die offene See wagten. Wenn Jaſon
dasfelbe ) dem Pofeidon weihet, fo darf man nur erwägen,
um ſich diefe Sage zu erklären, daß auch des Helios Kahn
Eigenthum des Dfeanos it, und Herakles denfelben vom
Meergotte empfängt.
Jaſon fahrt auf diefem Schiffe nach Aeaͤa, dem öftlich-
ften Punkte, über deffen geographifche Lage ſich nichts be—
ftimmen laßt, weil er nach Erweiterung der geographifchen
Kenntniffe immer weiter hinausgeruͤckt wurde, Für die
Begründung unferer Anficht reicht es hin, zu bemerken, daß
auf der aͤaͤiſchen Inſel nach den DVorftellungen der heroiſchen
Zeit”) die Wohnung der Eos, der Vorläuferin des Helios,
ift, fo wie des Helios leuchtender Aufgang. Helios hat bei
feiner Fahrt auf des Dfeanos Kahne dasfelbe Ziel, wie Jaſon.
Die Plankten oder die zufammenfchlagenden Felfen, durch
welche nur die gefeierte Argo hindurch drang, find
eine ſymboliſche Bezeichnung des öftlichften Punktes, wo Him—
mel und Meer an einander zu fchlagen, oder einander zu
berühren ſcheinen. Die Alten, welche fo wenig Kenntniß
von der Erd- und Himmelskunde befaßen, mußten es freilich)
15) Windelmann, Geſchichte der Kunft, S. 23. Wiener
Ausgabe.
16) Diod. IV, 53. Nach Paus. II, 9 weihte er es der Pallas,
welche ebenfalls über das Meer gebot, und defhalb yArv-
»örıs hieß. Ueber die Verſetzung der Argo an den Him—
mel cf. Eratosth. Catast. 35.
17) Hom. Odyss. XII, 3 sqg. — vj0ov ı’ Alalnv, 694 7’ ‘Hoüs
ngeyerälng olxle zul X0008 elos, xaiayrokei Hekloro.
336
für eine Unmöglichkeit halten, daß irgend ein Fahrzeug diefe
Plankten durchbrechen Eonnte. Da aber der Sonnengott jeden
Tag gluͤcklich durch Ddiefelben Hindurchichifft, jo ward der
Argo allein diefes feltene Glück eingeraumt. Natürlid) mußte
man diefe Planften, fobald man die Fahrt der Argo als den
Anfang der Meeres » Schifffahrt betrachtete, zu Felſen
machen; die urfprüngliche Bedeutung derfelben hat ſich aber
doch noch recht deutlich in der Erzahlung von ihrem Zufam-
menfchlagen erhalten, womit das Alterthum das Zufammen-
gränzen von Himmel und Meer ausgedrüct hat.
Die Argo fahrt von verfchiedenen Orten aus, was ſich
aus der Verbreitung des Eultus des Jaſon durch die Yeoler *),
welchen er angehörte, erflart. Ueberall, wo fein Dienft
einheimifh war, waren es natürlich auch Die Sagen von der
Argo, und jeder Drt ließ ihn von hier ausgehen, aber die
Richtung der Fahrt nach dem fernen Oſten hat fih in allen |
Sagen erhalten. Durch die Aeolifch » Lelegiihen”) Völker: |
Ihaften war der Eultus des Jaſon und der Pallas auch nach
Libyen gekommen, fo daß es uns nicht befremden darf, daß |
18) Wir Haben ſchon in der Geſchichte des Trojaniſchen Arie: |
ges erklärt, daß fi die Sagen über die Argonanten auf
die Ausbreitung der Aeoliſchen Eoloniften beziehen, aber
die urfprüngliche Bedeutung der Argofahrt nicht an: |
gegeben, umd auch nicht erinnert, dag die alte einfache |
Sage durch Verknüpfung der einzelnen Lofalmpthen jene "
veränderte Geftalt erhalten hat.
19) Die Werwandtfchaft der Leleger, melde die Alten aus |
lern werden wir fpäter nachmeifen.
337
die Argo aud) mit dem Triton in Verbindung gebracht wird,
und die Argonauten nach Kibyen fegeln. Freilich konnte
man fic) fpater, wo man die Argo von einem gewöhnlichen
Schiffe nicht mehr unterfchied, die Verbindung derfelben mit
dem Triton-See nicht mehr erflaren. Um diefes Raͤthſel
zu löfen, erzählte man”), die Argonauten hatten, um bie
lange und befchwerliche Fahrt an den Kuͤſten des Landes durch)
die Säulen des Herakles zu vermeiden, das Schiff auf den
Rath der Medeia auf den Strand gezogen, dasjelbe auf
ihre Schultern genommen, und in zwölf Tagen über das
Land an die Küften des Mittelmeeres dahın getragen, wo
ſich der Ausfluß des Triton s See's in dasselbe ergießt. Die
Sage blieb dabei nicht ſtehen, fondern verfnüpfte, wie über-
all, fo auch hier, die verfchiedenen Lofal- Mythen über die
Argo und fo Fam es, daß die Argonauten auf ihrer Fahrt
alle Punkte, wo der Eultus des Jaſon und die Sage von
der Argo einheimifch waren, berühren müffen, und die ans
fangs fo einfache Fahrt des Sonnengottes in ein abentheuer-
liches Unternehmen verwandelt wurde. Bei der vielfachen
Verberrlichung, welche diefelbe erfuhr, und der irrigen Auf—
faffung der einzelnen auf fie Bezug habenden Mythen Fonnte
fie in neuerer Zeit auch nicht anders, als eine Handlungs-
Unternehmung aufgefaßt werden.
Mir müffen nun zunachft den Grund betraxbten, warum
die Argo die Fahrt nach der Aeaͤiſchen Sufel unternimmt.
Es ift das goldene Vließ jenes Widders, welcher durch Phri-
I x08 nad) Koldis oder nach der Aeaͤiſchen Inſel gefommen
20) Pind. Pyth, IV, 35 sqq. et Schol. et interpretes |. c.
Borhalle zur Sriechifchen Geſchichte. 22
338
war. Mir haben fchon erinnert, dag der Widder Symbol
des Sonnengotted war, und Hermes deßhalb Widderträger
iſt?), daS dem Zeus Aktaͤos auf den Höhen des Pelion, wo
Safon erzogen wurde, der Priefter das Opfer dar⸗
brachte, mit einem Widderfelle angethan”), daß Pan das
Vließ des goldgelben“) Luchſes tragt, und Herakles in bie
gelblich fchimmernde Haut des Löwen gehuͤllt iſt. Diefes
Vließ trägt der Sommengott Jaſon, wie Pan jenes des
Luchſes im der alten Sage als Symbol feines Weſens.
Phrixos weiht dasfelde, weil er urfprünglic der naͤmliche
Gott war, und hangt es aus demfelben Grunde in dem Haine
des Ares auf, welchen wir bald noch naher als Sonnen»
gott Fennen lernen werden. Die fpätere Zeit Fonnte ſich frei-
lich nicht mehr erflären, wie Ares, Phrivos und Jaſon diefes
Vließ haben Fonnten, da fie nicht berücfichtigte, daß Pallas,
Apollon, Zeus und Achilleus die Aegis haben, und fuchte,
da man die urfprüngliche Bedeutung der Argo- Fahrt längft
vergeffen hatte, fich die Sehe durch die Annahme zu er:
Hären, als fey Jaſon nach der Aeaifchen Inſel gefegelt, um
jenes Dließ zu holen, welches durch Phrixos ee
men wäre,
Um allen Vorwürfen einer willkuͤrlichen Deutung zu bes
gegnen, miüffen wir neuerdings am die Sagen über den
Bogen, über die Rinder und Pferde des Eurytos, fo wie
über die Ruͤſtung des Achilleus und die verfchiedenen Befiger
derfelben erinnern. Soll es num befremden, daß hier die Ar
21) Pausan. II, 3, 4. IV, 35, 4 V, 27.765 23% 1.
22) Muller, Orchom. ©, 248,
25) Hymn. Hom. XIX, 25.
339
und Weife, wie Zafon das Vließ, welches er wegen feiner
Verwandtſchaft mit Ares und Phrixos mit diefen gemein hat,
an fi brachte, auf eine ähnliche fabelhafte Art dargeftellt
wird? Megen diefer Entftellungen der Sage auf der einen,
und der buchftäblihen Auffaffungsweife auf der andern Seite
bietet der Mythus des Jaſon freilich jo viele Nathfel dar,
daß fich diefelben auf dem gewöhnlichen Wege durchaus nicht
löfen laffen. Er wird auf dem Pelion erzogen, fein Sohn
Medeios wachst in Magnefia auf. Jaſon heißt ein Völker
hier”), und irrtdoc) als ein landlofer, umhergetriebener Flücht-
ling umher. Wenn man aber die Bedeutung feiner Fahrt
ins Auge faßt, und bei Erklärung feiner Irren am jene der
Jo und die Wanderungen des Apollon und Herakles denkt,
dabei auch nicht vergißt, Daß der Sonnengott Herrfcher
und Voͤlkerhirt ift; ferner, daß Safon auf dem Pelion und
in Magnefin, wie an gar vielen andern Orten verehrt
wurde, jo loͤſen fi) alle Miderfprüche von ſelbſt auf.
Ueber den harten Mann”), welcher ihn zur Fahrt ge
zwungen haben joll, wollen wir fpater fprechen, wenn wir
die Dienftbarfeit der zu Herven herabgefunfenen Götter bes
) leuchten.
Hier darf eine andere Frage nicht mit Stillichmweigen
übergangen werden, Wenn Zafons Fahrt diefe Bedeutung
bat, warum befinden fich auf der Argo fo viele Helden,
faft die meiften von Griechenland? Diefe Trage laßt fich
24) Diod. IV, 54. Apollodor. I, 9, 10.Schol. Lycophr. 175.
Hyg: fab. 24.
25) Müller, Orchom. ©. 258 ffg.
ar
340
erft in dem dritten Theile, welcher fich über die wichtige
ften Punkte der Griechifchen Mythologie verbreiten foll,
auf eine befriedigende Weiſe Iofen. Hier Fonnen wir nur
einige Winke geben, Der Sonnengott hatte bei den vielen und
verfchiedenen Mölferfchaften, ja bei den einzelnen Zweigen
eines jeden Volkes verfchiedene Namen. Mit jedem
Namen verband die lebhafte Phantaſie der Griechen ein be:
fonderes Mefen, eime beffiimmte Perſon, fo daß auf
dieſe Weiſe eine Menge von Goͤttern entſtand, von
denen bei den vielen Voͤlkerwanderungen ein großer Theil
in die Reihen der Heroen herabgedraͤngt wurde, Schon bei
dem Aeoliſchen Zweige hatte der Sonnengott verfchiedene
Namen. Ueberall waren mit feinem Cultus die Sagen
von feinen Thaten und feiner Fahrt verbreitet. Die Son-
nengötter num, welche die heroifche Zeit nad) Verdrangung
der Bölferfchaften, denen fie chedem angehört hatten, als
Schiffer Fannte, wurden bei dem fichtbaren Streben, die
Kofol- Mythen zu verfnüpfen, alle in der Argo
vereinigt, um dadurch der Fahrt einen befondern Glanz zu
geben, während vorher jeder fein eigenes Fahrzeug
hatte, Muß ja doch auch Herakles den Kahn des Helios
entlehnen! Dabei blieb man aber, fobald die ArgosFahrt
als ein abentheuerliches Unternehmen betrachtet wurde, nicht
ftehen, fondern zog in den Kreis der Argos» Fahrer nicht
blog jene zu Heroen herabgefunfenen Sonnengdtter anderer
Bolfeftamme, welche als Helden und berühmte Schiffer ge-
feiert waren, fondern auch viele andere Götter, welche aus
ihrer vorigen hohen Stellung verdrangt und als Helden ver-
herrlicht worden waren, fo daß es uns nicht wundern barf,
341
wenn die Zahl der Argonauten bei verfchiedenen Dichtern fehr
verfchieden angegeben wird.
Es ift auch ein anderer Fall möglich. Auf den Schiffe
des Thefeus haben wir fieben Juͤnglinge und eben fo viele
Sungfrauen gefehen, und erinnert, daß die Siebenzahl fi)
auf das Mefen des Sonnengottes, auf die fieben Wochen-
tage beziehe, und die Bedeutung der fünfzig Kinder des
Danaos und Aegyptos aus den fünfzig Töchtern des Endy:
mion und der Selene erklärt. Soll nicht die Sage wegen
der fünfzig Wochen das Schiff des Sonnengottes Jaſon,
welcher Begründer der Zeit ift, als Fünfzigruderer
bezeichnet haben? Sobald man dasjelbe als gewoͤhnliches
Schiff anjah, und dem abentheuerlihen Unternehmen einen
größern Glanz verleihen wollte, traten fehr viele Weſen
in dasfelbe, welche aus Herven bejtanden, die ehedem theilg
Sonnengötter bei den Minyern und andern Stämmen waren,
theils eine andere Bedeutung, aber fammtlich göttliche Natur
hatten. Der Fünfzigruderer des Danaos hat diefelbe Be-
deutung gehabt, und feine fünfzig Tochter waren die fünfzig
Nymphen. Die Nymphen und die Lichtgoͤtter ftehen in un-
zertrennlicher Verbindung.
Fe mehr die Argo befungen wurde, und je mehr der
Schmuck, welden die verichiedenen Dichter auf fie über:
trugen, die wefentlihen Züge der alten Sage ver:
dunkelte, defto fefter mußte die Meinung wurzeln, daß
fie ein gewöhnliches Schiff geweſen, und fich nur durch
feine Größe und Kunft ausgezeichnet babe. Ja, man
verfannte die Bedeutung derfelben und des Jaſon fo ſehr *),
26) Athen. VII, p. 296.
342
daß man dieſen ſogar eine Seeſchlacht mit den raͤuberi⸗
ſchen Tyrrhenern beſtehen ließ. Wenn aber der Magnete
Poſſis im dritten Buche feiner Amazonis den Baumeifter
und Lenker der Argo Glaufos nennt”), fo haben wir hier
einen Weberreft alter Sage, nad) welcher der Sonnengott
feinen - Kahn vom Meergotte empfängt, und wer follte den
Sonnengott auf diefem Fahrzeuge beffer lenken, und fchneller
an fein Ziel bringen, als der Gebieter des Meeres? Glau-
kos ift aber?) langft ald Seegott anerkannt, und wieder
in feine alten Rechte eingefegt worden. Die Verbindung
der Pallas und Hera mit Zafon erklärt fi) aus der ehema-
ligen Bedeutung beider Göitinen, welche, Dallas in Athen”),
Hera in Argos”), mit Poſeidon um den Beſitz des Landes
firetten.
Ob aber das Schiff in der alten und noch unge
formten Sage das Mittel war, auf welchem der Sonnengott
wieder zu dem fernen Dften gelangte, ob es das einzige
war, und ihm an allen Orten gegeben wurde, ift eine andere
Frage, die wir nicht bejahen möchten. In der Titano
machie des Arktinos oder des Eumelos hatte der Sonnen-
gott einen Kefjel®), auf welchem er feine Fahrt zur See
vollendete, und diefes Symbol verrath nach unferer Anficht
ein viel früheres Altertum. Auch Herakles hat als Son; I
27) Ap. Athen. 1. c.
28) Heffter, Rhodiſche Götterdienfte IH, 64. cf. Athen.
VII, a8.
39) Pausan. I], 24, 5.
30) Pausan. II, 45, 5.
31) Athen. p. 470. b.
343
nengott diefen Keffel”). Wenn er erft fpäter im die Hera-
kleen aufgenommen wurde, fo darf man hieraus ja nicht
folgern, daß die Sage von demfelben neu fey. Die fpd-
term epifhen Dichter, welche die Symbole, die in der he
roiſchen Zeit befonders befungen wurden, nicht weiter aus:
ſchmuͤcken konuten, mußten wieder zu den rohen Bildern
der frühern Zeit zurückehren, deren fi genug vorfanden,
fo dag fie zu willlärlichen Erfindungen gar Feine Veran:
laffung hatten.
Amphitryon Hat einen Becher, welcher von Poſei⸗
don Herrührte®). Nach einer andern‘) Sage gab Zeus
denfelben der Alkmene zum Gefchenfe. Diefer Becher wurde
bei den SLafedamoniern als ein großes Heiligthum aufbe-
wahrt. „Mit Wohlgefallen, jagt Paufanias”), muß man
das Herakleion zu Erythra betrachten. Der Gott ſteht
namlidy auf einem hölgernen Fahrzeuge.” Die legte Ber
merkung ift infoferne von befonderer Wichtigkeit, als fie
unfere Behauptung vollfommen beftätigt, daß ſich mit dem
Eultus eines Gottes auch die Symbole desfelben und die
daran gefmüpften Sagen verbreiteten, und daß bei der
Berbindung diefer Lokal» Sagen dur die Sänger Die
Wanderungen und Fahrten der einzelnen Götter eine fehr
fonderbare und Faum mehr zu erflärende Geftalt erhielten.
Wie hätte man auf den Einfall kommen follen, den Hera:
32) Müller, Dor. I, 436,
55) Athen. XI, p. 498. 6.
34) Athen. XI, p. 781. e. 16. p. 1055, Dind.
35) Pausan. VII, 5, 5.
344
Hles in einem Tempel auf einem hölzernen Fahrzeuge ftehend
abzubilden, wenn dasfelbe bei ihm nicht ein wegentliches
Attribut geweſen ware? Der Becher hat, wie jener des
Helios”), urfprünglich diefelbe Bedeutung gehabt, mußte
aber im Laufe der Zeit für ein befonders ſchoͤnes oder werth-
volles. Trinkgeſchirr angefehen werden. Seine Eigenthümer
ſprechen nur zu beftimmt für diefe Vermuthung. Poſeidon
befigt denfelben, wie Nereus oder Dfeanos den Sonnen:
kahn Hat, und wenn der Mythos meldet, daß er durch
Zeus an Alkmene Fam, fo fehen wir nur unfere Anficht
beftatigt, daß Zeus urfprünglich ebenfalls als Sonnengott
verehrt wurde. Beide, Herafles und fein Vater Amphi⸗
tryon, haben, wie Zeus, ald Sonnengötter diefes Werkzeug,
um ihre Fahrt zu beginnen. Als aber Herafles und Am—⸗
phitryon Heroen wurden, mußte freilich die Sage erklären,
wie der Becher an Amphitryon übergegangen jey, und in
demjelben ein Geſchenk des Zeus erblicken. Einen gewöhn-
lichen Pokal Hatten die Lakedaͤmonier nicht in fo hohen
Ehren gehalten, Man fieht, daß er, wie das hölzerne
Fahrzeug in Erythraͤ, Gegenſtand des Eultus war.
Auch Achilleus Hatte?) einen Becher, aus welchem
Niemand trinfen durfte, und auch Fein Gott erhielt aus
demjelben, mit Ausnahme des Zeus, eine Spende. Die Er
wähnung der Spende zeigt, daß auch dieſes herrliche Kleinod
als Trinkgefaͤß angefehen wurde. Allein ein zu den Bedürf-
niffen des Lebens beftimmtes Gefäß hatte der Pelide Faum
36) Müller, Dorer I, 424,
37) Athen. XI, p. 781. c. d. c. 46 p, 4035 ed. Dind.
345
fo ſehr geachtet. Daß er es nicht zum Trinken gebraucht,
ift fehr natürlich ; es hatte urfprünglich. eine andere Beſtim—
mung, welche vorzüglich in der Verehrung, welche Achil-
leus in Seehäfen hatte, recht deutlich hervortritt. Waͤre er
nicht ein guter Schiffer geweſen, wie Jaſon, welchen man
deßhalb einen Sohn Euneos gab”), fo würde er an
folchen Plaͤtzen nie verehrt‘worden feyn. Der Sonnengott,
welcher fehr fehnell feine Fahrt beendigt, Fonnte eben fo gut
ein tüchtiger Schiffer heißen, als wir ihn bereits im den
Sagen über Eurytos als einen meifterhaften Bogenfchügen
fennen gelernt haben.
Hierher gehört auch die Sage von dem Widder, auf
welchen Phrixos nach der Aeaͤiſchen Inſel Fam. Mir müffen,
ehe wir die Bedeutung diefer Fahrt in das gehorige Licht
fegen Fonnen, erinnern, daß Zeus die Europa in der Geftalt
eines Stieres nad) Kreta tragt. Aus diefem Mythos erklärt
ſich nicht bloß der Name des Landes Taurien, wo die Mond-
goͤttin vorzüglih zu Haufe ift, fondern auch das Prädikat
derfelben, Tauropolos. Nicht bloß der Stier war Symbol
des Sonnengottes, fondern auch der Widder, der befonders
in der Sage von Hermes und allen mit ihm verwandten
Weſen eine jehr bedeutende Rolle fpielt. Die Ihiere, welche
den einzelnen Göttern heilig waren, ftehen mit denfelben in
einer jo nahen Beziehung, daß die Götter felbft in ihrer
38) Hom. Il. XUI, 467. Hyg. fab. 15. Auch er hat den
Beer, womit er von Achileus des Priamos Sohn 2p-
kaon auslöste, Il. XXII, 740. Welche Veranlaffung hätte
Euneos zur Auslöfung des Lykaon gehabt, wenn nicht
346
Geftalt auftreten, wie Asklepios als Schlange”), Zeus
als Drache“) oder als Stier, Hermes als Widder, oder
wenn dieß der Fall nicht ift, trägt er wenigftens den Mid:
der">), Der Midder des Phrivos hat die wefentliche Aus;
zeichnung, Daß er die Gabe der Sprache befist”'), und
warum follte er diefelbe nicht befigen, da man fich denfelben
von der Mefenheit des Hermes, des Vaters der Sprade und
Beredſamkeit, durchdrungen dachte? Er ſtammt von Pofei-
don”) ab, welchen der Mythus feinen Vater nennt. Die
Griechen würden doch wohl einen Gott nit zum Water
eines Thieres gemacht haben, wenn diefer Widder Feine andere
Bedeutung gehabt hätte! Wir erinnern, daß der Becher des
Amphitrygon auch von Vofeidon ausging, daß diefer Gott
der Vater des berühmten Schiffers Theleus*) ift, und daß
die Mondgöttin in vielen Sagen eine Tochter des Dfeanos
beißt). Sonne und Meer fichen in vielfacher Beziehung
zu einander, indem die Sonne nicht bloß im Meere auf und
niedergeht, fondern auch auf demfelben nach Dften zurüc-
kehrt. Warum fol nun nicht jener vielbefungene Widder,
dad Symbol des Sonnengottes, von dem Meergotte ab;
ftammen ?
beide Pradikate des namlichen Gottes gewefen waren, und
deßhalb in der innigften Verbindung geftanden hätten ?
39) Schwend, ©, 206.
410) Nonn. Dionys. V, 564. X, 294.
a0b) Pausan. II, 3, A. IV, 33, 4. V, 27, 8.1X, 22, 1.
41) Apoll. Rhod. I, 763. Schol. Ap. Rhod. I, 256.
42) Müller, Orchom. ©. 165.
73) Müller, Prolegomena, ©, 271 ffg.
44) Pausan, ], 54. Schol. Lycophr. 88.
34%
Das Vließ des Widders ift nach der alter Sage ”) von
Gold, nad) einer fpätern aber von Purpurfarbe”). Beide
Farben bezichen fi) auf die Befchaffenheit ver Sonne, welche
bei ihrem Auf⸗ und Niedergange nicht felten vom purpurrother,
gewöhnlich aber von goldgelber Farbe if. Aus dem Gold;
glanze des Lichtes erklärt fi) der Beiname Chryſe, welchen
Athena auf Samothrafe hatte, ſo wie auch der Name jener
Stadt Chryſe, in welcher Apollon befonders verehrt wurde.
Menn nun VPhriros auf diefem Widder, feinem Sym-
bole”) , nad) der Aeaͤiſchen Inſel ſich begibt, fo thut er dieß
aus dem nämlichen Grunde, aus welchem Helios feinen
Kahn, Jaſon die Argo befteigt, namlich, um zu dem fernen
Dften zu gelangen, und von da wieder am Himmel empor zu
fteigen und die Erde zu erleuchten. - Seine Schwefter geht
nad) der Sage im Meere zu Grunde. Diefer Umftand fcheint
freilich gegen die aufgeftellte AUnftcht zu fprechen. Allein in
der That ift dieß keineswegs der Fall. Helle ift, wie Helena
oder Selene, Mondgöttin gewefen, und wie in unzahlig
vielen andern Sagen der Untergang des Mondes ſymboliſch
durch den Tod ausgedrückt wurde, fo iſt es aud) bei ihr
der Fall. Die fpatere Zeit hat diefe ſymboliſche Ausdrucke;
weife buchftäblich genommen , und da der Mond im Meere
unterzutauchen oder hier feinen Tod zu finden fcheint, fich
den Tod der Helle durch die Annahme zu erflären gefucht,
15) Hesiodos und Pherecydes. Eratosth. Catast. 19. Hyg.
Astron. II, 20. Mezir. ad Ovid. Epist. II, p. 51 sqq.
46) Müller, Orchom. 165.
47) Wir werden die Verwandtſchaft des Phriros mit Hermes
fpäter nachweiſen.
348
daß fie von dem Widder hinabgefallen ſey. Sie fit auf
dem Widder, wie Europa auf dem Stier, um von dem
Punkte, wo fie als Mondgottin untertaucht, wieder an den
entgegengefetten zu gelangen, wo fie fich am Himmel erhebt.
Ueber die Urfache, welche nad) der Sage den Phrivos und
die Helle bewogen haben foll, die Heimath zu verlaffen, werden
wir unfere Anficht fpäter darlegen.
Der Widder war dasjenige Thier, welches dem
Hermes und den mit ihm verwandten Wefen geopfert wurde,
Diefe Opfer woren an allen Orten, wo fi) ihr Eultus
porfand, fo daß wir uns nicht wundern dürfen, daß derjenige,
welcher den Phrixos nad) der Aeaͤiſchen Inſel gebracht hat,
am Ende, als man feine fombolifche Bedeutung nicht mehr
berückfichtigte, gefhlachtet wird. Todtet dody Hermes”) nad)
einer alten Erzählung einige Rinder von der Heerde des
Apollon, und die Gefährten des Odyſſeus thun dasfelde in
Bezug auf die Rinder des Helios, obfchon Homeros durch
die Bemerkung, daß die Heerden desfelben weder eines
Zuwachfes, noch einer Verminderung fahig jenen, ihre ſym⸗
bolifche Bedeutung beftimmt genug bezeichnet. Bon dem
Selle, welches im Haine des Ares aufgehangen war, und
welches ein Drache, ein anderes Symbol des Sonnen:
gottes, bewacht, haben wir fchon gefprochen.
48) Hymn. Hom. III, 4110 sgg.
349
Achtzehntes Capitel.
Ueber den Kaſten des Eurypylos und den einiger andern
Heroen,
Paufanias!) erzahlt eine fonderbare Sage. Als nam;
lich nach der Zerftörung der Stadt Troja die Beute unter
die Hellenen vertheilt wurde, erhielt Eurypylos, der Sohn
Euaͤmons?), einen Kaften, in welchem ſich ein Bild des
Dionyfos befand, das nach der Sage Hephäftos ſelbſt ver-
fertigt, und Zeus dem Dardanos zum Gefchenfe gegeben
hatte. Es gab aber auch noch zwei andere Sagen davon.
Einige erzählten, Aeneias habe diefen Kaften bei feiner
Flucht zurücdgelaffen, andere, Kaffandra habe ihn zum
Unheil für denjenigen Hellenen, welcher ihn finden würde,
weggeworfen. Eurypylos nun oͤffnete den Kaſten, und fah
das Bild an, und alsbald nach dem Anblide fam er von
Sinnen, und die meifte Zeit blieb er im Mahnfinne, felten
nur war er bei ſich. In diefem Zuftande alfo fchiffte er nicht
nah Theffalien, fondern nach Kirrha und dem dortigen
Meerbufen. Darauf ging er nach Delphi, und als ermegen
feiner Krankheit anfragte foll ihm die Antwort gegeben
worden feyn: „Mo er Menfcben anträfe, welche ein un-
befanntes Opfer brachten, da folle er den Kaften hin;
ftellen und felbft wohnen. „Der Wind nun trieb die Schiffe
des Eurypylos an die Küfte bei Aroe, Dort flieg er ans
4) Pausan. VII, 49, 3.
2) Hom. Il. II, 734 sqgq-
350
Land, und traf einen Knaben und eine Jungfrau, welche
zum Altare der Triklaria geführt wurden, und da Fonnte
er leicht die Beziehung auf das Opfer verftehen. Auch
den Eingebornen Fam ihr Orakelſpruch in das Gedaͤchtniß,
da fie einen König fahen, welchen fie vorher nicht gefehen
hatten, und fie vermutheten wegen des Kaftens, daß ein
Gott darin jey. Und fo hörte bei Eurypylos die Krank
heit auf. Einige aber erzählten aud), die Gefchichte habe
ſich nicht mit dem Theſſalier Eurypylos zugetragen, fondern
fie meinen, Eurypylos, der Sohn des Deramenos, Königs
zu Olenos, fey mit Heralles nach Ilios gegangen, und
habe von Heralles den Kaften erhalten; im Uebrigen geben
auch fie diefelbe Erzählung an, Die Patreer aber hatten
feinen andern Eurypylos im Andenfen, als den Sohn des
Euaͤmon, und fie brachten ihm jährlich ein Todtenopfer,
wenn fie das Divnyfosfeft gefeiert hatten. Die Patreer
ließen den Kaften, welchen Eurypylos von Ilios gebracht
hatte, nicht fehen, fondern hielten ihn geheim’).
Damit fteht eine andere Erzählung der Einwohner
von Brafia‘), der aͤußerſten Stadt der Eleutherolafonen, in
Verbindung. Sobald naͤmlich Semele ihren Sohn bon Zeus
geboren, wäre fie von Kadmos erkannt, und fammt dem
Dionyfos in einen Kaften geſteckt worden, den die Fluth an
ihr Land getrieben hatte. Die Brafiaten erzählten ferner,
Ino ſey ın ihr Land gekommen, und habe des Dionnfos
Amme werden wollen. Sie zeigten auch eine Höhle, wo fie
3) Pausan. VII, 94, 3.
4) Pausan. III, 24, 3.
351
ihm erzogen habe, und nennen das Gefilde den Garten des
Dionyfos. Die Megarenfer hatten eine Sage’), daß der
Seichnam der no in Megara an ihr Land geſchwommen
und von den Kelegifchen Jungfrauen Klefo und Tauro—
polos begraben worden fey.
Aleos legte feine Tochter fammt dem Kinde?), welches
fie von Hercrkles geboren hatte, in einen Kaſten, und warf
denfelben in das Meer. Jaſon wurde in frühefter Kindheit zur
Nachtzeit in einen Kaften gelegt, und als cine Keiche zum
Sheiron?) gebracht. Thoas ) wurde bei dem allgemeinen
Männermerde auf der Inſel Lemnos von feiner Mutter in
einen Kaften eingeſchloſſen, und ſchwamm nach Skythien hin⸗
über. Akriſios“) ſperrte, um dem Verhaͤngniſſe zu entflie—
ben, die Danae und ihren Sohn Perſeus in einen Kaſten,
und gab beide den Wellen Preis, die fie nach Seriphos
trugen, Auch Erechtheus oder Erichthonios wird von der
Dallas in eine Kifte gelegt, den Toͤchtern des Kekrops über:
geben, und diefen befohlen, die Kifte nicht zu öffnen, und
als Herfe und Pandrofos diejes thaten, und einen jungen
Drachen erblidten, ſtuͤrzten fie fich ins Meer oder von der
Afropolis herab. ')
5) Pausan. I, 423, 8. Lucian. de Saltat. 5. p. 149 edit.
Bipont. Müller, Orhom. 176.
6) Pausan. VIM.4, 6.
7) Schol. Lycophr. 175.
8) Müller, Orhom. 310.
9) Apollod. II, 4, ı. Heyn. ad Apollod, p. 126 sqgq-
Schol. Ap. Rhod. IV, 4091.
40) Pausan. I, 18. Ovid. Metam. Il, 542 sqq. Hyg. fab.
466. Meurs, de regib. Attic. I, 2.
352
- Diefe Beyfpiele, die ſich noch ziemlich vermehren ließen,
zeigen eine fo auffallende Mebereinftimmung , daß man Diefe
Sagen über die Kiftchen, in welchen Heroen fich befinden
oder in das Meer geworfen werden, unmöglid) für eine Erbic)-
tung oder ein Spiel der Phantaſie erklären Tann. Wir
müffen, um unfere Vermuthung über den Sinn derfelben
zu begründen, zunächft die Eltern und die Befchaffenheit
des Erichthonios naher ins Auge faſſen. Er ift ein Sohn
des Hephaftos und der Athene"), oder des Hephaftos ) und
der Erde. Nac) der alten Sage hat ihn das fruchtbare Land
geboren), und Athene nahrte ihn in ihrem Tempel. Obi:
dius“) nennt ihn einen Sprößling, der ohne Mutter gezeugt
ward. In der Kifte lag er ald Schlange. Nach der ger
wöhnlichen Erzählung war er ein Doppelwefen, oberhalb
Menſch, und der untere Theil endigte fih in Schlangen.
Er vermahlte ſich ) mit der Nais Paſithea, der leuchtenden
Göttin, der Mondgöttin, umd erzeugte den Pandion, den
Allumwandler oder ftrahlenden Wandler, die Sonne“), und
11) Pausan. VIII, 28, 3. Die Art und Weife, auf welche
die Sage dieſe Erzeugung verblümte, iſt bekannt.
12) Herodot. VIII, 55. Plat. Tim. p. 23. e. Eratosth. 13.
Pausan. I, 2, 5. Suid. 57 zovooroogos. Welder, Trilog.
S. 284 fig.
15) Hom. Il. 1, 546 sqg.
14) Ovid. Metam. 1], 552 proles sine matre creata.
15) Apollod. Ill, 14, 6.
16) Wir nehmen ev oder Hay und ievaı ald Grundlage des
Wortes. So gut der Sonnengott Amphion und Hpperion
hieß, konnte er, welcher alles fieht und hört, auch Pandion
(d des Wohlllanges wegen eingefhoben) heifen. Auch
EEE
353
bediente fich zuerft der Magen mit zwei Raͤdern, und
fuhr zuerft an den Panathengen mit dem Viergefpanne.
Zeus verfegte ihn als Fuhrmann unter die Sterne”), Im
Tempel der Athena Polias waren drei Altäre, von denen
der eine dem Pofeidon und Grechtheus oder Pofeidon Erech>
theus, der zweite dem Butes und der dritte dem Hephaͤſtos
heilig war). Erechtheus wird auch haufig mit Pofeidon *)
genannt.
Ueber die göttlihe Natur des Erichthonios, welchen
die Athenaer mit Farren und Lammern ehren”), Fann Fein
Zweifel obwalten. Er ift dasfelbe Wefen, wie Kefrops oder
Hermes, wie fein Vater Hephaftos, der in der alten My»
thologie nicht blog Symbol des irdifchen Feuers war, fondern
auch ald Sonnengott verehrt wurde, wie er in der Sage von
feinem Aufenthalte bei der Thetis erfcheint. Die Athena ift
als Mondgöttin befannt. Sonnen, und Mondgötter werden
die andere Bedeutung, der leuchtende Wandler,
laßt fih aus der Natur desfelben fehr wohl erklären, wie
Chryſaor. cf. Schwend, S. 252 und 213, wo er zeigt,
daß die Wurzel von Yan paw, peivo ift, Welder (Me:
ſchyleiſch. Trilog. ©. 502 N.) nimmt an, dab der Name
des Pandion aus dem der TZavdıe gebildet, diefe aber ein
Sammtfeft des Zeus gewesen feven, zu welchem einft die
Bewohner von ganz Attika, felbit die Nifaͤer eingefchloffen,
als zu einem Bundes- oder Staatsverein zu ammenge—
treien oder gezwungen worden wären,
17) Hyg. Astron. Il, 15.
48) Pausan. I, 26.
49) Lycophr. 185 et Schol. Heyn. ad Apollod. p. 35.
20) Hom. Il. II, 550.
Vorhale zur Griechifchen Gefhichte, ; 23
354
aber nicht bloß ale Gefchwifter mit einander verbunden,
wie Apollon und Artemis, fondern auch ale Mutter und
Sohn, oder ald Tochter und Vater. Pallas ift deßhalb
Tochter des Zeus, Dionyfos Sohn der Semele, Zagreus
Sohn der Perfephone, Wenn andere Nachrichten die Gaͤa
als feine Mutter nennen, fo darf man nur bedenken, daß
fie, chedem als ein Weſen mit Rheia betrachtet, einen uns |
gleih größern Wirfungsfreis hatte, als jener ift, weldhen
ihr die fpatere Zeit angewiefen hat. Nach Homeros ift er
Sohn der Erde, und Pallas ift nur feine Ernährerin. Der
Sonnengott äußert feinen Einfluß auf alle Gewaͤchſe der
Erde, wie die Mondgottin, und da der Name des Erech⸗
theus von dieſem Theile ſeiner Wirkſamkeit entlehnt iſt, wie
jener des Trophonios oder der Demeter, ſo mußte ihm die
Sage auch die Erde zur Mutter geben. Die Mutter des
Apollon und der Artemis iſt ebenfalls?) die nahrungfprof-
ſende Erde, Erichthonios ſteht mit dem Meergotte Poſeidon
in eben fo inniger Beziehung, wie Theſeus, und aus dems
felben Grunde. Hekate gebietet nach Heſiodos ), bei
welchem fich ein altes Orphifches Bruchſtuͤck erhalten hat, über
Himmel, Erde und Meer. Zeus gebietet, ehe er mit Po—
feidon die Herrfchaft theilt, auch über das Meer. Warum
foll nicht auch Erichthonios über dasſelbe gebieten, wie Pallas,
welche ale Mondgttin dem Pofeidon den Befiz von Attika
fireitig machte? Wir haben den Erichthonios durch feine
Abftammung von Pallas und Hephäftos als Sonnengott,
21) Schwend in der Zeitfhrift für Alterthumswiſſenſchaft,
Sahrgang 1836, ©. 947 ffg.
22) Theog. 411 sgq.
355
durch feinen Namen und die Sage von feiner Mutter Erde
ale Gebieter über die Fruchtbarkeit und das Gedeihen der
Erde, durch) feine Verbindung mit Pofeidon als Beherrſcher
des Meeres Fennen gelernt. Als Sonnengott bezeichnet ihn
auch fein Magen und feine Geftalt, jo wie das Kafts
ben, in welchem er verfchloffen ift.
Die Drachengeftalt ift bei Somnengdttern eine ger
wöhnliche Srfcheinung , da der Drade ihr Symbol ift?).
In jenen Erzählungen, in welchen uns die Verbindung
der Drakbengeftalt mit dem menſchlichen Körper
entgegentritt, dürften wir noch Spuren von der alten,
roben Darftellung der Griechifchen Götter erblicen.
Pofeidon verbindet fich mit der Demeter, welche den Pferde
fopf bat“). Dionyfos erfcheint mit dem Stierfopfe”), die
Mondgöttin mit Hörnern, Die Abbildungen des Pan”)
find befannt genug. Warum follte in der Sage die
Schlange, welche fo gut Symbol des Sonnengottes war,
wie der Stier oder Midder, nicht ebenfalls bei der Dar-
ſtellung vieler Götter mit der menfchlichen Geftalt verbun:
den werden, jo daß der menfchliche Körper den obern, die
Schlange den untern Theil bildet? Diefe doppelgeftaltigen
Weſen, deren Anzahl nicht gering ift, laffen fih nur dann
erklären, wenn man fie mit dem Stier -Zeus oder mit der
Demeter, melde den Pferde» Kopf hat, auf gleiche Stufe
ftellt.
25) Schwend, S. 206.
24) Pausan. VII, 25,5; VIII, a2, 1.
25) Welder, Nachtrag zur Trilog. 190,
26) Ereuzer, Sumbolif, III, 236, 259,
23*
356
Der Wagen des Erihthoniog, welcher unter die Sterne
verfeßt ift, war urfprünglich von jenem des Helios nicht
verfchieden. Wie Helios denfelben mit unglaublicher Schnel-
Iigfeit und Gefchielichkeit lenkt, fo auch Erichthonios. Daß
er, als Held betrachtet, nur bei den Panathenaͤen als War
genlenfer erfcheint, erflärt fich aus den vielen andern Ent
ftellungen, welche die Sagen durch buchftabliche Auffaf-
fung fchon in der heroifchen Zeit erfahren haben. Die Kifte,
in welcher fich die Schlange oder Erechtheus befindet, be-
trachtet man gewöhnlich ale die Erde, in welcher die Srucht-
Feime verfchloffen find. Miürde diefelbe nur bei Erichthonios
vorfommen, fo koͤnnte man diefer Erklärung, die Durch die
Namen, welche die Töchter des Kekrops haben, fehr viel
Mahrfcheinlichkeit gewinnt, nichts entgegenfegen. Allein
was foll jene Kifte des Thoas oder des Jaſon, des Perſeus,
des Dionyfos ſeyn? Diefe laßt ſich unmöglich ald Symbol
der Erde betrachten, am wenigften die des Jaſon und
Thoas.
Wir vermuthen, daß dieſe ſymboliſche Kiſte auf den
Tod der Sonnengoͤtter Bezug habe. Mir haben fchon be-
merft, daß die Alten den Sonnen- Untergang durch den
Tod verfinnlichten. Die Wahrheit diefer Anficht tritt vor-
züglih in der alten Sage, welde ſich über die Dioskuren
erhalten hat ””), recht deutlich hervor, von denen der Sänger
27) Hom. Odyss. XI, 501 sqgq. tous dupw {woug zureyeı
gpuolloos ala. ol zei veodev yıs Tıumv Moos Zuvog
Eyovrsg, ühhore iv Cwovo” Ereprusooı, GAAoTE d’ wure
tedväcıy' rıumy de Askoyyao' toa HEoicıw.
357
der Odyſſee jagt: „Beide halt noch lebend die nahrung-
fproffende Erde; denn auch unter der Erde hat fie Zeus
mit Chre begabt, und ben einen Tag leben fie, den
andern jrerben fie von neuen dahin.‘ Ein Heros ftirbt
nur einmal. Die Diosfuren leben und fterben immer wieder
von neuem. Sehen wir diefe Erfcheinung nicht täglich am
Himmel, an welchem fie jeden Morgen und Abend mit
einander abwechſelnd leuchten und wieder verfhwinden? Zeus
hatte auf Kreta deßhalb ein Grab”), Helena in Therapne”),
wo fie vorzüglich verehrt wurde. Wir haben bei der Er:
klaͤrung der Sagen über die Argo geichen, daß fich mit
dem Cultus einer Gottheit die Symbole verbreiteten, welche
auf die Thaten derjelben Bezug hatten. Sollten die Sagen
über den ſymboliſchen Tod der verfchiedenen Sonnengötter
ſich nicht mit ihrem Cultus verbreitet haben, wie der Kahn
derfelben an verjchiedenen Orten als ein befonderes Heilig
thum erfcheint ?
Das Grab ließ fih im Eultus durch die Kifte oder
den Kaften, in welchem der Gott verfchloffen ift, welcher
feine Ueberrefte enthält, am finnvollften darftellen. Jaſon
wird zur Nachtzeit ald eine Leiche in einem Kaften zum
Cheiron gebracht. Die Leiche deutet auf den ſymboliſchen
Zod der Sonne, voelder am Abend erfolgt. Am Abend
wird aljo der todte Gott in die Kifte, den Sarg oder
das ſymboliſche Grab gelegt, und auf den SPelion ger
bracht, wo er vorzüglich verehrt wurde, hinter welchem ſich
28) Ereuger, Symbol. II, 541 fg. IV, 427 fig.
29) Pausan. III, 19,9. Geſchichte des Trojan. Krieges, ©. 148,
358
für viele Provinzen Griechenlands die Sonne wieder erhob.
Thoas ſchwamm in dem Kaften, in welchen ihn feine
Mutter gelegt hatte, nah Skythien hinüber, wohin die
Sage den Aufgang der Sonne hinausrücdte. Die Sonne
ift untergegangen, der Körper des Gottes wird im die Kifte
gelegt und in das Meer geworfen, ſchwimmt aber, weil
fie fi) an jedem Morgen im Often mit jugendlicher Pracht
wieder erhebt, nad Skythien hinüber, Perſeus Fommt
mit feiner Mutter in einem Kaften nad) Seriphos, wo Po:
Indeftes oder Hades”) herrſcht. Soll man hierin die ſym⸗
bolifche Hinweifung auf den Untergang der Sonne nicht
recht deutlich erkennen? Der Sonnengott kommt mit dem
Hades und feiner Behaufung erſt dann in Berührung, wann
die Sonne am Abend verfhwunden ift, und fi) nach den
Vorftellungen der Alten im Hades oder im Grabe aufhält.
Warum brachten die Patreer dem Curypylos ein
Zodtenopfer ? Wenn Eurypylos nicht urfprünglich das;
selbe Weſen geweſen wäre, wie Dionyfos, fo ließe fi) das
ZTodtenopfer, welches auf den Untergang der Sonne hin:
deutet, nicht erfläaren. Haben die vielen Todtenfefte, welche
der Griechifche Eultus enthielt, nicht diefer einfachen Natur;
Erfcheinung ihre Entftehung zu verdanfen? Haben die
Eleifchen Frauen dem Achilleus nicht aus dem nämlichen
Grunde ein ZTrauerfeft gefetert? Mit dem Kaften des
Eurypylos ftehen noch Dardanos, Aeneias, Kaffandra und
Herakles in Verbindung, natürlich deßhalb, weil derfelbe in
der alten Sage auf fie eben fo gut Bezug hatte, ale auf
30) Müller, Orchom. ©. 307 ffg.
359
die bisher genannten Götter. Eurypylos hat verfchiedene
Väter, feine Heimath wird am verjchiedenen Orten gefucht.
Ueberalf hatte er verjchiedene Pradifate, welche die Sage
zu Vätern umbildete, und fobald die Mythen der einzelnen
Orte verfnüpft wurden, mußten freilih bei der Annahme,
daß jeder Name ein befonderes Weſen bezeichne, meh»
rere Herven mit diefem Namen und von verfchiedener Ab-
funft entftehen, und allerlei Zweifel obwalten, welcher Eurys
pylos jenen Kaften mit dem Dionyfos nad) Hellas gebracht
habe. Faßt man aber den Namen des Heros als Prädi-
Fat eines Gottes, fo löfen fich alle Wiverfprüche, und man
fießt, daß er feiner Natur nah von dem Dionyfos nicht
verfchieden war, daß er erft fpater, wie Jo und Medeia
Priefterinen der Hera wurden, als ein Gefährte und Diener
des Bakchos dargeftellt und mit ihm verehrt wurde.
Die Erwähnung der Menfchenopfer zeigt, daß diefelben
auch in Patra, wie an vielen andern Orten Griechenlands
gewöhnlich waren. Der Kaften des Eurypylos, worin fich
Dionyfos befindet, wird aus dem namlichen Grunde von Ilion
nad) Hellas gebracht, aus welchem Thoas nad Skythien
ſchwimmt, und Helena von Paris nach Troja geführt wird,
Wir haben Troja und Hellas als die entgegengefegten Punkte,
Troja als dftlichen, den Veloponnejos als weftlichen, wo die
Sonne ihr Grab findet, wo deßhalb Divnyfos feine Höhle
bat, und die Nacht Hindurch ruht, oder im Grabe liegt. In
"der Sage der Einwohner von Brafta haben wir diefe Stadt
als weftliche, und Theben, wo Kadmos die Semele und den
Dionyfos in einen Kaften legt, als öftliche Grenze, fo auch
in der Erzählung der Megarenfer, daß der Leichnam der Ino
360
an ihr Land geihwommen ſey. Wenn man erwägt, dag
Ino nad) Homeros im Meere fortlebt, und göttliche Ehre
genießt, fo muß man doch wohl einfehen, daß der Tod der
Göttin, wovon die Megarenfer fprachen, und das Grab, wel:
ces fie ihr aufführten, nur eine fombolifche Bedeutung haben
fonnte.
Der Bahnfinn, in welchen Eurypylos gerath, und der
Tod der beiden Schweftern der Aglauros, welche das ihnen
von Pallas anvertraute Kiftchen öffneten, kann unferer Bes
bauptung feinen Eintrag thun. Wir haben bereits ange:
führt, daß die drei Genien, Arge, Hekaerge und Upis, welche
bei der Artemis auf die drei Mondphafen hinmeifen, Gräber
hatten, Wir die Göttin nach der ſymboliſchen Ausdrucks—
weiſe ftirbt, fo auch die Genien, welche aus Prädifaten, Die
fie trug, entftanden find. Die Töchter des Kekrops haben
in Bezug auf Athene diefelbe Bedeutung. Der Mond taucht
im Meere unter, und findet hier feinen Tod. Daher ftürzen
fih nad) dem Mythus die Töchter des Kekrops in die Flu—
then des Meeres. Sobald fie aber als fterbliche Dienerinen
der Dallas betrachtet wurden, mußte man eine Urfache des
Todes angeben, und da man die Bedeutung der Kifte und
des Deffnens derjelben nicht mehr verftand, fo ward dieß als
Beranlaflung ihres Unterganges angejehen.
Eurypylos ftand, da fein Name früher ein Prädikat
des Dionyſos war, mit dem Delphiſchen Heiligthume in Ver-
bindung °'). Auf der einen Spitze des Parnafjos war der
31) Ovid. Metam. I, 520. U, 221. Tzschuck. ad Mel. Il,
3; 4
en
—
— _————
—
—
361
Tempel des Dionyſos, auf der andern hatten, Apollon und
Artemis ihr Heiligtum. Bei den. Patrcern hatte er ein
Trauerfeft. Die Sage fonnte, ald man in Eurypylos nur
einen fterblichen Fürften erfannte, fich weder die Beziehung
desfelben zum Delphifchen Gotte, noch die Urfache feiner Vers
ehrung erklären. Es ift befannt, daß jeder, der einen Gott
oder eine Göttin in ihrer Herrlichkeit fah, nach den Vorftel-
lungen der Alten von Sinnen kam. Was war natürlicher,
als daß er deßhalb, weil er den Kaften, worin Dionyfos lag,
öffnete, wahnfinnig wird, und, um Befreiung von diefem
Uebel zu erlangen, fi an das Drafel wendet? Daß aber
ein Wahnfinniger eines folchen Einfalles nicht fähig ift, ward
nicht beachtet. Wie Fam fein Dienft und jener des D ony-
ſos zu den Pattern? Diefe Frage war nun für die Sage
leicht zu löfen. Das Orakel antwortete, er jollte den Kaften
binftellen, wo er Menſchen anträfe, weldye ein unbefanntes
Opfer brachten.
Saffen wir die Erdrterungen über die verjchiedenen Ki—
ften zufammen, fo bietet fi) ung folgendes Refultat dar. Die
alte Sage bezeichnete den Untergang der Sonne und des Mon;
des durch den Tod, den Ort aber, wo fie bis zu ihrem abermali-
gen Erjcheinen ruhten, durch den Aufenthalt im Hades oder
im Grabe. Symbol des Grabes ift für den Eultus die Lade
oder Kifte. In diefer find ihre Weberrefte verfchloffen. Diefer
Kaften wird durch die Verbindung der Lofal» Sagen von
einem Orte des Cultus zum andern, oder, wegen der Rich-
tung des Kaufes der Sonne am Himmel, von Often nach
Werften geführt. Weil aber die Behaufung oder der Drt,
wo, der Sonnengott fhläft oder todt liegt, auch im Dften ge,
\
362
fucht wurde, wo er fi) am Himmel erhob, fo ließ man diefen
Kaften auch von der weſtlichen Himmelsgegend nach der oͤſt⸗
lichen ſchwimmen. Der Geiſt, welcher dieſe ſymboliſche Aus—
drucksweiſe ins Daſeyn gerufen hatte, verlor ſich allmaͤhlig,
waͤhrend ſich die Sagen und Symbole erhielten. Die Heroen
und Heroinen, welche in jener fruͤhen Zeit, aus welcher dieſe
Symbole herſtammen, als Goͤtter verehrt worden waren, hat⸗
ten andern Goͤttern Platz machen muͤſſen, und wurden fuͤr
ſterbliche Weſen angeſehen. Die Folge war, daß man auf
die Vermuthung verfiel, ſie waͤren von grauſamen Menſchen
in das Meer geworfen worden, um hier ihren Untergang zu
finden. Die meiſten der neuern Geſchichtſchreiber erzaͤhlten
dieſe Fabeln als Geſchichte, ohne zu erwaͤgen, daß wohl der
eine oder andere Koͤnigsſohn ein ſolches Geſchick haͤtte haben
koͤnnen, daß es aber denn doch keine Wahrſcheinlichkeit habe,
daß eine ſo große Anzahl in das Waſſer geworfen worden ſey,
daß es noch weniger Wahrſcheinlichkeit habe, daß ſie, wenn
dieß der Fall geweſen wäre, ſaͤmmtlich eine fo gluͤckliche Rets
tung gefunden hätten.
Neunzehntes Sapitel.
Ueber das Hinabſteigen des Odyfeus in den Hades und die
Strafen des Tantalos und Sifyphos.
Odyſſeus, Sifpphos und Herakles feigen in den Ha>
des hinab, und kehren aus demfelben zuruͤck, obſchon für
alle Menfchen, welche den Styr einmal befahren haben,
der Ruͤckweg verfchloffen if. Geſchichtlich laßt ſich diefes
—
—
— ——
363
Rathfel nicht löfen, und nie erklären, wie diefe und mancher
andere Heros aus dem Hades in das Leben zuruͤckwandern
fonnten, da doc nad) Angaben über die Strenge des Richters
im Hades dieß ald eine Unmöglichkeit angefehen werden muß.
Sollen wir deßhalb, um uns aus der DVerlegenheit zu retten,
zu der Vermuthung unfere Zuflucht nehmen, daß man auf
ſolche Erzählungen Fein großes Gewicht legen dürfe, daß die
epifchen Sanger große Helden diefen Verfuch beftehen ließen,
um ihrem Muthe oder ihrer Schlauheit die Krone aufzufegen,
oder um ihren Gefangen durch ſolche Thaten mehr Schmud
zu geben? Bon einer Willkür der epifchen Sänger und von
feichtfertigen Erfindungen foldher Mythen konnten wir ung
nie überzeugen, Wir fchloffen uns deßhalb früher Butt:
mann’s Anfiht an‘), welcher fagt: „Tod und Unterwelt
find in der einfachften Zeit diejenigen Begriffe, welche allen
Lebenden am furchtbarften find, auch den Tapferften mit
Graufen erfüllen. Die Krone des Heldenmuthes fett ein
Sterblicher fic) auf, wenn er die Schreciniffe des Todes un:
erfchüttert befteht, wenn er den Hades befiegt. Dieß ward
bildlic) durch ein fiegreiches Hinabfteigen des Lebenden im die
Unterwelt vorgeſtellt.“
Wenn blog Menfchen in die Unterwelt binabftiegen,
ohne dort verfchiedene Thaten zu vollbringen, wenn nicht
Hermes, Dionyſos und viele Götter dasjelbe thaten, wenn
die Bewohner Griechenlands in der Urzeit folche Ideen in
Bildern ausgedrückt, und auf einer fo Hohen Stufe der Eultur
geftanden hätten, dann würde fich diefe Anficht fchon wegen
1) Moptholog, I, 264.
364
ihrer Bedeutſamkeit nachdrüdlid empfehlen. Allein wir
fehen aus einer Vergleichung der alteften Mythen, daß die
Griechen in der allererften Periode ihres Auftretens in der
Geſchichte noch Feine Philofophen waren, und wir würden
ihre Sagen ganz entftellen, wenn wir die erhabenften philo—
fophifchen Probleme in diefelben hinein legten, anftatt die ein-
fache Bedeutung derfelben zu erklären. Ihr Denken und
Fühlen war von dem unfrigen mehr verfchieden, als man
gewöhnlich zu glauben fcheint. Warum volldringt Herafles,
wenn fein Hinabfteigen in den Hades tene Bedeutung haben
joll, welde Buttmann darin ſucht, noch Thaten ?), oder
warum fteigen Götter hinab, deren Größe Feiner weitern Ers
probung bedarf?
Wir glauben, daß ſich alle Fragen, welche diefes Hin-
abfteigen in den Hades erregt, auf dem Gebiete der My—
thologie ungleich befriedigender löfen laffen, als auf jenem
der Philofophie und Allegorie. Die Diosfuren halten fich,
um mit diefen wieder zu beginnen, abmechfelnd im Olyms
908 und im Grabe oder im Hades auf’). Wir haben jchon
bemerkt, daß das Örab bei ihnen, wie bei allen Kichtgöttern,
eine ſymboliſche Bedeutung habe, wie ihr Xod, welcher ſich
auf ihr Derfchwinden bezieht. Ferner haben wir bereits
aufmerkſam gemacht, daß man eine und diefelbe Er:
2) Er holt den Kerberog, und erfcheint, wenn man dieſe Sage
buchftäblid nimmt, nicht großartig, fondern verübt felbft
im Hades dadurch einen ſchrecklichen Frevel, daß er den
Beherrfher des Schattenreiches feines Hundes beraubt.
3) Hom. Odyss. XI, 300 sqqg. Pind. Nem. IX, et Schol.
Apollod. III, 40, 7 et Heyne. Schwenck, S. 358.
365
fheinung nicht zu allen Zeiten nd an allen Or-
ten durch das namlihe Symbol, fondern verfchieden
ausdrücdte. Wahrend ſich nad) einer Ausdrucksweiſe Sonne
und Mond oder Morgen» und Abendſtern zu jener Zeit,
während welcher wir fie nicht fehen, im Grabe aufhalten,
verweilen fie nach einer andern im Hades. Deßhalb tref-
fen wir dafelbft den Dienyfos, die Kora, Adhilleus, Mi:
nos, Rhadamanthys, Kadmos und viele andere Götter
an, welche die fpätere Zeit als Heroen betrachtere, Aus
dem nämlichen Grunde verweilt auch Herakles im Schat-
tenreiche, während ihm eine andere Sage in den Olympos
verſetzt.
Ueber die Bedeutung beider Erzaͤhlungen haben wir
unſere Vermuthung ſchon ausgeſprochen. Ware dieſe Uns
ſicht ungegruͤndet, ſo ließe ſich nicht wohl erklaͤren, warum
Helios mit der Klymene), der Beherrſcherin des Schatten⸗
reiche85), vermaͤhlt ift? Perſephone ift, wie Herakles, nicht
bloß im Hades ald Gemahlin des Schattenkoͤnigs, fondern
auch im Dlympos°), und fteht mit der Hefate in der ins
nigften Verbindung. Am Morgen fieigt fie in die Unters
welr hinab; allein fobald die Sonne vom Himmel vers
ſchwunden ift, verläßt fie diefelbe wieder, und fahrt zu dem
Dlympos empor. Die Zeit ihres Verweilens ift im Homer
rifchen Hymnos allerdings anders beftimmt ). Nach diefem
Geſange lebt fie zwet Dritt-Theile des Jahres bei ihrer Mutz
4) Ovid. Metam. 1, 757. cf. Munck. ad Hyg. f. 156.
5) Buttmann, Mptholog. II, 216.
6) Hymnus Homer. V, 376 sqq-
7) Hymn. Hom. V, 395 sqg.
366
ter im Olympos, das andere Dritt-Theil halt fie fich bei ihr
rem Gatten als Beherrfcherin der Unterwelt auf. Sie fcheint
in diefer Erzahlung fchon nicht mehr in ihrer alten Wirffam-
feit, fondern nur als Erdgoͤttin aufzutreten, was aber Feines;
wegs der Fall if. Wir haben in der alten Griechifchen
Sage?) drei Jahreszeiten, Frühling, Sommer und Winter,
Sp lange alles auf der Erde blüht, ift fie im Olympos, den
Winter aber, wo die Erde in ihr Trauergewand gehüllt ift,
bringt fie im Hades zu. Warum ihr Aufenthalt im Schatten:
reiche fo lange dauert, dürfte fich aus einer Vermuthung,
welche wir über die Annahme von drei Jahreszeiten bei den
alten Griechen haben, am ficherften erklären laffen.
Die Zeiteintheilung hangt bei den Griechen mit dem Cul—
tus des Somnengottes und der Mondgottin zufammen, Wer
gen der drei Mondphafen theilten fie den Monat in drei
Theile. Sollte die Unterfcheidung von drei Sahreszeiten,
melde Homeros und Heſiodos“) annehmen, nicht in diefer
einfachen Sache ihren Grund haben? Wir Fünnen uns nicht
überzeugen, daß der Himmel von Kleinaften zu jener Einthei-
lung PVeranlaflung gegeben habe, wie man gewöhnlich
glaubt ”). Wenn bloß Homeros fie erwähnte, würden wir
uns eher zu derfelben verftehen. Allein Hefiodos, deſſen
Werke ficherlich nicht in Kleinaften, fondern in Bdotien ent:
ftanden, hätte nach den Angaben, welche fich über die climas
tiſchen Verhältniffe dieſes Landes erhielten, Urfache genug ge-
8) Hom. 1l. VI, 148. 11, 471. XV1, 643. Odyss. XVII,
567. XXI, 501. Hymn. Hom. V, 174. Odyss. V, 485.
9) Hesiod. £oy. 586. 496.
40) Passow s. v. wor.
367
babt, zwifchen dem Sommer und Winter den Herbft zu er
wähnen, wäre nicht die Eintheilung des Jahres in drei Theile
durch religiöfe Verhältnifje fo feft begründet gewefen, daß er
nicht davon abgehen Fonnte, In Athen, welches noch eine
vierte Jahreszeit, den Herbit, annahm ''), ließe fich die Uns
terfheidung von drei Sahreszeiten eher aus phyſiſchen Grün,
den darlegen. Hier koͤnnte man Herbft und Winter fehr
wohl unter einem Namen zufammenfaffen. Allein gerade
bier fehen wir die Vierzahl, und wir vermuthen, daß au
fie in dem Cultus des Hermes und der Pallas ") ihren Grund
gehabt haben möchte.
Iſt die Vermuthung, welche wir über die Eintheilung
des Jahres bei den alten Griechen ausgefprochen haben, ge
gründet, fo dürfte ſich daraus wohl erklären laffen, warum
Perſephone nicht_bloß einen Tag fih im Schattenreiche aufs
halt, fondern die ganze dritte Periode des Jahres dort ver;
weilt. An den Eultus der Lichtgötter war die Eintheilung
des Jahres gefnäpft. Die Mondgottin übt auf die Frucht:
barfeit der Erde eben fo großen Einfluß aus, wie wir aus
einem alten Bruchftüce über die Hekate fehen ”), als der
Sonnengott. So lange alles grünet, und die Erde mit
Früchten aller Art geziert ift, kann fie nicht unthätig fern,
fie muß am Himmel herrfhen, und durch ihre Kraft die
Natur in ihrer Herrlichkeit erhalten. Iſt aber die Pracht der
Erde verfchwunden, fo muß auc) fie nach den Vorftellungen
41) Id. L. c.
12) Wir erinnern nur an die vier Gipfel ihres unermeßlich
großen Helmes,
43) Hesiod. Theogon. 411 sqq-
368
der Alten, welche diefelbe ihrer Macht zufchrieben, zu wirken
aufgehört haben, Die Sage von ihrem Verweilen im Orkus
ward als die Urfache des Trauergemandes, in welches die Nas
tur im Winter gehüllt ift, angefehen, und fo mußte ihr Auf-
enthalt in demfelben auch fo lange wahren, bis die Erde
fih wieder mit dem Frühlingsfhmude Tleidete.
Wer an der Nichtigkeit der Behauptung, daß ſich der
Aufenthalt fo vieler Götter und Herven im Hades urfprüng-
lih auf das Verfchwinden der Sonne und des Mondes
bezog, und mit jenem im Grabe gleiche Bedeutung hatte,
zweifelt, der darf nur die Urfachen, warum fich diefelben
in das Schattenrerch begaben, einer nahern Prüfung unters
ziehen. Dionyfos holt feine Mutter Semele aus demielben
berauf, und führt fie in den Olympos. Er ftieg durch
den See Alkyonia nach einer Sage”) in die Behaufung
des Schattenbeherrfchers hinab. Mit der Verbreitung ſei—
nes Gultus verbreitete ſich auch die Erzählung von diefer
That. In dem Tempel, fagt Paufanias”), welchen The
fens der Artemis Soteira auf dem Markte von Trözen
erbaute, hat Dionyfos die Semele aus der Unterwelt ge
bracht, und Herafles den Höllenhund heraufgeführt. Wir
dürfen uns alfo nicht wundern, wenn man auch an andern
Orten die Stelle zeigte, wo fich dieſes zugetragen haben
fol. Dionyfos fteigt am Abend durch den See im den
Hades, oder die Sonne verliert ſich im Meere, und fteigt in
das Grab oder die Unterwelt hinab, und holt den Mond
44) Pausan. II, 37, 5.
415) Pausan. II, 31, 2.
369
oder feine Mutter Semele, weil der Mond, welcher fich
den Tag hindurch, fo lange die Sonne leuchtete, im Hades
aufgehalten hatte, bei dem Untergange derfelben diefen dun-
felen Ort verläßt, und am Himmel emporfleigt. Aus dem
namlichen Grunde fchlaft Endymion ') jedesmal, wenn
die Selene erfcheint, und der eine der Dioskuren ift immer
in der Unterwelt, wahrend der andere oben lebt.
Hermes geht in den Hades“), um die Perjephone aus
demielben an den Himmel zurüczuführen. Wir haben in
diefem Mythus nur andere Namen für diefelbe Sache. Pei—
rithoos liebte die Perſephone °), und flieg in den Hades
hinab, um fie aus demfelben zu entführen. Er that nichts
anderes, ald was Thefeus that. Sobald man ihn aber
als Sterblichen betrachtete, mußte freilich die Sage entftes
ben, beide feyen im Schattenreiche feftgehalten, und The:
feus erft fpater durch Herafles wieder befreit worden. Or—
pheus fteigt in die Unterwelt hinab, um jeine Gemahlin
Eurydife aus derfelben beraufzuholen. Von der göttlichen
Natur diefes Heros haben wir fchon gefprochen, und be
merkt °), daß fein Name ein Vradifar des unterirdifchen
Dionyfos war. Er fteht alfo dem Dionyfos, mit welchem
er urfprünglich ein und derfelbe Gott war, hierin vollfom:
men gleich, indem er aus demfelben Grunde ſich in den
Hades begibt, aus welchem Dionyfos hinabſteigt. Daß
er feine Gattin, diefer feine Mutter holt, darf nicht bes
16) Schwend, ©. 558.
17) Hymn. Homerie. V, 341 sqq-
18) Schel. Ap. Rhod. I, 101.
19) Welder, Nachtrag zur Aeſchylſ. Trilog. ©. 192 fg. N. 30.
Vorhalle zur Gricchifchen Gefchichte, 24
370
fremden. Sonne und Mond wurden bald Gejchiwifter ge
nannt, wie Apollon und Artemis, bald als Gatte und Gat—
tin, wie Zeus und Hera, bald als Vater und Xochter,
wie Helios und Eleftryone”), oder Zeus und Pallas mit
einander verbunden, Wer fih nicht fchon durch die Na—
men Themis, Artemis, Chryfothemis und ahuliche, weiche
die Mondgöttin trug, überzeugt, daß auch Eurydike ein Prä-
difat derfelben war, der bedenke, dag Eurvdife”!) die ältere
Tochter des Klymenos ) heißt, und Helios mit der Kly-
mene vermaͤhlt ?) ift. Obſchon Orpheus feine Oattin holt,
fo kann fie doch nicht bei ihm verweilen. Denn wenn er
im Hades ift, leuchtet fie am Himmel, und fteigt fie von dem-
felben hinab, fo erhebt er ſich aus der dunkelen Behaufung.
Daher entftand die fchöne Sage, Eurydike habe umgefehen,
und fen deßhalb wieder in das Schattenreich zuruͤckgeſunken.
Herakles holt den Kerberos*), den fünfzigkföpfigen?)
oder dreiföpfigen Hund *), welcher urfpränglih vom Ar
g08, dem Stern-Himmel, nicht verfhieden war. Warum
halt ſich der Kerberos im Scattenreiche auf? Aus dem
nämlichen Grunde, aus weldem die Mondgöttin dort vers
meilet, fo lange fie ſich nicht am Himmel zeigt. Warum
20) Heffter, Rhodiſche Götterdienfte III, 82,
24) Hom. Odyss. DI, 452.
22) Duttmann, Mpthol. TI, 216.
25) Ovid. Metam. 1, 757. ef. Munck. ad Hyg. fab. 156.
24) Hom. 1. VIII, 362 sqq. Pausan. IX, 34,4. Müller,
Dorer, I, 419 Rot.
35) Hesiod. Theog. 312.
36) Welder, Aeſchyl. Trilog. &, 150.
371
follte man die Sterne während der Tagszeit wicht in den
Orkus verfegen, da man aud) die Diosfuren hier oder im
Grabe verweilen ließ? Wegen diefes Aufenthaltes wurde
der Argos Kerberos, der Finftere, genannt”), wie Diony-
ſos deßhalb Melampus und Orpheus hieß”). Diefer Hund
hat drei Köpfe, welche ſich auf die drei’ Phafen des Mondes,
den er begleitet und hütet, beziehen. Nennen ihn andere fünf
zigköpfig, jo dürfte fich diefe Zahl aus den fünfzig Wochen
oder den fünfzig Toͤchtern der Selene am beften erklären.
Wenn nun Hermes denjelben aus dem Schattenreiche auf Die
Erde heraufholt, fo thut er dasfelbe, was er nach einer andern
Ausdrucksweiſe thut, wenn er die Rinder des Geryones holt.
Er führt die Sterne, die Begleiter des Mondes, am Himmel
empor. Die Sterne oder die Rinder des Sonnengottes koͤn—
nen nach den bisherigen Erdrterungen während des Tages ſich
eben jowohl im Außerften Meften, als im Hades aufhalten,
wie Achilleus, Kadmos und viele andere ihnen verwandte Wer
fen nach einigen Angaben in den Elyſeiſchen Gefilden leben,
alfo im aͤußerſten Weften, wo die Sonne untertaucht, nad)
andern aber im Hades ale Todtenrichter gebieten, wo Die
Sonne, fo lange fie unfichtbar tft, zu verweilen ſcheint. Die
weftliche Grenze mußte nach Derfchiedenheit der Orte, wo die
einzelnen Sagen entftanden , und nach dem Maaße geugrar
phifcher Kenutniffe, welche man in jener Zeit, welcher fie
ihre Entftehung zu verdanfen haben, beſaß, allerdings bald
in Sicilien, bald in Spanien oder Libyen geſucht werden.
27) Welcker, 1. ce. Kot. 171.
25) Welcker, Nachtrag, ©, 192 fr. Not. 30.
24*
*
372
Siſyphos und einige andere Heroen ſteigen nicht in der
Abficht in den Hades hinab, um die Mondgöttin oder den
Hoͤllenhund aus demfelben heraufzuführen, fondern weil fie
das Geſetz der Natur aus dem Leben abrief. Als Siſyphos
fterben mußte, foll er feiner Gemahlin aufgetragen haben *),
feinen Leichnam unbeerdigt liegen zu laffen, damit er ſich bei
Hades darüber befchweren, und auf diefe Weiſe wieder in das
Leben zurückkehren und der Behaufung des Schattenbeherr-
fchers entfliehen Fonnte, Seine Gemahlin befolgte, was er
ihr aufgetragen hatte, Siſyphos bat den Hades, er möchte
ihn in das Leben zurückehren laffen, damit er feine Gattin
wegen ihrer Unmenfchlichfeit züchtigen Tonnte. Diefe Bitte
ward ihm leicht gewährt. Allein Sifpphos begab fich nicht
mehr in den Orkus, fondern blieb fo lange auf der Erde, bie
ihn Hermes wieder in denfelden hinabbrachte.
Diefer Mythus erfcheint in der Form, im welcher
wir ihn angeführt haben, ganz in das Komifche gezogen,
wie die Liebe des Ares und der Aphrodite bei Homeros.
Siſyphos fteigt in den Hades hinab, verläßt denfelben, und
kehrt wiederum in denfelben zurüd. Dieß find die drei
Punkte, welche wir in’s Auge faſſen müffen. Der Sonnen-
gott thut dieß alle Tage. Jeden Abend verläßt er den
Himmel, verweilt bei der Nacht im Grabe oder im Hades,
und kehrt am Morgen wieder an den Himmel zurüd. Si⸗
ſyphos erfcheint alfo ganz als dasfelbe Wefen, welches bei
andern Helios, Endymion oder Dionyfos hieß. Sein Sohn
29) Sophoecl. Philoct. 627 et interpretes.
373
Odyſſeus ) ſteigt aus dem mamlichen Grunde in das
Schattenreich hinab. Die fpätere Zeit hat beide Götter
als Herven betrachtet. Dadurd mußten die Sagen, wilde
fi) über ihr Hinabfteigen erhalten hatten, freilich Entftel-
lungen erfahren. Man mußte, da man den Grund des—
felben nicht mehr einfah, zuwörderft erklären, warum fie
fih in den Orkus begaben, Die Veranlaffung, welche den
Sifnphos dazu beftimmte, haben wir ſchon angeführt.
Odyſſeus ?') ftieg auf Geheiß der Kirfe in denfelben hinab,
um den Geift des Teirefias zu fragen. Wie Famen fie
aber wieder auf die Erde zurüd? Odyſſeus Kebenszeit war
noch nicht abgelaufen, und Siſyphos erreichte feinen Wunfch
durch eine Liſt. Mber Sifpphos Fehrte nach der alten
Sage wieder in den Hades zurüd. Diefe Erfcheinung
fuchte fich die fpatere Zeit durch ein fehr einfaches Mittel
zu erklären. Hermes, welcher urfprünglih von Siſyphos
nicht verfchieden war, welcher das Kicht am Himmel em:
porbringt, und von demfelben wieder hinabführt, bringt ihn
in die Unterwelt hinab, und nun wird er dort fo in Verwahr
genommen, daß er nicht mehr entfliehen Fonnte. Auf die
geiftige Verwandtfchaft des Sifpphos, Odyſſeus und Herr
mes, welche ald Sonnengoͤtter den höchften Grad von
Schlauheit befigen, welche als folche alles willen, auf die
urfprüngliche Bedeutung des Hinabfteigens in den Hades
ward in der fpätern Zeit Feine Rücficht mehr genommen,
und fo wurde dasfelbe als ein bloßes Abentheuer betrachtet,
30) Sophocl. 1. c.
34) Hom. Odyss. X, 490 sqgq-
374
wie man es in den Sagen über Herafles auch in unfern
Tagen noch zu betrachten pflegt, ohne zu bedenken, daß die
Urzeit unmöglich) jo Teichtfertig feyn Tonnte, Menfchen mit
dem Hades fcherzen, und diefen von Menfchen getaufcht wers
den zu laſſen!
Asklepios und Hippolytos ”) befinden fi) im Hades,
und kehren aus demfelben wieder auf die Erde zurüd. Beide
find als Götter befannt, und waren ihrem Mefen nad),
wie Buttmann ”) fehr wohl einfah, urfprünglich nicht ver-
fchieden. Was thun Götter in der Unterwelt? Die Gründe,
welche die Sage zur Erflärung ihres Aufenthaltes in derfelben
angibt, find von der Art, daß man ihre Gehaltloſigkeit auf
den erften Blick erfennt, Buttmann *) glaubt, daß fie als
Heilgdtter fich in der Unterwelt aufhielten, daß die Sage,
mie fie andere durch ihre Kunft retteten, fie erft ſelbſt aus
dem Schattenreiche wieder errettet werden ließ. Mir Füns
nen diefer Anſicht nicht beipflichten. Menfchen, welche als
jolche geftorben waren, haben die genannten Götter niemals
aus der Unterwelt in diefes Leben zurückgeführt, Wozu
follten alfo fie felbft in diefelbe hinabfteigen, wenn fich diefes
ihr Hinabfteigen nicht auf den Untergang der Sonne bezöge,
und erft die fpatere Zeit, welche die fymbolifche Bedeutung
ihres Todes nicht mehr verftand, verſchiedene Gründe ange
führt hätte, wodurch derfelbe veranlaßt worden feyn foll?
Sodann widerfpricht der von Buttmann aufgeftellten Mei- |
‚nung der Umftand, daß Hippolytos auf Geheiß der Arte
52) Hyg. fab. 251. Lucian. Dial. Deor. 43.
35) Mythol. II, 158.
>54) Mptholog. IL, 157.
375
mis ®) den Hades verläßt. Wie in der Sage des Dionyfes
Semele durc) ihren Sohn aus dem Hades in den Olympes
gebracht wird, fo bringt Artemis den Hippolytos in das
Leben zurücd, weil, wenn der Mond am Himmel verfchmwins
det, Die Sonne die dunfle Behaufung verlaßt, und ihre Fahrt
wieder beginnt, um Goͤttern und Menſchen Licht zu bringen.
Waͤhrend fich nach einer Ausdrucksweiſe die Sonne, fo
lange fie uns unfichtbar ift, im Grabe oder im Hades aufs
balt, verweilt fie nach einer andern alten Sage im Meere.
Hephaftos*) erzahlt, daß ihn feine Mutter Hera aus dem
Dlympos warf, und Eurynome und Thetis ihn in den Tier
fen des Meeres aufnahmen, wo er fich neun Sahre aufhielt,
und mancherlei Kunftwerfe verfertigte. Die Art, wie Home:
108 diefes Ereigniß erzahlt, tft ganz Fomifh. Mollen wir
den Sinn desfelben verftehen, fo dürfen wir nur bedenfen, _
daß die Thetis den Sonnengott aufnimmt”), wenn er mit
feinem Gefpann den Himmel verlaßt. Die Sonne taucht
im Meere unter. Was war für die alten Völker, welche ohne
Kenntniffe der Aftronomie nur das, was fi dem Auge dars
bot, in Symbolen ausdrüdten, natürlicher, als die Vermu—
tbung, daß die Meergöttin den Sonnengott, fobald er dag
weftliche Ende des Himmels erreicht habe, bei ſich aufnehme?
Hephaͤſtos ift alfo aus demfelben Grunde bei der Thetis, aus
35) Ovid. Metam. XV, 534. WVirgil. Aen. VII, 769 et
Serv. Lactant. Plac. XV, 45.
36) Hom. U. XVill, 395 sqq-
37) Ovid. Metam. II, 68 sqq. Tune etiam, quae me (So-
lem) subjeetis exeipit undis, Ne ferar in praeceps.
Tethys solet ipsa vereri.
376
welchem Helios mit ihr in Verbindung ſteht, welcher mit
einer Tochter derfelben vermahlt ift”), dem Thetis die Thore
öffnet, wenn er in der Frühe feine Behaufung verläßt.
Die Dauer des Aufenthaltes Fann uns nicht befremden.
Sie ftimmt mit jener der Dienftbarfeit des Apollon ) voll-
fommen überein. Daß Hephäftos, als Künftler betrachtet,
neun Fahre nicht in Unthatigkeit zubringen Fann, ift fehr na-
türlih. Er beſchaͤftigt fich alfo mit verfchiedenen Kunftfachen,
wie wenn er in feiner MWerfftatte ware. Er war urfprünglich,
wie Hermes-Kadmos, als jchaffender Gott Künftler “), wurde
aber, wie die Kunftfertigfeit der Spinnerin und Weberin Pal
las fpäter als gewöhnliches Geſchaͤft angefehen wurde, fpater
bloß als Seuer-Künftler betrachtet.
Marum bereitet aber Hera, die eigene Mutter, dem
38) Ovid. II, 156 sqg.
39) Urfprünglich dauerte der Aufenthalt des Hephaftog, wie
die Dienftbarfeit des Apollon, nur eine Naht; allein
diefer Aufenthalt wiederholte id immer wieder nah Ver—
lauf des Tags, und fo darf ed nicht befremden, daß die
Sage das große Jahr ftatt der einzelnen Nacht nennt.
40) Das Licht ift fchaffendes Element, daher iſt der Sonnengott
Künftler, Wäre Helios nicht urfprünglid feinem We:
fen nach mit Hephäftos ein und derfelbe Gott gemwefen,
fo würde man fih die Sagen über die Kunftfertig-
feiten der Heliaden auf Rhodos nicht erflären koͤnnen.
Die Heliaden leiteten ihr Gefhleht von Helios ab, alfo
muß wohl auch diefer in der alten rhodifhen Sage als
Künftler gefeiert worden ſeyn, weil er doch unmöglich
feinen Abfömmlingen einen Vorzug hätte verleihen koͤn—
nen, welchen er felbft nicht befaß.
377
Hephaftos ein fo hartes Loos? Wir haben ſchon bemerkt,
daß man das innige Verhaltniß, in welchem Sonne und
Mond zu einander ftehen, bald durch die Verbindung beider
Götter als Geſchwiſter ausdrüdte, bald beide ald Gatte und
Gattin darftellte, wie den Zeus und die Hera, bald aber auch
als Vater und Tochter, wie Zeus und die Pallas, oder als
Mutter und Sohn"), wie Hera und Hephaftos, betrachtete.
Ferner haben wir bereits erinnert, daß, wenn der eine der
Diosfuren am Olympos leuchtet, der andere im Hades oder
Grabe ifi, daß Endymion jehlaft ), wenn Selene am Him-
mel glanzt, Die Sonne und der Mond erfcheinen nicht zu
gleicyer Zeit, fondern, wenn der Mond fich erhebt, fo ſinket
die Sonne vom Himmel hinab, wird alfo fcheinbar von dem:
felben verdrängt, binabgeftoßen, wie der Sonnengott die Mond»
göttin nad) einer andern Sage aus der Unterwelt befreit, wenn
er felbft in diefelbe hinabgeht, und fie zum Himmel empor-
führt. Daher handelt Hera gegen ihren Sohn nicht hart,
wenn fie ihm in die Sluthen des Meeres hinabdrangt, oder
wegen der Schnelligkeit, mit welcher die Abendfonne unter:
geht, vom Himmel in die Fluthen des Meeres ftürzt, So
bald Hera als Frau und Hephaftos als hinkender Künftler
41) Schwend, S. 358.
42) Daß das Untergehen der Sonne fowohl als der Seftirne
von den Sängern, welde der alten Ausdrudsmweife folg:
ten, der finnlihen Erfcheinung gemäß ald Eintauchen
oder Baden im Drean, ihr Aufgehen als Herauffteigen
aus demjelben dargeftellt wurde, kann gar nicht in Zwei:
fel gezogen werden. cf. Ovid. Metam. II, 471 sqg:
IV, 91 sq.
378
in menfchlicher Geftalt dargeftellt wurde, mußte die Sache
allerdings eine fonderbare Geftalt gewinnen, und Fomifch er-
feinen. Man fah nicht mehr ein, was die Mutter bewogen
haben foll, den Sohn, welcher ftets als Friedenzftifter auf-
tritt, und fo herzlich um fie beforgt iſt ), zu einer fo grau
famen Strafe zu verurtheilen, und befümmerte ſich auch
nicht weiter Darum “).
Nach einer andern Sage") warf ihn Zeus vom Him:
mel, und Hephäftos fiel auf die Inſel Lemnos, Es frägt
ſich num, wie ſich beide Sagen zu einander verhalten? Beide
haben diefelbe Bedeutung, nur ward die Sage auf der Inſel
43) Hom. Il. I, 574 sqg.
44) Wir müfen ung nahdruüdlihft gegen die gewöhnliche Er-
flärung des Praͤbikates dugyıyuyeıs duch lahm ver-
wahren, Schwend (S. 176 fg.) hat dasfelbe vollfommen
erläutert, indem er ſagt: „Hephaͤſtos hieß augıyuneıs, von
yviorv das Glied, auch vorzüglih die Hand. Alſo ent:
fpriht dugyıyuzeis den Worte bandig, welches im Hoi:
ländifhen noch gebraucht wird, und mit beiden Handen
gejchieet bedeutet, dem das Hocdeutfhe behend ent-
ſpricht. Die Sufammenfeßung ift diefelbe, wie in augı-
dfEıos, welches ebenfalls die Fertigfeit beider Hände aus:
drüden fol. Da yvıos lahm heißt, fo mißverftand man
jenes Beiwort, glaubte, es bedeute lahm, und machte den
Gott zum Hinfenden, zuAlonodiwor.* Allein darin fcheint
uns Schwend Unrecht zu haben, daß er annimmt, die
Sagen über feinen Fall fenen dadurch entitanden. Wir
glauben vielmehr, daß das Mißverftändniß jener Sagen
eine Veranlaffung war, jenem Prädifate eine fo höcft
abgefhmadte Bedeutung unterzufchieben.
45) Hom. Il.I, 590 sqq.
379
Lemnos, wo der Gott vorzüglich verehrt wurde, lokal ange
wendet. Wir fehen alfo unfere Vermuthung, daß viele Sagen
durch die Verknüpfung der Lokal Mythen ſehr verwickelt und
unfenntlich wurden, neuerdings beftätigt. Die Sintier auf
Lemnos"), welche den Gott feit uralter Zeit verehrten, ließen
ihm nicht in das Meer finken, wie die oben angeführte alte
Sage, ſondern fie ließen ihm auf ihr Eiland Tommen, und
wohin hätte fich der Gott, als Verfon betrachtet, nach feiner
Entfernung vom Olympos auch eher begeben follen, als zu
demjenigen Volke, welches ihm vorzüglich verehrte? Michtig
ift in der Lemniſchen Sage””) der Umftand, daß der Öott einen
ganzen Tag fallt, und erft am Abend auf dem Cilande
46) Welcker, Aeſchyl. Trilog. 206 ffg.
47) Betrachtet man den Umftand, daß im Homeros ſchon eine
Menge von Lokfal-Sagen verbunden erfheint, fo wird man
auch einfeheu, wie verfehrt es ift, zu glauben, dag die
Slias deöhalb, weil bier Lemnos, anderwärts aber die Be-
haufung der Thetis als der Ort genannt wird, wo fic
Hephaftos nah feinem Falle aufbielt, und wegen feiner
verfhiedenen Gemahlinen und ähnlicher Umftände, von
einem Sänger nicht herruͤhren fünne, fondern offenbar
das Merk miehrerer ſeyn muͤſſe. Dürfte man folde
Schlüffe thun, fo müßte man aub zu behaupten bered»
tigt ſeyn, dag die berühmte Stelle der Odyſſee, wo Me-
nelaos feine Irrfahrten erzählt, von vielen Sängern ber:
ſtamme. Denn erwägen wir die Orte, die dort angeführt
werden, fo müflen wir ung überzeugen, daß verfchiedene
Lokal: Sagen verknüpft find, Hat wohl Homeros erft den
Anfang mit der Verbindung der Lokal-Sagen gemadt?
Keinesmwegs, fondern auch hierin gingen ihm ficherlic
ſchon fo mande Sänger voraus.
380
ankommt. Es ift befannt, daß die Götter, fobald fie fich
aus dem Olympos entfernen, gleich an dem Orte find),
welchen fie erreichen wollen. Warum fällt nun Hephäftos
fo lange, daß er erft am Abend auf der Inſel eintrifft? Weil
die Sonne den ganzen Tag an demfelben manbelt,
und erft am Abend denfelben verlaßt, fo kann auch der Lem⸗
nifche Gott nicht eher dafelbft anlangen, mie Helios erft
am Abend in die Wogen des Meeres taucht. Daß ihn
nach der Kemnifchen Sage, welche einer fpätern Zeit ange,
hört, Zeus aus dem Himmel wirft, nicht feine Mutter,
darf uns nicht fonderbar vorfommen. Zeus erfcheint ſchon
in den Homerifchen Gefangen als unumſchraͤnkter Gebieter
und Beherrfcher der Olympier. Das Verftändnig des My-
thos von dem Falle des Hephäftos hatte fich langft ver-
loren, Was war alfo natürlicher, als daß man benfelben
als eine Strafe anſah, welche der Feuerkünftler von dem
Beherrfcher des Olympos wegen eines Vergehens zu erbuls
den hatte?
Zwanzigſtes Kapitel.
Ueber Die Befchäftigung der Heroen in dem Hades.
Eine aufmerkfame Vergleihung aller Stellen der Ho⸗
merifchen Gefänge, welche von dem Zuftande des Menfchen
nach dem Tode handeln, Tann uns über die Anficht der
Griechen der heroifchen Zeit über diefe wichtige Angelegen-
48) Hom. Odyss. I, 96 agg. and an vielen andern Stellen.
381
heit nicht in Zweifel laffen. Sie waren von der Fortdauer
der Seele nach dem Tode des Körpers vollfommen
überzeugt '), fo fonderbar fie fich diefelbe auch vorftells
ten. Daß aber im Senfeits die Guten und Böfen ein
verfchiedenes Loos haben müffen, daß dort das Thun
eines jeden nach feinem ganzen MWerthe mit vollfommener
Gerechtigkeit abgewogen, und einem jeden nad) Verdienfte
zugemeſſen wird, zu diefer Erfenntniß hatten fie fich noch
nicht erhoben. Die Abgefchiedenen befinden fi nach den
Anſichten der beroifchen Zeit an einem und demfelben Orte,
und alle find ohne Unterfchied in derfelben Lage.
Gewöhnlich glaubt man, daß die Strafen, welche nach
den Homerifchen Gefangen einige zu Heroen herabgefunfene
Götter im Hades erleiden, einen fprechenden Beweis gaben,
4) Der abgefchiedene Geift war nach Homeros Anfiht zwar
förperlog und, wie ein Schatten, nit mit den Händen
zu greifen (Odyss. Xl, 207), aber er behielt volltommen
die Seftalt deffen, dem erim Leben angehört hatte, und blieb
alfo fein reines Bild ohne Körper und Maſſe (Il. XXIII,
104. Odyss. XXIV, 14), und dauert unverganglich fort
(11.1, 3. Odyss. XIV, 134); allein er ift nur ein flattern-
der Schatten (Odyss. X, 495 toi de ozıei aiscovcıy); nur
Teireſias bat (I. c. v. 493 sq.) ungeſchwaͤchten Verftand;
ihm allein gewährte Perfephoneia auch im Tode den Seit,
daß er allein wahrnahm. Wie Eonnte es aber für flatternde
Schatten, die ohne Flares Bewußtſeyn waren, eine Strafe
im Hades geben, von welcher fie nichts gefühlt haben wür-
den? Hätten fie auch wirklich Strafen zu erleiden gehabt,
fo wären diefe für fie bei dem Mangel an Verſtand, an
Bewußtſeyn von feiner Bedeutung geweſen.
382
daß man in der heroifchen Zeit ſchon ſehr gut gefühlt habe,
daß alle jcheinbaren Wideriprüche dieſes Lebens in der Un—
terwelt ganz ausgeglichen, und dort alle nach ihren Thaten
gerichtet werden. Allein dabei hat man nicht erwogen, daß,
wenn dieſe Vermuthung gegründet ware, die Sänger von
der heroifchen Zeit, von den Vorzügen und Tugenden derfel-
ben eine ganz außerordentlic) vorteilhafte Meinung hatten
hegen müffen. Denn die Zahl derjenigen, welche im Hades
Strafen erdulden, ift ſehr klein. Die Sänger hätten
ferner auch von dem fittlichen Werthe der Menfchen eine fehr
unrichtige Anfiht haben müffen. Denn wir treffen viele
Weſen unter den Strafe Duldenden nicht an, welche, wenn
man die alten Sagen buchftäblich auffaffen und dem heroi—
ſchen Zeitalter cine gehörige Würdigung ?) der Handlungs
weife der einzelnen Menfchen zutrauen darf, ſich unter denfel-
ben befinden müßten. Wir erinzern nur an die Praͤdikate,
welche Eriphyle und Althaa tragen, und an die Ruchloſigkeit
der Klytaimneftra und des Aigiſthos, an die Söhne des Per
lops, welche nach der gewöhnlichen Anficht unmenfchlich gegen
einander verführen. Diefen wenigen Heroen und Heroinen,
denen wir noch viele ähnliche beigefellen koͤnnten, ward im
Orkus Feine Strafe zuerlannt. Haben fie Feine verdient?
3) Wie erbaben find 5. B. ihre Anſichten uber die Nemeſis
und das gerechte Walten der Götter! Allein dasfelbe er-
frei fih auf die Menſchen nur fo lange, als fie auf der
Erde wandeln. Die letzte Strafe, welche die Götter ver:
bangen, die jedem Menſchen auf der Erde das verdiente
2005 zumeffen, ij ein plößlicer, unruͤhmlicher oder
ſchrecklicher Tod.
383
Kein Menſch kann dieß behaupten, wenn man die Mythen,
welche ihre Lebensgefchichte enthalten, buchftablich auffaf-
fen darf.
Sp wenig wir berechtigt find, bei den über diefe Wefen
erhaltenen Sagen die fymbolifche Ausdrucksweiſe zu verken—
wen, eben fo wenig dürfen wir fie in Bezug auf die Strafen,
welche andere in der Unterwelt erleiden, in Abrede ftellen,
und vergeffen, daß die Griechen in der Zeit, welcher jene
Mythen ihre Entſtehung zu verdanken haben, noch nicht auf
der Bildungsſtufe ſtanden, und noch nicht die religidſen
Kenntniſſe beſaßen, welche uns das Chriſtenthum aufgefchlofs
fen bat. Die Strafe der Danaiden haben wir fchon in
Kürze berührt. Was fie im Hades thun, thaten fie auf
Erden. Das Nämliche gilt von allen Herven und Heroi—
nen, welche nach den alten Sagen in der Unterwelt mit
qualloollen Arbeiten befchäftigt find. Dieje Arbeiten waren
in alten Gefängen, wie viele andere ſymboliſche Begeben-
beiten und Thaten, vielfach gefeiert. Der Aufenthalt der zu
Heroen herabgefunfenen Götter im Hades, welcher ehedem
eine fymbolifhe Bedeutung hatte, wie jener des Dionyfos,
Asklepios und Hippolytos, ‚ward ganz buchftäblich aufgefaßt.
Das Verſtaͤndniß der Bedeutung ihrer mühenollen Gejchäfte
war verfhwunden. Was war aljo natürlicher, als daß die:
felben als eine Strafe der Götter angeſehen wurden, welche
fie wegen irgend eines Frevels im Schattenreiche zu er—
leiden hätten.
Wir wollen diefe Vermuthung durch einige fehr ſpre—
chende Beifpiele naher zu begründen fuchen. Wir haben
ſchon erinnert, daß die Sonnengoͤtter, die Begründer ge:
384
feglicher Ordnung, auch als Aufrechthalter derfelben, ale
Richter und mächtige Herrfcher betrachtet wurden. Minos,
Aeakos, Kadmos, Rhadamanthys, Achilleus und andere
ericheinen deßhalb als große Geſetzgeber oder mächtige und
gerechte Herrfcher. Won der Bedeutung ihres Aufenthaltes
in den Elnfeifchen Fluren oder im Hades haben wir fchon
gefprohen. Sie fteigen aus dem naͤmlichen Grunde in
denfelben hinab, aus welchem Dionyfos oder Herakles dieß
thun. Sie wurden bereits in der heroifchen Zeit, mo bie
Völker, denen fie angehört hatten, laͤngſt verfchwunden
waren, als fterbliche Fürften betrachtet. Daher verwan-
delte fich ihr fombolifcher Aufenthalt im Schattenreiche,
welcher ehedem immer nur Furze Zeit wahrte, aber täglich
wiederfehrte, in einen beftandigen. Obfchon fie durch Ver—
drängung oder Unterjochung der Voͤlkerſchaften, welche fie
ale Götter verehrten, ihre hohe Bedeutung verloren, fo
fonnten doch die vielen Sagen, welche ſich über ihre Wirk:
famfeit als Gefeggeber und Richter erhalten hatten, nicht
fo leicht in Vergeffenheit fommen. Sollen wir ung wundern,
daß fie nach dem großen Wirkungskreife, welchen die Sonnen:
götter in der alten Sage hatten, auch in der Unterwelt ale
Richter auftreten, wenn wir bedenfen, daß auch Dionyfos
und Demeter, welche auf der Erde überall geſetzliche Ordnung
begründen, deßhalb auch im Hades über die Verftorbenen
richten, und ihr Walten dort fortfegen? So wenig wir aber
diefe zwei Götter wegen ihres Aufenthaltes im Orkus für
fterblihe Menſchen anfehen Fonnen, eben fo wenig dürfen
wir Minos®), Aeakos, Achilleus und andere ihnen verwandte
3) Hom. Odyss. XI, 568 sqg. Müller und Buttmann (Mp:
385
Heroen für irdifhe Könige erklären, welche wegen ihrer From»
migfeit oder Gerechtigkeit im Hadeo einer ſolchen Auszeichs
nung gewürdigt worden wären, fondern wir fünnen bei der
Aehnlichkeit ihrer Wirkſamkeit im Hades mit jener der zwei
genannten Götter leicht einfehen, dag man, weil fie als
ewige Richter gefeiert waren, fpäter, wo man fie ale
irdifche Könige betrachtete, ihre Thaͤtigkeit in diefer Beziehung
auch auf die Dauer ihres Aufenthaltes im Orkus ausdehnte.
Aus dem namlichen Grunde befigt Teireſias allein unter allen
Abgefchiedenen im Orkus feinen Verftand und die prophe—
tiihe Gabe. Könnten Minos, Aeakos, Achilleus und
tholog. II, 216 Not.) haben fehr wohl eingefeben, daB
Minyas und Minos mehr als fterbliche Könige waren,
indem fie fagen: „Einen merkwürdigen, aber ganz dunklen
Zufammenbang (dev Namen Neleus, Klymenos, Veri:
fipmenos und ahnlicher) gibt das alte Heldengedicht,, die
Minyade, welche Paufanias mehrmals anführt, und
worin durchaus feine Mpthen weder des Minvas, noch
der Minyaͤ vorfamen, deren Scene aber überall im Un—
terreih ift. Wir verbinden hiermit die Sage vom Höllen:
rihter Minos; ja vielleicht auch dem italiſchen Ausdrud,
Dii manes ald JeoUs Zmıysorious.” Warum follten
alle Scenen jenes alten Heldengedichtes im Unterreihe
fpielen, wenn wir den Minos oder Minvyas nicht als
eos yIörıos, wie den Dionpfos, betrachten müßten ?
Ueber die Bedeutung der beiden Namen läßt fih nichts
Beftimmtes fagen. Wichtig aber ift das Vradifat o2o-
Spowv, Welches Minos (Odyss. XI, 522) mit Xtlas
(Odyss. I, 52) gemein hat, und das oft bei Sonnen:
göttern vorfommt. Won der Bedeutung desfelben wollen
wir jpater fprechen.
Vorhalle zur Griechiſchen Geſchichte. 25
386
Kadmos nach den Vorftellungen der heroifchen Zeit im Hades
ihren Verſtand haben, und würdige Nichter ſeyn, wenn fie
Menfchen geweſen wären? Nach allen Sagen, weldye fich
im Homeros erhalten haben, müffen wir dieß verneinen.
Dder glaubt man, daß man in eıner hieratifchen Zeit, in
welcher der Unterfchied zwijchen Göttern und Menfchen in
allen Sagen fo deutlic) hervortritt, Menfchen einen Vorzug
eingeräumt hätte, welcher nur den Göttern gebührt?
Der Sonnengott ift auch Jaͤger, wie auch die Mond»
göttin Artemis als Jaͤgerin in unzähligen Sagen gefeiert ift.
Orion, welchen Schwenck) als Lichtgott erkennt, ergößt fich, wie |
andere Kichtgötter, ebenfalls an der Jagd, womit er fich nach
Homeros’) auch noch beftandig im Schattenreiche befchaftigte,
Man mußte ihn dort mit der Jagd fich befchaftigen laffen, fobald
man feinen fombolifchen Tod nicht mehr verftand. Er ift
ale Gott mit einer Göttin), der Eos, vermählt, welche ihn
entführte. Sonne und Mond erfcheinen in einer großen
Maffe von Mythen wegen der innigen Beziehung, in welcher
jie zu einander ftchen, und am Himmel beitandig fich ablöfen,
als Gatte und Gattin verbunden. Warum follen nicht auch
Sonne und Morgenröthe, welche ihre Palläfte in der nams
lichen Himmelsgegend haben, und am Morgen ungertrennlich
mit einander verbunden find, in eben demfelben Verhaͤlt⸗
- nn
4) €, 222 fagt er: „Drion ift ebenfald eine Lichtgottheit, un
fein Name abzuleiten von codw, fehen.” Ob der Name fi
nicht anders ableiten laffe, wollen wir bier nicht weiter
unterfuchen.
5) Hom. Odyss. XI, 572 sqgq-
6) Odyss. V, 421 sgg-
387
niffe zu einander erfcheinen? Nac der Sage’) zürnten die
Götter auf die Eos wegen diefer Verbindung fo lange, bis
Artemis den Drion auf Ortygia’s Fluren mit lindem Ge
hoffe getödtet hatte.
" Hier drängt fih uns die Frage auf, wie fam Orion
nad) feiner DVermählung mit Eos, welche ihren Pallaft
nit auf Ortygia hatte, mit Artemis dafelbit in Berühs
rung? Auf gefchichtlihen und geographifchem Wege läßt
fi diefe Frage nicht beantworten, wohl aber auf mytholo—⸗
gifchenm. Wenn Orion urfprünglicy aus einem Praͤdikate
des Sonnengottes zu einem befondern Weſen umgebildet
wurde, wie es ung fcheint, fo konnte er fehr wohl mit dem
heiligen Eilande des Apollon in eben fo naher Beziehung
ftehen, wie Odyſſeus oder Theſeus, wie er denn als Jaͤger
mit Apollon und Artemis auf gleicher Stufe ſteht. Artemis
todtet ihn aus dem namlichen Grunde, aus welchem Hera
den Hephaftos, ihren eigenen Sohn, vom Himmel im'die
Sluthen des Meeres wirft; Orion halt fi) aus dem nam-
lichen Grunde im Hades auf, aus welchem wir den Div;
nyfos oder die Demeter dort antreffen. Sobald man aber
den Orion als Menſchen betrachtete, umd die Bedeutung
feines Todes durch die Artemis vergeffen hatte, mußte die
Sage denfelben‘ freilich durch die Annahme zu erklären
ſuchen, daß ihn die Göttin im Auftrage der Olympier,
welche über feine Vermählung mit der Eos erzürnt waren,
erichoffen habe. Kann man nach diefer Erklärung die Be-
ihaftigung des Orion im Hades mit der Jagd als eine
7) Hom. Odyss. 1. c,
25.*
385
Strafe anfehen? Wir find der Ueberzeugung, daß, was
man aud davon halten mag, Ddiefelbe in der alten Sage
wohl nicht ale eine Strafe angefehen wurde, fondern eine
fombolifche Bedeutung hatte, wie jene der Artemis oder
des Apollon.
In einer andern Sage erfcheint Sifnphos im Hades?).
Er iſt nad) dem Sänger der Odyſſee von ſchrecklicher
Drangjal umgeben. Mit Handen und Füßen ſtemmt er
fih au, einen Marmorblod von der Au zur Anhöhe empor
zu walzen, welder, wenn er ihn fchon auf den Gipfel
berjelben empor gebracht zu haben glaubt, plöglich mit
furchtbarem Gepolter wieder herabftürgt. Die Urfache diefer
harten. Drangfal geben’) die Alten aljo an: „Siſyphos
verrieth den Zeus, als er, die Aegina entführte, und reizte
denfelben dadurch zum Zorne. Zeus fchiefte ihm den Tod.
Allein Siſyphos legte denfelben in ſchwere Feffeln. So ges
ſchah es, daß Niemand ftarb, bis Ares den Tod losließ,
und ihm den Sifpphos überlieferte.‘‘
Die fombolifche Bedeutung der Sage ift in der neueften
Zeit nicht mehr im Zweifel gezogen worden. Che wir
unfere Vermutung über diefelbe ausfprechen, wollen wir
Welckers ) Anficht anführen: „Das Steinwalzen des Si—
ſyphos erflart fi) als das vergebliche Anftreben des menfch-
lichen Verftandes, der, wenu er ſich im Begriffe glaubt,
das Ziel zu erreichen, und über ben Gipfel wegzufpringen,
8) Hom. Odyss. XI, 593 sqgq.
9) Pherecyd. ap. Schol. Hom. Il. VI, 153. p. 483.
10) In Schwendd Andeut. ©. 322 fg.
389
welcher ihm die leßte Ausficht verfchließt, ermattet von
dem vergeblichen Bemühen zuruͤckſinkt. Einzig in der Furzen
und in jedem Worte Iebendigen Ausführung ift diefe Dich—
tung an Geift und Inhalt zu vergleichen, der von dem ge
demüthigten Prometheus, außer diefer an Schönheit und
Tiefe der Erfindung nur noch dem Phaethon in einer verlors
nen Hefiodifchen Poeſie. In der Odyſſee ift alles Belons
dere, was der Sage von dem Dit, wo fie Wohnung ge
nommen, anhaften mochte, rein wieder abgeftreift. Der
Homerifche Sifnpbos ift die menfchliche Weisheit überhaupt;
hatte der Dichter gerade den Korinthifchen Siſyphos gemeint,
fo müßte man erwarten, daß er den Kaufmann zeichnete,
der nimmer raftet, jo wie im Tantalos den Reichen, den
fein Weberfluß immer taucht, ftatt ihm zu begluͤcken. Aber
des Sifpphos Stein wäre dann Fein ausdrudvolles und
wahres Bild.’
Dieſe Anficht bat wegen ihrer tiefen Bedeutung unge
mein viel Unziehendes, und wir haben diefelbe früher als
die natürlichfte Erklärung jener fonderbaren Sage von der
Beſchaͤftigung des Siſyphos betrachtet. Allein es entftehen
bei einer Vergleichung derfelben mit andern Mythen und dem
hohen Altertfume, welchen fie ihre Entftehung zu verdanfen
bat, verfchiedene Bedenken. Iſt es wohl wahrfcheinlich,
daß in der Urzeit, in welcher wir die Hellenen auf einer noch
ziemlich niedrigen Stufe der Cultur antreffen, ſolche philo—
ſophiſche Ideen fombolifc ausgedrückt wurden? Wir finden
nichts, was und zur Bejahung diefer Frage veranlaffen Fönnte.
Hätte man aus der Zeit des Pindaros einen ſolchen Mythos,
fo würden wir die obige Erklärung als über jeden Zweifel er
a
390
haben betrachten. Ferner ſehen wir auch nicht ein, daß in
der fruͤheſten Zeit des Griechiſchen Alterthums ſich ſchon ein
ſo auffallendes Draͤngen und Streben der Menſchen gezeigt
haben koͤnne, daß ſich ein Saͤnger veranlaßt gefunden haͤtte,
dasſelbe unter einer ſolchen allegoriſchen Form auszudruͤcken.
In einer hieratiſchen Zeit treten die Bemuͤhungen der Men—
ſchen, denen ſie ſich fruͤh und ſpaͤt unterziehen, um irdiſche
Güter zu erringen, noch nicht fo ſehr in den Vordergrund,
Endlich ift Siſyphos durchaus Feine allegoriſche Perſon.
Hätte aber der, Mythus von dem’ Steimwälzen eine allego-
sifche Bedeutung, und der Name der Perfon, welche damit
beſchaͤftigt iſt, hätte feine folche, fo wäre,es fonderbar, warum
Name und: Sage, welche doch nothwendig im der,innigften
Beziehung zu einander ftehen sollen, nicht zufammenflimmen.
Siſyphos ift Vater: des Glaufos, der. als Seegott befannt
ft"). und von. dieſem ſtammt Bellerophon. ‚Die, Sonnen-
und Meergotter ftehen, weil die Sonne im Meere unterzu-
tauchen: und ſich aus: demfelben zu erheben scheint, in der
nächften Verbindung , und wir ‚haben fchon erinnert, daß
deßhalb Thefeus ein Sohn des Aegeus oder. Pofeidon ),
41) Heffter, Rhod. Götterdienfte II, 65.
12) Müller (Prolegom. S. 272) fagt ſehr richtig: „Theſeus
Vater heißt. entweder der Gott Pofeidon (Plut. Thes, 6),
oder der attifhe König Aegeus, welcher Name vonalyes,
Wogen, Brandung, abgeleitet, aber auch den Meeres:
gott bezeichnet, deffen heilige Orte Wega heißen, und der
auf dem Iſthmus felbft Uegäon (Callimach. ap. Plut.
Symp. V, 3, 3), fonft Wegdos (Pherecyd. ap. Schol.
Apoll. Rhod. I, 834) genannt wurde.“
391
Nemeſis eine Tochter des Ofcanos heißt ®), und Helios mit
der Klymene“), der Tochter der Thetis, vermaͤhlt ift.
Daß hier der Meergott Glaufos ein Sohn des Sonnengottes
ift, darf nicht auffallen. Die Sage hat die Namen der ein
zelnen Götter, welche in die Reihen der Nerven herabge—
drüdt wurden, gar fonderbar verbunden, fo daß oft der
Sohn als Water und die Tochter als Mutter erfcheint.
Warum foll nun die Sage einen Namen, welcher urfprüngs
lih ein Prädikat des Sonnengottes war, benüßt haben, um
eine Alfegorie an denfelben zu knuͤpfen?
Mir vermuthen, daß die Sage von Siſyphos Arbeit
einer einfachen Natur Erfcheinung, der Bewegung der
Sonne, ihre Entftehung zu verbanfen habe, und daß die
Art der Einfleidung fich ausder Einfachheit der Urzeit, welcher
diefelbe angehören dürfte, am beften erklären laſſe. Mir
brauchen bier nicht zu erinnern, welche fonderbare Anſichten
felbft in der fpätern Zeit noch über die Befchaffenheit der
Sonne und ihre fcheinbare Bewegung am Himmel ausge
fprochen wurden, Diele derfelben find fo Findlich), daß man
fie diefer Zeit Faum zufchreiben, fondern als Ueberlieferungen
aus einer frühern Periode betrachten möchte, Es war eine
gewöhnliche und viel verbreitete Meinung, daß die Sonne
eine feurige Kugel ſey. Die rohe Kugel, welche Eetion und
Achilleus warfen, haben wir fchon erwähnt, und auf Die
Bedeutfamkeit ihrer ungewöhnlichen Größe aufmerfiam ge
[1 Br
13) Welder, bei Schweuck ©. 261.
43) Hesiod. Theogon. 351. Ovid. Metam. 1, 757. Munck.
ad Hyg. fab. 156.
392
macht. Sreilih wird man einwenden, daß Sifyphos Feine
Kugel von Eifen oder Erz, fondern einen Marmor bewege,
der nicht einmal eine Kugelgeftalt hat. Diefer Einwurf fcyeint
viel bedeutfamer, als er wirklich ift. Auch der Marmor hat
eine [himmernde Farbe, und wir haben in den bisherigen
Erörterungen fchon oft bemerft, daß der Schimmer des
Lichtes nicht immer durch Gold oder Purpur, fondern aud)
durch Silber und Elfenbein bezeichnet worden ift. Ber dem
Pallafte des Menelaos nimmt das Elfenbein deßhalb einen
vorzüglichen Rang ein, Ueber die Geftalt diefes Marmors
koͤnnen wir gar nicht urtheilen, weil ung die alteften Dent-
maäler der Griechifchen Poefte verloren gegangen find. Bei
Homeros aber erfcheint Siſyphos ſchon als König von Ko;
rinthos oder Ephyra, und feine Befchaftigung als eine furcht-
bare Drangfal, fo daß es fehr natürlich ift, daß nur von der
Größe und Schwere des Marmors, aber nicht yon der Geftalt
desfelben gefprochen wird.
Der Schlüffel zum Werftandniffe der Sage muß nad)
unferm Dafürhalten in dem Umftande gefucdht werden, daß
der Stein immer wieder herabfallt, wenn ihn Siſyphos auf
den Gipfel der Anhöhe gebracht hat, und daß er ihn
von einer Au emporwalzt, daß alfo fein Ringen ftets das-
felbe ift. Der Weg, welchen der Sonnengott zu machen
bat®), ift anfangs ungemein fteil, fo daß ihn Faum die
45) Ovid. Metam. II, 63 sqg. „Ardua prima via est, et qua
vix mane recentes enitantur equi; medio est altis-
sima coelo, Unde mare et terras ipsi mihi saepe vi-
dere Fit timor, et pavida trepidat formidine pectus.
een nn — —
393
Pferde, welche durch nächtliche Ruhe und Umbrofia fich neue
Kräfte gefammelt haben, zu erflimmen vermögen, in ber Mitte
ungemein hoch, und gegen das Ende fo abfchüffig , daß felbft
Thetis oft befürchtet, er möchte in den Abgrund gefchleudert
werden. Siſyphos wälzt den Marmor von einer Fläche
auf eine fteile Anhöhe oder an den mittlern Raum des Him⸗
melsgewölbes empor, und hat er denfelben bis zu diefem
Punkte gebracht, fo fallt er mit unglaublicher Schnelligkeit
wieder zurüd‘, wie die Sonne, wenn fie einmal die Mitte
des Himmels erreicht hat, fehr fchnell dem Untergange zueilt, -
und Helios feine Roffe nicht vorfichtig genug zurüchalten
kann, um nicht im den Abgrund gefchleudert zu werden,
Mie die Sonne ſich jeden Morgen wieder am Himmel erbebt,
fo beginnt auch Siſyphos feine Arbeit immer von neuem, und
fieht kein Ende,
Mir zweifeln nicht, daß man diefe Erflärungsweife
in verfchiedener Beziehung beftreiten dürfte, und halten es
deßhalb für nöthig, einige Zweifel, welche dagegen erhoben
werden dürften, hier in Kürze zu berühren. Man koͤnnte eins
wenden, daß diefelbe mit andern bisher audgefprochenen
Meinungen von der fombolifchen Ausdrucksweiſe des Sonnen:
laufes im MWiderfpruche ftehe, und ſich mit der Erzahlung
des Homeros nicht vertrage, daß die Sage felbft in der
fröheften Zeit die Bewegung der Sonne auf Feine fo fonder-
bare Meife dargeftellt haben Tonne, und daß, wenn au
Ultima prona via est, et eget moderamine certo.
Tune etiam, quae me subjectis excipit undis, Ne
ferar in praeceps, Tethys solet ipsa vereri.‘*
> ZU 2 =
dieß wirklich der Fall geweſen wäre, nicht Siſyphos den
Marmor fortwälzte, fondern daß derfelbe wohl auf eine andere
Weife fortbewegt würde,
Wir müffen auch bier erinnern, daß eine und diefelbe
Sache in verfchiedenen Zeiten und an verſchiedenen
Orten nicht auf die namliche Weife ausgedrückt worden fen ®).
In der frübeften Periode hatte der Sonnengott ficher Feinen
mit Roſſen befpannten Wagen, welcher erſt der Friegerifchen
Zeit der Achäer angehört. Der Anblick der Sonne und ihre
fcheinbare Bewegung mußte Völker, welche auf einer niedris
gen Stufe der Bildung ftanden”), wohl auf die Vermu—
thung leiten, daß diefelbe eine feurige Kugel oder eine unge
beure Maſſe fen. Wer follte aber diefelbe weiter bewegen ?
Der Sonnengott allein Fonnte diefes thun, wie er allein
nach den Vorftellungen der jpätern Zeit den Sonnenwagen
zu lenken vermag. Obſchon die alteften Einwohner Gries
henlands Sonne und Mond verebrten, ohne fich urfprüng-
416) Wir erinnern, wieder an den Aufentbalt der Diosfuren,
welche nach der einen Sage im Grabe, nad der andern
unter der Erde oder im Hades find. Achilleus bält ſich
nach der einen Sage in Leufe, nad einer andern in den
Elpſeiſchen Gefilden, nach einer dritten im Hades auf.
47) Die alten Sagen von den Ihiergeftalten der Götter und
von den Doppelgeftalten derſelben, melde zur Hälfte aus
einer menſchlichen und einer Thiergeſtalt zufammengefeßt
find, vergliben mit den Homerifben Eryäblungen von
der jchönen menſchlichen Geftalt, in welcher bei ihm die
Goͤtter auftreten, zeigen uns doch zwei an Bildung we
fentlib von einander verichiedene Perioden !
x 395
lich ein Weſen in menfchlicyer Geftalt darunter zu denken, fo .
wurden doch aus den Pradifaten, welche fie den großen
Lichtkörpern gaben, bald befondere Weſen gebildet, und in
menſchlicher Geftalt dargeftellt. Nun Fonnte, jobald Siſy—
phos und der Marmor, jobald Eetion und die Kugel als
zwei Gegenftände ') betrachtet wurden, dieſe nicht mehr von
ſelbſt fi) fortbewegen, fondern fie mußte von Eetion gewor—
fen, der Marmor mußte von Siſyphos fortbewegt werden,
wie der Sonnengott bei Euripides feinen Feuerball fortbe-
wegt. Daß die heroifche Zeit, in welcher Helios einen mit
Flügelpferden beipannten Wagen hatte, die frühere Aus—
drucksweiſe der fcheinbaren Bewegung der Sonne nicht mebr
verftand, und Homeros die Drangfale des Siſyphos erzählt,
ohne ihre Bedeutung zu Fennen, darf nicht auffallen. Gr
befchreibt uns den Fall des Hephäftos, die Aegis und dem
Schild des Achilleus nach alten Sagen und Ueberlieferungen,
ohne den Sinn derjelben mehr zu verftehen. Welches Loos
bat die Argo oder der Widder des Phrivos gehabt? Während
Homeros jagt, daß die Zahl der Rinder des Helios Feiner
Dermehrung, aber auch feiner Verminderung fabig war,
erzählt. er und doch, daß des Odyſſeus Gefährten‘) einige
13) Auch bei Helios ſehen wir diefe Behauptung beftätigt.
Bon ihm geht feine Wärme aus, fondern von der Strab-
lenfrone, melde er auf feinem Haupte bat. Ovid. Me-
tam. II, v. 22 sqg. Legt er diefelbe ab, fo kann man ſich
dem Gotte nähern. Seßt er fie aber auf, fo Fann ein
menschliches Wefen die von derfelben ausgehende Hiße
und den Glanz in der Nähe durchaus nicht ertragen.
49) Hom. Odyss. XII, 128 sqgq. cf. Odyss. I 8 sq.
396
derselben fchlachteten. Dieß ift doch wohl ein fprechender Beweis,
daß er, ohne den Sinn und die Bedeutung diefer Sagen zu ver-
ftehen, diefelben nur wieder gibt, wie fie ſich inden Gefangen
vorfanden, und im feiner Zeit betrachtet wurden,
Wir müffen bier noch einige Beifpiele anführen, aus
denen fi) abnehmen läßt, wie fehr alte Symbole durch Miß-
verftändnig im Kaufe der Zeit entftellt wurden, um dem
Vorwurfe wenigftens einigermaßen vorzubeugen, als hatten
wir unter allen Erklärungen, welche ſich über die Befchafti-
gung des Sifpphos geben laffen, die fonderbarfte gewählt.
Das Mährchen von Phaethon”), fagt Schwend , fcheint
feinen Urfprung einer bildlihen Darftellung des
Sonnenunterganges zu verdanken,“ und er bat voll
fommen Recht. Man bedenke doch, welche Geftalt diefe
Sage im Laufe der Zeit durch Mißverftändniß erhalten hat,
und man wird und zugeftehen, daß die Befchaftigung des
Siſyphos ein Ahnliches Loos gehabt habe, und nur durch
Unfunde in den Hades verfeßt, und als Strafe angefehen
worden fey. Hera hieß”) ald Mondgttin die vom Himmel
Häangende”), Artemis batte dasfelbe Pradifat?), und Eu-
ripides hatte*) eine bei den Füßen aufgehangte Ino darge
0) Schwere, S. 361. ©. 212 fagt derfelbe jehr treffend:
„Aus einem Beiworte des Apollon, Patdwr, der Leuch—
tende, ward ihm ein Sohn erdichtet, von dem ein Mähr-
hen berichtet, er habe den Sonnenwagen gelenft, und
fey damit ungluͤcklich geworden.
21) Schwend, S. 362.
22) Artayyoufyn.
23) Pausan. VIII, 23, 5.
24) Ap. Schol. Aristopb. vesp. 1404. frag. 2. p. 450.
397
ſtellt. Wer wird glauben, daß man in einer bieratifchen
Zeit unter Priefterfönigen den Göttern folhe Unfälle und
Mißhandlungen angedichtet habe? Diefe Sagen müffen
alfo wohl urfprünglich eine ſymboliſche Bedeutung gehabt
haben, in welcher durchaus nichts Anftößiges enthalten
war, Schwend glaubt”), dag Artemis jenen Beinamen ge:
habt habe, weil ihr Menfchen als Opfer gehangen wurden,
wie es Schwebefefte des Dionyſos aus aͤhnlichem Grunde
gab. Wir Fönnen nicht einjehen, warum die Göttin von der
Art und MWeife, wie ihr die Menichenofper dargebracht wurden,
die Aufgehangene geheißen haben fol, und auch nicht
glauben, daß die Schwebefefte des Dionyfos diefe Bedeutung
gehabt haben, Zudem fieht man nicht ein, wie diefe Erflas
rung mit der Erzählung des Homeros >’) in Einklang gebracht
werden Fann, der zu Folge Hera von Zeus vom Himmel
berabgehängt wurde. Hätten wir die alten Sagen
über Dionyfos und die aufgehängte Ino und Artemis, jo
mwürden wir fehen, daß auch fie vom Himmel herabhingen,
und deßhalb jenes Prädikat trugen. |
Möchte num diefes Symbol in jener hieratifchen Zeit,
in welcher es gebraucht wurde, etwas anders bezeichnet haben,
als den am Himmel fchwebenden Mond und die an dem
Müller, Orhom., S. 174. Hieraus dürfte fih auch die
Sage vom Erhängen der Leda (Eurip. Helen. v. 435.)
volfommen erklären, da die Mutter der Helena die
namlihe Göttin war, mie die Tochter, und fih von
diefer nur durch den Namen unterfchied.
25) Schwend, ©. 223.
35b) Hom. Il. XV, 16 sggq.
398
felben fchmwebende Sonne? Sonne und Mond wandeln an
demfelben, ohne herabzufallen. Mie dieß möglich ſey,
konnten fid) Menfchen, welche von der Aftronomie und
Phyſik Feine Kenntniß hatten, nicht anders erklären, als
durch die Annahme, daß fie durch ein Band befeftigt feyen.
Mir erinnern nur an die fonderbare Vorſtellung, welche
fie von dem Regenbogen hatten, welchen fie*) als einen
Schlauch betrachteten, in dem ſich das Waſſer zum Him-
mel emporziehe, das den Molfen Nahrung gewähret. So: |
bald der Regenbogen und Iris als zwei Gegenftände ange- |
fehen wurden, mußte ſich Sris auf die Erde herablaffen,
und Waſſer einfaugen, um den Wolfen Nahrung zu bringen!
Sollen wir es nun fonderber finden, daß auch Hera, Ars |
temis und Ino, fobald man ſich diefelben ald Weſen mit |
menfchlicher Geftalt dachte, aufgehängt werden an dem
Gewölbe des Himmels, und daß, weil man die Bedeutung
diefes Hängens nicht mehr verftand, dasfelbe bei der Hera |
als Strafe angefehen ward, welche fie fi) Durch ein Ver⸗
gehen zugezogen, und von Zeus zu erdulden hatte? Sollen |
wir uns über die Schwebefefte des Dionyſos wundern, wenn |
wir bedenken, daß die Zefte der Griechen fo viele mimifche
Beftandtheile enthielten, und auch das Erfcheinendes Mondes
im Gultus durd) die Entfernung des Götterbildes aus dem
Tempel auf eine fehr finnliche Weiſe vorgeftellt wurde?
Homeros behandelt auch diefe Sage von dem Herab—
26) Ovid. Metamorph. I, 270 sq. heißt es: Nuntia Juno- |
nis varios induta colores Concipit Iris aquas, ali- |
mentaque nubibus affert. cf, XI, 585 sqg- |
399
hängen der Hera fo komiſch, dag man fich leicht überzeugt,
daß ihm die Bedeutung derfelben nicht mehr befannt geweſen
fey. Zeus fagt bei ihm zur Hera: „Denkeft du nicht, wie
du hoch herfchwebeteft, und an die Fuͤß ich Zween Amboße
gehängt, und ein Band um die Hande gefchürzet, Golden
und unzerbrechlich? Aus Aetherglanz und Gewoͤlk her Schweb-
teft du; ringsum trauerten die Ewigen durch den Olympos,
Doch nicht wagte zu löfen ein Nahender: wen ich erhafchte,
Schleudert ich mächtig gefaßt von der Schwell’ ab, bis er
zur Erde Niederftürzt ohnmaͤchtig.“ Wer diefe Erzählung
unbefangen betrachtet, der wird wohl einfehen, daß die
Beichäftigung des Sifnphos von ihm nicht anders dargeftellt
werden Fonnte, und weit entfernt ſeyn, diefelbe fo aufzu—
faffen, wie man fie nach der buchftäblichen Erzählung des
Sängers gewöhnlich betrachtet Wie die Sage von dem
Hängen der Hera durch Mißverftändniß eine räthfelhafte
Geftalt erhielt, fo mußte auch jene von dem Steinwälzen
des Sifpphos entftellt werden.
Aus diefer Eindlichen Ausdrucsweife dürfte fich auch
erklären laffen, warum fic) des Odyſſeus Mutter erhangt”).
Denn daß fie diefes nicht aus Gram über die Abwefenheit
ihres Sohnes gethan habe, deffen Wanderungen und Meer:
fahrten nur eine fombolifche Bedeutung hatten, dürfte am
Zage liegen”). Es dürfte einleuchten, warum die Epikafte,
die Mutter und Gemahlin des Didipus, ſich erhängt,
welche in der einen Sage Mutter, in einer andern Gattin
27) Hom. Odyss. XI, 196 sqq. ef. XIV, 355.
38) Hom. Odyss. XI, 271 sqg-
400
des Didipus hieß, wie in der Sage von Zeus und Hera
Sonne und Mond als Gatte und Gattin, in jener von
Hera und Hephaftos ald Mutter und Sohn erfcheinen.
Durch buchſtaͤbliche Auffaffung und Verknüpfung beider Er—
zahlungen, durch die verkehrte Anficht von dem Hängen ber
Epikafte und dem fombolifchen Verſchwinden des Didipus”)
mußten freilich die fpatern riechen auf die Meinung ber-
29) Die falfhe Erflarung feines Namens hat viel zum Miß—
verftändnig der über ihn erhaltenen Sagen: beigetragen.
Die Bedeutung des Wortes Oidipus bat Damm (Lexic.
s. h. v.) richtig erklärt, wo eg heißt! „omissa ista fa-
bula (vom Burchftehen der Füße) rectius nomen de-
dueitur a grandibus pedibus. Sie 20yoidns aliquis
dietus, 6 ueya)a ?oyie Eywv; terminatio Oldinovs
autem fit, sicut ab 0 zeinovs 6 roınödns, et 6 Enta-
nödns.* Heißt nit Achilleus aus dem naͤmlichen Grunde
ſchnellfuͤßig? Wer braucht ſchnellere und Fraftigere
Füße, als der Sonnengott? So gut Helios Eleftryon,
der Strahlende, hieß, eben fo gut Fonnte er auch der
Starfe oder Schnelfüßige heißen. Die meiſten Heroen
find aber aus Präbdikaten der Götter entftanden. Nur
aus diefer Bedeutung des Didipus erklären fi feine
‚ Wanderungen von Theben nach Athen, vom Morgen
nad Welten, nur hieraus erklärt fih, warum er nad
der Dichterin Praxilla (Ap. Athen: p. 603. a. Welder,
Zrilog. ©. 357 Not.) den Chryſippus raubt, wie Zeus
den Ganpmedes, nur daraus laßt fich erfennen, warum
er von der Erde verfhlungen wird, warum er auf Bergen
aufwäachst, wie fich Endymion auf Bergen aufhält, war:
um er endlich die Sphinx tödtet, und an fo vielen Orten
erſcheint.
401
fallen, daß die Thebanifche Königsfamilie Gräuel aller Art
verübt habe, während die alte Sage durchaus nichts An-
ſtoͤßiges, fondern nur Symbole enthielt,
. Wir Fehren nach diefer Unterbrechung wieder zu den
Herven (oder Göttern) zuruͤck, welche im Orkus mit Drang-
falen überhauft fcheinen , und bemerken nur noch, daß wir
diefe Bemerkungen, welche mit diefem Gapitel allerdings in
feiner unmittelbaren Verbindung ftehen, einfchalten mußten,
um zu zeigen, was aus den einfachften Mythen, welcye na—
türliche Erſcheinungen ausdrücdten, durch Mißverftändnig
wurde. Gleiche Beichäftigung hat”) mit Siſyphos nach
Pindaros Tantalos, deffen göttliche Natur in einer Menge
von Sagen noch durchſchimmert. Nach Homeros aber ift Tan:
talos im Hades auf eine andere Weiſe geftraft , wovon wir
fpater fprechen wollen, Aus den zwei verfchiedenen Erzaͤh—
lungen über fein Loos im Hades Tann man leicht erfehen,
daß dasfelbe früher eine andere Bedeutung gehabt habe, und erſt
fpater für eine Strafe angefehen worden ſey.
Frion wird im Hades mit dem geflügelten Rade, woran
ihn Schlangen gefeffelt, in beftandigem Wirbel herumge—
dreht). Warum er fich in diefer furchtbaren Lage befinder,
bat die Sage nach) ihrer Weife erklärt. Er heirathere ”) die
50) Pind. Ol. I, 60 et Schol. 1. c. Pausan. X, 31, 4 ſagt
ebenfalls: Zu Delpbi war Zantalos abgebildet, nicht nur
jenes Schredlihe duldend, was Homeros von ihm ge:
dichtet, ſondern es qualt ihm auch noch die Furcht vor
dem über ihm fhwebenden Steine.
31) Schol. Eurip. Phoeniss. 1192. Schol. H, I, 268.
32) Pind. Pyth. I, 21 sqg. et Schol. Diod. IV, 71, Schel.
Vorhalle zur Griechiſchen Geſchichte. —
4023
Dia. Als ihn fein Schwiegervater wegen der Brautgabe
bedrängte, lud er ihn zu einem Gaftmahle ein, und ftürzte
den nichts ahnenden in eine mit glühenden Kohlen angefüllte
Grube. Als ihn hierauf Niemand von der Befleckung oder
Schuld reinigte, und ihn die übrigen Götter haften, nahm
fid) Zeus feiner an, reinigte ihn von feiner Blutfchuld, führte
ihn in den Himmel, und machte ihn zu feinem Tiſchgenoſſen.
Ixion aber, der großen MWohlthat, die ihm Zeus erwiefen,
vergeffend, machte fich eines neuen Verbrechens fchuldig,
indem er von Liebe zur Hera entzündet, fich mit ihr zu ver⸗
binden juchte Allein er vermählte ſich mit einer Wolke,
welche die Geftalt der Hera hatte, und aus diefer Verbins
dung ging der Kentauros hervor.
Die Gemahlin des Srion ift eine Göttin”), melche, fo
ſehr fie fih auch ihrem Namen nad) von Hera unterfcheidet,
doch dem Weſen nach von derfelben nicht verfchieden geweſen
feyn kann, und fich als ſolche auch durch ihre Verbindung
mit Zeus darftellt ), mit deffen Namen der ihrige auffallende
Aehnlichkeit hat. Der Tod ihres Waters Deion oder Deio-
neus hatte ®), wie jener des Didipus oder Zagreus, eine
ſymboliſche Bedeutung, wie fich befonders aus der Art des⸗
felben ®) ergibt. Erft die fpatere Zeit, welche den Srion
Apoll. Rh. III, 62. Hyg. fab. 62. Mezir. ad Ovid.
I, 151.
35) Ehwend, ©. 34.
34) Hom. II. XIV, 317, ef. II, 744. et Schol. Apollod. I,
8, 2. Pausan. V, 10.
35) Deion hangt offenbar mit. Li zufammen. Schwend, 1. c.
36) Er ftärzte ibn, wie wir fchon bemerften, in eine mit
403
als einen ruchloſen Menfchen betrachtete, konnte dieſen als
Urheber desfelben nennen. Sühngebrauche waren in einer
bieratifchen Zeit eine gewöhnliche Erfcheinung, und warum
foll Irion, nachdem man ihn als Menfchen anfah, der
Sühne nicht bedürfen? Er war ald Sonnengott Vorfteher
der Sühngebräuche, wie Apollon und Zeus. Wir haben
ſchon erinnert”), daß die Götter häufig als Begründer und
glühenden Kohlen gefüllte Grube, Auch Herafles ging
duch Feuer zu Grunde. Schwend (S. 25) fagt: „Das
Selbftverbrennen des Herakles auf dem Deia war von
dem Verbrennen des Jahrs, das unter den Verbrennen
eines Scheiterhaufeng, woraus dann der die Zeit vorftel
ende Vogel empor ftieg, ſymboliſch gedacht war, auf ihn
übergetragen worden.’ Non der Höhe des Ida (Diod.
xVI, 7. Mel. 1, 13. Welcker, Zrilog. ©. 171 Not.)
glaubte man vor Sonnenaufgang in Sommtertagen große
Feuermaſſen im Gebirge zu ſehen. Wenn wir dieß bes
ruͤckſichtigen, fo möchten wir vermuthen, daß man, da
man fi die Sonne als feurige Maſſe dachte, wor:
auf ſich die zulegt angeführte Sage beziehen dürfte, fpäter,
als Herakles und Deion als Heroen angefehen, als ihr Tod
nicht mehr verftanden, und ihre Beziehung zu jenem Feuer
nicht mehr erfannt wurde, erzählte, derfelde fen dadurch
veranlapt worden, wie man die Epifafte fih erbängen
ließ, wahrend die Hera, welche Seus aufhängte, mit
ihrem Leben davonfam, weil fie ſich als Göttin erhielt.
Uebrigens ift Schwends Anfiht in fo ferne wichtig, als
fie zeigt, daß Herafles und Deion Sonnengötter gewe—
fen ſeyn müffen, weil alle Zeitrechnung an den Eultus ber
Lichtgoͤtter gefnupft ift.
57) Creuzer, Spmbol. I, 15.
26 *
404
Lehrer der Gebräuche auftreten, welche mit ihrem Cultus
verbunden waren. Daß fid) Apollon felbft entfündigen läßt,
ehe er feine Macht als Sühngott offenbart, ift bekannt.
Warum fol nicht auch Frion dasſelbe thun, und, da er
ſich als Heros nicht ſelber fühnen kann, ſich durch Zeus,
mit welchem er urſpruͤnglich ein und dasſelbe Weſen war,
entſuͤndigen, und von der angeblichen Schuld, welche eine
ſo ſchoͤne Veranlaſſung zur Suͤhne des ehemaligen Gottes
darbot, wie bei Apollon die Erlegung des Python), reis
nigen laffen, welcher, wie alle Lichtgotter, ebenfalls Gott
der höchften Reinheit ift? Seine Verbindung mit Zeus,
befonders die Aufnahme in den Olympos, zeigt nur zu deut:
lich, daß er urfprünglich dem Götter ©ige angehörte, wie
Tantalos, und erft fpater, ale das Volt, welchem er ange:
hört hatte, verdrangt worden war, in die Reihen der He:
roen herabſank. Aus dem namlicyen Grunde fteht er mit der
Hera in einer eben fo nahen Beziehung, wie Jaſon, oder
wie Zeus mit der Dia. Hera hatte den Beinamen Nee
phele®). Als Heros Eonnte er ſich mit der Himmelsfönigin
38) Dieß war die Deiphifhe Sage; andere leiteten Apollons
Verunreinigung von der Todtung des Pithon oder jener -
der Kyklopen ab. Müller, Prolegom. ©. 502.
59) Nicht umfonft wird nad Sophocles ap. Schol. Ari- i
stoph. Nub. 258) Nephele, die Gemahlin des Athamas,
Göttin. Sie war es ſchon urfprünglid. Wir Fonnen
ung nicht zu der Annahme verftehen, daß jene Nephele,
welche die Geftalt der Hera hatte, von biefer verfcie-
den gemwefen fey, und wenn man bedenkt, daß Medeie
und Jo urfprünglich Praͤdikate der Hera gemwefen fenen,
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405
nicht vermählen, und da feine Vermählung mit derſelben
befannt und ficherlich in alten Mythen enthalten war, fo
entftand die Sage, daß er ſich mit einer Wolfe, welche die
Geftalt der Hera angenommen, vermählt habe. Bon dem
Kentauren, welche aus diefer Verbindung berporgingen,
wollen wir fpäter reden, und bier nur bemerken, daß bie
Beichäftigung des Ixion, welcher nach den bisherigen Erörtes
rungen keineswegs als Frevler betrachtet werden Tann , fehr
viel dazu beigetragen haben dürfte (meil man diefelbe buch—
ftäblid) nahm), die Vermuthung zu begründen, daß er ſich
gegen Zeus fehr verfehlt, und fich Dadurch fein Loos zuges
zogen babe.
Wir wollen nun die Beichäftigung felbft in's Auge faffen,
welche allerdings fonderbar erſcheint, vorerft aber erinnern,
daß die Alten, was wir fchon fo oft bemerkten, von der Bewe—
gung der Sonne und des Mondes wie Kinder dachten. Wir
wollen hier nur ein Beifpiel anführen, welches für den in Frage
fiehenden Mythus vorzüglich bedeutiam zu ſeyn fheint. Um
die veränderte Stellung zu erflären, welche die Geftirne gegen
Morgen am Himmel haben, nahm man an, daß fi) der
Himmel mit ungewöhnlicher Schnelligkeit unaufhörlid von
Meften nach Often umwälze, und die Geftirne mit ſich fort
reiße ). Zu dieſer Unficht befannte fich felbft der große
fo wird man es nicht fonderbar finden, dag auch Nephele
von ihr getrennt, und zu einem befondern Weſen er:
hoben ward.
40) Hymn. Orph. IX. Lucret. V, 201. Cic. N. D. UI, 38.
Gie. Somn. Scip. IV, dazu Ochsner p. 315. Mamert.
Pancg. II, 3. Ovid, IH, 71sq. fagt: „Adde, quod assi-
406
Denker Anaragoras. Aus der mangelhaften Kenntniß, welche
die Alten in der Phyſik und Aftronomie hatten, erklärt es fich
auch, warum der Sonnengott Hermes, welcher die Rinder
des Apollon entwendet, oder nach Entfernung des Bildes,
die Sterne am Himmel emporführt, denfelben die Klauen
umdreht, und felbft ruͤckwaͤrts gewendet einhergeht, was fich
doch wohl auf die veränderte Stellung ‘'), welche die Sterne
am Morgen haben, beziehen dürfte, Wenn wir jene Anficht
vom beftandigen Umſchwung des Himmels, wodurch alle
Geftirne mit fortgeriffen werden, und die Bedeutung, die
Srton ”) in der alten Sage hatte, erwägen , was kann wohl
das geflügelte Rad desfelben anders ſeyn, als die Sonne?
Die einzelnen Merkmale fprechen nur zu beftimmt für diefe
Vermuthung. Das Rad ift feurig“). Mir wiffen, daß
man die Sonne für eine feurige Maffe hielt, und daß noch
der Philoſoph Herakleitos ‘') den Mond für lauteres Feuer
erflarte. Das Rad ift geflügelt, und wird im beftändigen
Mirbel umbhergedrehet, wie fi) der Himmel im beftändigen
Umſchwunge von Meften nach Often walzt, und alle Geftirne
dua rapitur vertigine coelum, Sideraque alta trabit,
celerique volumine torquet.‘ cf. Eurip. fragm. T. H.
p- 468. B.
41) Geſchichte des Troj. Krieges, ©, 142.
42) Warum hatte man ihn in einer hieratifhen Zeit zum
Tiſchgenoſſen des Zeus machen follen, wenn er ein ir:
difher König gewefen wäre ?
45) Schol. Eurip. Phoeniss. 4192.
44) Macrob. I, 47. III, 4. Arnob, 111, 31. Welder, Trilog.
©. 231,
407
mit fi nimmt. Die Sonne vollendet ihren Weg am Himmel,
fo groß derfelbe ift, in Eurzer Zeit. Was war mohl natür,
licher, als daß die Alten in ihrer kindlichen Einfalt ſich diefelbe
als ein feuriges Rad dachten, welches, mit Flügeln verfehen,
fih mit unglaublicher Schnelligkeit am Himmel fortbewege?
Daß man die Winde oder die Luft ald Urfache der Bemegung
des Rades, eined aus dem Leben entlehnten Symbols, ſich
dachte, darf ung nicht befremden. Don den Geſetzen des
Kreislaufes der Geftirne hatte man Feine Kenntniß. Wie
wollte man ſich die fcheinbare Bewegung des feurigen Son;
nenrades oder der feurigen Kugel anders erklären, als durch
die Annahme, daß das Rad von Minden bewegt, die Kugel
von einem lebenden Weſen fortgeftogen oder geworfen werde ?
Daß man anfangs die Sonne göttlich verehrt, fpäter aber
aus den Pradikaten, welche diefelbe hatte, befondere Mefen
bildete, haben wir fchon bemerft. Ein folches war auch
Srion, welcher aber immer noch mit feinem Rade in ber in;
nigften Verbindung fiand. Wie die beroifche Zeit, in melcher
die Streitwagen eine gewöhnliche Sache waren, dem Sonnen;
gotte einen Wagen und Flügelroffe gab, und den Helios auf
demfelben ſtehend die Fahrt am Himmel machen lieg,
fo ift nach einer andern, einer frühern Zeit angehörigen Sage
Irion mit Schlangen an das Rad gefeflelt. Die Schlangen
find Symbole“) des Sonnengottes, welcher deßhalb in vielen
Sagen in Schlangengeftalt erfcheint, wie 5. B. Zeus,
als er ſich mit der Perſephoneia vermaͤhlte, oder Us
klepios.
45) Schwenck, S. 206.
408
ZTantalos, ebenfalls ein Genofje des Zeus, welden die
Sötter, wie den Peleus, mit ihrer Gegenwart beglüdten, ift
nicht bloß, wie Siſyphos, von dem Steine bedroht, fondern
duldet im Hades auch noch andere Drangfale "). Er fieht
in einem Teiche, deſſen Waffer bis an fein Kinn reicht, und
lechzet doch vor Durft, und über ihm bangen die Aeſte von
fruchtbeladenen Baumen, und dod) kann er Feine Frucht er-
reihen. Welder ) betrachtet den Tantalos ale Symbol
des im Ueberfluß Schwelgenden, „welchem alle Genüffe nur
als Taͤuſchungen vorübergeben, die niemals den ſtets geftei-
gerter Durft ftillen.” Mir vermutheten früher ®), daß er
den Reichen, welcher mit Gütern aller Art beglückt ift, aber
aus Geiz diefelben nicht zu genießen ſich getraut, bezeichne,
ohne zu erwägen, daß Allegorien der Art dem früheften Al⸗
terthunne, welchem diefe Sage ihre Entftehung zu verdanken
bat, fremd waren, weil e8 Feine Veranlaffung dazu hatte, und
auch die philofophifche Bildung unferer Zeit nicht befaß. Zudem
würde die Sage wohl nie einen Gott, ald welcher Tantalos
in vielen Mother und durch feine Kinder, Niobe und Pelops,
erfcheint, in einer hieratifchen Zeit benugt haben, um an ihm
jene Wahrbeit zu verfinnlichen.
Die Sage dürfte demnach wohl eine einfachere Bebdeu-
tung haben. Es ift befannt, daß Dionyſos ) mit Flüffen
46) Hom. Odyss. XI, 585 sqgq.
47) Welder, Zrilog. ©. 551.
48) Gedichte des Trojan. Krieges, ©. 165 fg.
49) Dionpſos iyt, indem die Sonne ſich aus dem Meere erhebt,
im Sumpfe geboren. Phanodem. ap. Athen. X, p. 437.
XI, p- 465. Callim. ap. Schol. Aristoph. Ran. 218.
— — — — — — — —
409
und Suͤmpfen in Verbindung fteht, und auch Artemis”) den
Beinamen Limnaia hatte. Warum foll nicht auch Tantalos,
wie ſich Hephaftos im Meere bei der Thetis aufhält, als
Sonnengott im Sumpfe ftehen, da die Sonne im Meere un,
tertaucht, und nach den Worftellungen der Alten fich aus
demselben erhebt? Die Aefte mit Früchten aller Art, welche
über ihm fchweben, dürften eine eben fo einfache Sache bes
zeichnen. Der Sonnengott ift °) nicht bloß Beichüger der
Meinreben, fondern Beforderer des Wachsthums überhaupt.
Die Sage ftellte ihn ſelbſt“) ald Gärtner und Pflanzer bar.
Die Garten des Dionyjos find befannt genug. Die Brafio-
ten in Safonien ®) zeigten die Höhle, in welcher Dionyſos ers
zogen wurde, und das Gefilde umher nannten fie den Garten
des Kindes Dionyſos. Meleagros und Bellerophon befigen
Gefilde von Weinreben und Aderland. Die Garten des Al-
kinoos grünen und blühen *) beftandig, wie jene, welche im Ely-
fion ſind *). Lasrtes halt fi) fern vom Gewühle der Men:
hen in feinem Garten auf, und ift mit der Bebauung des—
jelben beſchaͤftigt. Auch die Grotte der Kalypſo ift ”) rings-
um von den herrlichften Gewachfen aller Art und von Wein
Auch in Sparta war der Tempel des Dionyſos Ev Aluvaıs.
Strab. VIII, p. 565. Welder, Nadtr. ©. 188.
50) Pausan. 111, 7, 6. Melder, 1. c.
51) Welder, Nachtr. 186 fg.
52) Welder, ]. c.
55) Pausan. III, 24, 3. Müller, Orchom. ©. 173.
54) Hom. Odyss. VII, 442 sqgq.
55) Pind. frag. thren. ed. Böckh, p. 222 ed. mir.
56) Hom. Odyss. 1, 189 sqgq-
57) Hom, Odyss. V, 65.5qq.
410
reben umgeben, Auf dem Schilde des Achilleus ift nicht bloß
ein Saatfeld, fondern auch ein Rebengefilde.
Auf gleiche Weife ift Tantalos von Fruchtbaumen aller
Art umgeben, welche ihre Aefte über ihm ausbreiten, Als
Gott lebt er von Nektar und Ambrofia, und bedarf weder
des Waſſers des See’s, in welchem er fteht, noch der Früchte
der Baume, in deren Mitte er fich befindet. So wenig Dio-
nyſos etwas von feinen Neben genießt, eben fo wenig nimmt
Tantalos menschliche Nahrung zu fih. Was war nun natür;
licher, als daß man, fobald man ihn als König betrachtete,
erzählte, er habe aus dem oben angeführten Grunde nichts
genießen Tonnen, und feinen Zuftand ale die furchtbarſte
Strafe anſah? Eine Veranlaſſung dieſer Strafe war bei
der Verbindung, in welcher er nach alten Sagen mit den
Goͤttern des Olympos ſtand, leicht auszumitteln. Man
ſagte, er babe die Geheimniſſe der Götter den Menſchen ver;
rathen. Daß diefer Grund eine leere Erfindung ®) fen, hat
Pindaros fehr wohl erkannt. Sobald man aber feinen Auf⸗
enthalt im Hades als Strafe betrachtete, und nicht mehr wußte,
daß Tantalos aus der naͤmlichen Urſache hier verweilt, aus
welcher ſich Dionyſos dort aufhaͤlt, mußte er im Schatten⸗
reiche unter den Aeſten der fruchtbeladenen Baͤume ſtehen.
Daß aber das Reich des Hades an Baͤumen leer und wuſt⸗
voll ift, ward nicht beachtet. Uebrigens brauchen wir nicht
zu erinnern, daß man, um feinem Zuftande das Gepräge
des höchften Elendes zu geben, zwei verfchiedene Sagen mit
einander verfnüpfte, den See, aus welchem die Sonne em;
58) Pind. Olymp. I, 36 or Thiexrſch, 1. e.
411
portaucht, und in welchem fie untergeht, weßhalb Dionyſos
in einem Sumpfe geboren wird, und die Fruchtgärten, in fo
ferne vom Sonnengotte das Gedeihen aller Baumfrüchte
abhangt.
Wir wollen nach) diefen Erörterungen nod) den Zuftand
des Tityos und Prometheus in Kürze betrachten. Von
Tityos fagt Homeros”), daß zwei Geyer ihm die Seiten
umfaßen, und die Leber hadten, unter das Fleifch eindrins
gend, welche er umfonft mit feinen Handen verfcheuchte, weil
er die Leto entehrte, als fie durch Panopeus ſchoͤne Gefilde
nad) Pytho ging. Nach Apollodoros ®) war er ein Sohn
des Zeus und der Clara, welche Zeus aus Furcht vor der
Hera unter der Erde verbarg, nad) der alten Sage‘) aber
ift er ein Sohn der Erde. Nacy einigen erlegten ihn Apol—⸗
lon und Artemis, nad) andern Apollo allein, nach andern
tödtete ihm Zeus mit feinem Blige‘). Er lag im Hades
ausgeftrecdft auf dem Boden, und bedecte neun Hufen. Die
Alten meinten ®), diefe Sage fen von feinem neun Hufen
großen Grabmal, welches Panfanias noch zu Panopeus in
Phofis ſah, entftanden. Nach Homeros *) wohnte er auf
der Inſel Euböa. Welcker betrachtet *) den Tityos „als
59) Hom. Odyss. XI, 576 sqq.
60) Hom, Odyss. I, 4, 1.
61) Hom. Odyss. VII, 524.
652) Pherecyd. frag. ed. Sturz, p. 165. Schol, Ap. Rhod.
I, 764. Heyne, obs. ad Apollod. p. 19.
63) Pausan. X, 4.
64) Hom. Odyss. VII, 323 sqg-
65) Welder, Trilog. ©. 551.
412
Rüftling, welchem die Geyer (die innere Gier felbft) die Leber,
den Sig der Begierde, nagen.“ So fchon dieſe Erklärung
ift, fo fonnen wir doch nicht glauben, daß die Sage von
Tityos diefe Bedeutung gehabt habe, Wir treffen. den Geyer
auch bei Prometheus, welcher durchaus nicht als lüfterner
Menſch dargeftellt wird. Ferner ift diefer Mythos von
Tityos uralt, und dem früheften Alterthume dürfen wir
nicht zumuthen, daß es folche philofophifche Ideen in Bil-
dern ausgedrüdt habe. Wäre derfelbe erft in den Zeiten
des Pindaros oder noch fpater entftanden, dann koͤnnte er
allerdings nicht leicht anders gedeutet werden,
Mir erinnern, daß bei Homeros Apollon und Athena *)
fi in Geftalt von Geyern auf die heilige Buche des Zeus
fegen, und dem Kampfe zufehen. Die Götter nahmen
aber nur die Geftalt derjenigen Thiere an, welche ihnen
heilig waren. Zeus verbindet fidy mit Perfephone in Ge;
ftalt einer Schlange, er naher der Hera in Geftalt eines
Kukkuks; in der Sage von der Leto haben wir die Wachtel,
Soll nun der Geyer (wegen feiner Farbe) nicht Symbol
der Kichtgdtter gewefen feyn, mie der Schwan ? Es iſt
bekannt, daß die verſchiedenen Thiere, welche Goͤttern hei—
lig waren, im Cultus uͤberall mit denſelben in die naͤchſte
Beziehung gebracht wurden. Wir erinnern nur an den
Adler oder Kukkuk auf dem Scepter des Zeus, an den
Pfau der Hera, an den Drachen unter den Fuͤßen der
Pallas, oder an die Eule, welche ihr wegen ihrer feurigen
Augen heilig war. Warum ſoll der Geyer, nachdem Apol⸗
66) Hom, Il. VII, 58 69.
‚al
lon und Athena in Geftalt desfelben auftreten, mit dem
Sonnengotte Tityos auf Eubda nicht in eben fo inniger
Verbindung ftehen, wie der Adler mit Zeus, die Eule mit
Pallas, der Pfau mit Hera? Daß Tityos Sonnengott
war, erfehen wir fchon aus feinem Namen ”), feiner Ab:
fommung und PVermählung. Er it ein Sohn der Erde,
wie Erichtfonios, wie Apollon und Artemis ®). Sein Ba:
ter ift Zeus. Water und Sohn find aus Praͤdikaten eines
und desſelben Weſens entſtanden, wie wir in der Sage
von Helios und Hyperion noch recht deutlich ſehen. Er
vermaͤhlt ſich mit der Leto, wie Zeus, und muß demnach
in der alten Sage in Phokis oder auf Eubda mit dieſer
Goͤttin in eben derſelben Verbindung geſtanden haben, in
welcher wir an andern Orten Zeus und Leto antreffen. Die
Sage meldet ®), daß ihn Rhadamanthys auf Eubda beſucht
babe. In den alten Mythen find nur ſolche Weſen als
Freunde mit einander verknüpft, welche urfprünglich mit ein—
ander verwandt waren. Agamemnon und Kinyras find Gaft-
67) Wir vermuthen namlich, daß bderfelbe mit dem Namen
Titan, welden der Sonnengott tragt (Ovid. Metam. II,
v. 418), eine und diefelbe Wurzel haben möchte. Echwend
nimmt (5.105) eine andere an.
68) Schwend hat in der Alterthumszeitſchrift (1356, S. 947)
nachgewieſen, daß die Namen Leda und Leto fih auf bie
Erde beziehen. Die Sruchtbarfeit der Erde hangt aber
nach den Vorftelungen der Alten von dem Einfluffe der
Sonne und des Mondes ab, weßhalb fo viele Praͤdikate
der Mondgöttin ſich auf das Sproſſen und Gedeihen ber
Gewaͤchſe und Früchte beziehen.
69) Hom. Odyss. VII, 321 sqg.
414
freunde, Menelaos wohnt in Sidon bei Phaidimos, im Aegyp⸗
tifchen Theben bei Polybos. Alle diefe Heroen wurden in
der Urzeit als Götter verehrt, und ficherlich war auch Tityos
von feinem Gaſte Rhadamanthys feiner göttlichen Natur
nad) nicht verfchieden. Sobald man ihn aber als Heros
betrachtete, mußte feine Verbindung mit Leto, welche, wie
wir aus Homeros erfehen, in alten Sagen gefeiert war, als
der größte Frevel erfcheinen, und da man die fombolifche
Bedeutung feines Todes nicht mehr Fannte, fo war es fehr
natürlich, daß ıman Apollon und Artemis, oder Zeus ale
Rächer der Leto auftreten ließ. Aus diefer irrigen Auffafs
fung feines Todes und der Veranlaffung desfelben dürfte man
auch am beiten abnehmen Fünnen, warum man die Geyer,
welche zu ihm in eben fo naher Beziehung ftanden, ale zu
Apollon, nicht mehr auf feine goͤttliche Natur bezog, fondern
diefelben als feine Peiniger darftellte, und fein Leiden in den
Hades verfeßte, wo er fich wahrend der Nacht ald Son—
nengott aufhielt.
Die Feffelung des Prometheus dürfte in der alten Sage
eine eben fo einfache Bedeutung gehabt haben, wie die Strafe
des Tityos. Prometheus ift ”) ein Sohn des Japetos und
der Klymene. Aeſchylos nennt feine Mutter Themis, Apol-
lodoros aber Aſia. Der Name des Vaters bezeichnet ung
ihn ald Sonnengott "). Klymene heißt auch die Gemahlin
70) Hesiod. Theogon. 510. Apollod. I, 2, 5. Aeschyl.
Prometh.
74) Solite ber Name nicht von zenıw abgeleitet, und auf das
Fortwaͤlzen der Sonnenfugel bezogen werden dürfen?
415
des Helios 7), die Tochter der Thetis ?. Warum
fol die Mutter des Prometheus nicht Klymene heißen,
wenn auch die Gemahlin des Helios diefen Namen führt?
Themis und Artemis waren ”), wie MWelder eben fo aus-
führlich, als überzeugend bewies, urfprünglicy eine und dies
felbe Göttin. Prometheus felbft vermaͤhlt fid) mit Afta ”),
oder mit Hefione, oder mit Axiothea *), oder mit Kelano,
der Tochter ”) des Atlas. Afia fcheint ”) urfprünglich mit
Leto ein und dasfelbe Wefen bedeutet zu haben. Die göttliche
Natur der Hefione erhellet nicht bloß aus ihrer Abftammung
von Laomedon, welchen wir bald näher ale Gott kennen ler⸗
nen werden, fondern auch aus ihrer Verbindung mit Telamon
und ihrer Feffelung ”). Der Name Ariothea bedarf Feiner
weitern Erklärung. Iſt Kelano eine Tochter des Arlas und
Schwefter der Kalypfo, fo Fann fie der Heroengeſchichte nicht
72) Ovid. Metam.I, 757. Munck. ad Hyg. fab. 156.
75) Hesiod. Theogon. 351.
74) Ap. Schwend, ©. 260 ffg.
75) Herodot. IV, 45. cf. Creuzer, fragm. Hist. gr.
p- 153 sqq. Hermann ad Hom. Hymn. in Apoll. 250,
p- 25.
76) Schol. Lycophr. 1285.
77) Schol. Lycophr. 132. cf. Apollod. IIT, 40, 4 et Heyne,
observ. p. 273.
78) Schwend, Alterthumszeitfhrift von 1836, &. 479 ffg. und
Andent. ©. 100.
79) Wichtig ift [non ihr Name. Schol. Ap. Rhod. I, 915
fagt: Heriove, 6v sei Hoiava ?xcdhovv. Nun wiffen
wir aber, daß Eetion und Jaſion nur verfhiedene Namen
eines und desfelben Gottes waren,
416
wohl angehören, fondern fie muß, wie ihre Schwefter und
ihr Vater, göttlicher Natur geweſen feyn.
Noch deutlicher tritt Prometheus durch feine Verbindung
mit Hephäftos und Athene ald Gott hervor. Wie Hephäftos,
fo fchlägt auch Prometheus auf des Zeus Haupt bei der Ge
burt der Athena”). Gleich wie den Hephäftos, ergriff auch
den Prometheus Liebe zur Athene, und er fucht ihr, wie jener,
Gewalt anzuthun ). Auch die Verehrung ”) beider trifft
in Athen zufammen, und VBrometheus erfcheint in hoher
Würde. Wie die Mondgottin, die Artemis Pheraͤa, reitend,
mit einer Fackel in der Hand, dargeftellt wurde, fo ift auch
Prometheus 8) Fadelträger, ein Vorzug, welcher nur dem
Sonnengotte zukommt. Im Cultus bat er allerdings eine
untergeordnete Rolle. Allein diefe Erfcheinung erklärt ſich
fehr leicht aus der Veränderung der politifchen Verhältniffe.
Wie Prometheus auf Lemnos bei den Thrafifchen Sintiern“*)
verehrt wurde, fo ward er vielleicht auch in Athen bei den
Thrafifchen Stämmen verehrt, welche ſich im Laufe der Zeir
unter den Soniern allmahlig verloren. Doc) wurde er felbft
in der fpatern Zeit noch auf dem Berge Akakeſion und in Ko:
lonos *) geehrt, und der Fackellauf, welcher ihm in Athen ge
30) Apollod. I, 5, 6.
84) Schol. Ap. Rhod. UI, 12, 49.
82) Schol. Sophoel. Oedip. Colon. 55. Schwend, ©. 175.
85) Eurip. Phoeniss. 1437. Apollon. Athen. ap. Philostr.
V.Soph. H, 20. Welder, Trilog. ©. 120.
34) Welder, Trilog. ©. 261.
85) Welder, ©. 69. Nicht umfonft wird er ein dem Zeus
verwandter Gott genannt. Aeschyl. 29. 37. 92. 119.
Sophocl. Oed. Col. 55.
41%
feiert wurde, fpricht auch für feine göttliche Natur *). Der
Fackellauf in Athen begann von dem Altare des Prometheus”)
in der Afademie oder dem Keramifos vor der Stadt, am
Eingang des Tempels der Athene, und ging nad) der Stadt
zu. An dieſem Altare war auch Hephaͤſtos gebildet, Prome—
theus aber”) mit einem Scepter verfehen, welches Sym—
bol der Herrfchergewalt ift, und nur einem Gotte zufom-
men Fan, Auch dem Hephaftos ”) wurde ein Fackelren—
nen gefeiert, Was foll diefes Facelrennen bedeuten? Wel—
der ®) hat fehr finnvoll bemerkt, daß die Irren der Jo
wahrfcheinlicy durch fchwindelnde Rundetaͤnze im Cultus
verfinnlichr, und fo der Umlauf des Mondes mimijch darz
geftellt wurde. Helios treibt”) nad) Euripides mit fchnel-
len Roffen feinen Feuerball, oder waͤlzt denfelben fort.
Artemis durchftürmt mit der Fackel”) in der Hand die
Lykiſchen Höhen, und der Fadeltanz des Dionyfos *) ıft
86) Menander ap. Lucian. Amor. 45. Welcker, p. 70.
87) Welder, Trilog. S. 120.
88) Pausan. I, 30, 2. Apollod. et Lysimachid. ap. Schol.
Soph. Oed, Col. 55.
89) Herodot. VIII, 98. Xenoph. de rep. Athen. III, 4.
Sehol. Aristoph. ran. 131. Welcker, 121,
90) Trilog. ©. 192.
94) Euripid. Phoeniss. 3. Jocis irnoıcıy eillocwvy Ylöye:
92) Sophoel. Oedip. Tyrann. 207 sqg. z«s re Iuoyogovs
Aorludos alylas, oVy ais Alzeı ögea dıgaseı.
93) Sophoel. Oed. Tyrann. 310 sgq. — zur yovoouiroer re
zırk)020 — nehac9nver, ph£yorr' aykaamı reize. An-
tigon. 41126 sqq. CE d’ uno dılopov recgns crEgoy
Borhalle zur Griechiſchen Gefchichte. 27,
418
bekannt. Soll das Fackelrennen beim Cultus des Hephä-
ſtos und des Prometheus nicht ebenfallde ſymboliſche
Darftellung des Laufes feyn, welchen der Sonnengott
mit feiner Fackel am Himmel vollendet? Wenn derfelbe such
eine andere Bedeutung haben follte, fo nähert fi) doc) Prome- -
theus durch diefe Art feiner Verehrung dem Hephaftos und
Dionyfos fo fehr, dag man noch fehr gut erfennt, daß er
urſpruͤnglich Sonnengott war, wie fie beide es waren,
Nicht bloß in ven bisher berüßrten Sagen erfcheint
Prometheus als Sonnengott, fondern wir lernen ihn aud)
durch feine Eigenschaften, Kunftfertigkeiten und Thaten als
ſolchen kennen. In faft allen Sagen erfcheint er als der
Kluge und Schlaue, und Vindaros und Aeſchylos nehmen
ihn") als Verftand und Klugheit. Iſt nicht Hermes eben;
falls der fchlaue und liftige Gott, welcher fogar den Apol-
fon taufcht? Sieht nicht Helios bis auf die Tiefen des
Meeres, hört und weiß er nicht alles, was gefchieht ?
Warum follte der Sonnengott in der alten Sage nicht
den Namen Prometheus haben, da er zu Korinthos Siſy—
phos oder der Schlaue hieß, und anderwärts *) den Bei-
namen Autolyfos hatte, welcher gewiß den hoͤchſten Grad
von Schlauheit bedeutet? Prometheus bildete nad) der
onwr8 kıyvus, Ev4e Kwovzıgı Niugar oreiyovcı Baz-
zides.
94) Pind. Ol. VII, 80. Aeschyl. Prom. 86. Supplic. 694.
Welder, Trilog. ©. 70. Not.
95) ef. Heyne, excurs. II. ad Aen. II. Nach Strabon (IX,
S. 159) wohnt Autolpfos auf dem Parnaß, wo Dionpfos
und Upollon verehrt wurden.
419
Griechiſchen Sage den Menfhen”). Woraus und wie er
denfelben bildete, brauchen wir hier nicht naher zu unters
fuchen, fondern nur zu erinnern, daß nad) einem Hymnus
des Alfaos, welchen Horatius ”) nachbildete, aud) Hermes
als Bildner der Menfchen erfcheint, und mit Prometheus
audy in diefer Beziehung vollfommen auf derfelben Stufe
fieht. Prometheus ift ”) Feuerfünftler, wie Hephaftos und
Athene, und fpendet Erfindungsgabe "), welche die Licht—
götter. allein gewähren koͤnnen. Wie der Sonnengott nad)
der Griehifhen Sage MWeltbaumeifter und Begründer ge
feßlicher Ordnung ift, fo erfcheint er auch als Künftler.
Die Strafe, welche Prometheus erleidet, foll er ſich durch
die Entwendung des Feuers zugezogen haben.
Es wurde fchon oft bemerft, daß die Griechen lange
Zeit die Sonne für eine feurige Maffe hielten, und daß fie
den Aufgang derfelben durch die Geburt oder die Entführung,
den Untergang oder das Verſchwinden derfelben durch den
Tod verfinnlichten, daß fie aber nicht überall und nicht zu
allen Zeiten für diefelbe Sache dasfelbe Symbol gebrauchten.
Das Erfcheinen der Sterne, welche bei der Nacht leuchten,
96) Eurip. fragm. T. II, p. 496. n. 14. ed. Lips. ef. n. 275.
Piat. Politic. 46. Horat. Od. I. 16, 13 sqq. Ovid.
Metam. I, 79 sqq. cf. I, 364.
97) Horat. Od.1, 40, 3. Er erfheint zwar bier zunächft nur
als Bildner durch Sprade und Ringſchule, aber er hatte
in der alten Sage wohl eine noch ungleich größere Wirk:
famteit.
98) Plat. Politic. p. 274. Welder, Trilog. S. 82.
99) Plat. Phileb. p. 16. c.
27°
420
bei Tag aber unfichtbar find, hat das frühefte Alterthum durch
das Symbol der Entwendung ausgedrüct. Hermes entwen-
der dem Apollon die Rinder, indem er die Sterne am Him—
mel emporführt. Herakles entwendet aus dem näamlichen
Grunde die Rinder des Geryones. So ftiehlt Prometheus
das Feuer aus dem Himmel, indem er das Licht der Sonne,
die feurige Maffe, welche an demfelben leuchtet, zum Vor—
jchein bringt. Er entwendet dasfelbe aus dem Himmel, an
welchem die Sonne leuchtet, und welchem fie deßhalb anzuges
hören fcheint, und in fo ferne man wohl auch glauben mochte,
daß fie zu der Zeit, während welcher fie nicht fichtbar war,
im Himmel verborgen fey, wie die Diosfuren im Grabe
find. Daß Promerheus das Sonnenfeuer bringt, wenn er
felbft Sonnengott ift, darf nicht befremden, Wir haben in
den Sagen über Tantalos, Ixion und Siſyphos gefehen,
daß, fobald man unter den Pradifaten, welche Sonne und
Mond als Götter trugen, fid) befondere Perſonen dachte,
Name und Sache als zwei, obfchon in innigfter Verbindung
ftehende Gegenftande gedacht wurden. Nach Euripides wälzt
Helios) mit feinem Geſpann den Feuerball, und warum
follen wir und wundern, daß Prometheus denfelben aus dem |
Himmel entwendet, da ja, wenn er an demfelben erfcheint,
das Dunkel der Nacht verfchwindet? Die fpätere Zeit hat!
freilich das Feuer des Prometheus als ein materielles be⸗
trachtet, wie man die Rinder des Apollon fuͤr gewoͤhnliche
Kinder hielt, und dasſelbe zunaͤchſt auf die Nothwendigkeit
diefer Goͤttergabe zu den Gefchaften des Lebens bezogen.)
1
— —
—
100) Euripid. Phoeniss. 3.
421
Allein wenn wir bedenken, welches Schiefal die Sagen von
des Hephaͤſtos Herabfallen aus dem Himmel und von dem
Hängen der Hera hatten, wenn wir erwägen, daß Hephaä—
ftos, urfprünglich Sonnengott und deßhalb Schoͤpfer oder
Künftler, wie die Mondgöttin Künftlerin ift, ſchon bei Ho—
meros ald rußiger Schmied in einer ganz nach menſch—
licher Weife eingerichteten Werkftätte arbeitet, fo dür-
fen wir uns nicht wundern, daß die ſchoͤne Erzählung von
dem Feuer-Diebitahle des Hephaͤſtos ein eben fo fonderbares
2008 gehabt bat, wie die Entwendung der Sonnen-Rinder
durch) Hermes, welcher fogar einige derfelben fchlachter!
Schon durch die Hefiodifhe Sangerfchule, welche den My:
thus des Promethens von einer ganz allegorifchen Seite
auffaßte, hat derfelbe eine ganz veränderte Geftalt erhal-
ten), fo dag man, wenn man ihn für fich allein betrach-
101) Sehr fhön fagt in diefer Deziehung Welder (Trilog.
©. 72): „In den Heliodifhen Werken und Tagen kann
man nicht fcherf genug den Kern der Sagen, der alteften
und bedeutendften, die aus Gricchenland überliefert find,
von demjenigen fondern, was der Zufammenfeßung und
Darftelung, fen es der Griechen überkaupt, oder des bic-
dern und frommen Neolifhen Bürgers feldft, von welchem
das Werf verfaßt ift, angehört. Es darf ung nicht ver:
wundern, wenn in feiner Erzählung Dinge in Aufeinan-
berfolge gefeßt find, die der Ausdrud ganz verfchiedener
und unabhängiger Ideen waren, eben fo wenig, wenn es
an Verfnüpfung oder doch an der rechten fehlt, da ſich
überhaupt der fombolifche Ausdrud großer, einfacher Ideen
in einfältiger Volksſprache ältefter Zeit gewöhnlich ver:
wickelt.“
422
tet, und nicht mit ahnlichen Sagen vergleicht, die urjprüng-
liche, einfache Bedeutung desfelben kaum mehr erfennet.
Don dem Sonnengotte geht Glud und Unglüd, Ge—
fundheit und Krankheit aus. Apollon-Paan wird zur Ab:
mehrung der Peſt angerufen, er fendet aber au), wie man
ſchon aus Homeros erfieht, verderbliche Seuchen, welche die
Voͤlker dahinraffen. So erfcheinen mit dem Feuer des Pro>
metheus Mohlthaten aller Art, aber aud Krankheiten "”),
welche bei Nacht und bei Tag, ungerufen, jtilljchweigend die
Menſchen überfallen. Es ließen ſich nod) viele Züge anfüh-
ren, in denen Prometheus als Sonnengott erfcheint, wenn
wir hier feinen Mythos vollftandig oder nur ausführlich be
handeln Fünnten, wenn wir uns hier nicht auf eine Andeutung
der wichtigften Merkmale befchranfen müßten, um die Be-
deutung feiner Strafe in das gehörige Licht ſetzen zu Fonnen.
Nur von feinem Sohne Deufalion muͤſſen wir, che wir
zur Erklärung derfelben übergehen, noch bemerken, daß fein
Schiffen urfprünglich Diefelbe Bedeutung '®) hatte, wie jenes
des Helios, Jaſon oder des Odyſſeus, und daß, wie uns
duͤnkt, erſt die Bootifhe Sängerfchule demfelben jene Wen—
dung gegeben haben dürfte, welche in den Sagen der fpatern
Zeit durchſchimmert. Mie der Name Prometheus ein Prä-
102) Hesiod. &oy. 100.
105) Welder, Kret. Colon. in Theb. ©. 16 und Nachtrag zur
Tril. ©. 317, Not. 281 fagt: „Der Name Deufalion,
welchen Odyſſeus feinem Großvater gibt, iſt bedeutfam;
er geht nämlich auf fein eigenes langes Schiff: Fahren;
denn Deukalos ift derjenige, welcher in die See geht, gleich—
ſam taucht,”
4233
dikat des Sonnengottes war, fo war es auch der Name Deu:
falton “), und aus ber Auffaffung desjelben von dieſer Seite
möchte man am beften erſehen, warum er mit Pyrrha vers
mahlt ii. Pyrrha heißt die Feurige'”), die Mondgöttin,
da ja der Mond nach den Vorftellungen der Alten lautercs
Feuer war "").
Prometheus ift an den Kaufafos gefeffelt '”), weil er
das Feuer aus dem Himmel entwendete. MWenn wir beden-
fen, daß nad) Homeros auch Zeus”) von der Gefahr bedroht
mar, von Pallas und andern Göttern gefeffelt zu werden, jo
dürfen wir wohl nicht zweifeln, daß jene Seffelung des Tita-
nen eine Ahnliche Bedeutung haben müffe, wie die des Zeus,
und daß man erft fpater, als die alten Symbole nicht mehr
verftanden wurden, auf die Behauptung verfiel, die Feffelung
des Prometheus fey eine ihm von Zeus zuerfannte Strafe,
und jener habe fich diefelbe durch den Feuer-Diebftahl zugezo-
gen, welcher doch nur eine mmbolifche Bedeutung hatte.
ann Zeus nicht bligen und nicht Donnern, fo tft er, der Don,
nerfrohe, gefeffelt, bis fich neue Wetterwolfen aus dem Meere
103) Warum foll defhalb der Eonnengott nicht von feinen
Schiffen Deufalton geheißen haben, da er von feinem
Untertauchen im Meere Endymion hieß? (Schwend,
©. 358).
105) Voͤlcker (Mptholog. der Japet. ©. 342) leitet den Namen
richtig von sro ab. Auch im Namen Perfephone haben
wir diefed Wort ald Wurzel. Schwend, ©. 247.-
106) Welder, Zrilog. ©. 281.
107) ef. Aeschyl. Prometh.
108) Hom. 11.1, 397. Welder, Trilog. 147 ffy.
424
am Himmel fammeln. Eine eben fo natürliche Bedeutung
dürfte des Prometheus Seffelung haben. Wir erinnern, daß
der Sonnengott, in fo ferne er fich, bie er wieder am Him-
mel erfcheint, im Orfus aufhält, oder im Grabe befindet, als
abhängig vom Beherrfcher des Schattenreiches erfcheint. Soll
die alte Sage ſich das Unfichtbarfeyn der Sonne während ber
Nacht nicht durch die Annahme zu erflaren gefucht haben, daß
Prometheus, da er bei Tag regelmäßig am Himmel wandelt,
während der Nacht gefefelt fey, und fich nicht zeigen koͤnne?
Sm Often erfcheint er wieder; hier fahrt er hinter den Ber-
gen empor. Dahin feste alfo die Sage nicht bloß den Pal-
laft der Eos, fondern auch den Ort, wo Prometheus ange
bunden ift, bis er wieder am Himmel‘) ſtrahlt. Wie der
Sonnengott mit der Meergottin wegen des Niedertauchens
der Sonne im Meere in der innigften Verbindung fteht, und
fih Hephaftos deßhalb bei der Thetis aufpalt, fo fteht auch
Prometheus zu Dfeanos und den Dfeaniden in eben fo naher
Bezichung. Wäre er nit Sonnengott gewefen, fo fünnte
man ſich diefe Verwandtſchaft nicht leicht auf eine einleuch-
tende Weiſe erflaren. Allein bedenft man, daß Thefeus Sohn
des Aegeus oder Pofeidon ift, daß Helios ſich mit der Toch—
ter der Thetis vermahlt, fo wird man wohl einfehen, war:
109) Hephaftos feifelt ihn als Feuerkünſtler auf Befehl des
Zend, Aus dem Benehmen des Hephaftos aber laßt ſich
die innige VBerwandtfhaft beider noch fehr gut erfennen.
Zeug befiehlt e8, weil er in der heroifchen Zeit, in wel:
cher der Mythus des Prometheus fehon dunkel war, ale
Herrfcher der Götter und Menſchen angefehen ward, welder
feinen Frevel ungeftraft laffen darf.
— — ——— —
| 24
425
um Okeanos und die Ofeaniden in ber Tragoͤdie des Aeſchy—
[08 eine fo große Rolle fpielen.
Michtig ift ''%) in diefer Beziehung die Angabe, daß
Pallas den Prometheus in den Himmel führt. Dionyſos
- führe feine Mutter in denfelben, und Hermes die Verfe-
phone, Wenn der Mond verfchwindet, fo feige die
Sonne empor. Nacd) andern Angaben löfet ihn "') Hera-
kles von feinen Feſſeln, nad) andern '”) wird er nad dem
Willen des Zeus befreiet ü). Es bot fich ſchon vfter die
Bemerkung dar, daß ein Gott, welcher durch Veränderung
der politiſchen Verhaͤltniſſe aus feiner Stelle verdrangt
worden war, durch einen andern ihm verwandten wieber
in und an den Olympos zurückgeführt werden muß. Go
muß Herakles den Thefeus, weldyer mit Perrithoos in den
Hades hinabgeftiegen war, wieder aus demfelben befreien.
In der alten Sage Fehrte Prometheus ficher felbft an
den Olympos zurüd. Sobald man aber fein Gebun-
denfeyn buchftablich nahm, und dasfelbe als Strafe an:
fah, weldye Zeus wegen der Entwendung des Feuers
über ihn verhängte, durfte er nicht eher zurückkehren, als
bis Zeus wieder verfohnt war, und ein Vermittler mußte
ihm wieder zu der vorigen Würde und Beftimmung zurück
bringen, Der Geyer möchte bei Prometheus diefelbe ſym—
110) Fulgent. Mythol. II, 9.
111) Hesiod. Theogon. Aeschyl. Prometh. 512 syq.
412) Lucian. D.D. 4.
115) Rad Apollod. II, 5, 4 erfcheint Herafles als Mit:
wirfer bei der Befreiung, melde nah bes Zeus Wil:
len erfolgt.
426
bolifche Bedeutung haben, welche er in der Sage von Tir
tyos zu haben fcheint.
| . Sinundzwanzigftes Capitel. |
Ueber die Dienfibarkeit Des Herahles und anderer Hersen.
Herafles und viele andere Nerven, welche chedem
Götter geweſen waren, erjcheinen in der Sagengefchichte
in einer fo drückenden Knechtſchaft, daß man gar nicht be>
greifen Fann, wie fo viele Königsfohne, deren Värer mächtige
Herricher genannt werden, und welche es auch waren, eine
fo untergeordnete Rolle jpielen fünnen. Mir lefen nicht, daß
- fie oder ihre Vaͤter durch fremde Eroberer ihrer Macht be>
raubt worden feyen. Durch hiftorifhe Gründe dürften fich
diefe fonderbaren Berhältniffe, Vereinigung der höchften
Macht und Kraft, wie fie Herakles beſitzt, welcher nad) des
Zeus Willen den Völkern gebieten foll, und der druͤckendſten
Knechtfchaft, in welcher er bet Eurpftheus fteht, nicht wohl
ausgleichen laſſen; leichter dürfte dieß auf dem Gebiete der My-
thologie gefchehen. Die Sonne verſchwindet jeden Abend, der
Mond jeden Morgen vom Himmel, und halt ſich im Grabe
oderim Hades')auf. Die regelmafßige Wiederkehr diefer
1) Wir müfen auch hier wieder a) die Sagen der verfchiede:
nen Zeitperioden, und b) der verfchiedenen Drte unter:
fheiden. Wir haben zur Bezeichnung der nämlichen
Sadhe: a) das Grab, b) ben Aufenthalt im Hades ober
ce) bei der Thetis, d) den Aufenthalt in einer Grotte, un-
terirdifchen Behaufung oder, nah der Ausdrucksweiſe ber
heroifchen Zeit, in einem Pallafte.
427
Erſcheinung betrachtete, wie uns dünft, das Alterthum als
Verhaltniß der Abhangigkeit der Sonnen » und Mondgotter
von dem Hades. Perſephone wird deßhalb vom Hades ſelbſt
entführt, der fie ein volles Dritt-Theil des Jahres in feiner Bes
baufung fefthalt. Der Sonnengott °) verläßt nur ungerne
den Himmel, und fo mußte diefe fcheinbare Abhangigkeit der
Sonnen und Mondgötter von dem Gotte der Unterwelt als
eine druͤckende Knechtſchaft angefehen werden, wie fie auch
in vielen Sagen dargeftellt wird.
Demeter ’), Hephaftos, Pofeidon, Apollon und Ares
mußten ein Jahr in dem Dienfte eines irdifchen Mannes
froͤhnen, weil 6 Zeus gebot. Won der Dauer diefer Dienft-
barkeit und der Bedeutung jener des Pofeiden foll fpater ge-
fprochen werden. Wir wollen hier zunachft jene der Deme:
ter, des Hephäftos, Apollon und Ares ins Auge fajfen, und
bemerfen, daß fich aus dem Verlauf diefer Erörterungen wohl
ergeben möchte, daß fie weder auf Befehl des Zeus
dienten, noch bei irdifchen Menſchen fich aufhielten, fondern
dag diefe Angaben Mißverftandniffen ihren Urfprung zu
verdanken hatten. Ueber die Dienftbarfeit der Demeter,
des Ares‘) und Hephäftos find wir nicht näher unter-
richtet, und koͤnnen daher nur die Vermuthung ausdrüden,
dag fie fich wohl auf den Aufenthalt diefer Götter im Hades
3) Hom.1. XVII, 239
3) Panyas. ap. Clem. Alexandr. Protrept. p. 22. Müller,
Dorer I, 437.
4) Sn der angeführten Stelle wird Feineswegs von dem Unge:
mach geiprochen, welches ihm die Aloiden bereiteten. Ueber
die Bedeutung feiner Verhältniffe zu denfelben wollen wir
fpater unfere Vermuthung ausfprecen.
428
bezogen, und ganz diefelbe Bedeutung gehabt habe, wie die
des Apollon, welche wir ganz Tennen, und zunachft erlau-
tern wollen.
Apollon dient dem Admetos, König von Phera in Theſ—
falten’). Die Urfache feiner Knechtfchaft wird verfchieden an-
gegeben. Nach Pherekydes ®) reizte der Gott den Zeus zur
Berhangung diefer ſchweren Strafe dadurd), daß er die Söhne
der bligefehmiedenden Kyklopen todtete. Hierin folgte er dem
Hefiodos, von dem er jedod) darin abwich, daß Heſiodos die
Kyklopen felbft nannte, worin aud) Euripides und Apollodos
ros mit ihm übereinftimmen, Apollon tödtete aber nad)
diefen Schriftftellern die einen oder andern, weil Zeus mit den
Maffen, die ihm die Kyklopen verfertigt, feinen lieben Sohn
Asklepios getüdtet hat’). Nach einer andern Erzählung °)
mußte er defhalb dienen, weil er den Python erlegte.
Wie in vielen andern Fallen die Gründe, welche die
Sage anführt, hoͤchſt ungereimt find, fo auch hier. Der
Tod des Asklepios hatte urfprünglich nur eine fymbolifche
Bedeutung, wie jener der Dioskuren, und kann demnad) au
5) Die Knechtfchaft des Apollon bei Admetos Fennt fehon
Homeros, indem er die TrefflichFeit der Noffe des Eume—
los, eines Sohnes von Admetos, von der Zucht des Apol—
Ion ableitet. Hom. ll. II, 766.
6) Ap. Schol. Euripid. Alkest. 2.
7) Hesiod. ap. Athenagor. Legat. p. 116. Oxf. Pind. Pyth.
111,57. Müller, Prolegom. 500,
3) Die Angabe beruht auf dem Zeugniffe des Delphifhen
Schriftſtellers Anaxandridas ap. Sch. Eurip.l.e, Müller,
Prolegom, ©, 302,
429
den Apollon zu Feiner Rache bewogen haben. Die Erlegung
des Drachen Python betrachten wir ebenfalls nur als ſym—
bolifche Ausdrucksweife einer fehr einfachen Erfcheinung, von
welcher in einer befondern Abhandlung gefprochen werden
fol. Die Urfachen der Knechtihaft, welche die Sage ent:
halt, fallen fomit hinweg.
Ungleicy mehr Gewicht hat Müllers ’) Anficht, welcher
die Urfache derfelben aljo erklärt: Die Knechtſchaft ift Strafe
für Mord. E8 ift ſicher, daß das ganze Recht der Blurfühne
von Delphi ausging, und von hieraus die Nothwendigfeit der
Flucht und der Reinigung beftimmt worden war ").
Nun gehörte zu den Bedingungen der Reinigung und der
Wiederaufnahme in's Vaterland weiland auch die Dienftbar-
feit, wie mehrere Mythen angeben, welche nicht in hiftoris
ſcher Zeit erfunden feyn Tonnen, aus dem einfachen Grunde,
weil in diefer die Dienftbarfeit nie mehr vorkommt. He
rakles Dienftbarfeit wird faft immer von einem Morde und
haufig durch ein Pythiſches Orakel hergeleitet; Kadmos dient,
da er den Drachen erfchlagen, nach Delphifch-Böotifcher Sage
ebenfalls. — Hiernach ift der einfache Sinn des Mythus der:
„Wie nad) der ewigen HEuıc des Zeus Jeder, der Menfchen-
blut vergoffen, aud) wenn mit Recht, doc) das Vater—
land meiden, und den Altären der heimifchen Götter fern
bleiben muß, bis er die Schuld gefühnt hat und gereinigt
worden ift: ſo muß fi) auch der reine Gott Apollon, da er
fih mit dem Blute des Python, eines daͤmoniſchen Weſens,
—
F
9) Proleg. ©. 304,
10) Müller, Dorer I, ©, 332. II, 226,
430
befledt, fo nothwendig und gerecht der Kampf war, den allge-
meinen Öefegen der Flucht, Dienftbarkeit und Sühnung unter;
werfen, und eine Verfinfterung erleiden, damit er wieder als
der reine Gott erſcheine.“
Daß von Delphi das ganze Recht der Blutfühne aus-
ging, wollen wir nicht in Abrede ftellen, daß aber zur Wie—
deraufnahme in's Vaterland, wenn einer dasfelbe wegen einer
Blutihuld hatte verlaffen müffen, ehedem Dienftbarfeit eine
nothwendige Bedingung gewefen fey, Fonnen wir nicht glaus
ben, Wäre dieß der Fall geweſen, fo müßten fich in der
biftorifchen Zeit doc) noch mandye Spuren vorfinden, was
aber, wie Müller felbft bemerkt, keineswegs der Fall iſt, ſo
daß wir ſehr wohl einſehen, es moͤchten die Sagen, welche
aus der Urzeit ſich uͤber Dienſtbarkeit der Heroen erhielten,
wohl eine ſymboliſche Bedeutung haben. Apollon unter⸗
wirft ſich allerdings der Reinigung, welche an ſeinen Cultus
geknuͤpft war, wie denn die Götter überhaupt in dem Mythus
haufig ) als die Begründer derjenigen Gebrauche auftreten,
welche an ihren Dienft gefnüpft waren. Die fchonfte Ver—
anlaffung dazu bot die Sage von der fombolifchen Erler
gung der Kyflopen oder ihrer Söhne oder in Delphi jene
des Python. Der Gott flüchtete fich felbft, wie ein mit
Blutſchuld Beladener, und wie ein folcher nicht eher zuruͤck⸗
fehrte, als bis er gefühnt war, fo Jaßt fich auch der Gott
fühnen, um wieder rein zu werden, Allein fo wenig Dre
fies nach der Ermordung feiner Mutter diente, fo wenig
Aetolos diente, eben fo wenig diente Apollon dem Admetos
44) Creuzer, Symbol. I, 45-
431
wegen der bezeichneten Urfachen, mit denen feine Dienjl-
barkeit nicht in der geringften Beziehung fteht. Die feben
wir in den Homerifchen Gefangen deutlich genug *), wo
von der Knechtſchaft die Rede ift, im welcher Apollon und
Pofeidon bei Laomedon ftehen. Mare ein Mord Urfache
derfelben geweien, jo würde Homeros, welcher alfe Um;
ftande der Art fo ausführlich erzahlt, denfelben nicht uner-
wähnt gelaiien haben. Wir find daher der feften Webers
zeugung, daß die Erlegung des Python durch Apollon und
die Reinigung des Gottes auf die Dienftbarkeit bet Admetos
eben fo wenig Bezug habe, als auf jene bei Laomedon, wel-
chem er und Poſeidon um Kohn als Knechte dienten.
Die Erklärung jener fonderbaren Sage jcheint uns
ganzlid von der Bedeutung des Namens Admetos abzus
bangen. Admetos “), der Unbezwinglicye, war ohne Zwei—
fel, wie Adamaſtos “), ein alter Beiname des Hades ").
Des Admetos Mutter Klymene oder Periklymene ift eben:
falls eine Perſephone ), und es iſt deutlich genug, daß fie
in Pheraͤ als Göttin der Unterwelt") verehrt wurde. Hier
12) Hom. Tl. XXI, 443 sqggq.
13) Müller, Prolegom. ©. 506.
44) Hom.I. IX, 158.
15) Der Hades hatte, wie die Lichtgötter, eine Menge von
euphemiftifhen Vradifaten, welche bei einem Volke jehr
natürlich ericheinen, welches alles Grauenerregende durch
ein gefäliges und beiteres Gewand zu verhüllen fuchte.
416) Müller, Orchom. S. 256. Proleg. ©. 213. Buttmann,
Mothol. II, 216.
17) Die verfhiedenen Namen, Hekate, Klpmene oder Peri:
klymene, Artemis Pheraia und Alkeſtis dürfen uns nicht
432
wurde Hekate als Artemis Pheraa angebetet ®), und fie ift
offenbar, wie Müller richtig bemerkt, diefelbe Göttin, welche
der Alfeftis Brautgemad mit Schlangen füllt "), und von
diefer wahrfcheinlich nicht verfchieden "). Auch Perfephones
befremden. Wir haben verfhiedene Pradifate, welche eine
und diefelbe Göttin wegen der vielen und verſchiedenen
Heußerungen ihrer Wirkffamkeit trug, und wer bedenkt,
wie groß diefelbe bei der Mondgottin Hefate (Hesiod.
Theog. 411 sqq.) war, welche über Himmel, Erde, Meer
und Unterwelt gebot, wird diefe Namen nicht fonderbar
finden, Am Laufe der Zeit aber ward mit jedem Präbi-
Fate. der Begriff eines befondern Wefens verbunden.
Warum follte die Mondgöttin nicht Alfeftig heißen, da fie
fo große Macht ausübet? cf. Schwend, S. 203, wo es
heißt: ‚„„Alfeftis war wohl die mächtige, ftarfe Artemis
Iphigeneia, Iphianaſſa. Hesych. ‘docinm, 7 "Alznerıs.
Iſt diefe Sloffe nicht verdorben (das fcheint fie Feines:
wegs), fo würde fie für Artemis fprehen; denn dieſe
war "docinzm.““
48) Lycophr. Cassand. 4180. Müller, Dorer I, 380, 4,
19) Apollod. 1, 9, 15 angeblich, weil fie ihe nicht opferte,
Allein dieß iſt eine leere Sage. Die Schlangen ftehen mit
der Mondgöttin Alfeftis in eben fo naher Verbindung,
wie mit der Verfephone, welche Schlangengeftalt hat, und
mit welcher fih Zeus in Schlangengeftalt verbindet.
20) Man bedenke, daß Alkeftis mit Sphigeneia gleiche Beden-
tung hat, daß diefe aber nach Hefiodos als Hekate fortlebt
(Paus. 1, 43,1), dab Hekate mit der Perfephone in beftän-
diger Beziehung erfcheint (Hymn. Hom. V, 24 sqgq.),
daß Hefate allein ihr Rufen hört, und fobald Perfephone
aus dem Hades zurüdfehrt, fonleich erfheint, und ihre
433
Brimo, welche mit dem unterirdifchen Hermes”) aus dem
fehr nahe gelegenen Bobeifchen See bervorfteigt, iſt ohne
Zweifel nur ein anderer Name derfelben Göttin. Pheraͤ
it alfo eine Stadt der unterirdifhen Gottheiten ”), und
wenn Apollon dem Admetos dienet, fo dient er, wie aud)
Müller *) bemerkt, dem Hades-Admetos.
Die Dienftbarfeit des Apollon bei Hades oder im
Schattenreiche dürfte fi) doch wohl, wie der Aufenthalt
des Dionyfos und fo vieler andern Götter im Orfus auf
das Verfhwinden der Sonne beziehen, weldye, da fie alle
Tage am Abend vom Himmel binabfinft, und erjt am
Morgen wieder zurückkehrt, bei dem Beherrfcher des un:
fichtbaren Reiches in Abhangigfeit oder Dienftbarfeit zu
ftehen fcheint. Die Diosfuren halten fich auch abmechielnd
am Himmel und unter der Erde”) auf, wie ſchon Homeros
fagt, und wenn die Sage bei ihnen ihr Unfichtbarfenn durch
den Aufenthalt unter der Erde verfinnlicht, warum foll
fie diefelbe Erſcheinung nicht auch bei dem Sonnengotte
durch feinen Aufenthalt unter der Erde oder im Hades
ausgedrüct haben, da man ja aus demfelben Grunde dem
Zeus ein Grab gab”), das wohl nur eine ſymboliſche Be-
Theilnahme bezeigt. Mären beide Göttinen verfeieden
gewefen, wie liege fich diefe Verbindung erfläaren?
21) Propert. II, 2, 64.
22) Müller, Prolegom. 306.
23) Müller, 307.
24) Hom. Odyss. XI, 502.
25) Callimach. hymn. in Jov.6sqq. Die Kreter liefen deß—
balb den Zeus fogar fterben, Eine bieratifche Zeit konnte
Vorhalle zur Griechiſchen Geſchichte. 28
-
434
deutung haben Fonnte, und fich auf fein Verſchwinden am
Himmel bezog, wie das Grab der Helena”) und fo vieler
anderer Goͤttinen?
Eine andere Frage ift es freilih, warum Apollon in
Pheraͤ, nicht im Hades dienet? Wir haben bei den bie
berigen Erörterungen ſchon üfter bemerft, daß mit dem
Eultus der einzelnen Goͤtter auch alle Symbole, welche zu
demfelben gehörten, und die Mythen, welche auf die Macht
und Wirkſamkeit der Götter Bezug hatten, fich verbreite-
ten. So murde die nie gemähete Au”) oder das Him—
melögemwölbe, an welchem die Rinder des Apollon weiden,
d.h. an welchem die Sterne gleich einer großen Heerde den
Mond umgeben, nad) Pieria verfeßt, wo Apollon und die ,
Mufen vorzüglich verehrt wurden. Die Aleifche Flur,
welche weit von der Sterblichen Pfaden entfernt ift, und
urfprünglich diefelbe Bedeutung hatte, wie die nie gemaͤhete
Au der Sonnen-Rinder, ward ebenfalls auf die Erde her-
abgezogen, und wir treffen diefelbe an vielen Orten an,
wo der Dienft des Bellerophon, der Vallas und Ino und
anderer Lichtgotter einheimifh war. In Pylos erfcheint
Hades im Kampfe mit Heralles”), während diefer ihn Doch
ein folhes Loos einem Gotte unmoöglih andichten,
und die fpäfere Zeit hat es nicht erfunden, fondern nur
die ſymboliſche Ausdrudsweife vom Verſchwinden der
Sonne, weil fie fih unter dem Namen Zeus ein Wefen
mit menfchlicher Geftalt dachte, buchſtaͤblich aufgefaßt.
Geſchichte des Troian, Krieges, ©. 118. ef. Pausan. III,
19,9,
27) Hymn. Homer. III, 69 sqq- F
28) Pind. O1. IX, 31 sqgq- et Thierfh,1.c. Nah Paufanias
26
—
435
nach andern uralten Nachrichten “) unten am Thore bei
den Todten durchbohrt. Warum foll die Sage bier ein
Abentheuer, welches der Gott im Orkus beftcht, auf die
Erde an den Ort verfeßt haben, wo Hades verehrt wurde "I,
und in Pheraͤ bet Admetos foll diefes nicht der Fall ſeyn?
Hier wurde der Beherrfcher des Schatrenreiches, wie Mül-
fer erwiefen hat, vorzüglich verehrt. Wo ein Gott befon-
dere Ehren genießt, halt er fih am liebften auf, und wars
um foll num Admetos nicht über Phera gebieten, wo fid)
feit uralten Zeiten *) fein Eultus fand, da auch Apollon
ale mächtiger Herrfcher der Inſel Tenedos ”) erfcheint?
Der Unterfchied zwifchen beiden Göttern ift nur der, daß ſich
Apollon in der fpatern Zeit als Gott erhielt, und deßhalb
(V1, 26) erzahiten die Eleer, daß, als Herakles fein Heer
aegen Pylos führte, Athene ibm als Helferin folgte.
Darum fey au den Ppliern Hades zu Hülfe gekommen,
aus Haf gegen Herafles, und weil er in Polos verehrt
wurde. cf. Hom. I. V, 395 et Schol. Pindaros ver:
bindet mit diefem Kampfe vollfommen richtig auch jenen
des Herakles gegen Hades bei der Entführung des Kerbe-
ros. Die Sage wurde nun wegen der Verehrung, welche
Hades in Pylos genoß, aus dem Schattenreiche bierher
verfeßt.
29) Hom. 1. V, 95. VIII, 366.
30) Nicht umfonft erfheinen im Haufe des Neleus und feiner
Abfümmlinge die Namen Klymenos und Klymene und
ähnliche ſo haufig. cf. Buttmann, Mpthol. II, 216 Not.
51) Sonft fünnte Homeros die herrlichen Nofle des Eumelos
nicht von ber Zucht des Apollon ableiten,
32) Hom. N. I, 38.
25*
436
nicht in die Herrfcherreihe der Inſel verflochten ward, waͤh—
rend Admetos durdy Die vielen Veränderungen und Wander:
rungen, welchen Theſſalien ausgefegt war, in die Reihe
der Heroen herabgedrückt wurde, Herrſchet aber Admetos
nicht im Hades, fondern in Phera ale König, wo foll dann
Apollon ihm dienen, hier oder dort? Jeder unbefangene Lefer
dürfte einfehen, daß bei der veränderten Stellung, welche
Admetos im Laufe der Zeit erhielt, jene alte Sage von der
Dienfibarfeit des Apollon bei ihm nur mehr auf Phera bezo—
gen werden konnte, und eine ziemlich veränderte Geſtalt er-
balten mußte. Warum Apollon die Rinder des Hades weis
det, wollen wir fpater zu erflaren fuchen.
Betrachtet man den Mythus aus diefem Gefi EEE
ſo dürfte man wohl sinfehen, warum Herakles im Haufe des
Admetos eine eben fo richtige Nolle fpielt, wie nach der
Odyſſee und der Ilias im Hades. Er tft eg, welcher die Alfeftis
aus dem Schattenreiche zurüdführt ?), wie Dionyfos die Se
mele, Hermes die Perfephone. Nach andern Erzahlungen
ſchickte ſie Verfephone feibft zurüd. Wie das Hinabfteigen
des Herakles in den Orkus fich auf den Untergang der Sonne
bezieht, fo dürfte wohl auch der Aufenthalt der Alkeftis im
Hades fih auf das Verfhwinden und Unfichtbarfeyn des
Mondes beziehen, und ihre Ruͤckkehr diefelbe Bedeutung has
ben, wie jene der Semele oder der Perſephone. Wegen dies
fes Aufenthaltes im Schattenreiche wurde fie Gemahlin des
Beherrfchers desselben *), wie Perſephone, und wo foll fie
33) Apollodor. I, 9, 15 et Heyn. l.c. Eurip. Alkest. et
Schol. Died. IV, 52. Hyg. fab. 51.
34) Die Verbindung mit Hades zeigt dasfelbe Verhaͤltniß
|
|
|
437
mit ihm wohnen, als an dem Orte, wo er vorzüglich verehrt
wurde, und deßhalb zu verweilen ſchien, in Phera? - Sie
hätte allerdings, nachdem Hades einmal auf die Erde verfegt
war, nicht mehr in denfelben hinabzufteigen Urfache gehabt;
allein da diefes Hinabfteigen in alten Sagen enthalten war,
und der Mythos von Admetos und feinem Verhaͤltniß zu ihr
in der fpatern Zeit nicht mehr verftanden wurde, fo dürfen
wir ung nicht wundern, daß man fich die Urfache ihres Todes
durch ihre zartliche Liebe zu ihrem Gemahl zu erklären fuchte.
Mie ihre Abhangigkeit auf doppelte Weife ausgedrückt ift,
durch ihre Verbindung mit Admetos und ihren Aufenthalt
im Hades, fo ift auch jene des Herakles durch) zwet fcheinbar
verſchiedene Erzahlungen, durch feinen Kampf an den Tho—
ren des Schattenreiches und durch den in Pylos dargeftellt.
Sollte man an der Wahrheit diefer Vermuthung zweifeln,
fo darf man nur ahnliche Sagen damit vergleichen, und be
denken, welches fonderbare Loos diefelben in der fpatern Zeit
hatten, wo fie folche Entſtellungen erlitten, daß ihr Sinn
kaum mehr zu erkennen ift.
Die Zeit der Knechtfchaft des Apollon, welche ein volles
Sahr betrug, darf nicht befremden, Das Fahr, welches der
Mythus hier und bei der Dienftbarfeit des Apollon bei Lao—
medon nennt, ift das große Jahr, weldes aus acht ge
der Abhangigkeit an, nur milder ausgedrüdt, wie die
Dienftvarfeit. Wie Sonne und Mond als Gatte und
Gattin verbunden wurden, weil fie beftandig einander
ablöfen : fo hat man auch den Hades und die Mondgottin,
welche täglich in feine Behaufung hinadfteigt, mit einan-
der verknüpft.
438
wohnlichen befiand »). Diefes achtjahrige Fahr Fommt in
mehreren Mythen *) bald deutlicher, bald verfteter, als |
Apollonifcher Feſt-Cyklus vor, und was war natürlicher,
als daß die Sage die täglid) an jedem Abend wiederkehrende |
Dienftbarkeit des Gottes, fobald man diefelbe nicht mehr vers |
ftand, fo lange dauern ließ, als der Feſt-Cyklus des Apollon |
währt, nach deffen Ablauf wieder eine neue Ordnung der
Dinge beginnt? Helena und Menelaos müffen aus demſel⸗
ben Grunde acht Jahre wandern, und erft im achten Jahre
wird Ddyffeus von der Kalypſo entfendet.
Mie die Dienftbarkeit des Apollon in Theffalien lokal
angewendet, und aus der Unterwelt auf die Erde verfeßt
wurde, jo iſt dieß auch in Troja”) geſchehen. Poſeidon
35) Apoilod, III, 4,2. Müller, Prolegom. ©. 304.
56) Aelian. V. Hist. IH, 1. Plutarch. Quaest, graec. 12. |
Clem. Alex. Strom. J, p. 323. a. Müller !.c. fagt: |
„Es ftammt offenbar von Delpht, wo der Zug des Knaben
nad) Tempe ebenfalls ennaöterifh war. Sonach ift deut:
lich, daß auch der &viavros, von dem Pherekydes fpricht |
(wahrfcheinlich eben fo der bet Homer), fein anderer ift,
ale der Delphiſche.“ Daß diefer Cyklus von Delphi aus:
ging, möchten wir bezweifeln, weil wir ihn ſchon im der
Sage von Minos und vielen andern Mythen, die mit
Delphi in Feiner Berührung ftehen, antreffen. Daß er |
aber im Eultus des Apollon, in fo ferne dieſer ald Son-
nengoft Begründer der Zeitrechnung ift, eine wichtige
Rolle fpielt, unterliegt feinem Zweifel.
37) Wir haben früher den Laomedon (Geſchichte des Troj. |
Krieg. ©. 291) als Herrſcher in der gewöhnlichen Be-
deutung des Wortes genommen, ung aber durch Ber: |
439
fagt bei Homeros”) zum Vhobos: „Denkſt du, wie viel
Böfes wir bereits wegen Ilios erduldeten, als wir, vom Zeus
hingeſchickt, dem ftolzen Laomedon ein vülliges Jahr für
bedungenen Lohn fröhnten, und diefer uns herriſch Befehl
gab? Sch baute die fchone und breite Mauer um die
Stadt Ilios, der Fefte zur undurchdringlichen Schuswehr,
du aber weideteft das ſchwerhinwandelnde Hornvich durd)
die bewaldeten Krümmungen bes vielgewundenen da, Als
nun das Ziel Fam, wo wir den bedungenen Lohn erhalten
follten, eutzog ung der graufame König den fammtlichen
Lohn mit Gewalt, und trieb und mit Drohungen hinweg.
Denn dir drohte er, Hände und Füße zu fefleln, und dic)
in irgend ein fernes Eiland zum Verlaufe zu ſchicken, ja,
er drohte uns beiden die Ohren abzuſchneiden. Alſo ent:
fernten wir uns mit erbitterter Seele von jenem, zürnend,
weil er uns um den verfprochenen Lohn betrogen hat.’
Auch diefe Erzählung erfcheint, befonders die letzte
Halfte, ganz komiſch, und wir werden noch viele ähnliche
anzuführen haben, Eine ruhige und unbefangene Verglei—
Hung derfelben mit ähnlichen dürfte den einleuchtendften
Beweis geben, daß durch die vielfachen WVeranderungen,
durch welche aus der Urzeit das heroifche Zeitalter
der Hellenen hervorging, die Symbole, welche aus jener
in dieſes übergingen, faft ganz vathielhaft für dieſes
gleihung der alten Sagen überzeugt, daß derfelbe eine
ungleich weitere Bedeutung gehabt haben dürfte, ehe er
in die Hervengefchichte eintrat.
58) Hom. H. XXI, 443 sqgq.
440
wurden, und durch die Art und Meife, auf welche fie die
Sänger des Heldenthums bei der Veränderung der An:
fihten und Verhaͤltniſſe behandelten, eine ſolche Form er;
hielten, daß man freilich ihre alte Bedeutung Faum mehr
errathen kann, und diejenigen tadelt“), welche diefelbe,
fo weit es einzelnen Menfchen möglich ift, zu erklären
fuchen. Bevor wir über die Dienftbarfeit des Apollon bet
Laomedon fprechen, müffen wir zuerft einen ihm verwand⸗
ten Namen näher betrachten. Odyſſeus nennt den La o-
damas feinen Gaftfreund auf der Inſel der Phaͤaken “).
Mit jedem andern der Phaͤaken will er gerne den Wett
kampf aufnehmen, nur nicht mit diefem. Denn Laodamas
wäre fein Gaftfreund, und Niemand Fampfte gerne mit
dem Gafte. Faßt man diefe Angabe buchftablicy auf, fo
fieht man nicht ein, wie Odyſſeus den Laodamas feinen
Wirth nennen kann, da er ja von Alkinoos felbft in feinem
39) Freilich erfcheinen die Mythen großartiger und erhabener,
wenn man die tiefften und erhabenften Wahrheiten und
die fchwierigften Probleme der Philofophie in diefelben
hineinträgt. Ob aber die Wiſſenſchaft und beſonders die
Alterthumskunde etwas dabei gewinnt, ob die alten
Griechen, welche Mannert (Geſch. des Alterth. S. 125)
fuͤr ſo roh hielt, daß ſie auf Baͤumen wohnten, und
ſich nicht einmal Feuer ſchlagen konnten, Philoſophen
waren, laſſen wir dahingeſtellt ſeyn. Wir koͤnnen bei
der Ueberzeugung, welche uns eigene Forſchung ver—
ſchaffte, weder das eine, noch das andere glauben, und
Mannerts Anſicht von dem hohen Grade der Rohheit
der alten Griechen durch nichts beſtaͤtigt finden.
40) Hom. Odyss. VIII, 207.
441
Pallaſte bewirthet wird, und von dieſem alle Ehrenbezen>
gungen genießt? Allein fragt man fich um die Bedeutung
diefes Namens, fo dürfte fich der Widerſpruch leicht auflo-
fen. Laodamas heißt der Voͤlkerbezwinger“). Für welchen
Gott war diefer euphemiftifche Name mehr geeignet, als für
den Beherrfcher des Schattenreiches, welcher Zunge und
Alte, Gefunde und Kranke, Reiche und Arme ohne Unter:
ſchied dahinrafft, und von Feinem bezwungen wird, weßhalb
man ihn auch Adamaſtos“) oder Admetos nannte? ft
diefer num der Wirth des Odyſſeus, was foll jein Aufenthalt
bei demfelben wohl bedeuten? Mir vermuthen, daß diefe
Sage dasfelbe verfinnlicht, was eine andere durch fein Hin-
abfteigen in die Unterwelt ausdrüdte, naͤmlich das Ver
ihwinden der Sonne. Wir haben fchon zu viele fprechende
Beweife für die frühere göttliche Bedeutung des Odyſſeus
angeführt, und werden noch mehrere beibringen, als daß wir
nicht die Anficht zu außern wagen follten, daß er bei den
alten Einwohnern Ithaka's derjelbe Gott war, welchen an:
dere Zweige Helios oder. Apollon oder Dionyſos nannten.
Odyſſeus fcheint alfo aus dem namlichen Grunde in des Lao-
41) Die Sage nennt ihn Sohn des Alfinoos. Dater und
Sohn find hier, wie wir vermuthen, jonderbar verbun-
den. Arfprünglih war wohl Laodamas ein Wrädifat,
welches der Sonnengott als Beherrfcher des Schatten-
reiches hatte, worüber auch Dionyfos, Achilleus, Minos
und andere herrfhen. As man aber unter jedem
Namen ſich eine Perſon dachte, fo wurde aus dem
Namen, den der Sonnengott als Richter der Unterwelt
hatte, ein Sohn des Alkinoos.
42) Hom. Il. IX, 458.
442
damas Behaufung zu verweilen, aus welchem ſich Apollon bei
Admetos und Laomedon aufhält.
Daß der Name Laomedon für den Hades fehr geeignet
fen, dürfte Niemand in Abrede ftellen, welcher bedenft, daß
derfelbe auch Polydegmon"”) hieß. Wir wollen zur weitern
Begründung diefer Vermuthung einige Sagen betrachten,
welche viele Zweifel befeitigen: dürften. Seine Gemahlin
nennen”) einige Eurydife, andere Leukippe, Zeurippe oder
Thoofa. Eurydike's Namen haben wir fchon in der Sage
von dem Hinabfteigen des Orpheus in den Hades als Pra:
difat der Mondgottin kennen gelernt ®), Leukippe ift die mit
weißen Rojfen am Himmel fahrende Göttin, welche auch
Hippia”) genannt wurde, und Zeurippe bezieht fi) wohl
auf das Anfchirren der Roſſe. Diefer Name darf nicht be:
fremden, da die Mondgortin auch Hippodameia hieß, da der
Sonnengott den Beinamen Hippolytos und die Mondgottin
12b) Hymn. Hom. V, 31.
45) Hom. 11. XX, 257 et Schol. Schol. 11. IL, 250. Apol-
lod. III, 12, 3. Heyn. observ. p. 299. Schol. Lye. 18.
41) Man kann diefen Kamen der Mondgöttin eben jo wohl
auf die Begründung und Aufrehthaltung geſetzlicher
Srdnung auf der Erde, als auf ihr NRichteramt im
Hades beziehen. Denn dag auch Demeter und Perfe:
phone über den Hades gebieten, brauden wir nicht zu
beweifen ; dieß ift allgemein bekannt.
45) Shwend, ©. 225. Artemis warb als inaie und bei
den Vheneaten, welche fie Tochter der Demefer nann-
ten, als Eurippe verehrt. Pausan. VII, 44, 4.
443
die Beinamen Hippolyte“) und Lyfippe ”) führte, Die Bes
deutung des Namens Thoofa wollen wir fpater zu erklären
juchen, und hier nur bemerken, daß auc die Mutter des
Polyphemos denfelben führt, der urfprünglic) Fein Ungeheuer
war, ſondern dasjelbe MWefen bezeichnete, das an andern
Orten Helios hieß, Wie alfo der Gott des Schattenreiches
mit der Mondgottin vermahlt ift, wie der Name der Ge:
mahlin des Admetos urfprünglich nur ein Prädikat derfelben
Göttin war, fo waren auch die Namen Eurydife, Leufippe
oder Zeurippe Pradifate der Mondgottin, welche allmaplig
zu befondern Weſen umgebildet wurden, Wenn andere feine
Gemahlin Plafia nennen, fo wird dadurch unsere Vermu—
thung nicht umgeftoßen 5) Denn Plalia iſt eine Tochter des
Leukippos "”), deffen Name den Sonnengott fo genau bezeic)-
net”), wie Leufippe die Mondgoͤttin. Water und Tochter
bezeichnen ficherlich auch hier Sonne und Mond, wie Helios
und feine Tochter Eleftryone?!), Stiymo, des Skamandros
Tochter ?), bezieht fich, wie Ihoofa, auf das Waſſer. Thooſa
16) Schwend 1. c.
a7) Mit Enfippe verbindet ſich deßhalb (Apollod. IH, il, 5)
Herakleg, und eine der Züchter des Prötos, welche aus Pra-
difaten der Mondgöttin entftanden, tragt denfelben Namen.
45) Wie viele Gemahlinen hat Zeus, welche früher nur ver:
fhiedene Namen eines und desfelben Wefens waren!
49) Apollod. Il, 12, 3. Wenn fie Andere Tochter des
Atreus nennen, fo haben wir nur einen andern
Namen für diefelbe Sache,
50) Schwend, ©. 194.
51) Hefiter, Rhod. Goͤtterdienſte, III, 82.
52) Man vergeffe nicht, daß der Skamandros den hierati-
444
iſt Meergoͤttin, und Strymo erinnert unmwillfürlich an den
Namen des Strymon?), welcher Fluß überhaupt bedeutet.
Helios ift mit einer Tochter der Thetis vermaͤhlt, und Arte
mis ftand mit dem Alpheios in einer fehr nahen Beziehung.
Zeug felber vermählt fich mit Aegina, der Tochter des Aſopos.
Warum foll Laomedon nicht mit der Strymo vermaͤhlt ſeyn,
da dieſer Name urſpruͤuglich ein Beiwort der Mondgoͤttin war,
das fie als Beherrfcherin der Flüffe und des Meeres trug,
wie Artemis aus diefem Grunde Alpheiaia ”) genannt wurde?
Die Kinder des Laomedon dürften einen neuen Beweis
für unfere Anficht geben. Seine Söhne heißen Tithonos,
Lampon, Klytios, Hiketaon, Vodarkes, Hefione, Kilte,
Aſtyoche, Anthylla und Medefikafte. Der erjte feiner Söhne,
Tithonos, ermeifer fi) nicht bloß durch feinen Namen”),
fondern aud) durch die Verbindung mir Eos und feine Un-
fterblichfeit als ein Mefen mit Titan, und wie diefer fpäter
als eine von Helios verfchiedene Perſon aufgefaßt wurde,
fo erging es auch dem Tithonos”). Lampon, der Leuch-
tende, bedarf eben jo wenig einer Erklärung, als das ge-
feierte Prädikat des Apollon und Zeus, Lykaios oder Ly⸗
tifhen Namen Kanthus führte, welchen auch Apolon
hatte. Schwend, ©, 90.
55) Schwenck, ]. e.
54) Pausan. VI, 22, 10. Daß Titan urfprünglid nur ein
Pradifat des Sonnengottes war, Tann man fchon aus
dem Umftande abnnehmen, daß auch die Mondgöttin (Ovid.
Metam. III, 173) Zitania hieß.
55) Der Vater des Memnon war doch wohl Sonnengott.
56) Als man ihn als Heros betrachtete, Fonnte man fich bei
445
faon”). Die Namen Klytios’) und Hiketaon“) find uns
bei dem Mangel an Hülfsmitteln dunfel geblieben. Po—
darfes war vielleicht, wie Didipus”), ein Pradifat des
Sonnengottes, welchen die Alten fowohl ſtarkfuͤßig,
als auch ſchnellfuͤßig nannten‘),
Unter den Töchtern verdient vorzüglich Heſione eine
ganz befondere Aufmerkſamkeit. Hefione heißt bald”) des
57)
59)
60)
ihm eben fo wenig den Grund feiner Unfterblichfeit er-
Elären, als bei Veleus. Daher entftand die Gage, er
habe diefelbe durch die Pitten der Eos erlangt. Der
menfchlibe Korper nimmt mit den Jahren ab, und ſchrum—
vfet zufammen. Diefe Erfoeinung wurde benüßt, um zu
erklären, warum Eos den Tithonos im innerften Theile
‚Ihres Gemaches verfälof. Er rubte dort bei der Eos,
wie Helios in feinem Pallaſte, bis er wieder am Himmel
emporfährt. Die Sage, welche den Zithonoe als Men:
fhen faßte, Fonnte nicht erflären, warum er im Pallaſte
der Eos (bei der Nacht) verfchloffen iſt. Daher feßte fie
bei, die Göttin habe ihn verborgen, weil er gänzlich zu—
ammengefhrumpft ware.
Schwend, ©. 40.
58) Dürften wir eine Vermuthung wagen, fo würden wir
bemerken, dag Klytios vieleiht mit Klymenos von der:
felben Wurzel ſtammt, und, wie diefer Name, ein Prä-
dikat des Beherrfchers der Unterwelt war.
Sollte fih Hiketaon nicht auf die Schußflehenden beziehen,
deren Vorſteher und Helfer der Sonuengott war?
Damm. ın Lexic. s. h. v.
61) Wir werden dieß Prädikat jpater näher befprechen.
62) Völker, Mythol. der Japet. ©. 74.
446
Dfeanos, bald des Danaos®), bald des Laomedon Tochter,
Sie fieht immer entweder durch Gefchichte oder Abftam-
mung mit dem Meere und der See in Beziehung, und es
ift wohl kaum“) zu zweifeln, daß fie ein weiblicher Aegia—
leus war”). Ob die Mondgdttin diefen Namen von
dem Untertauchen im Meere, wie Sno®), empfangen
babe, oder ob fich derfelbe auf ihren Einfluß auf diefes
Element bezieht”), laſſen wir dahingeftellt feyn. Ihr
Schickſal ift befannt. Sie ftand in Gefahr, von einem
See- Ungeheuer verschlungen zu werden, wurde aber von
Herakles errettet). Jenes Sees Ungeheuer ſchickte Po—
jeidon dem Laomedon zur Nache wegen der erlittenen
Kranfung.
Mir haben fchon früher vermuthet®), daß diefes
Ketos ein Damon gewefen ſey, welchem Menfchen ge
opfert wurden, und tragen gegenwartig kein Bedenken, die
Vermuthung auszufprechen, dag cd aus einem Praͤdikate
der Mondgöttin Hefione fpater zu einen befondern Weſen
65) Schol. Ap. Rhod. I, 250. cf; Apollod. I, 5, 9 et
Heyn.
64) Hefiod (Theog. 255) nennt auch eine Nereide Eione.
65) Schwend, ©. 185 und 327 fo.
66) Heffter, Rhod. Gött. III, 65 not. 10 fagt: „Ivo von
tvco, ich trinke, eigentlich die Goͤttin des Trunkes, daher
die Göttin des Waſſers.“ Mir beziehen den Namen auf
ihr Unterfauchen im Meere,
67) Hesiod, Theog. 414 sqgq., mo die Mondgöttin ald Ge—
bieterin über das Meer erſcheint.
68) Geſchichte des Troj. Krieges, ©. 45.
69) 1. e. ©, 50,
447
umgebildet wurde, daß alfo die Menfchenopfer der Hefione
felbft entrichtet wurden. Die Gründe, welche. uns diefelbe
wahrfcheinlih machen, find folgende: die Götter erfcheis
nen in den alten Sagen fehr häufig ") als Begründer der-
jenigen Opfer und Gebräuche, welche mit ihrem Cultus
verbunden waren. Kronos 7) verſchlingt feine eigenen
Kinder, und Medeia todtet die ihrigen. Heſione iſt felbft
eines der Schlachtopfer, welche dem Ungeheuer dargebracht
wurden, und warum follte fie in der fpätern Sage nicht
als folches erfcheinen, nachdem fie von dem Ketos getrennt
und beide Namen als zwei verfchiedene Gegenftande, und
fie als die Tochter eines fterblichen Königs betrachtet
worden war? Die Sage bielt an dem Ketos feft, und
Heftone trat ganz in den Hintergrund. Wir haben fchon
erinnert, daß die Gorgonen durch irrige Auffaffung der
über fie erhaltenen Mythen zu Ungeheuern und wahren
Schreebildern wurden. Sollte die Hefione oder das Ketos,
welches nun als befonderes Mefen aufgefaßt wurde, nicht
ebenfalls für ein Ungeheuer gelten, da man au die ur-
fprüngliche Bedeutung desselben, namlich an den aus dem
Meer emporfteigenden und in demfelben untergehenden Mond
nicht mehr dachte, fondern ſich daselbe wegen der Men-
fhenopfer und wegen der Anficht, daß Pofeidon es zur
Strafe gefhidt, als ein gewöhnliches See- Thier von un-
70) Creuzer, Symb. I, 15-
71) Die Menfchenopfer, welche dem Stiergotte auf Kreta
dargebraht wurden, find befannt. Kronos war urfprung-
lich nur eines der vielen Präadifate, welche derfelbe trug.
448
geheurer Größe und von wüthender Gefraͤßigkeit oder wohl
gar als einen furchtbaren Seekoͤnig“) vorftellte? Daß
der aus dem Meere emporfieigende Mond ſymboliſch
mit einem aus den Fluthen emportauchenden Seethiere vers
glihen, oder mit dem Namen desfelben benannt wurde,
läßt ſich aus der Anſchauungsweiſe der Urzeit fehr wohl
erflären, und wir koͤnnen auch befiimmte Angaben zur
Belräftigung diefer Anficht hier beibringen. Die Mutter
der Gorgonen, der Mondgdttin Medufa und ihrer Schwer:
fiern, heißt Keto”). Esift befannt, daß Mutter und
Tochter in der alten Mythologie nur verſchiedene Namen
für ein und dasjelbe Mefen waren. Das Naͤmliche gilt
von den Namen, welde Vater und Sohn tragen. Das
einleuchtendfte Beifpiel dürften die Namen Helios und Hy-
perion geben, Wenn nun die Medufa Keto hieß, und die
Sage bei der Verknüpfung der einzelnen Namen die Keto
zur Mutter der Medufa madıte, warum foll nicht auch
Hefione jenes Prädikat aus dem namlichen Grunde getra-
gen haben? Kallifto ift allgemein als Mondgöttin aner-
kannt“), wie ihr Vater Lykaon als der Arkadifche Licht-
gott”), Wenn aber Pherekydes venfelben ®) Keteus
nennt, follen wir unter diefem Namen uns einen Arkadi—
ſchen König oder follen wir uns unter demfelben nur ein
Pradifar des Sonnengottes vorftellen, welches fpäter als
72) Eudofia et Suid. s. v. z7jroc.
75) Welder, Trilog. ©. 383.
74) Pausan. I,29, 2. VIII, 35, 8. Müller, Prolegom. ©. 244.
75) Schwenck, ©. 40.
76) Ap. Apollod. 111, 8, 2. Welder, 1. c.
449
ein befonderes Weſen betrachtet wurde? Sonne und Mond
ftehen nad) den Vorftellungen der Alten in ciner zu nahen
Beziehung zu dent Meere, als daß fie das Prädikat Ketos
oder Keteus’und Keto nicht hätten tragen follen, Nach der
Sage tödtet Heralles diefes Ketos”), und führt die Her
fione ald Öefangene fort, und gibt fie feinem Freunde Te;
lamon. Wenn Herakles das Ketos tödtet, fo thut e! das-
felbe, was Perfeus thut oder Bellerophontes, wenn er die
Chimaira erlegt., Er führt den Mond vom Himmel hinab,
bewirkt, daß derfelbe erblaßt und ftirbt ober verſchwindet,
wenn er, der Sonnengott, am Himmel erfcheint. Daß
der Name der Hefione auf der Inſel Salamis fo einhei-
mifh war, wie tn Troja, darf nicht befremden, Wir er-
innern'nur, daß Teufros”) der Stammpvater der Bewohner
Troja's heißt: Teukros heißt aber auch ein Sohn des Tes
lamon >), welcher in der alten Sage auf der Inſel Sa—
77) Sefchichte des Troj. Krieges, ©. 45.
78) Zeufros hat fein Dafenn einem Pradifate des Sonnen:
gottes zu verdanfen. Was dasfelbe urfprünglich be=
deutete, Eönnen wir nicht entziffern. Seine Wanderun:
sen, auf denen er, wie Ddvffeus, auch nah Spa:
nien (Justin. 44, 5) gelangt, haben diefelbe Bedeutung,
welche die des Apollon oder Herakles haben, Spanien
bezeichnet den weftlichften Punkt, Kypros den ditlichften,
und da Menelaog und fo viele andere ihm verwandte Wefen,
ſelbſt Pallas (Odyss. I, 184 sqgq- et Nitzſch) die Inſel be
fuhen, fo fieht man leicht ein, warum fein Name auf
derfelben einheimifch war.
78b) Den Namen Zelamon hat (S. 185) Schwend fehr
fhön erklärt, Der Sonnengott wird mit vollem Rechte der
Vorhalle zur Griehifhen Geſchichte. 29
450
lamis Fein trdifcher König, fondern, wie der Name feines
Sohnes Ajas, Pradifat des’ Sonnengottes ?) war.
Nach diefen Erdrterungen dürfte es möglich ſeyn, das
Verhaͤltniß des Apollon, Vofeidon, Herakles und Aeakos
zum Saomedon zu beftimmen. Laomedon war ein Pradi-
fat des Hades. Er ward unter demfelben in Troja ver;
ehrt, wie er in Phera Admetos hieß. Mo ein Gott vor
züglich verehrt wird, da hält er fih am liebften auf. Die
Dienftbarkeit des Apollon wurde alfo nach der Trojanis
[hen Sage nicht in den Hades, fondern nad) Troja ver-
feßt. Aus demfelben Grunde, aus welchem Apollon mit
ihm in Verbindung fteht, ‚werden auch Herakles und Xea-
kos, welche früher zwei Praͤdikate des Sonnengottes waren,
und als Sonnengoͤtter in den Hades hinabfteigen, mit
ihm in Beröhrung gebracht. Der Sonnengott ift Städte
gründer. Daher bauet Aeafos®) mit Apolfon die Mauern
von Troja. Herakles halt ſich auch im Haufe des Ad»
metos auf, und dient nad) andern Lokalſagen andern Her
roen, welche ehedem Pradifate des Hades waren. Wie
Bielausdauernde genannt, wie auch Odyſſeus ein großer
Dulbder ift, Daß herrſchende Gefchlechter und Voͤlker fih
nah Göttern benannten, fehen wir bei den Eleern ei
vielen andern Zweigen der Hellenen.
79) Schwend, 179. Ajas ift mit Glaufe vermählt. Sit diefe
wohl urfprünglih von der yAevzanıs "AImva verfchieden
gewefen? Wenn des Ajas Namen vom Wafler und den
Wogen entlehnt ift, fo bedenfe man mur, daß der Son-
nengott nach der alten Sage auch uͤber das Meer gebietet.
80) Pind. Ol. VIII, a1 sqg.
451
er mit Hades im Schattenreihe‘) Fampft, fo ftreitet
er auch mit Laomedon in Troja. Die Urfache diejes
Streites ift nach) dem Mythos das Benehmen des Laome⸗
don, weldyer dem Herakles den Lohn für die Erlegung des
Seeungeheuers vorenthält. Sobald man die Dienftbarfeit
der genannten Götter, welche mit Laomedon in Verbindung
fiehen, als eine gewöhnliche Frofnarbeit betrachtete, mußte
allerdings der Glaube entftehen, daß fie nur um Kohn
derfelben ſich unterzogen hätten. Allein Apollon, Aeakos
und Herakles dienten nicht um Lohn, ihre Abhangigkeit von
Laomedon hat eine fombolifhe Bedeutung. Hades heißt ın
der alten Sage hart und unerbittlich, Auch den Laomedon
‚nennt Homeros *) aus demjelben®runde den ftolzen und
graufamen Gebieter. Da von einem Lohne in dem
Mythus der drei genannten Götter Feine Meldung geſchah,
und die Bedeutung ihrer Abhangigkeit von demſelben nicht
mehr verftanden wurde, fo mußte freilich die Sage erzäh-
len, Laomedon babe fie um den Lohn betrogen, und ihn
als einen treulofen *) Menfchen darftellen. Die Bedeutung
des Ketos ward auch räthfelhaft, und auf das Verhaͤltniß
desfelben zur Hefione und die fombolifche Bedeutung der
81) Hom. Il, V, 395. VIII, 566.
82) Hom. Il. XXT, 445 sqggq.
83) Die Angabe, dag er dem Apollon und Pofeidon fogar das
Abfhneiden der Dhren angedroht habe, möchte zur
Genüge bemweifen, daß die finnvolle Erzählung von Lao—
medons Herrſchaft über Apollon ſchon in den Zeiten des
Homeros nicht mehr verftanden, und Laomedon als Menſch
betrachtet wurde.
29*
452
Erlegung diefes Ungeheuers durch Herakles ward keine Rüd-
ficht mehr genommen, So erfchten Laomedon auch) gegen
Herakles undankbar und ungerecht‘), und dieſe Anficht
wurde Durch den Kampf, welchen diefer mit ihm befteht ®),
noch beftarft, da man denfelben als eine Folge der unge
rechten Handlungsweiſe des Laomedon betrachtete. Die
ſchoͤnen Roffe, welche Laomedon befigt, hat auch Hades”).
Sie bringen die Perfephone an den Olympos zurüd. Sie
gehören dem Sonnengott und der Mondgöttin, welche
auf dem von denfelben gezogenen Magen in die Tiefen des
Meeres untertauchen. Die. Roffe des Laomedon fiammen
deßhalb ) von Zeus, umd wie fie diefer hat, um feine
84) In der alten ſymboliſchen Ausdrucksweiſe Eonnte Herafleg,
welder den Mond binabführt, oder das zrrzos tödtet,
feinen Lohn erhalten, und von Anſpruͤchen auf Dankbar—
feit auch gar Feine Meldung gefdehen.
Später hat man an diefen Kampf des Herakles und Lao—
medon ein hiftorifches Greignig, die Niederlaffung der
Delasger im Trojaniſchen Reiche, geknuͤpft, und den
Herakles die Stadt Troja verwuͤſten laſſen, welche die
Pelasger, die ihn verehrten, verwuͤſtet haben. Es wur—
den im Alterthume viele Thaten, welche von Voͤlkern
verrichtet wurden, auf die zu Heroen herabgeſunkenen
Götter übergetragen.
36) Hymn. Hom. V, 19, 376 sqq. führt Hermes die Perſephone
aufdem goldenen Gefhirr des Hades zuruͤck. Warum follte
das Gefchirr des Hades, in deffen Behaufung alles wuft-
voll ift, golden heißen, wenn dasfelbe nicht dem Eonnen=
gotte, der bei ihn vermweilet, und der Mondgöttin eigen:
thuͤmlich zugehörte ?
87) Hom. (Il. V, 651) fagt ausdrüdlih, daß die Roſſe des.
35
—
453
Fahrt am Himmel zu vollenden, fo befißt fie auch Herakles,
der Sohn des Zeus. Der Gott der Schattenmwelt verwei-
gert ihm diefelben, indem er ihn feſthaͤlt, und die Nacht hin—
durch in feiner Behaufung zu verweilen”) zwingt; erft am
Morgen führt Herakles mit denfelben wieder am Himmel
empor. Sobald man dieje ſymboliſchen Ausdrucksweiſen
buchſtaͤblich nahm, mußte freilich der Streit des Herakles
mit Laomedon eine fonderbare Geftalt gewinnen, und das
Sefpann von Herakles dem Laomedon mit Gewalt abgenom-
men werden.
Die Kinder des Laomedon, Söhne und Tochter, find
aus Pradifaten des Sonnengottes und der Mondgöttin ent:
fianden. Die Verbindung, in welder fie mit Laomedon
erfcheinen, dürfte fid) nach den bisherigen Unterfuchungen,
wie die Vermählung des Hades mit Verfephone, aus dem
Aufenthalte der Lichtgötter in der Unterwelt, im welche fie
binabfteigen, und aus der fie fich wieder erheben, vollfom:
men befriedigend erklären lafjen. Dunkel ift die Bedeutung
der Dienftbarkeit , in welcher Pojeidon bei Xaomedon in der
angeführten Erzählung dargeftellt wird. Was bedeutet die
Abhängigkeit des Meergottes von dem Beherrfcher des
Schattenreichs? Wir koͤnnen über diefes Verhältnig nur
eine Vermuthung außern. Es ift befannt, dag die Mond»
Kaomedon bie Urſache waren, warum Herafles nach dem
fernen Troja fam.
83) Die Zeit des Aufenthaltes Fonnte bei der buchftäblichen
Auffafung des Mypthus fpater nicht mehr berüdjichtigt
werden. 3
*
454 .
göttin Medufa‘”) und ihre Schweftern Tochter des Phorkos
find. Der Name Phorkos findet feine Erklärung in dem
lateinifchen Worte Orfus”). Nach der Bedeutung desfelben
ware alfo Phorfos Gott der Unterwelt. Wenn Euphorion *)
die Eumeniden Enfelinen des Phorkys nennt, und die un:
terirdifehen Sirenen von Sophofles Töchter des Phorkos
genannt werden”), jo koͤnnen diefe Angaben nur zur Vers
ftärfung der eben ausgefprochenen Bedeutung diefes rathfel-
haften Weſens beitragen. Allein Homeros”) nennt ihn
Vater der Thoofa und Beherrfcher de 8 veroͤdeten Meeres.
Wie fönnen nun diefe verfchiedenen Wirkungskreiſe neben
einander erwahnt werden? Welcker's *) Erklärung, welcher
den Phorfos ale Symbol der dvunflen Meeresabgründe
betrachtet, dürfte diefen fcheinbaren Widerſpruch am beften
89) Pind. Pyth. XII, 24. Apollod. I, 2, 6. Pausan. II,
21,6. cf. Theogon. 258, 270, wo er Phorfys heißt. In der
Slias (XVII, 3512) heißt Phorkys der Sohn des Phänops.
Hier ift durch ungefchickte Verknuͤpfung der Namen der
Sonnengott zum Vater des Hades geworden, wahrend
fonft, 3. ®. in der Sage von Laomedon, der Sonnen:
gott als Sohn des Gebieterd der Unterwelt genannt
wird.
90) Müller, Orhom. ©. 155 Not. 5. Welder Trilog. ©.
385 Mot. 651. Phanokles (v. 19) hat die alte Form
felbit für Hades aufgenommen, wenn er von der Laute
des Orpheus ſagt: Pooxov oruyrov Ensıdev Üdwp.
91) Fragm. 52. Welder, 1. e.
92) Welder, 1. c-
93) Odyss. I, 72.
94) Trilog. ©. 383.
455
löfen. Nach den Vorſtellungen der Alten ®) gibt es unter
der Erde Höhlen, in weldye ſich das Regen- und Mecrwaffer
fammelt. Im Orkus felbft haben wir den Styr. Alle
Flüffe und Gewaffer, fo wie die Gottheiten derfelben, ftehen
unter den Befehlen des Pofeidon. Allein nach einer andern
Borftellung gehört alles, was unter der Erde ift, dem
Hades. Sollte es ſich hieraus nicht erflaren, wie Phorkos
welchen die gewichtvollſten Zeugniffe mit Hades auf gleiche
Stufe flellen, zum Beherrjcher der unterirdiſchen Gewaͤſſer
und fodann auch zum DBeherricher des Meeres überhaupt
wurde? Sollte fich hieraus nicht die Abhangigkeit des
Pofeidon erklären, welcher, als allgemeiner Beherrſcher
des Waſſers auch über die unterirdifchen Gewaͤſſer und den
Styr gebietet, aber hier nicht ald unmittelbarer, fondern
nur als mittelbarer Herrfcyer betrachtet werden Fonnte ?
Diefe Vermuthung dürfte durch) die Angabe des Pindaros *),
dag Pofeidon und Habes dem Beherricher Neleus in feinem
Kampfe mit Herakles beiftanden, noch größere Wahrfcheinlichkeit
gewinnen, Meleus ift Hades, der unbarmherzige Gott”).
95) Ovid. Metamorph. I, 284.
96) Pind. Ol. IX, 31 sqq- et Thiersch, 1. c.
97) Nnkens- vn-, &heos- ohne Mitleid, unbarmherzig. Der
Hades ift derjenige Gott, welcher nah den Vorftelungen
der Alten Feine Barmherzigkeit Eennt. Die Härte des
Neleus ift befannt. Hom. Odyss. (XV, 228 sq.) Wenn
einige feinen Vater Pofeidon nennen, fo ift dieß eine
ähnliche Verwechslung, wie wir fie in der Sage, welche
den Phorkys zum Sohne des Phaͤnops macht, wahr:
nehmen.
456
Sein Sohn Neftor war urfprünglich, wie. Nereus, Gott
der ftillen, von keinem Winde bewegten Gemäffer ®).
Diefem Neleus ftehen Hades und Pofeidon zu gleicher Zeit
in jeinem Kampfe gegen Herakles bei. Wie fonnten Pofei-
don und Hades mit einander in einer folden Verbindung
erfcheinen, wie koͤnnte Neleus Vater des Neftor heißen, wenn
Hades und Pofeidon nicht aus dem angeführten Grunde in
Beziehung zu einander gebracht worden waren? Warum
opfert Neftor dem Poſeidon“) fchwarze Stiere? Schwarze
Dpferthiere gehörten, fo viel wir wiffen, für die Erde und
die Götter des Schattenreiches. Dürfte fich nicht aus diefem
Dpfer ergeben, daß Neleus in Pylos ehedem denfelben
Wirkungskreis hatte, wie Phorkys? Später erkannte man,
95) Welder leitet den Namen Neſtor von »7- foros ab,
worin wir ihm vollfommen beiftimmen (Nachtrag, ©.
216 Not. 107.) Der Flußname Iſtros allein würde diefe
Ableitung fhon über allen Zweifel erheben, wenn fich
zur NMechtfertigung derfelben auch fein anderer Grund
anführen liege. Als Meergott ift Neftor, wie Nereus,
ein Greis und ungemein ftark, weil dem Waffer nichts
zu widerftehen vermag. Die Meergötter haben prophe-
tifhen Geift. Diefer Umftand und das Alter des Neftor,
welches eine ſymboliſche Bedeutung hatte, machten ihn
zum weifeften Manne vor Troja; er mußte als folder
betrachtet werden, fobald man ihn als Menfchen auf-
faßte. Dann mußte freilich fein hobes Alter auch durch
die Sage erflärt werden , daß er mehrere Menfcenalter
gelebt habe.
99) Hom. (Odyss. III, 6) fagt, daß er dem Pofeidon ganz
ſchwarze Stiere opferte,
457
als man das Praͤdikat Neftor, welches Neleus neben vielen
andern trug, zu einem befondern Weſen erhob, im Namen
Neleus zunachft die Macht des Beherrfchers der Unterwelt,
in dem des Meftor ') aber jene des Gebieters der unterirdi-
chen Gewaͤſſer und des Meeres überhaupt.
Herakles fteht nicht bloß mir Admeros und Laomedon
wegen des Aufenthaltes der Sonne im Hades in Verbindung,
fondern auch) mit vielen andern Weſen, welche in den einzels
nen &ofal- Sagen mit den genannten Ööttern ganz gleiche
Bedeutung hatten. Ueberall, wo ſich fein Eultus fand, wurde
die Sage von feiner Dienftbarkeit bei dem Beherrfcher des Schats
tenreiches lofal angewendet, und diefelbe auf die Erde verfegt.
Sn. feiner eigenthümlichen Heimath hatte Hades den Beina:
men Euryftheus‘®), der weit herrfchende Gott, welcher eine
ausgebreitere Macht beſitzt. Bei diefem fteht Herakles '%)
in harten Frohmdienften, und alle Arbeiten, welche der Gott
vollbringt, werden ihm nad) der jpatern Sage von dieſem
auferlegt. In der alten Mythologie hatte feine Dienftbarfeit
wohl Feine andere Bedeutung, als die des Apollon bei Ads
metos oder Laomedon, oder als der Aufenthalt des Dionyfos
im Schattenreihe. Allein als man die ſymboliſche Bedeus
tung diefer Dienftbarfeit und die der Arbeiten des Herakles
100) Zeus gebot urfprünglih auch über das Meer und die
Unterwelt; allein als die Beinamen, welde er defhalb
irug, von ihm getrennt wurden, befchränfte man feine
Wirkſamkeit auf Himmel und Erde.
104) Euryſtheus und Eurpfihenes dürften: gleiche Wurzel und
Bedeutung haben.
402) Hom. 11, XIX, 432 sqgq.
458
aus dem Auge ließ, ald man unter diefen ſich die furchtbar:
ten Anftrengungen dachte, mußte man freilid auf den
Gedanken kommen, daß der zum Heros herabgefunfene Gott
diefelben unmöglich aus eigenem Antriebe habe auf ſich
nehmen Fünnen. Gobald aber einmal diefe Anfiht Wurzel
gefaßt hatte, und der umerbittliche Gott der Unterwelt als
ein bartherziger und graufamer Menſch betrachtet wurde, war
es fehr natürlih, daß man ihn als Urheber des mühenollen -
Lebens des Herakles betrachtete, wie nad Homeros Pofeidon
Urheber der Srrfahrten des Odyſſeus ift, und als Urheber
derfelben angefehen werden miußte, fobald man die Heimath
des Odyſſeus nur im Ithaka fuchte, und feine Meerfahrten
mit dem Trojaniſchen Kriege in Verbindung brachte. Den
Mann, welcher dem Herakles die Befehle des Euryſtheus
überbrachte, nennt Homeros !") Kopreus. Diefer hatte einen
Sohn Periphetes *), welcher groß in jeglicher Tugend
war, indem er fich nicht bloß im Kampfe und durch fein rüftiges
Laufen, fondern auch durch DVerftand unter den Myfenaern
auszeichnete, Er war nad) des Sängers Morten ein edler
Sohn eines fchlehten Vaters. Der Name des Sohnes und
die Eigenfchaften desfelben fcheinen zu der Vermuthung zu
berechtigen, daß er urfprünglid ein und dasjelbe Weſen
mit Herakles war”). Wielleiht war auch fein Water ches
103) Hom. Il. XV, 639 sqgq-
104) Die Wurzel des Namens durfte wohl gan fepn.
105) Diefe Behauptung ift natürlich nur in fo ferne richtig,
als die Anfiht gegründet ift, daß die vielen Sonnen-
götter, welche wir in Hellas antreffen, aus Pradifaten
459
dem von Euryſtheus nur dem Namen nad verfchieden.
Die Rolle, welche derfelbe in der epifchen Poefie erhielt,
erklart fi) aus feiner Bedeutung und der buchftäblichen
Auffaffung feines Verhältniffes zum Altiden. Als Diener
eines irdifchen Königs betrachtet, Fonnte er, welcher dem
Sohne des Zeus immer neue Befehle brachte, und nie aufs
hörte, ihn zu quälen, nur als ein feindfeliger Menfch darz
geftellt werden, und dieß mußte um jo mehr die Folge
jeyn, als man den Hades als den härteften und graufam-
ften Gott anfah. Die Pradikate der einzelnen Götter aber
wurden fo vielfach befungen, daß, ald manche derjelben,
durch verſchiedene Umſtaͤnde aus ihrer frühern Stellung
verdrängt, zu Heroen herabſanken, die Sänger ihren Cha:
rafter nicht erft zu zeichnen, ſondern nur die über denfels
ben vorhandenen Züge zu benügen brauchten. Hatte man
auf diefen Umftand mehr Rükfiht genommen, jo würde man
es nicht fo fonderbar gefunden haben, daß ein fo vollende-
tes Gedicht, wie die Slias, in fo früher Zeit von einem
und demfelben Sänger gefchaffen werden Fonnte,
Die Dienftbarkeit, in welcher Herakles bei der Om—
phale fteht, ift befannt. Bei dem Feſte des Herakles auf
der Inſel Kos'%) zog der Priefter ein Weiberkleid an,
weil der Held bei einem Kampfe ſich jelbft in die Kleider
eines Weibes geſteckt habe”). Omphale foll dem meibifchen
entitanden, welhe ein und derfelbe Gott an ver:
ihiedenen Orten hatte,
106) Müller, Dor. I, 450,
107) Das Felt hieß avrıuayia, und wurde im Frühling ge:
460
Helden ein durchfichtiges und mit Sandyr hochroth ge
färbtes Kleid angethan haben, ein Mythos, welchem nad)
Müller wahrfcheinlich der Feſtgebrauch die Entftehung gab.
Der Mann in der Knechtfchaft des Weibes war nad) feiner
Anfiht hier ſymboliſcher Ausdruck einer weichlichen Natur
religion. Wir koͤnnen diefe Meinung ) nicht theilen, und
ung nicht überzeugen, daß der Gultus die ganze Sage von
der Dienftbarkeit des Herakles veranlaft habe. Der Cultus
dürfte nur nachgeahmt haben, was man in der alten Sage
vorfand. Der Alkide fcheint der Omphale '®) aus demfel-
ben Grunde zu dienen, aus welchem er dem Hades dient.
fetert. Plutarch. quaest. graec. 58. Nicomach. ap:
Lyd. de mens. p. 93.
108) Der Cultus kann nah unferm Dafürhalten nur nad:
biden und verfinnlicen, was in dem Mythos irgend
eines Gottes enthalten ift; er kann Dinge nicht dars
fielen, von denen die Sage feine Meldung thut. Die
Götter erhielten ihre Namen an den einzelnen Orten,
nah der Macht und Wirkſamkeit, um derentwillen man
‚ fe verehrte, und von der Art und Weife, wie fie ver:
ehrt wurden. Die Sagen, welde an jeden Cultus ge:
fnüpft waren, müffen als Weberlieferungen betrachtet
werden, und fih urfprunglih auf dad Weſen und die
Thaten des Gottes bezogen haben.
109) Die Sage meldet, Herakles fey an fie ald Sklave ver-
fauft worden. Allein diefe Angabe fol wieder nur zur
Erklärung feiner Abhängigkeit von ihr dienen, welche
man: bei der großen Kraft und Stärfe des Heros fi
nur auf diefe Weife ald wahrſcheinlich oder möglich
dachte.
461
Das hochrothe Kleid hatte er ald Sonnengott mit Helios,
Odyſſeus und andern zu Heroen herabgefunfenen Göttern
gemein. Sobald man aber die Abhangigkeit von der Om-
phale buchftablih auffaßte, mußte die Sage von diejem
Abentheuer "%) eine fonderbare Geftalt gewinnen. Einen
fprechenden Beweis für diefe Wermuthung gibt der Mythus
von des Achilleus Aufenthalt bei den Toͤchtern des Lyko—
medes. Achilleus hatte als Sonnengott eine jugendliche
Geſtalt. Lykomedes felbft war, wie Lyfurgos '), wahr:
ſcheinlich ein Pradifat des Somnengottes, welches diefer auf
der Inſel Skyros hatte, Seine Töchter dürften wohlihrem
Wefen nach von denen des Agamemnon nicht verfchieden ges
weſen fenn, fo dag die Verbindung, in welcher Achilleus
mit ihnen fteht, fih aus der Verbindung des Zeus mit
Jo, Europa, Hera und andern Göttinen erklärt. Allein
wie hat die Sage der fpatern Zeit, welche alles buchftäb-
lich nahm, diefen Aufenthalt dargeftellt 2 Achilleus erſcheint
in Frauenkleidern unter den Toͤchtern des Königs einer
Inſel, um bier nicht entdecft zu werden, und dem Troja-
nifchen Kriege nicht beimohnen zu müffen. Sollen wir
ung wundern, wenn wir diefe Erflarungsmeife der fpatern
zeit betrachten, daß das Verhältniß des Herakles zur Om⸗
phale ganz entitellt wurde?
Wie Herakles dem Admetos, Laomedon, Euryſtheus
110) Ale Thaten des Herakles hatten fombolifhe Bedeu:
tung, und wurden erft durch Mißverſtaͤndniſſe zu Aben-
theuern,
111) Schwenck, ©. 39.
462
und der Omphale dient, fo dient Kreont”), König von
Theben, dem Erginos, welchem er Tribut entrichten muß.
Hier ift das Verhältniß der Abhängigkeit durch den Tribut
bezeichnet, während es in andern Sagen durch die perfün-
lichen Dienftleiftungen der Sonnengoͤtter ausgebrüdt ift.
Erginos ift der Einfchlieger'”), wie man den Hades euphe-
miftifch nannte, „Es ift bemerfenswerth, fagt Müller "'),
daß Strabon, welcher andere mythifche Priefterfönige Ba-
orkerg nennt, den Erginos als einen Tyrannen oder Ge:
waltherrfcher bezeichnet” 15). Wir finden diefe Bezeichnung
nad) den bisher gemachten Bemerkungen über den Cha-
rafter des Hades fehr paſſend, und fehen unfere fchon oft
ausgefprochene Vermuthung beftätigt, daß die einzelnen
Sagen und felbft die Merfmale und Eigenthümlichfeiten
des Charakters der Homerifchen Heroen nicht als wilffürliche
Erdichtungen angefchen werden dürfen ‚ fondern alte Ueber-
lieferungen aus einer hieratifchen Zeit find, welche durch den
Geſang eine fo fefte Geftaltung erhalten hatten, daß die
Sänger die einzelnen Charaktere nicht erft zu zeichnen
nothwendig hatten. Erginos war ale Hades ein firenger
und unerbittlicher Herrfcher. In der Heldenfage behielt er
diefen Charakter, und ward deßhalb von GStrabon, welcher
alten Sagen folgte, nicht König, fondern Tyrann genannt.
442) Pausan. IX, 58. Apollod. II, 3, 441. Diod. Sicul. IV,
48. Heyn. ad Apollod. p. 137.
143) "Foyvvo und Eoyvvur- zioyw, &oyw. cf. Hom. Odyss.
V, 238.
114) Orchom. ©. 186.
445) Strabon, IX, 4414, d.
463
Aus diefer feiner frühern Bedeutung erhellet auch, warum
die Sage"*) feinen Vater Klymenos nennt, ein Name '”),
welcher dem Beherricher des Schattenreiches gebührt. Aus
diefer Genealogie erhellet auch, daß, wie wir ſchon oft er
innerten, Water und Sohn, Mutter und Tochter in der
alten Mythologie felten verfchieden waren, fondern aus ver
fhiedenen Namen eines und desfelben Weſens zu befonderen
Perfonen umgefchaffen wurden. Herakles, meldet die Sage '*),
befreite den Kreon von dem Tribute, welchen .diefer dem Hades
zu entrichten hatte. Mir müffen hier bemerken, daß Kreon
ein Sohn des Herakles ') heißt. In andern Genealogien
werden feine Eltern”) mit andern Namen genannt. Daß
Herakles in Theben geboren wurde, ift befannt, War es
nicht natürlid, daß Kreon, wie überhaupt jedes Pradifat
eines Gottes, zu einem befondern Heros umgebildet wurde?
Herakles hieß Kreon. Die Sage hat aus diefem Namen
einen Sohn des Gottes gebildet. Bet den vielen Namen,
welche der Sonnengott an den einzelnen Orten hatte, Fonnte
Kreon nicht in allen Sagen Sohn des Herakles heißen,
fondern mußte auch in andere genealogifche Verhältniffe treten.
Eine andere Sage nennt ihn Sohn des Menöfeus und
446) Pausan. IX, 57.
147) Buttmann, Mptholog. II, 216,
118) Heyne, ]. c. '
449) Apollodor. II, 3, 41.
120) Andere nennen ihn einen Sohn des Menöfeus, andere
König von Korinthos, und bringen ihn mit der Mond:
göttin Medeia in Beziehung.
464
Bruder '°') der Hippomene, der Mutter des Amphitryon. Sie
gibt dem Kreon aber auch wieder "?) einen Sohn Mendkeus,
fo daß fich unbefangene Lefer wohl überzeugen Tonnen, daß
ſolche genealogifche Verbindungen aus Pradifaten der einzel:
nen Götter hervorgingen, So verfchieden alſo auch die Stel—
lung des Kreon in den Genealogien iſt, fo fteht er Doch immer
mit Herakles in der naͤchſten Verwandtſchaft, fo daß man
wohl einfehen Faun, daß der Alfide diefen Beinamen in Theben
hatte. Er befreite fich von dem Tribut oder der Abhangigkeit
des Erginos an jedem Morgen, wo er die Behauſung des-
felben verließ. Allein in der heroifchen Zeit hat bei der buch»
ftablihen Auffaffung aller Mythen auch diefe Sage eine
andere Erweiterung erhalten. Wie Herakles bei Homeros *)
mit dem Hades einen fürmlichen Kampf im Schattenreiche
befteht, und den Gott fogar verwundet, wie er in Pylos “)
gegen denfelben Fampft, fo fampft er aud) in der bootifchen
Sage gegen Erginos. Daß er mit einem formlichen Kriegs—
heere gegen ihn zu Felde zieht, wird denjenigen , welcher bes
denkt, daß man den Erginog wegen der großen Herrfchaft,
welche er als Hades ausübte, als einen maͤchtigen König
betrachtete, nicht befremden, Warum follte eine Zeit, welche
die Mythen von einem ganz verkehrten Geſichtspunkte betrach-
tete, dem Herakles nicht ein Kriegsheer geben, da fie fogar
den Gott der Unterwelt durch ihn verwundet werden ließ?
424) Apollod. II, A, 5. III, 5, 7.
422) Apollod. III, 6, 7. Pausan. IX, 25. Schol. Eurip.
Phoeniss. 4017.
123) Hom. 1. V, 395. VIII, 366.
424) Pind. Olymp. IX, 31 sqq. et Thiersch, ]. ce.
465
Als man Kreon und Herakles nicht mehr als zwei Namen
eines und desjelben Mefens, fondern als zwei verwandte
Fürften betrachtete, mußte natürlid) Herakles dem Feldzug
für den Kreon unternehmen, und die neuern Forfcher haben
aus diefer einfachen Sage gefchloffen, daß das mächtige Theben
von Orchomenos abhängig gewefen fen, ohme zu bedenken,
daß, wenn man folhe Mythen buchftablid) nehmen würde,
Apollon , der furchtbare Gott, welcher der düftern Nacht
gleich einhergeht, ebenfalls von einem ſchwachen Könige hätte
abhängig ſeyn müffen, und wer wird glauben, daß die alte
Sage, welche einer hieratifchen Zeit angehörte, den mächtis
gen Gott in Abhangigkeit von einem jterblichen Fürften ver-
ſetzte!
Nicht bloß Apollon, Aeakos, Herakles und Kreon er—
ſcheinen als Diener des Hades, ſondern auch viele andere He—
roen, welche ehedem mit den genannten gleiche Bedeutung
hatten. Sonne und Mond wurden uͤberall verehrt; aber
die Namen, welche ſie hatten, ſo wie jene, welche der Be—
herrſcher der Unterwelt trug, waren nicht uͤberall dieſelben,
und hieraus erklaͤrt es ſich, wie man ſpaͤter, wo man unter
jedem Namen ein beſonderes Weſen ſich dachte, eine Menge
von Goͤttern bekam, und wie die naͤmliche Erſcheinung, wenn
auch picht mit allen Zuͤgen, doch den Hauptpunkten nach,
in vielen Mythen wiederkehren muß. In Tiryns vertritt
Proitos *) die Stelle des Hades. Der Sonnengott traͤgt
125) Nootroç Passowes. h. v.) ſoll Heſiodos in der Bedeu—
tung ſchmutzig gebraucht haben. Dieſes Epitheton
paßte fuͤr den Gott des Schattenreiches vollkommen.
Schwenck leitet (S. 356) den Namen der Proͤtiden an-
Vorhalle zur Griechiſchen Gefhichte. 30
466
den Namen Bellerophontes ). Wie Apollon auf feinen
Wanderungen Lykien und das Land der Hyperboreer beſucht,
oder täglich vom fernen Oſten nach Meften wandert, fo ber
gibt fih auch Bellerophontes nach Lykien. Sn der Sage
yon Tiryns waren diefe Stadt und Lykien die zwei einan-
der entgegengefegten Punkte. Der Lykiſche König Jobates
war früher nur”) ein Prädikat des Sonnengottes, wie der
ders ab; er fagt: „Der Name iſt von Zovrro (Sovzw),
0: ift für v, wie doosım für doum u.a. m, z und 2
wechfeln auch in andern Wörtern haufig. Bon ihnen
ward ein Proitos als Vater abftrakirt, der ald Bruder
des Akrifios angegeben warb, eines Namens, welcher
fih auf den Argivifchen Lichteultus des Perſeus bezieht.”
126) Das Wort befteht, wie der Name Derfephone (Schwend,
&, 247), aus zwei Wurzeln, Un und paw. Daß ꝓ ſtatt
des Spiritus fteht, darf nicht befremden, da man dad
namlige Mefen (Schwend, ©. 50), weldes in Nord—
Griehenland Hellops hieß, im Süden Pelops nannte.
Sein Vater heißt bald Glaufos, bald Poſeidon (Schol.
Pind. Ol. XII, 98. Müller, Prolegom. ©. 273), wie
der Vater des Theſeus Aegeus oder Pofeidon hieß.
Yegeus und Glankos waren nur Pradikate des Meer:
gottes. (Müller, Prolegom. ©. 272 und Heffter, Rhod.
Goͤtterd. III, 64, Not. 2.) Der Sonnengott kann in fo
ferne, als fih die Sonne aus dem Meere erhebt, fehr
wohl ein Sohn des Meergottes heißen, wie die Mond-
göttin Memefid eine Tochter des Okeanos genannt wurde.
127) Sobates fand mit Bellerophon urfprünglich in derfelben
Verbindung, in welcer nach der Thebanifben Sage Kreon
zu Herafles fteht. Hier nannte man Kreon, welcher
anfangs nur ein Beiname des Herafles mar, feinen
46%
Name des Sifyphos. Sobald aber nicht bloß Bellerophons
tes und Sobates, fondern auch Prötos in die Reihe der Her
roen eintraten, und man weder die Abhängigkeit des Bellero-
phon von Prötos, noch fein Verhaͤltniß zur Gemahlin des,
felben und die Bedeutung feiner Wanderung mehr verftand,
fuchte man fich auch hier ') die Sache auf eine menſchlichen
Berhaltniffen entfprechende Weife zu erklären. Wie man
den Euryſtheus für den Urheber des mühevollen Lebens des
Herakles betrachtete, fo ward die Abhangigkeit des Bellero-
phontes von Prötos und fein Verhaltniß zur Antheia als die
Urfache feiner Wanderung und der Abentheuer angefehen,
welche er in Lykien zu beftehen hatte. Die fombolifche Ber
deutung der Chimära ward nicht weiter berücfichtigt.
Noch deutlicher tritt die Abhangigkeit des Sonnengottes
von dem Gebieter des Schattenreiches in der Sage von Per:
feus hervor. Sein Name fpricht fon =) für feine frühere
Bedeutung. Der Vater der mächtigen Mondgöttin der Thra-
fer hieß ebenfalls '”) Perſes, und auch der Sohn des Perfeus
führt diefen Namen ®). Als Sonnengott ift er auf dem Schilde
des Herakles fo abgebildet, daß er nirgends befeftigt ift, und
doc) von demfelben nicht getrennt oder losgeriffen wird, wie
die Sonne, ohne am Himmel befeftigt zu ſeyn *), von
demfelben doch niemals herabfällt. Afrifios legte ihn und
Sohn, dort wurde Jobates der Schwiegervater des Bel-
lerophon.
428) Schwend, ©, 194.
129) Hesiod. Theog. 377. 409.
130) Apollod. II, 4, 5.
131) Hesiod. scut. Hercul. v. 212 sqq-
30 *
468
feine Mutter in einen Kaften, und gab fie in demfelben
den Mogen Preis, von denen fie an Die Juſel Seriphos
getrieben wurden *). Der Beherrſcher derſelben, Diktys,
der Sohn des Periſthenes *), zog fie aus dem Waſſer,
und dffnete auf das Flehen der Danae den Kaften. Er
und fein Bruder Volydektes ernahrten die Danae und den
Derfeus, wie Verwandte ®*). Perfeus wurde von Poly:
deftes oder, wie einige fagen, von Diktys aufgenommen.
Als Perſeus nunmehr herangewachfen war, mußte er '®)
dem Polydektes das Haupt der Medufa bringen. Die
Gorgo tödtet Perfeus ald Sonnengott jeden Morgen. Al-
fein in der SHervenzeit, welche feine Schidfale, wie Die
eines Menschen betrachtete, und in den Gorgonen nur mehr
Schredbilder erblidte, mußte der alte Mythus von dem
Aufenthalte des Verfeus bei Polydektes und feiner Abhans
gigkeit von demfelben freilich fehr entftellt werden. Weber
die Bedeutung des Kaftens haben wir unfere Vermuthung
fhon ausgefprochen. Diftys und Polydektes find, wie
Müller fehr richtig bemerkt *8), Praͤdikate des Beherrſchers
432) Hom. Il. XIV, 318. Hesiod. Tbeog. 274. Pind. Pyth.
XII, 41 sqg. Pherecyd. fragm. p. 72. 90 699. Apollod.
1, 4, 1.2. Müller, Prolegom, S. 307 ffg.
133) Welder, Trilog. ©. 379 faßt die Namen anders.
154) Welder, J. c.
135) Müller, Prolegom. ©. 508. MWelder, S. 381.
136) Prolegom. S. 313 fg. Uebrigens erflärt er den Mythus
ganz anders. Wach feiner Anficht ift Danad das dürre,
verfchloffene Erdreich im Lande der Pallas. Perſeus ift
der Liebling der fruchtichaffenden Palas, auch ein bloß
aeglaubtes, Fein äußerlich vorhandenes Werfen, ein Genius
469
der Unterwelt, des Hades, geweſen, welchen der Homerifche
der Pallas. Aber der Gott der Unterwelt will fih die
Danas aneignen; Nacht des Chaos und ewiges Graus
foll fie überziehen. Diefe Gefahr wird abgemandt, indem
Perfeus die Göttin von ihrem Gegenbilde befreit, von der
Furdtbaren, Fooyo, durch welhe des Mondes Strahl
giftig und das Erdreich verfteinert wird. Die Wirkung
ihres Blickes wird gegen die Unterwelt felbjt gewandt,
und ihr Bezirk in der Tiefe befeftigt, und zugleich ber
guten Göttin, der freundlichen Pflegerin ber Saaten und
Baumpflanzungen, ihre volle Macht gegeben. Da ſprin—
gen die Klaren und lebendigen Quellen, deren Symbol
dag Roß ift, wie überhaupt, fo insbefondere der an den
Quellen des Dfeanos geborne, an Quellen gefangene,
Quellen mit den Hufen herausfchlagende Pegafos, auch
dem Namen nah ein Quellenroß. Auch daß Polndeftes
Roſſe fordert, und Perfeus nun ein folches ſchafft, ift ein
Reſt der fombolifchen Sagen.” Symbolifch find allerdings
diefe Sagen; allein das Flügelroß, welches Verfeus har,
ift das Sonnenroß, welches wegen der Schnelligkeit, womit
die Sonne ihren Lauf vollendet, mit Flügeln verfehen tft.
Es wird an den Quellen des Dfeanos geboren, aus wel:
chem der Sonnengott emportaucht, weßhalb er auch ein
Sohn des Meergottes in vielen Sagen genannt wird.
Mie Artemis in der alten Sage den Wagen noch nit
hat, fondern auf einem Pferde mit einer Fadel in der
Hand leuchtet: fo hat auch Perſeus bloß diefes Fluͤgelroß,
auf welchem er feinen Lauf am Himmel vollendet. Den
Wagen erhielt der Sonnengott erft in der heroiſchen Zeit.
Die Sorgo ift der Mond ; daher gibt Euripid. (Helen.
1516) der Dallas, welche man ſchon im Alterthum als Mond-
göttin erfannte (cf. Welder, Trilog. S. 281 ffg.), den Na—
470
Hymnos an Demeter Polydegmon 7) nennt. Der Vater
des Diftys, Perifthenes, war urfprünglic), wie der Name ,
des Euryfiheus, nur ein Prädikat des nämlichen Gottes *).
Als Sonnengott ſteht Perfeus in Abhangigkeit von Poly:
deftes, wie Apollon in Unterwürfigkeit bei Laomedon und
Admetos erfheint. Hat der Sommengott fi) aus der Ber
baufung des Hades wieder befreiet, dann erfcheint er neuer
dings am Himmel. Daher Fonnte die Sage Seriphos
fehr wohl den Geburts⸗-⸗Ort des Perfeus '”) nennen, welcher
in andern Sagen Argos. ift, wo Perfeus im Tempel der
Dallas auferzogen wurde"), weil die Mondgüttin und der
men Gorgo. So ſcharfſinnig Mullers Erklärung des My:
thus von Perfeus und Danae ift, fo koͤnnen wir derfelben
aus den hier und im Terte beigebrabten Grunden doc)
nicht beipflichten. Die alten Mythen fünnen nah un
ſerm Dafürhalten unmöglih aus folchen abſtrakten Ideen
beſtehen, fondern fie find nur fombolifge Ausdrucksweiſen
ganz einfacher Natur: Erfcheinungen. Die Gorgo, bie
furchtbar blidende Mondgöttin mit Schlangen in den
Haaren, ward erft fpäter zum bloßen Schreebild. Die
Berfteinerungen, welche von ihr ausgehen, find nur fpm-
bolifher Ausdruck des höchften Schredeng.
457) Hymn. Hom. V, 31.
155) Welder bezieht den Namen auf das maͤchtige Heranszie-
hen des Kaftens, in dem Danae und Perſeus lagen.
159) Müller, Prolegom. ©. 311.
110) Auch in Seriphos war ed (Hyg. fab. 63) der Tempel ber
Athena, worin Perſeus erzogen ſeyn follte. Sie erfcheint
als Mondgöttin ungertrennlich mit Perfeus, dem Sonnen:
gotte, verbunden, wie Apollon und Artemis, Medeia
und Jafon. Die Mutter des Perfeus war nur ein ande-
471
Sonnengott in der innigſten Beziehung zu einander ſtehen.
Die Wohnung des Sonnengottes wurde, wie wir ſchon be
merften, bald im Dften, bald im Weſten gefuht. Aus
demſelben Grunde Fonnte man auch eben fo gut Argos, als
Seriphos als den Geburts-Ort des Verfeus bezeichnen. Das
Verhaͤltniß feiner Mutter zu Polydektes erklärt fic) aus der
Verbindung, in welcher Perſephone zu Hades ſteht. Waͤh—
rend in andern Sagen aus dem jeden Abend fich wiederholen:
den Hinabfteigen des Sonnengottes in den Hades cin Ver:
haltniß der Abhangigkeit desfelben von diefem hervorging,
und die Götter ald Knechte ihm eine beftimmte Zeit dienen
müffen, ift die Abhangigkeit des Perfeus von Polydektes nur
durch die ihm von diefem anbefehlene Erlegung der Gorgo
ausgedrückt, und fein Aufenthalt in der Wohnung des Hades
erfcheint in einem viel freumdlicheren Lichte, indem ihn der;
felbe, wie einen Verwandten, erzieht. Die Sage von der
Erziehung des Sonnengottes in der Unterwelt hat ihren Grund
darin, daB man den Aufgang der Sonne fombolifc durch
die Geburt ausdrüdte, den Untergang durch den Tod. Aus
dem Hades geht fie hervor, fie wird in demfelben geboren.
Als man aber den Perfeus als einen unglücklichen Menfchen
betrachtete, die Bedeutung feiner Geburt und feiner That
nicht mehr verfiand, und glaubte, daß er gleich nad) feinem
Eintritte in das Leben von einem harten Großvater ſammt
feiner Mutter in das Meer geworfen wurde, mußte man na:
türlic) die Dauer feines Aufenthaltes bei Hades oder Poly—
res Pradifat der mächtig waltenden Mondgöttin, wie Afri-
fios urfprünglih nur ein Beiwort des Sonnengotteg,
welcher auf den Höhen wohnt, gewefen ift.
412
deftes fo weit hinausdehnen, bis er zum SFüngling herange-
wachfen war, und zu Abentheuern, wofür feine Thaten ange:
fehen wurden, Kraft genug befaß. Er bringt dem Polydektes
das Haupt der Gorgo, indem er bei feinem Erfcheinen am
Himmel bewirkt, daß der einem Haupte ähnliche Mond vom
Himmel verſchwindet, und in das Schattenreich hinabfinft.
Die Roſſe, welche die übrigen Vafallen dem Polydektes *"')
geben müffen, haben diefelbe Bedeutung, wie die Roſſe des
Aides oder des Laomedon, um derentwillen Herakles nach
Homeros fi) nach Ilion begab.
Bon Melampus als Divnyfos Chthonios haben wir
fchon gefprochen. Wie aber Dionyfos nicht bloß wegen fet-
nes Aufenthaltes im Hades Nichter über die Verftorbenen,
fondern früher auch Sonnengott war, fo erfcheint die Wirk—
famfeit des Melampus, deffen Name aus einem Praͤdikate diefes
Gottes zu einem befondern Wefen umgebildet wurde, von
eben fo großer Ausdehnung. Als Sonnengott ſteht ) er in
der härteften Knechtfchaft bei Iteleus, welcher fein großes Vers
mögen behielt, bis das Jahr im Kreislauf umrollte. Den Ne;
leus haben wir fchon ald Gott der Unterwelt Fennen gelernt.
Wie Hades mit der Mondgöttin Perjephone vermahlt ift,
fo ift auch Neleus >) mit Amphions Tochter Chloris verbun—
den. Die Vermahlung der Mondgottin mit dem Beherrfcher
des Schattenreiches weiſet auf ihre Abhangigkeit von demfels
141) Weider, ©. 382.
142) Homer. Odyss. XV, 225 sqgq.
145) Wie die Mondgöttin zeilicrn hieß, fo wird auch Ehloris
(Hom. Odyss. XI, 281 sgq.) als ein Wunder der Schön:
heit gepriefen.
473
ben hin, wie die Dienfibarkeit des Apollon und in Diefer
Sage jene des Melampus dasselbe bedeutet. Als Gott der
Unterwelt hat Neleus einen Sohn Periklymenos, welcher
aus einem Pradifate, welches er als Hades trug"), zu
einem befondern Wefen umgefchaffen ward, fo daß wir un:
ſere Anficht neuerdings beftätigt fehen, daß die Namen von
Vater und Sohn fich oft auf die verfchiedenen Merkmale und
Gigenfchaften einer und derfelben Gottheit beziehen, keines—
wegs aber Götter bezeichnen, welche wefentlich von einander
verfchieden gewefen waren. Die Namen der übrigen Söhne
des Neleus ) waren urfprünglich theils Pradifate des Hades,
theils des Sonnengottes "), theild des Beherrfchers der ums
terirdifchen Gewaffer. Homeros preifet den Neleus als Lieb:
ling des Zeus. Hat er fich vielleicht die Gunſt desfelben
durch feinen Charakter erworben? Dieß kann unmöglic)
der Fall ſeyn. Denn Neleus ıft als Hades ein harter und
grauſamer Fürft. Einem folchen Könige kann Zeus, welcher
alle Grauſamkeit haffet, unmöglich zugethan feyn !”). Der
144) Buttmann, Mythol. II, 216.
145) Hom. Odyss.1.c. Schol. Apoll. Rhod. I, 456. Heyne,
observ. ad Apollod. p. 61.
146) Die Verbindung fo vieler Sonnengotter und Mondgötti:
nen mit dem Beherrſcher der Unterwelt erklärt fich, wie
die Abftammung der Fichtgötter vom Meergotte aus dem
Berhältniffe, in welhem Sonne und Mond zum Meere
und zum Hades ftehen.
147) Man bedenfe nur, daß Homeros den Kopreus wegen fei-
ner Härte gegen Herafles als einen verworfenen Menfchen
darftellte, und zwar aus feinem andern Grunde, als weil
Hades in alten Sagen hart und unmenfchlich erfcheint. Wie
474
Sänger folgte auch hierin wieder alten Ueberlieferungen, in
melden Nteleus, der Gott des Schattenreihes, wie Hades,
Bruder des Zeus und Kiebling desfelben hieß.
Wie Admetos den Apollon ale Hirten verwendet, und
Laomedon ihm nach Homeros ebenfalls feine Heerden übergibt,
wahrend Apollon nad) Pindaros die Mauern von Troja er;
bauet, fo nimmt Neleus das Vermögen des Melampus in
Befig, und Erginos zwingt den Kreon, ihm Tribut zu bes
zahlen. Die Zeit der Abhängigkeit des Melampus dauert
ein volles Fahr, wie die Kucchtichaft des Apollon. Als man
diefes Verhältniß des Melampus zuMNeleus buchftablich faßte,
und ſich deßhalb nicht mehr erklaͤren konnte, warum er die
Rinder des Iphikles nach Pylos trieb, und ſein Bruder mit
des Neleus Tochter vermaͤhlt war "*), entftand die Sage,
Neleus habe die Rinder des Iphikles gefordert, und nur unter
diefer Bedingung feine Tochter dem Bruder des Melampus
gegeben. Die Rinder des Iphikles haben eine ſymboliſche
Bedeutung, wie jene des Apollon, Ste bezeichnen die Sterne,
der Dichter bier alter Ueberlieferung folgte, fo war
dieß ficherlich auch hinfichtlich des Verhältniffes des Ne:
leus zum Zeus der Fall,
448) Hom. Il. XV, 225 sqgq. Die fpatere Zeit, welche das
Benehmen des Neleus buchftäblih faßte, wie alle My—
then, Eonnte freilich die Verbindung des Bing mit der
fhönen Pero nicht mehr verftehen, und mußte auf
die Bermuthung verfallen, daß ſich Melampus den bar:
teften VBerhältniffen aus brüderlicher Liebe unterzogen
babe, um dem Bias die Tochter des Neleus zu er:
werben,
475
wie die des Apollon *°), und gehören dem Sonnengotte, ın
fo ferne alles Licht ven der Sonne ausgeht, aber auch dem
Gotte der Unterwelt”), in fo ferne ſich nad) den Vorftellun-
gen der Alten die Sterne nad) ihrem Verfchwinden am Him—
mel unter der Erde oder im Schattenreiche aufhalten, bis fie
der Sonnengott am Abend aus demfelben wieder emporführt.
Wenn nun Melampus die Rinder des Iphikles *) entwens
det, fo thut er dasjelbe, was am Abend *) auch Hermes
thut, wenn er die Rinder des Apollon davontreibt, und fie
nad) Pylos bringt, dem auf die Erde verfegten Reiche
des Hades.
Eine andere Frage ift es, warum Melampus ein volles
Jahr >) von Iphikles in Gefangenschaft gehalten wird? Die
Dauer diefer Gefangenschaft und die Urfache derfelben dürfte
ſich aus der Bedeutung des Ortes *), von wo er die Rinder holt,
149) Gefchichte des Trojanifchen Krieges, ©. 141.
150) Müller, Dorer 1, ©. 422 fagt: „Die Rinder des Geryo—
nes weiden zufammen mit denen des Hades, beide auf
der Inſel Erytheia (Apollod. II, 5, 10), fie gehören-aber
der Sonne, und find darum von ftrahlend rother
Farbe. ES lag aber wirklich Erptheia in der altern
Sage in der Nähe jened Neiches des Hades.“
1531) Als Sonnengott zeichnet er fih durch die Schnelligkeit
feiner Füße aus. Apollon. Rh. 1, 45. 239. ef. Pausan.
IV; 17
452) Hymn. Hom. III, 95 sqq-
453) Hom. 11. XV, 225 sqgq-
154) yuAazn heißt die Stadt des Iphikles. Phylake heißt
auch der Ort, wo jemand in Verwahrfam oder gefangen
476
und des Vaters des Iphikles, des Phylafos, ergeben. Der
Name des Iphikles ift, wie jener des Sphitos'”), ein Pradifat
des Sonnengottes, aber der des Phylafos war ein Pradi-
fat) des Hades. Als Gott der Unterwelt hat Phylakos
die Klymene *7) oder Perfephone zur Gemahlin. Auch der
Sonnengott Augeias „8) hat zwei Söhne *), Agaſthenes
und Phyleus, welche Praͤdikate des Hades waren, weßhalb
auch Phyleus eine Klymene zur Gemahlin hat. Wir ver
muthen alfo, daß die Knechtihaft des Melampus im Haufe
des Iphikles, in fo ferne fie auch ein volles Fahr dauert,
fid) auf die Bedeutung feines Vaters bezieht, weldyer von
Meleus nicht verfchieden war. Ueberhaupt erfcheint das
Verhaͤltniß der Abhängigkeit des Sonnengottes von Hades
oder fein Aufenthalt im Haufe desfelben bald durch die
Dienftbarkeit, bald dur) das Band des Eindlichen Gehor⸗
ſams und der dadurch bedingten Unterwuͤrfigkeit unter den
Hades, bald durch koͤrperliche Feſſelung, wie hier, ausgedruͤckt.
gehalten wird; wie denn Hades in feiner Burg alle Ab:
gefhiedenen in Verwahrfam halt.
155) Schwend, ©. 219.
156) Die vielen Pradifate des Hades dürfen nicht auffallen,
da er diefelben nicht an einem und demfelben Drte
trug, und nicht jeder Ort ein und dasfelbe Merkmal
feiner Macht in das Auge faßte.
457) Apollodor. I, 9, 4. Schol. Apoll, Rhod. I, 45. 239.
Heins. ad Ovid. Epist. XIII, 35.
158) Daß Augeias Sonnengott war, hat Schwend (©. 25)
bemerkt.
459) Apollodor. II, 5, 5. 11,7, 2. Pausan. V, 3. Eustath.
IL. II, 645. |
477
Die Wanderungen des Melampus nach Argos duͤrften
ſich aus denen des Apollon oder Herakles erklaͤren, und ih—
ren Grund keineswegs in der Haͤrte und Grauſamkeit eines
Koͤnigs haben. Nur die ſpaͤtere Zeit, welche die Urſache der—
ſelben nicht mehr wußte, und auch nicht mehr bedachte, daß
Hermes die Sonnen-Rinder ebenfalls gegen Pylos oder in
den irdiihen Hades treibt, glaubte, fomohl die Wanderung
des Melampus, als auch die Entwendung der Rinder des
Iphikles durch denfelben als Folgen der Abhangigkeit diefes
Gottes von Neleus anfehen zu müffen.
Mie Melampus dem Neleus dient, fo dienen Phriros
und Helle dem Athamas. Beide Gefhwifter, Sonne und
Mond, wie Apollon und Artemis, wandern nad) dem fernen
Dften, wo fie am Himmel emporfteigen. Das Mittel, defs
fen fie fi bedienen, um auf den Wogen des Meeres dahin
zu gelangen, ift der purpurrothe oder goldene Widder, das
Symbol des Eonnengottes, welchen Pofeidon und Theo—
phane'®) in Schafgeftalt zeugten, weil Sonne und Mond aus
dem Meere emportauchen, alfo auch ihr Symbol. Der
Aufenthalt des Phriros und der Helle in dem Haufe des
Athamas hat diefelbe Bedeutung, wie jener des Apollon bei
Admetos. Megen der Abhangigkeit der Sonne und des
Mondes von Hades, in deffen Behaufung fie täglich hinab-
fteigen, und aus welcher fie immer wieder hervorgehen, nannte
auch die Boͤotiſche Sage beide Kinder des Athamas. Co
einfach diefer Mythus war, fo verwickelt und entitellt wurde
460) Hyg. 3. 188. Schol. Germanic. 225. Ovid. Metam.
VI, 4117. Müller, Orchom. ©. 165.
478
er durch die fpatere Zeit, als man weder die Bedeutung des
Athamas und feiner Kinder, noch jene ihrer Meerfahrt mehr
verfiand. Den Verfolgungen einer bofen Stiefmutter, welche
dem Phrixos und feiner Schwefter Helle Athamas '") in der
Perſon der Ino, des Kadmos Tochter, gegeben hatte, und
dem gewiffen, ihmen bereiteten Tode wußte Nephele, ihre
Mutter, fie nicht anders zu entreißen, als dadurch, daß fie
ihnen einen geflügelten Widder 1%), von Hermes gegeben '®),
brachte, deffen Wolle und Fell von Flarem Golde war, und
ihnen befahl, fie follten fid) auf denſelben fegen und nach
Kolchis fahren. Die Stiefmutter Ino erhielt naͤmlich den
jungen Bacchos zur Erziehung. Hera hafte deßhalb das
ganze Haus des Athamas, und gab der Ino ein, daß fie
die beiden Kinder der Nephele aus dem Wege zu räumen
wünfchte. Sie dörrete Daher das Saamengetreide, das Atha-
mas ausfaete, und verurfachte dadurd) einen ganzlichen Miß—
wachs. Als aber Athamas zum Orakel ſchickte, um die Ur-
fache diefes Ungluͤckes zu erfahren, beftach fie die Abgeordne-
ten, daß fie zur Antwort brachten, die Kinder der Nephele
161) Daß die vielen Frauen des Athamas fammtlich eine
fombolifhe Bedeutung hatten, und nur Prädifate einer
und derfelben Göttin waren, welche wegen ihrer ausge:
dehnten Macht verfhiedene Namen hatte, daß alfo von
einer böfen Stiefmutter im buchftäblihen Sinne gar nicht
gefprochen werden kann, wird man nach den bisherigen
Grörterungen nicht ganz unwahrſcheinlich finden.
162) Apoll. Rhod. II, 4138.
165) Hermes ift als Widderträger hinlänglich befannt. Pau-
san. II, 3,4. VI, 533,4. WDr, Ben.
479
follten geopfert werben **), Indem Athamas biejes Opfer
bringen wollte, wurden Phrivos und Helle durch den Widder
entrüct. Nach Pherefydes, deffen Erzahlung viel einfacher
ift ©), bot fich Phrixos bei einer großen Dürre und Landes-
noth felbft zum Opfer dar. Hiernach fcheinen ihn die Goͤt—
ter, welche feinen Willen für die That nahmen, dem Opfer:
tode durch den Midder entrückt zu haben. Der Widder bot
fi) dem Phrixos, welcher auf den Befehl feines Vaters das
ſchoͤnſte Thier ausfuchte, felbit zur Opferung an '%). Sopho-
kles '”) erzählte, daß der befränzte Athamas chen geopfert
werden follte, als Herafles mit der Kunde anfam, daß Phris
108, wegen deſſen Athamas felbft geopfert werden follte, lebe,
und ihn dadurch von dem Xode rettete,
Ehe wir von der Bedeutung diefer fonderbaren Erzahlun-
gen ſprechen, muͤſſen wir die Perfon des Athamas näher be;
trachten. Athamas war in der Sage der Minyer Hades '®),
und von jenem Ndamaftos des Homeros '”), deifen Namen
ihon Müller für ein Pradifat des Gottes der Unterwelt er>
464) Apollod. I, 9, 2. Hyg. fab. 5.
165) Schol. Pind. Pyth. IV, 288. Hyg. fab. 2. Muͤller,
Orchom. S. 164.
466) Philostephan. Schol. Il. VII, 86.
167) Ap. Schol. Aristophan. Nub. 256.
168) Müller, Prolegom. ©. 306, wo von Adamaftos die Rede
ift, welcher ficher mit Athamas ein und diefelbe Perfon
war, und den unbezwinglichen Gott der Unterwelt be—
zeichnet. Das J und 3 haufig verwechfelt wurden, und
in vielen Wörtern x flatt 3 erfcheint, hat Welder (bei
Schwend, ©. 263 ffg.) einleuchtend genug dargethan.
469) D. IX, 158.
480
Härte, nicht verfchieden. Wenn wir aber von dem Gotte
der Unterwelt hier fprecdyen, fo darf man nicht veryeffen, daß
Hades nicht der einzige Beherrfcher desfelben ift, daß wir
neben ihm auch Minos, Aeakos, Achilleus und viele andere
Götter ale Gebteter antreffen, daß auch Dionyfos und De:
meter als Chthoniiche Götter verehrt wurden, und als ſolche
nicht bloß auf die Erde einwirken, fondern auch im Hades
berrfhen. In fo ferne ift der Umjtand, daß Dionyfos von
Ino in dem Haufe des Athamas erzogen wird, von befonde:
rer Michtigkeit, und dient auch, unfere Anficht von der
Erziehung des Perfeus im Haufe des Polydektes zu rechts
‚fertigen. Als Sonnengott ſteht Dionyſos in Abhangigkeit
vom Gotte des Orkus, und wächst im Haufe desfelben
auf, welches er am Morgen verläßt, um am Himmel zu
leuten, Daß auch Hermes über das Schattenreid) ge
bot ), in welches er die Seelen der Abgefchiedenen hin-
abführte, ift befannt. Man opferte ihm als Gott der
Unterwelt ſchwarze Widder, wie fie dem Pelops in Olym—
pia geopfert wurden. Auch bei Trophonios war der MWid-
der das Hauptopfer 99. Hermes fchicfte alfo den Mid»
der ”), welchen Phrixos und Helle hatten, weil ihm diefes
Thier heilig if. Er hatte aber früher Menfchenopfer, wie
die übrigen Götter Griechenlands, Erft nad Abſchaffung
derfelben opferte man ihm den Widder.
Die Minyer verehrten ihm als Laphyſtiſchen Zeus '?),
170) Hom. Odyss. XXIV, 1 sqgq.
171) Müler, Orchom. ©, 165.
472) Apoll. Rhod. Il, 1158 et Schol.
175) Schol. Ap. Rhod. II, 653. cf. Müller, 1. c.
481
und fühnten ihn mit Menfchenopfern, von denen er auch
feinen Namen hatte *9. Auch der Zeus Aftäos, welchem
der Priefter im Midderfelle auf den Höhen des Welten
opferte °), war Hermes, nicht der Hellenifche Zeus, fo
wenig als urfprünglich der Karifche den Namen Zeus hatte,
wenn er auch feinem Weſen nad) von dem Griechifchen
nicht verfchieden war, und, wie diefer, die Sonne bedeu-
tete. Wenn andere unter dem Laphnftifchen Zeus Diony—
fos 1%) verftehen, fo wird dadurch unfere Erklärung des
Mythus nicht im geringften verändert, indem diefer Gott
in der alten Mythologie denfelben Wirfungsfreis hatte, wie
Hermes, und mit diefem in fo inniger Beziehung fteht,
daß er von ihm in den Olympos gebracht wird ”). Neh—
men wir noch hinzu, daß nad) der Böotifchen Sage, welche
den Hermes nach einem Pradifate Kadmos nennt, Dio-
nyſos ein Enfel des Hermes oder Kadmos ift, daß aber
474) Buttmann (Mptholog. IT, 230) fagt! Aapvcser heißt
freien, was an den Einderfrefienden Kronos auf Kreta
erinnert. Suid. Zonar. p. 1282. kapvsrios:ieiucoyos,
wegen der Menichenopfer. ci. Lycophr. 215 et 791 et
Schol. ir ftimmen vollfommen mit Buttmann über:
ein. Anders faßt Müller (Orchom. S. 164) den Namen,
Er hält Japvoosır für gleich bedeutend mit anevderv,
Yevysır, und ber Laphyſtiſche Zeus ift nach feiner Au—
ſicht derſelbe, welchen die Theſſalier Ducıos oder Fluchtgott
nannten.
175) Muͤller, Orchom. S. 248.
176) Daß dem Dionyſos Zagreus als Beherrſcher der Unter—
welt Menſchenopfer entrichtet wurden, iſt befannt.
477) Pausan. 111, 18, 41. Gremer, Spmbol. III, 96 ffa.
Borhalie zur Sriechiſchen Geſchichte. 31
482
Vater und Sohn, Großvater und Enkel aus Pradifaten
eines und desfelben Gottes entftanden, fo wird man wohl
einfeben, warum es allerdings gleichgiltig ift, ob die Alten
dem Hermes oder dem Dionyfos den Beinamen des Ka;
pbnftifhen Zeus gaben. Gewiß iſt, daß diefem Gotte
Menfchen geopfert wurden ), und daß diefe Menfchen-
opfer, jo felten fie auch fpater feyn mochten, noch in den
Zeiten des Platon beftanden '°), wie im Arfadifchen Lykaia.
Ob man fchon damals Verbrecher als Schlachtopfer wählte,
laßt fich nicht entfcheiden. Noch im der fpätern Zeit ging
ein Nachkomme des Phrivos '”) in das Prytaneion hinein,
um dem Laphyſtiſchen Zeus zu opfern. Wenn diefe Men-
ichenopfer auch lange fortdauerten, fo laßt fich doch aus
dem Mythus von Athamas abnehmen, daß fte fehon in
der heroifchen Zeit nicht mehr die einzigen waren, welche
jenem Gotte sentrichtet wurden, fondern daß man ihm ber
reit8 damals Widder opferte, und daß Diefe das gewoͤhn⸗
lihe Opfer blieben, wenn auch in den folgenden Jahrhun⸗
derten noch einzelne Betjpiele von. Menfchenopfern vorfamen.
Diefer Laphyſtiſche Zeus hatte al& Gebieter der Uns
terwelt den Beinamen Athamas *). Als foldyer wurde er
178) Müller, Orchom. S. 163.
179) Minos, p. 315. e. VIII, p. 254, ed. Bekk.
180) Schol. Apoll. Rhod. II, 655.
181) Athamas ift zwar nicht als Sohn mit Kadmos oder Her:
mes verbunden, wie man gemöhnlich die Vräbifate eines
Gottes, als fih mit jedem der Begriff eines befondern
Weſens verband, zu verfmüpfen pflegte, allein er erfcheint
als Tohtermann desfelben ibm fo nahe verwandt, daß
483
mit Menfchenopfern gefühnt, und hatte die Zochter des
Kadmos zur Gemahlin, welcher in der Unterwelt über die Ver-
fiorbenen richtet. Es ift im Alterthume Feine feltene Er—
fheinung, daß die Götter jene Gebräuche, welche mit ihrem
Eultus verbunden waren, felbft einführen ), und als die
erften Lehrer derfelben erfcheinen. Aus dieſer Eigenthüm-
lichkeit erklärt es fih, warum Athamas, weldyem früher
Menfchen, fpater Midder geopfert wurden, den Phrixos
opfern will, und ein Widder für diefen gefchlachtet wird.
Aus dem namlichen Grunde verfhlingt auf Kreta Kros
nos feine eigenen Kinder, Medeia tödtet die ihrigen, und
Medeia und Go, welche Bradifaten der Hera ihre Entſte—
bung zu verdanken haben, begründen in Argos und Korin-
thos die Verehrung der Hera, wie Helena deßhalb der Ner
mefis, welche die Sage ihre Mutter ®) nannte, einen
Tempel erbaut.
Die Prieftergefchlechter nannten ſich im Alterthume
haufig nach den Namen der Götter, welchen fie dienten.
Chryſes heißt der Priefter des goldftrahlenden Apollon, und
feine Tochter nennt der Sänger Chryfeis, wie die Pallas
man wohl einfieht, daß fie urfprünglich ein und dasſelbe
Weſen waren, welches im Theben einen andern Namen
führte, weil es bier als Weltfünftler verehrt wurde, und
bei den Minyern einen andern, melde e8 als Hades
verehrten, wie denn überhaupt in allen ihren Sagen der
Hades eine fehr große Nolle fpielt. ef. Buttmann, My—
tholog. II, 216 Not.
182) Creuzer, Symbol, I, 15.
483) Pausan., J, 33, 7.
31*
484
ale Mondgdttin den Beinamen Chrofe '*) hatte. Darum
dürfen wir und nicht wundern, wenn die Priefter des Lapby-
ftifchen Zeus nach einem Praͤdikate desfelben Athamantiden
genannt werden, und wir haben deßhalb durchaus Feine,
Beranlaffung, diefen Namen von einem König Athamas
abzuleiten, fo wenig man die Eumolpiden in Athen von
einem sterblichen Prieſter Gumolpus '®) ableiten darf. Diefe
‘priefterfamilien, welche ihr ©efchlecht aus dem früheften
Alterthume berleiteten, waren nad) den Göttern, welchen
fie dienten, benannt, und es ift fehr natärlih, daß die
Priefter einer hieratifchen Zeit, welche mit den Göttern in
unzertrennlicher Verbindung ftehen, und als die befondern
Freunde derfelben angefehen wurden, ihre Namen nicht
zufälligen Dingen verdanfen, fondern von den Praͤdikaten
der Götter entlehnten. Der Name des Eponymos, welcher an
ihrer Spige ſteht, und als Begründer des Cultus erfcheint,
war urfprünglich ein Praͤdikat des Gottes, welchem fie dienen.
84) Auch in Arkadien hatte Athene den Beinamen Chryſe
Dionys. Hal. I, 63. 68. Welder, Trilog. ©. 232, N. 490,
185) Wenn man bedenkt, daß bes Orpheus Name ein Prä-
difat des unterirdiſchen Dionyfos war (Melder, Nactr.
©. 192 fa. Not. 30), fo wird man in Eumolpus gewiß
einen Thrakiſchen Sänger, fondern ein Prädikat dee
Dionyſos erfennen, welcher Mantis wear, wie Apollon.
Nach dieſem Pradifate war dag Prieſtergeſchlecht benannt,
welches bei den Weihen der Demeter und des Dionpfos
eine fo wichtige Nolle hatte. Aus diefer Bebentung des
Sumolpus erklärt fih fein Kampf mit Erechtheug, welcher
diefelbe Bedeutung hatte, mie jener des Lykurgos (Apol⸗
ion) mit Dionyſos.
485
Sobald man nun die ſymboliſche Bedeutung der Meers
fahrt des Phrivos und der Helle nicht mehr verftand, ſon—
dern die Entfernung aus dem varerlicyen Haufe des Atha-
mas als ein Unglüc® betrachtete, fobald man die Ino und
Mephele für verfchiedene Mefen, nicht für verfchtedene Na—
men einer Gottheit hielt, und den Athamas für einen
ſterblichen Fürften anfah, mußte der ſchoͤne Mythos freilich |
vielfache Entftelluugen erfahren. Um die Veranlaffung der
Entfernung der Kinder zu erflären, benüßte die Sage bie
Menfchenopfer, weldye dem Laphyſtiſchen Zeus oder Atha-
mas entrichtet wurden, und meldete, daß Phrixos als fol
des am Altarc in Solge der Raͤnke einer Stiefmurter fals
fen follte, aber durch die Gunft des Hermes und die Vors
ficht feiner Mutter gerettet worden fen, und die Heimath
verlaffen habe, um nicht neuerdings von einer ahnlichen
Gefahr bedropt zu werden. Wer die Entftellungen beachtet,
welche das Herabhängen der Hera vom Olympos und der
Fall des Hephaͤſtos fchon in der heroiſchen Zeit erfuhren,
der wird fich nicht wundern, daß die einfache Sache, welche
der Mythus des Phriros ausdrüdt, die Meerfahrt des
Sonnengottes nach dem fernen Oſten und fen Aufenthalt
im Hades, welchem Menſchenopfer dargedracht wurden, bis
allmaplig Widder dafür geſchlachtet wurden, eine fo fonder-
bare Geſtalt bekommen hat.
Das naͤmliche Loos hatte auch die Sage von der
Fahrt der Argo und der Abhaͤngigkeit des Jaſon von Pe—
lias. Pelias iſt ein Zwillingsbruder des Neleus ‘*), welchen
486) Hom. Il. XI, 234 sqq.
486
wir fchon ale Hades kennen gelernt haben, und wird, wie
diefer '”), als ein gewaltthätiger Mann gefchildert, iſt
aber deßwegen doc) ein Liebling der Götter), wie Neleus.
Der Bruder diefes Fuͤrſten dürfte wohl diefelbe Bedeutung
gehabt haben, welche diefer in der alten Sage hatte. Wie
Neleus dem Melampus feine Habe vorenthalt, und ihm die
felbe erft nadı Verlauf eines vollen (oder großen) Jahres
zurüdgibt, fo reißt Pelias das Neid) des Jaſon an ſich,
welcher in eben fo großer Abhängigkeit von ihm fteht, wie
Apollon bei Admetos. In Jolkos wurden nach unferer
Dermuthung Hades und der Sonnengott, welcher Jaſon
und Aiſon oder der Schimmernde hieß, verehrt. Beide
waren aljo Herrſcher. Als die Sage die Namen Aeſon
und Jaſon ald Vater und Sohn verfnüpfte, fie beide und
den Pelias als irdifche Könige betrachtete, und weder die
Bedeutung der Fahrt des Aefoniden Jaſon auf dem Sons
nenkahne, noch die Abhangigkeit desfelben von Pelias mehr
verftand, ward die Sage dahin verändert, daß Pelias dem
Jaſon fein Reich vorenthielt, und denfelben, als er Anfprüche
auf die Herrichaft machte, nach dem Aeaifchen Eilande
ſchickte. Aus der Erörterung diefer Mythen dürfte fich
157) Hesiod. Theog. 991.
4188) Hom. Odyss. XI, 255. Die Namen der Töchter des Pe—
liad waren urſpruͤnglich, wie die der Prötiden, Praͤdikate
der Mondgottin, welche in einigen Sagen als Gemahlin,
in andern ald Tochter des Hades dargeftellt wird. Wer
diefe Anficht bezweifelt, vergleiche die verfchiedenen An—
gaben uber die Abkunft der Hekate. Schol. Apoll.
Bhod. III, 867. 1054.
487
auch abnehmen laflen, bejonders wenn man die Bedeutung
der Abhangigkeit des Kreon von Erginos unbefangen be
trachter, wie die Sage von der Abhangigkeit der Athenien:
fer von Minos entitand. Minos hatte eine eben fo große
Rolle in der alten Kretifchen Sage, wie Dionyfos in den
Mythen anderer Gegenden *). Theſeus fegelt als Sonnen-
gott nach Kreta, und halt fi) im Haufe des Minos auf,
wie Apollon in jenem des Admetos. Er fteht bei demſel—
ben in der mamlichen Abhangigkeit. Minos hatte, wie der
feine eigenen Kinder verfhlingende Kronos, einen blutigen
Dpferdienft. Die fieben Knaben und Madchen, welche
Thefeus auf feinem Schiffe hat, beziehen ſich, wie die Kin;
der der Medeia, auf fein Wefen als Sonnengott. Ale
man die Abhangigkeit des Thefeus von Minos buchftablicy
nahm, beide als mächtige Könige betrachtere, die vierzehn
Kinder auf des Thejeus Schiffe für Opfer hielt, welche dem
Minos fallen follten, mußte freilich die Meinung entftehen,
als ware Athen von Kreta abhangig gewefen, und hätte durch
Theſeus Menfchentribur als Zeichen diefer Abhangigkeit nach
der Inſel geſchickt.
189) Die Hekate gebietet (Hesiod. Theog. 4118099.) über Him⸗
mel, Erde und Meer und uͤber die Unterwelt. Eben ſo
groß iſt der Wirkungskreis des Dionyſos in der alten
Sage, und eben fo groß dürfte jener des Minos geweſen
fepn. Als Sebieter der Unterwelt ericheint er bei Home-
ros, fo aus in vielen andern alten Sagen. ef. Buttmann,
Myotholog. II, 216 fg. Not.
458
Zweiundzwanzigſtes Capitel.
Ueber die große Herrfhafti Des Minos, Agamemuon und
Diomedes.
Homeros fagt'), Agamemnon habe vor den andern Se
roen den großen Vorzug von Zeus erhalten, mit dem Sceps
ter der Macht geehrt zu feyn, und es heißt auch?)
an einer andern Stelle der Ilias, daß er über viele Inſeln
und über ganz Argos geherricht habe. Betrachten wir hin;
gegen den Schiffsfatalog, fo erfcheint Diomedes als Gebieter
von Argos, und von Agamemnons großer und weit ausge
dehnter Herrichaft zeigt fich Feine Spur. Diefe Widerfprüche
fucht man gewöhnlich durch die Annahme zu heben, daß die
Ilias das Werk vieler Sänger fey. Allein mit diefer Hypo:
thefe ift wenig geholfen. Wenn auch die Jlias nicht einem,
fondern mehreren Sängern ihre Entftehung zu verdanfen ge—
habt hätte), fo hätten diefelben doch fammtlidy aus einer
Duelle fehöpfen müffen, namlich aus der Volksſage. So
lange diefe Gemeingut war, und Tein Dichter, welcher als
ein treuer Diener der Mufen gelten wollte, willfürlicy ändern
durfte, mußten die Sänger in ſolchen Erzählungen überein:
ftimmen, in fo ferne fie einer Quelle folgten. Daß man
aus diefer Annahme fich die verfchiedenen Angaben in ben
Homerifchen Gefangen niemals erklären Fann, liegt am Tage.
Diefelben haben ihren Grund in den einzelnen Lokalſagen,
4) Hom. 11. IX, 38 sqgq.
2) Hom. Il. 1, 108.
3) Il. II, 559 sqgq.
459
welche die epiſche Poeſie mit einander verfnüpfte, wie fie
die National» Sage verband, als die verfhiedenen Helleni—
ſchen Stämme einander näher Famen. Wie Homeros in
Bezug auf die Irrfahrten des Menelaos und Odyſſeus oder
ruͤckſichtlich des Ortes, auf welchen Hephaͤſtos niederfiel,
als er aus dem Olympos geworfen wurde, dieſer National:
Sage folgte, und deßhalb die Gemahlin des Hephaͤſtos
bald Aphrodite, bald Charis nannte, ohne fih um die
fcheinbaren Widerfprüche zu befümmern, fo folgte er ihr
auch hinfichtlich der Macht des Agamemnon, welder als
weitgebietender Fürft und Beherricher vieler Inſeln gefeiert
war, während in andern Sagen Diomedes als Gebieter
von Argos gepriefen wurde. Diefe Widerfprüce zu loͤſen,
war nicht Sache des Dichter. Bei Agamemnon Fonnen
indeffen diefelben nicht fo fehr auffallen, wie bei Herakles,
da man den Agamemnon als Herrfcher von Argos nad)
berfommlicher Weiſe zu betrachten pflegt, ohne fih um
Diomedes zu befümmern. Auffallender ericheint die große
Macht des Herakles. Zeus felber verkündet‘), daß die
Eileithyia an jenem Tage, an welchem er feinen Ausſpruch
that, einen Mann, namlidy den Herakles, an das Tages—
licht fordern würde, welcher hinfort alle ummwohnenden Vol:
fer jenes Heldengejchlechtes beherrfchen würde, welche aus
jeinem Blute gezeugt wären, Betrachten wir andere Stel-
len der Homerifchen Gefänge, fo koͤnnen wir auch nicht dic
geringfte Spur von diefer weit ausgedehnten Herrfchaft des
Herakles entdecken, im Gegentheile, Herakles erfcheint in
4) Hom. ll. XIX, 430 sqq.
490
der härteften Knechtfchaft und von Eurnftheus fo bedrangt,
daß er das aualenvollfte Leben unter allen Herven hat. Er
irrt von einem Ort zum andern, und fcheint nirgends eine
bleibende Stätte zu haben. Die Sage fuchte zwar diefen
MWiderfpruch zu löfen, aber die Art und Meife’), wie fie das
große Raͤthſel zu erklären jucht, ift nicht fo beichaffen, daß
fie alle unfere Zweifel beſchwichtigen Fonnte, Hera betrog
den Zeus, und ließ fi von ihm durch einen Schwur befraf-
tigen, daß derjenige Held, welcher an diefem Tage das Licht
der Sonne erblickte, über alle Ummohnenden herrfchen follte,
und als Zeus diefes befchworen hatte, enteilte fie dem Olyms>
pos, und bewirkte, daß die Gemahlin des Sthenelos‘) den
Euryſtheus im fiebenten Monate gebar. Die Folge davon
ſey nun gewefen, daß ihm’ Herakles fein ganzes Leben dienen
mußte.
Allein hier hat die Sage offenbar zwei — *— My⸗
then nicht ſtrenge geſchieden. Euryſtheus hat als Gott des
Schattenreiches eine große und weit ausgedehnte Macht,
welche ſich auf alle Menſchen erſtreckt. Herakles hat die—
ſelbe ebenfalls. Allein als man die große Macht des Alki—
den mit ſeiner Abhaͤngigkeit von Euryſtheus unvertraͤglich
fand, ſuchte man ſich feine Knechtſchaft durch fein Verhaͤlt—
niß zur Hera, welches man nicht mehr verftand, zu erklären,
und ließ die raͤnkevolle Göttin den Zeus auf die angeführte
Weiſe hintergehen.
5) Hom. 11. XIX, 4169.
6) Der Name ift ein jehr bejeichnenbed Praditat des Hades,
wie der Name Periſthenes, welcher Vater des Diktys und
Polndektes iſt.
491
Wenn wir auch diefe Sagen von der großen Herrfchaft
des Heralles wegen feiner Dienjtbarkeit nicht beachten woll—
ten, was aber fonderbar wäre, fo bliebe es doch ein Rathiel,
wie Diomedes, welcher mit Vallas göttlich verehrt wurde”),
und von den gewichtvolliten Zeugen des Alterthums als goͤtt—
lihes Weſen bezeichner wird, Herrfcher von Argos genannt
werden kann? Mit den Achaern fteht Diomedes, weldyer den
Pelasgern und Lelegern’) angehört, in Feiner Verbindung,
und wenn auc) die Pelasger oder Herakliven die Achaer zur
Zeit des Trojanifchen Krieges bereits aus ihren alten Wohn—
figen verdrangt hatten, fo kann man doch nicht einfehen, war-
um und wie ein Gott als machtiger Herricher eines großen Ge—
bietes genannt werden follte? Noch weniger laßt ſich begreifen,
warum Safon ein Völkerhirt heißt, und doch al& Flüchtling
umbherirrt? Eben jo ratbfelhaft ift die große und weit aus-
gedehnte Herrichaft des Minos, welchen Thufydides °) fogar
als den erften Gründer einer Seemacht betrachtet. „Minos
war der altefte Gründer einer Seemacht; denn er beherrfchte
den größten Theil des jegigen Hellenifchen Meeres, und ges
bot über die Kykladiſchen Inſeln, bevölferte auch die meiften
7) Pind. Nem. X, 7. Callimach. Hymn. in Pallad, lav.
35 sgg-
Thucydid. I, 4. Andere gehen noch weiter, und nehmen
zwei verfchiedene Minos an, von denen der erite nach ihrer
Unficht der @efengeber, der zweite aber der Meerbeherricher
war, ohne zu bedenken, daß Homeros und Heſiodos nichts
von einem doppelten Minos wiffen, und die Chronologie
mit der Mopthengefhichte in Feiner folben Beziehung
ftebt, wie mit der politifchen.
8
—
4923
zuerft, indem er die Karer vertrieb, und feine Söhne ale
Häuptlinge einſetzte; auch vernichtete er, wie leicht zu ers
achten, die ©eerauber, fo weit er Tonnte, damit ihm Die
Einkünfte um fo eher eingingen.“ Wir wundern uns, daß
fid) der. große und fcharffinnige Gefchichtforfcher, welcher
fehr wohl erkannte, daß zwiſchen Sage und Gefhichte ?)
ein großer Unterfchied fey, in Bezug auf Minos durch bie
Dichtung und den hohen Glanz, welchen ihr Minos zu vers
danfen hatte, blenden ließ. Die Seemacht der Kreter kann
doch wahrlich) nicht fo glanzend gewefen feyn, wenn Rha—
damanthys, welcher den Tityos auf der Inſel Eubda be-
fuchen wollte, fich zu den Phaͤaken begeben, und ſich von
denselben nicht bloß nach diefer Inſel fchiffen, fondern auch
wieder zurüdführen laffen mußte! Won der Abftammung
des Minos wollen wir gar nicht reden, fondern nur an
feine Beftimmung im Hades erinnern. Wozu bedurfte der
Beherrfcher des Öchattenreiches einer Seemacht? Wie
konnte er, welchen wir aud) herummandern jahen, derjelben
ein fo großes Gewicht verfchaffen, und die Karer Damit vertret-
ben, welche, wenn wir alle Sagen unbefangen mit einander
vergleichen, keineswegs in einem fo feindfeligen Verhaͤltniſſe
9) Thucyd. 1, 22. „Die Entfernung des Mährhenhaften
in diefen Nachrichten wird dem Ohre vielleicht minder
suziebend erfcheinen.‘ 1, 20: „So wenig Mühe macht
den meiften die Erforfhung der Wahrheit, und fie nehmen
lieber das Nächite Beite an.’ Diefe Aeufßerungen zeugen,
daß er weit von dem Irrthume entfernt war, als fen die
Mythengeſchichte bucftäblic) zu nehmen, wie man felbft
in unferer Zeit zum Theil noch glaubt.
493
zu ihm ſtehen, fondern eher als feine Freunde und Bundes-
genoffen erfcheinen,, auch Feineswegs in den Zeiten, in welche
man gewöhnlich den Minos fest, von allen Sinfeln vers
trieben waren,
Die Söhne, welche Minos ald Hauptlinge eingeſetzt
baben ſoll, waren‘) Feine fterblichen Wefen, fondern hatten
Pradifaten von Göttern ihr Daſeyn zu verdanken. Heſio—
10) Minos kann als Sohn des Zeus und der Europa, der
Mondgöttin (Hom. Il. XIII, 450. XIV, 320), da er mit
Zeus in unmittelbarer Verbindung ftebt (Odyss. XIX,
172), der Geſchichte nicht angehören. Oder glaubt man,
daß die Eänger die goͤttlichen Eltern ihm amgedichtet
baben, und Aſterios, der Sternmann, welcher ia einer
andern Sage fein Vater heißt, ein Menfch gewefen fen ?
Des Minos Sohn Deutalion (llomer. Odyss. 1. e.)
war urfprünglich ein Prädifat des Sornengotteg, welcher
ale Abende mit feinem Kahne in die See geht (Melder,
Nachtrag zur Trilog. ©. 517 Not,) Seine Tochter Ari—
adne (Hom. Odyss. XT, 24) bet man längft als Mond—
pöttin erkannt (Müller, Vrolegom. ©. 244). Sein
Bruder, der blonde Rhadamanthys, war, wie Deufalion,
urfprünglih Pradifat des Sonnengottes, fo auch Gar:
pedon. Wenn andere den Lpkaſtos Sohn des Minos
nennen, fo baben wir Fein anderes Wefen, fondern nur
einen anderen Namen desſelben Gottes (Schwend, S. 39).
Wir fehen alfo nicht ein, wo die Söhne des Minos
berrihen? Die Wanderungen des Saryedon und Aha:
damanthys bezieben fich keineswegs auf die Ausbreitung
Kretifcher Kolonien, fondern auf den Kreislauf der
Sonne,
494
d08 nennt den Minos keineswegs“) einen großen Beherr—
fher des Meeres, fondern fagt, daß er gar vielen der
ringsum wohnenden Männer gebot, und mit dem Gcepter
des Zeus die Städte beherrſchte. Wo aber diefe vielen
ringsum wohnenden Männer zu fuchen feyen, wiffen- wir
nicht. Er hat alfo, wie Agamemnon, Herakles und Dio-
medes eine ungemein große Macht, ohne daß man
fagen koͤnnte, über welche Völker er diefelbe ausge,
übt habe.
Bei Melampus) und Vriamos”) ift die große Herr
ſchaft, welche fie nad) Homeros befigen, noch auffallender.
Als Melampus Pylos verlaffen hatte, begab er fi) nach)
Argos; „denn bier beftimmte ihm das Schiefal Wohnun—
gen, und weitumber ein Herrfcher zu ſeyn den Ars
geiern.“ Wenn Melampus, Divmedes und vor ihm fein
Dater, wenn Atreus und Agamemnon in Argos berrichen,
wie kann die Sage die Größe ihrer Herrfchaft rühmen,
und doch ift Diefelbe ungemein gepriefen? Wenn man
auch zugeben wollte, daß die Herrfchaft der Pelopiden von
Amyklaͤ“) ausging, und fi) von hier nad) Argos vers
breitete, fo ließe fich unter den bezeichneten Umftänden auch
auf diefe Meife der große Miderfpruch zwifchen alter
Ueberlieferung und der Mirklichkeit nicht loͤſen. Achilleus
11) Hesiod, Theogon.
12) Hom. Odyss. XV, 225 sqgq.
15) Hom. 11. XXIV, 543 sqgg.
44) Pind. Pyth. XI, 32 p. 345. T. II. ed. Diss. Müßer,
Orchom. 319. ef. Diss. ad Pind. Pyth. I, 64 p- 175
T. II. Müller, Dor. 1, 91 fg.
495
fagt zu Priamost), daß ihn vormals die Voͤlker gluͤcklich
priefen ; „alles, was dort Lesbos, der Sitz des Mafar,
was Phrygia umgranzet, und bier der unendliche Helles—
pontos, das beherrfchte er, durch Macht und Söhne ver-
herrlicht.“ Rechnen wir das Gebiet, welches die Hilfe:
pölfer der Zeufrer bewohnen, ab, welche von diefen keines—
wegs abhängig, fondern mit ihnen nur verwandt waren,
fo laßt fich nicht einfehen, wie der Pelide den Priamos
wegen der Größe feiner Herrfchaft bewundern konnte. Und
doch dürfen wir der feften Ueberzeugung ſeyn, daß auch bier
der Sanger fi Feine willfürlichen Erfindungen erlaubte,
fondern ganz getreulich überliefert, was in alten Sagen ent:
balten war.
Auf hiſtoriſchem Wege dürften diefe und viele ähnliche
Angaben fi) wohl nicht fo leicht auf eine allgemein befrie—
digende Weiſe erklären laffen, befonders wenn man alle
Sagen über das Wefen diefer Herven gehörig würdigt, viel
leicht eber auf mythologiſchem. Mir wollen die Anficht,
welche wir durch Erwägung der in alten Quellen erhaltenen
Nachrichten und Vergleichung derfelben mit dem Malten der
Götter gewonnen haben, in Kürze darlegen, uns deßhalb
aber keineswegs anmaßen, als hätten wir das Raͤthſel
gelöst.
Die weite Herrſchaft des Hades und die Praͤdikate,
die er deßhalb hatte, find befannt. Auch der Grund, warum
er dieſelbe beſitzt, iſt ſchon vfter in diefen Erörterungen an;
gedeutet worden, und dürfte nicht fo leicht in Zweifel gezogen
/ 35) Hom.11. 1. ce.
496
werden, Dem Hades iſt alles unterthan, was auf Erde
wandelt, und die Gaben der Erde genießt, Auch der Meers
gott Pofeidon heißt Eurykreion“), ein Prädikat, das
fi offenbar auf die weite Ausdehnung feiner Herrfchaft ber
zieht. Wer die Menge der Gemaffer betrachtet, und bedenkt,
daß alle Beherrfcher der einzelnen Theile verfelben feine Va—
fallen find, welche fi feinem Willen 7) unbedingt unterwer-
fen, wird uns zugeben, daß er dasſelbe mit vollem Rechte
tragt. Zeus heißt bei Homeros Euryopa ®), der weitfchauende.
Er war in der alten Mythologie Sonnengott”). Wie die
Sonne mit ihrem Lichte alles erhellt, fo uͤber ſieht fie auch
alles. Es gibt nichts, was dem Sonnengotte, welcher bis
auf die Tiefen des Meeres ſchauet ), unbekannt ware.
Mie er alles fieht, fo fühlt auch alles, wohin feine Strahlen
nur immer dringen, fein machtiges Walten. Die
großen und weiten Wirkungen feiner Macht”) hat die Sage
durch ein fehr fchönes Praͤdikat verfinnliht. So groß feine
16) Hom. Il. XI, 751.
17) Ovid. Metam. I, 274 sgq.
18) Andere erflären dag Wort anders, und glauben, es heiße
der weit Tönende oder weit Donnernde, was ung jedoch
nicht wahrſcheinlich zu ſeyn fcheint.
19) Shwend , ©. 32 ffg.
20) Pind. Olymp. VII, 61 sqgq. ef. Hom:'Odyss. I, 52 sq:
34) Wir erinnern an das Beiwort des Apollon, Hefaergos,
der weithin Wirkende! Das Tem. Hefaerge findet fi
old Beiwort der Artemig, und von ihr getrennt, ward
e3 zu einer Dienerin der Göttin umgebildet. Spanh.
Callim. Del. 292. Shwend, ©. 220,
497
Macht ift, welder nichts zu widerftehen vermag”), eben
fo weit erfireckt fich diefelbe. Sobald die Sage den Zeus
perfonificirte, und als Herrſcher darftellte, mußte fie ihm
nothwendig ein weit ausgedehntes Reich geben, und dieſes
große Reich ift die Erde. Sie pries ihn alfo als Fürften,
welcher alle ringsum auf derfelben Wohnenden regiert, wie fie
22) Schwend (©. 219) fagt in Bezug auf Alkeftis als Mond—
göttin ſehr fhön: „Die ftarfe, gewaltige Göttin war
fie, wie ihre Beiname Sphigenein anzeigt, aus welhem
die befannte Sage von Iphigeneia, Agamemnons und
Klytaimneſtra's Tochter, entitand. Auch Brimo be
deutet dasfelbe.” Der Sonnengott heißt wegen der
Stärke feiner Macht Iphitos und Sphikles oder Iphi—
flos. Dürften wir eine kuͤhne Vermuthung wagen, fo
würden wir die ungeheure Größe de3 Tityos, die drei
Körper des Geryones, die Niefengeftalt des Polyphem
und fo vieler anderer Wefen, welche ehedem Praͤdikate des
Sonnengottes waren, aus der Anſicht von der Stärfe
des Sonnengottes,defen Macht nichts zu widerftehen
vermag, erklären. Die Alten, welde dieſelbe ſymbo—
liſch ausdrüdten, wie alle andern Merkmale, Eonnten
fein paflenderes Bild zur Verſinnlichung derfelben
waͤhlen, al3 eine Niefengeftalt oder die drei Körper des
Geryones. ALS folder Rieſe vermag Atlas, urfprüng-
lich Sonnengott, die Säulen des Himmels und der
Erde zu tragen, Auf der Sonne fcheint das ganze Him-
melsgewölbe zu laften. Sobald man glaubte, dasfelbe
‚ruhe auf Säulen, damit es nicht auf die Erde niederfalfe,
wer follte diefelben tragen, als der Sonnengoit, auf
defien Schultern es ruht, und deffen Stärfe nichts zu
ermüden vermag?
9’
[db]
Vothalle zur Griechiſchen Geſchichte
498
fammtlih von Hades in Abhängigkeit ftehen. Aus diefem
Grunde hatte Agamemnon das Pradifat Euryfreion, welches
außer ihm nur Pofeidon trägt, und deßhalb ift er mit dem
Scepter der Macht vor allen fierblichen Königen geehrt.
Deßhalb befigen auch Divmedes, Heralles, Melampus
und Minos weit fich ausdehnende Reiche. Diefe Macht
war, wie ihre Thaten und Attribute, in vielen Gefangen
gepriefen, und hatte dadurch einen folchen Glanz erhalten,
daß fie nicht mehr in DVergefjenheit Fommen konnte. Die
Völker, welchen fie ald Götter angehörten, wurden ver:
drängt, oder verloren fih unter mächtigern Stämmen,
welche ihre befondern Götter hatten. Sie wurden dadurch
in die Reihen der Herven herabgedrängt, und allmahlig
als fterblihe Könige betrachtet. Der Ort, wo ſich ihr Name
in befonderem Glanze erhalten hatte, ward ihnen als Sit
ihrer weltlichen Herrſchaft angewiefen. So erfcheint Pelops
in Pifatis und vorzüglich in Olympia, Agamemnon in
Mykenaͤ und Argos, Divmedes in Argos, Melampus in
Argos und in Pylos befonders einheimifh. Warum follte
fie die Sage nun nicht ale Könige diefer Orte betrachten,
und da die Ueberlieferungen von der Größe ihrer Herr
[haft in den alten Liedern noch erhalten waren, fie
nicht als weitgebietende Fürften preifen, ohne fi ängft-
lich) um die geographiſchen Verhaͤltniſſe zu fümmern?
Als ſolche gingen fie in den epifchen Gefang über, und aus
diefem wurden fie in die Gefchichte verpflanzt. Ein Theil
der Gefchichtfchreiber weiſet ihnen ohne Bedenklichkeit wegen
der vielen Widerfprüche einen beliebigen Plas in
derfelben an, andere fuchen diefelben durch Scharffinn fo
499
weit als möglich zu befeitigen, aber heben Kann diefelben die
Geſchichte nie,
Wie, aus Agamenmon, dem Karifchen Zeus, ein
mächtiger König wurde, welchem vor Troja alle Hellenen
gehorchen, wie dem Hellenifchen Zeus alle Götter und Men:
fen unterthänig find, fo wurde Minos durch irrige Auf:
faffung der alten, über ihn erhaltenen Sagen der erfte
Begründer einer Seemacht, obichen er, nad) unferm Da:
fürhalten, vielleicht niemals cin Schiff gefehen hat. Als
Gebieter des Schattenreiches war er wegen feiner Macht
gefeiert, und wahrſcheinlich hatte er in der alten Mythos
logie einen eben fo großen Wirfungskreis, wie die Hefate,
welche auch dem Meere gebieter. Er ging, wie Heratles,
in die Hervengefhichte über. Allein wie follte man einen
König von Kreta wegen der ungewöhnlichen Größe feiner
Macht, die in alten Liedern gepriefen war, fo ſehr bewuns
dern? Diefe Frage lieg fich leicht beantworten. Die ſym—
bolifche Bedeutung der Abhangigkeit des Thefeus und der
Athenienfer ?) hatte man längft vergeffen, fo wie aud) die
Urſachen der Wanderungen der Brüder des Minos und feiner
Kämpfe mit Nifos von Megara, Um nun die Größe feiner
Macht zu erflären, meldete die Sage, er habe jene Orte,
wo ſich feine Söhne oder Brüder nach dem Mythos aufhiel;
23) Man kann den Grund der Sage von der Seeherrfhaft
des Minos auch darin ſuchen, dad man den Minog, mie
den Phorkys, nicht bloß als Herrn der interwelt, fondern
auch der Gewaͤſſer berfelben und dann der Gewaͤſſer über:
haupt ehrte, und deshalb einen maͤchtigen Beherrſcher
des Meeres nannte, wie den Pofeidon.
Ed
500
ten, und felbft Athen in Abhängigkeit gebracht. Um aber
ſich Macht und Anſehen auf den Inſeln zu verſchaffen, habe
er vorher die Karer, welche dieſelben inne hatten, vertrieben,
was nur durch eine Flotte geſchehen konnte. So wurde Minos
zu einem maͤchtigen Land- und Seekoͤnig, waͤhrend in der
alten Sage die Groͤße ſeiner Macht vielleicht eine ganz an⸗
dere Bedeutung hatte.
Dreiundzwanzigſtes Capitel.
Ueber ven großen Weichthum einiger Heroen.
Es ift eine ziemlidy weit verbreitete Anſicht, daß die
alten Könige und Herven fo viele Reichthuͤmer hatten, daß
fie befondere Schagfammern erbauen mußten, um diefelben
unterzubringen. Der Reichthum des Menelaos, des Ddyfe
feus, Alfinoos und Priamos ift aus den Homerifchen Geſaͤn⸗
gen Hinlänglich befannt. Und doch erfehen wir aus eben
diefer Urkunde, daß es in der heroifchen Zeit Feineswegs einen
fo großen Vorrath von edlem Metall gab, daß man nicht
bloß einzelne Gegenftände damit verzieren, fondern ganze Fir
guren, wie die goldenen Hunde des Alfinoos, daraus verfers
tigen Fonnte, und eigene Behälter nothwendig gehabt hätte,
um die Menge der goldenen und filbernen Geräthichaften auf
zubewahren. Wenn wir nur den Umftand berücfichtigen,
daß der Sänger der Ilias jede Troddel der Aegis Hundert
Stieren am MWerthe gleichachtet, fo müffen wir ung über-
zeugen, daß Gold und Silber damals noch nicht fo haufig
waren, ald man nach der Schilderung des Reichthumes eins
501
— —
zelner Heroen, welche chedem eine ganz andere Bedeutung
hatten, zu vermuthen geneigt ift.
Erwägen wir ferner die Art und Meife, auf welche
Menelaos und Odyſſeus zu ihrem Reichthume gelangten, ber
trachten wir die Gegenftande, in denen derfelbe befteht, fo
müffen wir uns überzeugen, daß derfelbe wohl nur eine ſym—
bolifhe Bedeutung gehabt haben dürfte. Odyſſeus ſoll fich
während feiner Ssrrfahrten fehr große Schäge gefammelt
haben. Und doch fehen wir ihn, als er bei den Phaͤaken
anfommt, fo verlaffen, daß er wie ein armer Bettler er-
fcheint, fo froh, daß er fein Leben gerettet habe, daß er an
feine verganglichen Güter der Erde denft. Wenn die Gaft-
freundfchaft im Alterthume auch noch fo groß war, wenn
Odyſſeus auch überall, wohin er fam, ein fchönes Gefchenf
erhielt: wie brachte er, welcher beftandig mit den Elementen
zu fampfen hatte, diefelben nach Haufe? Noch fonderbarer
Klingt die Sage‘), daß Menelaos, welcher von fo großem
Verlangen nach feiner Heimath entflammt war, wie Odyſ—⸗
feus, abfihtlich umbhergeirrt fey, um fich Gold und ans
dere Reichthuͤmer auf diefe Meife zu fammeln! Soll es ein
fo Jangefehener König, wie er, nicht unter feiner Würde
gefunden haben, in fremden Landern fich herumzutreiben, um
fih zu bereihern? Mer wird wohl glauben, daß die
Aegyptier, welche ficb damals noch fo ſehr von allem Vers
fehre mit fremden Völkern zurücdzgogen, daß die roben
Voͤlkerſchaften Libyens einen ihnen ganz unbekannten
Griechifchen Fürften nicht bloß mit der größten Bereitwillige
4) Odyss. III, 299 sqq-
302
feit aufnahmen, fondern auch fo befchenften, daß er einer der
reichten Fürjten des ganzen Altertfums wurde? Wären die
Yeanptier und Libyer fo freigebig gewefen, fo müßten wir
von diefer Tugend in der hiftorifchen Zeit wenigftens noch)
einige Spuren finden, Allein wir Fonnen Feine An-
gabe der Art entdecken, welche eine foldhe Vermuthung rechts
fertigen koͤnnte. Märe ferner damals das Reifen mit fo
großen Vortheilen verbunden gewefen, fo hatte man wahrlich
die Hälfte des Lebens auf Wanderungen zubringen müffen,
um fich durch die gefammelten Schätze den Reft desfelben fo
weit als nur immer möglich ift, verfchönern zu Fonnen?).
2) Menelaog (Odyss. XV, 80 sqq.) gibt dem Telemachos die
Verfiherung, wenn er etwa noch weiter umber reifen
wollte, um noch bei Andern Erfundigungen von feinem
Mater einzuziehen, fo würde ihn gewiß Niemand leer
fortgehen laffen. Odyſſeus wurde von den einzigen Phaͤa—
fen fo reich befchenft (Odyss. XII, 10 sq- 135 sqq.),
daß er die im Schiffbruche verlorne Kriegsbeute vergeffen
Eonnte. Wenn auch die Luſt zu geben und zu nehmen
noch fo groß war (Odyss. VIII, 546 sq. XI, 556 sq.
XIX, 282), fo koͤnnen wir doch nicht begreifen, warum
die Alten gegen einen Kremdling fo freigebig waren, daß
fie ihn, fo zu fagen, mit Gefchenfen uberfchütteten, und
wie fie, wenn fie diefe Freigebigfeit oft wiederholten, und
wie Polybos, gleich zehn Talente Goldes fchenften, der
Verarmung entgehen Eonnten! Diefe $reigebigfeit hat
in der ganzen Geſchichte Fein Beifpiel, und doch find die
Menfhen, wenn fie fih auch im Einzelnen noch fo
fehr von einander unterfcheiden, im Ganzen fi fo.
ziemlich gleich.
503
Die Befchaffenheit der Gaben?) muß uns ebenfalls
überzeugen, daß der Reichthum des Menelaos und fo vieler
anderer Heroen eine ganz andere Bedeutung hatte. Der
König Polybos von Theben gab dem Menelaos ein Paar
Badwannen von Silber, zwei dreifüßige Keffel und zehn
Talente Goldes“). Auch der Helena weihte feine Gattin
fhöne Gefchenfe, eine Spindel aus Gold und einen Korb
von länglicher Rundung. Der Korb war ganz von Silber
und die Ränder desfelben waren aus Gold gebildet. Bon
der Bedeutung diefer Gefchenfe haben wir ſchon geiprochen,
und wir hegen die Ueberzeugung, daß wohl wenige Kenner
des Altertfums glauben werden, daß die Frauen in der frü-
heften Zeit goldene Spindeln hatten, fo wenig als fie bie
goldene Spindel der Artemis als ein gewöhnliches Geraͤthe
betrachten werden.
3) Hom. Odyss. IV, 125 sqq. cf. 90. Auch Kleidungsftide
und Wein gehören nach Homeros (Odyss. VIII, 392.
438. IX, 201 sqgq.) zu den Gegenftanden, welche Reifende
als Geſchenke erhalten haben follen,
4) Wenn Polybos in den DVerzeichniffen der aͤgyptiſchen Ko:
nige zu finden wäre, würden wir feine fo große Be—
denflichfeit äußern; allein wir ſuchen vergeblih nad
feinem Namen. Kerner wandern nicht bloß biefe He—
roen, fondern auch die Götter, welche doch unmöglich
berumirren, um fich bewirthen zu laffen, und Schäße
einzufammeln, Der mit dem Purpurmantel (Hom.
Odyss. IV, 115) gefhmüdte Telemachos ift doch offen:
bar der Hefaergos der Mythologie oder Helios, welcher
ebenfalls im Purpurmantel auf feinem Throne fist?
504
Auch die filbernen Badewannen und die Kefjel, die
Menelaos zum Geſchenke erhalten haben foll, dürften wohl in
der Wirklichkeit niemals vorhanden gewefen feyn, fondern fi)
aus dem Kahne oder Keffel, welchen Helios gebraucht, um
feine Fahrt nach den vftlihen Gegenden zu machen, am beiten
erflaren laffen. Ueberhaupt glauben wir, daß fi) die Größe
der Reichthuͤmer, welche Menelaos und andere Heroen fi
auf ihren Manderungen, welche diefelbe Bedeutung haben,
wie jene des Helios und Apollon, gefammelt haben follen,
auf hiſtoriſchem Wege, wenn man die Mohlhabenheit und
Freigebigfeit des Altertfums auch noch fo hoch anfchlägt,
niemals auf eine befriedigende Weife erklären laſſe, wohl
aber aus der Mythologie, und warum follen wir uns nicht an
die Göttergefchichte halten, da diefe allein die vielen Raͤthſel,
welche die Heroen-Sage darbietet, zu löfen verinag ?
Hermes’) hat in Arkadien eine große Behaufung, deren
Gewinde Apollon, als ihm jener Gott die Rinder entwendet
hatte, durchſpaͤhet. Apollon ergriff den fhimmernden Schlüffel,
und öffnete damit drei der Gemacher, welche mit Nektar und
füßem Ambrofta angefüllt waren. Auch lag viel Gold und Silber
darin aufgehäuft, es lagen darin viele Purpurgewande und
fhneeige Hüllen der Nymphen, „wie es die heiligen
Häufer der feligen Goͤtter beſitzen.“ Diefe ein-
5) Hymn. Hom. Ill, 246 sqq. Hoartives d’ doe aevre uv-
x s ” * 2 * ER | —*
709 ueydkoıo douoıo, Toeis advrovg avyepye, kaßov
zınide paeıymv, vezıaoos Zunkeiovs 7)” dußoocins koc-
teıvis. noklös DE yovoös TE zei @pyvoos Evdov Ezeıto,
rolhc DE yoıvırdevıe zei coyvpa eiuere Miugpns, oia
IE0v unrzdooy ikooi Jouoı Eyros Eyovomw.
505
fache Erzählung gibt uns den Schlüffel zum Verftändniffe der
Sagen von dem großen Reichthume des Priamos, des Alkinoos,
des Odyffeus und Menelaos. Wie die Pallafte des Alkinoos und
Menelaos in der Wirklichkeit nicht exiftirten, fo war aud)
der Reichtum, welchen ihnen die Sage beilegt, nicht von
irdifcher Art, fo wenig als jener des Hermes. Die Sage
und die Dichter hatten denfelben verherrlicht °), wie ihre Woh—
nungen und die verfchiedenen ſymboliſchen Gegenftände, welche
fie fonft hatten, und fobald fie durch die ſchon vfter ange,
deuteten Umſtaͤnde in die Geſchichte verflochten wurden,
gingen auch die Sagen von ihren Schäen in diefelbe Über,
ohne daß fi) Jemand mehr um die Beichaffenheit derjelben
kümmerte. Da aber Fein Fürft der heroifchen Zeit folche
Schaͤtze beſaß, fo fuchte man fich die Menge und Größe
derfelben aus ihren Wanderungen und den gaftfreundichaft-
6) Wer es bezweifelt, daß diefe Gegenftände vielfach befun-
gen waren, der betrahte, was Hermes (Hymn. Hom,
II, 34 sqgq.) auf feiner Lyra fingt: „Er ſingt von der
Rermählung feiner Mutter mit Zeug, von feiner eigenen
Geburt, rühmt die alänzende Behaufung feiner Mutter
und die Diener, welche in bderfelben zu ihren Geboten
ftanden, fo wie die Dreifüße und Beden, weiche in der
Wohnung feiner Mutter aufgehauft waren.“ Sollen
wir und num wundern, dab des Menelaos Dreifüße und
die filbernen Becken ebenfalls von Sängern gepriefen
waren, und auf diefe Weife in die Gefhichte übergingen ?
Solfen diefelben eine andere Bedeutung gehabt haben,
als jene, die in der Wohnung des Hermes lagen?
Was für Gründe fann man anführen, um einen Unter:
ſchied zwifchen denfelben mit Neht anzunehmen?
506
lichen Verhaͤltniſſen zu erflären, ohne zu bedenken, daß
fremde und rohe Voͤlkerſchaften ficherlich Feinen Griechiſchen
König fo reichlich befchenft, fondern demfelben cher feine
Schaͤtze, wäre er in ihr Gebiet gefommen , entriffen haben
würden. Märe Hermes von feiner hohen Würde in die Reihe
der Herven herabgedrückt worden, fo würde er ebenfalls als
eim reicher König Arfadiens gefeiert feyn, und Niemand
würde daran denfen, daß ein König in dem Arfadifchen
Hirtenlande fo reich nicht feyn Fonnte, fondern die Sage
würde ale alte Weberlieferung buchftablih angenommen
werden.
Eine andere Frage ift es, worin wohl die Sagen von
dem großen Reichtfume, welcher in den heiligen Hau
fern der feligen Götter aufgehäuft ıft, ihren Grund
haben mögen? Diefe Frage dürfte fich aus der Belchafr
fenheit des Reichthumes am beften beantworten laffen. Die
Alten haben den Glanz, welder Sonne und Mond ums
gibt, fobald fie diefe großen Lichter fich belebt dachten, und
fpater perfonificirten, auch auf die Geſtalt und die Attribute,
welche diefe Götter hatten, übergetragen. Apollon hat aus
diefem Grunde einen Priefter Chryfes, welcher aus einem
Pradifate des Gottes entftanden feyn dürfte, da auch Chrys
faon?) urfprüngli nur ein Beiwort des Gonnengottes
7) Schwend, ©, 201. Wer an der Nichtigkeit unferer Be:
hauptung, daß Chryfes ein Prädikat des Apollon war,
zweifelt, der bebenfe, daß Chryfes auch ein Sohn des
Nofeidon und der Chryfogoneia heißt (Paus. IX, 36),
und durch diefe Abftammung doch offenbar als der aus
dem Meere emporfteigende Sonnengott bargeftellt wirb.
=— — — ne — — — — —
— —
nn
507
war. Pallas hatte aus demfelben Grunde in Arfadien °) und
auf der Juſel Samothrafe den Beinamen Chryfe. Die
Chryfothemis des Agamemnon, die Chryfippe des Da;
naos°), die Tochter des Halmos, Chryfogoneia “), die Chry—
fonoe, Tochter des Klitos und Gemahlin des Prötos*),
die Chryſorthe, Tochter des Orthopolis”), welche dem
Apollon den Koronos gebar, die Hamadryade) Chryfor
peleia waren urfprünglich Pradifate der Mondgöttin, welche
fie, wie den Namen Chryfe, wegen der Farbe des Lichtes
trug, wie der Sonnengott aus demfelben Grunde Chry-
Auch dem Minos gibt die Sage einen Sohn Chryſes
(Apollodor. III, 2, 2), welcher diefelbe Bedeutung hatte,
Wir haben ſchon oft erinnert, dag Sonne und Mond
auch als Kinder des Gottes der Unterwelt dargeftellt
wurden.
8) Dionys. Arch. Rom. I, 63. 68. Welder, Trilog. ©. 282.
9) Apollod. II, 4, 5» Daß die Nymphen mit der Mond:
göttin in der innigften Beziehung ftehen, und deshalb
auch viele diefelben Namen tragen, welche die Mondgöt-
tin hatte, baben wir fhon bemerkt, fo daß man fi
nicht wundern darf, daß eine ber Töchter des Danaog,
welche Nymphen waren, einen Namen der Mondgöttin
führt,
10) Pausan, II, 4. Schol. Ap. Rhod. Ill, 1095.
41) Conon., narrat. 32.
42) DOrthopolis war, wie Sofipolig, urfprüngli ein Pra-
difat des Sonnengottes als Städtefhirmers, Als folder
erfheint Apollon in Bezug auf Chryfe und auf die
Inſel Tenedos.
15) Apollodor. IU, 9, 41. Schol. Lycophr. 480.
508
fippos hieß"), und Chryfolaos *) genannt wurde. Die
fombolifhen Gegenftände, welche die Sonnengdtter und
Mondgöttinen trugen, find wegen ber Farbe des Kichtes
von Gold, Elektron, Elfenbein und Silber, Artes
mis hat als fchaffende Göttin die Spindel '), und diefe iſt“)
aus gediegenem Golde. Der Stab, mit welchem Hermes
die Augen der Menfchen fchließt, ift von Gold), und ber
Gott hatte deßhalb den Beinamen Chryforrhapis”). Der
Widder, das Symbol des Hermes, auf welhem Phrixos
nach dem fernften Oſten gelangt, hat ein goldenes?) oder.
purpurfarbiges?) Vließ, wegen der Befchaffenheit Des
Lichtes. Die Negis des Zeus, der Pallas und des Apollon
ift?) mit goldenen Troddeln geziert. Helios fahrt auf.
goldenem Kahne nad) der Aeaͤiſchen Sufel®), Der
14) Chryſippos heißt bald ein Sohn des Aegyptos, bald des
Pelops. Schol. I. II, 105. Eurip. Phoeniss. 65. 1748.
Valeken. Diatr. p. 23. Pausan. VI, 20. Hyg. fab. 85.
Allein ſowohl der Name des Pelops, als jener des Ae—
apptod war urfprünglih ein Praͤdikat des Sonnen-
gottes,
15) Hyg. fab. 90.
16) Gefhichte des Troj. Krieges, ©. 129.
47) Hom. Odyss. IV, 122.
48) Hom. Odyss. XXIV, 2. 3.
49) Phurnut. deN. D. 46.
20) Nah Hefiodos und Pherekydes. cf. Eratosth. Catast.
19. Hyg. Astr. II, 20. p. 391. Mezir. ad Ovid. Epist.
T. II. p. 31 sqg. Müller, Orchom. S. 165.
21) Müller, Orchom. ©. 171.
22) Hom. Il. II, 448 sqg.
23) Mimn. Eleg. 9. Athen. XI, p. 781. d. XI, 469. e. £.
509
Wagen der Hera, welche früher, wie Artemis und Selene,
Mondgöttin war *), hat acht eherne Speichen”) und eine eiſer⸗
ne Achfe. Der Kranz der Speichen ift von unalterndem Golde,
der Seffel ſchwebte auf goldenen und filbernen Riemen, die
Deichfel war von Silber, das Joch von Gold, die fhonen
Seile waren ebenfalls von Gold. Apollon hat einen filbers
nen Bogen“), von weldhem er feine Verderben bringenden
Pfeile abſchnellt. Wegen der purpurrothen Farbe, welche
die Sonne am Morgen und zuweilen auch am Abend hat,
trägt Helios ein purpurrothes Gewand”). Die Lichtgöttis
nen haben als fchaffende Gottheiten die Spindel, und find
Meberinen. Sobald man num alle diefe Attribute, deren
Zahl ſich ungemein vergrößern ließe, als gewöhnliche Gegen:
ftände betrachtete, fobald man die Hallen der Götter, weldye
wegen der blauen Farbe des Himmels, an welchem Sonne
und Mond glänzen, mit blaͤulichem Stahle und wegen der
Farbe des Lichtes mit Gold, Eilber, Elektron und Elfenbein
geziert find, für gewöhnliche und in der Wirflichfeit vorhan-
dene Wohnungen und Pallafte betrachtete, mußten freilich
23) Schwend, S. 32 ffg.
25) Hom. Il. V, 720 sqg. Sollen vielleicht diefe Schilde-
rungen leere Erfindungen des Homeros ſeyn?
26) Hom. 11. I, 37. Eein Priefter ruft ihn ald doyvgoro-
Eos an.
27) Ovid. Metam. II, 23. Fast. IH, 518. Virgil. Aen. VI,
641. Auch dem Apollon ift defhalb Purpur, Saffran
und Gold befonders werth. Schwend, S. 201. Bon dem
Purpurgewande des Ddpffeus und Telemachos haben wir
ſchon geſprochen.
510
diefelben von goldenen und filbernen Gefchirren und Geraͤth⸗
ſchaften, wofür man die Attribute der Götter anfah, ſchim⸗
mern, und ber Glaube entſtehen, daß die heiligen Käufer
der feligen Götter mit den koſtbarſten Schaͤtzen aller Art
ausgerüftet feyen. Es mußten ſich, da man die Purpurge-
wande des Sonnengottes für Kleider aus irdischen Stoffen
verfertigt anfah, und das Spinnen und Weben der Mond-
göttinen buchftäblich nahm, in den Hallen der Götter Käften
vorfinden , welche von oben bis unten mit Geweben ange
füllt waren. Es mußte ferner, da man die ſymboliſche Ber
deutung der Zahl der Diener nicht mehr verftand, in denfel-
ben eine Menge von Dienerinen das Anfehen und die Macht
der Befiger ungemein erhöhen. Aus diefem Grunde erhielten
Menelaos, Ddyffeus, Alfinvos, Priamos und andere Heroen,
welche früher Götter waren, jene ſchoͤnen Pallaͤſte und jenen
unermeßlichen Reichthum, welchen die Griechiſche Welt weder
in der Urzeit, noch fpater je in einem ſolchen Maße befaß,
und fie wurden, ald fie in die Geſchichte eintraten, da ihr
Reichthum und die Schoͤnheit ihrer Pallaͤſte in unzaͤhligen
Sagen geprieſen waren, als die beguͤtertſten Fuͤrſten der Welt
angeſehen. Ja, der Reichthum des Alkinoos wurde ſo hoch
geprieſen, daß man ſogar die Hunde, welche in feinem Pal—⸗
lafte ftanden, und diefelbe Bedeutung hatten, wie die Hunde
der Derfephone oder Helate?), als goldene Figuren ber
trachtete.
25) Welder, Aeſchyl. Trilog. 130 fg.
511
Vierundzwanzigſtes Capitel.
Ueber den Reichthum der Herven an Heerden.
Es möchte vielen fonderbar fcheinen, daß wir von Din-
gen reden, welche eher in die Naturgefchichte gehören, als in
mpthologifche und gefchichtliche Unterfuhungen. Wir müffen
aber offenherzig gefichen, daß es und noch fonderbarer vors
kommt, daß man die Angaben der alten Sänger über den
Reichthum der Heroen an Heerden buchftablic nimmt, und
die Meinung hat, daß Heerden und andere Oegenftände des
bürgerlichen Lebens in einer Friegerifchen Zeit, wie jene
der Achaͤer vor dem Anfange des Trojanifchen Krieges war,
Lieblingsgegenftande des epifchen Öefanges ge
weſen feyen. Es ift doch allgemein befannt, daß eine Fries
gerifche Zeit ihr Vergnügen an Waffen, Friegerifchen Uebun:
gen und Kampfen findet, und fich mit friedlichen Beſchaͤfti—
gungen und ländlichen Arbeiten wenig befaffen mag. Wie
follen nun die Sänger, welche an den Höfen diefer Friegs-
luftigen Fürften lebten, und den Ruhm und die Thaten der
Helden fangen, auf die Vermuthung gefallen ſeyn, diefen
durch Verherrlihung von Heerden die Tage des Lebens ver-
fhönern zu fünnen? Sreilih wird man einmwenden, die
Heerden hatten allerdings für die Heroen Fein fonderlich
großes Intereſſe; aber ein defto größeres hatten die vielen
Abentheuer, welche diefelben veranlaßten. Raub war ja, wie
man aus den Homeriſchen Gefangen erfehen kann, Feine
Schande, wenn er mit Schlauheit ausgeführt wurde, fondern
man betrachtete vielmehr diejenigen, welche hierin befondere
512
Geſchicklichkeit bewieſen, als tüchtige Helden. Aus diefem
Grunde konnten wohl die Sänger den Fürften nicht leicht
ein größeres Vergnügen bereiten, als wenn fie von Fühnen
Streifzügen der Helden und von Entwendung der Heerden
fangen.
Dagegen haben wir zu erinnern, daß, wenn die
Raͤubereien in Griechenland damals gar fo haufig und der
Beſitz fo wenig geſichert gewefen ware, die bürgerlichen
Berhältniffe in ihren Grundfeften hatten erfchüttert werden
müffen. Ferner entwendet auch Hermes die Rinder des
Apollon, und Niemand wird wohl glauben, daß, wenn
man die Götter auch ziemlich menschlich ſich vorftellte,
denfelben in einer hieratifchen Zeit Verbrechen auf
gebürdet worden feyen! Alles Anftößige, was die Griechi-
fhe Mythologie enthält, darf nicht auf Rechnung Der
Zeit, in welche die Entſtehung folder Mythen fälit, ger
hoben, fondern es muß als Folge der budftab-
lihen oder irrigen Auffaffung einfacher und ches
dem ganz unfhuldiger Sagen betrachtet werden. Endlich
ift in vielen Erzählungen von Entwendung der Heerden
nicht die fühne That befungen, ſondern die Schöns
heit der Heerden, und follte der Behauptung, daß die
Erzählungen von Räubereien für die Herven befondern Reiz
hatten, nur die geringfte Wahrfcheinlichkeit beigemeffen wers
den Tonnen, fo hätten die Sänger doch offenbar die
Kühnheit und Kunftgriffe derjenigen, welche Heer:
den entmwendeten, mehr hervorheben muͤſſen, als den Werth
der geraubten Öegenftände, da ja nach jener Anficht die
Heroen, wenn fie nicht ald gemeine Räuber erfcheinen
513
wollten, nicht fo faft auf die Sachen, bie fie entwen—
deten, als vielmehr auf die Art und Weife, auf bie
Tapferkeit und Kumftgriffe, durch welche fie etwas an ſich
brachten, befonderes Gewicht legen mußten. Allein von
folchen Kunftgriffen ift, die Raͤnke des Hermes ausge:
nommen, Feine Rede, fondern cher von der traurigen
Lage, in melde fi mancher Heros dadurch verfegte.
Wenn nun ein Sänger von der Gefangenfhaft fang,
in welcher ein Heros wegen der Entwendung von Rindern
ein volles oder großes Jahr lang ſchmachtete, fo Fonnten
fi) andere dadurch nicht fonderlih angezogen fühlen, einen
ähnlichen Verfuch zu madyen, Endlich weiden folche Rin-
der felbft Götter, mie Apollon die Heerden des Admetos
und Laomedon weidet. So wenig diefe Erzählungen ale
leere Erfindung betrachtet werden dürfen, cben fo wenig
koͤnnen die Heerden, welche Apollon, Hermes, Anchiſes,
Aeneas und Paris, die Söhne des Eetion und andere
Helden weiden, von gewöhnlicher Art geweſen feyn.
Auf geſchichtlichem Wege dürften fich aljo die Sagen
von der Entwendung von Rindern und die Verherrlichung
derselben fchwerlich erflaren laffen, wohl aber auf mytho—
logifchem.
Diefe Heerden hatten früher, wie fo viele andere Be;
ſitzthuͤmer der Götter, eine fombolifche Bedeutung, und
wie diefe von den Sängern der bieratifchen Urzeit vielfach
befungen wurden, fo auch dieſe fombolifchen Heerden und
die Entwendung bderfelben, welche ebenfalls eine bildliche
Ausdrucksweiſe einer ganz einfachen Erſcheinung war. Die
beroifche Zeit, in welcher das Verſtaͤndniß diefer alten Sym⸗
Borhalle zur Griechifhen Gefhichte, 33
514
bole bereits erlofhen war, nahm dieſe Erzählungen, wie
viele andere, in ihren Gefang auf, und ftellte fie auf eine
folche Meife dar, daß man ihre ehemalige Bedeutung kaum
mehr erratben Fann.
Es ift befannt!), daß die Pythagoreer die Wlaneten
Hunde der Mondgöttin Perſephone nannten, und die Hunde
der Hefate waren urfprünglid auh am Himmel, und
hatten wahrſcheinlich diefelbe oder eine ahnliche Bedeutung.
Die Geftirne nannte man?) fombolifch Ninder, und ce ift
auch fehr natürlich, daß man in einer Zeit, welche fich
mehr mit der Viehzucht als dem Ackerbau befchäftigte, und
der Natur viel naher fand, als dieß ber uns der Kal if,
fein paffenderes Bild zur Bezeichnung dee Sternenheeres
fand, als die Aehnlichkeit desselben mit einer weidenden Heerde.
Diefe Heerden gehören dem Sonnengotte, Er führt diefelben
em Himmel empor, wenn er denfelben verläßt, und ver⸗
treibt ſie von demſelben?), ſobald er am fruͤhen Morgen em—
porfaͤhrt. Dieſe Rinder geboͤren aber auch dem Hades ),
weil die Sterne, ſobald ſie vom Himmel verſchwunden ſind,
ſich unter der Erde oder im Schattenreiche?) aufzuhalten
1) Clem. Alex. Strom. V, p. 655. Welder, Zrilog. 130 fg.
3) Gefchihte des Troj. Krieges, ©. 140.
3) Aus diefem Umſtande erklärt es fih, warum dem Apol:
lon eberne Rinder im Delphi geweiht waren. Pausan.
X,.164 6,
4) Die Rinder des Geryones weiden zuſammen mit denen
des Hades. Ihre fombolifhe Bedeutung erhellt ſchon
aus der Angabe, daß fie von ftrablend rother Farbe
waren. Müller, Dor. I, S. 422. '
5) Hom. Odyss. XT, 501 sqq-
515
feinen. Wie die Negis und fo viele andere Attribute der
Götter vom Himmel auf die Erde herabgezogen wurden,
fo erging es auch den Rindern oder Heerden des Sonnen-
gottee. Sie halten ſich an jenem Orte auf, wo fein Pallaft
war, oder wo er befonders verehrt wurde, oder wo ber
‚Gott der Untermelr feine Wohnung hatte.
Helios hat feine Heerden‘) im Sicilien, welches für
die Griechen lange Zeit als der weftlichfte Punkt betrachtet
wurde, Er hat fieben Heerden der Rinder und eben fo viele
der trefflichften Schafe, und fünfzig Stücke zahlt jegliche
Heerde. Don der fombolifchen Bedeutung diefer Zahlen
haben wir fhon gefprochen. Der wichtigfte Umftand, welcher
ung von der Befchaffenheit derfelben überzeugen und zu der
Einficht führen muß, daß diefe Heerden in der Wirklichkeit
nicht vorhanden waren, ijt die Bemerkung des Sängers, daß
diefe Heerden fih niemals vermehren und niemals
vermindern. Der Sänger folgt auch hierin wieder der
Veberlieferung. Gewöhnliche Herden, mögen diefelben
auch noch fo vortrefflich fenn, vermehren oder vermindern
fih. Bleibt aber die Anzahl der Rinder und Schafe,
welche Helios hat, immer diefelbe, fo Fünnen fie wohl nur
eine ſymboliſche Bedeutung gehabt haben, wenn man anders
dem früheften Alterthume nicht zumuthen will, daß es die
unfinnigften und aller Erfahrung widerfprechendften Dinge
behaupter habe, was doch fehrverlich jemand wagen dürfte.
Wenn wir mit diefer Sage eine andere Angabe des Homeros ’),
6) Hom. Odyss. XI, 128 +qq-
7) Hom. Odyss. Xil, 344 sgq. ef. Odyss. I, 8. 9.
516
welche derfelbe Geſang enthält, vergleichen, wornach die
Gefährten des Odyſſeus einige diefer Rinder ſchlach—
tem’), fo fehen wir nur zu gut ein, daß man aus einzel-
nen ſich fcheinbar mwiderfprechenden Erzählungen des Home:
8) „Wie merkwuͤrdig nun, fagt Müller (Dor. I, 423), daß
fortwährend auch in hiftorifcher Zeitin berfelben Gegend
(wo naͤmlich die Ninder des Hades und Geryones wei-
deten), namlich’ am Aousfluß, ber vom Gebirge Lakmon
ftrömt, Sonnenheerden weideten, die des Tages über
am Strome gehter wurden, Nachts aber in einer Höhle
im Gebirge, unter dem Schuße von Männern, welchen
die Einwohner der Griehifhen Stadt Apollonia dieß
Amt als eine vorzügliche Ehre übergaben, fih aufhiel-
ten (Herodot. IX, 95. Konon. 50). Es ift ſehr natür-
ih , daß, fobeld man diefe Rinder als gewöhnliche
Thiere von befonderer Schönheit betrachtete, dem Son-
nengotte Heerden gehalten wurden, wie man dem Apol-
lon eherne Ninder nah Delphi weihte. Aus dem nam:
lihen Grunde huͤtet aub Apollon während feiner Knecht:
fcbaft die NRinder des Admetos und des Laomedon, und
wurde, wie Hermes, welder ebenfalls die Heerden in
Arkadien weidet, wie Anchiſes, Aencas, Paris, die
Söhne des Cetion, als Vorſteher des Hirtenamtes be-
trachtet. Keineswegs darf man aber aus diefer Erfchei-
nung folgern, daß die Sonnenrinder in der Urzeit nur
gewöhnliche Ninder geweſen fenen, und feine ſymboliſche
Bedeutung gehabt harter. Man bedenfe nur, was die
Aegis, was der Kahn des Helios, was die Argo, die
goldene Spindel urfprünglib waren, und wofür dieſe
Gegenftände die fpatere Seit anfab; ferner, wie fich
diefe und aͤhnliche Attribute mit dem Cultus verbrei-
teten !
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517
ros noch nicht fchliegen dürfe, dag die Ilias oder Odyſſee
aus verfchiedenen Bruchftücken beftehe, welche von ver-
fehiedenen Sängern herrührten. Dürfte man aus ſolchen
Abweichungen diefen Schluß ziehen, fo müßte der zwölfte
Gefang der Ddyffee, welcher Feineswegs Luͤcken ent—
halt, das Werk zweier Sänger feyn, indem nach der einen
Stelle die Zahl der Rinder und Schafe des Helios fid) nicht
vermindert, nach der andern aber die Gefährten des Odyſſeus
einige derfelben fchlachten, wodurd offenbar eine Vermin-
derung hatte entftehen follen, da dieſelben nad) des
Sängers Erzählung Feinen Zuwachs erhielten. Wir
überzeugen ung alſo wieder, daß der Dichter verfchie-
denen Sagen folgte, deren Verftändnig laͤngſt erlofchen
war), ohne ſich um die fcheinbare Abweichung angftlic), wie
ein Gelehrter, zu bekuͤmmern. Die alte Ueberlieferung war
ihm zu chrwürdig, als daß er fich durch ſolche Widerfprüche,
dieuns mehr auffallen, als es im der heroifchen Zeit der
Fall gewefen feyn dürfte, hätte beftimmen laffen follen, von
ihr abzugehen. So verhält es ſich aud) mit andern ſchein—
baren Widerfprüchen.
Auf Sicilien hatte der Sonnengott auch einen andern,
für feine Natur eben ſo bezeichnenden Namen , namlich Vo:
Inphemos"). Als Sonnengott bezeichnet uns denfelben die
9) Was das Tödten der Sonnenrinder bedeute, und wie
diefe fheinbaren Widerſpruͤche auszugleichen fenen, wollen
wir fpäter zu erklären fuchen.
10) Der Name befteht aus zoAvs und pao, wie Polydenfes
nah Schwends Ableitung (S, 103), Zolvisvang VonzoAvs
und Asvoon gebildet ift, Warum foll der Sonnengott
518
fhone Sage, daß er mitten auf der GStirne ein ein
ziges Auge hatte‘), welches jo groß war, wie Die
Scheibe des Mondes. Diefes große Auge ift die Sonne, _
welche er vertritt, und fobald man nicht mehr die feurige
Maffe derfelben verehrte, fondern einen von ihr getrennten
Gott in menfchlicher Gejtalt, mußte ihm die alles finnlich
darftellende Sage ein Merkmal beilegen, welches fein ganzes
Weſen bezeichnete, und welch’ ein fprechenteres Merkmal
fonnte fie zur Bezeichnung der Sonnenfcheibe wählen, als
das große Auge, weldyes er mitten an der Stirne, gleichfam
dem Symbol des Himmelsgemwölbes, bat? Aus diefer ſym⸗
bolifchen Darftellungsweife erklärt es fih, warum die Kuh,
welcher Kadmos folgt, auf jeder Seite die Scheibe des
Vollmondes hat, warum Pallas das Haupt der Medufa,
ein anderes Symbol) des Mondes, ald Mondgottin auf
ihrem Gewande und Schilde führt, obſchon fie felbft Gorgo
war, und auc) diefen Namen trug. Aus diefer Darftellungs-
weife dürfte man auch am beften abnehmen Tonnen, was die
nicht der Vielleuchtende heißen, da er auch Hefaergos und
Hekebolos hieß, und Elektryon oder Eleftor, der Strah—
lende, genannt wurde (Hefft. Rhod. Götterd. II, 82)?
11) Schwend (S.43) fagt: Odin und Oſiris, beide Gott:
beiten, welche die Sonne bezeichneten, waren aud ein:
augig, und die Grieden hatten, ehe die Kunftfchön:
heit alles entfernte, ebenfalls Ideen auf Koſten der
reinen Schönheit ausgedruͤckt.
12) Es war fehr natürlih, dag das frühe Alterthbum den
Vollmond mit einem menfhlihen Kopfe verglih, und
diefem ftatt der Haare entweder Strahlen oder Schlan:
gen, das Spmbol der Mondgöttin, beilegte,
519
Bildfaule des Zeus zu Lariſſa“) bedeuten follte, welche drei
Augen '’) hatte, zwei an der gewöhnlichen Stelle, ein drittes
aber in der Mitte der Stirne. Wenn uns auc) Feine andern
Umftände überzeugten, daß Zeus, bevor er König der Otter
und Menfchen wurde, Sonnengott war, fo müßten wir ung
von diefer durch Schwend begründeten Anficht von der ehe:
maligen Bedeutung des Zeus ſchon durch diefen einzigen Um:
ftand vollfommen überzeugen. Er trägt das Auge in der
Mitteder Stirne, wie Polyphemos, und aus derfelben Urſache.
Allein dem Schönheits - Sinne der Griechen war e8 unerträg-
lich, einen Gott in menfchlicher Geftalt mit einem Auge an
der Stirme darzuftellen,; doc) bet der hohen Scheu, welche
das Altertfum vor den alten Gotterbildern und deren Eigen
thümlichkeiten hatte, konnte diefes Auge auch nicht ſogleich hin-
43) Pausan. II, 24,5. „Zu Lariſſa, fagt Schwenck (S. 44),
legte man es jo aus, als folle das Bild den Zeus im
Himmel, im Meer und unter der Erde vorftellen.
Allein dieß ift eine Auslegung, die dort verſucht ward,
und die daher nicht höher angeſchlagen werden kann,
als jede Auslegung, die Feine hifterifche Weberlieferung
in fih aufnimmt.” Wir fegen hinzu, daß wenn man
das dreifache Walten des Zeus hatte augdrüden wollen,
ficher drei Körper, nicht drei Augen, genommen worden.
wären, daß es den Volfern der Urzeit dann gar nicht
eingefallen wäre, dem Zeus auf der Stirne ein Auge
von folder Größe zu geben, daß es mit den zwei
übrigen in feinem Verbaltniffe ftand.
14) „So ſehen wir auch die Kyklopen abgebildet, und zwar
in Werfen ded guten Gefhmads, wo das Stirmauge
nur angedeutet wird,“ Schwend, J. e.
520
weggelaffen werden. Wir fehen alfo, daß man in jener Zeit
der Uebergangspertode ®) von den alten rohen Gebilden zu
den ſchoͤnen menschlichen Formen dem Zeus die zwei Augen
gab, welche jeder Menfch hat, das große Auge aber auf der
Stirne fortbeftehen ließ, wie er es der Sage gemäß hatte.
Als Sonnengott lernen wir den Polyphemos aud) kennen
durch feine Abftammung. Er ift ein Sohn?) des Pofeidon
und der Nymphe Thoofa, der Tochter des Phorkys, welcher
über das unfruchtbare Meer herrfchet. Der Sonnengott und
die Mondgöttin erfcheinen in vielen Sagen als Kinder der
Meergötter, wie Achilleus ein Sohn der Thetis, Thefeus ein
Sohn des Aegeus oder Pofeidon, Bellerophon ein Sohn des
Glaufos oder Pofeidon, Nemefis eine Tochter des Okeanos
heißt, weil die Sonne an jedem Morgen, wo fie geboren
wird, aus dem Meere emportaucht. Won der fombolifcyen
Bedeutung feiner Größe, welche ihren Grund in der Macht
und Stärfe des Sonnengottes hat, haben wir fchon geſpro⸗
chen, Allein ald man diefelbe nicht mehr als ſymboliſche
Ausdrucksweife, fondern buchftäblih nahm, mußte Poly
phemos freilich zu einem Ungeheuer werden, und als
ſolches von den fpatern Dichtern folche Entftellungen und
Mithandlungen erfahren, daß man fein Mefen Faum mehr
erfennen Tann.
Er wohnt in einer Grotte oder Höhle, und wurde in einer
Grotte‘”) geboren. Die Grotten des Zeus, des Dionyfos,
15) Wir erinnern in diefer Beziehung an die Demeter mit
dem Pferdekopf, oder an die farrenäugige Hera.
16) Hom. Odyss. 1, 71 sqgq-
47) Hom. Odyss. I, 73. Wenn wir bebenten, daß Homeros
521
Apollon, Hermes, Pan, fo wie die der Hekate find befannt,
und wir haben unfere Vermuthung darüber bereits ausgefpros
hen, warum die Kichtgötter in Grotten verweilen, oder in
denfelben geboren werden. Polyphemos hat ferner Heerden
von ungewöhnlicher Schönheit, wie fie der Sonnengott hat®°),
welche er aus feiner Höhle auf die Weide treibt, und jodann
wieder in diefelbe zurücbringt, Auch Apollon weidet die
Sonnenrinder, und jene des Helios weiden ebenfalls auf
Siciliens Fluren, anftatt am Himmel zu meiden, wo fie ur:
fprünglid) waren, fo daß wir ung nicht wundern dürfen, daß
fie wie gewöhnliche Heerden dargeftellt werden. Daß Polys
phemos diefelben zu feiner Nahrung gebraucht, erflart fich
aus der verkehrten Anficht, welche die heroifche Zeit von ihm
und feinen Heerden hatte. Laßt ja doch die Sage fogar den
Hermes Rinder des Helios fhlahten und Fochen! Warum
foll fie bei diefer irrigen Auffaffung den Polyphemos die Heer:
den nicht melfen laffen, da fie ihn als rohen Nomaden be-
trachtete ? In welchem Verhältniffe die übrigen Kyklopen
zu ihm ftchen, und was das Ausbrennen feines Auges ber
deute, wollen wir fpater zu erklären ſuchen.
Wie Helivs und Polyphemos als Sonnengötter Rinder
von ungewöhnlicher Schönheit haben, fo hat fie aud) Geryo-
nes’), deffen Name ebenfalls ein Pradifat des Sonnengottes
(v. 70) fagt, daß Polyphemos ſich durch feine Stärfe
weit vor allen Kyklopen ausgezeichnet habe, fo fehen wir
febr wohl ein, daß feine ungewöhnliche Größe bloß zur
Berfinnlihung feiner außerordentlihen Stärfe dient.
18) Müller, Dor. I, 422.
49) Er ift ein Sohn des Chrpfaor (Hesiod. 287. 978. Apol-
922
war. Auch diefer hat feinen Pallaft im Meften”). Allein
wie nicht allen Griechiſchen Völkerfchaften die Sonne an der;
felben Stelle unterging, fo haben auch nicht alle ven Weſten
in berfelben Richtung gefucht. Auch die Vermehrung und
Verbreitung geographifcher Kenntniffe mußte wefentlic) dazu
beitragen, daß man die Weſtgrenze allmahlig immer weiter
hinausrücte. Daher darf es und nicht befremden, daß
Erytheia bald in Epeiros, bald aber auch an Spaniens Kuͤ—
ften gefucht wird ?). Auf gleiche Weiſe wurden auch die
lod. 11, 5, 10), Chryfaor aber war, wie Schwenck (S. 201)
richtig bemerkt, ein Vradifat des Sonnengotteg. Die
beiven Namen wurden, wie jene des Hyperion und Heliog,
erit im Laufe der Zeit zu befondern Wefen erhoben, als
man unter jedem Praͤdikate fih eine befondere Perſon
dachte.
30) Müller, 1. ec.
21) Müller (Dor. I, 425 Not.) jagt : „Homeros Sonnenheerden
find Feine andern, als die von Tanaron und Epeiros in
größere Kerne verſetzt.“ Wir bemerken, daß es allerdings
richtig ift, daß man die Wohnung des Helios und die
Heerden desfelben immer in fernere Gegenden rüdte, je
weiter fi die Kenntniß der Geographie ausbreitete. Al:
lein deßhalb dürfen wir nicht glauben, daß man bloß im
Weſten die Sonnenheerden fuchen Fünne; diefelben wer:
den auch, wie die Heerden des Odyſſeus, Iphikles, Ad—
metos und Kaomedon zeigen, an folhen Orten erwahnt,
wo der Sonnengott oder Hades vorzüglich verehrt wurde.
Wo er befonderg gerne verweilte, weil man ihn vorzüglich
ehrte, mußten auch feine Heerden und die übrigen Sym—
bole feiner Macht nach den Borftellungen der Alten loka—
liſirt werden,
523
Wohnſitze der Hyperboreer vielfach verandert, und immer
weiter in die Ferne gerüct. Daß die Rinder des Apollon”)
in Pieria’s Gefilden weiden, ift befannt genug. Diefe Weft:
grenze verrath, wie die von Epeiros, eine frühe Zeit. Wich—
tig ift in der alten Sage über diefe Rinder die Angabe, daß
fie auf einer nie gemäheten Au weideren. Soll diefe
Au nicht, wie die Aleifche Flur, urfprünglich am Himmel
geweien, und erft mit den fombolifchen Rindern auf die Erde
herabgezogen worden ſeyn? Wir find wenigftens volllommen
überzeugt, daß fich jenes Vradifat nur auf dieſe Weiſe bes
friedigend erklären laffe.
Won den Rindern des Iphikles, von denen des Neleus,
Laomedon und Hades haben wir ſchon gefprochen. Berühmt
und vielfach gefeiert waren im Alterthume auch jene des Odyſ⸗
feus *), welchen wir ſchon durch viele Umftände als Sonnen:
gott kennen gelernt haben. Die Zahl der Heerden hat bei
ihm, wie bei Helios, eine fombolifhe Bedeutung. Helios
hat fieben Heerden, und jede zahlt fünfzig Stüde, wegen der
fieben Tage und der Anzahl der Wochen. Odyſſeus aber
bat nad) der bezeichneten Stelle zwölf Heerden von Rindern,
zwölf Heerden von Schafen, zwölf Heerden von Ziegen und
eben fo viele von Schweinen, wegen der zwölf Monate. Es
ware doc) fonderbar, wenn man diefe Heerden buchftablic)
nehmen dürfte, warum die Zwolfzahl”) bei allen Gattungen
wiederfehrt, da, wenn auch Ithaka für alle Thiere gleich
22) Hymn. Homer, III, 97 sgg-
25) Odyss. XIV, 100 sgg.
24) Weber die Bedeutung derfelben cf. Ehwend, S.197
524
gute Nahrung dargeboten, und Odyſſeus ſich eimgebildet
hätte, von allen Thieren eine gleiche Anzahl von Heerden zu
unterhalten, diefelbe durch die Freier, welche ficher nicht
fo viele Schweine verzehrten, als fie nah) Homeros Nin-
der 3) und Schafe fchlachteren, eine wefentlihe Verän-
derung hätte erfahren, und die Anzahl der Rinderheerden
hätte gegen jene ber Schweine ſich nothwendig verändern müf-
fen. Don den Heerden des Eurytos und Fphitos”), welche
in Dechalia dasselbe Wefen waren, das Helios in Korinthos
war, haben wir fchon gefprochen. Warum Hermes, wel:
cher felbft in Arfadien die Heerden weidet, nicht feine eige:
nen am Himmel emporführt, warum Herakles jene des
Gergones, Melampus die des Iphikles entwenden, wollen
wir fpater befprechen, und hier nur erinnern, daß die Heer:
den des Didipus”) ebenfalls ſymboliſche Bedeutung gehabt
baben, wie alle jene, welche Herven befigen, deren Nomen
urfprünglich Pradifate waren, welche der Sonnengott oder
25) Hom. Odyss. I, 91 sq. fagt nur, daß fie Rinder und
Kleinvieh beftändig ſchlachten, macht aber von den Schwei-
nen nicht die geringfte Erwähnung.
26) Hyg. fab. 35 et interpretes.
27) Hesiod. &oy. v. 163 fügt, daß wegen der Heerden des Didi-
pus die Helden fielen. Hier erfcheinen fie alfo fhon als
gewöhnliche Heerben betrachtet, wie die des Iphikles bei
Homeros als ſolche dargeftellt werden, und warum follte
man, fobald fie von einer fo verkehrten Seite dargeftellt
wurden, die Entwendung derfelben nicht als Urſache eines
verheerenden Kampfes betrachten, da man die Entführung
der Helena durch Paris als Veranlaffung des Trojanifchen
Krieges anfah ?
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525
der Beherrfcher des Schattenreiches an den einzelnen Or-
ten trug.
Daß diefe Heerden in der fpätern Zeit nur als gewöhn-
liche angefehen wurden, darf ung nicht befremden, wenn wir
bedenken, daß aud) die Hunde der Hefate und Perſephone
dasselbe Schicffal hatten. Ein allgemeiner Name, womit
man die Sterne am Himmel wegen ihres Schimmers bezeich-
nete, war Argos”). Die Kreter nannten den Sternhim—
mel?) Afterios. Die Sterne umgeben und begleiten den
—
28) Schwenck (S. 67) ſagt: „„doyos heißt weiß, glaͤnzend, und
iſt ein paſſendes Beiwort des Mondes. So hieß auch
der Hund, durch welchen Hera die Jo bewachen laͤßt, der
aber nicht leicht etwas anderes geweſen ſeyn kann, als der
ſtatt des Wolfes zum Lichtſymbol gewordene Hund.“ Ar—
gos wer nie Prädikat der Mondaottin, ſondern hatte eine
viel weitere Bedeutung. Schon Guripides (Phoenis:.
1123) und Macrobius (Saturnal. I, 49) fahen fehr
wohl ein, daß der allfchende Argos mit feinen vielen Au—
gen der Sternhimmel fev. Hund bezeichnet fo viel als
Diener oder Begleiter (MWelder, Trilog. 129). Viele
Beifpiele, aus denen man diefe Bedeutung erfehen muß,
findet man ap. Ruhnken. ep. crit. I, ef. ®Welder, 1. c.
Not. 168, der die Sache über jeden Zweifel erhebt.
29) Die Sage nennt ihn auch Afterion, ein Name, der dasfelbe
bedeutet, Der Karifhe Endymion hat deshalb dag Stern:
weib, den von Sternen umgebenen Mond, zur Semahlin
(Pausan. V, 1, 2. Apoll. Rhod. III, 242). Als man
die Guropa als Königstocter betrachtete, und ihre Be-
ziehung zum Afterion nicht mehr verftand, fo hieß es, Zeus
babe feine Geltebte dem Kretiſchen König Aſterion gege—
ben. Auf Abbildungen dridte man dieien Gemahl der
526
Mond, und fo ward Argos zum Hüter des Mondes, der So,
und fombolifch wegen der Begleitung, welche die Sterne dem
Monde gewähren, Hund genannt, wie man aus bemfel-
ben Grunde die Planeten ”) Hunde der Mondgüttin Per
fephone nannte. Der Sternhimmel, Afterios, murde me
gen der innigen Verbindung, in welcher der Mond, die Eur
ropa, zu ihm ftand, mit Diefer Göttin vermaͤhlt ). Auch
Afterios ward in der fpatern Zeit, wie die Europa, als
fterbliches Mefen betrachtet, und Argos kaum von einem
gewöhnlichen Hunde unterfhieden. Da man nicht mehr
Europa entweder burch einen neben der vom Stier gefre-
genen Göttin angebrachten Stern, oder durch ein mit
Sternen überdedtes Gewand ans. Welcker, Kretiihe
Kolon. in Theb. S. 7 fa. Daß diefer Afterios nichts an—
ders war, als der Sternhimmel, erfieht man auch aus
euer Aeußerung Des Aeſchylos (fragm. 159) dozegwnov
duua Antwes zoo. Wenn übrigens der fkierfüpfige
Minotaurog ſelbſt Afterios ift (ef. Apollod. III, 1, 4.
Pausan. II, 51, 4. Diod. IV, 60. Schol. Lycophr. 653.
Welcker, 3. c:), fo wird dieß nicht auffallen, wenn man
bedenft, dag dieram Himmel werdenden Sterne, melde
der Sonnengott an. demfelben emvorführt, und Wire
der entfernt, Ninder des Sonnengottes hießen, und ale
deffen Eigenthum betrabtet wurden. Sp gut alfo der
Argos fih im Haufe des Odyſſeus aufhält, eben fo gut
kann aus diefem Grunde der Minotaurog den Beinamen
Afterios haben.
50) Welder, Aeſchyl. Trilog. ©. 150 fa.
51) Die Vermaͤhlung bezeichnet hier, wie bei der Sonne und
dem Mond, die unzertrennlide Verbindung, im der fie
am Himmel zu einander ftehen.
527
wußte, welche Beziehung derfelde zur Jo hatte, und biefe
nicht mehr als Mondgüttin, fondern als fterbliche Königs:
tochter betrachtete, fo entftand die abgeſchmackte Sage, Hera
babe der Fo den Argos zum Hüter gegeben. Wie man die
Sterne, welche man ſymboliſch Rinder nannte, vom Himmel
auf die Erde herabzog, und mit den Orten, wo der Sons
nengott wohnte, oder befonders verehrt wurde, in Verbindung
brachte, fo erging es auch dem Argos, weldyen wır im
Haufe des Odyſſeus antreffen ®), den die altın Bes
wohner von Ithaka ald Sonnengott verehrten. Wenn Ho-
meros diefen Argos als trefflihen Jagdhund darftellt, fo darf
man nur bedenken, wie diefer Dichter die Blendung des Poly—
phemos erzahlt, oder andere alte Sagen, deren Bedeutung
zu feiner Zeit längft verſchwunden war, behandelt”), und
man wird dann wohl nicht glauben, daß Argos urfprünglich
nichts anders gewefen fen, als ein gewöhnlicher Hund, fo
wenig man dem Argos der Jo oder den Hunden der Perſe—
phone eine ſolche Bedeutung beilegen wird.
— J
Hom. Odyss. XVII, 291 sqq.
Hom. Odyss. IX, 575 sqgq. Mertwürdig ift eg, dag Poly—
phemos die Keule (Odyss. IX, 519) mit Herafles gemein-
bat, fo daß wir unfere Behauptung beitätigt fehen, daß
Herakles diefelbe vielleibt Ihon lange vor dem Bogen
hatte, und die fpatern Dichter, wenn fie ibm dieſelbe ga-
ben, nur zur alten Sage zuruͤckkehrten.
528
Fünfundzwanzigftes Capitel.
Ueber die Flügelroffe des Adillens und anderer Heroen.
Mir Haben fchon öfter erinnert, daß die namliche Er-
fheinung nicht überall, noch weniger in allen Zeiten
durch dasfelbe Symbol auegedrüdt wurde, fondern daß
wir oft für eine und diefelbe Sache mehrere Bilder haben.
Den Kreislauf der Sonne und des Mondes fahen wir
[bon verfinnlicht durch die Wanderungen des Apollon und
die Seren der Go, durch das Merfen einer Kugel, durch
das Fortwälzen eines Steines oder eines Nades, wie bei
Euripides der Sonnengott feinen feurigen Ball fortbewegt.
Sp dürfen wir uns auch nicht wundern, dag man im ber
frühern Zeit dem Sonnengotte wegen der Schnelligkeit, mit
weldyer er feinen Kauf am Himmel vollendet, beflügelte
Sandalen gab, fpater ein beflügeltes Pferd, in der Achaifchen
Zeit aber einen Streitwagen, wie ihm die Helden hatten.
Das altefte Symbol zur Bezeichnung des fchnellen Laufes
des Eonnengottes fcheinen uns die beflügelten Sandalen zu
feyn. Wenn Pallas diefelben anzieht, fo gelangt fie fo fchnell an
den Ort, welchen fie erreichen will, wie der Wind '). Bei
Homeros zieht fie diefelben nur an, wenn fie aus irgend.
einer Veranlaffung fid) aus dem Olympos auf die Erde ber
gibt. Diefe Sandalen hat auch Hermes ?), und fie leiften
4) Hom. Odyss: I, 96 sqg-
2) Bon Hermes fant der Sänger der Odyſſee (V, 44 sqq.),
das er fih die Sohlen unter die Füße band, den Stab
in die Hände nahm, aus dem Xether in das Meer hin
529
ihm diefelben Dienfte. Wahrſcheinlich wurden diefelben, weil
Sandalen die gewöhnliche Fußbedeckung jener frühen Zeit waren,
aus welcher die Nachrichten über die der Pallas und anderer
Kichtgötter herrühren, als gewöhnliche Gegenftände betrachtet.
Dod) haben jene der Kichtgötter noch den weſentlichen
Vorzug vor denen der Menfchen, daß fie von Gold und
mit Schwingfraft verfehen find, und, wie alle Gegenftände,
welche die Götter befigen, unvergangliche Dauer haben, Mir
koͤnnen aus dem Umſtande, daß der Saͤnger, wo von denfels
ben die Rede ift, immer die namlichen Epitheta ge
braucht, noch recht gut abnehmen, daß auch fie dur Die
Geſaͤnge der frühern Zeit vielfach verherrlicht wurden. Aus
diefer Verherrlichung erklärt fich auch der Glanz, in welchem
die Sohlen des Perfeus und Jaſon noch in der fpäatern Zeit
ftanden. Wären fie nicht von göttlicher Art gewefen, wie
ſchoß und dann über die Wogen dahin fuhr, ähnlich der
flüchtigen Mewe. Wenn wir über die ehemalige Bedeu—
tung des Hermes auch fonft Fein einziges ſprechendes
Zeugniß hätten, fo Fönnte ung diefe fheinbar auffallende
Sage überzeugen, daß derfelbe Sonnengott war, und als
folder nicht nur durch den Aether mit unglaublider
Schnelligkeit dahinfährt, fondern, wenn er feine Fabrt
am Himmel vollendet hat, auch über die Wogen des Mee-
res, um wieder nach dem fernen Dften zu gelangen. Daß
übrigens feine beiden Fahrten, die am Himmel und
iene auf dem Meere, in der angeführten Stelle mit ein:
ander verbunden find, brauchen wir Faum zu bemerfen.
Die fonderbare Weile, auf welche der Sänger diefelben
behandelt, dürfte fih ans der Geftaltung, melde bei ibm
die Srrfahrten des Odpſſeus haben, am beiten erklären.
Vorhalle zur Griechiſchen Gefhichte. 34
30
jene des Sonnengottes Hermes und der Kichtgöttin Athene,
fo würden fie von Sängern nie befungen worden ſeyn. Waͤre
ihnen aber von Seite derfelben Feine Verherrlichung zu Theil
geworden, fo dürfte man nicht einmal im der heroifchen, noch
weniger aber in ber fpätern Zeit von denfelben nur gefprochen
haben. Die Sandalen des Perſeus haben Schwingen ?),
wie jene des Hermes und der Pallas. Es ift bekannt,
daß der Name der Kilififchen Stadt Tarſos an die Fuß—
fohle des Perſeus gefnüpft wurde‘), von der bier eine
Schwinge abgefallen ſeyn fol. Wenn ed auch, wie Müls
ler bemerft, thöricht wäre, zu glauben, daß man eine Stadt
Sußfohle genannt babe, weil hier Perſeus etwas von der
feinigen verlor, fo darf man deßhalb die wichtige Sage,
welche die Stadt Tarfos von Perſeus gegründet werden
läßt, noch Feineswegs als ein Maährchen verwerfen. Der
Name des Verfeus war nach unferm Dafürhalten in Tars
ſos fo früh befannt und gefeiert, als jener des Apollon in
Lykien. Als Sonnengott wandert Verfeus nach Tarſos,
wie Apollon nad) dem Kichtlande, Die Wanderungen beis
der Götter haben diefelbe Bedeutung, Wenn beide auch)
nicht gerade das nämliche Land als Ziel vderfelben zu ers
reihen fuchen, fo wandern fie doch beide nach dem fernen |
Lichtlande.
Sonderbar aber ift es, daß Verfeus?) nur einen Schuh
oder eine Sandale trägt, während bei der Pallas und bei Her-
3) Kanne, Mytholog. S. 149,
nn.
I}
4) Schol. Juvenal. III, 1147. Steph. Byzant. s. v. 7aocos. |
5) Müller, Proleg. ©, 233.
531
mes zwei erwähnt werden. Auch von Safon, deffen Sohlen
nach allen alten Angaben wegen ihrer ehemaligen Bedeutung
eben fo gefeiert waren, wie die der Pallas, ging die Gage,
daß er, als er die Hera durch den Fluß Anauros trug, Die
eine derfelben verloren habe. Müller vermuthet °), daß diefe
Erſcheinung in der Friegerifchen Sitte der Aetoler ihren Grund
finden dürfte, wenn man fie beroifch betrachtet’). Wenn
Perſeus bei den Aetolern verehrt worden ware, Jaſon mit ih—
nen in Verbindung geftanden hätte, würden wir diefe Merz
muthung theilen. Da aber dieß der Fall nicht war, fo Fon;
nen wir uns von der Bedeutung diefes Mythus nur dann bes
friedigenden Aufihluß verfchaffen, wenn wir die Dienfte be;
trachten, welche die Sohlen der Pallas und dem Hermes lei-
ften. Sie tragen beide Götter mit unglaublicher Schnellig-
feit über die Sluthen des Meeres und das Feftland da—
hin‘), Sollten wir irren, wenn wir behaupten, daß fie
den Sonnengdttern und den Mondgöttinen in der Urzeit
als Mittel beigelegt wurden, womit fie nicht bloß den
Kreislauf am Himmel vollenden, fondern auch auf dem
Meere nach dem fernen Oſten zurücfehren, und daß fie auf
den Fluthen des Waffers auf der einzelnen Sandale, wie
auf einem Kahne, dahin fahren? Menigftens fcheint diefe
Anficht durch die Sage, daß Jaſon eine Sandale beim Hin⸗
uͤberſetzen über den Anauros verloren habe, große Wahrfcheins
6) Orchom. S. 267, Not, 6. Müller fah fehr wohl ein, das
diefe Sage nicht ohne tiefere Bedeutung fev.
7) Valcken. Eurip. Phoeniss. Schol. 140, p. 623 sq. Gur-
litt ad Pind. Pyth. IV, Progr.2, S. 5.
8) Hom. Odyss. I, 97 sq.
Ida
532
- lichfeit zu gewinnen, Die hieratifche Bedeutung diefes Fluß—
namens’) ift befannt, Wenn Jaſon über denfelben fett, hat
9) Wie der Alpheios mit der Artemis in der enoften Ver-
bindung fteht, fo aus der Anauros mit den Mondgötti-
nen Guropa und Hera. Hera ftand in der Seftalt eines
alten Weibed am Ufer desfelben, und bat den Jaſon
flebentlih, er möchte fie hinuber tragen. Wie Phrixos
und Helle ihre Fahrt auf dem Widder mit ein-
ander maden, fo wandern auch Hera und Jaſon mitein-
ander über den Anaurog, wegen der Verbindung, in welche
man fie als Gotiheiten der Sonne und des Mondes brachte,
während fie urfprünglich ihre Fahrt zu verſchiedener Zeit
machten, wie nah einer alten Sage Endymion fchlaft, |
wenn Selene über die Berge dahinwandelt. Als man
die foinbolifhe Bedeutung der Liebe des Salon und der
Hera nicht mehr verfiand, mußte man fie durd diefe
ungertrennlige Verbindung zu erklären ſuchen. Den
Namen Jaſon hat Schwenck (S. 116) hinlaͤnglich erklaͤrt,
und gezeigt, daß Jaſion, Jaſon, Aiſon und Aithon ein
und dasſelbe Weſen waren. Daß aber Aithon, wie
Elektor, ein Praͤdikat des Sonnengottes war, duͤrfte
man wohl nicht in Abrede ſtellen. ef. Heffter, Rhod.
Goͤtterd. III, 82. Auch die Hera iſt mit goldenen Sandalen
verfehben. Hesiod. Theog. heißt fie (v. 12) yovasoıs
nedthoıs Zupeßavier und an einer andern Stelle (454.
952) Hon yovcon£dilos. Das fie Mondgöttin war, be=
weiien die Münzen von Argos, auf denen ihr Kopf die
Mondhörner hat (Welder, S. 288 bei Schwend). Der
Mond hängt in der Geftalt von Schuhfehnäbeln an ihren
Füßen, und um ihr Haupt drehen fih im finnb:tde)
liben Kranze die Sterne (Welder, l.c. ©. 287). So
wenig man fpäter auf die Schale adtete, melde Ne:
— —
533
er nur eine Sandale, welche ihn über die Fluthen dahinträgt,
und Perfeus hat ebenfalls nur eine. Diefe Sandale trug
den Sonnengott aud), wie ein Schiff, durch die Lüfte,
Als man aber fpater, wo das Verftandniß der urfprünglichen
Beftimmung diefer Gegenftande fchon erlofchen war, Diefe
Sandalen als eine gewöhnliche Fußbedeckung betrachtete,
mußte man freilid) der Pallas und dem Hermes, fo wie auch
den übrigen Lichtgoͤttern ftatt der einzelnen Sohle zwei geben,
und da die alte Sage von Jaſon nur eine erwahnte, auf die
Bermurhung verfallen, daß Jaſon die andere durch einen Zu>
fall verloren habe. Wie wenig man übrigens die ehemalige
Beftimmung diefes Symbols in der heroifchen Zeit mehr vers
ftand, dürfte fchon aus dem Umftande erhellen, daß die
Götter diefe Sohlen nicht mehr tragen, um den Kreislauf
am Himmel zu vollenden, fondern diefelben jedesinal unter
die Füße binden, wenn fie den Olympos verlaffen, wie
die Menfchen dieß thaten, wenn fie fich aus ihrem Haufe
entfernten.
In der heroifhen Zeit, in welcher Friegerifhe Befchäfs
tigungen das Leben der Vornehmen nicht wenig in An—
weſis als Meondgöttin hatte (Weider bei Schwend,
©. 261 fg.), wie Heliog, um über das Meer zu fahren,
und an welcher die Aethiopen abgebildet waren, in
deren Gebiete die Lichtgötter eimporiteigen und nieder:
fahren, eben fo wenig hat die fpätere Zeit auf die San:
dalen des Salon, des Verfeus und der Hera Rüdjiht
genommen, und wären diefelben nicht in alten Liedern
verherrliht geweien, ſo würden wir gar nichts davon
willen,
534
ſpruch nahmen, wurde diefes Symbol der Lichtgoͤtter durch
ein anderes, durch das Flügelroß, verdrängt. Wie die
Helden ſich auf den Roſſen tummelten, fo bedienten ſich
auch die Kichtgötter derfelben. Allein ihre Roſſe unterfcheis
den fi) von denen der Herven nicht bloß durch ihre Schon-
beit und unſterbliche Natur, fondern auch durch ihre Schnel:
ligkeit, welche durch die Flügel, die man ihnen verlieh,
nicht wenig erhöht wurde, Wenn man bedenkt, daß man
wegen ber Schnelligkeit, mit weldyer Sonne und Mond
ihren Lauf am Himmel vollenden, den Sonnen » und
Mondgottern Flügel gab, fo wird man ſich nicht wundern,
daß man dieſelben auch auf ihre Roſſe uͤbergetragen hat.
Auf dem Kaſten des Kypſelos war Artemis mit Fluͤgeln
abgebildet )Y. Perſeus und die Schweſtern der Meduſa
find ebenfalls") mit Flügeln verſehen. Nemeſis hatte aus
demfelben Grunde *) Flügel, und es ift nicht unwichtig,
daß gerade die alteften Schnigbilder, welche die ehemalige
Macht diefer Göttin amı einfachften bezeichneten, damit ver-
fehen waren. Sobald fi Helios 9) auf die unfterblichen
Flügelroffe fchwingt, bringt er den Göttern und Menfchen
Licht. Auf einer Münze von Phera in Theffalien *) ers |
fcheint ein Weib, welches auf einem Pferde figt, und mit
beiden Handen eine Fadel halt, das Symbol des
Mond: Feuers. Bisher glaubte man in diefem Bilde |
40) Pausan. V, 19, 1.
44) Pausan. Il. c.
42) Pausan. I, 33, 6. 7.
43) Hymn. Homeric. 31, 9.
43) Münch. Gelehrte Anzeig. v. 1836, ©. 12.
535
die Phigaleifche Demeter, welche, von Pofeidon verfolgt,
fih in ein Pferd verwandelte, und unter dem Namen
„die Schwarze‘ in Arkadien einen eigenen Tempel und
eine befondere Bildfäule hatte, zu erkennen. Streber aber
bat zur völligen Gewißheit dargethan, daß diefe reitende
Fadelträgerin von Pheraͤ die Mondgöttin Artemis Pheräa
fen, welche ald ircmooo« ”), wie fie aus dem angeführten
Grunde öfter heißt, mehrmal reitend abgebildet wurde.
Diefelde Artemis iſt auf- einer andern außerft merkwuͤrdi—
gen Münze von Patraͤ wieder zu erfennen. Dort erfcheint
der Arkadiſche Kichtgott Pan, mit feinem Horne an der
Stirne, auf einem Selfen figend. Er winket einer reitenden
Frau, welche fi) langſam naher. Den Sinn diefer Ab—
bildung erklärt eine Stelle *%) des Virgilius. Darum ward’)
auch Selene, ein Roß antreibend, abgebildet.
In der Achaͤiſchen Zeit ſehen wir die Helden nicht
auf dem Pferde kaͤmpfen, ſondern auf einem Streitwagen.
Warum ſollten die Sonnen » und Mondgoͤtter ihre Flügel
roffe nicht auch an einen ſchoͤnen Wagen fpannen, wie
die die Heroen thaten, da man die Götter auch in menſch⸗
15) Als Nofe-Tummlerin bezeichnen die Artemis auch die
Beinamen Hippia, Hippo, Eurippe und Hippolpte.
Schwend, ©. 224 fg.
46) Virgil. Georgic. III, 392 sgg. Pan deus Arcadicus
captam te, Luna, fefellit, in nemora alta vocans,
nec tu adspernata vocantem. Die Termählung des
Dan mit der Artemis bat diefelbe Bedeutung, mie jene
des Zeus mit den Mondadttinen.
47) Paus. V, 12, 5.
536
liher Geftalt darftellte, und ihnen alle menſchlichen Nei-
gungen beilegte? Der Wagen der alten Mondgöttin Hera
firahlt von Gold und Silber), wie denn alle Gegenftände,
welche die Lichtgötter haben, die Farbe des Lichtes und den
Glanz desfelben tragen. Selbſt die Zügel, die fie in ihren
Händen halt, find von Gold, wie jene), womit Artemis
ihre Roſſe lenkt. Der Wagen des Helios ift in unzähligen ®)
Sagen verherrlicht, wie auch feine Roſſe. Wie die übrigen
Attribute der Götter mit der Verbreitung des Cultus von
einem Drte an den andern verpflanzt wurden, fo auch der
Wagen der Kichtgötter. Auf den Propplaen?!) von Korins
thos ſah man goldene Wagen, von denen der eine den
Phaethon, der andere den Helios felbft trug ?).
Diefe Bemerkungen mußten wir machen, um bie Bes
deutung der Flügelroffe, welche einzelne Heroen haben, in
das gehörige Licht zu fegen. Die Griechen legten gewiß,
da diejelben nur die Lichtgoͤtter befaßen, fterblihen Menfchen
ſolche Pferde nicht bei, und wir überzeugen und durch bie
48) Hom. 11. V, 720 sqg-
19) Hom. Il. VI, 205.
20) Hymn. Hom. 31, 15 sg. Ovid, Metam. II, 206 sqg.
21) Pausan. II, 3, 2.
32) Statt der Roſſe haben die Lichtgötter auch Draden an
ihren Wagen, weil der Drache Symbol derfelben war.
So fahrt Kadmos auf einem von Drachen gezogenen
Wagen in die Elyfeifhen Gefilde oder nah dem Außer:
ſten Weften. Auch Demeter fahrt auf einem von Dre:
chen gezogenen Wagen, und viele andere Götter, fo daß
wir uns alfo, wenn Phriros flatt des Sonnen-Kahnes
den Widder hat, hierüber nicht wundern Dürfen,
537
Derherrlihung, welche diefelben haben mußten, um in der
epifchen Poeſie fogar mit ihren Namen angeführt zu werden,
nur zu gut, daß fie göttlicher Natur waren, und daß auch
die Helden, welche diefelben befigen, erft im Laufe der Zeit
in die Reihe der Menfchen herabgedrüdt wurden. Das
Flügelroß des Perfeus, Pegaſos, ift befannt genug, fo dag
wir ung bei demfelben nicht langer aufzuhalten brauchen, und
nur bemerken, dag er dasfelbe mit goldenen Zügeln bes
zahmte, wie die Götter ihre Roffe mit denfelben leiten, und
diefe Zügel von der Pallas *) erhielt. Auf dem Kaften des
Kypielos war Pelops mit Flügelroffen *) abgebildet, welche
er von Pofeidon erhielt”). Daß diefe Flügelroffe von Poſei—
don ſtammen, darf uns nicht befremden. Der Meergott
bat aud) den Kahn des Helios. Die Sonne taudhet aus
dem Meere empor, und finkt in dasfelbe hinab. Mas war
alfo natürlicher, als daß man die Koffe des Pelops als ein
Geſchenk des Pofeidon darfiellte, da man diefen Gott übers
dieß als den Schöpfer des Pferdes betrachtete? Aber nicht
bloß die Roſſe des Pelops find von göttlicher Art, fondern
auch jene des Agamemnon und des Menelaos *). Das Roß
des Ugamemnon ?) heißt Aethe, jenes des Menelaos Podars
23) Schol. Hom.Il. VI, 155.
24) Pausan. V, 17, 4.
25) Pind. Olymp. I, 87. cf. Diss. T. II, p. 17. Pherecyd.
ap. Schol. Sophoel. Eleetr. 498. Eurip. Orest. 979.
Palaephat. 30.
26) Hom. Il. XXI, 293 sqq.
27) Sollte der Umitand, daß bei jedem diefer beiden Götter
nur ein Pferd vorzüglich gepriefen wird, nicht für das
538
908%). Daß der Name der Nethe ſich auf den Glanz und
Schimmer des Kichtgottes bezieht, erfehen wir ſchon aus dem
einfadyen Umftande, daß derfelbe felbft Aethon hieß, und
auch die Mondgöttin Helena hat deßhalb eine Dienerin mit
Namen Uerhra ?). Der Name des Pferdes des Menelaog,
Podargos, bezeichnet die Schnelligkeit desfelben, weldye das
Pferd mit dem Sonnengotte gemein hat, welcher ebenfalls der
Schnellfuͤßige oder Starkfüßige hieß?).
Die Roffe des Achilleus *), Kanthos und Balios, fliegen
fo fchnell dahin, wie die Winde. Sie waren von göttlicher
Abkunft. - Sie gebar die Harpyie Podarge einft dem Ze—
phyros. Daneben fpannte er den muthigen Pedafos, der,
obwohl fterblicher Abfunft, doc) im Laufe hinter den un:
fterblichen Pferden nicht zurücblieb. Achilleus hatte den-
ſelben einft aus Eetions Stadt erbeutet, wie feine zierliche
Lyra. Dem Kanthos gewährte nicht bloß die lilienarmige
Hera die Gabe?) der Sprache, wie fie der Widder des
Alter der Sage bürgen? Bevor der Sonnengott den
Wagen erhielt, hatte er bloß ein einziges Flügel:
pferd, wie dieß die Sage von dem Pegaſos des Bellero-
phontes bemweifer.
28) Argos heißt ſowohl fchnel, als auch fhimmernd
(ef. Passow s.h. v.). \
29) Hom. Il. III, 144. Xethra und die farrenäugige Kly—
mene folgen der Helena, als fie in Troja ihr Gemad
verläßt, um dem Kampfe zuzuſehen.
30) Dammii Lexic. s. v. Oldenouvs.
34) Hom. 11. XVI, 449 sqg.
32) Hom. Il. XIX, 405 sqq.
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nn nn a nn EEE TE ET —
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539
— —
—
Phrixos hatte”), ſondern er beſaß auch prophetiſchen Geiſt,
und verkuͤndete dem Achilleus ſein Geſchick.
Wir wollen dieſe Angaben naͤher betrachten. Der
Name Xanthos war ein Praͤdikat des Apollon, welches
auch der Fluß Skamandros in der hieratiſchen Sprache
hatte. Wer wird wohl glauben, daß man im fruͤheſten
Alterthume, wo die groͤßte Scheidewand zwiſchen Goͤttern
und Menſchen gezogen wurde, einem gewoͤhnlichen Pferde
den Namen einer Gottheit gegeben habe, was doch als
das größte Verbrechen hatte erfcheinen müffen? Die Bes
deutung der Namen Balios und Pednfos iſt uns dunkel.
Die Ableitung diefer Pferde von Zephyros foll nicht bloß
ihre göttliche Natur, fondern auch ihre ungewöhnliche Schnels
ligkeit bezeichnen. Auch des Helios Roſſe laufen fo
jchnell ), daß fie felbft dem Euros zuvorfommen. Wenn
der Pedafos mit ihnen gleichen Schritt halten fonnte, fo muß
er wohl ebenfalls göttlicher Art gewefen feyn, was auch der
Name feines Befigers ®) verbürgt, welchen wir ſchon durch)
verfchiedene Attribute und Sagen ald Sonnengott Fennen ges
lernt haben, Als er aber in die Reihe der Herven eintrat,
unter denen er fchon bei Homeros erfcheint, mußte freilich
auch fein Pferd eine untergeordnete Stelle erhalten.
Alle Gegenftände, welche die Goͤtter befigen, find von
35) Apoll. Rhod. I, 765. Schol. Apoll. Rhod. I, 256-
34) Ovid. Metam. II, 159 sq. pennisque levati praeter-
eunt ortos isdem de partibus Euros. Ovidius nennt
diefelben Aethon, Plegon, Eous und Pproeis.
35) Eetion:Jafion oder Aethon. Buttmann, Mytholog. II,
137, Schwend, S. 116,
540
ihrer Matur durchdrungen, unverganglic) und unſterblich. Wie
die Lichtgoͤtter Flügel haben, fo haben diefelben aud) ihre
Pferde. Warum follen wir uns alfo wundern, daß der gol-
dene Widder des Phrixos und die Pferde des Achilleus nicht
bloß die Gabe der Sprache, fondern, wie die Licht—
götter, auch prophetiſchen Geiſt beſitzen, da felbft
einem Balken der Argo *) aus dieſem Grunde prophetiſcher
Geift beigelegt wurde? Wer der Anſicht huldigt, dag ſolche
Angaben als Ausfchmücungen der Dichter Feine weitere Ber
achtung verdienen, der täuscht fich fehr. Ueberhaupt Tonnen
nur folche, welche fi) mit der Erforfchung der Beichaffenheit
der alteften Poeſie niemals beſchaͤftigt haben, eimer ſolchen
Vermuthung Raum geben. Homeros hat diefe Roſſe dem
Achilleus nicht zuerft beigelegt, und ihnen jene Vorzüge nicht
angedichtet, fondern er ftellt diefelben nur jo dar, wie fie in
alten Sagen, welche Sahrhunderte vor ihm entſtanden, ge
priefen waren,
Auch Tros hat Roſſe göttlicher Art”), wie Achilleus,
welche er von Zeus felbft erhielt. Die Urfache, warum er
diefelben bekam, foll fpater berührt werden, Die Roſſe des
Laomedon ) blühten in Herrlichkeit auf. Es waren jene
des Tros, welche ſich nach der Sage auf ihn vererbten. Als
lein Laomedon hat diefelben nicht durch Erbſchaft erhalten,
fondern er befigt fie aus ganz andern Gründen. Wir haben
unfere Anſicht über das Hinabfteigen der Sonnengdtter und
die Abhangigkeit, in welcher diefe von Hades ftehen, fchon
36) Lycophr. 4379. Val. Flacc. Argon. I, 229.
37) Hymn. Homer. IV, 207 sgg.
38) Hom, ll. XXIII, 348.
541
dargelegt, und bemerkt, daß der Gott des Schattenreiches
auch als Eigenthümer der Sonnenrinder erfcheint, weil die
felben als Symbole der Sterne bei Tag unter der Erde
oder im Schattenreiche oder in einer Höhle verborgen find.
Wenn nun Hades die Sonnenrinder hat, und fie Hermes
gegen Morgen deßhalb nach Pylos treibt, warum foll er
nicht auch die Roſſe des Sonnengottes in feiner Gemalt
haben, fo lange fich derfelbe bei ihm aufhält, und aus die,
fem Grunde ein eben fo ſchoͤnes Gefpann befizen “), mie
jener? Die fpätere Zeit nahm Feine Rücficht mehr dar;
auf, daß dasfelbe urfprünglih dem Eonnengotte gehörte,
fondern legte es ihm als Eigenthum bei, wie die Kinder,
welche man dann neben denen des Helios meiden ließ,
Daß aber des Laomedon Roſſe dem Sonnengotte gehörs
ten, laßt ſich auch daraus abnehmen, daß ſich Herakles
wegen derfelben nah Troja begibt. Am Morgen bedarf
der Eonnengott derfelben, und verlangt fie von dem Ber
herrfcher der Unterwelt. Daß Herafles erft einen weiten
Meg zurüclegen und Gewalt anwenden muß, bis er die
felben an fich bringt, erflärt fich aus dem fonderbaren
Schickſale, welches die ihn betreffenden Sagen ſchon in der
beroifchen Zeit hatten.
Die NRoffe des Aeneas’) find edel vor allen, fo viele
39) Hymn. Homer. V, 376 sqq. Er hat einen goldenen Wa:
gen und unfterblihe Roſſe. Mie hätte die Sagedem Hades,
in deffen Behaufung alles wuſtvoll und finſter war, einen
goldenen Wagen geben fünnen, märe derfilbe nicht ur-
fprünglih Eigenthbum des Sonnengottes gemwefen ?
40) Hom. ll, V, 265 sqg-
542
das Licht und der Glanz der Sonne umftrahlet, und ftammen
von jenen, welche Tros von Zeus erhalten hatte, Die Roſſe
des Hektor *'), welche Andromache felbft mit hoher Sorgfalt
pflegte, heißen RXauthos, Podargos, Lampos und Aethon.
Don den Namen Xanthos und Podargos haben wir ſchon
gefprochen. Aethon *”) hieß der Sonnengott felbft, und
wenn man ermägt, daß die Dienerinen, welche die Rinder
des Helios weiden, Lampetie und Phaëthuſa“) heißen, fo wird
man die Bedeutung des Lampos wohl erfennen. Von den
Roſſen des Rheſos“) fagt Dolon”), daß fie die größten und
fhönften waren, die er gefehen. Sie waren weißer, ale
blendender Schnee, hurtigen Kaufes, wie die Winde, und
geflügelten Hufes, wie jene des Sonnengottes*). Schon
die blendend weiße Farbe diefer Roſſe muß uns auf ihre
ehemalige Bedeutung hinführen, und überzeugen, daß fie
die Noffe des Sonnengottes find, daß alfo ihr Beſitzer
fein fterblicher Fürft, fondern dasfelbe Mefen, wie He
lios, geweſen ſeyn müffe, von welchem er fich nur durch
feinen Namen unterfcheidet. Diomedes bringt diefe Roſſe
an ſich, die er ald Sterblicher wohl niemals gelenkt haben
würde, Wenn wir aber bedenfen, Daß er in Argos zugleich mit
Pallas verehrt wurde, und erwägen, in welch’ einer nahen Be:
44) Il. VIII, 184 sqgq.
42) Schwend, S. 116 fg.
43) Hom. Odyss. XII, 132.
44) Weber die Bedeutung des Namens cf. Schwend, S. 90
und 179.
45) Hom. Il. X, 435.
46) Il. X, 569. Ovid. Metam. 1. c.
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J
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j
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543
ziehung der Pegafus zu diefer Göttin ſteht, fo fünnen wir
leicht einfehen, daß er diefelben als Sonnengott befigt.
Hier koͤnnen wir nicht unterlaffen,, zu bemerken, daß man
fi dur die Sage, als hätten Diomedes und Herafles
die Roſſe des Rheſos nur durdy Gewalt an fich gebracht,
als habe Tros die feinigen von Zeus, Velops von Pofei,
don erhalten, nicht irre führen laffen dürfe. Diefe und
viele andere Herven hatten Flügelroffe von unfterblicher
Natur und fchimmernder oder weißer Farbe, weil fie Sons
nengdtter waren. Sie wurden aber in der fpätern Zeit
bei den vielen Wölferbewegungen, welche ſowohl in Hellas,
als auch in Kleinafien ftattfanden, im die Reihen der He
roen herabgedrüft, und während ihre Namen früher nur
verfchiedene Pradifate eines Gottes waren, welche derfelbe
an den einzelnen Orten hatte, Dachte man fich jeßt unter jedem
Namen eine befondere Perfon. Man Fonnte fich
alfo nicht mehr erklären, wie Herven zu göttlichen Roffen
gelangt fenen, oder warum die weißfchimmernden Roffe,
welche Rheſos hatte, auch bei Divmedes erwahnt werden,
und fuchte fih diefe Erfcheinung durch die Annahme zu
erklären, daß fie diefelben als Gefchenfe von den Göttern
erhalten, oder durch Gewalt von andern Heroen an fi
gebracht haben, wie auch Hermes dem Sperfeus ’) feine
47) Müller, Prolegom, ©. 308. Hätte Perfeus diefelben
nicht urfprünglih aus dem naͤmlichen Grunde gehabt,
aus welchem fie dem Hermes gegeben wurden, fondern
diefelben nur zur Beitehung eines einzelnen Abentheners
entlehnt, fo würde man ibn nicht mit der Sandale abge:
bildet haben.
544
Sandalen leiht, welche ihm über Meer und. Land mit
Windesichnelligfeit dahintragen. Aus dem namlichen Grunte
entreißt Herakles dem Eurytos, deffen Bogen Odyſſeus
befigt, die wunderfchönen Roffe*), welche im der Urzeit
beide befaßen, und Diomedes bringt jene des Rheſos an
fh. Wer aber bedenkt, daß Rheſos und Divmedes einem
und demfelben Lande angehören, daß die Roſſe des Dio—
medes") in vielen Sagen eine fehr wichtige Rolle fpielen,
daß ferner erft die fpatere Zeit den Thrakiſchen und Helle:
nifhen Diomedes als zwei verfchiedene Heroen betrachtete,
wie man zwei Könige Minos annahm: der dürfte wohl
gegen die Behauptung, daß Divmedes und Nhefos nur
verfchiedene Namen desjelben Gottes waren, Feine Einmwen-
dung machen, und uns beiftimmen, daß beide deßhalb Die
felben Pferde bejigen, meil fie ehedem ein Weſen waren,
Wir Fonnten noch viele Herven anführen, welche Roffe
göttlicher Art befigen, wie Cumelos”), der Sohn des
Admetos, wenn wir Vollftandigkeit erzielen y wollten, und wenn
die Bedeutung der Beſitzer derſelben fich nicht ſchon
aus diefen wenigen Bemerkungen erkennen ließe, Haͤtten
48) Dammii Lexie. s. v. Evovros.
49) Die Menichenopfer, welche denfelben dargebracht wurden,
bezeugen hinlanglich, daß fie ald Symbole des Lichtgottes
betrachtet wurden, welbem man in den früheften Zeiten,
wie dem Stiergotte in Kreta, Menfchen fchlachtete.
50) Hom. I. Il, 766. Müller, Prolegom, ©, 500. Man
leitete die Mortrefflichkeit derfelben von der Zucht des
Apolon her, als man ihre Bebdentung nicht mehr er-
fannte.
— ee EEE
545
diefe Flügelroffe früher nicht eine fombolifhe Bedeutung
gehabt, wie jene des Helios, fo würden fie in emer hies
ratifchen Zeit Feine ſolche WVerherrlihung erhalten haben,
daß fie in die epifche Poefie der jpatern Zeit übergegangen
wären, und wir würden von den bedeutungsvollen und ihr
Weſen fo genau bezeichnenden Namen derfelben nichs wiffen.
Der wichtige Umftand, daß fo viele Herven Solche Pferde
von göttlicher Art befigen, fhüst den Homeros wohl
am beiten vor dem Vorwurfe, als hätte er fich Uebertreis
bungen erlaubt, um einzelne Helden befonders augzuzeich-
nen. Die Griechifchen Sänger waren ferner von der Phans
tafterei der morgenländifchen Maährchendichter zu weit ents
fernt, als daß man ihnen zumuthen dürfte, fie hatten
diefe Flügelpferde, welche felbft die Gabe der Sprache und
prophetifchen Geift befigen, willkürlich erfunden, um durch
diefe auffallenden Erfcheinungen einen größern Glanz über
ihre Helden zu verbreiten. Mit der Befonnenheit der
Griehifhen Sänger, welche fih fo genau an die Natur
hielten, vertrugen ſich die Uebertreibungen nicht, welche wir
in orientaliihen Sagen fo haufig antreffen. Wie Homeros
fih in vielen andern Beziehungen getreulic an die alten
Ueberlieferungen hielt, fo hat er dieß auch in Bezug auf
diefe Fluͤgelroſſe gethan, und denfelben Feinen Vorzug ges
geben, den fie nicht ſchon in den Quellen, denen er folgte,
hatten.
Borhalle zur Sriehiihen Geſchichte. 35
946
RE Sechsundzwanzigſtes Capitel.
Ueber die ſymboliſche Bedeutung des Raubes und der Entführung.
Wenn wir alle Sagen, welche ſich in den Homeri—
{hen Gefangen und andern alten Duellen über Menfchens
und Rinderraub vorfinden, buchftablid nehmen dürften,
fo unterläge es faft Feinem Zweifel, daß die öffentliche
Sicherheit in Feinem Lande fo gefährdet war, als in Gries
chenland, und daß hier im früheften Alterthume und jelbft
in ber heroifchen Zeit das Eigenthum durchaus nicht
gefihert war. Würden bloß einzelne Königsfühne und
fühne Helden ald Rauber dargeftellt, fo Fonnte man fich
soohl die Einmwendung gefallen laffen, daß bei Völkern,
deren politifche Verhältniffe noch Feine hinreichende Feftigkeit
gewonnen haben, der Beſitz niemals vollfommen gefichert
ſey, und deßhalb auch einzelne Räubereien nicht befremden
Tonnen. Allein felbft Götter treten ald Raͤuber auf, und
wir hoffen, daß man den Griechen doch nicht zumuthen wird,
daß fie den himmlifhen Mächten, von deren Gerechtigkeit
fie ſchon im der Homerifchen Zeit fo erhabene Anfichten
hatten, folche Verbrechen in einer priefterlichen Zeit ans
dichten konnten. Diefe Sagen dürften alfo urſpruͤnglich
wohl eine ſymboliſche Bedeutung enthalten haben, in welcher
durchaus nichts Anftoßiges und die Würde der Götter Ver-
legendes lag. Was das Altertum fih unter diefem bildli»
chen Ausdrude dachte, laßt fich aus der Sage von der Ent»
wendung der Rinder des Apollon durch Hermes‘) am deut⸗
lichften abnehmen.
4) Hymn. Hom. Ill, 61 sqg-
nn
547
Daß die Rinder des Helios und Apollon urfprünglich
die: Sterne waren, Haben wir fchon bemerkt. Die Sage
wird demnach eine ganz einfache und täglich fich dem Auge
des Beobachters darbietende Natur: Erfcheinung enthalten:
Als Helios mit feinem Gefpanne in die Sluthen des Okeanos
hinabfuhr, Fam Hermes eiligen Laufes nach Pieria, wo bie
Kinder des Apollon auf nie gemähten Auen weideten, und
raubte diefelben. Er trieb?) die unftat fchweifenden Rinder
durch: fandige Steppen, und drehte ihnen Die Klauen um,
die vordern drehte er zuhinderft, und die Hinterflauen zus
vörderft, er felbft aber wandelte ebenfalls ruͤckwaͤrts. Hermes
trieb fie nad) Pylos’) und zur Asphodelos-Wieſe gingen
abwärts die fämmtlichen Spuren der Ninder, welche alle
weibliche waren, und ſchoͤn gebogene Hörner hatten. Als
Eos emporftieg‘), um den Menfchen Licht zu bringen, vers
mißte Apollon feine Rinder, und begab fich’) nach Pylos,
um dieſelben aufzufuchen, Als eben die Sonne am Himmel‘)
emporgeftiegen war, trat Apollon zum Hermes.
Wir Haben die wichtigfter Xhatfachen aus dem Ho:
merifhen Hymnos an Hermes angeführt, aus denen fich
die ſymboliſche Bedeutung dieſer ſchoͤnen Sage am leichteſten
abnehmen laſſen duͤrfte. Die Rinder des Apollon ſind alle
weiblichen Geſchlechtes und mit Hoͤrnern verſehen, weil ſie
2) Hymn. Hom. III, 72 sqq.
5) v. 347. ef. 337.
4) v. 173 sqg.
5) v. 208 sqgq-
6) v. 362 sggq.
35 *
548
die Mondgöttin oben am Himmel umgeben, Wie diefe mit
zierlich gemundenen Hörnern dargeftellt wurde, fo gab auch)
ihnen die Sage aus diefem Grunde diefelben, und meldete,
daß fie, ald Sefahrtinen der Selene, alle weiblichen
Gefchlechtes geweſen feyen, wie auch die Rinder des He
lios Feinen Hirten haben, fondern von zwei Genien gehü-
tet werden, deren Namen von der Beichaffenheit des Sons
nenlichtes entlehnt find. Pieria, wo diefe Rinder ihre Ställe
haben, war für Griechenland, befonders für die Bewohner
bes Peloponnefos, lange die Weſtgraͤnze, welche aber alls
mählig immer weiter hinausgerüct wurde, Die fchönen
Ställe, in denen fi”) diefe Rinder befinden, oder die
Grotte, in welcher fich diefelben‘) aufhalten, haben nur
eine fombolifche Bedeutung. Wie der Sonnengott fi) waͤh⸗
send der Nacht im Grabe oder im Hades oder in feinem
Pallaſte aufhaͤlt oder in einer Grotte ausruht, ſo halten ſich
auch die Heerden desſelben waͤhrend des Tages im Hades
oder in Grotten auf. Allein wie man dem Sonnengotte
in der heroiſchen Zeit einen zierlich ausgeſchmuͤckten Pallaſt
gab, ſo wurden dieſen Rindern ſtatt der Grotte ſchoͤne
Ställe zu ihrem Aufenthalte angewiefen?), und mußten
7) 95 sgg.
8) 99 sg.
9) Daß die Grotte oder der Hades früher ihr Aufenthalt
war, verbürgen nicht bloß die Homerifchen Geſaͤnge, nad
denen fih die Diosfuren unter der Erde oder im Hades
aufhalten (XI, 301 sg), fondern auch ber Umitand, dag
die Sonnenrinder, welche am Aousfluß weideten, am
— —
549
ihnen ftatt der Grotte oder des Hades angewieſen werben,
fobald man fie von gewöhnlichen Rindern nicht mehr unters
ſchied. Die nie gemähte Au, auf welcher fie weiden, ift
das Himmelsgewölbe. Ihr Erfheinen an demfel-
ben drüdte das Altertfum ſymboliſch durch die Entwens
dung aus, Sie werden aus ihrer Grotte oder ben ziers
lichen Ställen, in welchen fie ſich während des Tages bes
fanden, entfernt, vom Kichtgotte aus denfelben fortge-
trieben. Als man Apollon und Hermes nicht mehr als
ein Wefen betrachtete, welches chedem viele Namen hatte,
als man die Rinder als ausfchliegliches Eigenthum bes
Apollon anſah, obwohl auch Hermes") Rinder weidet und
beſitzt, als man diefelben als gewöhnliche Rinder betrach⸗
tete, mußte man freilich die Entfernung derfelben aus ihrer
Grotte oder ihrer Behaufung für einen Diebftahl halten, und
den Hermes als Räuber oder Dieb darftellen, während er
doch nur feine Pflicht erfüllt, wenn er nach feinem Vers
ſchwinden ) vom Himmel die Sterne an benfelben empor-
jendet, damit fie in Verbindung mit dem Monde das Dunkel
der Nacht erhellen. Daher entwendet fie Hermes am
Abende, nachdem die Sonne im Meere niedertauchte.
Sie ſchweifen, während er fie treibt, unftat umher, wegen
Abend in eine Höhle im Gebirge aetrieben wurden-
Müller, Dor. I, ©. 423,
10) Hymn. Hom. XIX, 32.
14) Der einfahe Sinn der Sage ging verloren, a) weil man
die Ninder des Sonnengottes für Thiere hielt, b) weil
man glaubte, daß fie nur dem Apollon angehört, und
zu Hermes in Feiner Beriehung geftanden haften.
550
der verfchiedenen Stellung, in welcher fie am Himmel er-
fcheinen. Wir Fonnen uns von der Bedeutung diefes Aus—
druckes leicht überzeugen, wenn wir an die Irren der Jo
und fo vieler anderer Goͤttinen denken, melde den Kreis
lauf des Mondes bezeichnen ?), Am Morgen haben die
Sterne eine ganz andere Stellung, ald am Abend, Daher
meldet die Sage, Hermes habe ihnen die Klauen umgedreht,
und fey felbft rücfwarts gegangen. Das Altertfum Tonnte
diefe veränderte Stellung nicht leicht anders auf eine fpmbo-
liche Weiſe ausdrüden. Die Urfache derfelben war felbft
dem großen Bhilofophen Anaragoras noch unbekannt, welcher
diefe Erfcheinung ®) durch die Annahme zu erklären fuchte,
daß fich der Himmel beftäandig mit unglaublicher Schnellig-
feit von Weſten nach Oſten bewege, und alle Geftirne in
diefer Richtung mit fich fortreiße, fo daß felbft
Helios alle Kräfte anzuftrengen braucht, um in feiner Fahrt
von Dften nach Weſten durch die Schnelligkeit diefer Kreisbe-
wegung nicht zurüdgeriffen zu werden, Wir dürfen ung
demnach nicht wundern, wenn Hermes ſelbſt ruͤckwaͤrts geht.
Er treibt Die Rinder nach Pylos und zur Aephodelos » Wiefe.
In Pylos wurde Hades “) vorzüglich verehrt. Hier Fampfte
er gegen Herakles, wie diefer im Orkus ihn verwundet ®).
42) Welder, Trilog. ©. 129.
15) Hymn. Orph. IX. Eurip. fragm. T. II. p. 468. B.
Cie. Somn. Scip. IV, Ovid. Metam. II, 70 sqq. Ma-
mertin. in Paneg. IT, 3. Ochsner ad Cie; I. e.
p- 315.
44) Pind. Olymp. IX, 32 sqq. et Thiersch. ]. ce.
15) Hom. Il. V, 395, VIII, 366.
551
Hier hat Neleus feine Refidenz, den wir ſchon als den auf
die Erde verfegten Hades Fennen lernten. Wäre auch bie
Asphodelos-Wiefe, welche auf das Schattenreich hindeutet ®),
und in demfelben das Namliche ift, was die blühenden Ge
filde in den Eilanden der Seeligen ) find, nicht fo beftimmt
angeführt, fo würden wir aus der Bedeutung des Neleus ſchon
abnehmen Fonnen, warum Hermes die Rinder des Sonnen⸗
gottes gegen Pylos treibt. Es ift befannt, daß man eine
und diefelbe Erfcheinung in verfchiedenen Zeiten und an vers
fhiedenen Orten nicht durch dasfelbe Symbol ausdrüdte.
Während die Dioskuren nad) einer Sage") ſich abwechfelnd
im Grabe aufhalten, befinden fie ſich nach einer andern
Ausdrucsweife unter der Erde) oder im Hades. So halt
fid) auch der Sonnengott wahrend der Nadıt im Grabe oder
im Hades auf, oder er vermweilet in einer Grotte oder in
feinem Pallaſte. Aus demfelben Grunde haben die Rinder
des Apollon eine Grotte, fie haben zierlihe Ställe oder
die Behaufung des Hades und die Asphodelos: Miefe als
Aufenthalts- Ort. Die Sage, welche überall verfnüpfte,
bat auch in dem angeführten Hymnos dieſe Plaͤtze mit eins
ander verfnüpft, fo daB Hermes die Rinder am Morgen
nicht mehr zu den Ställen zurückführt, aus denen er fie ents
16) Hom, Odyss. XXIV, 4 sag.
17) Auf einem großen Raume find die Schatten der Unter:
welt verfammelt; diefen Pak nennt der Mythos ſymbo—
lifch eine Wieſe.
48) Hom. Ii. II, 243 sq.
49) Odyss. XI, 304 sqgq-
552
wendete, fondern in die Behaufung des Hades oder Neleus”)
treibt. Wie fie aber wieder nah Pieria zurücfamen,
darum Fonnte man fi nicht befümmern, fobald man die
Entwendung derfelben im buchftäblichen Sinne nahm. Apollon
vermißt feine Rinder am Morgen, weil die Sterne beim
Yufgang der Sonne”), deren Ankunft fie nicht erwarten,
vom Himmel ſchon verfhmwunden find, und wandelt nicht
von Vieria gegen Pylos, fondern von Oncheſtos, einem
öftlihen Orte, an welchem der Sonnengstt feinen Lauf be
ginnt. Böotien erfcheint in vielen alten Sagen als Oſtgraͤnze.
Wie aber die Weftgranze im Laufe der Zeit vielfach verän-
dert wurde, fo rücte man auch die Öftliche immer weiter
binaus. :
Es dürften fih unfern Lefern manche Zweifel an der
Richtigkeit diefer Erklärung darbieten: warum weiden Die
Sonnenrinder, wenn fie die Sterne bezeichnen, nicht wäh-
rend der Nacht auf der nie gemähten Au oder am Himmel?
Marum führt Hermes, wenn er Kichtgott ift, nicht die ſei⸗
nigen eınpor, da er als folcher ebenfalls Heerden hat? Wars
20) Admetos und Laomedon werden ald Befißer großer Heer-
ben gepriefen, welche der Sonnengott weibet, fo daß
man wohl fiehbt, das bdiefelben urfprünglich dieſem ge-
hörten, daß fie fih aber, wie ihr Befißer, wenn fie am
Himmel verfäwinden, im Hades aufhalten.
24) Ovid. Metam. II, 113 sqg. ecce! vigil rutilo patefe-
cit ab ortu Purpureas Aurora fores et plena rosa-
rum Atria. Diffugiunt stellae; quarum agmina cogit
Lucifer, et coeli statione novissimus exit. ef. Eurip.
Jon. 1058.
558
um ruht er wahrend der Nacht nicht, wie Helios, in feinem
Pallafte, fondern erfcheint mit den Rindern befchaftigt, da
dod) die Sonne und die Sterne nicht zu gleicher Zeit leuch⸗
ten, fondern die Geftirne nur den Mond umgeben, und bei
feinem Kreislauf begleiten? Die erfte Frage findet ihre Ber
antwortung in dem fonderbaren Schickſale, welches folche
Sagen ſchon in der heroifchen Zeit hatten, wo fie buchftäb-
lich aufgefaßt wurden, Gewoͤhnliche Rinder weiden
nichtbei der Nacht, fonden am Tage, und ruhen
wahrend der Nacht. Daß aber die Rinder des -Apollon ur:
fprünglic) bei der Nacht weideten, fieht man felbft im der
entftellten Sage noch. Warum treibt fie denn Hermes gegen
Morgen zur Asphodelos s Wiefe oder nach Polos, wo fie
während des Tages ausruhen? Pylos und die genannte
Wieſe deuten beſtimmt genug auf den Hades hin, in welchem
die Sterne während des Tages verweilen, Die dritte Frage
laßt fi) eben fo leicht beantworten. Sobald man das Her
aufführen der Sterne oder die Entfernung derfelben durch den
Sonnengott für einen wirklichen Raub betrachtete,
welchen Hermes an dem Eigentum des Apollon begeht,
fonnte man den Sonnengott oder Hermes nicht mehr von
der Heerde trennen, da er ja die Rinder entwendet, um ſich an
ihrem Sleifhe zu erquicken“). So fehr wurde die einfache
Sage entftellt! Er Fonnte die Rinder nicht am Himmel
weiter führen, fondern mußte fie auf der Erde vor fich ein-
hertreiben. Die zweite Frage findet endlich ihre Löfung in
der fchon oft berührten Erfcheinung, daß man unter jedem
22) Hymn. Homeric. Ill, 61:
[2
554
Namen des Sonnengottes ſich einen befondern Gott vor
ftelfte, und ſich deßhalb nicht mehr erklären Tonnte, wie die
foftbaren Gegenftände, welche bei dem einen ermähnt
wurden, an den andern gelangten. Die Sagen vom Bogen
des Eurytos, von den NRoffen des Nhefos, von der Lyra des
Eetion zeugen, wie man verfchiedene Wege einfchlug, um
zu erflaren, auf welche Weiſe diefe Gegenftände, die verſchie⸗
dene Befiger hatten, welche ehedem nur verfchtedene Namen
eines und desfelben Gottes waren, von dem einen an den
andern gelangten. So erhält Apollon die Lyra von Hermes,
welche ihm als Sonnengott fo gut gebührte, als fie dieſem zu:
gehört. Sp waren aud) diefe Rinder in der älteften Sage |
fiherli) ein Gemeingut beider Götter, Ferner muß man
bedenken, daß, fobald man das Heraufführen der Sonnen-
rinder durch Hermes für einen gewöhnlichen Diebſtahl
anfah, der Gott nicht mehr jene Ninder, welche er felbft in
Arkadien weidete, entwenden Fann, fondern die eines andern
Gottes forttreiben muß; denn niemand begeht einen Dieb-
ftahl, wenn er fein Eigentum nach Belieben gebraucht, oder
feine Heerden von einer Stelle an eine andere treibt.
Mas Hermes thut, vollbringt auch Melampus, Auch
diefer bringt die Rinder des Sonnengottes Iphikles nad)
Pylos. Sicherlich gehörten in der alten Sage dieſelben
auch ihm zu, wie dem Iphikles. Uber da diefer Mythus
fhon bei Hermes eine fonderbare Geftalt hat, und als
eine Raubgeſchichte behandelt ift, fo darf es uns nicht wun-
dern, daß man die Handlung des Melampus, welcher
fhon im der heroifchen Zeit als Menfch auftritt, für eine
Gemaltthat hielt. Das Namliche gilt auch non des Hera-
555
kles Unternehmen, welchen man für einen Rauber anjah ?),
weil er die wunderſchoͤnen Rinder des Geryones im Auf
trage des Euryſtheus forttried. Daß Euryſtheus Hades
war, haben wir fchon bemerkt. Der Ort, wo die Rinder
des Gernones ſich aufhalten, liegt in weftlicher Richtung,
fo fehr diefelbe auch im Laufe der Zeit verändert wurde.
Im Meften geht die Sonne unter, und nad) ihrem Nie:
dertauchen erfcheinen die Sterne oder Rinder des Sonnens
gottes, welche fich im Werften aufhalten, wo ihr Gebieter
nad) einer alten Sage feinen Pallaft bat. Die namliche
Bedeutung hatte auch die Reinigung der Ställe des Augeias,
fo fehr diefe ſchoͤne Sage fpater entftellt wurde. Daß des
Augeins Name urfprünglih ein Pradifat des Sonnen:
gottes und feine Ninder die Sonnenrinder waren, bat
man“) langft erfannt. Der Ort, wo diefe ſich aufhalten,
liegt allerdings nicht im Weſten. Allein dieß kann ung
nicht befremden, Mir haben fchon oft erinnert, daß man
die Attribute und Befigthümer, welche ein Gott hatte, mit
feinem Cultus lofalifirte.. Wie man aljo die Heerden des
Sonnengottes da fuchte, wo derfelbe feinen Pallaſt hatte,
jo fuchte man fie auch an den Orten, wo er vorzüglich
verehrt wurde. Herakles reinigt die Ställe des Augeias
von den Sonnen» Rindern, indem er diefelben fort-
25) Schon die Alten ſahen ein, daB ſich Raͤubereien mit der
Größe des Heros nicht vertragen, und Pindaros (fragm.
inc. 48 Boch) glaubte den Herafles durch den ihm vom
Eurpftheus auferlegten Zwang entihuldigen zu muͤſſen.
Müller, Dor. I, 424,
24) Schwend, S, 25. Not.
‚ 556
treibt, und zum Euryſtheus bringt, wie Hermes bie des
Apollon aus ihren Ställen entwendet, und gegen Pylos
führt. Die fpätere Zeit nahm diefe Reinigung der Ställe
des Yugeias in einem andern Sinne, modurd) die frühere
Bedeutung der fchönen Erzählung ganz verbunfelt wurde.
Daß Herakles nad) diefer veränderten Gage einen
Tribut oder Zehnten verlangt, ift natürlih. Umfonft
fonnte er eine fo muͤhevolle Arbeit nie auf ſich nehmen,
Ställe zu reinigen, welche noch niemals gereinigt wurden,
aber in dem alten Mythos, in welchem die Rinder des
Augeias als das erjchienen, was fie waren, auch Feiner
Reinigung bedurften?).
Die unendliche und zahllofe Menge der Sterne welche
den Mond umgeben, und denfelben begleiten, nannte das
Altertfum auch Argos, den weißfehimmernden Hund. Hera—
fles führt denfelben aus dem Hades herauf”), und thut
dasfelbe, was er thut, wenn er die Rinder des Ge-
ryones oder des Augeias aus ihren GStallungen entfernt.
Die namliche Sache mußte auf vielerlei Weiſe ausgedrüdt
erfcheinen, fobald man die Ausdrucksweiſen verfchiede
25) Aus folden Andeutungen laßt fi die ſymboliſche Bedeu:
tung der Ninder am beiten erfennen. Wahrend jene des
Helios nie einer Vermehrung und, obfehon des Odyſſeus
Gefährten einige derfelben fchlahten, Feiner Vermin—
derung faͤhig find, weideren die des Apollon auf nie
gemäheter Au, und die bes Augeias find in Ställen,
die von ihrem Herrn nie gereinigt wurden, meil
fie feiner Reinigung bedurften.
26) Welder, Trilog. S. 129 fg.
357
ner Drte und verfchiedener Zeiten mit einander
vereinigte. Als Ort, wo fich die Heerden des Sonnen-
gottes während des Tages aufhalten, nannte man nicht
bloß die Meftgegend, wo derfelbe feinen Pallaft hatte,
fondern auch die verfchiedenen Kander und Städte, wo ders
felbe vorzüglich verehrt wurde, und den Hades, das uns
fihtbare Reich, im welchem der Sonnengott felbft verweilt.
Diefen Hund nennt die Sage Kerberos”), indem fie ihm
die Farbe des Ortes leiht, wo er während des Tages ver
weilte; daß er aber der Argos oder ſchimmernde Sternhims
mel war, fehen wir noch recht deutlicd) aus dem Namen
Kynosarges”), melden der Herakles » Tempel in
Athen hatte.
Wie das Altertfum das Erfcheinen der wahr
rend des Tages unfihtbaren Sterne ſymboliſch
ausdrückte, fo ftellte es aucy den Aufgang des Mom
des auf Ähnliche Weile dar. Auch die Mondgottin vers
weilet während des Tages entweder im Grabe oder im Hades,
oder fie ruht in einer Grotte, wie Kirfe und Kalypfo oder
in ihrem Dallafte, wie Helena. Hermes, welcher dieSterne
bringt, fteigt in den Hades hinab, und holt die Perfephone,
das leuchtende Mondfeuer aus demfelben herauf”). Wer
follte die Mondgöttin emporführen, als der Sonnengott?
Iſt er vom Himmel verfchwunden, und in das Schattenreich
hinabgeftiegen, fo erhebt fich diefelbe aus dem Hades, um
37) Schwend, ©, 42.
28) Weber die Bedeutung des Namens cf. Schwend, ©. 247.
29) Hymn. Homeric. V, 341 sqgq«
558
das Dunkel der Nacht zu erhellen. Der Sonnengott
fheint fie dazu anzutreiben, und wie er fie am
Morgen vom Himmel verfheucher®’), fo bewegt er fie am
Abend, denfelben zu erleuchten, er führt fie, wie die Sterne,
an denfelben empor. Aus diefer Urſache fteigt nicht bloß
Dionyfos in den Hades hinab, um die Semele an den
Dlympos zu führen, fondern aud) Thefeus, Veirithoos und
Drpheus fteigen aus demſelben Grunde in den Hades hinab,
Orpheus, um die Eurydife aus demfelden zu holen, Peirt-
thoos, um die Perfephone zu entführen. Peirithoos erſcheint
in der epifchen Sage nicht mehr als Gott, fondern als Heros,
und da man die Verbindung, im welcher er ehedem mit der
Perfephone fand, nicht mehr erfannte, fo mußte fein Vor
haben freilich) als eine gewaltthätige Handlung dargeftellt
werden, und wir dürfen uns nicht wundern, daß er und
Theſeus, da man die Urjache ihres Aufenthaltes im Hades
längft aus dem Auge gelaffen hatte, fo lange in demfelben
feftgehalten werden, bis Herakles als Vermittler auftritt.
Das Hinabfteigen des Ddyffeus ın die Unterwelt ift von
Homeros hinlanglic) verberrliht, aber den Grund deefelben
weiß der Sänger nicht mehr, fondern meldet, er habe
dieß gethan, um den Seher Teirefias zu befragem
Nach einer andern Sage halt ſich die Mondgöttin im’
einer Grotte auf, wie die Sagen von den Grotten der Kirfe,
der Kalypfo, Selene und Hekate zur Genüge beweifen. Aus
einer Grotte entführt Zeus die Europa°‘), und trägt fie
30) Ovid. Metam. II, 147.
31) Die Sagen über diefen Gegenftand findet man am voll-
559
nach Kreta, oder fie verweilet in ihrem Pallafte, wie
die Helena, aus dem fie der Sonnengott Paris entführet.
Die namliche Bedeutung haben die Sagen von der Entfühs
rung der Jo, der Medein und der übrigen Mondgöttinen.
Sie beziehen ſich jammtlih) auf den Aufgang des
Mondes, welcher wahrend .des Tages verborgen ift. Der
Sonnengott führt ihn empor, wenn er den Himmel verläßt,
wie er die Sterne bringt. Diefes Hervorführen der Mond-
göttin Durch den Sonnengott bezeichnete das Altertfum durch
die Entführung. Aus dem namlichen Grunde entführt The—
ſeus die Ariadne und die Helena,
Hier drängt fi uns eine andere Frage auf: Warum
bringt Zeus die Europa nad) Kreta, warum Kadmos die
Harmonia nad Theben, warum Paris die Helena nach
Troja, wenn die Sagen von der Entführung der Göttinen
nichts anders bezeichnen, als den Aufgang des Mondes?
Der Sonnengott ruht ja wahrend der Nacht, wo die Mond»
göttin über die Berge dahin wandelt, wie dieß nicht bloß
aus den vielen Erzählungen von den Gräbern der Lichtgoͤtter,
von ihrem Aufenthalte im Hades, in Grotten und ihren
Palläften hervorgeht, fondern ſchon aus der einfachen Sage
abgenommen werden muß, daß der Sonnengott Endymion
immer ſchlaͤft, wenn Selene die Nacht erhellt ? Die Frage findet
ihre Beantwortung in ber Erklärung des Mythos von
dem Rinderraube des Hermes. Sobald man diefe Sagen
buch ſtaͤblich auffaßte, Fonnte man fih damit nicht be>
gnügen, daß der Sonnengott die Mondgöttin bloß aus
ftändigften in Belders Schrift über eine Kretiihe Co—
lonie in Theben gefammelt.
560
dem Dunkel hersorführt, wie fich dieß noch in den
Angaben über das Heraufführen der Perfephone durch Hermes
und der Semele durch Dionyfos zeigt, fondern man mußte
beide Götter ungertrennlich mit einander verbinden, und
daher Fommt es, daß die Mondgottin ihre Reiſe am
Himmelnicht allein madt, fondern denjenigen Öott,
der fie entführt, zum Begleiter hat. Wie aber die Rinder
des Sonnengottes auf die Erde herabgezogen wurden, fo
erging es auch, ald man bie ade fomboltfche Ausdrucksweiſe
nicht mehr verftand, den einzelnen Mondgöttinen. Auch
fie müffen ihre Reifen und Wanderungen, welche ihren Kreis—
lauf bezeichneten, auf der Erde vollenden. Die Orte, an
welche fie gebracht werden, mußten eben fo verfchieden an⸗
gegeben werden, wie Diejenigen, aus denen fie die Sonnen:
götter entführen. In einigen Sagen erfcheint der Hades, in
andern die öftliche Granze, die Böotien in der Sage von
der Europa andeutet, in andern diejenige Stadt, wo eine.
Göttin vorzüglich verehrt wurde, als derjenige Drt, von dem
fie entführt wird. Die Sonnengötter führen fie entweder
von einem Endpunkte zum andern, vom Morgen nad) Abend
oder umgefehrt, oder fie bringen fie an denjenigen Ort, wo
fie vorzüglich verehrt wurden, Daß in jene fombolifche Aus»
drucksweiſe von den Wanderungen der Mondgdttin die wich-
tigftien Punktedes Cultus verflochten wurden, haben
wir bei der Erklärung der Irren der Leto und Jo nadhgemwies
fen, fo daß wir ung nicht wundern dürfen, wenn die Rich⸗
tungen des Weges, welden die Sonnengötter mit ben
entführten Mondgottinen einfchlagen, fehr verſchieden
angegeben werden.
561
Mie der Cultus der Griechen alles ſymboliſch darftellte,
fo bat er auch diefe Naturerfcheinung bildlich dargeftellt. Wie
die Grotte oder das Grab oder der Hades der Ort war, wo
ſich die Mondgottin nach der alten Sage den Tag hindurch
aufbalt, fo ift der Tempel der Wohnfis ihres Bils
des, Aus diefem wird dasfelbe entfernt, und verfiedt,
dann gefucht und unter Jubel mieder in den Tempel zus
rücfgebracht, nachden man es vorher in einem Fluffe gebadet
hatte”). Diefer Umjtand darf nicht überfehen werden. Es
ift befannt, im welch’ einer nahen Beziehung die Kichtgötter
zum Meere und zu Flüffen ftehen. Aus dem Waſſer fcheint
der Mond am Abende emporzutauchen, wie die Sonne ſich
im Meere verliert, und Heltos deßhalb von der Thetis aufge
nommen wird, und wir vermuten, daß diefes Baden ur
fprünglich nur auf dieje einfache Erſcheinung ſich bezogen ha—
ben dürfte. Einen großen Beweis für diefe Anſicht liefert
der Name, den die Mondgöttin auf Kreta hatte, Diktynna,
die mir Netzen Aufgefifchte. Diefer Name iſt “) von der
Sitte entlehnt, daß ihr Bild in das Meer geworfen, und
dann mit dem Netze berausgezogen wurde, Soll dieſer Ge;
brauch nicht deßhalb jtattgefunden haben, um das Empor—⸗
tauchen des Mondes aus den Flutben des Meeres zu be:
zeichnen ?*)
32) Callim. Hymn. in Dian. 205 et Spanh. I.c. Paus. II,
30, 53.
55) Anders erklärt Schwend (S. 56) dieien Namen,
54) Hat man ja doch wegen diefes Emporfteigens des Mondes
aus dem Meere die Mondgöttin an manden Orten Toch—
Vorhalle zus Griechiſchen Gedichte. 36
562
Daß diefer Gebrauch, das Bild einer Göttin aus dem
Tempel zu entfernen, und nachdem man es im Waſſer ge
badet hatte, wieder in denselben zurüczubringen, fpäter eine
veränderte Geſtalt erhielt, und hochzeitliche Gerimonien Damit
verbunden wurden, darf nicht befremden. Wenn man be-
denkt, daß man die Entführung der Mondgöttin fchon in der
heroiſchen Zeit buchftäblich nahm, und die Sage von der Ders
maͤhlung der Sonne und des Mondes nicht mehr auf das
ungertrennliche Verhaͤltniß bezog, vermoͤge deſſen fie einander
am Himmel beftändig ablöfen, fo mußte man allerdings auf
die Anſicht verfallen, daß Zeus die Europa in der Abficht ent-
führt habe, um ſich mit ihr zu verbinden, und diefe Bermuthung
auch auf alle ahnlichen Sagen übertragen. Zeus entführt
alfo die Europa nicht mehr dem Dunfel, damit fie den Him⸗
mel, den er verlaffen bat, erleuchte, fondern, um ſich mit ihr
zu vermählen. So entführt auch Paris die Helena nicht
mehr aus dem einfachen Grunde, aus welchem Dionyfos
feine Mutter an den Olympos führt, fondern, um fich mit
derfelben in feinem Pallaſte zu verbinden. Daher darf man
nach unferm Dafürhalten aus den hochzeitlichen Gebraͤuchen,
welche mit der Entwendung der Goͤtterbilder aus den Tem⸗
peln verbunden waren, nicht ſchließen, daß dieſelben ſchon
urſpruͤnglich nichts Anderes verſinnlichen ſollten, als die Ver⸗
maͤhlung des Himmels und der Erde.
Aus dieſem Cultusgebrauche duͤrfte man auch abnehmen
koͤnnen, warum Odyſſeus oder Diomedes das Palladion ent⸗
ter des Meergottes genannt, und auch den Sonnengott
von ihm abſtammen laſſen!
—
568
wenden, warum Dreftes das Bild der Orthofia von Tauris
nad) Sparta brachte, und durch Paris”) nad) einer andern
Erzahlung nicht die Helena, fondern nur ihr Bild nad) Troja
fam. Diomedes, Ddyffeus, Oreftes und Paris waren in
der Urzeit Feine Heroen, ſondern hatten diefelbe Bedeutung,
welche Zeus in der Griehifhen Mythologie hat. Sie ent
führen aus demfelben Grunde die Mondgüttin, aus welchen
Zeug dieß thut. Allein da der Cultus diefe Entführung nach—
bildete, fo entführen Ddvffeus und Diomedes nicht die Monds
göttin Dallas, Oreſtes nicht die Orthoſia, fondern fie neh—
men nur ihre Bilder aus dem QTempel hinweg. Die Sage
bat bier alfo die Entführung der Göttin und die Entwendung
ihres Bildes mit einander verwechfelt. Diefe Vermechfelung
erklärt fich, wie die Entftellung der alten Geftalt des Mythos
aus dem Umftande, daß fchon die heroiſche Zeit dieſe Sagen
nicht mehr verftand, und nicht blog Odyſſeus, Diemedes,
Oreſtes und Paris für Menſchen hielt, fondern auch Europa,
Helena, Medeia und viele andere Göttinen als fterbliche
Frauen darftellte. Sobald aber die geſchah, mußte die Ent-
führung derfelben als eine Gemeltthat bezeichnet werden. Nez
rodotos leiter ja*) fogar die Urfache aller Seindfeligfeiten zwi⸗
ſchen den Hellenen und den Barbaren von der Entführung
der Go und Medeia ab! Wenn Heftodos”) melder, daß
wegen der Rinder des Didipus, welche dem Mefen nah von
denen des Helios durchaus nicht verichieden waren, die Hel
den fielen, und furchtbare Kaͤmpfe ſich erhoben, fo dürfen wir
35) Herodot. II, 415 — 415. cf. c. 416 et interpretes.
36) Herodot. I, 1 sggq.
57) Hesiod. &pya, 461 sqq-
36 *
564
ung nicht wundern, daß die Diosfuren?®) wegen der Entfühs
rung der Helena durch Theſeus mit einem Heere in Attika
einfallen, und die Stadt Athen erobern! Mir dürfen uns
ferner nicht wundern, wenn man wegen der Entführung der
Helena, welche niemals lebte, die Hellenen mit einer großen
Streitmacht vor Troja ziehen, und Ilion zehn Fahre lang”)
belagern ließ! Eine Zeit, welche die alten Mythen fo wenig
mehr verftand, daß fie die Gefahrten des Odyſſeus Rinder
des Helios eſſen ließ, und deßhalb doc) die alte Ueberliefe—
rung, daß ihre Anzahl ſich niemals verminderte, beibehielt,
eine Zeit, welde den Fall des Hephaͤſtos wie ein Mährchen
behandelte, mußte einer fo einfachen Sage, wie jene von der
Entführung der Helena war, eine ganz veränderte und fabels
hafte Geftalt geben.
Daß diefe Sagen Feine andere Bedeutung haben, läßt
ſich am beften aus der Erzählung von Naube des Tithonos
durch Eos bemeifen, Eos oder die Morgenröthe iſt die Vor—
läuferin des Tages, welcher mit der Ankunft der Sonne ber
ginnt ). Menn nun Eos den Tithonos entführt, was
35) Echon der Dichter Alkman (Paus. TI, 41, 5.) fang in einem
Gedichte auf die Diosfuren, dep fie Athen eingenommen,
und des Theſeus Mutter ale Gefangene hinweggeführt
hätten; Theſeus felbft aber, ſagte er, fen nicht dabei
gewefen.
59) Weber die fombolifhe Vedeutung der zehn Fahre hatte man
fich fhon längft verftandigen müffen, wenn man die in
den Homerifchen Gefangen bei verfchiedenen Ereig-
niffen erwähnten Zahlen mit einander verglichen bätte!
40) Eurip. Jon. 1058, Ovid. Metam. U, 112 sqq-
565
Tann diefe fombolifhe Ausdrucksweiſe anders bedeuten, als
daß fie den Sonnengott aus jeinem Pallafte, wo er die Nacht
bindurch ſchlummerte, entfernt, und zum Beginne feiner
Fahrt am Himmel auffordert? Der wunderſchoͤne Juͤng—
ling Kleitos, den fie ebenfalls entführt, dürfte diefelbe Be—
deutung gehabt haben, welche Tithonos hatte").
Nur in einem Falle bezieht fich die Entführung der
Mondgöttin oder des Sonnengottes niht auf den Auf
gang der Sonne und des Mondes, jondern auf den
Untergang diefer zwei großen Lichter, wenn namlich
nicht der Sonnen-Gott, fondern die Beherrſcher
des Meeres oder des Schattenreiches als handelnde
Perſonen genannt werden. Thetis nimmt den Helios auf,'”)
wenn cr den Saun des Himmels verläßt. Velops wird
von Pofeiden entführt ®). Die Bedeutung des Namens
44) Zithonos und Titan (Ovid. Metam. U, 118.), wie He:
lios genannt wurde, waren urfprünglid ein Mefen.
42) Ovid. Metam. 3I, 65 sqg-
43) Pind. Ol. 1, 40 sqg. et Schol. 1. ce. Die Entführung
des Chryſippos und des Gannmedes dürfte urſprünglich
diefelbe Bedeutung gehabt haben. Chrpſippos wird (Schol.
Hom. Il. II, 105. Schel. Eurip. Phoeniss. 65. 4728.
Valcken. Diatr. p. 25) nah Theben gebracht. Boͤotien
haben wir fhon in vielen Sagen als Dftgrenze kennen ge:
lernt, wo fich der Sonnengott mit feinem goldenen Ge-
fpanne, nahdem er am Abend vom Himmel verſchwand,
wieder erhebt. Daß ihn niet die Mondgöttin entführt,
fondern Laios, der Vorfteher des Schattenreihes, ift
naturlih. Bei dem Sonnengotte bezog ſich ia dieſe Aug:
drucksweiſe auch auf feinen Untergang. Als Hades wird
566
Pelops haben wir jchon erklärt, und erinnert, daß derfelbe
früher eines der vielen Beiwoͤrter des Sonnengottes gewe—
fen ſeyn dürfte. Menn ihn nun der Gott des Meeres
entführt, fo hat er nach der alten Sage denfelben vom
Himmel in die Tiefen des Meeres hinabgezogen, und ihn
dort aufgenommen, wie Thetis den Hephaͤſtos aufnahm,
wie Dionnfos fich zu ihr flüchtete, Diefe Sage wurde dur
die bei den Thrakiſchen Wölferfchaften herrfchende Knaben—
liebe jehr umgeandert, und die Liebe des Pofeidon zum
Pelops als Urſache der Entführung angegeben. Allein
wer erwägt, wie fehr die Mythen von des Dionyfos und
des Hephäftos Aufenthalte bei der Thetis entftellt wurden,
wird fid) nicht wundern, daß man ſich die Entführung des
Pelops auf die bezeichnete Weiſe zu erklaͤren ſuchte. Don
dem Raube der Verjephone durch Hades haben wir fchon
gefprochen, und die Bedeutung der darauf bezuͤglichen Sa—
gen zu erflären gefucht. Ber einer Zeit, welche die Sagen
von dem Rade des JIxion und dem Steine des Siſyphos
ins Dafeyn rief, darf man fid) über diefe bildliche Aus-
drucksweiſe der einfachften Naturerfcheinungen nicht wun—
dern, und bei der Erklärung derjelben unfere Anfichten und
2aiog vorzüglich durd feinen Vater Labdakos (Aucs und
deyouaı), den Völferaufnehmer, deffen Name dem Volp-
degmon ziemlich entfpricht, beftimmt genug bezeichnet.
Auch die Entführung des Ganymedes dürfte in der frübe-
ften Zeit wohl eine ähnliche Bedeutung gehabt haben,
die freilih, als man die Knabenliebe auch in ben
Dlympos verfeste, eine wefentliche Veränderung erlei- |
ben mußte.
56%
Kenntniffe der Phyſik und -Aftronomie —*2 nicht zur
Richtſchnur nehmen.
Siebenundzwanzigſtes Capitel.
Von ver ſymboliſchen Vedeutung der Erlegung ſchädlicher
Shiere.
Das Alterthum hat eine Menge von Sagen über die
Thaten der Heroen, welche ehedem Götter. waren, unter
. denen die Kämpfe mit wilden Thieren und die Erlegung der;
felben eine vorzügliche Stelle einnehmen. Haͤtten diefelben
eine gefchichtlihe Bedeutung, jo müßte man vermuthen, daß
Griechenland fo viele fchadliche Thiere hatte '), daß die Nerven
ihr ganzes Leben mit Bekämpfung derjelben zu thun hatten,
Allein wir Finnen unmöglich glauden, daß die Griechifchen
Fuͤrſten ſolchen Abentheuern, welche ſich von der Jagd bei
den alten Germanen weſentlich unterſcheiden, den groͤßten
Theil ihres Lebens weihten, noch weniger, daß die Goͤt—
ter, welche dasſelbe vollbringen, was viele Heroen
4) Wir wollen hier nur auf einen Umſtand aufmerkſam
machen. In den alten Sagen fommen fehr viele Drachen
und Schlangen von ungewöhnlicher Größe vor, Wenn
Griechenland ſolche Schlangen und Drachen erzeugt hätte,
fo müßten wir von diefen furchtbaren Thieren auch in der
hiftorifchen Zeit noch Spuren finden, Allein in dieſer zeigt
fi Feine Nachricht von einer Hydra, von einer Chimäre,
Sollen etwa dieje Ungeheuer weggezaubert worden feyn ?
Dies geſchah fiherlih nicht. Sie werden alio wohl au
in den Mythen nur ſymboliſche Bedeutung haben.
368
thun, in einer bieratifchen Zeit als Freunde folder Abentheuer
dargeftellt wurden, fo daß wir Faum zu irren glauben, wenn
wir behaupten, daß, wie diefelben bei dieſen eine ſymbo⸗
liſche Bedeutung haben, fo auch jene der zu Herven herabge-
funfenen Götter diefelbe gehabt haben dürften.
Wir beginnen die Erklärung derfelben mit Hermes That.
Diefer trägt bet Homeros den Namen Argeiphonres oder
Argostddter. Die Sage meldet, daß cr denfelben deß—
halb erhielt, weil er den Hund, welcher die Jo hütete, ges
tödtet hat. Die Bedeutung des Argos unterliegt Feinem
Zweifel mehr. Er ift das Symbol des den Mond umgeben:
den Sternen» Heeres. Wenn ihn Hermes todtet, fo führt
er '’) die Sterne vom Himmel hinab. Denn unter
den vielen Ausdrucksweiſen, durch welche die Alten den Uns
tergang des Mondes und der Sterne bezeichnes
ten, nimmt der Tod die vorzüglichfte Stelle ein. Deßhalb
hatten nicht bloß die Mondgottinen Gräber, jondern die Kre⸗
16) Schon Macrobius hat den Argos und die Tödtung des-
felben dur Hermes ganz richtig erkannt, indem er (Satur-
nal. 1,20 p. 306 Bip.) ſagt: sub hujusce modi fabula
Argus est coelum stellarum luce distinetum , quibus
inesse quaedam species coelestium videtur oculorum,
coelum autem Argum vocitari placuit a candore et
velocitate, ap« 10 Aevxov Hai Teyv. — is ergo am.
bıtus coeli, stellarum luminibus ornatus, tunc exi-
stimatur eneetus a Mercurio, cum sol diurno tem-
pure obscurando sidera velut enecat, vi luminis sui
eonspectum eorum auferendo mortalibus. MWelder,
Trilog. ©. 151.
569
ter hießen ſogar?) den Zeus fterben, und zeigten ſein Grab.
Aus diejer bildlichen Ausdrucksweiſe laßt fich erjehen, warum
Hermes einige der Rınder des Apollon ſchlach—
tet, und des Odyſſeus Gefährten Rinder des Helios effen.
Wie Hermes den Argos rödtet, welcher alle Sterne als ein
zufammengehöriges Ganze bezeichnet, fo tudter er am Mor-
gen nad) einer andern Sage die Rinder des Apollon, welche
er am Abend am Himmel emporführte. Allein als man
diefe Rinder von gewöhnlichen Thieren nicht mehr unterfchied,
und glaubte, er habe diefelben nur deßhalb entwendet, weil
ihn nach Fleiſch) gelüftete, da konnte man ihn un»
möglich mehr die ganze Heerde umbringen laffen, und fo ging
der Sinn des Mythos verloren. Dasfelbe laßt fi) auch von
Dönffeus fagen. Als Sonnengott tödtete er die Rinder des
Helios. Allein ſchon Homeros, fo getreulich er die Mythen
erzählt, welche den Laertiaden als Gott bezeichnen, Fennt den»
felden nur als Heros, und unterfcheidet ihm nicht mehr
von andern fterblichen Fürften. Er glaubt, daß fein Name
und Ruhm nur deßhalb in Troja und der benachbarten Ges
‚gend fo groß war, weil er perfonlicy an dem Trojanifchen
Kriege Antheil genommen habe. Allein als König von
Ithaka kann er nicht allein dahin wandern, fondern muß,
wie weltliche Fürften, fein Gefolge bei ſich haben, und diejes
ihn auf feinen Irrfahrten begleiten. Die Rinder des Helios
betrachtet der Sänger als Thiere. Daher laßt er ') fie nicht
2) Callimach. Hymn. in Jov. 6 sqq. et Spanh. 1. e.
5) Schon im Homerifch. Hymn. (v. 61) ift dieß ald Urſache
der Entwendung angegeben.
4) Auf den Heros Fonnte er den Frevel unmöglich laden,
&
570
durch Odyſſeus umfommen, weil diefer als Heros fih einen
folchen Frevel nicht zu Schulden Fommen laffen fonnte, fon-
dern durch feine Gefährten, die aber, da fie bloß ihren Hun—
ger ftillen, nicht alle tödten. Die Handlung, von Odyſſeus
auf feine unbefonnenen Gefährten gewälzt, bot der Sage die
fhonfte Gelegenheit, den zum Heros gewordenen Gott von
den. Gefährten zu befreien, welche er früher nicht hatte, und
nur durch den Trojanifchen Krieg befam, wenn anders diejel-
ben nicht eine ähnliche Bedeutung haben, wie —* Gefaͤhrten
des Dionyſos!
Odyſſeus erſcheint nicht bloß in dieſer, ſondern auch in
einer andern Sage als dasſelbe Weſen, welches Hermes war.
Auch er iſt Argostodter, wie Hermes. Wie er in fein
Haus tritt, fo gibt der Argos °) fein Leben auf. Diefe
Sage ift zu alt, als daß man fie für geringfügig erklären
fonnte. Sobald Ddyffeus erfcheint, oder die Sonne fih am
Himmel erhebt, erblaffen die Sterne und verfchwinden‘),
oder fie-fterben nad) der bildlihen Ausdrucdsweife, vom Sons
nengotte, deffen Glanz fie nicht ertragen koͤnnen, getoͤdtet.
Da man den Rang des Odyſſeus und die Wirkſamkeit des—
felben als Gott nicht mehr kannte, fo erfcheint freilich der Ar⸗
gos wie ein gewöhnlicher Hund, wie die Rinder des Apollon
und Helios dasfelbe Schickſal hatten”); allein ganz hat man
fondern legte denfelben dem unbefonnenen Uebermuthe
der Gefährten bei, welche er vergeblich zu retten fuchte.
5) Hom. Odyss. XVII, 326 sq.
6) Ovid. Metam. II, 414 sqg-
7) Daß der Argos des Odyſſeus zum Jagdhunde ward, darf
nicht befremden. Selbft den Hüter ber Jo betrachtete
' 571
die ehemalige Bedeutung dieſes Hundes, wofuͤr ſchon ſein
Name ſpricht, doch nicht verwiſchen kͤnnen. Warum ſollte
derſelbe, ruͤſſig und geſund, gerade in dem Augenblicke fein
Leben enden, wo Odyſſeus erſcheint, wenn dieſe Sage nicht
eine ſymboliſche Bedeutung gehabt haͤtte, und nicht vielfach
beſungen geweſen ware, wie der Argos ſelbſt, fo daß der au«
genblicklich erfolgte Tod des Argos bei des Odyſſeus Ankunft
nicht übergangen werden Eonnte.
Theſeus tödter’) den Aſterion, welchen wir fchon
als Sternmann oder Symbol des mit Sternen überfäeten
Himmels Fennen gelernt haben. Er tödtet denjelben aus
dem namlichen Grunde, aus welchen Hermes den Argos
erwirft. Daß die fpatere Zeit den Afterion zu einem König
der Inſel Kreta macht, darf ung nicht befremden, da viele
hundert andere Namen, welche ehedem Sonne und Mond
trugen, vun diefen getrennt und zu befondern Weſen umge:
man als gewöhnlihen Hund, und ließ den Hermes
denfelben mit einem Steine erwerfen (Apollod. 1I, 4,3.
Schol. Aeschyl. Prometh. 56. Etym. p. 136, 52.) Diefer
Stein wurde als heilig betradtet, und hernach in
den Apollon-Dienſt hinüber genommen. Welder, 1. o.
Not.175. Auch ward diefe Sage, wie jene ven dem Ar:
808 des Ddyffeus nah Ithaka verpflanit wurde, nah
Pheneos in Arfadien, wo Hermes vorzüglich verehrt wurde,
verfeßt, Cie. N. D. III, 22, während Hermes in einem
alten Mpthos (Steph. Byz. s. v. “Zoyvoo) dirfe That in
Euböa volbringt, meldes in vielen Sagen als oftliche
Grenze ericheint, wo deshalb der Sonnengott Tityos
wohnt, und Rhadamanthys ihn befucht.
8) Pausan. 11, 51.
572
bildet, und dieſe fpater in bie Reihe der Heroen —
wurden >
Wie das Altertum den Untergang der Sterne beim
Erſcheinen der Sonne bildlid) durch den Ted sausdrüdte, fo
bat es auch den Untergang des Mondes auf dieſe
Weiſe dargeftellt. Perſeus todtet die Meduſa oder den
Mond, wenn er aus dem Hades fi) entfernt, und am
Himmel emporfteigt. Wie man die Gorgonen aus den
ſchon angeführten Gründen für Ungeheuer hielt, fo ward
auch Perſeus als fterblicher Königsfohn dargeftellt. Ale
folcher kann er die Medufe nicht mehr dadurch tüdten, daß
er fie verdunfelt und vom Himmel verfchesichet, fondern er
muß ihr, wie einem menjchlichen Wefen, den Kopf ab»
ſchlagen. Er Tann als Menſch diefe That allein nicht
9) Auch der Tod der Afteria, dee Mutter der Hefate (Hesiod.
Theogon. Apollod. I, 4, 1) dürfte urfprünglich diefelbe
Bedeutung gehabt haben, wie jener des Argos und Aſte—
rion. Schon ihr Name fagt, daß fie der von dem Sternen:
Heere umgebene Mond ift. Sie findet ihren Tod im
Meere, in welchen die Sterne nah den Vorſtellungen
der Alten untergehen, und aus weldem fie empor:
tauchen (Ovid. Metam. I, 4171 sqgq. ef. U, 68. IV,
97 59.) Daß fie Zeus erft in einen Stein verwandeite,
aus welchem die Inſel Delos ſich bildete, feheint fpätere
Dihtung zu feyn, wenn man die Verfeinerung nicht
auf das Erfterben des Lebens beziehen will, was in diefer
Sage fih kaum rechtfertigen laffen dürfte, da der Stein,
wie uns duͤnkt, bier die Beſchaffenheit des Eilandes
Delos bezeichnen fol.
373
ausführen, fondern bedarf der Unterftüßung der Götter“).
Don Hermes und Athene begleitet, gelangt er im Fluge zum
Okeanos und den Gorgonen;- die Götter heißen ibn mit
abgewandtem Geficht der Medufa, die unter ihnen allein
fterblih ift, den Kopf abſchneiden, und zeigen ihm diefen
im Spiegel der Athene. Er ſchneidet mit dem Meffer das
Haupt ab, und legt es im die Kibifis*). Die Schmweftern
erwachen vom Zifchen der Medufenfchlängen, und verfolgen
ihn ?), Tonnen ihr aber wegen der Hehlfappe des Hades nicht
feben. Perſeus fommt nach Seriphos, heißt den Polydektes
das Volk verfammeln, verfteinert durch das vorgehaltene
Medufenhaupt den König mit dent Volke, und fegt den Dik-
ty8 zum König über die Uebriggebliebenen ”) ein.
Melche Ausihmücung hat diefe Sage erhalten! Wir
wollen die einzelnen Theile derfelben naͤher betrachten. Die
drei Schweitern beziehen ſich, wie wir ſchon erinnerten, auf
die drei Mondphafen. Als Göttinen find fie unjterblidh. Da
aber der Mond täglich verfchwindet oder getodtet wird, fo
fuchte der Mythos diefen fcheinbaren Widerfpruch zwifchen
Sterblichkeit und Unfterblichfeit dadurch anszugleichen, daß
er die Medufa, deren Haupt Pallas trägt, fterblich, die übri-
gen zwei Schweftern unfterblidy nennt. Diele andere Göt-
tinen hatten dasfelbe Schieffal. Sie wurden, wegen biefes
ihres ſymboliſchen Todes, für fterblide Königinen gebals
ten. Da aber die Sagen von ihrer Unſterblichkeit nicht ganz
10) Welder, Aeſchyl. Trilog. S. 384.
41) Hesiod. Scut. 224.
42) Id. 216.
43) Pind. Pyth. X, 75. XII, 22.
574
erlofchen waren, fo wurde der fcheinbare MWiderfpruch durch
die Annahme befeitigt, daß fie durch die Verwendung irgend
einer ihmen günftigen Gottheit Unfterblichkeit erlangt hätten.
Medufa war unfterblich, wie ihre Schweftern, und aud) dieſe
hätte die Sage wegen des Unterganges des Mondes fterblich
nennen koͤnnen. Der Mond ward ſymboliſch durch einen
Kopf mit Schlangendaaren dargeftellt. Diefen Kopf trägt
Pallas auf ihrem Gewande. Er bezeichnet ihr Weſen, wie
der Vollmond, welchen die Kuh des Kadmos auf jeder Seite
tragt). Vallas hatte ale Mondgoͤttin felbft den Beinamen
Gorgo *). Sie war in Athen dasſelbe Mefen, welches ander-
wärts die Gorgonen waren, Mie Fam aber das Haupt ber
Gorgo an Vallas? Perſeus, welcher fie tödtet, indem er
den Mond verfcheucht und bewirkt, daß derfelbe vom Him—
mel hinabiinfer, fchneidet der Medufa den Kopf ab, und fo
gelangt derfelbe, da man die Bedeutung diefer That nicht
“mehr verfiand, an Diktys oder Arhene! Der Spiegel
der Dallas, in welchem er denfelben erblickt, iſt der
Himmel, an welchem fich der Mond abipiegelt. Pallas
befist den Spiegel, weil fie in der alten Mythologie
auch über den Himmel gebot. Die Gorgonen wmoh-
nen am Dfeanos im aufßerften Meften, mo das Licht
verſchwindet. Die Schlangen, melche fie im ihren Haaren
haben, find Symbole der Mondgoͤttin, wie des Sonnen:
14) Schol. Eurip. Phoen. 641. Schol. Aristoph. ran. 1225.
Pausan. IX, 22, 1. Hyg. fab. 178. Welcker, Kret.
Colon. ©. 72 fg- |
45) Eurip. Helen. 1516. Müller, Prolegom. ©. 310.
575
gottes. Die Kibifis, im welche er das Haupt der Meduſa
legt, dürfte diefelbe Bedeutung haben, wie der Kaften, in
welchem Perfeus und Danas und fo viele andere Kichtgütter
liegen. Daß die Medufen-Schweitern den Perſeus verfolgen,
iſt fpäterer Zuſatz. Als menschliche Mefen betrachtet, Fonnten
fie den Tod ihrer Schwerter, welchen man buchftablich nahm,
nicht gleichgiltig anfehen, fondern fie mußten den Urheber
desfelben verfolgen. Die Verfieinerung, welche Perſeus mit
dem Medufen-Haupte bewirkt, bedentit den höchften Grad
von Schreden, welcher von der furchtbarblictenden Mond»
göttin, welche Schlangen ftatt der Haare bat“), ausgeht.
Diktys und Polydektes waren ebedem nur zwer Namen für ein
und dasfelbe Wefen. Die fpatere Zeit bat ſich unter jedem Nas
"men einen befondern Herrfcher gedacht. Die Sage von der Ber:
fteinerung, welche das Meduſenhaupt auf Seriphos veranlaßte,
bot die ſchoͤnſte Gelegenheit dar, die zwei Beberrfcher des Schat⸗
tenreiches wieder auf eime Perſon zurüdzuführen. Eine ans
dere Frage ift eg, warum Hermes und Pallas den er:
feus begleiten?, Wir vermutben, daß der Urgostödter, wel⸗
cher ehedem. Eonnengott war, mie Perfeus, diefen aus dem
Grunde begleitet haben dürfte, ‚weil er vielleicht in-der al-
ten Sage felbft die namliche That vollbrachte. Daß er
blog den Argos, nicht audy die Mondgdttin tödtere, koͤn⸗
nen wir durchaus nicht behaupten, weil ung zu viele Gas
gen verloren gegangen find. Wir befigen von dem alten
Sagenreichtbume nur einzelne Bruchſtuͤcke. Wir glauben,
dag man die ausgeſprochene Vermutbung nicht zu Fühn
16) Welder, Zrilog. ©. 584.
576
finden dürfte, wenn man bedenkt, wie forgfam dieſer Gott
auch dem Odyſſeus zur Seite fteht, den er auf jede Meife
vor der Zauberfraft der Kirke zu fehirmen fuchte. Seine
Verbindung mir Odyſſeus, welcher den Argos tödtet, wie
Hermes, hat ihren Grund offenbar in dem Umftande, daß
beide, gleih zuegezeichnet durch Schlauheit, ehedem nur
verfchtedene Namen desfelben Gottes waren, weßhalb
alte Quellen den Pan einen Sohn des Odyſſeus und ber
Penelopeia nannten, wahrend er in der Arfadifchen Sage
ein Sohn des Hermes bie. Sollte nun die Verbindung
des Perfeus mit Hermes, deſſen Sohlen er trägt, nicht
ebenfalls ihren Grund in der frühern Verwandtſchaft und
Gleichheit beider Götter haben ?
Die Verbindung der Pallas mit Verfeus erklärt fich
aus der Verbindung des Zeus und der Hera. Gie ıft als
Mondgöttin die Gefahrtin des Sonnengottes. Als Perfeus
aber nicht mehr in die Reiben der Götter, fondern in Die
der Nerven gelegt wurde, drückte die Sage diefe Verbin
dung nicht bleß bei ihm, fondern auch bei allen Nerven,
welche, wie Herafles und Diomedes, dieſelbe Bedeutung ge:
habt haben, wie er, auf eine andere Weiſe aus, Die Goͤt—
tin verläßt diefe Heroen niemals, fondern erfcheint als
Helferin bei allen Unternehmungen, wie Pallas bei Ho—
meros ſich auch rühmt, daß fie den Herakles unterftügt
babe, als er das fchwierigfte feiner Werke bejtand, naͤmlich
den Kerberos aus dem Hades auf die Erde führte. Auf
eine andere Meife fonnte fich die beroifche Zeit auch die
Verbindung der Pallas und des Perſeus nicht mehr erflären.
Warum Verfeus die Hehlkappe des Hades trug, jenen
377
Helm, welcher unfichtbar machte’), ift ſchwer zu beſtim⸗
men. Bei Hades hat derfelbe feine volle Bedeutung. Has
des ift der Gott, welcher die Menfchen, indem er fie von
der Erde dahinrafft, unfichtbar macht 6). Alles, mas
die Götter befigen, ift von ihrem Weſen durchdrungen.
Der Wagen der Hera ift unverganglicher Natur, wie fie
ſelbſt. So ift aud) der Helm des Hades von ganz bejons
derer Befchaffenheit, und beſitzt die Kraft, denjenigen, wels
her ihm tragt, unfichtbar zu machen, welche auch fein
Eigentümer beſaß. Vielleicht trägt Perfeus denfelben, weil
er die Mondgöttin tödtet, oder den Mond unfichtbar macht.
Indeß Fonnte man ihm denfelben auch wegen feines ſymbo⸗
lichen Aufenthaltes im Hades beigelegt haben, wie man dem
Gotte der Unterwelt nicht bloß die ſchoͤnen Noffe und den
Magen, fondern auch die Heerden des Sonnengottes gab,
weil fich diefer und die Sterne, fo lange fie unfichtbar find,
nad) der Ausdrucksweiſe der Alten im Hades aufhalten. Daß
Perſeus den Kopf der Gorgo in die Kibifis legt und in die
Behaufung des Hades bringt, beftätigt neuerdings die ſchon
öfter geäußerte Vermuthung, daß der Mond jene Zeit, welche
er nicht am Himmel erfcheint, ſich nach einer Vorftellungsr
art im Grabe befindet, wie die Helena‘), nach einer an—
47) Hom. Il. V, 845.
18) Wolf, in feinen Borlefungen über Homers Sliade I, v. 3.
ef. Schwend, ©. 134 fg.
19) Die Kibifis dürfte, wie die Kifte oder der Kaften, die Ber:
finnlihung des Grabes feyn, wie dasfelbe im Eultug dar:
geftellt wurde, cf. Pausan. III, 19, 9. Geſchichte des
ZTrojanifhen Krieges, Seite 118, wo von der fomboli-
Vorhalle zur Griechiſchen Gefchichte. 37
578
dern aber im Hades, wie die Perſephone und Semele
md eine Menge anderer Göttinen.
Apollon tödtet den Drachen Python, und indem er diefe
That vollbringt, thut er dasfelbe, was Verfeusthut, weldyer die
Medufa tödtet. Es iſt befannt, daß die Medufen ftatt der Haare
Schlangen auf den Hauptern hatten, weil die Schlange ein
Symbol der Lichtgötter war”). Die Schlangen ”') in dem Ge-
mache der Alfeftis haben diefelbe Beziehung auf das Wefen
diefer Göttin, welche der Drache unter den Füßen der Pallas ”)
auf diefe hat. Die Mondgöttinen fahren deßhalb auf einem
mit Drachen befpannten Wagen, und wie Askleptos fi in
Schlangengeftalt zeigte, fo verband ſich auch Perfephone als
Schlange auf Kreta mit Zeus. Die Delphiſche Mondgöttin
Themis *) hatte ficher dasfelbe Symbol, und war nad) un-
jerm Dafürhalten von dem Drachen Python fo wenig ver
ſchieden, als das Ketos in Troja von der Nefione es war.
Apollon als Sonnengott tödtet den Drachen, indem er fich
am Himmel erhebt, und den Mond vertreibt. Auffallend
fhen Bedeutung des Grabes der Mondgöttin gefproden
wird.
20) Wir wollen diefe Pebauptung im zweiten Theile weiter
begruͤnden.
34) Müller, Prolegom. ©. 506. ef. Apollod. I, 9, 45.
92) Pausan. I, 24, 7.
25) Daß Artemis nur eine verſtärkte Form des Namens
Themis ift, haben Welders Erörterungen (bei Schwend,
©, 263) faft über jeden Zmeifel erhoben, Warum foll die
Mondgöttin, melde Chryfochemis heißt, nicht auch The:
mis heißen, d. b. Begründerin gefeßliger Ordnung?
x
579
möchte e8 vielen fcheinen, daß er den Drachen töbtet, nicht
die Themis, deren Symbol derfelbe war, und viele dürften
deßhalb auch unfere Erklärung durchaus verwerfen. Allein
wer die alten Sagen unbefangen prüft, und bedenft, daß
Dreftes das Bild der Orthofia, Odyſſeus und Divmedes das
Palladion, Paris das Bild der Helena entwenden, während
Paris nad) Homeros die Göttin felber entführt, wer bedenkt,
daß die Entwendung des Bildes ficher die Entführung der
Mondgöttin bezeichnet, der wird fich leicht überzeugen, daß
Apollon, wenn er den Python erlegt, bdasfelbe thut, was
Perſeus vollbringt, welcher der Medufa das Haupt abfchlägt.
Apollon ftrecfte den Python nahe am fchunfprudelnden Borne
bin”). Die Verbindung, in welcher derfelbe mit der ſchoͤnen
Duelle fteht, dürfte, wenn man ſich an die Verbindung er
innert, im welcher auch Artemis und andere Mondgöttinen
zu Slüffen und Quellen ftehen, die ihre Spiegel find, wohl
auf die frühere Bedeutung diefes Drachen beftimmt genug
hinweiſen. Daß diefer Drache prophetifche Kraft befist *),
wie man ſchon aus feinem Namen erfieht, kann ebenfalls
nicht befremden, wenn man erwägt, daß die Symbole, welche
das Weſen einer Gottheit bezeichnen, um fo eher von ber
Natur derfelben durchdrungen ſeyn müffen, da dieß felbft bei
24) Hymn. Homeric. Il, 4125 sqgq-
25) Daß der Name Python erft fpater von museosaı. verfau-
fen, abgeleitet wurde, dürfte mohl feinem Smeifel unter:
liegen. Die Bebeutung diefes Drachen erſieht man auch
noch recht deutlih aus Ovidius, welcher ihn aus dem
Waſſer der Denfalionifchen Fluth entftehen laßt. Aus
dem Waſſer erhebt ſich der Mond, alfo auch diefe Sclange.
87+
580
andern Gegenſtaͤnden, welche die Götter Haben, felbft bei der
Argo, der Fall ift, daß fie prophetifche Gabe befigen. Die
Noffe des Achilleus und der Widder des Phrixos befigen den⸗
felben Vorzug. Die ehemalige Bedeutung des Python erhellt
ferner aus der Beziehung, in welcher derfelbe zur Hera und
zur Chimara fieht. Wer die Sage von den Schlangen be
achtet, und fih an die Kuhgeſtalt diefer Göttin er-
innert, welche fie ald Mondgöttin hatte, wird das Verhält-
niß des Python zur Hera fehr natürlich finden. Seine Ber
ziehung zur dreigeftaltigen Chimara, welche fehr deutlich auf
die drei Mondphafen hinweiſet, foll bald erörtert, werben.
Die fpätere Zeit Fonnte den Python freilich nur ale eine boͤs⸗
artige Schlange, welche Menfben und Thieren den Unter-
gang brachte, anfehen, da fie alle Symbole buchſtaͤblich nahm,
und fich um die Bedeutung derfelben nicht befümmerte. Daß
fih Apollon wegen der Todtung diefes Drachen, wodurch
Die Urzeit eine fo einfache Natur-Erſcheinung verfinnlichte,
nicht zu reinigen brauchte, fondern feine Reinigung und feine
Dienftbarfeit bei Admetos auf eine andere Weife erklärt wers
den müffe, haben wir fchon bemerft. -
Bellerophontes tödtet die Chimaͤra, welche vorn ein
Rome, in der Mitte eine Ziege und hinten ein Drache war”).
Die Dreigeftalt der Hekate, weldye man wegen ber drei
Mondphafen bald mit drei Körpern, bald mit drei Köpfen
von drei verfchledenen Thieren darftellte, zeigen uns
viele Abbildungen, und über die Bedeutung derfelben dürfte
man faum einen gegründeten ZImeifel erheben. Die Drei-
26) Hom. Il. VI, 179 sgq.
— — mn
eg
— —— m ——
— — — — —
—————— u — — — — —
581
geftalt ber Hekate hat ganz diefelbe Bedeutung, wie jene ber
Chimäara. Der Drache war der Mondgöttin heilig. Daber
bat die Chimära am Ende Drachengeftalt, und ſteht, weil fie
dasſelbe Weſen bezeichnete, wie Python, mit demfelben in
der naͤchſten Beziehung. Die Ziege ©) fpielt in dem Sagen:
freie der Hera eine fo große Nolle, daß man, wenn man die
Erzählungen von der Ziege Amaltheia”) würdigt, wohl nicht
‚zweifeln kann, daß fie zu den Thieren gehörte, welche die
Mondgöttin vertreten, und ihr Weſen bezeichnen, Die Loͤ—
wen, welche den Wagen der Kybele, der Phrygiſchen He:
Fate *), ziehen, find befannt, Der Wagen der Mondgöttin
wird aber nur von folchen Thieren gezogen, weldye ald Sym—
bole derjelben betrachtet wurden. Wenn die Löwen, Ziegen
26b) Paus. Ill, 15, 7. Geſchichte des Troj. Krieges, ©. 221.
37) Die Amaltheia erfheint ſowohl in den Sagen, als auch it
der bildenden Kunit bald als Ziege, bald als Nymphe oder
Königstohter. Wer ſich an die Ziegenfüße und Hörner
des Van erinnert, und bedeuft, dab diefe Daritellung
der Götter in Menfbengeftalt mit einzelnen Theilen von
Thieren als der Uebergangspunft von der Thiergeftalt
zur menſchlichen angefehen werden kann, wird fich leicht
überzeugen, daß die Ziege Amaltheia, das Symbol der
Mondgoͤttin, und die Nymphe urfprunglih ein Wefen
waren, dag aber die Ziegengeftalt in der fpatern Zeit der
menfhlihen Platz machen muste.
38) Die Macht der Phrygiſchen Göttin ift fo groß, wie jene
der Hefate. Sie gebietet ebenfalls über Himmel, Erde,
Meer und Unterwelt. Das ihr Dienit aus Thrafien
ftammte, hat Schwend in der Alterthumszeitſchrift (1837,
8,175 fg.) dargethan.
582
und Drachen zu denjenigen Thieren gehören, durd) welche das
Alterthum die Beichaffenheit und Kraft der Mondgottin ver-
finnlichte, fo laßt fich leicht erkennen, warum man die drei-
geftaltige Chimaͤra aus drei Theilen verfchiedener Thiere zu:
ſammengeſetzt hat. Diefe ift göttlicher *) Art, wie fchon
Homeros bemerft. Alles aber, was göttlicher Art ift, ift
unverganglich und unfterblich. Durch diefe Bemerkung, welche
der Sanger aus alten Ueberlieferungen entlehnte, hat er ihre
frühere Bedeutung auf das beftimmtefte ausgedrüdt. Wer
wird wohl glauben, daß man in einer hieratifchen Zeit einem
Thiere, welches Menfchen und Heerden erwürgte, göttliche
Natur beigelegt hätte, wenn dasfelbe nicht früher Symbol
einer unfterblichen Göttin gewejen ware? Der Ernährer
der Chimära ®) heißt Amifodaros, mit deffen Tochter fich
Bellerophon vermahlte)., Die Gemahlin diefes Gottes
nennt ?) die Sage Alfimedufa. Daß diefes Wefen nichts
anders war, als die machtig waltende Mebufa *), fagt fchon fein
Name. Sollten wir, wenn wir auf die drei Medufen bins
weifen, und an die Schlangen erinnnern, welche diefelben
ftatt der Haare haben, nicht die Vermuthung wagen, daß
diefe Chimara nichts anders war, ald das Symbol der
Alkimedufa, der dreigeftaltigen Mondgöttin, welcyer die Ur:
29) Il. VI, 180 7 d’ do’ Env Heio» yEvos oVd’ aydonnwr.
30) Hom. 11. XVI, 329 sqg-
31) Schol. Il. v. 328 1. c.
32) Schol. Il. VI, 192.
33) Schwend (S. 203) bat die Bedeutung der erften Hälfte
des Wortes ehr genau erflärt. Mebuſa bedarf Feiner
weitern Erlauterung.
—————— —
583
zeit fiatt des menjhlichen Körpers eine aus drei, ihre Na-
tur bezeichnenden Thieren zufammengefeste Geſtalt gab,
daß alſo deßhalb Amiſodaros die Chimaͤra naͤhrt, weil ſie
von ſeiner Tochter der ſymboliſchen Bedeutung
nach urſpruͤnglich nicht verſchieden war? Belle—
rophon gebraucht zur Erlegung der Chimaͤra das Fluͤgel—
roß ) des Sonnengottes. Dieſes Thier tragt keinen Men—
ſchen, ſondern, wie es von goͤttlicher Art iſt, ſo waren
auch alle diejenigen Heroen Goͤtter, welche dasſelbe beſtie—
gen. Auf dem Fluͤgelroſſe erhebt ſich der Sonnengott am
Morgen, und ſobald er ſich zeigt, verſchwindet oder ſtirbt
der Mond *). Er iſt Urheber des Todes desſelben.
Diefe einfache Erfcheinung bezeichnet nad) unjerer An—
fiht das zu einem Abentheuer umgebildete Erlegen der
Chimära, wie der Tod der Medufa in der Sage des Per:
feus und jener des Python in der des Apollon. Sobald man
ſich unter jedem Praͤdikate des Sonnengottes ein befonde-
res Weſen dachte, mußte auch jedes derjelben die nam
lihe That vollbringen. Die einzelnen Umftände
konnten natuͤrlich nicht an allen Drten diefelben feyn,
und.da die Mondgottin viele Symbole hatte, fo darf es
34) Muͤller, Grolegom. ©. 275. Sohn des Glaukos vder Po—
feidon (Schol. Piad. Ol. 45, 98) heist er, weil die Sonne
fih aus dem Meere erhebt.
35) Daß diefe einfage age fpäter fehr viele Entſtellungen
erfuhr, und die That des Bellerophon als ein kuͤhnes
Abentheuer dargeftelt wurde, darf nicht befremden, da
die Erlegung des Python durch Apollon dasſelbe Schickſal
batte.
584
nicht befremden, wenn in der einen Lokal⸗Sage diefes, in
der andern jenes erfcheint. Aber in der Hauptfache ftim-
men alle diefe Erzählungen, fo zahlreich auch diefelben find,
sollfommen mit einander überein.
An Bellerophon reiher ſich Herakles, welcher die ges
waltigen Schlangen, die Hera fendet, ſchon gleich nad)
feiner Geburt erwürgt. Der Sonnengott wird am Mors
gen geboren, wenn er am Himmel erfcheint. Sein Flam⸗
menlicht tödtet den Mond, oder die Schlangen, welche die
Mondgöttin Hera, welche diefelben deßhalb auch fendet,
vertreten. Diefelbe Bedeutung hat auch die Erlegung der
Lernaͤiſchen Hydra. Herakles bedient fich bei diefer That),
wie Perſeus bei der Medufa, der Harpe. Müller hat
recht gut eingefehen 7), daß die Hydra mehr war, als ein
fhadlihes Thier, und mer nur die Unfterblichkeit ihres
mittleren Hauptes berücfichtigt, und aus Quellenſtudium
weiß, daß folhe Angaben Feine willfürlihen Dichtungen
ſeyen, fondern tiefe Bedeutung haben, der wird die Hydra
für etwas ganz anderes halten, als für eine Schlange.
Wir wollen zuerft die Befchaffenheit derfelben näher in das
Auge faſſen. Nach einer Abbildung opfert Herakles *) drei
diefer Köpfe den Göttern. Drei Köpfe hat auch der
Drache auf dem MWehrgehenfe des Agamemnon ®), welche
ſich auf die drei Mondphafen beziehen, wie die Dreigeftalt
36) Wafengemälde bei Mill. 2 pl. 75. cf. Eurip. Jon. 196.
37) Müller, Dorer 1, ©. 443.
38) Ap. Mariette II, p. 1, t. 75.
39) Hom. Il. XI, 39 sq.
585
der Chimära. Nach andern Abbildungen hat fie *) fieben
Köpfe. Die Siebenzahl, welche in fo vielen Mythen der
Artemis und des Apollon wiederkehrt, und auch im den
fieben Knaben und fieben Mädchen der Medeia hervortritt,
bezieht fich auf die fieben Mochentage. Die Mondgöttin
ift Vorfteherin der Zeit, wie der Sonnengott. Nach ihrer
dreifachen Erfheinung theilten die Alten den Monat in drei
Theile. Daher ift es fehr erflärlih, warum die Hydra *)
nad) einer andern Erzahlung neun Köpfe hat. Die Neuns
zahl kommt ebenfalls in vielen Sagen des Apollon und der
Artemis vor. uripides ) gab ihr hundert Köpfe. Pei—
fandros '°) legte ihr zuerft die vielen Köpfe bei. Es iſt natürs
lich, daß man, ale man die Bedeutung der Zahlen drei, fie
ben und neun nicht mehr verftand, der Hydra eine Menge
von Köpfen gab, um die Furchtbarkeit ihrer Geſtalt fo viel
als möglich zu vergrößern. Der mittlere Kopf iſt unfterb:
lich. Wir erinnern an die göttliche Near der Chimära und
die Unfterblichkeit der Schweftern der Medufa. Die Köpfe
der Hydra waren fammtlich unfterblih. Allein die fpatere
Zeit, welche die ſymboliſche Bedeutung des Abichlagens der⸗
felben, wie bei dem Haupte der Medufa, bucyftablich nahm,
fonnte den übrigen diefen Vorzug eben fo wenig einraumen,
wie der Medufa, weil das Abſchlagen des Kopfes bei Sterb-
lichen den Tod zur Folge bat. Die Sagen von dem ſym⸗
40) Eratosth. II, cf. Gori Mus, Flor. T. I, t. 37. n. 6.
Lippert. I, 574.
44) Apollodor. II, 5, 2.
42) Eurip. Hercul. fur. 41188.
45) Pausan. II, 37.
586
bolifchen Tode der Hydra und ihrer Unfterblichkeit wurden
alfo durch die Unterjcheidung und Annahme von fterblichen
Köpfen und des unfterblichen in der Mitte derfelben ausge-
glichen und in Uebereinftimmung gebracht. So oft Herakles
einen Kopf abſchlug, wuchfen zwei andere wieder hervor.
Wenn der Gott die Mondgöttin am Morgen auch todtet, fie
fommt jeden Abend wieder zum Vorfchein. Sollten fid
die Feuerbrände, womit er jeden abgehauenen Hals brenner,
niht auf das Sonnenfeuer (in der alten Sage) bezogen ha—
ben, welches ja eben bewirkt, daß der Mond erblaffer, und
vom Himmel verfchwindet? Den mittleren Kopf der Hydra,
welcher unfterblicy war, begrub er‘) in der Erde. Diefe
Sage findet in dem Grabe der Helena ihre Erflarung. So:
bald die Mondgöttin vom Sonnengotte getodtet ift, kommt
ihr Körper in das Grab oder die Kifte, in welcher derfelbe
ruht. Die Hydra hält fi) in einem Sumpfe auf. Auch
Artemis hieß Limnaia ®), und dag Dionnfos im Sumpfe*) ge-
boren wurde, weil fich die Sonne, wie der Mond, aus dem
Waſſer oder den Fluthen des Meeres erhebt, und in dem-
felben untertaucht, weßhalb fi Dionyſos zur Thetis flüchtet,
ift befannt. Wir fehen aljo, daß die Hydra als Symbol
der Mondgottin, wie diefe felbft, in einem Sumpfe fih auf-
halt, und wie Perſeus das Haupt der Medufa im Spiegel
der Pallas oder am Himmel erblickt, fo trifft Herakles das Uns
44) Diod. IV, At, 12.
45) Pausan. III, 7, 6.
46) Phanodem. ap. Athen. X, p. 437. XI, p. 465. a.
Callimach. ap. Schol. Aristoph. Ran. 213. Welcker,
Nachtrag zur Trilogie, ©. 188, Note 12. s
—
2 — —
— —
587
— —
geheuer, wie die ſpaͤtere Zeit die Hydra und den Python
nannte, in einem Sumpfe an. Von dem See⸗Ungeheuer,
welches in der Trojanifchen Sage diejelbe Bedeutung hatte,
wie die Hydra in der Griechijchen , welches ſich ebenfalls aus
den Tiefen des Meeres erhob”), haben wir fchon gefprochen.
Nicht bloß Apollon, Bellerophon und Herakles, fons
dern auch Jaſon*) und Kadmos“) find Drachentodter,
und die Erlegung der Sphine dur Didipus hatte wohl
diefelbe Bedeutung. Die Schlange, welche Jaſon toͤdtet,
und Medeia durch Zaubermittel®) einfchlafert, war ohne
Zweifel Symbol biefer Göttin, wie die Chimära und Alki—
medufa urfprünglich ein und dasſelbe Weſen bezeichneten. In
der fpatern Sage wurde fie freilich von der Königstochter
Medeia gänzlich getrennt, und von diefer zur Ruhe ges
bracht, während in den Mythen der Urzeit dieß ficher
Jaſon felbft that, welcher den Drachen nach einer andern
Ausdrucksweiſe tödtere. Die Sphinr!) wurde den Theba-
47) Hom. ll. XX, 145 eqgq.
48) Müller, Orhom. ©. 266.
49) Müller, Orhom. ©. 218.
50) Antimachos, fragm. 44. p. 87. Schellenb. Schol. Apol!.
Rhod. IV, 87. Müller, Orchom. S. 266. Nor. 4. Wenn
Columella (X, 368) die Einfchlaferung des Draden nad
Jolkos feßt, fo wird dadurch der Sinn der Sage nidt
verändert, fondern man fiehbt nur, daß die Mythen mit
der Verbreitung des Cultus ſich verziweigten, und bie
Erzählungen von den Thaten der Gotter lofal ange:
wendet wurden, NG
Wir reden hier nur von der Griedifhen Sphinr, ohne
auf die Bedeutung der Aegyptiſchen die geringfte Ruͤck—
51
—
588
nern von der Hera geſchickt ?), welche Mutter des Python
ift, und von welcher auch die großen Schlangen an die
Wiege des Herakles gefandt wurden, Duͤrften wir hieraus
nicht folgern, daß diefelbe eben fo gut fich auf die Natur
der Mondgottin bezieht, wie die Delphifhe Schlange?
Die Sphinr hat prophetifhe Gabe, wie der Python. Sie
ift ald Symbol der Mondgöttin von dem Mefen derjelben
durchdrungen. Sie findet ihren Tod dadurch, daß fie fi
in die Sluthen des Waffers hinabftürzt, aus welchem der
Mond emporfommt, und in welchem er fich verliert. Sie
bat, wie die Chimära, Dreigeftalt, den Kopf eines Maäd-
chens, den Leib einer Hündin und endet mit einem Drachen:
ſchweife; fie ift mit Flügeln verfehen, wie man auch die
Mondgöttin felbft darftellte. Am häufigften ftellte man fie
als Jungfrau bis an die Bruft dar, und gab ihr unten Los
wengeftalt, wie wir den Löwen in vielen Sagen ald Sym⸗
bol der Kichtgötter finden. Der dreiföpfige Hund Orthros ®),
welchen Hefiodos ihren Vater nennt, ift Symbol des Ster—
nenhimmels, wie der Hund Argos. Die drei Köpfe bes
ziehen fich wahrfcheinlid) auf die Dreigeftalt des Mondes,
welchen der Argos begleitet. Wichtig ift’') die Angabe des
Peifandros, daß die Sphinr von den außerfien Theilen Yes
thiopiens nach Theben kam. In dem Gebiete der Yethio-
ficht zu nehmen, da wir ung durchaus nicht überzeugen
koͤnnen, daß die Griehifhen Mythen und Götter aus
Aegypten ftammen.
52) Pisandr. ap. Schpl. Eurip. Phoen. 1748.
535) Welder, Trilog. ©. 129. cf. Hesiod. Theog. 326.
54) Ap. Schol. Eurip. I. e.
589
pen geht die Sonne auf und unter. Hier ift auch die Hei—
math der Mondgöttin. Deßhalb waren an der Schale
der Nemefis‘) Aethiopen abgebildet. Von den Yethiopen
fommt alfo das Symbol der Mondgöttin nach Theben, wie
Helena auf ihren Wanderungen in das Land derfelben ge
langt. Daß die Sphinx fpater, wie die Chimara, die Hydra
und der Python ein Ungeheuer wird, welches alles erwürgt,
erklärt fi) aus dem ſchon oft berüßrten Umſtande, daß diefe
Symbole fhon in der heroiſchen Zeit buchftablich aufgefaßt
wurden,
Ein anderes Symbol der LKichtgötter ift der Wolf.
Die Sage meldet, daß Leto in Geſtalt einer Wölfin aus
dem Lande der Hnperboreer nach Griechenland Fam.) Daß
die Artemis Lykia urfprünglich in Wolfsgeftalt erſchien, wie
ihre Mutter, fcheint fi) aus der Angabe des Paufanias “)
zu ergeben, daß der Wolf und die Wölfin an Leto und ihre
Kinder erinnerten. Es ift befannt, daß Apollon der Wolfs—
tödter hieß *). Auf welche Weife und aus welchem Grunde
foll er diefen Beinamen erhalten haben? Gewöhnlich nimmt
man an”), daß er die vielen Wölfe in Argos auggerottet oder
doch wenigftens zur Ausrottung derfelben beigetragen babe.
Mir koͤnnen diefe Unficht nicht theilen, fondern vermuthen,
dag er diefes Praͤdikat deßhalb trug, weil er den Wolf,
55) Welder bei Schwenck ©. 261.
56) Aristot. histor. anim. VI, 35. Aelian. variae histor.
IV, A. Herodot. IV, 405.
57) Pausan: II, 19. x
58) Sophocl. Electr. 6.
59) Schneider ad I! c.
590
welcher die Mondgöttin bezeichnete, wie den Sonnengott,
weßhalb die ſe auh als Woͤlfin erfceint, vom
Himmel vertreibt, oder toͤdtet, ſo daß dieſe Sage dieſelbe
Bedeutung haben dürfte, wie jene von der Erlegung des Py⸗
thon, und nur die Symbole nicht diefelben find. Gewiß
ift es, daß beide Thiere in Verbindung mit der Mondgottin
vorfommen. Warum foll nun in den Sagen von den Thaten
des Apollon nicht beider gedacht worden feyn, da auch ans
dere Erfcheinungen durch viele und verſchiedene Symbole
ausgedrückt wurden?
Ein anderes Thier, welches in dem Sagenfreife der
Artemis eine wichtige Nolle fpielt, ift der Kalydoniſche
Eber®), Artemis fchicfte denfelben, und mahrfcheinlich deß—
“halb, weil er in Aetolien in Bezug auf fie dasſelbe bedeutete,
was bie Barengeftalt der Kallifto in Arfadien °') bezeich-
nete. Durch Meleagros findet dieſer Eber feinen Untergang,
wie der Molf oder Python durch Apollon, und vielleicht
aus demfelben Grunde, Daß er fein gewöhnlicher Eber
war, fehen wir aus dem Umftande, daß nach der Sage”)
zwei Städte um das Tell desfelben einen furchtbaren Kampf
anfingen. Wie das Fell des Midders im Haine des Ares als
Gegenftand vorzüglicher Verehrung erfcheint, fo war es auch)
60) Hom. Il. IX, 533.
61) Apollod. 111, 8, 2. Pausan. VIII, 3.
62) Hom. 11. IX, 548 dupi ovos zepain »ai deguenı kay-
vrevzı. Sol die Artemis nicht auch den Kopf eines Ebers
oder einer Wölfin gehabt haben, da Demeter mit dem
Dferdefopf bargeftellt murbe, und Hera Dchfenaugen hat?
591
wahricheinlich das des Ebers in Aetolien, in fo ferne es bie
Hülle oder das Gewand der Mondgöttin war. Odyſſeus,
welchen wir ſchon als Argos-Toͤdter kennen gelernt haben,
ift auch als Erleger eines furchtbaren Ebers gefeiert ®), wie
Meleagros. Ueber die Veranderungen, welche diefe Sagen
in der fpätern Zeit erhielten, dürfen wir ung nicht wundern,
wenn wir bedenfen, welche Geftalt die Sage von der Argo
erhielt, und was fie urfprünglich bedeutete. Wie die Argo
für das erfte große Schiff angefehen ward, welches fich auf
das Meer wagte, und die vorzüglichften Helden von Griechen:
land aufnahm, fo wurde auch der Kalydoniſche Eber für ein
verheerendes Thier gehalten, auf welches die vorzüglichiten
Herven Jagd machten, das aber nur Meleagros erlegte. Sa,
man ging noch weiter, und fagte, Odyſſeus habe eine Wunde
durch den Eber erhalten, welchen er tödtete, und fey an der
Narbe, welche fich nie ganz verlor, von feiner alten Amme
erfaunt worden.
Hier müffen wir aud) die Sagen von den Thieren, melde
dur Herakles fallen, näher ins Auge fallen. Die Bedeu-
tung einiger Thaten, welche er vollbringt, haben wir ſchon
erklärt. Er holt den Kerberos aus dem Hades und entwen-
det die Rinder des Geryones, weil er als Sonnengott nad
feinem Berfhwinden die Sterne an den Himmel emporjendet.
Aus demfelben Grunde Ieeret oder reinigt er auch die Stälfe
des Augeias. Er tödtet die Schlangen, welche Hera ſchickte,
die Hydra und das Sees» Ungeheuer, aus demfelben Grunde,
aus welchen Apollon den Python tödtet. Die Pferde des
63) Hom. Odyss. XIX, 392 sqq. Odyss. XXIV, 330 sqq-
592
Diomedes befigt er ald Sonnengott. Mie Diomebdes biefel-
ben aber) von Rheſos an ſich bringt, wie Herakles die
ſchoͤnen Roffe des Laomedon und jene des Eurytos befigt, weil
er gleiche Anſpruͤche auf diefelben ald Sonnengott hat, fo
bringt er auch jene des Diomedes an fih. Die Sage laßt
ihm alle diefe Pferde erft durch verfchiedene Mittelerlangen,
weil man die Beziehung, welche diefelben zu ihm hatten,
frühzeitig vergaß, und betrachtete fie als viele und verfchie-
dene Thiere, weil man fic) unter dem Namen eines jeden
Befigers ein befonderes Wefen dachte. Dunkel ift es, was
die Sage von dem Kretifchen Stiere bedeutet. Wielleicht
ftand derfelbe in der alten Sage mit Herakles und Theſeus
in eben fo naher Verbindung, wie mit Zeus, fo daß erft die Spa-
tern, welche diefelbe nicht mehr in das Auge faßten, erzählten,
Herakles habe ihn erft aus Kreta gebracht. Wenn Dionyfos
als Tauros angerufen ward®), und Zeus in GStiergeftalt
die Europa raubte, warum foll man fi) den Sonnengott
Herakles in Argos und den Thefeus in Athen nicht unter dem-
felben Symbole vorgejtellt haben? Die beroifche Zeit, welche
in beiden nur tapfere Helden erblickte, mußte freilich dasselbe
von ihnen trennen, und den darauf bezüglichen Sagen eine
64) Mir wiederholen, um Mißverftandniffen vorzubeugen,
daß. wir fo wenig einen Griehifhen und Thrakiſchen Die:
medes unterfheiden, ald wir ung zur Annahme von
zwei Minos verftehen Fünnen. Sie waren urfprünglic
ein Wefen, Daß fih die Sagen über Diomedes in Hellas
anders geftalteten, als im Thrakiſchen Gebiete, iſt be-
greiflich.
65) Melder, Nachtrag zur Trilog. S. 190 Not. 22.
593
ziemlidy veränderte Geftalt geben. Der Nemeifche Lowe ift
nach einer uralten Sage®) eine Geburt der Selene; Ne
mea felbft heißt °”) eine Tochter des Mondes. Hier weis
dete Argos nach der Sage die Kühe der Hera‘). Nach
Heftodos hat die Mondgöttin Hera, deren Cultus in
diefer Gegend eine ſo wichtige Rolle fpielt, den Loͤwen felbft
erzogen). „Hierdurch, jagt Müller ganz richtig, zeigt
fih allerdings ein ſymboliſches Colorit der Sage, und fie
nähert fi) im Charakter der von Verfeus und der Gorgo.”
Diefe Angaben fcheinen die Wermuthung zu begründen, daß
der Loͤwe, welcher von der Mondgöttin ſtammt und von
derfelben erzogen wird, diefelbe Beziehung zu ihr hat, wie
der Wolf zur Leto oder die Barin zur Kallifto. Iſt diefe
Vermuthung gegründet, fo enthalt der Mythos vom Nemei⸗
ſchen Löwen diefelbe Bedeutung, wie jener von der Hydra,
nur durch ein anderes Symbol ausgedrädt, und wenn ſich
die Erlegung desfelben auf den Untergang des Mon—
des bezieht, fo ıft Müllers Anficht von der Nehnlichkeit
diefer Sage (und der Bedeutung derfelben) mit jener bon
66) Müller, Dor. I, 442 fg. cf. Schol. Ap. Rhod. I, 498.
Orph. fragm. 9. Aelian. N. Anim. XII, 7. Herodor.
ap. Tatian. I. p. 164. Europhor. fragm. 47 p. 111.
Meinecke. Plutarch. de facie lunae, 24. de fluv. 18,4.
Steph. Byzant. s. v. Anéouçc. Hyg. fab. 50.
67) Schol. Pind. N. Arg. p. 425. Bödh.
63) Die Kuh, welche der Argos weidet, urfpränglich der Mond
am Himmel, ward ebenfalls auf die Erde verfegt, und
ihr andere beigeneben.
69) Müller, 1. c. ©. 413.
Vorhalle zur Sriechiihen Gefhichte, 38
594
der Todtung der Gorgo durch Perfeus volllommen begrüns
det. Su Bezug auf die Erlegung des Erymanthifchen Ebers
verweifen wir auf die über den Kalydonifchen ausgefpro-
chene Vermuthung. Herakles fangt ferner die heilige Hirfchs
kuh der Artemis, welche fich eben fo fehr durch ihre Schnels
Iigfeit als durd) ihr -goldenes Geweih und ihre ehernen Füße
auszeichnete ”). Es ift befannt, daß die Nemefis an
ihrer Krone Hirſche als Schmud hatte, und daß das naͤm—
liche Symbol fi) auch bei der. Artemis findet. - Daraus
dürfte fich wohl abnehmen laffen, daß die Hirſchkuh, wie
die Schlange und die Wölftn, wegen der Schnelligkeit ihrer
Süße, Symbol der Mondgöttin war, und daß diefe in
der alten Sage felbft in dieſer Geftalt auftrat, während die
fpatere diefelbe bloß andeutete. Die Wanderungen diefes
der Artemis heiligen Ihieres in das Hyperboreer-Land er
Haren fich aus denen des Apollon und der Artemis"). Wenn
Herakles zu ihnen geht, fo folgt er nur dem Beifpiele des
Apollon, welcher jährlich fi zu ihnen begab, und erft zur
Zeit, wo die Aehren in Hellas reiften, zurückkehrte. Mar;
um Herakles ſich dahin begibt, drückte der Mythos fyms
bolifch aus. Er führt die Mondgöttin oder die Hirſchkuh,
welche ihre Stelle vertritt, in dem Hyperboreer⸗ Sande am
Himmel empor, wie er diefelbe aus dem nämlichen Grunde
70) Pind. Ol. Ill, 55. Callimach. Hymn. in Dian, 99 et
Spanh. J. c. Pausan. VII, 27.
71) Nach Pindaros (l. c. v. 27 sqg.) nahm den Geratles der
Leto roffetummelnde Tochter im Lande ber Hyperboreet
auf, Hier hat fie alfo ihre Heimath, wie Apollon.
LL——zz ee | ann Ze
u
entführt. Mas foll aber das Zuruͤckbringen der Mond⸗
goͤttin oder ihres Symboles bedeuten? Wir vermuthen,
daß dieſe Frage ſich aus dem Umſtande, daß auch Leto
von den Hyperboreern ausgeht, vollkommen erklaͤren laſſe.
Hier beginnt die Mondgoͤttin nach einer uralten Sage ihren
Kreislauf, dahin kehrt fie nah Vollendung desſelben jahr;
lich zurück. Sonderbar möchte es fcheinen, dag Herakles
die Mondgöttin oder ihr Symbol zur Wanderung verans
laßt. Allein wenn man bedenkt, dag die Sage der fpa-
tern Zeit nicht einmal die Urfache der Wanderungen der
Leto mehr verftand, fondern den Zorn der Hera als Verans
laffung derfelben angab, jo wird man fich nicht wundern,
daß in einem Mythos, welcher ftatt der Göttin das fie ber
zeichnende Thier nannte, die Wanderungen desfelben eine
fonderbare Geftalt gewinnen mußten. Zeus führt die Europa
nicht bloß am Himmel empor, fondern bringt fie nach Kreta,
wo fie an demfelben verfchwindet. Wie die Sage diefe Ges
ftalt erhielt, haben wir bereits zu erflären gefucht. Aus dem
namlichen Grunde führt Herakles die Hirſchkuh, welche er,
fobald man fich unter derfelben ein gewöhnliches Thier vor—
ftellte, fangen mußte, nach Griechenland.
Mas die Erlegung ”) der Raubvögel bedeute, welche fi
am See Stumphalis in Arkadien aufhielten, ift uns dunkel,
Nur fo viel koͤnnen wir ſagen, daß auch diefe That eine ſym—
bolifche Bedeutung gehabt haben dürfte. Mir erinnern”)
72) Pausan. VIII, 22. Schol. Apoll. Rhod. li, 1053. II,
1056.
75) Hom. Il. VII, 58 sqq.
38 *
596
nur, daß Apollon und Dallas fi in ‚Geyer verwandeln,
und als folde auf den heiligen Baum des Zeus fegen,, um
dem Kampfe der Griechen und Trojaner zuzufehen, Wäre
die Geftalt diefer Thiere der Bedeutung der genannten zwei
Götter fremd gewefen, fo würde der Sänger wohl diefes
Bild nicht gebraucht haben. War aber der Mondgöttin
der Geyer, wie die Eule oder. der Pfau heilig, warum
follen die Stymphaliden nicht urfprünglich in einer eben fo
nahen Beziehung zu ihr geftanden haben, als. die genann:
ten Vögel? Wichtig ift der Umftand, dag fie Paufanias”)
im Tempel der Artemis fah, in welchem fie gemiß nicht
abgebildet geweſen wären, Hatten fie früher nicht die ins
nigfte Beziehung zur Göttin gehabt. Dieſe tritt in der
Sage des Mnafeas, dag fie JZungfrauen mit Vogelfügen”)
waren, noch beftimmter hervor, und wir dürfen mit Grund
annehmen, daß die Zungfrauen, welche Pauſanias an der
Hinterfeite des genannten Artemis-Tempels ſah, die Stym⸗
phaliden waren”). Wenn man nun erwägt, wie dieſe Dar-
ftellung nur zu deutlich zeigt, Daß man ihnen nur. deßhalb
74) Pausan. V, 40, 9. VIII, 22, 4. IX,: 19.6:
75) Voß, myth. Brief. I, 32.
76) Aus dem Umftande, dag erft Mnaſeas im Wlerandrini:
ſchen Zeitalter von ihrer Jungfrauengeſtalt fpricht, darf
man noch Feineswegs folgern, daß diefer fie erfunden
habe, Wir glauben vielmehr, daß er, nachdem durd
die verkehrte Auffaffung, welche folhe Symbole in der
heroiſchen Zeit erfuhren, die Stymphaliden in gewöhn:
libe Raubthiere umgewandelt worden waren, zur
alten Sage zurüdfehrte, wie die Epifer, melde dem
Herafles die Keule und Löwenhaut gaben.
397
Menfchengeftalt geben Fonnte, weil fie Symbole der Mond-
goͤttin waren, welche fchon im der Homerifchen Zeit ihre
Thiergeftalten ausgezogen hat, und als SZungfrau erfcheint,
fo wird man e8 nicht unwahrfcheinlich finden, daß die Er-
fegung derfelben mit jener der Lernaifchen Hydra gleiche Bedeus
tung gehabt haben möchte. Wie diefe fich in einem Sumpfe
aufhält, fo haufen auch die Stymphaliden an einem dicht um»
waldeten See.
Herakles toDtet”) ferner die Amazonenfonigin Hips
polyte, und bringt ihr Wehrgehenk der Admete, der Tochter
des Euryſtheus. Schwend”) hat fehr wohl eingefehen, daß
die Hippolyte urfprünglich von der Artemis nicht verfchies
den gewefen ſeyn dürfte. Sie iſt eine Friegeriiche und wohl
gerüftete Jungfrau, wie diefe Göttin. Auch Hera nimmt
in der Gage die ©eftalt einer Amazone an. Der Tod
77) Nah Apolodoros und Divdoros fchiffte Herakles an den
Thermodon, nach andern machte er einen Landzug durch
Afien (Apoll. Rhoa. I, 780 et Schol. J. e.). Die alte
Sage ließ ihn fiher zu Schiffe, auf dem Kahne des He:
lios, nah dem fernen Dften gelangen, wo er empor—
fteigt, und dann den Mond verdrängt oder die Hippo—
Inte tödtet. Daß man ihm (Diod. IV, Ab. Apoll.
Rhod. II, 968 et Schol. I, 780. Schol. Lycophr. 1327
Hyg. fab. 30. Quint. Calab. 41, 244. Schol. Pind.
Nem. p. 690 ed. Heyne), fobald man diefe Fahrt als
Abentheuer betrachtete, Gefährten gab, und ihn mit den
Amazonen eine formlihe Schlacht beftehen ließ, erklärt
fi aus der irrigen Anficht, welche fhon die homerifche
* Zeit von Herakles und ſeinen Thaten hatte.
78) Schwenck, ©. 224 fe.
398
der Hippolgte bezieht ſich alfo auf den Untergang des
Mondes, welcher durch das Erfcheinen des Sonnengottes
veranlaßt wird. Admete heißt in der Samiſchen Sage
die Priefterin der Hera”). Wenn man nun erwägt, daß
die Namen der älteften Dienerinen diefer Göttin, Fo und
Medeia, urfprünglid Pradifate der Hera waren, welche
allmählig von ihr getrennt. und zu befonderen Weſen ums
gebildet wurden, fo dürfte man wohl dieß auch in Bezug
auf Admete behaupten, und dann ift es Klar, warum diefe
das Wehrgehenk der Amazonenfürftin Hippolyte befikt, da
Hera felbft Amazone if. In der fpatern Zeit, wo man
fie ale Tochter eines Königs betrachtete, und die Bedeu-
tung des Todes der Hippolyte“) nicht mehr verftand,
mußte man freilich bei der Abhängigkeit, in welcher Hera-
les von Euryftheus fteht, auf die Annahme verfallen, der
Alkide habe die Amazonen » Königin deßhalb todten müffen,
um der Zochter®') feines Zwingherrn ihren Schmud zu
verfchaffen. Hat nicht die fpätere Sage die Art und
79) Athen. XV, p. 672 a.
80) Wie fonderbar erklärte man den Tod des Hippolytos,
welchen Artemis aus dem Hades zurüdbringen lieg? |
Auch er ward ald Held, nicht als Sonnengott, betrad:
tet, und deßhalb die esse von feinem Zode buchftablich
genommen.
31) Die Mondgöttin erfheint bald Br Tochter, bald ale
Gemahlin des Hades, und konnte, in fo ferne fie auch
über die Unterwelt gebietet, wie die Sagen über die He:
fate zeigen, wohl den Beinamen Admete haben, wie
Dionnfos Melas oder Melampus hieß,
599
Meife, auf welche Herakles die Roſſe des Diomedes oder
Laomedon“) an fich bringt, eben fo fonderbar eingeleitet?
Es bleibt ung nur noch übrig, von den Heſperiden,
deren Aepfel Herakles holt, im Kürze zu fprechen. Heſio—
dos”) nennt fie Kinder der Nacht, andere heißen fie Töchter
des Atlas”) oter des Zeus und der Themis®) oder des
Phorkys und der Keto*). Nach Apollonios”) trugen fie
die Namen Hefpere, Erytheis und Aigle; nach Apollodoros
heißen fie Aigle, Erytheia, Heftia und Arethuſa; nad
Lutatius *) Aigle, Arethufa und Hefperia. Ste wohnen
nah Heſiodos *) jenjeits der Okeanosſtroͤmung. Sie werden
den Gorgonen gegenüber und an den Atlas gefegt”). Sie
82) Selbft Apollor muß die Epra, die er als Sonnengott
fhon urſpruͤnglich hatte, erft von Hermes erhalten.
85) Theog. 215.
84) Diod. IV. 27.
85) Schol. Eurip. Hippolyt. 742.
86) Schol. Ap. Rhod. IV, 1399. Serv. ad Virgil. Aen. (IV,
484) nennt fie Töchter des Hefperos, in fo ferne der
Mond als Gefährte des Abenditernes erfcheint.
87) Apoll. Rhod.IV, 1497.
88) Ad Star. Theb. II, 281. Die Vierzahl des Apollodoros
darf nicht befremden. Sie hatten, wie die Toͤchter des
Agamemnon, verfchiedene Namen, wie denn die Licht:
göttin eine Menge von Pradifaten trug, unter jeden
Namen dachte man fich ein befonderes Wefen, und bier-
aus erklärt es fih, warum bei ihm vier Schweftern er-
feinen, während die alte Sage nur drei Eennt.
89) Theogon. 215.
90) Theog. 335. 518. Wenn fie nach Vherefpdes am Fuße
600
bewachen Goldapfel. und Goldfrucht tragende Baume. Diefe
goldenen Aepfel waren nach der Sage ein Brautgefchent,
welches die Erde‘) der Hera bei ihrer Vermahlung gab, und
welches feitdem in Hera's Garten auf einer weftlichen
Inſel des Dfeanos”) prangte. Als Mithüter des Gartens
war ihnen ein Drache beigegeben, welcher vielerlei Stimmen
hatte, und, wie die drei Hefperiden felbft, von Phorkys und
der Keto ſtammte. Herakles erfchlug den Drachen, und ers
hielt durch des Atlas Vermittlung drei, Yepfel, welche er.dem
Euryſtheus brachte. Diefer gab fie der Pallas, durch welche
fie wieder an ihre vorige Stelle gelangten.
Mir müffen zupörderft, wenn wir unfere Vermuthung
über diefe fchöne Sage ausfprechen wollen, die Abfunft und
den Wohnort der Hefperiden näher ind Auge faſſen. Nach
Hefiodos find fie Kinder der Nacht. Auch Hekate, die drei⸗
geftaltige Mondgoͤttin, ift derfelben Abkunft *). Wenn fie
andere Töchter des Zeus oder Atlas nennen, fo dürfen wir
nicht vergeffen, daß auch Apollon und Artemis in der Helles
nifchen Sage Kinder des Sonnengottes Zeus find, und die
Mondgottin Elektryone eine Tochter des Helios”) heißt.
Ihre Abftammung von Phorkys bezieht fich auf das Em-
portauchen des Mondes aus dem Meere, weßhalb man
des Hpperboreifchen Atlas wohnen, fo darf man nicht
vergeflen, daß die Hyperboreer, wie die Nethiopen, auch
nah Weften verlegt wurden.
94) Apollod. II, 5, 41. Heyne, not. ceritic. p. 192.
92) Heyne, observ. ad Apollod. p. 166 sqgq.
93) Bacchylid. ap. Schol. Ap. Rhod. III, 867. 1034-
94) Heffter, Rhod. Götterdienfte, II, 82,
601
den. Gott biefes. Elementes als. Water der Mondgöttin be
zeichnete. Sie heißen alſo Töchter der Nacht, weil zur Nacht
der Mond am Himmel erfcheint, des Zeus oder Atlas, wegen
des innigen Verhältniffes, in welchem Sonne und Mond zu
einander ftehen, oder des Phorkys, weil der Mond im Meere
unterzugehen und aus demfelben emporzufteigen fcheint. Im
außerften. Weften, wo die Sonne im Meere verfchwindet,
haben fie ihre Heimath, wie die Gorgonen und aus dem nams
lihen Grunde. Die Dreizahl bezieht”) fich auf die drei
Phaſen des Mondes, wie die Dreigeftalt der Gorgonen.
Ihre Namen find von dem Glanze entlehnt, welchen das
Licht verbreiter. Nur der Name Hefperia dürfte aus der
Zeit”), zu welcher der. Mond erfcheint, erflart werden muͤſſen.
Der Drache, welcher fie in ihrer Obliegenheit unterftügt, iſt
Symbol der Mondgöttin, und ſtammt deßhalb von den—
felben Eltern ab, fo daß wir unfere Anficht von dem;
Pythiſchen Drachen. beftätigt fehen. Mer follte glauben,
daß man denjelben zum Sohne des Phorkys gemacht und als
Bruder, der. Hefperiden dargeftellt hatte, wenn er nicht Sym⸗
bol derfelben gemwefen wäre? Er war von ihnen jo wenig
verfchieden, als die Chimaͤra von der Alkimeduſa, der Ger
mahlin des Bellerophon. Die Gärten der Mondgöttin be:
finden fich an jener Stelle, an welcher fie ihre Wohnung hat.
Diefe wurde, wie jene des Sonnengottes , theils nach dem
fernfien Weften, theild nah Dften verfest. Sie hat fchöne
Gärten, wie Dionnfos, indem von Sonne und Mond das
95) Schwend, ©. 27.
96) Schwenk, S. 195 Not.
602
Gedeihen aller Baumfrüchte abhangt”). Die Gärten, welche
die Hefperiden bewachen, gehören der Hera, weil fie in der
früheften Zeit Mondgöttin war, wie die Pallas oder Selene.
Aus diefem Umftande erklärt fich auch die alte Sage, daß
diefe Göttin ſich Karthago”) vor allen Orten der Erde aus—
erfor. Wie hätte fich diefer Mythos Eingang verfchaffen
fonnen, hätte man nicht das ferne Kibyen als Heimath der _
Hera betrachtet, wie Pallas nach einer alten Sage”) dafelbit
geboren wurde. Im Weften, mo die Sonne verfhwindet,
fuchte man die Geburtsftätte der Mondgoͤttin, welche
fih nad) ihr am Himmel erhebt. Aus der Angabe, daß
die Hefperiden die Garten der Hera bewachen, erfehen
wir, daß fie urfprüngli von ihr nicht verſchieden
waren, jondern in demfelben Verhältniffe zu ihr fanden,
wie die Upis, Arge und Helaerge zur Artemis. Erft die fpa-
tere Zeit hat beide von einander getrennt, und den Heſperi⸗
den die niedrige Stelle von Dienerinen angemwiefen, und eine
ganz andere genealogifhe Verbindung gegeben. Indeß ift
nicht zu vergeffen, daß auch Hera von Dfeanos und ber
Thetis groß. gezogen wurde, welche in der alten Sage wohl
eben fo gut ihre wirklichen Eltern gewefen ſeyn dürften, als
fie bei Homeros als ihre Pflege» Eltern erfcheinen. Daß der
Drache Symbol der Hera war, haben wir fchon in vielen
Sagen geſehen. Wenn nun Herakles in den außerften Werften
zieht, und den Drachen tödtet, welcher die goldenen Aepfel
97) Welder, Nachtrag, ©. 186 fg. und Not.
98) Virgil. Aen. I, 16 sqg.
99) Herodot. IV, 480 189.
603
bewacht, fo vollbringt.er dasfelbe, was Apollon thut, der
den Python erlegt.
Hier fönnte man freilich einwenden, daß nicht der Drache,
fondern die goldenen Aepfel in diefem Mythos als Haupt:
fache erjcheinen. Allein diefe Einwendung ift nur fchein-
bar ; diefe Sage foll nur dazu dienen, die Urfache der Wanderung
des Herakles und der Erlegung des Drachen zu erklären,
welche man langft vergeffen hatte. Pallas, welcher Eurnftheus
die goldenen Aepfel gibt, beſitzt diefelben urfprünglich, wie
Hera, und tritt deßhalb mit Aphrodite und Hera") ale Ber
werberin um den goldenen Apfel auf, welchen Paris zu vers
geben hat. Auch fie wurde, wie Hera, als Ehegoͤttin an
einigen Orten verehrt, wiewohl fie durch das Homerifche
Goͤtter⸗Syſtem ſchon in der heroiſchen Zeit einen viel engeren
Wirkungskreis erhielt, als derjenige war, welchen fie früher
hatte. An den meiften Orten ward fie ſpaͤter nicht mehr ale
Chegättin betrachtet. Daher fuchte man die Sage, daß fie
drei Aepfel aus den Garten der Hera befaß, durd) die An;
nahme zu erklären, daß Herakles diefelben geholt habe, und
weil man die Abhangigkeit desfelben von Euryftheus nicht
mehr verftand, feste die Sage hinzu, daß Euryſtheus diefel-
ben der Pallas gegeben habe, während tn der alten Erzaͤh—
lung Herakles und Pallas diefe Aepfel ſelbſt befigen, und
zwar aus demfelben Grunde, "aus welhem Paris und Aphros
dite den goldenen Apfel haben, der urfprünglich wohl nicht
von der Eris herftammte.
Mir wiffen recht wohl, daß man diefer unferer Erfla-
100) Geſchichte des Trojanifchen Krieges, ©. 158.
604
rung der zwölf Arbeiten des Herafles ven Vorwurf machen
wird, daß wir in zu vielen Sagen diefelbe Erfcheinung auss
gedruct finden wollen, wahrend jedes Abentheuer eine bes
ſtimmte Bedeutung haben müffe. Allerdings bezeichnen nach
unferer Vermuthung manche Sagen dasfelbe, fo daß nur
ihre Form, nicht aber ihr Inhalt verfchteden ift. Allein wir
erinnern, daß wir fchon oft Gelegenheit hatten, zu bemerfen,
daß durch die Sänger frühzeitig die verfchiedenenkofal
Sagen verknüpft wurden. Mer wird wohl behaupten, daß
die einzelnen Drte, am denen Herakles verehrt murde,
eine und diefelbe Erfcheinung zu allen Zeiten durch dasfelbe
Bild ausgedrüdt haben? Wenn die Symbole aber ſchon
nicht an allen Drten diefelben waren), fo koͤnnen ſie
ed noch weniger in den verfchiedenen Zeitabſchnit—
ten gewefen feyn. Die fpatere Zeit verband diefelben,
ohne alle Rüdfiht auf ihren Inhalt, und fo mußte es fich
allerdings: treffen, daß wir in der Herafless Sage, wie in
vielen andern Mythen, für eine und diejelbe Erfcheinung
mehrere Ausdrudsweifen haben. Die Erlegung des Ne
meifchen Löwen, der Lernäifchen Hydra, des See⸗Ungeheuers
101) Diefe- Behauptung wird. ihre Begründung im zweiten
Theil finden, Wie die, Mondgöttin an den einzelnen
Drten verſchiedene Namen-hatte, welche ſich auf. diefen
oder jenen Theil ihrer Wirkſamkeit bezogen, fo waren ihr.
auch verfchtedene Thiere, welche fih auf die verfchiedenen
Merkmale ihrer Wefenheit bezogen, geweiht. Während
wir fie in Arkadien als Baͤrin fehen, erfcheint Leto als
Bölfin, und Perfephone auf Kreta ald Drache, die Alfiz
mebufa als Chimaͤra.
605
in Troja, des Drachen, welcher die Garten der Hera bes
wacht, des Erpmänthifchen Ebers, der AmazonenKönigin
Hippolgte und wahrfcheinlich auch der Stumphaliden find
einzelne Lofal-Sagen, welche fi) ſaͤmmtlich auf das Ver—
fhwinden des Mondes bei dem Erfcheinen der Sonne bes
ziehen dürften. Er holt den Kerberos, die Rinder des
Geryones und reinigt die Ställe des Augeias, indem er
ale Sonnengott nach feinem Untergange die Sterne empor:
fendet. Er befitt die Pferde des Diomedes, wie Diefer
jene des Rheſos, weil er Sonnengott war, wie jener in
TIhrafien und auch an einzelnen Orten in Hellas als fol-
cher verehrt wurde. Der Kretifche Stier dürfte endlich in
demfelben Verhältniffe zu ihm geftanden haben, in welchem
der Stier zum Zeus oder Dionyſos fand. Er holt end»
lich die Hirfchfuh der Artemis, indem er als Sonnengott
den Mond am Himmel emporfender, wie er denfelben in
der Frühe vertreibt.
Wer die urfprüngliihe Bedeutung der Wanderungen
der Jo W) und fo vieler andern Götter gehörig ins Auge
faßt, und berückfichtigt, welche Geſtalt diefelben im Laufe
der Zeit erhielten, der dürfte uns wenigftens den Vorwurf
nicht machen '®) daß wir bei diefen Erklärungen zu Fühn
102) Welder, Aeſchyl. Trilog. S. 129.
105) Wir nehmen unfere Erflarungen über die zwölf Arbeiten
des Herafles, welche wir in einer Beilage zum Trojani—
fhen Kriege gaben, zurüd, und bemerfen, daß wie durch
Buttmanns Aufſatz über Herakles auf die Vermuthung
famen, daß ſich, wie diefer Gelehrte das Heraufholen des
Kerberos auf eine allegorifche Weife erflarte, alle Thaten
606
verfahren fenen, welche wir indeffen nur als Vermu—
thungen darftellen, und gerne zuruͤcknehmen, wenn des
Herakles Thaten von einem Mythenkenner in das gehürige
Licht gefest werden, Nur fo viel dürfen wir behaupten,
daß diefelben urfprünglich mit dem Durchgange der
Sonne durch) den Thierfreis, wie man gewöhnlich annimmt,
nicht im der entferntejten Beziehung ftanden.
Die fombolifche Bedeutung diefer Thaten des Herakles,
Bellerophon, Kadmos, Didipus und Apollon ergibt fich ferner
auch aus der großen Verherrlichung, welche diefelben durch die
Poefie ſchon in den früheften Zeiten erhalten haben. Es wäre
rathfelhaft, wie die Sänger in einer hieratifchen Zeit ſich mit
der Erlegung gewöhnlicher Thiere fo vielfach befaſſen, und der-
felben durch den Zauber des Geſanges die hoͤchſte Ausſchmuͤckung
verleihen Fonnten, mie fie der Kalydonifche Eber und die Chi—
mars fchon lange vor Homeros erhalten haben mußten,
um in die epifche Poefte aufgenommen zu werden, wenn
diefelbe huchftäblicy genommen werden dürtef! Wenn die
übrigen in dieſem Capitel erörterten ſymboliſchen Thaten
in der Slias nicht angeführt werben, fd darf man daraus
nicht folgern, daß Diefelben nicht cbenfalls ſchon in der
frübeften Zeit ihre Verherrlihung durch den Gefang gefun-
den haben. Es iſt überhaupt fonderbar, wenn man glaubt,
Homeros habe alle, felbft die unbedeutendften Lofa- Mythen,
wiffen müffen, und alle, welche er wußte, in feinem Gedichte
angeführt. Hätte er dieſes gethan, fo hatten wir weder
des Gottes ans einem aͤhnlichen Gefichtspunfte betrachten
laſſen.
607
eine Ilias, noch eine Odyſſee, fondern eine Vermifchung von
Mythen, denen es an aller Einheit und an allem Zufammen-
bange fehlte. Vor ſolchen auffallenden Mißgriffen waren
aber die Griechifchen Dichter durch ihren gefunden Menfchen>
verftand zu allen Zeiten gefichert. Kerner Fann man nicht
glauben, daß durch die Kleinafiatifchen Coloniften alle Mys
then nach Kleinafien Famen, alle für diefelben gleiche Bedeu;
tung hatten. Wenn man daher behauptet, daß alle Ereigs
niffe und Verhältniffe, welche der Sänger der Ilias oder
jener der Odyſſee nicht berühret, jünger feyen, fo ift dieß
eben fo verkehrt, wie wenn einer behaupten würde, daß alle
Helden und Vorfälle, welche im Nibelungen-Liede nicht er-
wahnt werden, nicht zur Zeit, in welcher dasfelbe fpielt, ge—
lebt oder ftattgefunden haben koͤnnen, fondern einen viel
jüngern Urfprung haben müffen.
Wenn aber, um wieder zu unferem Gegenſtande zurüds
zufehren, die genannten Heroen aus Pradifaten des Sonnen-
gottes hervorgingen, wenn ihre Thaten, wie jene des Apol-
Ion, von dem fie ſich nur durd) den Namen unterfchieden,
ſymboliſche Bedeutung hatten, und mit der Licht, Religion
der älteften Bewohner Griechenlands in fo inniger Beziehung
ftanden, dann fieht man wohl ein, warum fie von der Tempel:
Poeſie fo eifrig gepflegt wurden, und bei dem großen Glanze,
welchen fie auf diefe Weiſe erhielten, auch für die Sänger
der heroifchen Zeit befonderes Intereſſe erlangen mußten,
welche fie freilich von einer yanz andern Seite auffaßten ”),
104) Es ift eine allgemeine Erfheinung, daß die Menſchen alle
Dinge nur zu häufig nach ihren Anſichten und Berhält-
608
und dadurch zu den vielen irrigen Anfichten, welche
man gegenwärtig noch davon hat, die nächfte Weranlafs
fung gaben.
Nicht bloß den Untergang des Mondes, fondern auch
jenen der Sonne drüdte die frühefte Zeit durch den Tod aus.
Dephalb logen die Kreter '®) Feineswegs, wenn fie von dem
Tode des Zeus fprachen. Nur in fo ferne hatten fie uns
recht, als fie, die Bedeutung diefer alten Sage mißfennend,
diefelbe im buchftäblichen Sinne nahmen. Die Mythen von
dem Tode des Zagreus, des Herafles und anderer Nerven,
welche ehedem Götter waren, haben diefelbe Bedeutung. Hier
müjffen wir auch den Tod des Agamemnon und das Blenden
des Polyphemos in Kürze berühren, Daß des Polyphemos
Name urfprünglic ein Prädikat des Sonnengottes war '9),
niffen bemeffen, und in fo ferne darf es ung nicht befrem—
den, daß man in einer Eriegerifchen Zeit in jenen alten
Sagen nicht mehr ſymboliſche Ausdrudsweifen für ganz
einfahe Naturerfcheinungen erblidte, fondern diefelben
auf die Wirklichkeit bezog, die Thiere für gewöhnliche
Thiere hielt, und die Thaten diefer Götter zu Fühnen
Abentheuern ummandelte.
105) Callimach. Hymn. in Jov. 6 sqg-
106) Wer-die Nichtigkeit der Behauptung, daß Polyphemos
Sonnengott war, bezweifelt, der bedenke, daß nach Euri-
pides (Cyclop. v. 25 sqq.) Silen und die Satyren des
Dolnphemos Heerden weiden, alfo mit demfelben in eben
fo inniger Verbindung ftehen, in welcher fie in andern
Mythen mit Dionyfos erſcheinen. Dionyſos aber war
Sonnengott, wie ſchon Macrobius (Saturnal. I, p. 300 sq.
609
haben wir fchon bemerkt, Als folcher trägt er das große
Auge an feiner Stirne, wie es die Bildſaͤule des Zeus hatte.
Das Ausbrennen desfelben dürfte wohl diefelbe Bedeutung
haben, welche in Bezug auf die Mondgottin Medufa das Ab:
fhneiden des Kopfes hat, und dieſe Ausdrucksweiſe möchte
der grauen Urzeit angehören, Diefer Erklärung ſcheint der
Umftand zu widerfprechen, daß Odyſſeus in Ithaka derſelbe
Gott war, wie Polyphemos auf Sicilien, daß es alſo fonders
bar wäre, wenn ein Sonnengott den andern todtete, wahrend
doch die Mondgottin, welche fich am Abend erhebt, und dem
Sonnengotte die Stelle am Himmel ftreitig zu machen fcheint,
als Urheberin des Todes genannt werden follte, Dagegen
erinnern wir, daß allerdings die Mondgottin als Urheberin
desfelben in einigen Sagen erfcheint, aber nicht in allen
als jolche vorfommen kann, da uns nur Bruchftücde aus
dem alten Mythenkreiſe erhalten wurden. Der Umftand,
Bip.) bemerkte, welder fagt: „Item in Thraeia eundem
haberi solem atqueLiberum aceipimus; quem illi Sa-
bazium nuncupantes, magnifica religione celehrant,
ut Alexander scribit, eique Deo in colle Zilmisso
aedes dicata est specie rotunda, cujus medium inter-
patet tectum. rotunditas aedis monstrat hujusce sideris
speciem : summoque tecto lumen admittitur, ut appa-
reat, solem cuncta vertice summo lustrare lucis im-
missu, et quia oriente eo universa patefiunt.“ Wir
erinnern an unfere Erklärung ber Schakhäufer, und fra-
gen, ob diefelben bei ihrer Aehnlichkeit mit diefem Tem:
pel nicht ehedem diefelbe Bedeutung hatten? Die Bedeu:
tung der Deffnung haben wir dort anders erflärt, als
dieß Macrobius thut,
Vorhalle zur Griechiſchen Geſchichte, 39
610
daß ein Sonnengott den andern todtet, erklärt ſich aus einer
andern Ausdrucsweife, welche wir bald naher erörtern wer⸗
den, namlich aus dem Kampfe, in welchem diejenigen Göt;
ter, welche gleicher Natur waren, und auf gleiche Vor—
züge Anfprüche hatten, miteinander erſcheinen. So fampfen
in Athen Pallas und Pofeidon, in Argos Hera und Pofeidon
um den Beſitz des Landes, weil die beiden Goͤttinen auch
über das Mecr geboten. Diefe Kämpfe wurden, da man
die fymbolifche Bedeutung des Todes vieler zu Heroen her:
abgejunfenen Kichtgötter nicht mehr Fannte, als die Urfache
desfelben angefehen. So kaͤmpfen Odyſſeus und Poly-
phemos, und diefer verliert in Folge des Kampfes fein Auge,
wahrend fih in der alten Ueberlieferung der Verluft desfel-
ben auf den Untergang der Sonne bezog, Aus demfelben
Grunde wird Ddyffeus von feinem eigenen Sohne Telego—⸗
n08') getodtet, und Eurytos fallt durch Apollon . In
der Sage des Agamemnon erfcheint hingegen recht deutlich
die Mondgöttin Klytaimneſtra als Urheberin feines Unters
ganges. Sie hat in Verbindung mit Aigifthos “) den Aga—
memnon etichlagen, wie einer den Stier an der Krippe er-
(hlägt *). Wir glauben nicht zu irren, wenn wir die Vers
407) Nah Engammon, ef. Bibliothek der alten Literatur und
Kunſt, I, 42,
408) Hom. Odyss. VIII, 234.
109) Der Muttermord, den Oreſtes verubt, findet in der
Ermordung der Medufa durch Perfeus feine Er:
klaͤrung.
410) Hom. Odyss. IV. 529. XI, 409 sqg.
611
muthung wagen, dag Homeros das angeführte Gleichniß
nicht ſelbſt gewählt, fondern ficherlich, wie das Epitheton
- Bownug bei der Hera, aus alten Weberlieferungen aufge
nommen hat. Iſt diefes der Fall, fo ficht man wohl ein,
daß ſich der Stier bei Agamemnon und Herakles auf
die Bedeutung bezieht, welche ſie fruͤher hatten, und in
der Stiergeſtalt des Zeus und des Dionyſos feine Erfläs
rung findet,
Porhalle
zur
Griechifchen
Geſchichte und Mythologie.
Don
Johann Uſchold,
Profeſſor am koͤnigl. bayer. Gymnaſium zu Straubing.
Zweiter Theil—
— a
$ Stuttgart und Tübingen,
J. G. Eottafhen Buchhandlung.
ASE9,
im Verlag der
Den
hochherzigen und gefeierten Alterthumsforſchern,
Friedrich Creuzer
und
Gottfried Hermann,
als Zeichen
befonderer Hohadhtung und Verehrung
gewidmet
vom
Verfaſſer.
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Vorrede.
Wei der Verſchiedenheit der Anſichten, welche ge—
genwaͤrtig uͤber die Bedeutung der Griechiſchen
Sagengeſchichte herrſchen, moͤchte der erſte Theil
der Vorhalle leicht Mißverſtaͤndniſſe veranlaſſen,
denen ich ſo weit zu begegnen wuͤnſchte, als dieß in
meinen ſchwachen Kraͤften ſteht. Dieß iſt die Ur—
ſache, daß der zweite Theil der Vorhalle dem er—
ſten ſo ſchnell nachfolgt. Obſchon durch die Ge—
genſtaͤnde, welche in demſelben eroͤrtert werden,
manche Zweifel, welche der erſte vielleicht veran—
laßte, beſeitigt werden duͤrften, ſo halte ich es doch
fuͤr nothwendig, mich hier uͤber drei Punkte etwas
ausfuͤhrlicher zu erklaͤren. Es fraͤgt ſich zuvoͤr—
derſt: Iſt es wohl moͤglich oder nur wahrſcheinlich,
daß die Griechiſche Mythengeſchichte bloß eine
ſymboliſche Bedeutung habe? Iſt es moͤglich, daß
die meiſten Griechiſchen Goͤtter aus Praͤdikaten
der Sonne und des Mondes hervorgingen? Iſt es
endlich moͤglich oder wahrſcheinlich, daß die Sagen
vıiı
die Griechen ihre Götter nicht fo menfchlich aus:
geftattet, hätten die vielen ſymboliſchen Ereigniffe
und Thaten derfelben durch die vielfache Behand:
lung, die fie im Laufe der Zeit erfuhren, nicht
ein fo menfchliches Gepräge erhalten, fo würde
man fchon längft eine ganz andere Anſicht von
der Sriehifhen Mythengefhichte gewonnen haben,
e8 würden große und verehrungswürdige Gelehrte
nicht behaupten, daß zwar einige Ereigniffe und
Perfonen der Gdttergefhichte angehören, andere |
aber, welche in derfelben Zeit auftreten, diefelben
Schickſale erfahren, diefelben Thaten vollbringen,
durchaus gefchichtliche Bedeutung haben müffen,
weil fie in den Homerifchen Gedichten als allge:
mein geehrte Könige gepriefen werden. Wenn
wir jene Perfonen, welche Homeros uns ald Koͤ—
nige und angefehene Kürften fchildert, ſchon def:
halb als Sterblicye zu betrachten haben, weil er
fie dafür hält oder ihre Macht und ihr Anfehen
preifet, fo müffen wir aud) dem gefeierten Künfts
ler Hephäftos in der Kunftgefchichte eine Gtelle
anweiſen, wir müffen die Hera, welche die Arte:
mis fhlägt, und in Verbindung mit andern Göt-
tern den Zeus binden will, mit Andromache oder -
Helena auf gleiche Stufe ftellen, und dem Eueme:
rismus wieder Geltung verfhaffen. So unge
reimt ein folches Verfahren wäre, fo gewagt dürfte
e8 ſeyn, alle Heroen, welche menfchlich fühlen und
Ix
handeln, bloß deßhalb für Menſchen zu halten,
weil fie in menfchliche Werhältniffe verwickelt find,
und Könige heißen.
Alle Wölker erfcheinen auf jener Stufe, auf
welcher die Griechen in dem Achaͤiſchen Zeitalter
ftanden, als rüftige, tapfere, zwar etwas rauhe,
aber doch fittlih unverdorbene Menſchen. Die
Erzählungen von den alten Germanen, auch jene
über die Slaven, liefern die beften Belege. Welche
Umftände follen nun zufammengewirft haben, daß
wir gerade bei den Griechen eine jo große fittliche
Verwilderung antreffen, wie fie fo häufig erfcheint,
wenn wir die Sagengefchichte buchftäblich aufzu—
faffen haben? Mie verworfen muß ein VolE ſeyn,
bei welchem wir in einer fo frühen Zeit, wo von
den fchlimmen Folgen einer fehlerhaften Berfeine-
rung noch gar Feine Rede feyn kann, nicht bloß
die abſchreckendſten Beifpicle von Blutfchande, fon:
dern fogar DBeftialität antreffen, und Verbrechen
verübt fehen, für welche Solon Feine Gefeße gab,
weil er fie für unmöglich hielt! Oder follen nur
die Sagen von Didipus und den Atriden zum
Theil ſymboliſch zu fallen, alle übrigen aber gleich:
wohl als Gefchichte feftzuhalten fern? Sonderbar,
dag man fich ſolchen Widerfprüchen hingibt, um
Borurtheile zu vertheidigen! So wenig die alten
Germanen in der Urzeit fittlich verdorbene Menfchen
x
waren, eben fo wenig darf man den Öriechen einen
folhen Vorwurf aufbürden. So wenig die Verz
bindung des Zeus mit feiner Tochter Perfephone in
der Urzeit etwas AUnftößiges enthielt, eben fo wenig
enthielten die Sagen über Didipus und die Ver:
mählung mit feiner Mutter bei der ſymboliſchen
Grundlage diefer und ähnlicher Angaben etwas Un:
fittlihes. Sie wurden erft durch die verkehrte
Auffaffung anftößig. Wie betrüibend wäre es, wenn
man die Sage buchftäblicdy nehmen müßte, daß fich
der vorzüglichfte Heros der Griechen vor Slion
mit der todten Penthefileia verband! Derjenige,
welcher den fombolifchen Kern derfelben Fennt, und
fih an das Verhältniß der Selene zu Endymion
erinnert, wird nicht bloß den Peliden gegen den Vor:
wurf der empdrendften und unnatärlichften Sinn:
lichkeit vertheidigen, fondern auch einfehen, Daß, wie
die Göttergefchichte durch verkehrte und buchftäb-
liche Auffaffung ſchreckliche Entftellungen erhielt,
fie auch die Herovengefchichte erhalten habe; er wird
fi) dadurdy in der Weberzeugung befiärft fehen,
daß, fo wenig die Dlympier Gegenftand der Ge:
ſchichte ſeyn Fünnen, es eben fo wenig auch Die
Herven, welche ung vor der Dorifhen Wanderung
begegnen, feyn dürften.
Wenn wir auch die mythifchen Perfonen aus
jener Periode vor der Dorifhen Wanderung von
xı
der Gefchichte ausfchließen, fo wollen wir deßhalb
Feineswegs behaupten, daß die ganze Altefte Ge—
fehichte der Griechen für uns verloren if. Im Ge—
gentheile, wir hegen die Leberzeugung, daß fi)
nicht bloß die Verwandtfchaft, in welcher. die einzel:
nen Stämme und Zweige der Bewohner Griechen:
lands miteinander ftanden, ausmitteln, jondern daß
auch die innern Verhältniffe derfelben in vielen
Punkten fich mit der. größten WahrfcheinlichFeit dar:
ftellen lafjen. „Lange, fagt Niebuhr in feiner Nö:
mifchen Gefchichte, ehe in jenen Zeiten ein hiſtor i—
ſches Andenken befiimmter Individuen
hervortritt, laſſen ſich die Formen mit Sicherheit
erkennen, unter denen das Gemeinweſen beſtand: ſo
feſt, und auf Jahrhunderte unvertilgbar, waren ſie
allem eingedruͤckt.“
Es erſcheint freilich raͤthſelhaft, wie wir da
einen klaren Ueberblick von den innern Verhaͤlt—
niſſen gewinnen koͤnnen, wo uns die Kenntniß der
Traͤger aller Ereigniſſe, der Lenker der Staaten
und Voͤlker, der Koͤnige, fehlt. Allein der ſchein—
bare Widerſpruch verſchwindet, wenn man die Schick⸗
ſale der Griechiſchen Goͤtter, beſonders jener, welche
in die Reihe der Heroen herabgedruͤckt wurden,
naͤher ins Auge faßt. Sobald dieſelben nach der
Entfernung der Ueberreſte der Thier-Symbolik
menfchlihe Geftalt erhielten, mußten fie bei dem
f
xı
Streben der Griechifchen Sänger, Alles jo menfd:
lich al8 möglich erfcheinen zu laffen, den Sterblichen
immer näher gerückt werden. Die Götter befa:
men alle Einrichtungen, welche fich auf dem Örie:
hifchen Boden entwicelten. Wir fehen fie aus den
Grotten, welche fie in der Urzeit bewohnen, fpäter
in praͤchtige Palläfte verfeßt; fie halten Werfamm-
lungen, wie die GSterblichen, erkennen in Zeus einen
Dbergebieter, welcher fie zufammenruft und bei Ber
rathungen den Worfig führt, fie effen, trinfen und
fchlafen, wie die Menſchen.
Wenn nun fhon jene Götter, welche fi im
Sultus erhielten, auf eine ganz menſchliche Meife
gefchildert werden, um wie viel mehr mußte dieß erft
bei denjenigen gefchehen, welche in die Reihe der
Herven oder Sterblichen eintraten! Indeg läßt ſich
auch bei der Entwicklung der innern Verhältniffe,
die, wie fie fi auf der Erde beffer geftalten, auch)
im Olympos eine fchönere Entfaltung gewinnen,
nicht Worfiht genug anwenden, wenn man vor
Mißgriffen gefihert bleiben will. Wir wollen nur
ein Beifpiel anführen, und bemerken, mie fehr
auch hier eine buchftäbliche Auffaffung und Mangel
an Kritif die feltfamften MWiderfprüche hervorrufen
kann. Prometheus bringt das Feuer, und neu er:
blühen Kunftfertigfeiten aller Art, allein es verbrei-
tet fich auch eine Schaar von Uebeln und Gebrechen
XILII
uͤber die Erde. Ein großer Gelehrter, Mannert,
hat aus dieſer Angabe gefolgert, daß die Griechen
in der Urzeit ſo roh waren, daß ſie ſich nicht einmal
Feuer ſchlagen konnten, daß ſie in Hoͤhlen und
auf Baͤumen wohnten. Auf der andern Seite
glaubten viele Gelehrte, daß Prometheus die Kuͤnſte
auf einen vorzuͤglichen Grad der Vervollkommnung
gebracht habe, daß aber, wie es in den Zeiten der
Verfeinerung gewoͤhnlich gefhehe, die Griechen da-
durch üppig und weichlih geworden feyen, und in
Folge diefer Ueppigkeit und Verweichlichung fich
Gebrechen und Leiden aller Axt eingeftellt hätten.
Wie kann man glauben, daßalle Runftfertigfeiten
fih durch einen Zauberfchlag auf den Gipfel der
Vollendung erheben lafjen, dag diefelben fo fchnell
überall um fich greifen, daß fie plöglich eine fo
große Genußfucht erzeugen, daß unter Friegerifchen
Stämmen auf einmal die [hädlichfte Ueppigkeit ins
Daſeyn gerufen wird? Bedenken wir, daß des Pro—
metheus Name ein Prädikat der Sonne war, fo
werden wir aus dem angeführten Mythos nicht fols
gern, daß die Öriechen nicht einmal die Kunft kann⸗
ten, Feuer zu fhlagen. Wenn wir ferner berüc-
fihtigen, daß der Sonnengott als fchaffendes Weſen
Künftler ift, fo werden wir auch einfehen, warum
die Sage an die Erfcheinung des Feuers, welches
Prometheus oder die Sonne bringt, die Blüthe
aller Kunftfertigkeiten Enüpfte. Der Sonnengott
xIV
ift aber nicht bloß Gluͤck-Spender, fondern von ihm
geht auch Tod und Merderben aus. Daher meldet
die Sage, daß, als Prometheus mit dem Sonnen:
feuer erfchienen, nicht bloß die mannigfaltigften
Künfte fi entwicelten, fordern auch Seuchen und
Leiden aller Art fich über die Erde ausbreiteten, wie
die Pfeile des Apollon überall Seuchen verurfachen
und Menfchen und ZThiere dahinraffen.
Eben fo gewagt dürfte es feyn, die Sagen
über Kefrops oder Drpheus buchftäblich zu faſ—
fen, und nad der fombolifhen Bedeutung der:
felben auf die Kultur der Griechen in der Urzeit
zu fliegen. Wir lefen, dag Dionyfos ald Son-
nengott überall, wohin er Fommt, gefeßliche Ord⸗
nung begründet, daß felbft die fchädlichften Thiere,
Löwen, Tiger und Schlangen durch ihn unfchäd:
li) werden, daß fogar die Gemwäffer feinen Win-
Een und Befehlen gehorhen. Wer wird nun
die Angaben, daß Orpheus ein ausgezeichneter
Lehrer gewefen, daß er, Kekrops und andere ihnen
verwandte mothifche Wefen die Griechen auf ein-
mal zu einer ganz andern Stufe der Eultur er:
hoben, buchftäblich nehmen? Offenbar beziehen ſich
diefelben auf die frühere göttliche Natur der ge:
nannten Heroen. Der Sonnengott ift Begründer
gefeßlicher Ordnung, auch fie erfiheinen als folche,
und da ihre Namen urfprünglicd der Sonne an-
xV
gehört haben, fo koͤnnen wir uns nicht wundern,
daß man fie, die urfprünglih, wie Dionyfos,
nur ein mythiſches Dafeyn hatten, als ausge:
zeichnete Förderer der Bildung verberrlichte.
Viele andere Sagen der Art ließen fih anführen,
vorzüglih jene von der ungewöhnlichen Kunft-
fertigkeit der Heliaden, welche, wie Phidias,
Werke gefchaffen haben follen, die Lebenden gli:
hen, wenn uns die bier nicht zu weit führen
würde. Wielleiht faffen wir auch den Namen
Heros irrig auf, wie dieß fchon bei den Griechen
in der AUchäifchen Zeit der Fall gemwefen feyn
möchte. Wenn wir bedenken, warum Eumaͤos
Heros heißt, fo find wir fehr geneigt, zu ver:
muthen, daß der Name Heros ein Prädikat
der Götter war, das man aber allmählig als
eine Auszeichnung von Weſen betrachtete, welche
zwifchen Göttern und Öterblichen in der Mitte
ſtehen.
Wir wollen nun den zweiten Punkt, daß
die meiſten Griechiſchen Heroen aus Praͤdikaten
der Sonne und des Mondes entſtanden, näher
in das Auge faflen. Freilich erfcheint diefe Be—
hauptung beim erften Anblick fehr auffallend,
und man muß an der Richtigkeit derfelben zwei:
feln, wenn man nicht die Mythologien anderer
Voͤlker mit der Griechifchen vergleicht, und dur)
XVI
ein ſorgfaͤltiges Quellenſtudium der verſchiedenen
Mythologien ſich uͤberzeugt, daß die heidniſchen
Voͤlker im Gebrauch der Epitheta, womit ſie
Sonne und Mond begruͤßten, faſt unerſchoͤpflich
waren. Wir ſind weit entfernt, den Orphiſchen
Geſaͤngen ein hohes Alter anzuweiſen; allein ſo
viel duͤrfen wir doch behaupten, daß uns dieſelben
in vieler Beziehung eine Vorſtellung von der
Geftalt der älteften Griehifhen Hymnen geben
dürften. Unrufung der zwei großen Lichter,
Bezeichnung aller Merkmale und Cigenfchaften
Dderfelben, des Drtes und der Art ihrer Geburt
und ihres Todes, ihres Aufenthaltes und über:
haupt aller ihrer Schicfale waren die Hauptbe-
ftandtheile der alten Hymnen, Wie groß mußte
die Zahl der Ilamen werden, womit man Sonne
und Mond an den einzelnen Drten. begrüßte,
und wie viele Götter mußten aus Denfelben her:
vorgehen, als man fich unter jedem Namen ein
befonders Wefen vorftellte! Wer die Drpbhifchen
Hymnen nicht beachten will, der nehme Stephanos
von Byzanz, und vergleiche die vielen Namen,
welche Delos, Samothrafe, Aegina und gar viele
andere Snfeln hatten. Wenn nun von den Sin
gern der hieratifchen Urzeit Snfeln und Städte
mit einer Menge von Namen belegt. wurden,
foll dieß nicht auch bei den Göttern der. Fall ge:
weſen feyn? Sollen wir uns wundern, wenn Der
xyı
Sonnengott und die Mondgöttin auf einer Infel
mit vier oder fünf Namen, die fich auf die ver-
f&hiedenen Merkmale ihrer Wirkfamkeit bezogen,
belegt wurden, wenn die Inſel fo viele Namen
‚hatte? Jeder, der nur eine oberflächliche Kenntniß
der Griechiſchen Geographie befißt, weiß fehr
wohl, daß fich fihon in der heroifchen Zeit ein
Name irgend eines Landes oder einer Inſel be
fondere Geltung verfchaffte, daß diefer von den
Sängern vorzugsweife erwähnt wird, daß die übris
gen in dem Hintergrunde ftehen, und nur bier
und dort noch emportauchen. Soll es uns be
fremden, daß e8 den Namen der einzelnen Öötter
eben fo erging, daß allmählig einer befonderes An⸗
fehen erlangte, und die übrigen verdunfelte? So—
bald nun diefe von dem Hauptnamen, demjenigen
nämlid), det vorzugsweife gefeiert wurde, fich
trennten, mußten die Weſen, welche man fich
unter denfelben Dachte, zu dem, das den Haupt:
namen trug, in ein untergeordnetes Verhältniß
treten, und als Abkoͤmmlinge oder ald Freunde
und Diener des Gottes, der fih im Cultus aus:
fhlieglich, behauptete, angefehen werden. Auf
diefe Weiſe wurden So und Medeia Dier
nerinen der Hera, Herafles ward zum Sohne des
Zeus, Pelops, Atreus, Thyeftes, Agamemnon
und Menelaos, fo wie Dreftes, wurden von dem
Argivifhen Sonnengotte getrennt, und mächtige
Borhalle zur Griechifchen Gefchichte, IT, **
XVIII
Fuͤrſten. Daß die Wanderungen der einzelnen
Staͤmme, wenn dieſelben auch nicht ſo bedeutend
waren, wie man zu glauben ſcheint, nicht ohne
Einfluß auf dieſe Umgeſtaltung der Goͤtterge⸗
ſchichte waren, laͤßt ſich leicht erachten. In
Vergeſſenheit konnten dieſe Namen nicht ſinken,
da ſie zu oft beſungen wurden. Wie haͤtte der
Name des Perſeus, als man denſelben von Zeus
losriß, untergehen koͤnnen, da er fo vielfach ver:
berrlicht war, daß ihn Homeros den herrlichften
Kämpfer der Vorzeit nennt? Andere Namen
waren nicht minder durch die Sänger gefeiert
worden, wie auch die fombolifhen Schickfale und
TIhaten, die daran gefnüpft waren, fo daß fie
unmöglih der Naht der Vergeſſenheit anheim
fallen Fonnten Wenn nun die Götter mit jedem
Zeitalter menfchlicher aufgefaßr, ihre Thaten auf
eine den menfchlihen Verhältniffen mehr entfpre-
chende Weiſe dargeftellt wurden: follen wir es
dann fonderbar finden, daß jene Verfonen, welche
aus ſolchen Losgeriffenen Prädikaten herporgingen,
ein folhes Schickſal hatten, und ſchon vor Ho:
meros als Könige und Fürften jener Orte ange:
fehen wurden, an welche ihre Namen gebunden
waren? Menn man nur erwägen wuͤrde, 'daf
diefelben faft zu allen Zeiten und an allen Orte
auftraten, fo würde man ſich ſchon überzeugen
daß fie Feine gefchichtliche Bedentung haben. Den:
XIX
zu der Annahme wird man fich doch wohl nicht
verftehen, daß die Öriechifchen Dichter, wie die
morgenländifchen Sagenfchreiber, ihren Helden da-
durch einen größern Glanz zu geben fuchten, daß
‚fie diefelben bald an diefen, bald an jenen Ort ver—
feßten, fie bald drei, bald fieben Menfchenalter
leben ließen, und ihnen Thaten andichteten, welche
menfchliche Kräfte weit überfteigen.
Wenn auch andere Mythologen zugeben, daf
viele Sriehifche Herven aus Prädifaten von Göt:
tern entftanden, fo erflären fie fich doch gegen
die Annahme, daß die Sriehen nur Sonne und
Mond verehrt und mit fo vielen Namen bezeich:
net hätten *). Sie fegen auch die Luft, das Waſ—
*) Welche Bedeutung der Eultus der Sonne und des Mon:
des, den die Griechen früher, wie die Sonne, fir lauteres
Feuer hielten, in der Urzeit hatten, fehen wir auch aus den
Angaben über das heilige Feuer, das nicht bloß in fo vielen
Tempeln, fondern auch in jedem Wrpfaneton unterhalten
wurde, und an deffen Unterhaltung die Fortdaner der einzel-
nen Etädte nac den Vorftellungen der Alten gefnüpft war.
Diefes Feuer wurde aus dem einfachen Umftande unterhal-
ten, daß Sonne und Mond in der Urzeit von allen Helleni—
fhen Stämmen verehrt wurden. Wie das Sonnenfener am
Himmel Leben fehafft und Fruchtbarkeit verbreitet, fo bringt °
auch das Symbol desfelben, das Feuer im Prytaneion, Ye
ben und Heil in alle Theile des Staates. Iſt die Sonne
vom Himmel verfehwunden, fo folgt Finfterniß. Unheil und
Tod tft nach den Anfichten der Alten die Folge des Son:
nen = Interganges oder des Todes des Eonnengottes. Daher
**2
xx
fer und andere Gegenftände unter die Zahl der
Götter, Was foll wohl ein Wolf bewegen, wenn
esden Ölauben an den einen wahren Öott
verloren hat, wenn es flatt des ewigen Ur
lihtes endlihe Gefhöpfe verehrt, Die
Luft, die Erde oder das Himmelsgewölbe anzu-
beten? Die Erde fpendet allerdings Nahrung, |
und erfcheint den Wölkern in diefer Beziehung
wichtig; allein fie fehen nur zu gut ein, daß fie
ihnen nichts gibt, daß fie erſtarrt und in Trauer
gehüllt ift, wenn fih die Sonne entfernt, daß fie
aber im Frühling, fobald fih der Sonnengott,
wie die Alten fich ausdrücken, wieder nähert, zu
grünen und blühen anfängt. Sie mußten, da fie
fi) fo häufig, als dieß bei uns der Fall: ift,
und noch häufiger in der freien Natur aufhiel:
ten, ſich überzeugen, Daß ohne das Nicht nichts
gedeihet. Was foll fie aljo bewogen haben, die
ftarre, feſte, unveränderliche Erdrinde als gött:
fiches Wefen zu betrachten? Warum follen fie |
die Luft und das Himmelsgewölbe angebetet ha: |
ben? So ſchoͤn das Himmelögewölbe ift, fo muß
ten die alten Völker dod wahrnehmen, daß es |
bei der Nacht, wie bei Tag, ſtets unveränderli |
bleibt, daß fich höchftens die Farbe ändere, daß |
iſt auch das Gluͤck und Gedeihen einer. Stadt. fehr bedroht, |
wenn das Feuer im Prytaneion ausgeht.
XXI
aber ſeine Farbe nur von dem Erſcheinen der
Sonne und des Mondes mannigfaltig modificirt
werde. Warum ſollten fie wohl das Himmels—
gewölbe, warum erft die Luft als höhere MWefen
verehren ?
Anders verhält es ficd mit Sonne und Mond
und mit den Sternen. Diefe Lichter erfcheinen
am Himmel, nehmen bald diefe, bald jene Stelle
ein, verfhwinden von demfelben. Die Sonne
wecket bei ihrem Erſcheinen nicht bloß alle [eben-
den Gefchöpfe zur Thaͤtigkeit, fie verbreitet auch
überall Segen und Gedeihen. Wenn fie im Herbfte
fi) immer weiter: entfernt, erftirbt alles, die Na—
tur hilfe fih in Trauer; fobald fie aber im
Frühling fich wieder nähert, verjünat fich alles,
und ftrahlt in neuer Pracht und Herrlichkeit. Bes
fonders mußten die Sonne und der Mond die
Voͤlker mit Staunen, mit Verwunderung und
Ehrfurcht erfüllen, und diefes Staunen mußte fi
zur Verehrung fteigern. Die alten Griechen glaub:
. ten, daß die Sonne fih im Meere verliere, daß
fie während der Nacht unter der Erde oder an
einem dunklen Drte verborgen fey. Diefe Wahr:
nehmung mag fie bewogen haben, ihren Wir:
Fungsfreis auch auf das Meer und die unter der
Erde befindlihen Räume auszudehnen. Nur auf
diefe Weife läßt fich die Sage erklären, daß Zeus
XXII
anfangs auch uͤber das Meer und die Unterwelt
geherrſcht habe. Die ſpaͤtere Zeit trennte die
Namen, welche er deßhalb fuͤhrte, und bildete be—
ſondere Weſen aus denſelben. So erhielt das
Meer ſeinen Beherrſcher und die Unterwelt bekam
ebenfalls einen eigenen Gebieter, mit dem die
Mondgoͤttin verbunden ward, da der Mond waͤh—
rend des Tages in der Regel unſichtbar iſt.
Sonne und Mond haben alle heidniſchen
Voͤlker des Alterthums verehrt; daß ſie auch die
Luft oder das Himmelsgewoͤlbe verehrten, davon
konnten uns bisher weder die Indiſchen, noch die
Aegyptiſchen und die Phoͤniciſchen Mythen über:
zeugen.
Andere Mythologen find der Anſicht, daß die
Griechiſchen Götter aus Prädifaten hervorgingen,
welche die Eigenfhaften Gottes bezeichne:
ten, und fehen in Zeus die Allmacht, in Pallas
die Meisheit, in einem andern mythifchen Weſen
eine andere Cigenfchaft ausgedruͤckt. Dagegen
müffen wir bemerken, daß diefe Anfiht aus den
Namen der Griehifhen Götter und den My—
then, welche an diefelben geknüpft find, fich durch:
aus nicht nachweifen laffe. Man muß zwifchen
der Mythologie der Griechen und den Ahnungen
von der Macht, Weisheit und Güte Gottes, die
XXI
ſich auch bei ihnen nicht ganz verloren haben,
wohl unterfcheiden. Wir treffen in den Homeri—⸗
fhen Gedichten Anfichten von der Macht und
Güte der Götter, fo wie von der Befchränftheit
und Kraftloſigkeit jener Menfchen, welche ſich von
Gott trennen, die uns deutlich uͤberzeugen, daß,
wenn auch die alten Voͤlker nach der allgemeinen
Zerſtreuung nur zu frühe anfingen, ſtatt des ewi—
gen Urlichtes Sonne und Mond anzubeten, ſich
doch auch bei den Heiden viele Spuren von je—
ner Offenbarung erhielten, die den erſten Men—
ſchen zu Theil geworden. Man wende nicht ein,
daß wir hier mit uns ſelbſt im Widerſpruche
ſeyen. Die Offenbarungen Gottes verpflanzten
ſich von Vater auf den Sohn, von dieſem auf
den Enkel und fo weiter, wenn fie auch nad) der -
allgemeinen Trennung fih nur bei den Hebräern
in ihrer Reinheit erhielten, bei andern Voͤlkerſchaf—
ten aber vielfach getrübt und durch ihre Sinn:
lichEeit verdunfelt wurden. Dieſe heidnifchen Voͤl—
Fer mochten die Sonne und den Mond urfprüng-
(ih wohl nur ald Symbole des ewigen Ur-
lichtes betrachten; allein im Laufe der Zeit ver:
gaßen fie das Urlicht, und hielten ſich an die ih:
nen fihtbaren Geftirne. Daraus folgt nun aber
Eeineswegs, daß fich auch alle Leberlieferungen
son Gott verlieren mußten, im Gegentheil tref:
fen wir bei den Griechen, wie bei den Perſern
XXIV
und Indern, gar viele Spuren von Ueberlieferung
einer hoͤhern Offenbarung an, und die Zahl der—
ſelben wuͤrde ungleich groͤßer ſeyn, wenn nicht bei
der Verehrung des ſichtbaren Lichtes, bei der gro:
Gen Verherrlihung, welche man feinem Einfluffe
auf die ganze Natur zollte, bei der fombolifchen
Ausdrucksweife der verfchiedenen Stellung, des
Auf: und Unterganges der Sonne und des Mon:
des die Pflege jener Ueberlieferungen in den Hin:
tergrund gedrängt worden wäre, wodurch fie
freilich fehr verhällt werden mußten. Waͤren die
Griechiſchen Götter aus Praͤdikaten hervorgegan:
sen, welche die Eigenfchaften Gottes bezeichneten,
fo würde die Öottergefchichte der Griechen eine
ganz andere Öeftalt erhalten haben, als jene ift,
welche fie durch die Verehrung, der Lichtkoͤrper
befam, die früher nur Symbole des Wrlichtes
waren.
Was die Verwandtfchaft der Oriechifehen My-
thologie und Mythengeſchichte mit der Aegyptiſchen
oder Phönicifchen anbelangt, fo ift diefelbe Feines:
wegs fo groß, wie einige gefeierte Gelehrte glau—
ben. ° Daß fich in den alten Mythologien manche
Aehnlichkeiten zeigen, wollen wir durchaus nicht in
Abrede ftellen. Wenn wir bedenfen, daß die mei-
fien, faft alle, urfprünglich von Sabäismus aus:
gingen, fo werden wir uns nicht wundern, daß, fo
xxV
eigenthuͤmlich fich auch die Götterlehren der einzel:
nen Völker vermöge der Eigenthümlichkeiten ihres
‚Sharafters und ihres Landes geftalteten, fie doch in
vielen Punkten einander berühren. Daraus folgt
aber noch Feineswegs, daß das eine Wolf feine Göt:
ter von dem andern angenommen habe, wenn fie
mit diefen Aehnlichkeit verrathen. Wer wird glaus
ben, def die alten Deurfchen die Iſis, den Hercules
und Ulnffes verehrten , wie die Römifchen Schrift:
ftellee melden? Auf welhem Wege hätte die Iſis
aus Aegypten, mit dem die Germanen nie in Be:
ruͤhrung fanden, zu ihnen gelangen follen? Gewiß
hat Eein Germane die Namen Iſis, Ulyſſes oder
Hercules unter die Namen feiner Götter gezählt.
Die Römer, welche Aehnlichkeit zwifchen der Iſis,
dem Hercules und Ulyſſes und Germanifchen Göt:
tern wahrzunehmen glaubten, befhräntten ſich nicht
auf eine Wergleichung derfelben oder auf die Ver:
zeichnung einzelner Merkmale, die fie vielleicht ge-
mein hatten, fondern fie erflärten fogleich die Ger:
manifchen Götter für diefelben Weſen. Soll es den
Griechen mit den Aegyptiſchen und Phoͤniciſchen
Göttern nicht eben fo ergangen ſeyn? Pallas und
Apollon mochten allerdings mit der Aegyptiſchen
Reith und mit Horus viele Züge gemein haben. Allein
welcher unbefangene Forfcher wird defhalb behaup⸗
ten, Pallas und Apollon feyen aus Aegypten nad)
Griechenland verpflanzt worden? Wir Fönnen un:
XXVI
möglich glauben, daß einzelne Stämme der Grie⸗
chen fo roh waren, daß fie nicht einmal Götter hat:
ten, fondern diefelben erft aus verfchiedenen Län:
dern berbeiholen mußten. Eine folde Annahme
widerfpricht aller Gefchichte. Steht ein Volk auch
noch fo tief, es hat doch einige Goͤtzen, denen es
Verehrung zollt, und nur die Öriechen follen hier:
von eine Ausnahme gemacht haben?
Noch) fonderbarer ift die Behauptung, die Grie—
chen hätten zwar Götter gehabt, allein die Namen,
welche diefelben fpäter befamen, hätten fie. von den
Phöniciern und Aegyptern entlehnt. Ein Volf,
das eine fo mannigfaltige Sagengefhichte ‚hat.
welche für Dichter und Künftler eine unerfchöpf-
liche Fundgrube zu den erhabenften Bildungen blieb,
ein Volf, das, wenn es fonft auch nichts Hinterlaf- '
fen hätte, uns fchon durch den Sagenreichthum von
feinen geiftigen WVorzügen und feiner dichterifchen
Schöpfungsfraft überzeugen würde, foll fo armfeli-
gen Geiftes-gewefen feyn, daß es nicht einmal feine
Götter benennen Eonnte, fondern die Namen für
diefelben aus der Fremde entlehnen mußte? Wie
geſchah es nun, wenn ſich diefes fo verhält, daß
diefe Aegyptiſchen und Phönicifhen Namen ein fo
acht Griechiſches Gepräge erhielten, und das Weſen
der einzelnen Griechifchen Götter fo genau. bezeich:
nen, daß, wenn wir die Wurzel derfelben in dem
XxxXyvIiI
Griechiſchen Sprahfchag gefunden haben, auch die
Grundlage zur Erklärung der einzelnen Mythen
immer gewonnen ift? Wie kam es, daß fich an
Aegyptiſche und Phönicifche Namen ein fo großer
Reichthum der fehönften Saaen über die Thaten
und Schickſale dev Götter anreihen Eonnte, wie wir
denfelben in Aegypten und Phönicien vergeblid)
fuchen ?
Würde man fich einmal über die Grundlage der
Aegyptiſchen, Phönicifchen und Griedifchen My—
thologien gehörig verftändigen, die ſaͤmmtlich auf
Sabiismus beruhen, und die Sagengejchichte dieſer
Völker einzeln und ausführlich behandeln, dann
dürfte man fich Überzeugen, daß die Öriechen weder
ihre Götter, noch die Namen derfelben von den
Phöniciern und Aegyptern erhielten, daß die Aehn—
lichkeit, welche manche ihrer Ödtter mit Aegyptiſchen
und Phönicifchen haben, fih aus dem einfachen
Umftande erkläre, daß die Mythologien der drei ge:
nannten Völker von Sabäismus ausgingen.
Zum Schluſſe müflen wir bemerfen, daß wir
den Namen des Neftor vielleicht ganz irrig auf:
gefaßt haben. Wenn fich derfelbe auf das Waſſer
bezog, wie wir vermutbeten, fo dürfte dieß feinen
Grund darin haben, daß Flüffe Symbol der Zeit
waren, und der Sonnengott deßhalb in vielen Sa:
XXVIII
gen nach Fluͤſſen benannt iſt. War nun ſein Name
Praͤdikat des Sonnengottes, ſo erklaͤren ſich die drei
Menſchenalter, welche er durchlebt, aus den Sagen
uͤber die drei Koͤrper der Hekate oder des Geryones,
und beziehen ſich auf die drei Theile des Monates,
wie die ſieben Menſchenalter, welche Teireſias auf
Erden wandelt, in den ſieben Tagen oder uͤberhaupt
in der dem Sonnengotte heiligen Siebenzahl ihren
Grund haben moͤchten. Sobald man die Sage
von ſeinem langen Leben buchſtaͤblich nahm, mußte
er als Greis geſchildert werden. Als Sonnengott
iſt er, wie Hermes, ein Muſter von Weisheit und
Klugheit, und wie Priamos oder Podarkes von
Laomedon (Hades) ſtammt, in ſo ferne ſich die
Sonne in der Frühe nach einer Sage aus dem Ha:
des erhebt, fo ift auch Neftor Sohn des Neleus.
Anfangs wollten wir diefem Theile eine Anti:
kritik beilegen; allein wir überzeugten uns, daß
diefelbe zwecklos wäre. Männer, welche fich felbft
mit den Quellen der Griechiſchen Gefhichte befchäf:
tigt haben, werden, wenn unfer Verfuch einiges
Gute enthält, dieß gewiß würdigen. Andere hin:
gegen, welche mythologifche Werke bloß recenfiren,
weil fie überhaupt das ganze Alterthum für einzelne
Blätter uͤbernehmen, werden wir auch durch Gegen:
kritiken nicht überzeugen, Liefert unfer Verſuch
nichts Brauchbares, fo foll der Zahn der Zeit nad)
XxxLX
Gebuͤhr mit ihm verfahren: uns bleibt aber ſelbſt
in dieſem Falle das Bewußtſeyn, nur nach Wahr⸗
heit geſtrebt und viele Zeit und Muͤhe auf die Auf—
hellung der Griechiſchen Mythengeſchichte in der
reinſten Abſicht verwendet zu haben. Doch Ultra
posse nemo tenetur, ſagt ein altes Spruͤchwort.
Nur drei Bemerkungen muͤſſen wir noch ma—⸗
chen. Der verehrte Recenſent, welcher unſere Vor;
balle in Gersdorf's Nepertorium anzeigte, und uns
fer Streben fo liebevoll würdigte, hält es für un⸗
möglih, daß die Altefte Griechiſche Poeſie, bejon-
ders die epifche, fich ausfchlieglich mit der Werherr:
lichung der alten fombolifchen Sagen befchäftigt und
nicht auch Vorfälle des gewöhnlichen Lebens befuns
gen haben ſoll. Wir Finnen zur Bekraͤftigung uns
ferer Behauptung die wichtige Ihatfache anführen,
daß auch Pifander und Panyafıs zur Heroenfage zu:
rückkehrten, und ſich nicht mit Ereigniffen ihrer
Zeit befaßten, da der Ölanz der alten fymbolifchen
Sagen fo groß und das Gepräge derfelben fo anz
ziehend war, daß fie alle wahrhaft dichterifchen
Geifter anziehen mußten. Wenn fich die fpätern
Dichter mit denfelben befchäftigten, warum foll dieß
nicht noch ungleich mehr bei den frühern der achaͤi⸗
fhen Zeit der Fall gewefen feyn? Daß Achilleus
und Menelaos in der alten Sage ihrem Weſen
nach von Apollon nicht verfchieden waren, erhellt
xXxX
auch daraus, daß Homeros den Agamemnon von
dem Peliden fagen läßt, immer feyen ihm Streit,
Kampf und Schlahten lieb, Menelaos aber faft
beftändig der Aresliebende heißt, wodurd er als
Kriegsgott und Verderber, wie Apollon, bezeichnet
wird, Die Vermuthung endlich), welche wir im
erften Theile der Worhalle über den Stein des
Tantalos oder Siſyphos ausgefprochen haben, wird
durch den Umftand zur Thatfache erhoben, daß das
Symbol des Sonnengottes zu Emefa, dem
Helivgabalus diente, ein ſchwarzer Eonifcher Stein
war. Aus diefer Erſcheinung dürfte fih auch ab-
nehmen laffen, welche Bedeutung urſpruͤnglich der
fhwarze Stein in der Eaaba hatte. Daß die fpd-
tern Araber diefelbe nicht mehr kannten, darf nicht
befremden. Auch diefer feheint Symbol der Sonne
gewefen zu feyn, da die Araber in der Urzeit ficher
Sabäismus hatten, wie andere heidnifche Wölfer
des Morgenlandes.
Straubing, den 25. Aug. 1858.
Der Verfaſſer.
J
|
|
|
Ä
. .
aa.
2 TR
47,
Zweiter Theil.
Inhalts -Verzeichniß
Die Ihierfpombolif . r d i $
Einfluß der Thierſymbolik auf den Sultus
Ueber die fnmbolifche Bedeutung einiger Baͤume
Die ſymboliſche Bedeutung des Tanzes
Die ſymboliſche Bedeutung der Kampffpiele
Veber den doppelten RE ENG des Sonnen-
gottes
Leber das Verhaͤltniß des Apolon zum Dionvfos
Ueber das feindliche Verhaͤltniß einiger Brüder
Leber den Streit des Lufurgos mit Dionyſos .
Leber den Kampf des Herakles mit Eurptos
Weber den Kampf der Hera mit Herakles
Ueber den Kampf der Yallas und Hera mit Po-
feidon Ä ; H ® : ;
Ueber die ſymboliſche eg vieler Kriege
lleber die Erfindung der ER durch
Hermes . x R R a
Ueber Atlas als Shmmelakräger 2 s 5
Andeutungen über die Moiren, Horen und Cha—
ritinen . 5 : 8 e
Andeutungen über die Nymphen
166
170
182
191
195
207
18.
XXXI
Leber die Freier der Penelopeia
Das Gefolge des Dionyſos .
Die Homerifchen Nethiopen _.
Sie Phaͤuftfenn
Die Hpperboreer . —
Die Amappnen » .
Die Kyklopen el $ e
Die Telhinen und Heliaden „
Die Kureten und Korpbanten
Die Idaͤiſchen Daktylen . ’
Seite
217
228
237
246
279
295
314 |
332 |
348
368
weiter Theil.
Ueber die mytbifche Bedeutung der griechischen
Sagengefchichte.
Erftes Capitel.
Die Thierfymbolik.
1, Bedeutung der verfchiedenen Thiere.
Di: Thiers Symbolil, welche zu den fchwierigften Gegens
ftanden der alten Mythologien gehört, müffen wir bier fchon
aus dem Grunde naher ins Auge faffen, weil ohne eine aus
führliche Beleuchtung derfelben alle Anfichten, die wir im letz—
ten Gapitel des erften Theiles ausfprachen, als willfürliche
und vielleicht auch tollfühne Hypotheſen erfcheinen müffen.
Bevor wir unfere Vermuthung über die Bedeutung mancher
Thiere in der griechifchen Sagengefhichte darlegen, wollen
wir zuerft die Anfichten von drei berühmten Gelehrten mit,
theilen. Hegel!) außert ſich hierüber alfo: „Das Thier hat
eine ftille Selbſtſtaͤndigkeit, Lebendigkeit, die fich nicht preis,
gibt, die dieg und jenes vornimmt; es hat zufällige, willfür;
liche Bewegung, es ift nicht zu verftehen, hat etwas Gehei-
mes in feinen Wirfungsmeifen, feinen Yeußerungen; es ift
lebendig, aber nicht verftändlic), wie der Menfch dem Men-
4) Hegel, Vorleſ. über die Philofoph, der Nelig. I. ©. 235 sq.
Vorhalle zur Griechifchen Geſchichte. U. 1
2
ſchen. Dieß Geheimnißvolle macht das Wunderbare für den
Menfhen aus, fo daß er die thierifche Lebendigkeit für höher
anfehen kann, als feine eigene.’
Man erficht aus diefer Erklärung, daß Hegel, fo fehr
er firebte, fich nicht Klar und beftimmt über diefen Gegenftand
ausfprechen Fonnte, weil er ihm felbft nicht Elar geworden zu
ſeyn ſcheint; fonft würde er mit wenigen Worten mehr ge-
fagt und die thierifche Lebendigkeit nicht höher angefchlagen
haben, als die menfchliche, Kein Volk hat urfprünglich Thiere
verehrt. Wenn die Götter der Griechen bisweilen in Thier-
geftalt erfcheinen, oder der menfhliche Körper einzelner Wes
fen durdy Theile von Thieren entftellt ift, fo hat es damit
eine ganz andere Bewandtniß. Auch Müller ®) vermuthet,
„daB die Bewohner Griechenlands ein göttliches Leben in |
den Thieren zu fehen glaubten.” „Das im Thiere ſich kund— N
gebende Leben, fagt Greuzer’), verbunden mit etwas Ge—
heimnißvollem feiner Natur, mußte dazu veranlaffen, daß
man es mit einer Art von Ehrfurcht betrachtete, von wo der
Schritt zur eigentlichen Verehrung nicht weit entfernt war.” |
Wollen wir die Thier-Symbolif der Griechen‘) ver⸗
ftehen, fo müffen wir auf die urfprünglicye Bedeutung der !
Griechifchen Götter, mit denen Thiere in Verbindung ftehen, !
zurücgehen, und fodann die Wirkfamfeit, welche man dens |
felben beilegte, näher beleuchten, Es ift befannt, daß die \
Griechen Sonne und Mond verehrten, daß fie wegen des
großen Einfluffes und der verfchiedenen Erfcheinungen, welche"
r
[3
N
2) Müller, Archaol. der Kunft, 2te Ausg. ©, 17.
3) Greuzer, Symbol. 3te Ausg. &. 29 fa.
a) Vorball. I. ©. 131 sqgq.
3
diefe Geftirne darbieten, denfelben eine Menge von Namen
gaben, welche fich theils auf ihre Schieffale, theils auf die
Neußerungen ihrer Wirkfamkeit, theils auf die Art der Vers
ehrung bezogen. Was war wohl natürlicher, als daß ein
Volt, welches fich größtentheils in der freien Natur aufs
hielt, die Eigenfchaften und Merkmale diefer götts
li verehrten Kichtförper durch Gegenftände
veranfhaulichte, welche mit ihm im der nachften Ver-
bindung ftanden, welche es täglich und faft ftündlich vor fich
fah? Heerden waren fein vorzüglichfter Reichthum, wie wir
zum Theil noch aus den Homeriſchen Gefangen abnehmen
Tonnen, Das einfachfte Symbol des Mondes, welcher von
einem Heere von Sternen umgeben ift, war der Pfau’),
der auf feinem Schweife einen ganzen Sternenhimmel trägt.
Er war deßhalb der Hera heilig, welche als Mondgöttin den
Mond an ihren Schubfchnabeln hat, und im bunten Reviere
der Sterne‘) wohnt. Als Mondgöttin heißt fie die gold-
thronende, und hat einen Wagen, der ganz von Gold und
Silber glänzt. Der Mond Hat fowohl beim Aufnehmen
als auch beim Abnehmen eine Geftalt, welche den gemundes
nen Hörnern eines Rindes gleicht. Wenigftens”) benützten die
5) Joh. Lyd. de mens. p.66. zai zeove ıyv Öpvıda Tols ie-
eois Hocc; ol Yucıxoi didoacıv, oloyei Tov doreow-
70y dEo@ 770, ovoayov. Die leßtere Bemerkung ift die rich:
tigere. ef. Ereuzer, II. ©. 564 ffg. Wo wir bei Greuzer
nicht befonders dritte Ausgabe hinzufügen, da find alle
Gitate nad) der zweiten gemacht,
6) Eurip. Helen. 1105. cf. Spanh. ad Callim. in Dian.
4164. 204.
7) Die Alten ſprechen ausdrüdlih vın den Hörnern der Luna.
1 *
4
Griechen der Urzeit diefe, um jene Form und Geftalt der
Luna zu veranfchaulichen, und fo ward, da die Griechen den
Mond als weibliches Princip betrachteten, die Kuh Symbol
des Mondes. Natürlich trennte man die Hörner nicht von
der Kuh, fondern das Thier‘), welches diefe Hörner hat, |
ward Symbol, obſchon feine Beziehung auf den Mond fih |
zunachft auf einen Heinen und unbedeutenden Theil feiner Ge |
ftalt beſchraͤnkte. |
Der Mond ift befrandig von einem Heere von Sternen
umgeben, welche bei der Bewegung der Erde bald hier, bald |
dort glänzen, und, wie der Mond, umherzuſchweifen fcheis
nen. Die Alten hielten fich viel haufiger in der Natur
auf , und faßten auch alle Vorgange am Himmel viel
ſchaͤrfer ins Auge, als dieß bei ung der Fall ift. Welch ein
paffenderes Bild Fonnten fie wohl finden, um die mit dem |
Monde da und dort umherziehenden Sterne zu verfinnlichen,
als eine Heerde, welde ihrem Hirten bald hierhin, bald
dorthin folgt? Sp nannte man alfo die Sterne fymbolifch |
Kinder, welche dem Sonnengotte gehören, der, nachdem er
in die Fluthen des Meeres binabgefahren ift, nicht bloß den
Mond, fondern auch die Sterne emporjendet, auf daß fie das
Dunkel der Nacht erhellen, Die Sterne begleiten den Mond |
regelmäßig, wie der Hund den Hirten. Man nannte deß⸗
halb das ganze Sternenheer, welches den Mond ſtets um»
gibt, den Hüter oder Begleiter ded Mondes oder der %o,
und wählte den Hund ald Symbol, der nicht von der Seite
des Hirten oder feines Herrn weicht. Aus diefer Worftel
t
——
8) Muͤller, Prolegom. S. 263.
5
lungsweife dürfte fi) abnehmen laffen, warum man auch
die Planeten’) Hunde der Mondgöttin (Perfephone oder He
Kate) nannte. Hermes, welcher den Mond oder die Perfe:
phone an den Himmel zurücführt ), iſt deßhalb auch von
diefem Hunde begleitet. jener Hund, deffen viele Augen
fi) auf die Menge der Sterne beziehen, heißt Argos, der
Weißſchimmernde, und zeichnet, ſich“) durch ungewöhnliche
Kraft und Schnelligkeit aus. Es ift befanut, daß ſich
nichts fchnelfer verbreitet, als das Licht, das in einer Se
cunde 70,000 Meilen zurüclegt.
Aus diefem Grunde beſitzt nicht bloß jener Argos Schnels
ligkeit, fondern wir fehen auch ein, warum der Hirfch, die
ſes fchnelle und flüchtige Thier, mit dem Monde in Bezier
hung gebracht, und zur Veranfchaulihung eines Merfmales
des Kichtes gebraucht ward. Diefe Behauptung koͤnnen wir
durch eine einfahe Sage zur völligen Gewißheit erheben.
Die berühmte Jägerin, Arge, welche eine Tochter des Zeus
und der Hera heißt °), wurde von der Sonne in eine Hin
din verwandelt, weil fie einem Hirfche, den fie verfolgte,
zugerufen hatte, fie wolle ihn einholen, und wenn er fo
fchnell, als die Sonne ware”). Die Schnelligkeit alfo,
womit Sonne und Mond nach allen Seiten Licht verbreiten,
und ihre Reife am unermeßlichen Himmel vollenden, ver
anfchaulichten die Griechen durch den Hirfch oder bei dem
9) Porphyr. vit. Pythag. p. 42. ed. Küst.
10) Welder, Seitfchrift für alte Kunft, I, 70 fg.
41) Hom. Odyss. XVII, 315.
42) Apollod. I, 3, 4.
45) Hyg. Fab. 205.
6
Monde durch die Hirſchkuh“). Daß die lange Dauer des
Lebens, welches dem Hirfche zugefchrieben wird >), Veran⸗
laffung gab, ihn mit Sonne und Mond in Verbindung zu
bringen, Tonnen wir nicht wohl glauben. Die Namen aller |
jener Göttinen, welche den Hirfch zur Seite haben, oder mit
den Geweihen desfelben gefhmüct find, waren urfprünglih
Praͤdikate der Mondgöttin, welche erft allmählich zu befons
dern Mefen umgebildet wurden.
Eine andere Eigenfchaft des Lichtes, welche ſchoni in der |
Urzeit Nomaden Völkern in die Augen fallen mußte, ift die
Schärfe, womit ed alles durchbringt. Als man fich fpäter
unter den vielen Pradikaten der Sonne, des Mondes und des
Morgenfternes befondere Wefen dachte, gab man ihnen Aus
gen von folcher Sehfraft, daß Helios felbft bis auf den Mee-
reögrund fchaut, und daß Lynkeus, einer der meffenifchen
Divsfuren *), fogar durch Steine, Eichen und die Erde fehen
kann. An vielen Orten trug der Sonnengott oder die Mond»
göttin das Pradifat OEvdeoung, und felbft der Heros Orylos |
bat, wie wir vermuthen, feine Entftehung einem Praͤdikate |
des Sonnengottes zu verdanken. Aus diefem Umftande er; |
Härt es fich, warum manden Greif, Adler und die Eule
mit der Sonne und dem Monde in Beziehung brachte. Sie |
dienten zur Verfinnlichung der eben bezeichneten Eigenthuͤm⸗ |
lichkeit des Lichtes, Der Greif, ein fharfiehendes Thier, *)
war auch in Indien der Sonne heilig“). Der Adler allein |
14) ef. Greuzer, I. ©. 180. 751.
45) Spanh. ad Callim. in Dian. 251.
16) Pind. Nem. X, 60. u. Thierfch, 1. c. 2. p. 418.
17) Creuzer, II. ©. 679. Not. 388. Eckhel, D. N. VII, 396.
18) Philostrat. vit. Ap. IV, 98.
N
|
|
|
7
erhebt fich in die höchften Lichtregionen, und fchaut mit feinem
fharfen Auge in das Feuer der Sonne, Die feurigen Augen
der Eule) find befannt. Daß die Alten auch den Mond
für lauteres Feuer hielten, und Pallas, mit der die Eule in
Verbindung ftcht, als fcharfichende Göttin verehrt wurde,
haben wir im erften Theile fchon angeführt.
Dunkel ift ed ung, welche Eigenthümlichkeit des Lichtes
der Geier bezeichnete. Apollon und Pallas”) nehmen die
Geftalt diefes Thieres an, und ſetzen ſich auf die heilige Buche
des Zeus, um dem Kampfe vor Troja zuzufchauen. Kreuzer
bemerft '), daß der Geier nad) der Volksfage von der Sons
nenwende an lahm war, und ſich in Klüften verbarg. Ob
diefer Umftand Veranlaffung gab, daß man ihn mit den
Kichtgöttern in Verbindung brachte, wollen wir nicht ent,
fcheiden.
Das Kicht ift das reinfte Element, weßhalb aud) Apols
Ion der reine Gott ift, und die Mondgöttin in fo vielen Sa—
gen als reine Göttin, als Zungfrau, gepriefen wird. Diefe
Eigenfchaft dürfte in der Urzeit der Schwan bezeichnet ha>
ben, welcher nicht bloß der heilige Vogel des Apollon und
Ares, fondern auch der Aphrodite ift”). Ueberall verbreis
tet die Sonne und der Mond Ordnung und Harmonie, ſo—
bald fie erſcheinen. Sie find (nad) den Vorftellungen der Als
ten) Urheber aller Gefeglichfeit, die Begründer des Heiles
und des Segens. Symbol diefer Wirkſamkeit dürfte die
19) Creuzer, I. ©, 731.
20) Hom. Il. VII, 53 sqq-
21) Creuzer, I. ©. 228 fg.
32) Ereuzer, II. ©, 616.
8
Biene?) feyn. So viel ift gewiß, daß der Mond felbft*)
Biene genannt wurde, und wir vermuthen, daß dieß aus kei⸗
nem andern Grunde gefchehen ſey. Die Biene betrachten
auch wir ald Symbol der Ordnung, und Öefeglichkeit herr
fchet in ihren Behältniffen. Aelianos *) fpricht auch von
ihrem Sinne für Wohllaut und Rhythmus, und nachdem er
fie in diefer Beziehung den Cicaden verglichen hat, führt er)
an, wie die Bienenväter Bienenfchwarme, die unftät umbers!
fliegen, durch rhythmiſchen und harmoniſchen Klang”) wies
der zurüczuführen pflegen. Auch von dem Muthe, wor
mit fich die Bienen vertheidigen, wußten die Alten viel zu
erzählen. Sie hegen Abfcheu gegen die Leichname, verweſen⸗
des Fleifch und Modergeruh. Zeus hat ihnen auch die Kraft
verliehen”), jedem Sturme zu trogen, auch) die VBorempfin-
dungen des Wetters und Hilfsmittel gegen dasfelbe.
Die Grille dürfte wegen ihrer muſikaliſchen Fertige
keit ?) ald Symbol der Sonne und des Mondes angefehen
worden feyn. Greuzer”) ift jedoch nicht abgeneigt, zu glaus
23) Daß man fie als Sinnbild der Zeugung betrachtete, koͤnnen
.f
wir nicht glauben. ef. Creuzer, II. ©. 183. IV. ©, 384
388. not. 124.
24) Porphyr. de antr. Nymph. ce. 18. Daß der Mond, defz
fen Wirkſamkeit fie verfinnlichte, dieſen Namen erhielt, iſt
natuͤrlich.
25) Hist> Anim. V, 13.
35) Die Mufik diente ja eben den Alten zur Veranſchaulichung
der Ordnung und Harmonie, welche das Licht allenthalben
begruͤndet. Deßhalb erfindet Hermes gleich nach ſeiner Ge⸗
burt die Lyra.
27) Creuzer, IV. ©. 568.
38) Plutarch. Sympos. VIII. p. 727. e.
29) Erenzer, IL. ©. 201 2q.
a
|
9
ben, daß man fie ald Bild der Mittagshige betrachtet has
ben mag, worin wir ihm nicht beipflidten. Wäre dieß der
Fall geweien, fo hätte man ficher ihre durchdringende
Stimme nid fo vielfach verherrlicht.
Der Hahn ift der Verfündiger des Tages oder der Ans
kunft der Sonne, und fteht deßhalb *) mit der Sonne in
Verbindung. Andere glauben, daß er fi) auf die Krieges
luft und den Ffriegerifchen Geift des Sonnengottes beziehe.
Er ift das Thier des Hermes, welcher die Sonne am Him—
mel emporführt. Sn fo ferne das Licht alles Dunkel zer:
ftreuet, ward der Sonnengott als Verfünder oder Enthüller
der Zufunft geehrt. Er und die Mondgoͤttin fchauen allein
durch den Schleier, welcher den Sterblichen die Zufunft ver
birgt. Dem Spechte, welcher nach den Vorftellungen der
Alten die Uenderung des Wetters verfündigt, ward deßhalb
auc Ahndung der Zukunft, ein Vorgefühl deffen, was kom⸗
men follte, beigelegt, und darum dürfte er als Prophet an:
gefehen und Symbol der Sonne geworden ſeyn. Ares oder
Mamers hatte in Stalin) in einem heiligen Haine ein
Orakel. Der Specht war fein Prophet. Diefer faß auf ei
ner hölzernen Stange, und weiffagte den Aboriginern, °)
Sobald die Sonne nach Verlauf des Winters zurüc-
kehrt, verjuͤngt fich die ganze Natur; überall blühen Bäume,
und die Erde Kleider fich wieder in ihren Teppich, Wie der
Hahn den Aufgang der Sonne oder den Anbruch des Tages
verfündet, fo meldet die Schwalbe oder der Kuffuf die An-
30) Greuger, II. ©. 753.
314) Greuzer, IV. ©, 429,
52) Dionys. Halic. Arch. R. ], 14.
10
funft des Frühlings oder die Rückkehr der Sonne, welche
Urfache desfelben iſt. Diefer Umftand dürfte die Alten ver
anlaßt haben, die Schwalbe und den Kukkuk als Syms
bol der Sonne anzuſehen. Die Sonne lodt alle Keime aus
der Erde. Ohne Kicht würde nichts gedeihen, Es iſt die
Urfache aller Fruchtbarkeit. Diefe Wahrnehmung wurde an
den einzelnen Orten Griechenlands durch verfchiedene Thiere
veranfchauliht. Wir nennen hier den Sperling, die
Taube, den Hafen, die Ziege und den Ziegenbod,
den Widder und den Stier. Die Fruchtbarkeit des
Sperlings und der Taube)’ bedarf Feiner weitern Erwaͤh⸗
nung. Der Hafe”) war Symbol der Superfödation und der
Bock das der thierifchen Brunft und Zeugungsluft ®), welche
auf die’zeugende Kraft des Lichtes hinweiſet. Aus diefer
Urfache fteht er mit Dionyfos in Verbindung. Nicht deß—
balb, weil der Bock den Reben fchadet, erhielt der Sieger im
ditkyrambifchen Wettftreit einen Bock, fondern weil diefes
Thier die Natur und Bedeutung des Gottes bezeichnete, Die,
felbe Bedeutung, wie der Bock, hatte an andern Orten der
Midder oder der Stier. Paufanias*) vermuther, der Mid;
33) Die Taube war von Alters her wegen ihrer Ueppigkeit
Symbol der Mondgöttin, d. h. im der Urzeit Symbol des
Mondes. Apollod. fragm. p. 396. ed. Heyn. Creuzer,
II. ©. 80,
34) Bon der Superfüdation des Hafen fprechen gar viele alte
Zeugniſſe. Man machte ihn fogar zu einem völligen Ans
drogyn, umd erzählte vieles, was fi auf diefe Eigenfchaft
des Thieres bezog. Herodot. III, 408. Xenoph. Cyneg.
V, 13. Aelian. Hist. Anim. II, 12. XIH, 12. und Schnei:
der 1. c. Greuzer, IH. ©, 4192.
35) Creuzer, III. ©, 557; IV. ©, 426 fg.
36) Pausan. II, 5, 4.
— — —
11
der fen dem Hermes heilig geweſen, weil dieſer Gott am mei—
ften die Heerden beachtete und fegnete, weßhalb auch Ho—
meros ”) den von Hermes innig geliebten Phorbas den Heer:
denbegüterten nenne. Allein hätte er die geheime Sage, welche
bei den Myfterien der Göttermutter von Hermes und dem
Widder erzählt wurde, angeführt, fo würden wir unfere Ver
muthung beftätigt fehen, daß fich der Widder auf die alles
bervorlocende und zum Grünen und Blühen bringende Kraft
der Sonne bezog.
Man fünnte uns hier einwenden, daß es nicht wahr,
fcheinlich fey, daß man diefelbe Eigenfchaft des Lichtes durch
verſchiedene Symbole bezeichnet habe. Dagegen haben
wir zu bemerfen, daß diefe verfchtedenen Thiere nicht immer
an einem und demfelben Orte gebraucht wurden, fondern an
verfchiedenen, und daß, wie die Urzeit den Auf und Unter;
gang der Sonne durch mancherlei Bilder ausdrüdte, fie
aud) die Zeugungsfraft des Lichtes durch verſchiedene Thiere
andeuten konnte. Es hindert nichts, daß man im der liby>
ſchen Wüfte den Widder, zu Dodona, Kreta, Elis und an
andern Orten den Stier wählte”). Als man fic) fpäter uns
ter jedem der vielen Pradifate, welche Sonne und Mond
trugen, ein befonderes Weſen dachte, fo mußte wegen diefer
Eigenfhaft des Kichtes ein großer MWiderfpruch in den Cha>
rafteren der Kichtgötter herportreten. Auf der einen Seite iſt
das Licht das reinfte Element, und natuͤrlich müffen auch
die Götter, welche Pradifaten desfelben ihre Entftehung zu
verdanken hatten, fich durch die größte Reinheit auszeichnen,
37) Il. XIV, 490.
58) Erenger, II. ©, 479.
12
wie dieß die Sagen von Pallas Athene und Artemis vor;
züglicy bezeugen. Auf der andern Seite ift das Licht die Urs
fache alles thierifchen Lebens und aller thierifchen Fruchtbar-
feit, und die Götter, deren Namen aus den Pradifaten des-
felben bervorgingen, mußten auch von diefer Seite bezeichnet
werden. Da man die fombolifche Ausdrucksweiſe der frühern
Zeit ganz buchftäblich auffaßte, fo entftanden dadurch große
Widerſpruͤche, welche die Sage durch verſchiedene Wendun-
gen auszugleichen fuchte. Hera ift ald Mondgottin Jung⸗
frau, aber fie ift auch Frau. Sie badet ſich alfo in dem ihr
heiligen Sluffe, wodurd) fie ihre vorige Eigenfchaft wieder ers
halt. So war auch die Verbindung der Pallas mit Hepha-
ftos oder Hermes urſpruͤnglich nicht anftößig, aber durd) die |
buchftabliche Auffaffung mußte fie es werden, und es ift be:
kannt, wie fein die Sage diefelbe zu verhülfen fuchte,
Wir müffen bier noch einige Thiere anführen, welche
ſich auf die Befchaffenheit des Lichtes bezogen, und ihre Be:
deutung näher in das Auge faffen. Der Löwe, der Bär,
der Wolf, das Pferd und die Schlange werden in
einer Menge von Sagen mit den Kichtgöttern verbunden.
Nichts ift ſtaͤrker als das Licht, welches alles überwältigt.
Sobald man den Sonnengott in menfchlicher Geftalt fich
dachte, erhielt derfelbe veßhalb entweder eine ungeheure Größe,
wie Tityos und Polyphemos, oder man bezeichnete feine
Kraft durch andere Merkmale. Unter den Thieren, welche '
die Griechen beobachten Fonnten, dürfte Feines gewefen fen, |
welches fich zur Verfinnlichung jener Eigenfchaft des Lichtes
mehr eignete, als der Lowe. Aus diefem Umftande dürfte
fih auch erklären, warum der Sonnengott Dionyfos, wel⸗
13
cher im Gigantenkriege es mit den furchtbarften und Fräftigs
ften Gegnern zu thun hatte, die Loͤweng eſtalt annimmt”),
und fie in derfelben bezwingt. Anders faßt Ereuzer dieſes
Symbol, ”) welcher bemerft: Man follte denfen, daß der
Loͤwe mit feinem heißen Blute das natürlichfte Attribut
der Königin der Natur war, die mit ihrer Feuerfraft alles
durchdringt, und alles, was lebt, bandigt.
Ob man das Pferd wegen feiner Kraft oder wegen ber
Schnelligkeit, wie den Hirfch, mit der Sonne und dem
Monde in Beziehung brachte, wollen wir nicht entfcheiden.
Es laßt ſich für die eine Annahme eben fo viel fagen, wie
für die andere. Welche Eigenthümlichkeit der Bar bezeich»
nete, ift fehr dunkel. Daß er der Urzeit zur Verfinnlichung
irgend eines Merfmals des Kichtes diente, geht ſchon daraus
hervor, daß Artemis felbft als Kallifto in Barengeftalt auf
tritt. Den Eber Fünnte man vielleicht als Symbol der ver-
nichtenden und zerftörenden Kraft des Kichtes, welche in fo
vielen Sagen durchſchimmert, angefehen haben. Für diefe
Vermuthung fpricht auch der Umftand, daß Artemis den Kas
lydoniſchen Eber defhalb ſchickte, weil fie Deneus zum Zorne
reizte. Auch dürfte der Umſtand dafür zeugen, daß die alten
Dichter auf die zerftorende Kraft der Zähne des Ebers fo gro-
Bes Gewicht legen). Noch häufiger, als der Eber, wird
der Wolf ald Symbol der Kichtgötter angeführt. Es ift bes
39) Horat. Od. II, 19, 24 sqgg.
40) Creuzer, II. ©. 51,
41) Ovid. Metam. I, 505 — nec vires fulminis apro, Crura
nec ablato prosunt velocia cervo. cf. Ovid. Met. XI,
550. Phädr. I, 24, 5. aper fulmineis dentibus ..
14
kannt, daß alle Zeit und Zeitrechnung durch den Lauf der
großen Lichter am Himmel bedingt wird, und man Fonnte
fi deßhalb der Vermuthung hingeben, daß er fich auf die
Zeitrechnung bezogen habe. Creuzer fagt ): Das Jahr
heißt Wolfsfurth, weil die Tage desfelben ruͤckwaͤrts anein-
ander bangen, fo wie die Wölfe, wenn fie über einen Fluß
ſchwimmen, einer den andern am Schweife faffen. Wolfe
bahn ift der altefte Name des Sonnenjahres in der riecht:
[hen Sprache )). Man fonnte auch an den Feuerblick
des Thieres denken *),. oder vermuthen, daß der Wolf, wie
ber Eber, ſich auf die zerftörende Natur des Sonnenlichtes‘”)
beziehe. Wie fich die Sache auch verhalten möge, fo viel ift
gewiß, daß der Wolf fchon in der Urzeit zur Verfinnlichung
einer Eigenthümlichfeit des Lichtes gebraucht wurde, wo—
für auch fchon der Name Lykos bürgt ®).
Auch die Schlange laßt fich von verfchiedenen Geſichts—
42) I. ©, 453 sq. not. 183.
45) Macrob. Saturnal. ], 17.
44) Plin. XI, 37, p. 619 ed. Hard. T. 1.
45) Greuzer, II. S. 153 not. 203 fagt: Weil namlich diefes
wilde, reißende Ihier gewöhnlich bei Nachtzeit feine Höhlen
zu verlaffen und auf Raub ausgehend, umbherzufchweifen, bei
Tagesanbruch hingegen wieder in feine Höhlen zurüdzugehen
pflegt, fo erkannten die Alten in ihm ein dem Orkus ver-
wandtes Thier, das nur bei nächtlihem Schatten aus jenem
den Sonnenftrahlen undurchdringlihen Dunkel fi der Ober:
welt nähert. Daher war es ihnen Symbol der Verfündi-
gung des Ueberganges aus der Oberwelt in die Unterwelt,
der. Bote der Ober: und Unterwelt, fie bezeichneten durch
dasfelbe fowohl das tägliche, als auh das jaͤhrliche
Erſcheinen und Schwinden des Lichtes,
46) Creuzer, II. ©, 133 sqgq. cf. IV. ©, 229.
15
punkten betrachten. Sie ijt ein liſtiges Thier, ein Hochft
verderbliches, und wer ſich an die Schlaufeit des Hermes
oder an das Unheil, das von des Phoͤbos Gefchoffen aus
geht, erinnert, möchte leicht glauben, dag man die eine oder
die andere Eigenfchaft damit habe veranfchaulichen wollen.
Wir glauben aber, daß zwei andere Beziehungen viel näher
liegen. Die Griechen verfinnlichten den Lauf der Zeit Durch
Slüffe, wie auch wir diefe Metapher gebraudhen, Das
Jahr ift ihnen’) ein großer Fluß. Wir vermuthen num,
daß die Schlange wegen ihrer Freisformigen Windungen
Symbol des in ftater Kreisbewegung umlaufenden Jahres ift.
Wir führen zur Betätigung diefer Vermuthung den wichtigen
Umftand an, daß jener Orphifche Phanes '’), der auch Kros
n08 heißt, Schlangengeftalt hat. Der Name Kronos bes
zieht fich offenbar auf den Fluß der Zeit, und warum follte
ihm die Sage Schlangengeftalt beigelegt haben, wenn die
Schlange nicht ebenfalls zur Verfinnlihung ihres Laufes
oder des Jahres gedient hatte? Zeus, der die Fahre voll-
endet, weßhalb fie Homeros des Zeus Jahre”) nennt,
ſchickt den Griechen einen großen Dradyen oder eine gewals
tige Schlange”), welche neun Sperlinge aufzehrt. Kal—
has, der die Bedeutung diefer Erfcheinung erflaren foll, ift
nicht verlegen, fondern fpricht fich fogleich dahin aus, daß
die Griechen neun Jahre (vergeblih) um Troja Fampfen,
47) Steuzer, II. ©, 135 sg. not. 183.
48) Athenag. leg. pro Chr. p. 162. ed. Lips. Hymn.
Orph, 5. Wolf, Anecd. graec. III. p. 252 sqq-
49) Hom. Il. II, 134.
50) I1. IT, 308 sqq.
16
daß fie erft im zehnten Jahre die Stadt erobern würden,
Mir glauben, daß diefe Sage deutlich genug beweiſet, daß
die Schlange auf das Jahr Bezug hatte. Da nun alle Zeit—
rechnung von dem Kreislaufe der zwei großen Lichtkoͤrper ab⸗
hängt, fo darf es uns nicht befremden, daß die alten Gries
chen?!) die Schlange als Symbol der Sonne und des Mon⸗
des betrachteten, im fo ferne diefe Geſtirne alle Zeit bes
gründen. u
Indeß wollen wir damit Feineswegs fagen, daß fie
nicht auch andere Eigenthümlichfeiten des Lichtes bezeichnet
haben koͤnne. Mir führen hier nur noch) eine an. Die
Sonne bringt Licht und Xeben. Der Sonnengott ward def>
halb auch ale Spender der Gefundheit und ale Heil
Fünftler verehrt. Die Schlange wirft ihre Haut ab”) und
verjüngt fih, wie die Sonne jeden Morgen in verjüngter
Schoͤnheit am Himmel erfcheint, und neues Leben verbreitet.
Deßhalb dürfen wir uns nicht wundern, daß die Schlange
auch zur Veranfchaulichung diefer Kraft des Kichtes dient,
und mit dem Sonnengotte als Heilgott in der innigften
Verbindung fteht. Schlangen finden Heilkräuter von wuns
derbarer Kraft), und die Schlange Agathodamon war der
Askleptaden erfte Lehrerin’). Asklepios felbft ift zu Epis
51) Eine andere Bedeutung hat fie im alten Teftament, wo
fie der Satan zu feinem Werkzeuge gebraudt. cf. Allioli
ad Genes. C. II. $. 1.
52) Greuger, IV. ©. 104. not.
53) Creuzer, II. ©. 409 sq.
54) Xanthos Lyd. in Creuzeri fragm. hist, gr. antiq.
p- 195 sqq.
17
dauros und an andern Orten in Schlangengeftalt verehrt
worden,
Noch müffen wir von dem Ketos oder Seeungeheuer
fprechen, weldyes in jo viclen Sagen die Mondgöttin
vertritt. Mir wiffen, daß die große fyrifche Göttin zum
Theil Fifhgeftalt hatte, und dürfen vermuthen, daß fie
urfprünglich ganz als Seethier, Seekrebs oder als ein aͤhn—
liches Wefen erfchien. Warum man aber die Mondgottin
fo darftellte, ift ung dunkel. Man koͤnnte vermuthen, daß
die Vorftellung, als tauche der Mond im Meere unter,
Veranlaffung dazu gab: Allein che wir diefe Erklärung in
Schus nahmen, würden wir der Vermuthung das Wort
reden, daß die ungewöhnliche Fruchtbarkeit der Fiſche oder
der Einfluß des Mondes auf die Krebje ald Urfache bes
trachtet werden dürfte. Da wir indeffen den eigentlichen
Grund nicht Fennen, fo halten wir es für beſſer, alle Hy⸗
pothefen zu vermeiden,
2, Abtuuft der Thiere, Eigenſchaften und Schickſale derfelden.
Wir haben in den bisherigen Erdrterungen zu zeigen vers
ſucht, daß die verfchiedenen Thiere, welche mit den Griechi—
ſchen Göttern in Verbindung ſtehen, Feineswegs, wie man
gewöhnlich annimmt, einzelne Eigenſchaften des
göttlihen Weſens, fondern die verfchiedenen
Merkmale, Wirfungen und Erfcheinungen der
Sonne und des Mondes verfinnlichten, welche
Lichtre die Griechen in der Urzeit als Götter verehrten, und mit
Vorhalle sur Griechiſchen Geſchichte. UI. 2
18
einer Mengevon Namen begrüßten, aus denen in ber Folge cine
große Anzahl von Göttern hervorging. Iſt diefe Vermu—
thung gegründet, fo müffen fich auch alle Sagen über die
Abftammung, die Eigenfchaften und Schicfale diefer Thiere aus
den Vorſtellungen erklären laffen, welche die Griechen von
Sonne und Mond hatten. Den Kretifchen Stier, das Sym:
bol der zeugenden Kraft der Sonne, ſchickte nach der Sage‘)
Pofeidon, weil ifn Minos, obfchon er das helleniſche Meer
beherrfchte, nicht mehr ehrte, als einen andern Gott. Auch
das Seeungeheuer, welches Herakles überwältigte, fendet Po-
feidon. Don diefem Gotte ftammt das wunderbare Roß
Arion’), welches den Herakles und noch den Adraſtos im -
Thebanifchen Kriege trug. Don Vofeidon wird aud jener
gefeierte Widder abgeleitet, welcher den Phrixos und die Helle
durch die Luft dahintrug.
Fragen wir um die Ürfache und Bedeutung diefer Sagen,
fo dürfen wir mur erinnern, daß nach den Anfichten der Ur⸗
zeit die Sonne und der Mond aus den Fluthen des Meeres
empor tauchen, und fich in den Fluthen desfelben verlieren,
daB man den Aufgang der Sonne und des Mondes ſymboliſch
durch die Geburt, den Untergang diefer Geftirne aber durch
den Tod bezeichnete. Wie alſo der Sonnengott in einer
Menge von Localfagen ald Sohn des Meergottes bezeichnet
wird, fo nennt der Mythos auch feine Symbole, den Widder,
das Pferd und dem Kretifchen Stier Abkoͤmmlinge des Pofeis
4) Pausan. I, 97, 9.
2) Pausan. VIII, 25, 5. cf, Greuger, U. 6,409. IV. ©. 74.
19
dom und läßt diefe Thiere aus den Wogen des Meeres empor
ſteigen ). In andern Mythen ſtammt der Stier von einer
Kuh, welche ein Strahl der Sonne‘) oder des Mons
des?) befruchtet. Wir fehen auch im dieſer Angabe unfere
Behauptung beftätigt, daß der Stier urſpruͤnglich zur Ber
zeichnung eines Merkmales des Kichtes diente,
Nemea heißt eine Tochter des Mondes, und auf gleiche
Meife wird auch der nemeifche Loͤwe eine Geburt der
Selene genannt‘). Die Mondgöttin ift nicht bloß die
Mutter, fondern auch die Erzieherin”) desfelben, Wie koͤnnte
ihn die Sage in diefe Verbindung bringen, wenn fein Wefen
mit dem Lichte in Feiner Beziehung geftanden hätte? Wenn
der Löwe in der Iydifhen Sage‘) Sprößling einer Magd
heißt, fo dürfen wir nicht überfehen, daß der Name derfelben
urfprünglich ein Pradifat der Mondgöttin war. Der Drache,
welcher in der Gefchichte des Kadmos eine fo wichtige Rolle
foielt, ift ein Sohn des Ares’), welcher als Sonne Licht
und Kraft vom Himmel auf die Erde herab träufelt '), und
der Erinnys, wie die Mondgottin als zuͤrnendes und frafen>
des Mefen hieß. Auf gleiche Weiſe deuten auch andere
Nachrichten über die Abkunft der den Göttern heiligen Thiere
5) Apollod. II, 4 $. 5. Hyg. 40. Creuzer, IV. ©, 87.
4) Ereuger, IV. ©, 15.
5) Plutarch. de Isid. p. 568. c.
6) Müller, Dor. I. ©, 422.
7) Schol. Pind. Nem. argum. p. 425 ed. Boͤckh.
8) Ereuger, IL ©. 2352.
9) Sehol. Sophoel. Antig. 117. Müller, Orchom. ©. 122.
40) Hymn. Hom. VII. v. 9. 10. Nicht bloß Kraft, fondern
auch Licht Fraufelt Ares auf die Erde herab,
2°
20
auf die Verwandtichaft derfelden und ihrer Natur mit ber
Beichaffenheit des Kichtes hin,
Betrachtenwirdie Eigenfchaften und Merkmale
diefer Thiere, fo überzeugen uns auch diefe von der Nichtig-
feit der Behauptung, dag die Griechifche Urzeit fie wählte,
um die verfchiedenen Eigenfchaften, Wirkungen und Erfcheis
nungen des Kichtes zu bezeichnen. Wir wollen hier zuvoͤrderſt
die Außern Merkmale ins Auge faffen. Die Kuh '), welcher
Kadmos folgt, trug auf jeder Seite ein weißes Zeichen
des Bollmondes. Der Widder des Thyeſtes hatte ein
goldenes Vließ. Auch jener, welcher den Phrixos trug,
ſtrahlte nach einer Sage von Gold, nad) einer andern von
Purpur. Beide Farben beziehen fih auf den Glanz des
Lichtes. Bei dem Aufgange, fo wie bei dem Untergange
gleicht die Farbe des Sonnenlichtes dem Purpur, wahrend
der übrigen Zeit des Tages hat es mehr Aehnlichkeit mit der
Farbe des Goldes. Die Farbe des Argos, der fich im Haufe
des Odyſſeus aufhält, ift blendend weiß, wie Schnee,
Diefer Hund fteht auch mit Herafles in Verbindung, der ihn,
wenn er die Sterne an den Himmelemporführt, aus dem Hades
holt. Aus diefem Umftande erklärt es fih, warum ein
Heiligtfum des Herakles in Athen Kynofargos”) hieß.
Der Kretifche Stier ift ebenfalls bDlendend weiß, und
Andert), was noch ungleich mehr fagt, die Farbe, wie
das Sonnenlicht fie andert, fo daß wir ung von feiner Ber
44) Paus. IX, 22, 4. Schol. Eurip. Phöniss. 644. Schol.
Aristoph. ran. 1225, Welder, Kretifhe Col. ©, 72 fe.
42) Paus, I, 19, 5 cf. Hom, Odyss. XT, 623 sqgq.
15) Creuzer, IV. ©. 105.
nn
— —— —
21
ziehung zur Sonne dadurch vollfommen überzeugen müffen,
Als ſich die Griechen in Aulis verfammelten, fchickte ihnen
Zeus einen purpurfihuppigen Drachen, deffen Rüden
ganzroth war"). Wie Eos wegen der Farbe der Morgenröthe
Rofenfinger hat, und ihr Vallaft mit Roſen beftreut ift, wie
Helios im Purpurmantel®) auf feinem Throne fit, fo hat
alfo auch diefer Drache ald Symbol des Sonnengottes die
Farbe des Sonnenlichtes. Ob ſolche Thiere in der Wirk:
lichfeit vorhanden waren oder nicht, darum Füms
merte man fid nicht. Sobald man diefelben einmal zur
Bezeichnung irgend einer Eigenthümlichkeit des Lichtes ge
wählt hatte, war es matürlih, daß man allmählig aud)
andere Merkmale desfelben auf fie übertrug, und ihnen
Vorzüge einraumte, welche fie von Natur nicht hatten.
Mir dürfen hier nicht verfchweigen, Daß der Drache,
welcher das goldene Vließ bewacht, ſchlaflos tft’), wie
die Mondgottin, welche zu einer Zeit, wo alles in tiefem
Schlummer vergraben liegt, allein mit dem Heere von
Sternen am Himmel dahinzieht, und daß der Marathonifche
Stier wohl nur deßhalb Feuer”) ausathmet, wie die
Sonnenroffe, weil man im der Urzeit die Sonne für laute
res Feuer hielt.
44) Hom. Il. II, 308. sqgq.
15) Ovid. Met. II, 23. ef. Fast. III, 518. Virgil, Aen. VI,
641.
16) Hätte fich uns der ganze Sagenreichthum der Griechen er:
halten, jo würden wir ung überzeugen, daß er auch eine der
ratur des Lichtes entfprechende Farbe hatte.
47) Virgil. Aen. VI, 20. Apollod. III, 45, 7. Greuger, IV.
©. 107.
22
Noch ungleich wichtiger find die innern Merkmale
diefer Thiere. Die Sonne begründet bei ihrem Erfcheinen
überall Ordnung und Harmonie. Deßhalb Hat der
Sonnengött die Lyra, und befißt die Gabe des Ge
ſanges. Nicht bloß bei ihrem Erfcheinen wurde die Sonne
mit Geſang und Freudenjubel begrüßt, fondern fie wurde
auch nach ihrem Untergange mit Klagegefängen betrauert,
weßhalb die Mufen beim Tode des Achilleus Trauerlieder
anftimmen. Den Schwan haben wir bereits als heiligen
Dogel des Apollon Tennen gelernt, und ihn auf die Rein:
heit des Lichtes bezogen, Sollen wir uns wundern, wenn
wir an den goldfarbigen Widder denken, daß man dem
Schwane die Gabe des Gefanges beilegte ®), und fi)
der Meinung hingab, daß er vor feinem Tode die fchönften
Gefange anftimme? Einige der Alten haben wohl einge:
fehen “), daß der Schwan diefe Eigenfchaft nicht beſitzt,
wenn ihnen auch die Urfache, warum man fie ihm beilegte,
unbefannt war; allein auffallend ift e8, wie man noch in
unfere Tagen glauben kann, dag es in nördlichen Gegens
den Schwäne gebe, welche fingen. Wir find überzeugt,
dag man vergeblich nad) ſolchen Schwänen fuchen und fie
auf der Erde wohl nicht finden wird.
Ein Drache foll zu Delphi Orakel ertheilt, alfo
die Zukunft enthüllt Haben, Die Pferde des Achilfeus ha-
18) Plat. Phaedr. p. 84. c. et Heindorf p- 129. Aelian. V.
H.I, 44. Lueret. III, 6. Virgil.Eelog. VIII, 55. IX, 129.
Ovid. Heroid. VII, 4. Martial. I, 54, 8. Cicer. Tus-
eul. I, 50, 73 et Davis. 1. c. Voß, Myth. Br. II, 98 ffg.
49) Aelian. Il. c. Plin. X, 23, 32.
23
—
ben nicht bloß die Gabe der Sprache, ſondern fogar pro;
phetifchen Geift. Wenn der Hauptballen der Argo
prophetifchen Geiſt befitst, weil alle Symbole der Licht,
götter von ihrer Natur durchdrungen find, fo darf es
uns nicht befremden, daß and) die Roſſe des Sonnengottes
und die Schlange, dieſes bezeichnende Symbol der Sonne
und des Mondes, den Schleier, der den Menfchen vor die
Zufunft gezogen ift, durchfchauen, wie die Goͤtter, welche
aus den Pradifaten der Sonne und des Mondes hervors
gingen, Aus diefen wenigen Erörterungen dürfte. ſich ab»
nehmen laffen, warum fo viele Vögel, wenn fie vom Oſten
famen, wo fich die Sonne erhebt, Glüd und Heil vers
fündigten, und warumman die Eingeweide ber Opfer:
thiere fo forgfältig unterjuchte, und auch aus der Bes
ſchaffenheit derfelben die Zukunft erforfchen wollte. Hätten
diefe Thiere mit den Kichtgöttern, denen allein die Zukunft be:
kannt ift, in feiner fo nahen Beziehung geftanden, jo würs
den wir von der Beobachtung des Vogelfluges und der
Eingeweide einzelner Thiere nichts leſen.
Die Schickſale, welche die den Kichtgottern geweihten
Thiere haben, liefern einen neuen Beweis für unfere Ber
bauptung, daß ſich diejelben urſpruͤnglich auf die Natur,
Wirfungen und Erfheinungen der Sonne und des Mondes
bezogen. Mir haben fchon erinnert, daß man das innige
Derhältnig, in welchem Sonne und Mond zu einander
fiehen, durch die Vermählung bezeichnete. Auf Kreta vers
bindet fih Zeus in Schlangengeftalt mit der Perfephone,
welche ebenfalls Schlangengeftalt hat, Pafiphae, die alles
erhelfende Mondgöttin, vermifcht ſich mit dem weißfchim-
24
mernden GStiere, Leto mit dem Zeus Ortyr”), Demeter
verbindet fich in Roffegeftalt mit Pofeidon, in fo ferne der
Mond im Meere verſchwindet, und taͤglich bei dem Ber
herrfcher desfelben zu verweilen fcheint.
Den Kreislauf der Sonne und des Mondes bezeichnete
das Alterthum durch die Wanderung oder in Bezug auf die
verfchiedene Stellung, welcheder Mondam Himmel einnimmt,
durchdie Irren. Mie die Götter, welche aus den Pradifaten
der Sonne und des Mondes hervorgingen, umher irren und
wandern, fo auch die Thiere, welche zur Bezeichnung der
Sonne und des Mondes dienten. Kadmos folgt einer wans
dernden Kuh. Ilos bauet fi) an, wo fich die Kuh legt *').
Triptolemos läßt fi da nieder, wo er die in Kubgeftalt -
irrende Fo fucht, Aeneas, wo die ihm vom Ida gefolgte
Kuh brüllt ?). Der Kretifche Stier irret, wie der Sonneu—
gott, auf Bergen umher, und die Züchter des Proͤtos*)
durchftreifen als wüthende Kühe, wie die von der Bremfe
geftachelte Kuh Fo, die. Öefilde von Argos. Ein Stier trägt
die Europa von Böotien, welches in vielen Sagen als Oft
grenze erfcheint, nach dem weftlichen Kreta. Latona*)
fommt als Wolfin von den Hyperboreern, und vollendet
ihren Weg in zwölf Tagen *). Auch die Hirſchkuh, welcher
20) Welder, Kret. Col. ©. 72. fig.
24) Apollod. III, 7. 3.
32) Con. Narrat. 46.
23) ef. Greuger, IV. ©. 97.
24) Greuzer, II. ©, 150.
25) Die zwölf Tage haben eine ſymboliſche Bedeutung. Wir
vermuthen, daß fich diefe Zahl urfprünglich auf die Monate
des Jahres bezog, Diefer Umſtand feheint den Wahn veran-
25
Heralles folgt, begibt fi) in das Land der Hyperboreer.
Die Sonnenrinder, welche Hermes in Vierten, im Merten,
entwendet, ſchweifen unftät umher, wie die Sterne am Him-
mel, und fommen nach Pylos oder in die Behaufung des
Hades und zur Asphodelos-Wieſe. Die Biene haben wir
ebenfalls als Symbol der Sonne und des Mondes bezeichs
net. Sie ward aud) Symbol der Mufen, welche wir als
Genien der Mondgottin Fennen lernen werden Mie die
Mendgöttin irret, fo zeigen auch die Mufen in Geftalt von
Bienen den Joniern von Attika's Küften den Weg nad)
Aſien “). Die fymbolifche Bedeutung der Wanderung diefer
Thiere tritt vorzüglich in der Sage von dem Widder des
Phrixos deutlich hervor, der ihn und feine Schwefter tragt,
durch die Luft und uͤber die Wafferebene leicht dahinſchreitend,
wie Hermes die Helena durch den Luftraum tragt, und dann
in die Behaufung des Proteus bringt.
Den Untergang der Sonne und des Mondes ber
zeichneten Die Griechen durch den Tod oder durch den Aufents
halt unter der Erde, welche Sonne und Mond verfchlingt,
oder durch das Verweilen im Meere, in welchem der Mond
zu verfchwinden fcheint. Sobald Odyffeus nah Haufe kommt,
Berliert Argos fein Leben, und Hermes, der, wenn er die
Sonne bringt, die Sterne vertreibt”), ift als Argostödter
laßt zu haben, daß der Wolf zwölf Tage und eben fo viele
Naͤchte in Geburtsnoth zubringe, Aclian. Hist. animal.
IV, a.
—— I, ©, 183.
27) Etwas anders ftellt Ovidius (Metam. II, A414) das Ver—
ihwinden der Sterne bei der Ankunft der Sonne dar: Diffu-
giunt stellac, quarum agmina cogit Lucifer, et coeli
statione novissimus abit.
26
vielfach gefeiert, Eine große Anzahl von Thieren, Loͤwen,
Schlangen, Ebern verliert durch Götter und Heroen, die aus
Pradifaten der Sonne hervorgingen, das Leben, in fo ferne
der Mond, auf defjen Befchaffenheit fich jene Thiere bezogen,
durch die Sonne verdrangt oder nad) der fombolifchen Aus-
drucksweiſe der Urzeit getödtet wird. An jenen Orten, welche
in der Nahe des Meeres liegen, fcheinen die Sterne und der
Mond im Waſſer unterzutauchen. Deßhalb verfenft Heras
kles einige von den Rindern des Geryones in die See”), Der
Gultus entfprach diefer Vorftellungsweife vollfommen, Wo
Perſephone mit Hades in die Unterwelt hinab geftiegen war,
da wurden von den Einwohnern Sieiliens jaͤhrlich Stiere
in das Meer verfenft. Die Dioskuren halten fich nad) einer
Sage abwechfelnd unter der Erde auf, Didipus und Amphiaraos
werden von der Erde verfchlungen, Wir vermuthen, daß
man in jenen Landern, welche nicht am Meere lagen, wo alfo
die Sonne am weftlichen Ende der Erde plöglich verfchwand, in
der Urzeit fagte, die Erde habe fie verfchlungen. Aus diefer
Vorftellungsmeife dürfte es fich erflären, warum die Epheben
von Nyſa ”) einen Stier in die charonifche Grube fchleppten.
Mie die Sonne in einer Erdhöhle verfinft, fo auch ihr
Symbol, der Stier, und der Eultus ftellte durch die Art
des Opfers die Sache jährlich dar.
25) Creuzer, IV. ©. 91.
29) Creuzer, IV. ©. 69.
50) Greuzer, IV. ©. 291, cf. IV, 64, 70,
27
5. Ueber das Auftreten der Götter in Thiergeftalten.
Wir haben bisher bemerkt, daß die Griechen in der
Urzeit durch die Thiere die verſchiedenen Eigenfchaften,
Kräfte. und Erfcheinungen des Lichtes verfinnlichten, und
daß fie deßhalb diefen Thieren auch alle Schickſale beileg-
ten, welde Sonne und Mond nad) ihrer Anfchauungsweife
hatten, Es war fehr natürlich, daß eine Zeit, welche die
Geftalt des zunehmenden Mondes durch die Hörner. der
Kuh oder die Schnelligkeit des Lichtes durch die Hindin
verfinnlichte, im ihrer Bilderfprache von den Seren oder
Wanderungen der Kuf, von dem Emportauchen des Stie—
res aus dem Meere oder von dem Tode des Molfes und
Ebers ſprach. Die Folge diefer bildlihen Aus
drudsweife war, daß, fobald man ſich unter den vielen
Namen, welche Sonne und Mond trugen, befondere We:
fen dachte, man diefe in Thiergeftalt auftreten ließ und zwar
immer in der Geftalt derjenigen Thiere, welche an diefem
oder jenem Orte zur Derfinnlichung der einzelnen Merkmale
und Wirkungen oder Erfcheinungen des KXichtes dienten.
Die Eleifhen Frauen riefen im Tempel des Dionyſos:
Komm’ heh'rer Stier, und unter den Namen, womit Hes
Fate angerufen ward, kommen die drei: Pferd, Stier und
Hund ausdrüdlic vor. Das Licht überwältigt alles, Dio—
uyfos war einer der vielen Namen, womit man die auf-
gehende Sonne begrüßte. Der Mythos laßt alfo nicht
einen Menfchen, fondern einen Löwen mit diefem Namen
im Oigantenfriege gegen diefe Ungeheuer anfampfen. Die
Schlange ift Symbol der Zeit und der Gefundheit und
28
Lebensfülle, welde das holde Licht fpendet‘). Der alte
Kronos oder Herakles, auch Protogonos und Phanes ges
nannt, tritt in Schlangengeftalt auf, und Zeus, der Vater
der Jahre”), verbindet ſich als Schlange mit der Schlange
Perfephone?). Asklepios verleihet als Schlange‘) Gefunds
heit. In diefer Geftalt wandert er von Epidauros nach
Sieyon’) und auch nach Rom’). Kadmos und Harmonia
verwandeln ſich in Schlangen oder fahren auf einem von
Schlangen gezogenen Wagen in die elyfeifchen Gefilde”).
Erechtheus oder Erichthontos liegt als Drade in einer
Kifte?), Die Kuh und der Stier werden an faft allen
Enden Griechenlands erwähnt, und es begegnen uns bald
Zeus und Dionyfos, bald Go, bald die Tochter des Proͤ—
tos in jenen Thiergeftalten. Yan tritt als Widder in
fchneeweißem DBließe?) auf, lockt die Selene in einen Wald,
und verbindet fich mit derfelben '). Artemis ift Wölfin‘‘),
der Arkadifche Lichtgott Wolf; auch Latona“) Fam als
Woͤlfin von den Hpperboreern nah Delos. Pallas ver-
1) Greuzer, II. ©. 505. h
2) U. II, 151. &vvea dj Beßcacı Aros ueydkov dviavıot.
3) Nonn. Dionys. V, 564. X, 294.
4) Die Schlange findet Heilfrauter, und heilt andere Schlan—
gen und Menfchen damit. ef. Greuzer, II. S. 409 fg.
5) Paus. II, 10, 3.
6) Ovid. Metam. XV, 62. Liv. X, 97. Val. Maxim. !, 8.
7) Pind. Pyth. III, 155 et Schel...
3) Welder, Trilog. ©. 284.
9) Creuzer, IV. ©, 50,
10) Virgil. Georg. II, 591 sqg. Macrob. Saturnal. V,22.
41) Ereuzer, IV. ©. 239.
12) Creuzer, Il. ©. 130.
— —
— — Te a VE
29
ſchwindet als ein Adler), fie iſt Taucherin“), und ſitzt
mit Apollon als Geier auf der heiligen Buche des Zeus").
Auch Zeus hat die Geftalt eines Geiers). Tithonos wird
eine Cicade ), welche wir bereits als Geſang liebendes Thier
und deßhalb als Symbol des Lichtes Fennen gelernt ha—
ben. Dionyfos wird als Ziegenbod) einer ihm drohen,
den Gefahr entzogen.
Wir haben fchon angeführt, daß man auf ein hier,
das irgend ein Merkmal des Lichtes bezeichnete, auch ans
dere Merkmale des Lichtes übertrug, welche diefem Thiere
urfpränglich fremd waren, ohne daß man fich angftlich
darum fümmerte, ob folde Thiere in der Wirklichkeit vor-
handen wären, Wir dürfen uns deßhalb nicht wundern,
daß diefes oder jenes Thier, welches Eine Eigenfchaft der
Sonne oder des Mondes bezeichnete, auch Theile von an-
dern Thieren erhielt, welche urfprünglich ebenfalls zur
Bezeichnung irgend einer andern Beichaffenheit der zwei
großen Kichtförper dienten, In diefe Glaffe von Thieren
gehört die Chimära "), welche göttlicher, nicht menschlicher
Art, und vorn ein Loͤwe, im der Mitte eine Ziege und
am Ende ein Drache war. Jedes dieſer drei Thiere
15) Greuger, I. ©, 674.
14) Creuzer, I. S. 717.
45) Hom. Il. VII, 58 sqg.
46) Clem. Homil. VI, 143.
17) Creuzer, IV. ©. 138.
18) Creuzer, III. ©. 101.
49) Hom. Il. VI, 179 sqq. Mach Heſiodos (Theog. 225.
504.) hat fie drei Haupter, das eines Löwen, eines Drachen
und einer Ziege. Die Bedeutung derfelben erklärt fich aus
den drei Köpfen der Hekate.
30
diente zur Bezeichnung irgend eines Merkmales des Lich—
tes. Den Löwen, das Symbol der Stärke und Kraft,
haben wir bereits ald Sohn der Mondgöttin, der Selene,
fennen gelernt; von Dionyfos, der ſich als Ziegenbod vet»
tete, haben wir fo eben gefprochen, und die Schlange oder
der Drache wurde gleichfalls ſchon oͤfter berührt, Hier
jehen wir Theile von drei Thieren verbunden, welche
drei verfchtedene Merkmale, die Kraft des Kichtes, die zen
gende und belebende Einwirkung desfelben auf die Außere
und thierifche Natur und die Begründung der Zeitabfchnitte
durch den Lauf des Mondes andeuten. Die Zahl drei
hat ihren Grund in den drei Mondphafen. Die Gage
hätte auch Theile von mehreren Thieren verbinden koͤnnen.
Aus der nämlichen Urfache treffen wir Drachen oder
Schlangen an, welche drei Köpfe haben, die fi) aus
einem Halſe emporheben. Wenn die Zahl der Köpfe auf
fieben oder fünfzig vergrößert wird, fo darf man nicht ver⸗
geffen, daß die Zahl fieben fi) auf die Tage der Woche,
die Zahl fünfzig auf die Wochen des Mond Sahres bezieht. Daß
man fpäter, wo man die Bedeutung dieſer Zahlen nicht
mehr kannte, dieſelben noch mehr vergrößerte, war natärz
Ih. Die Dreigeftalt treffen wir auch bei der Sphinr an.
Da die Geftaltung derfelben jedoch bereits der Webergangs-
Periode angehört, fo Tonnen wir fie hier nicht weiter bes
rühren. Wir wollen nur noch bemerken, daß, fo feltfam
auch ſolche vielgeftaltige Thiere erfcheinen, fie Doch immer
eine Eigenfchaft haben, welche uns über ihr Weſen und
ihre Bedeutung keinen Augenblid in Zweifel laßt. Die
Chimara ift göttlicher Natur, wie Homeros bemerkt, Mie
31
hätten die Oriechen einem Thiere, das gar nicht vorkommt,
einen folchen Vorzug einräumen koͤnnen, wenn dasfelbe ſich
nicht auf dem göttlich verehrten Mond bezogen hätte? Der
mittlere Kopf der Lernaͤiſchen Hydra ift aus demſelben
Grunde unfterblih, wie die Mondgöttin felbft, in fo ferne
der Mond, wenn er auc) täglich verfchwinder, fi) immer
wieder in neuer Pracht erhebt.
. Die Griechifhen Götter in Menfchengeftalt mit Theilen von
Thieren.
So groß auch die Rolle war, welche die Thiere aus
den angefuͤhrten Gruͤnden in der Griechiſchen Goͤtterlehre
in der Urzeit ſpielten, ſo kann man doch ſtrenge genom—
men nicht behaupten, daß man die Thiere urſpruͤnglich
verehrte; fie waren nur Sinnbilder der goͤttlich verehr—
ten zwei großen Lichter am Himmel, die mit einer Menge
von Namen begrüßt wurden. Allein ſobald man ſich un-
ter diefen Namen befondere MWefen dachte, war es aus
den fchon berührten Umftanden natürlih, daß diefelben im
verfchiebenen Thiergeftalten auftraten, welche ja unzertrenns
lich an jene Namen geknüpft waren. Indeß mußten diefe
Thiergeftalten bald der menſchlichen Plag machen.
Mer aber die Verhaltniffe der alten heidnifchen Voͤlker
Tennt, der wird uns zugeben, daß diefer Mebergang aus
der Thiergeftalt in die menfchliche nicht ploͤtzlich, fon
dern nur allmählig erfolgte. Wir werden demnach) fehen,
wie anfangs nur ein Fleiner Theil von der menſch—
lichen Geſtalt erfcheint, wie fich diefer immer weiter aus»
832
dehnt, und die Thiergeſtalt beſchraͤnkt, wie die Thiergeſtalt
endlich ganz verſchwindet, und die Götter in Menfchen-
geftalt erfcheinen, aber die Felle der Thiere noch) tragen,
welche ihr Wefen bezeichneten, wie auch diefe ſchwinden,
aber die Thiere als Gefpielen und Gefährten oder
ald Diener der Götter in ihrer Nahe und in Br Tems
pelbezirfen erfcheinen. |
Auf einer niedern Stufe fteht die Sphinx, bei der ſich
nur ein Maädchenhaupt zeigt. Gie hat den Leib einer
Hündin, Loͤwenklauen, einen Drachenfchweif und Flügel‘).
Allein nicht immer tritt fie fo auf, fondern in vielen ©a-
gen bat fie ungleich) mehr Aehnlichkeit mit dem Menfchen.
Sie wird haufig fo bezeichnet, daß fie bis unter die Bruft
eine Jungfrau ift, und nur die übrige Halfte aus Theilen
eines Löwen befteht. Auch Yan trägt nad) den alten Ar-
kadiſchen Sagen noch fo manche Beftandtheile von jenen
Thieren an fich, welche früher zur Bezeichnung feines Wes
feng dienten, Wir fehen ihn gehörnt, mit fpigen Ohren,
mit Schweif und Ziegenfüßen?), und werden uns dieſe
Geftalt wohl erklären, wenn wir uns erinnern, daß er
früher nicht bloß Widder war, wie er die Luna an ſich
lockt, fondern daß er fiherlih, wie Dionyfos, auch ale
4) Hesiod. Theog. 326. Schol. Eurip-. Phoeniss. 1748.
ef. Erenzer, II. €, 150, IH. €, 159, not. 402. Wäre die
Sphinx nicht aus einem Pradifate der Mondgottin entitan-
den, fo wäre es raͤthſelhaft, warum fie die Ephefier mit ih:
rer Artemis in fo innige Verbindung brachten, warum fie,
wie die Mondgöttin, Prophetin und Sängerin ift, Warum
fie mit Fadeln und der Lyra erſcheint.
2) Voß, Myth. Br. I, 15. Greuger, TI. ©, 255 sqgq-
33
Bock auftrat, fo daß er erft allmahlig Theile vom menſch—
lichen Körper befam, die vieles vom Ziegenbocke verdräng-
ten; aber noch lange wurde er durch manches Anhängfel
entftellt. Dionyfos ift Stier und Löwe, und felbft fpäter,
als die Menfchengeftalt gefiegt hatte, kam er noch mit
dem Stierfuße’) oder mit dem GStierfopfe vor, wie
aud) die Demeter den Noffefopf felbft dann noch lange
behielt, als fie Menfchengeftalt, wie andere Göttinen, er
halten hatte. Es fcheint, daß vorzüglich zwei Mege eins
geihlagen wurden, der menfchlichen Geftalt Geltung und
die ihr gebührenden Rechte zu verfchaffen; entweder wählte
man menfchliche Geftalt, und ließ fie mit Theilen von
Thieren enden, oder man fete ihr einen Xhierfopf auf,
oder wählte, wie dieß bei der Hekate der Fall war, Köpfe
von drei verfehledenen Thieren, die mit ihr in Beziehung
fanden, und deren Zahl fih auf die drei Mondphafen ber
zogen. Wenn wir erwägen, daß fie als Pferd, Stier und
Hund angerufen ward’), fo wird es uns nicht befremden,
wenn fie die Köpfe diefer Thiere trägt; eben fo wenig
kann es und auffallen, daß in andern Sagen Köpfe von
andern Thieren genannt werden, die ſich auf die Natur
des Mondes bezogen. Nicht bloß die Götter, fondern
auch ihre Genien, die früher, wie fie, Xhiergeftalt hate
ten, treten in diefen veränderten Geftalten auf. Beruͤck—
fihtigt man diefe Thatfache, fo wird man fi) die Sagen
über das Gefolge des Dionyfos, befonders über die Sa—
tyren, vollfommen erklären koͤnnen. Se mehr die Griechen
5) Welder, Nachtr. S. 190.
4) Porphyr. de abstin. IV. p. 352. Greuger, IV. ©. 195.
* Vorhalle zur Griechiſchen Geſchichte. II. 3
34
an Bildung gewannen, defto mehr mußten auch die Theile
von Thieren, womit die Götter entftellt waren, in den
Hintergrund treten, jo daß ſich nur einzelne Andeutungen
bei einigen Odttern auf die fpatere Zeit vererbten. Jo ift
als Dienerin der Hera, von der fie urfprünglich nicht ver-
hieden war, Kuh, und Müller hat richtig bemerkt, daß
auch Hera in der Urzeit diefelbe Geftalt hatte. Bei Ho-
meros werden nur mehr die Kuhr Augen erwähnt, und
felbft die Bedeutung diefer Augen hatte man längft ver-
gefien. Wenn wir berücfichtigen, welches Gewicht diefer
Sänger auf die furchtbaren Augen der Pallas legt’), an
denen fie Achilleus fogleich erkennt, fo möchten wir vers
muthen, daß auch dieſe ſich aus der alten TIhier-Symbolif
erflären dürften. Wie viele Decennien mußten vergehen,
bis aus der Tuhgeftaltigen Hera die Homeriſche her:
vorging!
Allein felbft in der heroifchen Zeit, wo die Götter in
der menschlichen Öeftalt auftreten), Tonnten ſich die Thier-
Symbole bei der nahen Beziehung, weldye die einzelnen
Thiere zu den Goͤttern hatten, nicht ganz verlieren; es
mußten fi viele Spuren erhalten, die deutlich an die gro
Sen Geftirne erinnern, aus deren Pradifaten fie hervor:
gingen. Die Götter und Heroen, die Pradifaten der
Sonne und des Mondes ihre Entſtehung zu verdanken
batten, hüllen fich in die Felle der Thiere, und als felbft
diefe der menfchlichen Kleidung Plag machen mußten,
5) Hom. Il. I, 200.
5) Nicht felten nehmen fie TIhiergeftalten au, und überzeu-
gen ung dadurch, wie feſt diefelben an fie gefnüpft waren.
35
wurden wenigftens ihre Attribute mit den Thieren ges
ſchmuͤckt, welche chedem zur Bezeichnung der Natur ber
Götter dienten. Pan umgürtet fih mit dem gelblichen
Mliege?) des Luchſes. Das goldene Vließ‘), welches in
dem Haine des Ares hängt, gehörte natürlich zum Schmude
des Gottes, der fich mit demfelben Xleidete, wie Pan oder
Hermes. Die Löwenhaut, in welcher Herakles einhergeht,
ward ihm nicht erft in der fpatern Zeit beigelegt, fondern
er trug fie fchon im der Urzeit, wie Pan das Fell des
Luchſes. In der beroifchen Zeit gab man ihm die ges
wöhnliche Kleidung, bis endlich die fpätern Epiker wieder
zu denjenigen Attributen zurücfehrten, die er im uralten
Sagen hatte. Sicherlich war auch er ehedem Loͤwe, wie
Dionyſos. Diefe Vermuthung wird wenigftens durch den
Iydiihen Sagenfreis zu großer Wahrfcheinlichfeit erhoben.
Men wir uns an die Sage erinnern’), daß die
Neroler um den Kopf und das Fell eines Eberd mit den
Kureten Fampften, fo wird es nach diefen Bemerkungen
nicht zu Fühn feyn, zu vermuthen, daß Artemis dasfelbe
trug, nachdem fie im Aetolien die Geftalt des Ebers abs
gelegt hatte. Die Schlangen, welche die Bacchantinen in
ihren Haaren haben’), weifen nicht bloß auf die Schlan-
gengeftalt des Sonnengottes hin, fondern fie dürften auch
unfere Anficht beftätigen, dag die Genien der einzelnen
Götter alle Eigenfchaften und Schickſale mit den mythis
7) Hymn. Hom. XIX, 25.
8) Pind. Pyth. IV, 241. Schol. 428.
9) Hom. 11. IX, 550 sggq-
10) Horat. Od. II, 419, 18 sqq.
36
ſchen Perfonen gemein hatten, deren Mefen fie verfinnlich-
ten. Die drei Medufen haben ebenfalld Schlangen in den
Haaren, während fie in der Urzeit ohne Zweifel, wie. die
Kora und andere Goͤttinen, in Schlangengeftalt erfchienen.
Endlich verfchwanden alle Theile von Thieren bei der
Abbildung der Götter und ihrer Dienerinen, fo daß die
menſchliche Geſtalt durch nichts ihr Fremdartiges mehr
entftellt ward, Dagegen wurden die Symbole und Attri⸗
bute, welche fie trugen, mit Thieren geſchmuͤckt, die ehe—
dem zur Bezeichnung ihres Weſens dienten, Tydeus trägt
auf feinem Schilde den Kopf eines Ebers, Polyneikes ei-
nen Löwen. Menn wir uns erinnern, daß die Pallas
das Haupt der Gorgo, das Symbol des Vollmondes, auf
ihrem Schilde führt, fo wird es uns nicht befremden, daß
die zwei genannten Heroen ebenfalls Thiere auf ihren
Schilden haben, die ſich urſpruͤnglich auf ihre Natur be-
zogen, und wir werden uns nicht zu der Annahme vers
leiten laffen, als hätten diefelben Feine Bedeutung, als
ſeyen fie nur Sache des Zufalles oder des Friegerifchen
Geiftes, der die heroifhe Zeit auszeichnete. Eines von
den Pallasbildern auf der Burg von Athen‘) hatte an
den Seiten des Helmes zwei Greife. Wie Pallas fi
in der Geftalt eines Geier auf die heilige Buche des
Zeus fegt, fo dürfte fie im der Urzeit auch als Greif er⸗
fhienen feyn. Die Krone der Nemefis ift mit Hirſch—
geweihen gefchmüct. Die Stäbe des Asklepios waren
mit Schlangen ummwunden; in den alten Sagen hat der
44) Creuzer, II. €. 674, not. 388.
37
Gott felbft Schlangengeftalt. Auch bei Hermes“) und
Trophonios findet fi) das Schlangen - Attribut. In der
Höhle des Xrophonios zu Lebadeia *) waren aufrecht»
fiehende Bildfaulen mit Stäben, um welche Schlangen ge
wunden waren. Auf dem Schilde des Agamemnon“), der
urfprünglicdy mit "der Aegis gleiche Bedeutung hatte, ers
bliden wir einen blaulihen*) Drachen mit drei Kb;
pfen, welche fih aus einem Halſe hervorminden. uch
Menelaos“) hatte einen ſolchen Drachen auf feinem Schilde.
Der Drache auf jenem des Herakles ift vielfach befungen
worden, Auf dem Schilde des Idomeneus ift ein anderes
Symbol des Sonnengottes, namlich) der Hahn. Auch die
Vergleihung einzelner Herven, die früher Götter was
ren, mit Thieren dürfte auf ihre frühere Natur hinmei-
fen, und ſich einzig aus derfelben erklären laffen. Home—
108 7) vergleicht den Odyſſeus mit einem Widder. Unter
einem Midder rettet fih der Sohn des Laértes aus der
Grotte des Polyphemos, und wie in andern Sagen Her:
mes den Midder trägt, fo wird hier Odyſſeus, wie Helle
und Phrivos, von dem Midder getragen. Wie getreulich
fteht in der ganzen Odyſſee Hermes dem Odyſſeus zur
Seite! Seine Gemahlin Penelopeia ift Mutter des Pan,
ja Ddyffeus felbit wird als der Water diefes Gottes bes
42) Creuzer, II. &. 620.
45) Paus. IX, 39, $. 2.
14) Hom. 11. XI, 38 sqg.
45) Die Farbe dürfte fih auf jene des Himmelsgewoͤlbes be-
ziehen, an dem die Sonne erfcheint.
16) Paus. X, 26, 3.
17) Hom. Il. III, 197.
38
zeichnet, welchen andere einen Sohn des Hermes nennen.
Menn nun Yan, fein Sohn, in MWiddergeftalt auftritt,
wenn den Odyſſeus der Widder aus der Höhle des Po-
Inphemos trägt, fo wird ficherlich auch die Vergleichung
des Laertiaden mit einem dicfwolligen Widder nicht als
Sache des Zufalls angefehen werden dürfen. Golf die
Vergleihung ded Agamemnon mit einem Stiere”) nicht
in den Sagen von der Geftalt des Minotaurog oder des
Dionyfos, welden die Eleifhen Frauen‘) als Stier an:
riefen, ihre befriedigendfte Erklärung finden? Soll die Bes
merfung des Sängers, Klytaimneſtra und Aigifthos hätten
den Atriden erfchlagen, wie einen Gtier am der Krippe,
nicht in der GStiergeftalt des Sonnengottes ihren Grund
haben?
Zweites Capitel.
Einfluß der Chier- Symbolik auf den Eultus,
4. Ueber die Thiere, welche für die Götter an den einzelnen Orten
unterhalten wurden,
Nichts fpricht für die urfprüngliche Bedeutung der
Griechiſchen Götter fo deutlich, als der Eultus. Wir kin,
nen bier nicht auf eine allfeitige Beleuchtung desfelben eins
gehen, fondern müffen uns darauf beſchraͤnken, einige
Winke und DVermuthungen mitzutheilen, welche zur Be:
48) Hom. Il. II, 980.
19) Welder, Nachtr. zur Trilog. ©. 190.
39
gründung unferer Anfichten dienen, Allmahlig fagten ſich
die Griechifchen Götter nicht bloß von der Thiergeftalt
lo8, fondern fie zogen auch die Thierfelle aus. Allein die
Thiere ftanden mit den Göttern in zu naher Beziehung,
als daß man diefelben gänzlich hätte von ihnen trennen
koͤnnen. Sie wurden num ald Gefährten und Diener mit
ihnen in Verbindung gebracht, und an den Orten gehal-
ten, welche den Göttern geweiht waren. Wir dürfen nur
die Sagen von den Grotten der Kirfe und Kalypfo vers
gleichen, und alle jene Thiere berücfichtigen, welche wir
in denfelben antreffen, um uns von der Richtigfeit der
aufgeftellten Behauptung zu überzeugen. Auch Artemis ')
ift von vielen Thieren umgeben, welche ſich urfprünglid)
auf ihre Natur bezogen, oder fie halt Schlangen im der
Hand. Aus diefem Umftande dürfte ſich auch ergeben,
warum das Gemady der Alfeftis mit Schlangen angefüllt
ift, oder warum Atreus einen goldenen Widder in feinem
Haufe hat’). Die große Anzahl von Kammern, welche bei
Thyeftes?) erwahnt wird, dürfte urfprünglih zu ihm in
der nämlichen Beziehung geftanden haben, im welcher die
Sonnenrinder oder Sterne zu Hermes fanden, Hermes
trägt den Widder“) unter dem Arme oder auf der Schulter.
4) Auf dem Kaften des Kypſelos leitete Artemis an der einen
Hand einen Pardel, an der andern einen Löwen, Pausan.
V, 19, 41. Creuzer, II. ©, 179.
2) Athen. VE. p. 251. c. Schol. Hom. Il. II, 107.
3) Hom. Il. II, 106.
a) Hermes hatte (Paus. IX, 22, 2) zu Tanagra einen Tem-
pel als Kriophoros. Die Einwohner erzählten, daß er eine
Peſtkrankheit entfernt babe, indem er auf den Schultern
40
Die Orte, an denen die einzelnen Götter verehrt wur;
den, Fonnten natürlich bei der innigen Verbindung, in wels
cher die Thiere zu ihnen ftanden, dieſe nicht entfernen,
fondern mußten ihnen theild im Tempel felbft, theils im
Tempelbezirfe eine Stelle anmweifen. Dallas hat den Dra-
chen zu ihren Füßen‘). Das Bild der Artemis erfcheint
zumeilen mit zwei Hirfchen zur Seite‘). Dem Sonnens
gotte wurden an verfchiedenen Orten ſchoͤne Rinder gehals
ten. In Nemea, auch in Argos, hielt man der Hera hei:
lige Kühe”), im ZXempelbezirfe zu Samos nülste man ihr
Dfauen?).
Wie die Götter in den alten Sagen felbft ald Thiere
auftreten, fpäter auf den ihnen heiligen Thieren ihre Fahrt
durch den Luftraum machen, fo erfcheinen die Thiere in
den Sagen der heroifchen Zeit häufig vor den Wagen,
auf welchen die Goͤtter fahren, oder fie werden als ihre Öefpielen
und Diener gepriefen. Den Wagen des Kadmos und der
Harmonia, der Demeter und anderer Götter ziehen Dra>
hen, jenen der Aphrodite und des Apollon Schwäne, den
der Hera Pfauen. In vielen Sagen erfcheinen Bienen
oder Tauben, die urfprünglich auf die Wirkungen des Son-
einen Widder um die Mauern frug. ef. Paus. IV, 33, 5
V, 27,5. Herakles, Thefeus und Tantalos waren dysovyo:.
Schol. Arat. 74. p. 59. Bekk.
5) Creuzer, II. ©, 727. Noch zur Zeit der Perferkriege wurde
diefe Echlange unterhalten, und alle Monate mit Honig-
Fuchen gefüttert. Herodot. VIII, 41
6) Creuzer, II. ©, 180.
7) Muller, Dor, I. ©. 442,
8) Antiph. ap. Athen. XIV. p. 655. - Ereuzer, II. ©. 565.
41
nenlichtes hinwieſen, als Ernährerinnen des Zeus, den nach
einer andern Angabe’) eine Ziege groß zog. So fonder:
bar diefe Sage beim erften Anblick ıft, fo bedeutungsvoll
wird fie, wenn man bedenkt, daß des Zeus Sohn Diony—
ſos felbft als Ziegenbocd auftrat. Andere - Götter werden
von andern Thieren genaͤhrt oder befchirmt, welche urfprüng-
lich zur Bezeichnung ihres Weſens dienten.
2. Dpfer und Weihgefchente,
Faßt man die fombolifhe Bedeutung der Thiere rich
tig auf, fo wird man auch einfehen, warum diefem Gotte
der Midder, einen andern aber andere Thiere geopfert
wurden. Die einzelnen Gebräuche, welche bei den Opfern
beobachtet wurden, koͤnnen nicht forgfaltig genug in das
Auge gefaßt werden, Wir wollen diefe Behauptung durd)
ein Beifpiel näher erläutern. Der Hekate brachte man
auf Dreiwegen Opfer‘), welde aus Eiern, geringen
Fiſchen und Hunden beftanden. Man entrichtete fie ihr
in jedem Monate an jenem Tage, wo der Mond bei
Sonnenaufgang unterging?). Wir haben fhon ers
innert, daß die Hefate wegen der drei Mondphafen mit
drei Körpern oder mit drei Köpfen abgebildet wurde, Aus
diefem Umftande dürfte fih von felbjt ergeben, warum
man ihr auf Dreimegen opferte. Die Eier, welche man
9) Eckhel, N. Anecd. p. 118.
4) Lucian. D. M. 4. Athen. VII. p. 313. b.
2) Schol. Theoerit. II, 42. Athen, VII. p. 325. a. XIV.
p- 645. a,
42
ihr weihte, dürften in jenem großen Ei, aus welchem He
lena und die Diosfuren hervorgingen, ihre Erklärung fin
den. Wer erwägt, wie gefeiert das Ei der Leda wegen
feiner fombolifchen Bedeutung war, wird unfere Vermu—
thung nicht für unmahrfcheinlich halten. Die Fifche wei-
fen auf die Geftalt der fyrifchen Göttin, auf das Ketos,
hin. Die Hunde, weldye ihr dargebracht wurden, Tonnen
am wenigften befremden. Es ift befannt, daß die Pytha⸗
goreer die Planeten Hunde der Perfephone’) nannten, und
daß man den Argos, den Hüter des Mondes, vom Him⸗
mel auf die Erde verfeßte. Wie der Hund dort mit dem
Monde in Verbindung fteht, fo wurde er mit der Mond»
göttin auch im Cultus verbunden, und ihr geopfert.
Die Zeit, zu welcher der Hefate die Opfer dargebracht
wurden, ift höchft bedeutungsvoll. Es gefchah dieß an
jenem Tage, an weldhem der Mond bei Sonnenaufgang
unterging. Wir haben ſchon bemerft, daß man in der
Urzeit den Untergang der Sonne und des Mondes durch
den Tod verfinnlichte, und daß die Thiere, welche fich
aufdie Befhaffenheit Diefer Lichter bezogen, aus diefem Grunde
theild in's Meer verfenft, theils in Gruben 9%
ftürgt, theilsg getödtet werden, wie Herakles den Loͤ—
wen, die Hydra, Bellerophon die Chimära tödtet. Sollte
wohl die Vermuthung, daß das Schlachten und Verbrens
nen der den einzelnen Göttern heiligen Thiere den Tod
3) Perfephone war nur dem Namen, nicht dem Wefen nad
von der Hefate verfchieden. Wer an der Bermandtfchaft bei-
der Göttinen zweifelt, der darf nur den Homerifchen Hpm-
nos an Demeter mit Unbefangenheit lefen,
43
oder Untergang der Sonne und des Mondes in
der Urzeit fombolifch bezeichnete, zu Fühn genannt werden
dürfen? Warum follte der Cultus das nicht nachbilden,
was in fo vielen Sagen der Sonnengott in Bezug auf
die Mondgöttin, die Mondgöttin in Bezug auf den Sons
nengott thut? Wahrjcheinlih wurden im der Urzeit die
Thiere ganz verbrannt. Daß man fpäter bloß die Schen—
felfnochen mit der Fetthaut umwidelte, erficht man jchon
aus den Homerifhen Gefangen. Das Verbrennen derfel-
ben möchte in den Sagen über das Verbrennen des He:
rafles, welches den Feuertod der Sonne ausdrüdt, feine
Erklärung finden. Wie aljo das Toͤdten der Thiere nach
unferer Vermuthung auf den Tod oder Untergang der
Sonne und des Mondes hinmweifet, fo dürfte das Ver—
brennen die Art desfelben in der Urzeit bezeichnet ba;
ben. Auch die Keichname wurden aus Feiner andern Ur-
fache verbrannt, als weil der Sonnengott ſelbſt nach der
bildlihen Ausdrudsweife im euer feinen Tod fand,
Der Pallas) und der Hera wurden Kühe geopfert.
Warum foll die Kuh, welche wandert, weil fie unaufhörlich
von der Bremfe geftachelt wird, nicht als Opfer fallen,
und auch diefes Schickſal mit der Mondgoͤttin theilen? Sm
Eultus des Dionyfos haben wir den Bol, in jenem des
Hermes und Velops den Widder. An jenen Orten, wo
vorzugsweife der Untergang der Sonne gefeiert wurde,
wählte man DOpferthiere von fchwarzer Farbe, wie man
dem Pelops ın Olympia einen ſchwarzen Widder fchlachtete.
4) Hom. Il. XI. 728.
44
Hier müffen wir auh die Menfhenopfer in
Kürze berühren. Die Götter zogen, wie fchon oft bemerkt
wurde, die Thiergeftalt allmaͤhlig aus, und nahmen die
menfchlihe an. Dionyfos wird als Sonnengott von den
Titanen zerriffen, Agamemnon erfchlagen, Deionens in
eine Grube mit glühenden Kohlen geftürzt. Wie der
Sonnengott nad) der ſymboliſchen Ausdrucksweiſe getödtet
wurde, fo fcheint man diefen feinen Tod auch im Cultus
dur) die Toͤdtung oder das Verſenken von Menfchen
nachgebildet zu haben. Wir Tonnen nicht glauben, daß
die Menfchenopfer, welche in der Urzeit fo haufig waren,
bloß in der Rohheit der Griechen ihren Grund gehabt ha>
ben, fondern hegen die Weberzeugung, daß bei der mimi-
{hen Beichaffenheit des Griechiſchen Cultus wohl eine an»
dere Sache diefelben veranlaßt haben dürfte, wenn auch
die aufgeftellte Behauptung nicht richtig ſeyn follte.
Wie die Opfer, fo hatten auch die Weihgeſchenke
eine große Bedeutung, und bezogen fich auf die Natur
der Götter. Bei Apollon treffen wir den Wolf an; Erd-
fus ftiftete?) nach Ephefos goldene Kühe, weil die Kuh
Symbol der Mondgöttin war.
3. Einfluß der Thierſymbolik auf die Priefter,
Da die Thiere in der Urzeit mit dem zwei göttlich
verehrten Lichtförpern in fo naher Beziehung ftanden, fo
läßt ſich leicht erachten, daß, wie die Götter in Thier-
5) Herodot. I, 92. Greuzer, IV. S. 291.
I
45
geftalt auftraten, fo auch die Priefter‘) wenigftens an
manchen Orten ihre Namen von den ihrer Gottheit bei
ligen Thieren entlehnten, oder ſich mit den Fellen berfels
ben Fleideten oder auf Wagen fuhren, die von denfelben
gezogen wurden. Pindaros nennt?) die pythiſche Priefterin
Biene, wie die Mondgöttin felbft hieß. Die Mädchen,
welche der Artemis zu Brauron in" Attika dienten, hießen
Arktoi oder Bärinen’). Wollen wir die Bedeutung dieſes
Namens würdigen, fo dürfen. wir und nur erinnern, daß
in Arfadien die Mondgöttin felbft Barin iſt), nd ficher
es auch in Attika in der Urzeit war.
Der Priefter, welcher dem Zeus auf den Höhen des
Pelion opferte?), ging in den heißeften Tagen bei Aufgang
des Hundsſterns mit auserlefenen Zünglingen dahin. Nicht
bloß er, fondern auch die Juͤnglinge, welche ihm folgten,
4) Wären wir mit den einzelnen Localfagen beffer befannt, fo
würde die Zahl diefer eigenthümlichen Namen größer ſeyn.
Indeß wollen wir feineswegs behaupten, daß nicht viele Priefter-
namen von anderen Vorzuͤgen und Cigenthümlichfeiten der
göttlich verehrten Geſtirne entlehnt waren,
2) Pyth. IV, 106.
5) Aristoph. Lysistrat. 645. Harpocrat. s. v. dozreices.
Müller, Proleg. S. 75. Müller bemerkt richtig, daß die Ar-
temis in der Urzeit felbft die Geftalt einer Bärin gehabt haben
müfe, und erinnert an die Kallifto, welche als die beftändige
Begleiterin der Artemis erfcheint, und Barin wird. Daß dieß
durch den Zorn der Göttin gefchieht, beweist, daß man in der
fpätern Zeit die Kallifto, deren Name ein Pradifat der Artemis
war, als fterbliche Königstochter auftreten lieh, die natürlich
nicht ſchon urfprünglich Baͤrin ſeyn Eonnte, fondern es erſt wer:
den mußte,
4) Müller, 1. e.
5) Müller, Orchom ©, 248.
46
waren mit neuen, zottigen Widderfellen umgürtet. Daß die
Priefterin der Hera zu Argos auf einem von Kühen gezogenen
Magen zum Tempel ihrer Göttin fuhr, ift aus Herodots
ſchoͤner Erzählung von der Findlichen Liebe des Kleobis und
Biton befannt. Herodotos‘) enthält eine Sage, der zu Folge
in jenen Gegenden, aus welchen Leto als Woͤlfin kam, die
Menſchen alle Jahre auf ein Paar Tage Wolfsgeſtalt an⸗
nahmen. Beruckfichtigen wir diefe Angabe, fo müffen wir
ung überzeugen, daß in der Urzeit gewiß an gar vielen Orten
die Priefter und Priefterinen nach den ihren Goͤttern heiligen
Thieren benannt waren, und in ihren Zellen die Opfer ent;
richteten.
4. Einfluß der Thierſymbolik auf die Eultur- und Heroen—
geſchichte.
Da die Griechen in der ſpaͤtern Zeit die alten ſym—
bolifhen Sagen buchftablicy auffaßten, fo mußten viele My-
then ein fehr ungünftiges Kicht auf die Cultur der heroifchen
und noch mehr der Urzeit werfen. Wie anftößig mußte ſchon
die Sage erfcheinen, daß ſich Zeus in einen Stier verwan-
delte, und die Europa auf feinem Nücken nach Kreta trug?
Noch mwiderlicher ift die Angabe, daß fi) Pafiphae') mit
einem Stiere verbunden habe, und daß die Töchter des Prös
6) Herodot. IV, 105.
1) Sreuger, IV. ©. 88. Wie die Sonne zecıperys hieß, fo
wurde auch die Mondgöttin zasıpaesce genannt. cf. Hym.
Orph. VII et XXXV. (XXXVI). Wenn Paliphaeffa eine
Tochter der Sonne und unfterblich heißt (Anton. Lib. 41), fo
darf man nicht vergeffen, daß auch Elektryone eine Tochter des
Helios, Pallas eine Tochter des Zeus iſt.
— ——— — —
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47
to8 in der Gegend von Argos ald Kühe umherirrten. Es
wäre fehr verkehrt, wenn man aus diefen oder ähnlichen Ans
gaben abnehmen wollte, als habe in der heroifchen Zeit Bes
ftialität geherrfcht. So wenig fi) Didipus als irdifcher
König mit feiner eigenen Mutter vermählte, jo wenig je ein
Dreftes feine Mutter, eine ſterbliche Königin, erfchlug, eben
fo wenig dürfen wir glauben, daß eine Fretifche Königstochter
fi) mit einem Stiere verbunden habe; der Name Pafiphae
war ein Pradifat der Mondgottin, der Stier Symbol der
Sonne, Don der fombolifchen Bedeutung der Vermahlung
der Sonne und des Mondes haben wir bereits gefprochen.
Aus der buchftäblichen Auffaffung der Griechifchen
Thier- Symbelif mußte aber auch eine große Anzahl von
Heroen hervorgehen, deren Namen Thieren angehören, welche
fih auf die Natur und Beichaffenheit des Lichtes bezogen,
Wir wollen hier nur einige derfelben anführen. Apollon,
welchem der Schwan heilig war, wurde auf der troifchen
Inſel Tenedos?) verehrt. Eben dafelbft war auch ein Hervens
dienft des Tennes, des Heros Eponymos der Inſel“). Dar
ter des Tennes ift Kyfnos‘). Daß damit der Waffervogel,
das Symbol der Sonne, gemeint fey, beweifen feine Eltern;
der Vater iſt Pofeidon, die Mutter heißt Sfamandrodife?),
Auch der Umftand fpricht deutlich für die ſymboliſche Bedeu—
tung des Kyfnos, daß er von Jugend auf weiß war‘). Der
2) Diod. Sicul. V. 83.
3) Plutarch. Quaest. graec. 28. Cic. N. D. IU, 45.
4) Kanne ad Con. 23.
5) Schol. Pind. Ol. II, 147. Schol. Lycophr. 232.
6) Hellanic. ap. Schol. Theocrit. XVI, 49. Virgil. Aen.
X, 189.
48
Schwan ift alio Vater des Heros, von welchem das von
Apollon geliebte Eiland feinen Namen erhalten haben foll.
Menn man bedenft, daß Apollon felbft nad) einer andern
Angabe?) Vater des Tennes heißt, fo wird man fich leicht
überzeugen, im welcher Beziehung Kyfnos zu dieſem Gotte
ftand.
Allen nicht bloß hier tritt und ein Heros Kyknos entz
gegen, der fein Dafeyn bloß dem Vogel des Apollon ver—
dankte, fondern auch) in vielen andern Sagen. Bei dem
Berge Teumeffos in der böotifchen Tempe treffen wir einen
Heros Kyfnos an‘), welcher ein Sohn des Apollon und der
Thyrie oder Hyrie genannt wird, Er jtürzte fi von einem
Selfen herab, und ward in einen Schwan verwandelt, um
in die Öeftalt desjenigen Vogels zurückzufehren, deffen Name
ihm das Dafenn gegeben. Kyknos heißt auch ein Ligyer—
Fürft?), ein Verwandter des Phaethon, welcher wegen des
Unglüces, das den Phaethon betraf, in einen Schwan vers
wandelt wurde‘). Den Namen Kyfnos führt auch der
König von Kolona in Troas, Pofeidons Sohn"), wel:
cher nach andern Nachrichten ein Verwandter des Priamos
war, und diefem zu Hülfe Fam, aber von Achilleus getodret
wurde ?). Als der Sieger dem Befiegten die Waffen abzog,
ward der Körper entrüct. Der Vater hatte den Sohn in
7) Schol. Lycophr.]. c.
8) Ovid. Metam. VII, 3741. Anton. Lib. 12.
9) Ovid. Metam. II, 567. Hyg. Fab. 154. ef. Paus. 1, 50.
10) Voß, mpth. Briefe, II, ©. 97. ffg.
44) Diod. V, 85. Paus. X, 14.
42) Procl. Chrest. in der Bibl. der alt. L. u. 8. I, Heft 2.
Quint. Smyrn. IV, 467. Tzetz. Homeric. 84. Dict. IT, 42.
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49
einen Schwan verwandelt *). Ein Sohn des Ares und ber
Pelopia, Schwiegerfohn des Keyr, heißt ebenfalls Kyknos.
Er fand durch Herakles feinen Tod"), dem Pallas Beiftand
geleiftet hatte. Ein Sohn des Ares und der Porene tragt
denfelben Namen”). Ares war in der Urzeit Sonnengott,
wie Apollon. Daher fpielt der Schwan in feiner Sage eine
fo große Rolle. Beide Söhne des Ares haben dem ihm
heiligen Thiere ihr Dafeyn zu verdanken. Hatten wir nur
einen oder zwei Heroen, welche den Nanıen des gefeierten
Waſſervogels führen, fo wäre die Sache’minder auffallend;
allein die Anzahl derfelben ift fo groß, daß man fchon da>
durch auf ihre ſymboliſche Bedeutung hingewiefen werden muß.
Noch mehr erinnert ihr Tod oder ihre Verwandlung an diefelbe.
Wir haben fchon bemerkt, daß Leto in der Geftalt einer
MWölfin von den Hpperboreern nach Delos Fam, und Apollon
felbft einen Molf in feinem Tempel zu Delphi als Weih-
gefchenf hatte, alfo wahrfcheinlich im der Urzeit Wolf war,
wie feine Schwefter als Woͤlfin erſcheint. Wir treffen eine
große Anzahl von mythifchen Wefen an, welche den Namen
Ly kos führen, Lykos heißt einer von den Telchinen, welcher
fih in Lykien am Xanthos niederließ, und dem Infifchen
Apollon den erften Tempel erbaute‘), Es ift befannt, daß
die Götter nicht felten ihre erften Tempel felbft bauen ”), und
ihre Fefte ordnen. Sollten wir irren, wenn wir behaupten,
45) Ovid. Metam. XI, 72.
44) Apollod. II. 7, 7. ef. Hesiod. scut. 540 sqq. Pind. Ol.
X, 19 et Schol.
15) Apollod. II, 5, 11.
16) Diod. V, 56.
17) Creuzer, Spmb. I. ©. 15.
Vorhalle zur Griechiſchen Gefchichte, I. 4
50
daß jener Lykos urfpränglich ein Prädikat des Apollon war,
das diefer von dem ihm heiligen Thiere führte? Wie Ares
einen Sohn Kyknos hatte, fo hatte aud) er einen Sohn Lykos 8),
welcher in Libyen alle Fremden feinem Vater opferte, und
Diomedes, welchem dasfelbe Schidfal bevorftand, ward nur
durch des Lykos Tochter gerettet, Lykos heißt”) auch ein
Sohn des Pofeidon, der von feinem Vater in die Eilande
der Seligen verfeßt ward, wo der Sonnengott wohnt, Wenn
Lykos in. diefer Sage von dem Meergotte abſtammt, fo darf.
man nicht vergeffen, daß der Sonnengott ebenfalls in vielen
Mythen ein Sohn des Meergottes heißt, in fo ferne. fich Die
Sonne aus dem Waſſer zu erheben fcheint. Ein Sohn des
Aegyptos”), welchen fchon die Zahl feiner Kinder ald Son-
nengott bezeichnet, führt denfelben Namen, fo auch ein Enkel
des Zantalos”). Kin Sohn oder Enfel des Hyrieus heißt
ebenfalls Lyfos”), Der Kampf, welchen derfelbe mit He
rakles befteht, hat die namlifche fymbolifche Bedeutung, welche
der Kampf des Herafles mit dem Apollon felbft hat. Pan⸗
diond Sohn ?), welcher mit Sarpedon nach Lykien wandert,
heißt Lykos. Er hat von den Nymphen die Sehergabe er-
halten”), er führte die Kabirifchen Myfterien in Theben ein,
und erhob im Meffenien die Myſterien der großen Göttinen
48) Plut. Par. min. 23.
19) Apollod. Il, 10, 1.
20) Apollod. Il, A, 5-
21) Apoll. Rhod. II, 777 et Schol. 782.
22) Eurip. Hercul. fur. 27. Apollod. II, 6, 4. Paus, IX, 11.
Hyg: fab. 31. 32.
23) Herod. I, 110. VII, 92. Apollod. III, 15, 6.
24) Paus. X, 12.
— — — — * —
51
zu höherem Anfehen. Iſt diefer Lykos nicht der Sonnengott,
weldyer die Gebräuche felbft begründet, die mit feinem Culz
tus und dem verwandter Götter verbunden waren, und von
deffen Pradifate das Prieftergefchlecht der Lykomeden feinen
Namen entlehnte? Haben nicht die Wanderungen des Lykos
diefelbe fymbolifche Bedeutung, welche die Wanderungen des
Apollon haben?
Zum Schluffe muͤſſen wir erinnern, daß eine forgfaltige
Behandlung der Sagen über die Berwandlungen ein.
zelner Perſonen in Thiere ein helles Licht über die Griechifche
Mythengeſchichte verbreiten würde. Sie dürfte die Vermu—
thung, daß alle jene Heroen und Heroinen, welcde nad
alten Sagen in Thiere verwandelt werden, aus Prädifaten
der Sonne und des Mondes hervorgingen, zur Gewißheit
erheben. Die Thiergeftalt war auch bei diefen Weſen
die urfprüngliche. Allein fobald man fie als Sterbliche
betrachtete, mußte ſich die Annahme geltend machen, fie
hatten die Götter durd) irgend einen Frevel beleidigt, und
wären deßhalb ihrer menfchlichen Geftalt entkleidet worden,
Drittes Capitel.
Ueber die fnmbolifche Bedeutung einiger Bäume.
Wie die alten Griechen ſich der Thiere bedienten, um
die einzelnen Merkmale, Eigenfchaften und Erfcheinungen der
von ihnen göttlich verehrten zwei großen Kichter am Himmel
zu veranfchaulichen, fo gebrauchten fie zu gleichem Zwecke
4 *
52
auch Geſtraͤuche und Baͤume. Wir koͤnnen uns aus Mangel
an Huͤlfsmitteln hieruͤber nicht ausfuͤhrlich verbreiten, ſondern
muͤſſen uns darauf beſchraͤnken, einige Bemerkungen mitzu—
theilen. Es iſt bekannt, daß die Eiche dem Zeus heilig war ).
Der Eichenfranz war noc) in der featern Zeit Schmuck des
Zeus Polieus. Plutarchos?) gibt verfchiedene Gründe an,
warum die Eiche dem Zeus heilig war. Die Eiche ift nad)
ihm unter den wilden Baumen derjenige, welcher die ſchoͤn⸗
ften Früchte hat nnd unter den zahmen vor allen andern
ftarf, Man nahm auch von der Eiche Speife, die Eichel,
und Tranf, den Honigmeth. Fleiſch gab fie auch von weiden-
den Thieren und von dem Öeflügel dadurd), daß fie zu ihrer
Jagd Vogelleim brachte.
Mir vermuthen nun, daß man fie wegen der reich
lihen Nahrung’), melde fie fpendet, ale Symbol des
Sonnengottes betrachtet habe. Der Sonnengott verleiht -
Licht, Leben und Nahrung, und führt deßhalb den Namen
Trophonios. Welcher Baum bot eine fo große Menge
von Früchten dar, um den Segen, der von der Sonne aus
geht, zu verfinnlichen, wie die Eiche mit ihren vielen und |
ausgebreiteten Neften? Wenn nun die Eiche Symbol des
Sonnengottes war, fo ift es fehr natürlich, daß er nad) den
Dorftellungen der Griechen in ihr wohnt, und daß das Rau-
chen der Blätter, die Vogelftimmen aus ihren Wipfeln fein
4) Greuger, II. ©. 475.
2) Plutarch. Coriolan. ce. 5.
3) Suid. III. p. 596 Küst. Der Name pryoi, geyol fcheint
fhon dafür zu fprechen, daß der Baum den Sonnengott als
Rahrungs= Spender bezeichnete.
53
Dafeyn, feine Winke und Befehle Fund geben. Es darf uns
alfo nicht befremden, daß man unter der Dodonaifchen Eiche,
wie unter den Druiden » Eichen in den Waldungen der Gelten
und Öermanen, Rauchopfer anzuͤndete“), und daß fie, wie der
Sonnengott felbft, mit Rundtanzen begrüßt wurde,
Der Delbaum war der Pallas heilig. Er liefert nach
den Vorfiellungen der Alten?) des Lichtes Stoff. Die
Mondgdttin zerfireut das Dunkel der Nacht, und erbellet die
Erde durch den Schimmer, der von ihr ausſtroͤmet. Warum
follte nun der Delbaum nicht zur Bezeichnung des Weſens
und der Natur der Pallas dienen, da man ihr auch in
ihren Tempeln Lampen anzündete, die nie erloͤſchen durften ?
Die Fichte war Symbol der Sonne wegen der Aehnlichkeit
der Fichtenzapfen mit dem Phallos ). Sie bezog ſich dem—
nad) auf die fchaffende Kraft des Lichtes. Die Cypreſſe war
der Aphrodite, der Korbeer dem Phobos heilig. Die Stamme
beider Baume oder die Zweige derfelben wachen, wenn fie abges
ſchnitten werden, von neuem, und fchlagen wieder aus’). Diefe
Wahrnehmung dürfte die Alten veranlagt haben, fie zur Vers
finnlihung der Schickſale der Sonne und des Mondes zu
gebrauchen, welche alle Tage untergehen oder fterben, und
fi) doc) wieder, die Sonne am Morgen, der Mond am
Abend, in vergüngter Prachtund Herrlichfeitzeigen. Vielleicht
wollten fie aber damit auch die belebende Kraft des Lichtes
veranfchaulichen, welches im Frühling, nachdem die Natur
4) Sil. Italic. III, 69.
5) Creuzer, II. ©. 731.
6) Greuzer, I. ©. 53.
7) Creuzer, II. ©. 191.
54
den ganzen Winter hindurch erftorben war, alles mit frifchem
Grün überzieht, und. neue Keime und Blüthen hervorlodt.
Daphne war deßhalb ein Pradifar des Mondes. Die fpatere
Zeit bildete daraus ein eigenes Weſen, das fih im einen Lor⸗
beer verwandeln muß,
Der Aphrodite war auch die Myrthe heilig). Die
Alten geben verfchiedene Gründe an, um ihre Beziehung zu
diefer Göttin zu erklären. Die Einen fagen, die Myrthe
wachſe am Waſſer. Als Aphrodite dem Meere entftieg, habe
fie fi in einem Moyrthengeftrauche verborgen, um nicht ent:
blößt gefehen zu werden, andere fuchen den Grund in dem
angenehmen Geruche der Pflanze und ihrer Blüthen, andere
in ihrer Gebrechlichkeit, die der Unbeſtaͤndigkeit der Liebe gleiche.
Mir vermuthen, daß die Menge der Blüthen auf die
große Fruchtbarkeit hinwies, welche die belebende Kraft des
Lichtes überall verbreitet. Aus dem nämlichen Grunde dürfte
man auch den Granatapfel’) wegen feiner vielen Körner
mit diefer Göttin und mit Dionyfos in Beziehung gebracht
haben. Dionyfos, der überall Luft und Wonne wedt, liebt
die Rebe‘) wegen des ftärfenden und erheiternden
8) Virgil. Georg. I, 28. I, 64. Aen. V, 72. Eclog. VI,
62 et Serv. 1. c. Voß, myth. Brief. II, 28. Wie die
Daphne in einen Lorbeerbaum verwandelt wird, fo wird die
Mutter des Adonis, des Lieblings der Aphrodite, eine Myrthe.
Greuzer, I. ©, 98. Die Götter erfcheinen alfo nicht bloß in
der Geftalt jener Thiere, die zur Bezeichnung ihrer Natur
dienten, fondern fie nehmen felbft die Geftalt jener Bäume
an, durch welche die Urzeit die Kraft und Wirkfamkeit des
Lichtes andentete,
9) Arnob. advers. gent. Vp. 4159. Greuzer, II. ©, 49,
10) Virgil. Eclog. VII, 61.
55
Saftes, dem fie fpendet. Er ift der Sorgenbrecher, und
dem Weine wird fchon von den älteften Sängern diefelbe
Eigenfchaft beigelegt. Wielleicht ward auch der Ephen, der
immer grünt, aus eben diefem Grunde Symbol diefes
Gottes, wenn man diefe Pflanze nicht auf die immer
fharfende Kraft des Kichtes beziehen will. Dem Herakles
war die Silberpappel heilig. Die Sage meldet ''), Xeufe,
die ſchoͤnſte Nymphe und Tochter des Dfeanos, fey vom
Hades geliebt und entführt worden. Nach ihrem Tode fey
auf des Hades Befehl”) in den Elnfeifchen Gefilden oder
an den Ufern des Acheron der ihr gleichnamige Baum
entftanden, aus deffen Zweigen fi Herakles bei feiner
Ruͤckkehr aus dem Hades einen Kranz machte, um auf
feine Thaten im Orfus und auf diefer Erde durch die do p⸗
pelte Farbe der Blätter aufmerffam zu machen). Die
Blatter der Silberpappel haben befanntlich doppelte Farbe;
die der untern Seite ift viel dunkler, als jene der obern.
Wahrſcheinlich bezog fich Ddiefer Baum auf die doppelte
Wirkſamkeit des Sonnengottes, welcher, wie dieß von He—
rakles ausdrüdlih gefagt wird, nicht bloß Verderben⸗
Stifter, fondern auch Unheil-Abwender iſt. Die Schidfale,
44) Virgil. Eclog. VII, 61. Georgic. II, 60. Ovid. He-
roid. IX, 61. Senec. Hercul. fur. 914. Id. Hercul.
Oet. 579. Plin. XII, 112. Phaedr. III, 17, 4. Serv. ad
Virgil. Eclog. VII, 61. ad Aen. VIII, 276. Macrob,
Saturn. Ill, 12.
12) Schol. Hom. Il. XIII, 389.
45) Serv. ad Aen. VIII, 276 et Macrob. 1. c. Buttm.
Mytholog. II, ©. 147.
56
welche Leufe hatte, beweifen, daß diefer Name von dem
Baume entlehnt und auch der Mondgottin beigelegt ward,
welche. ſich nicht bloß ‚im Dfeanos oder im Elyfion, fon-
dern auch in der Unterwelt aufhält.
Viertes Capitel.
Die ſymboliſche Bedeutung des Tanzes.
„Den unermüdlichen Kreislauf des Mondes, fagt
Melcer‘), fcheint urfprünglic die von der Bremfe ge
ftochene, um und um fpringende Jo zu bezeichnen, und es
ift nicht unwahrfcheinlih, daß in einer diefem Bilde
gemäßen Zeitzugleih auch [hwindelnde Runde
tänze, wie nach der Druiden Gebräuchen, diefen Um»
lauf feierten.‘ Es fcheint in der That eine ausgemachte
Sache zu feyn, daß die Griechen in der Urzeit den Um—
lauf der Sonne und des Mondes auf die nämliche Meife
verfinnlichten, wie die Druiden, Wir werden alfo den
Tanz bei dem Cultus aller. derjenigen Götter, welche aus
sprädifaten der Sonne und des Mondes hervorgingen, an-
treffen, fo wie auch bei dem der mit ihnen verbundenen
Genien, und hieraus laßt fid) abnehmen, warum der
Tanz bei den Griechen eine fo hohe religidfe Bedeu—
tung hatte, welche fi) auf eine andere Weiſe nicht wohl
erflären läßt. Wenn man behauptet, wie es haufig ge—
ſchieht, dieſe Sitte erkläre fih aus dem Charakter der
1) Welder, Trilog. ©. 129.
57
Griechen, welche zur Freude geftimmt und für den Tanz
begeiftert waren, fo daß Homeros Gefang, Muſik und
Tanz die Zierden des Mahles nennt: fo, überfieht man,
daß der Charakter der Griechen durch die religiös
fen Verhältniffe eben fo vielfach modificirt wurde, wie die
politifchen DVerhaltniffe faft ganzlid auf denfelben beruhen,
und daß, wenn die religifen Tänze ſich aus der Tanzluft
der Griechen erklären ließen, wir bei dem Cultus des Ha—
des und des Pofeidon eben fo gut Taͤnze antreffen würs
den, wie bei jenem des Apollon oder des Dionyfos.
Allein Fein Schriftiteller erwähnt, fo viel uns befannt ift,
bei den zwei genannten Göttern Taͤnze, und fo werden
wir uns auch durch diefe Art des Cultus überzeugen, daß
die Griechifchen Götter mit Ausnahme des Hades und der
Meergötter aus Pradifaten der Sonne nd des Mondes
hervorgegangen find, und daß die vielen Genten und Die
ner, welche neben ihnen auftreten, urfprünglich zur nähern
Bezeichnung ihres Weſens dienten.
Mir wollen hier zugleich erinnern, daß die Götter in
der Griechifhen Mythologie als die erften Begründer der
verfchiedenen Arten ihrer Verehrung erfcheinen 2), in fo
ferne fich diefelben auf ihre Schikfale, Thaten und Eigen»
haften bezogen. Mit der erften Entftehung des Weltalls,
fagt Lukianos), ift zugleich auch der Tanz hervorgegan-
gen. Jener Reigen der Geftirne, die Stellungen der
Wandels gegen die Firfterne, die ſchoͤne und barmonifche
3) Ereuzer, I. ©. 15.
3) Lucian de salt. c. 7.
58
Eintracht in allen ihren Bewegungen — was ift dieß Al-
les anders, als das Bild jenes Urtanzes? Rhea war,
wie die Sage meldet‘), im den aälteften Zeiten die erfte,
welche an diefer Kunft MWohlgefallen fand, und ihre Ko-
rybanten in Phrygien und die Kureten in Kreta Taͤnze
aufführen Tieß. Ihrem nengebornen Zeus ward das Leben
nur dadurch gerettet, daß die Kureten ihm tanzend um:
gaben. Es war eine Art MWaffentanz, wobei die Tänzer
mit ihren Schwertern auf die Schilde fchlugen, und ihre
friegerifche Beaeifterung in wilden Sprüngen ausdrücken.
Auch in der Folge war es in Kreta eine wichtige Auf-
gabe aller Tapfern nicht bloß aus dem Wolfe, fondern
auch aus den edelften Familien, im Tanze es zu einer ge:
wiffen Vollfommenheit zu bringen. So nennt Homeros
den Kretenfer Meriones einen guten Tänzer,’
Wenn Rhea an den Tanzen MWohlgefallen findet, fo
erklärt ſich dieß aus der Bedeutung ihres Mefens und ihr
res Namens, welcher ein Prädikat der Mondgottin ale
Begründerim der Zeit war. Die Tänze, welche bie
Kureten bei der Geburt des Zeus aufführen, erklären ſich
aus -der Feier, womit man die Ankunft der Sonne vder
ihre Geburt begrüßte. Wie konnte man diefelbe finnrei-
cher begehen, als dadurch, daß man Taͤnze veranftaltete,
welche ihren Kreislauf veranfchaulichten, den fie mit ihrer
Erfcheinung beginnt und bis zu ihrem Tode oder ihrem
Untergange fortfegt? Das Getöfe, womit diefe Waffen:
tänze verbunden waren, dürfte in dem Sreudentaumel, wel,
4) Lucian. 1. c. c. &
59
chen die Annäherung und der Aufgang des wohlthätigften
Geftirnes verurfachte, feinen Grund haben. Es ift aber
auch möglih, daß diefe Tanze wegen des Friegerifchen
Charakters des Sommengottes oder des Volkes, das ihn
verehrte, in MWaffentanze Üübergingen. Man nannte diefen
MWaffentanz, welcher fo alt war, als die Verchrung des
Zens auf Kreta’), Pyrrhiche. Auf dem Feftlande liebten
und übten ihn vorzüglich die Spartiaten‘). Aber auch
außerhalb Kakonifa’s galt der pyrrhichifche Tanz. In Athen
gehörte die Stellung von Pyrrhichiſten zu den alten Feft-
liturgien”). Wenn Homeros den Meriones als einen vor:
trefflihen Taͤnzer rühmt, fo erflart fi) dieß daraus, daß
er urfprünglic), wie fein Gebieter Idomeneus, ein und
dasjelbe Wefen, wie Helios, war. Daß übrigens die Kre-
tenfer bei diefer Verehrungsmweife des Zeus fich vorzüglich)
auf Tanze verlegten, und es in der Tanzkunſt zu einer
großen Meifterfchaft brachten, war natürlich.
Mer noch an der ſymboliſchen Bedeutung des reli-
gifen Tanzes zweifelt, der erwäge, daß Aphrodite beim
Schimmer des Mondes in Verbindung mit den Nym—
phen und Charitinen Reigentaͤnze aufführt), - Daß
Chorreigen einen Hauptbeftandtheil ihrer Verehrung aus-
machten, erfehen wir noch ?) aus vielen Angaben, Wars
um führt wohl Aphrodite bei der Nacht ihre Reigentänge
5) ef. Plat. legg. VII. p. 796. b.
6) Athen. XIV, 650. e.
7) Wachsmuth, Hellenifhe Alterthumskunde, II, 2, ©. 438.
8) Horat. Od. I, 4, 5: Tum Cytherea choros ducit Ve-
nus imminente Luna,
9) Horat. Od. IV, 1, 25 sqq. et Orell. I. c.
60
auf? Offenbar defhalb, weil der Mond wahrend der Nacht
feinen Kreislauf, den diefelben verfinnlichen, am Himmel
vollendet. Wenn Aphrodite nur Symbol der befruchte
ten Natur gewefen und ihr Name nicht von einem Merk:
male des Mondes entlehnt worden wäre, fo würden wir
bei ihrem Cultus ficher Feine Taͤnze antreffen, noch
weniger ſie felbft bei dem Schimmer der Luna den
Reigen anführen fehen. Es wäre in der That fonderbar,
wie die Griechen hätten auf den Einfall kommen follen,
die Göttin der Liebe mit Tanzen zu ehren! Daß bie
Nymphen und Charitinen, welche mit ihrem Wefen in der
innigften Beziehung ftehen, ebenfalls QTanze aufführen, darf
nicht befremden. Die einzelnen Genien der Götter theilen
alle Schicfale und Worzüge mit jenen Wefen, deren Nas
tur fie veranfchaulichen. Aus diefem Umftande erklärt es
fih au, warum die Mufen fihb an Taͤnzen erfreuen,
und auf dem Helifon Chorreigen aufführen.
Die Waffentänze, welche mit dem Gultus der Ephefi-
ſchen Göttin verbunden waren, find befanut ‘), Die Mond:
göttin ward wegen ihrer verderblichen Wirkung, welche fie
mit dem Sonnengotte gemein hatte, zugleich als Kriegsgoͤttin
verehrt, und deßhalb war es fehr natürlich, daß die Reigen;
tänze an jenen Orten, wo fie vorzüglich als Kriegerin be;
trachtet wurde, in Waffentänze übergingen. Dieß fehen wir
auch bei der Pallas, deren Friegerifhes Weſen hinlänglich
gefeiert ift. Waffentaͤnze '') waren bei ihren Feften fehr ges
40) Creuzer, II. ©. 30.
44) Creuzer, Il. ©, 808 sq.
61
mwöhnlih. Den Diosfuren fpielt Pallas?) mit der Flöte
den Waffentanz felber vor.
Aus diefer Angabe laßt fich auch abnehmen, warum
die Korpbanten Söhne der Vallas und des Helios heißen).
Sie hatten mit diefen Göttern ficher in Feine genealogifche
Verbindung gebracht werden koͤnnen ''), hätte das Alterthum
die Sonnen- und Mond-Götter nicht zugleich ale Kriegsgoͤt⸗
ter betrachtet, und ihren Kreislauf am Himmel durch diefe
fombolifhen Tänze nachgebildet. Helena tanzt”) im Tem:
pel der Artemis Orthofia, mit welcher fie in der Urzeit ein
und dasjelbe Wefen war. Auch der Hera waren Taͤnze nicht
fremd, nicht einmal der Demeter). Ariftophanes laßt
feine Thesmophoriazufen ') fih bei den Handen umfafs
fen, und im Kreife einen Reigen aufführen, auch die Flöte
dazu nad) perfifcher Weife blaſen. Diefer Tanz hatte”) eine
ganz eigenthümliche Befchaffenheit: Man flug halbmond—
42) Epicharm. ap. Schol. Pind. Pyth. II, 127. Aristid.
I. p- 26. c. cf. Hemsterh. ad Luc. D. D. U. p. 273.
Bip. Greuzer, I. S. 641.
45) Strab. X. p. 7235. cf. Creuzer, I. ©. 645.
14) Da fie von Pallas und Helios abftammen, fo muͤſſen diefe
beiden Götter urfprünglich, wie Kybele und Zeus, Pradifaten
des Mondes und der Eonne ihre Entitehung verdankt haben.
15) Creuzer, IV. ©. 147. -
16) Greuzer, IV. S. 474,
47) Thesmoph. 960. cf. 1180.
48) Poll. IV. p. 406. ed. Hemsterh. nennt den Neigen ei-
nen perfifhen Tanz, und gibt noch zwei Namen davon an,
Örkecur, auch Üyoc soynaıs. Dieß erläutert eine Etelle
des Xenoph. Anab. VI, 4, 9, wo ein Myſier den Tanz
aufführt, wie wir ihn im Texte bezeichnet haben. cf. Greu-
zer, 1. c-
62
förmige Schilde an einander, und fanf bald auf die
Knie nieder, bald ftand man auf, was nad) dem Takte zum
Tone der Flöte mehrmals wiederholt wurde. Wäre Demeter
bloß als Erdmutter betrachtet worden, fo Tonnte man fich
feine größere Ungereimtheit bei ihrem Eultus denken, als
Tänze. Denn die Erde, welche feft und unbeweglich ift, bot
doch nicht die geringfte Veranlaffung dazu dar. Auch würde
man die trauernde Göttin auf eine ganz andere Weiſe ers
heitert und ihre Segnungen nicht durch Tänze verherrlicht
haben. |
Wie der Eultus der Mondgöttinen mit Tanzen verbun.
den war, fo machten diefelben auch einen wefentlichen Bez
ftandtheil beim Eultus des Sonnengottes aus, Wir beginnen
mit Zeus, welcher in dem Griechifchen Götter - Syfteme die
erfte Stelle erhalten hat. Don den Tanzen der Kureten ha⸗
ben wir bei der Einführung des Tanzes durch die Mond:
göttin Rhea fchon gefprochen. „Das find die Planeten-
tänze, fagt Ereuzer), wie man fie auch in Samothrafe
fah, und wie fie zu Sparta, wo die Mondfrau Helena einft
den Reigen angeführt hatte, länger üblich geblieben. Sonne,
Mond und die Sterne wurden in ihrem Kreislaufe nach-
gebildet.” Die Tänze der Kureten feierten zunächft nur den
Umlauf der Sonne, wenigftens auf Kreta, und anderwärts
bei dem Cultus der Mondgottin jenen des Montes, Ware
Zeus Himmelsgott gewefen, fo würde es fonderbar feyn,
wie man von feiner Geburt hatte fprechen, und diefelbe durd)
Maffentanze feiern ſollen. Auch ware es ein Rathfel, wars
49) Greuzer, IV, 594.
63
um. die Jahre Jahre des Zeus heißen, da die Alten alle Zeitz
rechnung an die Verehrung der Sonne und des Mondes ger
knuͤpft haben.
Daß Dionyfos am Chorreigen eine befondere Freude
hatte, ift jchon bemerft worden. Im bakchiſchen Cultus,
fagt Lufianos ”), war der Tanz die Hauptſache. Diony⸗
fos führt in Verbindung mit den Mänaden auf dem Pars
nafjos Chorreigen auf”). Wer bedenkt, daß nad) Sopho-
kles Dionyfos die Geftirne anführt, und, wie Apollon, wan⸗
dert, der wird diefen Gott nicht als Vorſteher der Hirten
betrachten, fondern ihm ‚einen ungleich größern und ausge
dehnteren Wirfungsfreis anmeifen. Wie er feine Wander
rung am Himmel durch) die QTanze, die er mit den Mänaden
aufführt, verfinnlicht, fo leitet er aud) den Reigen der Ges
flirne, welche er, nad dem Verfhwinden der Sonne, als
Sonnengott emporfendet, und anweifet, ihren Kreislauf oder
Reigen zu beginnen. Wie bedeutungspoll der Tanz bei dem
Eultus des Apollon war, beweifet eine Menge von Sagen.
Der Gott, welcher mit den Mufen Chorreigen aufführt,
wurde vorzugsweiſe der Tanzer”) genannt. Wäre Apollon
nicht Sonnengott, fondern nur Gott des Lichtes gewefen, fo
dürfte fich feine Tanzliebe nicht wohl erklären laſſen.
Sonderbar möchte es fcheinen, warum Tänze im Cul⸗
tus des Ares eine fo wichtige Rolle hatten. Vom erſten
März an fah man zu Rom?) mehrere Tage lang eine Pries
20) Lucian. de salt. c. 22.
24) Sophoel. Oed. R. 209 sqg-
22) Athen. I, 22. b.
23) Kartung, die Nelig, der Rom, II, 463 sqgq:
64
fterfchaft in Waffen tanzend durch die Stadt ziehen, wobei
fie altertfümliche Xieder abfang. Diefe Vriefter biegen vor>
zugsweife Salier oder Tänzer. Der Tanz, den fie auf-
führten, nahm nach Plutarchs Befchreibung mehr die Füße,
als den übrigen Körper in Anfpruch, und ihre Bewegungen
waren anmuthig, von rafchem Tritte, mit mandjerlei Ab⸗
wechslungen und Schlingungen, und erforderten große Ge—
wandtheit und Stärfe, Sie tanzten bald im Reigen, bald
gerheilt, und fchlugen dabei mit den Staben an die Schilde.
Märe Ares nur Symbol der rohen Kraft gewefen, wie ihn
einige Mythologen betrachten, fo würden diefe Tanze bei
feinem Cultus wohl überflüffig oder unpaffend geweſen feyn.
Mer aber berüffichtigt, daß er nad) einer alten Angabe”)
unter den Planeten den Aether hin funfelnde Bahnen durch;
wälzt, und mildes Licht von oben auf ung herabträufelt, der
wird von Ares ganz andere Vorftellungen befommen, Aller
dings bezog fich fein Name auf die Kraft und Macht des
Lichtes *), und diefer Umftand war zum Theil Veranlaffung,
dag Ares, fobald man fich unter dieſem Namen ein befonderes
Weſen dachte, vorzugsweiſe al& unbezwinglicher Kriegsgott
verehrt wurde, und an vielen Orten einen höchft befchranften
Mirfungsfreis hatte. Doch haben ſich in einer großen An-
zahl von Sagen noch deutliche Anzeichen erhalten, daß die
Sonne diefes Pradifat trug. Als Sonnengott hat Ares
24) Hymn. Hom. VIII, 6 sqaq.
25) Eine Menge von Namen des Sonnengottes und der Mond-
göttin weifet darauf bin. Wir erinnern nur an Iphitos,
Iphikles, Ipbianaffa, Alfeftis, an die Erzählung des Home:
ros, daß Apollon mächtig (Es) über Tenedos herriche.
65
den vom Himmel gefallenen Schild, wie Zeus, Apollon und
Pallas die Aegis führen, Diefer Schild ift eine ſymboliſche
Bezeichnung des Himmelsgewölbes, und wer follte wohl die:
fen Schild führen, als der Sonnengott und die Mondgottin,
welche ſich an demfelben befinden? Mie die Aleifche Flur
vom Himmel auf die Erde verfegt wurde, fo mußte auch der
Schild des Ares auf die Erde verfest werden. Das Haupt—
feft des Ares wurde im Frühling gefeiert, wo fich bei der Ans
näherung der Sonne die ganze Natur verjüngt, und der
Hauptinhalt des Liedes, welches die Salier abfangen, bezog
fi) auf den Einfluß, welchen die Sonne auf die Fruchtbar—
keit und das Gedeihen aller Dinge ausübt. Als Sonnen:
gott hat er ein wunderſchoͤnes Gefpann, auf welchem Aphros
dite in den Olympos zurückkehrt, und wandert zu den Thra—
fern, wie fih Apollon zu den Hmperboreern begibt.
Wir wollen zum Schluffe noch einige Herven auffühs
ven, welche Taͤnze für andere Götter anordnen, oder von
welchen die Völker, denen fie angehörten, QTanzeerlernten, und
dabei erinnern, daß die älteften Gründer von Heiligthuͤmern
von den Göttern, denen fie diefelben erbauten, urfprünglich
nicht verfchieden waren. Die Lakedaͤmonier, fagt Lufianos *),
haben von Kaftor und Volydeufes den Tanz von Karya ge
lernt, einem Dorfe im Lafonifchen Gebiete, wo diefe Gat-
tung von Tanz gelehrt wird. Go hatten die Delier den las
byrinthifhen Tanz”). Die Sage meldet, Thefeus habe
denfelben bei der Ruͤckkehr von Kreta eingeführt, als er dem
Apollon opferte, Er ftellte bei diefem Tanze mit den Juͤng⸗
26) Lucian. de sait. ec. 10.
27) Plutarch. Thes. c. 21. cf. Ereuzer, IV. ©, 117.
Vorhalle zur Griechiſchen Geſchichte. DI. 5
66
lingen um den dortigen Altar der Hörner die Windungen
des Labyrinthes dar. Theſeus ift ald Begründer gefeßlicher
Ordnung bekannt, wie der Sonnengott in einer Menge von
Sagen erfcheint, weil die Sonne in alles Ordnung und Harz
monie bringt. Auf diefen Wirkungskreis der Sonne bezieht
fi) auch ſein Name, und in fo ferne darf es nicht befrem»
den, daB Thefeus mit Apollon in einer fo nahen Verbindung
ſteht. Die vielen und verfchiedenen Windungen diefes Tan:
305”) dürften ihre Erklärung in den Srren des Sonnengottes
finden, und fic) auf die verfchiedene Stellung beziehen, welche
die Sonne bei ihrem Kreislaufe am Himmel einnimmt. Der
Reigen, welchen Dadalos für die Ariadne anorbnete”),
ift aus Homeros bekannt, Beide Wefen gehören der My-
thologie an, Der Name Dädalos war ein Pradifat des
Sonnengottes, der Künftler ift, und dag Ariadne's Name
urfprünglich ein Praͤdikat der Mondgottin war, dürfte gegens
wärtig kaum mehr bezweifelt werden.
Wir haben einige Götter übergangen, deren Namen
wir für Pradifate der Sonne erklärten, mit deren Cultus
feine Tänze verbunden gewefen zu feyn feheinen, fo daß |
man bier leicht den Einwurf machen koͤnnte, daß diefelben |
einen andern Wirkungsfreis gehabt haben, wir meinen den
Hermes und Hephäftos. Dagegen haben wir zu erinnern, |
daß uns Hermes als Begründer der Kampffpiele entgegen-
tritt, welche ſich ebenfalls auf die Erfcheinungen und den |
25) Daß derfelbe allmählig erweitert und vielfach verändert |
wurde, darf nicht auffallen. Auch die Sagen hatten dasfelbe |
Schickſal.
29) Hom. Il. XVII, 590. ef. Creuzer, IV. ©, 118,
|
67
Lauf der Sonne bezogen, fo daß diefe in feinem Cultus
diefelbe bedeutungsvolle Stelle einnehmen, welche der Tanz
in jenem anderer Götter hatte. Bei Pan und Hephäftos
vertritt der Facellauf die Stelle des Tanzes. Wenn im
deß der Eultus des Pan in Griechenland eine untergeords
nete Bedeutung hatte, und die Tänze diefes Gottes nicht
fo gepriefen find, wie jene des Apollon, fo treffen wir fie
doc) auf dem Palatinifchen Berge in Nom an”), wo fie
Euandros angeordnet haben foll.
Aus diefen wenigen Erörterungen laßt ſich ſchon ab;
nehmen, warum bie Götter auch im Olympos Chorreigen
aufführen‘), und aus welcher Urfache fich die große Wich-
tigkeit, welche der Tanz bei den Griechen erhielt, erflärt.
„Die gottesdienftlichen Tänze, ſagt Wachsmuth, gehörten
zum Theil dergeftalt zum Cultus eines einzelnen Gots
tes, daß fie nur in dieſem angeftellt wurden, wobei an die
einzelnen Göttern eigenen Gefänge zu erinnern ift. Das
hin gehören der Epilenios”), der dithyrambifche Reigen
tanz und der phalliibe Tanz für den Dionyfos ®), der
Tetrafomos für Herakles’'). Andere Götter hatten an-
dere Tänze, aber nur folche Götter, welche Vrädifaten der
Sonne und des Mondes ihre Entftehung verdanften. Aus
diefer religiöfen Beftimmung des Tanzes erklärt fich die
Wichtigkeit, welche derfelbe für die Griechen hatte, fo daß
50) Liv. ]J, >.
51) Pind. Ol. XIV, 9. et Thiersch, ], ce.
32) Wahsmuth, II, 2. ©. 438 fg.
35) Poll. IV, 400.
34) Poll. IV, 99, 105.
68
es nach ihren Anfichten nichts Schoneres und Mortreff-
licheres geben Fonnte®), fo wie auch der große Einfluß,
welchen derfelbe auf das Leben ausübte. Diefe Wichtige
keit tritt ganz befonders bei den GSpartanern hervor, bet
denen fich unter allen Hellenen die Verhältniffe und Ei—
genthümlichfeiten der alten Zeit am langften erhielten. Zus
kianos °°) fpricht fich über die Mufif- und Tanz-Liebe der
Spartaner alfo aus: „Die Muſik begleitet diefes Volk in
allen feinen Bewegungen, Mit feft geregeltem Schritte
rückt e5 dem Feinde entgegen, und im Kampfe felbft,
nachdem die Flöte das Zeichen zum Angriff gegeben, be
fimmen Takt und Töne die Bewegungen des Kriegers,
und wirklich haben fie es, durch diefe mufifalifhe Wohl-
ordnung geleitet, dahin gebracht, daß fie immer über alle
übrigen die Oberhand behielten. Noch jest fehen wir, wie
ihre Sünglinge der Tanzkunſt nicht minder eifrig als den
Maffenübungen obliegen. Wenn fie fih von ihren Ring»
und Fauftfampfen erholen wollen, fo löfen fich diefe Ans
firengungen in einen friedlihen Tanz auf; ein Flöten
fpieler figt mitten unter ihnen, und begleitet fein Spiel
mit Taftfchlagen; die Zünglinge fchlingen einen Reigen,
und führen, nach dem Takte ſich bewegend, die mannigfals
tigften Figuren aus, die bald kriegeriſche Bilder, bald tan;
delnde Scherze darftellen, Won den zwei Kiedergattungen,
womit fie ihre Taͤnze begleiten, enthalt die eine eine An—
rufung der Aphrodite und der Eroten, an ihrem froben
35) Athen. I. p. 22. b.
36) Lucian. de salt, e. 40 — 12. in el.
69
Keigen Theil zu nehmen; die andere enthalt Aufmunte—
rungen und Regeln, wie fie tanzen follen, Sinnvoll ift
jene Öattung von Tanz, welche fie Hormos oder Halt;
fette nannten. Diefer wird von Sünglingen und Jungs
frauen gemeinfchaftlih im einem bunten Reihen getanzt,
und hat in der That viele Wehnlichkeit mit einer
Kette. Den Reigen führt ein SZüngling mit maͤnn—
lichem Tanzſchritt und unter Bewegungen, wie er fie
einft im Kriege zu machen hat; das Mädchen bewegt fich
mit dem fittfam zierlichen Schritte ihres Geſchlechtes; dies
ſem vortanzenden Paare folgt das zweite und der Reihe
nach die übrigen, fo daß das Ganze die männliche Kraft
und die jungfräuliche Befcheidenheit, in eine gefällige Kette
gewunden, darftellt.” Schon aus der Befchaffenheit der
Griechiſchen Tänze, welche von. den unfrigen wefentlich
verfchieden waren, erfennt man, daß fie ſymboliſche Nach—
bildungen jenes wunderbaren Neigens waren, welchen die
Kichtförper am Himmel aufführen.
Fuͤnftes Capitel.
Die fymbolifche Bedeutung ver Kampffpiele,
Die Wichtigkeit, welche die Kampfipiele für Griechen,
land hatten, ift von vielen Kennern des Alterthums bereits
mit einer folchen Klarheit dargelegt worden, daß es ver
kehrt wäre, wenn wir weiter davon fprechen wollten. Allein
die Frage, wie es Fam, daß diefelben eine fo große religiofe
Bedeutung hatten, ſcheint uns noch nicht beantwortet zu
70
ſeyn. Daher dürfte eine kurze Erorterung derſelben um
fo weniger zwecklos ſeyn, als fie zugleich zur weitern Bes
gründung der fchon oft geäußerten Anficht dient, daß alle
Griechiſchen Götter mit Ausnahme der Beherrfcher des
Meeres und der Unterwelt aus Pradifaten der Sonne und
des Mondes hervorgegangen find. Wir wollen drei Punfte
in Kürze berühren: 1) die verfchiedenen Arten von Spies
len, welche man feierte, 2) die Götter, mit deren Cultus
Spiele verbunden waren, und 3) diejenigen Wefen, welche
nad) der Sage felbft Spiele anordnen oder denfelben vor⸗
ftehen.
In der hiftorifchen Zeit finden wir fünf verfchiedene
Arten von Spielen, den Lauf, den Sprung, das Diskos⸗
Merfen, den Ring und Fauſtkampf. Wir wollen diefe
einzelnen Arten näher im das Auge faſſen. Den Lauf
treffen wir ſchon in der Slias an’). Es draͤngt fi) uns
die Frage auf: Warum haben die Griechen den Sonnen»
gott fchon in der Urzeit durch den Wettlauf geehrt? Es
ift befannt, daß fich nichts ſchneller verbreitet, als das
Licht, welches in einer Sekunde 70,000 Meilen durcheilt.
Wie unermeßlich ift das Himmelsgewölbe, und wie fchnell
bat die Sonne dasfelbe vom fernen Oſten bis zum außer
fien Werften durchlaufen? Sobald die Praͤdikate, welche die
Sonne trug, zu Perſonen umgebildet wurden, war es jehr
natürlich, daß man venfelben Schnelligkeit der Füße
als eine befondere Eigenfchaft beilegte, Kine große Ans
zahl von Herven, welche früher im die Neihe der Götter
4) Hom. Il. XXIII, 758.
1
gehörten, iſt wegen dieſer Eigenfchaft verherrlicht, Der
ſchuellen Füße des Achilleus wird faſt eben ſo oft gedacht,
als Homeros den Peliden erwaͤhnt. Waͤre Achilleus ur⸗
ſpruͤnglich nur ein Koͤnigsſohn geweſen, ſo wuͤrde es mit
Recht befremden, wie bei ihm das Praͤdikat ſchnellfuͤßig
eine ſo ungewoͤhnliche Bedeutung erlangen konnte, daß es
mit ihm unzertrennlich verbunden iſt. Erwaͤgt man aber,
daß ſein Name eines der vielen Praͤdikate der Sonne war,
daß die hieratiſche Poeſie nicht bloß die Schickſale, ſon—
dern auch alle Eigenſchaften jener Weſen beſang, welche
aus den verſchiedenen Namen der Sonne und des Mon—
des entſtanden, ſo begreift man, warum dieſe Epitheta
immer wiederkehren, und der Dichter ſich ſo getreulich an
dieſelben haͤlt.
Die heroiſche Zeit gab dem Sonnengotte einen Wa—
gen, wie ihn die Heroen hatten, und Fluͤgelpferde, welche
durch den unermeßlichen Luftraum mit ſolcher Schnelligkeit
dahin eilen, daß ſie ſogar dem Oſtwinde, der mit Helios
in derſelben Gegend anhebt, zuvor kommen. Da der aͤl—
teſten Zeit der Wagen fremd war, fo mußte der Sonnen:
gott, wie die Mondgottin, die Schnelligfeit der Füße
in Anfpruch nehmen.
Beide erhellen die Erde, die Sonne durch ihr erwars
mendes und belebendes Licht, der Mond durch feinen
Schimmer. Deßhalb erhielt fowohl der Sonnengott, als
auch die Mondgottin eine Fackel, womit fie die Him—
melsräume durcheilen, und Licht über die Erde verbreiten.
Mir fehen, daß alle jene Götter die thun, welche aus
Pradikaten der Sonne und des Mondes entftanden, Der
72
Griechifhe Eultus bildete dieſe Erſcheinung nad.
Man glaubte, den Sonnengott und die Mondgottin nicht
beffer ehren zu koͤnnen, als durch Verfinnlihung und Nach
bildung deffen, was fie felbft am Himmel thaten; man vers
feßte die Götter mit ihren Fadeln auf die Erde, und
ließ fie, wie fie ftets als Begründer ihrer Cultusgebraͤuche
erfcheinen, hier zuerft die Höhen der Berge durdftürmen,
Der Fadellauf, welchen man in der Urzeit zur Verehrung
der Lichtgoͤtter an verfchiedenen Orten veranftaltete, hat fic)
in der fpatern nicht überall erhalten; an vielen Drten wurde
die Fadel, da man die fombolifche Bedeutung derſelben bald
vergaß, hinweggelaffen, und ein MWertlauf angeorönet.
Es war nathrlich, daß, fobald ein Ort oder ein ganzer Volfe-
ftamm die Kichtgötter auf die bezeichnete Weife ehrte, der
Glaube entftand, derjenige ehre den Gott am mei
ſten, welcher fi feine Schnelligfeit am vollfoms
menften aneigne, und alfe übrigen übertreffe. Durch die:
fon Umftand mußte fi) der einfache Lauf allmählig in einen
Wettlauf ummandeln, der aber ftets eine religiofe Bedeutung
behielt, weil er aus der Religion der Griechen hervorging
und zur Verherrlihung ihrer Götter diente.
Mir wollen diefe allgemeinen Behauptungen durch einige
Beifpiele veranfchaulihen. Mit den Heinen Panathenden ?)
war ein nächtlicher Fadellauf verbunden. Warum häts
ten die Athenaer ihre Schußgottin mit einem Fadellauf eh»
ren, und denfelben bei der Nacht veranſtalten ſollen, waͤre
ihr Name nicht urſpruͤnglich ein Praͤdikat des Mondes ge—
2) Creuzer, II. S. 808.
73
wefen, welcher feinen Lauf bei der Nacht vollendet, weßhalb
Aphrodite auch ihre Reigentänze beim Schimmer des Mon;
des aufführt? Anf den Münzen von Amphipolis?) fieht
man die Demeter auf einem Stiere reitend, wie fie mit bei-
den Händen eine brennende Fadel halt. Auf Lydiſchen Münz
zen") erblicken wir fie auf einem von zwei Stieren gezoges
nen Wagen; fie halt auch hier in jeder Hand eine brennende
Fackel. Auch als Erinnys’) erfcheint fie mit einer brens
nenden Fackel. Iſt Demeter Göttin der Erde oder des Ges
treide⸗Baues, fo ift es rathjelhaft, warum fie eine Fadel hal
tend abgebildet wurde. Die Griechifchen Künftler, welcye
das Weſen ihrer Götter durch die denfelben eigenthümlichen
Symbole fo ſchoͤn bezeichneten, würden ihr wohl eher einen
Blumenftrauf ftatt der brennenden Fackel in die Hände ges
geben haben, wenn fie urfprünglidy Göttin der Erde geweſen
wäre. Noch auffallender ift die Fackel bei der Kore, welche
man gewöhnlich nur als Göttin des Schattenreiches betradh-
tet. Im Hades ift Alles finfter und wuftvoll, Fein Strahl
des Helios dringet in Pluto's graufe Behaufung. Wer die
beräcfichtigt, und nicht vergißt, daß Perfepfone Leufip-
908 oder die Göttin mit den weißen Roffen‘) hieß, daß fie
auf einem mit weigen Roſſen beipannten Wagen an den
Olympos emporfährt”), der wird fich überzeugen, daß fie fich
nur deßhalb im Hades aufhält, weil der Mond wahrend
5) Creuzer, IV. ©. 70.
4) Creuzer, 1. c.
5) Ereuger, IV, 74.
6) Greuzer, 1. c.
7) Schol. Pind, Ol. VI, 461.
74
des Tages in der Regel unfichtbar ıft, weßhalb die Alten zu
diefer Zeit die Mondgottin in den Orkus oder das Grab vers
ſetzten. Ueber die Dauer ihres Aufenthaltes?) haben wır
uns ſchon erklärt. Die weißen Noffe, welche ihren Wagen
ziehen, haben nur die Lichtgoͤtter. Als Mondgottin fteht die
Perſephone natuͤrlich mit Artemis in der innigften Verbin;
dung. Unweit Akakeſion“) hatte Despoina ein Heiligthum.
Am Eingange ftand der Tempel der Artemis Hegemone und
deren eherne Bildfäule mit Fadeln in den Handen; dort fah
man auch eine abgefonderte Halle mit Nifchen, wortn die
Moiren und Zeus Moiragetes, auch Herakles abgebildet
waren, Es folgte der Tempel der Despoina felbft. Hier war
Demeter zu fehen, im der rechten Hand hatte fie eine Fackel, die
linfe war auf Despoina gelehnt. Nebendem Throne ftand zur
Seite Artemis mit einem Hirfchfelle befleidet, mit dem Köcher
auf der Schulter; in der einen Hand hatte fie eine Fackel,
in der andern zwei große Schlangen. Artemis durcheilet "),
vom Himmel auf die Erde verfeßt, mit Fackeln die Lykiſchen
Höhen.
Nicht bloß die Mondgöttin, fo verfchieden auch ihre
Namen lauten, fondern auch der Sonnengott tritt uns mit
der Fackel entgegen, und auch fein Lauf am Himmel wurde
im Cultus durch den Fadellauf verfinnlicht. Die Athenaer
hielten, mit Feftkleidern geſchmuͤckt, unter Abfingung von
8) Vorh. I, ©. 365 fg.
9) Greuzer, IV, 75.
40) Soph. Oed. R. 201 sqq. Spanh. ad Callim. Hymn. in
Dian. 41.
75
Hymnen, dem Hephaftos “) einen Facellauf, jo dag man
wohl einfchen Fann, daß er urfprünglich mehr wer, als ein
rußiger Schmied und Feuerfünftler, wie ihn Homeros fhil-
dert, befonders wenn man die fchönen Sagen von feinem
Falle und von feinem Aufenthalt bei der Thetis beruͤck—
fihtigt. Aber auch Pan und Prometheus ?) wurden durch
einen Facellauf geehrt, was ficher nicht gefchehen wäre,
wenn ihm die Urzeit bloß als Feuerdieb gekannt hatte*).
Bei dem Fadellauf des Pan’) zündete man eine Facel
auf dem Altare an, und trug fie nach einem gewifjen
Ziele; wenn fie erloſch, mußte fie an den Folgenden ab-
gegeben werden. Der Sonnengott zündet im fernen Often
feine Fadel an, und das Ende des Himmels im Außerften
Weſten ift das Ziel, dem er mit feiner Fackel zueiler.
Auch auf Münzen erfcheint die Fackel neben dem Bilde
des Van).
Bei Zeus, Apollon, Ares und Dionyfos vertritt der
Tanz zum Xheil die Stelle des Fackellaufes. Dionyſos
führt feine NReigentanze unter dem Schimmer der Fadeln
auf. In dem Cultus des Zeus und Apollon verſchwand
fpater die Fackel, und an die Stelle des Fadellaufes trat,
wie bei vielen Mondgöttinen, der einfache Wettlauf, wie
er zu Olympia, Pytho und Nemea und an andern Orten
fo lange gehalten wurde, als die Griechen diefe Götter
11) Welder, Trilog. ©. 120.
12) Creuger, III, ©. 506. ef. Istri frag. ad Sieb. p. 60 sg.
45) Pausan. I, 30. 2. ef. Creuzer, II. ©. 546, not.
44) Herod. VI, 105. Creuzer, II, ©, 265.
45) Creuzer, III, ©, 264,
76
verehrten, und feine veligiofe Wichtigkeit ſelbſt ın jenen
Zeiten noch behauptete, in denen man feine fombolifche Be:
deutung langft vergeffen hatte.
Mir haben fhon bemerkt, daß die heroifche Zeit dem
Sonnengotte bald ein Flügelpferd, dann einen Wagen gab,
auf welchem er feine Reife am Himmel vollendet. Die nam:
liche Erfcheinung treffen wir auch bei der Mondgottin am.
Sie tritt und in vielen Sagen und Abbildungen entgegen,
wie fie auf einem Noffe fit, und eine brennende Fackel in
der Hand halt. Die Farbe diefer Noffe war weiß, wie das
Licht, und nicht bloß der Sonnengott erhielt von derfelben
den Namen Leufippos, fondern aud) die Mondgöttin wurde
Leufippe benannt‘). Auch bei den Perſern waren weiße
Roffe der Sonne heilig. Wegender Schnelligkeit, womit
das Licht bei dem Erfcheinen der Sonne fid) nad) allen Seiten
verbreitet, womit ferner die Sonne ihre große Bahn durd)
‚lauft, legte die Sage diefen Pferden Flügel bei, ohne fich
ängftlich zu befümmern, ob ſolche Thiere vorhanden wären
oder nicht. Die Symbole der Götter, überhaupt alles, was
fie befigen, ift von ihrem Weſen durchdrungen, fo daß es
uns nicht befremden darf, wenn diefe Sonnenroſſe nicht bloß
die Gabe der Sprache, jondern fogar prophetifchen Geift be-
figen. Der Wagen, weldyen die Lichtgötter nach der Sitte
der ritterlichen Heroenzeit erhielten, ſtrahlt natürlich von
Gold und Silber, wie das Licht der Sonne und des Mondes,
Homeros hat und?) den Wagen der Here umitandlich bes
46) Callim. Hymn, in Cer. 6, 121 qq. Greuger, IV, ©. 170.
17) Hom. II. V, 720 sqg.
77
ſchrieben. Auf dieſem von Fluͤgelroſſen gezogenen Wagen
vollenden ſie nach den Vorſtellungen der Achaͤiſchen Zeit ihren
Lauf am Himmel. Es war demnach eine natuͤrliche Folge
dieſer Vorſtellungsweiſe, daß dieſe Wagenlauf im Cultus
nachgebildet ward, ohne daß der einfache Wettlauf, der durch
Religion und Alterthum geheiligt war, abgeſchafft oder ver⸗
draͤngt werden konnte.
Wir dürfen nur an die Sonnenſpiele erinnern ®), welche
dem Helios auf der Inſel Rhodos gefeiert wurden, um un-
fere Vermuthung zur vollen Gewißheit zu erheben. Se mehr
fich der Wohlftand der Griechen und der Reichthum und die
Macht einzelner Fürften vergrößerte, um fo größere Pracht
mußte fich bei diefer Art von Kampffpielen entfalten, welche
zur Nahrung eines acht ritterlichen Geiftes fo wefentlich bei—
trugen, Die Sefte, welche mit dem Wogenlaufe verherrlicht
wurden, find befannt. Wir treffen ihn ſelbſt bei folchen
Göttern an, welche man gewöhnlich nicht für Kichtgötter halt,
anden Seften der Demeter, Pallas ”) und des Hephaͤſtos, deffen
Feft zu Rom mit Spielen in der Rennbahn verherrlicht ward.
Die zweite Art der Spiele, weldye ſich auch in der fpa>
tern Zeit erhielt, ift der Sprung. Das Springen als
Leibesübung wird fchon in der Ddyffee”) erwähnt, woraus
wir fchliegen Tonnen, daß dasfelbe als religiofe Handlung
ebenfall8 der früheften Zeit angehört. Daß das Springen
von den Heroen als Leibesuͤbung betrieben werden mußte,
48) Cic. N. D. II, 24. p. 595 — 98 ed. Mos. Creuzer, II,
©. 765 not. 624.
19) Greuzer, IV, ©, 470. ı
20) VII, 103. 129.
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war natürlich. Wollten fie ihre Goͤtter damit ehren, fo
mußten fie fich anftrengen, um fid) große Fertigkeit in dem⸗
jelben zu verfchaffen. Ueber die religiofe Bedeutung des
Sprunges Tonnen wir bloß die Vermuthung ausfprechen, daß
derfelbe, da er mur im Cultus der Lichtgötter vorkommt,
feineswegs aber bei dem des Pofeidon oder Hades erwähnt
wird, fich ebenfalls auf die Schnelligfeit bezogen haben
möchte, womit der Sonnengott feinen Lauf vollendet. Er
geht nicht langſamen Schrittes, fondern fpringt oder eilet,
wie ja auch die von der Bremfe geftochene So um und
umfpringt”), und legt auf diefe Weife immer einen
großen Theil des Weges auf einmal zurüc, zu deffen
Bollendung ein Anderer, der bloß geht, viele Schritte ma-
hen muß. Im Cultus mußte ſich diefe Nachbildung des
Springens der Mondgottin und des Sonnengottes natür-
lid) darauf befchranfen, daß man nur eine gewiffe Strecke
dur) einen Sprung zurücdzulegen fuchte. Bei der Anz
ftrengung, welche diefe Uebung erforderte, war es nicht
wohl möglid), einen großen Slächenraum auf einmal auf
dieſe Weife zurück zu legen. Auch dürfte der befchränfte
Kaum um die Tempel und Heiligthümer, wo dieſe Art
von Spielen gehalten wurde, eine Abkuͤrzung geboten haben.
Daß man eine und diefelbe Erfcheinung bald durch
den Lauf, bald durch den Sprung verfinnlichte, darf
nicht befremden. Wir fehen im Mythos ebenfalls die
namlihe Sache auf verſchiedene Weiſe bezeichnet.
Während Artemis mit ihrer Fackel die Höhen durchftürmet,
21) Welder, Zrilog. &, 129,
9
und mit ungewöhnlicher Schnelligkeit über diefelben dahin
eilt, laßt die Sage die von der Bremfe geftochene So um
und um fpringen,
Deutlicher tritt die dritte Art von Kämpfen, das
Diskos-Werfen, als eine zur Ehre des Sonnengottes
beftimmte Feyer hervor. Der Diskos, eine runde Metall
fcheibe, Symbol der Sonne, mußte nach einem ge:
wiffen Ziele geworfen werden. Wir treffen dieſe religiofe
Uebung, welde befonders in Sparta gebrauchlid war,
fhon in den Homerifchen Gedichten an”). Wollen wir
die Bedeutung dieſes Gebrauches in das gehörige Licht
fegen, fo müffen wir erinnern, daß die Griechen urfprüng-
ih die Sonne und den Mond verehrten, ohne fich diefe
Geftirne in menfchlicher Oeftalt zu denken, Sie begrüßten
diefelben mit einer Menge von Namen, aus denen bei dem
bildfamen Geifte des Volkes allmählig eine fchr große An;
zahl von Göttern hervor ging. Sobald nun Apollon, Heras
kles, Jxion, Achilleus und unzählige andere Namen der Art
zu Weſen mit menfchlicher Geſtalt umgebildet waren, mußten
diefelben, in fo ferne ihre Namen urſpruͤnglich zur Bezeichs
nung der Sonne dienten, als die Urheber angejehen wer:
den, welche die Feuermaſſe, die Sonnenfcheibe, von
dem öftlihften Punkte bis zum weftlichften fortbewegten.
Mir vermurhen, daß diefe Vorftellungsmeife einer viel frühern
Zeit angehört, als jene ift, im welcher der Sonnengott mit
der Fadel in der Hand den weiten Himmelsraum durcheilt.
Einige erflärten die Sonne, wie befannt, für eine Feuermaſſe,
22) Hom. Odyss, VII, 486.
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andere für einen ſchimmernden Stein. Aus diefer Vorftel-
lungsweife dürfte fich von felbft ergeben, warum Tantalos
einen Stein empor wälzt, was aud) Siſyphos thut, Srion
dagegen ein feuriges Rad in unaufhorlihem Schwunge ers
halt. Die Farbe des Lichtes wurde bald durch Silber und
Elfenbein, bald durdh Gold und Purpur bezeichnet.
Warum follen wir und wundern, daß Tantalos und Siſyphos
einen [himmernden Marmor ftatt einer Feuerkugel fort-
bewegen? Das Himmelsgewölbe ift nach den Vorftellungen
der Alten im Often fteil, wie ein Berg. Daher drehen die
genannten mythiſchen MWefen ihren Marmor zu einer Anhöhe
empor, den fie, wenn er am Abend in die Tiefe des Meeres
hinabgefunfen ift, in der Frühe des andern Tages vom neuen
empor wälzen müffen, fo daß ihre Arbeit nie ein Ende
nimmt. E
Die Sonne gleichet einer runden Scheibe, und da fie
fig immer weiter zu bewegen fcheint, und zwar mit unglaubs
licher Schnelligkeit, fo gebrauchte man ftatt der Scheibe auch
ein geflügeltes Rad als Symbol, weldes von Feuer
ift, wie auch die Sonne für lauteres Feuer gehalten wurde,
und vom Somnengotte in feinem fehnellen Umfchwung erhalten
wird, Es draͤngte fich hier den in der Aftronomie ganz uns
erfahrenen Völkern die Frage auf: Wie Fann der Sonnengott
fo fchnell vorwärts fommen, um dag Rad, immer vom
neuen weiter zu treiben? Die Antwort auf diefe Frage
war leicht durch die Annahme zu löfen, daß er felbft an
dieſes Rad gebunden fey, und fobald man den Srion als
Frevler betrachtete, war e3 natürlich, daß ihn die Sage zur
Strafe an dasfelbe gefeffelt werden ließ, und daß er nicht
81
mehr das Rad bewegt, ſondern von demſelben in beſtaͤndigem
Umſchwunge herum getrieben wird.
Selbft bei Euripides?) walzt Helios feinen Feuer;
ball vor fich her, fo daß mir an der Richtigkeit diefer Anficht
nicht zweifeln koͤnnen. Symbol der Sonnenfcheibe war aud)
der Diskos, den natürlich der Sonnengott von einem Ende
des Himmels zum andern fortfchleudern muß, Achilleus *)
hat in Eettions Stadt eine Kugel erbeutet, welche von Eetion,
fo lange er fie befaß, gar oftmals geworfen wurde. Soll
diefe Kugel nicht die Sonnenfugel feyn, welche vom Himmel
auf die Erde verfeßt wurde, wie der Distos? Mir führen
zur Begründung diefer Behauptung an, was Creuzer ?) von
den Daphnephorien fagt: Die Daphnephorien, welche die
Thebaner alle neun Fahre dem Apollon feierten, waren nichts
anders, als ein altee Sonnenfeft. Es hatte von dem
Lorbeer feinen Namen, der, mit Olivenzweigen und Blumen
umgeben, von dem fihönften Knaben der Stadt aus einem
der alten edlen Häufer in dem feierlichen Aufzuge getragen
ward. An die Spitze eines mit Lorbeerzweigen und Blumen
ummundenen Delzweiges ftellte man eine eiferne Kugel,
an welcher andere Kleine Kugeln herab hingen. Unter diefen
hing in der Mitte eine Kugel zwifchen purpurfarbenen Kranzen,
Eleiner, als die oben auf der Spitze ruhende. Das Ganze
war mit einem purpurfarbigem Schleier unterbunden. Die
obere Kugel ftellte die Sonne vor, bie fenfrecht gerade
25) Phöniss. v. 5.
24) Hom. Il. XXIII, 326 sgg,
25) II, ©. 159 fg.
Borhalle zur Griechifchen Geſchichte. I, - 6
82
darıinter haͤngende Fleine ven Mond, die übrigen die Plas
neten und einige andere Sterne, die Kränze, deren 365 waren,
den jährlichen Sonnenlauf,
Diefe Feier dürfte. wohl die Bedeutung des Diskos und
des Werfens desfelben am beften erklären, und unfere Vers
muthung beflätigen, daß die Sage vom Herabhängen der
Hera und Artemis oder vom Erhängen fo mancher Heroinen -
nichts anders ſey, als eine ſymboliſche Bezeichnung des im
guftraume fchwebenden Mondes. Im Eultus Fonnte der
Diskos natürlich nicht von einem Ende der Erde zum andern,
fondern nur nad) einem gewiffen Ziele gefchleudert werden.
Warum er auch in die Höhe geworfen wurde, möchte ſich
aus der Bemerkung erklären, welche wir bei Tantalos und
Siſyphos in Bezug aufdas Empormwälzen des Marmors
gemacht haben. h
Auch von dem Ring und Fauſtkampf müffen wir in
Kürze fprechen. Die Sonnengdtter, deren Namen fi ur
fprünglih auf denfelben MWirkungsfreis bezogen, haben
gleihe Macht und gleiche Schickſale. Wir kennen einen |
doppelten Wirfungefreis, einen wohlthätigen und einen nach⸗
theiligen oder verderblichen. Wenn diefe doppelte Wirkfamkeit
den Grundzuͤgen nad) aud) in allen Sonnengdttern fich offens |
baret, fo tritt doch bei jedem derfelben urfprünglich eine vor
der andern hervor, bei Dionyfos die wohlthätige und ber |
gluͤckende, bei Apollon aber die verderblihe, Alle diejenigen
Götter nun, welche urfprünglid denfelben wohlrhäs |
tigen oder verderblichen Wirkungskreis hatten, befigen
gleiche Stärfe, gleiche Attribute, und fie haben auch gleiche '
Schickſale. Die völlige Gleichheit diefer ihrer Macht und |
83
Vorzüge verfinnlichte das Altertfum dur das Ringen.
Menn auch die Kraft diefer MWefen diefelbe ift, fo fucht es
doch das eine dem andern zuvor zu thun, feine Kraft mit ber
des andern zu meſſen, weil es natuͤrlich dem andern nicht
nachftehen will. Wir Tonnen eine alte Sage anführen ®),
welche zur Belräftigung dieſer Vermuthung wefentlich bei-
tragen dürfte, Herakles foll mit Zeus gerungen, und fich
dadurch den Namen Palamon, der Ringer, erworben
haben. Vater und Sohn entftanden aus VPradifaten eines
und desfelben Weſens, fie Haben alfo auch vollfommen gleiche
Eigenfhaften. Wenn nun die beiden verwandten Götter
ſich mit einander meſſen, fo Fünnen fie dieß nur deßhalb
thun, weil Feiner dem andern nachftehen, fondern im Ge
gentheile jeder den andern übertreffen will. Wie der Cul—
tus andere Verhaͤltniſſe der Lichtgütter nachbildete, fo
hat er auch diefes Ringen verfinnlicht, und der Ringkampf
bat ſich bei den Griechen bis auf die fpätefte Zeit als ein
wefentlicher Beftandtheil des Eultus erhalten,
Diejenigen Götter, deren Namen auf einen entg e—
gengejegten MWirkungsfreis hinmweifen, wie jene des
Apollon und Dionyfos, ftchen einander feimdlich gegems
über, und treten feindfelig, ftreitend gegen einander auf.
Diefe feindfelige Berührung veranfchaulicht nach unferm
Dafürhalten im Eultus den Fauſtkampf. Bei demfelben
fam es urjprünglich nicht darauf au, daß man feine Kräfte
mit eimem gleich Starken maß, fondern man fuchte den
Gegner zu zerſchmettern oder zu Boden gu werfen. Diefer
35) Greuzer, II, S. 208
6 Er
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Fauſtkampf ging in einen Waffentampf über, welcher
fih in der ſpaͤtern Zeit verlor,
In der beroifchen Zeit Fommen noch zwei andere
Kampfarten vor, welche in der Folge eingingen, das Bo—
genfchießen und das Wurffpießwerfen, Ueber die
religidfe Beftimmung diefer Kampfarten kann wohl Fein
Zweifel obwalten; allein was die Alten dadurch verfinn-
lichen wollten, dürfte fi nicht ganz mit Sicherheit ermits
teln laſſen. Wir treffen in der alten Mythologie den
Bogen ald Symbol der Verheerung und des Ber
derbens, welches der Sonnengott verbreitet. Daß man
durch das Bogenfchießen auf das Verderben hinweiſen
wollte, welches vom Sonnengotte ausgeht, feheint uns
nicht wahrfcheinlich. Der Pfeil war Symbol der Zeit,
vielleicht auch der Speer, weldyer vorzüglic) in den Sagen
über Hera und Pallas eine wichtige Rolle fpielt. Abaris
erhielt?) von Apollon einen Pfeil, und fliegt auf demfelben
durch die Luft. Die Zeitrechnung ift an den Eultus der
Lichtgoͤtter geknüpft, der Pfeil alfo Symbol des fehnelfen
Dahinfließens der Zeit. Wir haben im Deutfchen ebens
falls den Pfeil ald Symbol diefer Sache, indem wir fagen,
wie ein Pfeil oder pfeilfchnell fliege die Zeit dahin. Daraus
möchte man fchließen, daß fie das fchnelle Dahinfchwinden der
Zeit damit veranfchaulichen wollten. Indeß ift es auch moͤg⸗
lich, daß fie dadurch die Sonnengdtter und Mondgöttinen
als Kriegsgdtter bezeichneten. Wir wollen bei biefen zwei
27) Herodot. IV. c. 36. cf. Creuzer, II, ©, 143.
— — —
85
Arten von Kampfſpielen um ſo weniger verweilen, da ſie
ſich in der ſpaͤtern Zeit allmaͤhlig verloren.
Hier draͤngt ſich nun eine andere Frage auf. Wir
wiſſen, daß alle bisher angeführten Spiele auch bei Leichen—
feiern veranftaltet wurden. Wie ift es num möglich, daß
fie jene fombolifhe Bedeutung haben Fonnten, welche wir
ihnen beilegten? Wenn die Perfonen, bei deren Keichenfeier
diefe Spiele erwähnt werden, Menfchen gewejen wären, fo
fünnte man allerdings mit Recht zweifeln, ob diefelben
durch religidfe Werhaltniffe ins Dafeyn gerufen wurden;
allein dieſe mythiſchen Weſen entftanden aus Praͤdikaten
der Lichtgoͤtter, und ſanken erſt allmaͤhlig in die Reihe der
Heroen herab. Oidipus, von deſſen Leichenfeier Heſiodos
ſpricht, iſt der Schnell- oder Starkfuͤßige, wie die
Alten den Sonnengott nannten. Berühmt war im Alters
thum die LKeichenfeier des Amarynkeus *). Diefer ift ein
Sohn des Onefimahos”) oder des Alektor %), Augen
nahm ihn als einen tapferen Krieger zu Hülfe im Kampfe
gegen Herakles und machte ihn zum Mitregenten. Onefts
machos ift der Sonnengott als Förderer des Kampfgluͤckes,
als mächtiger und glüdlicher Streiter. Auf diefe Eigens
fchaft des Sohnes bezieht fi) der Name des Vaters, wels
cher urfprünglich zu feinem Sohne in demfelben Verhälts
niffe fand, wie Hpperion zum Helios. Beide Namen
waren Prädifate eines und desfelben Gottes, die man im
Kaufe der Zeit, wo ſich mit jedem der Begriff eines bes
28) Hom. Il. XXI, 630.
29) Hyg. fab. 97.
30) Eustath. ad Il, p. 503.
86
fondern Gottes verband, von einander trennte, und als zwei
Perfonen darftellte, aber, um ihre Beziehung zu einander
zu bezeichnen, in dieſe innige genealogifche Verbindung brachte.
Alek tor ) war urfprünglic) gleichfalls ein Pradifat des Son:
nengottes. Augeas, mit welchem Amarynkeus in fo innigem
Verhältuiffe fteht, iſt ſchon durch feine berühmten Heerden
und feine Abkunft, fo wie durch die Bedeutung feines Namens
old Sonnengott befannt. Deßhalb dürfen wir uns nicht
wundern, daß Amarynkeus??) mit ihm in Verbindung tritt,
und daß die Leichenfeter desfelben mit Kampfſpielen verherr:
licht ward. Auch die Leichenfpiele des Patroflos muͤſſen
vielfach befungen worden ſeyn; fonft würden fie nicht in die
Homeriſchen Geſaͤnge übergegangen ſeyn.
Waren nun die Perſonen, welche mit Kampfſpielen
geehrt wurden, Goͤtter, ſo kann es nicht befremden, daß dieſe
Spiele zur Verherrlichung ihrer Leichenfeier dienten. Die
Urzeit bezeichnete den Untergang der Sonne durch den Tod.
Am Abend erfolgt derſelbe, wenn ſie in den Fluthen des
Meeres oder Hinter Bergen verſchwunden iſt. Dieſes Ver—
ſchwinden oder Sterben wurde vielfach beklagt, und durch
Trauerfeſte begangen. Allein dieſe Trauerfeier zur Ehre des
dahin geſchwundenen Gottes konnte auch ſehr wohl durch
Veranſchaulichung und Nachbildung der Thaten verſchoͤnert
werden, welche er waͤhrend des Tages vollbrachte, durch die
34) Alektor heißt (Apollod. III, 6, 2) auch der Vater des
Iphis. Iphis, Iphitos, Sphigenia ꝛc. find Namen, welde
fich auf die Macht des Lichtes beziehen.
32) Aus Mangel an lericalifhen Hülfsmitteln fönnen wie den
Namen Amarpnkeus nicht erklären,
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Berfinnlichung feines Laufes, feiner Fahrt, feines Rin—
gens und Kampfens Mährend um Adilleus die Mur
fen Klaggefänge anftimmen, wird fein Freund und Gefährte
Patroklos, der niit ihm gleiche Bedeutung hatte, durch Kampf⸗
fpiele geehrt. So mochte ed an vielen Orten der Fall feyn,
dag man am Abend fiatt der Wehklagen und Trauer oder
vielleicht an manchen Orten neben derfelben dem Sonnen
gotte durch Verfinnlihung feiner Schickſale und Thaten die
legte Ehre erweifen wollte. Leichenſpiele, welche Bei der
Beftattung von Sterblichen Statt fanden, hätten nie eine
ſolche Verherrlichung erlangt, daß fie fich in den Dichtern der
fpatern Zeit erhalten hatten,
Aus den bisherigen Erörterungen dürfte ſich ergeben,
daß alle jene Götter, deren Dienft mit Kampffpielen vers
bunden war, aus Prädifaten der Sonne und des Mondes
entftanden, Diejenigen, welche mit Fackellauf geehrt wurs
den, haben wir zum heil ſchon angeführt, und dabei au)
des Wagen⸗Rennens gedacht. Wir wollen hier nur die vors
züglihften Spiele namhaft machen, welche in Öriechens
land ſich in der fpätern Zeit erhielten, und auf die Gütter
Rücficht nehmen, denen man diefelben veranftaltete. Vorher
aber müffen wir einem Einwurf begegnen, Mir haben be
hauptet, daß die Spiele, wegen der angebeuteten religids⸗
fombolifhen Beftimmung, nur mit dem Cultus der Lichtgoͤtter
verbunden waren, Nun ift,aber befannt, daß die Iſthmien
dem Pofeidon gefeiert wurden, der allgemein als Meergott
betrachtet wird. Diefer Einwurf hat Feine Bedeutung. Die
Iſthmien waren urfprünglich für Melifertes”) beftimmt,
35) Welder, Trilog. S. 337, ef. Creuzer II, &, 208.
88
welcher als Sormengott, wie Herafles, auch den Beinamen
Palamon, der Ringer, trug. Man veranftaltete fiezur Feier
feines Todes oder des Unterganges der Sonne. Durch die
vielen politifchen Veränderungen, welche Griechenland erfuhr,
ſank Melikertes in die Reihe fterblicher Menfchen herab, er
murde im Cultus ganz verdrängt, wenigitens ſchwand fein
Anfehen auf dem Iſthmos, während fich jenes des Pofeidon
hob. Was war alfo natürlicher, als daß die fpatere Zeit die
Feier, welche fie nicht abftellen wollte, zur Ehre des Poſeidon
hielt, was um fo eher gefchehen konnte, als man die urs
fprünglihe Beziehung diefer Spiele auf das
Wefen des Sonnengottes längft vergeffen hatte, und
fie überhaupt nur als eine religiofe Handlung betrachtete?
Die höchfte Bedeutung erlangten die olympifchenSpiele ),
welche zur Ehre des Zeug gefeiert wurden, Diefe Erfcheinung
dürfte fich wohl aus dem Umftande erklären, daß Zeus als
Gott der Achäer bei der wichtigen Rolle, welche
diefer Volksſtamm in der heroifchen Zeit in Griechenland
fpielte, die erfte Stelle im Götter» Syfteme erhielt, und
als Vater der Götter und Menfchen geehrt wurde. Wäre
Zeus Gott des Himmels gewefen, fo Fonnte man wahrlich nicht
nicht einfehen, wie man ihn durch das Diskos⸗Werfen, durch
das Ringen und den Fauſtkampf hätteehren koͤnnen! Nicht blog
zu Olympia, fondern auch zu Nemea, in Arfadten und an ans
dern Orten hatte er Kampfipiele, ein Umftand, der ung um
fo mehr überzeugen muß, daß er urfprünglic) eine ganz an;
dere Bedeutung hatte, als jene ift, welche ihm die meiften
54) Creuzer, II. ©, 553, sqgq-
89
Mythologen beilegen. Die Lykaͤen, welche ihm die Arfas
dier feierten, beweifen uns fchon durch ihren Namen, dag
fie Sonnenfpiele waren. Die Pythiſchen, welche den
Sohn der Leto ehrten, find nad) den Olympien für Hellas
am wichtigften geworden. Seitdem Apellon die Lyra
hatte, Fonnten auch muficalifche Wettkaͤmpfe von der Verehrung
diefes Gottes nicht ausgejchloffen werden. Wenn im Euls
tus des Dionyfos die Kampfſpiele auch nicht die. erfte
Stelle einnahmen, was bei der urfprünglichen Bedeutung
feines Namens nicht wohl möglich war, fo waren fie dem
felben doch nicht fremd ®).
Das Marsfeld, welches zu Rom dem Ares geweiht
war, diente vorzugsweiſe zu Wettſpielen *), Triegerifchen
Uebungen und Perfammlungen. War jene Ebene über:
fhwemmt, ſo wurde eine Flache auf dem Berge Caelius,
die ebenfalls Marsfeld genannt wurde, zu den Kampf
fpielen verwendet, die, außer den auf dem größten Circus
Statt findenden, faſt fammtlih dem Mars zu Ehren
gehalten wurden”), Warum hätte man dem Symbol der
rohen Kraft fo viele Spiele veranftalten follen, die man
fiher auf eine andere Weife geehrt haben würde ?
Hermes, welcher das Licht bringt und hinabführt vom
Himmel, hatte zu Pellana in Arkadien feine Spiele”). Auch
35) Greuzet, IV. ©. 454.
36) Dionys. Hal. Arch. V, 15. Liv. I, 5. Hartung, Relig.
der Roͤm. II, ©, 159.
37) Ovid. Fast. II, 859. II, 519. Liv. II, 5: Prud. c.
Symmach. I, 180. Fest. p. 61. 96. Hartung, 1. c.
58) Thierfch zu Pind. Ol. VII, 84 sqq. et Schol. I. e.
90
dem Eros wurden Spiele gefeiert, die Erotidien, welche bei
den Ihespiern das Hauptfeft waren”), Berüdfichtigen wir
die urfprüngliche Bedeutung des Namens Eros, welcher ein
Pradifat der Sonne war, wie der Name Hermes), in fo
ferne das Licht alles ordnet und zur Harmonie verknüpft
oder verbindet, fo werden uns die Kampfipiele bei dem Eul-
tus diefes Gottes nicht befremden. Zu Lebadeia wurden die
fogenannten Föniglicyen Erotien und Trophonien gefeiert *).
Trophonios und Agamedes haben wir fon wegen ihrer
Kunftfertigfeit und anderer Eigenschaften für Sonnengötter
erklärt. Die Mufen, als Genien der Kichtgötter, theilen die
Vorzüge und Schickſale derfelden, und haben deßhalb ebens
falls ihre Spiele *).
Mir wollen noch einige Heroen erwähnen, welche früher
göttlicher Natur waren, und aus eben diefem Grunde mit
Kampfipielen geehrt wurden. Dem Tlepolemos feierte man
auf Rhodos die Tlepolemien, dem Herakles in Athen die
Herafleen, dem Jolaos in Iheben die Zolaen, dem Ams |
pbiaraos in Dropus die Amphiaraͤen, dem Aeakos in Aigina |
die Aeakeien )). Mir Fonnten und müßten noch manchen
Heros anführen, mit deffen Eultus Spiele verbunden waren,
wenn wir bier Vollftändigkeit erzielen, und nicht vielmehr
unfere Behauptung rechtfertigen wollten, daß die Griechifchen
Götter und der größere Theil der Heroen aus Prapdifaten
39) Ereuzer, III. ©, 540,
40) Sn Samothrate erfheint Hermes felbit ald Arieros.
41) Philem. Lexic. Techn. p. 42. ed. Lond.
42) Plutarch. Moral. p. 748.
43) Schol, Pind. Ol. VII, 84. und Thierſch, 1. c-
91
der Sonne und des Mondes hervorgingen, und nur der Be
herrfcher des Meeres und der Unterwelt einen andern Urs
fprung hatten. Wie hätte man der Pallas die Panatde-
naͤen, der Demeter die Eleufinien, der Hera die Heraen “)
feiern follen, wenn die Namen diefer drei Göttinen urfprüng-
lich nicht, wie Selene oder Helena, dem Monde angehört
hätten?
Mir wollen zum Schluffe noch einiger Götter und Her
roen gedenken, welche ald Gründer und vorzügliche Pfleger
der Kampffpiele gepriefen werden, Da diefe ‚Spiele die
Schickſale und Thaten des Sonnengottes und der Monds
göttin, die Wanderung derfelben am Himmel und die Art
und Weife diefer Wanderung verfinnlichten, fo darf es uns
nicht fonderbar fcheinen, daß die Kichtgörter felbft als Be—
gründer und vorzügliche Pfleger der Kampfipiele auftreten.
Die Menfchen bildeten ja im Cultus nur nad), was die Goͤt—
ter am Himmel thaten, und da die Götter gar bald auf die
Erde verfest wurden, fo vollbringen fie auch bier zuerft, was
fie urfprünglicd am Himmel thaten.
Hermes ift deßhalb Erfinder und Vorſteher“) der Pas
läftra, überhaupt der Wettkämpfe, Sein Bild ftand nicht
bloß am Eingang des Dlympifchen Stadiums“), fondern
auch in jeder Ringſchule. Sein Sohn Euandros ordnete
die Feſtſpiele“), welche dem Pan auf dem Palatinifchen
44) Der Ehild, welchen die Sieger in den KHerien erhielten,
ift Symbol der Aegis, welde Pallas hat.
45) Oppian. Cyneg. II. 27. Creuzer, II, 624.
46) Pausan. V, 14.
47) Liv. I, 5.
92
Berge gefeiert wurden, Herakles theilt die Erfindung und
Anordnung der Wettlämpfe mit Hermes). Herakles und
Pelops ordnen die Olympiſchen Spiele”). Als Herakles zu
den Göttern ging, übergab er die Verwaltung der Olympien
den Dioskuren ), Die in einer Menge von Sagen als
Freunde gymnifcher Spiele verherrlicht find, im fo ferne fie
als Morgen: und Abendftern diefelben Schidfale haben, wie
Sonne und Mond. Lykaon gründet dem Zeus Lykaͤos
die Lykaͤen“). Sein Name war urfprünglich mit diefem
Zeus verfnüpft, wurde aber im Laufe der Zeit von demfelben
getrennt, und zu einem befondern Wefen erhoben. Wenn
in Arkadien Pan und diefer Zeus Lykaͤos neben einander vers
ehrt wurden), fo läßt fich dieß daraus erklären, daß ihre
Namen ehedem einem und demfelben Gegenftande, der gütts
lic) verehrten Sonne, angehörten, wie auc der Name des
Hermes.
Auch Thefeus wird in einer Menge von Sagen als
Stifter von Kampffpielen genannt”). Er foll die Iſthmien
gegründet oder erneuert haben‘), Erichthonios foll nach einer
Sage?) die Panathenaen eingefegt haben. Wir haben über
die Bedeutung diefes Heros unfere Vermuthung bereits)
48) Spanh. et Bergl. ad Aristoph. Plut. 4162. Creu⸗
ser; -1.Rc.
49) Ereuzer, II, 528.
50) Thierfch zu Pind. Ol. III, A.
51) Greuzer, II, 469 fg.
52) cf. Greuzer, II. ©. 480. Paus. VIII, 34, 2.
55) Plutarch. 25. Hyg. fab. 273.
54) Greuzer, IV. ©, 355.
55) Greuger, II. ©, 810 fl.
56) Vorhalle I. S. 352 fag.
93
ausgefprochen, und bemerkt, daß er ald Sonnengott betrach⸗
tet werden müffe, und als folcher das Viergefpann erfindet,
welches der Sonnengott zur Vollendung feiner Reife am
Himmel erhielt, wie die Herven den Streitwagen hatten.
Wenn die Sage den Thefeus?) als Erneurer der Panathe-
naͤen nennt, fo geſchieht dieß deßhalb, weil er urfprünglich
von Erichthonios nur feinem Namen nach verfchieden war.
Die Heraen zu Olympia gründete Hippodameia®), deren
Name, wie jener der Hera, ein Prädikat des Mondes war.
Die Belohnungen, welche diejenigen erhielten, die
einen Sieg in den heiligen Kampffpielen davon trugen, er
feinen zwar beim erften Anbli als hoͤchſt geringfügig und
unbedeutend, aber gerade fie weifen ganz vorzüglich auf
die religidfe Bedeutung der Spiele hin. Wären die:
felben bloß aus der Neigung der Griechen, fich durch Schnel⸗
ligfeit der Füße oder des Magenrennens oder durch Stärke
zu überbieten, hervorgegangen, fo würden wir ganz andere
Belohnungen für die Sieger beftimmt fehen. Allein da die:
felben den Lauf der Sonne und ihr Kämpfen und Ringen,
fo wie die Seren der Luna verfinnlichten, fo konnten die Sie
ger nur mit Öegenftanden geehrt werben, welche auf die
Natur der Lichtgötter Bezug hatten.
Die Alten nannten das Himmelsgewölbe einen Schild;
an diefem Schilde befindet fich der Mond. Die Farbe dies
ſes Schildes it blau oder weiß, und aus Sopholles ift be-
Fannt®), wie gepriefen die weißen Schilde der Argivifchen
57) Creuzer, 1. c.
58) Pausan. V, 16, 1.
59) Sophocl, Antig. v. 106.
94
Heroen waren, welche nach Theben zogen. Mer alfo in den
Heraͤen fiegte, befam das Symbol der Hera, den Schild.
Die Fichte war wegen der Achnlichkeit ihrer Zapfen mit dem
Phallos Symbol der Sonne, welche überall Leben verbreitet.
Deßhalb dürfen wir uns nicht wundern, : daß diejenigen,
welche in den Nemeen fiegten, einen Fichtenkrang erhielten.
Symbol des Sonnengottes und der Mondgöttin war auch
der Delbaum wegen des Brennftoffes, den er lieferte. Deß-
halb erhielt der Sieger zu Olympia einen Kranz aus Zwei⸗
gen diefes Baumes. Der Sonnengott ift Begründer alles
Gluͤckes, ftifter aber auch Unglück und Verderben. Aus die
ſem Grunde war ihm die Silberpappel heilig, deren Blatter
auf der obern Seite eine helle, auf der untern eine dunkle
Farbe haben; die helle bezeichnet ihn als Glüc- und Segem
- fpender, die dunfle als Urheber des Unheils und Verderbens.
Mir follten hier auch von den einzelnen Feftperio
den oder von der Miederfehr diefer Spiele ſprechen; allein
da tie fombolifche Bedeutung derfelben eine umftandliche Erz
örterung erfordert, fo wollen wir ung fpater hierüber erklaͤ⸗
ren, und hier nur bemerken, dag es hoͤchſt ungegründet ift,
zu glauben, diefe Kampffpiele hatten vor dem Trojanis
fben Kriege noch gar nicht beftanden, umd alle
Sagen, welche von denfelben handeln, feyen Erdichtung.
Diefe Spiele find fo alt, als die Griechiſche
Religion, und follten fie auch dur) die Stürme der
Dorijchen Wanderung und innere Gahrungen in dem einzel
nen Städten bisweilen unterbrochen worden feyn, fo folgt
daraus noch Feineswegs, daß fie erft fpater gegründet wur;
den. Iphitos, ber Enfel oder Urenkel des Oxylos, der
95
die Olympien erneuert haben foll, ift von dem mächtig (ds)
herrfchenden Apollon nicht verfchieden, fo wie Orylos der
foharffehende Sonnengott felbft ift. Beide Namen was
ren Prädifate der Sonne, Wir fehen alfo, wie felbft nach
der Dorifchen Wanderung noch einzelne mythiſche Mefen
auftauchen,
Sechstes Capitel,
Ueber den doppelten Wirkungskreis des Sonnengottes.
Mer mit den Verhältniffen des Alterthums vertraut
ift, der weiß, daß die Auguren, wenn fie Zeichen wünfd)«
ten, ihr Antlig gegen Mittag richteten, und daß die Br
gel, welche vom Oſten famen, Gluͤck, jene, welche aus
einer weftlichen Gegend berbeiflogen, Unglück” verfünder
ten. Die Urfache diefer Erfcheinung erklärt ſich von felbit,
wenn man nicht aus den Augen laßt, daß die Alten
Sonne und Mond göttlich verehrten, und daß die mei-
fien jener MWefen, welche fie ſpaͤter in menſchlicher Geftalt
als Götter anbeteten, aus Pradifaten der genannten zwet
Kichtförper hervorgingen. Im Often erhebt fich die Sonne,
welche nicht bloß das Dunkel der Nacht zerftreur, fondern
auch Menfchen und Thiere zu neuer Thaͤtigkeit weder.
Dephalb brachen die Perfer *) mit der Sonne Aufgang zum
Kriege auf, und Fehrten bei allen heiligen Handlungen ihr Ge—
fiht der Sonne zu. Die Erfcheinungen, welche vom Often
4) Creuzer, Symbol. IV. ©, 410.
96
famen, von wo fich Licht und Leben verbreitet, Fonnten nur
Gluͤck verkünden. Im Weſten geht die Sonne nad) dem
gewöhnlichen Sprachgebrauch unter, und fobald fie vers
ſchwindet, hört alles Leben und alle Thätigkeit auf, und
Nacht und Finfterniß verbreitet fi) über die Erde. Den
Aufgang der Sonne bezeichnete das Griechifche Alterthum
durch die Geburt, den Untergang durch den Tod, Wie
Zeus auf der Inſel Kreta bald nach feiner Geburt von
den Kureten umgeben ift, welche diefelbe auf eine fehr
geraͤuſchvolle Weiſe feiern, jo hatte er auf diefem Eilande
auch fein Grab.
Mir dürfen und demnach nicht wundern, daß der
Sonnengott bei den Griechen einen doppelten Charakter
hat. Auf der einen Seite ift er als Kichtbringer Urheber
alles Lebens und aller Gefundheit, und begründet Gluͤck
und Heil, feine Geburt verleiht aud) allen übrigen Wefen
Leben; auf der andern Seite aber ift fein Tod Urfache,
daß auch alle andern Wefen in Schlaf und Tod verſin⸗
fen, er ift Urheber des Todes und Verderbens, und fen:
det als ſolcher Seuchen und, Peſt.
Hermes, deffen Name urfprünglicy eines ber vielen
Pradifate der Sonne war, führt aus diefem Grunde die
Menfchen nicht bloß in das Leben ein, wie er das Licht
am Himmel emporführt, fondern wie er das Licht vom
Himmel hinabführt, toͤdtet er auch alle, welche er mit feis
nem Stabe berührt und geleitet fie in das Schattenreid)
hinab. Er tödtet den Argos und bringt die Sonne, er
entführt aber auch die Rinder des Apollon, in fo ferne er
nad) Sonnenuntergang die Sterne emporfendet.
"97
Wegen diejes doppelten Wirfungsfreifes war ihm nicht
bloß der Einz, fondern aud der Ausgang geweihet?).
Auch Herakles fendet aus derfelben Urfache Unheil, waͤh—
rend man ihn auf der andern Geite ald Abwender alles
Uebels betrachtete®).
Die namliche Erfcheinung treffen wir aus derjelben
Urfacye auch bei der Mondgöttin am. Auch fie wird ges
boren, und bringt Leben und Gluͤck, auch fie ftirbt, umd
verbreitet Tod und Verderben. Das vorzüglichte Zeug-
niß, welches dieſe Behauptung. vollfommen beſtaͤtigt, ift
das Orphiſche Fragment, welches fich über die Wirkſam—
feit der Hekate bei Heſiodos) erhalten hat. Mie fie
auf der einen Seite -Keben, Gluͤck und Wohlſtand verlei-
het, fo verbreitet fie auf der andern Tod und Verderben.
Auch Artemis fchildert ung Kallimachos) aus demſelben
Grunde ſowohl als Segen ſpendende, als auch als ver
derbliche Göttin,
Nach dieſen Eroͤrterungen duͤrfte es nicht befremden,
warum der Cultus der Griechiſchen Goͤtter eine doppelte
Erſcheinung darbietet. Wir treffen namlih nicht bloß
Sreudenz, fondern auch Trauerfeſte au, deren Bedcu>
tung durchaus rathjelhaft bleibt, wenn man nicht berüd-
fihtigt, was die Griechiſchen Götter urfprünglich waren.
Die Freudenfete beziehen fih auf die Geburt oder den
Aufgang der Sonne, welche Leben und Heil über die Erde
2) Ehwend, Myth. Skizzen ©. 41.
5) Buttmann, Mytholog. I, 259 not.
4) Theogon. 411 sqgq.
5) Callim. H. in Dian. 124 sggq.
Vorhalle zur Griechlſchen Geſchichte. I. 7
98
verbreitet, weßhalb fie auch mit dem größten Jubel und
einer faft zügellofen Fröhlichfeit gefeiert wurden; die Trauer;
fefte weifen auf ihren Tod oder Untergang hin, der Tod
und Unheil zur Folge hat, weßhalb fie auch mit Klagen
und Sammergefchrei verbunden waren.
Wir müffen hier einem Einwurfe begegnen, welcher
von großen Gelehrten gemacht wird, und mit unferer Vers
muthung im größten Widerfpruche zu fliehen fcheint. Man
behauptet naͤmlich, daß fich die Freudenfefte des Griechi—
fen Eultus bloß auf das Aufleben der Natur im Früh:
linge, die Trauerfefte aber auf das Verfchwinden ihrer
Pracht nnd Herrlichkeit bei der Ankunft des Winters bes
ziehen, Diefe Anficht fucht man vorzüglich durch den Um—
ftand zu begründen, daß manche Freudenfefte bei der Ans
funft des Frühlings, viele Trauerfefte aber am Ende des
Herbftes gefeiert wurden, wo die Natur, ihrer Pracht und
Schönheit entkleidet, fih in den Trauerſchleier einhüllt.
Man hat vergeffen, daß viele Freudenfefte auch in der
Frühe, viele Trauerfefte aber nah Sonnenuntergang |
gefeiert wurden. Die Sonne geht in der Frühe auf, der |
Sonnengott wird alfo nach der bildlichen Ausdrucksweiſe
am Morgen geboren, und von feinen Verehrern mit Bes
geifterung und Entzüden begrüßt. Seine Kraft entwickelt
er aber vorzüglich im Frühling und Sommer, wo er uns
näher ift, als im Winter. Aus diefem Grunde wurde
nicht bloß feine Geburt, fondern auch feine Annaherung
mit dem Eintritte des Frühlings mit allen Aeußerungen
einer ungewöhnlichen Freude begangen. Im Herbfte ents
fernt er fich wieder. Dieß war die Urfache, dag manche
99
Trauerfefte nicht nach Sonnenuntergang, fondern bei der
Ankunft des froftigen Winters gefeiert wurden,
Wir wollen zur Beftätigung diefer Anficht anführen,
was Sokrates bei Zenophon‘) über die Annäherung und
Entfernung der Sonne fagt: „Wenn fi) die Sonne im
Winter gewendet hat, fo nahert fie fih uns, und zeitigt
Einiges, Anderes dörrt fie, nachdem feine Zeit vorüber ift,
und wann fie dieß bewirkt hat, fo rückt fie nicht naher, ſon—
bern fie Fehrt um, um uns nicht durch allzugroße Hitze
zu fchaden, und wenn fie fich wieder fo weit entfernt
bat, daß wir ſelbſt einfehen, wir müßten vor Kälte erftar-
ven, wenn fie weiter ginge, dann wendet fie fi
wieder, und rücdt herbei, und dreht fich in der
Gegend des Himmels herum, wo ihre Anweſen—
heit am wohlthätigften für ung ift.“
Wir haben fchon erinnert”), daß der Sonnengott wegen
des Weges, welchen die Sonne täglih am Himmel vom
Dften nach Weften macht, wandert, und daß diefe Wandes
rungen, als man ihre fombolifhe Bedeutung nicht mehr
Fannte, vielfach erweitert und verändert wurden. Aber nicht
bloß den taͤglichen Sonnenlauf verfinnlichte das Alterthum
durch die Wanderungen, fondern auch die verfchiedene
Stellung, welde die Sonne wahrend der einzelnen Jah—
reszeiten am Himmel einnimmt, und wer die angeführten
Worte des Sokrates berücfichtigt, der dürfte fich Leicht übers
zeugen, daß die Sagen über die Wanderungen des Apollon
6) Xenoph. Memorab. IV, 5.
7) Vorhalle. I. ©. 249.
7%
— — —
100
vom Lande der Hpperboreer nach Lykien ſich großentheils
auf diefe verfchiedene Stellung der Sonne beziehen.
Wie nun die Alten fowohl den täglichen Sonnenlauf,
als auc) die verfchiedene Stellung, weldye die Sonne wäahs
send der einzelnen Sahreszeiten einnimmt, durch die Wan;
derungen des Sonmengottes fombolifc) bezeichneten, fo haben
fie auch nicht bloß feine Geburt (oder den Aufgang),
fondern auch feine Annäherung im Frühling mit $reus
denfeften begangen’). Es ift befannt, mit welchem
Jubel man den Apollo in Delphi bei feiner Anfunft aus
dem Hnperboreerlande begrüßte. Auf gleibe Weiſe wurde
auch nicht bloß der Untergang der Sonne oder ber
ſymboliſche Tod des Sonnengottes, fondern auch ihre Ents
fernung beklagt, und mit Trauerfeften begangen.
Mir wollen unfere Behauptung durch einige Beifpiele
naher begründen, Jedem Freunde der griechifchen Poeſie
ift e8 befannt, mit welchen Entzüden der Chor in des
8 Schwenck (Mytholog. Skizzen ©. 10 fg.) iſt anderer Anficht:
„Da die Natur ale Jahre abfiirbt, und leidet, in den
Hundstagen und im Winter, fo gab e3 Klagen um geftorbene
und uͤbel behandelte Götter, dagegen tft ihr allmaͤhliges Wieder⸗
aufleben eine Geburt, fo daß felbft Zeus, der Himmeldfönig,
in dieſer Hinfiht als Kind genommen ward. Wären Apollon,
Zeus, Dionyfos und andere Götter aus Praͤdikaten der Erde
entftander, daan wirde diefe Anſicht Grund haben. Allein
wenn Zeus und andere Götter aus Prädifaten der Sonne
hervorgingen, fo flieht man nicht ein, wie Me Griechen an
Feften, welde fie dieſen Göttern feierten, das Nufblüuhen
oder Erfterben alles Lebens in der Natur mit Jubel begrüßen
oder beklagen konnten, wenn fie damit nicht den Einfluß der
Sonne auf Leben und Tod, auf Blühen und Berblühen ver:
ſinnlichen wollten!
101
Sophofles Antigene den Aufgang der Sonne begrüßt, und
wenn auch feine Freude durch die glückliche Abwendung
der dem WVaterlande drohenden Gefahr vermehrt wurde, fo
fieht man doch aus dem Unfange des Oefanges, daß aud)
die Ankunft diefes milden und Alles belcbenden Geftirnes
ihn mit Entzuͤcken erfüllt. Sn Theben wurde Divuyfos
geboren, Boͤotien erfcheint in vielem Sagen der weftlich
wohnenden Griechen als öftlihe Grenze oder als derjenige
Ort, wo fi) die Sonne hinter mächtigen Bergen am Him—
mel zu erheben Scheint. Warum follten fie die Geburts—
ftätte des Dionyfos nicht auch Hier fuchen? Mit welchen
Subel in Theben die Geburt diefes Gottes gefeiert
und alle feine Fefte begangen wurden, tft allgemein befannt.
Derjenige, welcher mit unſern bisherigen Erörterungen in
der Hauptfache einverftanden it, wird den Grund diefer
ungewöhnlichen Freude und Begeifterung einzig und allein
darin fuchen, daß die Geburt des Gottes als die Urfache
alies Gluͤckes und Heiles betrachtet wurde, in fo ferne Die
Sonne Alles zum Leben weder, und überall Segen ver;
breitet. Wie wir in den Sagen über Dionyfos den Aufs
gang der Sonne mit Freudenfeften verherrlicht fehen, fo
finden wir in jenen über Achilleus unfere Behauptung, daß
man ihren Untergang beklagte, vollfommen beftätigt. Wie
Zeus auf der Inſel Kreta, fo hatte Achilleus in Elis ein
Grabmal, wo ihn die Eleifhen Frauen an einem beftimms
ten Tage bei Sonnenuntergang mitallerlei Gebräuchen
Averehrten, und befonders ein Klaggeſchrei um ihn ers
hoben). |
| 9) Pausan. VI, 23.
102
Was die Feier der Annäherung und Entfernung ber
Sonne anbelangt, fo dürfen wir nur an die Nachrichten
über die Fefte des Adonis und Atys erinnern. Das Feft
des Atys, welcher der Kybele beigefellt war, wie Zeus
der Hera, begann mit Anfang des Frühlings ®). Ein
Taumeltanz eröffnete das Ganze, An diefem Tage hieb
man die Pinie oder fruchtbare Fichte ab, an deren Mitte
das Bild des Gottes aufgehängt war, und verpflanzte den
Baum in den Tempel der Kybele. Am zweiten Tage
wurde beftandig mit Hörnern geblafen. Um dritten Tage
ward Atys gefunden, und der Jubel über diefen Fund riß
die lange zurückgehaltene Freude über alle Schranken hinaus,
und verleitete die Verehrer des Gottes zu fanatifcher Wuth.
Der raufchende Ton der Kymbeln und Pauken, der Pfeis
fen und Hörner begleitete die. enthufiaftifchen Taͤnze der
bewaffneten Priefter, diemit Kienfadeln in der Hand,
mit zerftreutem Haar und wilden Gefchrei dur Berg
und Thal rannten und ihre Arme und Füße vermundeten.
Die Fichte war Symbol des befruchtenden Einfluffes,
welchen die Sonne auf die Natur ausübt. Deßhalb ward
diefer Baum am 21. März ald dem Tage der Rückkehr
des Sonnengottes in den Tempel der Kybele verfegt. Das
Blaſen der Horner und die ausgelaffene Freude zeigen, wie
fehr fich die Alten über die Ruͤckkehr der Sonne freuten,
welche den Winter hindurch ihre wohlthätige Kraft bei
ihrer Entfernung nicht offenbaren konnte. Die Sage mel;
dete deßhalb, daß Atys am 23. März gefunden worden
10) Creuzer, Symb. II. &, 33 sq.
103
ſey, während den ganzen Winter hindurch feine Kraft und
fein beglücender Einfluß auf die ganze Natur verloren
war. Daß-man diefe fombolifhe Ausdrucksweiſe fpater
buchftablich nahm, darf nicht befremden.
Die Adonisfefte zeigen uns, wie man im Alters
thume die Entfernung der Sonne bei der Annäherung des
Winters beklagte. Zu Athen wurden die Adonien im Monat
Thargelion“), fo ziemlich im April oder Mai, (zur Zeit des
Neumondes) gefeiert. Man ftellte das Bild des Adonis auf
einer Bahre aus. Syn Alerandrien begannen fie mit einem
Freudenfefte °). An dem Tage, weldyer auf dasfelbe folgte,
trug man in ber Frühe das Bild in einem feierlichen Aufzuge,
wobei fich die Königin felbft befand, zum Mecre hinab, und
verfenkte es in die Wellen ?). Zu Bpblos endigten fich die
Klagen und das Jammern mit einer Beftattung des Adonis,
wobei alle bei Begrabniffen üblichen Gebraͤuche verrichtet
wurden‘),
Es darf uns nicht befremden, daß mit dem Trauerfefte
auch ein Freudenfeft verbunden war. Wollen wir ung diefe
Erfheinung erklären, fo dürfen wir nur bedenken, daß Adonis
auch am Abend beweint und beklagt wurde”). Die Frauen
faßen Nachts vor ihren Häufern, weinten, und fahen unver,
41) Creuzer, II. ©. 93.
12) Creuzer, II. ©. 101.
13) Diefe Sitte treffen wir auch in andern Mythen an. Eben
fo befannt ift das Auffifhen oder Erheben der Bilder aus
dem Meere, welches den Aufgang oder das Emporfteigen der
Sonne und des Mondes aus demfelben verfinnlichte,
44) Greuger, II, 100,
45) Ereuzer, I. ©, 92,
104
wandte nach einem Punkte im Norden hin. Mir fehen in
den angeführten Sagen die doppelte Trauerfeier, jene des
Unterganges der Sonne und jene ihrer Entfernung vereinigt.
Am Abend ift Adonis todt, und wird deßhalb beweint und
beffagt. Uber in der Frühe erhebt er fich wieder in verjüng»
ter Geftalt, Es war natürlih, daß man an vielen Orten,
befonders in der fpätern Zeit, wo man die ſymboliſche Ber
deutung diefer Fefte nicht mehr verftand, die zwei Feſte gleich
nad einander beging, und bald das Trauerfeft, bald
jenes der Freude zuerft feierte. Eine natürliche Folge diefer
Anderung des Cultus war es, wie ung dünkt, daß man mit
jenem QTrauerfefte, welches feinen Tod oder Untergang bes
traf, auch Gebräuche verband, welche auf die Feier feiner
Entfernung im Winter fich bezogen. Dieß fcheint fich
aus der oben angeführten Thatfache deutlich zu ergeben, dag
die Frauen, welche die Adonien nah) Sonnen » Untergang
begingen, ihr Angeficht unverrüdt nah Norden wendeten.
Daß man die Bedeutung biefer Fefte nicht mehr verftand,
acht ſchon aus dem Umftande hervor, daß man alle bei
Leichen üblichen Gebräuche verrichtete, und das Trauerfeft
auh im Frühling feierte, wo nur das Sreudenfeft
veranftaltet werden follte. Die Verſenkung des Adonisbildes
im Meere weifet auf den Untergang der Sonne hin, welche
nad) der Vorftellung der Alten, wie die Sterne, im Meere
untertauchet, und fi) aus dem Meere erhebt, weßhalb fo
viele Sagen den Sonnengott vom Meergotte abftammen *°)
ließen.
46) Creuzer weist deutlich genug (II, 104) darauf hin, daß die
ZTrauerfefte des Adonis auf Die verfchiedene. Stellung ber
105
Auch bei der Mondgättin finden wir aus demfelben
Grunde Freuden und Trauerfefte. In Naxos verehrte man
eine Ariadne der Freude und der Trauer. Hera hatte bei
den Korinthiern ein Trauerfeft '), bei welchem vierzehn edle
Kinder, fieben Knaben und fieben Mädchen, gefhoren
und in Trauerkleidern ihr dienten. Diefe Feier Fonnte fich
nur auf den Untergang des Mondes, den ſymboliſchen Tod
der Mondgoͤttin, beziehen. Die Zahl der Diener weifet auf
die Wochentage hin. Warum neben den fieben Mädchen
noch) fieben. Knaben erfcheinen, haben wir fon erflärt®).
Die Sage meldet, es fey diefes Feſt zur Sühne der Göttin
veranftaltet worden, weil fie über die Ermordung der viers
zehn Kinder der Medeia durch die Korinthier zuͤrnte. Medeia
war urfprünglich von der Hera nicht verfchieden, fondern nur
ein anderer Name der namlichen Göttin. Der Tod ihrer
Kinder findet in dem Tode der Medeia felbit feine Erklärung.
Wie namlich die Griechen zur Bezeichnung des Unterganges
des Mondes die Mondgottin fterben ließen, fo trugen fie
diefes Schickſal auch auf die Genien derfelben über. Aus
diefem Grunde kann aljo die fombolifche Ermordung der
Kinder der Medeia jenes Trauerfeft der Hera nicht veranlaßt
haben, Wer an der Richtigfeit obiger Erklärung zweifelt,
Sonne während der verfchiedenen Sahreszeiten fih beziehen.
Allein aus den wenigen Angaben, welche wir berührten, geht
auch beftimmt hervor, daß man den Untergang der Sonne an
einigen Orten im denfelben beklagte, mie dieß die Eleifchen
Frauen in Bezug auf Achilleus thaten.
17) Paus. II, 3, 6. Schol, Euripid. Med. 276. Schwencks
Andeut. ©. 73.
48) Borhalle I, S. 253.
106
der erinnere fich nur daran, daß auf dem Kithäron in Böotien
eben fo viele Bilder der Hera verbrannt wurden. In einem
Slammenmeere erhebt fich die Sonne, und in einem Slammens
meere verſchwindet fie. Auch der Mond erfcheint in Hellas
bei feinem Auf» und Untergang wie eine Feuermaſſe, weß-
halb ihm noch der Philofoph Herakleitos für lauteres Feuer
erflärte. Aus diefer Erfcheinung und diefen Anfichten läßt
fich wohl abnehmen, daß jenes Verbrennen der Bilder nur
eine fombolifhe Darftellung des Unterganges des Mondes
war, der in einem Feuermeere verſchwindet, und wir fehen
alfo unfre Anficht beftätigt, daß man die Schidfale der Goͤt—
ter und Göttinen aud) auf ihre Genien übertrug, und deßhalb
jene vierzehn Bilder, die fich auf ihre Genien bezogen, ver
brannte, Diefe Handlung ward auf einem Berge vorgenom⸗
men, weil der Mond hinter Bergen empor zu fteigen und ſich
binter denfelben zu verlieren fcheint.
Auch Jo, welche in Argos zur Hera in demfelben Vers
haltniffe ftand, in welchem wir zu Korinthos Medeia zu ihr
erbliden, hatte ein Trauerfeft, welches die Sage von dem
Umftande ableitet, daB 30”) aus Betrübniß wegen ihrer Ver⸗
mählung mit Zeus ins Gebirge geflohen und dort geftorben
fey. Die Nichtigkeit dieſes Grundes fallt jedem unbefangenen
Leſer von felbft in die Augen; die fombolifche Bedeutung ihres
Todes aber dürfte fich aus den bisherigen Erdrterungen von
felbft ergeben.
Doc nicht bloß den Tod der Mondgöttin, fondern auch
ihre Geburt oder ihre MWiedererfcheinung. haben die Grie-
49) Suid. 3. v. To.
107
chen?) gefeiert. Sonderbar möchte es fcheinen, warum die
Feſte mancher Mondgöttinen im Frühling begangen wurden ?
Wir vermuthen, daß fich diefe Sitte aus der innigen Vers
bindung erkläre, im welcher die Mondgöttin ald Gattin
mit dem Sonnengotte ſteht. Warum man diefem im Fruͤh—
linge Sefte veranftaltete, haben wir bereits bemerkt. Bei
jener innigen Verbindung nun war es natürlich), daß man
feine Gattin nicht von aller Theilnahme an diefen Frühs
lingsfeften ausfhloß. Die gewöhnlihe Annahme, daß
Hera und andere Goͤttinen, bei denen wir folhe Fefte im
Frühling antreffen, aus Praͤdikaten der Erde entftanden,
und daß fich die Feier auf das MWiederermachen der Natur und
das Grünen der Erde, nicht aber auf den Einfluß der
Sonne und des Mondes, welcher dasfelbe bewirkt, beziehe,
koͤnnen wir nicht theilen.
Aus dem doppelten Wirkungskreife, den der Sonnen;
gott und die Mondgöttin aus den angeführten Gründen
erhielten, erflart fih auh, warum dieſelben verfchiedene‘
Symbole haben. Wir treffen beim Sonnengott die
Lyra und den Bogen an. Hermes, welcher das Licht
und mit demfelben Leben, Gluͤck und Heil verbreitet, ers
findet gleich nad) feiner Geburt die Lyra. Mir betrachten
diefelbe ald Symbol der Ordnung und Harmonie, welche
das Kicht in alle Verhältniffe bringt. „Nach des Pythagoras
Anfiht war die Tugend Harmonie”), worunter er ohne
20) Die rıpareın, welche den Aufgang des Mondes verfinnlichte,
treffen wir auch bei der Hera an. cf. Athen. XV.p. 672. a.
21) Jacobs, vermifchte Schrift. II. ©. 151. Ritter, Geſchichte
der Ynth. Philofophie, ©. 228 sq.
108
Zweifel die Zufammenftimmung des vernünftigen und uns
vernünftigen Theiles im Innern des Menfchen verftand,
die er durch den Gebrauch der Mufif zu bewirken ſuchte.“
„Die Pythagoreer ?) wandten die Mufif zur Befanftigung
der Leidenschaft, ald Stimmung des Geiftes zur Harmonie,
als Arznei des Körpers und des Gemüthes an,“
Aus diefer Thatfache dürfte fic) ergeben, warum her
Sonnengott Hermes, welcher die Sonne und den Tag
bringt, welcher die Menfchen in das Leben einführt und
als ihr Bildner und Veredler gefchildert wird ®), Die
Lyra erfindet. Das Kicht bringt Leben, und geftaltet Alles
zum ſchoͤnen Einklang. Welch' ein paffenderes Symbol
fonnten die Alten dem Sonnengotte wohl geben, als bie
Lyra? Aus diefem Umftande dürften fich auch die Sagen
über die Töne und den Klang der Memnong- Säule beim
Aufgange der Sonne erklären. Memnon war urfprünglic)
auch eines der vielen Pradifate des Sonnengottes, und der
Obelisk oder überhaupt hoch ragende Säulen fein Symbol.
Wie die Ankunft der Sonne alfenthalben Harmonie bewirkt,
jo ließ man auch feine Säule beim Erfcheinen der Sonne
ertönen. Wer ſich erinnert, daß der Balfen der Argo die
Gabe der Sprache und prophetifchen Geift befigt, weil fich
der Sonnengott auf ihr befindet, und fie deßhalb von feis
nem Mefen erfüllt ift, der wird fich nicht wundern, daß
22) Müller, Dor. I. ©. 345. sq.
25) Horat. I. Od. 10 v. 2 sq. qui feros eultus hominum
recentum Voce formasti catus et decorae More palae-
strae. |
109
die Memnonss Säule ertönt, und fich Feineswegs zu der
Annahme verftchen, daß wirklich folche Vorrichtungen an der-
felben getroffen waren, daß fie jchon in der fruͤhern Zeit
beim Aufgang der Sonne einen Klang von ſich geben mußte.
Sonderbar möchte es erfcheinen, warum die Flöte,
welche bei ZTrauerfeften cine jo wichtige Rolle fpielt, bei
dem Cultus des Sonnengottes, befonders bei jenem des
Dionyfos gebraucht wurde? Die Erklärung, welche Proklus
gibt *), dürfte unter allen andern den Vorzug verdienen:
„Bon den muftcalifhen Inſtrumenten, fagt er, find einige
beruhigend, zum Befeftigen und Befänftigen gemacht, ans
dere erregend. Die beruhigenden find für die Erziehung die
geeignetften, weil fie unfer Gemüth zur Ordnung führen,
weil fie das Aufbraufen der Jugend befchwichtigen, auch
die Aufregung zur Sinnigkeit und Selbſtbeherrſchung ums
wenden. Die erregenden find am meiften geeignet, um
Begeifterung zu wecen. Daher it auch) in den Myſte—
rien und Weihungen die Flöte von Nußen. Denn das
bewegende Element wecket die Begeifterung für das Göttliche.“
Nichts erfüllte die Ureinwohner Griechenlands, welche
die Sonne göttlich verehrten, mit ſolch' einer Freude, wie die
Erſcheinung dieſes wohlthätigen Geſtirnes. Warum follten
fie fich wohl bei der Feier des Aufganges derfelben der Flöte
nicht bedienen, um durch ihre Tone alles zur Freude und zum
Jubel anzuregen?
Das Symbol der entgegengefegten Wirkſamkeit des
Sonnengottes ift der Bogen, welder Tod und Verderben
24) Grenger, II. ©, 157. not. 100.
110
bereitet. Ob der Sonnengott denfelben zur Bezeichnung
feiner zerftörenden Wirkung ſchon urfprünglich hatte, oder
ob er ihm erft fpater erhielt, wollen wir nicht weiter unters
fuchen, fondern nur an die Schilderungen erinnern, welche
fi) in den homerifchen Gefangen über den Bogen des Apollon
und jenen des Herakles erhalten haben. Apollon, welcher
mit feinem ©efchoffe den Höhen des Olympos enteilet, zeigt
nicht jene freundliche Miene, mit welcher Dionyfos auftritt,
fondern er wandelt einher, ähnlich der Nacht, und wo ein
Pfeil Hinfliegt, fterben die Menfchen und Thiere dahin.
Furchtbar ift auch) die Schilderung des Herakles, welcher felbft
in der Unterwelt mit gefpanntem Bogen erfcheint, und jeden
Augenblick den Pfeil abzufchnellen droht. Diefe Schilderungen
gehören einer uralten Zeit an, und beftätigen unfere im erften
Theile geaußerte Bemerfung?), daß die Attribute der ein-
zelnen Götter bei ihrer ſymboliſchen Bedeutung fi einer
eben fo großen. Verherrlihung von Seite der Sanger zu er;
freuen hatten, wie die Praͤdikate und die Schickſale der
Götter.
Auch auf die Seftalt und Abbildungen des Son-
nengottes hatte diefe doppelte Wirkſamkeit mächtigen Einfluß.
Es ift befannt, daß der altitalifhe Sonnengott zwei Ge⸗
fihter hatte, von denen das eine gegen Morgen, das an
dere aber gegen Abend gekehrt war. Das eine bezog ſich
auf feine Geburt und das von ihm ausgehende Gluͤck, das
andere auf feinen ſymboliſchen Tod oder Untergang und das
an denfelben gefnüpfte Unheil und Verderben. Auch von
25) Vorhalle I. ©. 52 fl.
|
|
|
111
Kefrops meldet die Sage, daß er doppelgeftaltig war”).
Dürfte man aus diefer Angabe fchließen, daß er zwei Körper
oder wenigfteng doch zwei Gefichter hatte, fo würden diefelben
fi) aus der Geftalt des Janus vollfommen erflären. Nach
der gewöhnlichen Annahme aber beftand fein Weſen nur zur
Hälfte aus dem menfchlichen Körper, der untere Theil endigte
fi) in einen Drachen oder in eine Schlange. Ueber die
Bedeutung dieſer Doppelgeftalten haben wir in dem Ab»
ſchnitte über die Thier-Symbolik unfere Vermuthung ausge
fprochen.
Diefe doppelte Wirkſamkeit des Sonnengottes zeigt fich
auch in den einzelnen Namen, welche er an verfchiedss
nen Orten hatte. Wir haben fhon dfter bemerken müffen,
daß die Menge der Sommengötter und Mondgöttinen, welche
fih in der Griechiſchen Mythologie findet, aus der großen
Anzahl von Pradifaten hervorging, welche Sonne und Mond
an den einzelnen Orten wegen ihrer Macht, ihrer Schidjale
und der Art ihrer Verehrung hatten. - Schon die heroifche
Zeit dachte ſich unter jedem Namen ein befonderes Weſen,
und aus diefem Grunde darf es nicht befremden, warum wir
einer fo großen Menge von Gottern und Heroen begegnen,
welche fo vielfache Aehnlichkeit und eine fo innige VBerwandtfchaft
mit einander haben. Nach der Befchaffenheit diefer Namen, von
denen fich einige aufden Wirfungsfreis, andere auf die Schickſale,
andere aufdie Art des Eultus des Sonnengottes bezogen, muß:
ten natürlich auch die Charaktere der Götter und Herven,
26) Athen. XII, p. 775. Schol. Aristopr. Plut. 773.
Schol. Hom. Il. £, 483 p. 506.
112
welche aus benfelben herborgingen, auf ber einen Seite ein
hoͤchſt eigenthümliches und verfchiedenes Gepraͤge erhalten,
auf der andern aber auch wieder eine große Verwandtſchaft
und Aehnlichfeit mit denen anderer ihnen verwandter Weſen
befommen. Verſchieden mußten fich die Charaktere geftalten,
in fo ferne namlich jeder Name ein befonderes Merkmal des
Lichtes oder eine befondere Eigenthümlichfeit des Cultus bes
zeichnete. Aehnlichkeit und Verwandtfchaft mußten diefe
Mefen in fo ferne erhalten, als alle ihre Namen, wenn fie
fih auch nur auf eine einzelne Erfcheinung der Sonne bes
zogen, doc) zur Begrüßung und Bezeichnung derfelben dien:
ten, fo daß die Perſonen, welche allmahlig aus denfelben
gebildet wurden, fo ziemlich diefelben Echicjale haben mußten,
welche Apollon oder Dionyjos haben. Daß diefe Schicjale
ſich aus dem verfchiedenen Erfeheinungen erflaren, welche die
Sonne darbietet, haben wir ſchon bemerft. -
Auf den wohlthätigen Einfluß der Sonne beziehen ſich
die Namen Hermes, Kadmos, Jaſion, Eetion, auf die Art
der Feyer des Aufganges dürfte der Name Dionyfos hin-
weifen. Hermes führt das Sicht herauf, das überall
Ordnung und Harmonie verbreitet, er führt die Menfchen
in das Leben umd geleitet fie aus demfelben in die Un-
terwelt. Er ift der Verbinder”) oder Verknuͤpfer. Die
27) Wir zweifeln nicht, daß eiow, Erw die Wurzel dieſes viel—
fach gedeuteten Namens ſey, und daß aus der Grundbedeu-
tung derfelben fih der Charakter des Hermes am genügendften
erklären lafe. Von siow flammt sermo, und fafen wir
dieß ins, Auge, fo fehen wir wohl ein, warum er als Vater
der Sprache und Beredſamkeit fo gefeiert ift.
113
urfprüngliche Bedeutung feines Namens war Urfache, daß
er in der fpätern Sage einen befchränften Wirkungskreis
erhielt, und der Herold. und Vermittler zwifchen Göttern
und Menfchen ward. Auf die Ordnung, welche das Licht
begründet, bezieht fich auch der Name Kadmos *). Der
Name Zafion weifet auf das Gluͤck und Heil hin, wel-
ches von der Sonne ausgeht. Estion ift nur eine andere
Form desſelben“). Deßhalb it die Lyra, auf welcher
Achilleus den Ruhm der Männer fingt, aus Estion's
Haufe. Der Name des Dionyfos fcheint fi) auf die
ftürmifhe und begeifterte Feier des Sonnenaufganges zu
beziehen,
Auch auf die entgegengefegte MWirfung des Sonnen;
gottes weifet eine große Anzahl von Namen hin, wie aud)
auf die Trauer, mit welcher der Untergang oder das Ders
fhwinden der Sonne gefeiert wurde. An der Gpite
jener Namen, welche auf die vernichtende Wirkung des
Sonnengottes hinweifen, ſteht Apollon, welchen Gottfried
Hermann ganz richtig als den Verderber erklärt. Neben
ihm erſcheint Olen, welchen die Sage feinen Sohn nennet ””),
und eine Menge von Mythen als Priefter und Diener des
Gottes bezeichnet. Wir erinnern nur an das Verhältniß
der Jo und Medeia zur Hera. Der Name Dlen war
urſpruͤnglich ein Pradifat des Sonnengottes, des Vertilgers,
wie jener des Apollon. Im Laufe der Zeit wurden aus
28) Der Name Kadmos hängt mit zdwos innig zufammen.
ef. Welder, über eine Kretifhe Colon. S. 33.
239) Buttmann, Mpthol. II, 157.
30) Pausan. X, 5, 4,
Vorhalle zur Sriechifchen Gefchichte. II. 8
114
beiven befondere Weſen gebildet, und da ihre Namen in
der innigften Beziehung zu einander ftanden, fo wurden
fie auch in eim recht inniges Verhaͤltniß zu einander ges '
bracht, und Olen als Sohn und erfter Prieſter des Apollon |
erflart. Aus der Verbindung, in welcher Dlen zu Apollon
fteht, duͤrfte ſich auch deutlicdy abnehmen laffen, daß Apollon |
urfprünglich nit der Abwehrer, fondern der Ver
derber. war.
Wichtig ift in diefer Beziehung auch das Praͤdikat
verderblich°!), welches wir bei einigen Heroen antreffen,
die früher Götter waren, Diefes Beiwort, welches bei
grimmigen und fchadlichen Ihieren, wie bei den Schlangen,
Ebern und Löwen vorfommt, tragen Atlas, Aeetes und
Minos”). Warum ihnen das Altertfum dasfelbe bei
legte, dürfte nach den bisherigen Erörterungen nicht mehr
zweifelhaft feyn. Wie Hermes der Unheil-Abwender heißt,
in fo ferne er Licht, Leben und Heil bringt, fo heißen die
genannten Heroen, die aus Prädifaten des Sonnengottes
entſtanden find, die auf Verderben und Unheil Sinnenben,
in fo ferne der Sonnengott auch) Tod und Berderben ver:
breitet. Auch der Name des Donffeus fcheint auf dieſe
Mirfung des Sonnengottes hinzuweifen. Wenn wir be
denken, daß er als Staͤdteverwuͤſter befonders gefeiert
34) 6Aodpow» cf. Schneid. Lexic. s. h. v. E3 ift höchſt un—
aereimt, wie Buttmann (Mpthol. II, 240) bemerft, diefeg
Epitheton bei den genannten Thieren in der Bedeutung ver: |
derblih, greimmig, bei den Keroen aber in einer andern zu
nehmen, und mit allerfahren oder Flug zu überfegen. |
32) Hom. Odyss. I, 52. X, 157. XI, 322. Schol. Ap.
Rhod. Ill, 997. Buttm. ]. c—
115
it, und mithin uns als Zerftorer entgegentritt, fo
möchten wir uns wohl zur Vermuthung hinneigen, daß
fein Name den zürnenden Sonnengott bezeichne, als
welcher uns auch Achilleus begegnet.
Diele Namen beziehen fih auf die Trauer und die
Klagen, welche man bei dem Verſchwinden der Sonne an
fimmte. An gefeiertften unter denfelben ift Linos, em
Name, welcher auch zur Bezeichnung des Trauergefanges
diente ®), womit man das Untertauchen der Sonne beflagte.
Neben ihn ftellen wir den Vater des Adonis, Kinyras®).
Der Name des mächtigen Peliden bezieht fi”) auf die
Klagen, welde beim Untergange der Sonne angeftimmt
wurden, Noch deutlicher tritt die Trauer, welche ihr Ver:
ſchwinden verurfachte, in den Namen Anios, Anchiſes
und Neneias hervor. Anios und Aeneias find”) Männer
des Kummers und Anchifes ift der Mann der Klagen. Auch
Pentheus und Meguapenthes dürfen hier nicht mit
Stillſchweigen übergangen werden. Nach diefen Eroͤrterun—
gen ift es uns moͤglich, das Verhaͤltniß des Apollon zum
Dionyfos in das gehörige Licht zu fetzen.
55) Greuzer, II, ©. 95. 97. ef. Pausan. IX, 29,
54) Schwend, ©. 239. zıvdow-Elagen.
35) Gruber, myth. Wörterb. L ©. 51 not. 4.
56) Die Wurzel des Namens Aeneias iſt eri«, Kummer, jene
des Namens Anchifes fcheint eyew zu fern.
8*
116
Siebentes Capitel.
Ueber das Verhältniß des Apollan zum Dionyfos.
Es iſt bifannt, daß Apollon und Dienyfos in der
Griechiſchen Mythologie bald in der innizften Verbindung
mit einander erfcheinen, bald aber feindlich ſich gegenüber
treten. Wollen wir die Urfachen diefr Erſcheinung darlegen,
fo tft e8 nothwendig, daß wir die Namen, die Charaktere,
Schickſale und Thaten diejer zwei Götter, ihre Symbole und
Attribute, die Art ibrer Verehrung und ihre Diener oder Ger
nien in möglichiter Kürze betrachten.
Wir wollen zuerft den Namen des Dionyfos naher
us Auge faſſen, von welchen wir bereit8 bemerkt haben, daß
er fich auf den Freudentaumel bezogen haben dürfte, womit
die Alten den Aufgang der Sonne begrüßten. Gewöhnlich)
erflart man Dionyfos als den Gott von Nyfa!) Wir
vermurhen, daß der Name nur eine verlängerte und umgebildete
Form von Thyoneus?) war, wie Dionyfos befanntlich
auch genannt wurde Mas ift natürlicher, als daß der
Sonnengott bei feiner Geburt oder Anfunft mit dem höchften
Freudentaumel begrüßt, und, in fo ferne er Urfache diefer
Entzuͤckung und Vegeifterung war, Thyoneus, Ihyenyfos
genannt ward’)? Als Sonnengott, welcher das Tageslicht
1) Of. Welder, Nachtr. zur Aeſchyl. Trilogie. ©. 188.
2) De Wurzel von Thyoneus dürfte Ida ſeyn, und mithin der
Rame diejes gefeierten Gottes mit jenem des Thyeſtes glei:
chen Stamm haben.
3) Ob ind» E im Ausgang des Wortes nicht auch Nyſa enthalten
fen, wollen wir nicht enticheiden. Bedenken wir, wie Paſſow
arrodenos und Abnlihe Wörter erklärt, fo möchte man fi
117
bringt, hieß er Lampter, der Leuchtende, und es wurde
ihm das Feft der Kampteria gefeiert, wobei man des Nachts
Fackeln in den Tempel trug, und Faffer mit Wein in der
ganzen Stadt umher ftellte. Als Begründer des Tages hieß
er auch Phanos (Lihr)’). Was der Name Bakchos bezeichne,
fünnen wir nicht mit Beftimmtheit ausfprechen. Indeß ver
muthen wir, daß fich derfelbe ebenfalle, wie Creuzer bemerft°),
auf das orgiaftiihe Geröfe des Cultus beziehen dürfte. Ale
Somnengott ift Bacchos Anführer der Sterne”).
Hermes, welcher die Sonne am Morgen bringt, führt aud)
den Dionyfos an den Olympos empor‘), und erjcheint als
der Warter desſelben. Mir fehen alfo auch durch dieſe fchöne
Sage, weldye das Emporfteigen der Sonne am Morgen vers
finnlicht, unfere Vermuthung beftatigt, daß der Name Dio—
nyſos Feine andere Bedeutung hatte, als die oben gegebene.
Ueber den Namen Apollon haben wir unfere Vermuthung
fon ausgefprochen, und bemerft, daß der Verderber, Olen,
fein erfter Diener ift, und Linos), deifen Name fidh auf die
Trauergefange beim Verſchwinden der Sonne bezieht, mit
ihm in inniger Verbindung ſteht. Daß Apollon’s Name aber
freilih für die Annahme entiheiden, daß die leiten zwei Sol—
ben des Wortes eine bloße Verlängerung ſeyen, Feineswegs
aber einen zweiten Begriff enthalten.
4) Pausan. VII, 37, 1.
5) Greuzer, I!, 96.
6) I, 45. II, ©. 136.
7) Sophoel. Antig. v. 1125 sqq- ?o io nveovrwv yooılv
Eorowr, vuziov p9eyudımv Eniozone-
8) Ereuzer, III, 98. not. 52.
9) Befonders tritt in dem Namen Ditolinos die Trauer um tie
verſchwundene Sonne recht deutlich hervor,
118
urfprünglidy eines der vielen Prädifate der Sonne war, be
ftätigen nicht bloß die ihn betreffenden Sagen, fondern die
Alten haben ihn ausdrüdlic als Sonnengott dargeftellt.
Drpheus ') hielt den Helios für den größten Gott, und nannte
ihn Apollon. Die Art feiner Verehrung, befonders die Feier -
der Daphnephorien) beftätigt diefe Anficht. Warum
aber von der Sonne Tod und Verderben ausgeht, haben wir
im vorhergehenden Capitel fchon bemerkt.
Aus der Bedeutung der Namen erklären fich auch die
vorzuͤglichſten Züge des Charakters beider Götter.
Dionyfos ift heiter und fröhlich. Chorreigen, Scherz
und Spiel find fein befonderes Vergnügen”). Ganz anders
fhildert ung Homeros den Apollon. Er entwandelt?) den
Höhen des Olympos, zürmenden Herzens, den Bogen an der
Schulter und den wohl verfchloffenen Köcher. Es ertönen die
Pfeile an der Schulter des Zürnenden, fo oft er fich felbft
bewegt. Er aber wandelt einher, gleich der Nacht; fern
von den Schiffen der AUchaer fett er ſich nieder, entjendet
den Pfeil, und furchtbar ift das Gefchwirr des filbernen Bogens.
Die Wirkungen diefes feines Bogens find zu befannt, als daß
wir uns bei einer Schilderung derfelben länger aufzuhalten
brauchten,
10) Eratoſth. Catast. 24 p. 19 ed Schaub. cf. Creuz. IV.
©: 14:
14) Wir haben von diefem Fefte in dem Gapitel über die
Griechiſchen Kampfipiele befonders gefprocen.
12) Horat. Od. II, 19. v. 25 sqg- quamquam choreis aptior
et jocis Judoque dictus, non sat idoneus Pugnae fere-
baris. ..
43) Hom. I. I, 44 sqg.
119
Man fonnte ung hier den Einwurf machen, daß Apollon
nicht immer von einer fo furchtbaren Seite gefchildert wird,
daß er auch in einem freundlichern Kichte erfcheint, fo daß es
fehr verkehrt wäre, wenn man feinen Charakter einzig nad)
der angeführten Stelle beurtheilen wollte. Dagegen ift zu
bemerken, daß Apollon und Dionyfos ſich nicht immer feind-
lich entgegentreten, daß fie auch in vielen Sagen in der
freundlichften Beziehung zu einander ftehen, und wenn wir die
Urfachen derfelben anzugeben verfuchen, dann wird fich ung
Gelegenheit darbieten, aufmerkſam zu machen, wie auf dieſe
MWeife das düftere Wefen des Apollon allmahlig in
einen milden Ernft ſich umgeftalten, und auch Dionyſos
eine mehr ernfte Seite befommen mußte. Hier wollen
wir beide Götter nur in ihrem Gegenfage betrachten, und
erinnern, wie fi) derfelbe aus der verichiedenen Bedeutung
ihrer Namen ſattſam erklären laffe.
Betrachten wir den Wirkungskreis und die Schidfale
beider Götter, fo überzeugen wir uns noch mehr von der oben
ausgefprochenen VBermuthung, dag der Name Dionyfos fi
auf die Freude und den Jubel beziehe, welchen die Ankunft
der Sonne erregte, und womit man diefelbe begrüßte, Apol—⸗
lon aber auf das Unheil und Verderben, welches ihrem Unters
gange oder fymbolifchen Tode folgte, und als Folge desfelben
betrachtetwurde. Aufeiner feuchten Au oder im Sumpfe
wird Dionyfos geboren *), in fo ferne die Sonne aus dem
Waſſer emporfteigt, wie auch Helios mir feinem Gefpanne
aus den Fluthen des Meeres emporfährt. Die feuchte Au
14) Welder, Nachtr. ©, 188.
120
ift Feineswegs eine reichlic) bewäfferte Wiefe, wie man ge
wöhnlich glaubt, fondern fymbolifhe Bezeichnung des Wa f-
ferfpiegels oder des Meeres, wie die fombolifhe Aus
drucksweiſe auch das Himmelsgewoͤlbe die Aleiſche Flur”)
oder die nie gemähte Au’) nannte. Mer an diefer Er-
klaͤrung zweifelt, der bedenfe, daß auch no Homeros von ”
den Kahrzeugen der Griechen fegt, fie fegeln über die feuch»
ten Pfade dahin. Wenn fi Zeus der Mutter des Dio-
nyſos in einem Feuerftrome oder mitBliß und Donner nähert,
fo ſehen wir nur die fhon ausgefprochene Anficht beftätigt,
dag die Sonne bei ihrer Ankunft oder ihrem Aufgang, wie
bei ihrem Untergange einem Seuermeere gleiche, und daß
fi hieraus auch die Sage vom Verbrennen des Herakles er-
klaͤre. Theben ift der Ort feiner Geburt, wo vielen Griechen
die Sonne am Himmel emporzufteigen fhien”). Ein Gar;
ten umgab feine Wiege. Wenn die Sonne im Frühling
wiederfehrt, fo verbreitet fie überall neues Leben, alles blüher.
Deßhalb ift Dionyfos Eiraphiotes_oder der Lenzerzeugte und
Gott des Wahsthums”). Mo er erfcheint, Kleider fich die
Natur in einen bunten Teppich, überall fproffen Blumen,
überall blühen die Bäume. Wie die Sonne bei ihrer Ans
funft am Morgen oder bei ihrem Aufgange Zreude und
Monne verbreitet, fo verbreitet aud) Dionyfos überall Luft
und Heiterkeit, Gegen und Heil. Quellen fließen von
Milh und Honig, womit das Alterthum die vielen und ver-
15) Dorhalle, 1. ©. 250 not. 509.
16) Vorh. 1. ©. 525.
417) Borhall. 1. ©. 552.
18) Welder, ©. 188 sqgq-
121
fchiedenen Segnungen, welche wir dem mwohlthätigen Strahl
der Sonne verdanken, fo fhon bezeichnete. Er fpendet die
Gabe des Weines, und wenn wir bedenken, daß er deßhelb
der Geber der Freude heißt"), dag Homeros dem Weine
das Pradifat erfreuend oder erheiternd beilegt, fo werden wir
leicht einfehen, warum dem Dionyfos, der als Symbol der
aufgehenden Sonne überall Freude und Entzuͤckung weder,
die Pflanzung und Pflege der Weinrebe beigelegt wurde,
warum er ftetö Beiter ift, wie fein Geſchenk alle Sorgen nad)
den Vorftellungen der Alten zerfireuet, jo daß fie ihn mit
Recht Lyaͤos nennen konnten.
Ueberall verbreitet ſich bei der Ankunft der Sonne Ord—
nung und Harmonie. Daher erſcheint Dionyſos?) in einer
Menge von Sagen ald Begründer gefeglicher Ordnung und
des Friedens. Selbſt die furchtbarften und ſchaͤdlichſten
Thiere“), Löwen, Tiger und Schlangen werden durch fein
Walten unfhadlid. Wie fonnte das Altertum den Einfluß
des milden Lichtes auf die ganze Natur fehoner und ein-
facher bezeichnen! Seine Wanderungen beziehen fi auf
den Kreislauf der Sonne, jo wie auch) die Reigentaͤnze, die
er mit den Nymphen aufführt, denfelben verfinnlichen. Er
halt ſich haufig auf Bergen auf, in fo ferne die Sonne hinter
Bergen empor zu fteigen fcheint.
Anders erfcheint die Wirkſamkeit und das Loos des
Apollon. Er ift auf Delos geboren, wo er vorzüglich vers
49) Virgil. Aen. I. 734.
20) Creuzer, III. ©. 84 sq. ef. Horat. Od. I, 19, 17 sqgq.
21) Horat, 1. c. tu, separatis uvidus in jugis, Nodo coer-
ces viperino Bistonidum sine fraude crines.
122
ehrt wurde, und wurde vielleicht hier deßhalb vorzüglich
geehrt, weil in den Fluthen des diefes Eiland befpülenden
Meeres vielen Griechen die Sonne zu verfchwinden fchien.
Als Gott des Verderbeng, welches man als Folge des Todes
des Sonnengottes oder des Sonnenunterganges betrachtete,
fteht er bei Hades oder Kaomedon und Admetos, wie derfelbe
euphemiftifch genannt wurde, in harter Knechtfchaft, im fo
ferne die Sonne nad) ihrem Verſchwinden bis zu ihrem Auf
gange im Hades fich aufzuhalten fhien. Er ſchickt Seuchen
und Peſt, undrafftdie Menſchen in Menge dahin, wie Aires ?),
welcher nicht bloß in Schlachten Unzählige überwältigt, fon
dern auch durh Seuchen viele dahin rafft. Als Got des
Derderbens?) ift er auch Obwalter im Kriege, der verhaltniß-
mäßig noch größere Verwuͤſtungen und Verheerungen an:
richtet, als manche Krankheit. Die Wanderungen des
Apollon haben übrigens diefelbe fymbolifche Bedeutung, wie
jene des Dionyſos.
Diefem verfchiedenen Mirfungsfreife entiprechen auch
die einzelnen Attribute, womit fie die Griechen der Urzeit aus-
zeichneren. Wir heben hier nur die zwei vorzüglichiien ders
felben, die Lyra und den Bogen, hervor. Philofiratus fah
auf einem Gemälde”) den bedeutfamen Zug, daß Dionyfos
22) Sophocl. Oedip. R. v. 185 et Wunder, |. c.
25) Homeros (Odyss. II. v. 100) nennt die Moira, welche den
Lebensfaden abfhneidet, oLoy. Warum follen wir uns wun:
dern, daß der Sonnengott Dlen und Apollon beißt, der da-
durh, daß er die Erde verläßt, Nacht, Tod und Verderben
verbreitet ?
24) Creuzer, III, 174, cf. Philostr. Icon. p. 876. 246.
123
die Lyra, welche er in der einen Hand hatte, mit dem Thyr⸗
ſos unterftügte. Ueber die Bedeutung diefes Inſtrumentes,
welches der Kichtbringer Hermes erfindet, haben wir im vor-
bergehenden Gapitel unfere Vermuthung ausgeſprochen. Die
Sagen von der Lyra des Thefeus, welchen Athen als Bes
gründer gefelicher Ordnung ehrte, fo wie jene von der des
Amphion und Zafion oder Estion zeigen, daß die Lyra Feine
andere Bedeutung hatte. Wenn die Flöte beim Gultus des
Dionyfos eine fo wichtige Nolle Ipielt, fo darf dieg nicht bes
fremden. Mir erfehen aus der angeführten Erklärung des
Proclos, daß fie zur Erregung diente, und was war natür:
licher, als daß man bei der Feier der Ankunft desjenigen
Gottes, welcher überall Freude erzeugt, vorzüglich das In—
firument wählte, weldyes zur Erregung des höchften Enthu—
fiasmus und ungeftümer Begeifterung geeignet war.
Apollon hat urfprünglih den Bogen als hervorftechen-
des Symbol, von welchem Tod und Verderben ausgeht.
Horatius ſagt deßhalb von ihm*"), daß er den Bogen nie
ablegt. Die Art des Eultus entfprach der Eigenthümlichkeit
beider Götter vollfommen. Selbft das Versmaaß der Dithy-
ramben war für die Feier der Dionyften höchft bezeichnend.
Dem Bakchos war der in allen Rhythmen wechjelnde, unruhige
Dithyrambos heilig. Die Unruhe, das Hin» und Her
laufen der Thyiaden an den bafchifchen Feften ift befannt.
Bei dem Bakchosdienſte ertünten, wie bei jenem der Kybele,
die Kymbeln”), und der Sreudentaumel war grenzenlos.
24°) Horat. Od. III, 4, 60 — runguam humeris positurus
arcum.
25) Ereuger, III. ©, 489 sg.
124
Ernft und gemeffen waren alle Feierlichkeiten, welche zur
Ehre des Aypolion veranftaltet wurden.
So feindlich fi) Apollon und Dionyſos gegenüberftehen,
fo verfchieden ihre Charaktere, Schickſale und Thaten find,
fo fommen auf der andern Seite doc) beide Götter im fehr
nahe Berührumg mit einander, und nicht felten geht dies
felbe in die innigfte Freundſchaft über. Diefe Er;
ſcheinung fünnte auffallen, wenn wir nicht wiffen würden, daß
die Namen der meiften Götter wrfprünglid nur Pradifate
waren, welde man der Sonne wegen ihres verfcbiedenen
Wirfungsfreifes beilegte, oder womit man diefelbe begrüßte. Aus
den einzelnen Namen gingen allmählig viele Götter hervor,
welche wegen der verfchiedenen Bedeutung ihrer Namen höchft
eigenthümliche Charaktere erhielten, wie ſich dieß aus den
wenigen bisher berührten Sagen beftimmt genug abnehmen
laßt. Allein da diefe Namen, wenn fie fih urfprünglid
auch nur auf eine einzelne Wirkung der Sonne bezogen,
doch an den verfchtedenen Orten zur Begrüßung und Bezeich-
nung diefes Geſtirnes gebraucht wurden, fo war es fehr
natürli, daß die eigenthümlichen Charaftere der einzelnen
Götter, welche aus denfelben hervorgingen, vielfach umge:
bildet werden mußten, fo daß, wenn auch Apollon zunaͤchſt
der Verderber ift, er doch eine Menge von Zügen erhalten
mußte, welche fi auf die Beichaffenheit des Lichtes
überhaupt bezogen. Auf der andern Seite mußte aud)
Dionyfos aus demfelben Grunde manche Eigenfchaften ans
nehmen, welche der urfprünglichen Bedeutung feines Namens
und feines Wefens fremd waren. Dem Apollon war urs
fprünglich der Ausgang heilig, dem Dionyfos der Eins
125
gang. Allein wenn wir bedenken, daß Hermes, deffen
Charakter bei der Bedeutung feines Namens ſich ganz anders
geftaltete, als jener der zwei genannten Götter, ald Sonnen-
gott die Menjchen nicht bloß in das Leben einführt, ſondern
fie au) aus demfelben in die Schattenwelt geleitet, fo dürfen
wir und nicht wundern, daß Apollon, defjen Name ehedem
auch eines der vielen Prädifate der Sonne war, auch über
den Eingang gebietet, und nicht blog Peſt und Ver—
derben fickt, fondern, wie Hermes und Herafles, auch
Unheil abwendet, und überhaupt allmahlig faft alle
Vorzüge und Eigentbümlichfeiten erhielt, welche den Sonnen;
gott nach den Anfichten, welche die Griechen von den Wirs
fungen und verfchiedenen Erfcheinungen der Sonne hatten,
auszeichneten. Aus diefem Umftande erflärt es fih nad)
unferm Dafürbalten, warum Apollon und Dionyfos in einer
Menge von Sagen in fo inniger Beziehung zu einander
fiehen. Wir wollen einzelne Mythen anführen, und zu jetz
gen verfuchen, daß fich diefelbe nicht bloß auf die Schickſale
und Thaten beider Götter befchranft, fondern ſich auch auf ihre
Symbole, den Ort ihrer Verehrung und ihr Gefolge ausdehnt.
Wie Apollon die Peft fendet, fo wehrt er”) diefelbe, wie
wir fchon bemerften, ab, und wurde deßhalb bei Seuchen als
Entferner des Unheils vorzüglich angerufen. Dionyfos, der
Freund des Scherzes und der Chorreigen, tritt ung auf der
andern Seite auch als“) Verderber, als furdhtbarer
26) Sophoel. Oedip. R. 197. e
27) Horat. II, 19 v. 27 sg» — sed idem Paeis cras, me-
diusque belli.
126
Gottim Kampfe entgegen. Dionyfos, welcher urfprüngs
lich wegen der Bedeutung feines Namens mit dem Hades in
feiner Beziehung ftehen konnte, fteigt nicht bloß in denfelben
hinab, um feine Mutter Semele an den Himmel zu führen,
fondern er richtet auch mit Demeter und Kore über die Ver;
ftorbenen, Sa, Dionyfos, welcher uns in den meiſten Sa-
gen in der Blüthe der Fraftigften Jugend entgegentritt, wird
auf der Inſel Kreta fogar zerriffen. Kreta erfcheint in einer
großen Anzahl von Sagen als Weſtgrenze, wo die Sonne in
den Wogen des Meeres untertaucht. Diefen Untergang be
zeichnete der Mythos durch den Tod, und laßt deßhalb den
Zagreus”) von den Zitanen in ficben Theile zerreißen. Hatte
Dionyfos nicht allmählig einen weitern Wirkungskreis erhalten,
wären nicht auch auf ihn faft alle Vorzüge und Schickſale
übergetragen worden, welche nad) der Anfchauungsweife der
Griechifchen Urzeit der Somnengott im Allgemeinen hat,
fo hätte die Erzählung von dem Tode des Dionyfos nicht
entftehen fonnen. Allem wie das öftlich gelegene Theben, wo
fi über dem Dirkaͤiſchen Gewäffer die Strahlen der Sonne
erhoben, die Geburt des Sonnengottes feierte, fo mußte das
meftliche Kreta, wo diefelbe im Meere zu verfinfen oder unter;
zugehen fhien, von feinem Zode erzählen, und ganz andere
Sagen über den Sonnengott haben, als wir an andern Orten
antreffen,
Bedeutungspoll ift die Angabe, daß fih Divnyfos”)
vor feinem Tode in Feuer verwandelt habe. Auf Kreta
28) Creuzer, II. ©. 586.
29) Nonn. Dionys. VI, 174 sqq.
es, SS EEE
N ———
127
loderte) aus der Höhle des Zeus Feuer empor, und wenn
dieß geſchah, dann fagte man, Zeus fey geboren. Es be;
ftatigt fich neuerdings unfere Vermuthung, daß fich diefe
Erzählungen auf den Anblick, welchen die auf und unter
gehende Sonne darbietet, bezogen. Selbſt in unferm Lande
gleicher fie oft einem lauteren Feuer. Wie ungleich größer ift
aber nad) allen Reifebefchreibungen der Glanz aller Geftirne
in Griechenland, wo felbft die Sterne wie lauteres Feuer
fih Hinter den Gebirgen oder aus den Fluthen des Meeres zu
erheben fcheinen, und die Sonne aljo bei ihrem Erfcheinen
und Verſchwinden allerdings einen Feuermeere gleichet. Der
Sonnengott halt fich, in fo ferne die Sonne fi) hinter Bers
gen zuerheben fcheint, auf Bergen oder, in fo fern fie wahrend
der Nacht unter der Erde ſich befindet’), in Grotten auf.
Deßhalb fteigt auch jenes Feuer in der Kretifchen Sage aus
einer Höhle empor.
Sonderbar möchte es fcheinen, warum Dionyfos in
fieben Stuͤcke zerriffen wird, und die Sage feinen Tod, über
deffen ſymboliſche Bedeutung fein Zweifel obmaltet, auf eine
fo gemwaltfame Weife erfolgen laßt? Die Siebenzahl treffen
wir bei allen Sonnengöttern an, Die Lyra hat fieben Sai—
ten, Medeia ſieben Anaben und eben fo viele Mädchen,
Thefeus führt auf feinem Fahrzeuge fieben Sünglinge und
eben fo viele Sungfrauen, Geryones hat wegen der drei
30) Anton. Lib. e. 49. ef. Grenzer, IV, 456.
51) Die Dioskuren halten fih abwechfelnd unter der Erde und
am Olympos auf. Die Sonne ift während der Naht un:
fihtbar. Deßhalb verfeßte die Sage den Sonnengott bald in
eine Höhle oder in das Grab, bald in den Orkus,
128
Theile, in welche der Griechifche Monat zerfiel, eine drei:
fache Geftalt. Warum foll nicht auch der Leib des Za-
greus in fieben Theile zerlegt werden? Die Sonne fcheint
mit Gewalt, wenn fie das woeftliche Ende erreicht hat,
in die Sluthen des Meeres hinabgezogen zu werden. He—
lios jagt bei Ovidius felbft zu feinem Sohne Phaethon, die
Thetis, welche ihm aufnehme, beforge ftets, er möchte in
den Abarund gefchleudert werden. Sobald die Pradir
Fate der Sonne zu Perſonen erhoben wurden, war es na
türlih, daß die Sage wegen diefer Anfchauungsweife von
einem gewaltfamen Tode des Sonnengottes fprach.
Nicht bloß die wichtigften Schickſale theilen Apollon
und Dionyſos, jondern fie taufhen auch ihre urfprünglicyen
und eigenthümlihen Symbole gegenfeirig aus. Apollon
führt den Bogen; allein wir lefen, daß ihm Hermes *)
die Lyra gab, welche auf einen ganz andern Wirfungss
freis hinmeifet. Sobald er einmal diefe hatte, Fonnte er
nicht mehr bloß als DVerderber auftreten, fondern er mußte
natürlic) aucy als Abwender des Unheil betrachtet werden.
Allein die Sage meldet beftimmt genug, daß er fie ur
fprünglih nicht hatte, fondern fie erft befam. Unter
den Zonen diefes Inſtruments erheben fi) nun in Megara
Steine zu Öebäuden, Alles ordnet fih und ver—
wandelt fih in Harmonie, während der mit dem
Bogen gerüftere Gott Städte zertrümmert und ihre
Häupter, die Burgen, auflöfet. Vergleichen wir
52) Horat. II, 10 v. 18 sqq. quondam eithara tacentem
suscitat Musam, neque semper arcum Tendit Apollo.
129
die Sagen von der Macht der Lyra des Orpheus, des
Amphion und des Hermes, welche alle Gemüther überwäl
tigt, alles zur Gefeßlichkeit ftimmer, überall in die wilde
Unordnung Einheit und Harmonie bringt, wie die Sonne,
wenn fie fich erhebt, fo müffen wir wohl einfehen, daß
Apollon’s furchtbare Geftalt, welche bei Homeros noch
deutlich durchfchimmert, ſich wefentlih umbilden
mußte, feitdem er die Lyra erhielt. Auch Achilleus, der
furchtbare Krieger und Stadteverwüfter, weiß urfprünglich
nichts von der Lyra, fondern erhält diefelbe erft aus der
Beute, die er in Estions heiliger Stadt gemacht hatte.
Sobald der Velide die Lyra des Eetion befaß, Fonnte aller
dings die Sage der fpätern Zeit melden, daß ihn Cheiron
auf den Höhen des Pelion nicht bloß in der Bogen
Funde, fondern auch in der Muſik unterwiejen habe.
Dem Apollon war der Dreifuß wegen der drei Theile des
Monats und der Xorbeer heilig. Nicht bloß den Lorbeer,
fondern auch den Dreifuß theilt der Sohn der Leto mit
Dionyfos”). Auch in der Siebenzahl berühren fich beide
Götter). Daraus dürfte fi) auch abnehmen laffen, warum
Thefeus nicht bloß ein weißes, fondern auch ein ſchwar—
zes Segel hat, und die Diosfuren mit weißen und
fhwarzen Binden”) erfcheinen.
Nicht bloß die vorzüglichften Symbole taufchen beide
Götter gegeneinander aus, fondern fie werden auch an
einem und demfelben Orte, in demfelben Heiligthume
33) Athen. II, 58. a.
34) Procl. in Plat. Tim. p. 200. Greuzer, III, 174 sqgq-
55) Creuzer, IV, 150.
Borhalle zur Griechiſchen Geſchichte. I. 9
130
mit einander verehrt. Zu Delphi lagen nach einer Sage *)
der Einwohner die Nefte des Dionyfos begraben, An
einem Gibelfelde des Delphifchen Tempels fah man die,
Artemis, Leto, den Apollon, die Mufen, den Untergang
der Sonne und den Dionyfos von den Thyiaden ums
geben”). Am Parnaß hat Apollon des erfchlagenen Zag-
reus Glieder begraben. Die eine der beiden Spigen dieſes
Berges war dem Apollon und feiner Schwefter Artemis,
die andere dem Dionyfos heilig. Auf dem Parnaß weilet
Dionyfos nad) Sophokles, hier begehen die Bakchantinen
die Feier ihres Gottes, hier ſchwaͤrmen die Thyiaden dem
Apollon und Dionyfos zu Ehren). Die Baldhifche Sefte
erzahlte”), in Delphi habe ihr Gott vor Apollon ge-
weiffagt. Hier fehen wir alfo Apollon und Dionyfos zu
einem Weſen verfchmolzen, welches den doppelten Wir—
kungskreis, welchen Hermes hat, in ſich vereinigt“), wahrend
in einer Menge von Sagen Apollon bloß die eine Hälfte
desfelben befist, die andere aber dem Dionyfos gebührt.
Wir dürfen uns demnad) nicht wundern, Daß nad) Stra;
bons Angabe Apollon und Dionyfos als ein und derfelbe
Gott betrachtet wurden. Die Römer glaubten‘), dag
56) Plutarch. de Isid. p. 365. a. Greuger, III, 386.
37) Pausan, IX, 19, 3:
38) Pausan. X, 52, 5.
59) Aristophan. Nub. 599. Plut. de ei Delph. p. 383 F.
Nonn. Dionys. IX, 26.
40) Welder, Nachtr. ©. 198. not. 46.
41) Ovid. Fast. I, 89: Quem tamen esse deum te dieam,
Jane Biformis? Nam tibi par nullum Graeeia numen
habet —
131
ihrem Janus in der Griechiſchen Mothologie Fein Weſen
entſpreche. Betrachten wir den Apollon und Dionyfos in
diefer ihrer Vereinigung, fo entfprechen fie demfelben
volfommen, Wir glauben dieß auf eine bildliche Meife
alfo ausdruͤcken zu koͤnnen: Apollon und Dionyfos find urs
ſpruͤnglich zwei nad) verfchiedenen Richtungen gefehrte,
aber an einem Kopfe vereinigte Gefichter, wie fie Janus
hat. Sowie wir diefe Gefichter trennen, und jedem einen
eigenen Körper geben, fo muß natürlich zwifchen diefen
zwei Mefen ſich ein großer Zwiefpalt erheben, und fie müffen
-einen höchft eigenthümlichen Charakter und einen fehr verfchies
denen Wirkungskreis erhalten, Allein in fo ferne fie einem
und demfelben Körper angehörten, war es fehr
natürlich, dag fie auch verwandte und ahnliche Züge erhielten,
und diefe Aehnlichkeit mußte im Kaufe der Zeit immer mehr
bervortreten und die ©egenfäge vermindern. Ga, es Fam
bei diefer Annäherung beider Goͤtter allmahlig fomeit, daß
man dem Dionyfos wegen feines Hinabfieigens in den Hades
auch den entgegengefegten Wirkungskreis anwies ”),
welchen urfprünglic) Apollon hatte.
Aus diefer Annaherung und Vereinigung beider Götter
erflart es fih au), warum fo viele Diener derfelben in ge
nealogifhen Verbindungen erfcheinen, weldye beim erften An—
blife ganz rathfelhaft find. Die Thyiaden gehören dem
42) Macrob. Saturnal. IT, 18 p. 500 fagt: in sacris etiam
haee religiosi arcani observatio tenetur, ut Sol, cum
in supero, id est, in diurno hemisphaerio est, Apollo
vocitetur: cum in infero, id est, nocturno, Dionysus,
qui est Liber pater.
9*
132
Dionyfos, und doch ſchwaͤrmen fie auf dem Parnaſſos auch)
zur Ehre des Apollon“). Schon den Alten fiel es auf, daß
Maron Vriefter des Apollon heißt“). Maron heißt nam:
lich ein Sohn des Euanthes, und ift bei Homeros Priefter
des Apollon in der Fifonifchen Stadt Jsmaros“). Der
Name feines Waters, des Moplblühenden, fommt ale Bei-
name des Dionyfos vor. Er felbft gibt Odyſſeus trefflichen
Mein. Er wird ein Sohn der Ariadne und des Dionyfos ges
nannt*) oder Sohn des Dinopion”), der wieder ein Sohn
jener beiden Götter oder Sohn des Bakchios felbft ift. Wie
Tonnte ein Weſen, das einem Prädifate des Dionyfos fein
Dafeyn zu verdanfen hatte, mit Apollon in einer fo nahen
Beziehung ſtehen, wenn nicht beide Götter, in fo ferne ihre
Namen urfprünglich Pradifate des namlihen Gegen
ftandes waren, ſich eben fo freundlich begegneten, als fie fich
wegen der verfchtedenen Bedeutung der Namen feindlich ent-
gegen traten? - »
Auf gleiche Meife wird Eleuther, wie urfprünglich Div;
nyfos hieß, zum Sohne des Apollon ) oder des Lykaon, in fo
ferne Lykaon auch eines der vielen Vradifate der Sonne war,
Die Satyren werden Enfel des Hefataos ”) genannt, welcher
45) Pausan. X, 32, 5.
44) Homeri Odyss. IX, 498.
45) Müller, Proleg. ©. 415-
46) Paus. VII, A, 6. cf. Schol. Ap. Rhod, III, 997.
47) In fo ferne Dionyſos felbft dieſes Prädikat trug, wird die
Sage dadurch nicht geändert.
48) Stephan. Byz. s. v. Eleuseoni. Welder, Nachtr. S. 196.
not. 40.
49) Welder, Trilog. S. 212.
133
offenbar der Fernhintreffer Apollon if. Anios, König von
Delos, ift zugleich Vriefter des Apollon. Betrachten wir
die Genealogie diefes Anios, deſſen Name fich auf die
Trauer bezog, welche beim Untergange der Sonne fich aller
Gemüther bemächtigte, fo daß er dem Apollon, dem
Merderber, fehr wohl als Priefter beigegeben werden Fonnte,
fo jehen wir die Vereinigung des Apollon mit Dionyfos
durch eim neues Beifpiel beftätigt. Anios ift ein Sohn
des Ayollon und der Rhoͤo, der Tochter des Staphylos ®).
Staphylos ift der Mann der Traube, und Rhoͤo das Mäds
chen des Granatapfeld. Sowohl die Traube, als auch der
Granatapfel waren dem Dionyfos, dem Begründer alles
Lebens und aller Fruchtbarkeit, heilig, Wie Anios als
Priefter dem Apollon dient, fo tritt er durch feine Kinder
auch mit Dionyfos in Verbindung. Seine Töchter find
Spermo, Dino und Elais, die Mädchen des Saameng,
des Meines und des Deles. Aus diefem Grunde °') darf
es und auch nicht befremden, daß bei den Athenäifchen Fe—
ſten, welche ſich auf die Fahrt des Ihefeus bezogen, nas
mentlih an den Pyanepfin, Apollinifhe und Dios
npfifche Gebräuche vermifcht waren. Auch dürfte es nicht
mehr dunkel feyn, warum Apollon, fobald er die Lyra
nimmt, feinen eigenen Sohn Kinos (Ditolinos) td ds
50) Greuzer, IV. ©. 578. ef. Pherecyd. fragm. p. 223 sq-
Conon. 41. Diod. V, 62. Schol. Lycophron. 570. Virs
gil. Aen. III, 80 sqq. Heyn. excurs. p. 470. Die Er
klaͤrung, welche die Sage von dem Namen Anios gibt, ver:
dient feine Beachtung.
54) Müller, Proleg. ©. 415 ſucht die Sache auf eine ganz an:
dere Weiſe zu erklären.
134
tet, warum Orpheus bald als Diener des Apollon, bald
als Gefährte des Bakchos erfcheint, warum der Begründer
des Dionyjos-Eultus nicht Weißmann, fondern Melampus
heißt, warum ſich an das Trauerfefi, welches dem Adonis
gefenert wurde, ein Freudenfeft fchloß. |
Achtes Capitel.
Ueber das feindliche Verhältniß einiger Brüder.
Dionyjos und Apollon waren in Thrakien zwei Epi-
theta eines und deöfelben Gottes, die ſich auf die verſchie—
dene Wirkſamkeit und die verfelben entfprechende Art der
Verehrung diefes Gottes bezogen; diefelben wurden allmab:
lig von einander getrennt, und man verband mit jedem
Namen den Begriff eines befondern Gottes, fo dag aljo
aus denfelben zwei Weſen hervorgingen, welche aus den
fhon angeführten Gründen theils in freundlicher, theils in
feindlicher Beziehung fiehen. Die nämlihe Erfcheinung
treffen wir auch in einer Menge von Heroens Sagen an.
Auch Hier tritt uns eine Anzahl von Brüdern cent
gegen, welche fich feindfelig begegnen, in fo ferne ihre Nas
men ſich auf den entgegengefesgten Wirkungskreis der
Sonne beziehen, die aber auf der andern Seite, wie Apol:
lon und Dionyfos, ſich auch einander nahern, und fogar
als Brüder verbunden find, in fo ferne ihre Namen urs
prünglih Praͤdikate des namlichen Lichtkoͤrpers waren,
Wir erinnern, ohne uns an eine Chronologie zu hal
— — —
— — ———— —
N
135
ten‘), zuborderft an Amphion und Zethos. Beide
Knaben wurden von ihrer Mutter ausgefegt, von einem
Hirten gefunden und unter Hirten aufgezogen. Zethos?),
der rauberen Sinnes war, ergriff die naͤmliche Lebens»
Art, aber Amphion?), der einen fanftern Charafter
hatte, widmete fich der Mufif und der Weisheit. Er ers
hielt nach der Sage‘) von Apollon oder Hermes eine fo
wunderthätige Lyra, daß fie fogar die Felfen vom Kitharon
herablockte, und bewirkte, daß fich diefelben zufammenfüg-
ten?). Zethos war der Muſik durhaus abgeneigt,
und forderte feinen Bruder auf, die Lyra wegzuwerfen, und
fih den Waffen zu widmen‘).
Wir wollen diefe Angaben naher betrachten. Beide
Knaben wachien auf Bergen auf, wie fi) der Sonnengott
auf denfelben aufhalt, und muͤſſen natürlih, da man fie
für Sterbliche hielt, ausgefeßt werden, wie Paris und ans
dere Mefen, die chedern göttliche Natur hatten. Amphion,
der umlaufende, mit feiner Fadel alles erhellende Sonnen;
gott, ift, wie Hermes, ein Freund der Meisheit und Mufik,
fanften Charakters, wie Dionyfos, der faft überall, wohin
er fommt, Segen verbreitet, und ſich durd) die Milde fet-
1) Daß e8 für die Mythengeſchichte Feine Chronologie gebe, ha:
ben C. Otfr. Müller und Heffter deutlich genug gezeigt.
2) Stat. Thebaid. X, 443.
5) Propert. Ill. 15, 30.
4) Apollod. III, 5, 5. Paus. IX, 5. Schol. Euripid. Phö.
niss. 116. Horat. Od. III, 11, 1.
5) Hom. Odyss. A, 262. Nonn. Dionys. V, 67 Horat.
epist. ad Pison. 394 sqq. Propert. III, 2, 2. Prob. ad
Virgil. Ecelog. II, 23.
6) Mindelmanns Gefch. der Kunft, L ©, 597.
136
nes Charakters auszeichnet. Zetho8’) erfreuet fi, wie
Apollon, am Waffengetümmel, und wie Apollon bei
Homeros gleich der Nacht einherwandelt, fo ift auch des
zethos Sinn unfreundlih, rauf und finfter, fein Bruder
aber, wie Dionyfos, heiter und froͤhlich. Wenn Zethos bei
den Hirten verbleibt, und die nämliche Befchäftigung ergreift,
welcher fich feine ehemaligen Erzieher widmeten, fo darf man
nicht vergeffen, daß auch Apollon bei Admetos die Heerden
meidet, daß Aeneas und Anchifes dasselbe thun. Nur ein
Umftand dürfte Zweifel erregen, ob Amphion wirklid) dem
Dionyfos entfpreche; er hatnamlich die Xyranichturfprünglich,
wie fie Hermes als Erfinder befigt, ſondern er erhalt diefelbe
erft, und nad) einer Angabe empfängt er fie fogar aus Upol-
lons Handen, Wir vermuthen, daß die Sage, Hermes habe
ihm die Lyra gegeben, die ältere jey, und daß man diefelbe
erft jpater, wo fie Apollon durch die Gunft des Hermes als
Eigenthum befaß, von diefem an Amphion übergehen ließ.
Der Grund, warum fie Amphion nicht felbft erfindet oder
urſpruͤnglich beſitzt, möchte vielleicht darin zu ſuchen feyn,
daß man ihn fchon in der hHeroifchen Zeit als Menſchen
betrachtete, und ihm als Sterblichen einen ſolchen Vorzug
nicht einraumen konnte. Wielleicht find uns auch) jene Sa—
gen verloren gegangen, welche ihn als Erfinder, wie Herz
mes, feierten. Fuͤr unfern Zweck genügt es, aufmerkſam
gemacht zu haben, daß der Zwiſt, in welchem er mit fei-
nem Bruder lebt, darin feinen Grund hat, daß die Namen
7) Ueber Zethos cf. Schwen€ ©. 196. Wir geftehen jedoch, daß
uns die Wurzel und Bedeutung diefes Namens nicht ganz
Har ift.
—
137
beider Brüder Praͤdikate des Sonnengottes waren, die fich
auf den entgegengejegten, auf den wohlthätigen und
zerftorenden Einfluß desfelben, bezogen.
Nicht bloß in Amphion und Zethos, fondern auch in
den Namen Eteofles und Polyneifes tritt uns diefes
Verhältnig im der böotifchen Sage entgegen. Was diefe
Namen anbelangt, fo dürfte jener des Polyneifes deutlich
genug auf den zürnenden Sonnengott, welder Streit und
Verderben °) bringt, hinmweifen, und die Uneinigfeit fi, wie
bet Amphion und Zethos, aus ihrer verfchiedenen Natur ers
Hären, Beide wollen herrfchen, der eine will Segen, wie
Dionyfos, der andere Tod und Verderben, wie Apollon, ver:
breiten. Götter von fo entgegengefegtem Wirkungskreiſe ons
nen nicht neben einander beftehen, ohne mit einander in toͤdt—
liche Feindfchaft zu gerathen.
Diefer Zwiefpalt zwifchen zwei Brüder, deren Namen
urfprüngli Praͤdikate eines und desjelben Wefens waren,
ift befonders in den Sagen von Akriſios und Proitos deutlich
ausgeprägt. Beide Brüder zankten fi) fchon im Mutter
leibe; noch größer aber wurde ihre Uneinigfeit, als fie ers
wachjen waren, Sie ging fo weit, daß Afrifios den Prötos
fogar vertrieb, und nöthigte, ſich zum König von Lyfien zu
flüchten‘). Afrifios ift der auf den Höhen der Berge woh-
nende oder hinter denfelben hervorfteigende Sonnengott, der
3) Dem Sonnengott als Verderber und Kriegsgott ift nichts
angenehmer als Hader, Streit, Kampf und Mordgewühl.
9) Hom. Il. VI, 160 ef. Odyss. XI, 525. Nach der Volks—
fage (Paus. II, 25, 6) fingen die beiden Brüder einen fürm-
lihen Krieg mit einander an.
138
wegen feiner Beziehung zur Pallas, mit der er in demfelben
Berhältniffe urfprünglich geftanden haben möchte, in welchem
Diomedes zu diefer Göttin fteht, im ihrem Tempel begraben
liegt. Proitos ift nach Creuzer) der Dunkle, und wollen
wir uns von ber Bedeutung feines Namens und Wirkungs—
freifes überzeugen, fo dürfen wir nur feinen Sohn Mega-
penthes in das Auge faffen. Die Namen der Söhne tra-
gen in der Griehifhen Mythengefchichte zur Erklärung des
MWefens und der Wirkſamkeit der Väter fehr viel bei. Mir
haben fchon erinnert, daß fich diefer Name auf die Trauer
bezieht, welche der Untergang der Sonne bei den alten Voͤl⸗
fern erregte, und womit fie das Verfchwinden derfelben bes
Hagten. Wir glauben alfo, daß Ereuzer den Namen Proitos
ganz richtig erklärt, daß diefer Heros als Gott denfelben Wir:
fungsfreis urfprünglich hatte, welchen in andern Mythen
Apollon einnimmt.
Hier drangt fich aber eine andere Frage auf: Wenn fich
der Name des Proitos auf den fchadlichen und verderblichen
Einfluß des finftern oder zürnenden Sonnengottes bezog:
wie ift e8 möglich, daß feine Töchter mit Melampus in fo
naher Verbindung ftehen, und in bafchifcher Wuth umher
irren? Daß Melampus urfprünglic ein Pradifar‘) des
Dionyfos war, das man von ihm trennte und zu einem Die:
ner und Priefter des Gottes umbildete, dürfte wohl Feinem
Zweifel unterliegen. Raͤthſelhaft erfcheint es aber, wie Proi⸗
to8, wenn fein Name urjprünglich mit dem des Melampus
10) ef. Müller, Dor. I, ©. 397. not. 5,
11) Welder, Nachtrag zur Teil, ©. 192.
139
gleiche Bedeutung hatte, und diefer aus einem Pradikate des
Dionyfos hervorging, ſich auf den nachtheiligen Einfluß des
Sonnengottes beziehen foll, da wir den Dionyfos als deu
wohlthatigen, überall Segen und Heil begründenden Gott
fennen gelernt haben. Wir glauben, daß fic) diefer fchein-
bare MWiderfpruch von jelbft löst, wenn man berüdfichtigt,
dag Apollon fi dem Dionyfos eben fo freundlich nähert,
als er in andern Sagen fih ihm feindlich zeigt. Mie
Apollon die Lyra erhalt, und den Bogen ablegt, fo er
greift auf der andern Seite Dionyfos denfelben, und
tritt als Kriegsgott, ald Verderber, auf, fo da
man nach Macrobius deßhalb fogar den urjprünglichen Wirs
fungsfreis und die urfprüngliche Bedeutung des Apollon
und des Dionyfos verwechſelte. Dionyfos fieigt ferner,
was feiner Natur urfprünglid zumider war, in den Hades
hinab, holt feine Mutter, und wird als Chthonios mit
Demeter und Kora verehrt, mit denen er in der Unterwelt
die Todten richtet. Soll es uns nun befremden, daß Proi-
to8 als Dionyfos Chrhonios oder Melas nicht als wohl
thätiger, fondern als feindlicher, zu Streit und Hader ge
neigter Gott erfcheint, wenn wir bedenfen, dag auch Dr;
pheus, der Dunkle‘), mit Ayollon aus den früher ſchon ans
gegebenen Gründen in eben fo naher Beziehung fteht, wie
mit Dionyfos ?
Wichtiger find für die Mothengefchichte die Sagen
über das Verhältniß des Atreus und Thyeſtes, des
Agamemnon und Menelaos, weil gerade vom der
12) Welder, Nachtrag ©. 192.
140
richtigen Auffaffung derfelben ſich für eine Fritifche Sichtung
der Urgefchichte der befte Erfolg erwarten laßt. Der Zwift
des Atreus und Thyeftes ift befannt ®), und wenn auch Diffen
behauptet, daß Pindaros nichts davon wiffe, fo dürfen wir
deßhalb noch nicht glauben, daß alle Sagen, die ſich darauf
beziehen, jüngeren Urfprunges feyen. Es kann eine An»
gabe fich bei einem Grammatifer finden, und doc) der
Urzeit angehören. Die Bedeutung jener Uneinigfeit der
Brüder dürfte fich aus den bisherigen Erörterungen von felbft
ergeben. Ueber die Ableitung der Namen Fonnen wir aus
Mangel an lexikaliſchen Hülfsmitteln nur Vermuthungen aus;
fprehen. Der Name des Tihyeftes '*) dürfte mit jenem des
Dionyfos oder Thyoneus gleiche Wurzel haben, und fich auf
den FSreudentaumel beziehen, womit die Alten die Ankunft
der Sonne begrüßten. Atreus hieß auf Kreta Katreus, und
fpielt auf. diefem Eilande eine große Rolle. Wenn wir auch
feine Erklärung des Namens verfuchen wollen, fo koͤnnen wir
doc) der Vermuthung nicht widerftehen, daß Atreus in der
alten Argivifchen Sage dem Apollon entfprochen und daß der
Name fi auf den verderblichen Einfluß des Sonnengottes®)
bezogen habe, Wir fchließen dieß aus drei verfchiedenen,
fheinbar geringfügigen Umftänden. Wir haben fchon erin:
nert, daß die Pradifate, welche Homeros feinen Herven
45) ef. Diss. ad Pind. Ol. I, 88 p. 17.4. 2.
14) Auch Schwend ift nicht abgeneigt, 3060 als Wurzel zu be:
trachten.
15) Vielleicht bezeichnet ung Atre us den Sonnengott als den
unerſchrockenen oder unbezwinglichen Krieger, deſſen Macht
nichts widerſtehen kann.
141
beilegt, fo innig an die einzelnen Perfonen gefnüpft, fo
ganz und gar mit denfelben verwachfen find, daß man uns
möglich annehmen darf, der Sänger habe willkürlich
gehandelt, und diefelben nach Belieben vertheilt. Der
Sänger der Zlias nennt nun den Atreus den Krieges
rifhen, den Roffebezähmer“), und bezeichnet ihn
dadurh als Krieger. Krieger ift der Sonnengott nicht,
in fo ferne er als wohlthätiges Weſen überall Ordnung
gründet und Heil und Segen verbreitet, fondern in fo
ferne er als Verderber die Ordnung auflöst, Unheil ftiftet,
und Menfchen und Thiere vernichtet, wie Apollon es that,
als er fi) mit dem Bogen an der Schulter dem Griechi—
{chen Lager näherte, Atreus verweilet auf Kreta, welches
in vielen Sagen als die weftliche Grenze erfcheint, wo die
Sonne untergeht, und hat ein berühmtes Schatzhaus, einen
Thefauros, der vielleicht das unterirdifche Heiligthum war,
in welchem der von der Erde und vom Himmel verfchwuns
dene Sonnengott wohnt, bis er wieder erfcheint, und dep»
bald auch in der Urzeit verehrt wurde. Wie Apollon dem
Hades-Admetos dient, fo fteht Atreus mit Hades-Eurnftheus,
in der innigften Verbindung, in fo ferne die Sonne nad)
ihrem Untergange, der die Urfache alles Unheils ift, fich
im Haufe des Hades oder nach einer andern Ausdrudss
weife in Grotten oder im Grabe aufhält. Faffen wir diefe
Umftände zufammen, fo dürfte es nicht zu kuͤhn ſeyn,
wenn wir behaupten, daß Atreus in der Urzeit denfelben Wirs
fungsfreis hatte, welchen Apollon als Verderber und Krieges
m —
46) U. I. v. 23.
142
gott einnahm. Die Wanderungen der beiden Brüder er-
Haren fi aus denen des Sonnengottes, und wenn Thye-
fies fi mit feiner eigenen Tochter Pelopia vermählt, fo
darf man nicht vergeffen, daß die Vermählung der Sonne
und des Mondes urfprünglich fombolifche Bedeutung hatte,
und deßhalb durchaus nichts Anftößiges enthielt. Erft fpäs
ter, als man diefe Erzählung, fo wie die Sage von der
Verbindung des Didipus mit feiner Mutter, buchftäblich
auffaßre, entftand der Wahn, daß die Herven fegar durch
Blutſchaͤnderei ſich entehrten. Epikaſte hieß in einigen Sa⸗
gen des Oidipus Mutter, wie Hera Mutter des Hephaͤſtos
iſt; in andern treffen wir die Mondgoͤttin als Tochter des
Sonnengottes an. So heißt Elektryone Tochter des Ne
lios“). Die Verbindung, in welcher Sonne und Mond
am Himmel fters erfcheinen, druͤckte das bilderreiche Alter-
thum nicht bloß durd) das innige Verhaͤltniß aus, in mel-
chem Kinder und Eltern zu einander ftehen, fondern auch
durch die Vermäahlung. Daher dürfen wir uns nicht wuns
dern, daß bei der Verbindung der einzelnen Lokal⸗Sa—
gen auf diefe Meife Väter und Töchter, Söhne und Muͤt⸗
ter mit einander verknüpft wurden, was in der fpatern
Zeit, wo man die Sagen budhftäblidy nahm, hoͤchſt an—
ftößig erfcheinen mußte.
Wir haben nur die Sage von der Rache noch zu be
rühren, welche Atrens an Thyeſtes nahm“). Er tödtete
namlich deffen Söhne Tantalos und Pleifthenes, feste ihr
Fleiſch dem unglücklichen Vater zu effen vor, und gab ihm
47) Heffter, Rhod. Götterdienfte, II, ©. 32.
48) Paus. II, 18. Hyg. Fab, 883.
143
ihr Blut im Weine zum Trinfen, worüber fi) die Sonne
fo entfete, daß fie ihren Wagen zuruͤcklenkte. Atreus tritt
in diefer Angabe recht deutlich als der Zerftörer hervor.
Wie er gegen feinen Bruder feindlich handelt, fo verfahrt
er aud gegen die Söhne desfelben, die aus Praͤdikaten
des Vaters entftanden. Der Verderber verdrangt den Bes
glücer, und beraubt ihn feiner Wirkſamkeit, was die Sage
durch den fombolifchen Tod bezeichnet haben möchte. Die
Gründe, welche die Sage als Urfache des feindlichen Vers
haltnifjes des Atreus und Thyeftes angibt, gehören der
fpatern Zeit an, welche dasfelbe nicht mehr verftand, und
deghalb zu verfchiedenen Vermuthungen ihre Zuflucht nahm,
um es fi) zu erklären.
An Atreus und Thyeſtes reihen wir Agamemnon
und Menelaos an, die urfprünglich diefelbe Bedeutung
hatten, Wir ftellen den erftern vermöge feines Wirfungs-
freifes dem Thyeftes, den legtern aber dem Atreus gleich,
ohne die genenlogifche Verbindung, welche fehr verfchieden,
artig lautet, hier weiter zu berücfichtigen. Als Gott wurde
Agamemnon fchon von den Alten betrachtet und ale Zeus
erflart, Wollen wir fein Verhältnig zu Menelaos dar;
legen, fo müffen wir vor allem feinen Sohn Oreſtes und
deffen Schickſale berücfichtigen, in fo ferne diefer Name
ficher urfprünglich ein Pradifat war, das er felbft trug.
Der Sonnengott fteigt hinter Bergen empor, und führt nach
feiner Geburt in Verbindung mit den Nymphen Chorreigen
auf. Dionyfos hieß deßhalb DOrefiheus), und Oreftes ift
19) Ehmwend, mythol. Skizzen S. 60, Das Dionpſos deßhalb
144
von dieſem Weſen ficher feiner Natur nach nicht verfchie-
den. Agamemnon ift der Gaftfreund des Kyniras auf der
Inſel Kypros, und DOreftes halt ſich nicht bloß in Phokis
auf, wo Dionyfos fo haufig verweilt, fondern wir treffen
ihn auch in Zaurien, im fernen Often, an, wo fid) die
Sonne erhebt. Wie Dionyfos felbft voll Begeifterung
umher ſchwaͤrmt, und feine Genten, die Bafchantinen, voll
Raferei die Höhen der Berge durchftreifen, fo ift auch des
Oreſtes Raferei aus vielen alten Weberlieferungen bekannt,
Bon der Urfache derfelben wollen wir fpater fprechen.
Seine Srren erklären fich aus jenen des Dionyſos, welcher
ebenfalls als Sonnengott bis nach dem fernften ”) Mor:
genlande dringt, während Agamemnon in Boͤotien?), wo
Dionyfos geboren ward, eine wichtige Rolle fpielt. Die
Namen der Söhne des Dreftes bezieht Schwend auf Dios
nyfifhe Trauer und Sühne?). Was die Ermordung der
Klytaimneftra durch Oreſtes anbelangt, fo dürfte diefe Gage
unfere DVermuthung, daß die Namen des Agamemnon und
DOreftes fi) auf den mwohlthätig wirkenden Einfluß der
Sonne beziehen, vielfach beftätigen. Wenn die Sonne ſich
felbft der Bergmwandler hieß, bezeugen viele Angaben. cf.
Welder, Nachtr. ©. 186. not. 3, cf. ©, 211. 225.
20) Je mehr ſich die geographiſchen Kenntniſſe der Griechen er—
weiterten, deſto weiter wurde die Oſtgrenze hinaus geruͤckt,
ſo daß Dionyſos bei Euripides bis nach Indien wandert.
21) Athen. XIII. p. 604. d.
22) Es ift auch möglich, daß, wie Dionyfos nicht bloß als Be:
gründer des Heils und der Ordnung, fondern auch als Krie—
ger und Chthonios erfcheint, dieß auch bei Dreftes der Kal
war, und daß fih die Namen feiner Söhne darauf beziehen.
N)
145
in der Frühe erhebt, fo .verfhwindet der Mond.
Das Altertfum betrachtete die Sonne als Urſache diefer
Erfcheinung. Aus diefem runde tödtet Dreftes die Kly—
taimneftra. Die Vergleihung des Agamemnon mit einem
Stiere”) dürfte umwillfürlih an den tier - Dionyfos
erinnern,
Betrachten wir die Verhaltniffe des Menelaos, jo
möchten wir vermuthen, daß er in dem Argivifchen Sagen:
freife oder im jenem der Leleger diefelbe oder eine Ähnliche
Bedeutung hatte, wie Apollon. Er hat einen Sohn Mer
gapenthes, deſſen Name mit allem Grunde auf die
Klagen über den Untergang der Sonne bezogen werden
fann, und demnad) zur nahern Bezeichnung der Natur
feines- Vaters dient. Menelaos felbft befindet fih am
weftlichften Ende der Erde, in den Elyfeifchen Gefilden,
wo der Sonnengott nad) feiner Fahrt am Himmel aus:
ruht. Mir dürfen aus diefer Bedeutung der Namen des
Agamemnon und des Menelaos vermuthen, das fie ur—
fprünglich einander eben fo feindfelig entgegentraten, wie
Dionyfos und Apollon, aber auch, wie diefe, aus den fchon
angeführten Urfachen, in vielfacher Verbindung mit einander
ftanden, und deßhalb als Brüder verbunden wurden, wie
man in Thrakien Apollon und Dionyfos als einen und
denfelben Gott betrachtete. Die heroifche Zeit, welche die
Sagen über die Entführung der Helena buchftablih nahm,
und die Wanderungen des Menelaos und Agamemnon nad)
Troja als gefchichtlihe Ereigniffe auffaßte, mußte natürlich
25) Hom. Il. II, v. 480 sqgq.
Vorhalle zur Griechifhen Geſchichte. D. 10
146
den Zwift der Brüder in den Hintergrund ftellen
und ihr freundfchaftliches Verhaͤltniß beſonders hervor—
heben, wie wir dieß in der Ilias ſehen. Allein ganz konn⸗
ten fih die Sagen von ihrer Umeinigfeit und ent
gegengefegten Natur nicht verlieren, und wir treffen
in der Ddnffee noch deutliche Spuren davon an. Gie
erſcheinen“) in den größten Hader mit einander her
wicelt, welcher fich aus ihrer Natur erklärt, aber in einer
Zeit, die alles bucftäblih faßte, anders motibirt ward,
Wenn wir uns hier nicht auf eine Andeutung diefer
verfchiedenen Brüder: Paare befchränfen müßten, fo wären
noch manche zu nennen; allein für diejenigen, welche das
Verhaltnig des Apollon zum Dionyfos unbefangen würdis
gen, werden diefe Beifpiele hinreichen, und fie werden fic)
alle aͤhnlichen auf gleiche Weiſe erklären,
Neuntes Gapitel.
Ueber den Streit des CLykurgos mit Dionyſos.
Der Streit oder Kampf des Lykurgos und Dionyfos
muß vielfach befungen worden ſeyn. Waͤre dieß nicht der
Fall gewefen, fo dürfte Fauın eine Erwähnung desfelben in
. den Homerifchen Gefangen gefucht werden, und wenn der
Dichter auch davon fpräche, fo müßte die Sage bei ihrer
iombolifchen Bedeutung noch eine andere Geftalt haben,
24) Hom. Odyss. III, 136 sgg.
147
Lykurgos verfolgt‘) die Ammen des Dionyfos auf dem
heiligen Berge Nyſeion; alle warfen zugleich ihre Stäbe
hinweg, da fie Lykurgos wild mit dem Stachel fchlug.
Auch Dionyfos ergriff die Flucht, und rettete fich zur The—
tis in das Meer, welche ihn, den Bebenden, aufnahm.
Alle Götter zürnten deghalb dem Lykurgos, Zeus felber
blendete ihn’). Da er allen unfterblichen Göttern verhaßt
war, fo lebte er nicht lange mehr.
Wollen wir diefe Sage auf ihren urfprünglichen Inhalt
zurückführen, fo müffen wir vor allem den feindlichen Ly—
furgos näher betrachten. Weber die Ableitung und Bedeus
tung feines Namens herrfchen verjchiedene Anfichten; die
einen betrachten ihn als Kichtbringer, die andern als Licht,
abwender. Die letztere Erflarung würde allerdings mehr
auf die Natur der untergehenden Sonne hinweifen, und
an Hermes erinnern, in fo ferne er das Licht von dem Him—
mel binabführt. Allein diefe Ableitungen des Namen fcheis
nen zuunficher, als daß wiruns für die eine oder andere nach—
drüclich erklären fünnten. Wir wollen deßhalb die genealogifche
Verbindung, in welcher Lyfurgos in fo vielen Sagen erfcheint,
naher in das Augefaffen. Sein Vater ift Dryas, der Eichen»
mann, wie der Sonnengott von der ihm heiligen Eiche ge—
nannt worden zu feyn ſcheint. Vaufanias®) erzählt, Apollon
habe mit der Nymphe Korykia den Lykoros erzeugt, von
welchem die Stadt Lykoreia ihren Namen erhalten habe.
1) Hom. 11. VI, 150 sggq-
2) ef. Greuger, III, ©. 156. 184. Schwenck, mythol, Skizz.
©. 56.
5) Pausan. X, 6, 2.
10”
148
Welch' cine Wichtigkeit der Name Lykos und die davon
abgeleiteten Weſen im Eultus des Apollon haben, ift be
kannt, Er ift vorzugsmeife der Lyfier, und das Land,
wo er die Hälfte des Jahres verweilt, Lykien. Sollten
wir nicht die Vermuthung wagen dürfen, daß in Thrafien,
wo Apollon und Dionyfos als ein und derfelbe Gott be-
trachtet wurden, aber mit doppeltem Wirkungskreiſe, wie
Janus in den italifhen Sagen, Lykurgos ein Prädikat |
des Apollon war, und defhalb zu Dionyfos in demfelben
Verhaltniffe fteht, in welhem wir Apollon zu ihm er
blien? Alles, was auf Dionyfos Bezug hat, ift dem Sy:
kurgos verhaßt. Er widerfeßt ſich nicht bloß der Einfüh:
rung des Meinbaues‘), fendern er greift felbft den Gott
und deffen Gefolge an. Die fpatere Zeit, welche diefe
feindliche Berührung, die in der verfchiedenen Natur der
zwei Götter ihren Grund hatte, in fo ferne Dionyfos Heil, |
Lyfurgos Verderben verbreitet, buchftablid auffaßte, bildete
diefelbe vielfah um, fo daß aus einer feindfeligen Stimz |
mung der Götter Hader, aus diefem ein fürmlicher Kampf |
hervorging, daß Dionyſos, wie ein Fraftlofer Feind, vor
dem gewaltigen Krieger Lykurgos oder Apollon erbebt, und
fih in das Meer flüchtet, was er ald Sonnengott täglic)
thut, in fo ferne die Sonne nad) den Vorftellungen der
Griechen in dem Meere untertaucht. Se dfter diefe Sage
behandelt wurde, und je mehr ſich fpäter das Verſtaͤndniß
der Griechifhen Mythen verlor, defto mehr mußte dieſelbe
von ihrer urfprünglichen Geftalt verlieren und fo verändert
4) cf. Zoäga de Obelis. p. 206.
149
werden, daB man den Sinn kaum mehr erfennt. Nur die
Bemerfung des Sängers der Slias, daß ihn Zeus ger
blendet habe, erinnert noch an die ſymboliſche Bedeutung
des Streites des Lyfurgos und Dionyfos. Die Blentung
des Polyphemos, deffen Auge jo groß war, wie ein Argo-
liſcher Schild, dürfte uns den Schlüffel zum Verſtaͤndniß
des Oanzen geben. Sobald man fih den Sonnengott in
menfchlicher Geftalt dachte, gab man ihm zur Bezeichnung
feines Weſens das große Auge in der Mitte der Stirne,
Mie die Sonne vom Himmel verſchwindet, und ihr Licht
nach) ihrem Untergange ausgelöfcht wird, fo wird ſym—
bolifh auch das Auge des Polyphemos ausgebohrt, und
jenes des Lykurgos verliert feinen Glanz. Die nämliche
Erfheinung bezeichnete die Sage auch durch den Tod.
Wenn nun alte Angaben melden, daß Lyfurgos zuerjt ges
blendet worden fey, und dann fein Leben verloren habe, fo
fehben wir hier zwei verſchiedene mythiſche Ausdrucks—
weifen vereinigt, die urfprünglich gleiche Bedeutung hatten.
Die Feindfhaft, welche des Dryas Sohn gegen Dio-
nyſos hegt, wurde bei der buchfäblichen Auffaffung Veran
laffung, daß man ihn, vielleicht auh, um die Blendung
und feinen Tod zu erklären, als Feind aller Götter be
zeichnete.
Der zweite gefährliche Gegner, der nad) der böoti-
[hen Sage den Dionyſos feindlic angreift, ift Pen
theus, deffen Name auf die Trauer um den Untergang
der Sonne hinmweifet, fo daß wir wohl einfehen, daß fein
Streit mit dem Sohne der Semele diefelbe Erfcheinung
verfinnlicht, wie jener des Apollon oder Lykurgos. Pens
150
theus, meldet die Sage, war entfchloffen, den Bacchos mit
der Schaar der rafenden Bacchantinen zu vertilgen?).
Deßhalb nahm Bachos furctbare Rache an ihm. Cine
wilde Begeifterung trieb die Weiber aus ihren Häufern auf
den Berg Kithäron, wo fie im Taumel umherſchweiften.
Pentheus wurde von ſeiner Mutter und ihren Schweſtern,
welche ihn fuͤr ein wildes Thier hielten, in Stuͤcke
zerriſſen.
Die Ermordung durch die eigene Mutter war in
der alten Sage eben fo wenig anftößig, als die von Ore—
fies an feiner Mutter verübte That. Die untergehende
Sonne wird von dem Monde verdrängt oder getoͤdtet, deß—
halb verliert Pentheus fein Leben durch die eigene Mutter.
Die Angabe, daß fie ihn für ein wildes Thier gehalten
babe, erklärt fih aus der Thier-Symbolif. Herakles todtet
nicht bloß die Mondgöttin als Amazone, fondern er erlegt
aud) ihr Symbol, die Hydra. Aus diefem runde darf
es nicht befremden, daß Ventheus in Thiergeftalt erfcheint,
oder wenigſtens von feiner Mutter für ein wildes Thier
gehalten ward.
Der Kampf des Apollon und Dionyfos kehrt in den
Mythen von Xanthos und Melanthos wieder. Es ift be
Fannt, daß Fon ein Sohn des Apollon oder des Xuthos
heißt. Müller hat in dem Namen Xuthos richtig den
blondgelockten Apollon erkannt, der Kanthos oder Xuthos
bie. Dionyfos hieß nicht bloß Melas, fondern hatte auch
5) Apollod. III, 5, 2. Nonn. Dionys. I, 44— 46. Pausan.
II, 2. Ovid. Metam. III, 513. Hyg. Fab. 184.
151
viele andere ähnliche Beinamen. Melanthos‘), ein Sohn
des Neleus oder Periklymenos, meldet die Sage, fluͤchtete
aus Meſſene nach Athen, wo man mit ihm ſonderbarer
Weiſe eine neue Negentenfamilie ’) beginnt. Sn einem
Kriege nämlich, welchen die Bootier Damals mit den Athes
naern wegen der Stadt Denoe führten), forderte der boͤoti—
{he Anführer Zanthos oder Kanthios den Athenaifchen
König Thymoͤtes zu einem Zweikampfe, den aber diefer
ablehnte. Er verfprach dem die Regierung, welcher den
Zweikampf für ihn übernehmen würde. Die that Me:
lanthos, welder den Sieg auf folgende Weife davon
trug: Während des Kampfes ſah er hinter feinem Gegner
einen Mann in fhwarzen Ziegenfellen ſtehen, und
rief, tief entrüftet, es fey gegen die Uebereinkunft, daß er
einen Gehüuͤlfen mitgebracht. Als ſich Xauthos deßhalb
umſah, toͤdtete ihn Melanthos. Dieſe hinter Xanthos
ſtehende Geſtalt, ſagt man, ſey Dionyfos geweſen, wel—
cher wegen der Bekleidung mit ſchwarzen Ziegenfellen Me—
lanaͤgis oder Melanthides von der Unterſtuͤtzung des Melanthos
genannt worden ſey. Zum Andenken an dieſe Begebenheit
ſey dieſem Bacchos ein Tempel geſtiftet, und das Feſt der
Apaturien zugleich mit dem Feſte des Zeus Apatenor ge⸗
—
6) ef. Creuzer, II, ©. 507 fig. Känne ad Conon. 39.
p- 149 sq.
7) Daß fich adelihe Gefchlechter, Priefterfamilien, welche in der
Urzeit zugleich auch die weltlihe Gewalt hatten, nah Pra-
difaten der Götter nannten, wie auch die Namen von Volfs-
ftämmen davon entlehnt find, darf in einer hieratiſchen Zeit
nicht befremden.
8) Der Ort wird auch Melaͤnä und Kelana genannt.
152
feiert worden’). Die namliche ſymboliſche Bedeutung hatte
der Kampf des Erehtheus und Eumolpus, aus wel:
chem die Sage einen fürmlihen Krieg zwiſchen den Eleu-
finiern und Athenaern bildete. Aus diefen Erörterungen
dürfte fi) aud) die Sage von dem Zorne des Achilleus
und feinem Hader mit Agamemnon erklären‘), Achilleus
findet fein Vergnügen am Schlachtgetümmel, er ift der un:
bezwingbare, verderbliche Sonnengott, wenn fich fein Name
auch zunächft nur auf die Trauer um den Untergang der
Sonne bezieht. Agamemnon aber haben wir als einen
von Dionyfos feiner Natur nach nicht verfchiedenen Gott
betrachtet. Daß beide fich nicht mit Liebe begegnen, ift
natürlich; eben fo beftimmt laßt fich behaupten, daß ihr
Hader bei der fombolifchen Bedeutung, welche in demfelben
lag, von den Tempelſaͤngern vielfach verherrlicht
wurde, wie andere fombolifche Ereigniffe der Art.. Um
diefe Menis, die in alten religiöfen DVerhältniffen ihren
Grund hatte, dreht fi} die ganze Iſias, und wenn wir
bedenken, daß die Argo die vielgefeierte, Perſeus der herr
lichfte Kämpfer der Vorzeit heißt, fo werden wir uns leicht
überzeugen, wie diefe Menis fhon vor Homeros einen
jo großen Glanz gewinnen, und um fo öfter und umftänd-
licher befungen werden mußte, je größer Achilleus und zum
Theil . vielleicht auch Agamenmon in alten Liedern erfchie-
nen. Achilleus tritt demnach bloß wegen feiner gott:
9) Conon. Narrat. 39. Polyän. J, 19. Athen. III, 7.
10) Wir glaubten früher, denfelben in der Eiferfucht zwiſchen
den Myrmidonen und Achaern fuchen zu müffen; allein der
Grund diefer Menis liegt weit tiefer.
153
lihen Natur, wie Apollon dem Dionyfos, fo dem Agas
memnon entgegen. Er halt fi vor dem fogenannten
Trojanifchen Krieg auf Sfyros bei dem Lyfomedes auf,
defien Name unwillkuͤrlich an den Lykurgos oder Apollon
Lykios erinnert. Was in andern Sagen die Inſeln Sa—
mothrafe, Lemnos oder Lesbos find, dieß ift im jener
von Achilleus Skyros, das ditlich gelegene Eiland des nach
feiner Fahrt dafelbft ausruhenden Sonnengotted. Als fols
cher erweifet er fich vorzüglich auch durch die uralte Sage,
dag er ficb mit der todten Venthefileia vermählt habe‘).
Auch Selene verbindet fih mit Endymion, wenn er fchlaft,
und (fheinbar) todt auf dem Latmos liegt”). Die
fpätere Zeit, welche diefe fombolifchen Angaben im buch—
ftablihen Sinne nahm, mußte freilich wegen der fittlichen
Größe des Achilleus verfchiedene Zweifel hegen, die ſich
durch Feine Kritif, wohl aber durch Zurücführung ſolcher
Angaben auf ihren einfachen Sinn zerftreuen laffen.
Mie die Mufen Gefahrtinen des Apollon find, fo ums
geben fie auch den Achilleus, und ftimmen bei feinem Tode
den Klaggefang °) an. Gelbft die Kriegsgefangenen, welche
er als Ehrengefchenfe befam, dienen zur nähern Bezeichnung
feines Weſens. Die Brifeis, die Gewaltige, erinnert an
die Hefate-Brimo, welche fi) mit Hermes vermählt. Nach
einer andern Angabe‘) ift er mit Diomede, des Phorbas
(Hermes) Tochter, verbunden, welche er in Lemnos gewann.
11) Wunder ad Sophocl. Philokt. v. 440.
42) Schwencks Andeut. 358.
43) cf. Greuzer, III, €, 285.
14) I. IX, 664 sqgq.
154
Wir vermuthen, Daß die Diomede von der Theia oder
Athena Chryſe, welche auf LXemnos”) und Samsthrafe
eine fo große Rolle fpielt, nur dem Namen, nicht dem
Weſen nach verfchieden war, und dag Achilleus fich auf
jenem Cilande aufhält, weil es in andern Lokal⸗Sagen
als die öftlihe Behaufung des Sonnengottes betrachtet und
deßhalb auch Aethiopia genannt wurde,
Aus diefen wenigen, Erdrterungen dürfte fich auch die
feindfelige Stellung, in welcher Achilleus zu andern Heroen
fand, am natürlichfien und vielleicht am richtigften erflä-
ren laffen. Wir wollen nur einige derfelben, den Memnon,
Jaſion, Hektor und Paris hier befonders namhaft machen.
Memnon fann, in fo ferne er ein Sohn der Aurora
heißt, nur aus einem Pradifate der aufgehenden und
Segen fpendenden Sonne zu einem befondern Weſen
umgeſchaffen worden ſeyn. Das ferne Morgenland iſt deß⸗
halb ſeine Heimath, und Hemera ſeine Schweſter. Wie
Dionyſos in der Fuͤlle jugendlicher Kraft bluͤht, ſo auch
Memnon, und wie jener Gott die den Alten bekannte Welt
als Sonnengott durchwandert, fo find auch die Wanderuns
gen des Memnon gefeiert, deſſen Heimath immer weiter
öftlich gerückt wurde, je mehr fich Die geographifchen Kennt:
niffe erweiterten. In alten Sagen tragen viel näher lie:
gende Eilande den Namen Aethiopia. Als Licht und Heil
verbreitender Gott fteht Memnon mit Achilleus, dem nad)
Krieg und Mord verlangenden Sonnengotte, in feindlicher
Berührung, und Fämpft gegen denfelben. Sobald man
45) Welder und Diffen zu Pind. Sfth. IV. p. 562.
155
feinen Tod, der eine fombolifche Bedeutung hatte, wie
das Hinabfteigen des Dionyfog in den Hades, buchftäblich
faßte, mußte fich die Anficht geltend machen, daß Mem—
nond Tod dur) feinen Kampf mit dem Peliden veranlaßt
worden fey, wie Dionyfos durch Lykurgos genoͤthigt wird,
fih im Meere bei der Thetis zu verbergen. Jaſion er
fcheint nicht bloß durch feinen Namen, fondern aud) durd)
feine gefeierte Lyra als der wohlthätig wirkende Sonnen;
gott. Nach einer andern Lofal»Sage tritt Achilleus
auch gegen diefen feindlic) auf, und raubt ihm das Leben.
Mit Jaſion oder Eetion, wie derfelbe auch hieß, fteht Hektor
in der innigften Verbindung. Er ift mit Andromache, der
Tochter desfelben, vermählt, und ward in Böotien'), wo
Dionyfos geboren wurde, als Heros verehrt, früher wahr:
fheinlih als Gott. Hektor erfcheint als der furchtbarite
Gegner des Peliden, finder aber im Kampfe mit demfelben
feinen Tod. Noch deutlicher tritt in den Sagen über Pa—
ris die DVerwandtichaft diefes Heros mit Dionyfos hervor,
woraus fich feine Seindfchaft mit Achilleus, der dur ihn?)
feinen Untergang findet, von felbit erklärt. Dionyſos ift
der Bergwandler, und Paris wachst auf Bergen auf.
Dionyfos erfreut fih an Muſik und Geſang, an Reigen-
tänzen, die er mit feinem Srauengefolge aufführt; Paris ®)
iſt als Sänger vielfach gefeiert, und vermeilet am liebften
16) Paus. IX, 18.
47) Horat. IV, 6. Virgil, Aen. VJ, 57. Serv. et Heyn. l.c.
48) Horat. Od. I, 15, 12 sqq. Nequidquam, Veneris
praesidio ferox, Pectes caesariem, grataque feminis
Imbelli eithara carmina divides: Nequidquam thalamo
graves Hastas et calami spicula Gnosii Vitabis. .
156
unter Frauen, denen er Lieder vorfingt. Die Gaben der
goldenen Aphrodite, mit denen er reichlich geſchmuͤckt ift’),
und der Verkehr und die Unterhaltung mit Frauen ift ihm
ungleich willfommener als der Krieg. Wie Dionyſos mit
der Aphrodite innig befreundet ift, fo fehildern uns alte
Sagen aud) den Parts als Liebling diefer Göttin, welcher
er durch den goldenen Apfel den Preis der Schönheit zu:
erkannte.
Paris Fampft nicht bloß mit Achilleus, fondern auch
mit Menelaos. Wir haben unfere Vermuthung über die
urfprüngliche Bedeutung Ddiefes Heros ſchon ausgefprochen,
und bemerft, daß der Name feines Sohnes Megapenthes
eben fo beftimmt auf die Trauer um die verſchwundene
Sonne hinweifet, wie der Name des Achilleus.
Wir wollen zum Schluffe nur noch einige mythiſche
Perfonen nennen, gegen welche Diomedes auftritt; denn
alle anzuführen, welche aus den bisher berührten Gründen
gegen andere mythiſche Weſen anfampfen, die ehemals
Götter waren, ift nicht nöthig, da die bereits genannten
genügen dürften, um unbefangene Leſer zu überzeugen, daß
diefe Kampfe eine fombolifhe Bedeutung haben, und die
Miederkehr derfelben in den einzelnen LofalzSagen den
beften Beweis liefert, daß Sonne und Mond nicht bloß.
von einem, fondern von allen Griechifchen Stämmen vers
ehrt wurden, daß fie aber nicht überall diejelben Namen
trugen.
19) Hom. II. II, 54 sqg.
157
Diomedes tritt ung im vielen Mythen als ein nur
feinem Namen nad) von Dionyfos verfhiedenes MWefen
entgegen. Derfolgen wir die genealogifche Werbindung, in
welche man ihn brachte, fo überzeugen wir uns vollfommen
von der Wahrheit diefer Behauptung. Sein Vater Tydeus
ffammt von Deneus”), dem Weinmann, der do
offenbar einem Pradifate des Dionyfos feine Entftehung
zu verdanken hatte. Als Gott, der überall Heil verbreitet,
fampft er mit dem Menſchenvertilger Ares, und
verwundet ihn. Ware Ares in der fpatern Zeit zu einem
Heros herabgefunfen, fo würden wir wohl lefen, daß er
ihn toͤdtete. Die Sage wäre wahrfcheinlich bei der bloßen
DVerwundung nicht ftehen geblichen. Diomedes greift aber
auch den Aeneas an, ja felbft den Apollon verfolgt er,
aus dem namlichen Grunde, aus welchem Dionyfos von
Lykurgos bedrangt wurde. Berücfichtigen wir, daß Apol-
lon den Aeneas rettet, daß diefer nad) der Gefahr, melde
ihm von Diomedes drohte, im Heiligthume des Apollon
fid) aufhält und zwar in dem innerjien Theile des-
felben, und von Leto und Artemis mit der größten Sorg—
falt gepflegt wird, fo überzeugen wir uns, daß Apollon
und Aeneas Namen des Sonnengottes waren, von denen
der erfte auf feine nachtheiligen Wirkungen, der andere auf
die Klagen um feinen Tod oder Untergang fich bezogen.
Durch Divmedes verlieren auch Pandaros und Rheſos
ihr Leben. Wir wiſſen, daß Pandaros als Bogenſchuͤtze
20) Welcker Nachtr. S. 204.
158
hoch gefeiert war”). Mollen wir uns die Urfache er Lüren,
warum er deßhalb in alten Kiedern fo vielfach verherrlicht
ward, fo dürfen wir ung nur an die fgmbolifche Bedeutung
des Bogens des Apollon erinnern, und berücfichtigen, daß
Apollon nad einer alten Angabe”) als der Unheilftifter
den Bogen niemals von der Schulter legt. Schon dies
fer Umftand muß ung überzeugen, daß des Pandaros Ver-
haltniß zu Diomedes und fein Tod durch diefen nur eine
andere Kofal- Sage war, welche diefelbe Bedeutung hatte,
wie der Kampf des Lyfurgos und Dionyfos. Wir Fönnen
noch einige andere Angaben zur Bekraͤftigung Diefer Bes
hauptung anführen. Pandaros erfcheint?) auch unter dem
Gefolge des Aeneas, umd geht mit diefem nach Stalien,
Wir Haben ſchon dfter bemerkt, daß die Gefährten der ein-
zelnen Herven aus Praͤdikaten entftanden, welche diefe in
der Urzeit felbft trugen. Der Vater des Pandaros ift
Lykaon, ein Name, der nur der Form, nicht aber der
Bedeutung nad) von Lykurgos verfchieden feyn dürfte.
Rheſos endlich, der ebenfalls durch Diomedes fiel, er
weifet ſich fchen durch feine wunderbaren Noffe, welche
ſchimmern, wie der Schnee, als Sonnengott. Er ift ein
Sohn des Eioneus”') oder des Strymon?) und der Kal
ltope oder Terpſichore. Andere nennen feinen Vater Ares
21) Hom. Il, 324 sqg. et Heyn. J. c.
22) Horat. Od. III, 'a, 60.
23) Virgil. Aeneid. IX, 672.
24) Hom. Il. X, 455. Conon. Narrat. 4.
25) Apollod. I, 3, 9. Eustath. p. 817. cf. Serv. ad Vir-
gil. Aen. I, 473.
u
159
oder Hebros. Der Name des Rheſos bezieht fh), wie
jener des Kronos, auf die Begründung der Zeit durch den
Sonnengott; das Symbol des Zeitlaufes waren Flüffe und
Ströme, fo daß wir und nicht wundern dürfen, wenn die
Vater des Rheſos Namen von Flüffen tragen. Wenn die
Sage feinen Vater Ares nennt, wie derfelbe in andern
Lofals Mythen allerdings heißen konnte, fo fehen wir um
fo leichter ein, warum Diomedes ihm tödtet, da er auch dem
Ares verwundet.
Zehntes Capitel.
Kampf des Herakles mit Eurytos,
Mir dürfen hier nicht unbemerkt laffen, daß der Kampf,
in welchem wir zwei Nerven, die früher Götter waren,
erblicken, nicht immer in dem entgegengefegten Wir
kungskreiſe derfelben feinen Grund habe, fondern fich in
vielen Fallen auch auf die Gleichheit ihrer Natur
und ihrer Wirkſamkeit beziehe. Wir vermuthen, daß
man biefelbe früher durch das Ringen verfinnlichte, daß
aber allmahlig bei der großen Umgeftaltung, welche die
Griechiſchen Mythen erfuhren, aus dem Ringen ein formlicher
Kampf hervorging, welcher in den meiften Fallen mit dem
Tode der einen oder andern Parthei endigt. Götter, deren
Macht und Wirkſamkeit vollfommen gleich ift, muͤſſen bei
der menfchlichen Auffaffung, welche die Griechifchen Mythen
25) Echwends Andeut, S. 90
160
erfuhren, voll Eiferfucht auf einander erfcheinen. Es ift
natürlich, daß jeder, wie dieß bei Menfchen der Fall ift,
ſich für ftarfer und vorzüglicher halt, al& jeden andern, daß
diefer aber feiner Seits ebenfalls nicht zurücftehen will,
fo daß fie einander angreifen, und fo ihre Kräfte meſſen.
Heraklles, der Sohn des Zeus, ringt nad) einer
alten Sage mit feinem eigenen Vater '), und erhält davon
den Namen Palamon. Die Namen von Water und
Sohn waren urſpruͤnglich Pradifate einer und derfelben
Gottheit, und wurden erft allmahlig von einander getrennt.
Vater und Sohn haben gleiche Vorzüge, gleiche Beſchaffen—
heit, und wenn fie mit einander ringen, fo Tonnen fie dieß
nur deßhalb thun, weil einer dem andern nicht nachftehen
will, Schon Homeros erwähnt, daß Pallas, Hera und
Aphrodite um den goldenen Apfel ftritten, welchen
Paris der Aphrodite zuerfannte, weßhalb die beiden erften
Göttinen tödtlichen Haß gegen die Teufrer nährten, und
den Untergang ihres Neiches zu befchleunigen fuchten. Aus
welhem Grunde Fonnten Pallas und Hera auf den. Apfel
Anfprüche machen, als aus dem, daß ihnen derfelbe wegen
ihres gleihen Wirkungskreiſes nicht minder gebührte,
als der Aphrodite, wie fie denfelben auch an vielen Orten
haben? Diefe Sage erhebt unfere Vermuthung faft zur
Wahrheit.
Wir fuͤhren zur Beſtaͤtigung dieſer Vermuthung ein
anderes Beiſpiel an. Nicht bloß die Spartaner, ſondern
auch die Meſſenier verehrten die Dioskuren. Bei jenen
4) Creuzer, II, ©. 208.
161
hießen fie Kaftor und Polydeufes, bei diefen Idas und
Lynkeus. Die einen, wie die andern verdanften ihre Na»
men und ihre Entſtehung Pradifaten des Morgen- und
Abend-Sternes (des Sternes der Venus), mithin muß-
ten fie auch gleiche Natur, gleihe Schidfale ba
ben. Nach alten Sagen?) traten die Meffenifhen Dioskuren
mit denen der Spartaner in eine höchft feindfelige Beruͤh—
sung. Kaftor und Polydeukes ftellten den Söhnen des
Aphareus, Idas und Lynkeus, nad), und verbargen fich in
dem Schafte eines Eichenbaumes, Lynkeus, der fo ſchar⸗
fen Blickes war, daß er durd) Steine und die Erde’) alles
fehen Fonnte, was gefchah, entdeckte beide in ihrem Hinter
halte. Sofort eilten die Aphariden herbei, und ehe Abwehr
moͤglich war, hatte Zdas den Kaftor tödtlic verwundet.
Vor Polydeufes, welder, um den Tod des Bruders zu
rächen, auf fie eindrang, flohen fie nach dem Grabe ihres
Vaters Aphareus, und hier entfpann fich ein furchtbarer
Kampf. Polydeukes todtet den Lynkeus mit dem Wurf-
jpieß, während Zeus den Idas) durch den Blitz vernich-
tet. Daß der Kampf bald an diefem, bald an jenem Orte
Statt findet’), erklärt fi aus der Verknüpfung der ver
ſchiedenen Lofal- Mythen. Warum hatte die Urzeit die
2) Pind. Nem. X, 60 sqq. und Thierfh, 1. e. I, ©. 118.
3) Auch Helios hat fo fcharfe Augen, daß er felbft auf den
Grund des Meeres fieht. E3 war natürlih, daß man, da
das Licht alles durchdringt, den Lichtgöttern ſehr fcharfe
Augen gab.
4) Dissen ad Pind, I. p. 509.
5) Apollod. III, 2, 53. Paus. III, 45. Schol. Lycophr,
5141. Diss. 1. c,
Vorhalle zur Griechiſchen Geſchichte. II, 11
162
Dioskuren in eine folche feindliche Berührung bringen fol»
len, wenn fie nicht dadurch die eben bezeichnete Unficht
von ihrer gleichen Kraft und Staͤrke hätte verfinnlichen
wollen?
Herakles kaͤmpft, um zu diefem zuruͤckzukehren, nicht
bloß mit foldhen Göttern, welche urfprünglich einen ganz
andern, entgegengefeßten Wirkungskreis hatten, fondern
auch mit jenen, die gleiche Macht mit ihm befaßen. Wir
wollen hier nur von dieſen reden. Cr hat den Bogen,
wie Apollon, und dient, wie diefer dem Laomedon und Ad⸗
metos, dem Euryſtheus. Er fchickt Unheil und BVerderben‘).
Als Verderber Fampft er mit Kyfnos, dem Sohne des
Ares, und befiegr diefen im Tempel des Apollon ’), ja er
greift den Apollon felbft an, und nimmt diefem den Dreis
fuß, auf welchen er, wegen feiner gleichen Natur mit Apol-
Ion, eben fo große Anfpräche hat, wie dieſer.
Berühmt war auch fein Kampf mit Eurytos°),
der ald Bogenfhüge vielfach verherrlicht war, wie He—
rafles feinen Bogen felbft in der Unterwelt noch hat, und
Odyſſeus, der zuͤrnende Sonnengott, einen Bogen befigt,
den nur er zu fpannen vermag. Als ausgezeichneter Bor
genſchuͤtz Fämpft Eurytos nicht bloß mit Herakles, fondern
auch mit Apollon 9), durch welchen. er feinen Tod findet.
6) Daß er auch als Awender des Unheils betrachtet wurde,
darf nicht befremden, da wir auch den Apollon von dieſer
Seite kennen lernen.
7) Pind. Nem. IV, 25 sqgq. et Schol.
8) Apollod. II, A, 9. Theocrit. Idyli. XXI, 105.
9) Hom. Odyss. VIII, 224 sqgq.
163
Unter vielen andern Beifpielen, die wir noch an-
führen koͤnnten, wollen wir uns auf eines befchränfen, auf
den Streit des Achilleus und Odyſſeus“), die als
Goͤtter von gleicher Wirkjamkeit in der Ilias einander nicht
befehden. Allein wir treffen auch fie in Zwiefpalt am.
Der Sänger der Odyſſee fagt: Aus dem Geſange, deffen
Ruhm damals den Himmel erreichte, wählte der Sänger
der Phaͤaken den Zank des Odyſſeus und des Veliden, die
fih vordem am feftlihen Male der Götter mit feind»
feliger Rede entzweiten, und Agamemnon vernahm mit Vers
gnügen, daß die zwei tapferften unter den Achaͤern fich
zanftın,
Beide Herven find, in fo ferne ihre Namen Praͤdikate
des Unheil» Spenders waren, durch Tapferkeit gleich aus-
gezeichnet und als furchtbare Krieger und Staͤdte-Verwuͤſter
berühmt. Hätte uns der Sänger die Urfache des Streites
angeführt, fo würden wir einfehen, daß fich derfelbe auf
ihre urfprüngliche Gleichheit bezog. Wichtig ift die Ber
merfung des Sängers, daß der Ruhm diefes Gefans
ges den Himmel erreichte! Soll es uns mac) diefer
wichtigen Erklärung eines alten Barden noch befremden,
daß die Menis des Achilleus eben fo verherrlicht war, fo
daß fie nicht bloß im die fpäatere Poefie übergehen, fondern
auch eine fo mannigfaltige Entwicklung befommen mußte,
wie fie diefelbe bei Homeros hat? Hätten aber die Sagen
von dem Streite einzelner Götter und Heroen Feine ſym—
bolifche Bedeutung gehabt: wie wäre es möglich geweſen,
40) Hom. Odyss. VIII, 72 sqg.
11°
164
daß diefelben von Tempel-Sängern fo vielfach hatten ber
fungen werden Fonnen, daß ihr Ruhm ſchon vor Homeros
den Himmel erreichte ?
Eilftes Gapitel.
Kampf der Hera mit Herakles,
Sp gefeiert die Kämpfe der einzelnen Heroen find, welche
aus Pradifaten der Sonne hervorgingen, eben fo berühmt
find auch jene des Sonnengottes mit der Mondgottin. Die
größte Verherrlihung dürfte die Sage von der Feindfeligfeit
der Hera gegen Herakles erlangt haben, die fo vielfach uns»
gebildet und erweitert wurde, daß bei Homeros') Hera
fogar mit dreiſchneidigem?) Pfeile von ihrem Zochter-
manne verwundet und deßhalb von furchtbaren Schmerzen
überwältigt wird. Auf der andern Seite ftchen beide wieder
in den freundfchaftlichiten DVerhältniffen, und Herakles ift
fogar mit Hebe vermahlt, die fi zur Hera eben fo verhält,
wie Herafles zu Zeus. Aus den Kampfe, des Sohnes mit
feiner Stiefmutter und dem ſchrecklichen Haß, welchen dieſe
gegen ihn hat, dürfte fi) auch das ganze Verhältnig
des Zeus zur Hera erklären, Denn daß diefe zwei Götter
als Gatte und Gattin nicht in befonderer Eintracht leben,
1) Hom. Il, V, 592 sqg-
2) Die Zahl Drei hat, wie die Drei Füße des Tripus, ihren
Grund in den 3 Phafen des Mondes, weßhalb die Mond:
göttin 3 Köpfe oder Körper befam,
165
daß Hader und Zank bei ihnen faft an der Tagesordnung ift,
zeigen die Homerifchen Öefange. Zeus heißt aus eben dem
Grunde ihr Gemahl, aus welchem fein Sohn Herakles mit
ihrer Tochter verbunden ift; aber in alten Sagen war auch
ihre Feindfeligfeit gegen Zeus eben fo umftändlich berührt,
wie jene gegen den Alfiven, fo daß fich diefelbe fo leicht nicht
verlieren Fonnte, und in den Homerifchen Gefangen noch an
vielen Stellen durchſchimmert. In der Urzeit hatte diefelbe
nur eine fombolifche Bedeutung, und deßhalb auch nichts Aus
ftößiges; allein die fpätere Zeit faßte fie buchftäblich auf, und
die Folge war, daß fie nun eim großes Aergerniß verans
laßte, und die religiöfen Begriffe nicht läuterte, jondern eher
verwirrte.
Fragen wir um die urfprängliche Bedeutung diefer
Sage, fo dürfte diefelbe in dem DVerhältniffe, in welchem
Sonne und Mond am Himmel zu einander ftehen, geſucht
werden muͤſſen. Sie löfen einander beftandig ab, und find
deßhalb als Gatte und Gattin mit einander vermäßlt; allein
fobald die Sonne erfcheint, wird nach den Vorftellungen der
Alten der Mond verdrängt, wie auf der andern Seite die
Sonne am Abend nad) ihrer Vorftellungsweife dem Monde
und den Sternen den Himmel raumen muß. Sm fo ferne
fcheint das eine der beiden großen Geftirne dem andern feind>
felig entgegen zu treten, was die Urzeit durch den Kampf,
der oft auf Leben und Tod geführt wird, angedeutet haben
möchte.
Mie Herakles die eigene Mutter verwundet, welche
ihn bei feiner Geburt vernichten, feine Fahrt am Himmel
nicht antreten laffen will, um nicht durch ihn von demſelben
166
verdrängt zu werben, fo verwundet auch Diomedes die Aphros
dite, Die Feindfchaft?), welche zwiſchen Deneus und Arte:
mis fiatt findet, ift aus Homeros bekannt. Groß ift die
Zahl derjenigen Herven, welche durch diefe Göttin ihr Leben
verlieren. Die Urfache ihres Grolles dürfte fich aus den bis⸗
herigen Erörterungen von felbft ergeben.
Man Fönnte allerdings vermuthen, daß der Kampf, in
welchen fo viele Heroen oder Götter mit der Mondgöttin ver
wicelt find, fich auf den verfchiedenen Wirkungskreis der
Lichtgotter beziehe, fo daß namlich nur jene Sonnengötter,
deren Namen fich urfprünglich auf das Unheil und Verderben
bezogen, das von ihnen ausgeht, jene Mondgüttinen be-
kaͤmpfen, welche als Begränderinen des Heils und Glüdes
gefeiert find; allein wenn wir den Kampf der Lichtgötter
mit den Meergottern und den Beherrfhern der
Unterwelt beruͤckſichtigen, ſo ſehen wir, daß die zuerſt aus⸗
geſprochene Vermuthung ungleich mehr Wahrſcheinlichkeit hat.
Zwoͤlftes Capitel.
1. Der Kampf der Pallas und Hera mit Pofeidon.
In dem Sagenfreife der Korinthier ward von einem
Kampfe des Helios und des Pofeidon gefprochen. Fragen
wir um die Urfache diefer Erfcheinung, fo kann diefelbe in
zwei verfchiedenen Umftänden gefucht werden. Der Sonnen:
gott, wie die Mondgottin, tauchen in den Wogen des Meeres
3) Hom. u, IX, 529 sgQ9.
167
unter, Dionyfos und Hephäftos halten fich fogar in demfelben
bei der Thetis auf. Diefe Vorftellung der alten Griechen,
daß fich die Sonne im Meere verliere und bis zu ihrer Ans
kunft bei der Meergöttin verweile, wie fi) auch Helena‘)
aus derfelben Urfache bei Broteus befindet, war DVeranlaffung,
dag fie den Lichtgoͤttern auch die Herrſchaft über das Meer ein:
raumten. Hekate?) gebietet nach einem alten Gedichte auch
über das Meer, und Helena?) verleiht denen, welche fie ans
flehen, eine günftige Fahrt. Die Herrfchaft über das Meer
gebührt aber dem Poſeidon, und wir fehen an mehrern Stel
len der Homerifchen Gefänge, daß er es ſich durchaus nicht
gefallen laßt, wenn felbft fein Bruder Zeus in fein Gebiet
eingreifen, und feine Herrſchaft ſchmaͤlern will.
Aus diefer Vorftellungsweife Fonnte man ſich auch den
Streit, melden Poſeidon mit Helios, mit Pallas und Hera hat,
erklären. Derfelbe Fann aber auch noch von einem andern
Geſichtspunkte betrachtet werden. Nur ungerne verläßt
der Sonnengott, wie die Mondgöttin, den Himmel. Nach
einer alten Sage’) entführte Vofeidon den Pelops, was
nach) der Entfernung des Bildes heißt, daß der Meergott
.die Sonne, wenn fie das weftlihe Ende erreicht bat, in
feine Behaufung hinabzieht. Vielleicht erklärt ſich aus diefer
Vorſtellungsweiſe auch die Sage von dem Kampfe der Licht⸗
götter mit dem Beherrfcher des Meeres. Sobald fich die
Griechen unter den Pradifaten des Mondes und der Sonne
4) Eurip. Helen. v. 46 sqgq.
2) Hesiod. Theogon. 411 sggq-
3) Horat. Od. I, 5, 2 sqg.
4) Pind. Ol. I, v. 49 sqgq. Diss. u. Thierſch, 1. c.
168-
befondere Wefen dachten, mußte die Sage von dem Kampfe
derfelben mit Pofeivon an allen Orten wiederfehren, wo
Pofeidon und die Mondgöttin oder der Sonnengott ver;
ehrt wurden. In Athen ftreitet Pallas mit ihm, in Argos
Hera, in Korinthos Helios. Der Sinn diefes Streites ward
fpäater nicht mehr verftanden. So gefhah es, daß, als ſich
die Sagen von demfelben mit dem Cultus verbreiteten, die
Anficht entftand, fie hatten um den Beſitz des Landes oder
um die Ehre des Cultus mit einander gefampft!-
2. Der Kampfdes Herakles mit Hades, Melens und Sanmedon.
Wir haben bereits von der fombolifchen Bedeutung der
Dienftbarkeit des Apollon und Herakles gefprochen, und
erinnert, daß diefelbe in der Vorftellung, die Sonne befinde
fih während der Nacht im Hades oder im Grabe, ihren
Grund haben dürfte. Die Sage, daß Hades die Perfephone
entführte, und fie nicht mehr aus feiner Behaufung entlaf-
fen wollte, haben wir fchon berührt, und angeführt, daß
Hermes, welder die Sterne am Abend emporfendet, auf
Befehl des Zeus fi in die Unterwelt begibt und die
Perſephone an den Olympos zurücbringt. Wie Hades die
Mondgöttin zuruͤckhaͤlt, fo will er auch den Sonnengett
nicht mehr entlaffen, und ihm fein Gefpann, das er zum
Beginnen feiner Fahrt nothwendig hat, nicht geben, weßwegen
der Sonnengott ihm dasfelbe mit Gewalt zu entreißen fucht.
Aus diefem Umftande dürfte fich die Sage von em Kampfe
des Herakles mit dem Hades am natürlichften erklären. Her
169
rakles greift!) den Hades unten am Thore der Todten an,
und durchbohrt ihn mit feinem Pfeile. Diefer Kampf wurde
von den Tempel-Sangern fo vielfach befungen und erweitert,
und nachdem man die Bedeutung desfelben vergeffen hatte,
fo umgeandert, daß der Gott bei Homeros die furchtbarften
Qualen leidet, und erft durch die Hülfe des Paon von dens
felben befreit wird.
Bei der Verbreitung des Eultus des Hades wurde auch
diefe Sage lokal angewendet, und der Kampf aus dem
Schattenreiche an jene Orte verlegt, wo man den Hades
verehrte, Wir wollen hier nur Troja und Pylos anführen.
In Troja führte Hades den Namen Laomedon, in Pylos
hieß er Neleus. Herakles greift den Laomedon deßhalb
an, weil er ihm die ſchoͤnen Sonnenroſſe nicht ausliefern
will. Neleus ift der Unbarmherzige, welcher Zünglinge, wie
Greife dahinrafft. Wenn wir, bedenken, daß Hades Py—
lartes?) hieß, in fo ferne er die Thore der Unterwelt feft
verriegelt halt, fo möchten wir vermuthen, daß felbft der
Name Pylos ſich auf das Schattenreich bezog, daß man den
Ort fo nannte, weil man glaubte, daß hier die Thore feyen,
welche in die Unterwelt führten. Herakles tödtete ’) eilf
Söhne des Neleus, der von zwei machtigen Bundesgenoffen ),
Apollon und Pofeidon, unterftügt war. Wir vermuthen, dag
die Sage, welche überall verfnüpft, auch hier drei verfchie-
dene Kämpfe des Alfiden vereinigte. Derfelbe Fämpft gegen
4) Hom. Il. V, 395 sqgq.
2) Passow s. h. v.
3) Hom. Il. XI, 689 sqq.
4) Pind. Ol. IX, 31 u. Thierſch, 1. c.
170
Apsllon, weil er gleiche Vorzüge, gleiche Nechte, wie der
Sohn der Leto, befit, er Fampfr aber auch mit Pofeidon,
wie Helios. Später, wo man bie Bedeutung feiner Kämpfe
mit diefen zwei Goͤttern nicht mehr verftand, wurden fie zu
Bundesgenoffen des Neleus, und die drei großen Kampfe zu
einem vereinigt, der für Herafles um fo fehwieriger wurde,
je größer die Macht feiner vielen Gegner war.
Dreizehntes Capitel.
Ueber die ſymboliſche Bedeutung siniger Kriege.
In der Griechiſchen Sagengeſchichte wird eine Menge
von Fehden und Kriegen erwaͤhnt, welche man ſich gewoͤhnlich
aus dem Charakter der Zeit zu erklaͤren ſucht. Wir wollen
nicht in Abrede ſtellen, daß die Griechen in der heroiſchen
Zeit eben ſo kriegsluſtig waren, als es andere Voͤlker auf
dieſer Stufe der Cultur ſind. Allein wenn wir bedenken,
daß aus dem einfachen Kampfe des Herakles und ſo vieler
Götter foͤrmliche Kriege hervorgingen, welche, von der Tem⸗
pelpoeſie vielfach verherrlicht, die Vorfälle des gemeinen Le⸗
bens fo überftrahlten, daß diefe dabei in Vergeſſenheit fielen,
fo möchten wir gegen die buchftäbliche Auffaffung der Sagen
über die älteften Kämpfe, welche die Jlias und andere alte
Quellen enthalten, gewiß nicht ohne Grund manche Bedenken
äußern. Fraͤgt man aber, wie die einfachen Kämpfe von
zwei Göttern allmählig zu fürmlichen Kriegen zwifchen gan:
zen Völkern umgebildet werden konnten, fo dürfte fich die
171
Antwort aus dem Streite des Lykurgos und Dionyfos von
felbft ergeben.
Dionyfos ift nicht allein, fondern er ift von den
Bacchantinen begleitet, deren Zahl fich auf die Tage des
Monats oder die Wochen des Jahres bezog, allmählig aber
immer mehr vergrößert wurde. Sollen wir uns wundern,
dag Herafles nicht allein den Kaomedon angreift, fondern bei
feinem Zuge ſech s Schiffe‘) bei ſich hat? Wir haben fchon
erinnert, daß ſich auf des Theſeus Schiffe fieben Knaben und
eben jo viele Sungfrauen befinden, und unfere Anficht über
die fombolifhe Bedeutung derfelben ausgefprochen. In ans
dern Sagen hat die Mondgottin oder der Sonnengott zwölf
Kinder, ſechs Knaben und ſechs Madchen, oder es werden dem
Somnengotte nur die fechs Zünglinge, der Mondgottin aber
die ſechs Jungfrauen beigefellt. Auf des Herakles Schiffe
treffen wir nicht fechs oder ſieben Juͤnglinge, ſondern die
Sage gab ihm ſechs Fahrzeuge, weil man bei der buchftäbs
lien Auffaffung feines Kampfes mit Laomedon nicht ans
nehmen Fonnte, daß er mit einem Gefolge von wenigen Krie-
gern ihm hätte überwältigen koͤnnen.
Noch fichtbarer tritt die fombolifche Bedeutung folcher
Ereigniffe in dem Thebanifchen Sagenfreife hervor’). Eteo-
kles und Polyneikes find, wie Dionyfos und Lykurgos,
in tödtlihe Feindfchaft mit einander gerathen. Der eine
bleibt im fernen Often, in Böotien, wo die Sonne über
4) Hom. Il. v, 641 sqgq-
2) Wir werden diefen Krieg fpäter in einem befondern Werke
behandeln, weßhalb wir uns hier nur ur eine Andeutung
befchränfen.
172
der Dirkäifchen Quelle ſich erhebt, der andere wandert nach
dem weftlich gelegenen Peloponnes, wo fie zu verfchwinden
fcheint, und Fampft von hier als Verderber und Gott des
Streites und Haders gegen feinen Bruder an. Die Licht
götter haben verfchiedene Genien, deren Zahl fich auf die
einzelnen Zeitabfchnitte, Mochen, Monate und Jahre be:
ziehen. Eteokles hat feine Gefährten und auch Polyneikes,
und da die Öenien der Lichtgätter alle Schidfale und
Vorzüge derfelben theilen, fo Fampfen auch fie gegen
einander an. So treffen wir in Theben ſieben Helden
und von Argos rüden ihnen ebenfalls fieben entgegen,
deren Zahl ſich auf die Tage der Woche beziehen dürfte,
Den fombolifhen Tod, den Polyneikes erleidet, deffen Name
fich auf die zerftorenden Wirkungen der untergehenden Sonne
bezieht, theilen auch feine Gefährten, und wenn einer ders
felben von der Erde verfchlungen wird, fo dürfen wir nicht
vergeffen, daß bei jenen Völkern, welde niht am Meere
wohnten, die aljo die Sonne nicht in den Fluthen des
Waſſers, fondern hinter Bergen oder am Rande des Feft-
landes verfchwinden fahen, die Anficht herrfchte, daß fie
von der Erde verfchlungen werde, eine Vorſtellungsweiſe,
welche auch die Sagen über den Tod des Didipus erklärt.
Die Namen diefer fieben Helden waren urſpruͤnglich Pra>
difate der Sonne, wie denn alle Genien der einzelnen
Götter nicht bloß die Vorzüge, fondern aud) die Namen
derfelben theilen. In der fpatern Zeit verband die Sage
mit jedem Namen ein befonderes Mefen. Da der Streit
der beiden Sonnengotter fih) täglich wiederholt, fo
darf uns die Sage von dem Kriege der Epigomen nicht
173
befremden, Sie erneuern den Kampf, und wenn Theben
durch fie überwunden wird, fo fehen wir nur unfere Ver-
muthung beftätigt, daß man ſolche Ereigniffe ſchon fruͤh—
zeitig buchftablich auffaßte, weßhalb aud) Herafles die Stadt
Troja verwuͤſtet. Diefe buchftabliche Auffaffung mußte um
fo mehr um ſich greifen, ald man foldye mythifche Perfonen
in die Gefchichte verflocht, und fpäter, wie es fcheint, als
man fie als Könige betrachtete, hiſtoriſche Ereigniffe ans
fnüpfte, wie die Anfiedlung der Pelasger in Troja oder
ihre Niederlaffung in Boͤotien.
Aus diefen Erörterungen dürfte fid) auch abnehmen
laffen, wie es Fam, daß das feindliche Verhältniß, in wel»
chem Herakles zu Erginos ftand, zu einem fürmlichen Kriege
umgebildet wurde, im welchem der Alfide die Böoter von
dem Tribute befreit, den fie früher dem Herrfcher der Uns
terwelt zu entrichten hatten. Herakles zieht auch’) mit
den Aetolern) gegen die Thesproten von Ephyra zu Felde.
Diefer Krieg war in alten Liedern vielfach gefeiert. Das
Ephyra, von dem hier die Nede ift, war die uralte Haupt:
ftadt Ihesprotiens, die an der Stelle lag, wo durch den
Fluß Selleis (Acheron) der Acherufifche See ins Meer
3) Müller, Dor. I, ©, 418.
4) Die Yetoler, welche hier erwahnt werden, möchten urfprüng-
ih in dem Sagenfreife des Herakles diefelbe fumbolifche
Bedeutung gehabt haben, wie das Gefolge des Dionyfos.
Aetolos hieß der Sonnengott ſelbſt. Daß diefer Name fpäter
auf ein beftimmtes Volk überging, wird nicht befremden.
Auch die Aethiopen find urfprünglich überall, wo der Sonnen-
gott wohnt, die Geographie aber hat ihnen ganz andere Wohn:
fiße angemiefen.
174
ausftrömt. Die ganze Gegend ift in der Mythengefchichte
als des Aidoneus Wohnung berühmt, und der Gig eines
ZTodtenorafels. Die Ummohnenden fchauten nur mit Grauen
dahin, das durch die Meinung dort einheimifcher Giftberei-
tung noch erhöht wurde’), Faffen wir diefe Umftände ins
Auge, fo fehen wir leicht ein, warum Herafles in diefer
Gegend, wie in Pylos oder Troja Fampft, und wie bei der
buchftablichen Auffaffung feines Gefolges die Meinung ſich
geltend machte, als habe er den Feldzug an der Spitze
einer ganzen Völferfchaft unternommen.
Yugeias Fampft ale Sonnengott gegen Neleus‘).
Auch er hat fein Gefolge, wie Dionyfos und andere Götter,
Sobald man ihn als Sterblichen betrachtete, ward er König
desjenigen Volkes, welches ihn vorzüglich verehrte, und aus
einem einfachen Streite, der in den religidfen Vorftellungen
der Griechen feinen Grund hatte, ging allmahlig ein Krieg
der Eleer und Pylier hervor, der, wie uns die Homerifchen
Gefänge überzeugen”), von vielen Sängern ausgeſchmuͤckt
worden feyn muß,
Mir wollen hier, um nicht zu ausführlich zu werden,
nur nod) die Sagen über den Kampf der Aetoler mit den
Kureten und den Zug der Griechen nach Troja berühren,
und bemerken, daß fich die übrigen Kriege nad) den Eroͤr⸗
terungen, welche wir über die verfchiedenen Kämpfe
der Kichtgötter mittheilten, von ſelbſt erklären. Meleagros,
5) Heyn. ad Hom. Il. II, 659. -
6) Augeias iſt ein Eohn des Helios und der Sphinde, Schol.
Lycophr. 41.
7) Hom. Il. XI, 670 sqg.
nee
175
der Sohn des Deneus, erweifet ſich ſchon durch diefes ges
nealogiſche Verhältnig als einen von Dionyfos nur dem
Namen nach verfchiedenen Gott, der bei den Netolern vor:
züglich verehrt wurde, Wie Dionyfos von Lykurgos bes
droht wurde, fo ward er von Apollond) angegriffen, der
den Kureten nad) den Eden und der Minyas beiftand,
und von diefem getbdtet. Die beiden Götter kaͤmpfen hier,
wie an andern Orten, nicht allein, fondern fie werden von
ihren Genien unterftüßt. Die Kureten erfcheinen in dem
Sagenfreife von Kreta durd) alle ihre Thaten und Schick—⸗
fale ald Genien und deßhalb als Diener des Sonnengottes,
Diefelbe Bedeutung dürfte auch der Name der Netoler ge
habt haben, bevor er auf das Land überging. Aus diefem
einfachen Kampfe von zwei Gdttern und ihren Genien ging
allmählig ein furchtbarer Krieg von zwei Völkern hervor,
‚ welche um jene zwei Städte fampfen, wo Dionyſos oder
Meleagros und die Kinder der Leto verehrt wurden. Go
fehr diefer Kampf in den Homerischen Geſaͤngen ausgeſchmuͤckt
ift?), fo ſchimmert die religiofe Bedeutung doch noch durch.
Nur der wichtige Umftand ift ſchon verwifcht, dag Apollon
fih, wie in der Minyas und den Eden, felbft an die Spige
der Kureten ſtellt. Homeros nennt bloß feine Schwefter Ars
temis ald die Urheberin des Wehes, das den Deneus traf.
So koͤnnte man allerdings auch vermuthen, daß nach andern
alten Sagen biefer Krieg aus einem Streite der Mondgoͤttin
und des Sonmengottes herporgegangen ſey.
8) Paus. X, 31.
9) Hom. Il. IX, 529 sqg.
176
Aus diefen Kampfen dürfte ſich auch die ganze Ge
ftaltung der Slias erklären. Paris entführt die Helena,
und hat fie als Gemahlin, wie Menelaos; beide verdanften
ihr Dafeyn Pradifaten des Sonnengottes. Ihr Streit
wurde ficher in alten Liedern nicht minder befungen, als der
Zank des Odyſſeus mit dem Peliden, deſſen Ruf den Hims
mel erreichte, Wie Polyneifes nicht allein nad) Theben
gegen feinen Bruder zieht, fondern ein ftarfes Gefolge hat,
fo wandert auch Menelaos nicht allein zu feinem Kampfe,
fondern in Begleitung. Die Sage nannte Agamemnon feinen
Bruder, deſſen Herrfchaft ungemein gepriefen war. Als
Sonnengott hatte er nämlich eine fo ausgedehnte Macht,
wie Zeus, weßhalb er nach Homeros nicht bloß über ganz
Argos, fondern auch über viele Inſeln gebietet. Er wurde
in der Achaifchen Zeit als Herrfcher von Mykenaͤ betrachtet.
Mas war num natürlicher, als daß an die Stelle des ſymbo—
lichen, Kleinen Sefolges, welches Menelaos um ſich haben
mochte, Agamemnon tritt, der alle Griechiſchen Für;
ften um ſich fammelt, und fich nun, von denfelben umgeben,
in der That als großen Herrſcher erweiſet, ald welchen
ihn die Sage längft gepriefen hatte?
Die Vereinigung der übrigen Fürften mit ihm und
Menelaos wird um fo weniger auffallen, wenn man be
denft, daß Ddiefelben Pradifaten der Xichtgotter ihre Ent»
ſtehung zu verdanfen hatten, und deßhalb eben fo weit
umher wanderten, als der Sonnengott Apollon oder
Dionyfos. Den Agamemnon treffen wir in Kypros bei
Kinyras an, und auf Lesbos war fein Name ebenfalls
fehr gefeiert. In Troja erfcheint er ald Memnon, der von
177
ihm dem Mefen nach nicht verfchieden tft. Odyſſeus irret
ebenfalls weit umher. Achilleus ift auf Leuke, er befindet
ſich in den Elyſeiſchen Gefilden, er wohnt bei Lykomedes
auf Sfyros, an verfchiedenen dftlichen und weftlichen Orten,
wo den Völkern, die ihm verehrten, die Sonne zu ver
ſchwinden fchien, und hat auf dem Sigeum fein fomboli-
fches Grad, wie Zeus auf Kreta. Sein Kampf mit He
tor, Memnon und andern Göttern war von din Tempel:
Sängern vielfach verherrlicht worden. Ajas it mit der
Tekmeſſa verbunden, und dürfte ſchon deßhalb in den oͤſt—
lichen Gegenden wohnen oder verweilen, wie andere Sons
nengötter. Sein Bruder Teufros fommt, wie Agamemnon,
nad) Kypros, und ift nach Euripides') als Sonnengott
auch in der Behaufung des Proteus. Wie weit wandert
Diomedes umher, der felbft mach Unteritalien gelangt, und
feine Kampfe mit Ares, Aeneas und Aphrodite hat wohl
nicht erft Homeros befungen, fondern er hat fie fhon in
alten Liedern vorgefunden.
Was war natürlicher, als daß, fobald diefe Götter
als Könige jener Städte und Gegenden betrachtet wurden,
wo man fie verehrte, und man den Streit des Menelaos mit
Paris wegen der Helena buchftablicy auffaßte, fi die An-
nahme geltend machte, Agamenmon habe feinen Bruder
unterftügt, und fein Anſehen habe auf dte übrigen Könige
fo mächtig eingewirkt, daß er alle übrigen Fürften bewogen
habe, fid) mit ihren Völkern feinem Zuge anzufchliefen ?
Denn nur auf diefe Meife Fonnte fich die fpätere Zeit,
10) Eurip. Helen. 68 sqg.
Vorhalle zur Griechifchen Gefchichte. I, 12
178
welche alle diefe Sagen im buchftäblichen Sinne nahm,
erklären, wie die genannten Heroen und gar viele andere nad)
Troja oder überhaupt nach dem Dften gefommen wären,
wo fi der Sonnengott aufhält. Aus einem fymbolifhen
Kampfe von zwei Göttern, welche diefelbe Gattin. haben,
wird nun ein fürmlicher Krieg zwoifchen zwei Völkern, zwi⸗
fen den Griechen und den Zeufrern, welche ihren Paris
den weichlichen, mehr am Spiel als am Kampfe fi er
gößenden Dionyfos unterflügen müffen.
Die Griechen verfanmeln fi) in Aulis, wo wir Die
Artemis, wo wir die Sphigenia antreffen, wo. nad) einer
alten Volksſage der Sonnengott feine oͤſtliche Behau-
fung gehabt zu haben fcheint. Wo Agamemnon ift, da
umgeben ihn auch feine Gefährten, alle jene Heroen, welche
fih) zur Verfinnlihung feiner Macht in Folge der über
ihre Wanderungen verbreiteten Sagen an ihm ‚anreihten.
Fin anderer Punkt, wo Agamemnon und Menelaos eine
wichtige Nolle fpielten, war Troja, auch Lesbos. Auch
dahin begleiten alle Fürften die Atriden. Nicht minder
war hier des Achilleus Name gefeiert, fein Kampf mit
Memnon, aber auch fein Zorn mit Agamemnon. Als
zürnender Gott verbreitet er überall Unheil, wie Apollon.
Um die fchredlichen Folgen feines Zornes zu verjinnlichen,
ftellt die Sage feine Menis au die Spitze eines Gedich—
tes, weldyes mit Recht als das herrlichfte Erzeugniß des
fhöpferifchen Genius der Griechen betrachtet werden kann.
In fo ferne Agamemnen feinem Mefen nach fih an Die
nyſos, Achilleus aber an Apollon anfchließt, nennt der
Mythos den Apolion als Urheber der Menis und die Folge
4
Be \
derfelben ift, daß eine Menge von Heroen dem Hades über
liefert wird, wodurch wir die ſchrecklichen Wirkungen des
verderblichen Sonnengottes ganz Fennen lernen.
Wie Apollon und Dionyſos ſich nicht bloß feindlic)
gegenüber treten, fondern wie fie in Delphi und Thrakien aus
den ſchon angedeuteten Urfachen in Eintracht neben einander
wirfen, und fich wie Freunde und Brüder behandeln, fo muͤſ—
fen in alten Sagen auch viele Andeutungen von dem freund»
ſchaftlichen Verhaltniffe vorgefommen feyn, das zwilchen
Achilleus und Agamemnon ftatt fand. Allein Götter oder
Herven, welche einander fo furchtbar gegenüber ftehen, Tons
nen nicht plöglich fich vergleichen; es müffen verfchiedene Um:
ftande eine Vermittlung vorbereiten. Welch eine ſchoͤne Ger
legenpeit, diefeeinzuleiten, boten nicht dem Sänger die längft
befungenen Kämpfe der einzelnen Begleiter
des Agamemnon mit andern Wefen, welche zwar auf
der. Seite der Trojaner erfcheinen, aber bei der urfpränglichen
Derwandtfchaft der Teufrer und Ureinwohner von Hellas
großentheils nicht minder den Griechen angehörten, weßhalb
fo manche derfelben, wie Heftor, Kaffandra, Aeneas,
Helenos, Andromache und andere noch in der fpatern Zeit in
Hellas und Epirus als Heroen verehrt wurden. Wie diefe
mit einander Fämpften, und ihre Kämpfe befungen waren, fo
dürfte aucdy der Kampf des Patroflos mit Heftor und der
fombolifche Tod diefes Gottes durch des Priamos Sohn fchon
von den älteften Sängern behandelt worden feyn. Patroklos
verhielt fi) urfprünglich ficher zu Achilleus eben fo, wie
Dlen zu Apollon. Die heroifhe Zeit erblickte in ihm den
treuefien Öefährten des Peliden. Welch' eine herrliche Ger
1 Yo
180
legenheit bot fih dem Sänger der Jlias, den Falldes Patroflos
durch Heftor und den tödtlichen roll, der nun den Peliden gegen
Hektor ergreift, als die Urfache der Verfühnung des Achilles
und Agamemnon zu benugen! Allein mit diefer Verföhnung
ift die Menis mit Agamemnon zwar abgefchloffen, allein der
Dichter Fann und darf hier nicht abbrechen, da fie fih nun
gegen Heftor wendet, und ſelbſt deffen Tod erlaubt ihm noch
nicht, den Faden der Erzählung abzureißen. Wie Achilleus
mit Agamemnon fi) verfühnt, fo tritt auch in Bezug auf
Hektor, nachdem er todt war, an die Stelle der vorigen Ent-
rüftung in dem Herzen des Peliden ein fanfteres Gefühl.
Der alte Priamos erhält die Leiche zuruͤck, und die feier
che Beftattung, welche nun dem Hektor zu Theil wird, Tann
ihn im Hades wieder einigermaffen über den erlittenen Tod
tröften, und befriedigt auch die Hörer und Lefer der Ilias.
So fehen wir nun, daß Homeros feinen Namen „der
Verbinder, Zufammenfüger,” mit vollem Rechte trägt. Die
Menis des Achilleus war, wie jene dee Peliden und Döyffeus,
deren Ruhm den Himmel erreichte, ficher ſchon vor ihm
oft und vielfacy befungen worden, fo auch die fombolifchen
Kaͤmpfe der Götter!!), welche fid) im Cultus damals noch
11) Die Olympier erſcheinen theils auf der Eeite der Teufrer,
theils auf Eeite der Griehen. Nimmt man diefe Sache
buchftablich, fo verbreitet fie auf die Götter Fein günftiges
Licht; allein bedenft man, daß fchon lange, ehe die Götter im
Olympos vereinigt wurden, die einen mit diefen, die andern
mit jenen andern Göttern oder Heroen in feindlicher oder
freundlicher Berührung ftanden, fo wird man leicht begreifen,
daß ein fo treuer Erzähler, wie Homeros, die Beziehungen,
in welchen er die Götter zu den Perfonen feines Gefanges
vorfand, nicht muthwillig zerriß, 3. B. Pallas ward mit
181
erhalten, fo wie auch derjenigen, welche in die Reihe der
Heroen herabgedrüct waren. Stoff fand alfo der Sänger
der Ilias, der fich die Menis zum Gegenftande feines Ger
fanges wahlte, in reichlichem Maaße; allein denfelben zu
einem fo harmonischen Ganzen zu verweben, an welchem nichts
zu viel und nichts zu wenig ift, dazu gehörte ein wahrhaft
poetifcher Geift. Was die Anficht des Sängers von der Bez
deutung des Stoffes, den er behandelte, anbelangt, fo nahm
er, wie ficher fchon viele vor ihm, die alten Ueberlieferungen
veuherzig an, ohne fich mit Fritifcher UengftlichFeit um die
einzelnen Widerfprüche zu Fümmern, welche fie darboten, und
die fpatere Zeit, von feiner Treue in der Ueberlieferung alter
Mythen zu der Anficht hingeriffen, Alles, was in feinen
Gedichten vorfomme, müffe im buchſtaͤblichen Sinne wahr
feyn, fuchte in der Verherrlichung der Menis die Gefchichte
eines Krieges, welchen Hellas zehn Fahre mit Troja geführt
haben fol! Daran hat der Maonide fiher nicht gedacht.
Die Zlias feiert einen ganz andern Gegenfland.
Diomedes verehrt, Apollon mit Aeneas verbunden. Er fonnte
alfo weder die Pallas als Kampfgenofiin des Aeneas, noch
den Apollon, der mit Diomedes Fampft, als deffen Freund
und Beſchuͤtzer behandeln.
182
Vierzehntes Capitel.
Ueber die Erfindung der Buchſtabenſchrift durch Hermes
oder Kadmos.
Sonderbar ift eg, daß mandie Sage, als hatte Kadmos
die Buchftabenfchrift nach Griechenland gebracht, im buch—
ftäblichen Sinne nimmt, ohne zu bedenken, daß nicht bloß
in Phönicien, fondern auch in Aegypten, das einige Öelehrte
als die Heimath diefes Heros betrachten, Götter ale die
Erfinder der Bucftabenfchrift gepriefen werden. Schon
diefer Umftand dürfte nach unferm Dafürhalten zu der Vers
muthung berechtigen, daß Kadmos urfprünglich der Götter»
welt angehört. Diefe Vermuthung wird durch bejtimmte
Zeugniffe‘), welche Kadmos und Hermes für ein und das
felbe Wefen erklären, zur Gewißheit erhoben.
Mollen wir nun die Bedeutung der Sage, als habe
Kadmos die Buchftaben nach Hellas gebracht, in ihrem wah⸗
ren Fichte darftellen, fo müffen wir zuvörderft Hermes näher
betrachten. Hermes ift ald Sonnengott der Verfnüpfer, der
Ordner?), weßhalb er auch Kadmos genannt wurde, Wir
wollen hier einige feiner Erfindungen?) näher bezeichnen, aus
denen fich erfehen laßt, welchen Wirfungsfreis die Alten der
Sonne anwiefen, und wie fie den Sonnengott als Erfinder
der Buchftabenfchrift feiern Fonnten, Er erfindet die We;
4) Schol. Lycophr. 162. Etymol. Gud. p. 290. Schol.
Ap. Rhod. I, 915. Arcad. Grammat. p. 56. Welcker,
über eine Kret. Kolon. ©. 32,
3) Schwend, mythol. Skizzen ©. 43.
3) Fabric. Bibl. graec. ed Harl. p. 89 — 94.
*
183
berei, in fo ferne die Alten das Weben als ſymboliſchen
Ausdruck für ſchaffen gebrauchten. Die Sonne wedet die
ganze Natur zu neuem Leben, fie locket alle Keime aus der
Erde, und verleihet allen Dingen Gedeihen, Zeitigung und
Reife. Ohne ihr mildes Kicht würde alles erfterben. Ueberall
zerftreuet fie das Dunkel der Nacht, entfernt alle Unordnung
und Verwirrung, und ſtimmt alles zur Harmonie, Deßhalb
erfcheint der Sonnengott in einer Menge von Sagen ale
Begründer gefeglicher Ordnung, als Gefesgeber, und Hermes
ift aus diefem Grund Erfinder der Gefeße und Vater der
Lyra und Muftf überhaupt.
Vom Himmel auf die Erde verfegt, erfindet er die Wett;
kaͤmpfe, und ftellt in denfelben feinen Lauf am Himmel, fein
Ringen und Kämpfen, fombolifh dar. Die Sonne bringt
mit ihrem Erfcheinen Leben, die Geburt des Sonnengottes
verbreitet Glück und Heil, und in fo ferne ift Hermes Erfinder
der Arzneifunde. Mie er die Menfchen in das Leben einführt,
fo verleiht er ihnen auch Gefundheit und Kraft, welche nach
den Vorftellungen der Alten von der Sonne‘) auf die
Erde und ihre Bewohner herabftrömt. Als Son:
nengott, der die Sterne am Himmel emporführt, und diefel-
ben wieder vom Himmel entfernt, erfindet er die Aftronomie
und Aftrologie, und theilt, in fo ferne alle Zeitrechnung von
dem Auf und Untergang der Sonne und des Mondes bedingt
wird, den Tag in Stunden und das Jahr in Monate. Das
Kicht dringt nach den Vorftellungen der Alten felbft bis auf
den Grund des Meeres. Der Sonnengott heißt deßhalb de
4) Hymn. Hom. VIII. v. 10 sq.
184
Scharffehende, er fieht und hört alles, er durchfchauet felbft
den Schleier, der vor die Zufunft gezogen ift, und in fo ferne
er Alles weiß und alle Mittel und Wege Fennt, ift er der
Schlaue, Sifpphos, der Kiftige, und wird, in fo ferne das
Wiffen etwas Zauberhaftes’) hat, Zauberer, ja er wird wegen
der Schlauheit, womit er dem Apollon die Rinder entwendet,
felbft Gott der Diebe und Erfinder aller Ränfe.
Wie er die Erde erleuchtet und alle in ihr fhlummernden
Kräfte weckt, fo ift er audy Urheber aller guten Gedanfen und
der Sprache als des Mitteld, wodurch wir diefelben andern
mittbeilen; er ift Erfinder der Sprachkunde und Beredſamkeit,
fo wie aud) der Buchftaben, welche er ald Verknuͤpfer an
einander reihet, um. durch diefe finnlichen Zeichen Gedanken
und Worte zu verfürpern‘).
Wenn nun Hermes die Buchftaben erfindet, fo muß
dieß nothwendig auch Kadmos thun. Denn: diejenigen
Heroen, welche aus Pradikaten der Lichtgötter entftanden,
haben alle Vorzüge und Schickfale mit jenen Weſen gemein,
mit denen ihre Namen urfprünglich verbunden waren. Creu—⸗
zer ”) fah wohl ein, daß Kadmos mehr geweſen feyn muͤſſe,
als ein fterblicher Menfh, indem er fagt: „Wie dem auch)
ſeyn mag, Kadmos feheint einen Sonnengott mit nad)
Griechenland gebracht zu haben. Dafür fprechen die bedeu-
tendften Züge der Religion des Jsmeniſchen Apollon zu The
5) Wurde ja felbit Gerbert im Mittelalter wegen feiner Kennt:
niffe in der Mechanik und den Naturwiffenfchaften für einen
Zauberer gehalten.
6) Greuzer, III, 545. ef. II, ©, 618.
7) II, 459.
185
ben in Boͤotien. Es genüge hier’), mit einem Worte an
die Kadmeifhen Buchftaben im Qempel des
Jsmeniſchen Apollon zu Theben zu erinnern.“
Kadmos brachte keinen Sonnengott mit nad) Theben,
fondern er war felbft Sonnengott, und wie die Sonne am
Himmel wandert, fo wandert er, und durchirrt die
Erde, da er, wie andere Götter, frühzeitig vom Himmel auf
die Erde verjeßt wurde, Wohin er auf feinen Wanderungen
fommt, da macht er die Menfchen mit feinen Erfindungen
befannt, und deßhalb dürfen wir uns nicht wundern, daß er
nah der Sage die Buchftabenfchrift nach Theben bringt.
Wenn ſich die Kadmeifhen Buchftaben im Tempel des 8:
menifchen Apollon befinden, fo darf man nicht vergeifen, daß
auch Apollons Name urfprünglich ein Prädikat des Sonnen»
gottes war. Apollon Fonnte zwar wegen der Bedeutung
feines Namens und feiner dem Begriffe desjelben entiprechen:
den Wirkſamkeit nicht als Erfinder der Buchftaben genannt
werden; aber in fo ferne man ein Merkmal der Sonne mit
feinem Namen bezeichnete, wie mit jenem des Kadmos oder
Hermes, konnte man ihm die Vorzüge, welche der Son-
nengott nach den Vorjtellungen der Griechen überhaupt
hatte, nicht ganz vorenthalten. Wie Apollon alfo die Lyra
von Hermes empfängt, fo treffen wir auch die Kadmeifchen
Buchftaben in feinem Tempel an,
Um das Verhaltniß des Kadmos zu Hermes näher zu
bezeichnen, und die Sage von der Verbreitung der Buch:
ftabenfchrift durch jenen Heros in das gehörige Licht zu fegen,
8) Herod. V, 59. Greuzer, I, ©, 459 not. 213.
186
muͤſſen wir auch einige Mythen über Euandros und Pa
lamedes beruͤhren. Euandro8°) ift einSohn des Hermes.
Dater und Sohn ftehen auch hier in demfelben Verhaltniffe
zu einander, wie in andern Erzählungen Hyperion und Hes
lios. Der Name des Sohnes dient zur nahern Bezeichnung
der Natur des Vaters. Hermes, der den Menfchen das
Licht bringt, fie in das Leben geleitet und aus demfelben in
den Hades führt, der fie bei dem Ausgange aus ihren Behau-
fungen fchirmt und unter feine Obhut nimmt, wie er den
Priamos glüclicd zum Gezelte des Peliden leitet, iſt der
gute, menſchenfreundliche Gott, und heißt deßhalb
Euandros. Die fpatere Zeit hat diefen Namen vom Vater
getrennt, und zu einem befondern MWefen erhoben. Menn
Euandros in andern genealogifchen WVerzeichniffen ein Sohn
des Sarpedon oder Priamos heißt, fo darf man nicht vers
geffen, daß der Sonnengott nicht überall diefelben Namen
trug, fondern bei feinem großen und verfchiedenen Wirfungs-
freife und feinen vielen und fonderbaren Scidfalen eine
Menge von Prädifaten hatte, Wie die Sonne am Himmel
wandert, fo zieht auch Euandros auf der Erde umher, und
begibt fic) nad) Stalien, welches die Griechen das Weſtland
nannten, wo die Sonne verfchwindet, wo fie, wie auf Sike—
lien, ihren Pallaft hat. Wie Kadmos die Buchftabenfchrift
aus dem fernen Often, wo fich die Sonne erhebt, nah The—
ben bringt, jo macht Euandros die Italiſchen Völkerfchaften
mit derfelben befannt ), lehrt fie die Muſik und - andere
9) Pausan. VIII, 43. Dionys. Halie, I, 3.
40) Liv. I, 7. Dionys. I, 53.
187
Künfte, welche zur Verfchönerung des Lebens und zur Förderung
der Gefittung dienen, Er wirft eben fo wohlthätig, wie fein
Bater Hermes, wie der Sonnengott überhaupt, der überall
gefegliche Ordnung gründet, und als Symbol derfelben die
Lyra hat.
Der Palatinifche Berg wird als derjenige Ort bezeichnet,
auf welchem fih Euandros niederließ. Es ift befannt, daß
der Sonnengott fi) auf Bergen aufhält, in fo ferne die Sonne
hinter Bergen empor zu fteigen fcheint, und deßhalb auch der
Bergwandler genannt wurde. Wenn ihm die Sage bie
Gründung der Burg auf dem genannten Berge beilegte, fo
darf man nicht vergeffen, daß der Sonnengott als fchaffendes
und Ordnung und Harmonie begründendes Weſen Bau-
Fünftler ift, und aus diefem Grunde aud) dem Kadmos die
Erbauung der Burg von Theben beigelegt wird, welche nad)
einem Pradifate des Sonnengottes Kadmea hieß.
Die Mutter des Euandros ift als Prophetin gefeiert,
und wir vermuthen, daß der Name der Carmenta ur
fprünglich ein Pradifat der Mondgöttin war und fi) auf
diefelbe Eigenfchaft diefer Göttin bezog, wie jener der
Maja, der Mutter des Hermes. Maja ift die Erfinderin ''),
Carmenta die Sängerin oder Seherin. Beide Namen vers
halten fich zu einander, wie Grund und Folge. Noch müf-
fen wir bemerken, daß Euandros die Spiele des Pan auf
dem Palatinifchen Berge anordnet. Pan ift ebenfalls ein
Sohn des Hermes, und hat, wie Euandros, einem Prädifate
41) cf. Passowii Lexic. s. v. uno am Ende,
188
diefeg Gottes, das er als Beſchuͤtzer und Vermehrer 2) der
Heerden trug, feine Entftehung zu verdanfen. Die Spiele,
welche dem Pan auf dem Palatinijchen Berge gefeiert wurden,
veranfchaulichten den Sonnenlauf, und in fo ferne Pan und
Euandros, wie Hermes, Pradifate diefes wohlihätigen Licht;
koͤrpers waren, und die Götter ihre Fefte, an denen ihre
Schickſale und Thaten ſymboliſch dargeftellt wurden, felbft
begründen, Fonnte die Sage allerdings die Anordnung der
Spiele, welde man dem Pan zu Ehren veranftaltete, dem
Euandros beilegen.
Der dritte Heros, welchem alte Sagen die Erfindung
der Buchftabenfcprift beilegen, ıft BYalamedes, deffen Name
uns den Sonnengott als Künftler ?) beftiimmt genug bezeich⸗
net, Der Vater des Palamedes heißt Nauplios, und halt fich
auf Eubda auf. Er ift in vielen Sagen ald Seemann geprie>
fen, wie dieß fchon fein Name vermuthen laßt. Der Son:
nengott wohnt im fernen Oſten oder im Weſten, an jenen
Stellen, wo die Sonne erfcheint oder verſchwindet. Er fahrt
täglich, wenn er das weftlichfte Ende des Himmels erreicht
hat, auf feinem Kahne mit unglaublicher Schnelligkeit nad)
der öftlichen Gegend zurüd, um am andern Morgen feine
Reife am Himmel von neuem zu beginnen, und heißt wegen
feiner Gefchiklichkeit in der Schifffahrt Euneos, wie die
Sage den Sohn des ArgosHelden Jaſon nennt, der vortreff-
12) zco dürfte wohl mit mehr Grund ald Wurzel angenom-
men werden, ald yaw. Wenigftens fpricht der ganze Cha-
rakter diefes Gottes für die erftere Ableitung, für welche fich
auh Schwend erklärt.
13) Bahr in den Heidelb. Jahrb. v, 1857, ©. 459.
189
liche Schiffer, oder Naufithoos oder Nauplios. Nach Eubva
bringen aus diefem Grunde die Phaͤaken mit wunderbarer
Schnelligkeit den blonden Rhadamanthys.
Nauplios wird uns auch durch die Art und Weife, wie
er fich an den Griechen wegen des Unterganges feines Sohnes
gerochen haben foll, als Sonnengott bezeichnet. Als fie nams
lich bei ihrer Rückkehr von Troja vor dem Eilande vorübers
fegelten, zündete er auf den Kaphareifchen Felſen Feuer an,
wodurch jene, wahrend diefes Feuer aus dem Hafen leuchtete,
gegen die gefährlichen Klippen fegelten und firandeten. Wir
glauben, nicht zu irren, wenn wir die Vermuthung außern,
daß diefes Feuer fih aus den Sagen über die Flammen,
welche aus der Höhle des Zeus auflodern, vollfommen erklärt,
und auf das Feuermeer hinweiſet, welches fich bei der Er-
fheinung der Sonne hinter den Bergen erhebt, und über die
Erde ausgießt, weßhalb fich Zeus in Feuergeftalt oder Blitz
und Donner der Semele nähert, und Heralles im Feuer
untergebt.
Als Somnengott ift Palamedes ein Mufter vollendeter
Weisheit“), Erfinder der Buchftabenfchrift und anderer
Kunftfertigfeiten, fo wie auch Begründer alles deffen, was
zur Ordnung und Verſchoͤnerung des menfchlichen Lebens
dient. Sein Verhaͤltniß zu Odyſſeus beruht auf dem doppel-
ten Wirfungsfreife, welchen der Sonnengott hat, in fo ferne
er auf der einen Seite mit feiner Erfcheinung Licht, Leben
und Drdnung begründet, auf der andern Seite aber aud) Vers
derben fendet, weil fein Tod oder Untergang Nacht und Un
44) Diog. Laert. 11, 44. Schol. Lycophr. 334.
190
ordnung verbreitet, Wie fid) Dionyfos und Lyfurgos deß⸗
halb feindfelig gegenüber treten, fo ift dieß auch bei Pala—
medes und Ddyffeus, dem zuͤrnenden Sonnengotte, der Fall.
Sp wenig übrigens Palamedes lebte, und die Kennt:
nig der Buchftabenfchrift in der Wirklichkeit erfand, eben
fo wenig hat Kadmos diefelbe aus Phoͤnicien nad) Theben
oder Euandros aus Arkadien nad) Stalien gebracht. Daß
die Griechen in Kleinafien die Buchftabenfchrift cher hats
ten”), als die Bewohner des Mutterlandes, unterliegt Feis
nem Zweifel. Eben fo gewiß iſt es, daß fie fi) von hier
aus, nicht von Theben, nach Hellas verbreitete. Ob übri-
gend die Kleinafiatifchen Griechen die Buchftaben ſelbſt
erfanden, oder fie von den femitifchen Voͤlkern annahmen,
daruͤber Fonnen wir uns nicht verbreiten. Wir ſchließen
diefe Erörterungen mit Greuzers Worten): Die Sonne
fchreibt in ihren Himmelsbahnen die Urtypen mit der Ster—
nenfchrift, wie Hermes Sirius, der himmlische Schreiber
in Aegypten.“ Wir pflichten dem verehrten Gelehrten
vollfommen bei, daß die Erfindung der Buchftabenfchrift
dur Hermes und alle ihm verwandten Wefen eine fym-
bolifhe Bedeutung habe; darin aber koͤnnen wir ihm nicht
beiftimmen, dag man ihm diefe Erfindung aus aftronomi-
{hen Rüdfichten oder Verhältnifjen beigelegt habe,
45) ef. Bähr ad Herodot. V
16) Greuzer, 11. ©. 145. cf.
‚ 58.p. 93:5.
1. €, 331.
191
Fünfzehntes Capitel.
UÜrber Atlas als Himmelsträger.
Die Mythen von Atlas gehören zu den anzichenditen
Partien des Griechifchen Sagenfreifes, und haben an Gott:
fried Hermann und Heffter tuͤchtige Erflärer gefunden. So
ſchoͤn auch ihre Erklärungen find, fo koͤnnen wir bei unferer
Anficht von der Bedeutung der Griechifchen Götter denfelben
doch nicht ganz beipflichten. Mir wollen, bevor wir unfere
Vermuthung über Atlas als Trager des Himmels ausfprechen,
Heffters Meinung mittheilen ): „Wenn Atlas der Dudler
beißt, und die Richtigkeit diefer Behauptung anerfannt wird,
fo habe ich meines Theiles ſchon viel gewonnen, Es ift alſo
biereinePerfonification einer menſchlichen Tugend,
derjenigen, mit welcher wir mit Kraft und Ausdauer?) das
Drücendfte dulden und tragen. Es handelt ſich nun darum,
wie man bon diefem Dulder auf den Himmelsträger fommt,
oder welchen Flug die Phantafie der Griechen nahm, daß fie
mit dem perfonificirten Dulder das Tragen des Himmels
in der Vorftellung verfnüpfte? Sch meine, der Grieche wollte
das Dulden ſymboliſch, darſtellen, und wahlte dazu das
Schwerfte, das Laftendite, was der finnliche Grieche der
älteften Zeit nur erdenfen fonnte, das eherne Gewölbe des
Himmels. Dieß Symbol gab er alfo dem muthigen Dulder,
und was Fünnte paffender ſeyn? Späterhin ging die Bedeu-
tung des Symbolijchen verloren, und Atlas ward zum bloßen
1) Jahns Jahrbuͤcher, XXI, 3, ©. 287 sq-
2) zerinotı Ivuo.
192
Himmelsträger. Da wollte nun die gefchäftige Phantafie
der Griechen erflären, warum Atlas den Himmel trüge?
Das mußte doch eine Strafe feyn. Man ließ ihn aljo zu
einem Titanen werden, der troßig und rebellijch gegen die
Götter gewefen, und meinte nun, Zeus hätte den Atlas, um
ihn zu züchtigen, verdammt, den Himmel zutragen. Homer,
der den Sinn des Ganzen nicht Fannte oder verfannte, aͤn⸗
derte ab, indem er den Atlas zum Halter von Saulen machte,
die den Himmel tragen.“
In zwei Punkten find wir ganz mit Heffter einverftans
den. Wir find fo feft überzeugt, als, er, daß die Lirfache,
warum Atlas den Himmel trägt, Erfindung einer fpatern
Zeit, wenigftens nicht fo alt fey, al8 die Sage vom Tragen
des Himmels durch des Atlas Kräfte, und dag Homeros den
Sinn der Sage nicht mehr verftanden habe. Daß er diefelbe
abanderte, koͤnnen wir aber nicht glauben, fondern die Um:
geftaltung, die fie erhielt, dürfte wohl fchon feinen Vor;
gängern angehören. Der Sänger der Ilias, fo wie jener
der Odyſſee, erzählen, wie wir uns vollfommen überzeugt ha⸗
ben, jene Sagen, die fie berühren, mir bewunderungswuͤrdi—
ger Genauigkeit, ohne fi) um die fcheinbaren Widerfprüche
mit der Aengftlichfeit eines Kritikers zu befimmern.
Daß der Name Atlas den Dulder bezeichne, koͤnnen wir
nicht glauben, weil der Mythos, in welchem die Vorftellung
des Tragens vorherrfchend ift, diefer Annahme widerfpricht.
Atlas bezeichnete wohl urfprünglich den Trager.
Mas aber die Urzeit mit der Sage bezeichnen wollte,
dag Atlas den Himmel trage, werden wir erft dann einfehen,
193
wenn wir eine Stelle über den Helm der Pallas’) näher bes
trachten. Derfelbe war nach dem Sänger der Ilias fo groß,
daß er Fußfampfer aus Hundert Städten zu deden ver
mochte. Sollen wir wohl, um diefe Angabe zu erklären, zu
der Annahme unfere Zuflucht nehmen, der Sanger habe ſich
eine Webertreibung erlaubt? Mas hätte er wohl mit derfelben
bezwecen können? Die Griechen hatten zu viel gefunden Vers
ftand, als daß fie zu ſolchen Ungereimtheiten fich hätten ver-
ftehen follen. Es ift alfo mehr als wahrfcheinlich, daß die
Größe des Helmes der Vallas in alten Sagen fo gefeiert
war, daß der Dichter denfelben nicht verkleinern Fonnte, und
was er vorfand, nicht verandern wollte. Es ift befannt, daß
Pallas ald Mondgöttin die Aegis tragt, den großen Schild,
wie die Urzeit das Himmelsgewölbe fombolifch nannte. Auf
diefer Aegis ift das Haupt der Gorgo, das Symbol des Voll
mondes, der am Himmelsgewölbe, das die Aegis bezeichnet,
wandert. Die namliche Bedeutung dürfte auch ihr Helm
urfpränglich gehabt haben. Der Mond befindet ſich am
Himmelsgewölbe, wie die Sonne, Sobald man nun aus
den Prädifaten, welche diefe beiden Kichtförper trugen, Vers
fonen bildete, und fie auf die Erde verjeßte, war es natürlich,
daß dieß auch mit ihrem urfprünglichen Aufenthalts
orte geſchah. Nicht bloß die ungemähten Auen, fondern
auch die Aleifche Flur treffen wir auf der Erde an verfchiede;
nen Orten an, wo Sonne und Mond verehrt wurden. Wie
Pallas am Himmelsgemwölbe als Mond glänzt, fo hat fie auf
der Erde dasſelbe auf ihrem Haupte, naͤmlich den
Helm, oder trägt es als Aegis in der Hand.
3) Hom. Il. V, 743 sqq.
Vorhalle zur Griechifchen Geſchichte. II. 13
194
Noch deutlicher tritt dieſe Erfcheinung in den Abbildun-
gen der Diosfuren hervor, welche man als Morgen- und
Abendftern betrachtet. Die Dioskuren haben einen Hut
(nad) Lukianos eine halbe Eifhale‘) auf ihrem Haupte,
über dem ſich ein Stern befindet. Die halbe Schale
des Eied, aus welchen fie mit ihrer Schwefter, der Mond»
göttin Helena hervorgingen, war, wie uns dünft, eben fo
wohl, wie der Hut, Symbol des Himmelsgemblbes, an dem
fid) der Morgen: und Abendſtern befinden, weßhalb aud)
über ihrem Hute recht bezeichnend ein Stern ſchwebt. Diefe
fombolifhe Darftellungsmeife des Himmelsgewölbes kann
zwar uns fonderbar, manchen Gelehrten fogar lächer-
lich erfcheinen, allein fie darf in einer Zeit nicht auffallen,
welche den unermüdlichen Lauf des Mondes durch die von
der Bremfe geftohene, um und um fpringende
Jo veranfhaulichte! Wie die Diosfuren den Hut, das
Symbol des Himmelsgewölbes, auf ihrem Haupte haben,
fo bat auch Atlas dasfelbe auf feinem Kopfe.
Allein da man den Sinn der Sage frühzeitig vergaß, und
diefelbe buchftablih nahm, jo mußte er freilich als der ger
plagtefte Menfch und der jammervollſte Dulder erfcheinen.
Sobald dieß gefchah, und die Meinung ſich geltend machte,
der Himmel würde auf die Erde herunterfallen, wenn ihn
Atlas nicht hielte, mußte man einen Schritt weiter gehen,
und von Säulen fprechen, welde ringsum in einem
Kreife ftehen, und Himmel und Erde zugleid)
baten’).
4) Rasche, Lexic. r. n. Veit. T. II. p. 508 sqg.
5) Heffter bei Jahn, XXI, 3, ©, 293.
195
Mer bedenkt, welche Geftalt die Sagen vom Falle des
Hephaftos und vom Herabhängen der Hera erhielten, der
wird fich nicht wundern, daß aud) der einfache Mythos,
„auf Atlas ruhe der Himmel,” in fo ferne fi) die Sonne an
deffen Wölbung befindet, eine fo gewaltige Umaͤnderung ers
litt. Wenn Atlas am weftliden Ende der Erde verweilt,
fo darf man nicht vergeffen, daß der Sonnengott feinen
Pallaſt dafelbit hat, und die Ogygiſche Inſel, auf welcher
fi ®) feine Tochter Kalypfo aufhalt, ift nichts anders, als
ein Eiland am meftlichen Ende im Weltmeere oder Okeanos,
mo die Sonne verfchwindet, wo die Eilande der Seligen find.
Mas das Verhaltnig des Atlas zu feinem Bruder Menoi-
tios anbelangt, fo dürfte fid) dasfelbe aus jenem des Dior
nyſos zu Apollon am natürlichften erklären”).
Sechzehntes Capitel.
Andeutungen über die Moiren, Horen und Charitinen.
Der Mond bietet drei verſchiedene Erſcheinungen) oder
Phafen dar. Die Alten haben deßhalb nicht bloß den Mo—
nat in drei Theile getheilt, fondern auch der Mondgoͤttin,
der Begründerin der Zeiteintheilung, drei Gefichter oder drei
Körper gegeben oder drei Genien beigefellt, welche Namen,
Schickſale und Thaten mit der Göttin gemein haben, deren
6) Dgen und Dfeanos ftammen von einer und derfelben Wur—
zel. Heffter, I. c. ©, 239.
7) Heffter, 1. c. €, 294.
4) Borhall. I, 227.
13°
196
Mefen fie verfinnlichen oder naher bezeichnen. Die Mond»
göttin Hefate?) hatte drei Köpfe. Hera hieß als Mond»
göttin, in fo ferne der Mond Alles an das Tageslicht für,
dert, Eileithyia’). Die Cage gab ihr zur Bezeichnung
der dreifachen Erjcheinung des Mondes drei Kinder oder
Töchter, und nannte fie Eileithyien. Die Dreizahl wird
zwar bei Homeros nicht ausdrüdlid; erwähnt; allein da bie
ſymboliſche Bedeutung derfelben gewiß ift, und Homeros von
Eileithyien als Toͤchtern der Hera in der mehrfachen Zahl
fericht, da ferner Hera wegen der drei Mondphafen uns ale
Maͤdchen, Frau und Wirtwe entgegentritt"), fo dürfen wir
wohl vermutben, daß es auch Sagen von drei Eileithyien,
Töchtern der Hera, gegeben habe. Wie fih die Mondgoͤttin
in Grotten und an Flüffen aufhält, fo verweilet auch Eilei-
thyta ) in ihrem Geflüft an einem Strom.
Die Namen der drei Genien, welche man der Mond:
göttin wegen ihres Einfluffes auf die Begründung der Zeit
oder wegen der dreifachen Erfcheinung des Mondes bei
gefellte, müffen natür'ich an den einzelnen Orten verfchieben
lauten, da auch bei der Montgottin fich bier ihr Name
auf diefe, dort auf jene Eigenthümlicyfeit oder Wirk
famfeit des Mondes bezog. Wir wollen einige derfelben,
die Moiren ale Qöchter der Themis, die Genien der Arte
mis, die Horcn als Dienerinen der Hera und die Charitinen
als Gefaͤhrtinen der Aphrodite naher betrasgten.
2) Paus. I, 50. _cf. Greuzer, II. ©. 126.
3) Hom. Il. XI, 269. Greuzer, II. ©. 124.
4) Paus. VIII, 22, 2. Sartung, I. S. 64.
5) Odyss. XIX, 188. Greuzer, II. ©. 149 sq-
197
Die Mondgöttin ift nah den Voritellungen der Alten,
wie der Sonnengott, Schickſalsgoͤttin. Don ihr geht,
wie von dem Sonnengotte, Leben, Gluͤck und Heil, aber
auch Tod, Unglück und Verderben aus. Sie theilt, wie wir
aus einem alten Fragmente‘) über Hekate erfehen, ihren
Verehrern Segen im Ueberfluß zu, verbreitet aber auch Vers
derben über diejenigen, „welche fie nicht chren und Frevel
verüben. Deßhalb hieß fie Moira”’), die Zutheilerin, und
da fie drei verfchiedene Geftalten als Jungfrau, Frau und
Wittwe hatte, fo dachte man ſich auch die Moira in dreis
facher Geftalt, als Klotho, Lachefis und Atropos. Sie
heißt als fchaffendes, Heil oder Verderben ftiftendes Werfen
vorzugemeije die Spinnerin; indem fie dem Einen diefes,
dem Audern jenes Loos bereitet, ift fie Lacheſis; wegen der
Unveränderlichkeit aller ihrer Befchlüffe wird fie Atropos
genannt.
Die Mondgdttin wurde als Begründerin der Ordnung
und Gefeglichkeit Themis genannt. Da nun alle Be-
fchlüffe des Schickjales auf die ſtrengſte Gerechtigkeit ſich ftüs
gen, fo war es fehr natürlich, dag man die Themis Moira
nannte, wegen der drei Mondphafen aber von drei Moiren
ſprach, die man allmählig von ihr trennte, und ihr ale Ge
nien, als Töchter, beigeſellte). Wenn die Moiren Töchter
des Meeres?) oder der Nacht") heißen, fo darf man nicht
6) Theogon. 411 sqgq.
7) Passow s. h. v.
8) Hesiod. Theog. 904.
9) Lycophr. 144.
40) Hesiod. Theogon. 217.1,
198
vergeffen, daß der Mond fich nad) den Vorftellungen der
Alten aus dem Meere erhebt, aljo aud) feine Genien, und
daß er bei der Nacht erfcheint, und das Dunkel derfelben
zerfireut,
Als Töchter der Themis werden auch die Horen ges
nannt ''), und betrachten wir ihre Namen, fo fehen wir wohl
ein, warum fie gerade mit diefem Namen der Mondgöttin
in der innigften Verbindung ftehen. Sie heißen Dike, Eu-
nomia und Eirene, und verfinnlichen alfo zunachft die Wir—
Fungen der Mondgoöttin als Begründerin geſetz—
licher Ordnung. Mo Recht und Gerechtigkeit herrfchet,
da erblüht Wohlordnung und lieblicher Friede Allein die
Horen werden aucd mit andern Mondgöttinen, deren Na—
men urfprünglic) auf eine andere Kraft. und Eigenthuͤmlich—
feit des Kichtes hinweifen, in Verbindung gebracht, in fo
ferne fie aus Pradifaten der Lichtgottin hervorgingen, und
ihre Dreizahl auf die Phafen des Mondes hinweiſet. Na⸗
mentlich ftehen fie zu Zeus und zur Hera in fehr naher Be-
ziehung, was nicht befremmden darf. . Wie die Mondgottin
auf der Erde Ordnung gründet, fo ftellt fie diefelbe durch
ihre Fahrt auh am Himmel in Verbindung mit dem
Sonnengotte her. Durd) die regelmäßige Abwechslung
der beiden großen Lichtkoͤrper bei der Erleuchtung der Erde
entftcht Tag und Nacht, durch ihre Wanderung und die Abs
und Zunahme des Mondes entftehen die einzelnen Theile
des Monats; die verfchiedene Stellung, welche die Sonne
om Himmel einnimmt, ift die Urfacye der verfchiedenen Jah⸗
44) Hesiod. Theog. 901.
199
reszeiten. Wie aljo diefe Lichtkoͤrper am Himmel das Jahr
ordnen, und durd) ihre verfchiedene Stellung die Jahreszei—
ten begründen, von deren Miederfehr und Abwechslung
alle Ordnung der Erde und alles Blühen und Gedeihen ab-
bangt: fo begründen fie auch Ordnung in Bezug auf die
bürgerlichen Verhältniffe ©). Der allgemeine Name „N os
ren‘ bezeichnet den erftern Theil ihrer Wirkſamkeit, die drei
Namen der Horen aber beziehen fich auf den lettern. Aus
diefem Umftande dürfte man am beften abnehmen fünnen,
warum fie dem Zeus und andern Göttern zu ihrer. Fahrt die
Thore des Himmels öffnen, warum fie diefelben bei ihrer
Ruͤckkehr fchliegen). Mie der Sonnengott der Lenzerzeugte
heißt, und als Begründer des Frühlings geehrt wurde, fo
heißen auch die Horen ) in einem Orphifchen Hymnos früh:
lingshafte, die Flur durchfchweifende, blumenbefrängte, vom
Hauch fanftduftender Blumen ummehete Göttinen. Die
Mondgöttin fteigt am Morgen, wo der Mond verfchwin-
det, in das Schattenreich hinab, und erhebt fih am Abend
wieder aus demfelben. Deßhalb heißt es in dem angeführ-
ten Hymnos, daß die Horen, Meoiren und Charitinen die
Perfephone aus dem Hades an den Olympos im Reigentanze
uruͤckfuͤhrten.
zuruͤckfuͤh 4
12) Pindar. (Ol. 15, 6 sqq.) ſagt von Korinthos: Hier thro—
net Eunomia, bier ihre Schwefter Dife, der Staaten nie zu
erfchütternde Stüße, und die gleichgefinnte Eirene, des Reich—
thums milde Ependerin, der weisheitsvollen Ihemis goldene
Töchter, die dem Uebermuth feuern, dem Eühnen Vater
glüdfatter Unzufriedenheit . .
45) Hom. Il. V, 749. VIII, 393.
44) Hym. Orph, 42.
200
Die Fruchtbarkeit, welche der Thau der Nacht beim
Schimmer”) des Mondes über die Erde verbreitet, tritt
vorzüglidy in dem Sagenkreiſe der Pallas hervor, Wegen
derfelben hieß die Mondgöttin auch Herfe und Pandrofos,
Die Folgen des Thaues und der nächtlichen Feuchtigkeit, die
Anmuth und den Glanz, in welchem die getränfte und ger
nährte Erde in der Frühe fich zeigt, dürfte der Name
Aglauros bezeichnen, den die Mondgöttin ebenfalls trug,
in fo ferne fie die-Urheberin desfelben iſt; indeß Fann ſich
diefer Name auch auf den Glanz des Mondes beziehen, den
man als Urheber des Thaues betrachtete. Diefe drei Pradis
Fate wurden getrennt, und zu befondern Genien umgejchaf-
fen, welche die wegen der drei Montphafen an andern Or—⸗
ten mit drei Geſtalten verfehene Mondgöttin in Athen um-
geben. Daß Aglauros, Herfe und Pandrofos vorzugs-
weife mit der Athene in Verbindung ftehen, erklärt ſich aus
der eigenthümlichen Bedeutung des Namens diefer Goͤt—
tin, welder uns die Mondgöttin zunachft als ſchaf—
fendes Wefen bezeichnet *).
Wir haben ſchon erinnert, daß diefe Genien, welche
aus Pradifaten der Mondgottinen hervorgingen, alle Schick
fale mit denfelben gemein haben. Sie wandern, wie der
Mond, fie gehen im Meere unter, wie der Mond in demfelben
45) Der Mond kuͤhlt die Hitze durch Thau und Feuchtigkeit,
Greuzer, IV. ©. 158. Aglauros, fagt Greuzer (II. ©, 732),
erinnert durch ihren Namen an fiderifhes Licht, Herfe und
Pandrofos aber waren Perfonificationen des Nacht: und Mor:
genthaues.
46) Welder, Trilogie, S. 230. 286.
— — —
201
unterzutauchen fcheint, und wie die Mondgöttin nach vielen
Sagen mit dem Sonnengotte vermählt ift, fo treten auch)
fie mit demfelben in Verbindung. Herſe vermahlt fich mit
Hermes’), und aus diefer Verbindung entfpringt der Sons
nengott Tithonos, der fich mit Aurora vermaͤhlt. Wenn
Herfe nach einer alten Sage, welche Alkman beruͤhrte 8),
eine Tochter des Zeus und der Selene genannt wird, fo
darf man daraus nicht folgern, daß Zeus die Luft fen, welche,
vom Monde befeuchtet, ſich als Thau niederſchlaͤgt. Wir
fehen in dieſer genealogifchen Verbindung vielmehr unfere
Vermuthung beftätigt, daß man das innige Verhaltniß, in
welhem Sonne und Mond zu einander ftehen, bald durch
die Vermählung, bald durch das Verhaͤltniß der Kinder zu
den Eltern bezeichnete. So nennt die Sage den Sonnens
gott Hephäftos einen Sohn der Mondgöttin Hera, Pallas
eine Tochter des Zeus, und bringt viele Pradifate der Mond-
göttin, aus welcher fih befondere Wefen gebildet, in eine
folhe Verbindung, dag das eine als Mutter, das andere ala
Tochter genannt erfcheint, was die Sagen von der Nemefis
und Helena, von Helena und Hermione, von Demeter und
Kore und unzahlige andere beweifen. Wenn die Herfe und
ihre Schweftern ”) in das Meer fiürzen, fo thun fie das
Naͤmliche, was der Sonnengott und die Mondgottin beftän-
dig wiederholen, die aus dem Meere (nach den Vorftelluns
17) Greuger, IV. ©. 138.
18) Alkm. fragm. 47 p. 57. ed. Welck. cf. Greuzer, I.
©. 186. Plutarch. Quaest. nat. XXIV. p. 918. a.
19) Paus. I, 18. Ovid. Metam. II, 542 sqq. Hyg. fab.
166. Meurs. de regg. Attic. I, 2.
202
gen der Urzeit) emportauchen und fich in demfelben wieder
verlieren.
Der Eultus diefer drei Schweftern bemeifet: ebenfalls,
daß ihre Namen urfprünglich Pradikate der Mondgöttin wa;
ren?). Wie der Sonnengott und die Mondgöttin Vorfteher
der Suͤhne find, fo ward auch der Aglauros ein jährliches
Reinigungsfeft gefeiert. Der Herfe zu Ehren wurden die
Herfephorien veranftaltet. Pandroſos hatte eine mit dem
Tempel der Pallas zuſammenhaͤngende Capelle?), worin
ein heiliger Oelbaum, Symbol des Lichtes, nach ans
dern Augaben mehrere geftanden haben follen. Der Delbaum
bezog ſich auf die Natur und Befchaffenheit der Lichtgütter,
da er Kichtftoff liefert.
Nach diefen Erörterungen dürften aud) die verfchiedenartis
gen und fcheinbar fich mwiderfprechenden Sagen über die Cha»
ritinen fich leicht erklären laffen, welche bei Homeros *) eben;
falls Dienerinen der Hera find, aber auch im Chore der Arte:
mis tanzen. Vorzugsmeife erfcheinen fie aber als Gefahrtinen
der Aphrodite, deren Name urfprünglic) aud) eines der vie⸗
len Pradifate der Mondgöttin war. Die Urfache diefer Verknuͤ⸗
pfung der Charitinen mit diefer Göttin dürfte in der Bedeutung
der Namen Aphroditeund Charis, wiediefe Göttin ebenfalls hieß,
gefucht werden müffen. Aphroditeift die Erfreuende, die
Erheiternde ?), wie man die Mondgöttin nannte, weil fie
durch ihr Erfcheinen die Düfterfeit der Nacht zerftreut, und
20) Grenzer, II. €. 730.
21) Greuger, II. ©. 732. .
22) Il. XIV, 267 sq.
235) Die Wurzel des Namens möchte eupoeiveıv ſeyn.
203
alles mit Freude erfüllt. Deßhalb umflattert fie auch der
Scherz”). Sie wurde Charis genannt, in fo ferne fie über:
all Anmuth verbreitet, wie die Sonne bei ihrem Aufgang
überall Orbnung und Harmonie, aber auc) Freude und Ents
züucen verurfacht. Wenn nun die Gemahlin des Sonnengot-
tes, der als Künftler Alles verfchönert, bald Aphrodite, bald
Charis heißt”), fo erklärt fich diefe Erfcheinung daraus, daß
beide Namen urfprünglih ein und dasfelbe Weſen
bezeichneten, in der fpatern Zeit aber, wie viele ähnliche, ges
trennt wurden, fo dag man, als zwei Wefen aus den zwei
Namen hervorgegangen waren, an einigen Orten Aphrodite,
an andern aber Charis als Gemahlin des Hephäftos nannte.
Betrachten wir die Charis in der mehrfachen Zahl, fo
treffen wir auch hier die Dreizahl wieder an, und zwar aus
der fchon öfter angegebenen Urſache. Die Namen diefer
drei Charitinen aber, Aglaia, die Glaͤnzende, Euphrofnne,
die Erfreuende und Thalia, die Grünende, überzeugen ung,
daß fie aus Praͤdikaten des Mondes entftanden. Aglaia
bezieht fih auf den Glanz desfelben, Euphrofyne auf die
Freude, welche fein Erfcheinen verbreitet, und Thalia auf
die Fruchtbarkeit, welche er befonders durch den nächtlichen
Thau fordert. Ihre Mutter ift Eurynome*), des Okea—
nos Tochter, in fo ferne der Mond ſich aus dem Spiegel
des Meeres zu erheben fcheint, weßhalb auch Aphrodite aus
demfelben hervorgeht. Aus der Bedeutung ded Namens
24) Horat. I, 2 Od. v. 35 sq. Sive tu mavis Eryeina ri-
dens, Quam Jocus circumvolat, et Cupido,
25) Hom. Il. XVIII, 382.
26) Hesiod. Theog. 907 sqq-
204
Aphrodite dürfte fi) abnehmen laffen, wie diefe Göttin den
befchränften Wirkungskreis erhielt, welchen fie in der Grie—
chiſchen Mythologie einnimmt. Sie vereinigt als Euphro—
fone alles zur Freude und zum Srohfinn, fie fordert ale
Thalia überall das Grünen, das Blühen und Gedeihen.
Anmuth und Frohſinn vereinigt die Gemüther, weßhalb man
auch die Peitho unter die Charitinen fegte, und in fo ferne
der Mond überall Fruchtbarfeit verbreitet, ward fie nicht
bloß ald Vorfteherin und Göttin der Liebe, fondern auch der
thierifchen Fruchtbarkeit betrachtet.
Wenn man bedenft, daß die Mondgöttin nicht an allen
Orten wegen desfelben Merfmales ihrer Wirkſamkeit verehrt
wurde, daß man hier diefe, dort jene EigenthümlichFeit her;
vorhob, und aus diefem Grunde ihr aud) verfchiedene Namen
beilegte, fo wird man ſich nicht wundern, daß auch die Cha>
ritinen an den einzelnen Orten verfchtedene Namen hat:
ten, und nicht bloß mit Aphrodite, fondern auch mit andern
Mondgoͤttinen in Verbindung gebracht wurden.
Auch Artemis ift als Mondgottin verehrt?”) und dep-
balb mit drei Genien umgeben worden, deren Namen fic)
auf die Befchaffenheit des Lichtes beziehen. Arge ift die
Schnelle oder Schimmernde, Upis die Schauende und He
Faerge (vielleicht wegen der Verbreitung des Lichtes nach als
len Richtungen) die weithin Wirkende. Wie die Artemis
aus dem Lande der Hpperboreer kommt, fo wandern auch
diefe Fungfrauen, deren Namen Pradifate der Göttin felbft
27) Horat. Od. IV, 6, 59 sq. fagt von der Artemis — cele-
remque pronos volvere menses, i. e, celeriter cursu
suo singulos menses ad finem perducit.
205
waren, und erft allmahlig von derfelben getrennt wurden,
von dorther nad) Delphi oder Delos. Deßhalb darf man
alfo noch nicht glauben, daß die Hyperboreer ein gefchichts
liches Volk gewefen feyen, und daß diefe drei Jungfrauen
von ihnen abgefchieft wurden, um dem Apollon und feiner
Schwefter Gaben zu überbringen, und ihnen zu dienen.
Menn Meder und Go, deren Namen von denen der Hera
getrennt wurden, als Dienerinen. diefer Göttin erfcheinen,
warum foll dieß nicht auch bei den Genien der Artemis ber
Fall feyn ?
Alle diefe Genien, die wir bisher nannten, fiehen zu
dem Sonnengotte wegen feiner Bermählung mit der
Mondgöttin, wegen des innigen Verhaltniffes, in welchem
Sonne und Mond zu einander erfcheinen, im eben fo naher
Beziehung, wie zu der Mondgöttin. Aus diefem Grunde
wird der Sonnengott in vielen Sagen als Vater derjelben
genannt. Die Horen find Dienerinen des Zeus, wie der
Hera, die Charitinen ſchmuͤcken nicht bloß Aphrodite, fon-
dern auch Apollon halt fie auf feiner Hand. Die Moiren
find urfprünglicy mit dem Sonnengotte fo innig verbunden,
wie mit der Mondgottin, im fo ferne beide Götter die
Koofe der Sterblichen beftimmen. Erſt fpater, wo man
Alles trennte, alfo auch die Schickſalsgoͤttinen als uns
abhangige und für fich wirkende Mächte betrachtete, entftand
jener furchtbare MWiderjpruch, welchen wir in der Gries
chiſchen Goͤtterlehre fo haufig antreffen, daß felbit Zeus dem
Schickſal unterwürfig ift, und nur die Befchlüffe desfelben
zu vollzichen bat, Es haben ſich Mythen genug erhalten,
in denen er als Lenker des Schickſals, als Moiragetes erz
206
fheint, mie andere Sonnengötter, und aud) Homeros fagt
von ihm, daßer die Loofe der Sterblichen vertheilt.
Bor feiner Schwelle ftehen zwei Faffer, von denen das eine
mit Gluͤck, das andere mit Unglück angefüllt it”). Wir
lernen aus diefer Angabe den Zeus nicht bloß als Sonnen-
gott Fennen, der ſowohl Heil, ald auch Verderben verbrei-
tet, fondern wir überzeugen ung auch aus der Beichaffen-
heit des genannten Symbols, daß ihm die Urzeit als
Lenker aller Schidfale, wie jeden Sonnengott, ver—
ehrte, daß alfo die Moiren nur feine Befehle vollzogen, mie
fie der Mondgöttin dienten, Allein fobald man die Moiren
als eine für fich befiehende Macht anjah, und an
ihre fombolifche Beziehung zu Zeus und der Mondgöttin
nicht mehr dachte, mußte bei der eigenthümlichen Bedeu:
tung ihrer Namen, welche uns die Kichtgötter ald allma dj:
tige Lenker aller Looſe und Geſchicke bezeichnen, und auf
die UnveränderlichEeit ihrer Befchlüffe hinweiſen, freilich die
irrige Anficht entftehen, als ware der Macht der Moiren
felbft Zeus unterthan, und jener Widerfpruc in die
Griechiſche Mythologie fommen, fo daß wir bald Zeus als
Lenker und Vertheiler aller Geſchicke, was er urfprünglic)
war, bald nur als den Diener der Schickſalsgoͤttinen er
blicken.
28) Hom. Il. XXIV, 524 600.
207
Siebzehntes Gapitel.
Andeutungen über die Uymphen.
Wie die Alten die Mondgdttin wegen der drei vers
ſchiedenen Erfcheinungen des Mondes mit drei Genien
umgaben, fo haben fie ihr wegen der Wochentage und
der Anzahl der Wochen aud fieben oder fünfzig
Gefahrtinen zugefellt. Auch die Zwoͤlfzahl treffen wir we—
gen der zwölf Monate bei ihr an. Helios hat wegen
der Zahl der Tage fieben Heerden 9, die Lyra des Her—
mes und Apollon fieben Saiten. Da die Zeitrechnung
nicht bloß an den Eultus der Mondgöttin, fondern auch
an jenen des Sonnengottes geknüpft it, fo dürfen wir
uns nicht wundern, daß die GSiebenzahl gewöhnlich ver;
doppelt vorkommt, fo daß fieben Knaben und eben fo viele
Sungfrauen angeführt werden. Theſeus hat auf feinem
Fahrzeuge fieben Juͤnglinge und eben fo viele Jungfrauen,
Medeia hat fieben Mädchen und eben fo viele Knaben,
welche unfterblich find). Neleus hat zwoͤlf Söhne,
Priamos zwölf Töchter), Niobe beſitzt ſechs Knaben und
eben fo viele Mädchen,
Mir glauben nicht zu irren, wenn wir die Vermus
thung wiederholen, daß die Zmölfzahl nur in jener der Mo:
nate eine befriedigende Erklärung finden dürfte. Die Zahl
fünfzig bezieht ſich mach unferer feften Weberzeugung auf
4) Vorhall. I, 232.
2) 1. c. 235.
3) 232 fa.
208
die fünfzig Wochen des Mondjahres. Helios Hat in
jeder feiner Heerden fünfzig Stüde*), und Homeros fest
bei, daß fich die Anzahl derfelben weder vermehre,
noch vermindere Gelene, welche fo allgemein als
Mondgöttin anerfannt ift, wie Helios als Sonnengott,
hat fünfzig Töchter ’), fo auch Theftios. Mit den fünf-
zig Töchtern des Letztern vermahlt ſich Herakles. Da;
naos beſitzt fünfzig Töchter, fein Bruder Aegyptos eben
fo viele Söhne. Die fünfzig Dienerinen oder Gefährtinen
der Penelopeia und der Arete find bekannt. Aus dieſen
fünfzig Töchtern oder Dienerinen der Mondgottin erklärt
fi die Menge der Nymphen, deren Anzahl urfprüng-
lich ebenfalls nicht größer war‘), As Genien der
Mondgöttin tragen fie nicht bloß ihre Namen, fon
dern fie haben alle Eigenfhaften, Schidfale und
felbft den Ort ihres Aufenthaltes mit derfelben
gemein,
Mir beginnen, um diefe Behauptung naher zu be
gründen, mit dem Namen Nymphe. Nymphe bezeichnet ?) eine
Sungfrau, wie die Mondgottin in vielen Sagen heißt.
4) Hom. Odyss. XII, 132.
5) Vorhalle, I. &. 230 fg.
6) Daß man fpater, wo man die fumbolifche Bedeutung diefer
Zahl und den Urfprung der Nymphen und ihre Beftimmung
nicht mehr kannte, fie ind Unendliche vermehrte, darf nicht
befremden, da andere Sagen Fein befferes Loos hatten.
7) Schwenck, ©. 245 bemerkt von der Aphrodite ganz richtig :
Anh war fie, wie die übrigen Mondgoitinen, Jungfrau,
vvugpn, wie auch Artemis hief.
209
Kore’) dürfte dem Sinne nad) dasfelbe bezeichnen. Die
Namen der einzelnen Nymphen beziehen ſich auf die
verfchiedenen Eigenfchaften, auf die verfchiedenen Schickſale
oder den verfchiedenen Aufenthalt der Mondgöttin und aͤhn—
liche WVerhältniffe. Homeros nennt uns eine große An:
zahl”) von Nymphen mit ihren Namen. Wir wollen nur
einige derfelben hier namhaft machen. Zuerft begegnet ung
Glauke, welche umwillfürlih an die yAavzwrcıs Athena
erinnert. Agave heißt auch eine von den Toͤchtern des
Kadmos. Die Schwefter der Mondgoͤttin Semele kann
von diefer Göttin nur dem Namen und ihrem Wirfungs-
freife, nicht aber ihrem Weſen nad) verfchieden feyn. Eine
Thalia treffen wir auch unter den Charitinen an, Kallia-
neira dürfte fich nach den Bemerfungen, welche wir über
den Namen Aphrodite und über die Charitinen beibrachten, auf
die Anmuth beziehen, welche die Mondgottin allenthalben
verbreitet. Janeira, Janaſſa und Klymene Fehren aud) als
Pradifate der Mondgottin oft wieder, Den legtern Na-
men trug fie auch als Beherrfcherin der Unterwelt.
Nicht blog die Namen, fondern aud) den Wirkungs—
freis haben die Nymphen als Genien der Mondgöttin mit
diefer gemein. Wie die Mondgottin den Neigentanz, wel-
chen fie am Himmel aufführt, auf der Erde wiederholt, fo
führen auch die Nymphen beim Schimmer des Mon
des mit der Aphrodite und andern Mondgöttinen Reigen:
8) Schwenck's Andeut. ©. 248: ‚‚Kvon, Jungfrau, war fie als
Mondgottin.”
9) Hom, 11. XVII, 39 sga.
Vorhalle zur Griechiſchen Geſchichte. IL 14
210
tänze auf, Die Mondgottin ift als fchaffendes Princip
Spinnerin oder Weberin. Wie die Eileithyia und
die Moiren fpinnen, was auch Helena mit der goldenen
Spindel thut, wie Pallas und Venelopeia als Weberinen
gefeiert find, und die Dienerinen der Arete und Penelopeia
ebenfalls mit Spinnen und Weben befchäftigt find, fo find
auch die Nymphen Weberinen. Sie haben in ihren
Grotten ) Webeftühle von Stein, wo fie ſchoͤne, meer;
purpurne Gewande von wunderbarem Anblicke aufziehen.
Welch' einen Einfluß der Mond auf Baume und
Pflanzen ausübt, haben die Forfehungen der neuern Phys
fifer und Aftronomen deutlich) genug dargethan. Deßhalb
dürfen wir uns nicht wundern, daß „Helena ale Dendri-
ti8") verehrt wurde, und daß auch die Nymphen als
Vorſteherinen des Pflanzenlebens erfcheinen,
Mie der Sonnengott und die Mondgüttin in einer
Menge von Sagen von Meergöttern abflammen, in
fo ferne fi) die Sonne aus dem Meere zu erheben und
in demfelben zu verlieren fcheint, fo werden auch die Nym-
phen ale Töchter derfelben bezeichnet, und halten ſich,
wie Hephaͤſtos und Dionyfos oder wie Ino in den Tiefen
des Meeres auf. Der Sonnengott und die Mondgöttin
verweilen aber auh auf Bergen, binter denen Sonne
und Mond fich zu erheben fcheinen, vder in Grotten.
Deßhalb darf es uns nicht befremden, daß die Grotten der
Nymphen fo’ häufig erwähnt werden, und daß fie auf den
10) 1. XIII, 107.
11) Heffter, Rhod. Götterd. IN. S. 72 fie.
211
Spitzen der Berge mit der Artemis und andern Göttern
verweilen oder NReigentänze aufführen, und Dreaden genannt
werden, Cine Menge von Bäumen diente zur Bezeich—
nung der Natur und Wirkfamkeit der Lichtgoͤtter, welche
fi) deßhalb fogar in diefe Baume verwandeln, wie die
Daphne, welche mit Apollon in Verbindung fteht. Sollen
wir uns wundern, daß die alten Sagen von Dryaden
fprechen ?
Die Nymphen ftehen ferner mit den Kichtgottern in eben
ſo inniger Verbindung, wie die einzelnen Mondgöttinen, die
fi mit dem Sonnengotte vermählen, Auch eine Menge
von Nymphen verbindet ſich nach den verfchiedenen Lo—
Fal- Sagen mit den einzelnen Sonnengdttern. Auch in
Bezug auf Geftalt und Kleidung fiehen die Nymphen
der Mondgoͤttin vollfommen gleich. Wie die Schönheit der
Mondgöttin wegen der Anmuth und Kieblichfeit des Lichtes
vielfach verherrlicht wurde, fo ift auch die Schönheit mancher
Nymphen hoch gepriefen. Site hatten ficher urfprünglich
diefelben Attribute, welche bei der Mondgöttin erwahnt
werden. Hera hieß Bowruıs, weil die Kuh Symbol der
Mondgöttin war. Diefes Pradifat trägt”) auch eine der
Nymphen, und wenn dasfelbe nicht bei mehreren erwahnt
wird, fo darf man nicht vergeffen, daß ſich von dem faft un-
erfhöpflihen Sagen-Reichthume der Griechen nur ein
Fleiner Theil erhalten hat. Waren die Nymphen Waſſer⸗
göttinen gewefen, fo würden wir fie wohl nicht mit dem
Sternengewande erbliden, „Hier ift es nun eine feine
42) Hom. Il. XVII. v. 40.
14 *
212
Bemerkung von Lanzi“), fagt Creuzer, daß, wie die Lena
einerfeits den Najaden dienen, fo hinmwieder die Nymphen
am Sternengewand auf Vafen erfennbar find, zumeilen
audı an dem Feuer-Rohr, aud an der Taube, die fie
als Dodonaͤiſche Nymphen bei ſich haben.“
Wir vermuthen, daß man die Nymphen bloß deßhalb
als Genien des Waſſers betrachtete, weil ſie mit Fluͤſſen
und Quellen in ſo inniger Beziehung ſtehen. Wuͤrde dieſe
Erſcheinung zu einem ſolchen Schluſſe berechtigen, ſo muͤßten
auch alle Sonnengdtter und Mondgoͤttinen als
Waſſergoͤtter angefehen werden. Denn nicht bloß Artemis
und eine Menge anderer Goͤttinen halten fih an Quellen
auf und haben viele Namen, weldhe von Slüffen und
Quellen entlehnt find, fondern felbft Zeus ift Alpheios, und
verwandelt fid) in die Geftalt des Slußgottes oder verbindet
fi) mit Aegina, der Tochter des Afopos. Die Flüffe waren
urfprünglid Symbole der Lichtgötter als Begründer
allerZeit und der Zeitrechnung"). Wir haben nod) dasſelbe
Bild, wennwirfagen, die Zeit fließe ſchnell oder langfam dahin.
Dieß ift die Urfache, dieß die Veranlaffung, daß die
Griechen nicht bloß viele Namen der Mondgöttin, fondern
auch des Sonnengottes von Flüffen entlehnten, und fie bei
der nahen Beziehung, welche die Flüffe und Quellen zu den
15) Symbol, III, 191. ef. Lanzi, Vasi antich. p. 131.
14) Es bot fih Voͤlkern, welche fich weit mehr in der freien
- Datur anfbielten, als dieß bei uns der Fall ift, Fein paffen-
deres Bild dar, um den Strom der Zeit zu bezeichnen, als
Klüffe oder die Schlange, fo wie fie die Schnelligkeit, womit
diefelbe dahin eilt, duch den Pfeil verfinnlichten.
= - Te
Ta een
213
Lichtgöttern haben, an und in denfelben ſich aufhalten ließen.
Aus dieſer DVorftellungsweife dürfte fih abnehmen laffen,
warum Zeus Alpheios hieß, warum die Sage feinen Water
Chronos oder Kronos und feine Mutter Nhea *) nannte, und
warum der Thrafifche Sonnengott, deffen gefeierte Pferde
Diomedes an fich bringt, NAhefos") genannt wird, warum
Hera mit dem Anauros und andern Flüffen in fo naher Bes
ziehung ſteht!
Aus diefem Umftande dürfte fih auch ergeben, warum
fo viele Flüffe Namen haben, welche fih auf Sonne
und Mond oder auf die Eigenschaften der Kichtgötter bezichen.
Lakonien hatte einen Bah Selene”), welcher neben dem
Tempel der Mondsfrauen Ino und Paſiphasẽ vorbei flo.
Der Parthenios auf der Inſel Samos ift für die jungs
frauliche Mondgöttin eben fo bezeichnend, wie der Imbraſos ©)
und Xanthos für die Kichtgötter Hermes und Apollon. So:
bald man die Namen der Flüffe perfonificirte, war es alfo
fehr natürlih, daß man fie haufig von Lichtgoͤttern abſtam—
men ließ”). Wenn in den meiften Sagen Dfeanos als ihr
Vater genannt wird, fo dürfte fic) die aus dem Glauben der
Griechen erklären, daß auch Dfeanos ein großer Strom fey,
15) Der Name Kronos hat diefelbe Wurzel, wie jener der Aihea —
beide bezeichnen uns die Lichtgötter als Begründer der Seit,
mithin als Zeitgötter. ef. Schwend, ©. 17.
16) Schwend, ©. 90.
17) Creuzer, IV. ©. 154.
18) Auf Samothrafe haben wir eine Au, vom Fluffe Imbraſos
durchftrömt. Welder bei Schwenck S. 275. Hermes felbit
hieß Imbros oder Imbramos. cf. Trilog. ©. 217 fe.
19) Greuzer, II. ©, 114.
214
mit dem alle andern Gewaͤſſer der Erde in Verbindung ftehen.
Kanftros heißt ein Sohn der Amazone Penthefileia. Er
verband fich mit der Mondgöttin Derfeto, und aus diefer
Berbindung foll Semiramis hervorgegangen feyn.
Man ging bei der Perfonification der Flußnamen noch
weiter, und gab den daraus gebildeten Wefen Hörner,
wie man diefelben der Mondgottin und dem Sonnen:
gotte beilegte, oder ftellte fie in der Geftalt von Stie—
ren dar, wie den Sonnengott, der uns befonders auf Kreta
und als Dionyfos in diefer Geſtalt entgegentritt. Wie die
Mondgöttin und der Sonnengott wegen des Kreislaufes
des Mondes und der Sonne irren und wandern, fo wans
dert auch der Alpheios nad) dem fernen Weftlande Sike⸗
lien, und theilet mithin das Schickſal der Kichtgöttin. Daß
man den Flüffen Opfer darbrachte, kann nad) diefen Er;
drterungen nicht mehr befremden. Nach Ephoros war jeder
Antwort”), welche der Dodonätfche Zeus ertheilte, die Ans
weifung beigefügt, dem Achelous zu opfern. Daher fey es
gefommen, daß man dem Nchelous nicht nur für Waſſer
überhaupt bei Eidfhwüren, Gebeten und Opfern, fondern
für heiliges Waſſer, für Waſſer der Reinigung nahm.
Aus dieſer Stelle laßt fi auch erfehen, warum bei
Schwüren nit bloß der Alles fehende Sonnengott an»
gerufen wird, fondern auch die Fluͤſſe, deren hohe Bedeu;
tung im Griechiſchen Cultus fih nur auf die bezeichnete
Weiſe erklären laſſen dürfte, Wielleicht wurde auch der
Sonnengott eben jo wohl wegen feiner Beziehung zu den
20) Macrob. Sat. V, 18.
215
Flüffen, wie wegen der Reinheit des Kichtes, welches
alles Dunkel und Graufen der Nacht entfernt, als Vor⸗
eher der Sühne und Reinigung betrachtet. Wenn
nun die Kichtgötter mit Flüffen und Quellen in fo naher
‚Beziehung ftehen, fo darf es une nicht befremden, daß
dieß auch bei den Nymphen, welche als Genien der Wo,
hen nicht bloß als Dienerinen der Mondgöttin, fondern
audy des Sonnengottes erfcheinen, der Fall ift. Sobald
man fie aber überhaupt als untergeordnete Weſen betrach:
tete, und die Sagen von der Geburt des Sonnengottes
und der Mondgöttin buchftablich nahm, Tonnte man den:
felben Feine paffenderen Erzieherinen und Warterinen geben,
als die Nymphen, die ohnehin mit ihnen unzertrennlich
verbunden, und in alten Sagen als ihre Dienerinen und
Gefahrtinen gefeiert waren, ö
Zum Schluſſe müffen wir die Vorftellungen der Alten
von den Mufenquellen berühren. Daß die Mufen urfprüng»
lich Nymphen waren, unterliegt keinem Zweifel. Der Name
Mufa bezeichnet uns die Mondgöttin ald Sinnerin und
Erfinderin”). Wenn die Mondgöttin Medeia, Medufa,
Alfimedufa genannt wurde, und eine Menge anderer Praͤ—
difate der Art hatte, warum foll fie nicht auh Mufa ges
heißen haben? Diefer Name ging auch aufihre Genien über,
deren Zahl?) und Namen aus den bei den Charitinen und
21) ef. Passow, Lexic. s. v. #«o am Ende.
22) Creuzer (III. ©. 256) vermuthet, daß die Neunzahl darin
ihren Grund habe, daß ſie die volfommenfte und dad Pro-
dukt der Trias iſt. Alte Theologen führen aud) das als
Grund an, daß der himmlifchen Spharen acht ſeyen und Eine,
216
Horen ſchon entwicelten Gründen an den einzelnen Or
ten verfchieden lauten. Wie die Mondgöttin und ihre
übrigen Gefpielinen, fo halten fi) auch die Mufen gerne
auf Bergen und an Quellen auf, und veranfchaulichen durch
ihre Neigentänze den Kreislauf des Mondes. Die Mond:
göttin ift Eidyia, die Alles wiffende Göttin, welche als
Hekate felbft der Perfephone Rufen vernimmt, und die ſchar⸗
fehende, deren Blicken nichts entgeht, womit fie felbft das
Dunkel der Zukunft durchfchaut, und diefelbe durch Orakel
den Sterblichen enthüllt. Die Genien der einzelnen Götter
haben diefelben Eigenfchaften, wie die Götter und Goͤttinen,
mit denen fie verbunden find, aber auch ihre Attribute und
die Orte, wo fie verweilen, find von ihrer Natur durch»
drungen. Wie die Mufen nach Homeros *) alles wiffen,
wie fie den Sehern die Vergangenheit und Zufunft entfchletern,
und fie begeiftern, fo haben natürlich nach den Voritel-
lungen der Urzeit der Griechen auch die Quellen, in denen
fi die Mufen aufhalten, begeifternde Kraft, wie der
Midder des Phriros, die Roſſe des Achilleus und der Balken
der Argo fprechen und wahrfagen. Dieß war die Urfache,
warum man den Mufenquellen jene Wunderkraft beilegte,
Feineswegs aber darf man hieraus fchließen, als hätten die
Griechen dem Waſſer begeifternde Kraft beigelegt”).
die größte, welche aus diefen allen beftehe. Die erftere Mei:
nung dürfte die richtigere ſeyn.
25) Hom. 11. II. v. 484 sqgq.
24) Daß die begeifternde Kraft des Waffers eben fo groß nicht
ift, bat Schiller in einem ſchoͤnen Gedichte auf eine fehr
gemüthlihe Weife dargethan. Man lefe nur diefes Prome-
moria, dann wird man fich leicht überzeugen, daß die Vorſtel—
217
Achtzehntes Capitel.
Die Freier der Penelopeia.
Wie die Mondgottin Selena fünfzig Töchter hat, fo
treffen wir bei der Penelopeia fünfzig Dienerinen, aber
nicht bloß diefe weiblichen Genien treten uns in dem Haufe
des Odyſſeus entgegen, fondern auch eine Schaar von
männlichen, deren Zahl uns nicht befannt ift, da alle frühern
Gedichte, welche diefelben feierten‘), verloren gingen. Fra:
gen wir um die Urjachen diefer Erfcheinung, fo laffen ſich
diefelben leicht nachweifen. Wir haben fon öfter erinnert,
daß Medeia wegen der fieben Mochentage als Mondgöttin
fieben Mädchen hat, daß denfelben aber wahrſcheinlich aus
dem einfachen Grunde, daß die Zeitrechnung auc mit an
den Cultus des Sonnengottes geknüpft ift, fieben Knaben
beigegeben find. Wie demnad) Penelopeia von fünfzig
Dienerinen umgeben ift, jo hat fie wahrſcheinlich aud) fünf-
zig Diener gehabt, deren Zahl fpäter, ald man die fymbos
lifhe Bedeutung derfelben nicht mehr verfiand, freilich unge
mein vergrößert wurde.
lung von der Begeifterung, welche die Mufenguellen verleihen,
einzig und allein in der Natur der Göttinen ihren Grund hatte,
daß man, was diefe befaßen, wegen ihres Aufenthaltes in Quel-
len auch auf dDiefe übertrug, ohne fih viel zu befümmern,
ob es wirklich folhe Quellen gebe.
4) Wir dürfen dieß aus der Ausführlichkeit, womit die Verhalt-
niffe der Freier in der Odyſſee berührt find, und aus der Be—
fchaffenheit der alteften Poefie der Griechen mit Grund ver:
muthen,
218
Die Mondgottin ift ferner wegen des innigen Der
bältniffes, in dem fie zum Sonnengotte am Himmel fteht,
mit diefem vermahlt. Sonne und Mond erfcheinen ja
an demfelben unzertrennlich verbunden, Wenn fie aud)
nicht immer zu gleicher Zeit erblickt werden, fondern viel-
mehr einander in der Erhellung desfelben ſich ablöfen, fo wie
derholen fie die doc) beftandig und zwar auf die pünft-
lichfte Weife, fo daß die Alten nicht leicht ein paffenderes
Bild fanden, um diefe unzertrennliche Verbindung zu be
zeichnen, als die Vermählung.
Da die Genien der einzelnen Lichtgötter alle Schick⸗
fale derfelben theilen, fo dürfen wir ung nicht wundern, daß
auch die fünfzig Söhne des Aegyptos fi mit den fünf
zig Töchtern des Danaos vermählen, Auf der andern
Seite vermählt fi) auch der Sonnengott mit den Nym⸗
phen, Wer die einzelnen Sagen über Zeus und Apollon
oder Hermes vergleichen will, der wird fich von der Rich
tigkeit diefer Behauptung vollkommen überzeugen. Aber
nicht bloß mit diefer oder jener einzelnen Nymphe
verbindet er fi, fondern Herakles vermählt ſich mit den
fünfzig Töchtern des Theftios, in fo ferne fie alle Ge—
nien der Mondgöttin als Begründerin der fünfzig Wochen
des Mondjahres find.
Sollen wir uns nad) diefer alten Sage wundern, daß
auch die fünfzig männlichen Genien, welche aus dem oben
angeführten Grunde nicht bloß im Gefolge des Sonnen>
gottes?), fondern auch in der Umgebung der Mondgöttin
2) Wenn die Nymphen den Sonnengott umgeben, und mit ihm,
219
erfcheinen, fih fammtlich, wie der Sonnengott, mit die
fer vermählen? Diefe einfache fumbolifche Bedeutung dürfte
die Sage von den Sreiern der Penelope urfprünglich ge
habt haben. Wie diefelbe eine fo große Veränderung erlitt,
dürfte fi mit ziemlich großer Wahrfcheinlichkeit nachweifen
laſſen. Odyſſeus war als Sonnengott mit Penelopeia nad)
uralten Sagen verbunden, und wie Hektor mit Andromache
in der größten Eintracht und Liebe lebt, fo au) der Sohn
des Kaertes mit der emfigen Weberin. Er ift als Son—
nengott nicht bloß von den Nymphen, fondern aud) von
fünfzig männlichen Genten umgeben, deren Namen fi)
theild auf die Beichaffenheit des Lichtes, theild auf andere
Eigenthümlichkeiten und Verhaltniffe des Sonnengottes und
der Mondgöttin beziehen. Wie er ſich mit Penelopeia ver;
mählt, fo wollen ſich auch diefe Freier mit ihr verbinden
oder verbanden fich vielmehr in alten Sagen mit ihr, wie
Herakles mit des Theſtios Töchtern. Allein die Freier
wurden bald von Odyſſeus getrennt, und man wußte
nicht mehr, weßhalb fie mit ihm oder mit der Penelopeia
in Verbindung ftünden? Sobald man das Verhaltniß der
Freier zur Penelopeia nicht mehr Fannte, und diefe nicht
mehr als Göttin, fondern als treue Hausfrau des Odyſ—
feus betrachtete, mußte der Aufenthalt derfelben im Haufe
des Laertiaden von einer ganz andern Geite aufgefaßt
werden, und die Vorftellung entftehen, daß übermüthiae
wie mit der Mondgöttin Chorreigen aufführen: warum follen
diefe männlichen Genien auf der andern Seite nicht ebenfalls
im Gefolge der Mondgöttin fenn, nachdem auch Medeia fieben
Knaben, nicht bloß fieben Töchter hat?
220
und herrfchfüchtige Zünglinge der benachbarten Inſeln und
von Ithaka felbft?), durch die Schoͤnheit der Penelopeia
bezaubert, die Abwefenheit ihres Gemahles benügt hätten,
um ſich mit ihr zu verbinden, und auf diefe Weiſe viel-
leicht auch) die Herrfchaft über Sthafa zu erlangen.
Penelopeia Fonnte fi) bei dem großen Rufe, den fie
wegen ihrer Kiebe zu Odyſſeus hatte, als Königin nicht
mehr mit denfelben verbinden, und da die Freier nad) alten
Sagen fi) beftandig in des Odyſſeus Haufe aufhielten, fo
ſuchte man ſich diefe Erfcheinung aus dem Charakter der
Freier zu erflären. Man fchilderte fie als freche, unban-
dige Juͤnglinge, welche die edle Königin früh und fpat be
ftürmten, und benüßte die Sage von ihrem Weben und
dem Auftrennen ihrer Gewebe, um ſich zu erflären, wie
fie als fchwahe Frau einer fo großen Schaar von Juͤng—
Iingen fo lange Miderftand leiften konnte.
Wollen wir ung von dem Tode der Freier eine richtige
Borftellung bilden, fo müffen wir auf die Aufichten verwei—
fen, welche die Griechen von dem Untergange der Sonne
nd des Mondes hatten, fo wie an die Art und Meife,
auf welche fie diefelben ausdrücten. Die Sonne fcheint in
der Frühe‘) die Sterne nnd den Mond zu verdrängen,
und die Urfache ihres Verſchwindens zu feyn; den Mond
und die Sterne, welde am Abend erfcheinen, hielt Das
Findliche Alterthum für die Urfache des Unterganges der Sonne.
Eobald man fich unter den vielen Pradifaten des Sonnen»
5) Schon Homeros hält ſie fuͤr uͤbermuͤthige Juͤnglinge von Ithaka
und den benachbarten Inſeln (Odyss. I. y. 245 sqq.
4) Vorhalle, I. ©. 549 ffg.
221
gottes und der Mondgüttin befondere Wefen dachte, war es
fehr natürlich, daß der Sonnengott die Mondgöttin todtete
in fo ferne man das DVerfchwinden des Mondes durch den
Tod verfinnlichte, und auf der andern Seite die Mondgottin
als die Urheberin des Todes des Sonnengottes genannt ward.
Agamemnon verliert fein Leben durch feine Gemahlin, diefe
durch ihren eigenen Sohn, der urfprünglich zur Klytaimneftra
in demfelben Verhältniffe ftand, im welchem wir den Hephar
ftos zur Hera erblicken. Odyſſeus tödtet den Argos, das
weiß fchimmernde Heer von Sternen, fobald er nach Haufe
zurücfommt oder am Himmel erfheint, er tödtet aber auch
die Mondgöttin, und da ihre Genien alle Schickſale
mit ihr theilen, die Freier. Bezeichnend ift in diefer Bes
ziehung die Sage’), daß Ddyifeus feine Gemahlin nach ſei—
ner Heimkehr vertrieben habe, wodurd) wir das Verfchwinden
des Mondes beim Aufgang der Sonne noch) fehr ſchoͤn aus:
gedrüct fehen. Narürlich konnte die fpatere Zeit die Penelo—
peta, welche fie als Mufter von Treue fchilderte, als Koͤni—
gim nicht durch ihren Gatten getödtet werden) laffen, und
auch die Sage von ihrer Vertreibung mußte fi) bei der
buchſtaͤblichen Auffaffung ihrer Liebe zu Odyſſeus immer
mehr verlieren; allein der Tod der Freier, der in alten
Sagen enthalten war, mußte von epifchen Sängern immer
mehr ausgefhmüct werden, da.man diefelben als höchft
5) Pausan. III, 20, 10. 11.
6) Hätten fih ung alle Sagen erhalten, fo würden wir vielleicht
fehen, daß Penelopeia durch Odyſſeus oder einen Sohn des:
felben, der urfprünglih nur Pradifat des Vaters war, ihren
Tod findet, wie die Klutaimneftra,
222
übermüthige Menfchen betrachtete, und ihr ſymboliſcher Tod
buchſtaͤblich aufgefaßt wurde.
Aus dem Tode derſelben laſſen ſich auch die Sagen
uͤber die Ermordung der Soͤhne des Aigyptos durch die Da—
naiden vollkommen erklaͤren. In dieſem Mythenkreiſe erſchei—
nen die maͤnnlichen Genien, die Soͤhne des Aigyptos,
vorzugsweiſe mit dem Sonnengotte verbunden. Wie Sonne
und Mond ſich vermaͤhlen, ſo heirathen auch die Genien
des Sonnengottes jene der Mondgöttin?), und wie die Mond-
göttin den Sonnengott verdrängt oder todtet, fo werden auch
die Genien desfelben von jenen der Mondgottin umgebracht.
Wenn die Sage meldet, daß Lynkeus durch die Liebe feiner
Gemahlin diefem graufamen Loofe entgangen fey, fo dürfte
dieß darin feinen Grund haben, daß die Sonne, wenn fie
auch am Abend verfchwindet oder ftirbt, am Morgen ſich
doc) wieder im verjüngter Pracht erhebt. Wir vermuthen,
daß die Sage dieß durch die Nettung des Lynkeus bezeichnen
wollte, weil Perſeus ebenfalls°) nicht die drei Gorgonen toͤd—
tet, fondern nur der Medufa das Haupt abfchlagt.
Mir müffen hier auch einen afthetifchen Zweifel berüß-
ven, Diele Kunftrichter glauben, daß es der Ddyffee an
7) Die Eage feiert nur den Sonnengott Danaos, mit dem
fie aus demfelben Grunde in Verbindung ftehen, aus
welchen die Nymphen den Dionyfos umgeben. Sicher war
in alten Liedern auch ihre Mutter gepriefen, mit der fie viel-
leicht eben fo innig verbunden waren, wie die Nymphen mit
Artemis.
8) Wir vermuthen, daß dieß deßhalb gefchieht, weil der Mond,
wenn er auh am Morgen verfchwindet, fi doch nie ganz
verliert, fondern immer wieder von neuem erfcheint, ;
223
Zuſammenhang fehle, daß die Ermordung der Freier fich
nicht an die Srrfahrten des Odyſſeus anfchließe oder wenig-
ſtens zu weit ausgeſponnen fey, wodurd die Harmonie
des Ganzen leide, Wir müffen dagegen erinnern, daß der
Sänger bei der fymbolifchen Bedeutung diefer Mythen nicht
wohl anders verfahren Fonnte,. Die Irrfahrten des Odyſ—
feus waren ficherlich in alten Liedern fo vielfach gepriefen,
wie die Fahrt der Argo oder die Ruͤckkehr des Helios nad)
dem fernen Oſten. Eben fo vielfach dürfte auch die Ermor;
dung der Freier bei der Nückehr des Odyſſeus befungen °) -
worden feyn, da fie inmbolifche Bedeutung hatte, und fich
die altefte Poefie mit der Verherrlichung der Götter und ihr
rer Schickſale befaßte. Unter diefen Umſtaͤnden Fonnte der
Sänger, welcher die Srrfahrten des Odyſſeus befang, die
Ermordung der Freier nicht übergehen, welche den Schlußs
fiein des Ganzen bilder. Allein da diefes Ereigniß vielfach
verherrlicht, nnd bei der buchftablichen Auffaffung vielfach
umgebildet worden war, fo mußte es nothwendig eine große
Entfaltung erhalten. Eine große Anzahl übermüthiger Mens
ſchen kann von einem einzelnen Manne, wenn deffen Kraft
auch noch fo groß ift, nicht auf einen Schlag vernichtet wer;
den. Es muͤſſen natürlich hier verfchiedene Wege eingefchlas
gen, verfchtedene Mittel verfucht werden, und wer ift hierin
gefhickter, als der erfindungsreiche Odyſſeus? Daß Homer
108 diefe Sage nicht erſt erweiterte und ausbildete, daß fie
fon vor ihm ein hoͤchſt mannigfaltiges Gepräge erhielt,
dürfen wir mit ziemlicher Mahrfcheinlichfeit vermuthen. Wie
9) Borhalle I. ©. 42 fy.
224
war es bei der Treue, womit die Sanger der Ilias und
Odyſſee alle Stoffe behandeln, möglich, die ausgeſchmuͤckte
Sage von der Ermordung der Freier willkürlich zu ver
fürzen ? Der Sänger der Odyſſee verknüpfte fie mit den Irr⸗
fahrten und der Rückkehr des Odyſſeus, an die fie fi) un
mittelbar anfchloß, mit ihrer ganzen Umftandlichkeit. Wenn
die Odyſſee dadurch eine verhaltnißmäßig zu große Ausdehnung
befommen zu haben fcheint, fo war daran nicht der Sänger,
fondern die Befchaffenheit des Stoffes, den er vorfand, Urs
fahe. Allein wer berüdfichtigt, daß auch bei den Irrfahr⸗
ten viele Kofalfagen verbunden find, fo daß diefelben, wenn
man fie auf eine Lokal-Sage zurüdführte, an ihrem
Umfange bedeutend verlieren würden, der wird dem Sänger
feineswegs den Vorwurf machen, daß die Erlegung der
Freier verhaltnigmaßig zu umſtaͤndlich erzählt fey, oder mit
dem übrigen Inhalte der Odyſſee in Feiner Verbindung ftehe.
Wir wollen zum Scluffe auch die Sagen über die
Sreier der Kallirrho& und der Helena in möglichfter Kürze
berühren. Ein Bootifcher Mann, meldet die Sage), mit
Namen Phofos, hatte eine Tochter Kallirrhoe, durch Schon»
heit und Zucht gleich ausgezeichnet. Dreißig ber vor
nehmften Zünglinge Boͤotiens warben zugleich um fie. Pho—
kos fuchte einen Aufſchub nach dem andern. Endlich er—
flärte er, von ihrer Zudringlichfeit Gewalt befürchtend, fie
follten dem Pythiſchen Apollon die Wahl überlaffen. Diefer
Vorſchlag brachte fie in Zorn, und fie erfchlugen den
Mann. Zn diefer Verwirrung entfloh feine Tochter, und
10) Greuzer, I. ©, 720 ffg.
225
mitleidige Landleute verbargen fie, da die Zünglinge ihr
nachfetsten, im Getreide. So ritten diefe vorüber. Auf
diefe Weife gerettet, wartete die Zungfrau das Feft des
Böotervereins ab, fodann begab fie fih nach Koronea, und
ſetzte ſich als Schusflehende zum Altar der Stonifchen
Athene. Nachdem fie alle Umftande der Frevelthat erzählt
"und die Namen der Freier und ihre Geburtsorte genannt
hatte, fo fühlten alle Booter den tiefften Unmillen. Die
Freier, davon unterrichtet, flüchteten nad) Orchomenos.
Dort abgewiefen, fanden fie bet den Einwohnern des fer
ften Fleckens Hippota Schutz. Auf die Meigerung, fie
auszuliefern, umftellten die Thebaner den Ort, und zwan—
gen ihn durch Maffermangel zur Uebergabe. Die Freier
murden gefteinigt, und die Einwohner von Hippota zu
Sflaven gemacht. In der Nacht vor der Einnahme des
Fleckens foll der Geift des Phokos vom Berge Helifon
herabgerufen haben: Sch bin da. An dem Tage aber, als
die Freier gefteinigt wurden, foll von feinem Grabmal
Safran gefloffen ſeyn.
Creuzer bemerkt ): „Die Namen des Phokos und der
Kallırrhoe ſpielen auf das Meer an. Der letztere iſt an
ſich verſtaͤndlich, und eine Tochter des Achelous heißt auch
fo 9). Der erſtere aber iſt mit den Seeſchiffen (Phokaͤ)
verwandt. Haͤtte dieſe Erlegung der Freier einen Home—
ros gefunden, ſo wuͤrde ſie poetiſch beruͤhmter ſeyn, als ſie
jetzt iſt. Beide, die in der Odyſſee und die vorliegende,
ſind mit Ingredienzen einer Natur-Religion verſetzt.“
11) Creuzer, II. S. 722. not. 498.
42) Paus. VIII, 24, 4.
Vorhalle zur Griechiſchen Geſchichte. IT. 15
226
Mas den Namen der Kallirrhoe anbelangt, fo dürfte
fi) aus den Bemerkungen, welche wir über die Nymphen
und das Verhältnig der Mondgottin zu ten Slüffen bei—
gebracht haben, leicht ergeben, warum die Mondgöttin. fo
hieß. Phokos *) dürfte ſich ſchon dadurch, daß ein Bru-
der des Peleus denfelben Namen tragt, ald ein Prädikat
des Sonnengottes ermweifen, und fein Tod fi) daraus ers
taren, daß der Sonnengott eben ſowohl durd die Mond»
göttin, als durch die Genien derfelben, die Freier, feinen
Tod findet, Kallirrho& zeichnet ſich als Mondgöttin durch
Schönheit und Zucht aus. Es ift befannt, daß die Mond-
göttin fogar vorzugsweile Kalliſte und Kallifto genannt
ward, und was ihre Reinheit anbelangt, fo dürfen wir
nur an die Sagen von der Pallas und Artemis erinnern.
Mie Jo und Medeta Dienerinen der Hera wurden, fcbald
man ihre Namen von denen diefer Göttin trennte, fo war;
tet auch Kallirrhee das Feft des Booter- Vereins ab, und
ficher ftand fie zur Itoniſchen Pallas in eben demfelben
Berhaltniffe, in welchem Medeia oder Jo zur Hera ftan-
den. Die Zahl der Freier ſcheint fi) auf die Tage des
Monats zu beziehen, und ihre Flucht, fo wie jene der Kal—
lirriv& dürfte in den Sagen über die Srren und MWande-
rungen der Mondgöttin ihre Erflarung finden. Der Tod
der Freier hat diefelbe ſymboliſche Bedeutung, wie jener
der Mondgottin, mit der fie gleihes Schickſal theilen.
Daß fie denfelben durch Steinigung erleiden, darf nicht bes
15) Vielleicht ift yoyo, erhißen, erwärmen die Wurzel diefes
Namens. Schwenck (S. 210) leitet denfelben anders ab.
227
fremden. Auch Hermes tödtet ) den Argos, das Heer
der Sterne, durch einen Steinwurf. Vielleicht haben
diefe Sagen ihren Grund darin, daß man die Verfteine-
rung als fyumbolifche Ausdrucksweiſe gebrauchte, um damit
das Erfterben des Lichtes und alles Lebens zu bezeichnen.
Wie aus dem Verhältniffe des Herakles zu Erginos ein
förmlicher Krieg zwifchen den Thebanern und Orchomeniern
hervorging, fo zwingen auch im diefem Mythos die The:
baner den Ort Hippota zur Uebergabe.
Auch die Freier der Hippodameia und der He—
lena möchten in der Urzeit wohl Feine andere Bedeutung
gehabt haben, als jene der Penelopeia und der Kallirrhoe.
Da die verfchiedenen Nanıen, welche die Griechifchen Goͤt—
ter trugen, von den einzelnen Merkmalen und Eigenſchaf—
ten der Sonne und des Mondes entlehnt waren, fo darf
es uns nicht befremden, daß diefelben Sagen mit Fleinen
Veränderungen an gar vielen Orten wiederfehren.
Pauſanias *) führt aus den großen Eden einige Namen
der Freier der Hippodameia an. Das Grab, welches ih-
nen Dinomaos errichtete, hat diefelbe ſymboliſche Bedeu—
tung, wie jenes, das die Kreter dem Zeus erbauten. Die
fombolifche Bedeutung der Freier der Helena erhellt fchon
aus der einfachen Angabe), daß Thefeus und Peirithoos
fie entführten, als fie fieben Jahre zahlte. Die Sieben-
14) Welker, Trilog. ©. 151. not. 175. cf. Apollod. II,
4, 3. Schol. Prom. 56. Etym. p. 156, 52. Plutarch.
Quaest. Graec. 13.
45) Paus. VI, 21, 7.
46) Creuzer, IV, 147.
43”
228
zahl erinnert an die fieben Tage der Woche. Auch die
Freier der Naufifaa ”) waren urfprünglich Feine fterblichen
Menfhen, fondern fie hatten, wie die Phaͤaken Überhaupt,
bloß ein fymbolifches Dafeyn. Daß die Anzahl diefer
Freier in der fpatern Zeit, melche alle Sagen buchftäblich
auffaßte, fehr vergrößert wurde, ift natürlich.
Neunzehntes Capitel.
Andentungen über das Gefolge des Dionyfos.
Nach den bisherigen Erörterungen dürften fi) auch die
verfchiedenen Sagen über das Gefolge des Dionyfos in Kürze
auf ihre urfprüngliche Bedeutung zurücführen Taffen. Wenn
Thefens als Sonnengott fieben Knaben und fieben Mädchen
auf feinem Fahrzeuge hat, wenn Priamos aus demfelben
Grunde fünfzig Söhne und zwoͤlf Tochter befigt, wenn den
Yegyptos fünfzig Söhne und den Danaos fünfzig Toͤchter
umgeben, fo darf es uns nicht befremden, daß auh Diony
ſos von einem Gefolge, das theild aus Juͤnglingen, theils
aus Jungfrauen befteht, begleitet wird. Die Zahl desfelben
bezog fich urfprünglich theils auf die Tage der Woche, theils
auf die Zahl der einzelnen Wochen oder Monate. Die fpa-
tere Zeit, welche auf die ſymboliſche Bedeutung diefes Gefol-
ges Feine Rücficht mehr nahm, mußte die Zahl der einzelnen
Weſen freilich fehr vergrößern. Diefes Gefolge befteht nicht
bloß aus männlichen, fondern, wie jenes bes Theſeus, auch
17) Hom. Odyss. VI, 34.
229
aus weiblichen Individuen, tm fo ferne die Zeitrechnung nicht
bloß an den Eultus des Sonnengottes, fondern zugleich auch
an jenen der Mondgöttin geknüpft ift.
Mas die Namen desfelben anbelangt, fo Fonnten
diefe bei den vielen und verfchiedenen Pradifaten der Kicht:
götter nicht an allen Orten diefelben feyn. Bei der
großen Verbreitung des Dionyfos- Eultus mußten feine Ge
fährten oder Gefährtinen hier diefen, dort jenen Namen fuͤh—
ren, und als die Sage und die Dichter diefelben verknüpften,
eine Menge von Dienern und Dienerinen des Gottes ent—
ftehen, welche die fpatere Zeit nicht bloß für verfchiedene
Werfen betrachtete, jondern fogar zum Theil für Menfchen
hielt,
Die Genien der einzelnen Götter haben, wie wir
ſchon öfter erinnerten, alle Eigenfhaften und Schick—
fale, alle Attribute und ſelbſt die Kleidung mit je
nen Mefen gemein, deren Natür und Wirkſamkeit fie be
zeichneten, und wie die Goͤtter ihre fombolifchen Fefte und
Gebräuche felbjt feiern und begründen, fo erfcheinen auch fe
mit der Feier derfelben beſchaͤftigt.
Nach diefen allgemeinen Bemerkungen wollen wir die
Namen der einzelnen Diener und Dienerinen, welche mit
Dionyfos in Verbindung ftehen, in Kürze betrachten. Zu—
vörderft nennen wir die Yymphen und Najaden, welche
als feine Erzieherinen !) gepriefen werden, mit denen er
Chortänze aufführt, wie Artemis bei ihren Reigentänzen von
ihnen umgeben if. Wenn die Mondgöttin Medein auch
4) Pherecyd. ap. Schol. I!. XVIII, 486.
230
männliche Genien um ſich hat, was ihre fieben Söhne be
weifen, wenn Priamos außer feinen fünfzig Söhnen auch
noch zwölf Töchter befist, warum foll nicht auch) Dionyfos
von den Nymphen begleitet werden? Da diefelben der Mond:
göttin bloß deßhalb beigegeben wurden, um fie als Begrüns
derin der Zeit zu bezeichnen, fo gehören fie doch offenbar dem
Sonnengotte eben fo gut an, wie der Mondgottin. Die Rei:
gentänze, die fie mit Dionyfos und Artemis aufführen, fins
den in jenem großen Reigen, welchen Sonne und Mond
nach der fombolifchen Ausdrucksmweife der Griechen am Him—
mel vollenden, ihre Erklärung. Wenn jene Nymphen, welche
den Dionyfos umgeben, bald Nyfaifche, bald Dodonaͤiſche?)
genannt werden, fo darf man fich unter diefen Namen Feine
befondere Claffe von Nymphen denken, Sie erhielten diefe
Prädifate von den Orten, wo der Gott vorzüglich gerne
und häufig verweilet.
Sonderbar dürfte es manchen Kefern fcheinen, daß die
Nymphen den Dionyfos erzichen. Um diefe Nachricht in
das gehörige Licht zu fegen, müffen wir erinnern, daß das
Altertfum den Aufgang der Sonne durch die Geburt be-
zeichnete, fo daß wir alfo alle Götter und Göttinen ale
Kinder Fennen lernen. Dieſe fombolifhe Ausdrucksweiſe
wurde, wie das weibliche Gefolge des Dionyfos, nur zu bald
im buchſtaͤblichen Sinne aufgefaßt, und was war natürlicher,
als daß man in einer Zeit, welche den Gott als unbehülf-
liches Kind fi dachte, jene weiblichen Genien, welche in
alten Sagen als feine unzertrennlichen Gefahrtinen erfchies
—
2) Muͤller, Orchom. S. 173. Creuzer, III. S. 190.
231
nen, zu feinen Erzieherinen machte?), wie auf Kreta die Kus
reten als Pfleger und Schirmer des Zeus gepriefen werden?
Dionyfos hieß auch Bachos. Diefer Name wurde
auch feinen Genien beigelegt, welche aus diefem Grunde in
vielen Mythen vorzugsmweife Bachantinen heißen‘). Wie
Dionyfos als Sonnengott den Schleier der Zufunft durchs
haut’) und prophetifchen Geiſt beſitzt, fo zeichnen ſich auch
feine Genien, die Bachantinen, durch die Weiffagefunft
aus‘). Zhre Lascivität erklärt fi) aus der Natur und ur
fprünglichen Bedeutung des Dionyjos, der als Sonnengott
bei feinem Erſcheinen alles mit Freudentaumel erfüllt, und
überall Fruchtbarkeit verbreitet. Gewöhnlich find die Bacs
chantinen mit dem Hirfchfalbfelle umhüllt, welches auch
Dionyſos trägt.
Don der Art und Weiſe, wie die Feite des Dionyfos
gefeiert wurden, nannte man feine Genien Manaden und
Thyiaden, mie der Gott felbft den Namen Thyoneus
führte. Wir dürfen nur die Schilderungen der Mänaden und
Thyiaden, welche die Dichter von ihnen machen, und die Abs
bildungen dieſer Wefen betrachten, und wir müffen uns von
ihrer Bedeutung überzeugen. Site werden Fenntlih gemacht
3) Als Sonnengott halt fih Dionyfos im Haufe des Athamas
oder Hades auf, der die Mondgöttin Ino zur Gemahlin bat,
Sobald man die Sagen von feiner Jugend und von feinem
Verweilen im Haufe des Athamas buchftäblich auffaßte, mußte
man auch die Ino als feine Pflegemutter betrachten.
4) Greuzer, II. ©. 188.
5) Horat. Od. 1I, 19, 4 sqg-
6) Eurip. Bacch. 225. Schol. Euripid. Hecab. 123.
232
durch das bindenlofe und im Winde flatternde Haar’), um
welches wohl auch Schlangen gewunden find, durch den zu:
ruͤckgebogenen Kopf, dur) die unftät umherfahrenden Blicke,
durch die Snftrumente einer raufhenden Muſik, durch die ger
waltfamften Stellungen und Bewegungen des ganzen Koͤr⸗
pers, fo wie durch das Mürgen von Hirfchfälbern, Rehen
und andern Thieren, ja felbft durch das Koften von rohem
Fleiſche ).
Die Thyiaden) werden, da ſie nur dem Namen nad)
von den Bacchaͤ verfhieden waren, deßhalb haufig als Bac—
hantinen gefchildert, nur tritt, da ihr Name von der Art
des Eultus entlehnt ift, der Nebenbegriff des Orgiasmus noch
deutlicher hervor. Wenn Paufanias‘) erzählt, daß die
Thyiaden von einer Delphierin Thyia ihren Namen erhiel-
ten, weil diefe zuerft als des Bacchos Priefterin dem Gotte
die Orgien gehalten habe, fo ſehen wir durch diefe Angabe
unfere Vermuthung vollfommen beftätigt. Natürlich leitete
man die Menge von Thyiaden, fobald man diefelben als
menfchliche Wefen faßte, von einer gemeinfamen Mut:
ter ab, die ihnen nicht bloß das Daſeyn geben, fondern
auch den Namen leihen mußte. Von der Umhüllung mit
Zuchsfellen ) wurden die Genien des Dionyfos in Thrafien
Baffara genannt ”).
7) Eurip. Bacch. 494 sqq. Creuzer, III, ©. 137.
8) Eurip. Bacch. 139.
9) Creuzer, II. S. 192. Ihr Name ftammt von Ivo, und
bezieht fich auf das Ungeftüm und das Hin: und Herlaufen
beim Dienfte des Bacchos.
10) Paus. X, 6, 2.
a1) Welder, Nachtrag zur Trilog. ©, 213:
412) Auch der Sonnengott heißt in vielen Sagen Aithon, und
233
Obſchon ſich Dionyfos vorzugsweife am Spiel und Chors
reigen ergößt, fo tritt er doc) auch ald Krieger auf, und ent:
wicelt im Gigantenfriege in Löwengeftalt eine ungewöhnliche
Stärfe und Kraft). Daher dürfen wir uns nicht wun—
dern, daß wir das Gefolge des Dionyſos aud) als eine krie—
‚gerifche Schaar kennen lernen. Der Name, den es in diefer
Beziehung trägt, Mimallonc#"), wird verfchieden er
Härt. Bei Nonnos kommt eine Mimallon ald Urheberin
von Schreden und Getöfe vor). In fo ferne die Mi:
mallonen nur auf eine andere Eigenfchaft des Dionyfos
binweifen, Fonnte Nonnos jene Mimallon wohl auch mit
dem Namen Bachias bezeichnen. Sie erſcheint mit flatz
terndem Haare unter dem Gefolge des Bacchos bei feinem
Indiſchen Zuge. Pauſanias *) nennt zwar die Frauen,
welhe mit Dionyfos gegen Perfeus nah Argos
zu Felde zogen, Mänaden, vermuthlich in Anbetracht
des Friegerifchen Ungeftümes und Laͤrmens; allein die eigents
liche Bedeutung des Namens und Charakters der Mimallo-
nen lernen wir durch einen Kriegsmythos bei Polyanos ”)
fennen. Der Mafebonifche König Argaͤos rettet fein Land
bei einem Friegerifchen Einfall der Taulantier durch Bewaff—
nung der Mafedonifchen Jungfrauen. Sie trugen ftatt der
daß diefer Name auch dem Fuchfe, dem Symbole der Schlau:
heit, nicht fremd war, ift bekannt.
15) Horat. Od. II, 19. v. 25 sqgq-
44) Greuger, III. ©, 195 sq.
15) Creuzer, 1. c.
46) Pausan. II, 20, 3.
17) Polyän. Strateg. IV, 1.
1
Speere Thyrfosftabe, und der Anbli ihrer großen Schaar
beftimmte den Feind zum friedlichen Abzug. Sie biegen von
nun an, weil fie die Männer fo gut nachgeahmt, Mimallo-
nen. Wir glauben demnach) nicht zu irren, wenn wir die
Vermuthung ausfprechen, daß die Mimallonen in dem Sa-
genfreife des Dionyfos diefelbe Bedeutung hatten, welche die
Amazonen in jenem der Mondgöttin einnehmen. Jener
Argaos wird zwar als gefchichtliche Perfon betrachtet; allein
er war fiher urfprünglicy der Sonnengott, und wie aus dem
fombolifchen Kampfe des Dionyfos und Perfeus ein foͤrm—
licher Krieg hervorging, fo Fämpft auch Argaos nicht mit ei-
nem einzelnen MWefen, fondern mit einem Volke, Wie den
Dionyfos feine Genien umgeben, fo unterftügen auch ihn
feine Mimallonen.
Die Götter und ihre Genien find nicht bloß Anordner
der Gebräuche, welche mit ihrem Cultus verfnüpft waren *),
fondern fie werden auch in vielen Sagen als die Begründer
aller jenen Segnungen, welche von ihnen ausgehen, darge
ſtellt. Wenn Dionyfos Sterblichen die Rebe mittheilt und
ihnen den Anbau derfelben lehrt, fo darf es ung nicht befrem-
den, daß er und feine Genien fie aud) mit dem Keltern be;
fannt machen, und daß die lettern deßhalb als die erften
Kelterinen gefchildert werden, und den Namen Lena tra
gen”). Die Lena find mit dem Keltern und der Bereitung
des Meines befchäftigt, als Nymphen des füßen, lodenden,
oft auch des braufenden Moftes und zugleich feiner Wirkun⸗
18) Creuzer, I. ©. 15.
19) Greuzer, III. ©, 169 fg.
235
gen, des trunfenen Muthes und jener Ausgelaffenheit, die
man an Weinfeften fah.
zum Schluffe diefes Capitels wollen wir noch einige Bes
merfungen über Silen, die Silene und Satyre mit:
theilen. Der Name Silenos dürfte urfprünglich, wie
Satyros *), ein Prädikat des Dionyfos geweſen ſeyn. Wie
man die Medeia und Jo in Korinthos und Argos von der
Hera trennte, und zu Dienerinen und Prieſterinen dieſer
Goͤttin machte, ſo duͤrfte auch der Name Silenos fruͤhzeitig
von Dionyſos getrennt, und zu ſeinem Erzieher gemacht
worden ſeyn?). Wenn ſich der Name Silenos auf das
fließende Element bezieht, wie Melder annimmt, fo
trug Dionyfos denfelben als Begründer der Zeit, wie
auch Zeus Alpheios hieß, und der Sonnengott als Zeiten
gott in Thrakien Mhefos genannt wurde. Der Fluß war
Symbol der Zeit. Der Sonnengott hat wegen der verfchie>
denen Zeittheile ein aus drei, fieben, zwoͤlf oder fünfzig
Perſonen beftehendes Gefolge, das ſich urfprünglich auf die
drei Theile des Monates, die Tage der Woche, die Zahl der
Monate und Wochen des Jahres bezog. Aus diefem Grunde
darf es und nicht befremden, wenn die Selenoi auch in der
mehrfachen Zahl vorfommen, und ihre Anzahl fpäter, wo
20) Nah der Sage zeugte Dionyſos den Satyros mit der be-
raufhten Najade, der Tochter des Königs Sangarios.
Welder, Nachtr. ©. 218. not. 112, Da die Eatpre von
muütterliher Seite von einem Fluſſe (Sangarios) ftammen,
fo fehen wir, daß fie fih, wie die Nymphen, auf die Be-
geündung der Zeit durch den Sonnengott bezogen.
21) Pind. fragm. p. 585 ed. Boͤckh. Aeschyl. fragm. 40.
236
man ihre Bedeutung nicht mehr verftand, fehr vergrößert
wurde, Die Oenien der Götter haben alle Vorzüge und
felbft die Kleidung mit diefen gemein. Wie Dienyfos die
Zufunft weiß, jo Fann fie auch Silenos enthüllen.
Die Zahl der Satyre”) bezog fi) in der Urzeit eben⸗
falle auf die einzelnen Zeit: Theile, und in fo ferne
fonnte man fie auch Söhne der Töchter des Hefa-
täos”) oder Apollon nennen. Wenn Dionyfos in der
Seftalt eines Ziegenbodes auftritt, fo dürfen wir uns nicht
wundern, daß die Satyre, wie Pan, mit Ziegenfüßen *)
und andern Attributen von Ziegen verfehen find. Ihr
Charakter erklärt fi) ganz aus der Bedeutung des Diony-
fos und der feiner Natur entiprechenden Feier feines Eultus.
In der Pompa“) des Prolemaos hatten die Satyre theils
rothe Gewänder an, theils waren fie mit Mennig und an;
dern Farben roth angemalt. Der Sonnengott ift ebenfalls
mit einem Purpurmantel umhuͤllt. Warum follen nicht
auch feine Genien die rothen Gemwänder tragen, da fogar
der Drache, den Zeus fendet, wegen der Farbe des Lichtes
einen blutrothen Rüden hat? Die Silene hatten wols
[ene, purpurne Oberkleider und weiße Schuhe an”). Auch
im alten Rom fah man fie bei Aufzügen mit wollenen
22) Nah Welcker (Nachtr. S. 211) find fie nichts anders, als
ein Abbild der wirklichen ländlichen Fefttänze des Dionyſos,
ein aus dem Irdiſchen unter die Damonen erhobener Chor.
25) Welder, Nachtr. ©. 212.
34) Horat. Od. II, 49 v. 5 sqg. — et aures Capripedum
Satyrorum acutas.
25) Creuzer, III, ©, 202 sqg.
26) Athen. V, p. 262 sq. ed. Schweigh,
237
Gewandern?). Die Satyre hatten oft Ziegenfelle oder
Felle von Hirfchfälbern oder Gewander an”), welche dem
Dantherfelle ahnlich getüpfelt ?) waren. Wie der Sonnens
gott, ald er die Thiergeftalt ablegte, die Felle der ihm heis
ligen Thiere trug, fo hülfen ſich natürlich auch feine Genien
in diefelben. Nach diefen Erörterungen dürften die folgen
den Capitel über die mythifchen Wölferfchaften fich leicht
vom richtigen Standpunfte aus betrachten laffen. Mer
den Abſchnitt über die Amazonen fonderbar findet, der darf
denfelben nur mit jenem über die Nymphen verbinden, da
die Amazonen nichts anders waren, als kriegeriſche Nymphen.
Zwanzigftes Sapitel.
Die Aethiopen.
Mie die Griechiſche Mythengeſchichte eine Menge von
Derfonen enthält, welche nur ein poetifhes Dafeyn hatten,
und Feineswegs der Mirklichkeit angehörten, fo führt fie
uns auch viele Völker vor, welchen der Hiftorifer Feinen
Pag anweifen Tann, fondern die er, als Geſchoͤpfe der
Dichtung, dem Mythologen überlaffen muß. Die erfte Stelle
unter denfelben räumen wir den Aethiopen ein, welde
der Sänger der Odyſſee) in zwei Halften theilt, von denen
27) Das Vließ, welches der Sonnengott und feine Genien tru—
gen, wurde allmahlig in ein wollenes Gewand umgefchaffen.
28) Pollux, Onomast. IV, p. 49 sq. Hemst.
29) Vielleicht weiſen die getüpfelten Pantherfelle auf die Eterne
hin, welche den Mond umgeben, die der Sonnengott am Him-
mel empor: und von demielben herabführt.
4) Hom. Odyss. I, 23 sq. cf. I. XXIU, 2035.
238
die eine im außerften Often, die andere im äußerften Mes
ften wohnet, und durch ein unfträfliches, edles Betragen
fih auszeichnet. Sie wohnen an des Okeanos Fluth?),
und werden oft von den Göttern befucht; Zeus felbft be-
gibt fi) zu ihrem Male in Begleitung aller unfterblichen
Götter, und Fehrt am zwölften Tage wieder zum Olympos
zuruͤck.
Es draͤngen ſich uns hier verſchiedene Fragen auf.
Sind die Aethiopen, von denen die Geſchichte ſpricht, wirks
ih die außerften Menfchen, welche im fernen DOften und
im fernen Weſten wohnen? Warum nennt fie die Gage
die Unfiraflihen? Was bedeutet der Befuch, welchen ihnen
die Götter abftatten, was die zwölf Tage? Daß die Aethio—
pen, von denen die Geographen und die Hiftorifer reden,
ſich nicht im zwei Hälften theilen, und nicht im außerften
Oſten wohnen, ift befannt’). Die Uethiopen, von melden
Homeros und die vielen Dichter, welche vor ihm lebten,
fangen, koͤnnen alſo wohl nur eine poetische Bedeutung ge
habt haben. Diefe Vermuthung wird man nicht beftreiten,
wenn man bedenft‘), daß ſowohl die Inſel Samothrafe,
als auch Lemnos den Namen Xethiopia führte, und daß die
Amazone Myrina auf beiden erfcheint?), die Amazonen
aber Uethiopierinen heißen‘). Wenn auch die geographifchen
Kenntniffe der Griechen der damaligen Zeit noch fo lüdens
2) Hom. 11. I, 422.
3) Ukert, Geograph. der Grieh. u. Nom. I, 2 ©, 207.
4) Hesych. s. v. Ardıorie. Plin. V, 59.
5) Müller, Orhom. und die Minyer, ©. 119, not. 3.
6) Schol. Ap. Rhod. II, 967.
239
haft waren, fo wird doch niemand behaupten, daß Homer
ros, welcher in Kleinafien lebte, und dem die Inſel Kemnos
fiher nicht unbefannt war, die Xethiopen in dem Sinne
nahm, in welchem wir fie nehmen. Sie find, was fehon
ihr Name fagt, die Ölanzenden, Feurigfunfelnden. Wels
chem Volfe konnte wohl das Alterthum diefen Namen ge
ben? Um dieje Frage zu beantworten, müffen wir auf die
Vorftellungen vermeifen, welche die Alten von der Be:
Ihaffenheit der Erde und vom Kreislauf der Sonne hatten,
Die Erde ift nach ihren Vorftellungen ganz von einem
Strome, dem Dfeanos, umgeben, Im außerften Often
bat der Sonnengott feinen Pallaft, nad) andern Angaben
im Außerften Weſten. Im Oſten ift auch die Behaufung
der Eos, die nad) Ovidius mit Nofen angefüllt ift”). Wo
der Sonnengott wohnt, wohnen audy feine ©enien und
Gefährten, und diefe theilen Alle feine Eigenfchaften. An
ihre Stelle traten fpäter Völker, welche diefelben Tu—
genden haben, Wenn wir uns unter den Aethiopen des
Homeros Mohren denfen, fo überfegen wir das Wort nicht
genau, Den Beweis für die Nichtigkeit diefer Behauptung
liefert nicht bloß die Wurzel des Namens Aethiops, fondern
e8 fprechen auch viele Beinamen der Götter für Ddiefelbe
mit einer Beftimmtheit, welche durch nichts entkräftet wer;
den kann. Zeus hatte bei den Chiern den Beinamen
Aethiops, der Glaͤnzende, nicht der Schwarzbraune, und
führte denfelben ald Sonnengott, wie Helios Eleftryon®),
7) Metam. II, 113.
3) Heffter, Ahod. Götterdienft. III, 82.
240
der Strahlende, hieß. Den namlichen Namen tragt auch
ein Sohn des Hephäftos?), welcher auf Lemnos und an
andern Orten als Sonnengott verehrt wurde, und eines
der Sonnenpferde'’). Auch Dionyfos hieß ald Sonnengott
Aethiopais“), und die Mondgortin Artemis ward Aethio—
peia genannt ®).
Mir fehen alfo, daß man den Vollernei in deren Gebiete
die Sonne aufs und unterging, dieſelbe Farbe, denſelben Glanz
beilegte, der den Sonnengott felbft umgibt, und dag mandieß
aus der Findlichen Vorftellung that, daß die Völfer, welche
im Außerften DOften und im entfernteften Weften wohnten,
als Lieblinge des Sonnengottes deffen Eigenſchaften und Vor;
zuge hätten. Da aber nad) der Anficht der Griechen in der
Urzeit die Erde rings vom Okeanos umfloffen ift, fo fieht
man ein, warum fowohl die dftlihen, als auch die weft-
lichen Aethiopen am Dfeanos wohnen, aus dem die Sonne
emportaucht, und in welchem fie ſich nach den Vorftellungen
der Alten verliert. Der Umftand, daß die Griechen in ter
Urzeit eine fo fonderbare Meinung von der Mohnung des
Sonnengottes hatten, und glaubten, daß die Sonne den
Völkern im fernften Often und Meften am nächften ware,
und deßhalb am ftärfeften auf diefelben wirfe, darf ung nicht
befremden. Selbft in der fpätern Zeit konnten fich die Gries
chen vom diefer Anficht nicht ganz losfagen, und nad) Hero
9) Potter ad Lyeophr. Cass. p- 151.
10) Plin. VI, 30.
41) Änacreont. fragm. 145.
12) Auch eine Gemahlin des Danaos trug den Namen Aethio⸗
pis. Apollod. II, 4, 5
'
241
dotos ift in Indien der Morgen heißer ®), als der Mittag,
weil diefes Land im aͤußerſten Often liegt”). Sa, felbft
Plinius und Tacitus ®) hatten noch folche Vorftellungen!
Fragen wir alfo nach diefen wenigen Bemerkungen um
die Hiftorifche Bedeutung der zweifach getheilten Aethiopen des
Homeros, fo ergibt fi) die Antwort, daß diefelben in der
Wirklichkeit nie vorhanden waren, fondern daß die auf die-
felben bezüglichen Sagen der fonderbaren und unrichtigen Vors
ftellung der Ureinwohner Griechenlands von der Wohnung
des Sonnengottes ihre Entftehung zu verdanfen haben. Es
möchte hier manchem Lefer rathfelhaft fheinen, wie die Inſeln
Lemnos und Samothrafe den Namen Xethiopia führen fonns
ten? Die Loͤſung diefes Zweifels ift fehr leicht. Die geogra—
phiſchen Kenntniffe waren in der Urzeit, wie wir fchon bes
merft haben, jehr befchranft. So lange die Griechen Feine
öftlichere Grenze Fannten, als die genannten Eilande, war es
natürlich, daß fie den Wohnfig des Sonnengottes hierher
verfegten, und auch den Bewohnern derfelben die namliche
Farbe liehen, welche ihn felbft auszeichnete. Später, wo
fih ihre geographifchen Kenntniffe erweiterten, mußte der
Aufgang der Sonne freilihb immer weiter hinausgerüdt
werden. Wer bedenkt, dag man früher die Inſel Lemnos ®)
43) Herodot. III, 104. Nitzſch ad Hom. Odyss. V, 282
sqq- p-. 45.
14) Niebuhr, Eleinere hiftorifche Schrift. S. 110.
45) Taeit. Agric. 41 et Walch. I. c. p. 195. Germ. 35.
16) Müller, Orchom. S. 236. Natürlich wurde die Neäifche
Inſel Ihon lange vor Homeros weiter hinausgerüdt, und es
darf uns nicht befremden, daß, bevor man der Kahrt der Argo
ein fo fernes Ziel fiedte, wie es fhon in der heroiſchen Zeit
Vorhalle zur Griechiſchen Geſchichte. D. 16
242
als Taurien betrachtere, wo der Pallaſt des Helios war,
und erwägt, am welch' verfchiedenen Punkten man denſel⸗
ben in der fpatern Zeit fuchte, wird wohl gerne zugeben,
dag Lemnos und Samothrafe in der Urzeit an verfchiedes
nen Orten ale DOftgrenze angefehen wurden.
Aus diefem Umftande erklären fid) viele Sagen, welche
für diejenigen, die denfelben nicht berhckfichtigen, dunkel
ſeyn müffen. Die Inſel Samothrafe erfcheint in alten
Sagen als die Heimarh der Harmonia”). Auf diefem
Eilande fpielt auch Jaſon, welcher in der vielbefungenen
Argo nach der Aeaͤiſchen JInſel fuhr, eine wichtige Rolle,
und wir glauben, nicht zu irren, wenn wir behaupten, daß
eine Fahrt urſpruͤnglich hier ihr Ziel hatte, und erft all-
mählig immer weiter hinausgerüct wurde. Don der Jnſel
Samorhrafe geht Dardanos, deffen Name urfprünglic eines
der vielen Pradifate des Sonnengottes war), nad) Troja.
Die Inſel Lesbos ift der Wohnſitz des Maar”), deffen
Name ficherlich eine hieratifche Bedeutung hatte, und ein
Yradifat des Sonnengottes war. Nach Lesbos ſchwimmt
das Haupt des Orpheus”), defjen Name urfprünglich ein
gefchah, die einen Lemnos, die andern Samothrafe ald den
Punft anfaben, welchen die vielbefungene Argo, die den Son-
nengott trug, zu erreichen fuchte.
17) Schol. Eurip. Phöniss. v. 7.
18) Gefhichte des Troj. Krieges ©. XXV.
19) Diod. V, 57. Man vergeffe nicht, daß Mafar ein Eohn
des Helios ift. Wie kaͤme ein Sohn des Helios nach Lesbos,
hatte Ddiefes urfprünglich mit der Aegaͤiſchen Inſel nicht eine
und diefelbe Bedeutung gehabt ?
20) Virgil. Georgic. IV, 523.
243
pradifat des Dionyfos war”). Hätte man die ge
nannten Inſeln nicht als Dftgrenze betrachtet, fo wären
diefe Mythen ſchwer zu erflären. Beruͤckſichtigen wir aber
den Namen Methiopia, fo fehen wir ein, dag Kadmos
und Harmonia, Dardanos, Jaſion und Jaſon fic) aus dem
einfachen Grunde auf Samothrafe aufhalten, weil der Sons
nengott feinen Pallaft im Often hat, und daß der Kopf des
Orpheus, deffen Tod urfprünglid) eine ſymboliſche Bedeutung
hatte, und fich auf den Untergang der Sonne bezog, nad)
Lesbos, der Dftgrenze, ſchwimmt, weil hier die Sonne fich
wieder erhebt, oder, nach der bildlichen Ausdrucksweiſe, wie-
der geboren wird.
Diejenigen Völfer, welche in der Nähe der Sonne find,
und deßhalb von dem nämlichen Glanze umftrahlt werden,
welcher den Sonnengott felber umgibt, müffen auch alle
Eigenfhaften mit ibm gemein haben. Der Som
nengott ift Gott der Reinheit, weil das Kicht das reinfte
Element ift. Wie ware es alfo nach den Vorftellungen der
Alten möglich gewefen, daß die Nethiopen, welche an der
Duelle des Lichtes wohnten, fich hatten einen Frevel zu
Schulden Fommen laffen ? Sie find die reinften und untadels
hafteften Menſchen, welche, in fo ferne Götterfurcht ein be>
fonderes Zeichen fittlicher Tugend ift, die Götter beftändig
mit Opfern verehren, und in faft allen Sagen als ihre Lieb—
linge gefchildert werden.
Diefe Sache ift zu Far, als daß wir ung bei derfelben
langer aufzuhalten hätten. Wir gehen defhalb gleich zur
21) Welder, Nachtrag zur Trilog. ©. 192, Note 30,
16*
244
Beantwortung der Frage über, was bie Befuche, welche bie
Götter den Aethiopen abftatten, zu bedeuten haben, und wars
um diefelben am zwölften Tage immer wieder nach Haufe
zurückkehren. Man kann die Frömmigkeit der Aethiopen als
Grund anfchen, welcher die Götter bewegt, fie fo. oft zu bes
fucyen. Denn bei Frommen, welche die Götter häufig. mit
Opfern ehren, halten fich diefelben am liebften auf. Allein
wir glauben, daß die Sage eine ganz andere Bedeutung
hatte, und erft fpater von diefem Geſichtspunkte aus auf
gefaßt wurde. Hera befucht *) ihre Pflege» Eltern, den
Dfeanos und die Thetie, Hephaftos und Dionyfos halten ſich
in der Behaufung der Meergoͤttin auf, Teukros und Helena
verweilen bei dem Meergotte Proteus, Warum thun fie
dieß wohl? Wegen der Vorftellung der Alten, daß Sonne
und Mond aus dem Meere emportsuchen, und fich im Meere
wieder verlieren. Sobald aus den einzelnen Namen, welche
dieſe Kichter trugen, befondere Weſen mit menfchlicher Geftalt
gebildet worden waren, drücte die Sage den Untergang der
Sonne und des Mondes durch die Befuche aus, welche die
Eonnen- und Mondgötrer den Meergöttern abftatten, oder
durh den Aufentkalt der erftern in der Behauſung der
legtern.
Eine aͤhnliche ſymboliſche Bedeutung dürften auch die
Befuche der Götter bei den Aethiopen haben. Pofeidon iſt
Meergort, und warum foll er, da fie am Okeanos wohnen,
fie nicht öfter befuchen ? Zeus, Apollon, Dienyfos, Ares wa:
ren Sonnengötter, Pallas, Hera, Artemis, Aphrodite Mond»
22) Hom. Il. XIV, 20.
245
göttinen. Indem Gebiete der Aethiopen geht nach des Homeros
Vorſtellung und den Anfichten feiner Zeit Die Eonne auf und
unter. Der Sonnengott beginnt alfo täglich im Lande der
öftlichen Aethiopen feine Fahrt, und endigt diefelbe in jenem
der im Außerften Weften wohnenden. Er befucht alfo fomohl
die einen, als die andern täglich einmal. Auch der Mond
erhebt ſich nach den Vorftellungen jener Zeit, in welche die
Entftebung der Mythen fallt, an der öftlihen Graͤnze, und
geht an der entaegengefegten unter. Deßhalb Fann es ung
nicht befremden, daß auch die Mondgörtinen fich fo haufia
zu den Aethiopen beaeben. Als man die Griehiihen Goͤt—
ter im der fpatern Zeit fih in menfdlicher Geftalt vor:
ftellte, und die Bedeutung, welche ihre Namen urfprünglic)
hatten, aus dem Auge verlor, mußten freilich die Sagen von
den Wanderungen der Götter zu den Aethiopen irrig aufge
faßt, und ein Grund für diejelben angegeben werden, weicher
dem alten Mythos ficher fremd war. Man glaubte, die
Frömmigkeit der Aethiopen und die vielen Opfer, welche fte
den Göttern darbrachten, hatten diefelben bewogen, fo oft zu
ihnen zu gehen. Zeus war durch verfchiedene Umſtaͤnde Koͤ—
nig der Götter geworden. Wie er im Olympos bei allen
wichtigen WVeranlaffungen von der Schaar der ihm unters
geordneten Olympier umgeben ift, fo ließ man ihn auch die
Reiſe zu den Aethiopen nicht allein machen, fondern gab ihm
alle Götter zur Begleitung. Die konnte man um fo eher
thun, da alle jene Götter, deren Namen urfprünglich Praͤdi—
Fate. der Sonne und des Mondes waren, in alten Sagen jes
ner Wanderung ſich unterzogen. Natürlich begnügte ſich die
Sage nicht, ihm bloß diefe zu Begleitern zu geben, fondern
246
fie zog alle himmlischen Weſen in diefe Wanderung, um
dem Götterfonig durch ein recht großes Gefolge, welches
ihn, wie einen mächtigen Fürften, umgibt, höhern Glanz zu
verleihen, und den Zug feierlicher darzuftellen. Die Zeit der
rRuͤckkehr laßt fich verfchieden erflären. In den aͤlt eſten
Sagen würden wir, wenn ficd) diefelben erhalten hätten, ohne
Zweifel finden, daß Zeus fid) täglich zu den Aethiopen ber
gab, und wieder zurückkehrte. In dem umgeanderten My-
thos erfcheint die Zwoͤlfzahl, welche fich auf die Anzahl der
Monate bezieht, und als eine heilige Zahl in einer Menge
von Erzählungen wiederfehrt, Wir legen hier auf diefelbe
feine fonderliche Bedeutung. Diejenigen aber, die fie für
wichtig anfehen, dürften fich diefelbe aus dem Umftande er
Haren”), daß die Alten glaubten, daß die Sonne, wenn fie
bei den großen Kreislaufe, welchen fie jährlich vollendet,
das Außerfie Ende erreicht habe, wieder zu dem entgegen-
gefegten zurücfehre, und den großen Kreislauf hier von neuem
beginne.
Einundzwanzigftes Capitel.
Die Phünken.
An die Aethiopen reihen wir die Phaͤaken. Wir wol
len zuerft die wichtigften Angaben über diefes mythifche
25) Ganz anders erklärt die Wanderung der Götter zu den
Hethiopen Dornedden in feiner Theorie zur Erflär. der gr.
Myth. S. 1 — 70, deffen Anfichten von den unfrigen fo we-
ſentlich verfchieden find, daß wir auf diefelben hier feine Ruͤck
247
Volk in Kürze anführen, und dann diefelben einer nähern
Prüfung unterwerfen. Der Stammpater der viel befungenen
Phaͤaken wird von Homeros nicht erwähnt. Diodoros ')
nennt ihn Phaar, einen Sohn des Vofeidon und der Kers
fyra, der Tochter des Afopos. Doc macht uns der San
ger. der Ddyffee mit den Eltern des Alkinoos und der
Arete, des Königs und der Königin der Phaafen, be
kannt?). Poſeidon verband ficy mit der Peribota, der
jüngern Tochter des Eurymedon, welcher vordem die uns
geheuern Giganten beherrſchte. Aus diefer Vermaͤhlung
ging Naufithoos hervor, der zwei Söhne hatte, den Alki—
n008 und Nherenor, Diefer fand durch Apollon’s Bogen
feinen Tod. Seine Tochter Arete (einen Sohn hinterließ
er nicht) heirathete Alkinoos. Die Phaͤaken bewohnten vor;
dem das weite Gefild Hypereia') in der Mähe der über
muͤthigen Kyklopen, welche ſie ſtets anfielen, da ſie ſtaͤrker
waren. Daher verließ Nauſithoos ſeine Heimath, und
fuͤhrte die Phaͤaken nach Scheria, daß ſie hier entfernt
wohnten von erfindſamen Menſchen. Ihr Eiland liegt)
in der endlos wogenden Meerfluth, weit abwaͤrts von den
Menſchen, ſehr weit von der Inſel Eubda entfernt’). Kei—
fiht nehmen Fonnten, weil wir ung zu ausführlich hätten er—
klaͤten, und viele Punkte wiederholen müffen, welche in
den einzelnen Abfchnitten unferer Vorhalle ſchon berührt
wurden.
4) Diodor. IV, 74.
2) Hom. Odyss. VII, 55 sqgq.
5) Odyss. VI, 4 sqgq.
4) Odyss. V!, 203 sqg-
5) Odyss. VII, 520 sqq-
218
ner der Sterblichen befucht fie hier. Defto öfter werben
fie von den Göttern befucht, von welchen fie fehr geliebt
find’). Stets ja, fagt Alfinoos’), von Alters her erfchei-
nen unfterbliche ‚Götter bei uns fichtbar, wenn wir fie mit
heiligen Fefihefatomben ehren, figen an unferm Male, und
effen mit ung, wie die andern. Die Phaͤaken find mit
den Göttern nahe verwandt’), weßhalb ihmen dieſe auch
nichts verhehlen. Sie leben felig, wie die Götter”). Schmaus ),
Saitenfpiel und Reigentanz, oft wechfelnden Schmud, ein
wärmendes Bad und cin Ruhbett betrachteten fie als die
hoͤchſten Güter des Lebens.
Eie zeichneten ficy weder im Fauftlampf, noch im
Ringen aus”), wohl aber im Wettlauf und in der Schiff
Fahrt. ‚Denn nichts halt) der Phaͤaken Geflecht auf
Köcher und Bogen, aber Maft, Ruder und gleichhinfchwe-
bende Schiffe lieben fie, und durchfchiffen freudigen Mu—
thes die Meerfluth.” Sie fchifften den Rhadamanthys in
einem Tage nach Eubda, und brachten audy den Odyſſeus
nad) Sthafa "). Jeden, der fie anſprach, führten fie nach
des Odyſſeus Verficherung gerne nach Haufe, Shre Schiffe
bedürfen weder der Piloten, noch der Steuer”), wie fie
6) Odyss. VI,205 sqgqg-
7) Odyss. 1. ce.
8) Odyss. VII, 201 sqgq.
9) Nitzſch ad Odyss. 1. c. p. 156. T. 2.
410) Odyss. XIX, 279.
41) Odyss. VIII, 246 sqq.
a2) IE.
15) Odyss. VI, 270 sqgq-
44) Odyss. XVI, 227.
15) Odyss. VII, 555 eqg.
219
andere Schiffe nöthig haben, fondern die Fahrzeuge wiſſen
von felbft die Abfichten ihrer Nuderer, wiffen nah und
fern die Städte und Aecker eines jeden Volkes, und durchs
laufen, im Nebel und Nacht eingehüllt, die Fluthen des
Meeres mit unglaublicher Schnelligkeit. « Sie werden we
der vom Meere jemals befchadigt, noch vertilgt. Naufithoos
erzählte feinem Sohne Alfinoos, daß der Meergott Pofei-
don auf fie zürne, weil fie jeden FSremdling gefahrlos zur
Heimath fenden. Einft würde derfelbe ein treffliches
Meerfchiff der Phaafen, welches von der Eutfendung nad)
Haufe zurückkehrte, in die Fluth fchlagen, und um ihre
Stadt ein hohes Gebirge herziehen. Die Namen der her-
porragenden Perſonen diejes wunderbaren Volkes find faft
ſaͤmmtlich“) von der Schiff» Fahrt hergenommen, Nur
Alkinoos, Arete und Laodamas machen eine Yusnahme.
Ihre Heimath ift das glücdlichite Kand der Erde. Vor
dem Hofe”) des Alfinoos, nahe bei dem Thorwege ®), lag
ein Garten, welchen ringsum eine Mauer umfchloß. Hier
waren Baume voll der herrlichften Birnen, voll füßer Feis
gen und Granaten, Dliven und Aepfel. Meder im Wins
ter, noch im Sommer litten fie Mangel, und niemals fand
ein Mißwachs ftatt. Da in demfelben beftandig ein lieb»
licher Zephyr die Baume umfächelte, fo blühten die einen
der Baume, wahrend an andern die Früchte zeitigten. Syn
diefem arten prangte auch ein Gefilde, mit edlen Neben
16) Nitzſch ad Odyss. VIII, 110. p. 179. T.
47) Odyss. VII, 112 sqgq.
18) Nitzſch ad l. c. p. 150 8q. T. 2.
250
bepflanzet. Einige Trauben dorrten, auf ebenem Raume
umbergebreitet, am Sonnenftrahl, andere fchnitt der Win;
zer, andere Felterte man ſchon. Es fanden ſich in diefem
arten audy manche Gewaͤchſe, welche das ganze Jahr
hindurch in Anmuth prangten.
Der Vallaft des Alkinoos ®) ftrahlte in einem Glanze,
wie der Glanz der Sonne oder des Mondes umherſtrahlt.
Die Wände desfelben waren aus gediegenem Erze, geſimſ't
mit blaͤulichem Stahle. Eine goldene Pforte verſchloß in—
wendig die Wohnung. Die Pfoſten der Thuͤren waren
von Silber, die Schwellen von Erz. Silbern war auch
oben der Kranz und golden der Thuͤrring. An jeder Seite
(des Saales) ſtanden goldene und ſilberne Hunde, welche
Hephaͤſtos gebildet hatte. Goldene Juͤnglinge ſtanden auf
ſchoͤnen Stuͤhlen, und hielten brennende Fackeln in den
Haͤnden, um bei naͤchtlichem Schmauſe den Gaͤſten rings
den Saal zu erlenchten,
Auch die Verfaffung der Phaͤaken ift fehr intereffant. ,
An der Spige des Volkes fteht der König Alkinoos, wel-
cher fchon herrfchte, als die Argonauten ihre große Fahrt”)
unternahmen, und noch lebte, ald Odyſſeus an die Inſel
Scheria kam. Seine Macht ift durch einen Rath von
zwölf Geronten befchranft *). Die Gemahlin des Alki—
noos*), Arete, wird von ihrem Gatten geehrt”), wie fonft
19) Odyss. VII, 84 sqg.
20) Buttmann, Mptholog. II, 234.
21) Nitzſch ad Hom. Od. I. p. 68. cf. Odyss. VII, 189.
22) Odyss. VI, 310.
25) Odyss. VII, 66 sqgq-
251
nirgend auf Erden eine Frau von ihrem Manne geehrt
wird. Aber nicht bloß Alkinoos und feine Kinder zollen
ihr unbegrenzte Achtung, fondern auch das ganze Volk,
welches fie, wie eine der Göttinen, anfchauet, und fie freu:
dig begrüßt, fo oft fie die Stadt durchwandelt. Sie hat
einen fo großen Geift und fo gefunden Verftand, daß fie
felbft Zweifel der Männer mit Weisheit entfcheidet. Als
fleißige Hausfrau ift fie mit Weben befchaftigt ). Fünf
zig Mägde unterftügen fie bei ihrer Arbeit. So fehr die
Phaͤaken vor allen andern Völkern in der Schiff-Fahrt ge
übt find, eben fo fehr übertreffen ihre Frauen ?) jene an-
derer Völker in der Kunft des Gewebes; denn Athene
felbft verlieh ihnen, fi) wohl auf Kunftarbeit und Eluge
Erfindung zu verftehen. Die Tochter des Alkinoos führt
gerne mit ihren Gefpielinen Reigentänze auf. Seine Söhne
heißen Halios, Klytoneus und Laodamas ”).
Sonderbar erfcheint es, daß diefes gluͤckliche Wolf ger
gen Fremde Feineswegs fo liebevoll gewefen feyn foll, wie
man hätte erwarten mögen, und zum Theil aus der bis—
herigen Erzählung gefchloffen werden dürfte. Pallas faat
zum Odyſſeus), er folle ftill feines Weges gehen, und
feinen Menfchen anfchauen oder befragen; fie felber werde
ihn führen; denn die Phaͤaken feyen gegen Fremdlinge
nicht fehr willfährig, und bewirtheten Menfchen, welche ans
derswoher Famen, nicht freundlih. Mit diefer Bemerkung
24) Odyss. VII, 105.
25) Nitzſch ad 1. c. p- 145.
26) Odyss. VIII, 119 sqgq.
27) Odyss. VII, 30 sq.
252
der Pallas aber fteht die gute Aufnahme, welche Odyſſeus
fand, im geraden MWiderfpruche. Wenn das, was Vallas
fagt, gegründet ware, fo koͤnnte man nicht begreifen, war-
um denn doch die Phaͤaken, wenn fie gegen Fremdlinge
fo unfreundlih waren, jeden Ankoͤmmling mit der größten
Bereinmilligfeit nad) Haufe begleiteten, und hierin fo weit
gingen, daß fie fich den Zorn des Vofeidon zuzogen?
Ueberhaupt liegen in der Erzählung des Homeros gar
manche Miderfprüche, welche ſich aus der WVerfchiedenheit
der Sagen, welche ſich fchon vor ihm über die Phaͤaken
fanden, am einfachften erklären. Der Sauger benüßgte aud)
bier, wie in hundert andern Fallen, den unerfchopflichen
Vorrath alter Mythen und Gefänge, und wählte aus dem:
felben diejenigen aus, welche für feinen Plan geeignet waren,
ohne ſich ängftlih um die Kleinen und großen Widerfprüche
zu befümmern, welche durch die Verfnüpfung der verfchie>
denen Sagen entfiehen mußten. Daß Homeros die ganze
Schilderung des Lebens der Phaͤaken erdichtet, oder doc)
wenigftens alles, was fih nicht mit der Wirklichkeit
verträgt, hinzugethan habe, Tonnen wir nicht glauben, Ei:
nen unbefangenen Lefer müffen, felbft wenn er ſich nicht
durch viehjähriges Studium der Quellen der Mythologie
von der Treue des Homeros in Ueberlieferung alter Sagen
überzeugt hat, ſchon die verfchiedenen MWiderfprüche in der
ganzen Darftellung des Lebens und Charakters der Phän-
Een zu der Einficht führen, daß der ehrwürdige Dichter,
hätte er alles felbft erfunden, oder die einfachen Sagen
nur ausgeſchmuͤckt, ſich wohl Feine folhen ‚Widerfprüche
hatte zu Schulden Fommen laſſen, daß ſich alfo diefelben
253
wohl am natürlichften daraus erklären dürften, daß, wie
über viele andere mythiihe Perſonen und Völker, fo auch
über die Phaafen eine Menge von Sagen vorhanden war,
welche, info ferne fie ſchon in der heroifchen Zeit budy-
ſtaͤblich aufgefaßt wurden, in gar vielen Beziehungen mit
einander im Miderfpruche fiehen mußten.
Da wir die Ueberzeugung hegen, daß Homeros auch
hier mit feiner gewohnten Treue erzählte, nicht aber das
Epiel der Phantafie walten lieg, fo wollen wir die Bedeutung
der Phaafen zu ermitteln ſuchen. Im entgegengejeßten
Falle ware freilich ein folches Bemühen thöricht und frucht-
los. Die Ableitung de3 Namens Phaar, welchen Diodos
r08 als Stammpvater der Phaͤaken nennt, zeigt uns, daß
fie diefelbe Bedeutung hatten, wie die. Aethiopen. Phaar
ift, wie Phadimos, der Glaͤnzende, Leuchtende oder Hell:
leuchtende. Phadimos heißt ein Sohn des Thebanifchen
Sonnengottes Amphion und der Niobe?). Phaͤdimos heißt
auch der König von Sidon, bei welchem Menelaos und
Helena verweilen?). Der Name des Heros, welcher den
Dienſt des Herafles”) in Sifyon einführt, heißt Phaiftog,
und ftammt von derjelben Wurzel, wie die Namen Phaar
und Phadimos. Urfprünglicy dürfte der Name Phaͤar,
wie die zwei zuleßt genannten Namen, ein VPradifat des
25) Apollodor. III, 5, 16. geidıuos und guiag haben bie
gemeinfame Wurzel peo, von welcher auch der Name Pharis
oder Paris ſtammet. Geſchichte des Troj. Krieges S. 145.
not. 105.
29) Hom. Odyss. XV, 117 sq.
30) Pausan. II, 6, 8.
251
Sonnengotted geweſen feyn. Faßt man diefe Bermuthung
ins Auge, fo dürfte fi wohl ergeben, warum Phaͤax ein
Sohn des Pofeidon ift, wie Thefeus von diefem Gotte
ſtammt. Die Sonne taucht aus dem Meere empor, oder fie
wird nad) den PVorftellungen der Alten aus dem Meere
geboren, in welchem fie fi) auch wieder verliert. Daß
man Geſchlechter und Völker nach Göttern benannte, ift
allgemein bekannt. Die Kadmeonen hatten ihren Namen
von Kadmos, defjen Name ein Pradifat des Hermes war,
die Dardaner von Dardanos, der urfprünglich diefelbe Ber
deutung hatte. Wenn Alfaos und Afufilaos’!) die Phaa-
fen Söhne der Gaia nennen, fo wird Dadurch unfere Ver:
muthung nicht umgeftoßen. Schwend hat gezeigt”), daß
Gaia und Rheia cin und dasfelbe Weſen waren. Nun
ſtammt aber Hera und Zeus von der Rhein. Sonne und
Mond Fonnen unmöglic eine Mutter haben, welche mit
ihrer Natur in Feiner Beziehung fieht. Der Name Rheia
dürfte alfo, wie der Name Gaia, urfprünglid eines der
vielen Praͤdikate geweſen feyn, weldjes die Mondgoͤttin
trug. Im diefem Falle ſtammet der Sonnengott, der auch
Phaar hieß, von der Mondgottin. Dieß darf nicht be;
fremden. Hephaftos iſt als Sonnengott befannt genug.
Er hat, wie Ares, welder in der alten Sage von ihm
nicht verfchieden war, die Hera zur Mutter, welche ihn
gebar, ohne fich mit einem Gotte zu verbinden. Die Alten
wollten durch diefes Verhältniß der Abftammung die innige
31) Nisfh ad Odyss. 7, 201 sqg. p- 156 ©, 2%
32) Schwends Andeutungen ©. 92 sq.
255
Verbindung ausdrücden, in welder Sonne und Mond zu
einander ftehen.
Nach diefen Erörterungen war alfo der Name Phaar
arfprünglih, wie die Namen Phaftos oder Phadimos ein
Pradifat des Sonnengottes. Der Sonnengott hat als
Zeiten» Gott fein Gefolge, welches nach ihm benannt ift,
und alle Vorzüge und Schicjale mit ihm theilt, welches
da wohnt, wo er feinen Pallaft hat. Aus diefem Gefolge
ging ein ganzes, nach ihm benanntes Volk hervor. Wir
betrachten, weil wir die Abftammung des Wolfes eben bes
rührt haben, hier zugleich auch die Abkunft des Herrſcher—
gefchlechtes. Der Name des Naufithoos, welcher von Pos
feidon und der Periboia fein ©efchlecht ableitete, bezieht
ſich auf die Fertigkeit der Phaafen im Seewefen, womit
fie fi) vorzugsmeife befchaftigten ; allein diefelbe hat ebenfalls
eine fymbolifche Bedeutung. Der Sonnengott ift befannt-
lich der befte Schiffer, weil er jeden Tag mit unglaubs
licher Schnelligkeit nach der Oftgrenze auf einem Kahne
zuruͤckfaͤhrt. Deßhalb hat der Haupt-Heros ber Argo, Ja—
fon, einen Sohn Euneos, deffen Name ficher urfprünglich
ein Pradifat des Jaſon felbft war. Periboͤa hießen auch
Artemis und Kore®). Beide waren Mondgöttinen, wors
aus wir wohl fchließen dürfen, daß auch Periboia aus
einem Praͤdikat der Mondgoͤttin zu einem beſondern Weſen
umgeſchaffen wurde. Die Mondgoͤttin trug dasſelbe wegen
ihres wohlthaͤtigen Einfluſſes auf die Fruchtbarkeit der gan—
55) Hesych. Jeos rıs Un’ Eviwy uev, "Aoreuis, Uno de dhkoy,
Koon. ef. Schwend. S 247,
256
zen Natur. Von Naufithoos ſtammen Alkinoos und Rhe—
xenor. Auch die Namen diefer Heroen dürften urfprüng>
li Pradifate des Sonnengottes gewefen feyn. Um auf die
Bedeutung des Namens Alfinoos aufmerffam zu machen,
dürfen wir nur daran erinnern, Daß die Lichtgötter Geift und
Verſtand im höchften Grade befigen, daß fie alles wiffen,
felbft die Zukunft Fennen, bis auf den Grund des Meeres
fehen, und fih durch Schlauheit vorzüglich auszeichnen,
In Korinthos hieß deßhalb der Sonnengott Sifyphos, ein
Praͤdikat, aus welchem fpäter ein König biefes Namens her>
vorging. Bei der Mondgöttin tritt diefer geiftige Vorzug
in vielen Namen hervor, Die Mutter des Jaſon heißt Alki—
mede ꝰ), eine Tochter des Kadmos hatte den Namen Autonoe,
die Schwefter des Eurpftheus hieß Alfinoe ), ein Name der
Mondgottin, welcher dem Pradifate des Sonnengottes voll-
fommen entfpricht, Alkinoos ift alſo der fehr Verftändige,
der fehr Kluge,
Sein Bruder Rhexenor ift) der Mannerreihen oder
Reihen von Streitern Durchbrechende, Diefes Prädikat
trug der Sonnengott als Obwalter im Kriege, wie es Achil—
leus aus dem nämlichen Grunde führt. Die Bedeutung feis
nes Kampfes mit Apollon erhebt diefe Vermuthung zu großer
MWahrfcheinlichkeit. Der Kampf Ddiefer zwei Götter bes
zieht fich auf die gleiche Macht, die gleichen Vorzüge, welche
einen jeden von ihnen auszeichnen, welche einer dem andern
31) Schol, Ap. Rhod. I, 45. Hyg. Fab. 14.
35) Apollod. II, 4, 5.
36) Passow. Lex. s. h. v.
257
ftreitig machen will. Apollon ift Obwalter im Kriege; erift der
furchtbare Gott, der mit Bogen und Pfeilen in folcy’ einer
Majeftat und Furchtbarkeit einherfchreitet, daß die Pfeile bei
jeder Bewegung fchredlich fhwirren, und er felbft der Nacht
gleichet; Rhexenors Name meifet auf die namliche Befchaffen
beit diefes Gottes hin, welchem Feiner zu widerftehen vermag.
Der Tod des Rherenor möchte urfprünglich die namliche ſym⸗
bolifhe Bedeutung gehabt haben, wie jener des Zeus oder
Zagreus. Sobald aber Rhexenor ald Heros betrachtet wurde,
war es natürlich, daß man feinen Tod ſich als Folge des
Kampfes vorjiellte, in welchen er fich frecher Weife mit Apol-
lon einließ.
Der Name feiner Tochter Arete, mir welcher Alkinoos
vermaͤhlt ift, möchte, wie Paffomw ’”) fehr richtig bemerft, mit
dem Namen Ares eine und diefelbe Wurzel haben, und Präs
difat der Mondgottin gewefen feyn. Wer bedenkt, daß diefelbe
aud) Sphigeneia, Iphianaſſa und Alkeſtis ®) hieß, wird unfere
Vermuthung nicht ganz unwahrfcheinlich finden. Man mag
den Namen übrigens erklären, wie man wolle, fo viel fcheint
und ausgemacht zu feyn, daß jene Zeit, welche ihn zuerft ge
brauchte, wohl eher an die Starfe und unmwiderftehliche Macht
der Mondgöttin dachte, ale an die Tugend und Sitrfamkeit
einer Frau. Wir werden fpater fehen, daß auch noch ein
anderer wichtiger Umftand für unfere Anficht fpricht.
Iſt unfere Erfläarung der Namen Alkinoos, Rhexenor
und Arete gegründet, dann dürfte man wohl einfehen, daß
die genealogifche Verbindung, in welcher jene beiden Brüder
37) s. v. dosım.
38) Schwend, Andeutung. ©. 203.
Vorhalle zur Griechifchen Gefchichte, II, 47
258
ftehen, wie viele andere, erft im fpaterer Zeit entftanden
fey. Alkinoos und fein Bruder hießen ohne Zweifel, da
in der alten Sage ihre Namen Pradifate des Sonnengottes
waren, Soͤhne des Pofeidon. Da aber die Sage auch von
einem Naufithoos ſprach, der feine Entftehung der Beſchaͤf—
tigung der Phaafen zu verdanken fchien, fo war es natürlich,
dag man dieſen mit dem Beherrfcher des Meeres in die
nachfte Beziehung brachte, und ald Sohn des Pofeidon er
Härte, den Alkinoos aber und feinen Bruder von ihm abftamı
men ließ. Ueber die Bedeutung des Laodamas, des Sohnes
des Alkinoos, haben wir unfere Vermuthung fchon ausgefpro-
chen. Die Namen der übrigen Phaͤaken bezogen fid; auf das See-
weſen. Ob der Name der Naufifaa, der Tochter des Alkinoos,
wie der Name Halia”), welden die Ino trug, ein Pradifat
der Mondgöttin war, das diefelbe ald Beherrfcherin des Meer
res trug, oder. ober ſich bloß auf die ſymboliſche Beſchaͤfti—
gung der Phaͤaken bezieht, laͤßt fih nicht mit Beftimmtheit
behaupten. Wir vermuthen, daß die erfiere Annahme wohl
die richtigere feyn möge, unddag die Chorreigen der Naufifaa
und ihrer Gefpielinen in der Urzeit die namliche Bedentung
gehabt haben dürften, welche jene der Artemis und ber
Nymphen hatten.
Nach diefen Erörterungen wollen wir die Sagen über
die Lage der Inſel der Phaͤaken naher in das Auge faffen.
Ihr Eiland liegt ganz am Ende der Erde, getrennt von dem
Wohnſitzen der übrigen Menfchen, ungemein weit von der
Inſel Eubda entfernt. Aus diefem Umftande erflart ſich
39) Heffter, Rhod. Götterdienfte, III, 63 sgq«
259
nicht bloß die Aeußerung des Alkinoos, daß fie von Feinem
der Menfchen befucht würden, fondern auch die Bemerkung
der Vallas, dag die Phaͤaken nicht fehr willfahrig gegen die
Fremden fegen, und fienicht gerne bewirtheten, Voß glaubte,
daß die Ungafilichkeit der Phaͤaken als eine Thatfache zu neh—
men fey, und ihren Grund darin hatte, daß fie fürchteten,
ihr Wohnſitz würde nicht mehr fo verftet und den Menſchen
verborgen feyn, wenn fie fich mit denfelben häufiger in Bes
rüprung einließen. Nitzſch hingegen legt die Sache”) ganz
anders aus. „Odyſſeus hat von Naufifaa gehört, daß diefes
Volk fern vom Menfchenverfehr ohne Nachbaren Iebe, daß
es ein feefahrendes fey, daß es einen Feden Sinn habe; alles
diefes muß ihn ſcheu machen. Einen andern aus dem Volfe
um gafilihe Aufnahme zu bitten, oder eine unabweisliche
andere Einladung zu erwarten, kann ihm ohnedieß nad) der
Begegnung mit Naufifaa nicht einfallen. Nun ift es ganz
in Homers Weife, das, was der umfichtige, Eluge Mann bei
fich felbft überlegt und befchließt, als ein Gefpräch der Athene
darzuſtellen.“
40) Nitzſch ad Odyss. VII, 50 sqgq. p- 437 T. 2 ſagt: „Eini⸗
ger Grund zu der Beforgnig vor Fed unfreundlicher Begeg-
nung lag wohl in dem auch von der Naufifaa ihrem Volke
(Odyss. VI, 274) beigelegten Charafter. Auch Fonnte man
fagen, anders fen das Volk und anders die Kürften gefinnt,
namentlich durch die Vermittlung der Göttin! Dann fünnte
eben nur Athene’ Klugheit es rathfam finden, den Odyſſeus
von jeder Anfprache eines andern im Volke abzuhalten, damit
er deſto gewiffer in die befte Herberge komme. Alles diefeg
hat mir nicht ganz befriedigend geſchienen,“ und nachdem er
bemerkt, daß er der von Voß vorgebracten Erklaͤrung nicht
beipflihten Fonne, gibt er die im Texte berübrte Grflärung.
27”
260
Mir koͤnnen Feiner von beiden Erflarungen beipflichten,
fondern vermuthen, daß die Sage von der Unfreumdlichfeit
der Phaͤaken gegen Fremde der Lage ihrer Wohnfige ihre Ent⸗
ftehung zu verdanken hatte. Ein Volf, das ganz am Ende
der Welt auf einer rings vom Meere umflutheten Inſel wohnt,
und vom Verkehr mit Menfchen abgefchnitten ift, kann nach
den Vorftellungen der Alten jene gefalligen Sitten und jene
Zuvorkommenheit gegen andere Menſchen nicht haben, wos
durch ſich diejenigen Völker auszeichnen, welche nicht fo ab»
gefchloffen find, und häufig mit andern in Berührung kom⸗
men. Mie derjenige Menfch, weldyer vom Verkehre mit ans
dern getrenntrift, gegen andere etwas Abftoßendes und Uns
freundliches in feinem Benchmen bat, fo dachte man ſich auch
ein ganzes Volk, welches, von aller Welt getrennt, auf einer
mitten im Meere liegenden Inſel wohnte,
Die Phaͤaken führen ein feliges Leben, wie die Goͤtter
und werden häufig von Göttern befucht, welche ihnen ficht-
bar erfcheinen, wenn fie diefelben mit heiligen Feſthekatom—
ben chren, bei ihrem Male ſitzen, und mit ihnen effen.
Der Befuh, welchen die Goͤtter den Phaͤaken fo haufig
abftatteten, das glückliche Leben, welches fie felbft führten,
die Bedeutung der Namen Phaar, Alfınoos, Nhexenor,
Arete und Naufifaa führen uns zur Vermuthung, daß fie
eine ähnliche ſymboliſche Bedeutung haben, wie die Aethio—
pen, in deren Gebiete die Eonne auf- und untergeht, und
wenn wir auf ihre Schiffiahrten bejonderes Gewicht legen,
fo dürften ihre Wohnftge im außerften Weſten gefucht wers
den müffen. Im Außerfien Weſten befteigt der Sonnen
gott feinen Kahn, Da in diefem Mythos, wie in jenem
261
des Odyſſeus, die fchnelle Fahrt des Sonnengottes nach
dem fernen Often gefeiert ift, fo erflart es fich hieraus
aud), warum die Phaͤaken, welche aus Genien desfelben
zu einem Volke umgejhaffen wurden, vorzüglid) wegen
ihrer Schiffsfunde gepriefen find.
Es ift befannt, daß die Alten die Eilande der Seligen,
die Mohnfige der Götter, in den aͤußerſten Meften ver
fegten. Friedrich Richter gibt den ſchoͤnen Grund an, daß
im Weſten, wo die Sonne verfchwindet, alles Treiben und
Drangen der Menfchen aufhört, welches uns eben das
Leben fo mühevoll macht, und die Auyenblide des Das
feyns fo vielfach verbittert. Ruhe, innere und äußere, wie
fie der Venufinifhe Sanger verherrlicht, wäre alfo die hohe
Glücfeligfeit, welche die Götter, die, wie Homeros fagt,
leicht dahin leben, vor den Mentben auszeichnet, und die
weſtliche Grenze, wo die Sonne untertaucht, wäre alſo den
Griechen aus dem angegebenen Grunde als der gecignerfte
Punkt zum Aufenthalte ihrer Götter erfchienen. Wir ſtim—
men mit dem großen Dichter darin überein, daß der
DSlympos der ältefte Wohnfig der Götter nice ift,
fondern daß diefer nach deu älteften DVorftellungen, welche
no in vielen Sagen durchſchimmern, im Außerften
Weften lag. Allein den Grund, welchen er für feine
Anfiht angibt, koͤnnen wir, fo fchon er iſt, nicht billigen,
und Feiner, der bedenkt, welche Bedeutung die Griechiſchen
Götter ehedem hatten, wird ung dieß verargen. Wir müfs
fen unfer Thema hier abbrechen, und, che wir die übrigen
Angaben über die Phaͤaken weiter erörtern, zwei wichtige
Punkte in Kürze berühren, daß namlich die Griechen in
262
der Urzeit die Wohnfige der Götter in den außerften Me:
ften verfeßten, und dann müffen wir zu erklären verfuchen,
warum fie dieß thaten.
Mir Haben ſchon erinnert, Daß der Sonnengott nad) ,
den Vorftellungen der Alten feinen Pallaft im Weften und
nach einer andern Sage im Often hat. Für beide Vor;
ftellungen laffen fih Gründe angeben, welche ſchon berührt
wurden, Die meiften Griechifchen Götter und Göttinen
haben ihre Entftchung Praͤdikaten der Sonne und des
Mondes zu verdanken. Als man fi) unter den vielen
Namen, welche die beiden großen Lichter trugen, befondere
Weſen dachte: wohin Fonnte die Sage die Wohnfige diefer
Götter anders verfegen, ald in den außerften Often oder
in den entlegenften Weſten, und da nac) den Vorftellungen
der Alten die ganze Erde rings von dem Dfeanos umgeben
ift, auf eine Inſel am Ende der Welt? Diefe Götter wohs
nen alfo entweder an jener Stelle, wo Sonne und Mond
fih im Meere verlieren, im entfernteften MWeften, oder an
jenem Punkte, wo ſich die Sonne am Himmel erhebt, im
aͤußerſten Oſten. Welche von beiden DBorftellungen die
frühere war, laßt fih nad) unferm Dafürhalten nicht leicht
mit Sicherheit ermitteln, Wielleiht gehören beide verjchie-
denen Voͤlkern Griechenlands an, von denen Die einen
glaubten, der Sonnengott habe feine Behaufung im MWeften,
wo er den Himmel verläßt, andere aber, er habe diefelbe
im Dften, wo er wieder emporfährt.
Dürften wir einer Vermuthung Raum geben, fo würs
den wir der Vorftellung, welche feinen Pallaft im Weſten
fuchte, ein höheres Alter beilegen. Im außerften Weſten
| 263
weiden die Heerden des Helios, im Meften find auch die
Ställe der Kinder des Apollon, im Meften wohnet auch
Geryones, melcher die wunderfchönen Rinder hatte, die
Herafles entwendete.
Sobald man einmal die Wohnſitze der Sonnengötter
und Mondgöttinen an die Meft- oder Oſtgrenze der Erde
verlegte, war es fehr natürlich, daß man den übrigen Göts
tern, welde mit ihnen, wie die Nymphen oder ahnliche
Weſen in der innigften Verwandtſchaft ftanden, Feinen abs
gefchloffenen und befondern Aufenthalts-Ort anweiſen Fonnte,
ondern fie fammtlich dahin verfeßte, wo ſich diefe aufs
hielten,
Es finden ſich noch bei Homeros deutliche Spuren,
daß der Olympos urfprünglich Feineswegs der Wohnſitz
der Gricchifchen Götter war, fondern es erft fpater wurde.
Proteus ſagt zum Menelaos): „Dir, goͤttlicher Held Mes
nelaos, iſt nicht beſtimmt, in Argos zu ſterben, ſondern
die Goͤtter fuͤhren dich einſt an das Ende der Erde zu der
Elyſeiſchen Flur, wo der blonde Held Rhadamanthys
wohnt, und die Menſchen ganz muͤhelos in Seligkeit leben,
weil du Helena haſt, und Zeus dich als Eidam ehret.
Hier iſt weder Schnee, noch Winterorkan, noch Regen⸗
wetter, ſondern beſtaͤndig weht das Geſaͤuſel des leiſe an—
athmenden Zephyrs.“ Wenn Menelaos von den Goͤttern
in ihre Behauſung aufgenommen, und deßhalb an das Ende
der Erde in die Elyſeiſche Flur gefuͤhrt wird, ſo muͤſſen
doch wohl die Goͤtter ſelbſt in den Elyſeiſchen Gefilden
44) Odyss. IV, 561 sqgq.
264
wohnen; hätten fie in der Urzeit fchon den Olympos inne
gehabt, fo würde Menelaos dahin verfegt worden feyn,
wie Herakles. In den Elnfeifhen Gefilden Iebt nad) Pins
daros auch Kronos), der Vater des Zeus, und wir duͤr⸗
fen ficher behaupten, daß der ehrwuͤrdige Sänger diefe Ans
gabe aus ältern Quellen entlehnte. In den Elyfeifchen
Gefilden halten ſich auch Minos, Aeakos, Rhadamanthys,
Kadmos und Achilleus auf, deren Namen ſaͤmmtlich Praͤ⸗
dikate des Sonnengottes waren. Erwaͤgt man nun, daß
die Namen Phaͤax, Alkinoos und Rhexenor ebenfalls Epis
theta des Sonnengotted waren, fo dürfte man wohl eins
fehen, warum die Phaͤaken fo haufig von Göttern, aber
niemals von Menfchen befucht werden, und auch verftehen,
warum fie ein Leben führen, wie die Götter.
Nun ift es auch klar, warum Rhadamanthys, meldyer
nach der angeführten Stelle in den Eilanden der Seligen
lebt, fich bei den Phaͤaken aufhalt, und von diefen, nicht
von den Kretenfern nach Euboͤa gebracht wird‘®),
Diefe alte Sage, welche wir dem Sänger der Odyſſee
serdanfen, dient uns zugleich als der erfte Anhaltspunkt
zur Bekraͤftigung unferer Vermuthung, daß die Phaͤaken im
42) Olymp. 77. Hier ift die Burg des Kronos. Gene Sage,
mwelhe ihn in den Tartaros verfeßt, wird zwar von Altern
Schriftſtellern erwähnt, allein daraus folgt noch keineswegs,
daß fie auch mirklich die ältere Sage von dem Wohnfiße des
Kronos fey. „In den Eilanden der Seligen, heißt es (Thierfch,
l- e.) im Denkmal der Regilla, pfleget Kronos der Herrſchaft.“
Wir geben diefer Erzählung vor der andern den Vorzug, und
balten fie für viel alter, ala jene.
43) Odyss. VII, 320 sqgq.
265
äußerften Meften wohnen, und daß jene Sage, welche bie
Eilande der Götter hierher verſetzt“), Alter ſeyn dürfte, als
die andere, nach welcher diefelben im Dften auf der Inſel
Leufe find. Böotien und Eubda erfcheinen in vielen alten
Sagen als Oftgrenze, wie wir in andern Mythen Samos
thrafe, Lesbos oder Lemnos als foldhe Fennen lernen. Auf
Eubda wohnt Tityos, welchen Rhadamanthys befucht. Hier, im
Dften, erhebt fid) die Sonne, und wir haben fchen erinnert,
daß der Somnengott immer in der Nacht auf einem
Kahne von Meften nah Oſten ſchifft. In fo ferne num
der Name des Rhadamanthys eim Pradifat des Sonnen:
gottes war, und die Phaͤaken fih im äußerften Weften aufs
halten, Fann man es als Feinen Widerfpruch betrachten,
wenn eine Sage denfelben in die Elyfeifchen Gefilde, eine
andere aber in das Land der Phaͤaken verfegt, und von
diefen nach Eubda gebracht werden laßt. Beide Sagen
bezeichnen, wie bald erhellen dürfte, ein und dasjelbe, naͤm—
lich die Eilande der Götter, und gehören nur verfchiedes
nen Völkern an.
Auch den Odyſſeus brachten die Phaͤaken nach Haufe,
und was befonders wichtig ift, das Schiff, welches ihn
44) Wenn man bedenkt, daß eine Sage die Eilande der Seli-
gen oder den Wohnſitz der Götter im Oſten, die andere im
Weſten fucht, fo wird man wohl einfehen, warum fih Achil-
leus nach einer Erzählung auf Leufe aufhält, und bier im
Kreife anderer zu Herven herabgefunfenen Götter lebt, nad
einer andern aber im äußerten Werten, mo Kadmos und Mir
nos über die Verftorbenen richten, und Achilleus über diefelben
mächtig berricet.
266
trug, nahte im demfelben Augenblide im ſtuͤrmiſchen
Laufe der Inſel, als der Morgenftern empor ftieg”),
welcher das Licht der tagenden Eos anmeldet. In einer
Nacht legte das Schiff den weiten Weg zurüc, und nahte
mit unglaublicyer Schnelligkeit der Inſel. Auch Helios
fehrt, wenn er den Himmel im Weſten verlaffen hat, mit
unglaublicher Schnelligfeit nad) dem fernften Often zurüd,
Odyſſeus kommt zu Haufe an, ald eben der Vorläufer der
Senne, der Morgenftern, fich erhob. Wir fehen durch diefe
Sage nicht bloß unfere Vermuthung beftätigt, daß Odyſſeus
urfprünglich dasfelbe MWefen war, wie Helios, und aus
demfelben Grunde von Weften nah Oſten ſchiffte, fondern
überzeugen uns aub, daß die Inſel der Phaͤaken im
fernften Weften gefucht werden muß. |
Die vollfommene Gleichheit der Inſel der Phaͤaken und
der Elyfeifhen Gefilde ergibt ſich nicht bloß aus der Gluͤck—
feligfeit, im welcher die Menfchen im Elyfium, wie auf Sche—
ria wohnen, fondern auch aus der Aumuth und Fruchtbarkeit
beider Gegenden. Wie die Menfchen im Elyfion mühelos in
Seligkeit") Icben, fo leben auch die Phaͤaken felig, wie die
Götter”). Dieſe Seligfeit fegte man in der heroifchen Zeit
in Schmaufereien, Saitengefang und Reigentanz, in oft
wechfelnden Schmuf, in warme Bäder) und herrliche
Ruhebetten. Das waren nad) den Vorftellungen ber herois
fehen Zeit die Zierden des Lebens, und diefe Annehmlich-
45) Odyss. XIII, 93 sqg. cf, XVI, 227 sqgq.
46) Odyss. IV, 565.
47) Odyss. XIX, 279.
48) Odyss. VII, 246 sqg.
— —— —
267
feiten genoffen die Phaͤaken, wie die Menfchen, welche im
Elyfion wohnten, und an diefen Zierden des Lebens ) er-
goͤtzten ſich auch die feligen Götter. Den vorzüglichften
Beweis aber, daß die Infel der Phaafen und das Elyfion
dem Mefen nach nicht verfchieden waren, liefert die Beſchrei—
bung des Gartens des Alkinoos. Wir Fonnen mit der Ans
fiht und Weife, auf welche Nitzſch“*) die Befchaffenheit
desfelben zu erklären fucht, nicht einverftanden feyn. „Was
im Garten des Alfinoos gefchieht, jagt diefer Gelehrte, ift
kaum mehr, als mehrere Schriftfteller ohme dichterifche Ver—
größerung von Campanien und andern Gegenden Italiens
berichten. Mehrere Obftbaume und Weinftöde trugen und
tragen dort noch jeßt zweimal, und eine Art des Weinftodes
fogar dreimal im Sahre”). Solche Fruchtbarkeit geftaltet
ſich der Phantafie leicht zum Bilde eines Gartens, wo man
. von dem einen der Baume reife Früchte bricht, während der
andere eben Blüthenfnospen treibt, und von der einen Ge
gend einer MWeinpflanzung Trauben gelefen und ſchon gekels
tert werden, da in einer andern erft die Blüthe vorüber ift,
oder die Beeren ſich farben. Nimmt man biezu, daß bei den
verfchiedenen Arten der Weinſtoͤcke auch die Zeit der Reife
verfchieden ift, fo bleibt der Phantafie Faum fo viel zu thun
übrig, daß fie, was in kurzen Friften nach einander gefchieht,
in einen Zeitraum zufammendränge. Nun meine ich aber,
es vereinigen fich bei den Phaͤaken fo manche Züge, welche
auf die Tyrrhener und Stalien führen, fo daß wir wohl
49) Pind. Olymp. XIV, 8 sgq.
49,) Nitzſch ad Hom. Odyss. VII, p. 451. T. 2.
50) Vols ad Virgil. Georgie. &, 531.
268
nicht unwahrſcheinlich die wunderaͤhnlichen Sagen ihres
Gartens von daher ableiten koͤnnen.“
Mit dieſer Erklaͤrung laſſen ſich keineswegs alle Schwie—
rigkeiten beſeitigen, welche die Schilderung jenes wunderba—⸗
ven Gartens für diejenigen darbietet, die demfelben eine
beftimmte geographifdhe Lage anmeifen wollen. Der Gars
ten der Phaͤaken blüher im Winter, wie im Sons
mer’), und mag auch die Fruchtbarkeit eines Landes noch
fo groß, feine Lage noch fo gluͤcklich ſeyn, fo werden bie
Baume wohl doch nicht beftandig blühen und Früchte
tragen, fondern einiger Zeit zur Ruhe bedürfen, um ſich
frifhe Kräfte zu fammeln. Homeros zeigt ferner in der
Erzahlung ähnlicher Sagen eine fo große Treue, daß wir
ihm fehr Unrecht thun, wenn wir uns zur Annahme vers
ftehen, er babe fich hier befondere Ausfhmüdungen er-
laubt, oder die einzelnen Erfcheinungen, welde zu vers
fhiedener Zeit ftatt finden, mit einander verknüpft.
Sobald ſich uns die Ueberzeugung aufdrangt, daß fich der
Sänger an einer Stelle fo wichtige Veränderungen und
Ausſchmuͤckungen erlaubt habe, fo müffen wir auch anneh—
men, daß er es nicht bloß hier, fondern in vielen andern
Sällen gethan habe, und dann haben feine Angaben für
den Mythenforſcher nur eine fehr untergeordnete Bedeutung.
Allem ſchon die Widerfprüche, welche fich in der Ho:
merifhen Schilderung der Phaafen finden, indem fie den
Ddyffeus auf der einen Seite fo gut aufnehmen, auf der
51) Odyss. VII, 417 sqg« zawv oünore xapros anckkvren,
our’ anoleineı Xeluaros, oude IEpeus, Enerrouos‘ alle
nal’ alei Zepvpin rıveiouca 1a uiy pVkı, alla de niooeı.
269
andern als ungaftliche Menfchen dargeftellt werden, indem
fie ferner nur von Göttern, niemals aber von fterblichen
Menfchen befucht werden, und doch alle, welche zu ihnen
fommen, mit der größten Bereitwilligkeit in ihre Heimath
führen, müffen uns überzeugen, wie genau fi Homeros
an die Ueberlieferung hielt, ohne am derfelben nur die ges
ringfte Aenderung ſich zu erlauben. Schon der Hauch des
Zephyrs, welcher in dem Garten des Alkinoos die eine
Frucht reift, während er zur andern Keim und Bluͤthe her—
vorlockt, erinnert, wie Nitzſch felbft bemerkt’), an das.
Elyfion, welchem nad) Homeros”) derfelbe Wind feine
immermwährend anmuthige Temperatur gibt. So hatte alfo
die Inſel Scheria urfprünglich dieſelbe Bedeutung, welche
in der Sage anderer Zweige der Hellenen die Inſel der
Seligen hatte, und hieraus erklärt es fih, warum ſich
Rhadamanthys nad) einer Angabe im Elnfion, nach einer
andern aber bei den Phaͤaken aufhält. Diefe Vermuthung
wird auch durch eim beftimmtes Zeugniß beftätigı *), wel—
ches zwar nicht der Urzeit angehört, aber deßhalb doc)
auch nicht als eine leere Erfindung der ſpaͤtern Schrifiſtel—
ler erflärt werden kann.
Die Schilderung, welche Pindaros *) von dem Eis
52) Nitzſch, 1. ec. ©. 150.
55) Hom. Odyss. IV, 567.
54) Schol. Eurip. Hippolyt., v. 745 werden dad Elnfion
und das Sand der Phaͤaken ald unmittelber aneinandergren-
zend dargeftellt, und aus dem Ausdrude des Echoliaften
Zuvsevcev kann man doch mohl abnehmen, da er diefe
Sache nicht erdichtete, fondern Weberlieferungen folgte.
55) Pind. frag. thren. 4. p. 230. T. 2. ed. Thierſch.
270
lande der Eeligen gibt, ſtimmt im MWefentlichen mit ber
Beichreibung des Gartens des Alkinoos überein. Nach
ihm leuchtet den Seligen der Sonne Gewalt, während auf
unferer Erde fie untergegangen iſt. Die Flur, welche ihre
Stadt umgibt, ift von purpurrofigen Wieſen und Weib
rauchgefträuch befchattet, und ſchwer von goldfhimmernden
Früchten. Vom Meere her umweht der Seligen Gefild°)
fanft das Gefäufel des Windes. Blumen von Gold leuch—
ten am Strand vom erhabenen Gezweige nieder, andere
weidet das Maffer, mit deren Zweigen ſich die Seligen
Hände und Locken umwinden.
Auch das Leben der Seligen ”) fiimmt in der Haupt:
fahe mit dem Leben der Phaͤaken überein. Die einen
derfelben erfreuen fih, wie Achilleus auf der Inſel Leufe,
auf der Ringbahn, andere ergoͤtzen fi) an dem Mürfen-
fpiel und den Tönen der Phormingen. Es blüht ihnen
jedwede Gegensfülle. Ein füßer Geruch umwallt das
Geftlde, weil fie befrandig den Göttern Opfer verbrennen.
Sonderbar möchte es vielleicht feinen, warum fich die
Fruchtbarkeit im Elyfion auf den ganzen Umfang des Ge;
fildes erfircdt, bei den Phanken aber auf den arten des
Alfinoos beſchraͤnkt. Allein wenn man bedenft, daß Alfız
noos fchon frühzeitig, wie es ſcheint, als fterblicher Fürft,
und die Phaͤaken als gewöhnliche Menfchen betrachtet wur:
den, fo dürfte e8 niemanden befremden, daß fchon die Dich-
ter vor Homeros die ungewöhnliche Fruchtbarkeit der In—
fel der Phaͤaken auf den Garten des Alkinoos befchranfs
56) Pind. Olymp. 1I, 78 sggq:
57) Pind.l. l. c. c.
271
ten. Vielleicht ward die ganze Inſel wegen ihrer Frucht;
barkeit in der alten Sage ein blühbender Garten
aenannt, jo daß man fpater, wo man diefen Aus
druck buchftablich faßte, demfelben die engen Grenzen an:
wies, welche er bei Homeros hat.
Die Bedeutung des Pallaftes des Alfıinoos haben wir
fhon erklärt, und in Bezug auf denfelben die Vermuthung
ausgefprodhen, daß er vom Pallafte des Sonnengottes
nicht verfchieden war, dag alſo aud) der Befiger desfelben
urfprünglich dasfelbe Mefen, wie dieſer, gewefen feyn
dürfte. Die zwölf Geronten, weldhe dem Alkinoos zur
Seite ftehen, beziehen fi auf die zwolf Monate. Ihre
Zahl und die fombolifhe Bedeutung derfelben wird fich
derjenige fehr leicht erklären, weldyer bedenft, daß Zeus
am zwölften Tage von den Xethiopen wicder in den Olym—
pos zurücdfommt, und die Zwölfzahl in vielen Sagen, welche
den Eonnengott betreffen, wiederkehrt. Sobald man den
Alkinoos für einen frerblichen Menſchen anfah, war es natürs
lich, daß man ihm einen Rath von Geronten zur Seite
gab, wie ihn andere Könige hatten. Urfprünglich hatten
fie diefelbe ſymboliſche Bedeutung, welche die zwölf Söhne
des Neleus hatten.
Als Sonnengott gehörte Alkinoos Feiner bejtimmten
Zeit an. Deßhalb treffen ihn ſchon die Argonauten an,
und zur Zeit, wo Odyſſeus auf Scheria anfommt, berrs
fchet er noch. Die Argo Fam auch aus eben demjelben
Grunde nach Scheria, aus welchem Odyſſeus und NHadas
manthys ſich dafelbit aufhalten.
272
Die Gemahlin des Alkinoos, Arete, genießt ganz bes
fondere Ehre, und befitt fo viel Geift und Berftand, daß
fie felbft Streitigkeiten der Männer mit Weisheit entfchei-
det. Man hat aus diefer Angabe folgern wollen, daß bei
den Phaͤaken Gynaikokratie geherricht habe, und deßhalb
die Arete mit fol’ einer Macht ausgerüftet ſey. Allein
dafür laſſen fich Feine beftimmten Zeugniffe anführen, und
wer mit uns die Vermuthung theilt, daß Arete, wie Alke—
ftis, ein Praͤdikat der Mondgöttin war, der wird es fehr
wahrfheinlich finden, daß fie den Charafter und die Macht,
welche fie bei Homeros bat, ihrer frühern Bedeutung zu
verdanken hatte. Die Mondgöttin ift die mächtig Wal-
tende, welcher nichts zu widerftehen vermag, melde, wie
Hekate, über Himmel, Erde, das Meer und die Unterwelt
gebietet ?). Wie die Marht der Hekate in einem Brud)-
ſtuͤcke bei Hefiodos gepriefen tft, weldyes vielleicht noch als
ter ſeyn möchte, als die Ilias und die Odyſſee, fo dürfte
aud) die Macht der Arete in vielen alten Liedern verherr,
licht gewefen feyn. Hekate ift Nichterin, wie Arete bei
den Phaͤaken, und daß die Mondgoͤttin fi durch Geift
und DVerftand auszeichnet, beweifen die Sagen, welde ſich
über Pallas und andere Mondgottinen erhalten haben,
Als Arete in die Reihe gewöhnlicher Fürftinen herabfanf,
mußten die Erzählungen von ihrer großen Macht und von
der Ausübung des Richteramtes freilich eine fonderbare
und dunkle Geftalt befommen, und von fehr verfchiedenen
Geſichtspunkten aufgefaßt und erklärt werden,
58) Hesiod. Theogon. 411 sqq.
273
Die Bedeutung der fünfzig Maͤgde, welche fie um—
geben ), und des Webens haben wir fchon zu erklären
gefucht. Pallas, welche nur dem Namen, nicht dem
Mefen nach) von Arete verfchieden war, und felbft die ger
ſchickteſte Meberin ift, hat den Frauen der Phänfen ver»
liehen, daß fie fich durch Fünftlihe Webereien eben fo fehr
vor allen Frauen anderer Voͤlker auszeichnen, als die
Phaͤaken felbft in der Kunft, Schiffe zu Ienfen, fich vor
allen Menfchen hervorthaten.
Hier drangt fi) uns die Frage auf, wie es wohl ger
fommen feyn mag, daß, wenn die Juſel Scheria und die
Elyfeifchen Gefilde in der alten Sage nicht wefentlich von
einander verfchieden waren, die Phaͤaken als die berühmte:
ſten Schiffer gepriefen wurden? Wir haben fchon bemerkt,
daß der Somnengott fich alle Abende, wenn er den Him-
mel verlaffen bat, auf ein Fahrzeug begibt, und auf dem-
felben in unglaublicher Schnelligkeit nach dem fernen Often
zuruͤckſteuert. In den altefien Gefangen der Griechen wür-
den wir, wenn fi) uns diefelben erhalten hatten, ohne
Zweifel lefen, daß Alkinoos dasfelbe that, und als ein ge
hickter Schiffer gepriefen war. Sicher waren feine eige-
nen Sahrten nicht weniger befungen, als jene des Odyſ—
jeus. Sobald er aber als König angefehen, und diefes
Schiffen in gewöhnlicher Bedeutung aufgefaßt wurde, Fonnte
man natürlich, wie uns dünft, dem Könige nicht zumu;
then, daß er fich felbft auf ein Schiff begeben, und Fremd—
linge nah Haufe begleitet habe. Die Kunftfertigfeit des
59) Odyss. VII, 108 sqqg. ef. 403 sqqg. Nisfh 1. ec. p-
145. T. 2.
Vorhalle zur Griechiſchen Geſchichte. II. 18
274
Königs wurde auf das Volf, über welches man ihn als
König herrfchen ließ, übergetragen, und fo mußten die Phaͤa⸗
fen in einer großen Anzahl von Sagen und Liedern als
die beften Schiffer gepriefen werden. Die Abſtammung
des Phaͤax von Pofeidon, welche man im buchftablichen
Sinne auffaßte, dürfte ebenfalls fehr viel dazu beigetragen
haben, ihnen jenen Charakter zu verleihen, welchen fie
bei Homeros haben. |
Menn wir erwägen, daß die Phaͤaken aud) das fchone
Keben genießen, welches Alkinoos als Sonnengott hat, fo
werden wir uns leicht überzeugen, daß fie aus Genien des-
felben, welche alle feine Vorzüge und Schickſale theilen, zu
einem Volke umgefchaffen wurden. Auch ein anderer Vors
zug, welcher den Sonnengott auszeichnet, ward ihnen bei-
gelegt, naͤmlich die Schnelligkeit der- Füße. Das Licht
verbreitet ſich befanntlih mit unglaublicher Schnelligkeit
nah allen: Richtungen. Aus diefem runde dürfte man
dem Sonnengotte die Schnellfüßigfeit beigelegt haben, ein
Vorzug, welchen auch Adhilleus hat. Sollte fid) aus die,
ſem Umftande nicht abnehmen laffen, warum die Phaͤaken,
die fich auf die übrigen Wettfämpfe, welche die Griechen
betrieben, nicht verlegten, fi) doc im Wettlauf fo fehr
hervorthaten®), daß mit ihnen m Diefer Beziehung nicht
leicht ein Fremdling in die Schranken treten Tonnte?
Sonderbar erfcheint es, daß die Phaafen, welche doch
nur von Göttern befucht werden, niemals aber einen Men:
fchen fehen, und deßhalb als ungaftlich betrachtet wurden,
60) Odyss. VIII, 246 sqgg.
275
doch fo viele Fremdlinge nach Haufe führten, daß fie ſich
dadurd den Zorn des Pofeidon zuzogen. Der Miders
ſpruch, welcher in diefen Angaben des Homerog zu liegen
fcheint, dürfte feinen Grund in der buchftäblichen Auffaffung
diefer ſymboliſchen Erzählungen haben, Wenn die Inſel
Scheria und das Elyſion nicht wefentlich verſchieden waren,
und dieſes bei einigen Stämmen diefelbe Bedeutung hatte,
welche die Inſel der Phaafen bei andern hatte, fo fieht
man leicht ein, warum diefe von feinem Gterblichen,
wohl aber von den Lichtgöttern befucht werden, welche jeden
Abend zu ihnen kommen. Es ift befannt, daß die Sonne
eine Menge von Pradifaten hatte, dag man ſich allmählich
unter jedem Pradifate ein befonderes Weſen vorftellte, dag
auf diefe Meife eine Menge von Sonnengdttern entftand,
von denen aber im Laufe der Zeit viele durch verfchiedene
Umftände in die Reihen der Heroen herabgedrängt wurden,
Natuͤrlich wanderte jeder Sonnengott nad) dem fernen
Meften, von wo er auf feinem Kahne nad) Oſten zuruͤck—
fehrte, und alle jene Wölfer, welche die Inſel der Phaͤaken
als die Weſtgrenze betrachteten, ließen ihren Sonnengott
dahin Fommen. Aus diefem Umftande erklärt ſich die Uns
gabe, dag die Phaͤaken fo häufig von den Göttern befucht
wurden. Auch jene Sonnengötter, welche zu Herven herab
fanfen, hielten fih nad) alten Sagen, wie Rhadamanthys,
Odyſſeus umd andere bei den Phänfen auf, und fegelten
von hier nad) dem fernen Often, Sobald man foldye Göt-
ter aber für Heroen anfah, und die Sage von der Erfahrung und
Fertigkeit der Phaafen im See» Wefen buchftäblich auffaßte,
war es natürlich, daß man glaubte, diefelben fenen durch
18 *
276
verfchiedene‘ widrige DVerhältniffe zu den Phaͤaken verſchla⸗
gen, von diefen aber nah) Haufe geführt worden. Bei
diefer Geftaltung der Sage mußte es freilich) raͤthſelhaft
iheinen, wie die Phaͤaken Fremdlinge nad) Haufe bringen
fünnen, wenn Fein Menfd ihre Inſel befucht. Allein in
dem alten Mythos war, wenn die eben ausgefprochene
Bermuthung richtig ift, durchaus Fein Widerſpruch enthalten.
Die Sage von der Wanderung der Phaͤaken, welche
zuerft in der Nähe der Giganten gewohnt haben follen, kann
auf doppelte Meife erklärt werden. Es ift befannt, daß, je
mehr ſich die geographiſchen Kenntniffe erweiterten, deſto
weiter die Oſt- und Weſtgrenze hinausgerüdt wurde. Wir
dürfen im diefer Beziehung nur an die Aeaifche Inſel erinnern,
welche anfangs Feineswegs fo weit von Hellas entfernt gedacht
wurde, als man gewöhnlich annimmt, die man aber immer
weiter hinausrüdte. Wenn die Oftgrenze, wo nad) einer
Sage der Sonnengott feinen Pallaſt hatte, fo fehr verrüdt
murde, foll dieß nicht auch in Bezug auf die Weftgrenze ges
ſchehen ſeyn? Müller °') hat gezeigt, daß man in derfrüheften
Zeit die Heerden des Öeryon in Epeiros fuchte. Wohin wurden fie
aber allmäplig verſetzt? Befteigt Herakles nicht den Sonnen:
kahn, fegelter nicht nach Spanien hinüber, um fie von hier zu
holen? Wenn nun das Reich des Geryon an fo verfchiedenen
Orten gefucht wurde, fo darf es uns nicht befremden, daß
man auc) die Mohnfige der Phaafen weiter hinausrüdte.
Waͤre freilih Sieiliens Küfte der frühefte Wohnſitz dieſes
mythiſchen Volkes geweſen, und die Inſel Scheria das
61) Müller, Dorer, J. ©. 423.
277
heutige Korfu, fo koͤnnte man nicht einfehen, vote Durch diefe
Manderung die Phaaken in eine mehr weftlich gelegene und
weiter entfernte Gegend gefommen feyen. Allein Fein altes
Zeugniß, auf das wir uns mit volllommener Sicherheit ftüggn
fonnten, berechtigt uns zu der Behauptung, daß Scheria
das heutige Korfu war. Sollte unfere Vermuthung, daß
Scheria und das Elyfion diefelbe Bedeutung hatten, gearün-
det feyn, und die Zeugniffe, auf welche fich diefelbe fügt,
Beräcfichtigung finden, fo dürfte man wohl einfehen, daß
Sheria und Korfu ganz verfhiedene Inſeln waren, und an
eine geographiſche Beſtimmung des Cilandes der Phaͤaken
gar nicht gedacht werden dürfe, fo daß wir allerdings anneh—
men fünnen, daß die Sage von der Wanderung der Phaͤaken
ihren Grund darin hatte, daß man die Lage der Inſel
der Seligen allmählig weiter gegen MWeften rüdte.
Indeß laßt fich diefe Erzählung auch auf eine andere
Weiſe erklären. Wir baden die Vermuthung ausgefprochen,
daß die Namen Phaͤax, wie der Stammpater der Phaͤaken
heißt, Naufithoos und Alkinoos Pradifate des Sonnengottes
mwaren. Es ift ſchon vfter erinnert worden, daß die Alten
den Kreislauf des Mondes durd) die Irren der So °°) bezeich-
neten, und daß die Wanderungen des Sonnengottes diefelbe
Bedeutung hatten. Sollen die alten Sagen und Lieder nicht
auch) die Wanderungen des Naufitheos gepriefen haben?
Als man diefen als König betrachtete, Fonnte man ihn nicht
allein wandern laffen, fondern es mußte auch das Volk mit
ihm wandern, wie man den Kadmos, Pelops, Danaos und
62) Melder Trilog. ©. 129.
278
Kefrops durch ein ähnliches Mißverſtaͤndniß zu Anführern
morgenländifher Coloniften machte. Die Genien der einzels
nen Götter theilten ihre Schickſale, und fo mußten diefelben
auch die Völker theilen, welche aus jenen im Laufe der Zeit
entftanden.
Es find uns noch zwei Punkte zu erörtern übrig, naͤm⸗
lich die Bedeutung des hohen Gebirges®), welches Pofeidon
um die Stadt der Phaͤaken herumzuziehen drohte, und die
Erörterung der Frage, warum man, wenn die Inſel Scherta
und das Elyfion ein und dasfelbe bedeuteten, und die Namen
Alkinoos, Odyſſeus und Rhadamanthys anfanglich Pradifate
des Sonnengottes waren, nad) der Inſel Scheria außer den
Göttern, welche fich hier wegen des Unterganges der Sonne
im Meften aufhalten, noch befondere Einwohner verfeßte,
welche, wie die Götter, ein ganz forgenfreies und höchft an-
genehmes Leben führen? Man darf vermuthen, daß die
deßhalb geichehen fey, weil man fi) den Naufithoos und Al-
finoos, fobald diefelben als Könige betrachtet wurden, ohne
Volk nicht denken Fonnte. Die Genien des Sonnengottes
wurden zu Voͤlkern umgebildet. Aus diefem Umſtande
läßt fi) auch abnehmen, warum nad) Homeros im Elyfion
neben den Göttern auch Menfchen fich befinden, welche
ganz mühelos“) in Seligkeit leben, wie die Götter. Warum
63) Odyss. VII, 555 sqgq.
64) Odyss. IV, 565. zineo Gnlorn Bıorn nıeleı dvdowmonoıv.
Aus diefen Worten des Sängers fieht man, daß er aud
Menfhen, nicht aber die Seelen der Abgefchiedenen, in die
Elyſeiſchen Gefilde verfeßt, welche hier neben den Göttern
wohnen. f
279
man fih aber diefe als die glüdlihften und
frömmften Menfchen dachte, haben wir bei der Dar-
ftellung der Anfichten der Alten von den Aethiopen ſchon be—
merkt. Ein Volk, welches in der Nähe der Götter lebt, und
deßhalb mit den Göttern in beftandigem Verkehre fteht, muß
fi durdy Frömmigkeit auszeichnen, und kann aud) nichts
von den Sorgen und Mühefeligkeiten wiffen, womit andere Mens
fhen zu Fampfen haben. Das hohe Gebirge, welches Po»
feidon um die Stadt der Phaͤaken dadurch thürmte, dag er®)
ein beimfehrendes Schiff der Phaͤaken mit der Flache der Hand
ſchlug, und es plößlich zum Felſen umſchuf, möchte feine Er-
Härung in der Sage von den Symplegaden finden. Soll
diefes hohe Gebirge, weldhes aus einem umgefehrten
Schiffe entftand, nicht das Himmelsgewölbe feyn, welches
das aͤuß erſte Land, wie eine Mauer, umthürmt, fo daß
alfo auch durch diefe Angabe die Juſel Scheria in den Außer;
ſten Weften verfegt würde, und die Vermuthung, daß die
Phaͤaken nie der Gefchichte angehörten, fondern der My—
tbologie, wie die Homerifchen Aethiopen, eine neue Beftäti
gung erhalten dürfte?
Zweiundzwanzigſtes Capitel.
Die Hyperboreer.
So wenig wir uns uͤberzeugen koͤnnen, daß die Phaͤaken
eine geſchichtliche Bedeutung hatten, und es je moͤglich ſey,
65) Odyss. XI, 162 sqgq-
280
ihre Wohnſitze auszumitteln, eben fo wenig koͤnnen wir glau-
ben, daß wir uns unter den Hyperboreern der Ürzeit
ein beftimmtes, innerhalb gewiffer Grenzen wohnendes Volf
zu denken haben, und die Nachrichten von ihrer Cultur und
Gluͤckſeligkeit, welche mit allen hiftorifhen Angaben über die
nordwärts von Hellas wohnenden Völker im grellften Widers
fpruche ftehen, buchftablich aufgefaßt werden dürfen, Wir
wollen, bevor wir die wichtigften Nachrichten über fie mit-
theilen, Müllers Anficht anführen‘). „Der Name an fid),
fagt diefer Gelehrte, ift die Hauptquelle. Er bezeichnet er:
ftens ein nördlic) wohnendes Volk, weil von Norden der
Dienft des Apollon herabfam. Man Fann dabei an die
Gegend von Tempe denfen, was der alten, einfachen Ber
fhränftheit der Sage am angemeffenften ift; will man Füh-
nerer Vermuthung Raum geben, fo erinnere ich an die illyris
{hen Hylleer, deren Verwandtſchaft mit den Dorern und
dem ApollosDienft ich oben nachgewiefen?). — Die Hyper⸗
boreer wohnen zweitens über dem Boreas, damit das glück
felige Volk der Falte Nordwind nicht treffe. Die Erdbefchrei-
ber haben dem mythifchen Volke einen doppelten Platz ange:
wiefen, entweder in den Meftgegenden oder am Nordrande
der Erde.” Tiefer hat Müller die Sage von den Hyper
boreern in einem andern, fpatern Werke?) aufgefaßt. Seine
1) Müller, Dor. I, 273.
2) ef. Bayer, de Hyperboreis. Comment. Petrop. T. 11.
p- 354, der überhaupt die mördlihen Griehen am Pontos
und Adriatifhen Meere unter den Hpperboreern verfteht.
Andere verftehen (ef. Dionys. I, 18) die Etrusfer von
Spina darunter.
3) Vrolegomen. S. 226 sq-
281
Worte find fo wichtig und müffen, wenn fie gehörig aufge:
faßt werden, für die Umgeftaltung der Griechifchen Mythen»
gefchichte wefentlihe Folgen haben. Deßhalb Fünnen wir
diefelbe micht mir Stillihweigen übergehen.‘ Nicht jede
Erwähnung eines Landes im Mythus darf man für einen
Beweis nehmen, daß dort die Sage gebildet worden. Erftens
find diefe Länder oft felbft nur Ideen; dennwiedie
alten Griechen eine Weltgefhichte bis zum Urbeginn der
Dinge dichteten, jo dichteten fie auch eine Weltbefchreibung,
in welcher Ideen und Vorftellungen, denen nichts Fakti—
ches, Erfahrenes entiprach, eine beftimmte Stelle erhielten‘).
Manche diefer Ideen wurden nach und nach mit wirklichen
Gegenſtaͤnden, gedichtete Menfchengefchlechter mit vorhand-
nen. Nationen vereinigt, wie es mit den Methiopen ge:
{he zu ſeyn fcheint, welche wohl fchon lange in der
Poeſie ale Sonnennachbaren eriftirten, ehe die Griechen
ſchwarze Menfchen hiftorifch Fennen lernten. Nun wäre es
ganz unfinnig, den Mythus von einem folchen Wolfe als
dem Volke gehörig anzufehn, und in diefem Sinne 5. B.
von einem Hyperboreiſchen Mythus zu reden, Denn die
Grundidee des gefammten Mythus, eim feliges, reines,
dem Apollon dienendes Vol, im höchften Norden und doch
in milder Heitre lebend, weil der Nordwind erft dieffeits
deffelben, füdlich davon, aus düftern Gebirgshöhlen hervor:
braust, konnte aus der Erdkunde, auch aus der mangelhafte,
ften, nicht hervorgehen; auch ift Feine Spur, daß fie aus
einer folchen hervorgegangen ſey; fie ift bloße Idee?).
4) Völder, Mytholog. derz Japet. ©. 58.
5) Müller, Dorer, I. ©, 267.
282
Lofal mar diefe Sage, fo viel wir finden, bei mehrern
Apollinifhen Heiligthümern, zu Delphi, wohin der Gott
von den Hyperboreern gekommen feyn follte, zu Delos, wo
man von Gefchenken der Hpperboreer mancherlei erzählte,
in Olympia, wo auch Apolloncultus ftatt fand; und es ift
fhon daraus deutlih, daß fie fi aus dieſem Cultus
bervorgebildet hat, und in deſſen Geſchichte und gei—
ffigem Wefen ihre Erklärung finden muß. Schwie—⸗
riger ift die Entfcheidung, wenn die fremden und fernen
Länder, welche im Mythus vorfommen, wirklich vorhandne,
den Hellenen zur Zeit der Ausbildung des Mythus bekannte,
wenn auch in der Tradition fehr verwandelte, find.‘
Nach diefer Erklärung, welche uns den beften Anhalts⸗—
punft zur Erörterung der Frage über die Bedeutung der
Hyperboreer gibt, gehen wir zur Betrachtung der wichtig:
ften Angaben über, welche fich über diefelben erhalten has
ben. Homeros erwähnt die Hyperboreer nicht. Allein aus
diefem Umftande dürfen wir nicht folgern, daß die Sagen
über diefes wunderbare Volk fammtlicy jüngeren Urfprunges
feyen. Hätte er Veranlaffung dazu gehabt, ware Apollon,
mit deffen Eultus fich die Sagen von denjelben verbreiteten,
bei den Aeoliſchen und Sonifchen Coloniften fo fehr ver;
ehrt worden, wie er bei den Dorern und in der Urzeit bei
den Thrafifchen Stämmen verehrt wurde, fo würden wir
uns überzeugen, daß diefe Mythen zum Theil fo alt waren,
als die Verehrung diefes Gottes. Wohin Hefiodos die
Hyperboreer verfeßte, wiffen wir nicht. „Das ältejie Zeugs
niß, welches wir haben‘), ift der Auszug aus den Arts
6) Müller, Prolegom, ©. 418 sqgq.
283
maspeen?), welche zwifchen der fünfzigften und fechzigften
Dlympiade entftanden, und nach diefen wohnen fie fchon
im höchften Norden, wie bei Sophofles und Damaftes°).
Nah Pindaros?) begibt fi Apollon von Troja durch das
Land der Amazonen in ziemlich dftlicher oder nor doͤſt—
licher Richtung zu den Hpperboreern. Ihr Land bildet
nah ihm die mördlicye oder nordöftliche Grenze der Erde,
wie er den Nil zur Bezeichnung der füdlichen oder ſuͤdweſt—
lichen nennt‘). In ihrem Lande halten fid) nach diefem
Sänger‘) die Gorgonen auf, welche nad) den wichtigften
Angaben im Außerften Weften lebten, an den Grenzen von
Libyen”), nad) andern in den Gegenden des rothen Mee-
res und von Xethiopien.
Hekataͤos von Abdera”) erzählt: Dem Lande der Cels
ten gerade gegenüber, auf einer Inſel im höchften Nor>
den, wo der Mond der Erde fo nahe ift, daß man die
Erhöhungen auf feiner Oberfläche fehen Fann, leben in einem
herrlichen, milden und fruchtbaren Lande die Hnperboreer,
welche zugleich Apollos Priefter find, weil fie ihn vor ans
dern Göttern ehren, und weil Latona bei ihnen geboren
iftz mit den Griechen, befonders mit den Athendern und
Deliern, find fie durch alte Freundfchaft, DVerwandtfchaft
und gegenfeitige Geſchenke verbunden; jedes neunzehnte
7) Herodot. IV, 35 — 35.
8) Strabon. VIII, 395.
9) Olymp. VIII, a7.
10) Pind. Iſthm. V, 22.
44) Pind. Pyth. X, 45.
42) Schol. 1. c.
43) Diod, Sicul, II. p. 158 ed. Wessel.
281
Jahr, wenn die Sterne ihren Umlauf vollentet haben, be-
fuht Apollon fie wieder, und führt felbft mit Tanz,
Spiel und Gefang nädhtlihe Fefte an, vom der
Frühlingsnachtgleihe bis zum Aufgange der Pleiaden.
Die Regierung über die heilige Stadt und den Tempel
auf der Inſel fteht den Boreaden, den Ablümmlingen des
Boreas, zu. Denn zu Ddiefen Gegenden, ans Ende ber
Erde über den Pontos, an die Quellen der Nacht, den
Pol des Himmels und den alten Lufigarten der Sonne
hatte er feine geraubte Braut Dreithyia entführt.
Nahe bei den Hnperboreern ift jene Fimmerifche Fin-
ſterniß.“), Pluto's unzerbrechliche Pforten und das Wolf der
Schatten. Nach Pofidontos wurden die Völker), welche
die Alpen bewohnten, Hyperboreer genannt. Diefe Nach—
richt laßt fih um fo weniger als willfürliche Erfindung er>
klaͤren, als die Hyperborcer nach) Pindaros an den Quellen
des Iſtros ) wohnen, der wohlnicht in Würtemberg, fondern
eher in den Alpengegenden zu fuchen feyn möchte. Denn
daß Pindaros nicht an die Donau dachte, fondern wohl eher
an einen Fluß Oberitaliens, fcheint Faum zweifelhaft zu feyn.
Andere Nachrichten verfegen die Hpperboreer in andere Ges
genden; in allen Sagen aber erſcheinen fie als das heilige
Volk des Apollon.
Als Apollon geboren war “), zierte ihn Zeus mit golder
ner Mitra und der Lyra, und fendete ihn auf einem Gefpann
414) Mannert, Geog. der Gr. und Nom. IV, 55. 51.
15) Schol. Apoll. Rhod. Il, 675.
16) Pind. Olymp. III, 17 sqq. et interpretes,
17) Alkaios ap. Himer. Orat. XIV, 10. Cic. N.D. III, 23,
Plutarch. Music. 44. Müller, Dorer, 1. S. 268.
285
von Schwänen nah Delphi, um den Hellenen Recht und
Gefe zu verfünden. Apollon aber gebot den Schwänen,
zuerft zu den Hyperboreern zu fliegen. Als es die Delphier
vernahmen, ordneten fie einen Pian und Gefang, ftellten
Chöre von Sünglingen um den Dreifuß, und riefen dem Gott,
von den Hpperboreern zu fommen. Als die beftimmte Zeit
nahte, dag auch die Delphifchen Dreifüße tünten, gebot er
wiederum den Schwänen, von den Hyperboreern wegzufliegen,
Es war gerade Sommermitte, in welcher Ayollon zu Delphi
anfam; es fangen Nachtigallen, Schwalben, Cicaden zur
Ehre des Gottes, und felbft Kaftalia und der Kephifos hoben
die Wogen, den Gott zu begrüßen.
Ehe wir von der Bedeutung der Hpperboreer fprechen,
müffen wir erinnern, daß fi) die Sagen von den Wanderun-
gen des Apollon nad) dem Lande diefes Volkes und zu den
Lykiern nur auf den Kreislauf der Sonne beziehen koͤnnen.
Allein diefer iſt nach den Vorftellungen der Alten, welchen in
jener Zeit, im welche die Entſtehung der Mythen fällt, die
Bewegung der Erde eine unbekannte Sache war, eindoppelter,
Mir haben jenen Kreislauf zu unterfcheiden, welchen die Sonne
nach den Vorfiellungen der Alten täglich, den, welchen fie
jährlich und in der Periode vollendet, welche das große Jahr,
das in der Apollon-Sage eine fo wichtige Rolle fpielt, ein»
nimmt. Daß bei der Verknüpfung der verfhiedenen
Sagen von den Wanderungen des Öottesjene Mythen, welche
ſich auf den taglichen Kreislauf der Sonne bezogen, von je:
nen, welche auf den großern hindeuten, nicht firenge ges
ſchieden, fondern mit einander vermifht wurden, darf uns
nicht befremden. Die Erzählung des Alkaͤos non Apollon’s
286
Reife zu den Hnperboreern liefert den deutlichften Beweis.
Die Zeit der Rückkehr des Gottes und zum Theil auch die
nördliche Richtung der Lage der Hyperboreer fcheinen auf den
größern Kreislauf hinzumweifen, und doc) Fommen in der
Sage auch wieder viele Angaben vor, welche nur auf den
täglichen bezogen werden Tonnen. Aus dem Lande der
Hyperboreer Fam Leto in Geftalt einer Woͤlfin nad) Hellas ®).
Der Sinn diefes Mythos fcheint nicht der zu feyn, daß der
Eultus der Leto und ihrer Kinder ſich aus dem Lande der
Hyperboreer nach Hellas verbreitete, fondern daß fie dort
ihre Srren begann, welche ſich, wie jene der So, ohne Zwei⸗
fel auf den Kreislauf des Mondes beziehen. Dort wohnet
aud) die Mondgöttin *) Artemis, ihre Tochter, und die ihr
geweihte Hirfchkuh, ihr Symbol. Der Wohnſitz der Mond-
göttin ward, wie fchon öfter bemerkt, wie jener des Sonnen»
gottes, theild im Oſten, wo fich die Sonne erhebt, theils im
fernen Weften gefucht. Wenn Artemis fih im Hyperboreer⸗
lande aufhält, und von hier nad) Hellas wandert, fo begann
fie hier ihren Kreislauf, und wir würden in fo ferne fehr irren,
wenn wir die Hyperboreer bloß in nördlicher, nicht im
öftlicher oder nordöftlicher Richtung fuchen wärden.
Einer ſolchen Annahme widerfpricht aud) der Umftand,
daß Apollon, der fich zu den Hnberboreern begibt, durch das
Land der Amazonen reifet, welche oͤſt lich von Griechen-
land ihre MWohnfige hatten. Kerner beginnt nahe am Lande
der Hyperboreer das Land der Kimmerier, die außerfte Nacht
48) Aristot. histor. animal. Vl, 36. Philosteph. ap. Schol.
Ap. Rhod. II, 123. Aelian. hist. anim. X, 26.
19) Pind. Olymp. III, 27 et Schol.
237
und Finfternig. Das Gebiet oder die Grenze der Nacht
dachte man fich im außerften Weften”), wo die Sonne den
Himmel verließ, vielleicht auch im außerften Often, wo fie
aus dem Dunkel ſich erhebt, und dasfelbe zerftreut, alfo an
den beiden entgegengefeßten Grenzen der Erde, Daß die
Kimmerier im außerften Norden gewohnt haben, Fünnen wir
nicht glauben. Im Lande der Hyperboreer trifft endlich Pers
feus die Gorgonen an. Der ehrwürdige Sänger hat biefe
Erzählung ficher aus alten Ueberlieferungen entlehnt. Die
Gorgonen als Mondgöttinen, wohnen nad) einer Vorftellung
im außerften Meften, nad) der andern im außerften Often,
aus dem namlichen Grunde, aus welchem man den Pallaft
des Sonnengottes theils im Weſten, theils im Oſten fuchte,
und die Gefilde der Seligen in beide MWeltgegenden verfegte.
Solche fcheinbar abweichende Sagen gehören entweder ver-
jchiedenen Zeiten, oder, was uns wahrfcheinlicher dünft, vers
fchiedenen Volfern an, und fiehen, wenn man auf ihre ur
fprüngliche Bedeutung zurück geht, durchaus in Feinem
Miderfpruche zu einander, Wie wir den Achilleus auf Leuke
und in Elyfion antreffen, fo finden wir auch die Helena nach
einer Angabe bei Menelaos im Elyfion in der Gefellihaft
der Götter, nach) einer andern aber ift fie dem Peliden auf
Leufe vermählt. Warum follen verfchiedene LKofal- Sagen
nicht auch den Gorgonen verfchiedene Wohnſitze angewiefen,
und fie die einen im Often, die andern im Weſten gefucht
haben, wie dieß bei der Helena der Fall war? Die Mehr:
zahl der Sagen fpricht bei der Gorgonenz Fabel allerdings
20) Ovid. Metam. II, 142 sq.
238
für den Weſten; allein daraus laßt ſich nicht folgern, daß
man die andere Erzählung als willfürlihe Dichtung verwer⸗
fen dürfe. Geſetzt aber auh, es müffe jene Angabe des
Pindaros von der Weftgrenze verftanden werden, fo entfteht
auch dadurd) Fein Widerſpruch, wenn man die Hyperboreer
mit den Aethiopen auf gleiche Stufe ftellt.
Sp vielift alfo auf jeden Fall ficher, daß man die Hyper:
boreer, wir mögen die Gorgonen im Meften oder Often fu:
hen, weder im Süden, noch bloß im Norden, fondern auch
in dftlicher Richtung fuchte. Für die dftliche oder, nord»
öftlihe Angabe fprechen die meiften Zeugniffe. Diejenigen
Sagen, welche ſich auf den jährlichen Kreislauf der Sonne
bezogen, weifen nach Nordoften oder Norden, jene, welche
ſich auf den täglichen bezogen, nad) Often. Ferner wohnen
fie, wie die Phaͤaken, auf einer Inſel, am Ende der Erde,
in größter Gluͤckſeligkeit. Sie find die frommften und ge-
rechteften Menfchen, wie die Uethiopen, deßhalb befondere
Lieblinge des Apollon, feiner Schwefter und feiner Mutter.
Mo die Kichtgötter ihre Heimath haben, wohnen aud)
ihre Öenien, aus denen allmahlig ganze Völker hervorgingen,
weldye alle Eigenfchaften der Gotter haben. Apollon und
Artemis freuen fi) des Gefanges und der Chorreigen.
Auch die Hyperboreer ehren fie beftandig auf diefe Weife.
Apollon und Artemis find als Lichtgoͤtter Mufter der hoͤch—
ften Reinheit. Auch die Hyperboreer zeichnen ſich durd)
diefen Vorzug aus. Wo die Kichtgotter wohnen, da kann
es Feine düfteren Nebel, Feine ewige Nacht geben, das Land
mag liegen, wo es immer wolle, fondern es herrfchet bes
ftändige Heiterkeit, und Anmuth der Natur umgibt fie.
289
Mie der Gott des Kichtes und der Vorfteher der Muſik,
welche alle Stürme der Leidenſchaft befhwichtigt, und
das Gemüth im den fchönften Einklang bringt, fich einer
beftandigen und ununterbrochenen Gluͤckſeligkeit erfreuet, fo
auch feine Verehrer. Kurz, die Eigenfchaften, weldye den
Apollon und die Artemis auszeichnen, haben auch feine
Verehrer.
Schon aus dieſen kurzen Andeutungen duͤrfte man ab—
nehmen, daß dieſelben, ſo wie ihr Land, nicht der Ge
fchichte, fondern, wie Müller richtig bemerfte, der Dichtung
angehören, und mit der Verehrung des Apollon in der
innigften Verbindung fichen. Der Sonnengott hat im
außerften Dften feinen Pallaft, wo er ſich am Himmel
erhebt. Hier beginnt er feine Wanderungen, hier fangt die
Mondgöttin ihre Srrfahrten an. Wie aber die Götter im
Elyfion nit allein find, fondern Menſchen neben
ihnen wohnen, welche aus den Genien des Sonnengot;
te8 hervorgingen, fo fteht Apollons Behaufung im fer:
nen Dften oder Mordoften nicht allein, fondern es
wohnen auch hier Menfchen, welche aber freilich von
allen andern Völkern wefentlich verfchieden find. Die
Zempelfanger lichen denfelben, ohne von dem Lande, wo
fie wohnen, die geringfte Kenntuiß zu haben, alle jene
Vorzüge, welche den Gott auszeichneten, der bier feine
Laufbahn anfing. So befamen fie fchon frühzeitig einen
ganz eigenthümlichen Charakter, weldyer ſpaͤter, als man
ihre fombolifche Bedeutung und jene der Wanderungen des
Apollon aus dem Auge ließ, ein noc) fefteres Gepräge ers
halten mußte. Was Fonnte, fo mußte man fid) fragen,
Vorhalle zur Griechiſchen Gefchichte. II. 19
290
old man die Urfache der Wanderung des Apollon nicht
mehr wußte, den Gott zu diefer Wanderung bewegen?
Natürlich nichts anders als die Frömmigkeit der Hyper—
boreer, welche ihn auf eine Weiſe verehrten, daß er ſich
gerne zu ihnen begeben, und fo lange, als möglich, bei
ihnen verweilen mußte. Sobald man aber die Wanderuns |
gen des Gottes buchftäblich auffaßte, mußte man aud) das
Volk, zu welchem er fi) begibt, vom einem ganz andern
Geſichtspunkte betrachten, und die Lage feiner Wohnſitze fuchen.
Der Name, den dasfelbe trägt, ift ganz allgemeiner
Natur. Die Mohnfige des mythifhen Volfes find dem⸗
felben zu Folge jenfeits des Boreas, welcher den Griechen
von Thrake hermehte, Der kalte Haud) des Nordwindes
fonnte und durfte das heilige Volk des Apollon nicht be
rühren; die natürliche Befchaffenheit der noͤrdlich und nord»
oͤſtlich von Hellas gelegenen Xander wurde aus dem Auge
gelaffen, und die Lage ihres Landes wegen des Aufenthaltes
des Apollo fo glücklich und angenehm gefchildert, wie das
Elyfion oder die Inſel der Phaͤaken. Wenn wir gewiß
wiſſen koͤnnten, welcher Zweig der Griechen den Apollon
zuerſt verehrte, ſo wuͤrden wir uns nach Ermittlung der
urſpruͤnglichen Wohnſitze desſelben den Namen Hyperboreer
ſehr leicht erklaͤren. Indeß, wenn wir bedenken, daß Theſ—
falien in einer Menge von Sagen als der aͤlteſte Wohn—
fig aller vier Hauptftämme der Hellenen gepriefen wird,
fo Tonnen wir fchon aus diefem Umftande uns überzeugen,
daß man das glücliche DVolf, von dem die Sonne ausging
oder Apollon nad) Hellas Fam, nicht in noͤrdlich er, fondern
in mehr öftliher Richtung fich Dachte, wo den Bewohnern
291
Theffalteng die aufgehende Sonne fi) zuerft zeigte, jenfeits
der Thrafifchen Gebirge.
Ueber die vielfachen und abweichenden Sagen, welche
ſich allmählig über diefes durchaus mythifhe Volk verbreite—
ten, dürfen wir ung nicht wundern, wenn wir, wie Müller
bemerkt, bedenfen, daß ſich die Sage von der Wanderung
des Apollon zu den Hpperboreern mir dem Cultus des Gottes
nach faft allen Drten, wo man den Gott verehrte, vers
breitet hatte. Schon dur diefen Umftand mußte die Lage
der Mohnfige der Hyperboreer verfchiedene Veränderungen
erhalten, und bei der nahern Kenntniß, welche die Griechen
allmaplig von den Gegenden am ſchwarzen Meere erlangten,
immer weiter binauegerüct, und von den Bewohnern der
füdlihen Hälfte Griechenlands bei der Bedeutung des
Namens mehr nördlich, als djilich gefucht werden. Wenn
wir bedenken, wie nahe das Zaurien der alten Sage bei
Griechenland lag, wie weit aber dasfelbe fpater hinausgeruͤckt
wurde, wenn wir erwägen, daß Samothrafe und Lemnos in
der Urzeit den Namen Aethiopia führten, und bei Homeros
lefen, daß die Aethiopen die außerften der Menfhen find, fo
dürfen wir wohl vermuthen, daß die Hyperboreer der alten
Sagen ficher in der Nähe der Infel Leufe gefucht wurden, wo
wir ein Eiland der Seligen antreffen, wie im außerften Wer
fien, und wo man im der Urzeit die öftlihe Grenze der Welt
zu finden glaubte. Allein wie mußten die Griechen, als ſich
mehrere Colonien am ſchwarzen Meere niederließen, ftaunen,
wenn fie die alten Sagen über die Hyperboreer, weldye man,
wie andere Mythen, buchftablic auffaßte, mit der Wirklich
Feit verglichen! Für grundlos Fonnten fie diefelben nicht bals
19,8
292
ten, und da fie hier das fromme Volk und das glückliche Land
nicht entdecken Fonnten, das freilich nicht zu entdecken war,
fo mußten fie die Lage desfelben allerdings nach entfernte:
ren Öegenden verfegen, und durch die Logoaraphen, fowie Durch
die fpatern Dichter, durch welche fo viele Lofal-Sagen von
den Hpperboreern zu Glanz und Anfehen gelangten, mußten
die Widerfprüche über die Wohnſitze derfelben fo groß werden,
daß die Geographen und Gelehrten, welche diefelben auf
wiffenfchaftlichem Wege zu löfen fuchten, freilich allen Scharf:
finn aufbieten durften, um am Ende doc) die Ueberzeugung zu
haben, daß fie nie mit Sicherheit auszumitteln feyen.
Ueber die Verſuche, welche die Alten in diefer Beziehung
machten, dürfen wir uns bei der Anficht, welche fie von ihrer
Mythengeſchichte hatten, nicht wundern. Aber auffallend ift
es, wenn neuere Gefchichtfchreiber, welche ſich mit der Ge—
fchichte der nördlichen und nordoftlichen Völker von Europa
befhäftigen, ihre Werke mit den Hyperboreern beginnen, und
diefelden als die alteften Bewohner betrachten, wenn fie fich
weder durch das Clima, welches das Land der Hyperboreer
hatte, noch durch die hohe religidfe und ſittliche Cul—
tur des Volkes felbft überzeugen laſſen, daß die auf dasfelbe
bezüglichen Sagen fumbolifche Bedeutung haben, fondern fich
der Meinung bingeben, daß dieß dichterifche Ausfchmüdtungen
feyen, durch welche die Hyperboreifchen Völfer ihre geſchicht—
liche Bedeutung nicht verlieren, ohne zu bedenken, daß, wenn
ie ihnen diefe Vorzüge nehmen und der Dichtung anheim gez
ben, fte dadurch) die ganze Sage, wenn aud) nicht mit Mor;
ten, doch durch die That als dichterifche und religidfe Idee der
Griechen erklären,
293
Eollen wir uns aber wundern, daß andere Gelehrte,
wenn die Hyperboreer Fein gefhichtliches Volk waren, fondern
einer religiofen SFdee ihr Dafeyn verdankten, die Mohn:
fie derfelben im fernften Weften fuhen? Wenn wir den ganz
zen Sagenreichthum der Griechen hätten, würden wir mit
großer Beftimmtheit wiffen, ob Pindaros die Gorgonen,
welche im Lande der Huperboreer find, im Often oder im
Meften fuhte. Daß die Sage fie nad) Often verfegen Tonnte,
wie man die Mohnfitze der Seligen nicht bloß im Meften,
fondern auch im Dften fuchte, haben wir jchon bemerft.
Wenn aber Pindaros die Hyperboreer in den dritten Olympi-
ſchen Sefange an den Urfprung des Iſtros verfegt, und in
einem andern Gedichte die Heimath der Gorgonen in ihr Ges
biet verlegt, fo dürfen wir daraus noch keineswegs folgern,
daß er glaubte, die Meduja und ihre Schweftern hätten im
Nordoften gewohnt. So gut Homeros verfchtedenen Los
tal Sagen folgte, eben fo konnte auch Pindaros in Bezug
auf die Lage der Hnperboreer verjchiedene Zofal» Sagen be—
nüßgen, und wer bedenkt, daß er in dem dritten Olympiſchen
Gefange die Verpflanzung des Delbaumes nah Olympia
durch Herakles anführt, im zehnten Pythiſchen aber von der
That des Perfeus fpricht, der wird wohl zugeben, daß es
nicht bloß möglich, fondern höchft wahrfcheinlich fey, dag er
verfehiedenen Kofal» Sagen folgte. Welche Bedeutung follen
aber die Hyperboreer am Ende der Welt im außerfien Meften
haben? Die namliche, weldye die im Untergange der Sonne
wohnenden Aethiopen in andern”) Mythen haben. Die
21) Wer den wichtigen Umftand nicht berüdfichtigt, dag, fo gut
294
Sonne verliert fih im Weiten. Auch hier fuchte man bie
Behaufung des Sonnengottes. Soll Apollon, welcher feine
Fahrt im Oſten beginnt, alfo im Lande der Hyperboreer am
Himmel emporfteigt, diefelbe nicht auh im MWeften haben?
Wie Fonnte man fich feine Wanderungen nach Weften, fo bald
man die Urfache derfelben nicht mehr Fannte, anders erklären,
als durch die Annahme, daß die Frömmigkeit der Bewohner
der Außerfien Weftgrenze ihn dazu vermochte? Was war na-
türliher, als daß man denfelben den naͤmlichen Namen
gab, welchen die Bewohner der DOftgrenze in dem Mythos
diefes Gottes hatten, ohne ſich angftlich darum zu befümmern,
die Sagen von den Hpperboreern an den Cultus des Apollon
gefnüpft waren, oder jene von den Xethiopen mit dem des
Zeus im Sufammenhange ftehen, eben fo gut die Sagen von
den Phaafen und andern Völferfchaften, welche diefelbe ſym—
bolifhe Bedeutung hatten, mit der Verehrung anderer
Lichtgötter in Verbindung ftanden, der wird es fonderbar
finden, warum man nad der fernen Dftgrenze, fo wie nach
dem weitlihen Ende der Erde fo verfhiedene mythiſche
Voͤlkerſchaften verſetzte. Wer aber erwägt, daß diefe Sagen
von verfhiedenen Gulten und Orten ausgingen, der
wird die Ueberzeugung theilen, daß alle die mythiſchen Voͤl—
ferihaften, welche mit den Xethiopen auf gleiher Etufe
ftehen, ein und derjelben religiöfen Idee ihr Daſeyn
zu verdanken haben, und nur den Namen nach von einan-
der verfchieden find. Die Eleinern Merkmale, wodurd
fie fih fonft noch zu unterfcheiden fcheinen, dürften ſich aus
der verfchiedenen Behandlung, welde diefe Mythen an
den einzelnen Orten erfuhren, und der Verſchiedenheit
der Charaftere, welhe die einzelnen Götter allmahlig
erhalten hatten, am beften erklären. Ares und Hephäftos
z. B. waren urfprünglich ein und dasſelbe Wefen, und def-
halb Söhne einer und derfelben Mutter; allein wie verfchieden
find die Rollen, die fie im Laufe der Zeit erhielten!
295
ob derfelbe für diefe jo genau paſſe, wie für die jenfeits Thra—
kiens wohnenden Voͤlker? Die Abendgrenze mußte in den
einzelnen Lokal: Mythen des Apollon verfchieden angegeben
ſeyn. Nicht an allen Orten ging die Sonne in derjelben .
Richtung unter, nicht zu allen Zeiten betrachtete man
an einem Drte ein und dasfelbe Land als weftliche Grenze.
Sobald aber die Sagen von den öftlichen und weftlichen Hy⸗
perboreern verfnüpft wurden, mußte man es freilich unmoͤg—
lich finden, alle Miderfprüche, welche in Bezug auf die Lage
ihres Landes zum Vorfcheine kamen, auszugleichen, und diefe
Schwierigkeit ward um fo größer, da man den Hpperboreern
beftimmte Grenzen anweifen, und ihnen felbjt unter den bes
kannten Völkern eine beftimmte Stelle und Bedeutung ein—
raumen wollte.
Dreiundzwanzigſtes Capitel.
Ueber die Amazonen.
Es ift eine jonderbare Erfcheinung, dag in einigen Ge—
genden der alten Welt die Frauen Vorrechte und Auszeich:
nungen genoffen, welche fonft nur die Männer haben. Wir
wollen uns hier Feineswegs auf eine Aufzählung derjenigen
Völker einlafjen, bei welchen diefe Erfcheinung vorfommt, da
ſich Welcker) hierüber mit mufterhafter Gruͤndlichkeit ver-
breitet, fondern nur jene in Kürze anführen, welche in Hellas
wohnten, oder doch mit den Hellenen in näherer Beziehung
4) Welder Trilog. ©, 585 sqq.
296
ftanden, Nach Heraklides ?) nannten ſich bei den Lykiern
feit alter Zeit die Kinder nach den Müttern, und waren
nach ihnen, felbft wenn die Vater Sklaven waren, edelgebo>
ren, während die Söhne der edelften Vater, wenn fie von
fremden Müttern ftammten, für unehrlich gehalten wurden.
Herodotos ?) betrachtete dieß ald etwas ganz Eigenthümliches.
Nifolaos von Damasfos fügt hinzu‘), daß die Töchter allein
erbten, wie auf Lesbos und mehreren benachbarten Inſeln die
Grundbefigungen nod) gegenwärtig auf die Töchter, insbefons
ders auf die alteften, übergehen follen?). Die Epizephyrifchen
Lokrer °) harten einen Adel aus hundert Öefchlechtern weib-
licher Linie. In Orchomenos hat fih bis zu Plutarchos
Zeit?) ein edles Gefchleht erhalten, worin. die Frauen den
Adel ausmachten, und die Männer mit dem Spott-Itamen?),
„Die Nußigen‘ belegt waren.
Zeugniffe, welche von bewährten Schriftftellern herrühren,
Tonnen nicht als Mährchen verworfen werden, und dieß ift
um fo weniger möglih, da wir diefe Sitte auch bei andern
Bölfern antreffen. Eine andere Frage ıft es aber, ob uns
diefer Umſtand zu der Annahme berechtigt, die Amazonen
der Griechiſchen Mythengefchichte deßhalb für ein geſchicht—
liches Volk zu halten, und ihnen ein beſtimmtes Land
anzumeifen, oder ob jene Sitte bei den Ureinwohnern Grie-
2) Fragm. 15.
3) Herod. I, 173.
4) Nikol. Damasc. p. 148.
5) Walpole, Travels p. 392.
6) Polyb. XI, 5, 6, 8.
7) Quaest. Graec. 38.
8) Die Frauen hießen Alolstaı, die Männer Wokders.
297
chenlands ihren Grund in einem ganz andern, religidfen
Verhältniffe hatte, und deßhalb Feineswegs als Beweismit—
tel für die Anficht gebraucht werden fünne, daß die Ama:
zonen zu den gejchichtlichen Voͤlkerſchaften gerechnet werden
müffen.
Es ift ſchon oft bemerkt worden, daß vielleicht bei
keinem Volke des Alterthums die religidfen Verhältniffe auf
die Geftaltung des oͤffentlichen Lebens einen fo ent:
ſchiedenen Einfluß ausübten, wie dieß in Griechenland der
Fall war, und wer on der Richtigkeit diefer Behauptung
zweifelt, darf nur Müller's Meifterwerf über die Dorer le—
fen, um ſich von der Mahrheit derfelben zu überzeugen.
Sollte dieje Gynaikokratie, welche, wenn auch nicht an
allen, doch an manchen Drten im der frühern Zeit herrfchte,
fih nicht auch einzig aus der Religion der Griechen erfla-
ren laffen, und mit der Verehrung der Montgöttin zufam-
menhängen? Wir wagen es zwar nicht, über diefen ſchwie—
rigen Punkt unfere Anficht mit Beftimmtheit auszudrüden,
doch Fünnen wir ung der VBermuthung nicht enthalten,
daß, wenn ſich anders die Urfache jener fonderbaren Er;
ſcheinung auffinden laffen follte, diefelbe in der Religion
eher gefunden werden dürfte, ald in andern Umftänden.
Die Mondgöttin wurde an verfchiedenen Orten unter
verfchiedenen Namen verehrt, welche fi) auf die Wirkſam—
keit bezogen, die man im Alterthum dem Monde beilegte.
Mir haben fchon erinnert, daß die Namen, womit man
den Mond an den einzelnen Orten begrüßte, auf den eigen:
thümlichen Charakter, welchen die Mondgöttin allmahlig
erhielt, einen fehr großen Einfluß äußerten, und die Sage
298
von der Hera als Beleg angeführt. Die Mondgöttin ift in
vielen Sagen die Machtiggeborne, Iphigeneia, die Mächtig-
waltende, Sphianaffa, die Starke, Alfeftis, die Unbezwing-
bare, Atrgtone. Ihrer Macht Fann im Kriege nichts wider:
ftehen. Sie ift aber auch an einigen Orten, wie wir aus den
Sagen über Helate?) und des Alkinoos Gattin Arete erfehen,
als Vorfteherin der VBolfsverfammlung und als
Richterin verehrt worden. Sollte niht an jenen Orten,
wo fie nicht wegen ihres Einfluffes auf das Gedeihen der
Früchte, fondern als Kriegerin, Leiterin der Volksverſamm⸗
lungen und als Richterin gepriefen und verherrlicht war, und
ihre Macht und Stärfe am deutlichften hervortrat, der Eultus
diefer Göttin auf die Geftaltung der öffentlichen Verhaltniffe
einen wefentlichen Einfluß gehabt, und den Frauen jene Vor⸗
rechte eingeräumt haben, welche fie genoffen? Wir koͤnnen
uns fo lange nicht von diefer Vermuthung trennen, bis man
nachweifer, daß die Weiberherrfchaft fih auch an jenen Orten
geltend gemacht Habe, wo Apollon oder Zeus als die Haupt:
und Nationalgdtter verehrt wurden, Bei den Dorern, bei
welchen Apollon im Cultus die erfte Stelle einnahm, koͤnnen
wir wenigftens Feine Spur von Gynaifofratie entdedfen.
Sollte e8 uns befremden, daß bei denjenigen Zweigen,
welche der Mondgöttin die oben bezeichnete Stelle angewiefen
hatten, auch die Frauen Vorrechte erlangten, welche fie in
vielen andern Gegenden nicht hatten, und daß ihr Charakter
und ihre Wirkfamkeit fih ganz nad) dem Charakter und der
Wirkſamkeit der Göttin entwicelte?
9) Hesiod. Theog. 411 sqgq.
299
Aus diefem Umſtande laßt ſich aber, wie uns dünft,
noch Feineswegs folgern, daß die Amazonen, bei denen die
Gynaikokratie die höchfte Ausbildung erlangt haben foll, ein
hiftorifches Wolf waren, Eine furze Betrachtung der wichtige
ften Angaben, welche ſich über diefelben erhalten haben,
dürfte nicht bloß diefe Behauptung befraftigen, fondern auch
unferer Vermuthung über die Urfache der Weiberherrfchaft in
Griechenland größere MWahrfcheinlichkeit verfchaffen. Die
Mondgöttin hatte den Namen Amazo. Diefe Thatfache
laßt ſich nicht beftreiten ). Warum fie aber denfelbentrug ''),
10) Kanne, Mptholog. der Grieb. ©. 155 sqq-
411) Das der Name von uelos abzuleiten fen, und das « hier
intenfive Bedeutung bat, unterliegt feinem Zweifel (Schwenck,
©. 223), und der Grund, welden Kanne 1. e. angibt, daß
man die Göttin in voller Blüthe und jugendlicher Kraft als
Amazo darjtellte, fcheint und wahrfcheinliher, ald die Ver:
muthung von Schwend, daß der Name auf den vielnahrenden
Segen der Natur hinweiſe. Doch glauben wir, daß ſich noch
ein einfacherer Grund anführen laffe. Auf phönieiihen Muͤn—
zen (Creuzer, II. ©. 32. not. 40) erfcheint ein voll= und
dickwangiges Menfchengeficht, von vorne mit offenem Munde
und heraushängender Zunge, ohne Haare, als Spmbol des
Bollmondes, und das Medufenhaupt, welches Pallas auf ihrem
Gewande oder Schilde führt, hatte uriprünglich Feine andere
Bedeutung. Auch die volle Bruft bezeichnete den Voll:
mond. Daher fehen wir (Greuzer, II. ©. 178 ef. 174.
not. 225) über den Thierbrüften der Epheſiſchen Mondgöttin
oft den halben Mond. Natürlich gab man der Mondgöttin
wegen diefes Spmboles nicht blog den Namen Amazo, fondern
man legte ihre auch nur eine Bruſt bei, und ihre Genien
müffen diefe Eigenthümlichkeit mit ihr gemein haben. Man
fagte alſo, fie hatten die andere Bruft verhüllt oder fich die-
felbe berausgefchnitten, als man die ſymboliſche Bedeutung
der Bruft nicht mehr verfland. Gerade in jenen Gegenden,
in welchen die Amazonen befonders haufig erfcheinen, herrfchte
300 a
ift klar. Ein vorzügliher Ort der Verehrung diefer Mond:
göttin Amazo war Epheſos. Die Bildfaule, welche fie hier
batte, follen die Amazonen aufgerichtet *?) haben. Auch der
Sonnengott Apollon hatte den Beinamen Amazonios. In
Pyrrhichos v) in Kafonien, fagt Vaufanias, find zwei Götter
tempel, der eine ift der Artemis Aftrateia *), der andere dem
Apollon Amazonios geweiht. Die Bilder find beide von
Holz, und follen durd Weiber von dem Thermodon her auf-
geftellt worden feyn. Der Dienft diefer Göttin war orgia-
ſtiſch*) und mit Waffentanz verbunden. Diefer Umftand
dürfte wohl kaum zweifeln laffen, daß der Name der Stadt
Pyrrhichos dem Cultus der Artemis feine Entftehung ver:
danfte. Den Reigentanz finden wir, in fo ferne derfelbe auf
den Kreislauf des Mondes hinweifen follte'%), an allen Orten
mit dem Gultus der Mondgöttin verbunden. Der Waffen:
tanz aber ftellt ung die Mondgöttin auch in ihrer Macht als
Kriegerin dar, Ein anderes Pradifat der Eriegerifchen Mond-
eine fanatifche Verehrung des Mondes, und wer bedenkt,
daß eine Kugel bei den Daphnephorien den Mond bezeichnete,
der wird fich nicht wundern, daß man auch die volle Bruft
als Symbol desselben wählte, und der Mondgottin urſpruͤng—
lih nur eine Bruft gab, wie Polyphemos nur ein Auge
mitten auf der Stirne hat.
42) Pausan. 1V, 31, 6.
15) Pausan, 111. 25, 2.
14) Die Urfache des Namens Aftrateia fucht Paufanias darin,
daß hier die Amazonen ihrem weiten Feldzuge ein Ende
machten. Das « fheint auch bei diefem Namen eine verftär-
fende Bedeutung zu haben.
45) Callimach. Hymn. in Dian. 240 sqq.
16) Welder, Trilog. 129,
301
göttin war Hippolyte, welche die Sage Königin der Amazo—
nen nennt. Schwenck bemerkt ”) ganz richtig, daß Artemis
oder die Mondgottin diefen Namen wahrfcheinlich felbft ge—
tragen babe, und wer berücfichtigt, in welcher Verbindung
Hippolytos (ein Name des Sonnengottes) mit ihr fteht, wird
ihm vollfommen beiftimmen, und die Hippolyte®) wohl von
einer fterblichen Königin unterjcheiden. Gin anderes Pradi-
fat, welches fie an einem andern”) Orte trug, ſcheint der
Name Pentheftleia gewefen zu ſeyn. Die Ableitung desfelben
fheint uns dunkel. Ihre Abftammung aber, der zu Folge fie
eine Tochter des Ares it”), ftellt fie deutlich als Mond:
göttin dar. Wie Ares Sonnengott”') war, und feine Mutter
Hera Mondgöttin, fo dürfte wohl auch die Tochter desfelben
die naͤmliche Bedeutung gehabt haben, welche in der alten
Sage feine Mutter hatte. Don ihrem Kampfe mit Achilleus
wollen wir fpäter fprechen. Wichtig find die Angaben, daß
fie Diomedes ?) in den Sfamandros geftürzt, oder Achilleus *)
17) S. 224 sq.
18) Buttmann, Mintholog. IT, 145.
19) Wer die vielen Prädifate, welche Artemis in der fpätern
Zeit noch trug, berücfichtigt, und bedenkt, daß diefelbe gewiß
auch bei den Thrakiſchen Zweigen noch mande andere hatte,
daß man aber bei den Namen, welche von der Hauptgottheit ge:
trennt und als befondere Wefen dargeftellt wurden, in der
fpätern Zeit, wo die Völker, denen diefelben angehört hatten,
verfhiwunden waren, auf die frübere Bedeutung Feine befon:
dere Ruͤckſicht nahm, den wird es nicht befremden, daß aus
den Pradifaten der Amazo viele Königinen hervorgingen.
20) Hyg. Fab. 112.
21) Hymn. Hom. VIII, 6 sqgq.
22) Tzetz. Posthom. 40. Dict. Cret. IV, 3.
23) Trypbiad. 37. cf. Malala p. 164.
302
nach einer andern Erzahlung an demfelben beerdigt haben foll.
Der Sfamandros hatte denfelben hieratifchen Namen Xanthos,
welchen auch Apollon trug, und in welch’ inniger Verbindung
die Artemis zum Alpheios ftand, haben wir fchon dfter bes
merkt. Wenn wir dieß beachten, fo darf ung die Beziehung,
in welcher Pentheftleta zum Xanthos fteht, nicht befremden.
Die fymbolifche Bedeutung ihres Todes dürfte ſich aus den
Sagen über das Grab der Helena und des Zeus am einfach):
fien erflären. Auh Myrina fpielt in dem Sagenfreife der
Amazonen eine große Rolle”). In Troja hat fie auch den
Namen Batieia?). In Samothrafe ward fie Mutter der
Korpbanten genannt”). Die Verbindung, in welcher fie
mit Thoas fteht, dürfte den beften Beweis liefern, daß ihre
Namen früher nur Praͤdikate der Friegerifchen Mondgoͤttin
waren, wie der Name Iphigenia, welcher in der Sage des
Thoas ſo große Bedeutung hat. Iphigenia aber lebte nach
einer uralten Sage als Hekate fort. Ohne Zweifel waren
auch die Namen Leukippe, Orſippe, Hermippe und Hypſipyle
Praͤdikate der naͤmlichen Göttin”). Hypſipyle tritt auf der
namlichen Inſel auf, auf weldyer die Myrina mit Thoas in
Verbindung fteht. Mit ihr vermahlt ſich Jaſon, welchen wir
ſchon durch viele Sagen als Sonnengott Fennen gelernt haben,
Der Sohn, weldyer aus Diefer Verbindung hervorging, Eur
neos *), war anfanglih nur ein Praͤdikat des Sonnen,
24) Welder, Trilog. ©. 590,
35) II. II, 811.
26) Diod. II, 55.
27) Welder, p- 592.
28) Hom. N. VII, 468.
303
gottes, welches diefer als trefflicher Schiffer, wegen der fchnels
len Fahrt auf feinem Kahne, der ihn nach Oſten zurücführte,
getragen hat. Diefer Umftand macht es fehr wahrfcheinlich,
dag auch der Name Naufithoos erft im Kaufe der Zeit von
Alkinoos getrennt, und zu einem befondern Weſen umgebildet
wurde, Mer die Bedeutung des Namens Euneos beruͤck⸗
fihtigt, der dürfte gegen die Art und Weiſe, auf welche wir
die Erfahrung der Phaͤaken im Seeweſen erklärten, Teine große
Einwendung machen. Der Name Hyypſipyle, Burgherrin,
war für die mächtig waltende Mondgoͤttin vollfommen geeig-
net. Auch der Sonnengott ift Stadtefhirmer und Burgherr.
Mir haben bisher nur von der Bedeutung derjenigen
Namen gefprochen, welche in der Amazonen- Sage am ger
feiertften find, und behauptet, daß diefelben ſaͤmmtlich Pras
difate der Mondgöttin waren, welche man als Umazo vers
ehrte, aber von diefer allmahlig getrennt, und zu befondern
Weſen umgebildet wurden. Es liegt uns nun zunächft ob,
zu erflären, wie die Sage dann von einer Mehrzahl der
Amazonen fprechen, und diefe als eine große Völkerfchaft
darftellen fonnte. Allein diefe Erfcheinung laßt fich erft dann auf
eine befriedigende Weiſe erflaren, wenn wir die Bedeutung
der Wohnſitze, der Kampfe und Wanderungen der Amazonen
kennen. Mas die Wohnfige der Amazonen anbelangt, fo
werden diefelben eben fo verfchieden angegeben, wie jene der
Hyperboreer. Das nächft gelegene öftliche Land, in welchem
die Amazonenfürftin zu Haufe ift, dürfte Bootien feyn. Hier
war nad) Stephanos von Byzanz ein Amazonikon. Hier
finden fich die beiden eigentlichen Amazonenftrome, Thermodon
und Triton beiſammen. In Böotien hat die Europa ihre
304
Grotte. Don hier entführte fie Zeus nach Kreta. Soll nun
nicht aud) die Amazo in Bootien ihre Grotte haben, indem
an einigen Punkten Griechenlands Böotien als dasjenige Land
betrachtet wurde, in weldyem Sonne und Mond fich erheben ?
Als alter Mohnfig der Amazonen wird auch die Inſel Lenınos
genannt. Hier find die Namen Myrina und Hypſipyle ein-
heimisch. Warum wohnt die Mondgöttin hier? Wir ver:
muthen, daß, wie Lesbos das Land des Macar hieß, und in
der Urzeit als das fernfte oͤſtliche Eiland betrachtet wurde, fo
auch Lemnos bei andern Völkern als ſolches angefehen wor—
den ſey. Für dieſe Vermurhung fprechen verfchiedene Ums
ſtaͤnde. Auf der Inſel Lemnos treffen wir den Sonnengott
mit feinem Kahne. Die Mohnfige des Sonnengottes find
aber im fernen Oſten. Auf Lemnos ift auch Thoas, auf
Lemnos vermeilet der Sonnengott Hephäftos. Soll nun auf
diefem Eilande nicht auch die Mondgöttin ald Amazo ihren
Vallaft haben, da man denfelben, wie die Sagen von der
Taurifchen Sphigenia und von der auf Keufe wohnenden He
lena zeigen, im Often fuchte, wie jenen des Sonnengottes?
Allein nicht alle Orte fuchten zu allen Zeiten die Ofts.
grenze an derfelben Stelle. Wie nahe war das alte Taurien,
wie nahe die Aeaͤiſche Inſel in der Urzeit, wie weit wurden
beide allmahlig hinausgerüdt! "Sollen wir ung wundern,
dag man, wie man das alte Taurien nad) Scythien vers
fegte, au) die Wohnung oder Heimath der Mondgöttin Amazo
in einer fpätern Zeit weiter gegen DOften fuchte? Am See
Maäotis, ſagt Mela”), ift das Amazonen-Land. Ans
29) Mel. I, 19.
305
dere”) laffen die Amazonen vom Tanais an den her
modon ziehen. Auch am Sangarios in Phrygien erjcheis
nen fie. Alle diefe Gegenden liegen, fo weit diefelben auch
von einander entfernt find, im Dften oder Nordoften, wo
die Alten den Pallaſt des Somnengottes und der Monds
göttin fuchten.
Aber wie der Sonnengott in andern Sagen im außer
ften Weſen fich befindet, wo die Sonne vom Himmel ver-
ſchwindet, fo treffen wir die Amazo, die mächtige Mond-
göttin, oder nach der Ausdrudsweife der Alten, die Ama—
zonen auch in Afrifa an der Fleinen Syrte, alfo im fers
nen MWeften der Erde, an’). Warum foll aber die Amazo
nad) andern Sagen nicht auch im Meften wohnen, da
auch Helena vom fernften Often, von Sidon, nach dem
fernen Meften wandert, und die Mondgöttin Pallas auf
der Inſel Samothrafe als Chryfe eine eben fo große Rolle
fpielt, wie in Libyen?
Mir überzeugen uns alfo, daß die Lage der Wohnfige
der Amazonen, es mag dieielbe auch noch fo verfchieden
angegeben werden, diefelbe Bedeutung einnimmt, welche Die
Lage der Uethiopen in andern Mythen hat. Die Mond-
gottin Amazo wohnet, wie der Sonnengott, fowohl im fer-
nen Often, als aud) im fernen Weiten, wie wir deßhalb
den Gemahl der Hypſipyle nicht bloß auf Samothrafe und
Lemnos, fondern auh am Triton in Libyen antreffen.
50) Welder, 589.
34) Herodot. IV, 180. 189. Kanne, Mytholog. 156. Müller,
Orchomenos, S. 355 sq.
Borballe zur Griechiſchen Geſchichte. IT. 20
306
Diefe Mohnfize der Mondgöttin Fonnten aber nicht an
allen Orten und zu allen Zeiten an einer und der-
ſelben Stelle gefucht werden, da nicht allen Völkern, welche
diefelbe verehrten, die Sonne an derfelben Stelle auf- und
unterging, und bei der Erweiterung und Verbreitung geo-
graphifcher Kenntniffe die Beftimmung der Oft: und Meft-
grenzen vielfache Veränderungen erfuhren. Die Sage hat
aber diefe verfchtedenen Grenzen und die Orte, wo die
Mondgöttin als Amazo verehrt wurde, wie gewöhnlich,
mit einander verfmüpft, fo daß für diejenigen, welche die
Amazonen als gefchichtlidhe Wölkerfchaft anfehen, Schwie-
rigfeiten entftehen,- welche nie auf befriedigende Weife gelöst
werden Tonnen; denn da die Mondgottin an- vielen Orten
als Amazo verehrt, und die Oft- und Weſtgrenze in ver-
fchiedenen Zeiten fehr verfchteden angegeben ward, fo er-
fcheinen die Amazonen faft überall, und am Ende dod)
nirgends,
Die Wanderungen der Amazo haben diefelbe Bedeu;
tung, welche den Irren der Jo und der übrigen Mond:
göttinen beigelegt ward, und beziehen fich auf den Kreis—
lauf des Mondes. Wie die Srren der Jo dadurch, daß
man die Orte des Eultus und die verfchiedenen Lan-
der, welche die einzelnen Lokal-Sagen als das Ziel ihrer
Wanderung nannten, mit einander verfnüpfte, eine
räthfelhafte Geftalt gewannen, fo mußten aud) aus den
Manderungen der Amazo, fobald man ihre Kampfe buche
ftablih auffaßte, und von einem ganzen Heere von Ama»
zonen ſprach, Streif und Kriegszüge hervorgehen, Waren
in der heroifchen Zeit nur von den Amazonen Kriege ger
307
ührt worden, fo hätten fich die Menfchen damals eines
beftandigen Friedens erfreuet. Don dem Kampfe des Hera-
les mit der Hippolyte haben wir fchon gefprochen. Der
Kampf des Achilleus mit der Venthefileia ift von Dichtern
vielfach befungen worden, und hatte urfprünglid, wie uns
fheint, diefelbe fombolifhe Bedeutung, welche wir dem
Kampfe der Athena mit Pofeidon, der Hera mit Poſeidon,
des Diomedes mit der Aphrodite beilegten.
Wenn diefe Erklärung richtig ift, fo kann Der
Kampf, den Theſeus, Bellerophon und Priamos mit den
Amazonen beftanden, aud nur diefelbe Bedeutung gehabt
haben,
Die Entführung der Hippolyte oder Antiope durch
Thefeus dürfte ihre Erflärung in den Sagen über die Ents
führung der Europa durch Zeus, der Helena durd) Hermes
oder Paris finden, und demnach Feineswegs einen Einfall
der Amazonen in Attifa veranlaßt haben. Sobald man
aber die Amazonen ſich als eine Voͤlkerſchaft dachte, mußte
aus dem Kampfe des Sonnengottes mit der Mondgöttin
ein fürmlicher Krieg entftehen, und bei der buchftäblichen
Aufjaffung des fymbolischen Todes der Sonnen: und Mond»
götter Fonnte man zur richtigen Erfenntniß des einfachen
Sinnes der alten Sagen nicht mehr gelangen. Der Tod
des Achilleus und Thefeus, der Pentheſileia und Hippolyte
hatte diefelbe fymbolifhe Bedeutung, wie der Tod des
Dionyfos Zagreus, der Medufa und Medeia, und bezog
fih auf den Untergang der Sonne und des Mondes. Da
man denfelben aber fchon frühzeitig buchftäblich auffaßte,
fo mußte man freilih, um die Veranlaffung desfelben zu
20*
308
erklären, die Kampfe der Amazonen mit den Sonnengöt-
tern, welche in die Reihe der Heroen herabgedrücdt worden
waren, als die Deranlaffung desfelben betrachten. Diefe
Entftellung der einfachen Sage kann uns nicht befremden,
wenn wir bedenfen, daß auch der Kampf des Diomedes
mit Ares und Aphrodite ſchon in den Homerifchen Gefan-
gen eine fo verzerrte Geftalt hat, daß Aphrodite fogar vers
wundet wird. Hätte fich diefe nicht im Cultus als Göttin
erhalten, wäre fie in die Reihe der Heroinen herab gedrängt
worden, jo würden wir fehen, daß auch fie nicht bloß ver-
wundet, fondern ſicher getödtet worden wäre.
Der Männermord ?), welchen fich die Amazonen auf
Lemnos zu Schulden kommen ließen, bat ebenfalls der irri-
gen Auffaffung der Sage von dem Tode des Sonnengottes feine
Entftehung zu verdanken, Wir haben fchon bemerft, daß
die Ermordung des Agamemnon durch Klytaimneſtra eben fo
wenig im buchftäblichen Sinne genommen werden dürfe, ale
die Ermordung der Klytaimneftra durch Oreſtes. Der
Mond wird von der aufgehenden Sonne verdrängt, oder
nah der foumbolifchen Austrudsweife des früheften Alter:
thums getödtet. Deßhalb todtet Verfeus die Medufa, Dres
fies die Klytaimneſtra. Am Abende erfcheint der Mond
häufig vor dem lintergange der Sonne, und fcheint alfo
Diefe zu verdraͤngen, oder nach der ſymboliſchen Sprache
zu Grabe zu bringen oder zu toͤdten. Die Namen, welche
Some und Mond hatten, gaben zur Entftehung einer
32) Die Veranlaffung desfelben mußte bei der fnmbolifhen Be:
deutung verfahieden angegeben werden, ald man die Sage im
buchſtaͤblichen Sinne auffaßte. cf. Welder, Trilog. 595 sqgq,
309
Menge von Sonnengöttern und Mondgottinen Veranlaffung..
Was war aljo natürlicher, als dag man bei denjenigen,
welche in die Reihe der Menfchen herabfanfen, die Sagen von
dem Tode buchftablich nahm, da man felbft dem Zeus zur
Verfinnlihung feines Todes ein Grab *) errichtere?
Die Mondgoͤttin tödtet alfo ihren Gemahl, und fobald
man ihre Genien als verfchiedene Wefen betrachtete, und die
Anzahl der Amazonen ins Umnendliche vergrößerte, mußten
natürlich auch alle der Königin untergeordneten Amazonen
Dasfelbe thun, was die Königin verübte, fie mußten
alle Genien des Sonnengottes tödten, und auf diefe Weiſe
die Sage von einem allgemeinen Männermorde entftehen,
der auf Lemnos durch verjchiedene Umftande veranlaßt wor:
den feyn fol. Die namliche Bewandtniß hat es auch mit
dem Männermorde der Danaiden. Sie waren in der alten
Sage Nymphen und demnad) die Gefahrtinen der Mond:
goͤttin. Als ſolche todren fie ihre Manner nad) dem Beis
fpiele derjenigen Göttin, mit welcher fie unzertrennlich ver>
bunden waren. Daß Hypſipyle ihren Vater, Hypermneſtra
ihren Gemahl Lynkeus am Leben laßt, darf nicht auffallen.
Perſeus todtet auch nur die Medufa, ohne ihren zwei Schwe—
ftern das Leben zu rauben, Wenn aud) die Sonne jeden
Abend, der Mond jeden Morgen verfchwinder, fo fommen
dieſe großen Kichter doch immer wieder zum Vorſcheine, und
in fo ferne leben die beiden Schweftern der Medufa fort, wäh:
vend fie felbt ihren Kopf verlor. Die Liebe der Hyper:
mneftra zu Lynkeus, die Findliche Verehrung der Hypſipyle
35) Callimach. Hymn, in Jov. 6 sqq.
310
gegen ihren Vater war in alten Sagen vielleicht eben fo viels
fach verherrlicht, wie die Liebe des Hektor und der Antro-
mache, wie das Verhaltniß der Pallas zu Zeus. So wenig
alfo die Sage den Zeus durch feine Tochter, den Hektor durch
feine Gemahlin umfommen ließ, eben fo wenig Fonnte fie den
Lynkeus durch die Hypermneftra oder den Vater der Hypſi⸗
pyle durch die eigene Tochter fallen laffen. Man kann aus
diefen Angaben, wie es fcheint, Feineswegs den Schluß ziehen,
in Argos habe die Gynaikokratie geherrfcht, bis diefelbe all-
mählig verdrangt worden fey, und diefes wichtige Ereigniß
werde durch die Schonung, welche Hypermneftra gegen Lyn—
feus .bewieien, angedeutet. Wenn auch, wie Apollodoros
erzahlt *), in Lemnos Gynaikokratie herrfchte, fo Fünnen wir
doch nicht glauben, daß Die Sage von dem Männermorde
der Lemnifchen Frauen und von der Hypfipyle mit diefer
Sitte in Beziehung ftand, jondern wir hegen die Ueber:
zeugung, daß diefelbe urfprünglic) einen ganz einfachen Sinn
hatte, und ſich auf eine Erfcheinung bezog, welche fi) Völ-
fern, die der Natur naher fanden, als Städtebewohner, täg-
lic) darbot. |
Eine andere Frage tft es freilih, wie die alten Sagen
von einer Menge von Amazonen fprechen Fünnen, wenn der
Name Amazo urfprünglich nur ein Pradifat der Mondgöttin
war? Wir vermuthen, dag fich diefelbe auf eine einfache
Weiſe löfen laffen dürfte. Die Mondgöttin hatte als Kriegerin
mehrere Prädifate, von denen wir nur Antiope, Hippolyte,
Myrina, Hypfipyle, Penthefileia erwahnen. Diefe Prädifate
34) Apollod, I, 9, 17.
311
trug man auch auf ihre Genien uͤber, welche alle Schickſale
mit ihr theilen. Die ſpaͤtere Zeit betrachtete dieſelben als
ſterbliche Frauen. Auf dieſe Weiſe ward Antiope, welche
fruͤher ein Praͤdikat der Mondgoͤttin war, und beſonders in
der Boͤotiſchen Sage gefeiert erſcheint, eine Koͤnigin, das⸗
ſelbe Schickſal hatte Hypſipyle, die vorzugsweiſe der Lemni—
ſchen Sage angehoͤrt, dasſelbe Schickſal hatten die andern
genannten Weſen, welche dem Mythenkreiſe anderer Voͤlker—
ſchaften und Orte angehoͤrt haben duͤrften. Die Mondgoͤttin
iſt von fünfzig Nymphen?) umgeben, welche ſich auf
die Wochen des Jahres beziehen. Wer bedenkt, daß man
dieſer Goͤttin wegen der drei Mondphaſen Dreigeſtalt beilegte,
oder ſie mit drei Dienerinen umgab, wie die Artemis mit den
drei Hyperboreiſchen Jungfrauen, die Aphrodite mit den drei
Charitiuen, die Hera mit den drei Horen oder Eileithyien,
wer erwägt, daß Medein wegen der fieben Wochentage fieben
Knaben und eben fo viele Tochter hat, den wird es nicht
befremden, daß die Mondgottin, an deren Eultus, wie an
jenen des Sonnengottes, die Zeitrechnung gefnüpft war, auch
wegen der Wochen fünfzig Öefptelinen hat. Diefe Zahl kehrt,
wie die eben erwähnten, in zu vielen Sagen wieder, als daß
man an der ſymboliſchen Bedeutung derfelben zweifeln koͤnnte,
welche durch die fünfzig Töchter der Selene über, jeden Zwei—
fel erhoben wird, und durch die fünfzig Toͤchter des Theſtios
und des Danaos neue Beftätigung erhalt. Warum foll die
Artemis als Amazo nicht ebenfalls von ihren Gefpielinen
umgeben ſeyn? Wie die Nymphen mit ihr Chorreigen auf-
35) Ueber die Ableitung des Namens ef. Heffter, Rhod. Götterd,
II, ©. 65 sq. Schwenck ©, 4149.
312
führen, fo unterziehen fie fi) auch, wie die Göttin, zu der
fie gehören, allen übrigen Befchäftigungen, welchen diefe vor;
züglich obliegt. Alfe ihre Eigenſchaften und Tugenden find
von der Mondgottin entlehnt. Diele derfelden tragen fogar
Namen, welde nur der Mondgöttin gehören, und Praͤ⸗
difate, welche nie eine Nymphe hatte führen koͤnnen, hätte
ihnen nicht das Afterthum, in fo ferne fie mit dem Weſen
der Mondgottin unzertrennlicy verbunden waren, alle Vor;
züge gelichen, welche diefelbe auszeichneten. Wir erinnern
nur an das Praͤdikat 20070, welches über die Bedeutung
der Nymphen mehr Kicht verbreitet, als eine Menge von
Sagen. Daß die Gefpielinen oder Gefährtinen
der Amazo, melde alle ihre Eigenfchaften in fich vereinig-
ten, aud) den Namen Amazonen befamen, darf uns
nicht befremden,
Aus den verfchtedenen Namen, welche die Mondgöttin
als Amazo hatte, gingen verfchiedene Koniginen hervor,
wie wir fchon bemerkten. Mit jedem Namen waren diefe
Gefährtinen verbunden, und fobald man die urfprüngliche
Bedeutung der Mythen von den Amazonen nicht mehr ver:
ftand, war es fehr natürlich, daß die Zahl diefer Kriegerinen
jehr vergrößert wurde. ie begleiteten die Mondgöttin
auf ihren Wanderungen, fie unterfiüßten, in fo ferne fie
mit ihr unzertrennlich verbunden waren, dieſelbe bei ihren
- Kämpfen, und was war natürlicher, als daß man im jener
Zeit, in welcher man diefe und ähnliche Sagen buchftäblich
auffaßte, diefe fombolifchen Kampfe in Kriege und die
Wanderungen, welche fid) auf den Kreislauf des Mondes
bezogen, in formlihe Streifzüge ummandelte, fo daß
313
die Amazonen an den meiften Orten Griechenlands erfchet-
nen, fich aber an Feinem als gefchichtliche Perſonen feſt—
halten laffen.
So vielfady auch die Mythen, welche ſich auf diefelben
beziehen, unter diefen Verhältniffen umgeftaltet werden muß-
ten, fo haben fi) doch noch fo viele Merkmale erhalten,
dag man ihre ehemalige Bedeutung genau erkennen Fan).
Die Umazonen haben, als Gefährtinen der Mondgottin, den
halbmondfürmigen Schild, wie die Mondgdttin denfelben
bat, fie haben den Gürtel, wie ihre Königin. Diele tragen
einen Köcher ”), welcher an einem Niemen befeftigt ift,
und, er mag auf der Schulter oder an der Seite getragen
werden, das Wehrgehenk durchkreuzt. Mandye führen außer
einer Lanze gar Feine Waffe. Ihre Streitart ift bekannt.
Die Verfchiedenheit der Bewaffnung ift von großer Bedeu:
tung. Sie beftätigt unfere Behauptung, daß die Mond:
göttin niht an allen Orten als Amazo diefelben Na;
men führte, und zeigt, daß, wie ihre Bewaffnung und
jene ihrer Gefährtinen niht au allen Orten und zu allen
Zeiten diefelde war, fo auch Feineswegs alle Orte ihren
Pallaft an der namlichen Stelle im Oſten oder Meften
fuchen Fonnten. Wir fehen die Pallas, welche Mondgöttin
war, wie Hera, mit dem Speere gerüfter, der fo vielfach
verherrlicht wurde, wie der Köcher und Bogen der Artemis.
An andern Orten erfcheint die Mondgottin nur mit dem
36) Böttiger, Griechifche Vafengemälde, I. Heft. 3 5. 165— 202.
Millin. Monum. ined. I. Heft 6. ©. 555— 377. UI. Heft 2.
©. 69—84.
37) Quint. Smyrn. Par. Homer. I, 145.
314
Köcher und Bogen, nicht mit der Lanze. Die Streitart,
welche viele‘ Umazonen haben, dürfte bei vielen Voͤlker—
haften in der Urzeit cine eben fo gewöhnliche Waffe
gewefen feyn, wie die Keule, welche auch Herakles trägt.
Vierundzwanzigſtes Gapitel.
Die Kyklopen.
„Bon dem Myfenaifchen Bau, fagt Müller‘) hat man
angenommen, daß er ein Merk Lykiſcher Meifter fey, die
den Argeiern und Zirgnthern ebenfalld die Kyklopifchen
Mauern gebaut hatten. Und allerdings fagt Strabon, daß
Prötos, Gründer von Tiryns, die fieben Kyflopen
aus Lyfien gebracht habe. Diefe follen nun aus den unter:
irdifchen Höhlengangen von Nauplia jene ungeheuern Stein»
blöde gebrochen und heraufgeholt haben. Aud) ift eine alte
Verbindung”) des Argetifchen Königshaufes mit den Lykiern,
eine Auswechslung der Eulte und vielleicht auch der Kunft:
fertigfeiten Faum zu laugnen’). Aber dieß ift Feineswegs
genügend, um deßhalb jene Altargetiihen Bauwerfe für
Lykierwerke auszugeben, befonders wenn, wie wahrfcheinlich,
die Kyklopen überhaupt Fein anders Dafeyn haben als ein
1) Müller, Orchom. ©. 240 sq.
2) Diefe Verbindung dürfte eine ganz andere Bedeutung haben,
von der wir fpäter reden wollen.
3) Hirt in Wolf Anal. I. ©. 149 ffg. Auch diefe Vermu—
hung möchten wir anders fallen, ald Hirt es gethan hat,
315
ſymboliſches. Zeuget denn nicht die Kyklopifche Bauart
der urälteften Städte Stalins und Griechenlands unwider-
legli für das vorgefchichtlihe Dafeyn eines gemeinſamen
Urvolfes? Soll, um von Hellas Beifpiele berzunehmen,
Eleufis, foll Lyfofura, die Arkadiſche Stadt am Lykaͤon,
die nah Pauſanias von allen Stadten auf dem Feftlande
und den Inſeln die Sonne zuerft befchien, feine Mauern
jenen Lykiſchen Sremdlingen danfen?
Müller fah fehr wohl ein, daß jene Gebäude, welche
das Altertum Kyflopiihe nennt, nicht von den Kyflopen
gegründet wurden. „Ganze Voͤlker, -fagter, zur Frohne
gezwungen, oder unter priefterlicher Zeitung für große
Zwecke vereinigt, müffen fie gebaut haben.“ Eben fo rich-
tig bat diefer Gelehrte erfannt, daß die Kyklopen nur ein
fombolifches Dafeyn haben. Wir wollen verfuchen,
die fombolifhe Bedeutung derfelben in Kürze fo weit zu
erklären, als dieß bei den widerfprechenden Nachrichten
moͤglich ift.
Wollen wir die Bedeutung der Kyklopen erfennen, fo
müffen wir uns an denjenigen unter ihnen halten, welcher
durch Homeros und frühere Dichter die größte Verherrlichung
erhalten zu haben fiheint, an Polyphemos. Mir haben
die Vermuthung ausgejprochen, daß der Name Polyphemos
urfprünglich ein Prädikat des Sonnengottes war, daß er
als folcher ein einziges großes Auge auf der Mitte der
Stirne hatte, welches die Sonne verfinnlichen follte, und
daß feine Heerden diefelbe ſymboliſche Bedeutung hatten,
4) v. d. Hagen in den Briefen aus Stal, III, ©, 509 ffg.
316
wie die Heerden des Helios, welche auf dem nämlichen
Eilande weiden,
Seine Grotte ift ihrer Bedeutung nach von der Grotte
des Zeus oder Hermes oder Herakles nicht verſchieden. Wegen
des Auges, weldies man dem Sonnengotte in der Mitte der
Stirne gab, fiheint man denfelben Kyflope, den Rund
augigen, genannt zu haben, wie man den Zeus wegen der
weiten Verbreitung des Kichtes, das alle Raͤume durhdringt,
Europe und die Mondgottin Hefate nannte. Wenn Poly:
phemos?) mit drei Augen erfcheint, fo darf uns dieß nicht
befremden. Auch Zeus har den Namen Triopas gehabt, und
wurde eben fo abgebildet.
Sobald die Griechen einmal einen Gott in. menfchlicher
Geftalt darftellten, mußten bei dem hohen und regen Schön-
heits-Sinn, welcher fie vor allen Völkern des Alterthums
auszeichnete, die zwei Augen, welde die Menfchen haben,
bald die ihnen gebührende Stelle erhalten, fo daß Polyphemos
und feine Genoſſen drei Augen erhielten, zwei an der ge
wöhnlichen Stelle, ein großes aber in der Mitte, Wir dür-
fen uns nicht wundern®), wenn dasfelbe auf vielen Gebilden
der Kyklopen gar nicht ausgedrüct ift, da es ja auch an den
Bildern des Zeus fchon frühzeitig verfchwand, um der menſch⸗
lichen Schönheit Feinen Eintrag zu thun, und warum hätte
man aud) fpater, als man die frühere Bedeutung des Auges
in der Mitte der Stirne nicht mehr Fannte, dasfelbe nicht
5) Serv. ad Virgil. Aeneid. III, 636. Multi Polyphemum
dieunt habuisse unum oculum, alii duo, alii:tres.
6) Boͤttijer, Kunftmytholog. ©. 23,
317
allmahlig weglaffen follen? Die Macht der Sonne ift unge,
mein groß. Niemand kann derfelben widerftehen. Sie über:
wältigt alles. Um nun die Kraft des Sonnengottes fo viel
als möglich zu verfinnlihen, gaben ihm die Alten einen
Körper von ungewoͤhnlicher Größe, wie dieß bei Po—
Inphemos der Fall ift, welcher bei der irrigen Auffaffung der
Bedeutung desfelben freilich zum Ungeheuer werden mußte.
Dolyphemos hat feine Wohnung als Sonnengott auf
der Inſel Sicilien, wo aud) die Heerden des Helios weiden.
Wir haben ſchon erinnert, daß Sicilien den Griechen weftlich
liegt, und dag die Alten die Behaufung des Sonnengottes
fowohl im fernen Oſten, wo fich die Sonne erhebt, als auch
im fernen Weſten fuchten, wo fie in den Wogen des Meeres
untergeht. Aber nicht bloß im fernen Meften, fondern auch
im fernen Oſten haben die Kyklopen ihre Behaufung, wie der
Eonnengott, namli in Lykien, welches fchon durch feine
Bedeutung, „das Lichtland‘’), auf den Dften hinmeifer.
Warum die Kyflopen in Argos, dem Kichtlande von Hellas,
eine fo große Nolle fpielen, wollen wir fpater zu erflaren
fuchen, und hier gleich zur Beantwortung der Frage übergehen,
warum denn fchon das frühe Altertum von Kyflopen in der
Mehrzahl foricht, wenn der Kyklops Polyphemos anfänglich
nur ein PradıFat des Sonnengottes war?
Die Zahl der Kyklopen wird verfchieden angegeben, Die
kleinſte derfelben ift die Dreizahl, welche ſich auf die drei
Theile des Monates ), und die Giebenzahl’), welche fich
7) Schwend, ©. 39.
8) Hesiod. Theogon. 140.
9) Strabon. VII, 373.
318
auf die fieben Mochentage bezieht. Warum foll das Alter
thum, welches dem Sonnengotte zur Bezeichnung feiner
Wirkſamkeit als Zeitengott fieben Söhne und ficben Töchter
gab, dem VPolyphemos nicht drei oder fieben oder fünfzig
Gefährten gegeben haben, wie es dem Dionyfos die Satyren,
der Artemis die Nymphen gab? Diefe Vermuthung ift ziem-
ih wahrſcheinlich. Nach Euripides erfcheinen '°) die Satyren
als Diener des Polyphemos, wie fie in andern Sagen Ge»
fahrten des Bafchos find, Vielleicht belief fich die Zahl der
Satyren in den alten Sagen ebenfalls auf fünfzig. Daß fie
in der fpatern Zeit auffallend vergrößert, in den meiften Er-
zahlungen aber gar nicht mehr berückfichtigt wurde, dürfte
fi) aus der fonderbaren DVorftellung erklären, welche die
Griechen der fpatern Zeit von den Satyren hatten. Deßhalb
darf es ung auch nicht. befremden, daß die Zahl der Kyflopen
fo vergrößert wurde, daß man diefelben theils für ein ganzes
Volk, theils für eine gewiffe Claffe von Menfchen, für Künft-
ler und Baumeiſter betrachtete.
Die Namen, weldye Hefiodos '') den drei Kyklopen bei:
legt, dürften auch nicht wenig zur Beſtaͤtigung unferer Ver:
muthung beitragen, Sie heißen Brontes, Steropes und
Arges. Wenn die Kyflopen als Gefährten des Sonnengottes
ericheinen, und ihre Zahl auf die Zeitrechnung, welche an den
Cultus desfelben gefnüpft war, Bezug haben foll, fo müffen
die angeführten Namen ſich eben fo gut aus der Natur und
Beichaffenheit des Sonnengottes erklären laffen, wie dieß
10) Euripid. Cyclop. 29 sqgq-
44) Hesiod. Theogon. 440 sqq.
319
bei den Namen der drei Hnperboreifhen Sungfrauen, Upis,
Arge und Hefaerge der Fall ift, welche mit der Artemis fo
innig verbunden find. Mir haben die Vermuthung ausge
fprochen, daß die Namen diefer Jungfrauen, deren Zahl auf
die drei Mondphafen hinmweifet, urſpruͤnglich Pradifate der
Mondgöttin waren, und Niemand, weldyer die Griechifche
Mythologie Fennt, dürfte dieß in Abrede ftellen. Vielleicht
waren auch die Namen Brontes, Arges und Steropes ehedem
Prädikate des Sonnengottes. Arges bezieht Welcker auf die
Schnelligfeit des Blitzes, und führt für diefe Bedeutung einen
fprechenden Beweis an. Allein Arges kann ſich auch auf
den Glanz des Lichtes beziehen. Wenn der Sonnengott
Eleftryon oder der Strahlende”) genannt wurde, foll er nicht
auch Arges, der Shimmernde, geheißen haben, da man auch
den Sternenhimmel Argos nannte, und die Mondgottin eben
falls Arge hieß»)? Die Namen Brontes und Steropes ber
deuten Blig und Donner. Bekanntlich erfcheint ſchon bei
Homeros, wie in dem Sagenfreife der fpätern Zeit Zeus als
Bligender und ale Donnergott. Man hat diefen Vorzug des
Zeus durch die Annahme zu erklären gefucht, daß Zeus Gott
des Himmels war, Blig und Donner aber vom Himmels—
gewölbe ausgehen. Allein dagegen ift zu erinnern, daß Zeus
12) Heffter, Rhodiſche Götterdienfte, TIL. 82.
13) Deßhalb nennt die Sage die Arge eine berühmte Sagerin,
wie Artemis ed war, und läßt fie in eine Hindin verwandelt
werden (Hyg- Fab. 205). Die Hindin der Artemis ift be=
fannt. Diefe Arge nennt die Sage eine Tochter des Sonnen:
gottes Zeus und der Mondgöttin Hera (Apollod. I, 3, 4);
Mutter und Tochter aber entftanden aus verfhiedenen Namen
eines und desfelben Weſens.
320
in der älteften Mythologie Sonnengott war, wie Helios,
Hermes oder Apollon, was ſich aus einer Menge von Sagen
und Symbolen erweifen laßt. Iſt diefe Behauptung ge;
gründet, fo folgt daraus, daß die Griechen den Blig vom
Sonnengotte ausgehen ließen, Diefe VBermuthung dürfte
allerdings viele Kefer befremden. Allein wir erinnern, daß
felbft noch die Griehifhen Philofophen die Sonne für lauteres
Feuer hielten, und daß felbft Herakleitos diefe Anficht hatte“).
Menn nun die Sonne ein Feuerball ift, wie fid) Euripides
ausdruͤckt )), und die Sage von dem feurigen Rade des
Ixion beweifet: von wen kann der Blig ausgehen, als von
dem Sonnengotte? Der Donner iftnur eine Folge des Bliges,
und wenn die Griechen in der Urzeit auch nicht fo weit in der
Phyſik waren, daß fie dieß einfahen‘), fo fonnten fie doch
wahrnehmen, daß Blig und Donner in der Regel mit ein-
ander verbunden find. Deßhalb Fonnte der Sonnengott mit
vollem Rechte Brontes, der Bligende und Donnernde, genannt
werden. Der Name Steropes bezeichnet aber den Son-
nengott nicht bloß als Bligfchleudrer, fondern weiſet auch auf
den Strahl, Glanz und Schimmer des Lichtes hin, und wenn
man erwägt, daß Sterope vom Ölanze des Sonnen
lichtes gebraucht wurde, fo dürfte diefer Name dem Son—
nengotte doch wohl nicht ohne Grund beigelegt worden feyn,
Die Namen der drei Kyklopen alfo, welche Hefiodos anführt,
waren in der Urzeit höchft wahrfcheinlich Pradifate des Son-
nengottes. |
44) Macrob. 1,17. III, 4. Arnob. 11], 31. Welder, Trilog. €. 281.
45) Euripid. Phoeniss. 5.
46) Callimach. Hymn. in Dian. 47 sqgq.
321
Wir haben bei den Amazonen fchon bemerkt, daß fie
alle Vorzüge und Merkmale, welche die Mondgöttin ale
Kriegerin auszeichneten, im fich vereinigten. In fo ferne
kann ed uns nicht wundern, daß aud) die Kyflopen alle
Eigenthümlichfeiten des Polyphemos haben. Auf der Mitte
ihrer Stirne”) funfelte ein einziges Auge, wie auf jener
des Polyphemos, und fie find fammtlicy Niefen ®), wie die
fer es ift. Der Sonnengott ift als fchaffender Gott Künfts
ler und Baumeifter. Auch die Kyklopen find Künftler und
Baumeifter. Nicht bloß VPolyphemos war Sonnengott,
fondern auch Zeus und Hephäftos und noch viele andere
Weſen. Warum follen die Kyklopen alfo nicht auch Diener
des Zeus oder Hephaftos heißen, wie fie ald Gefährten des
Polyphemos erfcheinen? Ste find Feuerfünftler, wie He
phaftos, und verfertigen als ſolche die Blige des Zeus").
Wie Hephaftos eine ganz nad) menſchlicher Weiſe einge
richtere Werkitätte hatte, und als ein rußiges Ungeheuer
dargeftellt wurde, fo haben diefelbe auch die Kyklopen im
Aetna oder auf der Inſel Lipara ). Auf diefer Inſel hau—
fen fie, nach den Vorftellangen der Spätern, als Rieſen,
weldye an Größe dem Gebirge Deta gleichen; ihr einziges
Auge ift fo groß, wie ein Schild”), den vier Rinderhaͤute
bedecken; und es glänzt ſchrecklich auf ihrer Stirne; Die
47) Hesiod. Theog. 444 sqq.
48) Callimach. 1. ce.
19) Hesiod. Theog. 506 sqq. Apollodor. I, 2, 1.
20) Callimach. 1. c. et Interpretes.
31) Solche DVergrößerungen dürfen uns nicht auffallen. Es
war natürlich, daß, je großer man fich die Niefen dachte, defto
größer auch ihr Auge werden mußte,
Vorhalle zur Griechischen Gefchichte, U. 21
322
Bruft iſt mit Zotten bedeckt; ihr Schlagen des Amboßes
ift Donner, ihr Treten des Blafebalges Sturm, der Aetna
frachet davon, Trinafria, Stalien und Korfifa dröhnen?),
Sobald man die Kyflopen als Gefährten des Zeus
fi) dachte, mußten fie diefem die Blige verfertigen. In
der alten Sage ftanden fie gewiß mit Hephaͤſtos und Poly
phemos in einer engern Beziehung. Der Sonnengott ift
fhaffender Gott; das Schaffen drückte der Mythos bei der
Mondgöttin durch Spinnen und Weben, bei dem Sonnen-
gotte durch Bauen, Ordnen und durch das Herporbringen
alfer Fünftlichen Gegenftande aus. Aus diefem Grunde
verfertigt Hephaͤſtos alle Geräthichaften, zu deren Vollendung
das Feuer noͤthig ift, wahrend Kadmos, Trophonios und
Paris mehr als Baumeifter erfcheinen. Wir fehen auch
hier wieter unfere Vermuthung befiatigt, daß eine und
diefelbe Idee nicht an allen Orten und nicht zu allen
Zeiten durd) ein und dasfelbe Symbol ausgedrückt wurde.
Sp waren alfo die.Kyflopen nach einer Sage Baumeifter,
nach einer andern Künftler und Schmiede, und derjenige,
welcher deßhalb die Lykiſchen und Siciliſchen Kyklo—
pen fuͤr verſchiedene Weſen haͤlt, handelt vielleicht eben ſo
vorſchnell, wie jene, welche glauben, daß Kadmos, Tropho—
nios und Hephaͤſtos ſchon urſpruͤnglich verſchiedene Goͤtter
geweſen ſeyen, waͤhrend ſie doch ein und derſelbe Gott
waren, welcher an verſchiedenen Orten verſchiedene Pradi-
Fate hatte, aus denen allmahlig befondere Götter hervor-
gingen, welche unter dem Cinfluffe vieler und verſchiedener
22) Virgil. Aen. VIII, 416 sgg-
323
Verhältniffe allerdings hoͤchſt eigenthümliche Charaktere er-
hielten. Wenn felbft Apollon als ſchaffender Gott Städte
gränder ift, wenn Trophonios und Aganıcdes Tempel und
Schußhäufer bauen, wenn Paris ſich felbit einen Pallaft
errichtet, follen wir uns wundern, daß in der Kyklopen;
Sage die ſchaffende Wirkſamkeit des Sonnengottes fo ſinn⸗
lich ausgedrückt ift, und die Kyflopen, wie gewöhnliche Baus
fünftler, Gebäude und Mauern aufführen)? Wenn Her
phaftos als fchaffender Gott, wie ein gewöhnlicher Feuers
fünftler, arbeitet, und alle Stoffe und Geraͤthſchaften noth—
wendig hat, um Kunftwerfe ins Dafeyn zu rufen, foll es
ung befremden, daß auch die Kyklopen Eſſe und Amboß
zu ihren Arbeiten haben, und daß, ald man die Sage von
ihrer Größe, die ehedem fombolifche Bedeutung hatte, buch—
ftablidy auffaßte, man fagte, ihr Schlagen des Amboßes
fey Donner?
Sonderbar möchte es fcheinen, warum fie, da fie als
Gefährten des Sonnengottes, nur ein fombolifches Daſeyn
hatten, und alle Vorzüge, welche denfelben nad) einer alten
Sage zierten, in ſich vereinigten, alfo bligten und donnerten,
wie er, die Blige felbjt verfertigen, warum fich aber Zeus,
welcher ſich in der fpatern Sage allein als Donnergott?)
25) Schol. Euripid. Orest. 966.
24) Da aber Zeus nicht allein Gott des Blißes war, daß er
nur als Sonnengott als Blisfchleuderer gedacht wurde, bewei-
fet die alte Sage, dab auh Athene die Schlüffel des Haufes
weiß (Welder, Trilog. S. 279), worin der Blitz verfiegelt liegt.
ef. Aeschyl. Eumenid. 825. Darum ward fie zAndouyos
genannt, Aristoph. Thesm. 1142 und unter diefem Namen
von Phidias gebildet. Das Schlüffelamt der Götter, bemerft
21”
321
im Volksglauben behauptete, die Blige nicht verfertigt ? Wir
erwiedern, daß es denjenigen, welcher erwägt, wie ſinnlich
die Griechen alle Erfcheinungen ausdrücdten, nicht befremden
fann, daß fi die Kyklopen ihre Blige felbft verfertigen.
Warum follte man in einer Zeit, welche die Sonne für eine
Feuerkugel oder für ein feuriges Rad hielt, die Blige nicht
mit feurigen Keulen vergleichen, und diefelben aus irdischen
Stoffen verfertigen laffen, wie man felbft die Aegis erft
durch die Kunft des Hephaftos ins Dafeyn gerufen werden
ließ? Der Sonnengott fchmiedete diefelben als Feuerfünftler,
und feine Gefährten unterftüßten ihn bei diefer Arbeit, welde
man aber bei der buchftäblihen Auffaffung derfelben wegen
ihrer Schwierigfeit bald den Gefährten allein überließ. Zeus
konnte ald Beherrſcher des Olympos ſchon auf Feinen Fall
fich fo weit herablaffen, daß er an dem Schmiedehandwerf
der Kyklopen hätte Untheil nehmen vürfen. Sobald er nad)
der hohen Stellung, welche er als König der Götter und Ber
herrfcber des Olympos einnahm, allein das Recht und die
Melcer, bezeichnet immer ihre Natur. Auf Münzen des
Domitian halt Pallas den Blitz. Wie follte Pallas als Mond-
göttin den Blitz haben, hätte Zeus denfelben urſpruͤnglich
allein gehabt? Wenn man aber bedenkt, daß der Mond
nah den Vorftellungen der Alten Feuer ift, wie die Sonne,
fo wird man recht wohl einfehen, warum Vallas diefen Vorzug
hat, und fich überzeugen, dab Zeus eben jo gut Sonnengott
gewefen ſeyn muͤſſe, wenn er den Blitz fchleudern wollte, als
fie Mondgöttin war, Wie aber die Aegis außer Zeus und
Yalas auch Apollon und Achilleus Haben, fo dürften
auch alle Sonnengötter in den alteften Sagen die Gewalt
gehabt haben, zu blißen; diefe mußte aber fehr beſchraͤnkt
und allmahlig ganz aufgehoben werden, fobald man den Zeus
als Götterfönig und Herrfher des Olympos verehrte.
325
Gewalt, zu bligen und zu donnern befam, wurden die Kyflo-
pen, welche früher mit Hephaftos und Polyphemos in einer
viel nahern Beziehung gejtanden hatten, bloß als Feuerarbei—
ter des Götterfünigs betrachtet, und der Sinn der auf fie
bezuͤglichen Sagen ging allmählig verloren.
Wie man nach einer Sage, welche das Schaffen des
Sonnengottes durch das Hervorbringen verfchiedener Kunft:
gegenftande ausdrüdte, dem Hephaftos alle Kunftwerfe von
ungewöhnlicher Art beilegte, und deßhalb auch die Blige als
Arbeiten feiner Gefährten anfah, fo mußten nach der andern
Sage auch die Niefenwerfe der Baufunft®), welche in der
Urzeit der Griechen aufgeführt wurden, für Werke der Ky—
klopen erklärt werden... Dürften wir eine VBermuthung wagen,
fo würden wir die Entftehung diefer Sage uns auf folgende
Weiſe erklären. Der Sonnengott ift als ſchaffendes Weſen
auch Baufünftler, wie Trophonios, Agamedes und Paris,
und in fo ferne die Kyklopen die Eigenfchaften und Fertig:
feiten desfelben befigen, müffen auch fie nad) die ſer Aus
drucksweife Baufünftler feyn. Den Namen Kyklopiiche Ges
baude dürften anfaͤnglich nur dierunden, unterirdifchen Schaßs
häaufer getragen baden und zwar wegen ihrer Öeftalt.
Allein allmahlig ſcheint man denfelben auf alle Gebäude auss
gedehnt zu haben, welche in ähnlihem Style erbaut waren,
und da die Kyflopen als Künftler und Baumeiſter gefeiert
waren, fo Scheint e8 uns fehr natürli, daß man denfelben
25) Selbft ganze Städte, wie Argos und Mykene, heißen Ky—
Flopifcher Hande Werk. ef. Eurip. Hercul. Fur. 15. Electr.,
1458. Iphigen. Aulid. 152. 554. 1501. Schol. Euripid.
Orest. 966. Plin. Hist, N. VII, 56:
326
wegen des Namens, den jene Gebäude trugen, die Aufführung
derfelben beilegte.
Es darf und nicht befremden, daß man die Kyklopen
in der fpätern Zeit, welche die Sage buchſtaͤblich auffaßte,
Erfinder des Eiſenſchmiedens nannte”), aber fonderbar ift
es, wenn neuere Forfcher die Anficht hegen, fie hatten Werk;
zeuge gefchmiedet, durch welche zuerft große Steinblöde gez
brochen, behauen und regelmaßigere Mauern gebaut werden
fonnten. Eben fo auffallend ift es, daß man die Schilderung,
welche Homeros”) von ihnen macht, buchftablich auffaßt,
und in ihnen die Urbewohner Siciliens erkennt, weldye fo roh
gewefen feyn follen, daß fie ein ganz geſetzloſes Leben führten,
und in Grotten, wie Milde, fih aufhielten, Wir haben
fhon bemerkt, daß die Kyklopen, welche ihr Dafeyn dem
Sonnengotte zu verdanken hatten, alle Eigenthümlichkeiten
desfelben in fich vereinigten. Polyphemos hält ſich in einer
Grotte auf; deßhalb haufen auch alle Kyfloyen in Grotten.
Polyphemos beſitzt als Sonnengott Heerden, wie Helios.
Auch die Kyklopen haben Heerden. Die Heerden des Son;
nengottes hatten aber früher eine ſymboliſche Bedeutung.
Allein ſchon Homeros unterſcheidet diefelben nicht mehr von
gewöhnlichen Heerden, und läßt den Apollon, wie einen ge
meinen Hirten, die Heerden des Adinetos und Laomedon
hüten, obſchon diefes Weiden ebenfalls ſymboliſche Bedeutung
hatte. Deßhalb darf es uns nicht befremden, wenn man
die Heerden der Kyklopen für gewöhnliche hielt, und die
Eigenthümer als Hirten betrachtete. Die verkehrte Auffafs
26) Plin. VII, 56.
27) Odyss. IX, 406 sqg.
327
fung der Sagen von ihrer Größe und ihrem Aufenthalte in
Höhlen ſcheint Veranlaffung gegeben zu haben, daß man fie
für Troglodyten und frohe Nomaden erklärte, welche ein ge
| felofes Leben führten, Der Tod der Gefährten des Odyſ—
ſeus hatte, wie jener des Odyffeus felbft, ſymboliſche Bedeu
tung, und.bezog fich auf den Untergang der Sonne im fernen
Meften?). Bei der buchftäblichen Auffaffung des Streites
des Odyſſeus mit Volyphemos, welcher urfprünglid) eine
ſymboliſche Bedeutung hatte, wie jener des Apollon oder Ly⸗
furgos und Dionyfos, mußte man den Polyphemos als Urs
heber des Todes vieler Gefährten des Odyſſeus anfehen,
und diefen am Ende Menfchenfleifch verzehren laſſen“). Wie
hätte man den Kyklopen bei diefen Umftänden mehr gefegliche
Einrichtungen und Sinn für Recht und Billigkeit beilegen
koͤnnen? Sie mußten den Griechen der fpatern Zeit als Men-
fchenfreffer und Ungeheuer erſcheinen. Der Sanger der Odyf-
fee fagt aber ausdrädlich ), daß ihr Land Alles ohne alle
28) Den Odyſſeus konnte die Sage, melde ihn als König von
Ithaka faßte, und feine Heimkehr für eine gefchichtlihe That-
fache hielt, natürlich hier den Tod nicht finden laffen. Hatten
wir alle alten Mythen und Lieder, fo würden wir ficher in
denfelben lefen, daß auch er im fernen Werten feine Laufbahn
endigte.
29) Ließ doch die Sage felbit den Hermes Verlangen nach dem
Fleifche der Rinder des Apollon in fich tragen, und Rinder
diefes Gottes verzehren; follen wir uns wundern, daß auch
Polyphemos einige der Gefährten des Odyſſeus tödtet, um fich
mit ihrem Fleiſche zu fattigen ?
30) Odyss. IX, 4107 sqq. Wenn man bedenkt, daß fie nach
Homeros an der Weftfeite Siciliens, nahe an der Einftrö-
mung des Dfeanos und den nichtlihen Kimmeriern im Me:
jten der Erde wohnen, fo fieht man wohl ein, mel?’ eine
328
Anftrengung von ihrer Seite hervorgebracht habe, Ers
innert uns diefe Stelle nicht an das herrliche Leben, wel:
ches die Bewohner Elyſions haben, und aud) die Phaͤaken
führen? Hatte die irrige Auffaffung der Geftalt und Größe
der Kyklopen, ihrer Aufenthalts-DOrte, ihrer Beichaftigung
und des fombolifchen Todes der Gefährten des Odyſſeus
nicht zu fo argen Mißverftändniffen und Entftellungen der
fie betreffenden Mythen Veranlaffung gegeben, fo würden
wir fie in der nämlichen Lage und in denfelben Verhaͤlt—
niffen antreffen, unter welchen die Phaafen leben. Denn
jenes Land, wo der Sonnengott lebt, bringt Alles von
felbft hervor, und feine Bewohner find die frömmften Men-
fhen, die das glüdlichfte Dafeyn genießen). Allein den
nahe Beziehung fie zu den Phaͤaken und den Bewohnern Ely-
fiong hatten, ehe man die fie betreffenden Eagen irrig auffaßte.
31) Wir haben bisher fehon viele folhe mythiſche Voͤlkerſchaf—
ten fennen gelernt, aber bei jeder derfelben etwas Eigen:
thuͤmliches gefunden. Die Eigenthümlidkeiten,
wodurch fie fich von einander unterfcheiden, haben, obſchon
diefe Genien gleihe fnmbolifche Bedeutung haben, ihren
Grund darin, daß der Sonnengott an verfchiedenen Orten
wegen verfhiedener Merkmale feiner Macht verehrt
wurde, und in fo ferne auch allmählig an jedem Orte einen
eigenthümlichen Gharafter erhielt, fo daß auch die Cha:
raftere derjenigen Weſen, welche in feiner Heimath wohnen,
in verfchiedenen Xofal- Sagen fich fehr verfchteden geftalten
mußten. Welch' ein Unterichied ift 3. DB. zwiſchen den Hyper—
boreern und den Kyklopen, die doch der Idee nach auf eine
‚und diefelbe Sache fich bezogen! Allein wie groß ift der Unter:
ſchied zwifhen Apollon und Hephäftos, melde auch in
der Urzeit ein und derfelbe Gott waren! Mit Apollon jtanden
die Hpperboreer, mit Hephäftos und Polyphemos die Kyklopen
in Berbindung: hieraus erflärt ſich ihre Verfchiedenheit!
329
Kyklopen, die man bald von gewöhnlichen Schmieden nicht
mehr unterfchied, Fonnte man ein fo feliges Leben nicht ein-
räumen, und ftatt fie ald Mufter der Frömmigkeit zu prei—
fen, mußte man fie unter den eben bezeichneten Umftänden
bald für Ungeheuer halten. Es beftätigt ſich auch hier die
Mahrheit unferer fchon oft ausgefprochenen Behauptung,
daß die Griehifhen Mythen durch nichts mehr entftellt
wurden, als durch die buchftäbliche Auffaffung.
Wir wollen nach diefen Erörterungen unfere Anficht
über den Tod der Kyklopen, der durch Apollon veranlaßt
ward, und über ihre Wanderung außern. Der Tod der
Kyflopen durch Apollon dürfte mit dem Tode der Gefahr:
ten des Ddyffeus gleiche Bedeutung haben. Daß die Sage
den Untergang der Sonne durch den Tod fombolifch aus—
drücte, haben wir fchon oft bemerkt. Wenn nun die Ges
fahrten des Odyſſeus nur eine fombolifhe Bedeutung hat-
ten, wie die Kyflopen, und alle Eigenthümlichkeiten desjeni—
gen Weſens in fich vereinigten, welde die Götter aus—
zeichneten, mit denen fie verbunden waren, fo mußten fie
auch gleihe Schidfale mit diefen haben, fie mußten,
wie diefe, fterben. Ein Theil der Gefährten des Odyſſeus
findet den Tod in den Wellen, andere werden vom Poly:
phemos in feiner Höhle getodtet. Die Sonne verſchwindet
im- Meere, und in fo ferne der fombolifche Tod des Son:
nengottes fih auf den Untergang diefes Geftirnes bezieht,
kann fehr wohl ein Theil der Gefährten des Odyſſeus in
den Wogen umfommen. Auf die Veranlaffung, welche den
Untergang derfelben herbei führte, koͤnnen wir Fein großes
Gewicht legen, Man fuchte natürlich, fobald man dies
330
felben für Menfchen hielt, einen Grund ihres Todes anzu:
führen, und glaubte diefen in der Schlachtung der Sen-
nenrinder zu finden, welde anfänglich) dem Odyſſeus nicht
minder zugehörten, ale dem Helios felbft. Ein anderer
Theil der Gefährten des Ddyffeus ender fein Leben in der
Grotte des Polyphemos. Sn einer Grotte liegt nach den
alten Vorftellungen der Sonnengott, bis er in der Frühe
wieder erwacht, oder. er befindet fich in Grabe, bie er fich
aus demfelben am Morgen des andern Tages wieder er-
hebt. Warum follen alfo nicht aud) die Gefährten desfel-
ben in einer Örotte ihren Tod finden, und dort todt liegen,
bis die Sonne wieder emporfteigt?
Sobald man aber die Genoffen des Odyſſeus für Men:
fhen und den Polyphemos für ein Ungeheuer hielt, mußte
nicht bloß die Art und Weiſe ihres Todes eine fonderbare
Geſtalt erhalten, fondern fie Fonnten auch am andern Tage
nicht mehr erwachen, nachdem man fich vorftellte, Poly:
phemos habe fie verzehrt. Auf gleiche Weiſe dürfte auch
der Tod der Kyflopen, weiche, in fo ferne die Sonne aus
dem Meere emporzufteigen fcheint, Söhne des Poſeidon
biegen, wie Polyphemos felbft, eine ſymboliſche Bedeutung
gehabt, und fich auf den Untergang der Sonne bezogen
haben. Wenn die Sage meldet, fie feyen durch Apollon’s
Geſchoſſe umgekommen, fo moͤchte ſich dieß aus einem
Kampfe, welchen ſie vielleicht in alten Sagen mit Apollon
beſtanden, am einfachſten erklaͤern. So gut des Odyſſeus
Gefaͤhrten im Kampfe mit dem Kyklopen erſcheinen, eben
ſo gut konnte in alten Sagen auch Apollon im Kampfe
mit den Kyklopen dargeſtellt werden. Dieſer Kampf mußte
331
aber, fobald man den Tod der Kyklopen buchſtaͤblich nahm,
und die Veranlaffung desfelben nicht mehr Fannte, natürlich
mit dem Tode der einen oder der andern Fampfenden Partei
endigen, und es war fehr natürlic), daß diejenige untergehen
mußte, welche durch Veränderung der Verhältniffe ihrer frühern
göttlichen Natur entEleidet worden war. Es iſt aber auch mög-
lich, daß, weil man bie Urfache und Bedeutung des Todes
der Kyklopen nicht mehr verftand, man zu den Gefchoffen des
Apollon, deren Wirkung befannt war, die Zuflucht nahm.
Die Wanderungen der Kyklopen erklären fih aus
den Wanderungen des Sonnengottes, dur) welche das
frühe Altertfum den Kreislauf der Sonne bezeichnete.
Sie wandern von Lykien nad) Argos, von einem Lichtlande
zum andern, wie Bellerophon von Argos nach Lykien zieht,
wie Helena von Sparta nah Troja fich begibt. Wenn
die Amazonen mit ihrer Königin wandern, weil fie zum
Weſen derfelben gehörten, warum follen nicht auch Die
Kyklopen, welche alle übrigen Eigenthümlichfeiten des Son-
nengottes als Künftlers an ſich haben, die Wanderung mit
ihm gemeinfam haben? Daß die Kyflopen von Lykien nach
- Argos ziehen, und auf der andern Seite wieder im fernen
Meften find, darf nicht befremden. Es find hier wieder
zwei verfchiedene Lokal-Sagen zu unterfcheiden, wie bei den
Wanderungen des Apollon. Mpollon wandert von den
Griechen nach dem Lande der Hpperboreer, er wandert
aber auch von Delphi nad) Lykien. Die Kyflopen wans
dern nach einer Sage von Lykien, wo fie im fernen Oſten
ihre Wohnung haben, nad) Argos, während fie ſich nach
einer andern im fernen Weſten aufhalten,
332
Sp wenig wir aus den Manderungen des Apollon zu
den Hyperboreern fchließen dürfen, daß die Kenntniß, welche
die Hpperboreer in der Muſik gehabt haben follen, auf die
Veredlung der Mufif der Hellenen einen -entfcheidenden
Einfluß ausgeübt habe, eben fo wenig kann man, wie
uns dünft, behaupten, daß man aus der angeführten Sage
folgern dürfe, daß dur) die Manderung der Kyflopen der
Einfluß, welchen die Kunft der Lykier auf jene der Argi-
ver hatte, angedeutet werde. Wenn der Eultus und bie
Kunft der Lykier mit dem Gultus Hellenifcher Gottheiten
und mit der Griechiſchen Kunft Aehnlichfeit hatte, fo er:
klaͤrt ſich dieſe Aehnlichkeit einzig aus dem Umftande, daß
die urfpröngliche Bevölferung Griechenlands mit jener von
Kleinafien ganz gleicher Abfunft war. Wer wird, um
nur ein Beifpiel anzuführen, daraus, daß Menelaos und
Helena bei dem Sidonifhen Könige Phaidimos und bei
jenem von Theben in Aegypten, bei Polybos, wohnen,
und ſehr gaftfreundlich behandelt werden, die Folgerung
ziehen wollen, daß Sparta feine Götter und Kunftfertig-
feiten von den Phöniciern und Aegyptiern erhalten habe?
Fünfundzwanzigftes Capitel.
Die Telchinen und Heliaden.
Die namliche Stelle, welche die Hyperboreer im Eul-
tus des Apollon, die Kyklopen im Cultus anderer Licht-
götter einnahmen, hatten im Cultus des Helios und in
andern Kofal-Sagen die Telchinen und die Heliaden,
333
Der Name Telhin oder Teldis war urfprünglich ein Praͤ—
difat, welches ſowohl der Sonnengott, als auch die Mond—
göttin trug. In Argos erfcheint ein alter König!) mit
dem Namen Telhin, welden die Sage einen Sohn des
Europs nennt, und der den Apis, König von Argos, tödtete.
Die Sieyonier hingegen machten den Teldin zum Vater
des Apis?). Mer erwägt, daß Apis und Epaphos ein
und dasſelbe Mefen waren, daß aber Epaphos ein
Sohn der Fo genannt wird, der dürfte fehr leicht einfehen,
dag der Vater des Apis von diefem nicht verfchieden ge—
weſen feyn Fonnte, fondern nur ein anderer Name des
Sonnengottes war, der bei der Verfnüpfung der einzelnen
Namen in der fpatern Zeit, welche fich unter jedem Namen
ein befonderes Mefen vorftellte, zum Water des Apis wurde,
aber eben fo gut auch ein Sohn desfelben heißen Fonnte.
Der Sohn der Mondgottin Jo kann dody wohl nur Son-
nengott geweſen feyn, wie Ares und Hephäftos, die Söhne
der Mondgdttin Hera, Sonnengdtter waren. Zu demfelben
Nefultate führt uns auch die andere Sage, weldye den Va—⸗
ter des Zelchin Europs nennt, Mir haben den Zeus fchon
durch eine Menge von Sagen als Sonnengott kennen ge
lernt, und auch ſchon bemerkt, warum Zeus nach unferer
Vermuthung Euryopa, der Meithinfchauende, hieß. Niemand
dürfte aber in Abrede ftellen, daß die Namen Europs und
Euryopa eine und diefelbe Bedeutung hatten, und Pradifate
eines und desfelben Öottesan verfchiedenen Drten waren,
Aus diefem Umftande dürfte es fich auch erflaren, warum
4)‘ Apollod. II, 1, 4.
2) Pausan. II, 5.
331
Apollon?) den Beinamen Telhin führte. Doch nicht bloß
der Sonnengott hat denfelben, fondern auch die Mondgöttin.
Hera trug denfelben in Kamiros, Hera und die Nymphen‘)
in Zalyfos und Pallas in Lindos hatten das naͤmliche Prädikat,
Warum aber der Sonnengott und die Mondgöttin dasfelbe
führten, ift fehr dunkel. Einige glauben’), der Name Tel-
hin beziehe fich auf das Schmelzen und Schmieden des Me:
talles, andere beziehen denfelben auf den Zauber, wodurch
der Name eine ungleich größere Ausdehnung gewinnt.
Dom Sonnengotte und der Mondgöttin, den Göttern
des Kichtes, geht alles Wiffen, und in fo ferne das Licht alle
Keime hervorlodt und als ſchaffendes Element verehrt wurde,
alle Kunftfertigfeit aus. Das Wiffen und die höchfte Kunft-
fertigfeit erfcheinen Menfchen, welche noch auf einer niedris
gen Stufe der Eultur ftehen, ganz zauberhaft. Der Zauber;
ftab, welchen der Sonnengott Hermes hat, und womit er
aller Menfhen Augen fchliegen, und fie ihnen nach Belieben
öffnen kann, ift eben fo befannt, als die Zauberfraft der
Pallas, der Kirke, der Medeia und anderer Mondgoͤttinen.
Haben num die Zelchinen eine fo innige Beziehung auf
die Kichtgötter, wie dieß bei den Kyflopen der Fall ift, war
der Name Telchin urfprünglicy ein Pradıfat des Sonnengot—
tes und der Mondgöttin, fo dürfen wir uns nicht wundern,
daß fie die Vorzüge und Fertigkeiten diefer Götter haben,
und eben fo fehr als Zauberer, wie als Künftler gefeiert was
3) Melder, Trilog. ©. 184.
4) Melder, 1. c.
5) Ehwend, ©. 174. Welder, Trilog. 186. not. 280. Pas-
sow, s. v. reAyi» entfcheidet fich für unfere Anficht,
335
ren. Die Wirkungen des Zaubers wurden durch verfchiedene
Dinge ſymboliſch bezeichnet). Man erzählte, daß fie ihre
Geſtalt verwandelten, daß fie die Stürme ftillten, daß fie
Wolfen und Regen, Hagel und Schnee heranzogen, daß fie
die Pflanzen vertrodneten, fie zum DVerderben für Thiere und
Menfhen mit Schwefel und Styrwaifer befprengten, und
daß fie durch den bloßen Anblick böfen Zauber zu üben vers
mochten.
Alles, was die Telhinen nach diefer Angabe thun, vers
mögen die Lichtgoͤtter. Wie viele Geftalten nimmt nicht
Pallas an, welche Zünglinge zu Greifen und Greife zu Füngs
lingen umfhafft! Sie tragt die Aegis, auf welcher fich
Sturm und Wetter befinden, und warum foll fie, welche den
Blitz bat, wie der Sonnengott, nicht aud) Wolken und Res
gen heranziehen Fonnen, welche fich gewöhnlich einftellen,
wenn es bligt und donnert, weßhalb der bligende Zeus auch
zum Spender des Negens wurde? Wie Zeus die Erde durch
Negen erquickt, fo ftraft er fie auch ald Sonnengott mit
furchtbarer Dürre, und warum follen wir es fonderbar finden,
wenn auch die Telchinen Vflanzen vertrocknen, welchen fie
Gedeihen fchaffen follten? Soll es uns befremden, daß der
Sonnengott, von defjen Einfluffe das Gedeihen aller Ges
waͤchſe abhängt, auch als Urheber der fchadlichen Pflanzen
und Giftfrauter betrachtet wurde, da er nicht bloß Heil fpens
det, fondern auch Unglück verbreitet, und daß die Griechen,
welche nicht erklären Fonnten, warum einige Kräuter der
Geſundheit forderlib, andere derfelben hoͤchſt nachtheilig jenen,
6) Diod. V, 55. Strab. XIV, p. 654. Welder, ©. 137.
336
auf die Vermushung Famen , der Sonnengott habe diefelben
mit giftigem Waffer, mit Styx-Waſſer und mit Schwefel
befprenger ?
Mas der Sonnengott übet, das thun auch feine Genien
und Gefährten, die Telchinen. In ſo ferne ift es Flar, warum
auch die Diener der Mondgottin Adraftera’) in der Pho—
ronis ale Zauberer gefchildert wurden. Die höchfte Kraft des
Zaubers der Telchinen drücdten die Alten durch die fchöne
Sage aus, daß fie fchon durch den bloßen Anblic® böfen Zau—
ber zu üben vermochten®), wie fie den höchiten Grad der
Furcht und ihrer Folgen durch die Verfteinerung verfinnlichten.
Da nun die Telchinen dem Gultus des Sonnengottes
und der Mondgottin ihre Entftehung verdankten, und nur
ein ſymboliſches Dafeyn gehabt haben, wie das Ger
folge des Dionyfos, fo ift e8 natürlich nicht nothwendig, fie
zu vertheidigen, und der Anficht zu widerfprechen, als hatten
fie fo viel Unheil angeftifter. Wäre im Alterthume durch
Niemanden Unheil und Verderben geftifter worden, als durch
die Telchinen, fo wären die Menfchen glücklich gewefen. Die
Telchinen haben Feinem Sterblichen je das geringfte Ungemach
bereitet. Als man die ſchoͤne Sage, daß fie durch) den bloßen
Anblick böfen Zauber zu üben vermochten, buchitäblich auf-
faßte, mußte freilic die Anficht entftehen, daß fie feindfelig
und neidifch gewefen waren. Steſichoros nannte die Keren‘)
Zelchinen, wahrfcheinlich, in fo ferne fie, wie Hermes, durch
7) Welder, ©. 186.
8) Ovid. Metam. VIII, 565 et interpretes.
9) Welcker, Trilog. ©. 185.
337
feinen Zauberftab, den Kebensfaden mancher Menfchen in
der Blüthe der Jahre, wie durch einen Zauberjchlag, ver:
nichten.
Der Sonnengott ift als ſchaffendes Wefen auch Künft-
ler. Das Alterthum hat diefe Wirkſamkeit des Sonnen;
gottes auf eine fehr finnliche Weiſe durch die Verfertigung
verfchiedener Kunftgegenftäande von Seite des Sonnengottes
ausgedrückt, und wer den Hephaftos im feiner Werfftätte
betrachtet, wird fid) nicht wundern, dag auch die Telchinen
als Metallfünftler aufgeführt werden). Sobald man fie
für Menfchen anfah, und ihre Kunftferrigfeit nicht mehr in
ihrer ſymboliſchen Bedeutung auffaßte, ließ man fie, wie
den Hephäftos, eine Menge von Gerathichaften verfertigen.
Sie machten, wie die Sage meldet, dem Kronos fein
Meffer '), dem Pofeidon den Dreizad, und aus ihren
Händen gingen die erften Götterbilder hervor. Hätte man
bedacht, daß die Sage von den Telchinen der Urzeit ans
gehört, daß aber in der Urzeit die Götterbilder aus Holz,
niht aus Metall beftanden, oder unförmliche Steingebilde
waren, wie man ſchon aus Pauſanias hinlaͤnglich erfehen
fann, fo würde man wohl die fombolifhe Bedeutung ihrer
Kunftübung eingefehen, und nie die Vermuthung ausge—
iprochen haben, daß die Telchinen ihren Götterbildern durch
allerlei Aberglauben, womit fie diefelben umgaben, ein höhe:
res Anſehen zu verfhaffen, und ihre Kunft in den Kreis
der Magie zu ziehen gefucht haben.
10) Strabon, XIV, p. 654.
41) Callimach. Hymn. in Del. 51.
Vorhalle zur Griechifhen Gefhichte. II. - 22
338
Mir Fonnen daher auch die Angabe des Divdoros '?),
dag fie neidisch in Mittheilung der Künfte gewefen, nur
als Mißverftandniß betrachten, und uns nicht überzeugen,
daß ſich diefelbe auf Beobachtung eines firengen Kunft-
geheimniffes in Werbindung mit befondern heiligen Ge—
brauchen beziehe. Waren die Telchinen nur Gefhöpfe einer
ſymboliſchen Ausdrucsmweife, fo koͤnnen fie weder Künfte
auf eine mechanische MWeife geübt, noch Kunftneid befeffen
haben, Die Griechen der fpatern Zeit haben fie freilich
von gemeinen Erzfchmieden und Eifenarbeitern nicht unter:
ſchieden 8).
Ihre Wanderungen dürften, wie jene des Sonnen;
gottes, eine fymbolifche Bedeutung gehabt, und ſich auf den
Kreislauf der Sonne bezogen haben, wie jene der Kyflopen,
mit welchen fie auch in Verbindung gebracht wurden. Die
Sage von ihrem Tode ift fehr bedeutungspol. Sie follen
ihren Tod im Meere gefunden haben‘), wie dieß auch bei
einem Theile der Gefährten des Odyſſeus der Fall ift, und
da wir unfere Vermuthung über den Inhalt diefes Mythos
ihon ausgefprochen haben, fo tft es nicht nöthig, hierauf
eine abermalige Darlegung unferer Anficht einzugehen,
Wir begnügen uns, zu bemerken, daß der Umftand nicht
überfehen werden dürfe, daß fie Söhne des Pofeidon hei—
Ben’), wie die Kyflopen, daß fie mit der Kapheira den
12) V, 55.
43) Catull. 66. 48. Stat. Theb. II, 274. Sylv. IV, 6, 47.
ef. Valcken. ad Callim. Eleg. p. 145 sq.
44) Ovid. Metam. VIII, 365.
45) Diod. V, 55. Nonn. XIV, 410. XXVN, 107. Lobeck
de bell. Eleusin. I. p. 15.
339
Poſeidon felbft erziehen, und daß Halia Leufothea ihnen
zur Schwefter gegeben wird. Ihre Mutter war nach einer
Angabe TIhalaffa “), das Mer. Sie find Söhne des
Meeres, in fo ferne fich die Sonne aus dem Meere erhebt,
und finden ihren Tod in den Mogen desfelben, in fo ferne
fie nach den Vorftellungen der Alten im Meere verjchwindet.
Die ſymboliſche Bedeutung ihres Todes laßt ſich auch aus
der Sicyonifhen Sage abnehmen”), im welcher fie ale
Driefter des Apis oder des Epaphos erfcheinen. Der Tod
des Apis oder Epaphos hatte diefelbe Bedeutung, wie jener
des Zagreus. Die Wahrheit diefer Behauptung dürfte
ihon aus der Angabe erhellen, dag Epaphos der vierte
Dionyfos heißt. Mas die Telchinen thun, das erlitten
fie felbft. Während cine Sage den Untergang der Sonne
durh den Tod, welden die Telchinen im Meere finden,
verfinnlichte, drückte die Sieyoniſche Sage dieß durch das
Zerreißen aus, wie ja auch ein Theil der Gefährten des
Odyſſeus denfelben Tod erleidet. Gewöhnlich erfcheinen die
Götter) felbft ald Begründer derjenigen Gebräuche, welche
mit ihrem Cultus verbunden waren, wie fich dieſes befon-
ders in dem Sagenfreife des Athamas ausjpricht, und was
war natürlicher, ald daß man die Telchinen, ald man ihre
46) Diod. 1. c.
17) Welder, ©. 190.
18) Creuzer, Spmbol. I, 15. Wie koͤnnte die Kapheira, die
Lemniſche Kabiro, welche als Mondgöttin Tochter des Proteug
heißt, mit den Telchinen in fo naher Beziehung ſtehen (Wels
der, Trilog. S. 189, wenn fie nicht alle Vorzüge und Schid«
fale des Sonnengottes theilten?
I. Aa
340
Beziehung zum Apis nicht mehr verftand, welcher ehedem
ſelbſt Telchin“) war, die Sühngebräuche verrichten ließ,
während fie vielleicht in der alten Sage dasfelbe erduldeten,
was dem Cpaphos begegnete.
Es bleibt uns noch übrig, über den Wohnort der
Telhinen die wichtigften Angaben in Kürze anzuführen.
Die größte Rolle fpielen fie auf der Inſel Rhodos”).
Auch in den Idaͤiſchen Höhlen”), in Lykien“), auf der
Inſel Kypros, auf Kreta”), in Sikyon”) und Böotien”)
erfcheinen fie. Wenn aber die Chalyber ale Telchinen dar;
geftellt werden *), fo beruht diefe Sage bloß auf der irrigen
Auffaffung der Befchäftigung der Telchinen. Die Inſel
Kypros und Lykien haben wir ſchon in vielen Sagen als
Heimat des Sonnengottes Fennen gelernt, fo daß wir uns
nicht wundern dürfen, daß, wo der Sonnengott wohnt,
auch die Telchinen, welche mir ihm fo innig verknüpft find,
fich aufhalten. Ob im diefem Mythos Böotien und Kreta,
wie in der Sage der Europa, als die zwei entgegengefeß-
ten Grenzen, als Oft und Welt, zu betrachten jeyen, fo
daß alfo die Telhinen im Often und Weſten arbeiten, wie
19) Nach ihrer Sage (Pausan. Il, 5) war Teldin Vater des
Apis. Water und Eohn Fönnen in der Griechiſchen Mytho—
logie nur aus verfchiedenen Pradifaten eines und desjelben
Mefens hervorgegangen ſeyn.
20) Pind. Ol. VI, 98 sqq. et Schol.
34) Stat. Sylv. IV, 6, 47.
22) Diod. V, 56. Hesych. s. v. Avzes. Nonn. XIV, 39.
23) Etymol, Magn. s. v. Teiyiv.
24) Sikyon fol ehedem Zelchinia geheißen haben.
25) Pausan. IX, 19, 1.
26) Catull. 66, 48. Valcken. ad Callimach. Eleg. p. 145 sg.
341
der Sonnengott an beiden Orten verweilt, wagen wır nıcht
zu entfcheiden. Es ift fehr natuͤrlich, daß fie in Boͤotien
wegen der Athena Telchinia erwähnt werden, wie in Sikyon
wegen des Apis, welcher auch Telchin hieß, und bet den Ur-
einmohnern diefes Landes ald Sonnengott verehrt ward. Es
ift auch möglich, daß fie nad) Kreta durch Verwechslung mit
den Kureten verfeßt wurden. Die Sagen über ihren Aufent>
halt find zu verwickelt, als daß fie ſich auf eine befriedigende
Weiſe entwirren ließen. So viel fcheint uns aber (was zum
Verftändniffe der fie betreffenden Mythen vollfommen genügt)
feinem gegründeten Zweifel unterworfen, daß fie, wie die
Aethiopen oder Amazonen, im fernen Often wohnen, wo ſich
die Sonne erhebt, daß man fie aber auch nad) allen denjeni—
gen Orten verfeßte, wo der Sonnengott oder die Mondgottin
als Telchis oder Telchinia verehrt wurde, und daß man die
Sagen von der ſymboliſchen Wanderung benüßgte, um ihr
Auftreten an fo vielen und von einander entlegenen Orten zu
erklären, und glaubte, fie feyen von dem einen an den au-
dern gewandert. Sie verfchwinden, ohne daß wir wiffen,
wohin fie Famen, wie die Amazonen, Phaafen und Kyklopen,
weil fte Fein hiftorifches Dafeyn hatten.
Ueber die Zahl der Telchinen läßt fich bei dem Mangel
an Nachrichten nichts jagen, Wenn in einigen Mythen
drei erfcheinen, fo hat diefe Zahl die namliche Bedeutung,
welche die Dreizahl der Kyklopen zu haben feheint. Gewoͤhn—
lich aber erfcheinen fie in großer Menge, und wie die Kyklo—
pen, als eine befondere Völferfchaft. Die Meinung, daß
die Telchinen für die Kunft viel geleiftet haben, Tonnen wir
nicht eheilen. Wie foll ein Volk, welchesnur ein fombolifches
342
Daſeyn hat, deffen ganze Wirkfamfeit, wie jene des Hephaͤ—
ſtos, nur der fombolifchen Ausdrucksweiſe angehört, für
Kunft befonders erfolgreich gewirft haben ? ee Be
Sp wenig wir dieß von den Teldhinen glauben, ebenfo
wenig glauben wir es von den Heliaden, welche
nah ihnen auf der Zufel Rhodos eine fo große Rolle
fpielen. Ihnen ift es, wie Pindaros”) erzählt, nach dem
Rathe ihres Vaters, des Helios, gelungen, von allen Men;
ſchen zuerft der Athene, gleich als fie aus dem Haupte des
Zeus entfprungen war, einen Altar zu errichten, weßhalb fie
von Zeus und feiner neugebornen Tochter auf eine ausnehmende
Meife gefegnet wurden. Pallas felbft lehrte fie alle Künfte,
und die Heliaden fchufen Werfe von ſolcher Vollendung, daß
ſie lebenden glichen. Nach Pindaros waren alſo die Heliaden
ein ganzes Volk, wie die Telchinen, und in Kuͤnſten eben ſo
oder noch mehr geübt, als dieſe, und aus dem naͤmlichen
Grunde. Sie hatten, wie fhon ihr Name verbürgt, der
Verehrung des Sonnengottes”) auf dem Cilande ihre Ent:
ftehung zu verdanken, und in fo ferne diefer fchaffender Gott
ift, find fie vollendete Künftler. Die höchfte Kunftfertigkeit
drückte der Mythos durch die Angabe aus, daß ihre Gebilde
zu leben und zu wandeln fchienen. Dürften wir diefe Nach:
richten als gefchichtliche Thatſachen auffaffen, fo wäre es
ratbfelhaft, wie die Griechiſche Kunft nicht fhon in der heroi-
fchen Zeit den höchften Grad von Vollendung erreichte, nach⸗
dem ſchon in der Urzeit die groͤßten Meiſter auftraten!
27) Pind. Olymp. VII, 59 sqgq-
28) Ueber den Gultus des Helios auf Rhod. ef. Heffter, Rhod.
Götterdienfte, IH, 1 sqq.
343
Allein die Heliaden gehören der Mythologie, nicht der
Geſchichte an, und in fo ferne alles, was von Göttern kommt
oder was Götter haben, vollendet in feiner Art if, müffen auch
die Bilder, welche die Sage unter den Händen der Heliaden
entftchen ließ, den höchiten Grad von Vollendung haben.
Mer bedenkt, daß der Name diefes mythifhen Volkes, wie
jenerder Kyklopen, von einem Praͤdikate der Sonne entlehnt ift,
der dürfte unfere Vermuthung, daß auc) die Namen Aethiops
und Phaar urfprünglich Pradifate des Sonnengottes waren,
nicht für grundlos halten.
Sonderbar Fünnte e8 aber vielen fcheinen, warum auf
Rhodos zwei folche mythifche Völferfchaften neben oder viel
mehr nach einander erfcheinen. Wir vermuthen, daß diefer
Umſtand aus dem Eultus zweier Kichtgötter erklärt werden
müffe. Die Telchinen fcheinen an den Namen der Athene
Telchinia, die Heliaden an jenen des Helios geknüpft zu feyn.
Dagegen Fünnte man freilich einwenden, daß dieſer Vermu—
thung fhon aus dem einfachen Grunde Fein Raum gegeben
werden dürfe, weil ja die Heltaden mit der Pallas, von der
fie ihre Kunftfertigfeit erlangten, in einer faft noch innigern
Beziehung fanden, als mit dem Helios felbft. Allein das
gegen ift zu erinnern, daß die Sage, die Heliaden hätten
ihre Gefchicklichfeit von der Pallas erhalten, ihre Ents
fiehung ohne Zweifel einzig dem Umftande zu verdanken
hatte, daß die Pallas in einer Menge von Mythen und
alten Gefangen als die größte Künftlerin gepriefen war,
während dieß bei Helios nicht der Fall war, wenigſtens
haben wir Feine alten Documente, welde diefe Behauptung
beftätigten. Helios ward, wie uns duͤnkt, ſchon frühzeitig
344
bloß als der die ganze Welt mit feinem Lichte erhellende
und erwarmende Gott”) verherrlicht. Allein die Heliaden
waren als Künftler gepriefen, in fo ferne die Alten durd)
die Kunftfertigfeit die fchaffende Kraft des Lichtes bezeich-
neten. Wie follten fie num zu ihrer Kunftfertigfeit gelangt
feyn? Diefe Frage Fonnte die Sage nur durd) die Annahme
erflären, daß fie die Pallas befonders geehrt, und ſich da—
durch jenen Vorzug erworben hatten, welcher fie vor an:
dern Menfchen auszeichnete.
Man kann aber auch vermuthen, daß die beiden
Sagen von den Heliaden und den Telchinen zwei ver:
fhiedenen DVölferfchaften angehören, welche im Laufe der
Zeit nach einander die Inſel Rhodos bewohnten. Denn
die Behauptung, daß dieſe Inſel in der Urzeit und dem
heroifchen Zeitalter nur von einem und demfelben Stamme
bewohnt wurde, und fich Feine Zweige anderer Völkerfchaf-
ten auf dem Eilande vor der Ankunft der Dorifchen Golo-
niften angebaut haben, widerfpricht allen Ueberlieferungen.
Wir fehen ſchon aus den Homerifchen Gefangen, daß Pe—
lasger fih vor dem Untergange Troja's auf Rhodos nie:
derließen, welche aber niemand für die alteften Bewohner
29) SHeffter, 1. e., bemerft ſehr richtig, daß der Sonnengott He:
lios hieß, alſo früher die göttlich verehrte Sonne diefen Na-
men trug, in fo ferne die Sonne Licht und Wärme gibt, und
leitet das Wortvondo ab, 1) ich hauche, 2) ich warme; „denn
das Ausftromen der Warme ift eine Art Hauch.“ Man fieht
leicht ein, daß bei dem Rhodiſchen Sonnengotte wegen diefer
Bedeutung des Namens die Kunftfertigkeit allmahlig in
den Hintergrund treten, und fchon in der heroifchen Zeit ganz
verſchwinden, dagegen fein wohlthätiger Einfluß auf Menfchen,
Thiere und Gemähfe um fo mehr hervorgehoben werden mußte,
345
der Infel halten wird, Mas aljo bei einem Wolfe die
Telchinen waren, das waren bei dem andern die Heliaden.
Wie die Zahl der Kyflopen nach einer Sage ſich auf
drei oder fieben beichränfte, wahrend fie nach einer andern
UÜcberlieferung für ein großes Volk gehalten wurden, fo er:
fcheinen auch die NHeliaden bald als Volk, bald in einer
fehr befchränften Zahl, weldye für ihre ſymboliſche Bedeu—
tung fehr nachdrüflicy fpricht. Nach einer Angabe waren
ihrer nur fieben, und alle fieben waren Söhne des He—
lios). Sie hießen Ochimos, Kerfaphos, Makar, Aktie,
Tenages, Triopas und Kandolos, und waren Brüder der
Eleftryone. Die fieben Söhne des Sonnengottes entftanden
aus Pradifaten, welde derfelbe ehedem felbft trug, und ihre
Zahl bezieht ſich, wie die fieben Saiten der Lyra, auf die
Tage der Woche. Der Name Aftis bedarf Feiner weitern
Erklaͤrung. Ueber die Namen Makar und Triopas haben
wir unfere Vermuthung ſchon ausgefprochen. Den Namen
Kerkaphos halt Welcker nicht ohne Grund mit Kerfaiog
für verwandt; die Wurzel desfelben wäre alſo z2oxos,
welches die Slammenfpite bedeutet’), fo daß die Be-
ziehung diefes Namens auf den Sonnengott fehr deutlich
hervortrate. Die übrigen Namen find uns dunkel, Die
Wanderung dieſer ſieben Heliaden erklärt ſich ebenfalls
aus den Wanderungen des Sonnengottes, wie ihre Ent:
ftehung und ihr Tod diejelbe ſymboliſche Bedeutung gehabt
haben dürfte, welche die Geburt und der Tod des Sonnen:
gortes felbft hatten. Daß Tenages von feinen eigenen Bruͤ—
30) Diod. V, 56.
31) Welder, Trilog, ©, 186 sq. not. 231,
346
bern ermordet wurde, darf nicht befremden, Wie wollte
ſich die fpätere Zeit, welche die Heliaden für Menfchen
hielt, die Wanderungen vderfelben erklären? Der fombolifche
Tod des Tenages ward als die Veranlaſſung derfelben be-
tradhtet, und fo mußte diefer durch feine eigenen Brüder
umfommen. Auch Fann cs nicht auffallen, dag nicht alle
ermordet werden, wenn man bedenkt, daß auc) nicht die
drei Gorgonen, fondern nur die Medufa fallt, und die
Gründe berückfichtigt, welche wir bei der Erklärung diefer
Sage angeführt haben.
Die Orte, an weldye die Mörder fliehen, find Lesbos,
Kos, Aegypten und Karien. Lesbos hieß in der älteften
Zeit Aethiopia. Hier hatte der Sonnengott nad) einer
Lofal-Sage feinen Wohnſitz. Daher treffen wir den Mafar
bier an. In einer andern Lofal-Sage erfcheint Karien als
die Heimath des Sonnengottes, was die Mythen von En—
dymion bemeifen. Daß auch Wegypten als Grenze der
Erde betrachtet, und der Pallaft des Sonnengottes dahin
verlegt wurde, laßt fich nicht bloß aus den Wanderungen
des Menelaos und der Helena, aus den Irren der Go,
fondern aud) aus einer Menge anderer Sagen abnehmen.
Sonderbar lauten die Sagen über die Entftehung
der Heliaden. Sie entiianden, als die Sonne die über:
flüffige Feuchtigkeit auf Rhodos austrocnete. Darf man
diefe Angabe nicht ganz als leere Sage verwerfen, fo müch-
ten wir fie nicht fo faft auf die Annahme”) der Alten
beziehen, die lebendigen Weſen wären durch die Sonnen;
32) Heffter, Rhodiſch. Götterd. III, 4.
317
wärme aus Schlamm gebildet worden, als vielmehr auf
die Vorftellung,, daß die Sonne aus dem Waſſer empor»
fteige, weßhalb man auch die Heltaden aus dem Waſſer
entftehen lic$®). Sobald man fie aber ald Menſchen anfab,
mochte dieß freilich fonderbar fcheinen, und die Vermuthung
fi geltend machen, fie feyen aus dem Schlamme des ab»
gelaufenen MWaffers hervorgegangen, wie aud) Dionyfos der
im Sumpfe Geborne heißt.
Wenn fie als Aftronomen und Schiffer erfcheinen, fo
erklärt fich dieg, wie die Befchaftigung der Phanfen, aus
dem Umftande, daß die Alten dem Sonnengotte einen Kahn
gaben, um ihm auf demfelben nach) dem Dften zurückkehren zu
laffen, und ihn deßhalb für den vortrefflichften Schiffer
hielten. Uebrigens kann auh, da das hohe Alter diefer
Sage nicht, wie jener von den Phaafen, durch einen tüch-
tigen Gewährsmann verbürgt ift, die Kenntniß und Erfahs
rung der Rhodier im Seewefen zur Entftehung der Erzaͤh⸗
lung von der Schiff-Fahrtsfunde der Heliaden Veranlaſſung
gegeben haben. Die ſymboliſche Bedeutung der fieben He—
laden laßt fi) auch aus den fieben Toͤchtern erfehen,
welche Klymene dem Helios”) gebar. Die Vierzehn Kins
der der Medeia dürften von demjenigen, welcher berüds
fichtigt, dag auch Helios vierzehn Kinder, fteben Knaben
und eben fo viele Töchter hat, wohl nicht mehr für ges
wöhnliche Kinder angefehen werden.
35) Diod, I, 40.
34) Andere nennen nur drei Töchter des Helios, Diefe Zahl be—
zieht fih dann auf die drei Mondphaſen.
343
Sehsundzwanzigftes Capitel.
Die Kureten und Korybanten.
„Die Kureten und Korybanten jind der MWortbedeutung
nach eins, und gehören zu derfelben Claffe‘); nur die Goͤt—
ter, welchen fie als Prieſter dienten, find verſchieden.“
Wir fiimmen hierin vollfommen mit unferem verehrten Leh—
rer überein. Nur möchten wir fie weder für Priefter hal-
ten, noch für die edelften Juͤnglinge der Inſel Kreta ers
klaͤren. Mollen wir die Bedeutung der Kureten?) Fennen
lernen, jo müffen wir vorerft die Götter betrachten, welche
diefen Namen trugen. In einem Orpbifchen Bere?) haben
die Titanen den Ehrentitel zovooı Ovoavriwveg. Die Ans
gabe des Proklos), daß Kronos und Rhea die erften Ku—
reten waren, möchte wohl Faum als gehaltlofe Erfindung
anzufehen feyn. Waren die Titanen zovgo. oder Kuretes
genannt worden, warum follen nicht auch Rhea und Kro-
nos, welche zu demfelben Gefchlechte gehören, warum follen
nicht auch ihr Sohn Zeus und ihre Tochter Hera Kureten,
200005 UNd xoVon Oder x00n genannt worden feyn, da auch)
die Demeter eine Tochter Kore) hat? Die Bedeutung
diefes Namens ift viel leichter zu ermitteln, als der Grund,
warum die Titanen, warum Kronos und Nhea und wahr:
1) Welder, Trilog. ©. 190.
2) Daß das Wort „Juͤnglinge“ bezeichnet, möchte faum in Zwei—
fel gezogen werden koͤnnen. Welcker, 1. e.
5) Orpb. fragm. VII, 40.
4) In Platon. Polit. ap. Meurs. Gr. Fer. p, 196.
5) cf. Schwend, ©. 165.
— —
—
349
fcheinlich auch ihre Kinder Hera und Zeus diefen Namen
geführt haben.
Mir vermuthen, daß fie denjelben wegen der FZugend
trugen, im welcher man den Sonnengott und die Mond-
goͤttin darftellte. Mir brauchen hier nicht zu erinnern, daß
Apollon und Dionyfog, welche beide in der Urzeit ald Son-
nengötter verehrt wurden, als Zünglinge in der Blüthe
förperlicher Kraft erfcheinen‘). So lange Kronos und Rhea
nur in fombolifcher Bedeutung als die Eltern der Hera
und des Zeus galten, und, wie diefe, als Sonne und Mond
verehrt wurden, Fonnten auch fie nicht anders gedacht wer:
den, als Apollon und Artemis erjchienen. Ihre Namen
waren nur verfchiedene Vradifate des Sonnengottes und
der Mondgöttin; aus den Praͤdikaten gingen fparer beſon—
dere Götter hervor, indem man fich unter jedem Namen
ein befonderes Weſen vorfiellte! Bei der genealogifchen Ver;
fnüpfung der verfchiedenen Weſen, welche auf diefe Meife
entftanden waren, wurden Rhea und Kronos die Eltern des
Zeus und der Hera‘), wie Zeus wiederum Vater des Apollon,
Hera Mutter des Ares und des Hephaftos und anderer Göt-
ter ward. Auch die Titanen dürften aus Beinamen des Sons
nengottes hervorgegangen feyn ’). Sobald man ſich Rhea
und Kronos im buchftäblicyen Sinne als die Eltern des Him—
mel3-Königs und der Himmels-Koͤnigin vorftellte, mußte es
freilich dunkel werden, warum fie zovgog und zovon hießen,
und diefe Epitheta ihren ſchoͤnen Sinn verlieren.
6) ef. C. O. Müller, Archaolog. der Kunft, ©. 461 sqgq-
7) Der Eonnengott heißt felbit Titan.
350
Es drangt fich ung hier zunachft die Frage auf, warum
fih das Altertum den Sonnengott als zovoos oder Füng-
ling, die Mondgöttin aber ald zovon, als Jungfrau, dachte?
Hieruͤber laffen fi zwei Vermuthungen ausfprechen, Die
Sonne wird nad) der bildlichen Ausdrucksweiſe des Altertfums
jeden Morgen geboren. Als ein blühender Juͤngling durchs
wandert alfo der Sonnengott den Himmelsraum. Es ift aber
auch möglich, daß die Anfiht, welche die Alten von der
Kraft der Sonne und des Mondes hatten, die Veranlaffung
gegeben haben dürfte, daß man Sonne und Mond als Juͤng—
ling und Sungfrau bezeichnete. Der Macht des Lichtes kann
nichtö widerftehen. Die Tochter des Zeus, die Mondgöttin
Pallas, hieß deßhalb die Unbezwingbare. Wir haben jchon
bemerkt, daß die Griechen deßhalb in der Urzeit dem Sonnen:
gotte Niefengröße gaben, um die Stärke des Lichtes zu vers
finnlihen. Allein der Schoͤnheits-⸗Siun der Griechen machte
feine Forderungen zu bald geltend, als daß fie in der heroi—
ſchen Zeit fi ihren Apollon, ihren Dionyfos hatten noch als
Niefen vorftellen koͤnnen. An die Stelle der Niefengeftalt
trat die Fülle der Zugendfraft. Der Sonnengott ers
ſchien als Züngling in der Vollfraft der Fahre, die Mondgot-
tin als Zungfrau in der höchften Blüthe Förperlicher Kraft.
Vergleichen wir die verfchiedenen Angaben über die Abs
ſtammung der Kureten, fo gelangen wir zu denfelben Refuls
taten, daß nämlich die Kureten aus den Praͤdikaten, welche
Sonne und Mond als Juͤngling und Jungfrau führten, her⸗
vorgingen, daß fie urfprünglicy Genien des Sonnengottes
waren, wiedie Satyren, und daß fie erft allmahlig als befon-
dere Weſen, als Priefter oder eine ganze Voͤlkerſchaft betrachtet
351
wurden. Sie find nad) NHefiodog‘) Söhne des Hekataͤos
und der Tochter des Phoroneus. Welcker's Vermuthung,
daß der Name Hefataos von Apollon abftrahirt fen, d. $.
aljo urfprünglich ein Pradifat diefes Gottes war, wird durch
eine andere Angabe’) beftätigt, nach welcher fie Söhne des
Apollon und der Danais, einer Kretifchen Nymphe, find.
Menn fie Söhne eines ſtarken Regens heißen‘), fo darf man
nicht vergeffen, daß, wie Welcker fehr fcharffinnig bemerkt ''),
hinter dem Regen hier Smbros oder Hermes verftect fey.
Wenn nun die Kureten von Apollon oder Hermes ab-
ftammen, welche ehedem beide Sonnengötter waren, fo koͤn—
nen fie nichts der Natur des Sonnengottes Fremdartiges an
ſich gehabt haben, fondern es ift höchft wahrfcheinlich, daß fie
mit dem Sonnengotte in eben fo inniger Beziehung ftanden,
als dieß bei den Phaͤaken oder den Aethiopen und Telchinen
der Fall war. Die Nymphe Danais verdankt ihre Ent:
ftehung ohne Zweifel einem Pradifate der Mondgoͤttin.
MWenigftens ift ihr Name von jenem der Danae nur fcheinbar
verfhieden. Wenn fie nach einer andern) Angabe Söhne
der Daftylen heißen, fo darf man ſich dadurch nicht irre mas
chen laffen. Ueber die Bedeutung diefer Abftammung bes
merkt Welcker, fie fcheine fi) darauf zu beziehen, daß die
Waffenrüftung, welche die Daftylen fchmiedeten, ihnen vom
Anfang an als Vorzug und Ehrenſchmuck gebührte. Vielleicht
s) Welder, Zrilog. S. 193.
9) Tzetz. ad Lycophr. 78.
10) Ovid. Metam. IV, 282.
44) c.
42) Diod. Sicul. V. 65.
352
bezog fich diefe Ableitung der Kureten von den Daktylen auf
die Werwandtichaft, in welcher fie mit denfelben ihrer ur;
fprünglichen Bedeutung gemaß ſtanden.
Wenn die Inſel Kreta in der Urzeit Kuretis hieß, fo
darf dieß nicht befremden. Es ift bekannt, daß die meiften
Städte und Zander Griechenlands in der Urzeit verfchiedene
hieratifche Namen hatten, welche Praͤdikate derjenigen Götter
geweſen ſeyn dürften, welche man an diefen Orten vorzüglic)
verehrte. Die Namen der Inſeln Delos, Lesbos und Samo-
thrafe Fonnten diefe Behauptung ſchon vollfommen begrün;
den, wenn fi) auch fonft Feine Beifpiele der Art anführen
ließen, welche aber Sicher fehr zahlreich find.
Wenn auf Kreta der Sonnengott und die Mondgöttin
als Füngling und Jungfrau verehrt wurden, warum follte das
Eiland nicht den Namen Kuretis führen)? Nicht bloß auf
Kreta treffen wir aber Kureten, fondern diefe erfcheinen auch
in Verbindung mit der Hera auf der Inſel Eubda*). Auch)
in Ephefos waren Kureten der Leto oder der Artemis Ortygia,
welche die gebärende Leto gegen die eiferflichtige Hera ſchuͤtz⸗
ten®),. „Sn Kreta, fagt Strabon, werden die Fefte des Zeus
mit Orgien gefeiert, und von folhen Dienern begangen,
wie die Satyren beim Dionyfos find. Diefe hießen Ku:
reten. Es waren Juͤnglinge, die einen MWaffentanz aufführ-
ten, und den Mythos von der Geburt des Zeus darftellten,
wo fie den Kronos auftreten ließen, der die Gewohnheit
hatte, feine Kinder fogleich nach der Geburt zu verfchluden ;
43) Plin. H. N. IV, 12. Solin. 17.
14) Welder, Zrilog. 194.
15) Welder, 1. c. ©, 195. Strabon, X, c. 3.
353
andererfeits Rhea, wie fie ihre Wehen zu verbergen fucht,
und das geborne Kind zu entfernen, um es, wo möglich,
zu retten. Dazu nimmt fie die Kureten als Helfer. Diefe
mußten mit Pauken und andern larmenden Inſtrumenten
der Art, mit Maffentanzen und Getöfe die Rhea umgeben,
um den Kronos in Furcht zu fegen, und ihm heimlich den
Knaben zu entziehen, und eben fo forgfaltig foll er auch
von ihnen erzogen worden ſeyn.“ Es ift befannt, daß die
Sötter die Gebraͤuche, welche mit ihrem Cultus verbunden
waren, felbft begründen, Wie Rhea den Tanz erfindet,
womit das Altertum den Kreislauf des Mondes am Him—
mel bezeichnete, wie Aphrodite beim Schimmer des Mons
des Tanze aufführt: fo beginnt auch der Sonnengott nad)
feiner Geburt den Tanz, und fene Genien thun dasjelbe.
Sobald man die Kureten als gewöhnliche Menfchen betrachtete,
"mußte freilich die Sage ein andere Geftalt gewinnen. Die
Zahl der Kureten wird verfchieden angegeben. Einige nens
nen drei Urfureten %). So viele fchlagen auf einem Ne
lief die Schilde bei dem weugebornen Zeus zufammen.
Wir haben ſchon bemerkt, daß die Sage auch von drei
Telhinen, drei Kyflopen fpricht, und unfere Vermutbung
über die Bedeutung diefer Zahl geäußert. Andere geben
die Zahl derfelben auf vier, fünf, neun oder zehn an”),
andere nennen noch mehrere. Die fombolifhen Zahlen
neun und zehn Tehren in einer Menge von Sagen wieder,
welche fi auf den Sonnengott beziehen, und die Zahlen
16) Welder, Zeitſchrift für alte Kunft, I. S. 360.
17) Diod. III, 61. V, 65. Spanb. ad Callim. Hymn. in Jov.
52 sq.
Borhalle zur. Griechifchen Geſchichte. II 23
354
vier und fünf dürften eben fo gut eine fymbolifche Bedeu:
tung gehabt haben, wie die eben genantnen.
Was gab nun zur Entftchung des Charakters der Ku:
reten und ihrer läarmenden MWaffentanze Beranlaffung ?
Mir vermuthen, die Art und Weife, wie der Sonnengott
und die Mondgottin auf Kreta, Eubda und zu Ephefos
verehrt wurden. Wir haben fchon erinnert, daß der Tanz
. bei den Griechen eine tiefe religiofe Bedeutung hatte, und
den Kreislauf der Sonne und des Mondes verfinnlichte,
wie dieß auch bei dem Fadellauf der Fall war, welcher in
Athen dem Prometheus gefeiert wurde. Die Fadeltänze
des Dionyfos hatten ebenfalls Feine andere Bedeutung.
Wenn nun deßhalb überall, wo der Sonnengott und Die
Mondgöttin vorzüglicd verehrt wurden, Reigentaͤnze vor
fommen, warum follen fie nicht auch auf Kreta fchon in
der Urzeit bei der Verehrung der beiden Kichrgütter aufge
führt worden feyn? Hier ward der Sonnengott als Füng-
ling, in der Blüthe der Kraft und der Jahre verehrt und
zur Bezeichnung der Art und Weiſe diefer Derehrung
vollfommen bewaffnet. Die einfachen NReigentange wurden
alfo hier in Waffentaͤnze verwandelt, welche auf eine fehr
lärmende Weiſe aufgeführt wurden.
Der friegerifhe Sinn der Ureinwohner der Snfel dürfte
auf die Geftaltung diefes Cultus wefentlichen Einfluß aus:
geübt und auf der andern Seite durch denfelben wieder
vielfach genahrt worden ſeyn ). Wie die Götter häufig »)
18) Greuzer, Symbol. I. 15.
19) Ephoros fagt von den Kretern (ap. Etrabon. X. ec. 5):
355
als Lehrer der Gebräuche, welche mit ihrer Verehrung vers
fnüpft waren, dargeftellt werden, fo ift diefes auch in der
Sage von den Kureren der Fall, Wie Apollon und Arte
mis fich der Chorreigen erfreuen, wie Artemis felbft Chor;
reigen aufführt, fo führet fie auch der Sonnengott auf
Kreta auf, und fobald man die drei, vier, fünf, neun oder
zehn Genien oder Diener, deren Zahl und Namen ſich auf
feine eigene Natur bezogen, als befondere MWefen betrachtete,
ließ man dieje die Waffentaͤnze aufführen. Allein bei die
fer Zahl blieb die Sage nicht ſtehen. Wie man die Ky-
open und Telchinen für ein ganzes Volk anfah, fo hielt
man auch die Kureten für ein Volk oder wenigſtens für
den Adel desfelben. Es war fehr natürlich, dag man fich
die Bewohner desjenigen Ortes, wo der Sommengott ver
ehrt wurde, eben fo dachte, und fie diefelben Befchäftigungen
betreiben ließ, woran diefer fein Mohlgefallen fand. Apol—
lon freuet fich der Mufif, der Gefange und Chorreigen. Deß—
halb find die Hyperboreer unablafiig bemüht, ihn auf diefe
Weiſe zu ehren. Hephaftos oder Polyphemos ift Feuer:
fünftler. Aus diefem Grunde find es auch die Kyflopen,
„Damit aber nicht Feigheit, fondern Tapferkeit bei ihnen
vorherrfche, wurden fie von Kindheit an in den Maffın und
in Ertragung von Muͤheſeligkeiten geuͤbt, fo daß fie Hitze und
Kälte, rauhe und ſteile Wege und Schläge auf den Uebungs—
pläßen und in den angeordneten Kampfen nicht achteten.”
Sie übten fih auch, fagt er, im Bogenſchießen und im
MWaffentanz den zuerft Gures gelehrt haben foll, der auch
fpäter den von ihm fogenannten Tanz Pyrrhiche einführte, fo
das nicht einmal ihre Kinderfpiele deffen entbehrten, was zum
Krieg nöthig ift.
33
356
und zeichnen ſtch überhaupt, wie der Sonnengott, als
Künftler und Baumeifter aus. Der Kretifhye Sonnengott
ift ein Freund der Friegerifchen und larmenden Waffentaͤnze.
Deßhalb ehren ihn auch die Kureten beftändig auf diefe
Weiſe.
Sobald man die Sagen, welche in alten Liedern
uͤber ſie enthalten waren, buchſtaͤblich auffaßte, mußte
man ſie freilich von einer ganz andern Seite auffaſ—
ſen. Man glaubte, die aͤlteſten Einwohner der Inſel
oder den Adel oder eine beſondere Claſſe desſelben, die
Prieſter, in ihnen zu erkennen, und bei den vielen Ver—
wechslungen, welche zwiſchen den Kureten, Korybanten, den
Kabiren und den Idaͤiſchen Daktylen ſtatt fanden, mußten
die ſie betreffenden Mythen allmaͤhlig dunkel werden.
Da dieſe Kureten in der Wirklichkeit als Volk, Adel
oder Prieſter nicht vorhanden waren, ſondern der Art und
Weiſe, wie bei den kriegeriſchen Ureinwohnern Kreta's der
Sonnengott und die Mondgöttin verehrt wurden, ihren Chas
rafter zu verdanken hatten, fo dürfen wir uns nicht wuns
dern, daß fie auch in Ephefos vorfommen, und mit dem
Gultus der Mondgöttin auf der Inſel Eubda in Beziehung
fiehen. Wären die Kureten der alten Sage ein Volf
oder der Adel oder ein Prieftergefchlecht eines Volkes ger
wefen, fo würde ihr Erfcheinen in Ephefos immer rärhfel:
haft bleiben. Wenn man aber erwägt, daß hier die Ama-
zonen eine fo wichtige Rolle fpielen, daß die Kelegifchen
und Karifchen Voͤlkerſchaften, die älteften Bewohner von
Ephefos, ein fehr Friegerifhes Wolf waren, daß alfo auch
ihre Mondgdttin als Kriegerin und auf eine fehr larmende
37
Weiſe, wenigftens in der Urzeit, verehrt worden feyn dürfte,
fo möchte es wohl einleuchten, warum auch hier Kureten
auftreten.
Die Sage, daß die Kureten die Leto bei der Geburt
des Apollon fchirmten, und den neugebornen Zeus vor allen
Gefahren bewahrten, hat einen fehr ſchoͤnen Sinn. Die
Sonne wurde vorzüglich bei ihrem Aufgang und bei
ihrem Untergange verehrt. Den Aufgang bezeichnete
die Sage durd) die Geburt, den Untergang durch den Tod.
Diefer wurde natuͤrlich mit Klaggefchrei und Klageliedern,
der Aufgang oder die Geburt aber mit Freudengefchrei ge-
feiert. Wenn die Kureten ihre MWaffentänze nad) der Ge
burt des Zeus aufführen, fo begrüßen fie durch diefelben
die aufgehbende Sonne. Ein friegerifches Volk wird dieß ftets
auf eine Friegerifche Weiſe thun. Die Reigentänze, womit
andere Völfer die aufgehende Sonne, welche fefbft ihre
Rundetaͤnze wieder begann, d. h. ihren Kreislauf anz
fing, begrüßten, wurden bei einem friegerifchen Wolfe auf
eine larmende und geräufchpolle Art begangen. Daher ums
tanzen die Kureten den Zeus mit Waffengetofe. Die Sage
von der Geburt des Zeus ward, wie viele andere, bald
buchftablich) aufgefaßt, und es mußte nun fonderbar fchei-
nen, weßhalb man ein Kind, welches Geraͤuſch und Laͤrm
nicht vertragen kann, auf ſolche Weiſe geehrt habe. Die
Sage, Kronos habe feine Kinder verfchlungen und ähnliche
mißverfiandene Mythen mußten nun benüßt werden, um zu
erklären, warum ein Kind folch’ ein betaubendes Getoͤs
umraufchte. Auf diefe Weife wurden die Kureten zu Freunden
und Gönnern und natürlich auch zu Erziehern des jungen Zeus,
358
Daß fie auch Künftler waren, wie die Zeldinen,
möchten wir fehr bezweifeln, und aus einer Verwechslung
mit denfelben erklären. Allerdings ift der Sonnengott
Künftler, aber nicht an allen Orten erfcheint er in eben
diefer Wirkſamkeit. Seine Wirkſamkeit war in den eins
zelnen Ländern, wie wir ſchon bemerften, verfchieden. Die
einen betrachteten ihn als Künftler, andere als Krieger,
andere als Heilgott, andere als Vermehrer der Heerden.
Hoͤck gefteht, daß fich in der Kretiihen Sage von Metal
lurgifchem wenig findet, und wir fehen auch nicht ein, wie
man auf einer Inſel, welche den Sonnengott auf die oben
bezeichnete Weiſe verehrte, denſelben zugleich als Künftler
habe betrachten Fonnen.
Die Korybanten”) hatten ohne Zweifel diefelbe Ber
deutung, wie die Kureten; nur gehören fie einem andern
Drte a. Dasſelbe Wort, welches in Kreta Kures aus
gefprochen ward, lautete am Ida in Troja Kyras, Kyr⸗
bas?) und weiter umgebildet Korybas. Korybas wird?)
ala der mädhtigfte König der Erde gepriefen, welcher durch
Eindden wandelt, und nad) der Deo Willen die Geftalt eines
Drachen annimmt. Er war ein Sohn des Jaſion und der
Kybele, welcher nah Jaſions Tode mit Kybele und Dar
danos nach Phrygien (Troja) ging”), und den Dienft der
Götter» Mutter in Afien einführte. Diefe erhielt felbft den
Namen Kybele, nach Korybas aber wurden jene, welche
20) Hof, Kreta I, 325.
21) Welder, Trilog. S. 191. not. 293.
22) Hymn. Orph. 38.
23) Diod. V, 49.
359
mit fchwärmifcher Wuth den Dienft feiner Mutter verrichte:
ten, Korgbanten genannt.
Nach einer andern Angabe”) war der Kretifche Apollon
ein Sohn des Korybas. Korybas erfcheint auch ald Begleiter
der Kureten und der Gründer von Hierapytna”). Che wir
unfere Vermuthung über die Bedeutung des Korybas und
die genealogifhe Verbindung, in welcher derfelbe fteht, aus⸗
drüden, wollen wir auch den Namen in der Vielheit, d. h.
die Korybanten, näher in das Auge faffen. Die Koryban-
ten leiteten fich auf Samothrafe von Söhnen des Jaſion und
der Kybele oder von dem eben bezeichneten Korybas ab*).
Aber fie nannten fi) auch Söhne des Apollon und der Tha-
ia) oder des Apollon und der Rhytia*). Söhne des
Kronos oder des Zeus und der Kalliope heißen die Koryban—
ten vielleicht nur durch Verwechslung mit den Kureten *).
Andere nannten fie Söhne des Apollon und der Athena”).
Iſt Korybas ein Sohn des Jaſion und der Kybele, fo
kann er von feinem Water eben fo wenig verjchieden feyn,
als Apollon urfprünglich bon Zeus verfchieden war, und er
möchte deßhalb mit feiner Mutter Kybele in demfelben
Verhaͤltniſſe jtehen, in welchem Ares zur Hera ſteht. Mahrs
fheinlid war alſo der Name Korybas ein Pradifat des
Sonnengottes, der am verfchiedenen Orten verfchiedene Na—
24) Arist. ap. Clem. Alex. Protr. p. 17. Cic. N. D, II, 23.
35) Strab. X, e. 3,
36) Diod. III, 55. V, 49.
27) Apollod. I, 3, 4.
28) Pherecyd. ap. Strab. I. c.
29) Welder, Trilog. S. 196.
50) Welder, S. 202, not. 398.
360
men trug. Schwend hat fehr richtig bemerkt), daß bie
Namen Aifon, Aithon und Jaſion ein und dasselbe Wefen
bezeichneten, der Name Aithon aber dürfte fich doch wohl
auf die Befchaffenheit des Kichtes beziehen. Wenn Kory:
bas ein Pradifat des Sonnengottes war, fo fallt es nicht
auf, daß derfelbe als der größte Herrſcher gepriefen ward,
wie Agamemnon, Diomedes, Minos, Priamos, Herakles
und ähnliche Weſen, daß er durch ode Gegenden wandelt,
wie Bellerophon auf Pfaden umberirrt, welche von den
Wohnfigen der Menfchen entfernt liegen; es fallt nicht auf,
daß er fich, wie Zeus und andere Sonnengötter, in bie
Geftalt einer Schlange verwandelt.
Sonne und Mond erfcheinen bald als Gatte und Gat—⸗
tin, wie Zeus und Hera, Jaſion und Kybele, bald als
Sohn und Mutter, wie Hera und Hephäftos, mit einander
verknüpft, und fo darf es uns auch nicht wundern, daß
Korybas, ald er als befonderes Mefen und ald Sohn des
Safion betrachtet wurde, nun auch als Sohn der Kybele
auftritt, mit welcher er verehrt wurde.
Die Götter begründen haufig die Gebräuche”), welche
mit ihrem Gultus verbunden waren, und wenn Ndraftos
der Adraſtea einen Tempel erbaut, weil er mit ihr ur
fprünglicy verehrt wurde, warum foll nicht auch Korybas
die Verehrung der Kybele einführen, welche ihm fo nahe
ftand, wie Adraſtos der Nemefis Adraften? War Korybas
urfprünglich ein Yradifat des Sonnengottes, fo fieht man
31) ©. 116.
32) Erenzer, Epmbol. I, 45.
361
auch ein, wie der Kretifche Apollon Sohn des Korybas ges
nannt werden Fonnte. Wie man von den Namen Aethiops,
Phaar, Kyklops und ähnlichen, weldye der Sonnengott hatte,
befondere Genien ableitete, und dieſe diejenigen Gegenden
bewohnen und eben diefelben Künfte betreiben ließ, welche
dem Sonnengotte an verfchiedenen Orten beigelegt wurden,
fo wurden auch von Korybas die Korpbanten abgeleitet,
und in diejelben genealogiſchen Beziehungen oder in ähnliche
gebracht, wie diejenigen find, im welchen Korybas felbft
fteht. Sie ftammen von Korybas ab, oder von den Soͤh—
nen des Jaſion und der Kybele, oder fie find Söhne des
Apollon, wie nach der Kretifhen Sage Apollon felbft Sohn
des Korybas heißt, oder fie leiten fi) von Helios und Athene
ab, in fo ferne Helios urfprünglid feinem Weſen nad
derfelbe Gott war, welchen man anderswo als Apollon
verehrte. Pallas fpielt auf Samothrafe eine zu große
Rolle, als daß fie nicht als Mutter der Korgbanten ers
fcheinen follte. Wenn andere Angaben ihre Mutter Thalia
nennen, fo dürfte fi) diefe Verfnüpfung ?) auf die Taͤnze
der Korpbanten beziehen, fo wie Welder “) die Ableitung
der Korpbanten von der Rhytia auf das Afyl-Necht bezieht,
welches dem Samothrafifhen Eilande großes Anfehen gab.
Der Cultus des Sonnengottes und der Mondgöttin
war in Kleinafien, wie auf der Sinfel Kreta und an vielen
andern Orten mit Reigentänzen oder Tanzen und lärmen-
der Mufif verbunden. Die fpmbolifche Bedeutung diefer
Tänze haben wir fchon befprochen. Wir treffen diefelben
35) Apollod. I, 3, 4. Schol. Lycophr. 78.
5 :MWelder, 195 sq.
ı
362
auch bei der Mondgottin Kybele und dem Sonnengotte Ja—
fion-Korybas in Troas und an andern Orten an, Allein als
der Name Korybas von dem Gotte, welcher denfelben trug,
getrennt, und zu einem befondern Wefen umgebildet worden
war, und man an diejenigen Orte, wo er ehedem mit der
Kybele verehrt worden war, feine Genien verfegte, welche
beftandig mit feiner Verehrung befchäftigt find, da trat Kory—
bas in den Hintergrund, wie auch in Hellas eine Menge von
Göttern, welche Pradifaten ihr Dafeyn zu verdanken hatten,
in die Neihe der Herven herabſank. Indeß läßt fich die Ber
deutung, welche er ehedem int Eultus der Kybele hatte, bevor
man ihn wegen der Trennung von dem Nauptnamen oder
vielleicht auc) wegen irriger Auffaffung der Korybanten für
einen Sterblichen hielt, noch recht gut erkennen, Die Sage
nennt nämlich die Korybanten audy Söhne des Sofos und
Erzieher des Bacchos *). Wir haben bei der Erflärung des
Verhaltniffes, in welchem Phrivos zu Athamas fteht, auf
die frühere Werwandtfchaft des Hermes und des Dionyfos
aufmerkffam gemacht, und erinnert, Daß, wenn Kadmos
(Hermes) der Großvater des Dionyfos ift, Großvater und
Enkel wohl nur verfchiedenen Namen eines und desfelben
Mefens ihr Dafeyn verdankten. Sofos war ein Pradifat
des Hermes”). Stammen aljo die Korybanten von Hermes
oder Sofos ab, fo fteht natuͤrlich auch Korybas, das Pradi-
Fat des Jaſion, von dem die Korybanten abgeleitet wurden,
in demfelben Verhältniffe zu dem genannten Gotte, und das
Kind, welches diefelben erziehen, war von ihm feinem Wefen
35) Nonn. XIII, 135 sqgq.
36) Welder, Trilog. ©. 203, not.
363
nad) nicht verfchieden ”). Daher iſt es klar, warum in alten
Sagen die Korybanten die Kybele und den Dionyfos,
welcher in Kleinafien auch die Beinamen Jaſion und Korys
bas hatte, ehren, während ſpaͤtere bei der irrigen Auffaſ—
fung der Korybanten nur von der Verehrung der Berg-
mutter fprechen.
Dich umtönen®), fagt Pindaros, Mutter, die großen
Kreife der Cymbeln und die krachenden Klappern, und die
Tadel, brennend vom gelben Kien, und Euripides fang:
Dionyfos freuet fid) auf dem Ida mit der theuern Mutter
an der Paufen Subellarm.
Die Fadeln find in dem Cultus der Bergmutter eben
fo wichtig, als der Waffentanz, welcher die Hauptfunftton
der Korybanten war. Welche Bedeutung diefelben haben,
dürfte nach den bisherigen Erörterungen nicht dunkel ſeyn.
Wir vermuthen, daß fie fih, wie jene, womit Artemis auf
37) Die Verwandtfchaft des Safıon mit Hermes last ſich nicht
wohl bezweifeln. Jaſion ift Bruder des Dardanos. Beide
Bruder entftanden doch wohl offenbar aus verfchiedenen Praͤ—
difaten eines und desfelben Gottes. Ein Sohn des Dardanog
beißt Paris (Spigner ad Hom. 11. III, 40 p. 94); die Na—
men Paris und Pharis unterfcheiden fich nur durch die Ad—
fpiration, und bezeichneten dasſelbe Weſen (Gefh. des Troj
Krieg. ©. 145. not. 105). Pharis wird aber ein Sohn des
Hermes genannt. Wie alfo Dardanos einen Sohn Paris
bat, fo hat Hermes nah der Griechifhen Sage einen Sohn
Pharis, und wie nad der Troifchen Sage Paris die Helena
entführt, fo entführt fie nach der Griechifhen Hermes (ef.
Eurip. Helen. 44 sqq.), fo daB man die Verwandtichaft des
Hermes mit Paris, alio auch mit feinem Vater Dardanos
und deffen Bruder Jaſion nicht wohl verfennen Fann.
38) ap. Strabon. X. c. 3.
364
Münzen erfcheint, auf das Leuchten des Mondes, fo wie
der Zanz auf den Kreislauf dieſes Lichtkoͤrpers bezogen.
Kybele war alfo Mondgöttin, wie Dionyfos oder Jaſion⸗
Korybas Sonnengott war. Als Mondgöttin hat fie die
Fadeln, als Mondgöttin halt fie fi auf Bergen auf, wie
Artemis, und wie diefe fid) an Reigentänzen ergoͤtzt, fo er-
freuet fie fih an ftürmifcher Muftf und am Waffentanz. In
fo ferne die Kybele nur ihrem Namen nad) von der Griedhi-
hen Mondgottin verfchieden war, Fonnten allerdings die
Korybanten auch Diener der Hefate genannt werden?).
Die Mondgöttin hatte, wie der Sonnengott, eine Menge
von Namen. Die Völkerfchaften Griechenlands dachten fich
unter jedem Namen ein befonderes MWefen. Auf diefe Weife
entftand eine Menge von Görtern, und da man diefelben
nicht an allen Orten aus demfelben Grunde und auf
diefelbe Weife ehrte, fo mußten diefe Götter fich allmah-
lig immer mehr von einander unterfcheiden, und es
mußte die Anficht entftehen, Rhea, Hekate, Kybele feyen
urſpruͤng lich durchaus verfchiedene Wefen gewefen. Bei
der Verwandtfchaft der Rhea und Kybele, welche große Ge-
lehrte aber in Abrede ftellen, darf es ung nicht befrembden,
daß man die Kybele“) nach Kreta verfeßte, und die Korys
banten fo haufig mit den Kureten verwechfelte.
Aus diefer Verwechslung erklärt ſich“) die Sage, die
Korgbanten feyen von den Titanen der Rhea ald Diener ger
geben worden, eine Anficht, welche felbft der gelehrte Calli-
39) Strabon, X. ec. 3.
40) Euripid. Bacch. 120.
41) Strabon, 1. c,
365
machos°) hatte. Laͤßt man die Verwandtichaft der Rhea
und Kybele nicht aus dem Auge, fo fieht man auch ein, war-
um andere behaupten‘) fonnten, die Nerehrung Rhea's ſey
auf Kreta nicht einheimifch, fondern fie finde fi) nur in
Troas und in Phrygien. Da man aljo zwifchen den Nas
men Rhea und Kybele, in fo ferne fie in der Urzeit dasselbe
Weſen bezeichneten, Feinen Unterfchied machte, fondern die—
felben eben fo haufig verwechfelte, wie die Kureten und Kory-
banten, fo Fonnte es dem Skepſier“) Demetrios wahrfcheins
lich dünfen, daß die Kureten und Korybanten diefelben feyen,
die ald Zünglinge beim heiligen Dienft der Götter » Mutter
in Waffen tanzten.
Die Zahl der Korgbanten wird verfchieden angegeben.
Einige nennen drei”), Kyrbas, Idaͤos und Pyrrhichos.
Diefe drei Namen waren urſpruͤnglich Pradifate der Sonne,
Die Genien der einzelnen Götter haben Namen und Schick:
fale mit diefen gemein. Ueber die ſymboliſche Bedeutung
der Zahl drei haben wir unfere Anficht ſchon ausgefprochen.
Pherefydes führte‘) neun an, und nannte fie Söhne des
Apollon und der Rhytia. Wir erinnern nur an die Ennaes
teris, welche im Cultus diefes Gottes eine jo große Rolle
fpielt, um auf die fombolifche Bedeutung diefer Zahl hinzu:
weifen. Nach einigen Famen die Korpbanten aus Baltrien,
nad) andern aus Kolchis ”) oder aus andern öftlichen Gegen»
42) CGallim. Hymn. in Jov. 46. 52.
45) Strabon, 1. e.
44) ap. Strabon. |. ce.
45) Nonn. Dionys. XIII, 33 sqq.
46) ap. Strabon. |. e.
47) Strabon, 1. e.
366
den, wie and) der Sonnengott felbft im fernen Often feinen
Kreislauf oder Rundetanz beginnt.
Faſſen wir die verfchiedenen Angaben in Kürze zufam-
men, fo ergibt fich aus denfelben, Daß am Ida der Sonnengott
und die Mondgöttin Kybele mit lärmender Mufif und Waf—
fentanzen unter dem Scheine der Fadeln geehrt wurden, daß
jener das Pradifat Kyrbas oder Korybas hatte, welches all-
mählig von ihm getrennt ward, Die Genien, welche aus
feinem Namen hervorgingen , wurden ale feine Diener und
als Verehrer der Götter- Mutter betrachtet. Der Name Ko—
rybas blieb aber natürlich als der wichtigfte und bedeutungss
vollfte vorherrfhend, und fo oft man diefe Weſen mit ei-
nem gemeinfamen Namen bezeichnete, nannte man fie Kos
robanten. Sobald man aber einmal von drei oder neun
Korpbanten ſprach, und die Beziehung derfelben auf den
Jaſion und die Kybele nicht mehr Fannte, Fonnte man bei
diefen Zahlen nicht ftehen bleiben. Die Zahl ward natuͤrlich
bald- vergrößert, und die Korybanten wurden als Diener
und Gefährten der Kybele angefchen. Ihnen legte man die
Einführung derjenigen Gebräuche bei, welche mit dem Eul:
tus des Jaſion-Korybas und der Götters Mutter verbunden
waren. Mären fie wirklich fchon im der Urzeit nur Diener
der Götter-Mutter gewefen, hätte Korybas, aus deffen Na-
men fie hervorgingen, Feine höhere Bedeutung gehabt, fo
wäre es in der That höchft rathfelhaft, warum die Gortys
nier bei den Kureten und Korybanten, bei allen Göttern und
Göttinen ") gefhworen haben. Hatte aber Korybas in der
48) Chish. inscript. Asiat. p. 135. Aus diefer Angabe kann
367
Urzeit göttliche Natur, wie fein Vater und feine Mutter,
fo fieht man leicht ein, warum man fie‘) noch in der ſpaͤ—
tern Zeit für Damonen und höhere Mefen hielt. Auf der
andern Seite darf es uns auch nicht befremden, dag manche
Schriftfteller %) fie bei der buchitäblichen Auffaffung alter
Sagen für ein gefchichtliches Wolf betrachteten, und zu
Phrygiern machten. Hatten doc) auch) die Kyflopen, Aethios
pen und Phaͤaken dasfelbe Schicjal, und man hofft noch im;
mer, die Grenzen der Heimath der Hyperboreer mit geogra>
phifcher Genauigkeit beftimmen zu fünnen! „Dieſe göttlichen
Kureten und Korpbanten, jagt Welder “), find alfo eben fo,
wie die lärmenden Spaßmacher des Zagreus-Kindes, eigents
lich nicht damonifirte Menfchen, fondern gedichtete Proto-
type eines priefterlichen Standes.” Mir möchten fagen,
fie feyen Genien, deren Namen von einem Pradifate des
Sonnengottes entlehnt waren. Da der Name, welden fie
haben, urjprünglicy mit dem Sonnengotte verfnüpft war,
welcher mit Fackel- und Waffentanz geehrt wurde, fo mußten
fie, nad) der Trennung von demfelben, als die Diener des—
felben und die Begründer feines Eultus dargeftellt werden.
man auch die urfprünglich gleiche Bedeutung der Kybele und
Rhea, der Kureten und Korpbanten erfennen.
49) Strabon, X. ce. 5.
50) Strabon, 1. c.
51) Trilog. ©. 196 sq-
368
Siebenundzwanzigftes Capitel.
Die Idäiſchen Daktylen.
Es möchte viele Leſer befremden, warum wir bie
Idaͤiſchen Daktylen nicht an die Teldyinen und Heliaden
angereiht haben. Allein wir vermuthen, daß die Beichaf-
tigung mit Kunfts und Metall: Arbeiten, welche ihnen beis
gelegt wird, in den fie betreffenden Sagen anfangs kaum
erwaͤhnt, ſondern erſt allmaͤhlig hineingezogen ward, daß
ſie alſo urſpruͤnglich eine ganz andere Rolle gehabt haben
duͤrften, als man gewoͤhnlich annimmt.
Es iſt bekannt, daß der Sonnengott nicht bloß Krank—
heiten ſchickt, ſondern die Menſchen auch von Krankheiten
befreiet. Die Arzneikunde erſtreckt ſich aber bei einem
Volke, welches in den Wiſſenſchaften noch Feine ſonder—
lichen Fortſchritte gemacht hat, groͤßtentheils auf Chirur-
gie. Innerliche Krankheiten ſuchte man durch Geſang
und Muſik oder durch andere Mittel ähnlicher Art zu ent⸗
fernen, Betrachten wir den Götter-Arzt Paan bei Home
ros, fo fehen wir ihn nur mit der Wundarzneitunde ver—
traut. Schwenk vermuthet ‘), daß das Wort zaıiw auch
fhneiden heiße, und aljo fchon der Name die Art und
Weiſe der Beichaftigung auf das gemauefte bezeichne.
„Machaon, der Sohn des Asklepios, hieß fo von uayow,
welchen ungern zu Grunde liegt, und das vorzuͤglich die
Gefhicklichkeit mit den Handen ausdrückt, auch Cheiron,
1) Schwenck, ©, 206.
369
„der heilfundige Kentauros, hatte fenen Namen von yero”).
Die ganze Gefchielichkeit des Machaon befteht zunachft
darin, dag er Pfeile und ähnliche Dinge herausfchneiden
und lindernde und heilende Mittel auf die Wunden zu le
gen verfteht.
Die Finger find?) Künftler und Werkmeiſter aller
Dinge; darum fagte man, daß die Daftylen genannt wur-
den, weldye der Rhea-Kyhbele allerlei ins Werk’) richtes
tem. Wenn nun der Sonnengott Paͤan und Cheiron‘)
wegen der chirurgifchen Geſchicklichkeit hieß, ſoll derfelbe
nicht auch den Namen Daktylos ) getragen haben, wie
ihn der Priefter der Kybele“) noch in fpätern Zeiten
führte? Herakles, welcher unter den Idaͤiſchen Daftylen
auftritt”), erfcheint in vielen Sagen als Heilgott, und
Hermes wird felbit‘) als erfter Lehrer der Arzneikunſt ges
nannt. Die Mondgöttin Helena lernt in Aegypten die
Arzneikunde“). Soll alfo nicht auch Kybele in Verbin—
9) Idem, 1. c.
5) Pollux, II, 156. Welcker, Trilog. 174.
4) Welder, ©. 175.
5) Weber die verfchiedenen Sagen, welche man zur Erklärung
diefes Namens hatte, cf. Welker, ©. 179. n. 264. Strab.
(X, 3) fagt: Idäiſche Daktylen hießen nach einigen die erften
Bewohner der Abflahung des Ida. Denn Füße nennt man
diefe Abflahungen, wie Haupter die Spisen der Berge, Auch
alle Gipfel des Ida waren der Götter-Mutter geweihet.
6) Passow, s. v. ddzıulos.
7) Diod. v. 64. cf, V, 76. Pausan. V, 811. V, 15, 1.
VI, 23, 2. Welder, ©. 178.
8) Ereuzer, Symb. I, 395 sq-
9) Greuzer, Il, 392 sq.
Borhalle zus Griechiſchen Geſchichte. II. I:
30
dung mit Jaſion, deffen Name ein Prädikat des Sonnen
gottes war, als Heilgdttin verehrt worden ſeyn?
Die Namen, welde man den Idaͤiſchen Daftylen
beilegt, fprechen fehr deutlich für dieſe ihre Wirkſamkeit.
Site heißen) Paͤonaͤos, Jaſos oder Jaſios, Akeſidas,
ſtatt deſſen wird auch Idas genannt, Epimedes und der
Idaͤiſche Herakles. Wir muͤſſen hier zuvoͤrderſt bemerken,
daß wir uns nicht uͤberzeugen koͤnnen, daß dieſer Idaͤi—
ſche Herakles und derjenige Gott dieſes Namens, wel-
her dem Eurpftheus dient, zwei urfprümglich verſchie—
dene Wefen waren, fondern hegen die. Vermuthung, daß
man fie bloß. deßhalb für zwei befondere mythifhe Verfo-
nen halten dürfte, weil fi) ihr, Cultus an verſchiedenen
Orten, unter verfchiedenen Einflüffen und Verhältniffen auf
eine eigenthümliche Weife geftaltet hat. Mer die große
Wirkſamkeit, welche die Alten der Sonne und dem Monde
beilegten, beruͤckſichtigt, den wird es ſicher nicht befremden,
daß der Sonnengott in gar vielen und verſchiedenen Vers
baltniffen erfheint, Wie Hermes Zauberer ift, fo ward
auch Herakles als folcher betrachtet). Von ihm empfin:
gen die Frauen Befprehungen und Amulete für die Ges
fundheit. Als Heilgott ward er neben und mit Asklepios
und Hygieia ?) verehrt, und man fchrieb ihm) als fol-
chem die Warınbäder zu. Auch die Römer verehrten den
Herakles als Geber der Gefundpeit ).
40) Pausan. 1.1. c. c.
441) Diod. 1. 1. c.
12) Pausan. VIII, 31, A.
43) Aristid. ed. Jebb. I. p. 35.
14) Lyd. de mens. p. 92.
371
Mar Herakles urfpränglich von Sokos ”) (Hermes)
nicht verfchieden, fo kann es auch nicht auffallen, daß er ale
Heilgott eine fo hohe Bedeutung hatte, die aber freilic) nicht
an allen Orten hervortritt, da ihn nicht alle Drte aus
demfelben Grunde verehrten.
Jaſios oder Jaſos, welcher neben Herafles als Idaͤi—
ſcher Daktylos erfcheint, war von Jaſion nicht verfchieden,
und wenn Hermes und Jaſion urfprünglicy nur verfchtedene
Praͤdikate eines und desfelben Gottes waren, fo dürfte aud)
feine Verwandtſchaft mit Herafles nicht wohl in Zweifel ges
zogen werden Tonnen. Paͤonaͤos möchte wohl mit Paͤan in
der innigften Verbindung fiehen, Paͤan felbft aber ging ")
aus einem Pradikate hervor, welches der Sorinengott als
Heilgeber hatte. Der Name Afcfidas bezieht fich gleich
falls auf die Heilkunde, und wenn für diefen Daftylos Idas
genannt wird, fo darf man nicht vergeffen, das das mit
Apollon im Kampfe eingeführt wird, folche ſymboliſche Kaͤm—
pfe aber ihren Grund oft in der gleichen Natur”) der ftrei-
tenden Gotter haben. Der fünfte Daktylos wird Epimedes
genannt, der VBerftand. Wenn der Sonnengott Siſyphos
genannt wurde, wenn er Prometheus hieß, foll fich der Name
Epimedes nicht mit feinem Weſen vertragen ?
Nach unferer Anfiht waren alfo die fünf angeführten
Daktylen aus Pradifaten des Sonnengottes entitanden,
Don Kreta Fam der Eultus diefer Genien des Sonnengottes
15). Welder, ©, 173. not. 259. cf. 205. not. 528.
416) Schwend, ©. 206.
17) Welder, 1 ec.
45) Ueber den Namen Idas cl. Schwend, ©. 194,
24%
372
mit jenem der Rhea, wie man gewöhnlid) annimmt ®), nach
Elise. Es iſt aber auch fehr wohl moͤglich, daß der Cultus
derfelben in Elis fo alt war, als am Ida, und daß fich die
vollfommene Gleichheit "deöfelben aus der gleichen Abftam-
mung der Altejten Bewohner von Elis und der Gegend am
Ida erklärt.
Sn Samothrafe lehren die Idaͤiſchen Daftylen?) Meis
hen und Befprechungen. Wenn wir erwägen, daß Hermes
in jenen Myſterien eben nicht die geringfte Stelle einnimmt,
Jaſion aber von ihm nur dem Namen nach verfchieden war,
und der Zdaifche Herakles als ein und dasfelbe Weſen mit
Sofos (Hermes) angefehen werden muß, fo ift es natürlich,
daß fie auf dem Eilande eine große Rolle fpielen. Wie
die Götter haufig die Gebräuche begründen ”'), welche mit ih—
ver Verehrung verfnüpft waren, fo lehren alfo auch die Dak—
tylen die MWeihen und Beſprechungen, welche an den Cullus
desjenigen Gottes gefnüpft waren, aus deffen Prabdifaten fie
zu befondern Wefen umgebildet wurden.
Sie galten, fagt Strabon ”), allgemein ale Zauberer,
und trieben ihr Weſen um die Götter- Mutter am Ida in
Troas. Klemens von Nlerandrien”?) nennt die Daftylen
die erften MWeifen und Erfinder der Ephefifchen Zauberwör:
ter. Hermes ift aus der Ddyffee des Homeros als Zaubes
49) Schol. Pind. Olym, V, 42. cf. Bödh, p. 125.
20) Diod. V, 64.
24) Greuger, I, 45-
92) Lib. X, c. 3.
25) ötrom. I. p- 506.
373
rer befannt, und ein Hymnos des Alfaos”®) verherrlicht
ihn als Begründer alles Wiffens und Bildner der Menſchen.
Die Zahl der Daktylen wird verfchieden angegeben,
und auch die Fuͤnfzahl verfchieden erflart. Welcker“) glaubt,
daß die Daftylen in Olympia fünf Brüder waren, weil Hes
rafles, der ältefte von ihnen, die Feyer der Spiele, die er
geftiftet, fo einrichtete, daß fie im fünften Jahre wieder;
kehrte, oder wie es die Sage bei Paufanias ?) ausdrückt,
er fete die Pentadteris ein, weil er und feine Brüder fünf
waren, Sollte auch die Zahl eine andere Bedeutung haben,
fo möchte fich dieſelbe doch wohl auf die Natur der Kichtgötter
beziehen. Nach Sophofles hatten *) die fünf Daftylen aud)
fünf Schweftern. Medeia hat als Mondgöttin fieben Toͤch—⸗
ter; aber in fo ferne die Zeitrechnung an die Verehrung
des Sonnengottes und der Mondgöttin zugleich geknüpft ift,
haben jene fieben Sungfrauen auch fieben Brüder, Thefeus
führt ald Sonnengott auf feinem Fahrzeuge fieben Züngs
linge; allein es befinden fich auf demfelben auch eben fo viele
Mädchen. Andere fprachen”) von zweiundfünfzig Dafty-
fen, welche fi) auf die Zahl der Mochen beziehen dürften,
(wie die Söhne des Uegyptos), von denen zweiunddreißig den -
Zauber knuͤpften, zwanzig aber denfelben wieder auflösten *).
25b) Horat. carm. I, 40,4 sqq. Mercuri, facunde ne-
pos Atlantis, qui feros ceultus hominum recentum Voce
formasti catus et decorae More palaestrae etc.
24) Welder, Trilog. © 179 sq.
25) Pausan. V, 7.4.
26) ap. ©trab. X, c. 3.
27) Welder, ©. 182. cf. Lobeck, de Id. Dactyl. p. 9.
28) Das Knüpfen und Auflöfen des Zaubers möchte wohl eine
374
Strabon ſagt ), die erften hundert in Kreta gebornen Manz
ner hatten Idaͤiſche Daktylen geheißen; von diefen feyen neun
Kureten erzeugt worden, von denen jeder zehn Söhne ges
zeugt, die Korpbanten genannt worden waren. Die Zahl
hundert dürfte ihren Grund wohl in den hundert Städten
Kreta’s haben, und da die Idaͤiſchen Daktylen, Kureten und |
Korybanten fchon frühzeitig mit einander verwechfelt wurden,
fo kann es nicht auffallen, daß man bald weiter ging, und
fie jelbft in genealogifche Beziehung zu einander brachte, Mit
den Korgbanten mußten fie befonders oft verwechjelt werden,
da fie in Troad mit dem Korybantiichen Kybele-Dienſt zu—
fammentrafen ®).
Don den drei Daktylen Kelmis, Damnameneus und
Amon haben wir abfichtlich nicht früher gefprochen, weil die
Namen derielben, wie ung dünft, Veranlaffung gaben, daß
man die Daktylen für Schmiede, und Seuerfünftler hielt.
Der Name Daktylen dürfte auch viel beigetragen haben, daß
man an mechanische Künfte, an Bearbeitung des Eifens
dachte, und fie allmählig als Feuerfünftler darftellte, wie die
Kyklopen und Telchinen, Nach Sophofles *) haben fie zu>
fyinbolifhe Bedeutung Haben, und darauf hinweifen, daß der
Sonnengott nicht bloß Gefundheit wieder gibt, fondern auch
Krankheit fendet. Helena befreit den Telemachos durch eis
nen Zaubertrank von einer Gemüthskranfheit, d. h. von fei-
em Kummer, fie löst dag Nebel durch Zaubermittel. Auch
Herafles ward ſowohl als VBerderben drohender, ald auch als
Verderben abwendender Gott verehrt. Buttm. Mytholog. I.
©. 259, n. II. ©, 147. not.
29) Strab. 1. c.
30) Welder, Trilog. ©. 176,
31) Ap. Strab. 1. c.
375
erft das Eifen entdeckt und geſchmiedet, und viele andere
zum Leben nuͤtzliche Gegenftände verfertigt. Die Mei—
nung”), dag fie auf dem Ida zuerft das Eifen bearbeiteten,
war ziemlich allgemein perbreitet. Don einem Cultus ber
Metall-Daktylen in Kreta ift aber?) Feine Spur vorhanden,
und ficher enthielt auch die alte Trojanifche Sage nichts da-
von. Man erklärt die Namen Kelmis, Damnameneus und
Amon für Effe, Hammer und Amboß?). Wir-haben ges
gen diefe Erflärung nichts einzuwenden, und es ift fchr wohl
möglich, daß diefelbe vollfommen richtig ift. Wenn wir
aber erwägen, daß Damnameneus bei den Ephefiern ein Präs
difat der allmächtigen Sonne war”), fo drängt ſich ung die
Vermuthung auf, daß dieß auch bei den zwei andern Namen
der Fall gewefen feyn möchte. Akmon und Akamon) find
ein und dasfelbe Wort. Soll man die Sonne, welche jeden
Tag ihren Kreislauf beginnt, nicht Afamon, die Unermüd»
liche, genannt haben? Der Name Kelmis dürfte fi) auf die
Wirkungen”), welche das Sonnenlicht hervorbringt, bezies
ben, und fchon in fo ferne befondere Beachtung verdienen,
als Kelmis®) nach der Sage mit der Rhea in fehr naher
Beziehung fteht. Irrige “) Auffaffung dieſer Praͤdikate
32) Strab. 1. ce.
35) Welder, ©. 181.
54) Welder, ©. 168 sq. not
35) Clem. Alex. Strom. V, 568.
36) Passow, s. v. @zuwr.
37) ef. Schwend, ©. 172.
53) Ovid. Metam. IV, 281. Melder, S. 169 not.
39) Sit nicht auch Hephaftos aus einem Ahnlichen Grunde zum
hinfenden Gotte geworden ?
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dürfte der Sage natürlich eine andere Geftalt gegeben haben,
Die übrigen Namen der Daktylen dürften entweder geographifch
zu verftehen ), oder im fcherzhaften Sinne") zu nehmen feyn..
Mir fchliegen diefen Band mit Strabon’s”) Morten:
„Alle Raͤthſel genau aufzulöfen, ift freilich nicht leicht (moͤg—
Ich). Wenn aber die Maffe derfelben vor Augen ges
legt wird, theils die,mit einander übereinftimmen, theilg die
einander widerfprechen, fo laßt fih, was Wahres an ihnen
ift, leichter finden.“
40) Welder, ©. 181.
44) Lucian. de Saltat. c. 21.
42) 1. ce, So viel dürfte alfo, man mag die Daktylen für Pro:
totype von Schmieden oder Heilkünftlern anfehen, welce ihr
Daſeyn Prädifaten der Sonne verdanften, auf jeden Fall ein-
leuchten, daß diefelben niemals eriftirten, und demnach wohl
nicht als vergötterte Menfchen betrachtet werden koͤnnen.
Sie waren Genien der Lichtgötter, und ihre Zahl bezog fich
urfprünglich ebenfalls auf die Natur des Sonnengoftes, ward
aber allmahlig vergrößert, und mußte, fobald fie für Men:
fhen gehalten wurden, nothwendig fehr vermehrt werden.
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